G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE
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G. F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE
Fährte der Wölfe Als damals in den heutigen USA der Bürgerkrieg ausbrach, gerieten die Grenzstaaten Missouri und Kentucky zwischen die gegnerischen Parteien. Es bildeten sich auf beiden Seiten Guerillabanden, die furchtbare Gräuel und Massaker anrichteten. Sie waren nichts anderes als Banditen, Mörder und Brandstifter, die vor allen Dingen Beute machen wollten. Dennoch bedienten sich die beiden kriegsführenden Parteien ihrer Hilfe. Denn es war Krieg, und in jedem Krieg auf unserer Erde gehen Ehre, Moral und Recht zum Teufel. Einer der schlimmsten und mörderischsten Guerillaführer war William Clark Quantrill, ein ehemaliger Lehrer in der Stadt Paola in Kansas. William Clark Quantrill wurde von der Regierung der Südstaaten offiziell als Guerillaführer anerkannt und gab sich selbst den Rang eines Colonels. Sein Gegenspieler auf der Seite der Union war der ehemalige Arzt Dr. Charles R. Jennison, dessen Bande rote Hosen trug, sodass man dieses Corps »Red Legs«, also Rotbeine nannte. Außer diesen beiden berüchtigsten Guerillabänden gab es noch viele kleinere. Jene, die auf Seiten der Union kämpften, fielen nach dem Krieg unter die Amnestie, wurden also begnadigt, die Guerillas der Südstaaten aber wurden von der Union gejagt, waren ständig auf der Flucht und hinterließen abermals blutige Fährten. Dies ist die Geschichte einer solchen Bande. Sie haben Bill Landers in die Stadt geschickt und warten nun auf seine Rückkehr mit den neuesten Nachrichten. Denn bisher wissen sie nur, dass der Krieg zwischen Nord und Süd beendet ist, weil General Lee bei Appomattox Court House in Virginia mit 28.000 Mann vor General Grant die Waffen streckte. Das war am 9. April 1865. Jetzt ist es schon Sommer, und sie wissen immer noch nicht, was aus ihnen werden soll, ob sie unter die Amnestie fallen oder ob man sie als Mörderbande zur Verantwortung ziehen wird. Denn sie sind die berüchtigten und gefürchteten Tennessee-Wölfe, eine Guerillabande, die für den Süden kämpfte und manchmal mit Quantrills Corps ritt, zum Beispiel damals, als sie mit mehr als zweihundert Mann die Stadt Independence angriffen, die Stadt einen halben Tag besetzt hielten und sie ausplünderten, bis sie endlich von einer Nordstaatentruppe unter Colonel Burroughs vertrieben wurden. Das geschah am 11. August 1862, aber jetzt ist es Sommer 1865, und sie alle machen sich Sorgen um ihre Hälse. Deshalb warten sie in einem verborgenen Camp sehnsüchtig auf die Rückkehr von
Bill Landers. Dieser ist ein unscheinbar wirkender Junge, dem man nicht ansieht, dass er schon getötet hat und andere schreckliche Dinge verübte. Die Leute in der kleinen Stadt werden ihn für einen dieser Satteltramps halten, die der Krieg heimatlos machte und die nun umherstreifen und nach einer Chance suchen. Sie sind in diesem verborgenen Camp nicht mehr viele, kaum mehr als drei Dutzend. Ihre Guerillabande war nie so stark wie die von Quantrill. Doch ihr Ruf war schrecklich. Man nannte sie auch Blutwölfe. Ihre Anführer sind vier Brüder, nämlich Bud, John, Jesse und Jake Johnstone. Doch der eigentliche Anführer ist Onkel Herb Johnstone. Sie müssen in ihrem Camp fast drei Tage warten und beginnen zu hungern, weil ihre Vorräte aufgebraucht sind und sie nicht zu jagen wagen. Auch wollen sie im Umkreis ihres Camps keine Spuren hinterlassen. Es ist dann am Abend des dritten Tages, als Bill Landers endlich zurückkommt. Er wirkt tatsächlich armselig, hat auf dem alten Pferd nicht mal einen Sattel. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er einer der Tennessee-Wölfe sein könnte, welche überall nur Schrecken und Hass erzeugten. Er bleibt noch auf dem Pferd sitzen, indes sie sich um ihn und das Tier versammeln, einen Kreis bilden. »Na los, spuck’s schon aus«, verlangt eine heisere Stimme. Bill Landers verzieht sein sommersprossiges Gesicht. Er trägt alte Stiefel, deren Sohlen er festbinden musste, weil er sie sonst verloren hätte. Er greift unter seine schmutzige und abgetragene Jacke und holt ein Papier hervor. Und weil er stolz darauf ist, lesen und schreiben zu können, beginnt er vorzulesen: »An alle Guerillarebellen, die für die Konföderation kämpften! Der Krieg ist vorbei! Stellt euch den Militärbefehlshabern der Union. Es wird euch Gerechtigkeit widerfahren! O’Connor, Colonel« Nachdem Bill Landers das vorgelesen hat, lässt er das Blatt achtlos fallen. Aber es wird aufgefangen und geht von Hand zu Hand. Alle, die lesen können, überzeugen sich, dass Bill Landers richtig vorgelesen hat. Dann herrscht eine Weile Schweigen. Schließlich fragt eine höhnend klingende Stimme: »Und wie sieht diese Gerechtigkeit aus, Billyboy?« Bill Landers grinst breit. Dann spricht er: »Ich habe es gesehen. Eine versprengte Gruppe von Quantrills Reitern hatte sich gestellt und um Pardon gebeten. Sie mussten sich in eine Reihe aufstellen, wurden in einem Buch registriert und erhielten einen Amnestieschein. Dann konnten sie ihres Weges reiten. Ich habe es gesehen.« Er ruft die letzten vier Worte mit schriller Stimme, so als wollte er ihnen dadurch besondere Überzeugungskraft geben. Und abermals bleibt es in der dicht gedrängten Runde eine Weile still. Dann aber fragt eine Stimme: »Und du, Billyboy? Hast du schon solch einen Schein bekommen?« Bill Landers schüttelt den rothaarigen Kopf. »Ich bin ja nur ein Junge«, sagt er. »Wer mich sieht, der hält mich für sechzehn. Sehe ich wie ein Blutwolf aus Tennessee aus?« Er lacht heiser.
Herb Johnstone, ein hagerer Mann mit flintsteinharten Augen und mit der ständigen Ausstrahlung eines lauernden Wolfes, fragt dann hart: »Junge, was rätst du uns? Sollen wir…« »Ich habe es gesehen«, unterbricht ihn Bill Landers. »Es waren Quantrillreiter, die sich stellten. Sie wurden registriert und bekamen Amnestiebescheinigungen. Sie konnten dann ihres Weges reiten. Der Colonel hielt ihnen zuvor eine Rede und sagte ihnen, dass man nun alle Kräfte der Nation für den Wiederaufbau benötigen würde. Und zu diesen Kräften gehörten auch sie. Der Krieg wäre vorbei. Nun beginne ein Neuanfang für alle!« Abermals klingt die Stimme von Bill Landers zuletzt schrill. Der dichte Kreis löst sich auf. Bill Landers schwingt sich von seinem Pferd. Aber eigentlich ist es nicht sein Pferd, sondern nur das Tier, auf dem er in die Stadt ritt. Sein richtiges Tier ist ein prächtiger Rappe. Und er besitzt auch einen prächtigen, silberbeschlagenen Sattel. Beides ist von ihm in Kansas erbeutet worden. Nun geht er hinüber zum Corral, in dem sich die Tiere der Bande befinden, und holt sein Tier heraus, nimmt seinen Sattel von der Stange und wirft ihn über den Rücken des Rappen. Sie alle beobachten ihn. Jemand fragt: »Willst du weg, Billyboy?« Er grinst sie alle an und erwidert: »Ich bin hier in schlechter Gesellschaft von ehemaligen Guerillas. Und ich bin doch nur ein harmloser Junge, der keinen Schein benötigt. Ja, ich reite jetzt sofort meiner Wege. Hat jemand was dagegen? Es ist alles vorbei. Jeder ist nun sein eigener Hüter. Macht, was ihr wollt!« Er zieht den Sattelgurt stramm, schwingt sich in den Sattel und reitet nach Norden davon. Sie sehen ihm schweigend nach. »Der hat es gut«, murrt jemand. »Der sieht so harmlos wie ein Junge von fünfzehn aus. Der hat es besser als wir. Wollen wir uns wirklich stellen und auf dieses Papier vertrauen?« Der Sprecher deutet auf das kleine Plakat, welches nun am Boden liegt, nachdem es von allen gelesen wurde. Dann richten sich ihre Blicke auf den Anführer Herb Johnstone, den sie mit Captain anreden. Bei ihrem Onkel Herb stehen seine vier Neffen. Sie bilden eine Fünfergruppe, und es sind ihre Anführer. Eine Stimme fragt: »Captain, was sollen wir tun?« Herb Johnstone hebt beide Hände. »Der Junge hat es vorhin gesagt«, spricht er. »Jeder ist nun sein eigenen Hüter. Ich bin nicht mehr euer Anführer. Jeder muss für sich selbst entscheiden. Wer diesen Schein haben will, der muss hin.« »Und Sie, Captain?« Sie müssen eine ganze Weile auf seine Antwort warten. Dann hören sie ihn sagen: »Ich traue keinem Yankee. So einfach ist das. Nun, ihr könnt ja alle noch bis morgen nachdenken und überlegen.« *** Es wird im Camp noch lange diskutiert. Nur die Johnstones nehmen an dieser Diskussion �
nicht teil. Sie halten sich deutlich abseits. Erst spät kehrt Ruhe im Camp ein. Und als der Morgen graut, da satteln alle ihre Pferde. Jemand flucht böse: »Verdammt, ich habe einen Coyoten im Magen. Der frisst mich von innen auf. Ob uns die Yanks auch etwas zu fressen geben?« Einige Stimmen lachen durcheinander. Dann schwingen sie sich alle in die Sättel. Doch sie trennen sich in zwei Gruppen. Mehr als dreißig Mann reiten in Richtung Stadt. Die Johnstones aber lenken ihre Pferde in die andere Richtung. Doch sie reiten nicht weiter als eine Meile. Dann halten sie an. Herb Johnstone nickt seinem jüngsten Neffen zu und sagt: »Jake, reite ihnen nach und versuche herauszufinden, was mit ihnen geschieht.« »Das werde ich, Onkel Herb.« Jack Johnstone grinst und zieht die Nase seines Pferdes nach Osten. Herb Johnstone ruft ihm nach: »Wenn du es herausgefunden hast, dann folge unserer Fährte!« *** Es ist drei Tage später, als Jake wieder zu seinem Onkel und den drei Brüdern stößt. Er findet sie auf einer Baumwollplantage, welche jetzt verlassen ist, weil die Sklaven, die hier unter der Leitung einer schönen Herrin auch während des Krieges alles in Gang hielten, davongelaufen sind. Der Besitzer der Plantage kämpfte als Colonel mit seinem Regiment für den Süden. Doch jetzt ist er tot, gefallen noch am letzten Tag in der letzten Schlacht. Die Sklaven liefen fort in die Freiheit und nahmen mit, was ihnen gefiel und sie in die neue Freiheit transportieren konnten. Und so war die schöne Herrin plötzlich allein und musste froh sein, dass ihr nichts Schlimmes angetan wurde. Jetzt ist sie nicht mehr allein, denn die Johnstones sind nun bei ihr. Sie haben sich eingenistet und genießen es, in einem feudalen Herrenhaus zu wohnen und wie gute Freunde bewirtet zu werden. Sie essen der schönen Plantagenbesitzerin die letzten Vorräte weg, und in den Nächten liegt Herb Johnstone bei ihr im Bett, als wäre er der heimgekehrte Colonel. Clementine Hardin – so heißt die schöne Frau – kann nichts dagegen tun. Denn sie weiß längst, dass sie eine böse Mörderbande zu Gast hat. Sie ist dieser Bande auf ihrer verlassenen Plantage hilflos ausgeliefert und will nur noch überleben, nichts anderes als überleben. So manche Frau an ihrer Stelle hätte sich umgebracht. Doch ihre Lebenskraft ist stärker. Nun, Jake erreicht also am dritten Tag auf der Fährte des bösen Rudels die Plantage und findet sie alle auf der Veranda in der Morgensonne beim Frühstück, bedient von einer schönen Frau, die sich bei seinem Kommen ins Haus zurückzieht. Jake bleibt noch im Sattel und betrachtet den Onkel und die drei Brüder seltsam ernst. »Na los, mein Junge, spuck’s endlich aus«, knurrt Onkel Herb ihn an. Jake steigt vom Pferd und kommt auf die Veranda.
»Bill Landers hat uns belogen«, knirscht er. »Es gibt keine Amnestie für uns, nicht für Exguerillas der Konföderation. Ich konnte alles von einem nahen Hügel aus beobachten. Unsere Jungs mussten sich in einer langen Reihe vor einem großen Zelt aufstellen. Sie gingen auf der einen Seite hinein und kamen auf den anderen wieder heraus. Offenbar wurden sie tatsächlich in diesem Zelt registriert. Und jene, die herauskamen, mussten sich wieder in einem langen Glied aufstellen. Vielleicht glaubten sie, dass sie nun ihre Amnestiescheine erhalten würden.« Jake macht eine Pause, greift sich eines der frischen Biskuits aus dem Korb und beißt gierig hinein. Sie warten ungeduldig. Er kann es von ihren Gesichtern ablesen. Und so spricht er kauend weiter: »Nun, sie mussten lange warten, standen in der heißen Sonne. Dann kam eine Kompanie von Infanteristen anmarschiert, hielt ihnen gegenüber an und bildete ebenfalls eine lange Reihe. Es sah alles noch harmlos aus. Der Offizier ließ also anhalten und kommandierte dann: ›Links um! Legt an! Feuer!‹ Es ging unwahrscheinlich schnell. Sie schossen unsere wartenden Jungs von den Beinen. Einige wollten flüchten, doch sie kamen nicht weit. Die Kugeln holten sie ein. Die Yanks schossen so lange, bis sich nichts mehr rührte. Und wären wir ebenfalls in die Stadt zu den Yanks geritten, dann würden auch wir jetzt tot sein. Sie wurden mit Kugeln hingerichtet. Das ging schneller als ein umständliches Hängen. Ich traf dann auf dem bewaldeten Hügel einen alten Mann, welcher Holz sammelte für die Küche der Garnison. Er erzählte mir, dass man es mit den Quantrill-Guerillas ebenso gemacht hätte. Denn es würde ja immer noch Kriegsrecht herrschen.« Die anderen Johnstones schweigen, und gewiss jagen sich ihre Gedanken und Gefühle. Dann aber spricht Jake etwas schrill: »Onkel Herb, du hattest Recht, als du sagtest, dass du keinem Yankee trauen würdest. Was nun? Denn es ist wohl klar, dass wir vogelfrei sind. Solange Kriegsrecht gilt, werden sie uns erschießen – und wenn das Kriegsrecht in Friedensrecht verwandelt wird, werden wir an den Hälsen hochgezogen. Es gibt eine Menge Menschen, die uns Johnstones kennen, die wir doch stets die Anführer der Tennessee-Wölfe waren. Bald hängen überall Steckbriefe von uns. Was soll werden, Onkel Herb?« Dieser sitzt mit gesenktem Kopf am Tisch, hat sein Kinn fast auf der Brust liegen. Doch als er nach einer Weile den Kopf hebt, da sehen sie das Glitzern in seinen schrägen Wolfsaugen. »Nun gut«, spricht er, »wir werden gehasst und gefürchtet. Und man wird uns jagen, unserer Fährte folgen, der Fährte der letzten Tennessee-Wölfe. Also müssen wir unsere Fährte unsichtbar machen, uns sozusagen in Luft auflösen.« Als er verstummt, da starren sie ihn an. »Wie?« Bud stößt dieses einzige Wort böse aus. Herb Johnstone lässt jetzt unter seinem Schnurrbart die Zähne blinken. »Wir müssen nach Nordwesten«, spricht er dann, »mitten durch das Indianerland nach Nordwesten, hinauf nach Oregon. Dort müssen wir ein völlig neues Leben anfangen und normale Bürger werden, die etwas aufbauen und von der menschlichen Gemeinschaft geachtet werden. Jungs, ihr müsst rechtschaffen, gut und edel werden, alles vergessen, was bisher geschah. Das ganze Indianerland liegt dann zwischen uns und der Vergangenheit. Ihr müsst euch nur immer wieder einreden, dass ihr gute Burschen seid, müsst es euch so lange einreden, bis ihr es eines Tages selbst glaubt und alles vergessen habt wie böse
Träume. Könnt ihr das kapieren?« Sie staunen ihn an. Dann aber murrt John: »Die schöne Clementine hat dort drinnen wahrscheinlich alles gehört. Dann wäre hier der Anfang unserer neuen Fährte.« Doch Herb Johnstone schüttelt den Kopf. »Wir nehmen sie mit!«, sagt er. »Eine schöne Frau in unserer Mitte, die gibt uns einen anderen Anschein. Ich rede mit ihr. In einer Stunde brechen wir auf. Ich mache ihr das jetzt klar.« Er erhebt sich, geht ins Haus und betritt die Küche, in der früher eine dralle schwarze Köchin herrschte. Jetzt hantiert Clementine Hardin hier. Als er eintritt, wendet sie sich ihm zu. In ihren grünen Augen ist nichts zu erkennen. Was sie auch denken und fühlen mag, sie hält es tief in ihrem Kern verborgen. Auch ihren Hass und ihre Verachtung hält sie verborgen. Denn sie weiß zu gut, dass dieser Mann sie sonst anders behandeln würde, etwa so wie ein Wilder eine Beute. Ihre Klugheit und der Wille zum Überleben ließen sie sich ihm ergeben. Er musste sie nicht mit Gewalt nehmen. Nein, sie wehrte sich nicht. Das alles hätte ihre Situation nur verschlimmert. Denn er ist ein zweibeiniger Wolf ohne Gnade. Und so ließ sie ihm die Illusion, er hätte sie als Mann erobern können. Sie sieht ihn also jetzt an und hört ihn sagen: »Natürlich hast du alles gehört und bist erst in die Küche, als ich mich draußen erhob und ins Haus kam. Und weil du alles gehört hast, muss ich es dir nicht noch mal sagen. Wir reiten in einer Stunde. Für dich nehmen wir ein Packpferd mit. Weißt du, ich sehe eine Chance für uns, wenn du erst so richtig begreifst, dass ich mich ändern kann. Wir alle werden ein neues Leben anfangen und Großes leisten, ja, Großes. Dann wirst du vergessen, wie es mit uns begonnen hat. In einer Stunde also!« Nach diesen Worten wendet er sich ab und geht sporenklingelnd hinaus. Sie verharrt einige Atemzüge lang bewegungslos. Nur ihre Hand hält sie gegen den Halsansatz gepresst, so als müsste sie ihr klopfendes Herz zurückhalten. Und ihr ist klar und wird es immer bewusster, dass auch für sie ein neues Leben beginnen wird. *** Clementine Hardin ist eine gute Reiterin. Sie sitzt geschmeidig im Sattel. Doch sie weiß, dass dies jetzt ein anderer Ritt werden wird: ein Dreitausendmeilenritt – wenn ihr unterwegs nicht die Flucht gelingt und sie keine Hilfe oder Zuflucht findet. Doch dieser Herb Johnstone wird sie hüten wie einen kostbaren Besitz. Für ihn ist sie gewiss die wertvollste Beute, die er jemals machte. Es könnte sogar sein, dass er sie liebt – aber so, wie man eine wertvolles Pferd liebt oder eine wunderschöne Waffe. Er besitzt sie und ist stolz darauf. Denn es fehlt ihm etwas. Er ist nun mal ein Mann ohne Ehre. Und wahrscheinlich ist er sich dieses Mangels gar nicht bewusst und glaubt wahrhaftig daran, mit seinen vier Neffen ein neues Leben beginnen und die Vergangenheit ganz und gar vergessen zu können. Mit einem letzten Blick nimmt Clementine Abschied von dem schönen Herrenhaus. Hier wurde sie einst geboren und war das einzige Kind ihrer Eltern.
Diese waren dann sehr froh, dass sie einen Schwiegersohn in die Familie brachte, den sie wie einen eigenen Sohn achten und lieben konnten. Und so war alles gut – bis der unselige Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten ausbrach. Nun ist sie mit Mördern unterwegs und gehört einem von ihnen. Schlimmer könnte es für sie kaum sein. Sie reiten in Doppelreihe und haben zwei Packtiere bei sich. Und sie wissen nicht, dass sie von einem Schaf- und Ziegenhirten beobachtet werden, der sich bei ihrer Ankunft versteckte, aber dennoch alles beobachtete. Der Junge – sie nennen ihn hier alle Humpy, weil er einen Buckel hat – ist sehr froh, dass die fünf Männer wieder abziehen. Doch ihm tut die Herrin der Plantage Leid, denn sie war immer freundlich zu ihm. Doch er vermochte ihr nicht zu helfen. Er weiß nur, dass es böse Männer waren, vor denen er sich verstecken musste. Und so beschließt er zu warten, bis jemand kommt, dem er alles erzählen kann. Er muss ja für siebzehn Schafe und ein Dutzend Ziegen sorgen, von denen einige trächtig sind. *** Die fünf Exguerillas reiten schweigend nach Nordwesten. Denn sie wollen so schnell wie möglich aus Tennessee hinaus und zum Mississippi, dann weiter durch Missouri nach Kansas, von dort aus immer weiter nach Nordwesten durch das Indianerland. Es wird ein endloses Reiten. Als sie nach etwa zehn Meilen die erste Rast einlegen, um ihre Pferde an einem Bach saufen zu lassen, da bricht es endlich aus Bud Johnstone heraus, so als muss er sich vor dem Ersticken retten. Er brüllt wild und böse: »Der verdammte Hurensohn Bill Landers! Er hat uns verraten, er muss uns verraten haben! Oder nicht?« Sie denken nach und haben das die ganzen zehn Meilen lang getan. »Ja, er hat uns in eine Falle gelockt – und nur wir Johnstones fielen nicht darauf rein, weil Onkel Herb keinem Yankee traut«, knirscht Jesse. »Wären wir mit den anderen Jungs geritten, wären auch wir jetzt tot. Aber warum hat er das getan, dieser Sohn von tausend Vätern?« Abermals denken sie nach. Dann spricht John Johnstone heiser: »Vielleicht läuft er uns mal über den Weg. Denn auch er ist ja unterwegs nach Norden. Und wenn wir ihn erwischen, dann wird er uns sagen müssen, warum er uns verraten hat. O ja, er wird es uns erklären, bevor wir ihm die Haut abziehen oder ihn über einem Feuer rösten.« Die Johnstones reiten abseits der Wagenwege und folgen irgendwelchen Pfaden, wenn diese nur in die gewünschte Richtung führen. Und wenn sie auf Ortschaften oder gar kleine Städte stoßen, dann umreiten sie diese, denn sie müssen damit rechnen, dass es inzwischen Steckbriefe von ihnen gibt. Dennoch können sie nicht sicher sein, ob man sie zumindest da und dort aus der Ferne reiten sieht. Um das zu vermeiden, hätten sie in den Nächten reiten müssen. Doch dafür kennen sie das Land nicht gut genug. Und so vertrauen sie darauf, dass man sie aus der Ferne für harmlose Reiter hält, zum
Beispiel für eine Ranchmannschaft, die mit ihrer Rancherin zu irgendeinem Ziel reitet. Denn Clementine Hardin ist gewiss leicht als Frau zu erkennen. Es vergehen also einige Tage und Nächte. Sie kommen gut vorwärts, legen jeden Tag mehr als dreißig Meilen zurück, manchmal sogar vierzig. Clementine hat sich an das stetige Reiten gewöhnt. Doch am Abend eines jeden Tages ist sie total erschöpft – oder tut nur so. Denn Herb Johnstone rührt sie in diesen Nächten nicht an. Vielleicht will er ihr auch auf diese Weise zeigen, wie sehr er sich zu wandeln versucht, ein völlig anderer Mann werden will. Aber sie weiß, dass er dies nicht schaffen kann, weil er schon zu lange zu den Bösen gehört. Diese schwarze Vergangenheit wird ihn immer wieder einholen. Er kann sie gewiss nicht abschütteln, vergessen und plötzlich edel und gut werden. Sie weiß, dass irgendwann etwas geschehen wird, was sie alle wieder zu zweibeinigen Wölfen werden lässt, zu Tennessee-Wölfen, die man auch Blutwölfe nannte. Am sechsten Tag geht ihnen der mitgeführte Proviant aus. Sie hatten ohnehin nicht viel mitnehmen können, da auf der Plantage alle Vorräte fast aufgebraucht waren. Es ist dann gegen Mittag des siebenten Tages, als sie in der Ferne inmitten eines langen Tales eine Farm erblicken, umgeben von Äckern und Feldern. Sie halten an und blicken hinüber. Dabei hören sie das Knurren ihrer Mägen. Nach einer Weile stößt John Johnstone hervor: »Auf was warten wir noch? Dort drüben gibt es was zu fressen – ja, zu fressen oder zu mampfen! Oder wollen wir hungrig daran vorbei?« »Also gut, Jungs«, spricht Herb Johnstone. »Wir reiten hin und lassen uns bewirten. Wir sind Cowboys, die mit ihrer Rancherin eine kleine Herde an die Armee verkauft haben und nun auf dem Heimritt sind.« Er wirft nach diesen Worten einen Blick auf Clementine, und er muss ihr nichts sagen, denn sie erkennt die Warnung in seinen Augen. Wenig später reiten sie in den Hof des Anwesens und halten vor dem Wohnhaus. Ein alter Mann und eine alte Frau sitzen auf der Veranda beim Mittagessen. Und eine jüngere Frau bringt eine große Suppenschüssel heraus, aus der es noch dampft. Sie stellt die Schüssel auf den Tisch und tritt dann an den Rand der Veranda, betrachtet die Reiter und die Reiterin. Sie lächelt Clementine an und spricht: »Sie sind weit geritten, nicht wahr? Und Hunger haben Sie auch – oder? Wenn Sie drüben beim Brunnen Ihre Pferde versorgt haben, werde ich ein Essen für Sie fertig haben.« »Für das wir mit Yankee-Dollars zahlen werden«, spricht Herb Johnstone. »Wissen Sie, Ma’am, wir haben eine kleine Herde an die US-Armee verkauft und können für die Bewirtung etwas zahlen.« Er zieht sein Pferd herum und reitet zum Brunnen hinüber, wo es auch zwei Tränktröge gibt. Als sie dort absitzen, hört Clementine einen der vier Johnstone-Brüder böse sagen: »Onkel Herb, du willst doch wohl nicht wirklich für das Essen bezahlen wie in einem Restaurant? Wir haben noch niemals fürs Essen bezahlt.« »Doch, jetzt tun wir es. Denn wir gehören ja jetzt zu den Guten, Jungs. Oder hast du schon wieder alles vergessen, was ich euch sagte? Wir sind jetzt gute Menschen. Muss ich dir das erst noch richtig in deinen Bumskopf einhämmern?« Herb Johnstones Stimme klingt zuletzt böse und drohend.
»Schon gut, schon gut, Onkel Herb, ich bin nur noch nicht daran gewöhnt, für etwas zu zahlen, was ich mir nehmen kann, schon gut!« Clementine hört das alles, aber ihre Gedanken jagen sich nun. Sie weiß zwar, dass diese Leute hier ihr nicht helfen können, nicht der alte Mann und die beiden Frauen. Aber wenn sie mit ihnen einige Worte wechseln könnte… Doch sie verwirft diesen hoffnungsvollen Gedanken wieder. Denn sie begreift, dass es der Tod dieser Menschen sein könnte, wenn sie sich ihnen anvertraut und die Johnstones es bemerken würden. Und so schweigt sie, versorgt ihr Pferd, wie es die Männer auch mit ihren Tieren tun. Sie waschen sich dann alle am Brunnen. Herb Johnstone sieht Clementine an, indes er sich mit seinem Halstuch abtrocknet. »Mach nur keinen Fehler, Tina«, murmelt er. »Mache ich nicht«, erwidert sie. »Denn dann würdet ihr euch nicht länger als Gute darstellen können.« »So ist es, Grünauge.« Jake lacht. »Wenn du sie noch einmal so respektlos anredest, mein Junge, dann schlage ich dir die Zähne ein«, grollt Herb Johnstone. »Ich habe euch gesagt, dass ihr sie wie eine Lady mit Respekt behandeln sollt. Vergesst das nicht.« Sie gehen nun hinüber. Der lange Tisch auf der Veranda ist groß genug für alle. Die alte Frau hat für sie schon gedeckt. Und die jüngere Frau bringt einen großen Topf voller dicker Fleischsuppe und dazu Fladenbrot. »Es gibt zum Nachtisch Apfelkuchen und Kaffee«, sagt sie und lächelt. Sie ist eine hübsch wirkende Frau. »Wir sind Ihnen sehr dankbar, Ma’am«, spricht Herb Johnstone. Dann fragt er, indes er sich mit der Kelle aus dem Topf den Teller füllt: »Sie leben ziemlich abgeschieden in diesem schönen Tal. Ist denn hier keine größere Stadt in der Nähe?« »Doch – keine sieben Meilen von hier. Mein Sohn Tom ist hin, um dort einige Einkäufe zu machen und auch Post zu holen. Wissen Sie, Mister, ich warte immer noch auf eine Nachricht von meinem Mann, der vor drei Jahren in den Krieg ritt und als vermisst gilt. Aber eine Frau hofft ja immer noch…« Sie verstummt jäh und geht ins Haus zurück. Der alte Mann am Ende des Tischs spricht heiser: »Er ist unser Sohn. Auch wir hoffen noch. Er ist ein guter Sohn. Aber alle Guten ritten in den Krieg.« »Ja, auch wir waren dabei, Sir«, murmelt Herb Johnstone kauend. Es herrscht nun Schweigen für eine Weile. Dann fragt Jesse Johnstone: »Und wie heißt die Stadt, die nur sieben Meilen von hier weg ist, Sir?« »Jackson, sie heißt einfach nur Jackson.« Als der Alte verstummt, hören sie das Räderrollen eines Wagens und den Hufschlag der beiden Gespannpferde. Wenig später kommt der Wagen vors Haus und hält an. Ein strohblonder Junge von etwa vierzehn Jahren sitzt auf dem Bock. Er betrachtet die Fremden und zuckt plötzlich zusammen, so als würde ihn ein Erschrecken durchfahren oder als verspürte er einen jähen Schmerz. Die beiden Frauen und der alte Mann betrachten ihn forschend. »Was ist, Tom?« So fragt der alte Mann.
»Ach, nichts, Großvater, gar nichts.« Der Junge springt vom Wagen und beginnt einige Säcke und Kisten abzuladen. Auch eine Ledertasche ist dabei. Diese bringt er auf die Veranda zu seinem Großvater und spricht dabei: »Auch die neueste Zeitung aus der Hauptstadt kam mit der Postkutsche. Sie ist erst drei Tage alt. Ich habe sie schon flüchtig gelesen.« Er verlässt nun die Veranda, um den Wagen wegzubringen und drüben beim Corral auszuspannen. Der alte Mann aber vergisst das Essen, öffnet die Tasche und holt die Post hervor. Die jüngere Frau beobachtet ihn angespannt und voller Hoffnung. Der Alte entnimmt der Tasche zwei Zeitungen und zwei Briefe. Dann stößt er einen seltsamen Laut aus, der wie ein befreites Stöhnen klingt. »Lena, dein Mann und unser Sohn hat diesen Brief geschrieben. Es ist seine Handschrift, die ich gut genug kenne. Hier, Lena!« Er reicht ihr den Brief hinüber – und Lena reißt ihn mit zitternden Fingern auf, entnimmt dem Umschlag das Papier und liest tonlos, aber mit sich bewegenden Lippen. Die alte Frau fragt: »Kommt er heim – endlich?« Und Lena nickt heftig. »Er lag in einem Lazarett. Ja, jetzt kommt er heim, sobald er reisefähig ist. Das soll in etwa zwei Wochen sein.« Sie erhebt sich und tritt an den Rand der Veranda, ruft von dort zum Corral hinüber: »Tom, dein Vater lebt und kommt bald heim!« Der Junge dort drüben verharrt nun bewegungslos. Dann hebt er beide Hände, so als wollte er dem Himmel danken. Er kommt dann über den Hof gelaufen – und seine Mutter läuft ihm entgegen. Sie fallen sich in die Arme. Indes aber greift Herb Johnstone nach den Zeitungen, spricht dabei freundlich: »Sir, Sie erlauben doch…« Er faltet die Zeitungen auseinander, blättert sie durch, hält dann inne und starrt auf eine Seite. Doch es ist keine Zeitungsseite, sondern ein Steckbrief. Steckbriefe in Zeitungen sind üblich. Denn die sollen ja überall angeschlagen werden. Herb Johnstone wirft diesen Steckbrief auf den Tisch zwischen die noch halb vollen Teller und deutet dann hinüber zu Lena und deren Sohn, die sich nun voneinander lösen. »Der Junge sagte vorhin«, spricht Herb Johnstone klirrend, »dass er die Zeitung schon gelesen hätte. Und als er uns ansah, da erschreckte er sich. Wir sahen es alle.« Er verstummt mit einem gnadenlosen Klang in der Stimme. Jesse Johnstone greift indes zum Steckbrief und lacht heiser auf: »Tausend Dollar zahlen die Yanks für unsere Skalpe – tausend Dollar, oho!« Er ruft es wild. Dann herrscht eine Weile Schweigen. Und plötzlich lastet ein Unheil über allen Menschen auf der Farm. Der alte Mann beugt sich über den Tisch und greift nach dem Steckbrief, beginnt ihn zu studieren, wobei er immer wieder seine Blicke hebt und die Gäste betrachtet. Nach einer Weile sagt er heiser: »Ja, ihr seid es. Die Zeichnungen haben euch gut getroffen, fast so gut wie diese neumodischen Fotografien. Ihr seid die letzten Tennessee-Wölfe, und ihr seid auf eurer letzten Fährte. Wenn ihr eure Fährte verwischen wollt – und das müsst ihr wohl tun –, dann müsst ihr uns jetzt umbringen, so wie ihr schon viele Menschen auf solchen Farmen wie unsere umgebracht habt.«
Er wendet den Kopf und blickt seine Frau an, welche neben ihm sitzt. Er nimmt ihre Hand und murmelt: »Nelly, sie sind eine Mordbande. Wir wurden alt, und das Leben mit dir war wunderschön, selbst in harten Zeiten. Ich danke dir, Nelly.« Dann sieht er Herb Johnstone an und murmelt: »Macht es kurz, wenn es schon sein muss. Macht es schnell mit uns, ihr verdammten Hurensöhne!« Während dies auf der Veranda geschieht, stehen die Frau und der Junge immer noch mitten auf dem Hof. Sie haben sich aus ihrer gegenseitigen Umarmung gelöst und blicken herüber. Der Junge ist fast so groß wie seine Mutter. Er hat den Kopf ihr zugewandt und spricht schnelle Worte zu ihr. Dann aber löst er sich von ihrer Seite und kommt herbeigelaufen, verharrt am Fuße der Verandatreppe. Sein Blick richtet sich auf Herb Johnstone. Dann ruft er schrill: »Sir, wir haben Sie und Ihre Begleiter niemals gesehen, das schwören wir! Sie waren niemals hier! Ja, ich habe den Steckbrief gelesen. Doch ich konnte nicht mal ahnen, dass Sie hier auf unserer Farm sein würden.« »Sonst wärest du nicht hergekommen – nicht allein jedenfalls.« Jesse Johnstone grinst. »Aber du hast nun mal mit der Post und den Zeitungen unseren Steckbrief hergebracht. Das war Pech. Doch so ist das Leben.« Er erhebt sich und hat plötzlich wie durch Zauberei seinen schweren Revolver in der Faust, um zu schießen. Doch da ruft Clementine Hardin schrill und hart: »Halt!« Jesse hält tatsächlich inne, schießt nicht. Aber er grinst Clementine an. »Willst du um ihre Leben betteln, Lady? Glaubst du, dass du uns erweichen könntest? Die Stadt ist nur sieben Meilen von hier entfernt. Und wir haben jetzt schon sieben Tage lang unsere Fährte verwischt. Hältst du uns für Narren?« Als er verstummt, spricht Jesses Bruder Bud langsam und schwer: »Der Junge würde in die Stadt reiten und dort sagen, wer hier zu Besuch war. Wir hätten sieben Tage und Nächte nutzlos unsere Fährte verwischt.« Auch er erhebt sich und zieht den Revolver. Er zielt damit auf die Frau, welche nun neben ihrem Sohn angelangt ist. Clementine Hardin aber sieht Herb Johnstone an, der sich bisher noch nicht rührte, regungslos verharrte und schwieg, so als wäre er in tiefes Nachdenken versunken. »Herb Johnstone«, spricht sie mit kehliger Stimme und wirkt seltsam ruhig dabei, obwohl sie dies innerlich nicht sein kann, »du hast mir immer wieder gesagt, dass ihr euch wandeln wollt zu guten Menschen, um neu anzufangen innerhalb der Gemeinschaft der Redlichen. Ihr wolltet eure Vergangenheit vergessen wie böse Träume. Doch jetzt holt euch alles wieder ein. Und so wird es immer wieder sein, wenn ihr jetzt nicht damit aufhören könnt. Also lasst sie schwören und dann am Leben. Sie werden euch nicht verraten. Der Junge wird nicht in die Stadt reiten. Nicht wahr, Junge?« Dieser hebt schwörend die Hand. »Ma’am, wir haben Sie und Ihre Begleiter hier niemals gesehen. Nicht wahr, Großvater?« Der alte Mann nickt heftig. Herb Johnstone aber denkt immer noch nach. Dann sieht er Clementine in deren grünen Augen und fragt nach einigen langen Atemzügen: »Du willst, dass ich dir beweise, dass meine Versprechungen keine leeren Worte
waren?« Sie nickt und erwidert: »Wie anders könntest du eines Tages mein Vertrauen bekommen? Doch nur so – oder?« Da nickt Herb Johnstone langsam. Er sieht den alten Mann an. »Also schwört uns…« *** Sie sind bald wieder unterwegs, haben sich versorgt mit Proviant für die nächsten Tage, den sie sich einfach nahmen, ohne zu fragen. Clementine Hardin reitet wieder an der Spitze neben Herb Johnstone, und zum ersten Mal seit langer Zeit ist ein gutes Gefühl in ihr. Obwohl sie selbst in Not ist, eine Gefangene, die sich den bösen Umständen ergeben musste, glaubt sie, dass sie den Menschen auf der Farm das Leben retten konnte. Und es wird ihr klar, dass sie Macht über Herb Johnstone besitzt, weil dieser glaubt und sich wünscht, sie dadurch erobern zu können, dass sie sich alle von Bösen zu Guten wandeln. Sie konnte vier Leben retten. Dafür hat sich alles, was sie bisher ertrug, gelohnt. Sie redet sich das in Gedanken ein und hofft, nun alles besser ertragen zu können. Sie reiten eine knappe Meile und halten dann in der Deckung eines Wäldchens an. Herb Johnstone zieht sein Pferd halb herum und betrachtet seine vier Neffen. Dann nickt er Jesse zu und spricht: »Jesse, beobachte die Farm. Wenn der Junge in die Stadt reitet, dann haben sie ihren Schwur gebrochen. Und dann weißt du, was zu tun ist.« »Ja, das weiß ich, Captain«, nickt Jesse. »Sie bekamen ihre Chance. Aber wenn sie zu dumm sind…« Er verstummt. Herb Johnstone nickt Clementine zu. »Das siehst du wohl ein, Tina. Ich gab ihnen eine Chance. Aber wenn sie zu dumm sind…« Auch er beendet den angefangenen Satz nicht. Und das muss er auch nicht. In Clementine steigt Hitze hoch. Sie möchte etwas sagen und kann es nicht. Herb Johnstone reitet wieder an. Sie folgen ihm bis auf Jesse. Clementine betet in Gedanken für die vier Menschen auf der Farm. Sie reiten den ganzen Tag bis in die späte Nacht hinein. Längst haben sie das schöne Tal verlassen, in dem die Farm liegt. Und sie kennen nicht mal die Namen der Familie, welche wenige Minuten lang so glücklich war, weil sie doch einen Brief erhalten hatte vom Sohn der Alten, vom Mann der Frau und Vater des Jungen. Immer wieder betet Clementine in Gedanken: »O Vater im Himmel, lass es nicht zu, dass der Junge in die Stadt reitet. Halte sie alle davon ab, ihren Schwur zu brechen, den sie leisteten, um ihr Leben zu retten. Gewiss, solch ein Schwur ist nichts wert. Aber lasse sie diesen Schwur dennoch halten. Hoffentlich sind sie schlau genug.« Sie betet es noch bis in den Schlaf hinein, denn sie hielten endlich an in der späten Nacht und schlugen ein Camp auf. Clementine schläft wieder einmal mehr aus Erschöpfung ein und vergisst all ihre Not. Sie schläft auch noch fest, als der Morgen anbricht. Nicht einmal der gebratene Speck und der Kaffeeduft können sie wecken. Und so bekommt sie auch nicht mit, dass Jesse ins Camp geritten kommt.
Er hält an, bleibt noch im Sattel hocken und schlingt nur ein Bein ums Sattelhorn. Sein stoppelbärtiges Gesicht verzerrt sich. Dann spricht er heiser: »Ich musste es tun. Ja, sie brachen den Schwur, und der Junge war unterwegs in die Stadt, um uns zu verraten. Ich musste es tun, verdammt! Aber sie hatten eine faire Chance – oder nicht?« »Ja, die hatten sie, Bruder«, erwidert Bud Johnstone für alle. Herb Johnstone aber deutet mit dem Daumen auf die schlafende, in Decken gerollte Clementine. »Sie darf es nicht erfahren, Jungs. Verdammt, ich will nicht ständig ihre Verachtung spüren.« Sie nicken. Jake flüstert dann: »Sie ist wahrhaftig eine wunderschöne Frau, Onkel Herb. Wir können dich gut verstehen.« *** Indes die fünf letzten Tennessee-Wölfe ihre Flucht nach Nordwesten fortsetzen mit dem Ziel, Oregon oder gar Kanada zu erreichen, und durch Jesse abermals ein blutiges Morden hinterlassen, trifft eines Tages ein Reiter auf der Hardin-Plantage ein, welcher alles verlassen vorfindet. Der Reiter trägt eine zerschlissene Uniform der Konföderierten. Von den Ärmeln wurden die goldenen Tressen eines Captains abgetrennt. Als sich der Reiter überall umgesehen hat, steht er etwas ratlos wirkend bei seinem Pferd am Brunnen und überlegt, was er tun soll. Wohin könnte er reiten, um etwas über die Witwe von Colonel Hardin zu erfahren? Er kam schon am Vormittag durch eine kleine, fast völlig zerstörte Stadt, in der kein Mensch mehr lebte. Jetzt ist es später Mittag. Er will wieder aufsitzen, aber da hört er das Meckern von Ziegen und Bähen von Schafen. Als er um das große Haupthaus reitet, da sieht er den buckligen Jungen mit den Tieren und reitet zu ihm hin. Der Junge blickt witternd und vorsichtig lauernd zu ihm hoch. Der Reiter aber fragt: »Das ist die Plantage der Hardins, nicht wahr, Junge?« Humpy nickt stumm. »Und es muss hier eine Mrs Clementine Hardin geben, richtig?« Der Junge zieht die schmalen Schultern hoch und lässt sie wieder sinken. Dann spricht er: »Es kamen böse Reiter. Mrs Hardin musste mit ihnen reiten. Ich versteckte mich vor ihnen. Doch manchmal konnte ich sie belauschen. Die Reiter gehörten zu den TennesseeWölfen. Sie nahmen alle Vorräte mit: Ich habe jetzt nur noch die Milch der Ziegen. Morgen werde ich ein Lamm schlachten.« Der Junge verstummt etwas verstört wirkend, so als wäre er nicht ganz richtig im Kopf. Doch dann scheint ihm etwas einzufallen, denn er hat plötzlich vor Stolz funkelnde Augen. Dann spricht er wichtig: »Aber ich weiß, wohin sie mit der Herrin der Aurora-Plantage reiten wollen.« »Dann sag es mir, Junge«, fordert der Ex-Captain der Konföderierten Chris Benteen. »Man nennt mich Humpy«, erwidert dieser. »Und man hält mich für ziemlich dumm. Aber ich bin nicht dumm. Ich habe diese Männer belauscht. Sie wollen weit nach Nordwesten, ganz weit und nannten ein Land, welches Oregon heißt. Und sie wollten ihre
Fährte verwischen, sodass niemand ihnen folgen kann. Und ihr Anführer nahm sich Mrs Hardin, so als wäre sie seine Frau. Ich habe sie alle belauscht. Denn ich bin so schlau wie ein Fuchs. Ich kenne alle Winkel des großen Hauses und weiß, wie man aus dem Vorratskeller in die Küche kommen kann.« Er verstummt stolz. Der Ex-Captain der Konföderierten nickt ihm zu, zieht sein Pferd herum und reitet in Richtung Nordwesten davon. Humpy sieht ihm lange nach. Dann spricht er: »Der folgt jetzt dieser Wolfsfährte. Ich konnte es in seinen Augen erkennen. Ja, der folgt nun den Tennessee-Wölfen. Das wird gut sein für Mrs Hardin. Ich wünsche es ihr. Denn sie war stets gut zu mir.« *** Indes Chris Benteen nach Nordwesten reitet, denkt er über sein Leben nach und an jene Clementine Hardin, die er nicht persönlich kennt und deren Bild er dennoch bei sich trägt. Dieses Bild bekam er vom sterbenden Colonel Clay Hardin, nachdem er ihm das Versprechen gegeben hatte, sich um Hardins Frau zu kümmern. Dieses Versprechen konnte Colonel Hardin von ihm fordern, denn sie waren Freunde geworden in den Jahren des blutigen Bruderkrieges zwischen Nord und Süd. Chris Benteen denkt also wieder einmal mehr über sein Leben nach, indes er Meile um Meile zurücklegt. Er ist ein typischer Anglo-Texaner, nämlich blond und blauäugig, dessen Vorfahren nach Texas kamen, als das weite Gebiet noch zu Mexiko gehörte, also noch lange vor Alamo, wo die erste Schlacht für die Freiheit von Texas geschlagen wurde und Texas schließlich eine Republik wurde und als solche der Union beitrat. Darauf sind die Texaner besonders stolz. Sie waren nie ein Territorium der USA, sondern schon eine selbstständige Republik. Chris Benteen war vor dem Krieg ein junger Rinderzüchter, der die Ranch seines Vaters im San-Antonio-Land übernahm. Schon als Junge musste er gegen Comanchen und mexikanische Bandoleros kämpfen. Mit fünfzehn tötete er seinen ersten Gegner. Dann brach der Krieg aus. Viele Texaner ritten damals in den Krieg, obwohl sie keine Sklavenhalter waren – jedenfalls nicht die Rinderzüchter. Chris Benteen wurde schnell befördert, nicht nur wegen seiner Tapferkeit, sondern auch weil er gebildet war. Denn seine Eltern hatten dafür gesorgt. Er konnte Männer führen. Und so gelangte er eines Tages als Lieutenant zu Colonel Hardin in dessen Regiment. Colonel Hardin war eigentlich kein Colonel mit üblicher militärischer Laufbahn. Aber er hatte aus eigenen Mitteln ein Regiment aufgestellt, es ausgerüstet und beritten gemacht. Er konnte sich das als reicher Plantagenbesitzer und Herr über vierhundert Sklaven leisten. Und es war üblich, dass solche Patrioten den Rang von Colonels erhielten. Chris Benteen wurde sein bester Offizier und erhielt schnell den Rang eines Captains. So ritten sie an der Spitze des Regiments durch alle Höllen des Krieges und wurden
Freunde. Und manchmal erzählte Clay Hardin von seiner schönen Frau Clementine. Und jetzt reitet Benteen auf der Fährte ihrer Entführer. In ihm ist ein tiefes Bedauern und böser Zorn zugleich, und er weiß längst, dass der Krieg tausendfach solche Ungerechtigkeiten geschaffen hat. Chris Benteen ist ein großer, hagerer Mann von jetzt achtundzwanzig Jahren. Doch er wirkt etwas älter, wie alle Soldaten, die den Krieg überstanden. Denn sie alle waren in der Hölle, weil sie töten mussten. Und dennoch besitzt Christopher Benteen zwei Seiten, eine nämlich, auf der dieser verdammte Krieg seine Spuren von Härte und Misstrauen hinterlassen hat – und eine andere, die so gern frei, lebenslustig und fröhlich sein möchte. Letzteres hat er immer wieder verdrängen müssen. Doch sie ist noch vorhanden. Es gab auch Frauen rechts und links seines langen Weges. An einige erinnert er sich gern, an andere weniger. Und alle musste er verlassen, um zu reiten und zu kämpfen. Doch dann sah er zum ersten Male das Bild von Clementine Hardin. Und jetzt trägt er es in der Tasche seines Feldrocks über dem Herzen. Verdammt ja, er hat sich in das Bild dieser Frau verliebt. Clay Hardin hatte ihm viel von der schönen Clementine erzählt. Und er hatte gehofft, sie nach dem Krieg als Gast kennen lernen zu können. Nun aber… Oha, er wird wie ein Bluthund auf der Fährte ihrer Entführer bleiben. Leider sind die Spuren der Bande längst verweht oder von der Witterung getilgt. Es ist keine frische Fährte, gewiss schon Wochen alt und deshalb unsichtbar geworden. Er weiß nur vom Hirtenjungen Humpy, dass die Bande nach Nordwesten will, nach Oregon oder gar bis nach Kanada hinüber – und mitten durch das Indianerland. Wann wird und kann er sie einholen? Wie viele endlose Meilen muss er reiten? Doch er kann sich gut in die Denkweise dieser Tennessee-Wölfe versetzen, in ihre Situation als Geächtete und Gejagte. Sie müssen auf verborgenen Pfaden reiten, allen größeren Ortschaften ausweichen, ständig darauf achten, nicht gesehen zu werden. Und dennoch werden sie Zeichen hinterlassen. Sie müssen sich ständig mit Vorräten versorgen. Ihre Pferde werden dann und wann neue Eisen benötigen. Und gewiss werden sie auch Beute machen müssen, wenn ihnen die Dollars ausgehen. Und noch etwas zieht er in Erwägung: Diese Exguerillas und Mordbrenner können nie lange ohne Frauen und Alkohol sein. Das gehört zu ihrem wilden Leben. Sie müssen sich immer wieder betäuben, um ihre Untaten vergessen zu können. Er wird also ihre Zeichen und Spuren finden. Doch er wird sie nicht einholen können. Erst dann, wenn sie endgültig angehalten haben, weil sie sich in Sicherheit glauben, wird er sie finden. Und das kann Monate dauern. Er weiß, dass dies sein besonderes Problem werden wird, nämlich die lange Zeit. Denn er ist so gut wie mittellos. In seiner Tasche befinden sich nur noch knapp drei Yankeedollar. Damit wird er nicht sehr weit kommen. Und seine alte Uniform wird bald so zerschlissen sein, dass sie ihm vom Leibe fällt. Eigentlich hat er nach dem Besuch von Hardins Aurora-Plantage und nachdem er der Witwe des Colonels die letzten Grüße ihres Mannes überbracht hatte, heim nach Texas
auf die Ranch reiten wollen. Denn dort lebt immer noch sein Vater und gibt es auch noch den alten, zuverlässigen Vormann. Doch die Heimkehr muss noch warten. Er will Clementine Hardin finden, deren Bild er über dem Herzen trägt und in deren Gesicht er sich verliebt hat, sodass er manchmal von ihr träumt. *** Indes Christopher Benteen also die Fährte der Tennessee-Wölfe aufnimmt, erreicht die Bande in der Nacht endlich den Missouri oberhalb der Ohio-Mündung. Es gibt hier eine kleine Stadt, deren Lichter warm und freundlich durch die schwarze Nacht leuchten und eine heile Welt vortäuschen, ja, vortäuschen. Denn gewiss wird auch diese Stadt in dem vom Krieg zerstörten Land ihre Wunden zugefügt bekommen haben. Sie halten am Ufer des mächtigen Stromes an. Jake knurrt: »Wenn wir da hinüberschwimmen wollen, dann werden wir ersaufen. Das ist ein mächtiger Strom, kein mickriger Fluss. Hier gibt es keine Furt – und selbst wenn es eine gäbe, wie könnten wir sie jetzt in der schwarzen Nacht finden?« Sie schweigen, und sie sind hungrig, sattelmüde vom langen Reiten. Überdies beginnt es zu regnen. Clementine fröstelt im Sattel. Sie hat sich endlich an das lange Reiten gewöhnt und riecht nach Pferdeschweiß, Feuerrauch, Erde und Leder wie die Männer auch. Herb Johnstone spricht nach einer Weile, indes sie so in den knarrenden Sätteln verharren: »Es muss hier eine Fähre geben, sicherlich unterhalb dieser kleinen Stadt. Reiten wir hin.« Sie reiten wieder an und bleiben am Ufer. Clementine verspürt ein ungutes Gefühl. Es ist das gleiche Gefühl, welches sie vor einigen Tagen spürte, als Jesse wieder bei ihnen war. Sie hatte dann später Herb Johnstone gefragt, ob der Junge von der Farm in die Stadt zu reiten versucht hätte. »Hat er nicht«, hatte Herb Johnstone knapp erwidert, »hat er nicht. Sie waren nicht so dumm dort auf der Farm.« Clementine hat ihm nicht geglaubt. Sie spürte, dass er log. Ihr Instinkt sagte es ihr. Und in seiner Stimme war ein zu harter Klang gewesen. Aber sie hat keine Fragen mehr gestellt. Nun spürt sie abermals Unheil. Denn wenn sie mit der Fähre über den großen Strom wollen, würden sie auf ihrer Fährte Zeugen hinterlassen. Und das würde Herb Johnstone nicht zulassen. Und so macht sie sich Sorgen um die Fährleute und weiß, dass sie machtlos ist und gewiss nichts verhindern könnte. Sie reiten unterhalb der Stadt am Ufer entlang und erreichen tatsächlich die Landebrücke der Fähre. Es gibt hier auch ein kleines Haus, aus dessen Fenstern Lichtschein fällt. Sie halten an. Herb Johnstone knurrt: »Bud, sieh dir die Fähre an. Wir warten hier.« Bud Johnstone sitzt ab und geht zur Landebrücke, an der sie undeutlich die Fähre in der schwarzen Nacht erkennen.
Sie warten auf den schnaufenden Pferden. Dann kommt Bud zurück und meldet: »Es ist eine Dampffähre, und der Kessel ist fast kalt. In der Feuerbuchse ist nur noch kalte Asche. Die haben das Feuer schon vor Anbruch der Nacht ausgehen lassen. Was nun?« »Was schon«, knurrt Herb Johnstone. »Geht hinein und holt sie raus! Und wenn es da drinnen eine Frau gibt, dann soll sie uns ein gutes Abendessen machen. Ich warte hier mit Tina. Los, Jungs!« Sie gehorchen sofort, schwingen sich aus den Sätteln und gehen sporenklirrend zum Fährhaus hinüber, verschwinden darin. Die Pferde verharren im dünnen Regen mit am Boden liegenden Zügelenden. Nur Herb Johnstone und Clementine sitzen noch in den Sätteln. Sie fragt nach einer Weile heiser: »Und wie wird es diesmal sein?« Er stößt einen unwilligen Laut aus, erwidert jedoch ruhig: »Das kommt auf die Fährleute an, so wie es auf die Leute der Farm ankam. Vielleicht gibt es hier keine Steckbriefe von uns, und man kann uns deshalb nicht erkennen.« Clementine erwidert nichts, doch ihre Hände kneten das Sattelhorn. Sie fühlt sich hilflos, machtlos, kann nichts tun, gar nichts. Nur der Hass in ihrem Kern brennt noch heißer als sonst. Und einen Moment ist sie versucht, ihr Pferd anzutreiben, es in den Strom springen zu lassen. Schwimmend in der schwarzen Nacht könnte sie vielleicht entkommen. Doch sie zögert zu lange. Denn drüben kommen nun einige Männer aus dem Fährhaus. Sie erkennt im herausfallenden Lichtschein Bud und John Johnstone mit zwei Männern, welche sicherlich die Fährleute sind. Jesse und Jake bleiben im Fährhaus. Und so spricht Herb Johnstone: »Also gut, sitzen wir ab und bringen wir alle Pferde hinüber, bevor wir eintreten.« *** Als sie wenig später mit Herb Johnstone in die große Wohnküche tritt, wendet sich die Frau am Herd ihnen zu. Clementine kann erkennen, dass die Frau aufatmet, so als wiche ein Gefühl der Sorge von ihr. Herb Johnstone spricht höflich: »Ma’am, ich hoffe, wir machen Ihnen nicht zu viel Mühe. Aber wir sind sehr hungrig und müssen so schnell wie möglich über den Strom.« Die Frau sieht Herb Johnstone im Lampenschein mit schmalen Augen an. »Wir werden all Ihre Wünsche erfüllen«, erwidert sie. »Ich brate Ihnen einige Fische, die wir heute fingen. Auch Kaffee habe ich, dazu frisches Brot. Es wird eine Stunde dauern, bis genug Dampf im Kessel der Fähre ist, damit sie gegen die Strömung ankämpfen kann.« Als sie verstummt, lacht Jesse Johnstone, der mit Jake am Tisch sitzt und sich aus einer Flasche einen Drink eingießt. Und Jake grinst böse. Er ist es dann, welcher spricht: »Machen wir uns nichts vor. Sie wissen Bescheid, haben uns sofort erkannt. Da drüben hängen wir an der Wand.« Er deutet hinüber zur Tür, der Herb Johnstone und Clementine noch den Rücken zukehren. Aber als sie sich umwenden, da sehen sie an der Wand einige Steckbriefe hän-
gen, darunter auch ihrer, jener nämlich mit fünf gut und treffend gezeichneten Köpfen. Dann spricht Jake weiter: »Was die mit den Steckbriefen alles anrichten, diese Narren…« Er verstummt grimmig, und sogar die Frau am Herd versteht, was er meint. Denn sie ruft schrill: »Ja, so ist es! Aber wir werden schwören, dass wir euch nie gesehen haben! Niemand wird von uns erfahren, dass ihr über den großen Strom seid, niemand.« »Da sind wir sicher.« Jesse grinst und schenkt sich abermals einen Drink ein. Herb Johnstone aber knurrt böse: »Sauf nicht so viel, Jesse.« Sie setzen sich an den Tisch und warten auf das Essen. Die Frau am Herd hantiert immer fahriger. Gewiss ist sie angefüllt mit Furcht um ihr aller Leben. Herb Johnstone dreht sich eine Zigarette, raucht sie an und spricht dann ganz ruhig: »Ma’am, wir haben uns geschworen, gute Menschen zu werden. Wir sind wahrhaftig bereit dazu. Ich selbst habe es dieser Lady geschworen. Glauben Sie, Ma’am, dass ich diese Lady enttäuschen könnte?« Die Frau am Herd wendet sich ihm zu und betrachtet ihn ernst, und dann auch Clementine. Sie zögert, spricht schließlich: »O ja, sie ist eine wunderschöne Frau. Und so mancher Mann kann sich ändern für eine solche Frau.« Dann wendet sie sich wieder der großen Pfanne zu, in der die Fische braten. Ihre Bewegungen wirken nun nicht mehr so fahrig und nervös. Clementine aber sieht Herb Johnstone fest in die flintsteinharten Augen. Sie muss ihm nichts sagen, aber er kann in ihren Augen sehen, dass sie ihn noch mehr verachten wird, wenn diesen Fährleuten etwas geschieht. Er wird sich dann niemals in ihrer Einschätzung verändern können, was er danach auch tun würde. Die Frau bringt nun die Pfanne mit den Fischen auf den Tisch. Dann holt sie die Teller vom Wandregal, auch die Bestecke. Sie beginnen wortlos zu essen. Als sie fertig sind, bekommen sie Kaffee eingegossen. Herb Johnstone knurrt dann: »Geht hinaus und löst eure Brüder ab. Denen hängt der Magen sicher schon bis in die Kniekehlen. Na los!« Sie gehorchen. Nun sind Clementine und Herb Johnstone allein mit der Frau des Fährmannes. Diese hat neue Fische in die Pfanne gelegt. Man hört das Brutzeln und Zischen in der Pfanne. Herb Johnstone sieht fest in Clementines Augen. Dann blickt er zu der Frau am Herd hinüber. »Ma’am, Sie haben es richtig gesagt. Eine schöne Frau kann einen Mann verändern. Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Mann und den Fährgehilfen so beeinflussen können, dass sie uns wirklich nicht gesehen haben?« Die Frau wendet sich um und vergisst die Fische in der Pfanne. Sie hebt beschwörend die Hand. »Sir«, spricht sie heiser, »ich kann das versprechen. Sie werden auf mich hören und Ihnen dankbar sein bis an unser Lebensende.« »Gut«, nickt Herb Johnstone. Dann kommen Jesse und Jake herein. Weil die Fische noch nicht gut genug gebraten sind, stillen sie ihren Hunger mit dem frischen Brot und gießen Kaffee in ihre Hälse. Sie essen gierig wie hungrige Wölfe – und so ist es mehr ein Fressen. Clementine sieht immer wieder über den Tisch hinweg in Johnstones flintsteinharte Augen. Und plötzlich glaubt sie, dass dieser Mann den Leuten hier nichts antun wird. Ja,
er wird seine vier Neffen davon abhalten. Und so ist tief in ihr ein ungläubiges Staunen. Könnte es sein, dass sich dieses zweibeinige Raubtier wirklich ändern will? *** Eine gute Stunde später weiß sie es. Sie sind mit der Dampffähre in der schwarzen Nacht auf der anderen Seite des großen Stromes, und es ist fast wie ein Wunder, dass die erfahrenen Fährleute die Landebrücke auf der Westseite finden konnten. Sie lassen die Fähre wieder hinüber auf die andere Seite dampfen. Nun hat sie die Lichter der Stadt als Ziel und wird die Landebrücke leichter finden. Das Dampfhorn der Fähre tutet dreimal, und sie wissen, dass dies ein Zeichen für die Frau im Fährhaus ist und ihr die Furcht nehmen soll. Jesse ruft ziemlich böse: »Ob das richtig war, Onkel Herb, verdammt!« »Das wird sich finden«, erwidert dieser. Dann reitet er an. Sie folgen ihm in die schwarze Regennacht. Die Lichter der Stadt auf der anderen Seite – fast ein halbe Meile entfernt – bleiben immer mehr zurück. Sie reiten nun auf dem Wagenweg nach Westen. Denn die Nacht ist zu schwarz. Sie können bis zum Tageslicht keinen abseitigen Pfaden folgen. Clementine reitet wieder dicht neben Herb Johnstone. Ihre Steigbügel berühren sich manchmal. Nachdem sie eine gute Meile durch den Regen geritten sind, fragt er zu ihr hinüber: »Nun, Tina? Glaubst du jetzt, dass ich mich ändern will? Es ist ein riesengroßes Wagnis für uns Johnstones. Ist dir das bewusst? Vielleicht haben wir morgen schon ein starkes Aufgebot aus der Stadt, deren Namen wir nicht mal kennen.« »Ja, ich sehe in weiter Zukunft ein Licht«, erwidert sie. »Aber ich habe keinen Anlass, dir zu danken für deine Großmut. Du hast nur etwas getan, was dir im Jenseits als eine gute Tat angerechnet werden wird.« Er erwidert nichts. Aber er reitet nun noch etwas schneller. Es ist ja klar, dass sie die ganze Nacht in den Sätteln bleiben müssen, für den Fall, dass ihnen ein Aufgebot folgen sollte. Hinter ihnen ruft Jesse einmal: »Ich wette darauf, dass die Fährleute uns verraten. Wer hält dagegen?« Aber keiner der drei anderen Brüder erwidert etwas. Nur Herb Johnstone wendet sich im Sattel und ruft zurück: »Ich halte dagegen, Jesse. Und wenn ich gewinne, wirst du einen Pferdeapfel fressen!« *** Es ist vier Tage später, als sie den St. Francis River erreichen. Sie reiten noch einige Meilen, nachdem sie abseits der Furt den Fluss mit ihren Pferden durchschwammen. Sie sind nun alle nass und schlagen auf einem Hügel das Camp auf, um sich in der Sonne zu trocknen. Zugleich können sie von hier aus über viele Meilen ihre Fährte beobachten. Sie sind ja nun schon den vierten Tag seit jener Nacht unterwegs, da sie mit der Fähre über den Mississippi fuhren. Die Fährleute haben also offenbar ihren Schwur gehalten –
oder besser gesagt: Die Frau hatte genug Einfluss auf die beiden Männer. Sie bereiten sich ein Frühstück. Jake brät Pfannkuchen mit Speck, kocht Kaffee. Dann ruhen sie aus. Sie sind lange und hart geritten in den vergangenen Tagen und Nächten. Clementine Hardin legt sich etwas abseits zur Ruhe und schläft schnell ein. Die Männer aber hocken noch eine Weile am Feuer. Schließlich sage Jesse: »Uns fehlt eine Menge Geld. Wir sind blank. Und nicht mal genug Proviant für ein langes Reiten haben wir. Onkel Herb, es ist nicht so einfach, plötzlich ein guter Mensch zu sein, wenn man auf der Flucht und völlig abgebrannt ist. Wir müssen etwas tun.« »Was wir schon immer getan haben«, brummt Bud Johnstone. »Ich mache dir einen Vorschlag, Onkel Herb. Lass mich mit Jesse für einige Tage am Wagenweg reiten. Wir werden schon jemanden finden. Du kannst ja deiner schönen Tina sagen, dass wir irgendwelche Freunde in einer kleinen Stadt besuchten, die uns weiterhelfen würden.« Herb Johnstone blickt dorthin, wo Clementine schläft. Dann denkt er einige Atemzüge lang nach und nickt schließlich. »Es geht wohl nicht anders«, murmelt er. »Wir müssen noch Tausende von Meilen reiten und dürfen keine Fährten hinterlassen, keine Augenzeugen – nichts. Denkt nur daran, Jungs.« Bud und Jesse grinsen wortlos. Aber in ihren Augen flackert es gierig. Dann murmelt Bud: »Das machen wir schon, Onkel Herb. Keine Sorge.« Und so kommt es, dass Bud und Jesse weg sind, als Clementine am Nachmittag erwacht, weil sie das Camp abbrechen und sich fertig machen zum Weiterreiten. Als sie dann unterwegs sind und sie wie immer neben Herb Johnstone reitet, da sagt dieser ruhig: »Bud und Jesse besuchen Freunde, die uns gewiss unterstützen werden. Denn wir brauchen Geld. Man kann nicht fünftausend Meilen bis hinauf nach Oregon reiten ohne Ausrüstung, Proviant und Geld.« Sie sieht ihm fest in die Augen und spürt instinktiv, dass er lügt. Aber was kann sie schon tun? Als sie sich das fragt, steigt wieder einmal mehr das Gefühl von Hoffnungslosigkeit in ihr hoch, und sie weiß nicht, wie lange sie dagegen noch wird ankämpfen können. Die Bande zieht eine einsame und stets verborgene Fährte, meidet alle Ortschaften und selbst die kleinsten Siedlungen, Farmen und Wagenwege. Man kann sie höchstens aus der Ferne dann und wann nach Nordwesten reiten sehen und wird niemals wissen, wer sie sind. Also wird sie nie auf Hilfe hoffen können. Sie gehört Herb Johnstone. Manchmal fragt sie sich, ob sie sich an diesen Zustand eines Tages so sehr gewöhnen wird, dass sie Herb Johnstone immer willenloser gehört. Es wird ihr dann wie vielen Frauen auf dieser Erde ergehen, die mit Männern leben, für die sie nur Verachtung empfinden, ja sogar Hass – und dennoch nicht von ihnen loskommen, so als wären sie auf ewig ihre Gefangene. Denn das gibt es auf dieser Welt. Irgendwann erlischt jeder Widerstand. Man ergibt sich und will nur noch am Leben bleiben. *** Sie durchqueren in den nächsten drei Tagen das Pine-Ridge-Land und müssen sich oft � mühsam den Weg durch die Nadelwälder suchen. Das Leben unter freiem Himmel sieht �
man ihnen immer mehr an. Clementine sehnt sich nach einem heißen Bad. Sie glaubt, dass sie gegen den Wind stinkt, so wie die Männer. Am Abend des dritten Tages erreichen sie den Gasconade River und schlagen das Camp auf. In einem Tümpel, in welchem vom letzten Hochwasser noch einige Fische blieben und leicht zu greifen sind, fangen sie sich das Abendessen. Als die Männer die Fische an dünnen Stecken zu braten beginnen, da sagt Clementine zu Herb Johnstone: »Ich muss baden. Ich kann mich nicht mehr riechen.« Mit diesen Worten geht sie davon. Die Männer sehen ihr nach. »Du hast es gut, Onkel Herb«, knurrt John dann. »Die macht sich schön für dich. Verdammt, auch wir hätten gerne mal eine Frau für eine Nacht. Sind wir denn Eunuchen? Warum reiten wir nicht mal in eine kleine Stadt?« »Weil unsere Fährte dann wieder einen neuen Anfang bekommt«, erwidert Herb Johnstone ruhig. »Und wenn es euch tröstet, dann sage ich euch, dass ich Tina schon lange in Ruhe lasse. Sie ist einem Zusammenbruch nahe. Das lange Reiten zerbricht sie immer mehr.« Vielleicht hätten sie noch eine Weile diskutiert, doch dann hören sie den Hufschlag einiger Pferde. Reiter nähern sich den Camp im Schein der Abendsonne. Sie springen am Feuer auf, vergessen die bratenden Fische und greifen zu den Waffen. Doch dann hören sie die Stimme von Bud rufen: »Wir sind es nur! Empfangt uns nur nicht mit heißem Blei!« Sie kommen nun herangeritten und haben zwei hoch beladene Packpferde bei sich. Jesse lacht zufrieden. »Da sind wir wieder. Eure Zeichen waren nicht zu übersehen. Wir konnten eurer Fährte gefahrlos folgen, weil ja nur wir unsere Zeichen kennen. Wo ist denn die schöne Tina?« »Die badet«, erwidert Jake nur. Dann aber fragt John: »Was habt ihr mitgebracht?« »Alles was wir brauchen – auch Geld, Yankeedollars.« Bud spricht es mit einem Klang von Stolz in der Stimme. »Und woher?« Herb Johnstone fragt es ruhig. Jesse lacht wieder und berichtet dann: »Da war eine Pferdewechselstation der Postund Frachtlinie am Wagenweg. Zu ihr gehörte auch ein Store. Es war dann leicht für uns in der Nacht. Wir haben den Store ausgeräumt. Es fehlt uns die nächsten Wochen an nichts.« Nach diesen Worten schweigen sie, laden aber die Packlasten ab. Herb Johnstone stellt auch keine Fragen mehr. Er weiß zu gut, was mit den Stationsleuten geschehen ist. Etwas später kommt Clementine Hardin ans Feuer. Sie hat wirklich gebadet, aber sie trägt ihr altes Zeug. Bud empfängt sie mit den Worten: »Schöne Tina, wir haben auch für dich einige Schätze mitgebracht. Du kannst dich neu einkleiden, so wie wir alle!« Sie erwidert nichts. Doch ihr ist klar, dass die beiden Kerle nichts geschenkt bekamen. Und abermals steigt die Hoffnungslosigkeit in ihr hoch.
Und so denkt sie bitter, indes sie am Feuer verhält: Vielleicht hätte ich mich im Fluss ertränken sollen. Dabei sieht sie Herb Johnstone an und erkennt nichts anderes als Härte in seinen Augen. *** Eigentlich hat der Ex-Captain Chris Benteen in diesen Tagen die gleichen Probleme wie die flüchtenden Tennessee-Wölfe. Es fehlt ihm an Ausrüstung für das lange Reiten, also auch an Geld. Denn er könnte ja in jeden Ort reiten und dort Einkäufe tätigen – wenn er nur Geld genug hätte. Doch er besitzt nun nur noch einen Dollar und zwanzig Cents. Wieder einmal fragt er sich, ob er die Verfolgung nicht aufgeben soll. Denn er fällt gewiss immer mehr zurück. Der Vorsprung der Bande wird immer größer. Das kann gar nicht anders sein. Er selbst reitet ja auf gut Glück nach Nordwesten und kann nur hoffen, dass dies auch der Weg der Bande ist und dass er irgendwo und irgendwann auf deren Fährte stoßen wird, auf Zeichen, die sie hinterlassen hat. Und so gelangt er eines Tages – es sind nun länger als drei Wochen vergangen – zu der Fähre, mit der damals die Tennessee-Wölfe übersetzten. Wenn er hinüber will, wird ihn das einen halben Dollar kosten. Er denkt wieder an jene Clementine, deren Bild er in der Brusttasche tragt. Und so wird ihm wieder einmal bewusst, dass er nicht aufgeben kann. Sie ist entführt worden. Von dem, was jener Humpy ihm erzählte, glaubt er jedes Wort. Und überdies übt dieses Bild von Clementine, welches er ja in der Brusttasche fast über seinem Herzen trägt, eine starke Zauberkraft auf ihn aus. Und so denkt er immer wieder: Und wenn ich bis zum Nordpol reiten muss, ich will sie finden. Als er vor dem Fährhaus hält, tritt dort die Frau heraus und betrachtet ihn forschend. Er erwidert ihren Blick und greift an die Hutkrempe. »Ma’am, sind hier vor einiger Zeit – es könnte drei Wochen her sein – fünf Reiter mit einer schönen Frau auf der Fähre hinüber?« Nun wird ihr Blick noch forschender und schärfer. Er kann fast körperlich spüren, wie sehr diese Frau ihn prüft und ihr Instinkt in ihn einzudringen versucht. Dann fragt sie: »Können Sie diese fünf Reiter beschreiben?« Er schüttelt den Kopf. »Die habe ich nie gesehen. Doch von der Frau habe ich ein Bild bei mir. Das kann ich Ihnen zeigen.« »Dann sitzen Sie ab und kommen Sie herein.« Er gehorcht, tritt ein in die große Gaststube des Fährhauses, greift in die Brusttasche seines zerschlissenen Uniformrocks und holt das Bild hervor. Sie betrachtet es lange. Dann fragt sie: »Ist das Ihre Frau?« »Nein, es ist die Frau meines einstigen Kommandeurs, Colonel Hardin. Ich wollte ihr die letzten Grüße ihres verstorbenen Mannes überbringen. Das trug er mir sterbend auf. Aber sie wurde entführt. Nun bin ich hinter der Bande her.« Sie nickt. Dann deutet sie auf die Wand neben der Tür, der er noch den Rücken zugewandt hat.
»Da hängen sie an der Wand«, spricht die Fährmannsfrau spröde. »So sehen sie aus. Der Zeichner hat sie gut getroffen. Ich kann Ihnen den Steckbrief mitgeben. Der Sheriff in der Stadt hat noch mehr davon. Wollen Sie etwas essen?« »Ich habe nur noch einen Dollar und zwanzig Cent, Ma’am«, erwidert er. »Was kostet die Überfahrt?« »Für Sie nichts«, erwidert sie. Noch einmal betrachtet sie ihn von oben bis unten. Dann fragt sie: »Und was wird sein, wenn Sie die Kerle mit der Entführten eingeholt haben? Der Vorsprung dieser Bande ist sehr groß.« »Irgendwann werde ich sie eingeholt haben«, erwidert er. »Dann werden wir sehen…« Sie deutet auf einen Platz am großen Tisch, als er verstummt, ohne den Satz zu beenden. »Setzen Sie sich. Ich bringe Ihnen sofort das Essen auf den Tisch und erzähle Ihnen, wie es ablief, als die Bande hier war. Sie hätten uns getötet, wenn wir nicht geschworen hätten, dass wir sie niemals gesehen haben. Ich glaube, dass der Anführer uns am Leben ließ, weil die schöne Frau einen Einfluss auf ihn ausübte. Er wollte gewiss nicht noch mehr von ihr verachtet werden. Ja, das denke ich mir.« Doch Chris Benteen setzt sich noch nicht. Er tritt erst an die Wand neben der Tür und betrachtet die Steckbriefbilder, prägt sich die Gesichter ein. Es wird nicht schwer sein, die Johnstones irgendwo zu erkennen. Denn die vier Brüder sind sich sehr ähnlich. Nur ihr Onkel unterscheidet sich von ihnen, weil er ja gut zwanzig Jahre älter sein muss. »Ich gebe Ihnen den Steckbrief mit«, wiederholt die Frau ihr Versprechen von vorhin, und so setzt sich Benteen endlich und bekommt wenig später ein gutes Essen, welches die Frau für sich und die Fahrmänner gekocht hat. Es ist zwei Stunden später, als die Fähre ablegt und Chris Benteen hinüber zum Westufer bringt. Benteen ist jetzt neu eingekleidet und bestens mit Vorräten ausgerüstet für ein langes Reiten. Aber als ihm der Fährmann auch noch zwanzig Dollar anbietet, da will er ablehnen. Doch der Fährmann sagt: »Wir hatten die ganze Zeit Schuldgefühle und spüren diese immer noch. Denn wir hielten unseren Schwur damals und verrieten die Bande nicht, sodass niemand erfuhr, dass sie jetzt schon westlich des Mississippi reitet. Wir fürchteten zu sehr um unser Leben. Es stand alles auf des Messers Schneide. Wir schämten uns dann sehr und tun es immer noch. Dass wir Ihnen jetzt eine kleine Hilfe geben, lindert etwas unsere Scham. Also nehmen Sie alles. Und viel Glück.« Dies sind die Worte des Fährmanns. Als Benteen auf der anderen Flussseite seinen Ritt fortsetzt, denkt er immer wieder daran und weiß, dass die Bande den Fährleuten hier eine Höllenangst eingejagt haben muss. Aber er ist ihnen sehr dankbar. Er kann die Verfolgung nun fortsetzen, ohne sich für die nächste Zeit Sorgen zu machen. Als es Nacht wird, sieht er in der Ferne die Lichter einer Pferdewechselstation der Postlinie. Er reitet darauf zu, und er weiß, dass die Bande gewiss abseits des Wagenwegs geritten ist. Aber die Richtung wird die nach Nordwesten gewesen sein, nach Kansas also. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass die Bande drei Wochen Vorsprung hat und stellt Überle-
gungen an, wie er diesen Vorsprung aufholen kann. Und da gibt es für ihn nur eine Möglichkeit, die zugleich allerdings ein großes Risiko ist, falls die Bande ihre Fluchtrichtung ändern sollte. Doch er will es wagen und die nächste Postkutsche nehmen, wenn er auf der Station dort für Pferd und Sattel einen guten Preis erhält, sodass er sich für das Geld irgendwo wieder ein Pferd mit Sattel kaufen kann. Aber diese Overland-Kutschen sind die einzige Möglichkeit, aufzuholen. Sie wechseln alle dreißig Meilen ihre Gespanne und fahren auch in den hellen Nächten. Ja, er könnte gewaltig aufholen. Nur die Richtung muss stimmen. Er will es wagen. *** Es ist am Abend des nächsten Tages und beim vierten Gespannwechsel bei der Conelly Station, als sich die Passagiere etwas die Füße vertreten und auch einen kleinen Imbiss einnehmen. Sie hören vom Stationsgehilfen, der es sichtlich genießt, mit anderen Menschen plaudern zu können, dass die Station vor etwa zwei Wochen überfallen und ausgeraubt wurde. Dabei wurden die alten Stationsleute getötet. Die jetzigen Stationsleute sind erst gut zwei Wochen hier. Benteen hört das alles und weiß ziemlich sicher, dass er noch auf der richtigen Fährte ist. Und so beschließt er, nochmals hundertzwanzig Meilen mitzufahren und sich dann erst wieder beritten zu machen. Die Kutsche fährt bald darauf weiter, obwohl es Nacht wurde. Doch es wird eine helle Nacht. Und der Wagenweg ist gut. Sie durchfurten in der hellen Nacht noch den Osage River und werden bei Tagesanbruch Jefferson City erreichen. Von da aus geht es weiter nach Kansas City. Und dann? Immer wenn Benteen sich das fragt, da weiß er, dass es auf sein Glück und auf den Willen des Schicksals ankommen wird. Denn stets spielt das Schicksal mit den Menschen und bestimmt deren Wege, hält Glück oder Unglück für sie bereit, so als wären ihnen schon von Geburt an die Karten in diesem Spiel des Lebens zugeteilt worden. Benteen bleibt auch noch in der Kutsche, als diese am nächsten Tag weiter nach Kansas City fährt. Er weiß, dass dies ein großes Wagnis ist, aber seiner Meinung nach muss die Bande an Kansas City vorbei nach Nordwesten, mitten durch das Indianerland und über die gewaltige Büffelweide, auf der die Büffeljäger die friedlichen Tiere zu Tausenden wegen ihrer Häute abknallen. Und immer wieder denkt Benteen an Clementine Hardin und fragt sich, wie sie das lange Reiten überhaupt überstehen kann. Vielleicht ist sie schon total zerbrochen und krank. Manchmal holt er ihr Bild hervor, betrachtet es und denkt oder murmelt dann: »Ich komme, Clementine, ich komme. Halte durch. Irgendwann bin ich bei dir. Und dann…« Er hat auch eine leichte Hoffnung, dass sich die Bande in Kansas City nicht mehr so ab-
seits hält. Kansas City ist jetzt das große Ausfalltor nach Westen und Norden. Von hier aus ziehen die Wagenzüge los – und hierher bringen die Büffeljägermannschaften auf hoch beladenen Wagen die stinkenden Häute zum Flusshafen Westport. Kansas City ist der Anlauf- und Ausgangspunkt für die Guten und Bösen, die Reinen und die Sündigen. Und auch der ganze Abschaum des Krieges sammelt sich hier. Deshalb ist es möglich, dass sich die Johnstones schon hier zeigen werden, nicht mehr eine Geisterfährte ziehen. Er kennt ja jetzt ihr Aussehen. Selbst wenn sie sich getrennt unter die Menschen wagen, wird er sie erkennen. Er hat sich ihre Gesichter für immer eingeprägt und trägt ihren Steckbrief in der Tasche. *** Als die Johnstones mit Clementine Hardin Kansas City erreichen, ist sie total zerbrochen, richtig krank und entkräftet. Sie wäre jetzt nicht in der Lage, jemanden um Hilfe zu bitten oder eine Flucht zu wagen. Vor einem Hotel hebt Herb Johnstone sie aus dem Sattel und trägt sie hinauf auf ein Zimmer, welches zufällig frei wurde, weil der bisherige Gast auf dem Marktplatz von einem Büffeljäger erschossen wurde, da er ein fünftes Ass ins Spiel brachte. Herb Johnstone legt die halb bewusstlose Frau vorsichtig aufs Bett, verharrt dann und blickt auf sie nieder. Dabei verspürt er tatsächlich tief in sich ein Gefühl des Bedauerns und des Mitleids. Er ist selbst überrascht über dieses Gefühl, sagt es ihm doch, dass ihm Clementine Hardin etwas bedeutet, ja, dass er sie vielleicht richtig liebt. Er spricht leise auf sie nieder: »Ich ziehe dich jetzt aus. Dann kannst du zwei Nächte und zwei Tage schlafen, ausruhen.« Aber sie hört es nicht mehr, spürt auch nicht, dass er sie entkleidet und dann sorgfältig zudeckt. Als er auf die Straße tritt, warten dort seine vier Neffen, und sie wirken gierig und hungrig wie vier Wölfe nach einem langen Blizzard. Bud sagt: »Nun, was ist? Können wir jetzt losziehen? Verdammt, wir wollen endlich mal ein paar dicke Weiber stemmen und nachholen, was wir versäumten und entbehren mussten. He, Onkel Herb, wir sind Männer, die was loswerden wollen!« Als Bud verstummt, setzt Jesse fort: »… und keine Eunuchen, verdammt!« »Haut ab«, knurrt Herb Johnstone. »Aber bleibt nicht zusammen. Jeder sieht sonst zu leicht, dass ihr Brüder seid. Und unsere Steckbriefe hängen gewiss auch hier in Kansas City aus. Haut ab und holt euch bei den Weibern nicht die böse Krankheit.« Er kehrt wieder ins Hotel zurück. Die Johnstone-Brüder aber stoßen Jauchzer aus und reiten weiter in die Stadt hinein. Es ist später Nachmittag, fast schon Abend. Sie reiten zum Mittelpunkt der wilden Stadt, halten dann am Rande des Marktplatzes an und staunen. »Heiliger Rauch«, stöhnt Jake, »seht euch das an!« Was sie sehen, ist ein Gewimmel. Sie erblicken Büffeljäger, Trapper, Rinderleute, Frachtfahrer, Flussschiffer – und all die anderen Sorten, zu denen auch der ganze Abschaum der Grenze und des Krieges gehört. Da und dort hocken auch Pokerrunden auf Decken am Boden.
Und Mädchen streichen wie Katzen umher. Es gibt auch Feuer- und Degenschlucker, Tänzerinnen auf dem Seil. Und vor einem bunten Kastenwagen ist ein Stand aufgebaut, auf dem grüne Flaschen stehen. Ein kleiner Mann mit einem Zylinder auf dem Kopf ruft immer wieder mit Fistelstimme: »Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, dann nimm Doc Justins Wundergeist! Die Flasche mit der Wundermedizin kostet nur zwei Dollar!« Die Johnstone-Brüder stellen ihre Pferde mitsamt der beiden Packtiere an einen Haltebalken, der von einem rotköpfigen Jungen bewacht wird. Der Junge sagt: »Für einen Dollar pro Tier bewache ich alles vierundzwanzig Stunden, sorge mit meinem Bruder auch für Wasser und Heu.« Sie grinsen. Jesse sagt: »Aus dir wird mal ein erfolgreicher Geschäftsmann, Rusty!« Und sie sitzen ab und zahlen. Dann aber trennen sie sich und stürzen sich ins Getümmel. Sie sind wie in einem gierigen Rausch. Endlich können sie sich austoben und all den Sünden nachgehen, die es hier zu kaufen gibt… Herb Johnstone aber lässt sich im Hotel vom Hausneger eine Badewanne aufs Zimmer bringen und reichlich heißes Wasser heranschaffen. Und indes er badet, schläft Clementine wie eine Bewusstlose. *** Herb Johnstone sitzt am nächsten Tag beim späten Mittagessen im Hotel-Speiseraum, als seine vier wilden Neffen hereingeschlichen kommen, so als wären sie krank und völlig kraftlos. Doch immerhin sind sie gebadet, rasiert und haben einen frischen Haarschnitt. Dennoch sehen sie krank aus, blass unter der gebräunten Haut. Überdies haben sie alle ein merkwürdiges Grinsen im Gesicht. Als sie sich zu ihm setzen, verlassen die beiden letzten Mittagsgäste den Speiseraum, und so sind die Johnstones allein. Herb betrachtet sie nacheinander. »Ihr lasst mich bei eurem Anblick unschwer erkennen, was ihr hinter euch habt. Ich hätte nicht geglaubt, euch wie Honigkuchenpferde grinsen zu sehen. Denn eigentlich seid ihr doch hungrige Wölfe gewesen. Welchen Weibern seid ihr denn in die Hände gefallen?« Sie grinsen wieder glücklich. »Oooha, das hier ist eine Stadt…«, spricht Bud fast andächtig und mit einem Klang von Dankbarkeit. Und John spricht weiter: »Die haben hier mehr als nur ein Edelbordell. Wir waren im Venus-Paradise und…« Er wird von Jesse mit den Worten unterbrochen: »Aber erst mussten wir baden wie die alten Römer in großen Zubern. Und schöne Mädchen haben uns gewaschen, rasiert und die Haare geschnitten. Und dann erst ging es richtig los. Oooh!« Er verstummt mit einem andächtigen Stöhnen. Herb Johnstone schüttelt den Kopf. »Die haben euch wohl eine Menge von eurem Knochenmark ausgesaugt«, murmelt er. »Und jetzt habt ihr keinen Dollar mehr in der Tasche, vermute ich. Aber von mir bekommt ihr nichts. Ich behalte unsere letzten paar Krö-
ten, basta!« Doch als er endet, da grinsen sie so richtig stolz. Und Jake sagt mit diesem Stolz in der Stimme: »Falsch, Onkel Herb, ganz falsch! Wir sind reich, stinkreich. Wir besitzen jetzt ein Vermögen von mehr als zehntausend Dollar.« »Heee«, macht Herb Johnstone nur und wartet. Es ist dann Bud, welcher mit fast geflüsterten Worten zu berichten beginnt, so als hätte er Angst, dass man sie hier im Speiseraum belauschen könnte. Er beugt sich dabei weit über den Tisch und spricht: »Als sie uns im Morgengrauen aus dem Bordell rauswarfen, da kamen wir hinzu, als zwei Banditen einen Mann von der Mainstreet in diese Gasse zogen, um ihn auszurauben. Der Überfallene war ein Spieler, offenbar ein richtiger Kartenhai, der von der Spielhalle auf dem Weg zu seinem Hotel war. Sie hatten ihn schon bewusstlos geschlagen und waren dabei, ihn auszurauben. Da er seinen Geldgürtel auf dem bloßen Leib trug, hatten sie einige Mühe damit. Dann kamen wir über sie, machten sie klein und nahmen uns den Geldgürtel. Wir zählten dann hundert Hundertdollarscheine. Das sind doch wohl zehntausend Dollar – oder? Sie waren das Spielkapital des Kartenhais, denken wir, seine Reserve für ganz große Spiele ohne Limit. Denn in seinen Taschen fanden wir noch einige hundert Dollar. Onkel Herb, wir sind nun wohlhabend, nicht wahr? Und niemand hat uns gesehen. Was machen wir nun? Willst du jetzt für die schöne Tina einen Wagen kaufen?« Er fragt es zuletzt listig wirkend. Herb Johnstone betrachtet seine vier Jungs, wie er sie oft auch in Gedanken nennt, nun sehr wohlgefällig. Dann spricht er: »Die Mädchen im Bordell haben euch wohl wirklich alles abverlangt und ausgesaugt wie Spinnen. Denn sonst wäret ihr mit dem vielen Geld wieder hinein zu ihnen und hättet das ganze Hurenhaus für drei Tage und Nächte gemietet – oder?« Er verstummt grimmig. Aber sie schütteln die Köpfe. Jake sagt: »Wir dachten nur an unsere Familie, Onkel Herb. Und mit Tina sind wir doch eine Familie, nicht wahr?« Herb Johnstone erwidert nichts, doch er weiß, dass die wilden Burschen mit dem vielen Geld ein gewaltiges Fest gefeiert hätten, wären sie nicht so ausgebrannt gewesen nach dieser langen Nacht. Herb Johnstones Gedanken eilen jetzt tausend Meilen in der Minute. Und plötzlich weiß er, was zu tun ist. Und so sagt er zu seinen vier Jungs: »Vorhin waren hier zwei Wagenzugführer beim Mittagessen. Ich unterhielt mich mit ihnen, und deshalb weiß ich, wie wir unsere zehntausend Dollar vermehren können, verdreifachen oder gar zu vierzigtausend Dollar machen.« Als er verstummt, da staunen sie ihn an – und in ihren immer noch leicht benebelten Köpfen beginnt es zu arbeiten. Sie kämpfen mühsam gegen den Kater an, und es wäre kein Wunder gewesen, wenn man es in ihren Köpfen so richtig knirschen gehört hätte. Doch Herb Johnstone weiß, dass sie es niemals erraten werden. Und so sagt er es ihnen, bevor sie ihn zu fragen beginnen, wie er solch ein Wunder bewerkstelligen will. Er spricht langsam Wort für Wort: »Wir kaufen im Hafen bei den Frachtschiffen Waren ein, die in den Goldfundgebieten oben in Montana so begehrt sind, dass man sie fast mit Gold aufwiegt. Es gehen von hier aus ständig Wagenzüge hinauf, mitten durch das
Indianerland, manchmal mehr als fünfzig Wagen stark. Wir kaufen einige Wagen, laden sie voll und schließen uns einem Wagenzug an. Jeder Wagenzug ist daran interessiert, möglichst stark zu sein. Habt ihr das alles begriffen?« Sie staunen ihn an. Und so schiebt er noch etwas nach: »Wir ändern unsere ganze Lebensweise, werden redlich. Das alles ist nun der Neuanfang, von dem ich immer redete. Und niemand wird die berüchtigten Johnstones von den Tennessee-Wölfen als Frachtfahrer bei einem Wagenzug vermuten. Wir nennen uns von nun an Jackson. Und mir passt es besonders gut, dass ich Tina nun beweisen kann, wie sehr wir uns ändern können. Tina ist noch sehr schwach, muss noch schlafen, sich erholen. Wir haben Zeit genug für die Einkäufe und die Vorbereitungen für unseren großen Treck.« *** Clementine Hardin erwacht gegen Abend dieses zweiten Tages und fühlt sich ausgeruht und erholt. Doch sie verspürt einen gierigen Hunger. Dann erkennt sie, dass Herb Johnstone bei ihr am Bett sitzt und ihre Hand zwischen seinen Händen hält. Sie möchte ihre Hand wegziehen, doch sie weiß, dass ihn dies beleidigen würde. Sie gehört ihm und hat sich schon fast daran gewöhnt, etwa so wie ein Vogel an einen Käfig. Das Reiten von Tennessee nach Kansas City und das Nächtigen unter freiem Himmel hat sie zermürbt und fast willenlos gemacht. Es wird eine Weile dauern, bis sie innerlich wieder stärker werden und wieder Mut fassen wird. Sie war einfach zu erschöpft. Und so lässt sie ihre Hand in seinen Händen und hört ihn sagen: »Du kannst jetzt baden. Da steht die Wanne mit warmen Wasser. Ich habe sogar Fliederseife besorgen können. Und Unterwäsche kaufte ich, dazu noch andere Dinge, wie Frauen sie brauchen. Da auf dem Tisch steht ein gutes Abendbrot. Ich lasse dich jetzt allein. Nur eines will ich dir noch sagen: Hier beginnt unser Neubeginn, unser Anfang in ein anderes Leben. Ich will mir nun jeden Tag deine Achtung erwerben. Eines Tages – ja, ich glaube daran! – wirst du alles Böse vergessen. Und es wird dich stolz machen, mich so verändert zu haben. Du gehörst zu mir bis ans Ende unserer Tage. Begreife das und mache das Beste daraus für uns beide. Ich will dich eines Tages als glückliche Frau neben mir haben.« Er erhebt sich nach diesen Worten und geht hinaus. Aber draußen schließt er die Tür ab. Clementine setzt sich langsam auf und verharrt so einige Atemzüge lang. Sie stellt erst jetzt fest, dass sie nackt ist. Doch sie sieht Kleidung auf den beiden Stühlen, sieht die Badewanne, riecht die Fliederseife und verspürt den gewaltigen Hunger. Und so flüstert sie: »Ja, Clementine, mache das Beste aus deiner Situation. Das müssen viele Frauen auf dieser Erde. Und ich glaube, dass er sich wirklich ändern will, ja, dass er mich liebt. Aber kann ein Mann wie er überhaupt so etwas wie Liebe empfinden? Ist solch ein Mann nicht innerlich abgestorben? Er ist ein zweibeiniger Wolf. Glaubt er vielleicht gar, wenn er sich einredet, lieben zu können, sich vor der Hölle zu retten? Verdammt, ich werde nicht schlau aus ihm.« Sie erhebt sich und tritt an den Tisch, greift nach den gebratenen Hühnerschenkeln,
den frischen Biskuits, leert die Kaffeetasse und steigt dann in die Wanne. Ja, ich muss das Beste daraus machen, denkt sie. *** Zwei Tage später schließen sich die Johnstones, die sich jetzt Jackson nennen, mit vier eigenen Wagen – es sind schwere Murphy-Schoner mit Anhängern – einem Wagenzug von siebenundfünfzig Wagen an. Das nächste Ziel dieses Wagenzuges ist Fort Laramie. Von dort aus soll es auf dem so genannten Bozeman Trail weiter nach Bozeman gehen. Herb Johnstone begleitet die Wagen im Sattel. Seine Neffen fungieren als Fahrer, haben aber Sattelpferde hinter den Wagen angebunden. Auch für Clementine wird ein Sattelpferd mitgeführt. Sie wird also mit Herb Johnstone neben dem Wagenzug reiten können, wenn sie dies will. Es spricht sich schnell herum, dass sie die Frau von Herb Jackson ist. Und so wird dieser bald sehr beneidet wegen der schönen und sehr viel jüngeren Frau. Man findet es auch nicht verdächtig, dass er seine so schöne junge Frau eifersüchtig bewacht wie eine Kostbarkeit und jeden Kontaktversuch mit ihr zu unterbinden weiß. So zieht der lange Wagenzug – eine meilenlange Schlange – durch das Büffelland zum Powder River und nach Fort Laramie. Bald werden sie die gewaltigen Büffelherden sehen, das donnernde Krachen der schweren Gewehre der Büffeljäger hören und all den Häutewagen begegnen, die ihre stinkende Ladung nach Kansas City bringen. Und irgendwann werden sie auch auf Indianer stoßen. Dies ist das Land der Cheyennes, Arapahoes und Sioux. Und irgendwann wird Krieg sein. Die beiden Wagenzugführer sagen es voraus. Als Frachtfahrer machen sich die vier Johnstone-Brüder gar nicht schlecht. Man könnte fast glauben, sie hätten nie etwas anderes getan als Maultiergespanne zu lenken, denn die Wagen der Johnstones fahren achtspännig. Die Fahrer sind echte Künstler in diesem Job. *** Chris Benteen kommt nur wenige Tage später nach Kansas City, welches ja einem Ameisenhaufen gleicht, ein solcher Betrieb herrscht hier in dem Ort am großen Fluss, dem Ausfalltor nach Westen und Norden, wo für viele Menschen das Glück wartet. Jedenfalls glauben oder hoffen sie dies. Denn jetzt nach dem Krieg gibt es ja gewaltig viele Menschen, die nach einer Chance suchen. Benteen besitzt nur noch zwölf Dollar, als er sich auf die Suche nach den Johnstones macht. Denn wenn sie hier durchgekommen sind, dann muss sich gewiss jemand an die schöne Frau bei ihnen erinnern. Und er hat ja auch das Bild von Clementine Hardin. Es ist dann am zweiten Tag – er verbrachte die Nacht im Stroh des Mietstalles wie ein Dutzend anderer Männer für einen halben Dollar –, als er in einem der Hotels fündig wird.
»Ja, diese Lady war hier«, sagt ihm der Wirt. »Die hat sogar gebadet und wurde neu eingekleidet. Und der Mann hat sie streng bewacht. Wahrscheinlich war er eifersüchtig und befürchtete, sie könnte ihm weglaufen. Er hätte dem Alter nach fast ihr Vater sein können. Ja, die war hier. Sie bekamen auch Besuch von vier Männern, welche Brüder waren.« Als Benteen das hört, zeigt er dem Hotelwirt den Steckbrief der Johnstones. Der Wirt pfeift durch die Zähne und knurrt: »He, da hätte ich mir ja eine hohe Belohnung verdienen können. Aber es würde auch eine gewaltige Schießerei gegeben haben mit unserem Marshal und der Bürgerwehr. Jetzt sind sie schon einige Tage weg mit einem Wagenzug. Sie kauften vier schwere Murphy-Schoner und beluden sie mit wertvoller Fracht für das Goldland in Montana. Sie hatten eine Menge Geld bei sich. Und vor einigen Tagen wurde in einer der Gasse ein Berufsspieler überfallen und ausgeraubt. Er soll zehntausend Dollar in seinem Geldgürtel gehabt haben. Verdammt, jetzt passt einiges zusammen.« Chris Benteen hört das alles und weiß nun Bescheid. Doch einen Wagenzug kann ein Reiter einholen. Denn der Weg nach Fort Laramie und dann von dort aus auf den Bozeman Trail weiter nach Montana, ist weit, sehr weit. Er fühlt sich nun ganz dicht in Clementine Hardins Nähe. Etwas später schlendert er über den belebten Marktplatz von Kansas City. Da und dort bleibt er stehen. Es gibt ja so viel zu sehen in diesem Gewimmel. Eine Weile bewundert er die Seiltänzer, dann sieht er einer Pokerpartie zu, die auf einer Büffelhautdecke im Schatten einer mächtigen Eiche stattfindet, die noch niemand zu fällen wagte wegen ihres eisenharten Holzes. Diese Eiche wirkt wie ein gewaltiger Monarch. Sie stand hier schon, bevor die ersten Weißen ins Land kamen. Dann entstand um den Riesenbaum der Marktplatz von Kansas City, welches früher Westport hieß. Chris Benteen fällt überall in der Menge auf. Er ist groß, hager, blond, ein beachtlich wirkender Mann mit stahlblauen Augen, dem man die Härte und Zähigkeit ansieht, ein Anglo-Texaner eben. Und den Revolver trägt er tief unter der linken Hüfte. Ja, er ist Linkshänder, und man sagt, dass ein Linkshänder als Revolvermann stets schneller ist als der beste Rechtshänder. Doch das mag übertrieben sein, hängt gewiss mit Legenden berühmter Revolvermänner zusammen, welche zufällig Linkshänder waren. Als er sich abwenden will, um seinen Rundgang über den Markt fortzusetzen, da tritt ein Mann zu ihm, der wie einer dieser Landsucher gekleidet ist, ein schon älterer Mann mit einem weißen Bart. Dieser Mann sieht zu ihm auf, denn Benteen ist einen ganzen Kopf größer. Die Augen des Mannes prüfen immer noch. Dann aber fragt er: »Mister, suchen Sie einen Job?« »Und wenn?« So fragt Benteen ruhig zurück. Der Graubart, dessen Erscheinung an einen dieser Pilgrimväter denken lässt, jene Puritaner, die 1620 mit der Mayflower aus England kamen und in Massachusetts einwanderten, deutet auf den Revolver an Benteens Seite. Dann spricht er: »Ich stelle eine Mannschaft zusammen, die unseren Wagenzug hinauf
nach Oregon beschützt. Wir sind Quäker, also friedliebende Menschen, und dürfen nicht töten. Doch ohne Schutz kämen wir nie in Oregon an.« »Doch – vielleicht beschützt euch der Herrgott, wenn ihr nur fleißig genug betet«, erwidert Benteen sarkastisch. »Ihr müsst nur an die Kraft eurer Gebete glauben.« Er will weiter. Doch der Mann stellt sich ihm in den Weg und spricht ruhig: »Spotten Sie nicht, mein Freund. Es ist nun mal unser Glauben, unsere Religion. Sie gestattet uns kein Töten. Aber wir wissen, dass die Bösen auf dieser Erde das ausnutzen. Also müssen wir uns beschützen lassen. Wir zahlen hundert Dollar im Monat. Und wir wollen ein Dutzend Revolvermänner anwerben. Sie sind doch einer? Ich sehe es an der Art, wie Sie Ihren Revolver tragen. Und ich kann es auch an Ihnen wittern. Sie waren im Krieg und haben schon getötet. Also könnten Sie es wieder tun, wenn es Frauen und Kinder zu beschützen gilt. Wollen Sie?« Chris Benteen staunt nun nicht mehr. Vielmehr denkt er daran, dass er nur noch zwölf Dollar in der Tasche hat und der Weg hinauf nach Montana oder gar Oregon noch verdammt weit ist. Er müsste diesen Weg ohnehin reiten. Warum soll er sich den Ritt nicht bezahlen lassen? Und so erwidert er: »Ich war Captain bei den Konföderierten. Sie könnten mich nur als Anführer dieser Schutzmannschaft anwerben für doppelten Revolverlohn.« Der Mann tritt zurück und mustert ihn noch einmal vom Kopf bis hinunter zu den Stiefelspitzen. Dann nickt er. »Also gut, Mister, Sie bekommen den Job. Wollen Sie Ihre Mannschaft nun selbst anwerben? Sie verstehen sich gewiss besser als ich auf solche Männer. Mein Name ist Joshua Morgan. Der Wagenzug besteht aus fünfundzwanzig Wagen. Dazu gehören dreißig Frauen und Mädchen, achtzehn Kinder und siebenunddreißig Männer und größere Buben. Wir sind erstklassig ausgerüstet. Die Wagen sind gut bespannt. Wir haben Ersatzmaultiere und treiben auch eine kleine Herde, die mal die Stammherde einer Rinderzucht werden soll. Wenn Sie Ihre Mannschaft beisammen haben, dann kommen Sie zwei Meilen nach Nordwesten. Dort lagert unser Wagenzug. Wir wollen morgen aufbrechen. Einverstanden?« »Einverstanden«, nickt Benteen. »Dann geben Sie mir Ihre Hand darauf. Das ist dann unser Vertragsabschluss.« Sie reichen sich die Hand. Es gibt nichts mehr zu sagen. Sie trennen sich. Und Benteen macht sich auf die Suche nach einem Dutzend Revolverschwinger, die abgebrannt sind und ins Goldland im nordwestlichen Montana wollen. Er wird es nicht schwer haben, denn es gibt hier genügend Kriegsveteranen, die das Kämpfen lernten, Männer von seiner Sorte, die nicht Banditen werden wollen, um ein paar Dollar zu bekommen. Ja, es wird leicht sein, eine Mannschaft anzuwerben. Und Menschenkenntnis hat er genug, was Männer betrifft. Am nächsten Morgen erreicht er an der Spitze von zwölf Reitern das Camp des Wagenzuges der Quäker. Die Wagenburg löst sich soeben auf. Joshua Morgan kommt auf einem Maultier zu ihnen geritten und nickt Benteen zu. »Gut, Mister«, sagt er. »Jetzt möchte ich auch Ihren Namen wissen, Captain.« »Ein solcher bin ich nicht mehr.« Benteen lächelt schmal. »Wir Rebellen des Südens haben den Krieg verloren. Mein Name ist Benteen, Christopher Benteen. Sie haben mir
also vertraut, ohne meinen Namen zu wissen.« »So ist es«, erwidert Joshua Morgan. »Was sind schon Namen, wenn man einem Mann in die Augen sieht? Wir haben unseren Küchenwagen noch stehen. In den Pfannen und Töpfen ist noch genug für Sie und Ihre Mannschaft. Sie werden unseren Zug gewiss bald eingeholt haben.« Er zieht sein Maultier herum und reitet an die Spitze der Wagenschlange. Benteen aber wendet sich im Sattel um und blickt auf die zwölf Männer. Ja, er prüft sie alle noch einmal und fragt sich, ob er sie richtig ausgesucht hat. Er konnte sich dabei nur auf seine Erfahrung mit Soldaten verlassen. Sie betrachten ihn ebenfalls prüfend. Ihre Namen hat er nun in einem kleinen Notizbuch stehen. Und es sind einige sehr fragwürdige Namen darunter. Es gibt einen Pecos, einen Brazos, einen Rusty und einen Smoky. Männer also, die ihre richtigen Namen verschweigen. Aber ihm soll es gleich sein. »Also holt euch erst das Frühstück«, sagt er. »Und macht unterwegs keine Witze über die Quäker. Haltet euch auch den Frauen und Mädchen fern. Das ist eine Warnung.« Er verstummt zuletzt hart, und sie können spüren, was von ihm ausgeht. Es ist die Härte eines Mannes, der schon durch sieben Höllen ritt und den der Krieg auf besondere Weise geprägt hat, weil er Verantwortung trug und Entscheidungen fällen musste, die er mit seinem Gewissen zu vereinbaren hatte. Ja, solch ein Mann musste durch viele Höllen. Sie reiten hinüber zum Küchenwagen, wo ein Klapptisch aufgestellt ist. Dem Koch hilft ein junger Bursche. Es gibt einen dicken Brei aus geschmortem Fleisch und Kartoffeln. Dazu Kaffee und frische Biskuits. *** Auch der Wagenzug, dem sich die Johnstones anschlossen, kommt in diesen Tagen gut vorwärts. Die Johnstones halten sich zumeist abseits für sich und suchen keine Bekanntschaften. Und noch mehr hält sich Clementine zurück. Für die Männer des Wagenzuges gilt sie als scheues Reh, welches bewacht wird von den fünf Männern wie eine Kostbarkeit oder eine Prinzessin. Einige Male in diesen Tagen und Nächten, da möchte Clementine flüchten oder sich dem Wagenboss anvertrauen, ihn um Hilfe bitten. Doch stets verspürte sie dann Furcht. Es könnte schlimm werden, ein Blutvergießen mit Toten geben. Und Herb Johnstone könnte vielleicht behaupten, dass seine schöne Frau geistig verwirrt wäre, krank also. Sie traut Herb Johnstone eine Menge zu. Sie ist immer noch davon überzeugt, dass sie Herb Johnstone nicht entkommen kann. Nur ganz tief in ihrem Kern, da brennt ein winziges Feuer, welches noch nicht stark genug ist, um ihre Verzagtheit verdrängen zu können. Dazu kommt, dass Herb Johnstone gut zu ihr ist und sie um Verzeihung gebeten hat. Einmal sagte er zu ihr: »Ich war wie ein wilder Barbar zu dir. Doch damals wusste ich noch nicht, dass ich mit dem Herzen etwas empfinden konnte. Vergib mir, Tina, und begreife und erlebe, wie sehr du mich verändern konntest. Ich werde nichts mehr von dir
verlangen, was du mir nicht freiwillig schenken willst. Aber ich bin sicher, eines Tages werde ich mir deine Achtung erringen. Du wirst mir vergeben und dann unter meine Decke kommen.« Sie denkt immer wieder an diese Worte. Aber sie kann sie nicht glauben. Und so ist sie der Meinung, dass sich die Tennessee-Wölfe nur Schafspelze umgehängt haben, die sie irgendwann und irgendwo wieder abwerfen werden. Sie fragt sich auch immer wieder, wieso sie plötzlich eine solch hohe Summe Geld besaßen, und glaubt nicht daran, dass es ein Pokergewinn war. Sie befinden sich jetzt im Indianer- und Büffelland und ziehen in diesen Tagen durch das westliche Nebraska. Sie nähern sich jeden Tag um etwa fünfundzwanzig Meilen Fort Laramie in Wyoming. Einige Male werden sie von Indianern angegriffen, die es auf ihre Maultiere abgesehen haben. Doch sonst kommen sie stetig vorwärts. Clementine sieht auch, dass sich die vier Johnstone-Brüder verändern. Die schwere Arbeit als Frachtfahrer ist offenbar eine Herausforderung für sie. Und wahrscheinlich ist es auch ihr Wunsch, sich zu verändern, die Vergangenheit zu vergessen, einen Neuanfang zu machen und sich zu bewähren. Sie behandeln Clementine immer respektvoller, so als wäre sie etwas, was ihnen hilft bei ihrer Wandlung. Und so ergibt sich Clementine Hardin mehr und mehr der Realität und findet nicht mehr die Kraft, etwas zu wagen. Denn eines weiß sie: Wenn sie die Flucht ergreift und Herb Johnstone sie wieder einfangen kann, dann wird sich sein Verhalten wieder verändern. Dann wird er wieder zum Barbaren werden, dem sie gehört wie eine Beute. Der Wagenzug erreicht irgendwann Fort Laramie, aber sie fahren daran vorbei. Denn es gibt ein Gerücht, dass die Armee den Wagenweg sperren will, weil der ganz große Indianerkrieg jeden Tag ausbrechen kann, da es Friedensverhandlungen gab, die abgebrochen wurden, als ein gewisser Colonel Carrington mit tausend Mann den Bozeman Trail hinaufzog, um längs des Wagenwegs Forts zu errichten. Die Roten sind wild wie Hornissen, auf deren Nest man schlug. Und so will der Wagenzug schnell noch durch. Clementine findet also auch jetzt keine Gelegenheit zur Flucht, obwohl sie im Fort gewiss Hilfe gefunden hätte. Außerdem ist Herb Johnstone ständig bei ihr, lässt sie nicht mehr aus den Augen. Sie reiten an der Spitze des Wagenzuges. Einmal fragt er: »Wenn du gekonnt hättest, Tina, mein Augenstern, würdest du mich verlassen haben?« Sie wendet sich im Sattel um und blickt zurück zum Fort, welches nun schon eine Meile südöstlich hinter ihnen liegt. Was soll sie erwidern? Dies fragt sie sich. Erst nach einer Weile spricht sie: »Ich habe mich daran gewöhnt, in deiner Hand zu sein, Herb Johnstone.« »Du wirst es nicht bedauern«, erwidert er. »Denn ich werde bald ein sehr erfolgreicher Mann sein – und das ganz friedlich in Oregon. Denn wir bleiben nicht in Montana und werden dort auch nicht nach Gold suchen. Wir gehen nach Oregon und bauen dort etwas auf, was großartig sein wird. Das schwöre ich dir, Tina.«
Sie erwidert nichts. Was sollte sie auch erwidern? Aber tief in sich verspürt sie das Gefühl einer Verlorenheit. Sie denkt an ihre Plantage, wo sie allein war. Auch dort war sie verloren. Dann aber kamen die fünf letzten Tennessee-Wölfe. Und nun… Sie weiß nicht, was kommen und sein wird. Vielleicht wird sie Herb Johnstone für immer gehören und muss sich ihm bald ganz und gar ergeben. Sie weiß es nicht. *** Chris Benteen hat in den ersten Tagen einige Mühe mit seiner Mannschaft. Denn er hat es mit Revolverhelden zu tun, so genannten Revolverschwingern, wie sie auch genannt werden. Diese Burschen glauben stets an ihre schnellen Colts und kennen keine Disziplin wie zum Beispiel Soldaten. Und so gibt es einige von ihnen, die sich in den Nächten in die Wagenburg schleichen. Sie selbst nächtigen nämlich außerhalb der Wagenburg. Das wollte Benteen so. Denn unter den Frauen und Mädchen der Quäkergemeinde sind einige hübsche Vertreterinnen ihres Geschlechts. Und obwohl sie alle nicht herausfordernd gekleidet sind, sondern ihre Reize unter züchtiger Kleidung verbergen, auch Kopfhauben tragen, sieht man an ihren Bewegungen, wie jung und lebendig sie sind. Und so passiert es schon in der dritten Nacht, als eine Mädchenstimme um Hilfe ruft, weil ein Mann sie unter dem Wagen – wo sie in Decken lag – besuchte. Aber alle, welche vom Hilferuf alarmiert wurden, kamen zu spät. Der Bursche ist weg, verschwunden aus der Wagenburg nach draußen in die finstere Nacht. Sie finden Mary Lou dann keuchend und im Gesicht blutend mit heruntergerissenem Nachtzeug. Jemand brachte eine Laterne. »Er hat mich ins Gesicht geschlagen und mir gedroht, dass er mich umbringen würde, wenn ich ihn nicht gewähren ließe«, keucht Mary Lou. »Er hielt mir dann den Mund zu, aber ich konnte kräftig zubeißen. Ja, er muss eine blutende Wunde an der Innenhand haben. Und ich konnte um Hilfe rufen, als er vor Schmerz seine Hand wegnahm.« Nachdem sie dies alles voller Erregung hervorgestoßen hat, beginnt sie zu weinen. Die Versammlung aber schweigt. Dann wendet sich Joshua Morgan an Chris Benteen, welcher ebenfalls herbeigeeilt ist: »Mr Benteen, dies ist wohl nun Ihre Sache – oder? Ich denke, dass dieser Kerl einer Ihrer Männer war, den Sie angeworben haben. Es darf nicht sein, dass unsere Frauen und Mädchen…« »Schon gut, Mr Morgan«, unterbricht ihn Benteen. »Sie haben Recht, es darf nicht sein. Ich erledige das auf der Stelle.« Er wendet sich ab und verlässt die Wagenburg. Das Feuer der Revolvermannschaft glüht nur ein halbes Hundert Schritte entfernt beim Seilcorral ihrer Pferde.
Die Maultiere des Wagenzuges werden auf der anderen Seite der Wagenburg von Nachtreitern bewacht, ebenso die kleine Rinderherde. Benteen wirft einige trockene Fladen Büffeldung ins Feuer, sodass Flammen züngeln und die schwarze Nacht erhellen. »Kommt hoch, verdammt, kommt hoch!« So ruft er, und in seiner Stimme schwingt beherrschter Zorn. Sie kommen alle hoch und verharren wachsam. Er ist überzeugt, dass sie Bescheid wissen. Denn der Hilferuf von Mary Lou war weit und deutlich zu hören. Nun verharren sie also wie ein Wolfsrudel, welches auf die Strafe des Leitwolfs oder der Leitwölfin wartet. Benteens Stimme klingt trügerisch ruhig und fast lässig. Er sagt: »Nun gut, einem von euch wurde in die Hand gebissen. Muss ich mir erst von allen die Hände zeigen lassen oder meldet sich der Hurensohn freiwillig?« Eine Weile herrscht Schweigen. Dann tritt jener hervor, den sie Blinky nennen. Er ist ein hübscher, junger und verwegen wirkender Bursche, an dessen Revolverkolben einige Kerben sind. Er stößt trotzig hervor: »Sie hat mir schon vom ersten Tage an schöne Augen gemacht und mich angelächelt. Da habe ich es halt versucht. Was ist schon dabei? Diese Mädchen juckt es doch. Die wollen doch alle endlich mal geknackt werden. Ja, sie hat mir in die linke Hand gebissen, verdammt!« Er hebt die Linke hoch. Im Feuerschein erkennen sie alle die blutende Wunde. Als er die blutende Hand wieder senkt, klingt Benteens Stimme hart. »Nun gut, Blinky. Deine Linke ist nicht deine Revolverhand. Du trägst jetzt auch immer noch deinen Revolver, so schnell bist du unter deine Decke gekrochen. Jetzt zieh ihn! Du hast nur diese Chance.« Als Benteen die letzten Worte spricht, da ist ein Klang von Bitterkeit in seiner Stimme. Und sie alle begreifen, dass er ihr hartbeiniges Rudel nur unter Kontrolle halten kann, wenn er jetzt zubeißt wie der Leitwolf eines Wolfsrudels. Ja, es ist alles primitiv, barbarisch, gnadenlos. Aber Benteen soll die Guten vor den Bösen schützen. Deshalb muss er jetzt ein Exempel statuieren. Er hat gar keine andere Wahl. Blinky begreift es, alle begreifen es. Eine Stimme stöhnt: »Oh, Blinky, du verdammter geiler Bock, du Arsch…« Dann treten sie alle von Blinky weg. Dieser versucht es jetzt mit einer Drohung. Er knirscht: »Benteen, ich bin verdammt schnell! Versuchen Sie es lieber nicht!« Aber Benteen schüttelt nur stumm den Kopf. Und da begreift Blinky endlich, dass er keine Wahl hat, will er davonkommen. Er ist wirklich schnell. Vielleicht hat er im Süden sogar einen berüchtigten Namen als Revolverheld. Doch als er den Lauf seiner Waffe hochschwingt, da ist er schon tot. Ja, er stirbt stehend mitten in seiner blitzschnellen Bewegung. Und sie alle sahen, wie schnell der ehemalige Captain der Rebellenarmee des Südens wirklich ist. Es bleibt eine Weile still, indes das Krachen des Schusses in weiter Runde auf der Prä-
rie verhallt. Dann klirrt Benteens Stimme bitter: »Harvey, Brazos, Kelly und du Rusty, schafft ihn ein Stück weg und begrabt ihn neben dem Trail. Und begrabt ihn tief genug. Holt euch Schaufeln und Hacken von den Quäkern. Die haben so etwas bei sich, weil sie Land bestellen wollen im fernen Oregon.« Er wendet sich ab und geht zur Wagenburg hinüber. Dort in einer Wagenlücke erwarten ihn die Ältesten der Quäkergemeinde. Joshua Morgen fragt: »Musste das sein, Mr Benteen?« »Es musste sein«, erwidert dieser. »Wenn Sie verlangen, dass ich euch beschützen soll bis nach Oregon, dann hatte ich keine andere Wahl. Doch Sie können mich auch aus unserem Vertrag entlassen.« Sie denken nach. Dann spricht Joshua Morgan: »Das können wir nicht. Wir können nur für Sie beten.« »Das ist leicht«, erwidert Benteen. »Auch für die Generäle, die uns während das Krieges in die Schlachten schickten, wo wir zu Tausenden sterben mussten, war es leicht. Vielleicht beteten die auch.« Er wendet sich ab und verschwindet in der Nacht. Die sechs Quäker-Ältesten schweigen eine Weile. Dann murmelt einer von ihnen: »Wir laden ihm alle Schuld auf, um selbst rein bleiben zu können, und verstecken uns hinter unserem Glauben.« »So ist es«, flüstert Joshua Morgan. »Der Herr schuf Schafe und Wölfe. Und auch er vernichtete damals die Städte des Lasters und des Bösen, nämlich Sodom und Gomorrha.« *** Es ist einige Wochen später, als die Johnstones mit dem Wagenzug, dem sie sich angeschlossen haben, die Goldgräberstädte im Three-Forks-Land erreichen, nämlich Bozeman, Three Forks und Gallatin City westlich der Crazy Mountains. Die Jahreszeit ist schon fortgeschritten. Auf den Bergen liegt der erste Schnee, und die Schneegrenze wandert immer tiefer zu den Tälern hinunter. Und weil der Winter nun mit Riesenschritten kommt, kaufen die Goldgräber und Minen wie verrückt ein. Denn hier wird alles gebraucht, von der Nähnadel bis zum Hufeisen, Spielkarten, Roulettetische, Stoffe und emaillierte Badewannen. Hüte für die Mädchen in den Hurenhäusern, Medizin jeder Art. Alles was die Menschheit in der Abgeschiedenheit, weit weg von der Zivilisation benötigt, wird fast mit purem Gold oder Golddollars aufgewogen. Die Johnstones haben die richtigen Waren eingekauft, sogar Uhren aus Germany, aus denen ein Kuckuck zum Vorschein kommt und seinen Ruf ertönen lässt, sind dabei. Die reichen Claim- und Minenbesitzer lassen sich alles den zehnfachen Preis kosten. Also machen die Johnstones – so wie auch alle anderen Leute des Wagenzuges – gute Geschäfte. Eines Tages haben die Johnstones alles verkauft, auch die Wagen mit den Gespannen. Als sie dann Kasse machen, müssen sie lange das Geld zählen und die Goldstaubbeutel wiegen. Dann rechnet Herb Johnstone alles zusammen und spricht feierlich: »Wir haben siebenundfünfzigtausend Dollar, wenn wir das Gold zum üblichen Preis berechnen.«
Er richtet seinen Blick auf Clementine, die am Ende des Tisches sitzt. »Du wirst nun sehen, Tina, wie sehr wir uns geändert haben. Morgen brechen wir nach Oregon auf. Und dort werden wir Großes schaffen. Und du wirst stolz auf uns sein und zu uns gehören als unsere Queen.« Sie erwidert nichts, blickt die fünf Johnstones der Reihe nach nur zweifelnd an. Die vier Neffen von Herb Johnstone grinsen, aber ihr Grinsen wirkt stolz. Ja, sie sind stolz auf sich, auf ihr Vorhaben, also ihre Absicht, von jetzt an zu den Guten gehören zu wollen. »Nun sag doch etwas«, fordert John. »Du bist doch so etwas wie unsere Schwester geworden. Unsere Wandlung hängt doch mit dir zusammen. Sag endlich etwas.« Sie nickt langsam und wirkt sehr nachdenklich und ernst. Dann aber spricht sie: »Ich möchte es gerne glauben. Doch ihr habt euch als Guerillas selbst den Namen Tennessee-Wölfe gegeben. Ihr seid also zweibeinige Wölfe. Und Wölfe sind Raubtiere. Können sich Raubtiere in gute und treue Hunde verwandeln? Das frage ich mich.« »Doch, das können und werden wir«, spricht Herb Johnstone mit einem Klang in der Stimme, welcher geradezu feierlich oder wie ein Schwur wirkt. »Du wirst es sehen, Tina. Dann wirst du uns zu achten beginnen.« Sie blickt über den Tisch hinweg in seine Augen und erkennt darin eine Bitte. Ja, dieser harte Mann, dessen Vergangenheit so schrecklich ist, der gemordet, geraubt und gebrandschatzt hat, dessen Blutspur sich durch den Krieg zog, dieser Mann hat sich in sie verliebt und bettelt um eine Chance. Und vielleicht oder gar wahrscheinlich bereut er seine Vergangenheit tatsächlich. Sie möchte es fast glauben, denn er will sie zu sehr. Doch tief in ihrem Kern ist ihre Verachtung immer noch wie ein winziges Feuer, welches sie mühsam verborgen hält. »Wir werden ja sehen«, spricht sie ruhig, obwohl in ihr ein Durcheinander von Gefühlen und Gedanken ist. Dann erhebt sie sich. »Wenn wir morgen schon aufbrechen, dann muss ich mich ausruhen. Denn gewiss wird es wieder ein langes und hartes Reiten.« Sie verschwindet aus dem Hotel-Speiseraum. Die vier Johnstone-Brüder sehen ihren Onkel an. Bud spricht dann mit einem Klang von Bedauern: »Eigentlich ist sie immer noch unsere Gefangene. Wir lassen sie Tag und Nacht nicht aus unserer Nähe. Ich würde gerne wissen, was sie tun würde, wenn wir sie nicht ständig bewachen würden. He, Onkel Herb, glaubst du wirklich, dass du sie dadurch erringen kannst, wenn wir uns alle zu Guten wandeln?« Sie starren ihren Onkel an. Er ist der jüngere Bruder ihres Vaters und muss jetzt etwa achtundvierzig Jahre alt sein. Clementine aber kann nicht älter als dreißig sein. In seinen Augen erkennen sie seinen heißen Wunsch. »Ja, ich glaube daran«, erwidert er endlich. »Denn wir werden in Oregon Großes vollbringen. Man wird uns dort achten. Aber es wird mächtig viel Mühe und Einsatz notwendig sein. Doch wir haben eine Menge Betriebskapital. Wir werden uns für die menschliche Gemeinschaft als sehr nützlich erweisen. Tina wird und muss das anerkennen. Denn sonst…« Er beendet den angefangenen Satz nicht. Aber in seinen Augen ist plötzlich ein düsterer Ausdruck.
Er erhebt sich mit einem Ruck. »Jake, du bleibst hier zu Tinas Schutz. Wir gehen einkaufen, um uns für den Weiterritt nach Oregon auszurüsten.« Er sagt tatsächlich »zu Tinas Schutz«, und das ist schon wieder eine Lüge, mit der er sich selbst etwas vormacht. Denn Jake bleibt im Hotel als Tinas Bewacher. Als Herb stehend am Tisch verharrt, da fragt Jesse: »Und wohin in Oregon wollen wir? Oregon ist mächtig groß. Wohin also dort?« Da grinst Herb Johnstone breit. »Jungs«, spricht er ruhig, »ich habe mich natürlich informiert. Wir werden ins Holzgeschäft am Willamette River einsteigen. Wir werden Holzfäller- und Flößermannschaften anwerben und Riesenflöße den Willamette und den Columbia hinunter zu den Seeschiffen bringen. Das Holzgeschäft ist sicherer und ertragreicher als die Goldförderung in den Minen. Ihr werdet sehen. Und nun kommt endlich. Wir haben zu tun!« Er geht hinaus. Sie folgen ihm bis auf Jake. Der geht nach oben und setzt sich im Gang auf einen Stuhl an die Wand gegenüber von Clementines Zimmertür. *** Indes dies alles in Gallatin City geschieht, einer noch wilden Goldgräber- und Minenstadt, zieht der Wagenzug der Quäker auf dem Bozeman Trail an Fort Phil Kearney vorbei, welches noch nicht errichtet ist, doch vor dem Wintereinbruch fertig werden soll. Sie haben einen erfahrenen Scout angeworben, der sie vom Bozeman Trail westwärts auf dem Oregon Trail in das »Gelobte Land« Oregon führen soll. Denn für die Quäker ist Oregon das Gelobte Land. Sie glauben daran. Doch der ganze Treck wird mehr und mehr zu einem Wettrennen gegen den drohenden Winter. Bald werden aus dem Powder-River-Land die ersten Blizzards angeheult kommen. Aber vielleicht schaffen sie es bis ins Yellowstone-Land, in ein Tal der heißen Quellen. Es soll dort viele Geiser geben, deren berühmtester der so genannte »Old Faithful« ist, der in regelmäßigen Abständen das heiße Wasser aus der Erde gen Himmel prustet wie ein großer Wal seinen mächtigen Spaut. In solch einem Tal mit vielen heißen Quellen könnte der Quäker-Wagenzug überwintern, zumal es dort überall genügend Holz gibt. Aber es ist am dritten Tag, nachdem sie in vier Meilen Entfernung das noch nicht fertig errichtete Fort Phil Kearney passierten, als der Scout im Galopp angejagt kommt und schon aus großer Entfernung brüllt: »Wagenburg! Bildet eine Wagenburg! Eine große Kriegshorde der Oglala kommt! Ich reite weiter nach Fort Phil Kearney und hole Hilfe! Betet, dass mich die Roten nicht erwischen! Betet für mich und für euch! Und haltet durch!« Er jagt mit diesem Gebrüll an der Wagenschlange vorbei in Richtung Fort Phil Kearney. Chris Benteen aber gibt nun die Befehle. So entsteht die Wagenburg schnell. Benteen verteilt seine Männer und geht dann zu Joshua Morgan, bei dem schon die anderen Ältesten der Quäkergemeinde versammelt sind. Er verhält vor ihnen, leicht auf den Fußsohlen wippend.
»Eure Gebete waren wohl nicht stark genug. Wenn es eine große Kriegshorde ist, kann ich sie mit meinen Männern nicht aufhalten. Und so will der Vater im Himmel wohl, dass ihr für eure Frauen und Kinder kämpft. Ich konnte euch mit meinen Revolverschwingern vor Banditen und kleineren Indianerhorden schützen, die es auf eure Maultiere abgesehen hatten. Doch jetzt…« Er hebt die Hände und lässt sie wieder fallen, sodass sie seitlich gegen seine Oberschenkel klatschen. Er hat diesen Quäkern, diesen Nachfahren der ersten Pilgrims, alles gesagt, was zu sagen ist. Auch Joshua Morgan hebt die Hände wie er und lässt sie wieder fallen. Doch bei ihm ist das mehr ein Zeichen der Hilflosigkeit, bei Benteen ein Zeichen, dass er alles gesagt hat, was zu sagen ist. Da stehen sie nun, die sechs Ältesten der Quäkergemeinde, welche auszog, um in Oregon das Glück zu finden für sich und ihre Nachkommen. Und ihr Glauben verbietet ihnen jede Gewalt. Sie nennen sich auch »Gesellschaft der Freunde« und lehnen Kriegsdienst ab. Ihr Spottname ist »Zitterer«. Doch jetzt zittern sie nicht. Sie überlegen noch, lauschen in sich hinein. Eine Stimme heult von der Ostseite der Wagenburg: »Da kommen sie! Heiliger Vater, es sind viele!« Ja, man kann die starke Kriegshorde nun über einer Bodenwelle zum Vorschein kommen sehen. Sie verhalten in breiter Front und bieten ein heidnisches Bild auf bunten Pferden mit flatternden Mähnen. Sie sind zumeist in Wolfsfelle gekleidet, denn es ist schon recht kalt. Ihre Federn wippen im Wind. Die kalte Spätherbstsonne lässt die Lanzenspitzen blinken. Doch die meisten Krieger sind auch mit Gewehren ausgerüstet. Die Kriegshorde auf der Bodenwelle setzt sich nun in Bewegung und beginnt um die Wagenburg einen großen Kreis zu reiten. Die sechs Ältesten zögern immer noch, so als warteten sie auf ein Wunder. Und so spricht Benteen grimmig: »Der Herr im Himmel wird sie nicht mit Blitzen erschlagen und auch nicht wie Sodom und Gomorrha vernichten, um euch zu beschützen. Ihr müsst euch jetzt entscheiden, ob ihr sterben oder leben wollt.« Als er verstummt, beginnen die Oglala ihr Kriegsgeschrei anzustimmen. Und es ist sicher, dass sie ihren Ring immer enger ziehen und dann von allen Seiten stürmen werden. Joshua Morgan richtet seinen Blick gen Himmel, so als erwartete er von oben ein Zeichen. Aber es kommt kein Zeichen auf die Erde nieder. Und so begreift der Mann endlich, dass sie keine Wahl haben – es sei denn, sie wollten sich ganz und gar ergeben. Das Kriegsgeheul wird immer wilder, böser. Die Roten sind wild geworden, weil die Weißen wieder einmal den Vertrag brachen, der den Stämmen dieses Land garantierte, und nun eine Kette von Forts errichten. Joshua Morgan entschließt sich endlich und ruft scharf: »Wenn uns der Herrgott nicht hilft, dann müssen wir uns selbst helfen der Frauen und Kinder wegen! Also werden wir in Selbstverteidigung kämpfen!« Als er geendet hat, da tönen in der Wagenburg zustimmende Rufe. Eine Stimme brüllt heiser: »Wachet, steht fest im Glauben und seid stark!«
Nun heulen auch alle Menschen in der Wagenburg wild und böse. Denn sie wollen am Leben bleiben. Sie haben ein Recht darauf, wie alle Lebewesen auf dieser Erde. Es kommt dann der Angriff der Roten. *** Nun, die Wagenburg der Quäker kämpft zwei Tage und zwei Nächte. Das Rückgrat der Verteidiger bildet Benteen mit seiner Revolvermannschaft. Diese verdient sich ihren Revolverlohn. Es gibt in diesen zwei Nächten und zwei Tagen eine Menge Verluste auf beiden Seiten. Und dann trifft auch Chris Benteen eine Kugel. Er fällt in bodenlose Tiefen und weiß von nichts mehr. Wahrscheinlich hätten die Oglalas die Wagenburg erobert und alles dort getötet. Doch noch bevor sie eindringen können, ertönt das Hornsignal angreifender US-Kavallerie. Sie kommt im allerletzten Moment, denn der Scout hat es geschafft. Die Soldaten werden angeführt von einem Captain Fetterman, einem Indianerhasser. Und dieser Captain kennt auch keine Gnade gegen die Quäkergemeinde. Er lässt sie nicht weiter nach Oregon ziehen, sondern nimmt sie alle nach Fort Phil Kearney mit, wo sie überwintern werden müssen. Und so erwacht Chris Benteen am nächsten Tag in einem der Quäkerwagen auf weichem Lager. Der Feldarzt der Truppe hat sich um ihn gekümmert, die Kugel aus ihm herausgeholt und die Wunde genäht. Aber er hat viel Blut verloren. Die Kugel saß dicht neben dem Herzen. Vielleicht wird er überleben, wenn sich die Wunde nicht entzündet. Und sicher ist, dass er den Winter in Fort Phil Kearney verbringen muss. Seine Suche nach Clementine Hardin ist zwangsläufig beendet. Er kann der Fährte der Tennessee-Wölfe nun einige Monate nicht mehr folgen, die Frau nicht suchen. Im schwankenden und holpernden Wagen sitzt eine junge Frau bei ihm. Er sieht im Halbdunkel unter der Plane zu ihr hoch und erkennt auch ihr Lächeln. Es ist ein gutes und warmes Lächeln. Dann hört er sie sprechen: »Bruder, Sie werden wieder! Ich kümmere mich um Sie. Mein Name ist Angela, und ich habe mich freiwillig für die Betreuung als Pflegerin gemeldet.« »Danke, Angela«, murmelt er mühsam, nachdem er eine Weile über ihre Worte nachgedacht und in seinem Kopf alles begriffen hat. Dann versinkt er abermals in bodenlose Tiefen. Angela fühlt besorgt nach seinem Puls. Dann aber gießt sie etwas Alkohol auf den Verband, tränkt ihn damit und hofft, dass sich die Wunde nicht entzünden wird. Sein Fieber ist nun stärker geworden, aber vorerst ist es normales Wundfieber, nicht jenes böse, welches durch eine hackende Blutvergiftung entsteht. Sie erreichen am Abend des nächsten Tages endlich Fort Phil Kearney. Als sie Benteen in eine kleine Offizierskammer bringen und auf ein Offiziersklappbett legen, da ist Angela immer noch bei ihm. Er erwacht kurz aus seinem Fieber und sieht wieder ihr Gesicht über sich, erkennt sie
auch an ihrem Lächeln. »Ich darf mich weiter um Sie kümmern, solange Sie hilflos sind«, spricht sie auf ihn nieder. Er verspürt ein dankbares Gefühl in sich. Und wenig später füttert sie ihn mit einer warmen Fleischsuppe. Nun erst spürt er seinen Hunger. Es waren nicht die Schmerzen der Wunde. Es war Hunger, den er so stark spürte. *** Es vergehen Wochen, bis sich Chris Benteen wieder einigermaßen gesund fühlt. Er wurde mager und dünn, verlor eine Menge an Gewicht. Und indes wird der Bau des Forts vollendet. An die siebenhundert Soldaten und gewiss zweihundert Zivilisten leben hier, den Quäker-Wagenzug nicht mit eingerechnet, der starke Verluste erlitt, nämlich sieben Tote und mehr als ein Dutzend Verwundete. Von Benteens Revolverreitern wurden fünf getötet und fast alle mehr oder weniger böse verwundet. Denn sie haben gut gekämpft und sich ihren Revolverlohn redlich verdient. Ohne sie hätten die Roten den Wagenzug schon am ersten Tag vernichtet. Es gehen nun die ersten Blizzards auf das Fort nieder. Es ist ein großes, starkes Fort, fast schon eine kleine, von Palisaden umgebene Stadt. Und ständig lauern die Indianer rings um das Fort. Holzkommandos werden fast immer angegriffen. Die Zelte der Arapahoes, Sioux und Cheyennes umgeben in meilenweitem Abstand das Fort – und nur während der heulenden Blizzards finden keine Kämpfe statt. Die Verluste der Besatzung sind hoch. Es ist dann schon nach Weihnachten, als Benteen sich bei Colonel Carrington melden lässt und diesem seine Hilfe anbietet mit den Worten: »Sir, ich habe Ihnen und Ihrer Truppe eine Menge zu verdanken und möchte meine Schulden bezahlen. Ich war Captain in der Konföderiertenarmee. Wenn Sie das nicht zu sehr stört, können Sie mir eine Aufgabe übertragen.« Colonel Henry Carrington ist ein kleiner, gelehrtenhaft wirkender Mann. Chris Benteen hat sich längst über ihn erkundigt und weiß, dass Carrington ursprünglich Anwalt in Ohio war. Er hat dann während des Bürgerkriegs selbst ein Regiment aufgebaut und ist dadurch in den Rang eines Colonels versetzt worden. Doch er hat nie gekämpft, sondern Verwaltungsaufgaben erledigt. Dafür war er gut geeignet. Weil er also mit Stabsaufgaben betraut wurde, mussten seine ihm untergeordneten Offiziere das Regiment in eine Schlacht führen, in der das halbe Regiment vernichtet wurde. Und deshalb wurde er von den meisten Offizieren verachtet. Dennoch ist es mehr als eindrucksvoll, ja sogar eine Meisterleistung, wie dieser Carrington Fort Phil Kearney aufgebaut hat, welches von achthundertsechzig Yards Palisaden umgeben ist. Sogar eine Sägemühle gibt es am Fluss. Die ganze Sache hat nur einen Haken, und dieser Haken heißt ganz einfach: Holz! Ja, Holz ist das Problem. Denn dies gibt es erst in fünf oder sechs Meilen Entfernung. Und das Fort benötigt viel Holz, Unmengen von Holz. Und so muss täglich ein Holzkommando hinaus. Auch das weiß Chris Benteen natürlich. Er sieht den in diesem Jahr zweiundvierzigjährigen Carrington erwartungsvoll an. Car-
rington sitzt kerzengerade hinter seinem Schreibtisch und hält noch den Federhalter in der Hand. Ganz ruhig und freundlich spricht er: »Sooo, ein Rebellenoffizier waren Sie. Nun gut, der unselige Krieg ist vorbei. Aber ihr Rebellen der Südstaaten habt euch immer gut aufs Anschleichen verstanden. Ich übertrage Ihnen die Begleitung der täglichen Holzkommandos als Scout, der diese Holzkommandos rechtzeitig vor Angriffen warnt. Sind Sie einverstanden, Mr Benteen?« Dieser nickt und sagt dann kurz: »Yes, Sir. Ich soll als Scout die Holzkommandos sichern.« Nach diesen Worten geht er. Und er nimmt keinen guten Eindruck von diesem Colonel mit in die Schreibstube der Kommandantur. Hier sitzt ein Sergeant, der durch die dünne Bretterwand alles gehört hat. Dieser Sergeant spricht fast mitleidig: »He, Rebell, Sie hätten als Zivilist mit Ihrem Arsch den ganzen Winter bis zum Frühling im Warmen sitzen können. Warum juckt es Sie so?« »Weil ich der Armee nichts schuldig bleiben will«, erwidert Benteen und will hinaus. Doch der Sergeant sagt: »Halt, Mister Rebell! Ich muss Ihren Namen in die Liste unserer Scouts eintragen. Sie bekommen ab heute das Gehalt eines Scouts. Das sind dreißig Dollar im Monat, dazu Unterkunft und Verpflegung wie ein Sergeant. Wie ist also Ihr Name?« *** Als Benteen über den Paradeplatz geht, wo Soldaten den Schnee wegräumen, da trifft er auf jene Angela, die ihn bis vor zwei Wochen noch gepflegt hat und auch seine Wäsche wusch. Sie halten voreinander an. Sie sieht zu ihm auf und schenkt ihm wieder dieses Lächeln, welches er an ihr so gern sah. »Ich habe Sie vermisst, Angela«, spricht er sanft. Ihr Lächeln wird nun ernster, und ihre dunkelblauen Augen bekommen einen seltsamen Ausdruck, den er nicht zu deuten weiß. Dann aber spricht sie ruhig: »Nachdem Sie gesund wurden, Chris, wäre es nicht mehr schicklich gewesen, Sie zu besuchen. Dies durfte ich nur als Ihre Pflegerin.« Er nickt und murmelt: »Schade, Angie, schade. Und ich würde Sie auch gern mal ohne diese Quäkerhaube sehen. Sie haben Haare so schwarz wie das Gefieder eines Raben. Sind es lange Haare?« Ihre Augen werden einen Moment schmal. Dann fragt sie direkt: »Chris Benteen, machen Sie mir jetzt den Hof?« »Und wenn?« So fragt er. Da schüttelt sie den Kopf. »Ich bin nicht nur eine Quäkerin, sondern auch eine Witwe. Mein Mann ertrank vor drei Monaten in einem Fluss. Ich bin noch für lange Zeit in Trauer. Machen Sie mir nicht den Hof, Chris Benteen.« Nach diesen Worten geht sie an ihm vorbei, setzt ihren Weg fort. Sie arbeitet mit anderen Frauen in der Wäscherei des Forts für die mehr als achthundert Soldaten des 18ten Regiments von Colonel Carrington. Er sieht ihr nach und erfreut sich an ihren leichten Bewegungen. Trotz der weiten
Kleidung, die alles von ihr verbirgt, kann er sich vorstellen, wie gut proportioniert sie ist. Und in ihrer Stimme war zuletzt ein bedauernder Klang. Dann fällt ihm wieder ein, dass er immer noch Clementines Bild in der Brusttasche trägt. Aber inzwischen trägt er ganz andere Kleidung. Die vorherige war ja mit Blut durchtränkt. Man hatte sie ihm vom Körper geschnitten. Angela muss das Bild gesäubert haben, hat es also gesehen. Doch sie hat ihn nie gefragt, wer die schöne Frau auf dem Bild war. Er muss nun wieder an Clementine Hardin denken und verspürt plötzlich ein starkes Gefühl des Bedauerns, ja fast ein Schuldgefühl. Denn er musste die Verfolgung der Tennessee-Wölfe aufgeben, konnte deren Fährte nicht mehr folgen. Wahrscheinlich wird er Clementine Hardin niemals finden können. Das lange Reiten war vergebens. Erst im Frühjahr werden die Wege wieder passierbar sein. Die Blizzards laden immer wieder neue Schneelasten ab. Und überdies hat er immer noch einen Vertrag mit der Quäkergemeinde. Selbst wenn sie ihn aus diesem Vertrag entlassen, wird er erst im Frühjahr weiter nach Oregon reiten und dort suchen können. Doch er verspürt keine Hoffnung mehr, Clementine zu finden. Als er wenig später seine kleine Kammer betritt, in der nur ein Klappbett, ein Stuhl, ein winziger Tisch und ein Regal Platz haben, da setzt er sich auf den Stuhl am kleinen Fenster und holt das Bild hervor. Clementine sieht ihn an. Das Bild war blutbefleckt und wurde sorgfältig gesäubert, ebenso der Steckbrief der Johnstones. Und so denkt er: Angela weiß viel über mich. Wahrscheinlich habe ich auch im Wundfiebertraum viel fantasiert. Wieder verspürt er das tiefe Bedauern in sich, welches Clementine und auch dieser Angela gilt. Clementine ist er noch niemals begegnet. Er kennt nur deren Bild, in welches er sich verliebte. Angela ist Wirklichkeit. Aber er würde ihretwegen niemals zu den Quäkern gehören wollen und auch nicht können. Er hat schon zu viele Männer getötet in diesem verdammten Krieg und danach. *** Die Wochen vergehen. Der Winter ist in diesem neuen Jahr 1867 besonders hart. Immer wieder fallen Blizzards über das Land her, decken es mit Schnee und Eishagel zu. Die Wege im Land werden immer unpassierbarer – nur der Weg des Holzkommandos zum Wald wird einigermaßen freigehalten. Sie transportieren das Holz auf Schlitten. Es sind Wagenplattformen, denen man die Räder abnahm und diese durch Kufen ersetzte. Im Fort sind einige Dutzend erstklassige Handwerker, so wie in jeder kleinen Stadt. Jeden zweiten Tag reitet Benteen als Scout mit einem Holzkommando hinaus, aber es gibt kaum Angriffe. Der harte Winter setzt auch den Indianern zu. Sie verlassen kaum noch ihre Zelte – und wahrscheinlich mangelt es ihnen nun auch an Proviant und Futter für ihre Pferde. Der Kampf um Fort Phil Kearney macht eine Pause. Und die Wochen vergehen. Man wartet auf den Frühling.
Benteen verbringt jetzt so manche Nacht in der Sergeantenkantine und gewinnt beim Poker fast immer. Aber sie mögen oder respektieren ihn alle, rechnen es ihm hoch an, dass er mit ihnen hinausreitet. Auch unter den anderen Scouts genießt er Ansehen. Als er einmal lange nach Mitternacht in seine Kammer tritt, hat er siebzehn Dollar beim Poker gewonnen und ist ein wenig angetrunken. Die Türen der kleinen Kammern haben keine Schlösser. Und so konnte Angela mühelos in seine Kammer gelangen und auf ihn warten. »Erschrick nicht«, spricht sie ruhig. »Ich bin schon eine Weile hier und warte auf dich. Meine Trauerzeit ist vorbei. Ich will nicht mehr warten, denn ich bin noch zu jung, um ewig eine Witwe zu sein. Sie haben mich damals – als ich erst sechzehn war – gegen meinen Willen mit jenem Mann verheiratet, der mein Vater hätte sein können. Doch wenn du mich jetzt haben willst, Chris Benteen, dann wird das nicht gegen meinen Willen sein auf diesem schmalen Bett.« Er hört es und staunt wortlos. Er will es zuerst nicht glauben, aber es ist so. Sie ist keine Heilige, und vielleicht will sie auch keine Quäkerin mehr sein. In dieser Nacht vergisst er Clementine Hardin ganz und gar. Ja, er gibt sie auf. Er will nicht sein halbes Leben lang nach ihr suchen. Und vielleicht würde sie ihn in Wirklichkeit auch enttäuschen. Er kennt ja nur ihr Bild. *** Es ist dann im frühen Mai, als sich der Wagenzug der Quäker auf den Weg macht. Überall grünt es auf der Büffelweide, und die gewaltigen Büffelherden, die nach Süden gewandert sind, werden bald wieder nach Norden kommen. Die Indianer und auch die Fleischjäger des Forts sind mit der Jagd beschäftigt, denn es war ein langer Hungerwinter. Der Kampf um Fort Phil Kearney wird erst später wieder in Gang kommen. Immer dann, wenn Benteen an der langen Wagenreihe entlang reitet, gelangt er irgendwann auch an Angela Conways Wagen. Sie fährt ihn wie ein erfahrener Frachtfahrer und beherrscht das Sechsergespann hervorragend. Sie ist eine gesunde, kräftige Frau, die es mit so manchem Mann aufnehmen kann. Und sie ist mehr als nur hübsch und hat sich trotz aller Mühen und Anstrengungen immer noch ihre mädchenhafte Fraulichkeit bewahrt. Wenn Benteen dann eine Weile neben dem Wagen reitet, sehen sie sich immer wieder an und lächeln sich zu. Sie trägt nun nicht mehr die Haube der Quäkerfrauen und -mädchen, kleidet sich auch nicht mehr übermäßig züchtig. Ja, es ging eine totale Veränderung mit ihr vor. Und alle akzeptieren es, sogar die sechs Ältesten der Quäkergemeinde. So nähert sich der Wagenzug Woche um Woche Oregon. Und irgendwann werden sie dort sein. Einmal spricht Joshua Morgan zu Benteen: »Angela wurde abtrünnig, doch wir Quäker können vergeben. Jeder Mensch soll nach seinen eigenen Entscheidungen leben können. Werden Sie Angela Conway heiraten, Mr Benteen?« »Sie will nicht und sagt mir nicht, warum«, erwidert Benteen. »Sie sagt mir immer,
dass sich unser Schicksal gewiss irgendwie erfüllen wird. Ich werde aus ihr nicht schlau.« � * * * � Ein warmer Strom, von Japan über den Stillen Ozean kommend, erreicht die Westküste der Vereinigten Staaten und gibt Oregon das milde und feuchte Klima. Deshalb gibt es hier üppige Wälder mit Riesenbäumen wie sonst nirgendwo und machen das Land reich – sehr viel reicher als Länder mit Gold- und Silberfunden. Paul Bunyan, eine Gestalt der amerikanischen Mythologie, fand deshalb in diesem Land eine Menge Möglichkeiten für seine Riesenkräfte, die ihn auch zum Schutzheiligen der Holzfäller und Flößer machten. Zu ihm gehörte auch sein gewaltiger Zugochse Beba, welcher Lasten ziehen konnte wie eine Lokomotive. Nun, man könnte ein ganzes Buch über Paul Bunyan schreiben. In dieses Land mit diesen Mythen zieht nun der Wagenzug der Quäker. Und irgendwann und irgendwo erreichen sie einen Ort, wo sie schon erwartet werden von ihresgleichen, von Leuten, die schon vor ihnen herkamen und ihnen schrieben, wie herrlich und gut es sich in Oregon leben ließe. An diesem Tag geht Benteen zu Angela und fragt: »Willst du mich heiraten, Angie? Du musst dich jetzt entscheiden. Ich frage es dich zum letzten Mal.« Sie lächelt ihn ernst an, spricht dann: »Chris, ich weiß viel über dich, mehr als du glaubst. Damals im Wundfieber hast du über jene Clementine gesprochen. Und sogar auf meine Fragen hast du geantwortet. Und so weiß ich, dass diese Clementine immer zwischen uns stehen würde, solange du sie nicht gefunden und herausgefunden hast, ob sie mit jenem Bild übereinstimmt, welches du bei dir trägst. Also suche und finde sie und entscheide dich dann. Ich werde eine Weile warten, vielleicht ein ganzes Jahr.« Sie hat nun alles gesagt. Er sieht es ihr an. Und so nickt er nur stumm. Wenig später reitet er davon. *** Zehn weitere Monate vergehen. Eigentlich hat Chris Benteen längst aufgegeben, nach Clementine zu suchen. Er glaubt nicht, dass sie in Oregon zu finden wäre. Er verlor die Fährte völlig. Dennoch ist er ständig unterwegs, ein ruheloser Reiter, der mehr und mehr zum Spieler und Revolvermann wurde. Ja, ein Spieler wurde er. Denn irgendwann fand er heraus, dass er sich in jedem Pokerspiel behaupten kann, weil sein Instinkt ihn stets richtig das Bluffen der Gegner spüren lässt. Er kann auch die Zeichen an ihnen richtig deuten, zum Beispiel gewisse Bewegungen wie das Zucken der Mundwinkel, Vibrieren der Nasenflügel, rascheres Atmen, nervöse Finger oder deren ungeduldiges Trommeln auf der Tischplatte. Es gibt so viele Zeichen. Sein Spielkapital wird immer größer, und so kann er auch an Pokerrunden teilnehmen, wo ohne Limit gespielt wird. Er muss auch einige Revolverkämpfe hinter sich bringen, denn es gibt immer wieder Burschen, die nicht verlieren können, und Kartenhaie, deren Tricks nicht gut genug sind.
Chris Benteen zieht eigentlich in ganz Oregon herum, ist überall dort, wo in den Städten und Lagern die Dollars rollen, weil das Holz so wertvoll ist und die Riesenbäume mehr einbringen als Goldclaims, Minen oder gar Goldadern. Das meiste Holz wird zurzeit von der Küste mit Seeschiffen hinunter nach San Francisco verschifft. Denn diese Stadt ist wieder einmal total abgebrannt und muss neu aufgebaut werden. Und überdies wächst sie auch noch ständig, sodass sie nicht nur nach jedem Großbrand neu aufgebaut werden muss, sondern auch größer als zuvor. Manchmal möchte Benteen selbst in das Holzgeschäft einsteigen, also Holzfällermannschaften und Flößermannschaften ausrüsten und mit ihnen in die Wälder ziehen. Er könnte auch Sägemühlen kaufen – oder einen Dampfer auf dem Columbia, dem Willamette oder anderen Flüssen. Doch er kann sich nicht entschließen, sein angewachsenes Spielkapital anders einzusetzen als bisher. Etwas in ihm treibt ihn immer noch ruhelos umher. Vielleicht ist es eine Ahnung tief in seinem Kern, die ihn unbewusst weiter nach Clementine suchen lässt. Aber manchmal denkt er darüber nach, endlich dorthin zu reiten, wo er bei den Quäkern Angela Conway weiß. Und er fragt sich, ob sie wieder die Haube der Quäkerfrauen trägt. Aber was könnte er ihr sagen? Eigentlich nur, dass er die Frau, deren Bild er immer noch bei sich trägt, dicht über seinem Herzen, noch nicht finden konnte und aufgegeben hätte mit der Suche nach ihr. Und überdies verschwimmt alles mehr und mehr. Vielleicht wird er bald beide Frauen vergessen haben. Es ist dann im Herbst – das Laub der Bäume bekommt jetzt all die schönen, bunten Farben – als er in Portland die verlorene Fährte wieder aufnehmen kann. Er sitzt in der noblen Bunyan-Spielhalle inmitten einer Pokerrunde, als einer der Mitspieler aufgibt und dessen Platz frei wird am runden Pokertisch. Da tritt ein Mann heran, der diesen Platz mit den Worten einnimmt: »Sie haben gewiss nichts gegen mich, Gentlemen – oder?« »Wie sollten wir, Mr Jackson«, erwidert einer der Spieler. »Nicht wahr, wie sollten wir etwas dagegen haben?« Chris Benteen betrachtet den neuen Mann am Tisch mit schmalen Augen. Er weiß, dass er ihm noch niemals begegnet ist. Dennoch kennt er ihn. Und so denkt er plötzlich an den Steckbrief der Johnstones, den er ja immer noch mit Clementines Bild in der Tasche trägt. Und plötzlich weiß er, dass dieser Mann, den einer der Spieler Mr Jackson nannte, ein Johnstone ist. Es kann keinen Irrtum geben. Er hat die Köpfe der letzten Tennessee-Wölfe auf dem Steckbrief immer wieder betrachtet und ihr Aussehen gewissermaßen in sich eingesogen. Ich habe sie gefunden, denkt er. Sie nennen sich hier Jackson. Und wenn ich mich nicht irre, heißt dieser Bursche Jesse, Jesse Johnstone. Er ist nun mit seinen Gedanken so mit der unerwarteten Situation beschäftigt, dass er die nächste Runde verliert, was ihn zweihundert Dollar kostet. Denn immer dann, wenn er diesen Jesse Johnstone ansieht, der das Spiel sofort auf Anhieb gewinnt, da jagen sich seine Gedanken und Gefühle. Denn plötzlich ist in ihm alles wieder vorhanden. Er sieht wieder Clementines Bild und den Steckbrief der Johnstones vor seinen Augen.
Und er hört auch wieder die Worte von Angela Conway, wiederholt sie in Gedanken: »Chris, ich weiß viel über dich, mehr als du glaubst. Damals im Wundfieber hast du viel über jene Clementine gesprochen. Und sogar auf meine Fragen hast du geantwortet. Und so weiß ich, dass diese Clementine immer zwischen uns stehen würde, solange du sie nicht gefunden und herausgefunden hast, ob sie mit dem Bild übereinstimmt, welches du bei dir trägst. Also suche und finde sie und entscheide dich dann. Ich werde eine Weile warten, vielleicht ein ganzes Jahr.« Ja, das war ihre Rede. Und so ist alles wieder da. Er zwingt sich nun zur Konzentration, und so gewinnt er schon den nächsten Pott mit Einsätzen von mehr als dreihundert Dollar. Jesse Johnstone zeigt ihm grinsend seine gelben Zähne und fühlt sich offenbar herausgefordert. Denn er spricht: »Mister, ich spüre, dass wir uns gesucht und gefunden haben. Sie sind auf meinen Bluff nicht reingefallen. Nun gut, jetzt fühle ich mich herausgefordert. Wir werden sehen…« Benteen nickt nur und fragt dann: »Sind Sie so leicht herauszufordern, Mr Jackson? Nun gut, wir werden sehen.« Als draußen der Morgen graut und die Nebel aus dem Willamette steigen, da beenden Jesse Johnstone und Chris Benteen das Spiel. Sie spielten zuletzt allein. Alle anderen Mitspieler hörten zwei Stunden nach Mitternacht auf. Denn sie wurden immer mehr zu Statisten. Der Kampf fand zwischen Johnstone und Benteen statt und endete unentschieden. Jesse Johnstone starrt Benteen hart an und knurrt: »Ich konnte bis jetzt jeden schlagen. Es ärgert mich mächtig, dass ich an Bord meines Steamers muss. Ich muss den Fluss hinauf zu unseren Camps, den Sägemühlen und Holzlagern. Es hat wohl keinen Sinn, Sie einzuladen auf meinen Steamer, damit wir herausfinden können, wer von uns den anderen schlagen kann?« Als er es fragt, ist in seiner Stimme der Klang einer Herausforderung. Benteen erwidert: »O ja, ich würde es auch gern herausfinden. Doch was ist, wenn ich Ihnen den Steamer abgewinne?« »Ich habe einen guten Ruf«, erwidert Jesse Johnstone. »Alle Jacksons haben in diesem Land, mag es in den Wäldern oder auf den Flüssen sein, einen guten Ruf. Wir gelten zwar als harte Geschäftsleute, aber auch als fair. Auf unser Wort kann sich jeder verlassen. Und wenn Sie mir mein Schiff abgewinnen können, nun, dann gehört es Ihnen. Sind Sie scharf auf einen Steamer?« »Ich könnte mir einen kaufen«, erwidert Benteen. »Doch wenn ich Sie richtig schlagen will, dann muss ich Ihnen das Schiff abgewinnen.« Da erhebt sich Jesse Johnstone mit einem Ruck, beugt sich vor und stemmt die Fäuste auf den Tisch. »Dann kommen Sie mit Ihren Siebensachen zu den Landebrücken. Es liegen mehr als zwei Dutzend Dampfboote dort im Hafen. Mein Boot heißt ›Lady Tina‹. In einer Stunde legen wir ab. Mal sehen, ob Sie sich trauen.« Nach diesen Worten geht er hinaus. In der Spielhalle wird nun aufgeräumt. Benteen nimmt an der Bar noch einen Drink und denkt noch einmal gründlich nach. Ja, er wird zu Jesse Johnstone an Bord der »Lady Tina« gehen. Und überhaupt Tina – ist Tina nicht die Abkürzung oder das Kosewort für Clementine? Könnte es sein, dass…
Jetzt will er es herausfinden. Und wo ein Johnstone ist, werden auch die anderen sein, vielleicht auch Clementine Hardin. Jetzt will er es herausfinden. Er hat die Fährte zufällig wieder finden können. Und plötzlich ist der Wunsch in ihm, endlich das Rätsel zu lösen. Als er die Landebrücke der »Lady Tina« erreicht, werden dort soeben die Leinen losgemacht. Es ist ein schönes Dampfboot mit einem Heckschaufelrad, nicht zu groß und mit wenig Tiefgang, sodass es auch bei Niedrigwasser sehr weit den Strom hinauf und auch in die Zuflüsse fahren kann. Benteen hat nur eine große Reisetasche bei sich. Als er über die Gangway an Bord geht, wird diese eingezogen. Das Schaufelrad beginnt sich zu drehen. Die »Lady Tina« geht in den Strom. Jesse Johnstone hat ihn erwartet und empfängt ihn mit den Worten: »Ich habe Ihnen eine schöne Kabine reserviert. Wir haben zwei Dutzend Passagiere an Bord. Kommen Sie, Mister. Ich kenne noch nicht mal Ihren Namen…« »Benteen, Chris Benteen ist mein Name.« »Dann kommen Sie, Mr Benteen! Mit der Kabine werden Sie zufrieden sein. Und dann können wir mit den anderen im Saloon frühstücken.« Benteen lässt sich das Staunen nicht anmerken. Wenn er nicht wüsste, dass die Johnstones Mörder, Brandschatzer und wahrhaftig zweibeinige Wölfe waren, welche während des Krieges schreckliche Gräueltaten als Guerillas verübten, müsste er diesen Jesse Johnstone für einen redlichen Mann halten. Denn auch die Männer der Besatzung machen einen guten Eindruck. Die »Lady Tina« ist gewiss kein Banditenschiff. Alles hier wirkt seriös. Indes er wenig später in seiner kleinen Kabine seine Reisetasche ausräumt, da denkt er über die offensichtliche Wandlung dieses Jesse Johnstone nach. Wenn sich die anderen Johnstones ebenfalls so gewandelt haben, dann gehört dies gewiss zu einer Strategie. Es ist so, als hätten sich blutdürstige Wölfe in Schafe verwandelt. Aber kann das sein? Er holt in der Kabine noch einmal das Bild von Clementine und den Steckbrief hervor und betrachtet die Gesichter noch einmal genau. Clementines Bild ist nun schon sehr abgegriffen und in Mitleidenschaft gezogen. Ihr Gesicht ist nicht mehr so deutlich und klar zu erkennen. Nur die Gesichter der Johnstones sind noch deutlich. Denn den Steckbrief hat er nicht so oft angesehen wie Clementines Bild. Einen Moment verharrt er, und ihm wird klar, dass dies alles eine Fügung des Schicksals sein muss, welches beschlossen hat, dass er Clementine findet. Er geht dann in den Saloon, wo für die Passagiere der lange Tisch gedeckt ist für das Frühstück. Und da sieht er Clementine sitzen. Ja, er erkennt sie sofort, obwohl sie sich etwas verändert hat und auch ihre Haare anders trägt. Aber sie ist es. Er weiß es sofort. Sie sitzt am Kopfende des Tisches und sieht ihn an. Jesse Johnstone aber spricht laut genug: »Dies ist Mr Benteen. Er und ich, wir messen uns beim Poker. Bisher steht es unentschieden zwischen uns. Doch das wird sich ändern.« Er nennt dann die Namen der anderen Passagiere und schließt mit den Worten: »Und die schöne Frau, nach der dieses Boot benannt ist, wird bald meine Tante werden. Jedenfalls wünschen wir Jacksons uns das alle. Nicht wahr, Tina?«
Er fragt es lachend, und es wirkt alles sehr harmlos, nett und familiär. Aber sie nickt nur und spricht dann: »Ja, das wünscht ihr euch alle.« Dann aber richtet sie ihren grünäugigen Blick auf Benteen und fragt: »Habe ich richtig verstanden, Mister? Ihr Name ist Benteen?« »So ist es, Lady«, erwidert er und setzt sich. Sie betrachtet ihn unter ihren langen Wimpern sehr forschend, und gewiss hat sie seinen Namen schon mal gehört oder gelesen – zumindest in den Briefen ihres Mannes Colonel Clay Hardin. Denn dieser schrieb ihr von den Kriegsschauplätzen, so oft er konnte. Gewiss erwähnte er dann wohl auch den Namen seines Captains. Warum hat sie jetzt nochmals nachgefragt? Er beginnt zu essen wie die anderen Passagiere. Ein Gespräch kommt in Gang. Es sind alles seriöse Leute an Bord, Geschäftsleute, zum Beispiel Handelsvertreter, Werftbesitzer, ein Arzt, der in Portland Medizin und Material für seine Praxis einkaufte, auch ein Ehepaar, welches in einer Stadt weiter stromauf ein Hotel betreibt. Aber es sind keine weiteren Johnstones an Bord, jedenfalls sieht er keine hier an diesem Morgen am Frühstückstisch. Doch dann kommt noch ein Mann zum Frühstück. Benteen erkennt ihn sofort. Er weiß, dass er nun den schlimmsten zweibeinigen Wolf der Tennessee-Wölfe sieht. Ja, dieser Mann da, der so seriös wie ein Boss gekleidet ist, wie ein Kapitän zum Beispiel, kann nur Herb Johnstone sein. Er setzt sich auf den freien Stuhl neben Clementine. Dann erst richtet er den Blick auf Benteen. Es ist ein lauernder Blick, ein sehr forschender Blick, der Blick eines Mannes, der Schatten auf seiner Fährte hat und ständig auf der Hut sein muss, um nicht von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Dennoch sieht er als Mann recht gut aus, gibt sich einen seriösen und beachtlich wirkenden Anschein. Doch Benteen weiß, dass dieser Eindruck täuscht, wirklich nur ein einziger großer Bluff ist. Doch es gibt ja auf dieser Erde eine Menge Burschen, die sich einen Anschein geben, der nicht stimmt. Und oft sitzen sie an den höchsten Stellen in der Wirtschaft und Politik. Vielleicht würde das auch Herb Johnstone unter dem neuen Namen Jackson schaffen. Herb Johnstone nimmt nun seinen prüfenden und lauernden Blick von ihm und spricht einige Worte zu Clementine. Diese erwidert nichts, hebt nur ein wenig die Schultern und lässt sie wieder sinken, so als könnte sie eine Frage nicht beantworten. Herb Johnstone beginnt zu essen. Die Unterhaltung am Tisch wird lebhafter. Es sind auch Frauen dabei, deren Lachen den Morgen irgendwie verschönt, so etwa wie Musik. Jesse Johnstone ist dann zuerst fertig und erhebt sich. Er sieht Benteen an und spricht: »Nach dem Abendessen wird dieser Salon umgewandelt in einen Spielsalon. Alle hier an diesem Tisch sind mehr oder weniger große Spieler. Benteen, ich warte dann auf Sie.« »Gut, Mr Jackson«, erwidert Benteen ruhig, »ich freue mich auf unser Spiel.« Jesse Johnstone grinst wieder mit seinen gelben Zähnen und verlässt den Raum. Nach und nach folgen ihm andere Fahrgäste. Am Tisch wird es zunehmend leerer. Auch Herb Johnstone erhebt sich, wirft noch einen Blick auf Benteen, der in der Kaffeetasse rührt, und verschwindet ebenfalls zum Hauptdeck hinaus. Der Steward beginnt das Geschirr abzuräumen.
Die letzten Gäste am Tisch außer Clementine und Benteen sind ein verliebtes Paar. Doch auch dieses Paar verschwindet nun. Benteen sieht zu Clementine hin. Diese erwidert seinen Blick. Aber sie können sich nicht unterhalten. Jedes Wort, welches sie wechseln, würde vom Steward gehört werden. Benteen erhebt sich und geht ebenfalls hinaus. Dabei sieht er nochmals auf Clementine und spürt plötzlich deren Einsamkeit. Er kann es in ihren Augen erkennen. Wie sie da so sitzt am Kopfende des langen Tisches, wirkt sie einsam und verloren. Er zieht die Schiebetür zum Hauptdeck auf und will hinaustreten. Doch in diesem Moment verschwindet der Steward mit dem Tablett voller Geschirr in der Anrichte, durch welche man in die Kombüse gelangt. Benteen hält inne und spricht schnell: »Colonel Clay Hardin hat mich gewiss in seinen Briefen an Sie, Lady, erwähnt. Ich bin jetzt schon fast zwei Jahre auf Ihrer Fährte.« Nach diesen schnellen Worten geht er hinaus und macht die Schiebetür zu. Er tritt draußen an die Reling und spuckt in das vorbeirauschende Wasser des Willamette. Die »Lady Tina« fährt etwa fünf bis sechs Meilen in der Stunde stromauf. Langsam wandert Benteen an der Reling entlang nach vorn. Nach der langen Nacht am Spieltisch fühlt er sich müde und ausgebrannt, denn er war ja viele Stunden lang voll konzentriert. Die frische Luft und der Fahrwind tun ihm gut. Er geht nach vorn bis zu den Lademasten und lehnt sich dort über die Reling. Denn er muss jetzt nachdenken. Die frische Luft hilft ihm dabei. Und so fragt er sich, ob es richtig war, dass er sich Clementine Hardin mit den wenigen Worten zu erkennen gab. Doch sie tat ihm Leid, weil er ihre Einsamkeit und Verlassenheit spürte. Von jenem Schaf- und Ziegenhirten Humpy weiß er ja, dass man sie damals einfach mitgenommen hat, entführt wie eine Sklavin. Und sie ist immer noch bei den Johnstones. Diese – und vor allen Dingen Herb Johnstone – müssen sie seelisch zerbrochen haben, sodass sie keinen Mut mehr und sich ganz und gar ergeben hat. Doch konnten seine wenigen Worte sie verändern, sodass sie wieder Mut und Willen zu spüren beginnt? Als er sich das fragt, verspürt er Zweifel. Nur eines weiß er: Clementine Hardin tut ihm Leid. Auf dem Bild, welches er ja immer noch bei sich trägt, ist sie eine schöne Frau mit einer zauberhaften Ausstrahlung. Er hatte sich von Anfang an in sie verliebt. Doch jetzt… O ja, sie ist immer noch schön anzusehen. Doch es geht keine Ausstrahlung von ihr aus. Er spürt nichts davon, jedenfalls nicht das, was ihr Bild ausdrückte. Er geht an der Reling zurück bis zum Aufgang, der hinauf auf das Kabinendeck führt. In der Kabine wirft er sich bäuchlings aufs Bett. Er muss schlafen. Ein schwerer Kampf steht ihm bevor. Denn ein Pokerspiel, wenn es um alles oder nichts geht, ist gnadenloser Krieg. Poker ist ein Spiel, welches an Härte und Risiko alle anderen Spiele auf dieser Erde übertrifft. Eine ganze Nacht hat Benteen gegen Jesse Johnstone gespielt. Die anderen Spieler waren nur Statisten.
Der Kampf fand zwischen Jesse Johnstone und ihm statt. Und am Ende der Nacht gab es nur ein Unentschieden. Aber er ist an Bord gekommen, um Jesse Johnstone zu schlagen. Er will ihm die »Lady Tina« abgewinnen. Doch vielleicht wird er verlieren. Was dann? *** Er bleibt den ganzen Tag in seiner Kabine und schläft sich aus. Und die »Lady Tina« dampft mit ratterndem und rauschendem Heckschaufelrad stromauf. Sie vibriert, stemmt sich gegen die Strömung, weicht riesigen Holzflößen aus, umfährt kleine Inseln und hält sich von den Klippen fern. Einige Male legt sie an Landebrücken an, die zu kleinen Ortschaften gehören, bei Sägemühlen und Holzplätzen. Dann gehen einige Passagiere von Bord, welche hier am Ziel sind, aber andere kommen dafür an Bord. Von den beiden Johnstones geht stets einer an Land, um dort gewisse Dinge zu regeln, die geschäftliche Gründe haben. Dann geht es weiter. Am späten Nachmittag – es ist fast schon Abend – legt die »Lady Tina« an einer Landebrücke an und macht dort für die kommende Nacht fest. Über der Landebrücke ist ein großes Schild angebracht, auf dem zu lesen ist: JACKSON ENTERPRISE. Es gibt hier eine kleine Stadt, eine Sägemühle und eine kleine Bucht voller Holzstämme, die von der Sägemühle verarbeitet werden. Benteen, der aus der Kabine getreten ist, sieht das alles im letzten Licht des sterbenden Tages. Und dann sieht er beide Johnstones von Bord gehen und auf der Landebrücke zu einem Mann treten, der sie erwartet hat. Dieser Mann ist ebenfalls ein Johnstone, also ein Bruder von Jesse, entweder Bud, John oder Jake. Aber einer von diesen dreien ist er bestimmt. Die drei Johnstones gehen von der Brücke an Land und steuern auf ein Haus zu, in welchem jetzt die Lampen angezündet werden. Und auch an diesem Haus ist ein großes Schild angebracht: JACKSON ENTERPRISE. Einige Passagiere gehen von Bord, um sich die Beine zu vertreten. Es gibt in der kleinen Stadt gewiss auch einen Saloon, einen Store und andere Geschäfte. Benteen fragt sich, wo er jetzt an Bord Clementine Hardin finden könnte. Ist sie noch in der Kabine? Sitzt sie im Speiseraum? Oder steht sie unten auf dem Hauptdeck an der Gangway? Als er sich das fragt, hört er leichte Schritte auf dem Gang vor den Kabinen. Er wendet den Kopf und sieht sie kommen, indes die Dunkelheit immer stärker niederfällt, weil jetzt Wolken den Himmel verbergen und das letzte Licht tilgen. Sie hält vor ihm an, sieht zu ihm hoch und spricht ganz ruhig: »Sie müssen mir gewiss eine Menge erklären, Mr Benteen oder besser gesagt: Captain Benteen. Mein Mann hat mir in seinen Briefen über Sie geschrieben. Sie waren Freunde geworden im Verlauf des Krieges. Er hat mir auch Ihr Äußeres beschrieben, Sie einen typischen Anglo-Texaner genannt, also groß, blond und blauäugig mit einem schnellen Revolver. Sie haben meinem Mann mehrmals das Leben gerettet. Sind Sie Captain Benteen? Und warum sind Sie nun
schon fast zwei Jahre auf meiner Fährte?« Als sie verstummt, hat sie alles gesagt. Und in ihrer Stimme war irgendwie ein Klang von Zuversicht und Hoffnung, so als hätte sie die ganze Zeit etwas tief in ihrem Kern verborgen, was nun in ihr hochkam. »Ich bin es, Ma’am«, sagt er ernst. »Und ich kam damals zu spät auf die Plantage, um Ihnen die letzten Worte Ihres Mannes mitzuteilen. Seine Gedanken waren bis zu seinem letzten Atemzug bei Ihnen. Ich gab ihm mein Wort, nach Ihnen zu sehen und Ihnen beizustehen. Doch ich kam zu spät. Und dann erfuhr ich von diesem Hirtenjungen Humpy, was geschehen war. Seit diesem Tag folge ich der Fährte der Tennessee-Wölfe. Doch im vergangenen Winter verlor ich die Fährte. Es muss dann der Wille des Schicksals gewesen sein, dass ich in Portland auf Jesse Johnstone stieß. Ich erkannte ihn sofort, weil ich den Steckbrief der Johnstones immer noch bei mir trage. Und auch Ihr Bild, Ma’am, welches Ihr Mann mir gab, trage ich bei mir. Jetzt wissen Sie alles. Sie sind nicht mehr allein. Ich entreiße Sie den Johnstones, selbst wenn ich alle töten müsste. Oder sind Sie jetzt freiwillig bei ihnen?« »Nein«, erwidert sie klirrend. »Doch sie sind mächtig und werden immer mächtiger. Ich wüsste nicht, wie ich ihnen entkommen könnte, schon gar nicht in diesem Land. Und wohin könnte ich? Jeden, bei dem ich Hilfe und Schutz fände, würden sie umbringen. Sie haben ihre Fährte gut verwischt. Und Herb Johnstone betrachtet mich als sein Eigentum. Ich gehöre ihm. Verstehen Sie, ich habe mich ihm ergeben müssen wie einem Barbaren, der sich eine Frau des Feindes raubte. Captain Benteen, ich glaube nicht, dass Sie mir helfen können. Wer sich mit den Johnstones anlegt, der stirbt sehr schnell. Vergessen Sie mich.« Sie will sich abwenden und weg von ihm. Aber er hält sie fest und spricht: »Clementine, ich trage schon zu lange Ihr Bild in meiner Jackentasche dicht bei meinem Herzen. Dieses Bild hatte von Anfang an Macht über mich. Ich hole Sie von den Johnstones weg, basta!« Sie entwindet sich seiner Hand, aber sie verharrt. Denn sie beide sehen, wie Herb Johnstone wieder vom Haus her auf die Landebrücke kommt, die nun von einigen Laternen erhellt wird. »Da kommt er«, spricht Clementine heiser. »Ich habe Angst, dass er mir ein Kind macht und…« Sie eilt davon, ist nun gewiss erfüllt von Furcht. Denn wahrscheinlich durfte sie die Kabine gar nicht verlassen und mit keinem Fahrgast reden. Er sieht ihr nach und verspürt ein Durcheinander von Gefühlen und Gedanken. Und in diesem Moment wird ein Zorn in ihm geboren, der ihn zu einem gnadenlosen Rächer machen wird. Es ist ein böser, wilder Zorn, den er wieder unter Kontrolle bekommen muss, wenn er einen klaren Kopf behalten will. Denn einen klaren Kopf muss er haben, wenn er nach dem Abendessen gegen Jesse Johnstone Poker spielen soll. Und das will er, denn er will ihn vernichten. Die Johnstones aber, die sich hier Jackson nennen und die als ehrenwert und seriös gelten in diesem Lande, welches ja so viele Möglichkeiten für sie bereit hält, werden eine Niederlage Jesses am Spieltisch akzeptieren müssen. Es wird ja viele Zeugen geben. Sie können sich hier am Willamette keinen schlechten Ruf leisten. Niemand würde mit ihnen mehr Geschäfte machen. Und ihr ganzer Neubeginn, ihre Wandlung zu Gutmenschen,
dies alles wäre nur eine Illusion gewesen. Benteen bleibt noch eine Weile an der Reling vor seiner Kabinentür und betrachtet das Leben und Treiben an Land. Überall sind jetzt die Laternen und Lampen an. Auch das große Schild über der Landebrücke wird angeleuchtet in der schwärzer werdenden Nacht: JACKSON ENTERPRISE. Ich werde euch vernichten, denkt Benteen, und er ist in diesem Moment wahrhaftig sicher, dass er es kann. *** Beim Abendessen sind einige neue Passagiere am langen Tisch. Dafür fehlen andere, die hier am Ziel waren und von Bord gingen. Der Ort hier heißt tatsächlich Jackson Enterprise. Die Johnstones haben ihn umgetauft, denn er hieß zuvor anders. Wieder sitzt Clementine am Kopfende des Tisches und wirkt dort in sich gekehrt und ganz und gar wie eine schöne Queen, eine zurückhaltende Lady. Herb Johnstone hat wieder den Platz neben ihr. Manchmal redet er zu ihr. Dann nickt sie nur oder schüttelt den Kopf. Doch das scheint ihn nicht zu stören. Er lacht sie dann an und hebt manchmal die Hand, um ihre Wange zu streicheln. Dann weicht sie nicht aus, sondern lässt es geschehen. Benteen beobachtet es unauffällig und ahnt, was sein würde, wenn sie seiner streichelnden Hand auswiche. Und so weiß er, dass Herb Johnstone sie immer wieder auf die Probe stellt. Was für ein Leben, denkt Benteen und fragt sich in diesem Moment, ob diese Frau überhaupt jemals wieder einen Mann lieben könnte. Wahrscheinlich ist sie für immer gebrandmarkt. Er kann sich unschwer vorstellen, dass sie früher einmal eine vitale Frau war, lebenslustig und hungrig nach Liebe. Gewiss hat sie sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Mannes gewartet. Dann aber war sie in die Hände von Herb Johnstone gefallen, für den sie was ganz Besonderes wurde. Aber hat nicht auch er, Chris Benteen, sich in ihr Bild verliebt? Hat ihr Aussehen nicht auch auf ihn wie ein Zauber gewirkt? Herb Johnstone war daran gewöhnt, sich zu nehmen, was er wollte, Beute zu machen wie ein Wolf. Doch dann hat er den heißen Wunsch verspürt, sie nicht wie ein Barbar als Beute zu betrachten. Er wollte sie erobern, ihre Achtung und Zuneigung. Und so fasste er den unglaublichen Plan, mit seinen vier Neffen zu den Guten auf dieser Welt zu gehören. Dies alles beginnt Chris Benteen instinktiv zu begreifen, indes er mit dem Paar und den anderen Passagieren am Abendtisch sitzt und die beiden beobachtet. Ja, Herb Johnstone buhlt um ihre Zuneigung. Das ist verrückt. Doch ein Mann in seinem Alter hält das für seine letzte Chance, sein Leben noch einmal lebenswert zu machen und all das Böse, was darin war, vergessen zu können. Benteen verspürt Mitleid mit Clementine. Er geht dann nach dem Essen noch einmal hinaus und tritt an die Reling des Kabinen-
decks. Andere Passagiere folgen seinem Beispiel. Einer der Männer sagt: »Oha, ich will es heute wissen! Verdammt, ich will es in dieser Nacht wissen! Jede Pechsträhne geht mal zu Ende! Heute wird alles anders sein.« Der Steward kommt aus dem Saloon heraus und sagt laut genug: »Ladys und Gentlemen, das Spiel kann beginnen.« Sie treten ein, und aus dem großen Speisesalon wurde eine nobel wirkende Spielhalle, ein schwimmendes Casino. Es gibt einen Roulettetisch, dazu Faro- und Black-Jack-Tische. Es kann gewürfelt und auch Billard gespielt werden. Letzteres ist möglich, weil des Schiff ja ruhig an der Landebrücke liegt, also nicht schwankt oder vibriert im Strom, angetrieben vom Schaufelrad am Heck. In der Ecke steht ein runder Pokertisch, an dem Jesse Johnstone mit drei anderen Männern sitzt. Er winkt Benteen zu und ruft halblaut quer durch den Raum: »Kommen Sie, Benteen, kommen Sie! Wir warten schon auf Sie. Es geht los!« In seiner Stimme ist zuletzt ein ungeduldiger Klang. Benteen lächelt freundlich und verständnisvoll. Und als er Platz nimmt, stellt Jesse Johnstone die drei anderen Mitspieler vor, nennt ihre Namen. Doch was sind schon Namen in diesem Land am Willamette River? Der Name Jackson stimmt ja auch nicht. Aber Benteen nimmt zur Kenntnis, dass auch diese drei Männer mächtige Männer im Willamette-Land sind, von denen jeder mehr als ein Dutzend Holzfällermannschaften in den Wäldern arbeiten lässt und fast ebenso viele Flößermannschaften auf dem Strom hat, die das Holz zum Columbia bringen. Es sind Männer, welche mächtig viel Geld verdienen und für die tausend Dollar nicht viel mehr als Hühnerfutter sind. Sie betrachten Benteen forschend, witternd. Dann spricht einer: »Ich denke, Benteen, Sie leben von den Karten. Sie sind ein Spieler.« Benteen nickt. »Und wenn? Haben Sie etwas gegen Spieler, die das Spielen zum Beruf machen?« Der Mann schüttelt den Kopf. Sein Nachbar lacht kehlig und spricht: »Wir sind doch alle irgendwie Spieler auf dieser Erde. Wir alle haben vom Schicksal Karten zugeteilt bekommen, und es liegt an uns, was wir damit machen. Ist es nicht so?« Sie grinsen und lachen nun alle in der Runde. Jesse Johnstone richtet den Blick fest auf Benteen. »Es steht unentschieden zwischen Ihnen und mir«, sagt er. »Doch das wird sich in dieser Nacht ändern.« Benteen nickt nur und holt eine Menge Geld aus seinen Taschen. Es sind mehr als fünftausend Dollar in großen Scheinen. Und noch viel mehr Geld trägt er in seinem Geldgürtel unter seiner Kleidung auf der bloßen Haut. Dann beginnt das Spiel. Jesse Johnstone zog die höchste Karte und darf zuerst mischen und austeilen. Überall im Raum wird nun gespielt. Und noch ist das Spiel der Runde in der Ecke kein besonderes Spiel für die anderen Passagiere im Saal. Drei Stunden vergehen. Benteen verliert und gewinnt, aber seine Verluste sind etwas höher als seine Gewinne. Gegen Mitternacht hat er mehr als tausend Dollar verloren.
Der große Gewinner aber ist Jesse Johnstone. Einmal kommt Herb Johnstone herein, wandert durch den Raum von Tisch zu Tisch und verhält auch eine Weile bei der Pokerrunde in der Ecke. Doch dann, als er schon gehen will, wird alles anders. Denn Jesse Johnstone erhöht seinen Einsatz plötzlich um tausend Dollar. Und Benteen geht mit und erhöht nochmals um tausend Dollar. Die drei anderen Spieler aber steigen aus. Und so geht das Spiel nur noch zwischen Benteen und Jesse Johnstone weiter. Herb Johnstone aber verharrt in der Nähe wie ein witternder Wolf. Als Jesse Johnstone abermals mitgeht und erhöht, da wird man im ganzen Raum aufmerksam. Sie alle begreifen, dass es da in der Ecke um alles oder nichts geht, weil beide Spieler ein besonders gutes Blatt haben. Oder will einer der beiden Spieler den anderen aus dem Spiel bluffen? Als Benteen sein ganzes Geld gesetzt hat, holt er seinen Geldgürtel hervor und entnimmt diesem fünf Tausenddollarscheine. Doch Jesse Johnstone grinst nur und lässt Geld kommen. Er bringt also den Einsatz und fragt dann: »Wollen wir noch weitermachen, Benteen?« Er fragt es gierig. Benteen aber betrachtet noch einmal seine Karten. Einen Moment ist er verunsichert, aber er sieht einen Royal Flush in Pik bis zum Ass in seiner Hand. Und dieser Royal Flush ist in dieser Runde nicht zu schlagen. Denn es wurde vorher vereinbart, dass alle Farben gleichwertig sind. Jesse Johnstone könnte also einen Royal Flush in Kreuz, Herz oder Karo bis zum Ass haben. Und in diesem Fall müssten alle Einsätze geteilt werden. Auch das war zuvor ausgemacht wurden. Benteen blickt in Jesse Johnstones siegessicheren Gesichtsausdruck und denkt: Du verdammter Hurensohn hast ebenfalls einen Royal Flush. Dann wirft er seine Karten offen auf den Tisch. Inzwischen hat sich ein Halbkreis um die Pokerrunde gebildet. Die Kiebitze recken ihre Hälse. Eine heisere Stimme ruft: »Ein Royal Flush in Pik bis zum Ass! O verdammt!« Jesse Johnstone verzerrt nun sein Gesicht und zeigt seine gelben Zähne. Und dann zeigt er seinen Royal Flush – von der Karo-Zehn bis zum Karo-Ass. Der Kreis der Zuschauer aber stöhnt vielstimmig auf. Eine Stimme spricht feierlich: »Das gibt es nur alle hundert Jahre. Oh, was für ein Wunder! Das ist seltener, als wenn dir ein Vogel vom Himmel in die erhobene Nase scheißt und dann auch noch in ein bestimmtes Nasenloch, oho!« Nun lachen viele Stimmen, sogar die der Frauen. Jesse Johnstone starrt Benteen so richtig böse an. Denn er sah sich schon als Gewinner. Sein Onkel Herb tritt an den Tisch und spricht laut genug, sodass es alle hören können: »Es muss geteilt werden! So war es vereinbart! Der ganze Einsatz im Pott muss geteilt werden. Und ich werde das übernehmen. Denn auf einem Dampfboot der Jackson Enterprise herrscht Fair Play.« ***
Es ist im Morgengrauen, als Benteen auf dem Kabinendeck an die Reling tritt und die frische Luft einsaugt. Aus dem Fluss beginnen die Nebel zu steigen, doch noch erreichen sie nicht die Höhe des Kabinendecks. Der Spielraum ist geschlossen. Man macht alles wieder fertig für das Frühstück. Auch andere Passagiere, die als Spieler bis zum Morgengrauen durchgehalten haben, stehen neben Benteen an der Reling. Die »Lady Tina« macht Dampf auf. Die Heizer werfen Holzscheite in die Feuerbuchsen unter den beiden Kesseln, schüren mit eisernen Stangen. Die »Lady Tina« stand zwar die ganze Nacht unter Dampf, aber sie muss mehr Druck bekommen, um sich gegen den Strom stemmen zu können. Einer der Passagiere tritt neben Benteen und sagt zu diesem: »Das ging diese Nacht unentschieden aus. Was ist das für ein Kampf zwischen Ihnen und Jesse Jackson?« »Er will mich schlagen«, erwidert Benteen. »Er fand schon an Land heraus, dass er mich nicht schlagen kann und höchstens ein Remis erreicht. Deshalb wohl diese besonderen Regeln, die er vorher aufstellte. Normalerweise hätte mein Pik-Royal-Flush seinen Karo-Royal-Flush geschlagen. Und das ist wohl eine mächtige Herausforderung für ihn.« Der Mann neben ihm nickt und murmelt: »Ja, das gibt es manchmal zwischen Männern. Wir sind noch sieben Tage bis zum Ende der schiffbaren Strecke unterwegs. Werden Sie so lange durchhalten?« »Gewiss«, erwidert Benteen und geht zu seiner Kabine, verschwindet darin. Und indes er sich wäscht und rasiert und ein wenig erfrischt für das Frühstück, bekommt Jesse Johnstone in seiner Kabine Besuch von seinem Onkel. Herb Johnstone lehnt sich mit dem Rücken an die Kabinentür und sieht seinen Neffen an, der erschöpft auf dem Bettrand sitzt und soeben aus einer Flasche guten Whisky trank. »Ist was, Onkel Herb?« So fragt er irgendwie trotzig. Herb Johnstone betrachtet ihn noch eine Weile und spricht dann: »Junge, warum fühlst du dich von diesem Mann herausgefordert? Was juckt dich, wenn du ihn nur ansiehst? He, ich habe dir die ›Lady Tina‹ anvertraut, damit du eine Aufgabe hast und Verantwortung trägst, unseren guten Ruf im Willamette-Land noch verstärkst. Wenn du gegen diesen langen Texaner verlieren solltest, dann versuche nichts, was unseren Ruf beschädigen könnte. Du weißt, dass ich in die Politik einsteigen will. Denn dann erst werden wir mächtig. Mach nur keinen Fehler, Junge. Bud ist jetzt auch mit an Bord bis zum nächsten Holzlager. Vergiss nie, Junge, dass ich eines Tages im Senat in Salem sitzen will, vergiss es nie!« Nach diesen Worten geht er wieder hinaus. Jesse Johnstone aber nimmt wieder einen langen Schluck aus der Flasche, bleibt noch eine Weile auf dem Bettrand hocken und denkt über Benteen nach. Er würde zu gerne wissen, warum dieser lange Texaner für ihn eine Herausforderung ist. Sie sind sich zuvor noch nie begegnet, waren sich vollkommen fremd. Und dennoch hat Jesse Johnstone ständig das Gefühl, dass sie Feinde sind. Warum spürt er ständig eine Gefahr und das Gefühl der Feindschaft? Er fragt sich auch, ob Benteen etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun haben könnte, aber er findet keine Antwort darauf. * * * �
Chris Benteen schläft nach dem Frühstück wieder tief und fest. Doch das tun fast alle Kabinenpassagiere auf dem Kabinendeck. Es gibt hier oben auf jeder Seite fünfzehn Kabinen. Die meisten sind Zweibettkabinen, eigentlich nur kleine Kammern. Wenn man sich an das klatschende Rattern des Schaufelrades gewöhnt hat, schläfert dieses ständige Geräusch ein. Doch sie alle, die in der Nacht im Spielraum ihr Glück versuchten, sind ja müde, manche richtig ausgebrannt. Benteen schläft also tief und fest. Er fühlt sich auch sicher in seiner Kabine, denn er konnte sie von innen abschließen. Überdies ist auch ein Riegel vorhanden. Es ist am frühen Mittag, als sein Instinkt ihn weckt. Aber er schreckt nicht auf, sondern bleibt liegen, atmet weiter wie bisher, lauscht jedoch auf die Geräusche dicht neben sich in der Kabine. Ja, es ist jemand eingedrungen, hat dies vollbracht trotz Schloss und Riegel an der Tür. Benteen liegt auf dem Rücken und öffnet die Augen nun zu Schlitzen. Und da sieht er über seine Füße hinweg Herb Johnstone. Dieser durchsucht gerade seine Jacke, die über der Stuhllehne hängt. Benteen kann sehen, dass Herb Johnstone den Steckbrief und das Bild der schönen Clementine findet. Er lässt dann beides fallen und bringt ein Messer zum Vorschein. Als er sich damit dem scheinbar schlafenden Benteen zuwendet, gibt es keinen Irrtum mehr. Herb Johnstone ist zum Töten bereit – und er muss es lautlos tun. Er darf nicht schießen. Als er neben dem Bett steht, sich vorbeugt und zustoßen will, da stößt ihm Benteen seine Gerade von unten gegen den Gurgelknoten. Und dann kämpfen sie, denn obwohl es Herb Johnstone an Luft fehlt und er angeschlagen ist, gibt er noch lange nicht auf. Benteen kommt aus dem Bett heraus und trifft den Gegner noch einmal, diesmal mitten ins Gesicht. Er kann Herb Johnstones Messerhand umklammern, den Unterarm umbiegen und das Messer in Johnstones Magengegend stoßen. Und da ist es vorbei. Johnstone kämpft nicht mehr. Benteen stößt ihn aufs Bett und sieht zu, wie Herb Johnstone den Messergriff umklammert und aus der Magenpartie ziehen will. Es gelingt ihm nicht. Er atmet schwer, stöhnend, schmerzvoll. Mühsam fragt er: »Aber du bist nicht ihr Mann, dieser Colonel. Ich sah sein Bild damals in dem schönen Haus. Du kannst es nicht sein, nicht wahr?« »Nein«, erwidert Benteen. »Ich war nur der Captain des Colonels. Und ich bin schon seit zwei Jahren auf eurer Fährte. Du aber bist gleich in der Hölle.« Herb Johnstone schweigt einige Atemzüge lang. »Alles ist eines Tages vorbei«, stöhnt er dann. »Und wir waren doch auf dem besten Weg zu einem neuen Leben. Ich wollte mir Clementine redlich erobern. Wir wandelten uns. Hier auf diesem Strom achtet man uns. Und dann kommst du…« Er atmet langsam aus. Einen Moment sieht es so aus, als wäre er schon tot. Doch dann öffnet er noch einmal die Augen. »Du wirfst mich wohl bei Nacht in den Fluss – oder?« »Ja, ich lasse dich verschwinden«, erwidert Benteen. »Die Hölle wartet auf dich.« ***
Herb Johnstone stirbt von einem Atemzug zum anderen. Sein eigenes Messer, mit dem er Benteen umbringen wollte, steckt immer noch bis zum Heft in ihm. Benteen lehnt neben dem Bett an der Kabinenwand. Es ging alles so verdammt schnell, war wie ein jäher Ausbruch, eine Explosion von Gewalt. Und er hat um sein Leben kämpfen müssen. Es war keine Schonung möglich. Und nun? Es hat sich eine Menge verändert. Die Tennessee-Wölfe verloren ihren Leitwolf. Und Clementine Hardin ist frei. Denn Herb Johnstone ist tot. Doch wohin mit dem Toten? Benteen muss ihn verschwinden lassen. Das aber wird nicht einfach sein. Denn es ist noch Tag, eigentlich ein schöner, heller und heißer Sonnentag. Draußen stehen gewiss einige Passagiere an der Reling und genießen die Dampferfahrt wie Ausflügler. Und auch vom Ruderhaus aus kann man auf das Kabinendeck sehen. Man kann jetzt nicht so einfach unbemerkt einen Toten über Bord werfen. Also muss Benteen warten und gewiss bis zum Nachtanbruch die langen Stunden mit dem Toten in der Kabine verbringen. Er bewegt sich nun und schiebt den Riegel der Kabinentür wieder zu. Irgendwie hat Herb Johnstone die Tür aufbekommen. Doch die Tür hat ein Schloss ohne Zuhaltungen. Und den Riegel konnte man gewiss mit einem Messer durch den Spalt zur Seite schieben. Benteen betrachtet wieder den Toten. Er zieht das Messer nicht aus Johnstones Körper, obwohl die Wunde jetzt nicht mehr bluten würde. Denn Tote bluten nicht mehr, weil das Herz nicht schlägt. Aber er lässt dem Toten die letzte Ruhestätte auf dem Bett, setzt sich neben der Tür nieder und lehnt sich gegen die Kabinenwand. Er wird viele Stunden warten müssen. Seine Gedanken werden wieder ruhiger. Wie wird Clementine die neue Situation verarbeiten? So fragt er sich. Und da sind ja auch immer noch die anderen vier Johnstones. Jesse und Bud sind hier an Bord, John und Jake irgendwo weiter stromaufwärts bei den Niederlassungen der Jackson Enterprise. Das können Sägemühlen, Holzfällercamps, Holzlager oder kleine Ortschaften sein. Einige Stunden vergehen. Benteen nickt dann und wann ein, denn die Geräusche der »Lady Tina« wirken einschläfernd. Das Schaufelrad rattert ständig, und der Dampf entweicht fauchend aus den Auslassventilen. Das Schiff vibriert in der Strömung. Das alles sind beständige Geräusche. Und überdies hat Benteen schon oft während das Krieges neben Toten gelegen. Tote sind friedlich und keine Feinde mehr. Er nickt also immer wieder ein. Dann aber wird er durch ein gewaltiges Donnern geweckt. Er weiß sofort, dass draußen ein Gewitter tobt und hört den Wolkenbruch, der das Wasser vom Himmel mit Hagel niederfallen lässt. Benteen kann sicher sein, dass sich nun niemand mehr draußen an Deck aufhält. Und im Ruderhaus wird man alle Aufmerksamkeit stromaufwärts gerichtet haben, um Hindernisse – zum Beispiel treibende Bäume – rechtzeitig zu erkennen. Benteen erhebt sich, öffnet die Tür und hebt den Toten vom Bett.
Herb Johnstone wiegt gewiss um die hundertsechzig Pfund, doch Benteen hat keine besondere Mühe, ihn aus der Kabine hinaus und zur Reling zu tragen. Dabei werden sie beide von Hagel und Regen geprügelt. Doch Johnstone spürt das nicht mehr. Er spürt auch nicht, dass er nun im Willamette River sein Grab findet und achteraus zurückbleibt. Benteen ist nass und mit Hagelkörnern bedeckt, als er die Kabinentür wieder schließen kann. Und es ist eine Erleichterung in ihm. Herb Johnstone ist von Bord. Er wird spurlos verschollen bleiben. Das Gewitter hält etwa eine halbe Stunde an. Dann wird es draußen wieder heller. Die ersten Sonnenstrahlen der Nachmittagsonne machen den Tag wieder schön. Benteen verlässt seine Kabine und begibt sich nach vorn, wo er die große Eignerkabine weiß. Auf jedem Dampfboot gibt es eine solche Doppelkabine, die zumeist vom Schiffseigner oder Kapitän benutzt wird. Als er an die Tür klopft, da öffnet Clementine. Bevor sie etwas sagen kann, drängt er sie hinein, schließt die Tür hinter sich und lehnt sich mit dem Rücken von innen dagegen. Sie verharrt vor ihm und sieht ihn mit großen Augen an, sucht nach Worten. Er erklärt ihr mit wenigen Worten die Situation. Und dann weiß sie plötzlich, dass es Herb Johnstone nicht mehr gibt. Benteen sieht ihr an, dass es ihr schwer fällt, daran zu glauben. Sie ist ja nun schon über zwei Jahre eine Gefangene, war die ganze Zeit immer willenloser in Herb Johnstones Hand, wurde bewacht von ihm und seinen vier Neffen. Sie weicht zurück bis zu einem Sessel und lässt sich darin nieder. »O Vater im Himmel«, flüstert sie, »du hast mein Flehen erhört…« Dann muss sie mühsam und wie würgend schlucken. Ihr Blick ist immer noch etwas hilflos. Doch Benteen kann sehen, wie aus ihrem Kern nun etwas hochkommt. Sie hebt beide Hände und wischt sich übers Gesicht, hält es so einige Atemzüge lang verborgen. Als sie die Hände herunternimmt, da hat sie sich verändert. Und was er nun sieht, freut ihn. Denn er sieht ihr an, dass sie wieder ihren eigenen Willen hat und zum Kämpfen bereit ist, weil sie eine Chance sieht. Alles wurde anders. Er sagt: »Wir könnten bei der nächsten Landebrücke, an der dieser Steamer festmacht, von Bord gehen. Ich könnte aber auch Jesse Johnstone dieses Dampfboot beim Poker abgewinnen.« »Ja, das wäre was«, erwidert sie, und in ihrer Stimme ist ein metallisch harter Klang. Ja, alles wurde anders. Sie fühlt sich frei von Herb Johnstone. Und sie vertraut auf Chris Benteen. »Dann werde ich das tun«, sagt Benteen. Er wendet sich zur Tür. Dort hält er noch einmal inne und spricht über die Schulter zurück: »Man wird bald nach Herb Johnstone suchen. Vielleicht wird man annehmen, er wäre bei dem Unwetter über Bord gefallen.« Nach diesen Worten gleitet er hinaus. Und niemand sieht ihn aus der Kabine kommen in diesen wenigen Sekunden. Als sich die Tür hinter ihm schließt, bleibt Clementine Hardin noch lange bewegungslos im Sessel sitzen. Ihre Gedanken jagen sich.
Ja, sie fühlt sich endlich frei und verspürt eine zunehmende Zuversicht, sich in dieser neuen Freiheit behaupten zu können. Sie wird nicht hilflos sein. Dann denkt sie an diesen Ex-Captain Chris Benteen, von dem ihr Clay, ihr Mann, mehrmals geschrieben hatte. Er wollte ihn nach dem Krieg mitbringen. Und jetzt ist dieser Benteen bei ihr. Was wird aus ihnen werden? Sie muss ihm dankbar sein. Aber könnte mehr daraus werden? Sie kann nicht glauben, jemals wieder einen Mann lieben zu können. Überdies fühlt sie sich von Herb Johnstone entehrt, beschmutzt, wertlos gemacht. Sie hatte mehrmals Gelegenheit, ihn zu töten, wenn er neben ihr schlief. Doch sie hatte es nie gewagt. Seine Neffen hätten sie umgebracht. Oh, sie hat noch eine Menge zu verarbeiten und zu bewältigen, bis sie sich wieder anders fühlen kann. *** Gegen Abend macht die »Lady Tina« an einer der Landebrücken von Amity City fest. Amity heißt ja so viel wie Freundschaft. Es ist eine kleine Stadt, kaum mehr als eine Siedlung. Aber es gibt hier eine Sägemühle, einen großen Holzplatz, eine Werft und natürlich einen Generalstore und einen Saloon. John und Jake Johnstone, die hier die Interessen der Jackson Enterprise vertreten und von hier aus ein halbes Dutzend Holzfällermannschaften versorgen, kommen an Bord, um zu berichten. Doch Jesse und Bud empfangen sie mit den Worten: »Onkel Herb ist verschwunden. Ja, verdammt, er ist nicht mehr an Bord. Er ist einfach verschwunden. Und auch Tina kann uns nichts sagen. Was machen wir?« Nun wirken auch John und Jake so ratlos wie ihre Brüder. Denn sie können sich nicht vorstellen, ohne ihren Onkel Jesse eine Entscheidung zu fällen. Jesse knirscht dann böse: »Und ich muss diese Nacht gegen diesen verdammten Benteen Poker spielen. Ich muss ihn schlagen, um wieder Ruhe zu finden. Aber Onkel Herbs Verschwinden wird mir immer wieder durch den Kopf gehen. Wie kann ich mich da konzentrieren auf diesen Hurensohn, den ich schlagen muss?« »Musst du das unbedingt, Jesse?« Jake fragt es belustigt. Doch Jesse grollt noch böser als zuvor: »Ja, ich muss! Dieser Benteen ist wie ein Berg für mich geworden, den es zu überwinden gilt – oder wie ein Wildhengst, den ich einbrechen muss. Ich brauche diesen Sieg, verdammt! Vom ersten Moment an war dieser Bursche eine Herausforderung für mich.« Die drei anderen Johnstones sehen ihren Bruder nun mitleidig und verständnisvoll zugleich an. Dann murmelt John: »Ja, das gibt es. Manchmal begegnen sich Männer und werden vom ersten Moment an zu Freunden oder zu Feinden. Ja, das gibt es. Na gut, dann schlag ihn beim Poker. Und wenn du es nicht schaffst, dann töte ihn mit dem Revolver. Und was Onkel Herb betrifft, da gibt es viele Möglichkeiten. Wir werden sehen, nicht wahr?«
* * * � Als nach dem Abendessen wieder das Spiel an allen Tischen beginnt, da herrscht eine große Spannung im Raum. Denn alle an Bord wissen längst von dem Krieg mit den Karten. Abermals sitzen außer Jesse Johnstone und Chris Benteen noch die drei anderen Spieler am Tisch, aber wahrscheinlich sind sie sich darüber klar, nur Statisten zu sein. Aber sie haben den Vorzug, alles ganz hautnah miterleben zu können. Es stellt sich schon in der ersten Stunde heraus, dass Jesse Johnstone innerlich nervös ist, nicht so konzentriert wie während der langen Nacht zuvor, als sie beide einen Royal Flush hatten. Jesse Johnstone verliert immer wieder, auch an die drei anderen Mitspieler. Und weil er die Verluste wieder hereinholen will, werden seine Einsätze immer höher. Er muss sich zweimal Geld aus der Schiffskasse bringen lassen. Einmal tritt sein Bruder Bud zu ihm und legt ihm die Hand auf die Schulter. Doch Jesse schüttelt die Hand ab und knurrt böse schräg zu ihm hoch: »Stör mich nicht, Bud. Jede Pechsträhne geht mal vorbei. Habt ihr Onkel Herb schon gefunden? Habt ihr schon im Laderaum nachgesehen? Ist vielleicht Ladung auf ihn gefallen?« Doch Bud schüttelt nur den Kopf und tritt zurück. Und so geht das Spiel weiter. Jesse verliert immer wieder größere Einsätze, und immer dann, wenn Benteen das Geld von der Tischmitte zu sich herüber zieht, da starrt Jesse ihn hasserfüllt an. Einmal grollt er: »He, Benteen, geht das mit rechten Dingen zu? Arbeiten Sie mit einem ganz besonderen Kartentrick?« »Sicher.« Benteen grinst. »Ich muss Sie nur ansehen, um zu wissen, ob Sie bluffen oder wirklich gute Karten haben. Und meistens bluffen Sie. Wenn ich Sie ansehe, kann ich in Ihnen lesen wie in einem Buch. Sie sind heute ein lausiger Pokerspieler. Was ist denn los mit Ihnen? Ich hörte, dass Ihr Onkel verschwunden ist. Beunruhigt Sie das so sehr?« In Benteens Stimme ist nun ein Klang von Hohn. Als er verstummt, starrt Jesse ihn einige Atemzüge lang starr an. Es hat sich nun wieder ein Halbkreis von Kiebitzen um den Pokertisch in der Ecke gebildet. In Jesse Johnstone ist plötzlich ein böser Zorn. Doch dann schlägt er mit der Faust auf den Tisch. »Also gut, bringen wir es hinter uns, nur wir beide! Spielen wir um alles oder nichts. Ich setze die ›Lady Tina‹ gegen alles, was Sie haben!« Seine Stimme ist nun schrill. »Geben Sie Ihren Einsatz schriftlich«, verlangt Benteen. Als er verstummt, erheben sich die drei anderen Mitspieler und weichen in den Halbkreis der Zuschauer zurück. Es ist dann Bud Johnstone, der dem Bruder von der Bar her Papier und Schreibzeug bringt. Und als Jesse geschrieben hat und den Einsatz in die Tischmitte legt, da schiebt Benteen all sein Geld dazu. Es sind mehr als fünfzehntausend Dollar. Er sieht Bud und Jesse Johnstone an.
Bud steht nun hinter Jesse und hat seine Hände auf Jesses Schultern gelegt, so als wollte er Jesse auf diese Art beruhigen. Jesse stößt nun hervor: »Lassen wir den Quatsch mit Poker! Jemand soll mischen. Und dann ziehen wir jeder eine Karte. Die höchste gewinnt. Gut so?« »Gut so.« Benteen nickt. »Das wäre fair. Und wenn Sie wollen, kann Ihr eigener Bruder mischen.« Da tritt Bud Johnstone zur Seite und näher an den Tisch heran, nimmt die Karten auf und beginnt langsam zu mischen. Und fast alle können es sehen. Er breitet dann die Karten fächerförmig auf dem Tisch aus und tritt wieder hinter Jesse, legt diesem abermals die Hände auf die Schultern. »Na los!« Jesse verlangt es heiser. »Sie zuerst, Benteen, Sie zuerst!« Benteen grinst. Natürlich ist ihm nicht besonders wohl. Er weiß zu genau, dass alles auf der Kippe steht. Was jetzt geschieht, wird Schicksal sein, und er glaubt nicht, dass dieses Schicksal auf der Seite der Johnstones ist, weil die Bösen irgendwann doch zum Untergang verurteilt sind. Denn warum sonst hat er Clementine und die Johnstones finden können? Er schiebt die Hand über den Tisch und zieht mit dem Zeigefinger eine Karte aus dem ausgebreiteten Fächer. Als er sie umdreht, da ist es eine Kreuzacht. Einige der Zuschauer, die nahe genug stehen und sich auch noch vorbeugen, die können den Kartenwert erkennen. Eine Stimme ruft: »Eine Kreuzacht ist es nur!« Jesse Johnstone grinst nun siegesgewiss und zeigt dabei wieder seine gelben Zähne. Denn es gibt ja nicht mehr viele Kartenwerte unter der Acht. Aber als er seine Karte zieht und umdreht, da ist es eine Kreuzsieben. Eine schrille Stimme ruft es. Jesse aber springt auf und bringt unter der Jacke hervor den Revolver aus dem Schulterholster zum Vorschein. Und sein Bruder Bud hinter ihm flucht wild. Auch er bringt seine Waffe zum Vorschein. Und dann bricht die Hölle los. Nun sind die Johnstones wieder die Tennessee-Wölfe, die man auch Blutwölfe nannte. Sie können nicht verlieren, sie sind jetzt wie von Sinnen. Beide Johnstones schießen auf Benteen. Doch dieser schießt ebenfalls – und besser, obwohl er selbst getroffen wird. Doch als Bud und Jesse fallen, ist es noch nicht vorbei. John und Jake, die an der Bar standen, greifen ein. Im Spielraum der »Lady Tina« liegen alle Passagiere und auch die beiden Stewards am Boden und hoffen, den Kugeln zu entgehen. Benteen sieht in die Mündungsfeuer von John und Jake Johnstone, erwidert deren Schüsse bis zur letzten Kugel und geht dann zu Boden, weiß nichts mehr. Er versinkt in bodenlose Tiefen und denkt nur noch: Das war’s! ***
Irgendwann gibt es für Chris Benteen ein Erwachen, aber es dauert eine Weile, bis er begreift, dass er noch am Leben ist. Die Schmerzen helfen ihm bei diesem Begreifen. Denn Tote spüren keine Schmerzen mehr. Er muss also noch leben. Dieser Zustand hält drei Tage und Nächte an, und einige Male sieht es so aus, als würde er wirklich endgültig abkratzen, wie man so drastisch sagt. Doch der letzte Lebensfunke in ihm will dann doch nicht gänzlich ausgehen, sondern wird wieder stärker. Am vierten Tag dann entdeckt er Clementine bei sich am Lager. Ihr Gesicht taucht aus dem Nebel vor seinen Augen auf und wird immer klarer zu erkennen. Sie lächelt auf ihn nieder und spricht ruhig: »Chris Benteen, du hast es überstanden. Wir haben einen richtigen Doc an Bord, und der hat es mir vorhin gesagt. Du bist über den Berg. Der Doc hat drei Kugeln aus dir herausgeholt.« Sie flößt ihm etwas Tee ein, und so kann er wenig später fragen: »Sind sie alle tot? Habe ich sie alle umgebracht?« Sie nickt und spricht ruhig und klar: »Ja, alle – und das war gut für die menschliche Gemeinschaft. Wir fanden in deiner Jackentasche außer meinem Bild auch den Steckbrief der Tennessee-Wölfe. Und so wurde allen Menschen an Bord klar, wie geschickt die Bande sich getarnt und verändert hatte.« Er schweigt eine Weile. Sie flößt ihm nochmals Tee ein. Nun beginnt er Hunger zu spüren. »Sind wir noch an Bord?« So fragt er. »Sicher«, erwidert sie. »Es ist dein Dampfboot. Du hast es gewonnen, und es ist ja auch ein Passagierschiff. Auch dein ganzes Geld, welches auf dem Spieltisch lag, wurde gerettet. Ich habe es verwahrt. Denn ich vertrete dich hier an Bord. Der Kapitän und die ganze Mannschaft sind auf unserer Seite.« Er hört und begreift es noch, bevor er wieder einschläft. *** Es ist zwei Tage später, als sie ihn füttert. Sie hat ihn etwas aufgesetzt und zwei Kissen hinter seinen Rücken gestopft. Und indes sie ihn mit der Suppe füttert – er könnte den Löffel noch nicht ruhig halten –, sieht er immer wieder in ihr Gesicht. Dieses Gesicht hat sich verändert. Es ist jetzt das schöne und selbstbewusste Gesicht einer Frau, die den tiefsten Punkt ihres Lebens überwunden hat. Er kann das spüren. Sie hat sich wieder fest in der Hand, ist nicht mehr verzagt und fühlt sich nicht mehr erniedrigt und entehrt. Irgendwie hat sie das überwunden. Er freut sich darüber. Dann vergehen wieder Tage und Nächte. Clementine kümmert sich um ihn wie um einen Bruder. Doch sonst ist nichts zwischen ihnen. Er spürt von ihr ausgehend nur Dankbarkeit. Und seine Gefühle ihr gegenüber sind seltsamerweise ähnlicher Natur. Und dabei hat er sich damals vor zwei Jahren in ihr Bild verliebt. Der Kapitän besucht ihn ebenfalls manchmal und fragt ihn schließlich: »Wollen Sie
die ›Lady Tina‹ behalten und auf dem Strom bleiben, Geschäfte machen wie die Johnstones?« »Ich glaube nicht«, erwidert Benteen. »Wissen Sie, ich bin Texaner. Mich hat es durch ein Spiel des Schicksals so weit nach Nordwesten verschlagen. Ich bin eigentlich ein Rindermann. Warum fragen Sie, Kapitän?« Dieser zögert ein wenig, erwidert jedoch dann: »Ich würde die ›Lady Tina‹ gerne kaufen zu einem fairen Preis. Und mit Clementine als Partnerin würde ich erfolgreich sein auf dem Willamette. Wir mögen uns. Ich muss Ihnen das sagen, Benteen. Hoffentlich ist das keine große Enttäuschung für Sie.« »Nein«, erwidert Benteen nach einer Weile. »Wissen Sie, es gibt da bei einer großen Quäkergemeinde eine Frau, die ein Jahr auf mich warten will. Das Jahr ist noch nicht ganz um. Ich denke, dass diese Frau mit mir nach Texas gehen wird. Dort werde ich eine große Ranch kaufen. Und was die ›Lady Tina‹ betrifft, Kapitän, ihr bekommt sie beide für einen Dollar. Denn mein Geld wurde ja gerettet – oder?« »Es liegt im Schiffstresor, fast achtzehntausend Dollar«, erwidert der Kapitän und geht wieder hinaus. Eine Weile später kommt Clementine herein. »Er hat es dir gesagt«, murmelt sie, »nicht wahr, du…« »Schon gut«, unterbricht er sie. »Es ist alles in Ordnung.« ENDE