Mit ihrer Kandidatur zum Schulsprecherinnenamt will Shelly etwas tun, um endlich einmal aus dem Schatten – wie Shelly es...
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Mit ihrer Kandidatur zum Schulsprecherinnenamt will Shelly etwas tun, um endlich einmal aus dem Schatten – wie Shelly es sieht – der beiden älteren Schwestern herauszukommen. Doch so wie Shell von ihrer Klasse zur Kandidatin gewählt wird, so bekommt ihre Freundin Greta die Stimmen ihrer Mitschüler aus der Parallelklasse, was die Freundinnen zu Konkurrentinnen macht. Ein Kampf, den Shellys Klassenkamerad Tim kräftig schürt. Und Shelly, die Tim bewundert, erkennt fast zu spät, wohin das alles führt... Originalausgabe „A Time for Us“ 1987 by CORA Verlag
Band 176 (202) 1987
Scanned by SPACY Corrected by Barbarella Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
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Oneta Ryan
Ganz anders als erträumt Shelly ist davon überzeugt, auf ewig im Schatten ihrer beiden älteren Schwestern zu stehen, wenn sie nicht endlich etwas Aufsehenerregendes leistet. Deshalb will sie, unterstützt von ihrer Freundin Greta und ihrem Freund Andy, für das Amt der Schulsprecherin kandidieren. Tatsächlich wird sie von ihrer Klasse aufgestellt – und von ihrem Mitschüler Tim mit allen Mitteln unterstützt. Doch die Sache hat einen Haken: Shellys Freundin Greta kandidiert für die Parallelklasse, und so sind die beiden Mädchen jetzt Konkurrentinnen. Daß der Kampf hart wird, dafür sorgt Tim – und auch dafür, daß zwischen Greta, Shelly und Andy beinahe alles kaputtgeht...
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1. KAPITEL „Habt ihr auch ein blödes Gefühl bei dem Gedanken, daß heute unser letzter Ferientag ist?” fragte Shelly Bryan. Sie saß mit ihren beiden Freunden, Andy Hansen und Greta Ness, auf der Veranda vor ihrem Haus. Andy, wie immer eher zurückhaltend, zuckte nur mit den Schultern. „Ich bin nicht traurig darüber”, meinte Greta. Sie hatte ihr kastanienbraunes, langes Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und versuchte gerade, ein paar widerspenstige Strähnen unter das Gummi zu ziehen. „Im Gegenteil, in kann es kaum erwarten. Der erste Tag auf der Rochester High School wird bestimmt super! Außerdem geht mir dieses Rumgehänge ganz schön auf die Nerven. Die ersten drei, vier Nachmittage war es ja noch ganz lustig, hier zu sitzen und Radio zu hören. Aber jetzt reicht es. Wird Zeit, daß, endlich mal was Neues passiert.” Du hättest ja auch nicht jeden Nachmittag zu kommen brauchen, dachte Shelly und sah ihre Freundin mißbilligend an. Zugegeben, sie hatte Greta quasi dazu überredet. „Paß‘ auf”, hatte sie gesagt. „Wir werden uns ab heute jeden Tag hier vors Haus setzen. Und zwar so lange, bis Andy uns bemerkt.Machst du mit?” Das war vor zwei Monaten gewesen, an einem Nachmittag im Juni. Sie hatten daraufhin auch tatsächlich Posten bezogen und jedesmal, wenn Andy aus dem Haus ging – er wohnte nur drei Häuser weiter –, das Radio auf volle Lautstärke gestellt, um auf sich aufmerksam zu machen. Shelly sah Andy heimlich von der Seite an. Sie fragte sich -3-
mindestens schon zum tausendstenmal, warum ihr Herz dermaßen verrückt spielte, sobald sie ihn sah. War es die Art, wie ihm immer das zerzauste braune Haar ins Gesicht fiel, oder vielleicht seine strahlend blauen Augen, die immer ein bißchen spöttisch funkelten? Ganz egal. Das einzige, was zählte, war, daß Shellys anfängliche Schwärmerei sich während des Sommers gesteigert hatte. Obwohl sie und Andy nicht so fest miteinander gingen, wie einige andere Pärchen, die sie kannte, war sie Andys Freundin, und er war ihr Freund. Das stand fest, seit sie neulich abends mit ihm darüber gesprochen hatte, als Greta schon nach Hause gegangen war. Immerhin war das ein Anlaß, sich doch ein bißchen auf den Schulbeginn zu freuen. Greta stellte die Musik etwas leiser. „Ich bin sicher, es wird irre auf der High School”, sagte sie begeistert. „Ich wünschte nur, ich hätte auch eine ältere Schwester, so wie du, Michelle. Die könnte einem wenigstens ein bißchen zeigen, wo es langgeht.” „Shelly”, korrigierte Shelly. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich von jetzt an. Shelly nennen.” Sie drehte das Radio wieder lauter. ,,Außerdem ist es nicht besonders nützlich, eine ältere Schwester zu haben. Eine jüngere übrigens auch nicht.” Andy machte nicht gerade ein fröhliches Gesicht, und Shelly fragte sich, ob er auch Probleme mit dem Schulanfang hatte. „Es ist nicht so einfach, sich von heute auf morgen an einen neuen Namen zu gewöhnen”, stellte Greta fest. „Seit der dritten Klasse sage ich nun Michelle zu dir. Und plötzlich fällt es dir ein, dich Shelly zu nennen. Ist ja in Ordnung, aber du kannst nicht erwarten, daß ich immer daran denke.” „Dann versuch es wenigstens.” „Mach ich ja”, entgegnete Greta. „Trotzdem würde ich gern wissen, warum du so aus heiterem Himmel einen anderen Namen haben willst. Vielleicht würde es mir helfen, wenn du -4-
endlich mal erklärst, warum das so wichtig für dich ist.” Shelly blickte von Greta zu Andy und dann auf die fast ausgestorbene Straße. Natürlich hatte das einen Grund, und sie hatte auch schon früher überlegt, ob sie mit Andy und Greta darüber sprechen sollte. Aber sie wußte, die beiden würden es nicht verstehen. Es klang ja sogar für sie selbst manchmal albern. „Willst du uns nicht sagen, was los ist?” fragte Andy. Jetzt fing Andy auch noch an. Ihm konnte sie mit Sicherheit nicht widerstehen. Wer konnte schon jemanden mit so einer Stimme die Antwort verweigern? „Also, wenn du noch nicht mal mit deinen besten Freunden über deine Probleme reden kannst, mit wem denn dann?” hakte Andy nach. „Mensch, Shelly. Nun sag schon!” Greta drehte das Radio leiser. „Raus damit. Wir werden das Problem bestimmt in den Griff, bekommen. Was meinst du, Andy?” Andy lächelte, sagte aber nichts. Shelly seufzte. „Das Problem ist, ach, einfach alles.” „Was ist denn das für eine Erklärung?” Greta drehte das Radio ab.” Du kannst doch nicht einfach sagen, daß alles das Problem ist, und erwarten, daß Andy und ich sagen: Mein Gott, Shelly, wir sind froh, daß du uns das erzählt hast. Also, nun mach schon. Gib uns eine Chance.” „Okay”, gab Shelly nach. „Ich werde euch erklären, was mich so down macht. Aber ich wette, ihr versteht es nicht.” „Stell uns auf die Probe.” Shelly setzte sich auf und wandte sich ihrer Freundin zu. „Du als Einzelkind kannst natürlich nicht wissen, was es heißt, eine jüngere und eine ältere Schwester zu haben.” „Das ist wohl das Schicksal der Einzelkinder”, witzelte Greta. „Willst du es nun hören oder nicht?” fragte Shelly gereizt. „Entschuldigung, war nicht so gemeint. Ehrlich!” -5-
„Weißt du, meine Schwestern sind einfach in allem supergut.” Shelly hob ihre schulterlangen dunkelblonden Haare im Nacken hoch, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. „Ich wußte, daß Marsha ein oder zwei Pokale fürs Fußballspielen bekommen hat. Aber seit wann ist Margaret denn- ein Sport-As?” „Drei. Marsha hat drei Pokale bekommen, und alle drei sind im Wohnzimmer ausgestellt. Und an der Wand darüber hängen sämtliche Auszeichnungen, die Margaret bis jetzt erworben hat. Alle schön gerahmt.” Shelly schüttelte deprimiert den Kopf. „Ich sage dir, du kannst dir einfach nicht vorstellen, was es heißt, die mittlere Tochter und noch dazu eine Null zu sein. Sie schwiegen eine ganze Weile. Dann sagte Andy: „Glaubst du nicht, daß du ein bißchen übertreibst? Ich habe einen kleineren Bruder und komme ganz gut damit klar.” Wie konnte Andy nur so begriffsstutzig sein? „Du bist der älteste, Andy. Das ist der Unterschied. Außerdem ist dein kleiner Bruder erst drei. Der fällt ja noch gar nicht weiter auf.” „Das solltest du mal meiner Mutter erzählen.” „Du weißt genau, was ich meine”, entgegnete Shelly leicht gereizt. „Dein Brüderchen ist weder im Fußballverein noch in sonst einem Klub.” Greta schaute angestrengt in den wolkenlosen Himmel, als wäre dort die Lösung zu finden. Dann runzelte sie die Stirn. „Shelly, ich bemühe mich wirklich, dein Problem zu erkennen. Aber ich sehe es nicht.” Shelly hatte es gleich gewußt. Warum hatte sie auch nur davon angefangen? Sie würden sie ja doch nicht verstehen. Um alles zu erklären, hätte sie ihre Gefühle ganz offenlegen -6-
müssen. Aber wenn sie sich selbst noch nicht einmal richtig eingestehen konnte, was sie empfand, war das ihren Freunden gegenüber noch viel weniger möglich. Andy drückte leicht ihre Hand, als hätte er ihr ihre Ratlosigkeit vom Gesicht abgelesen. Shelly gab sich einen Ruck. „Mein Problem ist, daß ich zwei Schwestern habe, deren Leistungen mich halb wahnsinnig machen”, brachte sie hervor. „Margaret – die großartige Margaret, die super intelligente Margaret. Sie geht jetzt das letzte Jahr auf die Rochester High School, und ich zweifle nicht daran, daß es ihr bestes Jahr wird. Wie soll es auch anders sein? Margaret war schon immer eine Musterschülerin.” „Na und? Dafür ist Margaret nicht so hübsch wie du”, erklärte Greta tröstend. „In unserer Familie zählt Aussehen absolut nichts”, erwiderte Shelly. „Margaret bekommt eine gute Note nach der anderen. Sie bringt jedes Jahr eine Ehrenurkunde mit nach Hause. Leider kann man sein Aussehen nicht an die Wand hängen oder auf eine Kommode stellen.” Shelly seufzte wieder. „Hübsch sein ist ja auch wirklich keine Leistung, sondern eher ein glücklicher Zufall.” „Dein Freund sieht besser aus als ihrer”, Greta ließ nichts unversucht. Shelly drehte sich zu Andy um und lächelte als sie sah, daß er rot geworden war. „Das stimmt. Margarets Freund sieht längst nicht so gut aus wie Andy”, gab Shelly zu. „Aber er ist ganz nett, obwohl ich ihn auch reichlich langweilig finde. Und meine Eltern sind völlig begeistert von ihm. „Aber Andy ist doch auch nett.” „Klar. Sie mögen Andy ja auch. Shelly drückte Andys Hand. „Es ist eben nur so, daß der Freund von Margaret genauso superintelligent wirkt wie sie, -7-
und wenn die beiden bei uns sind, kann das ein normaler Mensch kaum aushalten. Greta legte die Arme um ihre angezogenen Knie. „Okay. Ich gebe- zu, Margaret würde mir wahrscheinlich auch auf die Nerven gehen. Aber so ist sie eben. Marsha ist ganz anders. Sie war zu mir immer sehr nett.” „Du meinst, wenn sie gerade mal zu Hause war, war sie nett, oder?” „Na ja, normalerweise bekomme ich sie fast nie zu Gesicht, wenn ich hier bin”, gab Greta zu. „Natürlich siehst du sie nie. Weil sie nie da ist. Für jemanden, der gerade erst in die sechste Klasse kommt, ist sie ganz schön viel auf Achse.” „Aber doch nur in Sachen Fußball, oder?” schaltete Andy sich ein. „Es ist doch nicht so, daß sie Richardson unsicher macht, Wenn sie unterwegs ist.” Shelly schüttelte den Kopf. Sie wußte genau, was Andy meinte. Ihre Eltern würden nicht dulden, daß sie sich in der Gegend herumtrieb. Keine von ihren Töchtern hatte das tun dürfen, noch nicht einmal die großartige Margaret. Fairerweise mußte Shelly zugeben, daß ihre Eltern wirklich die gleichen Regeln für alle ihre Töchter aufstellten. „Ich finde es trotzdem nicht leicht, unter einem Dach zu leben mit einem elfjährigen Schwesterchen, das sich zur besten Fußballspielerin in ganz Dallas entwickelt. Mom und Dad sind nur noch damit beschäftigt, sie zum Training zu fahren oder zu einem Spiel oder Turnier oder sonstwohin.” Shelly zuckte resigniert die Schultern. „Marshas Pokale und Margarets Auszeichnungen und Medaillen. Ich sage euch, das Leben ist hart, wenn man ein mittleres Nichts ist. „Nun hör schon auf”, wehrte Greta ab. „Wir wissen doch alle, daß das nicht stimmt. „Ach nein? Meine Noten sind jedenfalls nicht besonders -8-
eindrucksvoll. Ich bin offensichtlich zu blöd.” „Du bist nicht blöd”, protestierte Andy. „Den einen fällt das Lernen eben schwerer als den anderen. Sie schwiegen wieder. Die Straße war wie ausgestorben. Sogar der Verkehrslärm vom Freeway, der eine Meile entfernt lag, schien geringer als sonst zu sein. Um die unangenehme Stille zu brechen; schaltete Shelly das Radio wieder an. „Du könntest es auf anderen Gebieten versuchen”, schlug Greta hoffnungsvoll vor. „Ich bin nicht besonders sportlich, also kann ich es schon mal vergessen, mir auf der High School einen Namen mit Basketball oder Tennis zu machen. Fußball steht auch nicht zur Diskussion. Ich hasse dieses Spiel und muß mich schon überwinden, zu Marshas Spielen zu gehen. Nein, das einzige, worin ich immer ganz gut war, ist Singen. Ich habe noch nie bei irgendwelchen Wettkämpfen mitgemacht oder war mal im Schülerrat, wie, du. Ich bin ein Nichts. Finde dich damit ab.” „Ich glaube, daß du dich da in etwas hineinsteigerst, Shelly”, begann Andy zögernd. „Du warst doch schon immer die mittlere Tochter der Familie Bryan. Das ist ja nicht etwas, was erst jetzt im Sommer passiert ist. Ich begreife einfach nicht, was dich plötzlich so daran stört. Okay, wir nennen dich nicht mehr Michelle, sondern Shelly. Reicht das nicht?” „Nein”, antwortete Shelly. Gegen ihren Willen fühlte sie sich ein bißchen verletzt, weil Andy ihre Probleme nicht verstehen konnte, obwohl er es versuchte. „Der Grund warum ich meinen Namen geändert habe, ist daß ich mich wenigstens dadurch von meinen Schwestern unterscheiden will. Drei Mädchen in einer Familie, deren Vornamen alle mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Wie oft hat das schon zu Verwechslungen geführt! Ich bin keine Spitzensportlerin und auch keine Musterschülerin, aber ich kann immerhin meinen eigenen. Namen ändern, wenn ich es will. Es hat mich angeödet, immer -9-
mit Margaret oder Marsha in einen Topf geschmissen zu werden. Shelly ist anders. Der Name paßt auch besser zu mir. Findest du nicht?” „Wenn du meinst.” Andy gab sich geschlagen. Dann fügte er lächelnd hinzu: „Du bist hübsch, hast Persönlichkeit und jede Menge gesunden Menschenverstand. Ich weiß wirklich nicht, was du außerdem noch verlangst. Shelly lachte. „Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen oder willst du mich ärgern?” An Andys verdutztem Gesichtsausdruck erkannte sie, daß er sie nicht verstanden hatte. „Du hast eben gesagt, ich hätte Persönlichkeit”, erklärte sie. „Und Persönlichkeit wird immer ins Feld geführt, wenn einem sonst nichts Bemerkenswertes einfällt.” „Unsinn, Shelly. Du weißt genau, wie ich das gemeint habe”, verteidigte sich Andy. „Ja, ich weiß.” Sie seufzte resigniert. Andy schüttelte den Kopf. „Ich bin übrigens auch in keinem Schülerrat oder sonstwo. Aber es hat mir noch nie was ausgemacht.” „Bis vor kurzem habe ich mich auch nicht darum gekümmert. Aber jetzt nervt es mich total.” Shelly summte einen Song mit. „Du hast wirklich eine tolle Stimme, Shelly”, bemerkte Andy. „Danke. Aber Singen bringt mir auch keine Pokale ein.” Es wurde ein Song nach dem anderen gespielt, und Shellys Summen war das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach. Nach einer Weile setzte sich Greta plötzlich auf. „Ich habe nachgedacht, Shelly”, verkündete sie. „Und weißt du, was ich glaube?” „Was?” „Daß sich die ganze Problematik in Luft auflösen würde, wenn du etwas mehr aus dir herausgehen könntest.” - 10 -
Shelly sah ihr Freundin verständnislos an. „Denk doch mal darüber nach. Warum hast du wohl nie bei irgendwelchen Schulaufführungen mitgemacht? Oder bist nicht wie ich dem Schülerrat beigetreten? Wir sind jetzt seit sechs Jahren miteinander befreundet und hätten schon oft was zusammen machen können. Wieso hast du dich nie dazu aufgerafft?” Shelly mußte zugeben, daß Greta damit recht hatte. „Ich kann mir nur vorstellen, daß ich Angst davor hatte, etwas Neues auszuprobieren”, sagte sie leise. „Ich weiß auch nicht, warum.” „Genau das ist es”, stimmte Greta zu. „Wenn du nur versuchst, etwas mehr aus dir herauszugehen, wird alles wieder okay sein.” Shelly merkte, worauf Greta hinauswollte. Aber sie wußte auch, daß es nicht einfach sein würde, den Vorschlag ihrer Freundin zu befolgen. „Ansonsten bin ich der gleichen Meinung wie Andy vorhin”, fügte Greta hinzu. „Ich verstehe absolut nicht, wieso das plötzlich alles so wichtig ist.” „Und ich glaube, daß das ganze Gespräch an dir vorbeigelaufen ist”, erwiderte Shelly ungeduldig. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sollten ihre Probleme wirklich zu lösen sein? Aber wie?” In drei Jahren haben wir die High School hinter uns. Und du, Greta, hast an Schulaufführungen teilgenommen, bei TalentShows mitgemacht, warst im Schülerrat und was, weiß ich noch alles. Und du, Andy, auch wenn du dich im Moment nicht so engagierst, warst doch wenigstens auf der Junior High School in der Schulmannschaft, bevor du im letzten Mai hier nach Richardson gezogen bist. Ich dagegen werde zwölf Jahre damit verbracht haben, einen totale Niete gewesen zu sein.” Shelly schüttelte niedergeschlagen den Kopf. - 11 -
Andy grinste. „Du hast deinen Namen geändert.” „Eine großartige Leistung, wenn du auf zwölf Jahre zurückblickst”, schnaubte Shelly. Sie rutschte auf dem Betonsockel herum. „Egal. Ich habe hiermit entschieden, daß mein Name nicht das einzige ist, was ich in diesem Jahr verändern werde.” Sie sprang auf und lief ein paar Schritte in den Hof. „Wo willst du hin?” erkundigte Greta sich. Shelly drehte sich um und deutete mit ausgestrecktem Daumen nach oben. „An die Spitze” rief sie übermütig. Andy sah Greta an und fragte: „Verstehst du das?” „Provoziere sie nicht.” Greta schüttelte den Kopf. „Ich glaube, sie ist verrückt geworden.” „Ich bin nicht verrückt geworden. Ich habe nur endlich entschieden, wie es weitergehen soll. Shelly stand, mit verschränkten Armen vor ihren beiden Freunden. „Ich wage nicht, zu fragen”, murmelte Greta. „Ruhe!” rief Shelly. „Ich möchte nicht, daß du die folgende offizielle Ankündigung verpaßt.” Sie machte eine Pause, um die Spannung zu steigern. „Ich weiß eure tatkräftige Unterstützung und Ermunterung zu schätzen, Greta und Andy”, begann sie schließlich. „Aber leider ist das nicht genug.” „Shelly…” unterbrach Andy, verstummte aber sofort wieder, als Shelly ihre Hände hob. „Hört mir nur noch eine Minute zu, dann bin ich fertig. Ich glaube, daß meine beiden besten Freunde unbedingt meine Pläne kennenlernen sollten. Und ihr sollt auch wissen, daß ich vor allem entschieden habe, daß dieses Jahr mein Jahr werden wird.” Greta und Andy schauten sich verständnislos an, sagten aber nichts: „Ich werde mehr aus mir herausgehen”, fuhr Shelly fort. - 12 -
Auch wenn es mich umbringt, setzte sie in Gedanken hinzu. „Und ich werde alles mögliche anpacken. Ich werde es schaffen. Was sagt ihr dazu?” Greta lächelte. „Ich finde es super, und ich werde dir helfen wo ich kann. Wenn Shelly Bryan morgen ihren, ersten Tag an der Rochester High School antritt, wird sie es als neuer, Mensch mit einem neuen Namen und einer neuen Lebenseinstellung tun. Warum nicht?” Sie kicherte. „Wenn du es willst, wird es auch klappen.” „Ich will es”, erklärte Shelly mit Überzeugung. „Was meinst du dazu, Andy?” „Ich glaube, wenn du etwas erreichen willst, dann schaffst du es auch. Und das weißt du.” Er zuckte die Schultern und sah einen Moment fort. „Wenn du also meinst, du müßtest dich verändern, stehe ich hinter dir. Ich bin mir zwar immer noch nicht klar darüber, warum es plötzlich so wichtig für dich ist, aber trotzdem kannst du voll und ganz auf mich zählen, wenn du Hilfe brauchst.” Andy zögerte einen Moment. „Weißt du, Shelly, ich mag dich genau so, wie du bist. Darum werde ich dich auch mögen, wenn du dich verändern willst und jemand werden willst, den du lieber magst.” Shelly ging zu Andy hinüber und nahm seine Hand. „Ich werde jemand werden, den ich lieber mag.” Sie strahlte. „Das mittlere Nichts wird sich in einen Jemand verwandeln. Ihr werdet es ganz bestimmt erleben.”
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2. KAPITEL „Und was hältst du mittlerweile von der Rochester High School?” fragte Greta und holte ein Buch aus ihrem Schließfach. „Es läuft besser, als ich gedacht habe.” Shelly zuckte mit den Schultern. „Aber wenn man das Schlimmste erwartet, kann es ja eigentlich nur besser werden.” Greta knallte die Tür des Schließfaches zu und klemmte sich ihren Stapel Bücher fest unter den Arm. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Schularbeiten gemacht zu haben”, stöhnte sie. „Seit die Schule angefangen hat, sitze ich jeden Abend da und arbeite. Kannst du dir das vorstellen? Seit zwei Wochen jeden Abend. Das ist doch nicht normal.” „Ich weiß nicht. Margaret sitzt oft in ihrem Zimmer über Haufen – von Büchern. Aber bei ihr weiß man nie so genau, ob sie nun für die Schule lernt oder einfach nur so zum Spaß.” Shelly schaute sich vorsichtshalber kurz um, denn es war ja möglich, daß Margaret oder ihre Freundinnen gerade in der Nähe waren. „Sie ist komisch, das weißt du ja”, flüsterte sie Greta zu. Die beiden Mädchen drängten sich durch die Gänge zum Klassenraum, und Greta redete mal mit diesem, mal mit jenem, alles Leute, die Shelly nicht kannte. „Es ist wirklich doof. Ich wünschte, wir hätten mehr als nur einen Kurs zusammen”, seufzte Shelly. „Ich auch. Wäre bestimmt super geworden.” „Bei nur drei zehnten Klassen hatten wir doch eigentlich eine ganz gute Chance, in die gleiche zu kommen. Ich bin nur - 14 -
froh, daß Andy und ich wenigstens zusammen sind. Wir haben den gleichen Klassenlehrer und auch fast, alle Fächer gemeinsam, außer Musik und Sport.” „Du hast wirklich Glück”, stimmte Greta zu. „Ist doch toll, daß diejenige, die ihn als Freund gekriegt hat, auch mit ihm in einer Klasse ist, oder?” Shelly sah erstaunt hoch. Das von Greta? Was wollte sie damit sagen? Es stimmte natürlich, Shelly hatte sich sofort in Andy verknallt, als er im Mai in die Nachbarschaft gezogen war. Und sie hatte wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Greta war immer etwas skeptisch gewesen. Sie hatte ständig betont, daß Jungen sie nicht interessierten. Greta hatte sich doch nicht auch in Andy verliebt und nie etwas davon gesagt? Nein, das war absurd. Greta sprach fast nie von Jungen. Shelly war immer diejenige, die hinter ihnen herguckte. Aber bis auf Andy hatte sich noch kein Junge näher für sie interessiert. „Ich werde mal sehen, wo Andy steckt. Wir müssen in. die Klasse”, drängte Shelly. Sie hätte gern gewußt, was genau Greta eben gemeint hatte, aber jetzt war es zu spät, um zu fragen. „Wir sehen uns wie immer in der Mittagspause, okay?” „Klar, bis dann.” Shelly sah, wie Greta zu einer Gruppe von Mädchen ging, die vor ihrer Klasse standen. Wenn sie doch nur mehr Kurse zusammen gehabt hätten! Es war total blöd, an der gleichen Schule zu sein und sich nur morgens vor Schulbeginn, zum Mittagessen und beim Sport zu sehen. Shelly ging an Gretas Klasse vorbei und bog in den Gang ein, der zu ihrem eigenen Klassenzimmer führte. Andy stand an ihrem Schließfach und wartete schon auf sie. „Wo kommst du denn her?” fragte er. „Ich habe noch mit Greta gesprochen”, erklärte Shelly. „Wetten, ich weiß, worüber ihr geredet habt?” - 15 -
Hoffentlich nicht, dachte Shelly. Es wäre ihr entschieden peinlich gewesen, wenn er erraten hätte, daß sie sich über ihn unterhalten hatten. „Über die Wahl. Stimmt’s?” Wahl? „Welche Wahl?” fragte Shelly verdutzt. Andy fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Welche Wahl? Shelly, des kannst du doch unmöglich vergessen haben!” Im gleichen Moment fiel es Shelly wieder ein. „Ich hab es, gar nicht vergessen. Klar, die Wahl des Jahrgangssprechers! Stellen eigentlich alle drei zehnten Klassen heute morgen ihre Kandidaten auf?” erkundigte sie sich. „Genau. Alle drei. Und die Kandidaten haben dann einen Monat Zeit für ihre Wahlkampagne. Danach wird der Jahrgangssprecher gewählt.” „Was meinst du, wer von unserer Klasse aufgestellt wird?” Andy schaute sie herausfordernd an und grinste. „Na, wer schon. Shelly Bryan natürlich.” „Natürlich! Shelly lachte. „Im Ernst, wer wird gewählt? Wir kennen die meisten von unserer alten Schule her, zumindest ich. Vielleicht Janie Adams”, überlegte sie. „Oder Lannie Meyers.” „Und warum nicht Shelly Bryan?” Wollte Andy sie auf den Arm nehmen? Shelly blickte zu ihm auf. Er wirkte plötzlich ernst. „Shelly, überlege doch mal. „Pro Klasse wird ein Kandidat auf gestellt werden. Also insgesamt drei. Und diese drei Leute bemühen sich um das Amt des Jahrgangssprechers. Nicht viel Konkurrenz. Du hast gute Chancen zu gewinnen.” Andy schien vollkommen verrückt zu sein. Shelly wußte nicht recht, was sie eigentlich zu dieser merkwürdigen Idee sagen sollte. „Hast du nicht vor zwei Wochen verkündet, dieses würde dein Jahr werden? Und hast du nicht auch gesagt, daß du - 16 -
mehr aus dir herausgehen wolltest? Die alte Michelle Bryan wollte sich verändern und ein Jemand werden. Waren das nicht damals deine Worte?” Er hafte sie in der Zange. Shelly erinnerte sich genau an ihre große Rede an dem Sonntagnachmittag auf der Veranda, einen Tag vor Schulbeginn. „Klar, ich habe das alles gesagt”, gab sie zu. „Aber…” „Kein aber”, unterbrach sie Andy. „Wenn du das Problem wirklich anpacken willst, ist jetzt die Gelegenheit dazu.” Shelly schwirrte der Kopf. „Sicher, das wäre ein guter Anlaß”, erwiderte sie zweifelnd. „Aber hast du nicht etwas vergessen?” „Und was?” „In unserer Klasse gibt es noch dreißig andere Leute, und wahrscheinlich sind einige dabei, die sich gerne als Kandidat aufstellen lassen wollen, viel lieber als ich. „Kleinigkeiten.” Andy machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich finde, das ist ein ernst zunehmender Einwand.” „Na gut. Aber ein so großes Problem dürfte es auch nicht sein. Und abgesehen davon, kannst du dir vorstellen, wie toll es wird, wenn du die Kandidatur bekommst? Greta und ich würden dir natürlich bei der Wahlkampagne helfen. Und wenn du Jahrgangssprecherin wirst, schreiben wir zusammen deine Rede zur Wahlannahme.” Shelly lachte. „Ich glaube nicht, daß man als Sprecher der Zehnten eine Rede hält. Jedenfalls hat Margaret noch nie etwas davon gesagt.” „Na und? Woher soll Margaret das denn auch wissen? Ist sie schon mal Sprecherin gewesen?” Shelly dachte einen Moment nach. War Margaret schon mal Sprecherin von irgend etwas gewesen? Oder Marsha? „Nein, ich glaube nicht.” Sie schüttelte den Kopf. - 17 -
„Noch ein Grund mehr für dich, zu kandidieren.” Shelly konnte sich nicht erklären, was in Andy gefahren war. Noch nie hatte sie erlebt, daß er von irgendeiner Sache so begeistert war. Daß sie auf ihn zählen konnte, wenn sie jemanden brauchte, bei dem sie sich ausweinen konnte, wußte sie. Seine ruhige, verständnisvolle Art machte es einem leicht. Doch diese ungeahnte Zielstrebigkeit war eine Seite an Andy, die Shelly überraschte. „Okay”, sagte sie. „Du hast mich überredet.” Sie zögerte. „Aber was ist, wenn ich verliere?” Andy nahm ihre Hand. „Du wirst nicht verlieren, Shelly. Egal, wie es ausgeht, du kannst bei dieser Sache nicht verlieren.” „Das verstehe ich nicht. Am Ende gibt es doch einen Gewinner und zwei Verlierer. Außerdem können wir noch nicht einmal davon ausgehen, daß ich innerhalb unserer Klasse gewählt werde.” „Ich denke schon, daß du als Kandidatin aufgestellt wirst. Und wenn du die Wahl innerhalb der Klasse gewinnst, wirst du auch Sprecher aller zehnten Klassen werden. Falls es nicht klappt, hast du trotzdem nicht verloren. Du hattest nämlich Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen, und bist aus dir herausgegangen, genauso wie du es dir vorgenommen hast. Ein Gewinn ist dir sicher, so oder so.” Schon wieder überraschte Andy sie. Wieso investierte er derart viele Gedanken in eine Sache, die eigentlich nur sie betraf? Die einzige Erklärung war, daß sie ihm genausoviel bedeutete wie er ihr. Shelly fühlte sich glücklich. „Wenn du mich vorschlägst, lasse ich mich riesig gern aufstellen.” Sie drückte Andys Hand. „Ich möchte schrecklich gern jemand sein, Andy. Und ich weiß, ich würde eine SuperSprecherin werden, wenn ich von unserer Klasse genügend Stimmen bekomme, um als Kandidatin aufgestellt zu werden.” „Natürlich würdest du das.” Andy lächelte sie an. In dem - 18 -
Moment ertönte das Klingelzeichen. „Komm, mal sehen, was wir tun können.” Die fünfzehn Minuten für allgemeine Bekanntmachungen, vor dem eigentlichen Unterricht reichten kaum für die alltäglichen Ansagen aus, viel weniger für Nominierungen. Mrs. Slater, ihre Klassenlehrerin, brachte die Routine-Punkte in Höchstgeschwindigkeit hinter sich. Dann stand nur noch die Wahl aus. „Wie ihr alle wißt”, begann Mrs. Slater, „finden heute die Aufstellungen für den Sprecher der Zehnten statt. Ein leises Rumoren ging durch die Klasse. Nicht nur Shelly rutschte nervös auf ihrem Platz herum. „Wir werden jetzt zwei oder drei Leute aufstellen und aus diesen unseren Kandidaten wählen. Habe ich da schon einen Namen gehört?” Mrs. Slater rief ein Mädchen auf, das Shelly nicht kannte. Sie schien nicht von der Kellyville Junior High School, Shellys früherer Schule, zu sein. Shelly hielt den Atem an. „Ich schlage Renee Stephens vor”, erklärte das Mädchen. „Okay. Die erste Nominierung für Renee Stephens.” Mrs. Slater schrieb Renees Namen an die Tafel. Shelly kannte auch Renee nicht richtig, wußte aber immerhin, wer sie war. Sie gehörte zu den Mädchen, die auffielen. Shelly sah zu Renee hinüber und fühlte plötzlich noch mehr Widerwillen gegen ihr langes blondes Haar und ihre Designer-Klamotten als sonst. Die Kandidatur kann ich mir abschminken, dachte Shelly frustriert. „Wir haben jetzt eine Nominierung. Los, Leute! Noch einen Namen!” rief Mrs. Slater. Sie hatte kaum ausgesprochen, als Andys Hand in die Höhe schoß. „Andy?” - 19 -
„Ich schlage Shelly Bryan vor”, verkündete Andy. „Und stelle gleichzeitig den Antrag auf Beendigung der Nominierungen. Wieder ging ein Geraune durch die Klasse, und Shelly wurde die Sache langsam etwas peinlich. „Nun… Andy .” Mrs. Slater fing an zu stottern. „Ich weiß nicht, ob es gestattet ist, eine Ernennung abzugeben und gleichzeitig. die Beendigung der Nominierungen zu beantragen.” „Dann- stelle ich den Antrag auf Beendigung der Nominierung”, rief ein Junge, der neben Andy saß. „Ich danke dir, Tim. Mrs. Slater schrieb Shellys Namen unter den von ,Renee. „Tim Walker hat den Antrag auf Beendigung der Nominierungen gestellt. Wer ist sonst noch dafür?” Irgendwer hinter Shelly meldete sich noch zu Wort, aber das interessierte sie gar nicht mehr. Ihre Gedanken kreisten um den Jungen, der neben Andy saß und der die Nominierungen gestoppt hatte. Hatte er das für sie getan? Und wenn, warum hatte er das gemacht? Sie kannte ihn nicht und versuchte sich zu erinnern, ob sie seinen Namen schon einmal gehört hatte. Tim Walker? Nein, der Name kam ihr noch nicht einmal bekannt vor. Woher sollte er also ihren Namen kennen? Mrs. Slater setzte sich an ihr Pult. ,,Shelly” Renee, kommt bitte nach vorne”, rief sie.” Ich möchte euch bitten, während der Wahl draußen zu warten.” Shelly stand auf und wartete, bis Renee nach vorne ging. So mußte sie wenigstens nicht vor der Klasse auf Renee warten, denn es war so schon unangenehm genug, von jedem angestarrt zu werden. Wenn es immer so ist, wenn man vor vielen Leuten steht, weiß ich nicht, ob ich das durchhalte, dachte Shelly und stellte sich auf die andere Seite von Mrs. Slater. „Ihr beiden könnt nun hinausgehen. Ich werde euch rufen, - 20 -
sobald wir hier fertig sind.” Shelly folgte Renee vor die Tür. Das ungute Gefühl, das sie eben im Klassenzimmer verspürt hatte, war nichts gegen das, was sie jetzt empfand, als sie neben Renee stand. Sie lächelte Renee an. Es war eigentlich kein echtes Lächeln, eher eine von diesen Verlegenheitslösungen. Renee lächelte nicht zurück. Shelly stand so dicht neben Renee, daß sie genau die Linie an ihrem Kinn sehen konnte, wo das Make-up aufhörte. Die Linie war so deutlich, daß es aussah, als sei Renees Gesicht abnehmbar wie eine Maske. Shelly verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Für dieses Jahr hatte sie sich eine Sache ganz fest vorgenommen, nämlich eine eigene Persönlichkeit zu werden. Sie wollte sich weder von Margaret oder Marsha noch von sonst jemandem je wieder einschüchtern lassen. Aber als sie jetzt neben Renee stand, kamen die alten Ängste wieder hoch. Ich bin genausoviel wert wie sie, versuchte Shelly sich selbst zu überzeugen. Ich bin auch so hübsch wie sie. Außerdem habe ich keinen Make-up-Rand am Kinn. Sie beobachtete Renee aus den Augenwinkeln und seufzte. Sie selbst trug natürlich eine Designer-Jeans. Und sie besaß auch keine MarkenPolohemden. Doch bevor Shelly sich noch weiter unsinnige Sorgen machen konnte, öffnete Mrs. Slater die Tür. „Ihr könnt nun wieder hereinkommen.” Als Shelly sich auf ihren Platz setzte und sich seelisch schon auf die schlechte Nachricht vorbereitete, schoß Renee noch einen mitleidigen Blick in ihre Richtung ab. „Die Wahl ist beendet, und ich freue mich, bekanntgeben zu können, daß Shelly Bryan von ihrer Klasse als Kandidat für die Sprecher-Wahl der zehnten Klassen aufgestellt worden ist. Herzlichen Glückwunsch, Shelly.” - 21 -
Das kann nicht wahr sein, dachte Shelly. Das kann nicht wahr sein. Andy guckte herüber und zwinkerte ihr zu. Shelly glaubte, ihr Herz würde zerspringen, und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hätte lachen und schreien können, versuchte aber mit aller Macht gegen ihre Gefühle anzukämpfen, weil sie Angst hatte, in Tränen auszubrechen. Sie hatte es geschafft. Keiner konnte ihr das wieder wegnehmen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nicht etwas derart Aufregendes erlebt und konnte es kaum erwarten, jedem, den sie kannte, davon zu erzählen. „Am 15. Oktober ist die Wahl”, fuhr Mrs. Slater fort. „Und Shelly wird sicher für jede Unterstützung bei ihrer Wahlkampagne dankbar sein.” Es klingelte, die Zeit war um. „Das war’s für heute. Ihr könnt gehen. Im gleichen Moment stand Andy auch schon neben Shelly. „Du machst- deinen Weg”, sagte er stolz. „Ich wußte, daß du es schaffst. Ich wußte es.” Er nahm Shellys Bücher. „Mit Gretas und meiner Hilfe wird die Wahl ein Klacks.” Shelly sah zu Andy hoch und lächelte. Sie konnte immer noch nicht glauben, daß sie die Nominierung wirklich gewonnen hatte. Als sie gehen wollten, wurde Shelly von dem großen, muskulösen Jungen aufgehalten, der den Antrag auf Beendigung der Nominierungen gestellt hatte: „Herzlichen Glückwunsch.” Er schüttelte ihr mit breitem Grinsen die Hand. „Ich bin Tim Walker und stelle mich hiermit zur Verfügung.” Shelly lächelte, wußte aber absolut nicht, was er wohl damit meinte. „Du stellst dich zur Verfügung?” wiederholte sie fragend. „Klar. Hast du nicht mitbekommen, wie Mrs. Slater uns aufgefordert hat, dir bei der Wahlkampagne zu helfen?” „Oh, ja. Ich erinnere mich. Ich habe nur nicht erwartet, daß - 22 -
wirklich jemand helfen will.” „Du kannst auf mich zählen, Kleine”, sagte Tim. „Ich kenne einen Haufen Leute. Du brauchst nur einen Ton zu sagen, und du bekommst alle Stimmen, die du brauchst.” „Okay”, entgegnete Shelly. Tims Art war ziemlich entwaffnend, und Shelly fragte sich, ob mit Tim zusammenzusein so ähnlich war, wie in einen Tornado zu geraten. „Also, dann warte nicht zu lange”, warnte Tim mit erhobenem Zeigefinger. „Die Wahl ist in vier Wochen, und ein bißchen Zeit brauche ich schon, um die Stimmen zusammenzubekommen. Er grinste und setzte hinzu: ,,Natürlich brauche ich so viel Zeit auch wieder nicht.” Shelly lachte und ertappte sich dabei, daß sie Tim Walker unwillkürlich mit Andy verglich. Tim hatte einen muskulösen Körper und ein markantes Gesicht. Seine rauhen Wangen und sein rauhes Kinn ließen darauf schließen, daß er sich schon regelmäßig rasieren mußte. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie Tim schon sehr lange anstarrte. „Danke für das Angebot”, sagte sie hastig. „Ich bin sicher, daß ich jede Hilfe brauche, die ich bekommen kann.” „Mit Tim Walker in deinem Team bekommst du jede Hilfe, die du brauchst”, versicherte Tim. Er hob lässig die Hand und ging aus dem Klassenzimmer. „Das kam ja unerwartet! Shelly wandte sich wieder Andy zu. „Jede Hilfe, die du brauchst”, schnaubte Andy. „Ich wette, der kennt überhaupt niemanden.” „Ach Andy, ist doch egal. Entweder hilft er oder nicht. Außerdem finde ich ihn ganz witzig. Er hat Sinn für Humor.” „Das scheint aber auch alles zu sein.” Als sie gerade aus der Tür treten wollten, stolzierte Renee mit einem Geh-zum-Teufel-Blick an Shelly vorbei. „Ihre beste Freundin wirst du mit Sicherheit nicht mehr - 23 -
werden können”, stellte Andy fest. „Sie scheint leicht verärgert zu sein.” Shelly lachte, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Andy, ich weiß nicht, wie ich gewonnen habe. Aber ich weiß, daß ich mich bei dir bedanken muß. Danke. Vielen Dank.” „,Ich wußte, du konntest gewinnen.” Andy lächelte. „Aber wir hatten auch das Glück auf unserer Seite. Weil du als zweite genannt worden bist, stellte Mrs. Slater erst dich zur Wahl. Und als sie deinen Namen rief, hob ich die Hand, dann folgte dieser Blödmann Tim Walker, und plötzlich schien jeder nachzuziehen. Für Renee blieben nicht mehr viele Stimmen übrig.” „Das hätte ich niemals für möglich gehalten.” „Wahrscheinlich macht das dein neuer Name.” Andy grinste. „Du hättest es bestimmt nicht geschafft, wenn du noch Michelle Bryan gewesen wärest.” „Das sagst du doch nur, weil es wahr ist”, witzelte Shelly. Der Morgen schleppte sich zäh dahin, und mittags konnte Shelly es kaum noch erwarten, Greta ihre tollen Neuigkeiten zu berichten. Endlich hatten sie auch Englisch geschafft. Dabei konnte man gegen ihren Stundenplan wirklich nicht meckern, überlegte Shelly. Die erste Stunde mit Andy, in der zweiten hatte sie Musik ohne Andy und Greta, aber in der dritten war sie wieder, mit Andy zusammen. Dann war Mittagspause, wo sie sich alle drei treffen konnten. Vierte und fünfte Stunde wieder mit Andy und sechste Sport mit Greta. Sie hatte sich vorher völlig umsonst Sorgen gemacht. Shellys Arm streifte Andys, als sie die Cafeteria betraten. Sie stellte sich ans Ende der Schlange vor der Essensausgabe. Shelly hatte die ganze dritte Stunde darüber nachgedacht, wie sie Greta die Neuigkeiten mitteilen sollte. Aber es hatte sie auch noch ein zweiter Gedanke beschäftigt. Bis zu diesem - 24 -
Morgen hatte sie nämlich nicht bemerkt, daß Tim Walker mit ihr zusammen Musik hatte. Er war kurz vor der Stunde zu ihr hingekommen und hatte ihr zugezwinkert. „Kannst du meine Hilfe schon gebrauchen?” hatte er gefragt. Shelly konnte nicht anders, als ihn gern zu mögen. Obwohl sie spürte, daß es irgendwie nicht richtig war, freute sie sich, daß sie zusammen Musik hatten. Vorsichtshalber erzählte sie Andy erst mal nichts von der gemeinsamen Stunde mit Tim Walker. Shelly und Andy nahmen ihre Tabletts und suchten sich einen Tisch auf der anderen Seite der Cafeteria. Sie schlängelten zwischen den dichtbesetzten Tischen hindurch, und Shelly schnappte überall ein paar Gesprächsfetzen auf. In einem so großen Raum mit so vielen Leuten mußte einfach jeder in einer Wahnsinnslautstärke sprechen - um sich überhaupt verständlich zu machen. „Hallo Leute! Wie war es bei euch?” fragte Greta und rückte einen Stuhl weiter, damit Shelly sich neben sie setzen konnte. „Es war absolut spitzenmäßig!” Shelly wartete noch, bis Andy sich ihnen gegenüber hingesetzt hatte. Dann holte sie tief Luft. „Oh, Greta. Es ist so wahnsinnig. Echt.” „Mensch! Spann mich nicht so lang auf die Folter. Jetzt sag schon, Shelly!” „Es ist so, als würde alles das eintreten, was ich mir gewünscht habe. Weißt du noch, bei meiner großen Rede am letzten Ferientag? Genau das passiert jetzt!” „Das ist wirklich toll, Shelly. Andy und ich haben ja vorausgesehen, daß das Jahr besser für dich laufen würde, als du gedacht hast. Stimmt’s, Andy?” Andy grinste und nickte nur. „Aber es ist noch besser, Greta. Viel besser. Und das allerbeste kommt jetzt – ich bin heute morgen als Kandidatin für das Amt des Sprechers der zehnten Klassen aufgestellt - 25 -
worden!” Shellys Herz fing wieder an wie wild zu klopfen. „Ist das nicht super, Greta?” Sie legte ihre Hand auf den Arm ihrer Freundin. „Und du und Andy, ihr müßt mir bei der Wahlkampagne helfen. Wollt ihr?” In ihrer Aufregung hatte Shelly bisher nicht bemerkt, daß Gretas Lächeln verschwunden war und ihr Gesicht eine ausdruckslose Maske geworden war. Erst jetzt fiel es ihr auf. „Was ist los? Freust du dich nicht für mich?” fragte sie. „Ich habe gedacht, du würdest genauso begeistert sein.” Sie sah hilfesuchend zu Andy hinüber, aber der schien auch nicht zu begreifen, was los war. „Ich freue mich ja auch für dich”, flüsterte Greta. „Aber ich kann dir bei der Wahlkampagne nicht helfen. Andy wird das alleine machen müssen.” „Aber warum nicht? Es wird bestimmt lustig werden. Wir haben seit dem Sommer doch immer alles zusammen gemacht.” Shelly war wie vor den Kopf geschlagen. Was war bloß los mit Greta? „Ich kann dir nicht helfen, weil ich heute morgen selbst die Wahl gewonnen habe und von meiner Klasse als Kandidatin aufgestellt worden bin, Shelly.” Greta lachte gezwungen. „Ich konnte es kaum erwarten, euch heute mittag zu treffen. weil ich dich und Andy fragen wollte, ob ihr mir bei der Wahlkampagne helfen würdet...“
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3. KAPITEL Shelly starrte Greta fassungslos an. Was sollte sie denn jetzt tun? Das konnte doch nicht wahr sein. Warum mußte das ausgerechnet ihr passieren? Zum erstenmal war sie als Kandidatin für irgendein Amt aufgestellt worden. Und nun mußte sie ausgerechnet gegen ihre beste Freundin antreten! „Nun, herzlichen Glückwunsch”, murmelte Shelly. „Ich… ich weiß einfach nicht, was ich dazu sagen soll. Ich wünsche dir viel Glück.” „Ich auch”, fügte Andy hinzu. Greta stocherte mit der Gabel in ihrem Mittagessen herum. Shelly fragte sich, wie ihr wohl jetzt zumute war. Sie wußte nicht, wen sie mehr bemitleiden sollte, sich selbst oder Greta. „Hör mal, Shelly, es tut mir echt leid.” Greta legte ihre Gabel aufs Tablett. „Wenn ich auch nur geahnt hätte, daß du dich auch aufstellen lassen willst, hätte ich die Finger davon gelassen. Ich weiß doch, wie sehr du dir wünschst, deine Persönlichkeit zu verändern und mehr aus dir herauszugehen. Ich hätte es wissen müssen.” „Quatsch”, widersprach Shelly. „Du konntest es ja gar nicht, wissen. Ich hatte ja selbst noch keine Ahnung davon, bis ich heute morgen mit Andy darüber geredet habe.” „Warum hast du es mir dann nicht erzählt?” „Weil ich Andy erst getroffen habe, als du schon in deiner Klasse warst.- Ehrlich, Greta, ich habe vorher nicht im Traum daran gedacht. Eigentlich hat Andy mich dazu überredet. Stimmt’s, Andy?” Andy nickte. „Und um ehrlich zu sein, ich habe keine - 27 -
Ahnung mehr, warum ich heute morgen so darauf bestanden habe.” „Ich auch nicht”, Unterbrach ihn Shelly. „Das paßt so gar nicht zu dir.” „Ich weiß.” Andy lächelte verlegen. „Ich glaube, ich wollte dir einen Gefallen tun. Ich muß einfach dauernd an das denken, was du uns am letzten Ferientag gesagt hast. Daß du ein Jemand werden willst. Es hörte sich damals so an, als ob es furchtbar wichtig für dich wäre. Und da wollte ich dir einfach eine Gelegenheit verschaffen, deine Vorsätze in die Tat umzusetzen. Ich hielt das für eine gute Idee.” Andys Lächeln verschwand. „Ich glaube, mein Plan ist schiefgelaufen, wie?” „Andy, das ist das Netteste, was ich je gehört habe”, meinte Greta. „Ehrlich. Du hast es ja nur gut gemeint.” Auch Shelly fand es nett, daß Andy versucht hatte, ihr zu helfen. Sie war wirklich froh, mit ihm befreundet zu sein. Erst vor kurzem war ihr klargeworden, daß sich aus ihrer Schwärmerei für Andy viel mehr entwickelt hatte. Shelly war überzeugt, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie fest miteinander gingen. „Nicht jedes Mädchen hat einen Freund, der sie so unterstützt, wie du es tust.” Greta nickte Andy anerkennend zu. Andy schüttelte den Kopf und lächelte. „Das ist doch nichts Besonderes. Ich würde dasselbe für dich tun. Dazu sind Freunde schließlich da.” Shellys Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Würde er dasselbe wirklich auch für Greta tun? fragte sie sich. Und ich dachte, ich wäre mehr für ihn als nur ein guter Kumpel. „Ich glaube, wir sollten uns mal überlegen, was wir tun wollen”, schlug Andy vor. „Ja, da hast du wohl recht”, stimmte Greta zu. Shelly versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Ja, reden wir darüber, was wir jetzt tun. Weiß einer von euch, - 28 -
wer noch als Kandidat aufgestellt worden ist?” „Ein Junge”, antwortete Andy „Heute morgen habe ich gehört, wie sich ein paar Schüler über ihn unterhalten haben. Er heißt Kenneth Parker und kommt von der Pratville Junior High School. Kennt ihr ihn?” „Ich nicht”, erwiderte Greta. „Wir sind auf der Kellyville Junior High gewesen, Andy. Woher sollten wir ihn also kennen?” fragte Shelly gereizt. „Hey, war ja bloß ‘ne Frage”, verteidigte sich Andy. „Es hätte doch sein können, daß er mit dir im selben Musikkurs sitzt. Oder daß Greta einen Kurs mit ihm zusammen hat.” „Tut mir leid”, flüsterte Shelly. Zum erstenmal, seit sie Andy kennengelernt hatte, machte sie sich Sorgen. Sie wünschte allmählich, der heutige Tag wäre völlig normal verlaufen, und alles wäre wieder so wie noch an diesem Morgen, bevor die Schule begonnen hatte. „Vielleicht sollte ich lieber meine Kandidatur zurückziehen.” Shelly sah Greta an. „Die ganze Wahl macht mir keinen Spaß mehr, wenn ich gegen dich, antreten muß.” „Hey; Moment mal”, protestierte Greta. „Das ist doch deine große Chance, Du kannst jetzt nicht einfach aussteigen. Außerdem ist es bestimmt ganz lustig, zwei Wahlkampagnen gleichzeitig zu organisieren. Wir treten zwar gegeneinander an, aber deshalb bleiben wir trotzdem Freundinnen.” „Da gibt es aber ein kleines Problem”, warf Andy ein. „Ich kann nämlich nicht euch beiden gleichzeitig helfen.” „Richtig.” Greta sah Andy mit gespielter Strenge an. „Und ich weiß jetzt schon, wem du helfen wirst.” Dann kicherte sie und fügte hinzu: „Aber ich nehme dir das nicht übel.” Shellys Laune besserte sich etwas und sie lächelte schwach. „Wir werden dafür sorgen, daß du keine von uns bevorzugst, Andy. Wenigstens nicht bis zur Wahl.” „Also gut, ich bleibe neutral.” Er grinste. „Und ich werde - 29 -
niemandem verraten, wen ich wähle.” „Natürlich nicht.” Greta lachte. Shelly konnte sich nicht recht an der allgemeinen Heiterkeit beteiligen. Sie hoffte, daß Andy für sie stimmen würde. Er ist mein Freund, dachte sie. Natürlich wird er mich wählen. Als Shelly am nächsten Morgen in den Musikraum kam, hatte sie fast vergessen, daß Tim Walker ihr angeboten hatte, sie bei ihrer Wahlkampagne zu unterstützen. Sie hatte so viel über ihre Freundschaft zu Andy nachgedacht, daß sie keine weiteren Gedanken an die Wahl verschwendet hatte. „Na, wie läuft deine Kampagne?” hörte sie plötzlich eine Stimme dicht neben sich. Shelly zuckte zusammen und fuhr herum. Grinsend sah Tim sie an. „Ich habe noch gar nicht damit angefangen”, entgegnete sie. „Mach das bloß nicht noch mal. Du hast mich fast zu Tode erschreckt!” Er nahm ihren Arm, ließ ihn aber sofort wieder los.” Ich dachte, du hättest mich längst gesehen. Tut mir leid. Also, was wirst du jetzt unternehmen?” Shelly runzelte die Stirn. „Unternehmen? Was soll ich denn unternehmen?” „Na, was du tun wirst, um die Wahl zu gewinnen. Was denn sonst?” Ich glaube, die Klasse hat sich die falsche Kandidatin ausgesucht, dachte Shelly. Ich hätte mich lieber nicht zur Wahl aufstellen lassen und statt dessen diesen Typen vorschlagen sollen. Das wäre genau die richtige Aufgabe für ihn gewesen. „Ich bin doch erst gestern aufgestellt worden”, verteidigte Shelly sich. „Ich habe mir noch keine großartigen Gedanken - 30 -
über die Wahlkampagne gemacht. Wahrscheinlich werde ich auch am Tag der Wahl noch keine besondere Strategie haben.” Tim folgte Shelly zu ihrem Platz und setzte sich neben sie. „Ja, die Klasse hat dich erst gestern nominiert. Aber es ist deine Pflicht, sie nicht zu enttäuschen.” Shelly bedauerte lebhaft, daß sie sich so wenig mit Jungen auskannte und nichts über ihre Gedanken und Gefühle wußte. Sie sah in Tims dunkelbraune Augen und war sicher, daß er sich über sie lustig machte. Aber er sah sehr ernsthaft aus. Und gestern hatte er sich förmlich aufgedrängt, ihr zu helfen. Vielleicht meinte er es ja wirklich ernst. Shelly wünschte, sie hätte seine Gedanken lesen können. „Warum liegt dir eigentlich soviel daran?” fragte sie. „Weil ich schon mal in derselben Situation war wie du jetzt. Letztes Jahr war ich Jahrgangssprecher der Abschlußklassen an der Pratville Junior High School. Daher weiß ich, daß du keine Zeit zu verlieren hast.” „Pratville?” fragte Shelly. „Ich hatte keine Ahnung, daß du von der Pratville Junior High kommst. Dann kennst du bestimmt den Jungen, der gegen mich antritt. Er heißt Kenneth Parker.” „Oh, klar. Ich kenne Parker. Den schlägst du mit links. Allerdings nur, wenn du bald mit deiner Wahlkampagne startest und dich den Leuten hier mal vorstellst. Und das andere Mädchen wird dir auch keine Schwierigkeiten machen. Die hat überhaupt keine Chance.” Shelly erstarrte, als sie Tim so über Greta reden hörte. „Nur zu deiner- Information”, fauchte sie, „dieses andere Mädchen ist meine beste Freundin.” Tim sah sie an, als ob sie ihm eine Sahnetorte ins Gesicht geworfen hätte. „Natürlich möchte ich die Wahl gewinnen”, setzte Shelly hinzu. „Aber ich werde deshalb nicht über Greta herziehen - 31 -
oder sonst etwas Unfaires tun.” „Okay, okay. Ich meinte ja nur, du solltest so schnell wie möglich mit deiner Wahlkampagne anfangen. Die Schüler müssen dich ja kennenlernen, damit sie wissen, wen sie da wählen.” Tim zog eine Augenbraue hoch und zwinkerte ihr zu. „Das ist es! Ich habe eine phantastische Idee!” Shelly fragte sich, was ihm wohl jetzt wieder eingefallen war. Er war so- wahnsinnig selbstsicher und schien dauernd seinen Kopf durchsetzen zu wollen. „Ich gebe am Freitagabend nach dem Footballspiel noch eine kleine Fete”, erklärte Tim. „Ich finde, du solltest auch da sein.” Shelly starrte ihn nur an. Sollte das etwa eine Einladung gewesen sein? „Mein Bruder und seine Band sorgen für die Musik”, fuhr er fort. „Sie werden dir bestimmt gefallen. Die Jungs gehen schon alle aufs College. Es kommen eine Menge Leute zu der Fete. Das ist doch die Gelegenheit für dich, schon mal ein paar Stimmen zu sammeln.” Shelly lächelte nur. Was sollte sie ihm denn jetzt antworten? Sollte sie begeistert zustimmen, obwohl er sie nicht direkt eingeladen hatte? „Nein, das war ihr irgendwie zu dumm. Aber wenn sie nur so da stand und gar nichts sagte, hielt er sie bestimmt für total blöd. Seit wann ist mein Leben eigentlich so kompliziert geworden? fragte sie sich. „Nun, was hältst du davon?” drängte Tim. Ungeduldig sah er auf die Uhr. „Kommst du?” „Klingt gut”, murmelte Shelly. Dann fiel ihr plötzlich Andy ein, und sie runzelte die Stirn. „Ich kann also mit dir rechnen?” „Ja. Nein. Ich meine, ich gehe nicht alleine zu dem Footballspiel, ich bin mit jemandem verabredet. Den kann ich nach dem Spiel doch nicht so einfach sitzenlassen. „Oh, verstehe. Du gehst bestimmt mit diesem stillen Typen, - 32 -
mit dem du dauernd zusammen bist, stimmt’s?” Überrascht sah Shelly ihn an. Woher wußte er von Andy? Hatte er sie schon mal mit ihm gesehen? Sie jedenfalls war erst gestern auf diesen Tim aufmerksam geworden. „Stimmt”, gab sie zu. „Ich bin mit meinem Freund, Andy Hansen, verabredet.” Herausfordernd hob sie den Kopf, als ob sie Tim damit sagen wollte: „Untersteh dich, irgend etwas gegen Andy zu sagen. „Ist doch kein Problem”, meinte Tim. „Bring ihn einfach mit.” Es läutete, und Tim stand auf. „Wir reden später noch mal darüber. Ich rechne mit dir. Und schmeiß dich ruhig ein bißchen in Schale.” Shelly sah ihm nach, als er zu seinem Platz ging. Tim saß in der letzten Reihe. In Schale schmeißen? Für seine Fete? Oder sollte sie sich jetzt auf der Stelle wie durch ein Wunder in eine strahlende Schönheit verwandeln? Er ist schon ein komischer Typ, dachte sie. Aber ich wette, seine Feten sind Spitze. Als die zweite Stunde vorbei war, konnte Shelly es kaum erwarten, Andy zu sehen. Sie hatte fast die ganze Stunde überlegt, wie sie ihm am besten beibringen konnte, daß Tim sie beide zu seiner Fete eingeladen hatte. Bis jetzt war ihr noch nichts eingefallen. Aber Shelly machte sich deswegen keine Sorgen. Sie würde einfach den richtigen Moment abwarten und ihm dann alles erzählen. „Shelly, kann ich dich mal einen Moment sprechen?” Shelly drehte sich um und sah, daß Mr. Baxter, ihr Musiklehrer, am Pult auf sie wartete. „Es dauert nicht lange”, versicherte er. „Ich will ja nicht, daß du zu spät zu deiner nächsten Stunde kommst.” Shelly sah Mr. Baxter verwirrt an. Was er wohl von ihr wollte? „Shelly, du hast eine phantastische Stimme”, begann er. Shelly seufzte erleichtert. Das klang nicht so, als ob sie - 33 -
irgend etwas verbrochen hatte. „Ich weiß nicht, ob dir schon mal eins von unseren Plakaten aufgefallen ist, die jetzt wieder überall hängen”, fuhr er fort. „Wir stecken nämlich mitten in den Vorbereitungen zu unserem diesjährigen Schulfest.” „Nein, so ein Plakat habe ich noch nicht gesehen”, erwiderte Shelly. „Aber unser Klassenlehrer hat uns gestern von dem Schulfest erzählt. Es soll dort auch eine Talent-Show veranstaltet werden, nicht wahr?” „Genau darum geht es. Hättest du Lust, dabei mitzumachen?” Überrascht sah Shelly ihren Lehrer an. „Ich?” Sie zog die Augenbrauen hoch und zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht. Was soll ich denn da vorführen? Ich kann doch gar nichts Besonderes.” Mr. Baxter lachte. „Wie oft habe ich das schon von Mädchen gehört, die genauso talentiert waren wie du. Ich fände es wirklich gut, wenn du bei der Show ein, zwei Songs vortragen würdest. Du bist gut. Sehr gut sogar.” „Ich weiß nicht, Mr. Baxter.” Shelly war unsicher. „Ich müßte , mir überlegen, was ich singen soll, und dann müßte ich proben und...” „Ich stelle das Programm zusammen, also bräuchtest du nicht vorzusingen.” Shelly antwortete nicht. Sie war immer noch unentschlossen. „Denk darüber nach”, Mr. Baxter lächelte aufmunternd. „Und sprich mit deinen Eltern. Wir veranstalten diese TalentShow nur einmal pro Jahr. Sie findet in etwa vier Wochen statt. Du hast also noch genug Zeit, dich darauf vorzubereiten.” „Ja, schon.” Shelly zögerte. „Aber ich weiß noch nicht, ob ich mitmachen will.” „Du mußt dich ja nicht sofort entscheiden. Aber ich hoffe, du bist dabei. Ich frage dich dann in ein paar Tagen noch mal.” - 34 -
Shelly lächelte. „Gut. Wir reden später nochmal darüber.” Eigentlich hatte sie das nur so dahergesagt, um das Gespräch beenden zu können. Es wurde Zeit für die Englischstunde. Auf dem Weg zu ihrem nächsten Klassenraum dachte Shelly nach. Sollte sie bei dieser Talent-Show mitmachen? Schließlich entschied sie, sich jetzt nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Es gab ja auch noch Wichtigeres, zum Beispiel, wie sie Andy beibringen konnte, daß Tim sie beide zu seiner Fete eingeladen hatte. Und sollte sie Greta davon erzählen? Schließlich war sie nicht eingeladen worden. Shelly mußte plötzlich lachen, als Sie an Tim dachte. Er war so ganz anders als Andy. Vielleicht gefiel ihr gerade das so an ihm. Vor dem Klassenraum wartete Andy schon auf sie. Er lächelte sie an, und Shelly lächelte zurück. Es, regelt sich schon alles von selbst, dachte sie. Ich werde Andy und Greta einfach alles erzählen, und sie werden es verstehen. Hoffentlich.
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4. KAPITEL Als Shelly an diesem Abend ins Eßzimmer kam, dachte sie immer noch an Andy. Warum habe ich ihm eigentlich noch nichts von Tims Einladung erzählt? fragte sie sich. Sie hatte es ihm sagen wollen. aber dann hatte sie beschlossen, bis zum Abend damit zu warten. Shelly setzte sich an den Tisch und versuchte, nicht länger daran zu denken. Es kam nicht oft vor, daß die ganze Familie zusammen aß. Meistens war Marsha beim Fußballtraining, oder sie hatte ein Spiel. Dann wärmten sich Margaret und Shelly das Essen auf, das ihre Mutter vorgekocht hatte. Shelly war froh, daß an diesem Abend alle zu Hause waren. So wurde sie wenigstens etwas von ihren trüben Gedanken abgelenkt. Ein paar Minuten später stürzte Marsha ins Zimmer, gefolgt von ihrem Vater. „Marsha, sag Margaret Bescheid, das Abendessen ist fertig”, bat Mrs. Bryan ihre jüngste Tochter. „Sie soll bitte gleich herunterkommen. Dein Vater und ich gehen doch heute zu dem Elternabend in der Schule. Wenn wir nicht zu spät kommen wollen, müssen wir uns beeilen.” Marsha zog eine Grimasse, machte sich dann aber auf, um Margaret zu holen. „Wie war’s denn heute eigentlich in der Schule?” erkundigte Mr. Bryan sich. „Ganz gut”, antwortete Shelly. Das war ihre StandardAntwort wenn sie nicht weiter über ein bestimmtes Thema reden wollte. Und wie war dein Tag, Dad?” - 36 -
„Oh, gut, gut.” Anscheinend hat er, auch nichts Aufregendes erlebt, dachte Shelly. Wie immer würde erst eine richtige Unterhaltung in Gang kommen, wenn die ganze Familie am Tisch saß. Mrs. Bryan stellte gerade die letzte Schüssel auf den Tisch, als Marsha und Margaret hereinstürmten. „Am Mittwochabend werde ich in einen neuen Club aufgenommen”, rief Margaret. „Ihr müßt alle dabei sein!” „Ich schreibe es mir auf”, antwortete Mrs. Bryan. Shelly betrachtete ihre Schwester. Margaret ging jetzt das letzte Jahr zur High School, aber sie sah älter aus, als sie war. Ihr kurzes braunes Haar war leicht gelockt, und ihr Make-up wirkte immer perfekt. Margaret sah ihrem Vater sehr ähnlich. Auch er hatte diese dunklen Augen und das braune Haar. Aber im Gegensatz zu ihrem Vater machte Margaret eher einen unscheinbaren Eindruck. „Schreib es dir besser sofort auf, damit du es nicht vergißt”, drängte Margaret. „Alle meine Freunde bringen ihre Eltern mit.” „Du natürlich auch”, spottete Marsha. „Wir kommen selbstverständlich nur, wenn ich an diesem Abend nicht zum Fußballtraining muß.” „Mom und Dad müssen jawohl nicht dauernd dabeisein.”, „Ach nein?” „Mädchen! Hört auf zu streiten! Mr. Bryan sah seine Töchter streng an. „Wir werden uns schon irgendwie einigen. Aber jetzt will ich in Ruhe essen.” Shelly dachte nach. Eigentlich war sie ganz froh darüber, daß sie kein besonderes Hobby hatte. Ihretwegen brauchten ihre Eltern nicht dauernd zu irgendwelchen Veranstaltungen zu gehen. Die meiste Zeit kümmerten sie sich um Marshas Fußballspiel, aber manchmal verlangte auch Margaret ihre Aufmerksamkeit. - 37 -
Shelly fragte sich, ob jetzt ausnahmsweise- mal die Reihe an ihr war, die Zeit ihrer Eltern in Anspruch zu nehmen. Immerhin war die Wahl zum Jahrgangssprecher der zehnten Klassen sehr wichtig für sie, und sie konnte jede Unterstützung brauchen. „Na, wie habe ich gestern abend gespielt, Dad?” fragte Marsha. Wie immer hing ihr der fransige Pony wirr ins Gesicht. Man konnte lediglich ahnen, daß hinter diesem Vorhang funkelnde braune Augen steckten. Zu sehen waren sie nur, wenn ihre Mutter den Zotteln ab und zu mit der Schere zu Leibe rückte. „Gut”, antwortete Mr. Bryan. Er grinste. „Falls du auf Komplimente aus bist, kann ich nur sagen: Du hast deine Sache wirklich ausgezeichnet gemacht.” Shelly beobachtete Marsha, die ihr Essen förmlich herunterschlang. Ob ihre kleine Schwester wohl immer so ein Wildfang bleiben würde? Im Moment war für sie nichts wichtiger als ihr Fußballspiel. Shelly lächelte. „Du bist heute so still”, wandte Mrs. Bryan sich ihr zu. ;,Ich habe eigentlich nichts zu erzählen”, murmelte Shelly entschuldigend. „Nun, dafür hast du uns gestern ganz schön überrascht”, meinte ihre Mutter. „Wie läuft denn deine Wahlkampagne?” „Was für eine Wahlkampagne?” erkundigte sich Margaret, noch bevor Shelly antworten konnte. „Meine Kampagne für die Wahl zum Jahrgangssprecher der zehnten Klassen.” Margaret hielt mitten im Kauen inne und starrte ihre Schwester verblüfft an. „Davon wußte ich ja gar nichts.” Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Seit wann interessierst du dich denn für so was? Das hast du doch noch nie getan”, fuhr Margaret fort. „Weißt du überhaupt, was alles auf dich zukommt, wenn du die Wahl gewinnst?” - 38 -
So weit hatte Shelly noch gar nicht vorausgedacht. Natürlich hatte sie keine Ahnung, was dann alles von ihr erwartet wurde. Aber das wollte sie auf keinen Fall zugeben. „Klar weiß ich das”, antwortete sie zuversichtlich. „Ich werde schon zurechtkommen.” Shelly wandte sich an ihre Mutter: „Meine Kampagne läuft ganz gut. Andy hilft mir dabei. Er kommt gleich noch rüber. Wir wollen überlegen, womit wir am besten anfangen.” „In Ordnung”, meinte ihre Mutter. „Aber nicht, daß es zu spät wird. Ihr müßt beide morgen zur Schule.” Shelly wußte, was ihre Mutter damit sagen wollte. Eigentlich meinte sie: Dein Vater und ich sind heute abend nicht zu Hause. Was sollen denn bitte die Nachbarn denken, wenn Andy so lange bleibt? So ähnlich hatte sie auch schon dauernd geredet, als Margaret angefangen hatte, sich mit Jungen zu treffen. Margaret hatte entgegnet, ihr wäre es egal, was die Nachbarn dächten. Also hatte sich ihre Mutter etwas anderes ausgedacht. Jetzt heißt es immer: „Denk daran, du mußt morgen zur Schule.” „Es haben sich auch noch ein paar andere Freunde angeboten, mir zu helfen”, bemerkte Shelly. „Wer denn?” wollte Margaret wissen. „Greta?” Wieso dachte Margaret sofort an: Greta? Sie hatte schließlich auch noch andere Freunde. „Nein. Greta hat sich auch als Kandidatin aufstellen lassen”, erklärte Shelly. „Ein Junge aus meiner Klasse will mir helfen, wenn du es unbedingt wissen willst. Er ist groß, gutaussehend und witzig. Und er hat mich für Freitagabend zu seiner Party eingeladen. Es werden eine Menge Leute dasein, die er mir vorstellen will.” Eigentlich hatte Shelly das alles gar nicht erzählen wollen. Aber Margarets hochnäsige Art brachte sie immer wieder auf - 39 -
die Palme. „Was ist denn das für ein Junge?” fragte Mrs. Bryan. „Kennen wir ihn?” „Nein.” Shelly wußte schon was jetzt kommen würde. „Er heißt Tim Walker.” ,,Vielleicht könnten wir ihn uns vor dieser tollen Party mal ansehen”, meinte ihr Vater. Shelly seufzte. Warum hatte sie heute morgen nicht daran gedacht, daß ihre Eltern immer darauf bestanden, ihre neuen Freunde kennenzulernen? Wie peinlich, wenn sie Tim jetzt bitten mußte, vor der Party noch bei ihr vorbeizukommen. Das war doch lächerlich. Sie war jetzt in der zehnten Klasse und durfte sich erst mit jemandem treffen, nachdem ihre Eltern ihn begutachtet hatten. Aber Shelly wußte, daß sie und Tim diese Prozedur über sich ergehen lassen mußten. Denn sonst durfte sie bestimmt nicht zu der Party gehen - egal, ob mit oder ohne Andy. „Ich bitte Tim, vorher vorbeizukommen”, murmelte Shelly. Das hatte sie jetzt davon, daß sie unbedingt ein Jemand werden wollte. Ihre Freundschaft mit, Greta hatte einen Knacks bekommen, sie wußte nicht mehr, wie sie sich Andy gegenüber verhalten sollte, und jetzt würde sie sich auch noch vor Tim blamieren. Ich frage mich, ob es das wert ist, überlegte Shelly. Marsha wischte sich den Mund mit der Serviette ab. „Ich bin fertig. Kann ich jetzt gehen?” Bevor ihr Vater antworten konnte, war sie schon aus dem Zimmer gelaufen. Dann stand auch Margaret auf, gefolgt von Mr. Bryan. „Ich glaube nicht, daß du eine Chance hast, die Wahl zu gewinnen”, stellte Margaret fest. „Du taugst einfach nicht für so ein verantwortungsvolles Amt. Aber ich wünsche dir trotzdem viel Glück.” „Mach dir nichts daraus”, sagte Mrs. Bryan, als Margaret - 40 -
und ihr Vater ins Nebenzimmer gegangen waren. „So ist Margaret eben.” Sie lächelte. „Dein Vater und ich sind sehr stolz auf dich. Wir freuen uns für dich, daß du als Kandidatin nominiert worden bist. Es wird schon alles erfolgreich verlaufen.” Shelly wußte, ihre Mutter meinte es nur gut. Aber das half ihr auch nicht, sich zu beruhigen. Sie sah ihre Mutter an und war wieder einmal froh, daß sie diejenige war, die ihr ähnlich sah. Sie hatten beide dunkelblondes Haar, das in der Sonne rötlich schimmerte und dieselben funkelnden grünen Augen. Shelly war einen Meter sechzig groß, wußte aber, daß sie wahrscheinlich nicht mehr sehr viel wachsen würde. Immerhin brachte es ihre Mutter auch nur auf einen Meter fünfundsechzig. „Ich glaube, ich ziehe mich jetzt wohl besser um und machte mich etwas zurecht für den Elternabend”, erklärte Mrs. Bryan. Shelly lächelte. „Ich räume hier schon auf. Ich habe ja noch Zeit, bis Andy kommt.” Als ihre Mutter gegangen war, dachte Shelly daran, wie hübsch sie immer aussah, wenn sie sich für eine besondere Gelegenheit, zurechtgemacht hatte. Sie hoffte, sie würde später auch mal so gut aussehen und so selbstbewußt sein. Sie seufzte. Heute zum Beispiel hätte sie gut etwas mehr Selbstbewußtsein gebrauchen können! Als Shelly die Küche aufgeräumt hatte, waren ihre Eltern und Marsha schon gegangen. Sie war also fast alleine im Haus. Nur Margaret saß noch oben in ihrem Zimmer und lernte. Das war Shelly auch ganz recht. Sie wollte in Ruhe nachdenken. Sie ging langsam durchs ganze Haus und knipste hier und da eine Lampe aus, die jemand angelassen hatte. Schließlich ging sie nach draußen auf die Veranda. Sie setzte sich auf die Treppe und hielt ihr Gesicht in die - 41 -
Sonne, die schon fast untergegangen war. Der Himmel leuchtete rot. Aber die Betonplatten waren trotzdem noch ganz warm. Shelly dachte an Andy und Greta. Greta hatte immer zu ihr gehalten, war immer für sie dagewesen. Sie hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt. Und Andy hatte sie ermutigt, sich zur Wahl, zu stellen und wollte ihr jetzt bei ihrer Kampagne helfen. Wer hätte das sonst wohl noch für sie getan? Na ja, Tim vielleicht. Shelly runzelte unwillig die Stirn. Jetzt dachte sie doch wieder an Tim. Irgendwie spukte ihr Tim immer im Kopf herum, wenn sie über Andy nachdachte. Dabei waren sie sich überhaupt nicht ähnlich. Shelly wußte noch genau, wie heftig ihr Herz geklopft hatte, als sie Andy zum erstenmal gesehen hatte. Seitdem spürte sie jedesmal, wenn sie ihn sah oder jemanden über ihn reden hörte, ein Kribbeln am ganzen Körper. Greta hatte sie für verrückt gehalten, als sie ihr von ihrem Plan erzählt hatte. Shelly wollte sich jeden Tag auf die Veranda setzen, bis Andy auf sie aufmerksam wurde. Na ja, vielleicht war das wirklich eine verrückte Idee gewesen. Aber es hatte funktioniert. Andy war ihr Freund geworden. Shelly sah Andy aufs Haus zugehen. Ihr Herz schlug einen Moment lang schneller, aber dann war ihre Aufregung wie weggeblasen. Ihr war plötzlich eingefallen, daß sie das letzte Mal dieses seltsame Kribbeln gespürt hatte, als sie sich an diesem Morgen mit Tim unterhielt. „Na, wie geht’s der zukünftigen Jahrgangssprecherin?” witzelte Andy. „Bestens”, antwortete Shelly. „Aber bist du da nicht ein bißchen zu optimistisch? Noch habe ich die Wahl nicht gewonnen.” „Aber du wirst gewinnen.” Andy setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Ich weiß es.” - 42 -
Mittlerweile war die Sonne ganz untergegangen, aber der Himmel leuchtete immer noch dunkelrot. Andy und Shelly schwiegen. Aber es war keine peinliche Stille. Sie genossen es einfach, zusammenzusein. „Wie geht es dir so?” fragte Shelly schließlich. „Wie gefällt dir die High School?” „Phantastisch.” Andy grinste. „Das solltest du eigentlich wissen. Ich hätte es doch gar nicht besser treffen können. Wir haben fast jeden Kurs zusammen.” Auch Shelly war ganz zufrieden. Hatten sich nicht all ihre Wünsche erfüllt? Andy war ihr Freund geworden, und ihre Klasse hatte sie als Kandidatin für die Wahl zum Jahrgangssprecher der zehnten Klassen aufgestellt. Hatte sie nicht genau das erreichen wollen? Shelly rückte näher an Andy heran. Am liebsten hätte ich alle Kurse mit dir zusammen.” Andy nickte. „Ja, schade, daß du nicht in meinem Journalistikkurs bist. Aber es ist nicht fair von mir, das zu wünschen. Dafür müßtest du deinen Musikkurs aufgeben. Dabei singst du doch so gern.” Shelly hatte gerade vor sich hingeträumt und sich überlegt, wie sie Andy beibringen konnte, daß Tim sie beide zu. einer Party eingeladen hatte. „Was hast du gesagt? Dir gefällt es in dem Journalistikkurs? Ich dachte, du bist gar nicht freiwillig da reingegangen?” „Stimmt”, gab Andy zu. „Aber mittlerweile macht es mir wirklich Spaß.” „Obwohl du so schreibfaul bist? In diesem Kurs mußt du doch bestimmt eine Menge schreiben, oder nicht?” „Klar, wir haben schon ein paar Artikel geschrieben. Aber das ist was ganz anderes als so langweilige Schulaufsätze zu schreiben. Es macht einfach mehr Spaß.” Er drückte Shellys Hand. - 43 -
„Es geht mir da so wie dir mit deinem Musikkurs. Du weißt irgendwie, das ist es, das will ich machen. Verstehst du, was ich meine?” Bevor Shelly antworten konnte, fügte er nachdenklich hinzu: „Wir zwei sind schon ein komisches Paar.” „Was soll das heißen?” fragte Shelly. ”Na ja, wir hatten beide etwas Angst vor unserem ersten Jahr an der High School, oder?” „Davon hast du mir aber nie was gesagt.” Er grinste verlegen. „Du weißt doch, Jungen dürfen vor nichts Angst haben. Nun, sagen wir mal, wir haben uns beide Sorgen gemacht. Okay?” „Okay.” „Verstehst du denn nicht? Das ist unser erstes Jahr an der High School, und man hat mich einfach so in einen Kurs gesteckt, in den ich nicht wollte. Aber statt mich dort schrecklich unwohl zu fühlen, wie ich gedacht hatte, fand ich es sogar interessant. Und du, du hast es am besten getroffen. Du hattest dir vorgenommen, mehr aus dir herauszugehen, und was ist daraus geworden? Du bist von deiner Klasse als Kandidatin für die Wahl, zum Jahrgangssprecher nominiert worden. Und dann ist da noch dein Musikkurs. Der macht dir doch einen Riesenspaß, oder nicht? „Klar”, murmelte Shelly. Sie dachte an Tim Walker. „Dieser Kurs ist der beste, den ich habe.” Andy grinste und zog Shelly an sich. „Also, eigentlich hat das Schuljahr doch ganz gut angefangen, was?” Shelly nickte zweifelnd. Verstohlen sah sie Andy von der Seite an. War das noch derselbe Junge, in den sie sich verknallt hatte? Irgendwie hatte er sich verändert. Er war selbstsicherer geworden. Oder spielte er das nur? Hatte er nicht eben gesagt: Jungen dürfen keine Angst zeigen? „Andy…” Shelly zögerte. „Manchmal denke ich, es wäre - 44 -
besser gewesen, wenn ich die alte Michelle geblieben wäre.” „Was soll denn das heißen?” Shelly wußte nicht, wie sie ihm das erklären sollte. Sie verstand es ja selbst nicht. Sie hatte irgendwie plötzlich das Gefühl, es war ein Fehler gewesen, daß sie sich von Andy überreden ließ, bei der Wahl mitzumachen. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich meine Kandidatur zurückziehe”, erklärte sie. „Außerdem wäre Greta sowieso ein viel besserer Jahrgangssprecher als ich.” „Wie bitte? Ist das dein Ernst?” Andy reagierte heftiger, als Shelly erwartet hatte. Jetzt wünschte sie, sie hätte erst gar nicht davon angefangen. ,,Shelly, das kannst du nicht machen. Du bist von unserer Klasse als Kandidatin nominiert worden. Wenn du jetzt aussteigst, haben wir niemanden, der unsere Interessen vertritt.” „Das spielt doch sowieso keine Rolle, Andy. Auch wenn ich weitermache, ich gewinne ja doch nicht. Ich weiß es. Entweder hat die Klasse einen Vertreter, der sowieso nicht gewinnt, „oder sie hat keinen. Ich sehe da keinen Unterschied.” „Verdammt, Shelly, was ist denn plötzlich in dich gefahren? Was redest du denn da für einen Blödsinn? Andy drückte Shellys Hand. „Du kannst es schaffen, Shelly. Du bist ein phantastisches Mädchen, und ich glaube an dich. Du darfst jetzt nicht aufgeben. Du wirst schon sehen. Du schaffst es und du wirst ein Superjahrgangssprecher werden.” Andy küßte sie sanft auf den Mund. Der Kuß erinnerte Shelly an den Abend, an dem sie zusammen auf der Veranda saßen und Andy sie gefragt hatte, ob sie seine Freundin werden wollte. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Die Küsse und diese merkwürdigen Gefühle, das alles war so neu für Shelly. Ob es Andy wohl auch manchmal so ging? - 45 -
Shelly legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Verstehst du, was ich dir klarmachen will?” flüsterte er. „Ich glaube schon.” Shelly war auf einmal froh, daß er da war. „Okay, okay, du hast gewonnen”, gab sie schließlich nach. „Ich ziehe meine Kandidatur nicht zurück. Aber, sei nicht enttäuscht, wenn ich verliere.” „Du wirst gewinnen, Shelly. Du mußt einfach. Sonst wird Margaret dafür sorgen, daß du diese Niederlage bis an dein Lebensende nicht vergißt.” Shelly lachte und schüttelte den Kopf. „Margaret! Wie konnte ich unsere perfekte Margaret nur vergessen? Nein, das will ich wirklich nicht riskieren. Ich werde bei der Wahl mitmachen. Du hast mich überzeugt.” Shelly hatte plötzlich das Gefühl, daß sie und Andy sich besser verstanden, als jemals zuvor. Sie hatte sich entschieden. Sie würde sich zur Wahl stellen. Jetzt gab es noch viel zu tun und zu erledigen. Zum Beispiel mußte sie Andy von Tims Einladung erzählen. Jetzt war eigentlich eine gute Gelegenheit, es ihm zu sagen. „Shelly holte tief Luft. „Andy, ich muß mit dir reden”, begann sie nervös. „Tun wir das nicht schon die ganze Zeit?” An dem Funkeln in seinen blauen Augen konnte Shelly erkennen, daß er sie aufzog. Aber sie wollte darauf jetzt nicht eingehen. „Ja, das haben wir”, bestätigte sie ernst. „Trotzdem, ich muß noch etwas anderes mit dir besprechen.” „Ich muß dir auch etwas sagen”, meinte Andy. Er war eben falls ernst geworden. Shelly bekam plötzlich Angst. Was konnte das wohl sein? Vielleicht hatte, er eine neue Freundin gefunden? Oder mochte er Greta lieber als sie? Shelly fragte sich ja schon seit einiger Zeit, was Greta wohl für Andy empfand. Vielleicht war sein - 46 -
Vater auch versetzt worden oder sie mußten wieder umziehen? Ja, wahrscheinlich ;war es das. Er hatte sie aufgemuntert, weil er genau wußte, daß er den Ausgang der Wahl in vier Wochen nicht mehr miterleben würde. „Also, raus damit”, forderte Shelly ihn auf. „Nein, zuerst du.” Wenn Andy wirklich umzog, interessierte es ihn bestimmt nicht mehr, was sie zu sagen hatte. Und wenn er eine neue Freundin hatte, erst recht nicht. „Also begann Shelly zögernd. „Wir beide sind zu einer Party eingeladen worden. Für Freitag abend, nach dem FootballSpiel.” „Oh, wer hat uns denn eingeladen? Greta?” „Nein, nicht Greta. Tim Walker.” Shelly hatte Tims Namen so schnell wie möglich ausgesprochen in der Hoffnung, daß vielleicht Andy ihn nicht verstand. Aber sie sah, wie Andy die Stirn runzelte, also hatte er sehr wohl verstanden, was sie gesagt hatte. Er schien nicht gerade begeistert zu sein. „Wann hat dieser Tim uns denn eingeladen?” erkundigte er sich. „Heute. Er hat vor dem Musikunterricht mit mir gesprochen.” „Aber warum hat er das nicht getan, als wir alle zusammen Unterricht hatten?” Shellys Herz pochte. und ihr Mund wurde ganz trocken. Dabei konnte sie doch gar nichts dafür. Sie hatte Tim ja nicht gebeten, sie zu seiner Party einzuladen. Warum war sie also eigentlich so nervös? „Ich glaube, da hat Tim noch nicht daran gedacht, uns einzuladen”, versuchte sie zu erklären. „Die Idee ist ihm wohl erst später gekommen, als er sich mit mir unterhalten hat. Er hat mich gefragt, wie meine Wahlkampagne so läuft. Und ich habe ihm gesagt, ich hätte noch gar nicht damit angefangen. - 47 -
Dann hat er mir von dieser Party erzählt, und daß bestimmt eine Menge Leute da sein werden. Er meinte, das sei doch ,eine gute Gelegenheit für mich, ein paar Stimmen zu sammeln. Also hat er uns eingeladen, nach dem Football-Spiel noch bei ihm vorbeizukommen.” Shelly sah Andy an. Hatte er gemerkt, daß sie gelogen hatte? Denn von allein wäre Tim wahrscheinlich nicht auf den Gedanken gekommen, auch Andy einzuladen. Tim hatte sie ja erst aufgefordert, Andy mitzubringen, nachdem sie erzählt hatte, daß sie mit ihm zu dem Football-Spiel ging. Shelly hatte sogar irgendwie das Gefühl, daß Tim Andy eigentlich gar nicht dabei haben wollte. Aber das würde sie Andy natürlich nicht sagen. „Du willst doch, daß ich die Wahl gewinne, Andy. Dann mußt du mir auch dabei helfen”, bat sie. „Es ist doch bestimmt ganz nützlich für mich, zu dieser Party zu gehen, oder nicht?” „Ja, vielleicht”, erwiderte Andy zögernd. „Aber muß es ausgerechnet eine Party von diesem Tim Walker sein? Mir gefällt der Typ nicht, aber wenn du darauf bestehst, gehe ich mit dir hin.” „Eigentlich habe ich auch keine große Lust. Aber wie hast du gesagt? Ich darf jetzt nicht aufgeben. Ich werde weitermachen. Dazu muß ich alles tun, was mir Stimmen einbringt. Nur so kann ich die Wahl gewinnen. Stimmt’s?” „Ja, Shelly. Du schaffst es.” Shelly lachte. Sie waren beide etwas gereizt gewesen, als sie über Tim geredet hatten. Jetzt war davon nichts mehr zu spüren. „Also, jetzt erzähle ich dir meine Neuigkeit”, verkündete Andy. Shelly blieb das Lachen förmlich im Hals stecken. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. „Also gut, schieß los”, forderte sie ihn auf. Dabei war ihr - 48 -
ziemlich mulmig zumute. „Ich weiß allerdings nicht, ob ich es hören will.” Andy drückte ihre Hand. ”Keine Angst, es ist nichts Schlimmes. Ich finde nur, du solltest es wissen. Besonders jetzt, nachdem du dir fest vorgenommen hast, die Wahl zu gewinnen.” „Was ist es denn?” „Eigentlich nichts. Besonderes. Also, heute hat mich Renee Stephens gefragt, ob ich nicht bei der ,Wählt-Greta-Ness Wahlkampagne mitmachen will. „Renee Stephens?” fragte Shelly erstaunt. „Aber Renee ist doch gar nicht in Gretas Klasse, sondern in unserer. Ich verstehe das nicht.” „Na ja, du weißt doch, daß unsere Klasse dich und nicht sie als Kandidat aufstellt.” „Und ob. Als wir draußen auf dem Flur auf das Ergebnis warten mußten, hat sie mich mit ihren Blicken förmlich durchbohrt. Mir ist es eiskalt den Rücken heruntergelaufen.” Andy grinste. „Jedenfalls ist Renee stinksauer, weil sie nicht nominiert worden ist. Deshalb will sie sich auf Gretas, Seite schlagen, um sich zu rächen.” Shelly starrte Andy verblüfft an. „Und sie sind beide fest entschlossen zu gewinnen”, sagte er.
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5. KAPITEL Am nächsten Tag lief es für Shelly in der Schule besser als am Tag zuvor. Nachdem sie sich fest entschlossen hatte, ihr Bestes zu tun, um die Wahl zu gewinnen, fühlte sie sich erleichtert. Aber irgendwie war es nach ihrem Gespräch mit Andy nicht mehr so aufregend, daß Tim Walker in ihrem Musikkurs war. Shelly wußte, daß Andy ihr helfen und sie unterstützen würde, auch wenn er nicht sehr begeistert darüber war, auf Tims Party gehen zu müssen. Shelly dachte, Tim würde wie immer nach der Stunde, auf sie warten und noch ein bißchen mit ihr plaudern. Aber als Mr. Baxter den Unterricht beendet hatte, lief Tim sofort aus der Klasse. Jungen sind schon komisch, überlegte Shelly. Als sie aufstand, wandte Mr. Baxter sich ihr zu. „Shelly, hast du noch ein paar Minuten Zeit?” Shelly wußte sofort, was er von ihr wollte. „Hast du dir schon überlegt, ob du bei der Talent-Show mitmachen willst” erkundigte er sich. „Nun, um ehrlich, zu sein, nein”, stotterte Shelly. „Ich hatte ziemlich viel zu tun in den letzten Tagen, und da habe ich einfach nicht mehr daran gedacht.” Shelly hatte ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte Mr. Baxter ihr klargemacht, wie wichtig diese Sache für ihn war. Es waren ihr ja wirklich so viele andere Dinge im Kopf herumgegangen, wie hatte sie da noch diese Talent-Show im Auge behalten sollen? „Wenn du willst, können wir ja jetzt darüber reden”, schlug - 50 -
Mr. Baxter vor. „Deshalb habe ich heute die Klasse auch etwas eher gehen lassen. So haben wir genug Zeit, und du kommst nicht zu spät zu deiner nächsten Stunde.” Shelly lächelte nur. Was sollte sie auch darauf antworten? Es war ihr noch nie leichtgefallen, sich mit Erwachsenen zu unterhalten. Eigentlich hatte sie auch bei Leuten ihren Alters nie so richtig gewußt, worüber sie mit ihnen reden sollte. Zumindest nicht, bis sie Andy kennengelernt hatte. „Es, freut mich wirklich, daß ich bei dieser Talent-Show mitmachen soll, Mr. Baxter.” Shelly zögerte: „Aber ich glaube, ich bin einfach zu schüchtern, um mich da oben auf die Bühne zu stellen und zu singen oder irgend etwas anderes zu tun. Ich kann das einfach nicht. Ich bringe das nicht fertig.” Mr. Baxter lächelte. „Wie ich hörte, kandidierst du für die Wahl zum Jahrgangssprecher. Da müßtest du doch auch vor sämtlichen Schülern der zehnten Klasse eine Rede halten, wenn du gewinnst.” Daran hatte Shelly noch gar nicht gedacht, weil sie von ihrem Sieg alles anderes als überzeugt war. „Ich glaube nicht, daß ich diese Wahl gewinne. Also brauche ich mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen”, erklärte sie. „Und wenn du doch gewinnst?” Shelly zuckte unschlüssig die Schultern. „Okay, lassen wir das”, meinte Mr. Baxter. „Ich werde versuchen, es dir anders klarzumachen. Erstens finde ich, daß du eine phantastische Stimme hast, die jeder hören sollte. Und zweitens findet die Talent-Show genau einen Tag vor der Wahl zum Jahrgangssprecher statt. Wenn du bei der Show mitmachst, bringt dir das bestimmt noch ein paar Stimmen ein. Bei der Wahl werden sich vielleicht einige Schüler an deine tolle Stimme erinnern und dich wählen.” Das klingt eigentlich ganz vernünftig, dachte Shelly. Sie seufzte: Warum drehte sich Ihr ganzes Leben nur noch um - 51 -
diese blöde Wahl? Kein Wunder, daß sie vorher noch nie bei so was mitgemacht hatte. Das war wahrscheinlich sehr klug gewesen. „Also, was sagst du dazu?” hakte Mr. Baxter nach. „Ich weiß nicht. Eigentlich finde ich die Idee ja ganz gut. Aber ich bringe es einfach nicht fertig, ganz alleine da oben zu stehen und vor allen Leuten zu singen. Wenn ich wenigstens mit jemandem zusammen oder vielleicht sogar mit mehreren singen könnte, wäre es nicht ganz so schlimm.” Mr. Baxter runzelte die Stirn und überlegte. „Ich habe eine Idee”, sagte er schließlich. „Du beschließt, du machst mit, und ich spreche mit den anderen Schülern, die auch eine Nummer einstudieren wollen. Ich frage sie, ob jemand Lust hat, ein Duett mit dir zu singen, oder ob du bei einer Gruppe mitsingen darfst. Was hältst du davon?” Wahrscheinlich hat sowieso niemand Lust dazu, ging es Shelly durch den Kopf. „Also gut, einverstanden”, gab sie nach. „Gut. Ich kümmere mich darum. Mach dich schon mal darauf gefaßt, vor einem riesigen Publikum zu singen. Okay?” „Okay. Klingt gut.” Shelly stand auf. „Aber wie werde ich erfahren, ob Sie jemanden gefunden haben? „Heute nachmittag weiß ich schon mehr. Komm nach der Schule bei mir vorbei, dann sage ich dir Bescheid.” „Gut. Bis dann.” Shelly verließ den Klassenraum und machte sich auf die Suche nach Andy. Dabei dachte sie nach. Wofür sollte sie sich entscheiden? Sollte sie bei dieser Talent-Show mitmachen und damit etwas tun, was immerhin weder Marsha noch Margaret je erreicht hatten? Oder überwog die Panik, vor der ganzen Schule zu singen? Shelly beschloß, Andy erst von ihrer Unterhaltung mit Mr. - 52 -
Baxter zu erzählen; wenn sie sich sicher war, was sie tun sollte. Als sie mit Andy in die Cafeteria kam, trafen sie Greta, die sich gerade ihr Mittagessen geholt hatte. „Ihr könnt euch zu mir setzen”, schlug sie vor. „Ich halte euch da drüben einen Platz frei.” Sie zeigte auf ein paar leere Tische mitten im Raum. „Beeilt euch.” Shelly freute sich, daß Greta zum erstenmal seit Tagen wieder mit ihnen essen wollte. Es war zwar sehr schön gewesen, mit Andy allein zu sein, aber Shelly hatte Gretas fröhlichen Redeschwall vermißt. „Allerdings werden wir hier wahrscheinlich unser eigenes Wort nicht verstehen”, rief Greta. „Aber es war nirgendwo sonst noch etwas frei.” Shelly und Andy stellten ihre Tabletts auf den Tisch und setzten sich zu Greta. „Wie geht es euch eigentlich so?” wollte Greta wissen. „Gut”, antwortete Shelly. „Ganz gut.” Warum antwortet eigentlich jeder ,gut`, wenn er gefragt wird? überlegte sie. Manchmal hatte sie wirklich Lust zu sagen: „Mir geht es furchtbar schlecht. Ich bin völlig fertig. Einfach nur so, um zu sehen, wie die Leute darauf reagieren. „Und wie geht es dir, Greta?” erkundigte Shelly sich. Ob Greta wohl genau dieselbe Antwort geben würde wie sie? „Na ja, es hört sich vielleicht komisch an” begann Greta, „aber mir geht es einfach Spitze. Ich bin wahnsinnig aufgeregt wegen der Wahl. Ein Mädchen, mit dem ich ein paar Kurse zusammen habe, ist ganz wild darauf, mir bei der Wahlkampagne zu helfen. Sie organisiert ein paar Treffen und vielleicht eine oder zwei Parties vor der Wahl. „Klingt aufregend”, murmelte Shelly. Sie warf Andy einen Blick zu und fragte: „Wie heißt sie denn?” Andy hörte auf zu essen und legte seine Gabel auf den Tisch. Wenn sie alleine gewesen wären, hätte er ihr bestimmt - 53 -
vorgehalten, daß sie doch ganz genau wußte, wie dieses Mädchen hieß. Schließlich hatten sie sich gestern noch über sie unterhalten. Greta schien nichts zu bemerken. Sie trank einen Schluck Milch und antwortete: „Das Mädchen heißt Renee Stephens. Ich habe Kunst und Mathe mit ihr. Ehrlich, Shelly, Renee ist phantastisch. Und sie ist wahnsinnig nett.” Ja, ungefähr so nett wie eine Kobra, dachte Shelly. Sie lächelte gezwungen und murmelte: „Wie schön für dich.” Sie hatte gemerkt, daß Andy schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt hatte. Was er wohl dachte? „Übrigens, Shelly, Renee hat mir erzählt, sie wäre in deiner Klasse.” „Ach, wirklich?” fragte Shelly ganz unschuldig und mit gespieltem Erstaunen. „Ja. Und sie hat mir auch erzählt, daß sie früher mal mit einem Jungen aus deiner Klasse gegangen ist. Deshalb hilft sie auch mir und nicht dir bei der Wahlkampagne. Sie kann nämlich diesen Jungen und alles, was irgendwie mit ihm zu tun hat, nicht mehr ausstehen.” Das war wirklich die dümmste Ausrede, die Shelly je gehört hatte. Arme Greta. Sie hatte ja keine Ahnung, warum Renee ihr wirklich half. Offensichtlich war Renee tatsächlich stinksauer, weil sie von ihrer Klasse nicht nominiert worden war. „Mit wem ist denn gegangen?” fragte Andy plötzlich. „Mit Tim Walker. Kennst du ihn?” „Ja. Aber ich habe wirklich keine Lust, mich jetzt über ihn zu unterhalten.” Überrascht sah Greta ihn an. Shelly fragte sich, ob sie jetzt wohl das Thema wechseln würde. Sie wußte, Andy konnte Tim nicht ausstehen. Aber das war noch lange kein Grund, Greta so anzufahren. Außerdem konnte - 54 -
Shelly den Namen Renee allmählich nicht mehr hören. Und sie wollte die Gelegenheit nutzen, um Greta von Tims Party zu berichten. „Soll ich ihr von der Party erzählen?” wandte sie sich an Andy. Sie wußte ganz genau, daß Greta viel zu neugierig war, um nicht nachzufragen, worum es ging. Andy warf ihr einen Blick zu, der deutlich sagte: „Tu’s nicht.” Aber dann zuckte er gleichgültig die Schultern. Prompt wollte Greta es auch schon wissen: „Was für eine Party?” „Tim Walker hat mich und Andy zu seiner Party eingeladen. Für Freitag abend, nach dem Football-Spiel. Wird bestimmt lustig. Es werden eine Menge Leute da sein.” Greta nickte. „Verstehe.” Sie lächelte schwach. „Das ist doch genau das, was du dir gewünscht hast. Neue Leute kennenzulernen. Mehr aus dir herauszugehen. Scheint so, als ob alle deine Wünsche in Erfüllung gehen, was? Shelly hörte die Enttäuschung in Gretas Stimme. Plötzlich wünschte sie, sie hätte den Mundgehalten. Nun, sie hatte es mal wieder geschafft. Sie hatte ihnen allen die Mittagspause verdorben. Jetzt mußte sie versuchen, die gute Laune irgendwie wiederherzustellen. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Sie hatte eigentlich gar nichts von ihrem Gespräch mit Mr. Baxter erzählen wollen. Aber sie erinnerte sich an etwas, was ihr Vater; mal zu ihr gesagt hatte. Daß man jemanden am besten für sich gewinnen könnte, wenn man ihn um seine Meinung zu irgendeiner Sache fragte. Und jetzt konnte Shelly Gretas und Andys Unterstützung gut brauchen. „Übrigens, ich hab da ein kleines Problem”, begann sie. „Ihr wißt doch, daß bald unser Schulfest stattfindet. Und Mr. Baxter, mein Musiklehrer, hat mich gebeten, bei der Talent- 55 -
Show mitzumachen, die er jedes Jahr organisiert. Greta sah nicht mehr ganz so genervt aus, und auch Andy schien wissen zu wollen, was es damit auf sich hatte. „Das ist doch phantastisch”, meinte er. „Und wo ist da das Problem?” Shelly rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. „Na ja, ich bin viel schüchterner als du, Greta, und ich habe auch nicht so viel Selbstvertrauen wie du, Andy.” Greta freute, sich sichtlich über Shellys Kompliment. „Du bist vielleicht etwas schüchtern, aber ich habe bestimmt nicht so eine tolle Stimme wie du, Shelly.” „Nun, ich habe es Mr. Baxter noch nicht fest versprochen”, erklärte sie zögernd. „Ich mache nur mit, wenn ich nicht allein auf die Bühne gehen und singen muß. Das bringe ich einfach nicht fertig.” „Natürlich würdest du das schaffen”, widersprach Andy. „Wenn du nur willst.” Er schob sein Tablett zur Seite. „Wir haben neulich im Journalistikkurs über die Talent-Show gesprochen. Einer von uns soll einen Artikel für die Schülerzeitung darüber schreiben.” „Stellt euch doch mal vor, wenn etwas über Shelly in der Schülerzeitung stehen würde”, rief Greta. „Das wäre doch super. „Hey, Moment mal. Ich weiß ja noch gar nicht, ob ich da mitmache”, bremste Shelly sie. „Aber Mr. Baxter hat es dir doch angeboten, oder nicht?” wollte Greta wissen. „Ja, aber ich habe ihm ganz klar gesagt, ich mache nur mit, wenn ich nicht allein singen muß. Und ich, wette, er findet niemanden, der mit mir singen will.” „Das glaube ich nicht warf Andy ein. „Wir werden es ja bald erfahren. Ich soll heute nach der Schule noch mal bei ihm vorbeikommen. Vielleicht weiß er - 56 -
dann schon mehr. Shelly sah Andy an. „Kannst du mitkommen? Ich werde schon nervös, wenn ich bloß daran denke.” „Klar komme ich mit.” „Und wie ist es mit dir, Greta?” fragte Shelly. „Es dauert bestimmt nicht lange.” „Ich würde schon gerne. Aber ich muß heute pünktlich zu Hause sein. Außerdem, was soll Mr. Baxter denn denken, wenn wir zu dritt anmarschiert kommen? Trotzdem, ich denke an dich.” Je näher sie und Andy dem Klassenraum kamen, in dem Mr. Baxter auf sie wartete, desto nervöser wurde Shelly. „Ich glaube, ich kann es nicht”, murmelte sie. „Ich habe wirklich schon genug um die Ohren. Diese Talent-Show hat mir gerade noch gefehlt.” „Du hast ihm versprochen, vorbeizukommen, Shelly”, erinnerte Andy sie. „Du kannst dir wenigstens anhören, was er zu sagen hat. Ihr habt eine Abmachung getroffen.” Shelly warf ihm einen wütenden Blick zu. „Na, ja, so eine Art Abmachung”. Er grinste. „Du weißt schon, was ich meine. „Ja. Aber deshalb kann ich es mir doch noch mal überlegen, oder nicht?” Mr. Baxter saß an seinem Pult und korrigierte ein paar Arbeiten. Als sie hereinkamen, sah er hoch. „Kommt rein, ihr beiden. Ich dachte schon, du hättest mich vergessen, Shelly.” Er stand auf und gab Andy die Hand. „Wir kennen uns, glaube ich, noch nicht. Ich bin Lionard Baxter, Shellys Musiklehrer. „Andy Hansen”, stellte sich Andy vor. - 57 -
„Setzen wir uns doch”, schlug Mr. Baxter vor. „Ich habe gute Neuigkeiten.” Shellys Herz pochte schneller. Gute Neuigkeiten. Das hieß, er hatte jemanden gefunden, der mit ihr zusammen singen wollte. Sie lächelte und versuchte halbwegs, begeistert auszusehen. „Ich habe mit den Schülern gesprochen, die auch bei der Talent-Show mitmachen wollen. Die meisten hatten nichts dagegen, mit dir zu singen. In der Mittagspause habe ich mich noch weiter umgehört. Ich glaube, ich habe genau den richtigen Partner für dich gefunden.” Shelly sah Andy an. Er schien aufgeregter zu sein als sie selbst. „Ihr beide könntet ein Duett singen”, fuhr Mr. Baxter fort. „Das wird bestimmt die beste Nummer der ganzen Show. Aber ihr müßt euch so schnell wie möglich zusammensetzen und euch überlegen, was ihr singen wollt. ”Shelly nickte. Ob er ihr jetzt endlich verraten würde, wen er als Partner für sie ausgesucht hatte? „Weißt du, ich habe das Gefühl, daß diese Show die beste wird, die wir je veranstaltet haben”, schwärmte Mr. Baxter. „In diesem Jahr werden wahnsinnig viele Schüler mitmachen. Zum erstenmal gibt es auch Preise zu gewinnen. Für den ersten, zweiten und dritten Platz. Und alle Schüler, die mitmachen, bekommen eine Sondernote in Musik.” Mr. Baxter erinnerte Shelly irgendwie an einen Makler, der einem ein Haus andrehen wollte. Sein Gerede von Preisen und Sondernoten klang wie: „Dieses wunderschöne Haus hat drei große Schlafzimmer, ein getäfeltes Wohnzimmer und einen gemütlichen Kamin”. Shelly lächelte über seine Begeisterung, Allerdings gefiel ihr der Gedanke an eine Sondernote nicht schlecht. Sie wußte nicht, was für Noten sie in den anderen Fächern - 58 -
bekommen würde. Da konnte es bestimmt nicht schaden, wenn sie zu Hause eine Eins vorzeigen konnte. Und wenn es nur eine Eins in Musik war. Mr. Baxter wandte sich wieder an Shelly. „Denk daran, das ist eine fabelhafte Gelegenheit für dich, noch ein paar Stimmen zu sammeln. Er lächelte und zwinkerte ihr zu. „Also, was hältst du davon? Habe ich dich überzeugt?” Shelly grinste. Sie war immer noch nervös, wenn sie nur daran dachte. Aber sie wußte, sie konnte ihn nicht enttäuschen. Andy lächelte ihr zu und zuckte die Schultern, als ob er sagen wollte: „Das mußt du allein entscheiden.” Shelly sah Mr. Baxter an. „Okay, Sie haben mich überredet.” „Großartig. Du wirst sehen” es macht dir einen Riesenspaß.” Er stand auf Und begleitete Andy und Shelly zur Tür. „Je eher ihr euch trefft, desto besser.” Shelly stutzte. Was meinte er damit? Ach ja, Mr. Baxter hatte ihr ja noch gar nicht erzählt mit wem sie singen sollte. „Ich kümmere mich sofort darum”, entgegnete sie. „Aber Sie müssen mir schon verraten, wer mein Partner sein soll.” Mr. Baxter lachte und schüttelte den Kopf. „Ja, das habe ich ganz vergessen. Du wirst überrascht sein. Es ist jemand aus deinem Musikkurs.” In Gedanken ging Shelly alle Gesichter ihrer Mitschüler aus diesem Kurs durch: Aber sie konnte sich nicht vorstellen, wen er meinte. Mr. Baxter machte ein geheimnisvolles Gesicht. „Du kennst ihn sicher, Shelly. Sein Name ist Tim Walker.”
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6. KAPITEL Shelly saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und drehte sich die Haare mit ihrem Lockenstab auf. Es war kaum zu glauben. Mom und Dad ließen sie tatsächlich heute zu Tims Party gehen, ohne ihn vorher begutachtet zu haben. Shelly lächelte, als sie an das gestrige gemeinsame Abendessen dachte. Margaret war stinksauer gewesen, als ihre Eltern Shelly erlaubt hatten, zu der Party zu gehen. „Mir habt ihr nie erlaubt, mich mit jemanden zu treffen, den ihr nicht kanntet”, hatte Margaret sich beschwert. „Warum darf sie das?” „Shelly und Tim werden am Samstagnachmittag hier bei uns für die Talent-Show proben”, hatte Mrs. Bryan erklärt. „Da Shelly mit Andy zur Party geht und wir Tim ja sowieso übermorgen kennenlernen werden, haben dein Vater und ich beschlossen, mal eine Ausnahme zu machen.” Shelly hatte über das ganze Gesicht gestrahlt. Zum erstenmal in ihrem Leben durfte sie etwas tun, was man Margaret nie erlaubt hatte. Eine Ausnahme. Für sie wurde eine Ausnahme gemacht. Sie hatte plötzlich wahnsinnig gute Laune. War das die Schadenfreude, weil sie Margaret eins ausgewischt hatte, oder freute sie sich einfach nur auf ihre erste Party seit Beginn der High School? Shelly drehte sich weiter ihr Haar auf. Dabei dachte sie an die Party. Ob Tim vor seinen Freunden auch so nett zu ihr sein würde, wie neulich nach dem Musikunterricht? Oder würde er sie gar nicht weiter beachten, weil sie ja mit Andy kam? Und - 60 -
Andy? Was würde Andy tun? Seitdem Mr. Baxter ihnen gesagt hatte, daß Tim Walker mit Shelly bei der Talent-Show singen sollte, benahm sich Andy sowieso ziemlich merkwürdig. Shelly zupfte sich ein paar Haarsträhnen zurecht, die einfach nicht so lagen, wie sie es haben wollte. Aber die Mühe hatte sich gelohnt, ihr Haar umrahmte in duftigen Locken das Gesicht. Über Shellys Spiegel hing ein Poster mit einem großen, häßlichen, grünen Frosch. Er haue große Glubschaugen und trug eine goldene Krone auf dem Kopf. Darunter stand der Spruch: „Du mußt noch eine Menge Frösche küssen, bevor du deinen Prinzen findest.” Sie hatte das Poster letztes Jahr auf einem Jahrmarkt in Dallas gewonnen. Dann betrachtete sie das Bild von Andy, das auf ihrer Frisierkommode stand. Als er sie das erste Mal geküßt hatte, war Shelly überzeugt gewesen, daß er so ein Prinz sein mußte. Ihr erster Kuß, ihr erster richtiger Freund. Shelly hatte im siebten Himmel geschwebt. Bis Andy auf einmal ganz komisch geworden war. Shelly fragte sich, ob ihr Leben wohl jemals wieder so schön werden würde. „Warum benimmst du dich auch so blöd?” Vorwurfsvoll blickte sie Andys Foto an. „Siehst du denn nicht, was du damit anrichtest? Du warst es doch, der mich ermutigt hat, das zu tun, was mir Spaß macht. Mehr aus mir herauszugehen. Also, sei kein Frosch, Andy.” Shelly stand auf und ging zu ihrem Kleiderschrank. Sie nahm ihre einzige Designer-Jeans vom Bügel und musterte sie kritisch. Dann schlüpfte sie in ein dunkelblaues Sweatshirt und zog sich die hautenge Jeans über ihre schmalen Hüften. „Perfekt”, murmelte sie und drehte sich vor ihrem großen Spiegel. Plötzlich erinnerte sich Shelly an etwas, das Greta letzten Sommer mal zu ihr gesagt hatte: Daß Margaret und Marsha in einer Beziehung nicht mit Shelly konkurrieren - 61 -
könnten. Shelly sähe nämlich viel besser aus als ihre Schwestern. Shelly betrachtete sich im Spiegel. Genau wie ihre Mutter war sie klein, zierlich und schlank. „Wie eine kleine Puppe”, sagte ihr Vater manchmal. Wieder zupfte Shelly an ihren Haaren herum. Hoffentlich gefiel sie Tim auch. Dann nahm sie ihre Handtasche und warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. Ja, ihr Make-up war genau richtig. Ihre grünen Augen funkelten und ihre Zähne, die sie vorhin noch mal geputzt hatte, strahlten. Shelly dachte an den Abend, der vor ihr lag. Das Footballspiel. Die Party. Tim. Ich wette, Tim ist auch so ein Prinz, dachte sie. Er sieht einfach spitze aus mit seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen. Shelly knipste das Licht in ihrem Zimmer aus. Ob er sie wohl jemals küssen würde? An so was sollte ich nicht mal denken, warf sie sich vor. Schließlich habe ich Andy. „Das Spiel war gut, nicht?” Shelly war ganz heiser, weil sie ihre Mannschaft die gesamte zweite Halbzeit lang angefeuert hatte. „Ich hätte nie gedacht, daß wir gewinnen. Mensch, dieses Tor kurz vor Schluß war super”, schwärmte sie und wartete auf irgendeine Reaktion von Andy. Aber der starrte nur gleichgültig vor sich hin. Vor dem Spiel war er noch wie immer gewesen, der alte Andy, in den sie sich verliebt hatte. Aber dann war er immer schweigsamer geworden. Shelly verstand das nicht. War er sauer auf sie? Aber dann hätte er doch wenigstens etwas Begeisterung für das Spiel zeigen können. Die Mannschaft der Rochester High School hatte ganz knapp gewonnen. Das war doch ein Grund zum Jubeln. Beim Schlußpfiff hatte dann auch das ganze Stadion vor Begeisterung getobt. Nur Andy nicht. Shelly hakte sich bei ihm unter, während sie sich einen Weg durch die Menge zum Ausgang bahnten. „Hab ich was Falsches gesagt oder was ist mit dir los?” - 62 -
erkundigte sie sich. Andy schüttelte den Kopf. Er tat so, als ob er ihr jetzt nicht antworten konnte, weil er sich ganz darauf konzentrieren mußte, sie aus dem Stadion herauszubringen. Als sie sich bis zu Andys Auto durchgekämpft hatten, glaubte Shelly plötzlich zu wissen, was mit ihm los war. Geduldig wartete sie, bis Andy ihr die Tür aufgeschlossen hatte. Dann setzte sie sich neben ihm ins Auto. Andy ließ den Motor an, und erst da fragte, Shelly: „Warum sagst du mir jetzt nicht endlich, was dir nicht paßt?” Es überraschte sie selbst, daß sie ihn so angeschrien hatte. Das hatte so gar nicht nach der alten Shelly Bryan geklungen. Die alte Shelly Bryan hätte nie so mit ihrem Freund gesprochen. „Es ist nichts”, meinte Andy. „Na, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen”, spottete Shelly. „Ich hätte es wirklich nicht ertragen können, wenn dich irgend etwas bedrückt hätte.” Andy steuerte den Wagen vorsichtig durch den dichten Verkehr und fuhr dann auf den Freeway. „Weißt du, wo diese Party stattfindet?” „Meinst du, ob ich weiß, wo Tim Walker wohnt?” fragte Shelly. „Ja, das weiß ich. Du mußt da vorn rechts abbiegen.” Zuerst hatte Shelly es verstehen können, daß Andy sauer war, weil er zu Tims Parte gehen mußte. Er konnte Tim nicht ausstehen und kam auch nur ihr zuliebe mit. Aber jetzt dachte Shelly anders. Wenn er ihr zuliebe mitgekommen war, konnte er ja wenigstens so tun, als ob es ihm Spaß machte. Er mußte ja nicht unbedingt so ein Gesicht ziehen. „Du kannst mich, jetzt auch nach Hause bringen”, erklärte Shelly. „Mein Dad fährt mich dann schon rüber zu Tim.” Andy sah sie nur an. Shelly war nicht sicher, ob er wütend oder ängstlich aussah. Na ja, wenigstens hatte er irgendeine Reaktion gezeigt. - 63 -
„Ich bringe dich zur Party”, meinte er schließlich. „Was ist denn los? Willst du nicht mit mir zusammen hingehen?” „Natürlich will ich dich dabeihaben, Andy. Aber wenn du dich weiter so blöd benimmst, kann ich auch auf dich verzichten.” Andy umklammerte das Steuer und starrte, auf die Straße. „Entschuldige, Shelly”, flüsterte er. Shelly bemerkte, daß seine Hände zitterten. Er tat ihr schrecklich leid, sie wußte ganz genau, wie er sich jetzt fühlte. „Ja, mir tut es auch leid”, murmelte sie. „Vergessen wir es einfach. Okay?” „Okay. Ich weiß, du freust dich auf diese Party.” Er zuckte die Schultern und seufzte. „Eigentlich mußt du sogar hingehen. Es werden bestimmt ‘ne Menge Leute dasein, da kannst du ganz schön Stimmen sammeln.” „Ja, wahrscheinlich.” Andy nahm Shellys Hand. „Wir brauchen ja nicht so lange zu bleiben, oder?” Andy stellte das Auto am Straßenrand vor dem Haus der Walkers ab. Vor ihnen parkten bereits viele andere Wagen. „Sieht so aus, als ob schon ganz schön was los ist.” „Nein, wir bleiben nicht lange” versicherte Shelly. Sie drückte Andys Hand. „Wer weiß, vielleicht wird es ja ganz lustig.” Als sie ins Haus gingen, dröhnte ihnen aus dem Wohnzimmer laute Rockmusik entgegen. Überall wimmelte es von Leuten. Sie bahnten sich einen Weg ins Wohnzimmer. „Hi! Super, daß ihr doch noch gekommen seid!” rief ihnen ein Junge zu. „Wer war denn das?” fragte Andy. „Keine Ahnung. Shelly zuckte die Achseln. Ich habe ihn - 64 -
noch nie gesehen.” Im Wohnzimmer, auf einer kleinen Bühne, spielte eine DreiMann-Band. Shelly sah sich um und erkannte ein paar vertraute Gesichter. Plötzlich tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Sie drehte sich um, überzeugt, daß es nur Andy sein konnte. „Hi, Kleines”, begrüßte Tim sie. „Wir haben schon alle auf dich gewartet.” Er nahm ihren Arm und zog sie mitten ins Zimmer. Dann hielt er seine Hand hoch und rief: „Hey, Leute! Seid doch mal kurz ruhig!” Shelly hatte keine Ahnung, was los war. Aber es gefiel ihr überhaupt nicht, von allen Leuten angestarrt zu werden. Sie suchte Andy und hoffte, daß er in ihrer Nähe war. Dann sah sie ihn und sie fühlte sich plötzlich wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. Andy stand in der äußersten Ecke des Raumes, mit einer Dose Cola in der Hand. Shelly lächelte und warf ihm einen flehenden Blick zu. Aber er starrte sie nur an und machte keinerlei Anstalten, ihr zu helfen. Okay, Andy, dachte Shelly wütend, wenn du mir nicht helfen willst – ich werde auch allein damit fertig. Mittlerweile hatte die Band aufgehört zu spielen, und sofort waren Tim und sie von Jungen und Mädchen umringt. „Leute, ich möchte euch die neue Jahrgangssprecherin der zehnten Klassen von Rochester High vorstellen: Shelly Bryan!” Tim riß Shellys Arm in die Luft, während ihr alle zujubelten. Shelly lächelte nur. Was sollte sie jetzt bloß tun? Ihr Herz schlug ihr fast bis zum Hals. Sie versteckte sich hinter Tims breitem Rücken, als alle um sie herum drängelten und schubsten. „Bring mir mal die Schachtel, Dave!” rief Tim. Dave, der Gitarrist der Band, legte seine Gitarre zur Seite und hob eine Schachtel auf, die neben Ihm auf dem Boden - 65 -
stand. Er kam zu Shelly und Tim und gab Tim die Schachtel. Dabei zwinkerte er Shelly zu, die ganz rot wurde. Hoffentlich würde sie Gelegenheit haben, diesen gutaussehenden Gitarristen noch näher kennenzulernen. „Ich will, daß ihr euch alle diese Sticker anheftet!” rief Tim. Er sah Shelly an und steckte ihr dann den ersten Sticker an ihr Sweatshirt. Shelly lächelte. „Danke.” Dann sah sie sich den Sticker näher an. „Wählt Shelly Bryan”, stand darauf. „Das ist erst der Anfang, Kleines” ,meinte Tim. „Du schaffst es, ich bin sicher.” Er gab die Schachtel mit den Stickern ein paar Mädchen, die neben ihm standen. „Paßt gut darauf auf.” Tim nahm Shellys Arm und zog sie durch die Menge. „Ich möchte dir ein paar Freunde vorstellen”, erklärte er. Zuerst zog er sie zur Band. „Shelly, das hier sind Dave Logan, Tommy Isom und Bill Hovel.” Shelly kam es so vor, als ob ihr Mund zu einer Maske erstarrt wäre. Seit Tim sie am Arm genommen und mitten in den, Raum gezerrt hatte, lächelte sie ununterbrochen. Jetzt strahlte sie die drei Jungen an. „Freut mich, euch kennenzulernen”, murmelte sie. Was sollte sie wohl auch sonst sagen? Bill und Tommy lächelten ebenfalls. Anscheinend wußten sie auch nicht, wie sie sich verhalten sollten. Dafür warf ihr Dave, der gutaussehende Gitarrist, um so eindeutigere Blicke zu. „Hi Süße”, raunte er. Shelly lief eine Gänsehaut über den Rücken. Zuerst, hatte sie es gar nicht erwarten können, ihn kennenzulernen; aber jetzt wollte sie ihn so schnell wie möglich wieder loswerden. Dave musterte sie von Kopf bis Fuß, und das gefiel Shelly überhaupt nicht. - 66 -
„Hi, Dave, antwortete sie nur kurz und drehte sich um. Hoffentlich kapierte Tim, daß sie keine Lust hatte, sich noch länger mit diesen drei Typen zu unterhalten. „Da hast, du dir aber eine süße Puppe ausgesucht, Tim bemerkte Dave. „Sag mir Bescheid, wenn ich euch bei eurer Wahlkampagne helfen, kann.” „Das hättest du wohl gerne, was.” Tim lachte. „Wir schaffen das auch allein, danke.” Shelly seufzte erleichtert, als Tim wieder ihren Arm nahm. „Da drüben stehen ein paar Leute, die du unbedingt kennen lernen mußt”, verkündete er. Er zog Shelly quer durch eine Gruppe Mädchen. Dabei lächelte er und zwinkerte fast allen zu. Shelly fragte sich, ob sie auch noch ein paar Mädchen kennenlernen würde. Oder wollte Tim sie nur den Jungen vorstellen? Plötzlich spürte sie Tims warmen Atem an ihrem Ohr. „Geh nicht so krumm”, flüsterte er. „Und lächle.” Automatisch straffte Shelly ihre Schultern. Sie versuchte, noch herzlicher zu lächeln. Dabei tat ihr schon der ganze Kiefer weh. Sie gingen hinüber zu zwei Jungen, die lässig an der Wand lehnten. Offensichtlich beobachteten sie das bunte Treiben nur, statt dabei mitzumachen. „Shelly, das sind Perry Tate und Jimbo Crawford.” „Auf diesen Moment habe ich schon den ganzen Abend gewartet”, meinte Jimbo. „Wie wär’s, wollen wir zwei uns nicht mal treffen?” Shellys Lächeln verschwand schlagartig. Sie starrte den großen, muskulösen Jungen nur an. Machte er Witze? Oder meinte er das ernst? „Laß doch den Quatsch”, mahnte Tim. Jimbo und Perry lachten. Tim schüttelte den Kopf und grinste. „Nur ein kleiner Scherz”, versicherte Jimbo. „Es freut mich - 67 -
wirklich sehr, dich endlich kennenzulernen, Shelly. Ich habe schon viel von dir gehört.” „Ich auch”, warf Perry ein. Er stieß Tim mit dem Ellenbogen an.” Hey, Tim, stimmt es, daß Shelly die Nachfolgerin von Renee ist?” Shelly bekam eine Gänsehaut, als sie Renees Namen hörte. „Wenn ja” fuhr Perry fort, „kann man dir nur gratulieren. Sie sieht viel besser aus als Renee. Warum kann ich mich jetzt nicht einfach in Luft auflösen, dachte Shelly. Sie lächelte gezwungen und trat von einem Fuß auf den anderen. Was Tim wohl jetzt noch mit ihr vorhatte? „Perry, das geht dich überhaupt nichts an”, wehrte Tim ab. Bevor Shelly überhaupt begriff, was los war, hatte er sie schon am Arm gepackt und sie von Jimbo und Perry weggezogen. „Man darf die beiden nicht so ernst nehmen”, beruhigte er Shelly, und sie bahnten sich weiter ihren Weg durch die Menge. Shelly wurde so vielen Leuten vorgestellt, daß sie sogar Andy ganz automatisch anlächelte, als er plötzlich vor ihr stand. Erst dann merkte sie, daß das ja der Junge war, mit dem sie zu dieser Party gekommen war. „Können wir jetzt gehen?” fragte Andy leise. Tim sah sie entsetzt an. „Du kannst doch jetzt noch nicht abhauen. Es geht ja erst richtig los!” Shelly war da voll und ganz seiner Meinung, und sie wäre auch ganz gerne noch geblieben. Aber es war schon ein Wunder, daß ihre Eltern ihr erlaubt hatten, zu dieser Party zu gehen, ohne Tim vorher kennengelernt zu haben. „Von mir aus können wir gehen”, wandte Shelly sich an Andy. Dann drehte sie sich zu Tim um. „Vielen Dank für die Einladung. Die Party war echt, Spitze.” Wenigstens für mich, - 68 -
fügte sie im Geist hinzu. Aber wenn Andy sich nicht amüsiert hat, ist er selbst schuld. Tim brachte Shelly und Andy noch zur Tür. „Wann sollen wir uns denn morgen treffen?” fragte er. „Wir müssen uns ja noch überlegen, was für einen Song wir bei der Talent-Show singen wollen. Das ist gar nicht so einfach. Oder hast du dir schon was ausgedacht?” „Nein”, antwortete Shelly. „Und du?” „Na ja, ich hab da so ein paar Ideen. Aber noch nichts Bestimmtes.” Shelly überlegte kurz, was ihre Familie am Samstag alles vorhatte. Morgens hatte Marsha ein Fußballspiel, und zwischen zwölf und ein Uhr gab es Mittagessen. Am Nachmittag saß Margaret bestimmt wieder in ihrem Zimmer und lernte. Aber das war Shelly ganz recht. Dann konnte sie die Unterhaltung mit Tim wenigstens nicht stören. Ihr Vater würde wahrscheinlich wieder im Garten oder an seiner Werkbank in der Garage arbeiten. Und ihre Mutter mußte einkaufen. „Wie wär’s mit zwei Uhr?” schlug sie vor. „Zwei Uhr? Tim überlegte. Dann zwinkerte er ihr zu. „Abgemacht!” Shelly und Andy gingen zum Parkplatz. Shelly setzte sich zu Andy ins Auto und lächelte ihn an. Aber er reagierte nicht. Verdirb mir jetzt bloß nicht meine gute Laune, dachte sie wütend. Andy ließ den Motor an und fuhr los, ohne ein Wort zu sagen. „Ich habe mich prächtig amüsiert.” Shelly seufzte. „Die Party war einfach super. Findest du nicht auch?” „Ja, wahrscheinlich”, murmelte Andy. „Wenn man Parties mag.” Er schwieg einen Moment. „Ich mache mir nicht sehr viel daraus. Und ich hätte nie gedacht, daß du so verrückt danach bist.” „Die alte Shelly Bryan konnte Parties nicht ausstehen. Aber - 69 -
die neue Shelly ist begeistert davon.” Andy zuckte die Schultern, als ob er sagen wollte: „Ist ja auch egal.” Als sie bei Shelly zu Hause angekommen waren, fragte sich Shelly, ob Andy ihr wohl einen Gute-Nacht-Kuß geben würde. Oder war er sauer auf sie, weil sie darauf bestanden hatte, zu Tims Party zu gehen? Andy stieg aus und hielt Shelly die Tür auf. Er brachte sie noch bis zur Veranda. Shelly wünschte, er hätte das nicht getan. Wenn er schon nicht, wie sonst, ihre Hand hielt, brauchte er auch nicht so höflich und nett zu tun. Sie war fest entschlossen, sich von ihm nicht den Abend verderben zu lassen. Sie hatte viel Spaß mit Tim und den anderen Jungen gehabt. Das konnte er ihr nicht vermiesen. Andy gab ihr einen flüchtigen Kuß. „Gute Nacht”, flüsterte er. Selbst diese kurze Berührung reichte Shelly, um zu spüren, wie verletzt er war. „Gute Nacht, Andy”, sagte sie leise. „Vielen Dank für den schönen Abend.” Andy seufzte. „Klar.” Er drehte sich um und ging zum Auto.
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7. KAPITEL „Na, wie war’s gestern abend auf der Party?” erkundigte sich Shellys Mutter. Sie stellte eine Schüssel mit Hot-dogs auf den Tisch und setzte sich. „Wir haben dich gehört, als du nach Hause gekommen bist. Dabei hatte Shelly die Haustür ganz leise hinter sich zugemacht und war auf Zehenspitzen in ihr Zimmer geschlichen. Aber ihre Eltern konnten immer erst ruhig schlafen, wenn alle Töchter zu Hause in ihren Betten lagen. Shelly hatte das oft genug miterlebt, wenn Margaret abends noch weggegangen war. Sie hatte diese übertriebene Sorge eigentlich immer für ziemlich blöd gehalten. Aber gestern abend hatte es sie irgendwie beruhigt zu wissen, daß ihre Eltern noch wach waren und auf sie warteten. „Es war wirklich super”, antwortete Shelly strahlend. Sie spürte, wie Margaret sie anstarrte. Sie ist immer noch, sauer, weil ich zur Party gehen durfte, obwohl Mom und Dad Tim noch nicht kennen, dachte Shelly. „Kommt dieser Typ heute vorbei!”, wollte Margaret jetzt wissen. „Er heißt Tim korrigierte Shelly. „Ja, er kommt um zwei Uhr.” „Nun, dann solltet ihr euch besser mit dem Essen und dem Aufräumen beeilen”, meinte ihr Vater. „Ich möchte diesen Jungen gern kennenlernen. Aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ich wollte heute den ganzen Nachmittag im Garten arbeiten. Hoffentlich ist er danach nicht schon weg.” - 71 -
„Ich stelle ihn dir vor, bevor er geht. Er will sowieso die ganze Familie kennenlernen”, log Shelly. Bestimmt würde Tim überhaupt kein Interesse an ihrer Familie zeigen. Aber bei den Bryans war es einfach so üblich, daß neue Freunde oder Freundinnen der ganzen Familie vorgestellt wurden. Das war schon immer so gewesen. „Ich werde heute nachmittag etwas lernen”, meinte Margaret. „Falls ich ihn diesmal nicht zu Gesicht kriegen sollte, schaue ich ihn mir bei der nächsten Gelegenheit an.” „Ich bin schon richtig gespannt. Sieht er so aus wie Andy? fragte Marsha. Andy? Warum sollte Tim wohl Andy ähnlich sehen? Shelly schüttelte den Kopf. „Nein. Die beiden sind ganz verschieden. Warum willst du das wissen? „Ach, nur so. Andy ist doch dein Freund und da dachte ich, Tim müßte ihm ähnlich sehen. Marsha hatte wirklich eine seltsame Logik. Mr. Bryan versuchte, es ihrer jüngsten Tochterau erklären. „Tim ist ein Junge aus Shellys Klasse: Sie wollen heute nachmittag für die Talent-Show proben, bei der sie beide mitmachen. „Oh”, staunte Marsha. Ganz offensichtlich verstand sie es immer noch nicht. Nach dem Essen ging jeder seine Wege und tat, was er sich vorgenommen hatte. Shelly half ihrer Mutter noch, den Tisch abzuräumen. „Ich muß nachher noch kurz was einkaufen, aber ich bin bestimmt wieder da, bevor Tim geht”, erklärte Mrs. Bryan. „Okay, Mom.” Shelly wischte sich die Hände an einem sauberen Geschirrtuch ab. Dann wollte sie schnell in ihr Zimmer laufen, um sich noch etwas frischzumachen. Da klopfte plötzlich jemand an der Tür. Shelly öffnete und trat überrascht einen Schritt zurück. - 72 -
„Tim!” rief sie. „Du bist aber früh dran.” Sie sah auf die Uhr. Es war eine Viertelstunde zu früh. Keiner ihrer Freunde war so überpünktlich. „Ich mußte für meinen Dad noch was besorgen. Das hat nicht so lange gedauert, wie ich gedacht habe”, entschuldigte sich Tim. „Deshalb bin ich schon da.” Shelly starrte ihn nur an. Wenn sie sich wenigstens noch die Haare gekämmt hätte. Und sie wollte sich auch noch ein frisches T-Shirt anziehen. Jetzt sah sie bestimmt fürchterlich aus. „Kann ich reinkommen? Oder sollen wir hier draußen auf der Veranda proben?” fragte Tim. Seine Frage riß Shelly aus ihren Gedanken. Plötzlich kam sie sich wie ein kompletter Idiot vor. „Oh, klar, komm rein. Ich war nur so überrascht, daß du schon da bist. Gehen wir doch ins Wohnzimmer.” „Süß.“ Shelly runzelte die Stirn. Meinte er sie? „Süß, die Kleine da im Garten. Das Mädchen, das Fußball spielt. Ist das deine Schwester?” „Oh, ja. Das ist meine Schwester Marsha. Sie ist ganz verrückt nach Fußball. Und mittlerweile hat sie es schon ziemlich weit gebracht. Ihr Team hat heute morgen gegen eine der besten Mannschaften von Dallas gewonnen. Jetzt ist sie natürlich völlig aus dem Häuschen.” Shelly wünschte sich, Tim besser zu kennen. Es war ihr noch nie leichtgefallen, einfach so locker mit einem Jungen zu plaudern. Jedenfalls nicht, bis sie Andy kennengelernt hatte. Und mit Andy war das auch etwas anderes, er war genauso schüchtern gewesen wie sie. Tim hatte bestimmt keine Schwierigkeiten, sich mit jemandem zu unterhalten. Wenn ihr nur ein Thema einfallen würde, über das sie reden könnten. Vielleicht wäre sie dann nicht mehr so nervös. - 73 -
Shelly und Tim gingen ins Wohnzimmer. Shelly seufzte erleichtert. Gott sei Dank, ihr Vater arbeitete schon draußen im Garten. „Hier können wir proben”, erklärte sie. „Hast du dir inzwischen überlegt, was wir singen wollen?” Tim legte ein paar Notenblätter, die er mitgebracht hatte, auf den Tisch. „Ich weiß nur, daß wir uns ein wirklich gutes Duett aussuchen müssen. Ich meine, wir wollen doch, daß es das Publikum von den Sitzen reißt. Dann dürfen wir uns nicht einfach so auf die Bühne stellen und zusammen dasselbe Liedchen trällern.” Daran hatte Shelly noch gar, nicht gedacht. Aber Tim hatte recht. Jetzt blätterte er eifrig in den Noten. „Seit wann interessierst du dich eigentlich für Musik?” fragte sie. „Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich mag Musik eben, und ich singe gern. Ich spiele ab und zu in der Band meines Bruders. Er geht schon aufs College. Später will ich dann meine eigene Band gründen.” Tim stand auf und fing an, Shelly etwas vorzusingen. Das Lied hatte sie noch nie gehört. Nach ein paar Takten setzte er sich wieder hin. „Ich werde dann der Sänger der Band sein. Ich habe diesen Song selbst geschrieben.” Shelly lächelte. Nicht schlecht, dachte sie. Er sieht nicht nur unverschämt gut aus, er kann auch Songs schreiben. Tim legte ein Notenblatt vor Shelly auf den Tisch. Er war anscheinend wirklich kein bißchen schüchtern. „Wir könnten bei der Show doch dein Lied singen”, schlug sie vor, in der Erwartung, daß Tim ihrer Idee begeistert zustimmen würde. „Nein”, antwortete er schroff. „Ich… ich muß noch daran arbeiten. Außerdem ist es kein Duett.”, Shelly war verwirrt. - 74 -
Warum war er so dagegen? „Hast du denn sonst was Passendes gefunden?” fragte sie vorsichtig. Sie wollte ihn auf keinen Fall wieder verärgern. Typisch Jungen. Wer konnte die schon verstehen? „Ja, ich finde, wir sollten diesen Song hier singen.” Tim zeigte auf das Notenblatt, das er vor Shelly auf den Tisch gelegt hatte. „You Don’t Bring Me Flowers”, las Shelly den Titel laut vor. „Es ist schon etwas älter”” erklärte Tim. „Aber es ist ein phantastisches Duett. Neil Diamond und Barbara Streisand haben es vor ein paar Jahren mal bei der Oscar-Preisverleihung gesungen, und das Publikum war begeistert. Wenn es richtig vorgetragen wird, ist es ein echter Knüller.” Shelly verstand, was er meinte. Sie hatte das Lied schon öfter im Radio gehört. „Ja, es hat mir immer schon gefallen.” „Mir auch. Ich bin ein großer Fan von Neil Diamond. Und du?” Shelly hätte nie gedacht, daß sie sich einmal wünschen würde, ihre Schwester Margaret in ihrer Nähe zu haben. Aber jetzt hätte sie Margaret brauchen können. „Ich mag Neil Diamond antwortete Shelly. „Aber Margaret, meine Schwester, ist die Expertin. Sie hat jede Platte, die er jemals herausgebracht hat, und kennt seine Lebensgeschichte in- und auswendig.” „So gut kenne ich mich nicht aus”, meinte Tim. „Aber mir gefallen fast alle seiner Songs.” Er zeigte auf die Noten. „Also, was hältst du davon? Wollen wir es mal versuchen?” „Klar.” „Okay, dann los.” Tim setzte sich ans Klavier, und in der nächsten halben Stunde sangen sie das Duett mehrmals durch.
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„Du singst wirklich gut”, meinte Tim schließlich. „Besser als ich gedacht habe. Aber es könnte noch besser sein. Du mußt noch ein bißchen mehr Gefühl hineinlegen. Ich weiß ja nicht, wie du darüber denkst, aber ich will, daß es mindestens die ersten 10 Reihen umhaut, wenn wir auftreten.” Shelly lachte. „Ich kann zwar nicht garantieren, ob ich das schaffe, aber versuchen kann ich’s ja.” Die ganze Probe war viel besser gelaufen, als Shelly sich das vorgestellt hatte. Deshalb paßte es ihr überhaupt nicht, als sie sah, daß Tim begann seine Sachen zusammenzupacken. Sie wollte ihn noch nicht gehen lassen und fragte schnell: „Wie war es denn gestern abend noch auf deiner Party? „Spitze. Du bist viel zu früh abgehauen.” „Vielleicht kann ich beim nächsten mal länger bleiben.” Shelly hatte zwar keine Ahnung, wann Tim die nächste Party veranstalten würde, aber er sollte wissen, daß er sie ruhig wieder einladen konnte. „Du bist bei allen gut angekommen. Ich glaube, die meisten werden bei der Wahl für dich stimmen.” Bei dem Gedanken daran klopfte Shellys Herz schneller. „Dann muß ich mich aber bei dir bedanken.” „Einverstanden. Das darfst du.” Tim grinste. „Aber du weißt doch, daß du jetzt nicht mehr aussteigen kannst.” Aussteigen? überlegte Shelly. Was meinte er wohl damit? Tim lachte. „Schau mich nicht so entsetzt an. Ich meinte nur, du kannst jetzt nicht mehr aus der Wahlkampagne aussteigen. Schließlich haben wir nun alles ins Rollen gebracht.” „Ich weiß.” Tim nickte nachdrücklich. Du hast alles ins Rollen gebracht. „Du brauchst jemanden, der dich bei deiner Kampagne unterstützt. Jemanden, der sich auskennt. Der weiß, wie man Stimmen zusammenbekommt, und dir hilft zu gewinnen.” An seinem Grinsen sah Shelly, daß er auf irgend etwas - 76 -
hinauswollte. „Denkst du da an jemand Bestimmten? „Ganz zufällig kenne ich da jemanden. Mich!” Shelly lachte und nickte. „Das habe ich mir gedacht.” Sie legte einen Finger ans Kinn, als ob sie noch überlegen müßte. „Mal sehen. Bist du überhaupt der Richtige für den Job?” „Machst du Witze?” protestierte Tim. „Du willst wissen, ob ich der Richtige dafür bin? Hey, ich hab letztes Jahr an meiner alten Schule die Wahl zum Jahrgangssprecher der neunten Klassen spielend gewonnen. Ich weiß also, wovon ich rede.” Er zwinkerte ihr zu. „Außerdem bin ich überall sehr beliebt.” Dann schnitt er eine Grimasse und zwinkerte ihr abwechselnd mit dem rechten und dem linken Auge zu. Shelly konnte kaum sprechen vor Lachen. „Okay, du hast den Job.” „Na, Gott sei Dank. Ich hatte gehofft, du würdest das sagen. Sonst hätte ich mich selbst eingestellt. Du brauchst mich, Kleines.” Shelly sah ihn nachdenklich an. Er hatte recht. Sie brauchte ihn. Ohne Tims Hilfe konnte sie die Wahl nicht gewinnen. Und Andy? Andy würde bestimmt fürchterlich sauer sein. Aber eigentlich war Andy ja selbst schuld. Schließlich hatte er sie ermutigt, sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Kurz darauf kam Shellys Mutter ins Wohnzimmer. „Hört sich so an, als ob euch das Proben ziemlich viel Spaß macht.” Sie lächelte. „Mom, das ist Tim Walker”, sagte Shelly schnell. Tim stand auf und gab Mrs. Bryan die Hand. „Es freut mich, Sie kennenzulernen”, sagte er. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört.” Ach ja? dachte Shelly. Dabei hatte sie ihm doch gar nicht viel von ihrer Familie erzählt. Dann verstand sie. Er hatte das einfach nur so daher gesagt. Ja, das mußte man Tim lassen. Er - 77 -
wußte immer genau, was er zu sagen hatte, ganz egal, bei welcher Gelegenheit. „Ich freue mich auch, dich kennenzulernen”, erwiderte Shellys Mutter, „Du bist hier immer willkommen. Shelly war verblüfft. Das hatte ihre Mutter doch noch nie zu einem Jungen gesagt. Jungen wurden bei den Bryans fast wie streunende Katzen behandelt. Man durfte sie mitbringen und sie gut behandeln, aber dann schienen ihre Eltern immer froh zu sein, wenn sie wieder gingen. Dies hier war etwas völlig Neues. Niemand holte sich eine streunende Katze ins Haus und forderte sie auf wiederzukommen, wann immer sie wollte. „Vielen Dank für die Einladung, Mrs. Bryan”, entgegnete Tim. „Bis zu unserem Auftritt müssen Shelly und ich noch eine Menge üben. Ich hoffe, es macht Ihnen wirklich nichts aus, mich häufiger hier zu sehen.” „Bestimmt nicht”, versicherte Mrs. Bryan. „Ist Mom schon wieder da?” hörte man plötzlich Margarets Stimme. Dann kam sie auch schon ins Zimmer gelaufen. „Das ist meine, Schwester Margaret”, stellte Shelly vor. „Hi, Margaret”, begrüßte Tim sie. „Ich habe gehört, du bist ein Fan von Neil Diamond?” „Ja, ich mag ihn”, antwortete Margaret kurz. Dann drehte sie sich zu ihrer Mutter um. „Ich muß noch ein paar Sachen besorgen, Mom. Darf ich das Auto nehmen?” „Von mir aus, ja. Aber frag lieber noch deinen Vater.” Natürlich kann sich Margaret mal wieder nicht benehmen, ärgerte sich Shelly. Was sollte Tim denn jetzt denken? Sie hätte wirklich ein bißchen höflicher sein können. Shelly war froh, als Margaret gegangen war. Sie hatte die unangenehme Angewohnheit Shelly alles zu vermiesen, was ihr Spaß- machte. Dann ging auch Shellys Mutter zurück in die Küche, und Shelly zog eine Grimasse. „Nimm’s. Margaret nicht übel. Die - 78 -
ist schon so auf die Welt gekommen. „Ist schon okay.” Tim grinste. „Irgendwie erinnert sie mich an ein Mädchen, mit dem ich mich früher öfters getroffen habe.” „An Rene?” Der Name war Shelly einfach so rausgerutscht. Sie wußte selbst nicht, warum sie das gefragt hatte. Vielleicht ging ihr immer noch Perrys Bemerkung von gestern abend im Kopf herum. Tim zuckte die Schultern. „Ja. Sie erinnert mich an Renee. Du weißt ja, wie das so ist mit Ex-Freunden oder ExFreundinnen.” „Klar weiß ich das”, log Shelly. „Also dann, wir sehen uns Montag in der Schule.” Tim ging zur Tür. „Ich lasse dir die Noten da, dann kannst du das Duett noch mal alleine durchsingen. Ich glaube, mein Bruder hat auch ein paar Noten davon zu Hause liegen, also brauche ich sie nicht.” Shelly begleitete Tim noch bis auf die Veranda. „Wann sollen wir denn wieder proben?” Nachdem er eben so kühl auf ihre Frage nach Renee reagiert hatte, rechnete Shelly absolut damit, daß er sagen würde: „Oberhaupt nicht mehr.” „Ich weiß nicht. Vielleicht am Dienstag oder Mittwoch abend.” Tim beugte sich zu ihr herunter und küßte sie auf den Mund. Dann zwinkerte er ihr zu und sagte „Ich ruf dich an.” Und weg war er. Das alles war so schnell gegangen, daß Shelly erst gar nicht begriff, was passiert war. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Sie schwebte im siebten Himmel. Er schien sie wirklich und wahrhaftig zu mögen! Und er hatte sie geküßt. Tim war schon fast an seinem Auto, da drehte er sich noch mal um und rief: „Denk daran, beim Üben mit Gefühl zu - 79 -
singen!” Shelly war so durcheinander, daß sie völlig vergaß, ihm zu antworten. Ganz automatisch hob sie die Hand und winkte ihm zu. „Du kannst den Arm jetzt wieder runternehmen”, hörte Shelly plötzlich jemanden sagen. Shelly riß die Hand herunter und fuhr herum. Greta kam durch den Vorgarten auf sie zu. „Wer war denn das?” wollte sie wissen. Shelly kam sich vor wie ein kleines Kind, das man dabei ertappt hatte, wie es aus, der Keksdose nascht. „Der Junge da eben?” fragte sie nervös zurück. „Ach, das war bloß Tim Walker. Du weißt schon, ich singe mit ihm bei dieser Talent-Show. Das habe ich dir doch erzählt, oder nicht?” Shelly wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. „Er ist ganz nett.” Sie versuchte, total gleichgültig zu klingen. „Ja, das habe ich gesehen!” Also hatte Greta doch noch mitbekommen, daß Tim sie geküßt hatte. „Wenn du diesen kleinen Kuß meinst, das hat gar nichts weiter zu bedeuten.” Sie wurde rot. „Außerdem hat er mich einfach überrumpelt.” Hoffentlich glaubte Greta, daß ihr Tims Kuß nichts bedeutet hatte. Dabei klopfte Shellys Herz immer noch wie verrückt. „Ja, das würde Andy bestimmt auch denken, wenn er das gesehen hätte”, bemerkte Greta trocken. „Hör zu, Greta, das war einfach ein ganz spontaner Kuß. Wahrscheinlich wird es nicht wieder vorkommen. Also, warum vergessen wir es nicht einfach?” Hoffentlich kapierte Greta, was sie ihr damit sagen wollte. Aber dann beschloß Shelly kein Risiko einzugehen. „Tu mir einen Gefallen und erzähl Andy nichts davon. Er würde es ja doch nicht verstehen.” - 80 -
„Da hast du allerdings recht.” Liebend gern hätte Shelly das Thema gewechselt. Je länger sie über Tim redeten, desto mehr Schwierigkeiten bekam sie. „Zerbrechen wir uns doch nicht den Kopf über Tim oder diese blöde Talent-Show. Erzähl mir lieber, wie deine Wahlkampagne läuft”, versuchte sie abzulenken. „Phantastisch. Renne ist ganz wild darauf, Stimmen für mich zu sammeln. Sie macht ihre, Sache wirklich gut.” Schon wieder Renee. Warum müssen eigentlich alle von Renee reden, fragte sich Shelly. „Freut mich, daß alles so gut läuft und Renee dir eine so große Hilfe ist.” „Ja, sie ist echt nett. Sie gibt sich wahnsinnig Mühe und tut fast alles für mich. „Das ist schon komisch, nicht?” Shelly seufzte. „Dir hilft Renee bei deiner Wahlkampagne, und mir hilft Tim. Findest du das nicht irgendwie merkwürdig? Ich meine, die beiden sind doch mal miteinander gegangen. Das hat man mir wenigstens er zählt.” Verblüfft starrte Greta ihre Freundin an. Shelly wußte, sie hätte lieber den Mund halten sollen. Aber wenn sie nur Renees Namen hörte, war sie schon auf hundertachtzig. Und deshalb hatte sie es Greta einfach erzählen müssen. „Was meint Andy eigentlich dazu?” murmelte Greta. In dieser Hinsicht war Shelly auch nicht, viel schlauer als Greta. Schließlich wußte Andy noch gar nichts von der ganzen Sache. Aber sie nahm sich vor, es ihm so bald wie möglich zu erzählen. Dann würde zwischen ihnen bestimmt alles wieder so sein wie früher. „Andy macht es nichts aus”, schwindelte Shelly. „Du weißt doch, er ist nicht der Typ für so was. Er ist zu schüchtern. Ihm gefällt es nicht, im Mittelpunkt zu stehen.” Greta runzelte die Stirn. „Und du? Gefällt es dir?” „Klar”, antwortete Shelly ohne zu zögern. „Dir nicht?” - 81 -
„Ich weiß nicht.” Greta fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Eigentlich bin ich nur vorbeigekommen, um dich zu fragen, ob du Lust hast, kurz mit mir einkaufen zu gehen. Es dauert bestimmt nicht lange.” Shelly hatte schon Lust, aber dann würde ihr Greta sicherlich noch mehr unangenehme Fragen stellen. „Tut mir leid, ich kann nicht”, wich sie aus. „Ich hab noch wahnsinnig viel zu erledigen. Auf dem Weg in ihr Zimmer traf Shelly Margaret. „Wer war denn der Idiot da eben?” fragte ihre Schwester. „Er ist kein Idiot. Das war ein Freund von mir”, rief Shelly empört. „Wir proben für eine Nummer bei der Talent-Show. Außerdem werde ich mit seiner Hilfe die Wahl zum Jahrgangssprecher gewinnen.” „Zweifellos”, spottete Margaret. „Was ist mit Andy? Der gefiel mir besser.” „Andy kann nicht singen, und er interessiert sich nicht für die Wahl”, erklärte Shelly. „Du bist ja bloß eifersüchtig, weil Tim viel besser aussieht als alle deine Freunde zusammen.” Margaret runzelte die Stirn. „Also wirklich Schwesterchen, manchmal redest du einen unfaßbaren Blödsinn zusammen.” Kopfschüttelnd lief sie die Treppe hinunter.
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8. KAPITEL In der Mittagspause reihte sich Shelly allein in die Schlange vor der Essensausgabe ein. Die letzten zwei Wochen waren wie im Flug vergangen, überlegte sie. Wenn sie nicht gerade für die Schule gelernt hatte, war sie mit Proben für das Duett beschäftigt gewesen. Sie und Tim sahen sich oft. Nach jeder Probe blieb Tim meist noch etwas länger, und dann unterhielten sie sich über die Wahlkampagne. Danach gab er ihr jedesmal einen Abschiedskuß. Diesen Moment konnte Shelly immer kaum erwarten. Shelly blickte sich um. Von Greta oder sonst einem Bekannten war weit und breit nichts zu sehen. Und mit Andy hatte Shelly schon seit einer Ewigkeit nicht mehr zu Mittag gegessen. Aber es nervte sie, daß er sich jedesmal bei ihr entschuldigte, wenn er keine Zeit hatte. Er mußte ja nicht mit ihr zusammensein, wenn er nicht wollte. Shelly nahm ihr Tablett und machte sich auf die Suche nach einem freien Tisch. Wie immer war die Cafeteria restlos überfallt. Sie hielt Ausschau nach jemandem, den sie kannte und zu dem sie sich setzen konnte. Zufällig sah sie hinüber zu dem Tisch, an dem sie, Andy und Greta sonst immer säßen. War das nicht Greta da drüben? Ja, tatsächlich. Shelly ging zu ihrer Freundin an den Tisch. „Warum hast du denn allen Leuten den Rücken zugedreht? Willst du allein sein?” Überrascht sah Greta auf. „Nein, setz dich doch. Wo hast du - 83 -
denn Andy gelassen?” Shelly stellte ihr Tablett auf dem Tisch ab. „Er hat noch irgendwas zu erledigen. Um ehrlich zu sein, Greta, ich habe ihn in der letzten Zeit nicht sehr oft gesehen.” Greta antwortete nicht. Hielt sie sich nur zurück, um nicht triumphierend an ihre Warnungen zu erinnern, oder tat Shelly ihr plötzlich leid? „Mach doch nicht so ein ernstes Gesicht”, sagte Shelly leichthin. „Es kommt schon wieder alles in Ordnung.” „So, meinst du?” „Klar.” Was hatte Greta wohl mit ihrer Bemerkung gemeint? Shelly war fest davon überzeugt, daß sie sich bald wieder so gut mit Andy verstehen würde wie früher. „Glaubst du nicht, daß Andy sauer sein könnte, weil du in letzter Zeit nur noch mit diesem Tim zusammen bist?” hakte Greta nach. Shelly zuckte die Achseln. „Warum sollte er? Ich muß mich doch mit Tim treffen. Schließlich müssen wir für die Talentshow proben. Es ist nämlich ziemlich schwierig, ein Duett alleine zu singen.” „Ich weiß”, beschwichtigte Greta. „Reg dich nicht auf. Ich frage mich ja nur, ob Andy nicht glauben muß, daß du nichts mehr von ihm wissen willst.” „Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst. Tim Walker ist ein netter Typ, der mir bei meiner Wahlkampagne hilft. Und bei meiner Show mache ich auch nur ihm zuliebe mit. Ich bin immer noch überzeugt davon, daß du Jahrgangssprecherin wirst oder dieser andere Kandidat die Wahl gewinnt. Wenn Tim mir nicht helfen würde, wäre ich sowieso längst ausgestiegen.” „Du wirst dich noch wundern”, bemerkte Greta. „Was soll das heißen?” Greta schüttelte den Kopf. „Ist nicht so wichtig”, meinte sie - 84 -
und starrte, auf ihren Teller. „Ich möchte es aber wissen widersprach Shelly. „Wie sagst du immer, wenn jemand nicht so recht mit der Sprache herausrücken will: Spuck’s aus? Also, spuck’s aus, dann können wir darüber reden.” Greta seufzte. „Okay. Aber es wird dir bestimmt nicht gefallen.” „Na, ich bin ja wohl nicht die Erste, der man etwas sagt, was sie nicht hören will.” „Ich glaube, du hast dich verändert. Und das ist Tims Schuld. Greta sah Shelly an. „Er hat einen ganz anderen Menschen aus dir gemacht. Ich finde, die alte Shelly Bryan hätte eine viel größere Chance, die Wahl zu gewinnen.” Shelly lehnte sich zurück. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Tim hat mich nicht verändert. Er hilft mir. Verstehst du das nicht? Er gibt mir Tips, wie ich bei den Wählern noch besser ankommen kann.” „Seit wann hast du das nötig?” unterbrach Greta sie. „Ich habe dich gemocht, so wie du warst. Und Andy auch.” Aha, daher weht der Wind, dachte Shelly. Andy, Andy und nochmals Andy. „Ich hätte wissen müssen, daß es irgend etwas mit Andy zu tun hat”, bemerkte sie herablassend. „Natürlich. Es geht um uns alle. Hast du gar nicht gemerkt, daß unsere Freundschaft langsam aber sicher vor die Hunde geht? Noch ist es nicht zu spät.” Gretas Stimme klang eindringlich. „Wir beide kennen uns schon lange und haben so viel zusammen durchgemacht. Da werden wir, unsere Freundschaft doch nicht wegen einer blöden Wahl aufs Spiel setzen. Aber mit Andy ist das was anderes, ihn kennst du noch nicht so lange. Du solltest Wirklich versuchen, zwischen euch wieder alles in Ordnung zu bringen, bevor es zu spät ist.” „Vielen Dank für deine klugen Ratschläge”, spottete Shelly. „Ich finde, du solltest das Ganze mal von meinem Standpunkt - 85 -
aus betrachten.” Shelly wurde langsam wütend. „Warum soll ich versuchen, mich wieder mit Andy zu versöhnen? Warum ich? Ich glaube, er sollte den ersten Schritt tun.” Sie sah, wie Greta die Stirn runzelte, und fuhr schnell fort: ,,Schließlich hat er mich überredet, mich als Kandidatin für die Wahl aufstellen zu lassen. Dann ist mir plötzlich mulmig geworden und ich wollte die Kandidatur wieder zurückziehen. Aber Andy hat mich ja nicht gelassen. Ich habe mit ihm darüber geredet und er wollte, daß ich weitermache. Ich dürfte jetzt nicht aufgeben, hat er gesagt. Ich könnte es schaffen.” Greta starrte Shelly nur an. „Und als es dann um die Talent-Show ging, wolltet ihr beide, daß ich da mitmache. Klar machst du mit, habt ihr gesagt. Du hast doch eine Super-Stimme. Nun; ich habe auf euch gehört. Und es war Mr. Baxter, der meinte, Tim wäre der ideale Partner für mich. Ich habe ihn mir nicht ausgesucht. Anscheinend habt ihr beide das vergessen. Mr. Baxter hat Tim, gebeten, mit mir zu singen. Wie oft soll ich das noch sagen?” Shelly war den Tränen nahe. Aber sie hatte es immerhin geschafft, Greta ganz ruhig ihre Meinung zu sagen. „Tut mir leid”, murmelte Greta. „Mir auch.” Einen Moment lang sprach keines der Mädchen ein Wort. Dann meinte Greta: ,,Ich muß jetzt gehen, es klingelt gleich.” Shelly nickte nur, ohne Greta anzusehen. Erst als sie sicher war, daß Greta weg war, hob Shelly den Kopf. Warum läuft bloß alles schief? fragte sie sich. Andy wollte, daß ich Jahrgangssprecher werde. Und Mr. Baxter hat. mich überredet, bei dieser Talent-Show mitzumachen. Shelly dachte daran, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Shelly spürte förmlich, daß ihre Freundschaft zu Greta mehr und mehr zerbröckelte. Es hatte angefangen, als sie beide von ihren Klassen als Kandidaten für die Wahl zum - 86 -
Jahrgangssprecher der zehnten Klassen aufgestellt worden waren. An diesem Tag hatte ihre Freundschaft den ersten Knacks bekommen. Früher war ich glücklicher. Zumindest hatte, ich nicht so viele Probleme am Hals. Das habe ich jetzt davon, daß ich unbedingt mehr aus mir herausgehen wollte. Und ich hatte auch keine Ahnung, daß es so viel Arger macht, sich zu verlieben. An diesem Vormittag hatte Shelly noch zwei Stunden zusammen mit Andy: Als sie die Cafeteria verließ, hatte sie sich vorgenommen, nett zu ihm zu sein. Vielleicht ergab sich ja auch eine Gelegenheit, sich wieder mit ihm zu vertragen. Sie schlug Andy vor, daß sie nach der Schule doch zusammen nach Hause gehen könnten, aber er lehnte ab. Nun, jetzt konnte doch wohl niemand mehr behaupten, daß sie nicht alles versucht hatte, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Andy wollte eben nicht. Also ging Shelly alleine nach Hause. Sie warf ihre Schulbücher in den Flur und setzte sich dann nach draußen auf die Verandatreppe. Sie redete sich ein, daß sie sich nachdem fürchterlichen Tag etwas ausruhen mußte. Aber sich selbst konnte sie nicht belügen. In Wirklichkeit wollte sie sehen, wann Andy nach Hause kam. Aber dann war es Tim, der mit seinen Auto um die Ecke bog und vor dem Gartentor parkte. „Was machst du denn hier?” fragte Shelly erstaunt. ,,Wir wollten doch heute gar nicht proben, oder?” „Ich dachte, ich kann vorbeikommen, wann es mir Spaß macht.” Tim grinste. „Deine Mutter hat doch gesagt, ich wäre - 87 -
hier jederzeit willkommen. Aber bitte, ich kann ja wieder gehen.” Shelly mußte zugeben, daß sie froh war, ihn zu sehen. Er war der einzige, der noch zu ihr hielt. „Wage es ja nicht”, warnte Shelly ihn mit gespieltem Zorn. „Setz dich doch.” Es war ein wunderbares Gefühl, hier neben Tim zu sitzen. Shelly hatte keine Ahnung, warum er gekommen war, aber das war ihr im Moment auch ganz egal. „Na, wie ist es heute in der Schule gelaufen?” fragte Tim. Wenn ich ihm von meinem Streit mit Greta erzähle, glaubt er das sowieso nicht, dachte Shelly. Und bestimmt interessierte er sich auch nicht für ihre Probleme mit Andy. „Es ist alles - phantastisch gelaufen erwiderte sie deshalb. Wenn man schon lügen muß, dann konnte man auch ruhig ein bißchen übertreiben. „Bei mir auch!” Tim machte ein geheimnisvolles Gesicht. „Ich habe versucht, aus Mr. Baxter herauszukriegen, wann wir unseren großen Auftritt haben.” „Was meinst du damit?” ,,Na ja, ob wir die erste oder die letzte Nummer sind. Oder ob wir irgendwann in der Mitte der Show auftreten.” Shelly war das eigentlich ganz egal. Sie würde sowieso vor Nervosität sterben, egal, wann sie singen mußte. „Und, hat Mr. Baxter es dir verraten?” „Nein.” Tim zwinkerte ihr zu. „Aber ich kriege es trotzdem heraus!” „Wieso bist du da so sicher?” „Ich habe Mr: Baxter gesagt, unser Duett wäre so gut, daß es die Leute von den Sitzen reißen wird. „Oh, nein, Tim!” Shelly stöhnte. „Das schaffen wir nie! „Klar schaffen wir das. Jedenfalls habe ich ihn gebeten, uns zuletzt auftreten zu lassen. Das wäre einfach super. Wenn wir - 88 -
als letztes singen, hat jeder unseren Song noch im Ohr. Dann gewinnen wir garantiert den ersten Preis. „Aber ist das nicht unfair, wenn man sich aussuchen kann, wann man auftritt?” „Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Vielleicht klappt es ja auch gar nicht. Wir werden sehen.” Es überraschte Shelly, daß Tim heute so gereizt war. Aber obwohl er manchmal ziemlich eingebildet wirkte, mochte sie ihn wirklich sehr. „Nun, ich mache mich, jetzt wohl wieder auf die Socken”, meinte Tim kurz darauf. „Aber du bist doch gerade erst gekommen”, rief Shelly. „Ja, aber ich wollte nur kurz vorbeikommen, um zu fragen, wann wir wieder proben wollen.” „Wie wär’s mit morgen abend?” „Abgemacht.” Tim ging zu seinem Auto. Dann drehte er sich um und kam noch mal zurück, als ob er etwas vergessen hätte. „Ach, übrigens, hast du Lust, am Freitag abend mit mir essen zu gehen?” Shelly traute ihren Ohren nicht. „Klar hab ich Lust dazu”, sagte sie schnell. Sie befürchtete, er könnte seine Meinung ändern, wenn sie nicht sofort zusagte. Ist doch egal, ob Mom und Dad es mir erlauben, dachte sie. Ich kann ja nicht jedesmal, wenn sich ein gutaussehender Junge mit mir verabreden will, sagen: „Moment mal, ich muß erst noch meine Mama fragen.” „Wir könnten ja erst zum Footballspiel gehen und dann eine Pizza essen”, schlug Tim vor. „Was hältst du davon?” „Gut, abgemacht.” Shelly versuchte, ganz ruhig zu bleiben. Hoffentlich merkte er nicht, wie aufgeregt sie war. Sie fühlte ein Kribbeln am ganzen Körper. Das würde bestimmt ein phantastischer Abend werden! „In der Pizzeria ist es bestimmt ziemlich voll”, stellte Tim fest. „Das ist doch eine tolle Gelegenheit für dich, Stimmen zu - 89 -
sammeln. Da können wir dann auch mit den Leuten reden, die wir beim Footballspiel nicht getroffen haben.” Plötzlich war Shellys Vorfreude wie weggeblasen. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie hatte gedacht, er würde sich für sie, für Shelly Bryan, interessieren. Aber ganz offensichtlich wollte er nur sein Versprechen halten, ihr bei der Wahlkampagne zu helfen. „Klingt gut”, murmelte Shelly. Sie hoffte, Tim würde ihr die Enttäuschung nicht anhören. Sie hätte wissen müssen, daß er nur mit ihr zusammensein wollte, weil sie bei dieser blöden Wahl mitmachte. Und jetzt wollte er unbedingt, daß sie gewann. „Tim, warum ist diese Wahl eigentlich so wichtig für dich?” fragte sie unvermittelt. Tim sah sie ernst an. „Sie ist wichtig für mich, weil ich weiß, wieviel es dir bedeutet, zu gewinnen”, antwortete er. „Ich will, daß du gewinnst. Ich bin der geborene Gewinner, und ich werde auch aus dir einen Sieger machen. Du mußt endlich diese Flaschen loswerden, mit denen du dauernd zusammen hockst.” Mittlerweile war Shelly klargeworden, daß er sie auch für eine Niete hielt. Aber er hatte sich gnädigerweise bereit erklärt, ihr zu helfen, wenigstens etwas aus ihr zu machen. Shelly dachte an Greta und Andy. „Diese Flaschen”, hatte Tim sie genannt. Greta und Andy sind keine Flaschen, sagte sie sich. Und ich auch nicht. Dann dachte sie an Marsha und Margaret. Sogar im Vergleich zu den Leistungen ihrer Schwestern hatte Shelly nicht das Gefühl, eine Niete zu sein. In ihrer Familie hatte jeder irgendein besonderes Talent. Nur jeder auf einem anderen Gebiet. Auf einmal wünschte sich Shelly, sie hätte sich vorhin nicht mit Tim verabredet. Tim beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuß auf die Stirn: - 90 -
„Schmeiß dich in Schale für das Footballspiel”, ermahnte er sie. „Du mußt deinen Wählern ja schließlich gefallen.” Am liebsten hätte Shelly geschrien: „Das ist mir ganz egal.” Aber sie lächelte nur gezwungen. „Außerdem sollen die Mädchen, mit denen ich ausgehe, so hübsch wie möglich aussehen.” Er, zwinkerte ihr zu. „Du weißt schon, damit sie zu mir passen.” Tim ging wieder zurück zu seinem Auto. Am Gartentor drehte er sich um und rief: „Sing das Duett noch mal durch. Morgen proben wir dann zusammen.” Wie sollte ich das wohl vergessen? dachte Shelly. Ob ich das alles hier überhaupt jemals vergesse? Als Shelly später zum Abendessen ins Wohnzimmer ging, hoffte sie, daß man ihr ihre Gefühle nicht ansehen konnte. Sie hatte ausgiebig geduscht und sich die Haare gewaschen, in der Hoffnung, sich danach etwas besser zu fühlen. Allerdings hatte es nicht ganz so funktioniert, wie sie sich das gedacht hatte. Schließlich hatte sie noch etwas Make-up aufgetragen und sich umgezogen. „Für wen hast du dich denn heute Abend so in Schale geschmissen?” wollte ihr Vater wissen. „Vielleicht ist sie mit Tim verabredet”, witzelte Margaret. „Heute abend nicht, aber für Freitag abend, hat er mich zum Essen eingeladen, wenn du es unbedingt wissen willst”, fauchte Shelly. „Mädchen!” warnte Mrs. Bryan. „Ich möchte in Ruhe essen.” Shelly wünschte, sie hätte sich von Margaret nicht so reizen lassen. Sie war noch nicht sicher gewesen, ob sie ihren Eltern überhaupt von ihrer Verabredung mit Tim erzählen sollte. Jetzt konnte sie nicht mehr kneifen, wenn sie es ihr erlaubten. Und Margaret durfte auf keinen Fall merken, daß Tim ihr etwas bedeutete. Das würde sie ihr jeden Tag vorhalten. - 91 -
„Wohin wollt ihr denn gehen?” fragte ihr Vater. „Zuerst zum Footballspiel und danach noch eine Pizza essen”, antwortete Shelly zögernd. Sie bemerkte, wie ihre Eltern sich ansahen. „Ich denke, das geht in Ordnung”, erklärte Mr. Bryan. „Tim war ja schon öfter hier. Er scheint sehr nett zu sein.” „Jedenfalls sieht er sehr gut aus”, stellte Margaret fest. „Viel besser als Andy.” Andy, dachte Shelly. Wie soll das alles nur weitergehen?
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9. KAPITEL Die ganze nächste Woche war Shelly hin und her gerissen von ihren Gefühlen. Einmal war sie wegen ihrer Verbindung mit Tim schrecklich aufgeregt und voller Vorfreude. Dann wiederum war ihr wahnsinnig mulmig zumute, wenn sie bloß daran dachte. Er war immer nett zu ihr, gewesen, das mußte Shelly zugeben. Sie hatten noch zweimal zusammen geprobt, und er hatte nicht wieder davon gesprochen, daß er aus ihr einen Siegertyp machen wollte. Und er hatte sie auch nicht noch mal. gebeten, sich für ihn besonders hübsch zu machen. Vielleicht war sie auch zu empfindlich, überlegte Shelly. An dem Tag hatte sie immerhin diesen furchtbaren Streit mit Greta gehabt. Wahrscheinlich hatte Tim sogar recht. Wahrscheinlich hatte sie einfach übertrieben reagiert. Aber eins war sicher, Andy hatte sie verloren. Das war aus und vorbei. Shelly nahm sich vor, nicht länger an Andy zu denken. Wenn er sie sehen oder mit ihr reden wollte, wußte er ja schließlich, wo er sie finden konnte. Aber sie ärgerte sich trotzdem über ihn. Warum hatte er sie erst ermutigt, bei der Wahl mitzumachen, und war dann, sauer geworden, als sie genau das getan hatte? Shelly holte ihre Designer-Jeans aus dem Schrank. Ob Tim wohl noch wußte, daß sie diese Hose auch schon auf seiner Party getragen hatte? Ach Unsinn, dachte sie. Bestimmt erinnert er sich ,nicht mehr daran. Jungen achten ja nie darauf, was ein Mädchen anhat. - 93 -
Shelly zog diese Jeans nur bei besonderen Gelegenheiten an. Deshalb sah sie auch noch so gut wie neu aus. So, als ob sie sie extra für diesen Abend gekauft hätte. Dazu schlüpfte Shelly noch in einen beigefarbenen Pullover. Dann nahm sie vorsichtig einen braunen Wollblazer von einem Bügel und legte ihn auf ihr Bett. Mit der Handstrich sie über den feinen Stoff. Der Blazer war eng geschnitten, mit schmalen, grünen, grauen und dunkelblauen Streifen. Er war Shellys bestes Stück, sie hatte ihn noch nie getragen. Jetzt zog sie ihn über und rückte die wattierten Schulterpolster zurecht. Ja, so saß der Blazer perfekt. Shelly drehte sich vor ihrem großen Spiegel und war zufrieden mit ihrem Aussehen. Tim hatte schließlich gesagt, sie solle sich in Schale schmeißen. Nun, er würde nichts auszusetzen haben. Komisch, es war gar nicht Tims Art, so schlechtgelaunt zu sein. Shelly fragte sich, ob er wohl sauer war, weil die Rochester High School das Footballspiel verloren hatte. „Ich dachte, unsere Jungs würden gewinnen”, meinte Shelly auf dem Weg zu seinem Auto. „Ja, ich auch. Sie hätten es schaffen können, wenn sie nicht im letzten Moment noch ausgewechselt hätten”, knurrte Tim. „Wie konnte der Trainer so blöd sein. Sie hätten gewinnen müssen.” Tim hielt ihr die Autotür auf und Shelly stieg ein. Schweigend fuhren sie, zur Pizzeria. Shelly versuchte; den Grund für seine schlechte Laune herauszubekommen. Sie wußte, an ihr konnte es nicht liegen. Tim war glänzender Laune gewesen, als er sie abgeholt hatte. Nein, überlegte Shelly, bis zur ersten Halbzeit war er noch in sehr guter - 94 -
Stimmung. „Sie hätten gewinnen müssen”, hatte er gesagt. Aber sie hatten verloren. Versager. Shelly runzelte die Stirn. Das war es. Er war wütend, weil ihre Mannschaft verloren hatte. Tim haßte es, irgend etwas mit Versagern zu tun zu haben. Selbst wenn es nur die Footballmannschaft der High School war. Als Tim schließlich den Wagen vor der Pizzeria abstellte, fühlte Shelly sich besser. Wenigstens kannte sie jetzt den Grund für seine schlechte Laune. Er war nicht sauer auf sie, also würde der Abend ja vielleicht doch noch ganz lustig werden. Zuerst war Shelly etwas mulmig bei dem Gedanken gewesen, daß sie in die Pizzeria fuhren, um Stimmen zu sammeln. Aber jetzt freute sie sich komischerweise sogar darauf. Shelly wußte, daß Tims schlechte Laune wie weggeblasen sein würde, sobald sie die Pizzeria betraten. Und so war es auch. Kaum, hatten sie die Tür geöffnet, da wurden sie auch schon lautstark von Tims Freunden begrüßt. Sie forderten Tim und Shelly auf, sich zu ihnen an den Tisch zu setzen. „Hey, Mann, wie läuft’s denn so?” rief Perry. Tim grinste nur und hob einen Daumen in die Luft. „Wie ich sehe, hast du die niedliche Kleine von neulich abends mitgebracht”, meinte Jimbo. „Hey, Süße, hast du, dir inzwischen überlegt, ob wir beide nicht mal was zusammen unternehmen wollen?” Alle lachten und Shelly wurde rot. Gott sei Dank ist es ziemlich dunkel hier, dachte sie. Sie haßte es, rot zu werden. „Du gibst wohl nie auf, was?” Tim lachte. „Hauptsache, ihr denkt alle daran, daß wir die Wahl zum Jahrgangssprecher gewinnen wollen. Und dafür brauchen wir eure Stimme. Klar?” Wie auf Kommando hoben alle Jungen den Daumen in die Luft. „Klar!” riefen sie. - 95 -
An Tims Grinsen sah Shelly, daß sich seine Laune schon erheblich gebessert hatte. Dann gingen Shelly und Tim noch zu den anderen Tischen und begrüßten weitere Freunde und Bekannte. Dabei forderte Tim sie jedesmal auf, am Tag der Wahl für Shelly zu stimmen. Als sie zum ersten Tisch zurückkamen, tat Shelly der ganze Kiefer weh, vom ständigen Lächeln. „Rückt mal ein Stück, Jungs”, sagte Tim: „Macht Platz für meine junge Dame hier.” „Du kannst meinen Platz haben, Shelly”, bot ihr Perry an. „Ich muß sowieso gehen.” „Ich auch”, meinte ein anderer Junge. Shelly zwängte sich in die Lücke zwischen Jimbo und Tim. „Na, das nenne ich gemütlich, oder nicht?” fragte Jimbo. Shelly brachte es fertig, nicht rot zu werden und antwortete mutig: „Ach, Jimbo, ich wette, das sagst du zu jedem Mädchen.” Jimbo starrte sie verblüfft an. Shelly war selbst überrascht, daß sie so locker reagiert hatte. Tim und seine Freunde lachten, und Shelly mußte, mitlachen. Langsam begann sie, sich zwischen all den Jungen wohlzufühlen. Tim bestellte zwei Pizzas. Dazu wollte er noch zwei Gläser Cola holen. Er war gerade zum Getränkeausschank hinübergegangen, als sich die Tür öffnete und Greta und Andy hereinkamen. Shelly erschrak fürchterlich,- und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Die beiden steuerten zielstrebig auf einen Tisch am Ende des Raumes zu. Ich habe es geahnt, sagte sich Shelly. Aber sie konnte es einfach nicht glauben. Sie hätte es nie für möglich gehalten, daß Greta ihr Andy ausspannen würde. Shelly wurde ganz schwindlig, so viele Gedanken schwirrten ihr plötzlich im Kopf herum. Sie war völlig durcheinander. - 96 -
Warum wollte sie denn unbedingt, daß ich mich wieder mit Andy vertrage? überlegte Shelly. Vielleicht hat sie das nur gesagt, um zu sehen, ob ich ihren Rat befolgen würde. Und als ich es nicht tat, hat sie sich Andy geangelt. Ihre besten Freunde. Shelly starrte blind vor sich hin. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. „Willst du nicht endlich deine Cola trinken?” Tims Stimme riß Shelly aus ihren Gedanken. „Oh, klar”, murmelte sie. Sie hatte keine Ahnung, wann er mit der Cola zurückgekommen war. Nein, nicht Tim hatte ihr den Abend verdorben, wie sie befürchtet hatte. Das hatten ihre beiden besten Freunde fertiggebracht. Den Rest des Abends mußte Shelly sich zusammenreißen, um nicht dauernd zu Greta und Andy herüberzustarren. Gott sei Dank hatte Tim nichts davon mitgekriegt, daß sie nur ein paar Tische entfernt saßen. Es reichte schon, wenn sie es wußte. Na ja, jetzt ist sowieso alles egal. Schlimmer kann es nun auch nicht mehr kommen, dachte Shelly. In diesem Moment betrat Renee Stephens die Pizzeria. Sie blieb in der Tür stehen, zog sich die Jacke aus und sah sich langsam um, als ob sie jemanden suchte. Plötzlich legte Tim den Arm um Shelly und zog sie an sich. „Was ist denn mit dir los?” fragte er. „Warum ziehst du so ein Gesicht?” Man sah ganz genau, daß sein Lächeln nicht echt war. Shelly fragte sich, was er wohl damit bezweckte. „Du muß strahlen, Shelly. Amüsier dich.” Tim lächelte ihr aufmunternd zu. Renee ging an ihrem Tisch vorbei. Shelly und Tim taten so, als ob sie das überhaupt nicht interessierte. Als sie sich zu Greta und Andy setzte, war Shellys Laune endgültig verdorben. „Ich möchte jetzt gehen”, erklärte sie. - 97 -
„Aber ich nicht”, widersprach Tim. „Jetzt geht es ja erst richtig los. Es ist doch noch früh. Shelly seufzte. „Außerdem schadet es bestimmt deinem Image, wenn wir jetzt schon gehen.” „Tim, das ist mir ganz egal. Ich bin müde und ich fühle mich nicht gut. Wenn du mich nicht nach Hause bringst, rufe ich Dad an und bitte ihn, mich abzuholen.” Ihre Eltern hatten ihr und Margaret schon oft gesagt, daß sie bloß zu Hause anzurufen brauchten, wenn sie mal von irgendwoher abgeholt werden wollten. Und genau das wollte Shelly jetzt. Und zwar schnell. „Okay, okay”, gab Tim nach. „Ich fahre dich. Schließlich will ich nicht, daß dein Vater hier auftaucht und womöglich noch eine Szene macht. Was sollten denn meine Freunde dann von mir denken. Shelly sah ihn ziemlich entgeistert an. Die Rückfahrt verlief genauso schweigsam, wie die Hinfahrt. Shelly wußte, es war ungerecht, ihre Wut an Tim auszulassen. Aber sie konnte einfach nicht anders. Sie war sauer, weil Greta ihr Andy ausgespannt hatte und Renee sich zu allem Überfluß auch noch zu den beiden gesetzt hatte. Wenn Shelly nur daran dachte, wie Renee in die Pizzeria hineinstolziert war bekam sie schon eine Stinkwut. Und wie Tim dann plötzlich den Arm um sie gelegt hatte! Bevor Renee gekommen ist, hat er sich ja nicht gerade viel um mich gekümmert, dachte Shelly wütend. Mittlerweile waren sie bei Shelly zu Hause angekommen. Tim bremste, stellte den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus. „Der Abend war sehr nett”, murmelte er. Shelly wußte genau, daß er das nicht wirklich meinte. Am - 98 -
liebsten hätte sie ihrem Ärger Luft gemacht, aber was nützte das schon? Nichts würde sich ändern. Nein, am besten hielt sie den Mund. „Bis Montag dann”, sagte Shelly. „Wollen wir morgen nicht zusammen proben?” fragte Tim. „Nein, ich habe keine Lust”, antwortete Shelly kurz und wollte die Autotür öffnen. Aber Tim hielt sie zurück. „Hey, Moment mal. Was soll das heißen, du hast keine Lust?” Shelly lächelte und schüttelte den, Kopf. „Tim, du bist wirklich komisch. Kapierst du denn nicht, daß mir im Moment nicht nach Singen zumute ist?” Shelly machte sich von ihm los und rutschte hinüber, zur Tür. „Du kannst jetzt nicht einfach gehen. Tims Stimme klang verärgert. „Okay, wenn du unbedingt willst, lassen wir die Probe morgen ausfallen.” „Wie großzügig von dir, Tim”. spottete Shelly. „Du entscheidest natürlich, wann bei uns zu Hause geprobt wird und wann nicht.” „Gib mir eine Chance, Shelly. Ich habe doch nachgegeben.” Ja, bestimmt zum erstenmal in deinem Leben, dachte Shelly. Tim sah sie bittend an, und Shelly überlegte. Vielleicht hatte sie vorhin unrecht gehabt. Vielleicht war es besser, ihrem Ärger Luft zu machen und ihm zu sagen, was ihr nicht paßte. Schlimmer konnte es ja auch nicht mehr werden. „Hör zu”, meinte Shelly. „Willst du wissen, warum ich schon so früh gehen wollte?” Sie holte tief Luft. Natürlich hatte sie nicht vor, ihm alles zu erzählen. Das konnte sie einfach nicht. Sie brachte es nicht fertig, mit Tim über Greta und Andy zu reden. Aber es machte Shelly nichts aus, von Renee zu sprechen. „Es hat mir überhaupt nicht gefallen, daß du plötzlich den - 99 -
Arm um mich gelegt hast, als Renee in die Pizzeria gekommen ist.” Überrascht sah Tim sie an, aber er antwortete nicht. „Ich kenne Renee. Ich weiß, daß, ihr früher mal miteinander gegangen seid.” Shelly biß sich auf die Lippen, damit er nicht merkte, wie sie zitterten. „Ich habe jetzt endlich kapiert, warum du das alles für mich tust. Du willst dich an Renee rächen.” Shelly war den Tränen nahe, aber sie wollte auf keinen Fall hier vor Tim weinen. „Das ist nicht wahr, Shelly”, flüsterte Tim. „Das ist es nicht.” „Ach nein? Warum tust du es dann?” Tim räusperte sich nervös. ,,Nun, vielleicht war es am Anfang so, daß ich dir geholfen habe, um es Renee heimzuzahlen, aber jetzt…” „Also doch”, unterbrach ihn Shelly. „Ich habe dich eben auch ausreden lassen, Shelly. Jetzt kannst du dir mal anhören, was ich zu sagen habe!” Shelly lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Zuerst habe ich dir bei deiner Wahlkampagne geholfen, um mich an Renee zu rächen”, wiederholte Tim. „Ich war furchtbar sauer auf sie, weil sie dauernd mit anderen Jungen flirtete. Also wollte ich sie eifersüchtig machen.” Shelly wünschte, sie würde sich das alles nicht anhören müssen. „Ich mag dich wirklich sehr, Shelly.” Tim nahm ihre Hand. „Du bist ein liebes, kluges Mädchen. Hey, mit meiner Hilfe kannst du wirklich was aus dir machen.” Shelly wollte ihm sagen, daß es genau solche Bemerkungen waren, die sie so an ihm haßte. Aber da hatte er sich schon zu ihr herübergebeugt und küßte sie. Shelly drehte den Kopf zur Seite. „Bleiben wir Freunde?” - 100 -
flüsterte er. Dann umarmte er sie wieder und zog sie an sich. Shelly dachte, ihre Rippen würden zerquetscht, so fest hielt er sie. Dann küßte Tim sie, wie sie noch nie von einem Jungen geküßt worden war. Shelly war ganz schwindlig. Sie hoffte, daß ihre Beine sie tragen würden, wenn, sie gleich ausstieg. „Alles wieder okay?” fragte Tim nochmals. „Ja”, antwortete Shelly atemlos. Tim ließ sie los. „Ich bringe dich noch zur Tür. „Okay.” Shelly hielt sich an seinem Arm fest, als sie durch den Vorgarten zur Veranda gingen. Ob er sie wohl noch mal küssen würde? „Was ist jetzt mit morgen? Willst du immer noch die Probe ausfallen lassen?” Tim grinste. Shelly überlegte. Es war ein wundervolles Gefühl gewesen, von Tim geküßt zu werden. Und sie war auch froh, daß zwischen ihnen alles geklärt war. Aber trotzdem mußte sie dauernd an Andy und Greta denken und daran, wie sehr sie sie enttäuscht hatten. „Ja, es bleibt dabei”, erklärte sie. „Wir können ja auch nächste Woche noch genug proben.” „Wir haben aber nicht mehr viel Zeit”, widersprach Tim. Er wird sich auch nie ändern, dachte Shelly. „Gute Nacht.” Shelly drehte sich um und hörte noch, wie auch er ihr eine gute Nacht wünschte. Plötzlich war es ihr völlig egal, ob er sie noch mal hatte küssen wollen oder nicht. Sie ging ins Haus. Jetzt fühlte sie sich auf einmal total erschöpft. Schnell zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett. Sie schloß die Augen und versuchte, in Gedanken noch mal den Moment zu erleben, in dem Tim sie geküßt hatte. Aber jedesmal sah sie nur Greta und Andy vor sich, wie sie - 101 -
zusammen, in der Pizzeria saßen.
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10. KAPITEL Am Wochenende blies Shelly Trübsal. Einerseits war sie froh, daß sie an diesem Tag nicht mit Tim proben würde. Sie hätte seine selbstsichere, manchmal etwas überhebliche Art jetzt nicht ertragen. Andererseits war ein Treffen mit Tim immer noch besser, als das ganze Wochenende alleine zu Hause herumhocken zu müssen. Shelly lag auf ihrem Bett und hörte Radio. Wirklich ein toller Sonntag, dachte sie. Ich könnte. wenigstens lernen oder sonst etwas Sinnvolles tun. Jedenfalls bringt es nichts, hier im Zimmer zu sitzen und sich zu langweilen. Schließlich stand sie auf, fuhr sich kurz mit dem Kamm durchs Haar und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Sie war gerade im Flur, als jemand an der Tür klingelte. ,,Ich mach schon auf”, rief sie. Bestimmt war das nur ein Freund von Marsha. „Hi, Shelly”, begrüßte Andy sie. Shelly starrte ihn nur an. Sie brachte kein Wort heraus. Dann riß sie sich zusammen und murmelte: „Hallo.” „Kann ich reinkommen?” Andy sah ihr direkt in die Augen. „Oder wollen wir uns nach draußen auf die Veranda setzen? Dann würde ich mir aber lieber noch einen Pullover überziehen.” „Ich komme raus”, antwortete Shelly. „Ich hol mir nur schnell meine Jacke.” Sie lehnte die Tür an und lief in ihr Zimmer. „Mom, ich geh mal kurz raus auf die Veranda”, rief sie. Dann rannte sie wieder nach draußen zu Andy. Sie konnte - 103 -
gar nicht glauben, daß er tatsächlich da war. Aber sie war irgendwie froh, ihn zu sehen, trotz der Sache mit Greta. „Wie geht es dir?” wollte Andy wissen, als sie sich zu ihm auf – die Verandatreppe setzte. ,,Gut.” Hoffentlich merkte er nicht, daß das gelogen war.” Und dir?” Shelly verstand nicht, warum es ihr auf einmal so schwer fiel, sich mit Andy zu unterhalten. Damit hatte sie doch sonst nie Schwierigkeiten gehabt. Hatten sie sich denn beide so verändert? Konnten sie nicht mal mehr miteinander reden? „Mir geht es auch ganz gut, Shelly. Der Wind fuhr Andy durchs Haar. Ich halte das nicht aus, ,dachte Shelly. Diese ständig zerzausten Haare, die blauen Augen. Sie sehnte sich plötzlich unheimlich nach ihm. Oh, Andy, seufzte sie innerlich. Andy, was ist nur mit uns passiert? „Mein Journalistikkurs ist wirklich super”, bemerkte er beiläufig. „Ich hab schon eine Menge Artikel für die Schülerzeitung geschrieben. Deshalb war ich in der letzten Zeit auch ziemlich beschäftigt.” Aber für Greta hattest du Zeit?, dachte Shelly entnervt. „Aber ich werde jetzt nicht mehr so viel schreiben, glaube ich.” Andy sah Shelly mit seinen unglaublich blauen Augen an: „Ich habe dich vermißt, Shelly.” „Ich dich auch”, gab sie zu. „Aber du hattest ja wenigstens jemanden, der dir Gesellschaft geleistet hat.” Fragend sah Andy sie an. ,,Greta. Ich verstehe gar nicht, daß du noch Zeit gehabt hast, mich zu vermissen. Wo du dich doch jetzt mit Greta triffst Verdammt Andy, ich will keinen von euch je wieder hier sehen!” Mit so einer heftigen Reaktion hatte Andy ganz offensichtlich nicht gerechnet. Seine blauen Augen - 104 -
verdüsterten sich und sahen auf einmal ganz grau aus. Sofort tat es Shelly leid, daß sie ihn so angeschrien hatte. Warum mischte sie sich eigentlich dauernd in die Angelegenheiten anderer Leute ein und machte ihren Freunden das Leben sauer? „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.” Andy zuckte die Schultern. „Ja, Greta und ich sehen uns ab und zu. Aber das haben wir doch auch früher schon getan. Nur, daß du jetzt nicht mehr dabei bist. Du hast dich verändert, Shelly. Ich verstehe dich wirklich nicht mehr. Tim Walker nutzt dich aus, und du merkst das noch nicht mal.” „Du kennst Tim doch überhaupt nicht”, protestierte Shelly. „Ich kenne ihn besser als du denkst. Ich weiß, er benutzt dich nur, um sich an Renee zu rächen.” „Tim und ich haben lang und breit darüber geredet. Er hat mir alles erzählt. Er hat zugegeben, daß, er sie zuerst wirklich nur eifersüchtig machen wollte. Aber jetzt ist das nicht mehr der Grund, aus dem er mir hilft. Er mag mich.” „Tim mag nur sich selbst. Ich verstehe nicht, wie du auf ihn hereinfallen konntest. Er ist ein Angeber. Er singt doch nur mit dir bei dieser Talent-Show, weil Mr. Baxter dich unbedingt dabei haben will. Tim war das ganz klar. Er wußte, für ihn würde bestimmt auch eine Sondernote herausspringen. Dieser Typ ist ein Schleimer, Shelly. Ein totaler Egoist. Der schreckt vor nichts zurück, um sein Ziel zu erreichen.” Shellys Herz klopfte ihr fast bis zum Hals, und die Kehle war ihr wie zugeschnürt. „Das ist eine Lüge”, flüsterte sie. „Das ist eine ganz gemeine Lüge, Andy Hansen.” Andy schüttelte den Kopf. „Nein, Shelly. Ich lüge nicht. Ich habe dich noch nie belogen. Und Ich werde es auch nie tun, obwohl ich wünschte, eben hätte ich es getan.” Shelly konnte ihm immer noch nicht glauben. Bestimmt hatte Andy das alles nur erzählt, weil sie in letzter Zeit mehr - 105 -
mit Tim als mit ihm zusammengewesen war. Das ist doch Blödsinn, dachte sie. Tim hat eine phantastische Stimme, er sieht gut aus und ist kein bißchen schüchtern. Er braucht mich doch überhaupt nicht. „Ich möchte dir wirklich gern glauben, Andy.” Sie runzelte die Stirn. Aber ich kann einfach nicht fassen, daß Tim so gemein und hinterhältig sein soll, wie du behauptest. „Dann denk doch, was du willst.” Andys Stimme klang ärgerlich. „Ich will dir ja glauben!,” rief Shelly. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Aber ich kann nicht. Ich kann es einfach nicht.” Danach sagte keiner von ihnen ein Wort. Shelly überlegte verzweifelt, worüber sie und Andy reden konnten, ohne sich gleich wieder zu streiten. Sie konnten sich ja über Gretas Wahlkampagne unterhalten. Aber dann würde er vielleicht denken, sie wollte in Gretas Angelegenheiten herumschnüffeln. Oder über seinen Journalistikkurs. Nein, das ging ja auch nicht. Andy hatte ihr ja mal erzählt, daß jemand aus diesem Kurs einen Artikel über die Talent-Show schreiben sollte. Dann würde sie von dem Journalistikkurs auf die TalentShow zu sprechen kommen, und damit wären sie wieder beim Thema Tim Walker. Schließlich sagte Andy: „Ich glaube, ich gehe jetzt besser. Ich wollte ja bloß mal sehen, wie es dir geht. Scheint so, als ob wir uns nicht mehr sehr viel zu sagen hätten. Obwohl Shelly nichts eingefallen war, worüber sie mit Andy reden konnte, wollte sie nicht, daß er jetzt schon ging. „Von mir aus kannst du ruhig noch bleiben”, versicherte sie so höflich wie möglich. Vor ein paar Wochen hatte er ihr noch so viel bedeutet. Shelly war davon überzeugt gewesen, daß sich ihre Gefühle zu ihm nie ändern würden. Sie sah, in seine blauen Augen und wünschte sehnlichst, daß zwischen ihnen - 106 -
alles wieder so wäre wie früher. ,,Nein, ich muß gehen, Shelly. Ich muß noch Hausaufgaben machen”, erklärte Andy. „Außerdem habe ich Greta versprochen, ihr ein paar Sachen vorbeizubringen.” Greta, dachte Shelly. Immer nur Greta. Ich Idiot. Wir werden uns nie wieder so gut verstehen wie früher. Er hat ja nur noch Greta im Kopf. „Nett, daß du vorbeigekommen bist”, erwiderte sie höflich. „Ich verstehe, daß du nicht bleiben kannst. Ich habe meine Hausaufgaben schon fertig, aber ich muß noch proben. Die Talent-Show ist ja schon nächste Woche, Tim meint, ich müßte das Duett noch ein bißchen üben.” Hoffentlich wurde Andy jetzt nicht stinksauer, weil sie wieder angefangen hatte, von Tim zu reden. Shelly hatte es jedenfalls gar nicht gepaßt, als er eben von Greta gesprochen hatte. „Tim sagt, ich soll mir für unseren Auftritt eine andere Frisur überlegen. Was hältst du davon?” Shelly konnte sich nicht verkneifen ihn das zu fragen. Andy stand auf und sah Shelly direkt. in die Augen. „Tim ist ein Idiot. Ich finde, du sieht sehr gut aus so. Ich muß komplett verrückt sein, dir das auch noch zu erzählen.” Er überlegte. „Nein, das stimmt nicht ganz. Du warst mal ein sehr nettes, hübsches Mädchen bevor dieser Typ dich völlig verändert hat.” „Mußt du eigentlich dauernd auf ihm herumhacken, Andy? Ich glaube, du bist bloß eifersüchtig. Deshalb meckerst du ständig an ihm herum – weil er mir hilft.” „Klar hilft er dir: Er hilft dir, genauso egoistisch zu werden wie er.” Andy setzte sich wieder. „Shelly, was ist nur aus Michelle Bryan. geworden? Wo ist das lustige, nette Mädchen geblieben, das letzten Sommer immer hier auf der Veranda saß und zu Liedern aus dem Radio sang?” Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe es einfach nicht. Greta, mir und allen, die dich - 107 -
kennen, hat die alte Michelle Bryan viel besser gefallen.” Shelly zuckte die Schultern und meinte traurig: „Ich glaube, die gibt es nicht mehr.” „Schade. Ich mochte sie sehr gern.” Du könntest wenigstens versuchen, auch Shelly Bryan zu mögen, dachte Shelly. Dann würdest du merken, daß sie der alten Michelle Bryan sehr ähnlich ist. Ich bin nur unternehmungslustiger geworden. Andy gab ihr einen sanften Kuß auf den Mund „Viel Glück, Shelly.” Er legte ihr einen Finger unters Kinn und küßte sie kurz auf die Stirn. „Mach’s gut.” „Mach’s gut? Heißt das, wir sehen uns nicht mehr wieder?” fragte Shelly mit Tränen in den Augen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Andy. Du kannst doch nicht einfach so Schluß machen.” „Es tut mir leid”, flüsterte Andy. „Shelly, es tut mir so leid. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig; Du hast jetzt andere Interessen, neue Freunde, mit denen du lieber zusammensein willst. Du brauchst mich nicht mehr.” Es gibt niemanden, mit dem ich lieber zusammen bin, als mit dir, wollte Shelly rufen, aber sie schwieg. „Und ich habe jetzt auch andere Interessen”, fuhr er leise fort. Sieh es doch ein, Shelly. Wir beide haben uns inzwischen verändert.” Shelly holte tief Luft und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Du hast recht, Andy”, sagte sie. „Wie heißt es doch? Alles Schöne geht irgendwann mal zu Ende?” „Ja, so ungefähr.” Shellys Kehle war wie zugeschnürt. Wenn sie jetzt nicht sofort ins Haus ging, würde sie wieder vor Andys Augen losheulen. „Ruf mich mal an, ja” brachte sie noch mit Mühe heraus. - 108 -
Dann stand sie auf und drehte sich um. Sie hörte noch, wie Andy flüsterte:” Mach’s gut, Shelly.” Seine Worte trieben ihr wieder die Tränen in die Augen. Shelly rannte ins Haus. „Hey, paß doch auf, wohin du gehst”, hörte sie Margaret in der Diele schreien. „Du hättest mich ja fast über den Haufen gerannt!” „Was stehst du auch so blöd im Weg rum”, fauchte Shelly und lief die Treppe hinauf. „Jetzt hör mir mal zu, Shelly”, rief ihr Margaret hinterher. „Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber seitdem du bei dieser Wahl mitmachst, bist du unausstehlich. Hörst du, Shelly, unausstehlich!” „Mädchen! Mädchen! rief Mrs. Bryan aus dem Wohnzimmer. „Hört sofort auf, euch zu streiten.” In ihrem Zimmer warf Shelly sich aufs Bett und schluchzte hemmungslos in die Kissen.
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11. KAPITEL Die ganze nächste Woche wollte Shelly möglichst allein sein. Sie ging allein zur Schule, aß allein zu Mittag und war, wenn möglich, auch beim Abendessen allein. Es machte ihr nichts aus, Tim nicht zu sehen. Sie hatte ihn sogar überreden können, noch weitere Proben ausfallen zu lassen. Andy und Greta vermißte Shelly allerdings sehr. Sie dachte fast die ganze Zeit nur über sich und ihre beiden Freunde nach. Als der Tag gekommen war, an dem die Talentshow stattfinden sollte, saß Shelly morgens lustlos im Musikunterricht. Sie wußte, daß sie eigentlich zuhören sollte, was Mr. Baxter zur Planung des Abends erklärte. Aber sie mußte ständig an die Wahl zum Jahrgangssprecher der zehnten Klasse denken, die für morgen angekündigt war. Diese Wahl hatte ihre Freundschaft zu Andy und Greta zerstört, das wußte Shelly jetzt. Am liebsten hätte sie die Zeit zurückgedreht, so daß alles wieder wie im Sommer gewesen wäre. An diesem Tag beendete Mr. Baxter den Unterricht früher als sonst. „Denkt daran”, mahnte er noch. „Alle die bei der Show mitmachen, müssen bis spätestens halb acht hinter der Bühne sein.” Shelly packte langsam ihre Sachen zusammen. „Shelly, hast du noch einen Moment Zeit?” fragte Mr. Baxter. Shelly nickte. Es war schließlich egal, ob sie ging oder noch blieb, es wartete ja doch niemand auf sie. „Ich beobachte dich schon die ganze Stunde. Geht es dir gut? Du siehst krank aus.” - 110 -
Shelly lächelte gezwungen. „Mir geht es gut.” Sie seufzte. „Es kommt schon wieder alles in Ordnung.” Mr. Baxter setzte sich zu ihr. „Ich weiß zwar nicht, ob ich dir helfen kann, Shelly, aber ich bin ein ziemlich guter Zuhörer. Shelly lächelte. „Ja, das glaube ich. Aber ich bin im Moment völlig durcheinander. Ich wüßte gar nicht, wo ich anfangen sollte.” „Warum fängst du nicht einfach ganz von vorne an?” „Ach, ich weiß nicht. Ich glaube nicht, daß Sie das interessiert. Es ist eine ziemlich komplizierte Geschichte.” Mr. Baxter stand auf und machte die Klassentür zu. Dann kam er zurück zu Shelly. „Glaubst du mir jetzt, daß ich sie hören will?” Shelly holte tief Luft. „Ja.” Sie seufzte. „Aber Sie werden mich für völlig idiotisch halten.” „Warum fängst du nicht einfach an?” „Also, es hat alles begonnen, als ich in die High School kam”, setzte Shelly an. „Wissen Sie, ich war eigentlich immer ein ziemlich unbedeutender Niemand. Und dann habe ich beschlossen, in diesem Jahr meine Persönlichkeit zu verändern und einen Jemand aus mir zu machen.” „Wie kommst du denn darauf, daß du ein Niemand bist?” unterbrach sie Mr. Baxter. „Meine große Schwester Margaret ist superintelligent. Meine kleine Schwester ist eine Sportskanone. Sie spielt. Fußball und gewinnt dabei einen Pokal nach dem anderen. Ich dagegen habe keine besonderen Fähigkeiten. „Du hast eine phantastische Stimme.” Shelly sah Mr. Baxter verlegen an. Er lächelte. „Entschuldige. Ich werde dich nicht mehr unterbrechen.” Dann erzählte Shelly ihrem Lehrer ausführlich, was alles passiert war, seit sie von ihrer Klasse als Kandidatin für die Wahl zum Jahrgangssprecher aufgestellt worden war. Auch die - 111 -
Probleme mit Tim erwähnte sie, und wie er ihr bei ihrer Wahlkampagne geholfen hatte. „Ich wollte ein Jemand werden”, erklärte sie schließlich. „Und jetzt ist alles schiefgegangen. Ich bin immer noch ein Nichts, nur, daß ich jetzt auch keine Freunde mehr habe.” „So etwas gibt es doch gar nicht, Shelly”, widersprach Mr. Baxter. „Jeder Mensch hat irgendwelche besonderen Eigenschaften.” Shelly schwieg. Bestimmt wollte er ihr irgendeinen Blödsinn einreden, genau wie ihre Eltern. Jeder gab ihr kluge Ratschläge, aber es nützte doch nichts. „Verstehst du fuhr er fort. Jeder Mensch ist einzigartig. Ich bin einzigartig, du bist einzigartig. Es gibt dich nur einmal, und niemand ist ganz genau so wie du.” Shelly hörte ihm ruhig zu. Bis jetzt klang das eigentlich ganz vernünftig. „Und weil wir alle verschieden sind, ist doch auch ganz klar, daß jeder ein besonderes Talent hat. Daß man irgend etwas besser kann als jemand anders. Deine Schwestern zum Beispiel. Die eine ist eben besonders intelligent, und die andere spielt sehr gut Fußball. Kann eine der beiden so gut singen wie du?” „Nein, weder Marsha noch Margaret sind besonders musikalisch”, mußte Shelly zugeben. „Da siehst du es”, rief Mr. Baxter. „Und deine besonderen Eigenschaften sind deine phantastische Stimme - und deine Aufrichtigkeit. Es klingt vielleicht komisch, wenn ich das sage, aber du hast ein paar sehr gute Freunde, denen du viel bedeutest.” Jetzt hat er alles verdorben, dachte Shelly. Bisher hörte sich das alles ja ganz vernünftig an. Aber was meine Freunde betrifft, da irrt er sich gewaltig. „Ich wünschte, Sie hätten recht. Shelly seufzte. „Aber ich - 112 -
fürchte, ich habe alle meine Freunde vergrault. Wahrscheinlich für immer.” „Das stimmt nicht, Shelly,” Mr. Baxter lächelte. „Du wirst sehen, alles kommt wieder in Ordnung.” Shelly hörte Lärm draußen auf dem Flur und sah auf die Uhr. In diesem Moment läutete es zur nächsten Stunde. „Ich muß jetzt gehen. Mrs. Davis fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe.” „Ich schreibe dir eine Entschuldigung.” Mr. Baxter ging zu seinem Pult. ”Danke, daß Sie mir zugehört haben. Es geht mir schon besser.” Sie zuckte die Schultern. „Wenn ich wüßte, wie ich meine Freunde zurückgewinnen kann, würde ich mich wahrscheinlich noch besser fühlen.” „Mach dir keine Sorgen. Es kommt alles in Ordnung. Shelly lächelte und ging zur Tür. „Shelly”, rief Mr. Baxter ihr nach, „denk daran, du bist ein ganz besonderes Mädchen. Ich weiß es.” „Hi, Kleines”, begrüßte Tim sie am Bühneneingang. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.” „Es ist zwanzig nach sieben. Und wir sollten erst um halb acht hier sein.” „Stimmt”. gab Tim zu. „,Aber, du weißt doch, wie das ist. Wenn man sich auf jemand anderen verlassen muß, ist man immer ein bißchen nervös.” Am liebsten hätte Shelly ihm dazu einiges gesagt, aber dann ließ sie es. Er würde es ja doch nicht verstehen. Vorsichtig glättete sie noch einmal ihr smaragdgrünes Kleid, dessen Farbe genau zu ihren Augen paßte. Es war eng geschnitten, aus einem schimmernden Stoff, der aussah wie - 113 -
Seide. Shelly probierte auch noch mal vorsichtig aus, ob sie in ihren hochhackigen Schuhen einigermaßen gehen konnte. Hoffentlich würde sie auf der Bühne nicht ausrutschen. Mittlerweile hatten sich hinter der Bühne immer mehr Schüler versammelt, die alle bei der Show mitmachten. Shelly merkte, wie Nervosität in ihr aufstieg. Ihr wurde flau im Magen und ihre Hände waren schon ganz naß. Schließlich verkündete ein Junge: „In fünf Minuten geht‘s los. Noch fünf Minuten.” Durch den Vorhang hörte Shelly Stimmengewirr und Füßescharren aus dem großen Saal. Sie mußte einfach wissen, wer alles da war. Vorsichtig zog sie den Vorhang ein Stück zur Seite, um einen Blick auf die erste Reihe zu werfen. Ihr blieb die Luft weg, als sie Andy und Greta nebeneinander dort sitzen sah. Schnell trat sie wieder einen Schritt zurück. Ich lasse mich von ihnen nicht nervös machen, sagte sie sich. Sie dachte daran, daß auch ihre Eltern irgendwo im Publikum saßen. Sogar Marsha und Margaret waren gekommen. Shelly wußte, sie mußte ihr Bestes geben. Schon allein um ihren beiden Schwestern zu beweisen, daß auch sie etwas Besonderes konnte. Shelly merkte, wie jemand hinter sie trat, und drehte sich um. „Wahrscheinlich weißt du es schon”, meinte Tim. „Es klappt nicht, daß wir als letzte Nummer, auftreten können. Aber wir sind die Vorletzten. Wenigstens das habe ich geschafft.” Er zwinkerte ihr zu. „Aber das ist nicht weiter schlimm. Nach uns kommt nur noch irgend so eine unwichtige Nummer, die uns nicht gefährlich werden kann - ich glaube, ein Mädchen, das mit einem Tambourstock in der Luft herumfuchtelt. Wer interessiert sich denn schon für so was!” Wieder einmal ärgerte sich Shelly über seine überhebliche - 114 -
Art. Aber sie wollte sich jetzt nicht mit ihm streiten, also hielt sie den Mund und lächelte nur. Endlich gingen die Scheinwerfer auf der Bühne an. „Jetzt geht’s los, Kleines flüsterte Tim aufmunternd. „Das ist unser Abend!” Shelly zitterte vor Lampenfieber, und das Herz schlug ihr fast bis zum Hals. Der Junge, der das Publikum begrüßen und durch das Programm führen sollte, betrat die Bühne. „Guten Abend, meine Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserer diesjährigen Talent-Show. Wie Sie gleich sehen werden, gibt es an der Rochester High School sehr viele talentierte Schüler. Lassen Sie, sich überraschen. Ich, wünsche Ihnen viel Spaß.” Er ging wieder von der Bühne, das Schulorchester fing an zu spielen, und das Programm begann. Nach einer Stunde waren Shelly und Tim an der Reihe. Shellys Herz pochte so laut, daß sie meinte, jeder im Saal müßte es hören. „Es ist soweit.” Tims Stimme klang jetzt auch aufgeregt. „Geh auf deinen Platz. Und bleib ganz ruhig. Sing mit so viel Gefühl wie möglich. Wir müssen einfach gewinnen.” Shelly versuchte, das Zittern in ihren Knien unter Kontrolle zu bekommen, während sie auf die andere Seite der Bühne ging. Sie würde ihr Bestes geben, nahm sie sich vor. Aber nicht, weil Tim es so wollte. Shelly dachte an ihre Eltern, die da draußen im – Publikum saßen. Ich tue es nur für euch, sagte sie sich. Das Schulorchester begann zu spielen, und langsam ging der Vorhang auf. Shelly war heiß unter den Scheinwerfern. Sie versuchte vergeblich, ins Publikum zu sehen. Das Licht blendete zu sehr. - 115 -
Sie hatte plötzlich das Gefühl, ganz allein auf der riesigen hellerleuchteten Bühne zu stehen. Aber genau dieses Gefühl half Shelly, sich auf ihre Nummer einzustimmen. Langsam gingen Shelly und Tim aufeinander zu. Dabei sangen sie und sahen sich gegenseitig in die Augen. „You don’t bring me flowers”, begann Tim. „You don’t sing me love songs”, antwortete Shelly. Ihre Stimme klang so gut wie noch nie. Shelly wußte es, spürte es. Trotzdem versuchte sie, es noch besser zu machen. Erst kurz vor dem Ende des Duetts trafen sich Shelly und Tim in der Mitte der Bühne. Ihre Stimmen verschmolzen miteinander. Der Text und die Musik nahmen Shelly völlig gefangen, Als sie zusammen die Zeile sangen: „You’d think i could learn how to tell you goodbye”, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Das war ihr noch nie vorher passiert. Shelly fragte sich plötzlich, ob sie einfach nur den Text heruntersang, oder ob sie mit dem Lied auch ihre eigenen Gefühle ausdrückte. „You don’t say you need me”, sang Tim. „You don’t sing me love songs”; antwortete Shelly. Eine Träne ,rollte ihr über die Wange, als sie das Duett zusammen beendeten: „You don’t bring me flowers anymore.” Einen Moment lang war es totenstill, dann brach der Applaus los. Die Leute rasten vor Begeisterung, johlten, pfiffen und riefen laut „Wiederholung! Einige stampften sogar mit den Füßen. Phantastisch, dachte Shelly. Ich kann es einfach nicht glauben. Dann wurde der Vorhang wieder zugezogen, und sie und Tim gingen von der Bühne. Zusammen sahen sie sich noch die letzte Nummer an. Aber Shelly bekam das- alles gar nicht so richtig mit.
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Schließlich wartete jeder gespannt auf die Entscheidung der Jury, wer gewonnen und wer den zweiten und dritten Platz belegt hatte. Das Stimmengewirr hinter der Bühne übertönte fast die Unruhe aus dem Publikum. Endlich kam der Junge, der die Show auch eröffnet hatte, auf die Bühne Das Publikum wurde sofort mucksmäuschenstill. „Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen jetzt unseren Musiklehrer, Mr. Baxter, vorstellen. Er wird die Preise verleihen.” Mr. Baxter ging ans Mikrophon und begrüßte das Publikum-, Ungeduldig trat Shelly von einem Fuß auf den anderen. Warum bin ich eigentlich so nervös, fragte sie sich. Ich habe doch noch nie irgendwo was gewonnen. Warum sollte ich also ausgerechnet bei dieser Talent-Show den ersten Platz machen? Trotzdem hoffte sie insgeheim, sie und Tim würden wenigstens Dritte, oder vielleicht sogar Zweite werden. Mr. Baxter verkündete gerade, wer den dritten Platz belegt hatte. Shelly hörte, wie ein Mädchen überrascht aufschrie. Zweiter war ein Junge geworden, der einen Steptanz vorgeführt hatte. „Und jetzt kommt der Höhepunkt des Abends”, verkündete Mr. Baxter. „Der erste Preis geht an Shelly Bryan und Tim Walker für ihr phantastisches Duett!” Shelly zuckte zusammen. Sie brachte kein Wort heraus. „Na also!” rief Tim. „Super!” Er, lief auf die Bühne und riß Mr. Baxter seinen Preis förmlich, aus der Hand. Dann verbeugte er sich noch vor dem Publikum. Jetzt holte sich auch Shelly ihren Preis ab. Vorsichtig strich sie mit dem Finger über den vergoldeten Notenschlüssel, der auf einen kleinen hölzernen Sockel gesetzt war. „Herzlichen Glückwunsch.” Mr. Baxter zwinkerte ihr zu. - 117 -
Shelly murmelte ein leises „Danke. Dann drehte sie sich um, bedankte sich beim Publikum und verließ schnell die Bühne. Was für ein Abend, dachte sie. Einfach super. Sie konnte es kaum erwarten, die Trophäe ihren Eltern zu zeigen. Eilig lief sie – zum Bühneneingang. „Hey, das kannst du doch nicht machen!” Shelly drehte sich um. Hatte da jemand sie gemeint? „Du kannst doch nicht einfach so verschwinden, nachdem du gerade den ersten Preis gewonnen hast”, meinte Andy. Er grinste übers ganze Gesicht. Greta stand neben ihm. „Herzlichen Glückwunsch, Shelly. Du warst einfach Spitze. Ich habe ja immer schon gewußt, daß du eine tolle Stimme hast. Aber heute abend hast du dich selbst übertroffen.” Shelly wurde rot. „Danke:” Sie wußte, Andy und Greta waren zusammen gekommen, und sie hatten nebeneinander gesessen. Wahrscheinlich würden sie auch gleich wieder zusammen nach Hause fahren. Normalerweise hätte Shelly sich darüber geärgert. Zumindest hätte es sie gestört. Aber an diesem Abend konnte sie einfach niemandem böse sein. Andy, holte einen Bleistift und einen Notizblock aus der Tasche. „Miss Bryan, wie fühlt man sich als neue Barbara Streisand der Rochester High School?” Shelly kicherte. „Andy, was redest, du denn da für einen Blödsinn? Was soll das? Seid ihr zwei jetzt total durchgedreht?” „Nein, keineswegs.” Andy setzte eine gespielt beleidigte Miene auf. „Ich will ein Interview mit dir machen.” Er drehte sich zu Greta um. „Hast du ihr nicht erzählt, daß ich einen Artikel über die Talent-Show schreiben soll? Shelly, du sprichst mit einem offiziellen Reporter der Schülerzeitung!” „Du schreibst für die Schülerzeitung!” rief Shelly. ,;Davon hat mir niemand was gesagt. Seit wann denn das?” - 118 -
„Seit ein paar Wochen. Hey, Moment mal. Ich soll dich interviewen. Über mich können wir uns ja auch noch ein anderes Mal unterhalten.” Shelly fragte sich, wann das wohl sein sollte. Sie hatte seit Tagen weder mit ihm noch mit Greta gesprochen. Vielleicht ist das jetzt die letzte Gelegenheit, dachte sie und sah in Andys blaue Augen. Warum können wir nicht wieder Freunde sein, so wie früher „Also”, begann Andy, „hattest du schon vorher das Gefühl, daß du gewinnen kannst? Und warum, glaubst du, habt ihr gewonnen?” Bevor Shelly antworten konnte, mischte sich Tim ein, der inzwischen zu ihnen gestoßen war. „Was ist denn hier los, Kleines?” wollte er wissen. „Ich soll ein Interview für die Schülerzeitung geben”, erklärte Shelly. „Andy hat mich gefragt, warum wir gewonnen haben. Ich wollte mir gerade eine Antwort überlegen.” „Ja, das geht ja wohl vor allem auf mein Konto”, stellte Tim fest. „Ich habe dir geholfen, habe dir Tips gegeben und etwas aus dir gemacht.” Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Schreib das auf”, wandte er sich an Andy. Andy notierte sich, was Tim gesagt hatte. „Natürlich sind Shelly und ich ein klasse Team”, fuhr Tim fort. „Wir sind die geborenen Gewinner, verstehst du? Wir freuen uns schon darauf, morgen die Wahl zum Jahrgangssprecher zu gewinnen. Das kannst du ruhig auch aufschreiben.” Greta wurde blaß. Natürlich hatte Tims Bemerkung sie verletzt. „Ich glaube, ich mache mich jetzt mal auf die Suche nach meinen Eltern murmelte sie. „Bis später dann”, verabschiedete sie sich von Andy. Bevor Shelly sie aufhalten konnte, war sie gegangen. „Ich denke, das reicht jetzt.” Andy steckte den Bleistift - 119 -
zurück in die Tasche. Er sah Shelly an. ,Du hast heute abend super gesungen, Shelly. Ich wußte es. Ich wußte, du kannst es schaffen.” Auf dem Heimweg wollte Marsha unbedingt Shellys Preis halten. „Ich bin ganz vorsichtig”, beteuerte sie. „Ich lasse ihn bestimmt nicht fallen.” Shelly verstand Marshas Aufregung gar nicht. Von ihr standen doch schon drei Fußballpokale auf dem Kaminsims. „Wir sind; so stolz auf dich.” Mrs. Bryan strahlte. „Das waren wir immer schon ergänzte ihr Vater. „Aber es war etwas ganz Besonderes für uns, dich heute abend so singen zu hören. Ich konnte einfach nicht glauben, daß mein kleines Mädchen da oben auf der Bühne stand und das ganze Publikum begeisterte.” „Du warst wirklich gut, Shelly”, gab nun auch Margaret zu. „Nein. Du warst sogar Spitze.” Shelly platzte fast vor Stolz, als sie das hörte. Als sie an dem Haus vorbeifuhren, in dem Andy wohnte, erinnerte Shelly sich wieder an seine Worte: „Ich wußte, du kannst es schaffen.” Sie war glücklich. Es war ein wundervoller Abend gewesen, und das Schönste war, daß ihre Eltern und ihre Freunde alles gesehen und sich mit ihr gefreut hatten. „Darf ich deinen Preis ins Haus tragen?” fragte Marsha. Sie rutschte aufgeregt auf ihrem Sitz hin und her. Ihren Preis? Den hatte Shelly doch tatsächlich fast vergessen. „Klar.” Sie gab Marsha ihre Trophäe. Wie oft hatte sie sich gewünscht, auch irgendwelche Preise zu gewinnen, wie ihre Schwestern. Aber Shelly verstand jetzt, daß es viel wichtiger war, eine Familie zu haben, die einen unterstützte und liebte.
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12. KAPITEL Shelly saß auf ihrem Bett und starrte das Poster mit dem Frosch an. Ihre Augen brannten, weil sie fast die, ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Shelly dachte nach. Warum war sie eigentlich überhaupt nicht nervös, obwohl doch heute die Wahl zum Jahrgangssprecher stattfand? Und warum war ihre Aufregung von; gestern abend wie weggeblasen? „Frosch, kannst du mir vielleicht verraten, was mit mir los ist?” murmelte Shelly. „Warum, ist mir alles egal? Du bist doch so gescheit. Also, warum bin ich so verdächtig ruhig?” „Seit wann redest du denn mit dir selbst?” Shelly fuhr herum. Margaret stand in der Tür. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.” Margaret kam ins Zimmer. „Ich wollte dir nur sagen, daß ich die Daumen drücke. Heute ist doch dein großer Tag.” „Danke”, erwiderte Shelly geistesabwesend. Margaret runzelte die Stirn. „Was ist denn mit dir los? Ich dachte, du hüpfst immer noch im Dreieck vor Freude. Ich kapiere das nicht. Gestern hast du bei der Talent-Show den ersten Preis gewonnen. Heute wirst du wahrscheinlich der neue Jahrgangssprecher der zehnten Klassen. Und du sitzt hier rum und machst ein Gesicht, als ob du deinen besten Freund verloren hättest.” „Ich habe meine beiden besten Freunde verloren”, entgegnete Shelly düster. Margaret sah sie fragend an. Sie hatten sich nie besonders gut verstanden, überlegte Shelly. Aber gestern Abend war Margaret sehr nett zu ihr gewesen. Und jetzt war sie hier. Shelly brauchte wirklich jemanden, mit - 121 -
dem sie reden konnte. „Hast du ein paar Minuten Zeit?” wandte sie sich an Margaret. Margaret setzte sich zu ihrer Schwester aufs Bett. „Klar. Schieß los.” Shelly überlegte, wo sie anfangen sollte. „Weißt du”, begann sie schließlich, „als die Schule wieder anfing, wollte ich nicht länger untätig herumsitzen. Ich wollte etwas aus mir machen. Und dann habe ich Tim kennengelernt., Shelly starrte das Poster an. Sie vertraute Margaret, aber sie konnte ihr nicht in die Augen sehen, während sie ihr Herz ausschüttete. „Tim hat mich einfach umgehauen”, erklärte Shelly. „Er sieht gut aus, ist überall sehr beliebt, er ist nicht dumm und hat eine Menge auf dem Kasten.” Sie seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch ihr dunkelblondes Haar. „Aber da gibt es ein Problem.” „Oh? Worum geht’s?” fragte Margaret. „Er ist nie zufrieden. Nur er selbst ist perfekt denkt er. Entweder gefällt ihm nicht, wie ich aussehe, oder wie ich gehe, oder sonst was. Er hat an allem was auszusetzen. Tim hält mich für einen Versager.” „Scheint so, als ob dein Traumtyp selber eine ganz schöne Niete ist, was? Ich habe das sofort gemerkt. Aber ich hab den Mund gehalten, weil du mir ja doch nicht geglaubt hättest.” „Vor ein paar Wochen hätte ich dir auch noch nicht geglaubt”, gab Shelly zu. Aber woher wußtest du das? Du hattest doch immer nur tolle Freunde. Manche waren zwar etwas eingebildet, aber trotzdem ganz nett.” Margaret lächelte. Shelly fragte sich, was sie wohl so komisch fand. „Glaub bloß nicht, daß ich nur Traumtypen kennengelernt habe.” Margaret rollte die Augen. „Da waren auch ein paar - 122 -
ganz schöne Nieten darunter. Natürlich habe ich das immer für mich behalten. Nein, meine kleinen Schwestern sollten nichts davon wissen. Schließlich durfte ich als euer großes Vorbild keine Fehler machen.” Shelly hatte keine Ahnung, wovon Margaret da sprach. Sie hatte sie immer für perfekt gehalten. „Weißt du überhaupt, wie schwierig das ist, die Älteste zu sein?” fragte Margaret. „Das kann einem ganz schön auf die Nerven gehen.” Überrascht sah Shelly sie an. Für sie war es immer schrecklich gewesen, das mittlere Kind zu sein. Ob Marsha wohl auch so dachte? Haßte sie es, die Jüngste zu sein? „Am Schlimmsten war es, wenn ich irgend etwas tun oder irgendwohin gehen wollte. Mom hat es mir nur unter der Bedingung erlaubt, daß ich mich anständig benehme. Ich sollte ja ein gutes Vorbild für dich und Marsha sein.” „Hat Mom das wirklich gesagt?” Shelly war ehrlich erstaunt. „Davon wußte ich ja gar nichts. Vielleicht sind dir dadurch aber auch die Fehler erspart geblieben, die ich gemacht habe.” „Was meinst du damit?” „Ich glaube, Andy wäre der richtige Freund für mich gewesen. Shelly zuckte die Schultern und seufzte. „Andy mochte mich so wie ich bin – oder besser gesagt, wie ich war. Ich habe mich wirklich blöd benommen. Bestimmt wollen Andy und Greta jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben.” „Ja, du hast in letzter Zeit eine Menge Mist gebaut”, bestätigte Margaret. „Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, du kriegst das wieder hin.” Sie stand auf und ging zur Tür. „Du wirst bestimmt wieder alles in Ordnung bringen. Du warst immer schon ein ziemlich außergewöhnliches Mädchen.” Damit ging sie aus dem Zimmer. Sie hat sich verändert, dachte Shelly. Als ob ich jahrelang mit einer völlig anderen - 123 -
Margaret im selben Haus gelebt hätte. Sie betrachtete das Froschposter. Wenn sich alle meine Wünsche erfüllen würden, was würde ich mir dann wohl wünschen? überlegte sie. „Das ist es!” rief sie plötzlich. Sie sprang aus dem Bett und lief ins Wohnzimmer zum Telefon. Dann wählte sie Gretas Nummer, und als sie sich meldete, sagte Shelly nur: „Greta, hier ist Shelly. Ich muß mit dir reden. Es ist wichtig.” Bevor Greta irgendwelche Fragen stellen konnte, fuhr Shelly fort: „Komm bitte sofort in die Schulbücherei!” Dann hängte sie auf und lief in ihr Zimmer, um sich für die Schule anzuziehen. Shelly wartete schon in der Bücherei, als Greta hereinkam. „Bist du verrückt geworden?” flüsterte Greta. „Was soll denn das alles?” Shelly legte einen Finger, auf die Lippen und zog ihre Freundin aus der Bücherei. Auf dem Flur sagte sie:” Ich wollte mich bei dir entschuldigen, weil ich so ein Idiot gewesen bin. Ich weiß, ich habe mich echt mies benommen.” „Ich kapiere überhaupt nichts.” Greta war sichtlich verdattert. „Na, egal. Also, was gibt es denn so Wichtiges?” „ Ich wollte dir sagen, daß ich in den letzten paar Monaten viel dazugelernt habe. Ich weiß jetzt, was ich will. Ich weiß, was wichtig für mich ist. Aufgeregt nahm Shelly Gretas Arm. „Verstehst du, Greta, unsere Freundschaft ist das Wichtigste in meinem Leben!” „Mensch, Shelly, was soll denn das alles heißen?” Greta kicherte nervös. „Das mag ja richtig sein, aber hättest du mir das nicht auch später noch erzählen können? Hast du mich deshalb angerufen und schon so früh in die Schule bestellt?” „Blödsinn, natürlich habe ich dich nicht nur deshalb angerufen.” Shelly zog Greta auf das Schulsekretariat zu. „Ich wollte dich dabei haben, wenn ich meine Kandidatur zur - 124 -
Jahrgangssprecherwahl zurückziehe.” Greta blieb abrupt stehen und starrte Shelly fassungslos mit offenem Mund an. „Du kannst den Mund wieder zumachen.” Shelly lächelte. „Und versuch bloß nicht, mir das auszureden. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich weiß, du wirst eine perfekter Jahrgangssprecherin sein.” „Nicht, wenn du jetzt meinetwegen aussteigst”, widersprach Greta. „Nein, du darfst das nicht, tun, Shelly. Du hast dir eine solche Gelegenheit schon so lange gewünscht. Das ist deine große Chance, endlich etwas aus dir zu machen und ein Jemand zu werden. Damit hast du mir und Andy doch dauernd in den Ohren gelegen.” Shelly lachte. „Ich bin jemand, Greta. Ich bin wieder die alte. Das war doch auch ein ganz nettes Mädchen, oder nicht?” Shelly und Greta gingen zusammen zum Sekretariat. Shelly schwebte fast über dem Boden, so glücklich war sie. Ihre Freundin Greta. war hier bei ihr. Wenn sie es jetzt noch schaffen konnte, Andy zurückzugewinnen, war sie das glücklichste Mädchen der Welt. „Warte!” Greta hielt Shelly zurück, die schon nach der Türklinke zum Büro gegriffen hatte. „Ich habe auch gerade eine wichtige Entscheidung getroffen.” Shelly spähte durch die Glasscheibe ins Sekretariat. Bei wem sie wohl anmelden mußte, daß sie von der Wahl zurücktreten wollte? Sie hatte nicht mehr viel Zeit, bald fing der Unterricht an. Und jetzt hielt Greta sie auch noch auf. „Ich steige auch aus”, verkündete Greta stolz. „Das kannst du nicht machen!” „Klar kann ich. Was du kannst, kann ich. schon lange. Außerdem soll ich ja noch in den Schülerrat gewählt werden. Das würde mir sowieso viel mehr Spaß machen. Das ist nicht - 125 -
so anstrengend und geht auch nicht so auf die Freizeit.” Shelly konnte es nicht fassen. „Tust du das auch nicht nur mir zuliebe?” ”Warum sollte ich.” Greta öffnete die Tür zum Sekretariat. „Ich tue es ganz allein für dich. Aber, wir beeilen uns jetzt besser, sonst kommen wir zu spät zum Unterricht.” „Kann ich euch helfen?” fragte die Sekretärin. Shelly holte tief Luft. Man sollte erkennen, ,daß sie genau wußte, was sie wollte, und entschlossen war, es durchzusetzen. „Ich bin Shelly Bryan. Das hier ist meine Freundin Greta Ness. Wir sind zwei der Kandidaten für die Wahl zum Jahrgangssprecher der zehnten Klassen. ,“Ja, eure Namen kommen mir bekannt vor. Ich habe sie gestern auf die Stimmzettel geschrieben.” Shelly schluckte und nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Nun, deshalb sind wir hier. Wissen Sie, wir wollen nämlich unsere Kandidatur zurückziehen.” Fassungslos starrte die Sekretärin sie an. „So etwas ist mir noch nie passiert. Ich weiß gar nicht, was da zu tun ist. Moment mal.” Sie lief in ein anderes Büro am Ende des Raumes. „Wahrscheinlich haben die so was noch nicht oft erlebt”, meinte Shelly. „Ich habe mir das auch viel einfacher vorgestellt. Ich dachte, wir müssen irgendein Formular ausfüllen oder einfach nur sagen, daß wir aussteigen wollen.” „Die haben bestimmt auch dafür irgendwelche Vorschriften”, vermutete Greta. „Du weißt doch, wie das in der Schule läuft. Es gibt für alles und jedes Vorschriften.” Schließlich kam die Sekretärin wieder zurück. „Es tut mir leid”, erklärte sie. „Aber es ist zu spät für eine Rücknahme der Kandidatur. Die Wahl findet ja schon heute statt, und die Stimmzettel sind bereits an die einzelnen Klassen - 126 -
verteilt worden!” ,Shelly sah erst Greta, dann die Sekretärin an. „Trotzdem vielen Dank”, murmelte sie. Nachdem sie aus dem, Büro gegangen waren, fragte Greta: „Und was machen wir jetzt?” Shelly wußte keine Antwort, aber sie überlegte verzweifelt. Kurz vor dem Klassenraum blieb sie plötzlich stehen. Ich hab‘s!” rief sie. Sie strahlte Greta an „Komm mit!” „Hier, lies das!” rief Shelly. Sie nahm einen Zettel von dem Stapel, der vor ihr lag und drückte ihn einem Schüler in die Hand. „Lies das, und dann gib den Zettel weiter.” Shelly und Greta standen in der Eingangshalle der High School. Sie versuchten, jeden Schüler anzusprechen, der durch die Tür kam. „Wählt Kenneth Parker!” rief Greta. Dabei schwenkte sie einen Zettel in der Luft herum. „Wir sind zwar seine Gegenkandidaten, aber auch wir wählen Kenneth Parker. Wählt alle Kenneth Parker!” Andy, der gerade gekommen war, wandte sich verwundert an Shelly. „Was macht ihr beiden denn hier? Shelly lachte und umarmte ihn. „Hast du nicht Lust, ein paar Freunden zu helfen, eine Wahl zu verlieren?” „Ja, Andy”, setzte Greta hinzu. „Du könntest uns helfen, diese Zettel herzustellen. Du brauchst einfach nur ‚Wählt Kenneth Parker‘ draufzuschreiben. Shelly und ich verteilen sie dann.” „Warum nicht?” antwortete Andy zögernd. „Und euch ist klar, was ihr da macht?” „Sicher”, erwiderte Shelly vergnügt. Andy setzte sich auf den Boden, und begann die Zettel zu - 127 -
beschriften. „Lest das”, rief Shelly. „Lest alle diese Zettel.” Ab und zu sah sie Andy heimlich von der Seite an. Sie war schrecklich aufgeregt. Mann, wenn er wüßte, wie froh ich bin, daß zwischen uns wieder alles in Ordnung ist, dachte sie. Andy bemerkte, daß Shelly ihn ansah. „Du rechnest hoffentlich damit, daß du mir nachher ganz genau erklären mußt, was eigentlich passiert ist?” „Klar.” Shelly kicherte. „Das gibt eine phantastische Geschichte für die Schülerzeitung.” Sie zwinkerte Greta zu. „Wenn wir hier fertig sind, geben Greta und ich dir ein Interview, das dich einfach umhauen wird. Andy und Greta lachten. Shelly, lachte mit ihnen, bis sie Tim auf sich zukommen sah. Schlagartig wurden sie alle drei ernst. „Was machst du denn hier?” rief Tim. Er riß ihr einen Zettel aus der Hand. „Ist das der Dank für alles, was ich für dich getan habe?” An Tim hätte Shelly gar nicht mehr gedacht. „Tut mir leid”, murmelte sie. „Aber es ist besser so, Tim. Ich will nicht Jahrgangssprecher werden. Ich würde dich und alle zehnten Klassen nur enttäuschen.” Wütend starrte Tim sie an. Irgendwie tat er ihr leid, weil diese blöde Wahl für ihn wichtiger war als ihre Freundschaft. „Ich glaube, ich weiß jetzt endlich was ich will und was richtig für mich ist”, versuchte Shelly zu erklären. „Diese Wahl ist es nicht. So ist das eben.” Tim baute sich vor ihr auf. „Ihr seid doch alle Versager. Und das werdet ihr immer bleiben.” Er warf den Zettel auf den Boden und lief wütend davon. „Das war’s also.” Greta lachte, als sie sah, daß Tim zu Rene gelaufen war. „Machen wir weiter, damit wir wenigstens mit Anstand verlieren. - 128 -
Als es läutete, hatten Shelly, Greta und Andy fast alle Zettel verteilt. „Hoffentlich funktioniert es”, meinte Greta. „Ich drücke uns jedenfalls die Daumen. Ich kann es kaum erwarten, bis sie das Ergebnis der Wahl bekanntgeben.” „Ich auch nicht”, stimmte Shelly zu. „Wir sehen uns ja dann alle beim Mittagessen.” Plötzlich merkte sie, daß sie Andy ja gar nicht gefragt hatte, ob er überhaupt mit ihr essen wollte. „Hast du Lust, mit uns zu essen? wandte sie sich ihm zu. „Klar. Andys Augen strahlten. „Und vergiß nicht, du mußt Kenneth Parker wählen”, erinnerte Shelly ihre Freundin. „Nein. Aber ihr beide solltet auch daran denken.” Nachdem Greta in ihre Klasse gegangen war, machten sich auch Shelly und Andy auf den Weg zum Unterricht. Dabei versuchte Shelly, so nah wie möglich neben ihm zu gehen. Gott sei Dank war jetzt wieder alles in Ordnung. Sie konnte wirklich froh sein, solche Freunde zu haben. Andy und Shelly winkten Greta zu, die sich schon in die Schlange vor der Essensausgabe eingereiht hatte. „Mensch, hast du gesehen, wie Tim und Renee uns angestarrt haben, als wir die Stimmzettel ausfüllen mußten?” fragte Andy. „Und ob. Wenn Blicke töten könnten.” Shelly lachte. „Wenn Blicke was könnten?” wollte Greta wissen. Sie stellte ihr Tablett ab und setzte sich zu Shelly und Andy. „Wir unterhalten uns gerade über die wütenden Blicke, die uns Tim und Renee eben zugeworfen haben, als wir wählen mußten. „Gut, daß ich nicht da war.” Greta öffnete ihre Milchtüte. „Ich weiß noch gar nicht, wer gewonnen hat. Ihr?” „Nein.” - 129 -
Shelly runzelte ungeduldig die Stirn. „Hoffentlich dauert es nicht mehr lange. Ich kann es kaum erwarten.” Plötzlich kam ein Knistern aus dem Lautsprecher, der in einer Ecke der Cafeteria hing. Andy grinste. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, schöne Dame. Er zeigte auf den Lautsprecher. „Hört sich so an, als ob sie das Ergebnis jetzt bekanntgeben.” „Ich bitte einen Moment um eure Aufmerksamkeit”, tönte es aus dem Lautsprecher. „Ruhe bitte. Der Gewinner der Jahrgangssprecherwahl der zehnten Klassen ist Kenneth Parker. Ich wiederhole: Kenneth Parker hat die Wahl gewonnen.” Shelly und Andy strahlten sich an. „Das ist die Nachricht, auf die wir alle gewartet haben”, jubelte Greta. „Stimmt.” Andy nickte. „Jetzt kann ich meine Story für die Schülerzeitung zu Ende schreiben. Ich habe heute morgen damit angefangen.” Greta schob sich den letzten Bissen ihrer Pastete in den Mund. Ich muß los.” „Nur mit etwas Pastete und Milch im Magen wirst du wahrscheinlich nicht weit kommen”, meinte Shelly. Aber sie war froh, mit Andy allein sein zu können. „Dafür esse ich heute abend mehr.” Greta nahm ihr Tablett. „Ich ruf dich an.” Shelly freute sich jetzt schon darauf. Es war schon eine Ewigkeit her, daß sie und Greta miteinander telefoniert hatten. Und sie hatten schon so lange nichts mehr zusammen unternommen. „Nun, Miss Bryan, was haben sie denn jetzt so vor?” erkundigte Andy sich. „Um ehrlich zu sein, Herr Reporter, gar nichts.” Beide lachten. - 130 -
„Jedenfalls habe ich nicht vor, jemals wieder für irgendein Amt zu kandidieren. Ich bin einfach nicht der Typ dafür. Aber ich habe noch mal mit Mr. Baxter gesprochen. Er, meint, ich sollte mein musikalisches Talent nutzen und was aus meiner Stimme machen. Mal sehen, was daraus wird.” „Mensch, Shelly, die Chance darfst du dir nicht entgehen lassen. Wenn du meine Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da.” Er sah sie fest an. „Das heißt, natürlich nur, wenn du willst.” „Ja,, ich, könnte deine Hilfe brauchen.” Shelly nahm seine Hand. Andy lächelte etwas verlegen. „Willst du auch wieder meine Freundin sein?” Shellys Herz schlug ihr fast bis zum Hals. Das war mehr, als sie erwartet hatte. „O ja!” sagte sie leise. „Ja, Andy, ich würde sehr gerne deine Freundin sein.” Sie sah sich um und gab ihm einen Kuß auf die Wange. „Außerdem habe ich mich, noch nie mit einem Reporter der Schülerzeitung getroffen.” Sie mußten beide lachen: „Ich bin immer noch der alte Andy.” „Und ich bin wieder die alte Michelle. Aber ich glaube, den Namen Shelly werde ich behalten. Das ist das einzige, was mir an meiner neuen Persönlichkeit gefallen hat.” „Von mir aus kannst du dich auch Bozo nennen, solange zwischen uns wieder alles in Ordnung ist. Shelly lächelte. „Da bin ich voll und ganz deiner Meinung, Andy.” Sie sah in seine blauen Augen und wußte, er war der netteste Junge, den sie je kennengelernt hatte. Ja, er ist der Richtige, dachte Shelly. Ich bin wirklich froh, daß ich meinen Traumjungen gefunden habe. - ENDE - 131 -