HORST BERNHARDT
Gluthauch über Krakatau
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1955
Der junge Javaner Djako hob bestürzt den Kop...
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HORST BERNHARDT
Gluthauch über Krakatau
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN 1955
Der junge Javaner Djako hob bestürzt den Kopf. Er war gerade dabei, die Erde rund um die Kaffeesträucher der Pflanzung mit der Hacke zu lockern, als ein merkwürdiges Geräusch ihn aufmerksam werden ließ. Genauso klang es, wenn drüben, auf der Insel Java, die Lokomotiven der Güterzüge auf dem hohen Bahndamm vorüberfauchten. Aber das Pfeifen und Zischen der Lokomotiven auf Java konnte man hier nicht hören. Die Insel lag ein gutes Stück entfernt, und dazwischen dehnte sich kilometerweit die Meeresstraße. Djako richtete sich auf und lief eilig durch die Pflanzung, zwischen deren sauber ausgerichteten Kaffeesträuchern in regelmäßigen Abständen hohe Bäume standen. - Silbereichen, die viel Schatten spendeten; denn die jungen Kaffeesträucher brauchten Schatten und Windschutz zum Gedeihen. An einer Biegung des Weges verhielt Djako den Schritt. Was war das? Am Graben zwischen der Hauptstraße und der Kaffeeplantage dampfte der Boden, wie Djako das nur von den Kraterrändern der Vulkane seiner javanischen Heimat kannte. Es waren nicht schwüle Bodenausdünstungen wie nach tropischem Regen - es war ein ständiges Zischen, als würde heißer Rauch mit großer Gewalt von unterirdischen Kräften durch die lockere Erdhülle gepreßt. Die aufsteigenden Wolken waren auch nicht weiß wie Wasserdampf. Sie ballten sich schmutziggelb und rochen nach Schwefel. Der Javaner wandte sich um und rief, so laut er konnte, die Gefährten herbei. Dann standen sie im Halbkreis um den glutheißen, dampfenden Boden. »Allah zürnt«, sagte zitternd ein alter Moslem und schüttelte den
ergrauten Schädel. »Es ist der Berg«, meinte ein anderer. »Es ist der ,Schweigende Berg’.« Sie starrten zum Gipfel des Berges empor, dessen üppiges tropisches Grün sich fast bis zur abgeplatteten Spitze erstreckte. »Krakatau« nannten die Javaner diesen Koloß. Krakatau, das hieß »Schweigender Berg«. Und so wie dieser erloschene Vulkan, den niemand mehr fürchtete, hieß auch die ganze fruchtbare Insel, die dem weitaus größeren Java vorgelagert war. »Du bist ein Narr«, fuhr man dem Sprecher über den Mund. »Warum heißt er denn der Schweigende Berg? Weil er längst tot ist und sich nie mehr rühren wird.« Von der Villa der Verwaltung her tönte Pferdegetrappel. Die Schar der javanischen Arbeiter in den Pflanzungen wich zurück, Jan van Dooren, der holländische Besitzer der Kaffee- und Zuckerrohrplantagen, verstand keinen Spaß, wenn einer der Arbeiter während der Schicht auch nur den Nacken hob. »Was ist los? Was steht ihr dort herum?« schimpfte er und schwang die Reitpeitsche. »Djako hat es zuerst bemerkt, daß der Boden zu dampfen beginnt... Es ist ein großes Unheil, das uns droht«, rief man von allen Seiten durcheinander. Jan van Dooren und sein Begleiter wurden aufmerksam. Für Augenblicke zuckte es in ihren Gesichtern, und Zweifel und Schrecken packte sie. Doch Jan van Dooren hatte sich bald wieder in der Gewalt. »Das ist eine dumme Sache«, sagte er auf französisch, einer Sprache, von der er genau wußte, daß die Javaner sie nicht verstanden. »Es riecht verdammt nach Schwefel. Hoffentlich gibt es kein Erdbeben.« Dann straffte er sich. »Keine Schwäche zeigen, Allat! Wenn diese braunen
Burschen merken, daß wir Angst haben, laufen sie uns womöglich mitten in der Ernte von den Plantagen fort.« Er gab dem Pferd die Sporen und ließ es kerzengerade steigen. »Vorwärts, an die Arbeit, Leute! Aber ein bißchen fix! Seid nicht abergläubisch. Überall hier auf diesen verfluchten Inseln stehen Vulkane. Überall gibt’s mal ein kleines Erdbeben. Wo kämen wir hin, wenn wir bei jedem bißchen Schwefeldampf aufhören wollten zu arbeiten.« Die Reitpeitsche pfiff durch die Luft. »Los! Los! Habt ihr nicht gehört, faule Bande«, unterstrich Allat die Worte des Pflanzers. Er trieb die Javaner vor sich her und jagte sie in die Kaffeeplantagen zurück. Als die Eingeborenen längst wieder bei der Arbeit waren, hielt van Dooren plötzlich mitten im Ritt inne. »Hören Sie zu, Allat! Wir müssen die Sache natürlich bei der Kolonialverwaltung melden und untersuchen lassen. Das sind wir unserer Sicherheit schuldig.« Er wies mit dem Kinn auf die javanischen Arbeiter zwischen den Kaffeesträuchern. »Auf ein paar mehr oder weniger von den braunen Teufeln kommt es nicht an. Wenn es jedoch ernst werden sollte...« Er zwinkerte dem Aufseher zu. »Aber die Ernte? Was wird aus der Kaffee-Ernte?« »Sie sind ein Kindskopf, Allat. Selbstverständlich muß die Ernte eingebracht werden. Doch wir können uns in Sicherheit bringen und weit hinaus aufs Meer fahren, nach Java vielleicht. Sie ernennen inzwischen ein paar Zuverlässige unter den Eingeborenen als Hilfsaufseher. Solche Leute gibt es immer. Ein paar Gulden extra... Na, Sie wissen schon, wie man so etwas macht.« Die beiden lachten verständnisinnig. Ihre Furcht verflog. Irgendwie würden sie sich schon retten, wenn es wirklich gefährlich werden sollte. Am nächsten Tage qualmte es schwefelig aus einer Spalte jenseits der Uferstraße, etwa fünfzig Meter seitwärts der gestrigen Stelle.
Der Rauch war noch stärker. Er legte sich quälend auf die Atmungsorgane und reizte zum Husten. Djako werkte mit seiner Hacke zwischen den blühenden Sträuchern. Die weißen Blüten des Kaffees strömten einen angenehmen, süßlichen Duft aus; aber immer wieder legten sich stickige schwefelige Schwaden wie eine dumpfe Drohung über die Pflanzung. Wenn der Javaner den Blick hob, sah er den Berg vor sich. Diesen gewaltigen Berg, von dem die Märchen des javanischen Volkes soviel zu berichten wußten; in dessen Innern vor vielen, vielen Jahren die glühende Lava kochte, schlimmer als sonst irgendwo auf den Inseln. Doch das mußte sehr lange her sein, denn auch die ältesten unter den Insulanern hatten es selber nicht mehr erlebt. Er war tot, der Krakatau, so lange man zurückdenken konnte. War er wirklich tot? Die Schwefeldämpfe auf Krakatau wurden zum gewohnten Bild. Beamte der Kolonialverwaltung beruhigten Jan van Dooren. »Sie brauchen die Insel nicht zu verlassen. Was soll schon passieren? Wir schreiben jetzt 1883. Der letzte Ausbruch des Krakataus fällt nach unseren Aufzeichnungen in das Jahr 1680. Es sind also fast zweihundert Jahre her. Der Boden der Insel ist fest. Solch ein bißchen Schwefeldampf ist nicht tragisch zu nehmen.« Van Dooren korkte zufrieden die Ginflasche auf. »Sie nehmen mir eine große Sorge, meine Herren. Ich war beunruhigt. Sie verstehen ... die Kaffee-Ernte!« Die Beamten verstanden. »Für alle Fälle haben wir die Erdbebenwarte auf der Insel Sumbawa benachrichtigt. Man hat zugesagt, einige Sachverständige nach Krakatau zu entsenden. Sie werden in etwa zehn Tagen hier sein. Dann sollen auch die letzten Zweifel und Bedenken zerstreut werden.«
Der Besitzer der Plantagen hob das Glas. »Ihre Anordnungen, Ihr Weitblick sind bewundernswert, meine Herren«, schmeichelte er. Die Männer von der Verwaltung verbeugten sich. »Es ist unsere Pflicht. Wir sind schließlich für unsere Landsleute in Übersee verantwortlich.« »... und dafür, daß die Eingeborenen ihre Pflicht tun«, ergänzte van Dooren mit deutlicher Anspielung. »Selbstverständlich«, beeilte sich einer der Uniformierten zu versichern. Sie waren wieder einmal alle einig. Der reiche Pflanzer van Dooren, dem alle Plantagen auf Krakatau gehörten, seine Aufseher und die Beamten der Verwaltung. Djako grübelte über die Zusammenhänge zwischen den wandernden Schwefeldämpfen von Krakatau und dem Schweigenden Berg. Er war kein Wissenschaftler, der irgendeine Theorie hätte beweisen können. Aber er war ein Kind dieses Landes und folgerte recht einleuchtend, daß die seit zweihundert Jahren tief im Innern des Berges brodelnden vulkanischen Massen sich womöglich einen neuen Ausweg suchten. Er dachte mit Grauen daran, welche verheerenden Folgen ein Ausbruch des Vulkans für die kleine, dichtbesiedelte Kaffeeinsel, die ihren Bewohnern keine Möglichkeit des Entweichens bot, haben würde. Ende März kam die Untersuchungskommission der Erdbebenwarte von Sumbawa: der junge holländische Assistent Mijnheer, Delore, sein javanischer Gehilfe Djesaj und dessen Schwester Ly, die in der Erdbebenwarte als Laborantin arbeitete. Djako hörte davon, daß die drei an den Flanken des Berges Messungen durchführten. Aber die Plantagenverwaltung ließ darüber nichts verlauten. Und wenn wirklich einmal einer der Aufseher etwas sagte, dann waren es Beruhigungen, die niemand glaubte, die
nicht die schweren Befürchtungen vergessen machen konnten. Seit Tagen schon hatte Djako eine Gelegenheit gesucht, seine Landsleute Djesaj und Ly zu sprechen. Er wollte Gewißheit haben. Doch immer, wenn er die beiden sah, waren sie in Begleitung des Holländers, und oft ritt auch einer der Aufseher an ihrer Seite. Nach einer Woche - es war nun schon Anfang April geworden erfuhr Djako endlich, wo Djesaj und Ly wohnten. Es war in einer kleinen Siedlung an der Westküste, eine gute Stunde von Djakos Dorf entfernt. An demselben Abend noch, während die Gefährten um das blakende Feuer saßen und die schwermütigen Lieder ihrer Heimat sangen, erhob sich Djako heimlich. Er wollte Gewißheit darüber haben, was unter dem Boden der Insel vorging, und wenn wirklich Gefahr im Verzüge war, blieb gewiß Zeit, die Gefährten zu benachrichtigen. Vorläufig arbeitete noch die Kommission am Krakatau. Würde sie etwa mit ihrem holländischen Leiter hierbleiben, wenn es ernst wäre? Würden Herr van Dooren und seine Aufseher ihr wertvolles Leben aufs Spiel setzen, wenn die Katastrophe unmittelbar bevorstände? Djako schlich über die nächtlichen Straßen. Hunde bellten. Lodernde Lagerfeuer vor den leichten Hütten der Inselbewohner tauchten alles in einen traulichen Schein. Dabei war das Leben der Menschen auf Krakatau unter der Knute der Kolonialherren so hart wie nur denkbar. Sie kannten keine begrenzte Arbeitszeit, sie kannten auch keine Tarife. Sie kannten nur Fron. Kinder arbeiteten auf den Pflanzungen und Greise’ Die eben Geborenen wurden von den jungen Müttern auf den Rücken gebunden und lernten das Schuften in den Kaffeeplantagen kennen, lange, ehe sie zum erstenmal auf den eigenen kleinen Füßen standen. Die Straße nach Pembang zog sich dicht am Ufer hin. Weiße Schaumkronen säumten die Wellen der Sunda-Straße, die in einschlä-
ferndem Rhythmus auf den weiten Strand schlugen. Djako hätte sich gern ein Weilchen hingesetzt. Er liebte diese Abende am Meer. Aber er mußte eilen, sonst hatten Djesaj und Ly sich womöglich schon zur Ruhe gelegt, und der ganze Weg war vergebens. Es war ohnehin schon recht spät, als Djako in Pembang anlangte. Die meisten der Feuer vor den Hütten der Einheimischen waren verloschen oder glimmten nur noch schwach dahin. Auf der Hauptstraße traf Djako einen späten Wanderer. Er trug den Lendenschurz nach Art der Javaner, und Djako sprach ihn auf javanisch an. Er hatte sich nicht geirrt. Der Mann stammte aus demselben Bezirk wie er und gab bereitwillig Auskunft. »Djesaj und Ly? Sie wohnen ganz in der Nähe. Am Anfang des Kokospalmenhains. Dort, am Hügel!« Er streckte den Arm aus und sah Djako forschend an. »Was willst du von den beiden?« »Es ist wegen des Berges«, erwiderte Djako kurz. »Wegen des Berges?« »Ja. Ich will wissen, was in ihm vorgeht.« Er zögerte. »Was unter uns vorgeht.« Der andere wiegte den Kopf. »Allah wird alles zum Besten fügen«, sagte er, als lese er eine Stelle aus dem Gebetbuch. »Es ist nicht Sache der Menschen, das Schicksal zu ergründen.« Djako ergriff den Landsmann bei den Schultern. »Sei kein Narr, Bruder«, entgegnete er. »Allah will nicht, daß wir hier auf der Insel an Schwefel und Asche ersticken. Wir müssen selber herausbekommen, wie es um den Berg steht. Die Aufseher werden es uns gewiß nicht sagen.« Der fromme Moslem hob erschrocken die Hände. Die Worte Djakos, dieses Aufbäumen seines Gefährten, mochte ihm, dem im Glauben und Erdulden Befangenen, wie eine Gotteslästerung erscheinen. Dennoch wies er Djako den Weg. Das aus Bambus gefügte Haus am Kokospalmenhain war noch
erleuchtet. Hier befand sich die Dorfkneipe mit einigen kammerähnlichen Verschlagen, die der Wirt anspruchsvoll als Hotelzimmer bezeichnete. »Djesaj willst du sprechen?« fragte er mißtrauisch und wischte mit einem schmierigen Lappen über die niedrige Theke, auf der unzählige Fliegen in klebrigen Lachen zappelten. Niemand in Pembang und überhaupt auf Krakatau wußte, woher der Wirt kam. Manche behaupteten, er sei Grieche, andere hielten ihn für einen Syrer. Tatsache war, daß er beste Beziehungen zu Herrn van Dooren unterhielt und den Holländer am Gewinn der Kneipe beteiligte. Als Gegenleistung drückte van Dooren beide Augen zu, wenn der ausgeschenkte Fusel so schlecht und gesundheitsschädigend war, daß eigentlich längst die Verwaltung hätte eingreifen müssen. »Djesaj stammt aus demselben Dorf wie ich«, antwortete Djako auf gut Glück. »Da möchte ich ihn gern wiedersehen.« »Ach so«, meinte der Bärtige beruhigt. »Das ist etwas anderes.« Er behielt den schmierigen Lappen in der Hand, während er in einen dunklen Seitengang zeigte. »Dort, im Flur, die vierte Tür links, das ist Djesajs Zimmer. Aber vergaloppiere dich nicht! Die dritte Tür, da wohnt nämlich Djesajs Schwester Ly. Kennst du die etwa auch?« »Natürlich kenne ich sie«, ging Djako auf den Ton des Wirts ein. Der andere lachte noch um einen Ton frecher als vorher. »Ein leckeres Mädel. Ich wäre dir nicht böse, wenn du ein Wort für mich einlegst...« Er schob ein Schnapsglas vor Djako hin, und der Javaner leerte es voller Widerwillen, nur um überhaupt erst einmal bis zu Djesaj und seiner Schwester zu gelangen. »Viel Glück«, rief ihm der Wirt mit bedeutungsvollem Lachen nach. »Und vergiß nicht, für mich zu vermitteln!« Djako tastete sich angewidert den dunklen Gang entlang. Ein
Hund knurrte und schnappte nach ihm. Er verspürte für einige Augenblicke die kalte, feuchte Schnauze des Tieres an seiner Wade, Dann fühlte er den ersten Türgriff in der Hand, den zweiten, den dritten... Hier mußte es sein: Er klopfte an die leichte Lattentür. Rasche Schritte erklangen. Ein Mädchen öffnete. Eine zierliche Javanerin mit schmalen Mandelaugen und glänzend schwarzem Haar. Sie mochte jemand anders erwartet haben, denn als sie Djako sah, schloß sie sofort wieder die Tür bis auf einen schmalen Spalt. »Ich wollte zu meinem Landsmann Djesaj«, stotterte Djako verlegen. »Ich glaubte, ich dachte...« Er konnte den Blick nicht von diesem schönen Mädchen lassen, das ihm hier so unversehens die Tür geöffnet hatte. Der Spalt wurde wieder etwas breiter, und nun lag auch schon ein Lächeln um den Mund der kleinen Javanerin. »Djesaj ist mein Bruder. Er muß gleich wiederkommen«, sagte sie und gab die Tür frei. »Wenn du warten willst?« Sie bot Djako das freundschaftliche Du an, etwas, das man in Java nur tut, wenn man von der Ehrlichkeit und dem guten Willen des Besuchers überzeugt ist. Djako trat ein und blickte sich neugierig in dem kleinen Zimmer um. Die Wohnräume der Kneipe von Pembang waren nach europäischen Begriffen gewiß nicht komfortabel. Immerhin unterschieden sie sich vorteilhaft von den armseligen Nachtlagern der Plantagenarbeiter, die aus Palmenblättern und getrocknetem Bananenlaub bestanden. Am Fenster standen Chrysanthemen - herrliche große Blüten in zartblau, rosa und gelb. »Du kennst meinen Bruder?« fragte Ly. »Ich kenne ihn nicht.« Ly hob überrascht den Kopf. »Ja, aber... was führt dich denn
her?« Die Tür ging erneut auf, und Djesaj trat ein. Auch er war ziemlich klein, wie die meisten Javaner. Doch seine dunklen Augen blickten lebhaft und klug, und ein Funken der Sympathie sprang von Djako zu dem ihm noch unbekannten Javaner über. »Es ist wegen des Berges«, stammelte Djako. Und obgleich er damit doch eigentlich erst Lys Frage beantwortete, war es, als begriffe auch Djesaj sofort alles. »Du bist Javaner?« fragte er. »Ich arbeite auf van Doorens Plantagen.« Djesajs Gesicht verzog sich unwillig. »Van Dooren ist ein hartherziger, ein böser Mensch. Er denkt nur an sich und sein Geschäft. Bevor wir nicht Leute wie ihn und seinesgleichen davonjagen, wird unser Volk von Tag zu Tag ärmer werden, selbst wenn vier Ernten im Jahr auf den Feldern stehen.« »Er kommt wegen des Berges«, mischte sich Ly ein. Die Augen ihres Bruders leuchteten auf. »Was weißt du von dem Berg?« »Ich habe als erster die Schwefeldämpfe wahrgenommen. Es war am Eingang zur Plantage, ganz nahe am Graben der Hauptstraße. Ich möchte jetzt von dir wissen, ob es der Berg ist, der sich meldet. Du hast es gelernt, die Zeichen zu deuten. Ich bin ein einfacher Bauer. Aber du, du mußt es wissen.« Djesaj und seine Schwester ließen sich auf den Decken zu ebener Erde nieder. »Mach es dir bequem«, forderte Ly den Besucher auf. »Ich deute keine Zeichen«, sagte Djesaj lächelnd. »Ich führe Messungen durch. Das ist keine Zauberei. Das sind Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeit in der Natur. Und wenn wir diese Gesetzmäßigkeiten erkennen, dann können wir auch vieles ändern, vieles verhüten.« Djako hatte begierig zugehört. »Und was wird nun mit dem
Berg?« fragte er angstvoll. »Der Schweigende Berg wird erwachen«, antwortete Ly an Stelle ihres Bruders. »Er wird erwachen?« »So wahr, wie täglich die Sonne aufgeht.« »Und was sagt Mijnheer Delore dazu? Was sagen die Holländer überhaupt?« Djesaj zuckte die Achseln. »Sie haben uns vor allem erst einmal untersagt, auch nur das geringste über die Untersuchungen verlauten zu lassen. Wegen der Panik unter der Bevölkerung, die das Wissen auslösen könnte, behaupten sie. Natürlich geht es ihnen in Wirklichkeit nur um eines: um die Kaffee-Ernte und die billigen Arbeitskräfte, die sie dazu brauchen. Sie haben Angst, daß die Plantagenarbeiter weglaufen. Das ist alles!« Djako starrte vor sich hin. »Es muß etwas geschehen«, rief er plötzlich aus und sprang auf. »Man muß es den Leuten sagen. Man muß...« »Setz dich hin«, sagte Djesaj ruhig. »Wer springt, ohne zu sehen, wohin, der springt in den Abgrund, sagt man bei uns zu Hause. Was würdest du schon damit erreichen, wenn du jetzt losläufst und die Siedlungen alarmierst? Herr van Dooren ließe dich wie einen tollen Hund an der nächsten Ecke erschießen, und du hättest niemandem genützt, am wenigsten deinen Gefährten.« »Und was sollen wir tun? Sollen wir warten, bis die Asche des Krakataus uns alle zudeckt?« »Natürlich nicht, und deshalb freue ich mich auch, daß du gekommen bist. Du kennst deine Gefährten und weißt, wie man sie anpacken muß Mijnheer Delore reist in den nächsten Tagen nach Sumbawa zurück. Aber wir, meine Schwester und ich, bleiben hier, um den Berg zu beobachten, um Herrn van Dooren zu sagen, wann es gefährlich
wird, wann es ratsam ist, sich in Sicherheit zu bringen. Wir werden dich unterrichten, Djako. Es gibt untrügliche Anzeichen für den unmittelbar bevorstehenden Ausbruch eines Vulkans, und du hast dann Zeit, deine Gefährten vorzubereiten, sie zu warnen.« Ly erhob sich und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Sie ergriff die Klinke und riß den Flügel mit einem plötzlichen Ruck weit auf. Das gelbe Licht der Petroleumlampe fiel in den dunklen Flur hinaus. Ein Hund stand dort und - der bärtige Wirt. Er grinste verlegen und tat, als sei er gerade eben zufällig vorbeigekommen. »Bringen Sie uns Tee!« befahl Ly kühl. »Sehr wohl«, antwortete er. »Der Lump steckt mit van Dooren unter einer Decke«, sagte Djesaj, »Man muß vorsichtig sein«, fügte Ly hinzu. »Du mußt vorsichtig sein«, entfuhr es Djako. »Ich? Warum gerade ich?« Ihre schmalen, leicht geschlitzten Augen waren fest auf den Besucher gerichtet. »Er stellt dir nach. Ich weiß es.« Das Mienenspiel Djesajs war nicht zu deuten. Seine dunklen Augen glühten. Als der Wirt kam und den Tee brachte, schwiegen sie alle drei. »Warum so schweigsam, wenn alte Freunde zusammenkommen?« höhnte der Bärtige und kicherte aufdringlich. »Ein nicht gesagtes Wort ist oft besser als zehn ausgesprochene«, erwiderte Djesaj mit einem javanischen Sprichwort. Sie blieben auch wortkarg, als der Wirt längst die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte. Djako fühlte mehrmals den Blick Lys auf sich ruhen. Es machte ihn unbeschreiblich glücklich. Als er endlich den Gasthof in Pembang verließ, waren die drei eines Sinnes. Djako ging nicht wieder durch die Gaststube. Sein neuer Freund ließ ihn durch die Hintertür hinaus. Er lief rasch über den Hof und erreichte die Uferstraße nicht weit von
der Stelle, wo er vorhin dem frommen Moslem begegnet war. Mijnheer Delore, Herr van Dooren und seine drei Aufseher saßen rund um den Rauchtisch mit der schweren Messingplatte. Der Gin blinkte in den Gläsern, und Rauch von schweren Zigarren durchzog den Raum. »Eigentlich müßte ich bei der Regierung den Räumungsbefehl für die ganze Insel erwirken«, sagte Mijnheer Delore gerade. »Die Insel Krakatau ist zu klein. Hier gibt es kein Ausweichen, wenn der Vulkan erwacht, und bis Java sind es immerhin gute fünfzig Kilometer über See.« Jan van Dooren sprang erregt auf. »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wir stehen mitten in der zweiten Ernte.« DeJore schlug die Beine gemächlich übereinander. »Ich sagte: eigentlich.« Er lächelte hintergründig. »Natürlich weiß ich Ihren Standpunkt zu schätzen. Die Ernte... Arbeitskräfte... Ich kenne das...« »Sehr verbunden«, dankte Herr van Dooren dem Beamten. »Der Krakatau wird, nicht heute und morgen in die Luft fliegen. Das werde ich auch bei der Regierung berichten. Immerhin, sobald die Anzeichen sich mehren, müssen Sie Transportraum bereitstellen. Meine Leute bleiben hier...« »Sagen Sie«, fuhr Jan van Dooren dem Beamten ins Wort, »haben Sie eigentlich keine anderen Leute auf der Erdbebenwarte in Sumbawa als Farbige?« Mijnheer Delore blickte gelangweilt aus dem Fenster. »Dieser Djesaj ist ein tüchtiger Bursche, und die Eingeborenen kennen nicht nur ihr Land, sie kennen auch die Vulkane. Das gilt vor allem für die Schwester dieses Djesaj. Er hat sie angelernt, und neulich, auf Sumbawa, sagte sie den Ausbruch eines »Vulkans voraus - lange vor meinen besten Mitarbeitern.«
»Mag sein. Doch mir ist dieses farbige Gesindel unsympathisch.« »Außerdem...« Einer der Aufseher mischte sich ein, »Außerdem?« fragte der Pflanzer. »Djesaj und seine Schwester empfangen Besuche von eingeborenen Arbeitern, Perigos, der griechische Wirt in Pembang, berichtete es mir.« »Übertrieben, maßlos übertrieben«, beschwichtigte der Chefaufseher Allat. »Dieser Djako stammt aus demselben Dorf wie Djesaj. Perigos ist eifersüchtig auf ihn wegen des kleinen Javamädels, Das ist alles.« Die anderen lachten schallend wie über einen guten Witz. »Eingeborenenklatsch«, sagte Herr van Dooren abfällig. »Wann reisen Sie ab?« fragte Allat den Beamten. Mijnheer Delore warf sich in die Brust. »Morgen früh. Ich bin froh, daß es losgeht. In Sumbawa ist es ein wenig interessanter.« »Das glaube ich Ihnen gem.« Sie leerten die Gläser, die van Dooren erneut füllte. Die Nacht wurde lang und es lohnte für Mijnheer Delore nicht mehr, schlafen zu gehen. Als er im Morgengrauen aus der Villa van Doorens stolperte, lag das Passagierschiff »Sali« schon unter Dampf. Eine ganze Weile blieb Mijnheer Delore stehen und starrte auf die abgeplattete Haube des Schweigenden Berges, die ständig mahnte, daß dort oben ein Krater lag, der unzählige Male Unheil und Verderben über die Insel gebracht hatte, bevor er vor zweihundert Jahren erlosch. Der Rausch des Holländers war verflogen. Er fühlte sich schuldbewußt. Früher einmal, als er mit dem Studium begann, war es ihm ernst um die Wissenschaft gewesen. Jetzt, in der Verderbtheit und Korruption .der Kolonialverwaltung, hatte er längst alle Bedenken
über Bord geworfen, war er nichts als ein Handlanger der gierigen Beamten und Pflanzer. Mijnheer Delore stierte auf die Silhouette des mächtigen Berges. Ein Grauen überkam ihn. Wenn der Krakatau ausbrechen und unsägliches Unheil über die Menschen auf der Insel kommen sollte, dann war er mitschuldig! Er spuckte aus und lachte. Wenn schon! Er wäre ja nicht dabei, wenn’s losginge. Und eine Schuld mehr oder weniger? Käme es darauf noch an? Djako und die Geschwister trafen sich jetzt oft. Sie hatten eine hohe, weitausladende Silbereiche als Treffpunkt ausgemacht, die an einer verschwiegenen Stelle, etwa hundertfünfzig Meter oberhalb der Bucht, stand. Von hier aus konnten sie die Uferstraße übersehen und waren vor unerwünschten Mithörern sicher. »Alles deutet darauf hin, daß der Krakatau aufbrechen wird«, sagte Djesaj. »Auch Delore war dieser Meinung. Erst am Tage der Abreise änderte er seine Ansicht.« »Er war bei van Dooren«, meinte Ly. »Das erklärt alles.« »Was sagen die Leute?« fragte Djesaj. »Erkennen sie wenigstens die Gefahr, in der sie schweben?« »Die Gefahr erkennen sie wohl. Doch du weißt ja, Djesaj, sie alle sind Moslems, und die Mullahs sprechen vom Zorn Allahs, dem niemand entgeht. Es ist gar nicht so einfach, ihnen klarzumachen, daß es auf den einzelnen ankommt, das Schlimmste zu verhindern und die Behörden im Ernstfall zur Räumung der Insel zu zwingen.« »Wir müssen uns an die Jugend wenden«, sagte Ly. Djako blickte das Mädchen an. Wie schön Ly doch war! »Wir?« fragte er gedehnt. »Wenn du den Leuten von der Gefahr erzählst, so nehmen sie es sicher nicht ganz ernst. Der Mensch gewöhnt sich auch an ständige
Schwefeldämpfe. Wenn aber Djesaj und ich mitgehen, wenn wir
»
»Das dürft ihr nicht«, sagte Djako sofort. »Ihr seid Angestellte der Regierung. Man würde euch den Prozeß machen.« »Und doch werden wir es tun«, entschied Ly. Um ihren Mund lag ein Zug, den nicht einmal der Bruder an ihr kannte. »Was meinst du, Djesaj?« Die klugen Augen des Javaners blickten bewundernd auf die Schwester. »Wenn du zuverlässige Freunde zusammenbringst, Djako3 dann wär’s schon richtig, wenn wir mitkämen.« »Einer von uns beiden muß natürlich immer in Pembang bleiben, damit der dicke Wirt nicht mißtrauisch wird«, schlug Ly vor. »Das ist ein guter Gedanke«, stimmte Djesaj zu. »Ich habe Angst um dich«, sagte plötzlich Djako in die Stille hinein. »Um mich?« fragte Ly, und ein seltsamer Glanz lag in ihren Augen. »Der Bursche könnte die Gelegenheit nützen, wenn Djesaj nicht da ist...«, meinte Djako besorgt. Ly lachte auf. Es war ein drohendes Lachen. »Er sollte es wagen!« Das kleine, zierliche Mädchen mit den feinen Gliedern krampfte die Hände zusammen. »Erwürgen würde ich das Scheusal. Erwürgen!« In einer glutheißen feuchten Maiennacht des Jahres 1883 kamen Ly und Djako aus den Wäldern am Fuße des Krakataus. Sie waren mit einem guten Dutzend Arbeitern, meist jungen Burschen aus den Pflanzungen, zusammen gewesen. Ly hatte ihnen erklärt, wie sie sich den Ausbruch eines Vulkans vorzustellen hätten. Wie die flüssige Glutmasse im Innern der Erde an besonders dünnen Stellen der Oberfläche Kanäle nach oben treibe, aus denen, gleich einem Ventil, der aufgespeicherte Überdruck entweiche. Das hätte nichts mit »Allahs Zorn« zu tun. Es wäre ein Naturgesetz und ganz verständlich. Nun würde ihnen allen wohl auch klar sein, woher die Schwefeldämpfe kämen. Lava, glühende Asche und Gase suchten
einen Ausgang, und dies wäre eben der Grund dafür, daß die unterirdischen Dämpfe sich mit jedem Tag mehr dem Krater des Berges genähert hätten. Jetzt rauchten gar schon seine Flanken, »Läßt sich der Zeitpunkt des Ausbruchs vorher genau berechnen?« fragte einer der Zuhörer. »Natürlich nicht auf den Tag genau’», erklärte Ly geduldig weiter. »Man weiß aber mit einiger Sicherheit, was kommen muß. Eines Tages wird der Vulkankanal des Krakataus sich wieder öffnen, und es wird eine Rauchfahne über dem Berg stehen wie zuletzt vor zweihundert Jahren. Ob es eine Katastrophe gibt oder nur einen leichten Ausbruch, das allerdings kann man vorher niemals ganz genau wissen. Aber was will es schon besagen: schwer oder leicht? Ihr alle wißt, wie dicht besiedelt die Insel ist, und daß es im Ernstfall kein Entweichen gibt.« »Was sollen wir aber tun?« fragten die Arbeiter, und sie vergaßen für Augenblicke, daß es ein Mädchen war, das sie um Rat baten. »Ihr müßt einig in der Forderung sein, die Insel zu verlassen, bis sich durch genaue Beobachtungen der Erdbebenwarten und Wissenschaftler ergibt, daß die Gefahr vorüber ist.« Die Burschen zögerten. Widerstand gegen die Anordnungen des mächtigen Jan van Dooren? Das schien ihnen unfaßbar. »Wollt ihr euch in den Tod hetzen lassen? Bloß damit van Dooren seine Kaffee-Ernte ohne Verlust einbringt?« rief Djako in die Menge. Sie wollten es nicht, aber sie hatten auch noch nicht die Energie, zu handeln. Sie wußten, daß es dem Großteil ihrer Landsleute bequemer sein würde, an die Mullahs zu glauben und an Allahs Zorn, Und sie ahnten, daß es ein Spiel mit dem Feuer wäre, van Dooren und die Kolonialverwaltung zu reizen. Ly und Djako traten auf die Uferstraße und nahmen den Weg nach Pembang. Djako wollte das Mädchen erst zurück in den Gasthof
bringen und dann in sein Quartier gehen. »Es kostet viel Mühe, den
Leuten klarzumachen, was sie tun
müssen«, sagte Ly müde. »Aber langsam, ganz langsam werden sie es begreifen.« »Hoffentlich läßt der Berg ihnen solange Zeit.« Sie gingen schweigsam eine ganze Weile nebeneinander her. „Ich bin müde«, sagte Ly endlich. Djako legte seinen Arm leicht um ihre Schultern. »Ly, ich bewundere dich. Du bist so klein, so zierlich, und hast doch so viel Kraft.« Sie lächelte. »Wenn es notwendig ist...« »Du hast recht.« Er blieb stehen. »Manchmal glaube ich fast, daß du mehr Kraft hast als Djesaj und ich.« Das Wasser der Sunda-Straße floß wie Silber auf den Strand. Lys Augen richteten sich fragend auf Djako. Sie fühlte, daß er noch etwas sagen wollte. Aber er schien die rechten Worte nicht zu finden. Plötzlich nahm er ihren Kopf zärtlich in beide Hände. »Ly, ich hab’ dich lieb.« Ihre Lippen waren ihm nun ganz nahe. Djako zögerte nicht mehr, und er küßte sie, wie er das schon seit Tagen ersehnte. In der Nacht erwachte Djako von einem dumpfen Grollen. Er glaubte zu träumen, warf sich auf die andere Seite und wollte weiterschlafen. Doch das Grollen hielt an. Es war wie ferner Donner. Plötzlich hörte Djako auch Stimmen. Klagende, jammernde Stimmen! »Allah zürnt! Tut Buße!« tönte es im Chor. Er sprang auf. Sein erster Gedanke war: der Berg! Heiß wie aus einem Backofen schlug ihm die Luft entgegen. Ein seltsames Geräusch ließ ihn aufmerken. Es klang, als prasselten Erbsen auf das flache Dach der Hütte nieder. Als Djako vor die Tür trat, glaubte er vor Schrecken zu erstarren. Ein karminroter Widerschein stand über dem Gipfel des Krakataus, und zartrosa Wolken stiegen in Abständen wie aus einem Schornstein
zum Himmel empor. Djako fühlte, wie es auf ihn niederrieselte. Asche! Heiße Asche! Der Krater des Krakataus hatte sich geöffnet! Was Ly den Burschen erst vor wenigen Stunden im Walde gesagt hatte, es war nun eingetroffen! Er mischte sieh unter die aufgeregt durcheinanderlaufende Menge. Viele der Männer lagen auf dem Boden der engen Vorhöfe ihrer Hütten, senkten den Oberkörper und drückten die Lippen bebend auf die Erde. »Steh auf, Alter!« rief Djako einem Greis zu. »Wecke deine Familie, damit sie nicht in der Asche erstickt!« Ein junger Bursche war plötzlich an seiner Seite. »Genau wie deine Begleiterin gestern gesagt hat, so ist es nun gekommen«, stammelte er. Sie hasteten durch die Straßen. Die Asche senkte sich schwer auf die Insel. Sie war nicht so heiß, wie Djako es von einem Vulkanausbruch auf Java her kannte. Trotzdem schmerzte sie auf der Haut, und die Menschen drängten sich mit allen nur erdenklichen Gefäßen um die Brunnen. Eine riesige Menschenmenge versammelte sich vor dem Herrenhause der van Doorenschen Besitzungen. Die Fenster waren hell erleuchtet, aber niemand ließ sich blicken. Da klang der fordernde Ruf der Arbeiter zum erstenmal durch die Nacht: »Wir wollen nach Java!... Räumt die Insel!... Stellt Schiffe bereit!« Der Zug formierte sich und zog zum Dienstgebäude der Kolonialverwaltung. »Wie Ly es vorhergesagt hat«, raunte der’ Jüngling an Djakos Seite. »Das Mädchen und ihr Bruder haben gewarnt«, gellte es aus Hunderten von Kehlen. Erst gegen Morgen hörte das Sprühen der Asche auf. Die Stöße des
Krakataus wurden seltener, aber eine schlohweiße Rauchfahne stieg kerzengerade und kilometerweit sichtbar in den tiefblauen Himmel. Jan van Dooren war fassungslos. »So etwas ist mir noch nicht vorgekommen«, tobte er. »Da geht der Pöbel einfach auf die Straße, redet allerlei Unsinn daher, und niemand von der Polizei getraut sich einzugreifen. Ich möchte wissen, wofür wir Pflanzer unsere Steuern bezahlen. Die ganze Verwaltung ist unfähig. Dieser Delore zum Beispiel! Was hat er gesagt?« »Er hat gesagt, daß er eigentlich den Räumungsbefehl erwirken müsse«, wagte Allat einzuwenden. Van Dooren geriet vollends von Sinnen. »Das fehlte gerade noch! Und wer ersetzt uns die Kaffee-Ernte? Herr Delore vielleicht? Dieser Windbeutel.« Allat ging unruhig auf und ab. »Die Leute sind störrisch, Chef. Sie verweigern die Arbeit. Die jungen Burschen stehen im Vorhof der Präfektur und verlangen die Räumung der Insel.« »Verlangen? Verlangen?« Van Dooren kam drohend auf seinen Chefaufseher zu. »Allat, das will ich nicht noch einmal hören, verstanden? Sie gehen jetzt zum Präfekten und richten ihm aus, daß ich ihn persönlich dafür haftbar mache, wenn die Straßen nicht von dem braunen Gesindel geräumt werden und die Leute nicht in spätestens zwei Stunden an der Arbeit sind. Wenn nötig, muß eben von der Waffe Gebrauch gemacht werden. Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht beweisen könnten, wer hier Herr im Hause ist.« »Chef!« Allat stand bescheiden an der Tür. »Ja?« »Ich werde Ihre Anordnungen ausrichten...« »Tun Sie das!« Er wandte sich unwirsch um: »Was nun noch?« »Ich wollte nur etwas zu bedenken geben. Der Krakatau ist in der letzten Nacht ganz plötzlich in Tätigkeit getreten. Wir gefährden nicht
nur die Farbigen, wir gefährden uns selbst.« »Hm...« Der eben noch so zornige Pflanzer hielt im erregten Auf-und Abgehen inne. Sein Gesicht verfärbte sich. »Meinen Sie wirklich, Allat, daß es so gefährlich ist?« fragte er, nun schon bedeutend ruhiger. »Sie kennen eine ganze Reihe javanischer Vulkane. Wie wird es nun weitergehen? Ist die Gefahr nicht zum größten Teil vorüber? Das Ventil ist doch jetzt geöffnet.« Allat zuckte mit den Schultern. »Jeder Vulkan auf Java ist anders. Und den Krakatau kennt niemand.« »Hören Sie zu, Allat! Bringen Sie mir diesen Javaner und seine Schwester her. Ich werde die beiden einmal unter die Lupe nehmen.’’ »Jawohl, Chef!« »Und noch eines. Berichten Sie mir sofort, was der Präfekt gesagt und unternommen hat. Wenn er auch nur einen einzigen der Arbeiter nach Java entwischen läßt, drehe ich ihm bei der Regierung den Strick daraus. Sagen Sie ihm das.« Djesaj und Ly mußten eine ganze Weile warten, bis Jan van Dooren sie zu empfangen geruhte. Das war nicht ohne Absicht. Der reiche Pflanzer vertrat die Meinung, daß man dem »Kolonialvolk« seine Überlegenheit zeigen mußte. Und wenn er schon ausnahmsweise einmal genötigt war, zwei Eingeborene zu Rate zu ziehen, so sollten die Braunen zumindest fühlen, welche Ehre er ihnen damit angedeihen ließ. Als Herr van Dooren dann allerdings Ly sah, bereute er beinahe seine Taktik. Er gehörte zwar nicht mehr zu den Jüngsten, und die neunzehnjährige Ly hätte mit Abstand seine Tochter sein können. Aber für junge Mädchen hatte van Dooren immer etwas übrig. Darüber vergaß er gelegentlich sogar einmal seine Grundsätze in bezug auf die Farbigen. Er bot dem Mädchen einen Stuhl an. Aber Ly dankte, und ihr
Gesicht nahm einen betont kühlen Ausdruck an, als sie fühlte, daß dieser aufgedunsene Pflanzer sich ihr plump und frech zu nähern versuchte. »Was halten Sie vom Ausbruch des Krakataus?« fragte er endlich Djesaj. Seine Blicke aber ruhten weiter auf Ly, und er verschlang sie fast mit den Augen. »Wir werden die Messungen fortführen«, entgegnete Djesaj. »Die erste Gefahr ist mit der Öffnung des Kraters vorüber. Das heißt aber nicht...« Van Dooren unterbrach ihn grob: »Die Gefahr ist vorüber! Das genügt.« Djesaj schüttelte heftig den Kopf. »Die Gefahr ist für die nächsten Tage vorüber. Sie kann schon in einer Woche ins Riesenhafte gewachsen sein. Vielleicht auch erst in einem Monat, oder in zweien.« »Das ist Gerede. Ich bin nicht ängstlich.« Der Holländer warf sich mächtig in die Brust. Seine Selbstsicherheit sollte dem Mädchen imponieren. »Sie irren, Herr van Dooren.« Der Pflanzer drehte sich überrascht um. Sein Gesicht rötete sich. Die Stiefel knarrten. »Wie meinen Sie das?« »Die Insel muß geräumt werden, Herr van Dooren«, sagte Djesaj kurz. Er sah dem Pflanzer scharf in die Augen. »Niemand auf Krakatau kann die Verantwortung noch länger tragen. In einigen Wochen ist womöglich schon die Hölle auf der Insel los.« Van Dooren stand nun unmittelbar vor Djesaj. »Junger Mann!« Seine Stimme drohte. »Zu mir können Sie das eventuell noch sagen. Aber wehe, Sie wiederholen es draußen! Sie müßten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn sie im Ernst annähmen, ich ließe auch nur einen einzigen Arbeiter während der Kaffee-Ernte von der Insel.« »Es muß sein, Herr van Dooren«, wiederholte Djesaj mutig. Der
Pflanzer würdigte ihn keines Blickes mehr. »Allat! Meine Besucher wollen gehen.« Er trat ans Fenster und hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt. Allat ließ Ly und Djesaj vorausgehen. Dann schloß er sich ihnen an. Draußen, auf dem Flur, tippte der Chefaufseher dem jungen Javaner auf die Schulter. »Bringen Sie sich in Sicherheit«, flüsterte er. »Herr van Dooren versteht keinen Spaß.« Djesaj und Ly blieben wie erstarrt stehen. Doch der Aufseher hatte sich schon wieder umgewandt und ging in das Zimmer zurück, aus dem sie eben gekommen waren. Als er kaum die Tür geschlossen hatte, drehte van Dooren sich zu ihm um. »Sie gehen jetzt zum Präfekten, Allat, und erwirken die vorläufige Festnahme dieses Djesaj. Grund: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Noch etwas!« Er überlegte eine Weile. Dann sagte er: »Das Mädel soll nicht verhaftet werden, verstanden? Holen Sie es nachher aus Pembang ab und richten Sie das größere der oberen Zimmer in meinem Hause entsprechend ein.« Allat lächelte unmerklich. Genau das hatte er erwartet, und er hatte sich wieder einmal nicht getäuscht. Ly und Djesaj hastetet durch de» Ort. Überall erkannte man sie. Überall grüßte man sie. Die Menschen riefen ihnen ängstlich Fragen zu. Ihr Ansehen unter den Landsleuten war durch die vergangene Nacht ungeheuer gewachsen. Der Ascheregen hatte endgültig aufgehört, und nur die Rauchfahne über dem Krakatau erinnerte an das Grauen der Nacht. Die Geschwister gingen zum Ufer. Dort hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Djako sprach zu seinen Landsleuten und forderte sie auf, nicht mehr an ihre Arbeitsstellen zurückzukehren.
Als ihm Djesaj die Warnung des Chefaufsehers mitgeteilt hatte, zog er die beiden sofort in die Hütte eines befreundeten Arbeiters. »Ihr müßt fort von der Insel. So rasch wie möglich«, drängte er. Ly schüttelte energisch den Kopf. »Das geht aus zweierlei Gründen nicht. Wir müssen die Messungen weiterführen und den Berg beobachten. Das sind wir allen Menschen auf Krakatau schuldig. Außerdem wird die Präfektur kein Boot nach dem Festland hinüberlassen.« »Wir könnten es erzwingen«, sagte Djako. »Das hätten die Leute von der Insel heute nacht beinahe getan, als das Grauen sie packte. Heute aber sind sie wieder ruhig. Der Krater ist offen. Die größte Gefahr vorüber. So reden sie es sich ein.« »Sie sind noch nicht reif für eine Aktion gegen die Verwaltung. Wir müssen uns damit abfinden.« Djesaj schien tieftraurig, aber Entschlossenheit sprach aus seinen Mienen. »Unsere Freunde werden euch verbergen«, beharrte Djako, »Aber so, daß wir weiterarbeiten können!« Djako legte stolz den Arm um das tapfere Mädchen, das seit dem vorigen Abend zu ihm gehörte. Sie setzten sich in eine Ecke und berieten den weiteren Plan. Außer den Freunden waren noch vier junge Javaner zugegen. Tapfere» mutige Burschen, die das Herz auf dem rechten Fleck hatten. »Wir bringen euch zum ,Haus am Berg’», schlug Djako vor. »Dieses Haus gehört einem alten Vorarbeiter, der in hohem Ansehen bei Allat steht. Wenn es überhaupt eine Sicherheit auf Krakatau für euch gibt, dann dort.« »Und was wird der Alte dazu sagen?« fragte Djesaj besorgt »Er steht zu uns und ist verschwiegen wie ein Grab.« Sie warteten, bis sich die Dunkelheit auf die Insel senkte. Dann schlichen sie sich davon: erst Djako, dann Ly, endlich Djesaj,
Die Nacht war ruhig. Nur über dem Schweigenden Berg stand eine nun hellgelbe Wolke, die aussah wie ein gewaltiger Schirm. Der Schweigende Berg schwieg nicht mehr. Jan van Dooren fand trotz seiner Anordnungen keine Ruhe. Noch am späten Abend ließ er Allat abermals rufen. »Sie kennen den Pavillon am Meer?« »Ich kenne ihn.« »Gut. Lassen Sie ihn wohnlich einrichten. Lassen Sie auch den Anlegesteg in Ordnung bringen. Wir werden dann die schnellste Segeljolle dort bereithalten, damit man im Falle der Gefahr ohne Verzug nach Java aufbrechen kann. Aber beeilen Sie sich. Ich möchte bald in den Pavillon übersiedeln. Von dort läßt sich die Ernte auf alle Fälle besser kontrollieren als von Java aus. Und sicher ist man trotzdem, Meinen Sie nicht auch, Allat?« Allat bestätigte es, wie er seit Jahren alles bestätigte, was der Chef sagte. »Aber vergessen Sie nicht, für die Verhaftung Djesajs zu sorgen und das Mädchen zum Pavillon zu bringen.« »Nein, Chef!« Allat lächelte genauso in sich hinein, wie vor wenigen Stunden. Seine Achtung vor dem dicken Mann, der sein Chef war, schwand von Minute zu Minute. Bisher hatte er van Dooren lediglich für einen, gewissenlosen Gewaltmenschen gehalten. Nun merkte er, daß der Holländer auch noch feige war, Djesaj und Ly kamen nach Mitternacht im Haus am Berg an. Lezzia, ein alter javanischer Arbeiter, begrüßte sie freundlich. Er war in das Vorhaben der Geschwister eingeweiht worden. Bei ihm, dem alten, vorbildlichen Arbeiter der Plantage, vermutete man gewiß keine Feinde des Chefs und der Verwaltung.
Die Geschwister legten sich sehr bald schlafen. Sie hatten beide eine unruhige, schlaflose Nacht hinter sich, und auch jetzt war es wieder recht spät. Sie schliefen bis in den tiefen Morgen hinein, und als der Alte sie endlich weckte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Gegen neun Uhr kam Djako. Er berichtete, daß Polizisten durch den Ort streiften, daß sie alle Hütten durchsuchten und die Arbeiter auf die Plantagen trieben. In einigen Fällen sei es sogar zu Schlägereien gekommen, und die Polizei habe geschossen. »Man müßte dazwischenschlagen«, empörte sich Djako und ballte die Fäuste. »Aber erst im richtigen Augenblick«, erwiderte Djesaj. »Einzelaktionen sind zwecklos, Djako.« Der Freund war damit nicht recht einverstanden. Er neigte dazu, aus dem Augenblick heraus zu handeln, und sicher hätte er das auch diesmal am liebsten getan. Ly schien das zu ahnen. »Djako«, sagte sie bittend, »du versprichst mir, daß du wartest, bis der Augenblick günstig ist. Wir haben einen unheimlichen Verbündeten.« Sie blickte durch die Fenster auf den rauchenden Berg. »Wenn er wieder zu sprechen beginnt, werden wir die Verwaltung zur Räumung zwingen. Dann, hörst du? Nur dann!« »Wenn der Krakatau uns noch Zeit dazu läßt«, antwortete Djako mit finsterer Miene, wie er es gestern abend schon einmal getan hatte. Er schloß das Mädchen in seine Arme und verließ rasch das Haus. Herr van Dooren war seit Tagen bei übelster Laune. Niemand durfte ihm über den Weg laufen. Nicht einmal sein Chefaufseher Allat. Die Polizisten des Präfekten hatten alles auf der Insel zuoberst gekehrt. Das Geschwisterpaar aber blieb verschwunden. Es war, als hätte es der Erdboden verschlungen. Was nutzten die Drohungen van Doorens gegen den Präfekten, was
das Bedauern über die Flucht der schönen Javanerin? Der Pflanzer überlegte: Irgendwie mußte es den beiden gelungen sein, ein Boot zu finden und bei Nacht und Nebel zu entwischen. Das war immerhin noch besser, als wenn dieser Djesaj hiergeblieben wäre und die Unruhe unter den Arbeitern geschürt hätte. Seit Tagen wohnte Jan van Dooren schon im Pavillon. Er war von einer beinahe krankhaften Betriebsamkeit, ritt durch die Plantagen, zankte sich mit dem Präfekten herum, dem er Unfähigkeit vorwarf, segelte in der Sunda-Straße und beargwöhnte den gefährlichen Berg. Unbeweglich und wie gemalt stand die Rauchfahne am Himmel. Am Tage schimmerte sie blütenweiß, in der Nacht war sie von einer durchsichtigen, hellgelben Färbung, Die Tage gingen dahin. In den Speichern der Insel und an den Kais stapelte sich die letzte Ernte. Der Krakatau rauchte, aber das war allen schon längst zur Gewohnheit geworden. Die Leute auf den Feldern hatten Djesajs und Lys Warnung vergessen, und wenn Djako zu ihnen kam und sagte, sie sollten auf ihrer Forderung, nach Java überzusiedeln, bestehen, so lachten sie. »Die Arbeit auf Java ist nicht besser und nicht schlechter als hier. Dann können wir auch auf Krakatau bleiben.« »Und der Berg?« »Laßt den Berg rauchen! Ein rauchender Vulkan ist besser als drei tote Krater.« Djako ließ den Mut sinken. Er sah die Polizisten am Hafen, die jedes ausfahrende Schiff genau untersuchten. Er sah das Sichergeben seiner Landsleute in ein Geschick, von dem sie immer wieder behaupteten, daß es ja doch unabwendbar sei. »Allah ist groß«, sagten die Moslems und fügten sich. Die Nacht der Empörung war vergessen. Djesaj und Ly begaben sich täglich während der Dunkelheit an den
Berg. Sie registrierten die Veränderungen der Pflanzenwelt, die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und die Kraterbildung. Djako begleitete sie, sooft seine Zeit es nur erlaubte. Er hatte auch längst mit Djesaj und Ly über ihre gemeinsame Zukunft gesprochen. Sobald es möglich wäre, wollten sie nach Sumbawa übersiedeln, und dort würden dann auch Djako und Ly endlich an sich und ihr künftiges Leben denken können, »Über den Zukunftsplänen aber lastete wie ein dumpfer Druck der erwachte Berg. Auf der Insel fürchtete man den Krakatau nicht mehr, und es mußte schon ein so jämmerlicher Feigling wie der Pflanzer« van Dooren sein, der trotzdem weiter in dem kleinen Pavillon am Meer wohnen blieb, anstatt in die geräumige Villa mit dem luxuriösen Komfort zurückzukehren. Auch die Geschwister ließen mitunter die gebotene Vorsicht außer acht und arbeiteten bei hellichtem Tage an den Flanken des Berges. Anfang August stellten Djesaj und Ly bei ihren Messungen ein dumpfes Grollen fest, das aus dem Innern des Berges drang. Es war mit bloßem Ohr nicht wahrzunehmen, aber es stimmte sie bedenklich. Das Grollen setzte bald aus. Am 15. August trat es erneut auf. Diesmal so deutlich, daß jedermann auf der Insel es vernehmen konnte. »Lärm gehört zum Handwerk«, spotteten die Sorglosen. »Was Allah tut, ist wohlgetan«, beteten die Moslems. Jene aber, die schon einmal drauf und dran gewesen waren, die Entscheidung zu erzwingen, fanden sich nun erneut zusammen. Am 23. August 1883 versammelte sich eine seltsame Gesellschaft an einem noch seltsameren Ort. Djako, die Geschwister und etwa zwanzig Männer und Frauen aus den Plantagen von Krakatau trafen
sich zu nächtlicher Stunde am Krater des Berges. Brodelnd stiegen die Rauchschwaden zum Himmel, und ein fahler Widerschein zuckte in Abständen an den Kraterwänden auf. Die Männer und Frauen, die Burschen und Mädchen starrten betroffen in den unheimlichen Schlund. Hier oben vernahmen sie alle die kaum noch zu bändigende Gewalt der Elemente. »Der Krakatau wird aufbrechen, Freunde«, sagte Ly. »Was wir bisher erlebt haben, war nichts als ein Vorspiel. Man will euch nicht von der Insel lassen. Man wird euch daran hindern, solange der Präfekt und die Kolonialpolizei die Gewalt in den Händen haben. Aber wenn der Berg zu sprechen beginnt, wird diese Gewalt fortgefegt sein. Wie vor Wochen, in der Nacht vom 20. zum 21. Mai. Dann brauchen wir nichts als Mut und - Schiffe.« Die Worte schienen nachzuhallen. Lange noch, nachdem Ly sich gesetzt hatte. »Ihr kennt den Fischerhafen, Leute«, sagte Djako. »Wenn im Fischerhafen die Sirenen heulen, ist die Stunde gekommen, zu handeln. Weiht alle ein, die das Vertrauen verdienen. Wir müssen bereit sein, wenn wir verhindern wollen, daß van Dooren und seine Handlanger uns und unsere Familien der glühenden Asche und der Lava überlassen, nur um ihr Kaffeegeschäft abschließen zu können.« Die zwei Dutzend Männer und Frauen erhoben sich. Es war ein grausiger Hintergrund, vor dem sie standen: Brodelnde Lava und lodernde Glut. Schon am frühen Morgen war Ly wieder an den Hängen des Berges. Man hatte sie gewarnt, allein zu gehen, denn Djako weilte am Strand und Djesaj errechnete in seinem halbdunklen Verschlag die Ergebnisse der letzten Messungen. Aber Ly ließ sich nicht abschrecken. Sie überdachte ihr bisheriges Leben und mußte lächeln. Wäre es ihr jemals möglich gewesen, an der
Seite des Bruders in Sumbawa zu arbeiten, wenn sie nicht seit frühester Jugend den Mut aufgebracht hätte, einer durch Überlieferung und Religion vorbestimmten Erziehung zu trotzen? Diese überlieferte Erziehung kam den Kolonialherren zugute, und sie taten selbstverständlich nichts, sie zu ändern. Ly aber wußte, daß alles in ihrer Heimat nur anders werden konnte, wenn die Menschen zusammenstanden, Männer und Frauen, Burschen und Mädchen. Sie ging in den taufrischen Morgen hinein, und ein Gefühl der Unbeschwertheit überkam sie. Die Flanken des Berges dampften, aber der Wind kam von Osten her und trieb die schwefeligen Schwaden auf das Meer hinaus. Da bemerkte Ly zwei Männer. Sie trugen die Uniform der Inselpolizei und waren schwer bewaffnet. Das Mädchen suchte Schutz hinter einem Felsblock, aber es war zu spät. Sie vernahm das Geräusch schneller Schritte, das Herabpoltern losen Gesteins, dann standen die Polizisten vor ihr. »Wer bist du?« fragte einer. »Und was machst du hier? Weißt du nicht, daß es verboten ist, sich an den Hängen des Berges aufzuhalten?« Ly überlegte, was sie antworten solle. Doch da sah sie, wie sich die Züge in dem pockennarbigen Gesicht des anderen Weißen erhellten. »Es ist die Farbige von der Erdbebenwarte aus Sumbawa«, sagte er halblaut zu seinem Gefährten. »Es ist das Mädchen, das van Dooren sucht.« »Wo ist dein Bruder?« fragte der andere scharf. Sie blickte ihn mutig an. In dem schmalen, bronzenen Gesicht zuckte kein Muskel. »Mein Bruder ist längst in Java. Seit vielen Wochen schon.« Der Pockennarbige unterdrückte einen Fluch. »Besser als gar nichts«, beschwichtigte der andere. »Van Dooren wird den Fang zu
schätzen wissen.« Die beiden Männer lachten verständnisinnig auf. Lys Augen irrten ab. Sie sah das Domgestrüpp an den Hängen des Berges, und dort, kaum fünf Meter von ihrem Standplatz entfernt, den Abgrund. Wie, wenn sie jetzt an den beiden Polizisten vorbei... ? Die Tiefe lockte. Sie bedeutete Flucht vor den brutalen Kerlen, die ihr den Weg in die Freiheit versperrten. Sie bedeutete Flucht vor van Dooren und dem Leben. Aber plötzlich sah Ly das Gesicht Djakos vor sich. Sie glaubte seine Stimme zu hören. Und nicht nur seine. Nein, auch die Stimmen ihres Bruders und all der Männer und Frauen auf Krakatau, die sie schätzen und lieben gelernt hatte. Sie durfte nicht aufgeben. Man brauchte sie. »Los, Mädchen, wir haben wenig Zeit! Der Berg ist keine angenehme Umgebung«, hörte sie die Stimme eines der Männer wie aus weiter Ferne. Ly fühlte, wie eine sehnige Hand sie am Arm packte. »Los, los!« Sie schritten den Weg hinab. Ly in der Mitte. Die beiden Uniformierten rechts und links von ihr. Je näher sie der Ebene und den Plantagen kamen, desto mehr löste sich die Starre, die das Mädchen erfaßt hatte, als es die beiden Polizisten um eine Biegung des kaum begangenen Maultierpfades hatte kommen sehen. Ly war entschlossen, den Weg zu Ende zu gehen, den sie einmal eingeschlagen hatte. Van Dooren traute seinen Ohren nicht. »Was sagten Sie da, Allat?« fragte er noch einmal. »Zwei Männer der Inselpolizei haben heute morgen das Mädchen aus Sumbawa unterhalb des Kraters aufgegriffen. Sie hatte Instrumente bei sich und führte Messungen durch.« »Die Schwester des Javaners Djesaj?«
»Ganz recht, Ly, die Schwester des Javaners Djesaj.« Van Dooren erhob sich und ging mit schweren Schritten im Zimmer auf und ab. »Herein mit ihr!« Er wandte sich dem Wandschrank zu und entnahm ihm eine bauchige Flasche und ein Glas. Allat hatte die Tür geöffnet. Leichte Schritte kamen, über das Parkett. Van Dooren drehte sich mit einem Ruck um. Ly stand vor ihm. Wenn der Holländer aber geglaubt hatte, ein eingeschüchtertes Mädchen vorzufinden, das vor den Launen des Herrn zitterte wie die Bediensteten aus Java und Sumatra, so irrte er. In ihrer Haltung lagen Trotz und überlegener Spott. Furchtlos sah sie dem Holländer in die Augen. Dieser Anblick war van Dooren so ungewohnt, daß er für Sekunden seine Selbstsicherheit verlor. »Ich habe dich lange suchen lassen Mädchen. Du hast ein gutes Versteck gehabt.« Die zierliche Gestalt im bunten Sarong, dem enganliegenden Ge wand der Frauen auf den Inseln, stand wie eine Statue vor ihm. »Ich bin Angestellte der Erdbebenwarte von Sumbawa, Mijnheer, und wüßte nicht, warum ich mich verbergen sollte. Außerdem kann ich mich nicht entsinnen, Ihnen das Recht eingeräumt zu haben, mich so vertraulich anzureden.«
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Van Doorens Gesicht wurde erst kreideweiß, dann dunkelrot. Er fegte das Schnapsglas vom Tisch, das irgendwo in einer Zimmerecke zersprang. »Dann will ich deinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen, du farbige Schleichkatze.« Er bemühte sich, die Stimme zu dämpfen. Aber das währte nicht lange. »Ihr beide, dein Bruder und du, ihr habt die Arbeiter in den Plantagen aufgewiegelt. Ihr verdientet, ausgepeitscht zu werden, so wie es früher üblich war. Die Polizei hat viel zuviel Geduld mit Kreaturen wie euch.«
Ly antwortete nicht. Die dunklen Augen waren unverwandt auf ihr Gegenüber gerichtet. Van Dooren mochte dieses Schweigen falsch auslegen. Der Klang seiner Stimme wandelte sich. Es war, als stelle er einem trotzigen Kinde Bedingungen. »Es liegt an dir, Mädchen, was aus dir wird«, sagte er halblaut. »Entweder du bleibst hier, in meinem Hause, unter meiner Beaufsichtigung, in meiner nächsten Nähe, oder...« »Oder?« Der Ton ihrer Frage machte ihn stutzig. »Oder ich übergebe dich der Präfektur. Das bedeutet dann Kerker wegen Aufwiegelung der Bevölkerung.« In den Augen Lys glomm ein unheimliches Feuer. »Wähle!« sagte van Dooren und stand nun ganz nahe vor ihr. »Ich habe nicht zu wählen.« »Wie soll ich das auffassen?« Sie hob den Kopf noch höher, und das dunkle Haar über der hohen Stirn fiel weit in den Nacken. In diesem Augenblick erschütterte ein dumpfes Grollen die Luft. Die Sonne, die eben noch strahlend über der Insel gelegen hatte, verschwand in Sekundenschnelle, und wie ein gewaltiges Tuch senkte sich Dunkelheit herab. »Allat«, schrie der Pflanzer. »Allat!« Ly musterte ihn mit Verachtung. Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Allat!« hallte es erneut durch den hohen Raum. »Chef?« Der Aufseher stand auf der Schwelle. Er schien so ruhig und gemessen wie immer. »Was ist los, Allat? Wie kommt es, daß es so finster wird?« Die Stimme des Mannes an der Tür klang monoton, so wie von Menschen, die sich jedes selbständige Denken abgewöhnt haben und zu Automaten geworden sind. »Der Krakatau wirft Asche aus, Chef. Aber es ist nicht gefährlich für uns. Der Pavillon liegt ja so weit draußen am Meer.« »Und die Plantagen? Die Speicher? Die Kaffeevorräte?« Allat zuckte mit den Schultern. »Wir müssen abwarten, Chef.«
Van Dooren stürmte auf seinen Aufseher los. »Fahren Sie zum Kai, Allat! Eilen Sie! Ich warte auf Ihren Bericht.« »Jawohl, Chef.« Van Dooren lief zum Fenster und riß es weit auf. Schwefeliger Gestank drang in das Zimmer, und rußige Schwaden schwebten wie ein dichter Vorhang hernieder. Er stieß das Fenster zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Das Mädchen stand noch immer inmitten des Zimmers. Dumpfes Grollen, wie das Feuer schwerer Geschütze, ließ die Wände erzittern. Da nahm der Pflanzer die noch halbvolle Flasche und führte sie an die Lippen. Lys Augen weiteten sich vor Grauen. Nun setzte van Dooren die Flasche ab und kam auf das Mädchen zu. Die Ader auf seiner Stirn trat heraus, und die Augen waren glasig. »Das ist die richtige Stimmung für uns beide«, sagte er und packte sie an den Armen. Aber die eben noch wie erstarrt vor ihm stehende Ly entzog sich seinem Zugriff. »Hexe«, keuchte er und versuchte sie zu umfassen. Doch Ly war bereits an der Tür, die sich nach außen öffnete. Das Mädchen stürzte davon. Beißender, ätzender Qualm lag in allen Räumen, deren Fenster, wie es hier Brauch war, weit offenstanden. Ly hastete in das Halbdunkel hinein. Sie hörte die Schritte des Trunkenen hinter sich und seine wütenden Rufe. Männer und Frauen kreuzten ihren Weg. Sie schaffte sich Platz und taumelte ins Freie. »Zurück!« rief eine Stimme. »Die Asche ist glühend heiß.« Das Mädchen fühlte Brennen auf der Haut. Sie lief in ein Tor zur Rechten. Irgend etwas lag im Wege. Ly stolperte und fiel hin. Als sie sich gerade wieder erheben wollte, erhielt sie einen Schlag auf den Kopf.
»Habe ich dich endlich?« keuchte die Stimme des betrunkenen Pflanzers. Ly stemmte beide Fäuste gegen die Brust van Doorens. Aber der dumpfe Druck im Kopf war stärker als ihr Wille. Sie fühlte, wie ihr die Sinne schwanden, das Dröhnen des Berges klang ferner und ferner... Beim ersten Aufbäumen des Berges war Djesaj ins Freie geeilt. Er sah die Staubfontänen zum Himmel aufsteigen, er hörte das Herniederprasseln der Asche. Aber Djesaj wußte auch, daß dies nur der Anfang war. Die Ergebnisse der letzten Messungen hatten ihn erschreckt. Es mußten unvorstellbare Kräfte sein, die im Innern des Berges brodelten und kochten und jeden Augenblick explodieren konnten. Dämmerung lag über Krakatau, und in das Prasseln der heißen Asche mischten sich die Schreie der Menschen und das dumpfe Grollen des Berges. Djesaj rannte los. Er achtete nicht der Gefahr. Er mußte Ly retten, die irgendwo an den Hängen des Berges vom Ausbruch des Vulkans überrascht worden war. Am Ausgang des Ortes prallte er fast mit Djako zusammen. »Was machst du hier draußen?« flüsterte der Freund. »Die Polizei wird dich verhaften.« »Sie wird niemanden mehr verhaften. Djako. Der Berg ist stärker als die Holländer.« »Wo ist Ly?« Djesaj packte den Freund am Rockärmel. »Komm, Djako! Wir müssen sie holen. Sie ist irgendwo am Berg.« Aber Djako blieb stehen. »Sie ist nicht mehr am Berg, Djesaj. Ich weiß, wo sie ist.« Der Javaner stand ratlos im Regen des heißen Staubes. »Sie ist nicht mehr... ?«
»Die Polizisten haben sie ergriffen, Djesaj. Noch ehe der Vulkan ausbrach. Ich habe es soeben am Hafen erfahren.« »Dann ist Ly womöglich... ?« Ganz langsam wandte Djesaj sich um. Aber plötzlich fing er an zu laufen. »Djako! Dann ist Ly womöglich in der Gewalt van Doorens?« Es war, als gebe dieser unheimliche Gedanke den beiden Männern neue Kräfte. Der Aschenregen hatte ein wenig nachgelassen. Der Berg schien mit den Menschen spielen zu wollen. Djako und Djesaj erreichten in wenigen Minuten den Strand. Sie liefen an der Kaimauer entlang, bis sie zu der schmalen Landzunge im Südwesten kamen, an deren äußersten Ende der Sommersitz van Doorens lag. Es war noch immer dunkel, obwohl der Vorhang von Staub und Asche sich nun langsam wieder lichtete. Überall schlugen Flammen aus den leichten Bambushütten der Arbeiter. Die glühende Asche hatte sie in Brand gesetzt, und niemand nahm sich die Zeit, diese Elendsquartiere zu retten. Vor den Speichern van Doorens arbeiteten sämtliche Feuerwehren der Insel, und die Wasserstrahlen gewannen langsam die Oberhand über die Flammen. Aber all das sahen Djako und Djesaj kaum. Sie holten das Letzte aus ihren Lungen heraus. Ly war in Gefahr, und sie mußten sie retten! Der Pavillon van Doorens tauchte aus den Dunstschwaden, die schwer über dem Wasser lagen, »Wo ist der Holländer?« rief Djako einem der Javaner zu. Der Mann zuckte die Achseln, aber ein anderer antwortete an seiner Stelle: »Er ist ins Bootshaus geflüchtet. Vorhin, als die Asche sich senkte.« Djako stürzte auf eine Tür zu. Er kannte van Doorens Pavillon und er
wußte auch, wo das Bootshaus lag. Doch die Tür war verschlossen? Da warf sich Djako mit seinem ganzen Gewicht gegen die leichte Füllung. Die Tür gab sofort nach, und er mußte sich festhalten, um nicht zu Fall zu kommen. Zwischen den Bootsständen sahen die beiden Freunde den betrunkenen Pflanzer van Dooren. Er hielt die ohnmächtige Ly auf den Armen und lief dem hinteren Ausgang zu, der ins Innere des Pavillons führte. »Halt!« rief Djako, und seine Stimme hallte wider wie in einem Kellergewölbe. »Halt!« Van Dooren stutzte. Dann ließ er das Mädchen achtlos fallen, so daß es hart auf die Fliesen schlug. Ein zynisches Lachen spielte um seine Lippen. »Nun, meine Herren?« Djako und Djesaj kamen drohend näher - und mit zwei, drei Sprüngen stand Djako plötzlich vor dem Holländer. Van Dooren duckte sich und riß einen Revolver aus der Tasche... In diesem Augenblick aber traf ihn der Fausthieb des Javaners. Der Pflanzer ließ die Waffe fallen und sank zusammen. Seine glasigen Augen waren weit geöffnet. »Rasch, Djako! Wir müssen zum Hafen. Jeden Augenblick kann das Toben des Berges erneut beginnen.« Djako hob das Mädchen auf und trug es aus dem Bootshaus. »Ly! Kleine Ly!« flüsterte er, und es war, als höre sie seine Stimme. Plötzlich schlug sie die Augen auf. Der verkrampfte Zug um ihren Mund wich, und sie lächelte ihn an, Um die Mittagsstunde begann der Berg eine furchtbare Sprache zu sprechen. Explosionen von gewaltiger Wucht ertönten, und eine Glutwelle zog über die Insel hinweg. Die Arbeiter strömten zum Strand, und nun heulten auch die Sirenen im Fischerhafen. Djako und Djesaj hatten das Zeichen gegeben. Sie
standen an der Spitze der empörten Scharen. »Wir wollen nach Java, bevor es zu spät ist!« hallten die Rufe. »Räumt Krakatau!« Die Inselpolizei war machtlos. Sie wurde hinweggefegt. Aber noch drohte die Verwaltung. Wer die Insel verläßt, wird in Java aufgegriffen und bestraft, so hieß es. Keiner hörte darauf. Das Grollen im Innern des Berges,
der
schwankende Boden, die glutheiße Luft trieben die Männer und Frauen vorwärts. Erbitterung hatte sie ergriffen. »In die Boote! Auf die Schiffe!« scholl es aus Tausenden von Kehlen. Auch Ly, Djako und Djesaj schifften sich am späten Nachmittag ein. Am Kai herrschte panikartiges Gedränge. Die Asche des Kra-kataus rieselte ununterbrochen. Der sengende Atem des Vulkans schien die Fliehenden zu verfolgen. Schon wich die Nacht. Die ersten Klippen der Insel Java erhoben sich aus dem Meer - aber noch immer ließ der Schweigende Berg die Menschen nicht los. Sie drängten von den Booten und Schiffen und versuchten, das rettende Ufer zu erreichen. Djako und die Geschwister schleppten sich an Land. Die Mattigkeit drohte sie zu übermannen, aber sie wußten, daß sie jetzt nicht verzagen durften. Mit letzter Kraft kletterten sie am Hang eines Berges empor und ließen sich, auf einer Felsplatte angelangt, zu Boden sinken. Unheilkündend rollte der Donner der Explosionen über die See. Der Gluthauch des fernen Krakataus strich über Javas Küste, und plötzlich fuhr ein greller Feuerstrahl zum Himmel. Unter ohrenbetäubendem Krachen barst der Vulkan. Die Erde bebte und eine gewaltige Flutwelle schwemmte weit in das Land hinein. Erschütternd klangen die Schreie verzweifelter Menschen und mischten sich mit dem Tosen der entfesselten Natur.
Es wurde Nacht und Tag - und wieder Nacht und Tag. Die Gewalt des Krakataus schien keine Grenzen zu haben. Asche und Staub senkten sich auf das tote Land. Das Meer ringsum kochte in unterseeischem Beben und mehr als achtundvierzig Stunden lang lastete Finsternis über der Sunda-Straße. Auf einem kleinen Felsplateau hoch über dem Strand lagen drei junge Menschen, sich eng umfassend, im Schütze großer Steinblöcke. Ein Gefühl der Hoffnung und Zuversicht durchströmte sie und ließ ihre Augen leuchten. Sie waren dem Tode entronnen und das Leben gehörte ihnen... Am 26. August 1883, um 6.02 Uhr - so registrierte es die Erdbebenwarte von Sumbawa - brach der Krakatau auseinander. Die Explosionen waren über tausend Kilometer weit vernehmbar. Riesige Aschenwolken überflogen Java, Sumatra und die anderen Inseln des Malaiischen Archipels. Zwei Tage lang spie der kochende Vulkan seine Rauch- und Staubfontänen dreißig Kilometer hoch in den Äther. Wirbelstürme entstanden durch den Luftdruck der Gasexplosionen, und unterseeische Beben verursachten eine Flutwelle von sechsunddreißig Meter Höhe, die ganze Küstenbezirke von Java und Sumatra verheerte. Die Vulkanasche verdunkelte die Sonne über der Java-See und bis weit in den Indischen Ozean so stark, daß mitten am Tage die Schiffslaternen gesetzt werden mußten. Die Kupferteile der Schiffe waren elektrisch geladen, als ständen sie mit einem Stromerzeuger in Verbindung. Zwei Drittel der Insel Krakatau wurden durch die Explosionswirkung weggesprengt. Die Asche auf der Restinsel lag siebzig Meter hoch. Kein Mensch, der in diesen Tagen noch auf Krakatau war, überlebte die Katastrophe, und vierzigtausend Todesopfer waren insgesamt zu
beklagen. Es gab viele, die vorher gewarnt hatten, die dringend zur Räumung der gefährdeten Insel rieten. Wen interessierte es? Es ging schließlich um Kaffee. Es ging um billige Arbeitskräfte. Es ging nur um Farbige.,.