KURT RÜCKMANN
Ein Schiff flog in die Luft
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
1.—70. Tausend Die Ta...
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KURT RÜCKMANN
Ein Schiff flog in die Luft
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
1.—70. Tausend Die Tatsachenreihe erscheint monatlich Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) — Berlin, 1974 Cheflektorat Militärliteratur Lizenz-Nr. 5 LSV-Nr.0239 Lektor: Helga Grau Umschlag: Karl Fischer Vorauskorrektor: Elfriede Sell Korrektor: Ilka Krienitz Hersteller: lngeburg Zoschke Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: Druckerei Neues Deutschland Berlin
EVP 0.50
Im Sonderauftrag nach Havanna Mister William Randolph Hearst, Besitzer von Millionen Dollar, Gebieter über die auflagenstärkste Zeitung New Yorks, „Journal", hatte an jenem Dezembertag des Jahres 1897 Gäste. Der Millionär, der es sonst liebte, viele Menschen um sich zu haben, die ihm andächtig zuhörten, hatte diesmal strengste Weisung gegeben, ihn in der nächsten halben Stunde unter keinen Umständen zu stören. Die beiden Besucher waren für die Angestellten des Hauses keine, Unbekannten. Der eine war Richard Harding Davis, der Hearst als Reporter gedient hatte und der durch einige Reisebeschreibungen populär geworden war, der andere war der nicht weniger bekannte Zeichner und Fotograf Frederic Remington. Für die nächsten Mitarbeiter des Millionärs war es allerdings kein Geheimnis, worüber die drei im pompösen Arbeitszimmer des Mister Hearst sprachen. Seit Jahr und Tag kannte der New-Yorker Zeitungskönig nur ein Thema für sein Blatt: Zuspitzung des Konflikts zwischen den USA und Spanien. Dazu mußten die Leidenschaften seiner Leser gegen die Spanier entfesselt werden. Deshalb diente jeder Zeitungsbericht nur dazu, den Lesern die Expansionslüste der Amerikaner als „Expansionspflichten" zu suggerieren.
„Jede. Nachricht über Kuba und über die Greuel der Spanier muß eine Fackel sein, muß unser Land in Brand setzen, muß danach schreien, diese Insel befreit zu sehen." Das war eine der Lieblingsformulierungen Hearsts, wenn er sich in der Öffentlichkeit und vor seinen Journalisten produzierte. War man im kleinen, vertrauten Kreis, dann wurde über die wahren Absichten der Hearst-Kampagne gesprochen. Die Greueltaten der Spanier an der kubanischen Bevölkerung? Das Leid der Kubaner? Das interessiert uns nur, um Stimmung zu machen. Was wir jedoch wollen, das ist Kuba. Wer Kuba beherrscht, diese schöne, fruchtbare Insel, hat Tabak, Zucker, Erze, beherrscht den karibischen Raum, die Schiffahrt und die Küsten dieses Raumes. Jetzt saßen dort die Spanier. Sie mußten weg. Sie waren das Hindernis für Uncle Sam, sich nach Süden auszudehnen. In Hearsts Zeitungen waren Worte führender Politiker und Industrieller wie diese: „Wir brauchen Märkte für unsere fabelhafte Überproduktion" und „New York, nicht London wird der finanzielle Mittelpunkt der Welt" und „Gebietserweiterung ist die offensichtliche Bestimmung der Vereinigten Staaten!" längst zum guten Ton, zu einer Art Glaubensbekenntnis geworden. Mit diesen Schlagworten propagierten die amerikanischen Kapitalisten ihre außenpolitischen Ziele, erhoben sie Anspruch auf Neuaufteilung der Welt. Nachdem die Kolonisation der Südstaaten des Landes abgeschlossen war und beträchtliche Teile Lateiname-
rikas bereits unter dem Einfluß der USA standen, war jetzt Kuba an der Reihe. Diese reiche, den USA unmittelbar vorgelagerte Insel sahen sie faktisch als ihr Territorium an, auf das sie immer lauter Anspruch erhoben. ,,Amerika den Amerikanern'' hieß der Slogan. Kuba befand sich jedoch noch in spanischem „Besitz". Man brauchte also einen Vorwand, um die Spanier von der Insel zu vertreiben. Provokation, Krieg und Okkupation könnten dann in logischer Folge abgewickelt werden. Es dürfte wohl nicht so schwer sein, dem von einem dekadenten Adel geführten altersschwachen Spanien seine überseeische Besitzung abzunehmen. Die Anwesenheit Spaniens auf Kuba und die ständig wachsende kubanische Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung störten den Geschäftsfluß, hinderten den jungen Riesen daran, sich zu dehnen und zu strecken. Hearst ging auf und ab. Dieser große, fast mager wirkende Mann sprach so ungelenk, wie er sich bewegte. „Meine Herren, Sie werden von unseren Lesern sehr geschätzt. Meine Zeitungen brauchen Nachrichten, interessant geschriebene Berichte und gute Bilder über die Lage auf Kuba." Er brach für einen Augenblick ab, so, als ob er nach Worten suchte. Dann sagte er fast schrill: „ ... und über eventuelle Kriegshandlungen." Davis und Remington sahen sich erstaunt an. „Aber zwischen Spaniern und Amerikanern scheint es doch im Augenblick keine Spannungen zu geben,
ebensowenig hört man von Zusammenstößen zwischen Spaniern und aufständigen Guerrilleros", wandte Davis ein. „Im Augenblick ja", stimmte Hearst zu, wobei er vielsagend lächelte. „Aber wer kann sagen, wie es morgen aussieht?" „Sie wissen, wie es morgen aussieht?" fragte Remington mit einiger Verwunderung. „Ich weiß, welche Macht die Presse hat", sagte Hearst ausweichend. „Zeitungen beeinflussen die Gesetzgebung, sie kontrollieren die Nation. Sie können auch Kriege erklären." Davis sagte erwartungsvoll: „Und wir sollen etwas für die Kriegserklärung liefern?'' Dabei dachte er sofort an jene Geschichte um Evangelina Cisneros, die vor einem Jahr in den Zeitungen Furore gemacht hatte. Damals hatte Hearst seinen Redakteuren folgendes mitgeteilt: „Auf den spanischen Statthalter Valeriano Weyler ist ein Attentat verübt worden. Die Attentäter sind gefaßt. Sie interessieren mich nicht so sehr. Aber unter ihnen befindet sich ein achtzehnjähriges Mädchen. Sie trägt den schönen Namen Evangelina Cisneros und ist dazu noch recht hübsch. Um dieses Mädchen werden wir uns kümmern." Daraufhin erschien „Journal" mit reißerischen Schlagzeilen und Berichten, die das Leben und die Gefangennahme der Evangelina Cisneros in allen Einzelheiten schilderten. Sie war nach „Journal" das „schönste Mädchen der Insel Kuba". Nach Hearsts Zeitung sollte sie „in klösterlicher Zurückgezogenheit
aufgewachsen" sein, und „alle weltlichen Dinge seien ihr ebenso fremd gewesen wie einer Nonne". Und dieses „schöne, weltfremde Kind" habe der „lüsterne und niederträchtige Schurke" von Statthalter seinem Willen gefügig machen wollen. Aber das hätten die kubanischen Freischärler zu verhindern gewußt. Allerdings seien dabei einige von ihnen gefangengenommen worden. Evangelina sei im Gefängnis von Havanna mit „18 zuchtlosen Negerinnen" in eine Zelle gesperrt worden, nur weil sie ihre Unschuld gegen ,,eine Bestie in spanischer Uniform" verteidigt habe. Das Schicksal der Evangelina jage „einen Schauer des Schreckens durch das ganze amerikanische Volk''. In dieser Tonart ging es Tag für Tag. Immer neue Einzelheiten über die „schrecklichen Torturen", die die „schöne, weltfremde" Evangelina im spanischen Kerker erdulden mußte, schilderte „Journal", obwohl keiner seiner Redakteure bis dahin das Mädchen auch nur zu Gesicht bekommen hatte. „Journal" wandte sich an amerikanische Persönlichkeiten mit der Bitte, beim Papst, bei der spanischen Königin-Regentin. beim spanischen Ministerpräsidenten für das Mädchen „um Gnade" zu ersuchen. Allerdings hörten die „Bittgesuche" mit einem Schlage auf. Eine Befreiungsaktion war gelungen. Es blieb jedoch ein Rätsel, wie man das Kunststück fertiggebracht hatte, Evangelina aus dem Gefängnis von Havanna herauszuholen und sie nach New York zu bringen. Jedenfalls hatte „Journal" noch nie eine solche
Auflage erlebt. Den Verkäufern wurde die Zeitung mit der Schlagzeile „Amerikanische Zeitung erreicht mit einem Schlag, was amerikanische Diplomaten nicht zustande bringen konnten" aus den Händen gerissen. Den Höhepunkt des Falles Evangelina Cisneros organisierte William Randolph Hearst selbst. Auf dem Union Square, einem der größten Plätze von New York, stellte der Herausgeber des „Journal" die befreite Kubanerin zur Schau. Hunderttausende waren gekommen, um das Mädchen zu sehen. Konfettiregen, wie er nur berühmten Persönlichkeiten zuteil wird, ging auf sie nieder. Hearst erklärte Evangelina zum Symbol der Freiheit Kubas. Und wie spontan erhoben sich auf dem Union Square Sprechchöre und Transparente, „Die Freiheit für Kuba", „Tod den spanischen Tyrannen", „Gewalt gegen Gewalt" forderten. Zum erstenmal wurde auf dem Union Square der Ruf nach Krieg gegen Spanien laut. Hearst war an diesem Tag zufrieden gewesen. Nicht nur, weil seine Kasse stimmte. Das, was er bezweckt, mit seinen Nachrichten das Land in Brand setzen, hatte er fast erreicht. Doch um den Brand zu schüren, reichte die befreite Evangelina noch nicht aus. Aber Krieg mußte sein. Davis hatte also richtig vermutet. Hearst brauchte erneut eine Provokation, die den Krieg mit Spanien auslösen sollte. Der Zeitungskönig ging einigemal auf und ab, ehe er sein Anliegen vorbrachte. ,,Sie sollen mir Nachrichten, Berichte, Bilder liefern, spannend,
sehr plastisch, informativ — so, wie es sich der Leser wünscht. Der Tag, an dem ein Krieg mit Spanien ausbricht, darf ihn nicht überraschen." Hearst stand jetzt mitten im Zimmer, die rechte Hand unter die Weste geschoben. Er glich jetzt wirklich Napoleon, dessen Bildnis als einziger Schmuck in diesem Zimmer hing. „Selbstverständlich werden Sie reichlich honoriert, Ihr Spesenkonto wird unbegrenzt sein. Ich habe für Ihre Reise die Yacht ,Vamoose' erworben, ein seetüchtiges und komfortables Schiff. Ihre Hotelplätze in Havanna sind bereits reserviert. Ich brauche nur Ihre Zustimmung, meine Herren." Davis und Remington sträubten sich nicht lange. Schon wenige Tage später verließ die „Vamoose" den Marinestützpunkt Key West in Florida mit Kurs auf Kuba. Davis und Remington wurden auf der Yacht wie die Besitzer des Schiffes behandelt. Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft auf der Insel hatte es Remington satt, hier herumzulungern. Wider Erwarten war es ruhig, nichts Aufregendes passierte. Im Palast des spanischen Statthalters verhandelte man mit den Führern der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung, aber selbst über diese Verhandlungen wurde nichts Konkretes bekannt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts war es zu Aufständen in Kuba gekommen. 1812 wollten Negersklaven unter der Führung Jose Apontes nach dem Vorbild Haitis eine Negerrepublik errichten. Von 1868 bis 1878 tobte der „Krieg der zehn Jahre", der auch die
Ausrufung einer Republik zum Ziele hatte. Spanien versuchte vergeblich, die Bewegung durch Zugeständnisse, wie Verwaltungsreformen, Liberalisierung des Handels, Aufhebung der Sklaverei und Teilautonomie, aber auch durch extremen Terror zu unterdrücken. Mit der von Jose Marti vorbereiteten erneuten Erhebung im Jahr 1895 erreichte der Kampf seinen Höhepunkt. Dem politisch, militärisch und wirtschaftlich geschwächten Spanien drohte die Herrschaft über Kuba aus den Händen zu gleiten. Kubas Unabhängigkeit schien greifbar nahe zu sein. Doch
Das amerikanische Schlachtschiff ,,Maine" im Hafen von Havanna, am Tage vor der Explosion
nun schalteten sich die USA ein. Kuba mußte ihnen gehören. Dazu war jedes Mittel recht. Gelangweilt gab Remington in den ersten Januartagen 1898 folgendes Kabeltelegramm an Hearst auf: „Hier alles ruhig — stop — kein Unruhen — stop — krieg wird es nicht geben — stop — will heimkehren — stop — remington." Es dauerte nur Stunden, bis Remington die Antwort des Zeitungskönigs in den Händen hielt: „remington havanna — stop — bitte bleiben sie — stop — sie liefern die bilder — stop — ich liefere den krieg — stop — hearst." Remington hielt das Papier seinem Kollegen hin. Der las es verwundert, zuckte dann mit den Schultern, sagte kurz: „Der muß es ja wissen" und gab Remington das Telegramm zurück... Am 13. Januar 1898 kam es in Havanna unerwartet zu schweren Ausschreitungen von Spaniern gegenüber Amerikanern, die sich in Kuba bereits festgesetzt hatten. Niemand konnte recht erklären, wie es dazu gekommen war, wer die Schuld daran trug. Davis und Remington hatten nun alle Hände voll zu tun, um Stoff für Hearsts „Journal" und „World" zu liefern. In Washington aber ließ USA-Präsident McKinley erklären: Angesichts der zunehmenden Spannungen auf Kuba werde seine Regierung „zum Schutz der Bürger der Vereinigten Staaten auf der Insel und deren Eigentum" ein Schlachtschiff nach Havanna entsenden.
Geheimbefehl für Mister Wainwright Am Horizont tauchte eine Rauchfahne auf. Kapitän Sigsbee und sein Erster Offizier Wainwright standen auf der Kommandobrücke der „Maine". Sie beobachteten angestrengt durch die Ferngläser eine Rauchfahne, um zu ergründen, was es damit auf sich hatte. „Ein Torpedoboot", sagte Sigsbee schließlich. „Ob es endlich den Befehl für uns bringt?" Wainwright nickte. „Ich bin sicher." Der Kapitän seufzte. „Es wird höchste Zeit, die Männer werden unruhig." Der Erste Offizier setzte das Glas ab. „Wir sollten sofort alles für die Abfahrt vorbereiten", sagte er. „Wollen wir nicht noch warten, bis wir genau wissen, was los ist?" fragte Sigsbee erstaunt. Wainwrights Antwort war kurz. Sie ließ keinen Widerspruch zu. „Nein. Nachher fehlt uns jede Minute." Kapitän Sigsbee hatte schon vor Wochen den Befehl erhalten, sich vom atlantischen Geschwader zu lösen und hier, in unmittelbarer Nähe des amerikanischen Flottenstützpunktes Key West an der Südspitze Floridas, Anker zu werfen. Zur besonderen Verwendung — so hatte man dem Kapitän bedeutet. Doch es waren Wochen vergangen, ohne daß sich etwas ereignet hätte. Eines Morgens jedoch war dann endlich ein Motorboot aus Key West mit zwei Passagieren erschienen.
Der eine wies sich als Vertreter des Marineministeriums in Washington aus, der andere war Richard Wainwright. Der Mann aus Washington zeigte Kapitän Sigsbee einen Befehl, der den bisherigen Ersten Offizier zurückbeorderte und die Ernennung Wainwrights zum Stellvertreter des Kapitäns enthielt. Der Abgesandte aus Washington stellte den „Neuen" mit den Worten vor: „Ein Mann, der Erfahrung mit solchen Sonderaufträgen hat, wie Sie ihn durchführen sollen." Sigsbee begriff sofort: Dieser Richard Wainwright, der den gleichen Kapitänsrang wie er hatte, war ein Mann des militärischen Geheimdienstes. Nun war klar: Solange Wainwright auf dem Schiff war, würde er auch der Boß sein. Und Wainwright machte wenige Stunden später auch deutlich, wie richtig Sigsbees Vermutung war. Als Sigsbee nach dem Charakter des zu erwartenden Sonderauftrags fragte, grinste der neue Erste Offizier nur und sagte dann lakonisch: „Hilfe für den amerikanischen Konsul in Havanna." Auf welche Weise die „Maine" dem amerikanischen Konsul in Havanna helfen sollte, war nun für Sigsbee nicht mehr schwer zu erraten. Die „Maine" war ein erstklassiges Schlachtschiff, erst 1891 in Dienst gestellt, mit Gürtelpanzer und Panzerdeck ausgestattet und mit 17 Knoten eines der schnellsten Schiffe der US Navy. Bewaffnet war sie mit 21 Schnellfeuerkanonen der neuesten Produktion, mit 4 250-mmGeschützen und 6 Torpedorohren. Und da
Wainwright dem Kapitän „empfohlen" hatte, die Mannschaft ständig in Gefechtsbereitschaft zu halten, alle Kessel unter Dampf zu lassen, konnte sich Sigsbee ausrechnen, daß die ,,Maine" keine Spazierfahrt nach Havanna unternehmen würde. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als Sigsbee aus Key West den Befehl bekam, unter dem Kiel des Schiffes Spezialtrossen anbringen zu lassen und Abdichtungsmaterial bereitzustellen, mit dessen Hilfe im Falle einer „Havarie" Lecks im Schiffskörper verschlossen werden konnten. Gestern, am 23. Januar, war am Ankerplatz der „Maine" das gesamte atlantische Geschwader unter Admiral Sampson eingetroffen. Der Admiral hatte zu verstehen gegeben, die „Maine" sei zwar bis auf Widerruf erneut dem Geschwader eingegliedert, aber das könne sich schon morgen abermals ändern. „Das Torpedoboot hat beim Flaggschiff festgemacht", sagte Wainwright, der das Glas wieder an die Augen gehoben hatte. Und nach wenigen Minuten: „Das Flaggschiff signalisiert: ,Maine' seeklar machen. Kapitän und Erster Offizier zum Flaggschiff." Eine halbe Stunde später standen Sigsbee und Wainwright dem Admiral gegenüber. „Meine Herren", sagte er. „Sie begeben sich unverzüglich nach Havanna. Im Hafen wird nur bei Tage festgemacht." Mit einem spöttischen Lächeln fügte er hinzu: „Damit die Spanier auch etwas davon haben." Der Admiral nahm zwei große Briefumschläge vom
Kartentisch und wandte sich an Wainwright: „Diesen Brief übergeben Sie General Lee, unserem Konsul in Havanna. Den zweiten Brief öffnen Sie, sobald Sie Anker geworfen haben. Er enthält alle Weisungen, die für ihren Auftrag notwendig sind. Gibt es Fragen?" Die beiden Offiziere verneinten. Der Admiral gab ihnen die Hand. „Viel Glück", sagte er. Für die „Maine" waren die 150 Meilen von Key West nach Havanna kein Problem. Bereits in den frühen Morgenstunden des 25. Januar näherte sich die schwimmende Festung dem kubanischen Hafen, wartete jedoch bis zum befohlenen Zeitpunkt auf hoher See. Punkt 11.00 Uhr am 25. Januar 1898 warf die „Maine" im Hafenbecken von Havanna Anker. Noch als die Ankerketten rasselten, zogen schwerbewaffnete Posten an allen wichtigen Stellen des Schiffes auf. Bald darauf patrouillierten auch spanische Soldaten am Kai mit schußbereiten Gewehren. Wie zufällig richteten sich die Geschütze der „Maine" auf die im Hafengebiet liegende Residenz des spanischen Statthalters auf Kuba, General Blancos. In der Residenz hatte General Blanco seinen Stab versammelt. Seine Anweisung war kurz und knapp. „Meine Herren, die Amerikaner wollen uns provozieren. Unsere Aufgabe ist aber der Kampf gegen die aufständischen kubanischen Guerrilleros. Diese müssen wir in Schach und die Amerikaner fernhalten, wenn die Insel unser bleiben soll. Jeder von Ihnen ist sich doch wohl klar, daß wir diesen strategisch
wichtigen Stützpunkt und den wirtschaftlichen Reichtum der Insel nicht aufgeben können. Weisen Sie Ihre Untergebenen an, den Amerikanern gegenüber Zurückhaltung zu bewahren, keine Rempeleien, keine Demonstrationen. Wir können uns keinen Krieg mit den Amerikanern leisten. Wir brauchen alle Kräfte im Kampf gegen die Aufständischen." Der General selbst stattete dem Kapitän der „Maine" einen Höflichkeitsbesuch ab. Als Geschenk überreichte er Sigsbee eine Kiste mit bestem Cherry. Im amerikanischen Konsulat ging es unterdessen zu wie in einem Taubenschlag. Amerikaner, die in Havanna ansässig waren, gaben einander die Klinke in die Hand. Ständig klingelte irgendein Telefon. Die Mitarbeiter nahmen Meldungen aus allen Teilen der Stadt entgegen. Nur im Zimmer von General Lee, dem Konsul, war es ruhig. Sein Besucher, Richard Wainwright, stand am Fenster und starrte schweigend auf die Straße. Jede Stunde schickte der General ein Kabeltelegramm nach Washington, um immer wieder das gleiche mitzuteilen: „Keine feindseligen Handlungen der Spanier, keine Demonstrationen, es herrscht absolute Ruhe." Um Mitternacht gab es das letzte Telegramm, General Lee konnte auch zu diesem Zeitpunkt nichts anderes melden.
Die Suche nach dem roten Tuch Der darauffolgende Sonntag brachte wunderschönes Wetter. Der wolkenlose Himmel ergab einen wirkungsvollen Kontrast zu den weißen Häuserketten, die das natürliche Hafenbecken von Havanna säumten. Die klare Sicht erlaubte einen weiten Blick auf das glatte Wasser des Golfes von Mexiko. Auf dem Deck der „Maine" hatte eben der Morgengottesdienst stattgefunden, als General Lee in Begleitung seines Adjutanten, Leutnant Holmans, die Schiffstreppe heraufkam. Die beiden begaben sich ohne große Formalitäten zur Offiziersmesse, wo sie bereits von Sigsbee und Wainwright erwartet wurden. Für die Herren war ein Frühstück angerichtet. Während sie aßen, sagte der General unvermittelt: „Wir werden uns heute einen vergnügten Tag machen, auf Befehl aus Washington." Die Offiziere ließen für einen Augenblick Messer und Gabel sinken und sahen den General erwartungsvoll an. „Wir werden zum Stierkampf gehen", erläuterte der General gelassen. „Ganz so lustig wird das aber nicht für uns", gab Sigsbee zu bedenken. „Die Spanier sind bei einem Stierkampf maßlos erregt. Wenn sie unsere Uniformen sehen, kann es zu Zusammenstößen zwischen uns und ihnen kommen." Wainwright amüsierte sich. Fast herablassend sagte er: „Wenn ich den General richtig verstehe, geht es genau darum, daß sie uns angreifen."
„Richtig." Der Konsul nickte. „Die Ankunft der ,Maine' sollte das rote Tuch für die Spanier sein. Leider haben sie sich nicht wie ein Stier verhalten. Außer einem papierenen Protest des Herrn Statthalters ist nichts herausgekommen. Also müssen wir uns etwas anderes ausdenken, damit Bewegung entsteht. Kommt es zu Zusammenstößen, in Washington wird man darüber nicht sehr traurig sein." So erschienen der General und die beiden Kapitäne am Nachmittag in der Stierkampfarena, als die Veranstaltung gerade begonnen hatte. Es war unmöglich, sie in ihren Paradeuniformen zu übersehen. Doch zur Verwunderung der drei Offiziere taten die Spanier, als ob die Amerikaner für sie nicht anwesend wären. Selbst der Versuch Wainwrights, einen Spanier anzurempeln", blieb erfolglos. Der Spanier reagierte nur mit einem verächtlichen Blick. Das Unternehmen „Stierkampfarena" war also auch gescheitert. Die Spanier versuchten jeder Provokation auszuweichen. Doch das war auf die Dauer unmöglich. Am 9. Februar 1898 schrien sich die Zeitungsjungen von New York die Kehlen heiser. „Spanier beleidigt Präsident McKinley", „Madrids Botschafter fordert die Nation heraus", „Das Volk verlangt: 'raus mit dem spanischen Verleumder aus den USA!" Den Zeitungsjungen wurde Hearsts „Journal" aus den Händen gerissen. Was war geschehen? „Journal" hatte auf der ersten Seite in riesiger
Aufmachung das Faksimile eines Briefes veröffentlicht. Der Brief stammte vom spanischen Botschafter in Washington, de Lome. Er war nicht an die Redaktion des „Journal" gerichtet, auch nicht an eine Dienststelle der USA-Regierung. Es war ein Privatbrief. Aber in ihm standen folgende schwerwiegende Sätze: „Präsident McKinley ist ein charakterschwacher Mensch und ein unbegabter Politiker. Er buhlt um die Gunst der Massen, und er will es zugleich den Scharfmachern in diesem Lande recht machen." De Lome hatte diesen Brief an seinen Freund, den juristischen Berater General Blancos, Canalegas, geschrieben. Kein Wort fand sich im „Journal", woher der Brief stammte. Aber da ihn de Lome mit der Diplomatenpost mitgegeben hatte, konnte er nur aus dieser Diplomatenpost gestohlen worden sein. Hearst hatte sich demnach zweier Vergehen schuldig gemacht, die man sonst in den USA schwer zu bestrafen pflegte. Er hatte einen Brief aus einem Postsack entwenden lassen, der nach internationalen Gepflogenheiten unverletzlich ist — Diebstahl. Er hatte einen Brief veröffentlicht, ohne den Verfasser um sein Einverständnis zu bitten — Verletzung des Briefgeheimnisses. Doch darüber sprach an diesem Tag niemand. Keiner fragte Hearst, woher er den Brief genommen oder bekommen hatte. Beleidigung des Präsidenten, Beleidigung der Nation, Sühne für die „Unverschämthei-
ten de Lomes" — das war die Sprache am Tage der Veröffentlichung. Am nächsten Tag forderte bereits Senator Canonn in einer stürmischen Sitzung des Kongresses, den Spaniern das Ultimatum zu stellen: sofortige Abberufung des Botschafters oder Krieg. Im „Journal" wurde am selben Tag der Präsident aufgefordert, Spanien unverzüglich den Krieg zu erklären. In Madrid reagierte man schnell. Man mußte der Absicht der Amerikaner, den Krieg um jeden Preis vom Zaune zu brechen, jeden Anlaß dazu zu benutzen, zuvorkommen. Noch am 10. Februar reichte de Lome seinen Abschied ein. Washington forderte darauf, die spanische Regierung solle de Lome einen Verweis erteilen. Der spanische Außenminister lehnte jedoch ab. Die Entlassung des Botschafters sei eine ausreichende Maßnahme, um so mehr, als der besagte Brief gestohlen worden sei. Man bitte zunächst um Klärung dieser Angelegenheit. Doch während noch zwischen Madrid und Washington Telegramme ausgetauscht wurden, kam es zu einem Ereignis, das den Botschafter de Lome und seinen gestohlenen Brief schlagartig in Vergessenheit geraten ließen...
Explosion im Hafen Der Kalender zeigte den 15. Februar 1898. Über Havanna senkte sich die Dämmerung herab. Der Abend brachte der Stadt, in der es an diesem Tag wieder Kämpfe zwischen Spaniern und Aufständischen, den „Mambises", gegeben hatte, Stille und so etwas wie eine Atempause. Soldaten des spanischen Statthalters patrouillierten mit schußbereiten Gewehren durch die Stadt. Im Hafengebiet waren die Posten verstärkt worden. Im Hafen selbst herrschte reges Treiben. In den letzten Tagen waren auffallend viele amerikanische Handelsschiffe eingelaufen. Heute erst hatte in unmittelbarer Nähe der „Maine" der Frachter „Washington City" festgemacht. Seitdem die „Maine" im Hafen lag, war es schon fast zu einer Tradition geworden, das Offizierskorps des Kriegsschiffes zu Gast auf das neuangekommene Schiff zu laden. Die spanischen Soldaten, die am Hafen Wache hielten, konnten sich ausrechnen, wann Sigsbee, Wainwright und andere Offiziere heute abend das Fallreep zur „Washington City" hinaufklettern würden. Um 21.00 Uhr wurde wie an jedem Abend seit 150 Jahren aus einem alten Mörser der traditionelle Schuß abgefeuert, das Zeichen dafür, daß nun im Hafen so etwas wie Feierabend war. Genau zu diesem Zeitpunkt beobachteten die spanischen Hafenwachen, daß die gesamte Mannschaft auf dem Vorderdeck der ,Maine" zu einem Appell antrat, 328 Mann — die
Stärke der Besatzung kannten die Spanier schon längst. Kurz darauf sahen sie, daß sich am Heck die 26 Offiziere der „Maine" einfanden, alle in ihrer Ausgangsuniform. Es war ungewöhnlich, was sich da abspielte. Seitdem das amerikanische Kriegsschiff hier war, hatte es zu diesem späten Zeitpunkt noch keinen Mannschaftsappell gegeben. Aufmerksam beobachteten die Posten, wie die Maate die Matrosen über das Deck scheuchten. Die groben Kommandos, vermischt mit Schimpfworten, waren bis zum Kai zu vernehmen. Noch ungewöhnlicher war, was dann geschah. Ohne daß dem Kapitän auch nur gemeldet worden war, verließen die Offiziere das Schiff und fuhren zur „Washington City" hinüber. Die spanischen Posten registrierten die Uhrzeit: Es war 21.20 Uhr. Die Matrosen standen noch immer in Reih und Glied auf dem Vorderdeck. Um 21.30 Uhr war der Appell noch nicht beendet. Für die spanischen Posten wurde es langweilig, schon wollten sie ihren üblichen Rundgang wieder aufnehmen. Da zerriß plötzlich eine gewaltige Explosion die Stille. Eine riesige Feuersäule schoß in den Himmel. Die Druckwelle schleuderte die spanischen Soldaten zu Boden, Fenster klirrten, Dächer wurden abgedeckt. Dort, wo die „Maine" gelegen hatte, stand eine riesige Säule aus Feuer und Rauch. Das Schiff neigte sich zur Seite, so als ob es sich langsam niederlegen wollte. Es
sank. Innerhalb von wenigen Minuten ragten nur noch die Aufbauten aus dem Wasser, dann waren auch sie verschwunden. Ein tiefes, sattes Gurgeln des Meeres besiegelte das Schicksal der „Maine". Im Hafenbecken spielten sich erschütternde Szenen ab. Überall im Wasser trieben Menschen. Verzweifelt schrien sie um Hilfe, klammerten sich an jede Planke oder auch an ihre toten Kameraden. Von der „Washington City" und von dem spanischen Kreuzer „Alfons XIII.", der ebenfalls im Hafen lag, wurden eiligst Boote herabgelassen. Es begann ein mehrstündiger Kampf um jedes Menschenleben. Keiner achtete mehr darauf, ob Spanier oder Amerikaner die Retter eines der Matrosen der „Maine" waren. Die Explosion mußte genau dort erfolgt sein, wo sich die Mannschaft des amerikanischen Schiffes versammelt hatte. Anders waren die hohen Verluste nicht zu erklären, die die Explosion unter der Mannschaft angerichtet hatte. Von den 328 Matrosen wurden 264 getötet. Von den 26 Offizieren der „Maine'' starben jedoch nur 2, und zwar nicht durch die Explosion, sondern danach, bei den Rettungsarbeiten. Die meisten der geretteten Matrosen waren verwundet. Es gab keinen, der nicht zumindest Brandwunden davongetragen hatte. Am anderen Morgen meldete der Adjutant des spanischen Statthalters seinem Chef in allen Einzelheiten, was sich in der vergangenen Nacht abgespielt hatte. General Blanco wurde immer erregter, erhob sich schließlich und ging auf das Fenster zu, das ihm
den Blick auf den Hafen freigab. Ruckartig wandte er sich dann um, bleich, die Fäuste ballend. „Wenn wir jetzt nicht handeln", sagte er heiser, „dann haben wir den Krieg." Er verstand, daß die Amerikaner mit diesem Vorfall einen Trumpf in die Hand bekommen hatten, den sie ohne Bedenken ausspielen würden, um den Krieg endlich beginnen zu können. Fast zur selben Zeit saßen im Washingtoner Marineministerium zwei Männer einander gegenüber, die über dasselbe Thema sprachen. Der eine war der Marineminister, Mister Long, Freund und Vertrauter des amerikanischen Zuckerkönigs Atkins aus Boston. Mister Atkins reizte natürlich der kubanische Zucker. „Meine kleine Zuckerdose" nannte er Kuba bereits. Minister Long sollte ihm helfen, die „Zuckerdose" endlich in seinen Besitz zu bringen. Der andere Mann in diesem Raum war Longs Stellvertreter, Unterstaatssekretär Theodore Roosevelt, ehemaliger Polizeipräsident von New York und Busenfreund des Zeitungskönigs Hearst. Roosevelt gab später einmal zu: „Von dem Augenblick an, da ich Unterstaatssekretär wurde, war ich überzeugt, daß der Krieg unvermeidlich war... Ich bemühte mich, den Kriegsausbruch zu beschleunigen." Die beiden Männer waren in bester Stimmung. Sie waren sich einig, daß der Fall „Maine" eine einmalige Gelegenheit war, diesen lang ersehnten Krieg endlich vom Zaune zu brechen. „Was wir jetzt brauchen", sagte der Minister zu
seinem Stellvertreter, „sind Beweise, daß die Katastrophe auf der ,Maine' ein Verbrechen der Spanier gewesen ist." Roosevelt nickte eifrig. „Das ist mir klar, alles ist entsprechend vorbereitet." „Stellen Sie sich das nicht so leicht vor", warnte Long, „die ersten Informationen aus Havanna besagen, daß Blanco verlangt habe, es müsse eine gemeinsame amerikanisch-spanische Untersuchungskommission gebildet werden." Roosevelt war betroffen. „Ich hoffe", sagte er mit Nachdruck, „daß Sie Ihren ganzen Einfluß geltend machen und den Präsidenten bewegen werden, die Bildung einer solchen Kommission abzulehnen." Long winkte ab. „Keine Sorge. Wenn es eine Kommission gibt, dann wird das unsere Kommission sein." Longs Andeutung sollte sehr bald Wirklichkeit werden. Bereits am 19. Februar lehnte Präsident McKinley den Vorschlag der Spanier ab, die Ursachen für die Katastrophe auf der „Maine" gemeinsam zu untersuchen. Statt dessen wurde eine Kommission berufen, die nur aus Amerikanern bestand. Einen Tag später beauftragte die spanische Regierung ihrerseits eine Kommission, die Ursachen zu klären, die zum Untergang der „Maine" geführt hatten. Im Hafen von Havanna begann ein Wettbewerb der beiden Kommissionen. In Hearsts Zeitungen erschienen täglich Schlagzeilen wie „Denkt an die ,Maine'!"
und „Rächt den Tod amerikanischer Seeleute!" Und auf Anregung von Hearst statteten einige Millionäre ein Schiff samt Besatzung aus, das eigene Nachforschungen im Hafen von Havanna anstellen sollte. Offiziell erklärte der Zeitungsmillionär, dieses Schiff habe ein menschliches Problem zu lösen: Es solle nach den Matrosen suchen, die bei der Explosion der „Maine" ums Leben gekommen waren.
Die Botschaft Senator Woodfords General Blanco, der Statthalter der spanischen Krone auf Kuba, war noch kein halbes Jahr auf der Insel, und er erinnerte sich noch gut an einen Herbsttag des Jahres 1897, als der spanische Premier Sagasta den amerikanischen Gesandten, Senator Stewart Woodford, auf dessen eigenen Wunsch hin empfangen mußte. Es war nicht schwer, zu erraten, was der Amerikaner wollte. Es ging auch damals um Kuba. Im riesigen Arbeitszimmer des Regierungschefs saßen die beiden einander gegenüber. Senator Woodford, ein großer, breitschultriger Mann mit weißem Haar, auf dem kantigen Gesicht ein Lächeln, das kalt und herablassend wirkte. Sein Oberkörper war kerzengerade aufgerichtet. Wer nicht wußte, daß Woodford Militär war, die Haltung dieses Mannes im Zivilanzug verriet, daß man es mit einem General der USArmy zu tun hatte. Er war ein Befürworter des Krieges.
Práxedes Mateo Sagasta mit seinen 70 Jahren war so etwas wie der große alte Mann der spanischen Politik. Vor einigen Wochen war er das fünftemal zum Ministerpräsidenten berufen worden. Man sagte ihm nach, er sei ein geschickter Politiker mit glänzender Rednergabe und ausgesucht höflichen Manieren. Immer dann, wenn es in der spanischen Politik zu einer Krise gekommen war — und das war in den letzten Jahren recht häufig geschehen —, hatte man Sagasta gerufen. Nun sollte sein politisches Geschick helfen, den Krieg mit den Amerikanern zu verhindern. „Sie haben der spanisch-königlichen Regierung eine Botschaft zu überbringen, Euer Exzellenz?" fragte Sagasta zurückhaltend. Woodford nickte und klappte eine in Leder gebundene Mappe auf. „Ja, eine Botschaft meines Präsidenten. Gestatten Sie, daß ich die Botschaft verlese?" „Ich bitte darum." Sagasta hatte sich leicht nach vorn gebeugt. Mit halbgeschlossenen Augen hörte er zu, was der Amerikaner vorzubringen hatte. Die Botschaft war reichlich mit diplomatischen Höflichkeitsfloskeln versehen. Ließ man jedoch die artigen Redewendungen beiseite, so kamen Forderungen heraus, die Sagasta die Zornesröte in die Wangen trieben. „Im Namen der Menschlichkeit" verlangte Woodford nicht mehr und nicht weniger, als daß Valeriano Weyler, der spanische Statthalter auf Kuba, unverzüglich abgelöst würde. Dem Blutvergießen
sollte ein Ende gesetzt, die Konzentrationslager auf der Insel sollten aufgelöst, den Kubanern sollte das Recht auf Selbstbestimmung gewährt, Leben und Eigentum von Bürgern der Vereinigten Staaten auf Kuba sollten geschützt und garantiert werden. In Sagastas Gesicht zuckte kein Muskel, während Woodford mit monotoner Stimme las. Aber hinter seiner Stirn arbeitete es. Warum sagen sie nicht klipp und klar, daß es ihnen weder um Weyler noch um Menschlichkeit geht, sondern daß sie Kuba haben wollen, dachte er. Seit Jahrzehnten war in den Staaten mehr oder weniger laut nach der Inbesitznahme der Insel durch die USA gerufen worden. Sagasta kannte die „Akte", die sich seit Mitte dieses Jahrhunderts im Santa-Cruz-Palast, im Außenministerium, angesammelt hatte. Er kannte die geheime Depesche des USA-Präsidenten Polk aus dem Jahre 1849, in der er den damaligen Gesandten der USA in Madrid, Souwnders, ermächtigte, der spanischen Regierung 100 Millionen Dollar als Kaufpreis für Kuba anzubieten. Natürlich hatte Spaniens Regierung damals dieses Ansinnen abgelehnt. Er hatte auch jenes geheimnisvolle Manifest gelesen, das die USA-Gesandten in Großbritannien, Frankreich und Spanien bei einer Zusammenkunft in dem belgischen Badeort Ostende 1854 im Auftrag ihres Präsidenten entworfen hatten. Darin war erneut vorgeschlagen worden, die USA sollten Kuba käuflich erwerben, weil es ihrer Küste nahegelegen
sei, von Natur zu jener großen Staatengruppe gehöre, die durch Gunst der Vorsehung von der Union gehegt und gepflegt zu werden bestimmt sei... Überdies könne die Union sich niemals der Ruhe hingeben und sicher fühlen, solange Kuba nicht innerhalb ihrer Grenzen liege. Das Manifest endete bereits mit dem Hinweis: „Sollte sich Spanien weigern, Kuba zu verkaufen, dann sollte es ihm mit Waffengewalt abgetrotzt werden." Aber damals fühlte man sich in Washington noch nicht stark genug, einen Waffengang zu wagen. Wegen des amerikanischen Bürgerkriegs war zeitweilig in dieser Frage etwas Ruhe eingetreten. Aber unmittelbar danach, als die Spanier den zehnjährigen Krieg gegen die kubanischen Rebellen führen mußten, meldeten sich die Amerikaner wieder. Diesmal drohten sie, in Kuba einzugreifen, wenn die Spanier nicht aufhören sollten, den Aufstand der Kubaner blutig zu unterdrücken. Der Krieg gegen die Aufständischen trug dazu bei, die Finanzen Spaniens völlig zu zerrütten. In Spanien selbst war es zudem ständig zu Unruhen gekommen, besonders in den Arbeitervierteln der großen Städte. Immer häufiger hatten sich Soldaten geweigert, sich nach Kuba transportieren zu lassen, um dort einen sinnlosen Krieg zu verlängern. Die Monarchie und das Land lebten in einem politischen und wirtschaftlichen Chaos. In einer derartigen Situation einen Krieg mit den wirtschaftlich und militärisch erstarkten Vereinigten Staaten zu führen hätte Kuba
und die Herrschaft in Spanien gekostet. So hatte die spanische Regierung damals den USA erlaubt, mit Kapitalanlagen den „wirtschaftlichen Fortschritt" Kubas zu unterstützen. Inzwischen waren das 50 Millionen Dollar geworden. Dazu kamen 16 Millionen Dollar, die als amerikanische „Vermögensansprüche" bezeichnet wurden. Der amerikanische Handel mit der Insel belief sich inzwischen auf eine Summe von 100 Millionen Dollar. Sagasta wußte, was das bedeutete. Diese lautlose Invasion der Amerikaner war wie Dynamit. Die Amerikaner konnten, solange es Krieg auf der Insel gab, jederzeit behaupten, „Eigentum amerikanischer Bürger" sei beschädigt oder bedroht, ein beliebter Vorwand, „Schutzmaßnahmen" zu ergreifen. Nun war dieser Mister Woodford gekommen, um eine Rechnung zu präsentieren, bei der es kein Ausweichen mehr gab. Die Amerikaner waren entschlossen, jetzt zu kassieren. Und sie würden keine Gelegenheit ungenutzt lassen, es zu tun. Der spanische Premier hätte diesen Kerl am liebsten durch die Palastwache hinausbefördern lassen. Aber Spanien war jetzt noch viel weniger als 1878 in der Lage, Washingtons Herausforderung anzunehmen. Die Monarchie konnte sich den Luxus eines Krieges nicht mehr leisten. So konnte er, nachdem Woodford seinen Vortrag beendet hatte, nur sagen: „Ich habe die Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten zur Kenntnis
genommen. Sie werden verstehen, Euer Exzellenz, daß die Vorschläge geprüft werden müssen. Ich bitte Sie deshalb um einige Tage Geduld. Ich werde Sie benachrichtigen, sobald wir unsere Antwort formuliert haben." Als Woodford hinausging, wußte Sagasta bereits, daß es gar nichts anderes gab, als die Bedingungen der Amerikaner anzunehmen. Woodford brauchte daher auch nicht lange auf Antwort zu warten. Sie kam den Forderungen der Amerikaner weitgehend entgegen. Die KöniginRegentin teilte dem Präsidenten der Vereinigten Staaten mit, General Valeriano Weyler sei seines Postens als Statthalter der spanischen Krone auf Kuba enthoben worden. An seine Stelle werde General Blanco treten. Sie habe verfügt, mit den kubanischen Freischärlern Verhandlungen aufzunehmen, die Kampfhandlungen zu beenden und Kuba Autonomie unter der spanischen Krone zu gewähren. General Blanco habe schließlich Weisung erhalten, alles zu tun, um amerikanisches Gut und Blut auf Kuba zu schützen und inhaftierte Bürger der Vereinigten Staaten unverzüglich freizulassen. Damals, als Blanco in Madrid aus der Hand der Königin-Regentin Maria-Christina die Ernennungsurkunde erhalten, hatte er Stolz und Genugtuung empfunden. Man würdigte seine Erfahrungen auf den Philippinen, wo er einige Erfolge bei der „Befriedung" der Bevölkerung errungen hatte. Mit
Gewalt, mit Versprechungen, durch geschickte Verhandlungen mit den Aufständischen hatte er erreicht, daß es heute auf den Philippinen verhältnismäßig ruhig war. Nun sollte er auf Kuba das gleiche Kunststück fertigbringen. Er schätzte zwar seinen Vorgänger, General Valeriano Weyler, als tapferen Soldaten, doch zugleich verstand er nicht, daß Weyler dieses rebellische Volk auf Kuba nicht hatte zur Ruhe bringen können. Immerhin hatte er 200000 Soldaten zur Verfügung gehabt, darunter Elitetruppen der spanischen Krone. Weyler war gescheitert, die Unruhen auf Kuba hatten zugenommen. Nur in den größeren Städten konnten die Spanier ihre Macht ausüben. Blanco sollte und wollte — so hatte es ihm die Königin-Regentin aufgetragen — mit Güte und Strenge, mit einigen Zugeständnissen, aber auch mit Gewalt regieren. Die Kubaner wollten die Unabhängigkeit, gut, man würde ihnen so etwas wie Selbständigkeit geben, eine eigene Regierung etwa, doch diese Regierung hatte seine Befehle auszuführen, das heißt, diese Regierung sollte und konnte nur die Regierung der spanischen Krone sein. Kuba mußte ein Eckpfeiler des spanischen Imperiums bleiben. Nach einem halben Jahr mußte er sich eingestehen, daß er gescheitert war, genau wie vorher Weyler. Blancos Rezept, erfolgreich bei den Filipinos, hatte auf Kuba versagt. Er war mit den kubanischen Freischärlern nicht fertig geworden. Dazu kam, daß die Drohungen gegen Spanien auf dem amerikanischen
Festland immer ausfälliger wurden. Die „Gringos" ließen sich keine Gelegenheit entgehen, die spanische Monarchie herauszufordern, den Konflikt mit Spanien zu suchen. Die Lage wurde immer bedrohlicher. Nun war dieser Zwischenfall mit der „Maine" gekommen. Blanco begriff, daß Washington nun den Punkt aufs i setzen würde. In seinem Kopf rollte noch einmal die Geschichte der letzten drei Jahre ab. Es war — wie er eingestehen mußte — eine Geschichte der Niederlagen und der Demütigung für Spanien. Dabei kehrte ihm noch eine andere Begebenheit ins Gedächtnis zurück.
Leutnant Churchill gab sich die Ehre An einem Novembertag des Jahres 1895 waren zwei blutjunge britische Offiziere auf Kuba gelandet, der „Perle der Antillen", der „Zuckerbüchse der Welt", der „schönsten Insel, die Menschenaugen sahen", wie einst Christoph Kolumbus gesagt haben soll. Der eine der beiden Leutnante hieß Reginald Barnes, der andere war der knapp einundzwanzigjährige Winston Churchill. Sie waren gekommen, weil es hier Krieg gab. 1895 hatte unter der Führung von Jose Marti erneut ein Volksaufstand gegen das spanische Kolonialregime und gegen die einheimischen und amerikanischen Zuckerrohrplantagenbesitzer begonnen. Das kubanische Volk rang mit seinen Unterdrückern um Unabhängigkeit und Demokratie.
Der Guerillakrieg zog sich über mehrere Jahre dahin. Diesen Krieg wollten die Briten einmal aus nächster Nähe erleben und studieren. Winston Churchill hatte zudem ein Schreiben der Londoner Redaktion des „Daily Graphic" in der Tasche, in dem die spanischen Behörden gebeten wurden, dem Winston Churchill, Leutnant im 4. Husarenregiment Ihrer Britischen Majestät, bei seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter alle Unterstützung angedeihen zu lassen. Die beiden Offiziere wurden sehr zuvorkommend behandelt. General Weyler verfügte damals selbst, daß ihnen fähige Offiziere beigegeben werden sollten, die den Gästen alles, was mit den Kriegsereignissen zusammenhing, zeigen und erläutern sollten, vom spanischen Standpunkt aus, versteht sich. Churchill und sein Freund begriffen sehr schnell, daß es sich hier nicht um einen Krieg handelte, wie er an der Kadettenschule von Sandhurst gelehrt worden war — Kämpfe in Stellung und Bewegung, bei denen man wußte, wo sich der Gegner befand und wo man ihn zum Gefecht zwingen konnte. Die Spanier hatten es mit einem Gegner zu tun, den sie vergeblich in offener Feldschlacht zu stellen versuchten. Er griff völlig unerwartet an, in der Flanke oder im Rücken der Spanier. Glaubten die spanischen Offiziere, die Aufständischen irgendwo gestellt zu haben, rnerkten sie, zu spät, daß sie in einen Hinterhalt geraten waren. Es schien, als ob die Freischärler über jede Truppenbewegung der Spanier bestens informiert seien.
Barnes und Churchill brannten darauf, diesen sagenumwobenen „Feind" kennenzulernen. In Santa Clara erfuhren sie, daß spanische Kampftruppen in Sancti Spiritus, 30 Kilometer von hier entfernt, Feindberührung haben sollten. Dorthin wollten sie. Nach ihren Vorstellungen mußte ein Tagesritt ausreichen, um zum Ziel zu gelangen. Der spanische Offizier, dem sie ihren Vorschlag unterbreiteten, wehrte ab. „Meine Herren, Sie werden keine Meile weit kommen." Überrascht fragte Husarenleutnant Churchill: „Wo steht denn der Feind, vor Santa Clara oder vor Sancti Spiritus?" „Hier und dort", sagte der Spanier. „Das verstehe ich nicht", sagte Churchill etwas ratlos. „Sie haben doch Ihre Truppen und damit die Macht." „In den Städten, liebe Freunde", erwiderte der Mann in der spanischen Leutnantsuniform. „Wenn Sie mit fünfzig Reitern Santa Clara verließen, dann könnten Sie durchkommen. Zwei Mann zu Pferde kommen außerhalb der Stadt nicht einmal fünfhundert Meter weit." So schlössen sie sich den Truppen des Generals Valdes an, der gerade eine vierzehntägige „Strafexpedition" in ein Gebiet starten wollte, das von „Mambises" beherrscht wurde. Tagelang ritten sie durch das fremde Land, ohne daß auch nur ein Schuß fiel. Es war, als gäbe es keinen Feind. Wo die Spanier jedoch hinkamen, trieben sie die Bevölkerung zusammen, erklärten willkürlich Männer und Frauen zu
Aufständischen, ließen Geiseln erschießen und verwandelten ganze Ortschaften in „Konzentrationsbereiche", mit Stacheldraht und „spanischen Reitern" umgeben. Wer es wagte, diese Konzentrationslager zu verlassen, wurde ohne Erbarmen niedergeschossen. In einigen Fällen wurden Frauen und Kinder als „Schutzwall" benutzt, wenn die Truppen des Generals Valdes meinten, es bestehe die Gefahr, von Freischärlern angegriffen zu werden. Ganz unerwartet und auf reichlich seltsame Art sollte Leutnant Churchill seine „Feuertaufe" erhalten. An diesem Tage feierte er seinen 21. Geburtstag. Man hatte getrunken, man war baden gegangen. Als man aus dem Wasser stieg, wurden Spanier wie Briten von einem Kugelhagel überrascht. Es gab Verluste, die Verwirrung war vollständig. Mit Mühe und Not konnten die beiden Briten das „nackte Leben" retten. Am Abend, als man beim Essen saß, passierte das gleiche; nachts, als man eben in den Hängematten eingeschlafen war, erlebte man erneut eine dieser unangenehmen Überraschungen. Alle Versuche, auch nur einen der „Mambises" zu Gesicht zu bekommen, erwiesen sich als ergebnislos. An einem Abend kamen Churchill und Barnes mit ihren spanischen Gastgebern ins Gespräch. Die Spanier hatten ihr riesiges Kolonialreich, das sie seit Kolumbus' Zeiten errichtet hatten, Stück für Stück verloren. Fast alle süd- und mittelamerikanischen Staaten hatten sich seit Beginn des Jahrhunderts von
der Nabelschnur der „Mutter" Spanien gelöst. Jetzt sollten wenigstens die karibischen Inseln gehalten werden, nicht nur ihrer Fruchtbarkeit und ihrer Bodenschätze wegen, auch und vor allem wegen ihrer strategischen Bedeutung. Die Spanier hatten dafür einen hohen Preis gezahlt. Von 1868 bis 1878 rebellierten die „Mambises" auf Kuba gegen das spanische Kolonialjoch. Während dieses Guerillakrieges bekamen die Feinde der Revolution mehr als einmal die Machete, das Messer der kubanischen Zukkerrohrarbeiter, zu spüren. Unter großen Verlusten konnten die Spanier diese revolutionäre Erhebung eindämmen. „Würde Großbritannien eine solche Position aufgeben, noch dazu, wenn so viel Blut geflossen ist?" fragte der Adjutant des Generals Valdes die Briten. Und der Adelssproß Winston Churchill antwortete, ohne zu zögern: „Nein, das wäre undenkbar." Doch es schien nur, als ob nach 1878 die kubanischen Guerrilleros besiegt worden wären. Der spanischen Reaktion war es gelungen, die Kubaner zum Frieden von Zanjón zu zwingen. Aber das war nur ein Pyrrhussieg. Die Revolutionäre nutzten die Kampfpause erneut zum Sammeln ihrer Kräfte. Die Kubaner hatten aus dem zehnjährigen Krieg gelernt, wie die Spanier zu schlagen waren. Außerdem hatte sich ein Nationalbewußtsein entwickelt, das die nächste Generation zu neuen Taten für ein freies Kuba beflügelte. Im Februar 1895, während der Karnevalszeit, flammte
der Krieg von neuem auf. Er erfaßte bald die ganze Insel. Binnen sechs Tagen besaßen die Spanier nur noch die Küstenstädte, und seit dieser Zeit führten die Kubaner, die „Mambises", einen zweiten Guerillakrieg, gegen den die Spanier machtlos waren. Noch etwas erfuhr Churchill. Voller Haß sprachen die Offiziere der spanischen Regentin von den Vereinigten Staaten. Sie seien es vor allem, die Kuba haben wollten, eben wegen der strategischen Bedeutung der Insel. Bereits jetzt hätten sie 50 Millionen Dollar Kapitalanlagen auf Kuba. Aber sie wollten alles haben, weil sie in diesem Gebiet allein herrschen wollten. Deshalb hätten sie bereits in dem zehnjährigen Krieg die Kubaner mit Waffen und Geld unterstützt. Jetzt sei diese Hilfe noch verstärkt worden. Man solle sich nicht von den schönen Worten der Amerikaner täuschen lassen. Ihnen gehe es nicht um ein freies und unabhängiges Kuba. Sollten auch die Spanier von Kuba abziehen, das Sternenbanner würde aufgezogen, nicht die kubanische Flagge. Doch so weit käme es gar nicht, das wüßte Spaniens Armee zu verhindern. Churchills „Kriegsberichte" erregten in London großes Aufsehen. Wohlweislich schrieb er nichts über seine eigene „Feindberührung". Um so mehr erging er sich in Spekulationen über den möglichen Ausgang des Krieges. Spanien könne diesen Krieg nicht gewinnen, schrieb er, weil es als Kolonialmacht zu arm sei, weil es nicht verstanden habe, sein großes Kolonialreich zusammenzuhalten, weil es nicht
einmal im eigenen Lande für Ruhe und Ordnung sorgen könne. Er konnte allerdings auch keine Erklärung dafür finden, warum gut ausgerüstete Armeen die kubanischen Freiheitskämpfer, die mit Macheten und alten Gewehren kämpften, nicht besiegen konnten. Kriegsberichterstatter Churchill konnte und wollte nicht sehen, daß das kleine tapfere Volk auf Kuba alle Opfer brachte, um sein Haus so einzurichten, wie es ihm beliebte. Churchill hatte allerdings einiges gelernt auf Kuba. Als er wenige Jahre später als Offizier und wieder als „Kriegsberichter" in Südafrika am Burenkrieg teilnahm, wandten er und seine Offiziers„kameraden" ähnliche Methoden an wie die Spanier auf Kuba: Konzentrationslager, Geiselerschießungen... Im übrigen, in seinen „Kriegsberichten" aus Kuba beurteilte er auch die Vereinigten Staaten. Er hielt sie nicht für stark genug, der zwar angeschlagenen, aber doch immer noch recht stattlichen spanischen Monarchie in einem möglichen Konflikt etwas anhaben zu können. Es war nicht die einzige Fehleinschätzung, die der spätere britische Premierminister in seinem Leben traf.
Die erfundene Treibmine Es war ein merkwürdiges Duell, das sich seit dem 18. Februar 1898 im Hafenbecken von Havanna abspielte. Nachdem es zu keiner gemeinsamen spanischamerikanischen Kommission zur Untersuchung der Explosion auf der „Maine" gekommen war, hatte die spanische Kommission ihr Hauptquartier an Bord des Kreuzers ,,Alfons XIII." aufgeschlagen, die Amerikaner operierten von Bord der „Washington City" aus. Gingen die spanischen Taucher ins Wasser, so folgten ihnen die Amerikaner wie die Schatten. Begannen amerikanische Taucher mit der Arbeit, was zur allgemeinen Verwunderung höhst selten vorkam, so waren auch die Spanier in der Nähe des Wracks zu finden. Argwöhnisch beobachteten die einen, was die anderen taten. Besonders die Amerikaner waren bemüht, die Spanier nicht allzu nah an das Wrack der „Maine" heranzulassen. Eines Tages forderte der Leiter der spanischen Untersuchungskommission Richard Wainwright auf. „Ich möchte Sie ersuchen, unseren Tauchern zu gestatten, das Innere der ,Maine' zu untersuchen." Wainwright gab sich äußerst höflich. „Sie werden verstehen, daß ich eine solche Genehmigung nicht von mir aus erteilen kann. Das Innere der ,Maine' ist amerikanisches Territorium. Eine solche Genehmigung kann nur von den zuständigen Behörden in Washington erteilt werden." „Dann fordere ich Sie auf, Ihrer Regierung unsere
Bitte vorzutragen", drängte der Spanier. Die Genehmigung wurde nie erteilt. Statt dessen verstärkte sich in der amerikanischen Presse der Ruf nach „Rache für die Matrosen der .Maine'". Hearsts „Journal" veröffentlichte ganze Seiten mit Leserbriefen, die unverzüglich den Krieg gegen Spanien forderten. Dem Kongreß wurden von der Redaktion 15000 solcher Leserbriefe übersandt. „Journal" schrieb: „Jetzt ist alles bereit: Die Armee ist bereit, die Flotte ist bereit, Geld ist genügend vorhanden, die Marineaufklärung hat die notwendigen Beweise für die Schuld der Spanier, bereit ist auch das Volk." „Journal" fragte den Präsidenten, ob er nicht endlich die Absicht habe, „den Tod der amerikanischen Seeleute zu rächen". Selbst solche Kirchenzeitungen wie „Churchman" und „Catholic Herald" forderten im Namen der „christlichen Nächstenliebe" den unheilvollen Krieg. Präsident McKinley hatte zwar in der Öffentlichkeit erklärt, die Arbeit der Kommission würde streng geheim sein, die Untersuchungsergebnisse würden einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzogen, bevor man sie veröffentlichte, doch schon drei Tage nach Beginn der Tätigkeit der Kommission erschien in Hearsts „Journal" ein „abschließendes Ergebnis" der Kommission. Der Untergang der „Maine" wäre durch eine Treibmine hervorgerufen worden. Die amerikanischen Taucher hätten am Kiel der „Maine", genauer, am Spant Nr. 18, eine Deformierung festgestellt, die nur
durch die Detonation einer Mine eingetreten sein könnte. Die Detonation wiederum hätte den Bug des Schiff es derart erhitzt, daß darauf die Pulverkammern im Vorschiff in die Luft geflogen wären. „Journal" fügte diesem „authentischen Bericht" hinzu, als Urheber kämen nur die Spanier in Frage. Zu diesem Ergebnis "des „Journals" sagte die amerikanische Regierung kein Wort, obwohl „Journal" zu diesem Zeitpunkt noch kein Ergebnis in der Hand haben konnte, denn die amerikanische Untersuchungskommission beendete offiziell erst am 20. März 1898 ihre Arbeit, fast vier Wochen nach der Veröffentlichung im „Journal". Am 21. März wurde der Abschlußbericht der Kommission an Präsident McKinley übergeben. Er unterschied sich allerdings in seinen Schlußfolgerungen kaum von dem Abschließenden Ergebnis", das man vier Wochen vorher bereits im „Journal" hatte lesen können. Die fünf Mann starke Kommission, so wurde verlautbar, stände einmütig hinter diesem Untersuchungsergebnis. Aber diese „Einmütigkeit" wareine Lüge. Ein Mitglied der Kommission, Kapitän F. E.Chadwik, gestand ein, allerdings erst elf Jahre später, daß zwei der fünf Kommissionsmitglieder der Ansicht waren, die Explosion sei nicht auf äußere Einwirkungen zurückzuführen gewesen, sondern müsse im Innern ausgelöst worden sein. Aber solche Meinungen waren im Frühjahr 1898 nicht gefragt. Als der Bericht am 21. März 1898 an den Präsidenten
übergeben wurde, hatten auch die „Ungläubigen" die These von der „Treibmine" unterschrieben. Einen Tag später wurde das Ergebnis der spanischen Untersuchungskommission auf Pressekonferenzen in Havanna und in Madrid der Öffentlichkeit übergeben. Es waren sehr vorsichtig formulierte Schlußfolgerungen, sie standen völlig im Gegensatz zu den amerikanischen. Darin wurde vor allem die Theorie von der Treibmine abgelehnt. Die Argumente waren zwar stichhaltig, hatten aber keine Wirkung, da die politisch und militärisch haltlose spanische Monarchie ihren Forderungen nicht den nötigen Nachdruck verleihen konnte. Die Spanier waren zu folgenden Ergebnissen gekommen: — Eine Treibmine im Hafen sei kaum vorstellbar — sie hätte von den Wachen, die sowohl auf den spanischen wie auf den amerikanischen Schiffen zu jenem Zeitpunkt verstärkt aufgezogen waren, bemerkt werden müssen. — Angenommen, es hätte diese Treibmine gegeben, dann wäre zum Beispiel der spanische Kreuzer ,,Alfons XIII." der gleichen Gefahr ausgesetzt gewesen wie die „Maine", abgesehen von den zahlreichen anderen Schiffen, die zu dieser Zeit im Hafen gelegen hatten. — Es bleibe ungeklärt, wie eine Treibmine einige Meter unter Wasser, fast unter dem Bug der „Maine", angebracht und gezündet werden konnte.
— Angenommen, sie wäre tatsächlich angebracht worden, wie konnte es dann passieren, daß gleichzeitig Spant 18 und die Spanten auf der anderen Seite der „Maine" durch die Detonation der Mine deformiert werden konnten? — Warum weigerten sich die Amerikaner, die spanischen Taucher das Innere der „Maine" untersuchen zu lassen? Sollte vermieden werden, daß die Taucher die wahren Ursachen für diesen bedauerlichen Unglücksfall feststellten? Das Wörtchen „Unglücksfall" war wohlbedacht gewählt. Die Spanier wollten unter allen Umständen den Krieg vermeiden. In einer solchen Situation den Amerikanern vorzuwerfen, sie hätten ihr Schiff selbst in die Luft gesprengt, hätte unmittelbar den militärischen Konflikt zur Folge gehabt. Die in arge Bedrängnis geratenen Spanier erlaubten sich lediglich, folgende bescheidene Forderung zu erheben: Da die beiden Untersuchungskommissionen zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen seien, solle eine internationale Expertengruppe die Ursache für den Untergang der „Maine" ermitteln und ein internationales Schiedsgericht die Entscheidung über Schuld oder Unschuld fällen.
Unruhe im „Weißen Haus" Im „Ovalen Raum" des Weißen Hauses, in dem der Präsident gewöhnlich seinen Lunch einzunehmen pflegte, saßen an diesem kalten Märzmorgen des Jahres 1898 einige Herren zusammen, die man hier, in der Machtzentrale der USA, das „kleine Kabinett" nannte. Die Eingeweihten wußten, diese Männer trafen sich einzig und allein, um zu beraten, wie man den Krieg unvermeidlich machen könne. Um den schweren eichenen Tische saßen der Kriegsminister, General Alger, Außenminister Day, Marineminister Long und, zum erstenmal, auch Longs Stellvertreter, Theodore Roosevelt. Die Herren warteten auf Präsident McKinley. Sie waren einsilbig, einige von ihnen zogen an ihren Zigarren oder nippten an ihren Kaffeeschälchen, blätterten in ihren Akten. Der Präsident trat ein, gefolgt von seinem Adjutanten. Das bärtige Gesicht des Präsidenten war hochrot vor Erregung. Die Herren erhoben sich, deuteten eine leichte Verbeugung an, aber McKinley winkte mit einer kurzen Handbewegung ab und setzte sich an den Tisch. Sein Adjutant blieb in gebührender Entfernung stehen. „Meine Herren", eröffnete der Präsident, „wollen Sie bitte kurz berichten, wie weit die Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen sind." Als erster meldete sich General Alger, der Kriegsminister. „Wir sind bereit", sagte er. „Die Zahl der Soldaten, die bereits unter Waffen stehen, beträgt 62500, 12 500 Reservisten,
Freiwillige, sind fix und fertig ausgebildet, weitere 90000 können unverzüglich einberufen werden." „Wird das nicht zuwenig sein?" wandte der Präsident ein, „die Spanier haben auf Kuba 200000 Mann stationiert." Der Kriegsminister lächelte. „Die Zahl stimmt, und sie stimmt auch nicht. Die Spanier haben ungefähr 100000 Mann einsatzfähiger Soldaten zur Verfügung, alles andere ist entweder durch den Krieg mit den Aufständischen oder durch das tropische Klima außer Gefecht gesetzt. Außerdem: Die Moral der Truppen ist erbärmlich. Die Soldaten wollen nach Hause. Sie haben diesen Krieg satt. Unsere Soldaten dagegen sind ausgeruht, sie brennen darauf, die Spanier ins Meer zu werfen." „Wie weit sind die Einsatzvorbereitungen?" forschte McKinley. „Das Gros der Truppen", erwiderte der Kriegsminister eifrig, „ist bereits in Florida konzentriert. Den Offizieren sind topographische Karten von Kuba ausgehändigt worden. In Tag- und Nachtübungen wird der Ernstfall geprobt." „Nun zu Ihnen, Mister Long", wandte sich der Präsident an den Marineminister. Long machte einen müden Eindruck. Er hatte in den letzten Tagen, wie er seinen nächsten Mitarbeitern anvertraut hatte, bis zur physischen Erschöpfung gearbeitet. Noch nie war eine derartige Fülle von Nachrichten der Marineaufklärung über seinen Tisch gegangen. Noch nie hatte er während seiner Amtszeit
eine derartige Anzahl von Sitzungen und Beratungen durchgeführt wie in den letzten Tagen. Er wußte, was man von ihm erwartete. Nicht umsonst sprach man in den USA von der Marine als dem Stolz der Nation. Der Minister begann schleppend. „Wenn man von der zahlenmäßigen Stärke der amerikanischen Flotte und der spanischen Flotte ausgeht, dann ergibt das ein Verhältnis von drei zu eins für uns. Aber in Wirklichkeit ist das Verhältnis noch günstiger. Unsere Schiffe sind modern, schneller und auch in der Bewaffnung überlegen. Die spanische Flotte ist hoffnungslos veraltet. Die Geschütze auf den Schiffen sind fünfzig Jahre alt und älter. Ähnlich verhält es sich mit den Küstenbatterien. Kurz gesagt, wir könnten ohne großes Risiko losschlagen.'' McKinley zwirbelte an seinem Schnurrbart. „Wie sieht es in den Konzentrierungsräumen aus?" Theodore Roosevelt meldete sich zu Wort. „Das nordatlantische Geschwader ist nördlich von Key West, bei den Dry Tortugas, vollständig versammelt. Es steht auf Abruf bereit." Er kramte für einen Augenblick in seinen Akten, holte ein Stück Papier hervor. „An Admiral Dewey, den Chef des Geschwaders in Asien, ist folgender Befehl ergangen: ,Das Geschwader soll nach Hongkong gehen. Bekohlen Sie ausgiebig. Im Falle der Kriegserklärung an Spanien haben Sie dafür zu sorgen, daß das spanische Geschwader die asiatische Küste nicht verläßt; hierauf Offensive gegen die Philippinen.'"
McKinley nickte befriedigt. Anfänglich hatte es ihm einige Schwierigkeiten bereitet, einen Angriff auf die Philippinen zu begründen. Im Falle Kuba war das verhältnismäßig einfach gewesen. Da hatte man milder Menschlichkeit, mit dem Leid der Kubaner, mit der Schreckensherrschaft der Spanier argumentieren können. Ganz so unproblematisch war das mit den Philippinen nicht. Dort saßen zwar auch die Spanier, aber von einer Bedrohung amerikanischer Interessen konnte weiß Gott nicht die Rede sein. Die Spanier von den Philippinen zu vertreiben hatte jedoch wichtige Gründe. Das Inselreich besaß große Rohstoffvorkommen, vor allem reiche Erzlager. Was noch mehr ins Gewicht fiel, war die strategische Lage der Philippinen. Ihr Besitz ermöglichte die Beherrschung des ostasiatischen Raumes und die Kontrolle des gesamten Chinahandels. Der Präsident hatte vor einigen Wochen, Ende Februar, von den führenden Mitgliedern der New-Yorker Handelskammer ein Memorandum erhalten, in dem dargelegt wurde, welche Ausmaße der Chinahandel erreichen könnte, „vorausgesetzt, daß nicht störende Eingriffe von Fremdstaaten erfolgen". Man riet dringend, die Philippinen zu erwerben, „um Deutschland, den Handelsrivalen der Vereinigten Staaten, für die nächste Generation auszuschalten". Und der Präsident hatte sich beeilt, den New-Yorker Industriellen zu antworten, daß es die Aufgabe der amerikanischen Regierung sei, alle Gelegenheiten zur Entwicklung des Handels zu nutzen.
Roosevelt fuhr fort: „Von Admiral Dewey ist ein Bericht eingegangen, welche Häfen und Stützpunkte auf den Philippinen zuerst in Besitz zu nehmen und auszubauen sind. Er schlägt vor allem vor, die Subig Bai zu okkupieren. Hören Sie bitte, was er schreibt: ,Das ist der beste Hafen für Bekohlung und militärische Zwecke. Tiefes Wasser. Von Land umschlossen. Leicht zu verteidigen. Strategisch betrachtet: Beherrschung der Manila-Bucht und der Stadt Manila.'" „Gut, gut", unterbrach ihn der Präsident. „Ich sehe, daß alles sehr gründlich vorbereitet ist. Hören wir uns an, wie es auf der diplomatischen Bühne aussieht." Außenminister Day rückte seinen Zwicker zurecht. Fast verlegen sagte er: „Die Spanier tun uns leider nicht den Gefallen, sich provozieren zu lassen. Sie wollen unter allen Umständen den Krieg vermeiden." „Kann ich mir vorstellen", knurrte Roosevelt. „Bei der Flotte und der Armee." „Bankrott sind sie auch", warf der Präsident ein. „Nur, wenn wir die Gelegenheit mit der ,Maine' jetzt nicht nutzen, dann gibt es für lange Zeit keine Chance mehr, mit den Spaniern abzurechnen." McKinley legte die Hand auf die Brust und meinte ironisch: „Uns brauchen Sie nicht zu überzeugen, Mister Roosevelt." „Ja, eben um die ,Maine' gibt es die meisten Probleme", knüpfte Day an die Worte Roosevelts an. „Ich habe den Bericht unserer Kommission gelesen, ehrlich gesagt", er verzog das Gesicht, „die Beweise
sind wenig überzeugend." Zu Long und Roosevelt gewandt, fuhr er fort: „Ihre Männer haben nicht gut gearbeitet. Die spanischen Argumente sind nicht einfach von der Hand zu weisen. Ich wünschte, es wäre genau umgekehrt." Unwillig warf Roosevelt ein: „Den Sieger in einem Krieg fragt niemand nach Recht oder Unrecht." „Wir haben den Krieg noch nicht, Mister Roosevelt", erwiderte Day etwas aufgebracht. „Die Spanier verlangen eine internationale Untersuchungskommission. Wir wollen sie nicht. Aber wir müssen begründen, warum eine solche Kommission nicht notwendig ist." McKinley nickte. „Eine Begründung wird es geben. Warum können wir nicht in aller Öffentlichkeit sagen, daß wir unsere Untersuchungsergebnisse von niemand anzweifeln lassen?" Long und Roosevelt lächelten zustimmend. Schadenfroh sahen sie Day an, der eben ein neues Papier aus seinem Aktenbündel nahm. „Ich habe Informationen", sagte er, „daß sich die KöniginRegentin an einige europäische Großmächte mit der Bitte gewandt hat, im spanisch-amerikanischen Konflikt zu vermitteln. Besonders von der Habsburger Monarchie, die mit dem spanischen Königshaus verwandt ist, wird so eine Art Einheitsfront gegen uns formiert. Selbst der Papst hat sich eingeschaltet." Der Präsident wurde ungeduldig. „Jeder Vermittler, und sei es der Papst, wird höflich, aber bestimmt zurückgewiesen.''
„Niemand würde es verstehen", ergänzte Roosevelt, „wenn wir uns jetzt auf lange diplomatische Verhandlungen einließen." „Stellen Sie den Spaniern solche Bedingungen, die sie nicht erfüllen können", forderte McKinley den Außenminister auf. „Demütigen Sie die stolzen Spanier. Weisen Sie Woodford in Madrid an, hartnäckig auf unseren Forderungen zu bestehen. Sollten die Herren in Madrid wider Erwarten auf unsere Bedingungen eingehen, dann werden wir neue Forderungen stellen. Wir brauchen diesen Krieg, wir haben alle Möglichkeiten und Mittel. Die Stimmung im Volk ist günstig wie noch nie. Mister Day, tun Sie alles, was in Ihrer Kraft steht. Ich werde meinen Teil dazu beitragen..."
Diplomatische Erpressung In den folgenden vier Wochen beherrschte die Diplomatie das Parkett. Aber von Verhandlungen konnte man beim besten Willen nicht sprechen. Alles ähnelte eher einem Gangsterstück, in dem der eine Gangster dem anderen die Pistole auf die Brust setzt, um ihm die Beute abzunehmen. Noch geschah alles im Frack, mit Glacehandschuhen und in höflichen Worten, noch redete man sich mit „Euer Exzellenz" an, und livrierte Bedienstete reichten Cocktails bei Zusammenkünften. Doch so höflich man sich auch anredete, so gewählt und kunstvoll geschraubt die Formulierungen in den Noten waren, ihr Inhalt war darauf berechnet, den anderen aufs Kreuz zu legen beziehungsweise sich selbst nicht aufs Kreuz legen zu lassen. Die Ereignisse jagten einander, eines war aufregender als das andere. 20. März 1898: Außenminister Day kabelt an Botschafter Woodford: Fordern Sie von der spanischen Regierung, bis zum 15. April mit den Kubanern Frieden zu schließen und der Insel völlige Selbstverwaltung zu gewähren. 23. März 1898: Erneutes Telegramm Days an Woodford: Bis heute keine Antwort. Wiederholen Sie unsere Forderung. Außerdem erklären Sie: Der Präsident der Vereinigten Staaten wird in der Frage der Unabhängigkeit Kubas aufsichtführende Person sein. Woodford kabelt zurück: Die spaniscne Regierung
wolle wissen, was Washington unter dem Begriff „völlige Selbstverwaltung" verstehe. Day an Woodford: Selbstverständlich die völlige Unabhängigkeit Kubas. 28. März 1898: Präsident McKinley legt dem Kongreß den Bericht der amerikanischen Kommission zur Untersuchung des Untergangs der „Maine" vor. Dem Bericht ist ein persönliches Schreiben des Präsidenten beigefügt, das faktisch die Spanier als die Urheber der Explosion auf der „Maine" bezeichnet. Der Kongreß übergibt unverzüglich Bericht und Brief an den Kongreßausschuß für Auswärtige Angelegenheiten. Noch am selben Tag werden beide Dokumente der Presse übergeben. Eine neue Kampagne „Rache für die ,Maine'" beginnt. 1. April 1898: Die Cortes, das spanische Parlament, beschließen: Die Konzentrationslager auf Kuba werden abgeschafft, den Opfern werden 3 Millionen Peseten Entschädigung gezahlt. Gefangenen Aufständischen könne ausländische Hilfe geleistet werden. Falls sich die Aufständischen mit der Bitte um Waffenstillstand an die spanischen Behörden wenden sollten, könne man sofort mit solchen Verhandlungen beginnen und an die Erfüllung der Joint-Resolution, die ein freies und unabhängiges Kuba verlange, gehen. Die Amerikaner werden aufgefordert: Kommt der Waffenstillstand zustande, so sollen die USA ihre Kriegsschiffe aus den Gewässern vor Kuba und Florida zurückziehen. Was den Untergang der
„Maine" betrifft, so solle ein internationales Schiedsgericht die letzte Entscheidung treffen. 3. April 1898: Im Auftrag seiner Regierung lehnt Außenminister Day die spanischen Vorschläge ab. In der amerikanischen Presse wird kein Wort über das letzte spanische Friedensgesuch verloren. 7. April 1898: Im State Department empfängt Außenminister Day die Botschafter Frankreichs, Großbritanniens, Rußlands, Österreich-Ungarns und Italiens. Sie überreichen eine gemeinsame Botschaft ihrer Staatsoberhäupter. Botschafter Hängemüller aus Wien trägt den Wortlaut der Note vor, in der der Präsident ersucht wird, für den Frieden einzutreten. Man appelliert „inständig an die Gefühle der Menschlichkeit und an die Vernunft des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Volkes". Die Amerikaner lassen sich auf keinerlei Verhandlungen ein. In ihrer Antwort klingt der Spott über die hochtönenden Worte der Botschaft durch, aber auch die Entschlossenheit, sich nicht von ihrem Ziel, dem Krieg, abbringen zu lassen. In der gleichen geschraubten Weise läßt McKinley seinen Außenminister sagen: Die Regierung der Vereinigten Staaten „würdige gebührend den humanen und uneigennützigen Charakter des Vorgehens der Mächte. Ihrerseits ist sie davon überzeugt, daß auch die Mächte die aufrichtigen und uneigennützigen Anstrengungen der Vereinigten Staaten würdigen, die Pflicht der Menschlichkeit zu erfüllen, indem sie einer
Sache ein Ende bereiten, die sich nicht endlos hinziehen kann." Damit sind die Herren entlassen. 11. April 1898: Präsident McKinley wendet sich mit einer Botschaft an den Kongreß, ohne dabei die spanischen Kompromißvorschläge überhaupt zu erwähnen. „Es ist meine Pflicht", sagt der Präsident, „mich an Sie zu wenden und Ihre Aufmerksamkeit auf die ernste Krise zu lenken, die in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien im Zusammenhang mit dem Krieg heranreift, der schon über drei Jahre lang auf der Nachbarinsel Kuba tobt..." Die Botschaft spricht unverhüllt davon, daß die USA das „Recht" hätten, in Kuba gewaltsam einzugreifen. Sie nennt dafür einige Gründe: „Das Recht auf Intervention läßt sich aus dem sehr erheblichen Schaden herleiten, den Handel, Gewerbe und Geschäftsleben unserer Staatsangehörigen erleiden, ferner aus der mutwilligen Vernichtung von Eigentum und der Verwüstung der Insel... Der amerikanische Handel hat gelitten. Das Kapital, das unsere Landsleute in Kuba angelegt haben, ist in ansehnlicher Menge verlorengegangen..."' Natürlich trieft es in der Botschaft nur so von „Menschlichkeit", dem „Blutvergießen ein Ende machen", „Schutz des Lebens kubanischer Bürger" — aber in der Diskussion zur Botschaft hört man kein Wort mehr davon. Einige Senatoren erklären: Seit 75 Jahren kämpfen wir darum, daß wir es sind, die über das Schicksal Kubas zu entscheiden haben. Jetzt ist
der Zeitpunkt gekommen, Kuba zu nehmen. Keiner soll es wagen, sich dem zu widersetzen. 19. April 1898: Der Kongreß nimmt eine gemeinsame Resolution zur Botschaft des Präsidenten an. Die Regierung der USA verlange, heißt es darin, daß die Regierung Spaniens unverzüglich auf ihre Machtansprüche und auf die Verwaltung der Insel Kuba verzichte und ihre Truppen sowie ihre Seestreitkräfte von der Insel und aus den kubanischen Gewässern abziehe. Andernfalls... 20. April 1898: Botschafter Woodford überreicht in Madrid eine Note: Die spanische Regierung solle der Forderung des Kongresses sofort nachkommen. Für die Beantwortung der Note wird eine Frist von 48 Stunden eingeräumt... 21. April 1898: Die Regierung in Madrid kann auf diese Unverschämtheit nur so reagieren, daß sie nicht auch noch im eigenen Land ihr Gesicht verliert. Sie weigert sich, die amerikanische Forderung anzunehmen, obwohl sie weiß, daß nun der Krieg unvermeidlich geworden ist. Der Botschafter in Washington und der gesamte Mitarbeiterstab der Botschaft werden zurückgerufen. Madrid erklärt den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. 22. April 1898: Präsident McKinley verkündet den Befehl über die Blockade der kubanischen Küste. Admiral Sampson läßt die Anker seines Geschwaders in Key West lichten und nimmt Kurs auf Kuba.
Gleichzeitig erhält Admiral Deway den Befehl, sich nach den Philippinen zu Dewey begeben und die spanische Asienflotte zu kapern oder zu vernichten. Die Regierung beruft 125 000 Soldaten zusätzlich zum aktiven Dienst ein. 23. April 1898: Die spanische Regierung erklärt den Vereinigten Staaten den Krieg. 25. April 1898: Unter tosendem Beifall der Senatoren und Abgeordneten nimmt der Kongreß das Gesetz über die Kriegserklärung an Spanien an. Der Krieg, von den Amerikanern gewollt, von den Spaniern gefürchtet, ist da. Dieser Krieg dauerte nur ein paar Monate. Für die Amerikaner war es leicht, das morsche Spanien zu besiegen. Sie führten den ersten Schlag mit ihrem ostasiatischen Geschwader. Es vernichtete am 1. Mai in der Bucht von Manila die zwar zahlenmäßig überlegenen, aber völlig veralterten spanischen Kriegsschiffe. Admiral Sampson blockierte ab Ende Mai eine andere, vor Santiago de Cuba liegende spanische Flotte. Einige Wochen danach landeten amerikanische Infanterietruppen in Kuba. Die spanische Flotte wurde bei einem Durchbruchsversuch am 3. Juli vernichtet, und am 14. Juli kapitulierte Santiago. Auf den Philippinen hatten inzwischen die Truppen Deweys mit Unterstützung der den Amerikanern vertrauenden aufständischen Filipinos Manila eingeschlossen. Die Stadt ergab sich am 13. August. Nach diesen Niederlagen mußten die schwer ge-
troffenen Spanier um Frieden bitten. Am 10. Dezember 1898 wurde der Pariser Frieden geschlossen. Das bedeutete, daß Spanien auf Kuba verzichten und die Philippinen, die Insel Guam und Puerto Rico für 20 Millionen Dollar an die USA abtreten mußte. Kuba wurde nun pro forma eine selbständige Republik unter dem Protektorat der USA. In Wirklichkeit waren die Amerikaner die neuen Herren auf Kuba. Sie rissen das wirtschaftliche Potential an sich und bestimmten die politische Entwicklung des Inselreichs.
Landung amerikanischer Marineinfanteristen auf Kuba
Auf den Philippinen verlief der Kampf für die Amerikaner nicht so glatt. Die Filipinos weigerten sich, ihr den Spaniern abgetrotztes Land jetzt den Amerikanern zu überlassen. Sie pochten darauf, daß diese ihnen die Freiheit versprochen hatten. Ohne daß die Filipinos darauf vorbereitet waren, fielen die ehemaligen Bundesgenossen über sie her. Es kam zu langwierigen Kämpfen. Schließlich gelang es den Amerikanern doch, den Widerstand der Filipinos mit äußerster Grausamkeit zu unterdrücken.
Das Beweisstück wird beseitigt In den Herbsttagen des Jahres 1911 herrschte im Hafen von Havanna emsige Geschäftigkeit. Das Hafengelände war abgeriegelt. Am Kai wurden Spezialkräne montiert. Im Hafenbecken tummelte sich eine ganze Armada von Bergungsfahrzeugen. Interessiert beobachteten Männer in Uniform und Zivil, was sich da abspielte. Die Vorgänge waren zur „Geheimen Kommandosache" erklärt worden. Der jetzige USA-Präsident. Theodore Roosevelt, hatte persönlich angeordnet, das Wrack der „Maine" zu bergen. Mancher, der jetzt am Rand des Hafenbeckens stand, vermutete, daß die „Maine" einzig zu dem Zweck geborgen werde, sie in das große Kriegsmuseum zu bringen, so wie es bisher mit allen berühmt gewordenen Schiffen der USNavy geschehen war.
So dachte auch der amerikanische Historiker W. Millis, der sich seit Jahren mit den Hintergründen des Krieges zwischen Spanien und den USA beschäftigt hatte. O ja, er hatte ehrlich geglaubt, daß der Anschlag auf die „Maine" durch Spanien erfolgt war, er hatte viel darüber geschrieben und sich dabei auf die Ergebnisse jener amerikanischen Untersuchungskommission aus dem Jahre 1898 verlassen, sie leidenschaftlich gegen alle verteidigt, die Zweifel äußerten. Nun war er hier in Havanna, eingeladen vom Marineministerium, um den letzten Akt in diesem Drama mitzuerleben. Er wollte bestätigt sehen, was er geschrieben, behauptet, verteidigt hatte. Millis sah, wie sich die Mannschaften abquälten, das Wrack des gepanzerten Ungetüms zu bewegen. Kommandos und Flüche, das Quietschen der Kräne und der Trossen erfüllten die Luft. Immer wieder mußten die Trossen verstärkt und korrigiert werden, weil sich die „Maine" nicht bewegen wollte. Erschöpft kamen Taucher nach oben und wurden von anderen abgelöst. Dann endlich — der Widerstand des Unglücksschiffes war gebrochen. Blasen stiegen auf, das Wasser fing an zu gurgeln. Erst tauchten die Aufbauten der „Maine" aus dem Wasser, dann der ganze Schiffskörper, voller Schlick, Muscheln und Seetang. Es schien, als käme ein riesiges Seeungeheuer an die Oberfläche. Im Hafen herrschte sekundenlag Stille, die Menschen waren verblüfft, erschreckt ob dieses Anblicks. Auch
Millis starrte für Augenblicke wie gebannt auf dieses Monstrum, das dreizehn Jahre einige Dutzend Meter unter Wasser gelegen hatte. Nur langsam fand er sich wieder in die Wirklichkeit zurück, begriff mit einemmal, daß nun die Stunde der Wahrheit über den Untergang der „Maine" gekommen sein mußte. Die Pumpen saugten das Innere des Schiffes leer. Arbeiter begannen damit, die Außenwände von Schlick, Algen und Muscheln zu befreien. Die Männer am Kai gerieten in Bewegung. Millis sah, wie die Experten, Marineingenieure, Sprengstoffspezialisten, Schutzanzüge überstreiften. Sie würden als erste das Wrack der „Maine" betreten. „Kann ich mit an Bord?" fragte Millis einen Offizier, der in seiner Nähe stand. Dieser hob bedauernd die Schulter. „Das ist jetzt zu gefährlich", sagte er. „Warten Sie, bis diese Männer uns allen den Weg freigemacht haben." Während die Experten mit einer kleinen Barkasse übersetzten, sich vorsichtig an den Wänden der ,,Maine" hochhievten und schließlich im Innern des Schiffes verschwanden, ging Millis noch einmal die Fragen durch, die er heute und morgen beantwortet haben wollte: Die Spanier und auch sein britischer Freund Wilson, ein geachteter Marinehistoriker, hatten behauptet, daß die Explosion auf keinen Fall durch eine Treibmine erfolgt war, weil eine Treibmine in einem Hafen sofort bemerkt worden wäre. Solche Minen haben nun einmal die Eigenschaft, an der Wasseroberfläche oder
dicht darunter zu schwimmen. Die Explosion war jedoch einige Meter unter Wasser erfolgt. Die Spanier hatten behauptet, daß die Explosion nicht an der Außenwand der „Maine" erfolgt sei, sondern im Innern des Schiffes. Sein Freund Wilson hatte alle Veröffentlichungen über die Arbeit der amerikanischen Kommission sorgfältig studiert. Danach hatte er Millis in einem Brief gefragt, warum der vollständige Bericht der Kommission mit allen Zeugenaussagen wohl nicht der Öffentlichkeit übergeben worden. Er selber sei zu dem Schluß gekommen, daß die amerikanische Seite etwas zu verbergen habe. Bei einem derartigen Zwischenfall von internationaler Bedeutung wäre es besser gewesen, man hätte alle Beschuldigungen eindeutig begründet. „Können Sie mir zum Beispiel erklären", hatte ihn Wilson weiter gefragt, „warum das gesamte Offizierskorps der ,Maine' kurz vor der Explosion das Schiff verlassen hatte und warum die gesamte Mannschaft genau zu diesem Zeitpunkt dort versammelt war, wo die Explosion erfolgte? War das Zufall?" Wer sich mit den Berichten über die Katastrophe und über ihre internationalen Folgen genauer beschäftigt habe, könne zu der Vermutung kommen, daß die Explosion organisiert worden sei, aber von denen, die den Krieg gewollt. Das seien jedoch nicht die Spanier, sondern die Amerikaner gewesen. Millis hatte die Argumente seines britischen Kollegen zwar empört zurückgewiesen, aber in ihm war ein Stachel zurückgeblieben. Und seine Zweifel hatten
sich im Laufe der Jahre noch durch andere Umstände verstärkt. Washington und die Hearst-Zeitungen hatten hoch und heilig versichert, den Krieg gegen Spanien führe man nur, um die Kubaner vom spanischen Kolonialjoch zu befreien, ihnen die Unabhängigkeit zu verschaffen. Aber auf Kuba hatte tatsächlich nur ein Flaggenwechsel stattgefunden, statt der spanischen Trikolore war das Sternenbanner aufgezogen worden. Zweimal in diesen dreizehn Jahren seit dem Krieg hatten amerikanische Generale je drei Jahre die Regierungsgewalt ausgeübt. Man hatte die Kubaner gezwungen, in ihre Verfassung das „Recht" der Vereinigten Staaten aufzunehmen, militärisch auf Kuba einzugreifen, wann immer man es in Washington für richtig hielte. Die Generale Wood und Magoon hatten ihre Regierungszeit dazu benutzt, sich und andere amerikanische Geschäftsleute zu bereichern. Als General Magoon die Insel verließ, hatte die Staatskasse einen Fehlbetrag von 12 Millionen Dollar, obwohl der kubanische Staatsschatz bei seinem Antritt 13 Millionen Dollar betragen hatte. Die wichtigsten Konzessionen für die Ausbeutung der Bodenschätze Kubas befanden sich in den Händen von Amerikanern, ebenso die Mehrzahl der Betriebe und die fruchtbarsten Landstriche. Die USMarine hatte sich für 99 Jahre das Gebiet um Guantánamo verpachten lassen und hatte es als Stützpunkt ausgebaut. Kurz: Aus der spanischen Besetzung der Insel war eine amerikanische geworden.
Und noch etwas: Der Krieg gegen Spanien war binnen weniger Wochen entschieden worden. Bei den Friedensverhandlungen im Dezember 1898 hatten die Amerikaner die Spanier gezwungen, die Philippinen Puerto Rico und die Insel Guam an die USA abzutreten. Die USA hatten sich auf diese Weise Kolonien verschafft. Millis' Glaube an die Gerechtigkeit des Krieges von 1898 war dadurch stark erschüttert worden. Nun wollte Millis wenigstens Gewißheit haben, daß sich die Explosion auf der „Maine"-, der Anlaß zum Krieg gegen Spanien, tatsächlich so ereignet hatte, wie sie 1898 von amerikanischer Seite dargestellt worden war. „Wann können wir auf das Schiff?" wandte sich der Wissenschaftler wieder an den Offizier. Der gab fast ärgerlich zurück: „Warten Sie ab. Erst müssen die Männer zurück sein. Dann werden wir sehen." Millis' Geduld wurde noch auf eine harte Probe gestellt. Erst nach einigen Stunden kletterten die Experten wieder in die Barkasse. Als sie auf dem Kai waren, wurden sie jedoch sofort von Offizieren und einigen Männern mit seltsam breitrandigen Hüten umringt. Millis versuchte sich ebenfalls in den Kreis hineinzudrängen, wurde aber sofort von den Männern mit den den Hüten abgedrängt. „Das geht Sie nichts an, Mister Millis", sagte einer von ihnen. „Wenn es Zeit ist, Fragen zu stellen, werden wir es Ihnen sagen."
„Aber erlauben Sie", empörte sich der Historiker, „ich bin auf Einladung des Marineministeriums hier." „Wir wissen es", kam es ungerührt, „trotzdem: Sie warten, bis wir Sie rufen." Millis sah nur noch, wie die Experten in die Mitte genommen wurden, wie sich die ganze Gruppe auf bereitstehende Wagen verteilte, wie die Wagen, einer nach dem anderen, davonfuhren. Der Offizier, mit dem sich Millis unterhalten hatte, kam auf ihn zu. „Sie werden gebeten", sagte er höflich, aber bestimmt, „sich in Ihr Hotel zu begeben und auf weitere Anweisungen zu warten." Millis schüttelte den Kopf. „Warum nur diese Geheimniskrämerei?'' Der Offizier tat, als hätte er die Frage nicht gehört. Mit Nachdruck betonte er: „Ab sofort ist der Teil des Hafens, in dem die ,Maine' liegt, militärisches Sperrgebiet. Sie müssen den Hafen verlassen." „Ich werde mich beschweren", ereiferte sich Millis, zog es dann jedoch vor zu gehen. Noch am selben Abend wurde er in die Botschaft gebeten. Mit ihm waren Journalisten und Vertreter der Kriegsveteranen von 1898. erschienen. Man bewirtete sie mit ausgesuchten Speisen. Aber das Wichtigste an diesem Abend war eine kurze Erklärung des Botschafters. Leider habe sich herausgestellt, daß die Untersuchungen auf der „Maine" doch schwieriger seien, als man ursprünglich angenommen habe. Deshalb bitte er die verehrten Gäste, morgen wieder nach Hause zu fahren. Sie würden Bescheid
bekommen, wann sich ein erneuter Besuch in Havanna löhne. Millis bekam nie einen solchen Bescheid. Monate später erfuhr er aus einer kleinen Zeitungsnotiz: Das Wrack der „Maine" sei am 16. März 1912 auf das Meer geschleppt worden. Aus Gründen der Sicherheit für die Schiffahrt habe man das Wrack an einer Stelle versenkt, die zu den tiefsten Stellen der Karibischen See gehöre. Millis schrieb später: Man hat das Wrack beseitigt, um die wahren Ursachen für den Untergang der „Maine" nicht bekannt werden zu lassen.