JEAN MIROIR
FEUER IM LEIB
ROMAN
CARL STEPHENSON VERLAG • FLENSBURG
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JEAN MIROIR
FEUER IM LEIB
ROMAN
CARL STEPHENSON VERLAG • FLENSBURG
Das Titelfoto steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches Erste Auflage 1979 © Copyright by Carl Stephenson Verlag, Flensburg Alle Rechte vorbehalten Satzherstellung: Fotosatz Rolf Petersen, Harrislee Umschlaglithographie: Nordklischee, Rendsburg Gesamtherstellung: Horst Dieter Adler Druck: WSOY, Porvoo, Finnland Mitglied von Finnprint Printed in Finland 1979 19 747 -10.00 Abo IV/79
Inhalt: Yvonne Orvals Ehemann springt vom Eiffelturm, als seine Frau ihn mit seinem besten Freund betrügt – und hinterläßt ihr einen Berg von Schulden. Mit den stärksten Waffen einer Frau, nämlich einem schlanken aufreizenden Körper und einer betörenden Sinnlichkeit, weiß Yvonne die zahllosen Gläubiger recht schnell zu besänftigen… In der Detektei der legendären Madame Germaine setzt sie dann ihre fraulichen Reize so gekonnt ein, daß sie schon bald zur Staragentin avanciert. Ob es nun heißt, einen Boxchampion »auszuschalten« und ihn im Bett vor dem alles entscheidenden Kampf zu schwächen oder in verführerischer Nacktheit einen erpresserischen Politiker unter die Bettdecke zu locken – Yvonne löst jeden Fall auf ihre ganz spezielle Weise. So gibt es auch kaum einen Mann, der sich dem Feuer ihres Jungen, biegsamen Leibes entziehen kann.
1. Kapitel Der Abendwind bewegte die Fensterflügel, streichelte sündig die Gardine, ein im Mondlicht weiß schimmerndes Gewebe, undurchsichtig wie das Unterbewußtsein einer Jungfrau, und trug einen Hauch von Frühling in das Schlafgemach. Durch die nur angelehnte Tür vom Salon tönte gedämpfte Musik. Die junge Frau machte kein Licht. Zum Umkleiden genügte das magische Halbdunkel, der zuckende Widerschein der bunten Leuchtreklamen auf den Fenstervorhängen und das milde Licht des Mondes, das alle Umrisse verschleierte. Yvonne Orval streifte das Kleid ab. Das schöne Abendkleid! Sie hatte eine unbedachte Bewegung gemacht, als der Freund des Gatten sie zu küssen versuchte. Nun war das Kleid verdorben. Champagnerflecken auf weißem Organdy sind wie geraubte Unschuld – nie mehr zu tilgen. «Darf ich behilflich sein?» fragte nebenan der Versucher. Yvonne zitterte; sie spürte die tiefe Stimme des Mannes fast körperlich, fühlte sich von ihm eingekreist und belagert. «Ist ein Reißverschluß zu öffnen?» Er meinte es ernst, und sie meinte es auch ernst. Darum zögerte sie einen raffinierten kleinen Augenblick mit der Antwort… «Unterstehen Sie sich!» Ihre Entrüstung war nur schwach dosiert, sie enthielt den gewissen süßen Unterton von Angst, gepaart mit Verlangen. Yvonne lauschte auf die Schritte des Gastes. Sollte er es wagen? Nein, Marcel hantierte mit dem Plattenspieler, er ließ sich Zeit, der Fuchs, und ihre innere Unruhe wuchs wie der Wind vor dem Gewitter. Die junge Frau stieg mit schlanken Beinen aus dem weißen Kreis der raschelnden Seide. Bin ich schön? Einen Augenblick lang betrachtete sie ihr Spiegelbild: Eine zierliche, mädchenhafte Gestalt im hauchdünnen Gewebe des Hemdhöschens. Sie trat näher, ordnete das Haar. Jedesmal, wenn der bunte Schein der Leuchtreklamen draußen aufflammte, glaubte sie im Spiegel ein
ganz fremdes Gesicht zu sehen, dessen Ausdruck sie erschreckte… hell… dunkel… hell… dunkel… Das erkennbare und das unterbewußte Selbst. «Warum seufzen Sie?» Seine Stimme war durch die angelehnte Tür nur undeutlich zu vernehmen, aber irgendwie erschien es ihr, als wäre er näher gekommen. Rasch legte sie das neue Kleid zurecht; es war wie eine Flucht ins Angezogensein. Mit zitternden Händen schlüpfte sie in die Ärmel und hob die Arme, um die kalte glatte Seide herabgleiten zu lassen. Doch war da ein Knopf, den zu öffnen sie vergessen hatte. Während Yvonne mit dem Kleid kämpfte, mit Handbewegungen wie eine javanische Tempeltänzerin, wurde die Musik aus dem Nebenraum deutlicher, als wäre die Tür geöffnet worden. Die junge Frau hielt in den Bewegungen inne, sie lauschte – und dann begann ihr Herz wie wild zu klopfen. Sie ahnte die Anwesenheit des Mannes und rang verzweifelt mit dem engen Kleid, dessen Gefangene sie war. «Marcel –?!» Keine Antwort, nur das Hämmern des eigenen Herzens. Was sollte sie tun? Schreien –? Was würde das Hausmädchen denken? Wollte sie überhaupt entrinnen?! Ehe sie weiter denken konnte, fühlte sie sich plötzlich von starken Armen umschlungen. Es lag etwas Besitzergreifendes, Gewalttätiges in der Art, wie der Mann ihre schlanke Gestalt an sich preßte, darum miaute sie wie ein erschrecktes Kätzchen: «Lassen Sie mich los… Sie sind verrückt!» – Kopf und Arme in der Umschlingung des Kleides, versuchte Yvonne, sich aus der Umarmung zu befreien, aber der Kampf wurde ohne Überzeugung geführt. Zitternd hing sie in seinen Armen. Er machte eine Bewegung mit den Hüften, und sie spürte seine drängende Männlichkeit: Das stramme, warme Glied fuhr mit einem wilden, leidenschaftlichen Stoß zwischen ihre zusammengepreßten Schenkel, glitt am eng sitzenden Höschen entlang und berührte den Punkt, den gewissen, der die Sinne des Weibes entflammt. Nur die Seide des Höschens hinderte ihn daran, in die heiße Tiefe ihres Leibes
einzudringen. Yvonne begann zu stöhnen. Ein Schauder überlief ihren Körper wie ein Wind, der die junge Birke streichelt. Dann fühlte sie sich angehoben und getragen, auf das weiche Bett gelegt. Kopf und Oberkörper noch in der Umschlingung des Kleides, war sie Marcel hilflos ausgeliefert. Ihre Persönlichkeit war ausgelöscht; sie war seine Beute, nur noch Leib, und dieses Empfinden entzündete ihr Verlangen. Sie konnte Marcel nicht sehen. Aber sie spürte seine Hände, die ihre Schenkel streichelten, über ihren Leib glitten. Ein Finger strich von der Wölbung des Venushügels behutsam abwärts über die Seide des Höschens, erreichte die Pforte und spielte mit der Klitoris. «Oh – was tun Sie?» Es war eine unnötige Frage. Marcel kam lautlos und gründlich zur Sache. Er war kein Anfänger und blieb stumm. Wenn er nur ein Wort gesagt hätte, so wäre sie zum Widerstand nahezu verpflichtet gewesen. Doch Marcel blieb still; seine Hände gingen zielbewußt vor, sanft und doch unerbittlich. Er streifte ihr das Höschen herunter, mit einer so raschen und routinierten Bewegung, daß es einem Überfall gleichkam. Da sie ihn nicht sehen konnte, empfand sie auch keine Scham, als er sie entblößte. Sie strampelte ein bißchen – das gehörte dazu – und tat einen kleinen, schluchzenden Schrei: «O nein – bitte…» Yvonne versuchte, sich aufzurichten und kämpfte mit dem Kleid, das ihren Oberkörper gefangenhielt. Aber dann fühlte sie, wie ihre Schenkel gepackt und weit gespreizt wurden, und sank schaudernd zurück. Sie spürte seinen heißen Atem zwischen ihren Schenkeln und zog die Beine etwas an. Er drängte die Schenkel empor; seine Hände öffneten die Vagina – und jetzt fühlte sie es, seine Zunge, die über das zarte Fleisch glitt. Yvonne tat einen Schrei. «Aaaah!» Der Atem blieb ihr weg. Das warme, spitze Etwas züngelte an ihrer Pforte entlang, berührte die Klitoris, umkreiste sie. «Oh – oooh – wie wird mir – haaaach…» Sie wollte sich zur Seite wälzen und fand doch keine Kraft dazu. Yvonne war wie gelähmt. Seine Zunge strich aufwärts, setzte erneut an. Ein Prickeln war in ihrem Leib, steigerte sich nahezu
schmerzhaft, süß und grausam zugleich. Sie war dem Orgasmus nahe, als er plötzlich von ihr abließ. Erneut versuchte Yvonne, sich stöhnend aufzurichten. Aber er drängte sie zurück. An den Bewegungen des Bettes erriet sie, daß er sich zum Angriff schickte. Das Vorspiel hatte sein Verlangen ins Unermeßliche gesteigert. Sein aufgebäumtes Glied pendelte und streifte ihren nackten Schenkel; sie fühlte die Berührung dieses heißen, strammen Pfahles auf ihrer Haut wie ein Verhängnis – und ergab sich mit einem schluchzenden Atemzug. Wenn ein Soldat sich ergibt, so hebt er die Hände. Yvonne hob die Beine – fast über den Kopf –, den Oberkörper und die Arme noch immer in den Fesseln des Kleides, und spürte die Berührung des warmen, festen Etwas an ihrer Pforte. «Nein…» Er spießte sie auf, wie man einen Schmetterling aufspießt, zärtlich und grausam zugleich. Es fuhr langsam in die glühende Enge ihres Leibes, qualvoll und süß drängend – oh, so tiiief! Es verharrte genußvoll lange in der Tiefe. Ihr Atem stockte. Sie hatte das Empfinden, daß er ihr bis an das Herz stieß und sein Zögern quälte sie. «Oh – weiter…» Sie bewegte die Schenkel und er zog sein Glied zurück, drang erneut tief ein, begann zu stoßen, rascher und wuchtiger. Yvonne tat kleine Schreie, bewegte die Schenkel im Rhythmus des Aktes. Das Drängen in die Tiefe ihres Leibes wurde intensiver. Marcel war über ihr und in ihr; sie wand sich und stöhnte. Sie war das Opfer und Marcel war «La bete», und je mehr sie sich in diese Rolle hineinsteigerte, um so leidenschaftlicher tat er mit ihr nach seiner Lust. Er war ein ausbrechender Vulkan, und es schlug wie von Flammen über ihr zusammen. Yvonne war nur noch Leib, fühlte sich hingerichtet, auf beglückende Weise mißbraucht. Ihr schluchzendes Stöhnen erhöhte seine Begierde; er hielt ihre Kniekehlen fest in den Händen und fuhr in wechselndem Rhythmus – langsam und dann wieder schneller – in die heiße Enge ihres zuckenden Leibes. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das
Gewitter seinen Höhepunkt erreichte und der Liebeshimmel seine Schleusen öffnete. Yvonne spürte das Spritzen, das heiße Kribbeln in der saugenden Tiefe ihres Leibes. Sie begann zu schreien, als er sie begattete. Ein Born öffnete sich, schaudernd und schluchzend empfing sie die endlose Wonne. Aber Marcel ließ nicht von ihr ab –! Nur für einen Augenblick gab er sie frei, stieg seitwärts und wälzte die Beute seiner Lust herum, so daß sie jetzt auf allen vieren auf dem Bett hockte. Er hatte ihr nacktes Gesäß vor sich, packte und spreizte ihre Schenkel und spießte sie erneut auf. Noch in den Zuckungen der Lust befindlich, auf dem Höhepunkt orgastischer Schauder, war Yvonne willenlos. Sie hatte jetzt die Arme unter sich, Kopf und Körper bis zu den Hüften in der Enge des Kleides gefangen – und spürte sein Glied arbeiten. Marcels Gier war unermeßlich. Er tat es von hinten, mit neu aufgestachelter Begierde; sein Glied wuchs wiederum und fuhr in die glühende, feuchte Tiefe – langsam und schneller – tiefer und tiefer – wild und zärtlich – Yvonne geriet völlig außer Atem; sie wimmerte nur noch leise. «Oh – ooh – ich – kann nicht – mehr – aufhören! Ich kriege – keine – Luft mehr…» Es dauerte diesmal so fürchterlich länge. Yvonne jammerte unter den Stößen; ihr schlanker Körper wurde ruckartig bewegt. Es wurde ganz heiß in ihr, und ein erneuter Orgasmus schüttelte sie. «Nein, nein, nein! – Oh, nicht mehr! Es ist – aaah – hach, haach – jetzt – oh – jaaaaa!» Es sprudelte machtvoll und heiß in ihren flammenden Leib. Sekunden waren es nur und doch eine Ewigkeit. Sie sank erschöpft und glücklich zur Seite, noch zitternd unter den Nachwehen der Ekstase. Wie im Traum fühlte sie seine Hände, die sie nun endlich aus dem Kleid befreiten. Sollte das grausig-süße Spiel denn noch weitergehen?
Yvonne gab sich dem besten Freund ihres Gatten mit der Leidenschaft hin, die wie das Aufflackern eines seit langem glimmenden Feuers war, besinnungslos und unbedenklich. Weil der Überfall so unverhofft rasch erfolgte und sie in einer scheinbar hilflosen Situation überraschte, tat sie es mit der Illusion, ohne Schuld zu sein. Marcel war ein erfahrener Liebhaber; er wußte eine Frau richtig zu nehmen und seine Manneskraft entsprach dem, was sich Yvonne in heißen Träumen gewünscht hatte. Die Stunden rannen dahin… Durch das Fenster hätten die Liebenden, wären sie nicht erneut mit näherliegenden Dingen beschäftigt gewesen, einen wunderbaren Ausblick auf die nächtliche Stadt gehabt: Dunkle Dachgiebel unter dem sternfunkelnden Firmament, der hell strahlende Eiffelturm, ein stolzer Phallus über der funkelnden Lichterkette der Straßenlaternen, kurz, die Silhouette von Paris. Die Silhouette von Paris – man muß es zweimal sagen. Einmal, ganz sachlich, um die geographische Position dieses Ehebruches mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen, zum zweiten, wegen der Atmosphäre von Paris: sie ist sündig, verführt zur Untreue. Auf den Pariser Bahnhöfen sollten Warnungsschilder stehen: «Attention! – Geben Sie auf den Tascheninhalt und auf die Gattin acht!» Doch man warnt nur vor den Taschendieben und nicht den Gatten vor dem besten Freund. Oder umgekehrt, man weiß es nie genau. Yvonne Orval bedurfte keiner Warnung, sie war in Paris geboren und aufgewachsen, trug das «Je ne sais quoi» in sich, den Keim der Sünde. Sie galt als kluge und trotzdem anständige Frau. Klug, weil sie ihren Gatten nur betrog, wenn er sich, wie jetzt, auf einer längeren Reise befand, und anständig, wegen der Diskretion, mit der sie es tat. Sie hatte ihren Gatten nacheinander mit einem Violinisten, einem Saxophonbläser und schließlich mit dem Dirigenten ein und desselben Orchesters betrogen. Dies, obwohl sie völlig unmusikalisch war. Nachdem Yvonne die beweglichen Hände des Geigers und die nach Messing schmeckenden Küsse des Saxophonisten genossen hatte, gelüstete es sie, mehr aus Neugierde, nach dem Taktstock des
Dirigenten. Er war der Gatte ihrer Freundin Nicole, Tänzerin im «Casino de Paris», welche wahre Wunderdinge über die intimen Eigenschaften ihres Gemahls ausgeplaudert hatte. Aber der Dirigent war eine Enttäuschung. Er gehörte zu den genialen Männern, die auf ihrem Spezialgebiet Ungewöhnliches leisten, jedoch nicht imstande sind, die kleinen alltäglichen Probleme – in diesem Falle zwei leidenschaftliche Frauen – zu gleicher Zeit zu meistern. So konnten die Dissonanzen nicht ausbleiben, und eines Tages stellte Nicole ihre Freundin Yvonne vor die Alternative: «Entweder meine Freundschaft oder die Liebe meines Mannes!» Da die Tänzerin, als sie dieses Ultimatum stellte, einen kleinen Revolver auf das Herz der Freundin gerichtet hielt, zog es Yvonne vor, auf den Taktstock zu verzichten und blieb ihrem Ehemann bis zu dessen nächster Reise treu. Monsieur Orval enthob seine Gattin der Mühe, sich nach einem neuen Liebhaber umsehen zu müssen. Als er eines Abends aus der Redaktion heimkehrte – er war Berichterstatter einer großen Tageszeitung –, brachte er Marcel mit: Einen breitschultrigen, sonnengebräunten jungen Mann, die Shagpfeife zwischen weißen Raubtierzähnen, kurz, der Typ des Jägers, der alle Aussicht hat, bei der Großwildjagd von einem Löwen gefressen oder im Boudoir einer schönen Frau vom Ehegatten erschossen zu werden. «Chérie, dies ist Marcel, mein bester Freund. Er kommt aus Afrika. Marcel, dies ist Chérie. Seid doch nicht so förmlich, Kinder!» Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß manche Ehemänner sich nahezu gekränkt fühlen, wenn die Gattin dem besten Freund gegenüber eine vorsichtige Zurückhaltung übt. Der Gedankenfehler liegt darin, daß der Freund nur als Freund und nicht als Mann, und daß die Gattin als eine Art unveräußerlichen Besitzes, beide also als geschlechtslose Wesen betrachtet werden. Henri Orval beging noch weitere Fehler: «Es gibt in Paris kein Hotel, dem ich meinen besten Freund anvertrauen könnte. Du hast doch nichts dagegen, Chérie, wenn Marcel für die Dauer seines Pariser Urlaubs bei uns wohnt…» Yvonne hatte nichts
dagegen, was, da sie eine kluge Frau war, als Zeichen des Vorbedachts angesehen werden muß. – Manche kleine Zufälligkeit hätte Henri Orval warnen müssen. Er spürte nicht die Spannung, die sich mit jedem Tag erhöhte, wie seine Gattin unruhig wurde, wenn Marcel in der Küche mit dem Hausmädchen schäkerte oder wie der Freund, scheinbar gedankenlos, Yvonne beobachtete, wenn sie schlank und zierlich durch den Raum schritt. Wenn sich Marcel zu einem Bummel durch die Stadt verabschiedete und die Hand Yvonnes ein wenig länger festhielt, unmerklich länger, nur mit der Stoppuhr zu messen. Wer die Hand festhält, der will den Körper! Aber das begreifen viele Ehemänner erst, wenn sie ein Horn tragen – oder gar nicht, wenn sie es, das Horn, nicht einmal bemerken. Yvonne beobachtete ihren Gatten in diesen Tagen sehr aufmerksam und fand ihn dumm, und da sie dumme Männer verachtete, ja sich um deren Dummheit willen herabgesetzt und gekränkt fühlte, beschloß sie, Henri eifersüchtig zu machen. Doch, quel malheur, Henri war nicht nur dumm – er war auch blind. «Ist sie nicht schön –?!!» machte Henri den Freund auch noch auf seine Frau aufmerksam, wenn sie vorbeiging und mit den Hüften wackelte wie Marylin Monroe persönlich. Marcel nahm die Tabakpfeife aus dem Mund und lächelte mit seinen weißen Raubtierzähnen wie ein schadenfroher Tiger angesichts des Opfers. Aber er hielt es für ratsam zu schweigen, wie eben ein Tiger lautlos bleibt, wenn er sich zum Sprunge duckt. Dann war es soweit. In Toulouse hatte ein Dienstmädchen die Familie ihres Brotgebers aus Eifersucht vergiftet. Henri Orval mußte das nächste Flugzeug nehmen, um seiner Zeitung über den Sensationsprozeß berichten zu können. «Ich vertraue dir meine Frau an!» sagte der Besitzer des Ehegartens zum Bock und beging damit den entscheidenden Fehler. Hätte er gesagt: «Ich vertraue dir!» so wäre das unmißverständlicher gewesen. Die logische Folge war, daß sich Marcel angeregt fühlte, den anvertrauten Gegenstand nicht nur vorübergehend in
Besitz zu nehmen, sondern auch ausgiebig zu gebrauchen. Er tat es an diesem Abend so unverschämt und egoistisch, wie nur ein Raubtier oder ein Junggeselle sein kann. Es mangelte ihm an reifer Zärtlichkeit, die den erfahrenen Ehemann auszeichnete. Yvonne begriff zu spät, welche Rolle ihr Körper in Marcels Phantasie spielte; sie war nur Fleisch, das gefressen wurde, eine Gazelle im Biß des Löwen – und das Raubtier biß wiederholte Male zu, ehe sie nackt und erschöpft in die Kissen sank und weinte. Kein Schuldgefühl weckte ihre Tränen, vielmehr die Angst, schwanger zu werden. Konzentriert auf das Bemühen, Henri eifersüchtig zu machen, hatte sie ein so rasches Ergebnis nicht vermutet – und es versäumt, die Pille zu nehmen. So ausgedrückt, wirkte ihre Verzweiflung weniger tragisch als komisch, und Marcel lachte. Doch dann lachte er nicht mehr. Er vernahm das Schlüsselgeräusch und hörte die Wohnungstür gehen und Schritte nebenan… Und der Großwildjäger begann zu schrumpfen, bis er die Größe einer Ameise erreichte. Yvonnes nackter Körper war der Grashalm, an den er sich klammerte. Denn Marcel war nur im Bett ein Held. Anders Yvonne. Als ihr Gatte die Tür zum Schlafzimmer öffnete, schloß sie sogleich die Augen und versuchte, sich seinen Gesichtsausdruck vorzustellen. Hoffentlich macht er kein Licht! dachte sie bekümmert. Meine Haare sind ganz verwirrt und wahrscheinlich sehe ich ziemlich ramponiert aus. Und wieso ist Henri schon da? Hat er etwa doch Verdacht geschöpft –? Es wäre verkehrt, anzunehmen, daß Yvonne die Situation leichtnahm. Doch im Augenblick der Gefahr war sie, wie viele Frauen, auf eine unlogische Weise tapfer. Ohne allerdings zu ahnen, daß sie ihrem fassungslosen Gatten damit den Todesstoß versetzte. Er mißverstand, wie man sehen wird, ihre gespielte Gelassenheit. Es fiel Henri Orval schwer zu glauben, was er da sah: Marcel hatte ihn mit seiner Frau betrogen; in Henris Augen war das mehr als Verrat. Der Freund darf erwarten, daß der andere Freund im Notfalle sein Leben opfert. Er darf – das gehört zu seinen Rechten – über den Wagen, das Bankkonto, das Gastzimmer des Freundes verfügen. Jedoch die
Zahnbürste oder die Gattin des Freundes zu gebrauchen, das ist einfach eine Schweinerei. – So sah Henri erst einmal die Situation, ihm wurde wahrhaftig übel dabei. Seine Gedanken liefen durcheinander. Träumte er nur? Wieso befand er sich nicht in Toulouse? – Richtig, das Dienstmädchen, dem am folgenden Tag der Prozeß als Giftmörderin gemacht werden sollte, hatte sich mit einem Strumpf in der Gefängniszelle erhängt; damit wurde die Berichterstattung hinfällig. Henri war mit dem nächsten planmäßigen Flugzeug nach Paris zurückgekehrt. Und dort saß seine nackte Frau neben einer bleichen, mannsgroßen zitternden Sülze namens Marcel im Bett – und lächelte ihn harmlos an. Frauen lächeln oft ohne Grund, selten jedoch ohne Absicht. Henri übersah dabei, daß in gewissen Situationen Frauen lieber lächeln als in Tränen auszubrechen, um ihre Hilflosigkeit zu überspielen, oder ganz einfach, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Daß Yvonne lächelte, erschien ihm als Beweis dafür, daß sie ihn, Henri, nicht liebte, nie geliebt hatte – die Maske war gefallen, der Dolch saß tief in seinem Herzen. Er begann zu verbluten. So melodramatisch es erschien: Henri nahm das Leben, die Ehefrau und die Liebe ernster, als es gesund für einen Pariser Ehemann ist. Er wußte auf der Stelle, daß es keinen Kompromiß, kein Vergessen gab. Ohne Yvonne – und sie war in diesem Augenblick tot für ihn – verlor auch sein weiteres Dasein jeden Sinn. Doch irgendwie in seinem Unterbewußtsein regte sich der Gedanke, daß er eigentlich verpflichtet war, sich zu äußern, auf die Situation zu reagieren. Ein Stein war ins Wasser geschleudert worden und mußte Kreise ziehen. Henri war kein gebürtiger Pariser. Gewisse Pariser Ehemänner sind es gewohnt, betrogen zu werden. Sie reagieren entweder zornig: «Dirne, schämst du dich nicht?!» Was eine dämliche Frage ist; denn die Scham wurde ja bereits mit dem Hemd abgelegt. Oder sie bleiben Mann-vonWelt, nehmen die überraschende Situation zur Kenntnis und sagen – nein, flüstern, um die Liebenden nicht zu stören: «Ent-
schuldigt meine Taktlosigkeit, Kinder! Ich hätte telefonieren sollen.» – Dann schließt der Pariser Mann-von-Welt leise, behutsam, fast zärtlich die Tür und begibt sich ins nächste Bistro. Um seine Geliebte anzurufen und, wenn deren Gatte zufällig anwesend sein sollte, zu telefonieren. Männer dieser Art haben vor nichts größeren Abscheu, als davor, aus dem seelischen und körperlichen Gleichgewicht gebracht zu werden, darum halten sie stets mehrere Eisen im Feuer. Ihre Nonchalance ist, genau definiert, so eine Art Faulheit, vielleicht auch Feigheit. Sie überspielen das Übel, denken es hinweg – und trösten sich mit einer anderen Frau, um sich an deren Gatten für die eigenen Hörner, die man ihnen aufsetzte, zu rächen. Unlogisch, aber praktisch. Der Engländer reagiert anders. Er sagt «Sony!» und läßt sich scheiden. Vielleicht fällt ihm dabei das Monokel aus dem Auge – auch, wenn er nur bildlich eines trägt. Aber er bewahrt die Fassung, was den typischen Engländer anbetrifft. Der Pole jagt Frau und Liebhaber mit dem gezückten Messer durch das Schlafgemach. Die Frau schlägt ihn mit der Vase (Nachtgeschirr, Nudelholz) nieder. Er rafft sich wieder auf, ersticht den Liebhaber. Die Frau springt aus dem Fenster und denunziert den Gatten bei der politischen Polizei. Dieser flüchtet in den Westen, wird als politischer Flüchtling anerkannt und betätigt sich in Frankfurt am Main als Zuhälter oder in Paris als Taxichauffeur, was meistens dasselbe ist. Der Deutsche schießt. Er ist gründlich. Zuerst erschießt er den Liebhaber seiner Frau. Die Ehre ist wieder hergestellt. Die Gattin weint, verspricht Besserung. Zu spät! Es ist alles verpfuscht. Die Gattin sieht das ein und bittet ihn, sie zu erschießen. Er erschießt sie. Dann erschießt er sich selbst, Ordnung muß sein, nicht ohne zuvor sein Testament gemacht und die Begräbniskosten, einschließlich Liebhaberleiche, beglichen zu haben. Der Amerikaner streckt den Liebhaber seiner Frau mit zwei gut gezielten Boxhieben nieder, schiebt den Kaugummi von einer Backe in die andere und sagt: «Well, das wird you teuer zu stehen kommen, my boy!» – Dann strengt er einen Schadenersatzprozeß an, zahlt dem
Anwalt vierzigtausend Dollar, gewinnt den Prozeß mit einem Reingewinn von fünfunddreißigtausend, reicht die Scheidungsklage ein – die fünfte – und sieht sich nach der sechsten Gattin um, die schon siebenmal verheiratet war. Der Tibetaner findet überhaupt nichts dabei. Die Polyandrie ist in Tibet gesetzlich erlaubt. Jede Frau darf mehrere Männer haben!! – (Interessierte Damen, die nach Tibet auswandern wollen, erkundigen sich tunlichst zuvor nach den dortigen Lebensbedingungen und der politischen Lage.) Um auf Henri Orval zurückzukommen: Er war ein Ehemann ganz besonderer Art und paßte in keine der erwähnten Schablonen. Man kann ihn als Kurzschlußtyp bezeichnen oder einfach als Kind, dem man den liebsten Teddybären fortgenommen hat, den einäugigen. Henri glaubte, Yvonne verloren zu haben; es gab einen Knacks irgendwo tief drinnen in seiner Brust und in seinem Gehirn, dann agierte er nur noch mechanisch, ohne nachzudenken, wie eine Marionette – und das Schicksal zog die Fäden. Wie in tiefe Gedanken versunken, stand er dort in der Schlafzimmertür, als sähe er überhaupt nicht Frau und Liebhaber im Bett. Dann erwachte er aus seiner Erstarrung, machte drei lautlose Schritte, nahm den Nylonstrumpf von der Vase, die neben dem Spiegel stand, und ging still hinaus, ohne ein Wort zu sprechen – wie ein Schlafwandler. Irgendwann fand er sich in einer Telefonzelle wieder; er telefonierte mit seiner Redaktion, mit einer Stimme, die einem unbeteiligten Dritten zu gehören schien. Henri Orval war in diesem Augenblick bereits nicht mehr auf dieser Welt, nur der Journalist lebte noch. «Hier Orval. Bitte, rasch die Aufnahme! – Aufnahme dort? Schreiben Sie…» SPRUNG IN DEN TOD Bekannter Journalist springt aus Liebeskummer vom Eiffelturm. Von unserem Sonderberichterstatter, der Augenzeuge der Tragödie wurde.
Der Nachtredakteur war sehr müde. Er stutzte wohl, als er den Namen des Selbstmörders las, glaubte aber an eine Namensgleichheit, stoppte die Rotation, setzte den sensationellen Bericht auf die erste Seite, gab Imprimatur – und die Rotation spie hunderttausend Extrablätter auf die morgendlichen Straßen von Paris aus. Henri Orval stand auf der unteren Plattform des Eiffelturmes. Als die ersten druckfeuchten Exemplare der Zeitung mit dem Lift heraufgesurrt kamen und der Zeitungsjunge im Restaurant die Meldung von seinem Tode hinausschrie, da drückte Henri Orval den zusammengeballten Nylonstrumpfseiner Gattin an den Mund und atmete noch einmal die Atmosphäre von Glück, Illusion und Sünde. Dann sprang er in die Tiefe.
2. Kapitel Die Geschichte von dem Journalisten, der seiner Gattin nach dem Tode ein großes Vermögen hinterließ, ist eine Zeitungsente. Journalisten gelangen nur zu Reichtum, wenn sie ihren Zeitungsverleger zu Tode ärgern und dessen Witwe heiraten. Yvonne Orval stellte bei Durchsicht ihrer täglichen Post fest, daß ihr verstorbener Gatte ein Genie gewesen sein mußte. Nur geniale Menschen sind imstande, so ungeheuerliche Schulden zu hinterlassen. «Ich bin ein sinkendes Schiff», sagte Yvonne mit der Aufrichtigkeit der Verzweiflung zu ihrem Hausmädchen Nanette. «Schau dir das an, Nette: nichts als Rechnungen… siebzigtausend… achthundertfünfzig… sogar hundertdreißigtausend Francs. Die Begräbniskosten gar nicht gerechnet. Du solltest dich nach einer anderen Stellung umsehen.» An Nanette war alles dunkel: Das Haar, die Augen, die Stimme und selbst das Vorleben. Sie hatte ihrer Herrin zwei Jahre treu gedient, ohne auch nur einmal den Versuch zu unternehmen, mit deren Gatten ins Bett zu gehen. Aus Prinzip, um die gutbezahlte Stellung nicht zu gefährden, na und überhaupt, weil sie Yvonne Orval gut leiden mochte. Mit Marcel war das etwas anderes gewesen. Nanette hatte es wohl bemerkt, daß der Großwildjäger sich zum Treiben auf ihre Herrin anschickte – und war ihm ganz bewußt vor die Flinte gelaufen. Sie hatte sich geopfert, um ärgeres Unheil zu verhüten. Wenn in diesem Zusammenhang von einem Opfer gesprochen werden kann; denn Marcel besaß schon seine Qualitäten. Es hatte sich in der Küche ereignet; eine rasche kleine Liaison zwischen Menü und Nachtisch, einen Tag, bevor Monsieur Orval auf die Reise ging und seine Gattin dem Großwildjäger anvertraute. Die Gastgeber saßen noch bei Tisch und Marcel war in die Küche gekommen, um eine weitere Flasche Wein zu holen.
Nanette hatte nicht viel Mühe mit ihm. Sie ersparte sich und ihm den zeitraubenden Flirt – und ließ einfach den Gürtel fallen, der das Hauskleid an der Seite zusammenhielt. Das Kleid öffnete sich wie versehentlich, und da Nanette darunter nichts anhatte außer den Strümpfen, ergab sich das weitere ganz en passant. Marcel zog gerade den Korken von der Flasche – plupp! da öffnete sich das Kleid. Der Großwildjäger sah, begriff und handelte. «Huch – oh, nein!» konnte sie noch hervorbringen, fand aber nicht mehr die Zeit, auch nur den Versuch anzudeuten, das Kleid wieder schließen zu wollen. Im Handumdrehen hatte er die dunkle Gazelle ergriffen und auf den Tisch gesetzt. Sie strampelte noch ein bißchen pro forma, als er sich zwischen ihre Schenkel drängte. Dann ließ sie sich nach hinten sinken und umklammerte seine Hüften mit den Beinen. Plupp! Das war nicht mehr der Flaschenkorken. Jenseits des Flures, im Speisezimmer, spielte das Radio gerade einen Cha-cha-cha – zum Glück ziemlich laut, geräuschvoll genug, um Nanettes Stöhnen und kleine Lust schreie zu übertönen. Marcel tat es im Rhythmus der Musik… cha-cha-cha… cha-cha-cha… so ergiebig, daß der Tisch immer weiter rückte. «Nicht so wild… Sie tun mir ja weh…» Sie hielt sich mit beiden Händen den Mund zu, bemüht, nur nicht so laut zu stöhnen. Wenn man drüben im Speisezimmer gewahr wurde, was hier geschah – nicht auszudenken! Der Mann stand halb über sie gebeugt, mit Augen wie ein wildes Tier, und wütete gegen ihren jungen Leib. Nanette hätte schreien mögen, so intensiv, so schrecklich schön tat er es, daß sie meinte, die Besinnung zu verlieren. Die Stöße seines strammen Phallus kamen immer rascher und tiefer; das Mädchen empfand es wie eine süße Qual. Er war so stark und lang und dick, fuhr wuchtig hinein – immer wieder –, und ihre enge Vagina schloß sich saugend um den drängenden Pfahl. Das Mädchen warf den Kopf hin und her und wimmerte. Er sah sie vor sich auf dem Tisch liegen, wie ihre spitzen Brüste bei jedem Stoß
wippten und sich mit steigender Ekstase röteten. Ihr Gesicht war heiß und verzerrt. Sie biß sich selbst in die Hand und gab ein schluchzendes Stöhnen von sich; ihre Augen verdrehten sich, und Marcel bearbeitete den zuckenden jungen Leib mit wachsender Gier und Kraft. Sie hatte es ja so gewollt – nun sollte sie es haben, schön ergiebig, denn ihr Leib war so wunderbar eng, so heiß, und zuckte unter seinen Stößen. Marcel legte eine kleine Pause ein. Er hielt sie aufgespießt, spürte in der Tiefe ihres Leibes, wie sich der Born öffnete; sie wand sich in orgastischen Zuckungen, und ihre erstickte Stimme flehte: «Oooh – jetzt! Bitte – lassen Sie es doch – kommen…» Aber er war grausam genug, noch abzuwarten. Nur langsam bewegte er jetzt seinen Pfahl, der immer mehr anschwoll und nahezu kreisrund von der tiefroten, klemmenden Vagina umschlossen war. Ihr Inneres war glühend heiß und feucht; es saugte förmlich an seinem Glied. Er blickte an sich herab und sah zu, wie sein Penis in das enge Fleisch eindrang und hin und her fuhr. Es gab jedes Mal ein glucksendes Geräusch. Wie jung sie noch war! Er packte ihre Schenkel und hob sie empor, ergriff ihre Fußgelenke und tat es jetzt mit immer wachsender Geschwindigkeit. Das Mädchen gluckste und wimmerte. Wenn sie nur nicht laut schreit! dachte er und steigerte die Intensität seiner Stöße. Dann arbeitete er wieder langsamer und genoß den Anblick seines feuchten, geröteten Pfahles, wie dieser in die saugende Enge ihres Leibes eindrang. Das Mädchen war halb besinnungslos vor Lust und Qual. Ein neuer Höhepunkt ergriff sie. Ihr Leib wurde heiß und immer enger – es klemmte ordentlich. Der Mann begann zu keuchen, seine Lust wurde riesengroß, er fühlte das Prickeln, den elektrischen Strom, der den Höhepunkt auslöst. «Ach – haaach – oh, tun Sie – es doch – endlich!» Nanettes Stimme war kaum zu verstehen; sie hielt wieder beide Hände vor den Mund. «Oh, bitte – jetzt! Lassen Sie es doch – kommen! Ich – halte es – nicht mehr – aus. Ich glühe, ich verbrenne!» Und da kam es bei
ihm, so übermächtig wie eine aufspringende Quelle. Es spritzte und spritzte in den zuckenden Leib. «Hach – haaach…» Das Mädchen schrie auf. Er hielt ihr rasch den Mund zu, während es immer wieder erneut spritzte. Marcel trat zurück. Das Mädchen lag noch einen Augenblick lang auf dem Tisch; sie hatte sich zur Seite gedreht und schauderte unter den Nachwirkungen. Wie lang so ein Augenblick sein kann! Dann stieg sie langsam vom Tisch, noch ziemlich verstört ob seiner Manneskraft und ganz erhitzt im Gesicht. Dann war Nanette wieder ganz da. Sie schloß das Kleid, schüttelte sich wie das Hühnchen, das vom Hahn geritten wurde – und lächelte. Marcel stand schon in der Tür, die Weinflasche in der Hand, und grinste gemein. In diesem Moment begriff das Mädchen, wie primitiv doch dieser Bursche war. Für diesen Typ war ihre Brotgeberin einfach zu schade. Nanette empfand nun keine Gewissensbisse mehr. Sie hatte sich geopfert, dachte sie, seinen Appetit gestillt. Konnte sie ahnen, daß Marcel unersättlich war –? «Sie sehen etwas angegriffen aus, Nettchen!» stellte Yvonne Orval fest, als das Mädchen den Nachtisch servierte. «Möchten Sie morgen einen freien Tag?» Die Gute nahm wohl an, daß Nettchen ihre Tage hatte. «Mais non, Madame… aber nein, ich fühle mich ganz gut.» Worauf der Großwildjäger etwas Unsagbares zwischen den Zähnen zermalmte. Es stand ja schon fest, daß Monsieur Orval am nächsten Tag verreisen würde, da paßte es ihm ganz gut, wenn das Mädchen ebenfalls außer Hause sein würde. Nanette beschloß, ihm diesen Nachtisch zu versalzen. Leider blieb es bei dem Vorsatz. Am nächsten Abend – Monsieur war abgereist und seine Gattin saß noch mit dem Gast plaudernd im Salon (bei Champagner, hört, hört!) – war Nanette noch fest entschlossen, den Helfer in der Not zu spielen und immer dann im Salon aufzutauchen, wenn Madame den Verführungskünsten Marcels zu erliegen drohte. Es gab so viele Vorwände, plötzlich hereinzuplatzen – als guter Geist und um Yvonne Orval die Mühe zu
ersparen, den Gast ohrfeigen zu müssen, wenn er sich etwa zu weit vorwagte. Nanette hatte gar mit dem Gedanken gespielt, dem lüsternen Kerl ein rasch wirkendes Schlafmittel ins Champagnerglas zu geben. Doch Madame schickte das Mädchen einfach schlafen, ganz gegen die Regel und nahezu selbstmörderisch. «Wir brauchen Sie heute nicht mehr, Nette – gute Nacht!» Dagegen gab es kein Auflehnen und keine Tricks mehr. Nanette ging schlafen, zog die Decke über den Kopf und vergoß ein paar Tränen, nicht aus Eifersucht, vielmehr weil ihr die Hausherrin leid tat – sie war viel zu zart und gebildet für diesen Bock namens Marcel. Mit diesem Gedanken schlief sie ein; und als Nanette am nächsten Morgen erwachte, war das Unheil schon geschehen und hatte der Journalist Henri Orval bereits ausgelitten… Sechs Wochen später, Monsieur war schon begraben, saßen Yvonne Orval und das Mädchen also beisammen. Madame sortierte unbezahlte Rechnungen, wie man eine Katastrophe neben die andere legt. «Wir sind am Ende, Nette – besser, ich sage es dir gleich.» Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte Henri wirklich geliebt und trauerte um ihn, aber die drängenden Schulden kamen wie ein Verhängnis auf sie zu und überfluteten noch die Selbstvorwürfe. Die Existenzangst wurde übermächtig. «Was soll ich nur tun? In der Gesellschaft werde ich geschnitten, seit mein Mann tot ist. Was bin ich? Was kann ich? Wie soll ich mich behaupten? Ich habe nichts gelernt, außer schön zu sein…» Es war leicht untertrieben. Nanette seufzte etwas und weinte auch ein paar Tränen. Sie streichelte Yvonnes Hand und zwang sich zu einem ermunternden Lächeln. «Wer hat heutzutage keine Schulden, Madame?» Von der Schuld redete sie lieber nicht. Hierüber machte sich Yvonne
zweifellos selbst ihre Gedanken. «Ein Mensch von Welt muß einfach Schulden haben; er wäre sonst nicht standesgemäß!» Die Worte standen unangenehm banal im Raum. Nanette fühlte es und fügte rasch hinzu: «Ich werde für Sie arbeiten gehen. Irgend etwas wird sich schon finden, on verra! Zudem habe ich einen festen Freund, der bei der Banque Lyonais beschäftigt ist. Er könnte einen Griff in die Kasse tun.» Sie meinte es wirklich so. Yvonne war vorübergehend sprachlos. «Aber, Nette! Dann wird er doch eingesperrt, was für ein Unsinn…» «Nun, nun – sollen wir vielleicht verhungern?» Die schwarzen Augen des Mädchens funkelten. «Außerdem gefällt mir mein Freund gar nicht mehr; er ist immer unrasiert und pflegt sich viel zuwenig. Mir wird immer übel, wenn er mich – also, wenn er mich küßt. Sollen sie ihn doch einsperren, dann bin ich ihn los, ihn und seine Eifersucht.» Ihre Stimme wurde ganz leise. «Für Sie würde ich alles tun, Madame. Ins Bordell würde ich gehen, gäbe es keinen anderen Weg. Sie haben mir damals geholfen, als meine Mutter operiert werden mußte und kein Geld da war. Jetzt will ich Ihnen helfen und – bleibe bei Ihnen!» Nanettes Tränen waren so echt und ihre Opferbereitschaft so umwerfend, daß Madame darüber fast ihren Kummer vergaß. Nein, das Mädchen hatte recht – sie wollte nicht kapitulieren, nicht vor den Schulden und erst recht nicht vor der brüchigen Moral jenes Personenkreises, die bessere Gesellschaft genannt. Für die Hautevolee ist ein Ehebruch nicht existent und darum verzeihbar, sofern er nicht an die Öffentlichkeit dringt und zum Skandal wird. Doch der Skandal war durch den Freitod Henris nunmehr perfekt und nicht auszuradieren, noch zumal der Journalist mit Pauken und Trompeten abgetreten war von dieser Welt. Die Nachricht von seinem Tode hatte ja schon in den Extrablättern gestanden, noch ehe er vom Turm gesprungen war. Eine journalistische Höchstleistung – und zum Weinen…
Yvonne wurde jetzt ganz ruhig. Sie wunderte sich über sich selbst, wie entschlossen und kaltblütig sie sein konnte. Man mußte zunächst einmal der Zukunft und damit den Gläubigern ins Auge sehen. Die spontane Hilfsbereitschaft des Mädchens rührte sie und festigte in ihr den Entschluß, die Dinge nunmehr selbst und ganz zielbewußt in die Hand zu nehmen. Was sollte, was konnte sie unternehmen? Die Gläubiger um Aufschub bitten? Natürlich, das war ein Weg, aber eben nur ein Aufschub. Die Bereitschaft Nanettes, gar ihre Tugend zu opfern, um ihr zu helfen, brachte Yvonne auf den Gedanken, den einzigen Besitz, den sie hatte, auf die Waage zu legen – ihre Schönheit. «Nanette, wir brauchen die Banque Lyonais nicht in Anspruch zu nehmen. Ich habe eine Idee. Du bist neunzehn Jahre alt und ich immerhin schon einundzwanzig. Da ich die Ältere bin, führe ich das Kommando. Sei still! Wir begründen jetzt einen Geheimbund mit dem Ziel, Gläubiger in Männer zu verwandeln, einfach in Männer sie zu verhexen und, wenn wir sie ganz um den Verstand gebracht haben, was eine Kleinigkeit sein wird, auszuplündern wie weiland Robin Hood. Sie sollen uns das Geld, das wir ihnen schulden, freiwillig zahlen – doppelt und zehnfach!» Nanette saß mit offenem Munde und großen Augen da. «Mon Dieu – Madame!! Wie Sie das so sagen… Ich weiß nicht recht. Also, nein. Doch nicht – Sie! Sie sind zu gut dafür. Dafür – nicht wahr?» «Kindchen, es kommt nur auf die Perspektive an. Erinnerst du dich an Madame Barlaine? Sie war vierundzwanzig, eine Schönheit, als sie das glatzköpfige, ekelhafte Scheusal Barlaine zum Traualtar schleppte. Der Mann war dreißig Jahre älter. Sie hat… » «Sein Bankkonto geheiratet», ergänzte Nanette. «Und sich vermutlich in der Hochzeitsnacht mehrmals erbrochen. Sie tauschte ihre Schönheit gegen seinen Reichtum.» «Du sagst es. Nun die Perspektive: Wenn Damen der Guten Gesellschaft ihren Körper auf Lebenszeit – des viel älteren Gatten, versteht sich – verkaufen, so nennt man das eine standesgemäße Heirat. Das ist ganz legal und ohne jeden Tadel. Wenn
jedoch eine lebenslustige junge Frau unbezahlt einen kleinen Seitensprung macht, noch zumal mit so schlimmen Folgen» – Yvonne tat einen tiefen Atemzug, hatte sich aber sogleich wieder gefangen –, «dann, Nette, ist sie eine Dirne. Dieses Wort hat Madame Barlaine mir nämlich zugezischt, kürzlich, als wir uns auf der Straße begegneten. Nun gut! Die Barlaine hat sich nicht verschenkt, sondern sehr günstig verkauft. Pro forma, mit standesamtlicher Beglaubigung. Aber ich denke nicht daran, mich in eine derart lebenslängliche Einzelhaft zu einem ungeliebten Mann zu begeben. Wir zwei, Nanette, sind klug und schön. Das sind die stärksten Waffen einer Frau im Kampf um die Existenz. Diese Waffen werden wir nunmehr einsetzen und du wirst mir dabei assistieren, das heißt, wenn du bei mir bleiben willst.» Nanette hatte ganz glänzende Augen, ja, es funkelte förmlich in ihnen. «Madame – » «Wir sind Freundinnen und Verschworene, Chérie, Geschäftspartner außerdem. Vergiß also die Madame, wenn wir unter uns sind. Nun gleich zur Sache: Da wären erst einmal die Gläubiger. Rund gerechnet, handelt es sich um zweimal hunderttausend Francs, eine Schuld, welche wir durch einige charmante kleine Kunstgriffe tilgen und darüber hinaus in ein ansehnliches Anfangskapital für uns verwandeln werden. Dazu bedarf es sorgfältiger Überlegung und Planung – Logistik, wie die Militärs sagen.» Yvonne Orval war ganz bei der Sache. Ihre Betriebsamkeit täuschte Nanette nicht darüber hinweg, was wirklich in ihr vorging. Tatsächlich hatte Yvonne wochenlang mit dem Gedanken gespielt, ihrem Gatten in den Tod zu folgen. Dieser Gedanke wurde vertieft durch die gesellschaftliche Ächtung, der sie ausgesetzt war, und natürlich durch das Verhalten gewisser Gläubiger, die zum Beileidsbesuch antraten – und gute bare Münze meinten, nämlich den Betrag, den ihnen der Verstorbene schuldete. Natürlich kamen gewisse Herren nur ganz unabsichtlich und nebenbei darauf zu sprechen: «Machen Sie sich keine Sorgen, meine Gnädigste. Ich wäre der letzte, der… und so weiter… aber die Zeiten sind schlecht und zum Unglück habe ich da eine Investition
gemacht… Dennoch – seien Sie ganz ruhig. Ihr Gatte war mein Freund. Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann? Sie sollten verreisen, um auf andere Gedanken zu kommen. Wie wäre es mit Ende der Woche? Ich weiß da ein wunderbares, kleines Hotel in Nizza…» Fast ausnahmslos alle hatten das Bedürfnis, die schöne junge Witwe des verstorbenen «besten Freundes» zu trösten. Yvonne haßte sie, wie nur eine Frau hassen kann. Der Gedanke, sich an dem einen oder anderen zu rächen, hielt sie aufrecht, gab ihr die Kraft, weiter durchzuhalten und den Kampf aufzunehmen, damit das Verhängnis und damit jene nicht die Oberhand behielten. Es soll nicht verschwiegen werden, daß Yvonne den Keim der Sünde in sich trug – eine ungewisse, namenlose und nicht definierbare innere Spannung, deren magnetische Gewalt zur Entladung und zur Erfüllung drängt. Yvonne Orval war zur Kokotte geboren – «Hühnchen», sagen die Franzosen herablassend, ohne sich die Mühe zu geben, das Warum näher zu untersuchen. Pourquoi donc –? Warum darüber nachdenken, weshalb eine Frau sich prostituiert. Vielleicht aus Faulheit, weil das die einfachste Art des Geldverdienens ist oder weil sie heiß ist; es kommt nicht darauf an, Hauptsache, sie ist willig und gut im Bett, dann will man sich’s auch etwas kosten lassen… Man wird sehen, daß Yvonne Orval nicht gedachte, das Hühnchen zu spielen. Sie wollte nicht wie kürzlich Nanette vom Tisch steigen und sich schütteln. Nein, die Herren der Schöpfung sollten sich schütteln, so ergiebig und lange, bis der letzte Tausender aus ihrer Brieftasche geflattert war. Und dann wollte Yvonne sie auf den Abfall werfen. Es geht hier nicht darum, Yvonnes gewiß verwerfliche Denkund Handlungsweise zu begründen, oder gar zu glorifizieren. Nur dies sei festgestellt: Yvonne besaß ein ungewöhnliches Format; sie wurde zur Kokotte von hundert Karat…
3. Kapitel Wenn ein Schiff sinkt, so eilen viele andere Schiffe herbei, erstens, um den Untergang für die Tageszeitungen zu fotografieren, und zweitens, um die Passagiere zu retten. Wenn eine Frau fällt – erst umsinkt, und dann als gefallene Frau gilt –, dann stürzen die Männer herbei, jedoch nicht, um ihr aufzuhelfen. Yvonne half sich selbst. Und weil die ersten Herren, die ihr begegneten, unschönerweise die Gläubiger ihres Gatten waren, brachte sie das Kunststück, Schulden in Kapital zu verwandeln, auf den einfachsten Nenner. Sie machte keine Umschweife und ging direkt auf das Ziel, auf das Bett, zu. Mitunter sind kleine Umwege nötig, um rascher zu einem Ergebnis zu gelangen. So befand sich die Dame des Hauses grundsätzlich im Bad und erschien im Morgenrock, mit nichts darunter, wenn Nanette, die sich ganz vorzüglich in ihre neue Rolle als Mitverschworene einspielte, einen neuen Besucher meldete. Klingelte es an der Wohnungstür, so konnte es sich mit Gewißheit nur um einen Gläubiger handeln. Denn der Milchmann war schon durch und kein anderes männliches Wesen interessierte sich derzeit für die junge Witwe. Die Gespräche und Ereignisse spielten sich, mit geringfügigen Unterschieden und Nuancen, nahezu immer auf die gleiche Art und Weise ab: Besucher: Verehrte, gnädige Frau, – tief bestürzt habe ich vernommen… ich bin erschüttert (teile Ihre Trauer; bin völlig außer Fassung)… Bitte, nehmen Sie mein aufrichtiges Mitgefühl entgegen… Yvonne: Nehmen Sie bitte Platz. Wir wollen gleich zur Sache kommen, wenn es recht ist: Wie hoch beläuft sich Ihr Mitgefühl? Bitte, in Zahlen. Besucher: Aber, ich bitte Sie! (Der Besucher ist leicht irritiert, weil die bildschöne junge Frau die Beine übereinandergeschlagen hat; das Morgenkleid hat sich dabei bis zu einer genau berechne-
ten Grenze geöffnet. Nun ja, nur keinen Vorschuß geben.) – Gnädige Frau, ich versichere Ihnen, daß der Grund meines Besuches… Yvonne: Die Versicherung zahlt leider nicht wegen der Selbstmordklausel. (Dazu rasch das Taschentuch und eine zerdrückte Träne.) Was kann ich nur tun, eine hilflose Frau, um Sie zu befriedigen? (Das Wort «befriedigen» steht im Raum, kreist um die Hosenbeine des Besuchers, schlüpft hinein, steigt kribbelnd höher und ergreift ihn dort, wo er am kitzligsten ist. Gleichzeitig gleitet die dünne Seide des Morgenrockes noch ein wenig weiter auseinander. – Du meine Güte, sie hat ja gar nichts an!) Besucher: Ja… also… (Die Gedanken des Mannes laufen bereits wie irre, kleine Mäuse durcheinander. Donnerwetter, sind das Beine. Er zwingt sich, nicht hinzusehen, und sieht doch hin. Himmeldonnerwetter!) – Also, was ich sagen wollte… (Sie hat ihn an der Angel. Eigentlich sieht er ganz gut aus. Man sollte ihn nicht allzu hart bestrafen.) Yvonne: Darf ich ganz offen sprechen? Ich möchte nicht, daß hartherzige Gläubiger am Grabe meines Gatten weinen. Sie sehen aber gar nicht hartherzig aus, Monsieur, eher ganz nett, finde ich. (Der Besucher lächelt verlegen und wächst um einige Zentimeter. Er findet sich auch ganz nett.) – Nun, sehen Sie, mein Lieber, das einzige Kapital, das ich besitze, bin ich selbst. Das ist nicht viel. Besucher: Oh, doch… sehr viel! Sie sind wunderbar schön. Ich verehre Sie seit langem… (Er räuspert sich, befürchtet, zu weit gegangen zu sein)… Oh, verzeihen Sie mir! Yvonne: Ich verzeihe. Und weil Sie bereit sind, auf Ihre Forderung zu verzichten… (Sie erhebt sich rasch, geht auf die Schlafzimmertür zu, wendet sich lächelnd um und bemerkt gerade noch, wie Monsieur den unerwartet harten Bissen kaut und hinunterschluckt)… will ich Sie belohnen, Monsieur! (Monsieur hat Augen wie ein Kind, das den Weihnachtsbaum sieht; denn Yvonne steht in ihrer ganzen, nackten, mädchenhaften Schönheit da. Sie hat den Morgenrock fallen gelassen. Monsieur erhebt sich wie im Traum, schlafwandelt vorwärts… die
Tür… das Bett… die schlanken Schenkel… der süße Leib… die Wonne ohne Reue.) Als Monsieur sehr spät heimkehrte, fand ihn seine Gattin irgendwie, jedenfalls zum Vorteil, verändert. «Du wirkst heute so frisch, Monpti, so erleichtert. Hattest du einen guten Tag?» Das konnte man wohl sagen. Und ganz gewiß war Monpti außerordentlich erleichtert. (Um achtzigtausend Francs, seine Gläubigerforderung eingerechnet.) Am nächsten Morgen saßen Yvonne und Nanette bei Ei, Toast und Frühstückskaffee. Sie hielten Lagebesprechung. Einer der hartnäckigsten Gläubiger, ein mieser alter Kerl namens Dubois, war der Morgenrock-Falle entronnen und hatte den bereits erwirkten Pfandungsbeschluß nicht zurückgenommen. Der Bechstein-Flügel wurde gerade hinausgetragen. (Nach dem Sarg wird immer der Bechstein-Flügel hinausgetragen.) Nanette blickte seufzend dem schönen Instrument nach; sie begriff die Welt und die Männer nicht mehr. «Dieser Dubois muß blind oder impotent sein», versuchte sie eine Erklärung. «Rien ne vas plus, n’est-ce pas – nichts geht mehr bei ihm?» Das Mädchen war es gewöhnt, die Dinge auf den einfachsten Nenner zu bringen. In Denkweise, Intimwelt und Sprache befand sich Nanette noch im Stadium der Entwicklungsländer. Sie bevorzugte eine Lektüre, die den natürlichsten Vorgang zwischen Mann und Frau durch Aneinanderreihung vulgärer Allgemeinplätze entheiligt, ihm jede Illusion und jeden echten Reiz nimmt. «Er steckte seinen (Dings) machtvoll in ihre (Dings) und begann schnaufend zu (dingsen)…» Insofern bedurfte es noch einiger Mühe, die kleine schwarzgelockte Hexe das große Einmaleins der Liebe zu lehren, die besonderen Umgangsformen und Praktiken, welche die große Kurtisane auszeichnen. Auch Yvonne war Anfängerin auf diesem Gebiet, von den im Ehebett erlernbaren Nuancen abgesehen, tat jedoch rein instinktiv das Wesentliche und Erreichbare. Es war ihr in die Wiege gelegt. –
Sie hatte gar nicht versucht, Monsieur Dubois um seinen mikkerigen Verstand zu bringen. Und hätte sich die Schuld auf eine Million belaufen, so wäre sie nicht imstande gewesen, sich dem hageren, glatzköpfigen Scheusal, dem das Haar in verkehrter Richtung zum Kinn hinaus gewachsen war, so ganz en passant hinzugeben. Das wußte Nanette nicht. «Kindchen, dieser Dubois ist nicht impotent; er ist primitiv. Ich mag keine primitiven Männer. Sie hantieren mit dir herum wie Metzgergesellen mit einem Stück Fleisch, ohne dir dabei in das Gesicht zu sehen. Du wirst gewendet, von vorn und hinten geklopft, gesalzen und in kleine Stücke zerhackt. Man hat keinen Genuß; es wird einem übel dabei. Und dann drücken sie sich um die Bezahlung!» Nanette war eine gute Schülerin, sie paßte sich ihrer Herrin instinktiv an und machte jeden Tag Fortschritte. Yvonne Orval, das gewahrte sie wohl, beherrschte das Abc, welches die Dame von der Frau unterscheidet. Die Unterschiede sind geringfügig, eigentlich nicht vorhanden, was die Unterwelt der Sinne anbelangt, nur etwas nuancierter, um nicht zu sagen, anspruchsvoller… Sie plauderten noch miteinander (die Möbelpacker und der Bechstein-Flügel hatten sich in Luft aufgelöst), als die Klingel ging. «Er ist da!» meldete das Mädchen mit einem Tonfall, als wäre die Pest ausgebrochen, so unmißverständlich, daß Madame Orval sogleich begriff, um wen es sich handelte. Der Großwildjäger hatte seine Beute aufgesucht, um die Mahlzeit fortzusetzen. Yvonne empfand es wie eine Beleidigung. Durch den Skandal hatte Marcel seine Anstellung bei der Zeitung verloren (selbst Herausgeber und Zeitungsverleger leisten sich gelegentlich die Extravaganz, eine Moral zu vertreten, die unabhängig von der Auflageziffer ihres Blattes ist) –, und da er vorübergehend beruflich nicht in Anspruch genommen wurde, gedachte er, Yvonne in Anspruch zu nehmen. Ehebrecher, die ihren besten Freund ins Grab gebrochen haben, besitzen oft ein unausstehliches Beharrungsvermögen. Ihn loszuwerden, dazu
bedurfte es jedoch keiner Auseinandersetzung, nur zweier magischer Worte. Im Salon kam Marcel mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. «Vergib mir, Chérie! Ich wollte eher kommen. Doch, nicht wahr, die Wogen mußten sich glätten.» – Wie geschwollen er redete. Seine nächsten Worte hätte sie selbst hersagen können. Er machte Augen wie ein liebenswürdiges Krokodil: «Ich liebe dich! Vergiß, was gewesen ist. Wir wollen neu beginnen!» – Der Schmierenkomödiant! Noch einmal von vorn? Nun wurde er tragisch: «Meine Liebe gibt mir ein Recht auf dich…» Er meinte den Körper, der Faun. «Ich verzehre mich vor Eifersucht. Du hast dich Jules Talbot hingegeben, diesem Kreuzungsprodukt aus einem Gentleman und einer Kanalratte! Ja, ich habe dir nachspioniert, weil ohne dich…» Na, und so weiter. Er wußte es also schon, um so besser. Yvonne ließ ihn erst einmal reden. – «Und du bist, last but not least, mit Jean Bernard, dem Ahnherr einer Generationskette von menschlichen Ekeln, nach Nizza gefahren…» Er hatte sich weggeschrien und mußte erst einmal Atem schöpfen. Die kleine Pause gedachte Yvonne auszunutzen, um das Geschütz zu laden. Zwei Granaten nur galt es abzufeuern, zwei inhaltsvolle Worte zu äußern, um dieses Schiff zum Sinken zu bringen. Sie tat es mit Genuß. «Cher Marcel – oh, Marcel!» hauchte sie. «Ich bin so froh, dich zu sehen. Ja, wir wollen neu beginnen.» Yvonne konnte auf Kommando weinen. Aus tränenverschleierten Augen nahm sie Visier. Dann feuerte sie die beiden kleinen Worte ab, die Dumdumgeschossen glichen: «Oh, Marcel – heirate mich!» Das war mitten in den Unterleib getroffen. Marcel krümmte sich förmlich. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. «Wie?» sagte er, hoffte wohl, sich verhört zu haben. «Was… meinst… du…?» «Heirate mich!» wiederholte Yvonne mit schöner Selbstverständlichkeit. «Für einen Ehrenmann gibt es doch wohl nur diese eine Lösung. Bist du ein Ehrenmann?» Marcel stand wie vom
Donner gerührt. Sein Gesichtsausdruck entsprach demjenigen eines Mannes, der auf dem Maskenball den ganzen Abend mit einer bezaubernden Jungfrau zu tanzen meinte. Die Kapelle spielt einen Tusch, die Maske ist gefallen – und nun gewahrt er vor sich das runzelige Antlitz einer häßlichen, zahnlosen Alten… «Es ist doch ganz natürlich: Du mußt mich heiraten!» Yvonne lächelte harmlos und erwartungsvoll. «Du mußt!» Der Donner rührte ihn noch immer. (Ich bin ein Ehrenmann; ich muß. Genaugenommen, mußte er auf die Toilette. Der Schrecken war ihm in die Blase gefahren.) Bin ich ein Ehrenmann? – Marcel trat in Gedanken etwas beiseite, betrachtete sich selbst gründlich und kritisch und gelangte zu der Auffassung, doch eigentlich kein Gentleman zu sein. Für einen würdevollen Abgang gab es keine passenden Worte. Der Großwildjäger nahm seinen Hut und ging, ohne eine weitere Bemerkung zu machen, dermaßen verstört, daß er dabei einen Stuhl umrannte und strauchelnd einige Schritte seitwärts tat. Yvonne war so boshaft, in ein lautes, herzergreifendes Schluchzen auszubrechen. «Oh – du – Schwein!» Marcel begann zu laufen. «Lump, Betrüger, Ehebrecher –!!» Er war so verstört, daß er die Treppe hinunterfiel und auf einem Bein heimwärts hinken mußte.
4. Kapitel Als Salvador Dali, einer der größten Maler der Gegenwart, in die Pariser Akademie der schönen Künste aufgenommen wurde, stieg er – das ist verbürgt – auf das Podium und betrachtete nachdenklich die illustre, würdevolle Gesellschaft, die sich da zu seinen Ehren versammelt hatte. Erwartungsvolles Schweigen herrschte im Kuppelsaal des ehrwürdigen «Institut de France». Der Spanier sollte eine Rede halten, die der Würde des Augenblicks und der Umgebung angemessen war. Salvador zwirbelte seinen berühmten, in Locken gedrehten Schnurrbart und begann zu sprechen. Entsetzt hielt die Versammlung den Atem an; denn der Künstler – für seine skurrilen Einfälle berüchtigt – kam sehr rasch vom Thema ab und begann, wahrhaftig, über die geheimnisvolle Macht von weiblichen Schamhaaren zu meditieren. Die Zuhörer, Damen und Herren der First Class, saßen wie angenagelt. Niemand verzog das Gesicht, niemand ging; es war auch kein Lachen zu vernehmen. Alle hielten den Atem an, bis man blau im Gesicht wurde. Dieses Blau liebte Salvador Dali; es gehörte zu seinen Lieblingsfarben. Der Tonfall seiner Rede war von einem weihevollen Ernst. Man mußte zweimal hinhören, um zu begreifen, wovon dieser Till Eulenspiegel der Atomzeit sprach… Man begriff die Kampfansage und ging über sie hinweg, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Salvador war nun einmal ein berühmter Mann und begnadeter Künstler. Man verzieh ihm seinen Fauxpas mit leichter Hand und applaudierte ihm gar in würdevollen Grenzen. Die nämliche Gesellschaft, Creme de la Creme, zerriß die Sünderin Yvonne Orval, bisher als Gleiche unter Gleichen anerkannt, bedenkenlos in kleine Schnitzel, als die Ursache für den Freitod ihres Gatten ruchbar wurde. Diese Frau! hieß es jetzt und nicht: Diese Dame… Die gleichen Damen, denen nicht einmal das Strumpfband riß, als der spanische Maler
sie faktisch in aller Öffentlichkeit entblößte («Der Venushügel der Frau ist die intensivste und bewegendste magische Kraft der Weltgeschichte, mesdames…»); sie zögerten keinen Augenblick, Yvonne Orval als Dirne einzuordnen. Eine Ausnahme unter allen männlichen und weiblichen Vertretern der guten Gesellschaft ihres engeren Kreises bildete nur Jean Marquis de Bernard. Marcel sah in dem Marquis den Nebenbuhler; es entsprach seiner minderwertigen Gesinnung, den echten Kavalier der alten Schule als «Ahnherren einer Generationskette menschlicher Ekel» herabzustufen. Um sich für den erhaltenen «Korb», wie er es auffaßte, zu rächen, nutzte Marcel jede Gelegenheit, Yvonnes ohnehin lädierten Ruf gänzlich zu vernichten. Er begann damit, gehässige Gerüchte in Umlauf zu setzen, in schummerigen Nachtbars fand er interessante Ohren: «Ich weiß da ein rassiges Weib, ein Callgirl von Format. Wollen Sie die Adresse? Keine Dirne, bewahre. Sie sucht sich ihre Kavaliere selbst aus und drängt nicht auf Bezahlung. Eine Kokotte première classe ist sie. Aber, man muß schon tief in die Tasche greifen. Natürlich setzt sie voraus, daß der jeweils Auserwählte es ihr ermöglicht, einen luxuriösen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Mit einem gelegentlichen Pelzmantel ist es da nicht getan…» Anläßlich solcher Bargespräche versäumte es Marcel nicht, den einzigen echten Freund, den Yvonne in diesen Tagen besaß – den Marquis de Bernard –, als sonderbaren Lebegreis mit abnormen Sexualgelüsten einzustufen. «Früher tat er es nur mit Minderjährigen, der alte Knacker. Seit die kleine Hexe Yvonne ihn zwischen den Schenkeln hat, blüht dieser degenerierte Snob förmlich auf. Sie hat ihn das ParforceReiten gelehrt…» Marcel war gegangen worden und sang nun schmutzige Lieder ab. Es fehlte nicht an gut situierten Dummköpfen, denen Marcels farbige Schilderungen Honig im Ohr waren. So erreichte der abgewiesene Liebhaber merkwürdigerweise das Gegenteil von dem, was er bezweckte: Bisher hatte Yvonne Orval als unglückliches Dummchen gegolten, eben als gefallene Frau, mit einem Makel belastet. Nun aber, mit dem Odium der
sündigen Frau versehen, einer Priesterin der Liebe, befand sie sich auf einmal im Mittelpunkt des Interesses vieler jüngerer und älterer Herren der besten Gesellschaft. Man suchte Kontakt mit ihr, telefonierte unter den merkwürdigsten Vorwänden – nur um ihre Stimme zu hören, diese süße, sündige Stimme (wobei Phantasie und Wirklichkeit sich miteinander verwoben). Erst auf Umwegen erfuhr Yvonne die Ursache für ihre plötzliche, unerwartet starke Ausstrahlung auf die Männerwelt. Sie telefonierte mit Marquis de Bernard und dieser machte sich sofort auf den Weg, ein Exempel zu statuieren. Jean de Bernard, Endvierziger, ein vorzüglicher Reiter und trainierter Sportsmann, schickte nicht seinen Sekundanten. Zum direkten Gespräch entsendet man keinen Stellvertreter. Was der Marquis darunter verstand, das sollte Marcel zu seiner Verblüffung und seinem Leidwesen noch an diesem Abend erfahren… Marcel bewohnte jetzt ein kleines Appartement am Place de la Concorde und hatte an diesem Abend Damenbesuch, sozusagen; denn man kann ein Ruf-mich-an-Mädchen nicht gut eine Dame nennen. Der Lift hielt gerade im fünften Stockwerk, als der Marquis noch rechtzeitig die mürrische alte Frau gewahrte, die gerade Marcels Wohnungstür hinter sich schließen wollte. «Das trifft sich gut, Madame! Mein Freund Marcel erwartet mich. Sie können mir die Schlüssel geben.» Madame kam dreimal die Woche, um des Journalisten Küche aufzuräumen und Wäsche abzuholen. Sie sah vor sich einen ausgesprochen distinguierten Herrn, einen Herrn, und zweifelte keinen Augenblick, daß es seine Richtigkeit hatte. Die Schlüssel wechselten den Besitzer. Kopfschüttelnd schlurfte die Alte zum Fahrstuhl hin, blickte sich noch einmal mißbilligend um. – Tsss, tsss, was sind das heutzutage für Sitten! Die wollen es doch nicht etwa zu zweit mit der Kleinen tun –? So gelangte Jean de Bernard in die Wohnung. In der Diele brannte noch Licht. Die Tür zum Salon stand offen. Dort hielt sich niemand auf. Eine andere, nur angelehnte Tür
schien ins Schlafzimmer zu führen – ja, natürlich, das Schlafzimmer! Da stöhnte jemand; ein Mädchen stöhnte – und da war auch noch ein Schnaufen. Im Bett mit dem Mädchen mußte ein Nilpferd sein, und das Bett knarrte rhythmisch. Nur ordinäre oder stark verschnupfte Männer schnaufen, wenn sie eine Frau beglücken. Nur ordinäre Betten knarren. Der Marquis zündete sich eine Zigarette an und beschloß zu warten. Es hätte ihm Übelkeit bereitet, den Wurm, den zu zertreten er gekommen war, auch noch in Aktion zu sehen. Ooooooh! tönte es von nebenan, und: Aaaaaah… hach… haaaach… Oh, ja… oooh, jaaa… Oh, nein! Jean de Bernard fand die gespielte Sinnenfreude des Mädchens übertrieben, wenn auch gekonnt. Die Süße verstand sich auf ihr Fach. Aber, so gut konnte der Kerl, der einem Nebenbuhler anormale sexuelle Eigenschaften nachsagte, gar nicht im Bett sein, wenn er dabei röchelte und schnaufte wie eine Lokomotive, die den ganzen Bahnhof mit sich ziehen will. Vielleicht hatte er eine Zweizentner-Dame im Bett? Das konnte nicht sein; denn das helle Stimmchen, das da vor Lust schluchzend stöhnte, schien eher einem ganz jungen Mädchen zu gehören. Was tat er, wie, mit der Kleinen? Jean de Bernard war nicht neugierig darauf, doch er wollte auch nicht unnötig Zeit verlieren. Es dauerte ihm einfach zu lange, und dieses «Oooh» und «Aaah» ging ihm allmählich auf die Nerven. Kurz entschlossen öffnete er die Tür und trat ein. Die beiden Sex-Aktionäre wurden seiner gar nicht gewahr; sie waren zu vertieft in ihre Beschäftigung. Nur eine kleine Leselampe brannte über dem Bett, einer breiten französischen Liege ohne Fußwand, so daß der grimmige Besucher ganz genau erkennen konnte, was sich da vor ihm abspielte. Nicht Marcel tat es mit dem Mädchen, umgekehrt, die Kleine tat es mit ihm. Das war nicht neu, hatte aber seinen Reiz, was das Mädchen anbetraf; denn sie tat es ganz vorzüglich.
Der Mann lag rücklings mit geschlossenen Beinen im Bett, das stramme Etwas aufgerichtet, und das nackte Mädchen war mit gespreizten Schenkeln über ihm und ruderte wild mit den Armen in der Luft, während sie sich rhythmisch auf und ab bewegte. Ooooh… aaaah… haaaach! Man konnte es nicht mehr hören; es ging einem selbst durch Mark und Leib. Das erhitzte Gesicht zur Wand gewendet, konnte das Mädchen den Eindringling nicht sehen und machte darum ahnungslos und mit wachsender Ekstase weiter. Marcel selbst, den nackten Mädchenkörper mit den schwingenden Brüsten zwischen sich und der Tür, blieb ebenso ahnungslos. Manch anderer Besucher hätte vielleicht erst einmal zugesehen; vielleicht konnte man noch etwas lernen? Doch Jean de Bernard zögerte aus einem anderen Grunde, den Jubelritt zu unterbrechen. Jeder weiß, daß eine Frau, wenn sie sich dem Höhepunkt der Ekstase nähert und die Erfüllung ausbleibt, anschließend dann wie krank ist. Ja, sie empfindet richtigen, dunklen Schmerz, ein ungutes, marodes Gefühl, das noch Tage anhalten kann. So zornig Jean auch war: Das Mädchen konnte ja nichts dafür, daß der Mistkerl Marcel ausgerechnet ihre Telefonnummer hatte. Das nackte Gesäß des Mädchens hob und senkte sich nun immer rascher. Sie hielt den Kopf jetzt nach hinten geworfen; das aufgelöste blonde Haar fiel über den schlanken Rücken herab und züngelte wie von kleinen blonden Flammen. Sie blickte zur Zimmerdecke empor, als flehe sie Venus, die Göttin der Liebe, an, den Springbrunnen doch endlich in Tätigkeit zu setzen. Das nackte Gesäß des Mädchens hob und senkte sich immer langsamer. Die süße Kleine war erschöpft und hielt inne; sie mußte erst einmal verpusten. Sie lag über ihm, noch immer tief aufgespießt, und wimmerte. «Es dauert – so lange – hach, ich bin ganz – außer Atem. Oh, bitte, wann krieg’ ich’s denn endlich…» Doch Marcel hatte noch immer nicht genug. «Stell’ dich nicht so an», keuchte er. «Los, los – weiter –!» Das Mädchen richtete sich seufzend auf, den strammen Pfahl tief in
sich, und begann erneut zu wippen. Zwischen ihren gespreizten Schenkeln war die enge, gedehnte Pforte zu erkennen, worin der feucht glitzernde, harte dicke Penis auf und ab fuhr. Das stramme Glied verschwand im Rhythmus des Galopps – wurde wieder sichtbar –, drang erneut ein in die Tiefe des zuckenden Leibes. Auf und ab – es war ein erregendes Spiel. Der Betrachter schätzte das Mädchen auf höchstens achtzehn Jahre. Sie war sehr schlank und zierlich – keine Anfängerin, ganz gewiß aber viel zu jung und zart für diesen bulligen Kerl. Ihr Stöhnen war von Lust, aber auch von Qual bestimmt. Der Pfahl des Mannes schwoll immer mehr an und dehnte gewaltsam ihre junge Pforte; sie spürte die harte dicke Eichel nahezu schmerzhaft in der saugenden Enge auf und ab gleiten. Jedesmal, wenn sich das Mädchen selbst aufspießte, tat es einen schluchzenden Schrei, als ginge es ihr bis an das Herz. «Ich kann nicht mehr – oh, ich halte es nicht mehr aus», schluchzte sie. «Er ist – so dick! Es ist – so anstrengend und – klemmt so. Warum stoßen Sie mich denn nicht –? Bitte, tun Sie es doch, lassen Sie es bitte kommen!» Jetzt begann der Mann, von unten zu stoßen – wupp, wupp, wupp –, der schlanke Körper des Mädchens hob sich ruckartig mit jedem Stoß. Sie ruderte mit den Armen, spreizte ihre Schenkel noch mehr und begann zu schreien. «Oh – auuu – haaaach – nicht so tiiief – nicht so brutal – haaach – haaach – Sie machen mich ja – kaputt…» Es war wohl mehr Theater, so halb und halb echt und gespielt. Ihre Lustschreie dienten dem Zweck, die Quälerei abzukürzen, ihn aufzustacheln. Ganz gewiß empfand sie keinen wirklichen Schmerz, aber die lange Dauer des Aktes zehrte an ihren Kräften. Sie spürte den Höhepunkt kommen und wünschte, im gleichen Augenblick befriedigt zu werden. – Wie lange sollte das noch so weitergehen? Jean de Bernard war bereits entschlossen, der Sache ein Ende zu machen, als sich im Bett eine Schwenkung um hundertachtzig Grad vollzog: Marcel warf das Mädchen um und wälzte sich über sie. Es war gekonnt,
ein Husarenstück – er tat es, ohne den strammen Pfahl aus der Tiefe ihres Leibes zu ziehen. Jetzt lag er auf dem Mädchen und begann zu arbeiten. Sein nacktes Gesäß hob und senkte sich rascher und rascher. Ihre gespreizten Schenkel zuckten im Rhythmus der wuchtigen Stöße neben seinen Lenden. Wieder begann das Mädchen zu schreien. Die Lustempfindung überstieg jedes Maß. Jetzt hatte sie ihn in sich; sie war selbst nicht mehr aktiv – nur noch Objekt, wurde gestoßen, wild und grausam und herrlich. «Ja – ja – jaaaa!» schrie das Mädchen. «Oh, so ist es – gut – jaaaa! Haaach – haaach – haach – jaaa! Oh, wie wird mir – feste, feste – aaaah – oh, sind Sie guuut – jaaaa – » Er war wie rasend über ihr und kämpfte sie nieder, nagelte sie ans Bett und stieß in die wonnige, enge Süße ihres Leibes, als gelte es, einen Zaunpfahl ins Erdreich zu rammen – schneller und schneller – keuchend vor Begierde. Ihre Lustschreie kamen in immer rascherer Reihenfolge – endlich nahte der Höhepunkt. «Jetzt – aaaah – oh, jetzt – haaaaach!» War das ein Aufschrei! Es sprudelte jetzt. Das Mädchen tat einen tiefen, stöhnenden Atemzug. Ihre zuckenden Schenkel glitten von seinen Lenden herab und kraftlos auseinander. Der Mann ließ von ihr ab und wälzte sich auf die Seite, betrachtete sein Werk. Mit gespreizten Beinen lag das Mädchen da, zuckend und schaudernd, erschöpft und halb besinnungslos vor Lust. Marcel wendete den Kopf – und gewahrte den Eindringling! Er schrak zusammen. Jetzt wurde sich auch das Mädchen bewußt, daß da etwas nicht in Ordnung war; sie tat einen kleinen Schrei, hüpfte aus dem Bett und flüchtete aus dem Zimmer. Die beiden Männer starrten sich schweigend an. Die Abrechnung kam! – Marcel war leicht grün im Gesicht. Der Marquis blieb völlig gelassen. Er sprach kein Wort, legte seinen Hut auf den Tisch, die Handschuhe in den Hut. Dann zog er das Jackett aus und krempelte die Hemdsärmel in die Höhe.
«Was soll das!» begann Marcel zu brüllen. «Vous êtes fou, hein? Sie sind wohl verrückt! Was erlauben Sie sich, hier einzudringen? Ich werde…» Er sprach nicht aus, was er würde. Der Marquis stand bereits neben dem Bett. «Stehen Sie auf. Verteidigen Sie sich!» «Ich denke nicht daran. Sie benehmen sich wie ein Fuhrknecht! Nur der Pöbel prügelt sich.» «Der Pöbel, Mann, steht weit über Ihnen. Sie sind ein Kretin, und als solchen werde ich Sie züchtigen…» Marcel versuchte einen hinterhältigen Fußtritt in eine Region, die besonders schmerzempfindlich ist. Er hatte damit jedoch keinen Erfolg. Jean de Bernard wich aus, riß Marcel empor – und verwandelte den Großwildjäger binnen Minuten in ein armseliges, schniefendes Bündel Mensch. Dann spülte er seine Hände unter der Wasserleitung ab, begab sich auf die nächste Polizeiwache und erstattete gegen sich selbst Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung. Aber es kam niemals zu einer Verhandlung. Marcel hatte es vorgezogen, bei Nacht und Nebel aus Paris zu verschwinden. Er ging nach Algier und wurde dort Korrespondent einer belgischen Zeitung.
5. Kapitel Der Weg in das Dasein einer Kokotte führt über den Nordpol. Der Nordpol ist in der Rue de l’Ecole gelegen. In dieser winkeligen Straße befinden sich, dicht nebeneinander, eine Kunstakademie, ein Mädchenpensionat, ein Tanzlokal und ein Absteigehotel. Weshalb man die Straße im Volksmund die «Rue de l’Ecole d’Amour» nennt. Auf Deutsch: «Ausbildungsstätte für angehende Liebhaber». (Erstes Semester.) Im «Pole-Nord», dem exklusiven Restaurant mit der intimen Atmosphäre, verkehren nur Kokotten – also Lebedämchen und nicht etwa Dirnen – und Künstler. Sie mögen einander, lieben sich aber nicht. Zwischen ihnen, den meist unbemittelten Bohemiens und den Künstlerinnen der Liebe, herrscht eine Art Burgfrieden. Sie leben in Symbiose, jeder kennt jeden und mag jeden. Das Quartier Latin, insbesondere der «Nordpol», sind für die mehr oder weniger zwielichtigen Gestalten der Pariser Demimonde, der Halbwelt, was die Insel Sylt und der Nacktbadestrand, oder was St. Moritz und der Sonnenbrand für den gutsituierten deutschen Spießbürger sind: Ein Buen Retiro, und man muß dort gewesen sein, um zu zeigen, daß man noch existiert… Zwischen einem Absinth und noch einem Absinth lernte Yvonne Orval im «Pole-Nord» eine Kokotte kennen, die im Quartier Latin, aber auch rechts der Seine, eine gewisse Berühmtheit genoß: Man nannte sie «Das Mädchen mit den mörderischen Schenkeln». – Es ging die Rede, daß Katja einen Taxichauffeur, der ihr im Park von St. Cloud Gewalt antun wollte, mit ihren Schenkeln erdrosselte. Der Prozeß fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Katja wurde freigesprochen. (Nennen wir sie Katja; sie existiert wirklich, und ich möchte nicht, daß ihr jetziger Gatte, der als hoch angesehenes Mitglied des Corps diplomatique eine Luxusvilla in Versailles bewohnt, einen seelischen Schaden davonträgt.)
Katja war russischer Abstammung, Tochter eines Großfürsten, eine Kokotte «premiere classe», bevor sie heiratete und ganz brav wurde. Sie sprach Französisch mit einem reizvollen Akzent, mit dem gewissen Timbre, das die Männer verrückt macht. Aber ihre Umarmung bedeutete Gefahr, sie war wie das süße Gift, nach dessen Genuß man entweder tot oder ein Kretin ist. (Meine Seele kriegst du nicht, du Hund!) Ihre Augen waren von einem eigenartigen, unwahrscheinlich dunklen Grün, ohne jede Nuance von Grau. Wenn sie einen Mann damit direkt ansah – meist blickte sie an den minderwertigen Geschöpfen der Natur, genannt Männer, nur vorbei –, dann interessierte sie sich auch für ihn. Und es gab dann kein Entrinnen… Die Bekanntschaft mit der reinrassigen Wildkatze Katja machte Yvonne Orval durch Vermittlung einer gemeinsamen Freundin: Die Tänzerin Nicole vom «Casino de Paris», mit Yvonne verabredet, stellte sie einander vor und ließ sie dann allein. «Ich bin schrecklich verliebt, Kinder, daher in großer Eile. Tröstet euch miteinander, ja? Katja, dies ist die junge Dame, von der ich dir erzählte. Willst du sie mit Madame Germaine bekannt machen? Das ist lieb von dir. – Sehen wir uns morgen in meiner Garderobe, Yvonne? Du mußt mir alles erzählen. Madame ist tonangebend in Paris. Wenn du ihr gefällst, so machst du im Handumdrehen Karriere. L’homme propose, et Madame Germaine dispose! – Katja! Diese junge Dame hier verfügt über ganz erstaunliche Qualitäten, was schon daraus hervorgeht, daß es ihr gelungen ist, meinen Gatten zu bezirzen. – Salut, mes enfants, ich werde erwartet und bin schon eine Stunde über die Zeit. Wenn mein neuer Freund so dumm gewesen ist, auf mich zu warten, werde ich ihn glücklich machen. Ce sont les imbeciles, qui sont les plus heureux – die Dümmsten haben oft das meiste Glück…jujuh!» Nicole flatterte davon, ein redseliger Schmetterling im Liebesgefühl, auf dem Gaukelflug zu einer neuen Blume. Für Nicole war das Leben eine Wiese… Katja hakte die neugewonnene Freundin auf dem Wege zu den Champs-Elysées unter. Sie besaß
jene leichte Art, mit noch eben wildfremden Menschen raschen und engsten Kontakt zu finden. Dieses Einfühlungsvermögen und die Ungezwungenheit der Umgangsformen findet man nur bei Damen von Welt – und bei Kokotten, wie auch bei lesbisch veranlagten Damen, aber von dieser Art war Katja nicht. Sie machten einen Abstecher zum Tuilerien-Garten, nahmen auf einer Bank Platz – Madame Germaine empfing nicht vor 16 Uhr – und plauderten munter darauf los: Katja, platinblond, eine kühle und doch ungemein anziehende, geschmeidige Wildkatze – und daneben, welch reizvoller Kontrast, die sehr weiblich wirkende Yvonne, dunkelhaarig; im hellen Sonnenlicht bekamen ihre Locken einen tizianroten Schimmer. Beide elegant gekleidet und vergnügt wie zwei Kinder, die ein Geheimnis haben. «Also – Madame Germaine», Katja zündete sich eine Zigarette an und blies gleich darauf den Rauch einem jungen Mann ins Gesicht, der vor ihnen stehengeblieben war und offensichtlich Anschluß suchte. «Geh spielen, Kleiner! Hier ist für Erwachsene…» Der Jüngling, der den Gesichtsausdruck eines munteren Terriers besaß, wollte nicht gleich kapitulieren und zögerte. – «Wir sind eine Nummer zu groß für dich, Mauseschwänzchen!» sagte Katja nun ganz sanft und blickte ihn voll an. Zum erstenmal erlebte Yvonne das Mirakel: Wie ein Mann unter dem vollen Blick dieser unwahrscheinlich grünen Katzenaugen förmlich zusammenschrumpfte und nicht einmal den Mut fand, um Vergebung zu bitten. Der junge Mann zog den Kopf ein und wieselte davon, als säße ihm die Medusa persönlich auf den Fersen. Katja blieb ganz ernst; sie hatte nicht gespaßt. «Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Madame Germaine uns empfängt. Sie ist böse auf mich. Sagte ich bereits, daß sie eine Hexe ist?» Yvonne hob die Augenbrauen. Nichts deutete darauf hin, daß Katja spaßhaft übertrieb. Sie meinte es genauso, wie sie es sagte. «Wenn Madame so macht – », Katja schnippte mit dem Finger,« – so bist du über Nacht reich und berühmt, wenn dir die Voraussetzungen gegeben sind, das Format. Aber sie kann dich auch
ebenso rasch vernichten, bildlich gesprochen. Madame hat den bösen Blick, Abrakadabra – und du bist arm wie eine Kirchenmaus.» «Ich begebe mich nicht gern in Abhängigkeit, Katja.» «Man nennt sie die ‘Königin der Nacht’, ohne ihre Zustimmung geschieht nichts in der Demimonde. Selbst Minister ziehen vor ihr den Hut – oder müssen gehen.» Das erschien Yvonne übertrieben; sie sollte jedoch bald dahinterkommen, daß es eine besondere Bewandtnis mit den «Hexenkünsten» der Madame hatte. – Es wurde Zeit aufzubrechen, wollten sie zur Besuchszeit pünktlich sein. Unterwegs erfuhr Yvonne noch weitere Einzelheiten über die mysteriöse Sphinx, deren Bekanntschaft und Protektion sie suchte. «Warum sie mir böse ist?» Katja seufzte. «Nun, ich habe auf dem Presseball mit einem jungen Diplomaten geflirtet.» «Das begreife ich nicht. Was ist daran Schlimmes?» «Keine Ahnung, Yvonne. Niemand weiß, worauf sie hinauswill, aber nichts, was sie anordnet, ist ohne Sinn. Sie ist außerordentlich vermögend, ihre Verbindungen reichen in alle Gesellschaftsschichten. Madame zieht die Fäden – und alle Puppen tanzen nach ihrem Willen. Ein Wort von ihr genügt, um bedeutende Männer in den Abgrund zu stürzen oder umgekehrt, einem talentierten, aber einflußlosen jungen Mann zu einer Blitzkarriere zu verhelfen. Offiziell ist sie die Besitzerin eines Modesalons, eines Detektivbüros und, wie man vermutet, auch einer Bordellkette. Aber es ist vollkommen unmöglich festzustellen, was sie in Wirklichkeit treibt.» Yvonne blieb stehen, blickte die neue Freundin prüfend an. «Warum erzählst du mir das alles? Ich beginne, abergläubisch zu werden. Fürchtest du diese Frau?!» Katja lächelte; ihre Augen funkelten dabei ganz eigenartig. «Was ist das – Furcht?» fragte sie zurück, ganz leichthin, in ihrer sanften Art, hinter der sich unbezähmbare Wildheit verbarg. «Liebste, du sollst wissen, daß du ein Risiko eingehst, das ist alles. Wenn Madame an dir interessiert ist, so steht dir ab morgen die Welt offen. Wünschst du einen Gatten, der mehrfacher Mil-
lionär ist? Möchtest du beim Theater oder Film ein Topstar werden? In der Politik eine Rolle spielen? – Madame lenkt dich genau dorthin, wie du es möchtest…» «Dann ist sie eine gute Fee, keine Hexe. Oder?» «Damit sind wir bei deinem Risiko, Yvonne; denn Madame handelt nicht selbstlos. Sie setzt voraus, daß du auch ihre Wünsche erfüllst, verstehst du, oftmals recht merkwürdige, schwer durchschaubare Wünsche. Du weißt niemals genau, welche Ziele sie verfolgt.» «Also handelt es sich um eine Angelegenheit auf Gegenseitigkeit. Das ist ganz natürlich. Wo liegt das Risiko?» «In dir selbst. Es liegt an dir, ob du dich in eine unentrinnbare Abhängigkeit zu Madame Germaine begibst – oder die unsichtbaren Fesseln, welche sie versuchen wird, dir anzulegen, immer wieder zerbeißt. Dazu gehört Mut und gehören gute Zähne. Besitzt du beides, so bleibst du ein freier Mensch. Wie ich! Oder wie Rex Carrigan…», fügte sie leise hinzu. «Wer ist das? Ein Freund von dir?» «Ein amerikanischer Reporter, Sonderberichterstatter einer großen New Yorker Tageszeitung und wer weiß, was sonst noch alles. Rex Carrigan ist der Zauberer, der aus dem Nichts erscheint, wenn du einmal Hilfe brauchst – und ich, natürlich, an mich kannst du dich jederzeit wenden.» Das alles klang recht mysteriös. Yvonne fühlte sich beunruhigt, gleichzeitig aber hingezogen zu dieser seltsamen Frau, die man die «Königin der Nacht» nannte. Ein modernes Märchen? Gewiß, aber vor einem recht ernsten Hintergrund, wie es sich sehr bald erweisen sollte… Sie erreichten die Champs-Elysées und bogen in eine stille Nebenstraße ein. Da war eine große Villa, ein vornehmes Haus hinter gepflegtem Vorgarten. «Salon Germaine» – ein winziges, vergoldetes Schild. Katja betätigte die Klingel, aus dem Lautsprecher ertönte eine sanfte Stimme: «Bitte, treten Sie ein!» Die Tür öffnete sich von selbst und schloß sich wieder hinter ihnen. Sie schritten über den Kiesweg. Auch die Haustür öffnete sich zischend von selbst, wie die Türen der Metro.
Mitten in der weiten Eingangshalle wartete ein dunkel gekleideter, recht seriös aussehender Herr. Im Hintergrund führte eine weiße Marmortreppe nach oben. Verdutzt sah Yvonne, daß Katja nur eine wedelnde Handbewegung machte, wie man eine Fliege verscheucht, und der Mann, der wie ein Minister aussah, knickte zu einer tiefen Verbeugung zusammen und wich zur Seite. Sie stiegen die Treppe hinauf. Da war ein weiter, aus vielen Fenstern erhellter Flur – alles in Marmor – und ein kleiner Salon. Darin einige wartende junge Damen, ein distinguierter älterer Herr, Ritter der Ehrenlegion, und hinter einem kleinen Schreibtisch in der Fensterecke eine gelangweilt aussehende, aber irgendwie bemerkenswerte Sekretärin mit knallrotem Haar. So begann es. Yvonne war nicht sonderlich beeindruckt, sie würdigte die Kulisse, empfand aber mehr Neugierde als Unbehagen. Katja schien sich über ihre Gelassenheit zu freuen. Sie flüsterte einen Augenblick mit der Sekretärin und verabschiedete sich dann. «Bonne chance, Yvonne! Madame wird sich gleich um dich kümmern.» Sie wisperte. «Paß auf, laß dich nicht verhexen…» Yvonne nahm in einem der Clubsessel Platz. Die Besucher verschwanden auf ein Lichtzeichen hin nacheinander durch eine dick gepolsterte Tür. Doch niemand kam wieder zum Vorschein. Das wirkte fast bedrohlich, aber da gab es sicher einen zweiten Ausgang. Dann trat noch ein junger Mann ein, schlank, elegant gekleidet – das etwas zerzauste dunkelblonde Haar und die vergnügt funkelnden Augen gaben ihm etwas Jungenhaftes. Yvonne bemerkte, daß die Sekretärin auf einmal ganz kleine Augen bekam. «Oh, Mister Carrigan – bitte, gedulden Sie sich noch etwas.» Rex Carrigan –? Das war also der amerikanische Reporter, der große «Zauberer». Yvonne fand ihn nett und kein bißchen geheimnisvoll. Er schien sie erstaunlicherweise zu kennen und lächelte ihr zu. Sie gab das Lächeln zurück. Wahrscheinlich war Katja ihm draußen begegnet und hatte ihm einen Wink gegeben. Das Telefon ging. Die Sekretärin wurde ins Chefzimmer gerufen. Sie war kaum draußen, als Carrigan sich vorbeugte.
«Madame Orval, nicht wahr?» Er flüsterte: «Seien Sie nur auf der Hut!» Er wollte noch mehr sagen, kam aber nicht mehr dazu. Die Sekretärin erschien wieder und bat Yvonne herein. Hatte Yvonne erwartet, mit einer Dame bekannt zu werden, die schon auf den ersten Blick mysteriös wirkte, sah sie sich jedenfalls enttäuscht. Madame Germaine, eine vollschlanke Blondine in den vierziger Jahren, wirkte wie ein anmutiges Krokodil. Das Zimmer war hell und freundlich, die Wände waren mit hellgrüner Seide bespannt, ebensolche Fenstervorhänge – ein wuchtiger Schreibtisch, weiche Sessel. Die «Königin der Nacht» saß mit angezogenen Beinen auf einer Couch, rauchte aus einer Zigarettenspitze, gemütlich in Kissen zurückgelehnt, und winkte Yvonne zu sich. «Setzen Sie sich zu mir, bitte! Sie sind Madame Orval, nicht wahr?» «Einundzwanzig Jahre, durch eigenes Verschulden verwitwet und geächtet», sagte Yvonne. Sie nahm ungezwungen Platz, wie man zu einem intimen Gespräch Platz nimmt, als seien sie seit langem miteinander bekannt. Sie wollte nicht als Bittstellerin gelten, hütete sich aber gleichzeitig davor, respektlos zu erscheinen. «Wahrscheinlich bin ich zur Ehe nicht geeignet. Ich suchte Erfüllung und fand sie nicht in ausreichendem Maße.» Madame lächelte und schwieg. Sie betrachtete die Besucherin unaufdringlich, wenn auch sehr eingehend. Yvonne fühlte sich geröntgt, durchleuchtet und belichtet. Sie war eine geduldige Patientin und hielt gelassen stand. In dem Bewußtsein, daß diesem anmutigen Reptil mit den Röntgenaugen doch nichts verborgen bleiben konnte, plauderte sie munter darauf los, verschwieg nichts, beschönigte nichts und vergaß auch nicht, zu erwähnen, auf welch leichte Art sie es unternommen hatte, die Gläubiger des verstorbenen Gemahls, noch dazu gewinnbringend, zu befriedigen.
Einer inneren Eingebung folgend, klammerte sie nur den Marquis de Bernard aus, erwähnte ihn mit keinem Wort. Madame Germaine hörte aufmerksam zu, schien sich jedoch mehr für Yvonnes Stimme als für das Gesagte zu interessieren. Ihre Frage kam ganz unvermittelt, wie nebenbei; sie blickte dabei einem Kringel aus Zigarettenrauch nach, der zur Decke emporschwebte. «Lieben Sie den Marquis de Bernard?» Ihr Blick war jetzt voll auf Yvonne gerichtet; eine Florettklinge, funkelnd und unbeweglich wie vor dem Todesstoß. (Ihn hast du mir verschwiegen, mein Täubchen! Warum? Das gibt mir zu denken.) Das konnte die Entscheidung bringen; Yvonne fühlte es. Von Katja wußte Madame es gewiß nicht. Also hatte sie Erkundigungen eingezogen, natürlich, ihr gehörte ja auch ein Detektivbüro! Daraus resultierte, daß sich Madame Germaine seit längerem für Yvonne interessierte, was wiederum ein Positivum war. «Wir waren nicht intim, wenn Sie das meinen», gab Yvonne sanft zurück, ohne irgendein Anzeichen von Unsicherheit. «Ein guter Freund, nicht wahr? Ist es von Belang?» Madame lächelte hintergründig; ihr Blick verlor an Schärfe. «Natürlich ist es von Belang. Sie müssen frei und ungebunden sein, auch innerlich, wenn Sie sich mir anvertrauen. Ein guter Freund, das ist wie ein gutes Ohr, das zuhört – nicht wahr? Sehen Sie, wir haben nichts zu verbergen…» (Na, na?!) «… aber wir sind, wir müssen diskret sein! Das ist die Voraussetzung des Erfolges.» «Ja», sagte Yvonne einfach. «Wenn Sie Wert darauf legen, so werde ich den Kontakt zu Jean de Bernard allmählich abbrechen. Aber, Sie erwarten doch nicht, daß ich ihn ins Abseits tue, wie man eine gebrauchte Zahnbürste beiseite legt.» Madame Germaine lachte leise. «Vous êtes drôle, Chérie… Sie machen mir Spaß! Ja, Sie gefallen mir. Kommen wir zur Sache: Die jungen Damen, welche sich meiner Obhut anvertrauen, sind in jeder Beziehung außergewöhnlich. Sie haben ja Katja kennengelernt und wissen wohl, was ich meine. Meine Detektei ist so
etwas wie eine ‘Zentrale Schicksal’, das mutet übertrieben an; es verhält sich aber genauso, wie ich es sage. Gilt es, einen Minister zu stürzen? Seine persönlichen Daten, auch die intimsten, sind in unserem Computer gespeichert. Ein Knopfdruck genügt, und wir wissen – nein, Sie wissen es, Yvonne, wo Sie ansetzen müssen, um zu einem raschen Ergebnis zu gelangen; das ist dann Ihre Aufgabe. Dafür werden Sie fürstlich honoriert, auch dann, wenn es einmal danebengeht. Ich werde Ihnen jeden Wunsch erfüllen, auch den kostspieligsten und abwegigsten Wunsch. Sie werden über Nacht vermögend, unabhängig – ja, Sie werden Karriere machen bei dem Format, das ich Ihnen zumesse. Doch, wie gesagt, wir arbeiten auf Gegenseitigkeit zusammen. Ich erwarte, daß Sie nicht zurückschrecken, wenn es zur Erfüllung eines Auftrages notwendig werden sollte – nun, das Gegenteil von prüde zu sein. Wir verstehen uns?» Es ließ sich nicht mißverstehen. Yvonne nickte. «Ich stehe zu Ihrer Verfügung. Sofort, wenn Sie wollen.» Madame neigte sich zur Seite und nahm den Telefonhörer ab. «Lou –?» Das war wohl die Sekretärin. «Es ist eine kleine Umdisposition nötig. Schicken Sie Jacqueline und Manon nach Versailles. Sie wissen, da ist ein Frühlingsfest in Le Chesnay. Zwei junge Herren von der Botschaft in Jouy – ja, ganz recht, diese beiden – ; sie haben mich gebeten, Dolmetscherinnen zu schicken, die Kisuaheli können. Bitte?» – Ein Lachen. – «Ja, ganz recht, sie brauchen sich in dieser komplizierten Sprache nicht zu verständigen. Es geht um Einzelheiten des besagten Wirtschaftsvertrages, also darum, den gegnerischen Handelsattache zu kompromittieren…» Madame Germaine führte dieses Gespräch gewiß nicht zum Schein, jedenfalls aber in der Absicht, Yvonne einen Einblick in die Art der zu erwartenden Aufträge zu geben. «Halt, warten Sie noch, Lou. Ist der Amerikaner noch da, Rex Carrigan? Schon gegangen? Um so besser, er wollte mich interviewen, der Fuchs, aber ich möchte mich heute nicht ärgern.» Sie warf Yvonne einen bedeutungsvollen Blick zu, der besagte: Notiere den Namen «Carrigan» in deinem Gedächtnis, meine
Liebe. Der Reporter ist eine «persona non grata», ich möchte nicht, daß du dich mit ihm abgibst! «Da wäre noch Monsieur Carnet, Lou! Für diesen schwierigen Herrn ist nun gesorgt. Madame Orval ist so liebenswürdig, sich für die gute Sache zu opfern.» Madame hängte ein und – Yvonne stockte der Atem – schrieb dann einen Scheck über zweimal hunderttausend Francs aus. «Als kleinen Vorschuß», sagte sie dazu. «Das Honorar ist der Bedeutung und Kompliziertheit Ihres ersten Auftrages durchaus angemessen. Nun hören Sie gut zu, Yvonne. Sie müssen sehr geschickt vorgehen, und es gilt, jedes kleine Detail zu berücksichtigen…» Madame drückte auf einen Knopf, ein Filmprojektor begann zu surren, und auf einer Leinwand im Hintergrund des Zimmers wurde der ominöse Monsieur Carnet sichtbar: Vor dem Eingangsportal zum Modesalon Dior stieg er gerade aus seinem Cadillac und blickte sich faunisch nach einer reizvollen Brünetten um, die vorbeitrippelte. Sein Gesicht war jetzt in Großaufnahme, ganz nahe zu sehen, dann im Profil. Man mußte die Aufnahmen mit einem Teleobjektiv gemacht haben. Er trug einen Bart wie die mexikanischen Filmschurken in amerikanischen Abenteuerfilmen – und wirkte auch so. Während der Film lief, begann eine monotone Männerstimme zu sprechen: «Jules Carnet, achtundzwanzig, nicht vorbestraft, Erbe eines beträchtlichen Vermögens, bewohnt ein kleines, verwahrlostes Schloß nahe Mesnil-le-Roi.» Das Bild wechselte und zeigte das Schloß, ein düsteres Gemäuer im Foret St. Germain. Dann wieder Carnet, wie er der brünetten Schönen nachstieg und die junge Dame ansprach. Die kommentierende Männerstimme fuhr fort: «Carnet hat das ererbte Vermögen in Jahresfrist verpulvert. Nun ist er auf die Ehefrauen einflußreicher Persönlichkeiten fixiert, bringt sie in eindeutige, kompromittierende Situationen, deren Hergang und Details von einer versteckten Filmkamera festgehalten werden. Mit diesen Filmen erpreßt Carnet zunächst die Damen und dann, wenn deren finanzielle Möglichkeiten erschöpft sind, deren Ehemänner. Jules Carnet – », wieder wurde das Gesicht des Erpressers en
face und sehr groß sichtbar, « – bewahrt die kompromittierenden Filme in einem Geheimfach seines Schreibtisches im oberen Stockwerk auf.» Das schloßartige Gebäude wurde erneut gezeigt und ein bestimmtes Fenster. «Scharfe Hunde bewachen das Haus; es existiert eine Alarmanlage.» – Der Film war zu Ende, nur die Stimme des Kommentators fuhr fort: «Privat ist Carnet auf Anhalterinnen fixiert. Hübsche, junge Mädchen, die am Straßenrand stehen und winken, nimmt er gern mit und ladet sie in sein sogenanntes Schloß ein. – Dies als Hinweis für einen möglichen Kontakt und zu dem Zweck, in sein Haus zu gelangen. – Der Auftrag lautet: Verschaffen Sie sich nach Kontaktaufnahme mit ihm Zutritt in das Arbeitszimmer des Erpressers, öffnen Sie das Geheimfach im Schreibtisch – es wird schwierig sein, das Fach ausfindig zu machen –, und stellen Sie eine Filmrolle mit der Bezeichnung ‘11/79’ sicher. Dann ergreifen Sie unverzüglich die Flucht. Carnet ist nicht ungefährlich.» Das war es also. Madame Germaine hatte Yvonne die ganze Zeit über aufmerksam beobachtet. «Nun, meine Liebe –? Wollen Sie es riskieren? Der Scheck gehört in jedem Fall Ihnen, auch dann, wenn Sie keinen Erfolg haben.» Die scheinbare Großzügigkeit imponierte Yvonne gar nicht. Sie begriff wohl, daß Madame in großen Maßstäben zu denken und zu operieren gewohnt war. Der Film «11/79» betraf offenbar die Gattin eines sehr reichen und einflußreichen Mannes, der gewiß den zehnfachen Betrag für die Beschaffung des Corpus delicti ausgesetzt hatte. Da kam es auf eine kleine Fehlinvestition nicht an. «En Garde!» nickte Yvonne. «Ich bin bereit.» Madame lächelte; sie hatte nichts anderes erwartet. «Bitte, warten Sie nebenan auf Abruf, Yvonne. Meine Sekretärin weiß Bescheid. Na, dann – guten Erfolg!»
6. Kapitel Die Besuchszeit war beendet. Yvonne blieb mit der Sekretärin im Vorzimmer allein. Ob sie einen Führerschein hatte? – Ja, gewiß. Sie plauderten über alles mögliche, über Kleider und dergleichen, auch über den Auftrag. Zwischendurch führte Lou geheimnisvolle Telefongespräche, wurde angerufen und antwortete mit Ja und Nein, oder «Sind Sie sicher –?» Man konnte nicht klug daraus werden. Auf einen erneuten Anruf hin, reagierte sie erfreut, hängte wieder ein und lächelte Yvonne ermunternd zu. «Es ist soweit, Madame Orval. Monsieur Carnet ist soeben mit seinem Wagen in Charenton abgefahren. Sie müssen eilen, wenn unser Plan gelingen soll. Unser Agent meldet, daß Carnet allein und sehr langsam fährt. Das tut er immer, wenn er Jagd auf Anhalterinnen macht. Gehen Sie schon inzwischen hinunter, ich rufe indessen die Garage an…» Das ging ja hier ganz generalstabsmäßig zu. Yvonne war beeindruckt. – Der Wagen wartete schon in einer stillen Seitenstraße: Eine schwarze Limousine. Der livrierte Chauffeur öffnete den Wagenschlag. Sie konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Er hatte die Straßenlaterne im Rücken. Wozu den Chauffeur; sollte sie nicht allein fahren? Yvonne ließ sich in die weichen Polster sinken. In Gedanken beschäftigte sie sich mit dem erhaltenen Auftrag. «Wohin, bitte, gnädige Frau?» Sie schreckte auf. Wieso wußte er das nicht? «Nach St. Germain, aber schnell. Dann in Richtung Carrieres sur Bois und geradeaus durch den Wald, bis ich anhalten lasse. Wir müssen eine Panne vortäuschen; es kommt jemand dort vorbei, der veranlaßt werden soll, mich mitzunehmen. Wieso sind Sie nicht im Bilde?» Der Chauffeur brummte etwas vor sich hin und gab Vollgas. Sie fuhren über die Seine-Brücke… Nanterre…
wieder über den Fluß… St. Germain… und befanden sich im Wald. «Jetzt können Sie langsamer fahren», befahl Yvonne. «An einer übersichtlichen Stelle halten Sie bitte an und fahren den Wagen mit den Vorderrädern etwas in den Graben, natürlich so, daß Sie ihn nachher ohne fremde Hilfe wieder herausbekommen. Dann verstecken Sie sich irgendwo, nicht wahr…» Der Chauffeur hielt an und machte zu Yvonnes Verblüffung Licht im Wagen. Dann wendete er sich zu ihr um. Erst jetzt erkannte sie ihn und blieb vorübergehend sprachlos. «Hallo», sagte er, vergnügt wie ein Junge, der jemandem einen Streich gespielt hat. «Ich bin’s persönlich… Abrakadabra und Simsalabim… Der Geist aus der Flasche!» Es war Rex Carrigan, der amerikanische Reporter, von dem Katja gesagt hatte, er würde immer dann aus dem Nichts auftauchen, wenn ihr Gefahr drohte. Yvonne mußte lachen; sie brachte es nicht zuwege, ihm böse zu sein. «Monsieur, was bezwecken Sie mit dieser Komödie? Wo haben Sie den richtigen Chauffeur gelassen?» «Nennen Sie mich Rex; wir sind Verbündete, hoffe ich. Dies in Ihrem Interesse, Yvonne! Der Chauffeur? Es gibt keinen. Ein Mann brachte den Wagen, ließ die Türen offen und den Zündschlüssel stecken, und ging wieder. Nicht schwer zu erraten, daß der Wagen für Sie bestimmt war. Die Livree habe ich im Kofferraum gefunden.» «Gut», sagte Yvonne und blickte nervös durch das Rückfenster des Wagens. Jeden Augenblick konnte Monsieur Carnet vorbeikommen. «Und nun, was nun? Wollen Sie meinen Auftrag torpedieren? Das wäre unfair!» Sie tat einen kleinen Schrei. Der Reporter hatte Gas gegeben und den Wagen halb in den Straßengraben gefahren. Er stieg blitzschnell aus, beugte sich noch einmal herein. «Die Sache mit Carnet ist hochbrisant, glauben Sie mir. Der erste Auftrag, ja? Nun, ich dachte mir gleich, daß die Hexe Sie auf Carnet ansetzen würde. Sie geht immer gleich aufs Ganze.
Entweder, Sie stehen das Abenteuer durch – dann sind Sie die geeignete Mitarbeiterin und haben Format bewiesen – oder Sie sind tot und können dann keine Zeugenaussage mehr machen. Darum bin ich als Ihr Schutzgeist hier, nicht um Ihrer schönen Augen willen, meine Liebe, sondern um Sie notfalls herauszuholen. Wegen der Zeugenaussage, nur deswegen.» Er eilte davon, verschwand zwischen den Büschen, sein Lachen erstarb in der Ferne. – Was für ein Scheusal! dachte Yvonne und fügte in Gedanken hinzu: Ein sympathisches Scheusal jedoch… Dann stieg sie rasch aus dem Wagen. Von Mesnil-le-Roi her näherte sich in gemächlicher Fahrt ein Automobil. Die Scheinwerfer erschienen auf der nächtlichen Chaussee zuerst wie die Augen eines Ungeheuers, wurden größer. Jetzt erfaßte der bleiche Doppelstrahl die schlanke Frauengestalt am Straßenrand. Yvonne winkte, der Wagen hielt. Ja, es war der himmelblaue Cadillac, von dem Madame Germaine gesprochen hatte. «Würden Sie mich mitnehmen, Monsieur? Ich habe eine Panne. Vielleicht setzen Sie mich ab, wo ich telefonieren kann?» Der Mann mit dem Filmschurken-Bart ging prompt in die Falle. «Aber gern, Fräulein! Mein Haus ist ganz nahe. Sie können von dort telefonieren…» Das schloßähnliche Gemäuer kannte Yvonne bereits. Innen wirkte es schon gemütlicher. Jules Carnet führte sie die Treppe hinauf; er ließ die schlanke Schöne vorausgehen, um sich seine Beute eingehend anzusehen… Ihre Hüften… Die schlanken, hübschen Beine… In Gedanken kleidete er sie bereits aus. «Hier ist das Arbeitszimmer mit dem Telefon, meine Gnädigste», sagte er – noch ganz Kavalier, aber ein gieriges Funkeln in den Augen. Yvonne führte ein Scheingespräch. Sie wählte einfach eine Nummer und tat dann, als spräche sie mit dem Besitzer einer Reparaturwerkstatt. Carnet hatte sich diskret zurückgezogen; sie hörte ihn nebenan mit Flaschen und Gläsern hantieren. Carnet hatte erklärt, die Dienerschaft bewohne das Nebengebäude. Schon ziemlich spät, um das Hausmädchen zu wecken,
nicht wahr? Aber es sah mehr danach aus, daß er sein eigener Diener war. Sie befanden sich jedenfalls allein im Haus. Yvonne verspürte nun doch Unruhe, nicht die Angst davor; sie zitterte, weil das Wie ihr Kopfzerbrechen bereitete. Er würde doch nicht etwa versuchen, sie zu vergewaltigen – ganz unnötig; denn sie war ja bereit, es zu tun, sollte es die Situation erfordern. Das Scheingespräch war beendet. Yvonne legte den Hörer auf. Sie sah Carnet wieder hereinkommen, eine Champagnerflasche in der linken und zwei Gläser in der rechten Hand. Nach einem Überfall sah das noch nicht aus, er lächelte und schien offensichtlich bemüht, Charme zu versprühen. «Es wird seine Zeit brauchen, bis der Mechaniker zur Stelle ist, Madame.» Er blickte sie fragend an. «Yvonne», sagte Yvonne und setzte ihr reizendstes Lächeln auf. Das berühmte Mutmache-Lächeln; sie hatte es bereits an gewissen Gläubigern erprobt. «Und wie heißen Sie, bitte?» Sie spielte mit Erfolg das naive, einem kleinen Flirt jedoch nicht unbedingt abgeneigte Mädchen. Sie gingen nach nebenan in den Salon, um dort auf den Mechaniker zu warten, der niemals kommen würde. Es galt, Zeit zu gewinnen und Carnet dann, in einem günstigen Moment, das kleine Pülverchen ins Champagnerglas zu geben. «Ich bin ‘La bete’, das Ungeheuer, das kleine Mädchen in die Falle lockt!» scherzte Carnet und stieß mit ihr an. Yvonne kicherte, wie besagte kleine Mädchen kichern. «Wie aufregend, wie spannend!» sagte sie und schlug die Beine übereinander. Den Schreibtisch hatte sie bereits gründlich untersucht, als sie angeblich noch telefonierte und Carnet aus dem Zimmer war. Das Geheimfach war gar nicht so schwer zu finden gewesen: Das Mittelschubfach war wesentlich kürzer, als es die Tiefe des Schreibtisches erwarten ließ. Da gab es ein winziges Schlüsselloch, durch eine darüber geklebte Briefmarke getarnt. Nun kam es darauf an, den passenden Sicherheitsschlüssel zu besorgen. Jules Carnet wurde immer munterer. Er betrachtete eingehend ihre hübschen Knie, rückte näher. Offenbar glaubte er, leichtes
Spiel mit ihr zu haben. Yvonne wippte kokett mit dem Bein, nicht ohne leichtes Herzklopfen, aber das ließ sie sich nicht anmerken. «Gefalle ich Ihnen, Monsieur?» – Niemand würde in dem naivsündigen Stimmchen, das da sprach, Yvonne Orval wiedererkannt haben. «Sie werden mir doch nichts antun, hihi…» Es hörte sich eher wie eine Ermunterung an. Er beugte sich vor, nahm ihre Hand und küßte sie. «Nichts, was Sie nicht selbst wünschen, daß ich es tue…» – Yvonne tat es schon selbst. Das Pülverchen in sein Glas. Es war eine einmalige Gelegenheit. Während er sich niederbeugte, ihre linke Hand zu küssen, langte sie mit der rechten behutsam über seinen Rücken hinweg, und das nahezu farblose Knockout-Pulver rieselte ins Glas. «Ich wünsche», hauchte Yvonne. «Nun, ich wünsche mir – einen Silberfuchs!» Beinahe hätte sie Chinchilla gesagt, aber der war für ein Gänschen wohl doch eine Nummer zu groß. Jules Carnet blickte auf – und in ein vor Verlegenheit und Verschämtheit gerötetes Mädchengesicht. Yvonne senkte den Kopf, wie im Zwiespalt zwischen Angst und Erwartung. Den Silberfuchs! Dann tue ich alles… Sie war eine vorzügliche Schauspielerin. «Genehmigt!» Carnet lachte. «Darauf wollen wir trinken, meine Süße…» – Und da passierte es: Er stieß ungeschickt gegen das Glas, es fiel um und der Champagner samt Pülverchen schäumte über das Tischtuch. Yvonne stockte der Atem. Ein General, dem auf dem Höhepunkt der alles entscheidenden Schlacht gemeldet wird: «Mon General, alle unsere Panzer sind im Morast steckengeblieben und bis auf einen versunken!» – Er hätte nicht erschreckter sein können als Yvonne jetzt! Was konnte sie tun? Gab es in dieser Situation noch ein Ausweichen, einen Aufschub? Wenn sie zu entkommen versuchte, dann war nicht nur der Auftrag gescheitert: Carnet würde sofort Verdacht schöpfen, den wahren Zusammenhang erraten und – ja, was dann, was tut ein Erpresser, dem das Messer an der Kehle sitzt, wozu ist er fähig?
Yvonne zitterte, und der Mann deutete das auf seine Weise. «Aber, aber – Kindchen! Nur nicht prüde sein…» Er ergriff ihr Handgelenk, zog sie zu sich empor und zu einer Tür hin. Das Schlafzimmer? – «Wer ‘A’ sagt, der muß auch Bett sagen…» Sie sträubte sich vergebens, gegen seine Kraft gab es keinen Widerstand. In äußerster Not kam ihr ein Gedanke. «Der Mechaniker – », stöhnte sie. «Er muß jeden Augenblick hier sein!» «Dann wird er warten müssen, mein Täubchen. Draußen am Tor ist der Hund, ein richtiger Wolf; der läßt niemanden vorbei…» Darüber hatte sich Yvonne auch schon Gedanken gemacht. Die bissige Dogge, ein Ungeheuer, lief zwischen Umzäunung und Haus nahezu frei herum, mit einer Rolle an einem rundum führenden Draht. An der Bestie vorbeizukommen, würde auch für sie ein Problem werden! – Doch in der gegenwärtigen Situation gab es ein näherliegendes Unheil: Jules Carnet selbst! Es gab kein Entrinnen, Yvonne begriff es jetzt und überlegte nur noch, was sie tun konnte, um zu verhindern, daß er ihr weh tat. Wer «A» sagt, der muß auch Bett sagen! Yvonne sträubte sich nicht mehr… Das Schlafzimmer bestand eigentlich nur aus einem riesigen Bett; es wurde von mehreren Scheinwerfern angestrahlt und war hell erleuchtet. Wie ein Schafott! dachte Yvonne. Auf diesem Bett wurden also die Gattinnen bedeutender Männer «hingerichtet», wenn sie so unklug waren, sich mit dem Casanova einzulassen. «Nun, wie gefällt es dir?» Carnet betätigte einen Schalter. Die Scheinwerfer begannen zu flimmern, rotes, grünes und violettes Licht flackerte; man konnte schizophren dabei werden. Der Mann hatte aus dem Schlafzimmer eine Diskothek gemacht. – «Eine kleine technische Spielerei», sagte er selbstgefällig. Er legte den Arm um ihre Hüften, zog sie zu sich heran. «Es erhöht den Genuß!» Yvonne besann sich noch rechtzeitig auf ihre «Gänschenrolle» und wand sich, wie verlegen, in seinen Armen. «Oh, es ist wunderbar – wie im Märchen!» Er küßte sie. Yvonne spürte
seinen unguten Atem und schüttelte sich. Der Mann deutete ihr Zittern ganz anders, als mädchenhafte Scham, gepaart mit Verlangen. «Du bist doch nicht etwa – Jungfrau?» Er begann damit, sie zu entkleiden. «Hast du noch nie mit einem Mann –?» Idiot! dachte Yvonne. Laut sagte sie: «Oh – schooon – aber – nun, ich habe Angst! Sie sind – so stark…» Der Eiszeit-Mann meldete sich in ihm. Ich bin stark! In Gedanken schlug er sich auf die Brust. Er zog ihr das Kleid über den Kopf, und da sie ihn jetzt nicht sehen konnte, betrachtete er eingehend, was da unter dem Kleid zum Vorschein kam. Das Unterkleid rutschte mit in die Höhe, ein knapp sitzendes schwarzes Höschen wurde sichtbar. Unter der engen, hauchdünnen Seide zeichnete sich die süße Wölbung des Venushügels ab… die nackten Schenkel zitterten. Eine so reizvolle Anhalterin hatte Carnet noch nicht in seinem Hause gehabt; sie duftete nach Gepflegtsein, nach Sauberkeit und mädchenhafter Frische. Er fühlte sich versucht, sie anzufassen – die Hand zwischen ihre Schenkel zu drängen –, unterließ es aber. Nur keine Zeit mit dem Vorspiel verlieren! Er war gierig auf diesen süßen Leib. In seiner Hose bäumte sich das Verlangen. Das Kleid flog über einen Sessel. Jetzt der Büstenhalter. Sie stand mit gesenktem Kopf vor ihm, nur im Höschen, und zitterte. Wie jung sie war! Ihre festen, spitzen Brüste schimmerten im flackernden Licht wie Elfenbein, nur nicht so kalt. Also, was –?! dachte Yvonne. Er möchte, daß ich aussehe wie ein unschuldiges Mädchen bei der Verführung. Nun, bitte, aber ziehe es nicht so in die Länge, du Bock. «Du bist sehr schön!» sagte Jules Carnet. «Das weiß ich selbst, Idiot»; beinahe hätte sie es laut gesagt. – Sie brachte ein niedliches, kleines Kichern zustande, blickte verschämt zur Seite; denn der Mann begann damit, sich selbst zu entkleiden. Yvonne nutzte den Aufschub, sich im Zimmer umzusehen. Sie setzte sich auf das Bett; darüber war ein großer Spiegel schräg befestigt. Man konnte sich selbst von oben sehen, wenn man im Bett lag – konnte wie ein unbetei-
ligter Dritter zusehen, was der Mann mit einem tat. Ganz schön raffiniert! Man war gleichzeitig Opfer und Voyeur, Gegenstand und Kronzeuge der Lust. Hinter dem Deckenspiegel befand sich offenbar eine der versteckten Filmkameras, mit denen der Erpresser seine Opfer in eindeutigen Situationen festhielt. An den Wänden befanden sich weitere Spiegel und dahinter gewiß weitere Kameras. Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett befand sich die Schalttafel, da konnte man die Lichteffekte und die Kameras schalten… «Nun, Süße –?!» Yvonne schreckte auf. Der Mann stand jetzt ganz nackt neben dem Bett und massierte das stramme Etwas so selbstgefällig, als wollte er sagen: Sieh mal! Bin ich nicht ein wahrer Supermann? – Manche Männer leben in der Überzeugung, daß sie selbst der Größte sind und daß, was sie da außerdem an strammen Qualitäten aufzuweisen haben, einfach phänomenal ist im Vergleich zu anderen Männern. Zum InOhnmacht-Fallen für die Frau, wenn sie des Monstrums ansichtig wird… «Huch – », sagte Yvonne, getreu ihrer Rolle und, weil er es so gerne hörte: «Wie stark Sie nur sind…» Eiszeit-Männer lieben dies Theater. Yvonne hatte schon dickere (sagen wir, Männer) gesehen und fand nichts dabei. Es erhöhte nicht die Lust, wenn man aufgespießt wurde, daß es beinahe weh tat. Auf das Wie kam es an und nicht auf die Proportion. Sie zog das Höschen selbst aus, wollte nicht, daß er es zerriß, wenn er in seiner Gier über sie herfiel. Dann legte sie sich mit angezogenen Schenkeln in Positur – aber Jules Carnet wollte es anders. «Nein, anders herum, meine Süße!» – Na, und wenn schon. Seufzend wälzte sie sich herum und hockte auf allen vieren. Es begann, kompliziert zu werden. Einerseits mußte sie in ihrer Rolle bleiben (das verführte Mädchen, hach nein!) – zum anderen wollte sie sich darauf konzentrieren, ganz kühl und sachlich zu bleiben. Nur keinen Orgasmus! Sie wollte es erdulden wie ein notwendiges Übel, dabei aber an etwas anderes denken. Das
gelang ihr vorerst ganz gut; sie hätte zweifellos dabei eine Zeitung lesen können. Aus den Bewegungen des Bettes erriet sie, daß der Mann jetzt hinter ihr war. Er packte ihre Schenkel, hob sie förmlich empor – pflichtbewußt tat sie einen schluchzenden, kleinen Schrei. Aber dann war es vorbei mit ihrer kühlen Sachlichkeit. Es war einfach stärker… Sie spürte ihn eindringen und biß die Zähne zusammen… Aber es geschah ganz anders, als sie es erwartet hatte… O weh, dieser Casanova tat es nicht wie eine Maschine, nein, er stellte sich auf die Frau ein, drang tief ein und verharrte, ließ sie schaudern und warten… und entfernte sich ganz… drang wieder ein, nun in wechselndem Rhythmus… ganz schnell, und wenn Yvonne zu stöhnen begann, dann wieder langsamer, nahezu in Zeitlupe und zärtlich. Das war ja ein Könner! – Yvonne fühlte, wie sich jeder Muskel in ihrem Leib spannte, wie es heiß in ihr wurde. Das Lustgefühl steigerte sich fast schmerzhaft. Sie warf den Kopf hin und her, ihre Brüste begannen im steigenden Tempo des Aktes zu schwingen und streichelten das weiße Bettlaken. Oh, war das ein Gefühl! Yvonne begriff jetzt, wie dieser Mann es zuwege brachte, Damen der besten Gesellschaft um den Verstand zu bringen und sich hörig zu machen. Ein Erpresser, gewiß, jedoch im Bett ein Künstler, ein Genie… Von ihm war kein Laut zu vernehmen. Der Mann arbeitete schweigend und konzentriert. Wie ein Chirurg, der die Unterwelt der Sinne allmählich bloßlegt, setzte er mit zarter Hand sein «Skalpell» an. Hier ein Eingriff, dort ein rasches, zielsicheres Vordringen… Eine kleine Pause! Sind Puls und Blutdruck noch in Ordnung?… Weiter – es klappt vorzüglich, nun die Operation, ohne Narkose. Sein Drängen wurde intensiver, er steigerte Rhythmus und Schwung. – Oh, nein! Oh, nein –! Es wurde übermächtig in ihr, überstieg alle Grenzen. Sie wand sich, warf den Kopf hin und her, schluchzte und stöhnte. Ihre Kräfte versagten, die aufgestützten Arme gaben nach; sie sank aufs Bett hin – und er war immer noch über ihr und in ihr, machtvoll und unerbittlich.
Doch vor dem Höhepunkt der Ekstase ließ er plötzlich von ihr ab. Es war grausam. Er hatte seine Kräfte raffiniert eingeteilt und beendete es im richtigen Augenblick. Yvonne befand sich in halber Ohnmacht, lag zuckend da und wimmerte in die Kissen. Jetzt wälzte er sie auf den Rücken. – Oh, nein! Er packte ihre Fußgelenke mit beiden Händen und drängte ihre Schenkel empor, fast über den Kopf. Ihr Gesicht war erhitzt, ihre Brüste glühten. Sie sah das stramme Verhängnis, wie es sich ihrem zuckenden Leib näherte. Oh, nahm denn das gar kein Ende mehr? Und nun begann Yvonne zu schreien, nicht in Not, vielmehr weil das, was nun kam, ein einziger, nicht enden wollender Höhepunkt war, ein Fegefeuer der Lust. Ihre Fußgelenke befanden sich fest im Griffseiner Hände, und sein strammer Pfahl wütete in der heißen, brennenden Tiefe ihres Leibes wie der Dampfkolben einer Lokomotive – nur nicht so gleichmäßig, vielmehr in wechselndem Rhythmus: Wuchtig und schnell, dann wieder, um den Höhepunkt hinauszuzögern, ganz langsam, genußvoll, aufwärts stoßend und an der Klitoris entlangstreifend. Yvonne schrie vor Lust. «Oh, ooh – oooh!» Ein Aufschrei mit jedem wuchtigen, tiefen Stoß, wenn der Dampfkolben dieser lüsternen Lokomotive sich in höchster Geschwindigkeit befand, und «Ja – ach, jaaaa – haaach!» stöhnte sie, sobald sich das warme, stramme Etwas im Kreise bewegte, behutsam strich und ihre Klitoris auf unvorstellbare Weise reizte. Sie wand sich in Zuckungen äußerster Lust, ihre festen spitzen Brüste waren tief gerötet und wippten im Rhythmus seiner Stöße. Yvonne sah über sich in dem großen Spiegel, der über dem Bett schräg befestigt war, erregend deutlich, was mit ihr geschah. Ihr erhitztes Gesicht mit dem verwirrten Haar schien einer Fremden zu gehören – lustverzerrt und mit fiebriger Röte, die Augen weit aufgerissen. Yvonne sah das breite Gesäß des Mannes, wie es sich hob und senkte, rascher und rascher – und verspürte gleichzeitig die drängenden Stöße seines Pfahles in der glühenden Enge ihres
Leibes. Sie sah seine Hände, die ihre Fußgelenke umklammerten und emporhielten, und empfand sich, hilflos niedergezwungen, in grausig-süßer Weise als Opfer. Mehr unbewußt begriff sie, wie raffiniert dieser Mann war, wie klug und grausam er seine Kräfte einteilte, den eigenen Höhepunkt immer wieder hinauszögerte. Er betrieb sein erpresserisches Handwerk nahezu wissenschaftlich, mit dem Ziel, sich seine Opfer – Damen der besten Gesellschaft – rettungslos hörig zu machen. Yvonne selbst, mit aufs äußerste aufgestachelten Sinnen, erfuhr es jetzt, während sie sich in Schaudern der Wollust wand – und die Angst wurde in ihr übermächtig, diesem Mann gleichfalls zu verfallen… «Genug!» schrie sie und bäumte sich auf. Es war vergebens; er hielt ihre Fußgelenke zu fest in seinen Händen, zwang sie in die Kissen und wartete. Dieses erneute Pausieren quälte sie, die Muskulatur ihres Leibes spannte sich, und in der heißen Tiefe empfand sie die Fülle der aufgespeicherten Lust wie einen dumpfen, drückenden, zur Erfüllung drängenden Schmerz. Nun begann er wieder zu arbeiten, das Tempo langsam steigernd, rascher und rascher, fester und fester, tiefer und tiefer… Ein erneuter Orgasmus schüttelte sie. Der dumpfe, brennende Drang in ihrem Leib wurde übermächtig. Sie schrie und schrie: «Ja – jaaa – oh, wie schön – jaaa – ach, ach, haaach – jaaaa!» Der Klang der eigenen Stimme erschreckte sie. Das war nicht mehr sie selbst – das war ihr Leib, der da schrie und schluchzte und um Erfüllung flehte. Und jetzt! Oh, endlich, ergoß es sich in ihren Leib, es spritzte und schäumte und prickelte – wieder und wieder – warm und brennend, aber es löschte nicht die Glut. Der Mann ließ von ihr ab, zog seinen Pfahl aus der glucksenden Tiefe ihres Fleisches, und noch einmal ergoß sich ein Samenstrahl gegen ihre Pforte, näßte die Schamhaare und sickerte über die Schenkel herab. Yvonne wälzte sich wimmernd zur Seite, beide Hände auf den Schoß gepreßt und mit geschlossenen Augen. Sie bewegte die Lippen, brachte jedoch nur ein Stöhnen hervor. Ihr
schlanker, nackter Körper befand sich noch immer in Zuckungen überdimensional aufgestachelter Sinnenlust, das Feuer glimmte weiter. Nie zuvor hatte sie ein so grenzenloses Lustgefühl noch nach der Begattung verspürt, einen derart nachhaltigen Flächenbrand der Lust erlebt. Sie war heiß, nicht erhitzt – heiß und naß –, und ihre Begierde war nicht gestillt, sie loderte noch in ihr und drängte nach weiterer Erfüllung. Wiewohl normalerweise nach der Befriedigung die Lustempfindung abzuklingen pflegt, hatte die raffinierte erotische Technik dieses Mannes es bewirkt, daß die Flammen der Wollust weiter in ihrem Leib brannten. Die kritische Grenze war überschritten, ihre überreizte Vagina war tiefrot und geschwollen – und fieberte nach erneuter Empfängnis. Der Mann hockte neben ihr im Bett und blickte mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf sie herab: Sein Opfer! Na, wie war’s denn, meine Süße? Habe ich dich schön fertiggemacht? – Was in dem Kerl vorging, empfand Yvonne in diesem Augenblick als nebensächlich. Sie spürte, was in ihrem Leib vorging, und suchte nach einem Weg, das unlöschbare Entzücken fortzusetzen. Sein Penis war erschlafft, noch immer groß und dick, und lag seitwärts über seinem Schenkel. Junge, war das eine Fahrt! Erst mal ausruhen. Der Phallus war tief gerötet, noch glitzernd feucht vom Samen und erschlafft von der Anstrengung. Yvonne richtete sich kraftlos halb auf und beugte sich zur Seite. Ein tiefer Seufzer! – Dann fuhr sie mit der hohlen Hand unter seinen Hoden und streichelte ihn. Für Jules Carnet war das keine neue Erfahrung. Er hatte manche Frau in diesen Zustand versetzt, heiß gemacht, und war nicht abgeneigt, das Spiel fortzusetzen – vorausgesetzt natürlich, daß diese jungfräuliche, dunkelhaarige geile Süße es zuwege brachte, ihn aufs neue zu erregen. Aaah! Sie tat es wirklich gut. Ihre schlanken Finger tremolierten und bewegten seine Hoden zärtlich und sanft – es kribbelte so schön – und jetzt, oh, er spürte, wie sich sein Glied erneut mit Blut füllte und zu schwellen begann. Die kleine Hexe besaß
Talent! Langsam wurde der Pfahl strammer und nahm an Umfang zu – erhob sich jetzt langsam und schwerfällig wie das Pferd, das nach wildem Galopp erschöpft niedergesunken ist und sich nun mit neuer Kraft wieder erhebt. Yvonne beugte sich nieder. Ihr Haar kitzelte seinen Leib. Sie umfaßte die dicke Eichel mit den Lippen und saugte etwas daran. Dann strichen ihre Lippen abwärts. Sie hatte den Pfahl tief in ihrem Mund, bewegte den Kopf auf und ab, die saugenden Lippen fest um sein Glied geschlossen, und er spürte wachsende Erregung. Es war, als befände sich sein Phallus in der Enge ihrer Vagina – und in Aktion darin. Dann tat er einen wütenden, kleinen Schrei; denn sie hatte sanft zugebissen. Wie zum Ausgleich für den zugefügten Schmerz, leckte sie jetzt mit der Zunge an dem Glied, umkreiste züngelnd die Eichel und ließ wieder ihre fest zusammengepreßten Lippen um das Glied herabstreifen, saugend und so eng wie die Vagina einer Jungfrau. Der Mann blickte zum Deckenspiegel empor und genoß den Anblick, wie sich der Kopf der jungen Frau hob und senkte. «Weiter, weiter», stöhnte er. Aber so hatte es sich Yvonne nicht gedacht. Nicht ihre Mundhöhle, ihren brennenden Leib sollte erlöschen. Sie hörte auf, warf sich rasch zurück und zog die gespreizten Schenkel hoch – und da war er schon über ihr. Ein wilder, schluchzender Schrei! Er hatte sie aufgespießt, ließ dann aber plötzlich wieder von ihr ab. Yvonne schluchzte. Wollte er sie etwa hinhalten? – Nein, er riß nur die Kissen unter ihrem Kopf hinweg und stopfte sie unter ihr Gesäß. Sie lag jetzt hingestreckt, Oberkörper und Kopf ganz tief – und ihr nackter, zukkender Leib wölbte sich über die Kissen nach vorn. Zwischen dem Schwarz der Schamhaare stand die tiefrote, geschwollene Frucht ihrer Vagina – weiches süßes Fleisch mit dem engen Schlitz darin, seiner Gier preisgegeben. Er packte fest hinter ihre gespreizten Schenkel und bohrte seinen Pfahl mit einem wilden, festen Stoß hinein, daß sich die Schamlippen fast kreisrund dehnten und ihn eng umschlossen.
«Haaaach!» Sie tat einen zitternden Schrei. Ihr junger Leib wölbte sich empor. Sie zog die gespreizten Beine etwas an und drängte sich den wuchtigen, rascher werdenden Stößen entgegen. Seine Gier vervielfältigte sich mit ihren Lustschreien. Er rammte den Pfahl in ihren Leib, als gelte es, mit einem Keil Holz zu spalten. Und da sie über die Kissen hingestreckt lag, wobei ihr Leib den höchsten Punkt ihres Körpers bildete, konnte er selbst sein strammes Glied eindringen und arbeiten sehen, was seine Gier erhöhte. Er bearbeitete den jungen Leib mit einer Wollust, wie er sie bei seinen früheren «Opfern» selten empfunden hatte. Vielleicht darum, weil jene Damen, die er später zu erpressen gedachte, noch etwas «hausbacken» waren, wenn sie in seine Hände fielen. Yvonne aber hatte Feuer im Leib bereit… Für den berufsmäßigen Verführer mochte das eine neue Erfahrung sein. Dieses nackte, stöhnende und schluchzende Opfer hier bestand nur noch aus Leib; heißes, saugendes Fleisch, das sich besinnungslos hingab und nach Befriedigung drängte. Er begann zu keuchen. Seine Stöße wurden schneller und kraftvoller. So kurz nach der Entladung zu einem erneuten Höhepunkt zu gelangen, dazu bedurfte es gewaltiger Anstrengung und erforderte Zeit. Sein Pfahl stieß und stieß, vor und zurück – tief hinein – immer wieder… Yvonne war halb besinnungslos vor Lust. Der über die Kissen hingestreckte Leib wurde so machtvoll vorgenommen, daß sie sich wie hingerichtet fühlte – wehrlos ausgeliefert. Der dunkle, fast schmerzhafte Drang in ihrem Leib verstärkte sich. Es dauerte so lange – oh, es nahm kein Ende. Sie stöhnte und gab kleine Schreie von sich, und hielt die Hände über die Augen, um nicht im Deckenspiegel den eigenen, zuckenden Körper sehen zu müssen. Und da endlich – ach, nach so langer, wilder Raserei –, endlich spürte sie das heiße Kribbeln, das den Höhepunkt einleitete. Es ergoß sich in die Flammen ihrer Lust, sprudelte und schäumte – und löschte endlich das Feuer. Er begattete sie so
machtvoll, daß ihr fast die Sinne schwanden. Erleichterung breitete sich in der Tiefe ihres Leibes aus, als wäre eine Wolke vor die glühende Sonne gezogen. Noch lag sie zuckend da, als der Mann von ihr abließ. Langsam entspannte sich ihr Gesicht. Ein Schauder breitete sich über ihre Haut aus. Das brennende Gefühl, der dunkle Drang in ihrem Leib war gelöscht und befriedigt. Dennoch hinterließ die erlebte Lust den Schatten eines neuen Verlangens. Undeutlich gewahrte sie, daß der Mann das Zimmer verließ. Sie wünschte, tot zu sein – oder daß er wiederkäme. Yvonne mußte in einen kurzen, aber sehr tiefen Erschöpfungsschlaf versunken gewesen sein. Als sie erwachte, stand Jules Carnet vor dem Bett und starrte sie an. Er war noch immer nackt. In seinem Gesichtsausdruck war etwas Unheimliches: Haß und Drohung zugleich! Erschreckt richtete sich Yvonne halb auf. «Was ist? Warum starren Sie mich so an –?!» Er grinste böse. «Denke einmal nach, mein Täubchen! Wer ist wem in die Falle gegangen – du mir oder ich dir?» Sein Tonfall ließ keinen Zweifel offen: Jetzt wurde es ernst! Aus irgendeinem Grunde hatte sich seine Einstellung zu ihr verändert. Ganz unvermittelt ging er zum förmlichen «Sie» über. «Während Sie süß und unschuldig schlummerten», sagte Carnet haßerfüllt durch die Zähne, «war ich so frei, mir den Inhalt Ihres Handtäschchens etwas genauer anzusehen – Madame Yvonne Orval!» Der Schrecken lähmte sie für einen Augenblick. Die Handtasche! Darin befand sich noch ein Papier mit einem zweiten «Knockout-Pülverchen» und natürlich ihr Ausweis. «Ich habe auch eine Visitenkarte entdeckt: MADAME GERMAINE – und darauf die Telefonnummer einer Detektei. Sie arbeiten also für die Germaine, wie interessant!» Yvonne schöpfte tief Atem, dann klang ihre Stimme ganz ruhig. Es hatte keinen Sinn mehr, die Rolle der naiven Anhalterin weiterzuspielen. «Peinlich für Sie, Carnet – nicht für mich.» Er lachte unfroh. Yvonne schickte sich an, vom Bett aufzustehen, aber der Mann machte drei rasche Schritte und sie wich vor
ihm zurück, zog rasch ein Kissen über sich. Carnet lachte jetzt nicht mehr. In seinen Augen war ein böses Licht. «Drüben im Wald ist ein altes, unbewohntes Waldhüter-Haus», sagte er nachdenklich. «Dort werde ich Sie gefangenhalten und jede Nacht besuchen.» Yvonne ließ sich die wachsende Angst nicht anmerken. «Was versprechen Sie sich davon?» «Viel Spaß. Sie sind wunderbar im Bett! Das möchte ich noch ein paar Nächte auskosten, bevor…» Er sprach nicht zu Ende, aber es ließ sich unschwer erraten, was er meinte. Ihr Herz begann zu klopfen. «Man wird mich vermissen», sagte sie rasch. «Wenn ich mich in drei Stunden nicht telefonisch gemeldet habe, ist hier die Polizei im Hause.» Carnet grinste. «Gut, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Aus den Flitterwochen wird also nichts – schade! Ich werde nun also dafür sorgen, daß alle Unterlagen, die auf meine, hm, Geschäfte hindeuten und mich belasten können, aus dem Haus verschwinden, ehe die Polizei kommt. Nun, was dann?» «Sie vergessen eine Kleinigkeit – mich!» Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie auch schon begriff und zu zittern begann. «Sie wollen mich – doch nicht – umbringen –?!» Carnet setzte sich zu ihr aufs Bett, streichelte ihre nackten Brüste. Sie duldete es zitternd. «Er ist ein lieber, kleiner Käfer, sagte die Libelle – und biß ihm den Kopf ab!» zitierte er aus der «Biene Maja»; er sagte es durch die Zähne. «Was für ein Unglück! So ein hübsches, junges Geschöpf – und treibt mich in die Enge, so daß mir gar kein anderer Ausweg bleibt…» «Sie werden es nicht wagen», stöhnte Yvonne, gewürgt von Angst. «Die Dinge liegen zu eindeutig. Man wird Sie sofort verdächtigen und schließlich überführen.» Carnet schien nachzudenken. Er hob sich vom Bett, ging langsam zur Tür und wandte sich noch einmal um. «Ich werde mich jetzt ankleiden und die Filmkassetten verschwinden lassen, auf die Sie es doch wohl abgesehen hatten? Dann komme ich wieder, meine Liebe. In der Zwischenzeit dürfen Sie über das Risiko nachdenken, einem
routinierten Erpresser in die Quere zu kommen…» Die Tür schlug zu und ein Schlüssel wurde gedreht. Dann verlöschte das Licht. Yvonne saß zitternd im Dunkeln auf dem Bett. Sie konnte sich nicht einmal ankleiden; er hatte ihre Kleider mitgenommen. Das Fenster! dachte sie und sprang auf. Aber das Fenster ließ sich nicht öffnen; es war verriegelt und außerdem mit einem starken Gitter versehen. Yvonne lief verzweifelt im dunklen Zimmer umher, sank schließlich aufs Bett und wartete – worauf? Auf das Ende? Sie zweifelte nicht, das Carnet zu allem entschlossen war. Dann vernahm sie von draußen das wütende Kläffen des Wachhundes und schöpfte neue Hoffnung. Aber plötzlich erstarb das Geräusch, und es wurde unheimlich still. Yvonne verspürte ein Zittern, das sich über ihren ganzen Körper ausbreitete und nicht unterdrücken ließ. Nach langer Zeit hörte sie nebenan das Geräusch von Schritten. Carnet kam zurück! Der Schlüssel wurde gedreht. Die Tür schwang nach innen und eine schattenhafte Gestalt trat ein, kam lautlos näher. Yvonne wich auf dem Bett zurück. Sie fror jetzt, weil sie nackt war – und in Todesangst. «Nein», stöhnte sie. «Bitte – tun Sie es nicht!» Der Schatten stand neben dem Bett. Yvonne wollte schreien. Die Stimme versagte ihr. «Bitte», hauchte sie. «Es – führt doch zu nichts. Ich verspreche Ihnen zu schweigen – und will auch einige Tage bei Ihnen bleiben…» Die schattenhafte Gestalt beugte sich über sie. Yvonne blieben die Worte in der Kehle stecken. Dann spürte sie, wie der Mann ihre Wange küßte, ganz behutsam und zärtlich. «Es freut mich, zu hören, daß Sie nett zu mir sein wollen», sagte Rex Carrigan, «aber dies ist wohl nicht der geeignete Augenblick dafür. Ich komme später darauf zurück, wenn es recht ist?» Er machte Licht und betrachtete ihre schlanke, nackte Gestalt wie ein Geschenk. Yvonne lachte und weinte in einem. An den
Lichtschalter neben dem Bett hatte sie nicht gedacht. Wie dumm von ihr! «Oh – Rex», wimmerte sie. «Ich hatte solche Angst!» Und gleich darauf, etwas unlogisch: «Sehen Sie nicht, daß ich nackt bin?!» «Ich sehe es mit Vergnügen – hm, ich meine, mit Besorgnis. Hat er Ihnen etwas getan?» Es war eine dumme Frage; er begriff es sofort und hustete verlegen. «Carnet wollte mich umbringen», sagte Yvonne, jetzt ganz ruhig. «Ja – ich weiß. Leider konnte ich nicht eher kommen, der bissige Köter draußen war dagegen; ich mußte erst einmal die Bestie mit einem Knüppel zur Ruhe bringen. Dann hatte ich noch eine kleine Unterredung mit Carnet. Er kam aus dem Haus gerannt und schlug sein Kinn gegen meine Faust, der Dummkopf. Zunächst habe ich ihn erst einmal gefesselt, damit er nicht davonläuft, ehe die Polizei kommt.» «Polizei?» Yvonne sprang auf. «Mein Auftrag, Rex! Ich muß die besagte Filmrolle sicherstellen…» Nackt wie sie war, lief sie hinaus. Der Reporter blickte ihr kopfschüttelnd nach. Sie hatte es sehr eilig, die schöne Yvonne. «Merkwürdige Frau!», murmelte er. «Soeben noch halb bewußtlos vor Angst – und jetzt schon wieder in Aktion, da soll einer klug daraus werden…» Er betrachtete lange das zerwühlte Bett, und seine Gedanken bewegten sich auf düsteren Pfaden. Was mochte sich hier nur abgespielt haben?
7. Kapitel Nach überstandener Gefahr ist gut baden. Yvonne plätscherte mit der smaragdgrünen Flut. Die feinen, scharfen Wasserstrahlen zischten aus der Brause… warm… kalt… warm… kalt… Sie duschte alles hinfort, was an süßen und bösen Empfindungen der vergangenen Nacht geblieben war. Rex Carrigan hatte alles ganz elegant geregelt. Während Yvonne den Wagen nach Mesnil-le-Roi fuhr und dort auf ihn wartete, die ominöse Filmkassette «11/79» in Händen, telefonierte der Reporter mit der Polizei. Dann legte er sich mühelos eine glaubhafte Geschichte zusammen. Natürlich mußte man Yvonne aus der ganzen Affäre heraushalten. Sie konnte und wollte nicht gegen Carnet aussagen, das war verständlich. Der Reporter schleppte den gefesselten Kerl erst einmal ins Haus und legte ihm nahe, im eigenen Interesse gewisse Vorgänge, vor allem den Namen Yvonnes, zu verschweigen. «Geplanter Mord, Mann, das wird zusätzlich sehr teuer! Diese zehn oder fünfzehn Jahre zusätzlich sollten Sie sich ersparen…» Carnet begriff es; mit der Quittung für seine Erpressungen (Beweismaterial dafür fand sich ja genug in seinem Schreibtisch; da fehlte nur die eine Kassette, die Yvonne an sich genommen hatte) – damit also fühlte sich Jules Carnet ausreichend bedient, und sein späteres Geständnis entsprach genau dem, was Carrigan ausgetüftelt hatte. Carnet hatte also nach dieser Version eine unbekannte Anhalterin aufgelesen und in sein Haus mitgenommen. Das entsprach – bis auf das «unbekannt» – durchaus den Tatsachen. Dann war er zudringlich geworden… Rex Carrigan hatte einen ausgedehnten Spaziergang unternommen und sich dabei im Walde verirrt. So gelangte er in die Nähe des Schlosses. Er hatte das Mädchen schreien gehört, war ins Haus eingedrungen und hatte Carnet überwältigt – voilà – das war alles. – Das Mädchen? Ja, wo ist sie denn – nanu, sie muß heimlich davonge-
laufen sein. Das kann man verstehen, nur keinen Skandal, nur keine Gerichtsverhandlung… Der Kommissar, der Carnet festnahm, hatte andere Sorgen, als weiter nachzuforschen, die Aussagen noch zu überprüfen. Was sich da in Carnets Schreibtisch an haarsträubenden Filmen fand, das genügte für die Handschellen – und für den Staatsanwalt. Der Reporter hatte Yvonne dann nach Hause gefahren, nachdenklich und schweigend, ohne weitere Fragen zu stellen… Sie war nun ausgeschlafen, saß in der Badewanne – erfrischt und wieder ganz vergnügt. Die Morgensonne schien zum Fenster herein und löschte auch die letzte Erinnerung an die alptraumgleichen Geschehnisse der vergangenen Nacht aus. «Nettchen –?!» – Das Mädchen schwebte auf einer Wolke von Lavendel herein. – «Habe ich dir schon gesagt, daß wir reich geworden sind? Zweimal hunderttausend von gestern, und heute kassiere ich noch einmal. Wir können uns einen Wagen kaufen und…» «Kleider, Pelzmäntel und zentnerweise Pralinen!» zählte Nanette an den Fingern auf, was sie für besonders begehrenswert hielt. «… und in Luxus leben!» ergänzte Yvonne. «Die Pralinen sind gestrichen; wir müssen auf unsere schlanke Linie achten. Du kannst mir jetzt den Rücken schrubben; ich habe noch immer eine Gänsehaut von letzter Nacht her. Ob es schlimm war? Na, teils, teils…» Den einen Teil konnte sich Nanette schon denken, über den anderen ließ sich nichts Näheres erfahren. Sie plauderten und berieten, was sie sich alles anschaffen wollten. Dann telefonierte Yvonne mit Madame Germaine, berichtete kurz, und Madame war sehr zufrieden. «Ruhen Sie sich erst einmal aus, Yvonne. Den Scheck können Sie am Nachmittag holen und mir die Kassette bringen, und dann – wollen Sie einen kleinen Urlaub machen, an der Riviera vielleicht?» «Danke! Ich bin ganz mobil. Wie ist es mit einem neuen Auftrag?» – Madame war erst einmal sprachlos. Dann lachte sie furchtbar lange. «Ja – gut!» sagte sie dann, noch ganz atemlos.
«Yvonne, Sie gefallen mir immer besser. Wir können dann darüber sprechen. Um siebzehn Uhr, wenn es recht ist?» Da war noch viel Zeit. Yvonne ging mit in die Küche und half bei der Zubereitung des Frühstücks. «Du hast mir noch gar nicht viel von dir erzählt, Nanette. Erzähle mir von deinen früheren Arbeitgebern. Welcher von ihnen hat dir die Unschuld geraubt?» Yvonne meinte es spaßhaft, aber an der Art, wie Nanette die Augen verdrehte, sah sie, daß daran etwas war. Während sie frühstückten, plauderte Nanette munter darauf los. Sie strich Honig auf den Toast und fuchtelte mit dem Messer – das mußte man ihr noch abgewöhnen –, um ihren Worten Gewicht zu verleihen… «Meine erste Anstellung hatte ich in Bobigny bei einem Textilgroßhändler. Ich war gerade aus der Schule entlassen, und meine Eltern waren sehr arm.» «Du trugst baumwollene Unterwäsche und wußtest nichts von der Liebe.» «Die Baumwolle, ja! – Die Liebe? Nun, man hatte Freundinnen, die mehr wußten oder zu wissen vorgaben. Ich war dumm, aber nicht ganz dumm. Mehr so in der Mitte. Natürlich war ich neugierig, das große Geheimnis kennenzulernen, das, wovon nur gewispert wurde. Ich probierte es einmal mit dem Griffeiner Haarbürste – verzeih mir, es ist wohl unappetitlich, beim Frühstück davon zu sprechen?» «Dein Werdegang interessiert mich, sprich weiter.» «Also, das mit der Haarbürste war wohl nichts. Heutzutage gibt es ja gewisse Apparate, mit denen man – also, na ja!» Nanette wurde ganz rot im Gesicht, sie zwinkerte mit den Augen. «Du weißt schon. Es kribbelt so nett, ist aber doch nur ein Ersatz…» «Der Textilgroßhändler hat dich verführt?» «Monsieur Sabre war eine Seele von Mensch. Er hatte Adenoiden und zischte immer durch die Nase: Tsss… tsss! Die Gnädigste wachte sehr über seine und meine Tugend. Als sie dann einmal verreiste, fuhr Monsieur häufig in die Stadt und kam erst zum Mittagessen heim, am nächsten Tag also. Dann ging er immer gleich zur Beichte. – Nun, wenn man baumwollene Un-
terwäsche trägt und all die seidenen Dessous sieht, die da aufgestapelt sind – hauchdünne Negliges, Höschen aus schwarzer Seide –, ach, für mich armes Mädchen war das eine Wunderwelt! Wenn Monsieur fort war, wühlte ich in diesen Schätzen und begann anzuprobieren. Ich zog mich ganz nackt aus und probierte – mal ein Höschen, mal einen BH – ; die BHs waren mir meist zu groß – oder eines von diesen durchsichtigen Nachthemden, alles natürlich vor dem Spiegel, es war richtig aufregend.» «Kann ich mir denken.» Yvonne lachte. «Und du stelltest dir dabei vor, daß ein Mann dich so sieht.» «Monsieur Sabre sah mich so. Er kam eines Abends überraschend zurück. Ich hatte nur ein weißes Spitzenhöschen an und bewunderte mich im Spiegel, als ich das ominöse ‘Tsss-tsss!’ hinter mir hörte. Mon Dieu!, hab’ ich mich geschämt und auch ein bißchen geängstigt. Die Augen quollen ihm beinahe aus dem Kopf. Ich befürchtete ein schreckliches Donnerwetter, aber er starrte nur auf mein Höschen und zischte dabei durch die Nase. – ‘Aber, mein Kind… tsss, tsss… das ist doch gar nicht so schlimm. Nur ausziehen mußt du das Höschen wieder… ausziehen!’ – Na, dann half er mir eben beim Ausziehen.» «Hat es sehr weh getan?» fragte Yvonne leise. «Das Ausziehen? Ach so, dann im Bett! Nun ja, es war kein reines Vergnügen. Monsieur hatte einen ziemlichen Bauch und lag so schwer auf mir. Aber er tat es ganz sanft, und es wurde nicht allzu schlimm. Ich sagte dir ja: Er war eine Seele von Mensch. – Er kontrollierte noch sehr oft, ob ich nicht eines der Seidenhöschen trug, und weil ich von da an stets eines trug, zog er es mir dann auch aus; Ordnung mußte ja sein.» «Diese vielen Höschen-Kontrollen blieben Madame natürlich nicht verborgen, wie?» «Auch sie kam eines Tages überraschend von der Reise zurück, als wir gerade am Wirken waren. Erstaunlicherweise machte sie kein großes Theater. Wahrscheinlich hatte sie selbst ein schlechtes Gewissen. Ich flog natürlich mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel hinaus. – Ich kam zu einem Ehepaar, das auf
Ordnung und regelmäßiges Leben einen großen Wert legte. Die Wände waren dünn und das eheliche Schlafgemach direkt neben meiner Mädchenkammer gelegen. Ich bohrte ein Loch durch die Holzwand und sah immer zu, wenn sie es trieben. Die Herrschaften hatten die Liebe rationiert: montags, mittwochs und freitags, wie die Sprechstunden beim Finanzamt. Einen Dienstag, mitten in der Nacht, kam Monsieur dann zu mir, als die Gattin schlief. Er hatte sich angeblich in der Tür geirrt. Ich mochte ihn nicht, kratzte und biß wie eine Wildkatze. Als ich schrie, kam die Gattin – und gab natürlich mir die Schuld. Nun, am nächsten Morgen nahm ich meine Sachen und ging.» «Bonne à tout faire… Mädchen für alles!» nickte Yvonne. «Die Herren Brotgeber nehmen das gerne wörtlich.» «Wo der Ehesegen ohnehin meistens schiefhängt, jedenfalls nach meiner Erfahrung. Also, ich kam dann zu einem Arzt, der bereits am zweiten Tag – seine Gattin war zur Kur – die Anzeichen einer schweren Mandelentzündung bei mir feststellte. Er sagte: ‘Die Symptome sind ernst, ziehen Sie sich aus, ich muß Sie untersuchen!’ – Nun, er untersuchte mich so gründlich, daß ich in andere Umstände kam. Die Umstände wurden beseitigt, er war ja Arzt, und ich wechselte meine Stellung. – Ich kam zu einem Kunstmater, der mich als Aktmodell und auch sonst gebrauchte. Ein ganz netter Mensch, von ihm habe ich viel gelernt, aber er befand sich immer in Geldschwierigkeiten und pumpte den Lohn, den er mir zahlte, immer wieder von mir zurück. Das wurde mir auf die Dauer zu ungemütlich. – Ich wechselte zu einem Schriftsteller, einem recht bekannten Verfasser von Liebesromanen.» «Du warst seine Muse – natürlich verführte er dich?!» «Keineswegs, er verhielt sich völlig korrekt. Notgedrungen, möchte ich sagen; er war impotent!» Nanette wartete, bis sich Yvonne von ihrem Lachen erholt hatte. «Dann kam ich zu Ihnen – zu dir, Yvonne. Ich lernte Pierre kennen, wie du weißt, hatte aber niemals richtigen Spaß mit ihm; er ist zu ungepflegt und eifersüchtig. Ich dachte immer, so ein Bankangestellter müßte
etwas Besonderes sein, aber er ist mir zu kleinkariert. Ich habe ihm den Laufpaß gegeben.» Yvonne blickte sie nachdenklich an. «Hast du niemals versucht, meinen Gatten zu betören?» «Aber nein, es wäre vergebliche Mühe gewesen. Ein kluges Mädchen fühlt das instinktiv. Wenn ein Mann dich ansieht, spürst du es sofort: Jetzt entkleidet er dich in Gedanken! Dein Mann hat mich niemals so angesehen, vielleicht – », ein Seufzen war in ihrer Stimme, « – weil du viel schöner bist als ich. Oder nein, nicht deswegen. Er hat dich zu sehr geliebt.» Yvonnes Augen wurden dunkel. Sie brach die Plauderei ab, um sich umzuziehen, wie sie sagte, und verschwand so rasch im Schlafzimmer, daß Nanette Gewissensbisse bekam. Oh, war ich dumm! Nun weint sie… Ich bin doch wirklich eine dumme Gans…
8. Kapitel An diesem Nachmittag kaufte Yvonne das Automobil, ein schikkes Cabriolet, rot wie die Sünde, und fuhr damit zu Madame Germaine. Während sie im Vorzimmer wartete, die kostbare Filmkassette in den Händen, überdachte sie noch einmal den Fall Carnet. Sie hatte Madame nur einen ganz kurzen Bericht am Telefon gegeben. Sollte sie besser verschweigen, daß Rex Carrigan mit im Spiel gewesen war? Die Mittagszeitungen hatten seinen Namen nicht erwähnt, nur berichtet, daß ein Erpresser festgenommen worden sei – und um welche Art Erpressungen es sich handelte. Yvonne beschloß, bei der halben Wahrheit zu bleiben. «Ich hielt ihn für den Chauffeur, Madame. Als ich ihn erkannte, befanden wir uns bereits an Ort und Stelle.» (Das war die Wahrheit.) – «Ein aufdringlicher Mensch!» (Gelogen.) – «Dennoch war ich sehr froh, als er auftauchte und mir zu Hilfe kam.» Madame schien erleichtert, nicht allein wegen der Kassette. «Ihre Aufrichtigkeit, Yvonne, ist eine gute Voraussetzung für unsere weitere Zusammenarbeit.» Sie schrieb den Scheck aus und reichte ihn lächelnd über den Tisch. «Natürlich wußte ich das alles schon. Meine Agenten sind überall.» Dann, nach einer kleinen Gedankenpause: «Der Reporter ist nicht unser Freund, Yvonne. Ich weiß noch nicht genau, worauf er hinauswill. Er sammelt Material gegen mich, gegen uns, behalten Sie das immer im Auge. Und verlieben Sie sich nur nicht in Carrigan! Er ist verheiratet und hat drei süße Kinder in New York…» Yvonne spürte den prüfenden Blick Madames, als sie diese drei Kätzchen aus dem Sack ließ, und lächelte unbeteiligt. – (Prüfung bestanden?) «Aber, Sie können ihn in sich verliebt machen, sollte er wieder Ihre Nähe suchen, Yvonne. Wickeln Sie ihn sich um den Finger, holen Sie alles aus ihm heraus, was er plant und warum er sich so
hartnäckig für meine Geschäfte interessiert – und für Katja, wohlgemerkt, er scheint eine Schwäche für die Russin zu haben.» Die drei Carrigan-Kinder nahm Yvonne ihr nicht ab, ohne zu ahnen, daß es sich hierbei auch um eine der bewußten «halben Wahrheiten» handelte. Im übrigen war sie neugierig auf den neuen Auftrag. «Wir haben drei außerordentlich schwierige Fälle», kam Madame seufzend zur Sache. «Das Schlimme ist, daß ich außer Ihnen, Yvonne, gerade jetzt niemanden zur Verfügung habe, der die Voraussetzungen besitzt: Schönheit und Intelligenz! Darum bin ich sehr froh, daß Sie keinen Urlaub wollen.» Sie erläuterte den ersten Fall, der darum besonders schwierig war, weil die Zeit drängte und keine Möglichkeit blieb, irgendwelche Vorbereitungen zu treffen. «Es handelt sich um einen namhaften Boxer, der in zwei Tagen einen Entscheidungskampf gegen seinen Herausforderer auszutragen hat. Der Herausforderer ist mein Protege und soll gewinnen. Ich befürchte, die Zeit ist zu knapp, um da noch zu einem Ergebnis zu gelangen. Denken Sie sich etwas aus, versuchen Sie es! Sie können, ja müssen völlig selbständig handeln.» Worauf Madame Germaine hinauswollte, das ließ sich unschwer erraten. Yvonne seufzte innerlich, ließ sich jedoch nichts anmerken. (Ein Boxer, du meine Güte!) «Bedenken Sie, daß Sie es mit einem Schwerathleten zu tun haben – », sagte Madame, nicht ohne Mitgefühl. «Die sind schon lange vor dem Kampf zu absoluter Abstinenz verpflichtet: Kein Alkohol, keine Frauen!» «Darüber wacht der Trainer», nickte Yvonne. «Ein richtiger Höllenhund von einem Trainer, ja. Das Trainingslager befindet sich in Villejuif. Damen haben überhaupt keinen Zutritt. Wenn es Ihnen dennoch gelingt, sein Training zu stören, so ergiebig, daß er halb knockout ist, bevor der Kampf noch begonnen hat, dann erwartet Sie ein fürstliches Honorar!» Yvonne erwartete eher, selbst knockout zu gehen, wenn es ihr gelang, den Boxer aus dem Ring und ins Bett zu locken. Darum ging es ja wohl. Andererseits reizte sie das Außergewöhnliche an diesem Auftrag.
Da kam es wirklich auf ihre Klugheit an. Ein Boxer der Spitzenklasse ist zu neunundneunzig Prozent Boxer – und höchstens zu einem Prozent Mann, und das nur im Urlaub. Mit einem Prozent ließ sich wenig anfangen. Sie konnte ebensogut versuchen, einem Elefanten das Klavierspielen zu lehren. «On verra! Ich probier’s», sagte Yvonne und wandte sich lächelnd in der Tür um. «Ich krieg ihn, das wäre ja gelacht.» Madame Germaine blickte ihr mit einem hintergründigen Lächeln nach: Die junge Dame macht sich! Sie ist flügge geworden. Nur aufpassen, daß mir das Vögelchen nicht eines Tages davonflattert… Das Trainingslager des großen Boxers war weit außerhalb von Villejuif gelegen: Ein kleines Gasthaus mitten im Walde, an der Chaussee nach Bourg. Es ging schon dem Abend zu, als Yvonne ihren Wagen in vorsichtiger Entfernung von dem Gasthaus zum Stehen brachte. Unterwegs hatte sie die verschiedenen Möglichkeiten reiflich überlegt, die Abschirmung zu durchbrechen. Das Boxen ist weniger Sport als Geschäft, und alle Leute, die an dem Geschäft beteiligt sind, die Manager, Trainer und sonstigen Trabanten, sie sind höllisch wachsam, von ihrem Schützling und Geldverdiener fernzuhalten, was seine «gute Form» beeinträchtigen konnte. Frauen wurden außerhalb der offiziellen Zeit, wenn Paul du Champ seine Sparringspartner vor Zuschauern zu Brennholz verarbeitete, überhaupt nicht zugelassen. Jeder Schritt des Boxers wurde überwacht, jeder kleine Huster sorgenvoll registriert – vermutlich ließ man ihn nicht einmal im Bad allein. Das Vorhaben war schwierig; etwa vergleichbar der Absicht, eine Filmdiva im Augenblick der Großaufnahme und vor den Augen des Regisseurs aus dem Filmatelier entführen zu wollen. Zwischen einer und noch einer Zigarette entwickelte Yvonne ihren Plan. Durch die Windschutzscheibe ihres Wagens konnte sie die Eingangstür des Gasthauses beobachten. Es begann schon dunkel zu werden, als endlich Paul du Champ ins Freie trat. Er startete zum allabendlichen Trainingslauf, dicht gefolgt von seinem keuchenden und japsenden Trainer. Die beiden trabten
vorbei, ohne Yvonne auch nur eines Blickes zu würdigen. Boxer im Training sind geschlechtslose Wesen, die nur darauf bedacht sind, die Muskeln zu stählen. Dafür hatte sich Yvonne diesen Mann sehr genau angesehen. Sie registrierte: Ein blonder Riese, etwas einfältig, nicht unsympathisch, wie alle Boxer der Spitzenklasse eitel auf seinen Ruhm und mit Sicherheit unbeholfen und hilflos wie ein großer Junge, bekam er es mit einer hübschen, jungen Dame zu tun. En garde! dachte Yvonne. Sie nahm Papier und Bleistift zur Hand und schrieb mit verstellter, betont männlicher Handschrift ein paar Zeilen. Dann heftete sie den Zettel gut sichtbar an das Lenkrad und verließ den Wagen. Paul du Champ hatte seinen Trainer abgehängt. Auf dem Rückweg zum Trainingslager gelangte der Boxer in die Nähe des kleinen, roten Cabriolets, als er einen erstickten Hilferuf vernahm. Irgendwo drüben im Gebüsch, am Waldrand, schrie eine Frau. Der Ruf wiederholte sich. «Hilfe! Oh, du Ungeheuer… Gib mir meine Kleider wieder…», flehte eine Frauenstimme. Der Boxer stand wie angeleimt. Yvonne lugte durch die Zweige. Mon Dieu! hat der eine lange Leitung. Man wird ja heiser dabei… Sie begann, mit den Zweigen zu rascheln, um einen Kampf vorzutäuschen. «Willst du mich denn ganz nackt ausziehen, du Scheusal?!» rief sie einem ganz unbeteiligten Ginsterstrauch zu. Und weil der Boxer noch immer keine Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, ließ sie ein Schluchzen vernehmen, das einen Eisberg zum Schmelzen gebracht hätte. «Du schlägst mich?» rief sie und klatschte in die Hände. Paul du Champ begann zu rennen. Endlich hatte es in seinem Gehirn gezündet. Wie ein Elefant brach er durch die Büsche, daß die Blätter nur so flogen. Dann stand er keuchend vor der jungen Dame, die auf einem Baumstumpf saß und heftig weinte. Er bemühte sich, in eine andere Richtung zu sehen. Yvonne war nur
mit einem Höschen bekleidet. Die Überreste eines arg zerfetzten Unterkleides hielt sie in den Händen. Mit gesenktem Kopf, so daß die zerrauften schwarzen Locken ihr Gesicht verdeckten, schluchzte sie vor sich hin. «Rühre mich nicht an, du Biest! Ich schwöre dir, daß ich nichts mit dem Boxer habe… Ich wollte doch nur – ein Autogramm – von ihm.» «Verzeihung», sagte der Boxer. «Ich hörte Hilferufe und dachte…» Yvonne blickte erschrocken auf; es war gekonnt, ihr hübsches Gesicht war naß von Tränen. «Oh, ich befürchtete schon, er wäre zurückgekommen.» Sie begann wieder zu schluchzen. «Er hat mich geschlagen! Dabei wollte ich doch nur ein Autogramm des berühmten Boxchampions, Paul du Champ, Sie kennen ihn gewiß. Sind Sie der Trainer?» «Ich bin Paul du Champ!» – Er hätte ebensogut: «Ich bin Alexander der Große!» sagen können. – «Wer hat Sie geschlagen?» Paul sah sich um, entdeckte aber niemanden. «Mein Freund, er ist so schrecklich eifersüchtig und denkt, daß – nun, daß wir etwas miteinander haben, Sie und ich. Dabei wollte ich doch wirklich nur ein Autogramm. Wir haben miteinander gestritten. Dann hat er plötzlich den Wagen angehalten und hat mich hierher in den Wald gezerrt, das Ungeheuer. Die Kleider hat er mir vom Leib gerissen, sehen Sie nur…» Paul sah es mit wachsendem Interesse. «Ich verstehe. Sie konnten nicht gut nackt zu mir ins Trainingslager gehen.» «Er sah Sie wohl kommen und ist ausgerissen, der Feigling. Hoffentlich hat er wenigstens meine Kleider im Wagen gelassen? Zum Glück habe ich den Zündschlüssel abgezogen.» – Sie öffnete die Hand und zeigte den Schlüssel. Paul trat von einem Bein auf das andere. Wahrscheinlich vermißte man ihn schon im Trainingslager. Das Mädchen war süß, gewiß, aber er hatte schließlich ganz andere Sorgen. –
«Wissen Sie, was er gesagt hat, als er davonlief?» sagte Yvonne rasch. «Er würde Ihnen an der Straße auflauern und Sie dann mit der flachen Hand erschlagen, wie man eine Mücke erschlägt!» Eine Mücke!! Das war zuviel. Der Boxmeister reckte die Brust hervor. «Ich werde Sie zum Wagen begleiten, haben Sie keine Angst. Er wird es nicht wagen, Sie wieder zu schlagen.» Sie machte ein paar Schritte, dann strauchelte Yvonne gekonnt und sank mit einem Stöhnen zu Boden. «Mein Fuß – oh, mein Fuß!» jammerte sie. «Ich muß mir den Fuß verstaucht haben. Oh, tut das weh…» Paul tat, was jeder normale junge Mann an seiner Stelle getan hätte. Er nahm die junge Dame, so wie sie war, unter den Knien und Armen hoch und trug sie zum Wagen. Bei jedem Schritt wippten ihre nackten Brüste – sie war ja nur im Höschen –, und Paul begann zu schwitzen, jedoch nicht vor Anstrengung. Yvonne kuschelte sich an ihn. Sie fühlte es. Der Fisch begann bereits nach dem Köder zu schnappen. Noch ein weniges, und sie hatte ihn am Angelhaken. «Das wär’s also.» – Paul setzte die zierliche Gestalt sanft in die Wagenpolster. Eine Locke ihres Haares kitzelte seine Nase. Für einen Augenblick sah er unter sich ihre schlanken Beine und das Höschen; er empfand es wie einen Tiefschlag und rang nach Atem. «Also dann – Fräulein…» «Was ist das für ein Zettel?» sagte Yvonne rasch, ehe er sich zum Gehen wenden konnte. Sie nahm das Papier vom Lenkrad und machte Licht im Wagen. Den Text kannte sie zwar auswendig, aber nun konnte sie der Mann in ihrer ganzen Schönheit sehen. Paul sah und atmete schwer. Er war so geistesabwesend, daß Yvonne ihn anstoßen mußte, um ihn wieder ansprechbar zu machen. «Ist das nicht unerhört, Monsieur?! Hier, lesen Sie!» In dieser Minute hatte Paul du Champ – das war offenkundig – bereits einen erheblichen Teil seiner «guten Form» eingebüßt. Er las: «Du kannst meinetwegen nackt um das Autogramm bitten. Und dann nackt nach Hause fahren. – Punkt Mitternacht, nach der Vorstellung, komme ich zu Dir. Sollte ich Deinen Liebhaber, diesen Kraftprotz Du Champ, bei Dir finden, so zerbreche ich ihm sämtliche Knochen.»
«Das ist stark, nein, das ist am stärksten», sagte Paul. «Was für ein Lümmel! Weiß er denn nicht, daß ich der künftige Europameister bin? Woher nimmt er den Mut?» «Oh, er ist sehr stark», sagte Yvonne rasch. «Er ist Catcher.» Das gab den Ausschlag. Der Fisch schluckte den Köder und hing an der Angel. «Catcher!» sagte Paul angewidert, etwa wie man Mist sagt. «Also, ein Komödiant. Einer von diesen Leuten, die einen Ringkampf vortäuschen, um das Publikum aufzuregen, he? Und verprügeln will er Sie? Ein so zartes Geschöpf!» Paul sah sich die junge Dame noch einmal genauer an, ja, sie war sehr zart. «Er ist sooo brutal», wimmerte Yvonne. «Was soll ich nur tun? Meine Eltern sind fortgefahren und ich bin allein zu Haus.» Erschreckt gewahrte sie, wie Paul den Wagenschlag öffnete und ausstieg. Aber ihre Besorgnis war unbegründet. «Warten Sie hier, Fräulein. Ich ziehe mich nur an und besorge auch für Sie etwas zum Anziehen. Damenkleider gibt es ja bei uns im Trainingslager nicht, aber irgendein Mantel wird sich schon finden. Ich bringe Sie selbstverständlich nach Hause…» Paul du Champ wurde schon ungeduldig erwartet. Der Trainer war ganz blau im Gesicht. «Wo steckst du denn so lange? Man sollte meinen, du hättest einen Abstecher zum Arc de Triomphe gemacht. Nun aber unter die Dusche, und dann ins Bett mit dir!» Am nächsten Morgen fand der entsetzte Trainer einen Zettel, aber keinen Paul du Champ im unberührten Bett: «Bin auch nur ein Mensch. Auf Wiedersehen in der Sporthalle. Trink Baldrian, das beruhigt.» Sie saßen im Salon und warteten auf den Catcher. Paul du Champ öffnete und schloß in Gedanken seine riesigen Fäuste. Der Mann wollte dieses zarte, süße Wesen verprügeln? Nun, er sollte nur kommen, sollte nur kommen… «Sie haben es wirklich nett hier», sagte er zum wiederholten Male und unterdrückte ein Gähnen. Yvonne legte rasch eine Schallplatte auf. Es war schon nach Mitternacht. Der Boxer
schien unruhig zu werden; er dachte wohl an seinen bevorstehenden Meisterschaftskampf. Man mußte sofort etwas unternehmen. Den Champagner hatte Paul abgelehnt, er trank nur Limonade. Sie tat, als lauschte sie. «Achtung, ein Automobil hält! Oh, Paul, er kommt – ich habe Angst!» Sie flüchtete sich in seine Arme. Da sie über den Dessous nur einen hauchdünnen Morgenrock trug, spürte er ihre zitternde Gestalt, als wäre sie nackt. Paul atmete schwer. – «Rasch ins Schlafzimmer!» Yvonne zog ihn mit sich. «Wir wollen ihn bestrafen. Platzen soll er vor Eifersucht, wenn er uns im Schlafzimmer sieht, oh, ich freue mich auf sein Gesicht… Haben Sie keine Angst, Paul, er wird es nicht wagen, Sie anzugreifen!» Angst –?! Der Boxmeister zermalmte etwas zwischen den Zähnen. Sie eilten zum Bett und setzten sich. «Wenn er hereinkommt, müssen Sie den Arm um mich legen und mich küssen», ordnete Yvonne an. Sie streifte rasch den Morgenrock ab und saß nun im Höschen und BH sinnverwirrend da. «Ist es so richtig? Wirke ich sündig?» Das konnte man wohl sagen. Im Gehirn des Boxers gab es einen Knacks. Er legte den Arm um Yvonne und küßte sie. Dann sagte er: «Verzeihung!» Yvonne lachte etwas. «Für die Generalprobe war das schon ganz nett, aber doch nicht sündig genug. Oh, Paul, wir müssen doch ganz echt wirken. Haben Sie niemals eine Frau geküßt, ich meine, so richtig geküßt, daß einem der Atem dabei wegbleibt und man Herzklopfen bekommt –?» Er umarmte und küßte sie erneut, diesmal so stürmisch, daß Yvonne wahrhaftig Herzklopfen bekam. Sie fielen dabei auf das Bett zurück. Yvonne strampelte mit den Beinen und wand sich, aber Paul hielt sie fest. «Ist es – so richtig –?» «Oh, Paul – Sie machen ja Ernst!» In diesem Augenblick tat er ihr fast leid; er wirkte wie ein großer Junge, der im Begriff steht, etwas Verbotenes zu tun. «Paul, nein, was tun Sie denn?!» Er war damit beschäftigt, ihr das Höschen auszuziehen. Sie spielte noch mit ihm, tat verschämt und hielt seine Hände fest,
aber gerade das steigerte sein Verlangen. «Es ist ein Unrecht», stöhnte sie. «Seien Sie doch vernünftig!» Sie griff in sein Haar, rüttelte ihn. «Das führt doch zu nichts. Sie werden morgen den Kampf verlieren, wenn Sie, wenn – oh, Paul!» Er war über ihr. Sie hätte ebensogut versuchen können, durch gutes Zureden eine Naturkatastrophe aufzuhalten. Es donnerte und der Blitz fuhr in ihren Leib. Was für ein Blitz! Yvonne tat einen Schrei. Die geballte Kraft monatelanger Askese drang in sie ein, füllte sie ganz aus, so daß sie meinte, der Leib müsse ihr zerspringen. Er hielt ihre Schenkel in seinen kräftigen Händen und tat es wie Poseidon, der Gott der Stürme und der Meere. Sein strammer Phallus drang dermaßen tief in sie ein, daß ihr der Atem wegblieb. Die urwüchsige Kraft des Schwerathleten, seine in langem Training aufgespeicherte Potenz versetzte Yvonne unverzüglich in Ekstase. Er stürmte und drängte, stieß und stieß, ein klemmendes, unsagbar lustvolles Gleiten war in ihrem Leib. Es war ganz anders, als in der Nacht mit dem Erpresser Carnet. Der war mit sadistischer Wollust über sie hergefallen und hatte ihre Sinne auf raffinierte Weise allmählich gesteigert – bis zur Unerträglichkeit. Paul war kein Techniker der Sinnenlust, er war einfach nur ein Mann, eine Urgewalt, und er nahm sie, bei aller Kraft, so zärtlich und liebevoll, wie es angesichts seiner Leidenschaft nur möglich war. Yvonne gab sich ihm hin wie die Birke dem Sturmwind. Bei jedem drängenden Stoß spürte sie Erfüllung und Glückseligkeit. Ein Glühen war in ihrem Leib. Ihre mädchenhaften Brüste stellten sich auf und wurden ganz spitz. Sie blickte an sich herab und sah zwischen den gespreizten Schenkeln den Pfahl eindringen, rascher und rascher – vor und zurück – tiefer und intensiver. Sie schloß die Augen und genoß seine Liebe, die Leidenschaft ohne Gier. Diesmal fühlte sie sich nicht mißbraucht, nicht als Opfer eines Mannes, der ihren zierlichen nackten Körper nur als Fleisch sah. Paul nahm sie ganz, ihren Körper und ihre Seele. Ein Schauder der Glückseligkeit überströmte sie, füllte sie ganz aus. Dann zündete es in der unergründlichen, geheimnisvollen Tiefe.
Ihr Leib spannte sich und es war, als würde eine Batterie entladen – ein Stromstoß fuhr durch ihren Leib, unsagbar süß; der Born öffnete sich, und es wurde heiß und feucht in ihrem Inneren. Yvonne bäumte sich auf, stöhnte langgezogen und tat kleine Schreie, als sich seine Lust ergoß. Es sprudelte und prickelte – noch ein Strahl und immer noch ein Strahl. Ihr Körper verfiel in Zuckungen. Ihre dunklen Augen waren weit aufgerissen und blickten in den Siebenten Himmel. So lag sie noch lange, aufgespießt und in Zuckungen der Lust und hielt ihn fest, bis der Orgasmus abgeklungen war. Paul küßte sie zärtlich und etwas verlegen. «Vergib mir. Weißt du, es wurde einfach übermächtig in mir. Ich habe dir doch nicht weh getan –?» Sie umarmte ihn und weinte Tränen der Glückseligkeit an seiner Brust. «Es war wunderschön, Paul. Etwas anstrengend, ja – du bist so kräftig, aber du tust es nicht wie eine Maschine. Ich – ich danke dir… » Er küßte ihre Brüste, ihren Leib, die Schenkel, streichelte ihren Venushügel, beugte sich nieder und berührte mit der Zunge ihre geschwollene Klitoris. Yvonne schauderte und spürte das Gleiten der Zunge. «Ooooh, nicht – Paul!! Wir müssen ruhen. Sei vernünftig – haaaach – o weh, ich – spüre es schon wieder – hach – haaaach…» Seine Zunge fuhr über ihren Leib, über die Brüste, er knabberte sanft an den Brustwarzen, streichelte gleichzeitig ihre Schenkel, und sein Finger glitt an ihrer Pforte entlang. Dann sah sie, wie sein Glied schon wieder stramm aufgebäumt vor seinem Leibe stand. Sie nahm es in die Hand; es war heiß und hart – sie griff fester zu und massierte es, daß die Eichel mehr und mehr anschwoll. Dann nahm sie es in den Mund und bewegte den Kopf auf und ab, mit fest saugenden Lippen. Als sie die Schenkel spreizte, war Paul wieder über ihr… Er tat es dreimal in dieser Nacht, ohne auch nur einen Gedanken an den bevorstehenden Boxkampf zu verschwenden. Yvonne erlebte es wie einen wüsten, gleichzeitig beseligenden Traum, wenn auch nicht ohne Gewissensnot. Als die aufgehende
Sonne die Dächer von Paris vergoldete und der Morgenwind mit den Gardinen spielte, fühlte sich Yvonne wie nach einem Taifun. Alle Glieder schmerzten und in der Tiefe ihres Leibes verspürte sie noch immer ein Gefühl, als habe ein Dämon von ihr Besitz ergriffen, ein Prickeln und heißes Glühen wie von hunderttausend Volt. – Knockout! dachte sie. Diesen Kampf hatte er jedenfalls gewonnen… Sie stand leise auf. Paul du Champ schlief tief und fest wie ein Kind, das vom Lolli träumt; er lächelte im Schlaf. «Wir müssen ihn wieder zu Bewußtsein bringen», sagte sie zu Nanette, die schon in der Küche hantierte. «Bereite einen Kaffee, mit dem man Scheintote erwecken kann, aber sei leise und laß dich nicht blicken! Er soll nicht wissen, daß noch jemand in der Wohnung ist.» Nanette blickte sie mitfühlend an wie die Mutter das kleine Mädchen, das sich die Finger verbrannt hat. «Du siehst ganz schön mitgenommen aus, Yvonne – so mit Schatten um die Augen herum. Muß wohl eine wilde Nacht gewesen sein…» Yvonne schwieg. Diese Art Kommentare mochte sie nicht. Sie ging unter die Brause, und als der Frühstückstisch bereitet war, weckte sie Paul du Champ mit einem süßen Kuß. Yvonne hörte das Stimmengewirr der nach vielen Tausenden zählenden Zuschauermenge im weiten Rund der Sporthalle wie aus weiter Ferne. Paul du Champ hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, bevor er sich verabschiedete. Der Gedanke daran tat ihr weh; sie empfand Gewissensbisse, wünschte sich, weit fort zu sein und diesen blonden, großen Jungen niemals kennengelernt zu haben. Die Rundfunkleute zogen Kabel, stellten Mikrofone auf. Die Punktrichter nahmen ihre Plätze ein. Dann kam Guillaume, der Betreuer Pauls, bekümmert und ganz grau im Gesicht, an den Ring und ließ seine Blicke durch die Halle gehen, als suchte er einen unbekannten Täter, eine Täterin, genauer. – Yvonne schalt sich selbst eine Närrin, aber ihr kamen die Tränen. Sie erlebte
alles weitere wie einen bösen Traum: Paul du Champ kam über den Laufgang und kletterte über die Seile. Wenig später war auch der Herausforderer zur Stelle. Es wurde still im großen Rund. Der Kampf wurde angesagt, der Ringrichter ermahnte die Kämpfer, hob die Hand… Gong! Bereits die erste Runde wurde entsetzlich. Yvonne sprang von ihrem Platz auf. «Paul – Paul!» Der erste Niederschlag. Er kam sofort wieder auf die Beine. Eine wütende Schlagserie prasselte auf ihn ein. Er ging in Deckung, taumelte, wich zurück, wurde getrieben, fiel in die Seile, wich nur noch zurück. Gong! – Yvonne saß vernichtet da, die Tränen strömten ihr über das Gesicht. Das hatte sie nicht gewollt… In der zweiten Runde bahnte sich die Katastrophe bereits an. Im Zuschauerraum herrschte atemloses Entsetzen. Dann brach ein wütendes Geheul los, ein Sturm der Entrüstung. Pfuirufe wurden laut, Pfiffe schrillten. – Gong! Paul du Champ hockte, schwer angeschlagen, in seiner Ecke. Der Betreuer betupfte seine blutende Augenbraue und redete beschwörend auf ihn ein. Das Pfeifkonzert der von ihrem Champion enttäuschten Zuschauer nahm kein Ende. Inmitten dieser tobenden Hölle saß Yvonne mit gesenktem Kopf, bleich und unglücklich. So etwas wollte sie nie wieder unternehmen. Es war Unrecht! Einen Erpresser wie Carnet zu strafen – ja. Doch diesen Mann, Paul, hatte sie nun zugrunde gerichtet… Sie schreckte aus ihren trüben Gedanken auf, die dritte Runde hatte begonnen – und da geschah es auch schon: Niederschlag! Der Ringrichter zählte. – «Es ist unfaßbar!» Die Stimme des Radiosprechers überschlug sich. «Paul du Champ versucht hochzukommen. Die Beine versagen ihm. Der Gigant stürzt wieder, er streckt sich… Aus! Aus, aus, aus! Der Kampf ist zu Ende. Paul du Champ ist geschlagen…» Mehr vernahm Yvonne nicht mehr. Taumelnd erreichte sie den Ausgang, stieg in den Wagen. Sie wußte nicht, wie sie nach Hause gelangt war.
Nanette stellte keine Fragen, sondern brachte sie sofort ins Bett. Yvonne war so blaß, als habe sie einer Hinrichtung beigewohnt. «Kindchen», sagte Madame Germaine später am Telefon. «Sie nehmen das wirklich zu tragisch. Diese Boxer sind wie das Unkraut, das niemals vergeht. Es war ja nicht seine erste Niederlage. Den nächsten Kampf, den Rückkampf, wird er gewinnen, dafür sorge ich, das verspreche ich Ihnen.» Sie meinte es so, und Yvonne fühlte sich nun etwas besser, weinte noch ein bißchen und versank in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
9. Kapitel Drei Tage später kam der erwartete Anruf. Paul du Champ wirkte durchaus nicht niedergeschlagen, nur etwas verlegen. «Kannst du mir verzeihen, Yvonne?» – (Wieso denn? Es lag doch eher umgekehrt.) «Ich konnte nicht zu dir kommen. Sie bewachen mich jetzt, als trüge ich die englischen Kronjuwelen in der Tasche.» Er suchte nach Worten, druckste etwas. «Wir können uns sehr lange nicht sehen, verstehst du? Ich muß mich auf den Rückkampf vorbereiten, der schon in drei Monaten stattfindet. Heute noch geht es los nach Cannes, dort ist das neue Trainingslager…» Yvonne wußte es bereits von Madame Germaine. Sie war sehr erleichtert, daß er seinen Heiratsantrag mit keinem Wort erwähnte. Wie gut! Er hatte sich also für die Karriere entschieden. «Diesen Kampf wirst du gewinnen, Paul, ich wünsche es mit meinem ganzen Herzen.» – Sie wünschte es nicht nur, sie wußte es bereits, aber das konnte sie Paul nicht gut sagen. Als das Gespräch beendet war, kam Nanette herein und war ganz verdutzt, weil Yvonne sie bei den Hüften ergriff und wie zum Walzer im Kreise schwenkte. «Du bist so glücklich, Yvonne! Will er dich heiraten?» «Nein, ich bin froh», Yvonne ließ sich atemlos in einen Sessel fallen, «daß Paul diese Krankheit glücklich überstanden hat. Warum siehst du mich so groß an? Ich tauge nicht für die Ehe, das solltest du wissen.» Doch Nanette war sich dessen nicht so ganz sicher. «J’ai déjà entendu chanter ces airs», sagte sie hintergründig. «Das Lied kenne ich, man singt es nur so lange, bis dann der Richtige kommt…» «Lalala, die Welt ist schön. Meine Kleider, Nanette! Madame Germaine erwartet mich.» Einige Stunden später saß Yvonne wieder im Vorzimmer der Germaine, Sonne im Herzen und einen ansehnlichen Scheck im Handtäschchen. Es dauerte etwas,
Madame hatte nebenan noch etwas mit der Sekretärin zu besprechen. Wahrscheinlich handelte es sich um den neuen Auftrag. Yvonnes gute Laune würde vermutlich einen Dämpfer erhalten haben, hätte sie mit anhören können, was da besprochen wurde… «Nein, diesen Auftrag können wir Yvonne nicht geben», wehrte Madame ab, als die Sekretärin einen diesbezüglichen Vorschlag machte. «Dafür ist sie noch nicht geeignet. Man muß ihr die Illusion belassen, einen guten Zweck zu erfüllen. Die Sache mit dem Erpresser Carnet, nicht wahr, das war so ein Fall. Aber der Boxer hat die junge Dame bereits ins Wanken gebracht. Ich mußte versprechen, daß Du Champ seinen nächsten Kampf gewinnt!» «Wie naiv sie noch ist», seufzte Lou, die tizianrote Schlange. «Ist sie etwa in ihn verliebt?» «Das glaube ich nicht. Es wäre katastrophal. Wir müssen sie auf andere Gedanken bringen, Lou. – Da fällt mir etwas ein, wie konnte ich das vergessen! Wir müssen Katja einen Abschiedsabend geben, erinnere mich unbedingt. Sie will heiraten!» «Ach, du meine Güte, auch das noch. Katja ist unser großes As gewesen. Quel malheur…» «Der junge Diplomat, mit dem sie auf dem Presseball tanzte, hat es ihr angetan», seufzte Madame. «Ich erkannte natürlich die Gefahr, aber da ließ sich nichts mehr machen. Kannst du ein Erdbeben aufhalten? Du weißt, wie Katja ist: Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, so führt sie es auch durch. Sie zündet die Lunte an und lächelt dabei.» Die Sekretärin beugte sich vor. «Sie wollen Katja wirklich freigeben? Das ist gefährlich!» «Aber nein! Du meinst, daß sie uns die Sûreté oder gar den Geheimdienst ins Haus schickt? Sie weiß um meine Verbindungen zum Deuxième Bureau. Außerdem ist das nicht ihre Art. Sie kommt einfach und erschießt mich, bums, wollte ich es unternehmen, sie zur Weiterarbeit zu zwingen.»
Die Sekretärin sagte nicht einmal «Huch!» Sie kannte Katja zu gut, um für Übertreibung zu halten, was Madame da andeutete. «Wir werden Katja sehr vermissen. Sie hat uns viel Geld eingebracht. Es wird schwierig sein, eine junge Dame zu finden, die ihr ebenbürtig ist.» «Yvonne Orval!» sagte Madame. «Wir müssen ihr nur die Zeit lassen, sich zu entfalten. Ich bin Katja wirklich dankbar, daß sie uns diese nach Abenteuer und Erotik dürstende junge Dame ins Haus gebracht hat. Yvonne besitzt Format, sie vereinigt in sich alle Vorzüge, welche unsere anderen ‘Hühnchen’ insgesamt unter sich aufteilen. – Bitte sie jetzt herein, Lou! Ich werde sie auf Lormand ansetzen, du weißt, der Politiker. Das ist ein Fall nach ihrem Geschmack, da hat sie bestimmt keine Gewissensbisse…» Ja, so verhielt es sich dann auch. Der «Fall Lormand» interessierte Yvonne in ganz besonderer Weise. In ihren dunklen Augen begann es ordentlich zu funkeln, als Madame den Namen Lormand nannte. Julien Lormand, der Politiker, war auch Herausgeber eines scharfzüngigen Nachrichtenmagazins. Dieses Blatt hatte seinerzeit besonders intensiv und bösartig den Skandal aufgegriffen, als Yvonnes Gatte den Freitod suchte. – «Ehebruch ist kein Kavaliers-Delikt!» hatte Lormand geschrieben; der Artikel trug seinen Namen. Er war der Verfasser. «Wohin soll es führen, wenn eine Dame der besten Gesellschaft aus Leibeskräften hilft, alle Regeln der guten Sitte und Moral in Frage zu stellen…» Dieser Ausdruck «aus Leibeskräften» haftete in Yvonnes Gedächtnis wie ein Menetekel; es war frivol und hinterhältig, so gemein wie der ganze heuchlerische Artikel selbst. Madame Germaine schien davon nicht zu wissen, oder sie tat nur so. «Dieser Lormand muß moralisch vernichtet werden», erklärte Madame. «Glauben Sie mir, Yvonne: Er verdient es! Sie haben vollkommen freie Hand. Aber, es muß rasch etwas geschehen, bevor Lormand noch in der Lage ist, in der nächsten Abgeordnetenversammlung meinen Schützling Barlaine zugrunde zu rich-
ten. Lormand besitzt Unterlagen über einen dunklen Punkt in der politischen Vergangenheit Barlaines, also unseres Auftraggebers.» «Sehr dunkel?» fragte Yvonne, die sich Notizen machte. «Es ist nicht unwichtig. Man kann nicht im ersten Gang fahren, wenn der vierte angebracht ist.» Madame nickte. «Wie man es nimmt. Barlaine gehörte während des letzten Krieges zu den VichyLeuten. Gewiß hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Doch die Veteranen der damaligen Résistance sind auch heute noch sehr hellhörig in diesen Zusammenhängen. Der bloße Hinweis genügt, um Barlaine ins politische Aus zu bringen. Das wollen wir verhindern. Aber, wie? – Vielleicht hilft es Ihnen weiter, Yvonne, wenn ich Ihnen sage, daß Lormand ein Heuchler ist. Er trieft von Moral, sonnt sich in dem Ruf, ein Frauenhasser zu sein. Alles Unheil in dieser Welt kommt von den sündigen Frauen! Verbietet die Freudenhäuser, holt die Dirnen von der Straße – und die Nation ist gerettet! Naja, so steht es in seinen Leitartikeln; er hat sich auf dieses Thema nahezu spezialisiert.» Yvonne nickte. «Männer im Schafspelz sind schwer aus der Reserve zu locken. Wie ist er privat, gibt es da nichts?» «Nichts», seufzte Madame. «Lormand ist zu raffiniert, sich eine Blöße zu geben. Die Moral-Arie ist sein Lied, das singt er, um seiner politischen Karriere willen, und niemand hört die falschen Töne. Wäre es möglich, seinem Privatleben nachweislich auch nur eine Nuance von Verworfenheit zu geben, so hätten wir gewonnen, dann würde er sich hüten, Barlaine anzugreifen. Sie wissen, wer selbst im Glashaus sitzt, der hütet sich dann, mit Steinen zu werfen. Wir haben bisher alles nur Denkbare unternommen. Selbst Katja ist vor diesem Auftrag zurückgeschreckt. – Wollen Sie es versuchen, Yvonne?» Yvonne lächelte auf eine ganz besondere Weise. «Es wird mir ein Vergnügen sein, ich probier’s…» Auf dem Wege zur Wohnung des Politikers mußte Yvonne bei einer Garage halten. Die Benzinuhr zeigte bereits auf Reserve. Während der Tankwart sich mit dem Wagen beschäftigte, benutzte Yvonne den Aufenthalt, nach Hause zu telefonieren. Es
konnte spät werden; Nanette sollte mit dem Abendessen nicht auf sie warten. «Oh, wie gut, daß Sie anrufen, gnädige Frau!» Nanu, warum war sie so förmlich? «Gnädige Frau», das bedeutete einen Besucher, der sich im Zimmer befand und mithören konnte. «Monsieur Carrigan ist gerade hier, der Reporter, nicht wahr?» Nanette senkte die Stimme. «Er ist so eigenartig, irgendwie feierlich. Ich werde nicht klug aus ihm.» Yvonne lachte. «Küsse ihn und stelle dabei fest, ob er getrunken hat.» «Ich werde mich hüten. Ergeht herum, hält Selbstgespräche, lacht unvermittelt und schneidet Grimassen. Übrigens hat er einen ganzen Korb voll herrlicher Orchideen mitgebracht.» «Für mich? Dann muß er verrückt sein. Sollte er danach fragen, ob ein Rasiermesser im Hause ist, so verneine es. Beginnt er jedoch, am Munde zu schäumen und die Augen zu rollen – warum schreist du?!» «Huh! Er steht hinter mir…» Nanettes Stimme wurde leiser. «Sie werden mir doch nichts tun, Monsieur?» «Ich werde mich in deiner Kehle festbeißen, du mißratenes Frauenzimmer, wenn du mir nicht sofort den Telefonhörer übergibst. Du sprichst doch mit der gnädigen Frau?» «Mit dem Finanzamt», hörte Yvonne das Mädchen sagen. – Dann wieder die Stimme des Reporters: «Okay, okay, dann werde ich eben dem Finanzamt einen Heiratsantrag machen… Hallo, Yvonne! Hallo! Hören Sie mich?» Die Überraschung war zu groß. Yvonne zitterte. Er scherzte nicht, nein. Irgendwie hatte sie es gefühlt, schon beim ersten Kennenlernen: Rex Carrigan interessierte sich auf eine geheimnisvolle, schwer deutbare Weise für sie. Er hatte nicht mit ihr geflirtet, das war es nicht… «Wollen Sie mich heiraten, Yvonne?!» – Sie vernahm seine Stimme wie aus weiter Ferne. Es war zum Lachen. Merkwürdig, daß ihr die Tränen kamen. «Hier ist das Amt», sagte Yvonne und preßte den Hörer an das Ohr. «Sie sind falsch verbunden, mein Herr.»
«Yvonne! Ich meine es ernst. Wollen Sie meine Frau werden? Wir fliegen morgen nach New York, und…» «Sie sind mit einer Kokotte verbunden, Monsieur!» Sie atmete schwer. «Verstehen Sie, mein Herr? Die andere Teilnehmerin ist verstorben.» «Ach, Unsinn! Kommen Sie bitte her, Yvonne! Warum weinen Sie, zum Teufel?!» «Ich weine nicht. Ha, ha! Hören Sie, ich lache. Mir fiel soeben ein, daß Sie bereits verheiratet sind und drei süße Kinder in New York haben.» Einen Augenblick blieb es still, dann war sein Lachen zu vernehmen – nicht verlegen, nein, so richtig belustigt. «Die Germaine hat es ausgeplaudert, ja? Also, das ist Schall und Rauch. Keine Ehefrau, keine Kinder. Die Geschichte ist ein bißchen kompliziert. Kommen Sie, bitte, wir wollen darüber sprechen.» Yvonne begriff sich selbst nicht. Warum mußte sie weinen? – «Es ist zu spät!» sagte eine Stimme; war das ihre Stimme? «Du hast das Haus verlassen, dein Haus, Yvonne, und die Tür ist zugeschlagen.» «Es ist nicht zu spät!» Carrigan schrie es beinahe. «Seien Sie vernünftig, Yvonne, bitte, lassen Sie uns darüber sprechen…» «Ja, vielleicht, ich weiß nicht», sagte sie leise. «Lassen Sie mir Zeit, ich muß nachdenken. Ein paar Tage.» «Ich liebe Sie!» Rex Carrigan hob die Stimme. «Hören Sie? Ich liebe Sie. Seit Tagen quäle ich mich damit. Nun ist es heraus, ich weiß es jetzt.» «Ich werde Sie anrufen, Rex, sobald ich Klarheit und innere Ruhe gefunden habe. Ich verspreche es. Aber, geben Sie mir Zeit, bitte.» Sie hängte rasch ein, stand gegen die Glaswand gepreßt, die Augen blind vor Tränen. Die Tür der Telefonzelle wurde geöffnet. Ein wütendes Männergesicht blickte herein. «Ja, Fräulein, was ist denn – andere wollen auch telefonieren!» Er schwieg und begriff: «Verzeihen Sie, ich konnte nicht wissen… Eine traurige Nachricht, ja?»
«Ja», sagte Yvonne und wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. «Ich bin gestorben, verstehen Sie? Und jetzt, nach meiner Beerdigung, wurde mir soeben ein Heiratsantrag gemacht.» Der Mann blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. «Pauvre folle! Sie muß verrückt sein. Was geht nur in den Köpfen dieser jungen Dinger heutzutage alles vor?» Yvonne fuhr ziellos durch die Stadt. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie Blätter im Herbstwind. Was sollte sie tun? Gab es ein Zurück? Seelenwanderung: Aus dem Fegefeuer der Sinne – zurück ins geborgene, friedliche, saubere bürgerliche Dasein. Däumchen drehen… Yvonne lachte, bis ihr die Tränen kamen. Der Wagen hielt gerade vor einer Kreuzung. Ein Polizist beugte sich herein. «Warum weinen Sie? Ist etwas passiert?» «Ich weine nicht, mein Herr, ich lache.» «Schon recht», sagte der Uniformierte. «Aber, warum weinen Sie, wenn Sie lachen?» «Weil ich eine sentimentale Kokotte bin, lieber Freund, verstehen Sie das? Mich gibt es nicht! Eine sentimentale Kokotte ist ein Witz. Können Sie sich einen Professor der Literaturgeschichte vorstellen, der einen Ring durch die Nase trägt? Oder eine Hyäne in Seidenstrümpfen, einen Polizisten in Handschellen? Sie erblassen! Sehen Sie, das ist unmöglich – und ich bin unmöglich…» Sie gab Gas und brauste davon, bei Rot über die Kreuzung. Der Polizist notierte die Wagennummer, zögerte und strich sie wieder aus. «Sie ist verliebt», sagte er zu sich selbst. «Verliebte soll man nicht bestrafen, sonst schnappen sie ganz über…» Yvonne wurde jetzt ruhiger. Das Intermezzo mit dem Polizisten hatte ihr inneres Gleichgewicht wieder hergestellt. – Der Auftrag! dachte sie. Das wird mich auf andere Gedanken bringen…
10. Kapitel Julien Lormand bewohnte ein großes, feudales Haus in Clichy. Er war Mitte der Dreißig, eine bebrillte Geistschleiche mit Magenleiden; alle Stunde mußte er eine grüne Tablette schlucken. «Sie sind…» Monsieur setzte das Monokel ein und betrachtete die Besucherin eingehend. «Sie sind von der Presse, mein Fräulein?» Yvonne legte eine illustrierte Frauenzeitschrift vor ihn hin: «Die moderne Frau». Er nahm das Blatt vom Schreibtisch auf und blätterte darin. «Ein kleines Interview, bitte!» Yvonne nahm den Stenoblock zur Hand. Hoffentlich bemerkt er nicht, daß ich gar nicht stenografieren kann! – Nein, er blätterte noch immer, betrachtete interessiert das Foto eines Mannequins im Bikini – und schließlich die hübschen Knie der Besucherin. Yvonne hielt die Beine übereinandergeschlagen. Aber etwas in seinem Augenausdruck warnte sie. Rasch zog sie den Kleidsaum über die Knie. «Sie gelten als Frauenfeind, Monsieur. Warum eigentlich?» Der Politiker lehnte sich zurück, spielte mit einem Bleistift. Er lächelte hintergründig. «Wollen Sie, bitte, Privatmann und Politiker auseinanderhalten. Wir sind jetzt privat. Es würde mich freuen, wenn Sie mich sehen, wie ich wirklich bin: Ein umgänglicher, weltaufgeschlossener Mensch. Ein Schöngeist – mit dem Blick für alles, was gut und schön ist in dieser turbulenten und oft abartigen Welt.» Der Schöngeist blickte zur Decke empor, vermutlich sah er sich selbst dort schweben, geflügelt und ein Schwert in den Händen: Der Erzengel Gabriel persönlich! Dann wandte er den Blick wieder Yvonne, der profanen Gegenwart, zu. Sie wirkte in dem Kleid aus weißer, schimmernder Seide hinreißend hübsch. Unter dem breiten Rand des Florentiner Hutes flutete das dunkle, leicht gelockte Haar bis auf die Schultern nieder.
«Ich bin kein Frauenhasser, nein, das ist absurd. Man hängt mir dieses Mäntelchen gern um, weil ich gegen den Ungeist dieser Zeit auf die Barrikaden gehe. Ich kämpfe gegen die Unmoral, mein Fräulein, wie gegen eine um sich greifende Krankheit. Nur in einem gesunden Körper kann auch ein gesunder Geist wohnen!» Mit einiger Selbstüberwindung brachte es Yvonne zuwege, beipflichtend zu lächeln. Der brave Turnvater Jahn würde es sich vermutlich verbeten haben, von einem Heuchler dieser Art zitiert zu werden. Während der Politiker seine Thesen entwickelte und mit salbungsvoller Stimme verteidigte, was er «Das Recht auf Sauberkeit und Anstand inmitten einer maroden Umwelt» nannte, registrierte das Unterbewußtsein des Privatmannes Lormand sinnverwirrende Einzelheiten: «Sie ist unwahrscheinlich hübsch. So mädchenhaft schlank! Was für ein raffinierter Kleidausschnitt…» «Ich glaube, die Leserinnen Ihres Blattes werden mit mir einig gehen, wenn ich sage, daß es unbedingt einer Verschärfung des Gesetzes zum Schutze der heranwachsenden Jugend bedarf», sagte der Politiker. Der Privatmann Lormand schickte sich zur gleichen Zeit an, die hübsche Besucherin in Gedanken zu entkleiden. Nur in Gedanken, versteht sich – ganz diskret und sehr bemüht, geistesabwesend zu erscheinen. «Ich denke da vor allem an die sittenverderbenden Filme.» (Monsieur öffnete in Gedanken die drei oberen Knöpfe am Kleid der jungen Dame. Er öffnete das Kleid. Sie trug einen rosafarbenen Unterrock, mit Spitzen besetzt. Darunter zeichneten sich die jungen, festen Brüste ab.) – «Bin ich ein Moral-Apostel, ein Mucker, weil ich schwarz nenne, was nun einmal nicht weiß ist?» (Monsieur Lormand setzte eine imaginäre Schere an und schnitt, vom Saum ausgehend, das Kleid der Besucherin zwischen den Schenkeln auf… schnipp, schnipp, schnipp!) «Bedenken Sie nur, daß es heutzutage kaum einen mittelmäßigen Spielfilm gibt, darin nicht der Unmoral freien Lauf gelassen wird: Intime Situationen in Großaufnahme und andere Scheußlichkeiten…» (Die Schere schnippte zwischen ihren Schenkeln
dahin, erreichte die sanfte Wölbung des Leibes. Noch ein paar Schnitte. Das Kleid glitt auseinander. Yvonne saß in Straps’, Höschen und Strümpfen hinreißend da.) «Ehebruch und uneheliche Kinder, Verführungsszenen!» zählte der Politiker auf. «Man soll nicht sagen, daß so etwas keinen Eindruck auf die Jugend macht, keinen bleibenden Schaden hinterläßt. Oder werfen Sie doch nur einen Blick in die illustrierten Zeitschriften, die Magazine…» (In Gedanken half er der jungen Dame hoch und befreite sie von den Überresten des zerschnittenen Kleides. Er drängte sie gegen den Schreibtisch – sie zitterte und glühte vor Scham – und kniete vor ihr nieder, um die Seidenstrümpfe abzustreifen.) «Überall entblößte Weiblichkeit, selbst auf den Titelseiten der Illustrierten! Der Blick hinter Theaterkulissen zum Beispiel – dient er wirklich nur dem Zweck, einen Eindruck zu vermitteln, wie es hinter der Bühne aussieht? Nein, es geht ausschließlich darum, in den Girlgarderoben halbnackte Mädchen zu fotografieren!» (Monsieur Lormand entkleidete die junge Dame vollends, hob sie auf und trug sie quer durch den Raum zur Couch.) «Die Bildreportagen über Eiskunstläuferinnen, nicht wahr, aus welcher Perspektive macht man diese Fotos? Der Spagatsprung muß es sein! Die lüsternen Fotografen richten das Objektiv auf den Leib, wenn das junge Mädchen mit gespreizten Schenkeln in der Luft schwebt. Der Zeitungsleser sieht das Bild und die niedrigsten Instinkte werden wach…» (Die junge Dame lag nackt vor ihm auf der Couch. Sie streckte ihm schluchzend die Hände entgegen: Bitte, verschonen Sie mich! – Aber der Privatmann Lormand kannte kein Erbarmen. Er stürzte sich auf diesen süßen, schlanken Körper und vergewaltigte die schreiende Journalistin. – In Gedanken, versteht sich.) Der Politiker Lormand hatte seinen Vortrag beendet. Er zitterte förmlich vor Entrüstung. Wir wollen es gut sein lassen! dachte Yvonne. Gleich wird er am Munde schäumen. «Vielen Dank für das Interview, Monsieur.» Sie erhob sich und steckte den Stenoblock in ihr Handtäschchen.
An diesem Abend saß der Privatmann Lormand mit dem Politiker Lormand zusammen am Schreibtisch. Beide Seelen in dieser einen Brust führten ein Streitgespräch miteinander. Ein pornographisches Magazin lag auf dem Tisch. Darin blätterten die beiden Seelen. Zu Studienzwecken, versteht sich – nur zum Studium! «Wie ekelhaft, wie entsetzlich trivial!» Der Politiker nahm die Lupe und betrachtete ein Farbfoto besonders gründlich. Da taten es zwei miteinander, wahrhaftig, sie taten es und ließen sich dabei sogar noch fotografieren. Man muß es unter der Lupe sehen, um es zu glauben. «Welche Schamlosigkeit, welch Abgrund…» «Warum regst du dich so auf?» sagte der Privatmann. «Das nackte Mädchen ist doch ganz süß. Ihre Augen sind weit geöffnet. Sie blickt in den siebten Himmel und man kann sie richtig stöhnen hören. Und sieh mal hier, auf der nächsten Seite. Na, ist das nicht aufregend? Ich weiß, was du sagen willst. Sei still und störe mich jetzt nicht. Sage es den Abgeordneten bei der nächsten Versammlung und unterlasse jetzt das Theater…» «Ehemm!» räusperte sich in diesem spannendsten aller Augenblicke jemand. Es war der Diener. Kummer gewöhnt, war er vorsichtigerweise unter der Tür stehengeblieben. «Soeben ist ein Eilbrief gekommen, Monsieur.» Lormand ließ rasch das Aktmagazin verschwinden und nahm den Brief entgegen. Ein Rohrpost-Eilbrief? Na, na, wer hatte es da so eilig. Er riß den Brief auf, und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen: «Sehr geehrter Herr, ich darf mich nochmals für das so liebenswürdig gewährte Interview bedanken. Der Artikel geht noch heute abend in die Redaktion. Um jedoch ganz sicher zu sein, ob ich mich beim Stenografieren nicht verschrieben oder einfach verhört habe, möchte ich mich erkundigen, ob Sie auf meine Frage: ,Werden Sie die Schließung der öffentlichen Häuser befürworten?’ die Antwort gegeben haben: ‘Als Politiker muß ich das wohl, aber sehen Sie, als Privatmann würde ich es natürlich vorziehen, in ein Bordell zu gehen, weil dort die Ansteckungsgefahr geringer ist.’ – Soweit ich mich entsinne, haben Sie sich so ausgedrückt. Sollten Sie wider Erwarten mit dieser Formulierung
nicht einverstanden sein, so rufen Sie mich bitte unter der Nummer C 3 4747 an… » Eine halbe Stunde lang versuchte Julien Lormand, zuerst wütend, dann verzweifelt, die telefonische Verbindung herzustellen. Als immer wieder das Besetztzeichen aus dem Hörer drang (Yvonne hatte den Hörer einfach abgehängt), steigerte sich seine Panik ins unermeßliche. «Jean, meinen Wagen, rasch!» schrie er den verstörten Diener an. «Idiot, so laufen Sie schon!» Auf der Rückseite des Briefumschlags war die Adresse Yvonnes angegeben. Yvonne Orval? Hatte er diesen Namen nicht schon einmal gehört? – Keine Zeit, darüber nachzudenken.
11. Kapitel Lormand raste durch die Stadt, wurde wiederholt von Polizisten wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit aufgeschrieben, und stand atemlos vor der Wohnungstür. Nanette hatte diesen Besucher schon erwartet, tat jedoch völlig ahnungslos. «Melden Sie mich der Dame des Hauses!» keuchte Lormand. «Vite, vite… es pressiert!» Das war ihm anzusehen; er wirkte wie eine Höllenmaschine, eine Sekunde vor der Explosion. Nanette ließ sich Zeit, besah sich eingehend die Visitenkarte, schüttelte den Kopf. «Aber, mein Herr – so spät noch? Das wird nicht möglich sein. Das gnädige Fräulein ist bereits zu Bett gegangen. Es tut mir leid. Vielleicht sprechen Sie morgen noch einmal vor.» «Ich muß Mademoiselle Orval sprechen», schrie Lormand. «Es handelt sich um ein Interview.» «Sie wollen das gnädige Fräulein interviewen?» «Zum Teufel – nein. Sie hat mich interviewt!» «Bitte, schreien Sie nicht mit mir. Das gnädige Fräulein hat Sie interviewt – bon! Und nun, was nun?» Lormand knirschte mit den Zähnen. Schweißperlen entstanden auf seiner schöngeistigen Denkerstirn. «Das Interview darf nicht veröffentlicht werden, begreifen Sie?» «Huh!» machte Nanette. «Wo kämen wir da hin? Gesagt ist gesagt, und so wird es gedruckt. Ich kann Sie jetzt nicht anmelden. Wird Ihnen gar nicht bewußt, wie unmoralisch es ist, eine anständige junge Dame so spät am Abend zu besuchen? Was sollen die Nachbarn denken?!» Nanette wollte die Tür schließen und Lormand, in seiner Verzweiflung, stellte den Fuß dazwischen. Er stieß die Tür auf und drängte Nanette beiseite. «Hausfriedensbruch, Bedrohung, Körperverletzung!» zählte Nanette an den Fingern. «Mein Herr, wenn Sie so weitermachen, sehe ich schwarz für Ihre Zukunft.» Julien Lormand betrat schon den
Salon. Er setzte sich auf einen Stuhl, hieb die Faust auf den Tisch und schrie: «Ich gehe hier nicht heraus, bevor Mademoiselle mit mir gesprochen hat.» «Wie Sie wollen», sagte Nanette. «Ich gehe jetzt ins Kino. Oder meinen Sie, daß ich Ihretwegen auf den so schön sündigen Film ‘Orgie um Mitternacht’ verzichte!? Na dann, viel Spaß!» Wieso – was denn? Wollte sie wirklich gehen? «Halt, so warten Sie doch…» Nanette war schon draußen. Monsieur blieb eigensinnig sitzen. Er ließ sich nicht bluffen, er nicht! – Doch dann hörte er, wie die Wohnungstür zuschlug. Er bekam es mit der Angst, rannte in die Diele und rüttelte an der Wohnungstür. Die Tür war abgeschlossen. Was sollte er jetzt tun? Dieses niederträchtige Dienstmädchen hatte ihn doch wahrhaftig eingeschlossen. Er befand sich in einer fremden Wohnung, in die er widerrechtlich eingedrungen war. Man mußte es ganz sachlich sehen. Und nebenan schlief die junge Dame. Man konnte sie im Schlaf erwürgen! dachte Lormand, der Privatmann. In Gedanken tat er es bereits. Der Politiker Lormand überlegte, ob er aus dem Fenster klettern sollte. Nein, die Wohnung war zu hoch gelegen. Sollte er jetzt kapitulieren? Er faßte sich ein Herz und klopfte an die Schlafzimmertür. «Mademoiselle!… Hallo, Mademoiselle Orval!» Ein kleiner, erschreckter Aufschrei: «Mon Dieu, wer ist da?» Lormand nannte seinen Namen, legte das Ohr gegen die Tür und hörte ihre Stimme: «Das ist stark. Wie können Sie es wagen – zu dieser späten Stunde…» «Das Mädchen – », Lormand konnte kaum noch zusammenhängend sprechen. «Es ist wegen des Interviews… Sie hat mich eingeschlossen! Ich versuchte ja, Sie anzurufen…» «Nun, das hätte wohl bis morgen Zeit gehabt. Nanette soll Sie hinauslassen.» «Sie ist fort, hat die Tür verschlossen!» Ein ungeduldiges Seufzen: «So kommen Sie meinetwegen herein und holen Sie die Schlüssel. Oder erwarten Sie, daß ich mich eigens zu diesem
Zweck anziehe?» Julien Lormand öffnete die Tür und trat ein. Es war dunkel im Zimmer, er stieß gegen einen Sessel. «Wo ist denn der Lichtschalter?» Er tappte im Dunkeln weiter und fand dabei, daß die Situation eigentlich ihren Reiz hatte. «Können Sie nicht Licht machen, bitte?!» «Wo denken Sie hin! Ich bin nackt.» Yvonne sprach laut, um die Geräusche an der Wohnungstür und in der Diele zu übertönen. Nanette war zurückgekommen und hatte jemanden mitgebracht. «Ich schlafe immer nackt», sagte Yvonne, «es ist gesünder.» «Aber, ich kann nichts sehen, das ist ungesund!» Er hielt das selbst für einen Witz und lachte darüber. «Folgen Sie meiner Stimme», sagte Yvonne. «Hier bin ich…» Da im Bett war sie, ganz nackt! Lormand dachte kaum noch an das Interview. Seine Knie stießen an das Bett. Er tastete sich am Bettrand entlang und hörte, wie eine Schublade geöffnet wurde. – «Warten Sie», tönte die Stimme Yvonnes aus der Dunkelheit. «Ich suche nach den Schlüsseln. Ah, hier sind sie. Strecken Sie die Hand aus, bitte…» Lormand streckte die Hand aus und stieß gegen den bloßen Arm der jungen Frau. Er tastete an dem Arm entlang bis zur Hand. In seinen Fingern und auch sonstwo war ein Kribbeln. Ein Funken sprang über, elektrischer Strom lief über seinen Arm und direkt in sein Gehirn, wo ein Kurzschluß entstand. Lormand tastete in der umgekehrten Richtung: Eine sanfte, nackte Rundung, die Schulter, seidenweiches Haar, die Brüste… «Verworfener! Wo, um Himmels willen, suchen Sie die Schlüssel –?!» Aber das klang durchaus nicht entrüstet. Lormand vernahm ein leises Lachen und wurde kühner. Er zog sich die Schuhe aus. «Jetzt möchte ich Sie interviewen, mein Fräulein. Haben Sie etwas dagegen?» «Nicht im Prinzip», sagte Yvonne. «Aber, wenn mein Bräutigam davon erfahrt! Worüber wollen Sie mich denn interviewen?» «Über die Liebe, meine Liebe.» Er zog Jackett und Hose aus. «Sie sind verlobt?» Monsieur lüftete die Bettdecke und schlüpfte zu ihr ins Bett. «Nun, der Bräutigam muß es ja nicht erfahren…»
Dann versuchte Lormand, gleich wieder aus dem Bett zu springen. Aber das ging nicht, weil Yvonne ihn festhielt. Welcher Mann bringt es zuwege, sich loszureißen, wenn er von einer nackten, sympathischen Frau festgehalten wird? Nebenan in der Diele war eine wütende Männerstimme zu vernehmen, dann die aufgeregte Stimme Nanettes: «Er ist einfach eingedrungen, Monsieur! Dieser unverschämte Mensch! Ich wollte erst die Polizei verständigen, aber dann dachte ich, man müßte den Skandal vermeiden… nun, zum Glück kamen Sie dann!» Ehe Lormand noch zur Besinnung kam, flog die Tür auf und das Licht wurde angeknipst. In der Tür stand der Abgeordnete Barlaine, sein ärgster politischer Widersacher… Nanette hob die Kamera, Blitzlicht flammte – und zog sich dann zurück. «Ich bin ohne Schuld, Liebster», sagte Yvonne mit erstickter Stimme; man wußte nicht, ob unterdrücktes Lachen oder Weinen sie würgte. «Er drang gewaltsam hier ein, sah mich nackt und – nun, du siehst es ja!» «Ich sehe», sagte Barlaine zähneknirschend. Lormand erwachte aus seiner Erstarrung. Er riß die Bettdecke an sich, um seine Blöße zu bedecken. Aber dadurch wurde Yvonne ganz frei; sie saß jetzt ganz nackt neben ihm. «Wie denn?» sagte er. «Was denn? Das ist doch nur ein Mißverständnis, Monsieur. Ich wollte Ihrer Braut nicht – äh, zu nahetreten. Ich wollte…», er verhaspelte sich. Er begriff wohl, daß er blind in eine Falle gelaufen war. Das Foto! Man hatte ihn im Bett mit der nackten Schönen fotografiert. Das genügte. Er konnte später sagen, was er wollte, Falle hin und Falle her. Eine Intrige, natürlich, man würde es ihm glauben. Aber dieses Foto gab ihn, den Politiker und Erzengel der öffentlichen Moral, der absoluten Lächerlichkeit preis. In Gedanken vernahm er bereits das Gelächter, das sich erhob, wenn er im Abgeordnetenhaus aufstand und eine seiner Moralpredigten vom Stapel lassen wollte.
Die beiden Männer maßen sich mit den Blicken. Yvonne hatte sich den Morgenrock über die Schultern gezogen und manikürte gelangweilt die Fingernägel. «Ich passe!» sagte Lormand, nun ganz ruhig. «Sie haben mich mit den eigenen Waffen geschlagen, Barlaine, mein Kompliment. Darf ich mich jetzt anziehen? Wir können zu mir fahren: Meine Unterlagen über Ihre VichyVergangenheit gegen das Foto, das soeben von mir in – äh – dieser unmöglichen Situation gemacht würde?!» Barlaine lachte jetzt; er zog sich zurück. Auch Yvonne lief hinaus, um ihm die Verlegenheit zu ersparen, sich in ihrer Gegenwart ankleiden zu müssen. «Nettchen», hörte er sie draußen rufen. «Gehen Sie, bitte, und holen Sie Champagner für mich. Ich habe mich soeben entlobt, das muß gefeiert werden.» Nanette blickte den beiden Politikern nach, als sie jetzt – Arm in Arm wie zwei gute Freunde – die Wohnung verließen. «Da sieht man es mal wieder, wie sie uns ahnungslose Wähler beschwindeln. Zuerst prügeln sie sich beinahe und dann, saperlipopette, sind sie wieder ein Herz und ein Hosenbein…»
12. Kapitel Tags darauf telefonierte Yvonne mit Rex Carrigan. Sie wollte ihn nicht länger im Ungewissen lassen und hatte sich vorgenommen, die sentimentalen Anwandlungen, wie sie es nannte, zu unterdrücken und ganz einfach den Schleier zu lüften: So bin ich, betrachte mich genau – das ist nicht die Frau für dein Leben! Jedoch, es ließ sich nicht so einfach bewerkstelligen. Der Reporter kam, trank Kaffee und hörte ihr geduldig zu. Wie man einem Kind zuhört. («Du hast also einen Drachen gesehen, einen richtigen, feuerspeienden Drachen?») Sie hätte ihn schlagen mögen. Er nickte und lächelte ungläubig, oder schüttelte den Kopf und machte: «Tss… tss… na, so was?!» Es war einfach nicht zum Aushalten. Nanette steckte den Kopf zur Tür herein und zog sich eiligst wieder zurück, weil Yvonne einen Kaffeelöffel nach ihr warf. «Schlecht gezielt», sagte Rex. «Ich meine nicht allein den Löffel. Was Sie da alles sagen, das ist ja gut und richtig. Sie sind – nein, Sie führen das Leben einer Kokotte. Bin ich ein Idiot, es nicht zu wissen?» Irgendwie kam es Yvonne zu Bewußtsein, daß die Dinge auf eine geheimnisvolle, komplizierte Weise ganz anders lagen, als sie es angenommen hatte. Sprach so ein Mann, der aus Verliebtsein bereit ist, eine Dummheit zu begehen –? «Wir wollen es ganz logisch betrachten», fuhr Rex gelassen fort. «Erstens ist eine Kokotte eine Frau – das können Sie nicht leugnen. Zweitens – wird eine Frau durch die Liebe schlechter als zuvor, weniger begehrenswert? – Gehörnte Ehemänner bilden sich das ein; es handelt sich da um eine fixe Idee. Ich spreche nicht von den Dirnen. Die treiben es so häufig am Tage, daß sie sich dabei verbrauchen – und im übrigen seelischen Schaden nehmen.»
«Rex, hören Sie auf! Ihre gespielte Sachlichkeit ist abscheulich. Kommen Sie endlich zur Sache. Ich begreife, daß Ihr Heiratsantrag gar nicht ernst gemeint war. Nun gut, worauf wollen Sie nun wirklich hinaus?» Der Reporter lehnte sich zurück, betrachtete sie lange – nun jedoch mit ganz anderen Augen. «Ich liebe Sie wirklich», sagte er. «Es läßt sich nicht erklären. Kann man den Wind erklären, den Sonnenschein –?» «Die Magenkolik?» fügte Yvonne böse hinzu. «Also bitte, dekken Sie nun endlich die Karten auf!» «Herzdame», lächelte Rex. «Es ist wirklich nur diese eine Karte. Aber lassen wir das jetzt, es hat Zeit. Zunächst zu Ihrer Information: Ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich niemals in meinem Leben gesehen, geschweige denn, berührt habe. Wir haben drei süße Kinder, stimmt – jedoch nur auf dem Papier.» Yvonne bekam ganz große Augen, allmählich dämmerte es ihr. Eine Papierfrau und Papierkinder? – Rex arbeitete für den Geheimdienst! Das war es. Sie blickten sich an und verstanden jetzt einander. Er konnte und durfte nicht deutlicher werden, also war es ratsam, keine weiteren Fragen zu stellen, die er doch nicht beantworten konnte. Rex Carrigan war nur pro forma verheiratet. Die angebliche Ehefrau und die Kinder gehörten zu der sogenannten «Legende». Es handelt sich dabei um einen erdachten, sorgfältig ausgetüftelten und in den wesentlichen Einzelheiten sogar nachprüfbaren Lebenslauf: Aus Tarnungsgründen schlüpft der Agent in ein gutbürgerliches, harmloses «Mäntelchen». Yvonne betrachtete ihn nicht ohne Verwirrung: Dieser stets vergnügte junge Mann mit dem Flair eines großen Jungen, harmlos und sympathisch – war ein Agent! «Wir haben uns verstanden? Sie sind ein kluges Kind, Yvonne! – Also, die besagte Ehefrau hat wirklich existiert. Die Eintragungen im Heiratsregister stimmen bis auf eine Kleinigkeit: Die Ehe wurde nie vollzogen.» «Hat existiert? Wie soll ich das verstehen. Sind Sie nunmehr geschieden?»
Rex Carrigan atmete tief. «Meine Scheinfrau ist mit dem Wagen verunglückt, sie ist tot – auch die Kinder. Ich fliege heute noch nach New York, zum Begräbnis. Es ist etwas eigenartig, nahezu makaber, ich fühle mich nicht wohl dabei. Aber es läßt sich nicht umgehen.» Yvonne blickte geistesabwesend zum Fenster hinaus. Ein Vögelchen saß da auf einem Baumzweig und zwitscherte. Die Gardine bewegte sich leicht im Abendwind. Das war also der Abschied… «Ich hätte Sie gern mitgenommen, Yvonne. Meine Auftraggeber sind dagegen, natürlich.» Er sah auf die Uhr. «Es wird Zeit.» Er wartete auf etwas – worauf? Yvonne fühlte es. Die Entscheidung lag jetzt bei ihr. «Werden wir uns wiedersehen, Rex?» Und ganz leise: «Ich wünsche es von ganzem Herzen…» Das war es, worauf er gewartet hatte. Er stand auf und – nein, er küßte sie nicht wie in einem kitschigen Liebesroman – und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare, als wolle er die Kopfhaut massieren. «Verdammt, bin ich froh!» sagte er. «Ich habe also eine echte Chance?» «Vielleicht – », lächelte Yvonne. Rex lachte. «Wenn eine Dame ‘vielleicht’ sagt, so meint sie ‘ja’, doch wenn sie ‘ja’ sagt, so ist sie keine Dame. Verflixt kompliziert. – Also, einige Wochen muß ich schon in New York bleiben, das läßt sich nicht vermeiden. Sobald ich wieder in Paris bin, melde ich mich.» Yvonne blickte ihm aus dem Fenster nach, wie er vergnügt in seinen Wagen kletterte und mit Vollgas davonbrauste. Nanette trat neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. Sie sah, wie der Reporter noch einmal zurückwinkte, bevor der Wagen in eine Seitenstraße einbog. «Wirst du ihn heiraten, Yvonne?» «Nein – ja – ich weiß es nicht. Der Zug fährt durch die Nacht, die Abteilfenster sind verhängt und niemand kennt das Reiseziel.» Nanette war erleichtert. «Wir fahren also erst mal weiter, das beruhigt mich. – Madame Germaine hat übrigens vorhin angerufen. Ich sagte ihr, du wärest spazieren, aber bald wieder zurück. Sie bittet dich um deinen Besuch.»
Madame Germaine kam Yvonne mit ausgebreiteten Armen entgegen. «Gut, daß Sie kommen, meine Liebe. Ich bin furchtbar in Eile, will gleich in die Oper.» Ja, sie war in Abendkleid und voller Kriegsbemalung. «Setzen Sie sich doch, bitte. Und seien Sie mir nicht böse, wenn ich gleich zur Sache komme: Ausgezeichnete Arbeit im Fall ‘Lormand-Barlaine’, mein Kompliment – und hier, mein Scheck! Natürlich brauchen Sie jetzt etwas Ruhe!» Ihr Tonfall verriet, daß sie es anders wünschte. «Ehe ich es vergesse», sagte Yvonne, «Rex Carrigan war heute bei mir, der Reporter. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.» Das war sozusagen eine Bombe – nein, ein Blindgänger. Madame lächelte. «Ich sehe darin keine Gefahr für unsere Zusammenarbeit, Yvonne. Einfach darum, weil Sie es nicht verschwiegen haben.» – Sie schien sich nicht einen Augenblick mit dem Gedanken zu tragen, die Besucherin könne ernstlich erwägen, den Heiratsantrag anzunehmen, und ging mit leichter Hand darüber hinweg. «Wir haben da einen neuen, sehr dringenden Fall, Yvonne. Wären Sie bereit? Bitte, lassen Sie mich nicht im Stich!» Yvonne machte eine zustimmende Handbewegung. Sie fühlte sich nicht gut dabei, seufzte innerlich. Dann hörte sie aber doch aufmerksam und konzentriert zu. «Armand Gardain, ein Fabrikbesitzer», erklärte Madame. «Unter der Lupe betrachtet, handelt es sich um einen Mitgiftjäger der übelsten Sorte. Seine Frau, eine reizende Bretonin namens Blanche, hat sehr böse Erfahrungen mit ihm gemacht. Er hat die Fabrik geheiratet, nicht sie! Die Unglückliche hat es versäumt, einen Ehevertrag über Vermögenstrennung abzuschließen. Nun, sie war verliebt. Kurz und gut: Blanche will sich jetzt von ihm scheiden lassen. Doch Monsieur ist damit nur einverstanden, wenn sie auf die Fabrik verzichtet. Es handelt sich also um eine legale Erpressung. Klug wie er ist, gibt er sich keine Blöße. Sein Verhalten der Ehefrau gegenüber ist völlig korrekt: Keine Liebschaften, keine Mißhand-
lung oder ‘seelische Grausamkeit’, wie es so schön heißt. Da gibt es nichts, wo man einhaken könnte, außer daß er Blanche niemals wirklich geliebt hat. Das ist kein Scheidungsgrund. Er hat einen raffinierten Anwalt und bleibt dabei: Dir die Freiheit, bitte – jedoch mir die Fabrik. Voilà, so weit sind wir, Yvonne…» «Ich verstehe. Besagte Blanche benötigt einen handfesten Scheidungsgrund – mich!» Yvonne nahm das Foto des Fabrikanten entgegen und schloß sekundenlang die Augen. «Du meine Güte!» Armand Gardain war ein recht stattlicher Herr, elegant und selbstsicher, durchaus der Typ, der einer Frau gefährlich werden konnte. Yvonnes Ausruf betraf nicht seine Erscheinung, vielmehr gewisse, schwer deutbare Details – Augenausdruck, Haltung, ein sparsames, verbissenes Lächeln, ein Etwas, das sich nicht erklären läßt, einer klugen Frau jedoch nicht verborgen bleibt. «Sie werden es schwer mit ihm haben», nickte Madame. «Das ist der Typ des erfolgreichen Mitgiftjägers – eiskalt und erfolgsbewußt, ein Mann, der nur das Geschäft kennt. Keine Zeit, keine Ambition für die Liebe. Der würde seine Großmutter an die Kannibalen verkaufen, verspräche es Gewinn.» Yvonne telefonierte mit der Detektei, deren gesamter Betrieb ausschließlich in Madame Germaines Diensten stand. Sie führte das Gespräch im Vorzimmer, da war nur die Sekretärin, vor der man keine Geheimnisse hatte. Madame Germaine befand sich unterwegs in die Oper. Offiziell galt ein gewisser Ricard als Chef der Detektei. Ein aalglatter Typ, undurchsichtig wie schmutziges Wasser. Bei früherer Gelegenheit hatte der junge Mann auf eine beleidigend herablassende Art den Versuch unternommen, Yvonne gegenüber den Chef herauszukehren. Es war bei diesem Versuch geblieben. Yvonne hatte ihn ohne viel Federlesens in seine «StrohmannRolle» zurückversetzt.
«Hier Ricard. Oh, Sie sind es, Madame Orval, sehr erfreut. Was kann ich für Sie tun?» Er sprach, als wenn man Honig in ein Glas träufelt. Yvonne mochte Ricard nicht, war jedoch auf seine Mitarbeit und seine Informationen angewiesen, wollte sie in einem bestimmten Fall rasch zum Ziel gelangen. «Notieren Sie folgende Adresse, Ricard: ‘Armand Gardain, 33 Rue de Montessan, Fabrikant’. – Das ist ein neuer Fall, noch nicht in Ihren Unterlagen. Lassen Sie das Haus und diesen Mann rund um die Uhr beobachten. Jede Einzelheit interessiert mich: Lebensgewohnheiten, Bekanntenkreis – speziell Damenbekanntschaften –, etwaige Hobbys.» «Geht in Ordnung», sagte Ricard. «Irgendwelche Fotos?» «Können Sie hier abholen, aber kommen Sie gleich. Sekretärinnen sind auch Menschen. Lou will nach Hause. – Ach, und ehe ich’s vergesse: Sie können den jungen Mann mit Sonnenbrille abrufen, der seit Tagen mein Haus bewacht und mir überallhin folgt. Er ist so unauffällig wie eine Almkuh mit Glocke, also ein Versager. Außerdem liest er Zeitungen, durch die er ein Loch gebohrt hat. Leben wir im Mittelalter?» Yvonne hängte ein und dachte kurz an die Sekretärin, die sich bestimmt in Lachkrämpfen wand, so daß sie kaum noch Luft bekam. Auch Lou mochte den Detektiv nicht. «Dem haben Sie es aber gegeben!» sagte Lou lächelnd, als Yvonne das Büro betrat. «Mir läßt er auch nachspionieren. Glauben Sie nur nicht, daß Madame ihm den Auftrag gegeben hat. Auf mein Wort: Er handelt eigenmächtig!» «Wieso? Darf er das?» «Nun ja. Ricard besitzt eine Art Generalvollmacht. Er ist so etwas wie ein Sicherheitsbeauftragter. Viele unserer Auftraggeber spielen in der Politik oder Wirtschaft eine große Rolle, das ist ein delikates Geschäft. Da muß man sich absichern. Es ist verschiedene Male versucht worden, Agenten in unseren Mitarbeiterstab einzuschleusen – auch weibliche Agenten. Bitte, glauben Sie mir! Sie, Yvonne, genießen unser volles Vertrauen. Ricard ist ein Idiot!»
Diesen Eindruck hatte Yvonne nun gerade nicht, beließ es aber dabei. Yvonne fuhr zur Rue des Ecoles, nahe der Notre Dame. Der mausgraue Sportzweisitzer mit dem Sonnenbrillen-Jüngling am Steuer folgte ihr nicht mehr; sie sah es im Rückspiegel. Dicht hinter dem Louvre, noch ehe Yvonne die Seine-Brücke erreichte, blieb der Mausgraue plötzlich zurück und kam nicht wieder in Sicht. Ricard hatte den Mann also wirklich über Funk abgerufen. In einer Nebenstraße fand Yvonne eine Parklücke. Sie betrat das «Hotel Minerve» durch den Lieferanten-Eingang. Der Pförtner kannte sie und legte die Hand an die Mütze. Yvonne vermied es, den Fahrstuhl zu benutzen. Sie wollte nicht gesehen werden und nahm die nur für das Hotelpersonal bestimmte Treppe. Tante Lucrecia, eine gemütliche alte Dame mit Zwicker und Marie-Antoinette-Frisur, bewohnte ein Appartement im dritten Stockwerk, Seitenflügel. Das heißt, die liebe alte Dame bewohnte nur ein einziges Zimmer, die anderen elegant eingerichteten Räume dienten besonderen, diskreten Zwecken. Madame Lucrecia war Dauergast im Hotel. Yvonne sagte Tante zu ihr; sie waren jedoch keineswegs verwandt miteinander. Tantchen öffnete nur, wenn man in bestimmtem Rhythmus dreimal anklopfte. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie damit, Heftromane zu lesen: «Das Glück im Winkel»… «Alles für mein Kind»… «Die große Liebe der kleinen Comtesse»… Und so weiter. Im Hotel galt sie als eine sehr vermögende, liebenswerte und etwas schrullige alte Dame, die viel Zeit hatte. Das war ihre «Legende»… «Oh – Yvonne?! Na, das ist eine Überraschung! Wo brennt es denn, Kindchen? Nehmen Sie doch, bitte, Platz. Kaffee, Keks?» In ihren eigenen vier Wänden bewegte sich Tantchen mit der Munterkeit eines Teenagers. (Im Hotel sah man sie nur gehbehindert, mit einem Krückstock vor sich hin tastend.) Sie verschloß rasch einen Wandschrank, in dem sich geheime Chiffrier-
unterlagen und ein modernes Funkgerät befanden, wie Yvonne wußte. «Borowsky», sagte Yvonne. «Ist Ihnen der Name ein Begriff?» – Tantchen nahm sich Feuer für die Zigarre; sie rauchte nur Zigarren, das gehörte zu ihren Besonderheiten. In der Öffentlichkeit allerdings sah man sie nur Hustenbonbons lutschen. – «Auf dem Schreibtisch der Germaine sah ich heute eine Akte mit diesem Namen, Madame. Darin war ein Zettel geheftet: ‘Für Yvonne’. Offenbar handelt es sich um einen weiteren Auftrag, den ich übernehmen soll.» «Sie haben natürlich darin geblättert?» «Ich habe. Madame Germaine ging ins Vorzimmer, um der Sekretärin einen Auftrag zu geben. Für Aufnahmen mit der Mikrokamera war die Zeit zu knapp, so habe ich nur rasch etwas geblättert.» Madame Lucrecia paffte eine dicke Rauchwolke über den Tisch. «Wenn man Sie erwischt hätte, Kindchen, so wäre das peinlich geworden! Borowski ist Chef eines Spionageringes, der Direktor, wie man so sagt. – Warten Sie!» Sie drückte auf einen versteckten Knopf; es dauerte nicht lange, dann öffnete sich eine Tür und zwei gute, alte Bekannte traten ein: Jean Marquis de Bernard – und Katja, die «pensionierte» Kokotte. Nebenan hielt sich noch ein Herr auf, Yvonne konnte ihn über Papiere gebeugt am Tisch sehen. Sie kannte ihn und winkte ihm zu. Es war der junge Diplomat, den Katja heiraten wollte… Der Marquis machte sich Notizen, während Yvonne berichtete. Indessen holte Katja das Funkgerät hervor und stellte die Verbindung her. Ihre schlanken Finger tanzten auf der Morsetaste. «Sie haben es richtig beurteilt, Yvonne», bestätigte Bernard. «Jetzt wird es ernst und damit auch gefährlich für Sie! – Katja, hat sich die Zentrale gemeldet? Gut, geben Sie durch: ‘Fall SiebenBerta-Neun eingetreten. Drei Schatten für Veilchen. Ende.’ – Das wär’s.» Yvonne verspürte eine gewisse Gänsehaut. «Veilchen», das war sie selbst – ihr Deckname. Und die drei Schatten, das konnte sie sich denken, das waren drei diskrete Beschützer, die sich von nun an – unsichtbar und doch allgegenwärtig – an
ihre Fersen heften würden. «Ist es – so – erheblich?» Yvonne seufzte. «Auf die Schatten würde ich gern verzichten. Ich mag es nicht, wenn man mir überall und bei jeder Gelegenheit insgeheim zusieht.» Der Marquis lachte nicht. «Katja, erklären Sie dieser reizenden, wenn auch arglosen jungen Dame bitte, wo man sie finden wird, sollte sie den Versuch unternehmen, unsere ‘Schatten’ abzuhängen!» «Nackt in der Seine treibend», sagte Katja gelassen. «Eine rote Tulpe zwischen den gefesselten Händen.» «Die rote Tulpe», erklärte der Marquis, «ist Borowskys Lieblingsblume! – Noch irgendwelche Fragen?» Nein, Yvonne hatte keine Fragen mehr. «Bitte, prägen Sie sich folgende Kennworte ein, Yvonne: ‘Wie komme ich zum Hotel Turgot?’ – Bitte, keine Notiz! Nur einprägen. Sollte also unverhofft ein desperat wirkender junger Mann aus dem Nichts auftauchen, so fragen Sie ihn besser erst nach dem Kennwort. Weiß er es nicht, dann – aber erst dann – können Sie ihn mit der Manikürschere erstechen. Compris?»
13. Kapitel Auf dem Blumenmarkt neben der Eglise de la Madelaine lernte Nanette einen jungen Mann kennen, der ihr auf den ersten Blick gefiel. Er war schlank und groß, trug das Berry schief auf dem Kopf; seine vergnügte Art, wenn er lachte – alles wirkte sympathisch. Er tauchte plötzlich neben ihr auf, als sie gerade einen Strauß Nelken erstehen wollte. «Mein Fräulein, darf ich Sie auf etwas aufmerksam machen?» Und als sie verwirrt den Kopf wandte und an sich herunter sah, ob da etwa eine Strumpfmasche gelaufen war, meinte er: «Auf mich!» Dazu ein nettes Lachen. «Ich heiße Antoine.» Nanette neigte aus Prinzip dazu, ihn abblitzen zu lassen. («Mein Herr, es lohnt nicht die Mühe, mich auf eine so unbedeutende Kleinigkeit aufmerksam zu machen!») – Dann fiel ihr jedoch ein, daß Yvonne an diesem Abend erst spät heimkommen würde. Der Frühling lag in der Luft und in ihrem Herzen. Sie betrachtete Antoine nachdenklich und eingehend. (Er ist aufdringlich, jedoch auf eine nette Art, im übrigen mein Typ.) Kluge Frauen sind sachlich, denken sofort weiter. (Ich würde es mit ihm tun.) «Sie dürfen mich begleiten, wenn Sie die Tasche tragen und ganz brav ‘bei Fuß’ bleiben. Auch müssen Sie Pfötchen geben, wenn ich es von Ihnen verlange. Verstanden?» Antoine nahm die schwere Einkaufstasche entgegen, ließ die selbstgedrehte Zigarette aus dem Mundwinkel fallen und gab Pfötchen. «Wau!» machte er. «Ich heiße Nanette und werde Sie Tony nennen. Wir gehen jetzt weiter einkaufen – zuerst zum Marché aux Puces, auf den Flohmarkt. Sie haben doch nicht etwa Flöhe?!» – «Wau-wau-Rrrrr…» – «Kusch, Tony! Ein wohlerzogener Pudel knurrt nicht, trägt brav die Tasche und spendiert mir ein Eis, hast du verstanden? Dort drüben im Cafe gibt es Eis.»
Im Cafe lernten sie sich dann näher kennen. Tony erzählte von sich. Er war Student der Medizin und absolvierte gerade sein Praktikum. «Dann sind Sie ja ein halber Arzt, das trifft sich gut. Ich bin furchtbar krank, müssen Sie wissen. Werden Sie mich untersuchen? Kommen Sie, wir nehmen die Metro und fahren zu mir…» Im Frühling ist alles unkompliziert. Die echte Pariserin hält sich nicht mit unnötigen Vorreden auf. Wenn sie denkt: «Mit ihm würde ich es tun» – dann tut sie es auch, leichthin, ganz en passant, als wenn man eine Blume am Wege pflückt. Nanette schloß die Wohnungstür auf und sah nach der Post. Keine Post! – War Yvonne etwa vorzeitig zurückgekommen? Nein… Das Leben ist schön! Man muß es genießen, wann immer die Sonne scheint. «Komm, Tony – hier herein – hier ist die Praxis, Herr Doktor!» Sie öffnete die Tür zum Schlafzimmer. «Gewiß willst du erst ins Bad, dich frisch machen? Dort die Tür, neben dem Spiegel.» Als Antoine zurückkam, saß die hübsche Patientin nackt auf dem Bettrand, schlank, zierlich und sehr krank. Ihr Gesicht glühte. «Sie fiebern ja.» Er befühlte ihre warmen Brüste. «Der Puls ist stark erhöht.» Antoine kleidete sich rasch aus und stieg aufs Bett. «Ich glaube, ich weiß jetzt, was Ihnen fehlt. Die Diagnose ist gesichert.» Nanette wich rücklings, auf allen vieren wie eine Wollhandkrabbe, vor ihm zurück. «Doktor, ist es schlimm? Sagen Sie die Wahrheit.» «Sehr schlimm!» dachte er. Sie hat Feuer im Leib und wird verbrennen, wenn nicht etwas geschieht. «Wir müssen einen kleinen Eingriff machen», sagte er laut. «Es dauert ein wenig, wird Ihnen aber guttun. Dann gebe ich Ihnen noch eine Spritze, zur Beruhigung.» «Das beruhigt mich», sagte Nanette. «Aber warum untersuchen Sie meinen Leib? Ich hab’s doch im Hals!» Tony ging darüber
hinweg. «Das Instrument», sagte er und blickte sich suchend um. «Wo ist denn mein Instrument?» Es war sehr groß und ließ sich eigentlich nicht übersehen. Nanette ergriff es, massierte es ein wenig und nahm es in den Mund. «Wir müssen – mmhm – wir müssen es – desinfizieren…» Das Instrument wurde immer größer. Nanette erstickte beinahe daran. – «So, jetzt ist es gut», sagte sie und legte sich in Positur. Dann kam Sturm auf, ein richtiger Orkan wütete auf dem Bett und in ihrem Leib. Es war wunderbar schrecklich. Nanette stöhnte und tat kleine Schreie. Das Bett brach beinahe zusammen, obwohl es manchen Sturm gewöhnt war. Als Yvonne die Wohnungstür aufschloß und in die Diele trat, sah sie die Schlafzimmertür offenstehen. Sie war nur kurz vorbeigekommen, um nach der Post zu sehen. «Nanette –?» Keine Antwort, nur ein Stöhnen. An das Nächstliegende denkt man zuletzt. War Nanette beim Fensterputzen etwa von der Leiter gefallen und hatte sich etwas getan? Yvonne trat näher – und zog sich rasch wieder zurück. Die beiden Fensterputzer befanden sich noch immer an der Arbeit, so vertieft in ihre Beschäftigung, daß es grausam gewesen wäre, sie dabei zu stören. Nanette saß in der Küche und schälte Kartoffeln für das Abendessen, als Yvonne Stunden später heimkehrte. Nette trug nur eine Schürze über dem Höschen, wirkte aber dennoch recht erhitzt – im übrigen aber außerordentlich gesund, ja erfrischt. «Ist jemand dagewesen, Nettchen?» «Antoine, ein Medizinstudent. Weißt du, ich hab’ dich ja gesehen, als du plötzlich in der Tür standest. Aber kann man abspringen, wenn der Zug fährt? – Lieb von dir, daß du nicht die Notbremse gezogen hast!» Yvonne lachte und lachte. Sie ergriff Nanette bei den Schultern, wandte sie hin und her, betrachtete sie von allen Seiten.
«Ein Schnellzug, ich sehe es. Du siehst richtig angegriffen aus, verlebt und alt.» Sie scherzte nur. Nanette wirkte frisch wie der junge Frühling. «Papperlapapp, das sagst du nur so. Keine Blume verwelkt, wird sie nur richtig begossen.» Nanette kicherte. «Ich war schon richtig ausgetrocknet. Da begegnete mir dieser junge Mann. Nun – und jetzt fühle ich mich mindestens fünf Jahre jünger.» «Dann bist du jetzt vierzehn, viel zu jung für die Liebe. Schade, Nanette, ich wollte dich gerade fragen, ob du Lust hast, einem gewissen Monsieur Gardain den Kopf zu verdrehen. – Hier ist das Foto!» Yvonne erklärte ihr den Zusammenhang, und Nanette war sofort Feuer und Flamme. (Es gibt gewisse Tage, an denen jede Frau – auch eine Kokotte – wegen der Regel eine Ausnahme von der Regel machen muß.) «Ich bin also gehandikapt», seufzte Yvonne. «Wenn es dir gelingt, diesen schwierigen Herrn in die Scheidungsfalle zu locken – gut! Jedenfalls wollen wir es probieren. Mir ist nicht ganz wohl dabei. Ich würde dich gern aus all dem heraushalten…» «Hat man so etwas gehört?» fragte Nanette einen unsichtbaren Dritten. Da keine Antwort kam: «Seit Tagen bedränge ich dich, mich doch richtig einzusetzen. Sind wir nicht ein Geheimbund? Soll ich nur dasitzen und Däumchen drehen? Ich seh’ mich schon als alternde Jungfrau im Lehnsessel und Pullover stricken!» Die feurige Nanette im Lehnsessel! Ein unmögliches Bild. Yvonne hielt die Hand vor die Augen. «Siehst du, es schaudert dich!» stellte Nanette fest. «Also, wo finde ich diesen Tiefkühlschrank, den ich abtauen soll?» Damit hatte sie Monsieur Gardain durchaus treffend gekennzeichnet. Yvonne entwickelte ihren Plan, bedachte jedes Detail. Sie berieten gemeinsam und kamen zu dem Schluß, daß ihr Vorhaben eigentlich gelingen mußte. «Wenn nicht», dachte Yvonne, «müßte man es dann noch auf eine andere Weise versuchen. In zwei Tagen war sie selbst wieder mobil, wenn auch nicht
in der Stimmung.» Ihre Gedanken irrten immer wieder ab; sie dachte an Rex Carrigan… Armand Gardain lebte vom Heiraten. Das war kein leichter Beruf. Man mußte aussehen und auftreten wie ein Weltmann, durfte sich niemals und bei keiner Gelegenheit eine Blöße geben – und war das Ziel dann erreicht, die Eheschließung vollzogen, kam es darauf an, diese Ehe möglichst rasch und unauffällig wieder zu zerstören. Im Laufe von fünf Jahren hatte Monsieur dreimal geheiratet: Zuerst ein kleines Warenhaus, dann eine Privatbank und nun eine Schokoladenfabrik. Die Besitzerin des Warenhauses, eine froschäugige, entsetzlich dicke Witwe, war er sehr rasch wieder losgeworden. («Mein verstorbener Mann, Gott hab’ ihn selig, hat niemals geraucht. Aber du paffst wie ein Schlot! Und wie du herumläufst? Was sollen denn die Kunden denken? Mein verstorbener Mann hat immer einen steifen Kragen getragen!») Gardain besprach sich mit seinem Anwalt. Dann begann er, Ketten zu rauchen und lief nur noch in Jeans und mit offenem Pullover im Warenhaus herum. Im übrigen legte er ein phantastisch gesteigertes Liebesbedürfnis an den Tag. Wenn man reich werden will, so darf man die Anstrengung nicht scheuen: «Komm ins Bett, Liebste!» – «Was, schon wieder? Am hellichten Tag?» – Madame war schon jenseits von Gut und Böse. Dieser Mann wurde ihr einfach zu anstrengend. Die Ehe wurde geschieden, und Monsieur erhielt eine recht manierliche Abfindung. Dann heiratete er die Privatbank. Sie war gleichfalls verwitwet, mager und trocken wie gut abgelegtes Holz. Aber nicht dumm! Auf Zahlen und Vermögensbewegungen verstand sie sich sehr gut. Fast so gut wie Armand Gardain auf die Kunst des planvoll gesteuerten Auseinanderlebens. Nach der großen dürren (Frau) – kam für ihn die echte große Dürre. Armand erhielt eine Abfindung, mit der man einen Fingerhut füllen konnte. Also heiratete Monsieur nunmehr die Schokoladenfabrik. Diesmal fiel es ihm nicht schwer, außer der Fabrik auch noch eine Ehefrau in Kauf
nehmen zu müssen: Blanche war noch ziemlich jung, sehr anmutig, ein bißchen dumm und sehr verliebt. Da Armand kein Kostverächter war, genoß er Blanches Liebeshunger zunächst. Der Geschäftsmann in ihm wog das Für und Wider sorgfältig ab: Erstens, die Frau. Sie ist wirklich nett, man könnte mit ihr leben. Zweitens, die Fabrik. Der Umsatz wächst rapide. Mit einem wachsenden Umsatz läßt sich noch besser leben, wenn man ihn nicht mit einer Ehefrau teilen muß. Armand Gardain entschied sich für die Fabrik und begann mit nahezu wissenschaftlicher Präzision, diese junge Ehe zu zerstören. Er beging keinen Fehler, gab sich keine Blöße, wurde niemals grob oder lieblos. Nein, er wurde einfach müde. Müdigkeit ist kein Scheidungsgrund, wenn man dennoch seinen «ehelichen Pflichten» genügt. (Liebste, es tut mir so leid! Es klappt einfach nicht…) Es «klappte» heute nicht, morgen nicht – überhaupt kaum noch. Blanche war ganz verzweifelt, schickte den geliebten Mann zur Kur. Im Sanatorium warf er die Potenzpillen in den Abfalleimer und trank jeden Tag heimlich einen halben Liter Pernod. (Absinth soll impotent machen.) Heimgekehrt, tat er dann, als täte er sein Bestes. Da er es lustlos tat, verlor Blanche zuerst die Fassung – und schließlich die Geduld. «Du liebst mich gar nicht! Du hast mich wegen meines Vermögens geheiratet!» «Kannst du es beweisen?» – Dazu ein eiskaltes Lächeln. «In unserem gesamten Bekanntenkreis gelte ich als der ideale Ehemann, treu, rücksichtsvoll, ein liebender Gatte. Oder weißt du jemanden, der etwas anderes vor Gericht aussagen würde?» Blanche wußte niemanden. Nur dieses eine Mal, unter vier Augen, hatte Armand die Maske etwas gelüftet. Es genügte für sie, um jedes Gefühl für ihn zu töten. Also – Scheidung! Ohne Scheidungsgrund und ohne Ehevertrag, im beiderseitigen Einverständnis, wie es so schön heißt, würde ihm dann ein beträchtlicher Teil des Vermögens zufallen.
Doch Armand wollte nicht die Hälfte, er wollte die ganze Fabrik! Das war seine Bedingung – und darum hatte sich Blanche in ihrer Verzweiflung an Madame Germaine gewandt… Es war ein wunderschöner Tag. Die Morgensonne spiegelte sich in der Flut des kleinen Fischteiches, und der Frühlingswind fuhr mit sanfter Hand durch das Schilf zu beiden Seiten des Bootssteges. Armand Gardain gab sich seiner Lieblingsbeschäftigung hin. Er angelte. Diesmal nicht nach einer vermögenden Witwe, sondern nach einem anderen fetten Karpfen, der den Köder umkreiste und partout nicht anbeißen wollte. «Komm doch – komm, Süßer! So ein fetter Wurm, siehst du ihn nicht?» Der Karpfen öffnete das Maul, sagte «Plupp» – und grinste. («Ich weiß, was du willst!») «Du bist ein Idiot», sagte Armand. «Willst du ewig leben? Was ist denn das für ein Dasein in dem schmutzigen Wasser!» Der Karpfen war klüger als des Anglers drei bisherigen Ehefrauen und tauchte weg; Armand warf ihm wütend einen Stein hinterher. – Dann wurde er von seiner Beschäftigung abgelenkt: Keine zwanzig Meter seitwärts vom Steg, am Teichufer, raschelte es im Gebüsch. Über dem Blattwerk wurden zwei schlanke Arme sichtbar, die sich anmutig bewegten und eine Seidenbluse schwenkten. Die Bluse wurde über den Strauch gelegt. In rascher Reihenfolge folgten: ein winzig kleiner Büstenhalter (Donnerwetter, das war ja ein ganz junges Mädchen?!), dann ein Damenhöschen, die Strümpfe… Monsieur lief das Wasser im Munde zusammen; er schluckte. Der Karpfen war vergessen. Wie mochte die süße, kleine Forelle aussehen, die sich da im Gebüsch entkleidete? Er blieb regungslos sitzen, zog sich den Strohhut über die Augen und tat, an einen Pfahl gelehnt, als hielte er ein Nickerchen. Unter der Hutkrempe hervor beobachtete er, was sich da weiter entwickelte. Die Zweige bewegten sich, ein nacktes, schlankes Mädchen trat hervor – ja, sie hatte offenbar kein
Badehöschen mit dabei, war ganz nackt – und betrat den schmalen Sandstreifen am Teichufer. Sie blickte in die andere Richtung, hatte ihn noch nicht gesehen. Armand Gardain überlegte, ob er laut schnarchen sollte, unterließ es aber. Eine Wespe umschwirrte ihn und konnte das Schnarchen für einen unfreundlichen Akt halten und zum Angriff übergehen. Das nackte Mädchen hob die Arme, reckte ihren hübschen Körper der Sonne entgegen – sie fühlte sich offenbar unbeobachtet, genoß die Natur, den Wind, der sie streichelte. Alles an ihr war fest und frisch und jungfräulich: Die knospenhaften Brüste, der Leib, mit dem süßen, winzigen Gebüsch zwischen den Schenkeln, die schlanken Beine… Sie schickte sich an, ins Wasser zu gehen; prüfte mit den Fußspitzen zunächst die Temperatur, wandte dabei den Kopf – und quel malheur, sie hatte ihn gesehen. Aber es war gar kein Malheur. Monsieur hatte erwartet, einen kleinen Entsetzensschrei zu vernehmen, und daß die hübsche Forelle nun ins Gebüsch zurückflüchten würde. Nichts dergleichen. Die nackte Schöne stand ganz gelassen da. Sie machte eine Handbewegung (Na, und wenn schon! Er braucht ja nicht herzusehen, wenn er Anstoß nimmt.) – Prüde war sie jedenfalls nicht. Ein ganz modernes Mädchen, vielleicht Anhängerin der Freikörperkultur? Armand Gardain beschloß, aus seinem Nickerchen zu erwachen. Er schob den Strohhut zurück, blickte sich um und tat, als würde er erst jetzt auf das Mädchen aufmerksam. «Oh, hallo!» rief er. «Ich bitte um Vergebung. Warten Sie, ich ziehe mich sogleich zurück…» Er nahm die Angel auf und tat, als wolle er gehen. Doch in diesem Augenblick passierte es: Der dicke Karpfen hatte doch angebissen! – Die Schnur lief von der Rolle, es schnurrte. Monsieur betätigte die Bremse, ließ die Schnur noch etwas nach, begann sie langsam aufzurollen. Es platschte und gluckerte im Wasser. (Warte, du Biest, ich krieg’ dich!) Der Kampf mit dem Karpfen nahm ihn ganz in Anspruch.
Dann hatte er den zappelnden Fisch in der Luft, fing ihn mit der Hand ab – ein rascher Schnitt mit dem Messer, und der Karpfen platschte in den Wassereimer. «Wie grausam Sie sind, Monsieur!» sagte hinter ihm eine helle Stimme. Er fuhr herum und sah das nackte Mädchen da auf dem Steg sitzen; sie planschte mit den Beinen im Wasser. «Schrecklich, wie Sie den armen Fisch gequält haben!» Armand Gardain blickte sich unruhig nach allen Seiten um. Niemand sonst war zu sehen, es war noch recht früh am Morgen. Er war erleichtert und lachte. «Essen Sie keinen Fisch, mein Fräulein? Sehen Sie! Irgendwer muß sie doch fangen.» Sie ist unwahrscheinlich hübsch, Donnerwetter! Tiefschwarzes Haar und Augen wie eine Zigeunerin. Na, und der Körper… Jetzt lächelt sie, die hübsche Katze! Noch ein bißchen naiv ist sie, sonst würde sie nicht so splitternackt dasitzen wie ein Kind in der Wanne: («Mutti, ist es wahr, daß der Klapperstorch die Kinder bringt?») «Ich heiße Nanette», sagte Nanette. «Und wie heißen Sie?» Er hustete etwas. «Warum?» «Nur so. Ich frage alle Leute nach ihrem Namen.» Sie kicherte und planschte vergnügt mit den Beinen im Wasser. «Man muß doch wissen, mit wem man es zu tun hat?!» «Mein Name ist Meunier, Armand Meunier», sagte Armand Gardain und bewies damit seine Geistesgegenwart. «Darf ich fragen, wie alt Sie sind – ich meine, wie jung?» «Fünfzehn», behauptete Nanette. «Aber ich wirke viel älter, nicht?» Den Eindruck hatte Monsieur auch. Aber bei der heutigen Jugend konnte man das niemals so genau abschätzen. Die wuchsen einem ja über den Kopf. – Fünfzehn Jahre! sagte er zu sich selbst und ließ die Worte auf der Zunge zergehen. Die weiß noch nichts von der Liebe, bestimmt nicht. Aber sie ist schon voll entwickelt, eine junge Blüte mit den Rundungen eines süßen Weibchens. «Hast du gar keine Angst, so nackt durch die Gegend zu laufen, mein Kind?» – Zu einer Fünfzehnjährigen konnte man doch du
sagen, oder etwa nicht? Sie schien nichts dabei zu finden. «Es könnte doch irgendein Mann kommen und den Versuch unternehmen, dich zu verführen!» Sie lachte ihn an. «Na – und?» Monsieur pfiff hörbar durch die Zähne. Sieh mal an, so ganz unschuldig ist die wohl nicht. Gut, daß ich ihr nicht meinen richtigen Namen genannt habe. «Wieso na und!» Er hob ermahnend einen Finger und es erhob sich noch mehr bei ihm. Der Anblick des nackten Mädchens erregte ihn. «Was würde deine Mutter sagen?» «Ich habe keine Eltern mehr», sagte Nanette. «Vor drei Wochen bin ich aus dem Waisenhaus ausgerissen. Jetzt brauche ich Geld.» Sie neigte den Kopf etwas schräg und blickte ihn fragend – gleichzeitig sündig und verschämt – aus ihren dunklen, betörenden Augen an. «Geben Sie mir Geld, wenn ich nett zu Ihnen bin?» So lagen die Dinge also? – Er blickte sich wieder aufmerksam in der Gegend um. Kein Mensch weit und breit. So ein süßes junges Ding! Aber sie hatte es schon ganz schön hinter den Ohren. «Wie nett wirst du sein, meine Süße?» «Nun, so lala! Sie wissen schon. Sprachen wir von Geld?» Monsieur konnte nur noch mühsam sprechen, die Erregung würgte ihn. Dennoch meldete sich in ihm der eiskalte Geschäftsmann: Die ist noch jung und unerfahren, weiß noch nicht, was sie wert ist. Das war ein kleiner Irrtum. Das Mädchen nahm die Füße aus dem Wasser und tat, als wolle es aufstehen und gehen. «Dreihundert Francs», sagte Monsieur rasch. («Nicht für dreißigtausend, du Idiot!» dachte Nanette. «Gib acht, daß dir nicht die Augen aus dem Kopf fallen. Mein Preis ist die Schokoladenfabrik, aber das brauchst du nicht zu wissen… ») Laut sagte sie: «Sie sind wohl recht geizig, wie?» Monsieur hustete. «Fünfhundert, ja? Warte, ich hole das Geld aus meinem Wagen…» Er holte das Geld und gab es ihr. Dann gingen sie am Ufer entlang bis zu dem Gebüsch, wo Nanette ihre Kleider hatte. Sie ließ die Geldscheine in ihrem Handtäschchen verschwinden und begann umständlich damit, eine kleine Wolldecke auszubreiten.
Nanette ließ sich viel Zeit. Der Mann wurde ungeduldig; er war ganz verrückt darauf, dieses süße Geschöpf in die Arme zu nehmen. «Erst die Decke. Das Gras piekt so…» Nanette blickte sich verstohlen um. Ja, endlich war Yvonne Orval mit der Filmkamera in Schußposition. Sie hatten tags zuvor das Gelände genau erkundet und ausgemessen. Von einem Versteck aus hatte Yvonne die Szene auf dem Bootssteg und die Geldübergabe gefilmt. Nun befand sie sich – wie ein Jäger – drüben zwischen den Bäumen auf einem Anstand und hielt das Teleobjektiv auf den kreisrunden offenen Platz zwischen den Büschen gerichtet. «Hoffentlich gibt es hier keine Ameisen?» Das waren vorerst Nanettes letzte Worte. Sie sah, wie der Mann seinen Hosenschlitz öffnete. Das Glied sprang hervor. Er riß ihr die Füße weg, sie fiel auf die Decke nieder – und dann war er wie ein Verhängnis über ihr, mit von Gier verzerrtem Gesicht und funkelnden Augen. Er spreizte ihre Schenkel, hob den nackten jungen Leib förmlich zu sich empor – und rammte seinen Strammen mit einem wilden, tiefen Stoß so machtvoll hinein, daß sich die heiße, enge Pforte qualvoll dehnte. Das Mädchen tat einen wimmernden Schrei. «Nein – oh, ist das – ein Ding! – Auuuu, nein, nein, nein – oh nicht – haaach…» Der stramme Phallus begann schneller zu stoßen, immer heftiger, daß es ihren schlanken Körper schüttelte. Nanette verkrampfte die Hände in die Decke, warf den Kopf hin und her. «Nicht so wild – ooooh – nicht so schnell und tiiief – oooh, oooh, ooooooh…» Sie gluckste und stöhnte, wand sich und biß sich in das Handgelenk. Er hielt die Hände fest hinter ihren Schenkeln und zog den zuckenden jungen Leib zu sich empor und an sich, den Stößen seines strammen Kolbens entgegen. Sie war so jung und eng, die heiße Pforte schloß sich so fest um sein Glied, daß es immer dicker wurde. Gardain wütete gegen den Mädchenleib, als gelte es nachzuholen, was er in seinen drei Ehen bisher versäumt hatte. Dann zündete es in ihr – wie ein Motor anspringt und auf Hochtouren läuft. Die Wollust überfiel ihren
Leib wie ein Unwetter. Sie stützte sich jetzt auf die Arme und drängte ihren Leib seinen Stößen entgegen. «Ja – ja – ja – jaaaaa!» Ihre Lustschreie schreckten einen Vogel auf, der aus dem Gebüsch geflattert kam. Sie hielt jetzt mit angewinkelten Knien die Beine aufgestützt und ließ sich mit wachsender Ekstase so nehmen. Es fuhr in der glühenden Enge ihrer Pforte vor und zurück – tiefer und intensiver. «Jaaaa – los – los – oh, feste, feste – haaaach, ist das gut – jaaaa – haaaach – wie das klemmt – wie das wühlt – ich bin heiß – heiß – jaaaa – schneller – oh, mehr – mehr…» Die Kräfte versagten ihr. Nanettes Arme und Beine gaben nach. Sie sank auf die Decke herab und hob die gespreizten Schenkel. Der Mann lag schwer auf ihr, sein Gesäß hob und senkte sich immer schneller. Ein Wühlen war in ihrem Leib, ein Brennen und Zucken und Glühen – und dann empfing Nanette den befreienden sprudelnden Strahl. Wieder und wieder ergoß es sich in die heiße Tiefe. «Die Pille!» dachte das Mädchen, halb besinnungslos vor Lust. «Hoffentlich habe ich die Pille nicht zu spät genommen.» Drei Tage später erhielt Armand Gardain den Telefonanruf eines Rechtsanwaltes. Seine Frau hatte das Haus verlassen; er wußte nicht warum – nur, daß sie zu ihrer Mutter gereist war. Der Anwalt ersuchte ihn, in seine Kanzlei zu kommen, und dort erfuhr er zu seinem Schrecken, daß er diesmal der Dumme war… «Eine Detektei hat Sie im Auftrage Ihrer Gattin beobachten lassen», erklärte der Anwalt kalt. «Wir wollen uns kurz fassen: Sie haben ein minderjähriges Mädchen, noch dazu ein Waisenkind, auf schamlose Weise verführt und ihm Geld dafür gegeben. Was de jure darauf steht, das sollten Sie wohl wissen…» «Ich sollte, ich hätte, sind Sie nicht bei Sinnen?» keuchte Gardain.
Dann traten ihm Schweißperlen auf die Stirn. Der Anwalt setzte wortlos einen Filmprojektor in Betrieb. Der Film schnurrte ab und zeigte einen Angler, wie er mit einem nackten jungen Mädchen sprach, später das Geld aushändigte und es dann – oh, du meine Güte – zwischen den Büschen mit dem Mädchen trieb. Alles in Großaufnahme. Auch der Rechtsanwalt wußte nicht, daß Nanette weder ein Waisenkind, noch etwa minderjährig war. Es gehörte auch nicht zur Sache. «Ich darf annehmen, Monsieur, daß Sie mit der Ehescheidung einverstanden sind, keine Forderungen stellen, sondern vielmehr die gesamten Kosten übernehmen. Oder wünschen Sie, daß dieser Film vor Gericht als Beweismittel abgespielt wird?» Armand Gardain hob entsetzt die Hände. «Gut», sagte der Anwalt. «Dann unterschreiben Sie dieses Papier hier und sehen Sie zu, daß Sie mir aus den Augen kommen. Ich habe auch eine fünfzehnjährige Tochter, mein Herr, und wenn es nach mir ginge, so würden Sie bestraft. Ihre Gattin ist viel zu nachsichtig mit Ihnen!» Monsieur Gardain verabschiedete sich nach der Ehescheidung nicht mehr von Blanche, seiner gewesenen Frau. Aber er stand lange seufzend vor dem Tor der Schokoladenfabrik, bevor er ging, sich nach einer neuen vermögenden Witwe umzusehen.
14. Kapitel Obwohl das linke Ufer von Paris wesentlich älter als das rechte ist, ist es nie richtig erwachsen geworden. Ein Hauch von Boheme weht durch die Straßen des Quartier Latin. In den kleinen gemütlichen Bistros, die an fast jeder Ecke in den vielen Seitenstraßen zu finden sind, trifft man Käuze und Künstler aus aller Welt an. Die Maler, Dichter, Philosophen und Philister von St.Germain des Pres sind hier zu Hause… «Claude Brosset, ein Kunstmaler», hatte Madame Germaine erklärt. «Bitte nehmen Sie das Foto mit, Yvonne. Wir müssen diesen Mann unbedingt ausfindig machen; er trägt ein Tagebuch mit sich, das so brisant wie eine Atombombe ist.» Nun befand sich Yvonne Orval im Quartier Latin unterwegs. Auch Ricard mit seinen Detektiven durchstöberte ein Bistro nach dem anderen. Man wußte nichts Genaues; Madame Germaine hatte nur Andeutungen gemacht. Wenn es nicht gelang, Claude Brosset das besagte Tagebuch abzunehmen, dann drohten irgendwelche Konsequenzen von unübersehbarer Tragweite. («Der Mann ist verrückt. Er will Frankreich erpressen, verstehen Sie? In seinem umnebelten Gehirn hat sich die fixe Idee festgesetzt, die Regierung des Landes zu erpressen!») Mehr ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Madame Germaine besaß ihre Gründe, das eigentliche Wie und Warum im dunkeln zu lassen. Von Chez Maitre aus, einer kleinen Apachenkneipe nahe dem Jardin du Luxembourg, telefonierte Yvonne mit «Tante Lucrecia». Das zigarrenrauchende Tantchen wußte auch nichts Bestimmtes, nur, daß sich praktisch der gesamte französische Geheimdienst gleichfalls auf der Jagd nach dem verrückten Kunstmaler befand… Die Angelegenheit schien wirklich äußerst brisant zu sein. War es denn möglich, daß ein lächerliches kleines Tagebuch eine ganze Nation in Bewegung bringen konnte?
Yvonne erstand einige Tageszeitungen, konnte in den Schlagzeilen jedoch keinen Hinweis darauf finden, in welcher Weise der Kunstmaler Brosset es fertiggebracht hatte, zum «Staatsfeind Nummer eins» zu avancieren. Jedenfalls gab es da einen Zusammenhang mit dem mysteriösen «Fall Sieben-BertaNeun» – mit dem gewissen Borowsky, von dem Marquis de Bernard gesagt hatte, die «Rote Tulpe» wäre seine Lieblingsblume… Während Yvonne Orval, eine unter vielen, nach dem Maler Ausschau hielt (Herr Wirt, betrachten Sie bitte dieses Foto – kennen Sie den Mann?), folgten ihr drei Schatten. Keinen der drei Beschützer, welche der Marquis ihr zugeordnet hatte, bekam sie jemals bewußt zu Gesicht. Aber sie fühlte die Nähe dieser unsichtbaren Begleiter, wie man den Schatten spürt, wenn eine Wolke die Sonne verdeckt… In einer düsteren Kneipe in der Rue Visconti gab es einen kleinen Zwischenfall. Die Dirnen und Rauschgift-Dealer, die sich hier ein Stelldichein gaben, kümmerten sich nicht um die elegante junge Dame, die mit dem Zapfer flüsterte. Doch ein stark angetrunkener Kerl, die Imitation eines Vorstadt-Apachen, legte den Arm um Yvonnes Schulter und wurde zudringlich. Er faßte sie an den Busen und schwebte in der gleichen Sekunde hoch in der Luft, wurde gedreht und landete krachend auf einem Tisch, der unter ihm zusammenbrach. Der junge Mann, der dieses Karate-Kunststück vollbracht hatte, wirkte selbst wie ein Apache. – «Das ist meine Puppe!» sagte er und grinste den knockout gegangenen Trunkenbold an. Yvonne sträubte sich, als der Mann sie beim Handgelenk ergriff und mit sich zog. War sie vom Regen in die Traufe geraten? Sie blickte sich hilfesuchend um, doch niemand kümmerte sich um sie. «Los, auf die Straße, Geld verdienen! Was hast du hier zu suchen? Noch kein einziger Freier. Den ganzen Tag ‘rumsitzen, was? Vorwärts, allez, allez, du Schlampe!» Er zerrte sie durch die Tür und schob sie auf die Straße. – «Lassen Sie mich los –!» Passanten blieben stehen, gingen aber rasch weiter, weil der
Apache plötzlich ein Schnappmesser in der Hand hielt. «Hier gibt’s nichts zu sehen. Haut ab, ihr Ratten! Oder wollt ihr, daß ich Hackfleisch aus euch mache?!» Der Mann hielt ihr Handgelenk so fest umklammert, daß Yvonne die Sinnlosigkeit jeden weiteren Widerstandes einsah. Er zerrte sie mit sich fort, die Straße entlang und um die Ecke. Dann ließ er sie plötzlich los und nahm sich Feuer für die Zigarette. Er wirkte noch immer gewalttätig und verkommen, irgendwie desperat, nur seine Stimme klang ganz anders. «Hotel Turgot», sagte er leise. Dann fügte er laut hinzu: «Ich warte noch eine Stunde. Wenn du bis dahin keinen Freier mitgebracht hast, dann fängst du eine!» Das war das Kennwort: Hotel Turgot! – Sie mußte jetzt «Rue de Turbigo» sagen, aber der Mann mit der Sprache und dem Gehabe eines Zuhälters ließ sie einfach stehen. Yvonne hielt sich an einer Laterne fest. Der Schrecken war ihr in die Glieder gefahren. Dann besann sie sich und rief dem davonschlendernden «Apachen» ein Schimpfwort nach, das eigentlich nicht in ihrem Lexikon stand, ein gräßliches Wort, so daß der Agent richtig zusammenzuckte. Sie wirkte richtig echt in ihrer «Dirnenrolle»… Etwa um die gleiche Zeit hatte Nanette Besuch: Der Medizinstudent Antoine, ihr neuer Freund, sah sich im Salon um. «Ist Madame Orval nicht zu Hause?» War der «Doktor» etwa zur Nachuntersuchung gekommen? Nanette befand sich nicht in der Stimmung. «Tony, ich bin sehr in Eile, muß noch etwas erledigen. Sei mir nicht böse, es geht heute nicht.» «Was geht heute nicht?» Welche Frage! – «Das Fensterputzen, du weißt schon. Wieso fragst du nach meiner Freundin Yvonne? Interessierst du dich für sie?» Tony nickte zu ihrer Überraschung. Eine Sekunde lang verspürte sie einen kleinen, eifersüchtigen Stich in der Herzgegend. Aber er meinte es anders. «Man hat mir gesagt, daß du einen Auftrag
übernehmen sollst, der eigentlich für Madame Orval bestimmt war. Deine Freundin Yvonne –!» «Tony! Von wem weißt du das?!» «Deine Freundin Yvonne selbst hat es mir mitgeteilt. Wir trafen uns zufällig im Quartier Latin. Keine Angst, Nanette, ich bin nicht gekommen, um dir eine Szene zu machen. Ich bin auch kein Medizinstudent.» Nanette bekam ganz runde Augen. «Du bist…» «Irgendein junger Mann, der sich ganz aus Versehen in dich verliebt hat!» sagte er rasch. «Wenn du willst, so belassen wir es dabei. Oder magst du mich nicht mehr?» «Doch, schon, aber wie ist es mit dir? Wenn du weißt, um welche Art Auftrag es sich handelt – ich meine…» In diesem Augenblick klingelte das Telefon und enthob Antoine der Antwort. Nanette meldete sich, machte eine wedelnde Handbewegung – der junge Mann begriff und zog sich taktvoll in die Diele zurück. Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Nanette leise: «Ja, Antoine ist hier.» Und fast flüsternd: «Er sagt, du hättest ihn hergeschickt, wegen des Auftrages, du weißt schon.» «Das stimmt zwar nicht, er hat dich belogen – aber wohl nur, um nicht langwierige Erklärungen geben zu müssen. Du kannst ihm vertrauen, Nanette. Nimm ihn mit; er soll dich beschützen.» «Du sprichst in Rätseln. Wovor soll er mich beschützen – vor mir selbst?» «Das außerdem», sagte Yvonne. «Die ganze Geschichte hangt mit einem Kunstmaler zusammen, der in Paris verzweifelt gesucht wird. Der besagte Monsieur Marcellin, , um den du dich kümmern sollst, ist ein Freund und Komplice des Malers. Ich erfuhr es gerade, darum rief ich dich an.» «Das hört sich ja beinahe gefährlich an, Yvonne!» «Nicht so schlimm. Tony ist ja bei dir. Es geht um ein Zigaretten-Etui, wie du weißt. Wenn es dir gelingt, Marcellin in das besagte Hotel zu locken, so versuche, ihm das Etui heimlich abzunehmen – und dann ergreife die Flucht.»
«Wieso hat es Madame Germaine dir nicht gleich gesagt, als sie dir den Auftrag gab. Ich meine, daß es sich um einen besonderen Fall handelt und daß da noch ein gewisser Maler mit im Spiele ist?» «Ja, sie sprach nur davon, daß es wieder mal um einen Scheidungsgrund geht. Das Zigarettenetui würde als Beweismittel benötigt. Madame wollte uns wohl nicht kopfscheu machen; ich finde das auch wenig nett. Aber, was soll’s? Du hast doch nicht etwa Angst?» Nanette lachte. «Nein. Ich bin nur böse auf Tony, weil er mich belogen hat. Wenn er kein Medizinstudent ist, was ist er dann?» «In dich verliebt, das steht außer Zweifel.» «Gut», sagte Nanette. «Das genügt mir. Also dann – auf in den Kampf!» Pierre Marcellin, ein Bohemien der unguten Art, machte seinen gewohnten Abendspaziergang. Er pflegte zur gleichen Stunde immer denselben Weg zu nehmen. Drüben, jenseits des Flusses, erhob sich der Eiffelturm über dem Marsfeld – ein stählernes Ungetüm, besät mit strahlenden Lichtern wie schimmernde Perlenketten, die in den sternfunkelnden Himmel emporwuchsen. Er schlenderte gemächlich über die Seine-Brücke, sah sich nach einem hübschen Mädchen um, rief etwas und grinste über die Antwort, bei der es sich bildlich um eine Ohrfeige handelte. «Dumme Kuh!» rief er und lachte. Das Mädchen beschleunigte den Schritt und entschwand seinen Blicken. Pierre Marcellin zündete sich eine Zigarette an. Er war ein Mann Anfang der vierziger Jahre, etwas untersetzt, mit einem dünn rasierten Schnurrbärtchen auf der Oberlippe. Wenn er grinste und dabei seine gelben Zähne zeigte, wirkte er wie ein belustigter Maulesel – nur nicht so friedfertig. Genau betrachtet, war Marcellin ein gebildeter Mensch. Noch genauer besehen: Ein Kretin mit der Vergangenheit eines Mannes von Bildung und Können. Ein kleines Ungeheuer namens
Koko hatte ihn zugrunde gerichtet… Während er dahinflanierte, lag das ominöse Zigarettenetui schwer in seiner Rocktasche. Es wurde bei jedem Schritt schwerer, wie ein Verhängnis, das er mit sich herumtrug. Sein Freund, der Kunstmaler Brosset, hatte ihm das Ding zur Aufbewahrung gegeben. Er wußte nicht, was für eine Bewandtnis es damit hatte – nur, daß es sich um eine recht heiße Angelegenheit handelte. Aber wo sollte er diesen Brosset finden? Der verrückte Kerl schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Gestern noch hatte man ihn bei «Chez Maitre» gesehen. Ein Seufzen schreckte Marcellin aus seinen Gedanken auf. Er blieb stehen und sah sich auf der dunklen Brücke um. Der Seufzer kam von rechts, da war eine steinerne Plattform, die über den Fluß hinausragte – und dort schickte sich gerade ein schlankes Mädchen an, über das Geländer zu klettern. «Halt, Mademoiselle! Was tun Sie denn da, um Himmels willen! Sie wollen doch nicht etwa ins Wasser springen?!» Pierre Marcellin machte einen Satz vorwärts und bekam die junge Dame gerade noch zu fassen; er riß sie zurück. Sie kämpfte in seinen Armen, trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. «Lassen Sie mich! Was geht das Sie an! Warum mischen Sie sich ein…» «Seien Sie doch vernünftig, Mädchen!» – Er spürte die Umrisse ihrer Gestalt und verstärkte den Druck seiner Arme. Was für ein niedliches, junges Ding! Und so etwas wollte in die Seine springen… Jetzt hing sie schlaff, wie leblos in seinen Armen und begann zu weinen. Pierre gab sie frei. Sie lehnte sich gegen das Brückengeländer, stand mit gesenktem Kopf und schluchzte. «Warum haben Sie mich zurückgehalten, warum?» Ja, das wußte er eigentlich selbst nicht. Vielleicht, weil die schwarzhaarige Hübsche ihn an Koko erinnerte. Die war nicht so süß wie das Mädchen hier, aber ebenso berauschend. (Koko war keine Frau, nur ein weißes, kristallines Pulver – aber er nannte es seine «Geliebte».) «Ich werde Sie springen lassen», sagte er, «wenn Sie mich davon überzeugen, daß es für Sie keinen anderen Ausweg mehr gibt.»
So sprach der winzige Rest seines besseren Selbst zu der Selbstmörderin. Die anderen neunundneunzig Prozent sahen es anders: Was geht mich dieses verrückte Frauenzimmer an? Man hat nur Scherereien damit und schließlich springt sie doch ins Wasser, wenn nicht heute, dann eben morgen… Er betrachtete sie genauer. Ei, der Teufel, die Kleine war ja eine Schönheit! – und so wunderbar hilflos, so richtig zum Anknabbern. «Ich will nicht mehr leben», sagte sie. «Ich will nicht! Es hat doch alles keinen Sinn mehr.» «Nun, nun – es wird sich alles zum Guten wenden.» Marcellin hatte bereits eine bestimmte Vorstellung, wie sich alles wenden sollte. «Apres la pluie, le beau temps… Auf Regen folgt Sonnenschein, Kindchen!» Er tätschelte ihre Wange. «Man springt doch nicht gleich ins Wasser.» Im stillen gab Nanette ihm vollkommen recht. Es wäre sinnlos für sie gewesen, ins Wasser zu springen, da sie eine vorzügliche Schwimmerin war. Wie väterlich er tut? Dabei möchte er doch nur, daß ich mit ihm ins Bett springe, der Filou… «Diese Schande!» wimmerte sie. «Wie soll ich jemals wieder meinen Eltern unter die Augen treten, jetzt, nachdem ich entehrt bin.» Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte. «Ich überlebe es nicht…» Entehrt? – In seine Augen trat ein gewisses Funkeln. Er war begierig, mehr zu erfahren. «Welche Schande? Wovon sprechen Sie?» Sie wendete Marcellin ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. «Ich konnte doch nicht wissen, daß er mich nur deswegen eingeladen hatte. Sehen Sie, ich lebe ganz allein in Paris – in einem kleinen Hotel, hier ganz in der Nähe. Meine Eltern wohnen in Marseille. Sie hatten mich ja gewarnt: Paris ist eine große, gefährliche Stadt, hüte dich vor den Männern! – Ich weiß gar nicht, wieso ich Ihnen davon erzähle. Sie haben so gütige Augen, ich glaube, man kann Ihnen vertrauen.» («Er hat», dachte Nanette, «ausgesprochen schmutzige Augen. Welch ein widerlicher Kerl! Am liebsten möchte ich den ganzen
Plan aufgeben.») Der Mann mit den gütigen Augen konnte nicht wissen, daß dieses hilflose, unglückliche Mädchen vorhin bereits die Hand in seiner Rocktasche gehabt hatte, als er sie umarmte, um sie am Springen zu hindern. Aber das vermaledeite Zigaretten-Etui ließ sich partout nicht herausziehen; es steckte in einem kleinen Lederbeutel, der zudem noch in der Rocktasche festgenäht war. Das mußte schon ein ganz besonderes Etui sein. – Was sollte sie jetzt tun? Die Rolle weiterspielen? Es blieb ihr wohl nicht erspart… «Ein Mann hat Sie also eingeladen?» fragte Marcellin. «Und dann, was hat er getan?» «Nun, er sagte, er wolle mir eine bessere Anstellung besorgen. Ich ahnte nichts Böses und nahm ihn mit ins Hotel. Als wir dann auf dem Zimmer waren, da wurde er gleich – gemein und hat mir so weh getan…» «Warum haben Sie denn nicht um Hilfe geschrien, als der Kerl über Sie herfiel?» fragte Marcellin heiser vor Erregung. Nanette schluchzte. Sie lehnte den Kopf an seine Brust. «Ich bin in dem Hotel ja nur geduldet, seit Monaten konnte ich die Miete nicht bezahlen. Soll ich da Skandal machen?» Das trifft sich ausgezeichnet! dachte der Mann. Zweimal ist so gut wie einmal, und auch beim zweitenmal wird sie keinen Skandal machen wollen. «Kommen Sie, Mädchen, wir gehen jetzt gleich zu diesem Hotel. Ich will mir den Tatort ansehen. Ja, bei mir sind Sie genau an der richtigen Adresse, seien Sie ganz beruhigt. Ich bin Inspektor Dudonne von der Sittenpolizei… Bitte? Sagten Sie etwas?» Nanette hatte wirklich etwas gesagt, war aber froh, daß er sie nicht verstanden hatte. «O nein, von der Polizei sind Sie?» sagte sie rasch. «Dann werden ja meine Eltern alles erfahren – nein, das will ich nicht!» Sie tat, als wolle sie sich losreißen. Er hielt sie fest. Ein junger Mann tauchte auf. «Was geht hier vor? Belästigt Sie dieser Kerl, mein Fräulein –?!» «Aber nein», sagte Nanette. «Nett von Ihnen! Aber es ist nichts. Wir haben uns nur gestritten…» Der junge Mann ging kopf-
schüttelnd weiter. Es war Antoine. Er hatte angenommen, daß Nanette das Zigarettenetui gemaust hatte und dabei von Marcellin überrascht worden war. «Seien Sie bitte jetzt vernünftig», knurrte Marcellin. «Ihre Eltern werden nichts erfahren, das verspreche ich Ihnen.» (Ja, er hätte sogar einen Eid darauf geleistet.) «Gehen wir. Sie müssen mir alles genau erzählen. Jede winzige Einzelheit kann zur Überführung des Täters beitragen.» Sie gingen zum Hotel, stiegen ganz leise die Treppe empor. Der Concierge schlief hinter seinem Pult und wurde ihrer nicht gewahr. Nanette fühlte sich unbehaglich, sah aber keine andere Möglichkeit, zum Ziel zu gelangen. Dann befanden sie sich in dem kleinen Zimmer. Der angebliche «Inspektor» sah sich aufmerksam um, betrachtete das zerwühlte Bett, sagte Aha! und Soso! Dann blickte er aus dem Fenster und ließ die Jalousie herunter. «Nebenan wohnt niemand? – Gut!» Er öffnete die Zimmertür, lauschte auf den dunklen Flur hinaus und schloß die Tür wieder. «Beginnen wir also mit der Tatbestandsaufnahme. Sie müssen mir alles genau erzählen, Mädchen. Wo stand er und wo standen Sie? Wir wollen den Hergang der Tat rekonstruieren.» Nanette setzte sich auf das Bett. «Ich saß hier. Dann hat er sein Jackett ausgezogen und dort neben der Tür auf den Stuhl gehängt.» Der vermeintliche Inspektor zog das Jackett aus und hängte es auf den Stuhl. Soweit verlief alles planmäßig! dachte Nanette. In dem Jackett befand sich das Etui. Sie brauchte in einem günstigen Moment nur hinzuspringen, das Jackett zu greifen und zu fliehen. Aber ehe sie es sich versah, hatte sich Marcellin neben sie gesetzt. Seine Hand fuhr unter ihren Rock. Nanette war zu verblüfft, um Widerstand zu leisten. «Wir müssen jetzt das Höschen ausziehen», sagte er, heiser vor Ungeduld. «Ich will es auf Fingerabdrücke untersuchen.» – Es war verrückt. Nanette spürte seine Hand an ihrem Höschen. Sein Finger strich über die Seide, an der Pforte entlang. «Hat er es so getan –? Wir wollen den Vorgang genau wiederholen.»
Die Berührung weckte ihr Lustempfinden. So weit hatte sie nicht gehen wollen. Aber ein gewisses Kribbeln war in ihrem Leib, und sie hatte eigentlich keine Lust mehr, die Rolle der vergewaltigten Jungfrau weiterzuspielen, jetzt, wo es spannend wurde. Nanette duldete es, daß er ihren Rock emporstreifte. «Ja, so war es», sagte sie. «Aber nun sind Ihre Fingerabdrücke doch auch an meinem Höschen. Wie wollen Sie das später auseinanderhalten?» Sie kicherte. Marcellin zog das Höschen herunter. Er hockte jetzt auf dem Bett zwischen ihren gespreizten Beinen und brachte seinen Strammen zum Vorschein. «So hat er es auch getan», lächelte Nanette. «Dann hat er mich vergewaltigt!» sagte sie noch. Mehr brachte sie nicht hervor, der Mann tat es bereits. Sein Pfahl drang ein und begann mit langen, strammen Stößen zu arbeiten. Nanette gab bei jedem Stoß ein Glucksen von sich, als dränge der Apparat bis in ihre Kehle vor. Sie befand sich jetzt wieder in der Rolle der Jungfrau, die überwältigt, defloriert und geschändet wurde. Es war ein tolles Gefühl; ihr wimmerndes Stöhnen klang so echt, daß der keuchende Mann zu zweifeln begann, ob sie wirklich schon entjungfert war. Sie preßte die Pforte so eng zusammen, daß es wunderbar grausig klemmte – und seine Gier erreichte die nächst höhere Potenz. Wumm – wumm – wumm – das Mädchen verdrehte die Augen und atmete keuchend. Ja, das war wie eine echte Vergewaltigung! Oh, wie schön brutal er es tat! Sie mußte an ihre Jungmädchenzeit denken. Damals hatte ein Sittlichkeitsverbrecher in ihrer Heimat sein Unwesen getrieben und kleine Mädchen überfallen und geschändet. Ohne sich selbst darüber klarzuwerden, hatte sie tief in ihrem Unterbewußtsein damals mit dem Gedanken gespielt, wie es wohl wäre, wenn es mit ihr geschehen würde… Nun, und jetzt geschah es mit ihr – nur tat es nicht weh, sondern gut – oh, wie guuut… Sie spannte den Leib und preßte den drängenden, steifen Kolben ordentlich ein, ja genoß seine Stöße schluchzend und stöhnend. Er bearbeitete ihren Leib schrecklich lange, doch nicht lange genug, um den Höhepunkt zu erreichen – es war grausam.
«Störe ich?» fragte eine Männerstimme von der Tür her. Es war Antoine! Welch ein Unglück. An ihn hatte Nanette gar nicht mehr gedacht. Gegen ihre Verabredung war er heraufgekommen. Aber das süße Prickeln quälte ihren Leib – unmöglich, jetzt aufzuhören! Marcellin hatte innegehalten; er hielt ihren Leib noch immer aufgespießt und blickte mit ausgesprochen irrem Gesichtsausdruck zur Tür. «Weiter – oh, weiter!» stöhnte sie. Marcellin hob und senkte das Gesäß, den Kopf immer noch zur Tür verdreht – es war ein kraftloser Stoß. Er lag über ihr, als habe er einen Hieb über den Schädel erhalten. «Wie denn?» sagte er. «Was denn?» Nanette stemmte sich jetzt selbst seinem Pfahl entgegen. «Weiter – oh, tun Sie es doch!» Und in einer Anwandlung schwarzen Humors: «Kümmern Sie sich nicht um den Besucher. Das ist nur Antoine. Er sieht immer zu, wenn ich es kriege.» Es war verrückt, so zu sprechen – und doch logisch; denn Antoine zeigte nicht die Spur von Eifersucht, das ärgerte sie. Er betrachtete die Bettszene so gelassen, als handele es sich da um zwei Kinder, die Murmeln miteinander spielten. Marcellin hatte noch immer geistige Pause. Also, was sollte das? Sein Pfahl steckte in ihrem Fleisch – und der Mann da an der Tür tat ganz unbeteiligt. Das Mädchen hielt ihn fest und sein Glied schwoll immer mehr an. «Er sieht immer zu, ja?» Marcellin versuchte ein Lachen. «Haha, hahaha!» Er lachte wie ein Idiot. «Einerlei!» dachte er dann. Soll er doch zusehen, wenn sie es so will und er nichts dabei findet. Und begann erneut zu stoßen. «Ja – jaa – jaaaa!» stöhnte das Mädchen. Und mit vor Wonne erstickter Stimme: «Antoine, das ist Inspektor Dudonne von der Sittenpolizei – haach – haach – feste! Jaaa! – Der Inspektor rekonstruiert – den Tathergang – wie ich – jaaaa – haaach – haaaach – wie ich vergewaltigt worden bin und – oh, schneller – jaaaa – haaaach…» Endlich begann Antoine, sich zu ärgern. «Genug der frivolen Reden. Stehen Sie auf, Mann!» «Nein!» schrie Nanette. «Nein, nein, nein – weiter!» Marcellin dachte nicht daran aufzuhören. Ihre Ekstase beflügelte ihn. Er
wuchtete jetzt so stramm in ihren Leib, daß das Bett beinahe zusammenbrach. Als er sie begattete, tat Nanette eine Kette wilder Schreie. Der Mann zog seinen Pfahl heraus und sah Antoine wütend, in drohender Haltung neben dem Bett stehen. Das Mädchen lag nun auf der Seite und schluchzte in die Kissen. «Ich wollte es nicht – ich wollte es nicht. Er ist über mich hergefallen – und es war stärker.» Marcellin begriff. Das war nur Theater! Ihre Tränen waren so unecht wie die Geschichte, die sie ihm von der angeblichen Vergewaltigung erzählt hatte. «Verdammt!» sagte er. «Ich bin dieser kleinen Bestie also in die Falle gelaufen, was? Sie hat – autsch!» Es klatschte auf seiner Wange. Die kleine Bestie hatte zugeschlagen. «Das war für alle jungen Mädchen, deren Hilflosigkeit von großen Bestien ausgenutzt wird», sagte Nanette. «Nehmen Sie es als Vorschuß.» Wo ein Vorschuß ist, da kommt noch etwas hinterher. Marcellin rieb sich die Wange. «Also, was wollen Sie eigentlich von mir?» Antoine kam gleich zur Sache. «Erstens, Sie haben sich als Polizeiinspektor ausgegeben und dieses Mädchen…» «Sagen Sie bitte nicht vergewaltigt! – Ich bin in dieses Zimmer gelockt worden, und – » «Soll ich die Polizei rufen?» Marcellin hustete. «Das mag ich nicht so sehr. Es macht mich verlegen, wenn ich Uniformen sehe, dann werde ich immer rot im Gesicht.» «Bliebe die andere Möglichkeit», erklärte Antoine. «Sie überreichen der jungen Dame ein gewisses Zigarettenetui als Abschiedsgeschenk, damit sie den Schrecken vergißt, den sie durch Sie erlitten hat.» Pierre Marcellin wirkte auf einmal ganz krank. «Das Etui gehört mir nicht, ich sollte es nur aufbewahren und bekomme viel Geld dafür.» Antoine zückte die Brieftasche. «Wieviel?» «Fünftausend», log Marcellin, ohne mit der Wimper zu zucken. «Aber, es geht wirklich nicht. Er wird mich umbringen!» «Die Menschheit wird um Sie weinen», sagte Antoine. «Schurken sind so rar in dieser guten Welt. – Hier ist das Geld!»
Marcellin zögerte. Er blickte auf die eine Hand, die das Geld hielt, dann auf die andere, die zur Faust geballt war. Er entschied sich für das Geld, rückte das Etui heraus und suchte das Weite… Als die Tür zuschlug, setzte sich Antoine zu Nanette auf das Bett, nachdenklich und bekümmert. «Mußte das sein?» Sie wich seinem Blick aus. «Ich denke schon! Weißt du, zwischen Spiel und Wirklichkeit ist oft nur ein winziger Schritt. Man gelangt über die Schwelle, ohne es eigentlich zu wollen.» Und ganz leise: «Willst du?» Das Mädchen lehnte sich in die Kissen zurück und zog die Schenkel an. Ihre Hände zogen von beiden Seiten her die Pforte auseinander. Er sah das rote, feuchte Fleisch mit dem engen Schlitz darin und fühlte sich versucht, aufzuspringen und davonzulaufen. Aber es zog ihn wie von einer unsichtbaren Gewalt vor sie hin. «Mir ist ungut», hauchte sie. «Die Unterbrechung hat mich krank gemacht. Ich habe keine Erfüllung gefunden. Antoine, nimm mich bitte – ich bin heiß, heiß, heiß!» Er widerstrebte, es mit ihr zu tun – jetzt, kaum daß der andere Mann sie besessen hatte, doch gegen diese lockenden dunklen Augen, gegen diesen süßen Leib gab es keinen Widerstand. Antoine beugte sich über das Mädchen und tat ihr Genüge, machtvoll und ausdauernd, bis sie endlich Erfüllung fand.
15. Kapitel Es gibt ebenso viele Vorurteile in der Welt, wie es Menschen gibt. Jeder trägt sein eigenes Brett vor der Stirn und liest davon ab: Alle Deutschen essen Sauerkraut und marschieren gern. (In andere Länder.) Der Amerikaner kaut Gummi, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Geld zu machen. Jeder Kommunist ist ein Agent und hilft den Russen, die Welt zu erobern. Wer in die Kirche geht, ist ein guter Mensch. (Was er draußen macht, ist nicht so wichtig.) Kinder sind grausam und quälen Tiere. Eine Frau, die sich für Geld hergibt, ist eine Dirne. Eine, die es unbezahlt tut, ist nicht dumm, sondern begehrenswert. Wer darüber berichtet, was da im Bett getan wird, ist ein Schwein. Versäumt er es jedoch, seine Kinder aufzuklären, ist er kein guter Vater (keine gute Mutter!). Und alle Neger stammen von den Affen ab… Auf der Suche nach dem Kunstmaler Claude Brosset lernte Yvonne einen dieser «Affen» kennen. Er war groß und schlank, nach der letzten Mode gekleidet – ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Da er ganz schwarz im Gesicht war, roch er natürlich: Er verbreitete einen Duft von Gepflegtsein, Bildung und guten Manieren. Guy Manalumba (was für ein Name!) kam von der Elfenbeinküste, sprach fließend sieben Sprachen und lehrte an der Sorbonne Sanskrit und Latein. Er zitierte Goethe und Dostojewski, wie andere Leute im Telefonbuch blättern. Sie saßen in Pigalle an einer Bar und plauderten miteinander, der schwarze Professor und die weiße Frau mit dem leicht dunklen Vorleben. «Claude Brosset, der Maler? Natürlich kenne ich ihn, das heißt, seine Bilder aus der früheren Zeit.» Der Professor hob das Glas und Yvonne tat es ihm gleich. «Sie finden seine Gemälde in jeder guten Galerie. Er war ein Genie, bevor er Kokain zu schnupfen begann und sich damit zugrunde richtete.»
Er hielt ihr einen kleinen Vortrag über Brossets impressionistische Stilrichtung und die Feinheiten seiner Pinselführung. Dann änderte er plötzlich das Thema und blickte Yvonne nachdenklich an. «Sie gefallen mir, Yvonne.» Ganz einfach: Sie gefallen mir! Das beruhte auf Gegenseitigkeit, kam aber doch etwas unverhofft auf sie zu. ‘ Yvonne beschloß, ihm einen kleinen Dämpfer aufzusetzen. «Es würde mich alarmieren, wäre es anders», sagte sie. «Und beunruhigen! Ich müßte dann nach Krähenfüßen suchen.» Ihr Tonfall verriet: Thema beendet. Der Professor drehte das Glas in der Hand, betrachtete es gegen das Licht. Er suchte einen unsichtbaren Sprung. «Also gut», seufzte sie. «Ich mag Sie, obwohl Sie entsetzlich intelligent sind. Erwarten Sie bitte keine Liebeserklärung. Ich bin furchtbar in Eile. Wir können uns wiedersehen, wenn Sie wollen?» Der Professor stellte das Glas hin und winkte dem Mixer, es neu zu füllen. «Yvonne, lieben Sie den Maler? Ich meine, weil Sie überall nach ihm fragen.» «Ach, Unsinn! Welche Frage!» Das klang überzeugend, er nickte zufrieden. «Dann will ich Ihnen helfen, Brosset zu finden. Im anderen Fall würde ich mich wohl gehütet haben. Der Mann, den Sie suchen, ist ein Wrack, vermodert und verkommen.» Es durchfuhr Yvonne wie ein Blitz. Eine Spur! Sie hatte eine Spur… «Professor! Sie wissen, wo er ist? Oh, das ist wunderbar.» Sie neigte sich impulsiv vor und küßte ihn. Es geschah ganz unbewußt und er nahm es wie ein Geschenk hin. «Wo finde ich ihn?» «Im Salon Madelaine», sagte er. «Aber dort können Sie nicht allein hingehen, das ist ganz unmöglich. Ich habe einmal einen meiner Studenten aus diesem Etablissement herausgeholt und mußte zwei Gorillas niederschlagen, bevor es mir gelang, den Ausgang wiederzufinden.» «Gütiger Himmel, ist es dort so schlimm?» «Eine Lasterhöhle, Yvonne. Viele ausländische Touristen gehen dorthin, um das einmal gesehen und erlebt zu haben – und sich später entrüsten zu können Die richtige Halbwelt! Schrecklich!
Nun ja, bei der Madelaine ist manches nur Theater. Aber man weiß auch von jungen Damen, die so leichtfertig waren, allein dorthin zu gehen und die man dann nach langer Zeit in einem drittrangigen südamerikanischen Bordell wiedergefunden hat.» «Huch! – Professorchen, würden Sie mich dahin begleiten, wenn ich Sie sehr bitte? Oder nein, das geht ja nicht. Sie hatten ja schon einmal Ärger dort. Wie schade…» Der junge Mann, der zwei Barhocker weiter saß – und dem Zuhälter erstaunlich ähnlich sah, der Yvonne an diesem Tag bereits aus der Patsche geholfen hatte; er trug jetzt allerdings einen eleganten Abendanzug – zuckte ordentlich zusammen, als der «Salon Madelaine» erwähnt wurde. Die Agenten, welche Yvonne zu beschützen hatten, arbeiteten im «überschlagenen Einsatz», wie der Fachausdruck lautet. Der angebliche Zuhälter war von einem anderen «Schatten» abgelöst worden, und dieser hatte Yvonne mehrere Stunden diskret begleitet. Jetzt, in der Bar, war die «Nummer eins» wieder zur Stelle. Die Schatten standen durch Funk miteinander in Verbindung. Wer mochte der dritte Beschützer sein? Es waren doch drei «Schatten» beordert worden… «Sie meinen, daß man mich abweisen wird, wenn ich den Salon Madelaine betreten will?» Der Professor lachte. «Seien Sie ganz beruhigt, Yvonne. Man weiß dort, daß ich im Hotel Turgot wohne. Wer in der Rue de Turbigo wohnt, nicht wahr, der hat überall Zutritt.» Yvonne wankte leicht, und der Professor legte den Arm um ihre Schulter, damit sie nicht vom Barhocker fiel. Die Überraschung war zu groß. Der schwarze Professor war – der «Schatten Nummer Drei»! Er hatte gleich beide Kennworte genannt… Guy Manalumba konnte offenbar Gedanken lesen. «Sie wundern sich, daß ich für den Geheimdienst arbeite?» Sie gingen langsam die Uferpromenade entlang, es war nicht weit zum «Salon Madelaine».
«Ja, es paßt irgendwie nicht zusammen: Professor und Agent! Zwei verschiedene Welten wie – nun, wie Bischof und Ganove, Pfingstrose und Currysauce; es reimt sich nicht.» Guy lachte. «Für die besagte Tätigkeit verbleibt mir auch wenig Zeit. Ich springe nur gelegentlich ein, wenn der Marquis de Bernard sehr in Nöten ist.» «Aha. Und wie groß ist diesmal die Not?» «Sehr groß», sagte der Professor ernst. «So fatal, daß ich zum Schweigen verpflichtet bin. Top secret! Sie verstehen? Man hat mich diesmal gerufen, weil ich den Maler persönlich kenne. Aber Brosset ist nicht ansprechbar. Nur eine Frau könnte ihn aus der Reserve locken – eine schöne Frau wie Sie.» «Danke, danke! Ich begreife trotzdem nicht. Der Geheimdienst hat doch ganz andere Möglichkeiten, einem verrückten Mann ein Tagebuch abzunehmen, das so wichtig zu sein scheint. Man könnte ihn einfach verhaften, durchsuchen und…» « – und alles wäre verloren!» ergänzte der Professor. «Das Tagebuch ist nur ein Teil in diesem fatalen Puzzlespiel. Die anderen Trümpfe befinden sich in Händen des besagten Igor Borowsky. Dieser Mann leitet einen internationalen Spionagering, wie Sie wissen. Er arbeitet für viele Seiten, je nachdem, wo der größere Profit winkt. Der Weg zu Borowsky führt über den Maler Brosset – diesen Weg sollen Sie gehen, Yvonne. Es ist ein gefährlicher Weg.» Sie hatten die große Brücke erreicht. Drüben, am anderen Seineufer, war die rote Leuchtschrift zu sehen: «Salon Madelaine». «Wir wollen rekapitulieren», sagte Yvonne. «Erstens genügt es nicht, dem Maler das besagte Tagebuch abzunehmen. Zweitens weiß Brosset, wo der Spion Borowsky zu finden ist. Also gilt es für mich, den Maler kennenzulernen, so gut kennenzulernen, daß er mich mitnimmt, wenn er den Kontakt mit Borowsky aufnehmen will.» «Das ist furchtbar kompliziert, ich weiß. Aber es hängt sehr viel davon ab, daß wir genau in dem Augenblick zupacken können, wenn beide – Borowsky und Brosset – einander begegnen. Das
Tagebuch allein nützt uns so wenig wie die Unterlagen allein, welche Borowsky besitzt. Beide Teile zusammen erst ergeben das Ganze.» «Dann genügt doch das Tagebuch», sagte Yvonne. «Dann fehlt Borowsky der andere wichtige Teil.» «Leider nein. Weil wir nicht wissen, ob Brosset Komplizen hat. Verhaften wir den Maler, so könnten Mitwisser und Täter das große Unglück auslösen.» «Ein Unglück?» «Eine Katastrophe, fürchterlicher als eine Atomexplosion. Diese Verrückten können, wenn sie wollen und dazu fähig sind, ganz Frankreich vernichten. Bitte, fragen Sie nicht weiter, ich bin zum Schweigen verpflichtet.» Sie gingen weiter über die Brücke. Ein dünner Nebel wallte, und in der Ferne war die dumpfe Sirene eines Dampfers zu vernehmen. Yvonne schauderte. Die Besitzerin des großen Hauses am Seineufer wurde «Die Pompadour» genannt. Das Haus war eine riesengroße Falle für vergnügungssüchtige Touristen und ebensolche Pariser. Dritte Etage: «Salon Madelaine», ein Etablissement für den dikken Geldbeutel und für Kokotten erster Klasse. Bitte, wählen Sie selbst, meine Dame. Welcher Kavalier sagt Ihnen zu? Aber bitte vergessen Sie nicht, daß er in Ihnen eine Dame sieht. Hier ist der Schlüssel zum Separee, versäumen Sie nicht, mit mir abzurechnen. Zweite Etage: «Maison Deux», vorne heiße Musik und teure Getränke. Vergessen Sie nicht, den Gast zum Trinken zu animieren. Dies ist Ihr Zimmer, Hühnchen. Immer lächeln, ja? und an die Hygiene denken, sonst finden Sie keinen Zuspruch. Erste Etage: Warum beschweren Sie sich über die Matrosen? Sie bezahlen doch gut! Seien Sie nicht so zimperlich, parbleu, wenn sie mal einer hinten kneift. Legen Sie einen Dollarschein auf den blauen Flecken und bleiben Sie nett. Wenn es zu arg wird, können Sie ja den Rausschmeißer rufen…
Souterrain: Sollte es regnen, so kannst du dich in dem Hausflur dort unterstellen. Aber sonst, immer rundherum um das Häuserviertel, compris? Und daß du ehrlich mit mir abrechnest, sonst rechnen wir ab! Kellerkneipe: Nein, ich kann dich nicht mehr einsetzen, meine Liebe, du trinkst zuviel. (Sie sieht wie eine Vogelscheuche aus, dabei ist sie noch keine vierzig Jahre alt. Natürlich findet sie keinen Kavalier mehr. Darum säuft sie jetzt!) Im «Salon Madelaine», in der dritten Etage, war die echte Demimonde zu Hause. Der Pförtner wirkte in seiner goldbetreßten Uniform wie ein Admiral; er besaß den Blick für Gesichter und natürlich auch für den Umfang und Inhalt von Brieftaschen. Sie standen in der Diele. «Die Garderobe, s’il vous plaît…» Eine rotseidene Halbmaske für Yvonne, eine schwarzseidene für den Professor. Wer in die Pariser Halbwelt hinabsteigen möchte, legt meistens darauf wert, anonym zu bleiben. Ein langer Flur tat sich vor ihnen auf: Zu beiden Seiten die Separees, dann der kleine Saal. Es gab keine Tische. Man saß rund um die weite Tanzfläche auf Kissen und stellte die Getränke einfach auf den Boden. Haremsdamen in wehenden Schleiern huschten umher und kredenzten Champagner. Im rötlichen Dämmerlicht wallten Nebel; es duftete nach Moschus und Ambra. Eine seltsam sinnverwirrende Atmosphäre herrschte hier. Man fühlte sich berauscht, noch ehe man getrunken hatte. «Kommen Sie, Yvonne!» – Der Professor dirigierte sie zu einer kleinen Wandnische, von der aus man einen guten Überblick hatte. Das Licht erlosch. Ein erregender Rhythmus ging durch den Raum. Nur ein Schlagzeuger ließ Trommeln rollen. Vor der rotglühenden Fläche eines Wandschirmes bewegte sich die Silhouette einer jungen Tänzerin. Das Licht wechselte auf ein dunkles Grün. Die Tänzerin war auf einmal verschwunden und an ihrer Stelle ringelten sich vor der grün leuchtenden Seite des Wandschirms drei platinblonde Kobras im Tanz. Ein Fakir saß davor und spielte Flöte.
Das Bild wechselte so rasch wie Licht und Musik. Man konnte schon beeindruckt sein. Yvonne sah sich unter den Gästen um, machte auf diesen oder jenen Besucher aufmerksam, der vielleicht Maler sein konnte. Aber der Professor winkte ab. «Unter den Halbmasken sieht jeder wie der andere aus. Sollte Brosset schon hier sein, so werden wir seiner gewahr, wenn er dort hinter dem Vorhang verschwindet.» Hinter dem mit silbernen Sternen besetzten Vorhang, erläuterte Guy mit leiser Stimme, saß ein Zerberus auf der Lauer. Nur an ihm vorbei führte der Weg in ein Paradies der Sünde. Die «Pompadour» selbst wachte darüber, daß kein Unbefugter ihr unheiliges Reich betrat. «Da befinden sich zwei Karate-Kerle auf dem Sprung. Besucher, welche der Pompadour verdächtig erscheinen, werden in einen Lift befördert, der sie gleich wieder nach unten auf die Straße bringt.» Yvonne blickte auf die Uhr. «Himmel, ich muß Madame Germaine anrufen. Es ist ja gleich Mitternacht.» Der Tanz eines Apachen-Pärchens war gerade beendet. Musik spielte und die Besucher unterhielten sich oder tanzten selbst. Die kleine Pause war günstig. Doch ehe Yvonne sich erheben konnte, um telefonieren zu gehen, betraten zwei neue Besucher den Saal. Beide waren gleichfalls maskiert, doch Yvonne erkannte sie sofort: Nanette an dem Schlangen-Armband, das sie trug, und bei dem jungen Mann in ihrer Begleitung konnte es sich nur um Antoine handeln. Sie kamen zielstrebig auf die Nische zu, wußten also, daß sie hier waren. Das bedeutete nichts Gutes. Antoine hielt sich nicht mit Tarnmanövern auf (Ist es gestattet, hier Platz zu nehmen?), sondern schob Nanette ein Kissen hin und nahm selber Platz. «Dicke Luft!» sagte er leise. «Sind Sie bewaffnet, Professor?» Guy reagierte wortlos und schnell. Er griff in sein Jackett und ein metallisches Schnappen verriet, daß er die Pistole entsichert hatte. «Borowsky?» fragte er knapp. «Ja. Sein gesamter Pariser Ring befindet sich hier im Saal. Marquis de Bernard sagte mir, daß ich Sie hier finden würde. Die Borowsky-Leute haben es
offenbar auf den Maler abgesehen; sie wollen ihn entführen, nehmen wir an. – Wir sollten erst einmal die Damen in Sicherheit bringen. Kann sein, daß es hier gleich ein hübsches Feuerwerk gibt.» Nanette trank gerade Champagner und verschluckte sich. «Gesundheit», sagte Yvonne. «Wollen wir wirklich gehen, Nettchen?» Nettchen hustete. «Jetzt, wo es spannend wird? Nicht um alles in der Welt!» Die beiden Männer tauschten einen Blick: Weißt du einen Rat? – Nein, ich auch nicht! Die beiden Damen nahmen sich Feuer für die Zigarette und lehnten sich behaglich zurück: Hier sind wir und hier bleiben wir! «Wir könnten sie gewaltsam hinaustragen?» schlug Antoine vor. Der Professor suchte gleichfalls nach einer Lösung dieses unerwarteten Problems. Er probierte es mit der AngstmacherMethode: «Diese Ganoven verwenden Dumdumgeschosse, die reißen Löcher, so groß wie eine Faust!» Yvonne seufzte. «Mein Kleid gefällt mir sowieso nicht, es ist nicht mehr ganz modern. Wenn es Löcher bekommt, gebe ich es einfach weg.» «Wann schießt man denn hier endlich?» fragte Nanette ungeduldig. «Es ist richtig langweilig hier!» Kurz vor dem Gewitter soll man nicht lästern. Nanette hatte kaum ausgesprochen, als auch schon ein weiblicher Blitz den Saal betrat: Trotz Seidenmaske unverkennbar Madame Germaine, den Detektiv Ricard am Arm. Dann folgten noch drei Pärchen: Die rothaarige Lou plus Detektiv und noch zwei Kokotten, die Yvonne schon einmal gesehen hatte, nebst Begleitern aus Monsieur Ricard’s Revier. Auch Madame Germaine hatte ihre Fäden gezogen und die gesamte «Elite» aufgeboten. Yvonne rückte mit ihrem Sitzkissen etwas zurück in den Schatten der Nische. «Damit wäre die Pariser Demimonde nahezu vollzählig», stellte der Professor fest. «Nur die Bankräuber und Tresorknacker fehlen noch. – Wie ist es denn jetzt mit einem kleinen Spaziergang, meine Damen? Frische Luft und dann ein warmes Bett.»
«Blabla!» machte Nanette. Und Yvonne meinte: «Bei dem Gedränge kommen wir gar nicht zum Ausgang durch. Sehen Sie, Guy, wer da noch alles kommt!» Eine Unmenge Touristen kam in den Saal, lauter maskierte Pärchen, die sich vergnügt unterhielten und nach freien Sitzplätzen Ausschau hielten. Den Leiter dieser Reisegesellschaft kannten sie: Es war der Marquis de Bernard. Auch Tante Lucrecia, Katja und deren Bräutigam, der junge Diplomat, gehörten zu den neuen Gästen. «Das ist ja die reinste Regatta», sagte Antoine. «So viele Segel – und gar kein Wind.» Mit dem Wind war der Kunstmaler Claude Brosset gemeint. Aufregend dabei war, daß man nicht wußte, ob dieser «Wind» bald aufkommen würde – oder ob er sich bereits im Saal befand und nur leise vor sich hin säuselte… Die Atmosphäre im Saal war mit Elektrizität geladen. Noch huschten im gedämpften Halbdunkel die leichtgeschürzten Haremsdamen umher, schenkten Getränke nach oder erkundigten sich nach weiteren Wünschen: «Möchten Sie Zigaretten? Möchten Sie mit mir ins Separee?» – Doch auf einmal, wie auf einen geheimen Wink, huschten die Haremsdamen hinaus. Auch die Musik brach unvermittelt ab. Es wurde unheimlich still. (Der routinierte Leser von Kriminal- und Spionageromanen weiß, was nun kommt: Das Licht geht aus – und die Hölle bricht los!) Aber, das Licht ging nicht aus. Es wurde vielmehr ganz unangenehm hell im Saal. Die Musik intonierte einen Tusch und alles blickte erstaunt auf die entsetzlich dicke Dame im Abendkleid, die hinter dem Silberstern-Vorhang zum Vorschein kam. «Meine Damen, meine Herren!» sagte die Pompadour. «Zu meinem großen Bedauern müssen wir für heute schließen. Die Vorstellung ist beendet, leider. Sie brauchen nicht zu bezahlen; Sie alle waren heute abend meine Gäste.» Die dicke Dame lächelte unfroh. «Bitte, haben Sie Verständnis und verlassen Sie das
Etablissement nach und nach, jede Gruppe für sich, ja? Sollten dennoch irgendwelche Meinungsverschiedenheiten auszutragen sein – bitte auf der Straße und möglichst weit weg von hier!» Die Pompadour hatte die Situation erkannt und gerettet. Sie war eine kluge Geschäftsfrau.
16. Kapitel Nach dem Gewitter sind die Wolken verpflichtet, grollend abzuziehen. Da es im «Salon Madelaine» jedoch keine Entladung gegeben hatte, war noch immer knisternde Spannung in der Luft, als die Gäste das Haus der Pompadour verließen. Eine große Wolke blieb unmittelbar vor dem Eingang schweben. Im Zentrum dieses Luftwirbels aus Geheimdienst-Agenten gewahrte man den Marquis de Bernard, der offenbar Wind machte; denn die Wolke löste sich auf und verteilte sich nach allen Richtungen rund um den Häuserblock. Zwei andere Wolken entfernten sich in entgegengesetzten Richtungen: Ricard, mit seinem Schwarm von Privatdetektiven und Kokotten nach links, am Seineufer entlang – und in die andere Richtung trabten Individuen, denen man nicht gern im Dunkeln begegnen mochte. Auch diese beiden Gruppen lösten sich auf, blieben aber in vorsichtiger Entfernung zu zweit und zu dritt abwartend stehen, bereit, sich wieder zu vereinigen. Die Leuchtreklame am «Salon Madelaine» erlosch. Nebel wallte vom Fluß her. Hier und da sah man noch ein paar harmlose Touristen auf der Straße miteinander debattieren (Was war denn da bloß los? Warum wurde das Etablissement so plötzlich geschlossen?) – Automotoren summten, Wagentüren schlugen, Schlußlichter entfernten sich – dann wurde es still auf der Straße. Überall in der Finsternis bewegten sich Schatten. Niemand wußte mehr, wer Freund oder Feind war. Yvonne und Nanette hatten sich von ihren Begleitern verabschiedet. «Wir fahren jetzt nach Hause, Professor. Mein Wagen steht noch drüben am anderen Ufer vor der Bar.» – Und Nanette zu Antoine: «Küßchen, Tony! Sehen wir uns morgen?» Beide Herren waren froh in dem Glauben, die abenteuerlustigen jungen Damen wären nun endlich zur Vernunft gelangt. Sie begaben sich auf die Suche nach Marquis de Bernard.
Einsam unter der Laterne an der Ecke stand Lisette, eine Dirne. Sie verstand die Welt nicht mehr. Soeben war die Straße noch voller Männer gewesen, die alle aussahen, als hätten sie viel Moos in der Tasche. «Hallo, Süßer, gehst du mit?» – Und: «Nun, wie wär’s denn mit uns, Liebling?» – Aber da war niemand, der sich für sie interessierte, zum Kuckuck. Seufzend stieg die enttäuschte Dienerin der Liebe die Stufen zu der Kellerkneipe hinab, die noch geöffnet hatte. Aber da war kein Platz mehr zu finden, die Kneipe war gerammelt voll – von Privatdetektiven, Unterwelt-Figuren und vereinzelten Geheimagenten. Lisette blickte sich um und gab hoffnungsfroh das international übliche und bekannte Zeichen mit der Hand: Sie ballte die Faust in der Weise, daß der Daumen zwischen Mittelfinger und Zeigefinger hervorlugte. In allen Taubstummensprachen der Welt heißt das: «Ich bin zu haben. Wie wär’s?» – Aber die Kerle schienen ausnahmslos impotent zu sein. «Merde!» sagte Lisette und kehrte auf die Straße zurück. «Mit Idioten ist kein Geschäft zu machen.» Dann vernahm sie ein gedämpftes «Hallo» und sah zwei junge Damen im Schatten einer Toreinfahrt stehen. Sie trat zögernd näher. «Was soll das?» grollte Lisette. «Hier ist mein Revier. Zieht Leine, ihr…» Das schlimme Wort blieb ungesagt. Lisette begriff, daß es sich bei den zwei Hübschen doch offenbar um keine Konkurrenz handelte. «Wo brennt es denn? Brauchen Sie ein Taxi?» «Wir brauchen Stoff», sagte Yvonne. «Man sagte uns, bei der Pompadour gibt es welchen, aber da ist schon geschlossen.» Wenn im Quartier Latin von «Stoff» die Rede ist, dann nicht von Baumwolle oder Seide. Lisette überlegte den Fall. «Wenn Sie ‘Hasch’ meinen, kann ich aushelfen. Mein Freund hat immer – » «Nein – Koko!» sagte Nanette. «Wir schnupfen Kokain.» Lisette trat ganz nahe heran und besah sich Nanettes Nasenlöcher. Ausgefranst waren sie noch nicht. «Du lügst!» sagte sie grob. «Wer Koks schnupft, der hat angefressene Nasenlöcher und Augen wie ein Idiot. Also was wollt ihr wirklich?»
Yvonne öffnete ihr Handtäschchen und blätterte gedankenverloren in Geldscheinen. «Meine Schwester ist da oben im ‘Maison Deux’ tätig. Nun, du weißt ja, die Pompadour ist einfach ekelhaft. Sie duldet keinen Besuch während der – hm – Geschäftszeit.» Die Dirne blickte sich unruhig auf der Straße um. «Wenn ihr von der Weiber-Kripo seid, dann schwirrt lieber ab. Hier ist heute dicke Luft! Deine Schwester ist also waagerecht tätig, he? Du siehst aber nicht gerade so aus.» «Stimmt», seufzte Yvonne. «Ich sehe gar nicht so aus. Das ist mein Trick. Wir arbeiten für Madame Germaine, weißt du, und…» «Die Germaine!» rief Lisette. «Der gehört doch dieser ganze Laden hier. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Warte, ich klingle dem Pförtner!» Es war eine schöne Überraschung: Die Germaine hatte also auch hier das Sagen! «Keinen Pförtner, keine Klingel!» sagte Yvonne rasch. «Du siehst doch, daß es hier überall von Spionen wimmelt. Wir müssen ungesehen ins Haus. Hier hast du fünf Scheine! Laß dir etwas einfallen…» Lisettes Hand schnappte zu. Die Geldscheine verschwanden in ihrem Kleidausschnitt. «Kommt, ihr Süßen von der vornehmen Konkurrenz! Durch die Toreinfahrt und auf den Hof. Dort ist eine Feuerleiter. Habt ihr die Nerven, drei Etagen hoch zu klettern?» Madame Germaine hatte im allgemeinen Durcheinander des Aufbruchs, als die Gewitterwolken aus dem «Salon Madelaine» abzogen, einen Raum betreten, der normalerweise nur für Damen bestimmt ist. Aber da saß ein Mann auf dem Stuhl der Wartefrau, rauchte eine dicke Zigarre und spielte mit Zündhölzern, die er zu einer kleinen Pyramide aufgestapelt hatte. Nach Statur und Gesichtsausdruck wirkte er wie ein Gorilla im Smoking. Er grinste Germaine entgegen, als habe er sie schon erwartet.
Die Tür zu einer der kleinen Kabinen stand offen. Da hockte die unglückliche Wartefrau. Ihre Hände waren mit einer Krawatte gefesselt. Sie hatte ein zusammengeknäultes Taschentuch als Knebel zwischen den falschen Zähnen und machte: «Mhmm… mhmmm…» Sie war schon ganz blau im Gesicht. «Borowsky, was fällt Ihnen ein, die Ärmste erstickt ja!» Madame eilte hin und befreite die Unglückliche von dem Knebel und den Fesseln. Diese tat einen tiefen, röchelnden Atemzug, verdrehte die Augen und beschloß, umzufallen. «Jetzt ist sie ohnmächtig!» Igor Borowsky goß gelassen den Inhalt einer Coca-Flasche über dem Haupt der Wartefrau aus. Sie öffnete die Augen, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte: «Gin wäre mir lieber gewesen.» Der Agent gab ihr einen Geldschein. «Hier, das reicht für zehn Flaschen. Nun verschwinde vor die Tür und laß niemanden herein.» Die Frau watschelte davon. Draußen wurde es still. Die meisten Gäste hatten schon das Haus verlassen. Nur ein paar Nachzügler drängelten sich noch an der Garderobe. «Also wie steht es mit dem Geschäft?» Borowsky beschäftigte sich mit einem Klappmesser; er ließ die Klinge herausspringen und wieder einschnappen. Es war ein beunruhigendes Spiel. «Haben Sie die Ware?» Madame ließ sich nicht einschüchtern. «Stecken Sie das Messer weg, Borowsky. Spielen Sie nicht den starken Mann, wenn Sie nicht wollen, daß ich böse werde. Hier bin ich zu Hause!» Der Agent ließ das Messer verschwinden. Er horchte nach draußen. Jetzt regte sich da nichts mehr. «Die Ware?» wiederholte er seine Frage. «Der Preis?» gab Madame zurück. «Schlechte Zeiten! Alles ist teurer geworden, jetzt, nachdem sich der Geheimdienst eingeschaltet hat. Kommen Sie, hier ist es mir zu ungemütlich. Wir wollen alles im Büro der Pompadour besprechen.» Sie gingen durch den Saal. Da waren nur noch die «Haremsdamen» mit dem Aufräumen beschäftigt. Hinter dem Vorhang mit den Silbersternen standen die beiden Athleten noch immer auf dem Posten, die den Hinauswerfe-Lift zu bedienen hatten. «In
den Separees wird noch gearbeitet, Madame.» Ja, da wurde noch waagerecht gearbeitet. Madame Germaine winkte ab. «Schon gut. Aber sorgen Sie dafür, daß niemand nach hinten ins Büro kommt.» An die Feuerleiter hatte Madame Germaine nicht gedacht. Vor dem Bürofenster kauerten zwei junge Damen, erschöpft vom Klettern, auf einem eisernen Podest und konnten mit anhören, was da drinnen verhandelt wurde. Das Fenster war zur Hälfte geöffnet, die Gardine geschlossen. Da sie nicht hindurchsehen konnten, mußten sie der Stimme nach erraten, wer da gerade sprach. Pompadour: «Wie lange soll ich diesen verrückten Maler denn noch hierbehalten? Die Geschichte ist mir zu gefährlich.» Borowsky: «Brosset interessiert mich nicht. Ich will nur sein Tagebuch. Von mir aus können Sie die Kokainleiche dann einsalzen. Der Kerl ist ja verrückt, der glaubt, die Regierung erpressen zu können.» Germaine: «Kann er das nicht? Sie wissen sehr gut, daß er kann. In seinem Besitz befinden sich noch mindestens sechs Ampullen von diesem fürchterlichen Bakteriengift. Er kann ganz Paris damit verseuchen, und die Seuche breitet sich dann über das gesamte Land aus.» (Dem weiteren Gespräch war zu entnehmen, daß der Maler Brosset vor Wochen zufällig Zeuge eines schweren Autounfalles geworden war. Auf nächtlicher Landstraße war der Lenker des Automobils gegen einen Baum gerast und sofort tot gewesen. Aus den Papieren des Verunglückten hatte Brosset entnommen, daß es sich um den Chef eines geheimen Forschungslaboratoriums der Armee handelte. Dort hatte man ein neues, fürchterliches Bakteriengift entwickelt. Einen Kasten mit sechs Ampullen dieses Teufelszeuges hatte Brosset an sich gebracht und irgendwo versteckt. In seinem Besitz befanden sich außerdem Papiere mit der biochemischen Formel, nach welcher das Gift hergestellt werden konnte.) Borowsky: «Nun ja, diesem rauschgift-verrückten Kerl ist alles
zuzutrauen. Ich wollte ja nur die Formel. Ein östlicher Geheimdienst interessiert sich dafür. Aber Brosset hat mir hur einen Teil der Formel übergeben, damit läßt sich noch nichts anfangen. Ich brauche den anderen Teil.» Madame Germaine: «Den haben wir jetzt. Er befand sich in einem Zigarettenetui, das eine meiner Mitarbeiterinnen erbeutet hat.» (Madame irrte. Das Etui, welches Nanette sichergestellt hatte, enthielt zwar die richtige Formel. Doch Antoine hatte sie mit einer anderen, wertlosen Aufstellung biochemischer Prozesse vertauscht.) Borowsky: «Ich darf annehmen, daß Sie nicht so leichtfertig waren, das Papier hier aufzubewahren?» Germaine: «Da ich Sie kenne, Igor, natürlich nicht! Sie können also die Schußwaffe stecken lassen.» Pompadour: «Wir sprachen über den Preis, glaube ich?» Germaine: «Das erübrigt sich. Wenn ich geahnt hätte, daß es sich um ein so fürchterliches Bakteriengift handelt, würde ich mich auf diese Geschichte gar nicht eingelassen haben. Ich werde die Formel dahin zurückgeben, wohin sie gehört – und eine Belohnung kassieren. Traurig, aber im Interesse meines Seelenfriedens besser!» Borowsky: «Also eine Million Francs?» Germaine: «Ich meine es ernst. Machen Sie, was Sie wollen – ich verkaufe nicht! Die Sache ist mir zu heiß, noch zumal niemand weiß, wo Brosset die sechs Ampullen versteckt hält. Darum soll sich der Geheimdienst kümmern. Ich verreise erst einmal in die USA, für den Fall, daß hierzulande doch noch eine Seuche ausbricht.» Borowsky: «Ich weiß Mittel und Wege, Ihren Entschluß zu ändern! Denken Sie doch nicht, daß ich mich so einfach geschlagen gebe. Ich werde – eh, was soll das…» Germaine: «Das ist eine Pistole, Borowsky! Drohungen machen mich nervös. Geben Sie acht, daß mein Zeigefinger nicht ausrutscht!» Pompadour: «Huch, huch!» Borowsky: «Bleiben Sie friedlich. Ich hätte Ihnen mehr Verstand zugemutet bei den Geschäften, die Sie betreiben. Hatte
ich zwei Millionen Francs gesagt?» Germaine: «Auch für zehn Millionen gehe ich nicht bis an den Rest meines Lebens hinter Gitter. Das ist genau die Grenze, wo bei mir eine innere Stimme Halt gebietet.» Madame Germaines innere Stimme hatte genau im richtigen Moment Halt gesagt; denn da knarrte eine Tür und eine vierte Stimme meldete sich, eine sonore Männerstimme wie von Bosambo aus dem Busch: «Verzeihen Sie bitte die Störung», sagte die Stimme. «Ich habe mich im Walde verirrt. Geht es hier nach Addis Abeba?» Yvonne zog die Gardine beiseite und sah den schwarzgesichtigen Professor da stehen, eine Pistole im Anschlag und ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Die dicke Pompadour tat einen Schrei. Madame Germaine lachte unbeteiligt vor sich hin – sie hatte für diese Überraschung ja selbst gesorgt und daher nichts zu befürchten –, und Borowsky hob die Hände mit dem leidenden Gesichtsausdruck eines Mannes, der sein liebstes Kind zu Grabe tragen muß. «A la bonne heure», sagte Yvonne und kletterte zum Fenster herein. «Guten Abend, alle zusammen!» Dann folgte Nanette: «Je später der Abend, um so rostiger werden die Hände!» – Sie zog dem verdutzten Borowsky das Seidentuch aus der Jackett-Tasche und putzte sich damit die Finger ab. «Warum werden Feuerleitern nicht gleich mit einem Rostschutzmittel versehen? Gräßliche Angelegenheit!» Borowsky grinste vor sich hin, ihm fiel nichts Besseres ein. Als ihm Schußwaffe und Brieftasche abgenommen wurden, kam Gehässigkeit in ihm hoch. «Na schön», knurrte er. «Der andere Teil der Formel ist in der Brieftasche. Ich kapituliere. Aber der schwarze Peter ist nach wie vor bei euch! Wetten, daß ihr die sechs Ampullen mit dem Gift nicht findet? Claude Brosset ist verrückt, der hat dafür gesorgt, daß ihr doch noch klein beigeben werdet.» Der Marquis de Bernard kam gerade mit einer kleinen Agentenwolke hereingeschwebt und hörte noch, was Borowsky sagte. «Ihre Schadenfreude ist verfrüht, Borowsky. Wir haben Brosset
unten im Keller gefunden. Er hat uns ohne weitere Umstände verraten, wo er die Ampullen versteckt hat – in seinem Atelier, eingewickelt in eine Zeitung, in einem Zeitungsständer. Ein wirklich vortrefflicher Ort, da haben meine Agenten nämlich nicht nachgesehen, als wir kürzlich heimliche Haussuchung hielten.» «Der Geheimdienst – haha!» Borowsky amüsierte sich darüber, doch sein Lachen kam ziemlich gequält heraus. «Verdammt noch mal, wie haben Sie den Verrückten bloß zum Sprechen gebracht?» Der Marquis verzog das Gesicht. «Ich mußte eine Notlüge gebrauchen, habe richtig ein schlechtes Gewissen. Aber, das geht Sie nichts an, Borowsky – fort mit Ihnen!» Erst später im Wagen, als der Marquis so nett war, die beiden jungen Damen nach Hause zu fahren, kam Yvonne auf die «Notlüge» zurück. «Was haben Sie denn zu dem Maler gesagt?» Der Marquis zögerte mit der Antwort, es war ihm unangenehm, darüber zu sprechen. «Nun ja, der Mann ist ja nicht bei Sinnen. Ich – ich – also, ich habe ihm drei Kilogramm Kokain versprochen, wenn er das Versteck der Ampullen preisgibt.» Er seufzte. «Ich glaube, es ist das erste Mal, daß ich ein gegebenes Wort brechen muß.»
17. Kapitel Am nächsten Tag hatte Yvonne Besuch. Diesmal kam Madame Germaine zu ihr. Sie befand sich in ihrer strahlendsten Laune und scherzte mit Nanette («Sie waren großartig auf der Feuerleiter! Wollen Sie Akrobatin werden? Ich kenne einen Zirkusbesitzer.») – Dann kam sie zur Sache. «Warum sollte ich Ihnen böse sein, Yvonne? Ihnen verdanke ich es ja, daß ich mit heiler Haut davongekommen bin. Also – kurz und gut: Werden Sie zum Geheimdienst überwechseln? Ich würde Sie sehr vermissen.» Yvonne schüttelte den Kopf. Ein entsprechendes Angebot des Marquis de Bernard hatte sie bereits abgelehnt. Madame sah noch keinen Grund, erleichtert zu sein. «Sie werden heiraten, ja? Rex Carrigan wird wohl bald wieder in Paris sein. Ich hörte, daß seine Frau und die Kinder…» Sie sprach nicht weiter, etwas im Gesichtsausdruck der jungen Dame warnte sie. «Ach, lassen wir das jetzt. Eigentlich bin ich nur gekommen, um den Scheck zu bringen – der Fall Marcellin, nicht wahr?» Es handelte sich um eine recht hohe Summe. Yvonne gab den Scheck gleich an Nanette weiter. «Meine Freundin hat dieses Honorar verdient. – Madame, Sie führen doch noch etwas im Schilde? Ein neuer Auftrag, ja?» Madame Germaine lachte. «Sie können wirklich Gedanken lesen. Hätten Sie nicht Lust, zusammen mit Nanette nach Rio de Janeiro zu reisen? Fragen Sie mich bitte nicht, ob ich verrückt bin, aber Sie werden dort einen guten alten Bekannten treffen: Rex Carrigan!» Sie blickte Yvonne an, als wollte sie ausdrücken: Nun, wie gefällt dir das Geschenk, das ich dir mitgebracht habe? – Nanette reagierte zuerst, sie tanzte im Zimmer herum: «Rio – Zuckerhut – Sonnenschein.» «Sonnenstich!» sagte Yvonne. «Benimm dich, Nanette.» Und nicht ohne Argwohn: «Woher wissen Sie, daß sich der Reporter jetzt in Brasilien aufhält?»
«Kindchen, ich würde Sie doch nicht beschwindeln», tat Madame gekränkt. «Hier – lesen Sie den Brief, er ist eigentlich an Sie gerichtet…» Ja, der Brief kam aus New York und war an Madame Germaine adressiert. Das Luftpostpapier war beidseitig beschrieben. Yvonne las zuerst die eine Seite: «Madame, Sie erinnern sich an Janine Latour, das Mädchen, das aus Paris verschwunden ist? Da ich Ihnen alles zutraue, hatte ich zuerst Sie im Verdacht – und natürlich die Pompadour, das dicke Krokodil Nichts für ungut! Sie werden mir nicht böse sein, weil Sie ohnehin ein schlechtes Gewissen haben. Also, ich befinde mich jetzt auf der Spur dieser kanadischen Studentin und fliege morgen nach Rio de Janeiro. Versuchen Sie, einen Brasilianer namens ‘Ricardo’ ausfindig zu machen, der in Pariser Zeitungen inseriert und Tänzerinnen sucht. (Ich meine nicht Ihren Detektiv-Ganoven Ricard, der es ja auch dick hinter den Ohren hat.) Bitte, geben Sie diesen Brief an Yvonne Orval weiter. Carrigan.» Über Yvonnes Schulter gebeugt, hatte Nanette mitgelesen. Sie lachte über das «dicke Krokodil», lachte und lachte. «Genug», sagte Madame. «Das ist eine todernste Angelegenheit. Dieser Ricardo ist ein Schurke! Darüber kann ich gar nicht lachen. – Yvonne, sagen Sie diesem Kälbchen, daß es ruhig sein soll – und lesen Sie bitte die Rückseite.» Auf der Rückseite des Blattes las Yvonne: «Liebe Yvonne, würdest Du ausnahmsweise einmal für mich tätig werden? Besagte Janine Latour ist die Tochter eines kanadischen Millionärs, der auch in der Politik eine tragende Rolle spielt. Diese etwas leichtlebige junge Dame war so unklug, mit dem Dunkelmann Ricardo nach Brasilien zu reisen. Sie gilt als verschollen. Erst kürzlich erfuhren wir, daß Ricardo das Mädchen unter Vertrag hatte. Wenn Du nicht willst, soll Katja diesen Fall übernehmen (Marquis de Bernard wird gewiß zu stimmen) – aber ich wäre natürlich glücklich, Dich wiederzusehen… Rex.»
Yvonne fühlte den neugierigen Blick Madames auf sich ruhen: Nun, wie wird sie das aufnehmen? Keine Spur von Eifersucht – wegen Katja? Carrigan ist ein schlauer Fuchs… Aber Yvonne sah die Dinge ganz anders. Sie hatte lange nachgedacht. Natürlich würde sie Rex gern wiedersehen. Doch heiraten? Nein, das hieße, eine Uhr zurückdrehen, deren Zeiger schon abgebrochen sind. Sie erwartete noch Besuch und blickte auf die Uhr. Madame seufzte und erhob sich. Sie mißverstand Yvonne. «Es tut mir leid», sagte sie. «Ich dachte, Sie würden sich freuen und den Reporter wiedersehen wollen…» «Aber gewiß doch! Ich dachte an etwas anderes, Madame. Haben Sie schon eine Spur von diesem gewissen Ricard?» Madame Germaine nickte eifrig und kramte in der Handtasche. Sie brachte eine zusammengefaltete Seite aus einer Pariser Abendzeitung zum Vorschein. Ein Inserat war rot angestrichen: Tanzelevinnen gesucht Brasilianisches Großvarieté gibt talentierten jungen Damen die Chance zu erstklassiger Ausbildung (Ballett, Bühnentanz, Revue) bei gutem Kontrakt. Kostenlose Überfahrt, vertragliche Garantie, einwandfreie Verhältnisse und Lebensbedingungen in seriöser Umgebung. – Nur bildhübsche Mädchen nicht unter 18 Jahre altwollen sich unter Beifügung zweier Fotos (Porträt und Pin-up) zunächst schriftlich bewerben bei Señor Ricardo, Hotel Ciro, Paris. «Sehr durchsichtig», nickte Yvonne. «Nicht einmal Tanzausbildung wird vorausgesetzt. – Was meinst du, Nanette, wollen wir zur Revue?» Nanette lief schon hinaus, um Briefbogen und Fotos herauszukramen. «Ich hab’ noch nie auf einer Bühne gestanden, juhuuuh – vielleicht werden wir für den Film entdeckt?!» Sie schrieben die Bewerbungen noch an diesem Abend. Nanette brachte die Briefe fort und wollte dann ins Kino gehen. Auf der Treppe begegnete sie dem Professor. «Hallo, Nanette, werde ich nicht erwartet?»
«Aber ja, Professorchen. Sie wollen doch nicht zu mir? Ich bin viel zu ungebildet und kann nur zwei Worte auf Latein: Acidum salicylicum, das heißt Guten Tag!» «Das heißt Aspirin», sagte Guy. «Antoine wartet schon unten auf Sie. Wollt ihr auch wirklich ins Kino?» «Nicht ums Aspirin», lachte das Mädchen. «Wir gehen Fenster putzen…» Yvonne öffnete ihm. Sie war im Abendkleid und hatte sich hübsch gemacht. Wollte sie noch ausgehen? Ein Blick in ihre dunklen Augen genügte: Nein, sie hatte sich für ihn hübsch gemacht. Der Professor begriff es und es fiel ihm schwer, auf seinen Auftrag zu sprechen zu kommen. Sie nahmen im Salon Platz. «Mögen Sie einen Longdrink?» «Wenn ich wählen darf: Bitte Champagner! Ich bin sozusagen dienstlich hier und möchte, daß Sie in Sektlaune ja sagen.» «Begraben wir das Thema», seufzte Yvonne. «Auch nach dem zehnten Glas werde ich nein sagen. Der Geheimdienst ist mir zu strapaziös, Guy. Ich bin nicht dazu geboren, ‘auf Kommando’ etwas zu tun und gar einen Orden dafür anzunehmen, daß ich mit fremden Diplomaten ins Bett gehe.» «Aber, aber, so ist es doch gewiß nicht. Dafür hat der Marquis andere Damen. Yvonne, Sie besitzen außergewöhnliches Format, darum…» «Nein, nein, nein!» «Auftrag beendet», sagte Guy erleichtert. «Jetzt darf ich privat zu Ihnen sprechen: Sie haben ganz recht, Yvonne. Es geht nichts über die eigene, freie Willensentscheidung. Ich selbst halte es nicht anders.» Es wurde ein netter Abend. Sie plauderten miteinander, lachten und tranken Champagner. Dann machten sie Musik und tanzten Rumba. Yvonne lag in seinen Armen wie eine dahinschwebende Feder. Bei einem langsamen Walzer gewahrte der Professor in ihren Augen das gewisse Etwas – den Ausdruck, der sich nicht erklären, aber doch begreifen läßt. «Yvonne?» «Ja, ja, ja», hauchte sie. «Aber nur dieses eine Mal, Guy. Ich bin – ein Schmetterling – und liebe viele Blumen…» Er küßte sie und
sie tanzten weiter, vom Salon durch die Diele und von der Diele ins Schlafzimmer. Ihr Kleid flog raschelnd in den Sessel. Sie kleidete sich ganz aus, aber ihre Bewegungen wurden immer langsamer. Yvonne begrifflich selbst nicht. Sie spürte Erregung und fürchtete sich gleichzeitig, mit ihm ins Bett zu gehen. War es der Champagner? Nein, die innere Unruhe mußte eine andere Ursache haben. Der Professor hatte damit nichts zu tun. Carrigans Brief? Nein, oder doch, sie wußte es nicht. Irgend etwas in ihr wehrte sich. Sie sah Guy im Halbdunkel auf sich zukommen und wich vor ihm zurück. «Was hast du, Yvonne?» «Nichts – ich – will nur nicht ins Bett – .» Er zog ihren nackten, schlanken Körper an sich. Yvonne hing zitternd in seinen Armen. «Warum weinst du, Yvonne? Oder irre ich mich? Du bist so merkwürdig…» Sie stieß gegen den Tisch, beugte sich nach hinten, behielt die Füße aber auf dem Boden. «Tue es, Guy – ich gehöre dir, nur jetzt!» Yvonne klammerte sich am Tisch fest und ließ sich so nehmen, als bringe sie ein Opfer dar. Guy begriff nicht, was in ihr vorging, tat aber, wie sie es wünschte. Ihre nackten Brüste tanzten vor seinen Augen, ihr Gesicht war im Halbdunkel kaum zu erkennen. Sie hielt den Kopf zurückgeworfen, stützte sich nach hinten auf die Arme und begann zu stöhnen. «Nein», wimmerte sie dann. «Höre auf, du bist so stark!» Und als Guy innehielt: «Komm, es bringt mich so um, ich glühe, ich verbrenne – nimm mich – im Bett!» Er hob sie auf und trug sie zum Bett, und alles, was an inneren Hemmungen gewesen war, trieb nun davon im Strom der alles bezwingenden, alles überflutenden Leidenschaft. Auf dem Höhepunkt der Ekstase, als die entfesselten Sinne übermächtig wurden, begann Yvonne, sich selbst zu begreifen. Nicht, daß sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Aber sie fühlte es im Unterbewußtsein: Yvonne Orval, du bist verloren.
Es gibt kein Zurück in die Einförmigkeit eines gesitteten bürgerlichen Daseins. Du hast Feuer im Leib und wirst verbrennen. FEUER IM LEIB. Die Antwort des anrüchigen Señor Ricardo auf die Bewerbungsschreiben kam postwendend: «Ich darf Ihnen im Auftrage des Herrn Direktors mitteilen, daß Ihre Bewerbung unser besonderes Interesse gefunden hat», schrieb der Sekretär. «Sie werden gebeten, sich an einem der nächsten Tage zwischen 16 und l7 Uhr im Hotel Ciro persönlich vorzustellen. Sollten Sie bereits im Besitz eines Reisepasses sein, bitte diesen mitzubringen.» «Unleserliche Unterschrift», stellte Yvonne fest. «Er ist sein eigener Sekretär, möchte ich wetten. Wollen wir gleich in die Höhle dieses Papiertigers gehen? Oder bist du noch erschöpft von letzter Nacht?» Nanette war erst im Morgengrauen heimgekommen; sie lachte. «Lalala – wir haben es ja nur zweimal getan. Antoine läßt dich grüßen. Er will Mohammedaner werden und uns beide heiraten, aber ich soll seine Lieblingsfrau sein.» «Der Ärmste! Ich glaube, er überschätzt sein Potential. Wie lange, meinst du, wird er durchhalten?» Sie sahen sich an und lachten. «Nur eine Nacht», sagte Nanette, «dann kann er an Krücken gehen!» Sie fuhren los, ließen den Wagen am Place Royal stehen und fragten im Hotel Ciro nach Señor Ricardo. Er bewohnte ein Appartement in der dritten Etage. Señor Ricardo war ein etwas korpulenter, aber sehr beweglicher Herr. Er trug das schwarze, glänzende Haar sorgfältig gescheitelt. Dicke Brillantringe an den Wurstfingern. Im Vorzimmer wartete eine Anzahl junger Mädchen, die Sehnsucht nach der großen weiten Welt und der raschen Bühnenkarriere im Herzen. Sie wurden aufgerufen, gingen mit klopfendem Herzen hinein und kamen sehr rasch glückstrahlend wieder zum Vorschein. Da wurde en gros eingekauft wie auf dem Hühnermarkt. «Ich bin angenehm überrascht, meine Damen», sagte
Ricardo. «Bitte, nehmen Sie doch Platz!» Er blickte zuerst Yvonne, dann Nanette mit Röntgenaugen an. «Es ist selten, daß junge Damen in natura noch hübscher sind als auf dem Foto.» Vermutlich sagte er allen das Gleiche. Die Verträge lagen fertig aufgestapelt auf dem Tisch. Yvonne wandte ein, daß sie beide ja noch keinerlei Tanzausbildung hatten. «Oh, das macht nichts. Tanzen lernen Sie ja drüben! Sie erhalten eine exklusive Ausbildung», lautete die Antwort. «Darf ich nun um eine Beinprobe bitten, meine Damen?» Einer werdenden Tänzerin sieht man nicht in die Augen, sondern auf die Beine (wegen dem «X» oder dem «0»), insofern war die «Beinparade» kein unbilliges Verlangen. Sie standen auf, hoben den Kleidsaum und drehten sich einmal im Kreise. Um diesem nachgemachten Ballettmeister eine Freude zu machen, hoben sie die Röcke höher, als eigentlich notwendig war. «Enchanté! Ich bin entzückt», säuselte Ricardo. «Hier ist der Vertrag, lesen Sie ihn in Ruhe durch. Volljährig sind Sie ja? Bestens. – Haben Sie gelesen? Einverstanden? Bitte hier unterzeichnen!» An diesem Abend telegrafierte Yvonne nach Rio de Janeiro: «Ricardo hat angebissen.»
18. Kapitel Während der Überfahrt an Bord der «Panama» wurde Nanette seekrank. Ein Sturm kam auf und rüttelte das kleine Passagierschiff mächtig durch. Nanette kauerte bleich und elend in ihrer Kabine, doch als sich am zweiten Tag die See beruhigte, fand sie gleich wieder die Kraft, mit dem Zweiten Offizier zu flirten. Señor Ricardo, gleichzeitig Direktor, Ballettmeister, Reiseleiter und Haremswächter, nahm Yvonne beiseite: «Wollen Sie und Ihre Freundin nach der Tanzausbildung gleich auf Tournee gehen? Den meisten jungen Damen biete ich nur den VarietéVertrag an, aber Sie beide erscheinen mir besonders talentiert. Bei der Ballettprobe, gestern, sah ich es – ich besitze den Blick dafür.» Er wollte einen Privat-Vertrag mit ihnen schließen. Yvonne tat sehr erfreut, begriff aber durchaus, worauf das hinauslief. Die elf anderen Küken, die Tanzelevinnen, die von der großen Karriere träumten, waren in Ricardos Augen noch nicht «reif» für die Tournee. Da mußte man behutsamer vorgehen. Aber sie selbst und Nanette befanden sich offensichtlich bereits jenseits der Schwelle zwischen Arglosigkeit und Libido, natürlich; denn sie hatten es ja von ersten Tage an darauf angelegt, nichts weniger als prüde zu erscheinen. Yvonne suchte die Zweibett-Kabine auf, in der sie mit Nanette untergekommen war. Sie öffnete die Kabinentür und staunte über den phantastischen Service hier auf dem Schiff. Der Zweite Offizier befand sich bei Nanette und erläuterte ihr gerade, wie man sich bei beginnender Seekrankheit zu verhalten hat. «Sie müssen sich hinlegen, mein Fräulein – ja, so ist es recht. Nun ganz tief atmen. Bitte, schließen Sie die Augen!» Er küßte sie. «Wie fühlen Sie sich?» «Oh, gut», sagte Nanette mit geschlossenen Augen. «Sehen Sie, es hilft. Wir müssen jetzt das Kleid öffnen, damit Sie freier atmen können.»
Er öffnete das Kleid und schickte sich an, Nanette auch das Höschen auszuziehen, damit sie freier atmen konnte… Yvonne zog sich rasch zurück und schloß leise die Tür. Das war ja ein tolles Schiff! Sie lachte und wollte an Deck, aber da begegnete ihr im Kabinengang der nette, junge Schiffsarzt, mit dem sie am Abend zuvor getanzt und geflirtet hatte. «Aber, Mademoiselle! Sie sind ja ganz blaß – kommen Sie, da müssen wir sofort etwas unternehmen.» Zu verdutzt, um eine Antwort zu geben, duldete sie es, daß er ihren Arm nahm und rührend besorgt in die geräumige Kabine mit dem roten Kreuz auf der Tür geleitete. «Bitte, legen Sie sich hin!» Das hatte sie doch soeben schon einmal gehört? Yvonne lachte. «Aber ich bin ganz gesund. Keine Spur von Seekrankheit.» Sie legte sich dennoch hin, der junge Mann beugte sich mit ernstem Gesichtsausdruck über sie. «Werden Sie nur nicht ohnmächtig. Der Puls gibt mir zu denken.» Er maß den Puls, indem er tief in ihre Augen sah. «Wir müssen das Kleid öffnen, bitte.» In seinen Augen war ein vergnügtes Funkeln. Sie mochte ihn, das gab den Ausschlag. «Die Strumpfbänder behindern den Kreislauf, wir müssen…» Er lüftete das Kleid und sah, daß es da keine Strumpfbänder gab. «Die Strapse behindern den Verkehr», sagte er kühn. Yvonne sah das ein. Die Symptome waren ernst – bei ihm, nicht bei ihr. Sollte sie diese Leuchte der medizinischen Wissenschaft in seiner Forschungsarbeit behindern? Ein so junges, hoffnungsvolles Talent… «Jetzt spüre ich die Seekrankheit», seufzte Yvonne. «Doktor, unternehmen Sie etwas!» Wenn Gefahr droht, muß der Arzt rasch handeln, und dieser junge Doktor war nicht unerfahren. Die Behandlung dauerte gut eine Stunde, enorm lange für so eine kleine Praxis. Bei Nacht und Nebel lief der Passagierdampfer in die Bucht von Rio de Janeiro ein. Das Leuchtfeuer der Insel Do Governador blinkte backbord voraus, und auf der Höhe des Zuckerhutes, des
spitzen Bergkegels zur Linken der Bucht, war – von Scheinwerfern angestrahlt – die Christusstatue zu erkennen. Ricardo lief wie ein Hühnerhabicht an Deck umher. «Ist das Gepäck vollständig? Meine Damen, Sie werden sich erkälten. Bitte bleiben Sie noch in der Bar, es dauert doch noch mindestens eine Stunde.» Für die meisten Mädchen war das die erste Schiffsreise. Küste sehen, am Pier anlegen und an Land gehen! Aber das ging nicht so rasch, wie sie es sich vorgestellt hatten. Dann tauchten endlich die Lichter der Millionenstadt im Nebeldunst vor ihnen auf. Ein Zollkreuzer legte an. Die Paß- und Zollformalitäten nahmen weitere Zeit in Anspruch. Das Schiff legte an, die Gangway fiel herab und dreizehn junge Mädchen, Yvonne und Nanette eingeschlossen, gingen herzklopfend dem großen Abenteuer – richtig betrachtet, einer Ungewissen Zukunft – entgegen. Auf dem nächtlichen Pier warteten einige seriös wirkende Herren (sie wirkten nur so, das gehörte zu ihrem Geschäft): Der Regisseur, der Tanzmeister und der Personalchef des großen Varietés, sehr gespannt darauf, die neue Fracht an Jugend und Schönheit kennenzulernen. Ein Zeitungsreporter machte Aufnahmen. Dann ging es zum Autobus. «Die Damen mit dem Privatvertrag – bitte zu mir!» rief Ricardo. «Das sind ja nur wir zwei», wisperte Nanette, als sie in die Limousine stiegen, die neben dem Bus wartete. «Du, mir ist ganz komisch. Der hat etwas Besonderes mit uns vor.» Ricardo stritt sich noch mit dem Reporter. «Nein, jetzt kein Interview mit den beiden Damen. Ja, ganz recht, das sind meine Tournee-Stars. Aber die Damen sind jetzt müde von der Reise. Kommen Sie morgen in mein Büro.» «Können die Damen nicht zu mir ins Hotel Esplanade kommen?» sagte der Reporter laut. «Wegen der Fotos, wir wollen doch besonders schöne Fotos machen, mit Scheinwerfer und so – Hotel Esplanade, ja?» «Nein!» brüllte Ricardo und schlug die Wagentür zu. «Schrecklich aufdringlich, dieser Mensch. Los, fahren Sie, Pedro!»
Der Chauffeur gab Gas. Er überfuhr beinahe Rex Carrigan, der gerade noch beiseite springen konnte. Yvonne blickte durch das Rückfenster. Sie hatte in dem Reporter schon auf dem Pier Rex Carrigan erkannt, aber zu einer Begrüßung gab es keine Gelegenheit. Man durfte Ricardo nicht mißtrauisch machen. Er wohnte also im Hotel Esplanade. Um ihnen das mitzuteilen, hatte er den Streit mit Ricardo geführt. Die Fahrt ging in einen nördlichen Stadtteil. Da war ein großes Haus auf einer Anhöhe, die Pension. Von der Veranda hatte man einen wunderschönen Blick auf die Bucht. Achtzehn Mädchen wohnten in der Pension, sie waren schon früher mit dem Schiff gekommen. Alle hatten den ominösen Privatvertrag unterzeichnet. Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Man tummelte sich am Badestrand, das Essen war ausgezeichnet, nur zwei Stunden am Tag wurde in einer kleinen Sporthalle trainiert. Jose, ein schlaksiger junger Mann, fungierte als Tanzmeister, nahm es aber sichtlich nicht genau. Ein unheimlicher Typ war der Chauffeur: So indianisch verschlagen wie sein Name. Wann immer ein Mädchen sich absonderte oder mit Leuten aus der Nachbarschaft sprechen wollte, tauchte Pedro plötzlich auf und hörte zu. Anläßlich eines kleinen Stadtbummels, von Jose und Pedro überwacht, begegneten sie zufällig den anderen Mädchen, die den Varieté-Vertrag hatten. «Ach, habt ihr es gut bei Señor Ricardo. Bei uns ist es ganz anders, viel strenger. Ausgehen kommt fast gar nicht in Frage. Von früh bis spät wird trainiert. Unser Ballettmeister, das Scheusal, behauptet, daß wir erst einmal das Gehen lernen müssen, bevor wir ans Tanzen denken können…» Die «Schützlinge» Ricardos fühlten sich, als sie diese Klagen vernahmen, wie im Paradies. Ohne allerdings zu ahnen, daß gerade die Nachlässigkeit, mit der ihre Ausbildung betrieben wurde, Gefahr bedeutete. Yvonne und Nanette allein begriffen, welche besondere Bewandtnis es mit der bevorstehenden großen
Tournee hatte: Zuerst in die Provinz mit den Mädchen, die nur gelernt hatten, rhythmisch die Beine zu bewegen. Dann auf eine größere Bühne, wo die jungen Tänzerinnen dann mangels ausreichender Ausbildung versagen. Die Gage wird gekürzt. Dann eine kleinere Bühne. Die Gage wird erneut gekürzt. (Mädchen, strengen Sie sich doch an. Haben Sie denn gar kein Talent?) Noch eine Bühne, da pfiff doch eben ein Zuschauer? (Also, Kindchen, die Bühne ist nichts für Sie. Ihr Talent liegt auf einer anderen Ebene. Probieren wir es einmal mit einer Nachtbar, ich meine es gut mit Ihnen. Hier haben wir einen selten günstigen Vertrag – als Schönheitstänzerin, nicht wahr? Na, ein bißchen Striptease werden Sie doch wohl fertigbringen?) – Die nächste Stufe abwärts, eine Bar weiter: Wollen Sie mehr verdienen? Dann müssen Sie die Gäste zum Trinken animieren, Sie erhalten Prozente. Nanette bekam ganz große Augen, als Yvonne ihr die wahre Bedeutung der «Großen Tournee» entschleierte. «Das ist ja – Mädchenhandel!» «Jedoch legal, Nettchen. Ricardo vermittelt Tänzerinnen, das ist erlaubt. Kann er etwas dafür, nein, kann man ihn haftbar machen, wenn untalentierte Mädchen immer weiter absinken und schließlich kein Engagement mehr finden? Dann sitzen sie da, irgendwo in der finstersten Provinz, ohne Geld, ohne die Landessprache zu beherrschen – und sind schließlich froh, wenn Ricardo als rettender Engel auftaucht: Wenn du nicht prüde bist, kann ich dir weiterhelfen. Du kannst in wenigen Wochen viel Geld verdienen, genug, um die Passage für die Heimreise zu buchen. Willst du?» «Ins Bordell gehen!» nickte Nanette. «Ja, und ist so ein unglückliches Mädchen erst einmal soweit, dann gibt es tatsächlich kein Zurück mehr. Das heiße Klima, der Alkohol und eine zunehmende Gleichgültigkeit besorgen den Rest.» «Wir sollten die anderen Mädchen warnen, Yvonne!» «Vergebliche Mühe, ich habe es versucht. Sie lachen mich aus, träumen von der Karriere, von Starruhm und hoffen, für den Film entdeckt zu werden. Ricardo hat eine sorgfältige Auswahl
getroffen. Die mit dem Varietévertrag bringen ihm nur eine kleine Vermittlerprovision. Wir, Nette, sind das große Geschäft.» «Hast du einen Plan? Rex Carrigan kann uns doch hier nicht verschmoren lassen. Es muß etwas geschehen!» «Revolution, ja – heute nacht gehen wir zum Angriff über. Still jetzt, da kommt Jose, wir müssen zum Training.» An der Tür zur Sporthalle stand Pedro, finster wie immer. Er trat ihnen in den Weg. «Sie waren vorhin heimlich in einer Telefonzelle, Yvonne. Señor Ricardo sieht das gar nicht gern. Kennen Sie jemanden in Rio?» Die beiden jungen Damen tauschten einen Blick. Dann hob Yvonne die Hand und zog dem verdutzten Mann den Strohhut über die Augen. Nanette bückte sich blitzschnell und riß ihm die Beine weg. Er saß im Staub, den Hut über den Augen und holte tief Luft. «Halt den Schnabel», sagte Nanette. «Und tritt beiseite, wenn sich zwei Damen nähern. Wenn du noch ein Wort sagst, mach’ ich Sauerkraut aus dir, du nachgemachter Frankenstein!» Señor Ricardo saß in seinem Büro, die Hände auf dem Bauch gefaltet und die Füße auf dem Tisch. Er verzichtete jetzt darauf, vornehm zu wirken. «Meine Damen, ich habe Sie zu dieser späten Stunde noch rufen lassen, um ein ernstes Wort mit Ihnen zu reden. Sie gehen da einen schlimmen Weg… Wenn Sie so weitermachen – .» Und so weiter. Yvonne interessierte sich für den Tresor. Die Tür mit dem Chiffreschloß stand ausnahmsweise offen. Sie warf Nanette einen Blick zu. «Mir wird schlecht», begann Nanette sofort, zu stöhnen. «Strafpredigten bereiten mir Übelkeit. Ich – oh, nein – uaaah!» Sie hielt die Hand vor den Mund. Ricardo sprang auf. «Halt, verdammt noch mal – was tun Sie denn?» «Uaaaah – mhmmm, mhmmm!» Die Hand vor dem Mund, beugte sich Nanette vor. «Nicht auf den Tisch!» brüllte der Mann. «Nicht über die Papiere, zum Teufel!»
Er packte ihr Handgelenk, zog sie mit sich fort – durch die Tür und auf den Flur hinaus. Dort taumelte Nanette umher, hielt sich an Ricardo fest. «Mir ist schon besser», sagte sie dann und ließ ihn los. Sie sah Yvonne auf den Flur kommen. «Oh, Yvonne, hilf mir. Bring mich in den Schlafsaal – uaaaah!» Ricardo fürchtete für sein sauberes Hemd und tat einen Sprung rückwärts. «Das ist ja fürchterlich. Caramba! Nun machen Sie schon!» «Carambimba», sagte Yvonne. «Nur mit der Ruhe. Sie hat das öfter, mitunter fünfmal am Tag. Komm, Nettchen, stütze dich auf mich, gehen wir – der Señor kriegt noch einen Schlaganfall, er ist schon ganz gelb im Gesicht.» Im Schlafsaal wurde noch geplaudert und gekichert. Señora Cadalvo, eine korpulente Dame mit Habichtsaugen, hatte festgestellt, daß da zwei Mädchen fehlten und wollte gerade hinaus, um Ricardo zu alarmieren. Aber da kamen die beiden schon herein. «Ach so, Sie waren beim Chef? Nanette ist übel? Na gut, ich koche ihr einen Tee. Aber dann wird gleich geschlafen. Es geht morgen früh hinaus zum Training. Nur noch acht Tage bis zur großen Tournee…» Sie watschelte hinaus. «Kinder, kommt alle mal her», sagte Yvonne und setzte sich an den langen Tisch. «Ich habe hier eine Aufstellung heimlich an mich genommen, aus der hervorgeht, wo jede einzelne von euch nach der großen Tournee engagiert wird. Aber seid leise und hört gut zu! Ich lese vor… »
19. Kapitel S. Manuele Valdez, Cuaba, Bordell: Marcelle Dinant Ernestine Gabain Suzette Marchand S. Uvaldo da Costa, Corumba, Bordell: Yvonne Orval Nanette Marchand Louise Verdal Marlene Bourrat
40.000, – Cruzeiros 35.000, – Cruzeiros 38.000, – Cruzeiros 80.000, – Cruzeiros 80.000, – Cruzeiros 65.000, – Cruzeiros 48.000, – Cruzeiros
Die Liste umfaßte zwei Seiten, jedes einzelne Mädchen konnte sich darauf wiederfinden. Entsetztes Schweigen herrschte in der Runde. «Bleibt ruhig», sagte Yvonne. «Keinen Laut, hört ihr?» Die Mädchen nickten. «Nun wißt ihr also, was ihr wert seid – für Ricardo wert seid. Als Dirnen hat er euch verkauft, weil er jetzt schon weiß, daß ihr als Tänzerinnen keinen Erfolg haben werdet. Dafür ist gesorgt, dementsprechend war auch die sogenannte Tanzausbildung. Wer von euch Lust hat, in ein schmieriges, drittrangiges Bordell zu gehen, hebe die Hand.» Keines der Mädchen rührte sich. Yvonne blickte in zorngerötete Gesichter. «Ich habe noch eine Unterlage gefunden; denn der Tresor stand offen und es gelang uns, Ricardo abzulenken. Es handelt sich um ein Mädchen, das schon vor längerer Zeit aus Paris verschwunden ist – Janine Latour, heißt die Unglückliche. Ihren Aufenthalt zu ermitteln, habe ich euch begleitet. Nun wollen wir eine kleine Revolution machen, ja?» «Auf die Barrikaden!» rief Nanette. «Allons enfants de la Patrie – stürmt die Bastille! Und unser Schlachtruf lautet: Uaaah!»
Ein Mädchen allein kann gegen drei kräftige Männer nichts ausrichten. Fünf sind schon imstande, ein kleines Gewitter auszulösen. Doch zwanzig Mädchen, zorngeladen und enttäuscht, sind wie ein Taifun. «Hier ist der Tee», sagte Señora Cadalvo und kam zur Tür herein. Dann aber sagte sie nur noch huuuch! und fiel um, weil man ihr den Läufer unter den Füßen weggezogen hatte. Nanette kniete auf ihr und hielt ihr den Mund zu, acht andere fleißige Hände beendeten das rasche Werk. Die Señora lag in einen Teppich eingerollt, nur der Kopf schaute noch hervor, und wagte keinen Laut mehr, weil eines der Mädchen vor ihr hockte und in jeder Hand ein Messer hielt. Die beiden Messer wurden gegeneinander gewetzt. Die Revolution ging weiter. Schlanke, schattenhafte Gestalten huschten in die Küche, wo die Köchin noch mit dem Abwasch beschäftigt war. «Huh – was denn – aaaah – mhmmm – », mehr war nicht zu vernehmen. Eine zweite Teppichrolle lag da und dachte über die Risiken des Mädchenhandels nach. Der General dieser Schlacht, Yvonne, dirigierte einen Sechs-MädchenSturmtrupp zu dem Zimmer, wo der Tanzmeister Jose sich mit einer Flasche Rum bestens unterhielt. Die anderen Kämpferinnen blieben, mit Besen, Nudelrollen und Bratpfannen bewaffnet, zunächst in Reserve. «Ja, herein!» sagte Jose, als es klopfte. Nanette trat ein und ließ die Tür offen. Sie hielt eine Wolldecke in der Hand. «Nun sehen Sie sich das bloß an, Jose.» «Ja – was denn?» «Die kleinen Tierchen auf der Decke. Ich bin ja nicht wählerisch, aber das scheinen keine Ameisen zu sein.» «Wieso? Wo denn?» Nanette hielt ihm die Decke dicht vor die Augen, aber er sah immer noch keine kleinen Tierchen. «Ich sehe nichts…» Und dann sah er wirklich nichts mehr; denn plötzlich hatte er die Decke über dem Kopf. Er vernahm noch das eilige Trippeln von Schritten und vernahm einen gedämpften Schlachtruf «Uaaah» – dann machte es bums! Er sah jetzt nur noch Sterne, und
als er wieder einigermaßen klar denken konnte, lag er verschnürt wie ein Postpaket auf der Erde und hatte einen Knebel zwischen den Zähnen. «Das waren Wanzen, du Laus!» sagte Nanette. Sie stellte einen Fuß auf seinen Körper und hob in Siegerpose das Nudelholz. Pedro befand sich hinter dem Haus und schäkerte mit einer Señorita aus der Nachbarschaft. Ihn zu überwältigen, hatte General Yvonne alle verfügbaren Truppeneinheiten zusammengezogen. Der Mestize sah Yvonne aus dem Haus kommen, sie bemerkte ihn, erschrak sichtlich – und wich in den Hausflur zurück. Was! Die will doch nicht etwa ausreißen? «Warte hier», sagte er zu der Señorita. Er eilte zur Tür und verschwand im Hausinneren. Die Tür schloß sich sofort hinter ihm. Die junge Brasilianerin sah ihn noch ausrutschen – der Boden hinter der Tür war mit Schmierseife eingerieben – und wie eine Wolldecke über ihn fiel. Dann schloß sich die Tür und nur noch dumpfe, unheimliche Geräusche waren zu vernehmen. Zehn Mädchen stark war dieser Stoßtrupp, das waren summa summarum zwanzig Hände, die zupackten, kniffen und schlugen, dann mit Stricken hantierten. Die Señorita klopfte angstvoll an die Tür. «Was geht denn da drinnen vor?» Yvonne öffnete, etwas verschwitzt, aber mächtig vergnügt. «Oh, nichts! Er hat nur wieder einen seiner Anfälle gehabt. Wußten Sie nicht, daß er Epileptiker ist? Man muß ihn dann immer fesseln, damit er sich nicht selbst etwas antut.» Das arme Mädchen begriff das alles nicht. Ein Epileptiker, du meine Güte! Und mit so etwas hatte sie sich eingelassen. Sie lief davon. Señor Ricardo befand sich in seinem Büro und durchwühlte Papiere. Er schwitzte vor Aufregung. «Wo ist denn die verflixte Aufstellung?» – Im Tresor war sie nicht, auf dem Schreibtisch…
«Uaaah!» Er fuhr herum und sah Yvonne hereinkommen, gefolgt von Nanette und fünfzehn weiteren Amazonen. Nur drei Mädchen fehlten, sie hielten bei den Gefangenen Wache. Es gab ein ordentliches Gedränge. «Uaaah… uaaah!» tönte es dumpf und schrecklich. Ricardo blieb der Verstand stehen. «Was – was ist – eh, was ist das?» brachte er endlich hervor. «Revolution», sagte Yvonne, und Nanette: «Ergib dich, du Schurke, oder wir zerreißen dich in der Luft.» Bratpfannen, Besenstiele und Kehrbleche wurden drohend geschwungen. Ricardo flüchtete hinter den Schreibtisch und versuchte, die Schublade aufzuziehen – da gab es vermutlich eine Schußwaffe. «Feuer!» rief Yvonne. «Ganze Breitseite!» Und fünfzehn Mädchenfäuste öffneten sich und gaben Salvenfeuer: Eine Salve Pfeffer, eine Salve Paprika und eine Salve Currypulver. Ricardo schrie auf und hielt die Hände über die brennenden Augen, er war blind, taumelte umher in der Wolke aus Küchenmunition. «Aaaah – meine Augen…» Er konnte keinen Widerstand mehr leisten. Zu viele zornige kleine Hände packten unsanft zu. Es ging im Handumdrehen, dann saß Señor Ricardo, umschnürt wie ein Kanonenschlag, auf dem Stuhl und war froh, daß man ihm Unmengen kaltes Wasser ins Gesicht schüttete. Eines der Mädchen wischte ihm die Augen aus, sie waren ganz schön rot. Er blinzelte. «Erkennen Sie mich? Ich bin Ernestine Gabain. Nun sagen Sie mir gefälligst, weshalb ich unter all diesen Mädchen am wenigsten wert bin – nur 35.000 Cruzeiros. Warum?» Es war eine ernste Frage. Ricardo war zu wütend, darauf eine andere als eine freche Antwort zu geben. «Weil du Schweißfuße hast – autsch!» Er hatte sich eine kräftige Backpfeife eingehandelt und fluchte unflätig. «Warum?» fragte Ernestine wieder. Aber die Frage blieb zu ihrer Betrübnis unbeantwortet, weil draußen die Sirene des Polizeiwagens zu vernehmen war. Yvonne hatte inzwischen telefoniert, und Rex Carrigan kam mit drei grimmigen Zivilisten und sechs uniformierten Polizisten, um «Nachlese zu halten», wie er sich ausdrückte.
20. Kapitel Rex Carrigan fuhr mit dem nächsten Eilzug nach Corumba. Er wollte sich nach dem vermißten Mädchen umsehen. Janine Latour vegetierte dort seit gut einem Jahr in dem drittrangigen Bordell eines Señor da Costa. Es würde viel Fingerspitzengefühl erfordern, das unglückliche Geschöpf wieder an ein normales Dasein zu gewöhnen. Sie wohnten jetzt im Hotel Esplanade. Yvonne hatte den Rückflug nach Paris bereits gebucht. Die anderen Mädchen befanden sich in der Obhut des französischen Botschafters und würden per Schiff nachkommen. Yvonne saß am Tisch und schrieb an einem Brief. «Warum seufzt du, Nanette?» «Ich verstehe nicht, weshalb du nicht auf Rex warten willst. Er ist doch wirklich ein netter Mensch, ihr paßt zueinander. Wenn ihr heiratet…» Yvonne unterschrieb den Brief und faltete das Papier. Dann besann sie sich, öffnete wieder und reichte Nanette den Brief. Diese las: «Lieber Rex, wenn Du es auch vor Dir selbst verbirgst, so weißt Du, daß ich zur Ehe nicht geschaffen bin. Wir wollen nicht mit einer Lüge, nein, mit einer Selbsttäuschung beginnen, was für Dich mit einer Enttäuschung enden würde. Ich könnte Dir nicht treu sein. Nimm mich, wie ich bin. Ich werde Dich lieben, wenn Du willst, aber niemals könnte ich Dir ganz allein gehören. Du weißt es, gib es vor Dir selbst zu. Ich habe Feuer im Leib. Bin ich, was man eine Nymphomanin nennt? Das sind Kranke, ich bin nicht krank, ich will nur frei sein und frei bleiben. Das große Gefühl, die Liebe, ist ohne Sünde. Doch ich, Rex, bin ein Kind der Sünde. Die Ehe mit Dir wäre für mich wie eine Gefangenschaft – Du würdest tolerant sein, aber ich würde es dennoch so empfinden. Und ich würde die erste Gelegenheit ergreifen, diese unsichtbaren Fesseln abzustreifen. Begreife es, bitte, und bleibe mir in Freundschaft zugetan. Yvonne.»
Nanette tat einen tiefen Atemzug. Sie ging zum Fenster, blickte lange hinaus, ohne ein Wort zu sprechen. Dann wanderte sie im Zimmer auf und ab, sprach mit sich selbst. Yvonne sah ihr erstaunt zu. «Was redest du vor dich hin, Nettchen?» «Nettchen spricht mit Nettchen, störe uns bitte nicht. Ich formuliere den Brief, den ich Antoine schreiben will.» «Oh, will er dich heiraten?» Nanette blickte sie mißbilligend an. «Kannst du dir einen Mann vorstellen, der mich kennenlernt und nicht heiraten will?» Das konnte sich Yvonne nicht vorstellen. «Ach was», sagte Nanette. «Ich empfinde ja genauso wie du. Nur kann ich es nicht so treffend formulieren. Darf ich deinen Brief abschreiben? Er drückt ganz klar aus, wie ich selbst es sehe, und erspart uns beiden, Antoine und mir, viel Kummer.» Fast im gleichen Atemzug fügte sie hinzu: «Du, ich habe vorhin im Hotelfoyer einen netten jungen Mann kennengelernt. Er fliegt mit unserer Maschine nach Paris und will mich nach Nizza mitnehmen, so für ein paar Tage. Er hat da ein hübsches Haus und – warum siehst du mich so groß an?» «Du kannst den Brief abschreiben, Nette. Ich bin richtig erleichtert. Warum? Weil Amors Pfeil dich gar nicht getroffen hat!» Nanette lachte. Sie umarmte Yvonne und küßte sie und tanzte mit ihr durchs Zimmer. «Was machen wir, wenn wir wieder in Paris sind?» fragte Nanette, als sie die Koffer packten. «Nur dasitzen und einem Geliebten die Zeit zu vertreiben, das ist mir zu langweilig. Geld genug haben wir ja, aber es fehlt der Pfeffer. Wollen wir wieder für Madame Germaine tätig werden?» Jetzt marschierte Yvonne im Zimmer auf und ab, blieb plötzlich stehen. Sie besah sich im Spiegel. «Sind wir klug, sind wir schön, Nette?» «Du bist klug und schön, ich bin nur hübsch», sagte Nanette. «Ich erwarte keinen Widerspruch.» «Wir werden uns also selbständig machen und neben den ‘Salon Germaine’ einen ‘Salon Yvonne’ stellen. Halb Detektei, halb
‘Zentrale Schicksal’. Wir übernehmen nur außergewöhnliche Aufträge – wie im Fall Lormand, wie im Fall Gardain.» «Armen, von Schurken bedrängten Frauen zu Hilfe eilen. Männer umgarnen und vernichten!» «Keine Politik, keine Spionage, keine Aufregung…» «Außer im Bett», sagte Nanette begeistert, aber sie fand doch noch einen Wurm, genauer, zwei Würmer. «Was wird die Germaine dazu sagen; wird sie die unerwünschte Konkurrenz nicht zu sabotieren versuchen? Zweitens, woher nehmen wir die Aufträge?» Diese Probleme besprachen sie, als sie bereits in der DC10 saßen und über dem Atlantik schwebten. Der junge Mann, der sich für Nanette interessierte und sie nach Nizza mitnehmen wollte, hatte seine Annäherungsversuche resigniert aufgegeben. Nanette hatte ihn abblitzen lassen. «Ich glaube nicht, daß die Germaine Schwierigkeiten machen wird», erläuterte Yvonne. «Sie ist zu klug, um nicht zu wissen, daß wir in dem Fall den Marquis de Bernard um Hilfestellung bitten würden. Mit dem Geheimdienst legt sie sich nicht an.» «Aber niemand kennt uns», wandte Nanette ein. «Woher kommen die Aufträge? Wer hat Vertrauen zu uns?» «Laß mich nur machen, Nanette. Aus der früheren Zeit, als mein Gatte noch lebte, kenne ich sehr viele Journalisten. Nehmen wir an, in Zeitungsartikeln und Reportagen wird der Fall Gardain aufgerollt – und wie wir diesen üblen Mitgiftjäger überlistet haben.» «Du hast recht, dann können wir uns vor ähnlich gelagerten Aufträgen kaum noch retten. Yvonne, im Geiste erhebe ich mich vor dir, du bist die Größte, und ich – uaaah, o Himmel, mir wird schlecht.» Die arme Nanette vertrug das Fliegen so wenig wie die Schiffsreise. Madame Germaine entstieg ihrem Wagen und betrachtete seufzend das vergoldete Schild am Gartenportal: SALON YVONNE. Ein Kiesweg führte zwischen Rosenbüschen zu der
exklusiven Villa am Stadtrande von Paris. Ein reizendes Mädchen öffnete. Mehrere elegante Damen, die offenbar der besten Gesellschaft entstammten, warteten im Vorzimmer, jede mit einem eigenen Problem belastet, was man ihnen deutlich ansah. Nanette telefonierte gerade. Als sie Madame Germaine sah, sprang sie auf und kam ihr lächelnd entgegen. «Ich bin die Sekretärin, Madame», sagte sie, als wären sie nicht miteinander bekannt. «Was können wir für Sie tun?» – Es war ein Spaß. Madame lachte und umarmte Nanette. «Wissen Sie, es ist ein seltsames Gefühl. Ich glaubte, das eigene Haus zu betreten. Ihr seid ja jetzt ganz oben. Darum komme ich – ein Auftrag in eigener Sache.» Es handelte sich um den lohnendsten Auftrag seit der kurzen Zeit, da der «Salon Yvonne» existierte und in Paris von sich reden machte.