Götter and Barbaren von Jo Zybell
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Götter and Barbaren von Jo Zybell
Hier oben im Inneren der Kommandozentrale klang das Sirren der Teflonketten, als würde draußen am Rumpf des EWATs ein unendlicher überdimensionaler Reißverschluss zugezogen. Manchmal peitschten Äste von außen gegen die Kettenschienen des langen Fahrzeugs. Von Zeit zu Zeit knallte auch ein umgestürzter Baum von unten gegen den Rumpf. Das Geräusch ließ Commander Eve Carlyle jedes Mal zusammenzucken. Das dumpfe Gehämmer erinnerte sie an den Angriff der Nordmänner vor drei Tagen. Deren Axthiebe hatten ähnlich geklungen. Jedem einzelnen Besatzungsmitglied steckte der Schreck noch in allen Knochen - obwohl die primitiven Metalläxte die Außenhülle der EWATs nicht hatten durchdringen können. Sie bestand aus einer molekularverdichteten Titan-Carbonat-Legierung.
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Die Ingenieure der Community hatten nicht zu viel versprochen. Schon über viele hundert Meilen hatten sich die beiden Prototypen des neuen Expeditionsfahrzeugs bewährt. In der Luft, zu Wasser und auf festem Boden. Der Überfall der Nordmänner hatte nicht mehr als ein paar Kratzer auf der Außenhülle hinterlassen. Unwillkürlich musste Eve Carlyle auch an das denken, was die Ingenieure über die Sichtkuppeln der EWATs gesagt hatten: »Die Achillesferse« der Earth-Water-Air-Tanks hatten sie die Kuppeln genannt. Aber natürlich waren auch sie nicht mit primitiven Metallwaffen zu zerstören. Commander Eve Carlyle lauschte auf das ferne Summen des Nukleargenerators. Ein beruhigendes Geräusch. Es verkündete Zuverlässigkeit. Überlegenheit über die bedrohliche Wildnis außerhalb der EWATs. Und über die feindlichen Barbaren, die hinter der Expedition her waren. Commander Eve Carlyle liebte dieses leise Summen. Sie stand hinter dem Pilotensessel. Captain Spencer Dewlitts Finger flogen über die kleine Tastatur der zentralen Steuereinheit. Rechts und links des Fahrzeugs glitten mächtige Buchenund Eichenstämme vorbei. Der Captain steuerte den EWAT sicher durch den Urwald. Hin und wieder scharrte ein tiefhängender Ast über die Sichtkuppel. Durch die von innen glasklare und von feinen Leitungen durchzogene Kuppel hindurch blickte Carlyle seitlich in den Wald hinein. In etwa zweihundert Metern Entfernung wühlte sich der zweite EWAT durch das Dickicht zwanzig Meter lang, nicht ganz drei Meter breit und zweieinhalb Meter hoch. Das dunkelgrüne, viergliedrige Fahrzeug sah aus wie eine zu kurz geratene Riesenschlange. Und ähnlich wendigundschnellschlängelteessichzwi-schen den Stämmen der Baumriesen hindurch. Tiefschwarze Kuppeln wölbten sich am stumpfen Heck und am spitz zulaufenden Bug des EWATs. Die Sichtkuppeln waren von außen nicht einsehbar. Kaum erkennbare Teleskoplamellen verbanden die vier Fragmente des EWATs miteinander. Jedes Fragment verfügte über eine
autarke Laser-Sensoren-Navigation. Eine simple, aber in unübersichtlichem Gelände unübertroffene Technik. Die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen betrug weniger als 0,1 Prozent. »Der Wald lichtet sich.« Captain Dewlitts hohe Stimme. Carlyle hob ihren schmalen haarlosen Kopf und betrachtete das PanoramaDisplay über dem Frontbogen der Sichtkuppel. Das Display zeigte im Wesentlichen dasselbe Bild wie der Blick aus der Kuppel: Bäume, Büsche, Gestrüpp. Mit einem Unterschied: Der Navigationsrechner blendete eine fast baumlose Fläche, ein paar Hügel und ein skurril aufragendes Objekt in den Bildhintergrund ein. Commander Eve Carlyle wandte sich an den Navigator hinter ihr. Tief in seinen Schalensessel verkrochen beobachtete er den Monitor auf seiner schmalen Instrumentenkonsole. »Was ist das?«, wollte sie wissen. Die kleinen schmalen Finger des Navigators wirbelten über die Tastatur. Das Bild wurde schärfer, die Struktur des merkwürdigen Dings schälte sich aus den wuchernden Pflanzenschichten und wurde deutlicher, - man sah Verstrebungen, Gestänge, einen kastenförmigen Rumpf. »Irgendwas aus Metall«, sagte der Navigator. »Steht fast am gegenüberliegenden Waldrand.« »Das Wrack eines Schaufelradbaggers.« Wieder die hohe Stimme des Captains. Der Navigator holte eine alte Landkarte auf das Kuppeldisplay. Carlyle betrachtete sie und nickte. »Kann hinkommen. Südlich von Leipzig haben sie früher Energieträger aus der Erde gekratzt.« »Braunkohle«, bestätigte Captain Spencer Dewlitt. »Geben Sie mir ein exaktes Geländeprofil und intensivieren Sie den Infrarot-Taster«, befahl der Commander. Sie erreichten den Waldrand. Auf dem Panoramadisplay erschien eine von dichtem Buschwerk überwucherte Terrassenstruktur. Etwa dreihundert Meter vom Waldrand entfernt fiel sie in flachen Stufen ab. »Tatsächlich«, sagte Carlyle. Spuren von Tagebau.« Sie trat näher an das Display heran. An der Oberkante des Terrassenabhangs
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bewegten sich kleine Schemen. »Wärmeabstrahlungen organischer Körper!«, rief Carlyle. »Menschen.« Spencer Dewlitts hohe Stimme klang plötzlich merkwürdig heiser. »Die Nordmänner?« Die letzten Bäume des Waldes schoben sich an der Sichtkuppel vorbei. Der Gestrüppteppich einer weiten Ebene öffnete sich. Dazwischen vereinzelte Birken. »Verdammt!«, fauchte Eve Carlyle. »Sie wollen uns den Weg abschneiden! Woher kennen die unseren Kurs?!« »Drehen wir um?«, fragte der Navigator. »Wenn sie wissen, dass wir an der Stelle den Wald verlassen werden, sind sie auch hinter uns«, warf Dewlitt ein. Er wandte sich um und blickte den Com-mander fragend an. »Fertig machen zum Schwebeflug!« . Commander Eve Carlyle griff zum Bordmikrofon. »Commander an Gefechtsstand.« »Gefechtsstand hört.« »Wecken Sie die anderen beiden und fahren Sie den Geschützturm aus. Wir müssen mit Feindberührung rechnen!« »Verstanden!« »Fahre Ketten ein, baue Magnetfeld auf, spreize Gleitschwingen«, sagte Captain Spencer Dewlitt. »Kurs?« »Steuern Sie den Fluss im Wessen an!« Carlyle funkte den zweiten EWAT an. »Commander an ark 2, kommen!« »Ark 2 hört, ark l kommen.« »Verdächtige Wärmequellen zweihundertdreißig Meter vor uns! Vermutlich die Nordmänner. Gefechtsklar machen und starten, sobald Sie den Wald verlassen haben!« »Verstanden!« »Geschützkranz klar!«, kam es aus dem Gefechtsstand. »Verstanden«, sagte der Commander. »Wir feuern nur, wenn wir angegriffen werden!« »Ihr Humanismus in Ehren, Commander Carlyle.« Dewlitt zog missbilligend die Brauen hoch. »Aber diese Barbaren haben noch nicht bewiesen, dass sie so viel Rücksichtnahme verdient haben.« »Wir dürfen nichts unterlassen, was den Erfolg der Expedition sichert«, pflichtete der
Navigator ihm bei. »Nicht weit von hier wartet eine kleineCommunity auf unsere Hilfe.« »Ich bin der Commander!« Carlyles schmales Frauengesicht verhärtete sich. »Und ich sage: Wir schießen nur zurück, wenn wir angegriffen werden.« Ein sanfter Ruck ging durch den E WAT. Langsam hob das Fahrzeug ab. Das Buschland fiel unter ihnen zurück; sie blickten auf erste Baumwipfel. In einer weiten Linkskurve steuerte Dewlitt das Gerät Richtung Westen. Carlyle sah die grüne Spitze von ark 2 aus dem Waldrand stoßen. Die Ketten des EWATs pflügten Büsche und kleine Bäume um. Aus dem Fragment hinter dem spitz zulaufenden Bugteil schraubte sich ein stumpf er Turm. Ein Dutzend Teleskoprohre bohrten sich aus seiner Oberfläche, nicht länger als einen Meter und kaum daumendick. »Ark l an ark 2, kommen!« Die Stimme des Captains im zweiten Fahrzeug klang erregt. »Ich höre!« Carlyle lauschte. »Metallene Objekte über fast sechshundert Meter am ganzen Waldrand verteilt!« »Starten Sie!«, rief Carlyle. Aus schmalen Augen belauerte sie das Panoramadisplay. »Laser! Abtasten! Vergrößern!« Sie bellte ihre Befehle an den Navigator heraus. Und dann sah sie die Objekte - in genau gleichem Abstand voneinander lagen sie am Waldrand versteckt. Kanonen der Nordleute! »O Gott!«, brüllte Dewlitt plötzlich. Er deutete nach unten. Eve Carlyle presste die Hände an die Kuppel und starrte auf die Buschlandschaft hinunter: Das Steuerfragment von ark 2 war in einer Erdrinne verschwunden. Das Fragment mit dem Geschützkranz hing schräg über ihm in der Rinne. Der Gefechtsturm hatte sich in der Steilwand der Bodenspalte verkeilt. »Eine Falle ...!« Der Captain drehte sich zu Carlyle um. »Wir sind in eine Falle geraten!« »Kümmern Sie sich um Ihre Instrumente, Captain!«, rief ihn Carlyle zur Ordnung. Fast im gleichen Moment erklangen drei, vier Detonationen am Waldrand. Geschosse schlugen etwa hundert Meter entfernt von dem havarierten EWAT im Buschland ein. Von zwei Seiten wurde das
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Fahrzeug unter Feuer genommen. »Ark 2 an ark l! Wir können die Ketten nicht mehr ausfahren!« »Magnetfeld?!« Carlyles Stimme zitterte. »Instabil! Und die Luftkissen sind nur bei den hinteren beiden Fragmenten aktivierbar! Das ist zu wenig, um den EWAT...!« »Versuchen Sie es mit den Bremsdüsen am Bug!« Wieder schlugen Geschosse im Buschland ein. Diesmal sechs Explosionen und nur noch vierzig bis sechzig Meter von ark 2 entfernt. »Eliminieren Sie die Objekte am Waldrand!«, schrie der Commander in den Bordfunk. Der Captain steuerte das EWAT ein Stück ins Buschland hinein, um die Schussposition zu verbessern. »Feuer!« An sechs, sieben Stellen schien plötzlich der Waldrand zu explodieren. Glutbälle blähten sich zwischen den Bäumen auf, Rauchpilze wuchsen über den Baumwipfeln. Die Feuerblasen zerplatzten; an den Stellen, wo der Strahler getroffen hatte, brannte der Wald. Atemlos blickte Carlyle hinunter zum zweiten EWAT. Eine Fontäne aus Erde, Glut und Qualm schoss aus der Bodenspalte. Die ineinander verkeilten Fragmente des Fahrzeugs bäumten sich auf und prallten wieder zurück in die Büsche. Der Pilot versuchte die Maschine mit den Bremsdüsen aus der Spalte zu drücken. »Sehen Sie sich das an, Commander!«, ächzte der Captain. Carlyles Hände umklammerten die Lehne seines Pilotensessels. Über seine Schulter gebeugt spähte sie zum Frontbogen der Sichtkuppel hinaus. In dicht gestaffelten Angriffsreihen liefen braun gekleidete Gestalten durch das Buschland. Sie trugen Äxte, Spieße und Schwerter. Immer mehr kletterten über die Kante der Terrassensenke. Einige zerrten Geschütze hinter sich her. »Ark 2 an ark l - wir schaffen es nicht!« Die Stimme aus dem Lautsprecher überschlug sich. »Commander an ark 2 - aktivieren sie die Selbstzerstörung und steigen Sie über das Heckfragment aus!« In der Front der Angreifer blähten sich drei Glutbälle auf. Die Besatzung des
Gefechtsstandes hatte zwei der primitiven Kanonen getroffen. Flammen schlugen an drei Stellen aus dem Buschland. Und noch einmal entstand wie aus dem Nichts ein Glutball. Aber es waren viel zu viele Angreifer. »Ark 2 an Commander - geben Sie uns auf! Der Erfolg der Expedition ist wichtiger als unser Leben! Wir eliminieren uns zusammen mit der Maschine!« »Ich sagte: Selbstzerstörung aktivieren und aussteigen! Wir holen Sie raus!« Eve Carlyle packte Dewlitt bei der rechten Schulter und beugte sich zu ihm hinab. »Landen Sie in der Nähe des Hecks!« Dann ins Bordmikro: »Schleusen aktivieren, Schutzanzüge anlegen, LP-Waffen mitnehmen!« »Das ist gefährlich, Commander...«, flüsterte der Navigator. »Was ist schon ungefährlich?« Commander Eve Carlyles Stimme klang plötzlich rau und sarkastisch. Die Kaumuskulatur wölbte sich aus ihrem schmalen bleichen Gesicht. »Stellen Sie die Zerstörungsautomatik unseres EWATs auf vierzig Minuten ein. Den Barbaren darf nicht mal ein Trümmerstück in die Hände fallen. Und setzen Sie einen Notruf an die Community ab ...« Der Navigator schluckte. Carlyle zog ihren Schutzanzug aus einer Wandbox. »Machen Sie schon!«, herrschte sie Dewlitt an. »Runter mit der Maschine!« In engen Bögen schraubte sich der EWAT zur Bodenspalte hinab. Aus dem Heck der havarierten Maschine kletterten die ersten beiden der sechs Besatzungsmitglieder. Sie trugen silbergraue Schutzanzüge. Zwei Kanonenkugeln schlugen kurz hintereinander in der Bodenspalte ein. Der EWAT bäumte sich auf und rutschte noch tiefer in die Rinne. Die Front der Angreifer war nicht einmal mehr hundert Meter entfernt. Eve Carlyle holte ihr LP-Gewehr aus der Box und entsicherte es. »Wir sehen uns wieder!«, presste sie hervor, bevor sie ihren Helm schloss. Und fügte in Gedanken hinzu: Hier oder im Jenseits ...
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Was bisher geschah
Am 8. Februar 2012 trifft ein gewaltiger Komet die Erde und stürzt sie ins Chaos. Weite Teile von Russland werden ausradiert, die Erdachse verschiebt sich und durch den aufgewirbelten Staub legt sich ein fahles Leichentuch um den Planeten. Eine Jahrhunderte währende Eiszeit beginnt - und als sie endlich endet, ist die menschliche Zivilisation zerstört. Mutationen aller Couleur bevölkern die Länder, unheilvolle Religionen sind entstanden, Nomaden durchstreifen die verwüsteten Landschaften. Diese Degeneration der Menschheit und die zahlreichen Mutationen sind aber nicht allein mit der Katastrophe zu erklären; dahinter muss noch mehr stecken! Einige Menschen haben den Kometeneinschlag jedoch relativ unbeschadet überstanden: die Piloten einer Dreierstaffel Stratosphärenjets, die »ChristopherFloyd« beobachten und Daten über einen letzten Raketenbeschuss sammeln sollten. Durch die Druckwelle des Kometen, die das Raum/Zeit-Kontinuum verzerrt, werden die Jets in eine ferne Zukunft katapultiert - in die Zeit etwa hundert Jahre nach der Eiszeit. Einer jener Piloten ist Commander Matthew Drax, der südlich der Alpen notlandet und von einem Barbarenstamm gerettet wird. Sein Kopilot, Professor Dr. Smythe, konnte sich zuvor mit dem Schleudersitz retten. Matt Drax wird von der Kriegerin Aruula, die leichte telepathische Fähigkeiten aufweist, gesund gepflegt. Sie nennt ihn »Maddrax«. Später macht er sich mit ihr auf, seine fünf Kameraden zu suchen. Bei zweien hat er kein Glück: Captain Irvin ehester wurde von den »Göttern von Roo-ma« mit mutierten Früchten in eine hirnlose Kampfmaschine verwandelt; Matthew kann ihm nur noch einen gnädigen Tod gewähren. Smythe wurde wahnsinnig, will mit einem Volk blutsaufender Mutanten die Weltherrschaft übernehmen und stürzt sich in eine Monstergrube, als Matt seine Pläne durchkreuzt. So geht Matthew Drax' Odyssee weiter -noch hat er die Hoffnung, die restlichen Mitglieder seiner Crew auf dem ehemaligen LuftwaffenStützpunkt bei Berlin zu finden: Jennifer Jensen, Hank Williams und den Astrophysiker David McKenzie. Aruula ist bei der gefährlichen Suche an seiner Seite ... Endlich erreicht Matthew Drax seinen ehemaligen Stützpunkt bei Berlin und muss erkennen, dass sich auch hier einiges geändert hat. Unter anderem hat sich die »Frauenquote« im Reichstag stark erhöht. Denn dort herrschen die Frawen, ein Amazonenstamm, der nach jahrhundertelanger Unterdrückung den Spieß umgedreht und die Menen versklavt hat. Männer werden nur noch für die Paarung eingefangen und anschließend gleich getötet. Matt hat »Glück« - er wird als Partner für die Königin auserwählt und hat damit immerhin Anrecht auf einen besonders schnellen Tod. Nur ein Wunder kann ihn jetzt noch retten...
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Es war der vierzehnte Tag, nachdem sie das falsche Ethera verlassen hatten, das gespenstische, von Reptilienwesen beherrschte München. Dichter Wald stand am Flussufer. Auf der rechten Uferseite schob sich eine Trauerweide heran. Davor und vor allem dahinter wucherte eine Schilffläche bis ins Wasser hinein. »Dieser Fluss wird bald durch eine Stadt führen«, sagte Matt. »Vielleicht schon in weniger als zwei Stunden.« Er war mit dem Oberkörper aus seinem Pilotenanzug geschlüpft. Es war heiß. Seine nackte Haut glänzte feucht. Das Paddeln war eine schweißtreibende Angelegenheit. »Was für eine Stadt?« Eine skeptische Falte erschien zwischen Aruula schwarzen Brauen. Mit Ruinenstädten hatte sie keine guten Erfahrungen gemacht. Und nachdem sie auch noch ihr Vertrauen in das sagenhafte Ethera verloren hatte, wog dieses Misstrauen doppelt schwer. »Ich weiß nicht, ob es sie noch gibt.« Matt saß auf der rechten Seite des Floßes. »Früher hieß sie Leipzig. Der Fluss führt direkt hindurch.« In gleichmäßigem Rhythmus stießen sie die improvisierten Paddel ins Wasser. Sie benutzten abgeschälte Rindenblätter. Die Griffseiten hatten sie mit Stofffetzen umwickelt, um sich die Hände nicht an dem rauen Holz wund zu scheuern. Auch Aruula hüllte sich nur noch nachts in ihr Fell. Seit die Tagestemperatur weiter angestiegen war, trug sie nicht mehr als einen Lendenschurz aus Leder an ihrem Körper. Matt genoss das Muskelspiel unter ihrer bronzefarbenen Haut. Ihre schönen Brüste wippten bei jedem Paddelschlag. »Lieber nicht in die Stadt«, sagte sie. »Wo viele Ruinen, ist auch viel Gefahr.« Aruula verstand inzwischen fast jedes Wort, das er sagte. Begriffe, die sie nicht kannte, konnte Matt häufig mit Worten aus der Sprache der Wandernden Völker umschreiben, die er von ihr gelernt hatte. Meistens sprachen sie Englisch. Es klang noch ein bisschen holprig aus ihrem Mund. Aber sie sprach es besser als Matt das Idiom der Wandernden Völker.
Aruula zog ihr Paddel aus dem Wasser und deutete auf die rechte Uferseite. Matts Blick folgte ihrem ausgestrecktem Arm. Am Ufer, unter dem grünen Schleier der mächtigen Trauerweide erkannte er das weitausladende Gehörn und den dunkelbraunen Zottelpelz eines Waku-da-Stiers. Hinter ihm seine kleine Herde. Die wilden Rinder drängten sich ans Flussufer. Zwei Kälber waren dabei. Matt nickte und wies mit einer Kopfbewegung auf das Schilf hinter der Weide. Sie trieben an den Wukudas vorbei und paddelten auf das Schilf zu. Die Tiere nahmen kaum Notiz von ihnen. Seit fast einer Woche hatten sie kein Fleisch mehr gegessen. Zehn Tage lang waren sie von München aus nach Norden gewandert. Durch dichte Urwälder, die sich über glücklicherweise nicht allzu hohe Gebirgsketten zogen. Immer an einer Otowajii entlang, wie die Wandernden Völker die längst vom Wald überwucherten Autobahntrassen nannten. Matt schätzte, dass es sich um die Reste der A 2 handelte. Seiner Karte nach zog sich diese ehemalige Autobahn vom ehemaligen München bis zum ehemaligen Berlin in nord-südlicher Richtung durch fast die ganze ehemalige Bundesrepublik. Und Berlin war sein Ziel. Sein ehemaliger Luftwaffenstützpunkt. »Ehemalig«. Alles war ehemalig. Nach fast einem halben Jahr in dieser Alptraumwelt konnte Matt nicht mehr anders an sein altes Leben denken als an sein ehemaliges Leben, in das es keinen Weg zurück mehr gab. Am zehnten Tag ihrer Wanderung hatten sie die Otowajii verloren. Geländeaufwerfungen, Morast, Krater - die Trasse war einfach verschwunden. Matt hatte sich dafür entschieden, ein Stück nach Osten zu wandern. Seiner Karte nach verlief dort ein Flüsschen namens »Weiße Elster«. Es floss nach Norden. Er hatte den Namen nie zuvor gehört. Und tatsächlich erreichten sie den Fluss. Sie schleppten umgestürzte Bäume heran und bauten ein Floß. Matt hatte bisher nur in Abenteuerbüchern von Flößen gelesen, Aruula aber stellte sich sehr geschickt an. Es war nicht das erste Floß, das sie baute.
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Sie brauchten nur einen Tag dafür. Matt wusste nicht, ob die ehemaligen Flussläufe, wie seine Karte sie verzeichnete, auf dieser »neuen« Erde noch so existierten. Sein Plan war, über die Weiße Elster in die Saale und weiter in die Elbe zu gelangen. Vielleicht existierten noch Überreste des Saale-Havel-Kanals. Dann wäre der Weg nach Berlin keine Weltreise mehr. Oder sie fanden die alte Trasse der A 2 wieder, die die Elbe überquerte und nach Berlin führte. »Hier«, flüsterte Aruula. Sie zeigte auf eine Stelle, an der das Schilf sich lichtete und den Blick auf ein flaches Uferstück freigab. Die Barbarin legte ihr Paddel in die Mitte des Floßes, neben Fellbündel, Ledersack und Matts Notcontainer. Lautlos glitt sie ins Wasser und zog das Floß ans Ufer. Matt streifte sich die Tragriemen seines Ausrüstungscontainers über die Schultern und nahm den Bogen auf, den Aruula unterwegs gebaut hatte. Sie hatte ihm das Jagen mit Pfeil und Bogen beigebracht. Matt war ein gelehriger Schüler gewesen. Aruula schnallte sich die Lederscheide mit ihrem Schwert auf den Rücken und griff sich vier Pfeile. Das musste reichen. Seite an Seite schlichen sie durch das Schilf und pirschten sich an die trinkenden Wakudas heran .. . Eine Detonation zerriss die Stille der Flusslandschaft. Die mutierten Rinder warfen sich herum und galoppierten in den Wald. Matt sprang auf und lauschte. Noch eine Detonation. Und noch eine. Es klang wie der Lärm von ... Geschütze! Das sind Geschütze! Es gibt hier Leute, die Geschütze haben ...! Aruula blickte in den trüben Himmel. »Es ist kein Gewitter«, klärte Matt sie auf. »Komm!« Er rannte in den Wald. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, als er über Bruchholz undBaumstrünke sprang. Der Geschützlärm hatte ihn elektrisiert. Wieder der Donner der Geschütze. Es klang nicht nach moderner Artillerie -kein Orgeln, kein Pfeifen von Granaten. Es hörte sich dumpfer und trockener an; die Einschläge explodierten schon kurz nach dem Abschuss. Und dann in kurzer Folge mehrere Detonationen, die ganz anders klangen: lauter, knapper, wie berstender Fels.
Zweihundert Meter voraus lichtete sich der Wald. Matt drehte sich nach Aruula um. Sie war wenige Schritte hinter ihm. Wieder detonierten Geschosse irgendwo jenseits der grünen Wand aus Gestrüpp und Baumkronen. Keuchend hetzte Matt auf den Waldrand zu und brach durch das Unterholz des Waldsaums. Was er sah, ließ ihn für einen Moment an seinem Verstand zweifeln: Ein langes, bogenförmig gekrümmtes Fluggerät näherte sich in weiten Spiralen dem buschbedeckten Boden, vier- oder fünfhundert Meter entfernt. Es war von einem stumpfen Grün und erinnerte Matt an die überlange Lok eines Hochgeschwindigkeitszuges. Nur hatte dieses Fluggerät kurze Tragflächen, und Gleitschienen statt Räder standen schräg aus seiner Unterseite heraus. Es schien aus mehreren miteinander verbundenen Teilen zu bestehen. Matt erkannte lamellenartige Übergänge zwischen den Teilen. Sie erlaubten wohl die Krümmung. Ein stachelartiger Turm ragte aus dem Fragment hinter dem Steuerteil. Etwa fünfzig Schritte weiter wölbte sich das Dach eines zweiten Fluggeräts aus dem Buschland. Es schien abgestürzt zu sein. Die Flügel des landenden Fahrzeugs verschwanden im Rumpf; an den schräg abstehenden Kufen wurden Rollen mit Ketten sichtbar, je zwei Paar pro Fragment. Die merkwürdige Maschine streckte sich und ging zwischen den Büschen nieder. Aus dem Stachelturm zuckten Blitze. In breiter Front stürmten Gestalten auf den Landeplatz zu. Plötzlich blähte sich eine Glutkuppel zwischen ihnen auf und zerplatzte mit ohrenbetäubendem Lärm. Flammen schlugen aus den Büschen. Die Reihe der Angreifer hatte sich gelichtet. Matt duckte sich zwischen die Büsche und bedeutete Aruula das Gleiche zu tun. Er riss sich den Container vom Rücken, öffnete ihn und entnahm ihm den Feldstecher. Er sah sich um. Hundert Schritte weiter ragte ein von Gestrüpp überwuchertes Gebilde auf. Ein wuchtiger hausgroßer Klotz, aus dem sich viele Verstrebungen und ein mastartiger Pfeiler schräg in die Luft erhoben.
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Geduckt rannte Matt los und kletterte an armdicken Ranken auf das Gebilde. Es bestand aus Stahl! Zwischen dem Laub waren riesige Rostlöcher; er sah schwärzliche Verstrebungen und zerrissene Drahtseile. Es musste das Wrack eines Schaufelbaggers sein, das hier unter der Pflanzendecke vor sich hin rostete. Matt erreichte das Dach des Wracks. Auf der anderen Seite ging über flache Buschterrassen gut hundertfünfzig Meter in einen Krater hinab. Ein Braunkohlebergwerk ... Ein ehemaliges Braunkohlebergwerk, korrigierte sich Matt. Er setzte den Feldstecher an die Augen und zoomte den Kampfplatz heran. Zwischen den Büschen um die beiden Fahrzeuge herum entdeckte er etwa zwei Dutzend Angreifer. Sie trugen erdfarbene Hosen und kurzärmelige Westen der gleichen Farbe. Die meisten hatten blondes Haar und trugen Barte. Mit Äxten und Schwertern hieben sie auf die Hülle der havarierten Maschine ein, die Matt nur teilweise erkennen konnte. Von dem Rumpf lösten sich jetzt menschliche Gestalten in silbergrauen Schutzanzügen. Matt zoomte sie näher heran. Und erkannte, dass ihre Köpfe in völlig schwarzen kugelförmigen Helmen steckten. Drei der Gestalten rissen lange rohrförmige Waffen hoch. Gleißende Strahlen bohrten sich in die Büsche und trafen zwei der Angreifer, die sich verkrampften und zuckend zurück fielen. Himmel, was sind das für Menschen? fuhr es durch Matthew Drax' Hirn. Benutzen sie Lasertechnik? - Sind es überhaupt Menschen ...? Matt war wie hypnotisiert. Mit überwachen Sinnen saugte er die wirklichkeitsfremde Szene am Waldrand in sich auf. Ein Schott schob sich an der Seite der gelandeten Maschine auf. Nacheinander sprangen sechs Gestalten heraus. Ebenfalls in silbergraue Anzügen gehüllt. Matt vermutete, dass die schwarzen Helme mit einer Spezialschicht überzogen waren, die kein Licht reflektierte. Wahrscheinlich waren sie von innen durchsichtig. Die sechs Gestalten eilten ihren Gefährten zu Hilfe und eröffneten dabei das Feuer auf die Männer in der erdfarbenen Kleidung, Tödliches
Gleißen strich über die heranstürmenden Angriffsreihen. Fast die Hälfte brach von den Strahlen durchbohrt zusammen. Die Restlichen aber sprangen vor und wüteten unter den Gestalten in den Schutzanzügen. Matt sah, dass einige der Angreifer schwarze Streifen an Rücken und Brust trugen. Und ein auffallend großer Mann fiel ihm auf, weil er eine Art Eispickel als Waffe über dem Kopf schwang und weil sein Haar zu einem feuerroten Pferdeschwanz gebunden war. An seiner Seite kämpfte eine schmalere Gestalt in grauem Leder, die ein Langschwert mit beiden Fäusten führte. Das furchtbare Gemetzel ging weiter. Mit Äxten, Spießen und Schwertern hieben die Erdfarbenen auf die Besatzungen ein, die der brachialen Übermacht trotz ihrer modernen Waffen nicht Herr wurden. »O Gott...«, stöhnte Matt. »Bitte nicht...« Er sah schwarze Helme splittern, sah Klingen in Brustkörbe dringen, sah die Gestalten in den Schutzanzügen nacheinander zu Boden gehen. Dann war es vorbei. Matt schüttelte fassungslos den Kopf. Seine schwitzenden Hände hatten sich um den Feldstecher verkrampft. Die Männer in Braun schlenderten auf dem Schlachtfeld umher und spähten auf den Boden, als würden sie Pilze suchen. Einige bückten sich, kamen mit den Strahlwaffen wieder hoch. Und mit anderen Gegenständen, die Matt nicht identifizieren konnte. Und dann hielt er den Atem an - zwei Angreifer zerrten eine silbergraue Gestalt vom Boden hoch. Ein Besatzungsmitglied hatte überlebt! Der Große mit den roten Haaren deutete zum Waldrand und brüllte ein paar Befehle. Matt erkannte einen gelben und einen schwarzen Farbbalken auf der Brust seiner braunen Weste. Eine Art Offiziersabzeichen, schätzte Matt. Die kleinere Gestalt mit dem Langschwert wich nicht von seiner Seite. Dem Überlebenden wurden die Hände auf den Rücken gebunden. Der Rothaarige nahm den Gefangenen persönlich in Empfang und führte ihn mit seinen Männern zum Wald. Je sechs seiner Leute kommandierte er ab, um die raupenartigen Fluggeräte zu
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durchsuchen. Durch die Schleuse drangen die Männer in das gelandete Gerät ein. Die andere Gruppe verschwand im Gebüsch um das havarierte Fahrzeug. Matt konnte das Glas nicht von den Augen nehmen. Sein Blick klebte an der schlanken Gestalt in dem Schutzanzug, bis der Wald sie und die Krieger verschluckte. Was ist dos für ein Wesen? Sie haben Fluggeräte - sie beherrschen die Lasertechnik ... Matt zog sich in die Büsche zurück und hastete zu Aruula. Er erzählte ihr, was er beobachtet hatte. »Warum halten Sie die fliegenden Menschen nicht für Götter?«, war ihre erste Frage. Eine Frage, die Matt verblüffte. Er selbst hätte sie nie gestellt. Aber sie hatte etwas für sich. Denn »Götter« hätten die braun gewandeten Krieger wohl kaum angegriffen. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß nur, dass ich unbedingt mit ihrem Gefangener sprechen muss.« Aruula packte ihn am Oberarm und schüttelte energisch den Kopf. »Ich muss, Aruula. Ich will erfahren, was das für Leute sind. Ob es überhaupt Menschen sind.« Vorsichtig spähten sie über die Büsche hinweg zu den beiden seltsamen Fahrzeugen. Die Erdfarbenen schienen sich immer noch dort umzusehen. An den Maschinen vorbei strebten etwa hundert-zwanzig Krieger auf den Wald zu. In kleineren Gruppen zogen sie zehn Geschütze hinter sich her. Geschütze, die Matt an alte Haubitzen erinnerten. Es war kaum zu glauben, dass es diesem Heer mit seiner spätmittelalterlichen Waffentechnik gelungen war, zwei mit hochmodernen Waffen ausgerüstete Fluggeräte auszuschalten. Plötzlich sah Matt etwas Schwarzes zwischen den Büschen auftauchen. Es verschwand sofort wieder, erschien aber gleich darauf erneut in seinem Blickfeld, und diesmal erkannte Matt eine schwarze Kugel: ein Helm der fremdartigen Schutzanzüge! Matt konnte erkennen, dass er im Gesichtsbereich zerstört war. Die Gestalt schwankte hin und her. Dann versank sie wieder zwischen den Büschen. »Da hat noch ein Zweiter überlebt«, flüsterte
Matt. Er beobachtete das dichte Gebüsch. Nichts regte sich mehr. »Vielleicht ist er verletzt.« Er schätzte die Entfernung ab. Die Stelle war mindestens zweihundert Meter von ihrer Deckung entfernt. Genau so weit wie vom Kampfplatz. »Ich muss zu ihm ...« Matt zog seine Armeepistole aus der Uniformhose und ließ das Magazin herausspringen. Noch sieben Schuss Munition. Und es war das letzte Magazin! »Warte am Waldrand auf mich«, flüsterte er Aruula zu. Er entsicherte die Waffe und verschwand zwischen den Büschen. Immer wieder verharrte er und lauschte. Irgendwann hörte er ein leises Röcheln. Es klang nicht gut - überhaupt nicht gut. Er folgte den gequälten Atemzügen - und schließlich sah er den silbergrauen Körper am Boden zwischen den Büschen liegen. Fast gleichzeitig erschollen laute Rufe von den Maschinen her. Matt fuhr hoch. Die Erdfarbenen rannten in panischer Flucht Richtung Wald. Sogar eine Kanone ließen sie zurück. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Von einer dunklen Ahnung erfüllt wandte Matt sich um. Ein Eiszapfen schien über seinen Rücken zu streichen: Vom Krater des ehemaligen Tagebauwerkes segelte ein riesiger Schatten heran. Matt erkannte das schwarzbraune schuppige Gefieder und den gelben gekrümmten Schnabel - es war ein Eluu ...! Die fünf Männer standen am Fenster und blickten aus über hundert Metern Höhe nach Süden. Dunkelgraue Pulverdampfwolken und helle Rauchpilze standen dort über dem Wald. Das Schlachtfeld war mindestens zweihundert Speerwürfe entfernt. Man konnte kaum den Wald von der kleinen, fast baumlosen Ebene unterscheiden, an deren Rand der Rauch in die Luft stieg. * »Wen haben die Nordmänner angegriffen?« Der Mann, der diese Frage stellte, war groß und breitschultrig. Er hatte kurzes blondes Haar, das ihm in störrischen Locken in die auffällig
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gewölbte Stirn hing. Seine schmalen grauen Augen lagen tief unter den dichten Brauen verborgen. Eine scharf geschnittene Nase ragte aus seinem energischen Gesicht. Die schmalen Lippen und das trotzig vorgeschobene Kinn verrieten einen willensstarken Menschen, aber auch einen aufbrausenden Charakter. Er trug ein weites rotes Hemd aus dünnem Leinen, das ihm über die enge Schürhose aus schwarzem Wildleder hing. »Wir wissen es nicht, Lodar«, sagte Heenrich, der Schwertmeister. Er stand neben ihm. Seine hünenhafte, fast fettleibige Gestalt überragte die des Königs um einen halben Kopf. Hemd und Hosen waren grau und ein lederner Panzer hüllte seinen gewaltigen Brustkorb ein. Ein mit schmalen Riemen unter seinem Doppelkinn zugebundener Lederhelm saß auf seinem Kahlkopf. »Wir wissen nur, wen sie als Nächstes angreifen werden.« Er stützte sich auf sein Langschwert und seufzte. »Uns.« Der König wandte sich zu den drei Männern um, die hinter ihm und seinem Schwertmeister standen. »Was glaubst du Mauriz?«, fragte er den Mittleren von ihnen, einen hageren alten Mann mit hellwachen roten Augen und weichen Gesichtszügen. »Mit wem liefern sich diese gefräßigen Hunde da draußen eine Schlacht?« Mauriz, der Göttersprecher des kleinen Stadtreiches und der engste Berater des jungen Königs, neigte seinen kleinen spitzen Schädel. »Hast du die glühenden Kuppeln gesehen, Lodar?« Er trug einen gelblichen Wildlederanzug. Und darüber einen schwarzen Um-hang, der ihm bis über die nackten Unterschenkel reichte. Sein fettiges Grauhaar glänzte. Er hatte es im Nacken zu einem Dutt zusammengebunden. Sein offizieller Name lautete Mauriz von Laabsisch der Zwölfte. Seit Generationen stellte seine Familie den Göttersprecher der Stadt. »Wie aus dem Nichts blühten sie auf und dann ...« Mauriz schnippte den Fingern. »... Feuer und Rauch. Was glaubst du, Lodar, wer so etwas fertig bringt?« Eine Zornesfalte erschien zwischen Lodars Brauen. »Warum, bei Orguudoo, antwortest du immer mit Fragen?« »Damit du nachdenkst«, grinste Mauriz.
»Also was glaubst du?« »Sie kämpfe gege Götte«, platzte der junge drahtige Bursche neben ihm heraus. Bis auf einen Lendenschurz war sein braungebrannter und stark behaarter Körper nackt. Schädel und Gesicht waren vollkommen zugewuchert von schwarzem Kraushaar. Bis über die Schulterblätter wallte es ihm den muskulösen Rücken herunter. »Unsinn!«, blaffte der König. Er schob sich durch die drei Männer hinter ihm. Mit energischen Schritten lief er durch den großen Raum. Vorbei an schweren Stühlen, Bänken und Truhen und einem langen Tisch marschierte er zum gegenüberliegenden Fenster. »So ein Unsinn!« »Isch sag eusch - sie kämpfe gege Götte!« Der Halbnackte fuchtelte mit den Armen herum. »Wir weit herumgekomme, viel gesehe un gehöt!« Der Mann nannte sich Pieroo. Er war der Führer eines Wandernden Stammes. Der König und der Göttersprecher hatten der fast sechzigköpfigen Horde Zuflucht vor der Verfolgung der Nordmänner gewährt. »Und was habt ihr gehört?« Mauriz lächelte verschmitzt. »Götte sin von Westmee gekomme.« Der Hordenhäuptling sprach einen weichen melodiösen Akzent; den Akzent der Völker westlich des Großen Flusses. Er verschluckte die Endkonsonanten. Manchmal faselte er ein fürchterliches Kauderwelsch zusammen. Abererbeherrschte die Sprache der Stadtbewohner immerhin so gut, dass man sich mit ihm und seinen Leuten verständigen konnte. »Habe grün Ei-seschlang, könne fliege, schwimme un krieche, die Eiseschlang . ..« »Nur Hohlköpfe glauben solche Märchen!«, herrschte der König ihn an. »Vielleicht hat Pieroo nicht ganz unrecht«, wandte Mauriz, der Göttersprecher ein. »Er hat mir erzählt, wie die Nordmänner sich nennen Disuuslach-ter.« Lodar runzelte fragend die Stirn. »Götterschlächter«, übersetzte Mauriz. »Du glaubst tatsächlich, diese gierigen Hunde haben sich da draußen einen Kampf mit Wudans Göttern geliefert?!«, brauste der König auf.
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»Das habe ich nicht gesagt.« Der Göttersprecher hob den Zeigefinger. »Vielleicht haben die Nordmänner jemanden angegriffen, den sie für göttlich halten«, sagte Heenrich nachdenklich. »... oder den andere für göttlich halten. Sehr gut, Schwertmeister!« Mauriz klopfte Heenrich auf die massigen Schultern. »Bald nenn ich dich Meister der Logik!« Der Hüne lief rot an, sein fleischiges Gesicht verzog sich zu einem stolzen Lächeln. Der junge König zog eine mürrische Miene. Er drehte sich um und ging langsam zum Südfenster zurück. »Wie dem auch sei. ..« Er starrte über die Wälder. Der Rauch hing jetzt in langen Schwaden über der kleinen Ebene. » ...wenn sie die Schlacht gewonnen haben, werden die Nordmänner uns angreifen.« Er blickte hinunter auf den doppelten Schutzwall, der die Stadt umgab. Der Außenwall bestand aus aufgeschütteten Steinen, die man aus den zahlreichen Ruinen rund um die Stadt herausgebrochen hatte. Soldaten kletterten auf der Wallkrone herum. Von hier oben sahen sie aus wie Ameisen. Die haushohe Innenpalisade hatten die Stadtbewohner aus Baumstämmen gezimmert. Auf ihrem Laufgang konnte Lodar Wachen erkennen. Zwischen Palisade und den vom Wald überwucherten Ruinen dehnte sich ein breiter, baumloser Streifen von drei bis vier Speerwürfen aus. Im Lauf von Generationen hatten die Stadtbewohner diesen Streifen von Trümmern befreit. Taratzen, wilde Tiere und Angreifer konnten sich auf diese Weise nicht näher als bis auf höchstens drei Speerwürf e an die Palisade heranpirschen. D er breite Streifen wurde sorgfältig bewirtschaftet. Die Bauern der Stadt bauten dort Tof anen und Waitz an. Im Herbst nachder Ernte dienten die Felder als Wettkämpf platze. Im Geist sah Lodar die kriegerischen Nordmänner mit ihren fürchterlichen Waffen aus dem Wald brechen, über die Felder rennen und die Palisade erklettern. »Orguudoo soll sie holen«, zischte er. »Sie bringen Krieg und Tod aus ihrem verdammten Nordland zu uns.« »Ja«, brummte der Schwertmeister. »Sie
werden uns angreifen. Alle unsere Kähne haben sie versenkt.« Der König stieß einen Fluch aus. Er wandte sich um und lief quer durch den saalartigen Baum zum Westfenster. Die anderen folgten ihm. Von der Westseite des Turmhauses aus konnte man die ganze Stadt überblicken. Wagen rollten durch die Gassen und Straßen. Auf dem Markt wimmelte es von Menschen. Knapp zwölf Speerwürfe entfernt vom Zahnturm verlief der westliche Teil des doppelten Schutzwalls. Etwa dreißig, vierzig Speerwürfe dahinter sah man das breite Band des Flussbeckens. Kein einziger der kleinen wendigen Segler ankerte mehr im Hafen. Dafür sechs klobige lange Schiffe mit breiten Rädern an den Seiten. Lange Rohre ragten aus den Mittelteilen der Oberdecks. »Wie, bei Orguudoo, können diese Schiffe sich fortbewegen ohne Segel?«, zischte der König. »Kannst du die Räder an den Seiten erkennen?«, fragte Mauriz. »Sie drehen sich, während die Schiffe schwimmen.« »Befinden sich Sklaven unter Deck, die sie ankurbeln?« Der Göttersprecher zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nur, dass Rauch aus den Rohren quillt, während sie sich drehen. Und ein eigenartiges Stampfen kommt aus den Rümpfen.« »Wie viele Krieger sind es?« »Mindestens dreihundert«, sagte der Schwertmeister. »Wahrscheinlich mehr. Sie führen eiserne Rohre zwischen Rädern mit sich, aus denen sie große Kugeln verschießen können. Kugeln, die wie ein Blitz einschlagen und Feuer entzünden.« »Habt ihr alles für einen Angriff vorbereitet?« »Ich habe alle waffenfähigen Männer auf die Palisaden geschickt«, sagte Heen-rich. »Zweihundertfünfzig Mann. Und die Waffenschmiede arbeitet auf Hochtouren.« »Alle Bauern innerhalb der Palisade.« Zum ersten Mal meldete sich der fünfte Mann zu Wort, ein kleiner gedrungener Bursche mit quadratischem Schädel, grobem rötlichen Gesicht und dichtem braunen Stoppelhaar Walder, der Palisadenmeister. Nicht nur für die
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Palisade war er zuständig, sondern auch für die innere Sicherheit, die Waffenschmiede und das Bauwesen der Stadt. »Zwei Jagdtrupps noch in den Wäldern.« Walder sagte selten etwas. Und wenn er mal den Mund aufmachte, spuckte er nur einzelne Worte oder unvollständige Sätze aus. Ja - er spuckte die Worte und Sätze aus. Als hätte er Angst vor ihnen und wollte sie möglichst schnell loswerden. »Vorräte?«, fragte der König. »Reichlich«, bellte der Palisadenmeister. »Brunnen?« »Intakt!« »Und die Notburgen?« »Werden vorbereitet.«»Welche genau?«, wollte der König wissen. Der Palisadenmeister räusperte sich. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu Mauriz. »Walder und Heenrich schlagen folgenden Plan vor«, sagte der Göttersprecher. »Sollte sich abzeichnen, dass die Nordmänner die Palisaden überwinden und die Stadt besetzen werden, flieht die überlebende Bevölkerung hierher in den Zahn. Zusammen mit der Hälfte der überlebenden Soldaten, um deinen Königsturm zu verteidigen. Mindestens vierzig Krieger ziehen sich in den Auerbachkeller zurück. Walder hat die Waffenschmiede dorthin verlegen lassen. Das unterirdische Gewölbe lässt sich leicht verteidigen und ist auch von den schweren Blitzkugeln sicher. Ein Viertel der überlebenden Soldaten wird sich im Altrathaus verbarrikadieren. Von dort aus sollen sie Ausfälle gegen den Feind unternehmen. Vor allem aber werden sie die Streitmacht der Nordmänner in dem Augenblick ablenken, wenn es darauf ankommt, unser Volk zu evakuieren ...« »Du klingst, als hätte der Feind bereits gesiegt!« Zornesadern schwollen an Lo-dars Schläfen. Seine Gesichtshaut verfärbte sich rot. »Ihr haltet diese verdammten Hunde wohl für Götter!«, brüllte er. »Und was soll das heißen: >Evakuieren
Gesicht ernst. »Aber bedenke, über welche Waffen sie verfügen!« »Könnte es sein, dass ihr die Tapferkeit meiner Soldaten unterschätzt?!« Der König war immer noch laut, aber er brüllte nicht mehr. »Nein.« Mauriz wandte sich ab und schritt langsam auf den Tisch zu. Schüsseln standen dort, gefüllt mit Gemüse, Brot und Geflügelresten. Und Krüge, aus denen sich Schaum wölbte. Er nahm einen Becher vom Tisch und schenkte sich eine bernsteinfarbene, schäumende Flüssigkeit ein. »Heenrich glaubt, dass die großen Kugeln vielleicht sogar den Zahn zerstören könnten ...« »Unsinn!«, brüllte der König. »...deswegen hat Walder angeordnet, dass man die äußeren Zugänge meiner Bastei mit Ruinenschutt zuschüttet...« »Waas?!« In großen Schritten stach der König zum Tisch. Als wollte er sich auf den Göttersprecher stürzen. »...und er hat einen Trupp Bauleute zusammengestellt, die den alten Geheimgang aus meiner Bastei zum Fluss instand setzen.« Der Göttersprecher kümmerte sich gar nicht um den erregten Lodar. »Im äußersten Notfall wirst du dein Volk durch den Keller des Zahns in die Maurizbastei führen.« An dem jungen König vorbei blickte er zum Fenster hinaus in den trüben Himmel. »Und von dort an den Fluss. Heenrich schickt Spione an das Flussbecken. Unsere klügsten Männer werden dabei sein. Sie sollen herausfinden, wie die Schiffe der Nordmänner funktionieren . . .« »Wahnsinn!«, rief Lodar. »Ihr seid wahnsinnig!« Er angelte sich einen Becher vom Tisch. So heftig goss er die schäumende Flüssigkeit aus dem Krug, dass sie überschwappte. Mit einem Zug leerte er den Becher. Und füllte ihn gleich wieder. Den Becher in der Hand, tigerte er vom Westfenster zum Südfenster und zurück, minutenlang. Die anderen beobachteten ihn schweigend. Mauriz lächelte still in sich hinein, als er sah, dass die Zornesadern an den Schläfen des Königs abschwollen und die Röte sich aus seinem Gesicht verzog. Er kannte Lodar von Kindesbeinen an. Seine cholerischen Gefühlsausbrüche pflegten sich genau so
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schnell zu legen, wie sie über ihn und seine Umgebung hereinbrachen. Danach konnte er in der Regel nüchtern und präzise denken. »Gut«, sagte Lodar schließlich und drehte sich zu seinen Vertrauten um. »Es ist zwar Wahnsinn, aber ihr habt nicht ganz unrecht. Tut alles so, wie ihr es geplant habt.« Er deutete auf Walder. »Lass das Bier rationieren, Palisadenmeister. Unsere Soldaten müssen einen klaren Kopf haben, wenn es losgeht.« Er wandte sich an Heenrich. »Stell einen Spähtrupp zusammen, Schwertmeister. Sieben leicht Bewaffnete. Ich will die genaue Stärke des Gegners kennen. Und ich will wissen, gegen wen sie da draußen gekämpft haben. Auch will ich mehr über ihre Wunderwaffen erfahren. Wir werden bei Dunkelheit aufbrechen.« »Wir?« Verwundert blickte Mauriz den König an. »Ich selbst werde den Spähtrupp führen«, sagte Lodar. »Das wirst du nicht!« Der Göttersprecher baute sich vor dem Größeren auf. »Du bist König! Du kannst dich nicht mit irgendwelchen feindlichen Soldaten herum prügeln!« Mauriz setzte seine strengste Miene auf. »In der Stadt ist dein Platz! Hier oben im Zahn, und unten beim Volk! Dein Verlust wäre der Anfang vom Ende .. .« Abrupt wandte Lodar sich ab. Er stieß einen leisen Fluch aus. Aber im Grunde wusste er genau, dass der Göttersprecher Recht hatte. »Also gut«, sagte er, »dann eben nicht.« Der kurze Walder reckte seinen Arm hoch. »Freiwillig!« »Isch auch dabei«, rief Pieroo, der Hordenführer. Mauriz nickte. »Wir verlassen uns auf dich, Palisadenmeister. Nimm unseren Gast ruhig mit. Und fünf weitere erfahrene Männer. Und wenn ihr Gefangene machen könnt, packt zu ...« Der Eluu schoss auf den Waldrand zu. Seine Flügelspannweite betrug mindestens dreizehn Meter. Einer der flüchtenden Krieger stolperte und schlug lang hin. Er schrie in Todesangst. Der Eluu streckte die Greife aus und drehte seine gewaltigen Schwingen so, dass sie senkrecht zum Boden standen. Die Baumwipfel
des Waldrandes bogen sich unter den anprallenden Luftmassen zurück. Wie ein Felsblock fiel der schuppige Riesenvogel auf die Büsche. Matt spürte den Boden unter seinen Füßen vibrieren. Das Schreien des Kriegers steigerte sich zum Gebrüll eines Wahnsinnigen - und verstummte dann schlagartig. Gelähmt vor Schreck kauerte Matt zwischen den Büschen. Wenige Schritte vor ihm krümmte sich der Körper des Verletzten im Unterholz. Matt hörte ihn stöhnen. Aber er konnte seinen Blick nicht von dem Riesenvogel losreißen. Durch die Zweige und Blätter hindurch sah er die mutierte Kieseneule auf ihre Beute hinunter spähen. Dann beugte sie den Kopf. Als der schuppige Eulenschädel wieder auftauchte, hingen blutige Fetzen in seinem Krummschnabel. Sichernd drehte der Eluu den Kopf um fast hundertachtzig Grad. Dann schlang er die aus der Beute gerissenen Fleischfetzen hinunter. Matts Magen drehte sich um. Er zog den Kopf ein und atmete tief durch. Der Fremde in dem silbergrauen Schutzanzug fiel ihm wieder ein. Seinetwegen hatte er sich so nah an den Kampfplatz herangewagt! Er kroch an die zuckende Gestalt heran. Die linke Hälfte des schwarzen Kugelhelmes war vollständig zertrümmert. Rote feuchte Augen blinzelten ihn aus einem schmalen schweißnassen Gesicht entgegen - einem Gesicht, das so weiß wie Eis, aber zweifellos menschlich war! »Weg...«, röchelte der Fremde. »Sie ... Sie müssen ... weg ... die EWATs...« Für einen Moment schien alle Kraft aus Matts Gliedern zu weichen. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Der Mann sprach ihn in lupenreinem Englisch an! »Schnell...«, keuchte der Fremde, »Sie . .. Sie haben ... nur noch ... wenige Minuten...« Matt schüttelte sich. Keine Zeit verlieren - wundere dich später... Schnell schob er seine Arme unter den schmalen Körper und hob ihn hoch. Federleicht fühlte er sich an. Wie man ein schlafendes Kind hält, trug Matt ihn durch die Büsche. In gebückter Haltung huschte er auf den knapp
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hundertfünfzig Meter entfernten Waldrand zu. Immer wieder richtete er sich dabei vorsichtig auf und spähte über das Blätterdach der kaum schulterhohen Büsche zu dem Eluu hinüber. Der Riesenvogel war immer noch damit beschäftigt, seine Beute zu zerfetzen und herunter zu schlingen. Kurz vor dem Waldrand erklangen ein gewaltiges Rauschen und ein Geräusch, als würde jemand eine Zeltplane gegen eine Hauswand schlagen. Matt fuhr hoch - der Eluu hatte sich wieder in die Luft erhoben. Knapp über den Büschen flog er Matts Deckung an! »Bullshit!«, zischte Matt. Er richtete sich auf, drückte den Verletzten an seine Brust und spurtete los. Die Rieseneule hatte ihn sowieso entdeckt. Matt rannte um sein Leben. Zweige knallten gegen den zerbrochenen Helm des Fremden in seinen Armen, streiften Matts Brust, schlugen ihm ins Gesicht. Der Feldstecher um seinen Hals hatte sich auf seinen Rücken verschoben und prallte bei jedem Schritt gegen seine Wirbelsäule. Aus den Augenwinkeln sah Matt den riesigen Schatten heran flattern. Etwas surrte über seinen Kopf.
Dunkelgrün hellte sich auf, fing an zu leuchten. Von einer Sekunde auf die andere glühte es weiß auf. Und die Maschinen zerplatzten in einem Feuerball! Matt warf sich zu Boden und barg seinen Kopf unter den verschränkten Armen. Eine ohrenbetäubende Detonation ließ den Waldboden erzittern. Dann ein mächtiges Rauschen - ein nur Sekunden währender Orkan fegte durch die Bäume, und es wurde unerträglich heiß. Matthew fuhr wieder hoch. Das Buschland stand in Flammen! Matt erkannte die brennenden Konturen des Eluus. Vergeblich versuchte das Tier dem Feuer zu entkommen. »Aruula!«, schrie Matt. Er nahm den Verletzten wieder auf und rannte los - fort vom brennenden Waldrand. »Aruula!« Als er den Fluss erreichte, wurde ihm schwarz vor Augen. Er ließ den Fremden ins Schilf gleiten und schleppte sich zum Wasser. Gierig trank er und tauchte dann seinen Oberkörper in die Fluten. Wenig später tauchte Aruula im Schilf auf. Sie fielen sich in die Arme. »Danke...«, keuchte Matt. »Du hast mir das Leben gerettet...« Gemeinsam trugen sie den Fremden auf das Floß, stießen es ab und setzten über den Fluss. Am anderen Ufer sprangen sie ins flache Wasser und zogen das Floß auf die Uferböschung. Matt kämpfte gegen das Bedürfnis an, sich flach ins Gras zu werfen und seine Glieder von sich zu strecken. Er fühlte sich vollkommen ausgepumpt. Gemeinsam zogen sie den Fremden vom Floß und betteten ihn ins Gras. Weder das Material der Helmkugel noch das des Schutzanzuges kam Matt bekannt vor. Er musste drei übereinandergeschichtete Reißverschlüsse öffnen, bis er dem Verletzten endlich den zerbrochenen Helm abziehen konnte. Er war mit Blut gefüllt. Hinter dem linken Ohr des Mannes klaffte eine tiefe Wunde in seinem Schädel. Auch in der Nierengegend sickerte Blut aus einem Loch im Schutzanzug. Der Fremde öffnete die Augen. Sein Atem flog. »Danke...«, flüsterte er, »aber ... es war .. . sinnlos . . .« Weder auf dem schmalen Schädel
* Der Vogel fauchte. Im Laufen wandte Matt sich Aruulas Deckung zu. Sie stand zwischen den Büschen und spannte ihren Bogen. Wieder schwirrte ein Pfeil über ihn hinweg. Der Vogel schrie gellend auf. Matt sah den Pfeil aus seinem Schädel ragen. Hatte Aruula sein Auge getroffen? Jedenfalls drehte er ab, schraubte sich in die Höhe und stieß klagende Schreie aus. Endlich erreichte Matt den Waldrand. Seine Lungen stachen, das Herz galoppierte in seinem Brustkorb. Zwischen den Eichenstämmen ging er in die Knie und legte seine lebende Last zu Boden. Seine Schultern hoben und senkten sich; er keuchte, mit weit offenem Mund rang er um jeden Atemzug. Der Eluu war nicht weit von den beiden rätselhaften Fahrzeugen gelandet. Er hüpfte auf und ab, schlug mit den Flügeln und schrie. Plötzlich geschah etwas mit der Außenhaut der schlangenartigen Maschinen: Das stumpfe
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noch in dem kalkweißen Gesicht des Mannes wuchsen Haare. Seine Stimme war rau und klang ziemlich hoch. »Wer sind Sie?«, fragte Matt. Er legte zwei Finger an den Kehlkopf des Fremden. Der Puls der Halsschlagader fühlte sich an wie ein zitternder Faden. Der Mann öffnete die Lippen. Doch er brachte nur ein schwaches Krächzen zustanden. Matt beugte sein Ohr über den farblosen Mund. »Wer sind Sie?«, wiederholte er. »Captain ... Spencer ... Dewlitt ... Community ... London ...« Er verstummte. Matt starrte ihn an. »Was sagen Sie? London...?!« Er packte den Mann an den Schultern. »Was ist in London?« Doch der Fremde reagierte nicht mehr. Die fast durchsichtigen Lider hatten sich über seine Augäpfel gelegt. Matt war außer sich. Es gab noch Menschen in dieser Alptraumwelt, die seine Sprache sprachen! Menschen, die nicht in die Eisenzeit oder ins Mittelalter zurückgefallen waren! »Was ist das für eine >Community Gibt es noch Zivilisation in London?« Aruula Hand legte sich auf seinen Arm. Ernst blickte sie ihn an und schüttelte den Kopf. Matt richtete sich auf. Der sterbende Körper unter ihm bäumte sich auf und schnappte nach Luft. Dann lag er reglos im Gras. Sie begruben ihn im weichen Waldboden.
nach ihr umdrehte, sah Eve das bronzefarbene Gesicht und die Wölbungen der Brüste unter ihrem grauen Lederwams. Eve spürte ihren Körper kaum noch; die Gedanken rasten in einem endlosen Karussell durch ihren Kopf. Und dennoch registrierte sie die Andersartigkeit der Frau. Sie hatte wache braune Augen. Die Augen der Nordmänner dagegen waren wässrig blau, so weit sie sehen konnte. Und in ihren gelblichen Gesichtern gab es nicht die Spur von Schönheit. Grobe Gesichter waren es mit unnatürlich verzerrten Lippen und verkrüppelten Nasen. Manchen fehlten die Augenbrauen, oder Lippenspalten entblößten übergroße schwärzliche Zähne. Manchen fehlte die Nase ganz; ein knorpeliges Loch gähnte an ihrer Stelle in den seltsam flachen Gesichtern. Und den meisten ragten zerklüftete Stummel statt Ohrmuscheln aus den Schädelseiten. Wahrscheinlich deshalb trugen viele der Männer Gesichtsmasken, die nur Augen und Mund frei ließen. Als die acht Ruderer des Bootes zu den Ruderstangen griffen, merkte der Commander, dass nur zwei von ihnen fünf Finger an der Hand hatten. Mutationen, schätzte sie. Genschädigungen durch nukleare Strahlung. Die Frau rechts neben ihr wies auch nicht eine Fehlbildung auf. Sie war schön, unglaublich schön. Eve Carlyle beneidete sie um ihre Haare. Das Ufer glitt an ihnen vorbei - Schilf, Weiden, Eichen, hohe Gräser. Und manchmal von Moos überzogene Brückenpfeiler. Hier und da ragten Ruinen aus dem Blätterdach. Ganze Hausfassaden, bedeckt mit Kletterpflanzen, oder bizarre Stahlverstrebungen voller Moos, Misteln und verkrüppelten Birken. Entblößt von dem Beton, der sie einst zusammen gehalten hatte, reckten sie sich in den dunstigen Himmel, als wollten sie ihn anklagen. Stechender Schmerz bohrte in Eves Rücken. Die Frau neben ihr hatte ihr die flache Schwertklinge ins Kreuz geschlagen. Und ein anderer Angreifer den Schaft Seiner Axt gegen das Brustbein gerammt. Es war alles so schnell gegangen. Von allen Seiten waren die Angreifer auf sie eingestürmt. Etwa dreißig hatten sie töten können. Vielleicht auch vierzig. Aber es waren zu viele gewesen. Sie hätte es wissen
* Die Nordmänner schleppten ihre Gefangenen durch den Wald bis zu einem Fluss. Dort verluden sie die Kanonen auf Flöße. Eve Carlyle wurde in ein langes Ruderboot gestoßen. Der Große mit dem roten Pferdeschwanz setzte sich links neben sie. Rechts nahm die Frau Platz. Commander Carlyle hatte erst im Wald gemerkt, dass der ständige Begleiter des Anführers kein Mann sein konnte. Schon das dunkle volle Haar unterschied sich von dem der anderen Nordmänner. Und dann der grazile leichtfüßige Gang. Als sie sich am Flussufer
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müssen. Captain Spencer Dewlitts Warnung klang ihr noch in den Ohren. Sie hätte es wissen müssen, verdammt noch mal... Die anderen elf waren tot. Eve Carlyle wusste es. Das Herz krampfte sich ihr in der Brust zusammen, als sie an die zerschlagenen, durchbohrten und aufgeschlitzten Leiber ihrer Crewmitglieder dachte. Im Wald hatte sie die Explosion gehört. Wie ein Sturm war die Druckwelle durch die Baumkronen gerauscht. Sie wünschte, sie wäre mit den EWATs verglüht... Aber nicht einmal ihr Schutzanzug war beschädigt worden. War das Zufall? Ausgerechnet sie. Ausgerechnet der Commander überlebt...
Kriegslager der Nordmänner gebracht. Die schwarzen Zeltplanen schienen aus einer Art Segeltuch gefertigt zu sein. Sie zählte etwa achtzig Zelte. Wie viele Menschen konnte so ein Raddampfer transportieren? Siebzig? Achtzig? Oder mehr? Man brachte sie zu einem Zelt, das in der Mitte des Lagers stand, und stieß sie hinein. Der Rothaarige hockte auf einem Lederhocker und musterte sie böse. Eve hatte sofort begriffen, dass er der Anführer war. Der Commander. Die Frau stellte sich hinter sie. Rechts und links des Eingangs nahmen je zwei Männer Aufstellung. Draußen vor dem Zelt hörte Eve viele Stimmen. Der Rote deutete auf seine Brust. »Hairik«, schnarrte er. »Commander Eve Carlyle.« Dumpf und fremd klang ihre eigene Stimme in dem Helm. Sie wunderte sich, dass er ihr noch nicht abgenommen worden war. Der Rothaarige rief einen Befehl in Richtung Zelteingang. Eve identifizierte ein skandinavisches Idiom, ohne die Sprache verstehen zu können. Ein Mann betrat das Zelt. Er trug ein LP-Gewehr bei sich. Eve Carlyle erkannte ihre eigene Waffe. Der Rothaarige deutete darauf und bellte ein paar Sätze. Eve begriff nicht. »Wie funktioniert?«, fragte die Frau hinter ihr plötzlich. Sie sprach holpriges Englisch. Eine Dolmetscherin also. Eve schwieg. Der Mann namens Hairik wiederholte seine Frage, und die Frau übersetzte noch einmal. Eve starrte auf das Gewehr vor ihrer Nase. Sie stellte sich vor, wie sie die Waffe dem Mann entriss, ihren persönlichen Aktivierungscode in die kleine Tastatur an der Vorderseite der Reaktorkugel eingab, die Waffe auf den rothaarigen Widerling richtete und die Energietaste im Kolbenring drückte. Die Frau hinter ihr ging zu dem Mann mit der Waffe. Sie nahm sie ihm aus der Hand und legte sie dem Rothaarigen auf die Knie. In der Sprache der Nordmänner redete sie leise mit ihm, während sie auf den Kolbenring, die Tastatur, und die Energietaste deutete. Eve
* Der Wald lichtete sich. Trümmerhalden und Ruinenfelder zogen sich an beiden Ufern entlang. Der Fluss wurde breiter. Feste Mauern lösten die zugewachsene Uferböschung ab. Sie ruderten in eine Art Hafenbecken. Rechts wurde ein großer Platz sichtbar. Hallen in gutem Zustand standen dort. Und dahinter, vielleicht anderthalb Meilen entfernt, sah Eve einen Wall. Die Stadtmauer. Sie erkannte Dächer, da und dort einen schlanken Turm oder die oberen Stockwerke eines hohen Gebäudes. Und ganz im Süden ragte ein sicher vierhundert Fuß hohes Haus aus dem Wall. Die Flöße legten an dem ersten von sechs klotzigen Schiffen an. Sie ankerten an der Uferseite gegenüber der Hafenanlagen. Die Schiffe lagen tief im Wasser, waren etwa dreihundert bis dreihundertdreißig Fuß lang und bestanden aus geteertem Holz. In ihrer Mitte erhob sich ein fensterloser Klotz. Rechts und links von ihm, eng an die Schiffswand gebaut, erhoben sich Schaufelräder aus dem Wasser. Sie ragten nur zur Hälfte aus den Fluten. Eve betrachtete sie fasziniert. Diese räuberischen Menschen hatten also nicht nur das Schwarzpulver wieder entdeckt, sondern auch die Dampfmaschine neu erfunden. Oder aber sie hatten beides niemals vergessen. Das Boot legte am Ufer an. Eve wurde ins
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begriff nicht, was sich da abspielte. Die Frau tat, als würde sie den Heerführer in den Gebrauch des LP-Gewehrs einweisen. Der Rothaarige sah zu Eve. Er verzerrte sein fast lippenloses Gesicht zu etwas, das entfernt an ein Grinsen erinnerte. Dann stand er auf und verließ mit der Waffe das Zelt. Die Rücken der anderen Männer verdeckten Eve die Sicht auf ihn. Doch was sie sah, reichte, um zu begreifen. Ein gleißender Strahl zischte in den Himmel. Die Soldaten brachen in Jubel aus. Commander Eve Carlyle starrte die Frau in der grauen Ledermontur an. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen - sie war telepathisch begabt! Diese verfluchten Krieger waren nicht auf ein einziges Wort von ihren Lippen angewiesen! Sie stellten ihr Fragen und dieses Miststück schnüffelte in ihren Gedanken herum! Eve atmete tief durch und schloss die Augen. Sie hatte gelernt, sich innerhalb von Sekunden mental zu entspannen. Das Meer fiel ihr ein. Die Wellen während ihrer Überfahrt von der Insel zum Festland. Sie hielt die Szene vor ihrem inneren Auge fest. Mit jedem Atemzug sickerte das Bild der wogenden Fluten tiefer in ihr Hirn. Sie hörte die schweren Schritte des Rothaarigen. Sie hörte seine schnarrende Stimme. Und sie hörte die Frage der Frau. »Wo deine Höhle? Woher kommen?« Eve atmete ein und aus und sah weiter nichts als das Meer. Nur beiläufig registrierte sie die bohrenden Fragen und das aufgeregte Palaver im Zelt. »Wo deine Festung? Woher kommen?« Völlig entspannt atmete sie ein und aus und versank im Meer... Ein harter Schlag gegen ihren Helm schleuderte sie zu Boden. Sie stützte sich mit den Händen ab und blickte auf. Hairik stand über ihr und schwang eine Axt. Der nächste Hieb zertrümmerte Eves Helm. Sie schrie auf, und obwohl sie schrie, dachte sie an weiter nichts als das Meer. Schlag auf Schlag zerstörte der Rote den Helm. Bis ihr weißer haarloser Kopf vollkommen schutzlos war. Das war der Anfang ihres Endes - Eve wusste es. Es machte ihr nichts aus. Sie versank im Meer, tiefer und tiefer.
Der Mann brüllte vor Wut. Mit einem Messer schlitzte er ihren Schutzanzug auf. Zwei seiner Krieger eilten ihm zur Hilfe und rissen Eve den Stoff vom Leib. Hairik brüllte die dunkelhaarige Frau an. Sie verzog sich aus dem Zelt. Eve meinte einen Funken von Mitleid in ihrer Miene zu sehen. Seite an Seite gingen sie durch die Gassen und Straßen der Stadt. Die Menschen blieben stehen, wenn sie den König erkannten. Sie rissen sich die Hüte vom Kopf, winkten und riefen laut: »Heil dem König!« oder: »Laabsisch wird leben!« Anders als sonst ließ Lodar sich auf keine langen Gespräche ein. Nicht einmal die jungen Mädchen schienen ihn zu interessieren. Er grüßte nur höflich und würdevoll nach allen Seiten. Mauriz nahm es zufrieden zur Kenntnis. Der junge König hatte den Ernst der Lage begriffen. Hinter seiner gewölbten Stirn schien es fieberhaft zu arbeiteten. So leichtsinnig und aufbrausend er sein konnte -Mauriz wusste, dass er mit aller Kraft für das Überleben der Stadt kämpfen würde. Sie passierten graue Hausklötze mit großen Fensteröffnungen. Die meisten waren mit bunten Stoffen verhängt. Nur in wenigen glänzte noch Glas. Mauriz hatte oft versucht hinter das Geheimnis der Kunst zu kommen, mit der die Alten dieses durchsichtige feste Material hergestellt hatten. Bis jetzt war es ihm genau so wenig gelungen wie seinem Vater, Mauriz dem Elften. Die großen Gebäude hatten zwar Türen, waren aber im Grunde auf der ganzen Front des Erdgeschosses zugänglich. Durch große Portale, die in früheren Zeiten ebenfalls durch Glas abgeschlossen waren. In der ganzen Stadt gab es nur noch ein einziges Portal, in dem eine solche riesige Glasscheibe hing. Man erzählte sich, dass die Alten hinter solchen Scheiben Waren zur Schau gestellt hatten. Jetzt dienten diese Eingänge als Ställe für zahme Wakudas oder Frekkeuscher oder als Abstellplätze für Erntewagen. Manche waren mit Bretterverschlägen versehen oder zugemauert. Im Inneren der großen Häuser lebten meist vielköpfige Bauernfamilien. Zumindest in den ersten beiden Stockwerken.
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Die oberen wurden selten genutzt. In dem größten dieser vielfach ausgebesserten Steinkästen war die Kaserne untergebracht. Heenrich, der Schwertmeister residierte darin. Und die fünfzig Männer, die auch in Friedenszeiten ständig unter Waffen waren, lebten mit ihren Familien dort. Lodar blieb vor einem holzgerahmten Durchgang stehen. Bassaasche nannten die Stadtbewohner diese breite überdachte Straße. Sie führte zur einer relativ neuen Holzhalle, unter deren Dach die Fischer ihre Ausbeute zum Tausch anboten. Normalerweise hockten Leder- und Fellhändler rechts und links der Bassaasche. Doch Heenrich hatte sie am Nachmittag vertrieben und die Bassaasche wie auch die Fischhalle für die Stadtbewohner gesperrt. In der Fischhalle wurden jetzt Katapulte gebaut und in der Bassaasche neue Schwertklingen geschmiedet, Äxte, Pfeil- und Speerspitzen geschärft und mit Eichelöl eingefettet. Aus dem Auerbachkeller gleich am Anfang der Bassaasche drang das Gehämmer der Schmiede. Lodar warf Mauriz einen erstaunten Blick zu. Er wunderte sich, weil de Waffenschmiede schon aus dem Hof des Aldradhauses hierher verlegt worden war. Schweigend schritten sie durch die Bassaasche. Der König begutachtete die neuen Waffen, wechselte ein paar Worte mit den Schmieden und Schleifern und ließ sich die Schwerter zeigen. Auch die Katapultwerkstatt besuchten sie. Zimmerleute und Schreiner arbeiteten an den großen Waffen. Später kamen sie zum Markplatz. Der Abend dämmerte bereits und in den Fensteröffnungen des Aldradhauses flackerten die ersten Öllichter auf. In dem Säulengang vor dem Erdgeschoss des langgezogenen Gebäudes hockten große und kleine Gruppen von Menschen zusammen, Männer und Frauen, die Karten spielten, würfelten und dabei Bier tranken. Da und dort musizierte jemand auf einer Flöte, einem Dudelsack oder einer Laute. Kinder liefen herum und jagten zahmen Raben hinterher. Soldaten gingen durch die Portale ein und aus, trugen Waffen und Proviant hinein oder
standen auf Leitern, um die vielen Fensteröffnungen des ersten Obergeschosses zuzumauern. Nicht ohne Stolz betrachtete Mauriz das Aldradhaus. Es war das schönste Gebäude der Stadt. Seit Generationen wurde es gepflegt und mit den Steinen der Ruinen ausgebessert. Wie übrigens alle Gebäude von Laabsisch. Rat hielt man allerdings schon lange nicht mehr im Aldradhaus. Nicht einmal Mauriz' Urgroßvater hatte sich daran erinnern können, dass der Königsrat je in diesem Gebäude getagt hätte. So lange die Laabsischer denken konnten, traf sich der Königsrat im Zahn, wie die Stadtbewohner den schwindelerregend hohen Hausturm an der südlichen Palisade nannten. Den mündlichen Überlieferungen nach hätten die Alten im Zahn ihre Schule untergebracht. Auf dem Marktplatz brannten zwei große Feuer. Geschlachtete Wakuda-Stiere drehten sich an Spießen über den Flammen. Auch wenn die Leute sich äußerlich so verhielten, als würde das Leben seinen gewohnten Gang nehmen, spürte Mauriz doch die drückende Spannung, die über allen lagen. Er nahm die verstohlenen Blicke wahr, die den König von allen Seiten trafen. Erwartungsvolle Blicke. Und in vielen las der Göttersprecher Angst. »Du musst zu ihnen sprechen«, flüsterte er Lodar zu. Der nickte und verschwand im Aldradhaus. »Der König wird zu euch sprechen«, sagte Mauriz zu den Umstehenden, und bald verbreitete sich die Nachricht auf dem ganzen Marktplatz. Die Leute versammelten sich vor dem Turm des langen Gebäudes. Dort, vom Balkon des ersten Stockwerkes aus, pflegte der König an Festtagen oder in Krisenzeiten zum Volk von Laabsisch zu reden. Lodar trat aus dem Erker unter dem Turm auf den Balkon. Würdevoll nahm er die Hochrufe und den Beifall seines Volkes entgegen. Dann hob er die Rechte, und es wurde still. »Ich will euch nichts vormachen«, begann er. »Eine schwere Zeit steht uns bevor. Die Nordmänner haben unsere Schiffe versenkt und ihr Lager am anderen Ufer des Flusses aufgeschlagen. Sie werden uns angreifen. Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen,
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vielleicht erst in ein paar Tagen.« Mauriz blickte um sich. Männer, Frauen und Kinder hingen wie gebannt an Lodars Lippen. »Wir sind gewohnt zu kämpfen«, fuhr der König fort. »Seit vielen Generationen kämpfen wir gegen Eluus, Taratzen und wilde Horden, die uns unsere schöne Stadt streitig machen wollen. Jeder von euch weiß das, und jeder von euch steht heute Abend hier, weil sein Vater und sein Großvater niemals den Mut verloren, sondern zur Waffe gegriffen haben. Jetzt ist es wieder so weit. Wir sind gut vorbereitet. Wir werden kämpfen und die Nordmänner vertreiben. Und unsere Kinder und Enkel werden eines Tages sagen: Wir leben und unsere schöne Stadt blüht hinter ihren Mauern, weil unsere Väter und Mütter, unsere Großväter und Großmütter starke und unerschrockene Herzen hatten. Wudan sei mit uns allen!« Jubel brandete auf. Die Leute schwenkten ihre Hüte, klatschten in die Hände und tanzten wie kleine Kinder. Der lärmende Beifall wollte gar nicht mehr enden. Mauriz spürte, wie sich die angestaute Angst und die Spannung der letzten Tage in dem lauten Jubel Luft machten. Es dämmerte bereits, als er mit dem König zur westlichen Palisade schritt, um einen Blick auf das Lager der Nordmänner zu werfen. Walder, der Palisadenmeister und Pieroo, der Hordenführer kamen ihnen entgegen. Pieroo trug einen dunklen Fellmantel und Walder hatte sich einen schwarzen Lederhelm umgeschnallt. »Der Spähtrupp rückt aus!«, schnarrte Walder. Lodar klopfte ihnen auf die Schultern. »Danke, Pieroo«, sagte er zu dem Häuptling. Pieroo nickte langsam. Er drückte die geschwellte Brust heraus. »De Schicksa von Laabsisch is de Schicksa meine Hord.« Ein Ausdruck wilder Entschlossenheit lag auf seinem struppigen Gesicht. Die beiden Männer verschwanden in einer Gasse Richtung Süden. Später standen sie auf der Holzpalisade. Dunst hing über dem dunklen Band des Flussbeckens. Wegen der hereinbrechenden Nacht war es auf diese Entfernung kaum zu erkennen. Lange dunkle Schemen erhoben sich vor der Flussböschung des gegenüber liegenden Ufers. Die Schiffe der Nordmänner. Dahinter sah man verwaschene
Lichtflecken schimmern. Lagerfeuer. Die Wachen erzählten von einem gleißenden Lichtstrahl, der sich am frühen Abend mitten aus dem feindlichen Lager in den Himmel gebohrt hätte. Lodar und Mauriz nahmen den Bericht schweigend zur Kenntnis. Der Göttersprecher konnte sich keinen Reim darauf machen. Wortlos standen sie nebeneinander auf der Palisade und starrten hinüber zu den flackernden Lichtflecken. Die Wachen entfernten sich. »Werden wir sie zurückschlagen können, Mauriz?«, brach der junge König das Schweigen. »Was glaubst du, Lodar?« »Kannst du nicht einfach mal auf eine simple Frage eine simple Antwort geben?«, knurrte Lodar. Der Göttersprecher lächelte. Als er so jung war wie Lodar, hatte er auch nach einfachen Antworten gesucht. »Sag mir, was du glaubst«, beharrte er. »Wir werden sie zurückschlagen.« Lodars Stimme klang leise, aber entschlossen. »Wir werden siegen.« »Wenn du das glaubst, wird Wudan dich segnen und dir den Sieg schenken«, sagte Mauriz. Seine wahren Gedanken behielt er für sich. Es hatte keinen Sinn, den jungen König zu entmutigen. Aber Mauriz besaß die Fähigkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie nun mal waren, und er machte sich keine Illusionen: Die kriegerischen Nordmänner hatten fast doppelt so viele Männer unter Waffen wie Laabsisch. Und sie waren ihnen waffentechnisch haushoch überlegen. Mauriz wusste, dass sie dem Ansturm höchstens zwei Tage lang standhalten konnten. Die Gewissheit zerriss ihm das Herz. Aber er war es gewohnt, seine Gefühle zu verbergen ... Je näher sie der Stadt kamen, desto undurchdringlicher wurde der Wald. Weniger wegen der umgestürzten Bäume und des dichten Unterholzes als vielmehr der Ruinen wegen. Sie standen dicht an dicht. Ganze Fassadenfronten, überwuchert von Dornengestrüpp, mistelartigen Gewächsen und Efeu. Und dazwischen der Urwald. Vor einem kolossalen Gemäuer blieben sie
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stehen. Ein runder Turm ragte aus der unübersichtlichen Ruine. Wie eine ehemalige Burg sah das Gemäuer aus. Sie drangen in das zerfallene Gebäude ein und arbeiteten sich zum Turmaufgang durch. Moos und Gestrüpp wucherte auf der Wendeltreppe. Der Weg hinauf zum Turm war mühsam. Aber er lohnte sich. Nordöstlich sahen sie den doppelten Ringwall um die ehemalige Innenstadt Leipzigs. Hausdächer, Fassaden, Türme ragten über die Wallkrone. Und etwa fünfhundert Meter entfernt, direkt am Ringwall, ein gut hundertzwanzig Meter hohes Gebäude. Es war dunkelgrau und nur bis zur halben Höhe von Bäumen und Gestrüpp bedeckt. Wie ein Sattel war sein konkaves Dach geformt. An der östlichen Seite ragte es spitz nach oben wie ein Reißzahn. Die eigenartige geschwungene Form erinnerte Matt an ein aufrecht stehendes aufgeschlagenes Buch. Auf der Krone der beiden Wälle sahen sie Menschen. Vermutlich Wächter. In nordöstlicher Richtung konnten sie den Flusslauf erkennen. Er war überraschend breit, vermutlich zu einem Hafenbecken ausgebaut. Dunst waberte über den Ufern, und die einsetzende Dämmerung erschwerte die Sicht zusätzlich. Matt setzte seinen Feldstecher an die Augen. Deutlich konnte er die Umrisse von sechs mächtigen Schiffen erkennen. Und dahinter die Zelte der Krieger. Lagerfeuer brannten zwischen ihnen. Er reichte Aruula das Glas. »Ich werde mich heute Nacht ins Lager schleichen«, sagte er. »Tu es nicht, Maddrax.« Aruulas Blick bohrte sich flehend in Matts Augen. »Ich will dich nicht verlieren.« »Ich muss.« Matt redete mit Engelszungen. Versuchte ihr zu erklären, wie wichtig es für ihn sei, dem Rätsel der Welt nach Kristofluu auf die Spur zu kommen, versuchte ihr klar zu machen, dass die weißen Menschen in den silbergrauen Schutzanzügen technisch höher entwickelt waren, als seine eigene Zeit es gewesen war und dass er den Gefangenen unbedingt sprechen musste, um zu erfahren, was es mit dieser Community London auf sich habe. Sie verstand alles. »Trotzdem«, beharrte sie. »Tu's nicht.«
Er überließ ihr den Container und das Glas. »Bleib hier. Wenn sie mich gefangen nehmen, versuch mich rauszuhauen.« Er küsste sie und stieg hinunter in den Ruinenwald. Nur seine Beretta 98 G und sein Messer nahm er mit. Es war schon dunkel, als Matt endlich den Fluss erreichte. Mit dem Floß setzte er ans andere Ufer über. Entlang der Wasserlinie drang er nach Norden vor. Bäume, mannshohe Farnsträucher und riesige Buschpflanzen wechselten mit weiten Schilfflächen. Matt vermutete, dass er ein Areal durchquerte, das in grauer Vorzeit einmal ein Park gewesen war. Zu gern hätte er gewusst, wie viel Zeit verstrichen sein mochte, seit der Komet die Erde in den Abgrund eines Alptraums gerissen hatte. Nach einer Stunde sah er Feuerschein zwischen den Stämmen glimmen. Das Lager der Männer in erdfarbener Kleidung. Er ging in die Hocke, lauschte und schlich sich näher heran. Bald öffnete sich eine weite Grasebene vor ihm. Sie grenzte direkt an den Fluss. Zelt stand an Zelt. Vierzig oder fünfzig, schätzte Matt. Rings um das Lager loderten etwa zwanzig hohe Feuer. Die Männer hockten um die Flammen, lachten, palaverten, aßen und tranken. Es roch nach gebratenem Fleisch. Matt machte sich klar, dass er an den Feuern vorbei musste, wenn er ins Lager wollte. Der Mut sank ihm. Es hatte keinen Sinn. Sie würden ihn unweigerlich entdecken. Er unterdrückte den Impuls umzukehren und schluckte die Enttäuschung hinunter. Ganz cool bleiben. Denk nach; es muss einen Weg geben ... Das nächste Feuer brannte etwa einen Steinwurf weit von seiner Deckung entfernt. Matt sah, wie einer der Männer aufstand. Er torkelte und wandte sich dann in seine Richtung. Vermutlich wollte im Wald austreten. Matts Herzschlag beschleunigte sich. Der Kerl trug eine Maske über dem Gesicht! Eine Idee wuchs in seinem Hirn. Was in der Festung der Nosfera funktioniert hatte, würde auch hier... Moment! fuhr es Matt durch den Kopf. Damals hatte es nicht funktioniert... Egal; neues
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Spiel, neues Glück! Er zog sich ein Stück zurück und wartete. Der Krieger blieb breitbeinig am Waldrand stehen und nestelte an seiner Hose herum. Matt hörte den Wasserstrahl auf den Boden plätschern. Er wartete, bis das Geräusch schwächer wurde, dann warf er einen Zweig drei bis vier Schritte seitlich von sich üis Gestrüpp. Er sah, wie die Gestalt am Waldrand reglos verharrte und lauschte. Matt warf den nächsten Zweig. Der Mann packte sein Gemachte ein und schloss die Hose. Leise pirschte er in den Wald hinein. Matt duckte sich und atmete einige Male tief durch. Dann zog er seine Waffe und fasste ihren Lauf. Feuern konnte er jedoch nicht; damit würde er die Kumpane des Mannes alarmieren. Der Krieger kam näher und näher. Suchend und lauschend blickte er sich um. Als er fast auf gleicher Höhe seiner Deckung war, sprang Matt auf und schlug zu. Der Pistolenkolben traf den Nacken des Kriegers. Der seufzte kurz und brach lautlos zusammen. Hastig schälte Matt ihn aus seiner Montur. Er entdeckte, dass der Kerl nur vier Finger an jeder Hand hatte. Auch die beiden kleinen Zehen waren verkrüppelt, und als er ihm die Lederkappe abschnallte, sah er eine gewaltige Hasenscharte und wulstige Ausstülpungen anstelle der Ohrmuscheln. Matt zwängte sich in die Klamotten des Kriegers. Sie waren ziemlich groß, aber er behielt seinen Pilotenanzug darunter an und so passte die Kluft einigermaßen. Bevor er sich die Kappe umband, fiel sein Blick auf den langen blonden Zopf des Mannes. Kurz entschlossen zog er sein Messer, säbelte ihn ab und befestigte ihn hinten am Haarloch des Helms. Dann band er sich die Lederriemen unter dem Kinn zu und steckte seine Waffe unter die Jacke. Das Zeug stank nach Schweiß und Fisch. Matt betrachtete den Bewusstlosen. Er musste ihn daran hindern, Alarm zu schlagen, wenn er wieder zu sich kam. Ihm einfach die Kehle durchzuschneiden kam für Matt nicht in Frage; es wäre Mord an einem Wehrlosen gewesen. Also zog er dem Krieger auch noch das Unterzeug aus, schnitt es in Streifen und knebelte und fesselte ihn damit zu einem
handlichen Paket. Dann beeilte er sich, durch das Gestrüpp zum Waldrand zu stapfen. Es war schon viel Zeit vergangen; hoffentlich vermissten die Anderen ihren Kumpan nicht schon. Matt versuchte das Wanken des Mannes zu imitieren. Einige Krieger hoben kurz die Köpfe, beschäftigten sich dann aber wieder mit dem Braten und ihren Trinkbechern. Auf halbem Weg wandte Matt sich nach links, als wolle er das nächste Feuer ansteuern. Niemand schien ihn zu beachten. Etwa hundert Schritte vom Feuer entfernt tauchte er zwischen die Zelte. Sein Puls dröhnte ihm in den Schläfen und in seinem Magen wogte ein mulmiges Gefühl Matt zwang sich ruhig und tief durchzuatmen. So torkelte er von Zelt zu Zelt. Er sah kaum Männer innerhalb des Lagers. Hin und wieder drangen Stimmen aus den schwarzen kuppelartigen Zelten. Sie waren kreisförmig um ein zentrales, etwas größeres Zelt angeordnet. Sechs Masten mit Öllampen standen um dieses Zelt herum. Matt sah vier Männer mit Schwertern vor dem zurückgeschlagenen Eingang stehen. Noch immer den Betrunkenen mimend wankte er bis hinter den inneren Kreis um das Zentralzelt herum. Dort ließ er sich hinter einer Kuppel im Gras nieder. Das Zelt in der Mitte war noch etwa zwanzig Schritte von ihm entfernt. Es war erleuchtet, und Matt konnte im Inneren einen großen Mann erkennen, der mit den Händen fuchtelte und laute Worte in einer fremden, skandinavisch klingenden Sprache ausstieß. Er schien erregt zu sein. Matt schlich weiter. Vielleicht konnte er mehr erkennen, wenn er einen anderen Blickwinkel einnahm. Und tatsächlich - von der anderen Seite des Zeltes aus sah er eine weißhäutige Gestalt am Boden hocken. Ihr Kopf war so kahl wie der des sterbenden Captain Dewlitt. Und das schmale Gesicht schien ihm das einer Frau zu sein! Trotz der Entfernung erkannte Matt die aufgesprungene Lippe und die Blutergüsse darin. Die kleinen Hände der Frau klammerten sich an einer Decke fest, die sie eng um ihre Schultern gezogen hatte. Ihre nackten
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gekreuzten Beine schauten unter der Decke vor. Offensichtlich hatte man ihr den Schutzanzug ausgezogen. Der Krieger schrie sie an. Es war der Bursche mit den roten Haaren. Hinter dem Fremden saß eine Frau in grauer Ledermontur. Hatte er sie nicht auf dem Schlachtfeld im Buschland schon an der Seite des Rothaarigen gesehen? Ihre buschigen schwarzen Haare, ihre Physiognomie, ihre bronzene Hautfarbe - die Frau erinnerte ihn stark an Aruula. Immer wenn der Rothaarige aufhörte zu brüllen, ergriff sie das Wort. Als würde sie die Rolle einer Dolmetscherin spielen. Auch das erinnerte Matt an Aruula. »Woher kommen?«, hörte Matt sie fragen. »Wo eure Höhlenfestung? Los, reden oder sterben ...!« Sie sprach ein holpriges Englisch. Das Gesicht der Frau verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Sie blieb stumm. »Meer?«, fragte die Schwarzhaarige. »Kein Mensch kann leben in Meer...« Sie wandte sich in der fremden Sprache an den Rothaarigen. Der stieß einen wütenden Schrei aus und schlug der Weißhäutigen brutal ins Gesicht. »O Gott«, stöhnte Matt. Instinktiv griff er unter die Jacke und fasste den Kolben seiner Beretta. Sie waren zu sechst - mit ein bisschen Glück würde es vielleicht zu schaffen sein, sie auszuschalten ... Sein kein Idiot - die Schüsse würden das ganze Heer anlocken, und du hättest nur noch eine Kugel übrig ... Er biss die Zähne zusammen und ließ die Waffe stecken. »Du Zeit zum Nachdenken«, übersetzte die rätselhafte Frau in der Lederkluft das Gefluche des Rothaarigen. »Hairik dir Ohren abschneiden, wenn nicht reden.« Hairik - so also hieß der Anführer der Krieger. Der Rothaarige trat vor das Zelt und brüllte etwas in die Dunkelheit. Matthew machte sich klar, dass sie telepathisch begabt war. Sie hatte übersetzt, obwohl die Frau kein Wort gesprochen hatte. Kurz darauf hörte er Schritte. Matt stand auf und tat, als würde er zu einem der Feuer wanken. Schatten eilten zwischen den Zelten
hindurch zum Zentralzelt - acht oder neun Männer. In einer Deckung blieb Matt stehen und blickte zurück. Der Anführer reichte seinen Leuten einen langen dunkelgrauen Gegenstand eine der rohrf örmigen Strahlerwaffen! Vier der Braunen zogen mit der Waffe ab. Die anderen nahmen um das Zelt herum Aufstellung. Der Rothaarige wandte sich noch einmal an die weiße Frau und verließ dann das Zentralzelt. Fluchend verschwand er in der Dunkelheit. Matt folgte den Männern mit dem Strahler. Sie durchquerten das Lager und blieben vor einem der Zelte stehen. Einer schlug die Plane zurück, schlüpfte mit der Waffe in das Zelt und kam ohne sie wieder heraus. Alle vier blieben vor dem Eingang stehen. Sie plauderten miteinander, machten aber keine Anstalten zu gehen. Matt begriff, dass sie das Zelt die ganze Nacht über bewachen würden. In einem weiten Bogen wankte er zwischen den Zelten hindurch, bis er die Rückseite des Zeltes erreichte, in das sie den Strahler gebracht hatten. Er war entschlossen, das Lager nicht ohne diese Waffe zu verlassen. Mit seinem Messer schnitt er die Zeltplane auf und schlüpfte hinein. Im Inneren war es stockdunkel. Behutsam tastete Matt den Zeltboden ab - bis seine Hand ein starres Rohr berührte. Er griff zu. Die Oberfläche des Rohres fühlte sich nicht kühl und glatt an wie Metall, sondern rau und körperwarm. Er tastete das Rohr ab. Kein Zweifel - er hatte den Strahler erwischt! Matt wandte sich um - und fühlte, wie er mit dem Ellbogen gegen etwas stieß. D äs Etwas schabte an der Zeltwand entlang und fiel auf den Strahler; wahrscheinlich ein Speer, den man in den Boden gerammt hatte. Es klapperte vernehmlich. Die Gespräche vor dem Zelt verstummten schlagartig. Matt schob den Strahler unter seine Jacke und robbte rückwärts zu dem Schlitz, den er in die Plane geschnitten hatte. Der Zelteingang wurde aufgeklappt. Ein Schatten beugte sich herein. Eine Öllampe flammte auf. Matt sah ein fahles lippenloses Gesicht. Und den funkelnden Stahl eines Langschwertes.
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Im gleichen Moment, in dem der Krieger aufbrüllte, hatte Matt das Zelt verlassen. Er sprang auf die Beine und rannte los. Von allen Seiten trampelten jetzt Schritte heran. Männerstimmen brüllten Befehle. Matt duckte sich in den Schatten eines Zeltes. Dessen Eingang wurde geöffnet - Kopf und Schultern eines Soldaten erschienen. Matt sprang ihn seitlich an, klemmte ihm sein Messer unter das Kinn und schob ihn ins Zelt zurück. Dort wartete er, bis die alarmierten Krieger am Zelt vorbei trabten. Er schlug den Mann knockout, schnitt einen Notausgang in die rückwärtige Wand des Zeltes und spurtete weiter. Nur noch vereinzelte Männer saßen an den Feuern, wahrscheinlich zu betrunken, um sich noch aus eigener Kraft fortbewegen zu können. Sie glotzten ihn blöde an und reagierten zuerst nicht einmal. Erst als er schon fast den Waldrand erreicht hatte, schrien sie hinter ihm her. Matt hetzte durch den Wald. Bald hörte er hinter sich hundertfache Schritte durch das Unterholz brechen. Er brauchte nicht einmal zwanzig Minuten bis an den Fluss. Er packte das Floß, stieß es in die Flussmitte und warf sich darauf. Wie ein Wilder stach er das Paddel ins nachtschwarze Wasser. Sie entdeckten ihn, als er das Schilf des gegenüberliegenden Ufers erreichte. Die Speere, die sie ihm nachjagten, verirrten sich im dunklen Wald. Geschafft! Ich habs geschafft! Sämtliche Nervenfasern seines Körpers schienen zu vibrieren. Matt wusste, dass sie ihn verfolgen würden. Aber zwischen den verwinkelten Ruinen würden sie ihn hoffentlich nicht finden. Er fummelte am Knoten des Lederriemens unter seinem Kinn herum. Sein Haar klebte vor Schweiß zwischen Lederkappe und Kopfhaut. Er wollte das verdammte Ding endlich loswerden. Ein Schatten tauchte zwischen den Stämmen auf. Und dann ein zweiter und ein dritter. Matt blieb stehen und griff nach der Pistole. Da legte sich ein nackter Arm von hinten um seinen Hals. Jemand packte sein Handgelenk. Die Spitze einer Schwertklinge bohrte sich
schmerzhaft gegen seine Rippen. Die Schatten zwischen den Stämmen kamen auf ihn zu. »Fesseln!«, schnarrte eine Stimme ... Das Blätterdach des Waldes lag unter ihr wie eine schwarze, tausendfach zerknitterte Decke. Der Nachtwind schüttelte die Baumwipfel durch, Äste knarrten, Laub zitterte und rauschte. Und unter der schwarzen Decke brachen Äste unter den Schritten von unsichtbaren Kreaturen, die im Schutz der Dunkelheit ihrer Beute nachspürten. Manchmal hörte Aruula Geräusche aus den Gewölben der Ruine unter dem Rundturm. Steine bewegten sich und schabten übereinander, ein Tier knurrte, und einmal schrie ein Vogel in Todesnot auf. Aruula hörte Knochen brechen, bevor sich tippelnde Schritte entfernten. Es war kein schöner Ort, um die Nacht zu verbringen. Aruulas sorgenvolle Gedanken kreisten um Maddrax. Irgendwann hörte sie gebrüllte Befehle. Von fern hallten sie über den Wald. Sie kamen aus der Richtung, wo die Feuer der Krieger glommen. Und später noch einmal Schreie. Diesmal viel näher und vom Westen her. Dort verlief der Fluss. Maddrax hatte sich in einen Kampf verwickeln lassen! Was sonst sollten die wütenden Rufe bedeuten? Aruula setzte sich den Feldstecher an die Augen. Trotz der Nachtsicht-Elektronik konnte sie nichts erkennen außer Baumkronen, den Dachstühlen von Ruinen und Mauerpfeilern, die aus dem Blätterdach ragten. Konzentriert lauschte sie in die Dunkelheit. Irgendwann glaubte sie Geräusche von Schritten zu hören, höchstens einen Speerwurf vom Turm entfernt. Die Geräusche entfernten sich in Richtung Stadt. Aruula richtete den Feldstecher auf die Überreste von Leipzig. In einigen Fenstern flackerten Lichter. Das Tor des Schutzwalls war durch Fackeln hell erleuchtet. Männer zogen Karren aus der Stadt und schoben sie schwer beladen wieder hinein. Und dann sah Aruula acht Gestalten jenseits der Baumwipfel auftauchen. Sie mussten aus dem Wald gekommen sein.
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Sie überquerten den breiten Ackerstreifen vor dem Wall. Vor sich her stießen sie einen Gefangenen, der eine braune Kluft trug. Ein blonder Zopf ragte aus der Nackenöffnung seiner Lederkappe. Aruula konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber'sie erkannte seine Haltung und seinen federnden Gang - es war Maddrax! Kein Zweifel! »O Maddrax«, stöhnte sie. »Ich habe dich gewarnt...« In den Schrecken, ihn gefesselt zu sehen, mischte sich die Erleichterung: Er lebte! Wenigstens das! Aruula ließ den Feldstecher sinken. In ihrem Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Was waren das für Leute in der Stadt? Konnte sie es wagen, sich hinein zu schleichen? Oder sollte sie sogar ganz offen um Aufnahme bitten? Sofort? Oder lieber warten bis zum Morgengrauen? Sie schloss die Augen und seufzte. Zu viel Grausiges hatte sie in diesen Ruinenstädten erlebt. Zu viel Grausiges gehört. Sie zog das Fell eng um ihren Körper zusammen. Plötzlich fröstelte sie. Aruula beschloss den neuen Tag abzuwarten und dann einen Weg in die Stadt zu suchen... Das Rauschen füllte ihren Kopf aus. Die Meereswogen türmten sich auf, Gischtfinger griffen in die Luft, schäumend brach die Woge zusammen und die nächste erhob sich. So deutlich sah Commander Eve Carlyle sie vor sich, so intensiv hörte sie das Rauschen, als würde sie von dem Wellengebirge hin und her geworfen. Sie kämpfte gegen den Schlaf. Schlafen bedeutete die Kontrolle über die eigenen Gedanken aufzugeben. Nur das nicht! Nur nicht an etwas Anderes denken als an das Meer! In eine grobe Decke gehüllt lag sie zusammengekrümmt auf dem Boden des Zeltes. Ihre Augen waren geschlossen. Draußen hörte sie die Wachen palavern. Die schwarzhaarige Frau sah sie nicht. Aber sie spürte ihre Blicke. Auch sie schlief nicht. Eve wusste, dass diese Frau ihre gefährlichste Gegnerin war - denn sie belauschte ihre Gedanken. Die wilden Schlächter mochten kommen und sie misshandeln - Eves Körper war zerschun-
den, aber ihr Geist war so hart wie ein Diamant. Sie spürte keinen Schmerz, sie konnte ihre Trauer und ihren Hass im Zaum halten, sogar über dem Gefühl der Demütigung stand sie. Das schwarzhaarige Biest hinter ihr war das einzige Wesen, das sie fürchtete. So lange diese Frau ihr nicht das Bild des Bunkereingangs, das Bild des Weges dorthin und den Zugangscodes zum Bunker und zu den anderen Waffen aus dem Geist reißen konnte, hatte Eve gewonnen. Und so lange würde sie alles in Kauf nehmen - das war sie der Community schuldig! Das hatte sie bei ihrer Vereidigung geschworen! Lange würde der Kampf sowieso nicht mehr dauern. Eves Körper wurde von den ersten Hustenkrämpfen geschüttelt. Und sie spürte schon das Fieber durch ihre Glieder kriechen. Das Meer - immer nur das Meer, die tobenden Wellen, die Gischt, das Rauschen. Keinen anderen Gedanken, kein anderes Bild ließ sie in ihren Hirnwindungen aufkommen. Es war ein lautloser Kampf, ein mentaler Kampf. Eve wusste, dass sie ihn gewinnen würde. Weil sie ihn gewinnen wollte. Hinter sich hörte sie Leder knarren. Die Atemzüge ihrer Gegnerin klangen gequält. Eve hörte sie aufstehen und an ihr vorbeigehen. Sie öffnete die Augen. Und sah, wie die Telepathin die Plane vor dem Eingang zurück schlug. Fernes Stimmengewirr drang ins Zelt, der Lärm vieler Schritte und das Hämmern von Maschinen. Die Frau drehte sich nach ihr um. Müde sah sie aus. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Der bronzene Teint ihres Gesichts hatte einen Graustich angenommen. »Wie heißt du?«, fragte Eve. Schweigend musterte die Frau sie. Dann wandte sie sich ab und verließ das Zelt. Eve lauschte ihren Schritten nach. Sie entfernten sich. Vermutlich würde sie in den Wald gehen, um ihre Blase zu entleeren. Gelegenheit, den mentalen Schutz für ein paar Sekunden fahren zu lassen. Gelegenheit, nachzudenken. Ein Hustenreiz schüttelte Eve. Das Meer trat in den Hintergrund. Sie ging ihre Chancen durch. Warten, bis der Tod von allein kam? In den letzten Stunden ihres Lebens würde sie zu
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schwach sein, um ihre Gedanken zu schützen. Die Frau angreifen und einen Schwertstreich provozieren? Nein - Eve war zu schwach, um einen Gegner körperlich ernsthaft zu bedrohen. Vielleicht konnte sie es schaffen, sich in Trance zu versetzen und ihren Herzschlag zu stoppen. In ihrer Ausbildung hatte sie gelernt, ihre Herzfrequenz mental zu beschleunigen und zu verlangsamen. Und theoretisch wusste jeder Offizier der Community, wie man das elektrische Reizleitungssystem des eigenen Herzens so blockieren konnte, dass die Herzmuskeln ihre Arbeit einstellten. Theoretisch. Es lag in der Natur dieser Kenntnis, dass sie nur ein einziges Mal praktisch mit Erfolg angewandt werden konnte. Und plötzlich kristallisierte sich ein Plan aus ihren erschöpften Gedanken, der so einfach war, dass Eve sich ärgerte, weil sie nicht eher darauf gekommen war. Die LP-Gewehre! Sie würde diesen Schlächtern den Zugangscode für eine weitere Waffe geben. Den Code, der die Selbstzerstörung auslösen würde! Ein Sekundentod. Das würde ihre Leiden erheblich verkürzen. Und mit ein bisschen Glück würde sie mindestens die Hälfte der Nordmänner mit in den Tod reißen ... Wieder quälte sie ein trockener Husten. Eisiges Frösteln zog sich über ihre Lenden und Schultern. Der Durst hatte ihre Mundschleimhaut ausgetrocknet. Das Fieber stieg rasend schnell. Und trotzdem verlieh ihr der gefasste Ent-schluss neue Kraft. Sie unterdrückte das Zähneklappern. Schritte näherten sich, das Zelt wurde aufgeschlagen, Lärm schwoll an, Männerstimmen brüllten irgendwo unten am Fluss, das Stampfen der Maschinen war lauter geworden. Eve sah einen Graustreifen am Himmel. Der neue Tag kündigte sich bereits an. Der Haltung und den Schritten ihrer Gegnerin merkte Eve an, dass diese ausgepumpt war. Ihre Schultern hingen herunter, die Art, wie sie Beine und Füße bewegte, hatte etwas Schleppendes. Lange würde sie nicht mehr durchhalten. Sie setzte sich wieder hinter den Comman-der. Und Eve tauchte wieder ins Meer ein.
Sie ließ eine halbe Stunde verstreichen, um keinen Argwohn bei ihrer Gegnerin zu erwecken. Sie hustete in dieser halben Stunde öfter, als sie wirklich musste, und sie überließ ihren Körper dem Schüttelfrost. Ein menschliches Wrack, das am Ende seiner Kraft ist - diesen Eindruck wollte sie verstärken. »Durst«, krächzte sie. Tatsächlich klebte ihr die Zunge am Gaumen. »Gib mir zu trinken.« »Gut«, sagte die Frau hinter ihr. »Fragen beantworten, dann trinken.« Eve ließ ein paar Minuten verstreichen. »Einverstanden«, flüsterte sie dann. »Für einen Krug Wasser verrate ich euch den Code einer weiteren Waffe.« Sie hörte die Frau aufstehen. Sie stieg über Eve hinweg und ging vor ihr in die Hocke. Triumph leuchtete in ihren dunklen Augen. »Sehr gut. Am Abend Hairik kommt zurück. Dann erklären ...« Enttäuscht schloss Eve die Augen. Noch ein ganzer Tag! Sie hätte sich das Ende früher gewünscht... Matts Arme waren auf dem Rücken gefesselt. Zwischen seine Knöchel hatten sie einen kaum meterlangen Strick gebunden. So stolperte er über einen Acker auf die Stadt zu. Grobe Stöße in den Rücken trieben ihn an. Sie führten ihn durch das Tor des Doppelwalls. Männer mit Handkarren hasteten an ihnen vorbei. Mit Steinen be-ladene Wagen wurden in die Stadt gezogen, leere Wagen in den Ruinenwald hinunter. Dort brach man die Steine aus den alten Gemäuern. Männer mit schwarzen Lederhelmen und Lederschildwesten auf dem nackten Oberkörper bewachten die Arbeit. Sie trugen Schwerter, Spieße und Armbrüste. Kein Zweifel - hier wurden hektische Kriegsvorbereitungen getroffen. Gespenstisch ragte ein Hochhausturm in die Dunkelheit. Sein Dach verschwamm mit dem nächtlichen Himmel. Auf dem weiten Platz davor liefen Männer und Frauen hin und her. Matt konnte sah, wie sie die Steine entlang der inneren Holzpalisade zu Haufen aufschichteten. Je sechs Männer zogen hölzerne, haushohe Maschinen über den Platz Katapulte. Eine andere Gruppe füllte eine Grube mit Geröll,
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Erde und Steinen. »Weiter!«, schnarrte der Anführer der siebenköpfigen Truppe, die ihn im Wald überwältigt hatten. Der Mann hatte ihm den Strahler und die Beretta abgenommen. Ein merkwürdiger Kerl - fast so breit wie kurz und einen verkniffenen Zug im teigigen Gesicht. Er wirkte wesentlich älter als die anderen sechs. Ein Lederschutz spannte sich über seine mächtige Brust, und ein schwarzer Lederhelm saß auf seinem Quadratschädel. Sie führten Matt auf eine dreimannho-he Palisade zu, die das Hochhaus umgab. Fünf der Kämpfer, die ihn übertölpelt hatten, waren ganz ähnlich gekleidet wie der Anführer - grobes dunkles Leinenzeug, Brustschild und Lederhelm. Drei hatten Armbrüste geschultert, zwei waren mit Schwertern bewaffnet. Der siebte Mann unterschied sich deutlich von den anderen. Sein mittelgroßer Körper steckte in einem schwarzen Fellmantel Taratzenfell, schätzte Matt. Sein ungeheurer Bart- und Haarwuchs verlieh ihm etwas WildVerwegenes. Er trug eine Kriegsaxt bei sich. Matt schätzte, dass der Mann Angehöriger eines Wandernden Volkes war. Durch dreifach gestaffelte Wachen schleppten sie ihn eine Treppe hinauf zum Eingang des Hochhauses. Die Fassade des Gebäudes war vollkommen mit Kletterpflanzen bedeckt. Matt kramte in seinem Gedächtnis herum - er wusste genau, dass er in der Offiziers-Akademie der NATO etwas über die strategische Bedeutung Leipzigs gehört hatte. Die ehemalige Funktion des Hochhauses wollte ihm trotzdem nicht einfallen. Ein riesiges Doppelportal öffnete sich. Keine Glastür, wie man es bei einem solchen Gebäude erwarten würde, sondern Türflügel aus schwerem Holz. Im Fackelschein erhaschte Matt einen Blick auf die reichen Schnitzereien, mit der die Flügel verziert waren. Doch mehr als den Kopf eines Wakuda-Stieres konnte er nicht erkennen. Einer der Aufzugsschächte im ganz und gar mit Holz ausgekleidetem Foyer stand offen. Der Anführer der Gruppe stellte sich davor, steckte zwei Finger in den Mund und stieß mehrere Pfiffe aus. Pfiffe von verschiedener Länge. Eine
Art Code, schätzte Matt. Ein weit entferntes Quietschen drang aus dem Aufzugsschacht. Minuten verstrichen. Keiner der Männer sprach ein Wort. Etwas schlug gegen die Wände des Schachtes, ein Schaben näherte sich - und dann senkte sich vor Matts verblüfftem Blick eine Holzplattform herab. Nur der Gruppenführer und der Mann mit dem Fell stiegen mit Matt auf die schwankende Holzplattform. Die anderen fünf Männer verließen das Gebäude. Eine korbartig geflochtene Verblendung umgab die Holzplattform. Dicke Taue aus bastähnlichem Material waren an rostigen Metallösen an den vier Ecken der Plattform befestigt und schlangen sich um die Eckhölzer der Verblendung. Matt wurde unbehaglich zumute, als er zwischen den beiden kleineren Kriegern auf der Plattform stand. Der Anführer stieß wieder einen Pfiff aus, und die Plattform wurde über eine Art Flaschenzug hoch gezogen. Quälend langsam krochen die Aufzugstüren an ihnen vorbei. Sie waren von einer dicken schwärzlichen Oxidationsschicht überzogen. Sie hatten etwa fünfzehn Stockwerke unter sich gelassen, als die Plattform endlich angehalten wurde. Der Struppige mit dem Fell stieß Matt hinaus. Zwei Soldaten nahmen ihn in Empfang. Ein dritter kam dazu - ein Hüne von Mann, sicher einen Kopf größer als Matt, dabei unglaublich breit und auch mächtig fett. Matthew musste unwillkürlich an einen Sumo-Ringer denken. Er trug dunkelgrüne, grob gewebte Leinenkleider und einen dunkelbraunen Brustschild. Auf seinem kahlen Schädel saß ein flacher Helm, und der edelsteinverzierte Griff eines Langschwertes ragte schräg hinter seiner Schulter hervor. Mit feindseligem Blick musterte er Matt. »Einen Gefangenen gemacht, Schwertmeister«, sprach der Gruppenführer ihn an. »Seine Waffen.« Er zeigte den teleskoprohrförmigen Strahler und Matts Armeepistole vor. »Sehr gut«, sagte der Sumo-Ringer. »Bringt ihn zum Reden, egal wie!« Sie sprachen ein gedehntes, aus verschie-
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denen europäischen Sprachen kombiniertes Idiom - aber die Grundsprache war eindeutig Deutsch. Matt, der diese Sprache sehr gut beherrschte, konnte fast jedes Wort verstehen. »Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet«, sagte er auf Deutsch. Die Männer blickten sich verblüfft an. »Das werde wi sehe!«, blaffte Schwarzfell und stieß ihn in eine Zimmerflucht hinein. Auch hier waren Wände und Türen aus mit Schnitzereien verziertem Holz. Matt kam sich vor wie in den Gängen eines Schlosses. »Ihre Schiffe haben abgelegt«, sagte der Hüne, den der Gruppenführer mit »Schwertmeister« angesprochen hatte. »Sie überqueren den Fluss! Wahrscheinlich werden sie am anderen Ufer anlegen! Wir rechnen noch im Morgengrauen mit dem Angriff!« Er zwängte sich durch den Lifteingang auf die Tragplattform. Ein Pfiff, dann hörte Matt das Holz wimmern und den Flaschenzug quietschen. An sechs Wachen vorbei führten sie ihn in einen weitläufigen Raum. Überall Holzverkleidungen, glaslose Fensteröffnungen, eine lange Tafel voller Krüge, Becher und Schüsseln und mit schweren Stühle drumherum, Doppellüster an den Wänden, Schwerter, Speere und Armbrüste an eisernen Haken. Kerzenlicht erhellte den Raum. An einem der Fenster ein junger Mann mit kurzen blonden Locken, wohl sieben, acht Jahre jünger als Matt. Er trug geschnürte Beinkleider aus schwarzem Wildleder und darüber ein bis zu den Schenkeln reichendes rotes Hemd. Sein ganzes Erscheinungsbild hatte etwas Aristokratisches. Seine würdevolle Haltung, seine markanten Gesichtszüge, die große schmale Nase, die gewölbte Stirn, die klugen, tief in den Höhlen liegenden Augen - all das verriet Matt sofort, dass er einen wichtigen Mann vor sich hatte. »Ein Gefangener, zwei Waffen!«, schnarrte der kurze Gruppenführer. Der Blonde fixierte Matt. Der hielt seinem Blick stand. »Ein Spion!« Der Führer bellte das Wort heraus, als hätte es ihm auf der Zunge gelegen wie ein verfaultes Stück Fleisch. »Spricht unsere
Sprache!« »Sehr gut, Walder. Vielen Dank, Pieroo.« Der Blonde begann Matt langsam zu umkreisen. Keinen Moment wandte er den Blick von ihm. »Wen haben diese gierigen Hunde gestern angegriffen?« »Nicht zu klären!«, schnarrte Walder. »Was habt ihr gesehen?« »Dreiundfünfzig Zelte! Sechs Schiffe! Kanonen unter Deck! Mindestens vierhundert Mann!«, bellte der Kurze heraus. »Viele von ihnen sind betrunken«, sagte Matt. »Ich hab' mich ins Lager geschlichen. Sie aßen Fleisch und tranken dazu ein starkes Gebräu.« Der Blonde blieb vor ihm stehen. Seine schmalen grauen Augen schienen sich in Matts Stirn zu bohren. Der Mann in dem schwarzen Fellmantel drängte sich an Matt vorbei. »Isch hab gehört, dass die Nordmänne vo dem Kampf ähnliche Saft trinke wie eue Bier.« Der Blonde nickte, ohne den Blick von Matt zu wenden. »Du trägst die Kleidung der Nordmänner, du trägst ihre Haartracht und bist mit fremdartigen Waffen ausgerüstet. Du bist einer von ihnen!« »Nein.« »So?« Die Augen des Blonden wurden noch schmaler. Misstrauisch belauerten sie Matt. »Wer bist du dann?« »Nehmt mir den Helm ab«, forderte Matt ihn auf. Der Blonde machte eine Kopfbewegung zu dem Kurzen namens Walder hin. Der stellte sich vor Matt hin, löste den Riemen unter dessen Kinn und riss ihm die Lederkappe vom Kopf. Verblüfft blickte er auf die Kappe - der blonde Zopf baumelte aus der Öffnung am Hinterkopf. »Unter dem Zeug trag ich meine eigene Kleidung, wenn ihr nachsehen wollt«, sagte Matt. »Ich habe einen von ihnen überwältigt und mir seine Kleider angezogen, um unerkannt ins Lager schleichen zu können.« Die Tür öffnete sich. Ein hagerer Mann in einem schwarzen Umhang betrat den Raum. Eine Knollennase saß in seinem verschmitzten Gesicht. Die rötlichen Augen fielen Matt auf. Das fettige Grauhaar trug er im Nacken zu einem Dutt zusammengebunden. Unter dem Umhang war er mit einem enganliegenden
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ockergelben Hosenanzug bekleidet. Matt schätzte ihn auf etwa fünfzig bis sechzig Jahre. Er wirkte sympathisch und intelligent. »Du kommst gerade recht, Mauriz«, sagte der Blonde. »Der Gefangene behauptet kein Nordmann zu sein.« Er deutete auf die Kappe mit dem Zopf in Walders Händen und auf die Waffen, die auf dem Tisch lagen. »Und er spricht unsere Sprache recht gut.« Der Mann namens Mauriz begutachtete alles sorgfältig. Mit verschränkten Armen stellte er sich neben den Blonden. Seine klugen roten Augen wanderten von Matts Fußspitzen hinauf bis zu seinem blonden Haar. »Wer bist du?« Was sollte Matt ihnen sagen? Dass er mit einem Stratosphärenjet unterwegs gewesen war, um den Einschlag von In-terkontinentalRaketen auf einem Kometen namens »Christopher-Floyd« zu beobachten? Dass dieser Einsatz im Prinzip vor nicht einmal einem halben Jahr stattgefunden hatte, inzwischen aber trotzdem ein paar Jahrhunderte vergangen sein mussten? Das raffen sie niemals, dachte Matt. Und entschied sich für eine etwas simplere Lösung. »Ich komme aus einem fernen Land«, sagte er. »Sehr weit weg von hier, sodass ihr wahrscheinlich noch nie davon gehört habt. Man hat mir in eurem Teil der Welt den Namen >Maddrax< gegeben. Die Krieger, die ihr >Nordmänner< nennt, haben Männer und Frauen getötet, die ...« Er zögerte. »... die in der gleichen Gegend der Welt leben wie ich. Und sie haben eine Frau gefangen genommen. Um sie zu befreien, bin ich in das Lager eingedrungen. Aber vor ihrem Zelt standen zu viele Wachen. Mehr als diese Waffe konnte ich nicht mitnehmen.« Er wies auf den Strahler. Der Blonde wollte sein Misstrauen offenbar noch nicht aufgeben, doch der Mann namens Mauriz schien ihm zu glauben. Er trat näher an Matt heran. »Wie bist du hierher gekommen?« Wieder überlegte Matt. Er entschied sich für die halbe Wahrheit. »Mit einer Maschine, die >Feuervogel< genannt wird«, sagte er. Er berichtete von seiner Notlandung in den Alpen, von der monatelangen Wanderung hierher und von seiner Suche nach den verschollenen
Kameraden. Auch dass seine Gefährtin Aruula draußen in den Ruinen auf ihn wartete, erzählte er. Sie löcherten ihn mit Fragen. Was ihn und seine Kameraden in diesen Teil der Welt getrieben hätte, warum er ihre Sprache verstünde, und so weiter. Danach fingen sie an, ihn über die Verhältnisse im Lager der Nordmänner auszuhorchen. Ab diesem Moment wusste er, dass auch das Misstrauen des Blonden sich legte. Der Morgen graute vor den Fensteröffnungen, als sie ihm die Fesseln abnahmen. Matt rieb sich die Handgelenke. Walder reichte ihm sein Messer. Und danach den Strahler. »Erklär uns das Rohr«, verlangte der Blonde. Im Lauf des Gespräches hatte Matt erfahren, dass er Lodar hieß und der Oberste hier in Leipzig war, das die Einwohner »Laabsisch« nannten. Matt betrachtete die Waffe zum ersten Mal bei Licht. Sie war nicht besonders groß. Er wog sie in der Hand. Das graue Material, aus dem sie gefertigt war, hatte nicht viel Gewicht. Fünf Pfund, schätzte Matt. Sie bestand im Wesentlichen aus einer etwa faustgroßen Kugel, aus der ein Rohr von dreißig Zentimetern Länge ragte, das aus drei ineinander geschobenen Röhren von je zehn Zentimetern Länge bestand. Jedes hatte einen anderen Durchmesser. Der vordere Teil war höchstens zehn Millimeter dick. Er ragte aus dem mittleren, der einen Durchmesser von knapp fünfzehn Millimetern hatte und wiederum aus dem hinteren Rohrteil von etwa zwanzig Millimetern Durchmesser ragte. Dieser stärkste Rohrabschnitt ging trichterartig in die Form der Kugel über. Matt fragte sich, ob sich die Rohre ineinander schieben ließen. Er probierte es, aber sie bewegten sich nicht. »Ich kenne diese Waffe selbst nicht«, sagte er. Aus dem unteren Pol der Kugel ragte ein runder Bügel. Er verlief zunächst eine Handbreite in einem Winkel von neunzig Grad nach unten, verjüngte sich dann und bog sich von der Kugel weg zum Ende des vorderen Rohres hin. Dort und an dem senkrechten Teil direkt unterhalb der Kugel entdeckte Matt Griff rillen - und eine nicht ganz fingerlange Taste.
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Erstellte sich ans Fenster, fasste mit der Linken den Griffbügel unter dem Bohr und mit der Rechten den senkrechten Teil. Er legte den Zeigefinger auf die Taste, drückte die Kugel gegen seine Brust und zielte in die Nacht hinaus. Dann krümmte er den Zeigefinger. Die Taste ließ sich ohne Weiteres in den Kolbenbügel hinein pressen. Aber es tat sich nichts. Ein rechteckiger heller Streifen quer über dem oberen Teil der Kugel fiel ihm auf. Er hatte eine Seitenlänge von etwa fünf Zentimetern. Darunter entdeckte er ein Quadrat aus haarfeinen Linien. Er drückte mit dem rechten Daumen darauf. Es versenkte sich, schob sich unter die Oberfläche der Kugel und gab den Blick auf eine Tastatur frei. »Ein Code«, sagte Matt nachdenklich. Er blickte in die gespannten Gesichter der vier Männer. »Ich schätze, man muss eine bestimmte Anzahl von Zahlen in einer bestimmten Reihenfolge eintippen, um die Waffe zu aktivieren. Wir würden Wochen brauchen, eher noch Monate, um die Zahlen zu finden.« Enttäuschung huschte über die scharfen Züge des Blonden. Mauriz nickte verstehend und die anderen beiden machten begriffsstutzige Gesichter. Lodar nahm Matts Pistole auf. So ganz war die Skepsis noch nicht aus seiner Miene gewichen. »Und das hier? Wie funktioniert das?«, wollte er wissen. »Ich will es ausprobieren.« Matt versuchte ihm das auszureden. Er dachte an seinen begrenzten Vorrat an Munition. Es sei gefährlich, erklärte er, man müsse es lange üben und er benutze die Waffe nur im Notfall. Lodar ließ sich nicht beirren: Er bestand darauf, die Pistole auszuprobieren. Du verdammter Granitschädel, dachte Matt. »Geht zur Tür«, knurrte er in Richtung der anderen drei Männer. Er winkte Lodar zum Fenster und stellte sich hinter ihm auf. »Das nennt man einen Sicherungshebel«, erklärte er. »Leg ihn um.« Lodar tat es. »Was willst du treffen?«, fragte Matt. Er hätte dem jungen Burschen gern in den Hintern
getreten. Wenn aber durch eine kleine Schießübung sein Vertrauen gefestigt würde vielleicht machte es sich noch bezahlt... »Auf den Krug.« Ein großer Tonkrug stand auf der Tafel. Matt wies ihn an, die Arme zu strecken, eine breitbeinige Grundhaltung anzunehmen, die Waffe zu heben und Kimme und Korn in einer gedachten Linie mit dem Krug zu justieren. Dann umfasste er von hinten Lodars Handgelenke. »Einatmen und beim Ausatmen den Bügel durchziehen.« Der Schuss verursachte einen Höllenlärm in dem niedrigen Raum. Der Krug zersprang in Scherben. Lodar strahlte. Und lud Matt zu einem Becher »Bär« ein. Das erste Bier seit einem halben Jahr. Es war zu warm und etwas zu süßlich - und trotzdem schmeckte es göttlich. Matt glaubte im Paradies zu sein. Doch nur für ein paar Minuten. Dann wurde die Tür aufgerissen. Die massige Gestalt des Sumo-Ringers erschien im Türrahmen. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er schien einen Spurt hinter sich zu haben. Seine hochrotes Gesicht wirkte gehetzt. »Sie sind am Ostufer gelandet und ziehen Kanonen von den Schiffen! In spätestens einer Stunde werden sie angreifen...!« Die ganze Nacht hatte Aruula kein Auge zugemacht. Erst als schon ein grauer Streifen am östlichen Horizont herauf dämmerte, war sie in einen leichten Schlummer gesunken. Eine Detonation weckte sie. Sie fuhr hoch, sprang auf und rannte von Fenster zu Fenster des Rundturms. Durch das Ostfenster sah sie eine Rauchwolke über der Palisade der Stadt stehen. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die Konturen von Dächern und Türmen schälten sich aus dem Morgengrauen. Auf dem breiten Ackerstreifen vor der Palisade erkannte sie Menschen in braunen Hosen und Jacken. Und sie erkannte Räder mit dunklen Rohren dazwischen - Kanonen. Wieder donnerte es. Ein Geschoss explodierte auf der Krone des inneren Palisadenrings. Holzstämme wirbelten durch die Luft. Und wieder spuckte eine Kanone ihre zerstörerische Last über den Schutzwall. Wie gelähmt kauerte Aruula vor dem Fenster.
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Es war erst das zweite Mal, dass sie derartige Waffen zu sehen bekam. Auch von fern hörte sie jetzt den Lärm der Geschütze. Die Stadt wurde also von mehreren Seiten angegriffen. Es wurde heller und heller. Bald konnte Aruula die Köpfe der Männer zwischen den Palisadenspitzen erkennen. Und immer mehr von den erdfarbenen Angreifern. Gut fünfzehn Kanonen hatten sie vor dem Palisadentor in Stellung gebracht. Sie spuckten ihre tödlichen Kugeln über und gegen den Schutzwall. Bei jeder der Waffen zählte Aruula drei Männer. Plötzlich sausten kurz hintereinander drei schwere Gesteinsbrocken aus der Stadt. In hohem Bogen flogen sie über die Palisade und schlugen weit vor den Kanonen dumpf ein, ohne Schaden anzurichten. Die Katapulte waren den Kanonen hoffnungslos unterlegen. Krieger mit gezückten Schwertern erschienen in Aruulas Blickfeld, vielleicht vierzig Männer oder mehr. Einige trugen Leiterteile und Seile mit sich. Sie waren offensichtlich im Wald versteckt gewesen. Jetzt stürmte ihre breite Angriffsreihe an den Kanonieren vorbei auf den Acker hinaus und auf den Außenwall zu. Armbrustschützen tauchten auf dem Steinwall auf. Pfeile sirrten den Angreifern entgegen. Einige gingen zu Boden. Die anderen kletterten auf die Hügelkette aus lose angehäuften Steinen. Schreie wurden laut. Wütende Kampfrufe und Schmerzensschreie. Mindestens ein Dutzend der Angreifer blieben getroffen auf den Steinen liegen. Etwa dreißig aber erreichten die Krone. Mit blanken Schwertern stellten sie sich dem Kampf Mann gegen Mann. Aruula hörte die Klingen klirren, sie hörte die Schreie und den Donner der Kanonen. Wieder flogen Steine aus der Stadt; diesmal schlugen sie nicht weit von den Kanonen in die Erde ein. Der nächste Hagel traf zwei der Geschütze. Die nächste Angriffswelle rannte über den Acker gegen die äußere Palisade an. Wieder etwa vierzig Krieger. Zehn, fünfzehn brachen im Pfeilhagel zusammen. Die anderen erreichten den Wall, kamen ihrer Vorhut zur Hilfe und griffen die Verteidiger an. Deren Zahl schwand rapide. Der Rest formierte sich zu einer kleinen, vielleicht zwanzig Mann starken Truppe und
zog sich zum Doppeltor der Stadt zurück. Die Hälfte von ihnen sah Aruula im Speerund Pfeilregen der Braunen zu Boden sinken. Die andere Hälfte erreichte das Tor. Es öffnete sich einen Spalt und sie schlüpften hinein. Ein Trupp Verfolger wich ihnen bis zuletzt nicht von den Fersen. Doch vor de Pfeilhagel von der Palisade mussten sie zurückweichen. Sie konnten nicht verhindern, dass das Tor wieder geschlossen wurde. Auf dem Steinwall sah Aruula Krieger, die mit Schwertern und Äxten auf am Boden liegende Verwundete eindroschen. Die schrecklichen Szenen, die sie gestern von weitem am Waldrand beobachtet hatte, standen ihr plötzlich vor Augen. Wie erbarmungslos die Menschen in den silbergrauen Schutzanzügen abgeschlachtet worden waren. Diese kriegerischen Männer schienen niemals Gefangene zu machen ... Inzwischen wurden die ersten Leitern gegen die innere Palisade gelehnt, die ersten Enterhaken auf die Mauerkronen geworfen. Aruula sah zwanzig, fünfundzwanzig Krieger an Leitern und Seilen die Palisade hinauf klettern. Die Schützen rückten weiter vor, die Kanoniere verstärkten das Feuer. Aruula wandte sich vom Fenster ab, ließ sich mit dem Rücken gegen das moosbewachsene Gemäuer sinken und schloss die Augen. Sie fühlte sich plötzlich unendlich klein und hilflos. Und unendlich einsam. Maddrax hielt sich in der Stadt auf. Und jetzt griff dieses Mordvolk mit Waffen an, denen die Bewohner auf Dauer nichts entgegensetzen konnten. Aruula ahnte, dass die Stadt fallen würde. Und sie konnte nur zusehen, war zum Abwarten verdammt. Nichts konnte sie tun. Nichts. Pulverdampf hing über dem breiten Wiesenstreifen. Mindestens vierzig Kanonen hatten die Nordmänner vor der Westpalisade in Stellung gebracht. Im Minutentakt schlugen die Geschosse in der Stadt und in der Holzpalisade ein. Die Reihe der Bogenschützen rückte näher. Große, aufrecht stehende Holzschilder auf Rädern rollten heran. Drei Meter breit, zwei Meter hoch. Dahinter je fünf oder sechs Angreifer. Vierzehn Stück zählte Matt. Er trug noch immer die stinkende Kluft der
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Nordmänner. Sie hatten ihm ein Schlachtbeil in die Hand gedrückt. Wo immer einer der verdammten Widerhaken sich im Gebälk der Palisade verfing und ein Seil sich straffte, schlug er zu. Was sollte er sonst auch tun? Der plötzliche Angriff der Krieger hatte ihn zum Kampfgenossen der Verteidiger gemacht. Sein Job war es nun, die Seile zu kappen, an denen die Nordmänner auf die Palisade zu klettern versuchten. Und die Leitern umzustoßen, die sie dutzendweise gegen den Wall lehnten. Wenn er von Zeit zu Zeit hinter sich blickte, sah er Häuser brennen. Und die Katapulte hinter der Palisade Steinbrocken auf die Front der Angreifer schleudern. Die altertümlichen Konstrukte trafen sieben, acht Kanonen. Dreimal sah Matt ein Geschoss in einen Pulk heranstürmender Nordmänner einschlagen. Vielleicht hatten sie einige Dutzend Angreifer unschädlich gemacht. Aber sie taugten nicht, um eine Stadt gegen ein Heer zu verteidigen, dass mit Kanonen bewaffnet war. Der große Dicke hatte das Kommando über diesen Abschnitt der Palisade. Inzwischen kannte Matt auch seinen Namen: Heenrich. Er brüllte Befehle heraus, schaukelte seine gut dreihundert Pfund über den schmalen Laufsteg hinter den Holzspitzen und feuerte seine Kämpfer an. Mit dem Mut der Verzweifelten verteidigten sie ihre Stadt. Aber Matt begriff schnell, dass die Nordmänner überlegen waren. Er schätzte, dass sich weit über zweihundert Angreifer auf dem Gelände versammelt hatten. In immer neuen Wellen rannten sie gegen die Palisade an. Den äußeren Steinwall hatten sie schon im ersten Sturm erobert. An zwei Stellen hatten die Kanonenkugeln große Lücken in den Holzwall gesprengt. Dort lagen die Baumstämme kreuz und quer. Matt sah den kurzen breiten Kerl namens Walder mit etwa zwanzig Männern eine der Lücken verteidigen. Die Hälfte von ihnen war in Felle gekleidet - Mitglieder der Horde, die in der Stadt Zuflucht gefunden hatte. Neben Walder schwang der Hordenhäuptling seine mächtige Axt. In der zweiten Palisadenlücke direkt neben Matt stellten sich etwa dreißig Verteidiger den anstürmenden Rotten der Nordmänner
entgegen. Todesmutig hieben auf sie ein. Ringsum brannte das Holz. Ein hochgewachsener junger Bursche mit langen pechschwarzen Zöpfen stand in der vordersten Reihe und schlug mit einem Langschwert um sich. Er brüllte vor Wut und versuchte seinen Männern Mut zu machen. Doch Matt sah, wie sie immer weiter zurück gedrängt wurden. »Am Südtor brennt es!«, brüllte Heenrich. »Eine Lücke in der Palisade! Nordmänner in der Stadt!« Matt wusste, dass der König selbst und der Göttersprecher die Verteidigung des Südtors organisierten. Zusammen mit hundert Mann. Hundertfünfzig Krieger kämpften hier an der Westpalisade. Auf einer Länge von vielleicht hundert Metern kletterten zehn Nordmänner über die Palisade. Sie verwickelten die Verteidiger in Zweikämpfe, die weiteren zwanzig, dreißig Angreifern Zeit verschaffte, die Krone zu erstürmen. Schwertklingen kreuzten sich, Funken sprühten; das helle Klingen von auf aufeinander prallendem Metall war plötzlich von allen Seiten zu hören. Matt schlug einem Nordmann, der sich eben über die Palisade schwang, die Axt ins Genick»Der Mann stürzte in.die Tiefe zurück. Matt kappte das Seil. Vor ihm baute sich ein nasenloser Krieger auf. Matt wich zur Seite; die Klinge des Angreifers fuhr ins Holz. Matt rammte ihm die Axt gegen die Brust. Der Bursche verlor den Halt und prallte weit unten auf. Fünfzehn Schritte von Matthew entfernt focht Heenrich mit zwei Nordmän-nern. In seinem Rücken schob sich ein dritter Angreifer über den Holzwall. Sofort zog er sein Schwert gegen den Hünen. Matt blieb keine Wahl. Zum ersten Mal in diesem Kampf zog er seine Pistole und erschoss den Braunen. Der Schusslärm verwirrte die Angreifer für Sekunden. Der Schwertmeister konnte seine beiden Gegner unschädlich machen. »Danke, Fremder!«, brüllte er. Hinter Matt, in der brennenden Palisadenlücke, erhob sich ein großes Geschrei. Matt fuhr herum. Fast die Hälfte der Verteidiger lag reglos am Boden. Obwohl die Nordmänner zurückgewichen waren. Aus den Kleidern und
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Körpern einiger der Toten loderten Flammen. Der junge Kämpfer mit den schwarzen Zöpfen blickte sich um. Entsetzen lag auf seinem Gesicht. Ein gleißender Lichtstrahl durchschlug plötzlich seinen Körper. Er riss die Arme hoch und fiel rücklings auf die Leichen seiner Kampfgefährten. Die zehn übrig gebliebenen Krieger rannten in panischer Flucht davon. Und wieder zischte der unheimliche Strahl und streckte einen von ihnen nieder. Die Nordmänner hatten es geschafft, einen der erbeuteten Strahler zu aktivieren! Matt spähte zwischen zwei Stämmen hindurch auf die Front der Angreifer hinunter. Einer der Krieger hielt den Strahler und zielte in die Palisadenlücke hinein. Neben ihm der große Rothaarige. Wie hatte die schwarzhaarige Frau ihn genannt? Hairik, genau. Matt riss die Waffe hoch, zielte und drückte ab. Der Angreifer mit dem Strahler wurde nach hinten geschleudert. Nur noch fünf Kugeln übrig! Der Rothaarige bückte sich nach der Waffe und warf sich damit hinter eine der fahrbaren Holzdeckungen, bevor Matt erneut Maß nehmen konnte. Von dort aus jagte er einen Strahl in Matts Richtung. Flammen schlugen aus dem Holz neben Matthew Drax. Er warf sich bäuchlings auf den Laufsteg und robbte weiter. Zwischen zwei Stämmen hindurch zielte er auf die senkrechte Holzplanke - und entspannte sich wieder. Ein Treffer ohne deutliches Ziel war auf diese Entfernung unmöglich. Von der anderen Seite des Rollschildes zischte der Laserstrahl gegen die Palisade. Schlagartig stand sie in hellen Flammen. »Es hat keinen Sinn!«, brüllte Matt. Heenrichs hochrotes Gesicht glänzte schweißnass. Aus weit aufgerissenen Augen blickte er Matt an. Kopflosigkeit machte sich unter seinen Männer breit. Die Strahlwaffe übte einen nachhaltigen Eindruck auf sie aus. »Die Waffe ist zu mächtig! Sie werden uns überrennen!«, schrie Matt. »Besser, wir ziehen uns zurück!« Er registrierte, wie der Schwertmeister einen Boten zum Südtor schickte, um den König zu
informieren. Unter sich sah Matt die Nordmänner durch die Palisadenlücke strömen. Der Kampf war verloren. Matt kletterte von der Palisade und trat den Rückzug in die Stadt an. Ein großer Platz dehnte sich vor ihm aus. Menschen liefen in panischer Flucht durch das Tor eines langgezogenen Gebäudes. »Wir halten das Aldradhaus!«, hörte er die Stimme des Palisadenmeisters. Gefolgt von Pieroo und etwa vier Dutzend Soldaten rannte Walder über den Platz auf das Gebäude zu. Die massige Gestalt Heenrichs tauchte neben ihnen auf. »Hier lang!«, brüllte er. Zusammen mit vier Hordenleuten und sieben Kriegern der Stadt folgte Matt ihm über den Marktplatz. Nicht weit hinter ihnen erscholl das Kampfgeheul der Nordmänner. An der Schmalseite des langen Gebäudes vorbei führte der Schwertmeister sie in eine breite Straße. Matt wunderte sich, wie schnell der Mann seinen beleibten Körper bewegen konnte. Sie erreichten eine Passage und rannten hinein. Gleich am Anfang führte eine Treppe hinunter zu einer Tür. Eine dicke Kette spannte sich über den Treppenabgang. Heenrich drückte sie beiseite und schaukelte die ausgetretenen Steinstufen hinunter. Matt und die anderen drängten sich hinter ihm. Durch die Tür gelangen sie in einen kleinen Vorraum. Fackeln wurden entzündet. Matt sah eine zwei Holzräder, groß wie der Reifen eines LKWs. Je vier spindelförmige armlange Holzgriffe waren an ihren Seiten befestigt. Die Räder waren durch eine schwarze Metallwalze verbunden, aus der kleine Noppen ragten. Von der Noppenwalze aus stieg eine Kette hoch an die Deckeundverschwanddort in einem Loch. Vier von Heenrichs Kriegern packten die Griffe an den Rädern, je zwei an jeder Seite. Sie drückten die Griffe herunter; die Walze bewegte sich. Quietschend wurde die Kette aus der Decke gezogen und wickelte sich klirrend um die Walze. Gleichzeitig hörte Matt von draußen ein scharrendes Geräusch. Eine gewaltige Steinplatte schob sich über die rechteckige Öffnung des Treppenabgang. Alle packten mit an. Und schließlich krachte
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die Steinplatte in ihre Fassung. Der Zugang zur Treppe war versperrt. Die Männer schnauften und keuchten. Erschöpft ließen sie sich an der Wand entlang auf den Steinboden gleiten, während die Angst und die Anspannung langsam aus ihren Gesichtern wichen. Matt nahm eine Fackel von der Wand. Neugierig verließ er durch eine weitere Tür den Vorraum und betrat einen weitläufigen Gewölbekeller. Der fette Heenrich folgte ihm. »Unser Auerbachkeller«, krächzte er. Matt ging unter den Säulenbögen hindurch und leuchtete den Keller aus. Er sah Ambosse, Schmiedehämmer, Regale mit Stangen von Roheisen, Wasserbecken mit Schwertern und Axtscheiden darin. In zwei Essen glühte noch das Feuer. Holz stapelte sich bis zur Decke. Er drehte sich zu dem Schwertmeister um. »Und was tun wir jetzt?«, fragte er. Der Dicke hob ratlos die Schultern. »Wudan wird es wissen...«
demnach zweihundertfünfzig oder mehr sein. Jemand schrie seinen Namen unter der Palisade. Mauriz drehte sich um. Ein junger Krieger winkte mit beiden Armen. Ein Bote von Heenrich. Mauriz kletterte von der Palisade. »Sie haben die Palisade durchbrochen«, keuchte der Bote. Er rang nach Luft. »Sie haben eine Waffe, die Blitze schleudert...« Mauriz' Augen wurden zu Schlitzen. Er hatte schlechte Nachrichten erwartet. Aber diese war so schlecht, dass ihm für Sekunden der Atem stockte. »Walder und Pieroo haben sich mit fünfundvierzig Kriegern ins Aldradhaus zurückgezogen!« fuhr der Bote fort. »Etwa fünfzig Bürger sind bei ihnen! Heenrich ist mit einer kleinen Truppe in den Auerbachkeller geflohen!« »Wie viele Gefallene?« Mauriz Stimme klang tonlos. Er hatte die Zahl längst im Kopf überschlagen. »Siebzig oder achtzig«, keuchte der Mann. »Ich weiß es nicht... manche sind geflohen ... die Nordmänner machen alle Verwundeten nieder ...« Mauriz drängte sich von hinten an die Kämpfenden heran, die um den König herum die Lücke verteidigten. »Die Westpalisade ist gefallen!« »In den Zahnl«, schrie Lodar. Mauriz zog die Armbrustschützen von der Palisade ab und ließ sie rechts und links der Lücke Aufstellung nehmen. Lodar und seine Leute wandten sich um und liefen quer über den Platz auf den Turm zu. Die Nordmänner blieben zunächst verblüfft stehen. Dann setzten sie ihnen nach. Ein Pfeilhagel der Armbrustschützen ließ sie reihenweise zu Boden sinken. Trotzdem gelang es einem Dutzend Nordmänner, Lodars Truppen bis in die Eingangshalle des Zahns hinein zu verfolgen. Hinter ihnen krachte die schwere Steinplatte des Not-Tores vor das Portal. Die Eindringlinge hatte keine Chance. Lodar und seine Kämpfer drangen auf sie ein und töteten alle. Während Männer, Frauen und Kinder an Mauriz vorbei die Treppe hinauf stürmten, zählte er durch. Genau hundertachtundzwanzig Menschen hatten es geschafft, sich in die
* Auf einer Länge von zwanzig Schritten war die Süd-Palisade zerstört. Ein doppelt so langer Abschnitt stand in Flammen. Die Barriere hatte dem Kanonenbeschuss der Nordmänner keine vier Stunden lang standgehalten. Mauriz sah die große Gestalt Lodars in der Lücke stehen. Nach allen Seiten teilte er Schwerthiebe aus. Angespornt vom unbeugsamen Mut ihres Königs kämpften links und rechts von ihm etwa dreißig Krieger gegen die anstürmenden Nordmänner. Sie waren schon in die Stadt eingedrungen gewesen - doch Lodar und seinen Kämpfern war es gelungen, sie zurückzudrängen. Mauriz selbst stand auf der Palisade. Mit einem Speer stach er auf die Angreifer ein, die auf den Wall zu klettern versuchten. Der Göttersprecher wusste längst, dass die Hauptangriffswelle der Nordmänner an der westlichen Palisade in der Höhe des Aldradhauses gegen die Stadt brandete. Hier, vor dem Südtor, zählte er hundertdreißig bis hundertfünfzig Nordmänner. An der westlichen Seite der Stadt mussten es
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königliche Fluchtburg zu retten. Etwa fünfundsechzig davon trugen Waffen. Also hatten sie über dreißig Mann am Südtor verloren. Mauriz ließ zehn Kämpfer als Wachen im Erdgeschoss zurück. Dann folgte er den anderen in den siebten Stock. Dort lehnten schon die Armbrustschützen aus den Fenstern und schössen auf die heranstürmenden Nordmänner. Aus den Fenster über dem Eingangsportal warfen Männer und Frauen Steine auf die Angreifer hinunter. So lange, bis sich keiner mehr in den Eingangsbereich vorwagte. Die Steinplatte des Not-Tores würde einem Rammbock lange standhalten. Aber nicht ewig. Besser war es, die Eroberer aus der nächsten Nähe des Portals zu vertreiben. Die Fenster der ersten sechs Stockwerke waren zugemauert. Und höher hinauf reichten die Leitern der Angreifer nicht. Auch die Widerhaken mit den Seilen konnte man nur schwer in diese Höhe werfen. Und sollte sich doch einer in den Fensterrahmen verkeilen, würde man ihn sofort entdecken und das Seil kappen. Nach etwa einer Stunde zogen sich die Nordmänner bis an die zerstörte Palisade zurück, wo auch die Pfeile der Armbrustschützen sie nicht mehr erreichen konnten. »Was schlägst du vor, Lodar?«, wandte der Göttersprecher sich an den König. »Wir müssen uns auf eine lange Belagerung einstellen. Lass die Leute in den Räumen dieses Stockwerks lagern«, sagte Lodar. »Sorg dafür, dass die Vorräte aus dem Keller hochgeschafft werden. Ich organisiere Wachschichten.« Mauriz glaubte nicht an eine lange Belagerung. Aber er sprach es nicht aus.
südlichen Fenstern. Mauriz sah lauter bleiche Gesichter und starre große Augen. Niemand sprach ein Wort. Die ersten Kanonenkugeln donnerten gegen die Fassade. Das Haus vibrierte. Fassadenteile schlugen unten auf dem Platz auf. Die Nordmänner jubelten bei jedem Treffer. Und natürlich verfehlte keine einzige Kugel den Zahn. Die Kanoniere der Nordmänner tasteten sich an der Hausfassade entlang zum siebten Stockwerk hinauf. Das Gebäude erzitterte bei jedem Treffer. Immer näher rückten die Einschüsse an die Fensteröffnungen heran, hinter denen die Eingeschlossenen voller Angst hinab sahen. »Hoch in die Königsetage!«, befahl Lodar. Hastig rafften die Menschen ihre Habseligkeiten zusammen und drängten sich in das Treppenhaus. Als das erste Geschoss durch eine der Fensteröffnungen zischte und in den Räumen explodierte, befand sich niemand mehr in der siebten Ebene. Eine halbe Stunde später blickte Mauriz aus einem Südfenster des zwanzigsten Stockwerks aus auf den Vorplatz hinunter. Er sah Rauch aus den unteren Fenstern quellen. Die Nordmänner hatten einen Rammbock herbei geschafft und machten Anstalten, ihn gegen das Not-Tor vor dem Eingangsportal in Stellung zu bringen. Lodar ließ Steine aus den unteren Stockwerken auf die Angreifer hinab werfen. Und er schickte zwanzig Männer zurück, um das Feuer zu löschen. Ein raffiniertes Wasserleitungssystem, das Mauriz' Großvater konstruiert hatte, sorgte seit zwei Generationen dafür, dass Regenwasser in verteerten Bottichen auf dem Dach des Zahns gesammelt und in Behälter auf den einzelnen Stockwerken strömte. Mit Ledereimern schöpften sie das Wasser aus den Behältern und löschten den Brand. Gegen Abend hörte der Beschuss auf. Neugierig und erleichtert zugleich drängten sich die Eingeschlossenen an den Fenstern und sahen hinunter. Auf dem Vorplatz nahe der Palisade strömten die Nordmänner zusammen. Sie zerrten Frauen und Kinder auf die Mitte des Platzes.
* Bis zum späten Nachmittag hatten sie Ruhe. Dann aber zogen die Nordmänner ihre Kanonen auf den Platz vor den Zahn. Zwanzig Geschütze zählte Mauriz. Auch die Katapulte brachten sie gegen das Hochhaus in Stellung. Lodars Truppen hatte es in der Hektik des Rückzuges nicht geschafft, sie anzuzünden. Männer und Frauen drängten sich an den
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»Sie haben Gefangene gemacht«, sagte Lodar leise. Sein Gesicht sah hart und bleich aus. Als wäre es aus Marmor gemeißelt. »Aber wie? Alle Einwohner sind hier oder im Aldradhaus!« Eine Frauenstimme schrie laut und durchdringend. Mauriz konnte die Frau unter den Gefangenen ausmachen. Ihr Körper wand sich unter dem Griff zweier Nordmänner. Sie hielten sie fest, während sich ein dritter mit erhobener Axt näherte. »Weg von den Fenstern!«, schrie Lodar. Die Krieger trieben die entsetzten Männer, Frauen und Kinder in den Raum zurück, bevor die scharfe Klinge auf den Kopf der Frau nieder fuhr. Mauriz starrte hinunter auf das Gemetzel. Die Nordmänner hatten gar nicht vor, die Belagerten zu erpressen, wie er zunächst gedacht hatte. Diese Bestien töteten alle Gefangen! Mauriz wandte sich ab. Er scheuchte die Leute aus den Südräumen hinüber auf die Nordseite des Zahns. Lodar stand an einem der Fenster und starrte hinaus. Mauriz sah seine Kaumuskulatur arbeiten. Er trat neben ihn und blickte hinunter auf die abendliche Stadt. Aus einigen Dächern schlugen Flammen. Das größte Feuer aber brannte am Marktplatz. Dos Blitzrohr! Wie ein Messer bohrte sich der Gedanke in Mauriz' Hirn. Sie haben das Blitzrohr gegen das Aldradhaus eingesetzt... Hinter dem brennenden Aldradhaus sah Mauriz eine Gruppe Männer über den Saxenplatz rennen. Sie trugen nicht die erdfarbene Kleidung der Angreifer. Wahrscheinlich war einigen Männern aus der Truppe des Palisadenmeisters die Flucht gelungen. Sie liefen auf die Nordpalisade zu. »Die gefräßigen Hunde aus dem Norden haben das Aldradhaus erobert«, flüsterte der König. »Walder hat es nicht halten können ...« »Sie haben ein Blitzrohr.« Mauriz Stimme klang brüchig. Lodar fuhr herum. Mauriz betreute und erzog ihn seit seiner Geburt. Seit dreiundzwanzig Jahren also. Doch zum ersten Mal sah er panisches Entsetzen im sonst so unbeugsamen Blick des Königs. »Was sagst du da ...?«, flüsterte Lodar. Den ganzen Tag über hatte sich der
Kanonendonner in ihre Fieberfantasien gemischt. Fantasien, in denen Eve als Del-fin über die Wellen des Ozeans sprang. In ihren Ohren rauschte erhitztes Blut - das Rauschen des Meeres. Ihr Gesicht glühte - die heißen Strahlen der Sonne. Der Sonne, die sie nur aus uralten Videoaufzeichnungen gekannt hatte, bevor sie die Community verließ. Eve war allein im Zelt. Die dunkelhaarige Frau hatte es schon vor einer Stunde verlassen. Oas, was sich jenseits des Flussbeckens in der Stadt abspielte, schien sie in die Dämmerung hinaus gelockt zu haben. Wenigstens hatte sie Eve einen Krug Wasser gebracht. Und den Fliesanzug hatte sie ihr auch wieder angezogen. War es Erbarmen? Oder eiskalte Kalkulation: Wenn Eve starb, würde ihren Gedanken auch kein Geheimnis mehr zu entreißen sein. Der Kanonendonner verstummte. Kurz darauf wurde die Plane vor dem Eingang des Zeltes aufgeschlagen. Draußen war es schon so dunkel, dass die Zeltkuppeln zu einer schwarzen Wand verschwommen. Der Himmel darüber leuchtete unnatürlich hell. Irgendwo am Horizont brannte es. Eves Gegnerin betrat das Zelt, eine Fackel in der Hand. Über Eve blieb sie stehen. Triumphierend lächelte sie zu der Todkranken hinab. Etwas schien geschehen zu sein, das ihre Stimmung hob. »Hairik kommt erst morgen«, sagte die Frau. »Hat noch in Stadt zu tun.« Sie stieg über Eve hinweg und setzte sich hinter sie auf den Boden. »... hat nach in der Stadt zu tun ...« Der Kanonendonner hatte eine deutliche Sprache gesprochen. Das brutale Gemetzel zwischen den EWATs vor zwei Tagen stand plötzlich schmerzhaft klar vor Eve Carlyles Augen. Wut und Scham drückten ihr die schmerzende Brust zusammen. Eve war überzeugt davon, dass Hairik das LP-Gewehr benutzte, um das zu erledigen, was er in der Stadt zu tun hatte .. . Ein Hustenanfall schüttelte sie. Sie rang nach Luft. Das Innere ihres Brustkorbes fühlte sich an, als wäre es mit heißen feuchten Lappen ausgestopft. Eve hatte nie gelernt, sich selbst zu belügen: Von Stunde zu Stunde wurde sie schwächer. Bald würde sich ihre mentale Schutzhülle in Fieberträumen auflösen. Und der
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nahe Tod würde farbenprächtige Träume aus allem bauen, wonach sie sich sehnte: aus den Bilder vom Bunker, aus den Gewölben unter der Erde, aus dem Tor im Felsen und aus dem Weg zur Insel... ,
unsicher an. »Wartet.« Matt hob die rechte Hand. »Wenn ihr euer Leben schon wegwerfen wollt, dann lasst uns wenigstens eine letzte Chance nutzen.« Zwölf Augenpaare richteten sich fragend auf ihn. »Du hast einen Plan, Fremder?«, fragte Heenrich. »Sprich.« »Ich trage noch immer die Kleidung der Nordmänner«, erklärte Matt. »Wenn ich in der kommenden Nacht ins Freie gelange, kann ich einige von ihnen vielleicht täuschen und in eine Falle locken. Dann hätten wir weitere Kleider und könnten zu Mehreren versuchen, die Strahlenwaffe zu erobern.« Heenrich nickte langsam. Sein Doppelkinn wippte auf und ab. Ächzend erhob er sich. Mit der Öllampe verschwand er im Kellergewölbe. Matt hörte Papier rascheln. Mit einem handgezeichneten Plan ließ sich der Schwertmeister wieder bei der Gruppe nieder. Die Männer rückten zusammen. »Vor vierzig Jahren haben unsere Väter begonnen, ein unterirdisches Gangsystem durch die Stadt zu graben«, erklärte der Dicke. Nur zwei Gänge sind bisher fertig. Der Erste ist sehr lang. Er führt von der Maurizbastei unter der Palisade hindurch bis zum Flusshafen. Lodar und Mauriz werden die Stadtbewohner, die sich mit ihnen in den Zahn geflüchtet haben, auf diesem Weg aus der Stadt führen, wenn sie merken, dass das Königshaus nicht zu halten ist.« »Und der zweite Gang?«, wollte Matt wissen. »Der führt von diesem Keller nach Osten bis zum Wudantempel.« Heenrichs fleischiger Zeigefinger verfolgte eine Linie quer durch die Stadt bis zu einem Gebäude in der Nähe der Ostpalisade. »Die Priester nennen den Tempel Niggolaigirche. Etwa hundert Schritte davor gabelt sich der Gang. In südlicher Richtung soll er einst zum Zahn führen. Er ist noch nicht fertig. Die Abzweigung nach Norden führt zum Wudantempel. Der Gang endet unter dem großen steinernen Altar.« Wieder hingen zwölf Augenpaare an Matt.
* Sie beschwor die Bilder des Ozeans herauf. Die brausenden Wogen und den tanzenden Delfin. Sie verscheuchte den Nachhall des Kanonendonners aus ihren Ohren und überließ sich dem Rauschen des Meeres. Noch widerstand Commander Eve Carlyle... * Eine furchtbare Nacht lag hinter ihnen. Matt hatte kein Auge zugemacht. Keiner der Männer hatte Schlaf gefunden. Bis in die Morgenstunden hinein knallten Stiefelsohlen durch die Bassaasche. Stimmen riefen sich in der harten Sprache der Nordmänner Parolen und Befehle zu. Raues Gelächter war zu hören, und andere Stimmen: das Wimmern Sterbender, die Angstschreie Gefolterter und die klagenden Hilferufe misshandelter Frauen. Schweigend hatten sie in der Dunkelheit des Gewölbekellers gesessen und mitgelitten. Matt hörte leises Weinen um sich. Es war scheußlich, mitanzuhören, was dort oben in der gepeinigten Stadt vorging, und vollkommen ohnmächtig zu sein. »Sie haben das Aldradhaus erobert«, sagte Heenrich, der Schwertmeister irgendwann. »Wo sonst sollten sie so viele Gefangene gemacht haben?« »Mit dem Strahler werden sie auch euer Hochhaus erstürmen«, sagte Matt leise. Heenrich entzündete eine Öllampe. Ernst und traurig blickte er Matt an. »Dann will ich nicht mehr leben. Wir werden den Keller verlassen und kämpfen, bis wir sterben.« Er sprach mit rauer schleppender Stimme. »Wer von euch geht mit mir?« »Wir gehen mit«, sagte einer der jungen Kämpfer aus seiner Truppe. Die anderen sechs nickten. Die vier Hordenleute blickten sich
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Diesmal erwartungsvoll. »Lasst uns essen und trinken«, sagte der. »Danach packen wir Proviant und Waffen zusammen und machen uns auf den Weg.« Die Wände zitterten, das Gebäude schwankte. Auf der langen Tafel in Lodars Saal sprangen Krüge und Becher auf und nieder. An manchen Stellen löste sich die Holzvertäfelung von den Wänden. Vom Sonnenaufgang bis zum frühen Nachmittag beschossen die Nordmänner den Zahn nun schon mit Kanonenkugeln und Gesteinsbrocken. Dicht an die Wand gepresst standen Mauriz und Lodar neben einer Fensteröffnung. Unter ihnen quoll Rauch aus den Fenstern. Bis hinauf ins achtzehnte Stockwerk reichten die Kanonen der Angreifer. Unten auf dem Platz rings um den Zahn herum häuften sich Schutthalden aus herabgestürzten und zerbrochenen Fassadenteilen. Fast alle männlichen Erwachsenen waren im Gebäude unterwegs, um die Brände zu löschen. Die beim König und beim Göttersprecher verbliebenen Kinder und Frauen warfen Steine auf die Nordmänner hinab, wann immer diese mit ihrem Rammbock gegen das Not-Tor anrannten. Dann plötzlich hörte der Beschuss auf. »Sind ihnen endlich ihre verfluchten Kugeln ausgegangen?«, zischte Lodar. »Nein.« Mauriz deutete auf den zerstörten Teil der Palisade. Silhouetten von übermannsgroßen Kreaturen tauchten dort auf. Langschnäuzig und mit schwarzgrauem Pelz. »Da sind Taratzen! Der Leichengeruch hat sie angelockt.« Ein großes Rudel der Riesenratten kletterte über die Trümmer der Palisade und setzte in großen Sprüngen auf den Belagerungsring der Nordmänner zu. Mauriz und Lodar zählten sechsunddreißig Taratzen. Schreie wurden unten auf dem Platz laut. Bogenschützen gingen in Stellung, Kanonen wurden neu in Stellung gebracht. Unter dem Jubel der Eingeschlossenen, die sich nach und nach an den Fensteröffnungen versammelten, fielen die Bestien die Reihen der Nordmänner an. Die konnten ihre Kanonen nicht mehr zum Einsatz bringen. Ein wilder Kampf begann.
»Eluus!«, schrie ein Kind. Mauriz blickte über den Urwald, der sich endlos nach Süden erstreckte. Ein Eluupaar flog dicht über den Baumwipfeln heran. Die Bewohner von Laabsisch brüllten vor Begeisterung. Sie schöpften Hoffnung und Mut. Davon war Mauriz weit entfernt. Natürlich erfüllte es auch ihn mit grimmiger Freude, als er sah, wie c ie Taratzen einen Nordmann nach den anderen zerfleischten. Und natürlich gönnte er diesem grausamen Volk die Schnabelhiebe und tödlichen Greife der Eluus. Aber in seinen Augen war das ein Zwischenspiel, ein kurzes Aufatmen vor dem Untergang. Die riesigen Schuppeneulen senkten sich auf die Nordmänner herab. Ihr hartes Gefieder schien unempfindlich gegen ihre Pfeile zu sein. Allein ihr Anblick löste eine Panik unter den grausamen Kriegern aus. Ihre Reihen zerfielen. Hals über Kopf flohen sie aus Mauriz' Blickfeld in die Stadt hinein. Die beiden Eluus griffen sich ihre menschliche Beute, flatterten über die Palisade und ließen sie dort aus großer Höhe auf den Ackerstreifen fallen. Sie flogen einen weiten Kreis und kehrten zurück, um unter die Toten und Verwundeten zu stoßen. Die Taratzen zerrten indes mindestens zehn Nordmänner mit sich aus der Stadt. Und dann .geschah, was Mauriz vorausgesehen hatte. In dicht gestaffelter Front rückten die Nordmänner an. Pfeile und Speere flogen. Und ein dünner gleißender Strahl löste sich aus der Angriffstaffel und fuhr durch einen der Eluus. Der Riesenvogel schlug mit dem Flügeln und schrie. Wieder traf ihn ein Strahl. Das Tier schaffte es noch, sich über die Palisaden zu schwingen. Dahinter prallte es auf den Ackerstreifen. Flammen schlugen aus seinem Schuppengefieder. Auch der zweite Eluu wurde getroffen. Er zog eine Rauchfahne hinter sich her, als er kreischend nach Süden floh. Mauriz sah, wie er etwa zehn Speerwürfe entfernt durch das Blätterdach des Waldes krachte. Die Taratzen ergriffen die Flucht. Bis an die zerstörte Palisade setzten die Nordmänner ihnen nach und schickten ihnen den tödlichen
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Feuerstrahl hinterher. Über die Hälfte der Bestien verendete brennend kurz vor dem Waldrand.
Beide schienen ihr doppelt so schwer wie sonst. Aruula stieg vom Turm herab. Auf bleiernen Beinen schleppte sie sich aus der Ruine in den Urwald hinein. Der quälende Durst trieb sie zum Fluss. Es war schon fast dunkel, als sie ihn erreichte. Aruula ließ Schwert und Container im Schilf liegen, warf sich bäuchlings ins seichte Uferwasser und trank wie eine Verdurstende. Nicht weit von ihr raschelte es im Schilf. Leise richtete sie sich auf und spähte über die kaum noch voneinander zu unterscheidenden Schilfrohre. Schatten bewegten sich durch das Schilf! Bei jedem Schritt wippten ihre Köpfe. Aruula duckte sich und wartete, bis sie kaum noch fünf Schritte von ihr entfernt waren. Die Umrisse großer Vögel wurden deutlich. Ihre spitzen Köpfe mit den langen Schnäbeln ragten aus dem Schilfrohr. Aruula sah schlanke gebogene Hälse und große Körper auf langen Beinen. Sie atmete tief durch. Dann stieß sich ab und hechtete vor. Die Vögel stießen aufgeregte Krächzlaute aus. Vier von ihnen konnten fliehen und erhoben sich flatternd über den Fluss. Den fünften bekam Aruula am Hals zu fassen. Das Tier krächzte jämmerlich, schlug mit den Flügeln und strampelte mit den Stelzenbeinen gegen Aruulas Bauch. Mit beiden Fäusten packte sie zu und drehte dem Vogel den Hals um. Es knackte zwischen ihren Fingern; der Vogel erschlaffte. Sie rupfte ihm die Brustfedern ab und schlachtete ihn mit ihrem Schwert. Wenig später kaute sie auf dem rohen Fleisch herum. Ein weithin sichtbares Feuer zu entfachen war zu gefährlich. Sie versuchte langsam und kräftig zu kauen, bevor sie das Fleisch herunter würgte. Es war kein schmackhaftes Mahl, aber sie wurde satt. Neue Kraft strömte durch ihre Glieder. Nach dem Essen ging sie zum Wasser, um erneut zu trinken und sich das Blut abzuwaschen. Sie kniete am flachen Ufer und tauchte den Kopf ins Wasser. Als sie in wieder heraus zog, seufzte sie erleichtert. Das erste Ziel war erreicht - ein voller Bauch. Sie blickte vor sich ins Wasser. Das Spiegelbild ihres Schattens wurde durch das bewegte Wasser verzerrt, doch langsam glättete sich die Oberfläche.
* Der Jubel an den Fenstern war längst verstummt. Die Nordmänner formierten sich wieder auf dem Platz vor dem Zahn. »Wir sollten uns endlich in die Bastei zurückziehen«, sagte Mauriz leise. Ein dünner Feuerstrahl zischte wie zur Bestätigung seiner Worte durch eines der Fenster und fuhr in die vertäfelte Decke, die sofort in Flammen stand. Den Kopf zwischen den Knien kauerte Aruula im Turmgewölbe. Sie lauschte in die Stadt hinein. Wie schon mehrfach in den vergangenen beiden Tagen und Nächten. Jedesmal war ihr ein Chaos entgegen geschlagen, ein Gewirr von ängstlichen, zornigen und mordlustigen Geistern. Nur wenige klare Bilder, die nicht von Panik, Verzweiflung und Hass verzerrt waren. Einmal war ihr, als hätte sie Maddrax' Geist berührt. Aber nur einmal und dann nicht mehr. Resigniert richtete sie sich auf. Sie war einfach zu erschöpft, um noch konzentriert lauschen zu können. Hunger und Durst hatten sie ausgelaugt. Und das Entsetzen über die Szenen, die sich hinter der teilweise zerstörten Palisade abspielten. Sie musste hinunter in den Wald. Sie musste etwas essen und trinken. Sie musste -auch wenn es noch so gefährlich war. Noch einmal blickte sie über die Dächer der Stadt. Rauchwolken stiegen an einigen Stellen zwischen den Häusern auf. Feuerschein spiegelte sich im Dunst der Dämmerung, der über schon über den Dächern lag. Das riesige Haus bestand in den mittleren Stockwerken und an der linken Seite nur noch aus Metallstreben. Rauch quoll aus dem dunklen Gerippe. Und immer wieder fuhr ein kerzengerader Blitz in das Gebäude und entfachte neue Feuer. Die Stadt war verloren - kein Zweifel. »O Maddrax«, seufzte Aruula, »wo bist du ...?« Sie warf sich das Fell über. Der Hunger ließ sie frösteln. Ihr Schwert und Maddrax' Container schnallte sie sich auf den Rücken.
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Und Aruula erkannte die dunklen Umrisse von Menschen, die hinter ihrem Spiegelbild aufragten! Ihre Lungen schienen sich mit Eis zu füllen, als sie reflexartig Luft holte und sich nach vorn in den Fluss warf. Zu spät! Eiserne Hände griffen nach ihren Fesseln und zogen sie aus dem Wasser. Sie strampelte verzweifelt, warf sich auf den Rücken. Zwei Schatten sprangen neben sie in den Fluss. Eine nach Feuerbrand stinkende Hand presste sich auf ihren Mund. Das Gesicht eines Mannes beugte sich zu ihr herab. Ein breites ausdrucksloses Gesicht. Der Mann legte seinen Zeigefinger auf die Lippen. »Psst«, machte er. Die Griffe um ihre Handgelenke und Knöchel lockerten sich. Aruula sprang auf. Sie waren zu siebt. Mindestens zwei waren in schwarze Felle gehüllt, die anderen trugen Lederhelme auf den Köpfen und Brustharnische um die nackten Oberkörper. Sie waren mit Schwertern, Äxten und Armbrüsten bewaffnet. Alle stanken sie nach Blut, verbranntem Haar und Rauch ... Matt stemmte sich aus der quadratischen Öffnung nach oben. Er zog die Beine aus dem Schacht und richtete sich auf. Sein Kopf stieß gegen eine Steinplatte. Ein Lichtschein näherte sich unter ihm. Heenrich reichte ihm eine Öllampe hinauf. Matt leuchtete den steinernen Kasten aus, in dem er gelandet war - der Hohlraum unter dem Altar in Wudans Tempel. An einer der Längsseiten entdeckte er die Ritzen des Türchens, das der Schwertmeister beschrieben hatte. Matt stellte die Lampe ab und lauschte. Minuten verstrichen. Erst als Matt ganz sicher war, dass sich außerhalb des Hohlraums niemand im Tempel aufhielt, fasste er den Metallbügel am Außenrand der Steinplatte undzog sie auf. Scharrend öffnete sie sich. Die Scharniere quietschten. Matt nahm die Lampe und schlüpfte aus dem Steinkasten in die Dunkelheit des Tempels. Es, war kühl. Heenrich reichte ihm eine Axt aus der Altaröffnung. Matt blickte sich um. Holzvertäfelte, mit reichen Schnitzereien versehene Wände liefen
in einem Rundbogen an der Stirnseite des ehemaligen Kirchenschiffes zusammen. Dort fiel der Lichtschein der Öllampe auf ein großflächiges Gemälde. Es zeigte einen großen, vierzackigen gelben Stern. Aus dem Zentrum des Stern blickte Matt ein menschliches Auge an. Die Formen und Farben waren so perfekt komponiert, dass Matthew einen Moment geneigt war, an ein echtes Auge zu glauben. Der Stern war von einem regenbogenfarbenen Kreis umgeben. An seinem äußeren Rand glänzten unzählige kleine Sterne. Wudan und sein Götterheer, dachte Matt. Er wandte sich dem Hauptschiff zu. Am Altar vorbei betrat er ein gewaltiges Gewölbe. Es wurde von mächtigen Säulen getragen, die wohl zehn, zwölf Meter hoch aufragten. Der Lichtschein der Lampe war zu schwach, um die Kuppeln über Matt vollständig ausleuchten zu können. Obwohl er auf Zehenspitzen durch die Tempelhalle schritt, hallte jedes Schaben seiner Stiefelspitzen aus der Dunkelheit zurück. Auch die Geräusche seiner Kampfgefährten hörte er überdeutlich - einer nach dem anderen schlüpfte aus dem Altar und suchte in der ehemaligen Kirche Deckung. Matt näherte sich dem Tempeleingang. Wie riesige Rohre wanderten die Säulen an ihm vorbei. Zwei von ihnen waren Baumstämme. Die Schnitzereien bildeten das lange Rippenmuster der Originalsäulen nach. Lehnenlose Bänke aus nur oberflächlich bearbeiteten halben Holzstämmen reihten sich zwischen den Säulen. Am Ausgangsportal löschte Matt die Lampe und lauschte wieder. Sein Problem war: Sie hatten den Originalhelm in den Königsräumen des Hochhauses liegen lassen. Im Keller der Waffenschmiede hatten sie eine Kappe aus hellem Leder zurecht geschnitten. Anstelle des blonden Haars hing ein Bastzopf aus der Öffnung am Hinterkopf. Bei Dunkelheit würde man zweimal hinschauen müssen, um den Betrug zu erkennen. Vorsichtig öffnete Matthew Drax einen Flügel des schweren Holzportals. Nichts zu hören. Immer noch die gusseiserne Klinke in der Hand, schob er sich aus dem Türspalt.
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Sie tauchten so unerwartet an der Seite der Vortreppe auf, dass Matt zunächst wie eingefroren vernarrte. Sie waren zu viert. Drei hatten Bögen geschultert, einer war mit einem Schwert bewaffnet. Sie blieben stehen und blickten zu ihm hoch. Was dann geschah, hatte Matt nicht geplant. Er war in diesen Sekunden weit davon entfernt, einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn einen Plan austüfteln zu können. Wie von selbst hob sich sein Arm und seine Hand winkte die vier Krieger zu sich heran. Vielleicht war es das Wissen um die militärische Organisation der Nordmänner; Soldaten pflegten erst einmal zu gehorchen und später Fragen zu stellen - wenn überhaupt. Die vier Nordmänner stiegen die Vortreppe hinauf. Matt deutete in den Tempel und gestikulierte, als hätte er darin jemanden entdeckt. Wie ein Hammerwerk dröhnte der Herzschlag in seiner Brust. Als sie noch drei Schritte von ihm entfernt waren schlüpfte er durch den Türspalt in die ehemalige Kirche zurück. Die Krieger folgten ihm und betraten das hohe Gewölbe. Zögernd lösten sie sich vom Eingangsbereich. Einer flüsterte etwas in Matts Richtung. Er deutete zum Altar und legte gleichzeitig den Finger auf die Lippen. Einem der Männer fehlten die Lippen, zwei anderen wucherten Hautlappen anstelle von Nasen, dem vierten klaffte ein langer Spalt im vorderen Bereich des Oberkiefers. Drei von ihnen trugen Ledermasken. Die vier betraten den Mittelgang. Als er sich umwandte, sah Matt hinter ihnen die Schatten seiner Kampfgefährten aus der Deckung der Säulen gleiten. Ein Scharren ließ die Braunen herum fahren. Bevor sie sich auf die neue Situation einstellen konnten, fielen Heenrich und seine Männer über sie her. Auch Matt riss sein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf die völlig überraschten Nordmänner. Es war ein ungleicher Kampf. Die Schreie der Invasoren erstickten in gurgelndem Röcheln. Schnell zogen die Gefährten den Toten die stinkenden Kleider aus. Auch die Zöpfe
schnitten sie ihnen ab. Heenrich befahl seinen Männern, die Leichen auf die Empore zu schleppen. Danach wählte er drei Männer aus, die Maddrax und ihn begleiten sollten. Der Schwertmeister nahm sich die Tracht des größten der vier Nordmänner. Er konnte die Jacke nicht schließen und musste die Hose mit einem Strick zusammenbinden. Trotzdem bestand er darauf, mit Matt auf die Suche nach dem Strahler zu gehen. Zu fünft verließen sie die alte Kirche und entfernten sich von ihr. Heenrich deutete zum Dach. Matt blickte hinauf - und sah das von Flammen erhellte Spitzdach des Hochhauses ein Stück hinter dem Kirchturm in den Himmel ragen. Er nickte. Als wären sie eine Patrouille der Nordmänner, marschierten sie an der Kirche vorbei Richtung Südtor ... Einer der sieben Männer war sehr klein und sehr breit. Die anderen nannten ihn »Walder«. Aruula begriff schnell, dass er der Anführer der Gruppe war. Die drei Männer in den Fellmänteln gehörten zu einer Horde der Wandernden Völker. Sogar ein Häuptling war dabei. Er nannte sich »Pieroo«. Die Männer stanken nicht nur nach Feuer und Blut - sie sahen auch so aus, als wären sie gerade aus einem blutigen, brennenden Inferno geflüchtet. Wunden zogen sich über ihre Gesichter und Arme, ihre Haare waren versengt, und trotz der Dunkelheit konnte Aruula die feucht verklebten Stellen auf ihren Fellmänteln sehen. Es bedurfte nicht vieler Worte, um sich mit ihnen einig zu werden. Pieroo, der Häuptling machte ihr klar, dass die Gruppe die in die Stadt eingedrungenen Nordmänner von außen bekämpfen wollte. Aruula dachte an Maddrax, der sich ebenfalls innerhalb der Mauern aufhielt, und nickte. Sie würde jeden Weg gehen, um ihn zu finden. Durch das Schilf gras pirschten sie sich am Flussufer entlang bis zum Hafenbecken. Die klobigen Umrisse der Schiffe schälten sich aus dem Dunst und der Dunkelheit. Auf der gegenüberliegenden Uferseite sah Aruula Feuerschein. Die Nordmänner hatten also Wachen im Lager zurückgelassen. Auch auf
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dem Oberdeck der Schiffe entdeckten sie Lichter. Schatten bewegten sich entlang der Reling. Sie schlichen an das erste Schiff heran. Etwa eine Viertelstunde lang beobachteten sie das Oberdeck. Sie zählten nicht mehr als zwei Wachen. Walder, der die Barbaren für die geschickteren Jäger hielt, bedeutete ihnen, das Schiff zu entern. Pieroo und einer seiner Kämpfer schlüpften aus ihren Fellmänteln. Sie klemmten sich Messer zwischen die Zähne und glitten lautlos ins Wasser. Bäuchlings auf den Grasboden ge-presst warteten Aruula und die Männer. Zäh krochen die Minuten dahin. Irgendwann hörte man ein Plätschern und nicht lange danach einen dumpfen Schlag, als wäre ein schwerer Körper auf den Decksplanken geprallt. Dann tauchte ein Schatten an der Bugreling auf und winkte. Walder schickte zwei seiner Kämpfer auf das Schiff. Sie sollten Feuer in dessen Rumpf legen. Zwei weitere Schiffe enterten sie auf diese Weise. Unter Deck, auf der Höhe der Schaufelräder, stießen sie auf gewaltige eiserne Gebilde, die keiner von ihnen einordnen konnte. »Maschinen«, flüsterte Aruula. Den Begriff hatte sie von Maddrax gelernt. In großen Eisenkästen neben den Maschinen fanden sie glühende Kohlen. Und gegenüber in einem rußigen Raum massenhaft Kohle und Holz. Sie verteilten es unter Deck und zündeten es an. Später, als sie aus der Deckung des Schilfes zurück blickten, schlugen die Flammen aus den Kajütenfenstern. Alle drei Schiffe brannten wie Scheiterhaufen...
den Gebäuden. Ein großes Feuer, brannte dort. Einige Nordmänner hielten sich in seiner Nähe auf. Es roch nach gebratenem Fleisch. Der Zahn rückte näher und näher. In den mittleren Stockwerken sah man Flammen hinter den Fenstern. Kampflärm war zu hören. Und lautes Krachen. »Lodar und seine Mannen werfen Steine aus den Fenstern«, flüsterte Heenrich hinter Matt. Sie erreichten die Ostseite des Platzes um das Königshaus. Vor dessen Eingang auf der Südseite liefen Nordmänner mit einem Rammbock gegen das Portal an. Aus den Truppen, die sich hinter die Geschütze zurückgezogen hatten, zischte ein gleißender Strahl durch die Dunkelheit hinauf zu den oberen Stockwerken des Zahns. Matt merkte, wie die vier Männer hinter ihm abrupt stehen blieben. »Wolltet ihr nicht kämpfen bis zum Tod?«, zischte er. »Weiter! Wir marschieren am Rand des Platzes entlang, bis wir die Palisade erreichen. Dann gesellen wir uns zu den Kanonieren und greifen den Kerl mit dem Strahler an.« Der Schwertmeister stieß ein Grunzen aus, was wohl Zustimmung signalisieren sollte. Entlang des Vorplatzes hielten sie auf die Palisade zu. Aus den Augenwinkeln sah Matt das herunter gebrochene Vordach über dem Eingangsportal. Trotz der Dunkelheit nahm er die klaffenden Lücken in der Fassade des Hausturms wahr. Dutzende von Geschützen standen entlang der Palisade, die Kanonenrohre auf das Hochhaus gerichtet. Und immer wieder zischte ein Strahl aus der Menge der etwa achtzig Soldaten zu den oberen Stockwerken hinauf. Vermutlich um die Steinewerfer von den Fenstern zu vertreiben. Denn nach jedem Strahl nahmen die Krieger mit dem Rammbock Anlauf und ließen ihn gegen die Steinplatte vor dem Eingang prallen. Nur noch zwanzig Schritte vor Matt und seinen Begleitern erhob sich die Südpalisade. Eine breite Lücke klaffte in dem Wall. An manchen Stellen war er eingedrückt und die Baumstämme ragten schräg in die Stadt hinein. An anderen Stellen war die Palisade auf kurzen Abschnitten bis zur Hälfte niedergebrannt.
* Sie marschierten eine breite Straße hinunter. Auf der linken Seite zog sich eine durchgehende, die ganze Straßenlänge säumende Fassade entlang. Ein mehrstöckiger rechteckiger Kasten, dessen Form Matt an die Architektur der Mitte des letzten Jahrhunderts erinnerte. Des letzten Jahrhunderts seiner Zeitrechnung. Die Beschaffenheit der Fassade konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. Rechts öffnete sich ein weiter Platz zwischen
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Sie wandten sich nach links und marschierten von der Seite auf die Geschützstellungen zu. Matt erkannte den rothaarigen Anführer hinter den Kanonen. Hairik selbst bediente den Strahler. Matthew griff unter die Jacke und legte den Sicherungshebel seiner Armeepistole um. Nur noch fünf Kugeln steckten im Magazin! Matt spürte seinen Mund trocken werden. Sein Atem begann zu fliegen. Es wollte ihm plötzlich scheinen, als würden sich Tausende von Nordmännern auf dem Platz vor dem Zahn aufhalten. »Lasst euch nicht von der Überzahl einschüchtern«, flüsterte er seinen vier Gefährten zu. »Alles kommt darauf an, die Schrecksekunde auszunutzen.« Er sprach zu den Männern und meinte sich selbst. »Wir haben eine Chance. Wenn wir den Strahler haben, sind wir im Vorteil.« Sie waren noch zehn oder fünfzehn Schritte von den ersten Geschützen entfernt. Zwei der Kanoniere wandten sich nach ihnen um. Matt hielt den Atem an, doch die Männer nahmen nur flüchtig Notiz von ihnen. Ihre Kampfgenossen, die schon wieder mit dem Rammbock gegen den Eingang des Zahns anstürmten, beanspruchten ihre Aufmerksamkeit. Wieder zischte ein greller Strahl in die Fassade des Hochhauses. Laute Stimmen näherten sich. Matt sah fünf, sechs Nordmänner mit Öllampen. Sie rannten die Straße entlang, die er selbst und seine Begleiter gekommen waren, und brüllten. Diesmal blieben nicht nur Matts Kampfgefährten stehen; auch er selbst hielt an. Alle fünf dachten das selbe: Die Toten auf der Empore des Wudantempels waren entdeckt worden! Für Sekunden war Matt wie gelähmt. Die aufgeregten Boten rannten quer über den Platz, fuchtelten mit den Armen und schrien durcheinander. Die Nordmänner am Ramnibock unterbrachen ihren Anlauf, blieben stehen und sahen sich nach dem Anführer um. Die Kanoniere palaverten erschrocken miteinander. Der Rothaarige stimmte ein wütendes Gebrüll an. Irgendetwas Schwerwiegendes musste vorgefallen sein.
Plötzlich setzten sich fast alle Nordmänner gleichzeitig in Bewegung. Die Boten rannten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Die Soldaten am Rammbock ließen den schweren Stamm fallen und folgten ihnen, und auch die meisten der Kanoniere spurteten los. Hairik drückte einem seiner Hauptleute einem Mann mit einem gelben Farbbalken auf dem Brustteil der Weste - den Strahler in die Hand und lief ebenfalls auf die Straße nach Norden. Nur etwa fünfzehn Nordmänner blieben zurück, um die Stellung am Hochhaus zu halten. Matt konnte sich keinen Reim auf die plötzliche Hektik machen. Es war unwahrscheinlich, dass ein Heerführer wegen vier Toten aus den eigenen Reihen gleich eine Belagerung unterbrach. Der Offizier mit dem Strahler wandte sich zu ihnen um und brüllte etwas Unverständliches. Vermutlich sollten sie verschwinden und dem Anführer folgen. Als sie dem Befehl nicht folgten, sah Matt, wie die Blicke der zurückgebliebenen Nordmänner sich nacheinander auf ihn und seine Gefährten hefteten, wie ihr Augen schmal wurden und ihre Gesichter plötzlich versteinerten, als sie die Wahrheit erkannten. Matt riss die Beretta 98 G aus der Jacke. Mit lautem Kampfgeschrei stürzten sich Heenrich und seine drei Kämpfer unter die Nordmänner. Matt drückte ab. Der Offizier wurde nach hinten über eine Kanone geschleudert. Das Rohr des Strahlers prallte auf dem Geschützrohr auf und fiel unter dessen Achse. Ein anderer Nordmann bückte sich danach. Matt schoss ein zweites Mal und rannte zu dem Geschütz, unter dem die Laserwaffe lag. Schwertklingen klirrten - sechs oder sieben Nordmänner drangen auf Heenrich und seine drei Krieger ein. Die anderen legten Pfeile auf ihre Bögen. Gleich zwei Krieger hechteten unter das Geschütz und griffen nach dem Strahler -Matt kam zu spät. Er sprang vor, rollte unter dem tödlichen Pfeilhagel hinweg - doch als er wieder auf die Beine kam, blickte er in das feine Loch am Spitzenrohr des Strahlers und daran vorbei in das lippenlose Gesicht des Nordmanns.
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Er war merkwürdig verzerrt und die geschlitzten Augen schienen durch Matt hindurch zu blicken. Warum drückst du nicht endlich ab, Arschloch ...? Der Lauf sank nach unten, der Krieger kippte seitlich weg. Ein kurzer Armbrustbolzen steckte tief in seinem Nacken! Matt sprang auf und schnappte sich den Strahler. Er richtete ihn auf die Bogenschützen, die eben nachluden. Der Strahl fuhr unter sie einige brachen lautlos zusammen, andere flohen schreiend. Matt wirbelte herum. Er sah Heenrich reglos am Boden liegen. Fünf Nordmänner wehrten sich verzweifelt gegen Heenrichs Krieger und ein halbes Dutzend andere Kämpfer. Matt erkannte Walder und Pieroo. Und er sah Aruula - wütend hieb sie mit ihrem Langschwert auf die Krieger ein. Ein Armbrustschütze kniete hinter den Kanonen und zielte auf die fliehenden Nordmänner... Die Menschen drängten sich in den engen Durchgang zur Maurizbastei. Lodar und Mauriz standen rechts und links der kleinen bogenförmigen Pforte. Kinder weinten, Angst flackerte in den Gesichtern der Frauen, die Männer wirkten resigniert und erschöpft. Mauriz und Lo-dar sprachen ihnen Mut zu. Zwei Kämpfer mit Fackeln in den Fäusten kamen den Gang vom Zahn her angelaufen. »Feuer am Fluss!«, riefen sie. »Bleib bei deinem Volk«, sagte Mauriz zu Lodar. Er rannte hinter den beiden Kämpfern her zum Treppenaufgang. Durch Trümmer und Rauch arbeiteten sie sich bis zum achten Stock hinauf. Aus einem Fenster der Westseite blickten sie hinüber zum Flussbecken. Dort erleuchteten Feuerbrände die Nacht. Mindestens zwei Schiffe der Nordmänner standen in Flammen. »Vielleicht Heenrichs Truppe«, sagte einer der Kämpfer. »Sie haben sich über den Geheimgang aus dem Auerbachkeller geschlichen.« »Möglich.« Mauriz wiegte den Kopf. »Vielleicht ist auch einigen unserer Männer die
Flucht aus dem Aldradhaus gelungen.« »Der Großteil der Götterschlächter hat die Stadt über die Westpalisade verlassen«, erklärte der Kämpfer. »Sie werden versuchen ihre Schiffe zu retten. Nur ein paar Wachtrupps halten die Stellungen. Sollen wir einen Ausfall wagen?« »Kommt schnell!«, rief da eine Stimme aus dem Südflügel des Stockwerks. Mauriz und die beiden Krieger eilten auf die andere Seite des Gebäudes. Die Wände des Raumes waren weggesprengt. Durch Eisenträger hindurch konnte man in die Nacht hinaus sehen. Geröll häufte sich überall am Boden. Mauriz trat an den äußeren Rand des Raumes. Vor seinen Füßen gähnte der Ab-grund. Von der Palisade her, wo die Geschütze der Nordmänner aufgereiht waren, hörte er das metallene Klingen von Schwertern und Äxten. Jemand kämpfte gegen die Angreifer! Atemlos lauschten sie in die Nacht hinaus. Mauriz' Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Er glaubte die breite Gestalt des Palisadenmeisters zu erkennen. Und Nordmänner, die gegen Nordmänner fochten. Der Kampf dauerte nicht lange. Etwa zehn Gestalten huschten über den Vorplatz auf den Eingang des Zahns zu. Sie schleiften einen großen schweren Körper mit sich. Eine Folge von Pfiffen ertönte - das Signal, mit dem Vertraute des Königs den Aufzugskorb riefen. »Lasst sie rein!« Walders Stimme. Mauriz zögerte. Deutlich sah er, dass vier der Gestalten dort unten das braune Zeug der Nordmänner trugen. Einer von ihnen riss sich jetzt die Kappe vom Kopf. Mauriz erkannte helles kurzes Haar. Der Mann hob einen Gegenstand hoch - eine kleine Kugel mit einem Rohr daran. »Wir haben den Strahler!«, rief er. Es war der Fremde, der sich Maddrax nannte. Mauriz wandte sich an die Krieger neben ihm. »Zieht das Not-Tor hoch! Lasst sie rein!« Kurz darauf lief er die Treppe zur Eingangshalle des Zahns hinunter. Ab dem sechsten Stockwerk stieß auf keine Trümmer mehr. Nur an ein paar Stellen hing die Holz-
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vertäfelung von der Decke. Sonst hatte der Kanonenbeschuss hier unten keinen Schaden angerichtet. Unten in der Eingangshalle ließen die Krieger eben wieder das Not-Tor herab. Im Schein der Öllampen sah Mauriz eine Schar abgerissener, schmutziger und erschöpfter Kämpfer. Pieroo war kaum zu wieder zu erkennen. Nur eine verkohlte Haarschicht zog sich noch über seinen Schädel und sein verrußtes Gesicht. Seine Jäger sahen nicht besser aus. Drei der Kämpfer aus Laabsisch trugen tatsächlich die Kleidung der Feinde. Zu seiner Überraschung entdeckte Mauriz auch eine Frau unter der Kämpferschar. Sie war in ein Fell gehüllt; auf ihrem Rücken trug sie einen merkwürdigen grünen Kasten. Sie stützte sich erschöpft auf ein Langschwert. »Walder trat aus der Gruppe. »Aldradhaus gefallen!«, schnarrte er. »Drei Schiffe des Gegners in Brand gesetzt!« Mauriz nickte langsam und blickte auf die leblose Gestalt am Boden zwischen den Kämpfern. »Führ uns in deine Bastei«, forderte der Fremde namens Maddrax. »Ich will noch heute Nacht an den Fluss.« Mauriz nickte nicht mehr. Er hörte kaum zu. Sein Herz wurde ihm schwer und schien zu brennen. Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er ging zu der Gruppe und kniete sich neben dem reglosen Heenrich auf den Boden. In den blicklosen Augen des Toten spiegelte sich der Fackelschein ...
heran, der Strand, die Dünen - und dann öffnete sich der weite Blick über die Wälder Südenglands. Eve sah die Türme und Mauern von Portsmouth und dann die Ruinen von Southampton vorbeihuschen. Flussläufe glitten unter dem EWAT hinweg, Krater, weite Ebenen - und dann erschien der Hügel von Stonehenge. Der EWAT stoppte zwischen den mächtigen Megalithen. Eve stieg aus. Sie lief durch Steintore auf die andere Hügelseite, bückte sich dort neben einem einsam aufragenden Megalithen ins Gras und fuhr mit der Hand in die Spalte zwischen dem Fuß des Steines und der Grasnarbe. Sie fühlte die lange Taste unter ihren Fingerkuppen und drückte sie. Dann zurück zu den torartig aufgeschichteten Megalithen auf der Hügelkuppe. Hinter dem Altarstein, im Bogen der hufeisenförmigen Blausteinanlage senkte sich die Grasnarbe ab. Die Erde vibrierte unter Eves Stiefeln; ein leises Summen erfüllte die Luft. Sehnsüchtig blickte sie auf das fünfzig Schritt lange und breite Grasstück, das sich langsam unter die Grasnarbe schob und eine mattgrüne Metallschicht frei gab. Eve lief an den Rand des Bunkereingangs. Sie kniete im Gras und klappte die Kunststoffbox an der linken unteren Ecke des metallenen Quadrats auf. Eine kleine Tastatur wurde sichtbar. Eve gab ihren Code ein. Deutlich sah sie die Symbole vor sich, glatt und kühl spürte sie die Tasten unter ihren Fingerkuppen. Doch dann sah Eve auf ihre Arme, und ein heißer Schreck durchzuckte sie. Sie fuhr hoch und ... ... ein Hustenanfall schüttelte sie. Sie saß aufrecht in der Mitte des Zeltes und versuchte den zähen Schleim aus ihren entzündeten Bronchien zu würgen. Ihr Flies war schweißnass. Die schwarzhaarige Frau in grauer Ledermontur hockte direkt vor ihr auf einer Kiste. Ihr Bild verschwamm vor Eves Augen. Endlich hörte der Hustenanfall auf. Das Bild der Frau wurde klarer. Ihre Gegnerin hatte eine kleine Schiefertafel auf den Knien liegen. Schabend glitt ihr Stift darüber hinweg. Sie sah auf - ein triumphierendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
* Das Meer schien zu kochen. Und trotzdem fror Eve Carlyle. Sie tauchte aus den Fluten auf. Am Horizont erhob sich die Steilküste der Isle of Wight. Plötzlich fand sie sich in der Steuerzentrale eines EWATs wieder. Hinter dem Pilotensessel von Captain Spencer Dewlitt. Dessen weiße Finger glitten über die Tastatur der zentralen Steuereinheit. Das PanoramaDisplay über dem Frontbogen der Sichtkuppel zeigte ihr das Profil der englischen Küste. Rasend schnell wie im Zeitraffer schwebte der EWAT über das Meer. Die Küste schoss
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Dann hob sie die Tafel hoch und stellte sie so auf ihre Knie, dass Eve die Kritzeleien sehen konnte. Eve riss die tränenden Augen auf. Auf einmal schlotterte sie am ganzen Körper. Auf der Tafel sah sie Skizzen von Türmen, Ruinen, Flussläufen und den Megalithen von Stonehenge. Und die Symbole ihres Bunkercodes, genau in der Anzahl und der Reihenfolge, die man eingeben musste, um das Schott zu öffnen ... Die Frau hatte ihren Traum belauscht! Das Fieber hatte ihr für kurze Zeit die Kontrolle über ihren Geist entrissen! Sie hatte versagt... Walder, Mauriz und Pieroo hatten mit vierzig Mann den Zahn verlassen. Sie wollten die in der Stadt zurückgebliebenen Wachen der Nordmänner ausschalten und deren Geschütze zerstören. Zusammen mit Aruula und dem König durchquerte Matt den unterirdischen Gang zwischen der Maurizbastei und dem Fluss. Zwölf mit Armbrüsten und Schwertern bewaffnete Krieger begleiteten sie.
Sie sollten die Wachen aufhalten, falls diese zurückkehrten. Matt, Aruula und der König schlichen zum Zentralzelt. Zwei Wachen standen davor. Matt richtete den Strahler auf sie. Die Kugel an die rechte Brustseite gedrückt, sah er hinunter auf das Display an der Oberseite. Die Umrisse zweier menschlicher Körper erschienen auf dem kleinen Rechteck - die Wachen. Matt schauderte. Als Soldat hatte er lernen müssen zu töten. Das bedeutete aber nicht, dass er es gern tat. Zumal diese Männer ahnungslos waren. Sie aus dem Hinterhalt nieder zu schießen ging ihm gegen den Strich. Ganz leicht berührte er die Abzugstaste - ein Fadenkreuz legte sich über die beiden Gestalten. Er justierte den Strahler, bis das Zentrum des Fadenkreuzes über der linken Wache lag. »Was ist los?« raunte Aruula neben ihm. Sie hatte offenbar gemerkt, dass er zögerte. »Ich...« Matt hatte den Satz kaum begonnen, als ein helles Pfeifen ihn unterbrach. Die beiden Wachen vor dem Zelt griffen sich synchron an die Kehlen und stürzten tot zu Boden. Matthews Kopf ruckte zu den Armbrustschützen hinüber. Zwei von ihnen luden eben ihre Waffen nach. »Los, weiter!« zischte Lodar. Matt sparte sich einen Kommentar. Sie sprangen auf und hetzten zum Eingang des Zentralzeltes. Als sie in die Kuppel eindrangen, stießen sie erneut auf Widerstand. Die schwarzhaarige Frau im grauen Leder stellte sich ihnen entgegen. Breitbeinig und ein Schwert mit beiden Händen über den Kopf erhoben stand sie da. Ihr bronzefarbenes Gesicht verzerrte sich zu einer zornigen Grimasse. Hinter ihr auf dem Zeltboden ausgestreckt lag die kalkweiße Frau. Die Schwarzhaarige zögerte keine Sekunde sie schlug zu. Matt warf sich zur Seite; um Haaresbreite verfehlte ihn die Schneide. Metall klirrte gegen Metall. Lodar hatte sich mit blanker Klinge der Frau gestellt. Seine kraftvollen Hiebe trieben sie gegen die Zeltwand. Er traf sie an der Schulter. Sie schrie auf; Blut spritzte. Die Frau ließ ihre Waffe fallen und rutschte an der Zeltplane
* In einer Ruine südlich des Hafenbeckens schlüpften sie aus dem Geheimgang. Das Floß lag nicht weit von dieser Stelle im Schilf. Durch den Wald am Westufer schlichen sie sich an das Lager der Nordmänner heran. Im Morgengrauen sahen sie die schwarzen Kuppelzelte auf der Lichtung am Waldrand. Unten beim Flussufer standen etwa fünfzehn Soldaten der Götterschlächter und starrten hinüber auf die immer noch brennenden Schiffe. Ein dichter Dunstschleier lag über der Feuersbrunst. Man hörte zwar die Rufe der Löschmannschaften, konnte aber niemanden erkennen. »Ich glaube nicht, dass sie mehr Wachen zurückgelassen haben«, flüsterte Lodar. Matt nickte. Er war der gleichen Meinung. Sie huschten aus der Deckung des Waldes durch das feuchte Gras zwischen die Zelte. Die Armbrustschützen und Schwertträger verteilten sich zwischen den dunklen Kuppeln.
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entlang zu Boden. Lodar setzte ihr die Schwertspitze an den Hals. Doch bevor er zustechen konnte, stieß Aruula einen überraschten Ruf aus. Sie ging neben der verwundeten Kämpferin in die Hocke und redete sie in einer Sprache an, die Matt noch nie aus ihrem Mund gehört hatte. Das schmerzverzerrte Gesicht der Verwundeten nahm einen verblüfften Zug an. Sie antwortete mit krächzender Stimme. Matthew konnte sich darum jetzt nicht kümmern. Wichtiger war erst einmal die kalkweiße Frau. Neben ihr kniete er sich hin und tastete nach ihrer Halsschlagader. Ihr Puls raste und ihre bleiche Haut war nass und heiß. Sie zitterte stark. Matt schob einen Arm unter ihren Oberkörper und richtete sie auf. Sie öffnete die Augen. Als würde sie ein Traumbild sehen, blickte sie ihn an. »Wer... wer sind ...« Ein Hustenanfall schüttelte sie. »Wer sind Sie .. .?« »Commander Matthew Drax, United States Air Force.« Er antwortete auf Englisch. Ein ungläubiges Lächeln verzog ihren blutleeren Mund. Sie starrte sie an. Dann glitt ihre Hand zitternd über seine braune Jacke. »Sie ... tragen keinen ... Schutzanzug ... Sie werden bald sterben ...« Die Stimme der Frau war schwach. Sie schien mit einer Ohnmacht zu kämpfen. Ihre Atemgeräusche klangen rasselnd und feucht. Sie war schwer krank. Matt ahnte, dass diese Fremden zum Überleben auf ihre Anzüge angewiesen waren. Die Frau in seinen Armen stand dem Tod näher als dem Leben. »Hören Sie mir zu«, sagte er drängend. »Ich bin kein Mensch dieser Zeit! Ich flog am achten Februar des Jahres 2012 mit einer Jet-Staffel über Europa, als der Komet >ChristopherFloyd< in die Atmosphäre eintrat. Ein Effekt, den ich nicht erklären kann, schleuderte unsere Maschinen in die Zukunft. Haben Sie das verstanden?« Die Frau stieß ein heiseren Krächzen aus, als wollte sie etwas sagen, doch ... dann nickte sie nur. »Irgendetwas ist mit der Erde geschehen nach dem Einschlag«, fuhr Matt fort. »Die allgemeine Degeneration und die Mutationen
können nicht allein von der Katastrophe verursacht worden sein. Ich bin auf der Suche nach Intelligenzen, die mir erklären können, was geschehen ist. Menschen wie Sie! Ich muss wissen, wer Sie sind und woher Sie kommen. Und welches Jahr wir schreiben!« Die bleiche Frau hustete sekundenlang. Ihre Hände krampften sich um Matts Kleidung. »Ich ... ich bin ... Commander Eve Carlyle .. . Willkommen ... willkommen im Jahre 2516 ...« Matt schloss die Augen. Obwohl er die Wahrheit längst geahnt hatte, traf ihn die Zahl wie ein Hammerschlag. 2516 ... Fünfhundertvierzehn Jahre in der Zukunft! Der Zeltboden unter ihm schien zu schwanken. Wie durch eine Dämmwand hörte er die Frau husten. Irgendwo aus weiter Ferne drang Aruulas Stimme zu ihm durch. »Willkommen im Jahre 2516...« Wie das Dröhnen einer Kirchenglocke klang es ihm in den Ohren. Er spürte, wie die weiße Frau sich von ihm löste. Ein Arm schob sich an seinem Oberschenkel vorbei. Er öffnete die schweren Lider. Die Frau saß aufrecht vor ihm. Sie drückte sich die Kugel des Strahlers, den sie ihm abgenommen hatte, an die Brust. »Weg...«, krächzte sie. Ihr Oberkörper schwankte. »Weg von der Telepathin!« Aruula und der König wichen erschrocken zurück. Die Schwarzhaarige riss die Augen auf und zog in panischer Angst die Knie an. Matt wollte im Reflex nach der Laserwaffe greifen, doch da zischte bereits ein Strahl aus ihrem Lauf. Getroffen bäumte die Schwarzhaarige sich auf. Ihr Haar brannte lichterloh. Der Laserstrahl trat am Hinterkopf wieder aus und verschwand durch die Zeltwand im Nachthimmel. Die Telepathin starb in derselben Sekunde. Aruula packte eine Decke und warf sie über die Frau, um das Feuer zu löschen. »Sie gehörte zu meinem Volk!«, rief sie. »Zum Volk der dreizehn Inseln!« Als sie die Decke wegzog, waren Gesicht und Haare der Frau vollständig verkohlt.
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Commander Eve Carlyle kippte zur Seite und sank gegen Matt, der entgeistert auf die Leiche starrte. »Sie hatte mir...«, Ein Hustenanfall unterbrach sie, »... das Geheimnis ... der Community London ... aus dem Geist...« Eine Ohnmacht ließ den Satz unvollendet. Kampflärm klang draußen auf. Der Lichtstrahl war nicht unentdeckt geblieben. Die alarmierten Nordmänner lieferten sich ein Scharmützel mit Lodars Männern! Aruula und Lodar zückten ihre Waffen und eilten hinaus. Matt legte sich den Körper der Sterbenden über die rechte Schulter, nahm den Strahler wieder an sich und schob sich ebenfalls durch den Zelteingang nach draußen. Er sah Aruula und den König auf die Krieger zulaufen. Die Nordmänner waren in der Überzahl. Doch gegen den Strahler hatten sie keine Chance. Fünf machte Matt unschädlich. Die anderen starben unter den Schwerthieben seiner Kampfgefährten. Ohne Verluste liefen sie zum gegenüberliegenden Waldrand und dann im Schilf am westlichen Flussufer entlang. Die bewusstlose Körper auf Matts Schultern war so leicht wie der eines Kindes. Lodar führte sie zu einer Holzbrücke. Auf ihr ülterquerten sie den Fluss. Am Waldrand schlichen sie zurück zum Hafenbecken, jetzt auf der östlichen Uferseite. Dort erst legten sie eine Rast ein und beobachteten, was die Nordmänner ans Nächsten tun würden.
er. »Ich habs herausgefunden!« Mit wehendem Umhang kam Mauriz zu Walder und dem Zerstörungstrupp gelaufen. »Wir bringen die restlichen Geschütze gegen die Nordmänner und ihre Schiffe in Stellung!« rief er schon von weitem. Walder nickte stumm. Mauriz erklärte ihm und den Kriegern, wie man die Kanonenkugeln abschoss. Es schien kinderleicht zu sein. An dicken Tauen zogen sie die Geschütze zur Westpalisade. Durch die Lücken im Schutzwall hindurch rollten sie die Kanonen zum Hafenbecken. Auf Handkarren transportierten die Krieger die restlichen Kanonenkugeln. Zorn und Rachedurst trieben sie an ... Der Himmel hellte sich langsam auf. Der Dunst verzog sich. Matt hatte Eve Carlyle geschützt von Farnwedeln am Ufer abgelegt. Mit der hohlen Hand schöpfte er Wasser aus dem Fluss und flößte es ihr ein. Ein paar Schritte vom Ufer entfernt kauerten Aruula und der König mit den restlichen Kämpfern im Schilf. Zwei Späher, die Lodar ausgeschickt hatte, wurden zurück erwartet. »Danke, Commander«, flüsterte die kalkweiße Frau. Erst vor wenigen Minuten war sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht. »Aber... es ist sinnlos ... Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie mich erschießen.« Sie schielte auf den Kolben seiner Pistole, der aus der Uniformjacke ragte. »Kommt nicht in Frage. Wir bringen Sie schon durch.« Matt schöpfte erneut Wasser. »Nein«, flüsterte sie. »Ich machs nicht mehr lange. Eine einzige Stunde ohne Schutzanzug ist schon ein Todesurteil. Unserer Vorfahren... haben den Kometeneinschlag zwar in den Bunkern überlebt ... aber einen hohen Preis dafür gezahlt...« Sie hustete. »Seit Generationen ... leiden wir unter einer Immunschwäche...« Ihre Stimme wurde dünner. »Sie sind also Nachkommen der Menschen, die man vor der Katastrophe in den Bunkern evakuiert hat?« »Ja...« Sie schloss die Augen, als würde sie überlegen, wie viel sie Matt anvertrauen konnte. »Es gibt... es gibt viele solcher Bunker ...
* Walder kommandierte die Zerstörung der Geschütze. Mit schweren Beilen hieben er und seine Kämpfer auf die hölzernen Speichen und die Achsenbalken der Kanonen ein. Schon achtzehn Geschütze hatten sie auf dem Vorplatz des Zahns zusammengehauen. Plötzlich dröhnte ein Schuss durch die Morgendämmerung. Walder und seine Männer fuhren hoch. Eine Kugel schwirrte über die Palisade in den Ruinenwald hinein. Vor einer Kanone am Ende der Geschützkette stand der Göttersprecher und riss die Arme in die Höhe. Pulverdampf stieg über der Kanone neben ihm auf. »Ich weiß, wie sie funktionieren!«, schrie
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überall auf der Welt. Meine Community... ist in Salisbury. Wir haben uns ... mit der Community London ... zusammengetan...« Sie sprach so leise, dass Matt sie kaum noch verstehen konnte. Er beugte sein Ohr über ihren Mund. Sein Herz schlug aufgeregt, während er zuhörte. Er erfuhr, dass die Communities Salisbury und London vor Jahren eine ganze Reihe von Expeditionen aufs Festland geschickt hatten, um einen vorgeschobenen Forschungsposten zu errichten. Die Mitglieder dieser Expeditionen hätten in der Gegend von Leipzig einen verlassenen Bunker entdeckt und ausgebaut. »Um was ging es bei diesem Forschungsprojekt?«, wollte Matt wissen. »Um das Geheimnis von >ChristopherFloyd<«, flüsterte Eve. »Auch wir rätseln ... wie es zu den ... Veränderungen kommen konnte...« Wieder ein Hustenanfall. Matt schöpfte wieder Wasser und flößte es ihr ein. Es dauerte Minuten, bis Eve Carlyle weitersprechen konnte. Aus den Augenwinkeln sah Matt die neugierigen Blicke des Königs und seiner Leute. Eves Gesicht verzerrte sich zu einem bitteren Lächeln. »Wie Sie schon sagten: >ChristopherFloyd< mag zwar ... mag zwar ein großer Auslöscher gewesen sein ... aber selbst so eine Katastrophe kann nicht ... das Wissen ... aus drei Jahrtausenden auslöschen...« Der Schweiß strömte ihr über Schläfen und Wangen. Matt wusch ihr das Gesicht ab. Eve wandte den Kopf zu Lodar, Aruula und den Kämpfern. »Wie ist es möglich, dass in Europa ... mittelalterliche Stadtkulturen blühen...?« Der Husten würgte sie. Nach einem Schluck Wasser konnte sie weiter sprechen. »Es gibt Völker in Osteuropa, die müssen ... die müssen die Schmiedekunst neu erfinden...« In Matts Hirn jagten sich die Gedanken. Wenn nicht einmal die Nachfahren der »Bunkermenschen« - immerhin die Krone der Schöpfung mit über fünfhundert weiteren Jahren Evolution! - das Geheimnis enträtselt hatten, wie sollte es ihm da gelingen, Antworten zu finden? »Dieser Bunker bei Leipzig - wo liegt er genau?«
Keine Antwort. Matt beugte sich über Eve. Ihre Augen waren geschlossen. Sie reagierte nicht mehr. Er berührte sie sanft. »Eve?« Sie war wieder ins Fieberkoma gesunken.
* Sie mussten noch fast eine halbe Stunde auf die Späher warten. Sie kehrten in einem kleinen Ruderboot über den Fluss zurück. »Die Nordmänner sind damit beschäftigt, die Brände auf ihren Schiffen zu löschen«, berichteten sie. »Auf einem gab es ein gewaltiges Gewitter - es sinkt.« Ihre Munitionsvorräte sind explodiert, dachte Matt. Die Späher berichteten weiter, dass die Nordmänner sämtliche Wachen von den drei restlichen Schiffen abgezogen hatten, damit sie beim Löschen halfen. Somit waren die Schiffe völlig unbewacht! Das war sehr hilfreich für den Plan, den sich Matt zurecht gelegt hatte: »Wir entern eins der Boote und setzen uns auf dem Fluss ab. Die weiße Frau hat von einem Bunker berichtet, in dem mehr von ihren Leuten leben. Dort bekommen wir weitere mächtige Waffen!« Dass es ihm viel mehr um Informationen ging, verschwieg Matt geflissentlich. »Wo liegt dieser... Bunker?« erkundigte sich Lodar und traf damit zielsicher den Schwachpunkt in Matts Vorhaben. Noch wusste er nicht einmal, ob sie sich flussauf- oder - abwärts halten mussten. »Die weiße Frau wird es uns sagen, wenn sie wieder zu sich kommt«, entgegnete er. »Ich hoffe, du weißt, was du tust!«, sagte Lodar. Aber die Aussicht auf neue Waffen gegen die Bedrohung durch die Nordmänner war zu verlockend, als dass er sich gegen den Plan entschieden hätte. »Wir brechen auf!« * Nur mit Mühe fanden sie alle Platz in dem kleinen Kahn. In der Deckung der östlichen
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Uferböschung ruderten sie ins Hafenbecken hinein. An der Mauer des befestigten Ufers entlang, meist unter herabhängendem Gestrüpp hindurch erreichten sie den ersten Schaufelraddampfer. Über die Verkleidung der Schaufelräder kletterten sie an Bord und zogen dann mit einem Tau die bewusstlose Eve aufs Oberdeck. Niemand bemerkte sie. Die Nordmänner waren noch immer damit beschäftigt, die Brände auf den drei anderen Schiffen zu löschen. Aruula und drei Krieger blieben auf dem Oberdeck, um Alarm zu schlagen, falls die Nordmänner doch aufmerksam werden sollten. Matt stieg mit Lodar und dem Rest seiner Kämpfer unter Deck. In einer Kajüte legten sie Eve Carlyle ab. Sie fanden den Maschinenraum. Verwirrt musterte Matt das Chaos von Rohren, Kesseln, Zylindern, Kurbelwellen und Trossenwinden. Dampfmaschinen kannte er nur aus Museen. Einen Raddampfer hatte er einst als kleiner Junge in New Orleans auf dem Mississippi besichtigt. Einen Museumsdampfer... Cool bleiben, ganz cool - wie war das noch gleich in Physik? Er wühlte in seinen Hirnwindungen nach Informationen über das Prinzip der Dampfmaschine. Einer seiner Schulkameraden hatte mal eine besessen; nicht mehr als ein Spielzeug, mit dem man ein kleines Schwungrad antreiben konnte. Richtig - und angetrieben wurde sie von einem Kessel, in dem Wasser erhitzt und der Dampf zum Antrieb eines Kolbens benutzt wurde. »Sucht einen Raum, in dem Holz oder Kohle lagert«, wies er die Männer an. Dann versuchte er den Maschinendschungel um sich herum zu überblicken. Er fand den Heizraum, den Wasserkessel, die Druckzylinder, die Hauptdampfleitung und die Manövrierventile. Er brauchte fast eine Viertelstunde, um die Hebel und Räder zuzuordnen, aber dann glaubte er es schaffen zu können. Sie packten Holz in den Brennraum, entzündeten es und schaufelten Kohlen darüber. Es würde seine Zeit dauern, bis das Wasser in
den Kesseln kochte. Matt stieg aufs Außendeck, um sich über die Lage zu informieren. Er robbte neben Aruula an die Reling. »Sie haben den Brand auf dem ersten Schiff gelöscht«, erstattete sie Bericht. Besorgt blickte Matt zu den Schornsteinen hoch. Aus dem ersten stieg schon eine dünne Rauchfahne in den Himmel. Nicht mehr lange, und er würde schwarze Qualmwolken ausstoßen. Dann würden die Nordmänner sie unweigerlich entdecken. Etwas scharrte hinter ihm über die Planken. Matt fuhr herum. Eine weiße Gestalt kroch über das Deck. Es war Eve Carlyle! »Um Gottes willen, Commander!« Matt robbte eilig zu ihr hin. »Warum bleiben Sie nicht unter Deck?« »Hören Sie, Drax«, flüsterte sie. »Wenn sie den Kahn tatsächlich flott kriegen ... fahren sie flussabwärts. Ein Stück nordwestlich von hier führt die Weiße Elster an ... an einem kleinen See vorbei... Dort liegt der Bunker unserer Außenstation...« Sie ließ den Kopf auf die Planken sinken und sammelte ihre Kräfte. Viele Reserven konnten sie nicht mehr haben. Matt, der seine Hand auf ihren Rücken gelegt hatte, spürte, dass ihr Fliesanzug nass vor Schweiß war. »Wissen die Nordmänner von dem Bunker?«, fragte er und blickte wieder zur Spitze des ersten Schornsteins. Die Rauchwolken wurden dunkler. »Ich hoffe nicht... Bei Kopenhagen ... haben sie den Bunker der dänischen Community geknackt.. . Seitdem jagen sie uns .. . Sie sind scharf auf unsere Waffen .. .« * Etwa zweihundert Meter vom Hafenbecken entfernt erreichten Mauriz und seine Krieger den Rand des dichten Gebüschs zwischen Palisade und Hafengebiet. Dort brachten sie die Geschütze in Stellung. Nur noch aus zwei Schiffsrümpfen schlugen Flammen. Über dem dritten stand eine graue Qualmwolke. Die Nordmänner bemühten sich
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die Brände unter Kontrolle zu bringen, und es sah ganz so aus, als würden sie es schaffen. Nun, durch diese Rechnung würden sie ihnen einen gewaltigen Strich machen...! Mauriz wartete, bis je zwei Krieger sich hinter jeder der sechsundzwanzig Kanonen postiert hatten, dann hob er beide Arme. Wenige Augenblicke später erhob sich ein gewaltiger Donner über dem Hafengelände. Pulverdampf stieg zwischen den Büschen auf, und sechsundzwanzig Kanonenkugeln rauschten durch die Luft...
Matt spurtete um die Decksaufbauten herum und in den Maschinenraum. Unerträglich heiß war es dort. In den Kesseln rauschte das brodelnde Wasser. Die Dampfpfeife pfiff. Er warf einen Blick auf den Dampfdruckmesser. Das musste reichen! Er startete er die Maschinen. Zischend füllte sich die Hauptdampfleitung. Kolbenstangen und Kurbelwellen setzten sich quietschend in Bewegung. Von den Flankenseiten her knatterte und knarrte es: Die Schaufelräder begannen sich zu drehen. Matts Anspannung löste sich in einem lauten Gebrüll. Auch Lodars Mannen jubelten. Sie machten ganz den Eindruck, als würden sie gerade ein Wunder erleben. Matt lief zurück aufs Oberdeck. Der Dampfer entfernte sich vom Ufer und bewegte sich auf die Flussmitte zu. Pfeile und Armbrustbolzen schlugen in das Holz der Deckaufbauten. Die Schützen der Nordmänner hatten die Lage gecheckt und eröffneten das Feuer! Matt warf sich vor die Reling und legte den Strahler an. Zwischen den gedrechselten Stützholmen hindurch jagte er einen Strahl auf das nächstliegende feindliche Schiff, strich an dessen Breitseite entlang. Das Holz, eben erst gelöscht, fing sofort wieder Feuer. Die Nordmänner verschwanden hinter dichten Rauchschwaden. Aus einem der beiden intakten Schiffe schoss ihnen eine Kanonenkugel entgegen, doch sie klatschte gut fünfzig Meter hinter ihnen in den Fluss. Sie befanden sich schon außerhalb der Reichweite der Schiffskanonen. Matts Plan ging auf! Es würde noch zwanzig bis dreißig Minuten dauern, bis das Wasser in den Heizkesseln der beiden Schiffe kochte und die Nordmänner die Maschinen für eine Verfolgung anwerfen konnten
* In den Kesseln brodelte das Wasser. Langsam stieg der Dampfdruck an. Nur noch ein paar Minuten, und Matt würde die Maschine starten können. Er erklärte Lodar in groben Zügen die Funktionsweise der Dampfmaschine. Der König hörte mit leuchtenden Augen zu. Anschließend suchten sie das Ruderhaus auf. Es war nicht verschlossen. Matt erklärte ihm, was er zu tun hatte, sobald sich die Schaufelräder in Bewegung setzten. In kurzer Folge ertönten plötzlich zahlreiche Detonationen. Matt sah zum Fenster des Ruderhauses hinaus. Über dem ans Hafengelände grenzenden Buschland standen Pulverdampfwolken. Kanonenkugeln schlugen nicht weit vor den brennenden Schiffen in den Fluss. Mauriz und Walder hatten die Kanonen der Nordmänner gegen ihre Erbauer in Stellung gebracht! Und sie nahmen als Erstes die unbeschädigten Schiffe aufs Korn! Matt zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Damit standen auch sie auf der Abschussliste! Er wandte sich an Lodar. »Ich sorge für Dampf! Steuere auf die Flussmitte, sobald der Kahn sich in Bewegung setzt!« Damit verließ Matthew das Ruderhaus und rannte auf der Flussseite des Schiffes an den Deckaufbauten vorüber. Dabei konnte er die Nordmänner beobachten, die, von den Schüssen aufgeschreckt, durcheinander rannten und ihre Waffen aufklaubten. Eine Kanonenkugel schlug in eins der Schiffe. Schreie brandeten auf.
* König Lodar steuerte das Schiff flussabwärts. Matt blickte hinüber zum Hafengelände. Eine Angriffswelle versuchte die Geschütze am Rande des Hafengeländes unschädlich zu machen - beziehungsweise deren Kanoniere.
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Pfeile hagelten dort nieder. Matt konnte nicht erkennen, ob sie ihre Ziele trafen. Am Bug eines der Schiffe erkannte er den Rothaarigen. Er brüllte laut und fuchtelte mit den Armen. Matt wusste, dass Hairik sie mit seiner ganzen Streitmacht verfolgen würde. Um sein Schiff zurück zu erobern und um wieder in den Besitz des Strahlers zu kommen. »Geben Sie mir das LP-Gewehr!« Matt fuhr herum. Hinter ihm stand, zitternd vor Schwäche an die Reling gelehnt, Commander Eve Carlyle. Matt konnte nicht anders, als die Energie zu bewundern, mit der sie ihren fieberglühenden Körper unter Kontrolle hielt. »Das was?« »Das Laser-Phasen-Gewehr...« Er reichte es ihr. Eve Carlyle öffnete die Tastatur der Waffe. Mit fliegenden Fingern tippte sie eine Zahlenkombination ein. »Hören Sie genau zu, Drax«, krächzte sie. »Jeder Träger eines LP-Gewehrs hat einen persönlichen ID-Code, mit dem er die Waffe aktivieren kann. Niemand ... niemand außer ihm kann sie benutzen ...« Sie unterbrach sich, um zu husten und Luft zu holen. »Und jedes LP-Gewehr kann mit einem Geheimcode auf Selbstzerstörung programmiert werden ... In diesem Kugelkörper«, Eve legte ihre schweißnasse Hand auf die kleine Kugel der Waffe, »ist ein Neutronenreaktor untergebracht...« Plötzlich schoben sich die Rohre ineinander. Der Strahler sah nun aus wie eine metallene Keule. »Die Selbstzerstörung lässt sich auf eine Zeit zwischen sechzig Sekunden und vierzig Minuten einstellen«, flüsterte Eve. Der Schweiß rann ihr in Strömen über das glühende Gesicht. »Wir müssen die Nordmänner in die Nähe des Bunkers locken ...« »Verstehe«, brummte Matt. »Wir gehen im Bunker in Deckung, während das Ding oben explodiert.« Misstrauisch musterte er den zusammengeschobenen Strahler. »Und was genau passiert bei der Selbstzerstörung?« Commander Carlyles Gesicht verzog sich zu
einem gequälten Lächeln. »Etwas, das Sie sich nicht vorstellen können, Drax...« * Pulverdampf lag wie Nebel über dem Hafengelände. Die Angriffsfront der Nordmänner zog sich zurück. »Sie geben auf!« Mauriz' rußgeschwärztes Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Lachen. Er schlug dem untersetzten Palisadenmeister auf die Schulter. »Sie geben auf, Walder! Bei Wudan! Sie ziehen ab!« Die Krieger hinter den Kanonen und die Armbrustschützen und Schwertkämpfer auf dem Hafengelände fielen sich in die Arme. Mauriz und Walder blickten hinunter zum Hafenbecken. Die Nordmänner rannten über die Laufstege auf die beiden ihnen verbliebenen Schiffe. Mauriz schätzte, dass etwa zweihundert von ihnen die Kämpfe der vergangenen Morgenstunden überlebt hatten. Immer noch eine schlagkräftige Armee. Sie sahen, wie die Laufstege an Bord geholt wurden. Dampfwolken quollen aus den hohen Schornsteinen der Schiffe, und bald darauf begannen sich die riesigen Schaufelräder zu drehen. Die Schiffe legten ab und tuckerten flussabwärts. »Sie verfolgen den König und Mad-drax«, erkannte der Palisadenmeister. »Wudan sei ihnen gnädig«, flüsterte der Göttersprecher. Eine halbe Stunde fuhren sie über den Fluss. Die Maschinen stampften unter Deck. Die Planken zitterten. Lodar öffnete die Tür zum Ruderhaus. »Der See!«, rief er und deutete zum Südufer. Matt spähte über die Reling. Wald und überwucherte Ruinen zogen vorbei. Zweihundert Meter flussabwärts öffnete sich eine Lichtung. In ihr dehnte sich die dunkle spiegelglatte Fläche eines kleinen Sees aus. Lodar steuerte das Ufer an. Matt hatte dem König und dessen Leuten erklärt, dass die Wunderwaffe der weißen Frau einen gewaltigen Blitz auslösen würde. Ein Blitz, der die Nordmänner von einem
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Augenblick auf den anderen vom Erdboden tilgen würde. Sie hatten ihn skeptisch angesehen. Aber es war die einzige Möglichkeit, die kriegerischen Götterschlächter, die eine permanente Gefahr nicht nur für die vermeintlichen »Götter«, sondern auch für jedes andere Volk darstellten, ein für allemal los zu werden. Matt lief hinunter in den Maschinenraum und öffnete das Dampfdruckventil. Der stampfende Rhythmus der Zylinderkolben verlangsamte sich. Kurz darauf gingen sie vor Anker. »Wann werden die Nordmänner hier sein?«, flüsterte Eve Carlyle. Sie wirkte etwas kräftiger als noch vor einer halben Stunde. Der bevorstehende Schlag gegen ihre Peiniger schien ihre letzten Kraftreserven mobilisiert zu haben. »Sie brauchen mindestens zwanzig Minuten, bis sie genug Dampfdruck aufgebaut haben, um die Maschinen anzuwerfen«, sagte Matt. »Vielleicht legen sie jetzt gerade ab.« »Dann stellen wir die Selbstzerstörung des LP-Gewehrs auf vierzig Minuten ein.« Als wäre er aus Blei, hob Eve den rechten Arm und tippte einen Zahlencode in die Tastatur der Waffe. Matt beugte sich über sie und blickte auf das Display. Eine Zahl erschien - 40:00. Eve drückte die Enter-Taste. Der Countdown begann. »39:59« erschien auf dem Display. 39:58,39:57,39:56... »Aber es gibt doch im Notfall die Möglichkeit, den Countdown anzuhalten?«, erkundigte sich Matt, in dessen Magen sich ein mulmiges Gefühl breit machte. »Bis er bei exakt fünf Minuten angelangt ist«, erwiderte Eve. »Danach tritt der Reaktor in eine kritische Phase ein und kann nicht herunter gefahren werden.« Sie drückte auf einen kleinen Knopf. Das Display mit dem Countdown schnappte hoch und ließ sich von der Waffe lösen. Darunter sah Matt ein weiteres Zahlenfeld. »Hier kann man ihn abbrechen. Die Kombination lautet 2-0-1-2. Das Jahr der Katastrophe...« Sie drückte Matt das Display in die Hand. »Hier. Damit können Sie die Zeit im Auge haken.« Matt prägte sich die Zahlen ein und sah mit
gemischten Gefühlen auf das kleine Teil hinab. »Welche Reichweite hat die Explosion?« fragte er. »Das kommt auf den Zustand des Reaktors an«, erklärte Commander Carlyle. »Zwischen einem und drei Kilometer im Durchmesser. Diese Waffe ist schon ziemlich alt. Höchstens zwei Kilometer, schätze ich.« Matt musste unwillkürlich schlucken. Zwei Kilometer! Für diese Strecke brauchte man im dichten Wald mindestens eine halbe Stunde. Er konnte nur hoffen, dass der Bunker nicht allzu weit entfernt lag. Er erklärte Aruula, Lodar und den Kriegern, dass es nun kein Zurück mehr gab. »Uns bleiben noch«, er warf einen Blick auf das Display, »siebenunddreißig Minuten, bis die Waffe explodiert.« Die Männer sahen sich betreten an. »Dann sollten wir sie möglichst schnell loswerden«, sagte Lodar. Sie verbargen das zur Bombe mutierte Gewehr in einer Kiste unter Bord, ließen ein Beiboot zu Wasser und ruderten ans Ufer. Waffen, ein wenig Proviant, Wasser und ein paar Öllampen nahmen sie mit. Dann arbeiteten sie sich durch das Gestrüpp um den See herum. Lodar trug Eve auf seinen Armen. Immer wieder blickte Matt auf das Display - 28:12, 28:11,28:10... »Da entlang.« Die kraftlose Stimme der weißen Frau. Ihr ausgestreckter Arm wies in den Wald. Gleich hinter dem Waldrand, eingerahmt von Stämmen und Buschwerk, lag eine flache langgezogene Ruine. Vielleicht eine ehemalige Lager- oder Fabrikhalle, schätzte Matt. In der dem Wald zugewandten Seite stießen sie auf ein Tor, groß genug, um einen Lastwagen oder ein kleines Flugzeug durchzulassen. Das Tor stand offen. Sie betraten die Halle. Matt warf einen Blick auf das Display - 24:42. Für den Weg vom Schiff hierher hatten sie zwölf Minuten gebraucht. Eine Öffnung gähnte im Hallenboden, elliptisch, etwa sechzehn Schritte lang und sieben Schritte breit. Eve klammerte sich an Lodars Hals fest und stöhnte laut. »Was ist das?«, fragte Matt.
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»Der Eingang zum Bunker unserer Forschungsstation«, krächzte Eve. Schrecken zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Aber er musste geschlossen sein ...!« »Ich gehe hinein.« Kurz entschlossen ließ sich Matt auf die Knie sinken. Sein Blick suchte die glatten Wände des elliptischen Schachtes ab. Er war nicht sehr tief - vielleicht vier Meter. Eine schmale Metallleiter zog sich von seinem Boden bis an den oberen Rand. »Ich komme mit dir«, sagte Aruula. Er nickte nur. Lodar setzte Eve auf dem Hallenboden ab, während Matthew und Aruula auf die Leiter stiegen. Er zündete eine Öllampe an und reichte sie hinunter zu Aruula. Auf dem Schachtboden blickte Matt kurz auf das Display - 23:02, 23:01, 23.00 ... Ihnen blieb nicht mehr allzu viel Zeit. Sie leuchteten die Metallwände ab. Zwei große ovale Öffnungen gähnten in den langen Seiten der Ellipse. »Hier steht alles offen!« Matts Stimme hallte von den glatten Wänden zurück. Von oben schauten Lodar und seine Leute zu ihnen herab. Matt hörte Eve stöhnen. »O Gott etwas Furchtbares muss passiert sein ...« Matt leuchtete in die Öffnungen und erkannte die Schmalseiten von Stahlwänden. Vermutlich ein Außenschott. Die Ränder waren verbogen und ließen sich nicht mehr vollständig einziehen. Seite an Seite betraten sie die offene Schleuse. Aruula schnüffelte. »Riechst du das?« Matt roch es - es stank nach Verwesung. »Wir gehen ein Stück hinein!«, rief er nach oben. Langsam schritten sie durch die Schleuse. Ein rohrartiger Gang schloss sich an, etwa vier Meter im Durchmesser. Der Lichtkegel der Lampe bohrte sich in die Dunkelheit. Plötzlich ein Schaben nicht weit vor ihnen. Matt hob seine Pistole. Dann fauchte es und ein Schatten schoss ihnen entgegen - im Lichtschein tauchte eine Taratze auf! Mit gesträubtem Fell griff sie an. Matt drückte ab. Die Detonation des Schusses hallte ihnen hundertfach aus dem dunklen
Rohrschacht entgegen. Die Bestie rotierte um ihre Längsachse, prallte gegen die Schachtwand und blieb zuckend liegen. Noch vier Kugeln im Magazin . .. Knapp sechs Schritte vor ihnen lag ein weiterer Toter. Die Leiche des Mannes war auffallend groß und zierlich, der Schädel völlig haarlos. Er war schon halb verwest. Aber weder die Taratze noch ein anderes Tier hatte ihn umgebracht. Eine Lanze steckte in seiner Brust! Ein Stück weiter die nächste Leiche. Man hatte ihr den Schädel gespalten. Wahrscheinlich mit einer Kriegsaxt. Damit war die Frage beantwortet, ob die Nordmänner die Lage des Bunkers kannten. Sie kannten sie - und hatten furchtbar unter den Insassen gewütet. Die Taratze war vermutlich von dem Aasgeruch angelockt worden. Aber war sie die Einzige hier? Taratzen lebten normalerweise in Rudeln. Vielleicht hielt sich der Rest der Meute tiefer in den Eingeweiden des Bunkers auf - und war, durch den Schuß angelockt, schon unterwegs zum Einstieg? Ein Schauder rieselte durch Matts Glieder, als er sich klar machte, dass sie in diesem Bunker keinen Schutz vor den Vernichtungskräften des LP-Gewehrs finden würden. Sie konnten ja nicht einmal die beschädigte Schleuse schließen. »Es reicht«, flüsterte er. »Hier lebt niemand mehr.« Der Countdown auf dem Display hatte die Zwanzig-Minuten-Marke unterschritten. Eilig liefen sie zurück zum Schacht und kletterten die Leiter hinauf. Aus großen Augen blickte Eve ihnen entgegen. »Nur Tote«, sagte Matt leise. Er sprach Englisch. »Die Nordmänner müssen vor Tagen schon hier gewesen sein ...« Eve Carlyle barg ihr glühendes Gesicht in den Händen. Ein Weinkrampf ließ ihren Körper erbeben. Matt berichtete dem König und seinen Kriegern, was sie gesehen hatten. Lodar drückte die weinende Frau an sich und streichelte sie. Matt schaute auf das Display - 17:21, 17:20, 17:19 ... Er beugte sich zu Eve hinunter und schüttelte sie. »Der Bunker ist nicht mehr zu gebrauchen!«,
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sagte er drängend. »Wir müssen eine andere Deckung finden! Was passiert genau bei der Selbstzerstörung?« Eve hob ihr tränennasses Gesicht und blickte ihn an. »Es gibt keine Deckung! Der Reaktor zerstört sämtliche Molekularstrukturen in Reichweite . ..« Eine Hand aus Eis griff nach Matts Herz. »Was sagen Sie da...?«, flüsterte er. »...organisches Gewebe, anorganische Materie - alles wird sich in seine Atome auflösen. Nur ein strahlungssicherer Bunker bietet genügend Schutz...« Matt sprang auf. Er starrte auf das unbarmherzig tickende Display. Der Countdown war bei sechzehn Minuten und achtundzwanzig Sekunden angelangt. Seine Gedanken rasten. Zwölf Minuten hatten sie für den Herweg benötigt. - Bei fünf Minuten war der Countdown nicht mehr zu unterbrechen. - In der verbleibenden Zeit die ZweiKilometer-Grenze zu überschreiten, war bei diesem Gelände nicht zu schaffen. - Also zurück? - Aber mussten die Nordmänner die Anlegestelle nicht inzwischen erreicht haben? Egal; es blieb nur eine Möglichkeit: die Bombe zu entschärfen, bevor... Matt verdrängte den Gedanken. »Zum Fluss!«, schrie er. »Beeilung!« Sie hasteten aus der Halle und arbeiteten sich durch den Wald. Lodar trug die fremde Frau. Matt erklärte ihm die Situation. Der junge König wurde blass. Glücklicherweise kamen sie nun, da der Weg bereits vom Gestrüpp befreit war, schneller voran als zuvor. Als sie das Flussufer erreichten, unterschritt der Countdown gerade die Acht-Minuten-Marke. Matt brach der Schweiß aus - sie mussten noch zum Dampfer rudern, an Bord gehen, unter Deck gelangen... »Da kommen sie!«, riss ihn Lodars Stimme in die Gegenwart zurück. Er blickte flussaufwärts. Etwa achthundert Meter südlich erkannten sie die Rauchfahnen der beiden Dampfer. Die Gruppe enterte das Ruderboot und paddelte zum Schiff hinüber. Matt überwand die letzten zwei Meter mit einem Sprung, krallte sich an der Reling fest, zog sich koch und kletterte an Bord. Noch sechs Minuten!
Lodar, Aruula und die anderen kletterten hinterher und zogen Eve auf das Schiff. Lodar spähte nach den Verfolgern. Sie kamen scheints rasend schnell näher! »Macht das Schiff klar!« befahl er seinen Männern. Mehr stolpernd als rennend stürmte Matt unter Deck. Auf dem Display schmolz die Zeit dahin - 5:11, 5:10, 5:09 ... Matt erreichte das Versteck, riss die Truhe auf. Mit bloßen Händen warfen Lodars Männer Holz und Kohle in den Heizkessel. Das Wasser war noch nicht ganz abgekühlt; trotzdem würde es Minuten dauern, bis es wieder zu kochen begann. Matt langte nach dem Gewehr. Zu hastig; beim Anheben glitt es ihn aus den Fingern und polterte in die Truhe zurück. Matt griff nach, drehte es um. 5:04, 5:03 .. . Mit fliegenden Finger stellte er den Code ein: 2-0-1-2. Dann senkte sich sein Daumen auf den kleinen Kopf. Abbruch! Abbruch! Er warf einen Blick auf das Display. 4:58, 4:57, 4:56 ... Der Countdown tickte weiter! »Verdammte Scheiße!« Matt brüllte seine Verzweiflung hinaus. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Er trat gegen die Truhe und spürte den Schmerz kaum, der ihm durch die Zehen zuckte. Er war zu spät gekommen! Er hatte versagt! Nun war alles aus! Nein - in knapp fünf Minuten wäre alles aus! Noch blieben ihm ein paar Minuten! Mit der Hoffnung der Verzweiflung schnappte sich Matt das LP-Gewehr und stürmte an Deck zurück. Neben der Reling knieten Aruula und Lodar. Sie beugten sich über Eves reglosen Körper. Aruula blickte auf. »Sie ist tot«, sagte sie leise. Matthew Drax blickte flussaufwärts. Die beiden Raddampfer waren nun deutlich zu erkennen. Höchstens vierhundert Meter waren sie noch entfernt. »Ich habe es nicht geschafft!«, presste Matt hervor. In viereinhalb Minuten wird die Bombe zünden!« Lodar und Aruula erbleichten und starrten auf
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das Gewehr in seinen Händen. Matt packte den Strahler am Rohr und wollte ihn über Bord werfen. Lodar hielt seinen Arm fest. »So geht es nicht.« Er sprach mit ruhiger fester Stimme. »Die Strömung würde das Blitzrohr mit sich tragen. Ich habe einen Plan.« Matt blickte in die grauen Augen des Königs. Entschlossenheit und Würde spiegelten sich in ihnen. »Ohne deine Hilfe wäre keiner in Laabsisch mehr am Leben, Maddrax.« Lodar nahm Matt den Stahler ab. »Wudan segne dich.« Damit drehte er sich um, ging zum Heck und stieg über die Reling. Matt begriff. Und wollte es nicht glauben. Zusammen mit Aruula stürzte er an die Reling. Unter ihnen machte Lodar gerade das Ruderboot los. Er setzte sich auf die Ruderbank, legte den Strahler zwischen seine Beine und nahm Kurs auf die Dampfer der Nordmänner. Matt konnte seine Augen kaum von dem blonden Mann im Ruderboot los reißen. Er hatte von Leuten gelesen und gehört, die ihr Leben für andere geopfert hatten. Begegnet war bisher noch keinem ... Doch es war keine Zeit, Gedanken nachzuhängen. Wenn Lodars Opfer nicht umsonst sein sollte, mussten sie handeln! »Ich laufe in den Maschinenraum«, wandte er sich an Aruula. »Geh du ins Ruderhaus und halte das Steuer fest.« Auf dem Weg hinab sah er noch einmal auf das Display. Der Countdown stand bei drei Minuten vierzig Sekunden. Er hatte keine Ahnung, wie viele Knoten der Dampfer machen konnte, ob überhaupt schon genügend Dampf vorhanden war. Er konnte nur hoffen und beten. Unermüdlich schaufelten die Männer Kohlen in den Brennraum. Sie fachten das Feuer an, bis der Dampf aus allen Überdruckventilen zischte. Matt sagte ihnen nicht, was ihr König gerade im Begriff war zu tun. Wortlos legte er den Hebel um und gab den Dampf frei. Die Kolbenstangen rasselten, die Schaufelräder seufzten. »Okay, das genügt!«, brüllte Matt gegen den Lärm an. »Alle an Deck jetzt!« Als sie ins Freie traten, war das Ruderboot mit Lodar auf die Entfernung nicht mehr auszumachen. Doch offensichtlich hatten die
Verfolger gestoppt; der Vorsprung war wieder auf gut sechshundert Meter angewachsen. Vermutlich holten sie gerade den gegnerischen König und die vermeintliche Wunderwaffe an Bord. Reiche Beute, sollte man meinen. Dass sie sich den Tod einluden, ahnten die Nordmänner nicht. Über die Heckreling gebeugt starrten die Gefährten flussaufwärts. Matt kontrollierte das kleine Display in seiner Hand. 0:42, 0:41, 0:40 . . . Die Schaufelräder pflügten das Wasser; das Schiff gewann immer mehr an Fahrt. Doch würde es reichen? Mehr als tausend Meter mussten sie noch hinter sich bringen. »Geht alle zum Bug!« kommandierte Matthew. Jeder verdammte Meter konnte entscheidend sein, wenn der Reaktor detonierte. Die Männer folgten seinem Befehl, aber gleichzeitig schauten sich die ersten nach ihrem König um. »Wo ist Lodar?«, fragte einer. »Später!«, drängte Matt. Die wechselnden Zahlen auf dem Display jagten ihm Eiszapfen über den Rücken. 0:23, 0:22, 0:20 ... Und die Strecke war noch nicht geschafft! Unterwegs holte er Aruula aus dem Ruderhaus. Es war gleichgültig, ob das Schiff auf den letzten Metern führerlos fuhr. Gemeinsam stürmten sie der Bugreling entgegen und gingen dort in zweifelhafte Deckung. 0:03... 0:02... 0:01 ... Und dann verschwanden die Schiffe der Verfolger. Von einem Augenblick zum anderen. Und nicht nur die Schiffe verschwanden: Wald, Schilf, Flussufer - etwa anderthalb Kilometer von ihnen entfernt verschwammen die Konturen der Landschaft plötzlich und lösten sich auf. In gespenstischer Lautlosigkeit blähte sich eine strahlend weiße Kuppel aus. Sie standen wie festgewachsen und starrten das unheimliche Schauspiel an. Die Kuppel wuchs und wuchs, kam näher, fraß das Schiff und fiel in sich zusammen. Zurück blieb eine leergefegte Ebene, kahler noch als eine Wüste. Doch das sahen Matt, Aruula und die Männer des Königs nicht mehr. Der Dampfer kippte! Aber nicht zur Seite, sondern nach vorn. Denn sein Heck existierte nicht mehr. Die
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Lichtkuppel hatte es in Höhe des Ruderhauses fein säuberlich abgetrennt. Schreiend stürzten sie in die Fluten. Wobei nicht zu erkennen war, ob es Schreie des Schreckens oder der unbändigen Erleichterung waren, noch am Leben zu sein ... * Drei Tage waren vergangen. Matt und Aruula hielten sich wieder in Laabsisch auf. Sie hatten sich, wie auch die zwölf Krieger, lebend aus dem Fluss retten können. Mauriz hatte die Regierungsgeschäfte übernommen. Der Wiederaufbau der Siedlung würde Monate dauern, vielleicht Jahre. Aber trotz der hohen Verluste hatte die Stadt den Raubzug der Nordmänner überlebt. Mauriz, Walder und Pieroo begleiteten Matt und Aruula zum Fluss hinunter. Pieroos Horde hatte sich entschlossen, in der Stadt zu bleiben. Sie packten Proviant, Felle und Matts Container auf das Floß. »Laabsisch ist euch zu großem Dank verpflichtet«, sagte Mauriz zum Abschied. »Es ist schade, dass ihr schon weiterzieht.« »Ich bin auf der Suche nach drei Gefährten«, sagte Matt. »Ich muss sie so schnell wie möglich finden.« Und danach stand schon sein nächstes Ziel fest: London. Er wollte zu jener Community, von der aus Commander Eve Carlyle aufgebrochen war. Dort würde er auf Menschen treffen, die auf viele seiner Fragen eine Antwort wussten. Nacheinander umarmten sie die Männer. Matt war gerührt. Außer Aruula war er in dieser Alptraumwelt nur wenigen Menschen begegnet, mit denen er sich hatte anfreunden können. »Wo wills du dein Gefährte suche?«, wollte Pieroo wissen. »In Berlin«, sagte Matt. Die drei ungleichen Männer sahen ratlos an. »Berlin?«, fragte Mauriz. »Von einer Stadt dieses Namens haben wir nie gehört. Wo liegt sie ...?« ENDE
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Die Amazonen von Berlin Endlich erreicht Matthew Drax seinen ehemaligen Stützpunkt bei Berlin und muss erkennen, dass sich auch hier einiges geändert hat. Unter anderem hat sich die »Frauenquote« im Reichstag stark erhöht. Denn dort herrschen die Frawen, ein Amazonenstamm, der nach jahrhundertelanger Unterdrückung den Spieß umgedreht und die Menen versklavt hat. Männer werden nur noch für die Paarung eingefangen und anschließend gleich getötet. Matt hat »Glück« - er wird als Partner für die Königin auserwählt und hat damit immerhin Anrecht auf einen besonders schnellen Tod. Nur ein Wunder kann ihn jetzt noch retten...
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