Scan by Schlaflos
Buch Einer der beiden Schöpfer der erfolgreichen Sten-Chroniken kehrt mit einer neuen atemberaubende...
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Scan by Schlaflos
Buch Einer der beiden Schöpfer der erfolgreichen Sten-Chroniken kehrt mit einer neuen atemberaubenden SF-Serie zurück! Es sind unruhige Zeiten für das Imperium der Konföderation: Von den meisten Menschen vergessen, patrouilliert ein Teil der Streitkräfte an den fernen Ausläufern der Zivilisation. Und als die brüchige Konföderation plötzlich in sich zusammenfällt, gibt es für die Menschheit nur noch eine Hoffnung: die mutigen Männer und Frauen der verlorenen Legion... Nachdem die Armee am äußersten Rand des menschlichen Sternenreichs eine Revolte niederschlagen konnte, zeichnen sich schon bald neue Bedrohungen für die Bewohner von D-Cumbre ab. Nicht nur der machtgierige Protektor Alena Redruth hat es auf die Bodenschätze des Cumbre-Systems abgesehen, auch die Musth schmieden einen verwegenen Plan, wie sie die Menschenwelten unter ihre Gewalt bringen können. Einmal mehr müssen die Offiziere Garvin Jaansma und Njangu Yoshitaro alle Register ihres strategischen Könnens und ihrer militärischen Erfahrung ziehen, um die Gefahren abzuwehren und die eigenen Soldaten vor Guerilla-Attacken zu schützen. Da schließt Pilot Ben Dill nach dem Abschuss seiner Maschine eine ungewöhnliche Freundschaft... Autor Chris Bunch verfasste gemeinsam mit Allan Cole die erfolgreichen Sten-Chroniken sowie die Fantasy-Saga um die Fernen Königreiche, die zu internationalen Bestsellern wurden. Chris Bunch starb am 4. Juli 2005 in Ilwaco, Washington. Bereits erschienen: DIE DRACHENKRIEGER: 1. Herrscher der Lüfte. Roman (24197), 2. Dunkle Schwingen. Roman (24198) DIE VERLORENE LEGION: 1. Die Rekruten. Roman (24331), 2. Feuersturm. Roman (24332) Weitere Bände in Vorbereitung.
Chris Bunch
Feuersturm Die verlorene Legion 2 Roman Aus dem Englischen von Bernhard Kempen blanvalet Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Firemask. Book Two of the Last Legion« bei ROC, Penguin Putnam Inc., New York. Um weithin weis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. 1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2005 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München. Copyright © der Originalausgabe 2000 by Chris Bunch c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, U.S.A. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Luserke/Slava Fedorov Redaktion: Gerd Rottenecker UH • Herstellung: NT Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN-10: 3-442-24332-7 ISBN-13: 978-3-442-24332-7 www.blanvalet-verlag. De Für die Knicks, die das Leben erheblich einfacher gemacht haben: Kelly, Ed, Erin und Ed jr.
Wörterbuch Aerial Combat Vehicle (ACV) = Luftkampfgefährt (LKG) Armor = gepanzerte Kampftruppe Asser = Aesc (Verwechslung des Autors) Basic = Terranisch blurt = Raffer C&C = (Kommandostaffel) Camp Mahan = Camp Mahan chaingun = Maschinengewehr clanmaster = Clanmeister cleaner = Spürer Com = (der) Kom com man = Komträger Commonweal police = Gemeinwohl-Polizei Council = Kuratorium (vor der Revolte), Rat (nach der R.) The Crossing = Die Überquerung devourer-weapon = Verzehrer-Waffe dropper = Bremser, Fallbremser Electronic Countermeasures (ECM) = Elektronische Abwehr (EA) executive officer (XO) = Erster Offizier First Cause = Erste Ursache Fold = Gemeinde Gathering = Sammlung giptel = (der) Giptel (Tier auf D-Cumbre) 7 Grand Rising = Große Erhebung Intelligence and Reconnaissance Company (I&R) = Aufklärungskompanie, Aufklärungstrupp Kailas = Penwith (kleinster Mond von D-Cumbre - offenbar Verwechslung des Autors) Kerle, Mik = Karle, Mik (Name) Mobile Scout Troup (MST) = Mobile Erkundungstruppe (MET) orderly room = Dienstzimmer overlords = Herren (der Konföderation) Planetary Government, PlanGov = Planetare Regierung point wo/man = Kundschafter, Frau/Mann an der Spitze Qual = Quel RaoForce = Rao-Armee 'Raum = 'Rauhm ready lights = Bereitschaftslampen Reckoner = Schätzer (Musth-Clan) Reckoning = Schätzung (Planet) Riot Troops = Interne Friedenstruppe Scythe = Säbel (Kode-Bezeichnung) Sibyl = Prophet (Kode-Bez.) Sky Marshai = Fliegerbaron (?) slideway = Rollweg speedster = Sportgleiter Squad Support Weapon (SSW) = Maschinengewehr (MG) Stobor = Stobor (Tier) Strike Force Swift Lance = Streitmacht Schnelle Lanze System-Leader = Systemkommandant Tenacity = Beharrung (Planet) TO&E (tactical Operations and ??) = Einsatzkommando Tracker = Tracker Vehicle Commander (VC) = Fahrzeugkommandant 8 Dienstränge: Striker = Gefreiter Finf = Finf Tweg = Tweg Senior Tweg = Senior-Tweg Dec = Dec Alt = Tak Aspirant = Aspirant Cent = Cent Haut = Aut Mil = Mil Caud = Caud Vor dem Kampf meditiere über die dreizehn Wege des Feuers: 1. Seine Macht ist bedeutend größer als die eines Streitrosses, dennoch versteckt es sich im Gewand eines Kindes. 2. Strahlend und zornig erfreut es das Herz dessen, der es benutzt. 3. Sein Anblick schwächt den Feind, denn er erkennt die Gnadenlosigkeit dessen, dem er gegenübersteht. 4. Richtig gelegt wird es niemals kapitulieren. 5. Sobald das Feuer tobt, mag der Krieger seinem eigenen Weg folgen. 6. Es braucht nur wenig Ermutigung, um seine Waffen zu schultern, wenig Nahrung außer ein paar Zweigen, und doch kämpft es ohne Rast bis zum Ende. 7. Es führt seinen eigenen Kampf, es springt hierhin und dorthin, und kein Wahrsager kann seinen Weg
vorhersehen. 8. Es benutzt fast alles für seine Zwecke, und alles wird gleichzeitig zu seinem Opfer und seinem Verbündeten; der Wind wird zu seinem Ross, die Erde zu seiner Festung, und nur große Gewässer sind für ihn ein unbesiegbarer Feind. 9. Hinter seiner Maske kann der Krieger seine eigene Kriegslist in Ruhe und im Verborgenen entscheiden. 11 10. Wenn das Feuer seine Flanken deckt, kann der Krieger mit ganzem Herzen kämpfen, im Wissen, dass er sich einen vollkommenen Schild erschaffen hat. 11. Es greift alles an, was der Feind besitzt, Wagen, Pferde, Proviant genauso wie Schwertkämpfer und Bogenschützen. 12. Selbst wenn es nur verwundet, ist es schrecklich, und nur wenige überleben es. 13. Wo es gewütet hat, herrscht Einöde und bleibt für den Feind nichts außer Trostlosigkeit und Verzweiflung zurück. Bedenke gründlich die Wege des Feuers, seine Masken und seine Taktik, dann führe Krieg mit der Seele des Feuers in deinem Bauch. Maximen für einen einsamen Krieger, der gegen zahlreiche Feinde kämpft, von Lai Shi-Min, später Kaiser T'ai Tsung (ca. 630 A. D.) 1 Langnes 37421 / 4Planet / Sammlung Sternenschiffe fielen in den Normalraum und rasten auf den vierten Planeten des Systems zu. Während sie sich näherten, glitten Hangartore auf, und kleine C-förmige Kampfschiffe, die tödlichen Aksai, schössen hinaus und begleiteten ihre Mutterschiffe in enger Formation. Es sah fast wie ein Angriff aus, aber das war es nicht. Die Clanmeister der Musth versammelten sich, um zu entscheiden, was mit den Menschen geschehen sollte, die das ferne Cumbre-System besetzt hielten. Zumindest die Clanmeister, die diese Frage für bedeutend hielten, was allerdings nur für etwa zwanzig Prozent der Musth-Clans galt. Die anderen würden sich vielleicht später anschließen oder sich weiterhin neutral verhalten. In der Mythologie der Musth war 4Planet ihre Heimatwelt, obwohl die meisten ihrer Wissenschaftler davon überzeugt waren, dass sich ihr Volk gleichzeitig auf einem Dutzend oder noch mehr Planeten entwickelt hatte. Das war der Beweis, dass ihnen das Universum gehörte - zusätzlich gestützt durch die Leichtigkeit, mit der sie ihren heimatlichen Sektor erobert und sich darüber hinaus ausgebreitet hatten. 4Planet hatte ein gemäßigtes Klima, große Kontinente mit niedrigen Bergen und flachen Seen, und das Land bestand hauptsächlich aus Steppen - weiten Grasebenen, die 13 mit kleinen Wäldern durchsetzt waren. Die Sonne war ein Stern vom G-Typ, auch wenn das Licht etwas greller und bläulicher war, als ein Terraner als angenehm empfunden hätte. Auf dieser Welt war es etwas kühl für Menschen, auch wenn es nur selten schneite. Regen war ein jahreszeitliches Phänomen — selten, aber heftig, wenn er kam. So war es nicht immer gewesen. Im Verlauf der Jahrtausende war die Welt umgepflügt, nach Bodenschätzen durchwühlt, entwaldet und bebaut worden, bis die Musth schließlich zu den Sternen aufgebrochen waren. Heute war 4Planet kaum noch besiedelt, und man hatte ihm die Möglichkeit gegeben, zu natürlichen Verhältnissen zurückzukehren. Städte waren planiert und das ausgebeutete Land umgestaltet und bepflanzt worden, man hatte verseuchte Flüsse und Seen gereinigt, und nun war die Welt wieder so, wie sie vor dem Auftreten der Musth gewesen war. Seit es keinen Bevölkerungsdruck mehr gab, hatten sich die paar Millionen Musth, die auf 4Planet bleiben wollten, in halb unterirdische Dörfer zurückgezogen, die jeweils von einem bestimmten Clan bewohnt wurden. Nur auf einem kleinen Kontinent herrschte nach wie vor die Musth-Technokratie. Hier gab es Militärbasen, große Raumhäfen, Robotfabriken und die schlanke Bürokratie, die die Musth benötigten, um ihre abertausend Planeten zu verwalten. Dieser Ort hieß Sammlung. Genau im Zentrum des Ganzen befand sich ein zwei Kilometer durchmessender Zylinder mit einer kuppelförmigen Rotunde. Dieses dreihundert Meter hohe Gebäude war der Ort, an dem sich die Musth mit Problemen auseinander setzten, die über den Bereich eines Clanmeisters hinausgingen, oder in Fehden vermittelten, wenn eine der betroffenen Gruppen eine Intervention verlangte. 14 Das Gebäude hatte keinen Namen, was für die Musth nur logisch war. Da es in ihrem Imperium das einzige war, das diesem Zweck diente, brauchte es keine spezielle Bezeichnung. Es gab ein ironisches Sprichwort der Musth: »Der einzige Grund, warum wir Musth nicht über den All-Kosmos herrschen, ist der, dass wir ein Auge für die Zukunft unseres Volkes benötigen, ein Auge für unser persönliches Schicksal und ein Auge, um darauf zu achten, was sich hinter unserem Rücken abspielt, doch die Erste Ursache
hat uns nur zwei Augen gegeben.« In den Wänden des Zylinders befanden sich Suiten, von denen jede mit einer individuellen Landeplattform ausgestattet war, die groß genug für zwei Schiffe war. Hier konnte sich ein Clanmeister gut behütet einfinden und seine Geschäfte abwickeln, ohne seine Suite verlassen zu müssen, indem er die umfangreichen elektronischen Anlagen nutzte. Jede Suite war völlig autark mit eigener Energie- und Luftversorgung, sodass sich niemand Sorgen machen musste, von seinen Feinden vergast zu werden. Wenn der Konflikt gelöst war, hatten die Meister, ihre Untergebenen, Delegierten oder Verwandten die Möglichkeit, sich leibhaftig zu treffen. Fast fünfhundert Clanmeister waren zusammengekommen. Manche herrschten über mehrere Welten, andere über einen Handels- oder Wirtschaftszweig, wieder andere über Kampfflotten. Während die Aksai abdrehten und wie irdische Schwalben wachsam am Himmel kreisten, betraten die Clanmeister das Gebäude. Ihre Wege wurden von Computern koordiniert, damit sich Feinde nicht zu nahe kamen und dazu verleitet wurden, die Gunst des Augenblicks zu nutzen. Sie verließen ihre kleinen Beiboote in arroganter Hal15 tung, wie es sich für ein Herrschervolk gehörte. Sie ragten zwei Meter empor - noch höher, wenn sie sich auf den kurzen Stützschwänzen aufrichteten. Ihr raues, glänzendes Fell war gelb bis rotbraun gefärbt, die kleinen Köpfe wanden sich auf schlangengleichen Hälsen, und sie bewegten sich schnell, als sie ihre Quartiere aufsuchten. Alle trugen Waffengürtel, doch kein Stück ihrer Ausrüstung diente der bloßen Zierde. Am Abend vor der Versammlung herrschte ein intensiver Komverkehr, als Strategien, Taktiken und Ideen ausgetauscht wurden. Bei Sonnenaufgang begann die Versammlung. Wandschirme öffneten sich und teilten sich auf, um verschiedene Clanmeister zu zeigen. Andere Meister aktivierten ihre Monitore, zogen es aber vor, unsichtbar zu bleiben. Aesc, der ehemalige »Botschafter« des Cumbre-Systems, trug das Problem vor. Es hatte schon immer Spannungen zwischen Menschen und Musth gegeben, doch innerhalb der letzten Zeitsequenz hatten sie sich in gewalttätigen Handlungen entladen. Die 'Rauhm, wie er die niederen Wesen nannte, die etwas kleiner und dunkler als andere Humanoide waren, hatten gegen ihre Herren aufbegehrt. Und bei dieser Revolte war es zu Angriffen auf die Musth gekommen. »Warum?«, fragte ein Clanmeister. »Ich weiß nur wenig über die Menschen, kaum genug, um sie verachten zu können. Aber ich dachte, unsere Differenzen wären geklärt, zumindest in ihren Augen, als wir miteinander Frieden schlössen.« »Die 'Rauhm«, erklärte Aesc, »hängen dem Glauben an, dass sie dazu bestimmt sind, nicht nur über ihre eigene Welt zu herrschen, sondern über den gesamten Kosmos, die gesamte Zeit, das gesamte Leben.« 16 Überall wurde Belustigung hörbar - Laute, die eine Mischung aus Schnurren und Knurren waren. Jemand sprach von »Ketzerei«, was noch mehr Heiterkeit hervorrief. »Kriegsherr Wlencing hatte hin und wieder die Gelegenheit, gegen sie zu kämpfen«, fuhr Aesc fort. »Einmal sogar in Zusammenarbeit mit der menschlichen Armee.« »Ihre Meinung, Wlencing«, forderte ein Clanmeister namens Keffa. »Die 'Rauhm sind« - und Wlencing benutzte ein terranisches Wort -»>Würmer<, schleimige Wesen. Feiglinge, die vor dem offenen Kampf zurückscheuen, ganz anders als wahre Krieger. Trotzdem ist es ihnen gelungen, uns einen schweren Schlag zu versetzen, als sie in einer Selbstmordmission eine bemannte Bombe in unser Hauptquartier auf dem dritten Planeten stürzen ließen.« »Das«, sagte Aesc, »bewegte uns zum Rückzug, wie die zur Verfügung gestellten Dokumente zeigen.« »Ich habe sie gelesen«, sagte Keffa. »Und Sie haben sich eingemischt, bevor Wlencing meine Frage beantworten konnte. Es interessiert mich nicht, ob diese Narren sich für überlegen halten, und schon gar nicht, wenn Sie sagen, dass sie vernichtet wurden.« »Nicht vernichtet«, sagte Wlencing. »Besiegt, in ihre Schlupflöcher zurückgetrieben.« »Durch die menschliche Armee, der mein Hauptinteresse gilt und auf die sich meine Frage bezog«, sagte Keffa. »Was ist mit ihr?« Wlencing dachte nach, und sein Kopf schaukelte hin und her. »Einige von ihnen sind sehr gute Krieger, vor allem jene, die im Nahkampf ausgebildet wurden. Wie sie sich als Armee in einem längeren Krieg schlagen werden — darüber besitze ich kaum Informationen. Der Kampf gegen die 17 'Rauhm war im Grunde nicht mehr als eine Reihe von Scharmützeln. Und ein Kampf gegen uns? Nachdem die Konföderation, gegen die wir früher gekämpft haben, offenbar ihre Unterstützung für diesen Sektor eingestellt hat, sind die menschlichen Kämpfer ganz auf sich allein gestellt. Sie sind gezwungen, zu improvisieren oder ohne jede Unterstützung auszukommen. Doch ich muss zugeben, dass die Menschen oder zumindest einige Menschen einen großen Vorteil gegenüber unserem Volk haben. Sie sind in der Lage, recht schnell alternative Lösungen zu finden.«
»Vielleicht«, sagte ein älterer Clanmeister namens Paumoto, »weil sie so häufig mit inadäquaten Mitteln auskommen müssen.« Diese Bemerkung löste allgemeine Zustimmung aus. Paumoto sprach für die militanteren Musth, die sämtliche Kräfte ihres Volkes dem Ziel widmen wollten, den Stolperstein, den die Menschheit darstellte, aus dem Weg zu räumen. Nur die Menschen hatten sich bislang als Bedrohung für die Musth erwiesen. Andere intelligente Spezies waren entweder selbstgenügsam, ohne imperialistische Ambitionen, nicht so hoch entwickelt oder in den meisten Fällen Lebensformen, die nicht auf Sauerstoff basierten. Das bedeutete, dass sie sich nur für Welten interessierten, die für Menschen wie Musth lebensfeindlich und unbewohnbar waren. Bisher hatte Paumoto nur wenig Unterstützung gewonnen. Die Mehrheit seines Volkes hatte entweder keinen Kontakt mit und deshalb auch kein Interesse an der Menschheit gehabt oder glaubte, dass die Menschen eine kränkelnde Spezies war, die sich durch ihre eigene Dummheit selbst ausrotten würde. Zu Paumotos stärksten Verbündeten gehörte Keffa, der 18 bedauerlicherweise über viel zu viel Reichtum und viel zu wenig Kultiviertheit verfügte. »Das mag wahr sein«, sagte Wlencing, als sich die Belustigung gelegt hatte. »Aber ich neige nicht dazu, unsere Feinde zu unterschätzen. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass wir sie vernichten können, wenn wir intelligent kämpfen.« »Ich bewundere Sie, Kriegsherr«, sagte Paumoto, »und Ihre aufmerksamen Gefährten, dass Sie erkannt haben, wovor ich seit einer halben Generation warne. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen den Kampf gegen die Menschheit nach unseren Bedingungen beginnen. In dieser Galaxis ist kein Platz für mehr als ein Herrschervolk. Deshalb müssen wir die Menschen in ihre Schranken weisen, bevor sie stärker werden können! Dass ihre Konföderation anscheinend ins Chaos gestürzt ist, bietet uns die ideale Gelegenheit dazu.« »Vielen Dank«, sagte ein anderer Clanmeister namens Senza, »aber ich muss Sie daran erinnern, welche Ereignisse dazu geführt haben, dass wir uns wegen der Menschen Sorgen machen.« Vor fünfunddreißig E-Jahren hatten die Musth eine größere Gruppe von Kolonisten in einen rohstoffreichen Cluster geschickt, der von beiden Spezies entdeckt worden war. Sie hatten Welten übernommen, die bereits von der Menschheit beansprucht wurden, und hatten mit dem Abbau begonnen. Daraufhin hatte die Konföderation gnadenlos zurückgeschlagen und den größten Teil der Musth-Streitkräfte vernichtet. Außerdem hatten die Menschen sie gezwungen, ein halbes Dutzend Sonnensysteme im Sektor abzutreten, darunter auch die Welten, auf denen sich der Konflikt entzündet hatte. Die Clanmeister rührten sich unbehaglich, manche 19 spitzten zornig die Ohren. Kein Musth wurde gerne an die Vergangenheit erinnert, vor allem nicht, wenn es um eine schmähliche Niederlage ging. Senza galt als unberechenbar und sogar als Unruhestifter. Wahrscheinlich wäre er längst ausgeschaltet worden, wenn er nicht größten Wert auf seine persönliche Sicherheit gelegt hätte. Außerdem wurde ihm widerstrebend Respekt entgegengebracht, weil er der unbestrittene Anführer der allgegenwärtigen und umtriebigen Polperro oder »Schätzer« war. Die Polperro waren ein außergewöhnlicher Clan, der seine Mitglieder aus allen Musth rekrutieren konnte, da sie Diplomaten und Juristen waren, das Schmiermittel, das ihr Volk davon abhielt, sich in einen ewigen Bürgerkrieg zu stürzen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Musth hatte Senza aus freien Stücken die Welten der Menschen besucht und war beeindruckt zurückgekehrt. Er fand, dass beide Völker viel voneinander lernen konnten und sich lieber verbünden sollten, statt sich feindselig gegenüberzustehen. Seine Ansichten waren nur bei den jüngeren Musth populär, die keine Schwierigkeiten hatten, mit den Traditionen zu brechen, oder bei den radikaleren Elementen der Clans, die an der Änderung der etablierten Ordnung interessiert waren. »Die Vergangenheit ist tot«, erwiderte Keffa grollend. Senza vollführte eine diagonale Bewegung mit der Tatze, ein Zeichen für Zweifel. »So ist es«, sagte Paumoto abschließend. »Die gegenwärtige Frage lautet: Was sollen wir wegen der Menschen im Cumbre-System unternehmen? Welche Gelegenheiten bieten sich in diesem Augenblick? Vorschläge?« »Wir sollten nicht mit Bergarbeitern, sondern mit Krie20 gern zurückkehren«, sagte Kriegsherr Wlencing mit Nachdruck. »Wenn wir als Erste mit aller Kraft zuschlagen, gehört das System uns. Wir haben dort bereits unsere Augen und Ohren, also dürften uns wenige Überraschungen erwarten. Wenn die Konföderation noch existiert, wird sie schließlich vor vollendeten Tatsachen stehen. Wenn nicht...« Er hob eine Tatze und streckte die Krallen aus. »... werden wir auf den Pfad der Eroberung zurückkehren. Es scheint keine andere Möglichkeit zu geben und auch kein Risiko, dass wir ernsthaften Schaden erleiden.« »Was ist mit den Menschen, die nicht sterben wollen?«, fragte Senza. »Sollen wir sie mit Stechern behandeln?« Diese insektenähnlichen Wesen fanden in einer der unangenehmeren Waffen der Musth Verwendung. Sie wurden in Granaten aufbewahrt und stürzten sich auf alles, was sich bewegte, wenn der Behälter explodierte. »Wir sind keine Ungeheuer«, sagte Wlencing. »Ohne Provokation würde ich kein Junges oder Trächtiges töten. Trotzdem dürfen wir ihnen nicht gestatten, nach unserem Sieg die Flucht zu ergreifen, weil die Gefahr besteht,
dass sie mit Unterstützung der Konföderation zurückkehren. Außerdem haben wir immer Bedarf an Arbeitern, die Aufgaben übernehmen, die uns unangenehm sind - in den Bergwerken sowie in dienenden Stellungen. Jene, die überleben und nicht den Drang verspüren, sich gegen uns aufzulehnen, könnten für uns lebend sehr nützlich sein.« »Nein!«, knurrte Keffa, dessen Augen sich zornig röteten. »Wenn die Musth nicht mehr ihre eigenen Arbeiten erledigen können, ganz gleich, ob es sich um saubere oder schmutzige Tätigkeiten handelt, wenn wir uns zu fein für bestimmte Aufgaben fühlen, dann wäre es an der Zeit, dass wir abtreten, dass wir die Herrschaft einer stärkeren und lebensfähigeren Spezies überlassen! Senza mag seine eige21 ne Bemerkung für einen Scherz gehalten haben, aber ich glaube, dass er die richtige Lösung genannt hat. Wenn wir jetzt unerbittlich vorgehen, beugen wir künftigen Konflikten vor.« »Keffa besitzt zweifellos große Zuversicht«, sagte Senza. »Bis jetzt haben wir noch keine kriegerischen Maßnahmen ergriffen, doch wir diskutieren bereits über die Beute und die Frage, wie wir jene töten, die wir aus Dummheit nicht anderweitig aus dem Weg schaffen können.« »Zweifeln Sie an unserem Erfolg als Eroberer?«, verlangte Paumoto zu wissen. »Gewiss nicht«, sagte Senza. »Aber nur, wenn - ich betone, wenn - wir uns für den Krieg entscheiden. Bevor sich die Debatte weiter erhitzt, möchte ich die Frage stellen, wie viele von den Clanmeistern den Kampf gegen die Menschheit wollen.« »Wir haben bisher kaum über das Thema...«, sagte Keffa. »Da sich das Thema dieser Versammlung genau in diese Richtung entwickelt, halte ich das Ausmaß der Unterstützung einer solchen bedeutenden Entwicklung für sehr interessant. Ich beantrage einen entsprechenden Konsens.« Senza hatte das Recht, einen solchen Antrag zu stellen. Daraufhin wurden in allen Suiten Sensoren berührt. Wenige Sekunden später zeigte ein Wandschirm das Ergebnis. Etwa ein Drittel war dafür, ein Drittel dagegen und ein Drittel unentschieden. »Unser großes Volk«, sagte Senza mit leichter Ironie, »scheint das Schicksal von Wlencing, Paumoto und Keffa keineswegs als völlig eindeutig zu betrachten.« »Wollen Sie damit sagen, dass wir unsere Niederlage 22 einfach akzeptieren sollen?«, fragte Aesc. »Dass wir die Vertreibung von Cumbre einfach hinnehmen sollen?« »Nach den Unterlagen haben Sie und Kriegsherr Wlencing die Entscheidung zum Rückzug getroffen, um sich mit uns beraten zu können. Also kann von einer Vertreibung keine Rede sein.« »Was glauben Sie, wie die Menschen es auffassen?«, zischte Aesc. Nun ging ein tiefes Grollen durch das Gebäude. »Es ist mir gleichgültig, wie die Menschen es auffassen«, sagte Senza. »Sie sind, wie sie sind. Ich besitze viel mehr Vertrauen in die Bestimmung unseres Volkes, um mir allzu große Sorgen um die Menschen zu machen. Ich möchte außerdem hinzufügen, dass ich keineswegs von Ihrer Leistung beeindruckt bin, Aesc. Genauso wenig wie von Ihrer, Wlencing. Sie haben sich auf eine unbedeutende Aktion eingelassen, in der Sie zweifellos einen großen Vorteil sahen. Doch ich sehe nicht, welchen Gewinn Ihre Entscheidungen gebracht haben. Und nun möchten Sie unser Engagement in diesem System verstärken. Ich halte das für eine Dummheit. Ich glaube, wir sollten eine von zwei verschiedenen Möglichkeiten verfolgen, die ich der Versammlung vorschlagen möchte. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass wir unser Engagement im Cumbre-System fortsetzen, aber ohne größere Bemühungen als bisher. Ich gebe diesen Punkt zur Abstimmung frei, fordere jedoch die Anführer der Clans auf, damit zu warten, bis ich meinen zweiten Vorschlag unterbreitet habe. Dieser besteht darin, dass wir uns vollständig aus dem Cumbre-System zurückziehen und nur noch zum Zweck des Handels in kleinen Gruppen zurückkehren, um Rohstoffe zu erwerben. Vielleicht ist es unvermeidlich, dass wir anderen Spezies als denen begegnen, mit denen 23 wir bislang Kontakt hatten, Völker, die genauso ambitioniert sind wie wir und deren Organismus ebenfalls auf einem Kohlenstoffzyklus basiert. Wenn wir von den Menschen lernen und ihre Schwächen studieren können, wäre es nicht denkbar, dass wir diese Lektionen anwenden können, wenn wir anderen Aliens begegnen, wenn wir entscheiden, ob sie unsere Feinde oder unsere Verbündeten sein sollten? Denken Sie gut über diese zwei Vorschläge nach, verehrte Clanmeister. Auch wenn diese Frage heute von geringfügiger Bedeutung erscheinen mag, bestimmen wir möglicherweise eine Politik, für die uns künftige Musth loben oder verfluchen werden. Bitte stimmen Sie jetzt ab.« Senza war nicht überrascht, als er sah, dass beide Vorschläge mehrheitlich abgelehnt wurden. »Nachdem diese Dummheiten nun erledigt sind«, sagte Paumoto, »können wir derartige Gefühlsduseleien vergessen und auf das eigentliche Thema zurückkommen. Ich schlage vor, dass wir nach Cumbre zurückehren, aber mit einer größeren Streitmacht als zuvor, die hauptsächlich aus Kriegern besteht. Das Kommando sollte von Aesc geführt werden, da er am besten mit dem System vertraut ist, und sein Stellvertreter sollte Wlencing sein. Machen Sie sich bewusst, dass ich ihn nicht nur in militärischen, sondern in allen Belangen an zweiter Stelle sehen möchte.
Und wir sollten es vermeiden, unsere Streitkräfte ausschließlich auf Silitric zu stationieren und unser Hauptquartier in einem abgelegenen Teil ihrer Welt einzurichten. Stattdessen sollten wir in allen Städten des Planeten präsent sein.« »Ich verstehe den Sinn einer solchen Strategie nicht«, sagte Aesc. »Der oberflächliche Sinn« sagte Paumoto, »ist der Ver24 such, die Spannungen zwischen unseren beiden Völkern abzubauen. Aber in Wirklichkeit wollen wir genauer beobachten, was diese Menschen planen und denken, damit wir für eine sofortige, gewalttätige Reaktion bereit sind, wenn sie erforderlich werden sollte.« »Vielleicht«, fügte Senza zynisch hinzu, »möchte Paumoto unsere Truppen als Opfer benutzen. Wenn sie sich in bequemer Reichweite befinden, würde es den Menschen leichter fallen, den Musth Unrecht zu tun. Dadurch wird uns ein guter Grund geliefert, sofortige Vergeltungsaktionen in die Wege zu leiten. Spielt dieser Punkt bei Ihren Überlegungen eine Rolle?« »Ich würde mich wohl kaum öffentlich für eine Politik einsetzen, die den Tod einiger oder mehrerer meiner Artgenossen zur Folge hätte, nicht wahr?« »Richtig«, sagte Senza. »Sie würden es niemals öffentlich tun.« »Es wird eine Zeit kommen, Senza«, warf Keffa ein, und die Clanmeister konnten auf ihren Monitoren sehen, dass er seine Krallen ein- und ausfuhr, »in der sich Ihre Gerissenheit gegen Sie wenden wird.« »Ist das eine Herausforderung?«, fragte Senza. »Die gegen meinen Clan oder mich gerichtet ist? Wenn Sie mich persönlich herausfordern, sollten Sie sich daran erinnern, dass ich vor langer Zeit gesagt habe, dass ich keine Aufforderungen zum Duell annehmen werde. Blut löst nur wenige Probleme, was auch Sie lernen werden, Keffa, wenn Sie größer und älter geworden sind. Sofern Sie älter werden.« »Genug«, sagte Paumoto. »Ich möchte meinen Vorschlag zur Abstimmung freigeben und jene, die ihm zustimmen, daran erinnern, dass von ihnen erwartet wird, die Finanzierung und Ausrüstung dieser Expedition zu unterstützen.« Die Abstimmung ging langsam vonstatten und dauerte 25 über sieben Stunden, da verschiedene Gruppen die Diskussion fortsetzten oder ihre Stimme so lange zurückhielten, bis die eine oder andere Seite ihre Meinung durchgesetzt oder eine Entschädigung angeboten hatte. Schließlich wollten sich 112 Clanmeister und ihre Clans an der Kampagne beteiligen. Es gab nur eine Hand voll Stimmen gegen den Vorschlag. Senza war wie die meisten anderen neutral geblieben. »Genügt diese Mehrheit?«, erkundigte sich Aesc unter vier Augen bei Wlencing. »Sie ist mehr als genug«, versicherte der Kriegsherr. »Denn diejenigen, die dafür sind, sind reich an Waffen, Kriegern und Macht, und sobald das Unvermeidliche eintritt, werden die anderen darum betteln, sich uns anschließen zu dürfen. In diesem Moment erleben wir, wie etwas Großes beginnt. Es wird nicht lange dauern«, fuhr Wlencing zuversichtlich fort, »bis sich alle Musth uns anschließen. Dann ist der Tag nicht mehr fern, an dem die Menschheit auf unserem Weg in die Zukunft keine Rolle mehr spielt.« Am nächsten Tag, als Senzas Mutterschiff den Planeten verließ, kam sein Adjutant Kenryo zu ihm. »Ihr Schüler Alikhan, Wlencings Junges, ist auf 4Planet geblieben.« Senza hob eine Tatze zum Zeichen seiner leichten Überraschung. »Er hat entschieden, mit seinem Vater auf Cumbre zu dienen.« »Was bedeutet, dass wir eine weitere Schlacht verloren haben«, sagte Senza. »Wieder hat einer den Weg der Gewalt gewählt, den Weg, der kein Nachdenken und keine Vernunft erfordert.« 26 »Sie verunglimpfen Ihre eigenen Lehren, Herr.« »Inwiefern?« »Ich glaubte nicht, dass Alikhan hoffnungslos unvernünftig ist, dass seine Zeit bei uns vergebens war, dass er Ihre Gedanken missachtet.« »Vielen Dank für das Kompliment«, sagte Senza. »Aber wenn Sie Recht haben, könnte das Junge durch den Widerspruch zwischen dem, was wir glauben, und dem, was sein Vater praktiziert, irritiert werden. Doch ich befürchte«, fügte er düster hinzu, »dass seine letzte Entscheidung - genauso wie viele andere, die er getroffen hat - mit großer Wahrscheinlichkeit in Blut gefasst wird.« 2 Cumbre / D-Cumbre »Ist die Armee in Friedenszeiten nicht einfach wunderbar?«, keuchte Tak Garvin Jaansma, befehlshabender Offizier der Aufklärungskompanie in der Rao-Armee. »Du kannst in maßgeschneiderter Uniform über die Promenade flanieren, während jede Menge Silber in deiner Hose klimpert, während dir von allen Seiten bewundernde Blicke zugeworfen werden, die ganzen gottverdammten Kokoliquien - was immer das sein mag von allem, was gut, richtig und gerecht in der Gesellschaft ist.« »Halt die Klappe und hilf mir dabei, diese verdammte Verschalung wieder dorthin zu klopfen, wo sie sein soll,
bevor Monique uns in Beton konserviert«, brummte Aspirant Njangu Yoshitaro, sein Erster Offizier. Die beiden jungen Männer, die kaum zwanzig E-Jahre alt 27 waren, trugen verschwitzte Unterwäsche, Arbeitsstiefel und mit Zement verdreckte Hosen. Geduscht und in den mitternachtsblauen Galauniformen der Streitmacht hätten sie erheblich besser ausgesehen, insbesondere Jaansma. Er war fast zwei Meter groß und blond, hatte von Natur aus die Figur eines Gewichthebers und ein offenes Gesicht mit entschiedenen Zügen. Wenn er lange genug lebte und nicht desertierte, würde er allein durch sein Aussehen in einer hochrangigen Position landen. Er war der Sprössling einer alteingesessenen Zirkusfamilie und hatte sich rekrutieren lassen, nachdem er Tiger auf das Publikum losgelassen hatte. Njangu Yoshitaro war etwas kleiner als Jaansma, schlank, von dunkler Haut- und Haarfarbe. Er verdankte seine Attraktivität eher seinen markanten Zügen, und seine Augen wirkten stets berechnend. Er sprach nie über seine Vergangenheit oder sein Vorstrafenregister, das ihn irgendwann vor die Wahl zwischen Rekrutierung oder Konditionierung gestellt hatte. Die beiden hatten sich als frisch gebackene Rekruten kennen gelernt, an Bord des letzten Truppenschiffs, das von Centrum, der Hauptwelt der Konföderation, aufgebrochen war. Daraufhin hatten sie sich als Soldaten und Agenten während der 'Rauhm-Revolte ihre ersten Lorbeeren verdient und waren befördert worden. In diesem Moment hielten sie sich am Boden eines fünf mal fünf mal sechs Meter großen Loches auf, das sie und ein halbes Dutzend weiterer Soldaten aus der Aufklärungstruppe unter Verwendung von Sprengsätzen, Antigravloren, Schaufeln und Flüchen gegraben hatten. Ein kühler Wind wehte durch den Golf von Dharma, auf Chance Island und Leggett zu, die Hauptstadt von DCum28 bre. Der Sand war sauber, der Himmel unwahrscheinlich blau und die Meeresbrandung mit weißen Schaumkronen geschmückt. Am Boden des Loches jedoch konnte niemand etwas vom bezaubernden tropischen Ambiente sehen. Ein ramponierter, veralteter Cooke hing über ihnen. Die Ladebucht war mit frischem Beton gefüllt, und Erster Tweg Monique Lir saß an den Kontrollen. Wenn man Lirs Muskeln und ihr eisenhartes Auftreten wegdachte, wirkte sie ganz und gar nicht wie ein typischer Unteroffizier und Schleifer, sondern viel mehr wie ein Model oder eine Schauspielerin. »Fertig zum Auskippen?«, rief sie. Njangu betrachtete skeptisch die Plastikverschalung rund um die Grube. »Ist dir klar, dass sie die Kompanie übernehmen wird, wenn sie es verpatzt und uns lebendig begräbt?« »Sei Allah und seinem Mädchenchor dankbar, dass sie völlig mit der Rolle der Grauen Eminenz zufrieden ist«, sagte Garvin. Dann rief er zurück: »Es kann losgehen!« »Zumindest behauptet sie es«, murmelte Yoshitaro. Seine weiteren Worte waren nicht mehr zu verstehen, als der Beton durch die Rinne strömte, die von einem schwitzenden Gefreiten gehalten wurde. »Warum«, führ Yoshitaro fort, als der donnernde Lärm ein wenig nachließ, »stehen wir, zwei viel versprechende, angeblich hochintelligente Offiziere, hier unter einem verdammten Cooke, nachdem wir alles getan haben, um diese wertlosen Kisten loszuwerden, weil sie ständig abstürzen?« »Weil wir so intellektuell sind«, erwiderte Garvin. »Und nun möchte ich die Gegenfrage stellen: Welcher Idiot ist auf die Idee gekommen, dass wir beide mit gutem Beispiel vorangehen sollten?« 29 »Dieser Idiot warst du. Ich glaube, du hast es in irgendeinem Handbuch gelesen.« »Ein selten dämlicher Rat«, sagte Garvin. »Wir hätten herumstolzieren können, Leute herumkommandieren können, vielleicht sogar mit einem kühlen Bier in jeder Hand. Stattdessen...« »Wenn du noch einmal die Wörter Bier und kühl in einem Satz erwähnst, werde ich dich erdrosseln, auch wenn du einen höheren Rang als ich bekleidest«, stieß Yoshitaro hervor, während er hustend Staub schluckte. »Leer«, meldete Lir. »Ich hole jetzt die nächste Ladung.« »Warum sind wir nur so außergewöhnlich'?«, sagte Garvin. Dann rief er: »Abflug!« »Warum sitzt sie überhaupt am Steuer? Wie hat es der verfluchte Dill überhaupt geschafft, sich vor der Drecksarbeit, Zement durch die Gegend zu fliegen, zu drücken?« »Er spielt Testpilot. Heute ist sein großer Tag, der unter dem Motto >Ruhmreicher Tod über Mullion< steht. Also ist er zu wichtig und beschäftigt, um sich mit uns abzugeben.« »Arschloch. Das beweist nur, was passiert, wenn man einen Elefanten rekrutiert.« Die zuvor völlig unbewohnte und unbewohnbare Insel Lanbay wurde gegenwärtig zu einer kleinen Festung umgebaut. Dort entstanden mehrere Raketenabschussbasen und ein zentraler Kommandobunker. Auf anderen Inseln rund um den Golf von Dharma, auf Mullion und vielen weiteren Inseln und kleinen Kontinenten, die sich um den Äquator von D-Cumbre verteilten, wurden jede Menge Befestigungsanlagen errichtet. Einige sollten sofort bemannt werden, aber die meisten würden nur dann in Betrieb genommen werden, wenn die Musth das Versprechen einlösten, das sie vor mehreren Monaten gegeben hatten, und mit einer Kriegerarmee zurückkehrten.
30 Oder falls Alena Redruth, der »Protektor« von Larix und Kura, mit Kriegsschiffen aufmarschierte, um dem System mehr »Schutz« zu gewähren. Die Armee hatte viel zu tun und würde in Zukunft wahrscheinlich noch viel mehr zu tun haben, ihre Kräfte vom gemütlichen, leicht angreifbaren Stützpunkt Camp Mahan auf der Hauptinsel Dharma auszulagern. Einst hatten sie den etwas hochtrabenden Namen Streitmacht Schnelle Lanze geführt - die im Cumbre-System stationierten Truppen der Konföderation, die für die Sicherheit der Kolonisten sorgen sollten, was ihnen nicht immer gelungen war. Zwei Lokaljahre zuvor, als Jaansma und Yoshitaro eingetroffen waren, war die Schnelle Lanze das Paradebeispiel einer trägen Friedensgarnison gewesen, deren Hauptbeschäftigung darin bestanden hatte, die Knöpfe der Uniformjacken zu polieren. Doch dann hatte der Aufstand der 'Rauhm für einen Realitätsschock gesorgt. Nun wurde sie von Caud Prakash Rao kommandiert, und ihre offizielle Bezeichnung lautete Rao-Armee. Gelegentlich wurde sie immer noch Streitmacht oder auch die Legion genannt, wenn die Soldaten keinen unanständigeren Begriff verwenden wollten. Während der Revolte hatte sie schwere Verluste erlitten, einschließlich ihres Oberbefehlshabers und eines großen Teils seines Kommandostabes. Daraufhin waren Soldaten wie Yoshitaro und Jaansma vorzeitig befördert worden. Die Lücken wurden durch Rekruten aus der einheimischen Bevölkerung aufgefüllt. Wie Jon Hedley, der frühere Befehlshaber der Aufklärungskompanie, vorhergesagt hatte, kamen viele, häufig sogar die besten Leute, aus den Reihen der besiegten 'Rauhm. Wenn sich ein Rekrut, ob Mann oder Frau, als ungewöhnlich geschickt im Umgang mit 31 Waffen oder in taktischen Dingen erwies, fragte niemand in der Streitmacht nach, wo er oder sie diese Fähigkeiten erworben hatte. Stattdessen wurden sie als Kandidaten für eine baldige Beförderung vorgemerkt. Die Rao-Armee hatte schon fast wieder ihre Sollstärke von zehntausend Mann erreicht. Doch um die Ausrüstung stand es noch viel schlechter als vor dem Ausbruch der Kampfhandlungen. Es gab immer noch keine Kommunikation mit der Konföderation, ganz zu schweigen von Nachschublieferungen, und die Streitmacht wurde immer besser darin, Wracks instand zu setzen oder aus dem, was im zivilen Leben auf Cumbre verfügbar war, etwas zu improvisieren oder mit nichts auszukommen. Jeder wusste, dass die Zeit knapp war. Und jeder fragte sich, aus welcher Richtung der nächste Feind kommen würde. Und ob es sich um Menschen oder Musth handeln würde. Dec Rennender Bär streckte sich hinter den Kontrollen des schlanken Gleiters, der nun unpassenderweise in Tarnfarben anodisiert war. »Wenn es Ihnen unbequem wird«, bot Caud Rao vom Hintersitz des Luxusfahrzeugs an, »kann ich das Steuer dieser Kiste übernehmen.« »Nein, Sir«, sagte Rennender Bär. »Ich erinnere mich nur daran, dass ich nicht träume und mich nicht in einem Cooke wieder finden werde, wenn ich aufwache.« Rao warf ihm einen skeptischen Blick zu und widmete sich wieder der leisen Besprechung mit Mil Angara, dem Ersten Offizier der Streitmacht, und seinem Adjutanten Tak Erik Penwyth. Rao war mittelgroß, stämmig, dunkel, Anfang fünfzig und hätte für einen 'Rauhm durchgehen können. Angaras 32 immer noch sportlicher Körper verlor allmählich den Kampf gegen die Schwerkraft und süße Nachspeisen. Erik Penwyths Haar war ein wenig zu lang für einen Offizier, er hatte ein aristokratisches Gesicht und eine dazu passende lange Nase. Es war keine Gruppe von Offizieren, wie sie üblicherweise auf Rekrutierungspostern zu sehen war. Rennender Bär wusste, dass etwas geschehen war, etwas Großes. Die auffällige Lässigkeit der drei Offiziere war trügerisch. Aber es ging ihn nichts an. Er dachte an Raos freiwilliges Angebot, die Kontrollen des Gleiters zu übernehmen. Das war eine Veränderung gegenüber den alten Zeiten. Caud Williams war ein netter Kerl gewesen, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, den Piloten zu mimen. Und es war eine verdammt große Veränderung, statt eines demolierten Cooke mit Automatikkanonen diesen Luxusgleiter zu kutschieren, den die momentan recht großzügigen Rentiers von D-Cumbre zur Verfügung gestellt hatten. Rennender Bär berührte sein neues Rangabzeichen und das Kreuz der Konföderation, die höchste Auszeichnung des Imperiums, die er auf der Brust trug. Seine Verwundungen machten ihm leichte Schwierigkeiten, aber im Grunde spielten sie keine Rolle. Die Schmerzen erinnerten ihn daran, dass er nicht herumjammern sollte, weil er eigentlich hätte tot sein müssen, nachdem er als Letzter die Stellung gehalten hatte, genauso wie dieser weißäugige Cutter oder Cluster oder wie auch immer der Kerl geheißen hatte. Veränderungen... er blickte aus dem linken Seitenfenster auf den Strand von Leggett und hinüber zur Trümmerlandschaft von Eckmuhl, dem ehemaligen Ghetto der 'Rauhm, das bei der letzten verzweifelten Gegenoffensive der 'Rauhm größtenteils zerstört worden war. Er war sich immer noch nicht sicher, ob es ihm gefiel,
33 mit Leuten zusammenzuarbeiten, die noch vor kurzer Zeit auf ihn geschossen hatten. Aber als er das Thema Rao gegenüber erwähnt hatte, hatte der Offizier ihm empfohlen, sich deswegen keine Sorgen zu machen, woran er sich gehalten hatte. Vor allem, nachdem ein 'Rauhm-Gefreiter aus seiner Abteilung ihn während eines Urlaubstages mitgenommen und Rennender Bär die Schwester des Gefreiten kennen gelernt hatte. Nicht dass es viel zu tun gab, selbst wenn man irgendwie soziale Kontakte knüpfen konnte. Leggett wurde wiederaufgebaut, aber nicht so schnell, wie es sich die meisten wünschten. Der Krieg hatte nicht nur Menschenleben, sondern auch viel Geld gekostet, und die anschließende Friedenszeit hatte nicht viel Wohlstand gebracht, da es immer noch keinen Exportmarkt für die Rohstoffe von C-Cumbre gab. Der Mann mit den indianischen Vorfahren zuckte mit den Schultern. Es ging ihn nichts an, und es sollte nicht seine Sorge sein. »Wir nähern uns, Sir«, sagte er und ließ den Gleiter über dem neuen Fertigbau niedergehen, in dem die Planetare Regierung residierte, weniger als einen halben Kilometer von der Stelle entfernt, wo das alte Gebäude mitsamt den meisten Regierungsmitarbeitern in einem Feuerball vergangen war. Der Luxusgleiter landete, und die drei Offiziere stiegen aus. Penwyth trug einen kleinen Projektor mit Schirm in den Händen. »Suchen Sie sich ein schattiges Plätzchen, und holen Sie etwas Essbares aus der Kantine«, sagte Rao. »Die Sache wird voraussichtlich den ganzen Tag dauern.« »Ja, Sir«, sagte Rennender Bär und machte sich auf den Weg. 34 »Los geht's«, sagte Rao. »Penwyth, Sie verpassen mir einen Tritt, wenn ich vergesse, jemandem die Füße zu küssen, der es verdient hat, da Sie sich am besten mit den oberen Zehntausend der Rentiers auskennen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie uns geben, was wir brauchen.« Penwyth grinste leicht, sagte aber nichts. Er gehörte sogar selbst der Oberschicht von D-Cumbre an. Er hatte sich aus unbekannten Gründen für den Dienst in der Armee gemeldet und war dann von den Aufklärern versetzt worden, um ihm eine Anklage zu ersparen, weil er sich einerseits als Offizier ausgegeben hatte und die Sache andererseits gut ausgegangen war. »Es wäre interessant, das weitere Geschehen zu verfolgen«, sagte Mil Angara. »Es ist schlimm genug, so isoliert zu sein, auch ohne das unangenehme kleine Geheimnis, das wir ihnen offenbaren werden.« »Vor allem angesichts der Tatsache«, sagte Penwyth, »dass eine Menge Leute, die ich kenne, Freunde oder sogar Verwandte auf Larix und Kura haben. Es wird ein großes Heulen und Zähneklappern geben. Aber schließlich werden sie die Wahrheit akzeptieren müssen.« »Mit so viel Logik auf unserer Seite«, sagte Rao, »müssen wir einfach scheitern.« Damit führte er die Gruppe ins Regierungsgebäude. »Es heißt«, sagte Tak Ben Dill, Befehlshaber der Mobilen Erkundungstruppe, die vor kurzem in die Aufklärungskompanie integriert worden war, »wenn es gut aussieht, fliegt es auch gut.« »Dem lässt sich nicht widersprechen«, erwiderte Aut Jon Hedley, der Leiter der Sektion II, des Geheimdienstes der Streitmacht. Hedley war ein schlaksiger, träger Mann, der es irgendwie schaffte, seine Soldaten in den Boden zu 35 rammen, während er ein Liedchen sang und eine Rolle rückwärts machte, um dann ihre Rucksäcke ins Lager zu tragen, während sie nach Hause krochen. Die beiden Männer hatten gelogen, da sie knapp hundert Beispiele für Tücken von Luft- und Raumfahrzeugen und tödliche Fehler kannten. Dill hatte nicht ganz die Größe eines terranischen Elefanten. Er war Ende zwanzig, litt unter vorzeitigem Haarausfall und war in jeder denkbaren Richtung von Natur aus groß geraten, ohne dass er jemals dafür hatte trainieren müssen. Es gab mehrere Menschen, die den Fehler begangen hatten, zu denken, dass jemand, der so groß war, sich unmöglich so schnell bewegen konnte. Er hatte das Kommando über den Grierson, das Standard-Luftkampfgefährt, dem Garvin Jaansma zugeteilt worden war, als er den Dienst in der Streitmacht angetreten hatte. Dill hatte sich während der 'Rauhm-Revolte als Spezialist für verdeckte Einsätze bewährt, war anschließend befördert worden und hatte die Aufgabe erhalten, die neu in die Aufklärer integrierte Flugstaffel zu restrukturieren. Trotz seiner angeborenen Nachlässigkeit in allen Belangen konnte Dill einen Grierson oder jedes andere Gefährt, dessen Kontrollen er übernommen hatte, ohne Schramme durch ein Nadelöhr steuern. Dill schlenderte um den Musth-Aksai herum zur Kommandokapsel. Das Kampfschiff gehörte zu einem halben Dutzend, das in verschiedenen Stadien der Beschädigung zurückgelassen worden war, als sich die Musth aus dem Cumbre-System zurückgezogen hatten. Die Streitmacht hatte die Schiffe sowie weitere geschnorrte oder »akquirierte« nichtmilitärische Luft- und Raumfahrzeuge zu einer neuen geheimen Basis gebracht, die eilig aus dem Dschungel der Insel Mullion geschlagen worden war. 36 Dort hatten die Techniker sofort damit begonnen, alles über die Aksai herauszufinden, nicht nur, wie sie flogen,
sondern auch, wie man sie wieder zum Fliegen bringen konnte. Hedley hoffte, dass sie diese Schiffe, deren Wartungskosten tief im Budget für den Geheimdienst der Streitmacht versteckt waren, nie benötigen würden. Trotzdem wollte er auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein. »Bist du dir sicher, dass du hineinpasst, Ben?«, fragte er. Außer vor Außenstehenden höheren Ranges sprachen sich alle Mitglieder der Aufklärungskompanie immer nur mit Vornamen oder »Boss« an. »Könnte etwas eng werden«, sagte Dill. »Aber ich habe seit einer Woche auf Bier verzichtet, also müsste ich, wenn ich gut geschmiert bin, problemlos reinrutschen.« Zwei Techniker standen in der Nähe neben einem Wagen mit einem Startsystem und einer behelfsmäßigen Einstiegsleiter. Dill lief noch einmal um den Aksai herum. »Ich sehe nirgendwo wacklige Teile, also könnte ich es einfach mal versuchen.« Er überprüfte seinen Pilotenanzug und vergewisserte sich, dass die verschiedenen Notsysteme funktionierten. »Sagt meiner Mutter, dass ich den Heldentod gestorben bin«, sagte er und stieg die Leiter zum Cockpit hinauf. Sie knirschte, aber sie hielt. Die konkaven Aksai waren je nach Modell mit unterschiedlich vielen Waffenleitständen ausgestattet, von einem bis vier, die allesamt in Kapseln an verschiedenen Punkten des Rumpfes angebracht waren, der zwischen den Spitzen der Hörner eine Breite von fünfundzwanzig Metern erreichte. Der Pilot lag in einer Kapsel, die sich nicht genau im Zentrum des geschwungenen C befand. Dill kroch rückwärts in die Kanzel. 37 »Ich glaube, ich passe. Dass mir jetzt nur keiner das Wort >Klaustrophobie< ausspricht!« Er schloss die Augen und ließ die Finger über Instrumente gleiten, die nicht für Menschenhände gebaut waren. Dill hatte jede verfügbare Minute im Cockpit verbracht und sich die Kontrollen und die Funktionen eingeprägt, die durch Computeranalysen, Logik und Ausprobieren ermittelt worden waren. Etiketten waren neben die Sensoren geklebt worden, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Dill jedoch zog es vor, sich auf seinen Tastsinn zu verlassen. »Fahrt das Ding hoch«, befahl er und berührte den Sensor, der das Kanzeldach wie eine Muschelschale vor seinem Gesicht zuklappen ließ. Er schaltete den Kom ein, den die Techniker an den Cockpitrahmen geschweißt hatten und der auf eine selten benutzte Frequenz eingestellt war. »Verfolger eins, hier ist Experimental-Alpha. Wie gut können Sie mich empfangen?« Ein ziviles Flugzeug, das von der Armee beschlagnahmt worden war, kreiste in eintausend Metern Höhe über ihm. »Ex-Alpha, hier Verfolger eins. Mit Stärke fünf.« »Hier ist Alpha. Die Triebwerke werden gestartet. Sagen Sie mir Bescheid, wenn das Ding größere Bauteile verliert.« Die Antwort bestand aus dem Klicken eines Mikros. Dill spürte, wie das Musth-Schiff vibrierte, und beobachtete, wie die Techniker am Startwagen hantierten. Lichtstreifen leuchteten am Kanzeldach auf, näherten sich gegenseitig an und erloschen. Dill bewunderte das Design der fremdartigen Instrumente. Offenbar gab es kein Problem, denn im Moment waren keine violetten Leuchtanzeigen zu sehen, was im Farbkode der Musth eine Notfallsituation bedeutet hätte. 38 Die Vibrationen verschwanden. Dill berührte weitere Sensoren. Alles schien so zu sein, wie es sein sollte. Er schaltete ein weiteres Gerät ein, das von den Technikern eingebaut worden war. »Ex-Kontrolle, hier ist Ex-Alpha«, sagte Dill. »Telemetrie aktiviert. Ich beginne jetzt mit dem Testflug.« Am Boden berührte Aut Chaka, normalerweise der Kommandant der Golan-Staffel, die aus schweren Zhukovs bestand, sein Kehlmikro. »Hier ist die Experimental-Kontrolle. Telemetriedaten werden einwandfrei aufgezeichnet. Halten uns bereit. Viel Glück.« »An alle Ex-Stationen«, sagte Dill. Dann runzelte er die Stirn, weil er sich über den heiseren Unterton in seiner Stimme ärgerte. Er hatte bereits mehrere Bodentests mit dem Aksai unter statischen Bedingungen und mit Halteseilen durchgeführt, sodass kein Grund bestand, nervös zu werden. Nicht der geringste. »Hebe ab.« Seine Finger streiften eine Schaltfläche, und der Aksai schüttelte sich, dann löste er sich vom Boden. Dill übte etwas mehr Druck auf den Sensor aus. Das Kampfschiff stieg senkrecht auf und schaukelte leicht. »Fahre die Landestützen ein«, sagte Dill und hörte, wie sich die Klappen schlössen. »Schalte auf sekundäre Energie und beginne mit der programmierten Testsequenz.« Darauf beschleunigte der Aksai und stieg höher, wobei er sich eine Minute lang heftig schüttelte. »Scheißding«, murmelte Dill. »Hier Kontrolle«, wurde Chakas ruhige Stimme hörbar. »Was ist passiert?« »Die Kiste ist ungefähr so einfach zu fliegen, wie einen 39 Teller auf einem Stock zu balancieren. Ruhe da unten, damit ich mich konzentrieren kann!«
Aut Chaka ging nicht auf die Insubordination ein, während seine Augen auf die drei Bildschirme gerichtet waren, die den Aksai zeigten. »Gut«, brummte Dill. »Jetzt hab ich's.« Er ließ den Aksai weiter aufsteigen und erhöhte die Energiezufuhr. »Ex-Alpha, hier ist Verfolger eins«, sagte der Pilot des Flugzeugs. »Sie sind an mir vorbeigerauscht, als wäre Zahltag. Ich folge Ihnen mit Maximalbeschleunigung... aber Sie entfernen sich immer weiter von mir.« »Ich schätze, ich fliege mit halber Kraft«, sagte Dill. »Jetzt scheint das Ding zu funktionieren. Beginne mit der aerobatischen Routine.« Er berührte andere Sensoren, worauf der Aksai nach links abdrehte, dann nach rechts, eine Rolle vollführte, plötzlich zu rotieren begann und sich wieder fing. »Verdammt, das Scheißding ist ganz schön empfindlich«, sagte Dill. »Das versuche ich gleich noch einmal.« Erneut ging er die Routine durch, die er sich eingeprägt hatte, bei unterschiedlichen Höhen und mit unterschiedlicher Schubkraft. »Es scheint viel Zuspruch zu brauchen«, sagte er. »Jetzt kommt das erste brenzlige Manöver.« Er ließ die Nase nach unten kippen und den Aksai auf den Ozean tief unter ihm zurasen. »Der Radar hat Sie mit Mach sieben erfasst«, sagte Chaka. »Sie fallen unter fünftausend Meter.« »Genauso fühlt es sich an. Ziehe jetzt langsam wieder hoch. Sagt mir Bescheid, wenn die Flügel abfallen oder wie auch immer sie diese wackligen Dinger links und rechts von mir nennen.« 40 Dill berührte den unteren Bereich eines Sensors, und der Aksai hob sich, eierte für einen Moment und schoss dann wieder in den Himmel hinauf. »Der Vogel ist ein nettes Spielzeug«, sagte er. »Der Antigrav schaltet sich ein, wenn mehr als schätzungsweise fünf G durchkommen. Ich könnte so etwas den ganzen Tag lang machen und müsste höchstens ein- oder zweimal kotzen. Verfolger eins, bleiben Sie zurück, ich werde jetzt in den Weltraum springen. Kontrolle, habt ihr die großen Ohren alarmiert? Ich möchte nicht als unbekannter Eindringling abgeschossen werden.« »Bestätigt«, sagte Chaka. »Alle werden ein Auge zudrücken.« Die Wachstationen am Nord- und Südpol von C-Cumbre und auf den Monden Fowey und Bodwin waren informiert worden, dass sie den Testflug ignorieren sollten. »Ohren... Augen... alles ziemlich verwirrend. Oh Mann! Verfolger eins, ich bin gerade an Ihnen vorbeigerauscht, als wären Sie auf Parkposition gegangen... Verfolger zwei, hier ist Experimental-Alpha. Können Sie mich sehen?« Eine umgebaute Privatjacht, die knapp oberhalb der Atmosphäre stand, meldete sich. »Haben Sie im Visier, Alpha.« »Fahre das Triebwerk jetzt auf zwei Drittel hoch«, sagte Dill. »Schauen wir mal, wie Penwith von hinten aussieht. Experimental-Kontrolle, melde mich ab, Ende.« Zwei Stunden später aktivierte Dill sein Mikro. »An Experimental-Kontrolle, hier ist Experimental-Alpha, kehre von der Rückseite des Mondes zurück.« »Ich sehe Sie, Ex-Alpha.« »Diese Kiste ist fantastisch!«, meldete Dill. »Ich wünschte, ich hätte Erlaubnis, den Sternenantrieb anzuwerfen. Es 41 wäre interessant zu sehen, was passiert, wenn ich den großen roten Knopf drücke.« »Das bleibt einem anderen Helden vorbehalten«, sagte Chaka. »Bringen Sie sie nach Hause. Wie es scheint, können wir einen vollen Erfolg verbuchen.« »Warten Sie, bis ich gelandet bin«, sagte Dill. »Falls ich lande. Dann können wir den Champagner köpfen und über Beförderungen reden. Aber es sieht wirklich so aus, dass die Streitmacht ein paar hübsche neue Spielzeuge hat, vorausgesetzt, wir kriegen auch die anderen Kisten in die Luft.« Die Planetare Regierung war eine Zeit lang von Vertretern der Konföderation geführt worden, von denen die meisten jedoch beim Selbstmordanschlag der 'Rauhm getötet worden waren. Jetzt bestand die Regierung aus einem Rat von etwa zwanzig Männern und Frauen, die ausschließlich geborene Cumbrianer waren. Caud Rao hatte seine ganze Autorität ins Spiel bringen müssen, um die Rentiers, die selbst ernannten Herrscher des Systems, daran zu hindern, einfach zwanzig Personen aus ihren Reihen zu ernennen. Er hatte die Aristokraten dazu gezwungen, drei 'Rauhm, einen Händler, einen Fischer und zwei Bergarbeiter, die ebenfalls 'Rauhm waren, sowie einen nicht stimmberechtigten Beobachter der Armee in den Kreis aufzunehmen. Die Besetzung der Posten war anfänglich von Ausschüssen der verschiedenen Gruppierungen entschieden worden, aber innerhalb eines Jahres sollte es freie Wahlen geben. Damit war die Mehrheit der Bevölkerung zwar nicht mehrheitlich im Rat vertreten, aber es war zumindest ein hoffnungsvoller Anfang. Die Rentiers hatten genauso schwer wie alle anderen unter den Aufständen der 'Rauhm gelitten, was zur Folge 42 hatte, dass die Ratsmitglieder zumeist jünger als die traditionellen Repräsentanten der Elite waren. Zu den neuen Abgeordneten gehörte auch Loy Kouro, der stutzerhafte, gut aussehende Erbe des Matin, der
größten und konservativsten Nachrichtenquelle von Cumbre. Sein Vater, der Gründer des Verlagskonzerns, war bei der Zerstörung des alten Regierungsgebäudes ums Leben gekommen. Ein weiteres Mitglied des Rats war Jasith Mellusin, die durch dieselbe Katastrophe zur Erbin der Bergbaufirma Mellusin Mining geworden war. Diese beiden hatten noch etwas anderes gemeinsam: Garvin Jaansma. Kouro war nach einer kleinen Handgreiflichkeit auf einer Party zu seinem Intimfeind geworden und Jasith zu seiner intimen Liebhaberin - bis sie unvermittelt und ohne Erklärung die Beziehung abgebrochen hatte, als die Kämpfe eingestellt worden waren. Caud Rao wartete, bis die Tagesordnung des Rates abgearbeitet war, dann stellte er den Antrag, dass sein Beitrag aufgezeichnet wurde, was ihm ohne Widerspruch gewährt wurde. Der Aufstand lag immer noch nicht weit genug zurück, als dass die Rentiers vergessen hätten, durch wen ihr korruptes Regime vor der völligen Auslöschung bewahrt worden war. »Für uns gibt es wahrscheinlich keine wichtigere Frage als die«, begann Caud Rao, »was mit der Konföderation geschehen ist beziehungsweise warum Cumbre von jedem Kontakt zu den Hauptwelten des Imperiums abgeschnitten ist. Wir haben keine umfassende Antwort auf diese Frage, aber zumindest haben wir eine Teilantwort, die von mehreren Beweisen gestützt wird. Die Planeten Larix und Kura, die unsere angeblichen langjährigen Verbündeten waren, haben systematisch sämtliche Schiffe und Konvois abgefangen, die ihren Sektor durchflogen haben.« 43 Rao hielt kurz inne, bis sich die wütenden und schockierten Reaktionen gelegt hatten. Dann nickte er Penwyth zu, der inzwischen seine Ausrüstung aufgebaut hatte. »Seit mehr als zwei Lokaljahren sind nicht nur die Konvois ausgeblieben. Auch von den Raumschiffen, die von Cumbre abgeflogen sind, ist kein einziges zurückgekehrt, unabhängig davon, zu welchem Ziel in der Konföderation sie unterwegs waren. Deshalb hatten wir beschlossen, den Grund dafür in Erfahrung zu bringen. Wir beschlagnahmten einen kleinen Transporter, den wir mit Robotkontrollen und den besten Sensoren ausstatteten, die uns zur Verfügung standen. Ein zweites bemanntes Schiff vervollständigte das Einsatzkommando. Das erste Schiff war darauf programmiert, dem astrografischen Standardkurs von Cumbre nach Centrum zu folgen. Dieser Kurs führt in der Regel nahe an Larix und Kura vorbei, wobei der dritte oder vierte Sprung ins Planetensystem führt. Das erste Schiff sollte bei jedem Sprung unmittelbar nach der Rückkehr in den Normalraum eine Rakete mit Überlichtantrieb starten. Alle Daten, die von den Sensoren des Schiffes empfangen wurden, sollten mit gebündeltem Strahl an die Rakete übermittelt werden. Wenn die Verbindung abreißt, sollte die Rakete in den N-Raum eindringen und ein Peilsignal senden, um das zweite Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Nach dem ersten Sprung geschah nichts Ungewöhnliches, und die Besatzung des zweiten Schiffes signalisierte dem ersten, dass es einen weiteren Sprung machen sollte. Wieder passierte nichts. Doch nach dem dritten Sprung war alles anders. Das erste Schiff wurde noch im Hyperraum von Detektoren geortet. Als es den N-Raum verließ, wurde es unverzüglich 44 kontaktiert. Da es keine Besatzung gab, die hätte antworten können, wurde das Schiff angegriffen. Ich habe eine komplette Dokumentation der Ereignisse bis zu diesem Zeitpunkt, falls sich jemand dafür interessiert. Doch die bedeutendsten Daten betreffen das folgende Geschehen.« Er nickte Penwyth zu, der ein paar Sensoren drückte, worauf sich der Sichtschirm aktivierte. »Das«, erklärte Rao, »ist eine Darstellung, die auf der Datenbasis verschiedener Sensoren an Bord des Robottransporters erstellt wurde. Hier können Sie sehen, wie ein Schiff aus dem Hyperraum auftaucht. Es wurde mit einer Unsicherheit von etwa null Komma eins Prozent als Zerstörer der Remora-Klasse identifiziert. Das Flaggschiff von Alena Redruths Zerstörerflotte, die Corfe, ist ein solches Schiff. Eine solche Zuordnung ist jedoch keineswegs eindeutig. Über zweihundert Schiffe dieser Klasse wurden in den vergangenen zwanzig Jahren in Dienst gestellt, und einige davon könnten Piraten in die Hände gefallen sein, vorausgesetzt, die Weltraumkorsaren existieren tatsächlich. Zu diesem Zeitpunkt wurde unser Transporter elektronisch kontaktiert und aufgefordert, einen bestimmten Kurs einzuschlagen und eine Inspektion zu erwarten. Es wurde mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht, ohne dass aus dem Signal ersichtlich wurde, wer diese Drohung aussprach. Natürlich hat unser Schiff nicht darauf reagiert. Hier sehen Sie jetzt drei weitere Schiffe. Das Ungewöhnliche daran ist, dass es sich um nagelneue Patrouillenschiffe der Nirwana-Klasse handelt. Diese Schiffe sind sehr neu, sehr geheim und angeblich nur für die Verteidigung der Zentralwelten der Konföderation gedacht. 45 Wie mein Vorgänger, der verstorbene Caud Williams, von ihrer Existenz erfahren hat, wie er einige davon anfordern konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber er wusste davon, und einige dieser Einheiten befanden sich an Bord der Malvern, jenes Schiffes, das unter mysteriösen Umständen mitsamt weiterer Ausrüstung und über siebenhundertfünfzig Rekruten gekapert wurde. Nur drei dieser Rekruten ist es gelungen, diesen >Piraten< zu entkommen und sich in einer Rettungskapsel bis
nach Cumbre durchzuschlagen. Zwei von ihnen sind noch am Leben und dienen in der Streitmacht. Der dritte Mann, ein erfahrener Soldat der Konföderation, konnte einen der >Piraten< zweifelsfrei als Veteranen der Konföderation identifizieren, der den Dienst quittiert hatte, um sich der Armee von Alena Redruth anzuschließen. Bedauerlicherweise hat dieser dritte Mann die vor kurzem beendeten... Unannehmlichkeiten nicht überlebt. Doch einer seiner Freunde hat seine Angaben bestätigt, als er den >Piraten< vor einigen Monaten wieder sah, und zwar als Mitglied des Stabes, mit dem Alena Redruth C-Cumbre besuchte. Der Grund, warum keiner von Ihnen je von diesen drei Soldaten gehört hat, liegt darin, dass der verstorbene planetare Gouverneur Haemer und Caud Williams die Anweisung erteilten, dass in dieser Angelegenheit Stillschweigen gewahrt werden sollte. Diese Schiffe der Nirwana-Klasse gehörten übrigens zur Begleitflotte von Protektor Redruths Flaggschiff, als er zuletzt das Cumbre-System besuchte. Ich weiß nicht, ob Caud Williams die Patrouillenschiffe nicht erkannt hat oder vielleicht nur im Geheimen den planetaren Gouverneur darüber informiert hat. Da beide Männer tot sind, ist diese Frage obsolet geworden. Doch die Beweislage sieht nun recht eindeutig aus. 46 Unser angeblicher Freund Alena Redruth ist der Pirat. Er verhindert erfolgreich, dass uns Schiffe aus der Konföderation erreichen oder den umgekehrten Weg zurücklegen können.« Der Rat reagierte mit schockierter Fassungslosigkeit. Rao wartete geduldig ab. Kouro war der Erste, der die Sprache wieder fand - auch wenn es sich eher um ein etwas zusammenhangloses Klagen handelte. »Aber was hat das alles zu bedeuten?« »Zunächst einmal bedeutet das«, sagte Rao, »dass wir mehr als nur einen Feind haben, der uns Sorgen bereitet. Wenn Protektor Redruth uns das nächste Mal seine Unterstützung anbietet, vermute ich, dass er sich mit schärferen Worten als zuvor artikulieren wird. Wer bereit ist, sich mit der Konföderation anzulegen, wird gewiss nicht zögern, die Rohstoffe von Cumbre unter seine Kontrolle zu bringen, wenn er auch nur den Ansatz einer Gelegenheit sieht.« »Und was sollen wir tun?« »Ich habe einen Eid auf die Konföderation geleistet«, sagte Rao. »Genauso wie alle meine Offiziere. Wenn irgendwer versucht, die rechtmäßige Regierung von Cumbre zu stürzen, werden wir gegen ihn kämpfen.« »Aber sie haben Sternenschiffe, schwere Ausrüstung, eine viel größere Armee, nicht wahr?« Der Einwurf stammte von einem anderen Ratsmitglied. »Nach unseren Informationen sieht es so aus«, sagte Rao. »Können wir sie zurückschlagen?« Die Frage kam von Jasith Mellusin. »Ich weiß es nicht«, sagte Rao aufrichtig. »Das ist der Grund, warum ich zu Ihnen gekommen bin. Wir müssen Cumbre unverzüglich in den Kriegszustand versetzen, um 47 auf die Gefahr eines Angriffs - möglicherweise sogar einer Invasion - vorbereitet zu sein.« »Eine andere Frage«, sagte Jasith. »Sie ist sehr wichtig für mich und die Bergbaufirma meines Vaters, die ich geerbt habe. Vor dem Krieg, als Protektor Redruth uns besuchte, sagte er, dass er die Erzmenge erhöhen wolle, die in sein System geliefert wird, dass er viel mehr Schiffe bauen wolle. Aber das ist nicht geschehen. Meine Berater teilten mir mit, dass die Angelegenheit meinem Vater gegenüber nie wieder erwähnt wurde, und wir haben auch keine Notizen oder Verträge in unseren Unterlagen gefunden. Haben Sie eine Vorstellung, was geschehen sein könnte?« »Ich weiß es nicht«, sagte Caud Rao. »Wenn ich zynisch wäre, würde ich sagen, dass Redruth vielleicht auf eine günstigere Gelegenheit wartet.« »Sie meinen, er will es sich holen, ohne dafür zu bezahlen?«, fragte Jasith. »Ich vermute, dass ihm dieser Gedanke gekommen sein könnte«, sagte Rao. Jasith verzog angewidert das Gesicht, sagte aber nichts mehr. »Eine Frage, die nicht direkt mit dem Hauptthema zu tun hat«, sagte eine andere Frau leise. Sie war neu im Rat, eine Abgeordnete der 'Rauhm, und Rao musste eine Weile überlegen, bis ihm ihr Name einfiel. Jo Poynton. »Ja?« »Ich kenne mich nicht besonders gut mit interstellarer Raumfahrt aus«, sagte sie. »Führt die einzige Route, sofern das die richtige Bezeichnung ist, durch Larix und Kura?« »Nein«, sagte Rao. »Aber es ist die wirtschaftlichste und am häufigsten benutzte.« »Wenn die Konföderation noch intakt wäre oder sich weiterhin um Randsysteme wie Cumbre kümmern würde 48 und wenn es auf einer Route wiederholt zu Schwierigkeiten kommen würde, hätte man es dann nicht irgendwann mit einer anderen versucht?« »Ich wäre auf diesen Gedanken gekommen, wenn ich als Konföderationsbeamter mit diesem Problem konfrontiert wäre.« »Trotzdem ist seit der Malvern kein Schiff mehr eingetroffen«, sagte Poynton nachdenklich. »Selbst wenn wir Ihren Erkenntnissen glauben - die durchaus glaubwürdig klingen -, bleibt die Frage unbeantwortet. Etwas muss
mit der Konföderation geschehen sein, mit den abertausend Welten des Imperiums, etwas, das weit über die Intrigen dieses Redruth hinausgeht. Wir wissen aus Berichten von neuen Truppenangehörigen und Emigranten, dass es überall im Imperium zu Unruhen und Aufständen gekommen ist, einschließlich bürgerkriegsähnlicher Zustände auf Capeila. Über viele Welten wurde das Kriegsrecht verhängt. Es gab unbestätigte Berichte, dass zu ganzen Sektoren der Kontakt abgebrochen ist oder dass sie sogar einseitig ihre Unabhängigkeit erklärten. Welche Katastrophe könnte dieses plötzliche Schweigen bewirkt haben, diesen vollständigen Zusammenbruch jeglicher Kommunikation?« »Ich wünschte«, sagte Caud Rao langsam, »ich könnte darauf wenigstens mit einer unbegründeten Mutmaßung antworten. Aber das kann ich nicht.« 3 Njangu Yoshitaro lehnte sich gegen das Geländer im Dienstzimmer und hörte dem Sekretär zu, der die Postempfänger vorlas: »Irthing... Bassas... Fleam...« 49 Er schnitt sich die Fingernägel mit seinem Kampfmesser und fragte sich, wie es wäre, einen Brief von irgendjemandem zu erhalten, wobei er die Tatsache zu ignorieren versuchte, dass so etwas noch nie geschehen war. »... Bayle... Tak Jaansma...« Njangu blickte mit einiger Überraschung auf. Garvin bekam genauso wenig Post wie er, und Yoshitaro fragte sich, von wem die Sendung stammen mochte. Wahrscheinlich eine Mahnung von einem Schneider, denn Jaansma legte großen Wert darauf, sich zu kleiden wie der illegitime Sohn eines Fliegerbarons, der er gelegentlich zu sein behauptete. Müßig beobachtete er Garvin, während der Sekretär die restlichen Briefe verteilte und auch ein paar Pakete ausgab. Jaansma öffnete den kleinen Umschlag und zog etwas heraus, das nach einer Karte aussah. Er wurde rot und schaute sich um, ob jemand es bemerkt hatte. Njangu war wieder mit seinen Fingernägeln beschäftigt. Garvin las die Karte ein zweites Mal, zerknüllte sie und warf sie in einen Abfallbehälter. Dann stieg er mit knallenden Stiefelabsätzen die Stufen zum Aufenthaltsbereich hinunter. Ein neuer Rekrut passierte ihn im Laufschritt, wie es von allen potenziellen Aufklärern verlangt wurde. »Halt, Soldat!«, rief Garvin. Der Soldat bremste ab, wäre beinahe gestürzt und nahm erstarrt Haltung an. »Ja, Sir!« »Es gibt da so eine Sache, die nennt sich Salutieren«, sagte der Offizier. »Schon mal davon gehört?« »Entschuldigung, Tak Jaansma. Verzeihung, Sir.« Er salutierte, und Jaansma erwiderte den Gruß schlecht gelaunt. »Rühren!« 50 »Ja, Sir. Entschuldigung, Sir.« Der Soldat beobachtete, wie Garvin davon marschierte. Sein Gesicht zeigte Besorgnis, als könnte dieses Vergehen dazu führen, dass er in seine alte Kompanie zurückversetzt wurde, dann lief er weiter. Njangu ging zum Papierkorb und holte die zerknüllte Karte heraus, die Garvin weggeworfen hatte. Darauf stand: LOY KOURO & JASITH MELLUSIN WÜRDEN SICH FREUEN UND GEEHRT FÜHLEN ÜBER IHRE ANWESENHEIT BEI UNSERER HOCHZEITSPARTY MIT UMTRUNK AM STRAND...
»Jesus in Dessous!«, brummte Njangu. »Da draußen laufen ein paar viel schlimmere Fieslinge herum, als ich gedacht hätte.« Er fragte sich, wer die Einladung geschickt hatte -der nichtsnutzige Kouro oder seine künftige Braut. Yoshitaro hatte nie eine besonders gute Meinung von Jasith gehabt, abgesehen von der allgemeinen Verachtung, die jeder, der ohne einen Nachttopf oder ein Fenster, um ihn auszuschütten, aufgewachsen war, den Reichen entgegenbrachte. Er nahm sich vor, Garvin aus dem Weg zu gehen, zumindest bis ein paar Tage nach dem Empfang. Immerhin, dachte er, haben sie ihn nicht zur eigentlichen Hochzeit eingeladen. Wahrscheinlich haben sie befürchtet, er könnte sie mit einer Staffel Griersons unter Beschuss nehmen, was gar keine schlechte Idee wäre. So könnte man einen ganzen Haufen Rentiers auf einmal loswerden ... 51 Zwei Tage später stieß ein überschwänglicher Ben Dill auf dem Landefeld der Aufklärungskompanie mit Garvin zusammen. »Küss mich!«, befahl er ihm. Garvin bedachte ihn mit einem strengen Blick, den Ben einfach ignorierte. »Ich habe gerade meine Lizenz als Weltraumpilot bekommen! Jetzt bin ich ein richtiger Pilot! Komm mit in den O-Club und hilf mir, den Getränkevorrat zu vernichten.«
»Tut mir Leid«, sagte Garvin knapp. »Ich muss noch den längst überfälligen Kompaniebericht abliefern. Vielleicht ein andermal.« Er nickte und ging weiter. Dill blickte ihm entgeistert nach. »Was glaubst du wohl, wie sehr es mir Leid tut«, sagte er in verletztem Tonfall. »Und was zum Henker stimmt heute nicht mit meinem Parfüm?« Jon Hedley betrachtete nachdenklich den Fahrzeugpark und dann die Tarnnetze, die nicht nur vor direkter Sicht schützten, sondern auch Infrarot- und Wärmesignale abhielten. »Wir könnten«, sagte er zu Mil Angara, »ein florierendes Transportunternehmen aufziehen, wenn wir wollten.« Angara nickte. »Sechs Frachter, acht Jachten, ein paar Leichter, sechs konvertierte Patrouillenschiffe, dann die Griersons und Zhukovs, die für Flüge außerhalb der Atmosphäre getestet sind... was würden wir sonst noch brauchen?« »Wenigstens einen Zerstörer, einen Kreuzer, ein Kampfschiff und einen Träger für Kampfjäger«, sagte Angara. »Auf jeden Fall sind Sie sehr geschickt darin, jemandem den Tag zu verderben. Wollten Sie damit sagen, dass wir 52 mit, sagen wir mal, den verdammten Musth oder vielleicht Alena Redruth rechnen sollten?« »Ich rechne mit gar nichts, ich erwarte gar nichts«, sagte Angara. »Ich bin für alles offen.« »Aber Sie müssen zugeben, dass wir so bereit sind, wie wir nur sein können.« »Das sind wir«, stimmte Angara zu. »Ich wünschte nur, wir hätten mehr Hardware, um noch bereiter zu sein. Zumindest sind unsere Kräfte weit verstreut, sodass uns eigentlich nichts zu tun übrig bleibt, als uns Sorgen zu machen.« »Nicht ganz«, sagte Hedley. »Wenn man bedenkt, dass wir eine halbe Stunde bis Camp Mahan brauchen und in Kürze die Öffnungszeit beginnt, sollten wir uns lieber beeilen.« »Ich sehe, dass Sie meine Anregung zur Offenheit aufgegriffen haben«, sagte Angara. »Ich höre immer auf meine Vorgesetzten«, sagte Hedley in frömmlerischem Tonfall. »Auf ein Wort?«, fragte Njangu förmlich. Garvin schob den Papierkram zur Seite. »Nur zu.« »Hat dir schon jemand gesagt, dass du dich in letzter Zeit wie ein Arschloch benimmst?« Garvins Gesicht verfärbte sich, und er erhob sich von seinem Schreibtisch im Hauptquartier der Aufklärer. »So etwas muss ich mir nicht anhören und schon gar nicht von dir!« »Von wem solltest du es dir sonst anhören?«, warf Yoshitaro ein. »Zufällig sind wir Freunde, falls du dich erinnerst.« »Lass es einfach auf sich beruhen«, sagte Jaansma. »Es wird sich schon wieder einrenken.« 53 »Klar wird es das. Du wirst drüber hinwegkommen, dass du einfach so fallen gelassen wurdest, früher oder später. Ich kenne niemanden, der an gebrochenem Herzen gestorben ist. Aber du lässt deine schlechte Laune an der Kompanie aus, während du langsam drüber hinwegkommst. Du blaffst jeden an, sodass niemand mehr weiß, ob er scheißen oder blind werden soll. Die Hälfte der Zeit ignorierst du die Leute völlig, die andere Hälfte machst du ihnen die Hölle heiß.« Garvin starrte nach draußen, wo ein Team den Einsatz eines Raketenwerfers übte, den sie sich von einer Artillerieeinheit geborgt hatten. Die Aufklärer mussten routinemäßig an allen Waffen und Fahrzeugen trainieren, die es in der Rao-Armee gab. »Wer auch immer dir die Einladung geschickt hat, war auf keinen Fall dein Freund«, hakte Njangu nach. »Und es ist ihm auf jeden Fall gelungen, dir diese Tatsache klar zu machen.« »Du weißt davon?« »Ich weiß davon«, sagte Njangu. »Und ungefähr die Hälfte des verdammten Regiments müsste inzwischen von selbst drauf gekommen sein.« »Ich dachte, ich hätte diese ganze Angelegenheit längst abgehakt und vergessen«, sagte Garvin. »Und dann machte es Wumm, und alles war plötzlich wieder da.« »Ja«, sagte Njangu. »Ngai gefällt es, uns auf diese Weise zu überraschen, damit wir nicht vergessen, dass wir nur Menschen sind.« »Und woher ist dir plötzlich diese Weisheit zugeflogen?« »So geht es mir immer«, sagte Njangu, »vor allem, wenn es nicht um mein Problem geht.« Garvin lächelte matt. »Was soll ich also tun, o großer strategischer Berater und geschätzter Freund?« 54 »Reagier dich woanders ab!« »Wie bitte? Soll ich Urlaub nehmen? Was ist, wenn etwas passiert, während ich fort bin? Keine Chance«, sagte Garvin. »Ich habe viel zu viel zu tun.« »Ich habe nicht vorgeschlagen, dass du dich verkrümelst«, sagte Njangu. »Die neuen Trottel, die wir trainieren, werden demnächst in die Abschlussprüfung gehen. Zurzeit stehen wir blendend da, wir sind nur zwei Prozent
unterbesetzt, und wie es aussieht, werden etwa elf von ihnen die Prüfung schaffen und zwei oder drei durchfallen. Wenn so etwas passiert, könnte Hedley glauben, dass wir zu weich geworden sind, seit er uns die Kompanie anvertraut hat. Also solltest du mit diesen Clowns in die Hügel gehen, ihre Eier braten und mal sehen, ob du nicht fünf oder sechs dazu bringen kannst, heulend zu ihrer Mama zurückzurennen.« »Wo zum Beispiel?« Njangu trat vor die Wandkarte. »Ich hätte hier etwas, das die absolute Härte sein dürfte. Bring die Heuler rüber nach Dharma, vielleicht auf die andere Seite des Berges Najim, und marschier mit ihnen zum Hochland rauf. Dort ist es richtig nett und arschkalt, sodass sie mächtig Heimweh nach dem Tropenklima hier unten bekommen werden. Verlasst euch ganz auf taktische Mittel, keine Luftunterstützung, es sei denn, es kommt zu einem Notfall...« Njangu betrachtete erneut die Karte und studierte die Legende. »Ja. Genau hier. Startet hier, wo die Umwelt noch einigermaßen lebensfreundlich ist, dann latscht ihr zum Hochland, bis... hier. Da liegt die verlassene Basis der Musth. Schaut nach, ob ihr ein paar interessante Souvenirs findet. Sag den kleinen Mistkerlen, dass wir heiße Würst55 chen und kaltes Bier mitbringen, wenn wir sie rausholen und zur Prüfung fliegen, dann setzt du eine bedauernde Miene auf und erklärst, dass die Mitfluggelegenheit ausgeblieben ist und ihr leider zu Fuß zurückmarschieren müsst. Daraufhin dürften ein paar Leute in Tränen ausbrechen und alles hinschmeißen.« Garvin sah die Karte und dann Yoshitaro an. »Das ist ein ziemlich gemeiner Plan. Wie lange ist es her, dass du selbst diese Scheiße mitgemacht hast?« »Ein Jahr oder so. Wobei mir etwas einfällt. Du hast dich nie richtig für den Dienst qualifiziert, jedenfalls nicht offiziell. Also wird das Ganze auch deine persönliche Abschlussprüfung. Wie klingt das, mein Freund? Es wäre doch eine Schande, wenn du außer Atem kommst und uns im Stich lässt. Dann müssten sie mir das Kommando übergeben, und du dürftest wieder Griersons polieren. Gib mir die Gelegenheit, mir einen knackigen Spruch auszudenken, wie es diese knallharten Einheiten ständig in den Holos machen. Schleift Jaansmas Juwelen, jetzt kommen Yoshitaros... ahm...« »Yeier«, sagte Jaansma, und zum ersten Mal seit vielen Tagen war wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. »Yoden. Yemächt. Yipfel. Yohannes.« »Halt die Klappe, Sir Und geh packen!« »Vielen Dank, Aspirant. Ich werde deinen Vorschlag beherzigen. Gott möge diesen armen, bedauernswerten Jungs helfen. Pass gut auf die Kompanie auf, solange ich fort bin.« »Das werde ich«, versprach Njangu. »Wenn ich die Zeit für ein paar Verbesserungen genutzt habe, wirst du sie anschließend nicht wieder erkennen.« Die Rentiers hatten ein großes Tabernakel gebaut, fast so etwas wie eine Festung über der Stadt Leggett, genau dort, 56 wo es zu den Heights und den Anwesen der Aristokraten hinaufging. Ihre Religion war eine ruhige, förmliche und pingelig genaue Angelegenheit, die klare Unterscheidungen zwischen den etablierten Familien und den Emporkömmlingen vornahm. Ein anständiger Rentier konnte sich mühelos durch die Rituale manövrieren, während er gleichzeitig die Kleidung eines Konkurrenten oder Freundes bewunderte oder verachtete, während er überlegte, wer an der Reihe war, nach der Zusammenkunft »ein paar Freunde« zu einer kleinen Mahlzeit einzuladen, oder was auf dem Ball am Vorabend getratscht worden war. Der Priester wartete, bis der Gesang des Chores zwischen den dunklen Dachsparren des Tempels verhallt war, dann trat er mit wehendem schwarz-weißem Gewand vor. »Heute ist die zweite Bekanntmachung des Heiratsantrages zwischen Loy Kouro und Jasith Mellusin. Erneut frage ich, ob es jemanden unter uns gibt, der einen Grund nennen kann, warum diese beiden Menschen nicht den Bund der Ehe eingehen sollten.« Er wartete. Man fand nie heraus, wer es war, aber irgendwo im Hintergrund kicherte jemand. Ein paar Hälse versteiften sich, doch keiner schaute sich um. »Niemand hat sich zu Wort gemeldet«, sagte der Priester. »Damit kommen wir jetzt zur Lektion des heutigen Tages...« Die Griersons stießen herab, drifteten zur Seite und krachten gegen das Gebüsch am Rand der Lichtung. Elf Männer und Frauen sprangen heraus, unter der Last riesiger Rucksäcke gebeugt, die Blaster in die Armbeuge gedrückt, und 57 wankten zur gegenüberliegenden Seite der Lichtung, wo sie sich zu einer Verteidigungsformation sammelten. An Bord des Grierson löste Garvin sein Kehlmikro, doch dann zögerte er und drückte einen Sensor. »An Fahrzeugkommandant, hier ist Jaansma.« »Ja«, meldete sich Ben Dill knapp. »Tut mir Leid, dass ich in letzter Zeit so schlecht drauf war.« Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er den Flughelm ab, setzte eine Patrouillenmütze auf und lief zu den
anderen hinüber, wo er neben einer Rekrutin, die für den heutigen Tag als Anführerin bestimmt worden war, und ihrem Komträger in die Knie ging. Die Frau war genauso wie alle anderen von den langen Wochen der Ausbildung in und um Camp Mahan herum ausgezehrt worden, und ihr Gesicht, das nach mehreren Tagen Schlaf möglicherweise hübsch aussehen würde, war trotz der grellen Sonne blass. Sie war siebzehn Jahre alt und hatte - genauso wie alle anderen - eine Stoppelhaarfrisur. Die Rampe des Grierson wurde eingefahren, und das Kampfgefährt stieg schnell auf. Dies war das zweite Mal, dass es auf einer Dschungellichtung niedergegangen war, und gemäß der üblichen Vorstoßtaktik würde es zu Täuschungszwecken einen weiteren Landeanflug unternehmen, bevor es nach Camp Mahan zurückkehrte. Die Rekrutin, eine Frau namens Montagna, wartete automatisch darauf, dass Jaansma ihr sagte, was sie tun sollte, bis ihr klar wurde, dass sie jetzt der Chef war. Sie warf schnell einen Blick auf ihre Karte und vergewisserte sich, so gut es ging, dass sie wirklich dort gelandet waren, wo sie abgesetzt werden wollten. Die Aufgaben innerhalb der Patrouille waren schon vor dem Start verteilt worden. Montagna nickte dem Kund58 schafter zu, der seinen primitiven Kompass konsultierte. Dann stand sie auf und zog sich langsam in den Dschungel zurück. Jaansma hatte darauf bestanden, dass sie sich mit Kompassen und nicht mit dem Satellitenpositionssystem orientierten, einerseits, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, andererseits, weil ein Feind nicht nur falsche Daten über die Satelliten schicken konnte, sondern auch, weil er möglicherweise zurückverfolgen konnte, von wo aus das System benutzt wurde. Der Kundschafter übernahm die Führung, danach folgte der Rest der Patrouille. Jaansma ging hinter Montagna und dem Komträger. Er bewegte sich in einem entspannten Rhythmus, wie er es bei vielen Ausbildungspatrouillen getan hatte, seit er die Aufklärer übernommen hatte. Währenddessen fragte er sich, warum er sich hatte überreden lassen, seinen netten, ruhigen Posten als Schütze an Bord eines Grierson aufzugeben. Dort hätte er hoch über all dem Matsch fliegen und alles vergessen können, was ihn beschäftigte Mahan, Leggett und Leute, die heiraten wollten. »In Ordnung«, sagte die Hochzeitskoordinatorin schroff. »Jetzt stellen Sie sich Musik vor... dumm-dumm-dudumm, dumm-dumm-dudumm... und dann kommt die Braut, das wären demnach Sie, Jasith, durch diese Tür, ja, so ist es richtig, nein, etwas langsamer, meine Liebe, sonst hängen Sie die Blumenmädchen ab. Dann gehen Sie durch den Mittelgang, bis hierher, wo Loy auf Sie warten wird. Dort sollten Sie kurz innehalten, für die Kameras, die sich an folgenden Stellen befinden werden: eine ferngesteuert zwischen den Dachsparren, eine zweite über dieser Kirchenbank und eine dritte hinter Ihnen am Haupteingang. Die Brautjungfern sollten den Kameras keine Beachtung 59 schenken. Bitte nicht winken und keine Grimassen schneiden. Sonst gibt es beim anschließenden Empfang keinen Sekt. Jetzt gehen wir noch einmal alles durch... dumm-dumm-dudumm, dumm-dumm-dudumm, Pause, in den Gang einbiegen, dumm-dumm-dudumm, dumm-dumm-dudumm, und hier kommt die kleine Wie-heißt-sie-nochgleich, und was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?« Die korpulente Frau mit dem geröteten Gesicht blickte mit finsterer Miene auf eine schlanke Frau mit einem Kom. »Ich bin die Floristin, Madam. Ich muss dort hinübergehen, wo Sie die Kränze haben wollen und wo die Blumen von den Gästen abgelegt werden sollen.« »Ach, du heiliger... also gut, Mädels. Wir machen eine Pause!« Jasith Mellusin ließ sich auf eine Bank fallen und wischte sich den Schweiß ab. Als Erbin des Bergbauimperiums ihres ermordeten Vaters war sie zwar nicht die reichste Frau von Cumbre, aber fast. Sie war gerade zwanzig geworden, mittelgroß, mit dem schlanken Körper eines Models, schwarzem Haar, das sie lang trug, und einem hübschen Gesicht mit trotzigem Schmollmund. »Diese Probe ist mir zu heiß und zu blöd«, sagte sie. »Nicht so heiß und blöd, wie es am großen Tag sein wird«, sagte Karo Lonrod, eine ihrer Brautjungfern. »Bist du nicht froh über deine Entscheidung, dich endlich heiraten zu lassen, ha-ha-ha?« Lonrod war ein Jahr jünger und ein paar Zentimeter kleiner als Jasith. Sie hatte rotes Haar und neigte ein wenig zur Pummeligkeit, was sie mit ihrer Begeisterung für Sport unter Kontrolle hielt. Sie gehörte wie alle anderen Frauen im großen Tempel zu den Rentiers, war wohlhabend und sich dessen sehr bewusst. 60 Jasith zögerte, dann erwiderte sie: »Es ist besser als die Alternativen. Und ich könnte jetzt einen Drink vertragen.« »Wer behauptet, es sei besser?«, fragte Lonrod. »Ich habe nicht vor, irgendwen zu heiraten, bevor ich eine alte Jungfer bin, vielleicht mit fünfundzwanzig, ganz gleich, was mein Vater möchte oder welchen fetten Dödel er mir unterschieben will.« Sie kicherte. »Ups, so zweideutig wollte ich es gar nicht ausdrücken...« Jasith brachte ein Lächeln zustande, blickte sich um und sah, dass niemand in Hörweite war. »Karo, könnte ich dich etwas fragen?«
»Klar. Vielleicht gebe ich dir sogar eine Antwort.« »Du bist doch mit Loy gegangen, nicht wahr?« »Ja.« Plötzlich wirkte Lonrod etwas zurückhaltender. »Wie ist er so im Bett?« Karo sah Jasith blinzelnd an. »Willst du damit sagen, dass du selber es gar nicht weißt?« »Richtig«, sagte Jasith, ohne ihre Freundin anzusehen. »Ich wollte es tun, aber er sagte, er wollte es nicht, nicht mit der Frau, die er heiraten will.« »Ach du liebes bisschen!« »Was soll das heißen?« »Ich weiß auch nicht, was das heißen soll«, sagte Lonrod. »Aber ich wusste nicht, dass es irgendwen in unserem Freundeskreis gibt, der nicht alles vögelt, was in Reichweite kommt. Hat er gesagt, warum?« »Nein. Er sagte nur, es wäre ihm sehr wichtig.« »Das ist sehr seltsam«, sagte Karo. »Aber gut, wenn das seine Meinung ist... Er macht sich ganz gut auf der Matte. Ist zwar nicht so fantasievoll wie andere Männer, aber zumindest bleibt er, bis man selbst gekommen ist. Allerdings gehört er nicht gerade zu den Helden der Ausdauer, von denen du und ich ein paar kennen gelernt haben.« 61 Jasiths ernster Ausdruck löste sich auf, und sie kicherte. »Wo wir gerade beim Thema sind«, sagte Lonrod. »Wie war es mit diesem jungen Soldaten, mit dem du ein paarmal ausgegangen bist? Und warum hast du ihn abserviert?« Jasiths Lächeln verschwand schlagartig. »Ich möchte eigentlich nicht mehr über ihn reden«, sagte sie. »Aber ich kann dir verraten, warum ich Garvin nicht wieder sehen wollte. Wenn ich nur an ihn dachte, hat er mich an all das Blut, die Schießereien und den Tod meines Vaters erinnert.« »Das ist ungerecht«, sagte Karo. »Er hat nicht mit dem Krieg angefangen.« »Ich weiß nicht«, sagte Jasith. »Aber nach allem, was passiert ist, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, mit ihm ins Bett zu gehen. Keine Ahnung, warum. Vielleicht...« Sie ließ den Satz unvollendet. Lonrod sah Jasith aufmerksam an. »Bist du dir sicher, dass das Ganze hier wirklich eine gute Idee ist?« Mit einer Geste umfasste sie den Tempel und die zwanzig Personen, die darauf warteten, dass die Probe weiterging. »Irgendwann muss ich doch heiraten, nicht wahr? Und Loy ist ganz klar der Typ Mann, den mein Vater sich als Schwiegersohn gewünscht hätte, nicht wahr?« »Oh ja, das steht außer Frage«, sagte Lonrod eilig. Sie wollte eigentlich noch mehr sagen, hielt sich aber zurück. »Hier ist es viel zu heiß für ernste Gespräche«, sagte sie schließlich. »Schauen wir doch mal, ob irgendwer etwas Kaltes in seinem Gleiter gebunkert hat.« Nach drei Tagen erreichte die Patrouille die steilen Hänge, die zum Hochland hinaufführten. Es war bereits deutlich kühler als in der Tiefebene, zumal von oben ein frostiger Wind wehte. 62 Bis jetzt hatte noch niemand aufgegeben, obwohl Garvin die Rekruten hart rannahm, ihnen nur drei Stunden Schlaf gönnte und ein regelmäßiges Nachttraining verordnet hatte. Er zeigte nach oben und trat aus der Reihe, dann winkte er die derzeitige Anführerin heran, Abana Calafo, eine kleine, noch recht junge Frau, die stets gut gelaunt war und von der Garvin genau wusste, dass sie die Ausbildung schaffen würde. Sie kam zu ihm. »Senkrecht nach oben«, flüsterte er. »Am Seil.« Man hörte immer wieder den Witz, dass man eine Soldatin der Aufklärungstruppe daran erkannte, dass sie beim Sex unter freiem Himmel keinen Mucks von sich gab und bei ihrer eigenen Hochzeit nur flüsternd antwortete. Sie nickte, ging zum Kundschafter und gab ihm flüsternd Anweisungen. Garvin wartete, machte einen ungeduldigen Eindruck, war insgeheim aber froh über die Gelegenheit, ein wenig zu verschnaufen, bevor es wieder anstrengend wurde. Er sah zu, wie die Rekruten die Kletterseile von den Hüften wickelten, verknoteten und mit dem Aufstieg begannen. Der Hang war gerade steil genug, dass es interessant wurde, falls jemand den Halt verlor. Darod Montagna, die als Vorletzte dran war, ging an ihm vorbei. Ihre erschöpften Augen lagen noch tiefer in den Höhlen ihres grauen Gesichts, das trotzdem Entschlossenheit zeigte. Sie atmete einmal tief durch, dann machte sie sich an den Aufstieg. Der Letzte war Baku al Sharif, ein 'Rauhm, der wie ein Felsblock gebaut war. Garvin bemerkte, wie er Montagnas Hintern mit wohlwollendem Interesse betrachtete. Das Kampfmesser flog aus der Scheide an Garvins Gürtel und zerschnitt das Seil zwischen al Sharif und Montagna. »Sie scheinen zu viel überschüssige Energie zu besitzen, 63 Rekrut«, flüsterte er. »Hier ist es viel zu glatt, und das Seil ist gerissen. Also steigen Sie solo nach oben... und zwar dort drüben.« »Dort drüben« war eine steil abfallende, mit Gestrüpp zugewachsene kleine Schlucht.
AI Sharif schürzte die Lippen und sah Jaansma mit funkelnden Augen an. »Ist es Ihnen ein wenig zu schwer?«, fragte Garvin. »Jahwe weiß, dass ich dafür jedes Verständnis habe. Sie haben Recht, Sie müssen diesen Unsinn nicht mitmachen. Wenn ich jetzt den Kom aktiviere und einen Grierson rufe, können Sie sich spätestens in einer Stunde eine schöne heiße Dusche in Mahan gönnen und statt diesem Fraß eine richtige Mahlzeit genießen. Dann legen Sie sich schlafen. Unter einem schönen weißen Laken. Und anschließend nehmen Sie sich drei Tage Urlaub, um sich von dieser Schikane zu erholen.« AI Sharif musterte Jaansma mit eiskaltem Blick. »Sie sind ein Arschloch, Boss.« Er stapfte los, verschwand im Gebüsch und begann mit dem Aufstieg. Jaansma lachte. Damit waren es schon zwei, die es auf jeden Fall schaffen würden. Er brummte, dann kletterte er den Steilhang hinauf. Als er nach oben sah, zu Montagna, die genau über ihm hing, dachte er: Sie hat in der Tat einen süßen Arsch. Schade, dass man keine freundschaftlichen Bande mit Untergebenen knüpfen darf. Dann wurde ihm bewusst, dass er den ganzen Tag nicht ein einziges Mal an Jasith gedacht hatte. »Siehst du, worauf du in Zukunft verzichten musst?«, rief der Mann Loy Kouro durch den Lärm der Band zu und 64 zeigte auf die drei Stripperinnen auf der Bühne, die nur noch einen Schal und ein Lächeln trugen. Kouro begaffte sie, nahm sein Glas und kippte es in die ungefähre Richtung seines Mundes, wobei etwa die Hälfte des Inhalts den Weg in seine Kehle fand. »Oh nein, Jermy«, sagte er und wankte leicht auf seinem Stuhl hin und her. »Die Zeit für so was ist abgegangen... vergangen... vorbei.« »Nein, das ist sie noch nicht«, sagte sein Freund. »Morgen wirst du aufstehen, den Eheschwur leisten, und dann musst du ein guter Junge werden... oder dich nicht mehr erwischen lassen, wenn du ein böser Junge bist. Ein böser, böser Junge. Dann kannst du nicht mehr machen, was wir sonst mit den Mädels gemacht haben. Ich würde es nicht riskieren, dass Jasith stinkig auf dich ist.« Er zwinkerte ausgiebig und füllte nachlässig Kouros Glas mit einer Mischung aus drei der Flaschen auf dem Tisch nach. Jemand schob sich vorbei, schnappte sich das Glas und verschwand damit. Jermy fluchte, fand ein anderes Glas, entleerte den Inhalt auf den Teppich und rekonstruierte den Drink. »Schau dich um, mein Freund. Hier sind nur Freunde von dir.« Der Club war tatsächlich voller junger Rentiers. Manche waren wirklich Kouros Freunde, während die anderen lediglich eingesehen hatten, dass es vorteilhaft war, sich mit dem größten Zeitungsverleger des Planeten gut zu stellen. »Wenn die Mädels fertig sind, werden sie direkt zu uns rüberkommen«, versprach Jermy. »Und oben gibt es ein Zimmer, in das du dich jederzeit mit einer von ihnen zurückziehen kannst. Verdammt, du kannst alle mitnehmen, wenn du willst. Später sollen noch mehr kommen; sie 65 müssten jeden Moment eintreffen. Du solltest dafür sorgen, dass es eine unvergessliche Nacht wird.« »Nein, nein, nein«, sagte Kouro. »Es wäre unehrenhaft, untreu zu sein. Ich wäre jedenfalls verdammt stinkig auf Jasith, wenn sie mich hintergehen würde. Außerdem wird es sowieso Zeit, dass ich erwachsen werde. Ich sollte werden wie Hänk Zank.« »Hä?« »Aus einem alten Drama von der Erde. Von... irgendwem. Eigentlich aus mehreren Stücken. Heinrich Vau, was in irgendeiner uralten Sprache so viel wie fünf heißt. Dieser Typ ist ein Prinz - das kommt gleich nach einem König - und er ist ziemlich wild und stürmisch, bis er den Thron erringt, und dann wird er zu einem großen... groooßen... Krieger. Gewinnt die Schlacht von Hastings oder etwas in der Art. Ist schon lange her, seit mein Vater mich dazu gebracht hat, es zu lesen. Jetzt weilt er nicht mehr unter uns, und ich muss tun, was er von mir erwartet hat. Eine gute Frau heiraten, über Kinder nachdenken, die Dynastie am Leben erhalten.« »Mein Gott, du wirst dich doch nicht in einen Langweiler verwandeln, oder?« »Irgendwann muss man erwachsen werden.« »Wer sagt das?« Kouro antwortete nicht, sondern griff nach dem Drink. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht voran in eine Spirituosenpfütze. Kurz darauf schnarchte er. Jermy starrte ihn entgeistert an. »Kippt bei seiner eigenen Party aus den Latschen. Muss mir ein paar Geschichten für morgen früh ausdenken, was passiert ist, wenn er einen tierischen Kater hat und sich kräftig schämen sollte.« Er stand auf und winkte zur Bühne hinauf. 66 »He, Mädels! Der Partylöwe ist aus dem Rennen, aber hier gibt es noch jemanden, der euch zeigen kann, was Spaß ist!« Ein Fuß stieß gegen Garvins Stiefel, und er zwang sich zum Aufwachen, wobei er seine protestierenden Muskeln ignorierte und sich bemühte, wach und tatkräftig zu wirken. Die Patrouille hatte sich in Sternformation schlafen
gelegt, sodass sich die Beine fast berührten. Heute war der Tag des »Kontakts«, an dem sie die verlassene Basis der Musth erreichen würden. Garvin versuchte zu entscheiden, ob der Nebel dicht genug war, um bereits als Regen zu gelten, entschied, dass es regnete, und stellte fest, dass er niemals so nass wie jetzt gewesen war, als er sich die letzten Male im Gelände aufgehalten hatte. Er war unglaublich verdreckt. Sie waren jetzt - er musste an den Fingern nachzählen - seit zehn Tagen unterwegs, und außer in Bächen oder wenn der ständige Nebel in Regen überging hatten sie nicht mehr gebadet, und alle trugen dieselben Kampfanzüge, mit denen sie aus dem Grierson gestiegen waren. Wenigstens hatte Jaansma drei Paar Socken dabei, eins an den Füßen, ein weiteres hing an seinem Rucksack, um sie im Regen zu »waschen«, und ein drittes befand sich ganz oben in seinem Gepäck, wo es eigentlich trocknen sollte. So war es bei den Aufklärern üblich, und wieder einmal fragte er sich, warum es immer genügend Freiwillige gab, die sich für die Kompanie meldeten. Doch am meisten wunderte es ihn, warum er selbst immer noch bei dieser Abteilung war. Darod Montagna war wieder die Anführerin der Patrouille und leitete die Einsatzbesprechung. Garvin hatte 67 ihr am Abend zuvor mitgeteilt, wo sie sich befanden und welche Situation sie erwartete. Nun hörte er zu, wie sie die Informationen weitergab. Alle lauschten ihr aufmerksam, während sich ihre Finger auf den Karten bewegten. Niemand machte sich schriftliche Notizen, weil eine verlorene oder gestohlene Karte sie alle ins Verderben reißen konnte, wenn sie sich auf einem echten Einsatz befanden. »Wenn wir das Zielgebiet erreichen«, fuhr Montagna fort, »geht Element Alpha in Stellung, und ich werde anzeigen, ob Bravo nach links oder rechts geht. Bravo wird die Umgebung durchkämmen, und Alpha gibt Feuerschutz. Wenn das Gelände gesichert ist, rückt Alpha vor, wobei sich beide Elemente wieder zusammenschließen. Wenn es zum Kontakt kommt, feuert jeder eine Runde Munition ab. Wenn der Feind stärker ist als wir und ich das Kommando gebe, brechen wir den Kontakt ab, und wir kehren zurück nach...« Sie nannte die Koordinaten des Treffpunkts. Dann fuhr sie fort: »Kommunikation... Versorgung... Befehlskette.« Als sie fertig war, schaute sie Garvin an. »Gut«, sagte er. »Wir frühstücken, dann marschieren wir los. Jetzt werde ich Ihnen sagen, womit wir es wirklich zu tun bekommen. Es handelt sich um das alte Hauptquartier der Musth, das höchstwahrscheinlich eingemottet wurde. Sie sind mit scharfer Munition ausgerüstet, aber suchen Sie sich einen guten Gott aus, um zu ihm zu beten, wenn auch nur eine Kugel die Mündung verlässt und ein Loch in Dingen oder Körpern hinterlässt, die nicht dem Unglücksraben gehören. Wir befinden uns nicht im Krieg mit den Musth, und es wäre ziemlich dumm, wenn er nach der möglichen Rückkehr der Musth wegen einer kaputten Fensterscheibe vom Zaun gebrochen wird. Das Gleiche gilt für 68 das Sammeln von Souvenirs, Plünderungen oder nachlässigen Vandalismus. Dann heißt es ZZT für Sie.« Zurück zur Truppe - die größte Drohung für alle Auszubildenden, die aus der allgemeinen Truppe kamen und sich freiwillig für die Aufklärungskompanie gemeldet hatten. »Die Wirklichkeit sieht so aus, dass wir um die Gebäude ausschwärmen, wie Montagna gesagt hat. Dann sammeln wir uns auf der anderen Seite, rufen das Abholkommando und kehren nach Hause zurück, wo uns ein schönes, heißes Bad erwartet.« Er musste ein Grinsen unterdrücken, als er sich vorstellte, wie die Reaktionen ausfallen würden, wenn er ihnen zu seinem Bedauern mitteilen musste, dass der Grierson von feindlichem Feuer zurückgetrieben worden war und sie nun leider zu Fuß zurückkehren mussten. Er fragte sich, wie viele einfach aufgeben würden, wie viele die letzten zwei E-Monate voller Schweiß, Mühen und gelegentlich sogar Blut hinschmeißen würden, ohne zu erkennen, dass sie noch lange nicht ihre letzten Reserven angezapft hatten, was die wahre Lektion hinter all den Schikanen der Ausbildung bei den Aufklärern war. Garvin griff in seinen Rucksack, zog einen undefinierbaren Riegel heraus, warf ihn in seinen Blechteller, goss Wasser aus einer Feldflasche darüber und füllte sie aus der Regenfalle, die er aus einem kleinen wasserdichten Tuch konstruiert hatte, wieder auf. Der Riegel quoll auf und wurde zu etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Stück Protein hatte, das von etwas umgeben war, das entfernte Ähnlichkeit mit Champignons hatte. Er übergoss die Mischung mit der scharfen Soße, die jeder erfahrene Soldat im Gepäck hatte, aß mechanisch, wischte den kleinen Teller und den Löffel mit Gras sauber und verstaute alles wieder in seinem Rucksack. 69 »Wenn Sie bereit sind, kann es losgehen!« Dann setzte sich die Patrouille in Marsch. Die Füße versanken schmatzend im knöcheltiefen durchweichten Moos, während sie an den Bäumen vorbeizogen, die sich wie Wächter aus dem Nebel über dem sumpfigen Hochland erhoben. Musik wehte durch den großen Tempel, umfloss die voll besetzten Bänke und verstummte, als das Orchester die Instrumente sinken ließ. Der Priester erhob sich, betrat das Podium und setzte mit tragender Stimme an. »Meine Brüder, heute ist ein Tag der Freude und des Glücks, denn heute feiern wir leiblich die mystische
Vereinigung zwischen dem Schöpfer und uns. Heute ist ein Tag der Hochzeit, die mit nüchternen Sinnen und wohl überlegtem Urteil eingegangen werden sollte. Wenn es jemanden unter uns gibt, der einen Grund nennen kann, warum diese beiden Menschen nicht den heiligen Bund der Ehe eingehen sollten, möge er jetzt sprechen...« Das Musth-Gebäude ragte aus dem Nebel empor. Es bestand aus seltsamen Polygonen, die anscheinend aus Glas und Onyx gefertigt waren. Sie wiesen leichte Zeichen des Verfalls auf, und es deutete auch nichts darauf hin, dass die Musth irgendetwas unternommen hatten, um das Gebäude vor Schäden zu schützen. Hier war eine Scheibe zerbrochen, mutmaßlich infolge der Neugier eines cumbrianischen Tieres, dort hatten sich ein paar Moosreben an den Wänden emporgerankt. Montagna gab das Signal, und Alpha ging in Feuerposition zu Boden, die Waffen schussbereit, obwohl die Magazine sicher an den Gürteln verwahrt waren. Bravo rückte auf Befehl langsam und lautlos vor. 70 Dann warf sich ein Mann in den Matsch und gestikulierte mit gesenkter flacher Hand, worauf die anderen gehorsam seinem Beispiel folgten, obwohl sie sich fragten, was plötzlich los war, ob der verdammte Tak irgendein beschissenes Spiel mit ihnen durchziehen wollte. Erneut gab er ein Zeichen, diesmal mit geballter Faust und den Daumen nach unten gerichtet. Feind in Sicht? Garvin wollte schon einen geharnischten Kommentar abgeben, als er sah, wie ein kleiner Kasten auf sie zuflog und eine braune Tatze hinter einem Gebäude verschwand. Die Granate landete, und kleine insektenähnliche Kreaturen stürzten sich auf den nächsten Mann. Er schrie, versuchte sie verzweifelt abzuwehren und starb. »Musth!«, rief Garvin, zerrte ein Magazin von seinem Gürtel und lud damit seinen Blaster. »Scharfe Munition laden!« Eine Verzehrer-Waffe ratterte, und fingergroße Patronen schlugen ins Moos, nicht weit von einem Soldaten entfernt. »Nicht schießen, Musth!«, brüllte Garvin. »Wir sind keine Angreifer!« Eine weitere Salve kam aus einer anderen Richtung. »Feuer einstellen, verdammt! Wir sind nicht Ihre Feinde«, rief Garvin erneut, noch während seine Finger nach einer Granate tasteten. Instinktiv drückte sein Daumen viermal auf den Zeitzünder, dann schleuderte er sie direkt auf das Gebäude. Vier Sekunden später detonierte sie, und der größte Teil einer Wand stürzte nach innen ein. Ein Musth erschien im Loch und richtete eine Säurepistole auf al Sharif, dann zerschoss der 'Rauhm den Alien mit seinem Blaster in zwei Hälften. »Angriff mit scharfer Munition«, rief Montagna. Bravo 71 stand noch unter Schock, aber die Leute reagierten mit trainierten Reflexen und rückten gegen den Komplex vor. Sie liefen im Zickzack, gingen in Deckung und feuerten auf die Gebäude. Loy Kouro und Jasith Mellusin trafen sich auf der Rückseite des Tempels, dann liefen sie auf den Priester zu, der unter dem Podium stand und ihre Ankunft erwartete, während die Musik erneut einsetzte. Ein Gefreiter richtete sich auf, um eine Granate zu werfen, und ein Musth kam aus der Deckung und feuerte zweimal. Der Mann fiel zu Boden, als er von der Verzehrer-Waffe getroffen wurde, dann wand er sich, als die Patrone die kleinen Geschöpfe freisetzte, die sich durch das Fleisch rund um die Wunde fraßen. Der Musth wollte erneut feuern. Garvin erschoss ihn, dann rollte er sich ab, als eine Granate nur einen Meter von ihm entfernt explodierte. Er wartete auf die Stiche, aber die insektoiden Kreaturen hatten ihn verfehlt. »Willst du, Loy Kouro, diese Frau zu deiner angetrauten Ehefrau nehmen, um mit ihr nach den Geboten des Schöpfers im heiligen Stand der Ehe zu leben?« »Ja«, antwortete Kouro mit fester Stimme. »Und willst du, Jasith Mellusin, diesen Mann zu deinem angetrauten Ehemann nehmen, um mit ihm nach den Geboten des Schöpfers im heiligen Stand der Ehe zu leben?« »Ja«, sagte Jasith, und niemand bemerkte ihr Zögern. Garvin sprengte ein anderes Wandstück und stürmte durch das gezackte Loch ins Gebäude. Er hörte Schüsse aus dem Nebenraum, lief durch die Tür, an fremdartigen Möbeln 72 vorbei, und stieß eine weitere Tür mit einem Stiefeltritt auf. Der Musth drehte sich um und richtete den Lauf seiner Pistole auf Jaansma. Jaansma drückte zweimal den Abzug. Der Musth kippte vornüber und blieb reglos liegen. Er hörte weitere Schüsse, mehrere Salven, zwei detonierende Granaten. Eine stammte von den Musth, die andere von Menschen. »Sie sind erledigt«, rief jemand. Dann offenbarte ein weiterer Schuss seinen Irrtum, worauf Blaster das Feuer erwiderten. »Er ist tot!«, rief jemand anderer. »Sind hier noch mehr von den Mistkerlen?«
Stille. Dann: »Nein, wir haben alle getötet!« »O Ewiger Schöpfer«, sagte der Priester, »Schöpfer und Bewahrer der ganzen Menschheit, wir bitten um deinen Segen für diese deine Diener. Mögest du den Ring anerkennen, den dieser Mann der Frau als Symbol ihrer ewigen Ehe und ihres Bundes gegeben hat.« »Wie hoch sind die Verluste?«, fragte Garvin. »Drei von uns sind tot... und zwei verwundet«, sagte Montagna. »Auf der anderen Seite sind es sechs tote Musth. Keine Verwundeten. Wir haben versucht, einem von ihnen zu helfen, aber er hat sich selbst erschossen, bevor wir ihm die Waffe abnehmen konnten.« Nun brach ihre Selbstbeherrschung zusammen, nachdem alles vorbei war, und sie versuchte verzweifelt, ihre Tränen zurückzuhalten. »Verdammte Scheiße, warum haben sie nur auf uns geschossen? Was haben sie gedacht, was wir vorhaben? Wir haben sie doch nicht angegriffen! Was zum Henker geht hier überhaupt vor?« 73 »Wenn Sie es herausgefunden haben«, sagte Garvin verbittert, »denken Sie daran, es mir mitzuteilen.« »Möge der Schöpfer euch beschützen und behüten, möge er auf euch herabschauen und euch mit seinem geistlichen Segen und seiner Gnade erfüllen, damit ihr gemeinsam dieses Leben führen könnt und euch in der kommenden Welt das ewige Leben verdient.« »Lanze, hier ist Prophet sechs«, sprach Garvin ins Mikro. Er war stolz darauf, dass seine Stimme ruhig und emotionslos klang. »Realer Notfall, ich wiederhole, realer Notfall. Wurden von Musth angegriffen. Alle Aliens wurden getötet. Benötigen sofort medizinische Versorgung, fordere Abkommandierung eines Grierson an, zwei schwere Geschütze und eine Bereitschaftstruppe. Die Musth waren offensichtlich Teil einer Spionageaktion. Wir haben umfangreiche Kommunikationsausrüstung gefunden. Wir stecken hier ganz schön tief in der Scheiße.« »Loy Kouro, Sie dürfen jetzt die Braut küssen.« 4 »Von hier haben die Musth also ihre Berichte abgeschickt«, sagte Caud Rao. »Gott allein weiß, was für Informationen das waren, da niemand verstohlen herumstreichende pelzige Gestalten gemeldet hat, seit die Musth offiziell abgezogen sind. Als Sie durch das Gebüsch brachen, sind sie natürlich vom Schlimmsten ausgegangen und haben um sich geschossen.« 74 »Ja, Sir.« Garvin drückte die Augenlider zusammen. Es war schon seit einiger Zeit dunkel, und die Auszubildenden der Aufklärer lagen entweder in ihren Betten oder im Lazarett. »Mein Fehler...« »Blödsinn!«, sagte Angara. »Ich habe die Übung genehmigt, und die Musth haben den ersten Schuss abgefeuert. Caud, ich glaube, unser Tak hier braucht ganz dringend Schlaf, und das ist nun schon das vierte Mal, dass wir ihn in die Mangel nehmen. Jaansma, bringen Sie Ihren Arsch hier raus und schlafen Sie wie ein Toter, bis Sie von selbst wieder aufwachen! Ignorieren Sie alles um sich herum, vielleicht mit Ausnahme lauter Explosionen.« »Aber...« »Das ist ein Befehl. Gehen Sie! Yoshitaro wartet draußen und wird Sie zu Ihrer Koje führen oder Sie vorher unter einen kräftigen Wasserstrahl stellen. Jetzt verschwinden Sie endlich!« Rao, Angara und Hedley warteten, bis Jaansma hinausgewankt war. »Und was jetzt?«, fragte Angara. »Hedley, das ist Ihr Gebiet«, sagte Rao zu seinem Geheimdienstchef. »Wir haben unsere Kräfte so weit verstreut, wie es nur geht, um möglichst schlechte Zielscheiben abzugeben«, sagte Hedley. »Keine der Wachstationen außerhalb des Planeten hat irgendeine Übertragung von den Musth registriert, als die Patrouille sie aufgescheucht hat, aber es wurde auch vorher nichts in dieser Richtung empfangen. Also müssen wir davon ausgehen, dass sie auf einer unbewachten Frequenz eine Nachricht hinausgeschmuggelt haben, und wenn ihre pelzigen Brüder noch nicht auf dem Weg nach Cumbre waren, um das Versprechen einzulösen, das sie nach dem 'Rauhm-Aufstand gegeben ha75 ben, dann haben sie sich spätestens jetzt auf den Weg gemacht. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass unser guter Freund Redruth jemanden im System zurückgelassen hat, der ihm regelmäßig Bericht erstattet oder erstattet hat und den wir nie ausfindig machen konnten. Also sollten wir auch aus dieser Richtung etwas erwarten. Gott allein weiß, was die Kuraner im Schilde führen, aber wir sollten mit dem Unangenehmsten rechnen.« »Niemand von uns kann sagen, ob Sie Recht haben«, erwiderte Rao, »aber wir dürfen auch nicht davon ausgehen, dass Sie Unrecht haben. Also werden wir entsprechend handeln. Wir werden Folgendes tun: Das Hauptquartier, die Versorgung und die Aufklärungskompanie mitsamt ihren Luftstreitkräften bleibt hier in Camp Mahan, abzüglich der Einheiten, die ich als Nächstes abkommandieren werde. Das wird gezwungenermaßen unsere Abwehrtruppe sein, auch wenn das idiotisch erscheinen mag. Mahan ist fast vollständig unterirdisch angelegt und gegen alles außer einem Dauerbeschuss mit Nuklearwaffen gesichert, sodass wir hier keine Schwierigkeiten bekommen dürften. Ziehen Sie eine Infanteriekompanie von einem Regiment ab, und schicken Sie sie als Schutztruppe zum Luftstützpunkt auf Mullion, außerdem alle Piloten, die mit unserer Geheim-flotte zu tun hatten. Das Erste Regiment wird nach Leggett versetzt, irgendwo hinter den Heights. Das Zweite geht nach Aire, das
Dritte nach Taman City, das Vierte nach Kerrier. Teilen Sie die Artillerie- und Kampfschiff-Betaillone einschließlich der Versorgung auf, damit sie unabhängig voneinander agieren können. Sie sollen außerhalb der Städte ihre Lager aufschlagen, entweder die verfügbaren Bunker nutzen oder neue bauen. 76 Wir geben den Regimentern Duschen und Feldküchen mit. Ich werde in einer Woche oder so ein paar Transportgleiter von der Planetaren Regierung anfordern, um die Soldaten aus der Pampa nach Mahan zu bringen, damit sie dort für ein paar Tage die Füße hochlegen können. Wir werden große Schwierigkeiten bekommen, wenn irgendwer uns angreift, und dann müssen wir sehr schnell reagieren, aber uns bleibt keine andere Wahl, als dieses Risiko einzugehen. Es ist besser, wenn wir uns weit zerstreuen, statt in einem großen Haufen zusammenzuhocken und fröhlich darauf zu warten, dass wir massakriert werden. Von jetzt an gibt es keinen Ausgang und keinen Urlaub mehr. Ein Drittel der Truppen wird in ständiger Alarmbereitschaft sein. Ich kann schon die Protestschreie der Soldaten hören. Ach so... wie viele von diesen Musth-Kampfschiffen sind eigentlich flugfähig?« »Vier Aksai sind uneingeschränkt einsatzbereit. Vielleicht sogar fünf in ein bis zwei Tagen. Und wir haben zehn Piloten, die recht gut damit umgehen können. Im direkten Kampf mit erfahrenen Musth-Piloten würden sie vermutlich den Kürzeren ziehen, aber ich denke, dass sie zumindest ein paar Minuten lang für einige Verwirrung unter unseren pelzigen Freunden sorgen werden.« »Gut. Verlegen Sie diese Einheit mitsamt den Piloten nach Balar, und geben Sie ihr einen Frachter als Mutterschiff mit. Außerhalb der Schwerkraftsenke des Planeten könnte sie bei einem Angriff vielleicht zur Trumpfkarte für uns werden - oder wenigstens für ein Überraschungsmoment sorgen. Geben Sie ihnen drei oder vier Zhukovs, die Patrouillenschiffe und ein paar von den Jachten mit.« »Ja, Sir.« 77 »Noch etwas, das ich früher hätte bedenken sollen... durch all diese Sondereinheiten werden uns allmählich die Piloten knapp. Sagen Sie den Kommandanten der Regimenter, dass sie Verbindung mit den lokalen Flugschulen aufnehmen sollen - die Kosten können sie der Regierung in Rechnung stellen -, damit jeder unserer Soldaten, der fliegen möchte, sich dort ausbilden lassen kann. Außerdem soll die Rekrutierungsabteilung die Werbetrommel rühren, damit sich Leute melden, die Flugerfahrung haben oder gerne von der Oberfläche dieses netten Planeten abheben möchten. Und wir sollten uns überlegen, wie wir eine Weltraumflotte aufbauen können. Aber darum werde ich mir zusammen mit der Regierung Gedanken machen. Das wäre im Moment alles, was mir einfällt.« »Was sagen wir den Zivilisten, Sir?«, fragte Angara. Rao dachte kurz nach. »Das ist Sache der Regierung, aber ich wüsste nicht, was es den Menschen bringen würde, wenn wir ihnen sagen, dass voraussichtlich schon bald Scheiße vom Himmel regnet. Das würde nur zu Panikreaktionen führen. Außerdem glaube ich nicht - die Betonung liegt auf glaube -, dass die Musth damit anfangen werden, Unschuldige unter Beschuss zu nehmen. Zumindest nicht sofort. Also wecken Sie jetzt die Horde auf und setzen Sie sie in Marsch.« »Schon unterwegs, Sir.« Mil Angara eilte hinaus, und wenige Sekunden später ertönte der monotone Alarmgong. Rao stellte sich vor, wie Soldaten aus den Betten fielen, fluchten und hektisch nach ihren Blastern und der Alarmausrüstung suchten. »Kennen Sie irgendwelche Gebete, Hedley?« »Kein einziges, Sir.« »Ich auch nicht. Es könnte jetzt sehr interessant werden.« 78 Normalerweise war die Feier der Qualifikation für die Aufklärungstruppe eine ruhige Zeremonie im kleinen Kreis, gefolgt von drei Tagen Urlaub und schwerer Trunkenheit. Sechs Tage nach dem Kampf gegen die Musth beorderte Caud Rao das Personal des Hauptquartiers sowie Vertreter der ausgelagerten Regimenter auf den großen Exerzierplatz von Camp Mahan, um an der Feier teilzunehmen. Fünf Männer und Frauen standen vor Caud Rao stramm, der von Jaansma und Yoshitaro flankiert wurde. Alle trugen ihre besten Galauniformen aus mitternachtsblauer Hose mit gelber Paspelierung, Jacken mit Gürtel und Epauletten und dazu ein Käppi. Neben den fünf hatte man drei Blaster mit dem Lauf in den Boden gesteckt. Auf den Kolben hingen die Käppis der Rekruten, die im Hochland gestorben waren, und davor standen ihre auf Hochglanz polierten Stiefel. Eine Kamera übertrug die Zeremonie ins Lazarett der Streitmacht, damit die zwei bettlägrigen Soldaten aus der Ferne an der Abschlussfeier teilnehmen konnten. »Sie haben es geschafft«, sagte Jaansma. »Die Prüfung wurde etwas schwieriger als üblich, aber auch das gehört zum Soldatenleben. Meinen Glückwunsch. Sie alle haben Großartiges geleistet. Ich bin stolz darauf, Sie in der Kompanie willkommen heißen zu dürfen.« Yoshitaro nickte nur und sagte nichts. Raos Ansprache war fast genauso kurz. »Gefreite Darod Montagna, für Ihre Tapferkeit und Ihren kühlen Kopf angesichts eines Angriffs der Musth
während eines Übungseinsatzes verleihe ich Ihnen den Verdienstorden und befördere Sie zum Finf. Gefreiter Baku al Sharif, Sie werden mit dem Orden der Kampflegion ausgezeichnet. Sie alle werden zum Obergefreiten befördert, und in Ihren Dienstakten werden Ihre besonderen Leistungen vermerkt. 79 Die Kameraden, die in Erfüllung ihrer Pflicht starben, die Gefreiten Joanes, Zelen und Hathagar, sowie jene, die verletzt wurden, die Gefreiten Mahue und Seelam, erhalten das Band der Verwundeten. Ich fürchte, dieser Zwischenfall war nur der Anfang. Ich ermahne Sie alle, nicht nur die Männer und Frauen, die in dieser Zeremonie geehrt werden, dass Sie in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten Ihren Dienst sorgsam und gewissenhaft erfüllen. Vergessen Sie nie, dass Sie für die Konföderation und für Cumbre dienen und dass die Ehre der Streitmacht allein in Ihrer Verantwortung liegt. Dienen Sie genauso tapfer wie diese elf, dann werden Sie sich niemals schämen müssen. Vielen Dank. Tak Jaansma, übernehmen Sie die Verantwortung für Ihre Soldaten und lassen Sie sie wegtreten.« Im Gesellschaftsteil des Matin wurde gemeldet, dass die Kouros ihre ausgedehnten Flitterwochen auf einer Privatinsel der Familie verbrachten. »Ich weiß noch«, sagte Jaansma nachdenklich, »wie ich einmal mit meinen Eltern auf eine Expedition gegangen bin, um Tiere zu erwerben. Ich weiß nicht mehr, auf welchem Planeten es war, aber er war ziemlich wüstenmäßig. Wir haben Flugreptilien gekauft.« Yoshitaro und er waren von Monique Lir in den Club der Unteroffiziere in Camp Mahan eingeladen worden. Normalerweise drängten sich hier zahllose Uniformträger der zehntausend Mann starken Einheit, doch nun herrschte gähnende Leere. Wenigstens, hatte Lir zu ihnen gesagt, mussten sie sich keine Sorgen um rationierte Getränke machen, während dieser Punkt für die zerstreuten Regimenter ein Problem 80 darstellte, solange sie keine neuen Versorgungswege aufgebaut hatten. Hier stand ihnen der gesamte Vorrat der Legion zur Verfügung, und nur die Sorge um das Ansehen der Aufklärer konnte sie daran hindern, sämtliches Bier zu vernichten. Doch Yoshitaro bemerkte, dass keiner der Unteroffiziere gewillt zu sein schien, sich hemmungslos zu besaufen, genauso wenig wie die beiden Offiziere. Wenn jeden Augenblick der Ernstfall eintreten konnte, wollte niemand unter dem Tisch liegen. »War wirklich jemand scharf darauf, fliegende Schlangen zu sehen?«, fragte Lir. »Als wäre es nicht genug, dass einem die Mistviecher ständig an den Beinen hochkrabbeln. « »Die Menschen wollen den Nervenkitzel«, sagte Garvin. »Und der Zirkus gibt ihnen, was sie wollen.« »Jetzt weiß ich, warum meine Alten mich nie zu so was mitgenommen haben«, sagte Monique. »Brrr!« »Halt deine Emotionen zurück«, sagte Njangu. »Aber erzähl ruhig, weiter. Wir waren gerade beim niedlichen kleinen Garvin, der sich mit all den schlängelnden Schlangen vom Himmel tummelt.« »In Wirklichkeit«, sagte Garvin, der geduldig die Abschweifung des Gesprächs abgewartet hatte, »waren es gar nicht die Schlangen, die mein Interesse weckten, sondern die pelzigen Nagetiere des Planeten, von denen sich die Schlangen ernährten. Ich weiß noch genau, wie ich die niedlichen und friedfertigen Kleinen beobachtet habe, wie sie von Strauch zu Strauch huschten, ständig auf der Hut, damit sie nicht zum Frühstück oder Mittagessen eines fliegenden Reptils wurden.« Er nahm einen Schluck Bier und machte den Eindruck, dass er mit der Geschichte fertig war. »Und dann?«, fragte Monique. 81 »Und dann... musste ich gerade daran denken, dass ich diese niedlichen, kuscheligen Tierchen jetzt immer besser verstehe.« »Und ich habe jetzt die Moral der Geschichte verstanden«, sagte Njangu. »Aber du siehst alles andere als niedlich und kuschelig aus.« »Stimmt«, sagte Garvin. »Trotzdem fühle ich mich wie eine wandelnde Zielscheibe.« »Eine Frage«, sagte Njangu leise. »Ja?« »Kommst du jetzt besser damit klar?« »Womit?« »Erspar mir das Theater, mein kleiner brauner Bruder«, sagte Yoshitaro. »Die Sache mit deiner ehemaligen Flamme.« »Mit ihr?« »Mit ihr.« »Habe ich in letzter Zeit jemandem die Lungen herausgerissen?« »Nein. Obwohl es einige Leute durchaus verdient hätten.« »Ist die Frage damit nicht hinreichend beantwortet?« Njangu sah seinen Freund aufmerksam an und entschied, dass ihm diese Antwort genügte. Es dauerte noch eine Woche, bis Alarm gegeben wurde, zuerst von F-Cumbre, einem der inneren Eisriesen, keine Stunde später gefolgt von einem Echo, das von einer anderen automatischen Station kam, die D-Cumbre
wesentlich näher war. Ein Schiff von mittlerer Größe, das in das System einflog. Weitere Sensoren mit kürzerer Reichweite und höherer 82 Auflösung »sahen«, dass es von vier Patrouillenschiffen begleitet wurde. Das größere Schiff wurde als Zerstörer der Konföderation aus der Remora-Klasse identifiziert, der Typ der Patrouillenschiffe war unbekannt. Kurz danach schalteten sich die Korns ein, die auf die Standardfrequenz der Konföderation eingestellt waren. »An C-Cumbre-Flugkontrolle, hier ist die Corfe von Larix und Kura. An Bord befindet sich Protektor Alena Redruth. Fordern Landeanweisungen für die Konföderationsbasis Camp Mahan an. Die Mitglieder der gegenwärtigen Planetaren Regierung werden zur Begrüßung von Protektor Redruth erwartet.« Obwohl die Stimme durch die Komiautsprecher verzerrt wurde, war deutlich zu hören, dass sie Forderungen und keine Bitten aussprach. Fünfzehn Ratsmitglieder und Caud Rao warteten nervös vor der immer noch verschlossenen Luftschleuse der Corfe. Hinter ihnen standen dreißig Freiwillige aus der Legion, vorgeblich als Ehrenwache, da Redruth immer noch ein Mitglied der Konföderation war, doch in Wirklichkeit eher als Leibwache für den Rat. Alle Soldaten trugen unter den Galauniformen versteckt zwei Magazine für ihre Blaster bei sich, außerdem kleine Handwaffen, die in aller Eile aus Hedleys Arsenal »für alle Fälle« besorgt worden waren. Die Männer und Frauen waren überdies gut im Kampf mit Messern und ohne Waffen trainiert. In einem Hangar, dessen Türen nur einen Spalt weit geöffnet waren, daneben ein Unteroffizier, der bereit war, im Notfall den Türöffner zu drücken, standen verborgen zwei Cookes mit Automatikkanonen. Garvin befehligte den 83 einen, Njangu den anderen. Garvins Pilot war Raos Chauffeur, Dec Rennender Bär, sein Schütze Finf Ho Kang, die früher als Elektronische Abwehrspezialistin in Ben Dills Grierson gedient hatte. Yoshitaro verfügte über eine ähnlich qualifizierte Besatzung aus hastig zusammengesuchten Freiwilligen. Die Automatikkanonen waren voll geladen und die Schützen bereit. Garvin beobachtete die Corfe. Ihre MG-Geschütztürme und die Startröhren der Raketen waren geöffnet und ausgefahren. »Achtung«, sagte Garvin. »Die Schleuse öffnet sich.« Die Rampe wurde zischend ausgefahren und berührte den Asphalt. Vier Soldaten in dunkelgrünen Uniformen sprangen heraus und nahmen mit schussbereiten Blastem Haltung an. Ein Lautsprecher ertönte knarrend. »Ich möchte die Mitglieder der Regierung von Cumbre dazu einladen, an Bord meines Flaggschiffs eine Angelegenheit von großer Dringlichkeit zu besprechen.« Trotz der elektronischen Filter waren auch diese Worte eindeutig ein Befehl. Die Ratsmitglieder blickten sich gegenseitig an, dann machten sie sich langsam über die Rampe auf den Weg in das Schiff. Innerhalb der Schleuse wartete Protektor Redruth, der immer noch mehr den Eindruck eines stämmigen, fast kahlköpfigen Bürokraten niederen Ranges machte als den eines Diktators zweier Sonnensysteme. »Ich heiße Sie willkommen«, sagte er in einem Tonfall, der alles andere als freundlich war. »Wir haben sehr wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Wenn Sie mich in den Konferenzraum begleiten würden...« 84 Ein Mann in grüner Uniform näherte sich mit einem Detektor und untersuchte alle Ratsmitglieder, obwohl sie energisch protestierten. Caud Rao wehrte sich nicht. Von dem, was er bei sich trug, würde nichts von einem Detektor registriert werden. »Keiner von ihnen ist bewaffnet, Protektor.« »Gut. Dann hier entlang.« Die Männer und Frauen folgten Redruth. Rao versuchte sich alles genau einzuprägen, um eine Einschätzung Redruths militärischer Stärke zu erhalten. Die Corfe war tadellos sauber, auch wenn sie sichtlich einen veralteten Eindruck machte, und die zwei Waffenstationen, in die er einen Blick werfen konnte, waren mit wachsamen Soldaten in ordentlichen Uniformen bemannt. Der Konferenzraum war mit falschem Holz getäfelt, und an den Wänden hingen alte Drucke. Ein Firmenchef der Rentiers hätte hier nichts zu beanstanden gehabt. »Bitte setzen Sie sich«, sagte Redruth. Eine Tür glitt auf, und ein Mann, den Rao als Celidon erkannte, Redruths Militärführer, trat ein. Genauso wie seine Soldaten trug er eine dunkelgrüne Uniform, die jedoch vor Auszeichnungen funkelte, und einen SamBrowne-Gürtel mit einer Pistole auf der einen und einem Dolch auf der anderen Seite. Er war groß, muskulös und hatte eine Narbe auf der Stirn. Er grüßte Rao mit einem knappen Nicken, musterte die Ratsmitglieder mit unterkühlter Belustigung, sagte aber nichts. »Ich weiß, dass Sie alle mit Ihren üblichen Pflichten ausgelastet sind«, sagte Redruth. »Also werde ich mich kurz fassen. Ihnen ist sicherlich noch in Erinnerung, dass ich vor einiger Zeit angeboten habe, das Cumbre-System
unter meinen Schutz zu stellen. Das Angebot wurde von Ihrer Planetaren Regierung abgelehnt. Das geschah zu 85 einer Zeit, als wir gerade den Kontakt zur Konföderation verloren hatten. Ich war in großer Sorge wegen der Ansprüche, die die Musth höchstwahrscheinlich auf Cumbre erheben würden, einschließlich einer möglichen Besitznahme des Systems. Seit der unüberlegten Ablehnung meines Angebots hat sich keine Verbesserung Ihrer Situation ergeben. Und ich darf auf gar keinen Fall zulassen, dass mein Volk in Gefahr gerät, wenn die Musth ihre Pläne in die Tat umsetzen, was meiner Ansicht nach unweigerlich geschehen wird. Obwohl ich Entscheidungen lieber im Konsens als auf Befehl treffe, habe ich daher bestimmt, dass Cumbre unverzüglich unter meinen Schutz gestellt wird.« Die Anwesenden schnappten nach Luft oder artikulierten ihren Protest. Redruth wartete seelenruhig ab, als gebe es nicht den geringsten Grund zur Aufregung. »Diese Entscheidung steht nicht zur Debatte«, fuhr er fort. »Natürlich bin ich daran interessiert, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen so reibungslos wie möglich abläuft. Ich sehe keinen Grund, warum dieser Rat seine Arbeit nicht wie bisher fortsetzen kann, obwohl ich natürlich einen Verwalter einsetzen werde, der die Sitzungen leitet, mir Bericht erstattet und meine Ansichten in relevanten Angelegenheiten vorträgt, damit Sie mir dabei behilflich sein können, sie in die Tat umzusetzen.« Nun kamen deutlichere Proteste: »Das können Sie nicht machen!«, »Was ist mit unserer Souveränität?«, »Eine Verletzung der Konföderationsgesetze!«, »Verdammter Pirat!« und so weiter. Eine Frau schwieg, wie Rao bemerkte. Es war Jo Poynton, die das Ganze mit einem gepressten Lächeln verfolgte. Redruth wartete einen Moment ab, dann schlug er kräftig mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. 86 »Wie ich bereits erwähnte«, sagte er mit stahlharter Stimme, »stehen diese Entscheidungen nicht zur Debatte. Sie haben die Wahl, sie so schnell wie möglich auszuführen oder sich ernsthaften Konsequenzen zu stellen. Meine Planung sieht vor...« »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Caud Rao. »Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist meine Armee ein Teil der Streitkräfte der Konföderation und hat den Auftrag, die gegenwärtige Regierung von Cumbre zu verteidigen. Laufen Ihre Maßnahmen darauf hinaus, dass Sie der Konföderation den Krieg erklärt haben?« Celidon lächelte matt. »Ich glaube kaum, dass diese Angelegenheit bedeutend genug ist, um als Krieg bezeichnet werden zu können.« »Celidon will damit sagen«, warf Redruth ein, »dass wir nicht beabsichtigen, uns in die Belange Ihrer Streitmacht einzumischen. Da Sie jedoch über keine eigene Raumflotte verfügen, werden wir diesen Teil der Verteidigung übernehmen. Ich sehe keinen Grund, warum meine und Ihre Sicherheitskräfte nicht harmonisch kooperieren können, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.« »Aber ich sehe einen solchen Grund«, sagte Rao. »Sie haben die Absicht geäußert, die Regierungsgewalt an sich zu reißen. Und das können wir nicht dulden.« »Ich glaube nicht, dass es deswegen zu einer Konfrontation kommen muss«, sagte Redruth. »Insbesondere, wenn der Rat meine Anwesenheit willkommen heißt. Schließlich stehen Sie vor zwei ganz klaren Alternativen: Entweder Sie unterstellen sich meinem Schutz, oder Sie werden von den Musth erobert. Das rechtfertigt die kleinen Veränderungen, die ich innerhalb eines völlig legalen Rahmens vorschlage und die deshalb weder Sie noch Ihre Streitmacht in irgendeiner Weise beunruhigen sollten. 87 Es besteht kein Grund zur Aufregung, Caud Rao. Denken Sie nach! Das Cumbre-System liegt am äußersten Rand des Imperiums und ist kaum aus eigener Kraft überlebensfähig. Als Verbündete von Larix und Kura genießen Sie nicht nur mehr Sicherheit, sondern profitieren auch vom Handel und vom Vermögen, das in dieses System fließt.« »Und was wird hinausfließen?«, fragte Poynton. »Bestimmte Exportwaren«, sagte Redruth. »Aber wir werden natürlich einen angemessenen Preis dafür zahlen.« »Als Erstes für die Bergwerke«, sagte ein Ratsmitglied zynisch. »Das ist eine unserer größten Sorgen«, sagte Redruth. »Ist zufällig ein Vertreter von Mellusin Mining anwesend?« »Jasith Mellusin«, sagte jemand, »hat vor kurzem geheiratet. Sie befindet sich gemeinsam mit ihrem Ehemann in den Flitterwochen. Als Sie uns zu dieser Konferenz eingeladen haben, wurde sofort eine Nachricht zu ihrer Insel geschickt. Ich weiß nicht, ob sie angekommen ist, aber ich gehe davon aus, dass sie sich bereits auf den Weg gemacht hat.« »Gut«, sagte Redruth. »Dann beginnen wir mit den Rohstoffen von C-Cumbre und sprechen anschließend über andere Angelegenheiten, zum Beispiel die geringfügige Erhöhung Ihrer Steuern, die benötigt wird, um meine hier stationierte Garnison zu unterstützen.« »In welcher Höhe?«, fragte Rao. »Das ist noch nicht entschieden«, sagte Celidon. »Es dürfte davon abhängen, wie reibungslos diese Gespräche verlaufen.« »Ich verstehe«, sagte Rao, der unauffällig auf den Knopf eines Senders drückte, der unter seiner Jacke verborgen
war. Das Gerät sendete daraufhin einen Piepton von einer Sekunde Dauer. 88 »Um welchen Betrag«, fragte eine Frau, die dem Rat angehörte, »werden Sie die Steuern erhöhen?« »Zu Anfang wird es nicht mehr als ein Prozent auf alle Produkte sein. Allerdings steht es Ihnen frei, stattdessen die derzeitige Einkommenssteuer zu erhöhen. Ich bin nicht daran interessiert, mich in die Entscheidung einzumischen, welche Art der Besteuerung Sie auswählen oder ob bestimmte Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger als andere belastet werden sollen.« »Mit anderen Worten«, sagte Poynton, »wenn wir beschließen, die Armen zu schröpfen, wäre Ihnen das völlig egal.« Ein Mann drehte sich mit finsterer Miene zu ihr um. »Verdammt, wir haben schon genug Schwierigkeiten! Verschonen Sie uns mit Ihren 'Rauhm-Ressentiments.« »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Redruth. »Ich habe Verständnis für Ihre gegenwärtigen Probleme, aber ich sehe keinen Grund, warum sie bei unseren Gesprächen eine Rolle spielen sollten. Lassen Sie uns einfach überlegen, welche von Cumbres Produkten am wichtigsten für die Erhaltung der Sicherheit und des Wohlstands unserer verbündeten Systeme sind...« Sämtliche Befehlshaber der Legion und alle Luftkampfeinheiten und Bodenfahrzeuge waren mit sekundären Empfängern ausgestattet, die auf Raos Sender eingestellt waren. »Werft die Kisten an und macht euch bereit«, sagte Garvin. »Es geht los.« Die Triebwerke der zwei Cookes erwachten heulend zum Leben. Der schnelle Gleiter raste knapp an der Insel Lanbay vorbei und näherte sich dem Golf von Dharma. Loy Kouro saß 89 an den Kontrollen, Jasith Mellusin neben ihm. Sie flogen nicht höher als fünfzehn Meter über dem Wasser mit Maximalgeschwindigkeit. Kouro war völlig außer sich. »Das ist die heißeste Story seit dem Krieg, und ich bin nicht da, sondern vertreibe mir die Zeit mit dir!« »Loy«, rief Jasith ihm ins Gedächtnis, »es war deine Idee, unsere Flitterwochen um vierzehn Tage zu verlängern.« »Egal«, sagte Kouro. »Was glaubst du, was diese Leute von uns wollen?« »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts Gutes sein kann«, sagte Jasith. »In zehn Minuten dürfte Chance Island in Sicht kommen.« »Hier ist Säbel Alpha«, sagte Ben Dill. »Komme von Balar. Geschätzte Ankunftszeit in Mahan drei null. Säbel Beta und Gamma verfolgen die Kommunikation. Ende.« Die drei Aksai flogen mit Dreiviertelschub und sahen, wie D-Cumbre unter ihnen immer größer wurde. »Hier Kontrolle«, meldete sich Mil Angara über einen verschlüsselten Kanal aus einem Bunker unterhalb von Camp Mahan. »Keine Änderung der Befehle. Sie haben Erlaubnis, auf jede feindselige Aktion zu reagieren. Wenn es ruhig bleibt, warten Sie außerhalb der Atmosphäre auf weitere Anweisungen.« »Verstanden.« Dill schaltete auf eine andere Frequenz. »Ihr habt gehört, was er gesagt hat. Lasst uns ein paar Larrys oder Kuraner abschießen oder wie auch immer sie sich jetzt nennen. Ende.« Er berührte ein paar Sensoren, und seine Raketen wurden scharf gemacht. 90 Überall auf D-Cumbre gingen die verstreuten Kräfte der Rao-Armee auf volle Gefechtsbereitschaft. Im aufgeregten Funkverkehr bemerkte niemand die Meldung einer automatischen Wachstation auf dem kleinen Planetoiden L-Cumbre: SECHS OBJEKTE DRINGEN IN DAS SYSTEM EIN... ANALYSE DEUTET AUF TECHNISCHE KONFIGURATION HIN... KEINE ÜBEREINSTIMMUNG MIT BEKANNTEN RAUMSCHIFFTYPEN. .. FLUGBAHN ZIELT AUF D-CUMBRE, KONTAKT IN WENIGER ALS DREI STUNDEN ERWARTET... SECHS OBJEKTE DRINGEN IN DAS SYSTEM EIN... ANALYSE DEUTET... Redruth hatte einen Aktenordner aufgeschlagen und ging gerade die genaue Aufstellung der Tributzahlungen durch, die von Cumbre erwartet wurden, als ein Mann in grüner Uniform eintrat und sich an Celidon wandte. Er flüsterte ihm hastig etwas zu. Celidons gelassene Miene nahm einen wütenden Ausdruck an. »Entschuldigen Sie bitte, Protektor«, sagte er. »Aber von der Brücke werden verstärkter Funkverkehr rund um den Planeten und unbekannte Signale vom Mond gemeldet.« »Was hat das zu bedeuten? Caud Rao, was geht hier vor?«, verlangte Redruth zu wissen. Rao schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, log er. »Ich habe mich in den vergangenen zwei Stunden in diesem Raum aufgehalten. Vielleicht hat mein Erster Offizier entschieden, die Alarmbereitschaft meiner Armee zu erhöhen. « »Celidon!«, bellte Redruth. »Kein Problem«, erwiderte der groß gewachsene Mann. »Wenn sie frech werden, können wir genauso reagieren.« 91 Er ging zur Tür und machte sich auf den Weg zur Brücke.
Redruth erhob sich und zog sich zur Tür zurück. »Ich weiß nicht, was hier los ist«, sagte er, »aber wenn irgendjemand von Ihnen auf dumme Ideen kommt...« Caud Rao hielt eine kleine Röhre aus Keramik in der Hand, eine Waffe, die kein Metalldetektor wahrnehmen konnte. »Sie sollten lieber ganz ruhig bleiben«, sagte er gelassen. »Dieses Ding ist mit nur einem einzigen Projektil geladen, einer altertümlichen Kugel aus Ton, die auf ziemlich unangenehme Weise zersplittert, wenn sie auf ein Ziel trifft. Also wäre es ratsam, wenn Sie nicht zu schwer atmen.« Redruths Gesicht rötete sich, aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Nun kehren wir durch den Korridor zur Luftschleuse zurück«, sagte Rao. »Die Ratsmitglieder gehen zuerst, und zwar möglichst schnell. Wir verlassen dieses Schiff.« Er drückte die Tür auf und winkte den verstörten Abgeordneten, sich nach draußen zu begeben. Ein Besatzungsmitglied näherte sich, sah die kleine Waffe in Raos Hand und griff nach seiner Handwaffe. Im nächsten Moment hatte sich Jo Poynton auf ihn geworfen, eine Hand schlug ihm ins Gesicht, ein Ellbogen traf seine Kehle, dann hatte sie ihm die Pistole abgenommen, bevor er würgend und sich vor Schmerzen windend zu Boden ging. Sie hob die Waffe und grinste. »Ganz wie in den alten Tagen. Wir treffen uns an der Schleuse«, sagte sie und lief los. »Jetzt Sie«, sagte Rao und forderte Redruth auf, den Konferenzraum zu verlassen. »Betrachten Sie meine Maßnahme als Protektion des Protektors.« »Das werden meine Männer niemals zulassen!« 92 »Das mag sein«, sagte Rao gut gelaunt. »Aber dann wird die Loyalität Ihrer Leute ziemlich unangenehme Folgen für Sie haben.« Rao warf einen Blick auf die Waffe, zog eine Grimasse und trat in den Korridor. »Ich übernehme wieder das Kommando«, sagte Celidon, als er auf die Brücke der Corfe trat. »Was ist los?« »Sir«, meldete der Captain des Schiffes, »wir haben mindestens fünfzig Einheiten registriert, die sich in der Luft befinden. Es ist alles vertreten, von Jachten bis zu Luftkampfgefährten.« »Wer zum Henker hat den Befehl dazu gegeben?« Der Offizier schüttelte nur den Kopf. »Dann finden Sie es heraus, verdammt! Wir können nichts unternehmen, solange wir keine Gewissheit haben.« Der Captain erinnerte sich daran, dass er es Celidons Wut auf seinen wankelmütigen Vorgänger und einem Erschießungskommando zu verdanken hatte, dass er auf diesen Posten befördert worden war, dann befahl er, dass Ruhe auf der Brücke einkehrte und alle Stationen Bericht erstatteten. Celidon hörte abwartend zu, ohne zu bemerken, dass seine Hand immer wieder das Heft seines Dolches berührte. »Hier ist Corfe zwei«, meldete sich eins der Patrouillenschiffe der Nirwana-Klasse. »Drei Einheiten nähern sich von Balar...« Dann veränderte sich die ausdruckslose Stimme. »...Jane hat sie als Kampfschiffe der Musth identifiziert! « Und fast gleichzeitig kam eine zweite Meldung herein: »Hier ist Corfe vier. Sechs große Schiffe nähern sich aus 93 dem Weltraum, mit Kurs auf D-Cumbre. Unbekannter Typ, keine Identifikation durch Jane. Warten auf Anweisungen.« Auf der Brücke der Corfe brach hektische Verwirrung aus, und Celidon verlangte brüllend Ruhe. Ein Offizier meldete wie befohlen: »Sir, Waffenstation elf teilt mit, dass innerhalb des Schiffes ein Schuss gefallen ist!« »Was?« Der Mann wiederholte die Meldung. »Schicken Sie die Landetruppen raus«, bellte Celidon. »Sie sollen herausfinden, was dort passiert ist! Und ein Sicherheitsteam soll im Konferenzraum nachsehen, ob mit dem Protektor alles in Ordnung ist!« Ein Techniker meldete: »Sir, ein Fluggefährt nähert sich in geringer Höhe von Osten, Geschwindigkeit ungefähr zweihundertfünfzig Ka-em-ha. Es beantwortet unsere Warnungen auf der Standardfrequenz nicht. Drei Waffenstationen haben es im Visier.« »Schießen Sie es ab!« »Ja, Sir«, sagte ein Waffenoffizier. »An alle drei Waffenstationen, Feuer eröffnen!« Die Brücke wurde durchgeschüttelt, als das nicht allzu weit entfernte Geschütz feuerte. Schüsse schlugen weniger als zwanzig Meter vor Loy Kouros Gleiter ins Wasser. Er schnappte nach Luft, zerrte an der Steuerung und raste genau in die Fontäne. Der Gleiter trudelte und kippte zur Seite. Kouro kämpfte darum, das Gefährt wieder unter seine Kontrolle zu bringen, und gewann sie für einen kurzen Moment zurück. Dann überschlug sich der Gleiter zwei94 mal. Kouro schob den Steuerhebel zurück, und das Fahrzeug stabilisierte sich wieder. Er versuchte, mehr Höhe zu gewinnen, dann fiel plötzlich der Antrieb aus.
Die Nase des Gleiters senkte sich, dann ging das Gefährt in den Sturzflug über. Kouro kämpfte mit den Kontrollen. Er konnte die Nase wieder hochziehen, doch der Gleiter verlor immer mehr an Höhe. Mit knapp unter hundert Stundenkilometern schlug er aufs Wasser und schlitterte wie ein Kieselstein darüber hinweg. Die Hangartür glitt auf, während die Corfe über den Exerzierplatz feuerte, auf irgendein fernes Ziel über dem Meer. »Schütze!«, rief Garvin. »Die Waffenstellung da drüben!« »Erfasst«, sagte Ho ruhig und berührte den Auslöser der Automatikkanone. Das 20-mm-Geschütz röhrte wie ein urzeitliches Tier, und Ladungen aus kollabiertem Uran schlugen in die freiliegenden Waffen der Kuraner. Zwei Munitionsmagazine explodierten, und ein Feuerball breitete sich auf dieser Seite des Schiffes aus. Die Leute an den Waffenstationen waren tot, bevor ihnen bewusst werden konnte, dass sie starben. Die Öffnung über den Waffen schloss sich und versiegelte die Station, während die Corfe sichtlich wankte. »Ausweichmanöver!«, rief Jaansma. Die zwei Cookes schössen aus dem Hangar und drehten sofort ab, während ein anderes Geschütz Löcher in den Asphalt sprengte. »Heiliges Kanonenrohr!«, stieß Rennender Bär hervor, dessen Hände als verschwommene Schemen über die Kontrollen huschten, während sein Cooke erneut den Kurs wechselte und dabei fast in eine Baracke gerast wäre. 95 Rao entdeckte drei Leichen im Korridor und trieb Redruth zur Eile an. Sie liefen in die Anzugkammer der Luftschleuse und stießen dort auf den Rat und Poynton, die in jeder Hand eine Pistole hielt. Ein Ratsmitglied hatte die dritte Waffe an sich genommen. »Wie kommen wir aus dem Schiff, ohne massakriert zu werden?«, fragte Poynton. »Geben Sie mir eine von denen«, sagte Rao, und Poynton warf ihm eine Pistole zu. »Ihre Ehrengarde hat sich draußen um die Wachposten gekümmert«, sagte Poynton. »Dann sind sie in Deckung gegangen, bevor das Schiff reagieren konnte. Jetzt können sie uns einen gewissen Feuerschutz geben.« »Sie versuchen immer wieder, die Schleuse zu schließen«, sagte ein anderer Mann. »Ich halte ständig den Notöffnungsknopf gedrückt.« »Und nun?«, fragte Poynton. »Sie können nicht entkommen«, sagte Redruth selbstgefällig. »Meine Schützen werden Sie niedermähen, bevor Sie zehn Meter zurückgelegt haben.« »Dann wäre es wohl besser, Sie jetzt zu erschießen«, sagte Poynton. Redruth erbleichte, als Rao die Pistole auf ihn richtete. »Ich habe dich, ich habe dich, o Herr, ich habe ich«, sang Ben Dill, als der Aksai auf ein kuranisches Patrouillenschiff niederstieß. Er drückte dreimal den Feuerknopf und verfolgte, wie die Raketen davonrasten. Das Patrouillenschiff ging auf volle Energie, versuchte mit dem Sternenantrieb zu entkommen, schaffte es aber nicht, als eine Rakete ihm den Bug wegriss. Dann schlug die zweite in den Maschinenraum, worauf sich das Schiff in einen Ball aus brennendem Gas verwandelte. 96 »Ho-ho«, brüllte Dill in sein Mikro. »Das war Bens erster Abschuss!« »Corfe, Corfe, hier ist Corfe zwei«, sendete eine panische Stimme aus dem Patrouillenschiff. » Corfe drei wurde von den Musth zerstört... hier sind viel zu viele von ihnen! Corfe vier wird ebenfalls angegriffen!« Eine Rakete, die von Dills Kameraden abgefeuert wurde, explodierte einen halben Kilometer entfernt. Der Pilot zuckte erschrocken zusammen und ließ sein Schiff unverzüglich in den Hyperraum springen. Rao hörte eine Bewegung, riss seine Pistole herum und feuerte ein halbes Dutzend Kugeln in den Korridor, ohne sich zu vergewissern, wer sich dort befand. »Wir werden sterben, wenn wir hier bleiben«, sagte er. »Also verschwinden wir. Raus aus der Schleuse! Laufen Sie zum Hangar und fächern Sie sich auf!« Furchtsame Gesichter wandten sich ihm zu, dann stürmten die Ratsmitglieder gehorsam die Rampe hinunter. Rao beobachtete sie, und Redruth nutzte die Gunst des Augenblicks. Er stieß den Caud zur Seite und flüchtete in den Korridor und einen Nebenraum, dessen Tür er verriegelte. »Mistkerl!«, fluchte Rao und folgte den anderen. Ein kuranischer Schütze sah die flüchtenden Männer und Frauen, schaltete die Zielerfassung auf manuelle Kontrolle und richtete seine Geschütze aus. Yoshitaros Cooke tauchte hinter einem Frachttransporter auf, und sein Schütze feuerte 150 Patronen in die Waffenstellung, bevor der Mann sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. 97 Wenige Augenblicke später rannten die Ratsmitglieder in den Hangar und auf der anderen Seite wieder heraus. Caud Rao war der Letzte. Er duckte sich, feuerte den Rest seines Pistolenmagazins in die offene Schleuse der Corfe -was ihm keinen Nutzen, aber auch keinen Schaden einbrachte. Dann war auch er verschwunden, während Geschosse den Asphalt aufrissen, wo er sich noch kurz zuvor befunden hatte. »Schließen Sie die Schleuse!«, befahl Celidon. »Warum wurde das nicht schon längst...?« Er verstummte, als ihm klar wurde, wie unsinnig es war, schon jetzt nach Schuldigen zu suchen.
Ein Kom klickte. »Brücke, hier ist Waffenstellung dreizehn. Wir haben den Protektor in Sicherheit...« Es folgte lautes Knistern, dann war Redruths Stimme zu hören. »Celidon! Bringen Sie sofort das Schiff von hier weg. Sie haben uns in die Zange genommen!« Celidon zwang sich, ruhig zu bleiben. »Captain, bereiten Sie alles für den Start vor. Fliegen Sie über den Ozean, und gehen Sie sofort auf Sternenantrieb, sobald wir die Atmosphäre verlassen haben.« »Ja, Sir.« »Alle Patrouillenschiffe sollen sich uns anschließen.« »Ja, Sir.« Celidon spürte eine Druckveränderung in den Ohren und erkannte, dass die Schleuse - endlich - geschlossen worden war. »Ein Sektionsführer mit drei Männern zur Waffenstellung dreizehn. Eskortieren Sie den Protektor zur Brücke!« »Sir!« 98 Celidon spürte, wie sich das Flaggschiff vom Boden löste, und hörte das dumpfe Heulen der Antigravs. Ben Dill tauchte in die äußersten Atmosphärenschichten ein, während ein Bildschirm Camp Mahan tief unter ihm zeigte. Er arretierte den Zoomsensor, als er sah, wie die Corfe sich in Bewegung setzte. Er drückte den Raketenstartknopf, während er im Sturzflug niederging, aus dreißigtausend Metern Höhe und mit unmöglicher Machzahl. Er spürte, wie sich der Aksai schüttelte, als er alle seine Raketen in einer Salve abfeuerte. Schließlich erkannte er, dass er demnächst ein sichelförmiges Loch im Boden von D-Cumbre hinterlassen würde, und schob alle Regler zurück. Das Kampfschiff der Musth ruckte und schlingerte, als es allmählich in einen waagerechten Kurs überging, obwohl es sich unter diesen Extrembelastungen kaum noch kontrollieren ließ. Die Raketen, die für den Luft- oder Weltraumkampf gedacht waren, verloren in der Nähe des Bodens ihr Ziel aus den Augen und schlugen in den Asphalt, keine hundert Meter von der Corfe entfernt. Zwei Sekunden später raste Dills Aksai keine dreißig Meter oberhalb der Corfe vorbei. Auf der Brücke des Musth-Flaggschiffs, eines großen, neuen, schwer bewaffneten Mutterschiffs, betrachtete Wlencing die Bildschirme. Neben ihm stand ein etwas kleinerer Musth, der fast dieselben Auszeichnungen trug wie Wlencing. »Also kämpfen sie«, sagte er zu Aesc. »Gegeneinander, wie ich vermute. Aber woher kommen diese Aksai? Uns ist nicht bekannt, dass andere Musth sich für diesen Sektor interessieren, nicht wahr?« 99 »So ist es«, sagte Aesc. »Ein Rätsel. Die Menschen müssen die reparaturbedürftigen Schiffe gefunden haben, die wir mangels Zeit nicht an Bord nehmen konnten.« »Kriegsherr!«, meldete ein Waffenoffizier. »Eins der menschlichen Schiffe, eine Patrouilleneinheit, hat uns angegriffen. Eine Abwehrrakete wurde gestartet. Sie hat das Ziel erfasst und wird in Kürze die feindliche Rakete zerstören. Soll ich das Feuer auf das Patrouillenschiff eröffnen?« Wlencing blickte den Musth an seiner Seite an. »Alikhan, ich vermute, du würdest gerne deinen eigenen Kampfjäger besteigen und dir einen angemessenen Kampf mit diesen Feinden liefern, um dich als junger Held zu beweisen.« Sein ältester Nachkomme hob eine Tatze. »Ich bin nicht so dumm zu glauben, ich könnte ihn schneller als eine Rakete erreichen, Erzeuger.« »Gut«, lobte Wlencing ihn. »Vergiss nie, dass eine Waffe viel weiter reicht als ein Messer. Zerstören Sie das Schiff.« Der Waffenoffizier bewegte seine Tatze über verschiedene Schaltflächen. Zehn Raketen rasten auf die Corfe vier zu. Das Schiff konnte zweien ausweichen, dann schlug die dritte in die mittlere Sektion, worauf das Schiff verging. »Gut«, sagte Aesc. »Rufen Sie die anderen Raketen zurück und setzten Sie den Landeanflug fort.« »Das sind Musth-Schiffe«, sagte Celidon. »Unter anderem offenbar eine Art Mutterschiff. Wir sind zu spät zur Übernahme des Systems gekommen, und...« Redruth kam auf die Brücke gestürmt, keuchend und mit wutverschleiertem Blick. »Bringen Sie uns in den Weltraum!«, bellte er. »Das war eine Falle!« 100 »Es muss keine Falle gewesen sein«, sagte Celidon ruhig. »Aber wir haben diesen Cumbrianern viel zu wenig Intelligenz zugetraut. Und niemand konnte vorhersehen, dass die Musth ausgerechnet im unpassendsten Moment auftauchen. Wir sind bereits auf dem Weg in den Weltraum. Beruhigen Sie sich, Protektor.« »Wir werden sie angreifen... sie vernichten... eines Tages.« Die Corfe ließ Chance Island hinter sich und bemerkte nicht, dass sie von zwei winzigen Cookes verfolgt wurde. Garvin Jaansma saß im ersten, Njangu Yoshitaro im zweiten, der ein kleines Stück zurücklag. »Kannst du einen Treffer landen?«, wollte Garvin wissen. Er kauerte halb aufgerichtet hinter der Windschutzscheibe.
»Ich bezweifle es«, sagte Ho Kang. »Wir verlieren den Anschluss«, meldete Rennender Bär. »Sie entwischen uns.« Der Kom knisterte. »Was zum Henker habt ihr vor?«, erkundigte sich Yoshitaro aufgeregt. »Der Mistkerl wird einfach umdrehen und euch wie Fliegen platt machen!« Garvin antwortete nicht. »Gib ihnen eine Breitseite!« »Wird gemacht.« Ho Kang drückte ihre Feuerknöpfe, und Leuchtspuren schössen über den Himmel. Sie verfehlten die flüchtende Corfe um mehrere hundert Meter. Der Cooke schüttelte sich und reagierte langsamer. »Scheiße, Scheiße. Kannst du nicht höher zielen?« »Keine Chance.« Garvin kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück, als 101 die Corfe in den waagerechten Flug überging und davonschoss. Er sah nur noch einen Punkt, dann ein winziges Leuchten von den Triebwerken. Wenige Sekunden später ging sie knapp außerhalb der Atmosphäre auf Sternenantrieb und war verschwunden. Jaansma ließ sich wieder auf seinen Sitz sinken, als der Cooke verzögerte. »Mist.« Dann hellte sich seine Miene auf. »Aber wenigstens haben wir es versucht.« Rennender Bär warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, sagte aber nichts. Ho wirkte genauso enttäuscht wie Jaansma. »Okay«, sagte Garvin und fühlte sich plötzlich erschöpft. »Bringen wir die Kiste nach Hause zurück. Und sprecht bitte nicht zu laut, wenn ihr mich als durchgeknallten Verrückten bezeichnet.« »Verstanden, Sir.« Der Cooke drehte ab. Yoshitaros LKG holte auf und flog parallel zu ihnen. »Dürfte ich fragen, was zum Henker das werden sollte?«, rief Njangu. »Irgendwie scheine ich den Überblick verloren zu haben. « »Oh ja«, sagte Yoshitaro. »Es steht außer Frage, dass du entweder als Fliegerbaron mit dem doppelten Kreuz der Konföderation sterben wirst oder von mir elendiglich erdrosselt wirst, weil...« »Äh, Sir«, unterbrach Rennender Bär das Gespräch. »Wir empfangen ein Notrufsignal. Direkt vor uns. Ich glaube, es kommt aus dem Wasser.« Garvin runzelte die Stirn, dann erinnerte er sich an den unerklärlichen Feuerstoß von der Corfe. »Dann schauen wir mal nach, ob es etwas zu retten gibt.« 102 Rennender Bär verringerte weiter die Geschwindigkeit und ging tiefer, bis er direkt über dem Meer dahin trieb. »Da ist es«, sagte er. Der Gleiter schwamm in der leichten Dünung, in zwei Hälften zerbrochen, von denen eine fast völlig im Wasser versunken war. »Sieht nicht so aus, als müssten wir uns die Mühe machen, genauer nachzusehen.« »Negativ«, sagte Jaansma. »Ich sehe eine winkende Hand. Bring die Kiste noch tiefer runter.« Der Cooke näherte sich schwebend dem Wrack. Der Gleiter war völlig zerstört, aber quer über die Instrumentenkonsole spannten sich die aufgeblasenen Airbags. Vor den Controllen lag ein Mann mit dem Gesicht nach unten. Jasith Mellusin blickte auf, mit Augen, die vor Schock getrübt waren. »Garvin?« »Ja, ich bin's.« Garvin sprang auf den versinkenden Gleiter und wäre fast gestürzt, als Wellen dagegen schlugen. Loy Kouro richtete sich mit blutigem Gesicht im Pilotensessel auf. »Ichbin verletzt«, murmelte er. »Helfen Sie mir. Bringen Sie mich in ein Krankenhaus.« Er setzte sich in Bewegung, aber Garvin drängte ihn behutsam zurück. »Warten Sie, bis Sie an der Reihe sind«, sagte er. »Ladys first.« Er hob Jasith auf, erinnerte sich an eine andere Zeit, nahm ihr vertrautes Parfüm im Gestank nach verbrannter Isolierung und Öl wahr. Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, drängte sie zurück und reichte Jasith nach oben weiter. 103 »Also gut, du bedauernswerter Drecksack«, sagte er, als er sich wieder umdrehte. »Jetzt bist du an der Reihe.« In diesem Moment tauchten die Musth in die Atmosphäre ein. 5 Im Saal befanden sich neunzehn Ratsmitglieder und ihre Assistenten, außerdem Caud Rao mit seinem Ersten Offizier und Geheimdienstoffizier sowie Systemkommandant Aesc und Kriegsherr Wlencing. »Zuerssst«, sagte Aesc auf Terranisch, das er genauso zischelnd wie die meisten Musth aussprach, »möchte ich Ihnen einsss versssichern. Obwohl unssser Volk über den Tod unssserer Artgenosssen verssstimmt ist, haben wir entschieden, Ihnen eine weitere Chance zu geben.«
Die meisten Ratsmitglieder wirkten skeptisch. »Wir würden gerne in Frieden mit den Menschen koexissstieren«, betonte Aesc. »Vielleicht bessstand das bisssherige Problem darin, dass wir zu weit voneinander entfernt gelebt haben. Über diessse Angelegenheit wurde nachgedacht, und wir werden versssuchen, einen engeren Kontakt zu Ihnen herzussstellen.« »Was genau meinen Sie damit?«, fragte Jo Poynton. »Zuerssst«, sagte Wlencing, »werden wir unsss nicht weiter mit Angelegenheiten wie dem Tod unssserer Artgenosssen während der kürzlichen Aufssstände befasssen, genaussso wenig wie mit dem Tod der Wächter, die wir auf der Hochebene zurückgelasssen haben. Wir werden ssso-gar die Möglichkeit misssachten, dasss unsssere Kameraden in die Falle gelockt und ermordet wurden.« 104 »Wir werden Arbeitsssplätze auf Sssilitric anbieten, in jeder Posssition vom Werksssleiter bisss zum Bergarbeiter«, sagte Aesc. »Die Bezahlung wird in Gold erfolgen, von dem ich annehme, dasss esss sssich in Ihre Währung konvertieren lässst. Vielleicht werden sssogar einige unssserer Bergbauexperten von der Zusssammenarbeit mit ihren menschlichen Kollegen profitieren, indem sssie nach deren Methoden arbeiten oder sssie zumindessst beobachten. Und während sssich unsssere Hauptssstützpunkte weiterhin auf der Hochebene und auf Sssilitric befinden, nachdem wir sssie von den Leichen unssserer Wächter gereinigt haben, werden wir in den meisssten Ssstädten diessser Welt... Konsssulate eröffnen. Ich glaube, ssso lautet die korrekte Bezeichnung.« »Zu welchem Zweck?«, fragte ein Ratsmitglied. »Wie ich bereitsss andeutete, können Dissstanz und Unvertrautheit zu Hasss führen«, sagte Aesc. »Wenn sssich unsssere Völker näher kommen, lernen wir unsss bessser kennen, und vielleicht wiederholen sssich die bedauernssswerten Vorfälle der Vergangenheit dann nicht mehr. Vielleicht können wir in der Zukunft sssogar Besssuche auf einigen unssserer Welten anbieten, um unsssere Ssspeziesss noch näher zusssammenzuführen.« »Wie es scheint«, sagte Caud Rao, »sind Sie mit viel mehr Vertretern Ihres Volkes als zuvor zurückgekehrt, und wie es ebenfalls den Anschein hat, dienen Ihre Schiffe Kriegszwecken und nicht dem Handel oder dem Bergbau.« »Dasss issst die Wahrheit«, sagte Wlencing. »Wir sssind ein vorsssichtigesss Volk. Und vielleicht issst dasss sssogar gut ssso, weil wir dadurch jene vertreiben konnten, von denen Sssie sssagten, dasss sssie Ihre Welten okkupieren wollten.« »Richtig«, räumte Rao ein. »Aber worin genau bestehen 105 Ihre militärischen Absichten, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses System immer noch zur Konföderation gehört?« »Nur ein Dummkopf sssagt sssofort, wasss hier oder dort oder anderssswo getan werden sssollte«, erwiderte Wlen-cing. »Wir möchten unsss ein paar Zyklen Zeit nehmen, um die Angelegenheit zu ssstudieren, um nur zu beobachten und mit Ihren Kriegern zusssammenzuarbeiten. Ich bin mir sssicher, dasss esss in manchen Bereichen zu beiderssseitigem Nutzen geschehen wird. Vielleicht könnten wir die Aufgabe der Verteidigung unter unsss aufteilen, indem unsssere Krieger für den Luft- und Weltraum verantwortlich sssind und Sssie sssich um die Verteidigung der Oberfläche kümmern. Oder vielleicht lasssen sssich bessstimmte Einheiten kombinieren, wasss ein interesssantes Experiment wäre.« »Und welches Volk soll den Oberbefehl führen?«, fragte Caud Rao. Wlencing stieß eine Tatze in die Luft, als Zeichen der Unbesorgtheit. »Diessse Entscheidung kann zu gegebener Zeit erfolgen. Ich habe übrigensss bemerkt, dasss Sssie Ihre Kräfte weiter verssstreut haben alsss zuvor. Esss wäre eine Gessste desss guten Willensss, wenn Sssie den Kriegssszussstand aufheben und sssie in ihre Kasssernen zurückkehren lasssen. Esss gibt jedoch einen Punkt, den wir nachdrücklich einfordern müsssen. Esss issst Ihnen geschickt gelungen, ein paar Aksai für den Kampf gegen die Eindringlinge zu inssstrumentalisssieren. Wir gehen davon ausss, dasss Sssie diessse Kampfschiffe aus freien Ssstücken an unsss zurückgeben.« Rao zögerte kurz, dann nickte er. »Das werden wir tun.« »Dasss issst gut«, sagte Wlencing und wandte sich Aesc 106 zu. »Esss tut mir Leid, dasss ich Ihre Rede unterbrochen habe, aber esss musssten einige Dinge angesssprochen werden, die in mein Fachgebiet fallen.« »Ich habe ohnehin kaum mehr zu sssagen«, erwiderte Aesc. »Außer dasss wir engen Kontakt mit diesssem Rat halten werden. Und wenn sssich neue Assspekte ergeben, werden wir zweifellosss weitere Zusssammenkünfte vereinbaren, in der Hoffnung, dasss sssie genaussso kongenial wie diessse verlaufen werden.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und entfernte sich mit geschmeidigen Bewegungen. Wlencing folgte ihm, doch dann hielt der Kriegsherr kurz neben Rao inne. »Issst esss nicht gut, dasss sssich meine Überzeugung, wir würden unsss beim nächsssten Mal im Kampf begegnen, nicht bewahrheitet hat?« »Krieg ist niemals gut«, sagte Rao. Wlencing bewegte eine Tatze quer über die Brust, dann verließ auch er den Saal. »Was hatte diese Geste zu bedeuten?«, fragte Angara.
Rao zuckte mit den Schultern, Hedley schüttelte den Kopf. »Vielleicht hält er Sie für einen verweichlichten Pazifisten, dem die Musth nicht viel Achtung entgegenbringen.« »Mir gefällt die Vorstellung ganz und gar nicht«, sagte Angara, »dass wir den Musth den gesamten Luftraum überlassen sollen, während wir am Boden herumkriechen dürfen. Unter einer gerechten Aufteilung des Kuchens verstehe ich etwas anderes. Und ich mache auch keine Luftsprünge, wenn ich daran denke, dass wir alle Leute wieder nach Mahan zurückholen sollen, wo wir wieder eine dicke, fette Zielscheibe abgeben würden. Aber mir fällt nichts ein, was wir tun könnten, um etwas daran zu ändern.« 107 »Und mir gefällt es nicht, dass wir diese scharfen kleinen Aksai zurückgeben sollen«, sagte Hedley. »Aber wie Sie bereits sagten, wir haben nicht gerade eine überwältigende Auswahl an Möglichkeiten.« »Wie lautet Ihre Einschätzung?«, fragte Rao seinen Geheimdienstoffizier. »Für meinen Geschmack«, sagte Hedley, »haben die Musth viel zu viele von diesen großen Mutterschiffen, die nach allem, was ich sehe, Kriegsschiffe sind. Ich würde schätzen, dass sie damit unserer Streitmacht um den Faktor zwei oder drei zu eins überlegen sind, wenn nicht sogar mehr. Insgesamt würde ich meinen... dass die Musth genauso gerissen lügen können wie ich.« »Genau dasselbe habe ich auch gedacht«, sagte Rao. »Noch mehr Blumen?«, sagte Jasith. »In der Tat«, sagte der Krankenpfleger und musterte sie kritisch. »Ich würde sogar meinen, dass es bisher die hübschesten sind. Zweifellos sollen sie Sie dazu ermuntern, Ihren süßen kleinen Hintern aus diesem Bett zu erheben, die Rechnung zu bezahlen und nach Hause zu gehen.« »Merle, das war aber nicht sehr krankenpflegerlich!« »Und wie sind Sie plötzlich zu einer Richterin in Sachen Krankenpflegerlichkeit geworden?«, fragte der junge Mann. Jasith grinste. »Wie Sie bereits sagten: Ich bezahle die Rechnung.« »Wenn es Ihnen so lieber ist, bitte! Ihr Ehegatte hat angerufen und lässt ausrichten, dass er sich um eine Stunde verspäten wird. Ein Treffen mit unseren pelzigen Freunden aus den Tiefen des Alls.« »Nur eine Stunde? Das wäre ziemlich wenig Verspätung für Loy«, sagte Jasith. 108 »Na na!«, sagte Merle. »Ich hätte da übrigens noch eine hinter dem Mundschutz geflüsterte Neuigkeit. Ihr Arzt glaubt, dass die Infektion jetzt endlich auf dem Rückzug ist, sodass Sie in ein oder zwei Tagen entlassen werden dürften.« »Wenn Sie einen Kuss möchten«, sagte Jasith begeistert, »müssen Sie mich nur darum bitten.« »Das wäre nicht so ganz mein Stil«, sagte Merle. »Außerdem glaube ich ihm nicht. Ich weiß nicht, welche merkwürdige Bazille Sie sich beim Herumschwimmen eingefangen haben, aber ich denke, dass Sie sie noch nicht losgeworden sind. Und ich gebe sorgsam auf meine Gesundheit Acht.« »Stattdessen könnten Sie mir etwas Fruchtsaft besorgen«, sagte Jasith. »Und etwa drei Finger breit Alk hineinschmuggeln.« »Stattdessen könnte ich ihn dann selber trinken«, sagte der Krankenpfleger, stellte den dekorativen Strauß auf dem langen Tisch in der Suite ab, die bereits den Eindruck eines Gewächshauses machte, und ging hinaus. Jasith betrachtete das Gesteck und musste Merle Recht geben, dass es wahrscheinlich das hübscheste war, und öffnete die Karte. ALLES GUTE, GARVIN Jasith verzog das Gesicht, zerknüllte die Karte und warf sie in den Papierkorb. Sie ging zum Fenster, blickte auf Leggett hinunter und dann über die Bucht auf Chance Island, die sich trübe im Morgennebel abzeichnete. Zwei der fremdartigen, furchteinflößenden Musth109 Kampfjäger rasten über die Stadt hinweg und stiegen dann senkrecht zum Mutterschiff empor, das hoch oben schwebte. Selbst durch die isolierten Fenster hörte Tasith deutlich den doppelten Überschallknall. Sie blieb eine ganze Weile am Fenster stehen, dann kehrte sie zurück, holte Garvins Karte aus dem Papierkorb, glättete sie sorgfältig und deponierte sie an einem sicheren Ort. Alikhan, Wlencings Junges, musterte die drei Aksai, die neben einer Rollbahn auf dem Landefeld von Camp Mahan standen. »Alle diese drei können fliegen?«, fragte er den Offizier an seiner Seite, einen Menschen, der fast so groß wie der Musth war. »Ja. Zwei fliegen gut, der dritte humpelt etwas... ich meine, er hat ein paar Probleme«, sagte Tak Dill. »Ich verstehe.« Erneut betrachtete Alikhan die Aksai. »Dies sind die Einheiten, die gegen die Eindringlinge eingesetzt wurden?« »Richtig«, sagte Ben und hoffte, dass der Musth zu wenig Menschenkenntnis besaß, um eine offensichtliche Lüge zu durchschauen. »Das ist bemerkenswert«, sagte Alikhan. »Ich hätte nie gedacht, dass ein Gefährt in solch einem Zustand kampfund manövrierfähig ist.«
»Es war interessant«, sagte Dill. Das war ausnahmsweise keine Lüge. »Sie waren einer der Piloten?« »Ja.« »Wer war der Mensch, der die Patrouillenschiffe abgeschossen hat?« »Ich habe einen erledigt, und mein Flügelmann - das ist 110 jemand, der neben mir fliegt und mir eigentlich den Rücken freihalten soll - einen zweiten. Leider habe ich die Corfe verfehlt - das ist Alena Redruths Flaggschiff.« Dill wurde klar, dass er viel zu viel redete. »Also können Sie für sich einen Abschuss verzeichnen«, sagte Alikhan. »Dieses Glück hatte ich noch nicht.« »Ich hoffe«, sagte Dill, »dass Sie weiter ein Unglücksrabe bleiben, solange Sie sich in diesem System aufhalten.« Alikhan öffnete den Mund, und ein Zischen drang aus den Tiefen seiner Kehle hervor. Er klang wie eine wütende Katze, und Dill wich einen Schritt zurück. Er legte eine Hand an seine Pistole, dann wurde ihm klar, dass der Laut vermutlich ein Ausdruck der Belustigung war. »Sie sind äußerst gerissen«, sagte der Musth. »Danke. Entschuldigung wegen des Missverständnisses ... ich hatte noch nicht oft mit Ihrem Volk zu tun.« »Genauso wie ich.« »Wie haben Sie gelernt, unsere Sprache so gut zu sprechen?«, fragte Dill. »Die wenigen Musth, denen ich begegnet bin, sind manchmal schwer zu verstehen.« »Sie meinen, wir klingen wie ein Leck im Raumanzug?« »So würde ich es nicht formulieren.« »Aber so hat es der Lehrer formuliert, der mir Standard-Terranisch beigebracht hat. Er war ein sehr strenger Ausbilder. « Dill grinste. »Und wie klingen wir, wenn wir Musth sprechen?« »Das weiß niemand«, sagte Alikhan. »Bisher ist es keinem Menschen gelungen, unsere Sprache zu erlernen.« Als Dill lachte, sah er nicht, dass Alikhan seinen Projektor berührte. Doch dann entspannte er sich wieder und reagierte ebenfalls mit Heiterkeit. »Ich würde Sie gerne auf einen Drink in den Offiziers111 club einladen«, sagte Dill. »Aber ich glaube, dass Sie keinen Alkohol trinken.« »So ist es«, sagte Alikhan. »Ich habe Ihre Gewohnheiten studiert, von denen mich manche erschaudern lassen. Ihnen würde auch nicht zusagen, was wir zur Entspannung komsumieren.« »Und was ist das?« »Fleisch, das ins erste Stadium der Verwesung übergegangen ist und mit verschiedenen Gewürzen zubereitet wird.« »Hmm«, sagte Dill. »Das tun wir auch, aber wir kochen es vorher.« »Damit verderben Sie den ganzen Geschmack.« »Es ist wirklich schade«, wechselte Dill das Thema, »dass Ihre Anführer uns nicht gestatten, diese Schiffe zu behalten. Es wäre interessant, in einem Scheinkrieg mit der gleichen Ausrüstung gegeneinander zu kämpfen.« »Das wäre es«, stimmte Alikhan zu. »Aber vielleicht wäre es unangemessen für eine solche Probe.« Dill sah ihn aufmerksam an. »Wollten Sie wirklich dieses Wort benutzen?« »Gewiss«, sagte Alikhan. »Irgendwann muss es zwangsläufig zum Krieg kommen. Ob Sie oder ich ihn wünschen, ist ohne Belang.« Dill warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. »Mir ist aufgefallen, dass Leute, die fest davon überzeugt sind, dass es zu einem Kampf kommen wird, in der Regel alles tun, damit es zum Kampf kommt. Das Problem ist nur, dass er nicht immer so ausgeht, wie sie es sich vorgestellt haben.« Caud Rao entschied, mit der Rückkehr der Regimenter nach Chance Island zu warten, bis die Musth das Thema erneut ansprachen. 112 Aber in den nächsten zwei Wochen sprachen sie es nicht an, und Rao wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Neigten die Musth zur Vergesslichkeit, oder nahmen sie die Rao-Armee ohnehin nicht sehr ernst? Garvin pfiff fröhlich in der Offizierssuite vor sich hin, die er sich mit Njangu teilte. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass Yoshitaro wie hypnotisiert auf den Komschirm starrte. Er zeigte ein Standbild. »Was ist los?« »Schau selbst«, brachte Njangu mühsam heraus. Garvin blickte auf den Schirm. »Was sind das für Leute?« »Ungebildeter Trampel! Das ist der Planetare Rat.« »Ich hätte gedacht, es wäre eine Versammlung von fetten Dieben.« »Das auch.« »Und?« Njangu hantierte an den Kontrollen und zoomte eine Person heran. Garvin sah sie sich genauer an.
»Mensch! Das ist doch... wie war noch gleich ihr Name? Die 'Rauhm-Frau, die als Geheimdienstchefin für die Bewegung gearbeitet hat, als wir den Laden infiltriert haben. Die, von der du am Ende so sehr angetan warst, dass du sie einfach hast abhauen lassen.« »Jo Poynton«, sagte Njangu. »Ich dachte, es wäre ein Deckname, wie bei den meisten anderen. Aber wenn er das war, dann benutzt sie ihn immer noch.« »Und jetzt sitzt sie im Rat?« Garvin war fassungslos. »Warum nicht? Der Krieg ist vorbei«, sagte Yoshitaro zynisch. »Alle Wunden sind ordentlich und sauber verheilt. « 113 »Aber sie war die Chefspionin der 'Rauhm, sie gehörte dem obersten Rebellenkommando an. Wie haben sie es noch gleich genannt? Die Planungsgruppe!« »Das beweist, dass Sahne immer wieder nach oben schwimmt.« »Aber wie kommt es, dass niemand aus der Journaille über sie herzieht? Für diesen Idioten Kouro wäre es doch ein gefundenes Fressen, wenn er sie mit allen möglichen Schimpfworten belegen kann!« »Vielleicht«, sagte Njangu, »stecken die einzigen Daten, die noch über sie existieren, in unseren Archiven. Als das Regierungsgebäude gesprengt wurde, könnte es sein, dass sämtliche nachrichtendienstlichen Akten zerschreddert wurden, zusammen mit den Typen, die darauf spezialisiert waren, aus anderen Leuten Informationen rauszuholen.« »Und was sollten wir jetzt machen?« Njangu zuckte mit den Schultern. »Ich denke, gar nichts.« Garvin sah seinen Ersten Offizier eindringlich an. »Warst du mit ihr nicht irgendwie... äh...« »>Äh< bringt es ziemlich genau auf den Punkt.« »Wirst du sie anrufen?« »Und was soll ich zu ihr sagen?« »Woher soll ich das wissen?«, sagte Garvin. »Verdammt, ich habe genug eigene Probleme.« Njangu sah Jaansma an. »Es ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen, aber du machst mir einen etwas zu glücklichen Eindruck. Was ist passiert?« »Nun ja«, druckste Garvin herum. »Ich habe vorhin ein paar Blumen abgeschickt.« »Alis Bart steht in Flammen!«, fluchte Njangu. »Gibst du eigentlich niemals auf? Sie ist eine verheiratete Frau, falls du dich daran erinnerst!« 114 »Ich weiß«, sagte Garvin, und Njangu erkannte, dass das Thema damit beendet war. »Okay«, sagte er. »Vergiss es.« Er nahm einen Nachrichtenausdruck von seinem Schreibtisch und warf ihn Garvin zu. »Denk lieber über das hier nach.« »Was ist das?« »Es geht um die Leeat-Inseln«, sagte Njangu. »Eine kleine, ziemlich abgelegene Inselgruppe. Sie haben Probleme mit Piraten.« »Ja, klar.« »Wirklich! Zumindest behaupten sie steif und fest, dass es so ist«, sagte Njangu. »Ehemalige 'Rauhm-Rebellen, die keine Lust hatten, in ein halbwegs anständiges Leben zurückzukehren. Also schröpfen sie jetzt arme Fischer. Keine sehr netten Leute, wie es aussieht, denn bisher ist niemand lebend zurückgekehrt, der mit ihnen zu tun hatte. Die Polizei scheint nichts machen zu können, da die bösen Jungs gut von den Einheimischen gedeckt werden. Jedes Mal, wenn sich die Gesetzeshüter auf die Suche machen, stoßen sie überall auf Unschuldige.« »Also wird völlig selbstverständlich erwartet«, sagte Garvin, »dass wir uns um die Drecksarbeit kümmern.« »Würdest du lieber hier herumsitzen und dir Sorgen um die Musth machen?« »Gutes Argument«, pflichtete Garvin ihm bei. »Was wissen wir über diese Piraten?« »Nicht sehr viel. Schiffe, die einfach spurlos verschwinden. Keine Leichen, nichts. Die einzigen Hinweise sind ein paar Notrufe. Jemand schreit um Hilfe, bevor alles vorbei ist. Ich schätze, sie töten die Fischer und schütteln alles Wertvolle aus den Booten, um sie anschließend zu versenken oder sie zu ihrem Stützpunkt mitzunehmen. Etwas Farbe, und schon kann ein völlig neues Fischerboot in See 115 stechen. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie Spione in einigen Fischerdörfern haben, die ihnen Hinweise geben, wo sie fette Beute machen können. Das ist so ziemlich alles an Informationen, was ich habe. Immerhin etwas mehr als gar nichts.« »Hast du Karten und solche Sachen, damit wir zumindest eine Ahnung bekommen, wo wir uns herumtreiben werden?«, fragte Garvin. »Könnte man mir böse Absichten unterstellen, wenn ich das nicht hätte?« »Ich fasse es nicht!«, sagte Njangu. »Ich dachte, du wärst tot!« »War ich auch«, sagte Finf Ton Milot trocken. »Aber dann wurde mir klar, dass ich viel zu große Schmerzen hatte. Die Mistkerle haben mir in den Arm und das Bein geschossen. Fast hätte ich das Bein verloren. Jetzt laufe ich mit etwa einem Meter Synthknochen herum.« »Du weißt, dass man Hank Faull den Tapferkeitsstern verliehen hat?«, sagte Yoshitaro. Faull war während der
letzten Schlacht der 'Rauhm-Revolte getötet worden. »Ja«, sagte Milot. »Ich wette, dass seine Witwe mächtig stolz auf ihn ist und sie sich mit dem Orden jede Menge leckerer Sachen kaufen kann, um damit die Teller seiner Kinder zu füllen.« »Und warum trägst du immer noch Uniform?« Milot wandte den Blick ab. »Wenn ich das nur wüsste«, murmelte er. »Wenn ich Verstand besitzen würde, hätte ich meine Verwundetenpension genommen und wäre fischen gegangen. Stattdessen...« Er verstummte. »Mensch!«, fuhr er kurz darauf fort. »Muss ich dir nicht salutieren oder so, nachdem du jetzt in den edlen Stand eines Aspiranten erhoben wurdest?« 116 »Leck mich«, sagte Njangu. »Es genügt mir, wenn du einmal kräftig mit dem Kopf auf den Boden schlägst.« »In der einen Hand ein Wunsch, in der anderen Scheiße, und dann warten wir mal ab, welche zuerst voll ist«, sagte Milot. »Es freut mich, dass du dich überhaupt nicht verändert hast. Willkommen zurück in der Aufklärungstruppe. Ich vermute, du kannst die Last deiner Verantwortung jetzt wieder tragen.« »Entweder das oder ich scheiße einen Rekruten zusammen, bis er sie für mich übernimmt«, sagte Milot. »Wusstest du übrigens, dass Lupul und ich geheiratet haben?« »Meinen Glückwunsch«, sagte Njangu. »Warum hast du mich nicht zur Hochzeit eingeladen?« »Es war eine ziemliche spontane Geschichte«, sagte Milot. »Eigentlich war es so, dass ich mich mit Deira unterhalten hatte. Du erinnerst dich an sie?« Njangu erinnerte sich. Er hatte mit Milot ein paar Tage Urlaub im kleinen Fischerdorf Issus gemacht, nachdem sie die Abschlussprüfung als Aufklärer bestanden hatten. Am Ende war es zu einem flotten Dreier mit seiner Kameradin Angie Rada und dem sechzehnjährigen Mädchen gekommen. »Auf jeden Fall hat Lupul irgendetwas falsch verstanden.« Milot grinste gedankenverloren. »Oder sie hat etwas richtig verstanden. Also sagte sie zu mir, dass es für mich an der Zeit wäre, entweder als fröhlicher Junggeselle weiterzuleben, bis mir der Schwanz abfault, oder. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, etwa anderthalb Sekunden lang, und erkannt, dass ich nie etwas Besseres als Lupul finden würde. Also haben wir es einfach getan. Nach Fischerbrauch auf einem bunt geschmückten Boot und so. Deira hat übrigens ein paar Mal nach dir gefragt.« 117 »Ein Unglück kommt...«, murmelte Njangu, als er an Jo Poynton dachte. »Vielleicht hast du Lust, irgendwann mit mir nach Issus zu kommen«, bot Milot ihm an. »Das heißt, sofern es nicht illegal ist, wenn ein Offizier etwas mit uns einfachen Stoppelhopsern unternimmt.« »Das werden wir machen«, versprach Njangu geistesabwesend. Eine Idee hatte sich in seinen Gehirnwindungen festgesetzt. »Ton, meinst du, du könntest von einem deiner Freunde ein Fischerboot ausleihen?« »Nicht ausleihen, aber mieten. Auch die Fischer müssen ihren Lebensunterhalt verdienen. Und wenn du es in offizieller Mission brauchst, könnte es sein, dass ein paar Einschusslöcher geflickt werden müssen, wenn du es anschließend zurückgibst. Und wir müssten meinen Bruder anheuern, damit wir den Kahn von der Stelle bewegen können. Du erinnerst dich bestimmt an Alei... es war sein Boot, von dem du ins Wasser gefallen bist, als wir auf Angeltour waren und du den Köder gespielt hast.« »Ich möchte dich um etwas bitten und dich etwas fragen«, sagte Njangu. »Erstens, könntest du bitte diesen Angelausflug aus deinem Gedächtnis streichen? Zweitens, kennst du die Leeat-Inseln?« »Flüchtig«, sagte Milot. »Ein paar Inselchen, die ziemlich weit draußen liegen, irgendwo auf der anderen Seite von Cumbre. Ich war dort nie fischen, aber ich kenne ein paar Leute, die es getan haben. Man macht einen Vertrag, fliegt rüber, arbeitet für eine Saison und kommt wieder zurück. Es lief ganz gut. Sie wurden zwar nicht reich, aber sie konnten anschließend ein paar nette Geschichten erzählen. Es gibt ziemlich große Fische in dieser Gegend.« »Ich möchte mit diesen Leuten reden«, sagte Yoshitaro. 118 »Weil wir darüber nachdenken, ob wir ein paar der größten Fische auf diesem Planeten fangen wollen.« Milot bewegte die Augenbrauen. »Gut, Boss. Sehr gute Geschichte. Es freut mich, dass es keinen anderen Grund gibt, warum du mein Heimatdorf besuchen willst.« »Verdammt, das ist die Wahrheit.« »Das steht außer Frage, Boss. Ich hoffe nur, dass es eine gute Wahrheit ist.« »Ich glaube«, sagte Njangu zufrieden, »das ist der gerissenste Plan, den ich jemals ausgeheckt habe.« »Mag sein«, stimmte Garvin ihm zu. »Ich hoffe, dass er dir nicht zu Kopf steigt, aber er könnte unter Umständen tatsächlich funktionieren.« »Dann darfst du deinen furchtlosen, einzigartigen Ersten Offizier belohnen, indem du ihm ein Bier aufmachst. Ich bin das arme Schwein, das die letzten zwei Tage damit verbracht hat, am Arsch der Welt, der den Namen Issus trägt, mit Fischern zu reden, um sicherzustellen, dass meine Idee praktikabel ist.« »Wenn ich bedenke, wie sehr du beschäftigt warst«, sagte Garvin, »bist du wohl nicht dazu gekommen, mit irgendwem einen Spaziergang im Mondschein zu unternehmen, oder?« »Verflixt und zugenäht!«, fluchte Njangu. »Offenbar weiß jeder bestens über mein Liebesleben Bescheid! Ob ich
es getan habe oder nicht, geht dich einen feuchten Kehricht an! So! Kann ich jetzt mein Bier haben, Boss?« Garvin tat ihm den Gefallen, holte sich selbst ebenfalls eins und studierte dann noch einmal das Holo über dem Projektionstisch. »Wir lassen uns hier absetzen«, murmelte er, »dann schippern wir einen Tag lang herum, bis wir den Trubel 119 hinter uns gelassen haben... angeln uns bis hierhin vor... und dann fallen hoffentlich irgendwo die Piraten über uns her und werden von uns einen Kopf kürzer gemacht. Du hast Recht, Yoshitaro. Ich sehe nichts, was schief gehen könnte.« Es klopfte an der Tür. »Wer da?« »Lir«, antwortete die Frau im Rang eines Ersten Tweg. »Mit einem Gast.« »Kann er oder sie in sicherheitsdienstlicher Hinsicht als unbedenklich eingestuft werden?« »Auf jeden Fall unbedenklicher als ihr zwei Nasen!«, sagte Hedley, als er sich Zugang zum Büro des Kompaniekommandeurs verschaffte. »Seid ihr damit fertig, eure nächste Gemeinheit auszuhecken?« »So gut wie«, sagte Garvin. »Möchtest du eine kurze Zusammenfassung?« »Nachdem ich euch eine kleine Zusatzinformation geliefert habe. Aber es ist nichts, was euch Sorgen bereiten sollte.« »Aha?«, sagte Njangu. »Wir hören«, sagte Jaansma misstrauisch. »Ein paar Beobachter möchten euch begleiten.« »Boss!«, sagte Garvin. »Das hier ist kein Spaß, sondern eine reale Geheimoperation, verdammt! Wir haben keinen Platz für Zuschauer, die mal erleben wollen, wie sich ein lauter Knall aus der Nähe anhört.« »Drei Zuschauer, um genau zu sein«, sagte Hedley. »Das ist ja wunderbar!«, sagte Njangu. »Könntest du ihnen sagen, dass sie sich Salz in den Arsch stopfen und an einem Seil hinaufpinkeln sollen?« »Nein«, sagte Hedley, während er sich alle Mühe gab, ein Grinsen zu unterdrücken. 120 »Also gut«, sagte Garvin. »Wer von den Schwachköpfen aus dem Rat der Planetaren Regierung hat genügend Mumm, sich mit uns anzulegen, und warum?« »Das Warum lässt sich am einfachsten beantworten«, sagte Hedley. »Unsere Beobachter wollen zusehen, wie wir solche Operationen unter realen Bedingungen und nicht als Übung durchführen, und zurzeit spielt nur die Aufklärungskompanie in dieser Liga. Und was die Frage nach dem Wer betrifft... sie gehören jedenfalls nicht dem Rat an.« »Also eine zweifache Überraschung«, sagte Njangu. »Eher eine dreifache«, erwiderte Hedley. »Bei euren Beobachtern, die uns, wie ihr korrekt vermutet, nicht um Erlaubnis gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt haben, handelt es sich um Wlencing und zwei seiner Adjutanten.« »Ach du große Schanze!«, sagte Njangu und ließ sich in einen Sessel fallen. »Wie zum Henker sollen wir drei verdammte Musth auf einem Fischerboot verstauen und einen unauffälligen Eindruck machen?« »Keine Ahnung«, sagte Garvin. »Du bist der Spezialist für knifflige Lösungen.« »Vielleicht könntet ihr einen von ihnen als Galionsfigur an den Bug nageln«, schlug Hedley vor, was ihm einen hasserfüllten Blick von Njangu einbrachte. Der schwere Werfttransporter war mit zusätzlichen Treibstoffzellen aufgemotzt worden, und die Antigraveinheiten hatte man gründlich inspiziert. Vor Sonnenaufgang startete er mit einer zweiköpfigen Besatzung aus den Reihen der Legion von einer kommerziellen Werft in Leggett und steuerte nach Osten auf das Ende der Halbinsel zu. Gegen Mittag erreichte er die Spitze, und kurz vor Anbruch der 121 Dämmerung landete er auf einem Strand in der Nähe von Issus. Dort wartete ein zwanzig Meter langes Fischereigefährt, die Urumchi Darling, eher ein Boot als ein Gleiter, da es für längere Reisen konstruiert war, bei denen die ständige Benutzung der Antigravs zu kostenintensiv wäre. Es passte recht gut zu den Bootstypen, die auf den Leeat-Inseln in Gebrauch waren. Sie hatten es von einem Fischer aus Issus gemietet, zusammen mit Ton Milots Bruder Alei, wie versprochen. Seine Miete war nur geringfügig teurer als die für das Boot. Alei war gewarnt worden, dass es gefährlich werden konnte, aber er reagierte nur mit einem Schulterzucken und sagte, dass es nicht schlimmer als ein gewöhnlicher Taifun werden konnte und vermutlich viel schneller vorbei war. Ton hatte gefragt, ob Yoshitaro vielleicht Deira mitnehmen wollte, um der Sache mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, denn viele Fischer nahmen Familienmitglieder an Bord. Njangu lehnte ab und ging im Geiste sämtliche Drecksarbeiten durch, die er Milot aufbrummen konnte, wenn die Aktion vorbei war. Nachdem man sie auf den Strand gezogen hatte, war die Urumchi umgebaut worden, damit sie noch mehr Ähnlichkeit mit den Leeat-Fischerbooten hatte. Nun besaß sie ein kleines stabilisierendes Segel am Heck und doppelte Kranausleger am Hauptmast. Die Kanzel des Harpuniers war entfernt worden. Dann hatte man es auf
charakteristische Weise neu gestrichen, mit einem roten Streifen entlang der Wasserlinie, der zu den zweifachen Auspuffrohren passte, und blauer Reling. Die Arbeiten waren von zwei Teams der Aufklärer unter der Leitung von Dec Deb Irthing erledigt worden, die zur Unterstützung der Aktion abkommandiert 122 worden waren. Garvin hatte nicht erwähnt, dass sie den nagelneuen Anstrich mit Hammer und Bürste nachbearbeiten mussten, bevor sie in See stachen, aber niemand protestierte, da diese Aufgabe viel angenehmer war als die üblichen Pflichten auf dem Garnisonsgelände. Sie waren in drei Griersons unter dem Kommando von Ben Dill aus Camp Mahan gekommen. Die Luftkampfgefährte wurden anschließend unter Bäumen versteckt und von den Soldaten hastig mit Zweigen abgedeckt. Alle trugen einfache zivile Arbeitsoveralls, wie es bei den Fischern üblich war. Bei Tagesanbruch am nächsten Morgen, während das Team auf die Flut wartete, um die Urumchi wieder zu Wasser zu lassen, gab eine Spezialistin für elektronische Kriegsführung Alarm, als die Soldaten noch mit dem Frühstück nach der Gymnastik beschäftigt waren. Der Radar ihres Grierson hatte ein großes Raumschiff geortet, das in die Atmosphäre eingedrungen war und in Richtung Osten flog. Sie verlor das Schiff hinter der hantelförmigen Insel vor Issus, dann wurde es wieder sichtbar, als es von der unbewohnten Insel startete und knapp über der Wasseroberfläche genau auf sie zukam. Fünf Minuten später hatten sie es auf dem Sichtschirm und als Exemplar der bewaffneten MusthTruppentransporter identifiziert, die von den Aliens als Mutterschiffe bezeichnet wurden. Das Schiff verzögerte, näherte sich dem Strand und schwebte über der Brandungslinie. Der Antrieb ließ Gischt aufspritzen. Eine Schleuse öffnete sich, und eine Rampe schob sich nach draußen. Dann erschienen Wlencing und zwei weitere Musth, die Kampfrüstungen und röhrenförmige Beutel an den Anzügen trugen. Einer hatte außerdem einen klei123 nen Kasten dabei, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte und der wie ein Komgerät aussah. Garvin und Njangu gingen ihnen entgegen, und Garvin salutierte. Hinter ihnen standen wachsam die zwei Teams. Wlencing hob einen Arm und neigte das Haupt. »Seien Sie willkommen.« »Dasss bezweifle ich«, sagte Wlencing. »Aha?«, erwiderte Garvin. »Mir würde esss nicht gefallen, wenn ich lieber kämpfen würde und jemand, der ssso andersssartig ausssieht, darauf besssteht, sssich mir anzuschließen«, sagte er. »Sie haben Recht. Die Sache gefällt mir nicht«, entgegnete Garvin. »Aber ich habe meine Befehle und werde sie befolgen.« »Wir werden versssuchen, Ihnen nicht im Weg zu sssein, obwohl wir gerne helfen würden, wenn die Zeit zum Töten kommt.« Njangu hörte jemanden »Ach du Scheiße!« murmeln, erkannte den Betreffenden an der Stimme und nahm sich vor, ihm einen Verweis zu erteilen. »Wie auch immer Sie dazu stehen«, sagte Jaansma, »wenn oder falls es zum Kampf kommt, ist uns jeder Soldat willkommen. Aber eins sollte klar sein - es gibt nur einen, der das Kommando führt.« »Dasss issst nur logisch und entssspricht durchausss unssseren Absssichten. Wir werden Ihre Anweisssungen befolgen, wenn wir kämpfen.« Garvin führte sie den Strand hinauf. »Ich glaube, ich erinnere mich an Sssie«, sagte Wlencing. »Sssind wir unsss nicht schon einmal begegnet?« »So ist es«, sagte Garvin. »Damalsss waren Sssie... Schütze. Sssie lernten, ein Krieger zu sssein.« 124 »Ja. Sie haben ein gutes Gedächtnis.« »Und jetzt sssind Sssie ein Befehlssshaber, der in vor-derssster Front Sssoldaten in die Schlacht führt?« »Ja.« »Ihre Ausssbildung musss sssehr erfolgreich gewesssen sssein.« Garvin zuckte mit den Schultern. »Esss interesssiert mich sssehr, Ihre Taktik und Ihre Fähigkeiten zu ssstudieren«, sagte Wlencing. »Dann wollen wir so schnell wie möglich damit beginnen«, sagte Garvin. »Wir werden mit den Griersons starten und uns in der Nähe der Leeats auf dem Boot absetzen lassen. Dec Irthing, verladen Sie den Kutter!« Der Antrieb des Werfttransporters erwachte heulend zum Leben und brachte das Gefährt genau über die Urumchi. Von den Gyros stabilisiert teilte sich der Frachter der Länge nach auf. Haken senkten sich aus beiden Hälften herab und legten sich unter den Schiffsrumpf, dann wurde das Boot angehoben. Sobald es sich vom Boden gelöst hatte, wurden weitere Schlingen in regelmäßigen Abständen um die Urumchi angebracht. Die Pilotin des Leichters gab ihrem Kollegen in der anderen Hälfte ein Zeichen, dann vereinigte sich das Gefährt wieder, und die Urumchi hing sicher in den Seilen. Von den Griersons eskortiert flog der Frachttransporter auf das Meer hinaus, zuerst nach Osten, um das Land
hinter sich zu lassen, dann wurde der Kurs leicht in nordöstlicher Richtung korrigiert, auf die Leeat-Inseln zu. Die Gefreite Mar Henschley kam frisch aus der Aufklärer-Ausbildung zum Raubwürger-Schützen. Doch nun lernte sie, dass jeder in dieser Truppe praktisch ein Infanterist war, sobald jemand Befehle schrie. Sie saß verkrampft auf 125 einer Bank im Grierson und wünschte sich, sie hätte ihren Raketenwerfer dabei statt eines armseligen Blasters. Genau gegenüber, neben den Geräten zur elektronischen Abwehr, saß ein Musth. Zumindest dachte sie, dass er saß, auch wenn sie nicht wusste, wie sie jemanden beschreiben sollte, der sich auf zwei Beinen und einem Schwanz abstützte. Der Musth wirkte verkrampft, und trotz der gebeugten Haltung streifte sein Kopf das gepanzerte Dach des LKG. Er schien sich genauso unwohl zu fühlen wie sie. Die Gefreite riskierte ein anteilnehmendes Lächeln, erhielt jedoch nur einen erstaunten Blick zur Antwort. Dann drehten sich die Ohren in ihre Richtung, und der schlangengleiche Kopf wackelte auf und ab. Sie hoffte, dass es eine freundliche Geste und keine Aufforderung zum tödlichen Kampf war. Der Werfttransporter mit der Urumchi senkte sich zum Wasser hinunter. Knapp dahinter schwebten die drei Griersons in der Luft. Sie befanden sich auf offener See, nicht allzu weit von den Leeats entfernt, doch am Horizont war nichts zu sehen. Das Fischerboot berührte das Wasser, dann schaukelte es in den Wellen. Die Milot-Brüder sprangen aus dem Transporter auf die Urumchi. Alei lief zur Brücke und startete die Motoren, als sich die Griersons zum Heck bewegten und die Teams der Aufklärer an Bord gingen. Njangu und Garvin hielten sich bereit, den Musth zu helfen, aber sie sprangen ohne Schwierigkeiten auf das Deck des Fischerboots. Die Griersons hingen noch einen Moment lang mit summenden Triebwerken da, dann drehten sie ab. 126 »Sie werden sich auf einer unbewohnten Insel bereithalten«, sagte Garvin zu Wlencing. »Außerdem können wir jederzeit eine Staffel Zhukovs anfordern - das sind unsere schweren Kampfunterstützungsgefährte - und eine Eingreiftruppe der Infanterie.« Wlencing wackelte mit dem Kopf, sagte aber nichts. »Also gut, Leute«, rief Garvin. »Alles geht nach unten und bleibt außer Sicht. Finf Milot, der Fischzug kann beginnen.« »Aye, Captain«, sagte Milot, und die Maschinen der Urumchi gingen summend auf halbe Kraft. Eine Stunde später rief Alei Milot: »Lasst uns authentische Fischer sein. Wir haben einen Schwärm auf dem Sonar. Runter mit den Netzen!« Plötzlich schien es viel voller auf dem Deck der Urumchi zu werden, als unerfahrene Soldaten halfen, die Netze zur Reling zu schleppen. Ton befestigte sie an den Auslegern, dann wurden die Netze über Bord geworfen. »Was machen wir, wenn wir wirklich etwas fangen?«, fragte ein Soldat. »Wir verkaufen den Fang«, sagte Njangu. »Mit dem Geld füllen wir unsere Bierkasse auf.« »Noch bessser wäre esss«, sagte Wlencing, der das Geschehen vom Bootsdeck mit offensichtlicher Belustigung beobachtete, »wenn wir ihn verssspeisssen.« »Wie viel Fisch können Sie bei einer Mahlzeit verdrücken?« »Sssehr viel«, sagte Wlencing. »Vielleicht haben wir ja Glück.« »Holt ein!«, rief Alei, dann begann die mühsame Arbeit, die Netze hochzuziehen. Als die Sterts an die Oberfläche ka127 men, wurden Ausleger daran befestigt und die Netze eins nach dem anderen an Bord gehievt. Irthing murmelte: »Uh! Da haben wir ein paar ziemlich hässliche Biester aus dem Meer geholt.« »Hau ruck! Hau ruck!«, gab Alei den Rhythmus vor, als die Soldaten den ersten Stert, das Ende des Netzes, in dem sich die Fische befanden, einholten. Er wurde geöffnet, und eine Lawine aus Meeresbewohnern breitete sich auf dem Deck aus. »Und was jetzt?« »Jetzt werden sie ausgenommen und in die Kühlkammer geworfen«, rief Ton fröhlich und zückte etwas, das große Ähnlichkeit mit einem Entermesser hatte. »Ich glaube«, sagte ein Soldat, »dass es Leute gibt, die viel härter arbeiten als wir.« Mar Henschley hatte einen Teller mit frischen Filets auf den Knien. Sie waren auf köstliche Weise mit Mehl paniert und gebraten. Aber sie starrte geistesabwesend auf einen Musth - sie glaubte, dass es derselbe war, der mit ihr an Bord des Grierson gewesen war. Auch er hatte einen Teller mit Meereslebewesen, von denen sich einige nach dem Ausnehmen immer noch leicht bewegten. Henschley hielt eine Gabel mit einem vergessenen Bissen in der Hand, während sie zusah, wie der Musth rasiermesserscharfe Krallen ausfuhr. Er zerteilte einen Fisch entlang des Rückgrats, führte vorsichtig eine Hälfte zum Mund, kaute den Happen kurz durch und schluckte. Der Musth bemerkte, dass er beobachtet wurde, und hielt Henschley die andere Hälfte des Fisches hin, während er die Gräten über Bord warf.
Sie zögerte. 128 »Nur zu«, sagte Njangu Yoshitaro kauend, und Mar erkannte mit leichtem Entsetzen, dass sich auch auf seinem Teller nur ungekochte Häppchen befanden. »Sehr gut.« Widerstrebend probierte sie ein Stück und kaute mit geschlossenen Augen, ohne daran zu denken, was sie aß, bis ihre Geschmacksnerven ihr sagten, dass es wirklich gut war. Sogar ausgesprochen gut. Sie revanchierte sich, indem sie dem Musth etwas von ihrem Teller anbot, doch dieser hob abwehrend eine Tatze. Plötzlich fühlte sie sich ihm überlegen und zeigte auf ein anderes Stück rohen Fisch. Sie bekam es und aß es begeistert. Njangu wandte das Gesicht ab, um sein Grinsen zu verbergen. Am nächsten Tag trafen sie auf eine Fischereiflotte. Die Soldaten versteckten sich hinter dem hohen Schanzkleid der Urumchi oder drängten sich in den winzigen Kabinen. Auf der Brücke betrachtete Alei Milot die Schiffe mit einem stabilisierten Fernglas. »Das Einzige, was ich sehe, sind Lichtsignale von den Leuten, die uns beobachten«, sagte er zu Njangu. »Anscheinend versuchen sie sich darüber klar zu werden, ob wir Piraten sind. Demnächst dürften wir angefunkt werden, über einen Sprechkanal. Fischer benutzen nur ungern Video. Man erkennt zu leicht, wenn jemand lügt.« Ton, der an den Kontrollen der Urumchi saß, sagte: »Ich werde ihnen zuvorkommen.« Er nahm den Kom und drückte eine Sensortaste. »Kann mich jemand hören?« »Wer seid ihr?«, antwortete eine Stimme. »Die Urumchi aus Teku.« Teku war die am weitesten abgelegene besiedelte Insel der Leeats. 129 »Dann habt ihr einen langen Weg zurückgelegt.« »Deswegen hoffen wir, dass es hier einen guten Fang gibt«, sagte Milot. »Wer ist euer Captain?«, fragte eine andere Stimme, aus der Njangu deutlich mehr Misstrauen heraushörte. »Die Milot-Brüder. Aus Issus. Wir wollten einmal in fernen Gewässern unser Glück probieren. Wir haben uns für diesen Kutter anheuern lassen.« Kurzes Schweigen, dann wieder eine andere Stimme. »Ich kenne einen von euch. Alei heißt er. Du hast mich einmal unter den Tisch gesoffen. Hier ist Juba Nushki. Ich war eine Zeit lang auf Dharma, als Maat auf der Ayalew.« »Stimmt«, sagte Alei, der den Kom übernommen hatte. »Du hast Wein getrunken, Kräuter gekaut und Huren gejagt, als sollten sie dich bezahlen.« »So war's! Hab sogar eine erwischt. War aber zu breit, um die Situation irgendwie ausnutzen zu können. Und am nächsten Morgen hatte ich einen Kopf wie eine Fischreuse. Ihr wilden Stadtleute habt mir eine Lektion erteilt, also bin ich dorthin zurückgekehrt, wo ich hingehöre.« Die Umgebung von Issus hatte eine Bevölkerung von etwa fünfhundert Menschen. »Und? Sind die Fanggründe hier gut?« »Naja«, sagte Nushki. »Hier gibt es ziemlich viele Flachfische, die man am besten in der Abenddämmerung fängt, wie manche sagen. Aber bisher hatten wir kein Glück. Hier ist für uns nichts zu holen.« »Das bedeutet«, sagte Ton zu Njangu, »dass seine Netze prallvoll sind. Kein Fischer würde gegenüber jemandem, der auch ein Netz hat und ihm in die Quere kommen könnte, jemals behaupten, dass der Fang gut ist.« »Nichts, rein gar nichts, genau wie Juba sagte«, meldete sich eine andere Stimme, die sich Mühe gab, enttäuscht zu 130 klingen. »Nichts außer unbrauchbaren Viechern. Wir können nur auf die Piraten warten.« »Wir haben von ihnen gehört«, sagte Ton. »Gibt es sie wirklich?« . »Darauf könnt ihr Gift nehmen«, meldete sich eine andere Stimme. »Vor einem Monat haben wir zwei Boote von unserer Insel verloren. Auf diesem Fischzug ist bisher nichts passiert. Wir haben gedacht, dass ihr vielleicht zu ihnen gehört, bis wir euren Anstrich gesehen haben.« »Wenn die Zeiten nicht besser werden«, sagte Ton, »könnten wir auf die Idee kommen, uns ihnen anzuschließen.« »Geht uns genauso«, sagte Nushki. »Am besten fischt ihr in unserer Nähe und entfernt euch nicht zu weit. Gemeinsam sind wir stärker.« »Damit ihr Trottel meine Netze ausschnüffeln könnt, wenn ich sie hochziehe? Ich mag blöd sein, aber nicht so blöd.« Ton schaltete den Kom aus. »So. Jetzt weiß jeder, wer wir sind. Nette, habgierige Fischer, wie alle hier draußen.« »Dann wollen wir hoffen, dass die Piraten zugehört haben.« Als sie zwei Tage später nichts außer Fischen und einem gelegentlichen Fischfrachtgleiter gesehen hatten, der einsam am Horizont entlangflog, ohne näher zu kommen, hatte Wlencing einen Vorschlag für Garvin. »Issst esss möglich, dasss diessse Fischer nicht die Wahrheit gesssagt haben?«
»Aber sicher!«, sagte Alei Milot. Die zwei Menschen und Wlencing hielten sich als Einzige auf der Brücke der Urumchi auf. »Ein Fischer ist nur dann glücklich, wenn er pro Tag mindestens eine Lüge loswerden kann.« 131 »Haben Sssie Firmen, die gegen Geld dasss Risssiko aufteilen, weil esss leichter issst, wenn bei einem Unglücksss-fall mehrere statt nur ein Einzelner bezahlen?« »Versicherungsgesellschaften? Ja, die gibt es bei uns«, sagte Milot. »Wenn ein Fischerboot verschwindet und derjenige, der die... Versssicherungsssgesssellschaft... bezahlt hat, die Creditsss kasssiert, ließe sssich das Fahrzeug dann an einem fernen Ort verkaufen?« »Was ist mit den Notrufen?«, warf Garvin ein. »Gewürz auf der Mahlzeit«, sagte Wlencing. »Damit esss echter erscheint.« »Könnte sein«, sagte Garvin. »Aber man sollte meinen, dass die Polizei die Leute befragt hat, die für den Verlust eines Bootes entschädigt wurden. Es würde auffallen, wenn die angeblich Ertrunkenen irgendwo das Geld ausgeben.« »Warum?«, fragte Wlencing in sachlichem Tonfall. »Würden die Brüder diesssesss Fischersss, die vom Betrug wisssen, ihn nicht beschützen? Wasss wären sssie einer fernen Gruppe von Menschen schuldig, die sssie gar nicht kennen? Und issst Ihre Menschenpolizei unfehlbar? Gibt esss niemanden unter ihnen, der Creditsss annehmen würde, damit er schweigt?« Garvin dachte nach. »Das ist gar kein schlechter Gedanke«, sagte er. »Und er kann nur besser werden, wenn auch in den nächsten Tagen nichts passiert. Diese Seefahrt ist nicht nur langweiliger, als Steinen dabei zuzusehen, wie sie zu Staub werden, sie drückt außerdem mächtig auf das Budget der Legion.« Zwei Tage später griffen die Piraten an. Die Urumchi fuhr durch einen langen, gebogenen Archipel, der fast wie ein Atoll wirkte. Der Antigrav lief nur mit hal132 ber Kraft, sodass der Rumpf gerade noch das wellenlose Wasser streifte. Njangu hatte die Wache auf der Brücke übernommen, während Alei neben ihm an den Kontrollen saß. Er blickte verträumt auf die kleinen tropischen Inseln zu beiden Seiten des Boots und dachte über die Möglichkeit nach, dorthin zu desertieren. Dort war es sonnig und nett, es wehte eine leichte Brise, es gab keine Probleme. Er konnte sich von Obst und Fisch ernähren... vielleicht ein paar Giptels mitnehmen. Wenn er etwas zu jagen hatte, würde er nicht aus der Übung kommen. Schwimmen, in der Sonne liegen, die beschissene Armee vergessen... Ganz allein zu sein konnte langweilig werden. Sollte er ein Holo mitnehmen? Njangu erschauderte, als er daran dachte, was auf Cumbre als großartige Unterhaltung galt. Disks? Njangu las nicht besonders gerne, es sei denn, es gab etwas, das er in Erfahrung bringen wollte. Menschliche Gesellschaft? Vielleicht Deira... oder auch Jo Poynton. Oder vielleicht... Njangu seufzte und konstruierte sich eine ideale Partnerin aus den Frauen, die er kennen gelernt hatte - oder von denen er sich wünschte, sie kennen gelernt zu haben. Gleichzeitig versuchte er nicht daran zu denken, was für eine Stadtratte er wirklich war und dass er nach nur einer Woche in der Wildnis durchdrehen würde. In diesem Moment rief der Mann im Ausguck: »Boss! Hart steuerbord nähern sich mehrere Gleiter.« Yoshitaro schnappte sich das Fernglas und erkannte fünf kleine Fahrzeuge, die etwa drei Meter über dem Wasser schwebten und in schnellem Tempo aus einer verborgenen Bucht kamen. »Alle Mann auf die Beine«, sagte er, und das Bereit133 schaftsteam weckte die Soldaten aus ihrem Dämmerschlaf. Jaansma stieg die Leiter zur Brücke hinauf, dicht gefolgt von Wlencing. Die Punkte kamen näher. Njangu wollte Wlencing gerade sagen, dass er in Deckung gehen sollte, als er das führende Gefährt identifizierte. »Scheiße, es ist ein Cooke... und er ist bewaffnet!« Alle fünf Einheiten waren Cookes, wie er jetzt erkannte, die kleinen Kampfgleiter, die die Legion am liebsten möglichst bald ausrangiert hätte. Njangu fragte sich, woher diese Leute sie beschafft hatten. »Der führende Cooke ist mit einem Geschütz ausgestattet«, meldete der Mann im Ausguck. »Und Nummer drei ebenfalls.« »Die Party geht los!«, rief Jaansma. »Geschützteam, bereitmachen! Alle anderen entsichern die Waffen, bleiben aber unten. Ich lasse jeden grillen, der ohne Befehl das Feuer eröffnet.« Eine 20-mm-Automatikkanone der Aufklärer war auf einen ausfahrbaren Untersatz am Bug der Urumchi montiert worden. Die Geschützmannschaft kroch hinüber, zog den Sicherungshebel und lud eine Patrone aus dem Trommelmagazin. Andere Soldaten hockten mit schussbereiten Blastern hinter dem Schanzkleid. »Deb«, sagte Njangu, »ruf unsere Luftunterstützung. Alle Mann sollen sofort anrücken. Das hier ist etwas größer als ein harmloser Fischkutter.« Wlencing kehrte zur Leiter hinter der Brücke zurück und rief einen seiner Musth, den mit dem kleinen Rucksack. Er gab Wlencing ein Stück gekrümmtes Metall, das wie ein großer Armreifen aussah. Dieser befestigte es an
seiner Kehle und sagte etwas in der Sprache der Musth. 134 Dann wurde es sehr still. Njangu konnte das Heulen des Antriebs der Urumchi hören, das Plätschern der Wellen am Rumpf und sogar das ferne Summen der Triebwerke der sich nähernden Angreifer. Dann ertönten die Sirenen der Cookes, zweifellos in der Absicht, die Opfer vor Schreck erstarren zu lassen. »Ich schätze, jetzt wissen wir, warum es nie Überlebende gab, die ihre Leidensgeschichte erzählen konnten«, sagte Njangu. »Scheint so«, sagte Garvin. »Hört zu, Leute! Zerschießt die letzte Kiste nicht völlig zu Schrott. Dann können wir ihnen bis zu ihrem Stützpunkt folgen. Ich würde nur ungern noch einmal in diese Gegend zurückkehren.« »Du setzt voraus, dass sie uns nicht zu Schrott zerschießen werden«, murmelte Njangu. »Natürlich«, sagte Garvin. »Wir sind doch die Guten, nicht wahr? Die guten Jungs gewinnen doch immer, weil die bösen Jungs so schlecht schießen, nicht wahr?« »Als ehemaliger böser Junge sehe ich das etwas anders«, sagte Njangu. »Sie haben sich jetzt auf etwa zweihundert Meter genähert, also würde ich...« Njangus Vorschlag wurde vom Röhren des Geschützes im ersten Cooke übertönt. Der Schuss wühlte das blaue Wasser zu einer Gischtfontäne auf, etwa fünf Meter vor der Urumchi. Dann quäkte ein Lautsprecher: »Stoppen Sie die Maschinen! Stoppen Sie die Maschinen! Wir werden an Bord kommen! »Geschütz ausfahren«, rief Garvin ohne Hektik, und die zwei Assistenten des Schützen hebelten die zwei Meter lange Waffe in Schussposition. »Schütze! Führenden Cooke anvisieren! Einhundert-fünfundsiebzig Meter!« »Ziel erfasst«, rief der Schütze zurück. 135 »Fünf Schuss!« Die Kanone feuerte. Das erste Geschoss ging daneben, die anderen zerfetzten den Bug des LKG. Es überschlug sich, stürzte ins Wasser und schleuderte das Bordgeschütz und die Besatzung in die sonnenbeschienenen Wellen. »Aufklärer... raufkommen! Feuern, wenn ihr ein Ziel seht!« Individuelle Blaster und MGs ratterten, und Njangu sah, wie mehrere Angreifer aus den Cookes stürzten, die in einen Zickzackflug übergingen. Die zweite Kanone der Angreifer feuerte, und Leuchtspuren kamen sehr langsam, geradezu träge, auf Njangu zu. Dann schössen sie an ihm vorbei und schlugen in die Aufbauten des Bootes. Jemand schrie, und Njangu hob seinen Blaster, zielte, stellte sich auf das Wanken des Bootes ein und drückte den Feuerknopf. Der Schütze hinter der Automatikkanone verkrampfte sich, riss die Arme hoch und kippte aus der Luke des Cooke ins Wasser. Njangu drückte den Auswahlschalter, dann bestrich er den Cooke mit einem Viertel des hundertschüssigen Trommelmagazins. »Ich gebe Ihnen Prophet Säbel sechs«, sagte ein Soldat, der für den Kom zuständig war - so ruhig, als wäre er auf einer Feldübung - und gab den Kom an Garvin weiter. »Hier ist Prophet Säbel sechs. Sprechen Sie.« »Hier ist Prophet Säbel«, sagte eine Stimme - die von Ben Dill. »Golan-Staffel rückt zur Unterstützung an. Seid ihr in Schwierigkeiten?« »Hier ist Säbel sechs, Ben«, sagte Garvin. »Wir haben es mit vier bösen Cookes zu tun. Vorsicht, sie haben eine Zwanzig-emm-emm.« 136 »Verstanden. Habe euch auf dem Schirm. Oh, fünf Engel, schnelle Annäherung. Zieht die Köpfe ein, Schwestern!« »Luftunterstützung kommt!«, rief Garvin und sah, wie drei Griersons aus dem Himmel fielen. Schräg hinter ihnen standen drei schwer bewaffnete Zhukovs. Rauchspuren schössen aus den Griersons, und Raketen rasten dem Wasser entgegen. Eine traf einen Cooke der Piraten, der in einer schillernden Gischtwolke verschwand, andere schlugen in der Nähe ein, und eine Serie von Explosionen rollte über das Wasser. Jemand anderer hatte den Platz hinter der Automatikkanone des Cooke besetzt und feuerte. Die Geschosse stiegen empor und kreuzten einen Grierson. Er geriet ins Trudeln, feuerte seine Raketen in den Himmel, und schwarzer Rauch quoll aus dem Rumpf. »Scheiße!«, sagte jemand auf dem offenen Komkanal. Der Grierson schlingerte, fing sich wieder und stieg höher. »Hier ist Prophet Säbel Beta«, wurde eine Stimme hörbar. »Treffer, EA-Spezialist verletzt... verlieren Energie... brechen den Angriff ab. Kehren zur Basis zurück. Müssten es schaffen.« »Prophet Gamma«, sagte Dill. »Hier ist Prophet Säbel sechs... brechen ebenfalls ab und bringen Beta sicher nach Hause. Ich will nicht, dass irgendjemand von euch nasse Füße bekommt.« »Beta, verstanden, Ende.« Ein Zhukov raste mit spuckenden 150-mm-Geschützen vorbei, und der Ozean rund um die Cookes verwandelte sich in einen Wald aus Geysiren.
»Hier ist Säbel sechs... kehren zurück«, sagte Dill. Dann stürzte sein Grierson der Wasseroberfläche entgegen. 137 Ein heller Reflex blitzte rechts auf, und Njangu erkannte ein sichelförmiges Raumschiff, das vielleicht drei Meter über dem Ozean flog. Dill sah es ebenfalls und drehte abrupt ab, wobei er fast die Kontrolle über den Grierson verloren hätte. Ein grünlicher Nebel flimmerte an der Flügelspitze des Aksai, dann explodierte ein weiterer Cooke, und der Aksai stieg in den Himmel empor. Er wurde von zwei weiteren Einheiten flankiert. »Mistkerle!«, schimpfte jemand neben Garvin. »Wo zum Teufel sind die plötzlich hergekommen?« »Stehen Sie mit ihnen in Kontakt?«, rief Garvin zu Wlencing hinüber. »Ja.« »Mindestens ein Cooke soll intakt bleiben, damit wir ihm folgen können.« »Ich werde esss ihnen mitteilen.« Wlencing drückte mit der Tatze auf das Mikro, als der führende Aksai nach einer Schleife zurückkehrte und feuerte. Der vorletzte Cooke explodierte. Das Musth-Kampfschiff sauste über die Urumchi hinweg, und Njangu dachte, er hätte den Piloten in seiner Kanzel berühren können. Er stieg auf und kehrte erneut zurück. Ben Dills Grierson war genau zwischen ihm und dem letzten Cooke, als das LKG die Flucht ergriff und Kurs auf die Insel nahm. Der Aksai wich aus und versuchte, den Grierson aus der Schussbahn zu bringen, doch Dill machte in einem riskanten Manöver die Bewegung mit, bis er wieder mit Maximalgeschwindigkeit zwischen dem Aksai und dem Cooke flog. Wlencing sprach mit lauter Stimme in seinen Kom. Das Musth-Schiff drehte ab, schoss steil in den Himmel hinauf und kreiste dann in großer Höhe über dem Grierson und der Zhukov-Staffel. 138 Garvin wandte sich an Alei. »Bleib an dem verdammten Cooke dran, und... Scheiße, wir brauchen einen Sanitäter!« Alei, der immer noch an den Kontrollen stand, betrachtete interessiert einen länglichen Plastiksplitter, der sich vollständig durch seinen Oberarm gebohrt hatte. »Ich glaube, wenn ich euch die Rechnung vorlege, wird es richtig teuer«, sagte er ruhig, dann setzte der Schmerz ein, und Garvin zog ihn von den Kontrollen weg. Ton Milot übernahm die Steuerung, dann kam ein Sanitäter, und Njangu half Alei, über die Leiter auf das Deck hinunterzusteigen. Sofort eilte er zurück auf die Brücke. Die Urumchi raste jetzt ohne Wasserkontakt mit voller Antigrav- und Antriebsenergie dahin, mit etwa einem Achtel der Geschwindigkeit, die der letzte Cooke der Piraten vorlegte. »Hier ist Prophet sechs«, sprach Garvin ruhig in den Kom. »Ben, ich möchte, dass du knapp hinter mir bleibst. Flieg im Zickzack... die Hunde könnten über Luftabwehr verfügen. Lass ihn leben, bis wir wissen, wohin er unterwegs ist. Die Zhucks sollen genau über mir in Stellung gehen, sobald der Cooke Land erreicht hat, und alles unter Beschuss nehmen, was nach einem Ziel aussieht.« »Bestätigt«, sagte Dill. »Wlencing, halten Sie Ihre Flugstaffel raus!«, sagte Garvin. »Ich möchte vermeiden, dass sie vielleicht etwas verwechseln und wir plötzlich die Zielscheiben sind. Njangu, geh nach unten und mach die Soldaten bereit. Ton, such nach etwas Teurem, das du mit der Kiste rammen kannst. Njangu, wenn der Krach aufhört, sollen alle über das Heck aussteigen und auf alles schießen, was sich bewegt.« »Habt ihr das gehört, Soldaten?«, rief Njangu, während Dills Grierson über ihnen eine Salve abfeuerte. 139 »Wenn wir da sind, verlasst das Boot, formiert euch und rückt vor«, befahl er. »Wenn ihr schießt, versucht bitte, keine echten Zivilisten zu treffen.« Er war zufrieden, dass seine Stimme genauso ruhig und gelassen wie die aller anderen klang. Njangu hatte einen Moment Zeit, sich umzublicken, und sah zwei Verwundete, die neben Alei Milot lagen. Ihre Gesichter waren bleich, angespannt und verängstigt, aber voller Entschlossenheit. Vor ihnen, knapp über der Wasseroberfläche, entfernte sich der flüchtende Cooke immer weiter. Er steuerte auf eine kleine Bucht mit einer von Felsen gesäumten Flussmündung zu. Unter den Bäumen standen ein paar verstreute Gebäude, hauptsächlich Hütten und Fertigbauten. Die Urumchi wurde von den Gebäuden und vom Cooke beschossen. »Wir brauchen den Cooke jetzt nicht mehr«, rief er Garvin zu. »Tötet ihn für mich.« »Schütze! Den letzten Mistkerl anvisieren!« »Hab ihn, Boss.« Dann röhrte die Kanone. Flammen schössen aus dem Heck des Cooke, er geriet ins Trudeln, dann stürzte er auf den Strand, genau an der Brandungslinie. Dort wurde er noch einmal emporgeschleudert, bis er im Flussbett landete und dort explodierte. Die Urumchi hatte wenig später den Strand erreicht, und Garvin gab den Befehl, die Maschinen zu stoppen. Das Fischerboot krachte in eine Hütte, drehte sich zur Seite, und die Soldaten sprangen oder fielen auf den Strand. Jemand schoss auf Njangu, und er erwiderte das Feuer, ohne sich zu vergewissern, ob er jemanden getroffen
hatte. Ein Soldat rempelte ihn zur Seite und rannte einen Weg entlang. Ein Blaster bellte, und ein Teil einer Wand stürz140 te ein. Njangu bestrich die Richtung, aus der der Schuss gekommen war, mit Blasterfeuer, jemand schrie, dann war es still. Ein großer, bärtiger Mann kam mit erhobener Waffe aus einer Hütte. Sein Brustkorb explodierte, und weiße Würmer wimmelten in der klaffenden Wunde. Wlencing überholte Njangu, schleuderte eine Insektengranate in die Hütte und schoss gleichzeitig auf einen anderen Gegner. Garvin hatte sich ebenfalls eingefunden, flankiert von Irthing und einem Kom-Träger. »Ich greife sie mit Gamma von der Seite an. Ihr stoßt weiter in diese Richtung vor.« »Warum nimmst du nicht den leichteren Weg?«, sagte Njangu ironisch, aber Garvin war bereits verschwunden und rief den Leuten von Gamma zu, ihm zu folgen. Njangu lief hinter Wlencing her, gelangte auf einen kleinen Platz, sah ein Geschäft und jemanden, der sich hinter einen hölzernen Tresen duckte. Njangu feuerte eine Salve durch den Tresen, wodurch sich zeigte, dass er als Deckung ziemlich ungeeignet war. Die Frau ging zu Boden, und ihr langes Sportgewehr flog durch die Luft. Ein Mann tauchte hinter ihr auf. Njangu hatte nicht die Zeit, sich zu vergewissern, ob er bewaffnet war, erschoss ihn und rannte weiter. Er warf eine Granate in einen Eingang und hörte Schreie, nachdem sie explodiert war. Plötzlich klaffte ein großes Loch in der Wand neben ihm, und Njangu ließ sich fallen. Er landete in einer Matschpfütze, die verdächtig nach Latrine stank, rollte sich ab, feuerte, sprang auf und rannte weiter. Am Ende des gewundenen Pfades stand ein größeres Gebäude, aus dem Männer und Frauen strömten. Njangu eröffnete das Feuer, doch dann sah er, dass sie mit weißen 141 Tüchern wedelten - Kleidung, Handtücher, Unterwäsche. Er hörte einen Blaster, und jemand aus der Gruppe ging zu Boden. »Feuer einstellen, Feuer einstellen!«, rief er, und allmählich erstarben die Schüsse. Dann war es still, bis auf jemanden, der schluchzte, und einen Mann, der irgendwo nach seiner Mutter rief, während er röchelnd seinen letzten Atemzug tat. Eine Stunde später hatten sich alle Mitglieder des Einsatzkommandos auf dem Platz versammelt. Vor ihnen kauerten achtunddreißig verängstigte Männer und Frauen und fünf sehr junge Kinder. Die Aufklärer hatten fünf Verletzte und einen Toten zu beklagen. Dills Grierson war auf dem Strand gelandet, die Zhukov-Staffel kreiste über der Insel. Die Aksai waren genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Wlencing und seine zwei Assistenten musterten die Gefangenen sehr interessiert. »Wird esss jetzt ein Gerichtsssverfahren für sssie geben?« »Ja«, sagte Garvin. »Die Transporter, die sie abholen werden, sind schon unterwegs.« »Und welchesss Urteil wird über sssie gefällt?« »Schuldig«, sagte Garvin. »Und die Ssstrafe?« »Es gibt immer noch die Todesstrafe für solche Verbrechen«, sagte Jaansma. Plötzlich hatte der Sieg für ihn einen schalen Beigeschmack bekommen. »Ich schätze, damit muss jeder rechnen, der keine besonders plausible Erklärung für sein Tun hat.« »Dasss issst gut«, sagte Wlencing. »Ein gescheiterter Bandit ist wertlosss.« 142 »Und ein erfolgreicher?«, fragte Njangu. Im Gegensatz zu Garvin betrachtete er die gefangenen Piraten und ihr mutmaßliches Schicksal mit derselben Kälte wie Wlencing. »Ein sssolcher«, sagte Wlencing, »wird zum Herrn desss Universssums werden, sssofern er sssich nicht fangen lässst.« »Zwischen uns gibt es gar nicht so große Unterschiede, nicht wahr?«, sagte Njangu. »Sie sprechen nur etwas offener über manche Dinge.« Ben Dill kam zu ihnen. »Alles klar, Leute«, sagte er. »Meine Flügelmännerhaben es ohne Probleme nach Mahan geschafft. Jetzt will ich nur noch ein Hühnchen mit dem Piloten dieses verdammten Aksai rupfen, der mir so viel Ärger gemacht hat.« »Dasss war sssehr interesssant«, sagte Wlencing. »Ich hätte nicht gedacht, dasss esss Ihnen mit einem sssolchen Flugmonssstrum möglich issst, einen Aksssai aussszu-tricksssen.« »Ist es auch nicht«, sagte Dill. »Ich war nur zufällig in Bestform.« »Mein Jungesss wird nicht begeissstert sssein«, sagte Wlencing. »Ich werde ihm einen Ssstreich ssspielen, obwohl er sssich gut geschlagen hat. Er hat zu viel Zeit damit verbracht, den Frieden zu ssstudieren, ssstatt sssich dem Krieg zu widmen.« »Ihr Junges, ich meine, Ihr Kind?«, fragte Dill verwundert. »Alikhan?« »Er issst Ihnen bekannt?« »Ja«, sagte Dill. »Sie können ihm einen Gruß von mir bestellen und ihm ausrichten, dass ich ihm nur deshalb in
den Arsch treten konnte, weil er überrascht war. Ich bin jederzeit bereit, ihm eine Revanche zu bieten.« 143 »Ich werde ihm irgendwann diessse Botschaft mitteilen«, sagte Wlencing. »Wenn er sssich wieder in angemesssener Bescheidenheit übt.« »Warum«, fragte Garvin, »haben Sie uns nichts davon gesagt, dass Sie Ihre eigene Luftunterstützung in Bereitschaft halten? Hat Ihr Systemkommandant nicht irgendwas von einer Kooperation zwischen unseren Spezies erwähnt?« »Weil«, erwiderte Wlencing, »Sssie nicht danach gefragt haben.« 6 »Wie es aussieht, werden wir schon bald gegen die Musth kämpfen, was, Boss?« Dec Ho Kang, die ehemalige Spezialistin für elektronische Abwehr an Bord von Garvins Grierson, nun eine Fahrzeugkommandantin, benutzte das letzte Wort mit leichter Unsicherheit. Sie hatte sich immer noch nicht richtig an den Umgangston bei den Aufklärern gewöhnt. »Hier haben wir keine Geheimnisse«, sagte Aut Hedley seufzend. »Ja, dafür besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit.« »Und wir wissen immer noch nicht sehr viel über sie, nicht wahr?« »Nur wenig mehr als nichts.« »Wäre es hilfreich, wenn wir etwas mehr über ihr Imperium wüssten? Zum Beispiel, wo genau sich ihre Welten befinden?«, bohrte Ho weiter. »Aber sicher, verdammt!«, sagte Hedley. »Das würde uns die Chance geben, sie zu überfallen, falls wir jemals Kriegsschiffe für unsere Streitmacht bekommen.« 144 Ho nahm Haltung an. »Erbitte zwei Wochen Urlaub vom Dienst und Erlaubnis, C-Cumbre zu besuchen, Sir.« »Werden Sie mir sagen, was Sie dort wollen?« »Nein, Sir.« »Haben Sie eine Genehmigung von Jaansma oder Yoshi-taro?« »Nein, Sir. Falls ich mir den Arsch verbrenne, wäre es mir lieber, wenn es so wenige Zeugen wie möglich gibt.« »Das ist das Problem mit den Aufklärern«, murrte Hedley. »Zu viele Primas, zu wenige Donnas. Aber Sie scheinen sich etwas davon zu versprechen. Na, dann machen Sie mal!« Selbst gewürzt und vier Meter entfernt verbreitete das verwesende Fleisch, bei den Musth das Äquivalent eines kräftigen Drinks, einen Gestank, bei dem sich einem Menschen der Magen umdrehte. Garvin Jaansma versuchte ihn zu ignorieren und sich stattdessen auf seine Aufgabe und die unvertrauten Kontrollen des Schiffes zu konzentrieren. Vor ihm, höchstens zwei Planetendurchmesser von ihrer Heimatwelt entfernt, kamen vierzehn knollenförmige Angriffsraumschiffe auf ihn zu. Garvins Alarmsysteme schrien ihn an, dass er von allen ins Visier genommen worden war. »Das gefällt mir nicht.« »Wem würde es schon gefallen?«, sagte Njangu Yoshitaro. Sein Schiff flog zusammen mit zwei weiteren kleinen Korvetten der Konföderation schräg hinter ihm. Alle vier Konföderationsschiffe waren soeben aus dem Hyperraum gekommen, worauf sie der Musth-Flotte gegenüberstanden, die sich sofort zum Angriff formierte. »Was können wir tun?«, fragte Njangu. 145 »Weglaufen und Haken schlagen«, sagte Garvin. »Versuchen, kein gutes Ziel für sie abzugeben.« Seine Hände berührten die Kontrollen, und sein Schiff sprang für einen kurzen Moment zurück in den Hyperraum. Es kam zwischen den Musth und ihrem Planeten wieder heraus. »Zielerfassung... nächstes Raumschiff, so schnell wie möglich automatisch anvisieren«, befahl er. »Ausgeführt«, meldete das Robotsystem. »Zwei Raketen... breit gefächert... Feuer.« »Gestartet... Ausweichmanöver unmöglich.« Garvin sprang ein zweites Mal und stand nun an der Flanke der Musth-Formation. »Nächstes Raumschiff... gleiche Vorgehensweise... zwei Raketen... breit gefächert... Feuer.« »Gestartet... Verfolgungskurs...« Ein Alarmsignal ertönte. »Drei Raketen nähern sich... Einschlag in dreißig Sekunden. « Garvin registrierte am Rande einen Feuerball, der vielleicht einen halben PD entfernt war, und erkannte, dass seine erste Salve ins Ziel getroffen hatte. Dann sprang er zum dritten Mal, auf die andere Seite der MusthFormation, startete einen neuen Angriff, sah auf dem Bildschirm, dass seine anderen Schiffe in Kämpfe verwickelt waren. Plötzlich drehte sich alles um ihn, und es wurde schwarz. Er nahm den Helm ab, und wenige Augenblicke später tat Njangu, der an der Konsole neben ihm saß, dasselbe. »Bist du auch tot?«
»Scheint so.« Wlencing und ein halbes Dutzend weiterer Musth erhoben sich von ihren Konsolen und kamen zu ihnen. Einer war Alikhan, Wlencings Junges. 146 »Dasss war keine vorhersssagbare, logische Reaktion.« Garvin blinzelte, stand auf und streckte sich. Er war es nicht gewohnt, getötet zu werden. »Wessen Logik?«, fragte er, vielleicht ein wenig schnippisch. Wlencing hielt inne. »Nun... die offensssichtliche, die Logik, nach der ein Krieger kämpfen sssollte, nach der er für den Kampf ausssgebildet werden sssollte.« »Gut«, sagte Njangu. »Was hätten wir also tun sollen?« Er ging zu einem langen Tisch an der Wand des Raumes, holte sich eine Bierflasche aus einer mit Eis gefüllten Wanne, die die Musth eigens für sie organisiert hatten, öffnete sie und trank einen Schluck. Im Raum waren mehrere Simulatorkonsolen kreisförmig angeordnet, und im Zentrum befand sich eine Mulde. An zwei Stellen lagen weiche Kissen, um den Menschen improvisierte Sitzgelegenheiten zur Verfügung zu stellen. »Willst du auch eins?« Garvin nickte, und Njangu brachte ihm ein Bier mit. »Wasss Sssie hätten tun sssollen«, sagte Wlencing, »wäre gewesssen, Ihre Chancen zu berechnen und daraufhin die Flucht zu ergreifen.« »Hätten Ihre Schiffe uns nicht eingeholt?«, fragte Garvin. »Wahrscheinlich, aber diessser Ausssgang war keinessswegsss gewisss.« »War das eine reale Schlacht?«, fragte Njangu. Ein anderer Musth, Argolis, antwortete. »Ja. Esss war eine der ersssten Begegnungen, bei denen Menschen und Musth gegeneinander kämpften, vor vielen Jahren.« »Was ist damals geschehen?« Weder Wlencing noch Argolis schienen geneigt, die Frage zu beantworten. 147 »Ihre Schiffe ließen sich auf den Kampf ein«, sagte Alikhan. »Der erste Erkunder griff Ihr Flaggschiff mit Raketen an, die zerstört wurden, bevor sie einschlagen konnten. Dann raste es direkt auf Ihr Flaggschiff zu und zerstörte es. Ein anderes Ihrer Schiffe tat dasselbe mit einem unserer Flankenschiffe, wodurch die anderen zwei die Gelegenheit zur Flucht erhielten.« »Also habe ich es nicht überlebt«, sagte Garvin. »Genauso wie in den alten Zeiten. Aber diesmal habe ich drei Ihrer Schiffe mitgenommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn es hart auf hart kommt, ist das nicht der schlechteste Ausgang.« Njangu machte einen skeptischen Eindruck. »Sagst du.« »Verdammt, du bist auch tot«, sagte Garvin. »Aber nicht, weil ich das Bedürfnis verspürt habe, den Helden zu spielen. Ich habe es nur verpatzt, als ich Zick geflogen bin, während ich lieber Zack hätte fliegen sollen.« Garvin grinste. »Esss gibt noch einen weiteren unverssständlichen Punkt«, sagte Wlencing. »Sssie beide sssind Vorgesssetzter und Untergebener, doch Sssie bringen einander nicht den Ressspekt entgegen, den man in einer sssolchen Sssitua-tion erwarten sssollte.« »Das hoffe ich doch!«, sagte Garvin. »Wir sind Freunde!« »Ein Wort, von dem mir nur die Definition bekannt issst«, sagte Wlencing. »Schwierig zu erklären, etwasss anderesss alsss Verbündete im Kampf, das Verhältnisss zwischen Vorgesssetztem und Untergebenem oder zwischen Fortpflanzungssspartnern.« »Sagen wir einfach, es ist jemand, den man gerne in seiner Nähe hat«, erklärte Njangu. »Auch wenn man sich nicht mit ihm fortpflanzen kann.« 148 »Außerhalb der Parameter, die mein Vater soeben genannt hat«, sagte Alikhan, »bleibt dieser Begriff für uns Musth unverständlich.« »Wie wäre es mit Spaß?«, schlug Njangu vor. »Gibt es dafür eine verständliche Definition? Gibt es bei Ihnen keine Möglichkeiten, seine Freizeit entspannt zu gestalten, abgesehen von Kriegsspielen?« »Gewisss«, sagte Wlencing. »Wir esssen, wir jagen, wasss auf diessser Welt leider nicht möglich issst, wir schlafen, wir vergesssellschaften unsss.« »Was war das Letzte?« »Wir sitzen zusammen und tauschen Erfahrungen aus«, sagte Alikhan. »Das wurde aber auch Zeit«, sagte Njangu. »Zur Abwechslung sollten wir es einmal damit probieren. Aber ich möchte nicht unhöflich erscheinen. Schließlich haben Sie uns in Ihre Hochland-Basis eingeladen.« »Esss war ein wechssselssseitigesss Ereignisss«, sagte Wlencing. »Weil Sssie unsss erlaubt haben, an einem Einsssatz Ihrer Ssstreitmacht teilzunehmen.« »Also holt noch etwas totes Fleisch, woher es auch immer stammen mag«, sagte Garvin, »und ich werde die Bierwanne etwas näher ranziehen. Dann machen wir es uns so richtig scheißgemütlich.«
»Ich verssstehe den Bezug zu den Exkrementen nicht«, sagte Wlencing. »Ich schon, glaube ich«, sagte Alikhan und erklärte etwas auf Musth. Njangu sah Garvin an. »Es sieht ganz danach aus, dass es ein verdammt langer Abend wird.« »Halt die Klappe und benimm dich. Wir repräsentieren die Menschheit und tauschen Nettigkeiten aus.« »Das ist genau der Grund, warum ich nie Diplomat wer149 den wollte«, murmelte Njangu, aber er schaffte es, ein fröhliches Lächeln aufzusetzen. Das Bergbauzentrum der Musth auf C-Cumbre lag still und heruntergekommen unter der heißen, trockenen Sonne. Der Wind streute flüsternd Staub auf die Ruinen. Der Stützpunkt war durch eine Selbstmordmission der 'Rauhm zerstört worden, und kurz darauf hatten die Musth ihn aufgegeben. Ho Kang schob sich durch das Wrack des Erzschiffes, an der mumifizierten Leiche eines Musth vorbei, der den Kopf zurückgeworfen und die Fangzähne ein letztes Mal gebleckt hatte, als die Flammen ihn getötet hatten. Sie war fest entschlossen, sich nicht durch die Leiche oder die der drei anderen Musth in diesem Wrack irritieren zu lassen. Sie fragte sich nur, warum die Musth den Toten nicht die letzte Ehre erwiesen hatten. Dann betrat sie den Kontrollraum, zu dem sie sich bereits am Vortag kurz vor der Abenddämmerung durchgekämpft hatte. Ho orientierte sich... hier war der Kontrollsitz... dort... der des Piloten... oder Kopiloten. Eine Konsole mit verkohlten Instrumenten... die Station des Schiffsingenieurs? Ein Sitz stand etwas weiter seitlich unter einem zerstörten Bildschirm. Darunter befand sich eine Klappe, die vom Feuer unversehrt war. »Ich verstehe nicht, was ich hier sehe«, murmelte sie, »aber ich glaube, dass ich verstehe, dass ich etwas sehe, von dem ich gehofft habe, dass ich es sehen würde... glaube ich.« Mit dem Daumen entriegelte sie zwei der konvexen Knöpfe, die bei den Musth die Funktion von Schrauben hatten, und zog die Abdeckung ab. Im Fach befand sich ein der Länge nach halbierter Zylin150 der. In einem Schrank nebenan waren noch mehr davon. Ho sammelte alle ein. »Jetzt sind klügere Köpfe an der Reihe«, murmelte sie. »Vorausgesetzt, sie haben die entsprechende Befugnis.« »Und? Was hältst du von unseren pelzigen Freunden?«, fragte Njangu, als er den Cooke vom Hochland zurück nach Leggett steuerte. Mitternacht lag schon ein paar Stunden zurück. »Sie sind interessant«, sagte Garvin gähnend. »Auch wenn sie nicht unbedingt die besten Partythemen auf Lager hatten.« »Die Themen waren in der Tat etwas eingeschränkt«, pflichtete Njangu ihm bei. »Wenn es nicht um Eroberungen oder tödliche Kämpfe ging, schien es sie nicht besonders zu interessieren. Obwohl Wlencings Sprössling, dieser Alikhan, den Eindruck machte, dass er gerne über etwas anderes gesprochen hätte. Aber ich schätze, Musth-Babys dürfen nicht dazwischenquatschen.« »Wir sollten ein paar von unseren Veteranen zu ihnen schicken«, sagte Garvin. »Die Leute, denen es nie zu langweilig wird, immer neue Geschichten aus dem Krieg zu erzählen. « »Bin ich einfach nur zu blöd«, fragte sich Njangu, »oder zeichnen sich unsere Invasoren tatsächlich durch einen gewissen Mangel an Humor aus?« »Ich kann nicht behaupten, dass etwas in dieser Richtung bei mir angekommen ist«, sagte Garvin. »Allerdings könnte dieser Alikhan irgendwann einmal Humor entwickeln - in fünfhundert Jahren oder so.« »Warum haben sie uns dann eingeladen? Ich glaube einfach nicht, dass sie es nur getan haben, weil wir so tolle Partylöwen sind.« 151 »Wahrscheinlich«, sagte Garvin, »weil die meisten von ihnen nur wenig Kontakt mit uns hatten, kaum mehr als wir. Ich vermute, die anderen gehörten zu Wlencings Stab oder etwas in der Art.« »Lerne deinen Feind kennen, bevor der Krieg ausbricht -könnte es das sein?« »Etwas in der Art.« »Aber der Effekt ist zweiseitig«, sagte Njangu. »Ich glaube, ich habe mehr aus ihnen herausgeholt als sie aus mir, angefangen mit ihren Ansichten, wie ein Krieg geführt werden sollte.« »Hoffen wir es«, sagte Garvin. »Und wir können nur hoffen, dass sie uns nicht auf den Arm genommen und die naiven Trottel gespielt haben.« »Dein Optimismus ist immer wieder herzerfrischend.« »So bin ich eben.« Ho Kang war ziemlich enttäuscht. Sie hatte erwartet, dass die »größte Physikerin des Cumbre-Systems« eher klein geraten war, vielleicht etwas übergewichtig, mit langweiliger Frisur, sauberer, aber etwas zerknitterter Kleidung -kurz gesagt, ungefähr so wie Ho Kang selbst. Stattdessen war die Frau namens Ann Heiser schlank und trug ihr gewelltes Haar im extrem trendigen Brushover-Stil. Sie war lebhaft, gekleidet wie ein Rentier oder eine Geschäftsfrau und obendrein, wie Ho widerwillig anerkennen musste, sehr hübsch. Wenigstens ihr Kollege Danfin Froude sah wie ein richtiger Mathematiker aus. Abstehendes Haar, als hätte man ihm einen Elektroschock verpasst, ein altertümliches Jackett, das offensichtlich nie gebügelt worden war,
ausgebeulte Hosen, freundliche und unverbindliche Miene. Er trug sogar eine archaische Brille. Er gehörte zu den we152 nigen Menschen, die die Sprache der Musth beherrschten. Die beiden waren von Hedley vorgeschlagen und aus Sicherheitsgründen nach Mahan gebracht worden. Einer der kleinen Halbzylinder, die Ho aus dem Wrack des Frachters geborgen hatte, lag vor Hedley. Er stellte Ho vor, dann erklärte er, woher das Objekt stammte. »Eine Sternenkarte«, sagte Heiser. »Ich dachte«, sagte Ho, »wenn wir die Angaben übersetzen könnten, würden wir einige Informationen über die Welten der Musth erhalten, damit wir...« »...sie auf zweckdienliche Weise verwenden können«, fiel Hedley ihr ins Wort. »Was uns zu diesem Zeitpunkt nicht weiter interessieren sollte.« Froude hob den Zylinder auf. »Die Untersuchung könnte ein äußerst langwieriger Prozess werden. Aber mir ist natürlich bewusst, dass wir nicht allzu viel Zeit haben werden. Es wäre schön, wenn wir wenigstens einen bekannten Punkt hätten, an dem wir ansetzen könnten.« »Vielleicht haben wir den sogar«, sagte Ho. »Ich habe mich für die Sache interessiert, weil mir aufgefallen ist, dass fast alle eintreffenden Musth-Schiffe von den Stationen auf den äußeren Planeten dieses Systems geortet wurden. Es waren immer wieder die gleichen Koordinaten.« Sie übergab den anderen ein Mikrofiche. »Das ist eine Kopie von fünfundzwanzig Meldungen. Ausschließlich Schiffe, die C-Cumbre angeflogen haben. Ich vermute, dass es sich hauptsächlich um Erztransporte handelte.« »Diese Vermutung liegt nahe«, stimmte Heiser ihr zu. »Dann habe ich überlegt, ob ich eins der Schiffe ausfindig machen könnte und ob es in den Sternenkarten, falls es sich darum handelt, eine Übereinstimmung mit den Kursdaten gibt, die unsere Sensoren geortet haben.« 153 Froudes Gesicht rötete sich vor Begeisterung. »Eine gute Idee«, sagte er. »Zumindest ein Anfang. Definitiv ein Anfang.« »Wir stellen Ihnen Computer und gesicherte Einrichtungen zur Verfügung«, sagte Hedley. »Wir möchten, dass Sie sofort mit der Arbeit beginnen. Wenn Sie etwas benötigen - Assistenten, Geräte, was auch immer -, Ihre Wünsche haben für uns höchste Priorität, aus Gründen, die Sie sich vermutlich selber denken können. Aber ich muss noch einmal ausdrücklich betonen, dass Sie über diese Angelegenheit mit niemandem reden, der von uns nicht als unbedenklich eingestuft wurde, aus nahe liegenden Gründen. Ich habe Dec Ho Kang abgestellt, damit sie Ihre Arbeit unterstützen kann.« Ho und Heiser erhoben sich, und Hedley rief einen Wachmann, der sie zu ihren Büros führen sollte. Froude ließ die anderen gehen und wandte sich noch einmal an Hedley. »Ich möchte Ihnen danken, Aut Hedley, dass Sie mir die Möglichkeit geben, Ihnen zu helfen. Aber ich hatte, nun ja, gehofft, dass Sie mich aus einem anderen Grund benötigen würden...« »Und aus welchem?«, fragte Hedley. Froude drehte sich um und schloss die Tür. »Etwas, woran es der Armee mangelt«, sagte er, »sind Wissenschaftler.« »Wir sind Soldaten, falls Ihnen dieser Umstand entgangen sein sollte.« »Was bedeutet, dass Sie nur mit seltsamen Eiden zu tun haben, sich gegenseitig Ehre und Auszeichnungen neiden und schnell in Streit geraten.« Hedley grinste. »Das mag sein. Aber ich bin kein bärtiger alter Leopard, was immer ein Leopard sein mag. Was glauben Sie also, wie Sie uns helfen könnten?« 154 »Ich möchte es mit einem kurzen Beispiel erläutern. Sie waren früher der Befehlshaber der Aufklärungskompanie. Schauen Sie nicht so überrascht, ich habe mich schon immer sehr für militärische Dinge interessiert und versuche, auf dem Laufenden zu bleiben. Sie rekrutieren junge Soldaten, bilden sie sehr intensiv im Auskundschaften und ähnlichen Dingen aus, und Sie sortieren mindestens die Hälfte der Bewerber aus. Lohnt sich dieser Aufwand?« »Verdammt, ja!«, sagte Hedley. »Können Sie das quantifizieren? Wie viele Missionen und Aufgaben kann einer Ihrer bestens ausgebildeten Soldaten ausführen, bevor er durch physische oder psychische Verletzungen dienstuntauglich wird? Wie effektiv wäre es, wenn ein durchschnittlicher Infanterist die gleichen Aufgaben erfüllen müsste, unter Berücksichtung einer etwas höheren Ausfallquote, die sich durch neue Rekrutierungen ausgleichen ließe? Wobei wir das Problem ignorieren, dass ein Aufklärer recht lange im Rang eines Gefreiten bleiben könnte, angesichts der hervorragenden Qualifikation der anderen Soldaten, wodurch er den Bedarf der Streitmacht weniger gut erfüllen würde, während er in einer normalen Einheit recht schnell in den Rang eines Unteroffiziers befördert würde.« »Allah sei verdammt, wenn ich das wüsste!« »Ich weiß es«, sagte Froude mit einer gewissen Selbstgefälligkeit. »Nach meinen Zahlen wäre er vielleicht für ein Dutzend Missionen zu gebrauchen, wohingegen der durchschnittliche Soldat ohne die Abhärtung Ihrer rigorosen Selektion möglicherweise nach vier oder fünf am Ende wäre. Die Beförderung ist kein maßgeblicher
Faktor, angesichts der höheren Verlustrate bei den Aufklärern. Also würde selbst unter schlechten Beförderungsbedingungen ein guter - und erfolgreicher - Soldat genauso schnell be155 fördert werden, als würde er in einer normalen Einheit dienen. Ich hatte gehofft, dass Sie sich für solche Fragen interessieren.« Hedley strich sich mit einer Hand über den Kopf und betrachtete verstohlen seine Finger, um zu sehen, ob ihm schon wieder Haare ausgefallen waren. »Dr. Froude, ich fürchte, ich kann Ihnen keine Antwort auf diese Fragen geben. Vielleicht sollten wir den Wissenschaftlern wirklich mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber diese Diskussion würde ich gerne auf später verschieben.« »Natürlich. Ich wollte Ihnen nur einen Denkanstoß geben«, sagte Froude. Garvin saß in seiner tadellosen weißen Offiziersuniform an der langen und ziemlich leeren Bar des Shelbourne und blickte auf die Jachten hinaus, die in der Bucht vor Anker lagen und im Licht der untergehenden Sonne schaukelten. Erneut nippte er an seinem Drink, einem milden tropischen Cocktail, von dem er sich allerhöchstens drei erlauben durfte, und fragte sich, wie er den Abend hinter sich bringen sollte. Hedley hatte ihn gepackt und ihn gefragt, wie lange er schon keinen Urlaub mehr genommen hatte. Als Garvin fast eine Minute lang nachdenken musste, hatte er ihm gesagt, dass er sich dienstfrei nehmen und ein Weilchen von der Garnison fern halten sollte, damit er nicht einging. Njangu hatte der Empfehlung zugestimmt und ihm gesagt, dass er sich verpissen sollte. Außerdem hätte Garvin vielleicht etwas Interessantes zu erzählen, wenn er zurückkam. Also hatte Garvin sich herausgeputzt und sich auf die andere Seite der Bucht nach Leggett begeben, um zu sehen, ob er dort in Schwierigkeiten geraten würde. Er erinnerte sich, dass er vor langer, langer Zeit, als er ge156 rade seine Grundausbildung abgeschlossen hatte, hier schon einmal einen Abend verbracht hatte. Damals war er in die Fänge der Sängerin der Band und in Schwierigkeiten geraten, die ihm beinahe den Kopf gekostet hätten. Garvin lächelte, als er daran dachte, wie lange das schon her war. Nicht ganz drei Jahre. Tiefste Urgeschichte. Er fragte sich, was aus der Sängerin geworden war... Marya war ihr Name, und er hoffte, dass sie nicht mehr im Shelbourne auftrat. Selbst in seiner derzeitigen Situation als verzweifelter Junggeselle glaubte er nicht, dass er für eine Frau wie sie bereit wäre. Jemand betrat die Bar, setzte sich an den Tresen und bestellte mit angenehmer Altstimme einen weißen Fruchtlikör beim Barkeeper. Erblickte hinüber, als der Barkeeper das Getränk eingoss, und der stille Nachmittag zerbrach wie ein zersplitternder Kristall. Kurz darauf hatte auch Jasith Kouro ihn erkannt. »Äh... hallo«, brachte er heraus. »Hallo«, sagte sie. Die beiden starrten sich eine Weile an, während das Schweigen immer dichter wurde. »Danke für die Blumen«, sagte sie. »Und dafür, dass du mich... uns gerettet hast.« Garvin suchte nach einer intelligenten Erwiderung, jedoch ohne jeden Erfolg. »Schon gut«, stieß er hervor. »Geht es dir wieder besser?« »Ja. Ich war nur deshalb so lange im Krankenhaus, weil ich mir irgendeine Infektion zugezogen hatte.« »Ach so«, sagte Garvin und wusste, dass er sich wie ein Idiot anhörte. Was war plötzlich mit seiner ansonsten so schlagfertigen Zunge los? »Eine Infektion sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.« 157 »Du siehst sehr gut aus«, sagte Jasith, deren Verstand ähnliche Anlaufschwierigkeiten zu haben schien. »Danke. Du aber auch. Und was führt dich in diese Bar?«, fragte er unbeholfen. »Wird dir nicht alles, was du brauchst, in dein Apartment in den Heights geliefert?« Jasith sah ihn an und schien zur Einsicht zu gelangen, dass seine Frage nicht beleidigend gemeint war. »Ich bin hier mit Loy zum Abendessen verabredet«, sagte sie. »Zusammen mit ein paar von seinen Redakteuren. Sie wollen darüber reden, wie wir mit den Musth umgehen sollten. Ich befürchte, dass es ein ziemlich langweiliger Abend wird. Also wollte ich etwas früher kommen und mich ein wenig stärken.« »Wahrscheinlich hast du Recht«, sagte Garvin. »In diesem Fall brauchst du das, was ich gerade trinke.« Er nickte dem Barkeeper zu und bestellte einen Drink für sie. Als er fertig war, nippte Jasith vorsichtig daran. »Uhh... das Zeug könnte man als Treibstoff für einen Gleiter benutzen, Garvin! Ich möchte nachher keine Stripshow abziehen, um die Jungs bei Laune zu halten!« »Warum nicht? Aber ich hätte noch einen ganz anderen Vorschlag, wie du die Angelegenheit interessanter machen könntest. Frag die Schreiberlinge einfach, was sie glauben, wie die Musth mit uns umgehen werden.« »Wie meinst du das? Bisher hat es noch keine Probleme gegeben.« »Sagte der Mann, als er am vierzigsten Stock des Hochhauses vorbeikam, nachdem er gerade aus dem fünfzigsten gefallen war.« Jasith blickte sich um, sah niemanden und setzte sich auf den Barhocker neben Garvin.
»Offen gesagt, ich mache mir schon einige Sorgen«, vertraute sie ihm an. »Loy meint, dass es blödsinnig ist, aber 158 die Musth waren schon immer in erster Linie am Bergbau interessiert, und mein Vater war fest davon überzeugt, dass sie letztlich nur danach streben, alle Minen auf C-Cumbre in ihren Besitz zu bringen.« »Ich glaube, dass deine Sorgen keineswegs blödsinnig sind«, sagte Garvin. »Und ich würde mir wünschen, dass ich dir ein paar Tipps geben könnte. Ich weiß nur - und das hast du nie von mir gehört, ja? -, dass die Musth bei ihrem Rückzug versprochen haben zurückzukehren, aber nicht mit friedlichen Absichten.« »Aber sie haben uns nicht angegriffen, als sie dann zurückgekehrt sind.« »Zufällig trafen sie genau im richtigen Moment hier ein. Sie konnten Redruth verjagen und als heldenhafte Retter auftreten. Vielleicht spielen sie nur auf Zeit.« »Was werden sie also tun? Und wann?« »Auch darauf gibt es keine Antwort. Aber ich wette, dass sie nur auf einen guten Grund warten, vielleicht einen Vorwand, um sich viel stärker als bisher in die Belange von Cumbre einmischen zu können.« »Und wenn sie mehr Macht errungen haben, werde ich ihr erstes Angriffsziel sein.« »Zumindest deine Bergwerke«, stimmte Garvin ihr zu. »Ich wüsste nicht, was sie von dir persönlich wollen sollten. Du dürftest ihnen nicht pelzig genug sein.« Jasith kicherte, dann wandte sie sich schnell ab und konzentrierte sich auf den Sonnenuntergang. Nach einer Weile sagte sie leise, ohne Garvin anzusehen: »Ich schätze, ich habe dich ziemlich mies behandelt, nicht wahr?« Garvin überlegte, ob er höflich antworten sollte. Oder lieber ehrlich? Schließlich entschied er, gar nichts zu sagen. »Alles ist viel zu schnell geschehen«, sagte sie. »Ich 159 wollte fortlaufen, mich verstecken, ich wusste nicht, was ich tun sollte.« »Also hast du einfach Loy Kouro geheiratet.« Garvin konnte der Versuchung zum Sticheln nicht widerstehen. Jasith holte tief Luft, aber dann sagte sie doch nichts, sondern nickte nur. »Weißt du«, sagte sie nach einer Weile, »manchmal wünsche ich mir...« »Sprich es nicht aus«, unterbrach Garvin sie schroff. »Es ist schon so schwer genug.« Jasith nahm ihr Glas in die Hand und stellte es wieder ab. »Es tut mir Leid.« Hastig stand sie auf und ging. Garvin starrte auf ihren Drink, den sie kaum angerührt hatte, dann drehte er sich auf seinem Hocker herum und blickte zum Ausgang. »Mistkerl!«, sagte er leise, obwohl niemand anwesend war, auf den diese Bezeichnung hätte zutreffen können. »Ich glaube«, sagte Dr. Froude in bedächtigem Tonfall, »dass wir uns jetzt ein Gläschen Sherry genehmigen können.« »Was ist das?«, fragte Ho. »Eine altertümliche Spirituose. Ich glaube, große Denker pflegten sie immer dann zu trinken, wenn sie etwas Besonderes geleistet hatten.« »Ich glaube, ich werde mir eine kräftige Dosis reinen Alkohols genehmigen und dann nackt auf dem Tisch tanzen«, sagte Heiser. »Wir kommen der Sache immer näher, nicht wahr?« »Drei der letzten vier Permutationen passen exakt auf J-Cumbre, unseren Mond Fowey und C-Cumbre. Das würde ich als ziemlich nah dran bezeichnen«, sagte Froude. »Was ist mit Nummer vier?«, fragte Ho. 160 »Ich glaube, Sie vergeuden Ihre Talente bei der Armee, Ho«, sagte Heiser. »Sie stellen so viele kritische und nervige Fragen, dass Sie Wissenschaftlerin werden sollten.« »Ich hatte nicht genug Geld für das Studium«, sagte Ho mit unbehaglicher Miene. »Sie werden es haben, wenn wir mit dieser Sache fertig sind«, sagte Heiser. »Wie meinen Sie das?« »Schon gut. Hören Sie jetzt auf zu fragen. Es ist in der Tat Zeit für einen Drink.« »Trotzdem wäre es nicht schlecht, wenn wir einen Hinweis hätten, worauf sich der vierte Koordinatensatz bezieht«, sagte Ho. »Wenn ich ihn richtig projiziert habe, wie Sie es mir gezeigt haben, dann zielt er auf einen Punkt, der ein Stück hinter M-Cumbre liegt, und Sie sagten, dass es da draußen nichts gibt, stimmt's?« »Stimmt«, sagte Froude. »Nein, stimmt nicht. Ich bin ein Idiot. Wenn Sie mit Ihrem Grierson von Camp Mahan abfliegen, haben Sie dann nicht so etwas wie einen allgemeinen Sammelpunkt, wenn Sie zusammen mit anderen Luftfahrzeugen unterwegs sind?« Ho nickte. »Natürlich. Wir bestimmen bei jeder Mission einen Sammelpunkt. Warum sollten es die Musth anders handhaben? Womit wir eine vierte Übereinstimmung hätten - und einen Punkt, mit dem wir die anderen Daten der Sternenkarte übersetzen können.« Froude lächelte glücklich. »Bekommen wir jetzt unseren Drink?« »Sofort«, sagte Ho. »Aber ich gebe die Runde aus.« Sie sprang von ihrem Schreibtisch auf, wobei sie eine Tastatur und mehrere Ausdrucke herunterriss. »Wir haben es fast geschafft!«
161 »Wirst du es überleben?«, fragte Njangu besorgt. »Weiß ich noch nicht«, stöhnte Garvin. »Wo bist du schließlich gelandet?« »Nach meiner letzten klaren Erinnerung«, sagte Garvin, »war ich in einer dieser verdammten Hafenspelunken, wo man nur über den Tisch gezogen wird.« »Warst du mit jemandem zusammen?« »Ich glaube nicht, aber ich erinnere mich dunkel, dass ich einige Stunden früher mit jemandem zusammen war. Ich glaube, ich habe diesen Jemand ständig mit... jemand anderem verglichen, und ich glaube, dieser Jemand wurde dann sauer und hat mich abserviert.« »Das ist alles?« »Das ist alles«, sagte Garvin. »Abgesehen von dem hier.« Er griff in seine Jackentasche und zog eine dicke Rolle Banknoten heraus. »Als ich aufwachte, hatte ich überall diese verdammten Credits in den Taschen.« »Wie machst du das nur?«, fragte Njangu bewundernd. »Alle anderen wachen irgendwann sturzbesoffen und mit geleerten Taschen in einer dunklen Gasse auf. Und du machst Gewinn, wenn du um die Häuser ziehst!« »Ja. Aber ich wüsste wirklich gerne, wie es dazu gekommen ist«, sagte Garvin. »Das ist im Moment mein größter Wunsch - gleich nach einem kalten Bier.« »Na!«, sagte Njangu. »Du bist im Dienst, und du willst doch kein schlechtes Vorbild für die Truppe sein!« »Ich bin ein schlechtes Vorbild.« »Gut. Dann will ich dir das Leben noch etwas schwerer machen«, sagte Njangu ohne Mitgefühl. »Nachdem du losgezogen bist, hat Hedley angerufen und wollte ein wenig im Dschungel spielen. Wie es scheint, hat der Geheimdienst Sendungen vom anderen Ende von Dharma aufge162 fangen. Auf sehr eng gebündeltem Strahl, der auf einen Punkt am äußersten Rand des Systems zielt. Etwa zur gleichen Zeit registrierte eine automatische Wachstation auf L-Cumbre ein anfliegendes Schiff. Es ging in den Orbit und setzte eine geraffte Sendung nach Leggett ab, in einem Kode, der in unseren Unterlagen nicht verzeichnet ist. Die Raffersendung wiederum wurde von dem Sender in der Pampa beantwortet. Hedley sagte, dass wir außer den Aksai nichts zur Verfügung hätten, um das Schiff bei L-Cumbre abzufangen, und zurzeit sollen die Dinger nicht in den Einsatz geschickt werden. Aber wir könnten ein Kommando zusammenstellen, das sich um den Sender auf der Insel kümmert. Genau das haben wir gestern gemacht, ungefähr gegen Mitternacht, als du gerade voll durchgestartet hast. Ich weiß nicht, wodurch wir uns verraten haben, aber als wir einfielen, fanden wir nur eine provisorische Hütte mit Rationen für ein paar Tage und einen ziemlich großen Sender, groß genug für Sendungen, die dieses System verlassen sollen. Dummerweise war niemand mehr zu Hause.« »Hat Hedley eine Erklärung?« »Irgendwann in den frühen Morgenstunden hat er eine gefunden«, sagte Njangu. »Wie es scheint, wurde die Frequenz vor ziemlich langer Zeit häufig vom Militär von Larix und Kura benutzt.« »Uh!« »Das habe ich auch gedacht«, pflichtete Njangu ihm bei. »Wahrscheinlich hat sich einer von Redruths Botenjungen ins Cumbre-System geschlichen, die Meldung eines Agenten abgefangen oder einem Agenten Anweisungen erteilt, um sich gleich wieder aus dem Staub zu machen. Mit einem Raffer hätte die Zeit völlig ausgereicht, um einen kompletten Schlachtplan zu übermitteln. Du erinnerst dich, dass wir nie herausgefunden haben, wer während der Revolte 163 auf Dharma Gewehre aus Larix und Kura an die 'Rauhm geschmuggelt hat?« »Lebhaft«, sagte Garvin verdrießlich. »Jetzt wissen wir also etwas, aber wir wissen nicht, was es bedeutet.« »Willkommen im Bund der militärischen Geheimdienstexperten. Und? Ist dein Kater schlimmer geworden?« »Ich habe hier etwas Interessantes«, sagte Mil Angara zu Caud Rao, »für das ich nicht den Ansatz einer Erklärung habe. Genauso wenig wie Hedley.« »Was bedeutet, dass an der Sache etwas Ehrenhaftes oder Anständiges sein könnte, wenn keiner von Ihnen etwas davon versteht«, sagte Rao. »Die Musth haben mit der Eröffnung ihrer Konsulate begonnen, die sie als Informationsstätten bezeichnen«, sagte Angara. »Darüber wurde mir bereits Bericht erstattet.« »Hat irgendwer darauf hingewiesen, wo genau sich diese Konsulate befinden?« »Nur dass sie sich in verschiedenen Stadtzentren befinden.« »Das Problem ist die Frage nach dem Wo in den Stadtzentren«, sagte Angara. »Ich könnte es Ihnen auf Übersichtsplänen zeigen, aber Sie müssen eigentlich nur wissen, dass diese Informationsstätten in den herunter gekommensten Stadtvierteln eröffnet wurden.« »Ausnahmslos?« »Ausnahmslos.« »Vielleicht haben die Musth nach den preiswertesten Grundstücken Ausschau gehalten«, gab Rao zu bedenken.
Sein Erster Offizier lachte nicht. Rao dachte eine Weile nach. »Wenn ich es darauf abgesehen hätte«, sagte er schließ164 lieh, »einen Zwischenfall zu provozieren, würde ich meine Leute mitten ins Getümmel schicken, insbesondere dorthin, wo in der Bevölkerung genügend Frust herrscht, dem vielleicht jemand mit einer Kugel aus dem Hinterhalt Ausdruck verleiht. Das wäre ein Grund, warum die Musth ausssgerechnet dort ihre Konsssulate eröffnen«, äffte Rao die Aliens nach. »Sssehr gerisssen.« »Genau.« »Und wenn es mir egal wäre, ob ich dadurch ein oder zwei Leute verliere, könnte ich meine Mitarbeiter dazu animieren, Spaziergänge durch die übelsten Gegenden zu unternehmen, am besten mit Glöckchen an ihren kleinen Ärschen. Damit es auch ganz bestimmt Ärger gibt. Ich schätze, wenn ein Sekretär - oder wie auch immer so etwas bei den Musth heißt - massakriert wird, wäre für genügend Wirbel gesorgt.« »Scheiße«, sagte Angara. »Das wäre gar nicht so unwahrscheinlich, wenn sich das Büro dieses Sekretärs unmittelbar neben dem Wirtschaftszentrum der Stadtstreicher befindet.« »Genau.« Angara seufzte. »Was werden wir also in dieser Angelegenheit unternehmen?« »Als hätten wir nicht schon genug Sorgen«, sagte Rao. »Gut, wir machen es so, dass wir noch mehr Soldaten auf Streife schicken. Und wir werden ihnen sagen, dass sie sich >zufällig< in der Umgebung der Musth-Konsulate herumtreiben sollen, vorzugsweise in der Abenddämmerung.« »Boss«, rief Lir. »Leitung drei. Irgendein Typ namens Glenn. Wollte nicht sagen, was er will.« Garvin blickte finster auf die zwei Bildschirme, vor de165 nen er saß, minimierte die Fenster und berührte einen Sensor. Das runde Gesicht eines leicht verlebten Mannes erschien. »Ich bin Tak Jaansma«, sagte Garvin. »Gy Glenn«, stellte sich der Mann vor. »Ich bin Seniorpartner der Anwaltskanzlei Glenn & Lansky.« »Wie kann ich Ihnen helfen?« »Einer meiner Klienten, der anonym bleiben möchte, ist ein engagierter Patriot«, sagte der Anwalt. »Dieser Klient ist der Ansicht, dass die Rao-Armee keine angemessene finanzielle Unterstützung durch die Planetare Regierung erhält.« »Darin würde ich ihm nicht widersprechen.« »Deshalb möchte mein Klient die Armee mit einer Spende unterstützen, in Höhe von einer Million Credits.« Garvin blinzelte und bemühte sich, gelassen zu bleiben. »Wie bitte?« »Ich bin überzeugt, dass Sie mich richtig verstanden haben.« »Dass... nun, das ist sehr nett von Ihrem Klienten, würde ich sagen«, erwiderte Garvin. »Aber ich bin nicht der Befehlshaber der Armee, Mister Glenn. Caud Prakash Rao...« »Mir ist bekannt, wer Ihre Armee führt«, sagte Glenn. »Ich habe mich vielleicht doch etwas unklar ausgedrückt. Die Spende meines Klienten soll ausschließlich der Aufklärungskompanie zugute kommen.« »Was zum Henker... Entschuldigung... wer zum Henker ist dieser Klient?« »Wie ich bereits erwähnte, möchte dieser Klient anonym bleiben.« »Eine Million... was in aller Welt sollen die Aufklärer mit einer Million Credits machen? Vielleicht weiß Ihr 166 Klient nicht, dass die Aufklärungskompanie nur aus einhundertdreißig Männern und Frauen besteht.« »Meinem Klienten sind die personellen Verhältnisse in Ihrer Kompanie bekannt.« »Äh... wofür soll das Geld verwendet werden?« »Mein Klient sagte, damit soll, ich zitiere wörtlich, mach dem Ermessen des Kommandeurs die allgemeine Versorgung des Personals der Aufklärungskompanie verbessert werden, damit die Männer und Frauen weiterhin ihre Pflichten erfüllen können<, Zitat Ende.« »Sie meinen, ich könnte mit dem Geld eine nagelneue Kaserne bauen lassen, wenn Mil Rao einverstanden wäre?« »Das könnten Sie.« »Oder könnte ich es an meine Leute verteilen, womit jeder, äh, etwa achttausend zum sinnlosen Verjubeln in der Tasche hätte?« »Mein Klient könnte der Ansicht sein, dass so etwas kontraproduktiv wäre, aber prinzipiell würde er keine Einwände erheben.« »Das ist verdammt ungewöhnlich«, sagte Garvin. Glenn nickte. »Dasselbe habe ich auch gesagt, als mein Klient mir sein Anliegen unterbreitet hat.« »Sie verstehen sicherlich«, sagte Garvin, »dass ich in diesem Moment nichts Verbindliches dazu sagen kann, bevor ich nicht mit meinen Vorgesetzten gesprochen habe.« »Damit habe ich gerechnet«, sagte der Anwalt. »Ich werde Sie anschließend zurückrufen«, sagte Garvin. »Ich werde Ihren Anruf erwarten.«
»Warten Sie!«, sagte Garvin. »Gehört zufällig die Firma Mellusin Mining zu Ihren Klienten?« Die Lippen des Anwalts verzogen sich zu einem recht frostigen Lächeln. »Wir haben diesen Konzern bei verschie167 denen Gelegenheiten vertreten. Auf Wiedersehen, Tak Jaansma.« Der Bildschirm wurde dunkel. »Werft mich in die Kloake und nennt mich einen Schokoladenriegel«, murmelte Garvin, als im nächsten Moment die Tür aufflog und Njangu hereinstürmte. Er trug Laufschuhe, Shorts und ein verschwitztes Hemd und ließ sich in einen Sessel fallen. »Körperliches Training ist nicht mehr als ein Stoborfurz. Gib mir einen netten lahmarschigen Typen, der sich von einem anderen Clown fertig machen lässt, der ihn rennen und springen lässt und ihm einen Tritt verpasst, wenn er kotzen muss! Ich bin froh, dass mich hier drinnen niemand sehen kann, dass meine Soldaten nicht mitbekommen, wie ich meine Lungen durch die Nase ausblute.« »Dann halt dich gut fest«, sagte Garvin. »Ich habe eine echte Überraschung!« Zwei Stunden später war Garvin immer noch geplättet. Nach ausgiebiger Beratung mit Caud Rao und den Rechtsanwälten der Streitmacht wurde entschieden, dass die Spende absolut legitim war. »Was sollen wir jetzt mit Jasiths Geld machen?«, fragte Garvin in verzweifeltem Tonfall. Njangu zuckte mit den Schultern. »Wir schmeißen eine dicke, fette Party«, schlug er vor. »Aber die viel interessantere Frage lautet: Wie sollst du jetzt mit Jasith umgehen, nachdem sie offenbar versucht, auf die einzige Art, die sie kennt, Danke zu sagen?« Das Meer phosphoreszierte, und kleine Wellen aus reinem Licht leckten zischend über den Strand. Zwei Musth gingen hier spazieren und unterhielten sich leise. Camp Mahan schimmerte matt im Zentrum des Golfes 168 zu ihrer Rechten, die Uferpromenade von Leggett zu ihrer Linken, und vor ihnen stach das Shelbourne mit einem leuchtenden Finger in den Ozean. Hinter den Musth bewegte sich etwas in der Dunkelheit. Daraus wurden vier Männer, die schnell, aber etwas unsicher gingen. Einer rutschte aus, stürzte in den Sand und fluchte. Die Musth drehten sich um und sahen die Menschen. »Wasss wollen Sssie von unsss?«, fragte einer. Ein raues Lachen war zu hören, dann traf eine geworfene Flasche den weiblichen Musth in die Seite. Ihr Kopf schoss vor, die Ohren richteten sich auf, die Augen röteten sich vor Zorn. »Lasssen Sssie unsss in Ruhe«, befahl ihr Begleiter. »Sssonssst werden wir Sssie töten.« Ein anderer der vier Menschen lachte. »Ihr blufft ja nur. Ihr habt gar keine Waffengürtel dabei. Wir haben euch beobachtet und nur auf diese Gelegenheit gewartet.« »Mach sie fertig, Sayid«, rief ein Mann, und ein anderer sprang mit einem Messer in der Hand vor. Die Musth-Frau trat zur Seite, fuhr die Krallen aus, schlug zu und schlitzte Sayid die Schulter auf. Er taumelte kreischend, stürzte und wälzte sich am Boden. Der andere Musth wollte ihm einen Tritt versetzen, verfehlte ihn jedoch, dann kam Sayid wieder auf die Beine. Zwei Männer hatten sich auf die Alien-Frau geworfen, einer schwang einen Knüppel, der andere holte mit einer zerbrochenen Flasche aus. Plötzlich schien das Phosphoreszieren zum Leben zu erwachen, und ein Monstrum, das nur mit Badehose bekleidet war, entstieg grollend dem Meer. Im nächsten Moment hatte es das Getümmel erreicht. 169 Der Mann mit der Flasche schrie, als ihm der Arm gebrochen wurde, dann versiegte sein Atem, als eine schwere Faust seine Rippen wie dünne Zweige zerbrach. Der Mann mit dem Knüppel hatte keinen Knüppel mehr, dann hatte er ihn plötzlich im Gesicht. Er wollte danach greifen und stürzte haltlos zu Boden. Der vierte Mann zog eine kleine Pistole aus dem Hosenbund und zielte. Das Monstrum namens Ben Dill sprang ihn an, packte seinen Waffenarm, kugelte ihn mit einem kräftigen Ruck aus und schlug dem Mann seinen harten Schädel ins Gesicht. Sayid stand immer noch mit dem Messer da, das er hin und her bewegte. »Kommen Sie nicht näher, sonst...« Dill vergeudete seine Energie nicht mit einer Antwort, sondern verpasste ihm einen gestreckten Fußtritt. Er traf Sayid knapp unterhalb des Ellbogens, worauf das Messer in hohem Bogen davonflog. Sayid drehte sich um und wollte weglaufen, doch Dills riesige Hand hatte ihn an den Haaren gepackt. Er zerrte ihn über sein Knie zurück, dann war zu hören, wie Sayids Rückgrat brach. Der Mann, der den Knüppel gehabt hatte, kniete winselnd im Sand, als vier Männer und Frauen in Zivilkleidung angelaufen kamen. Alle waren mit Pistolen bewaffnet. »Halt!«, rief einer. »Militärpolizei der Konföderation!« »Verdammt späte Polizei!«, brüllte Dill zurück. »Das hier ist Bens Spielplatz!« Er trat dem knienden Mann gegen die Brust, worauf dieser rückwärts umkippte, dann sprang er, drehte in der
Luft den Fuß und landete damit genau auf der Kehle seines Gegners, wodurch er ihm das Zungenbein zertrümmerte. Dill drehte sich um, sah die vier, die ihre Waffen auf ihn richteten, und schnaufte verächtlich. 170 »Ihr kommt ein bisschen spät, wie ich bereits erwähnte.« »Was zum Henker machen Sie hier?«, fragte Stef Bassas von der Aufklärungstruppe, als er den grobschlächtigen Offizier erkannte. »Ich bin vor einem netten privaten Dinner eine Runde schwimmen gegangen, auch wenn Sie das eigentlich nichts angeht«, knurrte Dill. »Und haben Sie nicht eine Kleinigkeitvergessen?« »Tschuldigung«, sagte Bassas, »Sir.« »Schon besser«, sagte Dill und erkannte die anderen Mitglieder des Aufklärerteams. »Mahim, nicht wahr?« »Ja, Sir«, sagte die Frau und steckte ihre Pistole ein. »Wie lautet Ihre Ausrede?« »Ein halbes Dutzend Musth hat gleichzeitig das Konsulat verlassen«, sagte die Frau. »Wir haben uns an die Falschen gehängt, weil wir nicht dachten, dass jemand in der Nähe des Shelbourne ein Attentat versuchen würde. Offensichtlich haben wir uns getäuscht.« »Sie sind Sanitäterin, nicht wahr?« »Ja, Sir.« »Hätten Sie Lust, sich um diese Leute hier zu kümmern?« »Ich weiß nicht recht, Sir«, sagte Mahim. »Lebt überhaupt noch jemand?« Dill blickte sich um. »Der ist hin... der ist hin... der hustet noch, ist aber wahrscheinlich auch bald hin, obwohl Sie gerne an ihm herumdoktern können, wenn Sie möchten ... und der da mit dem kaputten Gesicht dürfte es überleben, auch wenn seine Mama ihn nicht wieder erkennen wird.« »Eigentlich habe ich keine Lust dazu, Sir, aber vielen Dank für das Angebot.« 171 »Wissen Sie was?«, sagte Dill. »Sie kümmern sich wieder um Ihre Pflichten, die darin bestehen dürften, Musth zu beschützen, und ich vergesse, dass Sie nicht daran gedacht haben, erste Hilfe zu leisten. Okay?« »Was ist mit den beiden?«, fragte Bassas und zeigte auf die Musth. »Ich werde mich um meine Freunde kümmern«, sagte Dill. »Und beim nächsten Mal geben Sie sich etwas mehr Mühe, Ihren Leibwächterjob zu erfüllen, sonst werde ich Ihnen eine private Nachhilfestunde erteilen, indem ich Ihnen den Hals umdrehe.« »Ja, Sir«, sagte Bassas und verschwand zusammen mit den anderen in der Nacht. »Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeit«, sagte Ben Dill. »Normalerweise ist diese Gegend einigermaßen sicher.« »Sssie sssind gekommen«, sagte ein Musth, »um unsss zu helfen.« »Gut beobachtet«, sagte Dill. »Und?« »Ich glaube nicht, dasss wir ssso etwasss für Sssie tun würden.« »Das würde ich auch nicht von Ihnen erwarten.« »Und wenn ich Sssie richtig verssstanden habe, sssind auch die anderen Sssoldaten und haben den Befehl, unsss zu beschützen? Ohne dasss wir davon wisssen? Ohne esss unssseren Kriegsssführern mitzuteilen?« »Das ist eine interessante Theorie«, sagte Dill. »Wir ssstehen in Ihrer Schuld.« »Schon gut«, sagte Dill gut gelaunt. »Wie können wir Ihnen diessse Schuld berechnen?« »Sie meinen, wie Sie sie abtragen können, hoffe ich.« »Dasss issst dasss Wort, nach dem ich gesssucht habe.« »Haben Sie Konföderationswährung dabei?« 172 Ein Musth kramte in einem Beutel an seinem Gürtel. »Wir haben etwasss erhalten.« »Ich hoffe, es reicht, um mir einen Drink auszugeben. Kommen Sie, wir machen einen Zug um die Häuser.« Die Musth sahen sich mit einem Ausdruck an, der möglicherweise Verwirrung war, dann folgten sie dem hünenhaften Mann zu den einladenden Lichtern des Hotels. »Meine Herren«, sagte Caud Rao. »Setzen Sie sich.« »Das ist Dr. Froude«, sagte Hedley. »Doktor«, sagte Rao, »es tut mir Leid, dass ich es bislang versäumt habe, uns miteinander bekannt zu machen, aber in letzter Zeit ging es sehr hektisch zu.« »Genauso war es an meiner Front«, sagte der Mathematiker. »Ich vermute, dies hat etwas mit dem Navigationszylinder zu tun, der von C-Cumbre geborgen wurde.« »Leider nicht, Sir«, sagte Hedley. »In dieser Angelegenheit machen wir gute Fortschritte. Es geht um etwas anderes, das wesentlich problematischer ist.« Raos Freundlichkeit verflog. »Sprechen Sie.« »Dr. Froude hat mir gesagt, kurz nachdem er sich bereit erklärt hatte, uns mit den Sternenkarten zu helfen, dass
seiner Ansicht nach die Wissenschaft in der Armee zu kurz kommt, dass wir systematischere Analysen durchführen sollten. Als sich ein neues Problem stellte, entschied ich, sein Angebot anzunehmen.« Hedley gab sich größte Mühe, in Anwesenheit seines höchsten Vorgesetzten und eines Zivilisten als Zeugen seine Ausdrucksweise zu mäßigen. »Als ich den Bericht über eine Trainingsmission der Aufklärer durchsah, ist mir etwas aufgefallen, das ich recht merkwürdig fand. Ich habe daraufhin andere Berichte überprüft, die bis zum Eintreffen der Musth zurückreichen. In 173 den meisten wurde dasselbe erwähnt wie im neuesten Bericht. Wenn Teams der Aufklärer in den Einsatz gingen, beobachteten sie häufig einen Aksai in der Nähe. Doch zu keinem Zeitpunkt kam es zu einer Einmischung oder zu einem Kontakt mit unseren Soldaten. Allerdings«, fuhr Hedley mit grimmiger Miene fort, »wurden zwei Tatsachen offensichtlich. Diese Aksai erschienen erst dann auf der Bildfläche, wenn die Einheiten ihre Korns benutzt hatten.« »Dr. Froude, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Beobachtung rein zufälliger Natur ist?«, erkundigte sich Rao. »Sie liegt so nahe bei null, dass sie getrost vernachlässigt werden kann.« »Die Musth haben unseren Standardkode geknackt«, sagte Rao. »Das ist genau die Information, die mir so kurz vor dem Mittagessen gerade noch gefehlt hat.« »Es kommt noch schlimmer, Sir«, sagte Hedley. »Ich habe die Aufklärer angewiesen, andere Kodes zu benutzen, was geschehen ist. Und in den nächsten zwei Wochen tauchten die Musth weiterhin auf, regelmäßig wie Raubtiere zur Fütterungszeit. Dann kamen sie plötzlich gar nicht mehr. Offenbar gibt es jemanden in ihrem Geheimdienst, der sich Sorgen gemacht hat, wir könnten ihnen auf die Schliche gekommen sein, sodass sie die Regeln änderten.« »Wie viele von unseren Kodes konnten die Musth entschlüsseln?« »Die meisten der einfachen Kodes«, sagte Hedley. »Außerdem unseren Notfallkode - und den Kode, der in Notfällen für die Kommunikation zwischen diesem Hauptquartier und der Planetaren Regierung benutzt wird.« »Das ist schlecht«, sagte Rao. »Das ist sehr schlecht. Ich frage mich, wie lange sie schon unsere Post lesen.« 174 »Zumindest seit der Revolte, Sir«, sagte Hedley. »Ich habe mir ein paar Fälle ihres wundersamen Auftauchens ganz genau angesehen, und in Anbetracht dessen, was wir jetzt wissen, werden sie noch wundersamer.« »Gut«, sagte Rao. »Also müssen wir unsere Kodes von Grund auf ändern.« »Ja und nein«, sagte Hedley. »Dr. Froude hat eine andere Möglichkeit vorgeschlagen, die wir unbedingt in Betracht ziehen sollten, wie ich finde.« Der Mann, der den Namen Ab Yohns benutzte, saß in einem unauffälligen Gleiter an der Straße, die am MusthKonsulat von Leggett vorbeiführte. Er hätte das Gebäude an der Küste genauso gut über eine Kamera von seinem bequemen Haus im Bergdorf Tungi knapp außerhalb von Leggett beobachten können, um seinen Gedanken nachzuhängen. Sein Auftrag war noch weit von der aktiven Phase entfernt. Aber er fand es hilfreich, wenn er seinen Feind sehen konnte - oder wenn er zumindest eine kleine Gedächtnisstütze hatte, wer sein Feind war. Er dachte über die Möglichkeiten nach, die er aufgetan hatte, und an die Befehle des Protektors Redruth. Wenn er ehrlich war, hielt er Redruth zwar nicht für einen Verrückten, aber doch für einen irregeleiteten Egomanen, auch wenn er ihm nie persönlich begegnet war. Die Musth hatten also Redruths momentane Pläne vereitelt. Na und? Es gab noch andere Momente. Und was die letzten Befehle betraf... der Agent glaubte, dass die Lage dadurch für Redruth eher noch verschlimmert wurde, vielleicht sogar unwiderruflich. Aber das sollte nicht Yohns' Sorge sein. Er rühmte sich damit, seine Aufträge stets zuverlässig auszuführen, vor175 ausgesetzt, es handelte sich nicht um Selbstmordmissionen und es gab gutes Geld. Er hatte bereits viele gut bezahlte Aufträge für Redruth ausgeführt, überall in der Konföderation, und fand es schon etwas eigenartig, dass er dem Mann, dem er ein anständiges Vermögen verdankte, niemals von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten war. Also würde er weiterhin in seinen Diensten stehen, solange die Credits flössen und keine Lebensgefahr für ihn bestand. Wenn der schlimmstmögliche Fall eintrat - was beinahe geschehen wäre, als man ihm bei seiner letzten Sendung auf die Spur gekommen war -, konnte Yohns jederzeit auf seine kleine Jacht zurückgreifen, die tief im Dschungel versteckt in einem Bunker stand. Dann würde Redruth ihm ein Schiff entgegenschicken, das ihn aufnahm, sobald er das Cumbre-System hinter sich gelassen hatte. Und was war, wenn das, was Redruth angeordnet hatte, zum Untergang von Cumbre führte? Yohns tat die Frage mit einem mentalen Schulterzucken ab. Doch ihm war keine Regung anzumerken. Das einzige Lebenszeichen des scheinbar vor sich hindösenden Mannes war das Zucken seiner Augen, die das Konsulat im Rückbildschirm des Gleiters beobachteten. Das Problem war, dass es kein realistisches Ziel gab, das groß genug gewesen wäre, um Redruths
Anforderungen zu genügen. Aber er wusste, dass es bald so weit wäre. »Sir«, meldete der Techniker, »eine Wachstation auf M-Cumbre meldet ein Schiff, das ins System einfliegt.« »Typ?«, fragte Rao. »Musth, Sir. Die Daten entsprechen dem Profil der Mut176 terschiffe, mit denen sie vor kurzem zurückgekehrt sind. Außer dass es sehr groß ist. Verdammt groß sogar.« »Kurs? »Die Flugbahn zielt genau auf E-Cumbre.« Die Welt, auf der sich der Hauptstützpunkt der Musth befand. »Weiter beobachten«, ordnete Rao an und drückte den roten Sensor. Überall auf D-Cumbre wurde Alarm gegeben, und die Soldaten der Streitmacht stellten die volle Kampfbereitschaft her. 7 Das Musth-Schiff war monströs und stellte seine Eskorte in den Schatten. Es sah wie ein archaisches Artilleriegeschoss mit »Flügeln« aus, die mit kleineren bemannten »Patronen« besetzt waren und das Schiff im Verbund mit den Antigravs stützten. Die Musth bezeichneten es als »Schlagpunkt-Kommandoeinheit«, während Menschen es als Flaggschiff einstufen würden. Da die Musth keine Gefühle für Maschinen entwickelten, hatte es keinen Namen, sondern nur eine Nummer. Es war das mobile Hauptquartier des Clanmeisters Paumoto. Es stand auf einem der großen Landefelder von E-Cumbre. Silitric, wie die Musth diese Welt nannten, war sehr erdähnlich, wenn auch etwas zu kühl für Menschen. Kleine Meere unterbrachen die hügelige Tundra und die flachen Gebirgsregionen. Jungfräuliche Wälder bedeckten das Hochland. Die Musth hatten nur drei Stützpunkte in der 177 Nähe der Berge errichtet, die zur Hälfte unterirdisch angelegt und selbst in den betriebsamsten Zeiten nur zur Hälfte besetzt waren. Bisher hatten nur wenige Musth den Drang verspürt, im Cumbre-System aktiv zu werden. In einem der Konferenzräume des Schiffes hörte Paumoto dem Bericht von Aesc und Wlencing zu. Als sie fertig waren, erhob er sich aus seiner Schwanzhocke und trat vor einen Sichtschirm, der die subarktische Landschaft zeigte. Doch er nahm das Bild gar nicht bewusst wahr, sondern ließ nur nachdenklich den Kopf hin und her pendeln. Schließlich sagte er: »Ich danke Ihnen für diese Informationen, obwohl ich gar kein unmittelbares Interesse an Ihren Aktionen habe.« »Würden Sie uns Ihre Meinung dazu anvertrauen?«, erwiderte Aesc. »Vielleicht«, sagte Paumoto. »Es könnte von Nutzen sein, wenn ich Ihnen mitteile, welche Gedanken zurzeit auf unseren Welten die Runde machen. Ihre Rückkehr nach Cumbre wird von vielen befürwortet. Vor allem Keffa und seine Anhänger sagen, dass Sie die Brücke in die unausweichliche Zukunft bauen. Natürlich denken Senza und seine Clique, dass Sie unser Volk ins Verderben führen werden, und werfen Ihnen vor, in unsere barbarische Vergangenheit zurückzukehren. Sie werden voraussichtlich den Anlass zu einem interstellaren Krieg gegen die Menschen liefern und so weiter und so fort, und sie verlangen, dass wir uns unverzüglich zurückziehen. Natürlich sind all diese Forderungen unsinnig, aber es gibt Musth, die sich aus anderen Gründen Sorgen machen und diese Fraktion unterstützen.« »Welche Seite ist mächtiger?«, fragte Aesc. »Ich möchte nur ungern auf eine Meinung festgelegt werden«, sagte Paumoto. »Aber meine Einschätzung sieht 178 so aus, dass einige der hundertzwölf Meister, die Ihre Aktion befürworteten, mittlerweile einen neutralen Standpunkt eingenommen haben. Vielleicht haben sich einige der Neutralen auch für Senzas Richtung entschieden.« »Also verlieren wir«, sagte Wlencing. »Nicht unbedingt«, sagte Paumoto. »Aber genau aus diesem Grund habe ich den Wunsch geäußert, dass diese Konferenz in meinem Schiff abgehalten wird, da es vollständig versiegelt ist. Während ich darauf vertraue, dass Sie beide meine Ansichten teilen, hege ich gewisse Zweifel hinsichtlich anderer Musth, die in Verbindung zu Senzas Fraktion stehen könnten.« »Wir sind sehr an jeder Art von Unterstützung interessiert, die Sie uns bieten können«, sagte Aesc. »Wenn etwas geschehen sollte, wenn es zu einer Art Zwischenfall käme«, sagte Paumoto vorsichtig, »etwas, das die wahre Niedertracht der Menschen demonstriert, das unser Volk bis in die Grundfesten erschüttert...« Er verstummte. Sowohl Aesc als auch Wlencing hatten die Münder geöffnet und stießen ein tiefes Zischen aus, das ihre Belustigung anzeigte. Für einen kurzen Moment spitzte er die Ohren, doch dann hatte er verstanden. »Ah! Schütte ich Salz in den Ozean?« »Wir hatten genau die gleiche Idee«, sagte Aesc. »Und da sich die Menschen äußerst unkooperativ verhalten, versuchen wir die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zwischenfalls zu erhöhen.« »Wir haben den Vorschlag, den Sie vor einiger Zeit geäußert haben, aufgegriffen und uns unter sie gemischt und
Konsssulate gegründet, wie die Menschen sie nennen«, erklärte Wlencing. »Wir haben sie absichtlich in den Teilen ihrer Städte eingerichtet, von denen wir aufgrund unserer 179 Studien des menschlichen Verhaltens vor der Revolte wussten, dass es dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zu kriminellen Taten kommt, weil sich dort die unteren Klassen konzentrieren.« »Sehr klug«, sagte Paumoto. »Wenn einem Untergebenen etwas zustößt, wäre das sehr bedauerlich für ihn, aber äußerst hilfreich für uns.« »Genau«, sagte Wlencing. »Leider haben wir es mit einem sehr gerissenen Feind zu tun. Die Menschen scheinen unsere Idee erraten zu haben, und nun sorgen ihre Soldaten unaufdringlich für die Sicherheit unserer Artgenossen.« Nun reagierte Paumoto amüsiert. »Dann soll der Hüpfer zusammen mit seinem Feind vor und zurück tanzen«, sagte er und bezog sich damit auf ein beliebtes Brettspiel. »Dadurch werden die größeren Figuren in ihrer Bewegung behindert, und das Spiel erreicht den toten Punkt.« »Ich bin mir nicht sicher, ob es so verzwickt ist«, sagte Wlencing. »Es wird sich bestimmt eine Lösung finden.« »Wir gehen sehr vorsichtig vor«, sagte Aesc. »Wir wollen vermeiden, dass wir im Falle eines Zwischenfalls Senza und seinen Milchtrinkern einen Anlass geben, es falsch zu interpretieren.« »Gut«, sagte Paumoto. »Ich möchte Sie erneut für ihre subtile Vorgehensweise loben, Systemkommandant Aesc.« »Wir können den ganzen planetaren Tag lang hier verweilen und nette Worte wechseln«, sagte Wlencing, »während nichts weiter geschieht, als dass sich die Sonne am Himmel bewegt. Ich habe eine Frage, Clanmeister. Sie sagten, sie hätten kein unmittelbares Interesse am Cumbre-System, und doch haben Sie uns ohne Vorankündigung einen Besuch abgestattet. Ich bin kein Junges mehr, das denken würde, Sie hätten es ausschließlich wegen ihres Wunsches getan, uns zu helfen.« 180 Erneut zeigte Paumoto Belustigung. »Natürlich nicht«, stimmte er ihm zu. »Meine Entscheidung, nach Cumbre zu fliegen, wurde von mehreren Faktoren beeinflusst. Bereits zuvor hatte ich geplant, regelmäßig einige der Welten zu besuchen, mit denen ich zu tun habe, und es war kein allzu großer Umweg, einen Sprung nach Cumbre einzulegen. Ein weiterer Grund ist der, dass ich von Zeit zu Zeit Interesse an der Gewinnung von Mineralien zeige, und die geologischen Berichte der reichhaltigen Vorkommen auf C-Cumbre interessieren mich ganz besonders. Aber es gibt noch einen viel dringlicheren Grund. Genauso wie Sie verachte ich die Richtung, die Senza den Musth vorgeben möchte. Er ist ein Dummkopf, wenn er nicht erkennt, dass ein Volk genauso wie ein Lebewesen entweder wächst oder stirbt. Nur in der Expansion, der kontinuierlichen Expansion bis an die Grenzen des Universums, können die Musth ihre Bestimmung erfüllen, ganz zu schweigen von den gewaltigen persönlichen Vorteilen, die ein solches Wachstum mit sich bringt. Das Cumbre-System ist nur ein Anfang. Wenn wir uns hier halten können, wenn wir die Menschen auf ihre Rolle als bescheidene Diener reduzieren können, wird für uns der Weg frei, uns über alle Welten auszubreiten, die bisher von den Menschen besetzt wurden. Wir können den Schritten der Konföderation folgen und Welten oder Systemen ausweichen, die keinen Nutzen für sie hatten. So wird uns eine goldene Welt nach der anderen in die Hände fallen. Nein, ich bin alles andere als ein Dummkopf, der denkt, es sei eine vernünftige Entscheidung, anderen ohne Eigennutz zu helfen.« »In diesem Fall«, sagte Aesc, »hätte ich einen Vorschlag, wie Sie uns unterstützen könnten, Clanmeister.« »Solange ich nicht selber einen unserer Untergebenen 181 mit einer Menschenwaffe umbringen muss, bin ich gerne dazu bereit«, sagte Paumoto. »Dieses Schiff ist beeindruckend. Vielleicht sollten wir für Sie einen Empfang auf der Menschenwelt arrangieren, für ein berühmtes Mitglied unserer Regierung«, sagte Wlencing und sprach das letzte Wort terranisch aus. »Ich verstehe die Sprache der Menschen nicht«, sagte Paumoto. »Eine Regierung ist eine Herrschaftsform, die auf einer allgemeinen Vereinbarung beruht, die die Menschen unter sich treffen oder die ihnen von jemandem mit Waffengewalt aufgezwungen wird. Diese Vereinbarung besteht darin, dass sie sich für einen längeren Zeitraum an bestimmte Verhaltensregeln halten, angeblich zum gegenseitigen Wohl. Das höchste Beispiel ist das, was sie als Konföderation bezeichnen.« »Eine absurde Vorstellung.« »Richtig. Aber das ist nun einmal ihre Denkweise.« »Das ist keine Denkweise, sondern Träumerei«, sagte Paumoto. »Aber meine Verblüffung hat mich abschweifen lassen. Natürlich sollten wir in irgendeiner Form unsere Macht demonstrieren. Ich sehe nicht, in welcher Weise das die Zeit der Abrechnung beschleunigen wird, aber wenn sie kommt - und sie muss kommen -, wird die Erinnerung an unsere Stärke sie zweifellos verängstigen, und ein bedachtsamer Feind ist bereits ein halb besiegter Feind.« »Verdammt großes Schiff«, sagte Garvin. »Ziemlich furchteinflößend und so.« »Richtig, Boss«, sagte sein Erster Tweg. »Wenn jemand, sagen wir, acht Kilo Blök genau auf die Kante dieser Finne da oben packt, die wahrscheinlich einmal quer durch die ganze Konstruktion verläuft, und dann noch einen Raub-
182 würger mitten in den Antigrav feuert, wird dieses Schiff zu einem verdammt großen Trümmerhaufen werden, wenn es runterkommt.« »Wenn ihr beiden Clowns mal kurz mit eurer Testosteronshow aufhören könntet«, sagte Njangu, »müsstet ihr einräumen, dass die bösen Jungs da oben ein verdammt dickes Ding aufgefahren haben.« Jeder in Leggett — und auf dem größten Teil der Insel Dharma - musste dasselbe einräumen. Das Musth-Schiff ragte fast genauso so hoch empor wie die Heights, in denen die Rentiers lebten. Es war nicht nur bis Chance Island sichtbar, sondern sogar bis zur fernen Halbinsel auf der anderen Seite des Golfs. Es wurde von drei Mutterschiffen flankiert, womit Leggetts Hauptraumhafen fast vollständig belegt war. »Wisst ihr, was mich am meisten wurmt?«, fuhr er fort. »Die Schiffe ihrer Eskorte sind größer als alles, was wir an Spielzeug haben.« »Wenn sie die Absicht hatten, uns zu beeindrucken«, musste Garvin ihm widerstrebend beipflichten, »ist es ihnen auf jeden Fall gelungen.« »Und du, Boss, du glückliches kleines Feimet«, sagte Njangu, »wirst noch viel mehr beeindruckt sein. Die Musth geben an Bord einen Empfang, und der Alte hat entschieden, dass die Aufklärer eine tolle Ehrengarde abgeben würden, mit weißen Handschuhen, auf Hochglanz polierten Ärschen und so weiter.« »Bei Buddhas unehelicher Mutter!«, fluchte Lir. »Wir sind doch kein Haufen trainierter Exerzieraffen!« »Immerhin können wir uns jetzt die weißen Handschuhe leisten«, spöttelte Njangu. »Was?«, wunderte sich Monique. Garvin hatte außer Njangu noch niemandem in der Aufklärungskompanie von 183 Jasiths Geschenk erzählt und warf Yoshitaro einen recht finsteren Blick zu. »Schon gut«, sagte Njangu. »Rao möchte, dass wir mit den Säbeln wedeln, weil er glaubt, er könnte vielleicht eine Schlägertruppe in seiner Nähe brauchen, die einen harmlosen Eindruck macht, ähnlich wie bei Redruth. Falls die große Party einen unangenehmen Verlauf nimmt.« »Oh«, sagte Monique und entspannte sich wieder. »Nicht schlecht. Soll ich die Leute zusammentrommeln, Boss, und mal schauen, ob sie sich noch an ihre Exerzierübungen erinnern?« »Dürfte nicht schaden«, sagte Garvin. »Sie werden begeistert sein.« »Wir haben es endlich!«, sagte Hedley. Neben ihm strahlten Ho, Froude und Heiser erschöpft Rao und Angara an. »Wir haben jeden Punkt auf den Karten der Musth und unseren in Übereinstimmung gebracht. Wir können ich habe schon ein Patrouillenschiff losgeschickt, um es auszuprobieren —, wir können jetzt ihre Koordinaten benutzen, um damit im System herumzudüsen.« »Meinen Glückwunsch«, sagte Rao. »Und was fangen wir jetzt damit an?« »Nun«, sagte Froude leicht indigniert, »wir werden diese Informationen benutzen, um andere MusthSternenkarten zu entschlüsseln, womit wir jede Menge Daten über ihre Planeten erhalten.« »Und woher bekommen wir diese anderen Karten?«, erkundigte sich Angara. »Wir stehlen sie«, sagte Heiser. »Genauso wie Ho es mit der ersten gemacht hat.« »Was ganz einfach sein wird«, sagte Rao, »sobald wir dem Tiger eine Glocke an den Schwanz gebunden haben... 184 beziehungsweise einen Tiger gefunden haben, dem wir eine Glocke an den Schwanz binden können.« »Das wäre wirklich das Einfachste«, sagte Froude. »Wir müssen lediglich in eins ihrer großen Schiffe gelangen und uns ein paar schnappen.« »Dazu braucht man nur einen guten Dieb«, sagte Heiser. Rao sah die Leute an, dann lachte er laut. Ho, die etwas mehr mit dem wahren Leben vertraut war, machte einen etwas verlegenen Eindruck. Nur Hedley war sehr nachdenklich geworden. »Das ist gar keine schlechte Idee«, sinnierte er. »Und ich glaube, ich weiß auch schon, wer diese Rolle übernehmen könnte.« »Mann!«, sagte Njangu. »Du fragst mich nie, ob ich mich freiwillig für einfache Aufgaben melde!« »Die machen weniger Spaß«, sagte Hedley. »Sich erschießen zu lassen ist auch kein Spaß«, sagte Njangu. Er studierte das Holo des Kommandoschiffs der Musth, das zwischen ihnen über dem Schreibtisch hing. »Das ist ein verdammt harter Brocken«, fuhr er fort. »Damals war ich ein ziemlich guter Einbruchskünstler, bevor die Konföderation mich zivilisiert hat. Aber in ein Alien-Schiff einzudringen, bei dem ich kaum vorne und hinten unterscheiden kann... ich glaube, meine Versicherungsprämien sind gerade mächtig in die Höhe geschossen.« »Gehen wir einfach mal rein theoretisch davon aus, dass du irgendwie in diesen Dinosaurier hineinkommst«, sagte Hedley. »Dann gehst du zum Kontrollraum...« »Der sich wo befindet?« »Ich vermute, hier an dieser spitzen Stelle, um es mit einem raumfahrttechnischen Fachbegriff zu bezeichnen.« »Wahrscheinlich«, sagte Njangu. 185 »Also müsstest du dich nur hineinschleichen«, erklärte Hedley begeistert, »dir die Sternenkarten schnappen und wieder verschwinden.« »Und wenn ich erwischt werde?«
»Das darf natürlich nicht passieren«, sagte Hedley. »Weil es verdammt peinlich für die Rao-Armee und ganz Cumbre wäre.« »Ganz zu schweigen von mir, wenn die niedlichen Schmusekätzchen mich zum Frühstück in rohe Scheiben zerschlitzen.« »Was wäre das Leben ohne ein paar Risiken? Außerdem ... kennst du vielleicht irgendeinen anderen Menschen in diesem System, der es schaffen könnte? Der einen solchen Coup möglicherweise durchziehen könnte? Nein«, beantwortete Hedley selbst die Frage. »Nein«, sagte er noch einmal, als er seinen Gedankengang plötzlich abbrach. »Es geht nicht. Vergiss die Sache. Sie ist einfach viel zu riskant, und du hättest null Chancen, damit durchzukommen.« »Ich habe deinen Trick durchschaut, Boss«, sagte Yoshitaro. »Jetzt soll ich Widerspruch anmelden und >Moment mal!< sagen. Ich habe ja nicht gesagt, dass ich es nicht machen werde, und dann würdest du mir widerwillig die Erlaubnis erteilen, Selbstmord zu begehen.« »Sehr gut«, sagte Hedley. »Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass wir dich zum Tak befördern. Du wirst immer schlauer, je mehr Zeit du in meiner Gesellschaft verbringst. « »Mistkerl!«, sagte Njangu und wandte sich von der Projektion ab, um aus dem Fenster über die Bucht auf die Musth-Schiffe zu blicken. »Wenn du mir Honig um den Bart schmierst, wird es kein bisschen einfacher, in diesen Kasten reinzukommen.« Er überlegte eine Weile. »Aber«, 186 fuhr er schließlich fort, »ich hätte da eine Idee. Nicht deine, sondern meine ganz eigene Idee.« »Ich freue mich schon auf heute Abend«, sagte Loy Kouro. »Sitzt mein Kummerbund richtig, Liebling? Er fühlt sich im Nacken irgendwie verdreht an.« »Alles bestens«, sagte Jasith, nachdem sie ihren Ehemann im großen Spiegel betrachtet hatte. »Aber ich verstehe nicht, warum du glaubst, dass es so aufregend sein wird. Ich vermute, dieser Paumoto wird ankündigen, dass die Musth keine Lust auf Fisimatenten mehr haben, sondern den Laden einfach übernehmen werden. Warum hätten sie sonst mit einem so monströsen Schiff anrücken sollen?« »Komm schon, Jasith! Du leidest unter Verfolgungswahn. Mach dir klar, dass bedeutende Persönlichkeiten im großen Stil reisen. Damit wollen sie uns nur zeigen, wie wichtig Cumbre für die Musth ist.« Jasith stellte das Rouge-Spray weg und drehte sich zu Loy um. »Was glaubst du, was heute Abend geschehen wird?« »Nicht viel«, sagte Kouro. »Zumindest nicht heute Abend. Ich wette, Paumoto will sich nur mit den einflussreichsten Menschen von Cumbre treffen und herausfinden, mit wem er welche geschäftlichen Verbindungen aufnehmen könnte. Damit trennt er die Spreu vom Weizen, wie es so schön heißt. Ich rechne damit, dass die Musth und wir, nachdem die Konföderation nun schon seit einiger Zeit von der Bildfläche verschwunden ist, bedeutende und für beide Seiten profitable Allianzen schmieden werden. Davon bin ich überzeugt, und an diese Meinung halten sich auch meine Leitartikelschreiber.« »Womit die Vorhersage dann auch ganz bestimmt ein187 treten wird«, murmelte Jasith. »Ich hoffe, dass du Recht behältst, Liebling.« Loy grinste, kam zu ihr, küsste sie auf den Kopf und rieb ihre Schultern. »Ich sehe keinen Grund, warum es nicht so sein sollte.« Jasith klammerte sich wie eine Katze an ihn. »Das fühlt sich gut an«, sagte sie mit etwas tieferer Stimme. »Schau mal nach draußen. Eine wunderbare Nacht. Zwei Monde stehen am Himmel. Wie klar es heute ist!« »So ist es.« »Vielleicht können wir uns, nachdem das Büfett alle ist, vorzeitig entschuldigen... vielleicht eine Spritztour zum Ende der Bucht machen und sehen, ob Penwith aufgeht. Oder was auch immer gerade aufgehen mag.« »Das ist eine nette Idee«, sagte Kouro. »Aber ich muss noch kurz beim Matin vorbeischauen und die Redaktion informieren, was geschehen ist. Vielleicht machen wir es, wenn anschließend noch Zeit ist.« »Wenn noch Zeit ist«, stimmte Jasith tonlos zu und widmete sich wieder ihrem Make-up. Bunte Lichter zuckten über die Hülle des Kommandoschiffs und bestrahlten Leggett und das tanzende Wasser der Bucht mit schillernden Farbeffekten. Rund um das Schiff fand sich ein Schwärm aus Limousinen und Sportgleitern ein, als die Elite von D-Cumbre eintraf. Alle waren gespannt, ob sich ihre Gastgeber als neue Herren, Verbündete oder Partner erweisen würden. Die Luke des Kommandoschiffs stand offen, und Musth hatten auf der Rampe in zwei Reihen Aufstellung bezogen. Ihre Waffengürtel waren blank poliert, und sie trugen bunte Schals, die zur Lichtshow passten. Wo die Rampe den Asphalt berührte, standen einhun188 dert Männer und Frauen der Aufklärungskompanie in steifer Haltung. Sie trugen Galauniformen mitternachtsblaue Hosen, die in langen schwarzen Stiefeln steckten, dazu hüftlange, gegürtete Jacken und Dienstkäppis. Hosen und Käppis waren mit gelben Zierstreifen und die Jacken mit gelben Schulterstücken versehen. Außerdem trugen alle Soldaten Sam-Browne-Gürtel. Auf der einen Seite steckte ein Dolch in der Scheide, auf der anderen eine Pistole im Holster. Sie waren mit weiteren Waffen ausgestattet, die bei zeremoniellen Anlässen normalerweise nicht üblich waren
— Sprenggranaten, Miniaturfeuerwaffen und Wurfmesser, die sie versteckt unter den Uniformen trugen. Garvin stand am Anfang einer Reihe, Erster Tweg Monique Lir am Anfang der anderen. Caud Prakash Rao näherte sich in Begleitung von Mil Ceil Fitzgerald, der Befehlshaberin seines Zweiten Regiments, und die Garde salutierte ihm. Er erwiderte den Gruß und ging die Rampe zum Schiff hinauf. Immer wieder rückte er seine Uniform zurecht. Offenbar fühlte er sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Es folgten zivile und staatliche Würdenträger, die sich zwischen den zwei Reihen der Ehrengarde zur Rampe begaben. Garvin sah Loy Kouro in einem altertümelnden schwarzen Abendanzug und Jasith Mellusin. Zuerst sah es aus, als würde auch sie Schwarz tragen, aber dann fing der Stoff das Licht vom Schiff auf und warf es farbig zurück. Kouro musterte Garvin von oben bis unten, bedachte ihn mit einem flüchtigen hochnäsigen Lächeln und ging weiter. Jasith, die ein kleines Stück hinter ihrem Gatten ging, schien zu stolpern. Sie hielt sich für einen kurzen Moment 189 an Garvins Arm fest, während sie an ihrem Schuh nestelte. »Danke für das Geschenk«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Ich rufe dich an«, flüsterte sie zurück. »Wir sollten uns demnächst irgendwo treffen.« »Mit oder ohne ihn?«, sagte er mit leichter Verbitterung. Jasith Mellusin richtete sich auf, sah ihn an, gab keine Antwort und ging dann weiter. Garvins Augen folgten ihr, bis er den Blick wieder geradeaus richtete. Monique Lir musterte ihn nachdenklich, doch dann glätteten sich ihre Züge, und sie war wieder der tadellose Soldat. Njangu Yoshitaro war ein Schatten im Schatten. Er trug eng anliegendes Schwarz, das von Kopf bis Fuß reichte, und weiche Laufschuhe. In einer Tasche an seiner Hüfte befanden sich ein kleiner Schneidlaser, zwei Gasgranaten, ein Messer mit mehreren Klingen und ein Wärmespürer. Er ignorierte das große Schiff im Zentrum des Landefelds und konzentrierte sich auf eins der Mutterschiffe, die es flankierten. Genauso wie bei den anderen Musth-Raumschiffen stand die Luke offen, und gelegentlich wurde es von Musth betreten oder verlassen, während die Lichter einladend in die Dunkelheit hinausstrahlten. Zwei Wachen standen am Fuß der Rampe, doch keiner widmete seinen Pflichten besondere Aufmerksamkeit. Stattdessen beobachteten sie die herausgeputzten Aliens, die das andere Schiff betraten. Von Zeit zu Zeit verließen sie die Rampe und unternahmen einen nachlässigen Rundgang um ihr Schiff, bis sie auf ihren Posten zurückkehrten und sich wieder dem Spektakel widmeten. 190 Njangu bewegte sich durch die Dunkelheit und nahm die Wachen nur aus dem Augenwinkel wahr. Zu keinem Zeitpunkt konzentrierte er seinen Blick oder seine Gedanken auf die Musth. Vielleicht war es nur Aberglaube, aber er hatte oft erlebt, dass sich ein beobachteter Polizist plötzlich ohne ersichtlichen Grund zu ihm umgedreht hatte... Er zählte mit, wie lange es dauerte, bis sie einmal das Schiff umrundet hatten. Etwa dreißig Sekunden. Genug Zeit. Njangu schlich sich so nahe wie möglich heran und kauerte sich nieder. Er war nicht mehr als ein dunkler Fleck in der Finsternis. Das Licht von den Schiffen machte jeden blind für alles, was sich außerhalb des Kreises aus Helligkeit befand. Er wartete, sah, wie sich die Wachen in Bewegung setzten, und erhob sich. Doch irgendetwas warnte ihn, und er ging sofort wieder zu Boden. Einer der Musth sagte etwas zu seinem Kollegen, worauf sie zur Rampe zurückkehrten. Njangu machte sich darauf gefasst, die Flucht zu ergreifen, doch dann beobachtete er, wie ein Wachposten auf eine Gruppe von Menschen zeigte, die sich dem großen Schiff näherten. Er fragte sich, was so faszinierend an ihnen war, dann leerte er seinen Geist und verschmolz erneut mit dem Asphalt. Die Menschen betraten das Kommandoschiff, und nun setzten die Wachen ihren unterbrochenen Rundgang durch die Nacht fort. Njangu sprang auf, lief schnell und lautlos zur Rampe, huschte hinauf und verschwand im Mutterschiff der Musth. Drinnen stoppte er, als er von einem Antigrav erfasst wurde, der vorübergehend seine Sinne verwirrte. Die Rampen verliefen nun waagerecht und nicht mehr aufwärts. Er wählte eine Richtung und eilte weiter. 191 Im Herz des Kommandoschiffs waren die dunkelgrauen Metallwände in regelmäßigen Abständen mit Bildern geschmückt, Drei-D-Projektionen ohne sichtbare Aufhängung. Manche Gäste streiften daran vorbei, ohne ihnen Beachtung zu schenken, andere studierten sie aufmerksamer und fragten sich, wie es auf den Musth-Welten aussehen mochte. Es gab Berge, hohe Gebäude mitten in der Wildnis, riesige Schiffe, die anscheinend noch größer als das waren, das sie soeben betreten hatten, etwas unappetitliche Darstellungen von Musth, die mit den blutigen Trophäen von Jagdtieren spielten, fremdartige und wunderschöne Sternenballungen, die noch kein menschliches Auge erblickt hatte, ernst wirkende Musth, die sich rätselhaften Tätigkeiten oder Pflichten widmeten, und wahllos dazwischen
gestreut Holos von Musth-Jungen, die sich in Dreier- oder Vierergruppen wie Kätzchen balgten. Caud Rao hielt vor jedem Bild inne, betrachtete es und rückte sein Revers zurecht. Mil Fitzgerald sah ihn skeptisch von der Seite an. »Wenn ich Ihr Schneider wäre, würde ich jetzt Selbstmord begehen«, sagte sie. »Lassen Sie diese dummen Sprüche«, knurrte Rao. »Dann bin ich eben ein lausiger Spion. Hedley sagte, ich sollte von allem Fotos schießen.« Erneut berührte er sein Revers, löste die winzige Kamera aus und ging weiter. Njangu folgte dem Netz der sich verzweigenden Rampen. Sie waren nicht durch Geländer gesichert, was, wie er vermutete, für eine Spezies, die Stützschwänze besaß, überflüssig gewesen wäre. Er nahm das Vibrieren des Wärmespürers an seinem Hüftknochen wahr, erinnerte sich, an einer Nische vorbei192 gekommen zu sein, und kehrte zurück, um darin mit dem Schatten zu verschmelzen. Er sah aus dem Augenwinkel einen Musth die Rampe entlanglaufen, hörte, wie eine Tür aufglitt und sich wieder schloss. Sie bewegen sich leiser als ich, dachte er verärgert. Wie Rao hatte auch Njangu eine Minikamera dabei, die alle Aufnahmen auf einer hoffentlich nicht überwachten Frequenz an einen Empfänger in einem zivilen Sportgleiter übertrug, der nicht weit entfernt parkte. Spion auf Selbstmordmission hatte Njangu die entstehende Dokumentation insgeheim betitelt. Das Schiff war riesig, hatte aber nur eine kleine Besatzung. Hinter ein paar offen stehenden Luken erkannte er abgeschaltete Maschinen oder Räume, die wie Soldatenquartiere aussahen. Ihm fiel auf, dass es keine Kojen, aber gepolsterte Fußböden gab. Njangu wunderte sich über die Leere und vermutete, dass die Musth andere Pflichten zu erfüllen hatten, wenn das Schiff gelandet war. Vielleicht war ein Teil des Personals zum Staatsempfang abgezogen worden. Mehrere Male hörte er gezischelte Laute aus verschiedenen Räumen, konnte sich aber jedes Mal vorbeischleichen, ohne bemerkt zu werden. Aus dem Korridor vor ihm drang ein tiefes Summen, und er versteckte sich schnell in einem Nebenraum. Das Summen wurde lauter, und Njangu riskierte mit schussbereiter Waffe einen Blick. Zwei Musth kamen an der offenen Tür vorbei. Beide schoben eine Stange mit einem waagerechten Aufsatz am unteren Ende vor sich her, von dem das Summen ausgingAuch Aliens müssen hin und wieder staubsaugen, dachte Njangu. Er hatte den Eindruck, dass die beiden Musth 193 schlecht gelaunt waren, als hätte man ihnen eine Strafarbeit aufgebrummt. Er wartete, bis das Summen erstarb, dann setzte er seinen Weg zur Nase des Schiffes fort. Das Essen beim Bankett der Musth war ungewöhnlich, aber schmackhaft, fand Jasith. Sie glaubte, einige Geschmacksrichtungen wieder zu erkennen, konnte die Gerichte aber nicht identifizieren, da sie von fremdartigen Gewürzen überdeckt wurden. Mitten in der Mahlzeit fiel ihr plötzlich ein, woran sie der Geschmack erinnerte. Mit einem leisen Kichern wandte sie sich an ihren Ehemann. »Das Essen ist genauso wie damals, als ich bei den Pfadfinderinnen war«, flüsterte sie, »wenn wir in die Wildnis hinausgezogen sind - zumindest haben wir es für die Wildnis gehalten - und wie die Urmenschen gekocht haben.« »Und?« »Da keine von uns richtig kochen konnte, war das meiste nur halb gar. Ich glaube, die Musth haben für diese Mahlzeit unsere Handbücher benutzt.« Loy murmelte etwas und kaute das, was er gerade im Mund hatte, systematisch durch, als würde der Bissen immer größer werden. Njangu kam an eine verschlossene Luke. Er drückte dagegen, berührte alles, was auch nur entfernt an einen Knopf erinnerte, aber sie blieb verschlossen. Wie knackt man ein außerirdisches Schloss, wenn man nicht einmal weiß, ob es mit Riegeln, Klammern, Haken oder kleinen Mäusen arbeitet, die darin herumrennen? Vor allem, wenn man nichts erkennen kann, das auch nur die leiseste Ähnlichkeit mit einem Schloss hat? 194 Dann sah er einen winzigen vertikalen Schlitz in Brusthöhe und grübelte eine Weile darüber nach. Schließlich zog er sein Messer hervor, klappte die dünnste Klinge aus und schob sie in den Schlitz. Sofort öffnete sich die Luke. Natürlich. Genau richtig für eine Musth-Kralle. Er betrat einen recht großen Raum mit einer langsam rotierenden Kugel aus hellgrauem Metall im Zentrum. Wieder kam er ins Grübeln. Die Kugel war gerade groß genug, dass ein Musth hineinpasste, aber er konnte nirgendwo einen Eingang erkennen. Eine Null-G-Trainingskapsel für Piloten? Er wusste es nicht. Eine Rampe führte in der Nähe der gekrümmten Wand in den Raum. Er wünschte sich, er hätte zur Beruhigung seiner Nerven einen Blaster mitgenommen, als er sich vorsichtig an der Wand entlang bewegte und unsichtbare Gedanken dachte. »...zwei große Völker«, übersetzte Wlencings Sohn Alikhan Paumotos Ansprache, »die sich über eine große... ahm... Entfernung begegnet sind, mit vielen Gemeinsamkeiten, mit vielen Unterschieden...« Caud Rao entspannte sich. Sein Magen fühlte sich angenehm gefüllt an. Er blendete langsam die Außenwelt aus und dachte, dass letztlich alle Lebewesen des Universums gleich waren, dass alle Führer die gleichen
bedeutungslosen Reden hielten... doch dann stutzte er. Nur wenige Politiker der menschlichen Spezies trugen Waffengürtel mit Pistolen, die Patronen verschossen, mit denen man andere ernsthaft verletzen konnte... und normalerweise waren sie nicht besonders geschickt in der Handhabung solcher Waffen. Und normalerweise trafen sie auch nicht mit Schlachtschiffen ein, wenn sie in friedlicher Absicht kamen. Plötzlich war er wieder hellwach. 195 Der Korridor weitete sich, und zu beiden Seiten waren Nischen in die Wände eingelassen. Voraus befand sich ein Durchgang, hinter dem Njangu Bildschirme, Kontrollkonsolen und eine niedrige Couch erkannte. Dann hörte er Musth sprechen und ging in Deckung. Eine andere Stimme antwortete, dann folgte Stille, nur unterbrochen vom zufriedenen Glucksen der Maschinen. Njangu hoffte, dass die Musth sich nicht häufiger als gelangweilte Polizisten umblickten, und kroch zum Ende des Korridors. Von dort warf er einen Blick auf die Brücke des Schiffs. Er sah noch mehr Bildschirme, Sitzgelegenheiten und Konsolen, die gelegentlich auf unvorhersehbare Weise blinkten, und zwei Musth. Nur ein Träumer kann auf die Idee kommen, dass niemand auf der Brücke Wache hält. Ein Musth bewegte die Tatzen über eine Konsole ohne besondere Merkmale und beobachtete die Symbole, die über ihm auf einem Bildschirm erschienen. Schiffslogbuch? Der andere konzentrierte sich auf die Holo-Projektionen von großen Maschinen. Maschinenraumwache? An einer Seite stand eine Couch, davor ein Bildschirm, der die abstrakte Darstellung eines Planeten zeigte. Eine der Sternkarten in Form halbierter Zylinder steckte in einer Aussparung unter dem Schirm. Es wäre schön, wenn diese Clowns in die Bar gehen und sich ein Bier genehmigen würden... Aber keiner der Musth schien Durst zu verspüren. Njangu überlegte, ob er sie erschießen sollte, um den Raum zu durchsuchen und sich ganz schnell aus dem Staub zu machen. Doch dann verwarf er diese Idee als töd196 liche Dummheit, die ohnehin nur mit einem Blaster funktioniert hätte. Stattdessen beschloss er, sich die Nischen genauer anzusehen. In der dritten stieß er auf eine Goldader. Im Gegensatz zu Menschen, die mit idiotischer Hartnäckigkeit überall Ordnung halten wollten, benutzten die Musth türlose Schränke. Die darin untergebrachten Gegenstände hafteten von selbst auf der Stellfläche und benötigten keine weitere Sicherung. In dieser Nische befanden sich Hunderte der Sternenkarten. Njangu fragte sich, welche er mitgehen lassen sollte, als er neben sich eine Wandkonsole sah. Daran klebten in wahlloser Anordnung ungefähr ein Dutzend Zylinder. Könnten das die am häufigsten benutzten Karten sein? Interessante Theorie. Während Njangu gleichzeitig fluchte, weil er möglicherweise zu anthropozentrisch dachte, verstaute er diese Navigationskarten in seinem kleinen Rucksack. Wenn unsere Experten mit diesen Dingern nichts anfangen können, sollen sie selber herkommen und ihr Glück versuchen. Jetzt bin ich mal gespannt, ob ich wieder nach draußen komme, ohne dass mir jemand eine Insektengranate in den Hintern jagt. Er kehrte schnell auf dem Weg zurück, den er gekommen war, und hoffte, dass ihm Überraschungen erspart blieben. Zweimal musste er sich zurückziehen und in einem Raum oder einer Nische Deckung suchen, wenn ein Musth vorbeikam. An einem anderen Raum schlich er sich langsam vorbei, als er jaulenden Lärm hörte, von dem er hoffte, dass es sich um Musik handelte. Njangu erreichte den Schleusenraum und stellte fest, dass das große Schott immer noch weit geöffnet war. Gelobt seien zahlreiche Götter, dachte er, heute hat der Laden 197 lange geöffnet. Er warf einen Blick auf seine Fingeruhr und erkannte verdutzt, dass er sich weniger als eine halbe E-Stunde an Bord des Musth-Mutterschiffs aufgehalten hatte - und nicht die halbe Nacht, wie er befürchtet hatte. Er kroch weiter und konnte die Wachen nirgendwo sehen. Am liebsten wäre er die Rampe hinunter und hinaus in die Nacht gestürmt, aber er zwang sich, nicht die Ruhe zu verlieren. Njangu ging in Deckung und wartete, bis die Wachen wieder ihre Position am unteren Ende der Rampe eingenommen hatten. Er wartete weiter, während seine Nerven schrien, bis sie ihre nächste Runde machten. Dann zwang er sich erneut zur Ruhe und schlenderte gemütlich nach draußen in die wunderbare samtschwarze Nacht. Eine Woche später beobachteten Aesc und Wlencing aus dem Innern der Zentralkuppel auf Silitric, wie Paumotos Schiff von der Oberfläche abhob, zunächst langsam, dann immer schneller emporstieg und schließlich die hohe Wolkendecke erreichte. Kurz bevor die Wolken das Schiff verschlucken konnten, ging es auf den sekundären Antrieb und verschwand. Der dumpfe Knall, mit dem die Luft in den plötzlich entleerten Raum fiel, war trotz der Isolierung des Gebäudes
zu hören. »Ich glaube, Paumotos Besuch hat unseren Plänen großen Auftrieb gegeben«, sagte Aesc. »Es sieht danach aus«, sagte Wlencing vorsichtig. »Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es mir gefällt, dass sich jemand, der so einflussreich ist wie er, für unsere Unternehmung interessiert. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich nach so langer Zeit um meine Kriegsbeute betrogen würde.« 198 »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Aesc. »Wenn Cumbre uns gehört und Paumoto mit dem kleinen Prozentanteil, auf den er Anspruch hat, nicht zufrieden ist, können wir immer noch entscheiden, wie wir mit dieser Situation umgehen.« Er neigte den Kopf. »Bis dahin müssen wir weiter unsere Pläne verfolgen. Wir müssen für zusätzlichen Druck sorgen, damit es zum geeigneten Zwischenfall kommt, den wir benötigen, bevor wir in die Endphase eintreten können.« 8 Aus dem Matin, »Loys Kourlumne«: Wie wir nach dem höchst freundlichen und ertragreichen Empfang durch den Musth Paumoto für die prominentesten Bürger Leggetts und des Cumbre-Systems (zu denen wir uns nicht ohne Stolz rechnen dürfen) vorausgesagt haben, wurden weitere Begegnungen zwischen dem Musth Aesc und verschiedenen kulturellen, ökonomischen und militärischen Entscheidungsträgern (einschließlich des Unterzeichnenden) angesetzt, um die Bindungen zwischen der Menschheit und ihren neuesten Verbündeten zu festigen, auch wenn die Musth bislang noch keine Tagesordnung angegeben haben. Diese Begegnungen werden am Dritten Tag beginnen, im systemweit berühmten Hotel Shelbourne, und sollen mindestens eine Woche andauern. Vorgesehen sind nicht nur fachliche Gespräche auf höchster Ebene, sondern auch zahlreiche soziale und kulturelle Ereignisse. Der Unterzeichnende und Verleger Ihrer Zeitung hat die 199 Ehre, von den Mitgliedern der Gemeinschaft dazu auserwählt worden zu sein, die Einführungsveranstaltung des ersten Tages zu leiten. Sie beginnt um... Njangu schaltete den Bildschirm aus. »Weißt du, Monique, der Ehemann der Exfreundin vom Boss weiß, wie man sich um Kropf und Kragen schreibt. Loys Kourlumne! Ich glaub, meine kullernden Klöten klimpern! Ich frage mich wirklich, was sie an ihm findet.« »Er sieht gut aus und hat Kohle«, antwortete Monique. »Die viel interessantere Frage ist: Was findet er an ihr? Ihr Kopf ist hohler als eine Vakuumkammer.« »Sie sieht verdammt gut aus und ist verdammt reich«, sagte Njangu. »Sogar reicher als er. Ich frage mich nur, warum etwas anderes...« Er ließ den Satz unvollendet. »Warum was?« »Ich frage mich, warum ich immer noch nicht gelernt habe, die Klappe zu halten, wenn es um Dinge geht, die mich nichts angehen«, sagte er, griff nach seinem Käppi und stand vom Schreibtisch auf. »Sag dem Boss, wenn er reinkommt, dass ich oben in der Hauptbaracke bin, falls er mich braucht.« Eine halbe Stunde später summte der Kom. »Rao-Armee, Aufklärungskompanie, Erster Tweg Lir. Was kann ich für Sie tun?« Der Bildschirm blieb dunkel. »Tak Garvin Jaarisma, bitte«, sagte eine Frauenstimme. »Ich bedaure, er ist nicht im Büro und wird frühestens in einer Stunde wieder hier sein«, sagte Lir. »Kann ich ihm eine Nachricht hinterlassen?« »Ich werde noch einmal anrufen.« Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Monique Lir dachte über die kurze Begegnung zwischen 200 Garvin und Jasith während des Musth-Empfangs nach und glaubte, ihre Stimme wieder erkannt zu haben. Dann entschied sie, dass auch sie sich Njangus Motto zu Herzen nehmen sollte. »Stadtleben«, sagte der gelangweilte Chefredakteur. »Ted Vollmer am Apparat.« »Äh, ja«, sagte der Mann auf dem Bildschirm. Sein Gesicht war genauso unscheinbar wie seine Stimme. »Ich bin Amateurfotograf... und hoffe, irgendwann Profi zu werden, vielleicht meine Bilder an Sie zu verkaufen... und ich würde gerne versuchen, eine richtig tolle Aufnahme von diesem Anführer der Musth zu machen... jetzt erinnere ich mich nicht mehr an seinen Namen... der in diesem Dingsbums-Hotel eintreffen soll. Von wo hätte ich die beste Sicht?« Vollmer wollte bereits verärgert murren, doch dann entschied er, dass er es ausnahmsweise mit Höflichkeit probieren sollte. »Es heißt, dass die Musth auf dem Luftweg eintreffen werden, um direkt an der Bucht vor dem Shelbourne zu landen. Der Bootssteg dürfte ein guter Tipp sein.« »Danke.« Die Verbindung wurde unterbrochen. »Verdammte Knipser!«, fluchte Vollmer. »Wie heißt der Musth noch gleich? In welchem Hotel? Dabei gibt es jede Menge zuverlässiger Datenquellen!« »Warum haben Sie ihm nicht gesagt, dass unsere eigenen Leute die Sache aus jedem erdenklichen Winkel
verfolgen werden?«, sagte sein amüsierter Assistent. »Schließlich handelt es sich um den großen Auftritt unseres furchtlosen Verlegers. Und dass seine Chancen, uns etwas zu verkaufen, das wir nicht schon selber im Kasten haben, gegen null tendieren dürften.« 201 »Weil an dem Tag, wenn ich so etwas zu einem freien Fotografen sage, jeder Fotograf aus unserem Team Lepra haben und mit der Kamera im Arsch herumlaufen wird, ohne die Objektivkappe abzunehmen«, brummte Vollmer. »Verdammte Knipser!« »Das mag ich so an Ihnen«, sagte sein Assistent. »Sie sind der letzte Altruist.« »Diese Musth haben einen erstaunlichen Intellekt«, stellte Dr. Heiser fest. »Ihr Zahlensystem basiert auf der Acht.« »Was spielt das für eine Rolle?«, fragte Dr. Froude. »Ein Zahlensystem ist ein Zahlensystem ist ein Zahlensystem.« »Für Sie vielleicht«, sagte Heiser. »Ich vergesse immer wieder, dass ich ein paar mehr Finger zum Zählen habe. Aber es gibt noch etwas Interessantes. Alle Sternenkarten, die wir hier haben, besitzen einen Bezugspunkt.« »Auf jeder Karte gibt es einen Bezugspunkt«, erklärte Froude geduldig. »Der echte oder magnetische Nordpol, die Entfernung von Capella/Centrum oder irgendeinen anderen Nullpunkt, der von den Kartografen oder der Regierung festgelegt wird.« »Aber die Musth benutzen einen Punkt, der das Zentrum ihres Universums darstellt.« »Und welcher wäre das?« »Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Keine der Karten, die wir gestohlen haben, reicht so tief in ihr Imperium hinein. Aber ich habe eine vorläufige Projektion erstellt, und demnach müsste die Heimatbasis ziemlich weit irgendwo da draußen liegen. Das einzige Koordinatensystem, das sich dazu verwenden lässt, ist die alte Langnes-Liste. Wenn ich schätzen sollte, würde ich auf die Sequenz 37420 tippen.« »Mit dem Langnes-System bin ich nicht vertraut.« 202 »Das müssen Sie auch gar nicht«, sagte Heiser. »Es ist eins der primitivsten Systeme, die je erstellt wurden, aber zufällig war es eine der gründlichsten Durchmusterungen. Ich erinnere mich nur deshalb daran, weil ich einen ziemlich nervigen Astronomiedozenten an der Universität hatte.« Der zunehmend verärgerte Hedley hatte dem Gespräch zugehört und die ganze Zeit den Kopf hin und her gedreht, als würde er ein Tennisturnier verfolgen. Er hatte sich schon darüber aufgeregt, dass er nicht mehr als die Karten und Raos amateurhafte Schnappschüsse und eine grobe Übersetzung von Paumotos Rede hatte, die herzlich wenig hergaben, wenn es um eine geheimdienstliche Einschätzung ging, was der Besuch der Musth möglicherweise zu bedeuten hatte. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich so furchtbar bodenständige Dinge anspreche«, sagte er. »Aber haben Sie es nun geschafft, die Sternenkarten zu übertragen, wie Sie es mit den ersten Karten gemacht haben, oder nicht?« »Gewiss«, sagte Froude leicht indigniert. »Ich sagte doch, dass es keine Probleme gegeben hat, nicht wahr?« »Und welche Informationen konnten Sie aus den Karten gewinnen?« »Ach... wir haben jetzt sechzehn, vielleicht sogar zwanzig oder mehr der von den Musth besiedelten Systeme«, sagte Heiser. »Schade ist nur, dass keine dieser Welten in unserer Nachbarschaft liegt. Sehr interessant ist auch das Muster, nach dem sich ihr Imperium ausgebreitet hat, wenn Dr. Froudes Übertragungen korrekt sind. Demnach springen sie ohne erkennbare Logik von Cluster zu Cluster, als würden sie das Ziel ihrer Expeditionen auswählen, indem sie die Koordinaten würfeln - oder Dartpfeile auf eine Sternenkarte werfen.« 203 »Wenn wir diesen Punkt mal außer Acht lassen«, sagte Hedley, »hätten wir dann mit diesen Karten potenzielle Angriffsziele, wenn oder falls es zum Krieg kommt?« » Wenn es zum Krieg kommt... sicherlich«, sagte Froude. Die Betonung gefiel Hedley nicht besonders. »Dann fehlt uns nur noch ein Sternenschiff, um an diese Koordinaten zu springen«, sagte er. »Etwas Besseres als die Rostbeulen, die wir im Dschungel versteckt haben.« »Darin sehe ich kein unlösbares Problem«, sagte Froude zuversichtlich. »Sie haben doch einen äußerst geschickten Dieb zu Ihrer Verfügung, nicht wahr?« Hedley fielen mehrere mögliche Erwiderungen ein, erkannte aber, dass keine der Situation wirklich angemessen war. Gottes Segen für Majormunroe, dachte der Mann, der sich Ab Yohns nannte, als er sein Werk bewunderte und der Persönlichkeit gedachte, die vor langer Zeit eine interessante Entdeckung über die Richtung, in die sich Explosionen lenken ließen, gemacht hatte. Sein Werk schien auf den ersten Blick nicht mehr als ein Stück Treibholz zu sein, das sich zwischen zwei Pfeilern der Anlegestelle verklemmt hatte. Wirklich sehr hübsch, dachte Yohns. Praktisch unmöglich zu durchschauen. Du bist gar kein schlechter Handwerker, wenn ich das mal von mir selbst behaupten darf. Er schloss das Visier seines Helms, tauchte ab und schwamm unter Wasser davon, zurück zu seinem Boot, das in einem Jachthafen in der Nähe ankerte. »Hier ist Tak Jaansma«, sagte Garvin. Der Bildschirm wurde hell und zeigte Jasith. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Garvin, als
würde 204 er sich zum ersten Mal in seinem Leben im freien Fall befinden. »Hallo.« »Hallo«, sagte er und bemühte sich, neutral und professionell zu klingen. »Ich habe schon gestern versucht, dich anzurufen, aber da warst du nicht da«, sagte Jasith. »Ich habe dir keine Nachricht hinterlassen.« »Mein Erster Tweg sagte, dass sie eine anonyme Anruferin am Kom hatte«, sagte Garvin. »So viele weibliche Bewunderer habe ich nicht, also habe ich mir schon gedacht, dass du es warst.« »Könnten wir uns irgendwo treffen... irgendwann?«, fragte sie. »Ich muss mit dir reden.« »Ich wusste gar nicht, dass wir noch irgendetwas gemeinsam haben«, sagte Garvin. Jasith errötete. »Warum tust du jetzt so verdammt selbstgerecht?«, fuhr sie ihn an. »Es gibt nun einmal Menschen, die nicht immer ganz genau wissen, was sie tun, und wenn ihnen die Dinge über den Kopf wachsen, tun sie Sachen, die sie nicht tun sollten. Ist dir so etwas noch nie passiert?« Garvin stand ebenfalls kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, doch dann riss er sich zusammen. So etwas war ihm schon passiert. Und er erinnerte sich schuldbewusst an eine Situation während seines Einsatzes als verdeckter Ermittler unter den 'Rauhm, als auch er sich einen Ausrutscher erlaubt hatte... wobei sein schlechtes Gewissen allerdings nur für einen winzigen Moment gezuckt hatte. Er nahm einen sehr tiefen Atemzug. »Du hast Recht, Jasith. Es tut mir Leid. Ich glaube, ich habe mich ziemlich mies verhalten.« Jasith leckte sich über die Lippen. »Ich würde dich wirk205 lieh gerne wieder sehen... mit dir reden, wann immer du dich freimachen kannst.« Garvin dachte nach. »Ich könnte mir morgen Vormittag freinehmen. Oder wäre das zu früh?« »Nein«, sagte Jasith. »Das passt gut. Loy wird den ganzen Tag lang mit dieser Musth-Konferenz beschäftigt sein.« »Sag, wo.« Garvin hatte das Gefühl, dass sich etwas in ihm regte. »Ich brauche niemanden, um darüber zu reden, was ich tue«, sagte sie. »Obwohl... Ich möchte einfach nur mit dir reden. Glaube ich. Vielleicht das eine oder andere erklären.« »Wie ich schon sagte, such dir einen Treffpunkt aus.« »Erinnerst du dich an den Strand, zu dem wir manchmal geflogen sind?«, sagte Jasith. »Ein gutes Stück hinter dem Raumhafen?« »Klar.« »Wie wäre es damit? Vielleicht in diesem kleinen Restaurant?« Garvin erinnerte sich noch sehr gut an das Lokal. Dort hatten sie einen ganzen Abend verbracht, sich einfach nur gegenübergesessen, sich gegenseitig angeschaut und kaum ihre Getränke berührt, obwohl sie trotzdem berauscht gewesen waren. »Ich werde da sein«, sagte er. »Wann?« »Um neun... nein, sagen wir um zehn. Nachdem die Konferenz begonnen hat.« Ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand Jasith vom Bildschirm. Garvin starrte noch eine ganze Weile darauf, dann schaltete er den Kom ein. »Monique, mach bitte Njangu ausfindig und sag ihm, dass er morgen Vormittag Bereitschaft hat. Ich habe etwas in Leggett zu erledigen.« 206 Der Musth-Gleiter kam im Tiefflug über die Heights heran, von zwei Aksai in etwas größerer Höhe eskortiert. Er sah fast wie ein handelsüblicher Gleiter der Menschen aus, aber er war schlanker und größer, die Windschutzscheibe stand schräger, und die Seiten und das Heck sowie die vier Waffenmündungen waren zusätzlich gepanzert. An Bord befanden sich fünf Musth: Aesc, sein Hauptadjutant, zwei Leibwächter und der Pilot des Gleiters. Als das Gefährt die Küste erreicht hatte, senkte es sich auf Meereshöhe herab, und die Aksai kehrten zum MusthStützpunkt im Hochland zurück. Es war ein klarer Tag, der gutes Wetter versprach, und die Wellen schwappten sanft auf den weißen Sandstrand. Der Gleiter folgte dem Meeresufer, bis er kurz vor dem Shelbourne verzögerte und langsam auf den Pier an der Rückseite des Hotel zuschwebte. Am Hintereingang wartete eine Hand voll Würdenträger, weitere Personen saßen drinnen im Restaurant. Der Gleiter hielt neben einer Aussparung im Geländer an und wurde von der morgendlichen Brise gegen den Pier gestoßen. Einer der Leibwächter schob eine kurze Planke aus dem Rumpf des Gleiters, und Aesc trat nach draußen. Er hatte die Hälfte der Strecke vom Gleiter zum Shelbourne zurückgelegt, als Ab Yohns, der alles durch ein Hochleistungsteleskop auf einem hohen Dach ein Stück weiter an der Küste beobachtete, auf einen Sensor drückte. Die Bombe, die fast zehn Kilo Telex enthielt und in einem unscheinbaren Stück Treibholz unmittelbar unter der
Anlegestelle versteckt war, explodierte senkrecht nach oben, genau wie Yohns es mit der speziellen Form der Sprengladung beabsichtigt hatte. Sie erwischte Aesc, zerfetzte seinen Körper und ließ den 207 Gleiter abtreiben. Der Pilot kämpfte darum, ihn wieder in seine Gewalt zu bringen, bis das Gefährt ins Wasser stürzte. Aescs Adjutant und ein Leibwächter wurden durch die Druckwelle getötet. Ab Yohns ließ das Teleskop und den Sender in eine gepolsterte Tasche fallen, klappte sie zu und drehte den Griff. In zehn Minuten würde die Sprengladung zünden und sämtliche Elektronik in der Tasche vollständig zerstören. Er ging mit schnellen Schritten zur Treppe und machte sich an den Abstieg. Jetzt wirkte er wie ein Geschäftsmann, der über geschäftliche Dinge nachdachte. In spätestens anderthalb Stunden würde er wieder in seiner Villa sein. Yohns' Konstruktion war keineswegs perfekt. Die Energieentfaltung zertrümmerte außerdem ein Fenster und ließ Glasscherben über die Menge regnen. Mehrere Personen mussten wegen kleinerer Verletzungen medizinisch behandelt werden. Loy Kouro stand hinter einem Vorhang, der die Glassplitter abhielt und ihn vor den Folgen der Explosion abschirmte. Er ging zu Boden und blieb eine Weile liegen, bis er erkannte, dass es vorbei war - was auch immer geschehen sein mochte —, und sich wieder erhob. Ohne die Klagen der Verletzten zu beachten, rief er nach den Reportern, die er beauftragt hatte, über die Konferenz zu berichten. Der Matin musste als erstes Medium etwas über die Gräueltat bringen. Jasith Mellusin saß an den Kontrollen ihres Sportgleiters, als sie eine schmutzig graue Rauchwolke vom Ozean auf208 steigen sah und durch die offenen Seitenfenster den hallenden Donner der Explosion hörte. In unmittelbarer Nähe erkannte sie den Shelbourne-Komplex und hatte im nächsten Moment Garvin vergessen. Loy war dort. Sie stieß ein leidvolles Stöhnen aus, dann zwang sie sich dazu, den Kurs in Richtung Hotel zu ändern. Auch Garvin hörte den Knall, reckte den Hals und sah ein gutes Stück entfernt die Wolke, die von der Küste aufstieg. Er zögerte kurz, während ihm klar wurde, dass bei der Konferenz mit den Musth etwas Schreckliches geschehen sein musste. Er hatte jetzt keine Zeit für Jasith mehr und eilte so schnell wie möglich zum Shelbourne. Die Aksai mussten ständigen Kontakt zum Musth-Gleiter gehalten haben, denn nur wenige Augenblicke später kehrten sie in schnellem Flug über die Stadt zurück und stürzten sich auf das Hotel. Mehrere Menschen sahen die Schiffe und dachten, sie würden angreifen, aber die zwei Kampfjäger kreisten im Tiefflug über dem Wrack des Gleiters, dann stiegen sie wieder auf und standen fast reglos am Himmel - ob vor Entsetzen oder Trauer, konnte niemand sagen. Kriegsherr Wlencing, der sich auf Silitric aufhielt, hörte nach wenigen Minuten von der Katastrophe. Er befahl für sämtliche Musth innerhalb des Systems den Alarmzustand und forderte ein Mutterschiff an, das ihn nach DCumbre bringen sollte. Für einen kurzen Moment machte er sich die Ironie des Geschehenen bewusst, dann konzentrierte er sich auf seine Aufgaben. 209 Die Musth hatten ihren Zwischenfall bekommen, und er war sogar noch spektakulärer als erhofft ausgefallen. 9 Die Musth überrollten das Cumbre-System wie ein Tsunami. Und nun - viel zu spät - fand der Geheimdienst der Armee heraus, was sich an Bord der Mutterschiffe befand. Es waren die bereits vertrauten Aksai, die wie Schwalben über den Himmel flitzten, dazu größere, an Haie erinnernde Zerstörer, die als Velv bezeichnet wurden, und flache, schwer bewaffnete Truppentransporter, die Wynt, die wie eine vergrößerte Ausgabe der Griersons und fast so schwer bewaffnet wie die Zhukovs waren. Sie beherrschten den Luftraum über den größeren Städten von D-Cumbre und über den Zentralen der Bergbaugesellschaften auf C-Cumbre, während die Velv systematisch die Wachstationen auf den Monden von D-Cumbre übernahmen. Wlencings Plan war wie erhofft aufgegangen. Das Cumbre-System fiel den Musth kampflos in die Tatzen. Den Männern und Frauen der Legion blieb nichts anderes übrig, als staunend zu den Fluggefährten der Musth aufzublicken, die über Camp Mahan kreisten. Eine Raketenstation wurde hastig besetzt, doch als die Startrampe aus dem unterirdischen Bunker ausgefahren wurde, rasten ihr Luft-Boden-Raketen entgegen, und die Station verging zusammen mit den Soldaten in mehreren Explosionswellen. 210 Wlencings Mutterschiff landete im Park neben dem neuen Gebäude der Planetaren Regierung, wobei
Gartenanlagen, Bäume und das vor kurzen eingeweihte Denkmal für die Toten des 'Rauhm-Aufstands zertrümmert wurden. Aksai kreisten in enger Formation über dem Gebäude, während Wynt auf der Auffahrt landeten und MusthKrieger mit schussbereiten Waffen ausspuckten. Die Schleuse des Mutterschiffs öffnete sich, und Wlencing und seine Adjutanten marschierten in der merkwürdigen V-Formation heraus, die bei den Musth üblich war. Sie begaben sich direkt ins Regierungsgebäude, ohne auf die überall verstreuten Leichen zu achten - Sicherheitswächter, die ihre Befehle befolgt hatten und in Erfüllung ihrer Pflicht gestorben waren. Wlencing betrat den Hauptsaal, in dem sich etwa fünfzehn Ratsmitglieder versammelt hatten, um über die Krise zu diskutieren, die durch Aescs Tod ausgelöst worden war. Es herrschte große Unruhe, und die Gesichter der Menschen waren ungewöhnlich blass. Wlencing machte sich auf den Weg zum Sprecherpodium. Ein korpulenter Mann knurrte einen Tadel und kam auf ihn zu. Zwei Musth-Pistolen glitten aus den Holstern, und der Mann wich mit erhobenen Händen zurück. Wlencing tat, als wäre nichts geschehen, und trat ans Podium. »Im Namen meinesss Volkesss, unssserer Bessstimmung und unssseres Schicksssalsss nehme ich dasss CumbreSssyssstem und allesss, wasss sssich darin befindet, für mein Volk in Besssitz. Jede Regierung und Verwaltung erkläre ich hiermit für ungesssetzlich, sssofern sssie nicht ausssdrücklich von mir zugelasssen wird. Von den Menschen erwarte ich, dasss sssie uneingeschränkt den Befehlen gehorchen, die ich oder meine Krieger erteilen. Die Ssstrafe für Ungehorsssam oder Widerssstand ist der Tod.« 211 Jo Poynton, die sich im Hintergrund des Saals aufhielt, schlüpfte lautlos hinaus und machte sich eilig und unauffällig auf den Weg nach Eckmuhl, zu den Ruinen des 'Rauhm-Ghettos. Von dort hatte sie schon einmal einen Freiheitskampf geführt, und nun schien es, dass sie es erneut tun würde. Sie wusste, dass es weitere 'Rauhm gab, die nicht ums Leben gekommen waren, als Tod und Verderben in Eckmuhl regiert hatten. Außerdem hatten sie niemals ihre Waffen abgegeben, sondern sie in geheimen Verstecken deponiert. Sie wären für den Kampfbereit. Zwei Wynt senkten sich auf das Dach des Mafin-Verlagsgebäudes herab, und zwei Kampfformationen der Musth strömten über die Seitenrampen nach draußen. Sie drangen durch die Tür ins Treppenhaus ein, stiegen zwei Stockwerke tiefer und stürmten die Chefetage des Medienkonzerns. Jemand stammelte eine Frage, doch der Anführer der Musth ging nicht darauf ein. »Loy Kouro«, befahl er, und ein vor Angst zitternder Redakteur führte ihn zu Kouros großem Büro. Der Verleger kam langsam mit erhobenen Händen heraus. Anscheinend erwartete er, an Ort und Stelle hingerichtet zu werden. »Sssie verfügen über Sssendekapazitäten für eine Notfallsssituation?« Es dauerte einen Moment, bis Kouro begriff. »Ja.« »Und esss issst technisch möglich, andere Holosssender an Ihr Sssyssstem zu koppeln?« »Wir können eine Zusammenschaltung vornehmen«, sagte Kouro widerstrebend. »Aber eine solche Maßnahme 212 muss von der Regierung genehmigt und koordiniert werden.« »Wir sssind jetzt die Regierung«, sagte der Musth. »Führen Sssie unsss zu diesssen Anlagen.« Kouro zögerte, und der Musth hob seine Pistole. »Folgen Sie mir«, sagte er eilig. »Lasssen Sssie Techniker kommen, die die Geräte bedienen können.« Die meisten Korns auf D-Cumbre waren eingeschaltet, von den Heights bis zu den kleinsten Dörfern. Überall warteten die Menschen darauf, dass man ihnen sagte, was geschehen war. Aber es waren nur die normalen Unterhaltungsprogramme zu sehen. Die Nachrichtenholos schwiegen oder spielten Musik. Dann wurde auf allen Kanälen gleichzeitig das Programm unterbrochen. Ein Bild des getöteten Aesc wurde gezeigt. Dazu sprach eine klare, metallische Stimme. »Menschen von Cumbre. Sie haben ein schweres Verbrechen gegen uns begangen. Wir, die Musth, haben vieles erduldet, von Verleumdung über Raub bis Mord. Trotz unserer wiederholten Warnungen, sowohl an die Bürger als auch an die Regierung, haben diese Vergehen nicht aufgehört. Jetzt ist der Tag der Abrechnung gekommen. Von diesem Moment an unterstehen alle Planeten im CumbreSystem der Verwaltung der Musth. Wir fordern alle Menschen auf, die Ruhe zu wahren und keine unüberlegten Handlungen gegen uns zu unternehmen. Jeglicher Versuch des Widerstands wird mit den schwersten Strafen beantwortet. Jedes Vergehen wird mit dem Tod geahndet, sowohl für den Täter als auch für seine 213 Komplizen. Jeder, der in irgendeiner Form eine gegen uns gerichtete Aktion unterstützt, wird ebenfalls mit dem unverzüglichen Tod bestraft, und sein Besitz wird vollständig konfisziert.
Wir befehlen allen Menschen, ihre tägliche Routine fortzusetzen. Melden Sie sich an Ihren Arbeitsplätzen, als wäre die Situation völlig normal. Darüber hinaus treten Notstandsgesetze in Kraft, die strikt befolgt werden müssen. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang gilt eine Ausgangssperre für alle Menschen. Es ist Ihnen nicht erlaubt, sich in Gruppen von mehr als zehn Personen zusammenzufinden, außer im Rahmen Ihrer üblichen Arbeit. Sämtliche privaten Waffen müssen bei Ihrer nächsten Polizeiwache abgegeben werden. Alle Polizisten werden aufgefordert, sich dem Befehl der Musth zu unterstellen und ohne Widerspruch jede Anweisung zu erfüllen. Alle Mitglieder des Militärs sollen sich in ihren Kasernen melden, wo sie festgehalten werden, bis wir über die Verwendung der Truppen entschieden haben. Alle Luft- und Raumfahrzeuge sollen unverzüglich zu ihrer Heimatbasis zurückkehren, dort landen und auf weitere Befehle warten. Denken Sie daran, dass wir Musth nur den Frieden wünschen. Befolgen Sie unsere Befehle, dann werden Sie Ihren Platz in einer großartigen Zukunft finden.« Auf dem unterteilten Bildschirm in Caud Raos Büro waren vier Gesichter zu sehen - die seiner Regimentskommandanten. »Was werden wir tun, Sir?«, fragte Mil Fitzgerald. Rao atmete tief durch. »Es gibt nichts, was wir tun könnten«, sagte er betrübt. »Zumindest nicht zum gegenwärti214 gen Zeitpunkt. Wir haben den Befehl zur Kapitulation erhalten. Wir holen die Fahne ein und tun, was sie uns sagen. Alle Soldaten bleiben in den Kasernen, außer zum Essenfassen. Kein Urlaub, kein Ausgang. Lassen Sie Ihre Unteroffiziere regelmäßige Rundgänge machen, damit niemand die Gelegenheit erhält, einen Privatkrieg anzuzetteln. Bewahren Sie die Disziplin, halten Sie Ihre Soldaten im Griff, und geben Sie den Aliens nicht den kleinsten Anlass, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Behalten Sie vor allem die bekannten Hitzköpfe im Auge. Bestrafen Sie sie nicht, aber lassen Sie auch nicht zu, dass sie etwas anfangen, das die Streitmacht niemals zu Ende bringen kann.« Mil Chel Reese, Befehlshaber des Ersten Regiments, verzog das Gesicht. »Gibt es keine anderen Möglichkeiten?« Rao schüttelte traurig den Kopf. »Was sollen wir tun?«, fragte Dr. Froude. Dec Ho Kang dachte eine Weile nach. »Wir sollten auf jeden Fall verhindern, dass unsere Arbeit von den Musth zunichte gemacht wird. Am besten sammeln wir alle Karten und alle Datendisks ein. Sofort. Wir werden Sie beide irgendwo verstecken, wahrscheinlich drüben auf Mullion.« Die zwei Wissenschaftler führten eilig ihre Anweisung aus. Ho Kang tippte eine Zahlenfolge in den Kom. »Wäschereidienst«, sagte eine Stimme mit besorgtem Unterton. »Hier ist Dec Ho Kang von der Sektion II«, sagte sie. »Drei von uns werden zu Ihnen rüberkommen. Wir haben Material dabei, von dem in nächster Zeit niemand erfahren sollte.« »Zum Beispiel pelzige Geschöpfe?«, fragte die Stimme, die wieder zum Leben zu erwachen schien. 215 »Die Leitung könnte angezapft sein«, warnte Ho. »Aber Ihr Verdacht trifft ins Schwarze.« »Das lässt sich hinkriegen«, versprach die Stimme. »Wir haben schon haufenweise Suff gebunkert, und noch nie hat jemand Stielaugen gemacht. Wer's doch versucht, wird im Dunkeln leuchten. Wenn es kleiner als ein Grierson ist, wird hier niemand danach suchen.« »Scheiß auf das Gequatsche!«, regte sich Cent Elles auf. »Wir sollen einfach hier herumsitzen und uns von ihnen über den Haufen rennen lassen?« »Das haben sie bereits getan«, sagte Ben Dill ruhig. »Und genau das sind unsere Befehle.« »Scheiß auf die Befehle!« Elles blickte sich im Bereitschaftsraum um und durch das Fenster auf die geheime Dschungelbasis auf der Insel Mullion. »Ich sage, dass wir es den verdammten Musth heimzahlen sollten! Vielleicht machen sie uns fertig, aber dann haben wir wenigstens ein paar von ihnen mitgenommen!« »Das ist nicht das, was Caud Rao angeordnet hat«, sagte ein Tak. »Ich bin hier der Stützpunktkommandant, verdammt!«, erwiderte Elles. »Wir werden Folgendes machen. Bemannt alle Schiffe, startet, sucht nach Schiffen oder Truppen der Musth und tötet sie. Schüttelt mögliche Verfolger ab, kehrt hierher zurück, um neuen Treibstoff und neue Munition an Bord zu nehmen, und startet zur nächsten Mission.« »Und was sollen wir tun, wenn uns zu viele auf den Fersen sind, um sie abschütteln zu können?«, fragte Dill. »Sollen wir riskieren, dass sie diesen Stützpunkt finden, oder sollen wir einfach kapitulieren und es drauf ankommen lassen?« »Die Existenz dieser Basis darf unter keinen Umständen 216 bekannt werden«, sagte Elles. »Handeln Sie entsprechend nach eigenem Ermessen.« Er griff nach einem Mikro und drückte den roten Sensor, der sämtliche Lautsprecher des Stützpunkts aktivierte. »Ah, Sir«, sagte Ben Dill. »Da wäre noch etwas.«
»Was denn?«, gab Elles verärgert zurück. Dills Schlag traf ihn genau ins Zwerchfell, und Elles klappte schnaufend zusammen. Ben ließ eine Faust auf sein Genick niedersausen, dann war der Offizier endgültig außer Gefecht gesetzt. Der hünenhafte Tak schaltete das Mikrofon ab, betrachtete den Stützpunktkommandanten und schüttelte traurig den Kopf. »Ich glaube, das war ein strafwürdiges Vergehen«, sagte er. »Das könnte den guten Ben seine Streifen kosten.« »Eine Degradierung ist immer noch besser als sinnloser Selbstmord«, sagte ein anderer Pilot. »Vor allem, da ich nicht glaube, dass wir auch nur fünf Meter weit fliegen können, ohne sofort ausgelöscht zu werden.« »Das mag sein«, sagte Dill. »Aber das ist das erste Mal, dass ich mich vor einem Kampf gedrückt habe, und es hinterlässt einen ziemlich üblen Nachgeschmack.« »Ich bin kein glücklicher Soldat«, sagte Garvin Jaansma leise. »Halt die Klappe«, sagte Njangu. »Wir sind schwierige Fälle, weißt du noch? Keine sentimentalen Weicheier.« Die beiden standen in Kampftarnanzügen und voller Bewaffnung am Rand des Exerzierplatzes von Camp Mahan. Vor ihnen erhoben sich drei Fahnenstangen. An der mittleren wehte die Flagge der Konföderation, an den anderen die Standarte der Streitmacht und die Flagge von Cumbre. Der Wachoffizier im Rang eines Dec und die Abordnung 217 der Wachtruppen salutierten, als eine siebenköpfige Gruppe zu den Fahnenstangen marschierte, die Leinen löste und damit begann, die Fahnen einzuholen. Ein Hornist stand mit seinem archaischen Instrument bereit. Ein lauter Ruf hallte über den Exerzierplatz. »Halt!« Ein Mann mit einem Blaster sprang hinter einem Gebäude hervor. Er war in den Vierzigern, ergraut und abgebrüht. Er kam Njangu bekannt vor, und nach kurzer Überlegung fiel es ihm ein. Der Name des Mannes war Barker -nein, Barken, ein altgedienter Soldat, der mit der Streitmacht eingetroffen war, als sie im CumbreSystem stationiert worden war. Barken hatte Streifen getragen, sie verloren und wieder zurückbekommen. Er galt als guter Kämpfer und hatte sich bei der Revolte mehrere Auszeichnungen verdient, war erneut befördert und wegen zweiwöchiger Dauertrunkenheit wieder degradiert worden. »Halt, verdammt noch mal!« Er feuerte eine Kugel in die Luft, und alle erstarrten. »Wir werden die verdammte Fahne nicht einholen, sage ich!« Als er sich wankend der Wachabordnung näherte, bewegte sich die Hand des Dec zur Pistole, die er am Gürtel trug. »Stehen bleiben, Soldat«, rief er zurück. »Lassen Sie die Waffe fallen und rühren Sie sich nicht!« »Stecken Sie sich diesen Befehl in den Arsch... Sir!«, sagte Barken. »Ich bin seit über zwanzig Jahren in der Streitmacht, und wir haben niemals vor irgendwem kapituliert. Also werden wir auch jetzt nicht damit anfangen!« »Sie widersetzen sich einem Befehl!« »Niemand sollte diesen beschissenen Befehlen gehorchen! Wer sind wir? Schlappschwänze, die einknicken, ohne sich auch nur mit dem kleinen Finger zu wehren? Was zum Henker ist hier los?« 218 Eine weitere Kugel pfiff über die Köpfe der Wachen hinweg. »Soldat, ich habe Ihnen einen rechtmäßigen Befehl erteilt«, gab der Wachkommandant zurück. »Lassen Sie den Blaster fallen!« Er öffnete das Holster, in dem seine Pistole steckte. »Halten Sie die verdammte Klappe, Sir!«, rief Barken. »Wir werden die Fahne nicht einholen, solange mich niemand erschießt.« Der Offizier hatte seine Waffe halb aus dem Holster gezogen. Einer — vielleicht auch beide - würde die nächsten Sekunden nicht unversehrt überstehen. »Halt!«, rief Garvin und war selber über seine Initiative überrascht. Mit der Waffe in der Hand lief er auf den Platz. Sowohl Barken als auch der Wachoffizier wandten sich ihm zu. »Was zum Teufel machen Sie da, Tak?«, rief der Wachoffizier. Garvin ging nicht darauf ein. »Barken, werfen Sie die blöde Waffe weg!« Barken zog eine finstere Miene und schien etwas sagen zu wollen. »Folgen Sie seinem Rat«, sagte Njangu völlig ruhig. Er stand neben Garvin und hatte ebenfalls seine Waffe gezogen, die er jedoch mit dem Lauf nach unten entspannt in der Hand hielt. »Sie setzen auf ein verlorenes Spiel.« Barken kniff die Lippen zusammen, dann erschlaffte er und warf den Blaster fort. Klappernd fiel die Waffe auf den Asphalt. »Danke, Tak...«, sagte der Wachoffizier. »Seien Sie still«, sagte Garvin. Er wusste nicht, was er tat oder warum er es tat, aber er war sich sicher, dass er mindestens genauso viele Vorschriften wie Barken verletzt hatte. 219 »Tweg, holen Sie die Fahne ein. Und der Hornist wird heute nicht spielen. Es gibt weder einen Triumph- noch
einen Klagegesang.« Der Hornist nickte zitternd und klemmte sich sein Instrument unter den Arm. Der Unteroffizier, der für das Fahnenritual verantwortlich war, wirkte verwirrt. Garvin nickte ihm zu. »Führen Sie Ihre Befehle aus, Tweg!« Der Unteroffizier gehorchte, und die Leinen glitten über die Rollen, die in der Stille ungewöhnlich laut quietschten. »Sie«, sagte Garvin und zeigte auf zwei Männer. »Holen Sie die Flagge von Cumbre ein.« »Ja, Sir«, sagte einer. »Die anderen«, fuhr Jaansma fort, »übernehmen die Flaggen der Konföderation und der Streitmacht. Zerschneiden Sie sie.« »Sir?« Njangu hörte ein Geräusch, wirbelte herum und sah, wie einer der Wachmänner heimlich seinen Blaster von der Schulter nahm. Njangu feuerte, und der Schuss sprengte unmittelbar hinter dem Mann ein metergroßes Loch in den Boden. Er zuckte zusammen und ließ die Waffe fallen. »Bleib ganz ruhig, mein Freund«, sagte Yoshitaro mit sanfter Stimme. »Es kann nur interessanter werden.« »Sie haben meinen Befehl gehört«, sagte Garvin. »Zerschneiden Sie die Fahnen in kleine Stücke. Jeder Anwesende soll eins davon bekommen.« Er drehte sich zur Wachabordnung um, ohne sich zu vergewissern, ob seine Anweisung befolgt wurde. »Ich will, dass jeder von Ihnen ein Stück dieser Fahnen an sich nimmt und niemals vergisst, wofür sie stehen. 220 Wenn es für Sie zu schwer ist, sie ständig bei sich zu tragen, geben Sie Ihr Stück an einen Freund weiter, an jemanden, der zum Kämpfen bereit ist. An jemanden, der es sich von niemandem, weder Musth noch Mensch, kampflos abnehmen lässt. Heute haben wir die Schlacht verloren. Aber dies ist nicht das Ende des Krieges. Dies ist erst der Anfang.« 10 »Es gibt einen Unterschied zwischen einem verirrten Hitzkopf und einem Krieger, meine jungen Offiziere«, sagte Caud Rao kalt zu den beiden Taks. »Verstehen Sie nicht, dass Sie diese Männer beinahe zu einer Meuterei provoziert haben?« Garvin wollte etwas sagen, doch dann machte er den Mund wieder zu. Njangu stand neben ihm. Beide trugen Galauniformen und waren zu Statuen erstarrt. »Sprechen Sie«, sagte Rao. »Eigentlich war es eine rhetorische Frage, aber ich bin neugierig, wie Sie mir darauf antworten werden.« »Ja, Sir«, sagte Garvin. »Vielleicht hätte es so kommen können. Aber ich habe gesagt, dass jetzt nicht die richtige Zeit und der richtige Ort für einen Kampf ist. Und ich glaube nicht, dass die Leute sich diesem Befehl widersetzen werden.« »Es klingt, als würde es Ihnen nicht besonders Leid tun, was Sie getan haben«, sagte Rao. Er trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und blickte zu Mil Angara auf, dessen Gesicht keine Regung zeigte. »Nun gut«, entschied er. »Vielleicht werden wir irgend221 wann ein paar Hitzköpfe brauchen, obwohl ich ein ernstes Wort mit Hedley reden werde, was für Offiziere er da herangezogen hat. Sie arbeiten in der Abteilung für Aufklärung und Erkundung, Tak Jaansma. Nicht Aufhetzung und Erregung. Vergessen Sie das nicht. Ich werde Ihnen beiden einen verbalen Verweis erteilen. Ich könnte daraus einen offiziellen Verweis in Ihrer Dienstakte machen, aber es wird mir nicht schwer fallen, mich daran zu erinnern, wenn demnächst wieder einer von Ihnen vor mir steht.« Er fügte nicht hinzu, dass er mit einer Durchforstung der Akten von Seiten der Musth rechnete, die darin möglicherweise nach Unruhestiftern suchten. »Sie können gehen.« Garvin salutierte, dann machten er und Njangu auf dem Absatz kehrt und marschierten aus dem Büro des Befehlshabers der Armee. Caud Rao schüttelte den Kopf. »Es gibt Zeiten, da wünsche ich mir, ich wäre wieder so jung und großkotzig wie diese beiden.« »Lieber nicht, Sir«, sagte Angara. »Damit würden Sie nur in Schwierigkeiten geraten.« »Als hätte ich die nicht schon längst.« Rao stand auf und trat an ein Fenster. »Ich frage mich, wie lange die Musth brauchen, um zu entscheiden, wie sie mit uns verfahren wollen. Angesichts der Effizienz der Machtübernahme überrascht es mich, dass der Kriegsherr uns nicht in seine Planungen einbezogen hat.« »Vielleicht haben sie damit gerechnet«, mutmaßte Angara, »dass wir bis zum letzten Mann kämpfen.« Rao bedachte, was er über die Musth wusste, und nickte langsam. »Das mag sein. Wenn Sie Recht haben, würde das bedeuten, dass sie nicht besonders gut darin sind, das Verhalten fremder Spezies einzuschätzen.« 222 »Wir haben sie schon einmal besiegt. Vielleicht hat das etwas zu bedeuten.« »Historische Präzedenzfälle scheinen im Kampf keine entscheidende Rolle zu spielen«, sagte Rao ironisch. Darauf folgte ein längeres Schweigen.
»Würden Sie mir einen Gefallen erweisen, Mil?« »Wenn es mir möglich ist, Sir.« »Könnten Sie sich unauffällig umhören und ein Stück dieser Fahnen besorgen? Es könnte sein, dass es in nicht allzu ferner Zukunft ratsam sein wird, wie diese beiden Heißsporne zu werden, und ich könnte etwas gebrauchen, das mich daran erinnert, wie man eine ausgewachsene Dummheit begeht.« Angara grinste gepresst, griff in eine Brusttasche und zog einen farbigen Stofffetzen heraus. »Schon erledigt, Sir. Danken Sie Tak Penwyth. Eins für Sie und eins für mich.« Er hielt es Rao hin, der Angara verdutzt anstarrte. »Manchmal ist es geradezu unheimlich, einen Ersten Offizier zu haben, der einen besser kennt als man sich selbst.« Die Planetare Polizei gab bekannt, dass »an mehreren Hinweisen gearbeitet« wurde, die zum unbekannten Bombenleger führen könnten - was bedeutete, dass sie gar nichts in der Hand hatte. Der Bankangestellte sah die zwei Offiziere nervös an. »Das ist unvorschriftsmäßig. Höchst unvorschriftsmäßig!« »Wie so ziemlich alles in diesen Tagen«, stimmte Garvin ihm zu. »Ich vermute, Sie wollen sich die Sache von ihrem Anwalt bestätigen lassen. Hier ist seine Komnummer.« 223 »Ja... ja, genau... das sollten wir tun.« Der Mann hantierte aufgeregt mit den Sensoren, sprach mit einer Sekretärin, wurde in ein Gericht durchgestellt und wartete, bis Gy Glenn aus der Verhandlung geholt worden war. »Ich hoffe, es ist etwas Wichtiges«, sagte er und bemühte sich, mit möglichst verärgerter Miene dreinzublicken. Der Bankangestellte erklärte die Angelegenheit, und danach war es Glenn, der mit Erstaunen reagierte. »Sie sagten, der Offizier ist persönlich anwesend?« »So ist es«, sagte Jaansma. »Könnten Sie die Kamera drehen, damit ich ihn identifizieren kann?«, verlangte Glenn. »Vielen Dank. Er ist es. Dürfte ich Sie bitten, den Raum zu verlassen, damit Sie das Gespräch nicht mithören können?« Der Angestellte erfüllte seine Bitte. »Tak Jaansma, sind Sie sich wirklich sicher, dass das die beste Vorgehensweise ist?« »Ja.« »Ich vermute, Ihre Entscheidung hat etwas mit der... wie soll ich sagen?... Veränderung der politischen Verhältnisse zu tun.« »Richtig.« »Hätten Sie Einwände, wenn ich in der Angelegenheit Rücksprache mit Miss Mellusin halte - Verzeihung, mit Mrs. Mellusin?« »Nein«, sagte Garvin. »Aber ich denke, wir sollten so schnell wie möglich handeln.« Glenn kaute auf der Unterlippe. »Rufen Sie den Bankangestellten wieder herein. Ich werde mit ihr in Verbindung treten, aber Sie können die Transaktion unverzüglich in die Wege leiten. Wenn unsere neuen Freunde aus den Tiefen des Alls davon erfahren, könnten sie Widerspruch 224 erheben, also wäre es das Beste, wenn die Sache dann bereits erledigt ist.« Der Bankangestellte hörte sich an, was der Anwalt zu sagen hatte, wobei sich sein Erstaunen noch mehr steigerte. Schließlich trennte er die Verbindung. »Darf ich davon ausgehen, dass Sie für einen sicheren Transport sorgen können?« Wortlos hob Njangu einen Arm. Daraufhin kamen Monique Lir und ein halbes Dutzend Soldaten in voller Kampfmontur in die Bank. »Draußen stehen drei gepanzerte Transporter und ein Kampfschiff«, sagte Njangu. »Ich glaube kaum, dass wir uns Sorgen machen müssen, dass uns jemand aufzuhalten versucht.« »Sie scheinen diese Angelegenheit gründlich durchdacht zu haben«, sagte der Banker. »In welcher Form hätten Sie es gerne?« »In Fünf- und Zehn-Credits-Münzen«, sagte Garvin. »Sehr, sehr ungewöhnlich«, sagte der Banker. »Aber es ist gut, dass Sie in unsere Zentrale gekommen sind. Wir können die Transaktion durchführen, während jede andere Filiale zu geringe Bargeldreserven gehabt hätte.« Keiner der Soldaten sagte etwas dazu. »Miss Yazeth«, wandte sich der Banker an seine Sekretärin, »führen Sie diese Personen zu unserem Safe. Ich werde Ihnen unterwegs nähere Instruktionen erteilen.« Eine halbe Stunde später schleppten Soldaten schwere Säcke voller Münzen durch die Bank und verluden sie in die wartenden Griersons. Der Banker beobachtete das Geschehen und machte den Eindruck, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen wollen. Auch die Bestätigung von Jasith Mellusin konnte ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass all das Geld, das er insgeheim als sein 225 eigenes betrachtete, nun in den Händen von Gaunern und Gewalttätern verschwand. »Die Lage«, sagte Loy Kouro gut gelaunt, »ist vielleicht gar nicht so katastrophal, wie jeder angenommen hat.«
Jasith legte bedächtig die Gabel nieder. Sie hatten sich ein verspätetes Frühstück auf einer Terrasse ihres Anwesens in den Heights genehmigt. »Und wie darf ich diese Einschätzung der Lage verstehen?« »Ich gelange allmählich zur Überzeugung, dass wir überleben oder vielleicht sogar profitieren werden, wenn wir mit den Musth zusammenarbeiten. Sie sind gar nicht die Ungeheuer, als die manche sie hinstellen wollen.« »Profitieren?«, fragte Jasith. »Loy, sie haben unsere Welt erobert, sie werden jeden erschießen, der sich im Dunkeln nach draußen wagt, und jedem, der sich in Gruppen von mehr als zehn Personen aufhält, droht dasselbe Schicksal! Ich verstehe nicht, in welcher Weise wir von der neuen Situation profitiert haben.« »Ach, das ist nur typisches Soldatengeschwätz«, sagte Kouro. »Soldaten haben schon immer zu überstürzten Reaktionen geneigt. Warten wir einfach ein paar Wochen ab, bis sie einsehen, dass Aescs Tod ein bedauerlicher Zwischenfall war, dann werden sie sich wieder beruhigen.« Jasith knüllte ihre Serviette zusammen und warf sie auf den Tisch. »Was ist mit den hohen Strafsteuern, die sie eintreiben wollen?« »Diesen Preis muss man eben zahlen, wenn man Geschäfte machen will. Letztlich ist es doch nur irgendeine zusätzliche Steuer. Die man irgendwann wieder abschaffen wird.« »Wer sagt das?« 226 »Warum sollten sie uns auf Dauer die Geschäfte verderben?«, fragte Kouro zurück. »Damit sie alles selber übernehmen können«, erwiderte Jasith. »Ich fasse nicht, wie du so etwas sagen kannst! Stört es dich überhaupt nicht, dass sie jedes Mal, wenn sie irgendeine Ankündigung machen wollen, einfach die Büros des Matin stürmen und den Laden übernehmen?« »Natürlich stört es mich«, sagte Kouro. »Aber ich bin erwachsen genug, um zu wissen, dass man sich nicht immer gegen die hohen Tiere durchsetzen kann.« »Ich frage mich, was dein Vater an deiner Stelle getan hätte.« »Er weilt nicht mehr unter uns«, sagte Kouro in etwas schärferem Tonfall. »Jetzt führe ich die Geschäfte.« »Nein, Loy. Du führst überhaupt nichts«, sagte Jasith. »Die Musth haben alle Karten in der Hand und spielen sie aus, wie es ihnen gerade in den Kram passt.« »Typisch Bergarbeiter«, sagte Loy. »Ihr seht nur, was sich direkt vor eurer Nase befindet.« »Was ich sehe, ist die Tatsache, dass sie mein Erz kaufen wollen, zu einem Preis, den sie festlegen werden. Und ich wette, ich werde mich nicht über dieses Geschäft freuen.« »Wie ich bereits sagte, mit manchen Dingen muss man einfach leben.« »Sagt der mächtige Verleger«, entgegnete Jasith. »Der Mann, der für ganz Cumbre spricht.« »Was ist nur in letzter Zeit mit dir los?«, sagte Kouro verletzt. »Du bist ständig gereizt und gehst mir wegen jeder Kleinigkeit an die Gurgel.« »Ich habe nur gesagt, dass du entweder wie ein Idiot redest oder wie jemand, den manche Leute als Verräter bezeichnen würden«, sagte Jasith tonlos. Kouro sprang auf. »Darum geht es also!« 227 »Worum soll es gehen?« »Um dich und diesen verfluchten Soldaten, mit dem du vor unserer Ehe herumgevögelt hast. Triffst du dich wieder mit ihm? Um nebenbei ein wenig Schwänzchenverstecken mit ihm zu spielen?« »Ich habe nichts mehr mit Garvin«, sagte Jasith, die ebenfalls aufsprang und dabei ihren Stuhl umwarf. »Ich bin mit dir verheiratet, wenn ich mich nicht irre. Und du warst es, der mir einen Antrag gemacht hat.« »Es ist mir unbegreiflich, wie ich mich dazu verleiten lassen konnte«, sagte Kouro. »Vielleicht, damit du mit Leuten unter deinem gesellschaftlichen Niveau herummachen kannst. Damit niemand etwas sagt, wenn du hoppla! - plötzlich ein Kind erwartest. Was kommt als Nächstes, Jasith? Willst du dich von 'Rauhm vögeln lassen -einen für jedes Loch?« Jasith stürmte um den kleinen Tisch herum und verpasste ihm eine Ohrfeige. Kouro zuckte zurück und schlug ihr mit der Faust gegen das Kinn. Jasith schrie überrascht auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Kouro beugte sich über sie. »Mach so etwas nie wieder mit mir! Nie wieder!« Wütend stapfte er hinaus. Kurz darauf hörte sie, wie sein Sportgleiter vom Landedeck abhob und mit voller Beschleunigung davonraste. Jasith saß eine ganze Weile benommen da. Dann hob sie eine Hand, wischte sich über die Lippen und betrachtete die Blutspuren an ihren Fingern. »Nein«, sagte sie leise. »So etwas werde ich nie wieder mit dir machen.« »Ich habe mich schon gefragt, wie lange sie brauchen werden, um uns auf die Schliche zu kommen«, sagte Garvin. 228 Er und Njangu hatten es sich in der Nähe einer scheinbar unbesetzten Geschützstellung »bequem« gemacht, für den Fall, dass die Angelegenheit eskalierte. Andere Soldaten hielten sich in der Nähe anderer Geschütze und Raketenstellungen auf. Niemand wagte sich in
die Leitstände, weil alle sich an die Luftabwehrstellung erinnerten, die am ersten Tag der Musth-Besatzung ausradiert worden war. Seitdem waren drei Wochen vergangen, und der Legion waren inzwischen die Fingernägel zum darauf Herumkauen ausgegangen. Über Camp Mahan kreiste die mehrschichtige Luftüberwachung der Musth - Aksai in großer Höhe, darunter ein Mutterschiff, etwas tiefer zwei Velv, dann folgte eine weitere Schicht aus Aksai, die einen auf Hochglanz polierten Wynt eskortierten. »Es ist genug Zeit vergangen«, sagte Njangu. »Jetzt stellt sich nur die Frage, ob uns eine Katastrophe oder nur ein Unglück erwartet.« Der Wynt landete und setzte Wlencing und sein Gefolge ab, die das Hauptquartier der Streitmacht betraten. Es war eine Katastrophe, wenn auch keine totale. Wlencing teilte Rao mit, dass er nicht beabsichtigte, die Streitmacht vollständig aufzulösen. Sie sollte auf ein einziges Bataillon aus leichter Infanterie reduziert werden, zweitausend Personen, die die Planetare Polizei unterstützen sollten, falls es zu Aufständen oder Notfällen kam. Alle Luftstreitkräfte sollten bis auf etwa fünfzig Griersons, die ausschließlich für Transportzwecke genutzt werden durften, aus dem Verkehr gezogen werden. Das Hauptquartier sollte vollständig abgewickelt werden. Das Zhukov-Bataillon sollte aufgelöst und die LKGs ver229 schrottet werden. Die Artillerie erwartete bis auf zwei Raubwürger-Batterien das gleiche Schicksal. Alle schweren Waffen mussten abgegeben werden, damit auch sie schließlich demontiert werden konnten. Die Abrüstung sollte in sechzig Tagen abgeschlossen sein. Rao und sein Stab hörten sich mit versteinerten Mienen Wlencings Befehle an. Als der Musth fertig war, fragte Rao: »Was soll mit den nicht mehr benötigten Soldaten geschehen?« »Ich dachte, die Antwort wäre offensssichtlich«, sagte Wlencing. »Entlasssen Sssie sssie als Zivilisssten in ihr früheresss Leben.« »Ein großer Prozentsatz von ihnen stammt nicht von Cumbre«, sagte Angara. »Sie haben nie hier gelebt.« »Dasss issst nicht meine Sssorge«, begann Wlencing, als sich ihm ein Adjutant näherte, der leise zu ihm sprach. »Ich habe eine mögliche Lösssung«, sagte er anschließend. »Die Minen auf C-Cumbre sssollen von nun an mit voller Kapazität arbeiten. Die Sssoldaten, die hier keine Heimat finden, werden von unsss als Bergarbeiter eingessstellt.« Rao überlegte, ob er Einspruch erheben sollte, doch ihm war klar, dass es sinnlos gewesen wäre. Ohne Antwort stand er auf und stapfte hinaus, begleitet von seinem Stab. Wlencings Adjutant wartete, bis der Raum leer war, dann fragte er: »Werden sie jetzt kämpfen, nachdem wir sie erniedrigt haben?« »Nein«, sagte Wlencing. »Wir haben sie viel zu gründlich besiegt. Sie wären vielleicht zu einem letzten Aufgebot fähig gewesen, wenn wir sie sofort angegriffen hätten. Aber durch unsere Weisheit haben wir sie geschwächt, indem wir ihnen ermöglichten, sich an unsere Anwesenheit 230 zu gewöhnen. Jetzt ist es zu spät. Sie sind vollständig besiegt. « »Werden sie Ihre Befehle befolgen?« »Haben sie eine andere Wahl?« »Nun?«, sagte Caud Rao zu seinem Stab. Auf den abhörsicheren Bildschirmen waren die Befehlshaber der verstreuten Regimenter zu sehen. »Die Musth lassen uns kaum Wahlfreiheit, Sir«, sagte Mil Ken Fong, der Leiter der Sektion III - das Einsatzkommando. »Richtig«, sagte Rao. »Ich hatte gehofft, dass ich sie hinhalten kann, indem wir uns scheinbar geschlagen geben, damit wir Zeit gewinnen, Alternativen auszuarbeiten. Ich habe mich getäuscht.« »Wir hätten Wlencing und seine Leute einfach vom Himmel schießen sollen, als sie gelandet sind«, sagte Hedley. »Damit hätten wir Zeit gewonnen.« »Wir kämpfen nicht wie Banditen, wie Kriminelle«, sagte Rao mit eiskalter Stimme. »Vielleicht sollten wir...« Hedley sprach nicht weiter. »Also haben wir zwei Möglichkeiten«, sagte Rao. »Entweder wir kämpfen... oder wir ergeben uns. Ihre Stimmen, bitte. Ich werde die Entscheidung selber fällen, aber ich wüsste gerne, wie Sie darüber denken.« »Wir gehören immer noch der Konföderation an«, sagte Angara. »Also kämpfen wir.« Rao blickte auf die Bildschirme, auf die Männer und Frauen im Kommandobunker. Niemand, nicht einmal Hedley, erhob Widerspruch. »Gut«, sagte Rao. »Wir spielen weiterhin auf Zeit, solange es noch geht, geben die Parole aus, und dann schlagen wir mit aller Härte zurück.« 231 9482 »Drei Offiziere möchten Sie sprechen. Aut Hedley in Begleitung von Tak Jaansma und Aspirant Yoshitaro«, gab der Tweg des Kommandos der Streitmacht über Interkom bekannt. »Ich hätte mit ihnen rechnen müssen«, murmelte Rao.
»Wie bitte, Sir?« »Nichts. Lassen Sie sie herein.« Die drei Offiziere traten ein, und Hedley salutierte. »Ich vermute, dass es um etwas Wichtiges geht«, sagte Rao. »Ja, Sir«, antwortete Hedley. »Wir möchten Ihnen eine Alternative zu Kampf oder Kapitulation unterbreiten.« »Die Sie während der Stabsbesprechung nicht erwähnt haben?« »Sie könnte einigen der Offiziere unangenehm erscheinen, Sir«, sagte Hedley. »Eigentlich ist es die Idee dieser beiden Männer.« Rao nickte Garvin zu. »Die Sache ist im Prinzip ganz einfach, Sir. Wir ergeben uns... das heißt, wir erfüllen zumindest die Forderungen der Musth.« »Und lassen zu, dass sie die Armee auflösen?«, sagte Rao. »Sie sollen auflösen, was sie auflösen können«, warf Yoshitaro ein. »Ich glaube kaum, dass sie so dumm sind, uns zu erlauben, dass wir unsere Soldaten in eine Art inaktive Reserve entlassen. Aber niemand kann etwas sagen, wenn jene, die es wollen, nach ein paar Wochen einer Veteranenorganisation beitreten. Wir verteilen sie über alle Städte von Cumbre, und damit haben wir eine gute Quelle für Geheiminformationen und eine Reserve, die wir mobilisieren können, wenn wir sie brauchen.« »Wir?« 232 »Ein paar von uns gehen in den Untergrund«, sagte Garvin. »Wir benutzen die abgelegenen Stützpunkte und die Basis auf Mullion als Ausgangspunkt.« »Ein Guerillakrieg?« »Genau, Sir«, sagte Hedley. »Wir schlagen sie überall dort, wo sie nicht stark genug sind. Wenn wir hartnäckig genug sind, werden sie irgendwann des Kämpfens überdrüssig und kommen auf die Idee, über eine Art Waffenstillstand zu verhandeln.« »Wie es die 'Rauhm getan haben«, sagte Rao angewidert. »Sie hätten es fast geschafft, uns zu schlagen, Sir«, sagte Yoshitaro. »Eine ziemlich hässliche Methode der Kriegsführung«, sagte Rao. Keiner der drei anderen sagte etwas dazu. Rao dachte nach. »Ich glaube nicht, dass die Musth bereit sind, Nuklearwaffen einzusetzen. Nicht, solange sie etwas von den Immobilien abhaben wollen.« »Die wir ihnen geben sollten«, sagte Hedley. »Nachdem wir sie weich geklopft haben, bieten wir ihnen ein Waffenstillstandsabkommen an, mit dem sie das Gesicht wahren können. Sie behalten ihren Sieg und den Zugang zu den Minen von C-Cumbre.« »Aspirant«, sagte Rao, »Sie sprachen vor kurzem von >wir<. Wer sind Ihre Kämpfer?« »Zunächst«, sagte Njangu, »entlassen Sie jeden aus der Aufklärungskompanie. Von einhundertachtundzwanzig Soldaten wollen etwa neunzig weiterkämpfen. Ein paar würden lieber ins zivile Leben zurückgehen, und diese Leute lassen wir ziehen. Die anderen stationieren wir dort, wo immer Sie sie brauchen. Und wir werden die Besatzung von Mullion halten. Damit erhöhen wir die Sicherheit, und wir müssen nur dafür sorgen, dass niemand, ab233 solut niemand Spuren hinterlässt, die zur Basis führen.« Njangus Stimme war deutlich die Begeisterung anzuhören. »Wie steht es um die Versorgung dieser Stützpunkte?«, fragte Rao. »Eine Armee kann nicht allein vom Idealismus leben.« »Ich weiß, woher wir Credits und Vorräte bekommen, Sir«, sagte Hedley. »Ich habe genügend Kontakte zu den Reichen, um sie für die Sache einspannen zu können.« »Sie gehen davon aus, dass sich unsere Rentiers patriotisch verhalten?« »Natürlich nicht, Sir. Aber wie es scheint, hat der sang- und klanglos dahingeschiedene Nachrichtendienst der Planetaren Polizei über fast jeden reichen Bürger Cumbres Informationen gesammelt. Ich bin vor ein paar Monaten, ahm, zufällig darauf gestoßen. Ich habe darauf verzichtet, Ihnen davon Mitteilung zu machen, da es sich um Daten handelt, deren Bekanntmachung äußerst peinlich für die Betroffenen wäre.« »Erpressung?« »So könnte man es nennen, Sir.« Hedleys Gesicht zeigte keine Spur von Heiterkeit. »Das ist widerwärtig«, sagte Rao. »Die ganze Idee ist widerwärtig. Jaansma, Yoshitaro, wie kommen Sie darauf, dass Sie es schaffen könnten, ganz allein einen Krieg zu führen, zumindest in der ersten Zeit?« »Erstens, weil wir Erfahrungen mit den 'Rauhm haben«, sagte Njangu. »Bitte verstehen Sie es nicht falsch, wir möchten keineswegs arrogant erscheinen, aber wenn wir beide keine Doppelagenten gewesen wären, sondern wirklich auf der Seite der 'Rauhm gekämpft hätten, wäre es Caud Williams und der Streitmacht zumindest erheblich schwerer gefallen, sich durchzusetzen. Zweitens, weil die Menschen gegenüber den Musth in der Überzahl sind... 234
die Zivilisten mitgerechnet. Früher oder später werden sich die Musth bei jedem Bewohner des Planeten unbeliebt gemacht haben und sie zum Widerstand motivieren. Zumindest wird es genügend Menschen geben, die bereit sind, unseren Kampf zu unterstützen. Das war die Strategie der 'Rauhm, und ich glaube, wenn sie mehr Unterstützung von Seiten der Bevölkerung gehabt hätten, wäre der Konflikt vielleicht siegreich für sie ausgegangen.« »Es wird viele Opfer unter Zivilisten geben«, sagte Rao. Njangu und Garvin nickten ernst. »Schaffen Sie es, mit Vergeltungsmaßnahmen zu leben?« »Sir«, sagte Garvin. »Ich sehe keine Möglichkeit, wie es den Musth gelingen könnte, die gegenwärtige Situation aufrechtzuerhalten, ganz gleich, ob wir gegen sie kämpfen oder nicht. Früher oder später werden sie sowieso überreagieren und Zivilisten töten. Wenn sie das tun, werden sich jedes Mal neue Rekruten bei uns melden.« »Es ist ein Preis, den wir akzeptieren müssen«, fügte Njangu hinzu. »Andernfalls werden wir alle als Sklaven enden, die drüben auf C-Cumbre in ihren verfluchten Bergwerken schuften. Und ich glaube nicht, dass die Konföderation - oder Redruth - eingreifen und unseren Arsch retten werden.« Rao schüttelte ungläubig den Kopf. »Als ich ein Tak war, habe ich mich nur für meine Einheit, Sport und meine Getränkerechnungen interessiert. Was ist mit der jüngeren Generation geschehen?« »Wir sind unter anderen Umständen aufgewachsen«, sagte Njangu. »Vielleicht war das Leben für uns etwas härter. « »Es scheint so«, sagte Rao. »Trotzdem hätte ich noch eine Frage an Sie. Sie scheinen bereit zu sein, zivile To235 desopfer in Kauf zu nehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Glauben Sie, dass Sie derselben Ansicht sein werden, wenn Sie zum ersten Mal eine tote Frau oder ein totes Kind sehen? Oder miterleben, wie die Musth ein ganzes Dorf massakrieren?« Garvin wollte etwas sagen, doch Njangu hob eine Hand. »Darauf werde ich antworten. Sir, glauben Sie, dass es sich erheblich von dem unterscheiden wird, was wir gesehen haben - was wir getan haben -, als wir gegen die 'Rauhm kämpften?« Rao schnitt eine Grimasse. »Das ist Vergangenheit.« Er dachte eine Weile nach, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein. Das ist mir zu viel Träumerei, und wenn es schief geht, könnte dieser ganze Planet als Trümmerhaufen enden. Vielen Dank, meine Herren, dass Sie versucht haben, einen Plan zu entwickeln, aber das ist keine Lösung. Wir bleiben bei unserer ursprünglichen Strategie und kämpfen erhobenen Hauptes gegen die Musth. Das wäre alles. Viel Glück.« Garvin wollte etwas sagen, fing sich einen warnenden Blick von Njangu ein und hielt die Klappe. Hedley salutierte, dann gingen die drei hinaus. Im Korridor blieb Hedley stehen und ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen. »Scheiße«, sagte er. »Für einen kurzen Moment dachte ich, wir hätten den Alten überzeugt.« »Was tun wir jetzt?«, fragte Garvin. »Ich schätze, wir bereiten uns auf den Kampf vor, versuchen zu überleben und hoffen, dass wir in der Lage sind, den Krieg fortzusetzen, nachdem die Streitmacht erledigt wurde.« 236 11 Caud Rao verließ Camp Mahan innerhalb der nächsten Stunde mit einem kleinen Stab. Er sprang von Regiment zu Regiment, von Stadt zu Stadt und schickte regelmäßig Berichte an Mil Angara. Sie waren kodiert - aber mit dem Kode, den die Musth längst geknackt hatten. Wlencing erhielt die Berichte fast genauso schnell, wie Angaras Leute brauchten, um die Sendungen zu dekodieren. In allen stand ungefähr dasselbe - dass Rao sich erfolgreich bemühte, die Hitzköpfe in der Streitmacht unter Kontrolle zu halten. Alles schien in Ordnung zu sein, und die Befehle der Musth wurden ausgeführt. Einige von Wlencings Kriegern murrten, suchten den Kampf, wollten Rache für den Mord an Aesc, aber ihr Anführer sagte ihnen, dass sie sich nicht zu Dummheiten hinreißen lassen sollten. Es wäre sehr unklug, einen Krieg nur um des Krieges willen zu führen. Dass die Musth den Sieg ohne Verluste errungen hatten, war der größte denkbare Triumph. Und das bedeutete, dass der Sieg der Menschen vor einer Generation nur eine Anomalie gewesen war. Wenn diese Menschen widerstandslos bereit waren, zu Marionetten der Musth zu werden, war dies ein klarer Hinweis auf die Absicht der Ersten Ursache - dass ihr Volk dazu bestimmt war, den ganzen Kosmos zu beherrschen. Und was die Rache für Aesc betraf, so erinnerte er sie daran, dass Rache ein Gericht war, das am besten gut abgehangen und gereift serviert wurde. »Möchten Sie abgeholt werden?« Die Verbindung wurde von leichten Interferenzen überlagert, während sie von 237 einer Satellitenstation zur nächsten sprang, bis sie schließlich das Cumbre-System erreichte, wo sie von weiteren automatischen Stationen weitergeleitet wurde. Ab Yohns überlegte. Einerseits wäre er gerne ausgestiegen. Es war eine äußerst langwierige Mission gewesen,
und seine Nerven lagen bereits blank. Aber wie standen die Chancen, dass ein Schiff von Larix/Kura es schaffte, in das Cumbre-System einzudringen, ihn aufzunehmen und zurückzukehren, ohne von den Musth entdeckt und vernichtet zu werden? »Negativ«, sagte er. »Ich werde hier blieben und schauen, wie sich die Lage entwickelt. Sie brauchen jemanden vor Ort.« »Wir hatten gehofft, dass Sie so entscheiden würden«, sagte die Stimme. »Wir brauchen Sie jetzt dringender als je zuvor.« »Ich erwarte, dass mein Honorar entsprechend erhöht wird«, sagte Yohns. »Keine Sorge.« Ohne weitere Umschweife endete die Übertragung. Ben Dill schlenderte durch den Kontrollraum, der in einem Hangar auf Mullion eingerichtet worden war. Immer wieder hielt er inne, um einen Blick auf Bildschirme, Kontrollkonsolen, Sensoren und Wandregale zu werfen. Gelegentlich, wenn ein Detail sein Interesse weckte, lief er durch ein Holo-Display hindurch. Stellenweise war die Darstellung verschwommen, wo Njangu keine Aufnahmen gemacht hatte. Dill wurde von Hedley, Kang, Heiser und Froude verfolgt. Schließlich hielt er an und brachte auch sein Gefolge geschlossen zum Stehen. »Interessant«, sagte er. 238 »Interessant genug für Sie und ein paar andere, um mit dem Training beginnen zu können?« »Oh nein«, sagte Dill. »Es ist nur ein Anfang.« »In einem anderen Hangar haben wir einen Simulator eingerichtet«, sagte Hedley. »Sie erwarten sehr viel von mir und allen anderen, die damit rumfliegen sollen«, sagte Dill. »Keine Ahnung, wie sich die Instrumente anfühlen, wie die Anzeigen aussehen, mit welcher Unterstützung man rechnen kann. Tut mir Leid, meine Damen und Herren. Das ist zu wenig.« »Es wäre schön«, sagte Dr. Froude mürrisch, »wenn Sie die Simulation wenigstens ausprobieren würden. Wir haben mehr als nur die Bilder eingearbeitet, wissen Sie. Wir haben Daten von unseren Weltraumsensoren über das Flugverhalten der Mutterschiffe zur Verfügung, kombiniert mit den recht aussagekräftigen Informationen, die Sie und andere über die Aksai geliefert haben, und weitere Daten von den gestohlenen Sternenkarten, die allerdings eher theoretisch sind.« »Klingt nach genug Daten, um jemanden zu töten«, sagte Dill. »Es ist nur eine Simulation«, gab Heiser zu bedenken. Dill brummte und dachte nach. »Was soll's? Es wird mich nicht umbringen, wenn ich einen Versuch starte. Aber ich glaube einfach nicht, dass uns das hier in nächster Zeit irgendwie weiterbringen wird.« »Jedes Wissen ist Macht«, sagte Froude leicht schwülstig. »Und wenn wir eins dieser Schiffe in die Hände bekommen«, fügte Ho Kang hinzu, »wirst du es zum Fliegen bringen.« »Ben fühlt sich zurzeit nicht gerade in Topform«, grummelte Dill. »Kann ich davon ausgehen, Ho, dass du den 239 Platz für die EA übernimmst, wo immer der sich befinden mag, ganz wie in den alten Zeiten? Oder heißt es dann plötzlich: Mensch, Ben, warum düst du nicht mal ganz allein ins All?« »Das ist ein ziemlich gemeiner Vorwurf«, sagte Ho Kang entrüstet. »Habe ich jemals gezögert, deinen Dinosaurierarsch zu decken?« »Tschuldigung«, sagte Ben. »Du hast natürlich Recht. Diese Warterei, bis endlich der Ballon aufsteigen kann, hat mich etwas fickrig gemacht. Schauen wir mal, wie es läuft, aber ich kann schon jetzt garantieren, dass diese Simulation nicht genug sein wird.« Auf dem riesigen Exerzierplatz von Camp Mahan standen fast hundert Zhukovs, und vor jedem hatte die Besatzung Aufstellung bezogen. Die Triebwerke summten, und alle Korns waren aktiviert. Alle verfolgten die Übertragung, eine sentimentale Ansprache von Caud Rao, in der es darum ging, wie tapfer sie gedient hatten und dass ihre Leistungen und ihre Opferbereitschaft niemals in Vergessenheit geraten würden. Die Fahne des Kampfschiff-Bataillons war eingeholt worden, und es gab keinen Zweifel, dass die Truppe aufgelöst werden sollte. Je ein Fahrzeugkommandant und ein Pilot befanden sich an Bord jedes Zkuhov, und nun starteten die Kampfschiffe in perfekter Formation. In vier Staffeln flogen sie zur fernen Stadt Seya auf der gleichnamigen Insel. Die Besatzungen der Zhukovs und die Versorgungstruppen des Bataillons marschierten zu ihren Kasernen zurück, wo sie ihre Entlassungspapiere erhielten und ihr Leben als Zivilisten begann. Es war ein schwerer Augenblick für alle, während am 240 Himmel kreisende Aksai und zwei Velv Wache hielten. Wlencing hielt sich an Bord eines der Zerstörer auf. Er wandte sich zufrieden vom Bildschirm ab. »Stück für Stück entwickelt es sich«, sagte er zu Rahfer. Der Adjutant wackelte eifrig mit dem Kopf. »Es ist nur bedauerlich«, sagte Rahfer, »dass es keine Orden für einen erfolgreichen Sieg ohne jedes Blutvergießen oder für die Rache an der Ermordung des
Systemkommandanten Aesc gibt.« »Wir werden uns hier noch viele Auszeichnungen verdienen«, sagte Wlencing. »Sobald die Menschen ihre Luftstreitkräfte aufgelöst haben, werden wir gegen Dissidenten und Kriminelle vorgehen müssen. Es wird genügend Gelegenheit für alle geben, Ruhm zu erlangen.« Die Zhukovs erreichten Seya und landeten auf einer hastig eingeebneten Fläche, auf der schwere Demontagemaschinen warteten. Die Piloten und Kommandanten wurden nach Camp Mahan zurückgebracht, wo sie genauso wie ihre Kameraden aus dem Dienst entlassen wurden. Die Kompanie, die mit der Zerstörung der Kampfschiffe beauftragt war, bot verschiedene Artikel auf dem freien Markt an, von Sitzen bis Komanlagen. Sobald die Schiffe ausgeschlachtet waren, würde man sie verschrotten und einschmelzen. Caud Rao wurde in vollem Umfang über die Aktivitäten informiert, ebenfalls in einem Kode, den die Musth längst entschlüsselt hatten. Kein Musth meldete die gelegentlich zwischen Mahan und Seya verkehrenden Griersons, sofern sie überhaupt beobachtet wurden. Und niemand bemerkte, wie voll gepackt die Besatzungsabteile waren. »Ich melde mich wie befohlen zur Stelle, Sir«, sagte Njangu. »Was liegt an?« 241 »Sagen Sie es ihm«, forderte Aut Hedley den Komtechniker auf. »Ich habe die Standard-Notfrequenz der Streitmacht überwacht, im Rahmen meiner üblichen Pflichten«, sagte der junge Mann. »Es war heute um neunzehn Uhr. Jemand benutzte den Kanal und sprach mit verzerrter Stimme, sodass ich nicht feststellen konnte, ob es ein Mann oder eine Frau oder eine synthetische Stimme war. Auf jeden Fall bat die Stimme um einen Kontakt zur Streitmacht. Und wie es meine Vorschriften vorsehen, habe ich geantwortet. Die Stimme sagte, und ich zitiere wörtlich: >Botschaft für Njangu Yoshitaro. Antworten Sie nach dem Ende dieser Botschaft auf derselben Frequenz. Die Sendung wird jeden Abend wiederholt/ Der Spruch wurde zweimal gesendet, dann war Schluss. Ich hatte nicht genug Zeit, um einen Lokator darauf anzusetzen, und ich hatte auch keine Ahnung, was es damit auf sich haben könnte.« »Vielen Dank, Sie können gehen«, sagte Hedley zum Techniker und wartete, bis der Mann das Büro verlassen hatte. »Haben Sie noch irgendwelche Eisen im Feuer, Aspirant?«, fragte Hedley schließlich. »Irgendwelche Agenten, die sich nicht mehr auf dem üblichen Weg zurückmelden können?« »Sir«, sagte Njangu aufrichtig, »ich mache mich gerade auf die Feuersbrunst gefasst, die uns erwartet. Ich werde nichts in die Wege leiten, bevor sich der Rauch ein wenig verzogen hat.« »Hmm.« »Vielleicht sollte ich morgen Abend in der Nähe eines Korns sein.« »Könnte nicht schaden«, pflichtete Hedley ihm bei. 242 »Botschaft für Njangu Yoshitaro. Antworten Sie nach dem Ende dieser Botschaft auf derselben Frequenz«, sagte die unpersönliche Stimme. »Die Sendung wird jeden Abend wiederholt. Botschaft für Njangu Yoshitaro. Antworten Sie nach dem Ende dieser Botschaft auf derselben Frequenz. Die Sendung wird jeden Abend wiederholt. Ende.« Njangu berührte den Sensor. »Hier Yoshitaro. Sprechen Sie.« Das Flüstern des statischen Rauschens, dann: »Treffen erwünscht. Ort: fünfzig Meter SSW von den Ruinen des alten HQ der Planungsgruppe. Lage ist Ihnen bekannt. Morgen Mittag. Maximal eine Begleitperson.« »Verstanden«, sagte Njangu. »Wenn ich komme... wie erkenne ich Sie?« Ein Laut war zu hören, der wie leises Lachen klang. »Sie werden mich erkennen. Ende.« Njangu legte das Mikrofon nieder und sah Hedley an. »Hast du eine Ahnung, was das zu bedeuten hat?« »Nicht den blassesten Schimmer«, sagte Yoshitaro. »Weißt du, wovon diese Stimme gesprochen hat?« »Klar. Er, sie oder es möchte meinen Arsch mitten in die Ruinen von Eckmuhl locken, an dieselbe Stelle, wo die 'Rauhm mir bei meinem letzten Besuch übel mitgespielt haben.« »Wirst du die Verabredung einhalten?« »Warum nicht? Es hat schon lange niemand mehr versucht, mich umzubringen, seit mindestens... vier Tagen.« »Was brauchst du als Rückendeckung?« »Zwei Griersons, die an der Küste warten«, sagte Njangu. »Mit voller Besatzung.« »Und niemand am Boden?« »Es hieß, eine Person, also werde ich nur eine Person mitnehmen.« 243 »Nur aus Neugier«, sagte Hedley. »Wen?« »Es hat auch lange niemand versucht, meinen unmittelbaren Vorgesetzten, der für jeden Spaß zu haben ist, umzubringen.« Eckmuhl war seit Jahrhunderten das Ghetto der 'Rauhm in Leggett - beziehungsweise war es gewesen. Als die
Widerstandsbewegung in die Städte zurückgekehrt war, nachdem die Armee sie auf dem Land fast vollständig ausgelöscht hatte, war Eckmuhl zum Zentrum der Revolte geworden. Der geplante allgemeine Aufstand war misslungen, nachdem Yoshitaro und Jaansma ihn unabsichtlich zu früh ausgelöst hatten. Die Bewegung war vernichtet worden, genauso wie der größte Teil von Eckmuhl. Nach dem Krieg war die Planetare Regierung gezwungen worden, preisgünstigen Wohnraum für die 'Rauhm zu bauen, die sich nun über die Hügel nördlich und östlich der ummauerten Enklave ausbreiteten. Viele 'Rauhm, vor allem die jüngeren, waren froh, dass sie den Mietskasernen und dem Schmutz entfliehen konnten. Trotzdem lebten immer noch an die hunderttausend Personen in Eckmuhl. Einige wohnten in unbeschädigten, wenn auch baufälligen Häusern, andere hatten die Trümmer beseitigt und die Ruinen instand gesetzt, und manche hausten mitten in den Trümmern. Das Leben ging laut und betriebsam weiter. Garvin Jaansma, der sich in der Zivilkleidung über der Schutzmontur unwohl fühlte, sagte murrend zu seinem Ersten Offizier: »Falls es dir entgangen sein sollte, ich passe so gut hierher wie ein runder Stift in ein eckiges Loch. Ich bin weder braunhäutig noch klein noch unterhalte ich mich im Normalfall mit mehr als hundertsechzig Dezibel (A). Du dagegen...« 244 »Lass die rassistischen Anspielungen«, sagte Njangu, »Sir. Sonst verpetze ich dich als... wie haben sie uns bezeichnet?« »Als Schoßhunde der Rentiers«, sagte Garvin missmutig. »Ha! Dafür wurden wir viel zu schlecht bezahlt. Auch jetzt noch. Nach wem suchen wir eigentlich?« »Ich glaube, ich weiß es«, sagte Njangu. »Und ich werde dir sogar einen Hinweis geben. Diese Person ist der größte Überlebenskünstler, den wir kennen.« »Unmöglich«, sagte Garvin. »Ich bin der größte Überlebenskünstler, den ich kenne. Und ich habe keine mysteriösen Botschaften geschickt, in denen ich ein verdammtes Treffen in irgendwelchen Ruinen vorschlage.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Diese Mauern lassen überhaupt kein kühles Lüftchen vom Meer herein, wie es scheint.« Njangus Augen schössen hin und her und über den Platz zum eingestürzten Gebäude. Sie hatten einen Wagen entdeckt, an dem Getränke verkauft wurden, und schlürften unter dem schattigen Schirm eine eiskalte Limonade, während sie warteten. Beide Männer hielten die Gläser in den linken Händen, damit sie die rechten in der Nähe der kaum versteckten Waffen halten konnten. »Mittag ist schon fast vorbei«, sagte Garvin. »Können wir deinen Freund abschreiben?« »Nein«, sagte Njangu. »Sie lässt uns gerade durch ihre Sicherheit überprüfen. Komm. Lass uns zum Treffpunkt hinüberschlendern, damit wir uns nicht verfehlen.« Garvin stellte das Glas auf dem Verkaufstresen ab, legte einen Geldschein dazu, ohne ihn sich genauer anzusehen, erkannte am überschwänglich dankbaren Geplapper des Verkäufers, dass er es doch hätte tun sollen, und folgte Njangu hinaus in die grelle Sonne. Nun erkannte auch er 245 die bewaffneten Wächter. Es waren drei, die die verschiedenen Zugänge beobachteten, die früher einmal Straßen und jetzt Pfade durch hohe Trümmerhaufen waren. »Das dürften etwa fünfzig Meter gewesen sein... und da ist sie auch schon!«, sagte Njangu. Aus einer kleinen Gasse kam ihnen ohne Eile eine Frau entgegen. »Das hätte ich mir denken können«, sagte Garvin. »Stimmt«, sagte Njangu. »Guten Tag, Ratsherrin Poynton.« Jo Poynton erwiderte den Gruß mit einem Nicken. »Obwohl ich euch beiden mein Leben verdanke, bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich euch mag oder nicht.« Njangu zuckte mit den Schultern. »Wir haben keine Zeit, uns mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Was geschehen ist, ist geschehen.« »Du hast Recht. Bitte entschuldige«, sagte sie. »Vergiss es«, sagte Njangu freundlich. »Nachdem ihr eure Liebesaffäre mit der ganzen früheren Leidenschaft wiederbelebt habt«, sagte Garvin, »möchte ich vorschlagen, dass wir in den Schatten gehen, bevor die Sonne mein Gehirn gebraten hat. Dann würden wir... Entschuldigung... würde sich Njangu bestimmt gerne anhören, weswegen er herbestellt wurde.« »In der nächsten Straße gibt es ein Cafe«, sagte Poynton. »Es gehört ein paar meiner alten... Freunde, und dort wäre es für uns... oder zumindest für mich einigermaßen sicher.« »Wir werden dir folgen«, sagte Garvin. »Aber bitte keine Limonade mehr, ja?« Er verzog das Gesicht. »Wenn ich noch eine trinke, werde ich an Verrunzlung sterben.« »Wie wäre es mit einem Bier?« »Nur wenn du nicht vorhast, uns zu töten«, sagte Njangu. 246 »Nein. Ich brauche euch.« »Wozu?« »Ihr sollt Waffen besorgen. Waffen, mit denen wir gegen die Musth kämpfen können.« »Ich habe ihr nichts versprochen, ihr weder eine Zusage noch eine Absage gegeben«, sagte Njangu, während Mil
Angara und Aut Hedley aufmerksam zuhörten. »Was hat sie gesagt, wie viele Kämpfer sie mobilisieren könnte?«, fragte Angara ungläubig nach. »Zwischen tausend und tausendfünfhundert«, antwortete Garvin. Hedley schüttelte den Kopf. »Wir scheinen unser damaliges Ziel, so viele 'Rauhm wie möglich zu töten, nicht einmal annähernd erreicht zu haben! Und warum haben sich all diese verdammten, hochmotivierten jungen Kämpfer nicht der Streitmacht angeschlossen, wie wir gehofft hatten?« Niemand hielt es für nötig, ihm darauf zu antworten. »Um ehrlich zu sein«, sagte Njangu, »ich dachte, es wäre eine gute Idee, Zivilisten zu bewaffnen, die gerne Musth töten würden, auch wenn von Aspiranten wie mir nicht erwartet wird, dass sie zu Situationsanalysen fähig sind. Es ist nur so, dass ich keine Ahnung habe, woher wir die Waffen nehmen sollen.« »Abgesehen von der Tatsache, dass es mich ganz und gar nicht begeistert, einen ehemaligen Feind auszurüsten«, sagte Angara. »Was passiert, wenn keine Musth mehr da sind, die sie töten könnten? Wollen sie dann die alten Zeiten wieder aufleben lassen?« »Was soll's?«, sagte Hedley. »Wie es im alten Witz heißt: Wenn wir am Ende des Sturzes den Boden erreicht haben, sind wir sowieso tot.« Er kratzte sich am Kinn. »Angara, 247 mein Freund, ich finde, wir könnten unseren jungen Freunden ein Geheimnis anvertrauen. Zum Beispiel, wo sich fast zweitausend eingemottete Gewehre befinden.« Njangu und Garvin sahen sich verdutzt an. »Einverstanden«, sagte Angara widerstrebend. »Die 'Rauhm sind nun einmal die 'Rauhm. Ich schätze, die Götter haben einen ziemlich verrückten Sinn für Humor.« »Wie es scheint«, sagte Hedley, »ist gegen Ende der letzten Unannehmlichkeiten zufällig ein Raumschiff durch das Cumbre-System getrudelt, worauf es zufällig von einem unserer Zhucks abgeschossen wurde. Beim Absturz kamen alle ums Leben, aber es war kein Problem, das Schiff und die Besatzung zu identifizieren, da alle Hinweise auf Larix/Kura zielten. Offenbar hat unser großzügiger Freund Redruth versucht, etwas Leben in die Bude zu bringen, indem er die Kobolde mit Waffen beliefert hat. Wir wissen immer noch nicht, wer seine Kontaktperson zu den 'Rauhm war, aber wir haben zumindest die Waffen sichergestellt und sorgfältig in einem unserer Depots eingelagert.« »Sie beide verstehen es, genau im richtigen Moment ein Geheimnis zu offenbaren«, sagte Njangu. »Natürlich«, sagte Hedley. »Deshalb haben wir einen höheren Rang als Sie beide. Damit stellt sich nur noch die Frage, ob wir diese tadellos funktionierenden Waffen an Poyntons Pistoleros weitergeben wollen.« Alle sahen Angara an. »Ich bin der stellvertretende Befehlshaber des Regiments«, sagte er langsam. »Aber ich denke, in dieser Angelegenheit sollte ich lieber Rücksprache mit Caud Rao halten. Er befindet sich zurzeit in Kerrier. Ich vermute, er wird seine Einwilligung geben, nach der alten Spruchweisheit, dass der Feind unseres Feindes unser Freund ist. 248 Also können Sie schon mal alles vorbereiten, um die Waffen nach Eckmuhl zu liefern. Hedley, Sie übernehmen die Leitung der Aktion.« »Ich habe Poynton einen unserer Korns gegeben, die nicht auf den Standardkanälen senden«, sagte Njangu. »Ich werde sie sofort anrufen.« »Das eigentliche Problem wird sein«, sagte Hedley, »dafür zu sorgen, dass unsere freundlichen Eroberer nichts von dieser kleinen Transportaktion mitbekommen. Dann wäre die Zeit der schweigenden Waffen zweifellos vorbei.« »Wenn es passiert, dann passiert es eben«, sagte Angara. »Ich kann mir vorstellen, dass wir ihre Geduld mit unserer Hinhaltetaktik ohnehin bis zur Genüge strapaziert haben. Das gespannte Gummiband wird sowieso in den nächsten Tagen reißen, und wir sind so bereit, wie wir nur sein können.« Caud Rao überlegte, gab seine Einwilligung und befahl, dass die Aktion unverzüglich in die Wege geleitet werden sollte. Zwei Tage später, kurz nach Einbruch der Nacht, zündete jemand eine Bombe in einem Lagerhaus am Rand von Taman City, in der Nähe des Feldhauptquartiers des Dritten Regiments. Im Lagerhaus waren die Schmiermittel aus den verschrotteten LKGs der Streitmacht deponiert worden, um anschließend reycelt zu werden. Die Bombe sprengte das Dach des Gebäudes weg, und die Flammen schössen hoch in den Nachthimmel empor, sodass der ganze Planet auf den Vorfall aufmerksam wurde. Alles eilte herbei, die Holo-Gleiter, sämtliche schweren Feuerwehrfahrzeuge. Selbst die Musth-Patrouillen rasten -vermutlich eher aus Neugier als sonstigen Gründen - mit 249 Höchstgeschwindigkeit auf Taman City zu, das über tausend Kilometer von Leggett entfernt war. Niemand bemerkte, wie ein Frachttransporter, der zu den akquirierten, nicht registrierten Fahrzeugen der Armee gehörte, von der geheimen Basis der Streitmacht auf Mullion startete und in geringer Höhe über die schmale Halbinsel vor Dharma hinwegflog. Danach ging es im Tiefflug über die Bucht weiter, bis der Frachter nach Norden abdrehte und auf Chance Island zuhielt, wo er hinter Camp Mahan im Labyrinth der Munitions- und
Waffendepots landete und die Luken weit öffnete. Zwei Griersons und ein Aksai mit Ben Dill an den Kontrollen eskortierten das Schiff. Aut Jon Hedley befand sich an Bord eines Grierson. Als der Frachter aufsetzte, ging die Eskorte auf einem abgelegenen Landeplatz von Camp Mahan nieder und hielt sich dort bereit. Eine drei Kompanien starke Arbeitstruppe erwartete den Frachter. Hastig wurden Kisten mit je fünf Waffen verladen, und kurz darauf konnte der Frachter wieder starten. Er flog mit mäßiger Geschwindigkeit in geringer Höhe über dem Wasser, und die Eskorte hatte ihn bald wieder eingeholt. Dann überquerte er den Hafen von Leggett, gerade hoch genug, um niemanden zu alarmieren, und landete mit leise zischenden Antigravs innerhalb der Mauern von Eckmuhl. Dort warteten Poynton, Garvin, Njangu und mehrere hundert 'Rauhm. Niemand musste Befehle geben. Die 'Rauhm eilten ins Schiff, tauchten mit den Kisten voller Waffen und Munition wieder auf und verschwanden in den Tiefen von Eckmuhl. »Noch vor Sonnenaufgang werden alle Kisten aufgebrochen und der Inhalt an unsere Kämpfer in Eckmuhl und anderswo verteilt sein«, sagte Poynton. 250 »Beeindruckend«, sagte Garvin. »Es macht mir Sorge, dass alles so reibungslos läuft«, sagte Njangu. »Weil es bedeutet, dass am Ende irgendetwas schief gehen muss.« Poynton sah ihn an und winkte ihn zu sich. Garvin bemerkte es und entfernte sich diskret ein paar Schritte, dorthin, wo ihr Cooke wartete. »Danke«, sagte Poynton. »Obwohl ich geschworen habe, dass ich das nie zu einem Soldaten sagen würde, nicht einmal zu dir.« Njangu zuckte mit den Schultern. »Es ist die Unruhe, die das Leben für mich interessant macht.« Er grinste. »Wie es scheint, kannst du einfach nicht die Finger von den Waffen lassen.« Poynton wollte eine zornige Erwiderung geben, doch dann sah sie das Blitzen in seinen Augen. »Wie es scheint, lässt man mich einfach nicht.« »Vielleicht hättest du dich rekrutieren lassen sollen, wie es viele andere aus der Bewegung getan haben.« »Ich habe darüber nachgedacht«, gestand Poynton. »Aber ich war mir nicht sicher, ob die Amnestie auch für jemanden wie mich gilt.« »Also hast du dir ein sicheres Plätzchen gesucht... mitten im Rat der Planetaren Regierung. Sehr geschickt, Jo.« Sie lächelte. »Es hat funktioniert, nicht wahr? Niemand hat mich auffliegen lassen.« »Stimmt«, sagte Njangu. »Und was geschieht jetzt?« »Wir tauchen unter und tun wieder das, was wir am besten können«, sagte sie. »Nur dass wir jetzt die Musth ins Visier nehmen, wenn die Zeit zum Schießen gekommen ist.« »Sie geben größere Zielscheiben ab«, sagte Njangu. »Eine andere Frage. Erinnerst du dich, was mit Brooks passiert ist?« 251 »Er kam ums Leben«, sagte Poynton. Ihre Stimme klang plötzlich schroffer. »Das habe ich nicht gemeint«, sagte Njangu. »Ich wollte darauf hinaus, dass er Ideen für die Zukunft entwickelt hat. Große Ideen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Machtverhältnisse, wenn ihr gewonnen hättet, so gestaltet hätten, wie ihr es erwartet habt.« Poynton kniff die Lippen zusammen. »Und du glaubst, ich könnte genauso werden - auch wenn ich mit deiner Einschätzung von Brooks übereinstimme?« »Wenn man tausend oder mehr Leute hat, die alles, was man sagt, mit Waffengewalt unterstützen, kann einen das schon in Versuchung führen, habe ich mir sagen lassen.« »Keine Sorge«, sagte Poynton. »So bin ich nicht.« »Das glaube ich auch nicht«, sagte Yoshitaro. »Aber es kann nie schaden, wenn man eine Warnung ausspricht, nicht wahr?« Poynton bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Du scheinst genau zu wissen, wie man sich bei jemandem wieder beliebt macht, nicht wahr?« Njangu grinste. »Deshalb bist du die Ratsherrin und ich der Typ, der durch den Dschungel rennt. Keine Spur von Taktgefühl.« Poynton wusste selbst nicht, warum, aber sie erwiderte Yoshitaros Grinsen. »Am besten hältst du den Kom, den ich dir gegeben habe, ständig griffbereit«, sagte er. »Vielleicht bin ich es beim nächsten Mal, der Hilfe gebrauchen könnte.« »Wenn wir dir helfen können, werden wir es tun.« Die beiden sahen sich an, und Njangu hatte plötzlich das Bedürfnis, sie zu küssen und sich zu vergewissern, ob sie sich an eine andere Nacht erinnern wollte, als sie einen Overall aus blauem Samt getragen hatte. 252 Er hatte den Eindruck, dass sie ihm möglicherweise ein winziges Stück näher kam. Doch dann rief Garvin leise: »Lass uns abhauen! Der Frachter ist entladen!« Sie entfernten sich voneinander, und beide wirkten leicht verlegen.
»Wir sehen uns. Okay?« Poynton nickte und folgte den anderen 'Rauhm, die zwischen den Ruinen verschwanden. Der Frachter hob ab, wendete, überflog die Mauer von Eckmuhl und steuerte auf die Bucht zu. »Los geht's«, sagte Garvin zum Piloten, als Njangu und er den Cooke bestiegen. »Driften Sie über dem Meer ein bisschen nach Westen ab, bevor Sie Kurs auf Mahan nehmen. Ich würde dem Frachter gerne nicht zu nahe sein. Das Echo könnte zu laut sein.« Der Pilot bestätigte, und der Cooke startete. Als sie die Mauern von Eckmuhl hinter sich gelassen hatten, glitzerte vor ihnen das Wasser des Golfs, und dahinter schimmerten die Lichter von Camp Mahan. Garvin konnte den Frachter erkennen, als er auf die Bucht hinausflog. »Hier ist Spielzeug sechs«, sagte sein Kom. Es war Hedley. »In der Luft. Masse Fliehkraft.« Mission fortsetzen. Plötzlich stach der Lichtspeer eines Xenon-Suchscheinwerfers durch die Nacht und traf den Frachter. In Garvins Cooke erwachte ein Kom, der auf die Standardwachfrequenz eingestellt war: »Unbekanntes Schiff, unbekanntes Schiff, hier spricht die Planetare Polizei. Verzögern Sie sofort und identifizieren Sie sich.« Ein zweiter Kom schaltete sich ein: »Planetare Polizei, 253 dies ist eine Mission der Konföderation. Löschen Sie das Licht und stellen Sie die Verfolgung ein.« Doch die Polizei, deren Fahrzeug, ein modifizierter Cooke, nun sichtbar wurde, gab nicht auf. »Unbekannter Sender, hier ist die Planetare Polizei. Wir wurden über keine Mission, die zu diesem Zeitpunkt stattfinden soll, informiert. Identifizieren Sie sich und befolgen Sie unsere Anweisungen.« »Hier ist Spielzeug sechs«, sagte Hedley. »Ich wiederhole, diese Angelegenheit fällt in die Zuständigkeit der Konföderation, nicht in Ihre. Ende.« »Hier ist die Planetare Polizei. Schalten Sie die Fahrzeugbeleuchtung ein, oder wir werden das Feuer auf Sie eröffnen. Dies ist die einzige und letzte Warnung.« »Spielzeug Beta, hier ist Spielzeug sechs.« Hedleys Stimme kam jetzt über die Missionsfrequenz. »Schaltet die Bullen aus.« »Spielzeug Beta. Roger.« »Ach du Scheiße«, murmelte Njangu. Er sah eine Stichflamme über dem Meer, als der andere Grierson eine Rakete startete, und dann einen Feuerball, als der Cooke explodierte. »Hier ist Spielzeug sechs«, meldete sich Hedley erneut. »Masse Fliehkraft, Ende.« Garvin ließ sein Mikro einmal klicken, während ihm für einen Moment übel wurde, als er an die pflichtbewussten Menschen dachte, die soeben gestorben waren. Dann fluchte sein Pilot und zeigte auf den Radarschirm. Über der kleinen, verstreuten Flotte hing ein weiterer Punkt, der größer als alle anderen war, mit Ausnahme des Frachters. »Was zum Teufel... nach der Geschwindigkeit zu urteilen ein Musth«, murmelte Garvin. »Jetzt geht's rund.« 254 Im nächsten Moment explodierte der Frachter, als drei Raketen ins Ziel gingen, die der Musth, der plötzlich, angelockt vom Suchscheinwerfer der Polizei, aus dem Nichts aufgetaucht war, abgefeuert hatte. In den Komkanälen vermischten sich überraschte und schockierte Reaktionen. »Hier ist Spielzeug sechs«, setzte sich Hedleys Stimme durch. »Funkstille für alle Einheiten! Für weitere Anweisungen auf Empfang bleiben!« Doch bevor er welche geben konnte, war die Aktion auch schon beendet. Ben Dill, der ausgestreckt in der Kanzel seines Aksai lag, hatte den Velv gesehen, als dieser das Feuer auf den Frachter eröffnet hatte. Darauf hatte er die Maschine senkrecht hochgezogen und zwei Kontrollen berührt. Zwei Raketen verließen flüsternd die Startröhren. Ihnen blieb kaum genügend Zeit, sich scharf zu machen, bevor sie den Velv erreichten. Die Nase des Musth-Schiffes verschwand, dann das Heckleitwerk. Der Velv trudelte, der Pilot gewann für einen Moment die Kontrolle zurück, verlor sie wieder, dann raste er auf die Wasseroberfläche zu. Es gab einen grellen Blitz, der unmittelbar darauf gelöscht wurde. »Mistkerl«, sagte Njangu. »Jetzt haben wir den Salat.« 12 Drei Tage lang kam von den Musth nichts außer einem unheilschwangeren Schweigen. Dann, im letzten Licht der Abenddämmerung, näherten sie sich aus Richtung der untergehenden Sonne und grif255 fen Camp Mahan an. Sie flogen in weitem Bogen von ihrer Basis auf dem Hochland an und stießen zu den anderen Einheiten, die von Silitric alias E-Cumbre kamen und senkrecht aus dem Weltraum herabstießen. Velv und Mutterschiffe gingen in größerer Höhe auf Position und warfen ihre Raketen auf die Abwehrstellungen, die ohnehin kaum etwas ausrichten konnten. Es war, als hätten sie die Garnison ein zweites Mal überrascht, denn die Raketenabwehr wurde innerhalb weniger Minuten ausgeschaltet.
Wlencing setzte die Landetruppen in Marsch, und Wynt regneten aus den Hangars der Mutterschiffe, während Aksai den Luftraum sicherten. Dann eröffneten die echten Abwehrstellungen der Streitmacht auf Chance Island das Feuer. Die vernichteten Basen waren Attrappen oder automatische Stellungen gewesen. Bei dieser ersten Angriffswelle waren weniger als ein halbes Dutzend Soldaten der Streitmacht ums Leben gekommen. Die Raketen stiegen in Schwärmen auf, überforderten die elektronische Abwehr der Musth und rasten in die Wynt-Staffeln. Eine Zeit lang tobte sich ein wütendes Gewitter am Himmel aus. Dann gewannen Wlencing und seine untergeordneten Offiziere die Kontrolle zurück, und die Invasion ging weiter. Wynt landeten hinter Camp Mahan oder an den Stränden, und Musth-Krieger sprangen ins Freie. Die Strände und Wege rund um den Stützpunkt waren vermint worden, und die Musth starben schreiend, als der Boden unter ihren Füßen explodierte. Weitere Raketensalven dezimierten die Reihen der Musth, während die Geschütze der Armee gleichzeitig 256 Kartätschen aus kürzester Distanz abfeuerten und die angreifenden Aliens mit Schrothagel eindeckten. Die Musth waren so nahe, dass die Raubwürger eine Schleife über dem Meer fliegen mussten, um sich scharf zu machen. Einige wurden von Abwehrraketen der Musth getroffen, aber die meisten erreichten ihr Ziel. Die erste Angriffswelle geriet ins Stocken, zog sich in den Schutz der Wynt zurück und wurde weiter von Raubwürgern unter Beschuss genommen. Die überlebenden Kommandanten der Musth forderten sofortige Unterstützung an - oder die Erlaubnis, zu starten und den Angriff abzubrechen. Wlencing verweigerte ihnen beides und ließ die zweite Welle anrücken, die durch einen massiven Luftschlag vorbereitet wurde. Aksai und Velv bombardierten die Insel und griffen jedes Gebäude und sonstige Ziele an. Die Kasernen, Hangars und Baracken von Mahan explodierten, und ein Feuersturm raste in die Nacht empor. Doch die Streitmacht hatte sich tief in den Untergrund zurückgezogen, in Bunker, Kontrollstationen und Geschützstellungen. Immer mehr Raketen rasten durch den Rauch, und immer mehr Musth starben. Die zweite Welle traf ein, wurde durchsiebt und in einem engen Bereich um die Basis der Streitmacht eingeklemmt. Wlencing unterdrückte nur mühsam seinen Zorn, als er die Krallen ein- und ausfuhr und auf der Brücke seines Kommandoschiffs auf und ab marschierte. Ein paar Minuten später erhielt er von seinem Geheimdienst die Meldung, dass alle Kodes der Konföderation geändert worden waren. 257 Er brauchte keine weitere Erklärung. Das konnte nur bedeuten, dass die Armee der Menschen gewusst hatte, dass er über ihre »Geheimnisse« informiert war. Und dass sie schlau genug war, ihm statt gar keinen Informationen falsche Daten zu liefern. Und er war darauf hereingefallen, dachte Wlencing wütend. Er hatte geglaubt, dass die Konföderation widerstandslos unter seiner Peitsche in die Knie gegangen war, während nun offensichtlich wurde, dass sie nur auf den richtigen Moment zum Zurückschlagen gewartet hatte. Vielleicht hatte sie zu Anfang die Initiative verloren, aber nun sah es danach aus, dass sie sich schon seit einiger Zeit im Geheimen auf diesen Moment vorbereitet hatte. Die erste Frage lautete: Seit wann? Wlencing knurrte laut, wollte irgendjemanden oder irgendetwas verletzen. Aber dann gewann er die Beherrschung zurück. Ein neuer Gedanke kam ihm, und er hätte beinahe mit blindwütigem Zorn darauf reagiert: Was hatte die Konföderation noch vor ihm verbergen können? Er hatte keine Antworten auf seine Fragen... obwohl er jetzt ganz schnell und dringend welche brauchte. Über tausend Kilometer entfernt auf der Insel Seya waren Männer und Frauen aus hastig errichteten Fertiggebäuden rund um den großen Schrottplatz geströmt, auf dem die Zhukovs standen, im gleichen Moment, als das Hauptquartier der Streitmacht die ersten angreifenden Musth-Schiffe gemeldet hatte. Die Leute hatten schon seit einiger Zeit gewartet, nachdem sie insgeheim zu ihren LKGs zurückgebracht worden waren, und die Zeit mit Langeweile und Simulationen totgeschlagen. Die Zhukovs, die bereits betankt und bewaffnet waren, 258 starteten nach wenigen Minuten und rasten in Dreierstaffeln auf Chance Island zu. Zweihundert Kilometer vor Dharma stiegen sie in die untere Ionosphäre auf. Aut Chaka, der Kommandant der Golan-Staffel, öffnete einen Kanal und rief seinen Leuten ins Gedächtnis: »An Golan, wir stoßen direkt auf sie nieder. Nehmt euch zuerst die Mutterschiffe und dann die Transporter vor. Spielt noch nicht die Helden und lasst die Aksai in Ruhe. Einmal hindurch, dann wieder aufsteigen und zum nächsten Angriff sammeln.« Andere Kommandanten erteilten ähnliche Anweisungen, als sich die Zhukovs Chance Island näherten.
Tief unter ihnen und weit draußen auf dem Meer hatte ein Fischer auf das Spektakel über Chance Island gestarrt und bemerkte nun am Horizont ein fernes Glitzern im letzten Licht der untergehenden Sonne. Er fragte sich, was das bedeuten mochte, und starrte wieder mit offenem Mund auf das Chaos, das über dem Militärstützpunkt tobte. Die Zhukovs waren nicht besonders manövrierfähig, aber sie gehörten zu den am stärksten bewaffneten Kampfschiffen. Als sie nach unten stießen, feuerten die Schützen schwere Goddards ab, die mit einem Schlag ein Schiff ausschalten konnten. Die meisten wurden von Abwehrraketen der Musth abgefangen, aber zwei trafen ein Mutterschiff und schleuderten es aus der Kampfzone. Vier weitere näherten sich den Velv und vernichteten zwei Einheiten dieses Typs. Dann warfen sich die Aksai in die Schlacht und stürzten sich auf die Zhukovs. Die schwereren Kampfgefährte wurden durchgeschüttelt und versuchten dem direkten Kampf 259 auszuweichen, um sich der leichteren Beute der Truppentransporter zuzuwenden. Nun war es die Streitmacht, die Verluste hinnehmen musste, als Zhukovs explodierten, trudelten, abstürzten und rauchend dem fernen Boden entgegenrasten. Aber viele waren außerhalb der Reichweite der Aksai und durch die Luftabwehr der Streitmacht gedeckt. Sie zogen über die Landefelder hinweg, schössen Raketen ab, ließen die 150-mm-Automatikkanonen donnern und die MGs rattern. Wynt detonierten, und die dritte Angriffswelle der Musth wurde aufgerieben. Auf Wlencings Befehl stießen die Aksai und Velv erneut nieder, ungeachtet des Luftabwehrfeuers, und setzten alles daran, die Zhukovs zu vernichten. Dann schlugen die geheimen Einheiten von Mullion zu -von Jachten über Sportgleiter mit behelfsmäßig angebrachten Geschützen bis zu Patrouillenschiffen und den drei liebevoll restaurierten Aksai. Der Himmel war ein brodelndes Chaos, und nicht einmal die besten Schützen der Rao-Armee konnten ein Ziel lange genug anvisieren, um einen sicheren Treffer anzubringen. Sie konnten sich nicht einmal sicher sein, dass sie eine Rakete ins Ziel lenken konnten, ohne dass ihnen eine eigene Einheit in die Quere kam. Ben Dill feuerte zwei Raketen auf einen Velv ab und legte sich mit dem Aksai in eine enge Kurve, die ihn fast durch die Trümmerwolke des Schiffes führte, das er soeben abgeschossen hatte. »Hier ist Säbel sechs«, sagte er. »An Säbel-Staffel. Seid ihr immer noch bei mir?« »Bestätigt«, antwortete eine atemlose Stimme. »Hier ist Drei. Zwei ist irgendwo da oben hinter einem Mutterschiff her.« 260 »Hier ist Zwei«, war eine ruhige Stimme zu hören. »Habe ein weiteres Mutterschiff anvisiert, zwei Sekunden bis zum Angriff, eine... Scheiße« Die Übertragung brach ab, und Dill sah einen roten Blitz in der Dunkelheit. »Verdammter Gipteldreck«, fluchte er, ohne daran zu denken, dass er noch auf Sendung war, und setzte Kurs auf die Stelle, wo sein Kamerad gestorben war. Dort sah er zwei abtauchende Aksai. »Jetzt wollen wir mal schauen, wer zuerst blinzelt«, murmelte er und ging auf Maximalschub. »Kommt schon, kommt schon...« Die zwei Aksai drehten abrupt ab und wandten ihm die Bäuche zu. »Dachte ich's mir doch, dass ihr erst einmal kneift...« Dill feuerte zwei Raketen ab. Beide rasten auf das hintere Musth-Schiff zu und sprengten es in zwei Hälften. Er und sein Flügelmann blieben dem ersten Aksai dicht auf den Fersen, doch er entfernte sich immer schneller, da das Schiff in einem besseren technischen Zustand war als die zwei noch übrigen Kampfjäger der Streitmacht. Ein Signal an alle Schiffe ertönte in Dills Kopfhörer: »Rückzug! Rückzug!« Die meisten Einheiten der Streitmacht stellten den Kampf ein, stießen Lametta aus und setzten verschiedene elektronische Tricks ein, um den feindlichen Radar zu verwirren. Dann flüchteten sie zu ihren zugewiesenen Landeplätzen, zum Teil auf Mullion, zum Teil in ähnlich abgelegenen Regionen von D-Cumbre. Manche dieser Basen waren kaum mehr als kleine Treibstoffvorratslager mit zwei oder drei Technikern und einem Offizier oder Unteroffizier mit einem Kom. Die Musth-Schiffe, die immer noch unter dem Schock des unerwarteten Kampfes und der Hartnäckigkeit des besiegt geglaubten 261 Feindes standen, zögerten, den menschlichen Luftstreitkräften zu dicht auf den Fersen zu bleiben, sodass sich bis auf ein paar fast alle in Sicherheit bringen konnten. Ben Dill jedoch setzte seinen persönlichen Kampf fort und ließ nicht vom fliehenden Aksai ab. »Oh nein, oh nein, ich brauche dich, ich will dich«, brummte Dill, zog die Nase seines Schiffs hoch und feuerte drei Raketen ab. Er zielte über das Musth-Schiff hinweg in den vorausberechneten Kurs. Der Aksai raste genau in Dills erste Rakete hinein, und ein Stück vom Flügel brach ab. Die Maschine wurde herumgerissen, überschlug sich ein paarmal, dann trudelte sie träge der Planetenoberfläche entgegen. »Wer sagt's denn? Ich bin und bleibe Mrs. Dills hochbegabter Lieblingssohn, der...« Eine verirrte Rakete, die sich eigentlich selbst hätte zerstören müssen, erkannte etwas verspätet eine Möglichkeit und explodierte zehn Meter hinter Dills Aksai. Das Schiff wurde durchgeschüttelt, dann setzte abrupt der Antrieb aus.
»Na komm schon«, sagte Dill. »Ich habe keine Lust, heute Nacht noch schwimmen zu gehen.« Doch der Aksai hörte nicht auf ihn. Er machte einen Satz, warf sich auf den Rücken und ging in den Sturzflug über. Dill hantierte hektisch an den Kontrollen, konnte aber nichts mehr ausrichten. »Säbel drei, Säbel drei, hier ist Säbel sechs. Ich habe eine Notfallsituation.« Niemand antwortete ihm, bis er bemerkte, dass alle Leuchtanzeigen seines Korns erloschen waren. »Ich weiß nicht, ob mich jemand empfangen kann«, sprach er ins Mikro. »Aber hier ist Ben Dill. Es hat mich ausgeknockt. Wäre nett, wenn jemand vorbeikommen und mich rausholen könnte. Ende.« 262 Er schob einen kleinen Riegel über ihm zur Seite, dann wurde das Kanzeldach des Aksai weggerissen. Wind schlug tosend mit über 180 Stundenkilometern ins Cockpit und knetete seine Wangen, bis er das Helmvisier zuklappen konnte. Dill drückte den Kopf, der seine Sicherheitsgurte löste. Nun wurde er nur noch durch den Sturm in der offenen Kapsel gehalten. Sein Aksai rotierte einmal um die Längsachse und schleuderte Ben Dill in den Nachthimmel hinaus, hinter ihm der Fallbremser, der zwischen seinen Fußknöcheln verstaut gewesen war. Er fiel etwa fünf Sekunden lang - lange genug, um zu erkennen, dass er den Sturz nicht überleben würde. Dann setzte der Bremser ein, und er spürte, wie er langsamer wurde, als der Antigrav seine Bewegung auf Fußgängertempo reduzierte. Dill hing schief in den Gurten des Bremsers, und nach einer Weile hatte er es geschafft, die Riemen festzuzurren. Nun schwebte der kleine Kasten über ihm, fast wie ein altertümlicher Fallschirm, während er auf... Worauf stürzte er eigentlich zu? Er blickte nach unten und sah nur Finsternis. In einiger Entfernung waren Lichter zu sehen. Er vermutete, dass dort die Insel Dharma lag. Das bedeutete, dass die Finsternis unter ihm das Meer war. »Scheiße im Schuh«, murmelte er. »Schade, dass ich nie am Schwimmunterricht teilgenommen habe.« Dann kamen blendend helle Lichter auf ihn zu. Ein Luftgefährt rauschte vorbei, und Dill konnte für einen winzigen Augenblick erkennen, dass es ein Aksai war. »Ich würde es sehr unfair finden, wenn man mich abschießt, nachdem ich bereits aus dem Kampf ausgestiegen 263 bin«, murmelte er, dann kehrte der Aksai zurück, und Dill dachte - und hoffte -, dass es sein Flügelmann oder zumindest ein Musth mit Sinn für Fairness war. Er hob die Hände und machte eine Geste verzweifelter Hilflosigkeit, dann zeigte er nach unten und imitierte Schwimmbewegungen. Der Aksai verzögerte, bis er fast in der Luft stand, und näherte sich erneut. Ben Dill konnte nicht erkennen, wer sich in der Pilotenkanzel befand. Er schaute erneut nach unten und sah noch mehr Finsternis - und eine schwache Linie, die die Finsternis begrenzte. Brandung? Eine Insel? Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Mullion nehmen. Wer weiß, was mich hier erwartet? Insbesondere, wenn es sich um Mullion handelte. Eine Menge Legenden - wasserlebende Monstren, amphibische Monstren, landlebende Monstren, alles außer Kannibalen. Der einzige sichere Bereich war die nähere Umgebung des Geheimstützpunktes, der sich, wenn er mit seiner vagen Positionsbestimmung richtig lag, irgendwo da drüben befinden musste. Zu Fuß ein gutes Stück entfernt. Dann sah er ein seltsames flackerndes Leuchten. Die Monde sind nicht zu sehen. Was ist es also, was ich da sehe? Ein Fischerboot? Ein Dorf? Ein hoffnungsvoller Gedanke? Er fand die winzige Kontrolleinheit des Bremsers an den Gurten, zog die Abdeckung auf, wobei er sich einen Fingernagel abbrach, und berührte die Sensoren, um den Bremser auf das Licht zuzusteuern. Wieder kam der Aksai vorbei, dann drehte er ab, nahm Geschwindigkeit auf und verschwand. Ben Dill sah unter sich eine dunklere Finsternis und 264 hoffte, dass er eine sanfte Landung im Gebüsch oder auf einem Sandstrand hinlegen konnte. Das Licht, auf das er zuhielt, war nicht mehr weit entfernt und nun fast auf seiner Höhe. Na komm, sei nett, sei Land, dachte er und blickte dorthin, wo sich der Horizont befinden sollte. Er legte die Füße zusammen, entspannte seine Beinmuskeln, hielt sich an den Gurten fest, versuchte sich an ein Gebet zu erinnern und schlug ins Wasser. Es war Salzwasser. Er nahm die Arme herunter und hielt sich die Hände schützend vors Gesicht, dann war er unter Wasser und wurde von der Strömung mitgerissen, während er ertrank. 13 »Mistkerl«, sagte Garvin betrübt. »Ich habe immer gedacht, der alte Ben wäre unsterblich.« »Er auch«, sagte Njangu. »Ich schätze, ihr beide habt euch geirrt.« »Ich vermute, die Musth werden nicht lange genug mit dem Schießen aufhören, dass wir einen auf ihn trinken können«, sagte Monique Lir. »Unwahrscheinlich«, stimmte Njangu zu. »Aber wenn sie aufhören, werden dem guten Ben noch viele andere
Soldaten gefolgt sein, sodass wir uns kräftig besaufen können.« »Du spendest mir stets so viel Trost und Freude«, sagte Garvin im selben Moment, als Alarm zwischen den Betonwänden des Bunkers ertönte und die drei zu ihren Posten eilten. 265 Diesmal kamen die Musth über das Meer. Die Wynt rasten in geringer Höhe über dem Wasser heran, wobei sie Leggett als Schild benutzten, um die Schützen der Streitmacht daran zu hindern, das Feuer auf sie zu eröffnen. Velv und Aksai kreisten hoch am Himmel und suchten nach Zielen, von denen es zwischen den rauchenden Trümmern kaum noch welche gab. »An alle Raketenstationen«, ordnete Caud Rao an. »Überlegen Sie gut, bevor Sie feuern. Zielen Sie tief. Ein Spritzer ist so gut wie ein direkter Treffer.« So war es. Wenn Wynt in Wasserfontänen rasten, erwies sich das Meer als betonharter Widerstand. Andere Wynt-Piloten verloren die Nerven und gingen etwas höher, wodurch sie ihre verletzbare Unterseite präsentierten. Die Raketenstellungen der Streitmacht wurden ausgefahren, feuerten und waren wieder im Boden verschwunden, bevor es zu Gegenschlägen kommen konnte. Nur ein paar vereinzelte Wynt schafften es bis zum Strand und entluden ihre Krieger, von denen einige bei ihren eingekesselten Kameraden Deckung fanden. Scharfschützen und zweiköpfige MG-Teams der Armee krochen aus ihren Löchern und eröffneten das Feuer. Die Musth schössen zurück, trafen aber nur selten etwas, da sich die Streitmacht auf vertrautem Gelände befand. Ärger verwandelte sich in Zorn, und die Musth wurden unvorsichtiger - und immer mehr fielen den menschlichen Soldaten zum Opfer. Ein weiterer Angriff der Musth wurde gestoppt, noch bevor er begonnen hatte. »Ich trauere mit Ihnen«, sagte Rahfer, Wlencings Hauptadjutant. 266 Wlencing blickte vom Bildschirm auf und sah Rahfer und Daaf an, einen weiteren Adjutanten. »Er hinterlässt eine Lücke in der Kontinuität«, gestand er. »Doch Alikhan ist nicht mein erstes Junges, das im Kampf gestorben ist, und wir alle werden zu unserer Zeit sterben. Es ist viel wichtiger, dass er gut starb, und da er meinen Lenden entsprungen ist, weiß ich, dass es so war.« Rahfer hob zustimmend eine Tatze. »Nun gehört er der Vergangenheit an und ist kein Teil der Gleichung mehr«, sagte Wlencing. »Wir sollten uns nun der Aufgabe widmen, diese absurde Situation zu beenden. Ich glaube nicht, dass die Menschen ohne Schwierigkeiten Krieg führen können. Auf jeden Fall haben wir es nie zuvor erlebt, als sie gegen die Würmer gekämpft haben, die sich selbst als 'Rauhm bezeichnen.« »Vielleicht ist das die Antwort«, sagte Daaf. »Vielleicht kämpfen sie besser, wenn sie einem würdigen Feind gegenüberstehen.« »Das ist übelste Sentimentalität«, spottete Wlencing. »Und auf keinen Fall diskussionswürdig. Wichtig ist nur, dass sie uns schwere Verluste zugefügt haben.« »Wir haben fast ein Viertel unserer Krieger verloren«, pflichtete Rahfer ihm bei. »Wir könnten Nuklearwaffen einsetzen«, schlug Daaf vor. »Das kommt nicht in Frage«, sagte Wlencing voller Verachtung. »Die Wahrscheinlichkeit ist zu hoch, dass die Städte, in deren Nähe sie kämpfen, von der Strahlung betroffen werden. Selbst Leggett könnte sehr leicht kontaminiert werden, wenn nach einem Schlag gegen die Insel, auf der ihr Hauptstützpunkt liegt, der Wind ungünstig steht. Und ich bin mir nicht sicher, ob solche Waffen überhaupt den gewünschten Effekt zeigen, wenn sie sich unterirdisch 267 verschanzt haben. Vergessen Sie nicht, dass wir diese Menschen brauchen, wenn der Krieg vorbei ist. Sie sollen in unseren Minen und als Diener für uns arbeiten.« »Warum kommen sie nicht heraus und kämpfen, wie es wahre Krieger tun sollten?«, murrte Daaf. Rahfer wollte ihm gerade zustimmen, als Wlencing die Ohren spitzte und sich seine Augen röteten. »Ich kann Sie nicht gebrauchen, wenn Sie nur Dummheiten von sich geben! Wie können Sie erwarten, dass jemand nach Ihren Bedingungen kämpft, wenn er auf andere Weise viel mehr Schaden anrichten kann?« »Trotzdem«, sagte Daaf, »ist es unehrenhaft.« »Darin stimme ich Ihnen zu«, sagte Wlencing. Er schaute wieder auf den Bildschirm, der das Chaos und die Verwüstung auf Chance Island zeigte. Auf anderen Monitoren waren die Schlachten zu sehen, die bei Aire, Taman City und Kerrier tobten. »Außerdem ist es primitiv. So wehren sich Bodenwürmer, wenn sie vermeiden wollen, dass man sie aus ihren Löchern zieht. Es wird Zeit für eine Änderung unserer Strategie. Wir haben zwei Möglichkeiten. Wir können abwarten und sie zermürben, indem wir konstanten Druck auf sie ausüben. Das gefällt mir nicht, weil es vermutlich darauf hinausläuft, dass unsere Verlustrate so hoch wie bisher bleiben wird. Aber ich habe die Geschichte der Menschen studiert. Es gibt eine andere Möglichkeit, diesen Krieg zu führen, und wenn wenig Ehre darin ist, tun wir nur dasselbe wie sie. Und schließlich haben wir erkannt, dass diese Menschen gar nicht wissen, was wahre Ehre ist.« »Ich kann es nicht glauben«, sagte Jasith.
»Liebling, du bist einfach naiv«, sagte Loy. »Es sind 268 Aliens, Tiere. Natürlich können sie nur auf diese Weise kämpfen.« »Ich rede nicht von den Musth«, erwiderte Jasith. »Ich glaube, dass sie zu allem fähig sind, also kann mich nichts überraschen, was sie tun. Was ich nicht glauben kann, ist die Art und Weise, wie du dich völlig unbeschwert mit ihnen an einen Tisch setzt, als könntest du es gar nicht erwarten, was sie dir beim nächsten Mal antun werden!« »Ich erkläre es dir noch einmal«, sagte Kouro. »Wir haben gar keine andere Wahl. Unsere blöden Soldaten haben sich drüben auf ihrer Insel verschanzt, sodass sie uns überhaupt nichts nützen. Was soll ich also tun? Den Musth sagen, dass sie mich mal können? Was glaubst du, wie lange es dauert, bis sie mir den Laden dichtmachen und alle meine Leute entlassen?« »Ist es nicht seltsam?«, sagte Jasith, ohne ihren Ehemann anzusehen. »Die Reichen scheinen immer gleich zu reden. Wenn ihnen etwas nicht gefällt, dann ist es gar nicht schlimm für sie, sondern für ihre Angestellten. Man könnte meinen, dass wir jedes Mal in Tränen ausbrechen, wenn jemand Witwen und Waisen erwähnt.« »Was meinst du, was wir tun sollten?«, wollte Loy von ihr wissen. »Was würdest du an meiner Stelle tun?« Jasith überlegte, verwarf die erste Antwort, die ihr in den Sinn kam, und fand eine neue. »Ich würde lieber zulassen, dass sie meinen Laden schließen, als ihnen die Kameras und das Personal zur Verfügung zu stellen, sodass die Menschen im ganzen System gezwungen sind, sich anzusehen, was sie als Nächstes tun werden.« Kouro schüttelte den Kopf. »Dein Vater wäre fassungslos, wenn er dich hören würde. Er hat ein Imperium aufgebaut und hätte lieber den Tod riskiert, als auch nur einen Millimeter davon abzugeben.« 269 »Ich glaube, meinen Vater kannst du aus dieser Sache heraushalten«, sagte Jasith. »Wenn er noch am Leben wäre, glaube ich, dass er drüben wäre, bei den Zitat Anfang blöden Zitat Ende Soldaten. Auf jeden Fall würde er nach Möglichkeiten suchen, wie er ihnen helfen könnte.« »Dann bist du also die große Freiheitskämpferin höchstpersönlich!«, höhnte Kouro. »Und was tust du so, wenn ich fragen darf? Außer hier in deinem schönen Haus zu sitzen und die Hände zu ringen? Vielleicht solltest du eine Wohltätigkeitsparty für die Armee organisieren. Oder Verbandsstoff zusammenrollen, wie es feine Damen in den alten Zeiten gemacht haben sollen.« Jasith starrte aus dem Fenster über die Bucht auf den Dunst über Chance Island. Sie konnte Fluggefährte der Musth erkennen und gelegentlich den dumpfen Knall einer fernen Explosion hören. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß es nicht. Aber ich werde etwas tun.« »Sehr klug«, sagte Kouro. »Ich kann es gar nicht abwarten, dass die Musth den Namen meiner Frau auf die Liste ihrer größten Feinde setzen!« »Sie nehmen Geiseln«, sagte Mil Reese, die Befehlshaberin des Ersten Regiments, verbittert. Die gebündelte Übertragung zwischen Aire und der Armeebasis wurde verschwommen und stabilisierte sich wieder. »Sie haben bekannt gegeben, dass sie in Aire dreißig Personen in ihrer Gewalt haben. In anderen Städten soll es noch mehr Geiseln geben. Es wundert mich nur, dass sie Leggett bislang in Ruhe gelassen haben.« »Haben sie schon irgendwelche Forderungen gestellt?«, fragte Caud Rao. Reese schüttelte den Kopf. »Noch keine, Sir. Aber alle 270 Holos haben angekündigt, dass die Musth morgen Mittag auf Sendung gehen werden.« Rao sah Angara und Hedley an und bat sie um Meinungsäußerungen. »Die Soldaten sollen den Holoempfängern fernbleiben«, sagte Hedley. »Was immer es ist, es wird nichts Gutes sein.« Das war es auch nicht. »Hier ist der Matin mit einer Live-Sendung aus dem Studio Aire«, sagte die unsichtbare, tonlose Stimme. »Die folgende Übertragung findet auf direkte Anweisung der Musth statt.« Der Bildschirm zeigte eine leere Betonwand. Nach einer Weile waren Geräusche zu hören, wie eine Stahltür geöffnet wurde. Dann traten fünfzehn Männer und Frauen vor die Kamera. Sie wirkten verängstigt und blickten verwirrt um sich. »Diese fünfzehn Menschen«, fuhr die Stimme fort, »befinden sich als Geiseln in der Gewalt der Musth, die sie für bedeutende Persönlichkeiten von Cumbre halten.« Ein Mikro wurde mit einem Klick abgeschaltet und ein anderes eingeschaltet. Nun war die Stimme eines Musth zu hören. »Aufgrund der fortgesssetzten Kämpfe wurde entschieden, dasss alle Menschen im Sssyssstem, das bisssher unter dem Namen Cumbre bekannt war, verantwortlich gemacht werden. Mit anderen Worten, sssie gelten von nun an alsss Kriminelle. Die Kämpfe müsssen unverzüglich aufhören. Wenn dasss nicht geschieht, werden alle diessse fessstgehaltenen Menschen auf Befehl unssserer Anführer getötet.«
Den Menschen vor den Kameras blieb ein kurzer Mo271 ment, um Furcht zu zeigen, dann eröffneten die Verzehrer-Waffen das Feuer. Blut floss, Körper verkrampften sich, und schließlich begannen die krabbelnden Würmer mit ihrer tödlichen Arbeit. Die Sendung ging weiter, bis der letzte Körper aufgehört hatte, sich zu bewegen. Garvin wandte den Blick vom Bildschirm ab und sah Njangus Gesicht. Sein Freund bemühte sich, einen leidenschaftslosen Ausdruck zu bewahren. »In sssehr kurzer Zeit«, fuhr die Stimme fort, »werden weitere Menschen sssterben, wie wir angekündigt haben, wenn die Kämpfe nicht eingessstellt werden. Dann werden wir weitere Geisssein nehmen.« »Wie die befehlshabenden Offiziere wohl darauf reagieren werden?«, sagte Garvin. Bevor Njangu antworten konnte, aktivierte sich die Lautsprecheranlage des Bunkers. »Hier spricht Caud Rao. Sämtlichen Angehörigen der Armee wird empfohlen, unverzüglich einen Angriff gegen die Musth zu starten. Es kann keine Verhandlungen geben.« »Ich schätze, das war die Antwort«, sagte Garvin. »Ich fürchte, sie genügt mir nicht«, sagte Njangu. »Dafür möchte ich den Musth etwas viel Böseres antun. Böser und vielleicht auch etwas direkter.« Der Angriff der Legion kam aus dem Weltraum, von einer bemannten Station auf Fowey, dem größten Mond von D-Cumbre. Sie war den Invasoren entgangen, da sie hauptsächlich unterirdisch angelegt war und der seismischen Untersuchung des Trabanten gedient hatte. Ein Forschungsschiff war im Bugbereich mit Sprengstoff, wie er für Bergbauzwecke benutzt wurde, voll ge272 packt worden, und anschließend hatte man eine recht einfache Zielsuchvorrichtung eingebaut. Das Schiff startete und trieb mit hoher Geschwindigkeit dem Planeten »unter« dem Mond entgegen. Die zweiköpfige Besatzung kauerte nervös unter hochauflösenden Bildschirmen, während D-Cumbre immer größer wurde. Die Darstellung konzentrierte sich auf den Luftraum über Chance Island. »Da«, sagte die Kommandantin. »Das ist eins ihrer Mutterschiffe.« »Hab es«, sagte ihr Begleiter. »Zielerfassung... abgeschlossen... und jetzt lassen Sie uns verschwinden!« Die beiden liefen zur Rettungskapsel, die an die nächste Schleuse gekoppelt war, sprangen hinein und entfernten sich vom Forschungsschiff, das zum Untergang verurteilt war. Sie hätten es fast geschafft, aber sie tauchten auf dem Radar eines Aksai auf. Der Pilot feuerte mehrere Raketen ab, und die winzige Kapsel explodierte. Zwei Sekunden später rammte das Forschungsschiff das Mutterschiff der Musth, und für einen kurzen Moment strahlte eine neue Sonne am Himmel von D-Cumbre. Aber das genügte noch nicht. »Nur ein Mann, Entschuldigung, ein Musth hat das Sagen, richtig, Jon?«, fragte Njangu. »So scheint es«, sagte Hedley. »Und das ist dieser Wlencing?« »Wahrscheinlich.« »Mein Plan sieht folgendermaßen aus.« Dann erklärte Njangu, was er sich vorstellte, und Hedley dachte darüber nach. »Klar«, sagte er. »Dazu ist nicht mehr Signalanalyse nö273 tig, als man mit einem verdammten Abakus bewerkstelligen könnte. Aber du und die Auiklärungskompanie werden es nicht schaffen, die Aktion in die Wege zu leiten. « »Warum nicht?«, fragte Garvin. »Wir schleichen uns hier raus, und dann...« »Und dann werdet ihr wahrscheinlich vom Himmel geschossen, bevor ihr auch nur einen Kilometer weit gekommen seid«, sagte Hedley. »Nein. Wir machen es ganz anders.« Die Musth probierten es mit einer anderen Taktik. Schwere, halbautomatische Raketen wurden in mehreren Wellen auf Chance Island geworfen. Der Boden bebte, und die Luft flimmerte, als die Druckwellen kreuz und quer durch die Ruinen rasten. Aber nur eine Hand voll Männer und Frauen der Streitmacht verlor das Leben. Unter der Erde war es staubig, trocken und klaustrophobisch eng. Aber es war immer noch besser als an der Oberfläche. Camp Mahan hielt dem Angriff stand. »Vergiss nicht«, sagte Hedley, »dass dieser verdammte Wlencing kein totaler Idiot ist.« »Aber er ist nahe dran«, sagte Njangu. »Er scheint keinen großen Wert auf einen Generalstab oder irgendeine untergeordnete Kommandoebene zu legen. Wenn wir handeln, ist er der Einzige, der über die Reaktion entscheidet. « »Und ich hoffe, er ist nahe genug dran, um getötet zu werden«, sagte Hedley. »Wir starten den Versuch in einer Stunde. Keine Raketen. Rao will nicht das Risiko einge274 hen, dass sie abgefangen werden. Ich drücke euch die Daumen. «
Njangu schüttelte den Kopf. »An so etwas glaube ich nicht. Es ist der andere, der meistens unverschämtes Glück hat.« Die zwei umgebauten Gleiter waren mit nur je einer Waffe ausgerüstet - großen, in aller Eile konstruierten Bomben. Sie hoben kurz vor Sonnenaufgang vom geheimen Luftstützpunkt auf Mullion ab, änderten ein paar Mal den Kurs, um ihren Herkunftsort zu verschleiern, dann flogen sie sehr tief und sehr langsam in ostnordöstlicher Richtung über das Meer auf Dharma zu. Sie ließen ihre elektronischen Systeme schweigen und hatten Sichtkontakt mit Dharma, als die Sonne gerade den Horizont erhellte. Sie stiegen etwas höher, als sie den Strand überflogen, blieben aber trotzdem nur wenige Meter über dem Dschungel. Vor ihnen stieg das Land zur großen Hochebene auf, die in wallenden Nebel gehüllt war. Sie beteten, dass ihre Höhenmesser richtig eingestellt waren, und navigierten mit Satellitenpositionsdaten, da sie es nicht wagten, den Radar zu benutzen. Sie drosselten ihr Tempo auf 125 Kilometer pro Stunde und entfernten sich nie mehr als zwanzig Meter vom Boden. Beide Piloten verfolgten die koordinierte Zeitanzeige auf ihren Kontrollbildschirmen. Schließlich meldete sich der Kommandant. »Aktion!« Beide Schiffe gingen auf vollen Sekundärschub, stiegen schnell auf zweihundert Meter Höhe und schalteten den Zielerfassungsradar ein. »Ziel erfasst«, sagte der erste. »Ebenso«, meldete der zweite. »Starte den Countdown«, sagte der erste. 275 Wenn Wlencing der einzige Befehlshaber der Musth war, so hatte Njangu überlegt, sollte es nicht allzu schwierig sein, eine einzelne Signalquelle ausfindig zu machen. Die Techniker hatten danach gesucht und einen Punkt gefunden, wo sich die Sendungen konzentrierten. Sie kamen vom Hochland, wo die Musth bis zum Beginn des Krieges ihr Hauptquartier unterhalten hatten. Doch es war nicht der Gebäudekomplex, sondern eine Stelle, die etwa einen Kilometer in südöstlicher Richtung lag. Wie Hedley gesagt hatte, war Wlencing kein totaler Idiot. Aber er fühlte sich zu sicher. Obwohl man sich über diese Möglichkeit Sorgen gemacht hatte, waren keine Anlagen eingerichtet worden, die eine Ortung verhindern sollten. Die zwei Gleiter rasten auf die niedrige Gebäudegruppe zu, die das Hauptquartier der Musth darstellte. Beide Piloten nahmen nur am Rande die Leuchtpunkte auf ihren Radarbildschirmen wahr. Mit einiger Verspätung war die Luftabwehr der Musth gestartet. »Beta«, sagte der Kommandant, und die zwei Schiffe stiegen schnell auf Abwurfhöhe empor. »Fünf Sekunden.« Bei null fiel ein zwiebelförmiges Objekt aus dem ersten Schiff, landete auf dem Boden und wurde hoch in die Luft geschleudert. In diesem Moment warf das zweite Schiff die Bombe ab, die mehr ein eckiger Kasten ohne aerodynamische Eigenschaften war. Ein Antigrav sorgte dafür, dass die Waffe langsam zu Boden schwebte. Die erste Bombe traf ihr Ziel und explodierte. Die Druckwelle rollte über das Hochland und die Musth-Basis. Bäume, Kampfschiffe und Gebäude wurden zerstört. Die zweite Einheit detonierte etwa zehn Meter über dem Boden. Auch sie enthielt eine kräftige Sprengstoffladung, 276 aber auch verschiedene Metallteile, Glasscherben und andere Dinge, die sich in tödliche Splitter verwandeln konnten. Die Ladung breitete sich wie eine Sense über dem Sumpfland aus. Bedauerlicherweise hatte die erste Bombe etwas zu früh gezündet und nur den Rand der Musth-Basis erwischt, während die zweite genau dort explodiert war, wo sie sollte - ein paar Dutzend Meter hinter der ersten. Hochrangige Musth, darunter auch drei von Wlencings Adjutanten, starben genauso wie etwa einhundert seiner Krieger und Piloten. Aber Wlencing und der größte Teil seines Stabes überlebten. Njangus Traum von einem einzigen Schlag, der den Krieg beendete, hatte sich nicht erfüllt. 14 Die Kommunikation ließ sich kaum noch als Gespräch bezeichnen. Trotz der Hyperraumrelaisstationen, über die die drei Musth Verbindung hielten, benötigte jedes Signal mehrere Stunden vom Sender bis zum Empfänger. Die drei waren Wlencing, Paumoto und sein jüngerer Mitstreiter und Unruhestifter Keffa. »Sie machen keine großen Fortschritte«, begann Paumoto. »Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Wlencing. »Ich brauche niemanden, der mich maßregelt.« »Ich bin nicht daran interessiert, Sie zu maßregeln«, sagte Paumoto. »Ich habe mir nur gedacht, da wir gewisse gemeinsame Interessen hegen, würden Sie es schätzen, 277 wenn Sie über ein paar weitere Veränderungen auf unseren Welten informiert sind.« »Dieser verfluchte Senza«, fügte Keffa hinzu, »hat kontinuierlich auf einen Konsens gedrängt, der auf einen Rückzug hinausläuft oder zumindest auf den Versuch, zu unserem früheren Waffenstillstandsabkommen mit den
Menschen zurückzukehren.« »Wenn Sie Cumbre so schnell erobert hätten wie versprochen«, gab Paumoto zusätzlich zu bedenken, »hätte er in einem verlassenen Bau gegraben. Aber nun...« »Die Umstände haben sich geändert und stellen uns vor größere Schwierigkeiten, als wir erwartet haben«, sagte Wlencing. »So etwas tritt während eines Krieges häufiger ein.« »Genauso wie in der Politik«, sagte Paumoto. »Man muss mit Veränderungen leben, und wenn es zu unerwarteten Ereignissen kommt, müssen neue Strategien und Taktiken entwickelt werden.« »Warum machen Sie sich so große Sorgen um meine Angelegenheiten?«, wollte Wlencing wissen. Die Zeitverzögerung gab Paumoto die Gelegenheit, seine Beherrschung zu verlieren, sie wiederzugewinnen und eine politisch korrekte Antwort zu geben. Das galt jedoch nicht für Keffa, der sich tagelang über etwas aufregen konnte. Er antwortete: »Weil Ihre Angelegenheiten eine willkommene Waffe für Senza sind, die er gegen uns und unsere Verbündeten einsetzen kann.« Paumotos Antwort lautete: »Senza hat viel Interesse in Cumbre investiert und dadurch das Interesse anderer ausgelöst, die vorher eine neutrale Position eingenommen hatten.« Wlencing besaß genügend Verstand, um besonnen zu reagieren. Er antwortete in einem Tonfall, der bei einem 278 Menschen wehleidig geklungen hätte: »Aber warum hetzt er ständig um meinen Schwanz herum?« »Weil«, antwortete Paumoto, der sich zwingen musste, nicht die Geduld zu verlieren, »Ihre Art zu denken und sich zu verhalten eine Art ist, von der er und sein Clan sowie seine Sympathisanten finden, dass sie falsch für die Musth ist, dass sie unserem wahren Weg und unserem Schicksal zuwiderläuft.« »Was will er? Sich mit den Menschen verbünden?« Keffa knurrte wortlos. »Das ist ziemlich genau das, was er sich wünscht«, sagte Paumoto. »Seine Analysen und Projektionen, die zweifellos falsch sind, legen nahe, dass das Universum groß genug für beide Spezies ist, zumindest für einige Zeit. Wir sollten Bündnisse schließen, sowohl vorübergehender Natur als auch für längere Zeiträume, die für uns von unmittelbarem Nutzen wären, und uns keine Sorgen wegen möglicher langfristiger Auswirkungen machen. Senza sagt, dass sich schließlich zeigen wird, dass die Musth stärker als die Menschen sind. In den kommenden Jahrtausenden werden wir sie erobern, sie auf friedliche Weise verdrängen, durch unsere bloße Anwesenheit und durch die eindeutige Tatsache, dass unser Schicksal von unserem Schöpfer bestimmt wurde und dass die Menschen nicht mehr als tollpatschige genetische Kuriositäten sind, die zufällig Glück gehabt haben.« »Mystische Wurmscheiße!«, sagte Wlencing. »Die Macht geht an jene, die sie ergreifen, und bleibt so lange bei ihnen, wie sie stark genug sind, um sie zu halten. Das ist das einzige Geheimnis des Universums, und ich verstehe einfach nicht, warum Senza mit all seiner angeblichen Intelligenz eine so einfache Tatsache nicht begreifen kann.« »So kommen wir nicht weiter«, sagte Paumoto. »Ich hal279 te mich bereits seit einem vollen Tag in diesem Kommunikationsraum auf, und bisher wurde nur geschmollt, wie es ein Junges tut. Ich werde Ihnen keine Vorschriften machen, Wlencing, denn Sie sind, wie Sie sagen, ein mächtiges und bewunderungswürdiges Wesen, auch wenn Sie mir im Moment ein wenig dickschädelig erscheinen. Keffa und ich werden weiterhin alles tun, was wir können, um eine Verschlimmerung der Lage zu verhindern. Denn diese Angelegenheit betrifft uns und unsere Interessen. Wenn Sie scheitern, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch wir einen Teil der Macht verlieren, die wir jetzt in den Tatzen halten.« »Was soll ich also tun?« »Siegen«, sagte Keffa. »Siegen Sie schnell und ohne Komplikationen. Es spielt keine Rolle, was dazu nötig ist. Wir sind bereit, Ihnen zur Verstärkung ausgewählte Clankrieger zu schicken, falls Sie sie benötigen. Aber Sie müssen diesen Krieg siegreich beenden. Andernfalls könnte es geschehen, dass Sie mich und möglicherweise auch Paumoto zu Ihren Feinden machen.« 15 Ben Dill traf auf den Grund und verweilte dort einen Moment, während er mit eingeübten Bewegungen die Sensoren drückte, die ihn vom Bremser befreiten. Ich möchte lieber nicht in den Gurten hängend ertrinken, zumal es noch ein gutes Stück hinauf zur Oberfläche ist. Dann stieß er sich mit einer kräftigen Schwimmbewegung ab und erkannte im nächsten Augenblick, dass er in schenkeltiefer Brandung stand. 280 Er kam sich wie ein Vollidiot vor, dann riss ihn ein Brecher von den Beinen und ließ ihn wieder untertauchen. Erneut kämpfte er sich nach oben und spürte dabei, wie ihn die Riemen seines Bremsers streiften. Er griff danach, obwohl er nicht genau wusste, wozu er das verdammte Ding gebrauchen konnte, aber für den Überlebenden eines Absturzes konnte alles zu einem nützlichen Werkzeug werden. Eine weitere Welle kam und zerrte an ihm, doch diesmal blieb er auf den Beinen. Damit wusste er auch, in welcher Richtung das Ufer lag. Er watete los, wurde noch zweimal umgeworfen und erreichte schließlich den Strand, der sich kieselig unter seinen Füßen anfühlte. In der Dunkelheit schien es gar kein großartiger Strand zu sein. Er war nur ein paar Meter breit, bis der Dschungel begann.
Ben war verdreckt, außer Atem und hatte sich beim Absturz mehrere blaue Flecken zugezogen. Aber er konnte sich bei irgendeinem Gott dafür bedanken, dass er am Leben war. Für eine Sekunde vergaß er seine Situation und stieß einen Jubelschrei aus. Mrs. Dills Lieblingssohn ist immer noch im Spiel! Aus dem Dschungel antwortete ihm ein lautes Gebrüll. Es klang sehr nahe, größer als Ben und sehr hungrig. Ben Dill fluchte - lautlos - und überlegte sich, was er als Nächstes tun sollte. Wieder war das Gebrüll zu hören, und Dill ging genau an der Wasserlinie in die Hocke und sah sich um. Auf einer Seite, nicht allzu weit entfernt, ragte etwas Schwarzes auf. Er ging darauf zu, entdeckte eine Gruppe von Felsen und kroch dazwischen, dankbar, dass sie zumindest einen gewissen Schutz boten. 281 Ich kann verdammt froh sein, dass ich bei der Landung nicht auf diese verdammten Felsen geknallt bin! Jetzt muss ich nur noch dafür sorgen, bis Sonnenaufgang zu überleben. Er dachte an seine Überlebensausrüstung und zog die Päckchen aus den Taschen an beiden Beinen seines Pilotenanzugs. Eine kleine Pistole. Gut. Aber eine verdammt kleine Pistole, wenn er bedachte, dass er gegen den Brüller in der Finsternis lieber einen Raketenwerfer eingesetzt hätte. Trotzdem besser als gar nichts. Ein Klappmesser mit mehreren Klingen. Gut. Ein Leuchtsatz. Er überlegte, ob er ihn in den Himmel schießen sollte, entschied sich aber dagegen. Schließlich fiel ihm das Positionsgerät in die Hände. Er schaltete es ein und fluchte. Die Beleuchtung der Anzeige musste kaputtgegangen sein. Auch gut. Dann eben bei Tag. Er erinnerte sich an das Licht, das er gesehen hatte. Er suchte in der Dunkelheit und glaubte, ein ersterbendes Glimmen zu erkennen. Er wagte es, den Schutz der Felsen zu verlassen, suchte sich ein Stück Treibholz und drückte es fest in den Boden, und zwar so, dass es auf das Licht zeigte. Sofern die Flut nicht höher stieg, als er dachte, hätte er morgen eine Richtung, in die er losmarschieren konnte. Jetzt musste er nur noch abwarten, bis die Sonne aufging. Er suchte sich einen gemütlichen harten Felsen, gegen den er sich lehnen konnte, hielt die immer noch winzige Pistole in der einen Hand, das Messer in der anderen und wartete. Das Monstrum brüllte in den nächsten paar Stunden noch dreimal. Irgendwann, nach ungefähr fünftausendsechshundert 282 E-Jahren, wurde der Himmel heller. Er war grau und bedeckt. Das Wetter war diesig und drohte mit Regen. Dill betrachtete seine Umgebung. Voraus dichter Dschungel. Ein schmaler, gewundener Strand aus grobkörnigem schwarzem Sand, der sich in beide Richtungen erstreckte. Hinter ihm... Dill verzog das Gesicht. Die Wellen brachen sich an einer langen Reihe aus Felsen, die sich bis zu ihm hinzog. Wenn er darin gelandet wäre... »Trotzdem lebe ich!«, sagte er selbstbewusst. Jetzt brauchte er nur noch eine Rettung, eine gute Mahlzeit und etwas Schlaf, bevor er mit dem Krieg weitermachen konnte. Er suchte seinen Notfallsender, der einen genauso ausgefallenen Eindruck machte wie das Gerät in seinem Aksai. Dill brummte etwas über die Zuverlässigkeit moderner Technik und holte noch einmal das Positionsgerät hervor. Das funktionierte wenigstens noch. Er drückte die Positionsbestimmungstaste, worauf das Ding dreimal piepte. Dann erhellte sich der Bildschirm. POSITION UNBEKANNT. BITTE LASSEN SIE EINE REKALIBRIERUNG DURCHFÜHREN. Dill wunderte sich, was an so simplen Schaltkreisen kaputtgehen konnte, und steckte das Gerät murrend zur übrigen Technologie, die den Geist aufgegeben hatte, in eine Wadentasche, wo sie ihm nicht im Weg war. Er fragte sich, warum seine Überlebensausrüstung keinen Kompass enthielt. Doch bei seinem Glück hätte er sich wahrscheinlich draufgesetzt. Jedenfalls beschloss er, falls er wohlbehalten nach Hause kam, ein paar Änderungen an 283 der Zusammenstellung der Päckchen vorzunehmen, bevor er wieder abgeschossen wurde. Schließlich entschied er, in die Richtung zu gehen, die er in der Nacht mit dem Stock markiert hatte. Dann brach die Wolkendecke auf, und er erkannte eine neue Möglichkeit. Er steckte einen anderen Stock in den Sand, zeichnete den schwachen Schatten nach und las von seiner Fingeruhr ab, wie spät es war. Bevor die Sonne erneut von den Wolken verdeckt wurde, malte er schnell eine altertümliche Analoguhr mit vierzehn Stunden in den Sand, was etwas mehr als ein halber Tag auf D-Cumbre war. Er schrieb die aktuelle Uhrzeit an die Schattenlinie und verteilte die Zahlen so gleichmäßig wie möglich um den Kreis. Zwischen der aktuellen Zeit und vierzehn Uhr war ungefähr Süden. Was ungefähr die Richtung war, in die das Stück Treibholz zeigte, was bedeutete, dass Dharma in ostsüdöstlicher Richtung lag, irgendwo hinter dem wogenden Meer, das genauso grau wie der Himmel war. Einen Tick westlich von der Südlinie musste sich der Geheimstützpunkt tief im Dschungel befinden. Also musste er nur nach Süden marschieren, bis irgendein freundlicher Gott ihm sagte, wo er landeinwärts abbiegen musste, um auf die Basis zu stoßen. Doch darum würde er sich später kümmern. Er fand Trockennahrung in seiner Überlebensausrüstung, für die er
nur Trinkwasser benötigte, um sie essbar zu machen. Bedauerlicherweise war nirgendwo Trinkwasser zu sehen. Lass uns zuerst nach dem Licht schauen, obwohl es bei meinem Glück wahrscheinlich nur ein Stück halb verrostetes Metall ist, das irgendein anderes Licht reflektiert hat. Die Batterie des Bremsers war zu sieben Achteln entla284 den. Er wusste zwar nicht, was er damit anfangen sollte, wenn nicht mehr genug Antigravenergie vorhanden war, um ihn zu tragen, aber er wollte auch nichts wegwerfen, was ihm in irgendeiner Form nützlich sein mochte. Also warf er sich die Einheit über die Schulter und machte sich auf den Weg über den Strand. Er folgte der Küstenlinie durch zwei kleine Buchten und glaubte bereits, dass er irgendeinem Hirngespinst hinterher jagte, als er den Aksai sah. Es war die Maschine, die er beim Luftkampf angeschossen hatte. Es fehlten ein halber Flügel, ein Stück vom Heck, die Waffenstellungen und das Dach der Pilotenkanzel. Dill hoffte, dass der Pilot erfolgreich hatte abspringen können, als er etwas sah... jemanden... der neben dem Cockpit an den Schultergurten baumelte. Sein Kopf hing etwa einen halben Meter über dem steigenden Wasserspiegel. Obwohl Ben Dill schon etliche Feinde getötet hatte, war er nie daran interessiert gewesen, Skalps, Ohren, Bilder oder sonstige Trophäen von Leichen zu sammeln, weil er dachte, dass so etwas ansteckend sein konnte. Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als sich der Körper bewegte. Doch viel schlimmer war, dass sich noch etwas knapp unterhalb der Wasserlinie bewegte, etwas, das dunkel und mit Tentakeln bewehrt war und auf gar keinen Fall ein Felsen sein konnte. Scheiße, Scheibenkleister und kleine grüne Äpfel, dachte er, ließ den Bremser fallen und watete zum Aksai hinüber. Das Tentakelwesen, von dem bislang nur schwarze Arme zu erkennen waren und von dem Dill wusste, dass sie schleimig und stark sein mussten, rückte weiter vor. Der Pelz des Piloten war mit einer mattschwarzen Flüssigkeit bedeckt, die nur Musth-Blut sein konnte. Eine Wel285 le kam und spritzte das Gesicht sauber, sodass Dill ihn nun erkennen konnte, als er die Augen öffnete. Es war Alikhan, Wlencings Junges. Alikhan sah die winzige Pistole in Dills Hand. »Gut«, sagte er. »Schnell zu gehen ist besser, als auf den Tod zu warten.« »Halt die Klappe«, sagte Dill und steckte die Waffe in eine Tasche seines Pilotenanzugs. Stattdessen zog er das Klappmesser hervor und wählte eine stabile Klinge aus. »Mach dir meinetwegen keine Sorgen, sondern nur wegen dem Krakenmonster da unten.« Er suchte nach dem Öffnungsmechanismus für die Gurte, erkannte aber, dass er beim Absturz verbrannt war. Also säbelte er mit dem Messer an den Riemen herum. »Hast du dir was gebrochen?« »Nicht, dass es mir bewusst wäre«, sagte Alikhan. »Aber ich hänge hier schon seit einiger Zeit, und ich bin so taub, dass ich gar nicht weiß, ob...« Der letzte Gurt riss, und Alikhan fiel gegen Dill, worauf beide zusammen ins Wasser stürzten. Prustend tauchte Dill wieder auf, wobei er einen Tentakel spürte, der genauso schleimig war, wie er erwartet hatte, und ihn vorsichtig abtastete. Er erinnerte sich an ein Kindheitstrauma, einen Keller voller schleimiger und beißender Wesen, und geriet in Panik, während seine Hand die kleine Pistole aus der Anzugtasche zerrte. Er richtete sie rückwärts über die Schulter, drückte den Abzug und hörte den überraschend lauten Knall. Der Tentakel zuckte zurück, und Dill sah verschwommen durch einen Schleier aus Salzwasser, wie etwas Großes und Schwarzes fortschwamm und untertauchte. Dann war er wieder auf den Beinen und wuchtete Alikhan hoch. 286 Der Musth zischte amüsiert. »Verdammt witzig!«, sagte Dill. »Eigentlich wollte er seinen Speiseplan um ein Schmusekätzchen erweitern.« »Es war mir lediglich eine Genugtuung, dass so große Pilotenhelden wie wir uns durch etwas so Tierisches in Schwierigkeiten bringen lassen.« »Auf tierischem Gelände«, sagte Dill, »sollte man allem Tierischen mit dem gebührenden Respekt begegnen. Okay, hast du irgendwas in deinem Schiffswrack, das uns oder vorzugsweise mich am Leben erhalten kann, bis wir in die Zivilisation zurückgekehrt sind?« »Dieses und jenes«, sagte Alikhan und bewegte vorsichtig eine Tatze zu einer Tasche, die an den Überresten seines Sitzes befestigt war. Dill richtete die Pistole auf ihn. »Oh nein«, sagte er. »Nimm die Krallen weg.« Alikhan gehorchte, und Dill schnappte sich die Tasche. »Sonst noch etwas? Zeig einfach nur drauf. Ich werde es mir schon holen.« »Nichts. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich den Kampf verliere«, sagte Alikhan. »Gut«, sagte Dill. »Jetzt bewegen wir unsere Ärsche auf trockenes Land und diskutieren, was als Nächstes geschehen wird.«
Er winkte mit der Pistole, und Alikhan watete vor ihm zum Strand. Dill ließ den Musth nicht aus den Augen, während er die Tasche öffnete und darin eine der kleinen Säurepistolen und drei Insektengranaten fand. »Nur Waffen und nichts zu futtern, wie?« »Was hat deine Versorgung für dich eingepackt?« »Eine Waffe, ein Messer, ungefähr eine Tagesration Trockennahrung, ein paar Geräte für den Notfall, die nicht mehr funktionieren, und sonstigen Müll«, sagte Dill. 287 »Ich vermute, nach einem Tag lebt ein Pilot nur noch von reinem Sauerstoff und Überlebenswillen.« »Hör mal für einen Moment damit auf, witzig sein zu wollen«, sagte Dill. »Wir müssen uns zuerst auf eine Hackordnung einigen.« »Das verstehe ich nicht? Was wollen wir hacken?« »Ich meinte, wer das Sagen hat.« »Du hast die Waffe«, sagte Alikhan. »Stimmt«, sagte Dill. »Aber irgendwann brauche ich etwas Schlaf, und es wäre mir ganz lieb, wenn du dich nicht auf mich stürzt, sobald ich die Augen zumache. Also fangen wir einfach mal mit den nackten Tatsachen an. Ich bin hier der Obermotz, ist das klar?« »Ich vermute, du meinst damit, dass du die Regeln bestimmst, weil du das Glück hattest, mich abzuschießen.« »Erzähl mir nichts von Glück«, sagte Dill. »Du bist genau in meine Rakete geflogen, also bin ich eindeutig der Gewinner.« »Dieses Mal«, sagte Alikhan. »Aber es wird immer ein anderes Mal geben.« »Genau darüber diskutieren wir gerade«, sagte Dill. »Kennt ihr Musth so etwas wie eine Waffenruhe? Das ist, wenn man sein Wort gibt, sein Versprechen, dass man dem anderen nicht den Schädel einschlägt oder abhaut, bis der andere einen aus diesem Versprechen entlassen hat.« »Das ist eine amüsante Vorstellung«, sagte Alikhan. »Warum sollte ich einem Feind etwas versprechen, was in seinem Interesse ist?« Sein Rückenfell sträubte sich leicht. »Ich weiß, was du eigentlich sagen willst«, erwiderte Dill. »Warum sollte ich es tun, wenn ich die Chance nutzen könnte, ihn hinterrücks zu massakrieren?« Alikhan neigte den Kopf. »Du verstehst gut. Musth ha288 ben nicht die Gewohnheit, Gefangene zu machen. Aber es gibt Ausnahmen. Du hast mir zum Beispiel einen Gefallen erwiesen, als du verhindert hast, dass dieses Tier mir den Kopf abreißt oder was auch immer es an Abscheulichkeiten im Sinn hatte. Wir Musth erkennen eine derartige Schuld an. Wenn du also wünschst, dass ich meine Schuld abzahle, indem ich dir dieses Versprechen gebe, dann werde ich es tun. Und ich werde das Versprechen ehren.« »Das ist zumindest ein Anfang«, sagte Dill. »Gut. Damit stellt sich die Frage, wer nach dir suchen wird. Ein Aksai -ich weiß nicht, ob es der letzte aus unserer Flotte war oder einer von euren - ist gestern Nacht an mir vorbeigeflogen, als ich am Bremser hing. Also müsste es einer von euren gewesen sein, oder?« »Das ist unwahrscheinlich«, sagte Alikhan nachdenklich. »Du hast Yalf getötet, was bedeutet, dass es Tvem gewesen sein muss, der dich verfolgt hat. Er redet ständig davon, dass er alle Menschen vernichten will, also hätte er dich töten müssen.« »Du meinst nicht, dass er ein bisschen Mitgefühl für ein hilfloses Wesen entwickeln könnte?« Alikhan bewegte die Tatzen waagerecht hin und her und zeigte damit, dass er nichts von dieser unwahrscheinlichen Vorstellung hielt. »Vielleicht ist ihm die Munition ausgegangen.« »Gehen wir mal von diesem Fall aus. Und davon, dass dieser Tvem weiß, dass du nicht getötet wurdest. Würden deine Leute eine Suchmannschaft losschicken?« »Das glaube ich kaum«, sagte Alikhan. »Es sei denn, sie hätten gesehen, dass ich sicher gelandet bin. Von uns Musth - und das gilt im Besonderen für jemanden, der Wlencings Junges ist - wird erwartet, dass wir ehrenhaft sterben. Aber wir müssen definitiv sterben und dürfen 289 nicht dem Feind in die Hände fallen. Bereits vier meiner Nestlinge sind gestorben«, sagte er, und Dill glaubte, eine Spur von Trauer in der Stimme des Musth zu bemerken. »Also wird dein Papa nicht nach dir suchen lassen«, überlegte Dill. »Dann könnte es Jacqueline gewesen sein, die an mir vorbeigerauscht ist. Sie hat gesehen, dass ich lebe, ist zur Basis zurückgeflogen und sorgt nun dafür, dass man einen Suchtrupp losschickt. Das Problem ist nur, dass sie von... von einem Ort kommen werden, über den ich dir nicht mehr sagen werde, und so lange warten müssen, bis deine Leute nicht mehr in der Gegend herumschnüffeln. Was heute passieren könnte, aber auch morgen oder nächste Woche. Was bedeutet, dass weder deine noch meine Kindermädchen durch den Wald stapfen und nach uns rufen werden. Also sollten wir auf eigene Faust losmarschieren. Gott hilft denen, die sich selbst helfen, und so weiter.« »Eine gute Idee«, sagte Alikhan. »In welche Richtung?« Dill streckte den Arm aus. »Wir folgen diesem Strand noch ein gutes Stück, und irgendwann müssten wir Dharma sehen können... ungefähr dort. Dann kommen entweder meine Freunde, um uns zu helfen, oder wir
bauen ein Floß und stechen in See.« »Glaubst du wirklich, dass wir eine solche Reise überleben werden?«, sagte Alikhan. »Dass unsere Knochen nicht an diesem vergessenen Strand bleichen werden.« »Von wem hast du Terranisch gelernt?«, fragte Dill. »Edgar Allan Poe? Natürlich glaube ich das nicht! Hopp, hopp! Abmarsch!« Leider setzte sich der Strand nicht ununterbrochen fort, sondern endete immer wieder vor Flussmündungen, Watt oder steilen Klippen. Jedes Mal mussten sich die beiden in den Dschungel schlagen, bis sie das Hindernis überwun290 den oder umgangen hatten. Gelegentlicher Regen erschwerte das Vorankommen zusätzlich. Wenn sie wieder am Meer waren, galt es als Erstes, sich den Schlamm und die Insekten abzuwaschen. »Weißt du«, stellte Dill fest, als er aus der Brandung watete, »beim nächsten Mal werde ich dafür sorgen, dass ich mit einem Stützschwanz wie du ausgestattet werde. Damit hat man es eindeutig leichter, wenn man durch die Wildnis wankt.« »Ihr könnt darüber frei entscheiden?«, wunderte sich Alikhan. »Warum hat deine Spezies nicht schon längst eine solche Verbesserung eingeführt?« »Das war ein Witz«, sagte Dill. »Kein besonders guter, aber das Beste, was ich in Anbetracht der Umstände hinbekomme.« »Ich muss zugeben«, sagte Alikhan, »dass mir die Entwicklung der Lage ganz und gar nicht gefällt.« »So ist das nun mal, wenn man einen Krieg anfängt«, sagte Ben. »Kein Mumm, kein Ruhm, wie man so sagt.« Alikhan blickte einen Moment lang zu ihm auf, dann erhob er sich. »Lass uns weitergehen.« Irgendwann gegen Mittag fanden sie eine Quelle und bereiteten zwei von Dills Rationen zu. Eine war mit dem Etikett RINDFLEISCH IM EIGENEN SAFT, die andere mit GIP-TEL UND BOHNEN versehen. »Du bist der Feind«, sagte Dill, »also kriegst du die Bohnen.« Dill öffnete seinen Beutel, ließ Wasser hineinlaufen, verschloss den Beutel wieder und schaltete den Erhitzer am Boden ein. Der Beutel erwärmte sich, bis Dampf aufstieg. Alikhan machte es ihm unbeholfen nach. »Essen wir mit den Fingern?« 291 »An der Seite müsste ein Löffel sein. Zieh ihn einfach ab.« »Ah! Sehr praktisch.« Sie aßen schweigend. »Da du zusammen mit mir isst«, sagte Alikhan, »vermute ich, dass du nicht versuchst, mich hiermit zu vergiften.« »Es gibt eine Theorie«, erwiderte Ben, »nach der diese Rationen so widerlich schmecken, damit man anschließend alles überlebt.« »Eine exzellente Theorie. Ich glaube, ich bin jetzt bereit, über das Wasser zu gehen, oder vielleicht wachsen mir sogar Flügel.« »Dieses Gip' mit dem Unaussprechlichen ist doch gar nicht so schlimm!« »Doch, ist es.« Dill schob eine Ranke beiseite und suchte nach einem nicht glitschigen Halt, trat vor und änderte hastig den Kurs seines Fußes, als ihn ein Tier anzischte. Es hatte etwa die Größe eines menschlichen Kopfes und sah aus wie ein Frosch von der Erde, auf den etwas Großes gefallen war. Dill wich zur einen Seite zurück, das Tier zur anderen. Dann brüllte es ihn an - es war dasselbe Gebrüll, vor dem er sich in der Nacht zuvor zwischen den Felsen in Sicherheit gebracht hatte. »Ich glaub, mein Saurier pfeift!«, sagte er. »Die Kleinsten machen den meisten Lärm.« Alikhan, der erschrocken zurückgesprungen war, entsträubte wieder sein Fell. »Vielleicht ist es an der Zeit, darüber zu diskutieren, mir meine Waffe zurückzugeben.« »Ich grüble immer noch, wie weit ich deinem Wort ver292 trauen kann«, sagte Dill. »Ich werde mich zurückmelden, wenn ich zu einer Entscheidung gelangt bin.« Ein Fluss mit zahlreichen tiefen Buchten schlängelte sich dem Meer entgegen. Daneben erhob sich ein Felsen mit einem Überhang, der weit genug vorragte, um Schutz vor dem Regen zu bieten, der sich in einen konstanten Wolkenbruch verwandelt hatte. Dill sammelte abgebrochene Äste ein, ordnete sie zu einem Haufen an und suchte sich einen halb verrotteten Baumstumpf. Er trat mit dem Fuß dagegen, bis er mit den Händen trockenes Sägemehl herausholen konnte, das er neben das Feuerholz legte. Er stellte die Pistole auf minimale Leistung ein und brachte das Sägemehl zum Glimmen. Geduldig fügte er Zweige und schließlich größere Äste hinzu, bis er ein ordentliches Lagerfeuer in Gang gebracht hatte. Alikhan hatte sich auf einen Baumstamm gekauert und sah ihm zu. »Ich bin beeindruckt«, sagte er. »In meiner Ausbildung habe ich so etwas nie gelernt.« »Deine Ausbilder scheinen davon ausgegangen zu sein, dass du nie verlieren würdest«, sagte Dill. »Wir sind da
realistischer. « »Ich bin mir nicht sicher, ob ein wenig Übung im Verlieren nicht von Nutzen sein könnte«, sagte Alikhan. »Als ich unter Senza bei den Polperro studierte, sprachen er und seine Kader ständig davon, wie sehr sich die Musth selber Schaden zufügen, wenn sie nicht aus der Vergangenheit lernen wollen, vor allem aus den Niederlagen der Vergangenheit. Mein Vater hielt das alles für unsinnig und schicksalswidrig. Wir Musth sollten uns nur mit der Zukunft und mit dem Siegen beschäftigen.« 293 »Das Problem mit solchen Reden ist immer wieder dasselbe«, sagte Dill. »Damit lässt sich kein Magen füllen.« »Ich vermute, wir werden eine weitere von deinen getrockneten Mahlzeiten zu uns nehmen müssen, was immerhin etwas besser als gar nichts ist«, sagte Alikhan. »Obwohl es mir widerstrebt, ständig in deiner Schuld zu stehen.« »Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte Dill. »Ich habe kein Problem damit, wenn mir jemand etwas schuldig ist. Aber ich würde die Rationen lieber für den Notfall aufheben. Komm mit.« »Und ich bin gerade ein wenig getrocknet«, murrte Alikhan, aber er folgte dem groß gewachsenen Mann zum Fluss. »Mach dich bereit für die Fischfanglektion Nummer eins«, sagte Ben. »Ich weiß, wie man Fische fängt«, sagte Alikhan. »Soll ich Stangen schnitzen, oder stellen wir Netze aus Fasern her?« »Ich sprach von Fischfang, nicht von albernen Spielchen«, sagte Dill. »Zuerst müssen wir feststellen, ob ein Gewässer überhaupt Fische enthält. Aha! Ich sehe da eine Bewegung. Jetzt wollen wir hoffen, dass es nichts ist, das Ben Dill oder seinen Kumpel zum Mittagessen verspeisen möchte. Als Nächstes brauchen wir eine schöne Bucht. Nicht zu tief, weil du als gelehriger Schüler, der seinem Meister gehorcht, hineinwaten wirst.« Sie liefen ein Stück flussaufwärts. »Diese hier sieht genau richtig aus, weil es hier ein paar enge Stellen gibt. Ich nehme jetzt mein kleines Netz aus der Tasche und spanne es hier auf, um die Ausreißer einzufangen. Aber das allein bringt uns nicht genug ein. Sieh zu und gib gut Acht. Du darfst jederzeit Fragen stellen, weil jetzt der schwierige Teil kommt.« 294 Dill holte eine von Alikhans Insektengranaten aus der Tasche. »Schade, dass es keine handelsübliche Sprenggranate ist. Nach dem, was wir über eure taktische Ausrüstung gelernt haben, drückt man dieses kleine Knöpfchen, worauf man bis sechs oder sieben zählen kann, bevor es wumm macht und die kleinen Biester ausschwärmen.« »Sei vorsichtig«, sagte Alikhan. »Wenn die Insekten kein passendes Ziel finden und du nicht weit genug entfernt bist, könntest du von ihnen zu Tode gebissen werden.« »Sie werden viel zu sehr mit dem Ertrinken beschäftigt sein«, sagte Dill. »Nun mache ich mich auf den Wurf gefasst, nehme eine vorbildliche Haltung ein, mache das fiese kleine Ding scharf und ziele sorgfältig, sodass es genau in den Tümpel fällt, wo wir zuletzt unsere kapitale Beute erspäht haben.« Die Granate platschte in den Teich, und ein paar Sekunden später war ein dumpfer Knall zu hören. Eine schmale Wassersäule schoss gischtend empor. Kurz darauf trieben die ersten Fische an der Oberfläche. »Und nun wird geerntet. Steig mit deinem pelzigen Hintern in den Teich und wirf alle Fische ans Ufer. Am Grund werden noch mehr herumtreiben. Sie sind nur betäubt und werden sich bald vom Schock erholt haben, also halte dich nicht damit auf, sie zu jagen.« Einige Minuten später waren sie die stolzen Besitzer eines eindrucksvollen Haufens von Fischen. »Als Nächstes nehmen wir sie aus und werfen die Innereien in den Fluss zurück. Merk dir, dass wir sie nicht in der Nähe unseres Lagerplatzes ausputzen, weil niemand weiß, wer sich in dieser Wildnis herumtreibt, und wir ihn nicht mit einer Spur aus Ködern anlocken wollen.« 295 »Das ist sehr viel Fisch«, sagte Alikhan. »Ich glaube kaum, dass ich auch nur die Hälfte davon essen kann.« »Wir können es uns aussuchen«, sagte Dill. »Wenn wir wüssten, dass wir für längere Zeit hier im Dschungel ausharren müssen, sollten wir einen Tag opfern und sie über dem Lagerfeuer räuchern. Wenn wir dagegen mehr von deinen kleinen Bomben hätten, könnten wir verschwenderisch sein und einfach neue Fische aus dem Wasser holen, während wir weiterziehen. Ich weiß nicht, was die beste Idee wäre. Ich habe ein paar Haken und Leinen in meiner Ausrüstung, also sollten wir heute Abend einfach futtern, was reingeht, und dann weitermarschieren.« Am nächsten Nachmittag hörten sie ein helles Summen, worauf sie die Hälse reckten und einen Gleiter der Konföderation sahen, der zwischen den Wolken hindurchraste. »Jetzt wird's spannend!«, rief Dill begeistert. »Hier kommt unsere Rettung, wenn ich es nicht verpatze.« Er kramte in seinen Sachen und holte einen Spiegel mit einem Loch in der Mitte hervor. »Ich muss nur hier durchgucken und das Ding aufblitzen lassen. Und hoffen, dass der Typ nicht in den Wolken träumt, sondern auch mal nach unten schaut. Ja! Er hat's getan!« Der Gleiter drehte ab und ging tiefer, und Dill sprang auf und ab und winkte hektisch. »Ich bin nicht begeistert«, sagte Alikhan. »Lieber von meinen Leuten gefunden werden als von irgendwelchen hungrigen Dschungelbewohnern«, sagte Dill.
»Mag sein.« Dill suchte in seiner Überlebensausrüstung, fand den 296 Leuchtsatz und feuerte ihn ab. Er schoss etwa drei Meter in die Höhe, dann prallte er an einem Baumast ab, landete auf dem Strand, versprühte auf der Stelle rotierend rote Funken und wurde schließlich von einer Welle gelöscht. »Verdammter Mist!«, fluchte Dill. Doch der Gleiter näherte sich immer noch. »Komm schon, Baby, komm schon... ah, verdammt, du blindes Huhn!« Der Gleiter stieg wieder auf und verschwand in der Wolkendecke. »Vielleicht ist er höher gestiegen, um Hilfe rufen zu können«, sagte Dill. Der Musth sah ihn nur an. »Ihr Aliens solltet eigentlich nicht in der Lage sein, perplex dreinzuschauen, was immer das bedeuten mag«, beklagte sich Dill. Sie warteten mehrere Minuten, aber der Gleiter tauchte nicht wieder auf. In den nächsten zwei Tagen setzten sie ihren Weg an der Küste entlang nach Süden fort. Sie sahen keine weiteren Fahrzeuge, weder in der Luft noch auf dem Wasser. Seit zwei Tagen hatten sie sich von den Fischen ernährt, die sie gefangen hatten. Danach benutzten sie die Angelausrüstung, um größere Beute aus dem Meer zu holen. »Es reicht«, gab Alikhan am Ende des dritten Tages bekannt. »Wenn ich noch mehr von diesen Schwimmwesen esse, werden mir noch Flossen wachsen.« »Ich habe langsam auch die Nase voll«, stimmte Ben ihm zu. »Also probieren wir jetzt mal was anderes aus.« Mit Schnüren aus seiner Überlebensausrüstung stellten sie kleine Schlingen her, die sie an einen langen Stock hängten. Dann kehrten sie in den Dschungel zurück, such297 ten sich einen Baum, von dem Tierlaute kamen, und stellten dort den Stock auf. »Tiere sind genauso faul wie Menschen und suchen sich immer den einfachsten Weg aus, was ihnen letztlich zum Verhängnis wird«, erklärte Dill. »Wir haben gerade für die pelzigen Burschen, die sich auf diesem Baum häuslich eingerichtet haben, eine Kletterhilfe gebaut. Wenn sie den Stock hinauf- oder hinunterkrabbeln, stecken sie ihre dummen Köpfe in die Schlingen und erhalten die einmalige Gelegenheit, einen Beitrag zu Dills Spezialgulasch zu leisten. « An diesem Abend aßen sie die letzten Reste Fisch und zogen nach Sonnenaufgang hoffnungsvoll in den Dschungel, um nachzusehen, ob ihr Plan aufgegangen war. Die Falle hatte ihren Zweck einwandfrei erfüllt. In vier der fünf Schlingen hingen die Köpfe von kleinen, säugetierähnlichen Wesen. Bedauerlicherweise waren nur noch die Köpfe vorhanden, aus denen immer noch etwas Blut tropfte. »Davor hat man mich in der Überlebensausbildung nicht gewarnt.« »Ärgerlich«, sagte Alikhan. »Aber viel unangenehmer ist die Frage, wie groß das Tier sein muss, das uns die Beute wegschnappen konnte. Ich verspüre nicht den Wunsch, mich auf dieselbe Weise verspeisen zu lassen.« »Sollen wir uns lieber in unser Lager zurückziehen, mein Freund?«, sagte Ben. »Vielleicht können wir ja draußen im Meer noch ein paar schmackhafte Fische fangen.« »Eine exzellente Idee«, stimmte Alikhan zu. »Aber wäre es nicht überlegenswert, ob wir unser Lager an einer etwas weiter entfernten Stelle aufschlagen?« »Ein hervorragender Plan. Diese Umgebung gefällt mir nicht annähernd so gut, wie ich anfangs erwartet hatte.« 298 Anderthalb Tage später stießen sie auf ein Dorf. Beziehungsweise die Ruinen eines Dorfes. Es war gründlich dem Erdboden gleichgemacht worden. Aus der Luft, wie Dill vermutete. Hier hatten sich ein paar Dutzend Fischer mit ihren Frauen und Familien aufgehalten, als die Luftfahrzeuge aufgetaucht waren. Die Trümmer ihrer Boote langen noch in der Nähe am Strand. Alikhan schaute auf die Ruinen, in Dills Gesicht und schien genug von menschlicher Psychologie zu verstehen, um sich zum Rand des Dorfes zurückzuziehen. Ben streifte durch die Ruinen und zählte benommen die verkohlten Knäuel, die einmal Menschen gewesen waren. Schließlich kam er wieder zu sich und erkannte, dass er hier nichts mehr tun konnte. Da er es nicht fertig brachte, in der Asche nach Dingen zu wühlen, die vielleicht noch brauchbar waren, kehrte er zu Alikhan zurück. »Mein Volk hat das getan«, sagte der Musth. Es war keine Frage. Dill nickte. »Diese Menschen waren keine Kämpfer?« »Unwahrscheinlich.« »Dann war es keine ehrenhafte Tat.« Dill besaß genügend Anstand, ihm zu antworten: »Der Krieg ist nie ehrenhaft.« Alikhan streckte die Tatzen aus und gab damit zu verstehen, dass er keinen Trost wollte. »Was glaubst du, warum sie es getan haben?«
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Dill. »Vielleicht ist die Situation schlimmer geworden. Vielleicht haben unsere Väter erkannt, dass Nissen irgendwann zu Läusen heranwachsen.« »Was bedeutet das?« 299 »Schon gut.« Sie gingen schweigend weiter. Kurz vor Anbruch der Abenddämmerung sah Dill einen Giptel, ein geschupptes einheimisches Tier, das von den Bewohnern des Planeten wegen seines zarten weißen Fleisches geschätzt wurde. Es trank an einem Bach. Vielleicht stammte es sogar aus dem verwüsteten Dorf. Auf jeden Fall zeigte es nur wenig Scheu, als Dill sich mit einem schweren Stein in der Hand anschlich. Er nahm das Tier aus, machte ein Feuer, stellte Spieße aus dicken grünen Zweigen her und röstete das Fleisch. Er beträufelte es mit dem Saft von Beeren, die in der Nähe an Sträuchern wuchsen und die er gelegentlich in Lebensmittelgeschäften gesehen hatte. Als Teller benutzten sie große Blätter. Sie aßen und sprachen nur so viel, wie nötig war. Nachdem Alikhan die Blätter und die Knochen des Gipfels vergraben hatte, saßen sie am heruntergebrannten Feuer und starrten in die Flammen, während es ringsum dunkel wurde. »Wenn es gestattet ist«, sagte Alikhan schließlich, »würde ich gerne über das reden, was wir heute gesehen haben.« »Vielleicht solltest du es sein lassen. Ich habe ein sehr aufbrausendes Temperament.« »Ich denke, das Risiko muss ich eingehen«, sagte der Musth. »Ich glaube, ich habe erwähnt, dass ich bei einem Musth namens Senza studiert habe. Er ist der Anführer des Clans der Polperro, die als Schätzer fungieren. Ihre Bestimmung ist es, zu entscheiden, ob es sich lohnt, eine Unternehmung durchzuführen, ob sie in Einklang mit unserem Schicksal steht und ob sie im Rahmen unserer Gesetze erlaubt ist.« 300 »Anwälte«, sagte Dill. »Als mein Lehrer mich in Terranisch unterrichtete, sagte er, dass dieser Begriff eine zutreffende Entsprechung ist. Ich habe dir gesagt, dass Senza von der Notwendigkeit gesprochen hat, aus unseren Niederlagen zu lernen, zum Beispiel aus jener, die wir zu meines Vaters Vaters Zeit im Kampf gegen die Konföderation erlitten. Er lehrte, dass es nicht darum ging, sich in der Schande der Vergangenheit zu suhlen, sondern Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Er stellte gelegentlich die Frage, ob unsere Bereitschaft, sofort in den Kampf zu ziehen, die uns während unserer Evolution die Vorrangstellung gegenüber allen anderen Tieren einbrachte, möglicherweise zu einem Hindernis oder gar einem tödlichen Fehler geworden ist, seit wir zivilisiert sind. Obwohl das, was wir heute gesehen haben, alles andere als ein Beispiel für zivilisiertes Verhalten war.« Dill nickte und unterdrückte seinen schwelenden Zorn. »Mein Vater glaubte natürlich, dass Senza und jene, die wie er denken, Verräter an unserem Volk sind. Als er herausfand, dass ich mich für Senzas Lehren interessierte, verlangte er von mir, das Studium abzubrechen und den Planeten, auf dem ich lebte, zu verlassen und mir eine andere Beschäftigung zu suchen. Ich wusste, dass er erwartete, dass ich ein Krieger werde, und ich habe mich tatsächlich immer sehr für das Fliegen interessiert. Also dachte ich, dass ich seinen Wunsch erfüllen konnte. Es ist nicht leicht, einen Kriegsherrn zum Vater zu haben«, sagte Alikhan. »Was ist mit deinen Erzeugern?« »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte Dill. »Meine Mutter hatte eine Ranch, sie hat auf einer Pionierwelt Nutztiere gezüchtet. Mein Vater war Musiker, der sie mit seinem Gesang auf der Stelle betört hat. Ich war das Ergeb301 nis. Als ich drei oder vier war, hat er sie verlassen. Keine Ahnung, was er seitdem getrieben hat. Es hat mich auch nie sonderlich interessiert. Als ich aufwuchs, wusste ich eigentlich nur, dass ich auf gar keinen Fall auf einer Ranch arbeiten wollte. Man war ständig am Schuften, man konnte nie länger als einen Tag woanders hingehen. Die Tiere brauchten ständig Futter und Wasser, mussten aus irgendwelchen Erdlöchern befreit werden oder was auch immer. Aber es schien nicht viele Alternativen für mich zu geben. Als ich fünfzehn oder so war, war meine Mutter einmal mit einem Gleiter unterwegs, um irgendwelche Tiere in einen Pferch zu treiben. Ich vermute, dass sie nicht genug auf den Boden Acht gegeben hat, denn sie rammte plötzlich einen Betonpfeiler, wurde nach draußen geschleudert und von den Xebecs überrannt. Ich bereitete alles für die Auktion vor, und irgendein Mistkerl glaubte, dass er mich übers Ohr hauen konnte, und bot mir einen Preis, der eigentlich lächerlich war. Aber ich war einfach nur froh, aus der Sache raus zu sein. Dann habe ich mich zur Hauptstadt des Planeten durchgeschlagen, darüber nachgedacht, was ich als Nächstes tun sollte, und bin zufällig an einem Rekrutierungsbüro vorbeispaziert. Und der Rest war Abenteuergeschichte, wie man so sagt.« Dill zuckte mit den Schultern. »Also weiß ich eigentlich nichts über Väter, so oder so.« »Entschuldigung«, sagte Alikhan. »Ich habe immer noch Schwierigkeiten mit vielen terranischen Wörtern, aber ich glaube, ich habe das Wesentliche verstanden. Ich möchte mein Bedauern ausdrücken. Aber es gibt immer schlimmere Situationen als die, in der man sich selbst befindet.
Nun möchte ich noch einmal auf mein ursprüngliches 302 Anliegen zurückkommen. Bitte denk daran, dass ich, während ich spreche, versuche, mir einen Weg durch das Dickicht zu bahnen - durch das, was mein Vater und meine Clanmitglieder mich gelehrt haben und was ich bisher für richtig gehalten habe. Es gefällt mir nicht, was ich gesehen habe, seit ich mich in diesem System aufhalte. Es gefällt mir ganz und gar nicht. Ich sehe keinen Grund, warum wir Musth mehr von Cumbre in Besitz nehmen sollten, als wir bereits haben. Für mich ist dieser Krieg nicht mehr als das, was unsere Jungen tun, wenn sie zum ersten Mal erkennen, dass ihre Krallen wachsen, nur dass es Leichen statt kleiner Verletzungen gibt, die man stolz vorzeigen kann. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas dagegen tun.« »Du könntest jederzeit die Seiten wechseln«, sagte Dill. »Und gegen mein eigenes Volk in den Kampf ziehen? Es für euch Menschen töten?« »Entschuldigung«, sagte Dill. »Ich habe nicht nachgedacht. Das war ziemlich blöd von mir.« »Es soll so sein, als hättest du es nie gesagt«, erwiderte Alikhan. »Aber es muss doch irgendetwas geben, was ich tun könnte.« »Wenn du es zufällig herausfindest«, erwiderte Dill, »sag mir auf jeden Fall Bescheid.« Am nächsten Tag brach ein Sturm über sie herein, der die Bäume des Dschungels peitschte, die Luft mit Gischt trübte, die Welt grau werden ließ und Sand in die Gesichter des Menschen und des Musth blies. Sie suchten schnell Schutz unter einem Baum, von dem sie glaubten, dass er dem Wind standhalten würde, und unterhielten sich. Beziehungsweise versuchten sie, sich im Tosen der brechenden Wellen zu unterhalten. 303 Sie gelangten zu keinem Schluss, außer dass sie sich einig waren, die Lust am Töten verloren zu haben und lieber Kampfspiele ohne Raketen oder scharfe Waffen veranstalten würden. Aber der Krieg schien in der Natur des Universums zu liegen. »Zumindest so lange«, sagte Alikhan, »wie die Alten die Kriege anfangen, in denen sie selber nicht mitkämpfen müssen.« »Vielleicht«, sagte Ben Dill, der auf einer Dschungelfrucht herumkaute, »sollten wir zuerst die Älteren als Soldaten rekrutieren.« Alikhan gab Laute der Belustigung von sich, dann streckte er verneinend die Tatzen aus. »Selbst wenn wir das durchsetzen könnten, würden die Alten eine Möglichkeit finden, dass der Krieg zu Hause stattfindet, damit sie mit ihren Freunden in Fleischsalons an der Front sitzen und darüber plaudern können, wie schrecklich der Krieg in der Heimat ist.« »Wie lange«, fragte Alikhan, »wird es noch dauern, bis wir den Ort erreicht haben, über den du dich so geheimistuerisch äußerst, wo wir versuchen können, in die Zivilisation zurückzukehren? Ich finde diesen Dschungel ziemlich ermüdend, und ich habe genug davon, ständig hungrig zu sein.« »Keine Sorge«, sagte Dill. »Nur noch fünf Meilen, Ranger. « Alikhan fragte sich, was das Wort »Ranger« bedeuten mochte, und warum Dill plötzlich laut lachte. Doch er glaubte es allmählich zu verstehen, als sie sich am Ende des langen Tagesmarsches immer noch auf dem endlos erscheinenden Strand befanden und Dill die uralte Lüge vier 304 weitere Male ausgesprochen hatte und jedes Mal in schallendes Gelächter ausgebrochen war. Sie betrachteten missmutig einen ins Meer hinausragenden langen Felsgrat. »Wie es aussieht, müssen wir in den Dschungel zurückgehen und einen Weg finden, der drum herumführt«, sagte Dill. »Ist das die beste Möglichkeit?«, fragte Alikhan. »Mir scheint, dass sich die Formation sehr weit ins Innere der Insel erstreckt.« »Das ist auch mein Eindruck. Aber es gefällt mir nicht, wie sich die Wellen auf den Felsen brechen. Hast du eine bessere Idee?« »Vielleicht können wir über die Formation da drüben hinaufklettern und auf der anderen Seite einen Weg suchen, der wieder nach unten führt.« Dill seufzte. »Zumindest besser als gar nichts. Gehen wir. Schließlich haben wir nichts zu verlieren außer unseren Fingernägeln... und deinen Krallen.« Er schnallte sich das Bremsergeschirr um, schaltete es auf volle Energie, stieg auf die Felsen, suchte nach einem geeigneten Halt für die Füße und die Finger und machte sich auf den Weg nach oben. Alikhan folgte ihm. Sie kletterten die Formation hinauf und stellten fest, dass es gar nicht so schwierig war. Das Gestein war alt und zerklüftet, sodass es viele Spalten und Ritzen gab, wo man sich festhalten konnte. Der Musth war ein wesentlich besserer Bergsteiger als Ben Dill. »Das erinnert mich viel zu sehr an die Ausbildung bei den Aufklärern«, stieß Dill hervor. »Ich bin ein Düsenreiter, kein Stoppelhopser. Und wie zum Teufel soll ich 305 über diesen... Moment... Mann, wenn wir doch nur ein Seil dabeihätten!« Er streckte sich nach einem zweifelhaften Halt, ungefähr im gleichen Moment, als dem Bremser die restliche
Energie ausging. Dill schrie kurz auf, verlor das Gleichgewicht und fiel zehn Meter tief in einen Gezeitentümpel, der durch eine schmale Felskante aufgestaut wurde. Prustend und um sich schlagend kam Dill wieder an die Oberfläche. »Ich komme«, sagte Alikhan und stieg über die Felsen zu den schwappenden Wellen hinunter. »Es wäre schön... wenn es hier...«, stieß Dill hervor, während er sich plantschend zur Felskante vorkämpfte und sich daran festhielt, »...sicher wäre. Verdammt, hätte ich nur besser schwimmen gelernt!« Alikhan hockte nicht weit über ihm auf einer waagerechten Felsfläche. »Hier«, sagte er und streckte eine Tatze aus. Dill griff danach und bekam ihn am Arm zu fassen. Dabei rutschte er mit den Füßen aus, legte einen Bauchklatscher hin, tauchte für einen Moment unter und kam mit wedelnden Armen wieder hoch. »Ich habe dich«, sagte Alikhan und zog. Dann war da noch etwas anderes im Tümpel, das wie Wellen zischte, die sich vom Strand zurückzogen, etwas Graues mit einem Schnabel und einem einzelnen vertikalen Schlitzauge. Dill tastete mit einer Hand nach der Pistole in seinem Anzug. Alikhan zerrte an ihm, und das Tier, was es auch immer sein mochte, hielt Dills Bein wie mit einer Zange fest. »Zieh den Kopf ein!«, knurrte Alikhan. Dill gehorchte instinktiv und tauchte mit dem Gesicht unter Wasser. Hinter ihm gab es einen heftigen Stoß, und Dill spürte für einen kurzen Moment einen starken Druck in den 306 Ohren, auf den Augen, in der Nase und sogar im After. Dann war es vorbei. Der Zangengriff war verschwunden, und Alikhan zog ihn hoch. »Komm! Ich weiß nicht, ob ich es getötet habe!« Nach Luft schnappend hangelten sich die beiden den Felsgrat hinauf. Sie kletterten hastig, ohne sich zu vergewissern, ob sie sicheren Halt hatten, dann waren sie oben auf dem Grat und blickten zurück auf den Gezeitentümpel, in dem etwas um sich schlug. Zu erkennen waren nur schäumendes Wasser, furchterregende Fangarme, ein Schnabel und ein gebrochenes Auge, die für einen Moment auftauchten und wieder verschwanden. »Jesus Fistus mit einer Vorhaut!«, stieß Dill hervor. »Was zur verdammten Hölle war das?« »Ich weiß es nicht«, sagte Alikhan. »In unseren Einsatzhandbüchern steht, dass unbekannte Wesen in den Meeren und Dschungeln leben und wir ständig auf der Hut sein sollen.« Dill warf Alikhan einen äußerst skeptischen Blick zu. »Eine bessere Frage. Womit hast du es getötet - beziehungsweise ihm erhebliche Schwierigkeiten gemacht, da es immer noch um sich schlägt?« »In meinem Aksai befanden sich in Wirklichkeit drei Insektengranaten«, sagte Alikhan. »Eine hast du übersehen.« »Also hättest du mich jederzeit im Schlaf töten und allein weiterziehen können?« »Das hätte ich tun können«, sagte Alikhan. »Aber ich habe dir mein Ehrenwort gegeben.« »Mistkerl«, sagte Dill und streckte seinen kräftigen Arm aus. »Wie soll ich auf diese Geste reagieren?« »Du hast dich nicht sehr eingehend mit unseren Sitten 307 beschäftigt. Mit der Tatze nach meiner Hand greifen und rauf- und runterschütteln.« »So?« »So. Und hier hast du deine verdammte Pistole zurück.« Am späten Nachmittag hörten sie Maschinengeräusche und suchten den Himmel ab. »Nein«, sagte Alikhan. »Auf dem Wasser. Dort!« »Ein Boot«, sagte Dill. »Vielleicht könntest du es noch einmal mit deinem Spiegel probieren«, schlug Alikhan vor. Diesmal funktionierte es. Das Fischerboot änderte den Kurs und steuerte auf sie zu. Etwa zwanzig Meter vor dem Ufer hielt es an. Ein Lautsprechersystem wurde aktiviert. »Ich sehe Sie beide. Sie machen einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Wer hat das Kommando?« »Ich«, rief Dill. »Wir sind Piloten und vor ein paar Tagen auf dieser Insel abgestürzt. Wir brauchen Hilfe.« »Was dagegen, wenn ich das Pelzvieh wegpuste? Ein paar meiner Freunde haben unten an der Küste in Bocage Bay gelebt.« Dill sah eine Frau, die aus der Kabine trat, sich gegen eine Reling lehnte und mit einem Gewehr zielte. »Nein!«, rief Dill. »Er ist einer von uns! Wir gehören beide zur Streitmacht, drüben in Camp Mahan, auf Chance Island!« Die Frau starrte weiter durch die Zielvorrichtung, dann kehrte sie in die Kabine zurück und schaltete wieder die Lautsprecher ein. »Ich hoffe sehr, dass Sie nicht lügen, mein Freund. Oder unter dem Einfluss irgendeiner außerirdischen Droge stehen.« 308
»Nein. Schauen Sie! Ich habe die Waffe. Der Junge ist völlig in Ordnung.« »Also gut. Können Sie schwimmen?« »Er ja. Ich bin darin nicht so gut.« »Ich komme so nahe wie möglich ans Ufer«, sagte die Frau. »Machen Sie sich darauf gefasst, mir ein gutes Stück entgegenzukommen.« »Wir werden es versuchen.« Dill sprang ins Wasser, und Alikhan folgte ihm ohne Schwierigkeiten. Ben sah einen Mann, der aus der Bootskabine kam, an die Reling trat und einen Landungshaken in der Hand hielt. »Greifen Sie danach«, sagte er, und Dill schaffte es, sich daran festzuhalten und sich über die Reling zu ziehen. Alikhan kletterte kurz darauf mit den Krallen hinauf, und Dill sah, wie die Frau mit den Zähnen knirschte und wieder das Gewehr hob. Plötzlich hatte Ben den Landungshaken in der Hand und riss ihn hoch. Er schlug gegen den Gewehrlauf, sodass der Schuss in den Himmel ging. Dann hatte Dill seine kleine Pistole gezogen und auf den Kapitän des Fischerboots gerichtet. »Es tut mir Leid, Lady«, sagte er, während Alikhan an Bord kam. »Aber Vergeltung steht heute nicht auf dem Spielplan. Trotzdem danke für die Rettung.« 16 Wlencing befahl einen weiteren Angriff auf Camp Mahan, doch diesmal sollte er etwas subtiler vonstatten gehen als die bisherigen frontalen Attacken. 309 Mahan wurde von der Raketenartillerie und Luftkampfeinheiten bombardiert, aber nun kamen zumindest am Anfang keine Bodentruppen zum Einsatz. Er hielt eine Aksai-Staffel und drei Velv zurück. Sie waren mit seinen besten Piloten und Schützen bemannt, und er musste einen schmerzhaften Stich verdrängen, als er an sein verlorenes Junges dachte, das eigentlich bei ihnen hätte sein sollen. Sie hatten den ausdrücklichen Befehl erhalten, erst dann zu feuern, wenn sie ein eindeutiges Ziel hatten. Die Luft in den unterirdischen Geschützstellungen von Mahan war staubgeschwängert und fast genauso grau wie die Gesichter der Männer und Frauen, die an den Leitständen saßen. Die Wände und sogar der Boden zitterten. Als Nächstes schickte Wlencing eine Wynt-Staffel los. Aber das war nur eine Finte, denn in den Schiffen befanden sich keine Krieger, sondern nur Piloten und Schützen. Sie flogen direkt auf den Stützpunkt zu, worauf sich die Raketenstellungen aus dem Boden schoben. Die Staffel drehte ab, und nur drei Wynt gingen verloren. Sie sammelte sich über der Bucht und griff erneut an. Wieder zeigten sich die Geschützstellungen, und das war genau das, worauf Wlencing gewartet hatte. Die Aksai und Velv hatten keine Gegenschläge wie bisher ausgeführt, sondern konzentrierten sich darauf, die Ziele auf dem Menschenstützpunkt genau anzuvisieren. Nun feuerten die Aksai und Velv im selben Augenblick, als die Abwehrstellungen ausgefahren wurden. Drei wurden getroffen, und die Explosionen verwüsteten die unterirdischen Tunnel. Wlencing wies die Raketenartillerie auf Dharma an, ihr Feuer auf diese drei aufgesprengten Zugänge zu bündeln. Die Velv und andere Kampfschiffe bombardierten die 310 Umgebung, und zwei weitere Raketenstellungen wurden zerstört. Wlencing warf seine gesamte Einsatzreserve in den Angriff, und am frühen Nachmittag hatte er die Feuerkraft der Streitmacht fast völlig niedergerungen. Dann rief er die Wynt, damit sie die Truppen absetzten. Diesmal konnten die Musth trotz der Infanteristen in den Schlupflöchern Fuß fassen und einen Brückenkopf auf der Insel Mahan errichten. Wlencing ließ weitere Wynt kommen, die die Landetruppen verstärkten und den Brückenkopf der Musth ausbauten. Bei Anbruch der Nacht hatten die Musth ein Zehntel der Insel besetzt, und die Streitmacht konnte sie nicht mehr daran hindern, weitere Kampfelemente auf Mahan zu stationieren und die Schießplätze und Nebengebäude zu erobern. Die Lage war nicht mehr ungewiss. »Ihnen ist bekannt, was geschehen ist?«, fragte Caud Rao. »Ja, Sir«, antwortete Garvin. Er und Njangu mussten sich zusammenreißen, um keine besorgten Blicke auszutauschen. Ihr Oberbefehlshaber wirkte zwanzig, vielleicht sogar dreißig Jahre älter als zu Beginn der Belagerung. Mil Angara, Aut Hedley und Tak Erik Penwyth sahen allerdings auch nicht viel besser aus. »Ich werde mich kurz fassen«, sagte Rao. »Es ist nur noch eine Sache von einigen Tagen, bis die Musth die Insel in ihre Gewalt gebracht haben.« Garvin musste blinzeln, während er um seine Beherrschung kämpfte. Er wollte nicht, dass seine Verzweiflung an die Oberfläche brach. »Ja, Sir.« »Sie erinnern sich zweifellos daran, wie Sie mir vor 311 einiger Zeit vorgeschlagen haben, unverzüglich Guerilla-Taktiken anzuwenden, statt einen konventionellen
Krieg zu führen, wie wir es jetzt tun.« Rao rieb sich mit einer Hand über die müden Augen. »Vielleicht hatten Sie Recht.« Weder Garvin noch Njangu sagten etwas. »Ich möchte Ihnen eine unmögliche Frage stellen«, fuhr Rao fort. »Ist es zu spät, es jetzt noch zu tun?« Garvin sah Njangu an. »Es wird verdammt knapp, Sir«, räumte Yoshitaro ein. »Wir haben nur noch dreiundneunzig aktive Kämpfer bei den Aufklärern. Ich weiß nicht, wie viele Männer und Frauen sich jetzt noch freiwillig melden würden. Die Soldaten sind fast am Ende. Die Art von Krieg, über die wir hier reden, ist eine ziemlich widerliche Sache, Sir. Und ich glaube nicht, dass die Musth Gefangene machen. Wie viele einsatzbereite Soldaten befinden sich noch hier auf der Insel, wenn ich fragen darf?« »Etwa zweitausendzweihundert«, sagte Angara. »Das ist der Stand von heute früh.« »Die wichtigste Frage, die ich habe«, sagte Garvin, »lautet, wie wir so viele Freiwillige wie möglich von der Insel fortschaffen können. Wir werden versuchen, sie nach Leggett zu bringen, damit wir uns dort verstecken können.« »Dazu habe ich einen Plan«, sagte Hedley. »Und ich glaube, er könnte sogar funktionieren.« »Gut«, sagte Njangu. »Was ist mit den anderen Regimentern?« »Auch sie wurden beträchtlich dezimiert«, sagte Rao. »Aber sie befinden sich wenigstens an Land«, sagte Garvin. »Wenn Sie die Karten nach unseren Spielregeln neu verteilen wollen, Sir«, fuhr Njangu fort, »sollten Sie Anwei312 sung geben, dass sie sich in kleine Einheiten auflösen und sich nach Möglichkeit aus der Kampfzone zurückziehen. Sie sollen sich hinter die Linien der Musth durchschlagen und so schnell wie möglich in den Untergrund gehen. Wenn sie sichere Dörfer kennen, sollen sie dorthin gehen. Oder zu Freunden, Verwandten, was auch immer. Sie sollen so viele Waffen wie möglich mitnehmen, vor allem Pistolen, Granaten und so weiter. Sie sollen so viele Blaster wie möglich auf Karabinerkonfiguration umstellen, wozu das Werkzeug vorhanden sein müsste. Wenn sie glauben, sich mit schwererem Gerät absetzen zu können, haben sie unseren Segen. Sagen Sie ihnen, dass es in den Städten wahrscheinlich sicherer ist, aber wenn sie Kontakte zu Landbewohnern haben, sollen sie zu diesen Leuten gehen. Wir werden sie zusammenrufen, wenn die Zeit gekommen ist.« »Wie wollen Sie das machen?« Garvin sah seinen Partner an. Über diesen Punkt hatten sie noch gar nicht diskutiert. »Darüber haben wir gesprochen, Sir«, sagte Njangu. »Sagen Sie ihnen, dass sie den Matin verfolgen sollen -den Holosender von Loy Kouro.« »Sie haben eine Möglichkeit, ihn oder seine Leute zu untergraben?«, fragte Hedley ungläubig. »Sir, wir möchten jetzt noch nichts Genaueres dazu sagen«, mischte sich Garvin ein, der sich zusammenreißen musste, um nicht laut über die dreiste Lüge seines Freundes zu lachen. »Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir Ihnen sagen, wie wir es machen wollen.« Hedley zögerte, doch dann nickte er. »Ich will nur wissen, wie Sie es anstellen wollen, bevor Sie irgendetwas anstellen.« 313 Rao ließ tatsächlich für einen Moment einen Hoffnungsschimmer auf seinem Gesicht erscheinen. »Wenn wir die Regimenter auflösen«, sagte er, »wird das ein wenig Chaos erzeugen, sodass ein Teil ihrer Aufmerksamkeit von Camp Mahan abgezogen wird. Damit gewinnen wir ein paar Stunden oder sogar Tage dazu. Also gut. Die neue Befehlsstruktur sieht folgendermaßen aus: Mil Angara übernimmt die Streitmacht. Mullion wird zum neuen Hauptquartier der Armee, solange Sie die Basis geheim halten können. Hedley, Sie haben weiterhin den Befehl über die Sektion II, aber Sie sollen sich jetzt etwas mehr als zuvor als freier Agent betätigen. Ach ja, außerdem stehen Sie mit sofortiger Wirkung im Rang eines Mil. Sie beide haben völlig freie Entscheidungsgewalt. Sie sollen den Feind so lange und so gut, wie es Ihnen möglich ist, bekriegen. Wenn Sie der Meinung sind, dass die Zeit zur Kapitulation gekommen ist... dann ist das Ihre Entscheidung. Penwyth, Sie unterstehen jetzt Angaras Befehl. Bitte dienen Sie ihm genauso zuverlässig, wie Sie es bei mir getan haben.« »Aber was ist mit Ihnen, Sir?«, fragte Erik. »Ich werde das Kommando über Camp Mahan behalten. « »Aber...« »Sie haben Ihre Befehle erhalten, meine Herren. Führen Sie sie aus.« Angara, Hedley und Penwyth nahmen Haltung an. »Einen Augenblick noch, Sir.« Es war Njangu, der sich der eindringlichen Sentimentalität dieses Augenblicks verweigerte. »Ja?«, fragte Rao in schroffem Tonfall. »Haben wir immer noch Kommunikationskontakt mit den anderen Regimentern? Sicheren Kontakt?« 314 »Natürlich. Ich werde mich an sie wenden, bevor wir die letzte Offensive starten.«
»Erbitte Erlaubnis für eine allgemeine Bekanntmachung, nach Möglichkeit innerhalb der nächsten Stunde.« »Erlaubnis erteilt«, sagte Rao leicht gereizt. »Sonst noch etwas?« Niemand sagte etwas. »Sie sind entlassen«, sagte Rao. »Treffen Sie unverzüglich alle Vorkehrungen, und benachrichtigen Sie mich, wenn Sie bereit sind. Und mögen die Götter uns allen beistehen!« »Okay, Sir«, sagte Garvin zu Hedley, als sie Raos Büro verlassen hatten. »Wie sieht Ihr Beitrag zum Plan aus?« Hedley sagte es ihm. »Das heißt, wir werden sämtliche Eidotter in ein Ei packen, oder?« »Wir haben zurzeit einen kleinen Engpass an Schiffen«, sagte Hedley. »Falls es Ihnen entgangen sein sollte.« »Ein gewichtiges Argument«, sagte Njangu und stützte sich an einer Wand ab, als über ihnen eine Raketensalve einschlug. Hedley wandte sich an Angara. »Ihre Meinung, Sir?« »Ich bewundere Menschen, die immer wieder neue Strohhalme finden, an die sie sich klammern können«, sagte Angara und blickte sich zur Tür zu Raos Büro um. »Ich glaube, dem Alten sind sie gerade ausgegangen.« Weder Garvin noch Njangu entgegneten etwas. »Was geschehen wird, wird geschehen«, sagte Angara. »Also sorgen wir dafür, dass die Scheiße hangabwärts fließt.« 315 Statisches Knistern, dann war Jo Poyntons Stimme deutlich zu verstehen. »Ich höre.« Njangu fuhr mit seiner Erklärung fort. »Also soll ich aufzeichnen, was du möchtest, es gerafft an dich zurückschicken, und du gibst es dann an die anderen Städte weiter?« »Klar«, sagte Njangu. »So können die Musth, falls sie unsere Sendungen überwachen, dir nicht auf die Spur kommen, ganz gleich, wo du dich befindest.« Kurzes Schweigen, dann ein leises Glucksen. »Ich wette, du hättest niemals gedacht, das du mich jemals um so etwas bitten würdest.« »Um wirklich ehrlich zu sein«, sagte Njangu, »ja, du hast Recht.« »Warum auch nicht?«, sagte Poynton. »Warum auch nicht?« »Ich bin in fünf Minuten, nein, in zehn Minuten bereit«, sagte Poynton. »Ich rufe zurück.« »Ich warte.« »Noch etwas. Versuch am Leben zu bleiben. Vielleicht müssen wir noch einmal über die alten Zeiten reden.« »Genau das habe ich vor«, sagte Njangu. »Ende.« »Das ist eine Menge Geld, Sir«, sagte Baku al Sharif. »Das ist es«, stimmte Garvin ihm zu. »Setzen Sie es gut ein.« »Sir... was sollte mich davon abhalten... wie soll ich sagen?... einfach damit abzuhauen«, fragte al Sharif. »Nicht dass ich es tun würde. Aber es würde mich schon interessieren.« »Nichts«, sagte Garvin. »Nichts außer Ihrer ehrlichen Natur, Ihrem Hass auf die Musth und der Tatsache, dass Sie 316 ein guter Soldat sind, der weiter gegen unsere Feinde kämpfen und ein moralisch einwandfreies Leben führen will.« »Und«, fügte Erster Tweg Monique Lir hinzu, »falls Sie auch nur einen verdammten Credit für irgendetwas anderes ausgeben als für den Krieg, werde ich Sie jagen und Ihnen die Eingeweide durch das Arschloch herausziehen und zusehen, wie Sie sie mir zum Abendessen kochen.« »Ich habe verstanden, Tweg. Ich war nur neugierig.« »Der Nächste«, sagte Garvin, während er ein Grinsen unterdrückte. Der nächste Aufklärer trat an den Tisch und betrachtete voller Ehrfurcht den Stapel Credits, die einmal Jasith Mellusin gehört hatten. »An alle Stationen«, sagte der Techniker im Klartext. »Bereithalten zur Aufzeichnung und Weitergabe an alle Soldaten im Dienst, die zu den 'Rauhm gehören. Anweisung von Caud Rao.« Er sah Njangu an, der ihm zunickte. Der Techniker drückte einen Sensor. Eine ruhige und selbstsichere Frauenstimme kam aus den Lautsprechern: »Hier spricht Jo Poynton. Ich bin eine 'Rauhm. Bis vor kurzem gehörte ich dem Rat der Planetaren Regierung an. Ich habe das Gremium verlassen und bin in den Untergrund gegangen, weil ich vorausgesehen habe, dass der Rat in Kürze nur noch eine Marionettenregierung der Musth sein würde. Genau das ist geschehen. Bevor ich der Planetaren Regierung angehörte, war ich Mitglied der Bewegung und der Planungsgruppe, in der ich zuerst mit Comstock Brien und dann mit Jord'n Brooks zusammengearbeitet habe. Wir haben für eine Sache gekämpft, an die wir geglaubt haben... und verloren. 317 Vielleicht haben wir genügend Änderungen im Cumbre-System bewirkt, sodass unser Kampf nicht völlig
umsonst war. Vielleicht auch nicht. Aber nun stehen wir einem viel größeren Feind gegenüber. Einem Feind, dem es gleichgültig ist, ob wir 'Rauhm oder Rentiers sind. Unter dem Stiefelabsatz der Musth wird jede Menschlichkeit zugrunde gehen. Niemand kann sagen, was die Zukunft unter ihrer Herrschaft bringen wird, ob uns die Sklaverei oder Schlimmeres droht. Also rufe ich euch auf, meine Brüder und Schwestern der 'Rauhm, euch gegen unseren Feind zu erheben. Nicht als wilder Haufen oder durch frontale Angriffe, sondern auf die gleiche Weise, wie wir gegen die Soldaten der Rentiers und der Konföderation gekämpft haben... und beinahe gesiegt hätten. Nun sind sie unsere Verbündeten, und ich rufe euch im Namen vergangener und künftiger Generationen der 'Rauhm und aller anderen Cumbrianer auf, euch zu wehren und im Untergrund zu kämpfen, bis wir Stärke und Macht gewonnen haben. Sucht eure alten Kameraden, eure alten Offiziere, und schließt euch erneut zur geheimen Armee zusammen. Wenn ihr selbst nicht kämpfen könnt, helft jenen, die es können, mit Credits, Unterschlupf und Lebensmitteln. Nehmt Kontakt zu Soldaten der Konföderation auf, gebt ihnen Unterkunft, und wenn ihr mehr darüber wisst, wie man als Krieger im Schatten kämpft, dann bildet sie darin aus. Heute ist ein dunkler Tag, und die folgenden Tage könnten noch dunkler werden. Aber wenn wir zusammenhalten, wenn wir gemeinsam kämpfen, könnte es wieder Licht werden. Für Cumbre! Für Cumbre und die Freiheit!« 318 »Woher ist das denn gekommen?«, fragte Loy Kouro. »Aus Camp Mahan, vermuten wir. Die Sendung ging über eine Standardfrequenz der Streitmacht«, sagte Vollmer. »Wie soll es vom Matin ausgestrahlt werden?« »Was in drei Teufels Namen soll das heißen?« »Das soll heißen«, erklärte Ted Vollmer, Kouros Chefredakteur, geduldig, »ob wir es groß rausbringen, ob wir die Aufzeichnung kommentarlos abspielen oder ob wir...« »Sind Sie wahnsinnig?«, sagte Kouro. »Wenn wir das über unsere Kanäle verbreiten, werden die Musth unsere Türen versiegeln, vielleicht ohne dass wir das Gebäude vorher verlassen dürfen.« »Drei andere Holos haben es schon gesendet«, sagte sein Chefredakteur. »Offensichtlich ist ihnen der letzte Funke Verstand abhanden gekommen«, sagte Kouro. »Wie kann sich jemand diesen Blödsinn anhören, geschweige denn auch nur ein Wort davon glauben? Solche Reden bewirken nichts Gutes, außer dass die falschen Leute dazu angestachelt werden, das Falsche zu tun!« »Dann möchten Sie wahrscheinlich ein nettes Editorial schreiben, in dem Sie diesen Blödsinn verdammen.« »Ja! - Nein, warten Sie! Wir sollten den Blödsinn nicht dadurch aufwerten, dass wir ihn zur Kenntnis nehmen. Wir werden überhaupt nicht darauf reagieren.« »Sind Sie sich sicher, Sir?« »Natürlich bin ich mir sicher! Verdammt, wann lernen Sie endlich, selber zu denken?« »Ja, Sir. Vielen Dank, Sir.« In dieser Nacht führten die Musth einen schweren Schlag gegen das Dritte Regiment, das außerhalb von Taman City stationiert war. Es gab keine Vorbereitung durch Artillerie 319 oder Luftangriffe. Die Musth durchbrachen den Verteidigungsring, und Wlencing schickte seine Truppen hinein, damit sie möglichst viel Schaden anrichteten. Noch vor Sonnenaufgang waren die letzten Sendungen verstummt, in denen flehend um Hilfe gebeten wurde, obwohl nirgendwo Hilfe zur Verfügung stand. Caud Rao schickte seine letzte Botschaft kodiert an alle Stationen der Streitmacht. Sie war recht kurz: »Männer und Frauen der Streitmacht. Durch Ihre Kommandanten haben Sie meine letzten Befehle erhalten. Befolgen Sie sie, so gut und so lange Sie können. Kämpfen Sie weiter, kämpfen Sie als Soldaten in einem neuen Feldzug, aber kämpfen Sie mit der Ehre, die Sie auch bisher an den Tag gelegt haben. Wenn Sie sich ergeben müssen, tun Sie es mit erhobenem Haupt. Auch wenn Sie verloren haben, wird der Kampf weitergehen. Die Streitmacht stirbt. Sie kapituliert nicht.« »Wir haben Meldungen über neue Sendungen«, sagte Wlencings Hauptadjutant Rahfer. »Sie stammen aus Camp Mahan. Ton und Bild sind kodiert. Voraus ging eine sehr lange Sendung, ebenfalls kodiert. In beiden Fällen wurden Varianten des neuen Kodes der Menschen benutzt, den wir noch nicht entschlüsselt haben. Die Sendungen wurden vor sehr kurzer Zeit ausgestrahlt. Seitdem haben alle menschlichen Einheiten, die wir beobachten, Funkstille gewahrt.« »Ich vermute«, sagte Wlencing, »dass es in der Botschaft nicht darum ging, die Trauer über die zerschlagene Einheit zum Ausdruck zu bringen. Wir bleiben auf höchster Alarm320 stufe, aber wir verhalten uns ruhig, bis wir in Erfahrung gebracht haben, was die Menschen beabsichtigen.« Doch lange Zeit geschah nichts, oder es schien zumindest, als würde nichts geschehen, während die Nacht dunkler wurde.
Etwas früher am selben Tag startete einer der zwei Transporter, die Hedley für seine Flotte »organisiert« hatte, von Mullion. Eskortiert von den noch vorhandenen Aksai und einem Zhukov, entfernte er sich in östlicher Richtung von Camp Mahan und hielt sich dicht über dem Dschungel. In einer Schlucht, die im Süden ins Meer mündete, bog er nach Norden ab. Im Tiefflug setzte die Maschine den Weg über das Wasser fort, in langsamem Tempo, da solche Kisten sehr schwerfällig zu navigieren waren, bis sie sich westsüdwestlich vor dem großen Golf von Dharma befand. Dort ging der Transporter nieder und tauchte schließlich ins Meer. Auch wenn Raumfahrzeuge im Allgemeinen nicht zu dieser Kategorie gerechnet wurden, gaben sie in den meisten Fällen recht passable Unterwasserfahrzeuge ab, auch wenn sie ähnlich wie irdische Haie sehr schlechte Auftriebseigenschaften und eine sehr ausgeprägte Wärmesignatur hatten. Der Frachter bewegte sich langsam, aber stetig durch die Bucht und folgte dem ausgeschachteten Schifffahrtskanal. Etwa fünf Kilometer vor Camp Mahan ging er auf Grund und wartete auf das vereinbarte Signal. Die drei überlebenden Regimenter in den Stützpunkten außerhalb von Leggett, Aire und Kerrier führten Raos Befehle aus. Ein Vorstoß in Kompaniegröße wurde gegen den Umschließungsring der Musth unternommen, aber nicht unbedingt gegen die schwächsten Stellen. Die Musth hiel321 ten sich an ihre übliche Strategie, zogen sich ein Stück zurück, formierten sich neu und machten sich für den vernichtenden Gegenschlag bereit. Gleichzeitig wurde von der bodengestützten Raketenabwehr und Artillerie der Streitmacht das Feuer eröffnet. Wie es den Anschein hatte, stand eine größere Offensive bevor. Wlencing wies seine Kommandanten an, die angegriffenen Positionen zu verstärken und die Menschen zurückzutreiben. Die Musth führten die Befehle aus, als die Regimenter ihre zweite Angriffswelle starteten. Diese zielten gegen die günstigsten Stellen für einen Durchbruch. Das Vierte und Fünfte Regiment führten den Vorstoß erfolgreich durch, das Zweite lag etwa eine halbe Stunde zurück. Die Kompanien an der Spitze wandten sich nach links und rechts und hielten die Lücke im Ring offen. Die Männer und Frauen der Streitmacht nahmen nur das mit, was sie tragen konnten, und ließen schweren Herzens alle Verwundeten zurück, die nicht transportfähig waren und weiter von den Sanitätern versorgt wurden. Die Soldaten bewegten sich in kleinen Gruppen durch die Lücken. Das Erste Regiment, das schon immer stolz darauf gewesen war, etwas besser als die anderen zu sein, schaffte es sogar, ein paar kleine Gleiter und Cookes mitzunehmen, die mit Raketenwerfern beladen waren. Wlencing hörte sich das verwirrte Gejammer seiner Kommandanten an und erkannte mit nicht unerheblicher Verwunderung, was geschah. Sofort ordnete er an, die Lücken um jeden Preis zu schließen. Die Menschen durften nicht entkommen, um den Kampf später fortzusetzen. Die drei Schlachten auf D-Cumbre wurden mit brutaler 322 Grausamkeit in der Dunkelheit geschlagen, die nur gelegentlich von flammenden Lasern und explodierenden Sprengsätzen erhellt wurde, während Menschen und Musth schrien, starben, mit Granaten, Blastem, Krallen und Knüppeln kämpften. Dann schwärmten die Luftkampfgefährte der Streitmacht erneut von versteckten Landeplätzen aus und stürzten sich auf die Musth-Schiffe, die verwirrt über die Schlachtfelder rasten, ohne eindeutige Ziele zu finden. Wieder warf Wlencing seine Reserven in die Schlacht. Dies musste der letzte Entscheidungskampf werden. Ein oder zwei Beobachtungsfahrzeuge der Musth sahen den Frachter, der von Camp Mahan startete, doch ihre Meldungen wurden von einem Vorhang aus statischen Störungen auf allen bekannten Musth-Frequenzen überdeckt. Ein Aksai versuchte anzugreifen und wurde von einem der drei wartenden Zhukovs vom Himmel geschossen. Der Frachter raste über das seichte Wasser zum ersten Landepunkt der Musth. Dahinter folgten Griersons, die ihre Geschütze und Raketen abfeuerten, bis die Magazine erschöpft waren. Der Frachter schlug auf die Trümmer, die den Exerzierplatz bedeckten, rutschte seitlich weg und hätte sich beinahe überschlagen. Die Luken öffneten sich, und Soldaten strömten aus den Bunkern und Waffenstellungen und rannten zum Schiff. Jeder trug etwas bei sich, ob es MGs, Raketen oder Verwundete waren, denen sie halfen, an Bord zu humpeln. Ein Musth-Krieger erkannte die einmalige Chance und feuerte eine Rakete ab, die den Frachter am Heck traf. Die Besatzung löschte die Flammen und stellte fest, dass keine wichtigen Systeme beschädigt waren. Bevor es der Musth 323 ein zweites Mal versuchen konnte, wurde er von einer 35-mm-Salve aus einem Zhukov erledigt. »Los, los, los!«, rief Angara, der neben einer Rampe stand. Männer und Frauen hetzten hinauf, aber nicht in Panik, sondern mit disziplinierter Ruhe. Andere Offiziere der Streitmacht standen an den anderen Luken und trieben die Soldaten zur Eile an. Als draußen niemand mehr zu sehen war, rief Angara, dass die Luken geschlossen werden sollten und der Frachter starten konnte.
, Der Pilot und die Besatzung gehorchten, und das Gefährt hob heulend vom Boden ab. Dann drehte es in einer engen Kurve zur Bucht ab, überflog die Halbinsel, ging wieder tiefer und verschwand in der Dunkelheit über der Insel Mullion. In Camp Mahan war niemand zurückgeblieben. Mit Ausnahme von Caud Prakash Rao, achtundsiebzig Freiwilligen und den Schwerverletzten, die nicht transportfähig waren. Sie warteten mit grimmiger Entschlossenheit auf die Musth. »Das ist unmöglich!«, regte sich Wlencing mit geröteten Augen auf. »Man kann eine Schlacht nicht gewinnen, indem man sie verliert! Was denken sich diese Wesen? So führt man keinen Krieg! Wohin sind sie verschwunden?« »Wir wissen es nicht«, sagte Rahfer. »Niemand scheint ein eindeutiges Ziel zu haben. Sie bewegen sich in kleinen Gruppen, die meisten in die Städte, in deren Nähe sich ihre Stellungen befunden haben. Wir haben versucht, unsere Truppen abzusetzen, aber unsere Krieger sind mit dem Gelände nicht vertraut. Selbst mit Nachtsichtgeräten ist die Lage verwirrend. Wenn wir sie in eine Falle locken, 324 reagieren sie völlig unterschiedlich. Manchmal ergeben sie sich, manchmal kämpfen sie bis zum Ende, und sehr häufig halten sie unsere Krieger so lange hin, bis ihnen die Flucht gelingt.« »Was ist mit ihren Luftgefährten?« »Wir verfolgen immer noch die Spuren, nachdem sie verschwunden sind«, sagte Rahfer. »Sie haben sich in alle Richtungen zerstreut, aber wir finden immer wieder kleine Landeplätze, die wir sofort unter Beschuss nehmen.« »Das ist, als wollte man Quecksilber in den Tatzen halten«, sagte Wlencing. »Wir dürfen nicht zulassen, dass uns diese Gelegenheit vereitelt wird.« »Sir«, sagte Daaf, »beruhigen Sie sich. Überlegen Sie, welchen Schaden diese vereinzelten Streuner anrichten können, diese Fragmente einer Armee. Kriege können nicht von ein oder zwei Kriegern geführt werden.« »Richtig«, sagte Wlencing. »Aber sie können trotzdem viele Musth töten, genauso wie es diese 'Rauhm-Würmer mit den Kriegern der Menschen getan haben, bevor Sie in meine Dienste getreten sind und die Herrschaft zu einer schwierigen Angelegenheit gemacht haben. Schweigen Sie jetzt und hören Sie damit auf, Ihre Unwissenheit vorzuführen.« Beim ersten Tageslicht rückten die Musth auf Dharma gegen die Trümmer von Camp Mahan vor. Sie bewegten sich selbstsicher, da sie überzeugt waren, dass sich höchstens eine Hand voll Menschen in den Ruinen aufhielt, die sie nur aufscheuchen mussten. Sie schlössen die Reihen, als sie den Exerzierplatz erreichten. Aus den unterschiedlichsten Richtungen schlug ihnen Abwehrfeuer entgegen. Sie flüchteten sich in Deckungen und schlugen zurück. 325 Aber die Soldaten der Streitmacht hatten längst die Positionen gewechselt und feuerten erneut. Die Musth-Kommandanten forderten Luftunterstützung an, und die Aksai warfen sich in den Kampf. Ein Velv visierte den größten Trümmerhaufen an, der einst das Hauptquartier gewesen war, und machte die Raketen für einen frontalen Angriff scharf. Gefreiter Barken, der eine Wachstellung hielt, kam aus der Deckung und schob eine primitive Raketenabschussrampe vor sich her. Er drückte auf den zeitverzögerten Feuerknopf und hetzte zurück. Die Rakete erwachte summend zum Leben, piepte, als die Zielautomatik den Velv erfasste, und raste auf das MusthKriegsschiff zu. Sie schlug mitten ins Ziel, knapp unterhalb der Hauptkanzel, und detonierte. Die Besatzung war sofort tot. Der Velv geriet ins Trudeln, überschlug sich und stürzte mitten in die Musth-Truppen, bevor die Maschinen explodierten. Die Schützen der Streitmacht nutzten die Verwirrung aus und töteten so viele Musth-Krieger, wie sie konnten. Die Feinde zogen sich zurück, formierten sich neu und rückten ein weiteres Mal vor. Sie erreichten die Ruinen, und wieder entwickelte sich ein verbissener Nahkampf. Die Soldaten der Streitmacht wurden langsam, Meter um Meter, unter blutigen Verlusten in die Tunnel zurückgetrieben. Die Musth folgten ihnen. Plötzlich brachen Caud Rao und fünfzehn Männer und Frauen aus einem versteckten Bunker hervor und stürmten aus allen Rohren feuernd in den Haupttunnel. Die meisten Musth fielen dem ersten Ansturm zum Opfer, doch die in die Enge getriebenen Krieger wehrten sich hartnäckig. Eine Granate landete neben Rao, und er versuchte sich 326 zu ducken, als sie hochging und tödliche Insekten seinen Schädel zerrissen. Die Kämpfe tobten weiter, aber die Schüsse und Explosionen erfolgten immer seltener. Dann kehrte Stille ein. Ein Musth-Offizier kam wankend aus einem Tunnel ans Licht, gefolgt von zehn Artgenossen, die alle verwundet waren. Er war mit fünfzig Mann hineingegangen. Er blickte sich benommen um.
Ein paar Meter entfernt stand ein Flaggenmast mit der Fahne der Streitmacht, die eine Lanze zeigte, von deren Spitze Schockwellen ausgingen. Sie hing trotzig da und wurde vom leichten Wind bewegt. »Weg damit!«, befahl er. Vier seiner Krieger liefen los. Scheinbar aus dem Nichts flog eine Granate heran, explodierte in der Luft und warf die heulenden Musth zu Boden. Als Barken in einer Lücke zwischen den Ruinen auftauchte, wirbelte der Offizier herum und hob die Waffe. Doch Barken war schneller und erschoss ihn. Kurz darauf wurde Barken von zwei anderen Musth erledigt, als er gerade seinen Blaster auf sie richten wollte. Die sechs überlebenden Aliens blickten zur Fahne hinauf und wandten sich deprimiert ab. Zögernd traten sie den Rückzug aus dem Alptraum an und kehrten zu ihren Stellungen zurück. »Die Streitmacht stirbt... sie kapituliert nicht...« 327 17 Nach dem Desaster wurde es still auf Cumbre. Jedenfalls verhältnismäßig still. Niemand wusste, was als Nächstes kommen würde. Die Musth-Schiffe kreisten weiter über den verlassenen Schlachtfeldern und jagten die Überreste der Streitmacht. Sie wagten es sogar, schwer bewaffnete Patrouillen in die Städte zu schicken. Menschen starrten sie mit finsteren Blicken an, und die Musth hielten nervös ihre Waffen bereit. Gelegentlich wurde ein Nachzügler aus der Streitmacht aufgestöbert und entweder erschossen oder gefangen genommen. Mehrere Male wurden größere Soldatengruppen von den Musth angegriffen. In etwa der Hälfte der Fälle trieben sie die Aliens zurück, bevor sie im Dschungel untertauchten. Es gab sehr viele Soldaten, die den Suchtrupps der Musth entkommen waren, aber niemand wusste, wie viele es genau waren, wer sie waren oder wo sie sich versteckten oder wie ihre Pläne aussahen. Zivilisten aus Leggett blickten beunruhigt auf die immer noch schwelenden Trümmer von Camp Mahan, während andere Cumbrianer die Ruinen der Schlacht in ihrer Umgebung begutachteten. Niemand, der Kinder, Liebhaber, Eltern oder Freunde in der Armee hatte, wusste, ob er trauern oder sich weiter sorgen sollte, denn für die letzte Woche der Kämpfe gab es keine Listen der Gefallenen. Gelegentlich brach unverhoffter Jubel aus, wenn jemand verstohlen um Mitternacht an eine Tür klopfte und ein 328 Vermisster ins Leben zurückkehrte, dem ein Festmahl und ein sicheres Versteck bereitet wurden. Manche hatten Waffen oder Freunde dabei, die sie verbergen mussten, andere hatten nichts mehr außer schauerlichen Erinnerungen, die sie davon abhielten, Raos letzte Befehle zu befolgen. Bislang hatten sich die Cumbrianer keine Sorgen um Verräter machen müssen, die offenbarten, wo sich versteckte Kämpfer unter ihnen aufhielten. Bislang. »Nachdem Sie nun gesiegt haben«, wagte Loy Kouro einen vorsichtigen Vorstoß, »würden wir gerne wissen, wie Ihre weiteren Pläne für Cumbre aussehen.« Kouro, der in eleganter Abendgarderobe erschienen war, gehörte zu den etwa zwanzig Rentiers, die der »Bitte« der Musth nachgekommen waren, ihnen bei einem »Festmahl zur Feier des bevorstehenden Friedens« Gesellschaft zu leisten. Die Versammlung fand im Speisesaal im obersten Stock der Bank von Cumbre statt, einem sechzig Stockwerke hohen Spitzturm, der die übrigen Gebäude von Leggett überragte. Wlencing, der eine Rüstung trug, die aus dem Fell eines schwarz-weiß gestreiften Tieres bestand, und nur mit Pistolenholster und Granatentasche bewaffnet war, nahm sich für seine Antwort einen Moment Zeit. »An erssster Ssstelle«, sagte er, »wird die Ssstabilisssierung der menschlichen Gesssellschaft ssstehen.« »Natürlich«, sagte Kouro. »Ansonsten würden wir uns ja immer noch im Kriegszustand befinden. Ich hoffe nur, dass diese Stabilisierung keine allzu großen Schwierigkeiten bereitet.« 329 »Issst esss nicht Sssache der Menschen, dafür zu sssorgen?«, fragte Rahfer und zischte leicht amüsiert. »Vermutlich haben Sie Recht«, sagte Kouro. »Gibt es schon bestimmte Pläne, von denen Sie mir erzählen möchten?« »Wir werden die Maßnahmen von der Sssituation abhängig machen und entsssprechend verkünden«, sagte Wlencing. »Priorität hat für unsss, die Minen auf der Welt, die Sssie als C-Cumbre bezeichnen und nun Mabasssi heißen wird - ssso wie diessse Welt jetzt Whar heißt -, wieder in Betrieb zu nehmen.« »Natürlich.« »Wir werden Arbeitssskräfte hier auf Whar einssstellen und... weitere Arbeitsssplätze schaffen.« »Zum Beispiel?« Wlencing bedachte Kouro mit einem langen Blick, gab aber keine Antwort auf seine Frage. »Ssselbssstverssständlich werden wir unsss darauf konzentrieren, die Banditen, die einssst Sssoldaten waren, zur Ssstrecke zu bringen, damit sssie nicht für neue Unruhe unter den Menschen sssorgen können. Wir werden Weiterhin unsssere Konsssulate geöffnet halten, aber die Gebäude werden beträchtlich erweitert. Andere
Musssth werden von unssseren Heimatwelten kommen und unsssere Truppen beziehungsssweise unssser Persssonal verssstärken. Für diese Ausssbauten brauchen wir Arbeiter. Und esss issst auch eine Erweiterung unssserer Basssen auf dem Hochland, auf Sssilitric und auf Mabasssi geplant, um die Ssstützpunkte zu ersssetzen, die von den 'Rauhm zerss-stört wurden. Wir werden die Arbeiter ssselbssstverssständlich für ihre Mühen entschädigen. Mit der Zeit werden wir vorausssichtlich weitere Maßnahmen erlasssen, die die Ordnung sssichern sssollen, zum Beissspiel zentral 330 verwaltete Identitätsssausweissse. Wir überlegen, ob wir Menschen einssstellen wollen, die unsss dabei asssissstie-ren können. Wahrscheinlich wird jeder für einen bessstimmten Bezirk verantwortlich sssein, damit jeder Widerssstand unterbunden wird.« »Darf ich Sie wörtlich zitieren?« »Natürlich«, zischte Wlencing verärgert. »Ich habe esss doch gesssagt, nicht wahr? Ich hätte es nicht gesssagt, wenn esss nicht die Wahrheit wäre.« »Entschuldigung«, sagte Kouro. »Betrachten Sie es als Formalität. Ich wollte nur klarstellen, ob ich weitergeben darf, was Sie mir in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt haben.« »Allesss issst in Ordnung.« Wlencings Kopf schlängelte vor und zurück. »Ich sssehe Ihre Gefährtin nicht? Wo issst sssie?« »Sie... es geht ihr gesundheitlich nicht so gut, und sie lässt sich entschuldigen.« »Sssolche Entschuldigungen gab esss viele«, sagte Rahfer. »Wir haben ihre Namen notiert und werden unsss an sssie erinnern.« Kouro lächelte nervös. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Ich bin überzeugt, dass Sie sehr zufrieden sein werden, wie wir weiterhin über den... äh... Regierungswechsel berichten werden.« »Desssen bin ich mir absssolut sssicher«, sagte Wlencing. »Ich beabsssichtige nicht, etwas an der Arbeitsssweise der menschlichen Propagandamaschine zu ändern, jedenfallsss nicht in absssehbarer Zeit.« Auf Mullion fand sich die Streitmacht allmählich wieder zusammen und unternahm vorsichtige Streifzüge, um nach Nachzüglern zu suchen. 331 Auszeichnungen wurden verliehen und Wunden geleckt. Und es gab Beförderungen. Grig Angara hatte versiegelte Befehle von Rao erhalten, die ihn befugten, das Kommando über die Armee zu übernehmen und den Rang eines Caud zu führen. Jon Hedley wurde zu seinem Ersten Offizier und blieb gleichzeitig der Befehlshaber der Sektion IL Neben anderen wurde auch Garvin Jaansma zum Cent befördert, Njangu Yoshitaro zum Tak und Erik Penwyth zum Cent. Eine neue Mode, die sich von Leggett schnell auf andere Städte von Cumbre ausbreitete, waren Plakate. Mit jedem Kindercomputer ließen sich farbige 3-D-Poster in größeren Stückzahlen herstellen. Die eigentliche Herausforderung bestand darin, sie an Stellen anzubringen, wo die Musth sie sehen würden, ohne sich dabei erwischen zu lassen. Das einzige Problem war, dass niemand Musth sprach, sodass alle Plakate in Terranisch verfasst waren. Aber genügend Musth-Offiziere konnten die Menschensprache verstehen und lesen. Das ermutigte die Schöpfer, sich große Mühe mit ihren Botschaften zu geben. MUSTH! EURE JUNGEN SIND HEISS AUFEINANDER GENAUSO WIE IHR ES MIT EUREN NESTLINGEN GETAN HABT! Andere ließen sich zu ähnlich diffamierenden (wenn auch häufig irrtümlichen) Behauptungen über die Biologie und Verhaltensweisen der Musth hinreißen. Doch viele erzielten den erwünschten Effekt. Die Musth rea332 gierten sehr empfindlich auf die Erwähnung ihrer Leidenschaften während einer unkontrollierten Brunftperiode, sodass sie regelmäßig vor Wut tobten, wenn sie solche Plakate sahen. Zuerst wurden sie lediglich abgerissen. Aber damit ließen sich die Botschaften nicht verhindern. Die Musth waren davon überzeugt, dass die Bewohner eines Gebäudes dafür verantwortlich waren, was an den Wänden angebracht wurde, und verhafteten jeden, der sich in einem solchermaßen dekorierten Haus aufhielt. Die bereits überfüllten Gefängnisse wurden noch voller. Die Plakatproduzenten gingen immer geschickter vor, und schließlich klebten ihre Werke auf dem Heck von Musth-Fahrzeugen, an ihren »Konsulaten« und in ein oder zwei Fällen sogar auf dem Rücken des letzten Musth einer Patrouille. Weniger als zwei Wochen nach dem Fall von Camp Mahan wurde ein seltsames Luftgefährt vom Radar der Basis auf der Insel Mullion registriert. Es landete etwa einen Kilometer hinter dem Stützpunkt, bevor es identifiziert werden konnte. Die Aufklärer, die immer noch dabei waren, aus Freiwilligen eine neue Truppe zusammenzustellen, schickten ein Einsatzkommando hinaus.
Die Soldaten stießen auf einen ramponierten landwirtschaftlichen Nutzgleiter, der in den verschiedensten Farben anodisiert war und nur noch von guten Absichten zusammengehalten wurde. Er stand auf einer Lichtung, und niemand hielt sich in der Nähe auf. Lir ließ die Patrouille am Rand der Lichtung in Stellung gehen und winkte der Kundschafterin. »Wir beide werden uns die Sache ansehen.« 333 Die Kundschafterin musste zunächst einen Kloß in der Größe eines Schlachtschiffs hinunterschlucken, bis sie nickte und ihren Blaster von der Schulter nahm. Lir schlich auf die Lichtung hinaus, wartete, ob sich eine Bewegung zeigte oder das Feuer eröffnet wurde. Nichts. Sie kroch weiter, gefolgt von der Kundschafterin. Die Patrouille war schussbereit. Lir hatte etwa fünf Meter zurückgelegt, als der Ruf zu hören war: »Lir! Erster Tweg Lir!« Die Stimme war menschlich und klang vage vertraut. Sie eilte schnell zum Gleiter und nutzte das Gefährt als Deckung. »Ja!«, rief sie zurück. »Ich bin's. Ben Dill!« »Dill ist tot.« »Ich behaupte das verdammte Gegenteil!« »Gut. Du bist also nicht tot«, rief Lir. »Egal, wer du bist... steig aus. Langsam und unbewaffnet.« Ben trat auf die Lichtung. Er bewegte sich sehr langsam und hatte die Hände halb erhoben. Er trug die zerfetzten Überreste seines Pilotenanzugs, dessen Hosen er zu Shorts gekürzt und mit einem Strick verstärkt hatte, dazu selbst gemachte Sandalen und ein extrem weites, buntes Oberteil, das vor vielleicht zwanzig Jahren als Rock einer übergewichtigen Frau gedient haben mochte. Lir erhob sich und ließ den Lauf ihrer Waffe ein Stück sinken. »Okay«, sagte sie. »Was zum Teufel soll das werden?« »Der Versuch einer Heimkehr«, sagte Dill. »Ich wurde vor einem Monat oder so abgeschossen, als...« »Ich weiß«, sagte Lir. »Ich habe darauf gewartet, deine Maschine zu übernehmen.« »Darauf wirst du noch etwas länger warten müssen«, 334 sagte Dill. »Wurde ans Ufer gespült, bin den Strand entlang marschiert, wurde von einer Fischerin aufgelesen, die mich in ihr Dorf mitgenommen hat. Dort ist es mir gelungen, diesen Schrotthaufen wieder instand zu setzen, dann bin ich die Küste entlang losgeflogen, bis ich eins eurer Schiffe beobachtete, das nach Hause flog. Ich bin ihm ein Stück weit gefolgt, dann ging ich runter und wartete auf ein anderes Schiff, das mich der Sache wieder ein Stück näher brachte. Ich konnte nicht sehr lange mithalten, denn die verdammte Kiste pfeift aus dem letzten Loch und hat auch kein Funkgerät, mit dem ich um Hilfe hätte schreien können. Eure Sicherheit könnt ihr übrigens in der Pfeife rauchen. Als ich zu einer Hügelgruppe kam, an die ich mich erinnerte, müsst ihr mich für einen kurzen Moment auf dem Radar gehabt haben, aber nicht lange genug, um mich abschießen zu können. Dann ging ich wieder runter und wartete darauf, dass ich Gesellschaft bekomme. Und schlussendlich hätte ich noch eine Frage: Darf ich dich küssen?« Lir brachte ein kurzes Grinsen zustande. »Offiziere sollen keine intimen Beziehungen eingehen.« »Dann küsst du mich eben. Ich habe es geschafft! Ach ja... da ist noch etwas. Ich habe einen Freund mitgebracht. « »Er soll rauskommen.« »Nur, wenn du mir einen großen Gefallen erweist. Sichere deinen Blaster und richte ihn woanders hin, ja?«, sagte Dill. Monique tat es. »Alikhan! Komm raus. Aber schön langsam.« Moniques Finger lag auf dem Sicherungsknopf, als der Musth ins Freie trat. Er hatte genauso wie Ben die Arme erhoben und zeigte seine leeren Tatzen. Sie erstarrte, dann entspannte sie sich wieder. 335 »Ich fasse es nicht!«, sagte Lir. »Du hast einen Gefangenen!« »Äh... er ist... die Sache ist die... dass es sich etwas anders verhält.« Alikhan, Dill und ihr Schrottgleiter wurden mit jedem verfügbaren Instrument untersucht, bevor man entschied, dass sie nicht verwanzt waren und ihnen offenbar auch niemand gefolgt war. Trotzdem wurde höchste Alarmstufe in der Basis gegeben. Die zwei Piloten wurden zu Angara und Hedley geführt, dann erklärte Dill, was geschehen war. »Sie sprechen perfektes Terranisch, Alikhan«, sagte Hedley. »Sehr praktisch.« »Sie halten mich für einen Doppelagenten.« Es war keine Frage. »Das wäre immerhin eine Möglichkeit«, sagte Hedley. »Glauben Sie nicht, Sir«, warf Dill ein, »dass es ein wenig grotesk wäre, wenn der Befehlshaber der Musth sein eigenes Kind zu uns schickt? Und würde das nicht bedeuten, dass ich an der Intrige beteiligt sein müsste, weil ich ihn abgeschossen habe?« »Sie haben Recht«, räumte Hedley ein. »Mein Hirn ist etwas vernebelt.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe«, sagte Angara. »Sie wollen also, dass dieser Krieg beendet wird.« »Korrekt.« »Warum?« »Weil er für jeden von uns unehrenhaft ist.« »Von Ihren Brüdern scheint es keiner so zu empfinden«, sagte Angara. »Sie scheinen zu glauben, dass die Ereignisse so etwas wie die Erfüllung eines Schicksals darstellen.« 336 »Ich vermute, dass es einige so sehen«, sagte Alikhan. »Warum auch nicht? Haben sie jemals eine Alternative kennen gelernt, eine andere Perspektive? Ich bin eine seltene Ausnahme, weil ich eine Zeit lang bei Senza die Lehren der Schätzer studiert habe. Aber die meisten von uns akzeptieren den Glauben, den uns die Älteren vermitteln. In unserer Gesellschaft gehört fast jeder zu einem Kriegerclan, also denken wir wie Kämpfer.« »Wären Sie bereit, Ihren Artgenossen zu helfen, ihre Meinung zu ändern?«, fragte Hedley. »Vielleicht, indem Sie in Propagandasendungen sprechen?« »Ich glaube nicht, dass so etwas eine Wirkung zeigen würde«, sagte Alikhan. »Außer dass mein Vater möglicherweise vor Schande stirbt. Ich wüsste sowieso nicht, was ich sagen sollte.« »Wenn Sie nichts von Propaganda halten«, sagte Angara, »sind Sie natürlich auch nicht bereit, auf unserer Seite zu kämpfen.« »Oder beispielsweise eine Gruppe unserer Krieger zu einem Ziel innerhalb eines Ihrer Stützpunkte zu führen«, fügte Hedley hinzu. »Keine der beiden Ideen sagt mir zu«, erwiderte Alikhan. »Er ist ein Krieger, Sir, und keiner, der sein Fähnchen nach dem Wind dreht«, knurrte Dill. Angara warf ihm einen finsteren Blick zu, schien etwas sagen zu wollen, entschied sich dann jedoch, es nicht zu tun. »Nun gut«, sagte der Caud. »Ich habe keine Ahnung, wie Sie uns von Nutzen sein könnten, zumindest nicht ohne Konditionierung, und ich habe erst recht keine Ahnung, wie man einen Musth konditionieren sollte, selbst wenn ich es für ethisch vertretbar halten würde.« 337 Hedley sah Alikhan nachdenklich an, als wäre er unter gewissen Umständen bereit, bei einem Alien eine Neuroprogrammierung vorzunehmen, aber er sagte nichts. »Würden Sie... werden Sie... versuchen zu fliehen?«, fragte Angara. »Nicht bevor Ben Dill mich aus dem Ehrenwort entlässt, das ich ihm gegeben habe.« »Nun gut«, sagte Angara. »Wir werden Sie als Ehrengast behandeln, obwohl für Sie gewisse Einschränkungen gelten. Tak Dill, ich übertrage Ihnen die Verantwortung für Alikhan. Bleiben Sie in seiner Nähe. Bei manchen unserer Leute sitzt die Waffe in diesen Tagen recht locker. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen kein neues Kampfschiff geben kann, Ben«, schloss er. »Aber ich glaube, das hier hat viel größere Bedeutung.« Dill nahm Haltung an, salutierte, dann gingen die beiden Piloten. Angara schüttelte den Kopf. »Dieser gottverdammte Krieg wird von Minute zu Minute verzwickter. Wir haben hier ein pazifistisches Monstrum, das einzige gottverdammte Alien, das sich jemals in unserer Gefangenschaft befunden hat, und wir haben keine gottverdammte Ahnung, was wir mit ihm anfangen sollen.« »Willkommen in der Irrenanstalt«, sagte Hedley. Das Hochland rund um die Musth-Basis war eine wimmelnde Baustelle, auf der zahlreiche Menschen arbeiteten. Das Sumpfland wurde eingeebnet, und in regelmäßigen Abständen wurden Landeplätze angelegt. Wlencing beobachtete zufrieden das Geschehen. Daaf stand neben ihm. »Sind Sie sich sicher, dass wir Nachschub an Luftfahrzeugen erhalten, um unsere Verluste auszugleichen«, fragte er, »ganz zu schweigen von den Piloten?« 338 »Natürlich«, sagte Wlencing. »Warum sollten sich unsere Artgenossen diesem großen Abenteuer verweigern?« Daaf dachte an die über sechzig Prozent Verluste, die die Musth erlitten hatten, aber er entschied, dem Kriegsherrn nicht zu widersprechen. Außerdem wäre sowieso jeder Einwand, den er vorbringen konnte, falsch oder nur ein Beweis für seine Unwissenheit. Jasith Mellusin starrte schockiert auf den Bildschirm. Darauf war das Gesicht von Hon Felps zu sehen, der für die Personalangelegenheiten ihrer Bergwerke zuständig war. »Das können sie doch nicht einfach machen, oder?« »Wenn sich die Musth an Regeln der Kriegsführung halten würden, wie es die Menschen zu tun versuchen, die Musth offensichtlich aber nicht«, sagte Felps, »dann hätten sie nach Ansicht unserer Anwälte die Konventionen verletzt. Man darf einen Kriegsgefangenen nicht zur Arbeit zwingen. Aber die Musth haben mit uns keine Waffenstillstands- oder Friedensabkommen geschlossen. Genau genommen hat es nie einen Kriegszustand zwischen der Konföderation und den Musth gegeben.« »Also kann ich nichts dagegen tun, dass sie die gefangenen Soldaten... zur Sklavenarbeit benutzen? So müsste man es wohl bezeichnen.« »Die Musth sind bereit, einen kleinen Lohn zu zahlen«, sagte Felps. »Und sie werden für alle
Lebenshaltungskosten aufkommen, sobald die Gefangenen auf C-Cumbre eingetroffen sind. Entschuldigung, es fällt mir immer noch schwer, von Mabasi zu reden.« »Kein Problem«, sagte Jasith. »Für jeden, den ich ernst nehme, ist es immer noch C-Cumbre. Also scheint es, dass wir nicht viel dagegen tun können.« Sie blickte sich um, obwohl sich sonst niemand im Ar339 beitszimmer ihres Hauses aufhielt. »Würden Sie mir einen großen Gefallen tun und nachsehen, ob einer der Gefangenen Jaansma heißt? Garvin Jaansma?« »Sicher.« »Das ist eine private Bitte«, sagte sie. »Ich möchte, dass Sie sich persönlich darum kümmern und mit niemandem darüber reden.« »Gewiss.« Der Angestellte wollte nach dem Ausschaltsensor greifen, hielt aber noch einmal inne. »Ach ja. Noch etwas, das ich fast vergessen hätte. Dieser Befehl der Musth hat mich wohl etwas durcheinander gebracht.« »Da sind Sie nicht der Einzige.« »Die Musth teilten mir außerdem mit, dass sie weitere Arbeiter zur Verfügung stellen werden. Menschen. Auf meine Nachfrage erklärten sie, dass sie keinen Sinn darin sehen, Kriminelle in Gefängnissen herumsitzen zu lassen, wo sie doch viel nutzbringender eingesetzt werden könnten.« Jasith sah Felps sprachlos an. »Also auch noch Ganoven?« »Es scheint so.« »Und auch in diesem Fall können wir nichts tun, um es zu verhindern.« »Nicht, wenn wir zumindest einen Rest von Einfluss auf Mellusin Mining behalten wollen.« »Gut«, sagte Jasith seufzend und unterbrach ohne Abschiedswort die Verbindung. Sie stand auf, trat ans Fenster und blickte auf die Bucht und die Ruinen hinunter. Sie überlegte, ob sie fluchen sollte, erkannte aber, dass es ihr nichts nützen würde. Sie kehrte zum Kom zurück und gab Loys Nummer ein, doch dann löschte sie den Auftrag. »Und was würde mir das nützen?«, fragte sie laut, obwohl sie die Antwort darauf vermutlich längst wusste. 340 Sie überlegte, ob sie weinen sollte, aber das wollte sie nicht zulassen. Wieder stand sie auf und verließ das Büro. Sie blieb vor dem schwarz gerahmten Porträt ihres Vaters stehen und sah ihn an. »Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst?« Aber auch von ihm kam keine Antwort. In dieser Nacht stellte eine Musth-Patrouille einen zwölfjährigen Jungen, der gerade ein Plakat aufhängen wollte. Er ließ sich nicht festnehmen, sondern rannte weg. Zwei Musth eröffneten das Feuer. Die Schüsse zerfetzten beide Beine des Jungen. Die Musth diskutierten, was sie mit ihm anstellen sollten. Der Junge war bereits verblutet, als sie entschieden, ein Krankenhaus der Menschen zu benachrichtigen. »Es gibt da noch eine ungeklärte Frage«, sagte Wlencing mit leichtem Knurren, während sein Wynt über den Straßen von Leggett kreiste, auf denen sich ein Menschenauflaufgebildet hatte. »Wie haben sie so schnell vom Tod dieses Jungen erfahren? Haben wir nicht die völlige Kontrolle über die Holos?« »Die haben wir«, sagte Rahfer. »Und sie haben gemeldet, dass sich in allen anderen Städten größere Mengen zusammengefunden haben, um das Schicksal dieses jungen Verbrechers zu beklagen?« »So lauten meine Informationen.« »Wie haben sie so schnell davon erfahren?« »Ich weiß es nicht.'« Es gab eine recht einfache Antwort. Während der Revolte hatten sowohl die 'Rauhm als auch ihre Gegner gelernt, dass auf die Holos kein Verlass war, worauf sich ein sehr schneller, wenn auch nicht immer effizienter Buschfunk 341 entwickelt hatte. Wenn jemand etwas hörte, rief er ungefähr fünf Nummern an und gab die Information weiter. Jeder der Angerufenen rief wieder ungefähr fünf Nummern an und so weiter. Jede Stadt, jedes Dorf, jedes Fischerboot und jeder Jäger stand in Verbindung mit der systemweiten Gerüchteküche. Die Eltern des Jungen hatten das Buschfunksystem ursprünglich aufgebaut, und wie immer hatte der Tod einer einzigen Person, eines realen Menschen, eine viel größere Bedeutung als die schrecklichste Zahl anonymer Todesopfer. Wlencing starrte wieder nach unten. »Wie wollen wir darauf reagieren?«, fragte Rahfer. »Gar nicht«, sagte Wlencing. »In ein paar Stunden werden sie genug davon haben, verschlossene Türen und Luftfahrzeuge anzuschreien, dann wird sich die Lage wieder normalisieren.« Aber seine Vorhersage bewahrheitete sich nicht. Es waren fünf Musth, die sich auf der Mitte der Straße hielten, wie sie es gelernt hatten, und in der Umgebung des größten Landefelds von Launceston patrouillierten. Sie trugen Nachtsichtbrillen und blickten sich immer wieder um. Sie waren mit Wärmespürern ausgestattet und
ständig auf der Hut. Keiner ihrer Sensoren durchdrang eine Steinmauer, hinter der zehn Menschen hockten. Es waren neun 'Rauhm und der Sohn eines Lehrers. Ein 'Rauhm hielt einen Spiegel hoch, der an einer langen Stange befestigt war. Er sah die Patrouille und versetzte seinem Nachbarn einen knappen Stoß. Das Signal wurde durch die Reihe weitergegeben, dann zählten alle bis zehn, um den Musth Zeit zu geben, näher zu kommen. Schließlich sprangen alle 342 auf und liefen ins Freie. Jeder trug eine der einfachen Projektilwaffen, die von Redruth geliefert und von Garvin und seinen Leuten ausgegeben worden waren. Die überraschten Musth waren keine vier Meter entfernt. Es wurden keine Befehle erteilt. Jeder Mensch suchte sich ein Ziel aus und feuerte, bis das Magazin der Waffe erschöpft war. Einem Musth gelang es, einen Schuss abzugeben, mit dem er einem 'Rauhm schwere Verbrennungen zufügte, bevor auch er sich verkrampfte und genauso wie die anderen starb. Der verwundete 'Rauhm krümmte sich in stummer Qual, während die anderen den Musth-Leichen schnell alle Waffen abnahmen. Ein anderer 'Rauhm ging neben ihm in die Knie. »Kannst du laufen?« »Natürlich. Es tut nur verdammt weh.« »Dann komm. Sie werden schon bald nach ihren Artgenossen suchen.« Der verwundete 'Rauhm erhob sich und verschwand zusammen mit den anderen in der Dunkelheit. Es gab noch andere Angriffe auf Musth, aber keiner war so erfolgreich wie der in Launceston. Wlencing ordnete am nächsten Tag an, dass weitere Geiseln genommen werden sollten. Die Medien, insbesondere der Matin, erhielten die Anweisung, ausführlich über die Festnahmen zu berichten. »Ich suchte nach einem verdammten Freiwilligen«, sagte Mil Hedley. Cent Erik Penwyth blickte sich im Zelt um, in dem sich keine weitere Person aufhielt. 343 »Dann vermute ich mal, dass ich der Kandidat bin.« »Du vermutest völlig richtig.« »Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, als Freiwilliger zu arbeiten«, sagte Erik. »Die Arbeitszeit ist sehr ungünstig, und manchmal sind auch die Arbeitsbedingungen ziemlich riskant.« »In diesem Fall ist die Arbeitszeit optimal, die Bezahlung außerordentlich gut... aber ich habe keine Ahnung, wie es um das Risikolevel steht. Zu Anfang ziemlich niedrig, würde ich meinen.« »Was hätte ich zu tun?« »Nach Hause gehen.« »Wie bitte?« »Die Streitmacht braucht einen Agenten in den Reihen der Rentiers. Wir möchten, dass du zu deiner Familie zurückkehrst, die Rolle des ausschweifenden jungen Mannes übernimmst, der mit seiner Dienstzeit in der Armee abgeschlossen hat und wieder voll in das dekadente Leben einsteigen will, ohne sich für die Probleme zwischen Musth und Menschen zu interessieren. Während du auf der faulen Haut liegst, sollst du dich unter den Rentiers umhören. Wer spielt nach den Regeln der Musth, wer nimmt sie ernst, wen können wir für unsere Sache einbinden? Die übliche subversive Ausspitzelung jedes lohnenswerten Opfers.« »Hmm«, machte Penwyth nachdenklich. »Ich glaube nicht, dass ich zu viele patriotische Reden geschwungen habe, und Buddha weiß, dass meine Kumpel zu blöd sind, mich zu fragen, wo ich mich herumgetrieben habe und ob ich es ehrlich meine. Also wird auch niemand darauf kommen, dass ich ein Spitzel sein könnte. Meiner Familie wäre es sowieso völlig egal. Das dürfte der Vorteil sein, wenn man als Einzelkind aufgewachsen ist. Und ich habe 344 es wirklich allmählich satt, nur mit zwei Uniformen zum Wechseln herumlaufen zu müssen. Es wäre nett, mal wieder eine richtige Garderobe zur Verfügung zu haben. Aber ich glaube, ich möchte es trotzdem nicht machen.« »Warum nicht, verdammt?«, fragte Hedley. Penwyth holte tief Luft. »Weil ich das Gefühl hätte, die anderen zu verarschen. Wenn ich Champagner saufe und das süße Leben genieße, während ihr hier im Dreck schuftet. Nein, je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt es mir.« »Okay«, sagte Hedley. »Dann versuchen wir es mit einem anderen Ansatz. Ich gebe dir den Befehl zu einem verdammten Sondereinsatz.« »Tja, wenn du es so formulierst, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Mit welcher Unterstützung kann ich rechnen?« »Wir werden dich in den nächsten Tagen in der Nähe von Leggett absetzen. Wir geben dir einen Standardkom mit, den du an einem sicheren Ort aufbewahren wirst. Alle zwei oder drei Tage schaust du nach, ob du Nachrichten erhalten hast. Du bekommst außerdem einen Kodierer und einen Komprimierer, den du nicht allzu weit entfernt deponieren solltest. Du wirst deine Botschaften kodiert an uns zurückschicken. Wir brauchen dich hauptsächlich als Beobachter, mehr sollst du gar nicht tun. Solange die verdammte Situation nicht schlimmer
wird - zumindest für die Musth -, ist es nicht nötig, dass du aktiv wirst. Wir halten den Kanal ständig geöffnet und versuchen dich sofort herauszuholen, wenn die Lage zu brenzlig wird. Sonst noch Fragen?« Penwyth dachte nach. »Ich glaube nicht. Ich schätze, es könnte wirklich nett sein, öfter als an jedem Regentag ein Bad zunehmen.« 345 »Mir scheint«, sagte Njangu ruhig, während er den Kom abschaltete, auf dem er sich eine Nachrichtensendung angesehen hatte, »dass da draußen ein Aufruhr stattfindet und wir damit offenbar überhaupt nichts zu tun haben. So sollte es eigentlich nicht sein, da wir doch die moralische Instanz für dieses System sind. Ich denke, ich würde gerne zum Spielen nach draußen gehen.« »Was willst du tun?«, fragte Garvin. »Wir haben den verdammten Wlencing schon einmal ins Visier genommen«, sagte Njangu. »Ich finde, wir sollten es noch einmal versuchen.« »Wie kommst du darauf, dass wir diesmal mehr Glück als beim ersten Mal haben sollten?« »Weil ich es diesmal mit meinem eigenen Team machen werde«, sagte Njangu. »Wir probieren es völlig ohne Supertechnik und schauen mal, wie es ihm gefällt, mit den bösen großen Jungs zu spielen.« »Als dein befehlshabender Offizier«, sagte Garvin, »erteile ich dir hiermit die Erlaubnis. Ich vermute, du wirst die Sache mit Hedley und Angara absprechen.« »Aber natürlich, großer Boss.« »Was bedeutet, dass du mich hier ganz allein im gottverdammten Dschungel zurücklässt, wo ich außer Eierschaukeln nichts tun kann.« »Oh, ich denke, wenn du mich als inspirierendes Vorbild nimmst, wird dir bestimmt etwas Widerliches einfallen.« Vier Tage später tauchten zwei Männer und zwei Frauen auf der Arbeitsbörse von Seya auf. Sie begutachteten verschiedene Angebote, entschieden sich gegen die Bergwerke auf Silitric und bewarben sich für die Bauarbeiterstellen auf dem Hochland der Insel Dharma, wo die Musth-Basis ausgebaut wurde. 346 Sie schienen sich nicht besonders für die Arbeitsbedingungen oder die Zeiten zu interessieren, sondern schulterten ihre ungewöhnlich schweren Rucksäcke und bestiegen den Frachtgleiter, der sie zur weit entfernten, von Nebelschwaden verhüllten Hochebene brachte. Einige ihrer Kollegen hatten - außer in den Holos - nie zuvor einen Musth gesehen und reagierten mit Furcht oder Zorn, als ihre Arbeitgeber auf dem Landefeld erschienen. Doch die zwei Männer und zwei Frauen wirkten nicht im Geringsten beunruhigt. Die Arbeiter wurden von menschlichen Aufsehern in Gruppen eingeteilt und recht baufälligen Baracken zugewiesen. Dort erhielten sie eine Liste mit Regeln und Vorschriften, wurden informiert, dass ihre Schicht bei Sonnenaufgang am folgenden Tag begann und dass sie abwechselnd dreizehn Stunden Arbeitszeit und dreizehn Stunden Freizeit hatten, wobei die überzählige Stunde für den Transport zur Arbeitsstelle und zurück gerechnet wurde. Die vier fanden sich nie an ihrem Arbeitsplatz ein. Aber niemand bemerkte es, denn in jener Nacht war im Personalbüro ein Feuer ausgebrochen, und am nächsten Tag herrschte Chaos, während man herauszufinden versuchte, wer wo auf welcher Position und für wie viele Credits arbeiten sollte. Die vier - Njangu Yoshitaro, Monique Lir, Finf Val Heckmyer und Darod Montagna - hatten sich an der recht nachlässigen Sicherheit vorbei aus dem Lager geschlichen und waren im Sumpfland abgetaucht, nachdem sie den Brandsatz im Personalbüro deponiert hatten. Sie fanden eine kleine Höhle in einem Hügel, krochen mit schussbereiten Waffen hinein und stellten fest, dass sie sich weiter hinten zu einem erstaunlich großen Raum er347 weiterte, in dem sie fast aufrecht stehen konnten. Sie spekulierten verunsichert, welche Art von Geschöpf der immer noch weitgehend unerforschten Fauna dieser Welt einen solchen Bau geschaffen haben mochte, und hofften, dass es zu besseren Jagdgründen weitergezogen war oder sich, falls es immer noch hier hauste, vegetarisch ernährte. Nichts störte ihren Schlaf, und am nächsten Morgen näherten sie sich der Baustelle und begannen damit, die Lage auszukundschaften und nach ihrem Ziel zu suchen. Sie beklagten sich über den fast allgegenwärtigen Nebel, der ihnen jedoch ihre Aufgabe erleichterte. Sehr selten suchten die Musth mit lichtverstärkenden Geräten die Umgebung ab, und sie schienen in ihrem eigenen Reich niemals Wärmespürer einzusetzen. Die vier errichteten mehrere Verstecke rund um den Stützpunkt und benutzten sie abwechselnd, immer paarweise, sodass beide während des Tages Wache hielten und in der Nacht einer der beiden schlafen konnte. Regelmäßig rasten Aksai, Wynt und Velv über den Himmel und landeten auf der ständig größer werdenden Fläche. Die einzigen Soldaten, die sie sahen, waren Luftpatrouillen, die das Gelände überwachten, und Wachtrupps am Boden, die ihre Aufgabe jedoch ohne übertriebenes Pflichtbewusstsein erledigten. Nach fünf Tagen trafen sie im Bau wieder zusammen und gönnten sich den Luxus, ihre Rationen von Erhitzern zubereiten zu lassen.
»Ich habe nicht viel gesehen«, sagte Njangu. »Die Musth trauen sich so gut wie nie, die Grenzen ihres abgesteckten Geländes zu überschreiten. Sie sind viel zu weit entfernt, um sie treffen zu können. Ich weiß, dass wir ohne Schwierigkeiten herausgekommen sind, aber es könnte sich als tückisch erweisen, wieder näher ranoder hineinzugelan348 gen. Außerdem habe ich niemanden beobachtet, der einen nennenswerten Dienstgrad haben könnte, ganz zu schweigen von Wlencing.« »Dem kann ich kaum etwas hinzufügen«, sagte Mon-tagna. »Als Scharfschützin hatte ich gehofft, dass wir eine Waffe mit größerer Reichweite oder ein MG mit Zielfernrohr einsetzen können, aber der verdammte Nebel wird es uns nicht leicht machen.« »Dieselben Probleme hätten wir mit einer Rakete«, sagte Heckmyer. »Vorausgesetzt, wir könnten uns eine aus der Luft liefern lassen - wer würde das Scheißding durch den Sumpf schleppen?« »Und mal ganz abgesehen von der Frage, wer sie abfeuern möchte, in der Hoffnung, sich weit genug aus dem Staub machen zu können, bevor das Gegenfeuer für einen mehrere Meter größeren Abstand zwischen den Ohren sorgt«, fügte Lir hinzu. »Ich würde die Aktion nur ungern abblasen«, sagte Njangu. »Wir könnten das Risiko eingehen, uns Sprengstoff liefern zu lassen, uns an den Wachen vorbei hineinschleichen und ein paar Sachen in die Luft jagen, zum Beispiel Kampfschiffe. Und hoffen, uns auf dem Rückweg keine Kugeln oder Ähnliches einzufangen.« »Wäre so etwas sinnvoll?«, fragte Lir. »Das hier ist doch so etwas wie eine einmalige Operation, nicht wahr? Ich würde mich ärgern, wenn wir ein wenig Feuerzauber veranstalten und nächste Woche oder so feststellen, dass wir einen wirkungsvollen Schlag hätten anbringen können, während wir uns hier herumgetrieben haben. Wir haben bereits eine ganze Menge darüber in Erfahrung gebracht, wie die Musth hier oben arbeiten. Ziemlich schludrig, ist mein vorherrschender Eindruck. Ich schätze, hier in der Wildnis machen sie sich keine Sorgen, sich mit Kobolden 349 wie uns auseinander setzen zu müssen. Ich würde lieber mit einer besseren Idee und einem lauteren Knall zurückkehren. « »Dasselbe habe ich auch gedacht«, sagte Njangu. »Soll das heißen, wir blasen die Sache einfach ab?«, sagte Montagna. »Ich bin hier zwar nur der Neuling, während ihr die ganze Erfahrung gebunkert habt, aber soll das Ganze nicht mehr als ein Stoborfurz gewesen sein?« »Wem sagst du das?«, erwiderte Njangu. »Ganz zu schweigen von Garvin, der ziemlich blöd aus der Wäsche gucken wird. Wahrscheinlich hat er schon sämtliche Orden und andere nette Sachen für uns bereitgelegt.« »Es gibt immer eine nächste Party«, sagte Heckmyer. »Ja«, sagte Yoshitaro. »Und diese Vorstellung gibt mir ein wesentlich besseres Gefühl. Okay, ich gebe das Signal für den Rückzug.« Zwei Musth wurden in einer kleinen Nebenstraße massakriert, und Wlencing verhängte eine kategorische Ausgangssperre von Sonnenuntergang bis -aufgang. Jeder, der in dieser Zeit außerhalb seiner Wohnung angetroffen wurde, musste mit sofortiger Erschießung rechnen. Garvin konnte Njangu nicht den geringsten Vorwurf machen. Er selbst hatte noch keinen Plan entwickelt, der nicht nach einem sinnlosen Selbstmordkommando klang. Die Soldaten der Aufklärer hielten sich dezent im Hintergrund, während ihre Offiziere abwechselnd schmollten und sich etwas Brauchbares auszudenken versuchten. Der Fensterputzer war nie Soldat gewesen und hatte auch nie für die 'Rauhm gekämpft oder als Polizist gearbeitet. Er war ein stiller, ernster Einzelgänger, dessen einziges Pri350 vatvergnügen darin bestand, sehr kleine, sehr schnelle und sehr altertümliche Projektile auf große Entfernung in ein winziges Ziel zu schießen. Er hatte keine Meinung über die Musth, weder in der einen noch in der anderen Richtung, bis die Kinder in seiner Nachbarschaft auf die Idee kamen, dass es bestimmt ein großer Spaß wäre, die nächste Patrouille der Musth mit Steinen zu bewerfen. Das taten sie, und die Musth eröffneten sofort das Feuer. Zwei kleine Jungen wurden schwer verletzt und ein Mädchen getötet. Nun interessierte sich der Fensterputzer für die Musth. Er studierte sie genau, während er seinem einsamen Job im Wirtschaftszentrum von Leggett nachging. Niemand schenkte dem Mann Beachtung, der mit seinem ramponierten Gleiter auftauchte, Seile an einem Gebäude befestigte und daran in seinem Schwebesitz, der mit Antigraveinheiten ausgestattet war, an der Fensterfront auf und ab schwebte. Dabei machte er eine interessante Feststellung. Die Funktionäre der Musth schienen regelmäßig am ersten Tag der Woche die Gebäude der Planetaren Regierung aufzusuchen, zweifellos in der Absicht, ihren Marionetten innerhalb des Rats die neuesten gesetzlichen Bestimmungen zu überreichen.
Er nahm sich drei Wochen Zeit, um diese nette, präzise und gefährliche Angewohnheit zu bestätigten, bis er entschied, dass er genug wusste. Als Wlencings Wynt das nächste Mal neben den immer noch im Bau befindlichen Regierungsgebäuden landete, bemerkte niemand den kleinen Mann, der sich zehn Stockwerke höher in etwa fünfhundert Metern Entfernung aufhielt. Wenn ihn jemand gesehen hätte, hätte sich dieser Je351 mand vielleicht gewundert, warum sein Sitz nicht vor einem Fenster hing, sondern vor einer glatten Steinwand, wo niemand bemerkte, wie der Mann seinen Werkzeugkoffer öffnete, zwei eingewickelte, röhrenförmige Objekte herausholte und sie zusammensteckte. Ein drittes Objekt -ein recht großes Sichtgerät - wurde auf die zwei anderen Objekte montiert, dann platzierte der Mann die Vorrichtung auf einem zweibeinigen Stativ. Selbst in diesem Zustand hatte das Objekt so wenig Ähnlichkeit mit einem zeitgenössischen Blaster oder Lasergewehr, dass sich niemand deswegen beunruhigt hätte. Er streckte sich der Länge nach auf seinem Schwebesitz aus, wobei er sich langsam bewegte, um Schwingungen zu vermeiden. Dann schob eine einzelne Patrone in die Kammer seiner Waffe. Er richtete das Visier auf den Platz, schwenkte über den Wynt zu drei menschlichen Polizisten und schließlich auf eine Gruppe von Musth. Der Mann atmete ein, atmete aus, hielt die Luft an und drückte auf den Auslöser. Ohne sich über das Ergebnis des Schusses zu vergewissern, demontierte er ohne Eile die Waffe und schwebte mit dem Sitz auf die andere Seite des Gebäudes, wo er ihn zu Boden sinken ließ. Zehn Minuten später befand sich sein Gleiter auf dem Rückweg zu seinem bescheidenen Haus. Er sprach zu niemandem über das, was er getan hatte, ging am nächsten Morgen wieder seiner gewohnten Arbeit nach, und niemand erwähnte ihm gegenüber, welche Auswirkungen seine Tat hatte. Der Platz vor dem Regierungsgebäude verwandelte sich in ein Chaos aus schreienden und durcheinander rennenden Polizisten und Musth. Wlencing setzte sich auf seinen Schwanz, unmittelbar 352 neben der Leiche seines Adjutanten Rahfer. Auf der einen Seite seines Kopfes war ein sehr kleines Eintrittsloch zu sehen, und auf der gegenüberliegenden Seite fehlte ein großes Stück des Schädels. Daaf stand neben Wlencing. »Dieser Schuss war für Sie bestimmt.« »Vielleicht«, sagte Wlencing. »Vielleicht auch nicht. Vielleicht wollten die Würmer auch nur irgendeinen Musth töten.« »Das war keine besonders ehrenhafte Tat.« Wlencing sah ihn kurz an, dann erwiderte er: »Dann ist es angemessen, wenn für meine Reaktion dasselbe gilt.« Erneut wurden die Holos besetzt, und erneut wurden verängstigte Männer und Frauen von Erschießungskommandos exekutiert. Die Musth gaben bekannt, dass sie weitere Geiseln nehmen und auf die gleiche Weise reagieren würden, wenn es zu weiteren Verbrechen gegen sie kam. »Ich glaube«, sagte Garvin, »wir sollten überlegen, ob wir ein Verbrechen begehen sollten.« »Das wurde auch langsam Zeit«, sagte Njangu. »Hast du endlich einen Plan?« »Ja. Lass uns hören, was der Alte dazu sagt.« 353 18 Langnes 65333 / Schätzung Senza starrte auf die vielfarbig dargestellten Zahlen und Daten, die in der Luft über seinem Arbeitsplatz hingen. Er bewegte die Tatze und sah sich die neuen Daten an. »Das«, sagte er zu seinem Assistenten Kenryo, »soll die Realität dessen sein, was dieses Steinhirn Paumoto und sein Gefolge als Triumph bezeichnen?« »Ja«, antwortete sein Assistent mit emotionsloser Stimme. »Entweder denkt er mit einem Sandkörnchen, oder er beabsichtigt, diese Informationen geheim zu halten. Ungeheuerlich, wahrlich ungeheuerlich! Aesc getötet, fast die Hälfte seiner Krieger gefallen und noch viel mehr Verlust an Ausrüstung. Von Keffa wissen wir, dass er ein Narr ist. Er kann nicht mit den Tatzen zählen und kommt bei jeder Rechnung zum gleichen Ergebnis. Aber Paumoto! Er kann doch nicht so dumm sein! Oder?« Der Assistent, der ein Junges von Senza war, gab keine Antwort. »Haben Sie eine Berechnung angestellt, wie viele Normjahre es dauern würde, bis das Cumbre-System in Anbetracht dieser Verluste die Profitzone erreicht?« »Ja.« »Und?« »Der Wert liegt zwischen achtundachtzig und der doppelten Menge von Jahren, je nachdem, ob sie lediglich Rohstoffe abbauen oder es schaffen, aus Cumbre ein stabiles Produktionssystem zu machen.« »Irgendwer ist verrückt«, verkündete Senza. »Oder... 354
oder das alles ist nur eine Falle, die mich dazu verleiten soll, überstürzt zu handeln, damit man anschließend die echten Daten präsentieren kann — oder eine bessere Interpretation, weil wir alle irgendeinen Aspekt übersehen haben.« »Niemand von uns ist auf Alternativen aufmerksam geworden.« »Wie ich gerade sagte, etwas, das wir alle übersehen haben.« Senza bewegte verwirrt die Tatzen hin und her. »Ich wünschte... ich könnte irgendetwas tun. Ich will das hier gegen Paumoto einsetzen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Und ich hoffe, dass ich den schwachsinnigen Keffa zertreten kann, bevor er versucht, mich töten zu lassen. Das alles ist viel zu absurd, viel zu unglaublich. Ich brauche etwas Besseres.« Senzas Blick war in weite Ferne gerichtet. »Irgendetwas«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, was.« 19 D-Cumbre »Weißt du«, sagte Ben Dill zu Alikhan, »ich komme mir vor wie ein General in alten Zeiten, wenn seine Entwickler mit einer neuen Art von Speer oder etwas anderem zu ihm kamen und er mit rauchendem Kopf dasaß, weil er nicht wusste, wie er ihn einsetzen sollte, während der Krieg immer schlimmer wurde, bis sich irgendein verdammter Barbar von hinten in sein Zelt schlich und ihm einen Stein auf den Kopf knallte, womit der Krieg verloren war.« 355 Er warf einen Kieselstein durch die Zeltklappe auf eine harmlose Mullion-Eidechse und knurrte. »Das war eine beeindruckende Rede«, sagte Alikhan. »Ist es eine zu weit hergeholte Schlussfolgerung, wenn ich vermute, dass du mich für so etwas wie einen neuartigen Speer hältst?« »Nicht mal ansatzweise«, sagte Dill. »Du sagst, du willst dafür sorgen, diesen gottverdammten Krieg zu beenden, aber wir können dies nicht tun, jenes nicht machen, und etwas anderes geht auch nicht.« »Werde nicht zornig«, sagte Alikhan. »Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst?« »Keine Ahnung«, brummte Dill. »In eine Kneipe gehen und zusehen, dass ich in eine Prügelei gerate. Damit könnte ich wenigstens den Stress abbauen.« »Das halte ich nicht für eine praktikable Lösung«, sagte Alikhan. »Erstens trinke ich keinen Alkohol, weshalb der Besuch einer Kneipe mich langweilen würde. Zweitens, wenn wir etwas verwestes Fleisch für mich mitgebracht hätten, würden deine Kameraden das als widerlich empfinden. Drittens kann ich der Idee, meine Tatzen in einer Rauferei zu verletzen, nur wenig abgewinnen. Und viertens, wenn wir uns tatsächlich an einem Ort befinden würden, wo Alkohol serviert wird, würde dann nicht irgendwer beim Anblick eines Musth unverzüglich nach seiner Waffe greifen und sich allen Erklärungsversuchen verschließen? All das klingt für mich nicht nach einem netten Abend.« »Außerdem«, brummte Dill, »kenne ich keine einzige verdammte Kneipe auf dieser gottverdammten Insel.« »Es tut mir Leid, dass ich keine brauchbaren Ideen hinsichtlich meiner möglichen Verwendung habe«, sagte Alikhan. »Warum konsultierst du nicht einfach ein paar Experten?« 356 »Zum Beispiel?« »Ich bin mir sicher, dass es hier jemanden gibt, der einiges über die Musth weiß. Ist es nicht allgemein bekannt, dass sich in jeder Armee ein Experte für jedes beliebige Thema findet?« »Ich habe Freude, Sie zu sichten«, sagte Danfin Froude in Musth. Alikhan wedelte in einer Verneinungsgeste mit der Tatze. »Und ich grüße Sie«, antwortete er in der gleichen Sprache, um in Terranisch fortzufahren: »Aber vielleicht fällt uns die Kommunikation in Ihrer Sprache leichter.« »Ist mein Akzent so schrecklich?« Alikhan verweigerte aus Höflichkeit eine Erwiderung. »Ihr Freund ist der Ansicht, dass ich Ihnen vielleicht behilflich sein kann«, sagte der Mathematiker. »Er hat einige Zeit mit mir verbracht und versucht, sich so präzise wie möglich an Ihre Gespräche zu erinnern. Etwas, das er erwähnte, hat mich auf eine Idee gebracht. Sie haben einmal zu Tak Dill gesagt, dass die Musth-Krieger gar keine Gelegenheit hätten, anders über ihr Tun zu denken, als sie es von Kriegsherren wie Ihrem Vater gelernt haben.« »Das ist richtig«, sagte Alikhan. »Es gilt als selbstverständlich, dass wir im Nest lernen, eigene Überlegungen anzustellen, angeregt durch den Unterricht, den wir von unseren Eltern und anderen erhalten. Wenn wir das Nest verlassen und erwachsen geworden sind, wenn wir in den Dienst eines anderen Musth treten, gehen wir davon aus, dass wir unsere Wahl nach reiflicher Überlegung getroffen haben und demzufolge mit absoluter Ergebenheit gehorchen. Diese Verhaltensweise entspricht der Ehre.« Nach einem nachdenklichen Augenblick fügte Alikhan 357 hinzu, wobei Ben eine Spur von Melancholie in seiner zischelnden Stimme zu entdecken glaubte: »Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns immer wieder gegenseitig zu hintergehen versuchen, statt wirklich zusammenzuarbeiten. Es fällt uns sehr schwer zuzugeben, dass wir einen Fehler begangen haben, dass wir etwas auf andere Weise tun sollten.« »Es fällt euch leichter«, sagte Ben, »jemandem in den Rücken zu schießen.«
»Erspart das nicht viele Erklärungen?« »Ihr habt offensichtlich nicht das gleiche Rechtssystem wie wir«, sagte Dill. »Wenn Sie zwei Dampfwalzen jetzt mal die Klappe halten würden«, fuhr Froude dazwischen, »könnten wir vielleicht etwas aus meiner Idee machen. Alikhan, Sie wissen bestimmt, dass sich eine Stimme technisch so verändern lässt, dass der Sprecher nicht mehr zu identifizieren ist.« »Sicher. Von unseren Befehlshabern werden entsprechende Geräte häufig benutzt.« »Glauben Sie, wenn Sie die Gelegenheit hätten, sich mit einem anderen Krieger zusammenzusetzen, dass Sie ihn dazu bewegen könnten, die Seiten zu wechseln oder zumindest seine Befehle in Frage zu stellen?« »Nein«, sagte Alikhan. »Nur ein großer Redner, jemand wie Senza, bei dem ich studierte, könnte dazu in der Lage sein. Und es müsste bereits der Keim eines Zweifels vorhanden sein.« »Ein Keim des Zweifels...«, sinnierte Froude. »Ben, warum gehen Sie nicht auf die Jagd nach einem leckeren verwesten Giptelsteak für Alikhan und ein bisschen Feuerwasser für mich, bevor Sie sich unsichtbar machen. Alikhan und ich würden gerne ungestört mit ein paar Ideen herumjonglieren.« 358 Die Handelsorganisationen in Leggett, Aire, Launceston und Seya waren überrascht, denn die Geschäfte liefen unter den Musth nicht annähernd so schlecht, wie sie befürchtet hatten - obwohl die meisten Menschen nicht mehr viele Credits in der Tasche hatten und jene, die noch welche hatten, sich mit dem Ausgeben zurückhielten, solange sich die Lage nicht geklärt hatte. Doch bislang waren noch keine Firmen einfach übernommen wurden noch nicht. Die Gewinne waren wie erwartet zurückgegangen, aber viele neue Geschäfte wurden eröffnet. Sie waren allesamt klein, manche wirkten recht unwahrscheinlich, aber alle standen auf einer soliden finanziellen Basis, und die Eigentümer zahlten für alles mit harter Währung. Außerdem war interessant, dass sich die Profile aller dieser neuen Geschäftsleute sehr ähnlich waren hauptsächlich junge bis mittelalte, allein stehende Männer und Frauen, die kaum private Kontakte pflegten. In manchen Fällen schienen ihre Regale nicht so gut bestückt zu sein, wie man meinen sollte, aber wen wunderte es? Die Produktionsanlagen von Cumbre hatten sich noch nicht einmal von den Zerstörungen während der 'Rauhm-Revolte erholt. Diese Ladenbesitzer traten den Handelsorganisationen ihrer Städte bei, kümmerten sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten und führten ein ruhiges Leben. Ein paar Händler hatten die Theorie, dass diese neuen Geschäftsinhaber ehemalige Soldaten waren, und es beeindruckte sie, dass sie es während ihrer Dienstzeit offenbar geschafft hatten, etwas Geld zu sparen, um auf Zeiten wie diese vorbereitet zu sein. Ebenfalls interessant war, dass sich alle diese Ladenbesitzer mit Elektronik beschäftigten und sich sehr teure Komausrüstungen leisteten. 359 Eine der bekanntesten Neugründungen war die Hammerschlag-Kapelle, eine vierzehnköpfige Band, die ihre Karriere mit gefeierten Konzerten in Leggett begann. Anschließend fragte man die Musth um Erlaubnis, eine Tournee durch sämtliche Städte von D-Cumbre machen zu dürfen. Sicherheitsleute der Musth untersuchten gründlich die Instrumente und den sonstigen Besitz der Bandmitglieder, ohne etwas Verdächtiges zu finden, worauf die Genehmigung erteilt wurde. Durch Unterhaltungsangebote konnte die Moral der Menschen nur verbessert werden, auch wenn die Aliens der scheinbar wahllosen Abfolge unterschiedlicher Geräusche nichts abgewinnen konnten. Die HSK, wie sie schon bald genannt wurde, tourte mit einem recht großen Gefolge aus Freunden, Roadies und vielen anderen kreuz und quer über den Planeten. Die Truppe aus Männern und Frauen war offensichtlich bereit, überall aufzutreten, wo man sie hören wollte. Der Kopf der Band, eine freundliche Bohnenstange namens Hedley, war insofern ungewöhnlich, als er keins der wichtigeren Instrumente spielte, sondern lediglich ein Tamburin schlug und leise im Chor mitsang. Die Party begann in leicht nervöser Stimmung, und es fiel auf, dass sich einige der eingeladenen Rentiers nicht blicken ließen, vor allem jene, die daran interessiert waren, weiterhin dem Rat anzugehören. Sie wurde vom unermesslich reichen Rentier Bampur ausgerichtet, unter einem recht vage formulierten Motto, zu Ehren der erfolgreichen Rückkehr Erik Penwyths von den Toten »oder wo auch immer er sich versteckt haben mag«, gefolgt von einem Bankett, zu dem Eriks Eltern eingeladen hatten. Penwyth schien sich während seiner Militärzeit kaum 360 verändert zu haben. Er zeichnete sich nach wie vor durch eine ausgesprochene Lässigkeit aus, war auf leicht verlebte Weise attraktiv und brachte kaum einen ernst gemeinten Satz über die Lippen. Niemandem fiel auf, dass er bedeutend weniger als zuvor trank und mit einem freundlichen Lächeln alle angebotenen Drogen ablehnte. Er ließ sich hierhin und dorthin treiben, war möglicherweise etwas stiller geworden, hörte stattdessen mehr zu als in früheren Zeiten und tanzte mit jeder Frau, die dazu bereit war. Die rothaarige Karo Lonrod führte ihn auf die Tanzfläche und drückte sich an ihn. »Ich schätze«, hauchte sie, »du könntest mir Geschichten von unglaublichen Heldentaten in mein rosafarbenes, muschelförmiges Ohr flüstern.«
»Nicht eine einzige«, erwiderte Penwyth. »Man hat mich zu einer blöden Radarstation auf einer weit abgelegenen Insel geschickt, wo ich nichts gesehen und nichts gehört habe. Und als ich dachte, dass die Schießerei vorbei ist, bin ich wieder nach Hause gekommen.« Sie blickte mit skeptischer Miene zu ihm auf. »Ich dachte, du hättest dich freiwillig für eine furchtbar aufregende Truppe gemeldet... waren es nicht die Aufklärer oder so?« »Nur kurz«, räumte Penwyth ein. »Aber sie waren für meinen Geschmack viel zu heldenhaft. Bei so was kann man leicht getötet werden, weißt du.« »Nein, weiß ich nicht«, sagte Lonrod. »Aber etwas anderes weiß ich. Dass wir beide noch nie zusammen nach Hause gegangen sind.« »Tatsächlich?« »Tatsächlich. Hättest du Lust, das zu ändern?« »Aber gewiss doch«, sagte Penwyth. »Ein Mann sollte 361 eine derartige Einladung niemals abschlagen und sich keineswegs wie ein Gentleman verhalten. Das Gleiche gilt für eine Frau.« Sie kicherte und wollte ihm gerade etwas ins Ohr flüstern, als Jasith Mellusin ihm auf die Schulter tippte. »Ich glaube, jetzt bin ich mal an der Reihe, unseren unsteten Freund zu übernehmen.« »Wir haben gerade eine sehr interessante Diskussion begonnen«, sagte Lonrod, löste sich aber aus Eriks Armen. »Darf ich das als Einverständniserklärung auffassen?« »Aber gewiss doch«, sagte Erik. »Wir werden etwas später die Einzelheiten besprechen.« Jasith legte die Arme um ihn, und sie tanzten davon. »Ich schätze, Karo ist an Matratzenspielen interessiert«, sagte Jasith. »Sie meinte zu mir, dass sie sich gerne davon überzeugen würde, was du bei der Armee gelernt hast.« »Ich fürchte, sie wird enttäuscht sein«, sagte Erik. »Nicht viel mehr als allem salutieren, was sich bewegt, und alles andere weiß anzustreichen.« »Stimmt«, sagte Jasith erstaunt. »Ich erinnere mich an dich, wie du vor meiner Ehe warst, bevor...« Sie verstummte, und ihr Lächeln verschwand. »Und wo ist dein Ehemann an diesem schönen Abend?«, fragte Erik, um das Thema zu wechseln. »Hier natürlich nicht. Seine pelzigen Herren und Meister könnten die Stirn runzeln, wenn er Kontakte zu einem Soldaten pflegt.« »Typisch Loy«, sagte Erik. »Stets auf der Hut.« Eine Weile tanzten sie schweigend weiter. »Weißt du, was mit Garvin passiert ist?«, fragte Jasith schließlich. »Ich habe verschiedene Geschichten gehört«, sagte er. 362 »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er lebt, aber ich habe keine Ahnung, wo er stecken könnte.« »Ich habe mich erkundigt«, sagte Jasith, »und festgestellt, dass sehr viele Soldaten noch nicht heimgekehrt sind.« »Jasith«, sagte Erik, »mir ist zu Ohren gekommen, dass die Sache mit den Musth recht unangenehm gewesen sein soll. Verdammt, es gibt immer noch viele Männer und Frauen aus der Streitmacht, die seit dem 'RauhmDesaster vermisst werden.« »Ich weiß«, sagte Jasith. »Aber warum sind so viele Offiziere noch nicht zurückgekehrt?« »Ich glaube, weil sie dazu ausgebildet wurden, ihre Leute in vorderster Front zu führen, und das ist etwas, wobei man leicht das Leben verlieren kann.« »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, stimmte Erik zu. »Die Band ist ziemlich gut, nicht wahr?« »Erik Penwyth, ich glaube, du hältst mich hin.« »Nie im Leben!«, sagte er. »Wohin sollte ich dich halten?« »Hör mal, ich bin keine totale Dumpfbacke«, sagte Jasith. »Wir können davon ausgehen, dass wenigstens ein paar Gene meines Vaters bei mir hängen geblieben sind.« »Bitte nerv mich nicht mit ernsthaften Angelegenheiten«, sagte Penwyth. »Ich bin mit dem festen Entschluss zurückgekehrt, von nun an nichts zu tun, außer rücksichtslos Spaß zu haben.« »Das bezweifle ich nicht«, sagte Jasith. »Aber wenn du bei deinen Ausschweifungen zufällig Garvin über den Weg läufst, sag ihm bitte, dass er diese Nummer anrufen soll.« Sie gab ihm einen kleinen Zettel. »Ich bin die Einzige, die diesen Anschluss benutzt, ich trage den Kom ständig bei mir, 363 die Anrufe werden nicht aufgezeichnet, und niemand sonst kennt die Nummer. Und mein Ehemann schon gar nicht.« Penwyth zog die Augenbrauen hoch. »Hmm, das klingt nach einer ziemlich aufregenden Affäre.« Jasith sah ihn an. »Und das wiederum klingt äußerst zweideutig.« »So ist es«, sagte Penwyth unverbindlich. »So ist es.« Ab Yohns hatte sich seit dem Ende von Camp Mahan zweimal nach Leggett gewagt. Er tätigte kleinere
Einkäufe, besuchte Cafes, Bars und Restaurants und hörte sich an, worüber die Leute sprachen. Er bemerkte die vielen kleinen Geschäfte, die neu eröffnet hatten, und versuchte mit den Besitzern ins Gespräch zu kommen. Doch er stellte fest, dass sie recht verschlossen waren. Interessant, dachte er und überlegte, ob er sich intensiver mit der Entwicklung befassen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Es würde ihm nichts einbringen, und er wusste genau, dass die Ersten, die Widerstand leisteten, meistens den Heldentod starben. Außerdem war sein Hauptklient immer noch Protektor Redruth. Er bewunderte die subtile Vorgehensweise des Geheimdienstes der Konföderation — beziehungsweise desjenigen, der für diesen Plan verantwortlich war. Er bezweifelte, dass die Musth gut genug mit menschlichen Angelegenheiten vertraut waren, um diese Geschäfte genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber früher oder später würden ihre Marionetten neugierig werden. Wlencing unterdrückte eine angewiderte Reaktion und wandte sich von den Rekruten ab, die in vier V-Formatio364 nen aufmarschiert waren. Leise sagte er zu Daaf: »Leide ich unter irrtümlichen Emotionen, oder taugen diese Krieger nicht so viel wie jene, die zuvor für uns gekämpft haben?« »Nach den Personaldaten, die ich während des Fluges studiert habe, muss ich Ihnen leider zustimmen. Nur wenige wurden angemessen ausgebildet, entweder von ihren Eltern oder den Meistern, in deren Dienst sie getreten sind. Fast keiner von ihnen hat tatsächliche Kampferfahrungen, außer im Wachdienst für ihre Meister. Und es gibt da noch einen Punkt, den ich sehr besorgniserregend fand. Darf ich offen sprechen?« »Nur zu«, sagte Wlencing. »Es wird diesen Kriegern gut tun, die Launen eines Kriegsherrn zu ertragen und im Regen zu warten.« »Nur wenige von ihnen stammen aus angesehenen Clans, und die mit respektabler Herkunft machen ansonsten keinen guten Eindruck. Ich habe mit ihnen gesprochen und sie nach ihren Meistern gefragt, worauf sie antworteten, dass ihre Clans unseren Feldzug nicht unterstützen wollen.« »Um welche Clans handelt es sich?« Daaf blickte auf einen Datenträger, den er in der Hand hielt, und nannte die Namen. »Zwei davon kenne ich nicht«, sagte Wlencing erzürnt, »aber drei sind Clans, die unsere Sache unterstützt haben, als wir zum ersten Mal darüber sprachen.« Wlencing dachte an das Treffen auf 4Planet im Gebäude namens Sammlung zurück. Das war vor zwei Systemjahren gewesen, doch es kam ihm vor, als wäre seitdem viel mehr Zeit mit Blutvergießen und Kämpfen vergangen. Für einen Moment erinnerte er sich an sein totes Junges Alikhan, doch er schob diesen Gedanken sofort wieder in den Hintergrund. »Ich warte auf Ihre Worte«, sagte Daaf. 365 »Werden Sie nicht ungeduldig«, knurrte Wlencing. »Jedenfalls stehen diese drei Clans nun nicht mehr auf unserer Seite. Mehr müssen Sie nicht wissen. Haben Sie gefragt, was ihre Clanmeister oder ihre Assistenten dazu gesagt haben?« »Ja, aber sehr vorsichtig«, erwiderte Daaf. »Ich habe darauf geachtet, dass kein anderer in Hörweite war. Sie sagten, und ich gebe ihre Worte exakt wieder, dass ihre Clanmeister zunehmend davon überzeugt sind, dass kein Ruhm, keine Ehre und kein Gewinn erlangt werden kann, wenn sie so fern von den Musth-Welten dienen.« »Senzas Gift«, zischte Wlencing. »Wir hätten viel früher nach Wegen suchen sollen, ihn zu beseitigen... Daaf, Sie haben nie gehört, was ich gerade gesagt habe. Wie sieht die Ausrüstung aus, die zusammen mit den Rekruten eingetroffen ist?« »Die ist erste Wahl.« »Gut. Wie viele von den Neuen haben Erfahrung als Piloten?« »Nicht mehr als vierzig, die allerdings sehr schlecht qualifiziert sind.« »Dieser Punkt hat Priorität. Bringen Sie sie zu den Ausbildungsmeistern, die jene aussortieren sollen, die als Piloten für unsere Kampfschiffe tauglich sein könnten. Die anderen - alle anderen - werden zu Kriegern, ganz gleich, welche Position sie selbst angestrebt haben. Wir haben bereits genügend Fleischschneider und Büroarbeiter. Wenn Sie meine Befehle weitergegeben haben, brauche ich Sie in der Kommunikation. Ich muss mich so schnell wie möglich mit Paumoto und Keffa unterhalten.« Der Kom vibrierte in Jasiths Tasche. Sie stand auf, und der Finanzexperte warf ihr über den 366 langen Tisch hinweg einen Blick zu, der Irritation über die Störung ausdrückte. Die anderen Sitzungsteilnehmer reagierten ähnlich überrascht. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie in bedauerndem Tonfall. »Aber ich hatte ganz vergessen, dass ich noch einen dringenden Anruf erledigen muss. Bitte verzeihen Sie meine Unhöflichkeit.« Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte sie zur Tür und lief an den zwei wartenden Leibwächtern vorbei in den Korridor, als sich der Kom ein zweites Mal meldete. Sie zog ihn aus der Tasche und schaltete ihn ein. »Jasith Mellusin.« »Garvin Jaansma.«
»Du lebst!« »Ich lebe.« Seiner Stimme war keine Regung anzumerken. »Ich möchte dich sehen.« Schweigen. »Das geht nicht. Ich muss mich um... dringende Angelegenheiten kümmern.« »Ich glaube, ich bin eine dringende Angelegenheit. Und ich habe... nichts anderes im Sinn.« Wieder eine Pause. »Gut.« »Wie wär's mit...« »Keine Namen«, wurde sie von Garvin unterbrochen. »Ich schlage den Ort vor, wo wir uns das letzte Mal gesehen haben. Morgen Abend. Als du mit ihm zum Abendessen verabredet warst. Gleiche Uhrzeit. Geh auf dem Pier spazieren.« »Aber dort könnte es gefährlich sein! Wir wären... ihnen sehr nahe.« »Mach dir deswegen keine Sorgen.« 367 Die Verbindung wurde unterbrochen. Jasith starrte eine Zeit lang auf den Kom, dann steckte sie ihn wieder ein und kehrte in die Sitzung zurück. 20 Langes 889234 / Beharrung »Sie machen sich zu viele Sorgen«, sagte Keffa mit der Spur eines Schnurrens in der Stimme. »Jene, die schwanken, jene, die nicht mehr für unsere Sache einstehen wollen, sind unwürdig, sowohl für unser Volk als auch für die Gewinne, die diese Unternehmung abwerfen wird.« Er wartete, bis die Sendung durch die halbe Galaxis und zurück gelaufen war, hatte genügend Zeit, sich zwei weitere Kampfrunden in seiner privaten Arena und den Beginn einer dritten anzuschauen, bevor die Antwort aus dem System kam, das einmal als Cumbre und nun als Redon bekannt war. »Ich glaube, dass meine Sorgen trotzdem berechtigt sind«, sagte Wlencing. »Vergessen Sie nicht, dass ich mich hier am Rand der Sternenwildnis befinde. Wenn bei Ihnen ein Ereignis eintritt, vergeht viel Zeit, bis das Echo zu mir gelangt ist. Deshalb erwarte ich, dass sofort etwas getan wird. Vor allem wäre es außerordentlich hilfreich, wenn eine Möglichkeit gefunden würde, Senza zum Schweigen zu bringen. Überdies wäre ich für jede weitere Hilfe dankbar, die Ihr Clan mir gewähren könnte. Vor allem fehlt es mir an Kriegern, gut ausgebildeten Kriegern, und Ausrüstung. Ich habe versucht, Paumoto zu erreichen, doch mir wurde gesagt, dass er nicht zu sprechen ist. Ich wäre Ihnen 368 sehr verbunden, wenn Sie ihm ausrichten könnten, was ich benötige.« »Seien Sie versichert, dass ich Sie mit jeder Sehne unterstützen werde«, sagte Keffa. »Auch wenn ich zugeben muss, dass ich ein wenig über die Kosten dieses Eroberungsfeldzugs erschrecke, über den Verlust an Kriegern, Ausrüstung und Geld. Trotzdem ist es von größter Bedeutung, dass wir Musth den Kampf siegreich beenden, und ich werde diese Angelegenheit persönlich nehmen. Denken Sie immer daran, Kriegsherr Wlencing, dass Sie nicht allein sind.« Keffa nickte seinem Assistenten zu, der daraufhin die Verbindung unterbrach. Er kehrte zur Arena zurück und versuchte sich auf den Kampf zu konzentrieren, aber ihm gingen immer wieder andere Dinge durch den Kopf. Wlencing war also nicht in der Lage gewesen, Paumoto zu kontaktieren. Keffa war erstaunt, denn er hatte in den vergangenen drei Tagen häufig mit dem Clanmeister kommuniziert, und Paumoto hatte nichts davon erwähnt, dass er zu reisen beabsichtigte. Wich Paumoto einem Gespräch mit dem Kriegsherrn aus? Und Senza zum Schweigen zu bringen... Das war schon von vielen versucht worden, und Keffa hielt es für genauso unmöglich, wie die harte Strahlung einer explodierenden Sonne aufhalten zu wollen. Er wünschte sich, er würde einen Assassinen kennen, der kompetenter war als die zwei, die er bereits ausprobiert hatte. Überlegte Paumoto, ob er den Feldzug nicht mehr unterstützen wollte? Das hielt Keffa für unwahrscheinlich. Er hätte ihn zweifellos kontaktiert, wenn er der Meinung war, dass eine Änderung der Strategie nötig war. Nicht wahr? 369 Vielleicht wäre ein Besuch in diesem seltsamen System angebracht, das ursprünglich von Menschen besetzt worden war. Vielleicht erhielt er dadurch eine Idee, wie die Probleme auf bessere Weise gelöst werden konnten, und vielleicht erhielt er sogar einen Hinweis auf Paumotos ungewöhnliches Verhalten. 21 D-Cumbre Jon Hedley ließ die Übersetzung sinken, als er zu Ende gelesen hatte. »Klingt verdammt stark«, sagte er. »Aber es gibt da ein paar Wörter, die ich nicht verstehe. Zum Beispiel lert.« »Ich glaube nicht, dass es dafür eine Entsprechung gibt«, sagte Alikhan. »Stimmt«, sagte Danfin Froude. »Es ist so etwas wie eine Mischung aus Stolz und Trotz, eine Kombination verschiedener militärischer Tugenden. Man könnte es vielleicht als Kriegergeist bezeichnen. Etwas, das man
anderen beibringen kann, oder, wenn man es mystischer sieht, eine Eigenschaft, die genetisch vererbt wird.« »Okay«, sagte Hedley. »Und was ist mit kräng?« »Gesetze, aber mehr als nur Gesetze«, sagte Alikhan. »Sitten gehören auch dazu.« »Verhaltenskodex könnte der Sache recht nahe kommen«, fügte Froude hinzu. »Zumindest hat Alikhan es mir so erklärt.« »Brahda?« »Schicksal, Lebensweg.« 370 »Eine ganz andere Frage«, sagte Hedley. »Sie rufen nicht dazu auf, sich uns anzuschließen. Warum?« »Würden Sie einem Aufruf Ihres Feindes zum Desertieren folgen?«, fragte Froude. »Natürlich nicht.« »Also.« »Gut«, sagte Hedley. »Und mir gefallen Ihre Ideen, wie Sie das Ganze verteilen wollen. Ich würde ein paar kleine Änderungen vorschlagen, damit uns nicht plötzlich eine Rakete auf den Kopf fällt, wenn wir loslegen, und alles mit dem Alten absprechen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dafür sein Okay bekommen.« »Ich will euch keinen Müll erzählen«, sagte Njangu. Seine Stimme hallte über den Platz im Zentrum des Dorfes Issus, wo sich zahlreiche Fischer von Dharma und nahe gelegenen Inseln versammelt hatten. Der Platz wurde von Schützen der Aufklärer bewacht, und am Rand des Dorfes hatte man tragbare Raketenwerfer aufgestellt, falls sich Einheiten der Musth am Himmel zeigten. »Wir müssen den Kampf fortsetzen, und dazu brauchen wir euch. Wir brauchen eure Boote für Kurierdienste und zum Schmuggeln von Ausrüstung. Ich glaube kaum, dass wir euch dazu ausbilden müssen. Wir brauchen euch, um Truppen hin und her zu transportieren, und irgendwann brauchen wir eure Boote als Kampfschiffe.« »Was ist für uns drin?«, fragte ein Steuermann. »Verdammt wenig«, sagte Njangu. »Die Befreiung Cumbres von der Herrschaft der Musth, falls euch das mehr als einen Stoborfurz wert ist. Es könnte auch passieren, dass euer Boot versenkt wird oder ihr nicht mit dem Leben davonkommt, wenn ihr Mist baut oder Pech habt. Ansonsten die ewige Dankbarkeit der Regierung, wenn wir siegen.« 371 Es wurde gelacht und gebuht. Njangu grinste, was noch mehr Gelächter auslöste. »Seht ihr? Ich habe gesagt, dass ich euch nichts vormachen werde.« »Die Musth sind ganz wild auf Fisch«, rief ein anderer Fischer. »Sie sind gute Kunden.« »Klar sind sie das«, sagte Njangu freundlich und lehnte sich lässig gegen das Geländer einer Veranda. Es war kaum anders als in seinen kriminellen Zeiten, wenn er versucht hatte, seine Gang von einer Aktion zu überzeugen, die den anderen nicht ganz geheuer war. »Sie sind so wild auf Fisch, dass sie euch wahrscheinlich auf ihre Welten mitnehmen werden, damit ihr ihnen beibringt, wie man Netze auswirft.« Wieder Gelächter, aber auch ein paar mürrische Erwiderungen. »Oder um ihnen beizubringen, wie man jemanden als Köder benutzt, nicht wahr, Njangu?«, rief eine Frau. Diese Bemerkung löste lautes Gelächter aus, da die meisten davon gehört hatten, wie Yoshitaro auf genau diese Weise missbraucht worden war, als er mit Ton Milot hinausgefahren war und fast von einem hungrigen Barraco zum Abendessen verspeist worden wäre. »Jetzt wisst ihr, warum ich mich für den Kampf entschieden habe«, sagte Njangu. »Weil ich nie wieder Köder sein möchte. Und schon gar nicht für irgendwelche Aliens. Und was ist mit euch? Glaubt ihr, dass alles bleibt, wie es ist, dass ihr weiterhin eure Netze auswerfen könnt und die Musth euch in Ruhe lassen werden?« »Bisher hat keine Regierung die Fischer in Ruhe gelassen«, rief jemand. »Warum sollten wir von einem Haufen pelziger Aliens erwarten, dass sie freundlicher zu uns sind?« 372 »Ich würde es nicht erwarten. Ich persönlich bin überzeugt, dass sie immer härtere Forderungen stellen werden, unter denen ihr immer mehr zu leiden habt. Und ich weiß, dass es leichter ist, sich gegen einen Tyrannen zu wehren, bevor er euch überall Fesseln angelegt hat. Die Musth tappen immer noch etwas unbeholfen herum. Aber sie sind nicht blöd. Stück für Stück, Tag für Tag lernen sie uns besser kennen, gewinnen mehr Sicherheit, und wir werden immer weiter ins Hintertreffen geraten. Denkt darüber nach. Wenn ihr euch uns anschließen wollt, werdet ihr jemanden von uns finden. Wenn wir euch für eine bestimmte Aufgabe brauchen, werden wir uns bei euch melden. Wir werden euch keine Probleme machen, wenn ihr Nein sagt. Aber verpfeift uns nicht an die Musth. Sagt ihnen nicht, was ich euch gesagt habe oder wobei ihr eure Freunde und Nachbarn beobachtet habt!« An dieser Stelle veränderte sich Njangus Stimme und wurde tiefer und gefährlicher. »Wenn ihr das tut, werde ich mit euch ein ernstes Gespräch führen müssen. Und ich glaube, diese Erfahrung würdet ihr lieber nicht machen wollen.« Er verließ die Veranda und schulterte seinen Blaster. Irgendwer in der Menge jubelte — er vermutete, dass es entweder Ton Milot war, den er zu diesem Zweck mitgebracht hatte, oder dessen Bruder Alei. Ein paar Stimmen nahmen die Begeisterungsrufe auf. Nicht alle, aber einige. Der größte Teil der Menge blieb stumm und dachte
über Yoshitaros Worte nach, über das, was die Musth bereits getan hatten und was sie in Zukunft tun mochten. Sein Tweg Stef Bassas trat zu ihm. »Ziehen wir heute Abend ab, Sir?« Njangu blickte in die untergehende Sonne. »Negativ. Ich würde lieber nicht das Risiko eingehen, mit der Rostbeule 373 loszufliegen, wenn es dunkel ist. Sie hat eine viel zu dicke Signatur, und in der Nacht möchte ich lieber keinem Aksai begegnen. Am Tag allerdings auch nicht, wenn ich es mir recht überlege.« Der Grierson des Teams stand anderthalb Kilometer außerhalb von Issus unter einem Tarnnetz. Dies war bereits die vierte Rede, die Njangu im Verlauf des Tages in verschiedenen Dörfern gehalten hatte, und er fühlte sich recht müde. Er hatte Issus absichtlich als letzten Zwischenstopp gewählt, weil er sich hier, abgesehen vom Armeestützpunkt, mehr zu Hause fühlte als anderswo auf D-Cumbre. »Wir werden unser Lager außerhalb des Dorfes aufschlagen«, entschied er. »Ich werde die Anweisung an unsere Leute weitergeben, Sir. Dann lasse ich Rationen aus dem Grierson verteilen. Vielleicht bekommen wir noch ein paar Sachen von den Dorfbewohnern, mit denen wir das Abendessen verfeinern können«, sagte Bassas. »Hallo, Njangu«, hörte er kurz darauf eine schüchterne Stimme. Er drehte sich um und erkannte Deira. Sie hatte ein wenig abgenommen, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, aber sie war immer noch mit üppigen Rundungen ausgestattet. Sie trug, genau wie viele andere Fischerfrauen, ein bequemes Wickeltuch, das sich, wie Njangu wusste, genauso bequem abwickeln ließ. Irgendwo unter seinem Waffe ngürtel spürte er, wie sich etwas regte. »Bleibst du über Nacht?« »Ah, ja.« Deira lächelte. »Bei mir?« »Ahmm«, lautete Njangus hochintelligente Antwort. Er blickte sich zu Barras um, der interessiert den Boden betrachtete. 374 Erst deine Soldaten, dann du selbst, erinnerte er sich an ein Motto der Streitmacht. »Das Dorf wird deine Leute verköstigen, wenn ihr bleibt«, sagte Deira. »Wir kommen in diesen Zeiten nur selten dazu, ein Festmahl auszurichten. Aber euch zu Ehren würden wir gerne eins veranstalten.« Njangu sah Ton und Alei, die sich im Hintergrund hielten, zusammen mit einem Mann, der einen beeindruckenden Bart trug und in Issus zweifellos das Sagen hatte. Sie warfen ihm ermutigende Blicke zu. Bassas lächelte, als er sich vorstellte, an diesem Abend keine Standardrationen hinunterwürgen zu müssen. »Wir danken euch für dieses Angebot«, sagte Njangu. »Aber wir dürfen keinen Alkohol trinken. Wenn die Musth auftauchen, müssen wir in der Lage sein, mehr zu tun als mit Steinen nach ihnen zu werfen.« »Das habe ich bereits allen anderen gesagt«, erklärte Ton. »Sie werden sich ebenfalls an die Wasser-oder-SaftRegel halten, auch wenn es ihnen schwer fallen dürfte.« Njangu blickte in den Himmel, dann auf Deira, dachte an seine Pflichten, dachte an Deira... und schließlich dachte er: Scheiß auf die Pflichten! »Einverstanden.« »Gut«, sagte Ton. »Ein paar von unseren Jungs sind ganz hingerissen von euren Mädchen.« »Unsere Mädchen nicht zu vergessen«, sagte Deira. »Es wäre nett, mal wieder mit jemandem zu reden, dessen Atem nicht nach Fisch stinkt.« »Danke«, sagte Ton. »Du sei still«, sagte Deira. »Du bist verheiratet.« »Ich weiß!«, erwiderte Ton indigniert. »Lupul sagte zu mir, ich soll dafür sorgen, dass du es nicht vergisst.« Deira ging zu Njangu und nahm seinen Arm. 375 »Für dich habe ich ein ganz besonderes Gericht zubereitet«, sagte sie mit leiser Stimme zu ihm. »Nur für dich, mich und Babeu. Sie steht da drüben. Wir sind gute Freundinnen, und ich habe ihr alles über dich und über uns erzählt. Wenn sie dir gefällt, könnte es wieder so sein, wie es schon einmal war. Hmm?« Deira zeigte auf eine schlanke Blondine, die etwa in ihrem Alter war. »Damals hatte ich sehr viel Spaß, viel mehr als bei deinem letzten Besuch. Meinst du, es könnte für dich zu langweilig werden?« »Deswegen mache ich mir keine Sorgen«, sagte Njangu. »Ich mache mir Sorgen, ob ich in dieser Nacht Schlaf finden werde.« »Mach dir keine Sorgen«, sagte Deira. »Du wirst in dieser Nacht bestimmt nicht schlafen.« »Oh Abu, der im Zickzack durch die Wüste rennt«, murmelte Njangu. »Na komm«, drängte Deira. »Der Fisch ist erst in einer Stunde gar. Und wir wollen doch keine Zeit verlieren, nicht wahr?« Njangu stöhnte. Für den folgenden Tag waren vier weitere Reden in verschiedenen Bergdörfern angesetzt. Dort wollten sie Leute für ihre Luftüberwachung rekrutieren.
Das Team landete still und heimlich einen halben Kilometer von der Sendestation entfernt. Die vier Techniker aktivierten mit Hilfe der Artilleristen die Antigravplattform und wuchteten sie aus der hinteren Luke des Grierson und den Berghang hinauf, in Richtung der niedrigen Gebäude direkt hinter dem Gipfel. Obwohl ihre Arbeit am Projekt abgeschlossen war, hatten Alikhan und Froude darauf bestanden, die Mission zu begleiten. Froude hatte einen Blaster erhalten, und jemand begann ihm zu erklären, wie 376 man die Waffe benutzte. Froude reagierte indigniert. Auch wenn er Zivilist war, bedeutete das nicht, dass er keine Ahnung hatte. Ben Dill, der seinem Befehl nachkam, Alikhan überallhin zu folgen, hatte den Grierson geflogen und beklagte nun stumm sein Schicksal, dass er wieder einmal bei den Fußsoldaten gelandet war, als er die Spitze übernahm und die Gruppe nach oben führte. Sie sahen niemanden, während sie sich der Baustelle näherten. Zwei Techniker, die auf Sicherheitseinrichtungen spezialisiert waren, untersuchten den Zaun. »Nichts, Sir«, meldeten sie Froude. Sie wussten nicht, welchen Rang er innehatte, aber wenn es sich jemand erlauben konnte, in so schäbiger Kleidung und obendrein in Zivil herumzulaufen, musste er eine höhere Stellung als sie haben. »Nur ein paar Summer, und der Zaun steht unter Strom, um Tiere abzuhalten. Wir haben das Schloss deaktiviert, und jetzt ist der Weg frei.« Sie schoben den klobigen Sender durch das Tor, warteten, bis die Techniker die Tür zum Kontrollraum geöffnet hatten, und beförderten ihn hinein. »Genau, wie ich es mir gedacht habe, Sir«, meldete ein anderer Techniker. »Standardeinrichtung, keine Sicherheitssysteme am Energienetz. Wir brauchen fünfzehn, nein, zehn Minuten, um alles unter Dach und Fach zu bringen.« Es vergingen sogar weniger als zehn Minuten, bis die Energie der Relaisstation durch den Sender umgeleitet war. Er wurde auf die von den Musth benutzte Wachfrequenz eingestellt, und nun konnten die Systeme der Sendestation dazu benutzt werden, die Botschaft über den Planeten und in den Weltraum zu verbreiten. Es war kein Zufall, dass die Station dem Mafin-Konzern gehörte. 377 »Es kann jederzeit losgehen, Sir.« »Dann fangen Sie an«, sagte Fremde. Die zischelnde Aufzeichnung wurde gestartet und an Hunderte Koms in Schiffen oder Stützpunkten übertragen, vor denen fassungslose Musth saßen. Das Team verließ die Relaisstation und lief zum Grierson zurück. Dann hob das Gefährt vom Landeplatz ab, bevor irgendwer reagieren konnte. Die Qualität der Aufzeichnung war nicht die beste. Zu hören war eine gründlich verfremdete Stimme, die in sanftem Tonfall Musth sprach: »Erinnert ihr euch daran, wie ihr als Junge gekämpfl, gespielt und zu den Sternen, zu ihrem viel versprechenden Funkeln aufgeblickt habt? In eurem Bau habt ihr euch im Kampf durchgesetzt, bewiesen, dass ihr die Stärksten, die Besten, die mit dem meisten lert wart. Ihr habt euch behauptet, und dann seid ihr in die Welt hinausgezogen. Ihr wurdet zu Kriegern und habt alles über das heilige kräng gelernt. Ihr habt auf den Trainingsplätzen gegen eure Brüder gekämpft und euch auch dort durchgesetzt. Vielleicht habt ihr auch auf den Gesang eures Blutes gehört und seid ohne blutige Krallen nach Redon gekommen. Ihr wart stolz, tapfer, ihr hattet lert und Ehre. Aber was ist seit dieser Zeit geschehen? Ihr habt eure Brüder sterben gesehen, wenn sie von hinten oder aus einem sicheren Unterschlupf erschossen wurden. Ihr habt Vergeltung geübt. Gegen wen? Gegen Junge? Weibchen? Nichts? Ist das ehrenhaft? Ist euer lert gewachsen? 378 Zu viele von euren Kameraden sind gefallen, und nur die Todeszeremonie erinnert an sie. Viele verwesen auf einem Dschungelpfad, die Knochen anderer werden von den Wellen umhergespült, und andere... sind einfach verschwunden, ohne dass jemand etwas über ihren Tod weiß. Wird ihr Ba u sich an sie erinnern ? Ihr Clan ? Werden sich Junge ihre Ehre zum Vorbild nehmen? Wie steht es um euch? Werden Junge darum beten, euer lert zu erben? Oder werdet ihr wie so viele andere enden und hier in dieser vergessenen Sackgasse sterben, auf diesem Planeten, der ein grüner Alptraum ist? Tot. Vergessen. Ohne Ehre. Oder ist es an der Zeit zu gehen, zu den Welten zurückzukehren, die so sind, wie sie sein sollten, wo ihr
angemessenes brahda findet, für euch, für andere, für euren Clan? Das könnt ihr selbst entscheiden. Ihr seid Krieger. Ihr könnt euer eigenes Gehirn benutzen. Nicht wahr?« Wlencing stieß ein kontinuierliches tiefes Grollen aus, während er sich die Aufzeichnung zweimal hintereinander anhörte. »Ich vermute, die Quelle dieser Sendung wurde von den Würmern übernommen.« »So muss es gewesen sein«, sagte Daaf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Kouro sich so weit von der Realität entfernt hat, um so etwas zuzulassen.« »Nein, bestimmt nicht«, sagte Wlencing. »Ich vermute, Sie haben einen Trupp losgeschickt, um den Sender zu sichern und eine gründliche Analyse durchzuführen.« 379 Daaf zögerte. »Sie haben es nicht getan?« »Nein«, sagte Daaf. »Der Kommandant einer Aksai-Staffel hat den Ursprung der Sendung lokalisiert und sie von seinen Schiffen zerstören lassen.« Wlencings Grollen wurde intensiver. »Ich will, dass seine Eingeweide... nein. Ich darf Tapferkeit nicht bestrafen. Aber sorgen Sie dafür, dass er für längere Zeit nicht in mein Blickfeld gerät, bis sich mein Zorn gelegt hat. Und reden Sie mit diesem Kouro. Wahrscheinlich hat er nichts mit dieser Ungeheuerlichkeit zu tun, aber er trägt dennoch eine gewisse Verantwortung. Bestrafen Sie ihn auf angemessene Weise. Nehmen Sie ihm einen Teil seiner Credits weg. Ich glaube, das ist für ihn schmerzhafter als eine physische Vergeltungsmaßnahme.« »So wird es geschehen.« Wlencing berührte einen Sensor und hörte sich die Ansprache ein drittes Mal an. Welches Ziel erhofften sich die Banditen von diesem Unsinn? Es gab keinen Aufruf zur Meuterei oder die Seiten zu wechseln. Nur die trostlose Ankündigung des möglichen Todes und der Sinnlosigkeit. Es wäre nicht gut für die Moral der Krieger, wenn sie so etwas hörten. Wlencing wollte bereits anordnen, dass jeder, der beim Anhören der Botschaft erwischt wurde, bestraft werden sollte, doch dann überlegte er es sich anders. Das wäre eine dumme Reaktion, die nicht mehr bewirken würde, als den Reiz des Verbotenen zu erhöhen. Er hörte sie sich noch einmal an. Die Aussprache war perfekt. Kein Mensch hätte den Text so sauber sprechen können. Und wer ihn verfasst hatte, kannte sich mit der Denkweise der Musth aus. Aber kein Mensch konnte begreifen, was Ehre für die Musth bedeutete. Und kein Musth würde mit den Würmern kolla380 borieren. Und es gab keine Meldungen, dass Gefangene gemacht worden waren... Wer bei allen Heimatwelten war dafür verantwortlich? Jasith ging ungeduldig auf dem Pier vor dem Shelbourne auf und ab. Immer wieder blickte sie auf ihre Fingeruhr. Falls Garvin überhaupt noch aufkreuzte, hätte er sich mindestens um eine halbe Stunde verspätet. Ein frischer Wind, der nach der Asche von Camp Mahan schmeckte, wehte aus der Bucht heran, sodass sich trotz der Sonne niemand am Wasser aufhielt - außer einem Fischer, der mit dem Rücken gegen einen Poller gelehnt dasaß und mit einer Klebepistole ein Netz reparierte, und einem kleinen 'Rauhm-Jungen, der träge die Planken schrubbte, die zu den Anlegeplätzen führten. Sie bemerkte nicht die ausgebeulte Hose des Jungen, unter der sich eine Pistole verbarg, und sie wusste nicht, dass der Junge, der ungefähr vierzehn Jahre alt war, bereits während der 'Rauhm-Revolte als Kurier gearbeitet hatte. Und sie sah auch nicht das Schimmern des Blasters, den der Fischer unter seinen Netzen versteckt hatte. Allmählich wurde sie wütend, bis sie sich daran erinnerte, dass Garvin vermutlich bei allem, was er tat, sehr leicht das Leben verlieren konnte. Und während der Revolte hatte sie gelernt, dass in diesem Geschäft die Dinge nicht immer so liefen, wie sie sollten. Also entschied sie, ihm noch eine weitere halbe Stunde zu geben. Ein schlankes Sportboot, das nur aus glänzendem Holz und Chrom bestand, obwohl es vermutlich schon zweioder dreihundert Jahre alt war, kam in weitem Bogen über die Bucht herangefahren. Es hinterließ eine lange weiße Spur, während es sich dem Ufer näherte. Jasith glaubte bereits, das Boot würde den Anleger ram381 men, als das Heulen des Motors plötzlich aussetzte. Wasser schäumte am Heck auf, als es in den Rückwärtsgang wechselte. Wenig später hielt es genau neben der Anlegestelle an. In tadellosen weißen Shorts, weißem Hemd und cremefarbenem Pullover sprang Garvin Jaansma aus dem Cockpit des Bootes und vertäute es gekonnt am Landesteg. Jasiths Augen wurden immer größer. »Donnerwetter!«, stieß sie hervor. »Woher hast du das Boot... und dieses Outfit?« »Ein paar deiner Rentier-Kollegen haben es mir für den Nachmittag geborgt«, sagte er. »Schick, was?« »Das kann man wohl sagen. Wo hast du gelernt, so mit einem Boot umzugehen?« »Habe ich dir noch nicht erzählt, dass ich eine Zeit lang eine Wassershow in meinem Zirkus geleitet habe?«
Jasith musterte ihn kritisch, konnte aber nicht erkennen, ob er log oder die Wahrheit sagte. Garvin blickte auf eine altertümliche Armbanduhr. »Zum Mittagessen ist es bereits etwas spät«, sagte er und benahm sich wie Erik Penwyths unbekannter Bruder. »Aber vielleicht wäre jetzt ein Glas Wein oder ein Tee angebracht. Möchtest du?« Er reichte ihr seinen Arm, den Jasith annahm. »Was passiert, wenn wir auf Musth stoßen? Sie kommen manchmal hierher.« »Das wäre sehr bedauerlich«, sagte Garvin. »Für die Musth.« Er erwähnte nicht, dass das Sportboot mit fast einer Tonne Blok-Sprengstoff beladen war und er den Zünder in der Tasche hatte. Genauso wenig wie die Tatsache, dass der Fischer und der Junge nur zwei Mitglieder der bewaffneten Einheit waren, die rings um das Shelbourne Stellung bezogen hatte. 382 Jasith betrachtete Garvin. Er hatte sich seit ihrem letzten Treffen verändert. Sein Gesicht wirkte ernster, seine Augen schienen ein wenig hinter das oder durch das hindurch zu blicken, was er sah, und sie waren ständig in Bewegung. Er war schlanker und bewegte sich schneller, als könnte alles, worauf er seinen Fuß setzte, im nächsten Augenblick explodieren. »Ich weiß nicht, ob du ins Hotel gehen willst«, sagte sie. »Aber ich habe von meinen Sicherheitsleuten zwei Tische im Restaurant überprüfen lassen, ob es irgendwelche Abhörvorrichtungen gibt.« Garvin unterdrückte ein Grinsen. Das war der Grund für seine leichte Verspätung - weil seine eigenen Soldaten die Sicherheitsleute bei ihrer Arbeit beobachtet hatten. Sie hatten sie sich geschnappt, als sie das Hotel verließen, sich vergewissert, wer sie waren, und schließlich dafür gesorgt, dass sie keine Wanzen hinterlassen hatten. »Und du musst dir keine Sorgen machen, dass mein Ehemann auftauchen und peinliche Fragen stellen könnte.« »Ich weiß«, sagte Garvin. »Er wird für den Rest des Tages mit Wlencing beschäftigt sein.« »Damit hattest du nicht zufällig etwas zu tun, oder? Ich meine, ausgerechnet eine Sendestation des Matin für so etwas auszusuchen.« »Nein, Ehrenwort.« Garvin hatte wirklich nichts damit zu tun gehabt, außer dass er von Hedleys Idee begeistert gewesen war. »Schade«, sagte Jasith. »Ich habe mich darüber schlapp gelacht.« Garvin grinste. Diesmal war es ein echtes Grinsen, dann lachten beide. Es klang angenehm, dachte er, weil es ihn an bessere Zeiten erinnerte. 383 Jasiths Lachen verstummte abrupt. »Loy und ich... kommen in letzter Zeit nicht allzu gut miteinander klar.« Unbewusst legte sie eine Hand an die Wange, wo Kouro sie geschlagen hatte. »Beim nächsten Mal, wenn es ein nächstes Mal in dieser oder ähnlicher Art gibt, sorge bitte dafür, dass du etwas damit zu tun hast.« Der Chefkellner führte sie zu einem Tisch in der Nähe eines Fensters und zeigte nicht die geringste Regung angesichts der Tatsache, dass der Begleiter von Jasith Mellusin auf gar keinen Fall ihr Ehemann war. Das Shelbourne hatte seinen Ruf, das beste Hotel und Restaurant auf ganz D-Cumbre zu sein, nicht dem Umstand zu verdanken, dass das Personal zum Tratschen neigte. Jasith bestellte denselben Fruchtlikör, den sie auch beim letzten Mal getrunken hatte, und Garvin einen Kräutertee. »Führst du neuerdings ein anständiges Leben?«, fragte Jasith. »Ich bin im Dienst«, sagte Garvin. »Was natürlich bedeutet, dass ich möglichst bald auf das zu sprechen kommen sollte, weswegen ich dich sehen wollte. Ist es dir gelungen, das Geld auf die Seite zu schaffen, das ich für dich organisiert habe?« »Alles perfekt«, sagte Garvin. »Vielen Dank. Es wird in diesem Moment für einen sehr guten Zweck eingesetzt.« »Sag mir nicht, wofür.« »Das hatte ich auch nicht vor.« Sie griff in ihre Gürteltasche, holte einen kleinen blauen Plastikchip heraus und gab ihn Garvin. »Mellusin Mining ist ein sehr großer Konzern. Nicht so groß wie zu der Zeit, bevor die Schießerei losging, aber immer noch recht groß.« »Das war mir mehr oder weniger bekannt«, sagte Garvin. »Zumindest war es ziemlich offensichtlich.« 384 »Es gibt da eine Sache, von der mein Vater mir nie erzählt hat. Er hatte eine Hand voll Leute, die so ziemlich alle Aufgaben für ihn erledigt haben. Ich konnte Hon Felps, den wichtigsten Assistenten meines Vaters, dazu bewegen, mir alles darüber zu berichten.« »Von den sehr Reichen scheinen viele eine private Schlägertruppe zu unterhalten«, sagte Garvin. »Damit schockierst du mich nicht.« »Diese Leute stehen mir immer noch zur Verfügung. Wenn ich bedenke, wie sich die Sache mit den Musth entwickelt, werde ich sie möglicherweise früher oder später brauchen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich dieses Thema anspreche. Schau dir den Chip an.« Garvin tat es.
»Sieht wie ein altertümlicher Hotelzimmerschlüssel aus«, sagte er. »Mit einer Nummer drauf.« »Um die Nummer geht es. GT973. Präge sie dir ein.« »Okay.« »Alle meine verdeckten Mitarbeiter haben die Anweisung, wenn jemand Kontakt mit ihnen aufnimmt und diese Nummer nennt, diesem Jemand alles zu geben, was er oder sie verlangt«, sagte Jasith. »Alles.« »Damit würde eine Unterschlagung zweifellos zu einem lohnenden Geschäft werden.« »Ich vermute, dass genau das ein paar Mal geschehen ist, wie Hon andeutete. Oder manche Leute haben auf andere Weise versucht, daraus einen Vorteil zu ziehen. Hon sagte, es wäre nicht mehr als zweimal passiert, und ich habe ihn nicht nach Einzelheiten gefragt.« Jetzt war es Garvin, der Jasith kritisch musterte. Auch sie schien erwachsener geworden zu sein. Ihr Gesichtsausdruck wirkte älter, als er es mit zwanzig Jahren sein sollte. An den Mundwinkeln waren winzige Fältchen zu erkennen. Garvin 385 wünschte sich, er könnte sie in Lachfalten verwandeln, und verdrängte diese romantische Anwandlung wieder. »Du hast jetzt die Nummer«, sagte Jasith. »Wenn du irgendetwas brauchst... lass es dir geben. Sag mir nur Bescheid, wenn ich die Sache irgendwie decken soll.« »Danke«, sagte er. Der Schlüssel verschwand, als ihre Getränke kamen. »Wie sieht es mit Geld aus?«, fragte sie. »Brauchst du noch mehr?« »Ich glaube nicht.« »Frag mich, wenn doch.« »Danke.« Garvin überlegte, ob er etwas sagen sollte, dann fragte er sich, warum er es nicht tun sollte. »Du hast dich verändert.« »Vieles hat sich verändert, wie es scheint.« »Ja«, sagte Garvin und trank von seinem Tee. »Das kannst du laut sagen. Mir ist gerade noch etwas anderes eingefallen. Manchmal haben wir mit recht knappen Transportkapazitäten zu kämpfen. Mellusin Mining besitzt doch eine Menge Raumschiffe, Transporter.« »Frag einfach danach.« Jasith stellte ihren Drink ab und beugte sich über den Tisch zu ihm hinüber. »Garvin«, sagte sie eindringlich, »es wird noch schlimmer, nicht wahr? Noch viel schlimmer, bevor es wieder besser wird, nicht wahr?« »Ja.« »Was ist mit der Konföderation? Werden wir je wieder Kontakt bekommen?« »Wenn ich das wüsste«, sagte Garvin. »Ich würde nicht damit rechnen, dass in nächster Zeit jemand in silbern glänzender Rüstung erscheint.« »Und Redruth?« »Ich glaube nicht, dass er es mit dem gesamten Musth386 Imperium aufnehmen will - oder auch nur mit dem kleinen Haufen, der uns hier auf der Pelle sitzt. Also mach dir in nächster Zeit seinetwegen keine Sorgen. Ich vermute, er vermutet, dass sie zu Zillionen in unserem System eingefallen sind, obwohl ich wirklich gerne wüsste, warum sie das nicht getan haben«, sagte Garvin nachdenklich. »Ich weiß nur, dass wir es getan hätten, wenn wir den Musth ein System abgenommen hätten, in dem es Dinge gibt, die wir haben wollen. Ich schätze, wir liegen alle falsch, weil wir denken, dass sie ganz anders denken, nur weil sie fremdartig aussehen. Dabei denken sie tief drinnen wahrscheinlich genauso oder sehr ähnlich wie wir.« Jasith lächelte zögernd. »Das ist der Vorteil, wenn man eine Frau ist. Wir wissen es besser. Wir haben es auf die harte Tour gelernt.« Garvin lachte. »Sonst noch etwas?« Jasith blickte sich um. »Es wäre wirklich besser gewesen, wenn wir uns nicht hier getroffen hätten.« »Wo wärst du jetzt gerne?« Wieder lächelte sie. »Ich erinnere mich an einen Gleiter, der in der Nähe von Camp Mahan herumschwebte. Oder an ein Blumenbeet im Garten meines Hauses.« Garvin hatte im Rahmen der Vorbereitungen dieses Treffens für den Notfall ein Zimmer mieten lassen. Der Balkon führte auf ein Dach hinaus und wäre ideal, wenn er zu einem überstürzten Aufbruch gezwungen war. Aber der Raum hätte... könnte auch für andere Zwecke genutzt werden. Beinahe hätte er etwas gesagt, doch dann riss er sich zusammen. »Das wäre nett«, sagte er. »Das hat auch mir sehr gefallen.« Er nahm Geld aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Vielleicht... ein andermal.« 387 Er beugte sich vor, küsste sie züchtig auf die Lippen und eilte nach draußen. Jasith nahm ihr Glas in die Hand, aber plötzlich wollte sie nichts mehr trinken. Sie stand auf, beobachtete, wie Garvin mit schnellen Schritten über den Pier zum Boot lief, die Leinen losmachte und den Motor anwarf. Am Heck schäumte das Wasser auf, dann entfernte sich das Boot von der Anlegestelle, bis es mit Vollschub in östlicher Richtung davonraste.
Sie beobachtete es, bis es im Dunst vor der Küste verschwunden war. Dann erkannte Jasith, dass ihre getrübte Sicht kein atmosphärisches Phänomen war. Sie kramte ein Taschentuch hervor, tupfte sich das Gesicht ab, überprüfte ihr Make-up und verließ schließlich den Raum. Ein Kellner, der die Tischdekoration überprüfte, und eine Frau, die an einem Tisch in der Nähe des Ausgangs Servietten faltete, warteten, bis sie gegangen war. Dann zog die Frau einen winzigen Kom aus der Tasche und wählte eine Nummer. »Beide sind weg«, sagte sie. »Keine Probleme, keine Verfolger, kein Handlungsbedarf. Rückzug des Teams.« »Interessant«, sagte Njangu. »Also haben wir jetzt Mellusin Mining in der Tasche. Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, wozu wir den Laden gebrauchen können.« Er warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu. »Du hast dich wacker geschlagen, kleiner brauner Bruder. Ich hätte liebend gerne anzügliche Bemerkungen gemacht, wie die Sache abgelaufen sein könnte, wenn ich nicht den Bericht des Überwachungsteams gelesen hätte.« Er bemerkte Garvins Gesichtsausdruck. »Ein heikles Thema? Entschuldigung. Vergiss, dass ich etwas gesagt habe.« »Ich wollte nicht empfindlich reagieren«, sagte Garvin. 388 »Ich bin mir nur nicht sicher, was ich von dem halten soll, was passiert ist... was nicht passiert ist...« »Wie ich bereits sagte«, erwiderte Njangu, »vergiss es. Wenn du etwas anderes brauchst, um auf andere Gedanken zu kommen, hätte ich hier eine richtig schöne Widerlichkeit auf Lager. Ganz einfache Sache. Reingehen, rumballern und wieder nach Hause gehen. Dieser hochintelligente Plan fußt auf der sorgfältigen Analyse meines Einsatzes vor ein paar Wochen, als ich den alten Wlencing erledigen wollte, was aber leider nicht wie geplant funktioniert hat. Aber ich habe die ganze Zeit gewusst, dass sich daraus noch etwas Gutes entwickeln würde.« »Du meinst, Lir ist etwas Neues eingefallen?« »Klappe«, sagte Njangu. »Wenn du mitmachen willst, kriegst du einen Stehplatz, weil ich der Chef bin. Nein, noch viel besser... ein großer starker Bursche wie du könnte den Kom übernehmen und die Ausrüstung schleppen.« »Ich bin dabei. Gib mir nur genug Zeit, meine Rüstung anzulegen.« In Wirklichkeit war es tatsächlich Njangus Idee gewesen. Ein Team aus Ehemann und Ehefrau, die in der Hochlandbasis der Musth arbeiteten, nahm ein paar metallbeschichtete, nicht aufgeblasene Ballons und eine Gasflasche mit. Sie hatten eine komplizierte Geschichte parat, in der es um Freunde und einen Geburtstag ging, und waren regelrecht enttäuscht, als sich kaum jemand für ihre Sachen interessierte. Außerdem hatten sie einen winzigen Sender dabei, der im Griff eines Koffers versteckt und auf nur eine Frequenz eingestellt war. Njangus Team, das nach etwa zwei Stunden Flug von der Basis per Grierson abgesetzt worden war, bestand aus einem halben Dutzend Artilleristen aus der Aufklärungs389 truppe und zehn Männern und Frauen von der Kampfunterstützungseinheit einer Infanteriekompanie. Jeder war mit einem leichten Mörser und einer Schürze aus Patronen ausgestattet. Sie erreichten die Höhle, die Njangu bei ihrem ersten Ausflug entdeckt hatte, und verkrochen sich darin. Bei Anbruch des nächsten Tages aßen sie und wuschen sich in einem nahe gelegenen Teich. Njangu überprüfte die Windrichtung. Wie fast immer zu dieser Tageszeit wehte er aus dem Südwesten mit etwa vier Knoten. Perfekt. Und wie fast immer war alles in Nebel gehüllt. Er hatte Schwierigkeiten, weiter als zehn Meter zu sehen. Sein Team orientierte sich per Kompass und rückte zu der Stelle vor, die Njangu ausgewählt hatte, direkt hinter einem niedrigen Hügel. Zweihundert Meter weiter auf der anderen Seite der Anhöhe verlief die Begrenzung des Stützpunktes mit Wachtrupps und Alarmeinrichtungen. Die Mörser wurden sorgfältig nach Satellitenpositionsdaten ausgerichtet, mit Sandsäcken gesichert und die Zielvorrichtungen arretiert. Nun zielten sie alle auf einen ganz bestimmten Punkt. Pro Röhre wurden drei Geschosse entsichert und korrekt eingestellt, dann waren die Geschütze bereit. Garvin drückte auf eine Taste an seinem Sender, und der Empfänger im Lager piepte einmal. Die Frau, die ihn mit sich führte, blickte sich ein letztes Mal zwischen den Baracken um, damit kein Zweifel bestand, dass alle außer ihrem Partner schliefen, drückte den Antwortknopf und wartete, bis ein bestätigendes Piepen kam. Dann füllten die beiden die Ballons, öffneten das Fenster ihrer Unterkunft und ließen sie aufsteigen. 390 Sechzehn silbrige Kugeln schwebten davon, über den Stützpunkt hinweg zu den Landeplätzen... Njangu wartete zehn Minuten, dann gab er zwei Frauen von den Aufklärern ein Zeichen. Sie liefen zu den Teams an den Mörsern hinüber, schnippten mit den Fingern und kehrten zurück. Zehn Artilleristen hielten die Granaten über die Röhren, zogen die Sicherungsstifte und ließen die Sprengkörper los. Fast gleichzeitig feuerten die Kanonen, und kleine Bomben flogen über die Musth-Basis. Eine weitere Salve und dann eine dritte. Der Alarm war bereits losgegangen, als das Team die Mörser demontierte, schulterte und sich zurückzog, wobei alle darauf achteten, dass der Hügel ständig zwischen ihnen und der Musth-Basis war. An der Spitze lief Njangu, der einen Fernzünder drückte. Winzige Lichter, die sie an Sträuchern befestigt hatten,
leuchteten für ein paar Sekunden auf, dann waren sie ausgebrannt und zu Asche zerfallen - Leuchtkäfer, die ihnen den Rückweg zum Grierson zeigten. Unterdessen schlug das Mörserfeuer überall auf dem Stützpunkt ein, und die Musth-Abwehr lief auf Hochtouren. Eine Raketenstaffel schaffte es, die Mörserstellung ins Visier zu nehmen, und gab Gegenfeuer. Bei der nächsten Salve wurde die Position korrigiert, dann stieg ein Feuerball von der Stelle auf, wo sich die Mörser befunden hatten. Aksai, Wynt und Velv folgten ihren Alarmplänen, Piloten und hektische Bodenteams warfen die Triebwerke an, und Schiffe hoben ab, um sich aus der Gefahrenzone zu entfernen. Sie navigierten blind nach ihren Instrumenten, als sie die Schiffe zu den Startzonen steuerten. Doch dann wurde 391 wieder Alarm gegeben. Unbekannte Flugobjekte hatten auf irgendeine Weise den äußeren Sicherheitsring durchdrungen und schienen auf Zielkurs zu gehen, während sie langsam über die Landeplätze hinwegtrieben. Allem Anschein nach hatte niemand die Ballons visuell registriert, sofern die Meldung nicht auf den überfüllten Kanälen untergegangen war. Vielleicht wäre es gar nicht zur Katastrophe gekommen, wenn nicht eine Portion Glück im Spiel gewesen wäre. Zu viele der Schiffe waren mit nur halb ausgebildeten, unerfahrenen Piloten besetzt. Der Alarm, die Gefahr, das Geschrei aus den Korns - und schon gerieten die Besatzungen von einem halben Dutzend Kampfjäger in Panik und starteten, ohne auf eine Genehmigung zu warten. Sie wollten endlich etwas am Himmel sehen und sich nicht mehr auf die immer noch unvertrauten Instrumente verlassen. Ein Aksai rammte einen Velv, und der Zerstörer explodierte. Dann kam es zu weiteren Kollisionen. Die Fluglotsen und die Staffelkommandanten schrien durcheinander, um die Ordnung wiederherzustellen, doch sie machten alles nur schlimmer. Weitere Schiffe krachten zusammen, verloren die Orientierung oder kamen dem Boden zu nahe oder rasten in Gebäude. Kurz darauf tobten Chaos und Flammen auf dem Landeplatz. Das Team der Streitmacht hatte über dem Wasser die Hälfte des Fluges nach Mullion zurückgelegt, als die Elektronikspezialistin die ersten Musth auf ihrem Radar sah. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Griersons längst Rückendeckung durch Zhukovs erhalten. Dann verschwanden sie wieder. Die Musth-Basis wurde von Tod und Feuer beherrscht, und es dauerte zwei Tage, bis der normale Flugverkehr wieder aufgenommen werden konnte. 392 Die schwersten Verluste waren gar nicht die toten Piloten oder das verbrannte Bodenpersonal, ebenso wenig wie die zerstörten Hangars und Gebäude, sondern die Erschütterung der Moral und des Selbstbewusstseins der Musth, die von diesem Debakel erfuhren. Eine neue Propagandasendung wurde vorbereitet, und wieder machte sich ein Team an die Arbeit. Aber die Musth waren keine Dummköpfe. Die Relaisstation, die für diesen Zweck benutzt werden sollte - es war keine, die Loy Kouro gehörte -, war mit einer Falle gesichert. Drei Mitglieder des technischen Teams wurden getötet, zwei schwer verwundet, und die Überlebenden konnten nur mit Mühe gerettet werden, bevor die Abwehreinheit der Musth eintraf. »Der Krug ist einmal zu oft zum Brunnen gegangen, mein Freund«, sagte Froude. »Wir müssen uns etwas Effektiveres überlegen«, sagte Alikhan. »Etwas Überzeugenderes.« »Grab schon mal das vergammelte Fleisch aus«, sagte Froude. »Und diesmal holen wir Ann Heiser dazu. Vielleicht bringt es etwas, wenn eine zusätzliche Wissenschaftlerin ihren Senf beisteuert.« Die Ladung Telex war hastig an das schwere Tor des Hauptgefängnisses von Cumbre in Leggett gepappt worden, und zwei schwitzende, verängstigte 'Rauhm rannten an der Mauer entlang, um sich schnell in Sicherheit zu bringen. Einer löste Alarm aus, und Sirenen heulten im Innern des Gefängnisses auf, aber es war bereits zu spät. Der Sprengsatz riss eine Torhälfte aus den Angeln und zerfetzte die andere zu einem großen Teil. Ein Artilleristenteam kam aus dem Bürogebäude, das 393 dem Tor gegenüber lag, ging in die Hocke, zielte und feuerte nacheinander zwei Raketen durch den Eingang, um auch das innere Tor aufzusprengen. Ein Geschützturm schwenkte herum, wurde jedoch sofort von zwei MG-Teams unter Beschuss genommen. Die Patronen sprengten das angeblich kugelsichere Glas, und die menschlichen Wächter starben. Es hatte eine Diskussion gegeben, ob man den Tod dieser Menschen in Kauf nehmen durfte. Dann war sie von einem zynischen 'Rauhm beendet worden, der gesagt hatte, dass niemand um Gefängniswärter trauern würde, nicht einmal ihre Brüder. Eine weitere Rakete schlug ein, dann war auch das innere Tor offen. Die Artilleristen entfernten sich geduckt, dann griff das Team aus fünfundsiebzig erfahrenen 'Rauhm an. Jo Poynton führte den Trupp an, bis jemand sie zu Fall brachte und zu Boden drückte, während Waffen ratterten und die 'Rauhm in vorderster Front niedergemäht wurden. Noch eine Rakete raste durch die Lücke, explodierte im Hauptgebäude und tötete die Wachen, die einen schweren Blaster auf einem Stativ in Stellung gebracht hatten. Dann waren die Angreifer im Gefängnis.
Poynton verfluchte den Mann, der ihr das Leben gerettet hatte, rannte durch die rauchenden Trümmer und fand drei Überlebende ihrer Einsatzgruppe. Sie löste ein kleines Demo-Päckchen von ihrer Rüstung, und die drei beschossen das Verwaltungsgebäude, bis sie auf ihr Zeichen das Feuer einstellten. Poynton lief im Zickzack vorwärts, schleuderte das Demo-Päckchen fort und warf sich zu Boden, als die Tür des Gebäudes durch die Ladung aufgesprengt wurde. Sie rollte eine Granate durch den Rauch und schickte einen Feuerstoß aus ihrer Waffe hinterher. 394 Schreie waren zu hören, dann rief jemand: »Aufhören! Aufhören! Wir ergeben uns!« Poynton und die anderen drei stürmten in den Raum mit den Zellenkontrollen. Sie kannte sich damit aus, denn einer der Gefängniswächter hatte vor zwei Wochen entschieden, die Seiten zu wechseln, und Poynton die Möglichkeit verschafft, an einer nachgebauten Attrappe zu üben. Automatische Durchsagen ertönten, während die Häftlinge den Kampflärm hörten und in ihren Zellen unruhig wurden. »An alle Gefangenen, treten Sie von den Zellentüren zurück ... die Zellentüren werden sich öffnen...« Dann war eine reale Stimme, die einer Frau, zu hören. »Alle Tore sind geöffnet! Jeder, der frei sein möchte, sollte jetzt losrennen! Und zwar schnell!« Die meisten Häftlinge kamen der Aufforderung nach, doch ein paar waren überzeugt, dass es ein hinterlistiger Trick der Wärter sein musste, um sie auf der Flucht erschießen zu können, und blieben in den Zellen. Alle Inhaftierten, ob Kriminelle oder Dissidenten, strömten auf die Straßen von Leggett. Manche waren Geiseln der Musth. Einige 'Rauhm konzentrierten sich darauf, die politischen Gefangenen zu identifizieren, um sie in Sicherheit bringen zu können. Doch ihnen entgingen viel zu viele, die sich in Panik auf den Straßen zerstreuten. Manche fanden sichere Zufluchtsorte, andere wurden von Patrouillen der Polizei und der Musth gefasst. Die paar, die im Gefängnis geblieben waren, erlitten das bedauerliche Schicksal, noch am selben Tag im Rahmen der Vergeltungsmaßnahmen der Musth erschossen zu werden. 395 »Stück für Stück«, sagte Poynton zu ihren Untergebenen, »zermürben wir sie. Langsam, aber sicher.« Ted Vollmer kaute mürrisch auf einer Tablette gegen Sodbrennen herum, überlegte, ob er kündigen sollte, erinnerte sich an seine Hypothek und die neue Direktive der Musth, alle Arbeitslosen in die Bergwerke zu schicken, und versuchte, Loy Kouro mit nicht allzu finsterer Miene anzusehen. »Ja«, fuhr Kouro fort, »ich glaube, dass eine Neudefinition unserer Philosophie angebracht wäre. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Renegaten, diese Banditen, unser Holo kontrollieren, uns die Themen diktieren.« »Sie meinen, dass wir keine echten Nachrichten mehr bringen sollten.« Vollmer ließ es nicht wie eine Frage klingen. »So würde ich es nicht formulieren«, sagte Kouro. »Aber ich denke, wir sollten die Gewichtung bestimmter Themen überdenken. Zum Beispiel könnten die Fortschritte, die unsere Musth-Verbündeten erzielen, deutlicher in den Vordergrund gestellt werden anstelle der ständigen Gewaltakte, die vielleicht im zweiten Teil nach den kommerziellen Informationen untergebracht werden sollten. Vielleicht in einem Themenblock, den wir >Die Polizei meldet< nennen könnten. Ich glaube...« Was Kouro glaubte, sollte ein Geheimnis bleiben, denn in diesem Moment wurden die Türen des Aufzugs aufgerissen, und fünf mit Kapuzen maskierte Männer in Schwarz stürmten in den Raum, mit schussbereiten Blastem. Die Männer - und Frauen, wie Vollmer bemerkte -schrien mit voller Lautstärke: »Keine Bewegung! Wer auch nur einen Finger rührt, stirbt! Bleiben Sie, wo Sie sind!« Danach verstand Vollmer endlich, warum die Zeugen 396 von Raubüberfällen häufig so widersprüchliche Angaben machten, da die folgenden Momente ein einziges Chaos des Schreckens waren. »Wer sind Sie?«, rief Loy Kouro zurück. »Wie sind Sie in mein Haus gekommen?« Er zerrte eine kleine Pistole hervor, von der Vollmer bisher nichts gewusst hatte, und zwei der Banditen richteten ihre Blaster auf ihn. Dann tat Ted Vollmer etwas, wofür er sich den Rest seines Lebens verfluchen sollte. Er stieß Loy Kouro mit dem Kopf voran gegen einen Aktenschrank. Die Waffe flog in hohem Bogen davon, und Kouro blieb reglos am Boden liegen. Am meisten erstaunte Vollmer, dass er nicht erschossen wurde. Er hätte sogar schwören können, dass einer der Banditen lachte. »Keine Bewegung mehr!«, sagte einer mit ruhiger Stimme. Drei der schwarz gekleideten Banditen eilten durch den Redaktionsraum ins Nachrichtenstudio. Die Aufzugtüren schlössen sich, und kurz darauf- oder vielleicht auch eine Stunde später - öffneten sie sich wieder, und weitere Bewaffnete trafen ein. Auch sie liefen sofort zum Studio. Kouro stöhnte. Vollmer bemerkte, dass die zwei Wachen, die im Redaktionsraum zurückgeblieben waren, ihm
keine allzu große Aufmerksamkeit schenkten. Daraufhin versetzte er seinem Chef einen wohldosierten Fußtritt gegen den Kopf. Kouro wurde sofort wieder bewusstlos, und Vollmer empfand die warme Zufriedenheit einer gut erledigten Aufgabe. Im Studio hielt Garvin Jaansma die drei Nachrichtensprecher in Schach. Monique Lir bedrohte eine Technikerin mit der Waffe und reichte ihr einen Zylinder. 397 »Senden Sie das! Sofort!« Die Technikerin nickte eifrig und schob den Datenträger in einen Schlitz. »Es geht los.« Die Holoprojektoren an den Seiten des Raumes erloschen, dann baute sich eine neue Szene auf. Zu sehen war ein Musth, der kurz darauf verschwand, dann erschien die grün-weiß-braune Flagge von Cumbre, zu der die planetare Hymne ertönte. Die Musik wurde ausgeblendet, dann war eine selbstsichere Stimme zu hören. »Hier spricht die Freie Stimme von Cumbre. Für diese Sendung haben wir den Matin übernommen. Männer und Frauen von Cumbre. Ihr müsst nun unter dem eisernen Stiefel der Musth leben. Aber nichts währt ewig. Einige von uns, viele von uns, leisten Widerstand. Wir setzen den Kampf fort, so gut wir können. Manche von uns wissen, wie man Bomben baut und platziert und am besten gegen den verhassten Feind einsetzt. Andere haben Waffen und keine Furcht, sie gegen die Musth zu benutzen. Wieder andere sind gezwungen, in ihren Fabriken zu arbeiten, und wissen, dass eine Schraube, die ein wenig zu fest angezogen wird - oder nicht fest genug - ein bestimmtes Bauteil unbrauchbar macht, ohne dass jemals Verdacht geschöpft wird. Ein wenig Schmutz auf einer empfindlichen Fläche kann zur Selbstzerstörung einer großen Maschine führen. Wieder andere verladen Güter für die Musth oder arbeiten in einem Raumhafen. Eine winzige Änderung in den Papieren, eine falsche Zahl, und die Waren landen irgendwo und werden schließlich in einer Zwischenstation vergessen. Tapfere Jungen und Mädchen hängen Plakate auf und sagen uns, wie die wahren Nachrichten lauten, nachdem die Holos nun von den Aliens kontrolliert werden. Ihre 398 Lehrer haben keine Angst, die Wahrheit zu sagen, ohne auf das zu hören, was die Musth ihnen als Wahrheit verkaufen wollen. Manche von uns können gar nichts tun. Aber ihr könnt trotzdem sehr viel tun. Sprecht nur mit den Musth, wenn ihr dazu gezwungen seid. Wenn ihr etwas seht, das euch nichts angeht, meldet es nicht. Tratscht mit niemandem. Wenn ihr einen Blockwart habt, gebt euch alle Mühe, ihm seine Arbeit so schwer wie möglich zu machen. Wenn ihr selber ein Blockwart seid, denkt an das, was wir zu Anfang dieser Sendung gesagt haben. Nichts währt ewig. Früher oder später werden wir die Musth vertrieben haben. Dann wird der Tag der Abrechnung für jene kommen, die vor den Invasoren gekrochen sind, die ihresgleichen verraten haben. Für jene unter euch, die unter den Einfluss der Aliens geraten sind, ist es noch nicht zu spät. Ihr könnt jederzeit die weitere Zusammenarbeit verweigern. Der Krieg wird fortgesetzt. Er wird erst dann enden, wenn das Cumbre-System wieder frei und der letzte Musth vertrieben ist. Freiheit für Cumbre! Wir waren frei, und wir werden wieder frei sein!« Als die Sendung zu Ende war, hatten die meisten Mitglieder des Kommandos das Gebäude bereits verlassen. Nur noch eine Person hielt im Redaktionsraum Wache und eine zweite im Studio. Diese beiden - Monique Lir und Garvin Jaansma - wollten nicht das Risiko eingehen, die Aufzüge zu benutzen, sondern hasteten die Treppe hinauf zum Dach, wo ein ziviler Gleiter wartete. Sie sprangen hinein, und das Gefährt raste mit Vollschub davon, zwischen den Bürohochhäusern hindurch, bis es in der Nacht über dem Meer verschwand. Loy Kouro musste wegen einer Gehirnerschütterung be399 handelt werden und verbrachte die folgende Woche damit, in seinem Haus zu genesen. Bedauerlicherweise war seine Ehefrau viel zu sehr mit Problemen auf C-Cumbre beschäftigt, um mehr Zeit mit ihrem Ehemann verbringen zu können. »Vielleicht«, spekulierte Daaf, »ist unsere Strategie nicht so gut durchdacht, wie sie sein sollte. Unsere Maßnahmen scheinen nur wenig dazu beizutragen, die Bevölkerung zu beruhigen.« Wlencings Fell sträubte sich, und er starrte seinen Adjutanten mit geröteten Augen an. »Unsere Strategie - meine Strategie - ist sorgfältig geplant. Ich sehe nicht den geringsten Grund, sich stattdessen nach unklaren Vorgaben zu richten, die nur den Eindruck erwecken würden, dass wir diesen Würmern aus Feigheit Zugeständnisse machen. Wir müssen den eingeschlagenen Kurs beibehalten und weiterhin mit aller gebotenen Härte reagieren!« »Ich glaube«, sagte Alikhan, der zum ersten Mal so sprach, wie es die meisten seiner Artgenossen taten, »dasss wir zu einer möglichen Antwort gelangt sssind.« »Zu welcher?«, fragte Mil Hedley und erweiterte den Kamerawinkel. Danfin Froude saß in sich zusammengesunken in einem Sessel, neben dem ein umgekipptes Glas stand. Ben Dill lag auf dem Boden und schnarchte laut. Nur Ann Heiser schien nüchtern zu sein. »Wir sind davon überzeugt«, sagte sie in sehr sorgfältiger Aussprache, bevor sie von einem schweren
Schluckaufgeschüttelt wurde, »einen Weg gefunden zu haben, wie wir diesen verdammten Krieg beenden können.« 400 22 »Wie betrunken waren sie, als sie diese Idee ausgeheckt haben?«, fragte Njangu. »Ziemlich«, sagte Hedley. »Sturzbesoffen, um genau zu sein.« »Und der Alte war einverstanden?«, wunderte sich Garvin. »Von der Verzweiflung getrieben«, sagte Hedley. »Er sieht darin so etwas wie unsere letzte Hoffnung.« »Hmm«, machte Njangu. »Warum sollen wir versuchen, ein ganz bestimmtes Mutterschiff zu stehlen?« »Nach Alikhans Angaben ist es ein schon leicht veraltetes Modell. Das ist der Grund, warum es meistens untätig auf C-Cumbre herumsteht. An Bord ist nur ein minimales Wachteam stationiert.« »Aber es ist voll betankt und jederzeit startbereit?« »Alikhan sagt, dass es in den Dateien als einsatzbereit geführt wird. Aber wahrscheinlich gibt es an Bord keine Karten, Vorräte oder sonstige Dinge, die für einen Einsatz innerhalb des Systems benötigt werden.« »Also müssen wir nur Menschen, Wasser...« »Das nicht«, sagte Hedley. »Wasser gibt es genügend im Kühlsystem. Recycling wird bei den Musth ganz groß geschrieben.« »Menschen können Musth-Pisse trinken?« »Offensichtlich.« »Also gut«, sagte Garvin. »Also versuchen wir, das Schiff in unsere unbeholfenen Patschehändchen zu bekommen. Dann überlegen wir uns, wie wir es mit unseren tapferen Soldaten bemannen. Und dann?« »Dann benutzen wir die Sternenkarten, die sich in unse401 rem Besitz befinden, um ihnen einen Besuch abzustatten. « »Wem?«, fragte Njangu. »Bei den Musth gibt es einen Clanmeister namens Senza. Er ist der wichtigste Vertreter der Pazifistenfraktion, sagt Alikhan. Auf jeden Fall ist er dagegen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Krieg gegen die Menschen zu führen. Alikhan hat bei diesem Typen studiert... ich glaube, wir würden es als Philosophie bezeichnen. Wie es scheint, treten die Musth als Völkchen nicht gerade geschlossen auf. Nur ein paar ihrer Clanmeister haben den CumbreFeldzug unterstützt.« »Also werden wir ein wenig mit Senza plaudern«, sagte Njangu. »Und was wollen wir damit erreichen?« »Alikhan sagt, wenn Senza stichhaltige Beweise hat, in welches Desaster sich diese Aktion verwandelt hat, könnte er dafür sorgen - ich schätze, diese Schätzer sind so etwas wie Musth-Diplomaten -, dass Wlencing zurückgepfiffen wird.« »Was trägt die Tatsache, das Alikhan der Sprössling von Wlencing ist, dazu bei?« »Ich vermute, es stärkt seine Glaubwürdigkeit«, sagte Hedley. »Auf jeden Fall hat sich Senza schon seit Jahren mit den Kriegstreibern in der Wolle und sucht ständig nach einer Gelegenheit, sie am Schlafittchen packen zu können. Alikhan glaubt, er könnte Senza dazu verhelfen, worauf die Musth einen Waffenstillstand erklären dürften, und dann können wir sie dazu bringen, sich zu Gesprächen mit uns an einen Tisch zu setzen.« »Wie es scheint, haben wir den Musth einen ziemlichen Schrecken eingejagt, als sie sich das letzte Mal mit der Konföderation angelegt haben«, sagte Garvin. »Oder Alikhan bildet sich ein, er hätte eine Zunge aus purem Iridium«, sagte Njangu. »Hat schon jemand darüber 402 nachgedacht, was wir machen, wenn das Haus von diesem Senza nicht auf unseren Straßenplänen verzeichnet ist? Ich meine, wir sind zwar Superhelden und haben jede Menge Glück und so...« »Schon berücksichtigt«, schnitt Hedley ihm das Wort ab. »Wir benutzen die Karten, die wir haben, um auf irgendeinem Planeten zu landen, wo Alikhan nach dem nächsten Landkartenladen sucht.« Njangu sah Hedley mit recht ungläubiger Miene an. »So einfach? Na gut. Kommen wir auf ein Thema zurück, das eher unsere Kragenweite hat. Ich gehe davon aus, dass du davon ausgehst, dass die Aufklärer das Einsatzkommando stellen.« »Völlig richtig.« »Und nachdem wir uns das Schiff geschnappt haben, düsen wir mit Alikhan los und spielen seine Leibwächter und bringen dem Piloten Kaffee.« »Richtig. Wir nehmen Ben Dill und jeden anderen mit, der auch nur ansatzweise Erfahrung mit Sternenschiffen hat. Etwa fünfzehn Mann.« »Das reicht nicht«, sagte Garvin kategorisch. »Ich versuche, so viele Soldaten wie möglich einsatzbereit zu halten«, beklagte sich Hedley. »Wir müssen hier unten den verdammten Krieg weiterführen, während ihr Clowns da oben >Eine Hand voll Helden gegen den Rest der Galaxis< spielt.« »Darum werde ich mich kümmern, Garvin«, sagte Njangu. »Ich weiß schon, wo wir ein paar mehr Leute herkriegen - die sogar schon an Ort und Stelle sind. Was mir allerdings nicht gefällt, ist dieser komplizierte Plan,
wie der Trupp nach C-Cumbre gebracht werden soll. Ein lahmer Frachter und der letzte Aksai mit gefälschter Signatur... nein. Das kann zu leicht schiefgehen.« 403 114252 »Hast du eine bessere Idee?«, fragte Hedley. »Ja. Weil ich mich daran erinnert habe, wer sich auf C-Cumbre aufhält. Und mein netter, liebenswerter Kollege mit der Zunge aus Samt wird der Schlüssel sein.« »Moment mal!«, protestierte Garvin. »Spring unter die Dusche und steck dir eine Blume hinters Ohr«, sagte Njangu. »Denn unser Blondschopf geht zu einem Rendezvous, trara!« »Das ist aufregend«, sagte Karo Lonrod zu Erik Penwyth, als er sanft mit seinem Gleiter vor den Stufen aufsetzte, die zu Jasith Mellusins Haus hinaufführten. »Ich war noch nie ein Alibi.« »Auf jeden Fall bist du ein hinreißendes Alibi«, sagte Erik. »Andererseits«, sagte Lonrod, »könnte ich mir vorstellen, dass da noch etwas anderes zwischen Garvin und Jasith ist.« »Zum Beispiel?« »Zum Beispiel etwas, das mit dem Krieg zu tun hat... was auch erklären könnte, warum du so ein Geheimnis daraus machst, was du so treibst. Und warum mein Vater dir letzte Woche einen dicken Scheck ausgestellt hat, über den er nicht sprechen wollte.« »Der Krieg ist vorbei«, sagte Erik. »Ich bin ein gutes Mädchen, also weiß ich das. Genau deshalb finde ich es so aufregend, das Alibi zu spielen, weil das die andere Möglichkeit wäre.« »Manchmal frage ich mich...«, begann Erik, doch dann war er dankbar für die Unterbrechung, als Jasith und ihr Ehemann durch die Tür traten. Jasith gab Loy einen knappen Kuss und lief zum Gleiter. Erik fuhr das Seitenfenster herunter. »Tut mir Leid, dass du nicht mit uns kommen kannst, 404 alter Knabe«, rief er. »In der neuen Galerie soll man ja mächtig was für seine Bildung tun können.« Kouro zwang sich zu einem Lächeln und ging wieder ins Haus, während Jasith sich auf den Rücksitz zwängte. »Lasst uns losfliegen. Ich sage euch, der,Typ hat von Tag zu Tag mehr Ähnlichkeit mit einem vertrottelten alten Stinkstiefel.« »Ausssweisss«, verlangte der erste Musth, während der zweite mit schussbereiter Waffe zurücktrat. Mit bedacht langsamen Bewegungen reichte Njangu ihm mit der linken Hand eine Plastikkarte. »Ausssweisss«, wiederholte der Musth etwas lauter. Wahrscheinlich war es das einzige terranische Wort, das er kannte. Eine dünne Röhre in Njangus rechter Hand gab ein dumpfes Geräusch von sich, dann würgte der Musth Blut hervor. Njangu warf die leere einschüssige Waffe ins Gesicht des zweiten Musth, schlug ihm mit einem Fußtritt den Blaster zur Seite, als die Waffe feuerte, ging in die Hocke und sprang hoch, wobei er seinen Schädel in das Gesicht des Musth rammte. Sein Gegner kreischte und holte instinktiv zu einem Hieb mit der krallenbewehrten Tatze aus. Er erwischte Njangu am Oberarm. Yoshitaro wirbelte herum, schlug dem Alien zweimal mit der Faust in die Seite und drehte sich wieder, als der Musth auf ihn eindreschen wollte. Er blockierte seine Tatze, unterlief seine Deckung und zielte auf den Hals des Wesens. Er spürte, wie etwas knackte. Der Musth taumelte, dann stürzte er und blieb reglos liegen. »Sehr gut«, sagte Jo Poynton, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. »Du hast sie erledigt, bevor wir schießen konnten.« 405 »Trotzdem danke für die Rückendeckung«, sagte Njangu und untersuchte die Schnitte an seinem Arm und die Blutflecken, die sich langsam in seiner Jacke ausbreiteten. »Ich glaube, ich sollte eine Fälschertruppe ins Leben rufen. Ich hätte mir denken können, dass er meine Karte für die Offiziersmesse nicht akzeptieren würde. Okay, Poynton, du kannst mich zum Verbinden bringen und mir ein Bier holen, bevor noch mehr von den Pelzigen aufkreuzen.« Es fühlte sich immer noch seltsam an, am frühen Nachmittag eine feuchtfröhliche Runde abzuhalten, aber die Cumbrianer hatten gelernt, dass die nächtliche Ausgangssperre für jeden galt, sogar für Rentiers. Penwyth, Lonrod und Jasith betraten die Galerie und wurden vom Inhaber empfangen. Nachdem Jasith zwei Collagen aus der Ausstellung gekauft hatte, führte er die drei in ein Hinterzimmer, um ihnen den Künstler vorzustellen. Beide waren ehemalige Mitglieder der Streitmacht und hätten jeden Schwur darauf geleistet, dass ihre Besucher bis zum Ende auf der Party gewesen waren. Dort wartete Garvin Jaansma. »Wir werden in zwei Stunden zurück sein«, sagte er. »Warum nicht drei?«, schlug Penwyth vor. Garvin runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern. »Also drei.« Er führte Jasith durch eine Hintertür hinaus. »Ich verstehe nicht, warum Erik darauf gedrängt hat, dass wir länger
fort sind.« »Ich hätte dich für einen besseren Spion gehalten«, sagte Jasith. »Was glaubst du, was Karo denkt, was wir tun werden?« »Ach so.« 406 »Für einen guten Seitensprung sollte man sich etwas Zeit nehmen«, erklärte Jasith. »Sagt man zumindest«, setzte sie sittsam hinzu. Garvin vergewisserte sich, dass sie nicht verfolgt wurden, und führte Jasith ein paar Blocks weiter mitten in das Einkaufsviertel aus der Vorkriegszeit und in das Hinterzimmer eines teuren Möbelgeschäfts. Er verschloss die Tür zum Laden und verriegelte den Lieferanteneingang. Jasith sah ihm zu und lehnte sich auf einer mit goldenen Stickereien verzierten üppigen Couch zurück. »Welchen Wunsch darf ich dir erfüllen?«, fragte sie. »Ich brauche eins deiner Schiffe, um damit ein paar meiner Leute nach C-Cumbre zu bringen.« »Nimm es dir.« Garvin war leicht überrascht, dass sie sofort zugestimmt hatte. , • »Und einen deiner Luxusgleiter.« Jasith nickte. Diesmal erklärte er ihr, wozu er den Gleiter brauchte — damit sie sich keine falschen Vorstellungen machte. »Ich habe eine bessere Idee«, sagte Jasith. »Ich arrangiere ein Treffen mit den Musth. Damit hätten wir die Garantie, dass wir in ihren Stützpunkt hineinkommen.« Garvin entging nicht, dass sie »wir« gesagt hatte. »Aber was wird aus dir, wenn die Schießerei losgeht?«, fragte er. »Das dürfte kein Problem sein«, sagte Jasith leichthin. »Du kannst mich fesseln... und ich werde sagen, dass ihr mich entführt habt. Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Die Besitzerin von Mellusin Mining genießt bei ihnen immer noch einen gewissen Respekt.« Garvin war skeptisch, sagte aber nichts. »Ist das alles, was du brauchst?« 407 »Ja«, sagte Garvin. »Nein, verdammt! Ich würde dich gerne küssen.« »Göttin sei Dank!«, murmelte Jasith. »Ich hatte mich schon gefragt, ob ich völlig abgemeldet bin. Aber nur keine Hektik! Immer mit der Ruhe! Wir haben über zwei Stunden Zeit, und ich möchte es genießen.« »Und was passiert anschließend?«, fragte Poynton. »Deine Leute kehren zusammen mit meinen Soldaten in die Minen zurück und machen einen unschuldigen Eindruck« , sagte Njangu. »Und die Verwundeten?« »Gehen zu Fuß oder werden von euch mit Bahren transportiert. Die Streitmacht wird bei den Bergwerken ein Sanitäterteam bereithalten. Die anderen... müssen zurückgelassen werden. Genauso wie unsere Leute. Wir können Giftkapseln austeilen, wenn du möchtest.« Poynton sah Yoshitaro nachdenklich an. »Wir haben euch eine Menge beigebracht, wie man in einem solchen Krieg kämpft, nicht wahr?« »Ja, ich habe viel von dir gelernt«, gab Njangu zu. »Aber die Grundlagen meiner Bösartigkeit wurden auf einem Misthaufen namens Waughtals Planet gelegt.« »Und was wird aus mir? Ich bleibe auf C-Cumbre hängen?« »Keine Chance. Du wirst hier gebraucht. Wir bringen dich zurück, wenn sich der Rauch verzogen hat, wahrscheinlich auf einem Mellusin-Schiff, nachdem mein Team zurückgekehrt ist. Aber nur, wenn du willst. Ich persönlich würde dich auf viel bessere Weise einsetzen. Zieh mit unserem Musth-Freund los. Du bist immer noch Mitglied der Planetaren Regierung und sitzt im legitimen Rat. Wenn Alikhans Plan aufgehen sollte, brauchen wir dich 408 hier, damit du für die Menschen im Cumbre-System sprechen kannst.« Poynton warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Bist du nicht etwas zu jung für den Beruf des interstellaren Diplomaten?« »Die Politik verabscheut das Vakuum, habe ich mal irgendwo gelesen. Nutze den Augenblick. Besser, als darauf zu warten, dass die Rentiers ihre Ärsche hochkriegen und es tun. Und was soll überhaupt der Mist, dass ich zu jung bin? Du bist nur wenige Monate älter als ich!« Poynton lachte. »Ich vergaß, dass du jemand bist, der das Kind beim Namen nennt.« Sie wollte noch etwas sagen, als sich ein 'Rauhm hereinschlich und, ohne sich zu entschuldigen, Poynton eindringlich etwas ins Ohr flüsterte. Njangu trank sein Bier aus und sah sich den Raum an, in dem er sich befand. Er lag zehn Meter unter der Erde und ließ sich über einen engen Tunnel erreichen, dessen Zugang zwischen Trümmern verborgen war. Das Versteck war länglich, mit recht niedriger Decke und sorgfältig bearbeiteten Steinwänden. Dahinter lagen weitere Räume - Schlafzimmer, eine Küche, eine Dusche, Arbeitszimmer. Poynton hatte gesagt, es wäre ein
Unterschlupf für die Planungsgruppe gewesen, und nach der Bombardierung des oberirdischen Gebäudeteils war es nun ein noch besseres Versteck. Alles war tadellos sauber, und eine flüsternde Klimaanlage sorgte ständig für frische Luft. Wer zu Klaustrophobie neigte, würde sich hier möglicherweise unwohl fühlen, aber Njangu Yoshitaro war ein Geschöpf nächtlicher Gassen und dunkler Schatten, sodass er hier keine Probleme hatte. Der 'Rauhm eilte wieder hinaus. 409 »Die Musth«, sagte Poynton, »sind in Eckmuhl aufmarschiert und suchen nach dem Mörder, der ihre Soldaten auf dem Gewissen hat. Also denke ich, dass es besser wäre, wenn du dich eine Weile nicht blicken lässt.« »Ein guter Rat«, stimmte Njangu ihr zu. »Wir schaffen dich nach Anbruch der Dunkelheit hinaus. Es gibt zahllose Wege, alte Kanalisationstunnel, aufgegebene Energieversorgungsschächte.« »Also müssen wir uns nur überlegen, wie wir die Zeit rumkriegen, bis es dunkel wird.« »Hast du irgendwelche Vorschläge?«, fragte Poynton. Njangu erinnerte sich an die Geschmeidigkeit ihres Körpers. »Ich hätte da schon ein paar Ideen.« »Ich auch«, sagte Poynton. »Schließlich hast du mir das Leben gerettet. Gewissermaßen.« »Das ist kein guter Grund«, beschwerte sich Njangu. »Wie wär's damit? Ich kann mich erinnern, dass es sich sehr gut angefühlt hat, als du in mir warst.« Njangu spürte, dass seine Lippen plötzlich ausgetrocknet waren. »Das klingt schon wesentlich besser.« Drei Erztransporter in der normalen Sicherheitsformation, von zwei am Himmel schwebenden Aksai bewacht, senkten sich auf den von Musth kontrollierten Teil des Raumhafens auf D-Cumbre herab. Alle Schiffe trugen das orangefarbene, schwarz umrandete Logo von Mellusin Mining. Wachen der Musth hatten die Lagerhäuser bereits auf Schmuggelware überprüft. Allerdings war die Suche nur sehr oberflächlich gewesen. Wer wollte sich schon freiwillig in die heiße, staubige Einöde von C-Cumbre alias Mabasi begeben, wenn er noch einigermaßen bei Verstand war? Für die Verladearbeiten wurden Roboter eingesetzt, und alles lief nach Plan, bis auf ein Problem mit dem 410 führenden Schiff, das die Eigentümerin von Mellusin Mining sowie einen funkelnagelneuen Luxusgleiter an Bord hatte, der ebenfalls in den Firmenfarben angestrichen war. Niemand schien sich darüber zu wundern, wozu Jasith dieses monströse Gefährt benötigte, obwohl sie nur mit einem einzigen Leibwächter unterwegs war. Jasith war schlecht gelaunt und schimpfte laut über die menschlichen Lagerarbeiter, die den Gleiter in einen Frachtraum beförderten. Sie schwor, wenn ihr Prunkstück auch nur eine Delle davontrug, eine einzige Delle, würde sie allen «Verantwortlichen die Hölle heiß machen. Murmelnd wurde über die verdammten Rentiers geflucht, aber nur sehr leise. Schließlich hatte Jasith genug Einfluss, um dafür zu sorgen, dass sie alle arbeitslos wurden. Die Musth-Wachen verfolgten gespannt die Show, die für sie viel interessanter war als ihre üblichen Pflichten. Sie hatten sich zu einer kleinen Zuschauergruppe zusammengefunden. Infolgedessen sah niemand die fast einhundert Männer und Frauen, die mit schwerem Gepäck beladen ins mittlere Schiff strömten und zufällig durch Regenschilde gegen jede Beobachtung von oben abgeschirmt waren. Nach der Beladung begann die übliche Konversation zwischen der Flugkontrolle und den kleinen Besatzungen der Transporter, die kurz darauf starteten. Außerhalb der Atmosphäre wurden die Aksai durch einen Velv ersetzt, dann ging es mit dem sekundären Antrieb auf einem ökonomischen Kurs nach C-Cumbre. Die Einsatzgruppe versammelte sich in der Kabine des Eigentümers der Raumschiffstaffel. Garvin Jaansma musterte seine Leute. Eigentlich war Jon Hedley davon ausgegangen, dass er das Kommando übernehmen würde, aber Angara hatte sich geweigert, ihn dazu abzustellen, mit 411 dem Hinweis, dass nun alles in Alikhans Händen beziehungsweise Tatzen lag und ansonsten nur noch ein geeigneter Anführer für den Schlägertrupp benötigt wurde. Er hatte Njangus Vorschlag akzeptiert, Jo Poynton als Verhandlungsführerin mitzunehmen. Neben Alikhan, Ben Dill, Poynton und den zwei Befehlshabern der Aufklärer hatten sich Ann Heiser, Ho Kang und Danfin Froude in der Kabine eingefunden. »Vorläufig gibt es für uns nichts zu tun«, gab Garvin bekannt, »bis wir C-Cumbre erreicht haben. Die Soldaten in den anderen Schiffen wurden informiert, dass sie während des viertägigen Weltraumflugs keine weiteren Pflichten haben, außer dafür zu sorgen, dass sie ausgeruht und ihre Waffen blank geputzt sind. Ich schlage vor, dass wir es genauso halten. Nach der Landung werden wir genug Sorgen haben.« Ein guter Rat - nur dass er weder von Garvin noch von Njangu befolgt wurde, obwohl Jasith und Jo an Bord waren. Auch Alikhan fand keine Ruhe. Mit Dill und den zwei Wissenschaftlern ging er immer wieder durch, was er zu Senza sagen sollte oder könnte, bis Dill damit drohte, ihn zu erdrosseln, wenn er noch einmal die Worte »Senza« oder »Frieden« hörte. Sie näherten sich C-Cumbre, wo sie von einer Aksai-Eskorte in Empfang genommen und zum Landefeld auf
dem riesigen Gelände von Mellusin Mining geleitet wurden. »Also erwarten sie von uns, dass wir in ihrem Krieg kämpfen?« Ein verärgertes Raunen kam von den Männern und Frauen in der Felshöhle, die einen Kilometer unter der Oberfläche lag. Eine Stunde vor Ende der Schicht waren 412 die Bergarbeiter dreckig und erschöpft. Viele hatten ihr Werkzeug dabei, und alle trugen ihre Atemmasken am Kragen ihrer Anzüge. »Wer sind siel«, gab Poynton zurück. »Mir scheint, dass auch ich zu ihnen gehöre.« »Wärst nicht die Erste, die ihre Schwestern gegen harte Credits der Rentiers verraten und verkauft hätte«, rief eine übergewichtige Frau voller Verachtung. Poynton blickte ihr in die Augen, bis die Frau den Blick zu Boden wandte. »Dann würde ich lieber Geld von den Musth nehmen«, sagte sie kalt. »Vielleicht erlauben sie mir, dass ich mir davon irgendwo ein nettes Häuschen kaufe, weil ich euch verraten habe.« Ein paar Zuhörer lachten humorlos. »Was wäre, wenn wir tun würden, was du von uns verlangst?«, sagte ein anderer Bergarbeiter. »Du hast bisher noch nicht über Einzelheiten gesprochen.« »Das werde ich auch nicht tun«, sagte Poynton. »Ihr müsst nur wissen, dass ihr die Chance erhalten werdet, ein paar Musth zu töten - oder selbst getötet zu werden. Ihr alle wart bei der Revolte dabei, und ihr wisst, warum manche Dinge geheim bleiben müssen.« »Und was ist, wenn das, was wir tun wollen, Erfolg hat?« »Vielleicht erhalten wir dadurch die Gelegenheit, aus dieser Scheiße rauszukommen. Um wieder ein normales Leben führen zu können.« »Ich frage mich nur«, sagte ein bärtiger Mann leise, »was zum Henker normal ist. Das war es jedenfalls nicht unter den Rentiers. Dann waren wir im Untergrund, dann kam die Revolte. Ich dachte schon, dass sich die Sache gar nicht so schlecht entwickelt hatte, als die verdammten Musth 413 aufkreuzten und wir schon wieder in der Scheiße hockten. « Es wurde still in der Höhle. »Zur Hölle, Poynton«, sagte der Mann. »Ich bin dabei. Die Sohs haben immer zu meinem Vater gesagt, dass ich dazu geboren wurde, um eines Tages abgeknallt zu werden.« Er trat vor. Dann folgte ihm ein zweiter Mann und die korpulente Frau, und da wusste Poynton, dass sie sie hatte. »Da ist also unser Baby«, sagte Garvin und lugte durch das verdreckte Bullauge des Prospektorenschiffs, das langsam an der Begrenzung des Musth-Stützpunktes vorbeiflog. »Sieht wirklich etwas vernachlässigt aus«, sagte Njangu optimistisch. »Ich hoffe nur, dass es nicht zu verlassen ist«, sagte Garvin. »Nicht dass die Triebwerke völlig heruntergefahren sind.« »Keine Sorge, Boss«, sagte Njangu. »Wahrscheinlich stellt sich heraus, dass Alikhan noch nie etwas Ähnliches wie dieses Modell geflogen hat. Dann ist die Aktion vorbei, bevor sie richtig beginnen konnte.« »In bester Aufklärertradition«, sagte Garvin, »immer fröhlich und gut gelaunt.« »Und nun zur niederträchtigen Lüge, Jasith«, sagte Garvin. »Du setzt eine persönliche Konferenz mit den hohen Tieren der Musth an, die für Bergbauangelegenheiten zuständig sind...« »Ein Klacks«, sagte Jasith. Sie befanden sich in ihrer Suite in der planetaren Hauptniederlassung von Mellusin Mining. »Ein Klacks. Komm so spät wie möglich. Du legst einen 414 Zwischenstopp an diesem Schiff ein, um etwas zu überprüfen ...« »Ich werde überprüfen, wie lange es noch dauert, den beschädigten Frachtraum zu reparieren, damit wir die Barren aus der Raffinerie verladen können.« »Gut. Dann stellst du entsetzt fest, dass das Schiff von Banditen gekapert wurde, die obendrein deinen tollen Gleiter stehlen, dich fesseln und in einem Lagerschuppen zurücklassen.« »Die meinen Gleiter stehlen, mich als Geisel mit an Bord nehmen und uns befehlen, alles zu tun, was sie verlangen. Das klingt wesentlich authentischer. Und du darfst mich gerne fesseln, bevor ihr startet.« »Verdammt noch mal, Jasith, du weißt nicht, worauf du dich da einlässt!« »Vielleicht nicht. Aber es wird allmählich Zeit, dass eine Mellusin sich endlich einmal auf irgendetwas einlässt. So und nicht anders wird es ablaufen, Garvin!« Garvin stellte fest, dass es nichts mehr zu diskutieren gab. »Also gut«, sagte er. »Ich bin zu müde, um mich mit dir zu streiten.« »Heißt das, du bist zu müde, um mit mir noch ein bisschen Spaß zu haben?« Garvin blickte auf seine Fingeruhr. »Okay. Fünfzehn Minuten Spaß, dann muss ich eine Besprechung mit der Einsatzgruppe abhalten.« »Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich an den letzten Mann geraten bin, der noch Sinn für Romantik hat.«
Das erste Angriffsteam bestand aus sieben Personen -Garvin, Ben Dill, Monique Lir, Ho Kang, Darod, Montagna und Alikhan. Der Musth weigerte sich, eine Waffe zu tragen. 415 »Aber was ist, wenn jemand auf dich schießt?«, fragte Dill. »Wenn er mich trifft, hat sich das Schicksal gegen diese Mission entschieden«, sagte Alikhan gleichmütig. Dill knurrte nur und ergänzte seine Ausrüstung um eine zweite Pistole. Jasith gab Bescheid - der Konferenztermin war bestätigt worden, kurz vor der dritten Mahlzeit. Als die Sonne unterging, landete ihr Gleiter neben dem Erztransporter. Jasith, die an den Kontrollen saß, erklärte Njangu, dass sie ihren Chauffeur nicht in Gefahr bringen wolle. Njangu zuckte zusammen, weil das ein weiteres ungewöhnliches Verhalten war, das den Musth möglicherweise auffallen würde. Aber er sagte nichts. Sobald Jasith Garvin benachrichtigt hatte, näherten sich die Leichter von den Minen. An Bord jedes Gefährts befand sich eine Hand voll entschlossener Männer und Frauen, an die schwarze Kampfanzüge und Waffen ausgeteilt wurden. Sie sollten ihre Gesichter schwärzen und erhielten knappe Anweisungen: »Wenn ihr in der Nähe eines Musth-Schiffes arbeitet, tötet jeden, der wie ein Musth aussieht. Gehorcht jedem, der eine Uniform oder ein weißes Armband trägt. Wenn das Schiff abhebt oder wenn ihr den Befehl dazu erhaltet, zieht euch in diesen Erztransporter zurück.« Poynton hatte einige der Bergarbeiter für Führungsrollen ausgesucht und ihnen die Armbänder gegeben. Im Frachtraum des Erztransporters befanden sich etwa zweihundert Leute, 'Rauhm sowie Angehörige der Streitmacht. Garvin wünschte sich, er hätte eine Rede vorbereitet. Nach kurzer Überlegung sagte er nur: »Gut. Es wird Zeit, 416 dass wir ein paar Musth die Möglichkeit geben, für ihr Imperium zu sterben.« Dann lief er die Rampe hinunter und stieg in den überfüllten Luxusgleiter. Das Dach schloss sich, und ohne weitere Anweisung ließ Rennender Bär die Limousine abheben. Dann ging zum ersten Mal etwas schief. Der Gleiter näherte sich schnell der Begrenzung des Musth-Stützpunktes und sendete die Identifikationssignale, die Jasith zur Verfügung gestellt hatte. Jede Abwehrstellung, die sie überflogen, reagierte automatisch darauf. Ein einfacher Sender im Gleiter schickte diese Bestätigungen an den Erztransporter weiter. Auf dem Flugdeck des Frachters wurden die Stellungen mittels Dreieckspeilung von Dr. Heiser lokalisiert. Nach dem nächsten Signal startete der Transporter und folgte dem Gleiter. Vom Hauptquartier der Musth wurde ein Aksai abgestellt, der den Gleiter eskortieren sollte, in erster Linie als Ehrenbezeugung gegenüber einer hochgestellten menschlichen Persönlichkeit. Doch sie hielten es nicht für nötig, Rennender Bär darüber zu informieren. Rennender Bär wich wie geplant vom Kurs ab, den die Musth ihnen zugewiesen hatten, ging auf volle Energie und flog auf das Landefeld zu. Vor ihnen zeichnete sich die Nase des Mutterschiffs als Schattenriss vor der schnell untergehenden Sonne ab. Der Gleiter wurde zweimal gerufen und zu einer Antwort aufgefordert. »Zwei Kilometer«, meldete Rennender Bär. »Gehe auf Landeanflug.« Er näherte sich rasend schnell und benutzte im letzten Moment den Antigrav, um zu bremsen. Der Gleiter prallte einmal auf, dann stand er, und das Kanzeldach flog auf. 417 Das Mutterschiff war etwa fünfzig Meter entfernt. Vor der Schleuse standen zwei Wachen. Sie starrten entgeistert herüber, dann hob einer der beiden die Waffe. Alikhan rief ihm zu, sich zu ergeben, aber er ließ den Blaster nicht sinken. Ben Dill erledigte ihn, und der andere Musth ging hinter ein paar Fässern in Deckung. Garvin warf eine Granate, dann waren eine Explosion und ein Todesschrei zu hören. Alikhan blieb stehen und bewegte verwirrt die Tatzen. »Weiter!«, rief Dill und drängte den Musth über die Rampe zur offenen Luftschleuse, gefolgt von den übrigen Mitgliedern des ersten Angriffstrupps. Der Pilot des Aksai, der gerade mit Mühe seine Ausbildung abgeschlossen hatte, ging tiefer, um sich die Sache genauer anzusehen. Rennender Bär hörte das Pfeifen, sah den Kampfjäger, schnappte Jasith und warf sie sich über die Schulter. Dann rannte er über den Asphalt auf die Fässer zu. Der Aksai-Pilot gelangte zur Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte, und stieg höher. Er aktivierte die Waffensysteme, kehrte zurück und feuerte zwei Raketen ab. Eine ging weit daneben, die andere zerfetzte den Gleiter. Jasith schluchzte und roch den Gestank des Asphalts, während der Knall ihr Gehör betäubte. Sie hob das Gesicht und erkannte, dass sie in einer Pfütze aus Musth-Blut lag, keine zwei Meter von der übel zugerichteten Leiche des Wächters entfernt. Der Aksai-Pilot überquerte den Landeplatz im Tiefflug, sah nichts, was sich bewegte, und flog eine neue Schleife. Nur eine Abwehrstellung reagierte, doch die Rakete kam viel zu spät und fand kein Ziel mehr vor. Dann setzte der Transporter auf, die Luken öffneten sich, und die Kampftruppe strömte nach draußen. Der Aksai flog eine enge Kurve und kam zurück.
418 Die Gefreite Mar Henschley richtete ihren Raketenwerfer aus, visierte den Aksai an und drückte auf den Auslöser. Sie hatte am schnellsten reagiert, sodass ihr Schuss den Kampfjäger in der Luft zerriss. Eine zweite Rakete, die von einem anderen Schützen abgefeuert worden war, flog durch die sich ausbreitende Gaswolke, stellte fest, dass nichts mehr vorhanden war, das eine Explosion gerechtfertigt hätte, und flog weiter, bis sie sich selbst vernichtete. Henschley stieß einen Jubelschrei aus, dann lud sie nach. An Bord des Schiffes kämpfte sich das Angriffsteam stetig nach oben weiter. Sie stießen auf ein halbes Dutzend Musth, ungefähr das, was Alikhan als Wartungspersonal erwartet hatte, und forderten sie auf, sich zu ergeben. Nur einer stellte sich ihnen entgegen und wurde von Garvin erschossen. Die anderen luden ihre Waffen und versuchten zum Schuss zu kommen. Sie starben entweder als Helden oder Dummköpfe, je nach Sichtweise. Gelegentlich hörte das Team dumpfe Explosionen von draußen und fragte sich, wie sich der Kampf entwickelte. Dann hatten sie die Brücke erreicht. Der Wachoffizier war erledigt, bevor er seinen Blaster ziehen konnte. Das Schiff gehörte ihnen. Als Alikhan an die Kontrollen trat, schlurften seine Sohlen in der Stille ungewöhnlich laut über den Boden. »Und?«, fragte Dill. »Damit kann ich umgehen«, sagte Alikhan entschlossen. Mehrere Aksai und ein paar Wynt lagen als Trümmer rund um den Landeplatz verstreut. Die unerfahrenen Piloten 419 hatten den Schützen der Streitmacht nichts entgegenzusetzen gehabt. Sie gaben dem Kampftrupp Feuerschutz, als Musth-Krieger aus einem weiteren Wynt stiegen und sofort angriffen. Ein umsichtiger Velv-Captain flog in weitem Bogen um die Zone herum, stieß plötzlich vor und feuerte, während im gleichen Moment ein Raubwürger in seine Lokatoren einschlug und das Schiff trudeln ließ, bis es gegen einen Hügel raste. Seine Rakete stürzte sich mit voller Geschwindigkeit in die Antriebssektion des Transporters, die in einem spektakulären Feuerball explodierte, der hell vor dem Nachthimmel strahlte. Fast fünfundzwanzig Kämpfer und die Besatzung des Transporters wurden getötet, und das Musth-Mutterschiff schwankte in der Druckwelle. Auf D-Cumbre alias Whar beobachtete Wlencing die Explosion auf einem Bildschirm und wusste sofort, was die Würmer beabsichtigten. »Nein, ihr frisch geschlüpften Tollpatsche, sie haben es auf unser Schiff abgesehen! Nehmt das Schiff unter Feuer!«, brüllte er in einen Kom. Dann fluchte er wieder und fragte sich, ob er weit und breit der Einzige war, der menschliche Strategien durchschauen konnte. Garvin starrte durch ein Fenster auf das brodelnde Chaos, das sie umgab. »Wie lange noch bis zum Start?« »In euren Begriffen fünf Minuten«, sagte Alikhan ruhig. »Ich habe jetzt den Antigrav hochgefahren.« Garvin fasste einen Entschluss. 420 »Dill! Hol alle an Bord. Und ich meine alle! Wir müssen die Leute mitnehmen.« Der Hüne rannte zur Luftschleuse. Nachdem die Detonationen verhallt waren, spuckte Njangu Blut, erhob sich und hörte Dills Rufe. »Ins Schiff! Alle Mann ins Schiff!« Er schwankte, erkannte, was vor sich ging, und wiederholte Dills Befehl, der schnell weitergegeben wurde. 'Rauhm und Soldaten liefen zum Mutterschiff, einige völlig ruhig, andere in blinder Panik. Er sah einen sich nähernden Aksai und eine Frau, die im Freien stand und völlig ruhig blieb, als sie den Kampfjäger mit ihrem Raketenwerfer ins Visier nahm. Der Aksai und Mar Henschley feuerten im selben Moment, und beide vergingen in den zwei Explosionen. Njangu fragte sich, wer die unbekannte Heldin war, und wandte sich wieder dem Schiff zu, um die letzten Kämpfer an Bord zu treiben. Einer von ihnen war Rennender Bär, der eine bewusstlose Frau in Zivilkleidung in den Armen trug. Ihr Gesicht war von schwarzem Musth-Blut bedeckt. Njangu erkannte, um wen es sich handeln musste. »Wie...?« »Sie steht nur unter Schock, Sir.« Rennender Bär setzte den Weg ins Schiff fort. Njangu erkannte, dass er und Lir als Einzige noch nicht an Bord gegangen waren, als sich die Rampe summend in Bewegung setzte. »Verdammt noch mal, Lir, hör auf, die letzte Heldin zu spielen!« Lir salutierte ihm lässig mit einem Finger und schickte den Musth eine ratternde Salve entgegen. 421 Njangu gab auf, sprang in die Schleuse, dicht gefolgt von Lir. Im nächsten Moment schlug die Luke zu. Das Mutterschiff löste sich vom Boden, wankte leicht und stieg höher.
Eine Aksai-Staffel raste hinterher, während das Schiff beschleunigte. Ein Aksai feuerte, verfehlte es, dann war es außer Reichweite. Sekunden später hatte es den Rand der Atmosphäre von C-Cumbre erreicht und ging rücksichtslos auf Sternenantrieb. Wlencing sah sich immer wieder die übertragenen Bilder an. Wie sich der Gleiter näherte, neben dem Mutterschiff landete und Menschen heraussprangen. Er versuchte nicht mehr, immer neue Nahaufnahmen vom abtrünnigen Musth heranzuzoomen. Also gut. Das Junge war ein Verräter. Er wusste, warum, wer ihn vergiftet hatte, was sein Ziel und was seine Absichten waren. Wlencing stand auf und wandte sich an Daaf. Der Adjutant schrak vor Wlencings zornigem Blick zurück. »Ich will unverzüglich mit Keffa sprechen.« 422 23 Langnes 77837? / Unbekannter Planet Der Planet hatte drei Ringe, einen roten, einen braunen und einen grünen. Zumindest stellten die Bildschirme des Mutterschiffs sie so dar. Alikhan zischte eine Antwort ins Mikrofon, das frei in der Luft vor ihm hing. Seine drei Bildschirme zeigten Daten, die kurz darauf wieder verschwanden, gemäß der bei den Musth üblichen Praxis, einen Piloten nur dann zu behelligen, wenn sich Schwierigkeiten abzeichneten. Eine Stimme antwortete ihm, dann folgte ein abgehacktes Gespräch. Ein großer Bildschirm erschien, dem die anderen drei gehorsam Platz machten. Zu sehen waren Wolken, dann wurde auf Infrarot geschaltet, und nun waren die Landmassen zu erkennen. Alikhan sprach, ohne den Kopf zu drehen, während seine Finger Sensoren auf der Konsole berührten und die Menschen spürten, wie sich das Summen des Antriebs veränderte, in eine tiefere Tonlage überging. »Ihr könnt wieder sprechen«, sagte er. »Wir haben Landeerlaubnis erhalten.« Garvin, Njangu und die zwei Wissenschaftler beobachteten das Geschehen schweigend aus einer Ecke des Kontrollraums, und Ben Dill saß schräg hinter Alikhan an einer Konsole. Seine Finger imitierten zaghaft Alikhans Bewegungen, doch ohne jemals die Sensoren vor ihm zu berühren. »Und das soll funktionieren?«, fragte Njangu misstrauisch. »Du landest einfach, marschierst los, kaufst eine Karte, und wir düsen wieder ab?« 423 »Warum nicht?«, sagte Alikhan. »Wir haben nichts Verdächtiges getan, und das Geschäftskonto des Schiffes ist eindeutig im Plus.« »Ihr Musth müsst euch keine Gedanken um Zoll, Quarantäne oder Sicherheitsüberprüfungen machen?«, fragte Ann Heiser. »Warum? Die Angelegenheiten meines Clans gehen niemanden etwas an, es sei denn, wir erwecken den Anschein, dass wir den Besitzern dieses Systems schaden wollen.« Garvin und Njangu sahen sich an. »Ich war so gern Pirat auf diesen ruhigen Meeren«, sang Garvin. »Zuerst sollten wir uns vergewissern, großer Freibeuter«, sagte Njangu, »ob es bei den Musth überhaupt etwas zu holen gibt.« Der Bildschirm schaltete wieder auf normale Ansicht. Alikhan berührte einen Sensor, dann war die Oberfläche aus fünfhundert Metern Höhe zu sehen. Der Blick ging über eine Steppenlandschaft, durchsetzt mit Wäldchen und Teichen und gelegentlichen kleinen Siedlungen. »So sollte eine angenehme Welt aussehen«, sagte Alikhan. »Nicht mit all dem widerlichen Grün, an dem euch so viel zu liegen scheint.« »Wir haben euch nicht dazu gezwungen, unsere grünen Welten zu ertragen«, sagte Dill. »Stimmt«, sagte Alikhan. »Ruhe jetzt. Obwohl ich fraglos der beste Pilot bin, den der Kosmos je gesehen hat, mangelt es mir noch an Erfahrung mit diesem Monstrum. Seid dankbar für die zahlreichen Notsysteme, die meine kleinen Fehler ausgleichen.« Auf dem Bildschirm tauchten verstreute Gebäude auf, die sich zu einer kleineren Stadt mit hohen Türmen sammelten. Alikhan brachte das Mutterschiff in die Vertikale, dann aktivierte sich ein weiterer Bildschirm, der ein gro424 ßes Landefeld zeigte, auf dem sich andere Raumschiffe und Versorgungsgebäude verteilten. Der Musth fuhr den Antigrav hoch, reduzierte den sekundären Antrieb und ließ das Schiff tiefer sinken. Etwa 150 Meter über dem Boden schaltete er den sekundären Antrieb ganz ab, und wenig später setzten sie ohne Ruck auf. »War das eine glatte Landung?« »Nicht schlecht für einen blutigen Anfänger«, sagte Dill. »Jetzt werde ich mich um das Geschäftliche kümmern«, sagte Alikhan. »Und ihr solltet lieber keine neugierigen Besucher an Bord lassen.« Für den Abflug von D-Cumbre und die ersten zwei Sprünge durch den N-Raum hatte Alikhan die Sternenkarten benutzt, die Njangu gestohlen hatte.
Die Sanitäter der Streitmacht waren mit den Verwundeten beschäftigt, während Garvin, Njangu, ihre Unteroffiziere, Poynton und ihr Stab die siebzig überlebenden Aufklärer und die etwas über einhundert 'Rauhm musterten und die Quartiere des Schiffes erkundeten, um sie unterbringen zu können. Es musste nicht mehr über Möglichkeiten diskutiert werden - die Truppe würde an Bord bleiben müssen, da ihr Schicksal eng mit Alikhans Erfolg verknüpft war. Alikhan, Dill, Ho und die Wissenschaftler hatten die Kartenbibliothek des Mutterschiffes durchsucht und festgestellt - was sie allerdings nicht sehr überrascht hatte -, dass sich darunter keine für Senzas Heimatwelt namens »Schätzung« befand. »Also navigieren wir vorläufig nach unseren Karten. Dieser Planet befindet sich in einem System, das ein gutes Stück innerhalb unserer Einflusssphäre liegt. Dort bekommen wir die Karten, die wir benötigen.« 425 Dill hatte erstaunt die Augen aufgerissen. »Nur nicht übermütig werden!« Ein halbes Dutzend Verwundete überlebten nicht und wurden im Weltraum bestattet. Alikhan wunderte sich, warum sie nicht einfach vom Schiff recycelt werden sollten. Ähnlich erstaunt reagierte er auf Garvins strikte Weigerung, die getöteten Musth recyceln zu lassen. Sie wurden genauso behandelt wie die menschlichen Toten. Obwohl sich Garvin nicht sicher war, ob sie eine Seele hatten, flüsterte er jedes Mal die leider nur allzu vertrauten Worte der Bestattungszeremonie der Konföderation, wenn wieder eine Leiche durch die Schleuse nach draußen befördert wurde. Das größte Vergnügen für die Bergarbeiter und die sanitär unterversorgten Soldaten war es, ein Bad nach dem anderen zu nehmen. Die geräumigen Badezimmer der Musth waren mit Regenduschen an der Decke ausgestattet, die sich von Nebel bis Wolkenbruch einstellen ließen. Je mehr menschliche Ausscheidungen ins Recyclingsystem gelangten, desto weniger schmeckte das Wasser nach Kupfer. Nicht so einladend waren die Musth-Toiletten, die einfach nur aus Löchern im Deck bestanden. Als Garvin wieder einmal darüber murrte, sagte Poynton süffisant: »Siehst du jetzt ein, dass es von Vorteil sein kann, arm und ohne Luxus aufzuwachsen - sich nicht hinsetzen zu können oder keinen Stützschwanz zu haben?« »Auch für mich«, fügte Njangu hinzu, »ist es kein Problem, damit zu leben, da ich nicht mit einem goldenen Nachttopf aufgewachsen bin... ganz zu schweigen von der anderen Sache.« 426 Ebenso unbefriedigend waren die eingelagerten Lebensmittel. Alikhan sagte, dass die Schiffsbesatzungen der Musth gut verpflegt wurden, also waren die Mahlzeiten kräftig gewürzt und gut gereift. »Wie ein verdammter vergammelter Kadaver«, stellte ein Gefreiter fest, nachdem er die Befehle missachtet und eine Packung geöffnet hatte, worauf er schlagartig jeden Appetit verlor. Dr. Froude berechnete, dass sie mit den Rationen der Streitmacht eine Weile überleben konnten. »Schätzungsweise drei Wochen, vielleicht sogar etwas länger. Dann gehen wir zum Kannibalismus über.« An dieser Eventualität schien er geradezu ein makabres Interesse zu entwickeln. Doch dann wurde eine Lösung gefunden. Alikhan verbrachte längere Zeit in der Speisekammer des Schiffs, bis er etwas gefunden hatte, das für menschliche Geschmacksnerven geeignet war. Es handelte sich um recht nahrhafte Brocken, die fast gar keinen Geschmack und die Konsistenz von Haferschleim hatten, wenn sie in Wasser aufgelöst wurden. Damit wurden die menschlichen Nahrungsvorräte gestreckt. Lir, die einen Kurs in Ernährungskunde mitgemacht hatte, war der Ansicht, dass in ihren eigenen Rationen genügend Spurenelemente vorhanden waren, um alle am Leben zu erhalten, und die Musth-Rationen nicht genug unverträgliche Substanzen enthielten, um sie alle sofort zu töten. Alikhan verriet Dill, dass diese Rationen zu Bestrafungszwecken verteilt wurden, da sie ausschließlich die Grundnährstoffe enthielten. Dill gab diese Informationen an niemanden außer Garvin und Njangu weiter. Glücklicherweise verfügte das Schiff über einen sehr effizienten Autopiloten, sodass ein Wachoffizier auf der Brü427 cke völlig ausreichte. Nur wenn es den Hyperraum verließ, benötigte der Navigationscomputer eine gewisse Feinabstimmung. Dill und Alikhan trieben die überlebenden Artilleristen und ein paar Freiwillige zusammen und brachten ihnen bei, wie die Geschütze des Schiffes bedient wurden. Zweimal wagten sie es, im Normalraum Probeschüsse abzugeben — mit den Kanonen mittlerer Reichweite, den raubwürgerähnlichen Raketen zur Abwehr von Schiffen im Nahbereich und den schweren Raketen für den Fernbereich, die so programmiert werden konnten, dass sie fast die Manövrierfähigkeiten eines Aksai erzielten. Die Schützen der Musth trugen genauso wie ihre menschlichen Kollegen Helme, mit denen sie das Geschehen aus der Perspektive der Rakete beobachten konnten, doch die Steuerung reagierte auf Augenbewegungen, was ein erheblicher Unterschied zu den Joysticks in den Waffenzentralen menschlicher Schiffe war. Das und die Tatsache, dass Musth-Helme nicht auf menschliche Schädelmaße zugeschnitten waren, förderte nicht gerade die Zielgenauigkeit der Auszubildenden. Jedes Mal, wenn eine Rakete explodierte und die interstellare Leere erhellte, beklagte Njangu den erneuten Todesstoß für seine viel versprechende Karriere als Weltraumpirat.
Garvin machte sich bereits Gedanken, ob sein Freund es ernst gemeint haben könnte. Eine weitere Besonderheit des Musth-Schiffes waren die zahlreichen Bildschirme. In menschlichen Schiffen waren für gewöhnlich nur die Kontrollräume damit ausgestattet, und die wenigen Monitore, die sich an anderen Stellen fanden, zeigten meist gar nichts oder höchstens die 428 schwindelerregenden Farbschlieren der »Realität« des N-Raums. Die Musth-Bildschirme, die in fast jedem Raum und an jeder Korridorwand installiert waren, übersetzten die Sensorendaten in schnell wechselnde Ansichten des Normalraums, der das Schiff umgab. Viele Menschen sahen stundenlang fasziniert den Bewegungen des Sternendschungels zu. Andere verzichteten darauf - hauptsächlich 'Rauhm, die nur ein paar Reisen nach C-Cumbre und zurück unternommen hatten, aber auch eine Hand voll Mitglieder der Streitmacht. Mit einer Kombination aus Klaustround Agoraphobie verkrochen sie sich wimmernd in bildschirmfreie Quartiere. »Ich könnte ihnen etwas geben«, sagte die Sanitäterin Jil Mahim, »aber wir haben nicht genügend Beruhigungsmittel dabei. Wir können nur hoffen, dass sie nicht völlig durchdrehen, bevor wir irgendwo landen.« Obwohl die Männer und Frauen getrennten Quartieren zugewiesen worden waren, fanden sich einige Pärchen und Plätzchen, an denen sie miteinander allein sein konnten. Es gab nicht nur Kontakte unter, sondern auch zwischen Armeeangehörigen und 'Rauhm. Erster Tweg Lir wollte dem Treiben ein Ende setzen, aber Garvin redete es ihr aus. Es war kein Problem, solange niemand aus der Kommandoebene involviert war. Er empfand Lirs Entrüstung als sinnlos und autoritär, zumal auch Garvin und Jasith sowie Njangu und Jo zu jenen gehörten, die regelmäßig einsame Winkel aufsuchten. Garvin und Jasith blickten auf einen Bildschirm, der die Musth-Schiffe im Raumhafen, eine Darstellung des Plane429 ten innerhalb des Systems und die weiten Ebenen dieser unbekannten Welt zeigte. »Wäre es nicht nett«, sagte Jasith seufzend, »wenn wir hier einfach nur zu Besuch wären... vielleicht als Urlaubsreise oder so?« Oder aus irgendeinem anderen nichtkriegerischen Grund, dachte Garvin. Etwa zwei E-Stunden nach der Landung setzte ein Gleiter neben dem Mutterschiff auf. Alikhan stieg mit einem Paket unter dem Arm aus, und der Gleiter flog wieder ab. Ben Dill nahm ihn an der Schleuse in Empfang. »War es so einfach?« »Warum hätte es schwierig sein sollen?« Nachdem das seltsame Schiff abgehoben hatte, gab ein Musth aus der Flugkontrolle die Registrierungsnummer in die Datenbank ein. Sein Kopf zuckte vor, und er zischte überrascht, als er das Suchergebnis auf seinem Bildschirm las. 24 N-Raum An Bord herrschte Nachtschicht, und nur wenige Mitglieder der Besatzung des Mutterschiffs waren wach. Zwei davon waren Alikhan und Ben Dill. Dill war fest entschlossen, sich als Pilot zu profilieren und der erste Mensch zu sein, der ein Musth-Raumschiff in seinem Log430 buch anführen konnte. Alikhan war bereit, ihm dabei zu helfen, und während er den Menschen unterrichtete, gewann er selbst mehr Sicherheit. Außerdem gab es nicht viele andere Möglichkeiten, um die Zeit totzuschlagen. Die wenigen Bücher, die mit an Bord gebracht worden waren, handelten von religiösen Themen, und beide Intelligenzwesen hatten schon vor Jahren selbst entschieden, woran sie glauben oder nicht glauben wollten. Das Schiff fiel aus dem N-Raum, und die beiden überprüften für den nächsten Sprung die Instrumente. »Noch fünf Sprünge, dann...« Urplötzlich befand sich ein zweites, recht großes Sternenschiff in der absoluten Leere. Alikhans Tatze schlug auf einen Sensor, und Dill sah gleichzeitig die Farbwirbel des N-Raums und einen Blitz vom anderen Schiff. »Was... wer war das?« »Es sah aus wie das Schiff eines Clanmeisters«, antwortete Alikhan. »Wer es sein und woher es kommen könnte, ist mir nicht bekannt.« »Er war jedenfalls nicht unser Freund. Der Mistkerl hat einfach auf uns gefeuert!« Alikhan hantierte an den Kontrollen, das Mutterschiff kehrte in den Normalraum zurück und setzte zum nächsten Sprung an. »Zahlen!«, knurrte er. »Nenn mir Zufallszahlen!« »Drei... eins... ALLE MANN RAUS AUS DEN FEDERN! An die Gefechtsstationen!« Die auf der Brücke schlafenden Soldaten wachten auf, und der Mann mit dem Kom nahm Kontakt mit den übrigen Gruppen auf. »... eins... elf...« Dill verstand, dass Alikhan unvorhersehbare Werte für den Sprung brauchte, in der Hoffnung, damit den
Verfolger zu irritieren. 431 In diesem Moment tauchte das riesige Schiff wieder auf und feuerte erneut, als das Mutterschiff verschwand. »Waffenstationen besetzen!«, stieß Alikhan hervor. »Das feindliche Schiff zerstören!« »Noch einmal: Wer zum Henker ist das?« »Die Farben sind Grau, Rot... und für die dritte habt ihr kein Wort...« Eine Rakete explodierte so nahe, dass die Bildschirme vorübergehend ausfielen. Eine zweite Rakete folgte, und Dill spürte, wie das Schiff von der Schockwelle erschüttert wurde. »Wir wurden getroffen«, gab er überflüssigerweise bekannt, als Garvin und Njangu auf der Brücke eintrafen. »Wir haben einen dicken, fetten Gegner an der Backe«, meldete Dill. »Sieht aus wie...« Eine genauere Beschreibung war unnötig, da das Schiff in diesem Moment wieder auftauchte. Alikhan zischte, spitzte die Ohren, und dann waren sie wieder im Hyperraum. »Ben, übernimm die Kontrollen und gib mir neue Zahlen.« »Verstanden«, sagte Dill. »Drei... vier... neun... sechzehn. Scheiße, wir dürfen ihm nicht so viel Zeit geben. Er hätte uns fast erwischt... Garvin, vielleicht solltest du die Leute zur Evakuierung aufsatteln lassen... vier...« »Raketenstellungen bemannt«, meldete der Komträger nüchtern. Alikhan wandte sich kurz einer sekundären Konsole zu, an der er Daten abrief. »Grau, rot, plat... das ist nicht gut. Keffas Clan. Einer der zuverlässigsten Verbündeten von Paumoto und meinem Vater.« »Wie in aller Welt hat er uns gefunden?« Lir kam auf die Brücke. »Boss, die Rakete, die uns getroffen hat, scheint einigen Schaden angerichtet zu haben. 432 Überall im Schiff schließen sich selbsttätig die Luken. Bislang wurde noch niemand von den anderen abgeschnitten, aber...« Garvin kaute auf der Unterlippe. »Ben«, sagte er, »wir bleiben so lange im Normalraum, bis jemand einen sauberen Schuss anbringen kann. Komträger, an alle Stationen: Jeder, der sich in der Nähe eines Geschützes befindet, soll nach eigenem Ermessen auf den großen Mistkerl feuern.« »Ich glaube«, sagte Alikhan, »wir sollten uns nach einem Notlandeplatz umsehen.« »Zuerst ein kurzer Sprung«, befahl Garvin. »Kein langer!« Dill gehorchte. »Bring uns raus... Waffenstationen, feuert aus allen Rohren!« Raketen schwärmten vom Mutterschiff aus. »SPRUNG!« »In der Nähe gibt es einen Planeten«, sagte Alikhan. »Drei Sprünge entfernt.« Ihr Verfolger tauchte wieder auf, feuerte, als das Mutterschiff sprang, und landete einen weiteren Treffer. Das Schiff schüttelte sich, und Knistern drang aus dem Kom. »Boss«, rief der Funker. »Irthing meldet, dass ein Quartierdeck getroffen wurde... dort haben wir einige Leute verloren.« Garvin verzog das Gesicht, sagte aber nichts, und im nächsten Moment sprangen sie erneut. Wieder befahl er den Waffenstationen, sofort zu feuern, wenn sich Keffas Schiff zeigte, und sah zwei Blitze, bevor sie wieder in den N-Raum gingen. »Ich kann mir vorstellen«, sagte Alikhan, »dass irgendwer auf Silitric mich erkannt und meinen Vater informiert 433 hat. Er kann sich vermutlich denken, welche Absicht ich verfolge. Daraufhin hätte er seinen Verbündeten Bescheid gegeben und wahrscheinlich eine Nachricht an alle Raumhäfen geschickt und sie vor einer drohenden Katastrophe gewarnt. Unser Zwischenstopp scheint doch nicht so unproblematisch verlaufen zu sein, wie ich gedacht hatte.« »Das wäre nichts Neues«, sagte Njangu ungeduldig. »Alikhan, kannst du Senza kontaktieren und ihm sagen, wo sich dieser Planet befindet, auf dem wir uns in Sicherheit bringen könnten, und ihn um Hilfe bitten?« »Ich kann eine Nachricht abschicken, aber uns wird nicht genug Zeit bleiben, uns zu vergewissern, ob sie empfangen wurde, von einer Antwort ganz zu schweigen«, sagte Alikhan. »Ben, wenn wir dieses Mal ausbrechen, sollten wir uns nicht allzu weit von der Zufluchtswelt entfernt befinden. Bring uns näher ran. Mach dir nicht zu viele Gedanken über die Navigation. Ich werde diese Nachricht vorbereiten.« Er verließ eilig die Brücke. »Achtung, es geht wieder los«, sagte Dill und drückte den Sensor. Als das Mutterschiff erneut auftauchte, befanden sie sich mitten in einem Planetensystem des E-Typs. Ein hellgrüner Planet hing nicht weit entfernt im Raum. Keffas riesiges Schiff materialisierte, steckte einen Treffer ein und kehrte in den Hyperraum zurück. »Und nun, mein junger Musth, werde ich dir einen Trick zeigen, den du bestimmt noch nicht kennst«, murmelte Dill, während seine Finger über die Sensoren huschten. »Entweder enden wir als Teil dieses Planeten, oder...« Er drückte eine Taste, und das Schiff sprang in den N-Raum und sofort wieder heraus. Sein Magen hob sich. »Brillant, Ben, wenn ich das mal so sagen darf«, kom-
434 mentierte Dill. »Dieser dicke, kugelrunde Planet befindet sich nun genau zwischen uns und dem Dreckskerl. Unterdrückt eure Übelkeit und bewundert mich. Jetzt schlage ich vor, das Baby auf festen Boden zu bringen und alles weitere von dort aus zu klären.« »Wir haben einen schweren Treffer in der Sternenantriebssektion und einen weiteren in der Hauptfeuerleitzentrale«, sagte der Offizier zu Keffa. »Was ist mit dem Schiff des Verräters?« »Er hatte Glück und konnte sich von uns aus gesehen auf die Rückseite des Planeten bringen. Da er ebenfalls Schäden erlitten hat, vermuten wir, dass er landen wird.« »Wie sieht es auf dem Planeten aus?« »Eine völlig durchschnittliche Welt, aber bislang unbesiedelt.« »Folgen Sie ihm«, ordnete Keffa an. »Zerstören Sie sein Schiff, bevor er landen kann. Und wenn er es bereits getan hat...« Keffa hielt einen Moment inne und wünschte sich, er hätte eine vollständige Kriegertruppe mit an Bord genommen. »... dann werden wir ebenfalls landen und dieses Junge vernichten, genauso wie seine Begleiter, während unser Schiff repariert wird.« Das Mutterschiff war ein Bild des Schreckens, als die schwer beladenen Männer und Frauen herausströmten. Alikhan hatte das Schiff seitlich aufgesetzt, neben einem großen See, der von steilen Böschungen umgeben war. Wälder überzogen die Hügellandschaft, die in der Ferne zu einem Gebirge anstieg. »Weg vom Schiff!... Los, bewegt euch!... Stellt eure Ärsche in einer Reihe auf und dann Abmarsch!... Der Drecksack dürfte in Kürze hier auftauchen, und bis dahin 435 sollten wir uns unsichtbar gemacht haben!«, riefen die Offiziere. Kolonnen wurden gebildet und entfernten sich so schnell wie möglich in die Hügel. »Siehst du«, schnaufte Alikhan, als er Ben Dill einholte, der das hintere Ende einer Bahre und einen Raubwürger auf dem Rücken trug, »was für eine wunderbare Welt ich für uns ausgesucht habe?« »Und ich werde als Erster dafür plädieren, dass sie nach dir benannt wird. Ich hoffe nur, dass deine verdammte Nachricht durchgekommen ist und Mama möglichst bald kommt, um unser Aua wegzumachen.« Eine E-Stunde vom Schiff entfernt ertönte ein lauter Knall am Himmel, dann raste Keffas Schiff über sie hinweg. Garvin befahl seinen Leuten, in Deckung zu gehen, während er einen Hügel hinauflief und sich flach auf den Boden warf. Er konnte gerade noch ihr Mutterschiff in vier Kilometern Entfernung erkennen. Keffas Schiff kehrte in weitem Bogen zurück und hielt genau darauf zu. Garvin duckte sich, weil er mit einer nuklearen Explosion rechnete, aber der Boden erzitterte lediglich unter konventionellen Detonationen. »Der Mistkerl will uns persönlich kaltmachen«, knurrte er. Er wagte einen Blick nach oben, als das Kommandoschiff zur Landung ansetzte, etwa einen Kilometer hinter den brennenden Trümmern des Mutterschiffs. Monique Lir warf sich neben Garvin und beobachtete Keffas Schiff mit einem kleinen Fernglas. »Ich glaube«, sagte sie, »wir haben sie genau dorthin gelockt, wo wir sie haben wollten.« Auf ihrem Gesicht erschien ein gepresstes, zufriedenes Lächeln. 436 25 D-Cumbre »Dasss Verhalten Ihrer Partnerin issst intolerabel«, sagte Wlencing. »Wiessso issst esss in Ihrer Speziesss möglich, dasss eine Perssson von hoher Ssstellung jede Selbssstbeherrschung verliert und sssich in die Gesssellschaft von Banditen begibt?« Loy Kouro wand sich. Er wollte nicht zugeben, dass Jasith seiner Ansicht nach nur eine typische Frau war, die in einen verdammten Soldaten vernarrt war. »Ich kann es mir nicht erklären«, sagte er. »Sie hat sich in letzter Zeit seltsam benommen. Ich glaube, sie hat Probleme mit ihrem Geisteszustand.« »Dasss Phänomen desss Wahnsssinnsss issst mir nicht unbekannt«, sagte Wlencing, der sich bemühte, jeden Gedanken an Alikhan zu verdrängen. »Aber letztlich ssspielt esss keine Rolle, weil sssie vernichtet wird, wenn Keffa dasss gessstohlene Schiff findet.« Kouro zuckte zusammen und kämpfte um seine Beherrschung. »Gut«, sagte Wlencing. »Sssie haben diessse Tatsssache wie ein Krieger aufgenommen. Wer wird jetzt die Verantwortung für ihren Besssitz übernehmen, insssbesssondere für die Bergwerke?« »Nun... ich vermute, dass ich der Erbe bin«, sagte Kouro, dessen Laune sich plötzlich ein wenig besserte. »Und fallsss Ihnen etwasss zussstößt?« »Genauso wie Jasith habe ich keine direkten Verwandten.« Wlencing dachte eine Weile nach. »Dann dürfte esss 437 dasss Bessste für die zwei Konzerne sssein, die Sssie geerbt haben, wenn zwischen unssseren Ssspeziesss Frieden geschlosssen wird.«
»Aber selbstverständlich!« »Dann sssollten Sssie meinen Rat befolgen, allesss Mögliche zu tun, um die Ordnung zu wahren, weil ich Sssie auf die Lissste der potenziellen Geisssein sssetzen werde.« Kouro unterdrückte Angst und Wut, obwohl er am liebsten gebrummt hätte, dass es wohl das Praktischste für die Musth wäre, wenn sie ihn einfach erschießen würden, wie sie es bereits mit so vielen anderen getan hatten. Dann konnten sie sich einfach nehmen, was sie gerne in ihren Besitz bringen würden. Aber er schwieg. Schließlich sagte er: »Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich stets alles daran setze, Ihnen und Ihrem Volk zu helfen, wo es möglich ist, Kriegsherr.« »Dann sssind wir jetzt davon überzeugt, dasss Sssie sssogar noch mehr tun werden«, sagte Wlencing. Wenn Kouro mehr über die Musth gewusst hätte, wäre ihm nicht entgangen, dass das Zischen, das aus Wlencings Kehle drang, ein Zeichen für Belustigung war. »Erik«, ereiferte sich Tregony, ein sehr reicher Rentier, »ich hätte niemals gedacht, dass du zu so etwas fähig wärst.« »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz«, erwiderte Penwyth lässig. »Dass du mit diesen schrecklichen, entsetzlichen Holos zu mir kommst... und versuchst, mich zu erpressen.« »Ich bitte Sie, Mister Tregony!«, sagte Erik. »Das ist ein ziemlich schlimmer Vorwurf an jemanden, der zusammen mit Ihren Söhnen aufgewachsen ist. Ich bin zufällig auf diese Aufnahmen gestoßen, von denen ich mir sicher 438 bin, dass es sich um Fälschungen handelt. Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut, sie zu erwerben, und ich glaube, dass es die einzigen Kopien sind. Und jetzt möchte ich sie Ihnen schenken. Was hat das mit Erpressung zu tun?« Tregony zog eine finstere Miene. »Aber wenn ich dich für deine Auslagen entschädige, würdest du das Geld annehmen?« »Wenn Sie darauf bestehen.« »Wie viel?« Penwyth nannte eine Zahl, und Tregony riss die Augen auf. »Ich bitte dich! Hältst du mich für Krösus?« »Diese Summe entspricht genau fünfundzwanzig Prozent des Jahresbonus, den Sie in diesem Jahr von der Tregony Holding bekommen haben, mehr nicht.« »Woher weißt du das?« Penwyth lächelte und antwortete nicht. »Ich werde einen Scheck ausstellen«, brummte der ältere Mann. »Bitte an den Überbringer, da ich ihn nicht persönlich einlösen werde. Und es wäre wirklich sehr nett, wenn Sie Ihre Bank anweisen könnten, die Summe in kleineren Scheinen auszuzahlen.« Tregony nickte knapp. »Noch etwas anderes. Ein paar Freunde von mir möchten sich für einige Zeit auf Ihre Insel zurückziehen. Sie halten sich nicht immer an konkrete Zeitpläne und könnten ohne vorherige Ankündigung eintreffen, und es könnten ein paar mehr als nur zwei oder drei sein. Wenn Sie also Ihr Personal darüber verständigen würden, dass sie nicht überrascht sein sollen, wenn ungewöhnliche Umstände eintreten...« 439 »Mit wie vielen deiner ausschweifenden Freunde müssten wir rechnen?« »Fünf oder sechs. Oder zweihundert.« Tregony zuckte zusammen. »Auch das ist keine Erpressung, nicht wahr?« »Das hatten wir doch bereits geklärt«, sagte Penwyth lächelnd. Angara schaltete den Bildschirm aus. »Ich verstehe, was Sie mit dem verdammt schmerzhaften Zahn der Zeit meinen, Jon. Wir verlieren unsere Leute fast genauso schnell, als würden wir einen offenen Krieg führen.« »Weniger durch die Zeit als durch diesen verdammten Dschungel, Sir. Die Leute haben hier keine wirklich sichere Basis. Selbst hier auf Mullion schauen sie sich ständig um, weil sie damit rechnen, dass ein Musth aus dem Nichts auftauchen könnte. Fäulnis, Unfälle, die Schießereien, kein Urlaub... all diese Dinge zehren an unseren Leuten.« »An ihnen und an uns«, fügte Angara hinzu. »Und wenn sie sich auf dieser Insel, die Penwyth organisiert hat, ein oder zwei Tage lang entspannen können, wird das auch nicht viel ändern.« Hedley seufzte. »Manchmal wünsche ich mir, ich wäre religiös, wie ich es als Kind mal war. Dann könnte ich noch an verdammte Wunder glauben.« »Zum Beispiel daran, dass unser Musthkottchen mit seinem Trick durchkommt.« »Irgendein ganz normales Wunder würde mir schon reichen. Verdammt, manchmal hoffe ich sogar, dass Redruth aufkreuzt und für etwas Unruhe sorgt, nach der idiotischen Theorie, dass neuer Ärger meistens besser ist als alter Ärger.« 440 Angara stand von seinem Feldschreibtisch auf und ging zu seiner Pritsche in einer Ecke des Bunkers, unter der er
eine Kiste hervorzog. Er öffnete sie, holte eine Flasche heraus und gab sie Hedley. »Hier. Sie haben einen Tag Ausgang. Teilen Sie die Flasche mit niemandem von Ihrem Geschlecht und mit nicht mehr als zwei Personen des anderen Geschlechts. An den Kater werden Sie sich noch lange erinnern.« »Danke, Sir. Bei meinem verdammten Glück bin ich bestimmt gerade leicht beschwipst, wenn die Mistkerle einen Angriff starten.« Bei den Musth war die Stimmung auch nicht wesentlich besser. Es herrschte Frieden, aber immer wieder starben Krieger. In den Städten wurden die Aliens ständig voller Misstrauen beobachtet, und überall folgte ihnen ein Rudel Kinder mit grimmigen Gesichtern. Die Musth hatten noch keine Regelung gefunden, wie sie Schulen wiedereröffnen konnten, ohne dass ihr Verbot von Massenversammlungen verletzt wurde. Während der Ausgangssperre waren die Straßen wie leer gefegt, aber eine Patrouille musste jederzeit damit rechnen, dass eine einzige Blasterkugel aus dem Nichts kam, ein Krieger sich im Todeskampf am Boden wand und zu hören war, wie schnelle Schritte in der Dunkelheit verschwanden. Sie wurden sogar noch genauer beobachtet, als sie ahnten. Wenn jemand ein Luftfahrzeug bemerkte, wurde die Position an einen anderen der »Händler« weitergegeben und dann der Kurs so sorgfältig wie möglich verfolgt, als würde es von zahllosen Radarstationen registriert werden. Und wenn die Gelegenheit günstig war, konnte plötzlich aus dem Nichts ein Raubwürger seine Bahn kreuzen. 441 Von Eckmuhl und den Zentren anderer Städte hielten sich die Musth fern. Sie rückten allenfalls in Kompaniestärke und mit taktischer Luftunterstützung vor. Und selbst dann konnte es geschehen, dass ein oder zwei ihrer Leute Heckenschützen zum Opfer fielen. Nur die Hauptinseln befanden sich fest in der Hand der Aliens. Doch Stück für Stück konnten die Musth ihren Triumph ausbauen. Einige menschliche Kämpfer wurden krank, ein paar wurden gefangen genommen oder getötet. Doch für den größten Schwund sorgten Männer oder Frauen, die einfach aufgaben, sich davonschlichen und im Meer der Zivilisten untertauchten. Niemand machte ihnen einen Vorwurf, niemand suchte nach diesen Deserteuren. Schließlich gab es kaum etwas Härteres als einen Guerillakrieg ohne absehbares Ende. Doch die Streitmacht kämpfte weiter. Die Zahlen auf Wlencings Bildschirm machten keinen freundlicheren Eindruck als die auf Angaras. Es war gar nicht so sehr die kontinuierlich hohe Anzahl von Todesopfern, sondern es waren eher andere Faktoren. Die Besetzung von Cumbre kostete mehr, erheblich mehr, als von den Clans durch die Ausbeutung des Systems an Gewinnen erzielt wurde. Nur ein spärlicher Strom von Schiffen brachte Rohstoffe und Luxusgüter zu den Musth-Welten. Die Clanmeister, die Aesc und Wlencing unterstützt hatten, würden diesen Weg nicht weiterverfolgen, wenn er in den Bankrott führte. Etwas musste geschehen. Nur leider hatte Wlencing keine Ahnung, was. 442 Der Blockwart war ziemlich stolz auf sich. Er hatte den Hinterhalt bemerkt, das Team aus zwei Männern und zwei Frauen, die unter seinem Haus auf die Sicherheitspatrouille warteten, und die Musth über den Spezialkom benachrichtigt, den er von ihnen erhalten hatte. Drei Dutzend Musth-Krieger bereiteten schnell einen Gegenhinterhalt für die Menschen vor, die sich möglicherweise ergeben hätten, aber die Musth gaben ihnen gar keine Gelegenheit dazu. Die vier wurden von Blastersalven durchsiebt, bis ihre Körper nur noch unidentifizierbare Fleischklumpen waren. Der Blockwart wurde mit Credits belohnt und bat die Aliens, ihn nicht öffentlich zu belobigen. Sie erklärten sich einverstanden, doch zwei Tage später, kurz nach Mitternacht, detonierte eine Brandbombe in der Wohnung des Blockwarts. Er, seine Frau, ihre vier Kinder und die Mutter seiner Frau starben in den Flammen. Sein Nachfolger zeichnete sich durch bedeutend weniger Ehrgeiz und eine ausgeprägtere Kurzsichtigkeit aus. Die zehnköpfige menschliche Patrouille war an den Klippen unterhalb des Hochlands in die Enge getrieben worden. Da ihnen der Rückzug verwehrt war, kämpften sie bis zum bitteren Ende. Wlencing forderte seine Kampfjäger an. Die Felsen wurden mit Raketen beschossen und bombardiert. Doch als der Schlachtlärm verhallt war und sich der Staub gelegt hatte, eröffnete aus einem Versteck ein trotziger Blaster das Feuer. Wlencing schickte Bodentruppen in den Kampf. Drei Tage später war der letzte der zehn Menschen tot. Die Musth hatten vier Wynt, einen Aksai und dreiundvierzig Krieger verloren. Beide Seiten betrachteten das Scharmützel als Triumph. 443 Es gab eine Explosion in einem Bergwerksschacht von Mellusin Mining auf C-Cumbre. Die Ursache war unbekannt, aber mit großer Sicherheit natürlich. Von der Oberfläche aus hatte man Kontakt zu den Überlebenden, die in einem Stollen zwei Kilometer tiefer eingeschlossen waren und vom steigenden Wasserspiegel bedroht wurden. Als die Rettungsteams erkannten, dass es ihnen nicht gelingen würde, rechtzeitig einen Schacht zu den Opfern vorzutreiben, wandten sie sich mit einem Hilfeersuchen an die Regierung.
»Wer sind diese Bergarbeiter?«, wollte Wlencing von Daaf wissen. »Hauptsächlich 'Rauhm. Kriegsgefangene und ein paar Kriminelle.« Wlencing dachte kurz nach. »Das Hilfeersuchen wird abgelehnt. Die gegenwärtige Notlage rechtfertigt die Kosten nicht.« Daaf rang sich zu einer gewagten Erwiderung durch. »Kriegsherr, ist das eine ehrenhafte Antwort?« Wlencing zischte zornig und fuhr instinktiv die Krallen ein und aus. »Erlauben Sie sich nie wieder eine solche Unverschämtheit! Sonst schicke ich Sie zu Ihrem Clan zurück! « Daaf starrte Wlencing eine Weile an, dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum. Wlencing blickte auf die trostlose Landschaft von Silitric hinaus, sah, wie sich vor den Bergen ein Sturm zusammenbraute, und fragte sich, welche Antwort er vor einem Systemjahr gegeben hätte. Aber das war Vergangenheit. Wlencing hatte noch nie eine Aufgabe unerledigt abgeschlossen, und in diesem Fall würde er keine Ausnahme machen. Hier waren bereits zu 444 viele Musth gestorben, von Aesc bis zum einfachsten Maschinenputzer. Sie konnten jetzt nicht mehr aufgeben. Als Junges hatte er sich oft gefragt, ob der Krieg zwischen Menschen und Musth mit einem Sieg für die Musth geendet hätte, wenn sein Volk weitergekämpft und Härte gezeigt hätte. Und jetzt wollte er nicht einmal darüber nachdenken, ob er genauso wie die Krieger in der Vergangenheit zu einem Drückeberger werden wollte. Als die hundert Bergarbeiter langsam ertranken, breitete sich die Nachricht wie eine Schockwelle durch das Cumbre-System aus. Die Händler und andere Mitarbeiter der Streitmacht gaben die Devise zum Generalstreik aus. Als Wlencing davon hörte, drohte er mit schweren Vergeltungsmaßnahmen. Doch zum angesetzten Termin öffneten in den Städten nur wenige Geschäfte. Wlencing schickte Truppen auf die Straßen, um die Öffnung der übrigen Geschäfte zu erzwingen. Doch an diesem Tag gab es kaum Kunden. Viel schlimmer war, dass nur wenige seiner menschlichen Beamten, Angestellten, Hausmeister und Dolmetscher zur Arbeit erschienen. Wlencing tobte und befahl die Entlassung sämtlicher Verweigerer, und seine Untergebenen gehorchten. Der Streik endete, aber die Verwaltungsmaschinerie der Musth stand ohne die menschliche Schmiere still. Ein paar Musth plädierten für die Wiedereinstellung der Arbeitskräfte, doch Wlencing rückte nicht von seinem Standpunkt ab, dass er ein einmal erlassenes Gebot nicht widerrufen würde. Still und heimlich stellten die etwas einsichtigeren Musth-Funktionäre ihr früheres Personal wieder ein, in 445 vielen Fällen unter falschem Namen, und bald lief alles wieder fast genauso wie zuvor. »Es sieht nicht danach aus, dass wir mit Überraschungen zu rechnen hätten«, sagte Angara. »Mir ist nichts in dieser Richtung aufgefallen«, sagte Hedley. Angara ließ noch einmal die Computersimulation ablaufen, dann stand er auf und ging in der unterirdischen Kommandozentrale von Mullion auf und ab. »Verdammt«, sagte er geistesabwesend, »aber hier unten ist es ziemlich stickig. Ich würde einen verdammt schlechten 'Rauhm abgeben.« Hedley sah immer noch auf den Bildschirm. »Wir müssen etwas Großes veranstalten, um uns wenigstens selbst mal wieder auf die Schulter klopfen zu können«, sagte Angara. Hedley nickte. »Der Plan ist genehmigt. Lassen Sie uns übermorgen loslegen.« Hedleys Agenten hatten einen Schwärm von Schiffen rund um das Hochland bemerkt. Andere Agenten fanden heraus, dass es sich um neue Piloten handelte, die vor kurzem ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und erstmals in den Einsatz geschickt wurden. In Erinnerung an ein grauenhaftes Vorbild aus der menschlichen Geschichte bezeichnete Hedley das Vorhaben als Operation Nisse. Als sich die Musth-Piloten kurz nach Sonnenaufgang versammelten, um sich auf die Einsätze des Tages vorzubereiten, wurde das Hochland von einer Staffel Zhukovs, bewaffneten Jachten und dem einzigen der Streitmacht verbliebenen Aksai angegriffen. 446 Sie stürzten sich auf den Landeplatz, beschossen alles, was sie sahen, vernichteten Abwehrstellungen, Schiffe, die sich noch am Boden befanden, und alles, was sich bewegte. Sie kehrten zu einer zweiten Angriffswelle zurück und flüchteten dann wieder in ihre Verstecke. Doch es gab auch Verluste unter den Menschen, abgeschossene, abgestürzte oder nur beschädigte Schiffe. Und einer dieser Fälle zog eine Katastrophe nach sich. Jacqueline Boursier kreiste mit ihrem Aksai am Himmel und fluchte, als sie eine Jacht mit rauchenden Maschinen sah, die sich mit letzter Kraft über den schmalen Strand der Insel Mullion schleppte, verfolgt von einem Wynt und zwei Aksai. »Na los, du Arschgesicht, spring ab, verdammt! Lass nicht zu, dass sie dir nach Hause folgen!« Aber der Pilot der Jacht hörte nicht auf sie und baute mit seinem Schiff eine Bruchlandung mitten auf dem Landefeld der Geheimbasis. Es geriet außer Kontrolle und riss die Tarnnetze von den Bunkern, Zelten und
Waffenstellungen und enthüllte das lange Zeit gewahrte Geheimnis. Boursier stürzte nach unten, feuerte, schoss den Wynt ab und vernichtete in der zweiten Attacke einen Aksai. Doch damit hatte sie ihre letzte Rakete verschossen, sodass sie hilflos mit ansehen musste, wie der letzte MusthKampfjäger in Richtung Dharma verschwand. Drei Tage später griffen die Musth mit allem, was sie hatten, die Mullion-Basis an. So lange hatte Wlencing gebraucht, Truppen von Silitric abzuziehen und die Einheiten zusammenzustellen. Doch sie fanden keine Menschen mehr vor. Die Streitmacht hatte zwei Tage zuvor die Zelte abgebrochen. Allerdings hatten sie Werkstätten, vorübergehend nicht 447 einsatzfähige Kampfschiffe, Vorratslager und ein großes Arsenal zurücklassen müssen. Die Streitmacht hatte ihr Hauptquartier verloren, ihren einzigen effektiven Stützpunkt. 26 Unbekanntes System / Unbekannter Planet »Mistviecher«, sagte Monique Lir, als sie die zwei Kolonnen aus Musth-Kriegern von Keffas Schiff in ihre Richtung marschieren sah. »Es scheinen doppelt so viele wie wir zu sein, oder?« »Mindestens«, sagte Njangu. »Zieh deinen Dickschädel ein. Hier kommt ihre Luftwaffe.« Zwei Kampfjäger schössen aus einer Schleuse etwa auf mittlerer Höhe des Schiffsrumpfs. Es waren kleine Maschinen, in denen höchstens vier Krieger Platz hatten. »Als sie losgeflogen sind, scheinen sie ihre Aksai vergessen zu haben«, sagte Monique. »Sollen unsere Leute sie mit ein paar Raubwürgern begrüßen, Boss?« »Wie steht die Chance, dass ihr Obermotz, dieser Keffa, an Bord eines der Jäger ist?« »Ah«, grübelte Lir und wedelte mit den Fingern, »sechs zu fünf, würde ich sagen.« »Dann sollen sie noch eine Weile im Dunkeln tappen. Außerdem steht Garvin die nächste Ruhmestat zu. Aber wir sollten etwas aus der Schusslinie gehen, falls diese Maschinen über Wärmespürer und jemanden verfügen, der damit umgehen kann.« Die beiden liefen den Hang hinunter zur Baumgruppe 448 allerdings hatten die seltsamen blassgrünen, pilzartigen Gewächse nur entfernte Ähnlichkeit mit Bäumen. Etwa fünfundzwanzig 'Rauhm und ein paar Soldaten der Aufklärer warteten dort. Njangu bemerkte Jasith, die etwas verloren und verängstigt wirkte. Poynton redete in beruhigendem Tonfall auf sie ein. Er sah außerdem, dass Jasith eine kleine Pistole fest umklammert hielt, die sie von einem 'Rauhm erhalten hatte. Wenigstens benimmt sie sich nicht wie eine hysterische reiche Göre. Auf der anderen Seite des Hügels marschierte der Feind immer näher heran. Mehrere Männer und Frauen brachen aus ihrem Versteck, deckten die rechte Kolonne mit Blasterfeuer ein und tauchten wieder ab. Garvin und ein anderes Team kamen aus einer kleinen Felsgruppe hervor, die gar nicht den Anschein erweckte, als könne sich dort etwas verstecken. Nun feuerten sie, während das erste Team über einen Hügel in die Deckung einer Schlucht flüchtete. Die Musth feuerten zurück, aber plötzlich gab es nichts mehr, worauf sie hätten schießen können. Einer der kleinen Kampfjäger ging tiefer und schwebte über der Szene. Finf Heckmyer zog einen halben Gurt durch sein MG, und der Gleiter schüttelte sich, driftete seitwärts ab und schleppte sich, eine Rauchfahne hinter sich her ziehend, zum Kommandoschiff zurück. Garvin, der gerade die Hügelkuppe erreicht hatte, nickte zufrieden. »Also gut, Jungs. Jetzt lernt ihr, wie es auf die harte Tour läuft.« Die Menschen bewegten sich in zwanzigköpfigen Gruppen, die über Kom in Verbindung standen, sich gelegentlich für 449 einen Angriff gegen die Musth zusammentaten, aber ständig in Bewegung blieben. Das Wetter war gemäßigt, und nur gelegentlich zog ein Regenschauer über sie hinweg. »Hier stimmt irgendwas nicht«, stellte ein Soldat fest. »Kämpfe finden nie bei schönem Wetter statt. Wo ist das Eis? Wo ist der Schnee? Wo sind die verdammten Gewitterstürme?« Eine Kolonne aus Kriegern rückte vorsichtig durch einen längeren Waldabschnitt vor. Eine Explosion zerriss die Gruppe in der Mitte, und die Kämpfer feuerten wild zurück. Sie deckten alles, aber letztlich gar nichts mit einem Kugelhagel ein. Als ihnen endlich klar wurde, dass kein Gegenfeuer kam, hörten sie betreten auf zu schießen. Hilfeleister und Offiziere liefen zu den Verwundeten. Dann ging die zweite Mine hoch, nur fünf Meter von der ersten entfernt, und dezimierte die Kommandogruppe und die Sanitäter. Zehn 'Rauhm tauchten auf, und jeder feuerte fünf Schüsse in die Musth, bevor sie die Flucht ergriffen. Einer war nicht schnell genug und erhielt einen tödlichen Treffer. Die Musth lernten tatsächlich dazu. Ein Aufklärerteam verfolgte einen Trupp aus fünfzig Kriegern und wurde geschickt in einen Hinterhalt gelockt. Keiner der Menschen überlebte. Nachdem Garvin den von Leichen übersäten Kampfplatz inspiziert hatte, wies er seine Untergebenen an, den
Leuten zu predigen, was geschah, wenn man sich dem Irrglauben hingab, den Feind für dümmer als sich selbst zu halten. 450 Keine der Menschengruppen verbrachte mehr als ein paar Stunden an der gleichen Stelle. Ständig beobachteten sie mit einem Auge den Himmel und hielten mit dem anderen nach einem möglichen Hinterhalt Ausschau. Immer wieder umkreisten sie Keffas Schiff, stießen zu einem schnellen Angriff gegen die Krieger vor und verschwanden gleich darauf in der Wildnis. Stück für Stück lernten die Soldaten das Gelände besser kennen. Doch für die Musth galt das Gleiche. Keffa war der Verzweiflung nahe. Er hatte ein Schiff, dessen Feuerkraft beinahe ausreichte, um einen Planeten aus der Umlaufbahn zu schießen, aber seine Sensoren waren nicht empfindlich genug, um einen einzelnen Heckenschützen zu erfassen, der sich im Gebüsch versteckte. Er hätte starten können, aber wie sollte er dann seine Beute jagen? Er weigerte sich, einen Rückzug in Betracht zu ziehen, um mit einer größeren und geeigneteren Armee zurückzukehren. Schließlich war ein Rückzug für einen Musth undenkbar. »Versuch mal das«, schlug Alikhan vor. Dill betrachtete skeptisch das Stück eines orangefarbenen Gewächses, aber dann steckte er es in den Mund und kaute zaghaft darauf herum. »Schmeckt wie, hm, ziemlich tote Kartoffel«, sagte er. »Aber es bleibt im Magen.« Er machte sich einen Vermerk in seinem Notizbuch. »Jetzt das hier.« »Das« sah recht ansprechend aus - grün mit weißen 451 Streifen. Dill kaute einen Moment, dann quollen seine Augen hervor, und er stolperte zum nächsten Gebüsch, um sich zu übergeben. Mit einem Schluck aus der Feldflasche spülte er sich den Mund aus und kehrte zurück. »Als Nächstes kommt das hier«, sagte Alikhan gnadenlos. »Gönn mir eine kurze Erholungspause.« Er trank noch einen Schluck Wasser und spürte, wie seine Übelkeit nachließ. »Bisher«, sagte Alikhan, »haben wir sieben Pflanzen identifiziert, die wir beide essen können, vier, die keiner von uns verträgt, und elf, mit denen du Schwierigkeiten hast.« »Ein Riesenspaß, im Dienste der Wissenschaft tätig zu sein«, sagte Dill. »Da wir keine Infanteristen sind, müssen wir uns auf irgendeine andere Weise nützlich machen.« »Dabei wären wir hervorragende Stoppelhopser. Aber niemand wird uns je einen Orden verleihen, weil wir uns in Erfüllung unserer Pflicht die Seele aus dem Leib gekotzt haben.« Dill kratzte sich am sprießenden Bart, von dem er fand, dass er ihm ein würdevolleres Aussehen verlieh, während die meisten anderen sagten, er hätte immer mehr Ähnlichkeit mit einem Dornbusch, der einen Kampf gegen eine Wildkatze verloren hatte. »Und wie urteilst du als schlauer Experte, was bei all diesem Unsinn am Ende herauskommen wird?« »Entweder ruft Keffa Verstärkung und vernichtet uns, oder Keffa gibt auf und überlässt uns unserem Schicksal, oder Senza hat meine Nachricht erhalten und entschieden, dass es in seinem Interesse ist, wenn er uns hilft, oder wir vernichten Keffa. In der Reihenfolge absteigender Wahrscheinlichkeit.« »Damit kann ich leben.« 452 »Eine weitere, wesentlich wahrscheinlichere Möglichkeit wäre, dass Keffa uns ohne Unterstützung von außen vernichtet.« »Wunderbar! Wie immer sind die Würfel längst gefallen, was? Der beste Ausgang für uns wäre, hier als Schiffbrüchige zu enden. Der beste? Was habe ich gerade gesagt? Ich wünschte, ich könnte mich mit Schwachsinnigkeit herausreden.« Dann wechselte Dill das Thema. »Ich frage mich, warum wir hier noch keine Viecher gesehen haben, die größer als mein Kopf sind. Vor allem solche, die sich wunderbar am Spieß über einem netten Lagerfeuer machen würden.« »Vielleicht gibt es hier keine. Ich bin kein Ökologe.« »Ich hätte gerne mal wieder ein Steak, das nicht vorgekocht und dehydriert wurde«, beklagte sich Dill. In dieser Nacht bemerkte ein Wachposten eine Bewegung und weckte seine schlafenden Kameraden. Er zog eine Granate, dann stieß etwas, das doppelt so groß wie ein Musth war und »mehr Beine als Gott« hatte, wie es der Mann ausdrückte, ein schnurrendes Geräusch aus und sprang davon. »Vielleicht«, sinnierte Alikhan, »ist jemand anderer genauso begierig auf ein frisches Steak wie du, ohne besonderen Wert auf ein nettes Lagerfeuer zu legen.« »Halt die Klappe«, sagte Ben Dill. Dreißig Kämpfer wurden überrascht und von zwei Kolonnen eingeschlossen. Sie konnten sich den Weg freischießen, aber sie verloren zehn Mitglieder des Trupps. »Es tut mir Leid, Garvin«, sagte Jasith. »Mir war einfach nicht danach.«
453 »Wem ist schon danach? Diesen Terror finde ich auch nicht gerade lustanregend.« »Glaubst du, dass wir durchkommen werden?« Garvin zögerte kurz, dann sagte er: »Natürlich.« »Du bist ein ziemlich miserabler Lügner.« »Ich vermute, das Militär hat mich verdorben. Ich war früher mal ein großartiger Schwindler.« Jasith blickte über den Teich, neben dem ihr Trupp das Nachtlager aufgeschlagen hatte, auf die Vegetation vor dem Hintergrund der untergehenden Sonne. »Ich glaube nicht, dass ich mich je an eine Welt gewöhnen werde, wo die Farben nicht so sind, wie sie sein sollten.« »Klar würdest du das«, sagte Garvin. »Nach einer Weile denkst du, dass außer dir niemand weiß, wie irgendetwas sein sollte.« Nach längerem Schweigen sagte Jasith: »Was wohl Loy gerade macht?« Ich hoffe, dachte Garvin, dass er gerade von den Musth an den nicht vorhandenen Eiern aufgehängt wird, weil er mit einer bekannten Banditin verbandelt ist, aber wahrscheinlich sorgt er gerade dafür, dass Mellusin Mining gewinnbringend in seinen Konzern eingegliedert wird. Aber er sagte nichts. »Ich werde immer geil, wenn ich Angst habe«, hauchte Njangu Jo ins Ohr. Sie hatten sich ein paar Meter von der übrigen Gruppe entfernt aneinander gekuschelt. »Schon wieder? Kein Wunder, dass du eine kriminelle Laufbahn eingeschlagen hast.« Aus unerfindlichen Gründen hatte Jo nie darauf gedrängt, dass Njangu ihr mehr über seine Vergangenheit als jugendlicher Gauner auf Waughtals Planet oder gar seine 454 missratene Kindheit erzählte. Vielleicht lag es daran, dass Jo nie ein Geheimnis aus ihrer alles andere als strahlenden Vergangenheit gemacht hatte. »Natürlich schon wieder«, schnurrte er. Zwei Kundschafter folgten einer Musth-Kolonne, als aus dem Nichts eine Rakete heranraste und sie mitten in einer Kom-Meldung tötete. Ein Reaktionsteam suchte die Stelle auf, meldete sich kurz über Kom und lief fünfzig Meter zurück, um in Deckung zu gehen. Dr. Froude hatte sie aufgefordert, genau das zu tun. Kurz darauf detonierte eine zweite Rakete an derselben Stelle. »Damit habe ich gerechnet«, sagte Froude zu Garvin. »Wir sind zu bedenkenlos mit den Korns umgegangen, und nun können sie unsere Signale orten. Wir müssen unsere Strategie ändern und dürfen nur noch Kurzmeldungen senden und müssen ständig die Frequenz wechseln. Außerdem wäre es besser, wenn jeder nach einem KomKontakt den Standort wechselt, wenn er am Leben bleiben möchte. Wenn das nicht funktioniert, müssen wir Boten einsetzen. Oder möglicherweise Signalflaggen.« Die Schlinge zog sich langsam zu. »Wie steht's um uns, Monique?« »Genug zu essen für, äh, dreißig Tage. Länger, wenn wir die Rationen tatsächlich mit lokalen Delikatessen strecken können. Etwa zwei Einheiten, vielleicht etwas mehr, für jeden Kämpfer.« Eine Einheit war das, was ein Soldat im Schnitt für einen Kampf an Munition benötigte - 150 Patronen für einen normalen Blaster, 500 für ein schweres MG, zwei Raubwürger pro Team und so weiter. 455 »Das ist nicht gut«, sagte Garvin düster. »Das ist ganz und gar nicht gut«, stimmte Lir zu. Die zwei Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Musth insgesamt fünf Kampfjäger an Bord ihres Schiffes hatten. Sorgfältige Beobachtungen durch ein Raubwürger-Team förderten eine interessante Tatsache zutage. Wenn die Maschinen aus dem Hangar starteten oder darin landeten, schwiegen die Radar-Detektoren des Teams. Die Sensoren des Schiffes wurden abgeschaltet, wenn die Jäger in der Nähe operierten. Offenbar setzten die Musth nicht allzu viel Vertrauen in die Fähigkeit ihrer automatischen Systeme, zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können. Das Raubwürger-Team schlich sich bis auf Reichweite heran und wartete, bis es dunkel wurde. Schließlich umschwirrten die Kampfjäger das Kommandoschiff, und das Hangartor glitt auf. Das Team feuerte, und der Raubwürger raste durch die Schleuse und explodierte. Die Detonation ließ das große Schiff wanken, und Rauch quoll nach draußen. Mehr war nicht zu erkennen. Die wartenden Jäger wurden durch eine sekundäre Schleuse an Bord genommen, und diesmal blieb der Radar des Schiffes aktiviert. Irgendwann während der Nacht deckten Techniker das geschwärzte Loch in der Hülle mit einer großen, hässlichen Metallplatte ab, und der Kampf ging weiter. Einen Tag darauf feuerte das Kommandoschiff ohne Vorwarnung ein Dutzend Langstreckenraketen in sämtliche Richtungen ab. Sie explodierten an Bäumen, Felsblöcken und auf dem Boden. 456 Keins der Teams, die das Schiff beobachteten, wurde getroffen. »Systemversagen? Panik? Haben sie geglaubt, sie hätten etwas gesehen? Ich habe nicht den blassesten
Schimmer«, sagte Froude. »Unzureichende Daten für eine Einschätzung«, sagte Heiser, die es etwas professioneller formulierte. Die Einschlagstellen waren durch die Raketen mit Hyperantrieb kontaminiert, und Garvin fragte sich, ob Keffa beabsichtigte, einen radioaktiven Burggraben zu schaffen. Zwei Tage später startete das Schiff und landete reichlich unbeholfen in drei Kilometern Entfernung. Dann machten sich die Krieger wieder auf die Suche nach den Menschen. Der Zwischenfall blieb ein Rätsel. Heiser und Froude verschwanden für einen Tag und kehrten schließlich mit einem der Beobachtungsteams zurück. »Haben Sie beide schon einmal etwas von militärischer Disziplin gehört?«, knurrte Garvin. »Oder überlegt, dass wir uns vielleicht Sorgen um Sie machen?« »Wir haben es nicht mit Ihnen abgesprochen«, erklärte Heiser, »weil wir wussten, dass Sie niemals Ihre Zustimmung gegeben hätten.« »Bestrafen Sie nicht Ihre Soldaten«, fügte Froude hinzu. »Wir haben gesagt, wir würden auf höchsten Befehl handeln, alles streng geheim und so weiter.« »Allerdings glauben wir nicht, dass Sie auf Dauer wütend sein werden«, sagte Heiser. »Wir glauben nämlich, einen Weg gefunden zu haben, wie wir diese Musth loswerden könnten. Der einzige Nachteil ist der, dass wir wahrscheinlich unwiderruflich auf diesem Planeten festsitzen werden.« 457 »Wir hatten eigentlich gehofft, eine Möglichkeit zu finden, das Schiff in unsere Gewalt zu bringen«, sagte Froude. »Aber bedauerlicherweise...« Garvin und Njangu fragten sich, warum es immer die Wissenschaftler waren, die auf gute Ideen kamen, doch dann wurden beide gleichzeitig kreidebleich, als Froude erklärte, auf welche Weise sie ihre »Forschungen« unternommen hatten. »Niemand kann so durchgedreht sein«, sagte Njangu fassungslos. »Aber die beiden sind es.« »Gut«, sagte Njangu. »Dann brauchen wir jetzt nur noch ein paar weitere Wahnsinnige, um es auszuprobieren.« »Ein Dutzend Leute«, sagte Garvin mürrisch, »und zwei der besten Kletterer aus der Aufklärungstruppe.« »Das sind Lir und ich.« Garvin nickte. »Und es dürfte keiner jener entspannten Ausflüge werden, bei denen man der Gefahr fröhlich ins Gesicht lacht.« »Würdest du lieber hier bleiben«, sagte Njangu, »um dir die Haare zu raufen und Bäume zu essen, während du darauf wartest, dass endlich Keffas Verstärkungstruppen auftauchen?« Froudes und Heisers Untersuchungen waren tatsächlich äußerst gründlich gewesen. Sie waren ein paar Tage lang in der Nähe des Beobachtungsteams geblieben und hatten festgestellt, dass die Musth genauso wie die meisten Soldaten bedauernswerte Gewohnheitstiere waren. Zu Sonnenauf- und -Untergang, den traditionellen Zeiten für einen Angriff, gingen die Krieger außerhalb des Schiffes auf Kampfposition in hastig ausgehobenen Gräben, die kaum mehr als kniehohe Erdwälle waren und sich 458 wie Maulwurfshügel rund um das Kommandoschiff zogen. Dann wurden die Tagesbefehle ausgegeben. Nach der morgendlichen Versammlung machten sich die Krieger an die Arbeit. Bei Sonnenuntergang strömten sie ins Schiff zurück. Ein paar Minuten später gingen die Flutlichter an, und die Instrumente der Beobachter zeigten an, dass die Umgebung bis zum Morgengrauen mit Infrarot, Radar und Restlichtverstärkern bewacht wurde. Doch offensichtlich nicht die unmittelbare Umgebung des Schiffes. Ein Tier hatte sich anscheinend während des Abendappells in die Nähe einer Landestütze geschlichen und dort versteckt. Als sich die Musth zerstreut hatten, war es zu den nahe gelegenen Wäldern hinübergewatschelt, hatte sein Ziel jedoch nie erreicht, weil es von den Suchscheinwerfern erfasst und unmittelbar darauf von einer Rakete in die Luft gesprengt worden war. »Ich würde ein Schiff für den Kampfeinsatz auf einer Planetenoberfläche ohne diese klaffende Lücke in der Verteidigung konstruieren«, überlegte Froude. »Was wieder einmal beweist, dass man für eine Aufgabe immer das geeignete Werkzeug wählen sollte. Dieses Weltraummonstrum ist ein großes Risiko für die Besatzung.« Njangu fragte sich, für wen das Schiff das größere Risiko darstellte, sagte aber nichts. Nachdem Froude und Heiser ihre Theorie vorgestellt hatten, ging es am folgenden Abend los, als sich die Krieger zur Nacht zurückzogen. Die zwei Wissenschaftler krochen aus der Deckung des Grabens, bis sie nur noch wenige Meter von einer der spitz zulaufenden Landestützen entfernt waren und die Lage erkundeten, während die Suchlichter eingeschaltet wurden und die Umgebung abtasteten. Da das Kommandoschiff nicht für den Atmosphärenflug 459 konstruiert war und ohnehin über genügend Energie verfügte, machte es nur aus einiger Entfernung einen aerodynamischen Eindruck. Aus der Nähe war die Schiffshülle mit Ekzemen aus Strahlungsschutzplatten, Radarsensoren und anderen
technischen Details übersät, die mehr oder weniger weit herausragten. Nachdem die beiden die Erkundung abgeschlossen hatten, warteten sie, bis die Scheinwerfer beim ersten Zodiakallicht ausgeschaltet wurden, dann schlichen sie sich auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Zusammen mit dem Beobachterteam kehrten sie zu Garvins Kommandogruppe zurück. »Wird es funktionieren?«, wollte Jasith von Rennender Bär wissen, als sie zusahen, wie das Angriffsteam im Wald verschwand. »Vielleicht.« »Und wenn nicht?« Rennender Bär zuckte mit den Schultern. »Glaubst du, dass Alikhans Freund kommen wird?« Rennender Bär riss sich zusammen, um nicht so etwas wie »Woher zum Henker soll ich das wissen?« zu erwidern. Stattdessen sagte er: »Dazu kann ich dir eine sehr alte amerindianische Sage erzählen. Vor langer Zeit gab es etwas, das nannte sich Flim. Das war etwas Ähnliches wie die heutigen Unterhaltungsholos, aber nicht einmal in Drei-D. Auf jeden Fall hat mein Volk diese Flims gerne gesehen, und am beliebtesten waren Geschichten, in denen es um Ureinwohner und Kuhhirten ging. Die Kuhhirten waren manchmal Soldaten, manchmal nur einfache Leute. Aber sie versuchten ständig, den Ureinwohnern - meinem Volk - Land zu stehlen. Alle diese Flims endeten auf die460 selbe Weise. Schließlich wurden die Kuhhirten irgendwo in die Enge getrieben und standen kurz davor, ihr gerechtes Schicksal zu erleiden. Mein Volk wollte bereits triumphieren, als Hörner ertönten, worauf sich der Anführer meines Volkes umblickte und sah, wie über den Hügel die Verstärkung für die verfluchten Kuhhirten eintraf. So endete es immer, jedes Mal! Ich habe nie verstanden, warum meine Leute sich so etwas angesehen haben.« »Ich auch nicht«, sagte Jasith. »Ach so! Jetzt verstehe ich es doch. Mann, du schaffst es immer wieder, die Moral der Truppe zu heben.« »Sauertöpfe wie wir wollen nur vermeiden, dass du vor jubelnder Begeisterung völlig ausflippst«, sagte Garvin, der sich unbemerkt genähert hatte. »Glaubt mir, ich werde euch Soldaten nie verstehen«, sagte Jasith. »Willkommen im Club. Du solltest jetzt lieber deine Sachen zusammenpacken. Wir machen uns bereit, Njangu zu folgen.« Es war ein zwölfköpfiger Trupp, der sich zum Schiff schlich und dem Zickzackmuster der MusthSchützengräben folgte. Alle bis auf Lir und Yoshitaro trugen schweres Gepäck mit Sprengladungen und anderer Ausrüstung. Keiner von ihnen warf einen Blick zur Traube der Musth, die darauf warteten, ihr Schiff zu betreten, aus abergläubischer Furcht, die Aliens damit auf sich aufmerksam zu machen. Die Schleusentür schob sich hinter den Aliens zu, und die Soldaten legten einen Zahn zu, krochen auf allen vieren, bis sie sich direkt unter den riesigen Antriebsdüsen des Schiffs befanden. Njangu blickte hinauf. Wenn ich ein einsamer Held gegen den Rest der Galaxis 461 wäre, könnten wir in diese Röhren hinaufkraxeln und uns eine bequeme Nische suchen, von der aus wir die bösen Jungs einen nach dem anderen abknallen können. Wir müssten nur Glück haben, dass die Mistkerle nicht ausgerechnet in diesem Moment beschließen, Vollschub zu geben. Die Klettertour versprach interessant zu werden, da niemand damit gerechnet hatte, dass ihre Fähigkeiten als Bergsteiger gefragt sein würden, und sie den exotischeren Teil ihrer Ausrüstung auf D-Cumbre zurückgelassen hatten. Njangu und Monique hatten sich Klettergürtel aus den Seilen hergestellt, die jeder Aufklärer als Teil seiner Grundausstattung bei sich trug. Für die Klemmschlaufen hatten sie Kieselsteine genommen und statt Schuhen eine doppelte Schicht Socken über die Füße gezogen. Die meisten Soldaten hatten Karabinerhaken für andere Zwecke dabei, sodass sie in diesem Punkt nicht improvisieren müssten, und es gab auch genügend Stricke unterschiedlicher Stärke und Länge für Schlingen und anderes. Sie mussten sich auch keine Gedanken über Kletterhaken machen, die sie nicht hatten, denn Njangu hielt es für ziemlich unmöglich, sich damit an der Hülle eines Raumschiffs emporzuarbeiten. Sie seilten sich an und begannen im Abstand von fünf Metern mit dem Aufstieg. Njangu suchte nach einem Handgriff, zog sich hinauf, fand einem Halt für den Fuß und arbeitete sich zunächst langsam, dann schneller nach oben, während sich sein Körper zunehmend an die Ausbildung erinnerte, die Übungsstunden und sogar einige Gelegenheiten, bei denen er zusammen mit ein paar anderen Verrückten aus der Aufklärungskompanie seine Freizeit mit Bergsteigen verbracht hatte. 462 Sie schoben sich langsam an der Hülle des Raumschiffs hinauf und fanden immer wieder Antennen oder andere Aufbauten mit unbekannter Funktion, an denen sie sich und den Partner sichern konnten. Sie wechselten sich zweimal in der Führung ab. Njangu wusste, dass Monique die Bessere war, doch sie schien es vorzuziehen, unter ihm zu klettern.
Einmal glitt er ab und rutschte drei Meter nach unten, bevor er seinen Sturz abfangen konnte. Er schaute nicht hinunter, weil er nicht sehen wollte, wie weit es bis zum Aufprall war, und weil Lir nicht erkennen sollte, wie viel Angst er hatte. Seine Schultermuskeln waren gezerrt, seine Füße hatten Blasen, seine Finger waren ausgerenkt. Er drückte einen Stein in eine Ritze zwischen zwei Schutzplatten, band eine Schlinge mit einem Karabinerhaken darum, klinkte sein Kletterseil ein und winkte Monique, dass sie an ihm vorbeiziehen sollte. Dann stieg er ihr mit schmerzhaften, monotonen Bewegungen hinterher. Als sein Kopf gegen Lirs Fuß stieß, dachte er, sie hätte Probleme, doch dann sah er, dass sie ihr Ziel erreicht hatten - die notdürftig geflickte Hangarschleuse, die sie mit dem Raubwürger aufgesprengt hatten. Sie waren jetzt fast dreihundert Meter über dem Boden. Er sah, wie Lir in der Dunkelheit grinste. Sie kroch seitwärts und fand eine gezackte Kante, auf der sie tatsächlich stehen konnte. Njangu kraxelte zu ihr hinüber. Die zwei Zentimeter breite Kante war schon eine Erleichterung, aber einen Meter höher befanden sich zwei Bolzen. An einem verankerten sie ihr Kletterseil. Lir kramte in Njangus Rucksack und zog eine Rolle mit sehr dünnem Seil heraus, das bis zu hundert Kilo belastbar 463 war. Sie entrollte es und ließ ein Ende bis zum Boden herab. Kurz darauf wurde zweimal am Seil geruckt, dann holten sie es wieder ein und verfügten nun über einen simplen Flaschenzug, dessen Rollen sie aus einem Hartholzbaum geschnitzt hatten. Der Flaschenzug wurde am zweiten Bolzen befestigt und das Seil anschließend wieder zu Boden gelassen. Dann folgte die mühsame Arbeit, mehrere Demo-Sprengsätze nach oben zu befördern, die rund um den Metallflicken platziert wurden. Njangu dachte, er hätte hundert, tausend oder vielleicht auch zehn Millionen Sprengsätze hinaufgezogen, als ihm bewusst wurde, dass alle zwanzig angebracht waren. Er blickte zum Horizont und hoffte, dass es noch nicht hell wurde. Trotzdem wurde es Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Sie seilten sich wieder ab und benutzten die Schlingen, die sie an der Schiffshülle zurückgelassen hatten. Monique verlor für einen Moment den Halt, knallte gegen die Hülle und hatte sich kurz darauf wieder erholt. Sie hoffte, dass der Stoß keine Resonanz innerhalb des Schiffes erzeugt hatte. Endlich waren sie wieder am Boden. Njangu wäre am liebsten zusammengebrochen und hätte sich eine Woche lang nicht von der Stelle gerührt. Dann erkannte er die Gesichter von Menschen und gab das Okay-Zeichen. Sie krochen den Weg zurück, den sie gekommen waren, und als sich die Schleuse öffnete, gingen sie schnell in Deckung, bevor die ersten Musth herauskamen. »Die Ehre gebührt dir, würde ich meinen«, sagte Njangu und reichte Garvin den Fernzünder. Die Kommandogruppe 464 hatte nervös auf einem Hügel gewartet, der sich in einiger Entfernung vom Schiff befand. »Gib ihn dem guten Doktor«, sagte Garvin. »Schließlich war es seine Idee.« Froude nahm den Zünder und blickte mit zusammengekniffenen Augen zum fernen Schiff hinüber. Davor formierten sich die Musth. Inzwischen war es fast taghell. Er leckte sich über die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nein, ich, äh...« Garvin nahm ihm den Zünder wieder ab. »Keine Sorge«, sagte er. »Manchmal beneide ich Sie um Ihre Anständigkeit. Bitte, Erster Tweg! Schließlich haben Sie die meiste Arbeit getan.« »Und was ist mit mir?«, sagte Njangu, als Monique das kleine Gerät übernahm, die Sicherungsklappe öffnete und fest auf den Sensor drückte. Keffa hatte entschieden, persönlich den Morgenappell zu übernehmen. Als er die Rampe hinunterlief, dachte er darüber nach, warum seine Krieger es immer noch nicht geschafft hatten, diese Würmer zu zertreten, und wann die angeforderte Verstärkung eintreffen würde, als einer seiner Offiziere stutzte und nach oben zeigte. Verärgert über diese Unterbrechung seiner Gedanken blickte Keffa empor, sah eine Gruppe kleiner Objekte, die an seinem Schiff klebten, und fragte sich, worum es sich handelte und wie sie dorthin gelangt waren. Garvin nahm aus dem Augenwinkel ein Glitzern wahr und dachte im ersten Moment, das Licht würde von der Sonne kommen. Doch dann waren die Detonationen zu hören. Feuer brach in der Schleuse aus, dann schoss eine Stich465 flamme heraus, die schnell verblasste. Rauch stieg auf, und ein Grollen setzte ein, das immer stärker wurde. Garvin und Monique hätten schwören können, dass sie genau sahen, wie die Schiffshülle auf ganzer Breite aufriss und sich dahinter roter Feuerschein ausbreitete. Der Riss bildete sich innerhalb einer Sekunde, dann explodierte das obere Drittel des Schiffs. Der Boden bebte, und Schockwellen rollten über das Land. Die Menschen waren aufgesprungen, sie rannten, stürzten und taumelten, während eine Explosion nach der anderen ihre Ohren betäubte und unvorstellbare farbige Luftschlangen über den Himmel zogen.
Alikhan starrte ins Leere. Die Kämpfer hatten sich nach der überstürzten Flucht vor der Katastrophe, die sie ausgelöst hatten, wieder gesammelt. »Komm schon«, sagte Dill. »Keffa hätte mit dir genau dasselbe gemacht - nur wahrscheinlich viel langsamer und qualvoller.« Alikhan gab keine Antwort. Dill ließ ihn allein und blickte in die Richtung, aus der immer noch Explosionen zu hören waren. Es dauerte drei Tage, bis der Donner, mit dem Keffas Schiff starb, nachließ. Garvin schickte zwei Freiwillige los, um das Schiff zu beobachten, und gab ihnen ein Strahlungsmessgerät mit. Es piepte schon in mehr als einem Kilometer Entfernung von den Trümmern, worauf die Kundschafter zurückkehrten. Ob einige der Musth, die sich außerhalb des Schiffs befunden hatten, überlebt hatten, wusste niemand. 466 Fünf Tage nach der Rückkehr der Kundschafter trat ein anderes Musth-Schiff in die Atmosphäre ein. Es überflog die Trümmer von Keffas Schiff und dann das ausgebrannte Wrack des Mutterschiffs, das die Menschen inzwischen als Basis nutzten. Alikhan blickte mit Lirs Fernglas in den Himmel. »Und?« »Mehr Kuhhirten«, murmelte Rennender Bär. »Blau mit einem gelben Streifen«, sagte Alikhan. Das ist das Emblem von Senza und den Schätzern.« Irgendein namenloser Gefreiter in der hintersten Reihe sprach aus, was alle dachten: »Warum zum Henker hat er so lange gebraucht?« 27 D-Cumbre Wlencing hielt seinen rasenden Zorn im Zaum, als sein Gleiter landete. Senza kostete seine Rache bis zum Letzten aus, indem er auf dem Raumhafen der Menschen in Leggett landete statt auf Silitric oder dem Hochland. Damit demütigte er Wlencing und seine Soldaten vor allen Würmern. Seine Nachricht war völlig überraschend gekommen, da Wlencing noch nicht die Zeit gefunden hatte, die Stationen auf den äußeren Planeten wieder in Betrieb zu nehmen. Der Inhalt war recht eindeutig gewesen: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN AUF UNSEREN WELTEN LEGEN NAHE, DASS WIR EINE BESPRECHUNG ÜBER DIE 467 NEUE STRATEGISCHE RICHTUNG ABHALTEN SOLLTEN, DIE NUNMEHR ALS OPTIMAL FÜR DAS UNTER DEM NAMEN CUMBRE BEKANNTE SYSTEM ERACHTET WIRD. ES WÄRE ANGEBRACHT, IN DER ZWISCHENZEIT KEINE GRÖSSEREN AKTIONEN GEGEN DIE MENSCHEN ZU UNTERNEHMEN, BIS UNSER NEUER KURS GEKLÄRT IST. Wlencing durchschaute die vagen diplomatischen Formulierungen mit der Schärfe eines Lasers. Keffa hatte versagt, und Alikhan war erfolgreich gewesen. Senza hatte gewonnen und offenbar Wlencings und Aescs labile Koalition zerstört, worauf er genügend Clanmeister um sich gesammelt hatte, um Wlencing zu zwingen ... was zu tun? Das Mindeste wäre eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen. Wenn die Menschen wieder die Herrschaft erhielten, war klar, dass man Wlencing und seine Krieger aus dem System vertreiben würde. Wahrscheinlich würden sie nun Senza und seinen Maunzern Zugang zu den Reichtümern von Cumbre gewähren. Nicht dass es jetzt noch eine Rolle spielte. Cumbre hatte sich als unerfüllbarer Traum erwiesen, den man schon viel früher hätte aufgeben sollen. Wlencing wollte sich rächen, wollte Senza töten, wenn er vor ihm stand, aber er wusste, dass er niemals die Gelegenheit dazu erhalten würde. Er hoffte, dass sein Junges nicht miterlebte, wie sein Vater gedemütigt wurde, aber er wusste, dass er es nicht verhindern konnte. Wenigstens, dachte er verbittert, scheint Alikhan meine Durchsetzungsfähigkeit geerbt zu haben, auch wenn er sie für einen unsinnigen Zweck einsetzt. 468 Das Junge muss für seinen Verrat sterben... doch auch das war kein realistischer Wunsch. Er würde Alikhan nie wieder sehen. Für ihn war sein Junges gestorben, es war längst gestorben, als sein Aksai vor langer Zeit über dem Meer abgeschossen worden war. Die Zukunft war das Einzige, was jetzt zählte. Er musste seinen Clan neu aufbauen, weitere Junge zeugen, wenn die Paarungszeit kam, seine Beziehungen zu Paumoto reaktivieren und eine neue Richtung für sein Leben finden. Wlencing stieg aus dem Gleiter, flankiert von Daaf und weiteren Adjutanten, und marschierte zu Senzas Schiff. Er sah die kleine Gruppe von Menschen, die in der Nähe standen, und war überrascht, dass die Würmer nicht ihre Verachtung über ihn ausschütteten, sondern ihn nur mit ausdruckslosen Mienen anstarrten. Ganz auf seine Überlegungen konzentriert bemerkte er kaum den alten Mann, der einst ein entschlossener Kämpfer der 'Rauhm-Rebellen gewesen war. Er trat aus der Menge und warf beinahe lässig eine kleine Kugel.
»Man kann immer einen mitnehmen...« Die Granate explodierte, zerriss Wlencing fast in zwei Hälften und tötete zwei Adjutanten. Dem schwer verletzten Daaf gelang es, seine Verzehrer-Waffe zu ziehen und den alten 'Rauhm zu erschießen. Auf dem Landefeld war es für einen Moment totenstill, abgesehen vom leisen Summen, das von Senzas Schiff kam. Aber nur für einen Moment. 469 28 Es war eine milde tropische Nacht. Garvin Jaansma, der eine weiße Sommeruniform und die Streifen eines Mil trug, lehnte sich gegen die Brüstung der Terrasse vor dem Shelbourne und nippte an einem kühlen Drink. Njangu Yoshitaro, der neben ihm stand und ein Bier in der Hand hielt, trug die gleiche Uniform, nur dass sie mit den Streifen eines Cent versehen war. Caud Angara hatte Garvin befördert und ihn zum Leiter der Sektion II ernannt. , Njangu war für einen »Raubzug wider jede Stimme der Vernunft«, wie Angara sich ausgedrückt hatte, zwei Dienstgrade nach oben gefallen und war nun obendrein der Chef der Aufklärungskompanie. »Siehst du jetzt ein«, hatte Garvin ihm zugeflüstert, als die Streitmacht in einer langen Zeremonie mit großem Trara, Beförderungen und Ordensverleihungen ihre Wunden geleckt hatte, »dass am Ende immer die Tugend siegt? Ich erwarte von dir, dass du meinem bedeutend höheren Rang den gebührenden Respekt entgegenbringst.« »Spar dir die hochtrabenden Worte«, hatte Njangu erwidert. »Ich bin völlig damit zufrieden, wenn du im Rampenlicht stehst und das auffälligere Ziel abgibst.« Und nun, im Shelbourne, lagen sanfte Musik, angenehme Düfte und entspanntes Lachen in der Luft. Die beiden warteten auf ihre Begleitung zum Abendessen und sorgten dafür, dass sie ihnen um einen Drink voraus waren. »Was meinst du, was Senza jetzt tun wird?«, fragte Njangu. »Keine Ahnung«, sagte Garvin. »Vor ein paar Stunden 470 hat er mit dem Alten Tacheles geredet. Nachdem Wlencing tot ist, muss nun keine Rücksicht mehr darauf genommen werden, dass jemand das Gesicht verlieren könnte. Die alte Musth-Besatzung wird in Unehre oder wie immer sie es nennen zu ihren Clans zurückgebracht. Wir werden mit Senza Geschäfte machen. Irgendjemand, höchstwahrscheinlich Mellusin Mining, wird seine Interessen vertreten, sodass in Leggett keine Musth mehr herumspazieren, zumindest nicht in nächster Zeit.« »Trotzdem dürfte das einige Leute stören.« »Mit wem könnten wir sonst Handel treiben? Die Konföderation ist immer noch nicht mit der Kavallerie eingeritten, um uns zu Hilfe zu eilen.« »Stimmt«, sagte Njangu. »Es klingt nicht gut, aber es dürfte das Beste für uns sein. Und dass es vermutlich kein großes Tribunal für Kriegsverbrecher geben wird.« Garvin presste die Lippen zusammen. »Das hat Jon auch gesagt. Vielleicht werden ein paar Blockwarte gelyncht oder auch ein paar andere auffällige Arschlöcher, aber viel mehr dürfte nicht passieren. Und ich bezweifle, dass irgendein Rentier in Schwierigkeiten geraten wird.« »Apropos«, sagte Njangu. »Ich will keineswegs neugierig sein, aber wie sieht es mit deinen Geschäften aus?« ' »Loy Kouro wird so lange im Gefängnis bleiben, wie ich mir neue Anklagepunkte aus den Fingern saugen kann. Also vielleicht noch drei Wochen. Ich versuche gerade, irgendeinen Mithäftling zu bestechen, ihm eine angespitzte Matratzenfeder zwischen die dritte und vierte Rippe zu schieben, aber bislang ohne Erfolg. Jasith reicht morgen den Scheidungsantrag ein.« »Und was bedeutet das für euch beide?« Garvin schwieg eine Weile. »Ich schätze... es bedeutet das, was es bedeutet. Keine Ahnung.« 471 Er sah ein paar dunkle Gestalten am Meeresufer und erkannte Alikhan, Ben Dill und zwei weitere Musth. »Was wohl aus ihm wird?« »Ben sagte, dass Alikhan alle Kontakte zum Clan seines Vaters abbrechen will«, erklärte Njangu. »Ich kann mir vorstellen, dass ziemlich üble Gerüchte die Runde machen, wie er dafür gesorgt haben könnte, dass Wlencing ins offene Messer läuft. Niemand ist gut auf Vatermörder zu sprechen. Ben sagte, er würde sich entweder den Schätzern oder unserer Armee anschließen.« Garvin sah ihn erstaunt an. »Wie bitte?« »Erstens dürfte es nach wie vor einige Musth geben, die noch nicht genug vom Krieg haben«, sagte Njangu. »Und zweitens meinte Hedley zu mir, dass es immer wieder Leute gibt, die sich auf die Seite des Siegers schlagen. Wäre nicht mein Stil, aber warum eigentlich nicht?« Garvin fasste sich wieder. »Klar. Warum nicht? Wir können immer Piloten und Krieger gebrauchen. Vielleicht ist es das, worüber unsere zwei pelzigen Freunde gerade mit Ben reden.« »Vor allem, da wir nun modifizierte Aksai von ihnen kaufen werden, womöglich auch ein paar Velv, und da wir kaum eine nennenswerte Raumflotte unser Eigen nennen können, auch ein paar Musth-Mutterschiffe.« »Küss meinen Arsch, der Goldstücke scheißt«, sagte Garvin. »Ein Rad greift ins andere.«
»Wie immer.« Njangu trank sein Bier aus und stellte das Glas auf der Brüstung ab. »Die Regierung wird wieder so umorganisiert, wie sie vorher eingerichtet war«, sagte er. »Und wir legen mit dem Wiederaufbau los und stellen ganz schnell eine neue Armee auf die Beine. Du weißt, was als Nächstes kommen wird.« 472 »Ja«, brummte Garvin. »Protektor Redruth. Wenn es ihn nicht gäbe, wäre es nett, sich einmal um angenehme Dinge zu kümmern. Zum Beispiel könnte man einmal nachsehen, was mit der Konföderation los ist... verdammt, ob es überhaupt noch eine Konföderation gibt.« Zwei Frauen traten durch die Glastür auf die Terrasse, entdeckten die Soldaten und kamen herüber. »Vielleicht wäre es sogar interessant«, sagte Njangu, »wenn wir zur Abwechslung versuchen würden, einen Krieg anzufangen, statt abzuwarten, bis jemand anderer uns die Hosenträger durchschneidet.« Jasith Mellusin trug einen winzigen Fetzen aus grüner Spitze, die auf halber Höhe ihrer Oberschenkel endete, und darunter einen fast durchsichtigen Bodystocking in Purpur. Jo Poynton hatte sich für einen nüchterneren Hosenanzug in Schwarz entschieden, der sich eng um ihren Körper schmiegte, die Arme frei ließ und an jedem Bein geschlitzt war. Beide Männer kommentierten die Garderobe mit entsprechenden Komplimenten. »Komm jetzt«, sagte Garvin und nahm Jasiths Arm. »Lasst uns einfach mal so tun, als wären wir kultivierte Menschen und keine unterbezahlten Mörder.« Die zwei Paare traten ins Shelbourne, von der Nacht in helles Licht, wo sie von Musik und fröhlichem Lachen verschluckt wurden. Anhang Das Cumbre-System besteht aus einer Sonne der mittleren Hauptreihe, die einen Durchmesser von ungefähr 1,5 Millionen Kilometern hat. Das System besitzt dreizehn Planeten, die recht phantasielos nach den Buchstaben des Alphabets benannt sind. A- und B-Cumbre sind unbewohnbar, weil sie der Sonne zu nahe sind und keine geeignete Atmosphäre haben. Dort gibt es nur solare und astronomische Beobachtungsstationen. Die rohstoffreiche Welt C-Cumbre ist der Grund, warum Menschen und Musth das System besiedelt haben. Zu den Bodenschätzen gehören Mangan, Wolfram, Vanadin, Niob, Titan, Godarium, natürliches Gamma-Eisen und andere wertvolle Metalle. Die trockene Landschaft ist mit Bergwerken übersät, die von beiden Spezies betrieben werden. Die Umwelt bietet sowohl den Menschen als auch den Musth keine günstigen Lebensbedingungen. Der Planet hat einen Mond namens Balar. E-Cumbre ist eine kühle Welt, auf der Menschen gerade noch überleben können, während sich die Musth hier recht wohl fühlen. Sie bezeichnen den Planeten als Silitric und betrachten ihn als Hauptwelt des Systems. F-, H- und I-Cumbre sind Gasriesen. G-Cumbre wurde durch einen Asteroiden, der von außer475 halb des Systems kam, zerstört. In seiner Umlaufbahn kreisen kleinere und größere Brocken. J- und K-Cumbre sind kleine Planetoiden, auf denen sich Beobachtungsstationen befinden. L- und M-Cumbre sind etwas größer als J- und K-Cumbre und stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit eingefangene Asteroiden dar, deren Umlaufbahnen sehr exzentrisch verlaufen. D-Cumbre ist die Hauptwelt der Menschen. Der Planet hat drei kleine Monde: Fowey, Bodwin und Penwith. Nur Fowey, der größte und nächste, beeinflusst die Gezeiten auf D-Cumbre. D-Cumbre hat einen Äquatorialdurchmesser von etwa dreizehntausend Kilometern, und die Achsenneigung beträgt vierzehn Grad, was ein noch ausgeglicheneres Klima als das der Erde zur Folge hat. Im Gegensatz zur Erde gibt es keine größeren Kontinente, sondern sehr viele Inseln, die hauptsächlich in den tropischen und gemäßigten Zonen liegen. Nur an den Polen befinden sich zwei größere Landmassen. Manche der Inseln sind groß und vulkanischen Ursprungs. Die Gipfel sind zu Plateaus erodiert, auf denen ein ganz anderes Klima als im Tiefland herrscht -ebenfalls feucht, aber kühl und neblig, mit farnartiger Vegetation, von winzigen bis riesigen Arten. Die Musth haben ihren Stützpunkt auf dem größten dieser Plateaus errichtet, dem Hochland der Insel Dharma. Die Menschen siedeln hauptsächlich in den tropischen Küstenregionen von Dharma und drei weiteren kleineren Inseln. Die Hauptstadt Leggett liegt im Nordwesten von Dharma. Auf weiteren Inseln in den gemäßigten und tropischen Zonen gibt es etwa fünfundzwanzig kleinere Siedlungen, von denen manche nur Dörfer sind. Das Klima ist mild mit sehr seltenen Wetterextremen. 476 Nur auf dem freien Ozean weitab der Inselgruppen entstehen gelegentlich globale Flutwellen, und während der stürmischen Jahreszeit kann es hin und wieder unangenehm werden. Die Flora und Fauna wird im Allgemeinen als gutartig eingeschätzt, obwohl in den Dschungeln einige noch nicht klassifizierte Raubtierspezies und in den Meeren einige gefährliche Fischarten vorkommen, von großen Seeschlangen bis zu marinen Fleischfressern und Coelenteraten, die als lebensgefährlich eingestuft werden müssen.