Freder van Holk Fahrt in die Hölle
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus,...
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Freder van Holk Fahrt in die Hölle
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Neu bearbeitet von Heinz Reck Copyright © 1980 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt Agentur Transgalaxis Titelbild: Nikolai Lutohin Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300 A-5081 Anif Abonnements und Einzelbestellungen an PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT, Telefon (0 72 22) 13-2 41 NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1, Telefon (0 40) 3 01 96 29, Telex 02 161 024 Printed in Germany Februar 1980 Scan by Brrazo 03/2006
1. Nördlich von Sao Paulo in Brasilien liegt das Städtchen Campinas, und wiederum nördlich davon der Ort Quro. Dieses Quro war eine kleine, aber moderne Stadt mit lauter neuen Häusern und Straßen, in der die Angestellten und Arbeiter des Werks Quro lebten. Das Werk Quro war das erste und einzige Atomwerk Brasiliens, verbunden mit einem reich ausgestatteten Forschungsinstitut, das von Professor Herbert Morley geleitet wurde. Die Brasilianer hatten ihn sich aus Amerika geholt. Morley war nicht der einzige Amerikaner, dem man in Quro begegnete. Margret Morley, die Tochter Herbert Morleys, empfing an diesem Tag zwei Besucher, die sie noch nicht kannte. Sie war eine hübsche junge Frau, die aber im Augenblick Kummer hatte. Sie sah bedrückt aus und war sicher nicht erpicht darauf, sich mit fremden Besuchern zu unterhalten. »Mein Vater ist leider nicht zu sprechen«, sagte sie, während sie teils neugierig, teils scheu versuchte, mit der kraftvollen Erscheinung und dem leuchtenden Gesicht Sun Kohs fertig zu werden. »Er befindet sich im Werk.« »Er wird irgendwann nach Hause kommen«, sagte Sun Koh freundlich. 5
»Erst am späten Abend, und dann ist er erst recht nicht zu sprechen.« »Wichtigtuer«, murmelte Hal Mervin, verzichtete aber auf mehr, als ihn ein Blick von Sun Koh traf. »Vielleicht brauchen wir ihn gar nicht zu belästigen«, meinte Sun Koh. »Eigentlich suche ich nämlich nicht Ihren Vater, sondern Ihren Onkel, Jim Morley. Wenn Sie mir sagen können, wo ich ihn finde …« Margret Morley schüttelte den Kopf. »Nein.« »Das heißt?« »Ich weiß es nicht. Und Vater wird es auch nicht wissen.« Sun Koh lächelte. »Sie wollen es nicht sagen, nicht wahr?« Sie ließ sich von dem Lächeln anstecken. »Aber nein, ich habe keine Geheimnisse. Es ist schon schlimm genug, daß wir hier leben und jeder so geheimnisvoll tut. Genau genommen dürften Sie ja überhaupt keine Fragen stellen und ich keine beantworten, wenn nicht jemand von Kapitän Roncos Leuten dabei ist. Ich lasse mich aber nicht darauf ein. Ich weiß tatsächlich nicht, wo sich Onkel Jim aufhält. Und Vater sicher auch nicht. Warum suchen Sie Onkel Jim?« »Ich bin der Leiter eines größeren Industrieunternehmens, Miß Morley«, erklärte er. »Durch Zufall 6
kamen mir Aufzeichnungen und Skizzen eines Ingenieurs Jim Morley in die Hand, die eine bestimmte Methode zu bergmännischen Arbeiten betreffen. Sie waren schon einige Jahre alt, aber sie interessierten mich aus bestimmten Gründen, so daß ich versuchte, diesen Jim Morley ausfindig zu machen. Ich stieß dabei auf Ihren Vater. Er muß zumindest über die Arbeiten Ihres Onkels unterrichtet sein, denn die erwähnte Methode setzt atomphysikalische Möglichkeiten voraus, die ihm nur Ihr Vater liefern konnte.« »Ja, ja, ich weiß«, sagte sie zutraulich. »Es gab einmal eine Zeit, in der Vater und Onkel Jim fast jeden Abend miteinander stritten, als ob sie sich die Köpfe einschlagen wollten. Aber das war noch in Amerika. Und heute wird Vater nicht einmal wissen, wo sich Onkel Jim befindet.« »So ein großes Geheimnis?« »Vielleicht überhaupt keines«, erwiderte sie zögernd. »Vater wird durch seine Arbeit in Anspruch genommen und vergißt darüber alles andere. Er vergißt sogar, daß ich auch noch da bin und daß …« Sie brach ab, drehte den Kopf zur Seite und trat näher an das Fenster. Sie wollte offenbar Zeit gewinnen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. »Verzeihen Sie«, bat Sun Koh. »Ich wollte selbstverständlich an nichts rühren, was Ihnen Kummer bereitet.« »Ach, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, 7
seufzte sie und drehte sich wieder um. »Wenn Sie einige Stunden in Quro bleiben, erfahren Sie es doch. Die ganze Stadt weiß Bescheid. Vater hat seinen ersten Assistenten fristlos entlassen, und Frederic Gilder ist mein Verlobter. Frederic steht unter dem Verdacht, wichtige Papiere gestohlen und verkauft zu haben, und ich kann Vater nicht einmal dazu bringen, mit mir darüber zu sprechen.« »Ich verstehe«, sagte Sun Koh. »Eine vernichtende Anklage, nicht wahr? Immerhin – solche Dinge sollten sich aufklären lassen.« Sie hob die Schultern und ließ sie resigniert sinken. »Es ist keine offizielle Anklage. Sie wurde weder formuliert noch ausgesprochen. Vater hat Frederic ohne Angabe von Gründen entlassen. Hier gibt es zwar Polizei und einen eigenen Werksdienst, aber was sollen beide unternehmen, solange Vater schweigt? Und hier gibt es so viel Geheimnistuerei, daß einer dem anderen nicht richtig traut und jeder dem anderen alles zutraut.« »Das Übliche im Bereich solcher Forschungsstätten. Und man sagt Ihrem Vater außergewöhnliche Erfolge nach.« »Ja«, bestätigte sie bitter. »So außergewöhnliche Erfolge, daß sie ihn in Amerika auslachten und er hierher ging. Ich würde lieber in meiner Heimat leben und wieder einen Vater haben. Und wenn gar noch 8
mein Verlobter … Aber entschuldigen Sie, ich will Sie nicht mit meinen persönlichen Sorgen belästigen. Ich möchte Ihnen nur klarmachen, daß Sie meinen Vater kaum sprechen können und daß es überhaupt zwecklos sein wird, ihn nach Onkel Jim zu fragen.« »Nun, ich könnte es immerhin versuchen«, sagte Sun Koh und verabschiedete sich. * Zur gleichen Stunde standen sich Frederic Gilder und Greer Tuttle, genannt Skinny, in einem Hotelzimmer gegenüber. Frederic Gilder sah wirklich nicht wie ein Verräter aus, obwohl er wegen Preisgabe wichtiger Forschungsgeheimnisse fristlos entlassen worden war. Er besaß ein kluges klares Gesicht, das einen gefestigten Charakter verriet. Wenn er auch sonst vielen anderen Männern um die Dreißig herum glich, lag doch nichts in ihm, was auf verbrecherische Neigungen schließen ließ. Greer Tuttle konnte sich darauf verlassen, daß er keinen Doppelgänger besaß. Er war normal groß, doch seine Größe war kein Blickfang. Greer Tuttle ließ sich nur in der Breite messen. Er vermittelte die Vision, daß ihm jeder Türrahmen zu eng sein müsse. Die meisten Leute hielten ihn für breiter als hoch. Sicher war das übertrieben, wenn auch verständlich. 9
Greer Tuttle stand wie auf Säulen, sein Leib war eine weitgeschweifte Tonne, und seine Arme hingen wie Keulen an der breiten Brust. Dabei wirkte Greer Tuttle keineswegs dick und schwammig. Er war ein Klumpen von Fleisch, ein untersetzter Muskelkoloß, dessen vermutbare Kräfte empfindsamen Menschen ein Gruseln einjagten. Greer Tuttle hatte manches von einem Elefanten an sich. Der Vergleich drängte sich nicht nur von der Körpermasse her auf. Auch das Gesicht erinnerte an das eines Elefanten, obgleich es breit und flach war. Die Ähnlichkeit lag zunächst in den Augen, die erstaunlich klein waren und von einem Kranz lederner Falten umgeben wurden. Sie lag weiter in der eigentümlichen fünfeckigen Stirnpartie, die an der Spitze wie bei einem Elefanten herausbuckelte. Greer Tuttle hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. Die Haut des nackten Schädels zeigte keine rosige Farbe, sondern erinnerte eher an graues Leder. Wenn Greer Tuttle die Stirnfalten hochschob, so daß sie gegen den oberen Höcker stießen, dann sah er genauso aus wie ein Elefant, und zwar wie ein bösartiger, tückischer Elefant. Greer Tuttle hütete sich natürlich im allgemeinen, diesen Ausdruck zu zeigen. Normal blinzelte er wohlwollend seine Mitmenschen an und erzeugte den Eindruck eines Mannes, der bei aller Kuriosität, aber nur mäßigen Geistesgaben, als umgänglicher Gesellschafter gelten mochte. 10
Er versuchte es auch jetzt mit Freundlichkeit. »Sie sind natürlich überrascht«, sagte er grinsend, während er eine Reihe von Blättern zusammenschichtete. »Kann ich mir denken. Ich hielt es aber für richtig, Sie zu unterrichten.« Frederic Gilder riß sich gewaltsam aus seiner Verstörung. »Wie – wie kommen Sie zu diesen Papieren? Sie sind nicht sehr wichtig, aber es sind meine eigenen Aufzeichnungen, und sie stammen aus dem Panzerschrank von Mister Morley. Ich begreife nicht…« »Wieso begreifen Sie nicht?« Greer zwinkerte vertraulich. »Sie haben doch schon zugegeben, daß es Aufzeichnungen von Ihrer eigenen Hand sind. Und Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, daß außer Morley und Ihnen noch jemand Schlüssel zu dem bewußten Panzerschrank besaß? Wieviel haben Sie bei dem Verkauf herausgeholt? Oder ist das Geschäftsgeheimnis, he?« Frederic Gilder sprang auf. »Sie wagen es, mich zu beschuldigen …« Er wollte sich auf Greer Tuttle stürzen, doch dieser drückte ihn mit einem kurzen Ruck in den Sessel zurück und warnte: »Vorsicht, Gilder. Den wilden Mann lasse ich mir nicht vorspielen. Wenn Sie Ihre Hände nicht in acht nehmen, gebe ich Ihnen eins drauf. Ich habe Sie hierherkommen lassen, um mit Ihnen vernünftig zu verhandeln.« 11
»Vernünftig verhandeln?« fuhr Gilder hoch. »Sie wollen mir ins Gesicht sagen, daß ich diese Papiere verkauft habe? Das ist eine Unverschämtheit!« Greer Tuttle schüttelte den Kopf. Er sah jetzt erheblich weniger freundlich aus und knurrte grob: »Machen Sie keine Flausen. Morley weiß sicher ganz genau, warum er Sie fristlos entlassen hat. Oder stimmt das etwa auch nicht?« Frederic Gilder atmete schwer. Das war es. Morley hatte ihn entlassen. Er mußte erfahren haben, daß Papiere aus dem Panzerschrank fehlten. »Er hätte wenigstens mit mir sprechen können«, murmelte er aus seinen Gedanken heraus. »Das muß sich aufklären lassen. Ich bin kein Verräter.« Greer Tuttle hob die breiten Schultern und bemerkte abfällig: »Von mir aus können Sie sein, was Sie wollen. Kommen wir zur Sache. Mir fehlt ein Bericht über Morleys letzte Arbeiten. Sie sind bis vor einigen Tagen dabei gewesen und wissen Bescheid. Diesen Bericht brauche ich. Ich zahle zehntausend.« Frederic Gilder würgte. »Das ist – das ist…« »Vielleicht auch zwanzig, wenn der Bericht ausführlich genug ist«, ergänzte Greer Tuttle. Frederic Gilder stöhnte in seiner Verwirrung. »Herrgott, träume ich, oder bin ich verrückt? Sie scheinen allen Ernstes anzunehmen, daß ich Ihnen einen solchen Bericht über unsere geheimsten For12
schungsarbeiten liefere. Das ist – geradezu unfaßbar! Ich bin doch kein Verräter!« »Das haben Sie schon einmal gesagt«, knurrte Greer Tuttle unwillig. »Lassen Sie das Theater. Mehr als zwanzigtausend kann ich nicht zahlen. Und Sie werden dafür liefern, sonst…« »Sonst?« Greer Tuttle sah jetzt recht tückisch aus. »Sonst bin ich weniger rücksichtsvoll als Morley und liefere Sie ans Messer.« Da verlor Frederic Gilder die Beherrschung. Er stürzte sich auf Tuttle. Bevor jedoch seine Hände ein Ziel fanden, traf ihn ein Schlag gegen den Magen, so daß er zurückflog. »Ich habe Sie gewarnt«, murrte Greer Tuttle nach einer Weile. »Mit solchen Kindereien dürfen Sie mir nicht kommen. Wann erhalte ich den Bericht?« Frederic Gilder streckte sich mühsam. »Nie! Ich habe keine Papiere gestohlen und verkauft. Ich werde auch keinen Bericht liefern. Aber ich werde diese Sache der Überwachung melden.« Greer Tuttle zuckte zusammen und blinzelte gefährlich. »So«, sagte er gedehnt. »Von dieser Seite wollen Sie mir kommen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie Sie erklären wollen, daß diese Papiere von Hand zu Hand gehen? Und was wollen Sie sagen, wenn Morley den Mund auftut und Sie schlankweg 13
bezichtigt? Pah, laufen Sie nur los. Schneller können Sie überhaupt nicht ins Zuchthaus kommen.« Frederic Gilder senkte den Kopf. Er begriff vollkommen seine Situation. Was immer er auch unternahm, er traf sich selbst. Niemand würde an seinem Verrat zweifeln. Das Schlimmste war, daß Morley gegen ihn aussagen würde. Wenn Morley an seine Schuld glaubte, blieb alles hoffnungslos. Es gab nur eine Möglichkeit – eine Aussprache mit Morley. Dann konnte dieser Kerl gestellt werden. »Na?« drängte Greer Tuttle. Frederic Gilder stemmte sich schwerfällig hoch. »Sie befinden sich in einem Irrtum, Mister Tuttle«, sagte er fest. »Von mir können Sie nichts bekommen. Die ganze Sache mit meiner Entlassung muß ein Mißverständnis sein. Ich werde mich mit Mister Morley in Verbindung setzen und versuchen, alles aufzuklären. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« »Mit Morley wollen Sie sich in Verbindung setzen?« brummte Tuttle unwirsch. »Na, schön, wenn Sie es nicht anders haben wollen. Gescheiter wär’s, Sie würden auf mich hören. Jedenfalls warte ich auf Ihren Bericht, und Sie werden gut daran tun, sich die Sache genau zu überlegen.« Frederic Gilder antwortete nicht mehr. Er ging stumm zur Tür. Greer Tuttle hielt ihn nicht zurück.
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Captain Ronco gehörte zu den Männern, die von der anderen Straßenseite her auf dreißig Jahre geschätzt werden. In der Nähe mußte man ihm allerdings fast zwanzig Jahre zugeben. Die Schläfen, die sein jugendliches Gesicht rahmten, waren bereits völlig grau, und in seinem Wesen lag eine kühle Besonnenheit, wie sie im allgemeinen nur die Erfahrung von Jahrzehnten verleiht. »Ich freue mich, daß Sie zu mir gekommen sind«, sagte er am nächsten Vormittag, als Sun Koh ihn in seinem Dienstraum aufsuchte. »Sie ersparen mir einige Mühe. Bitte, nehmen Sie Platz.« »Stehe ich bereits auf Ihrer Liste der Verdächtigen?« fragte Sun Koh lächelnd. »Haben Sie ein schlechtes Gewissen?« »Nicht unbedingt. Ich stelle mir nur vor, daß Sie sich um jeden Fremden in dieser Stadt kümmern.« Ronco nickte. »Erraten. Das gilt vor allem für Fremde, die fünf Minuten nach ihrer Ankunft einen Besuch bei Miß Morley machen. Sie sehen, daß ich Ihnen meine Karten offen auf den Tisch lege. Und das ist sonst nicht meine Gewohnheit.« »Sie wollen mich bestechen, Capt’n«, erwiderte Sun Koh trocken. »Aber gut, es kann nichts schaden, wenn ich meine Karten ebenfalls auf den Tisch lege. Was meinen Sie hierzu?« Er legte einige beschriebene Blätter auf den Tisch, 15
die er aus seiner Brieftasche genommen hatte. Ronco griff danach und begann, sie zu überfliegen. Er stutzte, blickte zu Sun Koh hin, überflog die Blätter flüchtig weiter und fragte schließlich düster: »Sie kennen den Inhalt?« »Selbstverständlich. Es handelt sich um Aufzeichnungen von Professor Morley. Sie betreffen gewisse Versuchsreihen, die auf eine Zertrümmerung von Neutronen- oder gar Mesonenstrukturen hinzielen.« »Das hat mir gerade noch gefehlt!« seufzte Ronco. »Darf ich fragen, wie Sie zu diesen Aufzeichnungen gekommen sind?« »Gewiß. Vor einiger Zeit wurde mir ein außergewöhnliches Verfahren zur Abteufung von Schächten und zu Tunnelbohrungen angeboten. Darin liegt nichts Besonderes. Ich vertrete einen größeren Konzern, an den laufend Erfinder und Interessenten aller Art herantreten. Dieses Verfahren interessierte uns. Es stammte von einem gewissen Jim Morley und beruhte auf atomaren Prozessen. Das wurde durch die Beigabe dieser Aufzeichnungen, die offenbar schon älteren Datums sind, belegt. Unsere Nachforschungen ergaben, daß Jim Morley der Bruder des Kernphysikers Herbert Morley ist, der vor Jahren die Staaten verließ und einem Ruf der brasilianischen Regierung folgte. Jim Morley selbst konnte noch nicht gefunden werden. Ich kam nur hierher, um von Professor Morley seinen Aufenthalt zu erfahren. Ich 16
konnte ihn noch nicht sprechen, erfuhr aber von seiner Tochter, daß er seinen Chefassistenten entlassen hat und daß verschwundene Papiere dabei eine Rolle spielen. Ich glaube zwar nicht, daß es sich um diese Aufzeichnungen handelt, aber ich hielt es für richtig, Sie zu unterrichten.« »Sehr liebenswürdig von Ihnen«, sagte Ronco wieder verbindlicher. »Immerhin – Professor Morley wird diese Aufzeichnungen wohl kaum von sich aus weitergegeben haben. Ich vermute, daß Ihnen die Papiere von einem Agenten angeboten wurden?« »Ganz recht.« »Aha. Und ich halte es für sicher, daß sie von irgendwem aus dem Stahlschrank des Professors herausgeholt wurden.« »Dazu kann ich nichts sagen. Ich vermutete bisher, daß sie Jim Morley entwendet wurden.« »Hm, auch das kann man natürlich nicht ausschließen. Ich habe noch nie etwas von einem Bruder des Professors gehört, aber ich werde den Professor darüber befragen. Ich fürchte nur, daß er mir wieder etwas vorlügen wird, um Gilder zu decken.« »Das verstehe ich nicht«, wunderte sich Sun Koh. »Wenn er ihn von sich aus entlassen hat…« »Das ist es ja«, fiel der Captain erregt ein. »Er hat ihn Knall auf Fall entlassen, und es ist kein Geheimnis, daß wichtige Papiere verschwunden sind. Sie wurden in einem Stahlschrank im Institut aufbe17
wahrt, zu dem nur Morley und Gilder Schlüssel besaßen. Gilder war außer Morley der einzige, der die Papiere an sich nehmen konnte. Andererseits hat mir Morley mit allem Nachdruck erklärt, daß keine Verfehlungen vorliegen und daß die Entlassung Gilders aus Gründen erfolgte, die mit seiner Arbeit nicht das Geringste zu tun haben. Er hat uns sogar zur Bedingung gemacht, daß wir Gilder nicht belästigen. Sie können sich ja wohl denken, daß die Verhältnisse bei so wichtigen Persönlichkeiten wie Morley aus dem üblichen dienstlichen Rahmen herausfallen. Wir müssen seinem Wunsch entsprechen und ihm Glauben schenken, obgleich sich an den Fingern abzählen läßt, daß er ihn nur seiner Tochter wegen decken wollte. Rundheraus gesagt – für mich gilt er als überführt. Mit diesen Papieren in der Hand werde ich nun auch gegen Morley angehen.« Das Telefon summte. Ronco hob den Hörer und lauschte. »Bringen Sie ihn zu mir«, sagte er gleichmütig, legte auf und wandte sich an Sun Koh: »Mister Gilder möchte mich sprechen.« Sun Koh erhob sich. »Vielleicht klärt sich damit die Angelegenheit auf, Capt’n. Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie mir das Ergebnis mitteilten.« Ronco überlegte. »Hm, es könnte nichts schaden, wenn Sie gleich 18
hierblieben. Ich brauche Sie ohnehin als Zeugen, falls er mir ein Märchen wegen dieser Papiere erzählen will. Zum amtlichen Verhör habe ich immer noch Zeit.« »Wie Sie meinen.« Frederic Gilder trat bereits ein. Er war sichtlich unruhig, wenn auch entschlossen. Die Anwesenheit von Sun Koh erschreckte ihn. Als er jedoch den Namen hörte, hellte sich seine Gesicht auf. »Miß Morley hat mir von Ihnen erzählt. Nein, bleiben Sie nur, Sie wissen ja ohnehin von dieser Sache.« Sun Koh war von dem ersten Eindruck, den Frederic Gilder auf ihn machte, immerhin überrascht. Er hatte sich den unbekannten Gilder nach allem, was die Umstände über ihn aussagten, anders vorgestellt. Das war ein Mensch voll Nervosität und Unsicherheit. »Es ist mir schwergefallen, hierher zu kommen, Capt’n«, begann Gilder leise. »Ich glaube aber, es ist doch das Richtigste, was auch immer daraus entstehen mag.« »Sprechen Sie sich getrost aus«, ermunterte Ronco. Frederic Gilder atmete merklich auf. »Ich befinde mich in einer ekelhaften Lage und weiß nicht, wie ich herauskommen soll. Sie wissen, daß ich von Professor Morley entlassen wurde. Die 19
Gründe sind mir unbekannt. Ich sehe es aber an den Augen der Leute, was sie denken. Doch davon will ich nicht sprechen. Gestern nachmittag bestellte mich ein gewisser Greer Tuttle zu sich ins Hotel ›Maryland‹. Er wollte mich im Zusammenhang mit meiner Entlassung sprechen. Ich ging hin, weil ich dachte, er könnte mir eine Aufklärung geben. Hier ist das Schreiben.« Ronco nahm es. »Berichten Sie weiter.« »Dieser Tuttle legte mir einen ganzen Stoß von Versuchsnotizen vor, die ich selbst niedergeschrieben habe. Es handelt sich um Papiere, die ich im Panzerschrank glaubte. Er behauptete freiweg, ich hätte die Papiere gestohlen und verkauft. Er verlangte von mir, ich sollte ihm einen Bericht über die letzten Forschungsarbeiten liefern. Er wollte zwanzigtausend Dollar dafür zahlen. Im Weigerungsfall drohte er mir mit der Anzeige bei Ihnen.« »Was haben Sie getan?« »Ich – ich bin davongelaufen«, gestand Gilder bedrückt. »Versetzen Sie sich in meine Lage. Die Papiere und die Entlassung – jeder Mensch muß mich für einen Verräter halten. Dabei habe ich doch gar nichts getan.« »Ich glaube Ihnen gern, Mister Gilder. Jedenfalls spricht es für Sie, daß Sie zu mir gekommen sind.« »Ich habe die ganze Nacht hin und her überlegt. 20
Ich weiß nicht, warum ich entlassen wurde, und ich weiß nicht, wie Tuttle zu diesen Papieren gekommen ist. Außerdem ist es zu gefährlich, wenn solche Papiere aus Morleys Panzerschrank verschwinden. Solange ich mich nicht stelle, wird alles auf mich abgeschoben. Ich dachte mir, wenn ich mit Ihnen rede, könnten Sie vielleicht versuchen, die Sache aufzuklären, selbst wenn ich zunächst verdächtig bin.« Ronco nickte beifällig. »Zweifellos ein sehr vernünftiger Gedanke. Irgendwer muß die Papiere gestohlen haben, das ist sicher. Können Sie uns vielleicht einen Hinweis geben?« Frederic Gilder schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das kann ich nicht. Zu dem Schrank existieren nur zwei Schlüssel. Einen besaß Professor Morley, den anderen ich. Ich habe mein Exemplar abgeliefert. Wenn es weitergegeben wurde, dann allenfalls an Doktor Willis. Aber ich hatte den Eindruck, daß Tuttle die Papiere schon länger besitzt.« »Doktor Willis ist der zweite Assistent von Morley, nicht wahr?« »Ja.« »Was halten Sie von ihm?« Gilder zögerte. »Wir waren keine Freunde. Ich hatte manchmal den Eindruck, daß er mich wegen Miß Morley beneidete. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube nicht, daß er in diese Sache verwickelt ist. 21
Jedenfalls habe ich nie bemerkt, was mich zu einem Verdacht berechtigen würde.« »Trotzdem wurden die Papiere aus dem Panzerschrank herausgenommen. Wenn Sie es nicht waren, muß ein anderer seine Hand im Spiel haben.« »Ich weiß, aber es ist schwer, jemanden zu beschuldigen. Professor Morley vergaß wiederholt den Schlüssel, wenn er seine Sachen wechselte. Wenn jemand das auszunutzen verstand …« »Es sieht fast danach aus«, bemerkte Sun Koh und reichte ihm die Blätter, die zuvor Ronco überflogen hatte. »Was meinen Sie zu diesen Aufzeichnungen?« »Mein Gott!« stöhnte er. »Das sollte ganz unten im Panzerschrank liegen. Wie kommen diese Papiere in Ihre Hände?« »Unwichtig!« Ronco griff schnell wieder ein. »Sie kennen also diese Aufzeichnungen?« »Ja, ja, natürlich«, bestätigte Gilder schwerfällig. »Ich habe ja schon in Amerika für den Professor gearbeitet. Sie sind schon eine Reihe von Jahren alt, aber es handelt sich um die entscheidenden Versuchsreihen für die Auflösung gewisser atomarer Strukturen. Sie besitzen heute keine besondere Bedeutung mehr, aber…« Er schloß mit einem Schulterzucken ab, das seine Ratlosigkeit ausdrückte. Sun Koh beugte sich vor. »Sie besaßen seinerzeit viel Bedeutung für Jim Morley, nicht wahr?« 22
Gilder erschrak, dann verschloß sich sein Gesicht. »Jim Morley? Sie meinen den Bruder des Professors?« »Ja.« »Ich erinnere mich an ihn – wenigstens flüchtig. Ich verstehe aber nicht – ich glaube nicht, daß er sich überhaupt für die Arbeiten des Professors interessierte. Er war Ingenieur.« Sun Koh lächelte flüchtig über das durchsichtige Ausweichmanöver. »Nun, er konstruierte immerhin eine Maschine, die auf den Erkenntnissen seines Bruders beruhte.« Gilder wurde unter den forschenden Blicken steifer und zugleich wachsamer. »Davon ist mir nichts bekannt.« »Aber Sie können mir sagen, wo sich Jim Morley aufhält?« »Nein.« »Gehört das zu den Dingen, über die Sie schweigen müssen?« »Ja – das heißt, ich wollte sagen, ich weiß es tatsächlich nicht.« »Und Professor Morley?« »Ich – ich glaube nicht«, erwiderte Gilder unsicher. »Sie müßten ihn selbst fragen.« »Er scheint nicht gern Besucher zu empfangen?« »Er ist stark beschäftigt«, seufzte Gilder. »Mir ist es selbst noch nicht gelungen, eine Aussprache mit 23
ihm zu erreichen, obgleich ich ihn sogar schriftlich darum gebeten habe. Ich verstehe das alles nicht, und …« Er brach resigniert ab. Captain Ronco nahm seinen Faden wieder auf. »Jedenfalls werde ich mich vor allem um diesen Tuttle kümmern. Wir haben schon ein Auge auf ihn, konnten aber bisher noch nichts Verdächtiges feststellen. Da er jedoch gestohlene Papiere in seinem Besitz hat, wird es leichtfallen, ihn festzunageln.« »Dann wäre er ein reichlich harmloser Agent«, sagte Sun Koh. »Wenn er Mister Gilder überwacht und festgestellt hat, daß er sich an Sie wandte, wird er sich entsprechend eingerichtet haben.« »Hm, das ist allerdings zu befürchten«, gab Ronco zu. »Sie entschuldigen.« Er begann zu telefonieren. Wenige Minuten später wußte er, daß Greer Tuttle sein Hotel verlassen hatte. 2. Gegen Abend erhielt Frederic Gilder durch einen Boten endlich die Antwort auf das Schreiben, mit dem er Professor Morley um eine Unterredung gebeten hatte. Es war nur von Dr. Willis unterzeichnet worden, besagte aber alles, was sich Gilder gewünscht hatte. »Herr Professor Morley bittet Sie, heute abend, 24
zwanzig Uhr wegen der gewünschten Aussprache im Zimmer 16 zu erscheinen.« Endlich! Unter vier Augen mußte sich alles aufklären. Fünf Minuten vor zwanzig Uhr betrat er Raum 16, den Vorraum zum Allerheiligsten Morleys. Nebenan befand sich die Versuchsstation, in die außer Morley und seine Assistenten selten ein Mensch hineinkam. An den Vorraum schloß sich der eigentliche Arbeitsraum von Morley an, der zugleich Beobachterstation mit allen Spezial-Sicherungen war, weiter zurück kam dann der große Saal mit dem Mammutbeschleuniger. Das Zimmer war leer. Durch die Wände drang das dumpfe, schwere Dröhnen des Beschleunigers. Morley war noch bei der Arbeit. Frederic Gilder wartete. Punkt zwanzig Uhr wurde die Wache im Pförtnerhaus angerufen. »Hier spricht Doktor Willis. Mir fällt eben ein, daß Professor Morley für zwanzig Uhr Mister Gilder nach Raum 16 bestellt hat. Wenn er kommt, lassen Sie ihn durch einen Mann hereinführen. Es ist besser, wenn er nicht allein bleibt, solange der Professor noch bei der Arbeit ist.« »Aber – aber Mister Gilder ist doch schon vor zehn Minuten durchgegangen.« »Allein?« 25
»Ja. Wir dachten …« »Das ist ein unverzeihlicher Leichtsinn«, unterbrach Doktor Willis scharf. »Sie wissen doch, daß Mister Gilder entlassen wurde. Schicken Sie sofort einen Mann hinterher.« »Sehr wohl, Mister Willis.« Frederic Gilder wartete. Er zuckte zusammen, als durch die Wände hindurch ein matter Knall drang. Plötzlich öffnete sich die Tür, auf die er blickte. Sie wich langsam zurück, als wäre sie von einer Hand aufgestoßen worden. Da waren die Stufen, die auf das niedrige Podest führten, dahinter all die vertrauten Apparate… Frederic Gilder fuhr in jähem Entsetzen zurück. Was war das? Über den Instrumenten bewegte sich eine durchsichtige gespenstische Erscheinung. Wie das verzerrte Gesicht eines riesigen Dämons sah das aus, ein grünlich leuchtender Spuk, wie eine breitgezogene Teufelsfratze mit höllischen Augen. Da verwehte es schon, und plötzlich sah Gilder etwas anderes, das ihn noch mehr erschreckte. Auf dem Boden des Podests lag Professor Morley lang ausgestreckt. Ein Unglücksfall? Gilder riß sich hoch. Der Beschleuniger arbeitete. Dort drüben hämmerten viele Millionen Elektronen26
Volt. Oh, er kannte dieses unheimliche Knistern in der Beobachtungsstation, wenn die Isolierung der Luft in das gefährliche Stadium kam. Er stürzte hinüber. »Professor! Mister Morley!« Er rüttelte, aber Morley rührte sich nicht. Steif wie im Krampf lag er auf der Isolierschicht. Aber was war das? Rote Flecke drangen unter seinem Körper hervor. »Blut?« flüsterte Gilder verständnislos und blickte auf seine rechte Hand, an der er jetzt ebenfalls Blut entdeckte. Er wollte sich zum zweitenmal niederbeugen, da mahnte ihn der knisternde Spuk in der Luft ringsum. Herrgott, da fauchten tatsächlich schon blaue und grüne Sekundärstrahlen der Emission um die dickleibige Fangkapsel herum, in der die Elemente zusammengezwungen wurden. Gilder vergaß allen persönlichen Kummer. Zwei Minuten lang war er nichts als ein präzises Gehirn zwischen übermenschlichen Apparaturen. Stufe um Stufe schaltete er zurück. Als das dumpfe Dröhnen versank und er wieder mit seinem Bewußtsein in den Raum zurückkehrte, sah er einen Mann neben Morley knien. Das war Sergeant Gonzales von der Überwachung. Wieso? Der Sergeant drückte sich hoch, als Gilder auf ihn zukam, und murmelte erschüttert: »Was haben Sie 27
bloß angestellt, Mister Gilder? Das hätten Sie nicht tun dürfen. Das nicht.« Gilder starrte ihn verständnislos an. »Was – Sie denken doch nicht etwa …« Da kam Willis hereingelaufen. Er war sichtlich aufgeregt. »Was ist denn los? Der Professor wollte doch …« Er brach ab, prallte vor dem Leblosen zurück und fragte leiser: »Was – was ist denn vorgefallen?« Der Sergeant straffte sich. »Tut mir leid, Mister Willis. Er ist tot. Erschossen!« »Erschossen?« stöhnte Gilder. »Erschossen?« wiederholte Willis fassungslos. Gleich darauf wandte er sich jedoch aufgebracht an Gilder: »Das werden Sie verantworten müssen, Gilder. Welcher Wahnsinn! Einen Mann wie Morley! Aber ich habe ihn gewarnt. Ich konnte mir denken, was Sie planen. Ich…« »Sind Sie verrückt?« schrie Gilder ihn an. »Ich habe ihn doch nicht getötet! Als die Tür aufging, lag er bereits so da, und …« Der Sergeant faßte ihn am Arm und unterbrach: »Das hat keinen Zweck, Mister Gilder. Die Untersuchung wird alles aufklären. Da liegt Mister Morley und dort der Revolver. Ich muß Sie bitten, mit nach nebenan zu kommen, damit hier alles unberührt bleibt.« 28
Gilder folgte widerstandslos und benommen in den Vorraum. Während der Sergeant telefonierte, versuchte er, Klarheit zu gewinnen. Willis ließ ihn nicht aus den Augen. Er beugte sich zu Gilder vor und flüsterte: »Eine böse Patsche für Sie, Gilder. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Machen Sie die Sache durch Leugnen nicht noch schlimmer, als sie ohnehin ist. Vielleicht können Sie mildernde Umstände herausholen.« Gilder würdigte ihn keiner Antwort. Gleich darauf trat Inspektor Peiro mit zwei Leuten ein. Er ließ sich kurz berichten und ging dann allein hinüber. Als er zurückkam, schloß er die Tür behutsam hinter sich. »Die Kommission wird bald eintreffen. Ich denke, die Angelegenheit wird sich schnell aufklären lassen. Die Waffe trägt deutliche Fingerabdrücke. Wahrscheinlich kommen Sie mit einem Geständnis am weitesten, Mister Gilder.« »Ich habe ihn nicht getötet«, erklärte Gilder fest. »Ich habe hier gewartet, und …« »Seien Sie doch nicht so kindisch«, unterbrach Willis erregt und höhnisch zugleich. »Was hier vorgegangen ist, sieht jedes Kind. Wir wissen schließlich alle, daß Sie wegen Verrats entlassen wurden. Morley wollte Sie schonen, aber mir gegenüber erwähnte er, daß ihm eine ganze Reihe von Papieren fehlt. Sie wollten sich an ihm rächen, weiter nichts. Ich habe 29
drüben noch den Brief, den Sie an Morley geschrieben haben. Er wollte Ihnen um seiner Tochter willen den Kopf zurechtrücken. Deshalb bestellte er Sie her. Sie waren hier zehn Minuten allein, und der Sergeant kann bezeugen, wie er Sie und den Professor vorgefunden hat. Warum wollen Sie noch alles abstreiten?« Der Inspektor nickte. »Offengestanden frage ich mich das auch, Mister Gilder. Die Angelegenheit ist wirklich sonnenklar.« »Ich habe ihn nicht ermordet«, wiederholte Gilder stumpf. Die Tür wurde wieder geöffnet. Captain Ronco trat mit einigen Herren ein. Der Inspektor berichtete ihm, was vorlag. Ronco hörte aufmerksam zu, doch sein Blick lag dabei auf Gilders Gesicht. Als der Inspektor schwieg, ging Ronco zum Nebenraum. »Sehen wir uns die Geschichte erst einmal an.« Er öffnete die Tür und trat ein, wandte sich aber gleich darauf wieder erstaunt zurück. »Wo liegt der Tote, Inspektor?« »Auf dem Podest«, gab der Inspektor Auskunft. »Vielleicht zeigen Sie ihn mir?« Der Inspektor starrte sprachlos in den Raum hinein. Er vergaß, seinen Mund wieder zu schließen. Hinter ihm erging es dem Sergeant und den beiden Wissenschaftlern kaum anders. Dort lag die Waffe – dort zeichnete sich der Blut30
fleck auf dem hellen Boden ab – aber Professor Morley war verschwunden. Weg! Keine Spur von einem Toten! Der Captain drehte sich um und musterte die verblüfften Gesichter hinter sich. »Wer hat den Tod des Professors festgestellt?« »Er lag reglos in seinem Blut«, erklärte der Inspektor. »Er bewegte sich nicht«, würgte der Sergeant. »Und das Blut…« »Ich habe ihn angefaßt«, murmelte Gilder. »Er war ganz steif.« »Todesstarre unmittelbar nach dem Schuß, nicht wahr?« quittierte Ronco bissig. »Mir scheint, die Herren sind einer Halluzination zum Opfer gefallen. Jedenfalls lösen sich Tote nicht einfach in Luft auf. Vielleicht wird das nächstes Jahr Sitte, aber vorläufig noch nicht.« »Aber er war doch tot«, sagte Willis heiser. »Ich habe doch – ich habe es doch gesehen.« »Was haben Sie gesehen?« fragte Ronco scharf. Willis zog den Kopf ein. »Nichts. Ich meinte nur – ich dachte …« Der Captain ging darüber hinweg. »Gibt es hier noch einen zweiten Ausgang?« »Ja, gewiß«, sagte Willis schnell. »Es ist allerdings – es handelt sich um einen Toilettenraum, der von außen verschlossen ist.« 31
Ronco ging bereits auf die unauffällige Tür an der anderen Wandseite zu. Auf dem Drücker befand sich ein verschmierter Blutfleck. Hinter der Tür lag der übliche Waschraum. Die jenseitige Tür war verschlossen. Kein Schlüssel im Schloß. »Einen Hauptschlüssel, bitte.« Der Inspektor kam mit dem Universalschlüssel. Die Tür ließ sich trotzdem nicht öffnen. Willis drängte sich vor. »Das hat keinen Zweck. Die Tür ist von außen verriegelt und gesichert. Mister Morley wollte verhüten, daß jemand durch den Waschraum ins Labor kommt.« »Wer hat die Schlüssel?« »Es gab nur einen Schlüssel. Der Professor hielt ihn selbst in Verwahrung.« Der Captain blickte zu Gilder hin. »Stimmt das?« »Ja.« »Demnach müßte Mister Morley die Tür vor seinem angeblichen Tod von außen geöffnet haben.« »Das ist ausgeschlossen«, widersprach Willis nervös. »Die Tür war vorhin bestimmt verschlossen.« »Wann?« »Kurz nach zwanzig Uhr.« »Wieso können Sie das wissen?« »Ich – nun, ich bin vorbeigegangen. Der Riegel – er wäre mir bestimmt aufgefallen. Ich hatte wegen 32
Gilder telefoniert. Es ließ mir keine Ruhe, als ich hörte, daß er allein war. Deshalb bin ich herübergegangen. Mein Zimmer liegt dort drüben am Gang. Ich mußte also an der Tür vorbei. Sie war verschlossen.« Der Captain zog die Brauen zusammen. »Hm, andererseits läßt sich nicht leugnen, daß der Professor verschwunden ist. Er muß durch diese Tür hindurchgegangen sein. Inspektor, lassen Sie sofort im ganzen Werk nach dem Professor suchen.« Der Inspektor beeilte sich. Der Captain kehrte mit der ganzen Gruppe in den Vorraum zurück. »Ich muß Sie bitten, sich weiter zur Verfügung zu halten«, teilte er Gilder und Willis mit. »Vielleicht erfahren wir in Kürze mehr.« Eine Stunde später war er um diese Hoffnung ärmer. * Abermals eine Stunde später. Dr. Willis war in sein Zimmer zurückgekehrt, nachdem die Polizei das Werk verlassen hatte. Er war Junggeselle und wohnte im Werk. Willis setzte sich an seinen Tisch, starrte auf die Tischplatte und begann mechanisch mit seinen Fingerspitzen zu trommeln. Die Sache war schiefgegangen, daran gab es keinen Zweifel. Wo steckte Mor33
ley? Wie hatte er plötzlich verschwinden können? Was spielte da mit? Es war unheimlich, plötzlich unbekannte Blätter in der Hand zu haben, nachdem man die Karten selbst gemischt hatte. Willis ruckte auf. Hinter ihm öffnete sich die Tür. Gleich darauf sprang er auf seine Füße und wich entsetzt zurück. Im Türrahmen stand Professor Morley. Neben ihm tauchte der graue Kopf von Wobbs auf. »Guten Abend, Mister Willis«, sagte Morley so ruhig, wie er immer sprach. »Hoffentlich störe ich Sie nicht. Bitte machen Sie sich fertig, mir zu assistieren. Ich möchte noch einen Versuch durchführen.« Willis war zunächst unfähig, ein Wort herauszubringen. Der rechte Ärmel und die rechte Brustseite des weißen Schutzmantels, den Morley trug, zeigten breite Blutflecken. Wobbs schob sich neben ihm vor. Er war ein untersetzter älterer Mann mit ruhigem Gesicht, der ebenso für seine Schweigsamkeit wie für seine Ergebenheit gegenüber Morley bekannt war. Für das Labor galt er als Mann für alles. »Telefonieren«, mahnte Wobbs. »Verständigen Sie die Überwachung«, nahm Morley den Hinweis auf. »Erwähnen Sie nichts von mir, sondern teilen Sie nur mit, daß Sie noch einen Versuch durchführen wollen.« Willis riß sich zusammen. 34
»Sofort, Mister Morley, sofort.« Als er zum Hörer griff, stand Wobbs neben ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Sie haben verstanden, Mister Willis? Kein Wort über Mister Morley!« Willis gab mit farbloser Stimme seine Meldung durch. »Kommen Sie«, sagte Morley, nachdem Willis den Hörer niedergelegt hatte. Er blieb im Türrahmen stehen und ließ Willis an sich vorbei. Dann folgte er zusammen mit Wobbs. Nach wenigen Schritten bemerkte Willis aus den Augenwinkeln heraus, daß Wobbs den Professor am Arm hielt. Es sah aus, als müßte er Morley führen. Was war mit Morley? Warum blickte er so starr geradeaus? Hatte er etwas mit den Augen? Kurz vor der verriegelten Tür, die in den Waschraum führte, hielt Morley an. »Wir wollen gleich hier durchgehen. Schließen Sie bitte auf, Mister Willis.« »Ich – ich habe keinen Schlüssel. Wenn Sie mir den Schlüssel geben würden …« »Sie haben keinen Schlüssel?« fragte Morley mit einem sonderbaren Erstaunen. »Das überrascht mich, Mister Willis. Schließen Sie auf, Wobbs.« Etwas später standen die drei Männer im Beobachtungsraum. 35
»Ich habe einen Versuch durchzuführen, bei dem es auf genaueste Beobachtung ankommt«, teilte Morley seinem Assistenten mit. »Ich kenne die auftretenden Erscheinungen bereits aus meinen Alleinversuchen, aber es kommt mir auf die objektive Sicherung an. Sie werden die Beobachtung übernehmen, Doktor Willis. Ich notiere nach Ihrer Ansage. Sie warten nebenan, Wobbs.« Wobbs nickte und verschwand. Morley setzte sich an den kleinen Tisch, der seitlich stand. Willis übernahm die gewohnten Schaltungen. »Die Kammer?« erinnerte er. »Bleibt unbeschickt«, erwiderte Morley kurz. Der Beschleuniger begann zu dröhnen. Die Schwingungen der riesigen Magneten waren vibrierend im Boden zu spüren. Das Emissionsrohr leuchtete auf. Die Skalenzeiger ruckten herum. Drüben in der Halle stauten sich jetzt die mächtigen Felder, durch die die Deuteronen hindurchgerissen wurden. »Stufe 2«, befahl Morley. Willis schaltete mechanisch. Stufe 2 – eigentlich Unfug bei leerer Kammer. »Stufe 3.« Stufe 3? Was sollte das? »Schießen!« befahl Morley hart. Meterlang knatterten die blauen und grünen Emanationen gegen die dickbauchige Kapsel. Abfallenergie! 36
Stufe 4. Stufe 5. »Mister Morley!« beschwor Willis mahnend durch den tosenden Lärm hindurch. »Stufe 5!« wiederholte Morley schroff. Willis schaltete weiter. Es war Wahnsinn. Grenzleistung ohne jede Beschickung. Die ganze Energie in den Abfall! »Licht weg!« Die Lampen erloschen. Die Luft war voll von unheimlichem Sausen und knisterte wie von Millionen unsichtbarer Funken. Die Entladungsstrahlen jagten wie Höllenatem heraus. »Jetzt!« Willis fuhr mit einem dumpfen Aufschrei zurück. In dem Raum vor ihm stand plötzlich ein ungeheuerlicher Spuk – das grün und blau leuchtende Gesicht eines phantastischen Dämons, eine verzerrte, hohnlachende Teufelsfratze. »Sehen Sie es, Willis?« fragte Morley kalt. »Herr Professor – Mister Morley …« stöhnte Willis vom Grauen geschüttelt. »Was – was war das?« »Was war das?« fragte Morley drohend. »Sehen Sie es nicht mehr?« Willis blieb abgewandt. »Sehen Sie es an!« befahl Morley. »Öffnen Sie Ihre Augen. Sie sind Wissenschaftler. Sie müssen hinsehen, ganz genau. Die Wissenschaft kennt keinen 37
Spuk, Doktor Willis. Nichts existiert, was nicht im Verstand existiert. Es ist eine Sage, daß wir Menschen sind. Wir haben allem Menschlichen abgeschrieben, als wir Wissenschaftler wurden. Nichts als Verstand, Doktor Willis. Und nun berichten Sie. Ich schreibe.« Willis wandte sich scheu gegen das furchtbare Dämonengesicht und wandte sich schnell wieder ab. »Ich – ich kann nicht.« »Ich befehle es Ihnen«, antwortete Morley. »Was sehen Sie, Willis?« Willis zwang sich herum. Grauenhaft, dieser Spuk! Wie dieser breitgedrückte, riesige Kopf hin- und zurückpendelte, als wäre er lebend – und dabei konnte man durch ihn hindurchsehen … Der Blick auf die Instrumente hinter der Erscheinung half Willis über den ersten Schock hinweg. Kein Zweifel, dieses durchsichtige Gespenst hatte nichts Körperliches an sich. Eine Halluzination? Nein, sicher nicht, wohl aber ein sonderbares Zusammenspiel der verschiedenen Sekundärstrahlen. Das unkontrollierbare Grauen sank wie ein schwerer Klotz in Willis hinein. »Was sehen Sie, Willis?« drängte Morley. »Ich sehe ein Gesicht«, begann Willis schwerfällig. »Es ist wie das Gesicht des Teufels, aber ziemlich gedrückt. Die Stirn ist sehr breit und leuchtet 38
grün. Die Augen sind tellergroß und grellweiß, doch in der Mitte sitzen dunkle Scheiben. Die Nase gleicht einem Haken. Die Lippen – Herrgott im Himmel, es lacht – es lacht…« »Sparen Sie sich den Herrgott«, mahnte Morley kalt. »Beschreiben Sie weiter.« »Die Zähne – das sind Stummel und Lücken. Wie kleine Flammen dazwischen. Auf dem Kinn sitzen Warzen – grüne Warzen. Das Kinn ist ganz blau. Die Ohren… Oh, jetzt kommt es heran!« »Bleiben Sie stehen, Willis«, warnte Morley. »Sehen Sie noch genauer hin. Kneifen Sie die Augen nicht zusammen. Was sehen Sie noch?« Willis preßte mühsam einen Satz nach dem anderen heraus, während sich seine Hände um die Laufstange des Podests klammerten. Das Grauen flutete immer stärker in ihm hoch. Nichts mehr existierte in dieser Welt, als dieser satanische Kopf, der mit grünen, blauen, gelben und roten Farben vor ihm schaukelte und ihn höhnisch angrinste. Und dann erschienen plötzlich neben dem Kinn riesige Krallen, spitze gebogene Nägel mit zuckenden Flämmchen und die Ansätze behaarter Arme. Der furchtbare Mund klaffte zu einem Lachen auf, eine Hand griff zu. Willis schrie wild auf und warf sich zu Boden. »Hilfe! Hilfe!« Als er den Kopf wieder hob und sich scheu vom 39
Boden hochdrückte, verebbte bereits das Dröhnen des Beschleunigers. Der Spuk war verschwunden. Da stand Morley, neben ihm Wobbs. Willis wischte sich über die Augen. Die Lampen brannten, aber sie schwammen wie in einem Nebel. Die Gestalten der beiden Männer vor ihm verliefen. Es wurde still. Willis zwang sich endlich zum Sprechen. »Verzeihung, Mister Morley – diese ungewohnte Erscheinung …« Morley trat dicht an ihn heran. »Was ist mit Ihren Augen, Willis?« Willis wischte mit seiner Hand. »Ich weiß es nicht – ich muß mich erst wieder an das Licht gewöhnen – die Blendung …« »Bemühen Sie sich nicht, Willis«, sagte Morley rauh. »Sie werden sich an die Finsternis gewöhnen müssen. Das ist meine Vergeltung.« »Ver – Vergeltung?« hauchte Willis. »Sie sind ein Verbrecher, Willis«, sagte Morley. »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum Sie und andere Menschen zu Verbrechern werden? Weil wir so entsetzlich dumm sind, trotz aller Wissenschaft. Sie sind Physiker wie ich, und wir beide wissen ganz genau, daß es keine Wirkung ohne Ursache und keine Ursache ohne Wirkung gibt. Was geschieht, wirkt weiter. Das wissen wir, und eigentlich sollten es alle Menschen wissen, da sie es täglich 40
erleben. Sie wissen es aber alle nur auf physikalischem Gebiet. Niemand scheint zu ahnen, daß auch alles weiterwirkt, was von der Seele her geschieht. Jedes Gute, das gedacht und getan wird, wirkt weiter und wirkt zum Segen aller. Jedes Böse, das getan wird, wirkt ebenfalls weiter zum Bösen für alle. Das ist es, was die Menschen nicht wissen, sonst würden sie sich viel mehr hüten, Böses zu denken und zu tun. Und Sie wissen es auch nicht, Willis. Deswegen hielt ich es für nötig, Sie direkt die Wirkung jener Ursachen spüren zu lassen, die aus Ihnen selbst kamen.« Willis suchte nach einem klaren Punkt in dem verschwimmenden Gesicht von Morley. »Ich – ich verstehe nicht…« »Sie sahen dieses Gesicht«, fuhr Morley härter fort. »Sie werden in der langen Nacht, die vor Ihnen liegt, darüber grübeln. Vielleicht ist das nur ein physikalisches Phänomen, verursacht durch die verschiedenen Lichtbrechungen. Wenn man will, läßt sich alles erklären. Ich selbst vermute, daß wir hier unversehens an die Grenze jenes verschlossenen Bezirks gerieten, den man als Geisterreich bezeichnet. Ich vermute, daß bei solchen Entladungen ein Kurzwellenbereich gestreift wird, der bisher unbekannt war und noch nicht erfaßt werden konnte – jener Bereich, in dem sich die noch immer ungreifbaren Energien des Geistes und der Seele irgendwie realisieren. Ich weiß es nicht.« 41
Er legte eine Pause ein und sprach dann sanfter weiter: »Sie verstehen mich nicht, nicht wahr? Ich will Ihnen helfen, Willis. Sie haben gewisse Papiere aus dem Schrank gestohlen, den Sie mit meinem Schlüssel geöffnet haben. Sie versuchten, den Verdacht auf Gilder zu lenken. Sie haben vorhin auf mich geschossen – nein, leugnen Sie es nicht. Wobbs hat Sie beobachtet. Sie trafen schlecht. Das Licht täuscht hier. Ich wurde nur am Arm verwundet. Der Schock warf mich um, nicht die Wunde. Sie sind ein Verbrecher.« »Ich – Wobbs hat sich getäuscht, ich …« »Es lohnt sich nicht mehr«, unterbrach Morley mit der gleichen Sanftheit. »So oder so – es wäre zu spät. Was Sie heute sahen, Willis, sah ich bereits vor einiger Zeit zum erstenmal, wenn auch nur flüchtig. Dann sah ich dieses Spukgesicht zum zweitenmal. Danach spürte ich meine Augen und erkannte mein Schicksal. Das war der Grund, weshalb ich Gilder entließ. Meine Tochter liebt ihn, und ich möchte ihn ihr erhalten. Er sollte dieses Gesicht nicht sehen. Und ich wollte ihn bloßstellen, damit er nie wieder in einem atomphysikalischen Labor arbeiten kann. Ich wußte, welchen Verdacht ich auf ihn lud, aber ich hielt es für notwendig. Begreifen Sie jetzt?« Willis griff unsicher mit den Händen in die Luft. »Aber – warum soll Gilder nicht – was ist mit meinen Augen?« Morley schüttelte den Kopf. 42
»Begreifen Sie wirklich nicht, Willis? Ich bin blind. Irgendeine zerstörende Sekundärstrahlung, die die Netzhaut angreift. Sie können jetzt noch etwas sehen. Morgen oder übermorgen werden Sie ebenso blind sein wie ich.« »Blind?« keuchte Willis. »Blind«, bestätigte Morley leise. »Wir sind nicht die ersten, die im Labor blind wurden. Opfer der Wissenschaft, nicht wahr?« »Blind? Nichts mehr sehen?« Morley straffte sich und antwortete hart: »Sie wollten töten, Willis. Und Sie würden nichts unversucht lassen, um das Glück meiner Tochter zu zerstören. Vielleicht gibt Ihnen die Blindheit eine Chance, Ihre Seele zu retten. Gehen Sie.« »Blind«, stöhnte Willis noch einmal, dann taumelte er hinaus. Wobbs öffnete ihm die Türen. Als er zurückkam, saß Morley am Tisch. Er hatte den Kopf auf die Arme gelegt. Wobbs berührte ihn behutsam an der Schulter. »Mister Morley?« Morley hob langsam den Kopf und suchte mit den blicklosen Augen das Gesicht seines Getreuen. »Ein schlechter Abschluß, Wobbs«, murmelte er. »Aber ich mußte ihn mitnehmen, sonst hätte er noch mehr Unheil angerichtet. Führ mich nach Hause. Es wird Zeit für mich, meinen Frieden mit der Welt zu 43
machen.« Um die Lippen des Gehilfen zuckte es wie Weinen. Stumm nahm er den Blinden beim Arm. Captain Ronco berichtete hastig, während er vor Morleys Haus in seinen Wagen stieg. »Offenbar ein tolles Durcheinander. Willis hat bis vorhin mit dem Beschleuniger gearbeitet. Dann kam ein Telefongespräch, das von der Überwachung aufgenommen wurde. Morley muß zu dieser Zeit noch im Haus gewesen sein. Das Gespräch wurde von Willis geführt. Ziemlich verworren, nach dem, was ich hörte. Der Beamte hat entnommen, daß Morley blind ist und daß der Angerufene ihn abfangen soll. So ungefähr. Leider ist die Meldung zu spät durchgegangen. Morley wurde unterwegs überfallen und verschleppt. Sein Wagen liegt schwer beschädigt an der Straße. Er selbst ist verschwunden.« Er gab Gas. Sun Koh folgte dicht dem vorausschießenden Wagen. Wenige Kilometer vor der Stadt war die Fahrt zu Ende. Da stand eine Gruppe von Männern am Straßenrand, daneben ein beschädigter Wagen. Der Arzt erhob sich eben, als Captain Ronco an den Wagen herantrat. Während er sich die Knie abklopfte, berichtete er sachlich: »Nichts mehr zu machen, Capt’n. Ich habe ihm eine Spritze gegeben. 44
Vielleicht kommt er noch einmal zu Bewußtsein. Schwere innere Verletzungen.« Die Lichtkreise der Stablampen vereinigten sich auf dem verkrümmten Körper von Wobbs. Das Gesicht war merkwürdigerweise bis auf eine Schramme unverletzt geblieben. Es sah so friedlich aus. Ronco kniete sich neben ihm nieder. »Was ist mit Morley?« fragte er, während er den Kopf nach oben wandte. »Verschwunden«, gab einer der Männer Auskunft. »Eine Streife fand den Wagen. Es muß kurz nach dem Unfall gewesen sein, aber von einem fremden Wagen war schon nichts mehr zu bemerken. Alarm ist durchgegeben.« »Gut. Hoffentlich kommt er noch einmal zu sich.« Sun Koh beugte sich über den Leblosen. »Er kommt zu Bewußtsein«, murmelte er. Dann trat er beiseite, als berühre ihn nichts mehr von dem, was ringsum geschah. Eine halbe Minute später schlug Wobbs die Augen auf. Die hellen Lichter schwenkten auf einen Wink hin zur Seite. »Hören Sie mich, Wobbs?« fragte Captain Ronco. »Was ist, Capt’n?« kam leise die Gegenfrage. »Ach so…« »Haben Sie Schmerzen?« »Schmerzen? Nein, mir ist sehr wohl zumute. Ich – was war denn …« 45
»Die Spritze«, raunte der Arzt Ronco zu. Wobbs ruckte etwas auf. »Mister Morley? Was ist mit ihm?« »Wir können ihn nicht finden, Wobbs. Sie wurden überfallen, nicht wahr?« »Er hat uns angefahren«, murmelte Wobbs. »Weiter weiß ich nichts. Wo ist Mister Morley?« »Er ist verschwunden. Wir wissen nicht, ob er weggegangen ist oder entführt wurde.« »Mister Morley kann nicht weggehen. Er ist blind.« »Blind?« Ronco fuhr zurück. »Blind«, bestätigte Wobbs matt. »Das Atomgespenst hat ihn geblendet. Willis auch. Vielleicht ist er doch weggelaufen. Sie müssen ihn suchen.« »Wahrscheinlich wurde er entführt.« »Wer soll ihn entführen? Es wußte doch niemand«, flüsterte Wobbs verwundert. »Willis ist blind. Er wollte Mister Morley erschießen. Er hat auch die Papiere gestohlen. Aber Mister Gilder darf nicht wieder ins Labor. Mister Morley will es nicht. Er soll nicht blind werden. Er…« Wobbs schloß die Augen und schien zu versinken. Irgend etwas zwang ihn jedoch noch einmal hoch. Er riß plötzlich die Augen wieder auf und murmelte drängend: »Sie müssen ihn finden, Capt’n. Er hat X 108 bei sich.« »X 108?« wiederholte Ronco. »Was ist das?« 46
Wobbs formte mühsam: »Die Probe von seinem letzten Versuch. Ein transperiodisches Element, wie er sagte. Zehn Elementstufen Atomenergie. Nur eine Handvoll. Genügt aber, um das Werk in Staub zu verwandeln. In der rechten Hosentasche. Sieht aus wie – wie …« Ronco bückte sich dicht über das Gesicht des Sterbenden. »Reden Sie weiter, Wobbs. Was ist mit diesem X 108?« Wobbs bäumte sich auf. »Stabilität unbekannt. Morley – in See werfen – auf dem Weg dahin – schlimmer als Superbombe – Morley finden …« Vorbei. Captain Ronco erhob sich langsam. Sein Gesicht verriet jetzt sein wirkliches Alter. Seine Augen gingen von einem Gesicht zum anderen. Die Gruppe ringsum schien plötzlich etwas Gespenstisches zu haben. Wahrscheinlich lag das nur am Streulicht. Von den gesenkten Lampen her wurden die Gesichter nur fahl aufgehellt. »Sie haben das gehört?« fragte Ronco farblos. »Wenn ich richtig verstanden habe, trägt Professor Morley einen Stoff bei sich, der schlimmer als eine Superatombombe wirkt und dessen Zerfallzeit unbekannt ist. Morley wollte ihn wohl im See unschädlich machen. 47
Wenn er von Unbekannten entführt wurde, dann befindet er sich vielleicht jetzt irgendwo in Quro und …« Er brach ab, atmete tief durch und gab dann ruhig seine Anweisungen. 3. Greer Tuttle saß am Abend des nächsten Tages etwa hundert Kilometer östlich von Quro in einem abgelegenen Landhaus, das inmitten eines verwilderten Parks lag. Er sah in dieser Stunde tückisch, bösartig und mürrisch aus. Er fluchte, während er die Zeitungen überlas. So also standen die Dinge um den Professor. Eine Art Atombombe in der Hosentasche, die jeden Augenblick losgehen konnte. Verdammt! Am meisten ärgerte sich Greer Tuttle über das Fahndungsinserat: 50 000 Dollar für jeden, der den Aufenthalt von Greer Tuttle verriet. Er wischte sich unwillkürlich mit der Hand über die Stirn, weil er das Gefühl hatte, der Schweiß müsse in kalten Tropfen auf ihr stehen. Dann fluchte er wild los. Greer Tuttle drückte sich aus dem Sessel heraus, lief einige Male stampfend durch den Raum und verließ ihn dann. Eine Minute später stand er in einem kalten, kahlen Kellerraum, zwischen dessen Wänden ein einfa48
cher Holztisch, zwei Stühle und eine Holzpritsche standen. Auf einem der Stühle saß Professor Morley. Seine Kleidung war zerdrückt, zerrissen und schmutzig. Seine Augen blickten starr, aber sie sahen nichts. Morley war blind, obwohl seine Augen äußerlich keine Schäden zeigten. Greer Tuttle grüßte mürrisch und setzte sich auf den freien Stuhl. Das Holz ächzte. »Ich hoffe, Sie haben sich die Sache überlegt, Mister Morley«, knurrte er. »Ich kann Ihnen nicht viel Zeit geben. Wollen Sie mir Ihr Rezept diktieren?« Professor Morley blickte starr in seine Richtung. »Nein. Wer sind Sie überhaupt?« »Das geht Sie nichts an«, entgegnete Greer Tuttle unwirsch. »Sie sind sich im klaren, daß ich Sie zwingen werde?« »Versuchen Sie es ruhig«, antwortete Morley einfach. »Ich hoffe zu Gott, daß ich stärker bin als mein Körper.« Greer Tuttle ließ seine Hand auf die Tischplatte fallen. »So haben Sie sich das gedacht. Verdammt, Sie scheinen ja ein eiskalter Bursche zu sein. Aber warten wir ab. Was ist mit diesem X 108? In den Zeitungen steht, Sie hätten so eine Art Superatombombe mitgenommen. Wo haben Sie das Ding gelassen?« Professor Morley griff in seine Tasche und legte einen viereckigen Klotz auf den Tisch, der nicht grö49
ßer als eine Streichholzschachtel war und in einem eigenartigen grünlichgrauen Glanz schimmerte. »Das ist X 108.« Greer Tuttle lachte auf, während er sich neugierig vorbeugte. »Das? Und deswegen das ganze Theater? Noch nicht einmal eine Handvoll! Und ich dachte, Sie hätten irgendwo eine ganze Atombombe versteckt.« »Was sind Sie für ein Narr! Und Sie wollen sich von mir kernphysikalische Versuchsreihen diktieren lassen? Vermutlich wissen Sie nicht einmal, wie die Formeln niedergeschrieben werden. Diese Handvoll X 108 enthält mehr Energie als eine Atombombe von fünfzig Kilogramm. Wenn die Substanz zerfällt, bleibt von diesem Haus und seiner Umgebung nichts übrig.« »So?« fragte Greer Tuttle und schob sich zurück. »Und wann wird sie zerfallen?« »In zehn Sekunden«, antwortete Morley kalt. »In zehn Sekunden? Sind Sie denn verrückt? Und Sie sitzen so ruhig da, als ob …« »Haben Sie Angst?« höhnte Morley. »Würde es mir etwas nützen, wenn ich mich bewegte?« »Verdammt, ich …« »Warten Sie. Es hat nicht den geringsten Zweck, wenn Sie davonlaufen. In den restlichen fünf Sekunden kommen Sie nicht einmal aus dem Haus heraus. Peinlich, mein Lieber, aber …« 50
Greer Tuttle lehnte verkrampft an der Tür, zu der er im ersten Schreck gesprungen war, und stierte auf den winzigen Block. Der Schweiß brach ihm jäh aus den Poren, aber er fühlte sich unfähig, jetzt noch einen Schritt zu tun. Noch zwei Sekunden. Noch eine Sekunde. Jetzt… In die Schauervisionen, die durch das Bewußtsein Greer Tuttles geisterten, brach die kühle Stimme Morleys. »Irgendwie unangenehm, nicht wahr? Aber man gewöhnt sich doch schließlich allmählich daran. Wenn man den Menschen allzu sehr beansprucht, ist das Schlußergebnis immer Stumpfsinn.« Greer Tuttle drückte sich zögernd von der Tür ab. »Ich – wie meinen Sie das? Warum ist es nicht explodiert? Die zehn Sekunden sind doch um.« Morley zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich geschieht es in drei Minuten oder in fünf Sekunden oder in zwei Stunden. Es interessiert mich nur festzustellen, wie Sie reagieren. Hatten Sie sehr viel Angst?« »Ah, ich verstehe. Sie haben mich nur zum Narren gehalten«, rief Greer Tuttle ärgerlich. »Der Teufel soll Sie holen! Was ist das für ein Zeug? Ist es wirklich so gefährlich?« Morley lächelte spöttisch. 51
»So fragt ein Kind. Zwei Jahre lang bauten Zehntausende von Arbeitern und Ingenieuren das Versuchswerk Quro. Der Staat investierte Hunderte von Millionen Dollar. Das Ergebnis all der erstaunlichen Bemühungen ist das, was Sie in Ihrem Jargon so verächtlich ›Zeug‹ nennen. Sie werden es kaum begreifen, aber ich versichere Ihnen, daß eine Atombombe gegen diese Substanz ein harmloser Knallkörper ist.« »Pah!« Greer Tuttle lachte verächtlich. »So schlimm wird es nicht sein, sonst würden Sie nicht so ruhig dasitzen.« »Ich sagte Ihnen schon, daß ich es für zwecklos halte, mich zu bewegen. Sie haben mir lange genug Zeit gegeben, mich mit dem Tod anzufreunden. Jetzt ist die Reihe an Ihnen.« »Sie halten mich wohl für verrückt, was?« murmelte Greer Tuttle. »Ich werde das Zeug ins Wasser werfen.« Morley nickte und antwortete sanft: »Ein ausgezeichneter Entschluß. Bitte, beeilen Sie sich.« »Sie wollen mich bluffen. Aber da haben Sie sich in mir getäuscht. Wie ich die Sache beurteile, ist das Zeug vollkommen harmlos. Ich schätze, ich werde es in Ruhe verkaufen. Geben Sie her.« »Sie Narr!« sagte Morley verächtlich und schob den kleinen Block über den Tisch. Greer Tuttle wollte danach greifen, hielt aber jäh mit seiner Armbewegung inne. 52
Was war das? Aus dem graugrünen Viereck stieg es wie ein feiner grünlicher Dunst auf, wie Dampf oder wie eine durchsichtige Rauchwolke. »Es explodiert!« keuchte er wild auf. Morley horchte verwundert. »Was ist mit Ihnen? Warum erschrecken Sie?« »Es explodiert!« stöhnte Greer Tuttle, während er auf die grünlichen Schleier stierte, die zur Decke stiegen. »Es raucht schon – sehen Sie denn nicht – der grüne Dampf!« »Sie vergessen, daß ich blind bin«, tadelte Morley ruhig. »Was ist das für ein Dampf? Sie brauchen sich in dieser Sekunde noch nicht zu fürchten. Der Zerfall erfolgt zweifellos blitzschnell und läßt Ihnen keine Zeit zur Furcht. Natürlich wäre es möglich, daß sich die beginnende Zersetzung durch Oberflächenvergasung ankündigt. Sollte diese Vermutung zutreffen, wäre es ohnehin zu spät. Sie werden dann gut tun, sich bereits als tot zu betrachten. Doch beschreiben Sie mir, was Sie sehen.« Greer Tuttle ächzte. Im Raum lag ein sonderbares fahles Grünlicht mit unkörperlichen Schatten. »Ich – ich kann nicht!« sagte Greer Tuttle. »Was sehen Sie?« fragte Morley erneut. Greer Tuttle starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die unheimliche Erscheinung, die sich aus den grünlichen Schleiern heraushob. Das war ein riesiger 53
verzerrter Kopf mit weißen Augen, eine teuflische Fratze… »Ein Spuk – ein Dämon!« keuchte Greer Tuttle. Dann schrie er voll Grauen auf: »Die Krallen!« Er rutschte zur Seite und fiel in die Türöffnung hinein. Er schrie noch einmal bei dem Ruck, aber der Sturz ins Dunkel gab ihm zugleich einen Teil seiner Besinnung wieder. Er rannte davon, raste die Kellertreppe hinauf und stürzte aus dem Haus. Noch lebte er. Dort stand sein Wagen. Ein Sprung ans Steuer – Starter, Gas, Gang. Wild ruckend schoß der Wagen weg. Unten im Keller saß Professor Morley still an seinem Tisch, aufrecht und lauschend. Seine Hand glitt suchend über den Tisch und umschloß den kleinen Block. Wenn schon der Tod unvermeidlich war, er scheute sich nicht, ihm die Hand zu geben. Greer Tuttle raste mit dem Wagen ins offene Land hinaus. Erst als er fünfzig Kilometer zwischen sich und seinem Haus wußte, kehrte die Überlegung allmählich zurück. Er brachte seinen Wagen zum Stehen und blickte suchend in die Nacht. Was war geschehen? Nichts war geschehen, einfach nichts. Keine Spur von einer Atomexplosion. Greer Tuttle begann zu fluchen, und je mehr er vor sich hin fluchte, um so leichter wurde ihm um den 54
Magen herum und um so klarer wurde sein Verstand. Hereingelegt! Dieser Morley hatte ihn regelrecht genarrt. Die kostbarste Substanz der ganzen Welt in seinem eigenen Keller, den wichtigsten Mann der ganzen Welt dazu – und er lief einfach davon. Er, Greer Tuttle! Greer Tuttle überlegte haarscharf. Dann setzte er sich wieder an das Steuer und fuhr zurück. Das Haus lag still und dunkel, wie er es verlassen hatte. Die Tür stand offen. Alle Türen waren offen. Greer Tuttle rannte hastig in den Keller, seine sinnlose Flucht verwünschend. Der Keller war leer. Keine Spur mehr von Professor Morley. Greer Tuttle brauchte einige Zeit, um sich damit abzufinden. Dann beeilte er sich, in der Umgebung des Hauses zu suchen. Morley war ja blind. Er konnte nur irgendwo in der Nähe herumirren. Die frohen Hoffnungen Tuttles wurden enttäuscht. Auch in der Umgebung war nichts zu finden. Professor Morley blieb verschwunden. Noch einmal bemühte Greer Tuttle seinen Verstand. Morley und sein Zeug mußten abgeschrieben werden. Das war hart genug. Andererseits bot sich jetzt eine Chance, mit der Behörde fertigzuwerden. Wenn er sein Gesicht retten konnte, dann war das auch etwas wert, denn das bedeutete Geschäfte für die Zukunft. 55
Aber wie? Greer Tuttle dachte angestrengt nach. Dann setzte er sich wieder an das Steuer seines Wagens. Es war schon spät am Abend, aber nicht zu spät, um etwas für seinen guten Ruf zu tun. Meinte Greer Tuttle. * Ein Auto klapperte über die abenddunkle Landstraße. Die Schatten der sinkenden Nacht schienen es voll Mitleid einzuhüllen. Es war ein uralter Wagen von einer sonderbaren Bauart, die noch an die hochbokkigen Pferdekutschen von einst erinnerte. Die Kotflügel baumelten an Bindfäden und schliffen hier und dort an den Rädern, deren Decken im nächsten Augenblick auseinanderzuknallen drohten. Der Motor ratterte wie eine rostige Kaffeemühle und lüftete bei jedem Kolbenstoß die blecherne Haube etwas. Die mißfarbenen ledernen Polster wiesen große Risse auf, und hier und da schaute das Seegras heraus. Farbe und Lack ließen sich unter Schmutz und Staub nicht mehr bestimmen. Ein absonderlicher, verrückter Wagen, aber der Mann am Steuer wirkte kaum viel weniger absonderlich und verrückt. Er war ein Tramp, wie man ihn nur noch selten in der Nähe der Städte findet. Vollbart und Haar verwirrten sich zu einem wehenden grau56
buschigen Durcheinander um ein wetterbraunes, trotz aller Falten verhältnismäßig junges Gesicht herum, aus dem scharfe listige Augen herausblinzelten. Das war Habakuk Woomy mit seinem Wagen. Man kannte ihn seit Monaten in dieser Gegend. Er galt als ein seltsamer, aber verträglicher Vogel, den man nicht sonderlich ernst nahm. Habakuk Woomy lebte davon, den Leuten am Küchenausgang allerlei verrücktes Zeug aus der Hand oder aus den Sternen wahrzusagen und dafür Geschenke einzukassieren. Der Schein der beiden Lampen blinzelte schläfrig durch die blinden Scheiben hindurch über die Landstraße hinweg. Habakuk Woomy hockte auf seinem hohen Sitz und summte halblaut vor sich hin. Plötzlich schreckte er auf. Ein Mann stolperte von der Seite her auf die Straße, richtete sich auf und kam heran, wobei er mit den Armen winkte, wenn auch in der falschen Richtung. Habakuk Woomy fuhr vorsichtig heran und hielt an. In seinen Augen lag ein außerordentliches Erstaunen und viel Neugier, aber seine Stimme verriet nichts. »Fürchte dich nicht, Bruder«, sagte er in einem pathetischen Tonfall, wie man ihn häufig bei Sektenpredigern findet. Professor Morley ging mit vorgestreckter Hand auf den Tramp zu, bis er dessen Arm erreichte. »Wer sind Sie?« 57
»Ein Mensch«, verkündete Habakuk sanft, während er aufmerksam Morleys Gesicht prüfte. »Niemand von uns ist mehr als ein Mensch, aber die meisten sind weniger. Das ist ein Stück Weisheit, Bruder, falls du dafür empfänglich sein solltest. Man nennt mich einen Tramp und ein verrücktes Huhn, manchmal auch ein Stinktier, aber du darfst mich Habakuk nennen. Du siehst schlecht in der Nacht, Bruder?« »Ich sehe auch schlecht bei Tag«, antwortete Morley ruhig. »Ich bin blind. Wo befinden wir uns?« »Mitten auf der Landstraße«, gab Habakuk sachlich Auskunft. »Weit von Quro?« »Drei Stunden für meine Minnie und ein Drittel davon für jene sonderbaren Karossen, die sich ebenfalls Auto titulieren. Führt dich dein Weg nach Quro?« »Ich wurde in einem Haus gefangen gehalten, das hier in der Nähe liegen muß. Ich bin Professor Morley.« »Der Himmel verzeihe es dir«, murmelte Habakuk. »Ich hörte davon, daß ein Professor Morley entführt worden sei. Steig ein, Bruder. Ich habe das Gefühl, daß wir in Ruhe über deine Nöte plaudern müssen.« Professor Morley stieg also in das Vehikel ein. Dann nahm es seine Fahrt auf. 58
Sie dauerte nicht lange. Wenige Kilometer hinter dem verwilderten Park, in dem Tuttles Haus stand, bog der Wagen in einen Feldweg ein und schaukelte auf den Wald zu. Dann hielt er plötzlich vor einer Blockhütte, die inmitten einer kleinen buschigen Lichtung stand. »Wo sind wir, Mister Habakuk?« erkundigte sich Morley. »Steig aus, Bruder. Vorsicht mit dem Kopf.« Professor Morley ließ sich willig führen, fragte aber: »Warum fahren wir nicht nach Quro? Ich rieche Wald.« »Du riechst richtig, Bruder«, dröhnte Habakuk. »Wir befinden uns mitten im Wald. Der Weg nach Quro ist weit und gefährlich. Ich lese zwar keine Zeitungen, aber meine Ohren hörten, daß du für gewisse Leute einen Anreiz zu verbrecherischen Handlungen darstellst. Niemand aber von uns hat das Recht, seine Mitmenschen in Versuchung zu führen. Es scheint mir daher besser, dich in Sicherheit zu bringen und die Polizei zu verständigen.« Morley schwieg. Er ließ sich in die Hütte führen und auf einen Stuhl setzen. Etwas später spürte er die Wärme des Feuers. Dann klapperte Geschirr. Der Tramp verriet in der ganzen Zeit nichts von seiner gewohnten Redseligkeit. Erst nachdem er dem Blinden einen Teller mit Suppe hingeschoben und ei59
nen Löffel in die Hand gedrückt hatte, sagte er: »Nun iß, Bruder. Laß es dir gut schmecken. Das Wasser stammt aus der Quelle, und die Zutaten schenkte mir eine Köchin, der ich einen Bräutigam versprach. In solchen Fällen sind Frauen immer zuverlässig.« Morley aß ohne Zögern. »Was sagt man in Quro über mich?« fragte Morley plötzlich. »Man sucht dich, aber das ist fast auch alles, was ich weiß«, sagte Habakuk. »Die Erfahrung hat mich gelehrt, mich nicht um das zu kümmern, was mich nichts angeht. Außerdem halte ich nichts von deinem Gewerbe. Aber jeder muß nun einmal dort weiden, wo sein Gras am fettesten wächst.« »Du bist nicht neugierig, Freund Habakuk.« Morley lächelte wieder. »Sage das nicht, Bruder«, widersprach Habakuk ernsthaft. »Ich bin neugierig wie eine Elster. Am liebsten würde ich dir die Taschen abklopfen, denn man erzählt sich in Quro von einer Atombombe, die du bei dir herumträgst. Ich hatte freilich nicht gedacht, daß man so ein Ding in die Westentasche stecken kann.« »Die Leute übertreiben«, erwiderte Morley aufgeheitert. »Ich hatte eine Probe eines neuen Stoffes bei mir, die allerdings nicht ungefährlich war. Aber ich habe sie weggeworfen.« »Ein jeder reiße sich das Auge aus, das ihn är60
gert«, murmelte Habakuk. »Wollen wir schlafen, Bruder?« Morley war noch nicht müde. Er fand es angenehm, sich mit diesem seltsamen Menschen zu unterhalten. Also saßen die beiden Männer noch lange beieinander, und Professor Morley sprach zu dem Unbekannten, den er nicht sehen konnte, offener als je zu einem Menschen. * Captain Ronco war so müde, daß er am liebsten den Kopf auf den Tisch gelegt hätte, aber als ihm Greer Tuttle gemeldet wurde, vergaß er seine Schlafbedürfnisse. Greer Tuttle trat auf wie die Unschuld selbst. »Ich bin ja eine gutmütige Seele, Capt’n«, versicherte er mit der Würde des Gekränkten, »aber der Spaß scheint mir doch reichlich weit zu gehen. Wie kommen Sie dazu, fünfzigtausend Dollar auf mich auszusetzen?« Ronco wies stumm auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch. »Danke«, murmelte Greer Tuttle und ließ sich vorsichtig nieder. »Das war ein schöner Schock für mich, als ich vorhin die Zeitungen las.« Captain Ronco blickte ihn scharf an. 61
»Haben Sie Professor Morley mitgebracht?« Greer Tuttle warf entrüstet die dicken Arme hoch und gab ärgerlich zurück: »Professor Morley? Was wollen Sie mit Professor Morley? Ich kenne den Mann nicht und habe ihn nie gesehen.« »Sie haben ihn entführt.« »Ich möchte wissen, wer Sie auf den Einfall gebracht hat.« Ronco schwieg. Dann bemerkte er nach einer Weile; »Sie wissen also nichts von Morley? Wo waren Sie gestern um diese Zeit?« »Gestern?« fragte Greer Tuttle stirnrunzelnd, obgleich er die Frage sofort hätte beantworten können. »Warten Sie – natürlich, ich war zum Abendessen bei Mendez eingeladen und habe bis drei Uhr bei ihm gesessen. Er kann es bezeugen, auch seine Frau. Paola Mendez, Casa Rosita.« »Hm.« Dagegen war schlecht etwas zu machen. Die genannten Zeugen würden schwören. Dafür wurden sie notfalls bezahlt. »Und dann?« »Dann bin ich nach Hause gefahren und habe mich schlafen gelegt. Gewöhnlich schlafe ich ja im Hotel in Quro, aber ich habe mir weiter draußen ein Haus gemietet.« »Sie kennen Doktor Willis, nicht wahr?« »Stimmt«, sagte Greer Tuttle. »Ich lernte ihn im 62
Hotel kennen. Wenn ich nicht irre, haben wir einoder zweimal einen Drink zusammen genommen.« »Und nebenbei hat er Ihnen gewisse Papiere verkauft, nicht?« Jetzt schüttelte Greer Tuttle den Kopf. »Nein, da sind Sie falsch unterrichtet, Capt’n. Er wollte sie verkaufen.« »Ach?« »Ich will Ihnen die Geschichte erklären«, sagte Greer Tuttle bieder. »Sehen Sie, die Sache war so, daß dieser Willis bei mir anbohrte. Ich hätte doch viele Beziehungen, und da gäbe es gewisse Papiere, die für manche Leute viel Geld wert wären – so auf diese Tour. Ich wurde natürlich mächtig hellhörig. Das roch mir nach Verrat und solchem Zeug, von dem man manchmal in der Zeitung liest. Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen, aber man weiß ja bei solchen Dingen nie, wie man’s richtig macht. Wenn er es spitz gekriegt hätte, wären Sie mir schließlich an den Hals gesprungen, von wegen vorzeitiger Warnung und so. Da habe ich mir gedacht, es ist besser, wenn ich ihn erst einmal herankommen lasse. Tatsächlich kam er dann auch mit einem ganzen Bündel Papiere. Was drin stand, kann ich Ihnen nicht sagen. Das war alles Formelzeug, von dem ich nichts verstehe.« »Weiter.« Greer Tuttle kratzte sich hinter dem Ohr. »Tja, jetzt kommt nun eine dumme Sache. Tut mir leid, 63
aber ich habe die Papiere nicht mehr. Ich war gewissermaßen schon halb auf dem Weg zu Ihnen, als mir ein alter Bekannter über den Weg lief. Er bohrte an mir herum, ob ich nicht eine Chance für gewisse Geschäfte hätte – Papiere aus dem Versuchswerk. Als er von einem Freund erzählte, der von solchen Sachen etwas verstände, packte mich der Teufel. Sehen Sie, schließlich ist es eine dumme Sache, wenn ich diesen Willis bei Ihnen großartig anzeige, und nachher stellt sich heraus, daß die Papiere ganz harmlos sind. Dann sitze ich wegen Verleumdung drin. Ich dachte mir jedenfalls, es würde ganz gut sein, die Papiere erst einmal von einem Fachmann prüfen zu lassen. So bin ich denn in die Falle hineingetappt. Die Burschen haben mich in ihr Zimmer gelockt und mir die Papiere einfach abgenommen. Natürlich gab es erst noch eine Prügelei, aber die Kerle hatten so ihre Tricks, gegen die ich schlecht ankommen konnte. Tja, so war die Geschichte.« Captain Ronco lächelte müde. »Eine schöne Geschichte, Mister Tuttle.« »Sie sagen es, Capt’n«, seufzte Greer Tuttle kummervoll. »Das hätte ich beinahe vergessen. Sie wissen doch, daß dieser Gilder entlassen wurde. Willis munkelte etwas von verschwundenen Papieren. Das Ding sah genauso aus, als sei einer so viel wert, wie der andere. Jedenfalls habe ich mir gedacht, daß es richtig wäre, gleich das ganze Verräternest auszuhe64
ben, wenn man sich einmal damit befaßt. Ich habe mir Gilder kurzerhand bestellt und ihm einmal herzhaft auf den Zahn gefühlt. Er ist allerdings ziemlich grob geworden, und ich hatte den Eindruck, daß die Dinge bei ihm doch ein bißchen anders liegen als bei Willis. Das war alles, was ich mit Gilder hatte.« »Ich danke Ihnen, daß Sie zu mir gekommen sind«, murmelte Ronco reserviert. »Jetzt sieht doch manches anders aus. Ich werde selbstverständlich die Fahndung widerrufen, soweit Sie davon betroffen sind. Ich muß Sie jedoch bitten, sich einstweilen hier in Quro zur Verfügung zu halten, da ich Sie vielleicht noch einigen Leuten gegenüberstellen muß.« »Selbstverständlich stehe ich jederzeit zur Verfügung. Sie finden mich im Hotel, Capt’n.« Greer Tuttle verließ das Zimmer mit erhobenen Haupt. Er hatte sein Gesicht gerettet. * Margret Morley stand am Fenster ihres Zimmers und blickte auf die Anfahrt hinaus, als könne dort im nächsten Augenblick ihr Vater erscheinen. Sie hing sehr an ihrem Vater. Sein Verschwinden beunruhigte sie unaufhörlich, und die Vorstellung, daß sich ihr geliebter Vater in Verbrecherhänden befand oder blind und hilflos durch das Land irrte, peinigte sie wie eine körperliche Qual. 65
Hinter ihr öffnete sich die Tür. Nancy, die schwarze Köchin, deren Leibesumfang für die Güte ihrer Kochkunst zeugte, huschte herein. »Miß Margret, Miß Margret!« Margret Morley wandte sich um. Nancy war offenbar aufgeregt. »Er ist da, Miß Margret. Er sitzt in der Küche. Welches Glück! Gerade heute kam er hier vorbei. Er weiß alles. Wenn Sie ihn nach Mister Morley fragen – er kann es Ihnen bestimmt sagen.« »Von wem sprichst du, Nancy?« fragte Margret Morley erstaunt. »Es ist Habakuk. Er weiß wirklich alles. Er braucht bloß Ihre Hand zu sehen.« »Aber, Nancy, ein Wahrsager?« tadelte Margret Morley lächelnd. »Wie kann man nur solchen Unsinn glauben.« »Oh, das ist kein Unsinn! Er ist kein gewöhnlicher Wahrsager. Was er sagt, trifft ein. Und Hellsehen kann er auch. Er weiß bestimmt, wo Mister Morley sich aufhält und wie es ihm geht.« »Meinst du wirklich?« fragte Margret Morley unsicher. »Ganz sicher«, sagte die Köchin. »Ich dachte, Sie würden wenigstens einmal mit ihm sprechen?« Margret Morley schwankte, aber es ging ihr nicht anders als vielen anderen Menschen, wenn sie einen Wahrsager in der Nähe wissen. Ihre Erziehung ver66
bot ihr eigentlich, solche Dinge ernst zu nehmen, außerdem wußte sie, daß die ganze Wahrsagerei Schwindel und Geldmacherei war, trotzdem rührte sich untergründig ein Drang zur dunklen Kunst. Es gab ja bestimmt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als der Mensch ahnt. Und vielleicht verstand dieser Habakuk doch etwas mehr von seinem Handwerk als andere. Schaden konnte es auf keinen Fall. »Also gut, Nancy«, entschloß sie sich nach einigem Zögern. »Ich will es einmal mit deinem Habakuk versuchen. Bring ihn herein.« Zwei Minuten später trat Habakuk Woomy über die Schwelle, ein Vagabund aus einer anderen Welt, dessen Äußeres in schreiendem Gegensatz zur gepflegten Umgebung stand. »Gott zum Gruß, Schwester«, verkündete er in seiner feierlichen Art. »Du wolltest mich sprechen, wie ich von Nancy hörte.« Margret Morley blickte verwirrt auf die seltsame Erscheinung. »Sie sind ein Hellseher?« Habakuk schüttelte tadelnd den Kopf. »Die Menschen sind träge mit ihren Worten, Schwester. Sie nehmen einen Stempel und meinen, damit den Dingen gerecht zu werden. Ist der ein Hellseher, der das Licht eines Autos auf einen Abgrund gerichtet sieht und voraussagt, daß der Wagen in den Abgrund fahren werde? Kein Mensch ist tot, 67
solange er lebt. Solange er aber lebt, sendet er Strahlen und Kräfte aus. Wer sich die Empfindsamkeit bewahrt hat, vermag sie aufzunehmen und über sie auszusagen. Also zeige mir deine Hand, und ich will dir sagen, was gestern in deinem Leben war und morgen sein wird.« Margret Morley streckte ihm die Hand hin. Habakuk nahm sie zwischen seine Finger, betrachtete sie kurz und murmelte halblaut: »Eine glückliche Hand, Schwester. Du brauchst dich nicht mehr um den Mann zu sorgen, den du liebst. Du wirst ihn heiraten und ein gutes Leben mit ihm führen. Drei Kinder werden euch beschieden sein. Achte jedoch darauf, daß der Mann deines Herzens nie wieder seinen bisherigen Beruf aufnimmt. Frederic Gilder darf nie wieder in einem atomphysikalischen Laboratorium arbeiten, sonst wird dein Leben voller Leid sein. Hast du das verstanden, Schwester?« Margret Morley starrte in die Augen des Tramps, deren Blick in sie hineindrang. »Wie – wie meinen Sie das?« »Merke es dir«, antwortete Habakuk fast befehlend, um dann freundlicher fortzufahren: »Du machst dir Sorgen um deinen Vater. Sorge dich nicht. Er lebt und wird zurückkehren. Ich sehe es.« »Er soll blind sein?« sagte sie. »Es ist etwas mit seinen Augen. Ich kann es nicht genau feststellen. Ich muß mehr von deinem Vater 68
spüren. Dieses Zimmer ist nicht der Raum, in dem er lebt. Führe mich in sein Zimmer, so daß ich seine Strahlungen aufnehme, dann will ich dir sagen, wie es um ihn steht.« Margret Morley gehorchte stumm der Anweisung. Sie befand sich wie in einem Bann. Habakuk ging durch das Wohnzimmer und Morleys Schlafzimmer, als müsse er die Atmosphäre des verschollenen Bewohners in sich aufnehmen. »Dein Vater hat schwere Tage hinter sich, Schwester. Unruhe und Verstörung quälen ihn. Er wird Ruhe brauchen, um zu sich zurückzukehren, wenn er heimkommt.« »Wird er heimkommen?« »Das sagte ich dir bereits«, antwortete Habakuk barsch. »Du wirst ihn noch heute sehen. Er ist nicht blind. Seine Augen sind durch seine Versuche geschädigt worden, aber es werden sich Ärzte finden, die sie wieder auszuheilen vermögen. Leb wohl, Schwester.« Er ging zur Tür hinaus. Margret Morley eilte ihm nach. »Sie meinen wirklich, daß Vater zurückkommt? Oh, das wäre herrlich! Warten Sie doch, ich muß Ihnen – was bekommen Sie eigentlich?« Der Tramp ließ sich nicht aufhalten, sondern stieg die Treppe hinunter. »Bemühe dich nicht, Schwester. Habakuk ist kein Wahrsager, dem man einen Dollar in die Hand 69
drückt. Nancy gab mir zu essen – der Rest sei dir geschenkt.« »Aber wie soll ich Ihnen danken?« murmelte Margret Morley, in der jetzt die Freude über die frohe Botschaft durchbrach. Dann sah sie unten in der Halle zwei Männer stehen, Sun Koh und Hal Mervin. Da sprang sie dem Tramp voraus und jubelte: »Denken Sie, ich habe eben erfahren, daß Vater lebt und nicht einmal blind ist. Heute noch kehrt er zurück! Ist das nicht herrlich?« »Von diesem Mann?« fragte Sun Koh und warf einen scharfen Blick auf Habakuk. »Ja«, sagte die junge Frau eifrig. »Das ist Mister Habakuk, ein – ein Hellseher. Fabelhaft, wie er alles weiß. Mister Sun Koh – Sie müßten sich auch einmal aus der Hand lesen lassen.« »Niemand soll mehr tun, als die tägliche Speisung erfordert«, murmelte Habakuk und ging vorüber. Sun Koh hielt ihn mit einem Wink auf. »Augenblick, bitte. Sie haben Miß Morley einiges über ihren Vater prophezeit?« »Ich war so frei, Bruder«, sagte Habakuk. »Wahrheiten sind nicht in der Welt, um unterdrückt zu werden.« »Unwahrheiten können trösten, treffen dann aber um so tiefer«, entgegnete Sun Koh tadelnd. »Halten Sie es nicht für unverantwortlich, Hoffnungen zu erwecken, die sich nicht erfüllen?« 70
»Du hast es ausgesprochen, Bruder«, verkündete Habakuk feierlich. »Ich halte es für unverantwortlich. Doch Mister Morley wird heute noch in dieses Haus zurückkehren, wie ich sagte.« »Wenn das stimmt, freß ich einen Besen«, knurrte Hal. »Wie wär’s mit einer kleinen Handleserei?« »Wer könnte den Wünschen der Kindlein widerstehen?« murmelte Habakuk sanft und blickte auf die Hand, die ihm Hal hinhielt. »Du bist übel dran, Bruder. Deine Erzieher vergaßen, daß zur Erziehung die Rute gehört. Das hat dich verdorben. Ein wahres Glück für dich, daß sich ehrenwerte Männer finden, die sich deiner erbarmen.« Damit ging er weiter. Hal schluckte. Bevor er die passenden Worte finden konnte, war Habakuk draußen. 4. Am späten Nachmittag kehrte Professor Morley in sein Haus zurück. Er kam in einem großen fremden Wagen. Er befand sich nicht mehr im besten Zustand, aber das und vielleicht noch eine gewisse Ungepflegtheit des Gesichts war auch alles, was an die Ereignisse erinnerten. Margret Morley flog ihrem Vater an der Eingangstür um den Hals und schluchzte zwischen Lachen und Weinen ihren Willkommensgruß. Morley um71
armte sie und strich ihr beruhigend über das Haar. »Schon gut, Kind. Es ist alles wieder in Ordnung.« »Deine Augen?« fragte sie. »Sie sagten, du wärst blind?« »Kein Gedanke daran«, murmelte er. »Ich war nur vorübergehend behindert. Komm.« Sie gingen zusammen ins Haus. »Ich bin so glücklich«, sagte sie aufatmend. »Ich habe mir soviel Sorgen gemacht. Was war denn eigentlich vorgefallen?« »Ich werde dir alles erzählen«, unterbrach er freundlich. »Jetzt muß ich erst einmal nach oben.« »Willst du dann mit mir Tee trinken?« Morley schüttelte den Kopf. »Du mußt mich noch entschuldigen. Ich habe zunächst einige dringende Angelegenheiten zu ordnen. Dann muß ich noch auf einen Sprung ins Werk hinausfahren. Das sind Dinge, die sich nicht verschieben lassen. Später stehe ich dir gern Rede und Antwort.« »Aber…« »Noch eins«, unterbrach er abermals. »Verständige bitte Captain Ronco, daß ich ihn gegen acht Uhr abends hier sprechen möchte. Er dürfte am stärksten interessiert sein.« »Und Frederic?« »Du lädst ihn am besten für die gleiche Zeit ein. Ich bin ihm einige Erklärungen schuldig. Aber zu72
nächst möchte ich unter keinen Umständen gestört werden. Übrigens kannst du gleich noch im Werk anrufen, daß ich vorbeikomme.« »Gern, Vater.« Professor Morley nickte ihr freundlich zu und ging nach oben. Eine halbe Stunde später, als sich eben die beginnende Dunkelheit über die Straßen legte, verließ er das Haus wieder und fuhr mit dem Wagen weg. Zehn Minuten danach durchschritt er das Pförtnerhaus des Versuchswerkes. Abermals eine halbe Stunde später passierte er das Pförtnerhaus in umgekehrter Richtung. Die Wachhabenden sahen, wie er in seinen Wagen stieg und wegfuhr. Sie waren die letzten, die ihn sahen. Margret Morley wartete vergeblich auf seine Rückkehr. * Greer Tuttle saß infolge einer neuen Vorladung bei Captain Ronco, als dieser Margret Morleys Anruf erhielt. Das Hin und Her des Gesprächs ließ Greer Tuttle aufhorchen und gab ihm Gelegenheit, seine Überraschung zu decken. »Sie haben Glück, Mister Tuttle«, sagte Ronco, während er den Hörer ablegte. »Soeben hörte ich, 73
daß Mister Morley gesund nach Hause gekommen ist.« »Na also.« Ronco nickte. »Eben. Erstaunlicherweise sind sogar seine Augen in Ordnung. Er kann sehen. Ich hoffe, daß er uns die Leute genau beschreiben kann, die ihn entführten.« Greer Tuttle kniff die Augen zusammen. »Deswegen brauchen Sie mich nicht so anzustarren. Ich war es bestimmt nicht.« »Hoffentlich. Wir hören morgen voneinander.« »Wie Sie wollen«, gab Greer Tuttle mürrisch zurück. »Auf Wiedersehen«, sagte Ronco gleichgültig. Greer Tuttle ging hinaus. Er suchte zunächst sein Hotelzimmer auf und dachte in Ruhe nach. Er bedachte seine Situation gründlich und kam zu dem Entschluß, nun doch lieber seinen guten Ruf und andere Geschäftseinlagen fahren zu lassen und zu verschwinden. Also setzte er sich in seinen Wagen und fuhr los. Er wollte zunächst zu seinem Haus, um dort noch einiges zu bereinigen. Ein paar Kilometer vor seinem Ziel überholte ihn ein fremder Wagen. Greer Tuttle blickte wie üblich in solchen Fällen zur Seite. Das Steuer ruckte unter seiner Hand, als er den Mann sah, der eben an ihm vorbeijagte. Das war doch Morley! 74
Dabei gab Greer Tuttle Gas, um ebenfalls auf Geschwindigkeit zu kommen und den Anschluß nicht zu verlieren. Das war zweifellos Morley gewesen. Der schmale Kopf, der Kinnbart – sicher war das Morley. Aber… Ein Gedanke zuckte in Tuttle auf, der ihn veranlaßte, wieder Gas wegzunehmen. Wie nun, wenn Morley ebenfalls zu seinem Haus fuhr? Hoffte er vielleicht, ihn, Greer Tuttle, dort stellen zu können? Oder wollte er etwas holen, was er dort zurückgelassen hatte? Dieses X 108? Greer Tuttle drückte erneut auf das Gaspedal. So oder so – er mußte den Professor haben. Vielleicht ließ sich noch einmal dort anknüpfen, wo in der Nacht der Faden gerissen war? Und auf jeden Fall mußte er wissen, wie die Dinge zwischen ihnen standen. Wieder Gas weg. Der Wagen mit Morley bog von der Straße ab in einen Feldweg hinein, der sich gegen den Wald zu schlängelte. Was bedeutete das nun wieder? Greer Tuttle fuhr vorsichtig nach. Nach einer Weile verschwand Morleys Wagen. Greer Tuttle hielt an und lauschte. Kein Wagengeräusch, dafür aber das helle dünne Knattern eines leichten Flugzeugs. Typisch für einen Hubschrauber. Da – da senkte sich ein Licht in den Wald hinein. Greer Tuttle ließ seinen Wagen ausrollen. 75
Da schob sich der Wald heran. Eine Schneise. Die Räder holperten über Wurzeln. Da vorn war eine Lichtung. Höchste Zeit, auszusteigen. Greer Tuttle lief durch das Dunkel der Baumschatten nach vorn. Und da stand plötzlich eine Hütte mit hellem Fenster, etwas seitlich ein zierlicher Hubschrauber mit leise nachflirrender Schraube. Greer Tuttle schlich sich an die Hütte heran. Der Lichtschein verlosch. Die Tür ging auf und Morley erschien. Greer Tuttle warf sich nach vorn und hieb mit dem Kolben seiner Pistole zu. Morley brach unter dem Schlag der aufprallenden Last zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Die Aktenmappe, die er unter dem Arm getragen hatte, flog zur Seite. Vom Hubschrauber her kam ein Ruf: »Hallo, was ist das?« Unmittelbar darauf stürzte ein Mann heran. Zweimal schoß Greer Tuttle, dann quittierte ein letztes Stöhnen den Treffer. Gleichzeitig knatterte aber auch der Hubschrauber wild los und hob sich vom Boden ab. Greer Tuttle duckte sich unwillkürlich tiefer. Damit hatte er nicht gerechnet. Wenn der dritte Mann im Hubschrauber auf den Einfall kam, ohne Rücksicht auf seine eigenen Leute die kleine Lichtung abzuharken … Greer Tuttle holte sich die Aktenmappe, dann lud er sich den reglosen Professor auf und lief davon. 76
Die Dunkelheit deckte ihn ausreichend. Da stand sein Wagen. Hinein und mit Rückwärtsgang aus der Schneise heraus. Der Mann dort oben konnte ihn bestimmt nicht hören. Der Hubschrauber schien sich zu entfernen. Um so besser. Eine Viertelstunde später trug Greer Tuttle seinen Gefangenen in den Keller seines Hauses hinunter. Morley war noch immer bewußtlos. Greer Tuttle schüttelte den Kopf, als er ihm die Taschen ausleerte. Er entdeckte sogar eine Pistole im Schulterhalfter. Das Kopfschütteln verging ihm, als er die Mappe öffnete und den Inhalt durchsah. Er starrte sprachlos auf die Papiere. Kein Zweifel – das waren Originalpapiere aus dem Versuchswerk, die geheimsten Aufzeichnungen über die Konstruktion der Spezialapparaturen und über die angestellten Versuchsreihen. Millionenpapiere! Was bedeutete es aber, daß Morley diese Papiere mit sich herumtrug und offenbar mit einem Hubschrauber hatte wegfliegen wollen? Befand er sich selbst auf der Flucht? War er sein eigener Verkäufer? * Captain Ronco las aufmerksam das amtliche Schrei77
ben, das ihm kurz vorher durch einen Kurier überbracht worden war, dann gab er eine kurze telefonische Anweisung. Eine Minute später trat Inspektor Peiro bei ihm ein. »Setzen Sie sich, Peiro«, wies ihn Ronco an. »Ich habe hier eben einige wichtige dienstliche Hinweise bekommen. Hörten Sie schon einmal von Walt Burton?« »Ich kann mich nicht erinnern«, antwortete der Inspektor nach kurzer Überlegung. »Es soll sich um einen der gefährlichsten internationalen Agenten handeln, wie mir mitgeteilt wird. Angeblich hält er sich in unserer Gegend auf. Kennzeichen: mittelgroß, graue Augen, schlank, keine besonderen Merkmale, jedoch außergewöhnliche schauspielerische Begabung und hervorragende Maskenkunst. Sagt Ihnen das etwas?« Peiro schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Capt’n. Die Leute, die sich herumtreiben, haben wir alle im Register. Das müßte ein neuer Mann sein, auf den noch kein Verdacht gefallen ist.« »Hm. Wir werden nach ihm suchen müssen. Dieser Burton gilt als der gerissenste Bursche, der sich auf den Kontinenten herumtreibt.« Das Telefon summte. Ronco hob ab und meldete sich. Gleich darauf fuhr er hoch. Vom anderen Ende der Leitung kam die Stimme 78
von Margret Morley. »Vater ist vor fast zwei Stunden ins Werk gefahren und nicht zurückgekehrt. Ich habe im Werk angerufen. Er hat es schon vor mehr als einer Stunde verlassen. Was soll das bedeuten?« Ronco holte tief Atem. »Ich komme sofort zu Ihnen.« Eine Viertelstunde danach betrat er das Haus der Morleys. Margret Morley und ihr Verlobter empfingen ihn. Ronco ließ sich berichten. »Das verstehe ich nicht«, bekannte er später. »Aber wahrscheinlich klärt sich alles als ganz harmlos auf. Hat Ihnen Ihr Vater gesagt, daß er vom Werk aus sofort heimkommen will?« »Das nicht, aber ich dachte …« »Da haben Sie es«, sagte Ronco erleichtert. »Wahrscheinlich hat er noch etwas zu erledigen und kommt erst zur angesagten Stunde zurück. Auf alle Fälle werde ich aber im Werk nach dem rechten sehen. Vielleicht wissen die Pförtner einiges.« »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?« fragte Gilder und blickte dabei Ronco so bedeutungsvoll an, daß dieser zustimmte. Als sie im Wagen saßen, gab Frederic Gilder die Erklärung für sein Verhalten. »Ich wollte Miß Morley nicht beunruhigen, Captain, aber da ist ein Punkt, der mich stutzig macht.« »Nämlich?« 79
»Mister Morley fuhr seinen Wagen selbst. Er konnte fahren, aber er verabscheute es und ließ sich immer fahren.« Ronco schüttelte den Kopf. »Was wollen Sie damit sagen? Ich lasse mich auch lieber fahren. Deswegen setze ich mich doch selbst ans Steuer, wenn es sich gerade ergibt. Zweifeln Sie etwa an der Identität Morleys?« »Ich weiß nicht«, antwortete Gilder unschlüssig. »Ich wundere mich nur – auf jeden Fall ist er viele Jahre nicht hinter dem Steuer gewesen und er …« »Meinen Sie nicht, daß Miß Morley ihren Vater kennt?« »Doch.« Sie schwiegen, bis sie im Pförtnerhaus standen. Captain Ronco ließ sich dort abermals Bericht erstatten. Nichts Ungewöhnliches. »Mister Morley fuhr selbst?« vergewisserte sich Ronco schließlich noch. »Gewiß«, bestätigte einer der Wachhabenden. »Ich habe mich noch gewundert. Wie der Teufel fuhr er los – gewissermaßen.« Ronco fing einen Blick von Gilder, zuckte aber mit den Schultern. »Er wird es eilig gehabt haben.« Der Verdacht fand eine schreckliche Bestätigung, als Ronco und Gilder durch das Labor ging. Der Panzerschrank in Morleys Arbeitsraum war 80
offen. In der angelehnten Tür steckte der Schlüssel. Die Sicherungsscheiben waren auf das Kennwort eingestellt, von dem außer Morley nur noch wenige Leute wußten. Der Schrank war leer. »Die Papiere!« stöhnte Gilder fassungslos. »Alle Aufzeichnungen über unsere Versuche – verschwunden.« Captain Ronco bewegte die Kinnlade hin und her. »Verschwunden? Werden Sie nicht dramatisch. Mister Morley hat wohl seine guten Gründe gehabt, sie herauszunehmen.« Frederic Gilder straffte sich. »Sie wissen genauso gut wie ich, daß er keinesfalls berechtigt war, diese Papiere aus dem Werk herauszutragen.« »Die Sache wird sich aufklären«, murmelte Ronco. »Wenn er nicht so gut Auto gefahren wäre …« »Lassen Sie mich damit in Ruhe«, antwortete Ronco gereizt. »Ich weiß schon, wo Sie hinwollen. Aber Miß Morley hat doch – ach was, kommen Sie. Ich muß noch einmal mit ihr sprechen.« Als sie abermals Morleys Haus betraten, fanden Sie Sun Koh mit seinem Begleiter vor. Ronco sah an den Gesichtern, daß sie Bescheid wußten. Es hatte keinen Zweck, etwas verheimlichen zu wollen. Außerdem waren das keine Leute, die die Neuigkeiten auf die Straße trugen. 81
»Was ist?« drängte Margret Morley unruhig. Ronco lächelte beruhigend. »Meine Leute suchen nach ihm. Wir müssen noch etwas Geduld haben.« Die Sorge macht die junge Frau hellsichtig. Sie wandte sich an ihren Verlobten. »Sag die Wahrheit, Frederic. Du siehst so verstört aus. Was ist mit Vater?« Gilder zögerte. »Ich – ich weiß nicht – es ist schon so, wir müssen warten. Aber war es wirklich dein Vater?« Sie blickte ihn erstaunt an. »Wie meinst du das? Natürlich war es Vater. Ich werde doch Vater kennen. Warum fragst du so sonderbar?« Hal grinste sie freundschaftlich an. »Manchmal täuscht sich der Mensch, besonders dann, wenn man gar nicht richtig hinsieht, weil man denkt, es ist nicht nötig. So etwas kommt alle Tage vor. Und der Bursche muß ein ganz gerissener Gauner gewesen sein. Sie hätten ihm nicht noch das Zimmer zeigen sollen.« Sie starrte ihn an. »Ich?« »Was bedeuten diese Anspielungen?« fragte Ronco scharf dazwischen. »Bitte setzen Sie sich, Captain«, bat Sun Koh. »Ihre Gesichter haben verraten, daß im Werk nicht alles 82
in Ordnung ist. Hat Professor Morley seine Aufzeichnungen aus dem Werk herausgenommen?« »Restlos sogar«, bestätigte Ronco grimmig. »Aber wie kommen Sie darauf?« »Ich vermute es«, antwortete Sun Koh. »Leider kam mir der Verdacht zu spät. Ich hätte es wissen müssen, als ich erfuhr, daß Mister Morley wieder sehen konnte. Das ließ sich nach den Aussagen von Willis und bei dessen Zustand nicht erwarten.« Ronco beherrschte sich. »Sie also auch? Aber Miß Morley kennt doch ihren Vater.« Sun Koh lächelte flüchtig. »Wir sehen leicht das, was wir zu sehen wünschen. Außerdem ist der Mann sicher ein hervorragender Schauspieler.« Captain Ronco ruckte hoch. »Burton? Glauben Sie, daß dieser Burton seine Hand im Spiel hat?« »Ich kenne den Namen nicht«, erwiderte Sun Koh. »Ich dachte an den Tramp Habakuk.« Captain Ronco wollte auflachen, verbiß es sich aber. Wie ein Menetekel erschienen ihm die Worte jenes Schreibens, in dem auf einen gewissen Burton aufmerksam gemacht wurde. »Habakuk?« wiederholte auch Margret Morley ungläubig. »Was hat Habakuk mit Vater zu tun?« »Ich nehme an, daß er es war, den Sie heute 83
nachmittag als Ihren Vater empfingen«, antwortete Sun Koh. »Aber dieser verwilderte Tramp – das ist doch nicht möglich. Wie kommen Sie auf diesen abscheulichen Verdacht?« »Ich fürchte, er ist nur zu sehr berechtigt, Margret«, murmelte Frederic Gilder. »Dein Vater hätte jedenfalls nie die Papiere aus dem Werk herausgenommen. Und er hätte den Wagen auch nicht selbst gefahren.« »Der Tramp?« stöhnte Ronco. »Sollte dieser Bursche wirklich…« Der Diener erschien im Raum. »Verzeihung – Captain Ronco wird am Telefon verlangt.« Ronco ging hinaus. Als er nach Minuten zurückkehrte, sah er bleich und müde aus. Er vermied es, Margret Morley anzusehen. »Ich muß mich leider sofort verabschieden. Soeben wird mir eine schwere Explosion, allem Anschein nach eine atomare Explosion, gemeldet.« »Vater?« flüsterte Margret Morley entsetzt. »Ich weiß noch keine Einzelheiten«, murmelte Ronco. »Ich muß erst hinfahren.« »Dürfen wir uns anschließen?« fragte Sun Koh. Ronco nickte und verabschiedete sich von Margret Morley.
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* Greer Tuttle saß im Keller seines Hauses und blätterte immer wieder in den kostbaren Papieren, wobei er unaufhörlich überrechnete, was sie ihm einbringen könnten. Nebenbei zählte er die Minuten. Er wußte, daß es Zeit wurde, die Gegend zu verlassen, aber er wollte noch mit Morley sprechen. Trotz aller Aufmerksamkeit entging ihm die Sekunde, in der sein Gefangener wieder zum Bewußtsein kam. Er schreckte auf, als die spöttische Stimme durch den Raum klang. »Eine interessante Sammlung, nicht wahr, Skinny?« Greer Tuttle schob die Papiere in die Mappe, erhob sich von seinem Stuhl und setzte sich auf die Kante der Holzpritsche. »Ah, wieder da?« fragte er grinsend. »Dachte schon, ich hätte Sie zu hart angeschlagen. Wieso kennen Sie mich auf einmal?« »Kleiner Schäker«, knurrte Morley verächtlich und richtete sich etwas auf, um dann vorsichtig seinen Hinterkopf abzutasten. »Ich dachte immer, Sie wären wirklich blind. Ein Glück, daß ich Ihnen heute zufällig auf die Spur kam. Eine schöne Überraschung, was?« Morley ließ langsam den Arm sinken. Seine Augen verengten sich, und seine Stimme färbte sich unmerklich um. »Wie kommen Sie dazu, mich zu überfallen?« 85
Greer Tuttle lachte ihm ins Gesicht. »Nun regen Sie sich bloß nicht auf, Professor. Erzählen Sie mir lieber, wie Sie dazu kommen, mit diesen Papieren zu türmen?« »Ich wollte sie in Sicherheit bringen.« »Das will ich auch«, konterte Greer Tuttle grinsend. »Legen Sie Ihre Karten auf den Tisch. Vielleicht können wir zusammenarbeiten.« »Wie meinen Sie das?« erkundigte sich Morley. »Sie verstehen mich schon«, sagte Greer Tuttle. Oder wollen Sie mir wieder etwas vormachen? Sie wollten mit den Papieren verschwinden. Es würde mich sehr interessieren, wer Ihnen so viel geboten hat, daß sich das Risiko für Sie lohnt.« »Sie sind ein Narr, Tuttle. Die Papiere gehören mir. Sie werden sie mir aushändigen.« »Ach nein?« höhnte Tuttle. »Ich gebe Ihnen die Chance, mit mir zusammenzuarbeiten. Wenn Sie zu fein dazu sind, mache ich ein Paket aus Ihnen und sage der Polizei Bescheid, damit Sie hier abgeholt werden.« Morley warf sich mit einem Ruck auf Tuttle. Greer Tuttle wehrte mit einem robusten Stoß ab und erwartete, seinen Gefangenen stöhnend in der Ecke liegen zu sehen. Aber gleich darauf entdeckte er, daß er sich ernsthaft seiner Haut wehren mußte. Dann ging es drunter und drüber. Greer Tuttle begriff allmählich, daß er einen ernstzunehmenden 86
Gegner vor sich hatte, und begann wütend zu kämpfen. Morley befand sich in der Lage eines Mannes, den man mit einem bösartigen Elefanten zusammen in eine enge Zelle gesteckt hatte. Es war ein wilder Kampf. Morley spürte schon, daß er allmählich mürbe wurde, als es ihm endlich gelang, nach einer nutzlosen Halsschere Tuttles Beine so schnell auszuhebeln, daß dieser rücklings stürzte. Das gab ihm etwas Luft. Tuttle rutschte an der Wand zusammen. Als er wieder hochkam, hielt ihm Morley die Pistole unter die Nase. »Stehen Sie auf, Skinny«, befahl Morley. »Eine falsche Bewegung, und ich pumpe Ihnen das Magazin in den Leib.« »Verdammt!« stöhnte Greer Tuttle zwischen Betäubung und Wut, während er sich hochstemmte. »Auf den Stuhl!« wies ihn Morley schroff an. Greer Tuttle sank weich auf den Stuhl und starrte seinen Gegner an. Er hatte Grund, sich zu wundern. Morleys Kinnbart hing nur noch an einer Ecke und baumelte neben dem Kinn. Die schwarzen Haare waren verschwunden. Dafür trug Morley jetzt kurzgeschnittenes, sehr helles Haar. Walt Burton alias Habakuk Woomy alias Professor Morley wischte mit einer Handbewegung den überflüssigen Bart beiseite. 87
»Kleiner Szenenwechsel, Freund Skinny«, sagte er mit einem grimmigen Lächeln. »Wer – wer sind Sie?« würgte Greer Tuttle. Burton lachte kurz auf. »Ich werde dir den Namen nicht sagen, Skinny. Du hast mir eins an den Kopf gegeben, und ich werde es dir zurückgeben, damit ich mich in Ruhe zurückziehen kann. Das ist alles, obgleich du mir die Geschichte ziemlich verdorben hast. Mich interessiert nur noch zu erfahren, wie du mir auf die Spur gekommen bist?« »Ich sah Sie zufällig im Wagen vorbeifahren«, sagte Greer Tuttle, »und hielt Sie wirklich für den Professor.« »Hm, so also! Sonst noch etwas?« »Warten Sie«, sagte Greer Tuttle schnell. »Wie wär’s mit einem kleinen Geschäft? Schließlich habe ich mit der Sache auch allerhand Mühe gehabt und …« »Geschäfte mit dir, Skinny? Wir wollen es kurz machen.« Greer Tuttle wußte, was kommen würde. Die Wut schoß wieder in ihm hoch. Eben noch Millionen in den Händen und nun nichts mehr. Er sprang gegen die Pistole an. Wenn es ihm gelang, Burton zwischen die Finger zu bekommen … Es gelang ihm. Der Schuß krachte, und Greer Tuttle hatte das Gefühl, als risse ihm ein spitzer Haken 88
die linke Seite auf, aber dann legten sich seine Arme um Burtons Körper. Burton wehrte sich wild, um aus der Klammer herauszukommen. Jetzt ging es ums Ganze. Er verschaffte sich Luft und drehte sich weg, aber schon war Tuttle wieder über ihm. Die Gelenke ächzten. Da gab ihn Greer Tuttle plötzlich frei. Er ließ ihn einfach los und blieb auf den Armen gestützt liegen. Sein Gesicht zeigte deutliches Entsetzen. »Da! Da!« Burton vergaß, seine Chance zu nutzen. »Was ist?« fragte er unwillkürlich. Dabei wälzte er sich auch schon herum, um in die Richtung zu schauen, in die Greer Tuttle starrte. In der Ecke des Raumes lag ein kleiner, unscheinbarer Klotz. Aus ihm stiegen grünliche Schwaden auf, die sich unter der Decke zu einer Wolke sammelten. Die Wolke schien Konturen zu gewinnen – ein dämonisches Gesicht – eine Fratze… »Was ist das?« flüsterte Burton. »Der Spuk!« ächzte Greer Tuttle in unverkennbarem Grauen. »Der Spuk von gestern. X 108!« Burton zuckte hoch. »Was? Morleys Probe?« »X 108«, bestätigte Tuttle mühsam. »In jeder Sekunde kann es explodieren – in jeder Sekunde …« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Burton scharf. »Wir müssen raus!« 89
Er wollte hoch, aber da warf sich Tuttle wieder auf ihn. »Frei kommen Sie nicht. Wenn es nicht explodiert, dann…« »Verdammt«, fluchte Burton, »begreifen Sie denn nicht…« »Ich lasse mich nicht noch einmal bluffen«, keuchte Greer Tuttle. »Gestern war es auch so und …« Er ließ plötzlich los und sprang hoch. Aus der Ekke kam ein helles Zischen. Das Bild hatte sich gewandelt. Das Atomgespenst war verschwunden, aus dem winzigen Klotz kam es wie ein weißer Dampfstrahl herausgeschossen. »Nein!« schrie Greer Tuttle und streckte abwehrend die Hände aus. Burton schnellte auf seine Füße, packte die Mappe mit den Papieren und stürzte hinaus. Greer Tuttle warf sich hinter ihm her und erwischte ihn bei den Füßen, so daß beide stürzten. Die beiden Männer wälzten sich auf dem Boden. Dann war rings um sie ein schrilles Pfeifen. X 108 zerfiel innerhalb weniger Sekunden. Nach diesen Sekunden existierte nichts mehr von Burton und Greer Tuttle. Über dem verwilderten Park, dessen Bäume und Büsche zusammensanken, stand ein Atompilz, der sich in Strähnen auffaserte und gegen den nächtlichen Himmel trieb.
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* Professor Morley schreckte von seinem Lager in der einsamen Waldhütte auf. Zugleich zerriß das wirre Traumbild von Dämonenköpfen und Explosionen. Dunkelheit ringsum. Richtig, er war ja blind. Was war das eben für ein Geräusch gewesen? Morley betastete seinen schmerzenden Kopf und versuchte sich zu erinnern. Er hatte einen scheußlichen Geschmack im Mund. Habakuk? Richtig – sie hatten gesessen und erzählt, dann waren sie schlafen gegangen. Maßlos verwundert zog Morley lange Strähnen durch seine Finger. Waren ihm über Nacht die Haare gewachsen? Das konnte doch unmöglich sein. Und doch – sein Haar war ganz lang geworden. Wie eine Mähne stand es um den Kopf herum. Sonderbar. Auch der Bart – Herrgott, seit wann trug er einen solchen Bart? »Habakuk!« Keine Antwort. »Habakuk!« Morley schrie es förmlich, aber ringsum blieb alles still. Da stand er auf und tappte in die Dunkelheit hinein. »Habakuk!« Morley lauschte, dann tappte er weiter. Ein Luft91
zug traf ihn, dann griffen seine Hände ins Leere. Die Tür. Sie war halb geöffnet. Als Morley nach ihr tastete, stolperte er über die Schwelle und brach in die Knie. Waldluft ringsum. Er fühlte Kies und Erde unter seinen Händen. Morley drückte sich wieder hoch und lauschte abermals. Dann sog er die Luft tief ein. Merkwürdig, so roch es im Labor, wenn sich Emanation und Ozon und Ladung miteinander verbanden. X108. War die Probe irgendwo in der Nähe zerfallen? Das konnte das Geräusch gewesen sein, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. »Habakuk!« Professor Morley rief vergebens. Habakuk antwortete nicht. Zögernd setzte er Fuß vor Fuß. Es war unheimlich, so blind durch eine unbekannte Gegend zu tappen, die vielleicht sogar gefährlich verseucht war, aber es trieb ihn voran. Da stieß er an etwas Weiches. Erschreckt hielt er inne. Dann bückte er sich vorsichtig. Das war ein Mensch, der am Boden lag. »Habakuk!« Nichts. Der Unbekannte am Boden rührte sich nicht. Zaghaft griff Morley wieder zu und tastete sich über den Körper hinweg. Der reglose Körper war warm. Er lebte. »Hallo! Hören Sie?« 92
Ein Stöhnen antwortete ihm. Dann bewegte sich der Unbekannte. »Hören Sie?« drängte Morley. »Sind Sie Habakuk?« »Habakuk?« kam es schwach zurück. »Ah, es hat mich erwischt. Wieso – Sind Sie Habakuk?« »Ich bin Professor Morley. Sie sind also nicht Habakuk?« »Sie sind doch Habakuk«, murmelte der Liegende. »Haben Sie wenigstens Verbandszeug da?« »Verbandszeug?« fragte Morley unsicher. »Ich weiß nicht. Ich will danach suchen. Sind Sie verwundet?« »Warum fragen Sie noch?« stöhnte der andere unwillig. »Er hat mich zweimal getroffen. Hoffentlich haben Sie es ihm heimgezahlt. Das Flugzeug ist natürlich fort.« »Das Flugzeug?« fragte Morley verständnislos. »Sie brauchen sich nicht zu wundern«, murmelte der andere. »Sie wollten es doch so, falls Polizei dazwischen käme. Wird Zeit, daß Sie mich verbinden, sonst…« »Ja, ja.« Morley drückte sich hoch und tappte zurück. Schritt für Schritt tastete er sich vorwärts. Seine Hand fand Widerstand. Ein Baum. Er stieß sich ab und ging weiter. Noch ein Baum. Wo blieb um Himmels willen die Hütte? Dort verblutete ein Mensch. 93
Die zunehmende Unruhe trieb Morley immer hastiger voran. Sein Gehirn begann mechanisch die Schritte ins Unbekannte zu zählen. Dann hielt er plötzlich an. Die Luft hatte sich verändert. Das roch nicht mehr nach Wald, sondern nach Erde. Und der Wind wehte, als striche er über freies Feld. Die Füße traten in weiche Erde, dann wieder auf festeren Grund. War das ein Weg, eine Straße? Morley lief nun einfach mit unsicheren, tastenden Schritten weiter und bemühte sich, wenigstens auf dem Weg zu bleiben. Dann kam der Augenblick, in dem Morley abermals anhielt, um sich die sonderbar fremden Haarsträhnen aus seinem Gesicht zu wischen. Seine Augen fingen eine Helligkeit. Sie stand im schmalen Streifen vor ihm und vereinigte sich zu einem hellen Fleck. Was bedeutete das? Konnten seine blinden Augen noch etwas von der Welt wahrnehmen? Eine jähe Hoffnung schoß in Morley hoch, aber er wagte nicht, ihr zu trauen. Da war etwas vor ihm, was er sehen konnte. Die Lichtstreifen wurden deutlicher, scharfe Konturen deuteten sich an. Geräusche kamen entgegen. Dann hupte ein Auto. Da wußte Morley, was er sah. Vor ihm standen Autos mit brennenden Scheinwerfern. 94
Dann rief eine helle jugendliche Stimme: »Sir! Da – das ist doch Habakuk!« Sekunden später spürte Morley rings um sich Menschen. Er konnte sie mit den Händen greifen, aber sie blieben blasse Schatten, bis grelles Licht auf eins dieser Gesichter fiel. Er sah es wirklich. Das traf ihn wie ein Schock. Er griff hilfesuchend in die Luft, stöhnte auf und brach zusammen. Sun Koh fing ihn auf und trug ihn in seinen Wagen. Die anderen drängten nach. Sun Koh wandte sich an Ronco: »Wir werden Wasser brauchen.« Ronco nickte und gab Befehl. Sun Koh setzte Morley behutsam auf die Polster. Dann begann er an dem strähnigen Bart zu ziehen. Hal riß die Augen auf, als er sah, wie sich unter den Bemühungen der beiden Männer der Bart verlor und der dunkle Kinnbart zum Vorschein kam. Glücklicherweise erging es Ronco nicht viel anders. »Teufel noch mal!« sagte Hal verblüfft. »Das ist doch …« Sun Koh löste die Perücke und begann Morleys Gesicht zu waschen. »Tatsächlich, Morley«, ergänzte Ronco. »Ich Idiot!« bekannte Hal. »Er konnte nicht sehen«, sagte Sun Koh. »Das hätte dir auffallen müssen.« Morley kam zu sich. Er wischte mit der Hand das 95
Wasser von seinem Gesicht ab. »Danke«, murmelte Morley abermals. »Wer sind Sie?« »Ich heiße Sun Koh. Captain Ronco ist ebenfalls hier.« Professor Morley machte seine Augen weit auf. Dann kam sein Kopf nach vorn. Er sah. Er sah wie durch Schleier hindurch, aber er sah ein junges kühn geschnittenes Männergesicht, das in seine Dunkelheit hineinleuchtete, und er sah in helle starke Augen, die durch alle Schleier hindurchdrangen. »Ich – sehe«, flüsterte er. Dann überschwemmte ihn die Erregung. »Mein Gott, ich sehe!« schluchzte er auf und barg das Gesicht in seinen Händen. »Sie werden sich den Ärzten anvertrauen müssen«, sagte Sun Koh nach einer Weile leise. Morley fing sich wieder. »Ich danke Ihnen«, murmelte er. »Das war die schönste Stunde meines Lebens. Ja, ich will nach Hause. Nur – ich weiß nicht, was vorgefallen ist. Im Wald steht eine Hütte. Dort liegt ein Verletzter, für den ich Verbandszeug aus der Hütte holen sollte, aber ich fand sie nicht mehr.« Ronco beugte sich vor. »Ein Verletzter? Wer ist das?« »Ich weiß es nicht.« 96
»An dem Weg, auf dem Sie gekommen sind?« »Ja, bei einer Hütte.« Ronco gab seine Anordnungen. Ein Trupp seiner Leute fuhr los. Wie sich später herausstellte, fanden sie nur noch einen Toten vor. Der Mann war verblutet. Seine Person blieb unbekannt. Eine Stunde später betrat der echte Morley wieder sein Haus, und Margret Morley konnte endlich ihren Vater umarmen. * Am nächsten Tag empfing Professor Morley Sun Koh, so daß dieser endlich Gelegenheit fand, ihn nach Jim Morley zu fragen. Das Gesicht des Professors verriet sofort, daß er diese Frage nur ungern hörte. »Ja, Jim ist mein Bruder«, gab er widerwillig zu. »Ich kann Ihnen jedoch nicht sagen, wo er sich aufhält. Er hat schon lange nichts mehr von sich hören lassen.« Sun Koh bezweifelte das, aber er hielt es für ratsam, einen Umweg zu machen. »Sie haben seinerzeit mit ihm zusammengearbeitet? Nach den Aufzeichnungen, die mir angeboten wurden, haben Sie ihm gewisse Ergebnisse Ihrer Forschungen zur Verfügung gestellt.« Morley lächelte. »Sie kennen meinen Bruder nicht, nicht wahr? Es 97
kann keine Rede davon sein, daß ich ihm etwas zur Verfügung stellte. Er hat mir abgenommen, was er brauchte – mit Gewalt gewissermaßen. Jim ist ein Mann, der notfalls mit dem Kopf durch die Wand geht.« »Er hat eine Tunnelbohrmaschine konstruiert?« »Hm, man kann es so nennen.« »Eine Maschine, die mit atomarer Energie betrieben wird?« »Man kann es so ausdrücken.« »Und wo arbeitet diese Maschine?« Morley seufzte. »Ich kann Sie schlecht sehen, aber ich höre an Ihrer Stimme, daß Sie hartnäckig sind. Ich darf Ihnen nichts über den Aufenthaltsort meines Bruders sagen.« »Sie dürfen nicht?« »So ist es. Sie müssen selbst nachforschen, wo ein Tunnelbau oder ein ähnliches ungewöhnliches Unternehmen betrieben wird. Solche Dinge lassen sich selten restlos verschweigen. Gefällt Ihnen übrigens Rio de Janeiro?« »Eine bemerkenswerte Stadt«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Sie ist bemerkenswert«, meinte Morley mit einem leichten Nicken. 5. 98
Sun Koh befand sich mit seinen Begleitern auf der Rückfahrt von Quro nach Rio de Janeiro. Die sonst stark belebte Autostraße zwischen den Höhenrücken des Mantequeira zeigte kurz vor Anbruch der Dämmerung nur wenig Verkehr. Ein Mädchen stand hinter einer scharfen Steigung vor dem Buschwerk eines gerölligen Steilhanges, weitab von der nächsten Ortschaft, als sei es unmittelbar aus der Wildnis gekommen. Nimba, der am Steuer saß, hielt auf das Winken hin an. Das Mädchen trat an den offenen Wagen heran, musterte schnell die drei Männer und wandte sich dann an Sun Koh, der auf dem Vordersitz neben Nimba saß. »Darf ich mitfahren?« »Bitte«, sagte Sun Koh freundlich. »Wir fahren bis Rio.« »Ich steige vorher aus. Vielen Dank, Señor.« Das Mädchen sprach mit der Sicherheit einer Erwachsenen, obgleich sie nicht viel älter als vierzehn Jahre sein mochte. Die Stimme klang eigenartig dunkel und melodisch. Sie trug ein dünnes billiges Kattunkleidchen. Beine und Arme waren nackt. Ihr bräunliches Gesicht sowie ihr Körper waren wundervoll geschnitten. Doch Armut und Kultur verbanden sich in diesem Mädchen. Hal Mervin, der es sich hinten auf seine Weise be99
quem gemacht hatte, nahm seine Füße von den Polstern und griff nach der brüchigen Ledertasche, die ihm das Mädchen reichte. Zugleich öffnete er den Schlag und ermunterte: »Also, dann hopp!« »Augenblick«, sagte das Mädchen unschuldig, verschwand hinter dem Busch und kam mit einem Packen zurück, der erheblich größer war als sie selbst. Es war ein weicher Ballen, in ein Bettuch eingeknüpft, der seinen Inhalt leicht erraten ließ. »Da bist du platt«, murmelte Hal. »Hoffentlich bringt sie nicht noch die ganze Verwandtschaft mit.« Das Mädchen mußte in ihren zierlichen Gliedern eine ganze Menge Kraft besitzen. Sie ging mit dem Ballen um, als bedeute er keinen wesentlichen Ballast für sie, und bevor es sich Hal versah, hatte er ihn auf dem Schoß, so daß die Welt für ihn an einem mitgenommenen Bettuch und an einem weichen Wall zu Ende ging. »Hoho!« protestierte er. »Das geht zu weit. Bei der Hitze! Halte gefälligst einen Lastwagen an!« Während das Mädchen an seine Seite schlüpfte und Nimba auf einen Wink von Sun Koh hin wieder Gas gab, versuchte er vergeblich, den Ballen zu bewältigen. »Sind Sie verärgert?« erkundigte sich das Mädchen ernsthaft. »Verärgert ist gar kein Ausdruck«, murrte er milder. 100
»Ich platze vor Wut. Wieso sprichst du plötzlich Englisch? Bist du Amerikanerin?« »Ich spreche schon fünf Sprachen«, berichtete sie sachlich, während sie sich bemühte, einen Teil des Ballens in den Zwischenraum zwischen die Sitze zu drücken. »José meint, das käme von dem Durcheinander bei unseren Vorfahren. Sie haben verschiedene Sprachen gesprochen. Er sagt, ich wäre eine geglückte Internationale.« Hal schluckte. »Geglückte Internationale«, meinte er endlich verächtlich. »Ganz was Neues. Dein José hätte sich auch etwas Gescheiteres ausdenken können.« »Ich bin Maria Ortegas – komme aus einem alten spanischen Geschlecht und José ist mein Bruder.« »Habe die Ehre«, sagte Hal. Maria Ortegas blickte auf ihre staubbedeckten, nackten Füße. Dann sagte sie hochmütig: »Sie sind nicht sehr höflich, Señor. Wahrscheinlich kennen Sie die Kulturgeschichte der letzten Jahrhunderte nicht. Die Ortegas zum Beispiel spielten eine große Rolle am Hof, aber die Ehe von Don Fernando und Prinzessin Isabella ist seinerzeit nicht anerkannt worden. Aber mein Bruder meint, ich wäre eine Prinzessin.« Hal kratzte sich hinter dem Ohr. »Was ist eigentlich in dem Bündel?« »Betten, Decken und ein Kleid«, sagte sie freundlich. »Großmutter besaß nicht viel. Die Hütte mußte 101
verkauft werden, um das Begräbnis zu bezahlen.« »Ist deine Großmuter gestorben?« »Ja«, sagte das Mädchen spitzbübisch. »Sie hätte sich bestimmt nicht lebend begraben lassen.« »Hm, das leuchtet mir ein. Und nun willst du nach Rio?« »Nein, zu José. Wo die Straße nach Cavras abbiegt, muß ich aussteigen. Von dort sind es nur ungefähr acht Meilen. Der Weg ist keine richtige Straße mehr, aber vielleicht finde ich dort einen Wagen. Sonst gehe ich eben zu Fuß.« »Mit diesem Bettenberg?« »Ach, das ist nicht schlimm. Ich bin sehr stark.« »Warum holt dich dein Bruder nicht ab?« fragte Hal. »Er kann nicht fort. Er muß doch das Haus von Señor Bergman bewachen. Außerdem weiß er überhaupt nicht, daß Großmutter gestorben ist und ich zu ihm komme.« »Aha. José ist also Wächter?« Maria lächelte. »Aber nein. José bewacht zwar das Haus, aber er ist Dichter.« »Dichter?« »Wissen Sie nicht, was das ist, Señor?« »Doch, doch«, versicherte Hal hastig. Der Wagen fuhr langsamer. Sun Koh wandte sich um. 102
»Der Abzweig nach Cavras. Wo ist der Weg, den du gehen willst, Maria?« Die Kleine schreckte auf. »Oh, ich muß aussteigen. Er biegt erst weiter oben von der Straße nach Cavras ab und führt dort über den Berg. Wenn Sie hier anhalten …« »Wir werden dich zu deinem Bruder bringen«, sagte Sun Koh. »Fein«, seufzte sie erleichtert. »Aber der Weg ist schwierig, Señor.« »Der Wagen wird es weniger spüren als du.« »Danke, Señor«, sagte sie anmutig. »Sie sind wie Richard Hauser. Er hat auch so helle Augen wie Sie und sieht auch wie ein Eroberer aus.« »Danke«, erwiderte Sun Koh. »Und wer ist Richard Hauser?« »Der Chefingenieur, der den großen Tunnel gebaut hat und den ersten Zug fahren soll. Er stammt von den Deutschbrasilianern ab und ist ganz arm. Ich wollte, daß er eine reiche Millionärstochter bekommt, aber José meinte, in seinem Roman gäbe es keine reichen Millionärstöchter, sondern nur Männer. Er glaubt nicht an Märchen.« »So, einen Roman schreibt dein Bruder? Ist da nicht auch für mich eine passende Rolle drin?« fragte Hal. »Nein«, antwortete Maria Ortegas daraufhin sanft. »Der Roman handelt nur von Männern.« 103
Worauf Hal lange schwieg. Der Weg, den das Mädchen wies, hatte wirklich seine Schwierigkeiten. Er war sehr schmal, unregelmäßig und steinig. Jenseits der Hügelkette löste sich der Weg zu einer Fahrspur auf, die durch Baumbestände hindurchführte. Dann tauchte ein ansehnliches Gebäude auf, das in völliger Einsamkeit lag. »Das ist das Landhaus von Señor Bergman«, erklärte Maria Ortegas eifrig. »Seit der großen Explosion steht es jedoch leer, weil es so schwer zugänglich ist. Nur José wohnt dort. José!« Sie rief und sprang als erste heraus. Sie bekam keine Antwort. Im Haus war es völlig dunkel. »Hoffentlich gibt das keine Pleite«, murmelte Hal, während er mit Sun Koh hinter dem Mädchen hereilte. Sun Koh faßte Maria bei der Schulter, als sie eben die Haustür öffnen wollte. »Warte, Maria. Dein Bruder scheint unterwegs zu sein. Ich will erst einmal im Haus nachsehen.« Sie blickte zu ihm auf und sagte leise: »José ist im Haus. Ich spüre das. Aber – es ist etwas geschehen.« José lag wenige Meter hinter der Tür in einem Sessel, in dem ihn wohl Schwäche und Blutverlust überwältigt hatten. Seine linke Schulter war mit einem Notverband dürftig umwickelt. Eine zweite Wunde 104
saß oberhalb der Hüfte. Sie sah sehr gefährlich aus, doch ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob lebenswichtige innere Organe verletzt worden waren. José Ortega war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Sein verfallenes Gesicht ließ nicht mehr viel erhoffen. Atem und Herzschlag kamen sehr schwach. Neben dem Bewußtlosen lag ein Revolver. Er war offenbar der kraftlosen Hand entglitten. Maria stand wie eine Statue aus Elfenbein. In dieser Minute zeigte sie, daß sie das Blut von Generationen in sich trug, die nicht nur wild, sondern auch stolz gelebt hatten. Nicht einmal ihre Lippen zuckten. Nur ihre Augen verrieten die Angst. »Er lebt«, teilte Hal tröstend mit, während Sun Koh noch behutsam untersuchte. »Sie haben ihn überfallen«, sagte sie starr vor sich hin. »Er hat sie vertrieben.« Sun Koh erhob sich und blickte auf Nimba, der inzwischen ebenfalls eingetreten war. »Beides Steckschüsse, Nimba. Er muß zum Arzt. Du fährst ihn nach Rio ins Krankenhaus. Die Kleine fährt mit. Wir warten hier, bis du mit dem Wagen zurückkommst.« Nimba nickte stumm. Sun Koh hob den Bewußtlosen behutsam auf und trug ihn zum Wagen. Den Beifahrersitz funktionierte Hal zur Liege um und polsterte sie mit den Decken und Betten, die er aus dem 105
Packen herausriß, sorgfältig aus. José Ortega wurde weich gebettet. Seine Schwester hockte sich auf das freie Rückpolster. Dann fuhr Nimba ab. Die beiden Männer gingen ins Haus zurück. Dieser Señor Bergman mußte ein reicher Mann sein. Das Landhaus war nicht nur sehr geräumig, sondern auch reich und luxuriös ausgestattet. Kein Wunder, daß es trotz seiner Lage Einbrecher angelockt hatte. Die Räume waren jedoch seit Monaten oder gar seit Jahren nicht benutzt worden. José Ortegas hatte sich in einem kleinen Zimmer unweit der Küche eingerichtet. Er mußte es in großer Hast verlassen haben. Der Stuhl war umgeworfen. Auf dem Tisch stand eine Schreibmaschine. Der Text auf dem eingespannten Bogen riß mitten im Satz ab. Neben der Maschine lag eine Mappe mit einem dünnen Stoß beschriebener Bogen. »Ein sonderbarer Titel«, sagte Sun Koh, nachdem er die Mappe geöffnet hatte. »Wo die Erde heult! Zwölftes Kapitel.« »Ist das der Roman, in dem Sie vorkommen? Wo die Erde…« Er brach mitten im Satz ab. Irgendwo da draußen summte ein tiefer heulender Ton wie von einer Orgelpfeife, der langsam anstieg. Das Geräusch kam aus der Ferne und war doch so mächtig, daß es von keinem Instrument stammen konnte. 106
Sun Koh trat mit zwei Schritten an das Fenster und riß die Flügel auf. Das dröhnende Heulen erfüllte jetzt den Raum. Das Heulen wurde dann immer tiefer und matter, bis es zu einem gleichmäßig summenden Geräusch absank. »Was ist das, Sir?« »Jedenfalls die Erklärung für diesen Romantitel«, antwortete Sun Koh und setzte sich in den Schreibsessel. »Vielleicht hat José Ortegas einiges darüber aufgeschrieben.« Er nahm die Blätter zur Hand und begann zu lesen. Rio de Janeiro – Antofagasta. Genau 2507 Kilometer ist der Tunnel lang, der quer durch den Kontinent von Ozean zu Ozean stößt, ein gradliniger Nadelstich durch die Erdrinde hindurch, überwölbt von der sich buckelnden Erde – Traum eines Kellermann, der vom Atlantik auf den südamerikanischen Kontinent verschoben wurde. Die Fahrstühle schießen 70 Meter in die Tiefe. Die riesige unterirdische Halle von Cavras, ein blendend ausgeleuchtetes Höhlenmonument in farbigem Marmor, füllt sich allmählich. Die Ehrengäste gehen in Gruppen zum Bahnsteig. Da liegt der Triebwagen, ein langgestreckter Riesentorpedo mit unzähligen Fensteröffnungen, hinter denen die leeren Abteile noch auf die vorgesehenen 750 Passagiere warten. 120 Meter Länge und 5 Meter Höhe, zwei Stockwer107
ke übereinander, Reisegeschwindigkeit 1300 Stundenkilometer, keine zwei Stunden bis Antofagasta, windschnittiges Riesenhotel auf einer einzigen Fahrschiene, Düsenantrieb … Nun, man kennt die technischen Daten aus unzähligen Veröffentlichungen, und wer sie nicht kennt, mag sie aus der Festschrift entnehmen, die jeder in der Hand hält. Während der Fahrt wird noch Zeit sein, sich mit dem Innern vertraut zu machen. Kaum einer kümmert sich um die beiden Männer, die in einer Ecke des Wartesaales sitzen, als gehörten sie nicht zu den blitzenden Stahlrohrsesseln, den roten Bodenläufern und den Wimpelgruppen an den festlichen Wänden. Sie tragen Straßenanzüge, die nicht mehr neu sind, und derbe Hemden, deren oberster Knopf geöffnet ist. Ihre Gesichter sind wie rauh und hart. Ernesto hebt sein Glas. »Gute Fahrt, Richard!« Richard Hauser nickte ihm zu, ohne selbst sein Glas zu berühren. »In Ordnung, Ernesto. Hoffen wir das Beste.« »Hast du Bedenken?« In Hausers hellen, harten Augen blitzt Heiterkeit. »Bedenken? Wie viele Tage haben wir in diesen vier Jahren zusammen erlebt, in denen es nicht hart auf hart ging? Und wie viele Tage gab es, in denen wir nicht am eigenen Leib spürten, daß die Erde lebt? 108
Dieser Tunnel hätte nie gebaut werden dürfen.« »Du hast ihn gebaut.« »Ich war ein Besessener, der einen Narren mit dem nötigen Geld gefunden hat. Wenn ich in Antofagasta aussteige, werde ich den Rest meines Lebens darauf verwenden, es zu vergessen.« Ernesto nickt. »Geht mir ähnlich. Der Tunnel hat uns fertiggemacht. Wir sind mit Dreißig so alt wie andere mit Fünfzig. Es wird Zeit, daß wir uns ins Gras legen und die Daumen drehen.« »Das ist es. Bin neugierig, ob man das kann.« Dann schwiegen sie. Die Ehrengäste gehen achtlos an den beiden vorüber. Dieser Mann in der Ecke hat ein anderes Gesicht als jener Chefingenieur, dessen Bild vor Jahren in der Zeitung veröffentlicht wurde, als er sich noch fotografieren ließ. Und niemand kümmert sich darum, wer den ersten Expreß fahren wird. Irgendein Namenloser. Francesco Domicante, der Leiter der ›Union Sudamericana de Expreso de Cohete‹, weiß es. Er schlängelt sich unauffällig heran. »Noch zehn Minuten, Señor Hauser. Sie werden rechtzeitig abfahren?« Richard Hauser blickt nicht auf. Ernesto schiebt den Mann weiter. »Kümmern Sie sich um Ihre Leute, Dicker. Wir fahren auf die Sekunde.« 109
»Gewiß, gewiß«, meint Domicante. »Hoffentlich kommen Sie auch pünktlich an.« »Auf die Sekunde«, knurrte Ernesto unwillig. Dann sitzen die beiden Männer wieder stumm beieinander. Die Reden sind vorüber. Die Ehrengäste nehmen in den Abteilen Platz. Sie sind sich der Bedeutung der Stunde bewußt und verbergen geschickt die nervöse Unruhe voreinander. Immerhin ist es ja nicht alltäglich, in diesen dunklen Schlund voraus mit Überschallgeschwindigkeit hineinzusausen. Weiß man wirklich genau, ob man nicht in der Hölle landet?« Die Zeiger der elektrischen Uhr rucken auf die kritische Minute zu. Im Führerstand des mächtigen Raketentorpedos ertönte ein helles Summen. Start! Richard Hauser schaltet auf Zündung. Die Lichtpunkte gleiten an den Kontrollen aufwärts. Die Abteile sind gut abgedichtet worden. Die Menschen sehen nichts als flüchtige Lichtfunken, die vorüberzucken. Sie sitzen in ihren Abteilen und bemerken nichts als sich selbst. Im Führerstand fixieren vier Augen die Apparate. Es lohnt sich nicht, nach vorn in die endlose Gerade hineinzustarren. Die Meßapparate berichten zuverlässiger. 800 Stundenkilometer. 900-1000-1100-1200… 110
Bei 1300 Stundenkilometer bleibt der rote Punkt haften. Die normale Reisegeschwindigkeit ist erreicht. »Asuncion«, murmelt Ernesto nach vierzig Minuten. Richard Hauser greift nach den Hebeln. Die Geschwindigkeit verringert sich allmählich. Draußen blitzt eine Märchenwelt auf. Unzählige Lichter gleiten vorüber. Der Expreß rollt in die unterirdische Station ein – nicht weniger als achtzig Kilometer unter der Erdoberfläche, das Urgestein herausgebeizt, absolut atombombensicher. Aus den Schaufenstern einer breiten Geschäftsstraße fluten farbige Lichter wie bunte Glasschnüre, ein unterirdischer See mit einem Schwimmbecken leuchtet auf, ein künstlicher Garten glüht im Ultralicht. Wandelgänge, Menschen, Menschen … Der Triebwagen hält am Bahnsteig. Auf die Sekunde pünktlich. »Asuncion. Eine Minute Aufenthalt!« Wieder das helle Summen im Führerstand. Der Expreß ruckt an und schießt wieder in den Tunnel hinein. 1300 Stundenkilometer. In regelmäßigen Abständen kommen aus dem Lautsprecher die Meldungen der Kontrollstellen. Richard Hauser scheint sie nicht zu hören. Doch sein Ohr nimmt jede Nuance in den ruhigen Stimmen auf. 111
Da ist irgend etwas untergründig in ihm, was ihn beunruhigt. Oder sollte die Erde, diese geliebte und tausendmal verfluchte Erde zur Feier des Tages doch Ruhe halten? »Abschnitt S15 in Ordnung. Vier Sekunden zu früh passiert. Fahrt frei.« »Abschnitt S 16 in Ordnung. Fünf Sekunden plus. Fahrt frei.« »Abschnitt S 17 in Ordnung.« »Abschnitt S 18 in … Da kommt es. Ein keuchender Schrei aus dem Lautsprecher. »Abschnitt S 19 schwerer Schaden. Sofort stoppen!« Mit einem Ruck wirft sich Richard Hauser herum und schaltet den Sender. »Hauser. Was liegt vor?« »Starker Wassereinbruch bei Kontrollpunkt V 192«, hastet die antwortende Stimme. »Schaden noch nicht übersehbar. Schotten V 192 und V 193 geschlossen. Sofort stoppen. Ihr fahrt noch immer mit 1300!« Da meldet sich schon der Zugführer aus seinem Abteil. »Hallo, Señor Hauser, warum stoppen Sie nicht? Die Fahrt muß abgebrochen werden. Ich beruhige die Passagiere. Stoppen Sie!« Die Augen der beiden Männer im Führerstand treffen sich. 112
»Also doch«, murmelt Ernesto hilflos. »Sie spielt uns den letzten Streich!« Richard Hauser atmet so tief, daß es wie ein Stöhnen klingt. Er hat es geahnt. Er kennt diese Erde, hat sie Jahr um Jahr in unzähligen Kämpfen kennengelernt. Sie will diese starre Kanüle, die durch ihren Leib stößt, nicht dulden. »Das wollen wir sehen!« knurrte er wild und drückt gleichzeitig den Fahrthebel über den roten Strich hinaus, so daß die Rakete nach vorn ruckt. »Wir fahren durch. Schotten auf!« »Sie sind verrückt!« kreischte der Zugführer aus dem Lautsprecher heraus. »Die Schotten auf!« knirscht Richard Hauser. »Öffnen Sie, oder ich fahre sie euch zusammen!« »Herrgott, Mann, Sie haben schon 1350! Das gibt eine Katastrophe! Das Wasser! Die Passagiere!« Richard Hausers Stimme klingt eisig. »Die Schotten auf, S 19. Ich übernehme die Verantwortung!« »Ich öffne die Schotten«, klingt es gebrochen zurück. Der Geschwindigkeitsmesser zeigt 1400 Stundenkilometer an. »Bin verdammt neugierig«, murmelt Ernesto, während er dem Kameraden die Hand auf den Arm legt. »Sieht nicht nach Daumendreherei auf der grünen Wiese aus. Aber ich kann dich verstehen. Und 113
immerhin gibt das nach diesen Jahren keinen schlechten Abschluß.« »Es ist die Verwerfung«, sagte Richard Hauser gelassen. »Ich kenne die Stelle ganz genau. Wenn wir Pech haben, ist der ganze See eingebrochen. Wahrscheinlich ist aber ein Riß in der Abdämmung. Dann kommen wir durch.« »Hm! Wäre es nicht besser, langsamer ranzugehen?« »Das Wasser wird ohnehin bremsen.« Sie blicken nach vorn. Da kommt es herangeschossen – eine glitzernde Zunge mit weißen Wirbelkronen, dahinter ein quirlender Strudel… »Stemmen!« Die Arme zerbrechen fast unter dem Stoß. Wie ein weiches Kissen fängt das Wasser die Rakete auf. Die Geschwindigkeit sinkt rapid. Ringsum ist Wasser, nichts als Wasser. Zwölfhundert Stundenkilometer – elfhundert – tausend – neunhundert – achthundert… Die Augen der beiden Männer treffen sich noch einmal. Wenn sie jetzt nicht bald Luft bekommen, haben sie den ganzen See gegen sich. Dann ist es vorbei. Bis jetzt hat es dort hinten zwischen den weichen Polstern vielleicht einige Geprellte gegeben. Doch dann wird der Expreß nicht mehr und nicht weniger als ein riesiger Sarg sein. Da zischen rechts und links die Wasser mit weißen Fahnen weg. 114
Durch! Der rote Punkt am Geschwindigkeitsmesser schnellt wieder nach oben. »S 20«, meldet sich der Streckenwärter in einem Tonfall, der wie ein Gebet klingt. »Alles in Ordnung. Strecke frei!« Richard Hauser streckt sich. Der harte Glanz in seinen Augen erlischt. »Tückische Bestie«, murmelte er vor sich hin und zieht den Fahrthebel bis zum Strich zurück. »Du wirst keine Ruhe geben, aber ich habe es wenigstens einmal geschafft. Mögen die anderen sehen, wie sie mit dir fertig werden!« Ernesto schweigt. Einförmig klingen die Streckenmeldungen auf. Die Minuten rinnen zur Stunde zusammen. Antofagasta. Pünktlich auf die Minute rollt der Expreß in die lichtüberflutete Halle ein. Pünktlich auf die Sekunde hält er mit einem sanften Ruck an. * Sun Koh schob die Blätter zusammen. »Ein Abschnitt aus einem utopischen Roman um einen Tunnel zwischen Rio und Antofagasta.« Dann horchte er wieder auf. Die Geräusche, die jetzt anschwellend in den Raum eindrangen, klangen 115
wie eine gespenstische Unterstreichung der Vision, an der José Ortegas gearbeitet hatte. »Wie Züge, die durch einen Tunnel fahren«, murmelte Hal. Das Rollen verschwand, dafür verstärkte sich jetzt wieder der heulende Ton. »Ein eindringliches Motiv für Ortegas«, murmelte Sun Koh, während er sich erhob. »Komm, Hal. Dieses Geräusch interessiert mich.« Draußen schien der Heulton über dem ganzen Bezirk zu liegen. Fünfzig Meter vom Haus entfernt stieß Sun Koh auf einen Stacheldrahtzaun, der sich zwischen den Bäumen und Büschen entlang zog. Zwanzig Meter weiter kam ein zweiter Zaun in der gleichen Art. Dahinter begann bald ein baumfreies, aber sehr unregelmäßiges Gelände, das durch zahlreiche Felsblöcke unübersichtlich wurde. Der aufgehende Mond zeichnete bizarre Schatten. Nach einer halben Stunde erreichten die beiden Männer die Höhe eines Schuttwalles. Damit sahen sie ihr Ziel vor sich. Es war wirklich ein Wall, auf dem sie standen, ein Wall aus losen Trümmersteinen und Pulverstaub, in dem die Füße versanken. Er umringte kreisförmig mit rund fünfhundert Meter Durchmesser eine flach abfallende Senke, deren tiefster Punkt ungefähr fünf116
zig Meter unter dem Kamm des Walls lag. Minuten später standen sie im Mittelfeld der Senke vor einer niedrigen, recht primitiven Einfassung aus groben Steinen, die um einen Schlund von zwanzig Meter Durchmesser herumlief. In den Schlund hinein stürzte die Luft, als würde sie in einen Windkanal hineingerissen. Der Sog war so stark, daß es ratsam schien, sich an der Steinbrüstung festzuhalten. Dieser Luftstrom verursachte das dumpfe heulende Sausen. Sun Koh beugte sich über die Brüstung und ließ das Licht seiner Stablampe hinunterfallen. Das Licht verlor sich in einer bodenlosen Tiefe. Etwas seitlich setzten unterhalb der Brüstung Steigkrampen an, die in Meterabständen nach unten führten. Das Sausen riß ab. Ein schwaches Rollen kam von unten und verschwand wieder. Dann heulte der Luftstrom stärker auf, um gleich darauf fast völlig zu verebben. Oder hatten sich die Ohren nur an das Geräusch gewöhnt? »Ein Wetterschacht!« schrie Sun Koh seinem Begleiter ins Ohr. »Unten muß ein Tunnel zum Meer führen. Bei Tag ist das Meer kühler als das Land. Die Kaltluft flutet vom Meer ein. Bei Nacht ist das Land kühler. Die Kaltluft stürzt von oben durch den Wetterschacht nach unten. Ein bekanntes Verfahren.« »Gibt es hier Bergwerke?« rief Hal zurück. Sun Koh schüttelte den Kopf. Das war die Frage, 117
auf die er selbst gern eine Antwort gehört hätte. Seines Wissens nach gab es in diesem Bezirk keinen namhaften Bergbau, ganz zu schweigen von einem Unternehmen, das einen derartigen Wetterschacht gerechtfertigt hätte. Sie befanden sich hier mitten im Mantequeira-Gebirge, das mit zwei Kammlinien annähernd parallel zur Küste lief. Die Küste war mindestens fünfzig Kilometer entfernt. Wenn dieser riesige Windkanal ziehen sollte, dann mußte der Tunnel, der sich irgendwo dort unten befand, wenigstens ungefähr in der Nähe der Küste seinen Anfang haben und wenigstens ungefähr auf Meereshöhe liegen. Das hieß aber nichts anderes, als daß ein Tunnel von rund fünfzig Kilometer Länge zu unterstellen war und daß dieser Wetterschacht rund tausend Meter Tiefe haben mußte. Das Heulen verstärkte sich wieder, so daß eine Verständigung fast unmöglich wurde. Sun Koh bedeutete Hal durch Gesten, auf ihn zu warten, dann stieg er über die Brüstung hinweg in den Schacht hinein. Hal verfolgte Sun Koh im Schein seiner Lampe. Er sah ihn von einer Krampe zur anderen absteigen – fünf Meter – zehn Meter – zwanzig Meter. Dann hob das Licht nur noch Kopf und Schultern heraus, und dann wurde es zu schwach, um die Schwärze zu durchdringen. Nach Minuten ließ der Luftdruck wieder nach. 118
Das Heulen wurde zum matten Summen. Hal beugte sich weit über die Brüstung und rief hinunter. Keine Antwort. Hal begann zu schimpfen. Das war wieder einmal echt Sun Koh. Da kletterte er ins Unbekannte hinein und ließ Hal zusehen, wie er mit seiner Unruhe fertig wurde. Eine Minute nach der anderen verging. Hal lag auf der Steinbrüstung und starrte in die dunkle Tiefe hinab, bis ihn die Augen schmerzten. Immer wieder hoffte er, einen Ruf zu hören oder Sun Koh auftauchen zu sehen. * Sun Koh stieg vorsichtig von Krampe zu Krampe abwärts. Der Luftstrom riß an seinem Körper und kühlte ihn so stark ab, daß sich die Finger versteiften. Nach fünfzig Meter ungefähr blickte Sun Koh nach oben. Die Scheibe des Nachthimmels über ihm war klein geworden. Etwa zehn Meter unter ihm schien sich eine Plattform herauszuschieben. Sun Koh gab die zehn Meter noch zu. Tatsächlich – das war eine geriffelte Platte, offenbar aus Leichtmetall, die aus der Schachtwand vorsprang. Sie saß an einem senkrechten Profileisen, an dem in Meterhöhe ein Handgriff befestigt war. Über diesem befand sich ein Hebel. Unter der Platte fiel 119
ein schwarzes Kabel in die Tiefe. Einen halben Meter seitlich wurde ein zweites Kabel sichtbar, das gegen eine Eisenschiene lief. Plötzlich fiel Sun Koh im Übergreifen die brennende Lampe aus der Hand. Der Lichtpunkt blieb sichtbar, während Sun Koh mechanisch die Sekunden abzählte. Als nichts vom Licht mehr zu sehen war, wußte Sun Koh nicht, ob er wirklich so lange gesehen hatte oder ob er das Opfer überreizter Augennerven geworden war. Wenn es nach den Fallsekunden ging, mußte der Schacht rund zweitausend Meter tief sein. Zweitausend Meter? Es wurde Zeit, wieder nach oben zu kommen. Sun Koh war zur Rückkehr entschlossen, aber er wollte wenigstens noch abtasten, was er gesehen hatte. Seine Hand wechselte zu dem Griff über, sein Fuß tastete die Platte ab. Zweifellos standfest. Wenn die schwarzen Kabel Seile waren, konnte es sich um einen primitiven Paternoster handeln. Die Eisenschienen mußten automatisch die Querverschiebung bewirken. Er nahm die rechte Hand von der Krampe, griff nach und setzte gleichzeitig den zweiten Fuß auf die Platte. In diesem Augenblick gab es einen harten Ruck, und Sun Koh sauste mit atemberaubender Geschwindigkeit in die Tiefe. Er fiel nicht. Die Standplatte fiel, mit ihr die Ei120
senschiene und der Griff, aber der Ruck hätte genügt, um ihn von der winzigen Platte abzuwerfen, wenn sich nicht im Bruchteil einer Sekunde stählerne Klammern um seinen Körper geschlossen hätten. Sie waren aus der eisernen Schiene herausgeschnellt und legten sich als Fangring um den Rücken. Also doch ein Fahrstuhl. Auf jeden Fall ein Expreßlift. Er mußte bereits rund tausend Meter gefallen sein. Und die Fahrt in die unbekannte Tiefe ging immer noch weiter. Zweitausend Meter Tiefe. Plötzlich kam von unten ein furchtbarer Ruck, der die Knie einsinken ließ und fast die Muskeln der Arme zerriß. Gleich darauf folgte ein zweiter und ein dritter Ruck. Der primitive Fahrstuhl glitt nur noch langsam tiefer. Noch ein schwächerer Ruck, dann stand er. Eine polternde menschliche Stimme klang herauf. Die Worte waren verzerrt und blieben unverständlich. Sun Koh sah ungefähr hundert Meter unter sich ein helles rundes Feld, in dem sich keine Einzelheiten unterscheiden ließen. Irgendwer hatte dort unten den rasenden Paternoster zum Stillstand gebracht. Das Gegenkabel befand sich in Reichweite. Er duckte sich unter den Haltebügel hinweg, legte seine beiden Hände um das Gegenkabel, zog die Beine 121
nach und glitt an dem Kabel abwärts. Der Schachtboden näherte sich schnell. Sun Koh atmete tief auf, als er den festen Boden dann unter sich fühlte. Immerhin war das eine teuflische Fahrt gewesen. Mehr als zweitausend Meter in die Erde hinein. Von Menschen war nichts zu hören und zu sehen. Dieser Tunnel zog sich nach rechts und links ins Unendliche. In der Decke saßen lange röhrenförmige Leuchtstäbe, die sich im Fernblick aneinanderreihten und zur weißen Linie wurden. Auf dem Boden lagen eingebettet zwei Schienen in sechs Meter Abstand. Über jeder Schiene lief an der Decke eine Gegenschiene, die jedoch anders profiliert war. Sun Koh wischte sich mit der Hand über die Augen und prüfte dann noch einmal nüchtern. Das unwahrscheinliche Bild blieb. Und dann klang ein Rollen auf, gleich darauf schoß ein Körper heran, der zunächst den Tunnel auszufüllen schien. Bald war aber deutlich zu sehen, daß er höchstens den halben Tunnel in Anspruch nahm und auf einer Schiene lief. Dem Auge blieben allerdings nur Bruchteile von Sekunden. Der Fahrkörper schoß heran, einige helle Lichter blitzten vorbei, und schon verschwand er in der Ferne, gefolgt von einem ohrenzerreißenden Lärm und einer Druckwelle, die Sun Koh gegen die Wand preßte und ihm den Atem in der Lunge versetzte. 122
Als der Spuk vorbeigerast war, atmete Sun Koh gewaltsam auf. Was er hier sah, war ein Tunnel unter der Erde, ein Tunnel, in dem Fahrzeuge mit rasender Geschwindigkeit fuhren. Das war die Wirklichkeit, die José Ortegas in seinem Roman nachgestaltet hatte. Doch irgendwo in diesem Tunnel mußten sich Menschen befinden, die in der Lage waren, seine Fragen zu beantworten. 6. Hal Mervin lag auf der steinernen Brüstung und blickte in die Tiefe. Er fiel vor Schreck fast in den Schacht, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Als er herumfuhr, sah er vor sich zwei fremde Männer, die so etwas Ähnliches wie eine Uniform trugen und bewaffnet waren. Die beiden schrien auf Hal ein. Sie waren offenbar verstimmt, doch Hal konnte kein Wort verstehen. Das Heulen schwoll eben wieder an. Außerdem sprachen die beiden Männer ein Kauderwelsch, was Hal nicht verstand. Ihre Gesten ließen immerhin erraten, was sie wollten. Sie verlangten, daß er mit ihnen kommen solle. Dagegen setzte Hal ein lautes »Nein« und ein heftiges Kopfschütteln. Da griff der eine zu und packte Hal beim Kragen. 123
Hal machte sich mit einem schnellen Trick frei und stieß den Mann zurück. Darauf riß der zweite seine Pistole aus dem Futteral und schlug auf Hal an. Hal wurde ärgerlich. Er sprang auf den Wächter zu, schlug ihm die Waffe aus der Hand und rempelte ihn gleichzeitig mit seinem Körper derartig an, daß der Mann nach rückwärts stürzte. Jetzt riß auch der erste seine Waffe heraus und schoß. Hal spürte die Kugel an seinem Oberarm vorbeibrennen. Da sprang er vorsorglich zur Seite und schoß zurück. Der Wächter ließ seine Waffe fallen und griff sich nach der rechten Schulter. Hal hielt die Pistole im Anschlag und wies drohend in die Ferne. Der Mann zog sich schrittweise zurück. Der andere, der sich inzwischen aufgerappelt hatte, schlug einen Bogen um Hal herum und lief dem Kameraden nach. Eine Minute später waren beide hinter den Felsblöcken verschwunden. Hal wartete weiter. Nichts geschah, nur das Heulen des Luftstroms ließ immer mehr nach, so daß es still über der Landschaft wurde. Das war schlecht für Nimba. Wo sollte er Sun Koh vermuten, wenn er das Heulen nicht mehr hörte? Dann und wann feuerte er einen Schuß hinaus. Nimba würde sich schon einen Vers darauf machen. Beim vierten Schuß stand Nimbas riesige Gestalt auf dem Wall. 124
»Wo ist Sun Koh?« Hal wies in den dunklen Schlund hinein. »Abgestiegen. Dort an den Krampen.« »Wann?« »Vor zwei Stunden. Seitdem ist nichts zu hören und zu sehen.« »So? Wo führt der Schacht hin?« »Das möchte ich auch gern wissen«, murrte Hal. Nimba beugte sich über die Brüstung. »Ich werde absteigen und nachsehen, was vorgefallen ist.« Hal tippte mit Nachdruck gegen seine Stirn. »So siehst du gerade aus. Absteigen – und ich stehe dann wieder hier und warte. Nee, mir hat der Wind sein Lied lange genug erzählt. Jetzt bleibst du hier, und ich sehe nach dem Rechten.« Nimba war durchaus nicht davon angetan und widersetzte sich, aber Hal ließ nicht mit sich reden. Er hatte wirklich schon zu lange gewartet. Schließlich einigten sie sich, zusammen in die Tiefe zu steigen. Nimba voran und Hal hinterher. Sie stiegen an den Krampen hinunter. Nach einigen Pausen erreichten sie die Tiefe, in der der Paternoster ansetzte. Sie sahen im Licht der Taschenlampen die schwere Montageplatten im Felsen, die Kabelstränge, die sich in der Tiefe verloren, die schweren Führungsschienen und eben noch am Rande des Lichtbezirks weiter unten eine Standplatte. 125
Hal begriff als erster, um was es sich handelte. »Weißt du, was das ist? Ein Aufzug. Das Seil läuft über Rollen. Ein endloses Band. He, was hast du vor?« Nimba, der eben mit der Hand nach dem Seilzug griff, blickte nach oben. »Ich stehe auf der letzten Krampe. Sund Koh wird nach unten gefahren sein. Ich wechsle über. Dort unten ist eine Platte.« »Stop!« schrie Hal. »Den Witz kenne ich. Du gehst ab, und ich kann nachher zusehen. Wer weiß, wie schnell das Ding ist. Warte, ich komme hinunter und halte das Seil.« Hal griff nach dem Kabel und zog es zu sich herüber, soweit es nachgab. Nimba hängte sich an das Kabel. Da sich keine Wirkung zeigte, kletterte er abwärts, bis er auf der Plattform stand. Er entdeckte den Hebel und betätigte ihn, aber auch dadurch zeigte sich keine Wirkung. Der Paternoster stand. Sie stellten verschiedene Versuche an, aber es gelang ihnen nicht, den Fahrstuhl in Bewegung zu bringen. »Die Anlage ist gesperrt!« schrie Hal als Fazit hinunter. »Was nun?« »Hinabklettern«, schlug Nimba vor. »Willst du vielleicht tausend Meter am Seil abhangeln?« »Sun Koh hat es offenbar auch getan«, rief Nimba zurück. 126
»Was wissen wir denn? Vielleicht war der Paternoster noch in Betrieb, und er hat ihn blockiert? Das hier hat keinen Zweck. Wir müssen nach oben.« Nimba zögerte sichtlich. Der Aufstieg hatte es in sich. Es ist keine leichte Sache, an stählernen Krampen siebzig Meter senkrecht nach oben zu steigen, wenn die Krampen fast einen Meter Abstand haben. Dazu gehören nicht nur ein Körper, der in bester Verfassung ist, sondern auch gute Nerven. Hal atmete jedenfalls auf, als er sich endlich an der Steinbrüstung hochriß und sich auf die Umfassung wälzen konnte. »Also, wie ist es«, fragte Hal nach einer Weile, »fahren wir nach Rio oder warten wir hier? Ich bin entschieden für Rio. Eine Stadt ist ein riesiges Klatschnest. Dort erfährt man alles. Ich schätze, daß Sun Koh in einem Bergwerk gelandet ist. Vielleicht ist er auch schon am anderen Ende wieder herausgekommen und wartet im Hotel auf uns. Auf jeden Fall müssen wir wissen, wo dieser Schacht hinführt. Notfalls können wir dann von unten her nachforschen. Was meinst du?« Nimba nickte. »Einverstanden. Wir werden jedoch einen Zettel hierlassen.« Minuten später stiegen die beiden Freunde den Wall hinauf. 127
Sun Koh brauchte nicht lange durch den Tunnel zu wandern. Nach einigen hundert Metern öffnete sich seitlich eine Nische, in der es von Meßapparaten und Hebeln aller Art geradezu wimmelte. In der Nische stand ein festgefügter, kastenförmiger Holzbau. Ein Blick durch das Fenster zeigte einen Raum, der halb Wohnraum und halb Dienstraum war. Neben dem Fenster stand ein Tisch mit Telefon, an dem ein Uniformierter saß. Der Mann sprang auf, als er durch die Scheibe hindurch Sun Koh erblickte. Als Sun Koh die Tür öffnete, stand er an den Tisch gelehnt und hielt eine Pistole in der Hand. »Ich schieße«, warnte er. »Bleiben Sie stehen, wo Sie sind.« »Stecken Sie die Waffe weg«, befahl Sun Koh. »Sie haben keinen Anlaß zu schießen. Oder fürchten Sie sich vor mir?« Der Mann zögerte. Man sah ihm an, wie er sich mit seinen Überlegungen quälte. Dann senkte er die Hand und ließ seine Waffe verschwinden. »Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?« Sun Koh trat an ihn heran. »Ich bin durch einen Schacht von oben gekommen.« Der Mann fuhr bestürzt hoch. »Teufel! Ich verstehe nicht, wie das Ding anlaufen konnte. Ich hatte es doch abgestellt! Meine Schuld ist es bestimmt nicht. Und überhaupt – ich habe Sie 128
doch gar nicht gesehen, als ich vorhin abstellte.« »Ich bin das letzte Stück hinuntergeklettert. Wer sind Sie?« »Streckenwärter V 36«, antwortete der andere unwillkürlich. »Aber – dann gehören Sie doch nicht zum Betrieb? Das muß ich sofort melden.« Sun Koh fing seinen Arm ab. »Warten Sie noch einen Augenblick. Sie müssen mir erst noch einige Fragen beantworten. Was ist das für ein Betrieb?« Der Streckenwärter verschloß sich. »Ich darf nichts sagen. Sie sind ein Fremder. Es ist streng verboten.« Sun Koh blickte ihn scharf an. »Wir sind unter uns. Von mir wird niemand erfahren, was Sie gesprochen haben.« Der Mann zögerte. »Es ist streng verboten«, wiederholte er. »Eigentlich müßte ich schon Meldung erstattet haben und…« Er brach ab, als ihm Sun Koh eine Banknote auf den Tisch legte. »Hm, dann ist das natürlich etwas anderes.« Sun Koh schob ihm den Schein zu. »Nehmen Sie! Was ist das für ein Unternehmen?« »Die Union – die Minen-Union. Sie wollen unterirdische Goldadern und solche Sachen anstechen.« »Na, na!« 129
Der Streckenwärter grinste. »Hier unten glaubt es auch kein Mensch, aber sie sagen es für den Fall, daß doch einmal einer schwatzt. In Wirklichkeit soll es ein Eisenbahntunnel werden, quer durch den Kontinent hindurch. Das soll aber niemand wissen – wegen der Politik. Die Leute von Paraguay und Uruguay wollen wohl noch nicht richtig ran, wie man sich erzählt, und da wird eben inzwischen in aller Stille gebaut. Mit der Politik ist es eben alle paar Monate anders, aber an so einem Tunnel muß viele Jahre hindurch ununterbrochen gearbeitet werden.« »Wer läßt den Tunnel bauen?« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Tja, die Regierung steckt sicher dahinter, außerdem ein paar Leute, die das Geld haben. Der alte Bergman soll es vor allen Dingen sein.« »Wie lange ist der Tunnel jetzt?« »Sie sind bei Kilometer 83. Mein Block liegt ziemlich genau auf der halben Strecke bei Kilometer 42.« »Wie tief ist der Tunnel?« »Bei Cavras fängt er oben an. Bei Kilometer 83 sind sie schon bald vierzehn Kilometer tief, weil doch der Tunnel ganz gradlinig ist, während sich die Erde aufwölbt.« »Wie tief ist der Schacht, durch den ich heruntergekommen bin?« 130
»Ziemlich genau zweitausend Meter, das heißt, rund tausend Meter über dem Meer, weil der Berg darüber liegt. Es ist der letzte Wetterschacht. Weiter hinten gibt es keine mehr.« »Wie hat man ihn abgeteuft?« »Sie haben ihn von unten aus hochgetrieben. Das war eine Sache von ein paar Tagen. Ich war selbst dabei. Ein großartiges Verfahren. Die Leute können gegen Señor Morley sagen, was sie wollen – Señor Morley ist der Chefingenieur – aber er versteht sich auf seinen Beruf. Sie haben einen Atomvergaser angesetzt und unter seinem eigenen Gasdruck nach oben gehen lassen. Wie ein Bohrer hat er sich hochgedreht. Wir sind mit den Arbeitsbühnen und den Kabeln kaum nachgekommen.« »Was ist ein Atomvergaser?« Der Streckenwärter suchte nach Worten. »Ein Atomvergaser? Nun, wie soll ich Ihnen das erklären? Das ist eben ein Apparat, so groß wie der Tunnel, der den Felsen einfach auflöst, so daß nur Gas übrig bleibt. Wie das genau zugeht, wird wohl nur Señor Morley wissen, denn das ist schließlich seine Erfindung. Señor Boudon, einer von den Ingenieuren, hat mir erzählt, daß diese kleinen Dinger – Moleküle heißen sie – durch die Hitze gesprengt werden und daß dann die noch kleineren Dinger, – den Namen habe ich vergessen – bombardiert werden. So richtig habe ich das mit den Quantenbahnen 131
nicht verstanden, und das mit den umlaufenden Elektronen, die gezwungen werden, von ihren inneren Schalen auf andere zu hüpfen, die weit außen liegen, so daß sie aus dem – wie sagte er – Atomverband herauskommen. Eine ganz wissenschaftliche Sache, Señor, aber sie funktioniert.« Sun Koh nickte. Er konnte sich ungefähr ein Bild machen, wie dieser Atomvergaser arbeitete. Dieser Morley mußte jedoch in seinem Apparat bereits mit Atomenergie arbeiten, denn anders war es kaum möglich, den umlaufenden Elektronen so viel Energie zuzuführen, daß sie die Atomverbände zerrissen. Und selbst dann blieb es offen, wie er es schaffte, Substanz in größeren Mengen zu vernichten. Morley mußte zahllose theoretische und erst recht praktische Probleme gemeistert haben, um so arbeiten zu können. »Sie funktioniert«, wiederholte er nachdenklich. »Das ist schließlich die Hauptsache. Aber es muß sehr viel Hitze entstehen. Die Arbeit ist sicher nicht leicht.« Das Gesicht des Streckenwärters wurde düster. »Sie arbeiten in der Hölle. Ich bin froh, daß ich nicht mehr vorn zu sein brauche. Das hält auf die Dauer kein Mensch aus. Sie haben viele Tote und Kranke. Aber die Arbeit muß gemacht werden.« »Darf man den Tunnel und den Vortrieb besichtigen?« 132
Der Mann riß die Augen vor Erstaunen auf. »Besichtigen?« Er wurde abgelenkt. Der Apparat summte. Er nahm eine Meldung auf und gab eine Streckenmeldung weiter. Dann wandte er sich Sun Koh wieder zu. »Sie haben mir Geld gegeben, Señor«, sagte er, »genug Geld, um mir ein paar Jahre hier unten zu sparen. Kommen Sie, ich bringe Sie zum Schacht zurück und lasse den Aufzug laufen. Auf diese Weise kommen Sie wieder hinaus. Wenn Sie wieder oben sind, danken Sie der Mutter Maria und allen Heiligen, denn wenn hier einer wieder herauskommt, dann ist das fast wie ein Wunder. Kommen Sie.« Sun Koh blieb stehen. »Der Tunnelbau wird streng bewacht?« »Ja. Cavras ist völlig abgeriegelt und zehnfach gesichert. Kein Mensch kommt herein, der nicht ganz zuverlässig ist, oder den sie nicht völlig in der Hand haben. Und hinaus kommt überhaupt niemand wieder, der etwas erzählen könnte. Selbst das Krankenhaus in Cavras liegt noch im Kordon. Nur die Toten werden hinausgetragen. Wer einmal hier arbeitet, hat bloß noch die Wahl zu sterben, oder so lange durchzuhalten, bis diese politischen Sachen bereinigt sind und die Öffentlichkeit von dem Tunnelbau erfahren darf.« »Also Zwangsarbeit?« Der Streckenwärter hob die Schultern. 133
»Sie kommen alle freiwillig, aber man hat eben keine große Wahl, wenn man arbeitslos ist oder von der Regierung begnadigt wird, um hier zu arbeiten. Freilich, wenn einmal einer unterschrieben hat, dann sorgen sie auch dafür, daß er seine Verpflichtungen erfüllt und nicht einfach davonläuft. Sie dürfen sich aber das nicht falsch vorstellen. Die Bezahlung ist glänzend, und sie tun wirklich alles, was sich tun läßt. Nur – es ist eben eine Arbeit in der Hölle. Viele halten sie nicht durch.« »Hm, und wenn man von meiner Anwesenheit hier unten erfährt?« »Das wäre schlimm für Sie, Señor. Man würde Sie entweder einsperren – Werkspionage und so etwas – und nicht wieder herauslassen, oder Sie müßten sich zur Arbeit verpflichten. Kommen Sie.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ich möchte Genaueres über den Tunnelbau erfahren. Ich bleibe. Melden Sie jetzt meine Anwesenheit.« Der Mann starrte ihn fassungslos an. »Das – das ist sicher ein Scherz, Señor. Ich habe Ihnen doch gesagt, was geschieht. Man wird Sie zwingen, wie die anderen zu arbeiten, und das halten Sie nicht aus. Sie haben mir Geld gegeben, und ich kann es vor meinem Gewissen …« »Ich habe Ihre Warnung vollkommen begriffen«, unterbrach Sun Koh. »Ich bleibe freiwillig hier.« »Aber – aber warum?« 134
Sun Koh verzichtete darauf, diese Frage zu beantworten. Es wäre wohl auch schwergefallen, dem Streckenwärter das Motiv einleuchtend zu erklären. * Nimba und Hal kamen mitten in der Nacht nach Rio de Janeiro zurück. Sie sprachen vor allem mit dem Nachtportier des Hotels. Der Portier eines großen Hotels weiß gewöhnlich erheblich mehr als andere Sterbliche. Aber dieser versagte weitgehend. »Ich bedaure sehr, Mister Mervin«, entschuldigte er sich. »Von einem Schacht im Gebirge ist mir nichts bekannt. Ich habe nie etwas darüber gehört.« »Aber es muß doch ein Bergwerk dort geben«, drängte Hal weiter. »Wir haben in dieser Gegend keine Bergwerke«, widersprach der Portier kopfschüttelnd. »In Cavras arbeitet allerdings die Union, eine Minengesellschaft, die Kupfer abbaut, aber das ist ja fast fünfzig Kilometer von dem Ort entfernt, den Sie beschreiben.« »Sonst nichts?« »Nein.« »Hm, und diese Kupfergesellschaft – ist das ein großes Unternehmen?« Der Portier hob die Schultern. »Ich bin da nicht so unterrichtet. Sie suchen jedoch laufend Arbeiter.« 135
Das Ergebnis blieb sehr geringfügig. Hal und Nimba fuhren zum Informationsbüro für Reisende, das auch in der Nacht geöffnet war. Dort erfuhren sie noch weniger als beim Portier. Der Angestellte riet ihnen jedoch, sich an die Nachtredaktion der Zeitung zu wenden. Der Nachtredakteur, den sie nach einigen Bemühungen finden konnten, wußte etwas, zeigte aber keine Neigung, darüber zu sprechen. »Sie haben sich das selbst zuzuschreiben, wenn Ihrem Begleiter ein Unglück widerfahren ist«, meinte er unfreundlich. »Soviel ich weiß, ist das dort oben gesperrtes Gebiet, das Sie niemals hätten betreten dürfen. Im übrigen kann ich Ihnen nichts dazu sagen.« »Dürfen Sie nicht, oder wollen Sie nicht?« fragte Hal geradeheraus. »Beides!« kam unwirsch die Antwort. »Über die Arbeiten der Union in Cavras darf nichts veröffentlicht werden. Und ich habe keine Lust…« »Wozu?« fragte Hal, als der Nachtredakteur abbrach. Der Mann wies mit der Hand auf seine Tischplatte. »Hier lag vor einigen Wochen ein Bericht, den ein junger Mitarbeiter geschrieben hatte. Ein phantastischer Bericht. Seine Veröffentlichung hätte Krieg bedeutet. Der Verfasser verschwand am anderen Tag.« 136
»Und was stand in dem Bericht?« »Ich habe ihn nicht gelesen. Ich weiß von nichts, verstehen Sie? Wenden Sie sich an das Stadtbüro der Union, oder fahren Sie nach Cavras hinaus.« Das war alles, was sich in der Nacht erfahren ließ. Hal und Nimba legten sich einige Stunden schlafen und fuhren bei Bürobeginn zum Stadtbüro der Minen-Union. Sie sprachen mit einem Angestellten, der nicht mehr wußte, als daß bei Cavras Kupfer gefördert wurde. Daraufhin fuhren sie nach Cavras hinaus. Sie wurden an einem Tor, an das rechts und links sehr hohe und enge Stacheldrahtzäune ansetzten, angehalten. Hinter dem Tor gab es nicht viel mehr zu sehen, als ein enger werdendes, steiniges Tal, in dessen Hintergrund einige Gebäude standen. Die Wächter waren ziemlich grobe Burschen. Sie verweigerten die Weiterfahrt, beriefen sich auf ihre Anordnungen und behaupteten, nichts zu wissen. Sie durften nur Leute mit Werksausweis durchlassen oder angeworbene Arbeiter, die mit dem Aufnahmeschein vom Personalbüro kamen. Hal und Nimba kehrten nach Rio zurück. Immerhin glaubten sie sicher zu sein, daß es mit dieser Minen-Union seine besondere Bewandtnis hatte, und daß sie das einzige Unternehmen war, das für den Riesenschacht verantwortlich zeichnen konnte. Viel war das allerdings nicht. Nach ihrer Rückkehr in die Stadt fuhren sie in das 137
Krankenhaus, in dem Nimba den verletzten José Ortegas untergebracht hatte. »José Ortegas ist in der Nacht seinen Verletzungen erlegen«, teilte ihnen die Aufnahmeschwester bedauernd mit. »Er hat die Operation nicht mehr lange überlebt.« Hal war ehrlich bestürzt. »Ach, du lieber Gott«, murmelte er betroffen. »Das ist ein böser Schlag für die Kleine. Wo ist sie?« »Maria Ortegas ist in die Stadt gegangen. Sie sprach von einem Auftrag ihres Bruders und ließ sich nicht zurückhalten. Sie wollte aber bald zurückkommen. Sind Sie mit ihr verwandt?« »Nein, das nicht.« Die Schwester seufzte. »Schade, es wäre gut, wenn sich jemand um die Kleine kümmern würde. Sie ist so vernünftig. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß sie einen Diebstahl begangen hat.« Hal streckte sich. »Einen was? Diebstahl? Na, hören Sie Schwester, nichts für ungut, aber wie kommen Sie auf den verrückten Einfall?« »Haben Sie nicht die beiden Polizisten im Vorzimmer gesehen? Sie warten auf das Kind und wollen es wegen Diebstahl mitnehmen.« »Bei denen piept’s wohl«, wütete Hal formlos und machte kehrt, um ins Vorzimmer zu stürmen. Nimba 138
hielt ihn im letzten Moment am Arm fest. »Keine Torheiten, Hal«, warnte er ernst. »Was denn«, begehrte Hal auf. »Soll ich mir etwa eine derartige Gemeinheit gefallen lassen?« »Warte«, mahnte Nimba schärfer und blickte Hal streng an. Dann ging er hinaus. Hal sah durch die Scheiben der Glastür hindurch, wie er sich gelassen zu den beiden uniformierten Polizisten gesellte und mit ihnen ein Gespräch begann. Es dauerte lange, bevor er zurückkam. »Es ist so«, berichtete er gemessen. »Sie haben keinen Haftbefehl, aber einen schriftlichen Auftrag, Maria Ortegas vorzuführen. Der Rechtsanwalt Erman Buondo hat sie angezeigt, heute vormittag einen größeren Geldbetrag aus seinem Büro entwendet zu haben.« »Verrückt!« stöhnte Hal. »Das ist doch Unsinn! Oder glaubst du etwa …« »Nein«, antwortete Nimba kurz. »Komm!« »Wohin?« »Wir müssen mit ihr sprechen, bevor sie das Krankenhaus erreicht.« »Hoffentlich kommt sie zurück«, seufzte Hal noch immer benommen. Es war leicht, die Zufahrt zum Krankenhaus zu überwachen. Sie bestand aus einer breiten Straße, die durch den Park des Krankenhauses hindurchlief. Nimba und Hal brauchten nur ein Stück vor dem Tor im Wagen zu warten. 139
Sie warteten eine Viertelstunde, dann sahen sie auf dem seitlichen Fußweg Maria Ortegas herankommen. Sie trug immer noch das dünne Kattunkleidchen, nur neu war, daß sie ein Paar derbe staubige Schuhe in der linken Hand hielt. Sie hielt den Kopf aufrecht und blickte geradeaus, aber sie ging langsam. Ihre Bewegungen drückten so viel Trauer und Hoffnungslosigkeit aus, daß Hal vor lauter Mitleid vor sich hin schimpfte. Dann lehnte er sich hinaus und winkte. »Hallo!« Maria Ortegas fuhr herum, dann kam sie quer durch die Büsche herübergelaufen. Hal sprang heraus, schob sie wortlos in den Wagen hinein und stieg wieder ein. »Türme, Nimba.« Nimba fuhr sofort los. Er hatte die beiden Polizisten, die vom Krankenhaus her kamen, auch schon entdeckt. »Ein Glück, daß wir dich erwischt haben«, sagte Hal erleichtert. »Mach dir’s bequem, Mädchen. Warum starrst du mich so an?« Maria hielt sich nur auf der Kante des Sitzes. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet. Die weißen Zähne bissen auf die Lippen. Das Zucken in ihrem Gesicht wurde trotzdem immer stärker. Dann begann sie so zu weinen, daß es ihren Körper schüttelte. Hal saß verlegen daneben und überlegte krampf140
haft, was in solchen Fällen zu tun sei. Schließlich legte er seinen Arm um die zuckenden Schultern des Mädchens und schob ihr gleichzeitig sein Taschentuch unter das Gesicht. Da geschah etwas Überraschendes. Maria schlang ihre Arme um ihn und klammerte sich an ihn, als fürchte sie, weggerissen zu werden. Dabei weinte sie weiter. Hal hielt still. Er machte nur ein wütendes Gesicht, als er Nimbas Augen im Rückspiegel entdeckte, worauf Nimba wortlos den Spiegel wegdrehte. Die Kleine beruhigte sich endlich. Sie löste ihre Arme und rutschte in die andere Ecke zurück. Das Taschentuch deckte ihr Gesicht ab. »Fertig?« erkundigte sich Hal endlich vorsichtig. Maria Ortegas nickte mit einem letzten Aufschluchzen. »Ja. Ich – ich war so allein.« »Mußt du auch in der Stadt herumlaufen?« murrte Hal. »Du konntest dir doch denken, daß ich mich nach dir umsehen würde. Aber schließlich bin ich kein Kindermädchen. Wo hast du die Schuhe her?« »Von der Schwester«, sagte Maria Ortegas unsicher. »Sie wollte mich nicht barfuß laufen lassen. Aber sie sind viel zu groß.« »Klar«, antwortete Hal kopfschüttelnd. »Solche Treter! In den Dingern kannst du dich im Kreis herumdrehen. Ich werde dir ein Paar anständige Schuhe 141
kaufen müssen. Aber jetzt erst einmal – was ist das für eine Geschichte mit dem Geld?« »Was meinen Sie, Señor?« »Natürlich keine Ahnung, was?« knurrte Hal. »Da haben zwei Polizisten auf dich gewartet. Sie wollten dich verhaften, weil du Geld gestohlen hast.« Maria Ortegas blickte ihn ernsthaft und sogar etwas verweisend an. »Ich habe kein Geld gestohlen, Señor. Eine Ortegas stiehlt nicht.« »Dein Glück, sonst hätte ich dir – na ja, eigentlich bist du ja bald eine junge Dame – und trotzdem hätte ich dir gründlich meine Meinung gesagt. Wenn du Geld brauchst, halte dich gefälligst an mich.« In ihren schwarzen Augen blitzte es auf. »Sind Sie reich, Señor?« »Für dich wird’s schon noch reichen«, antwortete Hal mißtrauisch. »Ich möchte reich sein«, gestand sie mit einem tiefen Atemzug. »Dann würde ich mir eine große Tüte Pfeffer kaufen und sie dem Kerl ins Gesicht werfen, der mich ausgelacht hat. Und dann würde ich mir einen Revolver kaufen und Buondo erschießen.« »Du bist ja eine ganz verrückte Nummer«, sagte Hal erleichtert. »Nichts gegen den Pfeffer, aber ein Revolver ist nichts für kleine Mädchen. Übrigens Buondo – Buondo…« Nimba wandte sich flüchtig um. 142
»Erman Buondo, der Rechtsanwalt, der die Anzeige erstattet hat.« »Stimmt. Wie kommst du mit dem zusammen?« »Er ist der Verwalter von Señor Bergman. José wurde von ihm angestellt. Bevor José starb, sagte er mir, ich solle zu ihm hingehen und ihm melden, daß das Landhaus ohne Bewachung ist. Und den Lohn für die letzten Monate hatte er noch nicht bekommen. Ich sollte ihn mir auszahlen lassen.« »Aha, deswegen dein Gang in die Stadt. Und wie kommt dieser Buondo dazu, dich anzuzeigen?« Maria Ortegas zögerte. Es fiel ihr sichtlich schwer zu sprechen. »Ich – José hatte mich gewarnt. Ich hätte nichts von dem Tunnel erwähnen dürfen. Und ich – ich hätte doch eine Schwester mitnehmen sollen. Bin ich schön, Señor?« »Bilde dir keine Schwachheiten ein«, murmelte Hal leicht angeschlagen. »Wie kommst du auf den Einfall?« »José meinte, ich sei zu schön und zu arm, um anständig bleiben zu können. Deshalb sollte ich ins Kloster gehen.« »Das fehlte gerade noch«, rief Hal erschrocken. »Kloster? Dich bringen wir allemal noch mit Anstand auf die Beine. Aber was hat das mit diesem Buondo zu tun?« »Er – er sagte auch, ich sei schön. Ich sollte bei 143
ihm bleiben und Kleider bekommen und Schmuck. Und dann…« Hal wurde weiß. »So ist das. Hast du gehört, Nimba?« »Ich habe mir die Anschrift gemerkt«, antwortete Nimba düster, ohne sich umzuwenden. Hal nahm seine Waffe aus der Tasche, zog unauffällig das Magazin heraus und drückte die Pistole in die schlanken Hände des Mädchens. »Hier. Wir fahren zu Buondo.« Ihr Gesicht leuchtete auf. »Danke, Señor.« »Sage nicht immer Señor. Ich heiße Hal.« Maria Ortegas schüttelte den Kopf. »Sie dürfen nicht dabei sein, Señor Hal. Er bringt Sie ins Gefängnis oder in den Tunnel. Señor Buondo ist mächtig, weil er für Señor Bergman arbeitet. Und außerdem wird er denken, daß ich Ihnen von dem Tunnel erzählt habe.« »Na, wenn schon. Was ist das für ein Tunnel?« »Der Tunnel nach Antofagasta, den die Union von Cavras aus baut, ganz tief unter der Erde. Das darf niemand wissen, aber José hat es mir erzählt. Er war oft in dem Schacht, wo die Erde heult.« Hal brachte es gelegentlich fertig, schnell zu denken und kein Wort mehr zu sagen, als nötig war. Er schwieg einige Sekunden, dann beugte er sich nach vorn. 144
»Hast du das gehört, Nimba?« »Ich habe es gehört«, bestätigte Nimba gemessen. »Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, daß Sun Koh unten blieb, was?« »Ich wundere mich nicht mehr.« Hal rutschte wieder zurück. »Also, hat er dich angezeigt, weil er denkt, du könntest über den Tunnel schwatzen? Hm, und was ist nun mit dem Pfeffer und dem Mann, der. dich ausgelacht hat?« Maria Ortegas seufzte. »Er hat mir das Geld nicht gegeben. Ich sollte ihn wieder besuchen. Da bin ich zu Señor Bergman gegangen. José hat oft mit ihm gesprochen und sagte immer, er hätte einen anständigen Charakter. Ich wollte ihm alles erzählen, aber der Diener hat mich nicht eingelassen. Er hat mich nur ausgelacht.« »Das Lachen hätte er sich wenigstens sparen können. Im übrigen wird er seine Anweisungen gehabt haben. Kleine Mädchen mit ungewaschenen Füßen zählen bei solchen Leuten nicht, Prinzessin.« »Dann kann ich mir auch den Pfeffer sparen«, folgerte sie ernst. Der Wagen hielt vor einem der Hochhäuser, die sich in sanftem Bogen um den Strand herumlegten. Hal und Nimba verständigten sich durch einen Blick. Hal nahm seine Waffe wieder an sich. Rechtsanwalt Erman Buondo unterhielt im vier145
zehnten Stock ein ausgedehntes Büro. Er hatte das Pech, anwesend zu sein. Es überraschte ihn außerordentlich, als Maria Ortegas neben dem gemeldeten Besucher auftauchte. Noch mehr überraschte es ihn, was ihm Hal kurz und bündig zu sagen hatte. »Das ist Maria Ortegas, Señor Buondo. Sie war vorhin bei Ihnen, um den rückständigen Lohn ihres Bruders abzuholen. Sie haben gewagt, das Kind zu belästigen und ihm schmutzige Anträge zu machen. Schieß, Prinzessin.« Maria Ortegas nahm ohne Zögern die Waffe aus seiner Hand, trat dicht an den Schreibtisch heran und richtete sie auf den Anwalt. Ihr ernstes Gesicht verriet genug Entschlossenheit. Der dickleibige, feiste Anwalt mußte immerhin einige Erfahrungen mit den Frauen seines Landes besitzen. Ein Blick in die dunklen Augen des Mädchens sagte ihm wohl alles. Er wurde blaß und stotterte hastig: »Nicht schießen! Madre de Dios – ich habe es doch nicht so gemeint, ich wollte doch nur…« »Warte«, befahl Hal. Er ging um den Schreibtisch herum und schlug dem Mann ein paarmal ins Gesicht. »Genügt das, Prinzessin?« Die schwarzen Augen leuchteten vor Bewunderung und Dankbarkeit. »Danke, Señor Hal.« 146
Hal schnitt mit einer großen Büroschere das Telefonkabel durch, nahm das Mädchen bei der Hand und ging stolz hinaus. Es überraschte ihn ernstlich, daß er aus dem Haus kam, ohne daß Alarm geschlagen wurde. * Sun Koh wurde von vier schwerbewaffneten uniformierten Männern abgeholt und in einem gedrungenen Schnelltriebwagen aus dem Tunnel herausgebracht. Seine Begleiter stellten keine Fragen und unterhielten sich untereinander nur über belanglose Dinge. Nach der kurzen Fahrt, die in einer noch felsbedeckten Halle endete, brachten sie ihn in ein angrenzendes großes Steingebäude und führten ihn in einen nüchternen Büroraum. Dann verschwanden sie. In dem Raum befanden sich zwei Männer, von denen der eine Schreibdienste verrichtete. Der andere war ein jüngerer, sehr dunkelhäutiger Mann mit verbindlichen Manieren. Die Verbindlichkeit war jedoch reine Form und kam bestimmt nicht aus freundlicher Gesinnung. Andererseits lag auch keine Feindseligkeit vor. »Bitte, nehmen Sie Platz«, ersuchte er. »Ich hörte, daß Sie in den Tunnel eingedrungen sind. Es ist nicht meine Sache zu untersuchen, ob Zufall oder Absicht vorlag. Dadurch ändert sich auch nichts. Dieser Tun147
nelbau ist Staatsunternehmen und steht unter außergewöhnlichen gesetzlichen Bestimmungen, um zu verhüten, daß er vorzeitig bekannt wird. Sie haben bei der Lage der Dinge zwei Möglichkeiten – entweder Untersuchungshaft wegen Betretens des Sperrgebietes oder freiwillige Arbeitsverpflichtung für sechs Monate. Was ziehen Sie vor?« »Und wenn ich darauf bestehe, nach Rio zurückkehren zu können?« fragte Sun Koh. »Ich würde es bedauern«, kam kühl und abfällig die Antwort. »Sie werden begreifen, daß kein Unternehmen und keine Regierung der Welt einen überführten Spion einfach laufen lassen wird. Sie vereinfachen die Angelegenheit, wenn Sie sich frei entscheiden. Für alle Fälle darf ich Ihnen versichern, daß es vollkommen unmöglich für Sie ist, dieses Haus oder gar das Gelände gegen unseren Willen zu verlassen. Wir haben uns gegen die äußersten Möglichkeiten gesichert. Also, Haft oder Arbeit?« »Ich ziehe die Arbeit vor.« »Wie Sie wünschen«, erwiderte der andere gleichmütig und schob einige Papiere über den Tisch. »Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich vollkommen freiwillig verpflichten, aber die übernommenen Verpflichtungen unbedingt einhalten müssen. Es wird sich empfehlen, wenn Sie zunächst unsere Bedingungen durchlesen.« Sun Koh tat es. Die Bedingungen waren erstaun148
lich. Die Gesellschaft bot ihren Arbeitern nicht nur außergewöhnliche Löhne, sondern darüber hinaus auch alles, was man sonst verlangte. Die Arbeitszeit betrug nur vier Stunden täglich. Das verriet die Schwere der Arbeit zur Genüge. Während er las, wurde die Tür geöffnet, und ein Mann trat ein, dessen Erscheinung einen zweiten Blick lohnte. Er war ein Hüne von Gestalt, und seine Bewegungen verrieten enorme Kraft. Der Kopf, der von einer Mähne grauen Haares umgeben war, wirkte bedeutend und wuchtig. Das Gesicht schien aus grauem Stein herausgehauen zu sein. Die Augen waren grau und hart, doch schien in ihnen ein Feuer zu brennen. »Diese Leute streichen, Lunes«, sagte der Mann mit kalter Stimme, während er ein Blatt auf den Tisch warf. »Wen haben wir da?« »Ein Eindringling, Señor Morley. Er will sich freiwillig verpflichten.« Die Augen der beiden Männer begegneten sich. In den Augen des Chefingenieurs zuckte flüchtige Verwunderung auf. Seine Stimme verriet jedoch nichts davon. »Gutes Material«, knarrte er kurz. »Ich wollte, es gäbe noch mehr Neugierige von Ihrer Sorte, die ihre Neugier bezahlen wollen. Der Mann kommt nach vorn.« »Gewiß, Señor Morley«, versicherte der Ange149
stellte, während der Chefingenieur den Raum wieder verließ. Zwei Minuten später unterschrieb Sun Koh einen Vertrag, mit dem er sich als Arbeiter verpflichtete. * Nimba brachte den Wagen vor dem Portal der palastartigen Villa zum Stehen, in der Miguel Bergman wohnte. Ein Diener näherte sich. Er blieb verdutzt stehen, als hinter Hal das barfüßige Mädchen ausstieg. »Ist er das?« fragte Hal. Maria Ortegas begnügte sich mit einem Nicken. Hal winkte den Diener heran. »Ich möchte Señor Bergman sprechen.« Der Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht. Der Diener verbeugte sich. »Señor Bergman wird kaum zu sprechen sein, aber ich will den Sekretär verständigen. Wenn Sie inzwischen …« »Moment«, unterbrach Hal. »Sie haben vorhin diese junge Dame beleidigt. Wollen Sie sich entschuldigen?« »Verzeihung, sie wollte Señor Bergman sprechen, und das …« Hal blickte ihn scharf an. »Señor Bergman wäre zweifellos erstaunt, wenn er 150
von mir hörte, daß seine Angestellten über kein einwandfreies Benehmen verfügen. Wollen Sie sich entschuldigen?« »Selbstverständlich«, fügte sich der Diener gewandt. »Ich meinte es nicht böse, Señorita, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Fehler entschuldigen würden.« »Gern.« Maria Ortegas lächelte anmutig und hoheitsvoll zugleich. »Es war meine Schuld. Ich hätte nicht mit ungewaschenen Füßen kommen dürfen. Oh – das ist doch …« Sie nahm Hal beim Arm und wies auf einen Mann, der eben zwischen den Rosenbüschen im Hintergrund auftauchte. Seine Kleidung, die Schürze aus blauer Leinwand und der breitkrempige, reichlich mitgenommene Hut ließen auf einen Gärtner schließen. »Das ist Señor Bergman«, verkündete Maria freudig. »Ich kenne ihn genau. José hat mich versteckt, als er das letztemal oben war, aber ich habe ihn deutlich gesehen.« Dann lief sie auch schon los. »Ein aufregendes Weibsbild!« murmelte Hal ebenso verdutzt wie liebevoll. »Ist das wirklich …« »Señor Bergman«, bestätigte der Diener. »Ich fürchte nur – er liebt es nicht, während der Gartenarbeit gestört zu werden.« »Da ist ohnehin nichts mehr zu retten«, meinte Hal 151
grinsend und ging in Richtung des Gartens. Miguel Bergman fühlte sich offenbar nicht gestört. Sein breites, etwas schwammiges Gesicht, das eigentlich nur durch die weißen Haare einen würdigen Anstrich bekam und sonst zu einem humorigen Handwerker gehören konnte, drückte durchaus Wohlwollen aus, während er sich väterlich mit Maria unterhielt. Erst als Hal dicht heran war, verschloß sich sein Gesicht, und seine Stimme wurde barsch. »Wer sind Sie?« Hal blickte unerschrocken in die Augen, die jetzt deutlich verrieten, daß hinter Bergman mehr steckte. »Hal Mervin.« »Und wer ist das?« »Jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.« »Worüber?« »Über den Tunnel von Cavras nach Antofagasta.« Bergman schreckte zurück. »Der Teufel soll Sie holen.« »Nach Ihnen«, sagte Hal freundlich lächelnd. »Werden Sie nicht frech, junger Mann!« polterte Bergman los. »Sie halten mich wohl für einen Gärtner?« »Sagen Sie nichts gegen die Gärtner«, bat Hal sanft. »Ich werde wahrscheinlich eines Tages Regenwürmer züchten oder solches Zeug, obgleich ich Sie jetzt schon an der Börse fertigmachen könnte. Verstanden?« 152
»Kunststück«, murrte Bergman belustigt. »Wenn Sie selbst genug Geld haben, brauche ich mich über mangelnden Respekt nicht zu wundern. Aber ich werde Ihnen auf den Zahn fühlen. Bluffen lasse ich mich nicht. Gehen Sie ins Haus, ich muß mich umziehen. Hm, hm, illustre Gäste – ein Grünschnabel und ein Aschenbrödel.« »Rübezahl«, knurrte Hal hinter ihm her. Eine halbe Stunde später saßen sie zu dritt mit Bergman zusammen, der jetzt vollkommen der gepflegte alte Herr und zugleich eine gewichtige Persönlichkeit war. Er kümmerte sich hauptsächlich um Maria Ortegas und machte ihr auf eine reizende Art den Hof. Und es war erstaunlich, wie leicht sich das barfüßige Mädchen, das aus einer weltabgeschiedenen Hütte kam, in die Rolle einer jungen Dame einpaßte. Hal besaß leider nur wenig Gefühl für die aufsteigenden Erinnerungen einer alten gesellschaftlichen Kultur, so daß er das Benehmen beiderseits bald affig fand und bei nächster Gelegenheit robust dazwischenfeuerte. »Nun halt mal schön die Luft an, Prinzessin. Señor Bergman wird allmählich das Bedürfnis haben, uns einiges über den Tunnel zu erzählen.« »Ich habe nicht das Bedürfnis«, antwortete Bergman barsch und verstimmt. »Dann also wir«, sagte Hal trocken. »Mister Sun 153
Koh ist in dem Schacht da oben bei Ihrem Landhaus verschwunden. Wenn er nicht gestürzt ist, steckt er jetzt im Tunnel. Wie bekommen wir ihn heraus?« »Überhaupt nicht«, erwiderte Bergman unfreundlich. »Der Tunnelbau ist ein geheimes Regierungsobjekt. Bestenfalls kommt er als Spion in Untersuchungshaft. Bei den heutigen politischen Verhältnissen können wir nicht riskieren, daß über den Tunnel gesprochen wird.« »Eben«, sagte Hal. »Wir beide werden aber reden, wenn man Mister Sun Koh etwa festhalten will. Hoffentlich sind Sie nicht so naiv zu hoffen, daß Sie mich vom Reden abhalten können.« »So naiv bin ich nicht«, knurrte Bergman grimmig. »Ich kann aber auch schlecht gegen die Bestimmungen angehen. Das ist zwar mein Geld, was da verbaut wird, aber zwischen mir und Morley steht eine ganze Maschinerie, in die auch ich nicht einfach hineingreifen kann. Sie wollen nur einen Mann herausholen, aber ich müßte deswegen erst Gesetze umwerfen. Wenden Sie sich an Morley. Er kann das unter der Hand regeln. Ich will Ihnen ein paar Zeilen mitgeben.« »Und wie komme ich an Morley heran?« »Wahrscheinlich überhaupt nicht, wenn Sie nicht als Arbeiter in den Tunnel gehen.« Hal lachte ihm ins Gesicht. »Schlauberger! Wie wäre es, wenn Sie einmal mit 154
Morley telefonierten? Das ist gewöhnlich der einfachste Weg.« Bergman erwiderte nichts, sondern klingelte dem Diener und beauftragte ihn, das Telefon mit einem zweiten Hörer zu bringen. Dann erst wandte er sich wieder an Hal. Inzwischen etwas anderes, junger Mann. Was ist mit dieser jungen Dame? Soviel ich verstanden habe, wurden Sie erst gestern zufällig mit ihr bekannt.« »Und?« fragte Hal feindlich. »Sie sind zu jung, um mit dem Kind in der Welt herumzustrolchen. Ich will Maria bei mir aufnehmen.« »Warum?« Bergmans Augen funkelten zornig auf, aber er bezwang sich und sagte einfach: »Ich habe sie gern.« »Kunststück«, murmelte Hal. »Was meinst du, Prinzessin?« Maria Ortegas lächelte ihn vertrauensvoll an. »Ich würde gern mit Ihnen in der Welt herumstrolchen, Señor Hal.« »Das könnte dir so passen«, seufzte Hal. »Es ist schon am besten, wenn du einstweilen hierbleibst. Aber wehe dir, wenn du dir große Rosinen in den Kopf setzen läßt. Und Ihnen auch, Señor Bergman. Ich komme wieder, um nach dem Rechten zu sehen.« Miguel Bergman streckte seine Hand aus. »Danke, mein Junge. Sie sind ein närrischer Kerl, 155
aber – also, jedenfalls werde ich mein Bestes tun.« Der Diener brachte den Apparat herein. Es dauerte lange, bevor Bergman die gewünschte Verbindung hatte. Hal hörte jedes Wort, das zwischen ihm und Morley gesprochen wurde. »Ein Arbeiter Sun Koh hat sich heute nacht freiwillig verpflichtet«, teilte Morley nach einigem Hin und Her mit. »Der Mann steht eben in der Schicht und arbeitet für zwei. Ich denke nicht daran, ihn wegzuschicken.« Aus. Hal und Nimba blieben an diesem Tag Gäste von Miguel Bergman. Am nächsten Vormittag meldeten sie sich in der einfachen Kleidung von Arbeitern im Personalbüro der Union und setzten ohne Zögern ihre Namen unter die Arbeitsverträge. 7. Jim Morley war einer der großen Abenteurer der Technik. Als Kind schon hatte er fiebernd einen phantastischen Traum geträumt. Über Jahrzehnte hinweg hatte er ihn in schwerer unermüdlicher Arbeit gestaltet, durchgerechnet und mit allen wissenschaftlichen und technischen Mitteln fundiert, um ihn jetzt jenseits der Fünfzig endlich zu realisieren. Seine Chance hieß Miguel Bergman. Die Arbeit 156
seines Lebens hätte ein Traum bleiben müssen, wenn er nicht mit dem brasilianischen Millionär zusammengekommen wäre. Es wurde sein Glück, daß Miguel Bergman selbst zu den Männern gehörte, die in ihrer Jugend von der Sehnsucht nach dem großen Abenteuer getrieben wurden. Bergman befand sich in dem Alter, in dem ein Mensch den Rest seines Lebens berechnet. Er besaß keine Angehörigen und war nicht geneigt, sein Vermögen irgendwelchen Anstalten zu überlassen. So stieg er in das Unternehmen ein, zog damit andere Interessenten nach sich und sicherte Morley die Unterstützung der Regierung. Es konnte als sicher gelten, daß Morleys Idee bei den technischen Mitteln, die er als seinen Anteil in die Gesellschaft einbrachte, durchführbar war. Weiter lagen die Vorteile eines Schnellverkehrs – die Triebwagen sollten mit rund 1300 Stundenkilometer Geschwindigkeit durch den Tunnel geschossen werden – klar auf der Hand, und zwar trotz aller Entwicklung des Luftverkehrs. Ferner ließ sich erhoffen, daß man beim Tunnelbau auf wertvollste Bodenschätze stoßen würde. Schließlich ließ sich vermuten, daß der Tunnel für die vier beteiligten Staaten zu einer politischen Klammer erster Ordnung werden würde. Zum letzten Punkt sah es allerdings noch recht trübe aus. Paraguay und Uruguay widersetzten sich noch den Plänen, so daß gefährliche politische Ent157
wicklungen drohten. Jim Morley baute trotzdem schon seit vielen Monaten an dem Tunnel. Da das Unternehmen infolge der gegebenen politischen Verhältnisse absolut geheim gehalten werden mußte, waren außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich, die für alle Teile erhebliche Erschwerungen brachten. Jim Morley hatte größere Sorgen. Sie wuchsen mit jedem Kilometer, den sich der Atomvergaser nach Westen fraß. Jim Morley verschwieg sie den anderen, aber er war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um sie sich einzugestehen. Er war ein Abenteurer der Technik, aber kein Illusionist. Seine Rechnung ging jetzt schon, bei Kilometer 84, nicht mehr auf. Das besagte nichts gegen seine technischen Einrichtungen und Maßnahmen, es besagte jedoch alles gegen den zweiten Posten in der Rechnung, nämlich gegen die Erde. Morley hatte ein Dutzend Unbekannte überschlägig einkalkuliert und sich auf Überraschungen gefaßt gemacht. Jetzt sah er ein, daß diese Erde, in die er mit dem Tunnel hineinstieß, offenbar erheblich mehr Unbekannte enthielt, als er vermutet hatte. Der Vortrieb befand sich 16 Kilometer unter Normalniveau. Entsprechend der geothermischen Tiefenstufe mußten rund 500 Grad Hitze auftreten. Es war unheimlich, daß die Thermometer nicht viel mehr als 150 Grad anzeigten – unheimlich, weil sich das Phänomen nicht erklären ließ. Noch unheimli158
cher war aber, daß die Radioaktivität in erschreckendem Ausmaß anstieg. Schon jetzt mußten Schutzmaßnahmen angewendet werden, die nur für bestimmte Gefahrenfälle vorgesehen waren, und auch sie reichten nicht mehr aus. Wenn das so weiter ging, wurde der Vortrieb für die Arbeiter zur Hölle. * Der Vortrieb war bereits die Hölle. Sun Koh spürte es am eigenen Leib. Er stand jetzt erst in der zweiten Schicht, war aber bereits fest entschlossen, das Abenteuer schnellstens zu beenden. Er wußte, was er wissen wollte, er wußte aber vor allem auch, daß jede Stunde hier unten Raubbau am eigenen Körper war. In den öden Felsentälern hinter Cavras standen Holzbaracken, in denen die Arbeiter zwischen den Schichten schliefen und ruhten. Sie wurden hervorragend verpflegt und bezahlt und hatten sich nur über den Mangel an Freiheit zu beklagen, aber diese vier Stunden Schicht hinter dem Atomvergaser konnten durch nichts aufgewogen werden, denn sie mordeten diese Männer. Dabei waren diese Männer, die zum Teil aus den Zuchthäusern und aus der Arbeitslosigkeit kamen, zum Teil aber auch von den hohen Löhnen gelockt worden waren, körperlich nicht die schlechtesten. 159
Der Vortrieb war eine riesige Metallhülse von hundert Meter Länge, zwölf Meter Sohlenbreite und acht Meter Scheitelhöhe, die mit dem Atomvergaser gekuppelt war und mit diesem automatisch in jeder Stunde vierzig Meter nach vorn glitt, rund einen Kilometer täglich. Während sich die Schubhülse langsam nach vorn arbeitete und in die Erde hineinbohrte, während die riesigen Trichter die glühenden Wirbel emanierenden Gases absaugten und Ströme von Wasser gleichzeitig nach vorn schossen, mußten die Wasser- und Gasrohre zwischen den weit übergreifenden Verbindungsstücken ständig verlängert werden. Das war die Hauptarbeit der Männer, die unmittelbar hinter dem Atomvergaser arbeiteten. Die Transportkolonnen, die aus den heransausenden Zügen ebenso unaufhörlich das Arbeitsmaterial heranschafften, hatten es etwas leichter. Aber es gab keine Arbeit an diesem Vortrieb, der ein menschlicher Körper auf die Dauer gewachsen wäre. Selbst die Ingenieure, die die Apparate oder die Arbeiten überwachten, litten unter den geradezu ungeheuerlichen Beanspruchungen. Sie trugen alle die gleichen Arbeitsanzüge – Overalls mit Spezialschuhen und angesetzten Kapuzen, die den Kopf dicht umschlossen. Vor dem Bund befanden sich Filter, vor den Augen Sehscheiben aus Bleiglas und vor den Ohren lagen Klappen mit eingearbeiteten Verstärkern, so daß man sehen, hören 160
und atmen konnte. Die gesamte Tracht bestand aus mehreren Schichten eines Isoliermaterials, die durch starke Steppnähte gesichert waren. Sie hatte die gleiche eigentümliche rostrote Farbe, die auch an den Platten auffiel. Die Kleidung war nicht schwer, aber sie unterband die Hautatmung fast völlig. Der Schweiß brach aus allen Poren, und obgleich die Lunge gewaltsam atmete, schien der Körper allmählich zu ersticken. Dazu kam die Hitze, die ringsum stand. Sun Koh hatte die Thermometer abgelesen und festgestellt, daß die Temperatur objektiv erstaunlich niedrig war, aber sie genügte, um dem Körper auch nur die Illusion frischer kühler Luft zu versagen. Auch das Wasser bot keine Linderung. Die Hitze, der Schweiß, die unzureichende Atmung und die Selbstvergiftung zermürbten die Männer in erschreckendem Ausmaß. Und in jeder Schicht gab es einen oder mehrere, die schon nach der ersten halben Stunde das Unerträgliche nicht mehr tragen konnten und sich schreiend vor Erstickungsangst die Kappe vom Kopf rissen in der Hoffnung, nun endlich wieder frische Luft atmen zu können. Und in jeder Schicht gab es einige Leute, die einfach zusammenbrachen und besinnungslos weggetragen werden mußten. Kein Wunder, daß diese Männer entweder stumpf zum Sterben oder reif zur Rebellion waren. 161
Die Gesellschaft bestand auf ihrem Vertrag und verstand es, eine Flucht aus Cavras zu verhüten. Die Freiwilligen waren zu Sklaven geworden. * Einen Tag später stand Sun Koh in seiner dritten Schicht. Er hatte seinen Weg in die Freiheit berechnet und wußte ungefähr, wie er hinauskommen würde. Am Vortrieb vollzog sich eine bedrohliche Veränderung. Die Hitze stieg scharf an. Die Wände wurden heiß. Aus den Rohren quoll nicht mehr Wasser, sondern Dampf. Die heiße Luft schien die Lungen zu zerfressen. Die Männer schreckten vor den heißen Rohren und Werkzeugen zurück. Mancher brach bewußtlos zusammen, mancher stürzte freiwillig, um aus dem heißen Kessel herauszukommen, und der Rest scharte sich murrend zusammen. Weiß der Teufel, warum die Hitze so anstieg, aber bestimmt bedeutete es keine ernsthafte Gefahr. Morley war der letzte, der seinen Atomvergaser riskieren würde, und Morley kannte die Erde, in die er hineinbohren ließ, wie seine Tasche. Selbstverständlich hatte man ihn trotzdem bereits verständigt. Sun Koh beteiligte sich nicht an den Diskussionen. Er ging nach vorn, wo Anthony Sparr neben den Kontrollen stand, als ginge ihn der Trubel nichts an. 162
Die Arbeiter wußten, daß er ein Schotte war, und zwar einer von der eigensinnigsten Sorte. Er gehörte zu jenen Ingenieuren, die sich Morley aus dem Ausland geholt hatte und die auf Tod und Teufel zu Morley standen. Morley ließ keinen an den Atomvergaser heran, der nicht zu diesen Auserwählten gehörte. Sparr hatte seinen Kopf ebenfalls frei gemacht und sah aus, als sollte ihn in der nächsten Minute der Schlag treffen, aber in seinen Augen lag Entschlossenheit. Er blickte dem Herankommenden voll Mißtrauen entgegen. Als er merkte, daß es ihm galt, griff er nach rückwärts in seinen Kasten und behielt dann die Hände auf dem Rücken. »Sie müssen den Atomvergaser abstellen«, sagte Sun Koh ruhig zu ihm, während er herantrat. »Nein!« schnappte Anthony Sparr kurz. »Die Leute arbeiten nicht mehr.« »Sie werden arbeiten, wenn die Abgase über sie kommen.« »Dann werden sie fliehen. Sie wissen, daß wir uns an einen Magmaherd heranbohren.« »Überlassen Sie das mir und Morley.« »Nein«, antwortete Sun Koh bestimmt. »Schalten Sie ab!« »Nein«, gab Sparr nicht weniger bestimmt zurück und brachte die Hände vor. Seine Rechte umschloß eine Pistole. Sun Koh lächelte. Sicher, Sparr würde schießen. 163
Aber das Wollen allein tat es nicht, und das war das einzige, was er noch schaffte. Körperlich hatte der Ingenieur bestimmt nicht weniger gelitten als alle anderen. Sun Koh lauschte. Zwischen den dröhnenden Geräuschen, die dem Ohr bereits vertraut waren, wurde ein neuer Ton hörbar – ein hohles, sehr tiefes Brummen, das alle anderen Geräusche aufzusaugen schien. »Abschalten!« befahl er scharf. Anthony Sparr hob seine Waffe. Sun Koh sprang auf ihn zu und schlug sie ihm aus der Hand. Gleichzeitig schleuderte er den Mann beiseite. Sparr hatte seine körperlichen Möglichkeiten wirklich überschätzt. Er reagierte viel zu langsam, und als er auf den Boden fiel, blieb er sitzen, als habe ihm der Stoß die Kraft aus dem Leib gerissen. Sun Koh griff in die Hebel. Er wußte wenigstens ungefähr, worauf es ankam. Glücklicherweise war die Anordnung sehr übersichtlich, so daß sich die Stufen erraten ließen. Das spitze fauchende Summen um die Hörgrenze herum ebbte ab. Die weißen Schlitze wurden blasser und verschwanden. Das hohle Brummen ließ nach. Der Atomvergaser war abgeschaltet. Anthony Sparr stemmte sich schwerfällig hoch, als sich Sun Koh wieder nach ihm umwandte. Sein Gesicht verriet blankes Erstaunen. »Sie haben ihn tatsächlich abgeschaltet?« fragte er 164
ratlos. »Wieso wissen Sie Bescheid? Ich dachte nicht…« Er brach ab. Von hinten kamen freudige Zurufe, mit denen die Männer die Abschaltung begrüßten. Sun Koh faßte den Ingenieur beim Arm. »Kommen Sie. Die Hitze ist unerträglich. Wir müssen zurück.« »Der Teufel soll Sie holen«, murrte er. »Ich bleibe hier und schalte wieder an. Aber …« »Reden Sie keinen Unsinn«, unterbrach Sun Koh schroff. »An die Apparate kommen Sie nicht wieder heran. Gehen Sie.« Anthony Starr wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. In seinen Augen flackerte der Trotz, aber er hielt nicht stand. »Sie werden es mit Morley zu tun bekommen«, murmelte er nach einer Pause, wandte sich ab und ging nach rückwärts. Die Männer in den rostroten Anzügen wandten sich erwartungsvoll an Sun Koh. »Wir gehen bis zur Weiche zurück«, ordnete Sun Koh sachlich an. »Dort wird die Hitze ertragbar sein. Bevor der Berg voraus nicht gründlich sondiert ist, dürft ihr nicht weiterarbeiten, weil sonst in jeder Minute eine Katastrophe eintreten kann. Also los!« »Sie wissen, daß das Meuterei ist?« fragte einer der Ingenieure ohne Vorwurf. »Man kann es so nennen«, sagte Sun Koh, »aber 165
es ist wahrscheinlich besser, zu meutern, als zu sterben. Ich übernehme jedenfalls die Verantwortung.« »Das wird uns verdammt wenig nützen.« Sun Koh hob die Waffe, die noch vor kurzem Sparr in der Hand gehalten hatte. »Vielleicht nützt Ihnen das etwas?« Der andere grinste schwach. »Vielen Dank, das genügt. Dagegen kann man nichts machen. Los, Herrschaften, zurück mit euch!« Die Männer trotteten und taumelten aufatmend zurück. Die Weiche befand sich einige hundert Meter hinter dem Vortrieb. Dort war die Temperatur erträglich. Sun Koh hatte den Platz kaum erreicht, als aus der Ferne ein Licht heranschoß. Kurz darauf hielt ein Triebwagen zwischen den Arbeitern. Morley sprang heraus. Hinter ihm erschienen zwei Ingenieure, dann einige uniformierte Wächter mit Maschinenpistolen. »Was ist los?« bellte Jim Morley. Die Arbeiter schwiegen. Anthony Sparr ging auf den Chefingenieur zu. »Sie fürchten einen Magmaeinbruch und haben den Atomvergaser abgeschaltet, Chef. Die Hitze vorn ist fürchterlich.« Jim Morley schwieg zunächst. Seine Augen gingen von einem zum anderen, und es gab viele unter den Arbeitern, die den Kopf einzogen, als sie den Blick auf sich spürten. Sun Koh wunderte sich jetzt, 166
nachdem er Morley von Angesicht zu Angesicht kennenlernte, nicht mehr über den Ruf, den dieser Mann genoß. Er hatte eine Art, die Leute anzusehen, die keiner so leicht vertrug. In seinem Blick lagen eine abgrundtiefe Verachtung und eine gefährliche Drohung zugleich, dabei aber nicht eine Spur von Leidenschaft, sondern die kalte kraftvolle Ruhe eines Mannes, der für sich selbst und alles einsteht. Dieser Morley war zweifellos eine außergewöhnliche Persönlichkeit. »So? Sie haben abgeschaltet?« fragte er endlich, wobei etwas wie kalter Hohn in seiner Stimme mitschwang. »Und Sie haben dabeigestanden und die Hände in die Taschen gesteckt?« »Ich habe keine Taschen. Der Mann war schneller als ich.« »Ach!« Morley nahm sich wieder Zeit. Endlich befahl er mit etwas lauterer Stimme, aber ohne eine Spur von Erregung: »Geht an die Arbeit. Die Hitze ist unangenehm, aber sie muß durchgestanden werden. Ich werde nachprüfen, ob irgendeine Gefahr droht.« Sun Koh trat vor. »Sie werden erst prüfen und dann die Leute an die Arbeit schicken, Mister Morley. Wir befinden uns in unmittelbarer Nähe eines Magmaherdes, der jederzeit durchbrechen kann.« Morley streckte den Kopf etwas nach vorn und fi167
xierte ihn, aber Sun Koh war nicht der Mann, der einem fremden Blick auswich. »Ah – Sie sind das!« knarrte Morley halblaut. »Der Mann, der durch den Schacht eingedrungen ist. Wie war Ihr Name?« »Sun Koh.« Morley wandte den Kopf etwas zu Sparr hin. »Hat er abgeschaltet?« »Ja.« Morley blickte wieder in Sun Kohs Gesicht. Seine Stimme klang gefährlich. »Kein Wunder, daß die Leute rebellieren. Was wird gespielt?« »Was meinen Sie?« Morley kam dicht an Sun Koh heran. »Legen Sie Ihre Karten auf, und das verdammt schnell. Hier habe ich zu bestimmen und nicht Bergmann, falls Sie sich auf ihn berufen sollten. Was ich wissen will, ist dies: Was haben Sie mit Bergman zu tun, und seit wann ist er daran interessiert, daß hier die Arbeit abgestoppt wird?« »Drücken Sie sich klarer aus«, antwortete Sun Koh kühl. »Ich habe zwar von einem Miguel Bergman gehört, aber ich kenne ihn nicht.« »So?« Morley setzte zu mehr an, fing sich aber ab, blickte noch einmal in die Runde und ergänzte beherrscht: »Wir sprechen noch darüber. Kommen Sie!« 168
Er drehte sich kurz ab und ging zum Triebwagen. Die Ingenieure nahmen die entgegengesetzte Richtung auf und winkten den Leuten, ihnen zu folgen. Verschiedene schlossen sich zögernd an, doch andere verharrten und blickten auf Sun Koh. Dann gellte eine heisere Stimme aus dem Hintergrund: »Sollen wir zum Teufel gehen, he?« Der Zuruf wirkte wie ein Signal. Plötzlich gellten ringsum Stimmen auf. Die Männer schoben sich heran. Drohungen flogen durch die Luft. Die Uniformierten am Wagen nahmen ihre Maschinenpistolen hoch. Morley zog sich mit einem Ruck an dem eingelassenen Griff hoch und stand plötzlich in der offenen Tür des Wagens. Das genügte bereits, um die Unruhe zu dämmen. »Schluß damit!« rief er herrisch über die Köpfe hinweg. »Das ist kein Narrenhaus. Laßt euch nicht verhetzen. Und für alle Fälle – die Chance, zum Teufel zu gehen, ist nirgends größer als hier. Ich dulde keine Aufsässigkeit. Und nun marsch!« »Bleibt!« setzte Sun Koh hart dagegen, obgleich die Maschinenpistolen auf ihn gerichtet waren. »Sie treiben die Leute in den Tod, Mister Morley. Wenn sie den Magmaherd angehen, ist alles verloren. Das ist ein Verbrechen!« Der Tumult, der den Worten Beifall zollte, setzte wieder an und brach wieder ab, als Morley die Hand 169
hob. Sein Gesicht verriet zur Genüge, wie ihn der Widerstand reizte. Seine Stimme blieb jedoch beherrscht, wenn sie auch feindselig klang. »Ich habe euch gesagt, ihr sollt euch nicht verhetzen lassen. Wer in zehn Sekunden noch nicht auf dem Weg zur Arbeit ist…« »Stop!« unterbrach Sun Koh. »Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Mister Morley. Gehen Sie nach vorn und sehen Sie sich die Sache an. Wenn Sie dann noch die Verantwortung für die Weiterarbeit übernehmen wollen, sind wir dabei.« Morley antwortete diesmal unverzüglich mit beißender Schärfe: »Ah, Sie verstehen sich auf Ihr Geschäft. Bis ich zurückkomme, ist die Schicht vorbei, und Sie können ausfahren, nicht wahr? Die Kalkulation hat einen kleinen Fehler. Ich habe keine Lust, Ihretwegen eine halbe Stunde zu verlieren.« »Sie verlieren mehr, wenn Sie die Leute zur Arbeit zwingen. Diese halbe Stunde ist mit einigen Dutzend Menschen und dem Verlust Ihres Atomvergasers zu hoch bezahlt. Außerdem riskieren Sie Ihren ganzen Tunnel, wenn der Magmaherd groß genug ist.« »Zum Teufel mit Ihrem Magmaherd!« brauste Morley auf. »Ersparen Sie mir den Schwindel. Den Leuten können Sie das vorsetzen, aber mir nicht. Es gibt hier kein Magma.« Sun Koh atmete tief. »Sie sind ein Mann, Mister Morley – und ein 170
Mensch, der seine Leute zu nehmen weiß. Warum tun Sie das? Sie können sich viel sparen, wenn Sie zunächst untersuchen, ob mein Verdacht berechtigt ist.« »Das will ich Ihnen sagen«, antwortete Morley knapp. »Ich habe meinen Auftrag und meine Termine. Der Tunnel soll in einigen Jahren fertig sein. Mir war von vornherein klar, daß es eine Reihe von Schwierigkeiten geben würde, die sich nicht einkalkulieren ließen. Sie müssen überwunden werden. Ich habe zwei Möglichkeiten, gegen das Unbekannte und Unerwartete anzugehen. Die eine ist die, daß ich jeweils alle Einzelheiten und Zusammenhänge gründlich klären lasse, bis völlige Sicherheit über die etwa eintretenden Gefahren besteht. Doch wollte ich mich dieser Möglichkeit bedienen, würde ich in hundert Jahren noch nicht mit dem Tunnel fertig sein. Die andere ist die, unter einem gewissen Risiko und zeitweise auch unter außergewöhnlichen Belastungen weiterzuarbeiten, um schnellstens über die kritischen Punkte hinwegzukommen. Ich stehe zu ihr. Deshalb muß ich die Leute zwingen zu schuften, selbst wenn es ihnen kein Vergnügen mehr macht. Verstanden?« »Gewiß, aber es hat offenbar keinen Sinn, sich unter übermenschlichen Anstrengungen an einen Katastrophenherd heranzuarbeiten, der alles Geschaffene vernichten muß.« »Ich habe Ihnen gesagt, daß es kein Magma voraus gibt.« 171
»Ich habe es gehört, aber ich glaube es nicht.« »Mann, wenn ich Ihnen sage …« Er brach ab. In der Luft war plötzlich ein spitzes Heulen, das dicht an der Hörgrenze liegen mußte. Daneben fingen die Ohren zugleich ein dumpfes, ganz tiefes Grollen. »Was…« Die Männer reckten die Köpfe und starrten nach rückwärts. Dort stand ein häßliches dunkelrotes Glühen. »Herrgott!« stieß Morley fassungslos aus. »Das ist doch – das sieht aus …« »Das Magma kommt«, sagte Sun Koh bitter. »Die Ablösung kommt!« schrie einer der Männer und rannte los. 8. In den nächsten Minuten zählte jede Sekunde, und in jeder Sekunde vollzog sich ein Dutzend Ereignisse. Eine grellweiße Stichflamme zuckte aus dem fernen roten Fleck heraus und stach wie ein Schwertstich bis dicht an den Triebwagen heran. Dann war es dunkel. Die Lichter im Tunnel erloschen. Im Triebwagen blieben sie jedoch brennen. Die hellen Fenster standen geisterhaft in der Schwärze. Von hinten kam mit spitzem Fauchen ein dicker 172
Strahl überhitzten Dampfes herangeschossen, der über die Haut wegbrannte und im Nu alles ringsum einnebelte. Dann glühte es wieder schmutzigrot auf. Der rote Brand schien schnell zu wachsen. Stechender Geruch drang heran. Das spitze Sausen war nicht mehr zu hören. Dafür wuchs das dumpfe Grollen zu einem schweren, dröhnenden Rumpeln, das die Ohren füllte. Die Erde schien es aufzunehmen. Die Tunnelsohle ruckte unter den Füßen, die Wände schienen zu vibrieren. Sun Koh hatte eine flüchtige Vision. Er sah das Magmanest tief unten in der Erde, ein ungeheurer Klumpen glühender Massen, ein gefesselter Vulkan unter dem Druck der lastenden Erdschichten – sah, wie der Atomvergaser diesen Hochdruckvulkan an einer Stelle anstach, wie sich die glühenden Massen in die Öffnung hineindrückten, nämlich in den Tunnel hinein, den Menschen geschaffen hatten, ihn ausfüllten wie eine Plombe, die von innen eingedrückt wurde … In dem dumpfen Poltern lag ein grauenhaftes Schreien und Wimmern von Menschen, die weiter hinten von den Stichflammen und dem Dampfstrahl getroffen worden waren und nun sahen, wie sich der ausbrechende Vulkan auf sie zuwälzte. Und da kamen in der Ferne auch schon die ersten dunklen Gestalten gerannt. 173
Ringsum rannten auch schon die Männer, die am Triebwagen gestanden hatten. »Rette sich, wer kann!« Das geschah in der ersten Sekunde. In der zweiten sprang Morley neben Sun Koh und rief ihm zu: »Versuchen Sie zu retten. Ich muß zurück!« Sun Koh hörte es nur am Rande, da er im gleichen Augenblick die flüchtenden Männer anrief. »Stop! Stehenbleiben! Her zu mir!« »Stop!« brüllte auch Morley. »Hierbleiben!« »Geht zur Hölle!« schrie einer der Uniformierten und hob die Maschinenpistole. Bevor er abdrücken konnte, schoß Morley. Der Wächter kippte um. Die anderen zögerten. Jim Morley sprang wie ein Tiger unter die Leute. »Ihr beide kommt mit. Die anderen nach vorn und die Verletzten heranholen.« Er hielt sich nicht auf, sondern rannte nach rückwärts, auf den Transportzug zu. Die beiden Männer, die er ausgewählt hatte, blieben ihm auf den Hacken. »Das Schwein türmt!« gellte einer. Die Uniformierten setzten sich in Bewegung, doch da war auch schon Sun Koh unter ihnen, riß einem die Maschinenpistole aus der Hand und schlug sie an. Seine Stimme durchschlug hart und drohend den Lärm. »Halt! Ich schieße. Wir haben keine Zeit zu einer 174
Panik, denn vorn sind Verletzte, die Hilfe brauchen. Ich brauche Männer dazu.« Die Männer ließen sich leicht abfangen. Sie waren ein hartes Leben gewöhnt, und dieser Sun Koh hatte einiges bei ihnen gut. »Morley ist geflohen!« schrie einer. »Unsinn!« antwortete Sun Koh scharf. »Er kümmert sich um Strom, sonst kommen wir nicht zurück. Die Maschinenpistolen weg.« Sun Koh hatte vier Männer vor sich. Zwei begriffen offenbar und warfen die Waffen unter den Triebwagen. Der dritte hob sie. »Ich denke nicht…« Sun Koh schoß. Der Mann fiel um. »Verdammt!« fluchte der vierte und warf seine Waffe weg. »Los!« befahl Sun Koh und schleuderte die eigene Waffe beiseite. »Wir holen die anderen!« Zwei Dutzend Männer rannten und stolperten in die glühende Hölle hinein, während andere in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeiliefen, schreiend vor Panik und schreiend, um die offenbar Verrückten zu warnen. Da lagen die ersten. Sun Koh brauchte kein Wort zu verlieren. Die Männer wußten, um was es ging. Sie packten zu und schleppten zurück. Mit zwei Männern an seiner Seite erreichte Sun Koh die Grenze des Ertragbaren. Eine irrsinnige Hit175
ze, unter der die Haut zu schrumpfen schien, stand um ihn herum. Die Füße standen in dampfenden Tümpeln. Voraus schoben sich glühende Lavamassen heran. Die füllten den ganzen Querschnitt des Tunnels. Die beiden Männer trugen einen Verletzten weg. Sun Koh sprang noch zwei Schritte vor und riß einen Mann hoch, dann beeilte er sich zurückzukommen. Es wurde auch höchste Zeit. Nicht nur die Hitze, sondern auch die starke Vergasung der Luft forderten dem Körper das Äußerste ab. Auf halbem Weg zum Triebwagen kam ihm ein Mann entgegengelaufen. Die überanstrengten Augen unterschieden bei dem eigenartigen Licht die Gesichtszüge nicht mehr. »Zurück!« rief Sun Koh keuchend. »Die anderen…« »Sir!« schrie Hal erlöst auf. »Gott sei Dank, ich dachte schon…« »Hal?« Da war er heran und griff mit zu. Halb laufend stolperten sie weiter. »Was ist los, Sir? Ein unterirdischer Vulkan?« »Ja. Wie sieht es hinten aus?« »Verrückt!« »Morley?« Hal hustete gegen die quälenden Gase an. »Der Teufel soll ihn holen, aber er hat Charakter. 176
Er kennt seine Chance. Da – er hat es geschafft.« Sun Koh hatte begriffen, warum Morley als erster nach hinten lief. Dort stand ein fahrbereiter Transportzug, der alles aufnehmen konnte, was sich an Menschen im Tunnel befand. Das Erlöschen des Lichtes bedeutete, daß vom Vortrieb her Kurzschlüsse eingetreten waren. Der Transportzug fuhr mit Strom, der aus der oberen Fahrleitung kam. Jetzt hatte der letzte Block keinen Strom mehr. Der Strom mußte sein, damit der Zug fahren konnte. Und wenn er fahren konnte, mußte verhindert werden, daß ein paar Leute einfach starteten und andere zurückließen. Sun Koh und Hal hasteten mit dem Mann, der zwischen ihren Händen stöhnte, an dem verlassenen Triebwagen vorbei. Dort vorn stand der rettende Zug. Die Elektrolokomotive war nicht über die Weiche gegangen. Sie stand noch am Kopf des Zuges, also zum Vortrieb zu. Vier Wagen waren mit ihr gekoppelt. In den Fenstern, die sonst stets geschlossen bleiben mußten, hingen die Männer. Sie fluchten, brüllten und stritten miteinander. Viele forderten die Abfahrt, andere versuchten sie zu beruhigen und alle starrten in das dunkelrote Glühen hinein, das sich heranschob. Morley stand breitbeinig neben der Lokomotive, seine Jacke war halb zerrissen und sein Gesicht zerschunden. In seiner rechten Hand hing eine Pistole. 177
Zwei Schritte zurück warteten einige seiner Ingenieure. Am ersten Wagen wurden die geretteten Schwerverletzten und ihre schwer mitgenommenen Retter behutsam eingeschleust. »Noch nicht, Chef?« fragte der Mann, der oben stand. »Wir warten auf den letzten Mann«, knirschte Morley verbissen, während seine Augen versuchten, den wabernden Nebel von heißem Dampf und roter Glut zu durchdringen. »Einer fehlt bestimmt noch.« Da kamen sie heran, Schatten erst, dann tauchten die Gestalten auf. Das waren die beiden Männer, die Sun Koh bis zuletzt begleitet hatten. Sie schleiften ihre Geretteten nur noch. Dann tauchten Sun Koh und Hal auf. Ein Dutzend Hände griffen zu. »Alles?« »Nichts mehr hinter uns, Morley«, antwortete Sun Koh. »Nur noch die Hölle«, ergänzte Hal schlaff. »Fertig! Wir fahren!« Morley griff die Stangen und zog sich auf die Lok hinauf. Der Lokführer drückte den Fahrthebel ein. Zurück! Irgendwo dort draußen schien die Sonne. Der Zug bekam Fahrt. Das rote Glühen fiel zurück. Die Hitze nahm ab. Die Luft wurde für diese Männer, deren Haut schwarz geröstet worden war, mit jedem Atemzug kühler. Gerettet! 178
Ein dumpfes, wildes Grollen schien die Hoffnung der Männer zu beantworten, ein Laut wie von einem unterirdischen Tier, das seine weghuschende Beute nicht fahren lassen wollte. Dann traf ein harter Stoß den Zug von unten her. Morley warf sich gegen den Fahrthebel. »Schneller! Verdammt – die Beben …« »Sie überlasten!« schrie der Führer wild, schwieg dann aber. Der Stoß war durchgestanden. Der Zug raste nach rückwärts. Ein neuer Ruck. Die Erde zitterte. Die Männer starrten wie hypnotisiert auf die zurückfliehenden Tunnelwände. Es war, als ob sie aus Papier beständen, das im Windhauch flattert. Ein, zwei, drei, schnelle Rucke hintereinander, als rüttelte eine Faust voller Ungeduld. Die Hände der Männer krampften sich um schlingerndes Eisen. Die Erde stöhnte. Wie ein wildes, ausholendes Atmen kam dieser urweltliche Laut. Dort hinten bog sich der Tunnelschacht nach unten. Morley sah überweiß eine Zeichnung in seinem Gehirn. Da war diese Erde, eine ungeheure Masse von Milliarden Kubikkilometern, die sich auf keinem Blatt in einem brauchbaren Maßstab aufbringen ließ. Da war der Ausschnitt – der flache Bogen der Erdwölbung, der von Rio nach Antofagasta schwang, 179
darunter der Tunnel, nichts als ein haarfeiner Strich unter Millionen Tonnen Gestein. Was gehörte schon dazu, um diesen Strich zu brechen, ihn auszulöschen, als sei er nie dagewesen. Ein Atmen in diesen Millionen Tonnen, ein Rucken – vorbei. Der Zug raste durch den Tunnel. Ein Mann stemmte sich am Laufbrett entlang gegen den wetternden Fahrtwind, der ihm das Hemd vom Leib riß, und schwang sich in den Führerstand. Hal Mervin. Sein verbranntes Gesicht war hager und alt. »Halbe Geschwindigkeit!« schrie er Morley zu. »Alles oder nichts!« knirschte Morley und versuchte, den Fahrthebel noch weiter durchzudrücken. »Sind Sie wahnsinnig!« keuchte Hal. »Der Tunnel arbeitet. Das geringste Hindernis …« »Entweder – oder.« »Verdammt – Mister Sun Koh ist nach vorn – Strecke beobachten – gibt Blinkzeichen. Gehen Sie mit der Geschwindigkeit herunter – die Bremsstrecke wird zu lang. Wollen Sie wegen eines einzelnen Felsbrockens die ganze Mannschaft zum Teufel schicken? Entweder – oder!« Morley starrte auf die Pistole, die Hal auf ihn richtete. Über seine Lippen ging ein geisterhaftes Lächeln. »Eine Kugel – wenn die ganze Erde – aber gut, es hat etwas für sich.« 180
Das war nicht mehr als ein Murmeln, dann zog er den Fahrthebel an sich heran. Der Zug verlangsamte seine Geschwindigkeit. Hal hing mit halbem Leib draußen. Die Chance war nicht groß, aber es ist Unsinn, glücklich aus einem zusammenbrechenden Haus herauszukommen und dann über einen Stein zu stolpern und sich das Genick zu brechen. Die rollenden Stöße kamen jetzt fast ohne Unterbrechung. Der Zug sprang über die Schiene, als würde er immer von neuem ruckend gehalten. Die Tunnelwände flatterten. Eine erleuchtete Blockstelle glitt vorbei. Der verlorene Wärter hob beide Arme und machte eine Geste, die niemand verstand. »Langsamer!« schrie Hal nach rückwärts. Doch kaum eine Sekunde später verbesserte er sich: »Nein! – Schneller! Schneller! Verdammt, was soll das…« Morley drückte den Fahrthebel durch. Die Wände kamen heran, gleich darauf war nichts als Steinbrokken, Staub und Finsternis um die Männer. Stein rieb sich kreischend über Metall, irgendwo heulten verzweifelte Menschen entsetzt auf … Durch! Die Tunnelwände wichen wieder zurück. Das war ein wildes Stück gewesen, den Zug eben noch durchschlüpfen zu lassen. »Langsamer!« Zurück den Fahrthebel. Morley handelte mecha181
nisch. Er wußte, daß es nichts Besseres mehr gab. Irgendwo dort vorn stand ein Mann, der seine fünf Sinne beisammen hatte. Plötzlich war es stockdunkel. Kein Licht – kein Strom. Die Geschwindigkeit fiel jäh ab. »Stop!« Die Bremsen fielen. Unmittelbar darauf kam von vorn ein schwerer Stoß, der die Männer gegen die Apparaturen warf. Langsam drückte der Zug weiter. Dann ein neuer Stoß. Aus! Der Zug stand. Eine Staublawine trieb am Zug entlang nach hinten. Der Tunnel war zusammengebrochen. Es gab keinen Weg ins Freie mehr. Zwischen den Männern vom Vortrieb und der Sonne von Cavras lagen eingebrochene Felsmassen von unbekannter Stärke. Schlagartig hörte das ruckende Rollen auf. Das wilde Grollen der Erde versank zu einem schwachen, unruhigen Dröhnen. Es klang wie das sanfte Knurren eines großen Raubtieres, das seine Beute gestellt hat und sich befriedigt fühlt. * Miguel Bergman hielt sich für einen Narren, aber es tat ihm wohl, ein Narr zu sein. Er wußte, daß ihn diese kleine ernsthafte Maria Ortegas um den Finger 182
wickeln würde, aber er fand, daß es mit seinen siebzig Jahren Zeit wurde, daß ihn einmal jemand um den Finger wickelte. Das war immerhin ein neues Erlebnis für ihn. Es war besser als die wachsende Einsamkeit eines reichen Mannes zwischen Dienern und Angestellten. Eine großartige Sache, ganz wie ein Großvater mit dem Kind durch die Läden zu gehen und einzukaufen. Miguel Bergman empfand ein diebisches Vergnügen dabei, mit Geldbeträgen zu zaubern, die sonst keine Bedeutung für ihn besessen hätten. Es war, als drehten sich die Jahrzehnte bis zu seiner Jugend zurück, jener Jugend voller Hoffnungen und Sehnsüchte, in der er einst mit leeren Taschen begonnen hatte. Maria Ortegas wollte sehen, was ihr bisher versagt geblieben war. Sie legte keinen Wert auf Kostbarkeiten und Vornehmheit, sondern bestand auf einem Kaufhaus, auf Kassenzetteln und Paketchen, auf Barzahlung, einer Tasse Kakao im Erfrischungsraum und anderen unerhörten Dingen. Das war ein unfaßbares Erlebnis für Miguel Bergman. Anfänglich war ihm nicht sehr wohl dabei, aber bald ging er stillvergnügt Hand in Hand mit Maria Ortegas durch die Menge, obgleich das Kind immer noch barfuß ging und er die Päckchen mit den neuen Schuhen und dem neuen Kleid tragen mußte. Oh, sie verstanden sich ausgezeichnet. Nur in einem Punkt konnten sie sich nicht einig werden. 183
Hal Mervin. »Es ist nicht recht, ihn in dem Tunnel arbeiten zu lassen, damit er seinen Freund herausholen kann«, beharrte sie immer wieder. »Es ist seine Sache, mein Kind«, setzte er dagegen. »Man soll sich nie mehr in fremde Angelegenheiten mischen, als unbedingt nötig ist.« »Was kümmern Sie sich dann um meine Angelegenheiten?« fragte sie daraufhin. »Weil du mir gefällst.« »Señor Hal gefällt mir auch.« »Aber mir nicht.« Das begriff sie nicht. Aber es hatte nichts zu besagen. Sie war zäh und servierte ihm ihren Willen mit der anmutigen Geschicklichkeit einer geborenen Diplomatin. Als am folgenden Tag immer noch keine Nachricht von Hal vorlag, ließ sie nicht mehr locker. »Darf ich telefonieren?« fragte sie unmittelbar nach dem Frühstück. »Gewiß«, sagte Bergman. »Ich will den Apparat herüberbringen lassen. Mit wem möchtest du telefonieren?« »Mit Cavras. Ich werde mit diesem Chefingenieur sprechen. Er soll Señor Hal und seine Freunde herauslassen.« Bergman seufzte belustigt. »Fängst du schon wieder an? Du weißt, daß ich 184
selbst schon vergeblich mit Morley gesprochen habe.« Sie lächelte bezaubernd. »Aber nicht richtig, nicht wahr? Ich werde ihm sagen, daß Sie den Tunnel nicht weiterbauen, wenn er sich weigert.« »Das darfst du nicht«, sagte er erschrocken. »Kind, du willst hier in Dinge eingreifen, die du nicht übersiehst. Ich bin zwar mit Geld beteiligt, aber das ist ein Regierungsunternehmen. Außerdem wird dich Morley einfach auslachen.« Sie blickte ihn nachdenklich an. »Sie haben Angst davor, daß er Sie auch auslachen wird, nicht wahr?« »Ich habe keine Angst«, murrte Bergman, »aber ich…« »Darf ich telefonieren?« »Nein. Nicht nach Cavras.« Maria Ortegas schwieg eine Weile. Schließlich sagte sie entschlossen: »Ich werde selbst nach Cavras fahren. Irgendwer nimmt mich schon mit. Ich werde meine alten Sachen wieder anziehen und …« »Das erlaube ich nicht«, fiel Bergman entschieden ein. Sie blitzte ihn an. »Niemand kann mir verbieten, wieder fortzugehen, wenn ich nichts von Ihnen mitnehme. Señor Hal wird mir neue Schuhe kaufen. Und dann bleibe ich bei ihm.« 185
Das war eine Art, die Miguel Bergman nicht durchhielt. Er versuchte sein Bestes, aber als schließlich Maria Ortegas wieder barfuß im Kattunkleid vor ihm stand – zornig, weil der Diener sie beim Entwischen eben noch abgefangen hatte – gab er es auf. Er hatte das Gefühl, recht einsam zu werden, wenn die Kleine wieder aus seinem Leben verschwand. Also setzte er sie in den Wagen und ließ sich mit ihr zusammen nach Cavras hinausfahren, um persönlich mit Morley zu sprechen. Sie kamen eben zurecht, um die ersten Meldungen über die Katastrophe im Tunnel zu hören. Ned Ivans, der Stellvertreter von Morley, machte die Honneurs. Er war wesentlich umgänglicher als sein Chef. »Sie kennen ja Morley«, sagte er, nachdem er Bergmans Wünsche gehört hatte. »Ich glaube, diese Angst, nicht genug Leute zu finden, ist ein täglicher Alpdruck. Sie müssen natürlich selbst mit ihm reden, aber ich will schon inzwischen mit der PersonalAbteilung sprechen. Morley ist übrigens vorhin eingefahren.« Er führte ein längeres Telefongespräch, dann berichtete er: »Dieser Nimba arbeitet in der dritten Schicht und befindet sich jetzt in Baracke 8. Ich lasse ihn herüberbringen. Mervin gehört zur zweiten Schicht und ist eben eingefahren. Auf ihn müssen Sie warten, bis er wieder herauskommt. Sun Koh fährt 186
mit der ersten Schicht zusammen aus.« Er nahm einen Hörer ab und meldet sich. Bergman und Maria Ortegas verstanden die harten schnellen Worte nicht, aber sie sahen, wie sich der Ausdruck in Ivans Gesicht veränderte. »Hals- und Beinbruch, Chef«, schloß er rauh ab und griff zum nächsten Hörer. »Chefingenieur Ivans. Sämtliche Leitungen freimachen. Geben Sie mir die Alarmstationen.« Er wartete einige Sekunden, dann gab er schnell seine Anordnungen durch. »Alarmstufe 3. Sämtliche Ausgänge schließen. Hilfszug 1 fahrbereit auf Gleis 2. Alle verfügbaren Ärzte und Sanitäter. Hilfszug 2 auf Gleis 1. Ingenieure der Freischichten an Hilfszug 2. Hört Fahrtzentrale mit? Gut – alle Wetterschächte öffnen. Blockmeldungen unmittelbar zu mir. Fertig.« Er nahm den nächsten Hörer ab. »Ivans. Leron? Stufe 3. Ich erwarte Sie im Büro.« Während er abhing, wandte er sich seinen Gästen zu. »Entschuldigung. Das war Morley auf Weichentelefon 83,5. Sie haben ein Magmanest angebohrt. Scheint übel auszusehen.« »Ein Unglück?« fragte Bergman ziemlich töricht. »Ich weiß keine Einzelheiten. Morley will ausfahren, sobald er seine Leute beisammen hat.« »Was ist mit Señor Hal?« drängte Maria Ortegas. »Keine Ahnung, kleines Fräulein, aber da er zur 187
Ablösung gehört, wird er noch nicht vorn gewesen sein. Moment.« Er mußte telefonieren. Darüber vergingen die Minuten. Dann kamen die Blockmeldungen. Ivans schickte den Wächter mit einer Handbewegung fort und sprang gleich darauf hoch, als ein jüngerer Mann mit außergewöhnlich energischem Gesicht eintrat. In seiner Begleitung war Nimba. »Leron!« schnappte Ivans. »Wird Zeit, daß Sie kommen. Sie fahren mit Hilfszug 1 ein. Gesamtleitung an Ort für Sie. Hören Sie zu: Sie haben auf 84,5 einen Vulkan angestochen. Morley ist mit der zweiten Schicht und offenbar einigen Geretteten von der ersten Schicht mit Transportzug M 3 zurückgefahren und hat Kilometer 60 noch passiert. Bei Block 50 ist der Tunnel infolge starker Beben niedergegangen. Die Länge der Bruchstelle ist unbekannt. Block 60 meldete bereits Einbrüche. Verbindung besteht nicht mehr. Holen Sie die Leute heraus.« »Ich will es versuchen«, antwortete Leron kurz. Ivans tippte ihm auf die Brust. »Sie wissen Bescheid. Die Chance ist, daß sie nur gestoppt wurden. Auf der anderen Seite denken Sie an das Magma. Wenn der Herd groß genug ist, pumpt er den Tunnel voll. Sie müssen an Ort und Stelle entscheiden, ob wir unsere Leute aufgeben und zumauern oder den Vulkan neu anstechen.« »Verstanden.« 188
»Gut, noch eins, Leron. Ich habe Sie ausgewählt, weil ich Sie kenne. Sie haben einen eisernen Kopf. Machen Sie Gebrauch davon. Morley steckt unten – und verschiedene Dutzend Leute, die leben wollen.« Leron nickte. Sein Gesicht war fahl geworden, aber seine Kinnbacken traten noch härter heraus. »Ich werde mein Bestes tun. Was ist mit den Ingenieuren?« »Stehen bei Hilfszug 2 bereit.« Leron wandte sich ab und ging hinaus. Nimba folgte ihm wortlos. Als sich Leron im Vorraum nach ihm umwandte, sagte er: »Ich bin angewiesen, mit Ihnen zusammen einzufahren.« Leron nahm es hin, ohne sich zu äußern. Zehn Minuten später fuhren die Hilfszüge und der Sanitätszug in den Tunnel ein. Die Männer waren alle keine Anfänger. Sie wußten, daß ein kleiner Erdruck oder ein Nachbrechen genügen konnte, um sie alle auszulöschen, aber sie dachten nicht an sich, sondern an die anderen, die jenseits des Bruchs warteten. Der Tunnel fieberte vor Arbeit. Verpflegung wurde nachgeschoben. Reserven sprangen ein. Dann kamen Minuten, in denen jeder den Atem anhielt. Die Horchgeräte wurden eingesetzt. Endlich drehte sich der Ingenieur herum. In seiner Stimme lag etwas von Feierlichkeit und von Erschütterung. 189
»Sie arbeiten!« Nach Stunden stand Leron vor einer schräg hochlaufenden Felsplatte, die den Tunnel wie eine Fallklappe sperrte. Darüber lag eine Verwerfung, von der sich nicht sagen ließ, wie sie reagieren würde. Dem Block war nur mit Sprengungen beizukommen, aber diese Sprengungen konnten den ganzen Berg in Bewegung setzen. »Sprengen«, befahl Leron heiser. Der Berg rührte sich nicht, als die Trümmer durch den Tunnel flogen. Dann nahm ihn einer der Meßingenieure beiseite. »Sieht böse aus, Leron. Hier, sehen Sie sich das an. Die Temperatur in der letzten halben Stunde.« Leron ließ seine Augen über die Kurvenkette gleiten. »Verdammt – reichlich schnell. Wie sie das drüben aushalten?« Der Ingenieur rollte ein anderes Papierband vor ihm auf. »Das ist schlimmer. Hier – das Masse-Echo für Kilometer 58. Beachten Sie den Kurvendruck von hier an.« »Das bedeutet?« »Keine feste Verschüttung mehr, sondern flüssige Substanz. Nach Lage der Dinge gibt es nur eine Erklärung – Magmadurchbruch bei Kilometer 58. Diese Schwankungen lassen vermuten, daß sie zunächst 190
nur stellenweise durchdrückt. Sie sehen aber, daß das Echo schon merklich einförmiger wird.« Die beiden Männer blickten sich an. Sie sahen beide das gleiche. Wenn die glühenden Massen den Schuttpfropfen bei Kilometer 58 mit großer Gewalt durchstießen, würden sie im Nu die Caverne füllen und bis Kilometer 51 vorprellen. Von den Eingeschlossenen würde nichts übrig bleiben und für die Retter wurde es Zeit, den Tunnel zu räumen. Der Druck des Magmanestes konnte leicht groß genug sein, um auch diese Barriere zu sprengen und bis nach Cavras vorzustoßen. War der Lavadruck bei Kilometer 58 gering, bestand keine Gefahr für die Rettungskolonnen, denn bis hierher war noch allerlei Auslauf. Für die Eingeschlossenen bedeutete es trotzdem das Ende, wenn es nicht gelang, sie schleunigst herauszubringen. »Wieviel noch?« »Vierzig Meter.« »Nichts mehr von Arbeit?« Der andere hob die Schultern und ließ sie fallen. »Nichts mehr. Es sind Geräusche da, aber es klingt mehr nach Geröllverschiebungen.« Leron starrte vor sich hin. Seine Gedanken quälten sich mühsam voran. Sinnlos, so weiter zu arbeiten. Selbst wenn die Lava langsam kam, hatten die Eingeschlossenen keine Stunden mehr für sich. Kam sie schnell, wurde es jetzt schon höchste Zeit für einen 191
Betonpfropfen. Aber wenn sie noch lebten? Ein schwarzer schweißtriefender Hüne kam auf ihn zu. »Wie steht’s?« »Die Lava kommt, und wir haben noch vierzig Meter vor uns. Wahrscheinlich sind sie schon alle erledigt.« »Sie leben noch. Und sie werden leben.« »Denken Sie?« meinte Leron grimmig. »Zehn Jahre meines Lebens dafür, aber ich glaube nicht an Wunder. Sie sind verloren.« »Sie wollen aufgeben?« »Wir machen weiter«, entschied Leron. »Aber wir kommen zu spät.« Nimba streckte sich. »Gut, dann will ich es versuchen. Geben Sie mir eine Handvoll Dynamitpatronen und ziehen Sie Ihre Leute zurück.« »Das heißt?« »Ich will einen Gang sprengen. Wenn das Geröll hält, komme ich rechtzeitig durch. Wenn nicht…« Eine Geste ersetzte den Rest. Leron starrte ihn an. Nach einer Pause murmelte er: »Verdammt, das ist es. Ich konnte es nicht finden, aber das ist es. Kommen Sie.« Eine Minute später flutete die Kolonne zurück. Leron und Nimba gingen zusammen vor. Sie blieben nicht lange allein. Es sprach sich bald herum, was sie 192
planten, und unter denen, die es hörten, gab es viele, die stumm nach vorn gingen und sich zur Räumkette ordneten. Leron wußte, daß es eine Chance gab. Nach den Messungen war die Decke über einen großen Teil der restlichen Strecke hinweg schräg abgedrückt, aber ziemlich ganz geblieben, so daß sie einiges abfangen konnte. Die geborstene Wand hatte sich geröllig untergeschoben. Wenn man sie genügend weit oben anging, kam man vielleicht sogar mit einem Gewaltstoß durch. Leron war es, der die ersten beiden Patronen in die Geröllspalten schob und zündete. Der krachende Schlag riß das erste Loch auf. Während der Staub noch wirbelte, sprang Nimba nach vorn und riß die Trümmer auseinander. Die Sprengung hatte richtig gesessen. Die Decke hielt, unterhalb war das Geröll eingesackt. Die Brocken kollerten in die Tiefe. Zwei neue Sprengpatronen – zurück – Sprengung. So begann es. Und es war gut. Die schräge Deckplatte wurde erreicht. Sie fing alles ab. Die Patronen rissen den Gang immer tiefer auf und drückten laufend das Geröll. Dafür zeigte sich jedoch bald, daß es unmöglich war, den Gang so schnell zu räumen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Leron arbeitete wie ein Stier und schaffte für drei, und hinter ihnen stand eine Kette von Männern, die kaum noch die Köpfe duckten, wenn die Sprengstücke über sie hinsausten, 193
aber die Trümmer stauten sich, so daß die beiden an der Spitze bald mehr in einer Höhle arbeiteten, ohne sich noch ernstlich gegen die Sprengungen schützen zu können. Sie bluteten bald aus zahlreichen Wunden, aber sie ließen nicht locker. Dann kam eine neue Sprengung und plötzlich schoß ihnen ein überhitzter Luftstrahl entgegen. »Durch?« keuchte Leron. Nimba tappte sich halb blind nach vorn. »Eine Lücke für die Luft, nicht für uns. Es fehlen noch rund zwanzig Meter.« Leron zuckte vor dem fauchenden Strahl zurück, der wie eine glühende Lanze durch das Geröll kam. »Verdammt – das haben sie nicht mehr ausgehalten. Sie sind verbrannt.« »Ich zünde«, sagte Nimba hart. »Entweder – oder.« * Sun Koh und Hal trafen sich beim vordersten Wagen, der schon halb im Schutt steckte. Hinter ihnen drängten sich stumm die Ingenieure und Arbeiter. »Wie steht es mit Werkzeugen?« fragte Sun Koh halblaut. »Praktisch nichts«, warf Morley hin. »Wir können es natürlich versuchen. Es nützt zwar nichts, lenkt aber die Leute ab.« 194
Sun Koh blickte aufmerksam in das graue Gesicht, das jetzt verfallen wirkte. »Die Anordnungen liegen bei Ihnen. Sie sind der Chefingenieur.« Morleys Mundwinkel verzogen sich, und seine Stimme klang bitter. »Vergessen Sie es. Ich bin einer unter anderen. Und ich bin der letzte, an den Sie sich wenden können, wenn Sie leben wollen.« »Halten Sie die Aussichten für so gering?« »Das hängt von der Länge der Verschüttung ab. Sie werden drüben tun, was sie können. Vielleicht schaffen sie es – vielleicht nicht! Wer leben will, hofft eben. Ich – nicht.« »Niemand sollte die Hoffnung aufgeben, solange er lebt.« Morley hob die Schultern. Er antwortete ohne den geringsten Anflug von Pathos. »Und wenn – mein Leben ist schon zu Ende. Ich atme nur noch. Das hier – das war mein Leben.« »Kein Grund zur Aufregung«, warf Hal leicht hin. »Wenn es aufs Ende zugeht, merken die meisten Menschen, daß sie ihr Leben verpfuscht haben. Vorläufig werden Sie jedenfalls noch gebraucht. Und solange einer gebraucht wird, hat er kein Recht, sich ins Eckchen zu setzen und seine Tränendrüsen zu quetschen. Das ist meine Meinung.« Um Morleys Lippen ging ein karges Lächeln. 195
»Danke. Ich hatte nicht die Absicht, mich zu drükken. Tun wir also, als ob wir eine Chance hätten.« Damit schloß er ab, was er privat in sich dachte und fühlte. Im nächsten Augenblick war er der Chefingenieur Morley, wie ihn die Arbeiter kannten – ein Mann, der wußte, was er wollte, und der es verstand, seinen Willen durchzusetzen. Sie begannen zu arbeiten. Werkzeuge gab es nicht. Die Männer mußten die Trümmerblöcke zwischen die Hände nehmen und den losen Schutt in ihre zu Säcken gebundenen Hemden hineinscharren. In den ersten Stunden wurde fleißig geschafft. Die Männer waren voller Hoffnung, als sie durch den Berg hindurch Geräusche hörten, die auf Rettungsarbeiten schließen ließen. Nach einigen Stunden ließ die Leistung jedoch schnell nach. Erschöpfung kam über die Männer. Die Stimmung sank, denn der Schuttberg zeigte trotz allem, was weggeschleppt worden war, keine wesentliche Veränderung. Dazu kam die wachsende Hitze, die die Kraft aus dem Körper saugte und die Sinne stumpf machte. Dazu kam auch die zunehmende Verschlechterung der Luft. Sie wurde immer stärker von beißenden Gasen durchsetzt. Und schließlich machte sich bald der Durst bemerkbar. Es gab keinen Tropfen Wasser für diese Männer, die ununterbrochen schwitzten. Dabei befand sich Wasser in unmittelbarer Nähe. 196
Die Köpfe stießen immer wieder an das mannsstarke Druckrohr für die Wasserführung. Stunde um Stunde verging. Dann kam der Augenblick, in dem Jim Morley entsetzt zurücktaumelte und mit seinen Hintermännern aus dem Gang herausstürzte, während Hal im Halbschlaf etwas von einem verdammt schönen Traum murmelte. Ein wildes Rucken ging durch den Berg, dem ein dumpfes Knirschen und Reißen folgte. »Sie sprengen!« keuchten die Männer, die über das Geröll stolperten. Aber in der gleichen Sekunde schrien sie: »Wasser!« Über den Männern, die sich erschöpft niedergelassen hatten, war durch den Sprengstoß eine Nahtstelle aufgerissen worden. Das Wasser spritzte in dünnen Strähnen und Schleiern aus dem Rohr, als drückte jemand eine Wasserleitung mit dem Finger ab. Morley brach im Gang zusammen. Hal legte sich neben ihn. »Es geht nicht mehr, Sir«, murmelte er geistesabwesend, als er irgendwann das Gesicht Sun Kohs über sich sah. »Ich kann die Beine nicht mehr heben. Alles wie Blei. Der Kopf auch.« Sun Koh hockte sich neben ihn. Er wußte, daß er selbst an der Grenze war. Er mußte eine Pause einlegen. Wenn nur nicht diese irrsinnige Hitze wäre. Hal sah erschreckend aus, hager, die Haare versengt, die Haut schwarz vom Brand und grau überstäubt vom 197
Schutt, die Minen verzerrt und verkrampft. Er ahnte, daß er nicht viel besser aussah. »Nimba wird sich wundern«, murmelte Hal nach einer Pause weiter. »Geschieht ihm recht, wenn er uns einen Kranz kaufen muß. Was meinen Sie zur Lage, Sir? Eigentlich eine passende Gelegenheit zum Sterben, nicht?« »Vielleicht! Aber auf jeden Fall – solange du noch redest, bist du noch nicht tot.« Hal grinste matt. Wumm! Die Männer ruckten hoch. Ringsum knirschte und kreischte das Geröll. »Sprengung?« »Das war aber verdammt nahe«, stellte Hal mit etwas stärkerem Interesse fest, während er sich mit dem Rücken an einem Block hochschob. »Höchstens zehn Meter«, murmelte Morley und versuchte, sich herumzuwälzen. Wumm! Sun Koh stemmte sich auf die Füße und taumelte nach vorn. Dann kam er zurück. »Sie können nicht sehr weit sein, aber …« »Rufen?« »Viel Spaß«, flüsterte Hal. »Bei mir ist schon lange zu. Höchstens schießen.« »Wir müssen aus dem Gang heraus. Ich fürchte nur…« 198
Wumm! »Ich fürchte auch«, seufzte Hal. »Sie gehen aufs Ganze, aber sie sprengen uns den Gang zu und dann brauchen sie ein paar Stunden länger. Bis dahin …« Sie blieben, wo sie waren. Die Situation erlaubte keine Illusion mehr. Wenn der Gang durch die Sprengungen verschüttet wurde, war es besser, unter dem zusammenbrechenden Gestein zu sterben, als weiter hinten zu verbrennen. Wumm! Eine Explosion folgte in kurzem Abstand der anderen. Die Verdämmernden konnten verfolgen, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Retter jetzt vorgingen. Wumm! Der heiße Luftstrom setzte an und pfiff über die Körper hinweg. »Eine Öffnung!« keuchte Morley. »Regen Sie sich nicht auf«, sagte Hal schwach. »Der Schornstein zieht verkehrt.« Wumm! Das Geröll rutschte unter den Körpern weg, Sprengstücke fauchten durch den Gang, ein beißender Geruch drang in die Nase, dann zog Kaltluft am Boden entlang. Irgendwo schrien Stimmen auf. Sun Koh sprang auf. »Sie kommen!« lallte Hal. »Jetzt bin ich sprachlos.« Wumm! 199
Er sah die Gestalt nicht mehr, die sich durch den Schutt hindurchzwängte. Sun Koh war der einzige, der stand, als Nimba und hinter ihm Leron in den Gang eindrangen. Er blieb auf seinen Beinen, bis er drüben auf der anderen Seite den festen, kühlen Tunnel mit den Rettungskolonnen vor sich sah. Dann erst versagte sein Körper. * Als Hal wieder zu sich kam, lag er in einem weißen Bett in einem luxuriösen Zimmer, das er in seinem Leben noch nicht gesehen hatte. Auf dem Bettrand saß Maria Ortegas, jetzt auch äußerlich eine Prinzessin aus dem Wunderland. »Gott sei Dank«, seufzte sie erleichtert. »Jetzt sind Sie wieder da, Señor Hal. Wie fühlen Sie sich?« Hal zwinkerte, versuchte die Arme zu heben, gab es aber schnell auf. »Wie auseinandergenommen und nicht wieder richtig zusammengesetzt. Was ist mit meinem Gesicht? Bin ich in Pomade geraten?« »Brandsalbe«, berichtete sie. »Sie sind ganz schwarz.« »Wahrscheinlich entwickle ich mich zum Neger«, sagte er. »Dich haben sie aber auch ganz schön zugerichtet, Prinzessin. Ausstaffiert, meine ich.« »Gefällt es Ihnen nicht?« 200
»Ich werde mich daran gewöhnen müssen. Geschieht dir ganz recht. Jetzt mußt du dir dauernd die Füße waschen. Was ist mit… Hallo, Nimba!« Nimba trat behutsam ein. »Ich freue mich …« »Schreib es auf«, unterbrach Hal schnell. »Beileidsbezeugungen fehlen mir gerade noch. Ich fühle mich auch so komisch genug. Du warst natürlich platt, daß wir wieder aus dem Tunnel herausgekommen sind, was? Ein tolles Ding! Ich bin mir wie ein Brühwürstchen vorgekommen. Und zuletzt wollten uns die verrückten Burschen noch mit aller Gewalt in die Luft sprengen. Wenn du nicht so ein sanfter Heinrich wärst, hätte ich dich glatt in Verdacht. Wie Sun Koh das ausgehalten hat, ist mir schleierhaft. Ich hatte den Eindruck, daß er den ganzen Splittersegen abfangen wollte, um mich zu decken. Mir hat’s allerdings auch so genügt. Ich fühle mich scheußlich, besonders um den Magen herum. Siehst du das Mädchen hier, Nimba?« »Ich sehe es«, bestätigte Nimba würdig. »Bring es hinaus und binde ihr eine Küchenschürze um«, murmelte Hal. »Vielleicht fällt ihr dann etwas Gescheites ein. Ich habe immer davon munkeln hören, daß Kranke Hühnersüppchen und solche Sachen bekommen.« Maria Ortegas riß die Augen auf, schluckte, wurde glühendrot und eilte hinaus. 201
»Siehst du«, grinste Hal. »Jetzt schämt sie sich. So muß man mit den Frauen umgehen.« Nimba betrachtete ihn nachdenklich. »Hm, Maria Ortegas ist sehr höflich. Ich fürchte, sie lief hinaus, um dir nicht ins Gesicht zu lachen. Soweit ich unterrichtet bin, hat sie dir in den letzten vierundzwanzig Stunden mindestens fünf Liter Hühnerbrühe in den Mund laufen lassen.« Jetzt riß Hal die Augen auf. »Pfui!« ächzte er endlich. »Deshalb ist mir also so komisch zumute. Hühnerbrühe! Kein Wort mehr davon. Was ist mit dem Tunnel, Nimba? Ist dieses Lavazeug weitergelaufen?« »Nicht mehr viel. Es erstarrt.« »Hm, wenigstens etwas. Aber in dem Tunnel können sie Champignons züchten. Nach Antofagasta kommt Morley auf diese Weise nie.« »Mister Morley hat sich erschossen.« Hal schwieg eine Weile. »Nach so etwas sah er schon im Tunnel aus. Ist Sun Koh schon auf?« Nimba räusperte sich. »Der Arzt meint, es bestände keine Lebensgefahr mehr.« Hal fuhr bestürzt hoch. »Nimba! War es – so schlimm?« »Die Sprengungen«, murmelte Nimba gedrückt. »Es gab keine andere Möglichkeit mehr. Ich mußte 202
es wagen. Er hat alles abgefangen – einen Geschoßhagel von Splittern.« »Und?« »Er kommt durch, aber es wird Wochen dauern, bis er ausgeheilt ist.« Sie schwiegen eine Weile. Schließlich murrte Hal: »Na schön, dann kann ich ja inzwischen aus der Prinzessin einen zivilisierten Menschen machen.« Nimba grinste schwach. »Wir werden in die Sonnenstadt zurückfliegen, Kleiner. Du bist zu jung fürs Poesiealbum.« »Was verstehst du denn schon von Liebe«, murmelte Hal und schlief wieder ein. ENDE
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Als SUN KOH Band 27 erscheint:
Freder van Holk
Der singende Gaucho Borroud fürchtet nur einen Mann auf dieser Welt: Sun Koh. Der Erbe von Atlantis jagt den Mörder erbarmungslos durch den Mato Grosso. Doch Borroud hat überall seine Helfer, die nur darauf warten, Sun Koh ein Bein zu stellen. Noch weiß Sun Koh nicht, warum er plötzlich auch noch die Cavarro-Bande auf dem Hals hat – bis er durch Zufall erfährt, daß er in eine uralte, tödliche Fehde um gewaltige Schätze von Gold und Diamanten geraten ist… Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vierwöchentlich und sind überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich.