Manfred Bruhn / Karsten Hadwich (Hrsg.) Dienstleistungsproduktivität 2
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Manfred Bruhn / Karsten Hadwich (Hrsg.) Dienstleistungsproduktivität 2
Manfred Bruhn Karsten Hadwich (Hrsg.)
Dienstleistungsproduktivität Innovationsentwicklung, Internationalität, Mitarbeiterperspektive Band 2
FORUM DIENSTLEISTUNGSMANAGEMENT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung, an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel sowie Honorarprofessor an der Technischen Universität München. Prof. Dr. Karsten Hadwich ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Dienstleistungsmanagement und Dienstleistungsmärkte an der Universität Hohenheim.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Barbara Roscher | Jutta Hinrichsen Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2801-6
Vorwort Produktivität stellt eine der zentralen Herausforderungen des Dienstleistungsmanagements dar. Der klassische Produktivitätsbegriff entstammt ursprünglich dem Bereich der Industriebetriebslehre und beschreibt die Ergiebigkeit bzw. die Leistungsfähigkeit der betrieblichen Faktorkombinationen eines Unternehmens. Die bewährten Produktivitätskonzepte und Messinstrumente der Sachgüterindustrie sind jedoch nicht ohne weiteres auf den Dienstleistungsbereich übertragbar; insbesondere weil sich bei Dienstleistungen die Input- und Outputgrößen zur Bestimmung der Produktivität, als Input-OutputRelation, nicht so einfach ermitteln lassen wie bei Sachgütern. Die konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen, wie die Immaterialität, die Integration des externen Faktors und das Uno Actu-Prinzip, erschweren die Erfassung der Dienstleistungsproduktivität. Vor diesem Hintergrund widmet sich der Sammelband „Dienstleistungsproduktivität“, der in der Reihe „Forum Dienstleistungsmanagement“ erscheint, der Erfassung und Sicherstellung der Produktivität im Kontext von Dienstleistungen. Dabei gilt es, nicht nur bewährte Konzepte und Methoden aus dem Sachgüterbereich an die spezifischen Gegebenheiten des Dienstleistungssektors anzupassen. Es ist vielmehr auch eine vertiefte Diskussion notwendig, inwiefern sich aufgrund der charakteristischen Merkmale von Dienstleistungen neue Methoden und Fragestellungen ergeben, die bei der Produktivitätsbetrachtung mit einzubeziehen sind und einen speziellen Fokus erwarten. Die Relevanz und Aktualität des Themas hat sich auch in der starken Resonanz auf unser Call for Papers bemerkbar gemacht. Die Zahl der interessanten und hochwertigen Einreichungen überstieg die der vergangenen Jahre. Auch die Vielfalt der sich beteiligenden betriebswirtschaftlichen Disziplinen hat erfreulicher Weise zugenommen. Aus diesen Gründen haben wir uns entschieden, dem Thema Dienstleistungsproduktivität zwei Bände zu widmen, in denen profilierte Wissenschaftler und Vertreter der Praxis in 38 Beiträgen zeigen, was genau unter Dienstleistungsproduktivität zu verstehen ist und wie Dienstleistungsproduktivität sichergestellt werden kann. In den beiden Buchbänden wird die Dienstleistungsproduktivität aus insgesamt sechs thematischen Perspektiven betrachtet:
Im Rahmen der Managementperspektive der Dienstleistungsproduktivität werden strategische Ansätze der Führungsebene von Unternehmen zur Unterstützung der effizienten und effektiven Erbringung von Dienstleistungen diskutiert. Die analytische Perspektive der Dienstleistungsproduktivität befasst sich mit unterschiedlichen Messmethoden und Input- und Outputgrößen zur Erfassung der Dienstleistungsproduktivität. Die Prozessperspektive der Dienstleistungsproduktivität betrachtet alternative Methoden und Konzepte zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch eine
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Vorwort verbesserte Gestaltung von unternehmensinternen und -externen Prozessen. Dabei sind sämtliche Prozesskontaktpunkte mit einzubeziehen sowie eine Transparenz über den Prozessablauf und die Prozessstruktur zu schaffen. Die Kundenperspektive der Dienstleistungsproduktivität integriert die kundenseitigen Beiträge im Dienstleistungsprozess in die Produktivitätsüberlegungen. Auch die Bewertung des Outputs aus Kundensicht wird hier berücksichtigt. Die Mitarbeiterperspektive der Dienstleistungsproduktivität umfasst alle mitarbeiterbezogenen Einflussgrößen der Dienstleistungsproduktivität, zu denen u.a. die Gestaltung von Arbeitsplätzen, das Entlohnungssystem, die Qualifikation und Motivation der Mitarbeitenden zu zählen sind. Die Innovationperspektive der Dienstleistungsproduktivität setzt sich mit der Steigerung der Produktivität durch neue Dienstleistungen mit reduziertem Einsatz an Inputfaktoren, mit stärkerer Kundenbeteiligung und mit höherer Qualität und/oder Quantität auseinander. Die Internationalisierungsperspektive der Dienstleistungsproduktivität diskutiert neben den Internationalisierungsprozessen und -strategien auch die Frage der kulturellen Anpassung von Dienstleistungen unter Produktivitätsgesichtspunkten.
Im vorliegenden Band 2 der beiden Sammelbände wird Dienstleistungsproduktivität aus Sicht der Mitarbeiter, der Innovationsentwicklung und der Internationalität im Rahmen der Dienstleistungsproduktivität diskutiert. Die wissenschaftlichen und praxisnahen Beiträge werden durch einen Literatur-Service, der eine thematisch geordnete Zusammenstellung wichtiger Veröffentlichungen zum Themengebiet beinhaltet, ergänzt. Die Reihe „Forum Dienstleistungsmanagement“ ist zehn Jahre lang unter der Herausgeberschaft von Manfred Bruhn und Bernd Stauss erschienen. Nach der Emeritierung von Bernd Stauss wird die Herausgeberschaft in diesem Jahr erstmals an Manfred Bruhn und Karsten Hadwich übergehen. Für seine langjährige Herausgeberschaft, das Engagement und die sehr gute Zusammenarbeit danken wir Herrn Kollegen Stauss ganz herzlich. Die Projektorganisation und Koordination lag in den Händen von Frau Dipl.-Kffr. Meike Straßer, die Erstellung der druckfertigen Vorlage stud. phil. nat. Ivan Giangreco vom Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung der Universität Basel. Beide haben sich um die Bände sehr verdient gemacht. Unser besonderer Dank gilt der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft in Basel für die freundliche Unterstützung in Form eines Druckkostenzuschusses. Die Dienstleistungsproduktivität ist eine zentrale Erfolgs- und Steuerungsgröße in Dienstleistungsunternehmen. Die beiden Bände des diesjährigen Forum Dienstleistungsmanagement thematisieren insofern ein außerordentlich relevantes Managementthema, dem Wissenschaft und Praxis sowohl heute als auch in Zukunft große Aufmerksamkeit zu widmen haben. Basel und Hohenheim, im März 2011
Manfred Bruhn Karsten Hadwich
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .......................................................................................................................
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Teil A: Wissenschaftliche Beiträge Manfred Bruhn und Karsten Hadwich Dienstleistungsproduktivität – Einführung in die theoretischen und praktischen Problemstellungen (Band 2)........................................................................................
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1. Innovationsentwicklung und Dienstleistungsproduktivität Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias Dienstleistungsinnovationen – Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven .....
35
Martin Böttcher und Stephan Klingner Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität.........................
59
Gustav Bergmann und Jürgen Daub Produktivität von Dienstleistungen – mehr des Selben oder mehr des Anderen? .......
81
Christian Homburg und Christina Kühnl Nichtlineare Effekte im Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen: Eine vergleichende Studie ....................................................... 101 Moritz Mink und Dominik Georgi Auswirkungen von (e-)Customer-to-Customer-Interaktion auf die Dienstleistungsproduktivität ....................................................................................... 125 Axel Averdung und Thorsten Teichert Kreative Exzellenz- und Dienstleistungsproduktivität – Gestaltungsansätze für das innovationsorientierte Management integrierter Kommunikationsagenturen ...... 145
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Inhaltsverzeichnis
Christian Urhahn, Melanie Kramp und Klaus J. Zink Konzeptionelle Überlegungen zur Produktivität hybrider Problemlösungen.............. 171
2. Internationalität und Dienstleistungsproduktivität Thorvald Degner und Franz J. Heeg Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen – Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen .......................... 195 Jörg Freiling und Sven M. Laudien Komplexitätsbeherrschung als Herausforderung der Produktivitätssteigerung international agierender Dienstleistungsunternehmen: Die Rolle von Zwischeneinheiten als Instrument struktureller Koordination ................................... 213 Ricarda Bouncken und Robin Pesch Divers und doch Produktiv? - Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen ....................................................................................... 241 Bernhard Swoboda und Stefan Elsner Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien von Handelsunternehmen................................................................................................... 263
3. Mitarbeiterperspektive der Dienstleistungsproduktivität Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität – Steigerung von Effektivität und Effizienz der Dienstleistung und ihrer Erbringungsprozesse ................................................................................................... 293 Marion Büttgen und Julian Volz Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen auf die Produktivität im Finanzdienstleistungsbereich ........................................................... 317 Matthias H. J. Gouthier und Walter Ganz Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals ................................. 349 Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel Mitarbeiter zu Markenbotschaftern machen: Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch Behavioral Branding ........................................... 375
Inhaltsverzeichnis
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Nadine Blinn, Markus Nüttgens, Michael Schlicker, Oliver Thomas und Michael Fellmann Produktivitätssteigerung im technischen Kundendienst – Ein Ansatz auf Basis des IT-gestützten Mitarbeiterempowerments .................................................................... 393 Sönke Duckwitz, Sven Tackenberg, Christopher M. Schlick und Susanne Mütze-Niewöhner Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleistungsprozessen ............................................................................................ 413 Volker Nissen und Maik Günther Steigerung der Mitarbeiterproduktivität durch automatische Erstellung von Arbeitszeitmodellen in Verbindung mit der Personaleinsatzplanung am Beispiel Handel ......................................................................................................................... 437
Teil B: Serviceteil Ausgewählte Literatur zum Themengebiet „Dienstleistungsproduktivität“ ................ 471 Stichwortverzeichnis ................................................................................................... 481
Teil A: Wissenschaftliche Beiträge
Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
Dienstleistungsproduktivität – Einführung in die theoretischen und praktischen Problemstellungen (Band 2)
1. Betriebswirtschaftliche Interpretationen des Begriffs „Produktivität“ 1.1 Produktivität im engeren Sinne 1.2 Produktivität im weiteren Sinne 2. Besonderheiten der Produktivität bei Dienstleistungen 2.1 Potenzialdimension der Dienstleistung 2.2 Prozessdimension der Dienstleistung 2.3 Ergebnisdimension der Dienstleistung 3. Management der Dienstleistungsproduktivität als Zielgröße 3.1 Dienstleistungsproduktivität im Produktionstheoretischen Ansatz 3.2 Dienstleistungsproduktivität im Ressourcenbasierten Ansatz 3.3 Dienstleistungsproduktivität im Markt- und Wettbewerbsorientierten Ansatz 3.4 Dienstleistungsproduktivität im Wertorientierten Ansatz 4. Messung der Dienstleistungsproduktivität 5. Determinanten der Dienstleistungsproduktivität 6. Stand der Forschung Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und Honorarprofessor an der Technischen Universität München. Prof. Dr. Karsten Hadwich ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der Universität Hohenheim.
1.
Betriebswirtschaftliche Interpretationen des Begriffs „Produktivität“
Die Produktivität ist im ursprünglichen Sinne eine volkswirtschaftliche Kennzahl für die Leistungsfähigkeit. Sie ist einer von mehreren Maßstäben zur Kontrolle der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, unabhängig von der jeweiligen Branche des Unternehmens (Corsten 1994, S. 44; Grönroos/Ojasalo 2000, S. 2). Sie beschreibt einen wichtigen Leistungsparameter von Unternehmen (Fricke 1961, S. 135; Nachum 1999, S. 939), der in einem engen Zusammenhang zum Begriff der Effizienz steht. Während einige Verfasser die Begriffe Produktivität und Effizienz synonym verwenden, weisen andere auf bestimmte Unterschiede hin (Lasshoff 2006, S. 24). Generell sind die in der Literatur aufgeführten Definitionen der Produktivität weder konsistent noch einheitlich. In den Wirtschaftswissenschaften haben sich zwei vorherrschende heterogene Begriffsdefinitionen für Produktivität herausgebildet (Laßmann 1975), auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
1.1 Produktivität im engeren Sinne Die Anfänge der Effizienz- bzw. der Produktivitätsanalyse sind in der Produktionstheorie zu finden. Die Produktionstheorie befasst sich aus traditioneller Sichtweise mit der zielgerichteten Transformation von Produktionsfaktoren zu Ausbringungsgütern und wurde entscheidend durch die Werke von Gutenberg geprägt (Gutenberg 1979). Es handelt sich um einen naturwissenschaftlich technischen Begriff der Transformation von Inputs i.S.v. Produktionsfaktoren zu materiellen Outputs. Hierbei wird eine möglichst effiziente Gestaltung der Produktionsprozesse angestrebt; dies bedeutet, dass die beteiligten produktiven Faktoren so einzusetzen sind, dass sie eine maximale Leistung erbringen. So ergibt sich die Produktivität im engeren Sinne durch den Quotienten aus einer bestimmten Produktmenge und den für ihre Herstellung im Betrachtungszeitraum verbrauchten Produktionsfaktoren (Laßmann 1975). Mit anderen Worten handelt es sich um eine quantitative Relation von Output- und Input-Größen. Die Produktivität im engeren Sinne ist somit als reine Mengengröße zu verstehen, die die Leistungsfähigkeit des Unternehmens widerspiegelt. Überdies wird zwischen der Gesamt- und Teilproduktivität unterschieden. Der Unterschied der beiden Ausdrücke liegt in der Menge des einbezogenen Inputs. Während die Gesamtproduktivität den Output zu sämtlichen eingesetzten Inputfaktoren in Beziehung setzt, stützt sich die Teilproduktivität lediglich auf einen Inputfaktor, wie z.B. die Arbeitsproduktivität oder Materialproduktivität.
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Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
1.2 Produktivität im weiteren Sinne Die allgemeine Definition des Produktivitätsbegriffs greift sehr weit. Sie führt beispielsweise die Ergiebigkeit der Volkswirtschaft selbst, einzelner Branchen, Betriebe oder der jeweiligen Produktionsprozesse auf. Dem Produktivitätsbegriff werden generell mengen- und wertmäßige Größen zugeordnet. Während die Produktivität im engeren Sinne als reine Mengengröße verstanden wird, zielt die Produktivität im weitesten Sinne auf nominale Größen einer Erfolgsrechnung des Unternehmens ab. Input- und Outputgrößen werden hierbei jeweils mit monetären Werten, d.h. mit Preisen, bewertet. Bei der Produktivität im weiteren Sinne spricht man häufig von Wirtschaftlichkeitskennziffern. Beispielhaft seien hier die Quotienten aus Gesamtertrag und Aufwand bzw. Umsatz und Anzahl der Beschäftigten angeführt (Corsten 2000, S. 612). Durch die gängige Bewertung der Input- und Outputgrößen mit Preisen wird die ursprüngliche Analyse der mengenmäßigen Ergiebigkeit betrieblicher Faktorkombinationen verfälscht. Die Faktorund Leistungspreise werden durch die Rahmenbedingungen Wachstum, Inflation, Konjunktur und Strukturveränderungen, d.h. durch so genannte Preiseffekte, stetig verändert. Hierdurch ändert sich auch die Produktivität als solche (Laßmann 1975; Corsten 2000). Die aus dieser Bewertung resultierenden Probleme bedingen, dass sich im Rahmen der Ermittlung der Produktivität im Sachgüter- sowie im Dienstleistungsbereich der Fokus oftmals nicht auf die Produktivität im weiteren Sinne, sondern auf die mengenmäßige Betrachtung der Leistungsfähigkeit, die Produktivität im engeren Sinne, konzentriert.
2.
Besonderheiten der Produktivität bei Dienstleistungen
Der Produktivitätsbegriff entstammt anfänglich dem Bereich der Industriebetriebslehre (Heinen 1991) und ist somit im ursprünglichen Sinne dem Sachgüterbereich zuzuteilen. Ziel der so genannten produktionstheoretischen Ansätze ist die Erklärung der Zusammenhänge zwischen dem Mengeneinsatz an Produktionsfaktoren und dem Produktionsergebnis in produzierenden Betrieben, in denen stets von einer gegebenen Ausstattung und einem vorgegebenem Produktionsprogramm auszugehen ist (Heinen 1991, S. 410ff.). Bei Dienstleistungen lassen sich jedoch Input (Produktionsfaktoren) und Output (Produktionsergebnis) aufgrund der konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen nicht so einfach bestimmen wie im Sachgüterbereich. Ursprünglich für den Sachgüterbereich entwickelte Konzepte und Methoden zur Bestimmung der Produktivität lassen sich somit nicht ohne Weiteres auf den Dienstleistungsbereich übertragen. Die konstitutiven Merkmale einer Dienstleistung, wie Immaterialität, Integration des externen Faktors und das Uno Actu-Prinzip erschweren zweifellos die Erfassung und Bestimmung der Dienstleistungsproduktivität (Zeithaml/Parasuraman/Berry 1985, S. 34f.; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 400ff.; Corsten 1994; Meffert/Bruhn 2009, S. 40ff.). Aus den konstitutiven Merkmalen einer Dienstleistung ergeben sich spezifische Anfor-
Dienstleistungsproduktivität – Einführung in den Sammelband (Band 2)
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derungen an die Bestimmung der Dienstleistungsproduktivität. Diese werden im Folgenden hinsichtlich der drei Dienstleistungsdimensionen (Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension) näher beschrieben.
2.1 Potenzialdimension der Dienstleistung Die Potenzialdimension beschreibt die Dienstleistung als Leistungsfähigkeit und Bereitschaft eines Anbieters zur Erbringung einer Leistung (Meyer 1996; Klostermann 2007). Die Leistungspotenziale sind nicht gegenständlich, sondern stellen zum Zeitpunkt von Angebot und Nachfrage einer Dienstleistung lediglich ein Leistungsversprechen dar. Das Leistungspotenzial ist somit Ausgangspunkt einer jeden Leistungserstellung, da es diese überhaupt erst ermöglicht (Lasshof 2006). Für den Dienstleister resultiert aus dem Leistungsversprechen die Aufgabe, eine an den Bedarf angepasste zeitliche, räumliche, qualitative und quantitative Verfügbarkeit der Leistung zu garantieren, die für den Nachfrager ein zentrales Kaufargument darstellt (Corsten 1997, S. 337). Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass sämtliche Strukturen und Potenziale des Dienstleisters dazu beitragen können, die Dienstleistungsproduktivität entscheidend zu verbessern. Im Fall eines Kreditinstitutes umfasst diese Dimension z.B. die variable Gestaltung des Leistungsangebotes, eine hohe Verfügbarkeit von Personalkapazität, eine hohe Kompetenz der Mitarbeitenden sowie eine verstärkte Nutzung innovativer Informations- und Kundensysteme. Geringe Wartezeiten (Potenzialfaktor) für den Kunden und eine bedarfsgerechte Beratung durch einen kompetenten Mitarbeiter (Potenzialfaktor) eines Kreditinstitutes wirken sich positiv auf die Kundenzufriedenheit als vorökonomische Größe aus. Eine hohe Kundenzufriedenheit wiederum wirkt sich positiv auf das Beschwerdeverhalten der Kunden aus, führt zu weniger Zeitaufwand der Mitarbeitenden bei der Beschwerdebearbeitung und führt letztlich zu einer Steigerung der Dienstleistungsproduktivität.
2.2 Prozessdimension der Dienstleistung Die Prozessdimension stellt den Tätigkeitscharakter von Dienstleistungen in den Vordergrund und fokussiert somit alle Aktivitäten während des Leistungserstellungsprozesses, der sich in einer Phasenbetrachtung direkt an das Leistungspotenzial anschließt (Meyer/Blümelhuber/Pfeiffer 1999; Lasshof 2006). Dienstleistungen werden als Prozesse zwischen Dienstleister und Nachfrager aufgefasst, die eine materielle oder immaterielle Wirkung haben und deren Erbringung die Integration eines externen Faktors erfordert (Berekoven 1983; Meyer 1996; Kleinaltenkamp 2001; Lasshof 2006; Klostermann 2007). Das Leistungspotenzial wird demnach erst in dem Moment aktiviert und der Dienstleistungserstellungsprozess erst in dem Moment ausgelöst, in dem der Nachfrager, d.h. die externen Faktoren, hinzutreten (Kleinaltenkamp/Haase 1999, S. 171; Kleinaltenkamp 2001, S. 401f.). Die Dienstleistungsproduktivität hängt also vom Zu-
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Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
sammenwirken von Komponenten ab, die sich dem alleinigen Einflussbereich des Dienstleistungsanbieters entziehen: Dazu zählen beispielsweise die autonomen Dispositionen des Kunden und des Anbieters, die jeweils eigenständig erbracht werden. Ferner kommen noch diejenigen Dispositionen zum Tragen, die von beiden Seiten integrativ erbracht werden. Dies hat zur Konsequenz, dass der Kunde den Leistungserstellungsprozess entscheidend prägt und maßgeblichen Einfluss auf die Produktivität der Dienstleistung erlangt (Engelhardt et al. 1993; Corsten 1994; Fließ 2001; Fließ/Kleinaltenkamp 2004). Bei der Erstellung einer Dienstleistung entsteht ein Beziehungsgefüge zwischen Unternehmen und Kunden. Deshalb ist es schwierig, die Dienstleistungsproduktivität, wie bei Unternehmen der Konsumgüterbranche, lediglich über eine Standardisierung, Rationalisierung oder Automatisierung der Inputfaktoren zu steigern, ohne den Output für den Kunden an Qualität oder an Nutzen zu senken (Bienzeisler/Löffler 2006, S. 215). Eine solche Vorgehensweise würde gegebenenfalls die Beziehungskomponente außer Acht lassen sowie die langfristige Bindung zum Kunden stören. Ferner können die konstitutiven Merkmale einer Dienstleistung in ihrer Konsequenz zu der Annahme führen, dass unterschiedliche Leistungseinheiten (z.B. Unternehmen, Filialen) auf unterschiedliche Situationen mit mehr oder weniger heterogenen Prozessen bei der Erstellung ein und derselben Dienstleistung reagieren. Daher erscheint die gängige Unterstellung einer einzigen, parametrisch identischen Produktionsfunktion zur Messung und Berechnung der Dienstleistungsproduktivität derartiger Leistungseinheiten nicht unbegrenzt geeignet. Innerhalb der Prozessdimension sind insbesondere die gegenseitige Information zwischen Dienstleister und Kunde sowie die Kundenkommunikation, z.B. durch eine verstärkte Nutzung von Informationssystemen, so zu gestalten, dass die Prozess- und Interaktionsqualität verbessert werden (Kleinaltenkamp et al. 1998, S. 33) und somit die Dienstleistungsproduktivität gesteigert wird.
2.3 Ergebnisdimension der Dienstleistung Die Ergebnisdimension einer Dienstleistung umfasst das immaterielle Ergebnis der erbrachten Dienstleistung, anders ausgedrückt den Leistungsoutput (Hilke 1989, S. 15; Klostermann 2007). Das Leistungsergebnis, in welchem sich der Leistungserstellungsprozess konkretisiert, stiftet den letztendlichen Nutzen der Leistung für den Nachfrager (Hilke 1989, S. 15; Lasshof 2006). Das Leistungsergebnis kann als prozessuales Endergebnis mit materiellem oder immateriellem Charakter oder als Wirkung einer Leistung interpretiert werden (Meyer 1996). Aus dem konstitutiven Merkmal Immaterialität bzw. Intangibilität resultieren Probleme hinsichtlich der Qualitätsmessung, -bewertung und -kontrolle der Leistungsergebnisse, da sich objektive Messgrößen kaum isolieren lassen (Meyer 1996, S. 200). Der hohe Anteil an immateriellen Bestandteilen einer Dienstleistung bedingt, dass das Ergebnis der Leistung nicht greifbar und damit nur bedingt quantifizierbar ist (Corsten 1994, S. 85; Maleri 1997, S. 117; Lasshof 2006). Daher besteht das Ziel eines Dienstleisters stets darin, den Kunden bereits während des Dienstleistungserstellungsprozesses von einem guten Ergebnis zu überzeugen. Entsprechend der Erfolgskette lösen Aktivitäten des Dienstleisters beim Kunden psychologische Wirkun-
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gen aus, die zu konkreten Verhaltenswirkungen führen und letztendlich den ökonomischen Erfolg des Dienstleistungsanbieters bestimmen (Bruhn 2009, S. 91). Solche vorökonomischen Größen, wie Qualitätswahrnehmung, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, können als vorökonomische Outputgrößen verstanden werden. Die Kompetenz von Mitarbeitenden beispielsweise als Input. Die vorökonomischen Größen determinieren anschließend den ökonomischen Erfolg des Dienstleisters. Hierbei handelt es sich um Größen, wie beispielsweise den Umsatz oder den Gewinn eines Unternehmens. Eine positive Veränderung der vorökonomischen Größen kann wiederum zu einer Steigerung der Dienstleistungsproduktivität führen.
3.
Management der Dienstleistungsproduktivität als Zielgröße
Die Produktivität ist immer mehr zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor in Dienstleistungsunternehmen geworden. Die Verantwortung für die Steigerung der Produktivität wird als strategische Managementaufgabe angesehen, da die Produktivität den Geschäftserfolg bzw. -misserfolg eines Unternehmens maßgeblich mitbestimmt. Der Stellenwert der Produktivität als vorab definierte Zielgröße hat bei den einzelnen Managementansätzen der Betriebswirtschaftslehre eine unterschiedliche Bedeutung. Darauf wird im Folgenden näher eingegangen.
3.1 Dienstleistungsproduktivität im Produktionstheoretischen Ansatz Im Rahmen des Produktionstheoretischen Managementansatzes sind die beteiligten produktiven Faktoren bei einem Dienstleister so einzusetzen, dass sie eine maximale Leistung erbringen. Die Kombination von Produktionsfaktoren, wie z.B. menschliche Arbeit, d.h. Mitarbeitende, und Potenzialfaktoren, wie z.B. Betriebsmittel, sind so zu wählen und zu kombinieren, dass eine größtmögliche Produktivität erreicht wird. Es handelt sich hierbei um eine sehr umfassende, formale und breit angelegte Definition und Betrachtungsweise im Sinne der Produktionstheorie. Sie lässt sich auch auf das Dienstleistungsmanagement für bestimmte Branchen anwenden. So wird im Zusammenhang mit Dienstleistungsunternehmen von einem Transformationsprozess von dienstleistungsbezogenen Inputs wie Ausgaben für Mitarbeitende oder Aufwendungen für eine verbesserte Dienstleistungsqualität in dienstleistungsbezogene Outputs in Form von Vertragsabschlüssen, Absatzzahlen oder auch Marktanteil und Umsatz gesprochen (Dyckhoff 2003, S. 709f.; Corsten/Gössinger 2006, S. 30). Eine Automobil-Reparaturwerkstatt, das Baugewerbe und die Gastronomie sind Branchenbeispiele, die eher produktionsorientiert
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Manfred Bruhn und Karsten Hadwich
ausgerichtet sind und in denen oben genannte Zielgrößen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität besonders vertreten sind. In der Gastronomie gelten beispielsweise die Aufwendungen für das Küchenpersonal und die Kellner als Inputfaktoren, die hergestellten Mahlzeiten sowie die Anzahl der bedienten Kunden als Outputfaktoren (Lasshof 2006, S. 130). In einer Automobil-Reparaturwerkstatt zählen die Arbeitsstunden der Mechaniker sowie die technischen Geräte (Betriebsmittel) zur Ermittlung der Fehlerquellen am Auto zu den Inputgrößen, die Zahl der reparierten Autos in einer gewissen Zeitspanne zu den Outputgrößen. Letztlich geht es beim Produktionstheoretischen Ansatz darum, diejenigen Input-Output-Kombinationen zu finden, die eine hohe Dienstleistungsproduktivität mit sich bringen.
3.2 Dienstleistungsproduktivität im Ressourcenbasierten Ansatz Der Ressourcenbasierte Managementansatz hat zum Ziel, das Unternehmen auf Basis vorhandener Ressourcen zu analysieren und nach zweckmäßigen Strategien zu suchen, um zur Erfüllung der Unternehmensziele und zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität beizutragen. Die Grundidee ist hierbei, dass der Unternehmenserfolg wie auch die Dienstleistungsproduktivität nicht nur von externen Marktgegebenheiten oder der Marktstruktur abhängt, sondern vor allem vom Aufbau und der Ausnutzung interner Ressourcen der einzelnen Unternehmen. Der Ressourcenbasierte Ansatz verfolgt eine InsideOut-Perspektive (Benkenstein/Urich 2009, S. 17). Es wird anhand einer StärkenSchwächen-Analyse eine firmenspezifische Betrachtung eingenommen, um beispielsweise herauszufinden, warum einzelne Unternehmen produktiver sind, während andere Unternehmen trotz ähnlicher Voraussetzungen scheitern. Der Ressourcenbasierte Ansatz untersucht den Zusammenhang zwischen firmenspezifischen Charakteristika und dem Erfolg des Unternehmens. Es wird also versucht, die Individualität eines jeden Unternehmens nachzuweisen sowie diese und die unternehmensspezifische Erfolgsposition auf die effiziente Nutzung bestimmter Ressourcen zurückzuführen. Die Dienstleistungsproduktivität wird hierbei von der Heterogenität der einzelnen Unternehmen bestimmt, die vor allem auf den Fähigkeiten und der Expertise des Managements des Dienstleistungsunternehmens beruhen. In Dienstleistungsunternehmen werden die Ressourcen, die im Rahmen der Produktivitätsbetrachtung entscheidend sind, folgenden Kategorien zugeordnet: finanzielle, physische, technologische, organisatorische und personelle Ressourcen (Schneider 2008, S. 22ff.). Finanzielle Ressourcen sind sämtliche einsetzbare monetäre Mittel eines Dienstleistungsunternehmens. Physische Ressourcen umfassen alle materiellen Vermögensgegenstände, die zur Ausübung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zur Verfügung stehen. Technologische Ressourcen manifestieren sich in Prozessen sowie in Informations- und Kommunikationssystemen eines Dienstleisters. Organisatorische Ressourcen drücken sich in den Strukturen (z.B. Kooperationsorientierung, Prozessorientierung), Systemen (z.B. Informationssysteme, Steuerungssysteme) und der Kultur (z.B. Ist-Kultur, Kulturanpassungsprozess) des Unternehmens aus. Neben den vier genannten Kategorien sind die Mitarbeitenden mit ihren Kompetenzen, Erfahrungen und Wissen in Dienstleistungsunternehmen die personelle und zentrale Ressour-
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ce, um die Dienstleistungsproduktivität zu steigern (Schneider 2008). Insbesondere in der Finanzdienstleistungs- und Versicherungsbranche, d.h. stark personal- und beratungsintensive Branchen, spielen oben genannte Ressourcen eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der Dienstleistungsproduktivität. Die Kundenberater einer Bank bzw. die Außendienstmitarbeiter einer Versicherung treten mit den Kunden in persönliche Interaktion und können durch eine bedürfnisgerechte Beratung, dem Wissen und Knowhow bezüglich der angebotenen Finanz- und Versicherungsprodukte die Kundenzufriedenheit erhöhen, die Verkaufszahlen steigern und somit die Dienstleistungsproduktivität positiv beeinflussen. Bei einem Freizeit- und Vergnügungspark sind die physischen Ressourcen, d.h. die einzelnen Fahrgeschäfte, Attraktionen und Arenas, als Zielgröße zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität besonders wichtig.
3.3 Dienstleistungsproduktivität im Markt- und Wettbewerbsorientierten Ansatz Im Rahmen des Markt- bzw. Wettbewerbsorientierten Ansatzes dominiert eine OutsideIn-Perspektive. Es handelt sich um einen umfeldorientierten Strategieansatz, der im Wesentlichen auf den Arbeiten von Porter beruht (Porter 1999; Haller 2002, S. 52f.). Grundlage des Ansatzes ist die von der Industrieökonomie vertretene Structure-ConductPerformance-Hypothese. Diese geht davon aus, dass die Branchenstruktur und Marktveränderungen (Structure) das strategische Verhalten eines Unternehmens (Conduct) und damit seinen Erfolg (Performance) beeinflussen. Das Erfolgspotenzial eines Unternehmens bestimmt sich demnach aus seiner geschäftsfeldspezifischen Positionierung innerhalb der Branche. Als Basisstrategien unterscheidet der Markt- und Wettbewerbsorientierte Ansatz zwischen der Kostenführerschaft und der Differenzierung. Daneben kann das Unternehmen entweder spezielle Kundensegmente fokussieren und damit eine Konzentrationsstrategie auf Teilmärkte verfolgen oder den Gesamtmarkt bearbeiten (Corsten/Gössinger 2007, S. 386ff.). Die Entwicklung einer Unternehmensstrategie erfordert folglich eine detaillierte Analyse des externen Umfeldes. Ausgehend von Kundenbedürfnissen und dem Verhalten der Konkurrenz entwickeln Unternehmen ihren eigenen Strategieplan. Dabei gilt es zum einen Entscheidungen hinsichtlich der Einführung neuer Produkte bzw. Leistungen zu treffen und zum anderen Strategien für den Einstieg in neue Märkte zu entwickeln. Neben den Kenntnissen über die allgemeine Marktstruktur und die speziellen Bedürfnisse der Marktteilnehmer ist für ein marktorientiertes Management ebenso die richtige Einschätzung der zukünftigen Marktentwicklung notwendig (Meffert 1977; Kotler 1982; Benkenstein/Uhrich 2009, S. 18f.). Im Hinblick auf die Produktivität von Dienstleistungen geht es primär um die Frage, wie diese durch die Einführung neuer Leistungen bzw. den Eintritt in neue Märkte gesteigert werden kann. Aufgrund der sich stetig ändernden Kundenbedürfnisse und Konkurrenzangebote ist es unter Produktivitätsgesichtspunkten entscheidend, auf diese möglichst effizient und flexibel durch intensive Marktforschung sowie ein angemessenes Innovati-
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onsmanagement zu reagieren. So bietet sich zur Verbesserung der Wettbewerbsposition und zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern an. Durch einen spezifischen Erfahrungs- und Know-how-Transfer lassen sich Kostensenkungspotenziale z.B. in den Bereichen F&E, Kommunikation, Marktforschung sowie Aus- und Weiterbildung realisieren und die Dienstleistungsproduktivität steigern (Corsten/Gössinger 2007, S. 389). Unter Produktivitätsgesichtspunkten ist stets zu prüfen, inwieweit man mit den vorhandenen Unternehmensstrukturen und den vorhandenen Technologien neue Leistungen anbietet und in neue Marktsegmente eintritt. Der Markt- und Wettbewerbsorientierte Ansatz kommt insbesondere in schnelllebigen Märkten mit kurzen Produktlebenszyklen zum Tragen. Ein marktorientiertes Unternehmen, wie z.B. Starbucks, konzentriert sich auf die Bedürfnisse seiner Kunden, kennt seine Konkurrenten und kann diese Marktinformationen interfunktional verarbeiten und nutzen. So passt das Unternehmen mit Leistungen wie dem kostenlosen WLANInternetzugang in allen Starbucks-Shops sein Leistungsangebot an neue Marktbedürfnisse und -gegebenheiten an und steigert dabei auch durch höhere Abverkaufsmengen an Getränken die Dienstleistungsproduktivität des Unternehmens.
3.4 Dienstleistungsproduktivität im Wertorientierten Ansatz In der Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen und Marketing im Speziellen wird seit geraumer Zeit eine konsequente Ausrichtung aller Unternehmensaktivitäten an der Wertsteigerung des Unternehmens diskutiert (Lüers 2006). Das Wertmanagement steht für die Gesamtheit aller Führungstätigkeiten zur Steigerung des Unternehmenswertes oder zur Maximierung des Shareholder Value (Meyer 2007, S. 161ff.). Der Wertorientierte Ansatz stellt hierbei ökonomische (z.B. Preispremium) und finanzorientierte Wirkungen (z.B. Aktienkurs) in den Mittelpunkt der Betrachtung. Unter Berücksichtigung des Wertorientierten Ansatzes bezieht sich die Produktivität eines Dienstleistungsunternehmens lediglich auf vergangenheitsbezogene finanzielle Kennziffern und wird letztlich am monetären Ergebnis des Dienstleistungsunternehmens, wie z.B. dem ROI (Return on Investment) gemessen. Der DCF (Discounted Cash Flow), der EVA (Economic Value Added), der ROMI (Return on Marketing Investment) und der ROR (Return on Relationship Investment) sind als weitere monetäre Produktivitätskennziffern anzuführen, die ihrerseits bereits eine Input-Output-Relation darstellen (Meyer 2007, S. 161ff.). Im Unterschied zum Shareholder-Value-Prinzip, das die Bedürfnisse der Anteilseigner eines Unternehmens in den Mittelpunkt des Interesses stellt, berücksichtigt der so genannte Stakeholder-Ansatz die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen. Als Stakeholder gelten neben den Aktionären die Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten, Kapitalmärkte, der Staat sowie die Öffentlichkeit (Walter 2010, S. 119ff.). Ein Konzept, das unterschiedliche Stakeholder in die Betrachtung mit einbezieht und als Kennzahlensystem angewendet wird, ist die Balanced Scorecard (BSC). Unter Berücksichtigung unterschiedlicher relevanter Einheiten, wie z.B. Finanzen, Kunden, Mitarbeitende oder Prozesse, dient die BSC in ihrer Gesamtheit zur Leistungsbewertung eines
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Unternehmens (Horvàth 2001, S. 177ff.; Horvàth & Partners 2004). Die BSC ist ein System zusammenhängender, quantifizierbarer Messgrößen verschiedener Dimensionen, die eine Beurteilung der Effektivität und Effizienz einer Leistung und der Leistungspotenziale eines Unternehmens ermöglicht (Kaplan/Norton 1997; Reinecke 2004, S. 18f.; Siegwart/Reinecke/Sander 2010) und den Produktivitätsbegriff im Vergleich zum Shareholder-Value-Ansatz erweitert. Sie hat sich zu einem Instrument der Strategiedefinition und -umsetzung entwickelt. Zunächst wird mittels der BSC eine Strategie formuliert. In einem zweiten Schritt wird diese kommuniziert, mit anderen Unternehmenszielen abgestimmt und mit Anreizsystemen verbunden. Im Rahmen der Planung werden dabei die Ziele in konkrete Kennzahlen umgesetzt, die sich später in operativen Maßnahmenplänen niederschlagen (Reinecke 2004, S. 18f.). Die Kennzahlen der BSC zeigen zum einen die finanziellen Ziele, berücksichtigen zum anderen aber auch die Leistung des Unternehmens aus Kundenperspektive, der internen Perspektive sowie der Lern- und Wachstumsperspektive (Kaplan/Norton 1997; Boersch/Elschen 2007, S. 137ff.). Die Kennzahlen der vier Perspektiven sind Indikatoren für die Dienstleistungsproduktivität zur Erreichung strategischer Unternehmensziele. Die Kundenperspektive umfasst Kennzahlen, wie z.B. Kundenzufriedenheit, Kundenbindung sowie Kundenrentabilität. Des Weiteren werden im Rahmen der Internen Perspektive kritische und neue Prozesse identifiziert, um eine optimale Kundenzufriedenheit zu erreichen und die Produktivität zu steigern. Hierbei handelt es sich um Kennzahlen, wie z.B. die Dienstleistungsqualität, Reaktionszeiten auf Beschwerden oder Kosten, die als zentrale Maßgrößen der Dienstleistungsproduktivität gelten. Die Lern- und Wachstumsperspektive kommt z.B. in der Mitarbeiterzufriedenheit und der Verfügbarkeit von Informationssystemen zum Ausdruck und schafft entsprechend eine notwendige Infrastruktur zur Steigerung der Produktivität und zur Erreichung der Unternehmensziele. Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeitenden, in Informationstechnologien und -systeme wirken sich speziell in Dienstleistungsunternehmen positiv auf die Produktivität aus (Boersch/Elschen 2007, S. 137ff.). Die BSC eignet sich für alle Dienstleistungsbranchen gleichermaßen. Die Dienstleistungsproduktivität schlägt sich auch bei der BSC in den finanziellen, monetären Kennzahlen, wie z.B. dem ROI, nieder. Mit anderen Worten stellen die finanziellen Kennzahlen das Endergebnis der Dienstleistungsproduktivität dar. Die Beiträge des zweiten Teils dieses Sammelbandes widmen sich Themenstellungen des internationalen Managements der Dienstleistungsproduktivität. Im Beitrag von Thorvald Degner und Franz J. Heeg wird ein Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen entwickelt. Dieses behandelt über die drei Perspektiven Integration, Struktur und Ablauf wesentliche Themenbereiche einer Internationalisierung und zeigt Verknüpfungspunkte zum Einsatz von Engineering-Methoden auf. Dabei wird ein Bezug zwischen den Phasen einer Internationalisierung und der dimensionalen Aufteilung von Dienstleistungen hergestellt. Auf der Grundlage einer differenzierten Betrachtung der relevanten Leistungsbestandteile werden potenzielle Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität aufgedeckt.
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Die Autoren Jörg Freiling und Sven M. Laudien befassen sich mit der Komplexitätsbeherrschung als Herausforderung der Produktivitätssteigerung international agierender Dienstleistungsunternehmen und untersuchen dabei insbesondere die Rolle von Zwischeneinheiten als Instrument struktureller Koordination. Dabei wird das Komplexitätsproblem im Kontext wertschöpfungsbezogener Besonderheiten von Dienstleistungen spezifiziert und aufgezeigt, in welcher Weise durch eine Nutzung von Zwischeneinheiten konkret Einfluss auf das Komplexitätsproblem genommen werden kann. Ricarda Bouncken und Robin Pesch diskutieren ausführlich den Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen. Die kulturelle Diversität in Dienstleistungsprozessen wird systematisch aufbereitet und deren Beitrag zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität diskutiert. Die Diskussion der Auswirkungen kultureller Diversität auf die Dienstleistungsproduktivität wird hinsichtlich unterschiedlicher Dienstleistungsprozesse geführt, die mittels der Kriterien Teambasiertheit, Routinegrad, Inter-Kundenkontaktgrad und Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister differenziert werden. Der Beitrag von Bernhard Swoboda und Stefan Elsner setzt sich mit dem Erfolg und der Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien von Handelsunternehmen auseinander. Auf Basis des Integration-Responsiveness-(IR-)Frameworks werden die Präferenzen von Handelsunternehmen für Internationalisierungsstrategien sowie Erfolgs- bzw. Produktivitätsunterschiede zwischen einer globalen, multinationalen, transnationalen und heimatmarktorientierten Internationalisierungsstrategien empirisch untersucht.
4.
Messung der Dienstleistungsproduktivität
Eine wesentliche Voraussetzung für die Erfassung der Dienstleistungsproduktivität ist die Spezifikation und Messung von Output und Input, d.h. es ist zu klären, welche Output- und Inputgrößen der betrachteten Produktionsprozesse bzw. Dienstleistungserstellungsprozesse zu berücksichtigen sind. Besondere Probleme bei der Messung der Inputgrößen ergeben sich insbesondere bei beratungsintensiven und personenbezogenen Dienstleistungen, bei denen die Arbeitsproduktivität ins Zentrum der Überlegungen rückt (Corsten/Gössinger 2007, S. 143). Es gibt zahlreiche Formen der Messung von Input- und Outputgrößen sowie eine Vielzahl unterschiedlicher Messmethoden der InputOutput-Relation, die sich – je nach Untersuchungsgegenstand und Problemstellung – unterscheiden. Beispielsweise können folgende Formen der Messung unterschieden werden:
Einperiodische und Mehrperiodische Messung (Statisch versus Dynamisch) Unternehmens-, Kunden- und Mitarbeiterbezogene Messung Ökonomische und Psychologische Messung Ereignisorientierte und Problemorientierte Messung
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Heuristische und Quasi-Analytische Messung Unternehmensbereichsspezifische und Leistungsgruppenspezifische Messung
Im Hinblick auf den betrachteten Zeithorizont ist bei der Messung der Input- und Outputgrößen zwischen statischen und dynamischen Verfahren (Zeitpunkt- versus Zeitraumbetrachtung) zu differenzieren. Während statische Verfahren, z.B. bei der Ermittlung des Umsatzes eines bestimmten Kunden als Maßgröße für den Output der Dienstleistungsproduktivität, lediglich auf die vergangenen Perioden zurückgreifen, ziehen dynamische Verfahren die Umsätze mehrerer zukünftiger Perioden zur Messung heran (Fuchs 2010). Im letzteren Fall werden also auch zeitversetzte Wirkungen mit in die Produktivitätsbetrachtung einbezogen. Innerhalb der unternehmens-, kunden- und mitarbeiterbezogenen Messung lassen sich wiederum ökonomische (monetäre) und psychologische (nicht-monetäre) Maßgrößen unterscheiden. Im Rahmen der mitarbeiterbezogenen Messung wird der Input beispielsweise durch ökonomische Kennzahlen, wie die Zahl der Arbeitsstunden eines Mitarbeitenden, die Anzahl der Beschäftigten oder der Zeitaufwand pro Einheit, erfasst (Corsten/Gössinger 2007, S. 143). Der Output wird z.B. über den Deckungsbeitrag (in Zeiteinheiten) pro Kunde bestimmt, so dass sich als Produktivitätskennzahl ein Deckungsbeitrag je Mitarbeitenden ermitteln lässt. Neben solchen direkt quantifizierbaren ökonomischen Maßgrößen spielen auch psychologische Input- und Outputfaktoren bei der Messung der Dienstleistungsproduktivität eine Rolle. So führt eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit, als psychologische Maßgröße für den Input, gegebenenfalls zu höheren Absatzmengen, was wiederum die Gesamtproduktivität positiv beeinflusst. Ereignisorientierte Messansätze berücksichtigen den prozessualen Charakter der Leistungserstellung. So besteht die Möglichkeit, dass nach einer erfolgreichen Verkaufsförderungsaktion einer Versicherung die Anzahl an Vertragsabschlüssen pro Versicherungsberater und somit auch die Produktivität in einer bestimmten Periode steigt. Bei den problemorientierten Messansätzen werden qualitätsrelevante Problemfelder im Rahmen der Leistungserstellung betrachtet. Das Augenmerk der Analyse liegt auf der Erhebung von Problemen, die z.B. ein Kunde mit dem Dienstleistungsanbieter hat. Die identifizierten Probleme werden anschließend bewertet, da sie in unterschiedlichem Ausmaß das zukünftige Verhalten der Kunden und somit gegebenenfalls die Produktivität beeinflussen. So werden speziell im Bereich des Beschwerdemanagements eines Unternehmens spezifische Problembereiche, wie z.B. der „schlechte Service“ in Bezug auf Unzuverlässigkeit und Unfreundlichkeit der Mitarbeitenden, identifiziert und als Grundlage weiterer Unternehmensanstrengungen genommen. Schafft es das Unternehmen, den mangelnden Service zu beheben, so wird die Fehlerquote reduziert und die Dienstleistungsproduktivität steigt. Während heuristische Verfahren lediglich Hinweise auf richtige Maßgrößen und ein erfolgreiches Suchverhalten geben, ermöglichen (quasi-)analytische Verfahren eine genauere Angabe der Maßgrößen auf Basis kalkulatorisch ermittelter Werte. Heuristische
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Verfahren verfügen über keinen mathematisch-statistischen Lösungsalgorithmus, haben im Ergebnis kein Optimum, sondern eine Näherungslösung. Hierbei handelt es sich z.B. um den prozentualen Anteil der zufriedenen Kunden als Inputfaktor der Dienstleistungsproduktivität. (Quasi-)Analytische Verfahren haben einen Lösungsalgorithmus zur Bestimmung des Optimums. So werden beispielsweise Aufwendungen von Unternehmen zur besseren Kundenansprache in Relation zu Zielgrößen im Rahmen des DEAVerfahrens optimiert. Im Rahmen der unternehmensbereichsspezifischen Messung werden die Maßgrößen zur Messung von Inputs und Outputs für eine bestimmte Abteilung ermittelt. Gewisse Aufwandspositionen teilt man entweder dem Vertrieb oder dem Marketing eines Dienstleistungsunternehmens zu. Als Leistungsgruppe wird z.B. eine bestimmte Vertriebseinheit eines Unternehmens verstanden. In der Regel werden Ziele pro Leistungsgruppe vorgegeben, die nach Ablauf einer bestimmten Frist gemessen und überprüft werden. Als solches Ziel gilt beispielsweise die Steigerung des Umsatzes, der Abverkaufsmenge oder der Produktivität selbst. Die Bestimmung der Input- und Outputgrößen bei den unterschiedlichen Formen der Messung der Dienstleistungsproduktivität erfolgt anhand interner und externer Informationsquellen. Intern wird auf das innerbetriebliche Rechnungswesen, z.B. auf Umsatzund Absatzstatistiken, Außendienstberichte, Kundendateien usw., zurückgegriffen. Extern werden Daten aus Kundenbefragungen sowie aus externen Datenbanken verwendet. Neben den Formen der Messung der Dienstleistungsproduktivität sind in der Abbildung 1 beispielhaft Maßgrößen für den Input und Output mit den jeweiligen Informationsquellen gegeben sowie Methoden zur Bestimmung der Input-Output-Relation genannt. Die Input- und Outputfaktoren, die meistens Mengen- oder Wertgrößen sind, werden hierbei in unternehmens- und kundenbezogene Maßgrößen unterteilt (vgl. ähnlich auch Böcker 1988, S.125ff.; Reinecke 2004, S. 22ff.; Corsten/Gössinger 2007, S.143).
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Input Maßgrößen
Unternehmensbezogen
Kundenbezogen
Output Informationsquellen
Maßgrößen
Informationsquellen
Aufwand für Betriebsmittel Personalaufwand Marketingaufwand Betreuungsaufwand Vertriebsaufwand
Kostenstellen -rechnungen Kostenträgerrechnungen Kostenartenrechnungen Personalstatistiken Materialstatistiken Prozesskostenrechnungen Zielkostenrechnungen
Deckungsbeitrag Absatzmengen (Netto-) Gewinn Profitabilität Bruttomarge Umsatz/ Umsatzwachstum Marktanteil/ Bekanntheitsgrad Anzahl Neuprodukte
Auswertungen Rechnungswesen Statistiken Protokolle Außendienst
Zahl der Besuche Nutzungseinheiten Anzahl Beschwerden Zahl der Arbeitsstunden pro Kunde/ Zeitaufwand pro Kunde Zahl der Mitarbeitenden pro Kunde
Kundenstatistiken Kundenbefragungen OnlineNutzerforen Elektronische Kundendateien Beschwerdemanagementsysteme Verbraucherpanel/ Handelspanel Marktfoschungsinstitute CRMSysteme Data WarehouseSystem
Gesamtanzahl an Kunden Anzahl Neukunden Anzahl Kundenberatungen Anzahl Vertragsabschlüsse Bekanntheit Kundenzufriedenheit Wiederkauf Weiterempfehlung Anzahl Kundenbeschwerden Wahrgenommene Qualität Kundenloyalität
Kundenbefragungen Kundenstatistiken OnlineNutzerforen Elektronische Kundendateien Beschwerdemanagementsysteme Verbraucherpanel/ Handelspanel Marktfoschungsinstitute CRM-Systeme Data WarehouseSystem
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Input-Output-Relation Methoden Kennzifferanalysen • Zweck/Verwendung • Entwicklung • Elementverknüpfung • Bezugsobjekt • Abgeschlossenheit • Zeitliche Dimension • IT-Unterstützung Balanced Scorecard ZVEI-System Managerial Control Concept Kostenfunktionen mittels Regressions-analysen Analytische Kostenmodelle Data Envelopment Analysis (DEA) Stochastic Frontier Analysis (SFA) • parametrisch • nicht-parametrisch Principal Component Analysis (PCA) Sequenzanalysen Dynamische Aktivitätsanalyse Wirtschaftlichkeitsrechnungen Nutzwertanalysen Veränderungsrechnungen Suchfeldanalysen
Abbildung 1: Maßgrößen, Informationsquellen und Methoden zur Messung der Dienstleistungsproduktivität (Beispiele)
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In Bezug auf die Messung der Input- und Outputgrößen sowie die Entwicklung und den Einsatz unterschiedlicher Verfahren zur Messung der Dienstleistungsproduktivität ist in den letzten Jahren ein erheblicher Forschungsaufwand zu verzeichnen. Die zahlreichen Input- und Outputgrößen, die bei der Messung der Dienstleistungsproduktivität in Betracht zu ziehen sind sowie die Vielfalt und der Zuwachs der komplexen Messverfahren verdeutlicht die wesentliche Bedeutung dieses Themas für Forschung und Praxis. Dienstleistungsunternehmen sind drei zentralen Wettbewerbsdimensionen – dem Qualitäts-, Kosten- und Zeitwettbewerb – ausgesetzt. Die besondere Schwierigkeit für Dienstleistungsunternehmen liegt darin, konfligierende Zielgrößen, wie etwa niedrige Kosten und gleichzeitig eine hohe Qualität, sicherzustellen (Bruhn 2010, S. 17). Ferner stellen diese drei Dimensionen, Qualität, Kosten und der Zeitfaktor zentrale Treiber für die Produktivität eines Unternehmens dar. So lassen sich die Produktivitätskennzahlen eines Dienstleistungsunternehmens anhand dieser drei Kategorien einteilen. Je nach Bezugsgröße handelt es sich um Qualitäts-, Kosten- und Zeitindices. Abbildung 2 zeigt Beispiele von Produktivitätskennzahlen in Anlehnung an die drei zentralen Wettbewerbsdimensionen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Kategorien der Dienstleistungsproduktivität in Anlehnung an die Erfolgskette des Dienstleistungsmarketing zu bilden. Hierbei wird zwischen Kundenaktivitäten-, Kundenzufriedenheits-, Kundenbindungs- und Kundenwertindices unterschieden. Abbildung 3 zeigt beispielhaft einige Produktivitätskennzahlen entlang der Erfolgskette auf.
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Kostenindices Qualitätsindices
Kategorien der Dienstleistungsproduktivität
Zeitindices
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Abbildung 2: Kategorien der Dienstleistungsproduktivität in Anlehnung an drei zentrale Wettbewerbsdimensionen (Beispiele)
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Kategorien der Dienstleistungsproduktivität
Kundenaktivitätenindices
Kundenzufriedenheitsindices
Kundenbindungsindices
Kundenwertindices
Abbildung 3: Kategorien der Dienstleistungsproduktivität in Anlehnung an die Erfolgskette des Dienstleistungsmarketing (Beispiele)
5.
Determinanten der Dienstleistungsproduktivität
Es gibt zahlreiche Determinanten, die den Leistungserstellungsprozess im Rahmen der Betrachtung der Produktivität von Dienstleistungen beeinflussen. Diese lassen sich in unternehmens-, produkt-, innovations-, kunden-, mitarbeiter- und prozessbezogene Determinanten unterscheiden. Eine beispielhafte Auflistung unterschiedlicher Determinanten zeigt Abbildung 4. Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Unternehmensbezogen
Produktbezogen
Innovationsbezogen
Unternehmensgröße
Leistungsprogramm
Leistungsverbesserung
Unternehmensimage/ Reputation
Qualitätsniveau
Komponentisierung
Internationalisierungsstrategie Marktstellung Kostenstruktur Vertriebsorganisation u.a.m.
Preisniveau Komplexität Attraktivität (USP) Innovationsgehalt Lebenszyklus u.a.m.
Innovationsprozess Kundenintegration Hybride Problemlösungen u.a.m.
Kundenbezogen Kundenstruktur Kundenintegration Anzahl der Kunden Heterogenität der Kundengruppen Kundenerwartung Informationsverhalten Serviceanforderungen
Mitarbeiterbezogen Anzahl Mitarbeiter Mitarbeiterqualifikation Personalmanagement/ Personalentwicklung Erwartungshaltung der Mitarbeitenden Mitarbeiterzufriedenheit u.a.m.
u.a.m.
Abbildung 4: Determinanten der Dienstleistungsproduktivität (Beispiele)
Prozessbezogen Zeitdauer des Dienstleistungserstellungsprozesses Anzahl der Beteiligten des Prozesses Umfang der Kundenintegration Grad der Interaktion Erwartungen der Prozessbeteiligten u.a.m.
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(1) Unternehmensbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Zu den unternehmensbezogenen Determinanten der Dienstleistungsproduktivität zählen firmendemografische und Branchenmerkmale. Unternehmensgröße, Marktstellung, Kostenstruktur, Kapitalausstattung, Verbreitung der Vertriebsorganisation u.a.m. sind Beispiele für Einflussfaktoren, die den Umfang und die Qualität der eingesetzten Inputfaktoren determinieren, und damit auch die Outputfaktoren – insbesondere die monetären Outputgrößen – beeinflussen. (2) Produktbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Produktbezogene Determinanten, wie z.B. Qualitätsniveau und Attraktivität der Dienstleistung, üben einen Einfluss auf die Dienstleistungsproduktivität aus. Je höher beispielsweise der USP und der Attraktivitätsgrad der Leistung eines Unternehmens, desto positiver fallen die psychologischen Wirkungen, wie Qualitätswahrnehmung oder Kundenzufriedenheit aus. Dies führt über Verhaltenswirkungen zu einem ökonomischen Output und steigert die Dienstleistungsproduktivität. Des Weiteren hat ein hohes Qualitätsniveau der Leistungen zur Folge, dass Kunden dem Unternehmen vertrauen und mit der in Anspruch genommenen Leistung zufrieden sind. Zufriedene Kunden werden dieselbe Leistung erneut nachfragen und durch den Kauf zur Steigerung der Produktivität beitragen. (3) Innovationsbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Serviceinnovationen stellen einen wesentlichen Ansatzpunkt zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität dar (Grönroos/Ojasalo 2004). Die Steigerung der Produktivität kann durch neue Dienstleistungen mit reduziertem Einsatz an Inputfaktoren, durch neue Dienstleistungen mit stärkerer Kundenbeteiligung und durch neue Dienstleistungen mit höherer Qualität und/oder Quantität erzielt werden. Eine neue Leistungsinnovation, die sich an die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden anlehnt, diese sogar in den Leistungserstellungsprozess integriert, stößt bei Kunden auf sehr großes Interesse. Die Leistungen werden entsprechend vermehrt nachgefragt und steigern somit die Produktivität eines Unternehmens. Der Beitrag von Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias gibt einen Überblick über das Thema der Dienstleistungsinnovation in Forschung und Praxis. Dazu werden die zentralen Besonderheiten und Typen von Dienstleistungsinnovationen intensiv diskutiert, die sich vor allem durch die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen und Dienstleistungsinnovationen ergeben. Darüber hinaus werden die Entwicklung und die verschiedenen Strömungen der Dienstleistungsinnovationsforschung aufgezeigt und Perspektiven für Forschung und Unternehmenspraxis entwickelt. Dabei stellt insbesondere die Kundennähe und die damit verbundene Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen im Dienstleistungsinnovationsprozess eine erfolgsversprechende Perspektive dar.
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Die Autoren Martin Böttcher und Stephan Klingner thematisieren die Komponentisierung als Ansatz zur Reduktion der Komplexität von Dienstleistungsangeboten und zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität. Komponentisierung bedeutet die Zerlegung von Dienstleistungsangeboten in Standardkomponenten, die sich kundenindividuell zu Gesamtdienstleistungen zusammensetzen lassen. Dies ermöglicht eine Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch eine erhöhte Übersichtlichkeit des Dienstleistungsportfolios, die Reduktion des Entwicklungsaufwandes aufgrund der Wiederverwendbarkeit der Dienstleistungskomponenten, die Verbesserung der Angebotserstellung für Kunden sowie eine präzisere Betrachtung der Produktivitätskennzahlen von Dienstleistungen. Der Beitrag stellt eine Methode zur adäquaten Strukturierung von Dienstleistungskomponenten und zur Definition von Produktivitätskennzahlen für einzelne sowie zusammengesetzte Komponenten vor. Gustav Bergmann und Jürgen Daub Produktivität befassen sich in ihrem Beitrag mit der Sinn und Zweck der Betrachtung der Produktivität von Dienstleistungen. Auf Basis der kritischen Betrachtung des Produktivitätsbegriffs sowie der Rationalität und Wirkungen der Automation wird ein Modell der auf Partizipation, Mitwirkung und Selbstorganisation beruhenden Dienstleistung skizziert. Im Beitrag von Christian Homburg und Christina Kühnl untersuchen, inwiefern lineare oder nichtlineare Beziehungen zwischen einer Einflussgröße und dem Innovationserfolg in einem Produkt- versus Dienstleistungskontext liegen könnte. Dabei stützt sich diese Untersuchung auf die Annahme, dass die jeweiligen Besonderheiten der Innovationsprozesse von Dienstleistungen und Produkten Einfluss auf die potenzielle Dominanz von Implementierungskosten über dem Nutzen, der mit einem Erfolgsfaktor einhergeht, ausüben. Die Autoren Moritz Mink und Dominik Georgi greifen die aktuellen Entwicklungen im Bereich Web 2.0/Social Media auf und behandeln das Thema der Auswirkungen von elektronischen Interaktionen (e-Customer-to-Customer-Interaktion) auf die Dienstleistungsproduktivität. Hierzu werden die Besonderheiten von elektronischen Interaktionen diskutiert Einflussmöglichkeiten von e-Customer-to-Customer-Interaktionen auf der Input- sowie Outputseite der Dienstleistungsproduktivität diskutiert werden. Axel Averdung und Thorsten Teichert erarbeiten neuartige Gestaltungsansätze für das innovationsorientierte Management integrierter Kommunikationsagenturen aus der Perspektive einer kreativen Exzellenz- und Dienstleistungsproduktivität. Dabei stehen die kundenorientierten Gestaltung eines kurzfristigen operativen Effizienz- und Effektivitätsbewusstseins zwischen kreativen und betriebswirtschaftlich orientierten Mitarbeitern sowie die langfristige, strategische Kompetenzbildung zur Optimierung innovativer Services im Agenturgeschäft im Zentrum der Diskussion. Der Beitrag von Christian Urhahn, Melanie Kramp und Klaus J. Zink stellt konzeptionelle Überlegungen zur Übertragung des Produktivitätskonzeptes auf den Bereich hybrider Problemlösungen vor. Dabei bilden die für die Produktivitätsermittlung relevanten Charakteristika hybrider Problemlösungen Ansatzpunkte zur Produktivitätsdefinition und -ermittlung. Diese stellen die Basis für die Entwicklung eines Produktivitätskonzeptes dar, das den spezifischen Anforderungen im Zusammenhang mit hybriden Problemlösungen Rechnung trägt.
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(4) Kundenbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität In den Dienstleistungserstellungsprozess sind neben den Mitarbeitenden eines Unternehmens auch immer Kunden teilweise oder ganz zu integrieren (Engelhardt et al. 1993; Kleinaltenkamp 1997a, 2005; Meffert/Bruhn 2006). Vielfach spricht man hierbei von einem Perspektivenwechsel von der Anbieter- zur Nachfragerperspektive. Die Effizienz bzw. die Produktivität von Dienstleistungen wird dabei maßgeblich von Kunden beeinflusst. Kunden bringen gewisse Inputs (Beiträge) bzw. Leistungen in unterschiedlicher Art und Weise in den Dienstleistungsprozess ein. Diese Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess bringt neue Herausforderungen mit sich, da der Kunde Zeitund Kostenparameter verändert und somit die Kalkulation, Planung und Effizienz- bzw. Produktivitätsmessung besonders erschwert (Bruhn 2009). Den im Rahmen der Serviceerstellung empfundenen Aufwand seitens der Kunden bestimmen nicht die Serviceeigenschaften alleine, sondern vielmehr deren kundenseitige Auswirkungen, z.B. die für die Teilnahme an der Serviceerstellung aufgebrachte Zeit und Mühe (Berry et al. 2002). Auch die Bewertung des Outputs einer Dienstleistung hängt zum einen von den konkreten Eigenschaften einer Dienstleistung ab. Zum anderen spielen aber auch hier für den Wert einer Serviceleistung und zur Ermittlung der Dienstleistungsproduktivität nicht die Serviceeigenschaften selbst, sondern vielmehr deren kundenseitige Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Zu den kundenbezogenen Determinanten der Dienstleistungsproduktivität zählen u.a. die Kundenstruktur, die Möglichkeit der Kundenintegration sowie die Kundenmacht. Steigt beispielsweise die Integration der Kunden in den Leistungserstellungsprozess, ist von einer Erhöhung der Kontaktpunkte zwischen Mitarbeitenden und Kunden auszugehen, wodurch vermehrt steuernde Prozessinformationen fließen. Durch eine gesteigerte informatorische Mitwirkung nimmt die Individualität der Leistung zu. Die höhere Kundenintegration und Individualität gehen mit Konsequenzen für die Dienstleistungsproduktivität einher. (5) Mitarbeiterbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Im Hinblick auf die mitarbeiterbezogenen Einflussgrößen der Dienstleistungsproduktivität sind die Gestaltung von Arbeitsplätzen (z.B. Arbeitsinhalt und Ausstattung des Arbeitsplatzes), des Arbeitsumfeldes (z.B. arbeitsförderndes Teamverhalten) sowie des Entlohnungssystems von großer Bedeutung. Darüber hinaus spielen auch die Qualifikation, das Know-how sowie die Erwartungshaltung der Mitarbeitenden eine zentrale Rolle. So führt z.B. ein umfangreiches fach- und leistungsspezifisches Know-how der Mitarbeitenden zu einer höheren Flexibilität und Professionalität im Umgang mit Kunden und dementsprechend zu einer steigenden Dienstleistungsproduktivität. Die Mitarbeiterperspektive der Dienstleistungsproduktivität wird in den Beiträgen des dritten Teils von Band 2 der beiden Sammelbände erörtert. Hier zeigen die Autoren
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Problemstellungen und Lösungsansätze zur Sicherstellung der mitarbeiterbezogenen Dienstleistungsproduktivität auf. Der Beitrag von Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg setzt sich mit personalen und organisationalen Aspekten der Dienstleistungsproduktivität auseinander. Im Fokus steht dabei die Vorgehensweise zur partizipativen Definition und Gestaltung (Optimierung) der Dienstleistungsproduktivität. Die Systemanalyse- und Planungsphase umfasst die Ermittlung der relevanten Systemgrößen, der Beziehungsdynamik der beteiligten Personen(-Gruppen) und der gesamten Systemdynamik. Im Rahmen der zweiten Phase wird ein geleiteter betrieblicher Reflexionsprozess zur Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität durchlaufen. Die Autoren Marion Büttgen und Julian Volz untersuchen Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen auf die Produktivität im Finanzdienstleistungsbereich. Es wird eine theoretisch fundierte Analyse potenzieller Rollenkonflikte von Anlageberatern vorgenommen, deren Auswirkungen auf die Produktivität offengelegt und managementseitige Möglichkeiten einer positiven Einflussnahme auf die vorhandenen Rollenkonflikte und deren Produktivitätswirkungen aufgezeigt. Matthias H. J. Gouthier und Walter Ganz befassen sich mit der Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals. Arbeitsemotionen werden dabei aus der intrapersonellen und der interpersonellen Perspektive betrachtet. Es wird ein Modell entwickelt, das die Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals abbildet. Darüber hinaus werden Ansatzpunkte zur Messung von Emotionalität des Servicepersonals und zum Management einer emotional geprägten Arbeitsproduktivität des Servicepersonals aufgezeigt. Der Beitrag von Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel setzt sich mit der Fragestellung der Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch Behavioral Branding auseinander. Dazu werden zum einen Möglichkeiten der Zielformulierung, Operationalisierung und Analyse von Brand Behavior dargestellt. Zum anderen werden insbesondere Führung, Storytelling und Werbung als Instrumente zur Förderung von Brand Behavior erläutert. Die Autoren Nadine Blinn, Markus Nüttgens, Michael Schlicker, Oliver Thomas und Michael Fellmann zeigen einen gestaltungsorientierten Ansatz auf, um anhand von ITgestütztem Mitarbeiterempowerment die Produktivität von technischen Kundendienstleistungen zu steigern. Der Lösungsansatz trägt dazu bei, die Produktivität von technischen Kundendienstleistungen zu bewerten und durch ein IT-Artefakt positiv zu steuern und zu optimieren. Sönke Duckwitz, Sven Tackenberg und Christopher M. Schlick befassen sich in ihrem Beitrag mit der simulationsgestützten Bewertung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleistungsprozessen. Dabei wird auf Erkenntnisse und Methoden des Projektmanagements zurückgegriffen und ein integratives Simulationsmodell zur Beurteilung und Optimierung der Produktivität komplexer, schwach strukturierter Dienstleistungsprozesse entwickelt und anhand einer Simulationsstudie diskutiert.
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Der Beitrag von Volker Nissen und Maik Günther beschäftigt sich mit der Steigerung der Mitarbeiterproduktivität durch die automatische Erstellung von Arbeitszeitmodellen in Verbindung mit der Personaleinsatzplanung am Beispiel des Handels. Es werden Heuristiken entwickelt und empirisch verglichen, die untertägige Arbeitsplatzwechsel einbeziehen und auf starre Schichtmodelle verzichten, ohne die von der Planung betroffenen Mitarbeitenden unangemessen zu belasten. (6) Prozessbezogene Determinanten der Dienstleistungsproduktivität Generell herrscht bei Dienstleistungsunternehmen eine erschwerte Transparenz und Standardisierbarkeit von Dienstleistungsprozessen im Vergleich zu Fertigungsprozessen im Sachgüterbereich vor. Dennoch wird ersichtlich, dass es in Dienstleistungsunternehmen mit repetitiven Prozessen bei Ansätzen zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität des Öfteren zu einer Anlehnung an Erfahrungen aus gewissen Fertigungsbereichen kommt. Wie bereits erwähnt, sind auch im Rahmen der Prozessbetrachtung die charakteristischen Merkmale von Dienstleistungen entscheidend. Die zu erreichende Effizienz wird bei Dienstleistungsprozessen beispielsweise dadurch erschwert, dass Dienstleistungen als Ergebnis des Leistungserstellungsprozesses weitgehend immateriell sind und sich am externen Faktor konkretisieren. Infolgedessen ergeben sich Probleme der eindeutigen Zuordnung von Input zu Output sowie der Identifikation von Zeit-, Kosten- und Werttreibern. Ferner unterliegen Kunden eines Dienstleistungsunternehmens im Gegensatz zu anderen Ressourcen wie Mitarbeitenden und IT-Systemen nicht der Kontrolle des Unternehmens. Zwar kann für einen Dienstleistungsprozess geplant werden, wann und wie Kunden integriert sind, aber Kunden verhalten sich nicht immer wie geplant. Daraus folgend kann die Kundenintegration zu operativen Problemen führen. Es kommt unter Umständen zu unerwartet auftretenden Abweichungen von der geplanten Leistungserstellung (z.B. Wartezeiten), durch die die Produktivität verringert wird (Heckl/Moormann 2010). Ansätze und Maßnahmen zur Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität umfassen den gesamten Prozess, in den unterschiedliche benachbarte Bereiche oder Abteilungen des Dienstleistungsunternehmens fallen, je nach Abhängigkeit notwendiger Absatzund Beschaffungsaktivitäten. Insofern ist es wichtig, sämtliche Prozesskontaktpunkte bei der Ermittlung der Dienstleistungsproduktivität mit zu berücksichtigen sowie eine Transparenz über den Prozessablauf und die Prozessstruktur zu schaffen (Zeithaml/Bitner 2000, S. 207).
6.
Stand der Forschung
In ihrer Gesamtheit bieten die Beiträge der beiden Sammelbände einen umfassenden Überblick über das facettenreiche Themenspektrum der Dienstleistungsproduktivität in
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Unternehmen. Die Beiträge behandeln wichtige praktische Problemstellungen, geben einen guten Überblick über den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion und werfen weitere Forschungsdefizite auf. Das Themenfeld der Produktivität ist generell gekennzeichnet durch eine große Methodenvielfalt zur Produktivitätsoptimierung und -steuerung. Viele Methoden zur Bestimmung der Produktivität in der Sachgüterindustrie finden mittlerweile Anwendung in der Dienstleistungsbranche. Auch haben sich viele neue Methoden zur Messung der Dienstleistungsproduktivität, wie z.B. die DEA und die Sequenzanalyse herausgebildet, die sowohl in der Forschung als auch in der Praxis vermehrt eingesetzt werden. Betrachtet man den zukünftigen Forschungsbedarf im Rahmen der Dienstleistungsproduktivität, dann werden im Folgenden einige ausgewählte Aspekte zusammenfassend hervorgehoben. Sie beziehen sich auf theoretisch-konzeptionelle sowie methodischempirische Fragestellungen. Der theoretisch-konzeptionelle Forschungsbedarf bezieht sich z.B. auf folgende Themenbereiche:
Teilweise werden im Kontext von Dienstleistungsaktivitäten stark vereinfachte Kennzahlen- und Steuerungssysteme zur Messung der Dienstleistungsproduktivität eingesetzt. Die wesentliche Herausforderung an eine Bestimmung der Dienstleistungsproduktivität liegt in der Verfolgung eines ganzheitlichen Ansatzes, der die Komplexität des Leistungserstellungsprozesses in den Mess- und Steuerungsinstrumenten möglichst genau abbildet. Die Zukunft bei der Messung der Dienstleistungsproduktivität liegt bei Konzepten, die die Interaktivität bei Dienstleistungen stärker fokussieren. Hier besteht generell Forschungsbedarf. Zum Beispiel ist immer noch wenig darüber bekannt, welche Einflussgrößen im Verlauf der Kundeninteraktion als wertschöpfend zu betrachten sind. Des Weiteren existieren Wissensdefizite in Bezug auf die Entwicklung von Kundenbeziehungen im Verlauf des Lebenszyklus einer Dienstleistung. Hinsichtlich der Übertragung von Modellen und konzeptionell erarbeiteten Zusammenhängen aus dem Sachgüterbereich auf den Dienstleistungsbereich besteht genereller Forschungsbedarf. Einen „One Best Way“ zur Messung und Bewertung der Dienstleistungsproduktivität gibt es offensichtlich nicht. Zielführend ist es daher, durch tiefgreifende Einzeluntersuchungen und Clusterbildungen ähnlich gelagerter Branchen und Unternehmen ein besseres Verständnis über die Produktivität in Dienstleistungsunternehmen zu erhalten, um dann unternehmens- oder branchenspezifische Lösungen zu entwickeln. Die Übertragbarkeit von bereits bestehenden Erkenntnissen und Konzepten zur Dienstleistungsproduktivität aus einer bestimmten Dienstleistungsbranche ist dann auf weitere Branchen hin zu untersuchen. Insgesamt besteht offensichtlich auch bei der Ermittlung der Produktivität in Dienstleistungsunternehmen selbst erheblicher Forschungsbedarf. Hier gilt es, die Zusammenhänge, die aus der Produktionstheorie kommen, noch deutlicher auf Dienstleistungsunternehmen zu beziehen.
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Darüber hinaus ist ein methodisch-empirischer Forschungsbedarf zu konstatieren. Hier seien einige Aspekte hervorgehoben:
In der derzeitigen Form stoßen Methoden zur Messung von Input-Output-Relationen (Produktivitätskennziffern), die im Sachgüterbereich bereits hohen Anklang finden, an ihre Grenzen im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeit im Dienstleistungsbereich. Spezifische Anpassungen der bestehenden Methoden, insbesondere an die konstitutiven Merkmale einer Dienstleistung, bleiben weiterhin erforderlich. Es scheint ebenfalls wünschenswert, dass neue Methoden zur Messung der Produktivität, wie z.B. die DEA, die Sequenzanalyse und die dynamische Aktivitätsanalyse, an das Themenfeld der Dienstleistungsproduktivität angepasst werden. Neben den bereits bekannten Methoden zur Messung der Dienstleistungsproduktivität sind weitere Methoden aus der empirischen und interdisziplinären Forschung zu prüfen. Bezogen auf diverse Wirkungsbeziehungen zwischen psychologischen und ökonomischen Größen im Hinblick auf die Dienstleistungsproduktivität ist es zweckmäßig, sich in den zukünftigen empirischen Studien stärker an der Erfolgskette als gesamthaften Ansatz zur Erfassung sämtlicher Wirkungsbeziehungen zu orientieren. Aus methodischer Hinsicht sind teilweise größere Stichproben anzustreben sowie weitere branchenübergreifende Studien durchzuführen. Eine Entwicklung praktikabler Messverfahren zur Dienstleistungsproduktivität auf weitergehende ökonomische Effekte, wie z.B. auf das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotenzial, ist wünschenswert.
Trotz oder gerade wegen des weiteren Forschungsbedarfs lässt sich konstatieren, dass das Themenfeld der Dienstleistungsproduktivität wichtige Impulse für Forschung und Praxis liefert. Insbesondere für das genauere Verständnis, welche Einflussfaktoren die Dienstleistungsproduktivität wie verändern und über welches Verfahren diese am besten zu messen ist. Letztlich handelt es sich auch bei der Dienstleistungsproduktivität vielfach „nur“ um eine Kennzahl. Entscheidend ist, was das Management eines Dienstleistungsunternehmens mit der Kennzahl „Dienstleistungsproduktivität“ anfängt und im Unternehmen kommuniziert.
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Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias
Dienstleistungsinnovationen – Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven
1. Dienstleistungsinnovationen: Bedeutung und Herausforderungen 2. Besonderheiten und Typen von Dienstleistungsinnovationen 2.1 Besonderheiten von Dienstleistungsinnovationen 2.2 Typologien von Dienstleistungsinnovationen 2.3 Typologien von Dienstleistungen 2.4 Typologien des Innovationsverhaltens von Dienstleistungsunternehmen 2.5 Zwischenfazit 3. Entwicklung und Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung 3.1 Entwicklung der Dienstleistungsinnovationsforschung 3.2 Strömungen der Dienstleistungsinnovationsforschung 3.3 Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung 4. Zusammenfassung Literaturverzeichnis ___________________________ Univ.-Prof. Dr. Ruth Stock-Homburg ist Leiterin des Lehrstuhls Marketing & Personalmanagement an der Technischen Universität Darmstadt. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Sebastian Dreher und Dipl.-Wirtsch.-Ing. Nicolas Zacharias sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Dienstleistungsinnovationen: Bedeutung und Herausforderungen
Innovationen sind im Ringen um Wettbewerbsvorteile besonders in übersättigten Märkten von zentraler Bedeutung (Gebauer et al. 2005). Innovative Sachgüter und Dienstleistungen stellen ein geeignetes Mittel dar, um aktuelle Kunden zu binden und potenzielle Kunden zu gewinnen (Stock 2010). Durch Innovationen können sich Unternehmen in Zeiten turbulenter Umweltveränderungen den wechselnden Bedürfnissen von Kunden anpassen. Sie ermöglichen es darüber hinaus, die Qualität von physischen Produkten und Dienstleistungen zu erhöhen, Kosten zu senken und neue Märkte zu eröffnen (Hauser et al. 2006). In Anbetracht dieser Potenziale geben Unternehmen beachtliche Summen aus, um innovative Sachgüter und Dienstleistungen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Allein in Deutschland betrugen im Jahre 2009 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) durch Unternehmen 57,4 Mrd. Euro (IW 2010). Insbesondere Dienstleistungsinnovationen ermöglichen es, den bestehenden Wettbewerb radikal zu verändern, konkurrierende Angebote zu verdrängen und gänzlich neue Geschäftsmodelle einzuführen (Hauser et al. 2006; Johne/Storey 1998). Beispiele für solche radikalen Marktveränderungen stellen das Outsourcen von Unternehmensfunktionen oder der Aufbau von Online-basierten Verkaufskanälen dar. Innovationen in Dienstleistungsunternehmen sind von entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung. In der Regel werden weit über 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in entwickelten Ländern durch Dienstleistungen erbracht (Stevens/Dimitriadis 2004). Dienstleistungsinnovationen bieten nicht nur für Dienstleistungsunternehmen, sondern auch für verarbeitende Unternehmen die Möglichkeit, Wettbewerbsvorteile zu generieren (Shelton 2009). Zum einem nehmen verarbeitende Unternehmen in großem Umfang Dienstleistungen in Anspruch; zum anderen ergänzen immer mehr verarbeitende Unternehmen ihr Angebot durch produktbegleitende Dienstleistungen, wie Wartung oder Reparatur, die sich in der Regel durch eine wesentlich höhere Profitabilität als die entsprechenden Basisprodukte auszeichnen (Burr 2007, S. 84). Innovationen in diesem Bereich ermöglichen es verarbeitenden Unternehmen, Kunden einen Zusatznutzen anzubieten und dadurch stärkere Kundenbeziehungen aufzubauen (Gebauer et al. 2005; Johne/Storey 1998). Durch den engen Kontakt mit Kunden können wechselnde Bedürfnisse frühzeitig erkannt und langfristige Beziehungen aufgebaut werden (Edvardsson et al. 2007). Zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis, wie IBM, Hewlett-Packard oder General Electric, zeigen, dass eine stärkere Orientierung an Dienstleistungen häufig eine gewinnbringende Neuausrichtung für verarbeitende Unternehmen darstellt. Aus diesen Gründen sind Dienstleistungsinnovationen nicht nur auf Dienstleistungsunternehmen limitiert, sondern bieten hervorragende Perspektiven für alle Arten von Unternehmen.
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Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias
Trotz der Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen ist die Entwicklung neuer Dienstleistungen in Unternehmen vergleichsweise schlecht institutionalisiert (de Jong/Vermeulen 2003; Tether 2005). Nur etwa 15 Prozent der Dienstleistungsunternehmen in Deutschland weisen eigene Abteilungen für Forschung und Entwicklung von neuen Dienstleistungen auf (Hipp/Verworn 2007). F&E-Budgets in Dienstleistungsunternehmen sind im Vergleich zu Industriegüterunternehmen verschwindend gering (Brouwer/Kleinknecht 1997). Methodisches Know-how zur Entwicklung neuer Dienstleistungen ist kaum vorhanden oder wird selten zielgerichtet eingesetzt (Froehle et al. 2000). Aus diesen Gründen fällt es vielen Anbietern von Dienstleistungen schwer, effektiv zu innovieren (de Jong/Vermeulen 2003; Gebauer et al. 2005); Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sind bis dato vergleichsweise schlecht auf das systematische Generieren von Dienstleistungsinnovationen vorbereitet. Vergleichbares trifft auch für die Erforschung von Dienstleistungsinnovationen zu. Während die Innovationsforschung im Allgemeinen als eines der am häufigsten untersuchten Gebiete innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung gilt (Walker 2005), ist das Feld der Dienstleistungsinnovationen nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung bislang nur unzureichend abgedeckt (Droege et al. 2009; Johne/Storey 1998; Page/Schirr 2008). In einer umfassenden Meta-Analyse der wissenschaftlichen Literatur im Bereich Innovationsmanagement stellen Page und Schirr die „insufficient study of service innovation“ (2008, S. 233) fest. Trotz des erfreulichen prozentualen Zuwachses der Literatur zu Dienstleistungsinnovationen ist die absolute Anzahl an veröffentlichen Artikeln vergleichsweise gering. Eine systematische Analyse von Dienstleistungsinnovationen und den zugehörigen Prozessen existiert bisher höchstens im Finanzdienstleistungsbereich (Akamavi 2005; de Jong/Vermeulen 2003), der jedoch nur ein kleines Gebiet des vielfältigen Dienstleistungsspektrums abdeckt. Es bleibt festzuhalten, dass Dienstleistungsinnovationen national wie international bisher vergleichsweise wenig erforscht sind. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen lässt sich daraus ein akuter Handlungsbedarf für Forscher und Praktiker gleichermaßen ableiten. Trotz der aufgezeigten Herausforderungen sind Dienstleistungsinnovationen kein „hoffnungsloser Fall“; im Gegenteil zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, dass die aufgezeigten Probleme adressierbar sind und große Chancen für Wissenschaft und Unternehmenspraxis bieten. In verschiedenen Ländern sind staatlich gestützte Initiativen ins Leben gerufen worden, um Dienstleistungsinnovationen besser zu erforschen und zu verstehen. Zu diesen Ländern gehört neben Frankreich, Kanada und Großbritannien auch Deutschland (Bryson/Monnoyer 2004; Reichwald 2008). Die steigende Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen unterstreicht, dass Dienstleistungsinnovationen immer stärker an Aufmerksamkeit gewinnen (Droege et al. 2009). Mit diesem Beitrag tragen wir auf vielfältige Weise zu einer intensiveren Erforschung auf dem Gebiet der Dienstleistungsinnovationen bei. Als Grundvoraussetzung für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema in Forschung und Unternehmenspraxis wurden in diesem Abschnitt die Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen und damit verbundene Herausforderungen erläutert. In Abschnitt 2 schaffen wir ein Verständnis für
Dienstleistungsinnovationen – Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven
39
die zentralen Besonderheiten und Typen von Dienstleistungsinnovationen, die sich vor allem durch die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen und Dienstleistungsinnovationen ergeben. Zuletzt beschreiben wir in Abschnitt 3 die Entwicklung sowie die verschiedenen Strömungen der Dienstleistungsinnovationsforschung und zeigen Perspektiven für Forschung und Unternehmenspraxis auf.
2.
Besonderheiten und Typen von Dienstleistungsinnovationen
Im Vergleich zum Gebiet der physischen Produktinnovationen hat sich für den Begriff der Dienstleistungsinnovationen noch keine allgemein gültige Definition durchgesetzt. Häufig wird zur Herleitung auf eine Kombination der Definitionen von Innovationen im Allgemeinen und von Dienstleistungen zurückgegriffen. Dienstleistungsinnovationen werden dann beispielsweise definiert als die erstmalige Umsetzung einer neuartigen Dienstleistungsidee am Markt. Diese Definition deckt jedoch nur einen Teilaspekt des Phänomens ab (Burr 2007), da Dienstleistungen insbesondere durch ihren Prozesscharakter und die enge Zusammenarbeit mit dem Kunden zahlreiche einzigartige Merkmale aufweisen (Johne/Storey 1998). Neben der systematischen und zielgerichteten Einführung von neuen Dienstleistungen (Dienstleistungsinnovation im Sinne von Produktinnovation) gelten eine Reihe von weiteren Veränderungen als Dienstleistungsinnovationen (Avlonitis et al. 2001). Beispielsweise gehören hierzu organisatorische Veränderungen des Dienstleistungserstellungsprozesses oder der zur Dienstleistungserstellung eingesetzten Produktionsfaktoren. Um ein besseres Verständnis für die verschiedenen Typen von Dienstleistungsinnovationen zu vermitteln, gehen wir im folgenden Abschnitt auf die Besonderheiten von Dienstleistungsinnovationen ein.
2.1 Besonderheiten von Dienstleistungsinnovationen Als zentrale Besonderheit von Dienstleistungen wird insbesondere ihre Intangibilität angeführt (Nijssen et al. 2006). Dienstleistungen können weder angefasst noch materialisiert werden, weshalb sie zwar nicht gelagert, jedoch vergleichsweise einfach verändert werden können. Weiterhin erfordert die Erstellung von Dienstleistungen zwingend die Einbeziehung der Kunden bzw. eines externen Faktors, was die Untrennbarkeit von Leistungserstellung und –konsum zur Folge hat. Da Umweltfaktoren, spezifische Kundenbedürfnisse sowie die Verschiedenartigkeit des Kundenkontaktpersonals zu unterschiedlichen Dienstleistungserlebnissen führen, können Dienstleistungen als hochgradig heterogen bezeichnet werden. Neben den Auswirkungen dieser Eigenschaften auf das Dienstleistungsmarketing im Allgemeinen (Meffert/Bruhn 2009), werden in der Literatur auch verschiedene Auswir-
40
Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias
kungen dieser Merkmale auf Dienstleistungsinnovationen unterstellt. Zu diesen gehören insbesondere
unzureichende Planbarkeit, schwierige Testbarkeit, mangelnder Patentschutz, hohe Bedeutung der Kundenorientierung und inkrementeller Innovationsgrad.
Unzureichende Planbarkeit: Dienstleistungsinnovationen entstehen häufig als Produkt des Zufalls und nicht als Ergebnis eines geplanten und zielgerichteten Prozesses. In der Literatur ist die Bedeutung dieser Zufälligkeit in Form von so genannten „Ad-HocInnovationen“ umstritten (Drejer 2004; Droege et al. 2009; Flikkema et al. 2007). Aufgrund einer Reihe von Erkenntnissen kann davon ausgegangen werden, dass sich ein zielgerichteter Prozess grundsätzlich positiv auf die Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen auswirkt (de Brentani/Ragot 1996; Griffin 1997; Nijssen et al. 2006). Dies gilt vor allem für Dienstleistungen, die einen engen Bezug zu Technologien haben, wie z.B. in der Computerindustrie. Der Entwicklungsprozess von Dienstleistungen gilt dabei im Vergleich zu Produkten als kürzer, komplexer und iterativer (Akamavi 2005; Johne/Storey 1998). Schwierige Testbarkeit: Die Intangibilität von Dienstleistungen erschwert im Allgemeinen sowohl die Erstellung einer umfassenden Konzeptbeschreibung als auch die Erstellung von Prototypen, wodurch die Vorteile von Dienstleistungsinnovationen in der Konzeptphase kaum zu vermitteln, respektive zu testen sind (Johne/Storey 1998). Dennoch existieren vielversprechende neuere Ansätze, wie z.B. die Einrichtung von „Innovation Labs“ oder der Einsatz der virtuellen Realität (Reichwald 2008). Innovation Labs können beispielsweise ausgewählte Filialen einer Bank sein, in denen Dienstleistungsinnovationen in realen Situationen getestet werden. Weiterhin ermöglicht die Anwendung der virtuellen Realität den Entwicklern, sich immer besser in die Rolle des Kunden zu versetzen und neuartige Umgebungen zu simulieren. Mangelnder Patentschutz: Aufgrund der Intangibilität und Heterogenität von Dienstleistungen sind Dienstleistungsinnovationen nur schwer zu spezifizieren und somit kaum durch Patente zu schützen (Amara et al. 2008; Mendonça et al. 2004). Eine häufige Argumentation lautet, dass ein fehlender Patentschutz Unternehmen davon abhält, in Dienstleistungsinnovationen zu investieren, da diese keine nachhaltigen Wettbewerbsvorteile lieferten. Dabei existieren durchaus andere Möglichkeiten für Unternehmen, Dienstleistungsinnovationen zu schützen (Amara et al. 2008). Besonders vielversprechend ist der Aufbau von starken Marken, unter denen die Innovationen in den Markt eingeführt werden. Von dieser Möglichkeit machen beispielsweise zahlreiche Unternehmensberatungen Gebrauch. Weiterhin können insbesondere im Bereich der wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen Geheimhaltungserklärungen in der Form vereinbart werden, dass Wettbewerber keine Details der Dienstleistungserbringung einsehen dürfen. Die Kopie von Dienstleistungen kann zusätzlich durch komplex gestaltete Angebote erschwert werden, z.B. durch eine Verknüpfung von Wartungs- und Beratungsver-
Dienstleistungsinnovationen – Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven
41
trägen (Amara et al. 2008). Ebenfalls nur schwer zu kopieren sind Dienstleistungsinnovationen, die größere organisatorische Veränderungen auf Seiten des Anbieters erfordern (Sundbo 1997). Im Vergleich zu physischen Produkten hängt die Sicherstellung einer hohen Qualität nicht nur von im Entwicklungsprozess festgelegten Inhalten und den Charakteristika der entsprechenden Dienstleistungen ab (die relativ leicht zu kopieren sind), sondern wird vor allem von überlegenen Prozessen, Know-how und qualifizierten Mitarbeitenden beeinflusst. Darüber hinaus sollten marktbezogene Faktoren, wie z.B. die Reputation in einem entsprechenden Kundenstamm, für den Erfolg von Dienstleistungsinnovationen nicht unterschätzt werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Dienstleistungsinnovationen trotz eines mangelnden Patentschutzes über ein hohes Potenzial verfügen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, auch wenn das Kopieren von Dienstleistungen als eine der wichtigsten Quellen für neue Dienstleistungen gilt (Johne/Storey 1998). Hohe Bedeutung der Kundenorientierung: Aufgrund der schwierigen Testbarkeit von neuen Dienstleistungen sind Informationen des Kundenkontaktpersonals aus realen Dienstleistungssituationen von besonderer Bedeutung (de Jong/Vermeulen 2003; Stock 2010). Durch die ständige Einbeziehung des Kunden in den Dienstleistungsprozess spielt der Kunde eine größere Rolle für die Generierung von Dienstleistungsinnovationen als dies im Sachgüterbereich der Fall ist (de Jong/Vermeulen 2003; Edvardsson et al. 2007; widersprüchlich Martin/Horne 1993). Da Dienstleistungsinnovationen nicht nur von neuen Technologien abhängen, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass Forschungs- und Entwicklungsausgaben einen geringeren Einfluss haben als bei physischen Produktinnovationen (Hollenstein 2003; Tether 2005; widersprüchlich Nijssen et al. 2006). Vielmehr ist eine hohe Kundenorientierung ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Fähigkeit zur Dienstleistungsinnovation (Gebauer et al. 2005; Richter/Thiele 2007; Tether 2005). Daher kommt den Mitarbeitenden und deren Ausbildung eine tragende Rolle für den Erfolg von Dienstleistungsinnovationen zu (Atuahene-Gima 1996; Pires et al. 2008). Während ein hohes Maß an Innovativität Kunden teilweise verunsichert und daher bei Sachgütern schädlich sein kann, besteht bei Dienstleistungen die Möglichkeit, die Verunsicherung durch persönlichen Kundenkontakt zu kompensieren (Stock 2010). Abbildung 1 zeigt die unterschiedlichen Effekte des Grades der Innovativität von Sachgütern und Dienstleistungen auf die Kundenzufriedenheit.
Kundenzufriedenheit
Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias
Kundenzufriedenheit
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Innovativität von Sachgütern
Innovativität von Dienstleistungen
Abbildung 1: Effekte des Grades der Innovativität von Sachgütern und Dienstleistungen auf die Kundenzufriedenheit (Quelle: in Anlehnung an Stock 2010) Inkrementeller Innovationsgrad: Zahlreiche Dienstleistungen können im Vergleich zu Sachgütern mit weniger Aufwand verändert werden, weshalb Dienstleistungsinnovationen eher inkrementeller Natur sind (Hipp/Grupp 2005). Die seltenen radikalen Dienstleistungsinnovationen hingegen werden häufig erst durch die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien möglich (Menor et al. 2002). Beispielweise nutzt die Dienstleistungsinnovation Ebay eine Softwareplattform im Internet, um Versteigerungen abzuwickeln.
2.2 Typologien von Dienstleistungsinnovationen Durch die Besonderheiten von Dienstleistungen, insbesondere deren Prozesscharakter, ergeben sich verschiedene Typen von Dienstleistungsinnovationen. Eine wichtige Typologie unterscheidet nach dem Grad der Neuartigkeit zwischen inkrementellen und radikalen Dienstleistungsinnovationen. Eine differenzierte Unterteilung dieser beiden Extreme zeigt Abbildung 2 (Menor et al. 2002).
Dienstleistungsinnovationen – Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven
Neuartigkeit der Dienstleistung
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Beschreibung
Radikale Innovationen New to the World
Neue Dienstleistungen für bislang nicht erschlossene Märkte; Innovationen basieren üblicherweise auf Informations- und Kommunikationstechnologien.
New to the Market
Transfer von Dienstleistungen in einen Markt in dem diese Dienstleistungen noch nicht angeboten werden.
New to the Company
Angebotserweiterung um bereits bei anderen Unternehmen verfügbare Dienstleistungen.
Inkrementelle Innovationen Dienstleistungserweiterung
Erweiterung der bestehenden Dienstleistungen, wie beispielsweise die Aufnahme neuer Fahrrouten für ein Logistikunternehmen.
Verbesserung bestehender Dienstleistungen
Veränderungen von Merkmalen bereits bestehender Dienstleistungen.
Designänderungen
Geringfügige Veränderungen von Dienstleistungsmerkmalen die einen spürbaren Einfluss auf Wahrnehmungen, Einstellungen und Empfindungen des Kunden haben und die Dienstleistung nicht fundamental ändern, sondern nur das Erscheinungsbild betreffen.
Abbildung 2: Verschiedene Arten von Dienstleistungsinnovationen nach dem Grad ihrer Neuartigkeit (Quelle: in Anlehnung an Garcia/Calantone 2002; Menor et al. 2002) Die essentiellste Unterscheidung erfolgt nach der Objektdimension, bei der zwischen Potenzial-, Prozess- und Ergebnisinnovationen differenziert wird (Benkenstein/Steiner 2004; Luczak/Hoeck 2004). Während Potenzialinnovationen den Ressourceneinsatz von Unternehmen (z.B. das Personal) und Prozessinnovationen die Leistungserbringung von Dienstleistungen betreffen, beschreiben Ergebnisinnovationen eine Neuerung in Bezug auf das Resultat des Dienstleistungsprozesses. Vor allem in der englischsprachigen Literatur werden eine Vielzahl weiterer Objekte angeführt und kontrovers diskutiert; hierfür relevante empirische Studien werden in Abbildung 3 aufgelistet (Drejer 2004; Flikkema et al. 2007). Allgemein anerkannt ist hingegen, dass Dienstleistungsinnovationen meist innovativ in Bezug auf verschiedene Ausprägungen der Objektdimension sind (den Hertog 2000; Stevens/Dimitriadis 2004), z.B. repräsentieren Internet-basierte Konfigurationsprogramme für Neuwagen sowohl eine Potenzial- als auch eine Prozessinnovation.
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Sebastian Dreher, Ruth Stock-Homburg und Nicolas Zacharias
Quelle
Objekte von Dienstleistungsinnovationen
Branchen
Sirilli/Evangelista 1998
Product Innovation, Process Innovation
Diverse, unter anderem Handel, Hotels und Restaurants, Transport, Tourismus, Banken und Versicherungen, Computerindustrie, technische Beratung, Werbung, Reinigung
Sundbo et al. 2007
Product Innovation, Process Innovation, Market Innovation, Organizational Innovation, Technological Innovation, Widened Service
Diverse, unter anderem Hotels, Restaurants, Tourismus, Transport
Amara et al. 2009
Product Innovation, Process Innovation, Delivery Innovation, Strategic Innovation, Managerial Innovation and Marketing Innovation
Wissensintensive Dienstleistungen
Corrocher et al. 2009
Technology Adoption, Organizational Change, Service Production, External Cooperation
Wissensintensive Dienstleistungen
Abbildung 3: Empirische Studien zu Objekten von Dienstleistungsinnovationen
2.3 Typologien von Dienstleistungen Um das volle Potenzial von Dienstleistungsinnovationen aufzuzeigen, sollten die verschiedenen Arten von Dienstleistungen näher betrachten werden. Auch hier gibt es keine allgemein anerkannte, sondern vielmehr eine Auswahl verschiedener Typologien, die mit unterschiedlichen Herausforderungen einhergehen (Clemes et al. 2000; Droege et al. 2009; Lovelock 1983). Mögliche Unterscheidungen ergeben sich z.B. nach der Branche, der Priorität im betrieblichen Leistungserstellungsprozess, der Art des dominanten Inputfaktors, der Beziehung zwischen Dienstleistung und physischem Produkt, dem Maß der Standardisierung, dem Grad des Einsatzes von Technologien, den Charakteristiken des Erstellungsprozesses, der Zielgruppe oder dem Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte (z.B. Miozzo/Soete 2001; Pavitt 1984). Die Darlegung eines umfassenden Überblicks wird dadurch erschwert, dass die Typologien nur schwierig vergleichbar und somit integrierbar sind. Weiterhin weisen die Typologien große Schnittmengen auf, wodurch ein Unternehmen in der Regel mehreren der genannten Kategorien angehört. Wir fokussieren uns daher im Folgenden auf einige besonders relevante Typologien. Im Allgemeinen kann nicht nur eine geringe Vergleichbarkeit von Dienstleistungen verschiedener Branchen, sondern auch innerhalb einer Branche festgestellt werden (Castellacci 2008). Nach der Stellung von Dienstleistungen im betrieblichen Leistungserstellungsprozess wird nach der Dienstleistung als Hauptfunktion (in Dienstleistungsunternehmen) und der Dienstleistung als Nebenfunktion (in Sachgüterunternehmen) diffe-
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renziert (Meffert/Bruhn 2009). Letztere werden auch als industrielle Dienstleistungen bezeichnet. Häufig findet der Begriff der wissensintensiven Dienstleistungen Anwendung. Wissensintensive Dienstleistungen (wie z.B. bei Unternehmensberatungen oder IT-Unternehmen) sind abzugrenzen von produktionsintensiven Dienstleistungen (wie z.B. bei Banken, Versicherungen, Telekommunikations-, Transport- und Handelsunternehmen) und Lieferanten-dominierten Dienstleistungen (wie z.B. bei Hotels oder Restaurants) (de Jong/Vermeulen 2003; Miozzo/Soete 2001). Der Begriff der professionellen Dienstleistungen wird oft synonym zu wissensintensiven Dienstleistungen verwendet, verfügt jedoch über keine eindeutige Konzeptionalisierung in der Literatur und wird in verschiedenen Kontexten angewandt (Burr 2007; von Nordenflycht 2010). Nach der Zielgruppe sind vor allem Dienstleistungen an andere Unternehmen (B2B), Dienstleistungen für Endkunden (B2C) sowie interne Dienstleistungen zu unterscheiden (Trott 2008). Darüber hinaus werden Dienstleistungen nach der Beziehung zwischen Dienstleistungen und Sachgütern differenziert. Im Gegensatz zu einer reinen Dienstleistung ist das Ziel eines Value Added Service ein physisches Produkt in der Art zu bereichern, dass dem Kunden ein Mehrwert entsteht. Eine Steigerung dieser Beziehung ist das so genannte „hybride Produkt“ (Bullinger et al. 2007). Der Unterschied zu Value Added Services ist dabei eine noch engere Verzahnung zwischen physischem Produkt und Dienstleistung. Häufig ist es kaum noch möglich zuzuordnen, ob die Leistung eher einem Sachgut oder einer Dienstleistung entspricht, z.B. bei der kundenspezifischen Konfiguration von Produktionsanlagen. Durch diese Integration können eine höhere anbieterbezogene Abhängigkeit der Kunden und Differenzierungsmerkmale gegenüber dem Wettbewerb geschaffen werden (Bullinger et al. 2007).
2.4 Typologien des Innovationsverhaltens von Dienstleistungsunternehmen Ein weiterer Forschungsstrom beschäftigt sich mit der Klassifizierung des Innovationsverhaltens von Unternehmen. Basierend auf dem situativen Ansatz der Managementforschung entwickelten Miles und Snow eine der bislang am häufigsten genutzten und untersuchten Klassifizierungen (Hambrick 2003; Miles/Snow 1978). Unterschieden werden hierbei mehrere Strategietypen in Abhängigkeit ihres Markt- und Innovationsverhaltens sowie die vorhandenen Strukturen und Prozesse (Slater et al. 2006). Weitere Arbeiten der neueren Forschung haben ebenfalls Taxonomien in Bezug auf das Innovationsverhalten von Unternehmen hergeleitet (z.B. de Jong/Vermeulen 2006; Stock/Zacharias 2010). Diese Studien beinhalten in der Regel Dienstleistungsunternehmen als Teil ihrer Stichprobe, leiten jedoch keine speziell für das Dienstleistungsinnovationsmanagement relevanten Implikationen ab. Wenige Arbeiten haben sich mit Klassifikationen des Innovationsverhaltens von Dienstleistungsunternehmen beschäftigt (Corrocher et al. 2009; Tether/Tajar 2008). Neben klassischen technologieorientieren Innovationsverhaltensweisen, wie sie auch bei Sachgüterunternehmen zu finden sind, identifizieren diese Studien ein weiteres Innovationsverhalten, welches sich durch organisatorische Veränderungen und Kooperationen mit Kunden auszeichnet.
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2.5 Zwischenfazit Durch den Prozesscharakter von Dienstleistungen lassen sich Dienstleistungsinnovationen nach wesentlich mehr Kriterien unterscheiden, als dies bei physischen Produktinnovationen der Fall ist. Dies erschwert zum einen die Messung von Dienstleistungsinnovationen, zeigt aber zum anderen zahlreiche Ansatzpunkte für die Generierung von Innovationen im Dienstleistungsbereich auf. Das Potenzial von Dienstleistungsinnovationen für Forscher und Praktiker liegt insbesondere in der Interaktion mit den Kunden. Durch den intensiven Kundenkontakt können Unternehmen mit weniger Aufwand veränderte Bedürfnisse der Kunden identifizieren und auf die spezifischen Anforderungen der Kunden eingehen (Vargo/Lusch 2004b). Im Rahmen der Betrachtung verschiedener Typen von Dienstleistungen spielen Innovationen vor allem bei industriellen und wissensintensiven Dienstleistungen – die eine große Schnittmenge aufweisen – eine besondere Rolle. Industrielle Dienstleistungen bieten Unternehmen ein großes Wachstumspotenzial und sind bisher nur wenig erforscht (Droege et al. 2009). Während Innovationen bei einfachen Dienstleistungen vergleichsweise selten vorkommen, liegt die Innovativität bei wissensintensiven Dienstleistungen über der Innovativität von Sachgütern (Burr 2007). Ein neuer, vielversprechender Ansatz stellt die Betrachtung der Innovativität bei hybriden Produkten dar. Die Integration von physischen Produkten und Dienstleistungen ermöglicht es, Wettbewerbern die Imitation von Innovationen deutlich zu erschweren (Bullinger et al. 2007). Vertiefende Forschung zu Typologien des Innovationsverhaltens von Dienstleistungsunternehmen würde nicht nur den bestehenden Erkenntnisstand erweitern, sondern auch stark zur systematischen Umsetzung eines Dienstleistungsinnovationsmanagements in der Unternehmenspraxis beitragen.
3.
Entwicklung und Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung
Um ein tieferes Verständnis für die Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung zu schaffen, wird nachfolgend kurz auf die historische Entwicklung des Feldes eingegangen. Anschließend werden verschiedene Strömungen identifiziert und entsprechende zukünftige Forschungsrichtungen abgeleitet.
3.1 Entwicklung der Dienstleistungsinnovationsforschung Die mangelnde Erforschung von Dienstleistungsinnovationen wird in der Literatur vor allem durch drei Faktoren erklärt:
Dienstleistungen wurden lange Zeit (Gallouj/Savona 2009; Pavitt 1984),
als
nicht
innovativ
wahrgenommen
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Dienstleistungsinnovationen sind schwieriger zu messen als physische Produktinnovationen (de Jong/Vermeulen 2003; Gallouj/Savona 2009) und empirische Studien und entsprechende Erkenntnisse blieben lange Zeit aus (Menor et al. 2002).
Verschiedene Anstrengungen und damit verbundene Forschungsergebnisse haben zu einer deutlichen Verbesserung der Ausgangslage geführt. Zum einen haben mehrere Länder Initiativen für die bessere Erforschung von Dienstleistungsinnovationen ins Leben gerufen (Bryson/Monnoyer 2004); zum anderen haben Forscher vermehrt zur Untersuchung von Dienstleistungsinnovationen aufgefordert (Johne/Storey 1998; Menor et al. 2002). Als Folge ist die Anzahl der Beiträge zu Dienstleistungsinnovationen – insbesondere in der jüngeren Vergangenheit – stark angestiegen (Bryson/Daniels 2008; Droege et al. 2009). Erste auf Dienstleistungscharakteristika abgestimmte empirische Studien zeigen Unterschiede zwischen Dienstleistungsinnovationen und Sachgüterinnovationen (Hipp/Grupp 2005; Sundbo 1997; Tether 2005). Zudem geht aus diesen Studien hervor, dass mit Dienstleitungsinnovationen verbundene Herausforderungen überwunden werden können, wenn diese explizit adressiert werden. Inzwischen hat sich die Erforschung von Dienstleistungsinnovationen weitestgehend von der Untersuchung von physischen Produktinnovationen losgelöst und als eigenes Forschungsfeld etabliert (Bryson/Monnoyer 2004). Diese Entwicklung unterstreicht nicht nur von wissenschaftlicher Seite die Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen, sondern weist auch auf die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Unternehmenspraxis hin.
3.2 Strömungen der Dienstleistungsinnovationsforschung Dienstleistungsinnovationen waren lange Zeit unterschätzt und mussten sich erst gegenüber der dominierenden Forschung zu physischen Produktinnovationen behaupten. Diese Entwicklung spiegelt sich in drei verschiedenen Strömungen wider, die Dienstleistungsinnovationen unter verschiedenen Prämissen analysieren (Droege et al. 2009; Gallouj/Savona 2009). Dabei werden unterschiedliche Anschauungen aufgezeigt, die auch heute noch existieren. Assimilation Approach: Klassischerweise wurden Dienstleistungen als nicht innovativ betrachtet. Neue Dienstleistungen sind nach dieser Auffassung nur durch die Adaption von Produktinnovationen möglich (Barras 1986). Diese produktzentrierte Sichtweise geht davon aus, dass für Dienstleistungsinnovationen dieselben Methoden, Prozesse und Regeln gelten wie für Innovationen im Sachgüterbereich. Arbeiten zum Assimilation Approach dominieren in ihrer Zahl immer noch den Großteil der Forschung (Gallouj/Savona 2009). Demarcation Approach: Im Laufe der Zeit argumentierten immer mehr Forscher, dass neue Dienstleistungen auch ohne technologische Innovationen erstellt werden können (Cooper/de Brentani 1991). Als Konsequenz wurden neuere Erklärungsansätze entwi-
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ckelt, die sich von denen für physische Produktinnovationen unterscheiden. Als Begründung für diese neuen Ansätze werden die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen angeführt. Synthesis Approach: In der jüngeren Zeit wird zunehmend eine integrative Sichtweise bemüht. Dienstleistungen wird dabei zugestanden, dass sie eindeutige Unterschiede zu Sachgütern aufweisen. Diese Unterschiede sollten in Forschung und Unternehmenspraxis zwar berücksichtigt, jedoch nicht überbewertet werden. Neues Wissen kann gewonnen werden, indem Forschungserkenntnisse zu physischen Produktinnovationen genutzt werden um Erkenntnisse in der Dienstleistungsinnovationsforschung zu generieren und umgekehrt. Der Synthesis Approach wird dabei der Tatsache gerecht, dass die Grenzen zwischen Sachgütern und Dienstleistungen immer stärker verschwimmen (Bryson/Monnoyer 2004). Ein Ansatz hierfür ist die so genannte Service Dominant Logic (Vargo/Lusch 2004a), die von der These ausgeht, dass alle Sachgüter auch eine Dienstleistungsfunktion erfüllen. Beispielsweise ist der Zweck eines Autos, die individuelle Mobilität zu gewährleisten. Diese Logik impliziert ein neues Verständnis von Dienstleistungen, die nicht mehr nur physischen Produkten aufgesetzt werden (Lovelock/Gummesson 2004). Vielmehr rückt der Nutzen des Endkunden in den Fokus, unabhängig davon, ob dieser durch ein Sachgut, eine Dienstleistung oder eine Mischform beider Arten generiert wird. Auch wenn noch unklar ist, welchen Stellenwert dieser Logik in der Dienstleistungsliteratur zuzurechnen ist (Meffert/Bruhn 2009), bietet sie eine vielversprechende Betrachtungsweise für den Nutzen und das Potenzial von Dienstleistungen und entsprechenden Dienstleistungsinnovationen. Obwohl die dem Gedankengut des Assimilation Approach angehörenden Beiträge den derzeitigen Forschungsstand dominieren, dürfen die unterschiedlichen Eigenschaften von Sachgütern und Dienstleistungen nicht ignoriert werden. Dabei versucht die integrative Sichtweise die Stärken der jeweiligen Teilgebiete zu vereinen. Dies bedeutet unter anderem, dass auch die Rolle des Kunden bei Sachgütern betrachtet werden sollte. Während im Assimilation Approach die Eigenschaften von Dienstleistungen als Nachteil gesehen werden (z.B. mangelnde Produktivität durch mangelnde Standardisierung), gilt es heute als potenzialstarker Ansatz, die Heterogenität von Dienstleistungen und die daraus resultierende Nähe zu den Kunden und deren Bedürfnissen als Vorteil zu sehen (Sundbo 1997; Vargo/Lusch 2004b). Neuere Ansätze, wie die Service Dominant Logic, folgen diesem Gedankengut. Die Entwicklung der verschiedenen Strömungen der Dienstleistungsinnovationsforschung kann hierbei mit einem Lebenszyklus verglichen werden, im Rahmen dessen als nächster Schritt die Entwicklung einer allgemein gültigen Theorie für Innovationen gefordert wird (Droege et al. 2009; Gallouj/Savona 2009).
3.3 Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung Die Etablierung als eigenes Teilgebiet und der rasche Anstieg der Dienstleistungsinnovationsforschung führten dazu, dass das Wissen über Dienstleistungsinnovationen in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Insbesondere über den Entwicklungsprozess und Er-
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folgsfaktoren von Dienstleistungsinnovationen sind zahlreiche Publikationen erschienen, einschließlich mehrerer Literaturüberblicke (z.B. Akamavi 2005; Droege et al. 2009; Menor et al. 2002). Trotz der neueren Erkenntnisgewinne liegt das Gebiet noch deutlich hinter dem Forschungsstand im Bereich der physischen Produktinnovationen zurück (Droege et al. 2009; Hauser et al. 2006). Zentrales Problem dabei ist die hohe Heterogenität von Dienstleistungen, weshalb ein Großteil der Untersuchungen auf Fallstudien zurückgreift. Dies resultiert in einer immer noch geringen Anzahl an empirischen Untersuchungen, die durch ihren Fokus auf verschiedene einzelne Branchen und einer uneinheitlichen Konzeptionalisierung des Innovationsbegriffs nur schwer vergleichbar sind. Aus diesen Gründen sind die zahlreichen widersprüchlichen Ergebnisse in der Dienstleistungsinnovationsforschung nicht verwunderlich (Droege et al. 2009; Stevens/Dimitriadis 2004). Aufbauend auf diesem Status Quo weisen wir im Folgenden auf konkrete Perspektiven der Dienstleistungsinnovationsforschung hin. Zum einen gilt es, anerkannte Definitionen, Konzeptualisierungen und Messverfahren zu entwickeln (Droege et al. 2009; Menor et al. 2002), um empirische Analysen von Dienstleistungsinnovationen vergleichbar zu machen (Leiponen 2006). Zum anderen sollten Typologien sowohl von Dienstleistungsunternehmen als auch Dienstleistungsinnovationen überprüft und weiterentwickelt werden. Dies schließt insbesondere vertiefende Forschung in Bezug auf bisher vernachlässigte Arten von Dienstleistungsinnovationen ein. Der bisherige Fokus liegt auf Ergebnis- bzw. Produktinnovationen, wohingegen sowohl Potenzial- als auch Prozessinnovationen bisher wenig erforscht sind. Anstatt den Fokus auf die Unterscheidung zwischen radikalen und inkrementellen Innovationen zu lenken, sollten Einflussfaktoren identifiziert werden, die für beide Varianten relevant sind (Droege et al. 2009). Auch wenn häufig gefordert wird, die Aufmerksamkeit bei Dienstleistungsinnovationen weg von technologischen Innovationen zu lenken, verfügen Informations- und Kommunikationstechnologien über ein großes Potenzial für die Anwendung im Dienstleistungsbereich (Sundbo 2007). Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen auf neue Art und Weise, das im Unternehmen vorhandene Wissen zu verwalten und neues Wissen zu generieren, was insbesondere für wissensintensive Dienstleistungen von zentraler Bedeutung ist. Self-Service-Technologien bieten darüber hinaus neue Möglichkeiten für den Leistungserstellungsprozess. Beispielsweise können Kunden Dienstleistungen für andere Kunden übernehmen, wie es bei technischen Problemlösungen in Internetforen der Fall ist (Blazevic/Lievens 2008). Ein weiteres aussichtsreiches Forschungsfeld ist die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Dienstleistungsinnovationen und Kunden (Akamavi 2005; Blazevic/Lievens 2008; Carbonell et al. 2009). Zum einen ist es entscheidend zu verstehen, welche Faktoren Kundenerlebnisse positiv oder negativ beeinflussen (Edvardsson et al. 2007). Mögliche Auswirkungen von Innovationen auf Kunden sollten über quantitative Kenngrößen hinausgehen und z.B. die Loyalität bestehender Kunden, die Reputation des Unternehmens oder Auswirkungen auf andere Produkte mit einschließen (Storey/Easingwood 1999). Zum anderen ist das Verständnis, inwiefern Kunden das Innovationsergebnis po-
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sitiv beeinflussen können, von essentieller Bedeutung. Im Allgemeinen ist die Adressierung von Kundenbedürfnissen ein entscheidender Faktor für erfolgreiche Innovationen (Alam 2006). Die Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen im Dienstleistungsinnovationsprozess kann in Abhängigkeit der Interaktionsintensität und der Aktivität des Kunden im Innovationsprozess unterschieden werden (vgl. Abbildung 4). Hohe Intensität der Interaktion
Beobachtung von Kunden im Leistungserstellungsprozess
Kundenintegration in den Entwicklungsprozess
Geringe Intensität der Interaktion
Kundenwissen des Entwicklungsteams
Kunden als Informationsquelle
Passive Rolle des Kunden
Aktive Rolle des Kunden
Abbildung 4: Arten der Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen im Dienstleistungsinnovationsprozess Die einfachste und kostengünstigste Variante zur Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen ist die Nutzung des Kundenwissens von Entwicklungsteams. Es wird somit vorhandenes Wissens herangezogen, um Wünsche der Kunden zu antizipieren. Allerdings sind die Mitglieder dieser Teams nur begrenzt in der Lage, die Bedürfnisse einzuschätzen. Um Limitationen dieses Ansatzes zu umgehen, können Kunden als Informationsquelle in den Innovationsprozess einbezogen werden. Dies kann beispielsweise durch Umfragen oder Fokusgruppen geschehen. Jedoch ist auch diese Variante in ihrer Aussagekraft begrenzt, da Feedbackzyklen bzw. intensive Diskussionen nur schwerlich möglich sind. Zudem sind Kunden nur bedingt in der Lage, Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren (Magnusson et al. 2003; Slater/Narver 1998). Aus den genannten Gründen ist eine Integration von Kunden in den Entwicklungsprozess eine vielversprechende Alternative (Alam 2002, 2006; Matthing et al. 2004). Dies ermöglicht Kunden, ihre Ideen und Bedürfnisse aktiv in den Problemlösungsprozess einfließen zu lassen, z.B. als feste Mitglieder von interorganisationalen Entwicklungsteams (vgl. Stock 2003, 2006). Auch das Internet bietet exzellente Möglichkeiten, Kunden weltweit zu erreichen und effektiv in den Entwicklungsprozess einzubinden, z.B. mittels „Crowdsourcing“ (Howe 2008). Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen den Kunden ihre eigenen Innovationen zu gestalten und bieten Unternehmen dadurch Zugang zu bisher ungenutzten Ressourcen (Blazevic/Lievens 2008). Die umfassende Kundenintegration in den Entwicklungsprozess ist jedoch zeit- und kostenintensiv und birgt diverse Gefahren, wie z.B. den Abfluss von Know-how. Eine bis dato kaum erforschte Variante ist die Beobachtung von Kunden im Leistungserstellungsprozess, um ein tiefes und fundiertes Verständnis über Kundenverhalten und bedürfnisse zu entwickeln (Gustafsson et al. 1999). Dabei kommt den Mitarbeitenden eine entscheidende Bedeutung zu (Matthing et al. 2004; Stock 2010). Kundenkontaktmitarbeitende sind in der Regel bestens über Kundenbedürfnisse informiert und entdecken mit wenig Aufwand Chancen für Dienstleistungsinnovationen (de Brentani 2001).
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Die Fähigkeiten der Kundenkontaktmitarbeitenden, Wünsche und Bedürfnisse von Kunden zu identifizieren, lassen sich dabei durch entsprechende Schulungen verbessern, um den Erfolg von Dienstleistungsinnovationen weiter zu erhöhen (Homburg et al. 2009).
4.
Zusammenfassung
Die herausragende Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen ergibt sich vor allem durch das Potenzial, auf Basis eines neuartigen Leistungsangebots die Wettbewerbsfähigkeit in hohem Maße zu steigern. Dienstleistungsinnovationen erleichtern es Unternehmen aller Branchen, neue Kunden durch überlegene Nutzenversprechen zu akquirieren sowie bestehende Kunden enger an das Unternehmen zu binden. Dies gilt sowohl für reine Dienstleistungsunternehmen als auch für verarbeitende Unternehmen, bei denen Dienstleistungsinnovationen häufig noch eine untergeordnete Rolle spielen. Im Gegensatz zum physischen Produktgeschäft verfügen Unternehmen bei Dienstleistungen über eine ausgeprägte Kundennähe, was zahlreiche Möglichkeiten zur Innovation eröffnet. Zum einen können im direkten Kundenkontakt personalisierte Angebote erstellt werden; zum anderen ermöglicht die Interaktion, Wünsche und Bedürfnisänderungen beim Kunden zu erkennen und gewinnbringend zu nutzen. Trotz dieser Vorteile werden Forscher und Praktiker in Bezug auf Dienstleistungsinnovationen vor Herausforderungen gestellt, da das Wissen über die Rahmenbedingungen und die Ausgestaltung eines zielführenden Innovationsprozesses bis dato unzureichend ist. Als mittelbare Folge sind Unternehmen nur bedingt auf Dienstleistungsinnovationen ausgerichtet. Während in Unternehmen dem Thema Dienstleistungsinnovationen eine höhere Priorität eingeräumt werden sollte, zählt es zu den Aufgaben der Forschung die definitorischen und theoretischen Grundlagen zu entwickeln, um zukünftig größere Fortschritte durch branchenübergreifende empirische Forschung zu erzielen. Besondere Chancen im Rahmen von Dienstleistungsinnovationen werden durch den modernen Ansatz eröffnet, die Eigenschaften von Dienstleistungen nicht als Nachteil, sondern als Vorteil zu begreifen. Sachgüter und Dienstleistungen verschmelzen immer stärker; eine Entwicklung, die es Forschern und Praktikern ermöglicht, eine neue, kundenzentrierte Sichtweise einzunehmen. Insbesondere die Nähe zum Kunden und die damit verbundene Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen im Dienstleistungsinnovationsprozess stellt eine erfolgsversprechende Perspektive dar. Dies gilt speziell im Zusammenhang mit der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien, die es erlauben, Kunden auf neue Art und Weise in den Leistungserstellungs- und Innovationsprozess einzubeziehen.
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Martin Böttcher und Stephan Klingner
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
1. Einleitung und Problemstellung 2. Komponentisierung als Produktivitätsvorteil 2.1 Grundlagen der Dienstleistungskomponentisierung 2.2 Produktivität in der Dienstleistungsdomäne 2.3 Auswirkungen der Komponentisierung auf die Produktivität ohne explizite Berücksichtigung von Produktivitätskennzahlen 2.4 Auswirkungen der Komponentisierung auf die Anwendung von Produktivitätskennzahlen für die Dienstleistungsdomäne 3. Modell zur Komponentisierung von Dienstleistungen 3.1 Grundlagen des Komponentenmodells 3.2 Spezifikation der Produktivitätskennzahlen innerhalb des Konfigurationsgraphen 3.3 Kenzahlengruppen 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Literaturverzeichnis ___________________________ Dr. Martin Böttcher und Stephan Klingner sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für betriebliche Informationssysteme an der Universität Leipzig.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einleitung und Problemstellung
Die Entwicklung der Dienstleistungswirtschaft ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Industrialisierung der Dienstleistungsangebote (Brown/Karamouzis 2001; Dyckhoff et al. 2007). Charakteristisch hierfür sind B2B-Dienstleistungen, die oftmals in Zusammenhang mit dem eigentlichen Kernprodukt angeboten werden (Downar 2003). Solche Dienstleistungen besitzen einen hohen Komplexitätsgrad und durch größtenteils kundenindividuelle Lösungen eine hohe Variantenvielfalt (Bullinger/Meiren 2001). Der Nutzen dieser Dienstleistungsangebote liegt in der Kundengewinnung und -bindung sowie der Generierung neuer Umsätze bzw. Gewinne (Lay/Jung Erceg 2002; Stille 2003). Diese Entwicklung in der Dienstleistungswirtschaft führt zu neuen Herausforderungen: einerseits erschweren derartige Dienstleistungen aufgrund ihrer Komplexität und Kundenindividualität die Produktivitätsbetrachtung (McLaughlin/Coffey 1990). Andererseits sind aufgrund der zunehmenden Verbreitung und steigenden wirtschaftlichen Relevanz dieser Dienstleistungen Produktivitätsverbesserungen von zunehmender Wichtigkeit und Wirkung (Baumgärtner/Bienzeisler 2006). Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es einer Methode, mit welcher die Komplexität der Dienstleistungsangebote reduziert und die Produktivitätsbetrachtung präzisiert werden kann. Als eine solche Methode wird nachfolgend die Komponentisierung von Dienstleistungen zur Produktivitätsbetrachtung eingeführt. Die Komponentisierung ist in anderen Domänen (z.B. Produktions- und Softwaretechnik) bereits weit verbreitet (Duray et al. 2000; Szyperski 2002) und wird zunehmend auch in der Dienstleistungswissenschaft diskutiert (Araujo/Spring 2010). Der Kerngedanke der Komponentisierung ist die Zerlegung monolithischer Dienstleistungsangebote in standardisierbare Dienstleistungskomponenten, die kundenindividuell zu Gesamtdienstleistungen zusammengesetzt werden können. Eine solche Komponentisierung kann die Produktivität von Dienstleistungen in zwei Belangen steigern. Einerseits ermöglicht die klare Strukturierung von Dienstleistungsangeboten per se eine Produktivitätsverbesserung durch die erhöhte Übersichtlichkeit des eigenen Portfolios, die Reduktion des Entwicklungsaufwandes durch Wiederverwendbarkeit der Dienstleistungskomponenten sowie die schnellere und gezieltere Angebotserstellung für den Kunden. Andererseits erlaubt die Komponentisierung eine präzisere Betrachtung der Produktivitätskennzahlen von Dienstleistungen. Im Gegensatz zu monolithischen Dienstleistungen reduzieren sich bei Komponenten die Input- und Outputfaktoren und somit die Anzahl der Kennzahlen. Ohne eine Zerlegung von monolithischen Gesamtdienstleistungen ist die Verbesserung der Produktivität schwer umzusetzen, da nicht erkennbar ist, welche Teilleistungen für bestimmte Kennzahlenwerte verantwortlich sind. Durch die Komponentisierung ist eine Zuordnung von Kennzahlenwerten zu Komponenten und somit Teilleistungen möglich. Des Weiteren lassen sich die Dienstleistungskomponenten derart gestalten, dass hohe Unsicherheitsfaktoren (z.B. die Produktivität der Kundenprozesse) in einzelnen Kompo-
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Martin Böttcher und Stephan Klingner
nenten zusammengefasst werden, so dass diesen eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden kann. Die postulierte Komponentisierung von Dienstleistungen zur Steigerung der Produktivität bedarf einer Methode, welche die adäquate Strukturierung von Dienstleistungskomponenten ermöglicht und eine Definition von Produktivitätskennzahlen für einzelne sowie zusammengesetzte Komponenten unterstützt. Das vorliegende Papier stellt eine solche Methode vor. Sie wurde auf Basis einer Literaturrecherche zu existierenden Komponentisierungsansätzen anderer Domänen sowie ersten Arbeiten der Dienstleistungsdomäne entwickelt. Es erfolgte sowohl eine Anpassung hinsichtlich der Besonderheiten der Dienstleistungsdomäne als auch die Evaluation und Weiterentwicklung durch die Umsetzung in mehreren Anwendungsfällen mit KMUs und global agierenden Unternehmen. Die nachfolgenden Abschnitte gliedern sich wie folgt: Zunächst erfolgt, aufbauend auf der Komponentenbetrachtung der Domänen der Produktion und Softwareentwicklung eine Darlegung des Komponentenansatzes für die Dienstleistungsdomäne. Anschließend werden die Implikationen der Komponentisierung für die Produktivität diskutiert. Hierbei wird unterschieden zwischen den Auswirkungen der Komponentisierung auf die Produktivität von Dienstleistungen ohne die explizite Betrachtung von Produktivitätskennzahlen und die Auswirkungen der Komponentisierung auf die Anwendung von Produktivitätskennzahlen in der Dienstleistungsdomäne. Um die erwarteten Produktivitätsvorteile erreichen zu können, bedarf es einer Methode, mit der die Komponentisierung und die Spezifikation von Kennzahlen strukturiert vorgenommen werden kann. Diese Methode wird im dritten Abschnitt näher erläutert. Die Auswirkungen der Komponentisierung auf die Produktivität von Dienstleistungen sowie die vorgestellte Methode werden abschließend diskutiert und in dem Kontext existierender Arbeiten kritisch gewürdigt. Aus dieser Diskussion werden zukünftige Forschungsfragen und -bedarfe abgeleitet.
2.
Komponentisierung als Produktivitätsvorteil
2.1 Grundlagen der Dienstleistungskomponentisierung Wenngleich die Forderung nach einer Anwendung der Komponentisierung für die Domäne der Dienstleistungswirtschaft zunehmend erhoben wird (Araujo/Spring 2010), handelt es sich dennoch um einen für diesen Bereich neuen Ansatz. Demgegenüber wird die Komponentisierung in den Gebieten der Produktion (Starr 1965; Baldwin/Clark 1997) und Softwareentwicklung (Sametinger 1997) bereits umfangreich und seit langem eingesetzt. Sowohl die Produktion als auch die Softwareentwicklung wenden die Komponentisierung primär an, um die Divergenz zwischen individualisierten Angeboten und Standardisierung zu reduzieren und Kosten zu senken (Feitzinger/Lee 1997; Jiao/Tseng 1999; Peters/Sadin 2000). Für die Dienstleistungsdomäne wird die Notwen-
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
63
digkeit der Komponentisierung bezüglich der zu erwartenden Vorteile unter vergleichbaren Annahmen diskutiert. Zu den Vorteilen zählen beispielsweise die Aufwandsreduktion bei Erstellung, Wartung und Weiterentwicklung, die Möglichkeit der kundenindividuellen Konfiguration, die Verbesserung der strukturellen Transparenz, die Komplexitätsreduktion, die dedizierte und fokussierte Verbesserung des Angebots sowie die Wiederverwendung von Angebotsteilen für neue Leistungsangebote (Burr 2002). Bezüglich der Begrifflichkeit der Dienstleistungskomponente hat sich bislang weder in der deutschsprachigen noch in der angloamerikanischen Literatur ein einheitlicher Term herausgebildet. So können beispielsweise die Begriffe Dienstleistungsmodul (Meier et al. 2003; Bäcker/Herzog 2004; Schramm/Pallentien 2004; Corsten et al. 2006), Dienstleistungsbaustein (Emmrich 2005; Thomas/Scheer 2006) und Dienstleistungskomponente (Burianek et al. 2007; Thomas et al. 2008) als synonym erachtet werden. Unabhängig vom gewählten konkreten Begriff mangelt es auch an einer einheitlichen Definition. In Anlehnung an die Softwaredomäne, bei welcher der Begriff der „Komponente“ das fortgeschrittenste Entwicklungsstadium im Rahmen der Komponentisierung beschreibt (Szyperski 2002), wird nachfolgend der Begriff der Dienstleistungskomponente definiert und verwendet. Unter Berücksichtigung existierender Begriffserläuterungen des Terms „Dienstleistungskomponente“, den Definitionen der Domänen Produktion und Softwaretechnik sowie der Beachtung neuer systemischer Betrachtungsansätze in der Dienstleistungsforschung (Vargo/Lusch 2004), lässt sich der Begriff der Dienstleistungskomponente wie folgt definieren: Eine Dienstleistungskomponente ist ein Teil eines Dienstleistungssystems und stellt eine definierbare und abgegrenzte Funktionalität dar, die durch die Interaktion der Dienstleistungssystemelemente erzeugt wird. Durch diese Funktionalität wird eine Teilmenge der Elemente von einem Zustand in einen anderen Zustand überführt. Diese Zustandsänderung stellt einen Mehrwert für den Nachfrager dar. Zu den Elementen einer Dienstleistungskomponente gehören Anbieter, Nachfrager sowie deren Ressourcen. Darüber hinaus zeichnet sich eine Dienstleistungskomponente durch eine präzise Beschreibung der Eigenschaften, der benötigten Ressourcen und somit seiner Schnittstellen aus (Böttcher/Fähnrich 2009). Vergleichbar mit anderen Komponentenansätzen kann sich auch eine Dienstleistungskomponente aus mehreren anderen Dienstleistungskomponenten zusammensetzen. Hierbei ergibt sich die Funktionalität einer Dienstleistungskomponente aus der Summe der Funktionalitäten der Dienstleistungskomponenten, aus denen sie sich zusammensetzt. Eine Dienstleistungskomponente, die sich ihrerseits aus nur einer weiteren Dienstleistungskomponente zusammensetzt, ist zu dieser äquivalent, so dass eine derartige (De-) Komposition keine Veränderung der ursprünglichen Dienstleistungskomponente ergibt.
2.2 Produktivität in der Dienstleistungsdomäne Grundlegend wird unter der Produktivität und hierfür verwendeter Kennzahlen immer eine Verhältniszahl verstanden, bei der ein erzielter Output in Beziehung zu einer inte-
64
Martin Böttcher und Stephan Klingner
ressierenden Inputgröße gesetzt wird (Gummesson 2001; Taschner 2008). Für die Dienstleistungsdomäne wird dieses Verständnis immer wieder diskutiert und adaptierte Ansätze vorgestellt. So kann beispielsweise die Produktivität in „Produktivität der Leistungsbereitschaft“ und „Produktivität der Endkombination“ differenziert werden, um somit der Idee der Dienstleistung als Verbindung von Vor- und Endkombination gerecht zu werden (Corsten 1994). Darüber hinaus zielen existierende Ansätze darauf ab, die klassische Produktivitätsbetrachtung auf die Besonderheiten der Dienstleistungsdomäne anzupassen. Hierzu zählen beispielsweise die Arbeiten von Grönroos und Ojasalo (Grönroos/Ojasalo 2004) sowie von Johnston und Jones (Johnston/Jones 2004). Wenngleich die Übernahme der klassischen Produktivitätskennzahlen bzw. der klassischen Produktivitätsansätze auf die Dienstleistungsdomäne immer wieder kritisiert wird (Baumgärtner/Bienzeisler 2006), zielt die Produktivitätsbetrachtung dieser Domäne trotz allem ebenfalls auf die Betrachtung des Verhältnisses von Input und Output sowie nach Möglichkeit die Spezifikation von Kennzahlen ab. Hierbei wird zugleich versucht, die Besonderheit der Dienstleistungsdomäne zu berücksichtigen, indem beispielsweise das Image eines Unternehmens gegenüber dem Kunden berücksichtigt wird (Grönroos/ Ojasalo 2004). Für die Komponentisierung von Dienstleistungen und die damit einhergehende Betrachtung der Produktivitätskennzahlen steht somit weiterhin die Betrachtung, Spezifikation und Berechnung von Verhältniskennzahlen im Mittelpunkt.
2.3 Auswirkungen der Komponentisierung auf die Produktivität ohne explizite Berücksichtigung von Produktivitätskennzahlen Neben der verbesserten Anwendbarkeit von Produktivitätskennzahlen durch die Komponentisierung von Dienstleistungen kann bereits die Komponentisierung per se zu einer mittelbaren Produktivitätssteigerung bei der Dienstleistungsplanung und der Dienstleistungserbringung führen:
Produktivitätssteigerung der Dienstleistungsplanung: Die Komponentisierung von Dienstleistungen erlaubt die Wiederverwendung von Komponenten bei der Zusammenstellung von Gesamtleistungsangeboten (Tiihonen/Soininen 1997). Somit kann der Entwicklungsaufwand aber auch die Time-to-Market verringert werden (Svensson/Barfod 2002). Darüber hinaus erlaubt die Komponentisierung eine Strukturierung des Dienstleistungsportfolios, wodurch eine Produktivitätssteigerung des Angebotsprozesses ermöglicht wird, da für den Kunden Gesamtangebote aus den Komponenten, beispielsweise mithilfe elektronischer Konfiguratoren, zusammengestellt werden können (Heiskala et al. 2005). Letztendlich können auch kundenindividuelle Erweiterungen präziser vorgenommen werden, indem nur einzelne Komponenten und nicht die Gesamtleistung angepasst werden müssen, sodass auch hier entsprechende Produktivitätsvorteile im Planungsprozess erreicht werden können. Produktivitätssteigerung in der Dienstleistungserbringung: Mit der Komponentisierung und somit Strukturierung des Dienstleistungsportfolios können die Ressour-
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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cen zur Erfüllung der Teilleistungen besser allokiert werden und somit eine präzisere Auslastung erreicht werden (Burr 2002). Darüber hinaus erlaubt die klare Definition von Dienstleistungskomponenten eine Schnittstellenspezifikation, die die Verbindung der einzelnen Teilleistungen verbessert (Baldwin/Clark 1997). Eine weitere Möglichkeit der Produktivitätssteigerung kann das Outsourcing an spezialisierte Zulieferer bieten. Durch die Komponentisierung kann das Potential des Outsourcing besser genutzt werden, da abgegrenzte Leistungsbestandteile mit klaren Schnittstellen spezifiziert sind, sodass diese einfacher an Drittanbieter ausgelagert werden können (Genba et al. 2005). Neben einer Darlegung der Produktivitätsverbesserung entsprechend der beiden Phasen Planung und Erbringung kann diese auch für die vier Bereiche einer „Balanced Scorecard“ (Kaplan/Norton 1996) vorgenommen werden. Zu diesen Bereichen gehören die finanzielle Perspektive, die Kundenperspektive, die interne Perspektive sowie die Innovations- und Lernperspektive (Beatham et al. 2004). Die vier Betrachtungsfelder lassen sich mit den Ausführungen von Burr verbinden, der als explizite Vorteile der Komponentisierung die Aufwandsreduktion, die Konfiguration, die verbesserte Transparenz und reduzierte Komplexität, Erweiterung und Verbesserung sowie die Wiederverwendung aufführt (Burr 2002). Die nachfolgende Abbildung 1 fasst die grundlegenden Aspekte der Dienstleistungskomponentisierung für die einzelnen Perspektiven zusammen und verbindet sie mit potenziell positiv beeinflussten Produktivitätskennzahlen von Dienstleistungen.
2.4 Auswirkungen der Komponentisierung auf die Anwendung von Produktivitätskennzahlen für die Dienstleistungsdomäne Neben der Problematik passende Kennzahlen für die Dienstleistungsdomäne identifizieren zu können, behindert der Strukturwandel von Dienstleistungen eine adäquate Anwendung von Produktivitätskennzahlen. So werden zunehmend komplexe, variantenreiche, industrielle Dienstleistungen am Markt angeboten (Schramm/Pallentien 2004). Zugleich führen historisch gewachsene Dienstleistungsportfolios oft zu monolithischen Gesamtangeboten, bei denen eine Strukturierung in Teilangebote nicht vorgenommen wird. Diese Entwicklung führt in Bezug auf die Anwendung von Produktivitätskennzahlen zu folgenden Nachteilen:
Monolithische Dienstleistungsangebote weisen eine Vielzahl von Input- und Outputfaktoren und demzufolge eine hohe Anzahl von (teilweise heterogenen) Produktivitätskennzahlen auf. Es ist somit nicht ersichtlich, welcher Teil der Gesamtdienstleistung für eine bestimmte Kennzahl verantwortlich ist, sodass eine fokussierte Verbesserung der Dienstleistung und somit des Kennzahlenwertes erschwert wird.
66
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Finanzielle
Produktivitätskennzahlen von Dienstleistungen
Komponentisierungsvorteile
Perspektive
Kundenperspektive
Interne Perspektive
Innovations- und Lernperspektive
Wiederverwendung Erweiterung und Verbesserung Verbesserte Transparenz, reduzierte Komplexität Aufwandsreduktion
Konfiguration Erweiterung und Verbesserung Aufwandsreduktion
Wiederverwendung Erweiterung und Verbesserung Verbesserte Transparenz, reduzierte Komplexität Aufwandsreduktion Konfiguration
Wiederverwendung Erweiterung und Verbesserung Verbesserte Transparenz, reduzierte Komplexität
Vergrößertes Marktsegment Kostenreduktion durch: Nutzung von Skaleneffekten Präzisierung der Fehleranalyse und -behebung
Qualitätsverbesserung Höhere Angebotsauswahl durch Aufwandsreduktion bei der Zusammenstellung einer kundenindviduellen Dienstleistung Steigerung der Kundenzufriedenheit Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
Verbesserte Abstimmung zwischen Komponenten durch Schnittstellen Reduktion der Wartungskosten Standardisierte Komponenten vereinfachen: Dokumentation Erstellung von Dienstleistungskatalogen Mitarbeiterspezialisierung auf Komponenten
Reduktion des Entwicklungsaufwandes und von Redundanzen in der Entwicklung Reduktion der Time-to-Market Schnellere Erstellung neuer Gesamtdienstleistungen aus existierenden Komponenten
Abbildung 1: Zusammenfassung der grundlegenden Aspekte der Dienstleistungskomponentisierung Mit der Komponentisierung erfolgt eine Zerlegung der Gesamtdienstleistung in Teildienstleistungen, welche jeweils eine reduzierte Anzahl von Input- und Outputfaktoren aufweisen. Demzufolge kann eine präzisere Betrachtung von Produktivitätskennzahlen als Verhältnis von Output und Input vorgenommen werden. Dies führt zu folgenden Vorteilen:
Die Produktivitätskennzahlen je betrachteter Teildienstleistung (Komponente) reduzieren sich im Vergleich zur Gesamtdienstleistung. Durch die Reduktion des Funktionsumfangs einer Komponente (gegenüber einer Gesamtleistung) kann der Typ einer Teildienstleistung (Komponente) und die zu betrachtenden Produktivitätsaspekte besser umrissen werden, sodass sich adäquate Kennzahlen spezifizieren lassen.
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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Mit der dedizierten Zuordnung von Kennzahlen zu Teildienstleistungen wird die Analyse von Schwachstellen und Optimierungspotentialen wesentlich verbessert, da erkennbar ist, welche Teilfunktionalität (Komponente) eine Kennzahl beeinflusst.
Neben den genannten Vorteilen, können durch die Komponentisierung weitere Verbesserungen bei der Anwendung von Produktivitätskennzahlen erreicht werden: Wenngleich eine Komponente derart gestaltet werden sollte, dass sie eine abgegrenzte Funktionalität umfasst (Burr 2002), lassen sich unter dem Gesichtspunkt der Anwendung von Produktivitätskennzahlen jedoch auch andere Herangehensweisen berücksichtigen. So könnten beispielsweise Komponenten so zugeschnitten werden, dass möglichst homogene Kennzahlen in einer Komponente gebündelt werden. Dies würde beispielsweise die Aggregation der einzelnen Kennzahlen zu einer Gesamtkennzahl wesentlich vereinfachen. Darüber hinaus ließen sich Komponenten spezifizieren, die beispielsweise sehr unproduktive Teilleistungen zusammenfassen. Diesen könnte dann besondere Aufmerksamkeit gewidmet oder es könnte eine Auslagerung dieser Komponenten an spezialisierte Drittanbieter in Erwägung gezogen werden. Auch lassen sich Komponenten definieren, die beispielsweise kundenabhängige Kennzahlen bündeln. Hiermit wird erreicht, dass der Unsicherheitsfaktor des beteiligten Kunden auf wenige Komponenten konzentriert wird, sodass auch hierfür eine besondere Planung und Weiterentwicklung zur Produktivitätsverbesserung erfolgen kann. Da die Komponentisierung von Dienstleistungen auch als Grundlage für die kundenindividuelle Konfiguration von Gesamtleistungen verwendet wird, ergeben sich auch hierfür Vorteile bei der Produktivitätsbetrachtung. Im Rahmen einer solchen Konfiguration kann, basierend auf den zuvor definierten Kennzahlenwerten eine unter Produktivitätsgesichtspunkten möglichst optimale Konfiguration dem Kunden angeboten werden. Dies würde dem Anbieter ermöglichen, eine produktivere Gesamtleistung anzubieten, deren Vorteile (z.B. Kosten- und Zeitersparnis) auch an den Kunden weitergegeben werden können, so dass der Anbieter seine Kundenbindung und Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und somit seine Marktposition ausbauen kann. Eine Besonderheit bei der Spezifikation von Kennzahlen für einzelne Komponenten stellt die Komposition von Komponenten zu Gesamtleistungen dar. So muss berücksichtigt werden, dass es eventuell notwendig ist, für aggregierte Dienstleistungskomponenten (die sich aus anderen Dienstleistungskomponenten zusammensetzen) auch aggregierte Kennzahlen zu spezifizieren, die sich aus den Kennzahlen anderer Komponenten zusammensetzen. Eine Schwierigkeit bei der Spezifikation derartig aggregierter Kennzahlen stellt die Unsicherheit der Konfiguration dar, da nicht festgelegt ist, welche Komponenten durch den Kunden letztendlich für die Gesamtleistung gewählt werden.
68
3.
Martin Böttcher und Stephan Klingner
Modell zur Komponentisierung von Dienstleistungen
Um die Potenziale komponentisierter Dienstleistungen für die Produktivitätsbetrachtung voll ausschöpfen zu können, bedarf es einer Methode, die die strukturierte Komponentisierung sowie die präzise Spezifikation von Kennzahlen für einzelne Dienstleistungskomponenten ermöglicht. Zur konkreten Umsetzung der Methode wird ein Modell vorgestellt, mit dem unterschiedliche Ziele verfolgt werden (vgl. Abbildung 2):
Zunächst wird eine monolithische Dienstleistung in einzelne Dienstleistungskomponenten zerlegt bzw. es werden neue Dienstleistungskomponenten entwickelt, die eine Gesamtleistung ergeben sollen. Die Menge der Dienstleistungskomponenten kann so strukturiert werden, dass deren Zusammensetzung erkennbar ist und konfigurationsrelevante Abhängigkeiten spezifiziert werden können. Für die Dienstleistungskomponenten können, unter Berücksichtigung der Zusammensetzung von Komponenten, Produktivitätskennzahlen spezifiziert werden, wobei sowohl vorgegebene Werte als auch aus anderen Kennzahlen berechnete Werte definiert werden können. Die Struktur des Dienstleistungsportfolios und die spezifizierten Produktivitätskennzahlen können für eine unternehmensinterne Analyse unproduktiver Dienstleistungskomponenten zur Anwendung kommen. Die Konfiguration stellt eine weitere Anwendung der strukturierten Dienstleistungskomponenten dar. Unter Berücksichtigung der Produktivitätskennzahlen können kundenindividuelle Dienstleistungen zusammengestellt werden.
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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Spezifikation KPI 1=5 KPI 2=KPI3+KPI4
KPI 3=12
Strukturierung der Dienstleistungskomponenten
Zerlegung der monolithischen Dienstleistung
Spezifikation der Kennzahlen
Anwendung
! ! !
KPI4=15
! !
Unternehmensinterne Analyse
Kundenindividuelle Konfiguration
Abbildung 2: Modell zur Spezifikation und Anwendung der Komponentisierung und Produktivitätsbetrachtung von Dienstleistungen
3.1 Grundlagen des Komponentenmodells Den Ausgangspunkt des Modells stellen die Dienstleistungskomponenten dar. Diese repräsentieren, wie in der Definition dargelegt, abgegrenzte Funktionalitäten. Die Dienstleistungskomponenten können durch funktionale und nicht-funktionale Eigenschaften näher spezifiziert werden (O'Sullivan 2006; Böttcher/Fähnrich 2009). Während die funktionalen Eigenschaften alle Aspekte der offerierten Funktionalität umfassen (z.B. Anbieter- und Kundenziele), definieren die nicht-funktionalen Eigenschaften die Restriktionen für die angebotene Funktionalität. Zu diesen nicht-funktionalen Eigenschaften gehören beispielsweise die zeitliche Verfügbarkeit, die örtliche Verfügbarkeit, die Dauer, der Preis, die Bezahlung oder vertragliche Konsequenzen. Zur Strukturierung der Dienstleistungskomponenten müssen diese in hierarchische Abhängigkeit zueinander gesetzt werden. Dies erlaubt die Aussage, dass sich eine Komponente aus anderen Komponenten zusammensetzen kann. Für eine redundanzfreie Reprä-
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Martin Böttcher und Stephan Klingner
sentation dieser Abhängigkeiten kann ein gerichteter Graph (Diestel 2006) verwendet werden. Hierbei stellen die Knoten die Dienstleistungskomponenten dar und die gerichteten Kanten repräsentieren die Aussage „ist-Teil-von“ (vgl. Abbildung 3). Die Dienstleistungskomponente, von welcher die gerichtete Kante ausgeht, wird als Kindsknoten und die Dienstleistungskomponente, bei welcher die gerichtete Kante endet, als Elternknoten bezeichnet. Dienstleistungskomponente Gerichtete Kante („ist-Teil-von-Relation”)
B A
C
Komponente A und B sind Teil der Komponente C
Abbildung 3: Graph, bestehend aus Dienstleistungskomponenten und gerichteten Kanten Mit einem solchen gerichteten Graphen lässt sich die generelle Struktur der Dienstleistungskomponenten abbilden, sodass eine Repräsentation ähnlich eines Gozinto-Graphen der Produktionsdomäne (Vazsonyi 1962) erreicht wird. Um jedoch eine Konfiguration und somit eine kundenindividuelle Zusammenstellung zu ermöglichen, bedarf es einer Erweiterung des Graphen, um konfigurationsrelevante Aussagen treffen zu können. Solche Aussagen definieren beispielsweise, dass sich eine Dienstleistungskomponente obligatorisch aus allen Kindsknoten oder aber optional aus zwei bis drei Kindsknoten zusammensetzt. Eine derartige Konfigurationssemantik wird auch in den Bereichen der Produktion (Car-Configurator) sowie der Softwaretechnik (Feature-Modellierung und Webservice-Komposition) eingesetzt (Czarnecki/Eisenecker 2000; Felfering et al. 2000; Newcomer/Lomow 2005). Für die Darlegung der konfigurationsrelevanten Aussagen (Konfigurationslogik) kann der Graph um zusätzliche Verbindungsknoten erweitert werden, die auf der Idee des „und/oder-Graphen“ (Homem De Mello/Sanderson 1990) basieren. Für diese Verbindungsknoten können Typen definiert werden (z.B. „exklusivesOder-Knoten“), sodass eine bestimmte Semantik erreicht wird (z.B. besagt der „exklusives-Oder-Knoten“, dass bei der Konfiguration nur genau einer der nachfolgenden Kindsknoten zu wählen ist) (Böttcher 2009). Zur Erhöhung der konfigurationsrelevanten Ausdrucksmächtigkeit lassen sich die Knoten auch mit konkreten Kardinalitäten versehen (vgl. Abbildung 4). Hierfür wird eine Menge von Wertepaaren definiert, die jeweils den Minimal- und Maximalwert angeben, z.B. (0,3). Die Kardinalität eines Verbindungsknotens sagt aus, aus wie vielen der Kindsknoten sich eine Dienstleistungskomponente zusammensetzen muss, d.h. wie viele der nachfolgenden Dienstleistungskomponenten im Rahmen einer Konfiguration zu wählen sind (z.B. (3,5) besagt, dass eine Komponente sich aus drei bis fünf ihrer nachfolgenden Kindsknoten zusammensetzten muss“). Durch die Kardinalitäten wird die Typisierung der Knoten redundant, da alle Typen durch Kardinalitäten repräsentiert werden können (z.B. „exklusives-oder-Knoten“
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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entspricht genau der Kardinalität (1,1)). Innerhalb des Graphen können Verbindungsknoten als Kindsknoten wiederum selbst Verbindungsknoten besitzen, um eine höhere Ausdrucksmächtigkeit zu erreichen (Abbildung 4). (0,1) (3,3)
(0,3)
Verbindungsknoten mit Kardinalität Dienstleistungskomponente
(2,2)
(0,1)
(1,1) (2,2)
(1,2)
Abbildung 4: Graph mit Verbindungsknoten und Kardinalitäten Bestimmte Abhängigkeiten zwischen den Komponenten (beispielsweise dass bei der Auswahl einer Komponente auch eine andere Komponente gewählt werden muss) lassen sich nicht in der Hierarchie des Graphen abbilden. Um Aussagen zu solchen logischen Abhängigkeiten treffen zu können, bedarf es separater Regeln, welche den Graphen überspannend definiert werden (vgl. Abbildung 5).
benötigt schließt aus
Abbildung 5: Beispiele logischer Abhängigkeiten Für eine generische Spezifikation dieser logischen Abhängigkeitsregeln können Methoden wie beispielsweise die Aussagenlogik (Krajicek 1995) herangezogen werden. Da diese jedoch eine gewisse Vorkenntnis beim Anwender voraussetzen, ist es ebenfalls möglich, eine Menge von Regeln zu definieren, die für den Anwender verständlich sind und beispielsweise auf der Aussagenlogik basieren. Exemplarisch lässt sich mit der Re-
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Martin Böttcher und Stephan Klingner
gel „a_benötigt_b“ und den darin enthaltenen Komponentenpaaren definieren, dass bei der Auswahl der Komponente „a“ auch die Komponente „b“ zu wählen ist. Diese Regel lässt sich dann durch den Ausdruck der Aussagenlogik „a=>b“ repräsentieren, so dass über alle Regeln hinweg, mit existierenden Methoden, Konsistenzprüfungen vorgenommen werden können. Die Besonderheiten einer Komponentisierung von Dienstleistungen liegen z.B. im Gegensatz zur Komponentisierung von Produkten oder bei der Spezifikation von Feature-Modellen darin, dass die einzelnen Komponenten zeitliche Verläufe darstellen. Demzufolge bedarf es neben den logischen Abhängigkeiten auch der Spezifikation temporaler Abhängigkeiten. Diese legen dar, welche Dienstleistungskomponente zu welchem Zeitpunkt auszuführen ist, beispielsweise dass eine Komponente zwingend vor einer anderen Komponente ausgeführt werden muss. Um die Flexibilität eines Konfigurationsgraphen beizubehalten, bietet sich hierfür ein deklarativer Beschreibungsansatz an (Aalst/Pesic 2006), für welchen beispielsweise die lineare temporale Logik (Sistla/Clarke 1985) als formale Repräsentation verwendet werden kann. Mit dem spezifizierten Komponentenmodell können präzise Aussagen bezüglich der Zusammensetzung von Dienstleistungskomponenten unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Dienstleistungsdomäne getroffen werden. Um Vorteile in Bezug auf die anzuwendenden Produktivitätskennzahlen zu erreichen, muss dieses Modell um die Möglichkeit der Kennzahlenspezifikation erweitert werden.
3.2 Spezifikation der Produktivitätskennzahlen innerhalb des Konfigurationsgraphen Aufbauend auf der strukturellen Repräsentation der Dienstleistungskomponenten lassen sich Produktivitätskennzahlen für die einzelnen Komponenten spezifizieren. Die Komposition einer Dienstleistungskomponente aus verschiedenen Kindskomponenten über eine oder mehrere Hierarchiestufen hinweg erfordert eine besondere Betrachtung der Produktivitätskennzahlen, da die Komposition der Komponenten auch eine Komposition bzw. Zusammenführung der dazugehörigen Kennzahlen nach sich ziehen kann. In dieser Herausforderung besteht aber auch der Vorteil, dass die Abhängigkeiten der Produktivitätskennzahlen einzelner Komponenten aus den Kennzahlen anderer (Kinds-)Komponenten dargestellt werden können und somit die Betrachtung im Rahmen der internen Analyse oder der kundenindividuellen Konfiguration unterstützt werden kann. Die Spezifikation der Kennzahlen für einzelne Komponenten kann in zwei Ausprägungen erfolgen: Vorgabe von Werten und Berechnung von Werten. Für die Vorgabe von Werten von Produktivitätskennzahlen für einzelne Komponenten wird für eine solche zunächst die Kennzahl spezifiziert (z.B. „Ausbringung je Zeiteinheit“) und anschließend der für die Komponente gültige Wert angegeben (z.B. 21). Der konkrete Wert einer Komponente kann entweder direkt durch Personen eingegeben werden oder durch die Übernahme aus IT-Systemen erfolgen:
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
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Werteingabe: Die Eingabe eines konkreten Wertes durch Personen eignet sich für die Planung von Dienstleistungsportfolios, bei welcher zukünftige Werte angenommen werden. Auch aktuelle Werte, die nicht aus anderen Informationsquellen (z.B. IT-Systeme) direkt übernommen werden, können auf diese Weise spezifiziert werden. Wertübernahme: Mit der direkten Übernahme der konkreten Werte aus existierenden Quellen (z.B. unternehmensinternen IT-Systemen) wird die Aktualität der Kennzahlen sichergestellt und ein möglicher Verlust durch Medienbrüche verhindert.
Neben der expliziten Angabe konkreter Werte für Produktivitätskennzahlen einzelner Dienstleistungskomponenten lassen sich die Werte auch aus Kennzahlenwerten anderer Komponenten herleiten oder berechnen. Hierbei wird im Gegensatz zur Angabe konkreter Werte die Besonderheit der Komposition von Dienstleistungskomponenten berücksichtig. Die Herleitung bzw. Berechnung der Werte kann innerhalb des Konfigurationsgraphen auf unterschiedliche Weise erfolgen (vgl. Abbildung 6):
Descendent Propagation: Die Werte einer Kennzahl einer Dienstleistungskomponente (descendent) können an den Elternknoten propagiert und direkt von diesem übernommen werden. Hierbei erfolgt die direkte Weitergabe innerhalb der Konfigurationshierarchie. Dieser Ansatz kann gewählt werden, wenn sich die Kennzahl einer Teilleistung durch die Aggregation mit anderen Teilleistungen nicht verändert und somit auch Gültigkeit für die aggregierte Leistung besitzt. Descendent Calculation: Neben der Propagation eines einzelnen Wertes lassen sich auch Betrachtungen einer bestimmten Kennzahl über alle Werte der Kindsknoten vornehmen. Hierbei kann beispielsweise der Maximalwert der Kindsknoten als Wert für den Elternknoten spezifiziert werden. Cross-Tree Calculation: Während die bisherigen Herleitungs- bzw. Berechnungsansätze immer innerhalb der Nachfahren eines Knotens stattfanden, können Kennzahlen aber auch aus Werten von Komponenten berechnet werden, die in keiner direkten Beziehung innerhalb des Graphen zueinander stehen (Cross-Tree).
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Martin Böttcher und Stephan Klingner
Descendent Propagation
PKZ1=34 PKZ3=PKZ4/PKZ5*100
Cross-Tree Calculation
...
PKZ2=MAX(PKZ2)=8
Descendent Calculation PKZ1=34 PKZ2=5
PKZ2=2
PKZ5=3
...
PKZ2=8 KZ4=34
Abbildung 6: Berechnungsoptionen von Produktivitätskennzahlen bei Komponentenhierarchien Für die Spezifikation der Descendent Calculation und Cross-Tree Calculation werden unterschiedliche Operatoren benötigt. Hierzu gehören die vier mathematischen Grundrechenarten der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Darüber hinaus werden Gruppenfunktionen (Faeskorn-Woyke et al. 2007) benötigt. Zu diesen gehören:
SUM – Summe der Werte einer Kennzahl verschiedener Komponenten AVG – Mittelwert der Werte einer Kennzahl verschiedener Komponenten MAX – Größter Wert der Werte einer Kennzahl verschiedener Komponenten MIN – Kleinster Wert der Werte einer Kennzahl verschiedener Komponenten
Mit der Descendent Propagation, der Descendent Calculation und der Cross-Tree Calculation sowie den dazugehörigen Operatoren lassen sich Berechnungsvorschriften für Produktivitätskennzahlen komponentisierter Dienstleistungen spezifizieren.
3.3 Kennzahlengruppen Das dargelegte Modell erlaubt die generische Spezifikation von Produktivitätskennzahlen für Dienstleistungskomponenten. Es bietet darüber hinaus jedoch keine Unterstützung bei der Auswahl der zu verwendenden Kennzahlen. Um dies zu ermöglichen, können die Eigenschaften von Dienstleistungsproduktivitätskennzahlen zusätzliche Berücksichtigung finden, indem Typen von Dienstleistungskomponenten identifiziert werden, denen relevante Produktivitätskennzahlen zugeordnet werden. Hierdurch könnten im Rahmen der Modellierung komponentisierter Dienstleistungen Vorschläge für adäquate Kennzahlen offeriert werden. Diese Vorschläge orientieren sich dabei an den Angaben des Modellierers zum Typ bzw. den Eigenschaften der zu erstellenden Dienstleistungskomponente.
Komponentisierung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
Komponente 1
1) Angabe von Eigenschaften einer zu erstellenden Dienstleistungskomponente
DLEigenschaft1 DLEigenschaft2 DLEigenschaft3 … DLEigenschaftm
PKZ1 X X … X
PKZ2 X …
PKZ3 X X …
… … … … … …
PKZn X …
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Komponente 1
PKZ1 PKZ2
2) Verwendung von 3) Vorschlag adäquater DienstleistungseigenschaftsProduktivitätskennzahlen Kennzahlen-Zuordnung
Abbildung 7: Vorschlag von Produktivitätskennzahlen aufgrund von Eigenschaften der Dienstleistungskomponenten Die Typisierung der Dienstleistungskomponenten und somit die Gruppierung der hierfür geeigneten Produktivitätskenzahlen kann auf unterschiedliche Weise erfolgen:
Unterteilung in Vor- und Endkombination: Aufbauend auf dem Vorschlag der Kennzahlengliederung in Vor- und Endkombination (Corsten 1994), kann für eine Dienstleistungskomponente angegeben werden, ob eine Kennzahl für die Vor- oder Endkombination benötigt wird, sodass entsprechende Vorschläge adäquater Kennzahlen erbracht werden können. Unterteilung in die Bereiche Potenzial, Prozess, Ergebnis und Kundeninteraktion: In der Dienstleistungsdomäne wird oft eine Differenzierung zwischen Potenzial, Prozess, Ergebnis und Kundeninteraktion vorgenommen (Hilke 1989). Dieser Ansatz kann ebenfalls herangezogen werden, um eine Strukturierung der Produktivitätskennzahlen entsprechend dieser vier Dimensionen vorzunehmen. Unterteilung nach Branchen: Aufgrund der Heterogenität der Dienstleistungsdomäne lassen sich die Kennzahlen auch bestimmten Branchen innerhalb dieser Domäne zuweisen. Zu diesen Branchen zählen beispielsweise: Bildung, Gesundheit, Hotel, Wartung, Abfallentsorgung, usw. (Lasshoff 2006). Unterteilung nach Zeitbezug: Vergleichbar zu Ansätzen wie z.B. Balanced Scorecards (Grötzinger/Ueppig 2001) können die Produktivitätskennzahlen auch nach den Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterteilt werden. Unterteilung nach eigenen Klassen: Letztendlich lassen sich auch selbstgewählte unternehmensspezifische Kennzahlenklassen definieren, die beispielsweise Klassen wie Finanzen, Flexibilität, Qualität, Effektivität, Effizienz, Entwicklung, Zeit, Nachhaltigkeit, Quantität, Kapazität oder Markt umfassen.
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4.
Martin Böttcher und Stephan Klingner
Schlussfolgerungen und Ausblick
Wenngleich die Bereiche Komponentisierung und Produktivitätsbetrachtung von Dienstleistungen für sich genommen zunehmende Beachtung in Wissenschaft und Wirtschaft finden, verspricht jedoch gerade die Verbindung beider Forschungsrichtungen, einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Dienstleistungsproduktivität leisten zu können. Die vorgestellte Methode verbindet somit die sich entwickelnden Ideen der Komponentisierung (Baldwin/Clark 1997; Böhmann 2004) mit den Ansätzen der Produktivitätsbetrachtung in der Dienstleistungsdomäne (McLaughlin/Coffey 1990). Mit der Methode kann die Produktivitätsbetrachtung und -verbesserung wesentlich präziser und fokussierter erfolgen, da eine genauere Analyse möglich ist. Zugleich wird eine Produktivitätssteigerung bereits durch die Anwendung der Komponentisierung ohne die explizite Berücksichtigung der Produktivitätskennzahlen ermöglicht. Darüber hinaus werden die Besonderheiten der Kennzahlenspezifikation im Falle einer Komponentisierung herausgearbeitet. Die Verbindung beider Forschungsbereiche stellt zugleich ein Framework bereit, in welchem die zukünftigen Forschungsergebnisse der beiden Bereiche eingebunden werden können. Insbesondere die Produktivitätsforschung steckt für den Bereich der Dienstleistungsdomäne noch „in den Kinderschuhen“ (Baumgärtner/Bienzeisler 2006) aber auch die Umsetzung des Komponentengedankens steht erst am Anfang (Burr 2002). Neue Erkenntnisse in beiden Bereichen, insbesondere aber bezogen auf die zu verwendenden Kennzahlen können zukünftig die vorgestellte Methode ergänzen und weiterentwickeln. Auch die zukünftige Anwendung in Unternehmen wird die Potentiale sowie weitere Herausforderungen der Komponentisierung für die Produktivitätsbetrachtung aufzeigen. Darüber hinaus wird es eventuell notwendig sein, die Operatoren zur Berechnung der Kennzahlen zu erweitern, um eine zusätzliche Ausdrucksmächtigkeit zu erlangen. Letztendlich ist auch die Spezifikation konkreter Kennzahlenwerte zu erweitern, um dem Ansatz einer Verhältniszahl gerecht zu werden. Anstelle konkreter Werte, ließen sich diese auch aus anderen Attributen (z.B. Zeiteinheiten, Outputgrößen, usw.) berechnen, deren Spezifikation dann im Rahmen des Modells erfolgen muss. Ferner muss auch das zugrundeliegende Konfigurationsmodell hinsichtlich seiner Eigenschaften evaluiert und weiterentwickelt werden.
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Gustav Bergmann und Jürgen Daub
Produktivität von Dienstleistungen – mehr des Selben oder mehr des Anderen?
Prolog: Produktivität für wen und für was? 1. Produktivitätsprobleme 2. Rationalität, Rationalisierung und die Irrationalität von Organisationen 3. Reaktion auf Umweltveränderungen – Mehr des Anderen oder mehr des Selben? 4. Selbstorganisation ermöglichen – ROM Kompetenzen sind Selbstorganisationsfähigkeiten 5. Produktivitätserhöhung im Verlauf betrachten (Solution Cycle) 6. Fazit Literaturverzeichnis ___________________________ Prof. Dr. Gustav Bergmann ist Inhaber des Lehrstuhl für Innovations- und Kompetenzmanagement der Universität Siegen. Jürgen Daub, Soziologe M.A. ist Senior Researcher und Systemprozessbegleiter im Forschungsteam am Lehrstuhl für Innovations- und Kompetenzmanagement der Universität Siegen.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Prolog: Produktivität für wen und für was? In der Diskussion um die Produktivität von Dienstleistungen fehlt uns die Debatte über den Sinn und Zweck. Interessen, Sichtweisen, Macht und Informationsasymmetrien scheinen nicht problematisiert zu werden. Wie leider in der Wirtschaftstheorie üblich, wird implizit mit Zweckfreiheit, Rationalität und Wertfreiheit der Wissenschaft gearbeitet, wahrscheinlich, weil die Ökonomie vergessen hat, dass sie eine Sozialwissenschaft ist. Die spannenden Fragen beginnen doch bei den Entscheidungsprozessen, der Zielfindung, den Aushandlungen und besonders den Wirkungen von Managementstrategien auf die Betroffenen, die Natur. Deshalb werden wir zunächst den Produktivitätsbegriff kritisch untersuchen, die Rationalität und Wirkungen der Automation betrachten, um dann ein Modell der auf Partizipation, Mitwirkung und Selbstorganisation beruhenden Dienstleistung skizzieren. In einem vitalen Dienstleistungsunternehmen wird, nach unserer Vorstellung, das Repertoire der Möglichkeiten zusammen mit Mitarbeitenden und Kunden ständig erweitert.
1.
Produktivitätsprobleme
Dienstleistungen sind mit industriellen Prozessen nur eingeschränkt vergleichbar. Sie sind nicht lagerfähig, entstehen häufig unter sehr hohem Personaleinsatz und oft vor den Augen des Kunden. Daher spielen Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden eine extrem große Rolle - insbesondere im Vergleich zu kapitalintensiven technischen Produktionsprozessen. Die Kundenanforderungen entwickeln sich am Markt oft sehr unvorhersehbar und Dienstleistungspotenziale, die einer aktivierenden Zielsetzung des Unternehmens entspringen, werden eher selten entwickelt. Marktgetriebene Veränderungsansätze sind immer noch in den meisten Unternehmen verbreitet. Damit vergibt man oft die Chance, aus eigener Initiative produktive Dienstleistungsoptionen zu entwickeln. Hinzu kommt, dass ökonomische Risiken, denen Unternehmen ausgesetzt sind, diese heute im Wesentlichen durch zwei Strategien zu begegnen versuchen. Zum einen durch innere Organisationsentwicklung und zum anderen durch die Externalisierung von Risiken. Die innere Organisationsentwicklung wird aber vielfach als eine „Internalisierung des Marktes“ vollzogen (Garhammer 2002). Darauf folgen dann oft rein „wertgesteuerte“ Entwicklungen, die zur Folge haben, dass eine langfristige Strategiefähigkeit fehlt, dass die Innovationsfähigkeit abnimmt, strategische Ressourcen vernichtet oder nicht aufgebaut werden und eine allgemeine Strategieunfähigkeit entsteht (Sauer 2001; Bergmann/Daub 2006).
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Gustav Bergmann und Jürgen Daub
Aus einer systemischen Perspektive kommt man zu dem Schluss, dass Unternehmen keine Maschinen sind, sondern soziale Systeme, die vielfältige kommunikative und unternehmenskulturelle Eigenheiten aufweisen. Diese beeinflussen maßgeblich die Entwicklungsfähigkeit und Entwicklungsform von Unternehmen. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass die weit verbreitete triviale mechanistische Sichtweise auf Unternehmen und die daraus resultierenden naiven, von mechanischen Machbarkeitsvorstellungen geprägten Veränderungsideen in der Praxis häufig scheitern oder nicht erwartete Folgewirkungen zeitigen (Bergmann 2001). Veränderungen in Unternehmen sind, aus systemischer Perspektive gesehen, nicht zu verordnen, schon gar nicht hierarchisch begründet anzuweisen. Nachhaltige wirklich verbessernde Umgestaltungen in sozialen Systemen geschehen nur, wenn man den endogenen Entwicklungsprozess verstehen lernt und die notwendigen Bedingungen zur Veränderung genau kennt. Gerade der Versuch die Produktivität im Bereich von Dienstleistungen zu erhöhen, ist unmittelbar abhängig von den im sozialen System Unternehmen vorhandenen Bedingungen. Um Produktivität und Produktivitätszuwächse in Dienstleistungsbereichen zu ermitteln, sind andere Faktoren ausschlaggebend, als diejenigen die man zur Produktivitätsberechnung in der Sachgüterproduktion heranzieht. Produktivität ist gemeinhin definiert als das Verhältnis einer oder mehrerer Outputgrößen (Menge) zu einer oder mehreren Inputgrößen (Arbeitszeit oder Kapitalmenge) (Coelli 2005). Man unterscheidet zum einen in technische oder physische Produktivität und zum anderen in die Wertproduktivität. Technische Produktivität ist definiert als die Menge des Produktionsfaktors (Input) dividiert durch die Menge des Produktes (Output). Die Wertproduktivität ist definiert durch den Preis des Produktes multipliziert mit der Menge des Produktionsfaktors (Input) dividiert durch den Preis des Produktionsfaktors multipliziert mit der Menge des Produktionsfaktors. Produktivität wird für Sachgüter als Effizienzresultat der Produktions- und Kostenfunktionen berechnet, auf rein quantitativer Basis. Dabei verwendet man so genannte „parametrische“ und „nicht-parametrische“ Verfahren (Müller 2009). Ein häufig verwendetes „nicht-parametrisches“ Verfahren ist die Datenumhüllungsanalyse. Hier wird die „optimale Produktionsmöglichkeitskurve“ mithilfe einer linearen Programmierung ermittelt. Bei den so genannten „parametrischen“ Verfahren „... bilden Annahmen über die Produktions- oder Kostenfunktion die Basis für die individuelle Einschätzung der Effizienz einzelner Unternehmen. Die exakte funktionale Form ist jedoch in der Regel nicht bekannt, sodass sie im Rahmen empirischer Untersuchungen aus den beobachteten Daten geschätzt werden muss.“ (Müller 2009). Um beide Verfahren optimal anwenden zu können, benötigt man eine große Anzahl von Unternehmensdaten und es ist empfehlenswert, Unternehmen über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Datenbasis bilden dabei „...physische oder monetäre Daten zu den ausgewählten Input- und Outputvariablen sowie Festlegungen zum Qualitätsniveau und den Umweltvariablen“ (Müller 2009). Um den Fortschritt des Produktivitätsprozesses quantitativ zu messen, müssen wir unterscheiden, ob die Produktivitätserhöhung in Bezug auf einen oder mehrere Produktionsfaktoren stattfindet. Wenn nun unter Produktivität die technische Effizienz des Faktoreinsatzes verstanden wird, dann ist die Produktmenge mit dem Umfang der eingesetzten Faktoren in Beziehung zu setzen.
Produktivität von Dienstleistungen – mehr des Selben oder mehr des Anderen?
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Wie wir sehen, ist hier schon eine erste Schwierigkeit der Produktivitätsmessung von Dienstleistungen erkennbar. Wie kann eine Dienstleistung als Produktmenge gefasst werden und welche eingesetzten Faktoren sind hier relevant, was kann als Input gefasst werden? Messbar wird die Dienstleistung dann nur, wie der Faktor Arbeit, über die quantifizierbare Größe der Zeit. Zeiteinsatz und Produktivität kann bei der Güterproduktion sehr klar definiert werden, bei Dienstleistungstätigkeiten ist das weitgehend nicht der Fall, da Dienstleistungen immer sehr spezifischen Anforderungen unterliegen und vielfach uneinheitliche Inputleistungen aufweisen, es sei denn, sie sind automatisiert und rationalisiert. Dann haben sie eher den Charakter eines Sachgutes, unterliegen nicht unserem erweiterten Verständnis von Dienstleistungen. Ferner tauchen grundlegende Messprobleme bei Dienstleistungen auf, wenn eine Differenzierung in partielle oder totale Faktorproduktivität erfolgen soll (Müller 2009, S. 6). So geben Berechnungen durch partielle Produktivitätsfaktoren nur ein unzureichendes Bild der Leistungsfähigkeit ab, da bei der Leistungserstellung meistens mehrere Inputs und Outputs eingesetzt werden. Hier wäre die Messung der totalen Faktorproduktivität (TFP) angebracht, da zumindest durch diese Methode differenzierte Inputs und Outputs mit berücksichtigt werden. Diese Berechnungsmethode ist aber sehr aufwändig und leidet immer noch an dem Schwachpunkt, dass qualitative Inputs und Outputs nicht erfasst werden können. Man weiß also eigentlich nicht, woran eine Veränderung der Faktorergebnisse gelegen hat. Ganz schwierig wird die Messbarkeit des Outputs bei Dienstleistungen. Welcher Produktionswert ist beispielsweise bei einer erbrachten Kundenberatung zur Lösung eines spezifischen Problems einzusetzen? Wenn die Problemlösung als solches zu dem Kauf eines Sachguts führt, könnte man dies ja noch beziffern. Die Problemlösung als soziale Größe beispielsweise, die eine veränderte Vorgehensweise oder Verhaltensweise zur Verbesserung betrieblicher Abläufe darstellt, ist mit herkömmlichem Produktivitätsverständnis nicht zu fassen. Hier ist die Bewertung der Produktivität der Dienstleistung vollständig abhängig von der Würdigung dieser durch den Kunden, also von der Umsetzung von Anregungen und der Entwicklung der Organisation (RWI 2008). Dienstleistungen können, wie wir sehen, nur sehr schwer in der allgemein gebräuchlichen Produktivitätslogik gemessen werden. Diese Logik ist verkürzt und ist zudem schon im Bereich der Sachgüterherstellung nur eine Schimäre. Gemessen wird nur der Faktoreinsatz in quantitativen Größen, qualitative, auch für Güter notwendige Unterscheidungen, bleiben außen vor. Die qualitativen Effekte von Dienstleistungen mit Produktivitätskennziffern zu erfassen, ist aber mit den herkömmlichen Berechnungsweisen nicht möglich (RWI 2008, S. 21f.). Qualitative Entwicklungen geraten der konventionellen Messmethode somit vollständig aus dem Blickfeld, obwohl gerade sie es heute sind, die einen entscheidenden Marktvorteil für das Unternehmen entstehen lassen können. Die althergebrachten Messmethoden zur Produktivitätsmessung sind unserer Meinung nach nicht nur für die Messung der Dienstleistungsproduktivität unbrauchbar, sondern wir halten sie allgemein für unbefriedigend.
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Gustav Bergmann und Jürgen Daub
Darüber hinaus sind gerade in der Outputorientierung Produktivitätssteigerungen nicht immer unbedingt direkt auf die Dienstleistungen zurückzuführen, da sich Fernwirkungen im produktiven Bereich ergeben können, die nicht unmittelbar auf Dienstleistungstätigkeiten zurückgeführt werden (RWI 2008). Dies hat unseres Erachtens einerseits mit den qualitativen Aspekten von Dienstleistungen zu tun und andererseits mit der in der Dienstleistungsforschung bisher mangelnden systemtheoretischen Perspektive. Wenn man „ingenieurmäßig“ in kausal-logischen begründeten Mustern von Produktionsabläufen denkt, kann man systemische Wirkungen nicht beobachten. Somit liegt ein grundlegendes Problem der Produktivitätsmessung von Dienstleistungen in der mangelnden Abgrenzbarkeit und daher in der exakten Fassung des Nutzens. Eine erweiterte Fassung der Produktivität fügt der quantitativen Betrachtung eine qualitative Note hinzu. So werden beispielsweise Künstler als produktiv bezeichnet, die nicht nur viele, sondern vielfältige Werke schaffen. Insofern kann die Produktivität als Erzeugung von Mannigfaltigkeit interpretiert werden. In einem Prozess, in einem System oder von einem einzelnen Individuum werden Outputs in vielfältiger, wertsteigernder (syntropischer) Form aus einem Input geschaffen. Wir sind der Ansicht, dass Produktivitätsmessungen im Dienstleistungsbereich differenzierter zu betrachten sind, als dies bisher der Fall ist. Und differenzierter betrachten heißt für uns nicht, die Messgenauigkeit von Koeffizienten zu erhöhen, sondern sich den sozialen Prozess der Entstehungs- und Allokationsbedingungen von Dienstleistungen genauer anzusehen. Dienstleistungen sind in erster Linie danach zu beurteilen, welchen Nutzen sie für diejenigen bringen, die sie in Anspruch nehmen. Dienstleistungsentwicklungen, die allein aus einem Produktivitätskalkül der Erbringer heraus entwickelt werden, können zwar aus dieser Perspektive effizient erscheinen, gleichzeitig aber für den Nutzer eher ambivalenten Charakter haben oder gar sinnlos beziehungsweise irrelevant sein. Sehr schnell geraten die Dinge in den Bereich der scheinbaren Trivialität. Wenn man jedoch non-trivial, also ergebnisoffen, kritisch distanziert an die Produktivität herangeht, dann bietet der Diskurs eine Fülle von Möglichkeiten. Insbesondere bei Dienstleistungen spielt der Mensch eine maßgebliche Rolle.
2.
Rationalität, Rationalisierung und die Irrationalität von Organisationen
Wenn wir die Entwicklung von Dienstleistungen unter den Bedingungen von Rationalität und Rationalisierung beobachten, halten wir es für erforderlich, diese Entwicklungen differenziert und kritisch anzuschauen. Unter dem Begriff Rationalität wird meistens Zweckrationalität verstanden, jene Zweck-Mittel-Beziehung, die logisch-kausal begründend jene „instrumentelle Vernunft“ zur Geltung bringt, mit der zielgerichtet äußere Natur verändert wird. Die Logik, die dahintersteht ist jene der direkten Beeinflussung äuße-
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rer Natur zum Zwecke ihrer Nutzbarmachung. Rationalität heißt in einer auf rein ökonomische Ziele fixierten Gesellschaft nichts anderes als Effizienz, also Wirtschaftlichkeit (Castoriadis 1997). Als rational gilt in der modernen Gesellschaft alles das, was kausallogisch begründet und nach wirtschaftlichen Kalkülen ausgerichtet ist. Rational sind die Mittel zur Sicherung der Gewinnerzielung insofern, als dass sie eine reine Zweck-Mittel-Rationalität sichtbar machen. Die Logik, die alledem zugrunde liegt, gründet sich darauf, welches Mittel ausgewählt wird, um den ökonomischen Zweck der Gewinnmaximierung zu erreichen. Kritik der Mittel und Zwecke findet in diesem „rationalen“ System gewöhnlich nicht statt. Rationalisierung bedeutet folglich, die Optimierung der Zweck-Mittel-Wahl um ein verbessertes Ziel zu erreichen. Dieses Ziel heißt im Geltungsbereich ökonomischer Regelungen die Erhöhung beziehungsweise Stabilisierung der Gewinnmargen oder die Reduzierung der Kosten, was gleichbedeutend ist. Rationalisierungen haben immer mit der Verringerung des Mitteleinsatzes zu tun. Wenn das „Mittel“ der Mensch ist, so wird dieser „rationalisiert“, beziehungsweise seine Arbeitsverrichtungen so verändert, dass sie rational im Sinne von gewinnbringend sind. Eine andere Logik von Rationalität und Rationalisierung steht derzeit nicht hinter dem ökonomischen System. Es könnte beispielsweise auch sehr „rational“, also vernunftgeleitet sein, den arbeitenden Menschen die Arbeit möglichst angenehm zu machen. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Betrachtung von Rationalität ist die Tatsache, dass Organisationen nicht nach rationalen Prinzipien funktionieren, wie überhaupt jedes soziale System nicht nach dem eingeschränkten Rationalitätsbegriff operiert. Brunsson drückt das deutlich aus: „Die zentrale Annahme moderner Managementkonzepte ist, dass sich Organisationen nach rationalen, einfachen und klaren Prinzipien gestalten und kontrollieren lassen. Aber Organisationen funktionieren nun einmal nicht so. Sie brauchen viel implizites Wissen, ungeregelte Räume und Irrationalität.“ (Brunsson 2009b). Irrationalität wird allgemein immer als etwas „Unkontrollierbares“ verstanden, das keinerlei Planung und Handlung zulässt. Doch alle sozialen Prozesse beinhalten einen großen Anteil irrationaler Momente, also nicht planbarer, nach formallogischen Kalkülen berechenbare Zustände und Verhaltensweisen. Dieser Umstand wird jedem einleuchten, der mit offenen Augen durchs Leben geht. Leider wird üblicherweise bei ökonomischen und produktionstechnischen Planungen immer so getan, als ob alle Abläufe rein rational gestalt- und planbar wären. Die soziale Wirklichkeit zeigt dann, dass dies nicht so ist. Da an allen diesen Prozessen Menschen beteiligt sind, offenbart sich, dass diese nicht nur rational entscheiden, sondern immer irrationale Momente eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Psychologische Untersuchungen verdeutlichen, dass Irrationalität zum menschlichen Charakter gehört und sie auch nicht durch „Training“ wesentlich verändert werden kann (Brunsson 2000, S. 15ff.). Eine vollständige Rationalität besteht nur bei mathematischen Formeln oder Computerprogrammen, menschliche Handlungen und Entscheidungen unterliegen durchweg beträchtlichen irrationalen Momenten. Brunsson
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weist des Weiteren darauf hin, dass bei realen Entscheidungen deshalb irrationales Verhalten eine Rolle spielt, weil „...apparently irrational behaviour is by reference to practical constraints. In real-life decision situations, values and alternatives and predictions all interact, and decision-makers either posses incomplete information, or they have more information than any human being can grasp.“ (Brunsson 2000, S. 17). Entscheidungen und Verhaltensweisen werden dann umso wahrscheinlicher, auch wenn sie irrationale Momente beinhalten, wenn eine Gruppe dieses mitträgt. Gemeinsame Irrationalitäten werden zu rationalen Handlungsweisen umgedeutet, dadurch bekommt alles wieder den Anschein der Rationalität – die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen dafür. Für das Thema Dienstleistungsproduktivität spielt Irrationalität insofern eine Rolle, wie die Überlegungen zu den Entstehungsbedingungen innerhalb des Unternehmens diese Perspektive mit aufnehmen muss. Und so hat Rationalität auch nur eine eingeschränkte Wirkungsweise bei der Entwicklung von Dienstleistungsproduktivität. Das heißt nicht, zu würfeln, bevor man Entscheidungen fällt, sondern wir wollen darauf aufmerksam machen, zur Entwicklung von Organisationen den Blick auf irrationale Entscheidungsmomente zu richten. Brunsson schlägt dabei vor, danach zu schauen „...how rationalistic decision processes must be „derationalized“ - the decision rationality eliminated- and „action rationalized instead, if change actions are to result.“ (Brunsson 2000, S. 89). Es geht darum, bei Entscheidungsprozessen in Organisationen die Entscheidungsfindung zu entrationalisieren und eher die Umsetzung von getroffenen Entscheidungen rational zu betreiben, „Rationalistic decision processes are useful fort he purpose of choice but they are poor initiators of action.“ (Brunsson 2000, S. 61). Deutlich drückt dies auch Dirk Baecker aus: „Die Irrationalität und lose Kopplung sind das Medium, in dem es innerhalb der Organisation zu einer Zwecksetzung, das heißt zu einer Entscheidung überhaupt kommen kann.(...) Der Plandeterminismus der Betriebswirtschaftslehre, der so tut, als könne man die Organisation erst in irgendeinem Außerhalb der Organisation planen, dann auf der Ebene der Mittel laufen lassen und in einem dritten Schritt wieder wie von außen im Hinblick auf die erreichten oder verfehlten Ziele kontrollieren (siehe den Ordnungsversuch von Steinmann/Schreyögg, 1993; und vgl. die Sammlung der „unmöglich“ zu bearbeitenden Komplexität bei Staehle, 1991), übersieht zum einen, dass all dies innerhalb der Organisation geschieht, nämlich vom Management durchgeführt wird, das dabei vom Rest der Organisation beobachtet wird, zum anderen, dass nur die internen Spielräume der Organisation jene Informationen liefern, die anschließend zu neuen Zwecksetzungen führen können.“ (Baecker 2007, S. 10f.). Es kommt also darauf an, die Veränderungsoptionen aus der Organisation selbst heraus zu entwickeln und vorab deren Entwicklungslogik zu verstehen. Aus systemischer Perspektive heraus ist es so gut wie unmöglich, überhaupt als außenstehender Beobachter Veränderungsprozesse zu bewirken. Aber das vielfache Scheitern klassischer „Unternehmensberatung“ wird allgemein meistens verschwiegen, Brunsson spricht davon, dass 70 Prozent aller Veränderungsinitiativen scheitern (Brunsson 2009b).
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Auch ist der Blick des Ingenieurs auf soziale Prozesse ein anderer als der des Sozialwissenschaftlers. In vielen Fällen werden Innovationsprozesse aus Ingenieurssicht als rein technische Prozesse angesehen. Ingenieure haben tendenziell ein eher mechanistisches Weltbild und folglich betrachten sie Unternehmensprozesse eher aus dieser Perspektive (Gambetta 2009). Es wird nach „Optimierung von Prozessabläufen“ getrachtet, man möchte „Normierungsprozesse“ in Gang setzten und die gegebenen technischen Voraussetzung der Produktion erweitern. Ob man eine „Flüchtige Substanz“ wie Dienstleistungen, die obendrein viel mit Vertrauensbildung zu tun haben, unter den gleichen Bedingungen entwickeln kann wie ein automatisiertes Produktionsverfahren, wagen wir stark zu bezweifeln.
3.
Reaktion auf Umweltveränderungen – Mehr des Anderen oder mehr des Selben?
Der Zusammenhang von Automation und Entlastung kann bei Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen. Wenn Dienstleistungen in ihrem repetitiven Bereich „industrialisiert“ werden und Menschen so von repetitiver, stupider und oft belastender Arbeit befreien, dann erhalten sie möglicherweise Freiraum für qualitative Arbeit. Als Beispiel Buchladen: Freiraum für Beratung, Service, Beziehungspflege, Rahmenprogramm (Lesungen). Wenn die reinen Verkaufprozesse „industrialisiert“ werden, degenerieren die VerkäuferInnen zu Verpackern und Kassierern, wie das bei Großbuchhandlungen auch schon der Fall ist. Eine extreme Produktivität und die Reduktion von Transaktionskosten auf ein Minimum kann man bei Amazon beobachten, einem mittlerweile weltweiten Quasimonopolisten bei dieser Dienstleistung. Die Empfehlung, sich höherer Effizienz zu verschreiben, die Produktivität in der Dienstleistung zu erhöhen, kann auch zum fast sicheren Ausscheiden aus dem Markt führen. Denn Großbetriebsformen ziehen die Mehrheit der Kunden auf sich, wenn es nur noch um Produktivität im Bereich einer fixierten Dienstleistung geht. Die Chancen für Kleinere bestehen ja gerade in der Differenzierung, dem direkten Kundenkontakt und der Mobilisierung von Engagement der Mitarbeitenden. Reaktionsweisen, also Kommunikationen von Unternehmen haben, systemperspektivisch gesehen, eine konservative Beharrungstendenz, um das System funktionsfähig zu erhalten. Die Folge ist allerdings, dass die Reaktionsfähigkeit auf Umweltanforderungen dramatisch abnehmen kann, ohne dass dies im System selbst unmittelbar bemerkt wird. Veränderungsprozesse, die zur Erhaltung der Systemfunktionen notwendig sind, kann man auch als Lernprozesse bezeichnen. Systeme lernen durch Veränderungen ihrer jeweiligen Kommunikationsweisen. Veränderung in der Kommunikationsweise bedeutet dann die Veränderung der Grenzziehung zur Umwelt und die Veränderung der Sinnressourcen im System. Um Veränderungen zuzulassen, müssen, aus systemischer Perspek-
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tive gesehen, veränderte Erwartungsstrukturen aufgebaut werden. Diese Erwartungsstrukturen sind nichts anderes als die Möglichkeit, dass „Störungen“ wahrgenommen werden und auf sie reagiert werden kann. Das System wird in die Lage versetzt, dadurch neue Sinnbereiche zu integrieren, es kann somit auf Umweltveränderungen reagieren. Dazu bedarf es eines veränderten Beobachtungsmodus des Systems. Letztlich muss das Interpretationsspektrum des sozialen Systems erweitert werden, also konkret gesagt die Interpretationsweisen der Wirklichkeit durch die Akteure im sozialen System. Um soziale Systeme lebensfähig zu halten, ist somit nicht die verstärkte Kontrolle und Anwendung bisheriger Kommunikationsweisen angebracht. Fast das Gegenteil ist notwendig: Zulassen von Unsicherheit, Vermeidung von monoperspektivischen Beschreibungsritualen durch Leitungspersonal, vermehrte Fehlertoleranz, zulassen von heterogenen Wirklichkeitsbeschreibungen und das Einbeziehen all derjenigen Akteure zur Lösungsentwicklung, die im System involviert sind. Leitmaxime kann dabei sein: „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst“ (von Foerster 1993).
4.
Selbstorganisation ermöglichen – ROM Kompetenzen sind Selbstorganisationsfähigkeiten
Unternehmen sind hoch komplexe und sich stetig verändernde Systeme, in denen das individuelle und kollektive Verhalten nicht voraussehbar ist. Es handelt sich also um non-triviale Systeme (von Foerster). Es ist möglich, diese Systeme zu trivialisieren, indem man sie „versklavt“, also durch Hierarchie und Macht in Abhängigkeit bringt und ihre Eigendynamik begrenzt. Das funktioniert sowohl auf Märkten, wo man Kunden in Bindungssysteme zwingt, von bewusst komplexen technischen Systemen an den Service bindet oder ihnen zum Schein Vielfalt vorgaukelt. Auch Entfremdung und das Schüren von Angst und Unsicherheit schaffen „Kundentreue“. In Unternehmen ist die „Versklavung“ noch einfacher zu praktizieren, wenn über Hierarchie, Kontrolle und großen Effizienzdruck Unsicherheiten bis hin zu Ängsten erzeugt werden. Die Menschen agieren dann nicht mehr eigenständig, und stattdessen versuchen sie fast ausschließlich ihren Arbeitsplatz durch vorgeschriebenes Verhalten zu sichern. Turbulenten Kontexten kann man natürlich auch mit Vielfalt, also der Erhöhung von Eigenkomplexität begegnen. Dabei wird die De-Trivialisierung betrieben. Die Alternative des Wirtschaftens besteht dann in der Orientierung auf wirklichen Dialog, Mitwirkung, Kooperation und Selbstorganisation. An einer einfachen Formel kann man das veranschaulichen: RoM: = Outputm / Inputm Es wird deutlich, dass bei geringer Managementeinwirkung Inputm der Return on Management (RoM) steigt. Dabei wird zugleich ein zweiter Effekt erzielt: Die geringere Kontrolle und Fremdorganisation, löst bei den betroffenen Menschen einen Flow-Effekt aus. Sie agieren in der Balance zwischen Herausforderung bzw. Innovation und Kompetenz bzw. Fähigkeit. Sie spüren, dass man ihnen vertraut und sie nutzen die gewährten Spiel-
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räume, sie engagieren sich und tragen zum Wohl der Unternehmensentwicklung bei. Abgesehen von einer nicht zu unterschätzenden „Erstverschlimmerung“ nach Einführung dieser Art von Management, gehen die Akteure dazu über, „ihr“ Unternehmen und als Kunden „ihre“ Marke zu verteidigen, selbstständig Probleme zu lösen und so das Unternehmen resilient, robust und entwicklungsfähig zu machen. Durch die Freisetzung der Selbstorganisationspotenziale entwickelt sich das System zur Multistabilität und Metakompetenz. Das Repertoire der Möglichkeiten entwickelt sich stetig weiter. Die Gestaltung einer Kultur der Entwicklung von erweiterten Möglichkeiten wollen wir im Folgenden kurz erläutern. In Forschungen zu den Bedingungen kreativen Handelns ergeben sich übereinstimmend verschiedene Faktoren, die eine erfinderische Kultur entstehen lassen. Lassen Sie uns kurz die Dimensionen der erfinderischen Sphäre durchgehen, und dabei die Gestaltungsmöglichkeiten andeuten. An anderer Stelle sind die systemischen Gestaltungsarten und -ebenen umfänglich erläutert worden (Bergmann 2001; Bergmann et al. 2006; Bergmann/Daub 2008): Vielfalt erweitert die Intelligenz des Systems, denn Unterschiede sind die Basisressource für Wissen. Gleichheit eröffnet Chancen zu kollegialer Zusammenarbeit und entspannt die Akteure vom Karrierestress, Mitwirkung verbessert die Erkenntnisse sowie Ergebnisse und erzeugt Interesse, Engagement und damit Akzeptanz von Neuerungen. Hier die Dimensionen der erfinderischen Sphäre nochmals kurz skizziert: Vielfalt (Diversity): Vielfalt in Menschen, Kompetenzen, Kulturen und Methoden erscheint als Fundament für Wissen und Lernen. Vielfalt erzeugt Unterschiede, die als Rohstoff der Information und in Folge der Fähigkeiten und Ideen dient. Vielfalt entsteht nicht automatisch, vielmehr nimmt sie über die Zeit ab, weil Menschen zur Ähnlichkeit tendieren (Sympathieproblem). Das Andere, Neue, Fremde erscheint unvertraut und das führt zu einem oft unbewussten Abbau an Diversität. Insofern ist ein sanfter Druck zur Vielfalt erforderlich. Gemeinschaft gelingt, wenn es selbst gewählte Zugangsmöglichkeiten (siehe unten) gibt. Gemeinschaft lebt als dissipative Struktur, in der sich die Existenz durch permanenten Wandel ergibt (vgl. Rosa 2010). Vielfalt erhöht das Spektrum der Möglichkeiten. Unternehmen, die mehr Heterogenität ermöglichen, ernten mehr Kompetenz und Responsefähigkeit. Kompetenz besteht in der Fähigkeit zur Selbstorganisation. In Unternehmen kann man Kompetenzen entwickeln, wenn dafür die geeigneten Kontexte gestaltet werden. Talente und besondere Fähigkeiten entwickeln sich dann, wenn Menschen ihre Neigungen entdecken, die Inhalte und Wege selbst wählen können, deshalb weit überdurchschnittlich intensiv üben und trainieren, schnelles Feedback bekommen (fail, fail again, fail better, Samuel Beckett), passende und kompetente Förderer haben und wenn sie in einem kreativen Umfeld arbeiten. In Unternehmen, wo Leistungsdruck herrscht, die Mitarbeitenden um ihren Arbeitsplatz bangen, eng kontrolliert wird und geringe Mitwirkungsmöglichkeiten bestehen, können Kompetenzen kaum entfaltet werden.
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Gleichheit: Im Anschluss an Vielfalt die Gleichheit zu nennen, erscheint zunächst verwirrend. Jedoch ist hiermit nicht die Angleichung der Menschen an sich, sondern vielmehr die Gleichheit von Chancen, von Rechten und von Status gemeint. Besonders Richard Wilkinson hat eindrucksvoll den Zusammenhang von Gleichheit und verschiedenen positiven Entwicklungen verdeutlicht. Auf der Basis von diversen Studien entwickelt er positive Zusammenhänge zwischen Gleichheit und Wohlstand (Wilkinson/Pickett 2009). Gleichheit vermindert die Gewalt in der Gesellschaft, fördert die Gemeinschaft und die Kooperation, erhöht die Lebenserwartung und erweitert das Wissen und die Kreativität. Gleichheit nützt damit allen Schichten der Gesellschaft. Ungleichheit hingegen reibt die Gesellschaft auf. Unternehmen mit geringen Statusunterschieden, geringeren Einkommensunterschieden und wenigen Hierarchieebenen arbeiten erfinderischer (vgl. als aktuelles Beispiel die Schweizer Firma Victorinox). Die Ordnung der Verschiedenheit, eine Heterarchie, befreit vom Karrierestress und Leistungsdruck. Gutes Neues entsteht eher in einer FlowKultur, wo die Menschen individuell ihre Balance zwischen innovativer Herausforderung und Kompetenz finden können. Als besonders veraltet kann die heroische Elitenkultur gelten. Es wird dabei davon ausgegangen, dass nur Experten und besonders einzigartige Helden Führungsaufgaben übernehmen können. In einer komplexen Welt scheitert der einzelne Experte und Held aber schnell. Er übernimmt eine unmögliche Aufgabe, da die Probleme nur unter Mitwirkung vieler unterschiedlicher Akteure bewältigt werden können. Er muss als abgehobener Held die Distanz wieder reduzieren und andere einbeziehen, ihre Kompetenz integrieren und zugleich seine Unfehlbarkeit und überragende Fähigkeit unter Beweis stellen. Der heterogene, gleich berechtigte Schwarm kann extrem bessere Erkenntnisse entwickeln und fördert zugleich die Akzeptanz der Entscheidungen. Die hoch dotierten Helden erkennen diese Lage häufig und handeln deshalb einseitig vorteilhafte Verträge aus und offenbaren sich häufig als illoyale Söldner. Glauben die Akteure an heroisches Management, dann finden die Bewerber auch ideale Bedingungen vor, um sich extreme Bezahlungen und Privilegien zu sichern. Mit Dirk Baecker plädieren wir deshalb für ein Postheroisches Management (Baecker 1994). Überschaubarkeit und Nähe (Density): In kleinen sozialen Systemen bildet sich ein hohes Maß an Kooperation und Verantwortung aus, weil die Menschen Resonanz auf ihr Handeln spüren. Die geografische Nähe erzeugt ein Klima der Kreativität im „Melting Pot“. Durch diverse Möglichkeiten des Austausches entstehen innovative Bündnisse über Fachgrenzen hinaus. Eines der größten Probleme resultiert aus der Größe, der daraus resultierenden Hierarchie und Anonymität. Je größer eine Organisation wird, desto wahrscheinlicher wird die organisierte Unverantwortlichkeit. Die Handelnden spüren wenig Resonanz auf ihr Verhalten.
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In Konzernen ist diese negative Entwicklung fast zwangsläufig, wenn nicht aktiv und immer wieder Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Die Größe führt zu geringerer Mitwirkung, mehr Hierarchie und Kontrolleinrichtungen, da das System anders kaum steuerbar erscheint. Der einzelne Mensch kann nur in Subkulturen von Konzernen anerkannt und respektiert werden. Will man selbst große Unternehmen erfinderisch, human und nachhaltig organisieren, dann funktioniert das wahrscheinlich nur mit deutlicher Eigenständigkeit, Selbstorganisation und Dezentralität der Subsysteme. Dann ist es möglich, Beziehungen aufzubauen sowie Kooperation und Kreativität sich entfalten zu lassen. Ansonsten entwickeln sich gerade große Unternehmen und insbesondere Verwaltungen, wie man empirisch vielfach belegen kann, pathologisch und zum Organisationswahnsinn hin (Bakan 2004). Austausch (Interaction): Die Schaffung von vielfältigen Kommunikationsanlässen führt zu einem zufälligen Austausch, zur Steigerung der Toleranz und damit zu innovativem Denken. Open Business Models, Open Innovation (vgl. besonders Chersbourg 2008), offener Wissenstransfer sind die Merkmale zukünftiger Ökonomie (Tapscott). Der Austausch und die Kooperation sind in kleinen, überschaubaren Strukturen eher denkbar und realisierbar. Robin Dubar hat mit seiner Magic Number 150 diese Problematik verdeutlicht. Unser Neocortex ist für den Austausch einer begrenzten Zahl von Mitmenschen geeignet. Zu über 150 bis 200 Menschen können wir kaum Beziehungen aufbauen und damit geht in größeren Strukturen die Wechselbezüglichkeit und Verantwortlichkeit rapide zurück. Das kollektive Lernen und die Verknüpfung von Kompetenzen können besonders räumlich unterstützt werden. So sind Foren des Austausches, wo beiläufig Kommunikationsanlässe entstehen, ein guter Beitrag. Ganz praktisch sind Cafeterien, Piazzas und teilweise offen gestaltete Räumlichkeiten einer Zellenstruktur bei weitem vorzuziehen. Methodisch haben sich offene Workshops wie Zukunftskonferenzen, Open Space und offene Projektstrukturen bewährt, diese intensive Mitwirkung zu organisieren. Freiraum: Das Neue wächst besonders dort, wo es Raum hat. Insofern sind Freiräume in gedanklicher und physischer Art zu schaffen. Es geht hier besonders um die Ermöglichung ergebnisoffenen, zweckfreien, „verrückten“ Denkens und Handelns. Erfindung und Innovation benötigen experimentelle Vorgehensweisen und dafür spezielle Reservate. Der Entfaltungsspielraum kann dazu dienen, bisher ungelebte Potenziale zu entdecken und das Selbst zu entfalten. Oft wirkt der Zugang zur Fantasie und zum Ideenreichtum verstellt. Menschen benötigen diese ursprüngliche Kreativität für die Lösung herausfordernder Probleme. Das Neue wächst besonders dort, wo es Raum hat. Innovative Reservate geben Raum für Experimente, Zeit für Reflexion und Inspiration. Häufig wollen Mitarbeitende in Unter-
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nehmen lediglich einen Spielraum gewährt bekommen, um ihre ureigensten Ideen ausprobieren zu können. Auch aus eigenen Erfahrungen in Unternehmen können wir von großem freiwilligem Engagement berichten. Open Space Workshops, selbstgewählte Projekte, Räume und Zeiträume, wo Wissen ausgetauscht und lang gehegte Ideen verwirklicht werden können, bieten sich als Lösungswege an. In unseren langjährigen und vielfältigen Beobachtungen und Begleitungen von Unternehmen glauben wir einen wesentlichen Grund für das Gelingen oder Scheitern von Unternehmen ermittelt zu haben: Unternehmen entstehen meistens, weil Gründer eine zentrale Idee mit Leidenschaft verfolgen, eine Erfindung auf dem Markt anbieten wollen, Freude an einer Dienstleistung haben, den Kontakt zu Kunden mögen, etwas mit Menschen aufbauen wollen. Uns ist kaum ein erfolgreiches Konzept bekannt, wo diese non-pekuniären Ziele nicht eine zentrale Rolle gespielt haben. Im Laufe der Entwicklung von Unternehmen können jedoch andere, besonders im engeren Sinne monetäre Ziele in den Vordergrund treten. Erben streiten sich um das Vermögen, der Unternehmer will „Kasse machen“, Investoren fordern eine höhere Rendite und so weiter. Nicht selten wird durch diese Haltung das Scheitern eingeleitet. In einigen Fällen konnten wir eine überraschende Wende in der Krise bewirken, die von außen geradezu als Wunder wahrgenommen wurde. In einem Unternehmen, das hier als typisches Beispiel dienen kann, war die Lage vollends aussichtslos. Der Insolvenzverwalter stand vor der Tür. Auf Hinweis eines befreundeten Unternehmers lud der Eigentümer zu einem Gespräch, wie die Insolvenz noch zu vermeiden sei. Es entstand dadurch eine ideale Situation: Die Referenz bewirkte Vertrauen und die tiefe Krise ermöglichte Handlungsfähigkeit. Der Unternehmer willigte ein, alle Mitarbeitenden zu einem offenen Krisenworkshop in die Werkshalle einzuladen, um Chancen und Probleme zu besprechen. Neben vielen Sachthemen (neue Produkte müssen her) ergab der Workshop ein zentrales Problem: Vertrauenskrise. Die Mitarbeitenden und der Betriebsrat glaubten, der Eigentümer hätte Geld veruntreut, ins Ausland geschafft und eigentlich ginge es der Firma gar nicht so schlecht. Der Unternehmer versuchte immer mehr die Löhne zu reduzieren und setzte die Mitarbeitenden seit geraumer Zeit unter Druck. Nach dieser Schilderung wurde eine Klärung im Beisein von einem Wirtschaftsprüfer und eines Fachkundigen der Gewerkschaft vorgeschlagen. Diese Prüfung ergab, dass es der Firma wirklich schlecht ging, der Eigentümer auch privates Vermögen beliehen hatte und alles tat, die Firma zu retten. Auf Basis dieser Diagnose konnte das Vertrauen wieder hergestellt werden, was mit einem Ritual vor allen Augen vollzogen wurde. Daraufhin haben wir gemeinsam analysiert, was anders gemacht wurde, als es dem Unternehmen besser ging. So kam heraus, dass früher der Chef Produkte mit den Technikern des Unternehmens und gemeinsam mit Kunden entwickelte und so Aufträge akquirierte. In der Krise hatte der Eigentümer jedoch auf diese Kundengespräche verzichtet, um selbst Aufträge technisch zu bearbeiten, die von den frustrierten und zum Teil misstrauischen Mitarbeitenden nicht hinreichend bearbeitet wurden. Nach drei Monaten hatte sich die wirtschaftliche Situation so dramatisch verbessert, dass die Bank anrief und besorgt
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fragte, ob das Unternehmen das Kreditinstitut gewechselt habe, denn alle bisher roten Konten standen wieder glatt. Das Unternehmen hatte sich aus eigener Kraft aus der Krise bewegt. Diese Geschichte erzählen wir nur, weil sie deutlich macht, dass die Probleme häufig in einer Haltungsänderung verborgen liegen und nicht lösbar sind, wenn man sich nur auf die Kosten oder sonstige oberflächliche Sachthemen konzentriert. Gemeinsam wurde eine Lösung erfunden. Zugang: Kreativität entsteht besonders dort, wo gleichberechtigter Zugang zu Ressourcen besteht und die notwendigen Basismittel frei zur Verfügung stehen. Die unter dem Label Open Innovation bekannt gewordene Erneuerungsstrategie stellt eine große Möglichkeit dar, interaktiv mit verschiedenen Austauschpartnern weit über das Unternehmen hinaus Neues zu entwickeln. Die Öffnung zu anderen Kulturen, zu anderen Marktteilnehmern ist aber allein schon eine gewaltige Herausforderung. Denn die Öffnung für andere gehört nicht zu den Wesenszügen sozialer Systeme. Zu einer erfinderischen Unternehmung gehören Experimentierfelder, die die effizienten Routinestrukturen zumindest ergänzen. Also Raum, in dem Neues entstehen kann. Das gilt insbesondere auch für die Öffnung im Sinne der Open Innovation und User Driven Innovation (Chesbrough 2008). Ein partizipatives Design integriert alle Akteure innen und außerhalb, die mit ihren Interessen, Sichtweisen und Kompetenzen beitragen können, wahrlich nützliche und kreative Produkte oder Dienstleistungen entstehen zu lassen. Mitwirkung verbessert die Entwürfe und macht sie eher akzeptabel, sodass aus den Ideen Innovationen werden. Für eine Öffnung ist ein fundamentaler Wandel der Kultur notwendig. Auch Akteure in Unternehmen sind getrieben von ihren oft unbewussten emotionalen Prägungen, die sie durch Selbstreflexion und Coaching sichtbar machen können. Eine Leitlinie für erfolgreiches Wirtschaften kann darin bestehen, dass man Unternehmen mit „Liebe, Lust und Leidenschaft“ führt. Liebe ist nichts weiter als die höchste Form der Verständigung. Erfolgreiche Unternehmer lieben ihre Aufgabe, mögen mit Menschen gestalten und bauen vertrauensvolle Beziehungen zu Kunden und anderen Marktteilnehmern auf. Sie betreiben mit Leidenschaft ihr Geschäft und arbeiten an der kontinuierlichen Verbesserung von Produkten und Diensten. Sie steigern die Motivation (Lust) und das Interesse der Mitarbeitenden durch Integration und Partizipationsmöglichkeiten. Problematisch wird es häufig, wenn Unternehmen in reine „Geldmaschinen“ umgewandelt werden sollen und hohe Renditeforderungen, Shareholder Value und ähnliche Ziele im Vordergrund stehen. Dann beginnt häufig die Zeit der legalen Plünderung und das Unternehmen wird „seelisch entkernt“. Die Aufmerksamkeit geht von der Entwicklung von guten Produkten und Diensten weg und verlagert sich zu einer Fokussierung auf Renditeziele. Mit der Folge, dass statt von Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden von Personalkosten geredet wird. Betriebswirtschaftlich sind Menschen in erster Linie ein Produktionsfaktor, den man möglichst günstig einkaufen möchte. Die Lösungen sind dort zu finden, wo die Probleme entstehen, in der Beziehung zwischen Menschen.
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Eine Unternehmenskultur, in der ein hierarchisches Elitendenken vorherrscht, kann ein systemisches Lernen und Erfinden kaum stattfinden. Macher und Heroen vertiefen den Graben zwischen den Sphären. Mehr oder minder gehen die Akteure dann dazu über, den „Herrschenden“ gefallen zu wollen, zumindest nicht aufzufallen und sich konformistisch zu verhalten. Diese Kulturen sind anfällig gegenüber den Erzählungen der selbstinszenierten Macher, die wahrscheinlich eine ausgeprägt narzisstische Neigung haben und diese geschickt ausleben. Beispiele dazu stehen in allen Varianten in der Zeitung. Diese kulturelle Verengung kann aufgelöst werden, wenn von allen Beteiligten individuell und im System miteinander die Deutungs- und Emotionsmuster reflektiert werden, die bisher das Verhalten bestimmen. Noch konkreter: Besonders die systemische Aufstellungsarbeit kann hier Aspekte des individuellen und kollektiven Unbewussten sichtbar machen (Vgl. Groth/Stey 2004). Auch eine Sprachanalyse kann helfen, die systemtypischen Muster zu diagnostizieren.
5.
Produktivitätserhöhung im Verlauf betrachten (Solution Cycle)
Unsere Vorgehensweise zur Produktivitätserhöhung im Dienstleistungsbereich orientiert sich an der Aktionsforschung und die Ablaufstruktur ist mit dem Prozessdesign des Solution Cycles hinlänglich beschrieben (Bergmann 2001; Bergmann/Daub 2008). Die acht Phasen sind im Folgenden nur kurz erinnert: Die Diagnose besteht aus dem Erkennen der verschiedenen Erlebniswirklichkeiten, dem Austausch darüber in einem Klärungsprozess und der gemeinsamen Entwicklung von Zielen und Indikatoren. Es wird gesucht, was fehlt. Die Gestaltung umfasst die Phasen der Ideenentwicklung, der gemeinsamen Bewertung sowie der Realisation und endet bei gutem Verlauf im Flow. Die Reflexion dient dem substanziellen Lernen, der Musterbildung und dem Feedback und endet mit der Abschlussphase. Methodisch lehnen wir uns an anthropologische Vorgehensweisen an, wie sie von Clifford Geertz mit der dichten Beschreibung und von Bruno Latour mit der Akteur-Netzwerk Theorie entwickelt wurden. Bruno Latour spricht bei der Diagnose von dem Phänomen der „Perplexität“, der Neugier und strukturellen Offenheit, die wir versuchen im Prozess des Verstehens zu erreichen.
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Organisation, Methoden
1
abschließen
Architektur, Design, Präsentation
erkennen
8 2
klären
perzeptiv lernen
reflektiv
7
3
lösen
kreativ Kontakt finden
6 4 5
Sprache, Bilder
verändern
planen
Timing, Zeitgestaltung
Abbildung 1: Solution Cycle
6.
Fazit
Ziel ist es, die Produktivität in den Dienstleistungsbereichen zu erhöhen, die den Menschen von mühsamer und stupider Arbeit befreien. Dann bleibt erfahrungsgemäß mehr Zeit für Kompetenzentwicklung in den wirklich innovativen Bereichen. Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wird durch die Entwicklung und Erweiterung des Kompetenzspektrums erreicht, wenn also statt mehr des Selben mehr des Anderen geschaffen wird. Dies kann erfolgen, wenn sowohl Mitarbeitende als auch Kunden in die Zielbildung und Gestaltung einbezogen werden.
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Christian Homburg und Christina Kühnl
Nichtlineare Effekte im Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen: Eine vergleichende Studie
1. Einleitung 2. Theoretisch-konzeptioneller Hintergrund der Studie 3. Entwurf des Untersuchungsmodells und Herleitung der Hypothesen 3.1 Der Einfluss des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg 3.2 Der Einfluss des Einsatzes interdisziplinärer Teams auf den Innovationserfolg 3.3 Der Einfluss des Management Commitments auf den Innovationserfolg 3.4 Der Einfluss der Kundenintegration auf den Innovationserfolg 4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung 4.1 Datengrundlage und Datenanalyse 4.2 Test der Hypothesen und Ergebnisse 5. Fazit der Untersuchung und Implikationen für Manager Literaturverzeichnis ___________________________ Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christian Homburg leitet den Lehrstuhl für Allgemein Betriebswirtschaftslehre und Marketing I an der Universität Mannheim, an der er ebenfalls Direktor des Instituts für Marktorientierte Unternehmensführung (IMU) ist. Dr. Christina Kühnl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing I an der Universität Mannheim.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einleitung
Innovationen tragen wesentlich zum Überleben am Markt und zum Wachstum eines Unternehmens bei. Sie stellen somit eine wichtige Einflussgröße für den finanziellen Erfolg eines Unternehmens dar (Srinivasan et al. 2009). Aufgrund dieser hohen wirtschaftlichen Bedeutung von Innovationen ist es nicht verwunderlich, dass sich Wissenschaftler umfassend mit diesem Phänomen beschäftigt haben. Trotz der zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse bleiben in der Unternehmenspraxis die Misserfolgsraten von neuen Dienstleistungen und neuen Produkten jedoch exorbitant hoch – oftmals aufgrund bestehender Probleme während der unternehmensinternen Implementierung von Innovationsprojekten (BusinessWeek 2008). Aus diesem Grund ist in mindestens zweierlei Hinsicht weiterer Forschungsbedarf vorhanden. Um über eine Verbesserung des Innovationserfolges einen Beitrag zur Sachgüter- und Dienstleistungsproduktivität zu leisten. An erster Stelle kann angeführt werden, dass die empirisch nachgewiesene Wirkung einer Vielzahl an Erfolgsfaktoren im Innovationsmanagement inkonsistent ist. Zu diesen Einflussgrößen gehören der Innovationsgrad, der Einsatz interdisziplinärer Teams, das Management Commitment sowie die Kundenintegration in den Innovationsprozess (Brockman/Morgan 2006). Die Ergebnisse für diese vier Prädiktoren variieren stark in ihren Effektstärken oder weisen sogar unterschiedliche Einflussrichtungen auf. Daher haben einige Wissenschaftler – trotz des offensichtlichen, erfolgssteigernden Nutzens dieser Variablen für ein Innovationsprojekt – eine entgegengesetzte Position eingenommen: Sie betonen die Nachteile, die mit diesen Einflussgrößen einhergehen. Unter diesen Nachteilen sind z.B. die Kosten, die für die Implementierung von interdisziplinären Teams auftreten, oder der mangelnde Nutzen, den die Kundenintegration in den Innovationsprozess liefert, da „customer needs are restricted to the familiar“ (Lukas/Ferrell 2000, S. 240). In der vorliegenden Untersuchung wird daher die Möglichkeit untersucht, ob zwischen den aufgeführten Einflussgrößen und dem Innovationserfolg eine kurvenförmige – genauer gesagt eine umgekehrt U-förmige – Beziehung anstatt des üblicherweise unterstellten linearen Effekts besteht. Solch eine umgekehrt U-förmige Beziehung entsteht, wenn mit zunehmendem Einsatz einer Determinante die entsprechenden Implementierungskosten die Oberhand über den erhofften Nutzenbeitrag gewinnen. Zweitens argumentieren einige Wissenschaftler, dass die inkonsistenten Untersuchungsergebnisse zu den Einflussfaktoren im Innovationsmanagement von der Produktkategorie, das heißt Sachgut versus Dienstleistung, abhängen (Atuahene-Gima 1996a). Dabei stellt sich die zentrale Frage, ob sich neue Dienstleistungen eher von neuen Produkten unterscheiden, oder ob die beiden Produktkategorien sich eher ähneln. Aus dieser Grundsatzfrage resultiert die weitergehende Frage, ob die Erfolgsfaktoren des Neupro-
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Christian Homburg und Christina Kühnl
duktmanagements denselben Effekt auf den Erfolg neuer Dienstleistungen ausüben (Atuahene-Gima 1996a; Nijssen et al. 2006). Eine positive Antwort auf diese grundlegende Forschungsfrage würde es Wissenschaftlern erlauben, das für neue Produkte vorhandene Wissen auf die Entwicklung innovativer Dienstleistungen zu übertragen (Karniouchina et al. 2006), da hierzu kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vorhanden sind (Maglio/Spohrer 2008). Empirische Arbeiten, die versuchen, eine zufriedenstellende Antwort auf die eben aufgeführten Forschungsfragen zu geben, sind nur in begrenztem Maß vorhanden (Hauser et al. 2006). Es konnten lediglich vier Studien, die explizit diese Fragestellungen thematisieren (Atuahene-Gima 1996a; 1996b; Song et al. 1999; Nijssen et al. 2006), und drei Metaanalysen (Henard/Szymanski 2001; Szyamanski et al. 2007; Troy et al. 2008) gefunden werden. In diesen Studien wird der empirische Nachweis erbracht, dass die untersuchten Erfolgsfaktoren für beide Produktkategorien gültig, aber unterschiedliche Effektstärken der Einflussgrößen für neue Produkte und neue Dienstleistungen vorhanden sind. Aus dieser Erkenntnis resultiert die Frage, woher die in diesen Untersuchungen identifizierten Unterschiede in den Effektstärken der Erfolgsfaktoren zwischen Produktund Dienstleistungsinnovationen stammen. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel der vorliegenden Studie darin, zu untersuchen, inwiefern eine Antwort auf die aufgeführten Forschungsfragen in der Beziehungsnatur – linear versus nichtlinear – zwischen einer Einflussgröße und dem Innovationserfolg in einem Produkt- versus Dienstleistungskontext liegen könnte. Die Existenz nichtlinearer Zusammenhänge könnte eine fundierte Erklärung für die in früheren Untersuchungen gefundenen Unterschiede der Effektstärken von Prädiktoren zwischen neuen Produkten und neuen Dienstleistungen darstellen (Cohen et al. 2003). Dabei stützt sich diese Untersuchung auf die Annahme, dass die jeweiligen Besonderheiten der Innovationsprozesse von Dienstleistungen und Produkten Einfluss auf die potenzielle Dominanz von Implementierungskosten über dem Nutzen, der mit einem Erfolgsfaktor einhergeht, ausüben.
2.
Theoretisch-konzeptioneller Hintergrund der Studie
In der Marketingliteratur sind die inhärenten Unterschiede zwischen Dienstleistungen und Produkten sowie die hieraus abgeleiteten Implikationen für das Marketingmanagement allgemein anerkannt (Lovelock 1981). Kurz gefasst sind Dienstleistungen „less tangible, less separable in production and consumption, and more perishable than manufactured goods“ (Zeithaml et al. 1985, S. 35). Diese konstitutiven Merkmale, die für Dienstleistungen tendenziell stärker ausgeprägt sind als für Sachgüter (Homburg/Krohmer 2009), können in gravierenden Unterschieden zwischen der Entwicklung neuer Dienstleistungen und dem Innovationsprozess neuer Produkte resultieren (de Brentani 1989). Dabei sind zwei konstitutive Merkmale von Dienstleistungen für diese
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
105
Studie von besonderer Bedeutung: die Intangibilität und die Untrennbarkeit der Erzeugung einer Dienstleistung von ihrem Absatz. Sie bilden den theoretisch-konzeptionellen Hintergrund der Untersuchung und werden daher kurz vorgestellt. Das konstitutive Merkmal der Intangibilität von Dienstleistungen bezieht sich auf die Tatsache, dass „services cannot be seen, felt, tasted, or touched in the same manner in which goods can be sensed” (Zeithaml et al. 1985, S. 33). Somit erschwert diese Dienstleistungseigenschaft im Allgemeinen das Erkennen sowie die Beurteilung einer neuen Dienstleistung. Des Weiteren ermöglicht bzw. fördert die sich aus der Intangibilität ergebende Nichtpatentierbarkeit ein einfaches Imitieren einer Dienstleistungsinnovation durch Wettbewerber (Song et al. 1999). Aus Kundensicht führt die Intangibilität einer Dienstleistung dazu, dass diese die neue Dienstleistung vor dem Kauf nicht auf ihren Nutzen und ihre Qualität hin überprüfen können. Dies liegt daran, dass Dienstleistungsinnovationen im Vergleich zu physischen Produkten weniger Suchkriterien, dafür aber mehr Erfahrungskriterien aufweisen. Als Konsequenz aus der Herausforderung der Kunden, konkurrierende Dienstleistungsangebote zu verstehen, zu bewerten und miteinander zu vergleichen, steigt daher deren wahrgenommenes Kaufrisiko (Im et al. 2007). Zuletzt ist auf den Umstand hinzuweisen, dass – im Gegensatz zu Produktinnovationen – meist keine Prototypen für die Ideen neuer Dienstleistungen entwickelt werden können. Dies erfordert bei Kunden, die während des Entwicklungsprozesses eine Dienstleistungsinnovation testen sollen und sie hierfür verstehen müssen, weitaus größere mentale Anstrengungen, als dies bei einem physisch greifbaren Produkt der Fall ist (Avlonitis et al. 2001). Die viele Dienstleistungen kennzeichnende Untrennbarkeit von Produktion und Konsum bezieht sich auf das parallele Ablaufen der Prozessschritte Erstellung und Absatz einer Dienstleistung. Während physisch greifbare Güter zuerst produziert, dann verkauft und im Anschluss konsumiert werden, unterscheiden sich Dienstleistungen meist hinsichtlich der Reihenfolge dieser Prozessschritte: Sie werden in der Regel zuerst verkauft, dann produziert und dabei zeitgleich konsumiert (Zeithaml et al. 1985). Zum einen impliziert diese Tatsache, dass Kunden oftmals während der Dienstleistungserstellung anwesend sind. Dies führt häufig zu einem hohen Grad an persönlicher Interaktion zwischen Kunden und den Mitarbeitern eines Dienstleistungsanbieters und somit zu deren tiefgreifendem Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Kunden (Rodriguez Cano et al. 2004). Allerdings erschwert dieser Umstand auch die Unterscheidung zwischen einer auf den Kunden zugeschnittenen Dienstleistung und einer innovativen Dienstleistung. Dies liegt daran, dass Mitarbeiter sofort auf die jeweiligen Bedürfnisse eines Kunden eingehen und die Dienstleistung dementsprechend anpassen können, sodass eine auf Kunden zugeschnittene Dienstleistung im Gegensatz zu standardisierten Produkten häufig als neu wahrgenommen wird. Zum anderen bezieht sich die Bewertung einer Dienstleistung sowohl auf ihren Erstellungsprozess als auch auf das hieraus resultierende Ergebnis. Dadurch wird das eigentli-
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Christian Homburg und Christina Kühnl
che Dienstleistungserlebnis zu einem wichtigen Erfolgsfaktor im Dienstleistungsmanagement. Dies erfordert wegen der Unterteilung der ablauforganisatorischen Gestaltung der Dienstleistungserstellung in kundennahe (Englisch: Front-Office) und kundenferne (Englisch: Back-Office) Bereiche eine enge Zusammenarbeit der Mitarbeiter untereinander (Corsten 2001). Denn eine mangelnde Kooperation der betrieblichen Funktionen bzw. beider Offices würde von Kunden sofort bemerkt werden und zu einer Verringerung der Kundenzufriedenheit führen (Troy et al. 2008). Des Weiteren ruft die Untrennbarkeit der Produktion und des Konsums einer Dienstleistung auch häufig größere Modifikationen beim Erstellungsprozess einer neuen Dienstleistung hervor, sodass Dienstleistungsanbieter in der Regel seltener als produzierende Unternehmen von Technologie- und Marketingsynergien profitieren können (Menor et al. 2002).
3.
Entwurf des Untersuchungsmodells und Herleitung der Hypothesen
Abbildung 1 liefert einen Überblick über das Untersuchungsmodell und die Einflussgrößen auf den Innovationserfolg von Produkten bzw. Dienstleistungen. Die Kernaussage des Modells lautet: Unterschiede in den Effektstärken von Haupteinflussgrößen zwischen Dienstleistungs- und Produktinnovationen können von unterschiedlichen, zugrundeliegenden Mechanismen bei ihrer Entwicklung stammen und zu einem linearen (das heißt linearer Effekt) oder kurvenförmigen (das heißt quadrierter Effekt) Zusammenhang führen. Die Untersuchungseinheit dieser Studie bezieht sich auf ein Innovationsprojekt, das entweder von einem Dienstleistungs- oder von einem produzierenden Unternehmen durchgeführt wurde. In dieser Studie stellt der Erfolg einer Dienstleistungsinnovation oder einer Produktinnovation die abhängige Variable dar. Im Hinblick auf die unabhängigen Variablen wird der Innovationsgrad als der von dem Hersteller und/oder dem Markt wahrgenommene Neuheitsgrad bzw. Radikalität eines neuen Produkts oder einer neuen Dienstleistung definiert (Booz et al. 1982). Hieraus resultiert die Dichotomie wenig (z.B. Imitation) versus sehr innovative (z.B. Weltneuheit) Produkte und Dienstleistungen (Urban et al. 1996). Der Einsatz interdisziplinärer Teams stellt eine effiziente Methode in Organisationen dar, damit unternehmensinterne und unternehmensexterne Informationen von allen an einem Innovationsprojekt beteiligten Mitarbeitern gesammelt, untereinander weitergegeben und verarbeitet werden können (Sethi 2000). Der Erfolgsfaktor Management Commitment „refers to the extent to which management shows interest in the project and monitors its progress” (Sethi et al. 2001, S. 80). Die Variable Kundenintegration in den Innovationsprozess gibt das Ausmaß an, zu dem Dienstleistungsanbieter oder Hersteller physischer Produkte mit etablierten und zukünftigen Kunden zusammenarbeiten und sie aktiv in den Innovationsprozess einbeziehen (Alam 2002).
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
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Erfolgsfaktoren Innovationsgrad linearer Effekt Innovationsgrad quadrierter Effekt
Kontextfaktor Produkt- / Dienstleistungsinnovation
Interdisziplinäre Teams linearer Effekt Interdisziplinäre Teams quadrierter Effekt Management Commitment linearer Effekt
Abhängige Variable Innovationserfolg
Management Commitment quadrierter Effekt Kundenintegration linearer Effekt Kundenintegration quadrierter Effekt
Abbildung 1: Untersuchungsmodell der Studie
3.1 Der Einfluss des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg In der Unternehmenspraxis wird ein hoher Innovationsgrad oftmals als Haupteinflussfaktor für einen hohen Innovationserfolg angesehen. In der Forschung hingegen besteht Uneinigkeit über die Wirkung sowie die Wirkungsrichtung dieser Variable, da „a clear and consistent relationship between new product innovativeness and performance has not been established“ (Brockman/Morgan 2006, S. 298). Somit bleibt die Frage weitestgehend unbeantwortet, ob und wie der Innovationsgrad den Erfolg einer Innovation beeinflusst, und ob diesbezüglich signifikante Unterschiede zwischen Produkten und Dienstleistungen bestehen. Die Autoren der Studien, die den Einfluss des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg untersuchen, nehmen in der Regel zwei gegensätzliche Positionen ein. Zum einen hebt der Großteil der Wissenschaftler den Nutzen eines hohen Innovationsgrads hervor. Zum anderen betonen Forscher die mit einem hohen Innovationsgrad einhergehenden, ansteigenden Entwicklungskosten und Risiken, die den Erfolg einer neuen Dienstleistung oder eines neuen Produkts beeinträchtigen können. Im Einklang mit der Mehrheit der Wissenschaftler wird in der vorliegenden Untersuchung deren Meinung übernommen, dass Unternehmen vom Angebot einer Innovation mit einem hohen Innovationsgrad am stärksten profitieren können. So argumentieren
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diese Wissenschaftler, dass z.B. das Angebot von Weltneuheiten zu einer beschleunigten Adoptionsrate führt, da Kundenbedürfnisse mit einzigartigen und überlegenen Marktangeboten befriedigt werden (Pauwels et al. 2004). Ebenso weisen sie empirisch nach, dass ein größerer Wettbewerbsvorteil durch die stärkere Differenzierung vom Wettbewerbsangebot erzielt werden kann (Goldenberg et al. 2001), was in einem höheren Innovationserfolg resultiert (Montoya-Weiss/Calantone 1994). Zusammengefasst zeigen diese Autoren, dass mit einem hohen Innovationsgrad der langfristige, finanzielle Erfolg zunimmt und somit der Einfluss auf den Unternehmenswert steigt (Bayus et al. 2003). Betrachtet man jedoch den Effekt des Innovationsgrads differenziert nach seiner Wirkung auf den Erfolg neuer Produkte versus neuer Dienstleistungen, kommt die Vermutung auf, dass ein hoher Innovationsgrad für Produktinnovationen am vorteilhaftesten sein könnte. Dahingegen scheint ein sehr hoher Neuheitsgrad bei Dienstleistungsinnovationen zu kostspielig und den Absatzerfolg negativ zu beeinflussen. Diese Tatsache kann zu einem bestimmten Punkt im Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad und dem Innovationserfolg von Dienstleistungen führen, ab dem die inkrementellen Kosten den inkrementellen Nutzenanstieg übersteigen. Hieraus resultiert eine umgekehrt U-förmige Beziehung zwischen dem Innovationsgrad und dem Erfolg neuer Dienstleistungen. Mehrere Gründe sprechen für diese Annahme. An erster Stelle kann die intangible Natur von Dienstleistungen aufgeführt werden, die dazu führt, dass „customers perceive greater risks in adopting new services than new products as a result of the lack of information to evaluate quality“ (Atuahene-Gima 1996a, S. 38). Das mit einem steigenden Innovationsgrad einhergehende, wahrgenommene Kaufrisiko resultiert aus der Tatsache, dass Konsumenten einer immer größer werdenden Herausforderung gegenüberstehen, eine Dienstleistungsinnovation richtig zu verstehen und korrekt zu bewerten. Dies kann dazu führen, dass Kunden die Dienstleistungsqualität schlechter beurteilen und somit deren Kaufabsicht sinkt. Eine gesunkene Absatzmenge beeinflusst den Innovationserfolg wiederum negativ (Szymanski et al. 2007). Als Konsequenz hieraus würde sich eine relativ zurückhaltende Nachfrage für sehr innovative Dienstleistungen im Vergleich zu sehr neuartigen Produkten ergeben, da bei letzteren deren physisch greifbare Produkteigenschaften Kunden die Produktbewertung vereinfachen (Atuahene-Gima 1996a). Zweitens können aufgrund der Simultanität von Produktion und Absatz von Dienstleistungen Unterschiede im Entwicklungsprozess zwischen beiden Produktkategorien entstehen. So erfordert diese Dienstleistungseigenschaft bei einem hohen Innovationsgrad vergleichsweise häufiger eine grundlegende Restrukturierung des Dienstleistungserbringungsprozesses als dies bei Produktinnovationen der Fall ist (Szymanski et al. 2007). Dies liegt daran, dass oftmals sowohl das Front- als auch das Back-Office neu konzipiert oder modifiziert werden müssen, um eine reibungslose Dienstleistungserstellung zu gewährleisten (Menor et al. 2002). Des Weiteren kann tendenziell davon ausgegangen werden, dass produzierende Unternehmen bei der Entwicklung von Weltneuheiten eher von Technologiesynergien profitieren können (Song/Montoya-Weiss 1998). Dagegen
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
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betont Atuahene-Gima (1996a, S. 44), dass wegen der fehlenden Patentierbarkeit von Dienstleistungsinnovationen „technology synergy is not necessarily a good thing for service firms”. Denn neue Dienstleistungen können schneller von Wettbewerbern imitiert werden, wenn bereits vorhandene, im Markt etablierte Technologien auch von ihnen verwendet werden können. Zusammengefasst bedeutet dies, dass ab einem gewissen Innovationsgrad weniger Synergien bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen im Vergleich zur Entwicklung von Produktinnovationen realisiert werden können. Dies erhöht die Gesamtkosten des Innovationsprozesses für Dienstleistungen überproportional, was zu einer weiteren Beeinträchtigung des Erfolgs neuer Dienstleistungen führt. An dritter Stelle lässt sich aufführen, dass die Diversifikationsbestrebungen von Dienstleistungsanbietern häufig kostspielig und riskant sind, da sie oftmals nur für ein oder wenige Gebiete als Experte bekannt sind. Daher kann es imageschädigend für ein Unternehmen sein, wenn es sich aufgrund einer Dienstleistungsinnovation zu sehr von seinem Kerngeschäft entfernt. Zudem erhöht sich mit einem steigenden Innovationsgrad die Notwendigkeit, neue Fachkräfte einzustellen (de Brentani/Ragot 1996). Hieraus können erneut höhere Entwicklungskosten für neue Dienstleistungen resultieren, die den Innovationserfolg weiter reduzieren. H1a:
Für Produktinnovationen ist der Effekt des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg positiv und linear.
H1b:
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
3.2 Der Einfluss des Einsatzes interdisziplinärer Teams auf den Innovationserfolg Inkonsistente Ergebnisse bestehen ebenfalls für die Wirkung interdisziplinärer Teams auf den Innovationserfolg in einem Produkt- versus Dienstleistungskontext. Diese widersprüchlichen Forschungsresultate sind zu einem gewissen Grad auf den Fokus der Studien zurückzuführen, der auf dem Nutzengewinn liegt, der mit der interdisziplinären Integration einhergeht. Dagegen wurden mit dieser Maßnahme zugleich auftretende Probleme, Konflikte und Kosten, die den Innovationserfolg beeinträchtigen können, weitestgehend in empirischen Untersuchungen vernachlässigt (Xie et al. 1998). Bei einer integrativen Sichtweise, die sowohl den Nutzen als auch die Implementierungskosten für den Einsatz interdisziplinärer Teams berücksichtigt, ergibt sich daher die Frage, ob für beide Produktkategorien eine positiv lineare Beziehung zwischen dieser Einflussgröße und dem Innovationserfolg allgemein gültig ist. Aufgrund der Simultanität von Produktion und Konsum während des Dienstleistungserstellungsprozesses sind die Mitarbeiter verschiedener betrieblicher Funktionen bzw. Offices geradezu gezwungen, gemeinsam an der Erstellung sowohl etablierter als auch
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neuer Dienstleistungen zu arbeiten. Es ist daher davon auszugehen, dass der Nutzen, der während eines Dienstleistungserstellungsprozesses aus der interdisziplinären Integration gewonnen wird, stärker als in einem produzierendem Umfeld ausgeprägt ist (Troy et al. 2008). Daher wird ein positiv linearer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an interdisziplinärer Integration und dem Erfolg von Dienstleistungsinnovationen unterstellt. Diese Aussage lässt sich anhand von zwei Argumenten untermauern. Erstens sind Dienstleistungen in der Hinsicht einmalig, dass das Front-Office vom BackOffice getrennt ist (Fitzsimmons/Fitzsimmons 1994). Dieser Umstand stellt „an issue not raised in the NPD literature” dar „and leads to a unique challenge faced in NSD [Anmerkung der Verfasser: new service development]” (Menor et al. 2002, S. 145). Genauer gesagt können sich die Ziele, die jede betriebliche Funktion bzw. jedes Office verfolgt, bei einer für die Dienstleistungsinnovation anstehenden Neuorganisation oder Modifikation grundlegend voneinander unterscheiden (z.B. Effizienz im kundenfernen Bereich versus ein zufriedenstellendes Kundenerlebnis im kundennahen Bereich; vgl. Metters/Vargas 2000). Da es jedoch im Rahmen der Dienstleistungserstellung unmöglich ist, Marketing- und Produktionsaktivitäten voneinander zu trennen, müssen beide Unternehmensbereiche als eine Einheit agieren. Nur so kann eine „zusammengesetzte“ Dienstleistung erzeugt und ein reibungsloser Dienstleistungserstellungsprozess sichergestellt werden, der positiv zum Innovationserfolg beiträgt. Zweitens können Kunden aufgrund der Parallelität der Dienstleistungserzeugung und ihrem Absatz sehr schnell eine mangelnde Kooperation zwischen dem Front-Office und dem Back-Office feststellen. Hieraus kann eine geringere Kundenzufriedenheit resultieren. Im Gegensatz dazu stehen Kunden eines physisch greifbaren Produkts in der Regel nur dem Produktionsergebnis – dem fertigem Produkt – gegenüber. Sie werden somit weniger auf eine mangelnde Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmensbereiche aufmerksam bzw. sind hiervon weniger stark betroffen (Troy et al. 2008). So lässt sich mit den Worten von de Jong und Vermeulen (2003, S. 851) zusammenfassen, dass „without cross-functional teams NSD may suffer from functionally departmentalized structures that impede NSD”, was wiederum zu einer Beeinträchtigung des Innovationserfolgs von Dienstleistungen führen würde. Im Gegensatz zu den Besonderheiten des Dienstleistungserstellungsprozesses kann in einem produzierenden Unternehmen der Gesamteffekt des Einsatzes interdisziplinärer Teams als eine Kombination aus sowohl Implementierungskosten als auch erfolgsförderndem Nutzen angesehen werden. So ist davon auszugehen, dass diese KostenNutzen-Kombination in einem Optimum resultiert, wobei jenseits dieses Optimums die inkrementellen Kosten größer sind als der sinkende, inkrementelle Nutzenzuwachs (Kratzer et al. 2004). Denn die zeitlich hintereinander stattfindende Herstellung und der Konsum von neuen Sachgütern erfordert oftmals eine Kooperation zwischen mehreren Unternehmensbereichen, die sich ausschließlich auf den Innovationsprozess und nicht allgemein auf das Alltagsgeschäft bezieht. Im produzierenden Gewerbe bedarf es somit eines geringeren Ausmaßes an interdisziplinärer Integration als in einem Dienstleis-
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
111
tungskontext, wo Front-Office und Back-Office kontinuierlich für die Dienstleistungserbringung zusammenarbeiten müssen. Die negativen Konsequenzen der interdisziplinären Integration können daher einen tendenziell stärkeren Einfluss in einem produzierenden als in einem Dienstleistungskontext ausüben. Sie stammen von den Organisationskosten, die für das Einberufen von Teamtreffen, vom Lösen interdisziplinärer Konflikte und von der potenziellen Überforderung der einzelnen Teammitglieder, abteilungsübergreifende Informationen zu verarbeiten, entstehen (Xie et al. 1998; Patrashkova-Volzdoska et al. 2003). Diese Kosten können folglich den hervorgerufenen Nutzen ab einem gewissen Ausmaß an interdisziplinärer Integration überlagern und letztlich den Innovationserfolg neuer Produkte schmälern. Somit wird ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang zwischen dem Einsatz interdisziplinärer Teams und dem Erfolg von Produktinnovationen unterstellt. H2a:
Für Produktinnovationen ist der Effekt der interdisziplinären Integration auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
H2b:
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt der interdisziplinären Integration auf den Innovationserfolg positiv und linear.
3.3 Der Einfluss des Management Commitments auf den Innovationserfolg Aufgrund der offensichtlichen Schwierigkeit, neue Dienstleistungen wegen ihrer konstitutiven Merkmale wahrzunehmen (Berry et al. 2006; Michel et al. 2008), kann ein stärkerer Fokus und eine größere Bedeutung von Innovationen für produzierende Unternehmen als für Dienstleistungshersteller unterstellt werden (Aschhoff et al. 2009; OECD 2009). Denn berücksichtigt man beispielsweise die Existenz von Innovationsabteilungen oder die Investitionen in Forschung und Entwicklung, so erscheint die Entwicklung von Innovationen bei produzierenden Unternehmen etablierter und institutionalisierter zu sein, als dies bei vielen Dienstleistungsbetrieben der Fall ist (OECD 2009). Diese Wahrnehmung führt dazu, dass sowohl die Öffentlichkeit als auch die Mitarbeiter eines Unternehmens den Eindruck gewinnen, dass eine Innovationskultur eher eine strategische Unternehmensausrichtung bei produzierenden Unternehmen darstellt als bei Dienstleistungsanbietern. Auf Basis dieser grundlegend unterschiedlichen Bedeutungswahrnehmung der Innovationstätigkeit (Berry et al. 2006) kann abgeleitet werden, dass ein stark ausgeprägtes Management Commitment für Dienstleistungsunternehmen am vorteilhaftesten ist. Dies lässt sich damit begründen, dass das Management Commitment zu einem Anstieg der wahrgenommenen Relevanz sowie der Finanzierung von Innovationen und Innovationsprozessen in Unternehmen führt (Atuahene-Gima 1996a). Ein engagiertes Management eines Dienstleistungsunternehmens kann seine Innovationsmitarbeiter dazu motivieren,
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Christian Homburg und Christina Kühnl
sich aktiv an den Innovationsaktivitäten zu beteiligen. Dies steigert wiederum die Qualität der Entwicklungsprozesse (Im/Nakata 2008). Des Weiteren führt ein hohes Management Commitment dazu, dass ein Innovationsprozess ausreichend mit wichtigen Ressourcen – Arbeitszeit, finanziellen Mitteln und Mitarbeitern – versorgt wird (Sethi et al. 2001). Dabei ist davon auszugehen, dass aufgrund der eher ‚nebensächlichen‘ Rolle von Innovationen in einem Dienstleistungsumfeld (Aschhoff et al. 2009) diese Unterstützung durch das Management weitaus stärker erforderlich ist als in einem produzierendem Unternehmen. Zusammengefasst wird also unterstellt, dass sich der Innovationserfolg neuer Dienstleistungen mit steigendem Management Commitment erhöht. Im Gegensatz hierzu steht die Annahme, dass Innovationsmitarbeiter sich wegen des stärker institutionalisierten und formalisierten Entwicklungsprozesses von Produktinnovationen bereits aktiv an der Innovationstätigkeit beteiligen. Ein äußerst engagiertes Management, das Innovationen übermäßig stark fördert, könnten Innovationsmitarbeiter daher eher als unerwünschten Druck auf ihre tägliche Arbeit wahrnehmen, anstatt dessen Unterstützung zu begrüßen. Ebenso können stark involvierte Manager bereits im Team getroffene Entscheidungen kurzfristig umwerfen. Somit kann ein hohes Ausmaß an Management Commitment zu Innovationsresistenz bei Innovationsmitarbeitern und dadurch zu einer geringeren Qualität des Entwicklungsprozesses und zur Reduktion des Innovationserfolgs führen. Die gleichzeitige Berücksichtigung der sowohl auftretenden Vor- als auch Nachteile ergibt demzufolge für einen Produktkontext einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der Variable Management Commitment und dem Innovationserfolg, sodass ein mittleres Ausmaß an Management Commitment für den Neuprodukterfolg am vorteilhaftesten erscheint. H3a:
Für Produktinnovationen ist der Effekt des Management Commitments auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
H3b:
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt des Management Commitments auf den Innovationserfolg positiv und linear.
3.4 Der Einfluss der Kundenintegration auf den Innovationserfolg Zuletzt wird untersucht, ob signifikante Unterschiede in der Wirkung zwischen einem Produkt- und Dienstleistungskontext bestehen, die von der Kundenintegration auf den Innovationserfolg ausgeht. An erster Stelle wird allerdings der Nutzen betont, der dadurch erzielt werden kann, wenn auf Kunden bzw. deren Bedürfnisse im Rahmen von Innovationsprozessen gehört wird. Somit ist allgemein davon auszugehen, dass in beiden Produktkategorien die Integration von Kunden zu einem Anstieg des Innovationserfolgs führt. Berücksichtigt man jedoch die enge Interaktion der Kunden mit den Dienstleistungsanbietern während der Dienstleistungserstellung, ist es naheliegend, dass die Mitarbeiter in der Regel bereits über ein sehr tiefgreifendes Verständnis der Kundenbedürfnisse verfü-
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
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gen (Kirca et al. 2005). Dies bedeutet, dass für die Entwicklung neuer Produkte eine stärkere Kundenintegration in den Innovationsprozess erforderlich ist als bei Dienstleistungsanbietern, um grundlegende Kundenbedürfnisse zu erfassen und diese auch zu befriedigen. Daher wird ein positiv linearer Zusammenhang für einen Neuproduktkontext unterstellt. Dagegen führt die aus dem konstitutiven Merkmal der Untrennbarkeit von Produktion und Konsum in einem Dienstleistungskontext resultierende Anwesenheit von Kunden während der Dienstleistungserstellung oftmals zu einem höheren Maß an Customization als in produzierenden Unternehmen (Anderson et al. 1997). Daher kann die Integration von Kunden in den Entwicklungsprozess neuer Dienstleistungen die Gefahr in sich bergen, dass diese zu sehr auf individuelle Kundenwünsche zugeschnitten sind, anstatt den gesamten Kundenstamm eines Unternehmens anzusprechen. Dies kann zu einem geringen Umsatz der neuen Dienstleistung führen und den Innovationserfolg somit negativ beeinflussen. Des Weiteren fehlt oftmals aufgrund der Intangibilität von Dienstleistungsinnovationen die Möglichkeit, einen Prototypen im Rahmen des Entwicklungsprozesses herzustellen. Somit sind stärkere mentale Anstrengungen bei den Kunden erforderlich, um eine Vorstellung von der neuen Dienstleistung zu erhalten, als dies in einem Sachgüterkontext der Fall ist. Dies macht die Bewertung einer Dienstleistungsinnovation durch Kunden bei Kundentests äußerst schwierig (Avlonitis et al. 2001), was dazu führen kann, dass die Kundenintegration einen Innovationsprozess entweder extrem teuer und komplex und somit diese Maßnahme sogar gänzlich nutzlos macht. Es lässt sich festhalten, dass aufgrund der negativen Folgen und der sich aus der Kundenintegration ergebenden Probleme bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen tendenziell davon auszugehen ist, dass ab einem bestimmten Grad an Kundenintegration die hieraus resultierenden inkrementellen Kosten den inkrementellen Nutzenzuwachs übertreffen können. H4a:
Für Produktinnovationen ist der Effekt der Kundenintegration auf den Innovationserfolg positiv und linear.
H4b:
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt der Kundenintegration auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
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4.
Christian Homburg und Christina Kühnl
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
4.1 Datengrundlage und Datenanalyse Um Unterschiede bei den Erfolgsfaktoren bzw. deren zugrundeliegenden Mechanismen in einem Dienstleistungs- versus Produktinnovationskontext zu analysieren, wurde eine umfangreiche, branchenübergreifende Befragung durchgeführt. Eine Stichprobe von 266 verwertbaren Fragebögen konnte für die Datenanalyse gewonnen werden. Zu Beginn des Fragebogens wurden die Studienteilnehmer gebeten, anzugeben, ob sie sich bei der Beantwortung der Fragen entweder auf eine Dienstleistungs- oder eine Produktinnovation beziehen. Gemäß dieser Angabe konnten 135 Antworten dem Management von Dienstleistungsinnovationen und 131 Antworten dem Neuproduktentwicklungsprozess zugeordnet werden. Für die Datenanalyse wurde eine hierarchische Regressionsanalyse gewählt. Als erster Schritt der hierarchischen Regressionsanalyse wurden zwei Basismodelle berechnet. Dabei bezog sich das eine Basismodell auf Dienstleistungsinnovationen und das andere auf neue Produkte. In einem zweiten Schritt wurden acht weitere Regressionsanalysen durchgeführt, bei denen der jeweils quadrierte Term der unabhängigen Variablen in die Regressionsgleichungen hinzugefügt wurde. In einem dritten Schritt wurde getestet, ob sich ein signifikanter Zuwachs der erklärten Varianz des Innovationserfolgs erzielen lässt, wenn zusätzlich der kubische Term der jeweils unabhängigen Variablen in die Regressionsgleichung integriert wird (Cohen et al. 2003). Dies war für alle hier betrachteten Erfolgsfaktoren nicht der Fall.
4.2 Test der Hypothesen und Ergebnisse In Hypothese H1a wurde ein linearer Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad und dem Erfolg neuer Produkte postuliert. Diese Hypothese kann aufgrund des Signifikanzniveaus des gefundenen Effekts nur teilweise bestätigt werden (ßProdukt, linearer Term = 0,10, p < 0,10). Ein empirischer Nachweis für einen nichtlinearen, umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad und dem Innovationserfolg von Dienstleistungen (ßDienstleistung, quadrierter Term = –0,20, p < 0,05) sowie für einen signifikanten Anstieg der erklärten Varianz des Innovationserfolgs kann erbracht und somit Hypothese H1b bestätigt werden. Eine exemplarische Darstellung der Ergebnisse zur Hypothese 1 ist in Abbildung 2 ersichtlich.
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
Produktinnovationen (H1 a)
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Dienstleistungsinnovationen (H1b)
+
Innovationserfolg
Innovationserfolg
+
– –
–
Innovationsgrad
+
–
+
Innovationsgrad
Abbildung 2: Darstellung der Ergebnisse zu Hypothese 1 Die Hypothesen H2a sowie H2b, die beide den Effekt der interdisziplinären Integration auf den Innovationserfolg untersuchen, können jeweils bestätigt werden. Genauer gesagt wird in Hypothese H2a ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang in einem Neuproduktkontext angenommen (ßProdukt, quadrierter Term = –0,16, p < 0,05), wohingegen Hypothese H2b einen positiven und linearen Zusammenhang für Dienstleistungsinnovationen postuliert (ßDienstleistung, linearer Term = 0,24, p < 0,01). Abbildung 3 stellt exemplarisch die Ergebnisse für Hypothese 2 dar. Produktinnovationen (H2a)
Dienstleistungsinnovationen (H2b)
+
Innovationserfolg
Innovationserfolg
+
–
– –
Einsatz interdisziplinärer Teams
+
–
Einsatz interdisziplinärer Teams
+
Abbildung 3: Darstellung der Ergebnisse zu Hypothese 2 Für den Erfolgsfaktor Management Commitment wurden ein positiv linearer Einfluss auf den Innovationserfolg von Dienstleistungen (H3b) und ein nichtlinearer, umgekehrt Uförmiger Zusammenhang für Produktinnovationen (H3a) unterstellt. Hypothese H3b kann bestätigt werden (ßDienstleistung, linearer Term = 0,22, p < 0,01). Konträr zu Hypothese H3a wurde jedoch ebenfalls ein positiv linearer Zusammenhang für neue Produkte gefunden (ßProdukt, linearer Term = 0,14, p < 0,05). Somit muss Hypothese H3a abgelehnt werden. In Abbildung 4 sind die für Hypothese 3 gewonnenen Erkenntnisse exemplarisch abgebildet.
116
Christian Homburg und Christina Kühnl
Produktinnovationen (H3a)
Dienstleistungsinnovationen (H3 b)
+
Innovationserfolg
Innovationserfolg
+ –
– –
+
Management Commitment
–
Management Commitment
+
Abbildung 4: Darstellung der Ergebnisse zu Hypothese 3 Zuletzt verdeutlichen die Ergebnisse der hierarchischen Regressionsanalyse, dass ein signifikanter Einfluss von der Kundenintegration auf den Neuprodukterfolg ausgeht. Entgegen der Hypothese H4a, die einen positiv linearen Zusammenhang vermuten lässt, wurde jedoch eine nichtlineare, oder genauer gesagt, eine U-förmige Beziehung gefunden (H4a: ßProdukt, quadrierter Term = 0,15, p < 0,05). Letztlich konnte noch, wie in Hypothese H4b postuliert, der Nachweis für einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen der Kundenintegration und dem Erfolg von Dienstleistungsinnovationen erbracht werden (ßDienstleistung, quadrierter Term = –0,19, p < 0,05). Diese Ergebnisse sind in Abbildung 5 ersichtlich. Produktinnovationen (H4 a)
Dienstleistungsinnovationen (H4b) +
Innovationserfolg
Innovationserfolg
+
– – –
Kundenintegration
+
–
Abbildung 5: Darstellung der Ergebnisse zu Hypothese 4
Kundenintegration
+
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
5.
117
Fazit der Untersuchung und Implikationen für Manager
An erster Stelle soll die Aufmerksamkeit von Managern darauf gelenkt werden, dass die Erfolgsfaktoren im Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen weitestgehend ähnlich sind. Jedoch müssen sie sich ebenso der unterschiedlichen, zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen des Innovationsgrads, der interdisziplinären Integration und der Kundenintegration bewusst werden. Denn für die vorliegende Untersuchung wurden sowohl der Nutzen als auch die oftmals vernachlässigten Kosten, die mit der Implementierung eines Erfolgsfaktors einhergehen, gemeinsam berücksichtigt. Dies ist bedeutsam, da sowohl positive als auch negative Konsequenzen das Ausmaß beeinflussen, zu dem ein Prädiktor auf den Innovationserfolg einwirkt. Je nachdem, ob Kosten oder Nutzen überwiegen, was auf die spezifischen Besonderheiten bei der Entwicklung von Dienstleistungs- bzw. Produktinnovationen zurückzuführen ist, resultiert eine lineare oder eine nichtlineare, umgekehrt U-förmige Beziehung zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variable. Der empirische Nachweis für einen linearen bzw. einen nichtlinearen Zusammenhang im Management von Produkt- oder Dienstleistungsinnovationen macht zugleich deutlich, dass Manager nicht unbedacht die Erkenntnisse, die sie für das Innovationsmanagement von Produkten gewonnen haben, auf das Management von Dienstleistungsinnovationen übertragen sollten. Vielmehr bedarf es einer kritischen Überprüfung der bislang bereitwillig akzeptierten und weit verbreiteten Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen einem Prädiktor und dem Erfolg einer Innovation gemäß dem Prinzip „Je mehr (je weniger), desto besser“. Dies bedeutet, dass Managern angeraten wird, differenziert beim Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen vorzugehen, was das Ausmaß eines Erfolgsfaktors anbelangt. Einen Überblick über die durch die vorliegende Studie gewonnenen Erkenntnisse liefert Abbildung 6. Circa ein Drittel der an der Befragung teilnehmenden Unternehmen haben bei den Einflussgrößen des Innovationsgrads, der interdisziplinären Integration und der Kundenintegration deutlich das optimale Ausmaß übertroffen. Somit sollten Unternehmen zukünftig vermehrt auf die mit der Implementierung der Erfolgsvariablen einhergehenden Kosten achten und dies bei der Planung ihres Innovationsprojekts berücksichtigen. Diese Zahl belegt folglich eindrucksvoll, dass Manager ein „Je mehr, desto besser“-Schema nicht unüberlegt anwenden sollten. So können gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unnötig hohe Kosten für die Entwicklung von Innovationen gesenkt werden. Gleichermaßen besteht aber auch bei circa 30 Prozent der Unternehmen ein Verbesserungspotenzial im Rahmen der Innovationstätigkeit, da diese Organisationen bei einem kurvenförmigen, (umgekehrt) U-förmigen Zusammenhang zwischen einer Einflussgröße und dem Innovationserfolg zu geringe Anstrengungen unternommen und nicht ausreichend investiert haben, um deren optimales Ausmaß zu erzielen.
118
Christian Homburg und Christina Kühnl
Im Hinblick auf die hier untersuchten Variablen lässt sich für die Unternehmenspraxis zusammenfassend schlussfolgern, dass Weltneuheiten bei Produkten tendenziell am erfolgreichsten sind, wohingegen Dienstleistungsanbieter eher von einem mittleren Innovationsgrad ihrer Dienstleistungsinnovation profitieren können. Des Weiteren liefert diese Studie einen Ansatzpunkt für das optimale Ausmaß an interdisziplinärer Integration. Während ein hohes Ausmaß dieses Erfolgsfaktors eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg einer neuen Dienstleistung darstellt, führt in einem Neuproduktkontext ein mittleres Niveau an interdisziplinärer Integration dazu, dass die Implementierungskosten und der erhoffte Nutzenbeitrag in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Zudem sollten Manager bei der Kundenintegration in den Innovationsprozess für beide Produktkategorien differenziert vorgehen. So führt ein mittleres Ausmaß an Kundenintegration bei Dienstleistungsinnovationen zu einem höheren Innovationserfolg. Manager in einem Produktumfeld hingegen sollten Kunden entweder zu einem geringen oder zu einem sehr hohen Niveau in den Entwicklungsprozess einbinden. Eine letzte Handlungsimplikation für die Unternehmenspraxis bezieht sich auf den Erfolgsfaktor Management Commitment. Die Ergebnisse dieser Untersuchung verdeutlichen, dass ein hohes Ausmaß an Management Commitment sowohl für Dienstleistungs- als auch für Produktinnovationen eine unverzichtbare Einflussgröße gemäß dem Prinzip „Je mehr, desto besser“ darstellt. Insgesamt kann somit auch eine Steigerung der Sachgüter- und Dienstleistungsproduktivität erzielt werden.
Management von Dienstleistungs- und Produktinnovationen
Erfolgsfaktor
Hypothese
H1a
Für Produktinnovationen ist der Effekt des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg positiv und linear.
H1b
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt des Innovationsgrads auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
H2a
Für Produktinnovationen ist der Effekt interdisziplinärer Teams auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
119
bestätigt?
Managementimplikation
9
Produktinnovationen: „Je innovativer, desto besser!“
9
Dienstleistungsinnovationen: „Ein mittlerer Neuheitsgrad führt zum höchsten Innovationserfolg!“
9
Produktinnovationen: „Ein mittleres Niveau an interdisziplinärer Integration führt zum höchsten Innovationserfolg!“
H2b
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt interdisziplinärer Teams auf den Innovationserfolg positiv und linear.
9
Dienstleistungsinnovationen: „Je stärker die interdisziplinäre Integration, desto besser!“
H3a
Für Produktinnovationen ist der Effekt des Management Commitment auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
8
Produktinnovationen: „Je mehr Management Commitment, desto besser!“
H3b
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt des Management Commitment auf den Innovationserfolg positiv und linear.
9
Dienstleistungsinnovationen: „Je mehr Management Commitment, desto besser!“
H4a
Für Produktinnovationen ist der Effekt der Kundenintegration auf den Innovationserfolg positiv und linear.
8
Produktinnovationen: „Kunden geringfügig oder sehr stark in den Innovationsprozess einbinden!“
H4b
Für Dienstleistungsinnovationen ist der Effekt der Kundenintegration auf den Innovationserfolg umgekehrt U-förmig.
9
Dienstleistungsinnovationen: „Ein mittleres Ausmaß an Kundenintegration führt zum höchsten Innovationserfolg!“
Innovationsgrad
Einsatz interdisziplinärer Teams
Management Commitment
Kundenintegration
Abbildung 6: Überblick über die Managementimplikationen der Untersuchung
120
Christian Homburg und Christina Kühnl
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Moritz Mink und Dominik Georgi
Auswirkungen von (e-)Customer-to-CustomerInteraktion auf die Dienstleistungsproduktivität
1. Einleitung 2. Customer-to-Customer-Interaktion (C2C-Interaktion) 2.1 Grundlagen der C2C-Interaktion 2.2 Elektronische C2C-Interaktion (e-C2C-Interaktion) 3. E-C2C-Interaktion und Dienstleistungsproduktivität 3.1 Der Produktivitätsbegriff 3.2 Produktivitätssteigerung durch e-C2C-Interaktion 3.2.1 Einfluss von e-C2C-Interaktion auf den Dienstleistungsinput 3.2.2 Einfluss von e-C2C-Interaktion auf den Dienstleistungsoutput 4. Fazit Literaturverzeichnis ___________________________ Prof. Dr. Dominik Georgi ist Inhaber des Deutsche Bank Chair for Retail Banking and Service Management an der Frankfurt School of Finance & Management. Dipl.-Wi.-Ing. Moritz Mink ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Management Department der Frankfurt School of Finance & Management.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einleitung
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Relationship Marketing (z.B. Grönroos 1990; 1994; Kotler 1991) beschäftigten sich die meisten Autoren und Praktiker zunächst mit der Beziehung zwischen (Service-)Anbietern bzw. dessen Mitarbeitenden und Kunden (z.B. Bendapudi/Berry 1997; Gwinner et al. 1998; Palmatier et al. 2006). So wirkt die Fokussierung auf Kundenbeziehungen unter anderem positiv im Sinne einer gesteigerten Kundenzufriedenheit und erhöhter Loyalität, was sich nicht zuletzt auch in wirtschaftlichem Erfolg für den Anbieter niederschlägt (Crosby et al. 1990; Morgan/Hunt 1994). Bei ganzheitlicher Betrachtung des bei der Leistungserstellung auftretenden Beziehungsgeflechts fällt jedoch auf, dass Anbieter-Kunde-Beziehungen nur einen Teil der Gesamtheit repräsentieren. Das Paradigma des Relationship Marketing stellt ebenso ein theoretisches Fundament zur Beschäftigung mit allen weiteren denkbaren Beziehungsausprägungen dar. Diese sind die Anbieter-Mitarbeitender-Beziehung, die sich jedoch nur indirekt auf Kunden auswirken kann, sowie insbesondere die Kunde-zu-KundeBeziehung, die eine weitere für den Kunden sehr relevante Beziehungsausprägung darstellt (Martin/Pranter 1989; Martin/Clark 1994). Bei näherer Betrachtung von Kunde-zu-Kunde-Beziehungen wird deutlich, dass diese Beziehungsform vor allem auf direkter Interaktion zwischen Kunden basiert (Nicholls 2010). Die Existenz und Bedeutung solcher Kunde-zu-Kunde-Interaktion (C2CInteraktion) wurde schon sehr früh beispielsweise von Tauber (1972) hervorgehoben. Die Untersuchung der Wirkungsweise solcher Interaktion fokussierte zunächst auf mehr oder weniger „softe“ Einflussfaktoren der Kundenzufriedenheit wie zum Beispiel der „Liking Value“ von Aubert-Gamet und Cova (1999), die neben dem rein funktionellen bzw. materiellen Austausch einen sozialen Austausch als Motivation für eine Transaktion propagieren. Weiterhin hat (positive) C2C-Interaktion direkten positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit/Satisfaction (Arnould/Price 1993; Grove/Fisk 1997; Harris et al. 1997; Moore et al. 2005; Wu 2007), Verbundenheit/Commitment (Gruen et al. 2000), Loyalität (Gruen et al. 2007) sowie auf den wahrgenommenen ökonomischen, sozialen und persönlichen Wert der Services (Gruen et al. 2005; 2007). Betrachtet man C2C-Interaktion jedoch in einem aktuelleren Zusammenhang, gilt es, diesen Blickwinkel deutlich auszuweiten: Insbesondere bei e-Services spielt die Interaktion der Kunden untereinander durch neueste Entwicklungen im Bereich Web 2.0/Social Media eine immer größere Rolle. Während C2C-Interaktion früher sehr informell und spontan auf mehr oder weniger zufällige Begegnungen zwischen Kunden vor Ort angewiesen war (Woodside/Sims 1972), tritt sie heute in deutlich größerem Umfang auf und ist von großer Bedeutung. Das Internet und vor allem die genannten Technologien bieten völlig neue Möglichkeiten und ermöglichen innovative Geschäftsmodelle, die zum Teil komplett auf C2C-Interaktion basieren. Die Interaktion ist dabei dann die wichtigste
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Moritz Mink und Dominik Georgi
Wertschöpfungsquelle. Prominente Beispiele dafür sind unter anderem Ebay und Facebook. Aber auch traditionelle Geschäftsmodelle werden durch die wachsende Bedeutung von C2C-Interaktion beeinflusst bzw. erweitert. So bindet beispielsweise die „Community-Bank“ Fidor ihre Kunden und vor allem deren Interaktion aktiv in ihr Banking mit ein (Fidor 2010): Die Kunden können beispielsweise auf einer von Fidor zur Verfügung gestellten Plattform untereinander diskutieren, Produktvorschläge machen, Fragen klären oder Produkte verschiedenster Anbieter bewerten. Die durch Internet, Web 2.0 und Social Media ermöglichte Interaktion der Kunden untereinander wird e-C2C-Interaktion genannt (Nicholls 2005; Gummesson 2009). Ihrer enormen Bedeutung in der Praxis unangemessen genießt sie jedoch bezüglich ihrer Voraussetzungen und Folgen nur allzu geringe Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Literatur. Dabei sind vielfältige Wirkungszusammenhänge denkbar: In Anlehnung an die grundlegenden Konzepte der Servicequalität (z.B. Parasuraman et al. 1985) ist beispielsweise eine Konzeptionalisierung der Qualität von (e-)C2C-Interaktion formal noch nicht erfolgt. Auch der im vorliegenden Sammelband im Fokus stehende Aspekt der Service-Produktivität wurde im Kontext der (e-)C2C-Interaktion nach unserem Kenntnisstand noch nicht aufgestellt oder gar untersucht. Dabei lassen stark wachsende innovative Unternehmen, deren Geschäftsmodelle ganz oder zumindest teilweise auf (e-)C2C-Interaktion basieren, hier ein enormes Potenzial vermuten. Im vorliegenden Beitrag wird daher der Einfluss von (e-)C2C-Interaktion auf die Service-Produktivität theoretisch untersucht und diskutiert. Um diesem Ziel gerecht zu werden, werden in Kapitel 2 zunächst einige Grundlagen der C2C-Interaktion wiedergegeben sowie Besonderheiten ihrer elektronischen Form hervorgehoben. In Kapitel 3 wird dann der Zusammenhang zwischen (e-)C2C-Interaktion und Service-Produktivität untersucht. Dafür wird zunächst ein einheitliches Verständnis des Produktivitätsbegriffs geschaffen, bevor separat die Einflussmöglichkeiten auf Input- und Outputseite diskutiert werden. Der Beitrag schließt in Kapitel 4 mit einem Fazit, wobei auch Ideen für weiterführende Forschung wiedergegeben werden.
2.
Customer-to-Customer-Interaktion (C2C-Interaktion)
Das Vorkommen von C2C-Interaktion ist in zahlreichen Serviceumgebungen wie im Einzelhandel, in der Gastronomie, im öffentlichen Personenverkehr oder in der Sportund Freizeitwirtschaft allgegenwärtig. Ihre Existenz und Bedeutung wurde bereits von Tauber (1972) hervorgehoben. Heute ist ihre Existenz allgemein bekannt und zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich mit diesem Phänomen (z.B. Arnould/Price 1993; McGrath/Otnes 1995; Grove/Fisk 1997; Aubert-Gamet/Cova 1999; Gruen et al. 2000; 2005; 2007; Moore et al. 2005; Wu 2007). Besonders hervorzuheben sind zusätzlich Harris et al. (2000) und Nicholls (2010), die jeweils in Metastudien den aktuellen Forschungsstand der C2C-Interaktion resümieren sowie neue Stoßrichtungen für weiter-
Auswirkungen von (e-)C2C-Interaktion auf die Dienstleistungsproduktivität
129
führende Forschung aufzeigen. So sollen auch an dieser Stelle zunächst einige im vorliegenden Kontext relevante Grundlagen der C2C-Interaktion dargestellt werden, bevor diese zur weiteren Anwendung und zur anschließenden Diskussion der Auswirkungen auf die Service-Produktivität spezifiziert werden.
2.1 Grundlagen der C2C-Interaktion C2C-Interaktionen meint die Interaktion zwischen Kunden innerhalb einer KundeKunde-Beziehung (Nicholls 2010). Grundsätzlich ist solche Interaktion in nahezu jeder Retail- und Serviceumgebung möglich. Ein sehr generisches Beispiel hierfür ist die kurze und informelle Konversation zweier Kunden in einer Warteschlange beim Einkaufen, die mehr oder weniger jeder schon einmal geführt hat. Des Weiteren sind abseits einer reinen Konversation auch weitere Formen der C2C-Interaktion denkbar. Harris et al. (2000) beschäftigten sich mit dem Forschungsstand zur C2C-Interaktion im Sinne von Konversation. Insbesondere kann differenziert werden, in welchen Situationen, wie häufig und unter welchen Kundengruppen sie stattfindet, was die Inhalte sind, ob sie positiv oder negativ besetzt ist und inwiefern sie sich von der Interaktion mit Mitarbeitenden unterscheidet, aber auch, was auf Anbieterseite zentrale Voraussetzungen und betriebswirtschaftliche Konsequenzen von C2C-Interaktion sind. So ist C2C-Interaktion in solchen Situationen am häufigsten, wo Kunden besonders hochwertige Waren bzw. Waren mit hohem Fehlkaufrisiko erwerben (Davies et al. 1999) oder wo besonders ausgeprägte „Leerlaufzeiten“ in der Natur des Angebots begründet liegen, zum Beispiel im Waschsalon oder in einer Bar (Cowen et al. 1979). Martin und Pranter (1989) listen weitere, insgesamt sieben, situationsbedingte Voraussetzungen für C2C-Interaktion auf. Interaktionsfrequenzen sind in Selbstbedienungsumgebungen besonders hoch (Harris et al. 2000). Bezüglich ihrer Einstellung bzw. Motivation gegenüber der Interaktion mit anderen Kunden differenziert Goodwin (1994) drei Kundengruppen: die Ruhesuchenden, die Kontaktsuchenden und die Empfänglichen. Ähnlich unterscheiden auch McGrath und Otnes (1995) drei Kundentypen nach ihrer jeweiligen Einstellung gegenüber C2C-Interaktion: die Hilfesuchenden, die reaktiven Helfer und die proaktiven Helfer. Von allen sind die reaktiven Helfer die Fähigsten im Sinne ihrer Möglichkeiten, anderen Kunden produktbezogen weiterzuhelfen (Harris et al. 1999). Inhaltlich unterscheiden Meyer und Westerbarkey (1994) mit physisch, intellektuell und emotional drei Typen von C2C-Interaktion. Martin und Clark (1996) legen das Hauptaugenmerk der Unterscheidung auf den Kontext: Im Gegensatz zu nicht-kontextbezogenen Konversationen beziehen sich die Mehrheit der Interaktionen in Form von kontextbezogenen Konversationen direkt auf den Prozess des Kaufes bzw. der Serviceerstellung. Baron et al. (1996) gehen noch eine Ebene tiefer und unterscheiden unter den kontextbezogenen Interaktionen mit Produkt, Orientierung, Ablauf und physischer Hilfestellung vier inhaltliche Bezugspunkte, wobei diese Aufzählung nach Angabe der Autoren nicht vollständig ist und Raum für „eitere“ Inhalte gibt. Während die meisten C2C-Konver-
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Moritz Mink und Dominik Georgi
sationen positiven Inhalts sind (Martin 1996; Parker/Ward 2000) kann das Serviceerlebnis durch negative C2C-Interaktion durchaus auch negativ beeinflusst werden (Grove/Fisk 1997). Im Vergleich zu Konversationen zwischen Kunden und Mitarbeitenden geht es bei C2C-Konversationen meist um sehr ähnliche Inhalte (Baron et al. 1996), die jedoch qualitativ sehr unterschiedlich wiedergegeben und auch ausgelegt werden können. Unter Kunden ist es deutlich wahrscheinlicher, dass unvoreingenommene persönliche Einschätzungen und Meinungen mitgeteilt werden, die durchaus auch negativ sein können. Demgegenüber genießen Meinungen von Mitarbeitenden eine geringere Authentizität und Glaubwürdigkeit, weil hier immer ein gewisses Maß an Abhängigkeit und Voreingenommenheit unterstellt werden wird (Harris et al. 1997). Seitens der Serviceanbieter kann C2C-Interaktion durch Schaffung relevanter Voraussetzungen in Form von Räumen, Plattformen oder Leerzeiten auch stimuliert werden, was wiederum direkte betriebswirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. So sind interagierende Kunden mit ihrem häufig hohen einkaufs- sowie produktrelevanten Wissen im Idealfall wertvolle „Mitarbeitende“ im Sinne dessen, dass sie Aufgaben übernehmen, die ansonsten von echten Mitarbeitenden erledigt werden müssten: „Client as Partial Organizational Member“ (Mills/Moberg 1982), „Customers as Human Resources“ (Bowen 1986), „the Customer as Employee“ (Johnston 2007) usw. Hier ergibt sich ein zentraler Ansatzpunkt zur Analyse der Einflüsse von C2C-Interaktion auf ServiceProduktivität. In sehr grundlegender Art und Weise beschäftigt sich Nicholls (2010) mit dem Forschungsstand zur C2C-Interaktion in Serviceumgebungen und stellt eine Liste der zehn Schlüsselergebnisse aus der Forschung zu diesem Thema auf. Diese sind die grundlegende Konzeptionalisierung von C2C-Interaktion, deren Integration in Servicemodelle, der empirische Nachweis von C2C-Interaktion in verschiedenen Umfeldern, der Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit, die Differenzierung von besonders interaktionsintensiven Services, Klassifizierung von C2C-Interaktion, Methoden zu deren Erkennung, Untersuchung von Kunden bezüglich ihrer Sensitivität gegenüber der Interaktion, Theorien zu ihren Ursachen auf Kundenseite und schließlich Möglichkeiten des Managements von C2C-Interaktion. Diese Liste ist nicht überschneidungsfrei mit den vorhergehenden Inhalten zu C2C-Konversation. Weiterhin sind nicht alle Ergebnisse wichtig, um in der Folge die Auswirkungen auf Service-Produktivität abzuleiten, sodass an dieser Stelle nur neue und für die weitere Argumentation relevante Ergebnisse resümiert werden. Zunächst ist festzustellen, dass C2C-Interaktion „on-site“, also physisch vor Ort oder erweitert zumindest innerhalb der Serviceumgebung des Anbieters stattfindet (Harris et al. 2000). „Off-site“ stattfindende Interaktion zwischen Kunden wird dagegen meist Mund-zu-Mund-Kommunikation genannt und bietet Raum für ganz eigenständige Theorien (z.B. Trusov et al. 2009; Kozinets et al. 2010). Weiterhin hängt die grundlegende Konzeptionalisierung von C2C-Interaktion sehr eng mit ihrer Integration in die Servicemodelle zusammen. Diese geschieht zumeist in Form von „Co-Production“, also der Einbindung des Kunden in den Prozess der Serviceerstellung (Bowen 1986; Johnston 1989; Wikström 1995). Im „Servuction“-Modell von Eiglier und Langeard (1977) tritt
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die Möglichkeit der Interaktion zwischen Kunden in Form des „Kunden B“ als sichtbarer Einflussfaktor auf die Servicewahrnehmung anderer Kunden in Erscheinung. Andere Autoren greifen bei der Beschäftigung mit C2C-Interaktion später direkt oder indirekt auf dieses Modell zurück (z.B. Cowell 1984; Gummesson 1993; Martin/Clark 1996). Zusätzlich kann C2C-Interaktion aus dem Blickwinkel der „Customer Experience“ betrachtet werden. Baron und Harris (2007) modellieren andere Kunden und die Interaktion mit diesen als einen zentralen Part ihres „Customer-Experience“-Netzwerks. Auch aus dieser Sichtweise der „Customer Experience“ heraus lassen sich später Ansätze für Produktivitätssteigerungen durch C2C-Interaktion entwickeln. Hinsichtlich der Theorien zu Ursachen der C2C-Interaktion seitens der Kunden selbst sind ebenfalls verschiedene Ansätze denkbar. Zum einen kann auf die Spiel- bzw. speziell die Kooperationstheorie zurückgegriffen werden, um C2C-Interaktion zu erklären (Baron et al. 2007). Im Rahmen dessen kann unter anderem auch argumentiert werden, dass C2C-Interaktion zu erhöhter Anerkennung und Ansehen Einzelner führen kann, was innerhalb sozialer Netzwerke eine sehr große Rolle spielt. Vom Lehn (2006) bedient sich eines aus der „Public-Space“-Theorie abgeleiteten Erklärungsansatzes, um den Habitus der sozialen Interaktion zwischen Kunden zu erklären. Zum anderen lassen sich aber auch sozialpsychologische Begründungen anführen, indem C2C-Interaktion beispielsweise über zwischenmenschliche Zuneigung erklärt wird (Yang 2007). Schließlich gibt es auch unterschiedliche Herangehensweisen und Möglichkeiten des Managements von C2C-Interaktion seitens der Anbieter. Zum einen lassen sich auf strategischer Ebene Services derart gestalten, dass (positive) C2C-Interaktion nicht nur passiert, sondern vielmehr systematisch und gezielt gefördert wird. Nach Pranter und Martin (1991) können Serviceanbieter in diesem Zusammenhang bis zu zehn verschiedene Rollen bezüglich ihrer strategischen Ausrichtung gegenüber C2C-Interaktion einnehmen. Zum anderen bedeutet dies in der operativen Umsetzung, Mitarbeitende entsprechend zu trainieren, Kunden dazu anzuleiten bzw. zu incentivieren und nicht zuletzt Technologien zur Verfügung zu stellen, die in Form des Internet, Web 2.0 und Social Media in der heutigen Zeit die zentrale Rolle für C2C-Interaktion spielen.
2.2 Elektronische C2C-Interaktion (e-C2C-Interaktion) „Unter andere Leute zu kommen“ nennen Harris et al. (2000) als einen der zentralen Aspekte der „Customer Experience“ beim Einkaufen. Aubert-Gamet und Cova (1999) argumentieren ebenfalls, dass die „Servicescape“ eine Erweiterung des Heims zum Zwecke des Kontakts mit der Öffentlichkeit bzw. des gesellschaftlichen Austauschs darstellt. Dies stellt aber im Zeitalter von Communities im Web 2.0 und Social Media kein Alleinstellungsmerkmal des externen Shopping-Erlebnisses mehr dar. Denn was passiert, wenn die „Servicescape“ nach Hause kommt?
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Betrachtet man C2C-Interaktion im Zusammenhang mit der heutigen Zeit, so gilt es, den Blickwinkel deutlich auszuweiten: Das Internet, Web 2.0 und Social Media ermöglichten ein rasantes Wachstum der e-Services und erlauben besonders schnelle und kostengünstige Kommunikation zwischen Konsumenten, unabhängig von ihrem geografischen Aufenthaltsort. Solche Interaktion zwischen Kunden auf elektronischem Weg wird e-C2CInteraktion genannt und stellt das elektronische Äquivalent zu traditioneller C2CInteraktion dar (Nicholls 2005; Gummesson 2009). Sie eröffnet völlig neue Möglichkeiten und ermöglicht gar gänzlich neue innovative Geschäftsmodelle, in denen (e-)C2CInteraktion nicht nur passiert, sondern vielmehr systematisch und gezielt gefördert zum unverzichtbaren Kernelement wird. Im Gegensatz zur Praxis genießt das Konzept in der Wissenschaft noch nicht in gleichem Maße Bedeutung. Es wären durchaus Anpassungen und Erweiterungen des Konzepts notwendig, um darin auch C2C-Interaktion in ihrer elektronischen Form vollumfänglich zu integrieren. Zunächst ist es dabei wichtig, die Trennlinie zwischen e-C2C-Interaktion und „e-Wordof-Mouth“ herauszustellen, da Letzteres bereits größere Aufmerksamkeit in der Wissenschaft gefunden hat (zum Beispiel Trusov et al. 2009; Kozinets et al. 2010). E-C2CInteraktion ist die Interaktion zwischen zwei oder mehr echten Kunden eines Anbieters, während „e-Word-of-Mouth“ jegliche Konversation zwischen Kunden und potenziellen Kunden bzw. Nicht-Kunden abdeckt. Weiterhin wurde festgestellt, dass C2C-Interaktion „on-site“, also beim Anbieter vor Ort stattfindet (Harris et al. 2000). Für die Anwendung auf e-Services gilt es, das Verständnis von „on-site“ zu erweitern. Zurückkommend auf das Beispiel der „CommunityBank“ Fidor stellt auch gerade die Webseite den „Geschäftsraum“ der Bank dar, ist also eindeutig im Begriff „on-site“ zu integrieren. Es ist also im Kontext von e-Services passender, die C2C-Interaktion als innerhalb der Serviceumgebung stattfindend zu spezifizieren. Nicholls (2005) definiert zwischen „on-site“ und „off-site“ noch einen dritten Bereich für Interaktionen, die gefühlt, jedoch nicht rechtmäßig, innerhalb der Serviceumgebung des Anbieters stattfinden. Dieser Bereich ist im Rahmen der e-C2CInteraktion besonders relevant, weil die Grenzen der rechtmäßigen bzw. gefühlten Verantwortung im Internet oftmals schnell verschwimmen. Im Unterschied zu klassischer C2C-Interaktion, die physische Präsenz am gleichen Ort zur gleichen Zeit voraussetzt, ist e-C2C-Interaktion also auch „on-site“ im Internet, damit unabhängig vom geografischen Aufenthaltsort und zeitversetzt möglich. Im Rahmen von e-C2C-Interaktion ist die Präsenz der anderen Kunden meist gewünscht, geschieht also nicht unfreiwillig oder zufällig, weil sie im Gegensatz zu klassischer C2CInteraktion genauso gut vermieden werden könnte. Die Interaktion ist also vielmehr geplant, gewollt und stellt möglicherweise einen elementaren Teil des e-Services dar. Nicholls (2008) nennt solche e-Services „soziopetal“. Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass e-C2C-Interaktion meist anonym geschieht, was deutlichen Einfluss auf Form und Inhalt der Konversation hat. Bezüglich der Konzeptionalisierung von C2C-Interaktion bzw. dessen Integration in die Servicemodelle war „Co-Production“ ein wichtiger Aspekt. Im Kontext der e-Services,
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insbesondere wenn man sich Beispiele von Chats, Communities, Online-Spielen oder von sich gegenseitig beratenden Kunden vor Augen führt, liegt es in vielen Fällen näher, von „Customer Production“ zu sprechen, also auf das „Co-“ zu verzichten. (e-)C2CInteraktion ist in diesen Fällen nicht „nice to have“ oder ein Aspekt unter vielen, sondern stellt, unter Berücksichtigung der durch den Serviceanbieter zur Verfügung gestellten Rahmenbedingungen, das Produkt selbst dar. Es wird also vom Kunden selbst produziert – „the Customer as Employee“ (Mills/Moberg 1982; Bowen 1986; Johnston 2007). Bezüglich der Theorien zu Ursachen der C2C-Interaktion seitens der Kunden, das heißt deren Motivation, kann über verschiedene Handlungsmotive in der Motivationspsychologie argumentiert werden. Da e-C2C-Interaktion – wie gesehen – meist nicht zufällig geschieht, bietet sie enormen Spielraum zur gezielten Selbstdarstellung einzelner Teilnehmer, beispielsweise durch Preisgabe von Wissen. So lässt sich Ansehen erlangen oder innerhalb einer Community ein sozialer Status erreichen, wenn nicht sogar eine gewisse Macht ausüben. Auf der anderen Seite können Teilnehmer ihre Neugier stillen oder Wissensdefizite kompensieren. All dies sind Handlungsmotive in der Motivationspsychologie (z.B. Reiss 2002). Daneben gibt es zahlreiche Studien, die sich mit der Motivation der Teilnahme an (Online-)Communities beschäftigen (z.B. Batson et al. 2002). Auf diesen und weiteren Motivationsansätzen kann ein aktives Management von e-C2CInteraktion in Form von Mitarbeiterschulungen, Incentivierung der Kunden und Bereitstellung von Technologien gezielt aufsetzen.
3.
E-C2C-Interaktion und Dienstleistungsproduktivität
E-C2C-Interaktion ist wissenschaftlich noch nicht in seiner vollen Breite abgedeckt. So steht beispielsweise eine Konzeptionalisierung der Qualität von (e-)C2C-Interaktion noch aus und auch der im vorlegenden Sammelband thematisierte Aspekt der Dienstleistungsproduktivität wurde im Zusammenhang mit (e-)C2C-Interaktion noch nicht beleuchtet. Ansatzpunkte für einen solchen Zusammenhang bilden hier beispielsweise die Vermutung, dass sich positive (e-)C2C-Interaktion positiv auf die wahrgenommene Dienstleistungsqualität auswirkt oder das bereits angesprochene Konzept der „Customer (Co-) Production“ („the Customer as an Employee“, Johnston 2007). Zunächst ist dafür jedoch ein passendes Verständnis des Produktivitätsbegriffs erforderlich.
3.1 Der Produktivitätsbegriff Als Bestandteil des vorliegenden Sammelbandes ist es sicherlich nicht Aufgabe dieses Beitrags, neue Erkenntnisse zum Begriff der Dienstleistungsproduktivität selbst zu gene-
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rieren. Es ist jedoch erforderlich, den im gegebenen Zusammenhang verwendeten Produktivitätsbegriff aus bereits vorhandenen Arbeiten abzuleiten und klarzustellen. Ziel einer jeden Produktivitätsmessung ist die Bewertung der Effizienz (und Effektivität), mit denen Produkte (oder Services) aus jeglicher Form von Inputfaktoren erstellt werden. Produktivitätsmaße werden diesem Anspruch gerecht, indem sie entweder auf einen konkreten Inputfaktor zielen und diesen in ein Verhältnis zum Output setzen („Single Factor Productivity“), oder alternativ, indem sie alle verwendeten Inputfaktoren in die Verhältnisbildung mit einbeziehen („Total Factor Productivity“, z.B. Solow 1957; Jorgenson/Griliches 1967). Unabhängig von ihrem Bezug auf einen oder mehrere Inputfaktoren haben die Begriffe gemeinsam, dass sie sich ursprünglich auf Industrieprodukte und nicht auf Services bezogen. Die Anwendung des Produktivitätsbegriffs im Servicekontext ist deutlich komplizierter. Beispielsweise gilt im Gegensatz zum traditionellen Verständnis der Produktivität nicht, dass durch verschiedene Kombinationen von Inputfaktoren gleichwertige Outputs hergestellt werden können („Constant Quality“). Vielmehr beeinflussen verschiedene Kombinationen von Ressourcen und Systemen durchaus das Ergebnis, beispielsweise im Sinne der wahrgenommenen Servicequalität (z.B. Anderson et al. 1997). Weiterhin ist es für Services oft schwierig, einzelne Outputeinheiten abzugrenzen. Dazu kommt, dass häufig auch der Kunde im Prozess der Serviceerstellung in die „Produktion“, also als Inputfaktor, eingebunden ist. Daher ist es erforderlich, das traditionelle Verständnis der Produktivität im Servicekontext neu zu überdenken (z.B. Grönroos/Ojasalo 2004). Analog zur Industrie gilt dabei weiterhin der Zusammenhang, dass sich Produktivität im Verhältnis von Output zu Input widerspiegelt. Im Blickpunkt stehen jedoch das Verständnis und der Zusammenhang von Input und Output. Auf der Inputseite kann zwischen Input des Anbieters und Input des Kunden im Sinne der „(Co-) Production“ unterschieden werden. Von Anbieterseite ist hier zunächst das Personal zu nennen, das im Gegensatz zur Industrie in der klassischen Serviceerstellung zumeist den wichtigsten Inputfaktor darstellt. Weiterhin seitens der Anbieter zur Verfügung gestellte Faktoren sind Technologien, Systeme und Informationen, die zur Serviceerstellung benötigt werden. Von Kundenseite kann Input zum einen vom jeweiligen Kunden selbst, zum anderen von anderen Kunden zur Verfügung gestellt werden. Auf Seite des Outputs rückt neben der traditionell quantitativen Messung vor allem die wahrgenommene Qualität des Outputs, also des Service, in den Vordergrund (Grönroos/Ojasalo 2004). Diese entsteht beim Kunden zu einem Teil durch die Wahrnehmung der funktionellen Qualität des in Anspruch genommenen Serviceprozesses, zum anderen Teil durch die Wahrnehmung der technischen Qualität der erbrachten Serviceleistung (Grönroos 1983). Aus dem Quotienten der beschriebenen Input und Outputfaktoren ergibt sich die ServiceProduktivität. Aus dem eingeschränkten Blickwinkel eines Serviceanbieters ließe sich seine eigene Produktivität auf Inputseite auf die anbieterseitigen Faktoren reduzieren, weil er die kundenseitigen Faktoren nicht selbst aufzubringen hat. Zusätzlich zu beach-
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ten ist, dass Kapazität und Nachfrage restriktiv auf den Prozess Serviceerstellung wirken können, da aufgrund der oft gegebenen Simultaneität von Serviceerstellung und Konsum, im Gegensatz zur industriellen Produktion, Schwankungen nicht durch Lagerhaltung ausgeglichen werden können. Der gesamte Zusammenhang ist in Abbildung 1 grafisch veranschaulicht. Kapazität
Nachfrage
Anbieter Personal Technologien Systeme Informationen Kunde
Quantität
Prozess der Serviceerstellung
Qualität
Eigenleistung Fremdleistung
Inputfaktoren
Outputfaktoren Serviceproduktivität
Abbildung 1: Service-Produktivität (Quelle: in Anlehnung an Grönroos 2004, S. 418)
3.2 Produktivitätssteigerung durch e-C2C-Interaktion Kann (e-)C2C-Interaktion das Verhältnis von Input und Output verändern, also die Produktivität erhöhen? Auf Inputseite könnte dies theoretisch durch einen Einfluss auf die anbieterseitigen Faktoren Personal, Technologien, Systeme, Informationen oder auf die kundenseitigen Faktoren der Eigen- und Fremdleistung funktionieren. Auf der Outputseite könnte die Interaktion die Quantität und/oder die Qualität beeinflussen. Die tatsächliche Bedeutung der verschiedenen Inputs und Outputs innerhalb des Prozesses der Serviceerstellung hängt dabei maßgeblich vom Einbindungsgrad des Kunden in diesen Prozess ab (Grönroos 2004). Erfolgt die Serviceerstellung nicht direkt zusammen mit dem Kunden, beispielsweise im Backoffice des Anbieters, spielen auf Inputseite die anbieterseitigen Faktoren eine direkte Rolle, während die kundenseitigen Faktoren nur von indirekter Bedeutung sind. Auf Outputseite hat der Serviceprozess sowohl auf die
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Quantität als auch auf die Qualität nur eine indirekte Auswirkung. Erfolgt die Serviceerstellung dagegen in direkter Interaktion mit dem Kunden, haben alle genannten Inputfaktoren einen direkten Einfluss auf den Serviceprozess und dieser wiederum beeinflusst direkt die Quantität und Qualität des Outputs. Im vorliegenden Kontext der durch Web 2.0 und Social Media extrem erleichterten und teilweise stark geförderten e-C2CInteraktion im Internet ist aber vor allem eine dritte Kategorie der Serviceprozesse von Bedeutung: Die Kunden erstellen den Service ohne direkte Interaktion mit dem Anbieter. In diesem Fall spielen anbieterseitige Inputfaktoren nur eine indirekte Rolle für den Prozess und auf Outputseite rückt der Fokus vor allem auf die Qualität (vgl. Abbildung 2). (e-)C2CInteraktion Anbieter
– +
Personal
+ +/–
+
Technologien Systeme Informationen
+
Kunde Eigenleistung Fremdleistung
Inputfaktoren
Quantität
–
–
Customer experience Liking value Statusgedanke Zufriedenheit Wahrgenommener Wert Schnelligkeit Informalität Technische Qualität
+
Qualität
Outputfaktoren
Abbildung 2: Einflussmöglichkeiten der (e-)C2C-Interaktion auf Faktoren der ServiceProduktivität Um tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Service-Produktivität zu erlangen, ist sicherzustellen, dass sich durch eine erzielte Veränderung einzelner Input- oder Outputfaktoren die anderen Faktoren nicht simultan in eine für die Produktivität abträgliche Richtung mitverändern. Nur so bleibt schließlich eine echte Produktivitätssteigerung erzielbar.
3.2.1 Einfluss von e-C2C-Interaktion auf den Dienstleistungsinput E-C2C-Interaktion bewirkt, dass Kunden einen Service ohne direkte Interaktion mit dem Anbieter erstellen. Somit spielen dann anbieterseitige Inputfaktoren nur noch eine indirekte Rolle für den Serviceprozess. Um daraus einen positiven Effekt auf die Dienstleistungsproduktivität zu erhalten, gilt es, die entstehende Situation mit der Alternative ohne C2C-Interaktion zu vergleichen und bezüglich des Produktivitätsbegriffs vor allem auf
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die Produktivität aus Sicht des Anbieters und somit auch auf die Unterschiede in den anbieterseitigen Inputfaktoren zu fokussieren. Beispielsweise bieten auf Ebay (eBay 2010) Verkäufer, also Kunden von Ebay, Waren aller Art im Rahmen von Auktionen oder Festpreisangeboten zum Verkauf an. Sie selbst übernehmen dabei alle im Zusammenhang mit dem Verkauf stehenden Aufgaben von Verkäufern, angefangen mit der Angebotserfassung, also Beschreibung, Präsentation und gegebenenfalls Bebilderung bis hin zu Rechnungsstellung, Versand und jeglicher Interaktion im Nachgang der Transaktion. Die Käufer interagieren direkt mit den Verkäufern, indem sie Gebote abgeben und im Falle eines Zuschlags die Bezahlung direkt an den Verkäufer leisten. Ebay stellt lediglich die technologischen und systemischen Rahmenbedingungen in Form einer elektronischen Plattform und eines möglichst sicheren Anmeldeprozesses der Marktteilnehmer zur Verfügung. Ohne e-C2C-Interaktion müsste der Handel im Vergleich dazu über ein traditionelles Auktionshaus bzw. eine andere Marktform stattfinden oder gar über eine echte Zwischenhändlerfunktion abgewickelt werden. In allen Fällen würde möglicherweise die technologisch systemische Komponente an Bedeutung verlieren, jedoch im Gegenzug ein vielfacher Mehraufwand in den Faktoren Personal und Information entstehen. Im Falle der Abwicklung über Zwischenhändler müsste sämtliche Interaktion mit Verkäufern und Käufern von eigenem Personal übernommen werden; ganz zu schweigen von einem viel höheren Grad an Involvierung im Sinne von Risiko und Verantwortung, der durch die Zwischenschaltung in jedem Fall enormen Mehraufwand bedeutet. Unter dem Strich ist offensichtlich davon auszugehen, dass der Aufwand an Inputfaktoren im Szenario mit e-C2C-Interaktion weitaus geringer ist. Ein weiteres sehr anschauliches Beispiel ist die Fidor Bank (Fidor 2010). Die Fidor Bank nennt sich auch Mitmach- oder Community-Bank, was bedeutet, dass sie den Grundgedanken des Web 2.0 auf ihr Banking überträgt: Sie fördert und wünscht den Austausch zwischen Kunden und Bank und vor allem von Kunde zu Kunde auf der von ihr zur Verfügung gestellten Plattform. So tauschen sich die Kunden und Mitglieder der Community auf der zur Verfügung gestellten Plattform über hauseigene sowie fremde Bankprodukte aus und können sich gegenseitig Fragen beantworten. Diese Möglichkeiten fördern die Transparenz in allen Bereichen und können zumindest ein Stück weit einen bankeigenen ersetzen Serviceapparat ersetzen. Zusätzlich verzichtet Fidor komplett auf eine eigene Vertriebsorganisation, die Vermarktung geschieht ausschließlich über die Kanäle des Web 2.0 und Social Media (Twitter, Facebook usw.). Es liegt also nahe, dass insbesondere durch die Verschiebung von Serviceprozessen durch e-C2C-Interaktion in die dritte Kategorie, in der Kunden Services ohne direkte Interaktion mit dem Anbieter erstellen, eine Steigerung der Dienstleistungsproduktivität erreicht werden kann; vorausgesetzt, es gehen damit keine die Quantität oder Qualität und somit die Produktivität mindernden Effekte auf der Outputseite einher.
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3.2.2 Einfluss von e-C2C-Interaktion auf den Dienstleistungsoutput Bei der Anwendung des Produktivitätsbegriffs im Servicekontext steht auf der Outputseite vor allem die Qualität des Outputs, also des Service, im Vordergrund (Grönroos/Ojasalo 2004). Aus Kundensicht ist die Qualität einer Dienstleistung gleichzusetzen mit der durch den Kunden wahrgenommenen Qualität, genauer gesagt mit der Wahrnehmung funktioneller und technischer Qualität der erbrachten Serviceleistung (Grönroos 1983). Hierbei ist im Kontext der (e-)C2C-Interaktion insbesondere die funktionelle Qualität von Bedeutung, weil sich die Interaktion ja vor allem auf den Prozess der Serviceerstellung auswirkt. Zunächst ist auf der funktionellen Seite aktive (e-)C2C-Interakion als Selbstzweck ein klares Motiv für „on-site-Shopping“ (Tauber 1972) und fördert die „Customer Experience“ (Baron/Harris 2007). Aubert-Gamet und Cova (1999) nennen den sozialen Austausch der Kunden als Motivation für „on-site-shopping“ den „Liking Value“ des Shoppingerlebnisses. In ähnlicher Richtung erklären Baron et al. (2007) aktive C2CInteraktion über die Kooperationstheorie. Aus dieser Kooperationstheorie heraus lässt sich auch begründen, dass die Teilnahme an Communities und sozialen Netzwerken, also aktive e-C2C-Interaktion, zu erhöhter Anerkennung und Ansehen Einzelner führen kann. Dieser Statusgedanke ist Motivation, die Erlangung des Status führt zu Zufriedenheit. Schließlich haben „Customer Experience“, „Liking Value“, Status und Zufriedenheit alle positiven Einfluss auf die wahrgenommene Dienstleistungsqualität. Weiterhin wird ad-hoc ausgelöste, schnelle und informelle Kommunikation unter Kunden möglicherweise von den Kunden selbst als angenehmer empfunden, als die teilweise unverhältnismäßige Formalisierung einfacher Anliegen im Falle einer Einbindung des Anbieters. Im Sinne von Schnelligkeit und Zugänglichkeit wirkt sich auch dies positiv auf die wahrgenommene Dienstleistungsqualität aus (Parasuraman et al. 1985). Hinzu kommen die vorhandenen empirischen Ergebnisse bezüglich (e-)C2C-Interaktion: Positive (e-)C2C-Interaktion hat direkten positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit/Satisfaction (Arnould/Price 1993; Grove/Fisk 1997; Harris et al. 1997; Moore et al. 2005; Wu 2007), Verbundenheit/Commitment (Gruen et al. 2000), Loyalität (Gruen et al. 2007) sowie auf den wahrgenommenen ökonomischen, sozialen und persönlichen Wert der Services (Gruen et al. 2005; 2007). Diese alle sind in mehr oder weniger entfernter Form einhergehend mit wahrgenommener Dienstleistungsqualität und widerspiegeln bei positiver Veränderung somit eine Produktivitätssteigerung. Auf Seite der technischen Qualität besteht natürlich der Anspruch, dass das Ergebnis der Dienstleistung im Vergleich zu einer Lösung ohne (e-)C2C-Interaktion am Ende in seiner wahrgenommenen Qualität mindestens gleich gut sein muss. Ansonsten würden die durch die genannten Effekte verursachten Produktivitätssteigerungen an dieser Stelle durch negative Effekte ausgeglichen. Darüber hinaus ist es sogar auch möglich, dass sich (e-)C2C-Interaktion positiv auf die technische Qualität einer Dienstleistung auswirkt. So wäre beispielsweise denkbar, dass Kunden der Fidor Bank von anderen Kunden bessere Antworten oder Empfehlungen bekommen, als sie von einem Bankberater bekommen würden.
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Schlussendlich können auch auf Seite der Quantität produktivitätssteigerne Effekte durch (e-)C2C-Interaktion vermutet werden. Am beschriebenen Beispiel von Ebay wird deutlich, dass der Marktplatz durch die Elektronisierung der C2C-Interaktion ortsunabhängig und damit viel größer wird. Somit ist der Anbieter, in diesem Fall Ebay, in der Lage, eine viel größere Anzahl von Transaktionen zu ermöglichen und dadurch die pure Quantität zu erhöhen, was schließlich ebenfalls in einer Steigerung der Dienstleistungsproduktivität mündet. E-C2C-Interaktion kann folglich (muss aber nicht) die Dienstleistungsproduktivität steigern, indem sie sich positiv auf Qualität und Quantität des erstellten Services auswirkt.
4.
Fazit
Betrachtet man C2C-Interaktion vor dem Hintergrund aktuellster Entwicklungen im Bereich Web 2.0/Social Media, so wird deutlich, dass die Bedeutung dieser Interaktion, insbesondere in ihrer elektronischen Form, stark zugenommen hat und weiter zunimmt. Das Internet und vor allem die genannten Technologien bieten völlig neue Möglichkeiten und ermöglichen innovative Geschäftsmodelle, die zum Teil komplett auf (e-)C2CInteraktion basieren. Die Interaktion ist dabei dann die wichtigste Wertschöpfungsquelle, wie zum Beispiel bei Ebay, Facebook oder der „Community-Bank“ Fidor. Vorhandene wissenschaftliche Arbeiten im Themenkomplex der C2C-Interaktion beschäftigen sich damit, in welchen Situationen, wie häufig und unter welchen Kundengruppen sie stattfindet, was die Inhalte sind, ob sie positiv oder negativ besetzt ist und inwiefern sie sich von der Interaktion mit Mitarbeitenden unterscheidet, aber auch was auf Anbieterseite zentrale Voraussetzungen und betriebswirtschaftliche Konsequenzen von C2C-Interaktion sind. Ihrer enormen Bedeutung in der Praxis unangemessen, beschäftigen sie sich jedoch nicht mit der elektronischen Form der C2C-Interaktion bzw. deren besonderen Eigenschaften und spezifischen Möglichkeiten. Konzeptionelle Besonderheiten und Ergänzungen bezüglich der Grundlagen elektronischer C2C-Interaktion betreffen beispielweise die Notwendigkeit physischer Präsenz am gleichen Ort oder zeitlicher Simultaneität, sowie auch Begrifflichkeiten wie „on-site“ und „Customer (Co-) Production“. Betrachtet man die e-C2C-Interaktion unter der Perspektive des Relationship Marketing aus einer übergeordneten Perspektive, nämlich als Ausprägung einer Beziehung zwischen Kunden, so sind übergreifendere Zusammenhänge naheliegend. Im vorliegenden Beitrag wird aufgezeigt, wie sich (e-)C2C-Interaktion positiv auf die Servicequalität auswirken kann. Dies funktioniert auf der Seite des Serviceinput vor allem dadurch, dass Kunden im Sinne von „(Co-) Production“ in der Serviceerstellung aktiv werden. Auf der Seite des Serviceoutput kann durch (e-)C2C-Interaktion vor allem die Servicequalität
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verbessert werden. Diese Zusammenhänge gilt es jedoch in einem weiterführenden Arbeitsschritt empirisch nachzuweisen. Ebenso steht weitere grundlegende Arbeit aus, wie beispielsweise eine Konzeptionalisierung der Qualität von (e-)C2C-Interaktion. Eine solche Konzeptionalisierung wäre in Anlehnung an grundlegende Konzepte der Servicequalität (zum Beispiel Parasuraman et al. 1985) denkbar.
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Axel Averdung und Thorsten Teichert
Kreative Exzellenz- und Dienstleistungsproduktivität – Gestaltungsansätze für das innovationsorientierte Management integrierter Kommunikationsagenturen
1. Marketingproduktivität: verb(r)annte Kreativität oder Innovationstreiber? 2. Die Agentur im Wandel: Einzug der ökonomischen Leistungsorientierung in das Kreativgeschäft 2.1 Perspektivenwechsel zur servicedominanten Logik 2.2 Dienstleistungsproduktivität als Leitgedanke für proaktive Gestaltungsparameter 2.3 Anforderungen an Implementierungskonzepte 3. Serviceorientiertes Produktivitätsmanagement in der Agentur: ein iterativer konzeptioneller Ansatz in zwei Dimensionen 3.1 Operative Dienstleistungsproduktivität durch Sensemaking-Prozesse 3.2 Strategische Dienstleistungsproduktivität durch kundenkomplementäre Marketingkompetenzen 4. Implikationen für Forschung und Managementpraxis Literaturverzeichnis ___________________________ Dipl.-Kfm. Axel Averdung M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Marketing und Innovation der Universität Hamburg. Prof. Dr. Thorsten Teichert ist Leiter des Arbeitsbereiches Marketing und Innovation der Universität Hamburg.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Marketingproduktivität: verb(r)annte Kreativität oder Innovationstreiber?
Galt das Marketing und besonders die Kommunikationspolitik bisher als intuitive Managementlehre der weichen Daten einer kreativen Leistung, deren Ergebnisse kaum quantifiziert werden konnten (Bauer 2006, S. 17), steht in den Führungsetagen der Unternehmen heute die nachdrückliche Anforderung im Raum, das Marketing müsse seinen Erfolgsbeitrag deutlich nachweisen (Rust et al. 2004; Meffert/Perrey 2008; Verhoef/ Leeflang 2008). Sehr häufig werden diese Produktivitätsansprüche an die Kommunikationsagenturen weitergegeben (Kitchen et al. 2007; Bruhn/Martin 2010), die als externe Dienstleister Planungs-, Durchführungs- und Kontrollfunktionen der Unternehmenskommunikation übernehmen. Die konkrete Forderung lautet: Steigerung und Nachweis der Effektivität und Effizienz integrierter Kommunikation bei gleichzeitiger Reduktion der zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen (Miller/Cioffi 2004; Reinecke/Geis 2006). Die so genannte Full-Service-Agentur, in der Kreation, strategische Beratung und Medialplanung aus einer Hand angeboten werden, ist die präferierte Organisationsform der nachfragenden Unternehmen (Horsky 2006). Der resultierende Handlungsdruck bietet den Agenturen Positionierungschancen durch die Ausweitung des Leistungsspektrums im Bereich produktivitätsorientierter Marketing- und Kommunikationsdienstleistungen. Diese sollten den Kundenanforderungen an operative Wirtschaftlichkeit und effektive Wirkung durch den Aufbau effizienter Prozesse und strategischer Integrität Rechnung tragen. In der traditionellen Kreativwirtschaft sind dafür neue Steuerungskonzepte notwendig, die es ermöglichen, die bislang hauptsächlich kreativen Leistungsprozesse mit den neuen, auf Produktivität und strategische Integrität fokussierten Serviceinnovationen in Einklang zu bringen. Dies setzt ein ganzheitliches und kundenorientiertes Produktivitätsverständnis zwischen kreativen und betriebswirtschaftlich orientierten Mitarbeitern voraus, das Kreativität nicht beeinträchtigt und gleichzeitig auf Produktivität abzielende Serviceinnovationen befähigt. Aktuelle Forschungsansätze zur Steigerung der Produktivität von Dienstleistungen liegen in der adaptiven Übertragung klassischer Optimierungsmethoden der Sachgüterindustrie auf den Servicesektor (Prajogo 2005; Khamalah/Lingaraj 2007). Die Anwendbarkeit und die Akzeptanz derartiger Ansätze für die produktivitätsorientierte Optimierung in der traditionellen Kreativbranche sind nur unter Vorbehalt gegeben. Zunächst ist ein Transformationsprozess notwendig, der ein produktivitätsorientiertes Bewusstsein schafft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle unterstützt. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es demnach, neuartige Verfahren für das produktivitätsorientierte Management integrierter Marketing- und Kommunikationsagenturen aufzuzeigen. Schwerpunkte des konzeptionellen Ansatzes liegen zum einen in der kundenorientierten Gestaltung eines kurzfristigen operativen Effizienz- und Effektivitätsbewusstseins zwischen kreativen und be-
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Axel Averdung und Thorsten Teichert
triebswirtschaftlich orientierten Mitarbeitern und zum anderen in der langfristigen, strategischen Kompetenzbildung zur Optimierung innovativer Services im Agenturgeschäft.
2.
Agentur im Wandel: Einzug der ökonomischen Leistungsorientierung in das Kreativgeschäft
2.1 Perspektivenwechsel zur servicedominanten Logik „Customers do not buy goods or services: They buy offerings which render services which create value...“ (Gummesson 1995, S. 250f.) Grundlegende Prämisse für den Erfolg produktivitätsorientierter Service-Innovationen im Bereich integrierter Marketing- und Kommunikationsdienstleistungen (Kerr et al. 2008; Kitchen et al. 2008) von Agenturen ist ein Perspektivenwechsel. Strategische und operative Stoßrichtungen für das Management erschließen sich aus dem Konzept der servicedominanten Logik, die durch die prominente Arbeit Evolving to a New Dominant Logic for Marketing von Vargo und Lusch (2004) als theoretisches Erklärungsmodell für einen Paradigmenwechsel im Marketing ausgeführt wurde. Sie betrachten die servicedominante Logik in Abgrenzung zur produktdominierten Logik. Letztere fokussiert auf Basis der neoklassischen Theorie die Produktion tangibler Güter, deren Nutzen innerhalb eines abgeschlossenen Fertigungsprozesses entsteht und anschließend dem Konsumenten zur Verfügung gestellt wird. Services werden in diesem Zusammenhang entweder als Stifter eines Zusatznutzens von Produkten oder als intangible Güter eines ebenso abgeschlossenen, Wert schaffenden Prozesses verstanden. In der servicedominanten Logik wird Service grundlegend neu interpretiert als die kontinuierliche Weiterentwicklung und Anwendung spezialisierter Kompetenzen (Wissen und Fähigkeiten) in einem Wert schaffenden, kooperativen Austauschprozess mit dem Kunden. Damit wird ein dialogorientierter Paradigmenwechsel von der Produktorientierung über die Marktorientierung hin zur Kunden- und Beziehungsorientierung beschrieben, dessen wesentliche Wertbeiträge in der gemeinsamen Co-Produktion von Lösungen durch den Austausch von Kompetenzen liegen. Nach der servicedominanten Logik ist es das primäre Ziel jedes Unternehmens, dem Kunden im Kontext seiner Strategien und operativen Netzwerke in seinen spezifischen und individuellen Wertschöpfungsprozessen zu unterstützen (Vargo/Lusch 2008). Auf Kundenzufriedenheit fokussierte Servicedienstleistungen erfordern daher neue und integrierte Leistungsprozesse. Diese können in B2B-Geschäftsmodellen durch den Auf- und Ausbau kundenkomplementärer Kompetenzen adressiert werden. Elementare strategische Implikationen für Unternehmen liegen in der Identifizierung und Entwicklung von Kernkompetenzen zur Realisierung komparativer Wettbewerbsvorteile. Auf Basis dessen wird der Aufbau nachhaltiger Kundenbeziehungen durch innovative Wertangebote ermöglicht, die den spezifischen Nutzen des Kunden treffen. Erfolg ist
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dann nicht mehr eine Frage des „Make and Sell“, sondern des „Sense and Respond“. Dies erfordert eine nach innen und nach außen gerichtete Performanceorientierung auf Grundlage eines datenbasierten Marktverständnisses über Kunden und Wettbewerber (Lusch/Vargo 2004). Die Methoden zur operativen Steigerung der Produktivität nach der produktdominierten Logik zielen hauptsächlich auf Effizienzgewinne zum Beispiel durch Standardisierung der zugrunde liegenden Produktionsprozesse (Vargo et al. 2008). Innerhalb des Produktivitätsverständnisses der servicedominanten Logik werden Effizienz und Effektivität als komplementär betrachtet: „…effectiveness is necessary before efficiency has relevance but efficiency is often both a component (buyer’s perspective) of effectiveness and also necessary for long-term effectiveness (seller’s perspective). Thus, effectiveness can be seen as a path to efficiency.“ (Vargo/Lusch 2008, S. 4). Entscheidende Managementvariable zur Realisierung komplementärer Effizienz- und Effektivitätsgewinne ist die performanceorientierte Gestaltung wirksamer Ressourcen (so genannte Operant Resources). Im Gegensatz zu physikalischen Gegenständen wie Rohstoffe und Technologien (so genannte Operand Resources) sind wirksame Ressourcen humane (z.B. Individualwissen, Kompetenzen), organisatorische (z.B. Routinen, Kontrollen usw.), informative (z.B. Konkurrenz, Technologie) oder relationale (z.B. Beziehung zu Wettbewerbern, Kunden und so weiter) Kernkompetenzen eines Unternehmens, deren reziproke Anwendung und Wirkung positive Performanceeffekte für den Kunden bewirken (Madhavaram/Hunt 2008). Die Optimierung von Service, verstanden als der Anwendungsprozess derartiger Ressourcen, kann daher nur durch ein produktivitätsorientiertes Management der Mitarbeiterkompetenzen adressiert werden: „When employees are viewed and treated in this manner [as operant resources] they become empowered in their role as value cocreators. Employees as operant resources become the primal source of innovation, organizational knowledge, and value. […] — that is, new competences that allow the firm to compete more effectively.“ (Lusch et al. 2007, S. 15).
2.2 Dienstleistungsproduktivität als Leitgedanke für proaktive Gestaltungsparameter Die Strategien der servicedominanten Logik sind für die Implementierung innovativer, auf Produktivität ausgerichtete Geschäftsmodelle zur proaktiven und nachhaltigen Marktpositionierung von Full-Service-Agenturen hoch relevant. In der Agenturwirtschaft lässt sich aufgrund von Effizienzdruck, technologischem Wandel und zunehmenden Ansprüchen an eine dialogorientierte Kommunikationsvielfalt die skizzierte Verschiebung der klassischen Geschäftsmodelle von der produktdominierten Logik (z.B. Verkauf einzelner Spots, Anzeigen und so weiter) hin zur servicedominanten Logik (z.B. Co-Produktion integrierter und messbarer Kommunikationsplattformen) unter dem Schlagwort „Integrierte Kommunikation“ beobachten (Kerr et al. 2008; Kitchen et al. 2008).
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Ursächlich für den Umbruch im Agenturgeschäft ist die Externalisierung interner Effizienz- und Effektivitätsansprüche in den Marketingabteilungen des Kunden, die sich u.a. durch die Industrialisierung des Marketing in Form performanceabhängiger Bezahlungssysteme (z.B. Jacob et al. 2009) oder in Form so genannter Pitchkriege äußert (z.B. Campaign 2009). Diese Entwicklungen spiegeln, dass die Leistung der Agentur häufig als abgeschlossenes Produkt verstanden wird, dessen Preise in abgeschlossenen Zeiteinheiten zurechenbar und das durch standardisierte Auswahlprozesse am Markt erworben werden kann. Gleichzeitig verstärkt sich der Wettbewerbsdruck bei voranschreitender Markenkonsolidierung (Binder/Heim 2009, S. 303), da die Anzahl potenzieller Aufträge für die strategische und operative Markenführung reduziert wird. Wesentlicher Treiber des Wandels in der Agentur sind ferner die wachsenden Ansprüche an eine dialogorientierte Kommunikationsvielfalt innerhalb neuartiger Kommunikations- und Informationstechnologien (z.B. Latzer 2009). So weichen klassische Werbekampagnen neuen, häufig viralen und interaktiven Werbeformen. Mit der Medienvielfalt steigt zugleich die Vielschichtigkeit der Marketingkommunikation. So erfordert zum Beispiel die direkte Kommunikation in sozialen Netzwerken die zielgruppenspezifische Abstimmung von Werbemitteln, Kommunikationskanälen und Inhalten zur Stimulierung von Word-of-Mouthund Kauf-Effekten (Brown et al. 2007). Integrierte Multikanalkommunikation bedarf soldider Marktforschung, formaler Pretests, diverser Mediaerfahrung, brachenspezifischen Wissens und einer hohen Motivation der Agentur (Sasser et al. 2007). Neben der taktischen Integration konkreter Werbemaßnahmen wird zunehmend die übergeordnete strategische Integration in koordinierte Marketing-Kommunikationskampagnen der Unternehmen verlangt. Imageorientierte PR- und Markenkommunikation sowie direkte und indirekte, speziell auf Kaufreaktionen abgestellte Kommunikationsmaßnahmen sind inhaltlich, formal und zeitlich koordiniert auf die taktische und strategische Integration der gesamten Unternehmenskommunikation abzustimmen (Nowak/Phelps 1994). Das Resultat: Die Komplexität steigt mit multiplen Anforderungen an die strategische, technologische und zielgruppenspezifische Integration der Multikanalkommunikation. Diese Entwicklungen bedingen einen Perspektivenwechsel auf Agenturseite und bieten zugleich eine Positionierungschance durch Umwandlung der Werbeagentur in eine Marketingagentur. Gestaltungsparameter hierfür liegen sowohl in der Entwicklung von auf Produktivität fokussierten Serviceinnovationen als auch in der Steigerung der operativen Dienstleistungsproduktivität in den beiden Kernprozessen Strategie und Kreation. Im Sinne der servicedominanten Logik sind effektive und effiziente Dienstleistungsinnovationen zu etablieren, die auf Co-Produktion langfristiger integrierter Kommunikationslösungen zielen und deren Effekte für den Unternehmenskunden nachhaltig dokumentierbar sind. Damit ist ein Paradigmenwechsel sowohl hinsichtlich kollaborativer Erstellungsprozesse als auch hinsichtlich des Verständnisses und der Erfassung synergetischer Wirkungen verschiedener Kommunikationsformen notwendig: Klassisches Produkt der Agenturen war und ist die Produktion z.B. von Spots und Anzeigen, die auf singuläre Markteffekte durch eine kurzfristige Steigerung der Aufmerksamkeit innerhalb festgelegter Zielgruppen fokussieren. Das Konzept auf Produktivität konzentrierter Service-Innovationen zielt hingegen auf nachhaltige Markteffekte durch
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die langfristige Kundenbindung auf Basis abgestimmter Above-the-Line- und Belowthe-Line-Maßnahmen innerhalb von integrierten Kommunikationsprogrammen und Serviceplattformen (Greenberg/Wacksman 2009). Dies erfordert nicht nur integrierte Kommunikations-, sondern auch integrierte Marketingdienstleistungen für die gesamte strategische und operative Wertkette der Geschäftmodelle des Kunden. Derartig ausgerichtet, können Agenturen ihr Leistungsspektrum weiterentwickeln und sich als strategischer Marketingpartner anstelle des produktzentrierten Anbieters von Werbung positionieren. Die skizzierte wettbewerbspolitische Positionierungschance der Kommunikationsagenturen lässt sich anhand aktueller Marktentwicklungen beobachten und spiegelt sich in der sukzessiven Anreicherung des angebotenen Produkt- und Serviceportfolios wider. Drei Zitate führender Marktakteure aus einem Round-Table-Gespräch zu Positionierungsmöglichkeiten angesichts drängender Kundenforderungen nach Produktivitätsnachweisen belegen die praktische Relevanz (Bialek/Thunig 2009): „Wir werden auf Kundenund auf Agenturseite daran gemessen werden, wie effektiv und effizient wir die uns anvertrauten Budgets einsetzen“, Dr. Steven Althaus, Vice President Marketing Communication Group. „Die wenigsten Unternehmen haben eine laufende Marktforschung, um genau die Zielerreichung von Kommunikationsmaßnahmen zu bewerten“, Peter John Mahrenholz, CEO Draft FCB Deutschland GmbH und Präsident des Gesamtverbandes der deutschen Werbeagenturen. „Unsere Zukunft ist die Positionierung als Wertschöpfungspartner mit konsequenter unternehmerischer Verantwortungsübernahme“, Mathias Valentin, Vorstandsvorsitzender PACT AG. Auf Produktivität fokussierte Kundenansprüche und bislang noch unzulängliche Lösungskonzepte bieten demnach Raum für proaktive Geschäftsmodelle durch die Neuausrichtung von Agenturen als integrierter Wertschöpfungspartner. In einer traditionell kreativen Branche profilieren sich die Agenturen angesichts deutlicher Umsatz- und Renditeverluste durch Innovations- und Produktivitätsoffensiven innerhalb der angebotenen Dienstleistungen. Der Anteil an betriebswirtschaftlich ausgebildeten Personalressourcen wächst sowohl auf Projekt- als auch auf der Leitungsebene. Zwar steht weiterhin das kreative Produkt im Mittelpunkt, aber ökonomische Gestaltungsparameter werden in der aktuellen journalistischen Fachpresse als Herausforderungen diskutiert und gehören zunehmend zum komplementären Fachjargon angebotener Services:
Strategische Beratung (z.B. Horizont Nr. 37, 2009, S. 17; Horizont Nr. 17, 2010, S. 17) Finanziell zurechenbare Wirkungsanalysen (z.B. W&V Nr. 22, S. 22; Horizont Nr. 14, 2010, S. 1) Datenbasierte Multikanalsteuerung (z.B. One-to-One Nr. 10, 2009, S. 10; Horizont Nr. 9, 2010, S. 4) Prozessoptimierungen (z.B. Horizont Nr. 38, 2008, S. 38; Horizont Nr. 11, 2009, S. 23)
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Axel Averdung und Thorsten Teichert Integrierte Kommunikation (z.B. W&V Nr. 37, 2008, S. 38; W&V Nr. 36, 2009, S. 26) Produktivitätssteigerung (z.B. Horizont Nr. 8, 2008, S. 18; Horizont Nr. 10, 2010, S. 1) Ressourcenmanagement (z.B. Horizont Nr.11, 2009, S.54; Horizont Nr. 38, 2009, S. 32) Kooperationsmanagement (z.B. Horizont Nr. 12, 2009 S. 19; Horizont Nr. 24, 2010, S. 21) ….
Der Bedarf zur Anreicherung des Serviceportfolios spiegelt sich auch in der aktuellen Agenturforschung wider (Bruhn/Ahlers 2007; Kitchen et al. 2007). Frühere Studien belegen den Faktor Kreativität als zentrales Kriterium eines Unternehmens für die Auswahl einer Agentur (Gagnard/Swartz 1988; Heinke 1995; Murphy/Maynard 1996). Heute wird dieser Faktor um strategische, ökonomische und managementorientierte Größen erweitert, wie z.B. Kostenbewusstsein, professionelle Integrität, Empathie, Managementkompetenzen (Dowling 1994; Marshall/Woonbong 1994; Woonbong/Marshall 2001), Marketing- und Strategieentwicklung, Qualität des Accounting-Teams, gemeinsames Zielverständnis sowie die Fähigkeiten der Agentur, Marktforschungsdaten zu verarbeiten (Kim-Shyan/Waller 1999; Kim-Shyan/Waller 2008). Zusammenfassend werden für die Geschäftsmodelle der Agenturen zwei Sichtweisen auf die Produktivität relevant: Zum einen sind die angebotenen Servicedienstleistungen auf die neuen Anforderungen des Marktes abzustimmen, zum anderen sind alle internen Leistungsprozesse und Kompetenzen einer operativen Produktivitätsprüfung zu unterziehen. Neben einer kreativen Exzellenzorientierung gehören ökonomische Leistungsprozesse zunehmend zur attraktiven Profilierung beim Kunden, hierbei steigen die Anforderungen an ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich der zu erbringenden Leistung. Die Umsetzungsherausforderung besteht für Agenturen in der Entwicklung nachhaltiger Management- und Implementierungskonzepte, die den Ansprüchen an eine Produktivitätsoffensive im bisher hauptsächlich auf Kreativität fokussierten Agenturgeschäft Rechnung trägt.
2.3 Anforderungen an Implementierungskonzepte Der Bedarf an ein Produktivitätsmanagement in Agenturen wächst mit zunehmenden Ansprüchen an die Effektivität und die Effizienz kommunikativer Leistungsprozesse. Aktuelle (Forschungs-)Ansätze zur Steigerung der Produktivität von Dienstleistungen fokussieren die Adaption bestehender Ansätze des Qualitätsmanagements aus der Sachgüterindustrie. Prominente Konzeptionalisierungen liegen besonders in der Übertragung von Methoden des Total Quality Managements (kurz TQM, z.B. Deming Management, Kaizen, Six Sigma, Quality Function Deployment (QFD), European Foundation for Quality Management (EFQM for Business Excellence)). Die Transferspotenziale von TQMVerfahren (Easton/Jarell 1998) zur Produktivitätssteigerung von Dienstleistungen wur-
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den in empirischen Studien z.B. für den Finanz- (Longo/Cox 1997), den Gesundheits(Arndt/Bigelow 1995) und den Tourismussektor (Koc 2006) positiv belegt. Auf Basis einer Bestandsaufnahme wissenschaftlicher Bestimmungsansätze definieren Youssef et al. (1996) TQM als umfassende Managementphilosophie, die darauf ausgerichtet ist, interne und externe Kundenansprüche nicht nur zu bedienen, sondern durch kontinuierliche Verbesserung zu übertreffen. Dies wird durch die Gestaltung einer Organisationskultur erreicht, in der sich alle operativen Mitarbeiter auf jeder Stufe der Produkt- oder Dienstleistungserstellung gemeinsam mit dem Management aller Hierarchieebenen dauerhaft zur Erreichung definierter Qualitätsziele verpflichtet sehen. Zentrales Prinzip ist die kontinuierliche Prozessoptimierung durch ein kennzahlenbasiertes Management aller für die Kundenqualität relevanter Leistungsprozesse (Kanji 1998). Der konzeptionelle Beitrag von Ghosh und Ling (1994) proklamiert die Transferpotenziale von TQM-Methoden auch für Kommunikationsdienstleistungen von Agenturen. Sie identifizieren Servicegeschwindigkeit, Kundennähe, Werbeeffektivität und die allgemeine Qualität der Dienstleistungen als zentrale Kundenanforderungen an Kommunikationsagenturen und schlussfolgern, dass diese Ansprüche an Effektivität und Qualität durch die messbasierten Optimierungsansätze der TQM-Methoden ideal zu adressieren sind. Nicht betrachtet werden hierbei Einschränkungen und mögliche Hindernisse im Implementierungsprozess speziell in der traditionellen Kreativwirtschaft. Nachfolgend werden derartige Barrieren in Bezug auf den Einsatz von TQM in Kommunikationsagenturen aufgezeigt. Diese dokumentieren, dass die Einführung einer formalisierten Optimierungsmethode besonders in statischen Umgebungen dienlich ist. Da im Agenturgeschäft aktuell aber eine Transformation grundlegender Geschäftsprozesse ansteht (vgl. Abschnitt 2.2), stehen einer möglichen Anwendung von TQM-Methoden zur Produktivitätssteigerung derzeit deutliche Hindernisse entgegen. Entsprechend werden im Folgenden wesentliche Erfordernisse abgeleitet, die vor einem Verfolgen klassischer TQMKonzepte zu erfüllen sind. Diese adressieren die Schaffung einer tiefgreifenden Verankerung produktivitätsorientierten Bewusstseins in der traditionellen Kreativbranche und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Sinne der servicedominanten Logik. Axiomatisches Konzeptverständnis und Akzeptanz Die Implementierung von TQM im Unternehmen erfordert ein tiefgreifendes Konzeptverständnis und eine hierarchieübergreifende Akzeptanz, da sämtliche Leistungsprozesse entsprechend der kundenfokussierten Qualitätsziele integrativ und messbar aufeinander abzustimmen sind. Die schnelle Durchsetzung der faktenbasierten Qualitätsphilosophie in allen Unternehmenshierarchien und die intensive Ausbildung der Mitarbeiter sind die entscheidenden kurzfristigen Erfolgsfaktoren für den Implementierungsprozess von TQM in serviceorientierten Unternehmen (Montes/Jover 2004). Dominierende Managementphilosophien von Agenturen liegen traditionell nicht in der qualitätsorientierten Rationalisierung von Prozessen in kennzahlenbasierten Zielsystemen, sondern in der Durchsetzung und Ausbildung einer rationalen (funktionale Wirkung der Kommunikation auf Einstellungen und Handlungen der Konsumenten) und emotionalen (emotionale
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Wirkung der Kommunikation auf impulsives, irrationales Kaufverhalten) Kreativitätsphilosophie (West 2001). Auf der operativen Ebene bestehen in der Kreativwirtschaft Aversionen gegenüber Prozesskontrollen (West 1993, S. 54), da die Beeinträchtigung freiheitsorientierter Identitäten kreativer Mitarbeiter durch rationales Prozessdenken befürchtet wird (Hackley/Kover 2007). Daher ist zunächst ein grundlegender Verständnisund Akzeptanzprozess anzustoßen, der eine klare Vorstellung über eine produktivitätsorientierte Sichtweise in der Agentur etabliert. Anforderung 1: Als Grundlage für einen Wandel des Agenturgeschäftes gilt es, ein gemeinsames Grundverständnis über Geschäftsprozesse und dahinter liegende Zielfunktionen zu erlangen. Radikaler Wandel durch intensiven Ressourceneinsatz Der erfolgreiche Einsatz von TQM-Methoden erfordert die radikale Umsetzung der Philosophie in allen Prozessen der Organisation. Neben unterstützenden Erfolgsfaktoren wie die Durchsetzung der Prozessrationalitätsdenkweise stehen umfassende Ressourceneinsätze im Mittelpunkt strategischer Implementierungsprozesse. Diese liegen in der Entwicklung eines umfassenden Maßnahmenplanes durch das Topmanagement, im Aufbau neuer Personalressourcen für Training und Management, in der Einführung eines Kennzahlensystems sowie in der strategischen und operativen Abstimmung mit den Kunden als zentraler Akteur in der zu optimierenden Prozesskette (Longbottom/Zairi 1996). Dazu wären auch auf der Kundenseite TQM-adaptive Prozesse nötig, was aufgrund der erst seit kurzem thematisierten Konzepte für das Marketing (noch) nicht häufig der Fall sein dürfte (z.B. Webb 2006). Ferner zeichnen sich erfolgreiche Agenturen durch ein Management aus, das bewusst auf den umfassenden Einsatz expliziter, sanktionsbasierter und prozessformalisierender Methoden verzichtet zugunsten eines inkrementellen Wissensaufbaus durch diskursive, tazite und psychologische Steuerungsmechanismen (Hackley 2000). Insofern bedarf die Einführung grundlegender Produktivitätsoffensiven in Agenturen a priori eines Aufbaus von Managementwissen über Anforderungen und Potenziale. Anforderung 2: Ein Aufbau tatkräftiger Durchsetzungskompetenzen (Empowerment) ist Voraussetzung für einen fundamentalen Wandel im Agenturgeschäft. Input-Output-Fokussierung in deterministischen Prozessen Die effektive Wirkung kontinuierlicher Prozessverbesserung auf die Kundenzufriedenheit ist im Dienstleistungssektor nicht eindeutig belegt. Kritische Studien zeigen keinen empirischen Zusammenhang zwischen kontinuierlicher Prozessverbesserung und Kundenzufriedenheit (Anderson et al. 1995; Douglas/Fredendall 2004). Als Ursache wird die einseitige Fokussierung des TQMs auf die Kostenseite zur Optimierung des InputOutput-Verhältnisses von Prozessen herangeführt: „One possible explanation is that the hospitals’ continuous improvement efforts are focused on cost control or cost reductions, which would not impact customer satisfaction directly.“ (Douglas/Fredendall 2004,
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S. 411). Das zugrunde liegende Konzept der Prozessverbesserung zielt auf die Eliminierung unnötiger und falscher Inputfaktoren zur Effizienzsteigerung und zur Erreichung einer Nulldefektrate der Outputs (Imai 1986). Während industrielle Produktionsprozesse deterministischen Abläufen unterliegen, in denen Reduktionspotenziale nicht-zielkonformer und irrelevanter Inputfaktoren durch Kennzahlensysteme identifizierbar sind, sind Serviceprozesse nicht-deterministisch. Der Grad der Wiederholbarkeit von Serviceprozessen ist daher maßgeblich für den erfolgreichen Einsatz von TQM-Methoden. Kreative und strategische Agenturprozesse unterliegen situativen Anforderungen in kundenspezifischen Projekten und sind in der Regel nicht wiederholbar. Neben dem Fokus auf Inputund Ouputgrößen sind daher besonders dazwischenlegende Gestaltungsparameter des Throughputs zu optimieren. Anforderung 3: Für einen Wandel des Agenturgeschäftes in Richtung servicedominanter Geschäftsmodellen sind Konzepte notwendig, die ein produktivitätsorientiertes Management individueller Troughput-Prozesse nicht-deterministischer Geschäftsvorgänge ermöglichen. Optimierung isomorpher Strukturen Ein zentrales Argument gegen die Einführung von TQM in Unternehmen liegt in einer potenziellen Kannibalisierung von Innovationen durch Fokussierung auf eine inkrementelle Optimierung isomorpher Strukturen. Nach Prajogo und Sohal (2001) kann der zentrale Kundenfokus Unternehmen dahingehend einschränken, lediglich reaktiv auf kurzfristige Kundenansprüche einzugehen. Zusätzlich werden auf Basis der Risikovermeidungsstrategie, der Fokussierung auf Kosteneffizienz und des adaptiven Verbesserungsverfahrens von TQM Imitationsstrategien eher unterstützt als Innovationstaktiken. Durch den Fokus auf Standardisierung und Formalisierung werden daher nur kontinuierliche Verbesserungen erreicht (Imai 1986). Dies kann kontraproduktive Effekte auf die Bereitschaft der Mitarbeiter haben, neue Ideen zu entfalten und aus bewährten Denkmustern auszubrechen (Morgan 1993). Insofern kann die Einführung von TQMMethoden die Kreativität bei der Entwicklung von Innovationen behindern. Aufgrund der aktuellen Transformationsanforderungen (vgl. Abschnitt 2.2), sind im Agenturgeschäft Innovationsprozesse erforderlich, die den Ausbau von auf Produktivität fokussierten Servicedienstleistungen ermöglichen. Daher sind gegenwärtig alternative Konzepte notwendig, die eine nachhaltige Kreativität in der Umsetzung neuer Ideen in servicedominanten Geschäftsmodellen befähigt. Anforderung 4: Zur Transformation der Geschäftsmodelle von Agenturen sind Konzepte erforderlich, die eine nachhaltige Kreativität in der Umsetzung neuer Ideen in servicedominanten Geschäftsmodellen befähigen.
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3.
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Serviceorientiertes Produktivitätsmanagement in der Agentur: ein iterativer konzeptioneller Ansatz in zwei Dimensionen
Nachfolgend wird ein zweistufiger konzeptioneller Ansatz für das produktivitätsorientierte Performancemanagement von Agenturen vorstellt, der die vier abgeleiteten Anforderungen an Methoden der Produktivitätssteigerung in einer servicedominanten Marketing- und Kommunikationswirtschaft erfüllt. Der zentrale Steuerungsansatz zur Steigerung der operativen Produktivität und zur langfristigen Entwicklung von auf Produktivität fokussierten Geschäftsmodellen liegt im Aufbau agenturspezifischer Kompetenzen. Daher rückt der ressourcenbasierte Ansatz (Penrose 1959; Barney 1991; Wernerfelt 1984) in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Die ressourcenbasierte Sichtweise proklamiert die heterogene Ressourcenausstattung von Unternehmen als zentrales Konstrukt für die Erklärung des Unternehmenserfolges, insofern diese materiellen und immateriellen Ressourcen wertvoll, rar, nicht imitierbar und nicht substituierbar sind. Bei sich ändernden Umwelten rücken solche Ressourcenbetrachtungen in den Mittelpunkt, die die dynamischen Fähigkeiten (Dynamic Capabilities) von Firmen beschreiben, spezifische Ressourcen zu entwickeln und produktiv einzusetzen, die jeweils situativ auf das Marktumfeld der Firmen performance-optimal abgestimmt sind (Teece et al. 1997; Makadok 2001). Eine Capability ist ein komplexer Zusammenschluss von Fähigkeiten und kollektivem Lernen durch organisationale Prozesse, der die koordinierte Bearbeitung funktionaler Aktivitäten sichert (Day 1994). Der Ausdruck dynamisch bezieht sich auf die Fähigkeit, Kompetenzen zu erneuern, um sich an verändernde Umweltbedingungen anpassen zu können. Beispiele für derartige Kompetenzen sind Fähigkeiten in der Serviceentwicklung oder im Wissensmanagement. Vor dem Hintergrund der skizzierten Umbrüche im Agenturgeschäft ist der Aufbau produktivitätsorientierter, dynamischer Kompetenzen von hoher strategischer und operativer Bedeutung. Im Folgenden werden hierzu zwei Ansätze dargestellt: Der erste Ansatz zielt auf die Mikrofundierung dynamischer Kompetenzen durch den Aufbau situativer Entscheidungskompetenzen. Diese fokussieren die Steigerung der kurzfristigen, operativen Dienstleistungsproduktivität. Ziel ist die effizienz- und effektivitätsorientierte Stabilisierung vorhandener Stärken. Durch die Verankerung eines nachhaltigen Produktivitätsbewusstseins in der Agentur wird die Optimierung vorhandener Prozesse, Strukturen, Technologien und so weiter bewirkt. Der zweite Ansatz adressiert den Aufbau kundenkomplementärer Kompetenzen zur Etablierung innovativer Geschäftsmodelle. Damit wird die Steigerung der mittel- und langfristigen, strategischen Dienstleistungsproduktivität avisiert. Ziel ist das produktivitätsorientierte Überdenken der gegenwärtigen Struktur durch den lerngetriebenen Aufbau von Potenzialen und die Erschließung neuer Märkte (Weibler/Keller 2010, S. 260) im Bereich produktivitätsorientierter Kommunikationsdienstleistungen.
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Beide Konzepte interagieren und skizzieren einen inkrementellen Entwicklungspfad, der die Produktivitätssichtweise operativ und strategisch als systematisches PerformanceManagement in der Kreativwirtschaft verankert. In einem iterativen und adaptiven Prozess sind kurzfristige, produktivitätsorientierte Bewusstseinsprozesse sowohl Grundlage als auch Treiber für den synchronen Aufbau langfristiger und kundenkomplementärer Kompetenzen.
3.1 Operative Dienstleistungsproduktivität durch SensemakingProzesse Kurzfristige und operative Stellschrauben für die Produktivitätssteigerung liegen in der Schaffung eines Effizienz- und Effektivitätsbewusstseins der Mitarbeiter, das sich in zwei Perspektiven der Kundenorientierung – nach innen (= Unternehmen) und nach außen (= Markt) (Bruhn 2002, S. 26) – integriert manifestiert. Der hier vorgestellte Ansatz fokussiert daher das Produktivitätsmanagement von Prozessen der situativen Entscheidungsfindung. Mitarbeiter in Agenturen entwickeln, ähnlich wie in anderen servicedominanten Geschäftsmodellen, ein situatives Gespür für die Sachlage, bevor sie entscheiden, was sie tun – und vor allem: wie sie es tun. Nach Barnes (2001) sind wertvolle und Wert erweiternde Geschäftsbeziehungen charakterisiert durch eine emotionale Aufhängung, einen verpflichtenden Sinn für die Seite des Kunden und ein gemeinsames Werteund Zielverständnis. Kunden-, ökonomische Leistungs- und Kreationsorientierung folgen im Entscheidungskontext eines Agenturprojektes keinem statischen Ablaufschema. Es sind hingegen die Mitarbeiter, die jeweils situationsabhängig aufgrund persönlicher Erfahrungen und Plausibilitätsprüfungen entscheiden. Strategische und operative Produktivitätsvorgaben der Organisation unterliegen den kognitiven Prozessen der Interpretation der handelnden Akteure vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen (Balogun/ Johnson 2005). Schwerpunkt für das performanceoptimale Management derartiger Prozesse liegt daher nicht auf deterministischen Prozessen im Sinne gerichteter Abläufe im Unternehmen, sondern auf den Prozessen der mentalen Strategien zur Entscheidungsfindung in konkreten Entscheidungssituationen. Sie sind jeweils abhängig vom Markt-, Technologie-, Kundenbedürfnis-, Effizienz- und Effektivitätsbewusstsein der handelnden Akteure. Dieser mentale Prozess wird in der Organisationsforschung als Sensemaking bezeichnet (Weick 1995; Weick et al. 2005). Sensemaking ist der Prozess oder die Fähigkeit, Sinnhaftigkeit in einer durch Ambiguität und Komplexität geprägten Situationen herzustellen, um Unsicherheiten zu bewältigen und zielgerichtete Entscheidungen zu treffen. Es ist ein „motivated, continuous effort to understand connections (which can be among people, places, and events) in order to anticipate their trajectories and act effectively“ (Klein et al. 2006, S. 71). Mitarbeiter begegnen wachsender Komplexität (analog Abschnitt 2.2.) mit simplifizierten mentalen Modellen und Daumenregel-Heuristiken für die Entscheidungsfindung (Bounded Rationality, z.B. Kahneman 2003). Sensemaking beschreibt den Prozess der Kreation derartiger mentaler Modelle (Anderson 1983). Sie entwickeln Sensemaking
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Capabilities als Bündel kollektiver Routinen, die beeinflussen, welche Informationen aufgenommen, wie sie interpretiert und welche Handlungen daraus abgeleitet werden (Weick 1995; Weick et al. 2005). Interpretative Sensemaking Capabilities ermöglichen es, strategische Komplexität zu erfassen, indem Interpretationsheuristiken für die jeweiligen Situationen aufgebaut werden. Kommunikative Sensemaking Capabilities verankern die Gruppenperspektive in den mentalen Prozessen der Akteure durch den Austauschprozess strategischer und operativer Informationen zwischen Individuen. Analytische Sensemaking Capabilities sind die Fähigkeit, simultan verschiedene Perspektiven in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen (Neill et al. 2006). Insofern die Produktivitätssichtweise in diesen sinnstiftenden Prozessen und Fähigkeiten verankert wird, kann die Effektivität und die Effizienz aller Leistungsprozesse nachhaltig gesteigert werden. Das produktivitätsorientierte Management von Agenturen kann daher durch die bewusste Ausbildung interpretativer, kommunikativer und analytischer Sensemaking Capabilities adressiert werden. Durch die auf Produktivität fokussierte Regulierung selektiver Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungsprozesse wird die Wahrnehmung der strategischen Grundlage beeinflusst, auf dessen Basis Entscheidungen für die Erstellung von Kommunikationslösungen getroffen werden. Als dynamische Kompetenz können Sensemaking Capabilities entscheidend zum langfristigen Wettbewerbsvorteil beitragen, da sie es der Agentur ermöglichen, Ressourcen in Abhängigkeit wechselnder Umwelteinflüsse effektiv einzusetzen und weiterzuentwickeln (Teece et al. 1997). Wenn Kommunikationslösungen beim Endkonsumenten rezipiert werden, wird er sowohl mit dem kreativen Ergebnis des Kreationsprozesses als auch mit dem kreativen Ergebnis der zugrunde liegenden Marketingstrategie konfrontiert. Im Sinne der servicedominanten Logik co-produzieren Kunde und Agentur somit kreative Kommunikationslösungen in einem kollaborativen Prozess (Koslow et al. 2006). Die Qualität zielgruppengerechter sowie integrierter Leistungsprozesse der Agenturen sind daher abhängig von den interpretativen, kommunikativen und analytischen Sensemaking Capabilities seiner Mitarbeiter, Informationen über den Kunden, seine Wettbewerber und seinen Endkunden auszutauschen, zu verstehen und in die Entscheidungsheuristiken einfließen zu lassen. Dies erfordert ein Bewusstsein über allgemeine Umwelt- und Technologietrends, über die Marketingstrategie, die integrierte Kommunikation, über (geplante) Produktinnovationen des Kunden im Vergleich zu Wettbewerbern, über das Konsumentenverhalten ebenso wie eine kritische Reflexion der strategischen und operativen Marketingkompetenzen des Kunden. Beinahe jeder Leistungsprozess in der Agentur ist mit der Vereinigung zweier Sichtweisen verbunden: einer kreativen Exzellenzorientierung durch die „Kreativen“ und der ökonomischen Leistungsorientierung der „Ökonomen“. Die Gestaltung einer effektiven Zusammenarbeit als Resultat eines gemeinsamen Produktivitätsverständnisses von Kreativen und Ökonomen innerhalb der Agentur ist daher eine zentrale Managementvariable. Interdependente Handlungen auf Basis unterschiedlicher mentaler Zielsysteme und die Kommunikation zwischen beiden Gruppen, die auf verschiedene Umweltdomänen fokussiert sind, verstärken die Komplexität der Informationsverarbeitung. Dieser Effekt
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wird zusätzlich intensiviert, wenn Unternehmen mit Situationen konfrontiert sind, die sich durch Ambiguität und Wandel auszeichnen (Neill et al. 2006, S. 731). Die Aufdeckung möglicher Divergenzen im produktivitätsorientierten Arbeitsprozess zwischen beiden Gruppen (Hackley/Kover 2007) und ihre Wirkung auf Performance-Parameter bei der Entwicklung individueller, auf Produktivität fokussierter Sensemaking-Prozesse entlang von Faktoren, die durch das Management beeinflussbar sind (z.B. strategische, strukturelle und kulturelle Faktoren; Heiss 2006, S. 90), ist daher eine wirkungsvolle Stellschraube zur Optimierung der Produktivität nicht-deterministischer Agenturgeschäftsprozesse. Die Steuerung der Einführung dieser neuen, auf Produktivität fokussierten Bewusstseinsund Leistungsprozesse in der Agentur erfolgt durch sequenzielle und reziproke Sensemaking- und Sensegiving-Prozesse (Gioia/Chittipeddi 1991). Die Mitarbeiter der Agentur und das Topmanagement müssen die avisierten Änderungen dergestalt verinnerlichen, dass sie innerhalb revidierter Interpretationsmuster Sinn ergeben. „…change is actually a discursive process about the mutual constitution of language and identity in a process of making sense of the discourse of change“ (Thurlow/Mills 2009, S. 1). Das Management der Agentur ist zunächst in der Verantwortung, ein aktuelles Sinnbild über die internen und externen Umwelten der Organisation zu erstellen, um daraus die revidierte Zielkonzeption des Marketing Performance-Managements abzuleiten (Sensemaking). Auf Basis dieser interpretativen Leistung werden zusammenfassende Visionen auf allen Ebenen der Organisation kommuniziert (Sensegiving). Gespräche, Symbole, symbolische Handlungen und Leitprojekte werden verwendet (Greenberg 1995), um zu vermitteln, dass die bisherigen interpretativen Schemata nicht mehr greifen und anzupassen sind (Sensemaking). Über alle Hierarchien des Unternehmens erfolgt das Feedback an das Topmanagement (Sensegiving) zur Verinnerlichung möglicher Barrieren (Sensemaking). Dieser iterative Prozess wird zur kontinuierlichen Implementierung und Optimierung der Änderungsprozesse im Unternehmen wiederholt. Agenturen können auf Basis des vorgestellten konzeptionellen Ansatzes ihre Sensemaking-Prozesse besser verstehen und steuern lernen, um Antwort auf die Frage zu erhalten, wie kundenorientierte Produktivitätsprozesse kurzfristig durch eine produktive Verzahnung der kreativen und ökonomischen Interaktionsprozesse erfolgreich implementiert werden können. Durch diesen auf Sensemaking fokussierten Ansatz werden die in Abschnitt 2.3 hergeleiteten Anforderungen 1, 3 und 4 an das Produktivitätsmanagement von Agenturen erfüllt. Produktivitätsorientiertes Sensemaking etabliert ein gemeinsames Grundverständnis der zugrunde liegenden Zielfunktionen (erfüllt Anforderung 1), adressiert insbesondere Throughput-Prozesse (erfüllt Anforderung 3) und stößt die Innovationsprozesse an (erfüllt Anforderung 4 auf Individualebene).
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3.2 Strategische Dienstleistungsproduktivität durch kundenkomplementäre Marketingkompetenzen Langfristige Dienstleistungseffektivität durch Serviceinnovationen – Die unternehmensseitigen Effektivitäts- und Effizienzanforderungen können durch den kooperativen Aufbauprozess produktivitätsorientierter Serviceinnovationen im Bereich integrierter Marketing- und Kommunikationsdienstleistungen erfüllt werden. Unternehmen wählen eine Kommunikationsagentur aufgrund ihrer strategischen und kreativen Fähigkeiten, die sie selbst nicht haben (Horsky 2006). Der beschriebene Wandel im Agenturgeschäft und die strategischen Implikationen der servicedominanten Logik bieten demnach nachhaltige Positionierungschancen für Agenturen, die sich als Marketingagentur ihrer Kunden verstehen. Interdisziplinär verankerte Kompetenzen werden als zentraler Erfolgsfaktor integrierter Marketingkampagnen gesehen: „In summary, the principles of [...] integrated marketing communication would appear to be sound in bringing together a number of highly skilled and talented people to provide cost-effective, client-focused and strategically powerful brand campaigns” (Kitchen et al. 2007, S. 166). Vor dem Hintergrund des beschriebenen Wandels im Agenturgeschäft ist der Aufbau dynamischer Kompetenzen hoch relevant, da sie darauf abzielen, operationale Fähigkeiten zu erweitern, zu verändern und neu zu kreieren (Winter 2003). Die produktivitätsorientierte Ausrichtung des Serviceportfolios auf integrierte Marketingdienstleistungen erfordert spezifische dynamische Kompetenzen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, sich über den eigenen Tellerrand hinaus Wissen und Umsetzungsfähigkeiten aneignen zu können sowie organisationale Rahmenbedingungen, die es erlauben, die gewonnenen Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Die konkreten, auf Produktivität fokussierten Entwicklungserfordernisse von Agenturen leiten sich aus Kompetenzen ab, die dem Kunden nachhaltige Wettbewerbsvorteile sichern. Day (1994) identifiziert Marketing Capabilities von Unternehmen als Schlüsselfaktor für die Generierung von Wettbewerbsvorteilen. Aktuelle Forschungen belegen die Marketing Capabilties von Unternehmen als zentrale Antezedenzen für die Performance von Unternehmen (z.B. Morgan et al. 2009a; Ramaswami et al. 2009; Vorhies et al. 2009). Da das Vorhandensein und die Qualität dieser Kompetenzen in Unternehmen variieren, liefern sie den konzeptionellen Orientierungsrahmen für die Entwicklung agenturspezifischer Kompetenzen und hierauf abgestimmter Steuerungssysteme zur Steigerung der Produktivität in Geschäftsmodellen der servicedominanten Logik. Durch den Aus- und Aufbau kundenkomplementärer Marketing Capabilities und der Entwicklung entsprechender Dienstleistungen können Agenturen (gegebenenfalls insuffiziente) Marketing-Kompetenzportfolios der Unternehmen bereichern. Die folgende Abbildung 1 zeigt performancerelevante Marketing Capabilities aktueller empirischer Unternehmensforschung und skizziert deren kundenkomplementäre Potenziale für Serviceinnovationen im Agenturgeschäft. Sie werden entsprechend des Marketing Capability-Kategorisierungsansatz von Hooley et al. (1999) in kulturelle (Orientierung und Stärkung), strategische (Segmentierung, Zielgruppenansprache und Positionierung) und operative (Implementierung) Dimensionen gegliedert.
… Steuerung der Kundenbeziehung
… Qualität des Distributions- und Abverkaufsprozesses
… Management und kreativer Gestaltung der Kommunikation
… Adaptivität und Präzision von Preissteuerungsaktivitäten
… Ressourcenallokation sowie „Fit“ zw. Strategie und Umsetzung
… von Beratungsprozessen für die integrierte Markenkommunikation, -positionierung, -architektur & -pflege … finanziell bewertbarer Prozess- und Erfolgsbewertungsmodelle (Strategie und Ergebnis) … von Mentoringkompetenzen zu effektiven Preismodellen und interaktiver Preisgestaltung … integrierter und strategisch nachhaltiger Kommunikationsplanungsund Umsetzungsfähigkeiten … von Beratungsdienstleistung zum Aufbau und zur Steuerung von POS- und Distributionsprozessen … dialogorientierter Multikanal-Steuerungskompetenzen der
… von kritischen Reflexions- und Beratungskompetenzen zu Entwicklungs- und Markteinführungsaktivitäten von (Neu-)Produkten
… von Marktmonitoringsystemen (Kreativ-, Technologie-, Kommunikations- und Accountabilitytrends etc.) … systematischer Datenverarbeitungsprozesse (Consumer Behavior, Brands, Channels, Media etc.) … von Wissen über Wirkungsmodelle des Konsumentenverhaltens, Planungs- u. Analysekompetenzen … eines systematischen Innovationsmonitorings des Kunden und
… strategischer Marketing-Beratungskompetenzen (Kritische Reflexion und Innovationsmentoring der Geschäftsmodelle des Kunden)
… datenbasierter Marktforschungssysteme zur Etablierung strategischer und operativer Kundenempathie … kritischer Beratungsdienstleistungen zum Kompetenz- und Human Ressources-Portfolio … kritischer Prozessberatung für Abläufe, Organisationsstrukturen und Koordination (vs. Silo-Denken)
Spezifische Anforderung im Agenturgeschäft: „Serviceinnovation, durch den Ausbau / Aufbau…“
Quellenangaben - 1: Morgan et al. 2003; 2: Hooley et al. 2005; 3: Vorhies und Morgan 2005; 4: Praskinar et al. 2008; 5: Morgan et al. 2009a; 6: Morgan et al. 2009b; 7: Ramaswami et al. 2009; 8: Vorhies et al. 2009;
Selling / Distribution Capabilities 3,4,8 Customer Relationship Management Capabilities 4,5,7
Marketing Communication Capabilities 3,4
Pricing Capabilities
3,4
Marketing Implementation Capabilities 1,3,4
… Steuerung der Marke zum Aufbau von Brand Equity
… Kundenorientierten Regulierung des Produktentwicklung … Managment der Einführung neuer Produkte
Operational Marketing Capabilities Product Development Capabilities 4,8 Market Innovation Capabilities 2
Brand Management Capabilities 4,5
… Identifizierung von (Neu-)Produkt-/Servicepotentialen
… Segmentierung, Zielgruppenspezifischen Ansprache
… Koordination und Dissemination komplexer Marktdaten
… Beobachtung und Verarbeitung von Umwelttrends
… Service-/Produktbasierten Abgrenzung zu Wettbewebern … kostenbasierten Abgrenzung zu Wettbewebern
… Abstimmmung, Steuerung und Interaktion im Marketing
… (Weiter-)Entwicklung von Marketingfähigkeiten
… Aufbau und Verarbeitung von Marktwissen
Beschreibung: Dynamische und produktivitätsorientierte „Capabilities zum(r)…“
Marketing Planning Capabilities 1,3 (New-)Product-market Scope Capabilities 2,3,4,7,8
Market Information Mgmt Capabilities 3,4
Environmental Scanning Capabilities 8
Strategic Marketing Capabilities Differentiation Strategy Capabilities 8 Cost Strategy Capabilities 8
Internal Coordination and Communication Capabilities 8
Marketing Skill Development Capabilities8
Market-Orientation Capabilities 5,6
Cultural Marketing Capabilities
Empirisch erforschte Marketing Capabilities mit positiver Wirkung auf die Unternehmensperformance
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Abbildung 1: Performancerelevante Marketing Capabilities von Unternehmen und spezifische Innovationsbedarfe in Agenturen
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Demnach werden z.B. Market Orientation (Morgan et al. 2009a) und Market Planning (Vorhies et al. 2009) als besonders erfolgsrelevante Marketingkompetenzen von Unternehmen analysiert. Analog liegen damit für die Agentur zentrale Anreize im Aufbau von Kompetenzen, die ein empathisches Verständnis für den Kunden und seinen den Endkunden ermöglichen, um eine strategische und kreative Ausrichtung der angebotenen integrierten Kommunikation sicherzustellen. Um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der angebotenen Kommunikationsdienstleistungen zu gewährleisten, sind außerdem Kompetenzen im Bereich des Innovationsmonitorings zum Screening von Marken-, Kreativ-, Technologie-, Accountability- oder Servicetrends nötig. Die dialogorientierte Multikanalkommunikation ist besonders schnelllebig und erfordert kontinuierlich neue technologische und strategische Kompetenzen. Diese Kompetenzen werden idealerweise durch Fähigkeiten flankiert, die integrierte Datentransfers für den Austausch von Marktund Finanzinformationen zur effektiven Steuerung der Marketingkommunikation befähigen und als Basis für die neuen Anforderungen im Bereich performanceabhängiger Bezahlsysteme dienen. Derartige Innovations- und Vernetzungsanforderungen würden die als erfolgsrelevant identifizierten Marketingkompetenzen auf Unternehmensseite wie, Environmental Scanning- (Vorhies et al. 2009), Brand Management- und CRMKompetenzen (Morgan et al. 2009b) unterstützen. Darüber hinaus geben Konstrukte zu Unternehmenskompetenzen wie Marketing Skill Development und Internal Coordination & Communication (Vorhies et al. 2009) Aufschluss über die agenturseitig notwendigen internen und externen Prozesskompetenzen der Agentur. Diese liegen zum Beispiel sowohl im Aufbau von Kompetenzen zur kritischen Prozessberatung auf der Kundenseite (zum Beispiel zur Auflösung strategischer und operativer Marketingsilos) als auch in der Schaffung integrierter Kooperationsprozesse. Durch diesen auf Marketing Capabilities fokussierten Ansatz werden die in Abschnitt 2.3 hergeleiteten Anforderungen 2, 3 und 4 an das Produktivitätsmanagement von Agenturen erfüllt. Kundenkomplementäre Marketing Capabilities schaffen nachhaltige Durchsetzungskompetenzen für den Wandel im Agenturgeschäft (erfüllt Anforderung 2), adressieren Throughput-Prozesse (erfüllt Anforderung 3) und befähigen die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle (erfüllt Anforderung 4 auf der Teamebene). Sie bilden die Grundlage für Positionierungschancen von Agenturen in ihrer avisierten Rolle als kooperierende Partner integrierter Marketing- und Kommunikationslösungen. Mit derartigen Kompetenzen ausgestattet, können Agenturen auf Produktivität fokussierte Dienstleistungsinnovationen etablieren und sich in Zeiten neuer Herausforderungen proaktiv und langfristig gestärkt am Markt positionieren.
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4.
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Implikationen für Forschung und Managementpraxis
„What are effective ways to manage employees and sustain their focus on customers when they are operating in turbulent, ambiguous, or uncertain environments? Research is needed to improve firms’ capabilities for co-creation, especially for complex business solutions or consumer service experiences.“ (MSI Research Priorities 2010 – 2012, S. 5) Die skizzierte Mikrofundierung von Kompetenzen auf der Ebene von Sensemaking Capabilities als Basis für den Aufbau langfristiger, auf Produktivität fokussierter Serviceinnovationen wurde in der Literatur bisher nicht behandelt. Der vorgestellte konzeptionelle Ansatz adressiert die eingangs zitierte Forschungspriorität des Marketing Science Intitutes 2010 bis 2012 am Beispiel des Agenturmarktes. Eine Herausforderung für die Forschung liegt im empirischen Nachweis positiver Performancewirkungen der skizzierten Sensemakingprozesse im reziproken Wirkungsgeflecht mit Marketingkompetenzen. Praktische Implikationen des konzeptionellen Ansatzes für das Agenturmanagement liegen in den Gedankenanregungen zur Gestaltung einer Marketingagentur im Sinne der servicedominanten Logik. So können Gestaltungsparameter für die optimale Verzahnung kundenorientierter Informationsflüsse und für den nachhaltigen Kompetenzaufbau abgeleitet werden. Diese bilden die Basis für Wert schaffende, auf Produktivität fokussierte Serviceinnovationen. Der Ansatz kann ferner als Orientierungsrahmen dafür dienen, welche Konstellationen bezüglich Kompetenzen und Teamkonstellationen aus „Kreativen“ und „Ökonomen“ eine Agentur attraktiv für Kunden und Talente machen. Zugleich bietet der Beitrag Anregungen zur Reflexion des Effizienz- und Effektivitätsbewusstseins aus interner und kundenorientierter Perspektive. Die nachfolgende Abbildung 2 fasst entlang einer Zeitachse den strategischen Perspektivenwechsel im Sinne der servicedominanten Logik sowie die Anforderungen und Zielkonzepte zusammen. Verschärfte Kommunikationsbedingungen in Multikanaltechnologien gingen demnach einher mit zunehmenden Unternehmensansprüchen an integrierte Kommunikationsservices. Dies bedingt neuartige Kompetenzprofile für produktivitätsorientierte Steuerungskonzepte seitens der Agentur. Es werden Beispiele geeigneter Kompetenzprofile aufgeführt, die als kundenkomplementäre Marketingkompetenzen für das nachhaltige, auf Produktivität fokussierte Agenturgeschäft dienen können.
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Zeithorizont
1980er Jahre bis heute
2000er und zukünftig
Angebotsspektrum
Kampagnen + Singuläre Markteffekte
+ Nachhaltige Markteffekte
+ z.B. 30 Sekundenspot Nivea
+
Programme und Plattformen
z.B. Nike Plus Plattform
Quelle:Greenberg & Wacksman (2009)
Strategieimplikationen
Produktdominierte Logik
Servicedominierte Logik
+ Identifizierung von Kernkompetenzen zur Realisierung komparativer Wettbewerbsvorteile
+ Produktion und Distribution von Produkten + Werthaltigkeit der Produkte als komparativer Vorteil gegenüber der Konkurrenz + Gewinnmaximierung durch Verkauf des erzeugten Outputs + Standardisierung für maximale Produktionskontrolle und Effektivität
+ Identifizierung der Kundensegmente, die von den Kernkompetenzen profitieren + Aufbau nachhaltiger Kundenbeziehungen durch kundenorientierte und wettbewerbsorientierte Werteangebote, die den spezifischen Nutzen des Kunden treffen + Datenbasiertes Marktverständnis und performanceorientierte Strategie Quelle: Lusch & Vargo (2004)
Organisationsstruktur
Einfache Silo-Struktur
Komplexe Netzwerkstruktur
+ Account Management / Beratung
+ Planning
+ Media Planung (jeweils TV, PR, Event, Web...)
+ Connection (alle Kanäle im sinnlogischen System: z.B. TV for Web-Traffic)
+ Kreation (Ideenfokussiert)
+ Creation (Kreation in allen Bereichen)
+ Externe Marktforschungsunternehmen
+ Analytics Produktdominierte Logik
Indikativ skizzierte Kernkompetenzen (extern)
Servicedominierte Logik
+ Pitch-warfare
+ Langfristige Auftragsakquise (Kooperationen)
+ Klare Briefinganforderungen
+ Customer Market & Consumer Behaviour Sensing
+ Klassischer Stage-Gate-Prozess
+ Integrierte Kooperationsprozesse
+ Dichotome Verantwortlichkeiten und Prozeduren
+ Kritische Prozessberatung (vs. Silo-Denken)
+ Integration externer Mafo-Beratung
+ Strategische Planung (Integrierte Kommunikation)
+ Cost-plus-Vergütungsmodelle
+ Financial Stewardship (Datentransfers) + Performanceabhängige Bezahlungssysteme
Produktdominierte Logik
Indikativ skizzierte Kernkompetenzen (intern)
Servicedominierte Logik
+ Klare Verantwortungsbereiche und Übergaben
+ Integrierte Produktion ("Kreation in allen Bereichen")
+ Kreative Exzellenzorientierung
+ Kreative und Strategische Empathie in das integrierte Marketing des Kunden
+ Prozess- und Zeitmanagement (Standardisierung) + Optimierung ökonomischer Zulieferprozesse f. d. kreative Leistungserstellung & Vertrieb + Wettbewerbsmonitoring Kreativtrends + Performanceorientierung für den eigenen Einflussbereich (Kreation vs. Profit)
+ Multiprojektmanagement & Change Management Capabilities + Integrierte Verzahnung der Kreations- und ökonomischen Leistungsprozesse + Innovationsmonitoring (Kreativ-, Technologie-, Accountablity- & Service-Trends) + Market Sensing Intelligence (Consumer Behavior, Brands, Channels, Media) + Gesamtstrategisches Performanceverständnis (Kreation & Profit)
Abbildung 2: Transformation der Umweltbedingungen und indikativ skizzierte Kompetenzprofile
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Christian Urhahn, Melanie Kramp und Klaus J. Zink
Konzeptionelle Überlegungen zur Produktivität hybrider Problemlösungen
1. Problemstellung 2. Charakteristika hybrider Problemlösungen 2.1 Hybridität 2.2 Leistungsvernetzung 2.3 Akteursvernetzung 3. Implikationen für die Produktivitätsbestimmung hybrider Problemlösungen 3.1 Bestimmungsgrößen der Produktivität hybrider Problemlösungen 3.1.1 Produktionsfaktoren als Inputgrößen hybrider Problemlösungen 3.1.2 Output- und Ergebnisgrößen hybrider Problemlösungen 3.2 Anforderungen an ein Konzept zur Produktivitätsbestimmung 4. Ansatzpunkte zur Produktivitätsbestimmung hybrider Problemlösungen 4.1 Der Problemlösungsprozess 4.2 Phasendifferenziertes Konzept zur Produktivitätsbestimmung 4.2.1 Produktivität der Analysephase 4.2.2 Produktivität der Entwicklungsphase 4.2.3 Produktivität der Umsetzungsphase 4.2.4 Produktivität der Betriebsphase 5. Schlussbetrachtung Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Dipl.-Wirtsch.-Ing. Christian Urhahn ist Absolvent der TU Kaiserlautern und war studentischer Mitarbeiter beim Institut für Technologie und Arbeit. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Melanie Kramp ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Technologie und Arbeit an der TU Kaiserslautern, Bereich Integrative Managementsysteme. Prof. Klaus J. Zink ist Inhaber des Lehrstuhls für Industriebetriebslehre und Arbeitswissenschaft der TU Kaiserlautern und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Technologie und Arbeit an der TU Kaiserslautern.
1.
Problemstellung
Standardisierung, Imitationen und wachsende Produkterfahrung der Abnehmer verstärken in Verbindung mit volatilen, dynamischen Märkten, kürzeren Lebenszyklen und stärkerem internationalen Wettbewerb immer mehr das Phänomen der „Commoditization“ (Matthyssens et al. 2008): Produkte verlieren ihr Differenzierungspotenzial und werden austauschbar. Die Antwort vieler Unternehmen, eine Flucht in volumenschwache Hochpreissegmente und Nischen, ist kostenintensiv und geht oft mit erodierenden Gewinnmargen einher (Homburg et al. 1996). Vor diesem Hintergrund verknüpfen vor allem Anbieter von Industriegütern häufig ihre Sachprodukte mehr oder weniger eng mit begleitenden Dienstleistungen und setzen die entstehenden Leistungsbündel gemeinsam ab. Ziel ist es, durch zusätzliche Erlöse und Gewinne die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Aus Perspektive der Kunden werden die Dienstleistungsanteile kombinierter Angebote allerdings oft nur als Nebenleistungen angesehen. Folge ist dann nicht selten die Erwartung einer Unentgeltlichkeit (Engelhardt et al. 1998). Wer hybride Leistungsangebote wirtschaftlich verwerten will, muss sich daher einer zentralen Herausforderung stellen: Er muss beim Abnehmer eine ausreichende Wertschätzung für alle inbegriffenen Elemente aufbauen, die dann wiederum zu einer angemessenen Zahlungsbereitschaft führt. Den Wert einer Leistung in der Sichtweise des Kunden zu optimieren setzt voraus, dass es gelingt, gezielt ein Kundenproblem bzw. -bedürfnis zu adressieren. Zum einen ist eine passgenaue Ausrichtung der angebotenen Leistung auf die spezifische Kundensituation zu realisieren. Anbieter und Nachfrager müssen in sämtlichen Stationen der Leistungsentwicklung und -erbringung eng miteinander kooperieren. Zum anderen sind die diversen materiellen und immateriellen Teilleistungen eng aufeinander abzustimmen, sodass eine integrierte Einheit entsteht. Für Leistungsangebote, welche diese Anforderungen erfüllen, hat sich in Forschung und Praxis der Begriff der Problem- oder Kundenlösung durchgesetzt (z.B. Tuli et al. 2007). Für eine Kundenlösung, die signifikante Sach- und Dienstleistungsanteile kombiniert, wird der Begriff „hybride Problemlösung“ geprägt. Einzelne Aspekte eines Managements hybrider Problemlösungen wurden bereits in der Literatur zu allgemeinen Problem- und Kundenlösungen (z.B. Galbraith 2002) sowie zu hybriden Produkten (z.B. Spath et al. 2003) thematisiert. Viele offene Fragen bleiben jedoch in Bezug auf die Sicherung einer effizienten Leistungserbringung, denn: Kundenprobleme sind oft individuell. Sie zu lösen macht nicht selten einen erheblichen Aufwand beim Anbieter erforderlich – beispielsweise für die enge Einbindung des Kunden und die maßgeschneiderte Zusammensetzung der Komponenten im Leistungspaket. Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zum erfolgreichen Problemlöser ist vor diesem Hintergrund das Verständnis und Monitoring der Problemlösungseffizienz. Hierzu werden möglichst einfache und dennoch aussagekräftige Kenngrößen benötigt. Als von mo-
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Christian Urhahn, Melanie Kramp und Klaus J. Zink
netären Größen losgelöste Maß- oder Vergleichsgröße für die Effizienz von Leistungseinheiten oder -prozessen dient in der Produktionstheorie die Produktivität – ein Maß für die mengenmäßige Ergiebigkeit im Leistungserstellungsprozess. Sie lässt sich definieren als Verhältnis zwischen den in einer Periode hervorgebrachten Produkten/Dienstleistungen und den dafür eingesetzten Mengen von Produktionsfaktoren. Plakativ wird die Produktivität häufig als Quotient der realwirtschaftlichen Größen Output und Input definiert (z.B. Laßmann 1975). Vor dem Hintergrund des wachsenden Stellenwertes hybrider Problemlösungen und des hohen Aufwandes zu ihrer Erbringung, erscheint eine Übertragung des Produktivitätskonzeptes auch auf diesen Bereich erforderlich. Die besonderen Eigenschaften hybrider Problemlösungen führen allerdings dazu, dass vor einer Übertragung einige Modifikationen und weiterführende Überlegungen notwendig sind. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, dessen zentrales Ziel eine Konzeptualisierung der Produktivität im Anwendungsfall „hybride Problemlösungen“ ist. Zunächst werden die für eine Produktivitätsermittlung relevanten Charakteristika hybrider Problemlösungen vorgestellt und zur Ableitung erster Ansatzpunkte zur Produktivitätsdefinition und -ermittlung genutzt. Sie bilden die Basis für die Entwicklung eines Produktivitätskonzeptes, das den spezifischen Anforderungen im Zusammenhang mit hybriden Problemlösungen Rechnung tragen soll.
2.
Charakteristika hybrider Problemlösungen
Wie einleitend bereits erwähnt, steht bei der Konzeption und Umsetzung von Problemlösungen die ganzheitliche Befriedigung eines Kundenbedürfnisses im Vordergrund (Sawhney 2006). Die Erwartungen der Nachfrager sollen nicht nur erfüllt, sondern nach Möglichkeit sogar übertroffen werden, um so einen maximalen Kundennutzen, eine hohe Zahlungsbereitschaft und langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen (Zink et al. 2010). Diese grundlegende Zielsetzung impliziert eine gedankliche Loslösung von vorgefertigten Sach- oder Dienstleistungsstrukturen und eine integrierte Betrachtung materieller und immaterieller Leistungsbestandteile (z.B. Reichwald et al. 1997; Spath et al. 2003; Sawhney 2006). Wie in Vargo und Lusch‘s (2004) „Service-dominant Logic“ wird ein Paradigmenwechsel von einem „Manufacturing-Paradigma“ hin zu einem „ServiceParadigma“ vollzogen (Gummesson 1994). Nicht die Leistungserstellung, sondern der generierte Nutzen stehen im Mittelpunkt. Hybride Problemlösungen sind durch drei Eigenschaften charakterisiert: (1) Hybridität, (2) Leistungsvernetzung und (3) Akteursvernetzung. Sie werden nachfolgend kurz vorgestellt.
Konzeptionelle Überlegungen zur Produktivität hybrider Problemlösungen
175
2.1 Hybridität In der Systemtheorie bezeichnet der Begriff Hybridität (von lat. „hybridia“ = „von zweierlei Herkunft“) die Eigenschaft eines Systems, das in ihm heterogene Teilsysteme koexistieren, welche einem als gleich wahrgenommenen Systemzweck dienen (Brocke 2004). Überträgt man dieses Verständnis auf Problemlösungen, so beschreibt das Adjektiv „hybrid“, dass innerhalb des betrachteten Absatzobjektes materielle und immaterielle Leistungselemente gebündelt sind. Es werden mindestens zwei eigenständig marktfähige Absatzleistungen zu einem Leistungsbündel vereint, wobei jeweils mindestens eine Sach- und mindestens eine Dienstleistung vertreten sind (Schmitz 2008).
2.2 Leistungsvernetzung Eng mit der Hybridität verbunden ist die Leistungsvernetzung. Dabei werden zwei Formen differenziert (Sawhney 2006; Matthyssens et al. 2008; Bonnemeier et al. 2009): Technische Integration Technische Integration bedeutet, dass enge Wechselwirkungen zwischen Sachgutproduktion und Dienstleistungserbringung bestehen. Eine hybride Problemlösung besteht demnach nicht allein aus gebündelten Einzelleistungen, sondern ist ein Geflecht präzise aufeinander abgestimmter Leistungskomponenten. Die gezielte, funktionale Verknüpfung einzelner Teilleistungen und die optimale Ausgestaltung ihrer Schnittstellen gehört zu den kritischen Erfolgsfaktoren für einen Anbieter von Problemlösungen (z.B. Schmitz 2008). Prozessuale Integration Prozessuale Integration heißt, dass enge Verknüpfungen zwischen anbieterseitigen Leistungsprozessen und der Wertkette, bzw. den Geschäftsprozessen des Abnehmers bestehen. Geht die Integration so weit, dass die Wertschöpfungsketten von Anbieter und Nachfrager (sowie möglicher weiterer Akteure) grundlegend reorganisiert werden und es zu völlig neuen Geschäftsmodellen kommt, so wird auch die Bezeichnung „hybride Wertschöpfung“ geprägt (vgl. z.B. Spath et al. 2007).
2.3 Akteursvernetzung Akteursvernetzung bedeutet, dass die Kompetenzen von Anbieter und Nachfrager in einem Leistungsprozess gebündelt werden. Auch hier können zwei Aspekte unterschieden werden, die für die weiteren Überlegungen zur Produktivität von Interesse sind (Engelhardt et al. 1993).
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Integrationstiefe Die Integrationstiefe beschreibt, an welchen Stellen der Nachfrager in die anbieterseitige Wertschöpfungskette eingreift bzw. an welcher Stelle er einzugreifen beginnt. Die bewusste und freiwillige, arbeitsteilige Zusammenarbeit der Akteure über sämtliche Stationen des Lebenszyklus, wie sie bei Problemlösungen vorgesehen ist (z.B. Tuli et al. 2007), führt dazu, dass für diese eine hohe Integrationstiefe charakteristisch ist. Integrationsintensität Die Integrationsintensität gibt an, in welchem Ausmaß der Nachfrager in den Prozess der Leistungserstellung und -erbringung einbezogen wird. Sie kann über die einzelnen Phasen des Problemlösungsprozesses variieren und hängt von der konkreten Problemstellung sowie der realisierten Integrationstiefe ab. Aufgrund der spezifischen Zielstellung einer umfassenden Bedürfnisbefriedigung und des daraus folgenden hohen Stellenwertes der Nachfragereinbindung, ist die Integrationsintensität bei hybriden Problemlösungen, im Vergleich zu konventionellen Absatzobjekten, ebenfalls tendenziell hoch. Die Kerneigenschaften hybrider Problemlösungen sind in Abbildung 1 nochmals zusammengefasst.
Nachf rager
Hybride Problemlösung
Abbildung 1: Kerneigenschaften hybrider Problemlösungen.
Hybridität
Integrationsintensität
Technische Integration
Prozessuale Integration
Integrationstief e
Leistungsvernetzung
Nachf rager
Anbieter
Akteursvernetzung
Konzeptionelle Überlegungen zur Produktivität hybrider Problemlösungen
3.
177
Implikationen für die Produktivitätsbestimmung hybrider Problemlösungen
Nachdem durch Darstellung der besonderen Eigenschaften ein einheitliches Verständnis hybrider Problemlösungen geschaffen wurde, soll im Folgenden geklärt werden, welche Konsequenzen daraus für ein Produktivitätskonzept resultieren. In einem ersten Schritt werden die bestimmenden Größen der Produktivität hybrider Problemlösungen thematisiert. Sie bilden die Basis für die Formulierung konkreter Anforderungen, denen ein Konzept zur Produktivitätsbestimmung gerecht werden soll.
3.1 Bestimmungsgrößen der Produktivität hybrider Problemlösungen Beim Versuch der Anwendung des produktionstheoretischen Produktivitätskonzeptes auf hybride Problemlösungen wird schnell deutlich, dass die Charakteristika dieser speziellen Absatzleistungen zu einigen Erfordernissen für Modifikationen führen. Sie betreffen sowohl die Input- als auch die Ergebnisgrößen im Leistungserstellungsprozess.
3.1.1 Produktionsfaktoren als Inputgrößen hybrider Problemlösungen Zu den Inputgrößen bzw. eingangsseitigen Bestimmungsgrößen eines Leistungserstellungsprozesses werden all jene Faktoren gezählt, die miteinander kombiniert werden, um die gewünschten Prozessergebnisse hervorzubringen (z.B. Bohr 1979). Die Kombinationsbeziehungen zwischen den verschiedenen Inputgrößen können entweder limitational, also streng determiniert, oder (in gewissen Grenzen) frei variierbar und somit (partiell) substituierbar sein. Zum Verständnis der Besonderheiten bei hybriden Problemlösungen sind zwei Differenzierungskriterien für Inputgrößen zu berücksichtigen:
Anhand ihrer Materialität werden materielle (z.B. Werkstoffe, maschinelle Anlagen) und immateriellen Produktionsfaktoren (z.B. menschliche Arbeitsleistungen) voneinander abgegrenzt. Nach dem Kriterium der Disponierbarkeit wird zwischen internen und externen Produktionsfaktoren differenziert. Interne Faktoren unterliegen der vollen Verfügungsgewalt des Problemlösungsanbieters, da er sie selbst erstellt oder von den Beschaffungsmärkten bezogen hat. Externe Faktoren hingegen werden zweckgebunden und zeitlich befristet vom Nachfrager bereitgestellt (z.B. Frietzsche et al. 2008).
Die Hybridität von Problemlösungen führt dazu, dass hier – im Kontrast zu vielen, klassischen Dienstleistungen wie Beratungs- oder Finanzdienstleistungen – neben immateriellen auch materielle Inputfaktoren eine entscheidende Rolle spielen.
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Im Vergleich hybrider Problemlösungen mit konventionellen Sachprodukten wird eine besondere Bedeutung externer Produktionsfaktoren deutlich. Durch die tiefe und intensive Akteursvernetzung kann der Nachfrager i.w.S. als obligatorischer externer Inputfaktor angesehen werden, der durch eine hohe Eigenaktivität gekennzeichnet ist. Darüber hinaus werden häufig (Sach-)Objekte aus dem Verfügungsbereich des Kunden als externe Faktoren in den Leistungserstellungsprozess eingebracht.
3.1.2 Output- und Ergebnisgrößen hybrider Problemlösungen Wegen der starken Einbindung des Nachfragers und der Verflechtung des Leistungsergebnisses mit dessen Prozesslandschaft reicht auf der Ergebnisseite eine transaktionale Übergabe der Problemlösung nicht aus. Das Resultat hybrider Problemlösungen ist durch einen gewissen Prozesscharakter gekennzeichnet (Tuli et al. 2007). Konsequenz ist, dass es weniger zeitpunktbezogen, sondern vielmehr zeitraumbezogen zu betrachten ist. Analog zu Differenzierungen der Ergebnisse von Dienstleistungen (z.B. Sherwood 1994; Gössinger 2005) werden an dieser Stelle auch innerhalb der Ergebnisse von hybriden Problemlösungsprozessen zwei Stufen differenziert: der Output und der Outcome. In einem ersten Schritt können die materiellen und immateriellen Eigenschaften, die bis zum Endzeitpunkt des Leistungserbringungsprozesses vom Nachfrager wahrgenommen wurden, als Ergebnis hybrider Problemlösungen angesehen werden. Sie sind die Outputs aus dem Problemlösungsprozess. Einen Schritt weiter geht die Betrachtung von Outcomes, die die tatsächliche(n) Wirkung(en) des Problemlösungsprozesses beim Nachfrager repräsentieren (Sherwood 1994). Eine reine Betrachtung von Outputs erscheint zur Beschreibung der Ergebnisse von Problemlösungsprozessen nicht adäquat, denn: Ein Nachfragerbedürfnis nachhaltig und umfassend zu befriedigen verlangt mehr als die alleinige Erbringung tangibler und intangibler Leistungen. Im Zentrum eines Problemlösungsprozesses muss die Frage stehen, inwiefern dieser tatsächlich zu einer Bedürfnisbefriedigung beim Nachfrager führt. Nur aus einer aus den Wirkung(en) der gelieferten Problemlösungsleistungen fokussierten Betrachtung heraus kann beantwortet werden, inwiefern das geschaffene Ergebnis auch die tatsächlich vorliegenden Nachfragerbedürfnisse adressiert und damit tatsächlich nützlich ist. Anstelle des Outputs sollte daher bei hybriden Problemlösungen der Outcome in die Ergebnisseite der Produktivitätsbetrachtung einbezogen werden. Dies geht auch mit der Sichtweise Sawhneys einher, der formuliert: „By focusing on outcomes, marketers can shift their focus away from individual products or services and think instead of what it would take to solve a complete customer problem“ (Sawhney 2006, S. 371). Offen bleibt zunächst, welche konkrete Größe den Outcome repräsentiert. Um diese Frage zu beantworten, wird im Folgenden eine Analyse der Erfolgskette einer hybriden Problemlösung durchgeführt. Erfolgsketten (z.B. Bruhn 2009) dienen der strukturierten Untersuchung von Wirkzusammenhängen. Anbieter- und nachfragerbezogene Variable werden inhaltlich miteinander verknüpft, sodass insgesamt eine Grundstruktur aus drei Gliedern entsteht:
Konzeptionelle Überlegungen zur Produktivität hybrider Problemlösungen
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(1) den Aktivitäten des Anbieters, (2) den Wirkungen beim Nachfrager sowie (3) den anbieterseitigen ökonomischen Erfolgswirkungen Alle Glieder der Erfolgskette unterliegen einem moderierenden Einfluss anbieterinterner und -externer Faktoren. Eine vereinfachte Darstellung einer Erfolgskette im Kontext hybrider Problemlösungen zeigt Abbildung 2. Anbieterexterne, moderierende Faktoren
Wirkungen beim Nachfrager
Hybride Problemlösung
Wahrgenommene Problemlösungsqualität
Nachfragernutzen
Nachfragerzufriedenheit
Zahlungsbereitschaft
Aktivitäten des Anbieters
Ökonomischer Erfolg
Erfolgswirkungen für den Anbieter Anbieterinterne, moderierende Faktoren
Abbildung 2: Schema einer Erfolgskette für eine hybride Problemlösung Ausgehend von der Annahme, dass die wichtigsten Zielgrößen in der Erfolgskette am engsten mit dem ökonomischen Erfolg eines Problemlösungsanbieters verknüpft sind, setzt die Identifikation einer geeigneten Größe zur Repräsentation des Outcomes zunächst am Ende der Kausalitätskette an. Von dort ausgehend werden nacheinander von rechts nach links die einzelnen Konstrukte auf ihre Eignung zur Produktivitätsmessung hin überprüft. Die Ergebnisse der Betrachtung sind im Folgenden kurz zusammengefasst:
Die Zahlungsbereitschaft eignet sich als Outcomekonstrukt für die Produktivitätsermittlung nicht, denn als monetäre Folge des wahrgenommenen Nutzens ließe sie die Produktivitätsbetrachtung letztlich in eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung übergehen. Das nächste Konstrukt in der Kette, die Nachfragerzufriedenheit, erscheint als Maß für die beim Kunden erreichte Problemlösungskonsequenz zunächst besser geeignet. (Un-)Zufriedenheit entsteht jedoch aus Erfahrungen und kann sich daher erst nach der Leistungserbringung einstellen (Sweeny et al. 2001; Eggert et al. 2002). Folge ist, dass eine auf Kundenzufriedenheit beruhende Produktivitätsgröße erst nach dem Abschluss des Problemlösungsprozesses identifiziert werden kann und deshalb nicht als Steuerungsvariable einsetzbar ist.
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Christian Urhahn, Melanie Kramp und Klaus J. Zink Vergleichbares gilt prinzipiell für den Nachfragernutzen, d.h. die Gesamtheit der vom Kunden wahrgenommenen Nutzenkomponenten des Leistungsangebotes (Zeithaml 1988). Er bildet eine psychologische Wirkung beim Nachfrager ab, die auf das (erwartete) Problemlösungsergebnis zurückführbar ist. Im Vergleich zur Kundenzufriedenheit ist der Nachfragernutzen allerdings deutlich besser ex ante abschätzbar, sodass dieser als repräsentative Größe für den Outcome in eine Produktivitätsbetrachtung einbezogen werden kann. Als Ausmaß, in dem die Beschaffenheit einer Problemlösung die aus einem konkreten Nachfragerproblem abgeleiteten Anforderungen erfüllt, beschreibt die (wahrgenommene) Problemlösungsqualität eher den Prozessoutput als den -outcome.
Insgesamt scheint der Nachfragernutzen das geeignetste Konstrukt zur Abbildung des Outcomes einer hybriden Problemlösung zu sein und soll im weiteren Verlauf als Ergebnisgröße verwendet werden. Damit findet in zweierlei Hinsicht eine Abkehr von klassischen, rein anbieterseitigen Ergebnisdefinitionen im Rahmen von Produktivitätsbetrachtungen statt: Zum einen wird der Fokus von einer quantitativen, stärker auf eine qualitative Betrachtung des Prozessergebnisses gelegt. Zum anderen beschränkt sich die Betrachtung nicht auf die Anbieterseite, sondern es wird explizit ein Schwerpunkt auf die Konsequenz der Problemlösung beim Nachfrager gelegt.
3.2 Anforderungen an ein Konzept zur Produktivitätsbestimmung Aus den vorangehend vorgestellten Besonderheiten hinsichtlich der Bestimmungsfaktoren für Eingangs- und Ausgangsgrößen ergeben sich zahlreiche Anforderungen an ein Produktivitätskonzept für hybride Problemlösungen. Bei ihrer konkreten Formulierung sind die folgenden, in Kapitel 2 beschriebenen, Charakteristika und Zielsetzungen hybrider Problemlösungen zu berücksichtigen: (1) Vernetzung der Akteure hinsichtlich Integrationstiefe und -intensität, (2) Vernetzung der Teilleistungen bezüglich einer technischen und prozessualen Integration, (3) Hybridität der Leistung sowie (4) Ziel einer ganzheitlichen Bedürfnisbefriedigung des Nachfragers. Vernetzung der Akteure hinsichtlich Integrationstiefe und -intensität Die aus der Akteursvernetzung resultierenden Konsequenzen für ein Konzept zur Bestimmung der Produktivität hybrider Problemlösungen sind eng mit denen verwandt, die Corsten (1994) für Dienstleistungen formuliert. Aus der Anwendung auf Problemlösungen ergeben sich aufgrund der charakteristischen Integrationstiefe und -intensität in erster Linie zwei Schlussfolgerungen:
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Wegen der Einbindung des Nachfragers in alle Phasen der Leistungserstellung ist dieser über den gesamten Problemlösungsprozess hinweg als externer Inputfaktor anzusehen. Durch seine intensive Integration in den Problemlösungsprozess übt der Nachfrager einen weitaus stärkeren Einfluss aus, als dies bei Dienstleistungen gemeinhin gegeben ist.
Tiefe und Intensität der Akteursvernetzung gemeinsam behindern die autonome Disposition von Ressourcen durch den Anbieter. Über den Problemlösungsprozess hinweg können Art und Umfang der Integration und damit auch die resultierenden Konsequenzen stark variieren. Vernetzung der Teilleistungen bezüglich einer technischen und prozessualen Integration Die Auswirkungen der Leistungsvernetzung auf die Bestimmung der Produktivität wurden in der Literatur bislang kaum diskutiert. Aus den bisherigen Erläuterungen im Rahmen dieses Beitrages leiten sich jedoch die folgenden beiden Anforderungen an ein Produktivitätskonzept ab:
Aufgrund der technischen Integration einzelner Teilleistungen in hybriden Problemlösungen sind bei der Auseinandersetzung mit eingesetzten internen Produktionsfaktoren zweierlei Wechselbeziehungen zu berücksichtigen: Zum einen Relationen zwischen den Produktionsfaktoren im aktuellen Problemlösungsprozess, zum anderen Zusammenhänge der erbrachten Leistungen mit früheren Teilleistungen bzw. Zwischenergebnissen. Aus der prozessualen Integration folgt, dass Wechselbeziehungen zwischen internen und externen Inputfaktoren herrschen und dass auch letztere von bereits realisierten Teilergebnissen nicht unabhängig sind. Auch sie sind in das Produktivitätskonzept für hybride Problemlösungen einzubeziehen.
Hybridität der Leistung Folge der Hybridität von Problemlösungen ist, dass in den Leistungserstellungsprozess signifikante Anteile sowohl materieller als auch immaterieller Komponenten eingehen. Die für die Produktivitätsbestimmung relevanten Produktionsfaktoren sind damit sehr heterogen. Ziel einer ganzheitlichen Bedürfnisbefriedigung des Nachfragers Dem besonderen Zielfokus von hybriden Problemlösungen ist in einem Produktivitätskonzept dadurch zu genügen, dass als zielrelevantes Leistungsergebnis des Gesamtprozesses anstelle des Outputs der Outcome betrachtet wird. Ein Ansatz zur Produktivitätsbestimmung, der diesen Anforderungen Rechnung trägt, wird in Kapitel 4 skizziert.
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4.
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Ansatzpunkte zur Produktivitätsbestimmung hybrider Problemlösungen
Aufbauend auf den bisherigen Ausführungen, lässt sich an dieser Stelle zunächst folgende allgemeine Definition für die Produktivität hybrider Problemlösung formulieren: Die (Gesamt-)Produktivität einer hybriden Problemlösung ist das Verhältnis des generierten Nachfragernutzens zu der Gesamtheit aller durch Anbieter und Nachfrager eingesetzten materiellen und immateriellen Produktionsfaktoren. Die Inhomogenität und die teilweise eingeschränkte Quantifizierbarkeit der unterschiedlichen Eingangs- und Ausgangsfaktoren im Problemlösungsprozess führen allerdings dazu, dass dieses Verhältnis de facto kaum bestimmbar ist. Aufgrund der großen Individualität von Problemlösungen hätte eine globale Kennzahl zudem wenig Aussagekraft. Um einen echten Nutzen für das Management von hybriden Problemlösungen zu stiften, ist ein Produktivitätskonzept erforderlich, das eine differenziertere Betrachtung der relevanten Einflussgrößen vorsieht. Ein Ansatzpunkt zu seiner Entwicklung besteht darin, den Leistungserbringungsprozess hybrider Problemlösungen nicht mehr als „Black Box“ zu begreifen, sondern seine charakteristische Struktur zu berücksichtigen. Ausgehend von dieser Grundidee wird im Folgenden eine stufenweise Betrachtung der Produktivität hybrider Problemlösungen vorgestellt, die in Grundzügen Analogien zu Corstens (1994) Konzept der Dienstleistungsproduktivität aufweist. Nachfolgend wird zunächst in Kapitel 4.1 die Struktur eines Problemlösungsprozesses als Basis für das Produktivitätskonzept kurz vorgestellt. In Kapitel 4.2 wird diese als Grundlage für die Konzeption eines Ansatzes zur Produktivitätsermittlung bei hybriden Problemlösungen genutzt.
4.1 Problemlösungsprozess Im Prozess zur Entwicklung und Erbringung hybrider Problemlösungen werden vier aneinander anknüpfende Phasen differenziert (Brady et al. 2005; Tuli et al 2007):
In der Dialog- oder Analysephase wird die nachfragerseitige Problemsituation systematisch und ganzheitlich analysiert. Ziel ist es, die expliziten und impliziten (Teil-) Bedürfnisse der Nachfrager transparent und bewusst zu machen. Hierzu werden Informationen über die gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisstruktur gesammelt, das Kundenproblem konkretisiert und relevante Zielkriterien und Kundenanforderungen identifiziert. In der Angebots- oder Entwicklungsphase erstellt der Anbieter – unter Einbindung des Kunden – ein konkretes Problemlösungskonzept. Aus diesem entsteht ein ver-
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bindliches Angebot, das dem Abnehmer vorgelegt wird und als Wertbeitragsversprechen verstanden werden kann. Im Rahmen der Implementierungs- oder Umsetzungsphase wird das gedankliche Konzept aus der Entwicklungsphase in das spezifische Umfeld beim Kunden integriert und in eine reale Problemlösung überführt. Die Support- oder Betriebsphase sieht eine fortlaufende, aktive Betreuung des Kunden im Verlauf der gesamten Nutzungs-/Wirkungszeit der Problemlösung vor. Sie ermöglicht es, Verbesserungen und Anpassungen der Problemlösung zu realisieren – beispielsweise dann, wenn Kundenanforderungen und Rahmenbedingungen einer Dynamik unterliegen. Zudem bietet der enge Kundenkontakt die Chance, weitere ungelöste Kundenprobleme zu identifizieren. Im Idealfall können dadurch Folgeaufträge und langfristige Problemlösungsbeziehungen entstehen, die als Bindeglied zwischen Prozessende und Prozessanfang zu dem in Abbildung 3 skizzierten Kreislauf führen.
Schaf f ung anbieter- und nachf ragerseitigen Problembewusstseins
Angebots-/ Entwicklungsphase
Betreuung des Nachf ragers über den gesamten Lebenszyklus der Problemlösung
Dialog-/ Analysephase
Support-/ Betriebsphase
Kundenbedürfnis
Implementierungs-/ Umsetzungsphase Leistungserbringung
Abbildung 3: Problemlösungsprozess als Kreislauf (Quelle: Brady et al. 2005, S. 363)
Konzeption einer Problemlösung und Gebotsabgabe
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4.2 Phasendifferenziertes Konzept zur Produktivitätsbestimmung Ausgehend von der Differenzierung von Phasen im Problemlösungsprozess können innerhalb eines idealtypischen, also rein sequenziell ablaufenden Problemlösungsprozesses, vier Teilproduktivitäten unterschieden werden:
Produktivität der Analysephase PAnalyse, Produktivität der Entwicklungsphase PEntwicklung, Produktivität der Umsetzungsphase PUmsetzung sowie Produktivität der Betriebsphase PBetrieb.
Zur Konkretisierung dieser Teilproduktivitäten sind die Eingangs- und Ergebnisgrößen der einzelnen Phasen zu identifizieren und zueinander in Beziehung zu setzen. Einen grafischen Überblick über die Stufung sowie die in den einzelnen Phasen relevanten Größen bietet Abbildung 4. Damit das Modell übersichtlich und handhabbar bleibt, wurde im hier vorgestellten ersten Konzeptionsschritt eine Vereinfachung und Abstraktion vorgenommen. Die angegebenen Formeln zeigen das Grundprinzip der Produktivitätsbestimmung für hybride Problemlösungen. Bei der konkreten Anwendung sind diese zu konkretisieren, wobei eine Ergänzung weiterer Faktoren oder Eliminierung hier angegebener Faktoren kommen kann. Einige grundlegende Alternativen werden im Entwurf des Modells durch gestrichelte Linien aufgezeigt.
4.2.1 Produktivität der Analysephase Entscheidende Eingangsfaktoren der Analysephase sind die menschlichen Arbeitsleistungen von Anbieter und Nachfrager (Aint und Aext). In einer gemeinsamen Analyse der Problemsituation ermitteln beide Partner die Anforderungen, anhand derer die spätere Problemlösung vom Nachfrager beurteilt wird. Beim Resultat der Analysephase handelt es sich in einer abstrakten Betrachtung um Informationen (IAnf), die dann als Input in die Folgephase eingehen. Die Produktivität der Analysephase PAnalyse wird definiert als: P Analyse =
IAnf. Aint +Aext
Zu beachten ist, dass bei der Bewertung der Informationen IAnf. weniger die Quantität, als vielmehr die Qualität, also Validität, Relevanz und Zuverlässigkeit von Interesse ist. Auch die Inputfaktoren Aint und Aext sind nicht allein anhand ihrer Quantität, sondern insbesondere anhand ihrer Qualität bewertet in die Formel zu integrieren.
Arbeitsleistungen
Arbeitsleistungen
Abbildung 4: Grundsätzliche Struktur der Produktivitätsermittlung hybrider Problemlösungen
int: intern (anbieterseitig)
A: Arbeitsleistungen
ext: extern (nachf ragerseitig)
I: Inf ormationen
Anf.: Anf orderungen
S: Sachobjekte
IPL+(Aint[+Aext]+Wint +Sint[+Sext])
SPL + Next
N ext
PL: Problemlösung
N: Nutzen
SPL+(Aint[+Aext+Wint +Sint+Sext])
W: Werkstof f e
P Betrieb =
Betriebsphase
Sachobjekte
Legende: P: Produktivität
Arbeitsleistungen
Aint+Aext
Arbeitsleistungen
PUmsetzung =
Nutzen Sachobjekte
IPL P Entwicklung = IAnf.+(Aint+Aext)
Problemlösung
Arbeitsleistungen
IAnf.
Arbeitsleistungen Umsetzungsrungsphase
Werkstoffe Arbeitsleistungen
Problemlösungsnachfrager
Problemlösungskonzept
Sachobjekte
Entwicklungsphase
Arbeitsleistungen
Nutzen
PAnalyse =
Anforderungen
Werkstoffe
Analysephase
Problemlösungsanbieter
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Zwischen Aint und Aext herrscht eine partiell substitutionale Faktoreinsatzbeziehung. Bei konstantem Qualitätsniveau der Arbeitskräfte kann (in gewissen Grenzen) die gleiche Ergebnisqualität mit einem höheren, anbieterseitigen Personaleinsatz und einem geringeren, nachfragerseitigen Personaleinsatz herbeigeführt werden oder umgekehrt. Analog ist eine geringere Qualifikation auf Nachfragerseite durch eine höhere Qualifikation auf Anbieterseite ausgleichbar et vice versa – auch hier sind die Substitutionsmöglichkeiten allerdings limitiert. Abbildung 5 zeigt die Zusammenhänge im Überblick. Qualifikation der Arbeitskräfte = konst.
Isoqualitätslinie der Anforderungen
(b)
Personaleinsatz = konst.
Qualifikation der Arbeitskräfte des Nachfragers
Personaleinsatz des Nachfragers
(a)
Isoqualitätslinie der Anforderungen
Qualifikation der Arbeitskräfte des Anbieters
Personaleinsatz des Anbieters
Abbildung 5: Partielle Substituierbarkeit von Aint und Aext in quantitativer (a) und qualitativer (b) Hinsicht.
4.2.2 Produktivität der Entwicklungsphase Neben dem Ergebnis der vorangegangenen Phase, den generierten Anforderungen IAnf., werden in der Entwicklungsphase des Problemlösungsprozesses erneut anbieter- und nachfragerseitige, menschliche Arbeitsleistungen (Aint und Aext) als Produktionsfaktoren eingesetzt. Das Ergebnis der Phase ist ein Problemlösungskonzept im Sinne eines Handlungsplanes, innerhalb dessen festgehalten ist, durch welche Kombination aus materiellen und immateriellen Leistungsbestandteilen das Nachfragerproblem gelöst werden soll. Wie in der Analysephase handelt es sich auch beim Ergebnis der Entwicklungsphase letztendlich um Informationen. Sie werden im Folgenden mit IPL benannt. Die Produktivität PEntwicklung ergibt sich zu: I PL P Entwicklung = I Anf. +(Aint +Aext )
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Auch hier ist in die Betrachtung des Phasenergebnisses (IPL) vor allem die erzielte Qualität einzubeziehen. In der Folge gelten für die Inputfaktoren Aint und Aext ebenfalls die bei Phase 1 behandelten Grundsätze bezüglich der Substituierbarkeit. Eine zusätzliche Besonderheit zeigt sich bei einer Betrachtung der Zusammenhänge von IAnf. mit der Summe der Arbeitsleistungen (Aint+Aext). Auch zwischen IAnf. auf der einen Seite und (Aint+Aext) auf der anderen Seite scheint von einer partiellen Substituierbarkeit auszugehen zu sein. Es wird an dieser Stelle die Annahme getroffen, dass IAnf. eine dispositive Einflussgröße der Produktivität PEntwicklung ist, denn in Abhängigkeit vom realisierten Qualitätsniveau von IAnf. sind für ein bestimmtes Ergebnisniveau (in Quantität bzw. Qualität) unterschiedliche Arbeitsleistungen notwendig. Sind die Anforderungen an eine Problemlösung beispielsweise klar definiert und bilden die Problemstellung umfassend ab, so kann einfacher und schneller (und somit auch mit einem quantitativ und/oder qualitativ geringeren Personaleinsatz) ein adäquates Problemlösungskonzept gefunden werden. Umgekehrt kann ein Mangel an Informationen aus der Analysephase durch zusätzlichen Arbeitsaufwand in der Entwicklungsphase kompensiert werden, beispielsweise durch mehrere Schleifen mit Zwischenabstimmungen zwischen Anbieter und Kunde.
4.2.3 Produktivität der Umsetzungsphase In der Umsetzungsphase gewinnen neben immateriellen Inputfaktoren auch materielle Einsatzgrößen an Bedeutung (z.B. Werkstoffe Wint, Nutzung von Sachobjekten Sint wie technische Anlagen, usw.). Je nach Problemsituation können auch von Nachfragerseite signifikante, materielle Inputs Sext, wie beispielsweise Maschinenstunden oder bereitgestellte Werkstoffe einfließen. Das zentrale Leistungsergebnis der Umsetzungsphase bildet mit der physisch realisierten Problemlösung SPL zum ersten Mal im Problemlösungsprozess ein Sachobjekt. Diese und insbesondere zusätzliche immaterielle Leistungsbestandteile können zudem bereits in ersten Nutzenaspekten Next für den Nachfrager resultieren, die einen Teil des Gesamtnutzens der Problemlösung ausmachen. Die Produktivität der Umsetzungsphase drückt sich in folgender Grundformel aus: SPL + Next PUmsetzung = I PL+(A int [+Aext ]+W int +Sint [+Sext])
Eine Untersuchung der Beziehungen zwischen den einzelnen Produktionsfaktoren dieser Phase ist vergleichsweise schwierig, da die relevanten Inputfaktoren äußerst heterogen sind und von Problemlösung zu Problemlösung stark variieren können. Für hybride Problemlösungen lässt sich jedoch festhalten, dass sich der Inputanteil des Anbieters aus materiellen und immateriellen Anteilen zusammensetzen muss. Aus der Akteursvernetzung ergibt sich, dass diese Inputfaktoren im Allgemeinen um solche von Nachfragerseite zu ergänzen sind.
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Um eine trennschärfere Zuordnung der einzelnen Input- und Outputfaktoren zu erreichen, kann die Umsetzungsphase in weitere Teil- und Subprozesse zerlegt und deren Produktivitäten dann separat betrachtet werden (Michaelis 1991). Die Gliederungsstruktur kann sich sowohl an der sachlogischen Reihenfolge als auch an der Materialität des zu erstellenden Teilergebnisses orientieren. Die Ermittlung der Teilproduktivitäten ist weniger komplex, u.a. da bei Teilprozessen, die ohne Nachfragerbeteiligung ablaufen oder weitgehend (im-)materieller Natur sind, bestehende Produktivitätskonzepte (z.B. Corsten 1994; Johnston et al. 2004; Grönroos et al. 2004) nutzbar sind. Zu beachten ist allerdings, dass die einzelnen Teilproduktivitäten nicht einfach mit mathematischen Operationen (z.B. durch Addition) zu einer Gesamtproduktivität für die Umsetzungsphase zusammengefasst und in obige Formel eingegliedert werden können. Während durch die Aufspaltung in Teilproduktivitäten eine Transparenzsteigerung auf der Detailebene erreicht wird, kann sich daher die Transparenz auf der Gesamtprozessebene reduzieren. Wie IAnf. in der Entwicklungsphase, übt auch hier ein Output der vorangehenden Phase – IPL – einen dispositiven Einfluss auf die übrigen Eingangsfaktoren aus. Den Zähler von PUmsetzung kennzeichnet ebenfalls eine gewisse Heterogenität. Neben dem Outputfaktor SPL ist mit Next auch ein Outcomefaktor in die Formel integriert.
4.2.4 Produktivität der Betriebsphase Der Nenner der Produktivitätsformel für die Betriebsphase setzt sich zusammen aus der materiell verwirklichten Problemlösung SPL, anbieter- und nachfragerseitigen Arbeitsleistungen (Aint und Aext) sowie der Bereitstellung von Sachobjekten (Sext) durch den Nachfrager. Diesen Inputs stehen auf der Ergebnisseite die Problemlösungswirkungen beim Nachfrager gegenüber, die – wie bereits gezeigt – durch den Kundennutzen Next repräsentiert werden können. Für die Produktivität der Betriebsphase ergibt sich damit folgende Formel: Next P Betrieb = SPL+(Aint [+A ext +W int +Sint +Sext])
Für die Beziehungen zwischen den Inputgrößen ergeben sich kaum Unterschiede zur vorangehenden Phase im Problemlösungsprozess. Der genaue Charakter der Relationen ist situationsabhängig und ein gewisser Mindestaufwand an anbieterseitigen Arbeitsleistungen bleibt ebenso zu berücksichtigen, wie materielle und/oder immaterielle Inputs des Nachfragers. Auch der Outputqualität der vorherigen Phase, also der Beschaffenheit und Güte von SPL, kommt wiederum die Bedeutung einer dispositiven Einflussgröße zu.
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5.
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Schlussbetrachtung
Die Analyse der Anforderungen an ein Produktivitätskonzept für hybride Problemlösungen hat deutlich gemacht, dass aus den Charakteristika dieser Leistungen eine ganze Reihe von Herausforderungen entstehen. Um sie zu meistern, sind grundsätzliche konzeptionelle Überlegungen notwendig, zu denen hier ein erster Beitrag geleistet wurde. In den ersten Schritten zur Entwicklung eines Produktivitätskonzeptes für hybride Problemlösungen wurde deutlich, dass vorhandene Konzepte zur Produktivitätsermittlung bei der Betrachtung hybrider Problemlösungen keinesfalls überflüssig werden, jedoch in einen angepassten Rahmen einzubetten sind. Ein solcher Rahmen kann in der Bildung von Teilproduktivitäten bestehen, die sich an den speziellen Phasen des Problemlösungsprozesses orientieren. Die Phasen sind in der Produktivitätsbetrachtung dadurch eng verknüpft, dass die Ergebnisse vorangehender Prozessstufen jeweils einen essenziellen Inputfaktor der nachfolgenden Phase darstellen, und einen moderierenden Einfluss auf die übrigen Eingangsfaktoren ausüben. Insbesondere in einem Punkt weist das phasendifferenzierte Produktivitätskonzept für hybride Problemlösungen einen interessanten Unterschied zu den Konzeptualisierungen der Produktivität klassischer Dienstleistungen auf. Dort wird argumentiert, dass anbieterseitige Steigerungen der Dienstleistungsproduktivität häufig mit einer, vom Nachfrager als niedriger wahrgenommenen Leistungsqualität „erkauft“ werden. Dies wird damit begründet, dass vormals vom Anbieter erbrachte Arbeitsleistungen externalisiert, also auf den Nachfrager übertragen werden und dieser damit einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt sei (Grönroos et al. 2004; Johnston et al. 2004, S. 206). Bei Problemlösungen ist dieser Zusammenhang zwischen Produktivitätssteigerung auf Anbieterseite und wahrgenommener Qualität allenfalls auf die immateriellen Teile in der Implementierungs- oder der Betriebsphase beschränkt. Ein hoher Externalisierungsgrad in den ersten beiden Prozessphasen hingegen führt vermutlich sogar zu einer Steigerung des wahrgenommenen Nutzens, da nachfragerseitige Unsicherheiten reduziert und Möglichkeiten zur gestalterischen Einflussnahme eröffnet werden. Folge ist bei richtigem Einsatz und optimaler Steuerung dieser Möglichkeiten eine Verbesserung des Outcome, so dass letztendlich die Produktivität aus Perspektive beider Partner im Problemlösungsprozess verbessert werden kann. Das vorgestellte Modell zeigt, wie die Produktivität hybrider Problemlösungen konzeptionell erfasst werden kann. Es erhebt allerdings nicht den Anspruch, alle Fragen in diesem Kontext beantworten zu können. Unter anderem führt die gemeinsame Betrachtung von anbieter- und nachfragerseitigen Inputleistungen dazu, dass keine absolut verursachungsgerechte Zuordnung des bewirkten Outcome zu den jeweils geleisteten Inputs möglich ist. Für die Verbesserung der Produktivität im Problemlösungprozess wäre diese Information allerdings hoch relevant. Die Betrachtung des Outcome als Ergebnisgröße wird der besonderen Zielstellung von Problemlösungen gerecht. Sie geht jedoch auch mit der Gefahr einer „Verfälschung“ durch externe Faktoren einher (Sherwood 1994):
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Entwicklungen vom Output zum Outcome können auf Einflüsse zurückzuführen sein, die in der Produktivitätsformel keine Berücksichtigung finden, so dass die Gefahr falscher Schlüsse besteht. Bei der Interpretation der Produktivitäten ist aus diesem Grund stets zu analysieren, inwiefern Validität und Nutzen der Kennzahlen durch externe Einflüsse beeinträchtigt sind. Weiterer Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Messung von Eingangs- und Ergebnisfaktoren. Es müssen ebenso objektive Methoden für die praktische Feststellung der Faktorqualitäten von IAnf., IPL oder SPL entwickelt werden wie praktikable Verfahren zur (ex ante) Quantifizierung des Nachfragernutzens als Maßgröße für den Outcome. Die konzeptionelle Erfassung der Produktivität hybrider Problemlösungen ist damit insgesamt keinesfalls als abgeschlossen anzusehen. Vielmehr sind in der Zukunft Details für den praktischen Einsatz des skizzierten Modells zu spezifizieren und dessen Aussagekraft und Nutzen einer empirischen Prüfung zu unterziehen.
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Thorvald Degner und Franz J. Heeg
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen – Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen
1. Internationalisierung von Dienstleistungen 2. Integrationsansatz 3. Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen 3.1 Aufbau des Rahmenkonzeptes 3.2 Integrationsperspektive 3.2.1 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Marktwahl) 3.2.2 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Markteintritt) 3.2.3 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Marktbearbeitung) 3.3 Strukturperspektive 3.4 Ablaufperspektive 4. Zusammenfassung Literaturverzeichnis ___________________________ Dipl.-Wi.-Ing. Thorvald Degner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionstechnik, Aufgabengebiet Arbeitswissenschaft, an der Universität Bremen. Prof. Dr.-Ing. Franz J. Heeg ist Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter dieses Lehrstuhls.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Internationalisierung von Dienstleistungen
Der Dienstleistungssektor hat einen außerordentlichen Stellenwert für Wirtschaft und Gesellschaft erlangt. Inzwischen trägt der Dienstleistungssektor mit über 70 Prozent zu dem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bei und beschäftigt den größten Teil der Erwerbstätigen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ebenfalls ist eine starke und stetige Zunahme des internationalen Dienstleistungshandels zu verzeichnen. In den letzten Jahren wuchs der Handel mit Dienstleistungen weltweit durchschnittlich um 13 Prozent. Der Anteil der Dienstleistungen am gesamten Exportvolumen Deutschlands betrug im gleichen Zeitraum durchschnittlich 13,2 Prozent, was in Relation zu anderen westlichen Industrienationen einen geringen Anteil darstellt und noch Wachstumspotenziale aufweist (Gardini/Dahlhoff 2004, S. 1; Manneck 2006, S.193ff.; Statistisches Bundesamt 2007; Dobler et al. 2008; Lüders 2009). Um in dem globalen Wettbewerb bestehen zu können, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, das eigene Angebots- und Leistungsportfolio auf internationale Märkte auszuweiten. Die Planung, Organisation und die Finanzierung derartiger Vorhaben sowie im Besonderen die Qualifizierung der Mitarbeiter stellt die Unternehmen vor neuartige und komplexe Aufgaben (Dobler et al. 2008). Schwierigkeiten sind unter anderem darin zu sehen, die oftmals historisch gewachsenen Leistungsprogramme auf neue ausländische Kundenbedürfnisse auszurichten und somit eine kundenspezifische Ausweitung des Angebotsportfolios zu realisieren. Eine unsystematische Entwicklung und Gestaltung der Dienstleistungsangebote führt häufig zu einer ineffizienten Erbringung und wirkt sich somit unmittelbar auf Qualität und Kosten der Leistungen aus (Bienzeisler/ Löffler 2005, S. 215; Hoffmann/Garrel 2008). Obwohl der potenzielle Nutzen einer erfolgreichen, produktiven Internationalisierung von Dienstleistungen hoch ist (durch beispielsweise Nutzung von Größen-, Standortvorteilen oder auch dem Beibehalten der Wettbewerbsfähigkeit), ist dennoch festzustellen, dass in Deutschland in vielen Fällen solche Vorhaben ad hoc durchgeführt werden (Hoffmann/Garrel 2008). Gründe für diese weniger planvolle Herangehensweise sind unter anderem die hohe Komplexität der zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen (auslandsmarktspezifische Besonderheiten, Infrastruktur, Wettbewerber, usw.), die Vielfalt der Handlungsalternativen (Markteintrittsform, Marktbearbeitungsstrategie, Preispolitik, usw.) und die schwierige Orchestrierung sinnvoller Maßnahmen zur Internationalisierung und zur Gestaltung der Dienstleistungen.
198
2.
Thorvald Degner und Franz J. Heeg
Integrationsansatz
Um Dienstleistungen erfolgreich und rentabel auf internationale Märkte auszuweiten, ist es erforderlich, die relevanten komplexen auslandsrelevanten Fragestellungen hinsichtlich globaler Rahmenbedingungen (ökonomischer, politisch-rechtlicher, soziokultureller, geographischer Art), der Branche und des Wettbewerbes (Branchenkultur, Wettbewerber, Abnehmer) und unternehmensspezifischer Faktoren (Ziele, Finanzkraft, Leistungsmerkmale, Personal, Dienstleistungskapazität) zu betrachten (Meffert/Bruhn 2009, S. 440). Darüber hinaus müssen die Dienstleistungen an auslandsspezifische Anforderungen systematisch angepasst werden. Zur planvollen Internationalisierung ist es daher zweckmäßig, das Spannungsfeld zwischen den Schritten zur Internationalisierung, der Entwicklung und Gestaltung der zu erbringenden Dienstleistung und der Produktivität der Leistung zu betrachten. Hierzu können Modelle und Methoden eingesetzt werden, die den spezifischen Anforderungen an die Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen gerecht werden und dabei sowohl Produktivität als auch kundenindividuelle Qualität berücksichtigen (Bienzeisler/Löffler 2005). Einen integrativen Ansatz zur systematischen Internationalisierung von Dienstleistungen bietet die vorliegende Arbeit durch die Verbindung der Disziplinen der Dienstleistungsinternationalisierung und des Service Engineering. Der Ansatz wurde im Rahmen des Projektes „Entwicklung eines integrierten Gesamtkonzeptes zur Steigerung der Exportfähigkeit von Dienstleistungen im Sektor Altenhilfe und Pflege“ (GESA), Fördermaßnahme „Exportfähigkeit und Internationalisierung von Dienstleistungen“ des BMBF erarbeitet. Hierzu wurden die beiden Disziplinen aufgegriffen und anhand eines ganzheitlichen Vorgehensmodells Verknüpfungspunkte zwischen der Dienstleistungsinternationalisierung und Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen ermittelt (vgl. Abbildung 1). Vorgehensmodell
Dienstleistungsinternationalisierung
Integration des Service Engineerings
Systematische Dienstleistungsentwicklung
Modelle
Methoden
Werkzeuge
Abbildung 1: Integrationsansatz zur systematischen Internationalisierung von Dienstleistungen
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
3.
199
Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen
Das nachfolgend vorgestellte Rahmenkonzept zum Engineering internationaler Dienstleistungen soll entlang der Schritte einer Internationalisierung methodische Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen, um zu einem systematischen Vorgehen zur Internationalisierung von Dienstleistungen zu gelangen.
3.1 Aufbau des Rahmenkonzeptes Das Konzept betrachtet hierzu Aspekte der Internationalisierung aus drei Perspektiven. Integrationsperspektive Zur sinnvollen Integration zwischen systematischer Entwicklung und der Internationalisierung von Dienstleistungen werden an den Verknüpfungspunkten Gestaltungsmöglichkeiten betrachtet. An diesen Schnittstellen können gezielt Engineering-Methoden eingesetzt werden. Strukturperspektive Zur Handhabung des Methodensets und zur Identifikation der Bereiche einer Dienstleistung, welche im Zuge eines Internationalisierungsprozesses insbesondere betroffen sind, werden die identifizierten Handlungsbereiche in Übersichtsform dargestellt. Ablaufperspektive Um zu einer konkreten Maßnahmenabfolge zu gelangen und die aus Punkt 1 und 2 erarbeiteten Erkenntnisse zu operationalisieren, wird ein idealtypischer Ablauf der systematischen Internationalisierung erstellt. Das Rahmenkonzept umfasst, wie in Abbildung 2 veranschaulicht, mehrere Bereiche, die für eine Dienstleistungsinternationalisierung von Relevanz sind. Ein zentrales Element des Ansatzes sind die Dimensionen einer Dienstleistung, welche sich in die drei Dimensionen Potenzial, Prozess und Ergebnis gliedern (Scheer et al. 2006, S. 24ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 17ff.). Diese Gliederung wird in den Bereich der Dienstleistungsinternationalisierung überführt, um so eine dienstleistungsspezifische Betrachtungsweise bei der Internationalisierung und der Entwicklung von Dienstleistungen zu realisieren (1 in Abbildung 2). Diese Betrachtung ermöglicht es dem Anwender, alle relevanten Aspekte zur Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen systematisch und strukturiert zu behandeln. Relevante Bereiche einer Dienstleistung können hiermit marktbezogen modifiziert und entwickelt werden.
200
Thorvald Degner und Franz J. Heeg
Klassische Vorgehensmodelle
Dienstleistungsinternationalisierung Analyse
Planung
Umsetzung
Integrationsperspektive Bewertung
(3.) Modifiziertes Vorgehen; Grundlage für die Entwicklung des Vorgehensmodells der systematischen Dienstleistungsinternationalisierung
Potenzialdimension (1.) Dimensionen einer Dienstleistung
Strukturperspektive Prozessdimension
(4.) Wirkungsbereich der zu integrierenden „Modelle, Methoden und Werkzeuge“, im Spannungsfeld zwischen Internationalisierungsphasen und Dienstleistungsdimensionen
ErgebnisDimension
Integration des Service Engineerings
Systematische Dienstleistungsentwicklung
(1.) Dimensionen einer Dienstleistung
Potenzialdimension
Ressourcenmodelle
Optimierung von Dienstleistungspotenzialen
Prozessdimension
Prozessmodelle
Optimierung von Dienstleistungsprozessen
ErgebnisDimension
Produktmodelle
Optimierung von Dienstleistungsergebnissen
Modelle
Methoden
(2.) Wirkungsweisen und Wirkungszusammenhänge zwischen den Dimensionen von Dienstleistungen und dem Einsatz von „Modellen, Methoden und Werkzeugen“ des Service Engineering
Werkzeuge
Abbildung 2: Rahmenkonzept „Engineering internationaler Dienstleistungen“ Zur Integration von Modellen, Methoden und Werkzeugen in ein Internationalisierungsvorhaben ist eine Betrachtung der Einsatzmöglichkeiten notwendig. Hierbei sind die Wirkweisen und der Nutzen des Methodeneinsatzes in den einzelnen Dimensionen einer Dienstleistung zu bewerten (2 in Abbildung 2). Entlang der einzelnen Schritte des Vorgehens zur Internationalisierung (3 in Abbildung 2, Abbildung 4) werden die betrachteten Modelle, Methoden und Werkzeuge in den Dienstleistungsdimensionen eingesetzt. Hieraus entsteht die Integrationsperspektive, bzw. das Vorgehensmodell zur systematischen Internationalisierung von Dienstleistungen. Parallel zu dieser Erarbeitung wird die strukturelle Perspektive erarbeitet. Hierzu werden die Dienstleistungsdimensionen erfasst, welche in der jeweiligen Phase der Internationalisierung insbesondere betroffen sind. Darüber kann dargestellt werden, welche der drei Dienstleistungsdimensionen im Zuge der Dienstleistungsinternationalisierung zu gestalten sind. Es entsteht eine idealtypische Übersicht der Wirkungszusammenhänge zwischen Internationalisierungsphase und Dienstleistungsdimension (4 in Abbildung 2).
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
201
In der dritten Perspektive wird ein idealtypischer Ablauf (Ablaufperspektive) der wesentlichen Schritte einer methodengestützten und systematischen Entwicklung und Internationalisierung von Dienstleistungen abgebildet (vgl. Abbildung 3). Vorgehensmodell
Analyse
Dienstleistungsinternationalisierung Analyse
Planung
Umsetzung
Planung
Umsetzung
Bewertung
Bewertung
Potenzialdimension
. . .
. . .
Prozessdimension ErgebnisDimension
Ablaufperspektive
Abbildung 3: Ableitung der Ablaufperspektive Insgesamt ermöglicht die Verwendung des skizzierten Rahmenkonzeptes dem Anwender, über eine strukturierte Einordnung relevante Handlungsfelder, Dienstleistungen in systematischer Form entlang eines definierten Vorgehens zu gestalten. Im Folgenden soll anhand der drei Perspektiven eine Konkretisierung des beschriebenen Ansatzes erfolgen.
3.2 Integrationsperspektive In der Integrationsperspektive werden Fragestellungen zur Internationalisierung behandelt. Hierbei gliedert sich das Vorgehen in vier Hauptphasen, die den Internationalisierungsprozess einer Dienstleistung beschreiben: Analysephase – Planungsphase – Umsetzungsphase – Bewertungsphase. Jede dieser Hauptphasen ist in Unterphasen gegliedert, welche in Form eines Meilensteines enden (Kutschker/Schmid 2002, S. 802; Dolski/ Hermanns 2004, S. 95ff.; Schneider 2004, S. 164ff.; Scheer et al. 2005, S. 81ff.). In den jeweiligen Unterphasen wird die konkrete Integration der Modelle und Methoden vorgenommen (vgl. Abbildung 4). Die Analysephase umfasst die Initialisierung des Internationalisierungsvorhabens sowie die Analyse der internen und externen Rahmenbedingungen, die für eine Internationalisierung von Bedeutung sind. Die Phase wird mit einem Grobkonzept abgeschlossen, das wesentliche Marktinformationen und die unternehmensinterne Ausrichtung beinhaltet. Die Planungsphase stellt ein wesentliches Element der Internationalisierung dar. In dieser Phase werden die grundlegenden Schritte der Internationalisierung geplant. Des Weiteren wird ein internationales Dienstleistungskonzept erarbeitet, welches sowohl die Schritte für die Internationalisierung beinhaltet als auch die der Dienstleistungsentwicklung umfasst.
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Thorvald Degner und Franz J. Heeg
Planungsphase
Analysephase
Anstoß
Interne Analysen
Externe Analysen
Grobkonzept/ Positionierung
Umsetzungsphase
Tests
Markteinführung
Marktwahl
Markteintritt
Internationales Marktbearbeitung Dienstleistungs -konzept
Bewertungsphase
Internationale Dienstleistung
Bewertung/ Optimierung
Optimierte Internationale Dienstleistung
Bewertung/ Optimierung
Kontinuierlicher Verbeserungsprozess
Abbildung 4: Modifizierte Hauptphasen der Dienstleistungsinternationalisierung In der Umsetzungsphase werden die geplanten Maßnahmen umgesetzt. Die Beschaffung der benötigten Ressourcen und Einführung der Dienstleistung auf dem Zielmarkt stehen im Mittelpunkt dieser Phase. Eine absatzfähige Dienstleistung geht aus dieser Phase hervor. In der Bewertungsphase werden die durchgeführten Schritte in ihrer Gesamtheit sowie die Dienstleistung kritisch bewertet. Eventuelle Anpassungsnotwendigkeiten werden ermittelt und Maßnahmen eines Verbesserungskonzeptes abgeleitet. Diese vier Hauptphasen dienen als konzeptionelles Gerüst für den Einsatz von Engineering-Methoden. Die zugrundeliegende Integrationssystematik wird im Folgenden exemplarisch für den Bereich der Planungsphase vorgestellt. Im Zuge dessen sollen die Auswirkungen des Methodeneinsatzes auf die Produktivität der Leistungen betrachtet werden. Ausgangspunkt für die Planungsphase ist die Analysephase, aus der eine Entscheidung für oder gegen eine Internationalisierung hervorgeht. Auf Basis bestehender heimatlandbezogener Informationen wird die Dienstleistung über Ressourcen-, Prozess- und Produktmodelle beschrieben (Scheer et al. 2006, S. 32). Im Rahmen der Integration werden die vorliegenden Leistungsprogramme anhand zielmarktspezifischer Anforderungen angepasst. Diese Anpassungen werden in allen Unterphasen der Planungsphase vorgenommen, so dass neben den Schritten der Internationalisierung gleichzeitig die Dienstleistung entwickelt werden kann (vgl. Abbildung 5). Parallel zu dieser Modellierung werden Methoden und Werkzeuge implementiert und ein dem Auslandsmarkt angepasstes Dienstleistungskonzept wird erarbeitet. Die Integration erfolgt in allen Schritten der Internationalisierung. Eine methodische Unterstützung bietet sich insbesondere in der Planungsphase an, da an dieser Stelle eine grundlegende Ausrichtung für darauf folgende Aktivitäten geschaffen wird. Die Planungsphase ist in dem Konzept in drei Unterphasen unterteilt: Marktwahl, Markteintritt und Marktbearbeitung. Nachfolgend werden die Einsatzmöglichkeiten von Methoden und Modellen in dieser Phase skizziert.
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
Phase der Internationalisierung
Analyse-/Informationsebene Zielmarktspezifika (SOLL-Anforderungen)
Heimatlandspezifika (IST-Modelle)
203
Phasenbezogenes internationales DL Konzept
Integrationsebene Stoßrichtung (strategischer Entscheidungstatbestand)
Internationale DL-Entwicklung (SOLL - IST Abgleich)
Internationale Dienstleistung (zielmarktspezifische Anpassung)
Instrumentale Ebene Methoden und Werkzeuge (methodisches Gerüst)
Abbildung 5: Integration von Modellen und Methoden in der Planungsphase
3.2.1 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Marktwahl) Die in der Analysephase erhobenen Informationen dienen in der Planungsphase zur Marktauswahl (Raff/Billen 2005, S. 154; Meffert/Bruhn 2009, S. 441). Hierzu werden unter anderem mögliche Chancen und Risiken der Auslandsmärkte sowie eigene auslandsspezifische Stärken und Schwächen betrachtet. Diese sowie weitere Analysen dienen dazu, die Erfolgswahrscheinlichkeit der zu vermarktenden Dienstleistungen (Ergebnisdimension) zu bewerten. Damit die gleichzeitige Entwicklung der Dienstleistung erfolgen kann, sollten nach der Auswahl eines oder mehrerer Länder zusätzliche marktbezogene Anforderungen an das Dienstleistungsergebnis erhoben werden. Zur systematischen Ermittlung von auslandsspezifischen Kundenanforderungen stellt der Einsatz der Quality Function Deployment (QFD)-Methode (Pfeifer 2001, S. 314ff.; Eversheim et al. 2006, S. 428ff.) in Verbindung mit der ServQual-Methode (Messinstrument der Service-Qualität) (Parasuraman et al. 1991, S. 41ff.; Schmid 2005, S. 274ff.) eine geeignete Kombination dar. Entlang der Qualitätskategorien der ServQualMethode (physisches Umfeld, Verlässlichkeit, Einsatzbereitschaft, kompetenter Auftritt, aktives Zuhören) können Kundenanforderungen systematisch über das QFD-Verfahren in Qualitätsmerkmale (Eigenschaften des Leistungsergebnisses) übersetzt werden. Die Kategorisierung stellt hierbei eine umfassende Betrachtung wesentlicher leistungsbezogener Qualitätsmerkmale sicher. Anhand dieser Merkmale lassen sich in einer zweiten Phase des QFD-Vorgehens die einzelnen Komponenten der Leistung bzw. die Leistungsbestandteile erarbeiten. Die hierüber identifizierten Leistungsbestandteile sollten zur weiteren Verwendung in Form von Produktmodellen dargestellt werden (Scheer et al. 2006, S. 36). Im „Dach“ des „House of Quality“ der QFD-Methode können zusätzlich Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Qualitätsmerkmalen und den einzelnen Leis-
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Thorvald Degner und Franz J. Heeg
tungsbestandteilen analysiert werden. Die positiven oder negativen Wechselwirkungen der Forderungen geben Hinweise darauf, wie Leistungen entsprechend den kundenidealen Vorstellungen gestaltet und welche Leistungsbestandteile zu einer Einheit zusammengefasst werden sollten. Vom Kunden nicht geforderte Leistungsbestandteile und negative Wechselwirkungen zwischen den Leistungsbestandteilen können hierüber identifiziert und beseitigt werden. Auf Grundlage dieser Ergebnisgestaltung können bereits hier nicht geforderte sowie unwirksame Leistungsbestandteile und Kosten vermieden werden.
3.2.2 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Markteintritt) In der Markteintrittsphase wird über die Form des Markteintrittes entschieden (siehe u.a. Dolski/Hermanns 2004, S. 99; Bruhn 2005, S. 17ff.). Aus der Wahl des Eintrittes (Export, Kooperationen, Direktinvestitionen, Strategische Allianzen) resultieren geänderte marktbezogene Anforderungen an Strukturen und Erbringungsprozesse. Diese Veränderungen betreffen hierdurch zum Einen die Leistungserbringung (Prozessdimension), und daraus resultierend, die zur Erstellung der Leistung erforderlichen Ressourcen (Potenzialdimension). Zur systematischen Bearbeitung kann erneut auf die QFD-Methode zurückgegriffen werden. Hierfür werden Anforderungen unterschiedlicher Art herangezogen. Drei Anforderungsgruppen, die einen Einfluss auf die Leistungserbringung (Dienstleistungsprozesse) haben, sollten hierfür verwendet werden: (1) Anforderungen (bzw. Randbedingungen), die aus der Form des Markteintrittes hervorgehen, (2) leistungsbezogene Anforderungen der in der Marktwahlphase ermittelten Leistungsbestandteile sowie (3) kulturbezogene Anforderungen, die noch nicht in den Leistungsergebnissen berücksichtigt wurden. Auf Basis dieses Sets an Anforderungen lassen sich über das QFDVorgehen prozessbezogene Merkmale ermitteln, die zur adäquaten Erbringung der Leistung notwendig sind. Die ermittelten Prozessmerkmale repräsentieren hierüber einzuhaltende Bedingungen der Leistungserbringung. In einem Folgeschritt werden die ermittelten Prozessmerkmale unter Verwendung des Service Blueprint visualisiert (Modellierungsmethode, um Dienstleistungsprozesse anhand verschiedener Ebenen zu strukturieren und so Kunden- und Anbietersicht miteinander zu verbinden) (Fließ et al. 2004, S. 173ff.; Schmid 2005, S. 256) und durch den Einbezug bestehender Leistungsprogramme weiter ergänzt und detailliert. Auf Basis dieser Modellierung kann ergänzend die Poka Yoke-Methode (systematische Beseitigung von Fehlerquellen) (Schmid 2005, S. 265) eingesetzt werden, um die geplanten Prozesse hinsichtlich vermeidbarer Fehler bereits in diesem Entwicklungsschritt zu optimieren. Eine weitere sinnvolle Ergänzung bietet die Methode der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) (Eversheim et al. 2006, S. 434ff.), wobei mögliche Fehlleistungen systematisch ermittelt und bereits vor der tatsächlichen Erbringung beseitigt werden können. Wie einleitend bereits erwähnt, werden für eine fehlerfreie Leistungserbringung Ressourcen benötigt (Potenzialdimension). Anhand der bereits vorliegenden Prozess-
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
205
merkmale können die benötigten Ressourcen abgeleitet werden – wiederum unter Verwendung der QFD-Methodik. Der Bezug zu den Erbringungsprozessen stellt hierbei sicher, dass die ermittelten Ressourcen den definierten Anforderungen entsprechen. Der ermittelte Ressourcenbedarf, insbesondere personeller Art, wird in Form von Ressourcenkonzepten konkretisiert. Auf Basis dieser Konzepte ist es möglich, marktbezogene personelle Kompetenzprofile zu erstellen, die in weiteren Schritten der Internationalisierung zur Personalbeschaffung und zur Kompetenzentwicklung herangezogen werden können. Insgesamt kann die Anwendung der Methoden einen Beitrag dazu leisten, die Qualität der Dienstleistungen zu erhöhen, indem länderspezifischer Besonderheiten bei der systematischen Fehlersuche über die Methoden Poka Yoke und FMEA sowie der Personalplanung und -beschaffung Berücksichtigung finden. Auftretende Fehler im Zuge der Leistungserbringung (personeller als auch struktureller Art) können hierüber vermieden und Produktivitätsverluste vermindert werden.
3.2.3 Methodenunterstützung in der Planungsphase (Marktbearbeitung) Die Marktbearbeitungsphase betrachtet zwei Ebenen, um auf dem ausgewählten Markt aktiv zu werden. Auf der strategischen Ebene werden Entscheidungen zum Standardisierungsgrad und zur Wettbewerbsstrategie getroffen (Bruhn/Hadwich 2005, S. 105ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 447ff.). Die operative Ebene behandelt die konkrete Implementierung der Dienstleistungen auf dem Markt über die Marketing-Bereiche Leistung, Preis, Vertrieb, Kommunikation und Personal (Bruhn 2005, S. 28ff.). Zur Gestaltung der Dienstleistungen werden in dieser Phase die bereits erhobenen Informationen und erstellten Modelle herangezogen, um die operativen Aspekte der Marktbearbeitung hierin einfließen zu lassen und das Konzept zu konkretisieren. Auf Basis der erzeugten Produktmodelle (Leistungsbaum, Leistungszuordnungsdiagramme) kann die kundenbezogene Wertigkeit einzelner Dienstleistungsbestandteile ermittelt werden und somit eine Preisfestsetzung erfolgen. Neben dem Leistungsergebnis werden in der Marktbearbeitungsphase die konkreten Wege der Erstellung (Vertrieb) betrachtet. Zur Einbeziehung der vertriebsspezifischen Anforderungen werden die in der Markteintrittsphase erzeugten Prozessmodelle herangezogen und angepasst. Hierbei werden die Kundenkontaktpunkte detaillierter betrachtet und Verhaltensrichtlinien zur Kommunikation konkretisiert. Aufbauend auf den resultierenden Anforderungen an das Personal und weitere benötigte Ressourcen zur Leistungserbringung, ist es in diesem Schritt sinnvoll, die vorhandenen Ressourcenkonzepte hinsichtlich personaler Kompetenzanforderungen weiter zu ergänzen. Als Ergebnis der Planungsphase entsteht über das beschriebene Vorgehen ein Internationalisierungsentwurf, welcher von der Marktauswahl über die Wahl der Markteintrittsform bis hin zur Wahl der Marktbearbeitung die wesentlichen Schritte der Internationalisierungsplanung von Dienstleistungen umfasst. Am Ende dieser Phase steht die Integration der einzelnen Komponenten zu einem vollständigen internationalen Dienstleistungskonzept.
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Thorvald Degner und Franz J. Heeg
3.3 Strukturperspektive Damit die beschriebenen Verknüpfungspunkte zwischen den Phasen der Internationalisierung von Dienstleistungen und der systematischen Dienstleistungsentwicklung nachvollziehbar dargestellt werden können, werden die relevanten Handlungsbereiche auf einer Metaebene dargestellt. In den einzelnen Phasen der systematischen Internationalisierung können sowohl Bereiche der Gestaltung (Optimierung) als auch der Überprüfung (Analyse) identifiziert werden. In der vorliegenden Betrachtung wurden folgende Schnittstellen identifiziert, an denen eine methodische Entwicklung im Sinne des Service Engineering zu empfehlen ist (vgl. Abbildung 6). Die Übersicht bietet eine Möglichkeit, die relevanten Bereiche von Dienstleistungen aufzuzeigen, an denen der Einsatz von Modellen und Methoden einen Beitrag zur erfolgreichen Internationalisierung leisten kann. Zudem werden die Bereiche von Dienstleistungen aufgedeckt (Potenzial, Prozess, Ergebnis), die in den Phasen der Internationalisierung zu gestalten sind und somit einer verstärkten Aufmerksamkeit bedürfen. Im folgenden Abschnitt wird das erarbeitete Vorgehensmodell in Ablauf-Form dargestellt. Hierbei werden neben der prozessualen Verknüpfung des Gesamtkonzeptes auch die in der vorgehensmodellbasierten Übersicht dargestellten Verknüpfungspunkte erkennbar. Analysephase
Anstoß
Interne Analysen
Planungsphase
Externe Analysen
Marktwahl
Markteintritt
Umsetzungsphase
Marktbearbeitung
Tests
Markteinführung
Bewertungsphase
Bewertung/ Optimierung
Potenzialdimension
Prozessdimension
ErgebnisDimension
Gestaltung Überprüfung
Abbildung 6: Strukturperspektive
3.4 Ablaufperspektive Die Ablaufperspektive verfolgt zwei Zielstellungen. Zum Einen soll eine derartige Ablaufdarstellung dazu dienen, das erarbeitete Vorgehensmodell zu visualisieren und Zusammenhänge aufzuzeigen. Zum Anderen sollen die Modelle und Methoden, welche in dem Vorgehen verwendet werden, hervorgehoben werden, um so einen Überblick über
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
207
die in den einzelnen Schritten verwendeten Methoden und Modelle zu erzeugen (vgl. Abbildung 7). Analyse
Planung
Umsetzung
Bewertung
Abbildung 7: Ablaufperspektive In der Darstellung wird hierbei zwischen den Bereichen Vorgehen, Prozessablauf und Kontrolle und Freigabe unterschieden (vgl. Abbildung 8). In jeder Hauptphase werden die wesentlichen Schritte der Internationalisierung durchlaufen. In den einzelnen Unterphasen werden die Hauptthemen der Internationalisierung aufgezeigt und darauf aufbauend prozessuale Darstellungen der durchzuführenden Aktivitäten gegeben. Die Prozesse der Unterphasen werden durch Kontrollfragen abgeschlossen und die nächste Phase wird freigegeben.
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Hauptphase der Internationalisierung Phase Xn Start
Unterphasen X 1
Meilen stein
Hauptthemen
Vorgehen Hauptphasen des Vorgehens und Hauptthematik der jeweiligen Phase
Unterphase Xn
Hauptthema X 1
Hauptthema Xn
Methoden Handlungsfeld
Prozessablauf
Ergebnis
Haupthandlungsfelder der jeweiligen Phase (prozessual ) Output
Kontrollfragen zur Freigabe der nächsten Phase
Kontrollfragen zur Freigabe der nächsten Phase
Kontrolle und Freigabe Überprüfung der Vollständigkeit der durchzuführenden Aktivitäten
Kontrollfragen Freigabe nächste Unterphase
Freigabe nächste Hauptphase
Abbildung 8: Aufbau der Ablaufdarstellung Wie an dem Beispiel in Abbildung 9 ersichtlich wird, gliedert sich die Planungsphase in die drei Unterphasen Marktwahl, Markteintritt und Marktbearbeitung. Jede dieser Phasen umfasst Schritte, die für die Planung und spätere Durchführung der Internationalisierung relevant sind. Aus den Entscheidungen zur Internationalisierung werden Informationen zur Entwicklung der Dienstleistungen abgeleitet. Diese Informationen werden genutzt, um Dienstleistungen auf Basis von IST-Modellen und marktspezifischen Kundenanforderungen zu gestalten. Der Erfüllungsgrad der Unterphasen wird anhand von Kontrollfragen überprüft. Nach vollständiger Durchführung der Handlungsfelder und Überprüfung der Gesamtheit wird hierüber ein internationales Dienstleistungskonzept erstellt.
Dienstleistungsproduktivität in international agierenden Unternehmen
Planungsphase
2
2a
2b
Marktwahl
209
Markteintritt
2c
Marktbearbeitung
Internationales Dienstleistungs -konzept
Auswahl geeigneter Marktbearbeitungsstrategie
Meilenstein
Hauptthemen Auswahl geeigneter Markteintrittsstrategie
Auswahl geeigneter Märkte
Stärken und Schwächen Portfolio Chancen und Risiken Portfolio
Filter- und Gruppierungsverfahren Länder vergleichen
Art der Dienstleistung (Wissensbasiert, ressourcenbasiert)
Länder sind ausgewählt
Marktspezifische Kundenanforderungen ermitteln
Zeitpunkt und Reihenfolge des Markteintrittes wählen
QFD Service - Blueprint Poka Yoke FMEA
ServQual QFD
Prozessuale Anforderungen an die Dienstleistung ermitteln
Dienstleistungs modellierung Kundenanforderungen mit ISTModellen abgleichen
Standardisierungsgrad wählen
SOLLProduktmodell ist erzeugt
SOLL-Modelle (Produkt) #1
Marktbearbeitungsstrategie festgelegt
Methoden des SE
QFD Ressourcenanforderungen an die Dienstleistung ermitteln
Marketingkonzept entwickeln
Leistungs-, Preis-, Vertriebs-, Kommunikations-, Personalpolitik ist festgelegt
Prozess und Ressourcen Anforderungen sind ermittelt
IST-Modelle (Ressourcen, Prozess) #0
Dienstleistungs Prozess und modellierung Ressourcen Anforderungen mit IST-Modellen abgleichen
SOLL-Modelle (Ressourcen, Prozess, Produkt) #1
SOLL-Modelle (Ressourcen) #1
Bestehende SOLL- Dienstleistungs Modelle an die modellierung spezifischen Marketinganforderungen anpassen
Marketingspezifisch angepasste SOLLModelle sind erzeugt
SOLL-Prozess- und Ressourcenmodelle sind erzeugt
SOLL-Modelle (Prozess) #1
Portfolio (Marktaktivitäte n /Kundenvorteile) Wettbewerbsstrategie wählen
Formen der Internationalisierung von DLKonzepten
TimingStrategien
Markteintrittsstrategie festgelegt
Produktanforderung en sind ermittelt
IST-Modelle (Produkt) #0
Portfolio Markteintritt Form des Markteintrittes wählen (Joint Venture, Franchise etc.)
SOLL-Modelle (Ressourcen) #2
SOLL-Modelle (Prozess) #2
SOLL-Modelle (Produkt) #2
Int. Dienstleistungskonzept
Märkte wurden ausgewählt ? Marktspezif ische Kundenanf orderungen wurden ermittelt ? Marktspezif ische Ergebnismodelle wurden erstellt ?
Form und Zeitpunkt des Markteintrittes wurden ausgewählt ?
Standardisierungsgrad und Wettbewerbsstrategie wurden ausgewählt ?
Ressourcen- und Prozessanf orderungen , welche aus dem ausgewähltem Markteintritt resultieren , wurden ermittelt ?
Marketingkonzept wurde bestimmt und die f ünf Bereiche aufeinander abgestimmt?
Entsprechende Ressourcen und Prozessmodelle wurden erzeugt ?
Entsprechend angepasste Ressourcen -, Prozess - und Ergebnismodelle wurden erzeugt ?
Ein vollständiges Konzept zur Umsetzung der Int. DL wurde erzeugt?
Kontrollfragen Freigabe 2b
Freigabe 2c
Abbildung 9: Auszug Ablaufperspektive – Planungsphase
Freigabe 3a
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Thorvald Degner und Franz J. Heeg
Die Darstellung dient als Leitfaden der systematischen Internationalisierung von Dienstleistungen. Die strukturierte Übersicht der wesentlichen Aktivitäten samt der Empfehlung des Einsatzes von spezifischen Modellen und Methoden ermöglicht es, die Handlungsfelder strukturiert zu bearbeiten und die In- und Outputs der jeweiligen Maßnahmen zu verdeutlichen.
4.
Zusammenfassung
In dem Beitrag wurde ein Rahmenkonzept vorgestellt, welches Fragen der Internationalsierung von Dienstleistungen sowie Fragestellungen zur systematischen Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen behandelt. Es wurde dargestellt, dass eine Erweiterung der Aktivitäten zur Internationalisierung an bestimmten Entscheidungspunkten sinnvoll ist. Eine Entscheidung zur Internationalisierung ist mit Chancen, aber auch mit Risiken und Aufwänden hinsichtlich Kapital, Planung, Steuerung verbunden, was eine detailliertere und differenziertere Betrachtung erfordert. Zur Handhabung der komplexen Sachverhalte, die mit einer Internationalisierung von Dienstleistungen verbunden sind, wurde ein Ansatz vorgestellt, welcher über die drei Perspektiven Integration, Struktur und Ablauf wesentliche Themenbereiche einer Internationalisierung behandelt und Verknüpfungspunkte zum Einsatz von EngineeringMethoden aufzeigt. Das Konzept stellt hierbei einen Bezug zwischen den Phasen einer Internationalisierung und der dimensionalen Aufteilung von Dienstleistungen her. Auf Grundlage dieser perspektivischen Übertragung werden Modelle und Methoden zur Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen eingesetzt, um auf systematische, nachvollziehbare Art und in Reflexion zu getroffenen strategischen und operativen Internationalisierungsentscheidungen ein solides und marktfähiges Leistungsprogramm zu erreichen. Anhand der detaillierten und differenzierten Betrachtung der relevanten Leistungsbestandteile besteht hierüber die Möglichkeit, Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität aufzudecken.
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Jörg Freiling und Sven M. Laudien
Komplexitätsbeherrschung als Herausforderung der Produktivitätssteigerung international agierender Dienstleistungsunternehmen: Die Rolle von Zwischeneinheiten als Instrument struktureller Koordination
1. Komplexitätsbewältigung als notwendiges Erfordernis im Rahmen einer effizienten Führung von internationalen Dienstleistungsunternehmen 1.1 Allgemeine Komplexitätstreiber im Rahmen internationaler Unternehmenstätigkeit von Dienstleistungsunternehmen 1.2 Synchrone Standardisierung und Differenzierung von Unternehmensabläufen als besondere Herausforderung für internationale Dienstleistungsunternehmen 1.3 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags 2. Zwischeneinheitsetablierung als innovative strukturelle Lösungsmöglichkeit des Komplexitätsproblems 2.1 Abgrenzung eines allgemeinen Zwischeneinheitsverständnisses 2.2 Spezifische komplexitätsbeeinflussende Wirkungen einer Etablierung von Zwischeneinheiten 2.3 Einsatzmöglichkeiten von Zwischeneinheiten in grundlegenden Organisationsstrukturtypen 3. Praxisbezogene Operationalisierung der gewonnenen Erkenntnisse 4. Fazit und Ergebnisbewertung Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr. Jörg Freiling leitet den Lehrstuhl für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneuship an der Universität Bremen. Dr. Sven M. Laudien ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship der Universität Bremen.
1.
Komplexitätsbewältigung als notwendiges Erfordernis im Rahmen einer effizienten Führung von internationalen Dienstleistungsunternehmen
Um die Rolle von Zwischeneinheiten als strukturelles Koordinationsinstrument in international agierenden Dienstleistungsunternehmen adäquat beleuchten zu können, ist zunächst allgemein auf Rahmenbedingungen internationaler Geschäftstätigkeit im Kontext wertschöpfungsbezogener Besonderheiten von Dienstleistungen einzugehen. Ferner verlangt das Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Differenzierung, in dem sich internationale Dienstleistungsunternehmen bewegen, Beachtung. Im Anschluss an die Diskussion dieser grundlegenden Rahmenbedingungen erscheint es angebracht, Zielsetzung und Aufbau des Beitrages kurz explizit zu spezifizieren.
1.1 Allgemeine Komplexitätstreiber im Rahmen internationaler Unternehmenstätigkeit von Dienstleistungsunternehmen „Grenzübergreifende Unternehmenstätigkeit ist generell komplex!“. Diese Aussage scheint seit geraumer Zeit in den Köpfen der Unternehmensverantwortlichen fest verankert zu sein und wird zumeist nicht weiter hinterfragt. Komplexität, welche durch die Anzahl involvierter Organisationseinheiten sowie Ausmaß und die Qualität der zwischen diesen Einheiten vorliegenden Interdependenzbeziehungen bestimmt wird (Bronner 1992), scheint somit als zwingende Begleiterscheinung von insbesondere international ausgerichteten Unternehmensaktivitäten hingenommen zu werden. Dies scheint zwar durchaus eine Berechtigung zu haben, da unstrittig ist, dass eine zunehmende grenzüberschreitende arbeitsteilige Leistungserstellung mit der Notwendigkeit einer Kombination von dezentral erstellten Einzelleistungen zu einer Gesamtleistung einhergeht, was eine adäquate Beherrschung der im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses relevanten Interdependenzbeziehungen (Thompson 1967; Brockhoff/Hauschildt 1993) bedingt und somit einen erhöhten Koordinationsaufwand nach sich zieht (Laudien 2009). Trotz ihrer sicherlich gegebenen grundsätzlichen Gültigkeit ist diese Sichtweise zu bemängeln, weil sie deutlich zu kurz greift und insbesondere die Gründe für die Zunahme der Komplexität sowie branchenspezifische Besonderheiten im Hinblick auf die Komplexitätsentwicklung weitestgehend ausblendet. Auch ist das Phänomen der Komplexitätszunahme nicht zwingend nur aus einer internationalen Perspektive bedeutsam, sondern ebenso bei einer Beschränkung der Unternehmenstätigkeit auf den Heimatmarkt von Relevanz, was aber die Relevanz des Problems im hier untersuchten internationalen
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Jörg Freiling und Sven M. Laudien
Fall nicht mindert, sondern nur zur Relativierung des Statements und zur Einordnung dient. Ein intensiverer, kostenorientierter Blick auf das internationale Komplexitätsproblem zeigt, dass eine enge Beziehung zu der Art der ausgeübten grenzüberschreitenden Aktivitäten sowie daraus folgend der Organisationsstruktur des betrachteten internationalen Unternehmens besteht. Weiterhin scheint die Branche, welcher das internationale Unternehmen angehört, in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung zu sein (Adam/Rollberg 1995; Piller 2000). Bezogen auf die Art der internationalen Aktivitäten sind allgemein drei mögliche, im Schwierigkeitsgrad ansteigende Formen zu unterscheiden: Handelsbeziehungen, Beziehungen ohne Kapitalbeteiligung sowie Beziehungen mit Kapitalbeteiligung (Meckl 2000). Reine Handelsbeziehungen, in deren Rahmen unternehmensseitige Auslandsaktivitäten auf den Export von Gütern und Dienstleistungen beschränkt sind, erlangen für internationale Dienstleistungsunternehmen nur marginale Bedeutung, da die Erstellung von Dienstleistungen im Normalfall eine direkte Beziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsabnehmer bedingt. Eine Nutzung von Handelsorganisationen ist somit für internationale Dienstleistungsunternehmen eher atypisch. Beziehungen ohne Kapitalbeteiligung liegen vor, wenn eine Zusammenarbeit von Unternehmen mit Stammsitz in verschiedenen Ländern im Rahmen von separaten Kooperationen ohne Kapitalverflechtung erfolgt. Ausgestaltungsformen sind beispielsweise der Abschluss von Lizenzverträgen oder die vertragliche Vereinbarung von Vertriebs- sowie Forschungs- und Entwicklungskooperationen (Rath 1990; Meckl 1993). Beziehungen mit Kapitalbeteiligung bestehen, wenn ein internationales Unternehmen direktinvestiv grenzüberschreitend agiert, was den Zwang zu einer Berücksichtigung des kulturellen Aspektes mit sich bringt und somit hochgradig komplexitätstreibend wirkt (Laudien 2009). Direktinvestitionen sind dabei als strategische Investitionen zu verstehen und von reinen Finanzinvestitionen, die den strategischen Aspekt nicht umfassen, abzugrenzen (Brodel 1996). Die gewählte Form der Auslandstätigkeit bleibt nicht ohne Einfluss auf die Organisationsstruktur des international tätigen Dienstleistungsunternehmens. So geht eine direktinvestive Auslandstätigkeit mit der Notwendigkeit einher, die neu etablierten oder erworbenen Auslandsgesellschaften in die bestehende Organisationsstruktur zu integrieren. Dies führt im Normalfall zu einer Veränderung der Anzahl von Stellen, die der Unternehmensführung direkt unterstellt sind und nimmt damit Einfluss auf die innerhalb des Dienstleistungsunternehmens vorliegende Leitungsspanne (Laux/Liermann 2003). Auch wenn im Rahmen der Organisationsforschung mittlerweile nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren (Gutenberg 1962; Hill et al. 1981), das Bestreben vorherrscht, eine optimale Leitungsspanne zu identifizieren, so scheint doch klar, dass mit zunehmender Leitungsspanne üblicherweise die Komplexität der Unternehmensführung zunimmt und die Effizienz der Leistungserstellung sowie die Beherrschbarkeit des Unternehmens abnehmen.
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Weiterhin ist zu konstatieren, dass von der Leitungsspanne ceteris paribus auch die Gliederungstiefe des Unternehmens, verstanden als Zahl der im Unternehmen vorhandenen Hierarchieebenen, abhängt. Dabei gilt: Je kleiner die Leitungsspanne, desto größer die Anzahl der im Unternehmen vorliegenden Hierarchieebenen und je größer die Leitungsspanne, desto kleiner die Anzahl der Hierarchieebenen (Picot 1993). Eine gesteigerte Gliederungstiefe kann dazu führen, dass zunehmend größere geografische Entfernungen zwischen Unternehmensteileinheiten im Rahmen der Unternehmensführung zu überwinden sind, was die mit internationaler Geschäftstätigkeit einhergehenden Herausforderungen für Dienstleistungsunternehmen nochmals erhöht. Grund dafür ist, dass sich aus dieser Konstellation fast zwangsläufig ein negativer Einfluss auf den Informationsfluss innerhalb des Unternehmens (Casson 1998) ergibt, welcher einer adäquaten Gegensteuerung bedarf (Ondrack 1986; Aoki/Tachiki 1999). Ein weiterer Grund für eine zunehmende Komplexität von Unternehmensabläufen im Rahmen eines internationalen Engagements von Dienstleistungsunternehmen ergibt sich aus dem Wesen von Dienstleistungen an sich. So verlangen bezogen auf Dienstleistungen die Potenzialdimension, die Prozessdimension und die Ergebnisdimension Berücksichtigung (Meyer 1991; Engelhardt et al. 1993). Aus diesen Dimensionen können drei wesentliche Merkmale von Dienstleistungen extrahiert werden. Diese Merkmale sind die Leistungsfähigkeit des Dienstleistungsanbieters (Bereitstellungsleistung), die Integration externer Faktoren sowie die (weitgehende) Immaterialität des Leistungsergebnisses (Engelhardt et al. 1993; Meffert/Bruhn 2008). Die Leistungsfähigkeit erfasst dabei die unternehmensseitige Bereitstellung eines Leistungspotenzials und bedingt eine Vor- und Endkombination von notwendigen Einsatzfaktoren, die unternehmensseitig vorzuhalten sind. Da allerdings bei der notwendigen Vorkombination noch nicht fest steht, welche Endleistungen in welchem Umfang nachgefragt werden, bedingt dieses Merkmal eine im Vergleich zu produzierenden Unternehmen gesteigerte Komplexität von Unternehmensabläufen in Dienstleistungsunternehmen (Corsten/Gössinger 2007). Die Komplexität wird vor allem dann erhöht, wenn der Dienstleistungsabnehmer auf die Bereitstellung von Faktoren für spätere Transaktionen Einfluss nimmt (Engelhardt/Freiling 1995a; Engelhardt/Freiling 1995b). Mittels externer Faktoren (Personen, Objekte oder/und Informationen aus dem Einflussbereich des Kunden) lässt sich die enge Koppelung von Dienstleistungsanbieter und -nachfrager erkennen. Dadurch, dass der Nachfrager Faktoren aus seinem Verfügungsbereich in die Leistungserstellung einbringt, erhöht sich der Abstimmungsbedarf zwischen beiden Marktseiten. Für den Anbieter impliziert die Integration externer Faktoren die Begrenzung der Planbarkeit eigener Abläufe, was wiederum mit der Notwendigkeit zur Bereithaltung von Flexibilitätspotenzialen einhergeht. Die Integrativität bedingt daher eine Erhöhung der Anzahl der vorliegenden Interdependenzbeziehungen und ist somit komplexitätsfördernd (Corsten 2000/Bruhn et al. 2009). Die überwiegende Immaterialität des Leistungsergebnisses geht häufig, aber nicht immer, mit einer Nichtlagerfähigkeit sowie einer Nichttransportfähigkeit von Dienstleis-
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tungen einher. Daraus folgt, dass Dienstleistungen zumeist ortsgebunden erstellt werden müssen, was ebenfalls eine hohe Flexibilität im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses voraussetzt. Dadurch gestaltet sich dessen Steuerung deutlich komplexer, als dies im Rahmen der Produktion von Gütern der Fall ist (Bruhn et al. 2009).
1.2 Synchrone Standardisierung und Differenzierung von Unternehmensabläufen als besondere Herausforderung für internationale Dienstleistungsunternehmen Neben den oben aufgezeigten eher strukturellen Aspekten, die im Untersuchungszusammenhang bedeutsam sind, verlangt auch ein strategischer Aspekt Beachtung: Die unternehmensseitige Entscheidung für die Verfolgung einer Differenzierungs- oder Standardisierungsstrategie. Totale Standardisierung sowie gänzliche Differenzierung stellen in diesem Fall Extrempole einer Dimension dar. Jüngere Entwicklungen der Managementund Marketingforschung sowie der betrieblichen Praxis zeigen, dass Hybridformen (Kotha 1993/Fleck 1995) nicht nur erhebliche praxeologische Relevanz zukommt, sondern auch ein positiver Ergebniseinfluss – ganz entgegen der Logik der Porterschen „UKurve“ – vorliegen kann (Porter 1998). Gerade für Dienstleistungsunternehmen sind diese Hybridformen von besonderem Interesse, da erstens eine minimale Individualisierung aufgrund der Integrativität unausweichlich ist und zweitens ein Standardisierungsbedarf aufgrund des Kostendrucks individueller Leistungserbringung besteht. Im Kontext internationaler Betätigung sind darüber hinaus folgende Überlegungen zu beachten: Es ist zu konstatieren, dass auch Dienstleistungsunternehmen einem allgemeinen gesellschaftlichen Globalisierungstrend unterworfen sind und diesem Trend in einem entsprechenden Ausmaß folgen. Daneben sind in diesem Zusammenhang die Folgen einer zunehmenden Konvergenz von internationalen Märkten, die mit einer Intensivierung der Konkurrenzsituation einhergeht und einen verschärften internationalen Preiswettbewerb nach sich zieht, zu betonen. Gerade Dienstleistungsunternehmen sind somit über das oben genannte Maß hinaus gezwungen, ihre Leistungen kostengünstig zu erstellen, um diesem Wettbewerb adäquat entsprechen zu können. Bei bestehendem Leistungsprogramm kann eine Kostensenkung am ehesten über die Ausnutzung von Erfahrungskurveneffekten erreicht werden (Kogut 1990). Dies zieht für international agierende Dienstleistungsunternehmen den Zwang nach sich, in einem gewissen Umfang im Grundsatz identische Leistungen erstellen zu müssen, um so Nutzen aus diesem Effekt ziehen zu können. Eine globale Standardisierung von Leistungen scheint somit unabdingbar, da nur so kostenrelevante Größenvorteile zu realisieren sowie wettbewerbsrelevante Ressourcen und wettbewerbsrelevantes Know-how effektiv zu poolen sind, was eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung von Synergieeffekten darstellt (Meckl 2000). Dass sich für Dienstleistungen speziell ein schmaler Grat ergibt, lässt sich der obigen Diskussion um die integrativ-individuelle Leistungserstellung entnehmen. Gleichwohl bestehen auch im Dienstleistungsbereich Standardisierungspotenziale, die z.B. von Corsten (1998) und Gersch (1998) eingehend beschrieben werden.
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Um allerdings das angestrebte Ausmaß an Standardisierung realisieren zu können, besteht für international agierende Dienstleistungsunternehmen die Notwendigkeit, weltweit Informationen über Trends und sich daraus ergebende Standardisierungspotentiale zu erfassen, diese Informationen zu strukturieren, hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Qualität zu bewerten und schließlich systematisch zu speichern, um eine zielgerichtete Nutzung zu ermöglichen (Laudien 2009). Dieser Prozess der Informationsakkumulation und -aufbereitung gestaltet sich dabei insbesondere für Dienstleistungsunternehmen aufgrund ihrer bereits oben aufgezeigten Spezifika besonders zeit- und kostenintensiv. Mit der Verfolgung einer Standardisierungsstrategie geht jedoch einher, dass spezifischen Besonderheiten von einzelnen Märkten unternehmensseitig nur noch marginal Rechnung getragen werden kann (Cray 1984). Dies ist auch insofern nicht unproblematisch, als gerade in hochentwickelten Industrieländern in jüngerer Zeit ein Trend zur Individualisierung der Gesellschaft zu verzeichnen ist und so die Verfolgung einer reinen Standardisierungsstrategie gerade für Dienstleistungsunternehmen langfristig problembehaftet sein mag. Abhängig von ihrem Ausmaß bedingen derartige lokale Tendenzen, aber beispielsweise auch spezifische juristische oder kulturelle Besonderheiten einzelner Märkte für international agierende Dienstleistungsunternehmen einen Zwang zu einem differenzierten Vorgehen (Porter 1986). Die Betrachtungen zeigen in mehrfacher Hinsicht: Internationale Dienstleistungsunternehmen sehen sich somit der Herausforderung gegenüber, einen Zwischenweg zwischen beiden strategischen Extrempositionen beschreiten zu müssen (Bartlett/Ghoshal 1989). Eine große Herausforderung stellt dabei für diese Unternehmen die Anpassung der formalen Organisationsstruktur an die vorliegenden konfliktären Notwendigkeiten dar (Laudien 2009). Wird dabei der Standardisierungsnotwendigkeit Vorrang eingeräumt, so ist unternehmensseitig eher eine zentralistische Struktur zu präferieren; steht der Differenzierungsgedanke im Vordergrund, so ist tendenziell eine dezentrale Struktur zu bevorzugen (Lawrence/Lorsch 1967; Hamel/Prahalad 1983; Bartlett/Ghoshal 1989; Doz et al. 1990; Mayrhofer 1996). Das so entstehende zweidimensionale Zentralisations-/Dezentralisationsproblem ist dabei nicht neu (Drumm 1996), bedarf aber dennoch einer detaillierten Betrachtung. Aus organisationaler Sicht ergibt sich die erste Dimension des Zentralisations-/Dezentralisationsproblems aus der Verteilung von Entscheidungskompetenzen (Frese 2000; Bühner 2004). Diese Dimension ist dabei von solcher Bedeutung, dass einige Autoren sie stellvertretend für das Gesamtproblem betrachten (Mintzberg 1992; Reichwald/Koller 1996;). Dies ist nicht unproblematisch, da auf diese Weise die für Dienstleistungen so zentrale Wertschöpfungsdimension zur Gänze vernachlässigt wird. Allerdings ist unbestritten, dass der Zentralisationsgrad internationaler Dienstleistungsunternehmen stark durch die Kompetenzzuweisung an Auslandsgesellschaften bestimmt wird (Meckl 2000). Diese Erkenntnis bildet eine Brücke zum unternehmensweiten Koordinationssystem, welches diese Kompetenzen determiniert.
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Die zweite organisatorische Dimension des Problems nimmt Bezug auf die klassische Analyse der Gesamtaufgabe eines Unternehmens und die Aufspaltung dieser Gesamtaufgabe in Teilaufgaben anhand von übergeordneten Kriterien wie beispielsweise Verrichtung, Objekt, Rang, Phase und Zweckbeziehung (Kosiol 1962; Wittlage 1989; Bleicher 1991). Damit thematisiert sie wesentlich die Verteilung der Wertschöpfungsaktivitäten. Von den klassischen Gliederungskriterien sind dabei insbesondere die Kriterien Objekt und Verrichtung bedeutsam, da durch sie in besonderem Maße Grundstrukturmuster internationaler Dienstleistungsunternehmen determiniert werden. Im internationalen Kontext erlangt neben diesen beiden klassischen Kriterien zusätzlich die räumliche Dimension der Aufgabenerfüllung große Bedeutung, gibt sie doch Auskunft über die globale Verteilung der einzelnen Wertschöpfungsstufen innerhalb des internationalen Dienstleistungsunternehmens (Meckl 2000). Auf Grundlage der Ausführungen ist zu konstatieren, dass durch koordinative Maßnahmen wie die Zuweisung von Entscheidungskompetenzen und die Festlegung von Austauschbeziehungen der Zentralisationsgrad der Organisationsstruktur eines internationalen Dienstleistungsunternehmens bestimmt wird. Eine Zuweisung von Entscheidungskompetenzen an die Unternehmenszentrale, die als Nukleus des Systems zu verstehen ist, erhöht dabei den Zentralisationsgrad, eine Vergabe von Entscheidungskompetenzen an Auslandsgesellschaften oder an zwischen Zentrale und Auslandsgesellschaften angesiedelte Organisationseinheiten erhöht dagegen den in der Struktur vorliegenden Grad an Dezentralisation. Gerade die letztgenannten Organisationseinheiten, welche Zwischeneinheiten darstellen, sind von besonderem Interesse, da eine auf der räumlichen Dimension aufbauende Zentralisation aus organisatorischer Sicht zwingend zur Schaffung solcher Zwischeneinheiten führen muss, welche als Zentralisationspunkte zu interpretieren sind. Die Existenz dieser Einheiten beeinflusst dabei den Wertschöpfungsprozess innerhalb des internationalen Dienstleistungsunternehmens, da diese Struktur die Einrichtung spezifischer unternehmensinterner Austauschbeziehungen voraussetzt (Laudien 2009).
1.3 Zielsetzung und Aufbau des Beitrags Dieser Beitrag zielt darauf ab, eine innovative strukturelle Lösung für das gerade im Rahmen internationaler Geschäftstätigkeit von Dienstleistungsunternehmen relevante, oben näher spezifizierte Komplexitätsproblem aufzuzeigen. Eine solche Lösung, die annahmegemäß sowohl dem strukturellen als auch dem strategischen Aspekt des Problems gerecht wird, besteht in einer Etablierung von Zwischeneinheiten. Diese Organisationseinheiten agieren dabei in koordinativer Funktion als Intermediäre zwischen Auslandsgesellschaften und Unternehmenszentrale. Ihr Einsatz dient dazu, die Handhabbarkeit der im Rahmen eines zunehmenden internationalen Engagements von Dienstleistungsunternehmen steigenden Unternehmens- sowie Umweltkomplexität zu verbessern. Speziell wird hier der Versuch unternommen, die Wirkungsweise von Zwischeneinheiten im Rahmen des aufgezeigten Spannungsfeldes von Standardisierungsnotwendigkeiten und Differenzierungserfordernissen zu begründen und allgemeine strukturelle Voraussetzun-
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gen aufzuzeigen, die vorliegen müssen, damit zu erwarten ist, dass international agierende Dienstleistungsunternehmen durch die Etablierung von Zwischeneinheiten einen kosten- bzw. produktivitätsbezogenen Nutzen erzielen können. Weiterhin wird eine praxisbezogene Operationalisierung der gewonnenen Erkenntnisse angestrebt, um so der vielfach geäußerten Forderung nach größerer Praxisrelevanz betriebswirtschaftlicher Forschung Rechnung zu tragen (Oesterle/Laudien 2007). Der Beitrag schließt mit einer kurzen Zusammenfassung sowie einer Bewertung der erzielten Ergebnisse.
2.
Zwischeneinheitsetablierung als innovative strukturelle Lösungsmöglichkeit des Komplexitätsproblems
Es erscheint nicht verwunderlich, dass durch eine Nutzung von Zwischeneinheiten gerade für Dienstleistungsunternehmen ein produktivitätsbezogener Vorteil zu erzielen ist. Diese Erkenntnis beginnt sich auch in der Unternehmenspraxis langsam durchzusetzen. Allerdings wird dieser Einsicht auf Forschungsseite bisher – bis auf wenige Ausnahmen – nur rudimentär Rechnung getragen (Laudien 2009). Insbesondere ist bis dato zumeist unklar, in welcher Weise Zwischeneinheiten konkret ihre produktivitätsbezogene Wirkung in Dienstleistungsunternehmen entfalten. Weiterhin liegen nur marginale Erkenntnisse über Einbindungsmöglichkeiten von Zwischeneinheiten in klassische Organisationsstrukturtypen internationaler Dienstleistungsunternehmen vor. Diesen Forschungslücken soll im Rahmen dieses Abschnitts des vorliegenden Beitrages Rechnung getragen werden.
2.1 Abgrenzung eines allgemeinen Zwischeneinheitsverständnisses Auch wenn Zwischeneinheiten in der Unternehmenspraxis durchaus verbreitet zu sein scheinen, so hat der Begriff in die deutschsprachige Forschung bisher nur am Rande Eingang gefunden (Proff 2002; Laudien 2009). Im Rahmen der Beschreibung des Phänomens wird vielmehr zumeist auf den englischsprachigen Begriff Regional Headquarters Rückgriff genommen (Heenan 1979; Lasserre 1996; Schütte 1996; Yeung et al. 2001; Enright 2005). Insofern ist eine Bezugnahme auf entsprechende Arbeiten im Rahmen der Konkretisierung des Zwischeneinheitsbegriffs unerlässlich, auch wenn im vorliegenden Beitrag das zu untersuchende Phänomen mit dem deutschsprachigen Begriff Zwischeneinheit bezeichnet werden soll.
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Eine Analyse der vorliegenden Arbeiten, welche sich dem Zwischeneinheitsphänomen widmen, führt zu der Erkenntnis, dass die Arbeiten Zwischeneinheiten übergreifend als Organisationseinheiten ansehen, die im Auftrag der Unternehmenszentrale die Verantwortung für und die Kontrolle von Unternehmensaktivitäten innerhalb einer spezifischen geografischen Region übernehmen. Im Detail unterscheidet sich das Zwischeneinheitsverständnis jedoch zum Teil deutlich (Singh 2000), was ein näheres Eingehen auf die erkannten Abweichungen notwendig macht. Schütte (1996) betont in seiner Begriffsabgrenzung, dass Zwischeneinheiten eine strategische Aufgabe erfüllen und in einem Spannungsfeld von globaler Integration und lokaler Verantwortung agieren. Im Detail versteht er Zwischeneinheiten als Organisationseinheiten, welche das wesentliche Bindeglied zwischen Auslandsgesellschaften und Unternehmenszentrale bilden. Die Hauptaufgabe dieser Organisationseinheiten besteht seiner Ansicht nach in der Integration und Koordination von Unternehmensaktivitäten innerhalb einer bestimmten geografischen Region. Eine Zwischeneinheit kann dabei erstens eine rechtlich eigenständige Einheit darstellen, welche über ein regional gebundenes Weisungsrecht gegenüber Auslandsgesellschaften in einer spezifischen Region verfügt und räumlich getrennt von Unternehmenszentrale und Auslandsgesellschaften angesiedelt ist. Zweitens besteht auch die Möglichkeit, dass Zwischeneinheiten von einem oder mehreren Entscheidungsverantwortlichen der Zentrale oder einer Auslandsgesellschaft gebildet werden, welche(r) über übergeordnete regionale Entscheidungskompetenzen verfügt bzw. verfügen. In diesem Fall wäre die Zwischeneinheit in der räumlichen Dimension nicht von der Unternehmenszentrale oder einer Auslandsgesellschaft zu separieren. Dieses weite Begriffsverständnis von Schütte erlaubt, den Entscheidungsaspekt zu betonen und somit Organisationseinheiten, die rein aus steuerlichen bzw. allgemein finanziellen Überlegungen heraus gegründet wurden, jedoch keine Managementverantwortung übernehmen, nicht als Zwischeneinheit zu sehen. Nach Lasserre (1996) sind unter Zwischeneinheiten spezifische, regional ausgerichtete Organisationseinheiten zu verstehen, die die Verantwortung für Unternehmensaktivitäten innerhalb einer bestimmten geografischen Region übernehmen und hier auch ansässig sind. Lasserre betont somit im Gegensatz zu Schütte zwar den Aspekt der geografischen Verortung der Zwischeneinheiten, trifft dagegen jedoch keine Aussage darüber, welche konkreten Aufgaben Zwischeneinheit üblicherweise übernehmen sollten. Yeung et al. (2001) definieren Zwischeneinheiten als Unternehmensteileinheiten, welche Entscheidungsgewalt und Managementverantwortung für die Geschäftsaktivitäten einer oder mehrerer Auslandsgesellschaften oder verbundener Unternehmen innerhalb einer spezifischen geografischen Region besitzen. Einheiten, die keine Managementverantwortung besitzen, stellen somit keine Zwischeneinheiten in ihrem Verständnis dar. Damit betonen auch sie den Entscheidungs- bzw. Verantwortungsaspekt, treffen jedoch keine konkrete Aussage im Hinblick auf den räumlichen Aspekt. Auch wenn die aufgezeigten Definitionsansätze in Teilaspekten brauchbar erscheinen, so lässt sich in der Literatur bisher keine geeignete Abgrenzung des Zwischeneinheitsbegriffs finden. Diesem Mangel soll hier entgegengewirkt werden: Eine Zwischeneinheit
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ist eine im Normalfall rechtlich nicht selbständige Organisationseinheit, welche in internationalen Dienstleistungsunternehmen als Intermediär zwischen Unternehmensführung und Auslandsgesellschaften agiert und hierarchisch zwischen diesen beiden Ebenen angesiedelt ist. Zwischeneinheiten verfügen dabei über eine auf einen spezifischen Bereich begrenzte Entscheidungsverantwortung und erfüllen eine strategische Führungsaufgabe gegenüber den ihnen hierarchisch unterstellten Auslandsgesellschaften.
2.2 Spezifische komplexitätsbeeinflussende Wirkungen einer Etablierung von Zwischeneinheiten International agierende Dienstleistungsunternehmen bewegen sich im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit – wie bereits aufgezeigt – in einem ständigen Dilemma, welches durch parallele Standardisierungs- sowie Differenzierungserfordernisse bestimmt wird. Standardisierungsnotwendigkeiten sind dabei im Rahmen der Erzielung von Kostenvorteilen für Dienstleistungsunternehmen bedeutsam. Differenzierungsnotwendigkeiten, welche wesentlich durch kulturelle, wirtschaftliche, rechtliche sowie nicht zuletzt politische Unterschiede zwischen den einzelnen bearbeiteten Ländermärkten bestimmt werden, erlangen ihre Bedeutung aus der Tatsache heraus, dass sie einer Übertragung von im Heimatmarkt entwickelten Strategien, Produkten und Prozessen auf andere Ländermärkte entgegenstehen (Heenan/Perlmutter 1979; Chakravarthy/Perlmutter 1985; Schütte 1997; Launer 2005). Um unternehmensseitig sowohl der Standardisierungs- als auch der Differenzierungsnotwendigkeit entsprechen zu können, bedarf es einer Zusammenfassung der einzelnen bearbeiteten Ländermärkte zu in sich möglichst homogenen Regionalmärkten, welche die Grundlage für eine auf intraregionaler Homogenität beruhende Standardisierungsmöglichkeit bildet (Yeung et al. 2001; Sullivan 1992). Dabei sollten Kriterien wie die geografische Verortung der Ländermärkte (Schuh 2000), die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und daraus abgeleitet die zukünftig erwartete Nachfrage der jeweiligen Ländermärkte (Enright/Scott 2000) sowie relevante kulturelle und politische Besonderheiten Verwendung finden (Schlie/Yip 2000). Internationale Dienstleistungsunternehmen sehen sich dabei bereits im Rahmen der Bildung von möglichst homogenen Regionen einer immensen Herausforderung gegenüber, da zum einen die Notwendigkeit besteht, Regionen so zu gestalten bzw. Subregionen so zu differenzieren, dass im Rahmen ihrer Bearbeitung Besonderheiten so weit wie möglich entsprochen werden kann (Singh 2000), zum anderen jedoch Standardisierungsvorteile nur in relevantem Umfang realisiert werden können, wenn die entsprechende hinsichtlich der Marktbedingungen in sich homogene Region bzw. Subregion eine gewisse Größe aufweist (Bélis-Bergouignan et al. 2000). Für internationale Dienstleistungsunternehmen ergibt sich als Folge dieser Zwänge die Herausforderung, ihre Organisationsstruktur so zu gestalten, dass sie den Anforderungen
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einer hybriden Strategie gerecht wird (Morrison et al. 1991). Als Lösung für dieses Dilemma bietet sich für internationale Dienstleistungsunternehmen die Etablierung von Zwischeneinheiten als eine Gestaltungsoption an. Die Hauptaufgabe einer Zwischeneinheit besteht annahmegemäß darin, eine an die Besonderheiten der ihrer jeweiligen Verantwortung unterstellten Region angepasste Strategie zu entwickeln und für eine standardisierte Implementierung dieser Strategie in den der Region zuzuordnenden einzelnen Ländermärkten Sorge zu tragen (Schütte 1996). Sie bildet somit eine organisatorische Brücke zwischen der globalen und lokalen Ebene und ist annahmegemäß in der Lage, das bestehende Dilemma zwischen parallel bestehenden Standardisierungs- und Differenzierungserfordernissen zumindest abzuschwächen bzw. im Idealfall sogar zur Gänze aufzulösen (Douglas/Wind 1987). Unternehmenszentrale
INTERREGIONALE DIFFERENZIERUNG Zwischeneinheit Region A
Auslandsgesellschaft I Region A
Auslandsgesellschaft II Region A
Zwischeneinheit Region B
Auslandsgesellschaft III Region A
INTRAREGIONALE STANDARDISIERUNG
Auslandsgesellschaft I Region B
Auslandsgesellschaft II Region B
Auslandsgesellschaft III Region B
INTRAREGIONALE STANDARDISIERUNG
Abbildung 1: Zwischeneinheiten als Lösungsmöglichkeit des Standardisierungs-/ Differenzierungsdilemmas in internationalen Unternehmen Aus Sicht eines internationalen Dienstleistungsunternehmens stellt die Etablierung von Zwischeneinheiten dabei selbstverständlich keinen Selbstzweck dar, sondern bedarf einer ökonomischen Rechtfertigung. Insofern ist an dieser Stelle eine nettonutzenbezogene Betrachtung der Zwischeneinheitsnutzung mit besonderer Akzentuierung der Produktivitätsdiskussion erforderlich. Dabei gilt folgende stark vereinfachende Überlegung, die auf der Verfügbarkeit entsprechender Informationen beruht, was nicht immer gegeben ist: Übersteigt der durch interregionale Differenzierung und parallele intraregionale Standardisierung zu erreichende Kostenvorteil die für eine Zwischeneinheitsetablierung anfallenden Kosten, so ist eine unternehmensseitige Verwendung von Zwischeneinheiten aus wirtschaftlicher Sicht als sinnvoll zu bewerten (Schütte 1996). Es scheint einleuchtend, dass das wesentlich auf der strategischen Ebene angesiedelte Standardisierungs-/Differenzierungsdilemma auch auf die strukturelle Ebene ausstrahlt. Wird ein internationales Dienstleistungsunternehmen als System von miteinander in Be-
Komplexitätsbeherrschung als Herausforderung der Produktivitätssteigerung
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ziehung stehenden Elementen verstanden (Bronner 1992; Staerkle 1992), so wird schnell deutlich, dass der unternehmensseitig gegebenen Notwendigkeit, oftmals breit gefächerte Geschäftsaktivitäten in unterschiedlichsten Ländermärkten parallel zum Erfolg führen zu müssen, nur dann entsprochen werden kann, wenn es gelingt, ein fokussiertes Koordinationssystem zu etablieren. Dies ist unabdingbar, um der Komplexität des Abstimmungsproblems zu entsprechen. Im Grundsatz trivial, jedoch von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die Eigenkomplexität der Unternehmensstruktur mit der Erhöhung der Anzahl der vorhandenen Organisationseinheiten zunimmt (Lotz 1987). Ferner nimmt mit steigender geografischer (sowie vermutlich auch kultureller) Entfernung zwischen Organisationseinheiten die Komplexität des Dienstleistungsunternehmens insgesamt ebenfalls zu (Root 1994). Die reine Anzahl an vorhandenen Organisationseinheiten ist für die Komplexität des Gesamtunternehmens insofern bedeutsam, als ihre Zunahme eine quantitative Ausweitung des Verantwortungsbereichs der Unternehmenszentrale nach sich zieht. Daraus folgt, dass bei unveränderter Unternehmensstruktur die von der Unternehmenszentrale zu beherrschende Leitungsspanne größer wird, was unbestreitbar eine Erhöhung des Komplexitätsgrades mit sich bringt (Oelert 2003). Ferner ist mit einer Erhöhung der Anzahl der vorhandenen Organisationseinheiten bei arbeitsteiliger Aufgabenerfüllung im Normalfall auch eine Zunahme der unternehmensinternen Interdependenzbeziehungen verbunden. Qualitativ aufsteigend sind dabei gepoolte, sequentielle und reziproke Interdependenzbeziehungen zu unterscheiden. Gerade für internationale Dienstleistungsunternehmen ist dabei zu vermuten, dass die relevanten Interdependenzbeziehungen aufgrund des vielschichtigen Charakters von Dienstleistungen auch qualitativ eher höherwertiger Natur sind (Wolf 2000). Auch kommt erschwerend hinzu, dass Dienstleistungen gegenüber anderen Wirtschaftsgütern generell als koordinationsintensiver gelten, was auf den höheren Anteil integrativer Prozesse und die größere Anzahl an Kundenkontaktpunkten („Moments of Truth“) zurückzuführen ist. Bezüglich der Komplexitätswirkung einer zunehmenden geografischen Distanz zwischen einer verantwortlich agierenden Unternehmensteileinheit und den ihr unterstellten Unternehmensteileinheiten ist zu bemerken, dass sich diese Distanz für die verantwortliche Unternehmensteileinheit negativ auf Möglichkeiten der Informationsbeschaffung auswirkt (Laudien 2009) und ihre Möglichkeiten einer direkten Beeinflussung und Kontrolle der ihrem Verantwortungsbereich zugehörigen Unternehmensteileinheiten erschwert (Fayerweather 1978; Davidson/McFetridge 1985). Dieses Problem verschärft sich nochmals, wenn kulturelle Divergenzen vorliegen (Kuin 1972; Speidel 1982; Erramilli/Rao 1993). Abhilfe kann hier zu einem gewissen Grad durch einen anforderungsadäquaten Einsatz moderner Kommunikationstechnologien geschaffen werden (Kutschker/Schmid 2008), sofern ihre Wirkung die mit ihrem Einsatz inhärente Erhöhung der Unternehmenskomplexität übersteigt. Eine Etablierung von Zwischeneinheiten stellt aus drei wesentlichen Gründen einen gangbaren Weg dar, internationalen Dienstleistungsunternehmen einen verbesserten
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Umgang mit der durch die genannten Einflüsse bedingten Komplexitätssteigerung zu ermöglichen, der sich in letzter Konsequenz in einer Produktivitätssteigerung niederschlägt. An erster Stelle ist festzuhalten, dass mit einem Einsatz von Zwischeneinheiten eine Verringerung der Leitungsspanne der Unternehmenszentrale – allerdings mit dem Nebeneffekt einer Erhöhung der Gliederungstiefe – erreicht werden kann, da diese organisatorische Maßnahme bedingt, dass der Unternehmenszentrale nicht mehr die einzelnen Auslandsgesellschaften, sondern nur noch die Zwischeneinheiten direkt unterstellt sind. Jedoch lässt sich durch diese Strukturierungsmaßnahme gesamtunternehmensbezogen üblicherweise die Anzahl der Interdependenzbeziehungen nicht verringern, sondern wird vielmehr vermutlich eher erhöht. Insofern kann nicht von einer Verringerung der Unternehmenskomplexität, sondern nur von einer Verschiebung der Komplexität auf nachrangige Hierarchieebenen gesprochen werden, welche zu einer verbesserten Handhabbarkeit der bestehenden Komplexität führt. Zweitens führt eine Etablierung von Zwischeneinheiten – in Abhängigkeit ihrer konkreten Verortung – üblicherweise zu einer Verringerung der geografischen Distanz zwischen Organisationseinheiten. Auch wenn sich in diesem Fall die Gesamtdistanz zwischen beispielsweise Unternehmenszentrale und Auslandsgesellschaften und somit die Unternehmenskomplexität insgesamt nicht verändert, so scheint es bezogen auf den Informations- und Kommunikationsfluss einfacher zu sein, diese Distanz nicht in einem Schritt, sondern in zwei Schritten zu überwinden. Wiederum bleibt somit festzuhalten, dass durch den Einsatz von Zwischeneinheiten der bestehenden Komplexität einfacher zu begegnen ist. Drittens ist mit Blick auf kulturelle Divergenzen und deren entsprechende Komplexitätswirkung zu erwarten, dass Zwischeneinheiten aufgrund ihrer im Vergleich zur Unternehmenszentrale üblicherweise größeren geografischen Nähe zu Auslandsgesellschaften besser als die Unternehmenszentrale in der Lage sind, vorliegende kulturelle Besonderheiten zu erkennen und aufbauend auf dem Wissen um die Existenz dieser Besonderheiten sie in der Folge angemessen zu handhaben. Dies gilt auch für die Gewährleistung der erforderlichen Individualisierung der Dienstleistung. Insofern ist auch in dieser Hinsicht zu vermuten, dass durch eine Verwendung von Zwischeneinheiten dieser Komplexität auslösende Faktor zwar in seinem Wesen nicht verändert wird, sich jedoch der Umgang mit diesem Faktor für internationale Dienstleistungsunternehmen einfacher gestaltet.
2.3 Einsatzmöglichkeiten von Zwischeneinheiten in grundlegenden Organisationsstrukturtypen Zwischeneinheiten stellen zwar separate – hier annahmegemäß eindimensionale – Organisationseinheiten, jedoch keinen Organisationsstrukturgrundtyp dar. Somit bedürfen sie einer Einbindung in übergeordnete Organisationsstrukturen, um eine Wirkung entfalten zu können. In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass der für internationale
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Dienstleistungsunternehmen letztendlich durch eine Zwischeneinheitsnutzung zu erzielende Produktivitätsvorteil auch von der Art des Organisationsstrukturgrundtyps abhängt, in dem die Zwischeneinheiten Verwendung finden. Da jedoch eine separate Betrachtung aller nach klassischer Lesart zu identifizierenden Organisationsstrukturgrundtypen nicht möglich zu sein scheint (Clee/Sachtjen 1964; Agthe 1979; Davis 1979; Macharzina/Oesterle 1995; Welge 1995; Kreikebaum 1998), besteht die Notwendigkeit, die in der Literatur ausdifferenzierten Organisationsstrukturtypen zu Gruppen zusammenzufassen. Als Kriterien können dabei die Stellung des Auslandsgeschäfts im Vergleich zum Inlandsgeschäft sowie die Art der Spezialisierung, welche die Organisationsstruktur bestimmt, Verwendung finden (Kutschker/Schmid 2008). Im Hinblick auf die Stellung des Auslandsgeschäfts wird idealtypisch zwischen Trennung (Differenzierung bzw. Segregation) und Einbindung (Integration) von In- und Auslandsaktivitäten unterschieden, welche sich in der Organisationsstruktur internationaler Unternehmen niederschlägt (Albrecht 1970; Welge 1989; Macharzina/Oesterle 2002). Da eine Verwendung differenzierter Strukturen im Normalfall nur dann vorkommt, wenn das Auslandsgeschäft für ein Dienstleistungsunternehmen nur von marginaler Bedeutung ist, erlangen diese Strukturtypen im Normalfall nur marginale Bedeutung und sind bezogen auf Betrachtung der durch Zwischeneinheiten ausgelösten Produktivitätseffekte zu vernachlässigen. Wird als Abgrenzungskriterium die Art der Spezialisierung verwendet, so sind für internationale Unternehmen bei eindimensionaler Betrachtungsweise eine Funktionalstruktur, eine Geschäftsbereichsstruktur, eine Regionalstruktur sowie eine kundenorientierte Struktur abzugrenzen (Albrecht 1970; Kutschker/Schmid 2008). Im Rahmen mehrdimensionaler Strukturen wie der zweidimensionalen Matrix- oder der dreidimensionalen Tensorstruktur erlangen parallel zwei bzw. drei der genannten Spezialisierungsarten als Klassifizierungsmerkmale Bedeutung (Kutschker/Schmid 2008). Wird der Fokus zunächst auf mehrdimensionale Organisationsstrukturgrundtypen gerichtet, so zeigt sich schnell, dass Zwischeneinheiten in diesen Strukturen eher keine sinnvolle Verwendung finden können. Ein wesentlicher Grund ist dafür maßgeblich: Die in derartigen Strukturtypen vorherrschende Mehrfachunterstellung erschwert allgemein eine Einbindung von Zwischeneinheiten in die jeweilige Struktur bzw. macht sie gänzlich unmöglich. Diese Erkenntnis ist insofern bedeutsam, als sie die Interpretation zulässt, dass durch die Nutzung von Zwischeneinheiten nur in eindeutig hierarchisch gegliederten und damit eindimensionalen Organisationsstrukturgrundtypen produktivitätsbezogene Vorteile zu erzielen sind. Als Grund dafür ist anzuführen, dass die Nutzung einer eindimensionalen Organisationsstruktur mit Zwischeneinheiten und die Nutzung einer zweidimensionalen Matrix- bzw. dreidimensionalen Tensorstruktur zwei gegensätzliche Wege darstellen, um zwei oder drei Strukturierungskriterien Beachtung bei der Organisation von Unternehmensaktivitäten zu schenken. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen besteht darin, dass im Fall der Verwendung einer Zwischeneinheitsstruktur – im Gegensatz zum Fall der Nutzung eines mehrdimensionalen Organisa-
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tionsstrukturtyps – eine klare Hierarchie zwischen den relevanten Gliederungskriterien besteht und somit bei betrieblichen Entscheidungen, welche sich in unterschiedlicher Weise auf die einzelnen Kriterien auswirken, durch die Struktur vorgegeben ist, welcher Auswirkung bei der Entscheidung zunächst Beachtung zu schenken ist. Dies verringert in einem solchen Fall den anfallenden Abstimmungsbedarf und kann daher zu einer schnelleren Entscheidungsfindung und -umsetzung beitragen, was die Handlungsfähigkeit des Unternehmens in dieser Situation erhöht und somit in besonderem Maße als wünschenswert anzusehen ist (Laudien 2009). Im Rahmen einer Betrachtung von eindimensionalen Organisationsstrukturgrundtypen internationaler Dienstleistungsunternehmen drängt sich an erster Stelle die Vermutung auf, dass es produktivitätsbezogen nicht sinnvoll zu sein scheint, das gleiche Abgrenzungskriterium auf verschiedenen Hierarchieebenen zu nutzen und somit beispielsweise funktional gegliederte Zwischeneinheiten in einer integrierten Funktionalstruktur zu verwenden. Eine Ausnahme scheint dabei das Kriterium Region zu bilden. Diese Ausnahme ist jedoch einsichtig, wenn in Betracht gezogen wird, dass dieses Abgrenzungskriterium problemlos und logisch nachvollziehbar stets weiter zu untergliedern ist, was beispielsweise für das Abgrenzungskriterium Kunde so nicht gilt. Da jedoch für die Kriterien Funktion oder Geschäftsbereich unter Umständen eine derartige weitere Untergliederung auch denkbar wäre, besteht hier weiterer Klärungsbedarf. Dieser kann jedoch schnell befriedigt werden, wenn davon ausgegangen wird, dass allein im Falle der Anwendung des Kriteriums Region der durch eine weitere Untergliederung zu erzielende Vorteil, der sich hier wohl vor allem aus einer kulturbezogenen Standardisierungschance ergibt, im Einzelfall groß genug sein kann, um den mit dieser Maßnahme verbundenen Komplexitätsnachteil zu kompensieren. Im Fall einer mehrfachen funktionalen bzw. geschäftsbereichs- bzw. produktorientierten Strukturierung ist zu erwarten, dass der zu erzielende zusätzliche Vorteil eher marginal ausfällt und nicht ausreicht, um den aufgrund der Umsetzung dieser Strukturierungsmaßnahme zu verzeichnenden Nachteil auszugleichen (Laudien 2009). Wird konkret auf den durch eine Zwischeneinheitsnutzung in eindimensionalen Organisationsstrukturtypen zu erzielenden Vorteil abgestellt, so wird deutlich, dass dieser um so größer zu sein scheint, je eindeutiger eine Zuordnung der Auslandsgesellschaften zu den jeweiligen Zwischeneinheiten möglich bzw. je weniger komplex die durch die Nutzung von Zwischeneinheiten entstehenden Gesamtorganisationsstruktur ist. Werden der Fall einer eindeutigen Zuordnungsmöglichkeit von Auslandsgesellschaften zu Zwischeneinheiten (Fall A) sowie der Fall einer nicht eindeutigen Zuordnungsmöglichkeit von Auslandsgesellschaften zu Zwischeneinheiten (Fall B) unterschieden, so zeigt sich, dass der durch eine Zwischeneinheitsetablierung zu erzielende Produktivitätsvorteil für Fall A stets zumindest marginal größer ausfällt als für Fall B bzw. ein sich durch die Strukturierungsmaßnahme ergebender Produktivitätsnachteil für den Fall A geringer ausfällt als für den Fall B. Als Begründung ist anzuführen, dass durch eine Nutzung von Zwischeneinheiten stets zwei gegenläufige Effekte, der positive Standardisierungs- und der negative Komplexitätseffekt, ausgelöst werden. Während in beiden Fällen der funktions-, geschäftsbereichs-, regionen- oder kundenbezogene Standardisierungseffekt das
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gleiche Ausmaß annimmt, unterscheidet sich der Komplexitätseffekt, der sich als Folge einer Zunahme der unternehmensweit bestehenden Interdependenzbeziehungen ergibt, im Fall einer funktions-, geschäftsbereichs- oder kundenbezogenen Strukturierung der Zwischeneinheiten erheblich. Für eine regionale Strukturierung der Zwischeneinheiten besteht dieser Unterschied dagegen nicht. Hier ist das Vorliegen von Fall B theoretisch per se ausgeschlossen, da zumindest aufgrund des Stammsitzes eine klare Zuordnung der Auslandsgesellschaften zu Regionen immer möglich ist (Laudien 2009). Es erscheint auf Basis der vorangehenden Ausführungen logisch, dass eine wesentliche Begründung für die Vorteilhaftigkeit eines Einsatzes von Zwischeneinheiten in der Möglichkeit zur Erzielung des angesprochenen Standardisierungseffektes liegt. Dabei ist zu bemerken, dass die Standardisierung allein auf der Bereichsebene Bedeutung erlangt und hier in einer funktions-, geschäftsbereichs-, regionen- oder kundenbezogenen Variante vorliegen kann. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass das unternehmensseitige Vorgehen in den einzelnen Bereichen bei Verwendung einer Zwischeneinheitsstruktur üblicherweise Unterschiede aufweist, welche auch durchaus gravierend ausfallen können. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass bei einer Nutzung von Zwischeneinheiten auf globaler Ebene das Konzept der Differenzierung wesentliche Bedeutung erlangt. Somit ist zu folgern, dass eine Nutzung von Zwischeneinheiten internationalen Dienstleistungsunternehmen die Möglichkeit bietet, eine Strategie der bereichsbezogenen Standardisierung bei paralleler globaler Differenzierung zu verfolgen und somit einen – wie auch immer gearteten – organisatorischen Mittelweg zwischen Zentralisation und Dezentralisation darstellt (Laudien 2009).
3.
Praxisbezogene Operationalisierung der gewonnenen Erkenntnisse
Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft versteht (Grochla 1978), ist an dieser Stelle ein Konzept zu entwickeln, welches eine Beurteilung der (produktivitätsbezogenen) Vorteilhaftigkeit bzw. Nachteiligkeit eines Einsatzes von Zwischeneinheiten in internationalen Dienstleistungsunternehmen erlaubt. Naturgemäß muss ein solches Konzept dabei eher allgemeiner Natur bleiben, da eine zu tiefe Detailfokussierung die praktische Anwendbarkeit des Konzeptes erheblich einschränken würde und somit nicht wünschenswert ist. Wie bereits oben aufgezeigt, bietet sich im Rahmen der Beurteilung einer Zwischeneinheitsverwendung ein kostenbezogenes Vorgehen an. Somit ist zunächst allgemein zu bemerken, dass der durch eine Zwischeneinheitsnutzung in einem Funktional-, Geschäfts-, Regional- oder Kundenbereich zu erzielende Gesamtvor- (GV = KVs) bzw. -nachteil (GN = KNs) als Differenz zwischen dem zu erzielenden primären standardisierungs- und differenzierungsbedingten Kostenvorteil (KVp) und der Summe des mit der-
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artigen Strukturierungsmaßnahme ebenfalls stets verbundenen primären komplexitätsbedingten kostenbezogenen Nachteil (KNp) sowie der für die Errichtung der Zwischeneinheit anfallenden Etablierungskosten (KEtabZ) dargestellt werden kann:
Diese Bedingung erlangt im Grundgedanken auch dann Gültigkeit, wenn Zwischeneinheiten parallel in mehreren Funktional-, Geschäfts-, Produkt-, Regional- oder Kundenbereichen Verwendung finden. Das jeweils zur Strukturierung der Zwischeneinheiten in den einzelnen Bereichen herangezogene Abgrenzungskriterium ist dabei unerheblich; es wäre grundsätzlich sogar denkbar, in unterschiedlichen Bereichen differierende Abgrenzungskriterien zu nutzen. Dieses Vorgehen wird jedoch vermutlich höchstens im Rahmen der integrierten Funktionalstruktur sinnvoll sein, da hier funktionsbezogene Unterschiede eine solche Abweichung rechtfertigen könnten. Allgemein ist dagegen zu vermuten, dass ein solches Vorgehen kaum von Vorteil sein kann, weil in allen Bereichen die gleichen Argumente für oder gegen die Verwendung eines spezifischen Abgrenzungskriteriums sprechen dürften. Die Verwendung von unterschiedlich strukturierten Zwischeneinheiten innerhalb eines Bereiches scheint sich dagegen von vornherein auszuschließen, da in diesem Fall nicht zu erwarten ist, dass durch ihre Nutzung ein relevanter Standardisierungs-/Differenzierungsvorteil generiert werden kann, der den in jedem Fall entstehenden negativen Komplexitätseffekt übersteigt (Laudien 2009). Ein wesentlicher Effekt, welcher sich bei einer parallelen Verwendung von Zwischeneinheiten in mehreren Funktional-, Geschäfts-, Regional- oder Kundenbereichen ergibt, erlangt dagegen sehr wohl Bedeutung. Dieser Effekt ist am besten anhand der bereits im vorherigen Abschnitt erläuterten Fallunterscheidung (Fall A: Zuordnung der Auslandsgesellschaften zu einer Zwischeneinheit eindeutig möglich, Fall B: Zuordnung der Auslandsgesellschaften zu einer Zwischeneinheit nicht eindeutig möglich) zu veranschaulichen: Für Fall A ergibt sich der sich der gesamte zu erzielende kostenbezogene Vorbzw. Nachteil (GVFall A = KVs (Fall A) bzw. GNFall A = KNs (Fall A)) als Differenz der Summe der in den einzelnen Bereichen (B1, B2, …, Bn) erzielten primären standardisierungs/differenzierungsbedingen kostenbezogenen Vorteile (KVp) und der Summe der für die einzelnen Bereiche zu verzeichnenden komplexitätsbedingten kostenbezogenen Nachteile (KNp) erhöht um die Summe der für die Errichtung der Zwischeneinheiten in den jeweiligen Bereichen anfallenden Etablierungskosten (KEtabZ):
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Fall A ist zumindest für eine regionale Abgrenzung von Zwischeneinheiten annahmegemäß stets als gegeben anzusehen. Wird im Rahmen dieser Beurteilung festgestellt, dass sich in einem Bereich oder in mehreren Bereichen durch die Nutzung von Zwischeneinheiten ein kostenbezogener Nachteil ergibt, so sollte überlegt werden, ganz auf eine Verwendung von Zwischeneinheiten zu verzichten. Für Fall B fällt die Komplexitätssteigerung der Gesamtorganisationsstruktur im Fall einer parallelen Nutzung von Zwischeneinheiten in verschiedenen Bereichen deutlich größer aus als für Fall A. Grund dafür ist, dass sich hier der Komplexitätseffekt nicht als Summe der Komplexitätssteigerungen in den einzelnen Teilbereichen ergibt, sondern dieser Effekt aufgrund einer überproportionalen Zunahme der Interdependenzbeziehungen, welche durch eine Mehrfachunterstellung der Auslandsgesellschaften unter verschiedene Funktional-, Geschäfts-, Produkt- oder Kundenbereiche bzw. dort etablierte Zwischeneinheiten ausgelöst wird, deutlich größer ausfällt. Daher ist für Fall B bei einer parallelen Nutzung von Zwischeneinheiten in mehreren Bereichen eine sich zwingend ergebende zusätzliche Komplexitätssteigerung (KZ) in das Vorteilhaftigkeitskalkül mit einzubeziehen. Folgende Modifizierung der oben für Fall A aufgestellten mathematischen Beziehung ist hier somit zu verwenden, um den Effekt des Einsatzes von Zwischeneinheiten in diesem Fall beurteilen zu können (Laudien 2009):
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Auch hier sollte gegebenenfalls ganz auf die Verwendung von Zwischeneinheiten verzichtet werden, wenn sich für einen Bereich ein durch ihre Nutzung ausgelöster kostenbezogener Nachteil ergibt. Die sich für Fall A und Fall B ergebenden Lösungen obiger mathematischer Beziehungen stellen jeweils Extreme dar. Die Lösung für Fall A beschreibt dabei den maximal im Rahmen eines spezifischen Organisationsstrukturgrundtyps durch Einsatz von Zwischeneinheiten in der unternehmensseitig jeweils gewählten Strukturierung zu erreichenden kostenbezogenen Gesamtvorteil bzw. den geringsten sich aufgrund dieser Strukturierung ergebenden kostenbezogenen Gesamtnachteil. Das Ergebnis für Fall B ist hingegen als geringster durch diese Strukturierungsmaßnahme zu erzielender kostenbezogener Gesamtvorteil bzw. höchster sich hieraus ergebender kostenbezogener Gesamtnachteil zu interpretieren. Da vermutet werden kann, dass beide Fälle in Reinform in der Unternehmenspraxis wohl nicht anzutreffen sind, wird sich der durch eine Zwischeneinheitsnutzung ergebende positive bzw. negative Kosteneffekt zwischen diesen beiden Extremlösungen bewegen. Ergibt sich für Fall A bereits ein kostenbezogener Gesamtnachteil, so ist die Verwendung von Zwischeneinheiten in der gewählten Strukturierung in der zugrundeliegenden Organisationsstruktur als nicht sinnvoll anzusehen, da das Ergebnis für Fall B sich in diesem Fall auch zwingend negativ gestaltet. Zeigt sich dagegen im Ergebnis sowohl für Fall A als auch für Fall B, dass durch eine Etablierung von Zwischeneinheiten ein kostenbezogener Vorteil erzielt werden kann, so ist die Nutzung von Zwischeneinheiten in der gewählten Strukturierung in der jeweiligen Organisationsstruktur in jedem Fall aus Unternehmenssicht als vorteilhaft anzusehen (Laudien 2009). Probleme tauchen hingegen auf, wenn sich für Fall A ein kostenbezogener Vorteil und für Fall B ein kostenbezogener Nachteil ergibt. Liegt eine solche Situation vor, so kann zunächst keine eindeutige Aussage über die kosten- bzw. produktivitätsbezogene Wirkung einer Nutzung von Zwischeneinheiten getroffen werden. Diesem Mangel kann jedoch Abhilfe geschaffen werden durch die Einführung der Annahme, dass alle zwischen den beiden Extrema (Lösung für Fall A und Lösung für Fall B) liegenden möglichen realen Ergebnisse mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintreffen. Als Folge dieser Annahme wird es möglich, durch eine Addition der beiden Extremwerte und einer Division des Ergebnisses durch zwei den erwarteten kostenbezogenen Gesamtvor- bzw. -nachteil (KGVerw bzw. KGNerw) der Nutzung von Zwischeneinheiten in dieser organisatorischen Konstellation zu bestimmen (Laudien 2009):
Auch für die Situation, welche vorliegt, wenn sowohl für Fall A als auch für Fall B ein kostenbezogener Vorteil durch eine Nutzung von Zwischeneinheiten ausgelöst wird,
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kann diese Rechnung in leicht modifizierter Form Verwendung finden, um auf ihrer Basis eine Aussage über das Ausmaß des erwarteten kostenbezogenen Gesamtvorteils treffen zu können. Voraussetzung ist dabei, dass auch hier angenommen wird, dass alle zwischen den beiden Extremwerten liegenden möglichen Ergebnisse mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintreffen. Ist dies erfüllt, so gilt folgende Beziehung (Laudien 2009):
Die dargelegten rechnerischen Möglichkeiten zur Bestimmung der kosten- bzw. produktivitätsbezogenen Wirkungen einer Zwischeneinheitsnutzung in internationalen Dienstleistungsunternehmen suggerieren, dass sich in der Unternehmenspraxis die Beurteilung dieser Strukturierungsmaßnahme relativ einfach gestaltet. Dies ist jedoch insbesondere bezogen auf die Ex-ante-Entscheidungssituation im Hinblick auf eine Zwischeneinheitsetablierung trügerisch, da in diesem Fall die Notwendigkeit besteht, den Standardisierungs- sowie den Komplexitätseffekt und die sich aus dem Zusammenspiel beider Effekte ergebende Kostenwirkung abzuschätzen, was mit großen Schwierigkeiten behaftet ist. Insofern ist festzuhalten, dass sich die Anwendbarkeit des entwickelten Modells in engen Grenzen bewegt und seine allgemeine Aussagekraft beschränkt ist. Dies sollte unternehmensseitig Anlass dazu geben, unter Verwendung dieses Modells erzielte Ergebnisse – auch wenn diese durch klare Visualisierbarkeit gekennzeichnet sind – im Rahmen der Entscheidungsfindung sehr vorsichtig zu interpretieren (Laudien 2009).
4.
Fazit und Ergebnisbewertung
Im Rahmen dieses Beitrages wurde betrachtet, in welcher Weise Zwischeneinheiten einen Beitrag zur Auflösung des für Dienstleistungsunternehmen im Rahmen eines steigenden internationalen Engagements zunehmend relevanten Komplexitätsproblems leisten können. Um diesem Ziel zu entsprechen, wurde dabei zunächst das Komplexitätsproblem im Kontext wertschöpfungsbezogener Besonderheiten von Dienstleistungen explizit spezifiziert. Weiterhin wurde aufgezeigt, in welcher Weise durch eine Nutzung von Zwischeneinheiten konkret Einfluss auf das Komplexitätsproblem genommen werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auch diskutiert, welche grundlegenden organisationsstrukturellen Voraussetzungen eine Verwendbarkeit von Zwischeneinheiten in internationalen Dienstleistungsunternehmen beeinflussen. Dabei zeigte sich, dass eine Nutzbarkeit von Zwischeneinheiten im Grundsatz auf eindimensionale Organisationsstrukturgrundtypen beschränkt ist. Ebenso konnte herausgestellt werden, dass die Kriterien Funktion, Geschäftsbereich und Kunde nur auf einer Hierarchieebene als Abgrenzungskriterium zur Zwischeneinheitsstrukturierung Verwendung finden können,
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während dagegen das Kriterium Region auf verschiedenen Hierarchieebenen genutzt werden kann. Weiterhin wurde deutlich, dass der durch eine Etablierung von Zwischeneinheiten zu erzielende Effekt mit dem Ausmaß steigt, in dem eine klare Zuordnung der Auslandsgesellschaften zu den einzelnen Zwischeneinheiten möglich ist. In einem Folgeschritt wurde der Versuch unternommen, die gewonnenen Erkenntnisse zu operationalisieren, um sie so in eine unternehmensseitig nutzbare Form umzuwandeln. Im Ergebnis wurde ein einfaches mathematisches Modell entwickelt, welches eine Abschätzung der kosten- und somit indirekt der produktivitätsbezogenen Wirkung einer Zwischeneinheitsnutzung in internationalen Dienstleistungsunternehmen erlaubt. Mit der Fokussierung auf die Untersuchung von Wirkungen einer Zwischeneinheitsnutzung in internationalen Dienstleistungsunternehmen widmet sich der vorliegende Beitrag einem Bereich, der bisher im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Forschung weitestgehend ausgeklammert wurde, jedoch aus Sicht der Unternehmenspraxis durchaus von Relevanz zu sein scheint. Ungeachtet des Novitätsgrads des Beitrages ist es nicht unproblematisch, sich zunächst auf konzeptioneller Grundlage dem allgemeinen Wesen und der kosten- bzw. produktivitätsbezogenen Wirkungsweise von Zwischeneinheiten zu nähern. Allerdings ist zu bemerken, dass nur durch solide konzeptionelle Arbeit eine bisher noch weitestgehend fehlende, belastbare Basis für empirische Analysen in diesem spezifischen Forschungsbereich geschaffen werden kann. Insofern leistet die vorliegende Analyse, die selbstverständlich nicht den Anspruch erhebt, das Zwischeneinheitsphänomen zur Gänze im Detail zu durchdringen, einen Beitrag zum grundlegenden Verständnis des Zwischeneinheitsphänomens aus organisationstheoretischer Sicht. Ferner stellt sie einen Anknüpfungspunkt für zwischeneinheitsbezogene empirische Forschungsbemühungen dar, auch wenn sich insbesondere quantitativ-empirische Forschung in diesem Bereich aufgrund der Komplexität und strategischen Relevanz des Zwischeneinheitsphänomens gerade im Dienstleistungsbereich und der damit ausgesprochen schwierigen Datenerhebung nicht einfach gestaltet. Ebenso ist hervorzuheben, dass der vorliegende Beitrag mit dem entwickelten mathematischen Modell, welches der Bewertung des Effektes einer Zwischeneinheitsnutzung in internationalen Dienstleistungsunternehmen dient, ein Handwerkzeug für die Unternehmenspraxis bereitstellt, welches eine relativ einfache und zeitnahe Übertragung der gewonnenen Erkenntnisse in die Unternehmenspraxis ermöglicht und so der vielfach angemahnten Lag-Problematik entgegenwirkt.
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
Divers und doch Produktiv? Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen
1. Einleitung 2. Kulturelle Diversität 3. Diversitätskontakte bei Dienstleistungsprozessen 4. Klassifikation von Dienstleistungsprozessen 5. Auswirkungen kultureller Diversität auf die Produktivität von Dienstleistungsprozessen 5.1 Teambasierte Dienstleistungsprozesse 5.2 Routine – Nicht-Routine Dienstleistungsprozesse 5.3 Inter-Kundenkontaktgeprägte Dienstleistungsprozesse 5.4 Interaktionsgeprägte Dienstleistungsprozesse 6. Fazit Literaturverzeichnis ___________________________ Prof. Dr. Ricarda Bouncken ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategisches Management und Organisation an der Universität Bayreuth. Dipl.-Kfm. Robin Pesch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strategisches Management und Organisation an der Universität Bayreuth.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einleitung
Dienstleistungsunternehmen beschäftigen im Zuge der Globalisierung zunehmend Mitarbeitende aus verschiedenen Kulturen und haben Kontakt mit Kunden aus unterschiedlichen Ländern. Daher verwundert es umso mehr, dass der Umgang mit kultureller Diversität im Dienstleistungsmanagement bisher nur gestreift worden ist. Zwar werden Kulturunterschiede schon seit Jahren erforscht und ihre Bedeutung immer wieder unterstrichen (Hofstede 1980; Hall 1989; Schneider/ Barsoux2003; Trompenaars/HampdenTurner 2008), jedoch fehlen systematische Überlegungen zu den Wirkungen kultureller Diversität in Dienstleistungsprozessen. Betont wird allerdings, dass kulturelle Diversität mit kulturspezifischen Erwartungen an Dienstleistungsprozesse einhergeht und daher ein kulturell diversifiziertes Marketing notwendig ist (Ahlert et al. 2005). Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist diese wichtige Forschungslücke zu schließen und kulturelle Diversität in Dienstleistungsprozessen systematisch aufzuarbeiten sowie deren Beitrag zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität aufzuzeigen. Um für unterschiedliche Dienstleistungsbranchen Aussagekraft zu entfalten, ist dieser Beitrag konzeptioneller Natur. Zunächst wird kulturelle Diversität anhand der Kulturmodelle von Trompenaars/ Hampden-Turner (2008) sowie von Hall/Reed Hall (1989) erörtert. Darauf folgt eine Systematisierung kultureller Diversität in Dienstleistungsprozessen. Leitend sind dabei die potentiellen Diversitätskontakte in Dienstleistungsprozessen. Weiterhin wird eine Klassifikation mittels der Kriterien Teambasiertheit, Routinegrad, Inter-Kundenkontaktgrad und Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister erarbeitet. Auf dieser Basis findet eine Diskussion der Wirkungen kultureller Diversität auf die Dienstleistungsproduktivität statt. Dabei wird das Konzept der „Faultlines“, von Verwerfungen in Gruppen, in die Diskussion eingeführt.
2.
Kulturelle Diversität
Der Begriff Diversität bezieht sich auf die heterogene Zusammensetzung eines sozialen Systems, bei dem sich Individuen nach bestimmten Merkmalen wie in der Demografie oder Kultur unterscheiden (Gebert 2004). Unter Kultur versteht Hofstede mentale Programme, die das Denken, Fühlen und Handeln eines Individuums determinieren (Hofstede 2001). Im Folgenden wird kulturelle Diversität auf der Ebene von Werten und Verhaltensmustern bei Landeskulturen untersucht. Verschiedene Kulturmodelle versuchen, diese mittels unterschiedlicher Dimensionen zu beschreiben (Kluckhohn/ Strotdbeck 1961; Hofstede 1980; Hall/Reed Hall 1989; Douglas 1992; Trompenaars/
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
Hampden-Turner 2008). Im Folgenden werden das siebendimensionale Modell von Trompenaars/Hampden-Turner (2008) sowie das vierdimensionale Modell von Hall/Reed Hall (1989) herangezogen. Abbildung 1 gibt einen Überblick über Kulturdimensionen und Bezüge zwischen ihnen.
Kulturdimensionen Universalismus vs. Partikularismus Spezif ität vs. Dif f usität
Individualismus vs. Kollektivismus
Statuszuschreibung vs. Statuserreichung
Af f ektivität vs. Neutralität
Sequenziell vs. Synchron
Interne vs. externe Kontrolle
Trompenaars/ Hampden-Turner
Zeitverständnis Kontextorientierung
Geschwindigkeitsorientierung
Monochron vs. Polychron
Raumorientierung
Hall/Reed Hall
Abbildung 1: Dimensionen verschiedener Kulturmodelle Der Ansatz von Trompenaars/Hampden-Turner umfasst die sieben Kulturdimensionen (1) Universalismus versus Partikularismus, (2) Individualismus versus Kollektivismus, (3) Affektivität versus Neutralität, (4) Spezifität versus Diffusität, (5) Statuszuschreibung versus Statuserreichung, (6) sequenzielles versus synchrones Zeitverständnis sowie (7) interne versus externe Kontrolle. Die Dimension Universalismus versus Partikularismus betrifft die Gültigkeit von Regeln. In universalistischen Kulturen gelten Regeln ohne Ausnahme personen- und situationsübergreifend. Partikularismus hingegen impliziert, dass die Anwendung von Regeln abhängig von der jeweiligen Person und der jeweiligen Situation ist. Insofern existieren bei Partikularismus für unterschiedliche Personen und Situationen ungleiche Regeln. Der Unterschied zwischen Individualismus und Kollektivismus basiert darauf, inwieweit sich Kulturmitglieder primär als Individuum oder als Bestandteil einer Gruppe verstehen. In individualistischen Kulturen werden beispielsweise Entscheidungen im Gegensatz zu kollektivistischen Kulturen alleine ohne Rücksprache und Absicherung in der Gruppe getroffen. Die Kulturdimension Affektivität versus Neutralität beinhaltet den kulturell unterschiedlichen Umgang mit Emotionen. Affektive Individuen zeigen ihre Emotionen im Gegensatz zu neutralen Individuen offen. Zudem variiert die Begründung von Argumenten und Entscheidungen zwischen neutralen und affektiven Individuen. Neutralität bedeutet, dass Entscheidungen rational begründet werden, wohingegen bei Affektivität emotionale Einschätzungen von hoher Relevanz sind. Spezifität versus Diffusität betrifft die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. In spezifischen Kulturen wird am Arbeitsplatz nicht über das Private gesprochen. Außerdem ist es
Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen
245
für spezifische Kulturen ungewöhnlich, wenn sich Kollegen in der Freizeit treffen. Bei Mitgliedern diffuser Kulturen hingegen reichen Freundschaften und Gespräche vom Geschäftlichen in das Private hinein. Die Dimension Statuserreichung versus Statuszuschreibung beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Individuum aufgrund seiner eigenen Leistung seinen Status erreicht hat, oder ob dem Individuum vielmehr der Status kraft Charakteristika wie Alter, soziale Klasse, Geschlecht, Bildung usw. zugeschrieben wird. Bei der sechsten Dimension unterscheiden Trompenaars/Hampden-Turner (2008) zwischen einem sequenziellen und synchronen Zeitverständnis. Eine effiziente Nutzung der Zeit erfordert gemäß dem sequenziellen Zeitverständnis, dass Aufgaben nacheinander abgearbeitet werden. Unterbrechungen, Störungen oder gar paralleles Arbeiten sind unerwünscht, da sequenzielle Individuen darin einen ineffizienten Umgang mit der knappen Ressource Zeit sehen. Anders hingegen bei einem synchronen Zeitverständnis. Synchrone Individuen betrachten Zeit nicht als knapp, so dass sie kein Problem darin sehen, Tätigkeiten zu unterbrechen oder parallel zu bearbeiten. Die letzte Dimension, interne versus externe Kontrolle, beschreibt den Zusammenhang zwischen Natur und Kultur. Interne Kontrolle meint die Beherrschung der Natur durch die Kultur. Ordnet sich hingegen das Individuum der Natur unter, so liegt externe Kontrolle vor. Das Kulturmodell von Hall/Reed Hall (1989) unterscheidet zwischen den vier Dimensionen (1) Kontext-, (2) Geschwindigkeits-, (3) Raum- sowie (4) Zeitorientierung. Kontextorientierung bezieht sich auf die Art der transferierten Informationen zwischen Individuen. Bei geringer Kontextorientierung werden Informationen vorrangig sach- und zielgerichtet transferiert. Bei hoher Kontextorientierung kommunizieren Personen hingegen persönliche Inhalte ohne Bezug zur Aufgabe. Hohe Kontextorientierung zielt auf den Aufbau einer persönlichen Beziehung ab. Die Dimension Geschwindigkeitsorientierung unterscheidet zwischen einer schnellen Vermittlung von Botschaften auf der einen und einer langsamen Vermittlung auf der anderen Seite. Bei langsamer Vermittlung von Botschaften dauert es folglich länger, bis der Inhalt einer Botschaft den Empfänger erreicht. Raumorientierung bestimmt die räumlich sichtbaren und unsichtbaren Grenzen eines Individuums, die von anderen Individuen einzuhalten sind. Diese Grenzen beziehen sich sowohl auf die Territorialität als auch auf den persönlichen Raum des Individuums. Territorialität meint den Anspruch des Individuums auf ein bestimmtes Gebiet, das notfalls auch verteidigt wird. Der persönliche Raum beschreibt jenen Raum, der sich außerhalb des Körpers befindet, jedoch dem Körper als zugehörig empfunden wird. Eine Überschreitung der Grenze des persönlichen Raums führt beim betroffenen Individuum automatisch zu Unbehagen. Was als Territorium aufgefasst wird oder welchen Umfang der persönliche Raum umfasst, hängt von der jeweiligen Landeskultur ab.
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
Wie der Ansatz von Trompenaars/Hampden-Turner (2008) umfasst auch der Ansatz von Hall/Reed Hall (1989) die Dimension Zeitorientierung, wobei Letztere zwischen einem monochronem und polychronem Zeitverständnis unterscheiden. Das monochrone Zeitverständnis ähnelt stark dem sequenziellen Zeitverständnis nach Trompenaars/ Hampeden-Turner (2008) und das poylchrone dem synchronen Zeitverständnis. Hall/ Reed Hall (1989) betonen zudem, dass Individuen mit einem polychronen Zeitverständnis im Gegensatz zu Individuen mit einem monochronem Zeitverständnis bei ihrer Zeiteinteilung viel Wert auf die erfolgreiche Beendigung von menschlichen Interaktionen legen. Fest zu halten bleibt, dass sich Individuen hinsichtlich der Kulturdimensionen unterscheiden können. Trompenaars/Woolliams (2004) beschreiben in diesem Zusammenhang, dass Individuen die Welt mit einer „kulturellen Brille“ betrachten. Treffen Individuen mit unterschiedlichen „kulturellen Brillen“ aufeinander, kann es zu Konflikten kommen. Konflikte über Werte oder Interessen, so genannte Beziehungskonflikte, können zu Spannungen und Feindseligkeiten zwischen den Individuen führen (De Dreu/Weingart 2008; Jehn et al. 2008). Lassen sich diese nicht beseitigen, kann es zum Kulturschock kommen, der sich in Aggressivität zwischen den Individuen äußert (Podsiadlowski 2002). Kulturellbedingte Konflikte über die zur Problemlösung zu verwendenden Verfahren über die Verteilung von Ressourcen oder über Urteile und Interpretationen von Fakten werden als Aufgabenkonflikte bezeichnet (De Dreu/Weingart 2008; Jehn et al. 2008) und können eine kreativitätssteigernde Wirkung entfalten, wie in Abschnitt 5 näher erörtert wird.
3.
Diversitätskontakte bei Dienstleistungsprozessen
Für eine Systematisierung von Diversitätskontakten bei Dienstleistungen eignet sich eine Orientierung am Phasenkonzept der Leistungserstellung, der Potenzial-, Prozess- und Ergebnisphase (Hentschel 1992; Haller 2005). Abbildung 2 führt eine neue Modellierung möglicher Diversitätskontakte anhand des Phasenkonzepts von Dienstleistungen ein. Überall, wo Individuen miteinander interagieren, kann kulturelle Diversität ihre Wirkung entfalten. Da Interaktionen zwischen Kunden, zwischen Kunde und Dienstleister oder zwischen den Mitarbeitenden des Dienstleitungsunternehmens in allen Phasen des Dienstleistungsprozesses möglich sind, bietet es sich an, die Systematik durch eine Unterscheidung zwischen der Ebene der Kunden und der Ebene des Dienstleisters zu ergänzen. Insofern können Diversitätskontakte in allen drei Phasen sowohl zwischen Kunden (Inter-Kunden-Diversität), zwischen Kunde und Dienstleister (Inter-Kunden-Dienstleister-Diversität) und zwischen Mitarbeitenden des Dienstleistungsunternehmens (InterDienstleister-Diversität) kontrastiert werden. Die Inter-Kunden-Diversität kann beispielsweise zwischen Gästen in einem Urlaubshotel, zwischen Patienten im Krankenhaus oder zwischen Teilnehmern eines Sprachkurses während der Integration des externen
Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen
247
Faktors in der Prozessphase auftreten. Im Rahmen der Abstimmung der Leistungspotenziale in der Potenzialphase kann z.B. zwischen Kellner und Gast im Restaurant, zwischen Berater und Mandant, zwischen Arzt und Patient oder zwischen Dozent und Kursteilnehmer Inter-Kunden-Dienstleister-Diversität vorliegen. Beispiele für Inter-Dienstleister-Diversität sind heterogen zusammengesetzte Berater- oder OP-Teams. Bei der Inter-Dienstleister-Diversität ist zudem zwischen horizontaler und vertikaler Ebene zu differenzieren. Horizontal bezieht sich auf kulturelle Diversität zwischen Mitarbeitenden auf derselben Organisationsebene, wohingegen vertikal kulturelle Diversität zwischen Vorgesetztem und Untergebenen meint. Insgesamt können durch diese Systematisierung neun verschiedene Diversitätskontakte unterschieden werden. POTENZIALPHASE Inter-KundenDiversität
PROZESSPHASE
ERGEBNISPHASE
Inter-KundenDiversität
Inter-KundenDiversität
KUNDE Inter-KundenDienstleisterDiversität DIENSTLEISTER
Inter-DienstleisterDiversität
Inter-DienstleisterDiversität
Inter-DienstleisterDiversität
Abbildung 2: Diversitätskontakte im Phasenkonzept von Dienstleistungen
4.
Klassifikation von Dienstleistungsprozessen
Bei der Dienstleistungsbranche handelt es sich um eine sehr heterogene Branche (Bieger 2007), so dass eine Vielzahl unterschiedlicher Dienstleistungsprozesse existiert. Deshalb wird nachfolgend eine Klassifikation von Dienstleistungsprozessen nach kultureller Diversität eingeführt. Abschnitt 5 beinhaltet dann die Diskussion der Auswirkungen kultureller Diversität auf die Produktivität anhand der klassifizierten Dienstleistungsprozesse. Wir gehen davon aus, dass sich folgende vier, allerdings sich nicht gegenseitig ausschließende, Kriterien für die Klassifikation eignen: (1) Teambasiertheit, (2) Routinegrad, (3) Interkundenkontaktgrad und (4) Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister.
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
Teambasiertheit Bei Teams wirken kulturelle Diversitäten direkt und oft auch intensiv auf Teammitglieder ein. Von Teams wird gesprochen, wenn mehrere Individuen im Rahmen eines gemeinsames Ziels zusammenarbeiten (Sundstrom et al. 2000; Podsiadlowski 2002). Die reine Interaktion zwischen Individuen, wie beispielsweise zwischen Kunde und Dienstleister, begründet jedoch noch kein Team. Erst wenn eine gemeinsame Zusammenarbeit zur Zielerreichung notwendig ist, kann von einem Team gesprochen werden. Dienstleistungsprozesse sind oftmals teambasiert, so beispielsweise Projektteams in Werbeagenturen oder OP-Teams im Krankenhaus. Zwischen den Mitarbeitenden des Dienstleistungsunternehmens und den Kunden können ebenfalls Teams entstehen, wie beispielsweise bei Beratungsprojekten oder im Rahmen von Sportkursen. Routinegrad Der Routinegrad von Prozessen korrespondiert mit kulturellen Auffassungen und damit Unterschieden, wie Arbeiten zeitlich und inhaltlich ablaufen sollten. Der Routinegrad einer Aufgabe bestimmt sich nach Perrow (1970) aus den zwei Komponenten Aufgabenvariabilität und Aufgabenanalysierbarkeit. Unter Aufgabenvariabilität versteht Perrow (1970) die Anzahl von Ausnahmen, die eine Person im Rahmen der Aufgabe bewältigen muss. Insofern ist die Aufgabenvariabilität bei Dienstleistungsprozessen besonders hoch, bei denen Mitarbeitende des Dienstleistungsunternehmens ständig mit neuen Situationen oder Problemen konfrontiert werden und so z.B. bei Dienstleistungen mit einer hohen Varianz der externen Faktoren umgehen müssen. Die Aufgabenanalysierbarkeit beschreibt den Grad, in dem Suchaktivitäten erforderlich sind, um ein Problem zu lösen (Perrow 1970). Sind beide Komponenten hoch ausgeprägt, liegt ein komplexes Problem vor, das nicht durch Routine gelöst werden kann. Hierbei bedarf es vielmehr neuartiger Lösungen, die Kreativität erfordern (Perrow 1970). Dienstleistungsprozesse mit einem geringen Routinegrad sind beispielsweise die so genannten „Professional Services“, wie Unternehmensberatungen oder Werbeagenturen (Ringsletter et al. 2005). Weisen die beiden Komponenten eine niedrige Ausprägung auf, handelt es sich um Routineaufgaben (Perrow 1970), wie beispielsweise bei einem FastFood-Restaurant. Inter-Kundenkontaktgrad Die Produktivität von Dienstleistungsprozessen hängt auch davon ab, wie sehr kulturelle Diversitäten zwischen Kunden auftreten und wie diese empfunden werden. Für die Betrachtung der Auswirkungen der Inter-Kunden-Diversität eignen sich Dienstleistungsprozesse, bei denen Kunden vermehrt miteinander in Kontakt treten. Einen hohen InterKunden-Kontakt weisen so genannte Kollektivdienstleistungen auf, bei denen an einer Mehrzahl von Kunden gleichzeitig eine Dienstleistung erbracht wird, wie beispielsweise bei Sprach- oder Sportkursen oder beim Urlaub in einem Hotel (Meyer 1991; Corsten 2001).
Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen
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Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister Intensive Interaktion führt zu einer höheren Wahrnehmung von Unterschieden und beeinflusst so die Produktivität. Der Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister beschreibt, wie stark Kunde und Dienstleister im Rahmen des Dienstleistungsprozesses miteinander interagieren und sich gegenseitig in ihren Handlungen beeinflussen (Büttgen 2007). Nach Büttgen (2007) können folgende drei Interaktionsformen kontrastiert werden:
Direkt persönliche Interaktionen (z.B. beim Sportkurs, bei der Beratung durch eine Unternehmensberatung oder beim Friseur), Mediale oder indirekt persönliche Interaktionen (z.B. bei Videokonferenzen im Bto-B-Bereich), Automatisierte Interaktionen (z.B. bei Geldautomaten oder bei automatisierten Bestellsystemen).
Kulturelle Diversität ist vor allem bei einer starken Ausprägung der ersten beiden Interaktionsformen von Bedeutung, da bei diesen Formen die kulturellen Unterschiede zwischen Kunde und Dienstleister direkt oder indirekt aufeinanderprallen. Dienstleistungen mit einem hohen direkten oder indirekten Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister sind beispielsweise die Beratung durch eine Unternehmensberatung, die ärztliche Behandlung oder Sprach- und Sportkurse (Meffert 1994).
5.
Auswirkungen kultureller Diversität auf die Produktivität von Dienstleistungsprozessen
5.1 Teambasierte Dienstleistungsprozesse Im Dienstleistungsmanagement sind die Auswirkungen kultureller Diversität in Teams auf die Produktivität noch nicht thematisiert worden, jedoch liegen allgemein Erkenntnisse über Wirkungen kultureller Diversität auf die Teamperformance vor, die sich auf Dienstleistungsprozesse übertragen lassen. In der Literatur werden sowohl positive als auch negative Wirkungen kultureller Diversität auf die Teamperformance beschrieben. So können die in multikulturellen Teams entstehenden Beziehungskonflikte zu Unsicherheit, Misstrauen, Kontaktängsten, Kommunikationsschwierigkeiten, Stress und zu einer geringeren Gruppenkohäsion führen (McLeod et al. 1996; Podsiadlowski 2002). Diese Auswirkungen mindern die Teamperformance und können mit einer hohen Personalfluktuation einhergehen (Podsiadlowski 2002). Die aus kultureller Diversität resultierenden Aufgabenkonflikte haben das Potenzial, eine kritische Auseinandersetzung mit der Aufgabe zu fördern, die das so genannte Groupthink verringert (Jehn 1995; Podsiadlowski 2002). Hierbei treffen hochkohäsive Gruppen Fehlentscheidungen, da ihr
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
Streben nach Einstimmigkeit die Informationswahrnehmung und -verarbeitung verzerrt (Janis 1982). Insofern kann kulturelle Diversität auch die Teamperformance erhöhen. Inwieweit dieser positive Effekt durch die negativen Effekte der kulturellen Diversität konterkariert wird, ist nicht eindeutig geklärt. So haben in einigen Studien kulturell homogene Teams eine höhere Teamperformance als kulturell heterogene Teams nachgewiesen (Kirchmeyer/Cohen 1992; Thomas 1999), wohingegen andere Studien wiederum daraufhin deuten, dass kulturelle Diversität steigernd auf die Teamperformance wirkt (McLeod et al. 1996; Stahl et al. 2010). Für Teams im Rahmen von Dienstleistungsprozessen, wie beispielsweise Beraterteams oder OP-Teams im Krankenhaus, können auf Grundlage dieser Erkenntnisse noch keine Aussagen über die Auswirkungen auf die Produktivität ihrer Dienstleistungen gemacht werden. In Abschnitt 5.2 wird jedoch dargelegt, dass der Routinegrad des Dienstleistungsprozesses einen moderierenden Einfluss auf die Wirkung zwischen kultureller Diversität und Teamperformance hat. In Abhängigkeit des Routinegrads kann dann tendenziell bestimmt werden, inwieweit sich kulturelle Diversität steigernd auf die Produktivität der Dienstleistungsprozesse auswirkt. Hinweise im Kontext der Auswirkungen kultureller Diversität in Teams liefert das Faultline-Konzept. Faultlines (deutsch: Spannungs- oder Verwerfungslinien) teilen eine Gruppe aufgrund demografischer oder kultureller Diversität in Subgruppen auf (Lau/Murnighan 1998). Die Stärke der Faultlines hängt von folgenden drei Faktoren ab: (1) Anzahl der für die Gruppenmitglieder erkennbaren individuellen Eigenschaften, (2) die Ausrichtung der Eigenschaften und (3) die Anzahl möglicher homogener Subgruppen (Lau/Murnighan 1998). Starke Faultlines liegen insofern vor, wenn viele Eigenschaften hoch miteinander korrelieren und die Anzahl möglicher Subgruppen klein ist. Ein Beispiel für starke kulturelle Faultlines in Dienstleistungsprozessen ist ein Viererteam einer Werbeagentur, bei denen zwei Individuen eine starke Kontextorientierung und ein polychrones Zeitverständnis aufweisen, und die beiden anderen Individuen eher sachorientiert sind und ein monochrones Zeitverständnis verinnerlicht haben. Hohe kulturelle Diversität ist demnach nicht mit starken Faultlines gleichzusetzen. Vielmehr wird die Subgruppenbildung durch moderat heterogene Gruppen gefördert (Earley/Mosakowski 2000; Podsiadlowski 2002). Falls sich Individuen sehr stark in ihren kulturellen Dimensionen unterscheiden, werden die einzelnen Eigenschaften nicht so hoch miteinander korrelieren und zudem wird sich die Anzahl der Subgruppen erhöhen, so dass bei starker kultureller Diversität innerhalb einer Gruppe nur schwache Faultlines vorliegen werden. Das Faultline-Konzept lässt sich durch die Selbst-Kategorisierungstheorie (Turner 1987) und die soziale Identitätstheorie (Tajfel 1978) theoretisch untermauern. Hiernach tendieren Individuen dazu, sowohl sich selbst als auch andere Individuen in Kategorien zu kategoriesen. Als Kategorisierungskriterien kann unter anderem die kulturelle Ausprägung herangezogen werden. Kulturelle Faultlines entstehen insofern, wenn sich Individuen mit bestimmten kulturellen Ausprägungen identifizieren und sich anhand dieser zu entsprechenden Individuen zuordnen (Thatcher et al. 2003).
Zum Umgang mit kultureller Diversität bei Dienstleistungsunternehmen
251
Zu den Wirkungen kultureller Faultlines liegen nur vereinzelte Erkenntnisse vor. Jehn et al. (2008) gehen davon aus, dass Faultlines allgemein sowohl Beziehungs- als auch Aufgabenkonflikte bedingen können. Qualitativ empirische Studien deuten darauf hin, dass starke kulturelle Faultlines zu einem höheren Konfliktlevel führen als bei Gruppen mit schwachen Faultlines (Bouncken/Winkler 2010) und sich zudem negativ auf die Teamperformance auswirken können (Earley/Mosakowski 2000). Zudem gehen kulturelle Faultlines mit Kommunikationsproblemen und konträren Wertvorstellungen zwischen den Subgruppen einher (Earley/Mosakowski 2000; Bouncken/Winkler 2010). Gemäß der sozialen Identitätstheorie identifizieren sich Individuen mit der bevorzugten Subgruppe mehr als mit dem Rest der Gruppe (Lau/Murnighan 2005). Insofern werden Individuen eher innerhalb ihrer Subgruppe kommunizieren und Informationen austauschen als mit den Individuen der Gruppe, die der Subgruppe nicht zugehörig sind (Lau/Murnighan 2005; Stahl et al. 2010). Auch bei demografischen Faultlines sind ähnliche Wirkungen empirisch nachgewiesen worden (Thatcher et al. 2003; Li/Hambrick 2005). Auf obiges Beispiel übertragen würde dies bedeuten, dass vermutlich zwei Subgruppen entstehen würden. Die eine Subgruppe würde aus den zwei stark kontextorientierten und polychronen Individuen bestehen, wohingegen die andere sich aus den zwei sachorientierten und monochronen Individuen zusammensetzen würde. Zwischen den beiden Subgruppen würden demnach Kommunikationsprobleme existieren, die sich schädlich auf die Kreativität des Teams der Werbeagentur auswirken könnten. So ist anzunehmen, dass starke kulturelle Faultlines Beziehungskonflikte zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Subgruppen schüren, die die Kommunikation zwischen den Subgruppen erschweren und insoweit den freien Ideenaustausch innerhalb der Gesamtgruppe behindern werden (Lau/Murnighan 1998; Jehn et al. 2008). Innerhalb der Subgruppe jedoch wird aufgrund der kulturellen Homogenität der Subgruppenmitglieder eine vertrauensvolle Atmosphäre herrschen, die einen freien Ideenaustausch begünstigt (Nishii/Goncalo 2008). Dieser kreativitätsfördernde Effekt der kulturellen Diversität wird allerdings durch einen Konformitätsdruck zwischen den Subgruppenmitgliedern konterkariert (Nishii/Goncalo 2008). Dieser Konformitätsdruck äußert sich darin, dass sich die Meinungen und Ansichten der kulturell homogenen Subgruppenmitglieder untereinander angleichen (Nishii/Goncalo 2008). Die Subgruppenbildung kann nicht nur zwischen Mitarbeitenden von Dienstleistungsunternehmen, sondern auch zwischen Kunden oder zwischen Kunden und Mitarbeitenden von Dienstleistungsunternehmen entstehen. Faultlines auf Ebene der Kunden können z.B. bei gleichzeitig teambasierten und stark inter-kundenkontaktgeprägten Dienstleistungsprozessen, wie beispielsweise bei einem Sportkurs, auftreten, wenn sich Teilnehmer an anderen Teilnehmern mit vergleichbaren kulturellen Ausprägungen orientieren. Zwischen diesen Subgruppen wird es folglich zu Konflikten und Kommunikationsbarrieren kommen, die sich negativ auf die Interaktion im Sportkurs auswirken können. Arbeiten Kunde und Dienstleister als Team in einem Dienstleistungsprozess zusammen – also bei Dienstleistungsprozessen, die sowohl teambasiert sind, als auch einen hohen Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister aufweisen – sind ebenfalls Faultlines möglich. Faultlines sind beispielsweise zwischen
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Ricarda Bouncken und Robin Pesch
einem Team von Unternehmensberatern, das ein monochrones Zeitverständnis verinnerlicht hat, und einer Abteilung des zu beratenden Unternehmens, das ein polychrones Zeitverständnis verfolgt, denkbar. Konflikte über Einhaltung von Zeitplänen und Unverständnis über den Umgang mit der knappen Ressource Zeit können die Zusammenarbeit zwischen Beratern und Mitarbeitenden des Unternehmens erheblich erschweren. Zwar ist bei diesem Beispiel anzumerken, dass die Gruppenbildung nicht der Ausfluss kultureller Diversität ist, sondern sich kraft der Rollen der Individuen ergibt (Maznevski 1994), jedoch ist empirisch belegt, dass kulturelle Diversität zwischen bereits existierenden Gruppen Faultlines verstärken kann und somit auch deren negative Wirkungen (Li/Hambrick 2005). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass starke kulturelle Faultlines InterSubgruppenkonflikte bedingen und damit sowohl die Gruppenkohäsion in der Gesamtgruppe sowie deren Teamperformance mindern und insofern eine unproduktive Zusammenarbeit und Produktivitätsverluste hervorbringen. Zudem entfalten kulturelle Faultlines eine schädliche Wirkung auf die Kreativität.
5.2 Routine – Nicht-Routine Dienstleistungsprozesse Der Routinegrad von Dienstleistungsprozessen hat eine moderierende Wirkung auf die Beziehung zwischen kultureller Diversität und der Produktivität von Dienstleistungsprozessen. So zeigen Stahl et al. (2010) in ihrer Meta-Analyse, dass kulturelle Diversität förderlich auf Kreativität wirkt und insofern bei Dienstleistungsprozessen mit niedrigem Routinegrad die Produktivität des Dienstleistungsprozesses steigern kann. Die kreativitätsfördernde Wirkung kultureller Diversität resultiert aus den kulturspezifischen mentalen Modellen und Formen der Wahrnehmung sowie den divergierenden Vorstellungen, Probleme zu lösen, die sich zwar in Aufgabenkonflikten manifestieren, aber starke Treiber für Kreativität sind (Cox/Blake 1991; Stahl et al. 2010). Insofern fördert hohe kulturelle Diversität bei Dienstleistungsprozessen mit einem niedrigen Routinegrad die Produktivität über ein höheres Kreativitätspotenzial. Dieser positive Effekt des Aufgabenkonflikts kann jedoch durch Beziehungskonflikte konterkariert werden, weil zwischenmenschliche Spannungen die kreative Ideenfindung behindern (McLeod et al. 1996; Jehn et al. 2008). So darf der Aufgabenkonflikt ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, um nicht in Frustration und Unzufriedenheit zu münden, die eine effektive Zusammenarbeit behindern (Jehn 1995). Kulturell diverse Teams weisen durch vermehrte Aufgabenkonflikte unabhängig vom Routinegrad eine schlechtere Teamperformance auf als kulturell homogene Teams (Thomas 1999). De Dreu und Weingart (2003) identifizieren in ihrer Metastudie bei einem abnehmenden Routinegrad sogar eine stärker werdende negative Korrelation zwischen Aufgabenkonflikt und Teamperformance. Zudem führen Beziehungskonflikte unabhängig vom Routinegrad zu einem Mangel an Kooperation und Kohäsion zwischen den Gruppenmitgliedern und sind insoweit schädlich für die Teamperformance (Jehn 1995; De Dreu/Weingart 2003; Jehn et al. 2008).
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Im Folgenden wird daher angenommen, dass bei moderaten Aufgabenkonflikten durch die kreativitätssteigernde Wirkung kulturell heterogene Teams eine höhere Teamperformance aufweisen als kulturell homogene Teams. Insofern ist kulturelle Diversität bei Dienstleistungsprozessen mit niedrigem Routinegrad, wie beispielsweise bei Professional Services, vorteilhaft. Es ist davon auszugehen, dass kulturell heterogene Berateroder Werbeagenturteams kreativere Ergebnisse als kulturell homogene Teams erzielen, da sie auf unterschiedliche mentale Modelle und Formen der Wahrnehmung zurückgreifen können. Dieses vermehrte Problemlösungs- und Kreativitätspotenzial der heterogenen Teams wird jedoch nur seine kreativitätssteigernde Wirkung entfalten, sofern kulturelle Beziehungskonflikte kontrolliert werden können. Eine Begrenzung der Beziehungskonflikte kann beispielsweise durch die moderierende Wirkung von Vertrauen erzielt werden, denn bei starkem Vertrauen innerhalb der Teams gehen Aufgabenkonflikte nur mit schwachen Beziehungskonflikten einher, wohingegen bei geringem Vertrauen die Beziehungskonflikte stärker sind (Simons/Peterson 2000). Die kreativitätssteigernde Wirkung gilt auch für kulturell heterogene Gruppen, die sich sowohl aus Kunden als auch aus Dienstleistern zusammensetzen. Ein Beispiel hierfür ist eine Projektgruppe, die im Rahmen eines Beratungsprojektes sowohl Mitglieder des zu beratenden Unternehmens als auch Unternehmensberater umfasst. Auch für Gruppen, die sich nur aus heterogenen Kunden zusammensetzen, ist die kreativitätssteigernde Wirkung anzunehmen, wobei im Rahmen von Dienstleistungsprozessen es eher unwahrscheinlich sein dürfte, dass Kunden vor der Herausforderung stehen, gemeinsam neuartige Probleme zu lösen. Bei Dienstleistungsprozessen mit einem hohen Routinegrad ist indes hohe kulturelle Diversität nachteilig, da Diskussionen über die Vorgehensweise der Aufgabenlösung und zwischenmenschliche Spannungen für die Ausführung der Routine kontraproduktiv sind (Jehn 1995). So führt beispielsweise in einem Fast-Food Restaurant nicht die kritische Auseinandersetzung mit der Aufgabe oder die Suche nach kreativen Lösungen, sondern vielmehr die einfache Ausführung der Routinetätigkeiten zu einer hohen Produktivität des Dienstleistungsprozesses. Moderate kulturelle Diversität hingegen kann mit starken Faultlines einhergehen. Wie bereits dargelegt, können diese die Zusammenarbeit in der Gesamtgruppe empfindlich stören, da sie Inter-Subgruppenkonflikte schüren. Zudem behindern starke kulturelle Faultlines den freien Ideenaustausch innerhalb der Gesamtgruppe. Grundsätzlich ist daher anzunehmen, dass starke kulturelle Faultlines die Performance von Gruppen auf Ebene der Kunden, auf Ebene der Dienstleister oder zwischen Kunde und Dienstleister im Rahmen des Dienstleistungsprozesses mindern. Allerdings dürfte dieser negative Effekt bei Dienstleistungsprozessen mit niedrigem Routinegrad stärker ausfallen als bei Dienstleistungsprozessen mit einem hohem Routinegrad, da erstere kreative Lösungen erfordern.
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5.3 Inter-Kundenkontaktgeprägte Dienstleistungsprozesse Welche Wirkungen kulturelle Diversität bei hohem Inter-Kundenkontakt entfalten können, ist bislang kaum untersucht worden. Dabei können kulturell unterschiedliche Ausprägungen der Kunden zu Friktionen im Dienstleistungsprozess führen und sich insofern mindernd auf die Dienstleistungsproduktivität auswirken. Beispielsweise wird es zu Beziehungskonflikten zwischen Urlaubern kommen, die ein unterschiedliches Territorialverständnis haben. Urlauber mit einem stark ausgeprägten Territorialverständnis gehen davon aus, dass die einmal gewählte Liege am Pool oder der einmal gewählte Tisch im Restaurant zum ihrem Territorium gehört. Urlauber mit einem nicht so stark ausgeprägten Territorialverständnis hingegen sehen in der Liege oder dem Tisch kein zu verteidigendes Gebiet. Legt sich nun ein Urlauber mit einem gering ausgeprägten Territorialverständnis auf die Liege, die ein anderer Urlauber zu seinem Territorium zählt, wird es zu einem Beziehungskonflikt zwischen den beiden Urlaubern kommen. Der Urlauber mit dem stark ausgeprägten Territorialverständnis wird versuchen, sein Territorium zu verteidigen, wohingegen der andere Urlauber dieses Verhalten aufgrund seiner kulturellen Ausprägung nicht verstehen wird. Auch bei der Nutzung von Beförderungsleistungen (Bahn, Bus, Taxi, Flugzeug) sind unterschiedliche Bedürfnisse von Distanz zu beachten. Finden sich Kunden, wie in Sportkursen, regelmäßig in Gruppen zusammen, kommen die bereits beschriebenen Wirkungen kultureller Diversität bei teambasierten Dienstleistungsprozessen zum Tragen. So wird eine hohe kulturelle Diversität die Kooperationsbereitschaft sowie die Gruppenkohäsion innerhalb des Sportkurses beeinträchtigen. Das Treffen von Fehlentscheidungen durch die erhöhte Gefahr des Groupthink bei niedriger Diversität ist auf Ebene der Kunden von geringer Bedeutung, da Kunden untereinander im Verlauf des Dienstleistungsprozesses keine schwerwiegenden Probleme zu lösen haben, die die Produktivität des Dienstleistungsprozesses erheblich beeinflussen könnten. Allerdings kann kulturelle Diversität auch essentiell für eine hohe Dienstleistungsproduktivität sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Urlaub unter anderem dem Kennenlernen von kulturell andersartigen Individuen dient. Ein Fehlen von kultureller Diversität auf Kundenebene würde sich dann negativ auf die Dienstleistungsproduktivität auswirken.
5.4 Interaktionsgeprägte Dienstleistungsprozesse Kulturelle Diversität zwischen Kunde und Dienstleister manifestiert sich in unterschiedlichen Erwartungen an die Interaktion im Rahmen des Dienstleistungsprozesses (Hadwich/Bothe 2010). Kulturspezifische Erwartungen an die Interaktion im Dienstleistungsprozess sind bereits empirisch untersucht worden (Donthu/Yoo 1998; Furrer et al. 2000). Zum Beispiel sind im Rahmen des SERVQUAL-Konzeptes die Dimensionen Souveränitätserwartungen (Kompetenz, Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit, Zuvorkommenheit) und Einfühlungsvermögen (Erreichbarkeit, Kommunikation, Kundenverständnis) im Zusammenhang mit Individualismus und Kollektivismus betrachtet worden. Nach Donthu/Yoo (1998) erwarten Individualisten hohe Souveränität und ein hohes Ein-
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fühlungsvermögen des Dienstleisters im Gegensatz zu Kollektivisten. Furrer et al. (2000) haben hingegen festgestellt, dass Individualisten niedrigere Erwartungen an die Souveränität und das Einfühlungsvermögen des Dienstleisters haben, da Individualisten selbstbewusster agieren und eine gewisse Distanz zum Dienstleister im Gegensatz zu Kollektivisten wahren. Unabhängig davon, in welche Richtung der Zusammenhang letztendlich besteht, wird es zu Konflikten kommen, wenn ein individualistisch geprägter Kunde mit einem kollektivistisch geprägten Dienstleister interagiert. Es besteht zudem die Gefahr, dass der Kunde dem Dienstleister aufgrund der kulturellen Andersartigkeit mangelnde Kompetenz oder eine schlechte Dienstleistungsqualität attribuiert. Wenn solche Konflikte zwischen Kunde und Dienstleister bereits während der Kontaktanbahnung in der Potenzialphase auftreten, ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Kunde die Beziehung zum Dienstleister beendet und somit der Dienstleistungsprozess bereits in der Potenzialphase ein frühes Ende findet. Beispielsweise wird ein gering kontextorientierter Kunde, der eine sehr sach- und zielorientierte Abstimmung mit einem Unternehmensberater über das Leistungspotenzial erwartet, vermutlich einen stark kontextorientieren Unternehmensberater als befremdlich wahrnehmen und eventuell sogar hieraus dem Berater eine unzureichende Kompetenz zu schreiben. Unterschiedliche Erwartungen an die Interaktion im Dienstleistungsprozess treten zwar unabhängig vom Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister auf, jedoch können die Auswirkungen bei hoher Interaktion erheblich stärker ausfallen. So wird sich z.B. kulturelle Diversität zwischen einem Kunden und einem Zeitungsverkäufer im Gegensatz zu einem Kunden und seinem Unternehmensberater deutlich geringfügiger auf die Produktivität des Dienstleistungsprozess auswirken. Friktionen im Dienstleistungsprozess können allerdings ebenso entstehen, wenn die Erwartungen des Dienstleisters an den Kunden aufgrund von kultureller Diversität nicht erfüllt werden (Stauss/Mang 1999). So hat der Dienstleister ebenfalls bestimmte Erwartungen an das Verhalten des Kunden während der Interaktion. Falls das kulturspezifische Verhalten des Kunden nicht den Erwartungen des Dienstleisters entspricht, kann hieraus die Interaktion zwischen Kunde und Dienstleister erschwert und möglicherweise die Dienstleistungsqualität und insofern auch die Produktivität des Dienstleistungsprozesses gemindert werden. Gerade dies müssen Dienstleister bei internationaler Expansion beachten. Neben den kulturspezifischen Erwartungen kann zudem die Problematik bestehen, dass Kunde oder Dienstleister bestimmte Interaktionsformen zwar im Rahmen des Dienstleistungsprozesses erwarten, diese dennoch im Widerspruch zu ihrer kulturellen Ausprägung stehen. So wird ein Kunde mit einem sehr ausgeprägten persönlichen Raumverständnis es als unangenehm empfinden, wenn der Arzt im Rahmen der Untersuchung die Grenze des persönlichen Raums des Kunden überschreiten muss. Ohne diese Überschreitung wird der Arzt jedoch die Behandlung nicht praktizieren können. Hier besteht die Gefahr, dass der Kunde aufgrund seiner kulturellen Ausprägung versuchen wird, die Dienstleistung erst gar nicht in Anspruch zu nehmen.
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Produktivitätssteigernd kann hingegen kulturelle Diversität wirken, wenn der interaktionsgeprägte Dienstleistungsprozess zudem einen niedrigen Routinegrad aufweist. Wie bereits in Abschnitt 5.2 erörtert worden ist, kann eine hohe kulturelle Diversität durch die kreativitätsfördernde Wirkung die Produktivität des Dienstleistungsprozesses erhöhen, sofern Beziehungskonflikte zwischen Kunde und Dienstleister begrenzt werden. Eine niedrige Diversität hingegen fördert zwar die Gruppenkohäsion, führt aber auch zu einer vermehrten Gefahr des Groupthink. Bei einem hohen Routinegrad behindert indes eine hohe kulturelle Diversität zwischen Kunde und Dienstleister die optimale Ausführung der Routine. Hier ist eine niedrige kulturelle Diversität produktivitätssteigernd.
6.
Fazit
Das Ziel des Beitrags lag darin, Diversitätswirkungen bei Dienstleistungen systematisch zu diskutieren. So wurden anhand einer Systematisierung von Diversitätskontakten die Auswirkungen kultureller Diversität auf die Produktivität für die hier klassifizierten Dienstleistungsprozesse erörtert. Diese Klassifikation ermöglicht eine differenzierte Betrachtung. Es zeigte sich, dass hohe kulturelle Diversität sowohl die Produktivität der Dienstleistungsprozesse steigern als auch mindern kann. So geht hohe kulturelle Diversität bei teambasierten Dienstleistungsprozessen mit einer kreativitätssteigernden Wirkung, aber auch mit zwischenmenschlichen Spannungen einher. Hohe kulturelle Diversität wird daher vor allem bei Dienstleistungsprozessen mit einem niedrigen Routinegrad eine produktivitätssteigernde Wirkung entfalten, wohingegen hohe kulturelle Diversität bei routinegeprägten Dienstleistungsprozessen kontraproduktiv wirkt, da die aus ihr resultierenden Konflikte von der Ausführung der Routine ablenken. Bei teambasierten Dienstleistungsprozessen besteht bei moderater kultureller Diversität die Gefahr der Faultlines, die Inter-Subgruppenkonflikte schüren, die Gruppenkohäsion der Gesamtgruppe mindern, sowie zu Kommunikationsproblemen zwischen den Subgruppen führen. Nachteilhaft für die Produktivität ist eine hohe kulturelle Diversität insbesondere bei Dienstleistungsprozessen mit einem hohen Inter-Kundenkontakt, sofern kulturelle Vielfalt im Dienstleistungsprozess vom Kunden nicht erwünscht ist, und bei interaktionsgeprägten Dienstleistungsprozessen zwischen Kunde und Dienstleister, sofern keine kreativen Lösungen notwendig sind.
Abbildung 3: Kulturelle Diversität in Dienstleistungsprozessen
Starke Faultlines bei moderater Diversität
Hohe Diversität
Niedrige Diversität
Prozessphasen
Ebene
Niedrig
Routinegrad Hoch
Produktivitätsfördernd, da bessere Ausnutzung des Kreativitätspotenzials
Produktivitätsmindernd, da geringeres Kreativitätspotenzial als bei hoher kultureller Diversität
Produktivitätsmindernd, da Konflikte eine optimale Ausführung der Routine behindern
Produktivitätsfördernd, da optimale Ausführung der Routine
Produktivitätsmindernd, da zwischenmenschliche Spannungen
Produktivitätsfördernd, da essentiell für bestimmte Dienstleistungen;
Produktivitätsfördernd, da keine kulturbedingten Konflikte
Produktivitätsmindernd, da zwischenmenschliche Spannungen und unterschiedliche Erwartungen an die Interaktion
Produktivitätsfördernd, da keine kulturbedingten Konflikte und keine kulturspezifischen Erwartungen
Zwischen Kunde und Dienstleister
Hoher Interaktionsgrad zwischen Kunde und Dienstleister
Produktivitätsmindernd, da Inter-Subgruppenkonf likte, niedrige Gruppenkohäsion in der Gesamtgruppe und Kommunikationsprobleme zwischen den Subgruppen
Produktivitätsmindernd, da zwischenmenschlische Spannungen
Produktivitätsfördernd, da bessere Ausnutzung des Kreativitätspotenzials;
Produktivitätsmindernd, da Gefahr des Groupthink
Produktivitätsfördernd, da hohe Gruppenkohäsion und Kooperationsbereitschaft;
Kunden
Hohe InterKundeninteraktion
Potential-, Prozess-, Ergebnisphase
(Kunden), zwischen Kunde und Dienstleister, Dienstleister
Teambasiertheit
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Abbildung 3 fasst die Ergebnisse zu den Auswirkungen kultureller Diversität auf die Produktivität der in dieser Arbeit differenzierten Dienstleistungsprozesse zusammen. Als Implikationen für das Dienstleistungsmanagement lässt sich insoweit ableiten, dass kulturelle Diversität in Dienstleistungsprozessen produktivitätssenkend wirkt; es sei denn, der Dienstleistungsprozess weist einen niedrigen Routinegrad auf, oder kulturelle Diversität wird vom Kunden erwünscht. Zudem sollte bei der Teamzusammensetzung auf eine moderate kulturelle Diversität verzichtet werden, da diese die Subgruppenbildung fördert. Diese Schlussfolgerungen sind jedoch oft nicht praktikabel, da aufgrund der Mobilität der Arbeitnehmer und der Internationalisierung von Unternehmen kulturelle Diversität in Dienstleistungsprozessen oft unvermeidbar ist. Daher bedarf es Überlegungen, wie im Rahmen des Dienstleistungsmanagements mit kultureller Diversität umzugehen ist, um trotzdem eine hohe Produktivität der Dienstleistungsprozesse zu gewährleisten. Hierbei dürfte die Schulung des Dienstleistungspersonals im Vordergrund stehen. Mit interkulturellen Trainings lässt sich beispielsweise die Sensibilität und das Verständnis gegenüber Individuen anderer Kulturen schulen (Podsiadlowski 2002). Ferner ist denkbar, dass die Beurteilung von Diversität durch Kunden oder Mitarbeitende stark von dem Dienstleistungskontext geprägt ist. Wenn Kunden oder Mitarbeitende eine hohe Diversität erwarten, z.B. bei touristischen Destinationen, dann ist eine negative Beurteilung weniger wahrscheinlich. Auch ist denkbar, dass das regionale Umfeld der Dienstleistung die Erwartungen und letztlich die Produktivität prägt. Wird eine Dienstleistung in einem kulturell diversen Umfeld wie in Großstadtbezirken mit hoher kultureller Vielfalt, dann wird auch die Erwartung an die Dienstleistung weniger monokulturell geprägt sein. Dies könnte dann z.B. für ein Krankenhaus mit kulturell diverser Mitarbeiterschaft und Patienten in London oder Berlin gelten. Die Vielfalt von Dienstleistungen und der große Möglichkeitsraum unterschiedlichster Kombinationen von kulturellen Dimensionen und somit Diversitäten limitiert natürlich die spezifische Aussagekraft dieses Beitrags. Dennoch eignen sich die hier eingeführten Systematisierungen, um in der Forschung und Dienstleistungspraxis Wirkungen durch kulturelle Diversitäten abzuschätzen. Zudem zeigt dieser Beitrag, dass sich mit der kulturellen Diversität bei Dienstleistungsprozessen ein großes Forschungsfeld auftut. Erforderlich sind nun empirische Studien zu Wirkungen kultureller Diversität in unterschiedlichen Dienstleistungsbranchen und Dienstleistungsprozessen sowie bei unterschiedlichen Dienstleistungskontaktpunkten.
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Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien von Handelsunternehmen
1. Einführung 2. Systematisierung von Internationalisierungsstrategien 2.1 Achsen des Integration-Responsiveness-Frameworks 2.2 Typen von Internationalisierungsstrategien 2.3 Internationalisierungsstrategien und Erfolg/Produktivität 2.4 Internationalisierungsstrategien und Handelsbranche 3. Empirische Studie 3.1 Aufbau und Datenbasis 3.2 Operationalisierungen 3.3 Hypothesentests 3.3.1 Branchenübergreifende Ergebnisse 3.3.2 Branchenspezifische Ergebnisse 4. Diskussion Literaturverzeichnis Anhang ___________________________ Prof. Dr. Bernhard Swoboda ist Inhaber der Professur für Marketing und Handel an der Universität Trier. Dipl.-Kfm. Stefan Elsner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an dieser Professur.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einführung
Dieser Beitrag untersucht auf Basis des Integration-Responsiveness-(IR-)Frameworks die Präferenzen von Handelsunternehmen für Internationalisierungsstrategien sowie Erfolgs-/ Produktivitätsunterschiede einzelner Internationalisierungsstrategien. Darüber hinaus wird zwischen Food-/Near-Food- und Non-Food-Handelsunternehmen kontrastiert. Der Handel ist nicht mehr ein pures regionales oder lokales Geschäft. Unternehmen wie Carrefour und Metro sowie Zara und Hennes & Mauritz haben seit den neunziger Jahren absatzseitig dynamisch internationalisiert. Sie realisieren heute den Großteil ihrer Umsätze im Ausland und haben jeweils über 30 Länder betreten. Ähnliches ist für weniger bekannte Unternehmen zu konstatieren. Indessen wird der Handel in der internationalen Managementforschung selten betrachtet. Internationalisierungsstrategien sind allerdings nicht nur für Industrieunternehmen relevant, sondern auch für Handelsunternehmen, wie die ersten Studien hierzu bereits andeuten (Treadgold 1988; Salmon/Tordjman 1989). Auf der anderen Seite wurde bisher kaum empirisch adressiert, ob Präferenzen für Strategien in Handelsbranchen bestehen und welche Strategien erfolgreicher sind. Vor allem, die vorliegenden Beiträge lassen offen, wie viele Strategien genutzt werden:
Sind es nur zwei, so eine multinationale und eine globale Strategie (Salmon/ Tordjman 1989; Alexander/Lockwood 1996; Sternquist 1997; Pederzoli 2006), oder bilden die transnationale Strategie (Treadgold 1990/1991) oder sogar eine vierte, internationale oder heimatmarktorientierte Strategie (Helfferich/Hinfelaar/Kasper 1997; Alexander/Myers 2000; Hutchinson et al. 2005) den Kern der Betrachtung, oder sind andere Typologien hilfreicher (Goldman 2001; Rugman/Girod 2003; Leknes/Carr 2004)?
Die Forschung zur Internationalisierung des Handels weist (1) inkonsistente Konzeptualisierungen und (2) kaum empirische Ergebnisse auf, was besonders offensichtlich wird, wenn ein Vergleich zur Forschung bei produzierenden Unternehmen vorgenommen wird (Harzing 2000; Andersen/Joshi 2008; Asmussen 2008). Dabei ist offensichtlich, dass internationale Handelsunternehmen sich durch Besonderheiten ihrer Internationalisierung von Industrieunternehmen unterscheiden (vgl. hierzu Dawson 1994; Sparks 1995, Currah/Wrigley 2004), sodass eine spezifische Betrachtung des IRFrameworks, das im Rahmen von Industrieunternehmen entwickelt wurde, notwendig ist. Die genannten Studien zu den Internationalisierungsstrategien des Handels fokussieren sich nur wenig auf das IR-Framework (Bartlett/Ghoshal 1989), obwohl sie multinationale und globale Unternehmen unterscheiden. Ferner ist das Verständnis von Strategien nicht einheitlich. Rugman und Girod (2003) etwa sehen nur ein einziges globales Unternehmen (LVMH, in einem geografischen Sinne), während Pederzoli (2006) globale Stra-
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tegien als am stärksten im französischen Handel vertreten sieht. Schließlich sind empirische Studien zur Internationalisierung des Handels selten und die größten Studien umfassen 102 bzw. 80 Handelsunternehmen (zur Kultur und zum Markteintritt vgl. Vida 2000; Evans/Mavondo 2002). Somit liegt die Zielsetzung dieses Beitrags darin, auf Basis einer empirischen Studie zum IR-Framework im Handel drei Fragen zu beantworten:
Welche Internationalisierungsstrategien werden im Handel verfolgt? Welche der Strategien ist die erfolgreichste und die produktivste? Werden bestimmte Strategien in bestimmten Handelsbranchen bevorzugt?
Eine Internationalisierungsstrategie ist hierbei definiert als eine strategische Basisorientierung des Handelsunternehmens. Diese so genannte Basisentscheidung determiniert weitere Folgeentscheidungen, wie beispielsweise die Formattransferstrategie (Goldman 2001), und ist somit für Manager interessant. Der Erfolg und die Produktivität beziehen sich dabei auf die jeweiligen Auslandsaktivitäten und gehen somit über die im Handel übliche Betrachtung der Gesamtunternehmensebene (z.B. Keh/Chu 2003) oder die einzelner Läden (z.B. Thomas et al. 1998) hinaus. Im Folgenden wird zunächst das IR-Framework als Basis präsentiert. Bei der Hypothesenableitung werden zuerst Ergebnisse zu produzierenden Unternehmen adressiert, bevor handelsspezifische Ergebnisse und Argumente herangezogen werden, da das Wissen über die Internationalisierungsstrategien im Handel gegenwärtig sehr gering ist. Anschließend erfolgt die Darstellung der Methodik, welche unter anderem intensive PreTests und eine zweigeteilte Messung des IR-Frameworks in persönlichen Gesprächen (Achsen und Selbsteinordnung) umfasst. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und Schlussfolgerungen gezogen, bevor Limitationen die Studie beschließen.
2.
Systematisierung von Internationalisierungsstrategien
Systematisierungen sind hilfreich, um die Komplexität von Strategietypen und Entscheidungen zu reduzieren. Demzufolge wurde das IR-Framework als konzeptionelle Basis gewählt, da es die Analyse der Strategiewahl erlaubt und spezifische Treiber der Strategiewahl thematisiert. Dies ist eine wichtige Basis unserer Argumentation, denn Handelsunternehmen sind meistens von den lokalen Konsumenten abhängig und haben zugleich die Notwendigkeit, Skaleneffekte zu realisieren. Des Weiteren folgen wir mit der Wahl des IR-Frameworks der Forderung von Ketchen, Thomas und Snow (1993) bekannte Typologien zu nutzen, statt der Entwicklung neuer Typologien (wie bei Goldman 2001).
2.1 Achsen des Integration-Responsiveness-Frameworks Basierend auf vorhergehenden Studien (Lawrence/Lorsch 1967; Fayerweather 1969; Prahalad 1975) wird das IR-Framework ausgeführt. Prahalad und Doz (1987) und Bartlett und Ghoshal (1989) sehen Multinationale Unternehmen (MNU) im Spannungsfeld
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zwischen der Notwendigkeit zur Adaption an lokale Bedürfnisse einerseits und einer globalen Integration andererseits. Entsprechend nennen sie als Managementanforderungen (Bartlett/Beamish 2010):
„Globale Integration“ meint die Zentralisierung des Managements von geografisch weit verzweigten Aktivitäten. Diese Organisationsstruktur resultiert aus dem Druck, Kosten zu reduzieren und Return on Investments zu maximieren. Weitere Faktoren, die den Druck zur Integration bedingen, sind beispielsweise eine hohe Technologieintensität und hohe Reputation der Branche. Des Weiteren wird unter der globalen Integration auch die strategische Koordination subsumiert, die essenziell ist, um die Balance zwischen einzusetzenden Ressourcen und angestrebten Wettbewerbsvorteilen zu erreichen. Beispiele für derartige Anforderungen der Märkte sind die Bedeutung von internationalen Kunden, die Präsenz internationaler Wettbewerber oder eine steigende internationale Investitionsintensität. „Local Responsiveness“ ist verbunden mit den autonomen Entscheidungen der Auslandseinheiten, die notwendig sind, um lokale Bedürfnisse adäquat zu adressieren. Dies ist insbesondere in jenen Branchen relevant, in denen eine Anpassung von Produkten und Services an die lokalen Marktbedürfnisse nötig ist. Unterschiede in den Kundenpräferenzen, in der Marktstruktur, die Existenz lokaler Wettbewerber oder rechtliche Vorschriften im Auslandsmarkt sind Beispiele für derartige „pressures“ auf Unternehmen, lokal zu adaptieren.
Eine Möglichkeit zur Betrachtung der Wahl der Internationalisierungsstrategie basiert auf diesen Achsen. Die meisten Studien sehen die Achsen unabhängig voneinander, während Devinney, Midgley und Venaik (2000) anhand von Fallbeispielen zeigen, dass Zusammenhänge existieren können. Auch Prahalad und Doz (1987) haben ihre multifokale Strategie zwischen die globale Integration und lokalen Anpassung positioniert, was einen Zusammenhang andeutet. Die Autoren argumentieren, dass ein effektives Management auf Märkten mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen mit unterschiedlichen Aktivitäten eingeht, während diese Aktivitäten aber auch integriert sein müssen, um ökonomisch effizient zu sein. Venaik, Midgley und Devinney (2004) sehen im IRFramework eine Vermischung von Gründen („pressures“) und Effekten (Strategien). Auch Andersen und Joshi (2008) empfehlen den ressourcenorientierten Ansatz als Ergänzung zum IR-Framework. Dennoch bietet das IR-Framework Argumente auf unterschiedlichen Ebenen, so der Ebene der Muttergesellschaft (präferierte strategische Orientierung) und auf der Ebene der Auslandseinheiten, wo Handelsunternehmen mit den spezifischen Gastlandbedingungen konfrontiert sind. Diese Studie fokussiert sich auf die Sicht der Muttergesellschaft (als Überblick vgl. Harzing 2000).
268
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
2.2 Typen von Internationalisierungsstrategien Prahalad und Doz (1987) unterscheiden drei Internationalisierungsstrategien. Bartlett und Ghoshal (1989) unterscheiden eine mehr, die als Phänomen für Firmen in ersten Phasen der Internationalisierung gesehen werden kann. Darüber hinaus basiert ihre Argumentation auf Wettbewerbsvorteilen. Wenn ein Unternehmen globale Integration (Effizienz) oder lokale Adaption (Flexibilität) bevorzugt, dann kann es Wettbewerbsvorteile etablieren auf Basis von nationalen Unterschieden, Skaleneffekten, Auslandswissen usw. Daraus resultieren vier Strategietypen (Bartlett/Ghoshal 1989; Harzing 2000):
Heimatmarktorientiert: Unternehmen mit dieser Strategie adaptieren wenig in Gastländern und integrieren ihre Auslandseinheiten nicht sehr stark, das heisst, sie sind eher ein verlängerter Arm der Muttergesellschaft. Diese Strategie umfasst die Bemühungen, die Vorteile und das Wissen, das im Heimatmarkt gewonnen wurde, weltweit zu nutzen. Auslandsaktivitäten stützen den Heimatmarkt und die Auslandseinheiten sind abgängig vom Heimatmarkt. Global: Unternehmen versuchen durch Rationalisierung Kostenffizienzen zu erzielen, indem sie Skaleneffekte oder eine globale Reputation nutzen, was durch Standardisierung von Produkten und Services und eine geografische Konzentration der Auslandsaktivitäten erfolgen kann. Informationen und Wettbewerbsvorteile fließen meistens in eine Richtung, von der Muttergesellschaft zu den Auslandseinheiten. Deren wichtigste Herausforderung ist die Implementierung der Strategie, die von der Muttergesellschaft vorgegeben wurde. Multinational: Unternehmen sind durch ihre Sensitivität zu den Gastländern, so die lokalen Kundenbedürfnisse oder lokalen administrativen Vorschriften gekennzeichnet, indem sie eine Differenzierung der Produkte und Services vornehmen, autonome Auslandseinheiten und geografisch verteilte Aktivitäten realisieren. Produkte und Services sind adaptiert, um die lokalen Bedürfnisse adäquat zu berücksichtigen. Die Auslandseinheiten agieren relativ unabhängig voneinander und von der Zentrale. Transnational: Das Ziel dieser Unternehmen ist es, sich an die lokalen Gastlandbedingungen anzupassen und zugleich Effizienz zu erzielen. Ressourcen, Verantwortlichkeiten und das Wissen sind auf Basis der spezifischen Fähigkeiten der Auslandseinheiten verteilt. Somit existiert eine reziproke Abhängigkeit zwischen Headquarter und Auslandseinheiten. Breites Auslandswissen kann in einzelnen Ländern entstehen und kann in andere Länder transferiert werden. Der Austausch von Informationen, Mitarbeitenden usw. erfolgt zwischen allen Einheiten.
Studien zu produzierenden Unternehmen sind oft auf die von einem Unternehmen gewählte Internationalisierungsstrategie bezogen; andere messen die Achsen des Frameworks, um die Strategien zu erklären (Harzing 2000). Die IR-Achsen wurden in der Handelsforschung empirisch nicht betrachtet. Treadgold (1990/1991) und Salmon und Tordjman (1989) erwähnen die Achsen nur und die meisten Studien fokussieren nur globale and multinationale Strategien, was die Idee der Abhängigkeit der Achsen stützt (Alexander/Lockwood 1996; Sternquist 1997). Goldman (2001) zeigt sogar sechs Handelsstrategien nur auf Basis der Achse „responsiveness“ (Adaption vs. Standardisierung).
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
269
Bartlett und Ghoshal (1989) folgend kann argumentiert werden, dass vier Internationalisierungsstrategien existieren. Stützende Befunde im Handel basieren auf konzeptionellen und fallstudienbasierten Ausführungen (Helfferichet al. 1997; Alexander/Myers 2000; Hutchinson et al. 2005). Mit Bezug zu produzierenden Unternehmen stützen Leong und Tan (1993) die Existenz von vier Strategien. Ähnliches deuten Roth und Morrison (1990) an, die drei Strategien identifizieren, aber gering internationalisierte Unternehmen nicht betrachten. Hierauf basierend hypothetisieren wir: H 1:
Handelsunternehmen verfügen über eine Internationalisierungsstrategie, die entweder global, multinational, transnational oder heimatmarktorientiert ist.
Diese Hypothese kann durch das Auffinden von drei oder mehr Strategien widerlegt werden.
2.3 Internationalisierungsstrategien und Erfolg/Produktivität Bezüglich des Erfolgs internationaler Unternehmen können zwei Sichtweisen verfolgt werden: Einerseits eine gleichmäßig Performance aller Strategietypen oder ein überlegener Strategietyp. In der Konfigurationsforschung wird, nach der Etablierung einer Strategie, ein Test gefordert, ob unterschiedliche Strategien identifiziert werden können, die gleich erfolgreich sind. Einen derartigen Einfluss zum Erfolg zeigen Slater, Olson und Hult (2006, für die Miles/Snow-Typologie). Strategien können zum ähnlichen Erfolg führen, wenn sie zur Umwelt „passen” und wenn sie adäquat implementiert sind (Taggart 1997; Venaik et al. 2004). Auf der anderen Seite argumentieren Ketchen, Thomas und Snow (1993), dass Internationalisierungsstrategien alleine den Erfolg eines Unternehmens nicht erklären können. Zweitens wird argumentiert, dass die transnationale Strategie den anderen Strategien überlegen ist. Allerdings fand Johnson (1995) keine Bestätigung hierfür und Roth und Morrison (1990) fanden keine signifikanten Differenzen beim Erfolg zwischen drei Strategien. Demgegenüber zeigten Andersen und Joshi (2008) Erfolgsunterschiede zwischen allen Internationalisierungsstrategien. Wasilewski (2002) stützt das Modell einer überlegenen transnationalen Strategie. Studien zum internationalen Handel verbinden internationalen Erfolg mit einer stärkeren Anpassung an lokale Märkte (Bianchi/Ostale 2006). Andererseits stehen internationale Handelsunternehmen unter hohem Kostendruck und sind genötigt Skalen- und Verbundeffekt zu realisieren. Darüber hinausgehende empirische Ergebnisse fehlen. In der gesamten internationalen Handelsliteratur behandeln nur wenige Studien den Erfolg (vgl. den Überblick bei Swoboda et al. 2009). Produktivitätsbetrachtungen fehlen weitgehend, zumindest auf der Ebene internationaler Unternehmen (meistens liegen hierzu nichtkomparative, länderspezifische Studien vor, die die Produktivität des Handels in einem Land betreffen). Allerdings legen Fallstudienanalysen nahe, dass eine transnationale Strategie erfolgreicher ist. Sie mag ebenfalls produktiver sein, denn hier wird eine stär-
270
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
kere Adaption an den Markt bei gleichzeitig hoher Integration realisiert. Wir hypothetisieren daher: H2:
Transnationale Handelsunternehmen sind (a) erfolgreicher und (b) produktiver als Handelsunternehmen mit einer alternativen Internationalisierungsstrategie.
2.4 Internationalisierungsstrategien und Handelsbranche Eine Strategietypologie hat eine stärkere Erklärungskraft, wenn sie auf Branchenebene betrachtet wird (Ketchen et al. 1997; Kabadayi et al. 2007). Der Fokus auf Handelsunternehmen ist eine entsprechende Eingrenzung, während eine weitergehende Eingrenzung die Erklärungskraft der Beobachtungen steigern müsste. Somit ist es vorteilhaft zu hinterfragen, ob Unternehmen aus dem Food/Near-Food-Handel und solche aus dem Non-food-Handel Unterschiede in der Internationalisierungsstrategie aufweisen. Ferner ist fraglich, ob unterschiedliche Strategien in beiden Branchen zu einem unterschiedlichen Erfolg führen. Internationalisierungsstrategie und Handelsbranche Die Literatur zu produzierenden Unternehmen stützt die Notwendigkeit, unterschiedliche Branchen abzugrenzen (Birkinshaw et al. 1995). Insbesondere in Lehrbüchern wird die Branchenstruktur als Determinante der Strategieorientierung thematisiert und es wird argumentiert, dass Branchen wie Food, Konsumgüter, oder Metallverarbeitung stärker adaptieren, während die Integration in der Zuliefer-, der Computer- und der Automobilindustrie dominiert (Beamish et al. 2000; Yip 2003). Genauso weisen Andersen und Joshi (2008) empirisch Unterschiede hinsichtlich der Internationalisierungsstrategie zwischen verschiedenen Branchen nach. In der Handelsforschung zur Wahl der Internationalisierungsstrategie werden meist Kurzbeispiele oder Fallstudien genutzt. Treadgold (1990/1991) und Leknes und Carr (2004) ordnen Handelsunternehmen den Strategien zu, wobei einzelne Strategien von Fashion-Händlern präferiert werden und andere von anderen Handelsunternehmen. Nur wenige Studien adressieren verschiedene Handelsbranchen. So zeigt Myers (2003), dass Fashionhändler eine Eintrittsstrategie mit geringen Kosten bevorzugen, während WalMart Eintrittsstrategien mit einem hohen Grad an Kontrolle bevorzugt (Fernie/Arnold 2002). Alexander, Quinn und Cairns (2005) und Tatoglu, Demirbag und Kaplan (2003) zeigen, dass Skaleneffekte und die Rechtsvorschriften eines Landes wichtiger im Food/Near-Food-Handel sind, während Fashionhändler stärker durch die Unternehmensreputation bestimmt sind. Als Schlussfolgerung erscheint es rational, dass Strategien handelsbranchenspezifisch gewählt werden. Food-/ Near-Food-Händler haben beispielsweise einen größeren Druck, sich an lokale Geschmacksunterschiede zu adaptieren und müssen auch lokale Lieferanten wählen. Daher kann geschlussfolgert werden:
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien H 3:
271
Non-Food-Handelsunternehmen tendieren zu einer globalen Internationalisierungsstrategie, während Food/Near-Food-Handelsunternehmen stärker zur multinationalen Strategie tendieren.
Internationalisierungsstrategie, Erfolg/Produktivität und Handelsbranche Wenn Unternehmen von ihrem branchenspezifischen Umfeld beeinflusst werden, dann sollten der Erfolg und die Produktivität unterschiedlicher Strategien im Food-/NearFood-Handel und im Non-Food-Handel nachweisbar sein. Studien, die den Erfolg im Kontext des IR-Frameworks betrachten, sind oft branchenübergreifend. Einzig Johnson (1995) testet das IR-Framework in einer Branche, fand allerdings keine signifikanten Erfolgsunterschiede zwischen den Clustern. Wie bereits ausgeführt, argumentiert Asmussen (2008) kontingenztheoretisch, dass weder die Strategie noch die Branche den Unternehmenserfolg erklären. Allerdings zeigen Andersen und Joshi (2008) Erfolgsunterschiede zwischen Branchen und identifizieren unterschiedliche Erfolgscluster in den jeweiligen Branchen. Die Literatur zur Internationalisierung des Handels bietet hierzu kaum empirische Erkenntnisse. Wenn wir aber der obigen Linie folgend argumentieren (Alexander et al. 2005), dass Food-/Near-Food- und Non-Food-Branchen zwei unterschiedliche Branchengruppen sind, und dass auf Basis deren unterschiedlichen Charakteristika unterschiedliche Anforderungen an Integration oder “responsiveness” vorliegen, dann kann folgende Hypothese auch bezüglich der Produktivität formuliert werden: H 4:
3.
Unterschiedliche Strategien von Handelsunternehmen in den Branchen Food/Near-Food und Non-Food führen zu Unterschieden bei (a) Erfolg und (b) Produktivität.
Empirische Studie
3.1 Aufbau und Datenbasis Wir identifizierten 194 absatzseitig international agierende Handelsunternehmen in deutschsprachigen Ländern, informierten alle Vorstände persönlich über die Studie und baten um ein Interview in der Zentrale. Dies erfolgte zunächst per postalischem Anschreiben, gefolgt von mehreren Telefonanrufen. Zudem wurden persönliche Kontakte zu Handelsunternehmen genutzt, um die Stichprobe zu entwickeln. 81 Handelsunternehmen sagten, dass sie generell keine Informationen herausgeben oder derartige Forschungsprojekte nicht unterstützen. Weitere Handelsunternehmen reagierten nicht auf wiederholte Ansprachen. Schließlich waren 90 Manager von 90 Handelsunternehmen
272
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
gesprächsbereit. Die Tiefeninterviews vor Ort dauerten durchschnittlich zwei Stunden. In zwanzig Fällen konnte ein zweiter Informant, meistens ein Expansionsmanager, im Unternehmen gewonnen werden, um den „single informant bias“ kontrollieren zu können (Hughes/Garrett 1990). Signifikante Differenzen im Antwortverhalten konnten jedoch nicht festgestellt werden, sodass die Wahrscheinlichkeit des Single-Informant-Bias für diese Untersuchung reduziert ist. Weil das IR-Framework nie empirisch im Handel angewandt wurde, führten wir intensive Pre-Tests durch. Drei Experten, einer aus der Fashion-Branche, einer aus der FoodBranche und einer mit der Expertise in beiden Branchen waren Partner für die erste PreTest-Runde. Sie wurden gebeten, ausgewählte Handelsunternehmen zu bewerten, die wir vorher selbst bewertet hatten. Die Ergebnisse wurden diskutiert. In zwei TopManagementseminaren (mit sieben und acht Managern) wurden die modifizierten Fragen zur Bewertung der eigenen Food- und Non-Food-Kanäle und auch der Kanäle bekannter Wettbewerber genutzt. Die Ergebnisse wurden diskutiert und führten zur Adaption der Messung, was nachfolgend deutlicht wird.
3.2 Operationalisierungen IR-Dimensionen Die Messung erfolgte zweigeteilt: Basierend auf (1) den Autoren, die Strategien anhand der IR-Achsen identifizierten (Determinanten von Integration bzw. Adaption) und (2) denen, die die Strategie anhand der Selbstzuordnung identifizierten („major decision rule, self typing“): (1) Determinanten wurden von Roth und Morrison (1990) mit 14 Items angelehnt an Prahalad und Doz (1987) erfasst, von Johnson (1995) um zwei Items ergänzt und von Venaik, Midgley und Devinney (2004) auf Interdependenz getestet. Mit Leong und Tan (1993) entschieden wir uns gegen eine derart umfangreiche Messung (zu Limitationen vgl. Devinney et al. 2000). Wir folgten Harzings (2000) Fragen, die sie mit fünfstufigen Likert-Skalen zur Charakterisierung der Achsen nutzt:
Zwei Fragen erfassten, ob die internationale Strategie des Unternehmens in der Erzielung von Skaleneffekten/Reputation liegt und ob der Wettbewerb global ist („integration“). Zwei Fragen erfassten, ob die Strategie auf die Erzielung lokaler Wettbewerbsvorteile ausgelegt ist und auf einer Adaption zur lokalen Nachfrage beruht („responsiveness“).
In den drei Pre-Tests waren diese Fragen unauffällig und nur einige semantische Anpassungen wurden notwendig. Anhang 1 stellt die von uns verwendete Messungen dar.
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
273
(2) Das „Self-typing” bedingte größere Herausforderungen. Wir folgten Roth, Schweiger und Morrison (1991), Leong und Tan (1993) und Pla-Barber (2002). Leong/Tan (1993) verwendeten drei Dimensionen (“distribution of strategic skills/resources, enhancement/distribution of knowledge, role of the overseas unit”) und Pla-Barber (2002) eine Vierte (“achievement of competitive advantages”). Im ersten Pre-Test wurden alle vier Dimensionen genutzt. Die Manager in den englischsprachigen Seminaren wurden gebeten, für jedes Set von vier Aussagen pro Dimension anzugeben, welche Aussage am besten die Internationalisierungsstrategie ihrer Vertriebslinien und die bekannter Wettbewerber charakterisiert. Inkonsistente Ergebnisse wurden diskutiert. Da im dritten Pre-Test immer noch Verständnisprobleme mit der „role of overseas units“ bestanden, beschlossen wir, diese Dimension zu eliminieren. Anhang 2 zeigt die verwendeten drei Dimensionen. In den 90 persönlichen Interviews wurden inkonsistente Befunde entsprechend der “major decision rule“ diskutiert. Erfolg und Produktivität Während in der Literatur verschiedene Erfolgsmessansätze diskutiert werden (Katsikeas et al. 2000; Hult et al. 2008) folgten wir Evans und Mavondo (2002). Sie nehmen Bezug auf Cavusgil/Zou (1994) und Shoham (1996) und kombinieren objektive und subjektive Erfolgsindikatoren. In unserem Fall zeigten Reliabilitätstest und eine Faktorenanalyse zufriedenstellende Ergebnisse. Ein Faktor bildete den internationalen Erfolg der Handelsunternehmen ab. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit wurde zusätzlich ein ungewichteter Erfolgsindex verwendet (vgl. Anhang 3). Die Messung von Profitabilität wird kontrovers diskutiert (Singh et al. 2000 und im Handel Donthu/Yoo 1998; Keh 2000; Dubelaar et al. 2002), nicht jedoch in Bezug auf Auslandsaktivitäten. Produktivität wurde mit einer Frage erfasst („single item measure“). Zusätzlich wird auf objektive Kennzahlen, wie etwa die Relation von Umsatz und Personaleinsatz, zurückgegriffen. Dies erscheint vor dem Hintergrund der begrenzten Kenntnislage opportun. Handelsbranchen Zwei Branchengruppen wurden gebildet: 35 Food-/Near-Food- und 55 Non-FoodHandelsunternehmen (Fashion, Schuhe, Sport, Parfüm, Juweliere, Unterhaltungselektronik, Verlagserzeugnisse). Eine weitergehende Unterteilung scheiterte, aber der Datensatz umfasst fast 50 Prozent aller deutschsprachigen international aktiven Handelsunternehmen, was eine größere Repräsentativität bedeutet als in vielen anderen Studien.
274
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
3.3 Hypothesentests Für die Hypothesentests wurden, neben den zwei Operationalisierungen des IRFrameworks, mehrere statistische Verfahren genutzt. Differenziert wurden Ergebnisse der gesamten Stichprobe (Branchenübergreifend) sowie der Food-/Near-Food- und der Non-Food-Branchen (Branchenspezifisch).
3.3.1 Branchenübergreifende Ergebnisse Die Ergebnisse zur Internationalisierungsstrategie basierten auf drei Vorgehensweisen: (1) Selbsteinschätzung, (2) Achsenbewertung und (3) Integration beider Messungen. (1) Vier Strategietypen werden von den Handelsunternehmen bei der Selbsteinschätzung gewählt. Die Gruppe mit einer transnationalen Strategie is die kleinste, was vergleichbar ist zu den Studien zur produzierenden Unternehmen. Ein 2-Tests stützt die Signifikanz der Ergebnisse. (2) Die Ergebnisse zu den IR-Achsen brachten ebenfalls eine Vierclusterlösung. Genutzt wurden hierfür “single-linkage tests” und das Elbow-Kriterium (Hair et al. 2006; Steinley/Brusco 2008) (vgl. Abbildung 1). Eine Diskriminanzanalyse bestätigt die Lösung, während das Item „Lokale Wettbewerbsvorteile“ die höchste Trennwirkung hat, vor „globaler Wettbewerb“. 5,0
1
1
Ward Methode
4
1
1
1
1
4
4
4 4
4,0
1
1
1
1
z1 z2 z3 z4
4 4
1
4
Integration
2 3,0
3
3
3
3
3
3
3
3
3
3
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2,0
3
3
3
3
3
3
3
3
3 3
3
2
2 2
3
1,0 1,0
2 2,0
3,0
4,0
5,0
Responsiveness
Abbildung 1: Diagramm der Vierclusterlösung (Branchenübergreifend)
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
Economies of scale
Zentroide
Globaler Wettbewerb
Lokale Wettbewerbsvorteile
275
Nat. „responsivenes s“
Strategien
N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
MV
STD
Cluster 1: Global
24
4,29
0,751
4,54
0,658
1,83
0,917
1,79
0,721
Cluster 2: Heimatmarkt
29
2,52
0,738
2,34
0,857
2,07
0,753
2,34
0,721
Cluster 3: Transnational
14
3,71
0,914
4,14
0,770
4,00
0,679
4,29
0,469
Cluster 4: Multinational
23
1,96
0,706
2,13
0,920
4,52
0,593
4,61
0,583
Gesamt
90
3,03
1,203
3,16
1,340
2,93
1,397
3,08
1,368
Häufigkeiten Strategien
N
Economies of scale
Globaler Wettbewerb
N
N
%
Lokale Wettbewerbsvorteile
%
N
Nat. „responsivenes s“
%
N
%
Strategische Fähigkeiten und Ressourcen Cluster 1
24
0
0
0
0
24
100,0
0
Cluster 2
29
28
96,5
Cluster 3
14
3
21,4
Cluster 4
23
1
Gesamt
90
32
0
0
0
1
3,5
0
0
3
21,4
0
0
8
57,2
4,4
21
91,2
1
4,4
0
0
35,5
24
26,7
26
28,9
8
8,9
6
25,0
Wissen Cluster 1
24
3
12,5
1
4,2
14
58,3
Cluster 2
29
13
44,8
3
10,3
6
20,7
7
24,2
Cluster 3
14
0
0
0
0
0
11,1
14
31,3
Cluster 4
23
0
0
10
43,4
1
4,4
12
52,2
Gesamt
90
16
17,8
14
15,6
21
23,3
39
43,3
Wettbewerbsfähigkeiten, -vorteile und -stärke Cluster 1
24
4
16,6
1
4,2
19
79,2
0
0
Cluster 2
29
21
72,5
5
17,2
3
10,3
0
0
Cluster 3
14
0
0
0
0
6
42,9
8
57,1
Cluster 4
23
0
0
23
100,0
0
0
0
0
Gesamt
90
25
27,8
29
32,2
28
31,1
8
8,9
Abbildung 2: Ergebnisse der Two-Step-Clusteranalyse (Branchenübergreifend)
276
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
(3) Den Zusammenhang zwischen beiden Messungen ist signifikant (2 Pearson, Spearman Korrelation, Korresponenzanalyse). Beide Messungen wurden in einer “Two-step” Clusteranalyse verbunden, bei gleichzeitiger Nutzung einer automatischen Festlegung der Clusterzahl (anhand von Log-likelihood Distanzfunktion, BIC Kriterium usw.). Die Sequenzen der eingespeisten Fälle mit weitgehend identischen Ergebnissen wurden verändert und die Normal- und die Multinomialverteilung kontrolliert (Hair et al. 2006). Abbildung 2 zeigt eine Vierclusterlösung. Cluster 1 kann als „global” interpretiert werden, denn die Mittelwerte für die ersten beiden Items sind hoch (sie repräsentieren die Integrationsachse) und die meisten Selbsteinschätzungen passen zu dieser Strategie. Analog umfasst Cluster 3 transnationale, Cluster 4 multinationale, und Cluster 2 heimatmarktorientierte Unternehmen. Im Ergebnis münden alle drei Berechnungen in einer Vierclusterlösung, Hypothese 1 stützend. Nachfolgend wird die “Two-step” Clusterlösung genutzt. Beziehung zwischen Internationalisierungsstrategie und Erfolg/Produktivität Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche bezüglich Erfolg und Produktivität. Signifikanzen zwischen den vier Gruppen existieren bezüglich des Erfolgsfaktors, des Erfolgsindex sowie der Produktivität; der Scheffé-Test unterstreicht dies im Vergleich transnationaler und heimatmarktorientierter Unternehmen. Letztere sind am wenigsten erfolgreich, transnationale Unternehmen sind am erfolgreichsten. Diese Ergebnisse stützen Hypothesen 2 a und b. Die international erfolgreichsten und produktivsten Unternehmen verfolgen eine transnationale Strategie. Erfolgsindex
Erfolgsfaktor
Produktivität
N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
Cluster 1:Global
24
2,90
0,61
0,14
0,92
3,68
0,68
Cluster 2: Heimatmarktorientiert
29
2,56
0,72
-0,37
1,08
3,01
0,78
Cluster 3: Transnational
14
3,22
0,70
0,62
1,08
4,05
0,78
Cluster 4: Multinational
23
2,78
0,48
-0,06
0,72
3,28
0,79
90
F
p
F
p
F
p
0,013
3,64
0,016
4,98
Internationalisierungsstrategie
ANOVA Scheffé (p < ,05)
3,79
C2/C3
C2/C3
Abbildung 3: Erfolg und Produktivität nach Internationalisierungsstrategien (Branchenübergreifend)
0,005
C2/C3
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
277
3.3.2 Branchenspezifische Ergebnisse Multinationale Strategien werden öfter in der Food-/Near-Food-Branche und globale Strategien öfter in der Non-Food-Branche genutzt (schwach signifikant bei Selbsteinschätzung und Achsenlösung). Eine zweistufige Clusteranalyse in der Food-/Near-FoodBranche und in der Non-Food-Branche sollte zeigen, ob in beiden Fällen unterschiedliche Clusterlösungen bestehen. Ähnlich zur genannten hierarchischen Clusterung zeigen die Ergebnisse in beiden Sektoren eine Vierclusterlösung (vgl. Abbildung 4).
Economies of scale
Food/NearFood
Globaler Wettbewerb
Lokale Wettbewerbsvorteile
Nat. „responsiveness“
N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
MV
STD
Cluster 1: Transnational
5
4,20
0,45
3,80
0,84
4,20
0,45
4,20
0,45
Cluster 2: Multinational
16
1,88
0,72
2,56
0,96
4,44
0,73
4,63
0,50
Cluster 3: Heimatmarkt
8
2,38
0,52
2,00
0,96
2,13
0,64
2,38
0,52
Cluster 4: Global
6
4,67
0,52
3,67
0,82
2,00
0,63
2,17
0,75
35
C1/C2, C1/C3, C2/C4, C3/C4
C1/C2, C1/C3, C3/C4
C1/C3, C1/C4, C2/C3, C2/C4
C1/C3, C1/C4, C2/C3, C2/C4
Economies of scale
Globaler Wettbewerb
Lokale Wettbewerbsvorteile
Nat. „responsiveness“
Scheffé* (p < ,05)
Non-Food N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
MV
STD
15
4,27
0,80
4,80
0,41
1,40
0,51
1,60
0,63
Cluster 2: Multinational
9
2,33
0,71
1,89
1,05
4,67
0,50
4,89
0,33
Cluster 3: Heimatmarkt
20
2,40
0,68
2,35
0,75
2,10
0,91
2,40
0,82
Cluster 4: Transnational
11
3,82
0,75
4,55
0,52
3,45
0,69
3,09
1,12
55
C1/C2, C1/C3, C2/C4, C3/C4
Cluster 1: Global
Scheffé* (p < ,05)
C1/C2, C1/C3, C2/C4, C3/C4
C1/C2, C1/C3, C1/C4, C2/C3, C2/C4, C3/C4
C1/C2, C1/C3, C1/C4, C2/C3, C2/C4
* Die Abbildung zeigt die Ergebnisse des 2-Tests.
Abbildung 4: Ergebnisse der zweistufigen Clusteranalyse (Branchenspezifisch)
278
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Alle Indikatoren sind signifikant (in beiden Lösungen) und Diskriminanzanalysen stützen die Lösungen. In beiden Lösungen repräsentiert Cluster 2 multinationale und Cluster 3 heimatmarktorientierte Strategien, Cluster 4 in Food und Cluster 1 in Non-Food repräsentieren globale und Cluster 1 und 4 transnationale Handelsunternehmen. Auf eine weitere Visualisierung wird an dieser Stelle verzichtet, es kann aber trotzdem geschlussfolgert werden, dass vier Internationalisierungsstrategien identifiziert werden können, auch auf einer Branchenebene. Dies stützt Hypothese 1. Handelsunternehmen in den Non-Food-Branchen wählen öfter eine globale Strategie (15 von 55, 28 Prozent) und Handelsunternehmen in den Food-/Near-Food-Branchen nutzen öfter eine multinationale Strategie (16 von 35, 46 Prozent). In beiden Branchengruppen sind transnationale Strategien relativ gesehen gleich häufig vertreten (5 von 35, 11 von 55). Die heimatmarktorientierte Strategie ist stärker in Non-Food-Branchen vertreten (20 von 55, gegen 8 von 35). Dies stützt Hypothese 3. Erfolg und Produktivität in den Handelsbranchen Die meisten Mittelwertunterschiede in Abbildung 5 sind signifikant, wobei unterschiedliche Strategien zum Erfolg führen und für Produktivität stehen. Die erfolgreichsten Food-/ Near-Food-Handelsunternehmen verfolgen die transnationale, gefolgt von der multinationalen Strategie. Diese Strategien sind auch die produktivsten. Die globale Strategie hingegen ist die am wenigsten erfolgreiche und produktive. Die erfolgreichsten Non-Food-Unternehmen verfolgen die transnationale, gefolgt von der globalen Strategie. Die heimatmarktorientierten Unternehmen sind die am wenigsten erfolgreichen, auch den strengeren Kriterien des Scheffé-Test folgend. Die Produktivität ist hier am höchsten bei den transnationalen Unternehmen und am geringsten bei den heimatmarktorientierten Unternehmen, während globale und multinationale Unternehmen fast gleichauf dazwischen liegen. Hypothese 4a wird weitgehend gestützt, auch wenn die Gruppengröße für die Vergleiche relativ gering ist. Abgesehen von den transnationalen Unternehmen, als die erfolgreichste und produktivste Strategie in beiden Branchen, sind in beiden Branchen andere Strategien erfolgreich und andere am wenigsten erfolgreich. Hypothese 4b kann somit partiell gestützt werden.
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
279
Food/Near Food Erfolgsindex
Erfolgsfaktor
Produktivität
N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
Global
5
2,33
0,33
-0,73
0,45
2,98
0,78
Multinational
9
2,46
0,69
-0,54
1,05
3,18
0,76
Heimatmarkt
7
3,16
0,86
0,52
1,33
4,16
0,75
Transnational
14
2,86
0,50
0,08
0,74
3,56
0,88
35
F
p
F
p
F
p
2,65
0,066
2,63
0,067
2,53
0,079
ANOVA Scheffé
--
--
C1/C3
Erfolgsindex
Erfolgsfaktor
Produktivität
N
MV
STD
MV
STD
MV
STD
Global
19
3,05
0,57
0,38
0,87
3,55
0,71
Multinational
20
2,60
0,74
-0,30
1,12
3,09
0,89
Heimatmarkt
7
3,29
0,55
0,72
0,87
4,02
0,67
Transnational
9
2,65
0,44
-0,28
0,67
3,49
0,58
55
F
p
F
p
F
p
ANOVA
3,22
0,030
3,20
0,031
2,89
0,045
Scheffé
C1/C2, C2/C3
Non-Food
C1/C2, C2/C3
C2/C3-
Abbildung 5: Erfolg/Produktivität in den Internationalisierungsstrategien und den Handelsbranchen
4.
Diskussion
Die Studie präsentiert Einblicke in die im Handel präferierten Internationalisierungsstrategien und die Beziehung von Strategien und Erfolg/Produktivität. Das IR-Framework wurde empirisch erstmals getestet und kann als Basis für zukünftige Studien dienen.
280
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Handelsbesonderheiten, intensive Pre-Tests und persönliche Interviews sowie eine zweigeteilte Messung der Strategien charakterisieren die Studie. Nachfolgend werden die Ergebnisse gemäß den Eingangsfragen adressiert (bevorzugte Strategie, Handelsbranchen, Erfolg/Produktivität) und Schlussfolgerungen werden gezogen. Strategie, Handelsbranche und Erfolg/Produktivität Typologien sind sinnvoll, um die Komplexität denkbarer Entscheidungsalternativen einzugrenzen (Harzing 2000). Eine Typologie kann deskriptiv (Charakterisierung einer Strategie) oder präskriptiv genutzt werden (Einblicke in die Konfiguration erfolgreicher Unternehmen). Präferierte Internationalisierungsstrategie. Vor dem Hintergrund bisheriger Erkenntnisse zeigt diese Studie Präferenzen von Handelsunternehmen zu vier Strategien. Die Ergebnisse stützen wenige konzeptionelle Studien (z.B. Helfferich et al. 1997). Zweitens, die transnationale Strategie wird am seltensten realisiert. Drittens, unsere Beobachtungen sind interessant für Forscher, die globale und multinationale Händler nur anhand deren Adaption beobachten. Sie kontrollieren nicht den Grad der Integration von international tätigen Händlern und vermischen damit multinationale und transnationale Strategien einerseits und globale und heimatmarktorientierte Strategien andererseits. Allerdings ist die Veranschaulichung durch das IR-Framework essenziell für die Betrachtung der Effizienz internationaler Unternehmen. Auch deshalb ist es wertvoll, eine weitergehende Charakterisierung der Händler mit unterschiedlichen Strategien vorzunehmen (vgl. Abbildung 6):
Die heimatmarktorientierten Handelsunternehmen haben den geringsten Auslandsumsatzanteil (32 Prozent). Dieser wird primär in Westeuropa realisiert. Die meisten dieser Unternehmen betraten den ersten Auslandsmarkt nach 1990. Dies stützt die Idee, dass diese Strategie primär Unternehmen auszeichnet, die am Beginn der Internationalisierung stehen. Multinationale and transnationale Unternehmen sind vergleichbar im Umsatz und größer als die beiden anderen Strategietypen. Beide sind am stärksten in Übersee tätig, beide haben hohe Auslandsumsatzanteile und relativ hohe Beschäftigtenzahlen im Ausland. Insbesondere bei den Transnationalen ist das Verhältnis von Umsatz zu Beschäftigten am günstigsten, ein Indikator für höhere Produktivität. Die höchste Anzahl an Beschäftigten bei den multinationalen Handelsunternehmen deutet deren intensive Marktbearbeitung an. Globale Typen haben die höchsten Auslandsumsatzanteile, aber einen geringen Gesamtumsatz. Sie weisen, neben den transnationalen Unternehmen, die größte Auslandserfahrung auf.
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
Gesamtumsatz (m EUR)
Auslandsumsatzanteil (%)
Anzahl Beschäftigte
Beschäftigte im Ausland (%)
N
281
Auslandsumsatz nach Regionen (%)1 WestOstAsien/ Amerika europa europa Pazifik
Global
24
3.363
52,0
15.119
49,6
59,8
29,6
4,6
6,0
Multinational
29
2.769
32,0
16.289
28,8
76,9
16,9
2,7
3,5
Heimatmarkt
14
8.818
43,7
33.850
44,6
43,5
29,2
14,3
13,0
Transnational
23
7.313
41,7
44.886
45,9
46,3
37,6
11,1
5,0
ANOVA: F
90
2,03
2,90
1,30
3,58
6,38
2,09
2,40
1,78
0,116
0,040
0,017
0,001
0,107
0,073
0,158
ANOVA: p
0,281 Erster Eintritt
1
Gesamt vor 1970
1970-1979
1980-1989
N
%
N
%
N
%
Global
4
16,7
4
16,7
7
Heimatmarkt
1
3,4
1
3,4
7
Transnational
3
21,4
3
21,4
Multinational
3
13,0
4
17,4
Gesamt
11
-
12
-
1990-1999
ab 2000
N
%
N
29,2
7
29,2
24,3
15
51,7
2
14,3
5
35,7
3
13,0
9
39,2
19
-
36
-
1
fehlend
2
Vorherige Exportbasierte Auslandsaktivitäten blieben unberücksichtigt (insb. bei Fashion-Händlern denkbar).
%
N
%
2
8,2
24
100,0
5
17,2
29
100,0
1
7,2
14
100,0
4
17,4
23
100,0
12
-
90
100,0
Abbildung 6: Charakteristika der Unternehmen in den vier Internationalisierungsstrategien Unterschiede in Handelsbranchen. Food-/Near-Food- und Non-Food-Handelsunternehmen realisieren vier Strategietypen. Food-/Near-Food-Unternehmen haben signifikant höhere Ausprägungen bei “responsiveness“. Die Unterschiede bei der Integration sind nicht stark ausgeprägt. Eine stärkere multinationale Orientierung kann in der Food-/ Near-Food-Branche und eine starke globale Orientierung in der Non-Food- Branche untermauert werden. Internationaler Erfolg/Produktivität. Internationaler Erfolg wurde in dieser Studie empirisch zum ersten Mal im Kontext von Internationalisierungsstrategien von Handelsunternehmen betrachtet. Die Befunde verdeutlichen, dass heimatmarktorientierte Unternehmen im Ausland am wenigsten erfolgreich und am unproduktivsten sind. Transnationale Handelsunternehmen sind am erfolgreichsten und produktivsten. Im Gegensatz zu manchen Meinungen im Handel bildet die Adaption von Handelsunternehmen an lokale
282
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Marktbedingungen nicht den einzigen Weg zum internationalen Erfolg. Eine Gegenüberstellung von Handelsunternehmen, die mit derselben Strategie in unterschiedlichen Branchen operieren, zeigt: Non-Food-Händler mit einer globalen Strategie sind erfolgreich, während Food-/Near-Food-Händler mit der multinationalen Strategie erfolgreich sind. Schlussfolgerungen und Limitationen Schlussfolgerungen können im Hinblick auf die Konzeptualisierung und die Messung des IR-Frameworks gezogen werden, da dieser erstmals an den Handelskontext adaptiert wurde. Limitationen des IR-Framework (Venaik et al. 2004; Andersen/Joshi 2008; Asmussen 2008) sind zu berücksichtigen, auch im Handelskontext. Allerdings ist im Handel keine Restriktionen bezüglich der Fundamentalkritik an seiner deterministischen Sicht zu sehen. Vor allem Food-Händler reagieren auf die Marktbedingungen. Allerdings haben wir die Sicht der Muttergesellschaft eingenommen, was die Gesamtunternehmensstrategie pointiert. Die Sicht der Ländergesellschaften wäre interessant. Ferner konnte bereits während der Tiefeninterviews festgestellt werden, dass Handelsmanager sich nicht voll über die genutzte Internationalisierungsstrategie im Klaren sind. Dies stützt die Einschätzung einer deterministischen Sicht des IR-Frameworks. Die Operationalisierungen erfolgten anhand einer Serie von Pre-Tests, basierend auf früheren Studien. Hieraus resultieren zwei Schlussfolgerungen. Erstens, die Achsen wurden nur mit vier Items erfasst. Dies vernachlässigt Weiteres. Andersen und Joshi (2008) schlagen vor, die Konstrukte auf einer Entscheiderebene zu messen. Globale Integration, die durch Integration und strategische Koordination gekennzeichnet ist, kann mittels der Zentralisierung im Headquarter, so der Plan, erfasst werden. Lokale Adaption kann durch die Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen den Auslandseinheiten ermittelt werden. Devinney, Midgley und Venaik (2000) erweitern die Achsen um die Struktur der Unternehmen, die eine dritte Achse bildet. Swoboda, Foscht und Cliquet (2008) nutzen den Grad der Externalisierung als dritte Achse. Zweitens, Ausprägungen von Wettbewerbsvorteilen, strategischen Fähigkeiten/Ressourcen und Wissen können problematisch sein. Bartlett und Beamish (2010) nennen darüber hinaus die Generalisierung des Auslandswissens, Lernen und Innovation. Non-Food-, so Fashion-Unternehmen, mögen von einer starken und zügigen Verfügbarkeit von Informationen abhängen. Kurze Produktlebenszyklen determinieren die Notwendigkeit der schnellen Marktfähigkeit der Kollektionen, und zwar weltweit. Weitere Limitationen betreffen die Generalisierbarkeit, denn die Analyse wurde nur in Branchengruppen durchgeführt und nur unter deutschsprechenden Unternehmen, was die Verallgemeinerung der Ergebnisse beeinträchtigt. Bewusst wurde die Untersuchung aus Gründen der Praktikabilität und Messung (z.B. Invarianz) nicht auf weitere Länder ausgedehnt. Des Weiteren liegt eine spezifische Herausforderung in der Analyse des Wandels von Internatonalisierungsstrategien über die Zeit. Die heimatmarktorientierte Strategie kann als Ansatzpunkt in diese Richtung dienen.
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien
283
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288
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Anhang Anhang 1:
Messung der Internationalisierungsstrategie – Statements zu den Achsen
Achse
Genutzte Statements in der Untersuchung
Integration
Our firm focuses internationally on achieving economies of scale by concentrating important activities in a small number of international locations. Our competitive position has an identical regional/global orientation; competition is global.
Responsiveness
Our competitive strategy is multi-national, i.e. each foreign company deliberately acts alone/autonomously in order to generate domestic/international competitive advantages. Our firm considers the differences in buying behaviour/culture in different countries and reacts to them with customized services adapted on a broad basis to suit the markets concerned.
Notiz: Jede Frage wurde auf einer 5-stufigen Likert Skala von „stimme überhaupt nicht zu” bis „stimme voll und ganz zu” erhoben.
Erfolg und Produktivität unterschiedlicher Internationalisierungsstrategien Anhang 2:
289
Messung der Internationalisierungsstrategie – Statements zur Selbsteinschätzung
Genutzte Statements in der Untersuchung Strategie*
Dimension: Erzielung von Wettbewerbsvorteilen* Our firm achieves competitive advantages in an “international” context by …
Global
… achieving cost advantages with identical regionally/globally oriented and largely standardized activities.
International/ home market
… making use of knowledge and skills of the parent company, and implementing and adapting these skills internationally/worldwide.
Multinational
… generating a strong local presence,with an intuitive feel and adapting to special features of the countries concerned.
… creating networked resources, i.e. foreign subsidiaries perform specialist tasks and operations between countries are networked.
Transnational
Dimension: Strategische Fähigkeiten und Ressourcen Global
Strategic skills and resources are centralised and oriented towards all markets (regional/global).
International/ home market
Strategic skills and resources are available at the parent company in the home market and are passed on to the foreign subsidiaries.
Multinational
Strategic skills and resources are spread at international level, each foreign subsidiary acts independently.
Strategic skills and resources are spread internationally over specialized foreign subsidiaries that interact to a large extent with other foreign subsidiaries.
Transnational
Dimension: Generierung und Verteilung von Wissen Global
New knowledge is generated and tested centrally and is aimed regionally/global at all markets equally.
International/ home market
New knowledge is mostly created in the home market and is passed on from there to all foreign subsidiaries.
Multinational
New knowledge is mostly created in the countries where there are foreign subsidiaries, but is not transferred to other subsidiaries.
Knowledge is created in subsidiaries and in the parent company and is also exchanged via cross-links between the subsidiaries (not via head office)
Transnational
* Diese Angaben erschienen nicht im Fragebogen.
290
Bernhard Swoboda und Stefan Elsner
Anhang 3:
Messung des Erfolges
Dimension*
Items
Objective
How successful was your company on average over the past three years abroad? [Please estimate as follows [1] Declining/constant, [2] Increase up to 10%, [3] Increase of 11-20%, [4] Increase of 21-30%, [5] Increase of more than 30%.]
(Financial)
- Development of sales
(Financial)
- Generating return on overall capital
(Non-fin.)
- Market share
Subjective
How satisfied are you with the overall development? [ [1] “not at all satisfied” [5] “very satisfied”? [5 point scale]
* Diese Angaben erschienen nicht im Fragebogen. 1
2 (EFA) ( 0.4)
Items
N
MV
STD
ItTC
Sales
90
2.70
0.734
0.760
0.878
Profitability
90
2.58
0.807
0.734
0.863
Market share
90
2.52
0.764
0.748
0.875
Satisfaction
90
3.43
0.809
0.572
0.735
Success index
90
2.81
0.658
--
--
2
Source Evans/Mavondo (2002), Cavusgil/Zou (1994), Shoham (1996)
Cronbach’s Alpha ( 0.7) 0.86, Varianz = 0.71, KMO = 0.79, X = 169.3, p (X2) .000 1 ItTC = Item-to-Total Correlation 2 = Faktorladung
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität – Steigerung von Effektivität und Effizienz der Dienstleistung und ihrer Erbringungsprozesse 1. Produktivität von Dienstleistungen 2. Systemische Personal- und Organisationsentwicklung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität 3. Organisationstheorien und neurowissenschaftlich basierte Modelle als Reflexionsebenen der betrieblichen Dienstleistungserbringung und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten 4. Vorgehensweise zur partizipativen Definition und Gestaltung (Optimierung) der Dienstleistungsproduktivität 4.1 Systemanalyse- und Planungsphase zur Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität 4.1.1 Ermittlung der relevanten Systemgrößen 4.1.2 Ermittlung der Beziehungsdynamik der beteiligten Personen (-Gruppen) 4.1.3 Ermittlung der gesamten Systemdynamik und Bewertung der Systemgrößen bezüglich ihrer Relevanz im System 4.2 Geleiteter betrieblicher Reflexionsprozess zur Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität 4.2.1 Geleitete Reflexion von Aufgaben und Handlungen zu Merkmalen der Dienstleistungsproduktivität 4.2.2 Geleitete Reflexion als Prozess Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr.-Ing. Franz J. Heeg ist Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter des Lehrstuhls für Produktionstechnik, Aufgabengebiet Arbeitswissenschaft, an der Universität Bremen. Dipl.-Psych. Brigitte Schneider-Heeg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an diesem Lehrstuhl.
1.
Produktivität von Dienstleistungen
Der generelle Produktivitätsbegriff als Quotient aus Ausbringungsmenge und Einsatzmenge (im Einzelnen bezogen auf Arbeit, Maschinen, Material, Kapital) greift bei Dienstleistungen zu kurz. Hierbei sind die Dienstleistungsmerkmale nach Bullinger und Scheer (2003) zu berücksichtigen wie Nicht-Lagerfähigkeit, Immaterialität, Simultanität und Integration des externen Faktors (Dienstleistungsnachfrager selbst oder ein Objekt von diesem). In systematischer Form lassen sich ergänzend bei einer Dienstleistung die Dimensionen Potenzial (Vorhalten von Leistungsbereitschaft), Prozess, Ergebnis (Wirkung am Nachfrager oder an dem von ihm eingebrachten Objekt) sowie Integration des externen Faktors unterscheiden (Bullinger/Scheer 2003). Zur systematischen Entwicklung und Steigerung der Produktivität von Dienstleistungen wird in jüngerer Zeit dem Service Engineering eine Impulsfunktion beigemessen. Service Engineering wird im Allgemeinen als die systematische Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen unter Verwendung von geeigneten Modellen, Methoden und Werkzeugen verstanden (Bullinger/Scheer 2003, S. 4f.; Fähnrich/Opitz 2003, S. 99; Luczak et al. 2004, S. 1f.). Die Steigerung der Dienstleistungsproduktivität setzt dabei an der integrierten Optimierung der Dienstleistungspotenziale, -prozesse und -ergebnisse an. Darüber hinaus sind bei dem Begriff der Produktivität von Dienstleistungen und seiner Definition die Art der Dienstleistung, die Art der Erbringung der Dienstleistung, die Rahmenbedingungen, die Zielsetzung und etliche Faktoren mehr zu berücksichtigen. So macht es sicherlich einen Unterschied, ob als Dienstleistung die Unterstützung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in finanztechnischen Fragen vorliegt oder die Pflege eines alten dementen Menschen. Ein Unterschied ist bei diesem Beispiel nicht nur bezüglich der Art, sondern auch bezüglich der Erbringung zu sehen im ersten Fall liegt eine eher rational kognitiv-kreative Dienstleistungsaktivität, im zweiten Fall eine emotionale, Körper und Seele einbeziehende Dienstleistung vor (und dies auf beiden Seiten). Die Rahmenbedingungen umfassen Aspekte wie Rechtsform, Leitbild, Arbeitsbedingungen der Dienstleistungserbringer (und hier noch unterschieden nach Ort der Erbringung der Dienstleistung). Rahmenbedingungen und Zielsetzungen bedingen u.a. die Haltungen, die Einstellungen des Dienstleistungspersonals. Entsprechend müssen derartige Faktoren im Einzelfall identifiziert, genau definiert und ihre Auswirkungen und die Aussagen zur „Produktivität“ – generell und/oder spezifisch überprüft und bei der Festlegung von Kenngrößen, Kennzahlen usw. berücksichtigt werden. Zur Erfassung der Produktivität von Dienstleistungen kann entsprechend den bisherigen Ausführungen die Wirkung auf den Kunden oder die Objekte des Kunden sowie die Ef-
296
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
fizienz und Effektivität der Dienstleistungserbringungsprozesse herangezogen werden. Beide Bereiche umfassen mehrere Dimensionen wie z.B. die direkte Wirkung auf Kunden oder auf Kundenobjekte, aber auch die induzierte Mitwirkung des Kunden einerseits und die die Effizienz und Effektivität beeinflussenden Faktoren wie aufgabenbezogenes Handeln, Kommunikations- und Kooperationshandeln, Führungs- und Leitungshandeln und die diesbezüglichen Ergebnisse andererseits. Abbildung 1 zeigt in Wirkgraphenform die Zusammenhänge für ein betriebliches Beispiel näherungsweise auf. Verfahren, die sich mit einer bewertungsmäßigen Durchdringung von relativ komplexen Wirkzusammenhängen beschäftigen, sind beispielsweise diejenigen, die sich mit Erfolgsfaktoren zum Projektmanagement befassen, z.B. das Project Excellence Modell der Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) (Motzel 2002; Ottmann 2004; GPM 2009), basierend auf dem Business Excellence Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) (EFQM 2003). Weitere projektbezogene Modelle zur Reifegrad-Ermittlung wie das Capability Maturity Model Integration (CMMI®) (Chrissis et al. 2007) und insbesondere das CMM für die integrierte Produktentwicklung (IPD-CMM), sind hier zu nennen. Neben alternativen Modellen wie SPICE (Wallmüller 2007) oder ITIL (Köhler 2005) speziell für SoftwareErstellung könnten auch die konkreten Beispiele für eine EFQM-Realisierung Anhaltspunkte für den hier interessierenden Fragenbereich ergeben. Darüber hinaus können in die methodischen Überlegungen zur Messung, Bewertung und Optimierung von Dienstleistungsproduktivität auch Verfahren wie Quality Function Deployment (QFD), Balanced Scorecard (BSC) und Benchmarking (BM) einbezogen werden. Weitere Verfahren, die sich mit komplexen Systemen und deren Analyse und Veränderung beschäftigen, bauen auf der Verwendung von System Dynamics auf, entwickelt von Forrester (1977) und für viele Anwendungen erprobt, u.a. von der System Dynamics Group an der Sloan School of Management am MIT. Dieser Modellierungsprozess komplexer Systeme bedarf einer je nach Zielstellung der Modellierung sinnhaften Definition der Systemgrößen sowie der diese qualitativ wie quantitativ genau charakterisierenden Messgrößen. Bei all diesen Verfahren werden bisher die menschlichen Aspekte (Kunden, Mitarbeitende jeglicher Hierarchiestufen) eher in „indirekter“ Form betrachtet. Bei einem Ansatz, der stark auf der menschlichen Mitwirkung, auch der Mitwirkung von Kunden und Wirkungen auf Kunden, ausgeht, soll hier ein größeres Gewicht auf die menschlichen Handlungen und Haltungen und die Wirkung auf Menschen gelegt werden und die zirkulärreflexiven Beziehungen zwischen den Mitwirkenden der dienstleistenden Organisation und den Mitwirkenden auf Kundenseite näher betrachtet werden.
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
+
Kommunikations - und Kooperationshandeln + Kommunikations -/ und Kooperations kompetenz
+ Wertschätzung und Akzeptanz
Methoden und Werkzeuge
+
Kundenhandeln und Ergebnisse
+
+
Führungs - und Leitungskompetenz
+
aufgabenbezogenes Handeln
extern wirksame Innovation
+
+ (organisatorische ) Regeln
+ +
+ +
aufgabenbezogene Ergebnisse
inhaltliche / fachliche Kompetenz
+
Kunden zufriedenheit
+ Organisations + änderung
+ organisatorische Kompetenz +
Haltung , Einstellung
Organisation +
+
interne wirksame Innovation
Effektivität (Flexibilität , Kreativität )
+
neue Aufgabenfelder + Effizienz +
Arbeitsbelastung / Streß / neg . Gefühle
-
Spaß / Flow / pos . Gefühle
+ -
+
+ +
+
+
+
+ Führungs - und Leitungshandeln mit Ergebnissen
+
+
+
+
297
-
+ + Kosten
+ Umsatz
+
Mitarbeiterzahl
Abbildung 1: Beispiel eines Wirkgraphen der betrieblichen Dienstleistungserbringung Ebenfalls müssen hier die verschiedenen Handlungsarten der Dienstleistungserbringer näher betrachtet werden (Wahrnehmungs-, Denk-, emotionale und volitive Handlungen) und die Aktionen auf den verschiedenen Ebenen der Dienstleister – „Kunden“ Beziehung: Sach-, Beziehungs-, Beratungs-, emotionale, Bedürfnis-, Bedarfsebene (und dies wechselseitig, circulär-reflexive „Kundenmitwirkung“). Zur Gestaltung, insbesondere Optimierung, der Dienstleistung über die Optimierung der wesentlichen Einflussfaktoren (Wirk-/Systemgrößen) ist die Berücksichtigung derartiger Aspekte von besonderer Bedeutung. Sollen die vorstehend aufgeführten Aspekte in einem Modell der Dienstleistungsproduktivität umgesetzt werden, so wird dieses Modell recht komplex sein. Es muss alle Aufgabengebiete (sowie Funktionen und Prozesse) sowie alle hierarchischen Ebenen umfassen sowie den externen und internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies bedeutet auch, dass eine Kennzahl – und sei sie noch so komplex definiert – hier aufgrund ihres eher statischen Charakters nicht greift. Eine dynamische Betrachtung der Dienstleistungsproduktivität hingegen kann zu vielfältigen Aussagen – je nach Funktionsbereich und hierarchischer Eingliederung des jeweilig betrachteten Teilbereiches – führen, die jedoch alle systemmäßig aufeinander bezogen sein müssen (widerspruchsfrei).
298
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
In dieser Sicht ist der Begriff der Produktivität gleichermaßen eng mit den Begriffen der Effizienz und der Effektivität verknüpft. Eine dynamische, organisationsumfassende Ermittlung der Dienstleistungsproduktivität setzt hierzu parallele Top-down-, Bottomup-Prozesse und Prozesse auf den einzelnen Ebenen voraus und dies in gruppenorientierter Art und Weise – als eine Form von Organisations- und Personalentwicklung. Dies in einen kontinuierlichen Optimierungsprozess zu überführen stellt das Ergebnis dar – mit dem Ziel, stetig effektivere und effizientere Aufgabendurchführung auf allen Ebenen zu erhalten (z.B. output-, beziehungsbezogen).
2.
Systemische Personal- und Organisationsentwicklung zur Steigerung der Dienstleistungsproduktivität
Zur Erzielung von gleichermaßen effektiven wie effizienten Dienstleistungserbringungsstrukturen und -prozessen sowie hochkompetenter Mitarbeitenden zur Durchführung aller anstehenden Aufgaben in allen Funktionsbereichen und über alle Hierarchiestufen hinweg, soll an den Gestaltungsstand der Organisationsentwicklung angeknüpft werden. Hierbei umfasst der Objektbereich der Organisationsentwicklung das Gesamtsystem der Organisation: Gestaltung des materiellen Arbeitssystems und Veränderungen von Werten, Überzeugungen, Ansichten, Einstellungen (Organisationskultur) der Organisationsmitglieder. Das Verhalten der in Organisationen tätigen Personen lässt sich dann ändern, wenn es gelingt, die die Einstellungen tragenden (verinnerlichten) Basisüberzeugungen und übergeordneten Sinnzusammenhänge der Personen zu verändern. Als angewandte Sozialwissenschaft versucht die Organisationsentwicklung Struktur-, Verhaltens- und tiefgreifende Mentalitätsveränderungen auf der Grundlage von Theorien und Technologien der Sozial- und vor allem der Verhaltenswissenschaften zu vollziehen (Beisel 1996, S. 4). Entsprechend existieren heute eine Fülle überwiegend alltagswissensbegründeter Handlungs- und Interventionsstrategien für die Organisationspraxis, die ein wandlungsorientiertes „Durchwursteln“ („Muddling Through“) ermöglichen – dies gerade in der Vergangenheit jedoch weitgehend ohne wissenschaftliche Fundierung (Beisel 1996, S. 4). Mit dem in den letzten zwei Jahrzehnten stärkeren Bezug auf die Handlungstheorien sowie insbesondere die System- und Selbstorganisationstheorien verändert sich hier das Bild. So hat sich Organisationsentwicklung von einer Veränderungsstrategie zu einer echten Innovationsstrategie entwickelt. Die heute verwendeten Methoden und Werkzeuge in Organisationsentwicklungsprozessen basieren entweder auf (1) klassischen Organisationsmethoden und -werkzeugen, die entsprechend ihrem Einsatzzweck modifiziert werden, beispielsweise
Aufgaben- und Prozessanalyse, Qualitatives System Dynamics oder auf
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
299
(2) Methoden und Techniken der sozialwissenschaftlichen systemischen (therapeutischen) Beratung von Individuen und Gruppen, beispielsweise
Systemische, zirkuläre Fragetechniken, Skulpturen und Aufstellungen.
Neben den verstärkt im wissenschaftlichen Bereich diskutierten Konzepten und in Organisationen angewandten Vorgehensweisen seien hier explizit die grundlegenden Ideen erwähnt, die auch in breiteren gesellschaftlichen Kreisen weltweit bekannt geworden sind:
Business Reengineering (Hammer/Champy 1993), Lean Production (Womack et al. 1991), Total Quality Management (Deming 1982), Lernende Organisation (Senge 1994).
Sie enthalten im Wesentlichen folgende organisatorische Grundprinzipien (Heeg 2006):
Größtmögliche Einfachheit, Klarheit und Verbindlichkeit aller Aufgaben und Prozesse zu erreichen. Alle organisationalen Systemteile und ihre Handlungen und die Ergebnisse des Handelns sind qualitätsbestimmend. Den Kundennutzen in den Vordergrund zu stellen. Weiterentwicklung erfolgt über permanentes Lernen und permanentes Streben nach Meisterschaft. Dies am besten durch Integration von Lernen und Arbeiten durch entsprechend gestaltete Aufgaben, Prozesse und Strukturen.
Organisationsentwicklungsprozesse aus selbstorganisatorischer Sicht beinhalten als Ordner, als Ordnungsparameter, die Emotionen der Beteiligten (Heeg 2008): Lösungen werden angestrebt, die emotional positiver besetzt sind als andere – erkennbar neben den Emotionen an der individuellen und kollektiven Energie, der individuellen und kollektiven Aufmerksamkeit, die auf alternative Lösungen und Wege zur Lösungsfindung gerichtet wird. Hierbei zeigt sich wieder die Einheit von organisationalen Handlungen, Lernen und der Nützlichkeit einer systemisch-selbstorganisationstheoretischen Sichtweise. Aufmerksamkeit ist daneben eine unabdingbare Voraussetzung für Lernen und meisterliches Handeln. Bedürfnisbefriedigung bzw. die Erwartung von Bedürfnisbefriedigung führt zu aufmerksamem Handeln, zu Lernen auf individueller physischer Ebene auch zum Ausbau der jeweils zugeordneten neuronalen Bahnen und weiteren, sich gegenseitig verstärkenden Effekten. Für die Gestaltung von Organisationsentwicklungsprozessen unter hinreichender Berücksichtigung der Ermöglichung von Selbstorganisation (als Garant für das Gelingen der Innovationsprozesse) ist die Ausgestaltung in Richtung positiver Emotionen und Energiefokussierung (Aufmerksamkeitsfokussierung) der beteiligten Personen eine notwendige Voraussetzung.
300
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
Im Rahmen verschiedener Projekte wurden auf diesen Erkenntnissen aufbauend beispielsweise eine Vorgehensweise und verschiedene Werkzeuge entwickelt, die neben der Analyse der Prozesse und Aufgaben konsequent die Systemdynamik berücksichtigt: Beziehungsbotschaften, positive und negative Gefühle, verletzte oder erfüllte Bedürfnisse. Hieraus werden dann Lösungsszenarien entwickelt, die einerseits effektiv und effizient sind und andererseits gute Beziehungen ermöglichen und der Befriedigung der psychischen Bedürfnisse dienen (Heeg et al. 2008). Hierüber findet sich auch eine Ankopplung an die unabdingbare Nutzung des kreativen Potenzials des Beschäftigten als Basis einer Innovations- und Vertrauenskultur. Hierfür wiederum ist eine kreativitätsfördernde Kultur unabdingbar, sollen Mitarbeitende in einer guten körperlichen und geistigen Verfassung engagiert, loyal und enthusiastisch kreative Leistungen erbringen. Nur solange die richtigen Leistungen wirkungsvoll erbracht werden, ist Wachstum in Unternehmen gewährleistet (Förster 2005). Entwickeln Mitarbeitende neuartige und nützliche Dienstleistungen, Produkte, Verfahren oder Ideen, dann verhelfen sie der Organisation vor allem zu mehr Handlungsoptionen. Kreative Leistungen ermöglichen ein breites Spektrum zur Weiterentwicklung und Realisierung. Die so erzeugte Vielfalt bietet der Organisation auch mehr Flexibilität, um auf externe Veränderungen und neue Chancen besser reagieren zu können (Förster 2005). Die Verschränkung der Personalentwicklung mit der Organisationsentwicklung erfolgt einerseits quasi von selbst, da alle OE-Aktivitäten unter Mitwirkung und Verantwortung der Mitarbeitenden erfolgen und hierüber eine Kompetenzentwicklung durch Mitwirkung, im Prozess der Gestaltung, stattfindet. Andererseits kann dies durch gezielte kompetenzfördernde Maßnahmen noch intensiviert werden und ein breiter Kreis von Beschäftigten einbezogen werden.
3.
Organisationstheorien und neurowissenschaftlich basierte Modelle als Reflexionsebenen der betrieblichen Dienstleistungserbringung und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten
Wie u.a. Brown (1992), Ortmann et al. (2000) and Clegg et al. (2005) aufzeigen, hat sich die organisationstheoretische Sicht zu einer gleichzeitigen Betrachtung verschiedener Perspektiven, verschiedener Sichten auf das Phänomen „Organisation“ entwickelt:
Statische und dynamische Strukturen, Systeme und Subsysteme, Metaphern, Bilder (z.B. Maschinen-, Macht-, Gehirn-Metaphern (Morgan 1986)), Prozesse und darin enthaltene Aufgaben.
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
301
Diese Sichten lassen sich ohne Schwierigkeiten erweitern, z.B. durch die
Lernperspektive (Argyris/Schon 1978) sowie die Wert- und Bedürfnisperspektive (Clegg et al. 2005).
Zwei Theorienbereiche sollen in aller Kürze stellvertretend dargestellt werden – die Handlungstheorie und die System- und Selbstorganisationstheorie, die in jüngster Zeit auch über Ergebnisse neuropsychologischer Forschung Bestätigung finden. Für zielorientiertes Handeln gibt es gut ausgearbeitete Konzeptionen. Miller et al. (1960) führten das Konzept von Zielhierarchien ein, zunächst noch ohne genaue Unterscheidung verschiedener Hierarchieebenen. Powers (1973) legte dann eine genaue Ausarbeitung von Zielhierarchien in Form hierarchisch-organisierter Regelkreise vor und versuchte schon 1973, seine hierarchischen Regelkreise auf neuronaler Ebene zu spezifizieren, konnte das aber bei dem damaligen Stand der neurowissenschaftlichen Forschung nur für die untersten Ebenen verwirklichen. Auch für die oberen Ebenen ist dies heute in weiten Teilen gelungen (Grawe 2004). Hierüber und über die Erkenntnisse zur lebenslangen neuronalen Plastizität ist auch eine wesentliche Basis gelegt für das Lernen in Organisationen. Ein Beispiel für eine Alltagshandlung aus konsistenztheoretischer Sicht ist die Folgende (Becker 1995, S.79): Prinzip: Sei ein netter Mensch Programm: Biete deinen Gästen etwas zu trinken an Handlung und Teilhandlungen: Fülle Kaffeepulver in die Kaffeemaschine Fülle den Messlöffel mit Kaffeepulver Tauche den Messlöffel in die Kaffeedose Hand soll Messlöffel umfassen … Hierüber wird jeweils der sensorische Input (z.B. Muskelanspannungen) registriert sowie die Ergebnisse verschiedener Art. Beides dient dann der Regulation der Handlung. Auf allen diesen Ebenen können nun auch Veränderungen erfolgen – entweder, weil etwas in „Ansätzen“ nicht erfolgreich ist (Gäste trinken lieber Tee) oder aus eigener Erkenntnis (Messlöffel mit der rechten Hand zu nutzen geht einfacher als mit der linken Hand) oder aus Vorbilderleben (jemand Anderes macht eine einfachere Abfolge vor-bewusst, unbewusst). Diese Veränderungen wahrnehmen, verinnerlichen und in der Folge anwenden, bedeutet lernen – und dies auf ganz verschiedenen Ebenen. Gemäß dem konsistenztheoretischen Modell des psychischen Geschehens nach Grawe (2004) streben Menschen nach der Erfüllung ihrer physischen und psychischen Bedürfnisse (Abbildung 2). Diese werden dann in motivationale Schemata transformiert (Motive, Einstellungen...), die ihrerseits zu Zielen führen. Ziele werden in Handlungen umgewandelt (zur Zielerfüllung). Bei den Handlungen können die Folgenden unterschieden werden:
Vorgegebene Handlungen: Durchzuführende Handlungen, deren Ausführungsbestimmungen genau vorgegeben sind. Selbstgesteuerte Handlungen: Handlungen, bei denen Rahmen usw. vorgegeben ist, der dann in Grenzen selbständig ausgestaltet werden kann.
302
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg Improvisierte Handlungen: Vorgabe, Regeln usw. sind nicht ausreichend, sodass die fehlenden Bereiche von den Handelnden selbstständig ausgefüllt werden über Improvisation. Selbstorganisationsbasierte Handlungen: Vorgaben werden als Anlass zur Änderung aufgegriffen und selbstorganisiert in Veränderungen überführt – mit nicht vorhersehbaren Ergebnissen.
Im betrieblichen Kontext sind alle Handlungsarten von Bedeutung. Hierbei zeigt sich die Einheit von organisationalen Handlungen, Lernen und der Nützlichkeit einer systemischselbstorganisationstheoretischen Sichtweise.
Systemebene Indikatoren
Rückmeldung über Inkonsistenz
neuronale,psychische/ physischeProzesse Streben nach Konsistenz Energien
Grundbedürfnisse Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
Bedürfnis nach Lustgewinn Lustgewinn Unlustvermeidung Unlustvermeidung
Rückmeldung über Bedürfnisbefriedigung
Bindungs-bedürfnis
Streben nach Bedürfnisbefriedigung
Motivationale Schemata Inkongruenzsignale
Annäherung
Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz
Vermeidung
Gefühle Emotionen
Aktivierung motivationaler Schemata
ZieleundWünsche ZieleundWünsche Inkongruenzsignale
SMART
Streben nach Zielerreichung
ErlebenundVerhalten HandlungenzurZielund HandlungenzurZiel und Wunscherreichung Wunscherreichung
Abbildung 2: Modell des psychischen Geschehens (in Anlehnung an: Grawe 2004, S. 189)
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
4.
303
Vorgehensweise zur partizipativen Definition und Gestaltung (Optimierung) der Dienstleistungsproduktivität
Die von den Autoren entwickelte und bereits in mehreren Organisationen, u.a. Dienstleistungsorganisationen, erprobte Vorgehensweise soll im Folgenden erläutert werden. Im Wesentlichen sind zwei Phasen zu unterscheiden: die Analyse-, Planungs- und Entwicklungsphase und die Umsetzungs-, die Realisierungsphase. In der ersten Phase wird mit Vertretern der Gruppen möglichst aller relevanten Beteiligten an den Dienstleistungsprozessen mittels Methoden aus verschiedenen Bereichen des Industrial- und Service-Engineerings, der systemischen Beratung und der Systemwissenschaft ein gemeinsames Modell des Gesamtsystems entwickelt. Die relevanten Wirkgrößen werden definiert, priorisiert und die gesamten Strukturzusammenhänge modellhaft abgebildet. Hierbei erarbeiten die Beteiligten ein gemeinsames Verständnis der organisationalen Bedingungen und der Einflussgrößen, die die Dynamik des Systems wesentlich bestimmen und das System genau zu dem machen, was und wie es ist. Ein Teil dieser Einflussgrößen wird von Führungs- und Arbeitshandlungen gebildet sowie von Haltungen, Einstellungen der Beteiligten und der Beziehungsgestaltung über kommunikative und kooperative Prozesse. Die besonders bedeutsamen und/oder besonders schwierig durchzuführenden Handlungen werden dann ermittelt sowie die handlungsleitenden betrieblichen (expliziten und impliziten) Regeln und die konkreten Ergebnisse (qualitativ und quantitativ). In der zweiten Phase, der Umsetzungsphase, werden dann diese Handlungen (alle relevanten Handlungen planender, entscheidender, durchführender, kontrollierender, informierender Art usw.), die unterschiedliche Arten und Weisen der Handlungsausführung und die dahinter liegenden Haltungen, Einstellungen und Regeln (als Konkretisierung der betreffenden Organisationskultur) in einem geleiteten Reflexionsprozess in konkreten betrieblichen Arbeitssituationen jedweder Art (Einzel-, Teamarbeit, Besprechungen usw.) bezüglich ihrer Berücksichtigung überprüft (reflektiert). Schlussfolgerungen für weitere Aktivitäten werden gezogen und konkrete Vereinbarungen zur Optimierung getroffen. Dies bedeutet Lernen, entsprechend der vorstehend ausgeführten neurowissenschaftlichen Sicht, aber auch der Theorie U von Scharmer (2009) folgend (genaues Wahrnehmen, Verinnerlichen und in Handlung umsetzen). Zur Verbreitung der Erkenntnisse über den Kreis der jeweils Betroffenen hinausgehend werden diese anonymisiert und in allgemeiner Form dargestellt und unternehmensweit verbreitet. Den Führungskräften kommt hierbei eine besondere Rolle als Multiplikator und bezüglich einer Vorbildfunktion zu, die entscheidend für den Erfolg ist.
304
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
4.1 Systemanalyse- und Planungsphase zur Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität Abbildung 3 zeigt den prinzipiellen Ablauf der gesamten Systemanalyse als Basis der Definition und Gestaltung (bzw. Optimierung) der Dienstleistungsproduktivität. Das Vorgehen wird in Heeg et al. 2008 und in Heeg et al. 2010 am Beispiel der Ermittlung und Verminderung bzw. Beseitigung von Stressoren (psychosozialer Belastungsgrößen) dargestellt – mit der wichtigen Folge der Steigerung von Effizienz und Effektivität der betrieblichen Leistungserstellung. 2
1 P
U B Z
H
R V
3 4
A
B
C
D
E F
5 6
2/2
A
A
SE
3/2
BE
C
EE
3/2
F
GBE B
E
2/3
1/3
7
AFA BCB AFDBCA AEBFA
DBCEBFD EAFCE EBCE EBFCE EBFAE
D
2/1
8 Nr.
SG
RKK
AW
U
UW
P
RF
%
ABC
1
A
14
9
2
0
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3
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A
2
B
17
13
2
-1
52
4
87,3
A
3
C
11
11
3
1
132
2
64,5
A
4
D
9
6
2
1
48
5
97,6
B
5
E
15
11
1
-2
11
6
100,0
C
6
F
16
14
3
1
163
1
36,1
A
465
Abbildung 3: Systemanalyse als Basis der Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität (Quelle: Heeg et al. 2010)
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
305
Nutzt man das Vorgehen zur Erhöhung der betrieblichen Effizienz und Effektivität, erhält man gleichzeitig eine Minderung bzw. Beseitigung psychosozialer Belastungsgrößen.
4.1.1 Ermittlung der relevanten Systemgrößen Im ersten Schritt werden u.a. zu folgenden Bereichen Informationen erhoben:
Wichtige Größen, Faktoren, die die Bedeutung des jeweiligen zu betrachtenden Systems ausmachen, die dieses System wertvoll machen, die die Dynamik bedingen, die wertschöpfend sind. Ziele einer beabsichtigten Veränderung des Systems. Visionen zur Neugestaltung. Probleme und deren Ursachen, die zukünftig beseitigt sein sollen. Hindernisse auf dem Weg der Verbesserung. Erwartete positive und negative Ergebnisse bei einer Systemveränderung. Ressourcen, die eine Veränderung in prominenter Form unterstützen können (betriebsintern, -extern). Beteiligte an den Problemen, für die Ziele, am System. Verdeckter Gewinn, der sich dadurch ergibt, dass alles so bleibt, wie es ist, und der das System stabilisiert.
Die von den Beteiligten benannten Aspekte zu den einzelnen Größen (Bereichen) ergeben ein Modell des relevanten Systems 1. Ordnung. Über die bildhafte Darstellung wird an den emotional-assoziativen Gedächtnisspeicher angeknüpft, sodass einerseits auch der Zugang zu Emotionen ermöglicht wird und andererseits assoziative Verknüpfungen an den unbewussten Erinnerungsspeicher ermöglicht werden und sich teilweise auch für die Betroffenen neue, andere Einsichten, Erkenntnisse usw. entwickeln, die weiterführender sind als die Ergebnisse „bloßen bewussten Nachdenkens“. Nach der erfolgten Dokumentation (beispielsweise mittels Digitalkamera) werden die inhaltlichen Aspekte umsortiert (Schritt 2 in Abbildung 3). Die Beteiligten definieren Gruppen von Aspekte, die aus ihrer Sicht einen engen Bezug zueinander haben. Hierbei ist die Eineindeutigkeit der Zuordnung von besonderer Wichtigkeit: Die einander zugeordneten Inhalte lassen sich alle einem Oberbegriff eindeutig unterordnen und der Oberbegriff umfasst eindeutig alle ihm zugeordneten Inhalte. Die gebildeten Oberbegriffe (Schritt 3 in Abbildung 3) zu den einzelnen Gruppen werden in aller Regel positiv formuliert. Sie stellen die Größen dar, die die Dynamik des Systems bestimmen. Von Ihrer Ausprägung hängt es ab, wie sich die Wirkungsdynamik im System entfalten kann und wohin sich das gesamte System „bewegt“. Dies ergibt die Systemgrößen für das Systemmodell 2. Ordnung, das gemäß Abbildung 3 im 6. Schritt entwickelt wird. In aller Regel geht es bei den Oberbegriffen um Qualitäten und Quantitäten: Menge an verfügbaren Mitarbeitenden, Qualität der Aufgabendurchführung, Führungskompetenz, Höhe der Arbeitsbelastung, Anzahl der Kundenbeschwerden, Qualität der Ergebnisse.
306
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
4.1.2 Ermittlung der Beziehungsdynamik der beteiligten Personen(-Gruppen) Für die im ersten Schritt der Abbildung 3 definierten relevanten beteiligten Personen(Gruppen) werden die Beziehungsmuster ermittelt (Erfahrung der Beteiligten). Die Kooperationsbeziehungen und die daraus resultierenden positiven oder negativen Folgen (z.B. gutes vertrauensvolles Aufeinander-Abgestimmtsein bzw. konfliktäres Neben- oder Gegeneinander) sind für die Systemdynamik von besonderer Bedeutung (auch die „Tabuthemen“ spielen hier eine wichtige Rolle) – Schritte 4 und 5 der Abbildung 3.
4.1.3 Ermittlung der gesamten Systemdynamik und Bewertung der Systemgrößen bezüglich ihrer Relevanz im System Im nun folgenden Schritt 6 in Abbildung 3 werden zwischen den vorher als Oberbegriffe über die Themencluster gebildeten Systemgrößen direkte „Wenn-Dann-Beziehungen“ entwickelt. Als Beispiel seien die folgenden Beziehungen aufgeführt:
Wenn sich die Einstellung zur Aufgabenerledigung verbessert, wird das Arbeitshandeln ebenfalls besser. Wenn Aufgaben methodisch eindeutig und gleichartig unterstützt werden, verbessert sich die Aufgabendurchführung. Wenn die Aufgabenerledigung optimiert wird, verbessern sich die erhaltenen Ergebnisse.
Die Systemgrößen werden gemäß diesen Wenn-Dann-Beziehungen auf einer Pin-Wand angeordnet (oder auf dem Boden oder einem großen Tisch) unter Hinzufügen der Verbindungspfeile (entsprechend den Wenn-Dann-Beziehungen). So entsteht nun sukzessive das Modell des betreffenden Systems, charakterisiert über die Wirkgrößen (die die Dynamik des Systems bedingen), die Beeinflussungen der benachbarten Größen durch diese jeweilige Größe (von dieser ausgehende Pfeile), die Beeinflussungen dieser Größe durch benachbarte Größen (eingehende Pfeile in dieser Größe) und die Beeinflussungen über mehrere bis viele Größen hinweg (charakterisiert durch die Rückkopplungsschleifen – gehen von der jeweiligen Größe aus und wieder zu dieser zurück). Je stärker eine Systemgröße andere beeinflusst (direkt und indirekt), umso bedeutsamer ist sie im Gesamtsystem. Relativiert wird dies durch die Beeinflussung dieser Größe durch andere Wirkgrößen. Abbildung 4 zeigt den Wirkgraphen eines betrieblichen Systems als Beispiel.
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
Gesundheit GH 10
Betriebsklima BK 11
+
Bereitschaft zur Kommunikation KB 7
-
+
-
Bauteilqualität BQ 5
+
+
+
-
Führungshandeln FH 3
+
Kundenzufriedenheit KZH 1
-
Stress/Druck SD 2
Termineinhaltung TE 4
+
+ Qualität der Kommunikation K8
+
+
+
+Konflikt-
gegenseitige Wertschätzung GWS 9
+
häufigkeit KH 6
-
+
+
Flächenangebot F 21
-
Anzahl neue Maschinen AM 23
+
-
Auftragslisten AL 13
+
Auftragssteuerung AS 12
Entlohnungsprinzip EP 25
307
Fertigungsabläufe FA 14
+ Entscheidungshandeln EH 15
+
Zahl der verschw. Bauteile ZVB 22
Zahl der gefert. Bauteile ZVB 20
-
+ Maschinenauslastung MA 19
+
Arbeitsverteilung AVT 16
+ aufgabenfremdes Handeln AFH 18
Arbeitshandeln AH 17
+ +
+ Kosten KO 24
Abbildung 4: Wirkgraph eines betrieblichen Systems Mit den vorstehenden Werten für die jeweiligen Systemgrößen
Summe der Ursachen („U“ in Abbildung 3, Schritt 8), Summe der (Ursachen-Wirkung) („UW“ in Abbildung 3, Schritt 8), Summe der Einbindungen in Rückkopplungsschleifen (Abbildung 3, Schritt 7)
lässt sich nun die Gesamtwirkung („AW“ in Abbildung 3, Schritt 8) einer Systemgröße berechnen („P“ in Abbildung 3, Schritt 8) und hierüber die Rangfolge und die Zuordnung zu den Größenklassen A, B oder C. Auf dem Rechenalgorithmus soll hier nicht näher eingegangen werden. Interessierte seien auf Heeg et al. (2008) verwiesen, die den Algorithmus zur Berechnung ableiten und an Beispielen verdeutlichen. Es ist nicht ganz trivial, aus dem Bild des Wirkungsgraphen alle Rückkopplungsschleifen „von Hand“ zu ermitteln, insbesondere in Fällen, in denen 20 bis 30 Systemgrößen bis zu mehreren Hundert Rückkopplungsschleifen bilden. Hier macht es dann Sinn, diese Rückkopplungsschleifen aus der nxn-Matrix der Systemgrößen zu entnehmen oder ein diesbezügliches Werkzeug zu verwenden. Das prinzipielle Vorgehen soll an dem Beispiel des Wirkgraphen im Schritt 6 der Abbildung 3 erläutert werden.
308
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
Umgesetzt in eine Matrix, ergibt sich die Darstellung in Abbildung 5. Die Zeilensummen stellen die Anzahl der Ursachen für die jeweiligen Systemgrößen dar, die Spaltensummen die Anzahl der Wirkungen. Mit Hilfe dieser Matrix ermittelt man nun die Rückkopplungsschleifen durch sukzessives „Verfolgen“ der Wirkungen der Systemgrößen. So beginnt man mit „A wirkt auf E, E wirkt auf B, B wirkt auf C, C wirkt auf A“. Hier liegt die erste Rückkopplungsschleife vor.
A A B C D E F W
B
C
D
E 1
1 1
1 2
1 1 1 3
F 1 1
1 1 1 2
1 1
3
U 2 2 3 2 1 3
2
Abbildung 5: Matrix der Systemgrößen des Wirkgraphen von Abbildung 3 Dann schreitet man mit dieser Sukzessiv-Methode weiter vor: A wirkt auf E, E wirkt auf B, B wirkt auf C, C wirkt auf B. Hier ist keine Rückkopplungsschleife zu A möglich, da eine innere Schleife A – C – B vorliegt. In der Folge erhält man („–“ bedeutet dabei: keine Rückkopplungsschleife zur Ausgangssystemgröße, „+“ Rückkopplungsschleife zur Ausgangssystemgröße): A – E – B – C – E –; A – E – B – F – A +; A – E – B – F – C – A +; usw. Rechnergestützt lässt sich diese Aufgabe einfacher erledigen.
4.2 Geleiteter betrieblicher Reflexionsprozess zur Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität Gemäß den vorstehend beschriebenen Arbeiten sind die wesentlichen Wirkgrößen (die A-Größen gemäß einer ABC-Analyse) des jeweiligen zu betrachtenden Systems bekannt. Weiterhin sind die Detail-Aspekte dieser Größen (Clusterelemente aus Schritt 3 der Abbildung 3) bekannt. Diese Clusterelemente sind von besonderer Bedeutung für die Definition und Gestaltung der Dienstleistungsproduktivität. Die A-bewerteten Größen des Wirkgraphen (Systemdarstellung 2. Ordnung) und deren erklärende zugeordnete Elemente aus der Systemaufstellung (Systemdarstellung 1. Ordnung), ergänzt ggf. aus wichtigen Aussagen des Beziehungsgraphen, sind die Basis zur Definition der Dienstleistungsproduktivität. Ein zentraler Punkt für das Erreichen einer hohen Dienstleistungsproduktivität besteht darin, diesen Begriff von einem abstrakten Konzept in praktikable und alltagstaugliche Lösungen für die jeweilige Organisation zu überführen.
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
309
Was bedeutet „produktiv zu sein“ für die einzelnen Aufgabenbereiche, für die einzelnen Personen? Wie können alle Beteiligten ganz konkret produktiv handeln und diesbezügliche Ergebnisse erhalten (Wie genau müssen diese dann beschaffen sein?)? Wie werden diese Handlungen durch entsprechend gestaltete Prozesse, Regeln, Führungsgrundsätze und Strukturen unterstützt? Auf welcher Ebene der Handlungen (und ihrer Regulation) ist es sinnvoll, die konkrete Handlungsausführung und die hierbei erwarteten konkreten Ergebnisse zu betrachten? Diese Fragen werden im Rahmen einer geleiteten Reflexion (unterstützt von einem/einer methodenkundigen Prozessbegleiter/-in) beantwortet.
4.2.1 Geleitete Reflexion von Aufgaben und Handlungen zu Merkmalen der Dienstleistungsproduktivität Die Bestimmung der Dienstleistungsproduktivität erfolgt darüber, dass in den verschiedenen Aufgabenbereichen (Funktionsbereichen, Prozessschritten) einschließlich der verschiedenen hierarchischen Ebenen die bedeutsamsten und ergänzend hierzu die schwierigsten Aufgaben (subjektive Bewertung durch die Aufgabenträger) ermittelt werden. Gemäß Abbildung 6 werden dann die zur Aufgabenerledigung erforderlichen konkreten Handlungen ermittelt sowie deren Attribute (Merkmale), die sich auf die A-bewerteten Systemgrößen beziehen. Gleichermaßen wird mit den jeweiligen, durch die Handlungen zu erreichenden Ergebnissen verfahren. Die in der Abbildung 6 erwähnten Ausprägungsstufen werden nicht lediglich in Zahlenform angegeben (entsprechend beispielsweise einer Notenskala von 1 bis 5). Die Ausprägungsstufen werden in einer Form beschrieben, die eine möglichst objektive Zuordnung von realen Handlungen erlaubt – und dies intersubjektiv. Wenn die Ebene der Handlungen noch zu abstrakt ist, um sinnvolle Merkmale hierzu zu bestimmen, wird die Handlung in Teilhandlungen heruntergebrochen. Auf dieser Ebene werden dann die attributiven Merkmale ermittelt – auch die für die hierbei erwarteten Ergebnisse. Die vorstehend definierten Elemente – Aufgaben, Handlungen, erwartete Ergebnisse, Merkmale und Merkmalsausprägungen – erlauben nun, diese in mehreren Richtungen zu nutzen:
In einem geleiteten Reflexionsprozess werden die Handlungen und Aufgaben sukzessive verbessert – und damit auch die jeweils erzielten Ergebnisse. Die Merkmale (und die jeweiligen Ausprägungen für die Optimalwerte) können in Form von handlungsleitenden Regeln definiert werden. Diese können visualisiert werden und Allen zugänglich gemacht werden. Sie können die Basis für Workshops, Qualitätszirkel usw. bilden sowie in Mitarbeitergesprächen und bei ähnlichen Anlässen verwendet werden. Die Merkmale und Ausprägungsstufen können im Rahmen von Personal/Kompetenzentwicklungsmaßnahmen Anwendung finden: zur Ausgestaltung eines
310
Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg Kompetenzerhebungsinstrumentes, zur Entwicklung konkreter Fallbeispiele zur Kompetenzsteigerung oder Kompetenzüberprüfung im Rahmen von Trainings oder Potentialanalysen usw. Die Merkmale und Ausprägungsstufen dienen der Definition eines dynamischen Dienstleistungsproduktivitätsbegriffes. Dieser besteht dann für den jeweiligen Aufgabenbereich aus der Summe der Merkmale und der Ausprägungen. Höchste Produktivität liegt vor, wenn die Ausprägungen in der jeweils höchsten Stufe vorliegen. Maßnahmen zur Erreichung der höchsten Produktivitätsstufe bzw. zur Entwicklung des Weges dorthin ergeben sich dann auch in sehr konkreter Form. Hieraus ergeben sich dann die erforderlichen kompetenzentwickelnden oder organisatorischen Maßnahmen – ebenfalls konkreter Art.
Aufgaben
Handlungen
Ergebnisse
*=z.B.bestedenkbareAusprägungsstufe=5 geradenochvertretbareAusprägungsstufe=1 undentsprechendeZwischenstufen(2,3,4)
Merkmaleder Durchführung
Merkmaleder erwarteten/erreichten Ergebnisse
Merkmalsausprägungen*
Abbildung 6: Von Aufgaben zu konkreten Merkmalen der Durchführung und der Ergebniserreichung Das folgende Beispiel soll der Erläuterung der vorstehenden Ausführungen dienen. In einer Dienstleistungsorganisation wurden die Systemgrößen ermittelt. Die ranghöchsten Größen waren Haltung, Regeln und Führungsverhalten. Die wichtigsten und schwierigsten Aufgaben wurden ebenfalls ermittelt. Hier ergaben sich u.a. die Aufgaben „Verhandlungen mit Externen“ und „interne Koordination der Aufgaben, an denen mehrere Bereiche beteiligt sind“, als sehr schwierig. Diese werden fach-/inhaltsspezifisch von verschiedenen Personen durchgeführt – und dies in unterschiedlicher Art und Weise mit entsprechend unterschiedlichen Ergebnissen. Die Erhebung von Erfolgskriterien für erfolgreiche Verhandlungen mit verschiedenen Personen ergab u.a. folgende Aussagen:
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
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Bei Absprachen muss sichergestellt sein, dass bei den Beteiligten ein genau gleiches Verständnis vom Ziel, erwarteten Ergebnis, Weg zur Zielerreichung und der benötigten Zeit besteht. Die Eigendarstellung muss in einer Art und Weise erfolgen, dass beim Verhandlungspartner Interesse erweckt und der Nutzen der Zusammenarbeit deutlich wird. Vom Verhandlungspartner muss aktiv eine konkrete Rückmeldung eingeholt werden und zur Verbesserung von Handlungen usw. genutzt werden. Der zur Verfügung stehende Verhandlungsrahmen wird eindeutig vor der Verhandlung abgeklärt. Es ist sichergestellt, dass alle internen Personen, auf die das jeweilige Thema eine direkte Auswirkung hat oder die einen konkreten Beitrag leisten können, vorab informiert und einbezogen werden.
Diese Erfolgskriterien ermöglichen es zum Einen, Handlungen zu definieren und erwartete Ergebnisse sowie zum Anderen Merkmale (Attribute) hierzu, die sich von den relevanten Systemgrößen und den diesen zugeordneten Elementen ableiten. So folgt hieraus z.B. die Handlung „Die Erwartungen, Interessen, Bedürfnisse und Ziele der Beteiligten werden aufgenommen, verstanden und berücksichtigt“ und „Das erreichte Ergebnis beinhaltet diese bzw. stellt einen Konsens oder Kompromiss hierzu dar, der von Allen akzeptiert wird und als „Gewinn“ gesehen wird“. Merkmale sind u.a. hierfür:
Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse sind eindeutig und klar unterschiedene Begriffe. Die eigenen Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse sind allen internen Beteiligten klar. Sie liegen in einer nach außen eindeutigen und abgestimmten Form vor. Sie werden dem Verhandlungspartner in transparenter, nachvollziehbarer Form zum angemessenen Zeitpunkt vermittelt, z.B. in schriftlicher Form (Flipchart o.ä.). Die Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse der Verhandlungspartner werden durch Nachfragen abgeklärt, bis ein gemeinsames Verständnis erreicht ist. Dieses wird für Alle sichtbar dargestellt. Es wird überprüft, dass Ergebnisvorschläge die Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen usw.
Hieraus können leicht Regeln entwickelt werden sowie Fragen für Reflexionstermine bzw. für ein Kompetenzentwicklungsinstrument (Erhebungsbogen). Des Weiteren liegen hierüber sehr konkrete Anforderungen an Kompetenzentwicklungsmaßnahmen vor.
4.2.2 Geleitete Reflexion als Prozess Die auf die vorstehend beschriebene Art und Weise ermittelten Handlungen, Merkmale und Merkmalsausprägungen werden dann in einem permanenten Verbesserungsprozess genutzt, indem aufgabenbereichsbezogen eine Reflexion der eigenen Handlungen erfolgt
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Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
und die Ergebnisse zur Optimierung der eigenen Handlungen verwendet und in geeigneter Form (bei Treffen, über Intranet usw.) Anderen zugänglich gemacht werden (dazu allerdings anonymisiert). Abbildung 7 zeigt diese Abfolge. In Abbildung 8 wird das System des betrieblichen Handelns bei geleiteter Reflexion in Wirkgraphenform dargestellt. Die tatsächlich erzielten Ergebnisse des betrieblichen Handelns (des Führungs- und des Arbeitshandelns) sowie die Art und Weise dieses Handelns (Merkmale des Handelns) und die zugehörigen Regeln werden reflektiert und führen zu einer kontinuierlichen Verbesserung dieser Systemgrößen sowie der Kompetenzen der Beteiligten. Dem systematischen Lenkungshandeln und der Nutzung unterstützender Werkzeuge kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Erarbeitet man in der vorstehend skizzierten Art die attributiven Merkmale und Ausprägungen für die relevanten konkreten Handlungen in allen Aufgabenbereichen einer Organisation, so erhält man hierüber in der Gesamtheit die organisationsbezogene Definition der Dienstleistungsproduktivität. Für das vorher erwähnte Beispiel einer Dienstleistungsorganisation ergibt sich folgendes Produktivitätsmodell: kontinuierliche Verbesserung Reflexion
Ereignisse
Verallgemeinerung (Anonymisierung usw.)
+ Information aller Akteure
optimierte nachfolgende Ereignisse mit anderen Akteuren kontinuierliche Verbesserung
Abbildung 7: Geleitete Reflexion als Prozess Organisationale Dienstleistungsproduktivität:
Führungsproduktivität,
Entscheidungsproduktivität, Mitarbeitenden-Führungsproduktivität, Unternehmens-Führungsproduktivität, Informationsvermittlungsproduktivität,
optimierte nachfolgende Ereignisse mit gleichen Akteuren
Personale und organisationale Aspekte der Dienstleistungsproduktivität
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Methodenproduktivität, Problemlöseproduktivität, Tool-/Werkzeug-Nutzungs- und Entwicklungsproduktivität,
Kommunikationsproduktivität, Gesprächsführungsproduktivität, Verhandlungsproduktivität, Konfliktbewältigungsproduktivität,
Beziehungsproduktivität, Kooperationsproduktivität, Informationsbeschaffungs- und weitergabeproduktivität, Verantwortungsübernahme- und ausübungsproduktivität,
Fach-/Inhaltsproduktivität (für jeden Aufgabenbereich spezifisch).
+ + Kompetenzentwicklung KE
+
+
Regeln R
+
Arbeitskompetenz AK (inkl. Haltung)
+
+
+ Führungshandeln FH
Lenkungshandeln der Reflexion LH
+
Arbeitshandeln AH
+
+
+
+ Ergebnisse E
+ Vorgaben/ Anleitung Tool VA
+ Ergebnisse = Attribute des „was“ und des „wie“
+ +
Reflexion RX
Kommunikation K
+
+
+
Dokumentation D
+ Regelentwicklung RE
+
+ kontinuierliche Verbesserung KV
+
+
+
+
Führungskompetenz FK (inkl. Haltung)
+
+
+
Abbildung 8: Systemmodell (Wirkgraph) des betrieblichen Handelns bei geleiteter Reflexion
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Franz J. Heeg und Brigitte Schneider-Heeg
Somit erhält man ein Gesamtmodell der Dienstleistungsproduktivität, bei dem etliche Teilgrößen eine allgemeine Bedeutung haben, einige eine spezifische. Nicht alle Teilgrößen sind für Alle zutreffend. In jedem Fall sind die höchsten Merkmalsausprägungen anzustreben (kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Analog hierzu lassen sich die erforderlichen Kompetenzen für die Aufgabendurchführenden definieren und beispielsweise mit einem Erhebungsinstrument mit entsprechenden Fragen ermitteln (z.B. als Abgleich von Selbstbewertung und Fremdbewertung durch die jeweilige Führungskraft für vorher definierte Aufgaben oder Situationen). Drei exemplarische Fragen sollen dies veranschaulichen, wobei sich die Fragen auf die Verhandlungskompetenz (analog der Verhandlungsproduktivität) beziehen und auf die Aussagen des Abschnittes 4.2.1.
Werden die eigenen Interessen und Bedarfe, Bedürfnisse und Erfordernisse klar und nachvollziehbar kommuniziert und auch tatsächlich erreicht bzw. werden Ergebnisse erreicht, die als Konsens oder Kompromiss für die Beteiligten vollständig akzeptabel sind? Werden die Interessen, Bedarfe, Bedürfnisse und Erfordernisse Anderer verstanden (ggf. nachgefragt), berücksichtigt, erfüllt oder zu einem für alle Seiten akzeptablen Konsens bzw. Kompromiss geführt? Wird der zur Verfügung stehende Verhandlungsrahmen vor einer Verhandlung mit der jeweils zuständigen Person bzw. Instanz abgeklärt, d.h. insbesondere genau definiert und bei Verhandlungen entsprechend der Klärung ausgenutzt?
Bei einem derartigen Kompetenz-Erhebungsinstrument können die Erfüllungsgrade beispielsweise in Prozentskalenform ausgestaltet werden.
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Marion Büttgen und Julian Volz
Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen auf die Produktivität im Finanzdienstleistungsbereich 1. Einleitung 2. Kennzeichnung von Kundenberatungssituationen im Dienstleistungsbereich 2.1 Begriffsabgrenzung und Grundlagen der Kundenberatung 2.2 Der Dienstleistungscharakter der Kundenberatung 3. Theoretische Fundierung von Rollenkonflikten in der Anlageberatung 3.1 Dienstleistungsspezifische Arten von Rollenkonflikten 3.2 Entstehung von Rollenkonflikten in der Anlageberatung 3.2.1 Person-Rollenkonflikte in der Anlageberatung 3.2.2 Intra-Rollenkonflikte in der Anlageberatung 3.3 Mitarbeiterseitige Ansätze zum Umgang mit Rollenkonflikten in der Anlageberatung 4. Dienstleistungsproduktivität in der Anlageberatung und deren Beeinflussung durch Rollenkonflikte 4.1 Ansätze zur Erfassung der Beratungsproduktivität 4.2 Auswirkungen von Rollenkonflikten auf die Beratungsproduktivität 4.2.1 Auswirkungen eines wertorientierten Konfliktlösungsverhaltens auf die Produktivität der Anlageberatung 4.2.2 Auswirkungen eines zweckorientierten Konfliktlösungsverhaltens auf die Produktivität der Anlageberatung 4.3 Ansätze zur Reduktion negativer Produktivitätswirkungen 5. Fazit Literaturverzeichnis M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr. Marion Büttgen ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensführung, Universität Hohenheim. Dipl. oec. Julian Volz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter/Doktorand am Lehrstuhl für Unternehmensführung, Universität Hohenheim.
1.
Einleitung
Nicht zuletzt durch die gravierenden Auswirkungen der Finanzkrise hat sich die Wettbewerbssituation im Markt für Finanzdienstleistungen in den letzten Jahren systematisch verschärft. Begriffe wie Produktivität, Profitabilität und Effizienz haben zunehmend an Bedeutung gewonnen und zu einem enormen Verkaufsdruck im Bereich der Anlageberatung geführt (Verdi 2010). Infolgedessen beraten Anlageberater ihre Kunden in der heutigen Zeit häufig primär im Sinne der vorgegebenen Verkaufsziele, wobei sie die individuellen Bedürfnisse der Kunden teilweise außer Acht lassen (müssen). Ein solches Verhalten wurde durch verschiedene Studien in der jüngsten Vergangenheit dokumentiert, nach denen zahlreiche Kunden bei Vorsorge- oder Investitionsentscheidungen nicht bedürfnisgerecht bzw. falsch beraten wurden (Bergermann 2008a; Tagesspiegel 2009; Kruse 2010), was zu einem massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung führte (Deutsche SparkassenZeitung 2009; ING DiBa 2010). Die hiermit einhergehende Verringerung der Kundenzufriedenheit, -loyalität und -rentabilität i.V.m. einer gesteigerten Preissensibilität und Wechselbereitschaft der Kunden (Accenture 2010) führen dazu, dass Banken bis heute unter den Auswirkungen der Finanzkrise leiden (ING DiBa 2010). In besonderer Weise betroffen von der Finanzkrise sind jedoch auch die Anlageberater selbst, die an der Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunde agieren und somit eine sog. „boundary spanning role“ einnehmen (Adams 1976; Aldrich/Herker 1977; Bowen/Schneider 1985; Ross/Boles 1994). Dabei werden sie häufig mit konfliktären Erwartungen und Ansprüchen von Management- und Kundenseite konfrontiert, deren gleichzeitige Erfüllung kaum möglich ist. Diverse Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeitende in solchen Schnittstellenfunktionen häufig Rollenkonflikte erleiden (Shamir 1980; Behrman/Perreault 1984; Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996; Singh 1998; Chebab/Kollias 2000; Singh 2000; Chung/Schneider 2002; Karatepe et al. 2006), welche sich negativ auf deren Verhalten auswirken können (Churchill et al. 1985; Singh 2000; Bettencourt/Brown 2003). Das Anliegen dieses Beitrags ist es daher, relevante Rollenkonflikte von Anlageberatern zu identifizieren, deren Auswirkungen auf die Produktivität offenzulegen und managementseitige Möglichkeiten einer positiven Einflussnahme auf die vorhandenen Rollenkonflikte und deren Produktivitätswirkungen aufzuzeigen. Hierzu wird zunächst die Leistung der Anlageberatung spezifiziert, anschließend eine theoretisch fundierte Analyse potenzieller Rollenkonflikte von Anlageberatern vorgenommen, um letztlich deren produktivitätsbezogene Auswirkungen zu untersuchen.
320
2.
Marion Büttgen und Julian Volz
Kennzeichnung von Kundenberatungssituationen im Dienstleistungsbereich
2.1 Begriffsabgrenzung und Grundlagen der Kundenberatung Betrachtet man die bisherigen, aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen stammenden Forschungsbeiträge im Bereich der Beratung, so zeigt sich, dass der Großteil dieser Arbeiten keine oder eine nur unzureichende Präzisierung des Beratungsbegriffes vornimmt (Kröber 1991, S. 1ff.; Bruhn 1997, S. 50; Hackney/Cormier 2001, S. 2; Haas 2002, S. 8; Müller-Hagedorn 2002, S. 331ff.). Somit ist es wenig verwunderlich, dass auch der spezifischere Begriff der Kundenberatung bisher in der Literatur kaum explizit abgegrenzt bzw. definiert wurde. Eine der wenigen Ausnahmen stellt hier Stiller (2006) dar, der zunächst eine allgemeine Definition für den Begriff der Beratung erarbeitet, um hierauf aufbauend die spezifische Leistung der Produktberatung zu konkretisieren und abzugrenzen. „Produktberatung ist die Unterstützung, die ein Verkäufer einem Kunden mittels Interaktion zur Lösung eines vom Kunden aufgezeigten Kaufentscheidungsproblems zukommen lässt, welches sich aus der Wahl einer Produktalternative aus einer Menge vergleichbarer Alternativen ergibt“ (Stiller 2006, S. 8). Betrachtet man vor diesem Hintergrund klassische Kundenberatungssituationen wie beispielsweise die Finanzberatung von Privatkunden im Bereich der Altersvorsorge (Süchting/Paul 1998, S. 626; Bruhn/Georgi 2006, S. 55ff.), so lassen sich zahlreiche Gemeinsamkeiten feststellen. Auch hier erhält der Bankkunde (Kunde) im Rahmen seiner Kauf- bzw. Anlageentscheidung eine Unterstützungsleistung durch seinen Bankberater (Verkäufer). Im konkreten Fall der Altersvorsorge empfiehlt der Bankberater seinem Kunden beispielsweise spezifische Produkte und bietet somit Lösungsansätze für das gegebene Entscheidungsproblem an, wobei je nach Beratungsanliegen oder -kontext die Beratungsleistung durchaus auch darüber hinaus gehen kann, wenn z.B. zunächst die grundlegende, von konkreten Produkten unabhängige Anlagestrategie für den Kunden festgelegt wird. Daher ist im vorliegenden Kontext ein erweitertes Begriffsverständnis der Kundenberatung zugrunde zu legen. Anlageberatung ist hier zu verstehen als: „Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird (Anlageberatung)“ (§ 1 Abs. 1 a Satz 2 Nr. 1 a KWG).
Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen
321
2.2 Der Dienstleistungscharakter der Kundenberatung Im Hinblick auf den Untersuchungskontext dieses Beitrages gilt es im Folgenden zunächst zu klären, ob die spezifische Leistung der Kundenberatung eine Dienstleistung darstellt und somit die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus diesem Forschungsbereich auf sie Anwendung finden können. In der Dienstleistungsliteratur haben sich insbesondere folgende Merkmale zur Kennzeichnung und Abgrenzung von Dienstleistungen etabliert (Corsten/Gössinger 2007; Homburg/Krohmer 2009; Meffert/Bruhn 2009):
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des Dienstleistungsanbieters (Potenzialorientierte Dimension), Integration externer Produktionsfaktoren in die Leistungserstellung (Prozessorientierte Dimension), Immaterialität (oder Intangibilität) des Produktionsergebnisses (Ergebnisorientierte Dimension).
Diese sind auch Inhalt gängiger Definitionsansätze, die auf einer impliziten Phasenbetrachtung der potenzial-, prozess- und ergebnisorientierten Merkmale einer Dienstleistung basieren (z.B. Meffert/Bruhn 2009, S. 19). Mit der Fragestellung, ob die gängigen, als konstitutiv angesehenen Dienstleistungsmerkmale auch Gültigkeit für allgemeine Beratungsleistungen haben, beschäftigen sich insbesondere Holler (1999) und Stiller (2006), die dies überprüfen und bestätigen. Eine solche Prüfung soll nun für den konkreten Kontext der Kundenberatung im Finanzdienstleistungsbereich erfolgen. Der potenzialorientierte Aspekt einer Dienstleistung besagt, dass die Dienstleistungserstellung und deren Ergebnis insbesondere von der nachfrageorientierten Verfügbarkeit und Bereitstellung der Leistungsfähigkeit des Anbieters bestimmt wird. Somit kann der Anbieter im Vorfeld der Leistungserbringung lediglich ein Leistungsversprechen bzgl. des zu erwartenden Dienstleistungsergebnisses geben (Corsten/Gössinger 2007, S. 21f.; Meffert/Bruhn 2009, S. 40ff.; Haller 2010, S. 10ff.). Als Konsequenz ergibt sich für die Nachfrager ein relativ hohes Kaufrisiko, da sie nicht mit Sicherheit davon ausgehen können, dass das Ergebnis auch tatsächlich in der versprochenen Form bzw. Ausprägung eintritt (Stauss 1994, S. 236; Corsten/Gössinger 2007, S. 21f.). Gerade im Bereich der Anlageberatung ist die Leistungsfähigkeit des Anbieters von besonderer Bedeutung. So hat nicht zuletzt die Finanzkrise gezeigt, dass die Performance von Anlagestrategien maßgeblich von der Fachkompetenz (z.B. Wissen über Kapitalmärkte, Produktkenntnis und -auswahl, Kenntnis im Bereich der Asset Allocation, usw.) der Anlageberater abhängt (Bergermann 2008a; Tagesspiegel 2009; Schwerdtfeger 2010). Diese ist jedoch von einem Großteil der Privatkunden, die sich häufig durch geringe Kenntnisse über Finanzprodukte und -märkte auszeichnen, kaum beurteilbar. Somit ist festzuhalten, dass die Anlageberatung als aus Kundensicht nur schwer beurteilbares Angebot von (primär
322
Marion Büttgen und Julian Volz
personellen) Leistungsfähigkeiten das potenzialorientierte Charakteristikum einer Dienstleistung aufweist. Charakteristisch für die Anlageberatung ist zudem eine interaktive Leistungserstellung durch die beteiligten Parteien. Hierbei ist der Bankberater zur Ausarbeitung von Anlageempfehlungen bzw. Anlagestrategien insbesondere auf kundenspezifische Informationen bzgl. der Einkommens- und Vermögenssituation, der Risikobereitschaft, usw. angewiesen, die durch den Kunden in den Beratungsprozess eingebracht werden. Die Kundenberatung ist somit auch durch die Notwendigkeit der Integration externer Faktoren (Kunde bzw. kundenseitige Informationen) als weiteres konstitutives Merkmal einer Dienstleistung gekennzeichnet (Meffert/Bruhn 1997, S. 48; Corsten/Gössinger 2007, S. 27f.). Hinsichtlich der Immaterialität als letztem konstitutivem Merkmal ergibt sich zunächst das Problem, dass im Rahmen der Anlageberatung zahlreiche materielle Trägermedien erzeugt werden. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Präsentationen zu empfohlenen Anlagekonzepten sowie die seit 01.01.2010 vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Beratungsprotokolle (§34 WpHG; §14 WpDVerOV). Diese stellen im Grunde materielle Ergebnisse des Beratungsprozesses dar, die die Dienstleistung auf einer Trägersubstanz manifestieren. In der Literatur herrscht jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass derartige Trägermedien keinen Grund darstellen, einer Dienstleistung das Charakteristikum der Immaterialität abzusprechen (Maleri 1994, S. 89; Corsten/Gössinger 2007, S. 22). Dies gilt auch für die spezifische Leistung der Kundenberatung, bei der als Ergebnis der immaterielle Nutzen für den Kunden in Form eines Wissenszuwachses und/oder einer Entscheidungshilfe im Vordergrund steht. Es konnte gezeigt werden, dass die spezifische Beratungsleistung der Kundenberatung aus potenzial-, prozess- wie auch ergebnisorientierter Perspektive die wesentlichen Merkmale einer Dienstleistung aufweist und somit als solche einzustufen ist. Bei näherer Betrachtung der Anlageberatung ist zudem festzustellen, dass diese in zwei unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung treten kann:
Anlageberatung als produktbegleitende Dienstleistung (klassische Form der Anlageberatung) oder Anlageberatung als eigenständige, marktfähige Dienstleistung (innovative Form der Anlageberatung).
Die klassische Form der Anlageberatung findet sich insbesondere bei Privatbanken, Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen und unabhängigen Finanzberatern (z.B. AWD, MLP, Horbach und DVAG)1. Die Anlageberatung wird hierbei als produktbegleitende Dienstleistung erbracht (Backhaus/Voeth 2010, S. 276ff.), die dem Verkauf einer Kern-
1
Gem. § 2 Abs. 6 S. 1 Nr. 8 KWG handelt es sich hierbei um Finanzdienstleister, welche ausschließlich die Anlageberatung und die Anlage- und Abschlussvermittlung in Bezug auf Investmentfonds erbringen und nicht befugt sind, sich bei der Erbringung dieser Finanzdienstleistungen Eigentum oder Besitz an Geldern oder Anteilen von Kunden zu verschaffen.
Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen
323
leistung, wie beispielsweise bestimmter Finanzprodukte (z.B. Fonds, Optionsscheine, Zertifikate, geschlossene Beteiligungen, usw.), Versicherungsprodukte (z.B. RiesterProdukte, Renten-, Berufsunfähigkeits-, Lebensversicherungen, usw.) oder Immobilien dient. Die Kundenberatung erfolgt hierbei als Zusatzleistung und wird dem Kunden nicht explizit in Rechnung gestellt; vielmehr erfolgt – zumindest teilweise – eine indirekte Vergütung auf Basis von Provisionsabsprachen mit Drittanbietern, z.B. Fonds- oder Versicherungsgesellschaften. Demgegenüber lässt sich die so genannte Honorarberatung als eigenständige und marktfähige Form der Anlageberatung beobachten. Diese innovative Erscheinungsform der Anlageberatung wird vereinzelt durch Banken (z.B. Quirin-Bank) und unabhängige Finanzberater (z.B. VDH GmbH, Verbund Deutscher Honorarberater) angeboten. Charakteristisch für diese Erscheinungsform der Anlageberatung ist, dass – vergleichbar zur Steuer-, Rechts- und Unternehmensberatung – dem Kunden der tatsächliche Beratungsaufwand zu vereinbarten Beratungssätzen (z.B. gemessen in Stunden) in Rechnung gestellt wird (Heinneccius 2003, S. 118ff.). Bei dieser Form der Anlageberatung erfolgt im Gegensatz zur klassischen Beratung keine Quersubventionierung durch Provisionszahlungen oder sog. Kick-backs (Decker 2010, S. 6). Es ist anzumerken, dass sich die Honorarberatung bisher nicht nachhaltig am Markt für private Finanzanlageberatung durchsetzen konnte. Dies ist insbesondere dadurch begründet, dass eine Zahlungsbereitschaft der Kunden für Beratungsleistungen im vorliegenden Kontext kaum vorhanden ist. Dies steht im Einklang mit Erfahrungen in anderen Branchen (z.B. Touristikbranche, dem Fachhandel oder diversen Online-Angeboten), nach denen für Leistungen, welche über einen langen Zeitraum kostenfrei erhältlich waren, eine sehr geringe bzw. keine Zahlungsbereitschaft existiert. Daher konzentriert sich der vorliegende Beitrag im Folgenden auf die klassische Form der Anlageberatung, welche seit Jahrzenten weltweit in der Finanzbranche praktiziert wird.
3.
Theoretische Fundierung von Rollenkonflikten in der Anlageberatung
Bedingt durch die typische Konstellation im Rahmen der privaten Anlageberatung, die durch eine Dreiecksbeziehung zwischen Kunde, Kundenberater und Organisation (Management bzw. Vorgesetzter) gekennzeichnet ist (Dienstleistungstriade), können zahlreiche Konflikte entstehen, welche es im Folgenden zu betrachten gilt (Nerdinger 1994, S. 71ff.; Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996, S. 52ff.; Singh 1998, S. 70; Chebab/Kollias 2000, S. 76; Singh 2000, S. 24ff.; Chung/Schneider 2002, S. 74f.; Karatepe et al. 2006, S. 1088).
324
Marion Büttgen und Julian Volz
3.1 Dienstleistungsspezifische Arten von Rollenkonflikten Basierend auf den grundlegenden Erkenntnissen der Rollentheorie (Mead 1934; Moreno/Jennings 1934; Linton 1936) entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Werke, die sich explizit der Thematik der sog. Rollenkonflikte widmeten (Stouffer/Toby 1951; Seeman 1953) und die Formulierung einer Theorie des Rollenkonflikts zur Folge hatten (Gross et al. 1958; Kahn et al. 1964). Allgemein umfasst der Rollenbegriff Einstellungen, Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und -erwartungen, die jedem Träger eines sozialen Status von der Gesellschaft zugeschrieben werden (Wiswede 1977, S. 11ff.; Miebach 2006, S. 40; Fließ 2009, S. 210). Bei der Ausübung einer (oder mehrerer) Rolle(n) können Situationen entstehen, in denen dem Rolleninhaber widersprüchliche (inkompatible) Rollenerwartungen entgegengebracht werden, was unterschiedlichste Konflikte zur Folge hat (Abbildung 1). Man unterscheidet zwischen Inter-Rollenkonflikten, Intra-Rollenkonflikten und PersonRollenkonflikten (Kahn et al. 1964, S. 55ff.; Wiswede 1977, S. 115ff.; Nerdinger 1994, S. 153ff.). Vorgesetzte/r (Organisation) Intra-Senderkonf likt (Rollen-Ambiguität)
Inter-Senderkonf likt
Berater/in (Dienstleister/in)
Ego PersonRollenkonf likt
Kunde/in (Bediente) Intra-Senderkonf likt (Rollen-Ambiguität)
Abbildung 1: Dienstleistungsspezifische Arten von Rollenkonflikten (Quelle: In Anlehnung an Nerdinger 1994, S. 154) Inter-Rollenkonflikte entstehen aus der Tatsache, dass jedes Individuum verschiedene Rollen innehat. Ein Pilot ist z.B. nicht nur Angestellter einer Fluggesellschaft, sondern auch Ehemann, Vater und Freund. Sein Arbeitgeber erwartet räumliche und zeitliche Flexibilität, was mit den übrigen Rollen kollidiert. Da dieser Rollenkonflikttypus nahezu jedes Individuum betreffen kann und somit kein dienstleistungsspezifisches Phänomen darstellt, steht er nicht im Fokus des vorliegenden Beitrags (Nerdinger 1994, S. 154; Netemeyer et al. 2005, S. 132; Fließ 2009, S. 212).
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Intra-Rollenkonflikte stellen typische Konfliktsituationen der Dienstleistungserstellung dar, welche sich in Inter-Senderkonflikte2 und Intra-Senderkonflikte3 untergliedern lassen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche oder uneinheitliche Rollenerwartungen an einen Rolleninhaber bzgl. der Ausübung einer bestimmten Rolle herangetragen werden (Nerdinger 1994, S. 154f.; Singh et al. 1994, S. 559; Hartline/Ferrell 1996, S. 55ff.; Singh 1998, S. 70; Singh 2000, S. 18; Karatepe et al. 2006, S. 1008; Fließ 2009, S. 212). Im ersten Fall, der als Inter-Senderkonflikt oder auch „Two-Bosses-Dilemma“ bezeichnet wird (Shamir 1980, S. 748), werden von verschiedenen Rollensendern, d.h. Personen, die Rollenerwartungen kommunizieren (Kahn et al. 1964; Hall 1972, S. 473), inkompatible Rollenerwartungen an den Rolleninhaber gesendet. So befindet sich ein Verkäufer bzw. Vertriebsmitarbeiter als Schnittstelle zwischen Organisation und Kunde (Adams 1976; Aldrich/Herker 1977; Bowen/Schneider, 1985; Ross/Boles, 1994) z.B. häufig in dem Dilemma, dass der Kunde den günstigsten Preis erzielen und das Unternehmen zugleich den höchst möglichen Gewinn realisieren möchte (Nerdinger 1994, S. 154; Singh et al. 1994, S. 559; Hartline/Ferrell 1996, S. 55; Singh 1998, S. 70; Singh 2000, S. 15; Karatepe et al. 2006, S. 1008; Fließ 2009, S. 212). Intra-Senderkonflikte treten auf, wenn ein Rollensender nicht miteinander zu vereinbarende Erwartungen an den Rolleninhaber sendet. Diese Konfliktart wird auch als Rollenambiguität bezeichnet, da der Rolleninhaber mehrdeutige Erwartungen empfängt und demzufolge nicht in der Lage ist, die optimale bzw. richtige Verhaltensweise eindeutig festzulegen (Nerdinger 1994, S. 154; Singh et al. 1994, S. 559; Hartline/Ferrell 1996, S. 55f.; Singh 2000, S. 18; Karatepe et al. 2006, S. 1008; Fließ 2009, S. 212). Gerade Vertriebsmitarbeiter sind häufig aufgefordert, möglichst hohe Umsätze zu realisieren und gleichzeitig die Beziehung zum Kunden zu festigen (Zeithaml et al. 1992, S. 109ff.; Singh 1998, S. 70). Die Maximierung der Umsätze erfordert jedoch oftmals den Einsatz von Strategien oder Praktiken, welche nicht im Interesse des Kunden stehen, ergo die Langfristigkeit der Kundenbeziehung gefährden (Nerdinger et al. 1990). Während bei den Intra-Rollenkonflikten i.d.R. die Organisation bzw. der Vorgesetzte teilweise oder vollkommen ursächlich für die Konfliktentstehung ist, entstehen PersonRollenkonflikte typischerweise zwischen Dienstleister und Kunde (Nerdinger 1994, S. 155). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die vom Bedienten gesendeten Rollenerwartungen mit der Persönlichkeit, den Wertvorstellungen oder dem Selbstbild des Dienstleisters kollidieren. Die Existenz dieses Konflikttypus wird nach Nerdinger insbesondere durch den Status des Dienstleisters bestimmt. Statushohe Dienstleistungen bezeichnen
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In der englischsprachigen Literatur als „Role conflict“ bezeichnet (Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996, S. 52ff.; Singh 2000, S. 24ff.; Chung/Schneider 2002; Karatepe et al. 2006). In der englischsprachigen Literatur als „Role ambiguity“ bezeichnet (Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996, S. 52ff.; Singh 2000, S. 24ff.; Karatepe et al. 2006).
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dabei Leistungen, bei denen der Kunde in hohem Maße auf die Problemlösungskompetenz des Dienstleisters angewiesen ist, so dass häufig eine Machtasymmetrie zu Gunsten des Leistungsanbieters existiert. Hierdurch ist dieser in der Lage, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen, weshalb Person-Rollenkonflikte tendenziell an Bedeutung verlieren (Nerdinger 1994, S. 155). Prekärer ist die Situation bei statusniederen Dienstleistungen, die von den Bedienten vermutlich als auswechselbar wahrgenommen werden, was häufig in einem mangelnden Respekt vor der Person des Dienstleisters zum Ausdruck kommt (Rizzo et al. 1970, S. 155; Nerdinger 1994, S. 155). Typisch ist beispielsweise die Situation eines Kellners, der seine Gäste stets höflich, freundlich und zuvorkommend bedienen muss, auch wenn sich diese unfreundlich und unverschämt verhalten (Fließ 2009, S. 212f.). Die Ausführungen zeigen, dass im Bereich der Dienstleistungserstellung insbesondere Intra-Rollenkonflikte und Person-Rollenkonflikte auftreten, was auch empirisch nachgewiesen werden konnte (Shamir 1980; Behrman/Perreault 1984; Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996; Singh 1998; Chebab/Kollias 2000; Singh 2000; Chung/Schneider 2002; Karatepe et al. 2006). Inwiefern diese Rollenkonfliktarten auch bei der Erstellung der spezifischen Dienstleistung Anlageberatung existieren, gilt es im Folgenden zu prüfen.
3.2 Entstehung von Rollenkonflikten in der Anlageberatung Betrachtet man die Situation von Bankberatern nach der Finanzkrise, wird deutlich, dass sich diese im Kreuzfeuer konträrer Interessen und Ansprüche befinden (Abbildung 2). Kunden
Management
Ehrliche und verlässliche Beratung Vermögenszuwachs Individuelle Betreuung
Steigerung der Verkaufszahlen
Mitarbeiter
Rückgewinnung des Kundenvertrauens Kundenzufriedenheit
Faire Preise für die erbrachte Leistung
Kundenbindung
Politik und Gesellschaft Abkehr von der „Zockermentalität“ Geringe Wertschätzung Forderung nach mehr Reglementierung, bspw. Einführung von Beratungsprotokollen Stärkere Kontrolle durch BaFin
Abbildung 2: Situation der Anlageberater nach der Finanzkrise
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Einerseits erwarten die Kunden z.B. eine ehrliche, verlässliche und individuelle Beratung, andererseits fordert das Management eine Steigerung der Verkaufszahlen sowie die Rückgewinnung des Kundenvertrauens (Bergermann 2008a; Schröder/Jahberg 2010). Die gleichzeitige Erfüllung dieser Erwartungen erscheint kaum realisierbar, was die Existenz von Rollenkonflikten in der Anlageberatung impliziert. Diese Annahme wird durch die Tatsache bekräftigt, dass bereits in wirtschaftlich ruhigeren Zeiten zahlreiche Rollenkonflikte für die Berufsgruppe der Kundenberater nachgewiesen werden konnten (Damiani 1991, S. 50ff.).
3.2.1 Person-Rollenkonflikte in der Anlageberatung Wie in Abschnitt 3.1 gezeigt, wird die Existenz von Person-Rollenkonflikten maßgeblich durch den Status des Dienstleisters bestimmt. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die spezifische Dienstleistung der Anlageberatung, so ist zunächst festzustellen, dass i.d.R. eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen Anlageberater und Kunde besteht. Gewöhnlich verfügt der Berater im Gegensatz zu seinem Kunden über ein fundiertes finanzspezifisches Wissen (z.B. Kenntnisse über Finanzmärkte oder Finanzprodukte). Bestätigung hierfür findet sich u.a. bei Atkinson et al. (2007, S. 33), die in einer empirischen Studie nachweisen, dass ein Großteil der britischen Bevölkerung nicht in der Lage ist, Finanzprodukte auszuwählen, welche für sie geeignet sind bzw. zu ihrer persönlichen Vermögenssituation passen. Weitere Bestätigung liefern aktuelle Interviews mit Anlageberatern, die durch die Autoren des vorliegenden Beitrags geführt wurden.4 Diese zeigen, dass Bankkunden häufig über geringe finanzwirtschaftliche Kenntnisse verfügen und zumeist kein Interesse daran haben, sich ein diesbezüglich vertieftes Wissen anzueignen. Anlagekunden sind somit in hohem Maße auf die Problemlösungskompetenz von Kundenberatern angewiesen. Den Ausführungen von Nerdinger (1994, S. 155) folgend, wonach Person-Rollenkonflikte lediglich zwischen Dienstleister und Kunde auftreten, wäre die Existenz dieses Konflikttypus somit für die statushohe Dienstleistung der Anlageberatung tendenziell zu verneinen (Abschnitt 3.1). Es ist jedoch anzunehmen, dass Person-Rollenkonflikte, insbesondere im Rahmen der Anlageberatung, auch zwischen Vorgesetztem (Organisation) und Anlageberater auftreten können. So können durchaus Situationen existieren, in denen das (berufliche) Selbstbild, die Wertorientierung, die Moralvorstellungen oder die Persönlichkeit des Anlageberaters mit den vom Vorgesetzten gesendeten Erwartungen kollidieren, was nach Nerdinger zur Entstehung von Person-Rollenkonflikten führt (Nerdinger 1994, S. 155). Erwartet der Vorgesetzte z.B., dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums, unabhängig von der persönlichen Situation der beratenen Kunden, spezifische Produkte (z.B. Riester-Versicherung, Bo-
4
Die Interviews wurden im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts geführt. Aufgrund des Anonymitätserfordernisses wird auf die Nennung von Namen verzichtet.
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nuszertifikat, usw.) in vorgegebener Höhe verkauft werden, kann dies mit der Wertvorstellung des Beraters kollidieren, der seine Kunden ehrlich, fair und individuell beraten möchte (Verdi 2010). Zudem wird Anlageberatern teilweise, in Abhängigkeit vom zu erwartenden Geschäftsumfang, die maximale Beratungszeit für einen Kunden vorgeschrieben. Ein Beleg hierfür findet sich bei Damiani (1991, S. 41) in einem Interview mit einem Kundenberater: „Also jemand, der mit 30.000 Mark kommt, muß knallhart nach 15 Minuten den Platz verlassen haben“. Anlageberatern ist es jedoch häufig sehr wichtig, ausgiebig zu beraten, damit ihre Kunden die empfohlenen Produkte und Strategien verstehen können, wodurch wiederum Konflikte entstehen. Ein weiterer Beleg dafür, dass diese Einschränkung der Beratungsfreiheit ein Konfliktpotenzial aus Sicht der Anlageberater darstellt, zeigt eine aktuelle Studie von Verdi, bei der sich 95,2 Prozent der 5.541 befragten Bankmitarbeiter eine „Kundenbedarfsgerechte Beratung statt Verkauf auf ‚Teufel komm raus‘“ wünschen (Verdi 2010). Es ist somit festzuhalten, dass Person-Rollenkonflikte in der Beziehung zwischen Anlageberater und Kunde eine untergeordnete Rolle spielen, zwischen Anlageberater und Vorgesetztem aber sehr wohl existieren.
3.2.2 Intra-Rollenkonflikte in der Anlageberatung Damiani konnte bereits 1991 zahlreiche Intra-Rollenkonflikte für das Berufsfeld der Bankberater nachweisen (Damiani 1991, S. 39ff.; Nerdinger 1994, S. 261ff.). Diese lassen sich in Inter-Senderkonflikte (Verkaufsdruck vs. Kundenbedürfnis, Zeitmanagement vs. Wunsch nach Beratung und Profitmaximierung des Kunden vs. Profitmaximierung der Bank) und Intra-Senderkonflikte (Kundenbindung vs. Vertriebsorientierung, Kompetenzgrenzen sowie Vertriebsauftrag vs. Produktpolitik der Bank) unterscheiden. Neben der Arbeit von Damiani existieren zahlreiche weitere Studien, welche die Existenz von Rollenkonflikten im Bereich der Bankberatung belegen und deren Auswirkungen analysieren. So konnte Singh zeigen, dass Rollenkonflikte im Finanzdienstleistungsbereich zu einem verstärkten Auftreten von Burnout-Symptomen führen, was häufig mit einer Verringerung der Effizienz und der Qualität der Leistungserstellung einhergeht (Singh 2000, S. 25ff.). Zudem verringern diese Konflikte die Zufriedenheit der Kundenberater mit ihrem Arbeitsplatz wie auch deren Fähigkeit, die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zu berücksichtigen (Chebat/Kollias 2000, S.76). Die negativen Auswirkungen von Rollenkonflikten auf die Arbeitszufriedenheit von Bankberatern wird durch Bettencourt und Brown bestätigt, welche zudem einen negativen Einfluss auf die mitarbeiterseitige Unternehmensverbundenheit nachweisen können. Die Autoren zeigen weiterhin, dass Berater, die Rollenkonflikte erleiden, eine geringere Bereitschaft haben, sich in ihrem Unternehmen zu engagieren sowie ihren Arbeitgeber in der Öffentlichkeit gut darzustellen. Zudem verringert sich deren Bereitschaft, ihre Kunden gewissenhaft und verantwortungsvoll zu beraten (Bettencourt/Brown 2003, S. 403ff.). Karatepe et al. (2006, S. 1092) bestätigen ebenfalls die negativen Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit
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von Bankberatern und weisen ergänzend einen negativen Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter nach. Zusätzlich können die Autoren geschlechterspezifische Unterschiede bei der Auswirkung von Rollenkonflikten nachweisen (Karatepe et al. 2006, S. 1091f.). Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei Kundenberatern um „Diener mehrerer Herren“ handelt, die in besonderem Maße Rollenkonflikte erleiden. Dies steht im Einklang mit zahlreichen branchenübergreifenden empirischen Studien, die die Existenz von Rollenkonflikten bei Kundenkontaktmitarbeitern in unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen belegen und vielfältige Auswirkungen dieser Konflikte aufzeigen (Behrman/Perreault 1984; Singh et al. 1994; Hartline/Ferrell 1996; Singh 1998; Chung/ Schneider 2002). Rollenkonflikte wirken sich demnach negativ auf das Selbstbewusstsein (Hartline/Ferrell 1996, S. 66), die Arbeitszufriedenheit (Hartline/Ferrell 1996, S. 66; Singh 1998, S. 77; Chung/Schneider 2002, S. 80), die Arbeitsleistung (Singh 1998, S. 77) und die Unternehmensbindung (Singh 1998, S. 77) von Kundenkontaktmitarbeitern aus. Rollenkonflikte haben zudem eine höhere wahrgenommene Arbeitsbelastung zur Folge (Singh 1998, S. 77), was häufig mit einer Steigerung der mitarbeiterseitigen Fehlzeiten einhergeht (Chung/Schneider 2002, S. 80) und die Gefahr von Burnout bei Kundenberatern erhöht (Singh et al. 1994, S. 566). Die Darstellungen lassen vermuten, dass sich Rollenkonflikte auch auf die Produktivität der Anlageberatung auswirken, was im weiteren Verlauf des Beitrags zu prüfen ist.
3.3 Mitarbeiterseitige Ansätze zum Umgang mit Rollenkonflikten in der Anlageberatung Bevor auf die Produktivitätswirkungen von Rollenkonflikten im Kontext der Anlageberatung näher eingegangen wird, gilt es zunächst, mögliche Strategien bzw. Handlungsalternativen von Anlageberatern im Umgang mit Rollenkonflikten zu betrachten. Hintergrund der Betrachtung ist die Annahme, dass je nach gewählter Strategie bzw. Verhaltensoption unterschiedliche Auswirkungen auf die Produktivität des Beratungsprozesses zu erwarten sind. Die meist diskutierte und replizierte Theorie zur Lösung von Rollenkonflikten wurde 1958 von Gross et al. formuliert. Hierbei betrachten die Autoren eine Situation, in der an eine Person zwei einander widersprechende Erwartungen (A und B) gestellt werden. Gross et al. argumentieren, dass dieser Person vier Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um mit dieser Konfliktsituation umzugehen (Gross et al. 1958):
Die Person erfüllt die Erwartung A. Die Person erfüllt die Erwartung B.
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Marion Büttgen und Julian Volz Die Person versucht durch einen Kompromiss beide Erwartungen zumindest teilweise zu erfüllen. Die Person erfüllt keine der beiden Erwartungen.
Die postulierten Verhaltensweisen konnten durch diverse empirische Analysen bestätigt werden. Es wurde gezeigt, dass Mitarbeiter keine der an sie gestellten Erwartungen erfüllen, indem sie sich physisch (z.B. Wechsel des Unternehmens, höhere Fehlzeiten) (Chung/Schneider 2002, S. 80; Antón 2009, S. 192f.) oder psychisch (z.B. Verringerung der Arbeitszufriedenheit, Abnahme der Unternehmensbindung) (Hartline/Ferrell 1996, S. 66; Singh 1998, S. 77; Chebat/Kollias 2000, S.76; Chung/Schneider 2002, S. 80; Bettencourt/Brown 2003, S. 403ff.; Karatepe et al. 2006, S. 1091f.) aus der Konfliktsituation zurückziehen. Psychischer Rückzug kann sich zudem in einer emotionalen Distanzierung vom Kunden äußern, wodurch die Erfüllung der kundenseitigen Erwartungen aus Mitarbeitersicht an Bedeutung verliert und somit vernachlässigbar wird (Varca 2009, S. 54). Die Lüge stellt zudem eine weitere Reaktion zur Konfliktlösung dar. So handeln Kundenkontaktmitarbeiter z.B. zu Gunsten der Kunden, versichern jedoch dem Management, im Interesse des Unternehmens gehandelt zu haben Grover (1993, S. 489ff.). Eine weitere Reaktionsform besteht in der (pro)aktiven Beeinflussung der Konfliktsituation durch den Mitarbeiter (Hirschmann 1970, S. 30ff.), indem er z.B. versucht, seinen Vorgesetzten und/oder Kunden auf den Konflikt aufmerksam zu machen, um hierdurch eine Annäherung der konfliktären Interessen zu bewirken (Grover 1993, S. 488). Obwohl sich in der Literatur zahlreiche Alternativen zum Umgang mit Rollenkonflikten finden, fehlen empirische Erkenntnisse, welche das Entscheidungsverhalten der Kundenkontaktmitarbeiter bei der Alternativenwahl erklären (Hanning/Holzmüller 2010, S. 7). Der Theorie von Gross et al. (1958) folgend hängt diese insbesondere davon ab, ob eine Person der Meinung ist, dass eine Erwartung legitim ist, d.h. zu Recht besteht (Legitimitätsdimension), und/oder ob sie befürchtet, dass die Nichterfüllung einer Erwartung mit Sanktionen verbunden ist (Sanktionsdimension). Diese Dimensionen determinieren jedoch nicht per se die Alternativenwahl; zusätzlich wird diese durch bestimmte Einstellungen des Akteurs beeinflusst (Gross et al. 1958; Wiswede 1977). Wiswede unterscheidet hierbei zwischen wertorientierten, zweckorientierten sowie wert- und zweckorientierten Personen (Wiswede 1977, S. 125). Wertorientiert ist eine Person, die sich ausschließlich an der Legitimität einer Erwartung orientiert: Sanktionen haben somit einen sehr geringen bzw. keinen Einfluss auf die Alternativenwahl. Zweckorientierte Personen hingegen fürchten vorrangig Sanktionen, z.B. in Form von Strafe oder Tadel, und versuchen diese zu vermeiden; die Legitimität der Erwartung verliert somit an Bedeutung. Bestehen hingegen keine Prioritäten, spricht Wiswede von wert- und zweckorientierten Akteuren (Wiswede 1977, S. 125). Im Folgenden gilt es nun zu untersuchen, inwiefern diese Erkenntnisse auf den spezifischen Kontext der Anlageberatung übertragbar sind. Wie bereits in Abschnitt 3.2 erläutert, entstehen im Rahmen der Anlageberatung insbesondere Intra-Senderkonflikte, Inter-Senderkonflikte und Person-Rollenkonflikte. Die ersten beiden Konflikttypen entsprechen hierbei der von Gross et al. betrachteten Situa-
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tion (Wiswede 1977, S. 124), was exemplarisch am Beispiel der Inter-Senderkonflikte verdeutlicht wird. Auf die spezifische Situation der Person-Rollenkonflikte wird anschließend ergänzend eingegangen. Im Bereich der Anlageberatung werden die nicht miteinander zu vereinbarenden Erwartungen A und B einerseits vom Vorgesetzten (Organisation) (z.B. in Form von Verkaufszielen) und andererseits vom Kunden (z.B. Erwartung einer fairen Beratungsleistung) an den Berater gesendet. Hierbei ist zu vermuten, dass eine Nichterfüllung der Zielvorgaben mit deutlich negativeren Folgen (Sanktionen) für den Mitarbeitenden verbunden ist als eine Nichterfüllung der Kundeninteressen. Bergermann berichtet in diesem Zusammenhang z.B. von öffentlichen Bloßstellungen, extremem Mobbing und rüden Umgangsformen, wenn Zielvorgaben nicht erreicht werden (Bergermann 2008b), was zu hohen psychischen Belastungen der Mitarbeitenden führen kann (Böhm 2008, S. 8). Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass die Erwartungen der Kunden häufig von den Beratern als legitimer eingestuft werden als die Forderungen des Vorgesetzten. So werden die Zielvorgaben oftmals als zu hoch und unverhältnismäßig angesehen (Bergermann 2008b) und aktuelle Umfragen zeigen, dass sich Anlageberater wünschen, ihre Kunden bedarfsgerechter beraten zu können, was auf eine wahrgenommene Legitimität der Kundeninteressen hindeutet (Verdi 2010). Basierend auf diesen Überlegungen ist zu erwarten, dass sich wertorientierte Anlageberater auf die Seite des Kunden stellen und somit gegebenenfalls gegen die Interessen des eigenen Unternehmens handeln (Opp 1970, S. 134; Wiswede 1977, S. 124ff.). Im Extremfall übernimmt der Kunde die Rolle des Vorgesetzten bzw. des Weisungsbefugten (substitute for leadership) (Lehman 1998; Dullinger 2001). Hanning und Holzmüller beschreiben dieses Phänomen in extremer Form am Beispiel eines Versicherungsmaklers, der seinem Kunden dabei hilft, einen nicht erstattungswürdigen Schaden geltend zu machen (Hanning/Holzmüller 2010, S. 4). Zweckorientierte Anlageberater hingegen werden versuchen, drohende Sanktionen zu vermeiden, indem sie eine Erfüllung der vorgegebenen Verkaufsziele anstreben, auch wenn dies zu einer Nichterfüllung der (als legitim eingestuften) Kundenerwartungen führt (Opp 1970, S. 134; Wiswede 1977, S. 124ff.). Die Existenz solcher „Falschberatungen“ zeigte sich deutlich im Kontext der Finanzkrise (Bergermann 2008a; Tagesspiegel 2009; Kruse 2010). So sind 40 Prozent der Bankkunden in Deutschland der Meinung, dass die Interessen der Bank bei der Anlageberatung wichtiger genommen werden als die Interessen des Kunden. Weiter geben 79 Prozent der Befragten an, dass aus ihrer Sicht der Druck auf die Berater gestiegen ist, den Kunden vorgeschriebene bzw. bestimmte Finanzanlagen zu verkaufen (ING DiBa 2010). Die wert- und zweckorientierten Berater schließlich werden tendenziell eine Kompromisslösung anstreben, um die Zielvorgaben des Managements und die Erwartungen der Kunden zumindest jeweils teilweise zu erfüllen (Opp 1970, S. 134; Wiswede 1977, S. 124ff.).
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Aufgrund der Tatsache, dass im beschriebenen Fall lediglich die Kundeninteressen als legitim eingestuft werden und nur die Nichterfüllung der Zielvorgaben mit Sanktionen verbunden ist, kommt die vierte Strategie, die Nichterfüllung beider Erwartungen, nicht zur Anwendung. Diese wird nur dann verfolgt, wenn beide Erwartungen als legitim/nicht-legitim eingestuft und/oder sanktioniert/nicht-sanktioniert werden (Opp 1970, S. 134; Wiswede 1977, 124ff.). Betrachtet man die Situation der Person-Rollenkonflikte, ist zunächst festzustellen, dass ebenfalls konfliktäre Erwartungen aufeinander treffen, z.B. in Form von individuellen Wertvorstellungen und Vorgaben durch das Management (z.B. Begrenzung der Beratungszeit in Abhängigkeit vom zu erwartenden Geschäftsumfang) (Abschnitt 3.2.1). Der zentrale Unterschied besteht somit darin, dass nun Erwartungen von Dritten (Vorgesetzter) mit den persönlichen Wertvorstellungen des Anlageberaters kollidieren. Hierbei ist zu erwarten, dass der Berater i.d.R. seinen eigenen Wertvorstellungen die höhere Legitimität beimessen wird. Zudem ist offensichtlich, dass eine Sanktionierung ausschließlich mit der Nichterfüllung der externen Erwartungen verbunden ist. Somit ergibt sich eine vergleichbare Situation wie die bereits beschriebene, weshalb die gleichen Lösungsstrategien zur Anwendung kommen dürften. Ein wertorientierter Anlageberater wird zumeist seine eigenen Erwartungen erfüllen, wohingegen ein zweckorientierter Anlageberater die Erwartungen des Managements erfüllt. Wert- und zweckorientierte Berater werden ebenfalls eine Kompromissstrategie verfolgen. Das beschriebene Entscheidungsverhalten konnte im Jahre 1981 im Rahmen einer Metaanalyse, in der 1.115 Rollenkonflikte analysiert wurden, bestätigt werden (van de Vliert 1981, S. 77ff.). Van de Vliert konnte außerdem zeigen, dass der Großteil der Rollenkonflikte durch Situationen geprägt ist, in denen aufgrund der Konstellation von Legitimität und Sanktionsgefahr bei den jeweiligen Erwartungen die Erfüllung einer Erwartung sich als dominierende Strategie zur Konfliktlösung erweist (van de Vliert, 1981, S. 81f.), weshalb im Folgenden vorrangig geprüft wird, wie sich dieses spezifische Verhalten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Prädispositionen bei den Beratern (Wert- versus Zweckorientierung) auf die Produktivität der Anlageberatung auswirken kann.
4.
Dienstleistungsproduktivität in der Anlageberatung und deren Beeinflussung durch Rollenkonflikte
Bevor die Auswirkungen von Rollenkonflikten und dem damit verbundenen Konfliktlösungsverhalten der Betroffenen auf die Produktivität der Anlageberatung näher untersucht werden, ist es zunächst notwendig, die Produktivität von Dienstleistungsprozessen und deren Messbarkeit näher zu betrachten.
Rollenkonflikte von Kundenberatern und deren Auswirkungen
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4.1 Ansätze zur Erfassung der Beratungsproduktivität Zahlreiche Autoren betonen, dass bei integrativ erstellten Leistungen wie z.B. der Anlageberatung die Messung der Produktivität eine besondere Herausforderung darstellt. So zeigen Grönroos/Ojasalo und Büttgen, dass die aus dem Sachgüterbereich stammende Definition der Produktivität, welche diese als Verhältnis von gesamtem mengenmäßigem Input und mengenmäßigem Output definiert, zur Anwendung im Dienstleistungsbereich wenig geeignet ist (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 414ff.; Mittal et al. 2005, S. 548ff.; Büttgen 2007, S. 73ff.). Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass im Dienstleistungsbereich im Gegensatz zum Sachgüterbereich eine losgelöste Betrachtung von Qualität und Produktivität nicht möglich ist (Giarini 1991; Singh 2000, S. 16f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 416; Mittal et al. 2005, S. 553); zudem ist es sehr schwierig, teilweise sogar unmöglich, den Input und Output eines Dienstleistungsprozesses in Mengeneinheiten auszudrücken, was die klassische Produktivitätsbestimmung jedoch erfordert (Maleri 1997, S. 117ff.; Grönross/Ojasalo 2004, S. 415f.; Mittal et al. 2005, S. 548ff.; Büttgen 2007, S. 74). Auch die Produktivitätsrelevanz des Kundeneinflusses auf die Leistungserstellung stellt ein Dienstleistungsspezifikum dar, welches es zu berücksichtigen gilt (Ojasalo 2003; Büttgen 2007, S. 74ff.; Chan et al. 2010, S. 49ff.). Mit dieser Gesamtproblematik beschäftigten sich insbesondere Grönroos und Ojasalo, die 2004 ein vielversprechendes Modell zur Messung der Produktivität im Dienstleistungsbereich entwickelten, wonach diese durch die interne, die externe sowie die kapazitative Effizienz einer Dienstleistung bestimmt wird (Abbildung 3; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 414ff.). Die interne Effizienz, auch als Kosteneffizienz bezeichnet, ist demnach umso höher, je besser es dem Dienstleistungsanbieter gelingt, seine internen Ressourcen optimal auszunutzen und seine Kunden dazu anzuregen, sich prozessunterstützend zu verhalten (Singh 2000, S. 16; Rust et al. 2002, S. 9f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 417f.; Mittal et al. 2005, S. 546). Im Kontext der Anlageberatung entspricht die zentrale interne Ressource den Anlageberatern. Es ist entscheidend, diese möglichst effizient einzusetzen, da sie einen zentralen Kostenfaktor darstellen (Fließ 2009, S. 262). Wie bereits erwähnt, wird die interne Effizienz auch durch das Verhalten der Kunden beeinflusst. So ist es von Vorteil, wenn es der Bank z.B. gelingt, die Kunden dazu zu motivieren, benötigte Unterlagen/Informationen stets bereitzuhalten und sich bereits im Vorfeld des Beratungsgesprächs über Finanzprodukte zu informieren, da hierdurch eine Verringerung der notwendigen Beratungszeit zu erwarten ist, was sich produktivitätssteigernd auswirken kann (Bowen 1986, S. 375; Bowen/Jones 1986, S. 429; Büttgen 2007, S. 75).
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Marion Büttgen und Julian Volz
Inputs Anbieterseitige Inputfaktoren: • Personal • Technologie • Inf ormationen • Zeit etc.
Kundenseitige Inputfaktoren: • Eigene Partizipation an der Leistungserstellung • Partizipation durch Dritte
Interne Effizienz (Kostenef fizienz)
Outputs
Dienstleistungsprozess
Output (quantitativ)
Integrative Leistungserstellung durch Anbieter und Kunde (Service Encounter) Output (qualitativ): • Ergebnis • Prozess
Dienstleistungsproduktivität
I m a g e
Kundenseitig wahrgenommene Qualität
Externe Effizienz (Ertragsef fizienz)
f (Interne Eff izienz, Externe Ef fizienz, Kapazitative Eff izienz) Kapazitative Effizienz (Kapazitätsauslastung)
Nachfrage
Abbildung 3: Dienstleistungsproduktivitätsmodell (Quelle: In Anlehnung an Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418) Die externe Effizienz hingegen bestimmt sich nach Grönroos und Ojasalo durch den erzielten Output, in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Die Quantität des Outputs, die sich im absoluten Wissenszuwachs und der Entscheidungsunterstützung bei allen Kunden ausdrückt, wird dabei durch das Nachfragevolumen und die maximale Produktionskapazität des Dienstleisters bestimmt, die zugleich die Qualität des Outputs sowie die kapazitative Effizienz beeinflussen können (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418). Entspricht die Nachfrage der unter üblichen Beratungsbedingungen maximalen Produktionsmenge, sind die zur Verfügung stehenden Kapazitäten voll ausgelastet, was eine optimale kapazitative Effizienz zur Folge hat (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418). Übersteigt die Nachfrage hingegen das Angebot, muss jeder Anlageberater – sofern nicht Nachfrage abgewiesen und damit Ertragspotenzial unvollständig ausgeschöpft wird – in derselben Zeit mehr Kunden bedienen, wodurch die Beratungszeit pro Kunde bei weiterhin vollausgelasteten Produktionskapazitäten sinkt. Diese Erhöhung der internen Effizienz bewirkt idealtypisch auch eine Steigerung des mengenmäßigen Outputs als eine Komponente der externen Effizienz. Gemäß dem perceived service quality model nach Grönroos (1983) ist jedoch zu erwarten, dass der Kunde die wahrgenommene Qualität des Dienstleistungsprozesses sowie des entstehenden Outputs als geringer einstuft (Grönroos 1983; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418), da die Verringerung der Beratungszeit vom Kunden vermutlich negativ wahrgenommen wird. Somit ist andererseits eine Verringerung der Outputqualität die Folge, die ebenfalls die externe Effizienz bestimmt (Rust et al. 2002, S. 8f.; Mittal et al. 2005, S. 546).
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Es ist demnach festzuhalten, dass die interne, die kapazitative und die externe Effizienz eng miteinander verbunden sind, was dadurch deutlich wird, dass letztere sich aus der Ausbringungsmenge sowie der subjektiven Qualitätswahrnehmung der Kunden zusammensetzt, die beide (zumindest indirekt) durch die Produktionskapazität und deren Auslastung bzw. deren effizienten Einsatz beeinflusst werden. Das beschriebene Modell stellt ein umfassendes Konzept zur Erfassung der Produktivität von Dienstleistungen dar, das zudem 2010 durch Demmelmeier et al. (2010) empirisch belegt werden konnte. Die Autoren zeigen am Beispiel von 15 amerikanischen Fluggesellschaften, dass die Produktivität einer Fluggesellschaft durch die Effizienzarten nach Grönroos und Ojasalo determiniert wird und sich positiv auf die Profitabilität (Umsatzrendite) der betrachteten Unternehmen auswirkt (Demmelmeier et al. 2010). Ähnliche Erkenntnisse liefern Rust et al. (2002), welche zeigen, dass Unternehmen, die die Bedürfnisse der Kunden möglichst umfassend befriedigen (externe Effizienz bzw. „revenue emphasis“), erfolgreicher am Markt agieren als Unternehmen, welche sich auf die Optimierung ihrer Kostensituation konzentrieren (interne und kapazitative Effizienz bzw. „cost emphasis“) (Rust et al. 2002, S. 19.). Die zeitgleiche Optimierung aller Effizienzarten wirkt sich kurzfristig negativ auf den finanziellen Erfolg aus (Rust et al. 2002, S. 19), führt langfristig jedoch zu den höchsten Erträgen (Mittal et al. 2005, S. 553), weshalb das Produktivitätsmodell nach Grönroos und Ojasalo im Folgenden die Grundlage zur Überprüfung der produktivitätsspezifischen Auswirkungen von Rollenkonflikten im Bereich der Anlageberatung bildet.
4.2 Auswirkungen von Rollenkonflikten auf die Beratungsproduktivität Wie bereits in 3.3 beschrieben, ist davon auszugehen, dass die Auswirkungen von Rollenkonflikten auf die Produktivität der Anlageberatung maßgeblich durch die spezifischen Anlageberatertypen (wert- versus zweckorientiert) bestimmt sind. Diese werden im Folgenden näher betrachtet.
4.2.1 Auswirkungen eines wertorientierten Konfliktlösungsverhaltens auf die Produktivität der Anlageberatung Wertorientierte Anlageberater werden zur Lösung der empfundenen Konfliktsituation vorrangig die als legitim eingestuften Erwartungen der Kunden berücksichtigen (Abschnitt 3.3; Hanning/Holzmüller 2010, S. 10) und ihr Handeln an diesen ausrichten. Hierbei ist eine Beeinflussung der Produktivität der Anlageberatung zu erwarten, was anhand der Effizienzarten nach Grönroos und Ojasalo verdeutlicht werden soll.
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Es ist anzunehmen, dass die Vernachlässigung der Erwartungen des Managements eine sinkende interne Effizienz bzw. höhere Kosten für das Unternehmen aufgrund einer suboptimalen Ausschöpfung der internen Ressourcen (Anlageberater) zur Folge hat (Rust et al. 2002, S. 9f.; Fließ 2009, S. 262; Hanning/Holzmüller 2010, S. 11). Dies erklärt sich z.B. dadurch, dass der wertorientierte Anlageberater den Kunden umfassender und individueller berät, wodurch der Zeitaufwand pro Kunde steigt, was mit einer Senkung der internen Effizienz einhergeht. Der Anlageberater setzt in dieser Situation seine eigene Arbeitskraft somit nicht optimal bzw. effizient ein. Andererseits kann die Orientierung an den Erwartungen der Kunden auch zu positiven internen Produktivitätseffekten führen (Büttgen 2007 S. 75ff.), da dies zu einer Veränderung des kundenseitigen Integrationsverhaltens führen kann (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418). Studien im Bankenbereich konnten massive Kosteneinsparpotenziale durch verstärkte Kundenintegration nachweisen (Büttgen 2007, S. 76). Im Kontext der Anlageberatung ist dies beispielsweise dadurch möglich, dass sich der höhere Beratungsaufwand positiv auf das finanzspezifische, integrationsrelevante Wissen der Kunden auswirkt. Dies wiederum hätte zur Folge, dass sich die zukünftig notwendige Beratungszeit pro Kunde aufgrund der erzielten Lerneffekte verkürzt und zu einer Steigerung der internen Effizienz führt. Insgesamt ist jedoch anzumerken, dass die kundenseitigen Produktivitätseffekte stark vom tatsächlichen Verhalten des einzelnen Kunden abhängen (Ojasalo 2003, S. 14; Büttgen 2007, S. 75). So konnte im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes festgestellt werden, dass Bankkunden sich häufig nicht für Finanzthemen interessieren und auch kein Interesse daran haben, ihre finanzspezifischen Kenntnisse zu verbessern bzw. sich mit dieser Thematik intensiver zu beschäftigen. Somit ist festzuhalten, dass die suboptimale Ausnutzung der unternehmenseigenen Ressourcen – wenn überhaupt – nur teilweise durch eine positive Veränderung des Kundenverhaltens kompensiert werden kann. Im Ergebnis ist anzunehmen, dass sich das Verhalten der wertorientierten Anlageberater aber negativ auf die interne Effizienz auswirkt (Grönroos/Olasalo 2004, S. 418). Neben dem Input wird auch der Output des Beratungsprozesses durch das Verhalten der wertorientierten Anlageberater beeinflusst. Die absolute Ausbringungsmenge sinkt, da die zeitintensivere Beratung der Kunden die möglichen Beratungsgespräche insgesamt und damit auch die erzielbaren Wissenszuwächse bei den Kunden sowie die hiermit verbundene Entscheidungsunterstützung und Anzahl der möglichen Abschlüsse verringert, was sich negativ auf die externe Effizienz des Beratungsprozesses auswirkt (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418). Diese kann auch dadurch negativ beeinflusst werden, dass der Kunde sich nach intensiver, individueller Beratung für solche Produktangebote entscheidet, die für ihn zwar die beste Lösung darstellen, jedoch nicht den maximalen Ertrag für den Anbieter erbringen. Dies betrifft ebenfalls die quantitative Outputkomponente, wenn auch nicht in mengen-, sondern in wertmäßiger Betrachtung. Neben diesen quantitativen Aspekten gilt es aber auch die vom Kunden wahrgenommene Qualität des Outputs als zweite Dimension der externen Effizienz zu berücksichtigen (Rust et al. 2002, S. 8f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418; Mittal et al. 2005, S. 546). Nach Parasuraman et al. (1988, S. 23) ist anzunehmen, dass sich die Priorisierung der kunden-
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seitigen Erwartungen positiv auf die Qualitätswahrnehmung der Kunden auswirkt, was eine höhere Kundenzufriedenheit zur Folge hat (Marinova et al. 2008, S. 39f.). Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass wertorientierte Anlageberater eine größere Bereitschaft haben, sich auf die Wünsche ihrer Kunden einzustellen und sie entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu beraten (Bruhn/Georgi 2006, S. 86ff.). Dies wiederum wird von den Nachfragern als qualitativ höherwertig wahrgenommen (Parasuraman et al. 1988, S. 23), was zu einer Steigerung der externen Effizienz führt (Rust et al. 2002, S. 8f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418; Mittal et al. 2005, S. 546; Demmelmeier et al. 2010). Hierbei ist tendenziell anzunehmen, dass die positiven Effekte der qualitativen Perspektive die negativen Einflüsse der verringerten Ausbringungsmenge überkompensieren. Bestätigung hierfür findet sich einerseits in den Auswirkungen der Finanzkrise, die zeigen, dass eine Vernachlässigung der kundenseitigen Erwartungen zu einem massiven Vertrauensverlust der Kunden führt, welche im Extremfall zur Konkurrenz abwandern (AWD Holding AG 2009; Spiegel online 2010), was sich stark negativ auf die Ertragssituation von Banken auswirkt. Zudem wirkt sich eine zunehmende Dauer der Kundenbeziehung positiv auf die Erträge einer Bank, z.B. durch die Realisierung von Cross- und Up-Selling-Potenzialen, eine höhere Zahlungsbereitschaft der Kunden, die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen in bestehenden Kundenbeziehungen sowie ein verstärktes Weiterempfehlungsverhalten der Kunden aus (Reichheld/Sasser 1990; Bruhn 2001; Bruhn/Georgi 2006, S. 166). Als Fazit ist somit festzuhalten, dass sich das Verhalten der wertorientierten Anlageberater (langfristig) tendenziell positiv auf die externe Effizienz der Leistungserstellung auswirkt. Zuletzt gilt es, die kapazitative Effizienz des Modells nach Grönroos und Ojasalo näher zu betrachten. Hierbei ist jedoch festzustellen, dass diese insbesondere durch die extern gegebene Nachfrage bestimmt wird (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418). Sie wird jedoch nicht direkt durch das Auftreten bzw. die Lösung von Rollenkonflikten beeinflusst, da diese in der hier betrachteten Form ein mitarbeiterbezogenes Phänomen darstellen. Die Ausführungen zeigen insgesamt, dass der Umgang mit Rollenkonflikten im Falle von wertorientierten Anlageberatern zu höheren Kosten (geringere interne Effizienz) bei tendenziell aber auch höheren Erträgen (höhere externe Effizienz) führt (Abbildung 4), wobei der Netto-Produktivitätseffekt nur durch empirische Studien zu quantifizieren ist.
4.2.2 Auswirkungen eines zweckorientierten Konfliktlösungsverhaltens auf die Produktivität der Anlageberatung Zweckorientierte Anlageberater werden primär eine Vermeidung von Sanktionen anstreben und daher die Interessen und Erwartungen des Managements priorisieren (Abschnitt 3.3). Die Produktivitätseffekte dieses Verhaltens werden wiederum an den Effizienzarten nach Grönroos und Ojasalo verdeutlicht.
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Ein zweckorientierter Anlageberater wird bemüht sein, die Beratungszeit pro Kunde in Relation zu den erzielbaren Abschlüssen auf ein Minimum zu reduzieren, um die Zeitund Zielvorgaben des Managements zu erfüllen (Abschnitt 3.2; Damiani 1991, S. 41). Die wertvolle Arbeitszeit des Beraters wird somit effizient eingesetzt, was sich positiv auf die interne Effizienz des Dienstleistungsprozesses und die Kostensituation des Unternehmens auswirkt (Rust et al. 2002, S. 9f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 417; Mittal et al. 2005, S. 546). Die Verringerung der Beratungszeit kann jedoch auch zu einer verringerten Bereitschaft der Kunden führen, sich integrativ und somit prozessunterstützend zu verhalten (Abschnitt 4.2.1); dies wirkt sich wiederum negativ auf die interne Effizienz aus. Aufgrund der Tatsache, dass Mitarbeitende im Dienstleistungsbereich die zentrale Ressource der Leistungserstellung darstellen (Haller 2010, S. 259) und Personalkosten in vielen Dienstleistungsunternehmen einen Großteil der Gesamtkosten verursachen (Fließ 2009, S. 262), ist anzunehmen, dass die angesprochene Senkung der Personalkosten die negativen Effekte der dargestellten Konfliktlösungsstrategie überkompensiert. Das Verhalten der zweckorientierten Anlageberater wirkt sich demnach eher positiv auf die interne Effizienz der Anlageberatung aus (Rust et al. 2002, S. 9f.; Grönroos/Ojasalo 2004, S. 418; Mittal et al. 2005, S. 546). Die Verringerung der Beratungszeit pro Kunde hat zudem eine Erhöhung der absoluten Ausbringungsmenge zur Folge, da in derselben Zeit mehr Kunden bedient werden können. Auch eine Fokussierung der Kundenberatung auf ertragsstarke, bankenseitig forcierte Produktangebote kann die quantitative (wertmäßige) externe Effizienz erhöhen. Diesem positiven Effekt auf die externe Effizienz steht jedoch eine Verringerung der kundenseitigen Qualitätswahrnehmung gegenüber. Dies ist dadurch begründet, dass die Reduktion des Beratungsaufwandes dazu führt, dass der Berater die Wünsche seiner Kunden nicht angemessen berücksichtigen und diese nicht hinreichend individuell beraten kann, was die kundenseitig empfundene Qualität verringern dürfte (Abschnitt 4.2.1; Parasuraman et al. 1988, S. 23; Bruhn/Georgi 2006, S. 86ff.). Die Vernachlässigung der kundenseitigen Erwartungen führt zu Unzufriedenheit, sodass diese Kunden im Extremfall zur Konkurrenz abwandern (Homburg et al. 2010, S. 116ff.). Dies wiederum verringert die durchschnittliche Kundenbindungsdauer, was (langfristig) erhebliche negative Auswirkungen auf die externe Effizienz zur Folge hat (Abschnitt 4.2.1; Reichheld/Sasser 1990; Bruhn 2001; Bruhn/Georgi 2006, S. 166). Dadurch können die eingangs dargestellten positiven Effekte überkompensiert werden. Es ist somit festzuhalten, dass die Lösung von Rollenkonflikten durch zweckorientierte Anlageberater tendenziell mit einer Erhöhung der internen und einer Verringerung der externen Effizienz der Anlageberatung einhergeht (Abbildung 4), wobei der Nettoeffekt wiederum einer empirischen Quantifizierung bedarf.
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Dienstleistungsproduktivität
Interne Effizienz (Kosteneffizienz)
Externe Effizienz (Ertragseffizienz)
++/
/+ Anbieterseitiger Input
Kundenseitiger Input
+ Wertorientiertes Konf liktlösungsverhalten
Anbieterseitiger Input
Kundenseitiger Input
+
Zweckorientiertes Konf liktlösungsverhalten
+/
/++ Quantitativer Output
Qualitativer Output
Quantitativer Output
+ Wertorientiertes Konf liktlösungsverhalten
Qualitativer Output
+
Zweckorientiertes Konfliktlösungsverhalten
Abbildung 4: Produktivitätseffekte alternativer Konfliktlösungsansätze Abschließend gilt es nun Ansatzpunkte zu identifizieren, die idealtypisch eine Vermeidung, zumindest aber einen produktivitätsfördernden Umgang mit bestehenden Rollenkonflikten ermöglichen.
4.3 Ansätze zur Reduktion negativer Produktivitätswirkungen Wie vorab gezeigt wurde, kann sich der Umgang mit Rollenkonflikten sowohl positiv als auch negativ auf die Produktivität der Anlageberatung auswirken. Aus Effizienzgesichtspunkten stellt sich daher die Frage, wie diese negativen Auswirkungen verhindert bzw. reduziert werden können. Die ideale Lösung bestünde darin, das Auftreten von Rollenkonflikten gänzlich zu vermeiden. Dies erscheint jedoch, bedingt durch die i.d.R. stark ausgeprägte Divergenz zwischen Management- und Kundenerwartungen im Kontext der Anlageberatung, schwer realisierbar. Demgegenüber erscheint das Anliegen, die Stärke der empfundenen Rollenkonflikte zu verringern, als vielversprechender Ansatz zur Reduktion negativer Produktivitätswirkungen. Hierzu kann das Management z.B. versuchen, durch ausgewogenere Ziel- und Vergütungssysteme, die neben finanziellen Kennzahlen auch kundenseitige Erfolgsgrößen (z.B. Kundenzufriedenheit und -bindung) berücksichtigen, den stark ausgeprägten Verkaufsdruck auf Anlageberater zu reduzieren. Die Erwartungen des Managements und die der Kunden werden dadurch stärker harmonisiert, sodass die (wahrgenommenen) Rollenkonflikte sich verringern. Eine Reduktion des Verkaufsdrucks ist hierbei nicht per se zum Nachteil des Unternehmens. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Veränderung der Anreizsysteme zu einer Erhöhung der mitarbeiterseitigen Kundenorientierung führt, da diese nun in der Lage sind, sich besser bzw. stärker an den Bedürfnissen der Kunden zu orientieren, was nach Wisskirchen et al. (2005) einen zentralen Erfolgsfaktor im Finanzbereich darstellt. So zeigen die Autoren, dass eine verstärkte Kunden-
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orientierung, insbesondere in Form einer fundierten Anlageberatung, einen zentralen Stellhebel für den Erfolg von Finanzinstituten darstellt (Wisskirchen et al. 2005, S. 12f.). Zudem wurde bereits dargelegt, dass ein solches Verhalten auch die externe (qualitative) Effizienz erhöhen kann. Neben der Anpassung von Anreizsystemen ist es zudem empfehlenswert, Anlageberatern eine höhere Entscheidungsfreiheit zu übertragen, was ebenfalls zu einer Minderung der empfundenen Rollenkonflikte beiträgt (Chebat/Kollias 2000, S. 77). Darüber hinaus ergeben sich unternehmens- bzw. beratertypenspezifische Implikationen, basierend auf dem Produktivitätsmodell nach Grönroos und Ojasalo (Abschnitt 4.2). Es wurde gezeigt, dass das Verhalten von wertorientierten (zweckorientierten) Anlageberatern tendenziell zu einer geringeren (höheren) internen Effizienz und einer höheren (geringeren) externen Effizienz führt. Basierend auf diesen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass eine Bank, die eine geringe interne Effizienz in der Anlageberatung aufweist, vorwiegend wertorientierte Berater beschäftigt. In dieser Situation wird es dem Management nur dann gelingen, die interne Effizienz zu verbessern, wenn es die mitarbeiterseitig empfundene Legitimität der managementseitigen Erwartungen (z.B. Zeit- oder Zielvorgaben) erhöhen kann. Hierzu kann das Management z.B. die Daseinsberechtigung seiner Forderungen und Vorgaben gegenüber den Mitarbeitenden verstärkt kommunizieren bzw. begründen (z.B. im Rahmen von Feedbackgesprächen oder anderen Formen der internen Kommunikation). Zudem können (falls dies noch nicht erfolgt ist) im Sinne eines Management by Objectives Zielvorgaben gemeinsam mit den Anlageberatern formuliert werden, wodurch deren Akzeptanz zusätzlich verbessert werden kann, da diese nun ihre „eigenen“ Ziele verfolgen bzw. zu erfüllen haben (Stock-Homburg 2008, S. 453ff.). Im Ergebnis wird die Legitimität der Forderungen des Managements aus Sicht der wertorientierten Anlageberater steigen, was sich positiv auf die interne Effizienz der Anlageberatung auswirken kann. Zugleich können dadurch auch mögliche Person-Rollenkonflikte reduziert werden, da die partizipative Zielvereinbarung die Wahrscheinlichkeit, dass die Ziele dem eigenen Rollenverständnis bzw. den persönlichen Wertvorstellungen widersprechen, reduziert. Ein weiterer Ansatzpunkt in diesem Zusammenhang könnte in der Reduktion der wahrgenommenen Legitimität der Kundenerwartungen bestehen. Wird den Anlageberatern ein Soll-Kundenverständnis vermittelt, das auf einer ausgeprägteren Eigenverantwortung der Kunden bei Finanzanlageentscheidungen basiert, so werden hohe Kundenerwartungen an die Beratungsleistung bzw. den Anlageberater ggf. als weniger legitim empfunden, sodass der Berater den internen Erwartungen oder Vorgaben bei seinem Konfliktlösungsverhalten Vorrang gewährt. Leidet eine Bank hingegen unter einer geringen externen Effizienz, ist anzunehmen, dass größtenteils zweckorientierte Anlageberater für dieses Unternehmen arbeiten. In diesem Fall sollte die Unternehmensleitung versuchen, die Sanktionsbilanz zu Gunsten der kundenseitigen Erwartungen zu verändern. Hierzu können einerseits die Sanktionen, die z.B. bei Nichterfüllung der gegebenen Zielvorgaben auftreten, verringert werden. Andererseits kann das Management auch die Art der Zielvorgaben ändern, z.B. indem die Nicht-
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erfüllung eines vorgeschriebenen Kundenzufriedenheitsindexwertes oder eine hohe Abwanderungsrate der Kunden sanktioniert wird (z.B. in Form von Tadel oder Verringerung des variablen Gehaltsanteils). Solch eine Veränderung der Sanktionsbilanz hätte zur Folge, dass auch die zweckorientierten Anlageberater die Interessen und Erwartungen der Kunden berücksichtigen, wodurch eine Steigerung der externen Effizienz erreicht werden kann. Letztlich entspricht dieser Lösungsansatz jedoch weitgehend der zu Beginn des Abschnitts angesprochenen Harmonisierung von Erwartungen. Auch aus dem Konstrukt der kapazitativen Effizienz ergeben sich gewisse Implikationen für die Unternehmensleitung von Banken. Grönroos und Ojasalo (2004, S. 418) zeigen, dass eine das Angebot unterschreitende Nachfrage zu einer Unterauslastung der Produktionskapazitäten führt und eine nicht optimale kapazitative Effizienz und somit eine Verringerung der Gesamtproduktivität zur Folge hat. In solch einer Situation sollte das Unternehmen verstärkt wertorientiertes Verhalten fördern. Wie in Abschnitt 4.2.1 gezeigt wurde, führt solch ein Verhalten zu einer Verringerung der absoluten Ausbringungsmenge, da wertorientierte Anlageberater mehr Zeit auf die Beratung ihrer Kunden verwenden. Die Verringerung der Ausbringungsmenge ist jedoch in Zeiten geringer Nachfrage und unterausgelasteter Produktionskapazitäten vernachlässigbar, wohingegen die positiven Effekte auf die externe Effizienz durch eine Steigerung der wahrgenommenen Beratungsqualität sehr wohl von Bedeutung sind. So kann sich dies positiv auf die Kundenzufriedenheit, das Weiterempfehlungsverhalten und die Wiederkaufraten der Kunden auswirken und mittel- bis langfristig die Nachfragesituation des Unternehmens verbessern (Bruhn/Georgi 2006, S. 166; Homburg et al. 2010, S. 116ff.). Übersteigt jedoch die Nachfrage das Angebot, ist es für die Bank empfehlenswert, zweckorientiertes Handeln verstärkt zu fördern, da dieses den effizientesten Einsatz des nun knappen Produktionsfaktors „Anlageberater“ gewährleistet (Abschnitt 4.2.2). Dieses Vorgehen ermöglicht der Bank, die maximal mögliche Anzahl an Kunden zu beraten, was in einer Situation der Übernachfrage aus (kurzfristiger) ökonomischer Sicht sinnvoll erscheint.
5.
Fazit
Mit dem vorliegenden Beitrag konnten grundlegende Erkenntnisse zu Produktivitätseffekten von Rollenkonflikten gewonnen werden, die in triadischen Dienstleistungskonstellationen auftreten. Es wurde gezeigt, dass im spezifischen Untersuchungskontext der Anlageberatung verschiedene Arten von Rollenkonflikten bedeutsam sind und dass der richtige Umgang mit diesen Rollenkonflikten eine Möglichkeit darstellt, die Produktivität positiv zu beeinflussen. Hierzu ist es jedoch zwingend erforderlich, dass das Management weiß, welche Rollenkonflikte im Unternehmen auftreten und wie die einzelnen Mitarbeitenden mit diesen umgehen. Denn nur dann ist es dem Management möglich,
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durch gezielte Förderung (Sanktionierung) von (un-)erwünschtem Verhalten positive Produktivitätseffekte zu erzielen. Als konzeptioneller Beitrag konnte die Untersuchung die postulierten Wirkungsbeziehungen und Effektrelationen jedoch nicht quantifizieren. Weiterer Forschungsbedarf besteht somit insbesondere hinsichtlich der empirischen Überprüfung der konzeptionell erarbeiteten Zusammenhänge sowie in deren Übertragung auf andere Branchen. Hierbei besteht eine besondere Herausforderung in der quantitativen, auf objektiven Maßgrößen basierenden Erfassung der rollentheoretisch begründeten Produktivitätseffekte und deren Nettowirkung bezüglich der Gesamtproduktivität von Dienstleistungsprozessen. Dies erfordert insbesondere ein besseres Verständnis des Entscheidungsverhaltens von Kundenkontaktmitarbeitern in Rollenkonfliktsituationen, was bisher nur rudimentär erforscht wurde und somit ein interessantes Forschungsgebiet der Zukunft darstellt.
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Matthias H. J. Gouthier und Walter Ganz
Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals
1. Relevanz und Aktualität des Themas 2. Theoretische Grundlagen 2.1 Dienstleistungsarbeit 2.1.1 Relevanz der Dienstleistungsarbeit 2.1.2 Differenzierung der Dienstleistungsarbeit 2.2 Arbeitsproduktivität des Servicepersonals 2.3 Emotionalität im Kontext der Dienstleistungsarbeit 2.3.1 Affective Events Theory 2.3.2 Emotionalität und Gefühlsarbeit 3. Abbildung der Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals 3.1 Einbindung und Beziehungen der Emotionalität in Input-OutputRelationen der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals 3.2 Messung der Emotionalität als Bestandteil der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals 3.3 Management einer emotional geprägten Arbeitsproduktivität des Servicepersonals 4. Fazit und Ausblick Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr. Matthias H.J. Gouthier ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmarketing an der EBS Business School der EBS Universität für Wirtschaft und Recht i. Gr. in Oestrich-Winkel. Walter Ganz M.A. ist Institutsdirektor des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Der Artikel greift dabei u.a. auf Erkenntnisse zurück, die aus der strategischen Partnerschaft „Produktivität von Dienstleistungen“, einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF (Förderkennzeichen 01FL09003), generiert werden.
1.
Relevanz und Aktualität des Themas
Um sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erfolgreich am Markt behaupten zu können, greifen Dienstleistungsunternehmen auf verschiedene bewährte Maßnahmen zurück. Eines der am häufigsten und oftmals auch zuerst eingesetzten Instrumente ist die Suche nach und Realisierung von Kosteneinsparpotenzialen (Parasuraman 2002, S. 6). Somit stehen Ansätze der Automatisierung, Standardisierung und/oder Modularisierung im unternehmerischen Fokus, um letztendlich die (Prozess-)Kosten zu reduzieren. Zudem wird gerade bei personalintensiven Dienstleistungen versucht, Personal einzusparen, wie z.B. im Einzelhandel und bei Banken. Unter der Annahme eines gleichbleibenden Outputs, wie es bei der Produktion von Sachgütern üblich ist, wird folglich die Produktivität gesteigert (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 415). Bei Dienstleistungen ist diese klassische Herangehensweise insofern als besonders problematisch zu bezeichnen, da die Produktivität (gemessen als Input-Output-Relation; Dobni 2004, S. 304; Grönroos/ Ojasalo 2004, S. 414f.; Bienzeisler/Löffler 2005, S. 216; Bruhn/Stauss 2005, S. 16) keinerlei Aussage zur Qualität einer Dienstleistung macht. Dabei sind sowohl positive als auch negative Effekte für den Kunden und dessen Qualitätswahrnehmung denkbar. So können z.B. durch einen effizienteren Einsatz von Inputfaktoren die Prozesszeiten reduziert und damit die Produktivität gesteigert werden. Sofern der Kunde hierdurch seine Leistung schneller und kostengünstiger erhält, steigen folglich auch der wahrgenommene Wert der Leistung und somit die Kundenzufriedenheit. Im Falle, dass es sich bei den Prozesszeiten jedoch um Beratungszeiten handelt, kann eine schnellere Leistungserbringung als „unliebsame Abfertigung“ empfunden werden, weshalb der wahrgenommene Kundennutzen und somit die Kundenzufriedenheit sinken. Eine reine Kostenfokussierung zur Erhöhung der Dienstleistungsproduktivität kann in solch einem Falle zu negativen Konsequenzen, z.B. in Form eines Umsatzrückgangs für Unternehmen, führen (Grönroos/Ojasalo 2004, S. 415). Dementsprechend muss die Kostenperspektive um Indikatoren der Schnelligkeit, Einfachheit, Innovativität und insbesondere Qualität ergänzt werden (Cleghorn 1992; Filiatrault et al. 1996; Dobni et al. 2000; Singh 2000; Gummesson 2001; Parasuraman 2002). Infolgedessen ist ersichtlich, dass eine Betrachtung der Dienstleistungsproduktivität ohne den Einbezug von Qualitätsaspekten möglicherweise zu Fehlinterpretationen führt. In Quintessenz reicht es weder aus, sich bei einer Analyse der Dienstleistungsproduktivität lediglich auf die Inputseite zu beschränken, noch die Input-Output-Relation alleinig zu betrachten. Etwas überraschend ist, dass trotz der eindeutigen praktischen Relevanz des Themas in der Wirtschaft, die Themenfelder der Dienstleistungsproduktivität im Allgemeinen und der Arbeitsproduktivität von Mitarbeitenden im Servicekontakt – im Folgenden als Servicepersonal bezeichnet – im Speziellen noch vergleichsweise wenig erforscht sind (Dobni 2004, S. 303). Dies mag unter anderem daran liegen, dass die Spezifika von Dienstleistungen, wie Intangibilität und Kundenintegration (vgl. hierzu z.B. Stauss 1998,
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Matthias H. J. Gouthier und Walter Ganz
S. 1260), das Management der Dienstleistungsproduktivität erschweren (Harmon/Hensel/Lukes 2006). Zu den hieraus resultierenden Problemen zählen beispielsweise die Messung des Outputs sowie die klare Definition und Einhaltung von Leistungsstandards (Dobni 2004, S. 304; vgl. auch Bienzeisler/Löffler 2005, S. 215; Krey/Nerdinger 2005, S. 138ff.). In Abhängigkeit von der Art der Dienstleistung trifft dieser Sachverhalt in unterschiedlich starkem Maße zu. Während weitgehend standardisierte und insbesondere online erbrachte Dienstleistungen (Dienstleistungsfabriken; Schmenner 2004) sich bezüglich der Vergleichbarkeit der Leistungen eher in Richtung einer Sachgüterproduktivität bewegen, konfligiert solch ein Verständnis sehr stark im Bereich personalintensiver Dienstleistungen. Dies gilt insbesondere für PremiumDienstleistungen, bei denen es nicht um eine schnellstmögliche Leistungserbringung für möglichst viele Kunden, sondern um eine bestmögliche Leistungserstellung aus Kundensicht geht (Dobni 2004, S. 306). Interessanterweise hat ein Geschäftsführer eines großen deutschen Dienstleistungsunternehmens in einem persönlichen Gespräch angemerkt, dass seiner Einschätzung nach etwa 50 Prozent des Erfolgs von Dienstleistungen, die primär durch Mitarbeitende erbracht werden, mittels klassischer Kennzahlensysteme nicht abbildbar ist. Diese Aussage hat er insbesondere vor dem Hintergrund der Wirkung von Emotionen in MitarbeiterKunden-Interaktionssituationen getätigt. Dabei kann es sich zum einen um die Vermittlung von positiven Emotionen, dargestellt durch ein besonders freundliches, empathisches und engagiertes Verhalten gegenüber den Kunden, handeln (Dobni 2004, S. 306). Zum anderen können negative Emotionen während der Kundeninteraktion die Arbeitsleistung und die Kundenzufriedenheit und damit letztlich die Produktivität des Servicepersonals nach unten ziehen (Wallace/De Chernatony 2009, S. 83f.). Hierbei ist wichtig, dass zwischen Verhaltensweisen, die stärker kognitionsbasiert sind, wie z.B. Fluktuationsverhalten und durchschnittlichen Arbeitsleistungen des Servicepersonals, sowie emotional geprägten Verhaltensweisen, wie z.B. Organizational Citizenship Behavior, zu differenzieren ist (Bell/Mengüc 2002). Während die ersteren primär durch kognitive Einstellungskonstrukte wie die Arbeitszufriedenheit geprägt sind, werden letztere stärker durch Arbeitsemotionen beeinflusst (Weiss/Cropanzano 1996; Brief/Weiss 2002). Dies gilt es entsprechend in den Überlegungen zur Stimulierung und Steuerung der Leistungsperformance des Servicepersonals und damit zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zu beachten. Während in den letzten Jahren durchaus erste Überlegungen angestellt wurden, wie die Input- und Output-Komponenten seitens der Produktivität der Kunden durch emotional geprägte Konstrukte wie der Kundenzufriedenheit abgebildet werden können, trifft dies für die Input- und Output-Komponenten der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals weit weniger zu. So bildet z.B. Parasuraman (2002, S. 8) in seinem Dienstleistungsproduktivitätsmodell zwar die so genannte „Emotional Energy“ als Inputgröße auf der Kundenseite ab, jedoch nicht auf der Mitarbeiterseite. Etwas weiter geht dagegen Dobni (2004, S. 304) in seinem einschlägigen Artikel zur Arbeitsproduktivität von Servicemitarbeitenden, da er durchaus auf die Beeinflussung der Arbeitsleistung des Servicepersonals durch deren „Emotional State“ hinweist. Dieses Konstrukt wird aber in seinem Mo-
Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals
353
dell lediglich als Stimmung am Arbeitsplatz („Mood at Work“; Dobni 2004, S. 305) abgebildet. Stimmungen haben indes eine weitaus schwächere Wirkung auf die Arbeitsleistung als Emotionen (Müller-Seitz 2008). Dementsprechend widmet sich dieser Beitrag der zentralen Fragestellung, wie Emotionen in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals abgebildet, d.h. gemessen und gemanaged werden können. Dabei wird die Sichtweise auf Arbeitsemotionen, die sich üblicherweise primär auf das intrapersonelle Empfinden fokussieren, um die interpersonelle Perspektive des Austauschs von Emotionen in Mitarbeiter-Kunden-Interaktionen erweitert. Infolgedessen wird von einer Emotionalität des Servicepersonals gesprochen (vgl. generell zur Emotionalität auch Müller-Seitz 2008, S. 60ff.). In Quintessenz soll im Rahmen des vorliegenden Beitrags ein Modell entwickelt werden, das die Emotionalität in der Arbeitsproduktivität von Servicemitarbeitenden adäquat abzubilden vermag. Im Rahmen des zweiten Teils werden mit der Relevanz und der Differenzierung der Dienstleistungsarbeit (Abschnitt 2.1), der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals (Abschnitt 2.2) und der Emotionalität im Kontext der Dienstleistungsarbeit (Abschnitt 2.3) die relevanten theoretischen Grundlagen erörtert. Hieran anknüpfend wird im dritten Teil des Beitrags ein Modell entwickelt, das die Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals abbildet. Dazu ist vor allem die Emotionalität in den Input-OutputRelationen der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals zu erörtern (Abschnitt 3.1). Daneben gilt es, sich mit der Messung von Emotionalität des Servicepersonals auseinander zu setzen (Abschnitt 3.2). Schließlich stellt sich aus der Unternehmensperspektive die besondere Herausforderung des Managements einer emotional geprägten Arbeitsproduktivität des Servicepersonals (Abschnitt 3.3). Zum Abschluss werden im vierten Teil ein kurzes Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben.
2.
Theoretische Grundlagen
2.1 Dienstleistungsarbeit 2.1.1 Relevanz der Dienstleistungsarbeit Die Relevanz der Dienstleistungsarbeit wird heute weder von Seiten der Wirtschaft noch der Wissenschaft ernsthaft in Frage gestellt (Baethge 2001a, S. 23ff.; Jacobsen/Voswinkel 2003, S. 3). Dies mag unter anderem schon allein in der volkswirtschaftlichen Relevanz von Dienstleistungsarbeit begründet sein. So lag im Jahre 2009 der Anteil der Erwerbstätigen, die im tertiären Sektor arbeiteten, bereits bei 73 Prozent (Statistisches Bundesamt Deutschland 2010) – bei weiterhin steigender Tendenz. Aber auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive stellt die Dienstleistungsarbeit einen zentralen Erfolgsfaktor dar.
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Schon seit jeher gelten Mitarbeitende als eine der zentralen unternehmerischen Ressourcen (vgl. z.B. Hall 1992; Collis 1994). Dass diese Aussage insbesondere auf den Dienstleistungssektor zutrifft, lässt sich schon allein daran ableiten, dass im Dienstleistungssektor bis zu 70 Prozent der Gesamtkosten eines Unternehmens auf den Personalbereich entfallen (Schmidt 1996, S. 22). Neben dieser rein kostengeprägten Perspektive sprechen jedoch viele eher qualitätsbezogene Argumente für die Bedeutsamkeit der Dienstleister und speziell des Servicepersonals als Erfolgsfaktor (Stock 2006, S. 363; Coenen 2008a, S. 509). Servicemitarbeitende repräsentieren das Unternehmen gegenüber den Kunden (Coenen 2005, S. 1), beeinflussen mit ihrem Auftreten und Verhalten die Qualitätswahrnehmung der Kunden (Stauss 2000, S. 205; Schmitz 2004) und stehen somit für die Serviceorientierung des Unternehmens (Bieger 1998, S. 295). Sie sind „Image Maker“ (Bowen/Schneider 1985, S. 129) und „Marketer“ (Solomon et al. 1985, S. 100) in einer Person. Zeithaml et al. (2009, S. 352) proklamieren daher: „In many cases, the contact employee is the service-there is nothing else.“ Die Mitarbeitenden im Kundenkontakt stellen folglich die „Service Deliverer“ für den Kunden dar (Zeithaml et al. 2009, S. 351ff.). Diese erfüllen die zentrale Aufgabe, für die Kunden die (Teil-)Problemlösung zu erstellen bzw. zu offerieren (Coenen 2005, S. 10).
2.1.2 Differenzierung der Dienstleistungsarbeit Die Arbeit des Servicepersonals kann zunächst einmal in die eigentliche Interaktionsarbeit mit den Kunden (Jacobsen/Voswinkel 2003, S. 3) sowie in vor- und nachgelagerte direkte Supportaktivitäten, z.B. Vorbereitung eines Beratungsgesprächs, und sonstige Arbeitsaktivitäten, z.B. Ausfüllen eines Urlaubsantrags, unterteilt werden. Dabei weist die Interaktionsarbeit bzw. Kundeninteraktionsarbeit „eine körperlich-energetische, eine informatorisch-geistige und eine emotionale Komponente“ (Krell 2001, S. 14) auf und wird im Falle von so genannten „Face-to-Face“- oder „Voice-to-Voice“-Interaktionen zwischen Mitarbeitendem und Kunden auch als personenbezogene Arbeit bezeichnet (Zapf 2002, S. 240). Basiert die Interaktionsarbeit wiederum auf der Darstellung von Emotionen gegenüber den Kunden, so ist im Speziellen von der so genannten Gefühlsarbeit zu sprechen. Zwar spielt die Interaktionsarbeit bei der Erbringung von Dienstleistungen eine zentrale Rolle, da sie wesentlich die Zufriedenheit der Kunden bestimmt (Coenen 2008b, S. 470). Häufig kommt ihr aber in der Arbeitsrealität dennoch nicht die Bedeutung zu, gemessen am Anteil der Gesamtarbeitszeit, die sie eigentlich haben sollte. So verbringt das Servicepersonal, wie z.B. Kundenberater einer Bank oder Neuwagenverkäufer eines Automobilhändlers, einen großen Teil der Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten (vgl. z.B. Krättli 2006). Damit stellt die Interaktionsarbeit selbst nur einen Teilbereich der Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt dar. Letztere ist wiederum eine Teilmenge der gesamten Dienstleistungsarbeit (vgl. auch Abbildung 1), da es viele Tätigkeiten in einem Dienstleistungsunternehmen gibt, wie z.B. Personal, Controlling und Finanzen, bei denen es zu keinerlei, zumindest nicht externen Kundenkontakten kommt.
Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals
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Dienstleistungsarbeit
Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt
Interaktionsarbeit Gefühlsarbeit
Abbildung 1: Differenzierung von Dienstleistungsarbeit (Quelle: in Anlehnung an Voswinkel/Korzekwa 2005, S. 100) Das eigentlich Besondere an der Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt ist, dass sie im Kern aus diversen Handlungen besteht, die verrichtet werden, um das Problem der Kunden zu lösen (Coenen 2007, S. 426; 2008b, S. 511). Zudem bringt der Kundenkontakt Unsicherheit für den Mitarbeitenden mit sich. So ist in zeitlicher Hinsicht ungewiss, wann welcher Kunde mit welchen Erwartungen und Anforderungen zu bedienen ist, wie viel Zeit entsprechend zur Problemlösung benötigt wird und wie viele weitere Kunden derweil auf eine Bedienung warten werden. In sozialer Hinsicht stellt sich die Herausforderung, ob und wie die Kooperationsbereitschaft und das Kooperationsverhalten der Kunden zur Erstellung der Dienstleistung mobilisiert werden kann (Krell 2001, S. 13). Zudem besteht in sachlich-inhaltlicher Hinsicht die Frage, wie die Erwartungen der Kunden korrekt erkannt und gelöst werden können (Bauer 2005, S. 241f.). Hierbei stellt die Kommunikation mit dem Kunden, um beispielsweise dessen Erwartungen und Bedürfnisse zu ermitteln, aber auch um die Erwartungen systematisch zu steuern, einen wesentlichen Bestandteil der Interaktionsarbeit dar (Baethge 2001b, S. 86f.). Der kommunikative Umgang mit den Kunden und die Erfüllung der Kundenerwartungen sind demzufolge die zentrale Zielsetzungen für einen Dienstleister und damit gerade für das Servicepersonal. Die zentrale Rolle des Kunden zeigt sich unter anderem auch darin, dass diesem im Rahmen der Interaktion mit dem Servicepersonal die Rolle eines so genannten „Substitute for Leadership“ zukommt (Lehmann 1998, S. 35ff.; Gouthier/Schmid 2001, S. 226). Der Kunde übernimmt einen Teil der innerbetrieblichen Führungsfunktionen, d.h., er prägt durch sein Verhalten Motivation, Einstellungen und Verhaltensweisen des Servicepersonals und vermag dessen Aufgaben, Kompetenzen und
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Verantwortlichkeiten mitzubestimmen oder gar festzulegen (Schneider/Bowen 1995, S. 86; Gouthier/Schmid 2001, S. 226). Das Leistungsergebnis hängt damit nicht nur von der objektiven Arbeit des Mitarbeitenden ab, sondern in entscheidendem Maße von der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung durch den Kunden. Der Kunde bezieht sich in seiner Beurteilung der Leistung häufig fast ausschließlich auf die Handlungen des Mitarbeitenden während der Interaktion (Coenen 2007, S. 425). Diese Leistungsevaluation kann sich dann in Messgrößen wie dem wahrgenommenen Kundennutzen und der Kundenzufriedenheit ausdrücken. Die Leistungsbeurteilung kann somit nicht nur in objektiven Kenngrößen, sondern muss auch durch zusätzliche subjektive Größen erfolgen (Gouthier 2007, S. 388). In einer Messung der Dienstleistungsproduktivität sind daher auch gerade subjektive Kenngrößen aus einer Kundenperspektive mit einzubeziehen.
2.2 Arbeitsproduktivität des Servicepersonals Unter der (durchschnittlichen) Arbeitsproduktivität wird die Input-Output-Relation im Sinne des Verhältnisses von Produktionsergebnis und Arbeitseinsatz (Gabler Verlag o. J.) bzw. das „Produktionsergebnis je Input-Komponente des Arbeitsvolumens“ (Statistisches Bundesamt 2009, S. 5f.) verstanden. Hierbei können verschiedenste Kennziffern bzw. Messgrößen sowohl für die Input- als auch Output-Ebene in Abhängigkeit von der konkreten Zielsetzung der Relation herangezogen werden. So werden z.B. geleistete Arbeitsstunden, Arbeitstage oder Anzahl der Beschäftigten als mögliche Inputgrößen eingesetzt. Im Kontext der Dienstleistungsarbeit können in Abhängigkeit von der konkreten Dienstleistungsarbeit outputbezogene Kennziffern wie z.B. Anzahl der neu abgeschlossenen Verträge für den Vertrieb oder Anzahl der bearbeiteten Beschwerden im Falle einer Beschwerde-Hotline verwendet werden. Letztlich geht es bei der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals darum, mit welchem Input (quantitativer und qualitativer Art) welcher Kundennutzen (quantitativer und qualitativer Art) erzeugt wird, der zum gewünschten Kundenverhalten führt. Ein Konzept, das sich genau diesem Zusammenhang widmet und sich in der Dienstleistungsforschung schon seit längerem etabliert hat, ist die Service Profit Chain (Heskett et al. 1994). Gemäß der Service Profit Chain wird die interne Servicequalität bzw. die Qualität des Arbeitsplatzes beeinflusst durch Determinanten wie z.B. Arbeitsplatzgestaltung, Art der Tätigkeit sowie Vergütung und Anerkennung. Die Arbeitsplatzqualität ist ihrerseits Voraussetzung für die Mitarbeiterzufriedenheit, die im positiven Falle mit einer Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen und einer höheren Arbeits- bzw. Mitarbeiterproduktivität einhergeht. Damit kommt es in Quintessenz zu einem höheren externen Servicenutzen bzw. größeren Customer Value, der entsprechend zu einer gesteigerten Kundenzufriedenheit führt. Die Kundenzufriedenheit ist wiederum ein zentraler Treiber der Kundenloyalität, ausgedrückt in der Kundenbindung, im Wiederkaufsverhalten und in Weiterempfehlungen (Coenen 2005, S. 18f.; Horsmann 2005, S. 176). Schließlich steigen hierdurch der Umsatz und die Rentabilität (Zeithaml et al. 2009, S. 354f.). Wichtig ist dabei der Hinweis, dass die Kundenzufriedenheit und die Kundenloyalität im Mittel-
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357
punkt dieser Wirkkette stehen. Mitarbeiterorientierung – im Sinne der Schaffung von Mitarbeiterzufriedenheit, -bindung und -produktivität – wird somit als Instrument eingesetzt, um Kundenzufriedenheit und -loyalität zu erreichen (vgl. auch die Ausführungen zum internen Marketing bei Stauss 2000, S. 209). Unter Produktivitätsgesichtspunkten können die Schaffung von Mitarbeiterzufriedenheit, -bindung und -produktivität als Inputfaktoren gesehen werden, die letztlich zu einer verbesserten Kundenzufriedenheit und -loyalität sowie zu Umsatzwachstum und einer höheren Rentabilität als Outputgrößen führen sollen. Eine grundlegende Annahme in diesem Kontext ist, dass die Mitarbeiterzufriedenheit ein Treiber für die Kundenzufriedenheit ist, da zufriedenere Mitarbeitende eine bessere Arbeitsleistung erbringen und damit produktiver sind, was wiederum von den Kunden wahrgenommen und positiv gewürdigt wird (vgl. z.B. Bowen/Siehl/Schneider 1989; Arnett et al. 2002, S. 88; Stock 2006, S. 363). Gleichermaßen tragen zufriedene Kunden über eine höhere Kundenloyalität zu einem besseren Unternehmensergebnis bei (Coenen 2005, S. 15f.). Die damit erzielten Gewinne können ihrerseits in die Mitarbeiterbeziehungen reinvestiert werden, wodurch die Mitarbeiterzufriedenheit steigt (vgl. zu dieser Wirkbeziehung auch Jacquemin 2008, S. 43ff.). Damit kommt es letztlich zu einer positiven Wirkkette, wie sie der Service Profit Chain (Abbildung 2) zugrunde liegt (Zeithaml et al. 2009, S. 354). Betriebspolitik und Leistungserstellungssystem
Interne Servicequalität
Mitarbeiterbindung Mitarbeiterzufriedenheit
Externer Servicenutzen
Kundenzufriedenheit
Kundenloyalität
Mitarbeiterproduktivität
• Arbeitsplatzgestaltung • Art der Tätigkeit • Personalauswahl und -entwicklung • Vergütung und Anerkennung • Hilfsmittel zur Kundenbedienung
Umsatzwachstum
Rentabilität
• Service-Konzeption: Ergebnisse für die Kunden • Service-Design und Erbringung gemäß der Kundenwünsche
Abbildung 2: Service Profit Chain (Quelle: In Anlehnung an Heskett et al. 1994, S. 166)
• Kundenbindung • Wiederkauf • Weiterempfehlungen
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Problematisch an der Service Profit Chain ist, dass diese allerdings keine expliziten Aussagen zu Emotionen tätigt. Dabei haben neuere Studien nachgewiesen, dass gerade in Interaktionssituationen Emotionen das Verhalten der Interaktionspartner prägen können. Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt hat eben auch eine emotionale Seite: Probleme der Kunden werden gelöst und Wünsche erfüllt, Scherze und Freundlichkeiten werden ausgetauscht. Damit weist diese Art der Arbeit im Vergleich zu reinen Produktionstätigkeiten weitere Komponenten auf, die die Freude und den Spaß an der Arbeit prägen können. Dienstleistungsarbeit kann dementsprechend neben körperlichen und informatorisch-intellektuellen bzw. geistigen auch emotionale Arbeitsbestandteile beinhalten (Krell 2001, S. 11ff.). Daher wird im nun folgenden Abschnitt näher auf Arbeitsemotionen im Kontext der Dienstleistungsarbeit eingegangen.
2.3 Emotionalität im Kontext der Dienstleistungsarbeit 2.3.1 Affective Events Theory Einer der bekanntesten theoretischen Ansätze, der Arbeitsemotionen in den Kern konzeptioneller Überlegungen stellt, ist die so genannte Affective Events Theory (AET). Die AET geht auf die grundlegende Arbeit von Weiss und Cropanzano (1996) zurück und hat mittlerweile in der Organisationsforschung einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt (vgl. z.B. Brief/Weiss 2002; Fisher 2002; Grandey et al. 2002; Paterson/Cary 2002; Pirola-Merlo et al. 2002; Wegge/Neuhaus 2002; Weiss 2002; Beal et al. 2005; Domagalski/Steelman 2005; Miner et al. 2005; Niklas/Dormann 2005; Weiss/Beal 2005; Judge et al. 2006; Wegge et al. 2006; Gouthier 2007, S. 388). Anlass zur Entwicklung der AET waren zwei zentrale Kritikpunkte im Verständnis und letztlich auch in der Messung von Mitarbeiterzufriedenheit. Zum Ersten monieren Weiss und Cropanzano (1996, S. 2ff.), dass in der einschlägigen Literatur ein Verständnis von Mitarbeiterzufriedenheit existiert, und dieses auch weitgehend akzeptiert wird, das auf einer unzulässigen Kombination von affektiven Reaktionen, basierend auf einer kognitiven Bewertung der Arbeitssituation, aufbaut. Dazu ziehen die Autoren exemplarisch eine Definition von Cranny, Smith und Stone (1992, S. 1) heran, gemäß denen Mitarbeiterzufriedenheit definiert werden kann als „an affective (that is, emotional) reaction to a job that results from the incumbent’s comparison of actual outcomes with those that are desired (expected, deserved, and so on)“. Hierin sehen die Autoren eine unzulässige Vermischung von Ursachen und dem hieraus resultierenden Effekt innerhalb eines Definitionsansatzes (Weiss/Cropanzano 1996, S. 2). Zum Zweiten kritisieren Weiss und Cropanzano (1996, S. 2ff.), dass bei der Messung der Mitarbeiterzufriedenheit häufig auf die affektive Komponente verzichtet und stattdessen primär ein kognitiv geprägtes Vergleichsurteil von bestimmten Merkmalen der Arbeit im Sinne einer Globalzufriedenheit erhoben wird (vgl. auch Brief/Weiss 2002, S. 283). Folglich werden nach Ansicht der Autoren affektive Erlebnisse am Arbeitsplatz bzw. während der Arbeit als Ursachen der Entstehung von Mitarbeiterzufriedenheit stark vernachlässigt (vgl. auch Rosenstiel 2001, S. 31).
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Dementsprechend trennen Weiss und Cropanzano (1996, S. 2f.) bei ihrer Auffassung von Mitarbeiterzufriedenheit strikt zwischen den vorausgehenden Einflussfaktoren auf die Mitarbeiterzufriedenheit und der eigentlich wertenden Beurteilung („Satisfaction as Judgment“; Weiss/Cropanzano 1996, S. 2) im Sinne eines rationalen Soll-Ist-Vergleichs der Arbeitssituation als Kernkomponente der Mitarbeiterzufriedenheit. Mitarbeiterzufriedenheit wird damit in Anlehnung an die vorherrschende Meinung als Einstellungskonstrukt (vgl. auch Pirola-Merlo et al. 2002, S. 562; Niklas/Dormann 2005, S. 367) im Sinne eines globalen Vergleichsurteils definiert (Weiss/Cropanzano 1996, S. 2; Mignonac/Herrbach 2004, S. 225). Folglich wird die in der Literatur häufig anzutreffende klassische Dreiteilung von Einstellungskonstrukten in eine affektive, kognitive und intentionale Komponente (Niklas/Dormann 2005, S. 367) aufgehoben und in eigenständige Konstrukte separiert (Mignonac/Herrbach 2004, S. 225). Als Einflussfaktoren agieren zum einen bestimmte Merkmale von Arbeitstätigkeiten (Weiss/Cropanzano 1996, S. 12), zum anderen aber auch affektive Erlebnisse am Arbeitsplatz (Weiss/Cropanzano 1996, S. 47). Die resultierenden Verhaltensweisen werden in Analogie zu der Unterscheidung von Affekt und (kognitiver) Evaluation in affektiv geprägte („Affect Driven Behaviors“) und kognitiv bewertende Verhaltensweisen („Judgment Driven Behaviors“) unterteilt (Weiss/Cropanzano 1996, S. 12; vgl. auch Wegge et al. 2006, S. 241). Aufbauend auf den genannten Kritikpunkten entwickelten Weiss und Cropanzano (1996, S. 12ff.) die Affective Events Theory (AET). Diese skizziert ein Wirkmodell (vgl. Abbildung 3; vgl. auch Fisher 2002, S. 4; Wegge/Neuhaus 2002, S. 174ff.; Mignonac/Herrbach 2004, S. 223; Wegge et al. 2006, S. 238ff.), dessen Ausgangspunkt die Rahmenfaktoren der Arbeit, wie z.B. Autonomiegrad der Arbeit, Arbeitskomplexität, Führungsstil und Entlohnung (Weiss/Cropanzano 1996, S. 4), sind („Work Environment Features“). Diese Arbeitsmerkmale beeinflussen zum einen aufgrund von kognitiven Entscheidungsprozessen, die der Bewertung selbiger zugrunde liegen, die Mitarbeiterzufriedenheit auf direktem Wege, zum anderen erfolgt eine indirekte Beeinflussung über die affektive Wirkkette im Modell (vgl. auch Abbildung 3), da die Arbeitsmerkmale das Auftreten spezifischer Arbeitsereignisse („Work Events“) stimulieren oder konterkarieren (Fisher 2002, S. 4). Die Arbeitsereignisse können – sozusagen als „Affective Shocks“ (Grandey/Tam/Brauburger 2002, S. 32) – ihrerseits bestimmte affektive Reaktionen („Affective Reactions“) beim Mitarbeitenden auslösen (Basch/Fisher 2000; Paterson/Cary 2002, S. 87). Zu den affektiven Reaktionen zählen neben den Arbeitsemotionen, wie z.B. Stolz, Freude, Ärger oder Scham, auch Stimmungen („Moods“; Weiss/Cropanzano 1996, S. 12; vgl. Fisher 2002, S. 5). Dabei sind Emotionen im Vergleich zu Stimmungen im Allgemeinen gekennzeichnet durch eine kürzere Dauer bei stärkerer Intensität und vor allem durch einen internen oder externen Stimulus, der die Emotion auslöst, während Stimmungen unfokussiert sind (Weiss/Cropanzano 1996, S. 18; vgl. auch Grandey et al. 2002, S. 32; Müller-Seitz 2008, S. 79). Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird sich dabei auf die Kategorie der Arbeitsemotionen fokussiert.
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Judgment Driven Behaviors
Work Environment Features
Work Events
Affective Reactions
Dispositions
Work Attitudes
Affect Driven Behaviors
Abbildung 3: Die Affective Events Theory (AET) (Quelle: Weiss/Cropanzano 1996, S. 12) Das Auftreten von affektiven Reaktionen bei der Arbeit wird zudem von Persönlichkeitsdispositionen („Dispositions“) des Mitarbeitenden beeinflusst (Pirola-Merlo et al. 2002, S. 563). Diese Dispositionen moderieren das affektive Erleben, da sie Einfluss nehmen auf die Stimmungen und das Emotionserleben (Suchen/Herstellen bestimmter Emotionen; Weiss/Cropanzano 1996, S. 12; Fisher 2002, S. 4). Als relevante Persönlichkeitsmerkmale werden in der Literatur häufig die negative Affektivität (NA) und positive Affektivität (PA) genannt („PANAS“; vgl. Weiss/Cropanzano 1996, S. 27; Brief/Weiss 2002, S. 284f.; Grandey et al. 2002; Niklas/Dormann 2005). Des Weiteren wirken neben den Arbeitsdeterminanten insbesondere die Arbeitsemotionen direkt auf die Arbeitseinstellungen („Work Attitudes“; Mignonac/Herrbach 2004, S. 223). Dabei werden im Rahmen des Artikels von Weiss und Cropanzano (1996) Arbeitseinstellungen und Mitarbeiterzufriedenheit gleichgesetzt. Dementsprechend fokussieren sich die meisten Studien, die auf der AET aufbauen, auch auf die Betrachtung der Mitarbeiterzufriedenheit. Die eigentliche Kernaussage und auch eine der zentralen innovativen Aspekte der AET ist darin zu sehen, dass Weiss und Cropanzano (1996, S. 13) postulieren, dass die Mitarbeiterzufriedenheit als „Evaluative Judgment“ die kognitiv getriebenen Verhaltensweisen („Judgment Driven Behaviors“) determiniert, während die affektiven Erlebnisse affektiv getriebene Verhaltensweisen („Affect Driven Behaviors“) auslösen (vgl. z.B. auch Ashkanasy/Daus 2002, S. 77; Wegge et al. 2006, S. 238f.). Kognitiv bewertende Verhaltensweisen können somit als das Ergebnis von bewusst getroffenen, rationalen Entscheidungen eines Mitarbeitenden angesehen werden (Wegge/Neuhaus 2002, S. 175). Dazu zählen Entscheidungen, wie z.B. das Unternehmen zu wechseln, bewusst von der Arbeit wegzubleiben oder vorzeitig in den Ruhestand zu gehen (Weiss/Cropanzano 1996,
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S. 52ff.). Dagegen werden eher affektiv getriebene Verhaltensweisen, wie z.B. Hilfeleistungsverhalten gegenüber Kollegen oder Kunden, direkt durch Emotionserlebnisse am Arbeitsplatz motiviert sein (Wegge/Neuhaus 2002, S. 175; Wegge et al. 2006, S. 239). Ergänzend sei allerdings erwähnt, dass die Arbeitsemotionen über deren Einfluss auf die Arbeitseinstellungen bzw. die Mitarbeiterzufriedenheit letztlich auch eine indirekte Wirkung auf die kognitiv getriebenen Verhaltensweisen ausüben (Grandey et al. 2002, S. 32).
2.3.2 Emotionalität und Gefühlsarbeit Emotionalität, verstanden als intrapersonelle Empfindung und interpersoneller Austausch von Emotionen, entsteht bei der Interaktionsarbeit und speziell bei der Gefühlsarbeit des Servicepersonals. Bei dem Konzept der Gefühlsarbeit kann zwischen einem input- und einem outputorientierten Verständnis unterschieden werden. Nach Hochschild (1983) handelt es sich bei der Gefühlsarbeit („Emotional Work“) um die Regulation und Bearbeitung der eigenen Gefühle durch den Mitarbeitenden mit dem Ziel, einen bestimmten Gefühlsausdruck hervorzurufen. Dabei sollte dieser Gefühlsausdruck im Einklang mit den normativen Darstellungsregeln einer Arbeitssituation stehen. Diese Darstellungsregeln werden durch das Dienstleistungsunternehmen und/oder den Beruf gesetzt. Da die gewünschten Gefühle nur selten spontan und automatisch entstehen, ist eine psychische Anstrengung seitens der Mitarbeitenden und damit Gefühlsarbeit erforderlich (Morris/Feldman 1996). In diesem Verständnis kommt eine vorwiegend inputorientierte Betrachtung von Gefühlsarbeit zum Ausdruck. Ein eher outputorientiertes Verständnis von Gefühlsarbeit findet sich dagegen bei Strauss et al. (1980). Hier wird Gefühlsarbeit dazu eingesetzt, die Gefühle der Kunden zu beeinflussen („Sentimental Work“). Gefühlsarbeit steht somit in einer Mittel-ZweckRelation. Dabei stehen beide Verständnisse in einem engen Verhältnis. Um die Gefühle der Kunden letztlich zu beeinflussen, müssen die Mitarbeitenden die eigenen Gefühle adäquat regulieren (Nerdinger 2001, S. 504f.). Gefühlsarbeit kann sowohl positive Effekte als auch negative Resultate erzielen, die sich auf die Arbeitsleistung und damit als Inputgröße auf die Arbeitsproduktivität auswirken. Als negative Konsequenzen werden üblicherweise Stress und Burnout angeführt (Nerdinger 2001, S. 510). Burnout setzt sich aus den Symptomen der „emotionalen Erschöpfung“, „Depersonalisation“ und „Gefühlen reduzierter persönlicher Leistungsfähigkeit“ zusammen (Maslach/Jackson 1984). Dabei wird die emotionale Erschöpfung insbesondere durch Stressfaktoren, wie z.B. Überlastung und Rollenkonflikte, und eine emotionale Dissonanz hervorgerufen (Witt et al. 2004). Allerdings kann die Wirkbeziehung zwischen emotionaler Erschöpfung und negativen Handlungskonsequenzen durch positive Arbeitsressourcen, wie z.B. Handlungsautonomie, als Moderatoren reduziert werden (Abraham 1998). Damit wird direkt ersichtlich, dass ein negativer Wirkzusammenhang zur Arbeitsproduktivität gegeben ist.
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Gefühlsarbeit kann gleichermaßen jedoch auch positive Wirkungen entfalten. So zeigt eine Studie von Wharton (1993), dass sich Berufsgruppen mit einem hohen Anteil an Gefühlsarbeit durch einen höheren Grad an Arbeitszufriedenheit auszeichnen. Dabei stehen bei den untersuchten Dienstleistungen positive Gefühle im Vordergrund. Dementsprechend kommt es zu positiven Wirkbeziehungen (Nerdinger 2001, S. 512 f.). Erfolgreiche Gefühlsarbeit kann den Mitarbeitenden mit Stolz erfüllen, das Selbstvertrauen steigern (Nerdinger 2001, S. 513), die Arbeitsleistung verbessern und folglich die Arbeitsproduktivität erhöhen.
3.
Abbildung der Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals
3.1 Einbindung und Beziehungen der Emotionalität in InputOutput-Relationen der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals Arbeitsemotionen fließen bislang noch nicht explizit in Produktivitätsüberlegungen mit ein, wenngleich deren Relevanz als Einflussfaktoren für die Arbeitsleistung („Job Performance“) durch verschiedenste Studien belegt wurde (vgl. z.B. Staw et al. 1994). Wenn dem aber so ist, lässt sich verargumentieren, dass Arbeitsemotionen auch als Inputfaktoren in die Bestimmung der Arbeitsproduktivität eingebunden werden können bzw. sollten. Bei rein intrapersonellen Produktivitätsrelationen können Arbeitsemotionen als Inputfaktoren in Relation zu mitarbeiterbezogenen Outputgrößen wie emotionaler Erschöpfung und Gesundheitsbeschwerden gesetzt werden. Bei interpersonellen Betrachtungen kommen dagegen kundenbezogene Outputgrößen wie die Kundenzufriedenheit und -loyalität in Betracht (vgl. auch Abbildung 4). Basierend auf den Überlegungen zur AET wird davon ausgegangen, dass Arbeitsemotionen direkte Wirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit und die affektiv getriebenen Verhaltensweisen, wie z.B. ein helfendes Verhalten gegenüber dem Kunden, entfalten. Darüber hinaus wird angenommen, dass sich Arbeitsemotionen gleichermaßen auf die Kundenemotionen während der Interaktionssituation auswirken können (vgl. auch Hennig-Thurau et al. 2006). Zur Erklärung von Beziehungen zwischen der Gefühlsarbeit der Mitarbeitenden als Inputgröße und den empfundenen Gefühlen von Kunden als Outputgröße kann die Theorie der emotionalen Ansteckung („Emotional Contagion“) herangezogen werden (Hatfield et al. 1994; Hennig-Thurau et al. 2006). Demnach versuchen Individuen automatisch und kontinuierlich ihren Gesichtsausdruck mit dem Gesichtsausdruck ihrer Interaktionspartner zu synchronisieren. Dabei kommt im Falle von Emotionen der Mimik eine zentrale Bedeutung zu. Gemäß der so genannten „Facial Feedback“-Hypothese wird die Stellung sämtlicher Gesichtsmuskeln permanent neuro-
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nal verarbeitet, wodurch die entsprechenden Emotionen ausgelöst und erlebt werden. Folglich erleben die Menschen durch die kontinuierliche Synchronisation die Emotionen des jeweiligen Interaktionspartners (Nerdinger 2001, S. 509). Zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenzufriedenheit wird indes ein indirekter Zusammenhang unterstellt. So wird ein in der Regel eher schwach ausgeprägter Beziehungszusammenhang in der einschlägigen Literatur darauf zurückgeführt, dass es sich bei beiden Konstrukten (Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit) um latente, d.h. intrapsychische Konstrukte handelt, die dementsprechend nicht direkt aufeinander wirken können, sondern auf vermittelnde Konstrukte angewiesen sind (Horsmann 2005, S. 178). Folglich existieren zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und dem tatsächlichen Verhalten der Mitarbeitenden sowie der schließlich vom Kunden empfundenen Zufriedenheit diverse Filter, wie Motivationsfilter, Handlungsfilter und Wahrnehmungsfilter (Swetje 2000). Dagegen wird davon ausgegangen, dass sich affektiv getriebene Verhaltensweisen der Mitarbeitenden auf affektiv getriebene Verhaltensweisen der Kunden direkt auswirken können. So führt ein besonders engagiertes Mitarbeiterverhalten ggf. zu einem direkten Lob seitens des Kunden. Insofern wird schließlich postuliert, dass sich ein kognitives Verhalten, wie z.B. Dienst nach Vorschrift, auf das kognitiv geprägte Kundenverhalten, wie z.B. Reduktion der Kaufintensität, unmittelbar bemerkbar macht. Die entsprechenden Zusammenhänge sind in Abbildung 4 dargestellt. Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass Rückschleifen denkbar sind, d.h., dass sich Kundenemotionen ebenfalls auf die Mitarbeiteremotionen auswirken können.
3.2 Messung der Emotionalität als Bestandteil der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals Das Problem, das sich generell stellt, ist, dass Emotionen einer Messung nur schwer zugänglich sind (Grandey et al. 2002, S. 31f.). Grundsätzlich können Emotionen über die Messung psychophysiologischer Komponenten des Emotionalen gemessen werden, da es eine enge Verbindung zwischen den Emotionen und physiologischen Prozessen gibt (Izard 1999; Müller-Seitz 2008, S. 26). Damit kann durch psychophysiologische Messungen von Herzfrequenz, Blutdruck, Hauttemperatur, Elektrodermale Aktivität (EDA)/Hautleitfähigkeit, elektrische Muskelaktivität, Schreckreflex, Betrachtungszeit, Reaktionszeit und hirnelektrischer Aktivität eine Objektivierung von emotionalen Vorgängen im Menschen angestrebt werden (vgl. vertiefend zu den einzelnen Verfahren Baumann et al. 2005, S. 172ff.).
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Kognitiv getriebene Verhaltensweisen
Kognitiv getriebene Verhaltensweisen
Mitarbeiterzufriedenheit
Arbeitsemotionen
Kundenemotionen
Affektiv getriebene Verhaltensweisen
Intra-/Interindividuelle Inputgrößen
Kundenzufriedenheit
Intraindividuelle Outputgrößen
Affektiv getriebene Verhaltensweisen
Interindividuelle Outputgrößen
Abbildung 4: Arbeitsemotionen als intraindividuelle und interindividuelle Inputgrößen der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals Daneben kommen Emotionen zumeist im Ausdrucksverhalten eines Individuums zur Geltung. Dementsprechend ist eine zweite Möglichkeit, Emotionen zu messen, in der Erfassung expressiver Emotionsindikatoren zu sehen, wie in der Untersuchung der Mimik, der standardisierten Verhaltensbeobachtung, den Verfahren zur Beurteilung der Fähigkeit zur Emotionserkennung, den inhaltsanalytischen Verfahren, offenen Interviewtechniken und dem musikalischen Emotionsausdruck (Shiota et al. 2003; Baumann et al. 2005, S. 178ff.). Da im Rahmen des Empfindens von Emotionen ein wesentlicher Teil durch intrapsychische Phänomene geprägt wird, kommt schließlich den Selbstbeurteilungsverfahren eine besondere Bedeutung zu (Baumann et al. 2005, S. 190). Zu den meist verbreiteten Verfahren, die sich in der Praxis bewährt haben, gehören die Skalen zur Erfassung der Einstellung zur emotionalen Expressivität (wie z.B. der Fragebogen zur Emotionskontrolle FEMKO 18), die differentiellen Emotionsskalen (wie z.B. die Differential Emotions Scales DES, DES II), die spezifischen Emotionsskalen (wie z.B. das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar STAXI), die direkten Fragebogenmethoden (wie z.B. der Positive Affekt Negativer Affekt Schedule PANAS) und die Analogverfahren (wie z.B. die Visuellen Analogskalen VAS).
Emotionalität in der Arbeitsproduktivität des Servicepersonals
365
3.3 Management einer emotional geprägten Arbeitsproduktivität des Servicepersonals Da Arbeitsemotionen als intra- und interindividuelle Inputgrößen die Arbeitsproduktivität des Servicepersonals beeinflussen, ist es für die Praxis von Interesse, sich mit der Messung und dem Management von Arbeitsemotionen zu beschäftigen. Zunächst ist hierbei auf der obersten Managementebene bzw. Geschäftsführungsebene ein entsprechendes Bewusstsein für die Relevanz des Themas zu schaffen. Erst wenn die Unternehmensführung von der Notwendigkeit des Themas überzeugt ist, ist der „Nährboden“ für notwendige Implementierungsmaßnahmen geschaffen. Im Anschluss hieran kann versucht werden, eine emotional geprägte Unternehmenskultur (Kricsfalussy 2008, S. 39f.) und ein entsprechendes Führungsverhalten zu etablieren. Gerade die Führungskräfte spielen aufgrund ihres Vorbildverhaltens („Role Modeling“) eine zentrale Rolle bzw. stellen einen zentralen Faktor zur erfolgreichen Implementierung dar (Nerdinger 2001, S. 516; Witt et al. 2004). Des Weiteren betrifft das Thema der Arbeitsemotionen insbesondere das Personalmanagement. So ist u.a. auf die Auswahl expressiver Mitarbeitender im Service zu achten, da diese weniger anfällig für die negativen Effekte der Gefühlsarbeit sind und zum anderen auch leichter Gefühlsarbeit gegenüber den Kunden betreiben können (Nerdinger 2001, S. 514). Daneben kann im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsprogrammen das angemessene Verhalten gegenüber Kunden geschult und damit die Darstellungsregeln des Unternehmens vermittelt werden (Nerdinger 2001, S. 509). Darstellungsregeln fungieren als „guidelines for the assessment of fits and misfits between feeling and situation“ (Hochschild 1979, S. 566). Damit geben sie Auskunft darüber, welche Gefühle offen ausgedrückt werden und welche im Verborgenen verbleiben sollten (Rafaeli/Sutton 1987, S. 26). Somit wäre es durchaus sinnvoll, den Mitarbeitenden entsprechende Schulungen zur sozialen und emotionalen Kompetenz anzubieten (Ashforth/Saks 2002). Schließlich sollte im Sinne der AET darauf geachtet werden, dass positive Arbeitsereignisse möglichst unterstützt bzw. geschaffen werden, wohingegen das Auftreten von negativen Arbeitsereignissen einzugrenzen ist. Ashkanasy und Daus (2002, S. 77) sowie Basch und Fisher (2000, S. 38) unterscheiden bei den Arbeitsereignissen zwischen „Daily Hassles“ im Sinne von „Negative Events“ und „Daily Uplifts“ im Sinne von „Positive Events“. Negative Ereignisse können bei der Dienstleistungsarbeit insbesondere aufgrund von Rollenkonflikten auftreten, die es entsprechend zu identifizieren und zu reduzieren bzw. zu beseitigen gilt. Derartige Rollenkonflikte beruhen auf Divergenzen der Erwartungen der an der Interaktion beteiligten bzw. von der Interaktion betroffenen Parteien, d.h. der Erwartungen des Mitarbeitenden selbst, der Kunden und der Organisation (Jacobsen/Voswinkel 2003, S. 11; Zeithaml et al. 2009, S. 357f.). Damit kann das Unternehmen Erwartungen an den einzelnen Mitarbeitenden im Kundenkontakt formulieren, die
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konträr zu den Kundenerwartungen sind (Krell 2001, S. 16). Zum Ersten können Differenzen entstehen zwischen den Arbeitsplatzanforderungen, Einstellungen und Fähigkeiten des Servicemitarbeitenden. Zum Zweiten können Konflikte auftreten aufgrund von Abweichungen zwischen den Kundenerwartungen, wie z.B. die Gewährleistung einer umfassenden und auf den Kunden zugeschnittenen Problemlösung, und den Unternehmenserwartungen im Sinne einer effizienten Auftragsabwicklung, die sich in entsprechenden Produktivitätskennziffern niederschlagen (Nerdinger 2004, S. 17; Bauer 2005, S. 255). Zum Dritten kann ein Person-Rollenkonflikt auftreten, wenn die Erwartungen des Servicemitarbeitenden an seine Position nicht kongruent sind mit den Erwartungen die von Seiten des Kunden an ihn herangetragen werden (Nerdinger 1994, S. 155). Zum Vierten können die Kunden zeitgleich unterschiedliche Erwartungen an das Servicepersonal stellen. So erwartet bei Vorhandensein einer Warteschlange der eine Kunde eine zügige Bearbeitung sämtlicher Kundenanliegen, ein anderer Kunde möchte dagegen, da er Neukunde ist, eine intensive Beratung erhalten. Schließlich sind positive Emotionen zu fördern. Dazu kann z.B. in Dienstleistungsunternehmen eine Form der Anerkennungskultur geschaffen werden. Göggelmann und Hauser (2004, S. 13) sprechen in diesem Kontext auch von einer „Feedback-Kultur, in der gute Arbeit und besonderer Einsatz gewürdigt werden“. Zudem sollten die Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vermitteln, dass die Arbeit Sinn macht und wertvoll ist (Messick 2005, S. 86). Aber auch die Gestaltung der Arbeitsumgebung, wie z.B. die Gewährung von Handlungsspielräumen, vermag zum Erleben von positiven Arbeitsereignissen beitragen.
4.
Fazit und Ausblick
Der vorliegende Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, Arbeitsemotionen in die Debatte um die Messung und das Management von Dienstleistungsproduktivität einzubringen. Dass Emotionen sowohl aus Mitarbeiter- als auch Kundenperspektive gerade in Interaktionssituationen entstehen und für das beiderseitige (Wohl-)Empfinden relevant sind, steht eher außer Frage. Weit weniger diskutiert ist indes, wie Arbeits- und Kundenemotionen als Kennzahlen in Input-Output-Relationen abgebildet werden können und welche Beziehungen zwischen diesen bestehen. Hierzu wurde ein entsprechendes Modell entwickelt, das Arbeitsemotionen sowohl als intra- als auch als interindividuelle Inputgrößen ausweist. Allerdings stellen die Überlegungen lediglich einen ersten Impuls zur Lösung dieser Herausforderung dar. So wurde im Rahmen des Beitrags primär auf die intra- und interpersonelle Emotionalität im Kontext von Mitarbeiter-Kunden-Interaktionen eingegangen. Arbeitsproduktivität wird jedoch gleichermaßen durch Mitarbeiter-Mitarbeiter-Interaktionen beeinflusst, da viele Dienstleistungstätigkeiten in Teams erbracht werden, wie z.B. bei Call CenterLeistungen. Dementsprechend wären bei weiteren Überlegungen zur Arbeitsproduktivi-
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tät des Servicepersonals auch die internen Interaktionsbeziehungen und die Wirkungen der entsprechenden Arbeitsemotionen näher zu analysieren. Aber auch die diversen Wirkbeziehungen zwischen den mitarbeiterbezogenen und den kundenbezogenen Emotionen, Einstellungen, Verhaltensintentionen und Verhaltensweisen stellen noch weitere, lohnenswerte Forschungsfelder dar.
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Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel
Mitarbeiter zu Markenbotschaftern machen: Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch Behavioral Branding
1. Zusammenhang zwischen Dienstleistungsproduktivität und Behavioral Branding 2. Analyse und Steuerung von Brand Behavior 2.1 Markenidentität als Ausgangspunkt 2.2 Der Brand Behavior Funnel 3. Instrumente zur Förderung von Brand Behavior 3.1 Führung 3.2 Storytelling 3.3 Werbung 3.4 Weitere Instrumente 4. Fazit Literaturverzeichnis ___________________________ Diplom-Kulturwirt Benjamin von Walter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Customer Insight der Universität St. Gallen. Prof. Dr. Torsten Tomczak ist Direktor der Forschungsstelle für Customer Insight der Universität St. Gallen. Dr. Sven Henkel ist Habilitand an der Forschungsstelle für Customer Insight der Universität St. Gallen.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Zusammenhang zwischen Dienstleistungsproduktivität und Behavioral Branding
Ein charakteristisches Merkmal vieler Dienstleistungen stellt die Interaktion zwischen Mitarbeiter und Kunde dar. Egal ob im Restaurant, beim Einkaufen oder im Fitnesscenter, fast überall treffen Kunden auf Mitarbeiter, die ihre Wahrnehmung und Bewertung der Dienstleistung mit beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke naheliegend, dass Mitarbeiter einen wichtigen Faktor zum Erreichen einer hohen Dienstleistungsproduktivität darstellen (Drucker 1993; Bienzeisler/Löffler 2006). Allgemein kann unter Produktivität die effiziente Transformation des vom Unternehmen bereitgestellten Inputs in einen ökonomisch relevanten Output verstanden werden. Allerdings erweisen sich klassische, aus dem Produktbereich stammende Definitionen von Produktivität, die von einer konstant gleichbleibenden Qualität der Leistungserbringung ausgehen, angesichts der Natur und Komplexität des Dienstleistungsprozesses als wenig hilfreich (Grönroos/Ojasalo 2004). Die Forschung hat deshalb begonnen, eigene Konzepte für Dienstleistungsproduktivität zu entwickeln. Kerngedanke dieser Weiterentwicklungen ist, dass es beim Management von Dienstleistungsproduktivität nicht nur auf eine kosteneffiziente Nutzung von Input-Ressourcen in Hinblick auf die Quantität des Outputs ankommt, sondern vielmehr auch die Qualität des Outputs in Form der kundenseitigen Wahrnehmung der Dienstleistung angemessen berücksichtigt werden muss (z.B. Chase/Haynes 2000; Parasuraman 2002; Grönroos/Ojasalo 2004). So kommt es beispielsweise am Flughafenschalter nicht nur auf die von einem Mitarbeiter in einer bestimmten Zeit abgefertigte Zahl von Passagieren an, sondern auch, wie die Passagiere diese Dienstleistung wahrnehmen und erleben. In diesem Zusammenhang kommt dem Management des Mitarbeiterverhaltens eine Schlüsselrolle zu, wenn es sich um Dienstleistungen mit hohem personenbezogenen Anteil handelt. Bei solchen Dienstleistungen nimmt die Interaktion zwischen Mitarbeiter und Kunde einen breiten Raum ein und beeinflusst daher maßgeblich die Wahrnehmung der Kunden. Zahlreiche Arbeiten aus der Serviceforschung indizieren, dass eine hohe Dienstleistungsproduktivität in solchen Fällen nur dann erreicht werden kann, wenn die Mitarbeiter in einer Art und Weise handeln, die den Erwartungen der Kunden entspricht (z.B. Zeithaml et al. 1988; Iacobucci et al. 1995; Berry 2000; Bruhn/Georgi 2000; Fließ/Kleinaltenkamp 2004). So erwartet ein Fluggast, dass er am Check-in-Schalter schnell, kompetent und zuvorkommend behandelt wird. In dies nicht Fall, reagiert er möglicherweise enttäuscht, beschwert sich und verzögert durch sein Verhalten die Abwicklung der nächsten Passagiere. Hierdurch verringert sich sowohl die Quantität des Outputs (weniger Passagiere können in einer bestimmten Zeit abgefertigt werden) als auch die Qualität des Outputs (Kunde empfindet Qualität der Dienstleistungserbringung
378
Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel
als negativ). Die Dienstleistungsproduktivität, verstanden als Verhältnis des Outputs zum eingesetzten Input in Form von Personalkosten, sinkt. Die zentrale Fragestellung lautet daher, wie bei der Dienstleistungserbringung eine Kongruenz zwischen den Erwartungen des Kunden und dem Handeln der Mitarbeiter hergestellt werden kann. Grönroos und Ojasolo (2004) zufolge setzt dies Lernprozesse seitens des Kunden und des Service-Anbieters voraus. Zum einen muss der Kunde eine Vorstellung entwickeln, was er von dem Anbieter erwarten kann. Zum anderen muss der Service-Anbieter wissen, welche Erwartungen der Kunde hat und wie er diese umsetzen kann. Für das Management personenbezogener Dienstleistungen ergeben sich hieraus zwei Ansätze:
Beeinflussung der Erwartungen des Kunden Beeinflussung des Wissens und Verhaltens der Mitarbeiter
Der erstgenannte Ansatz wird in der Literatur meist unter dem Stichwort „Erwartungsmanagement“ behandelt (Zeithaml et al. 1993; Bruhn/Georgi 2000). Zielsetzung ist es, beim Kunden ein bestimmtes Niveau an Erwartungen zu etablieren, das im Rahmen der Service-Interaktion eingelöst werden kann. Konkret geschieht dies meist in Form eines massenmedial kommunizierten Marken- oder Dienstleistungsversprechens. So wirbt beispielsweise die Schweizer Bank UBS mit Anzeigenmotiven, die eine Interaktion zwischen Kunde und Mitarbeiter darstellen, sowie dem Claim „You & Us“. Hierdurch soll dem Kunden vermittelt werden, dass eine Bankberatung bei der UBS eine Situation darstellt, in der sich der Bankberater Zeit nimmt, individuelle Lösungen zu finden, und in der Vertrauen und Nähe vorherrschen. Jedoch ist es mit der Beeinflussung der Erwartungen des Kunden nicht getan. Eine Kongruenz zwischen den aufgebauten Erwartungen und der Leistungserfüllung kann letztlich nur dann erreicht werden, wenn die Mitarbeiter auch in der Lage sind, den Erwartungen durch ihr Verhalten zu entsprechen. Hier setzt Behavioral Branding an. Ziel von Behavioral Branding ist es, Mitarbeiter durch interne Kommunikations- und Trainingsmaßnahmen zu Botschaftern ihrer Marke zu machen, um so eine Kongruenz zwischen den durch Markenführung vermittelten Erwartungen und dem wahrgenommenen Mitarbeiterverhalten herzustellen (Tomczak et al. 2005). Das Resultat von Behavioral Branding stellt Brand Behavior dar, worunter jede Form verbalen und non-verbalen Mitarbeiterverhaltens verstanden wird, das der Persönlichkeit und den Werten der Marke entspricht (Tomczak et al. 2005). Aktuelle Studien zeigen, dass ein solches markenkonsistentes Verhalten in der Tat zu positiven Einstellungs- und Verhaltensreaktion der Kunden führt und damit das Erreichen einer hohen Dienstleistungsproduktivität begünstigen kann. Auf theoretischer Ebene demonstriert Wentzel et al. (2009a) in mehreren Experimenten, dass eine Kongruenz zwischen dem Verhalten der Mitarbeiter und den Persönlichkeitseigenschaften der Marke zu einer positiveren Einstellung gegenüber der Marke führt, während inkongruentes Verhalten sich negativ auf die Kundenwahrnehmung auswirkt. Am praktischen Beispiel der Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde im Automobilhandel zeigen Brexendorf et al. (2010), dass markenorientiertes Mitarbeiterverhalten sich positiv auf die kundenseitige Wahr-
Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch Behavioral Branding
379
nehmung der Dienstleistungserbringung sowie die Zufriedenheit, Wiederkaufabsicht und Empfehlungsbereitschaft der Kunden auswirkt. Vor diesem Hintergrund kann Behavioral Branding als eine (!) Möglichkeit zur Erhöhung der Dienstleistungsproduktivität auf personeller Ebene betrachtet werden. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es darzustellen, wie sich Behavioral Branding im Unternehmen realisieren lässt. Der Abschnitt „Analyse und Steuerung von Brand Behavior“ befasst sich mit der Zielformulierung, Operationalisierung und Analyse von Brand Behavior. Darauf aufbauend werden im Abschnitt „Instrumente zur Förderung von Brand Behavior“ die Instrumente Führung, Storytelling und Werbung ausführlich erläutert sowie weitere Instrumente überblicksartig vorgestellt.
2.
Analyse und Steuerung von Brand Behavior
2.1 Markenidentität als Ausgangspunkt Ausgangspunkt für Behavioral Branding ist die Markenidentität (Esch 2009). Die Markenidentität kann als „genetischer Code der Marke“ verstanden werden (Kapferer 1992). Sie fasst die wesensprägenden Merkmale zusammen, für die eine Marke stehen soll (Meffert/Burmann 2005). Die Markenidentität wird zunächst intern entwickelt. Ist dieser Entwicklungsprozess abgeschlossen, werden als relevant erachtete Merkmale durch Werbung und andere Kommunikationsinstrumente nach außen getragen. Dabei kann auf spezifische Kompetenzen („High Performance“ bei Accenture) und Persönlichkeitseigenschaften eingegangen werden („Wir lieben Lebensmittel“ bei Edeka) oder auch ein spezifischer Kundennutzen in den Vordergrund gestellt werden („You & Us“ bei UBS). Die Beispiele machen deutlich, dass Serviceversprechen als Teil der Markenidentität zu verstehen sind. Die Service- und Markenforschung sind sich einig, dass die aus der Markenidentität abgeleiteten Versprechen, die Erwartungen von Kunden und anderen Anspruchsgruppen stark beeinflussen (z.B. Berry 2000; Henkel et al. 2007; Wentzel 2009). Für jeden Mitarbeiter ist es daher von zentraler Bedeutung, die Markenidentität nicht nur zu kennen, sondern auch zu wissen, welche Verhaltensweisen der Markenidentität entsprechen. Hierbei hat sich die Übersetzung der Markenidentität in eine Reihe von konkreten und umsetzbaren Verhaltensweisen bei vielen Unternehmen als hilfreich erwiesen. So betont Esch (2009, S. 45), dass, „je besser die Markenidentität operationalisiert und für die Bereiche und Mitarbeiter somit mit Relevanz gefüllt ist, um so eher wird markenkonformes Verhalten erreicht“. Die Übersetzung abstrakter Markenwerte in konkretes Verhalten kann in Form von Markenchartas erfolgen (Abbildung 1). Eine Markencharta dokumentiert, welche Anforde-
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Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel
rungen und Verhaltensweisen den jeweiligen Markenwerten entsprechen und leistet damit eine wichtige Orientierungsfunktion für die Mitarbeiter. Je präziser die Anforderungen in einer Markencharta formuliert werden, desto besser lassen sie sich im Nachhinein auch analysieren. Dabei ist es empfehlenswert, spezifische Chartas für unterschiedliche Jobprofile (z.B. Verkauf am Point of Sale und Call Center) zu entwickeln, da sich die notwendigen Verhaltensweisen je nach dem betrachteten Jobprofil unterscheiden können. Weiterhin kann eine Markencharta auch aufzeigen, welche Relevanz die verschiedenen Markenwerte für die einzelnen Mitarbeitersegmente und deren Verhalten besitzen. Ein sehr gutes Beispiel für eine konkrete Operationalisierung liefert die unlängst erschienene Studie von Lieven und Morhart (2010), die Markenverhalten in Kundentelefonaten analysiert. Die Autoren operationalisieren Brand Behavior im CallCenter mit Hilfe eines sprachlichen Regelwerks. So wird z.B. zur Vermittlung des Markenwerts „Sicherheit und Schutz“ die Benutzung von Wörtern wie „natürlich“, „garantiert“ und „bestimmt“ sowie die Verwendung einer akzentuierten Sprechweise mit Vokaldehnung empfohlen. Durch eine klare und segmentspezifische Priorisierung der Markenwerte kann vermieden werden, dass unrealistische oder gar unnötige Ansprüche an die einzelnen Mitarbeitergruppen gestellt werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass konkrete Vorgaben, wie sie in einer Markencharta bezüglich des Mitarbeiterverhaltens formuliert werden, immer nur als Orientierungshilfen eingesetzt werden sollten, auf deren situationsspezifische Variierbarkeit hingewiesen werden muss. Hier gilt es zu verhindern, dass das Mitarbeiterverhalten „künstlich“ wirkt oder dass Reaktanz bei den Mitarbeitern entsteht. Markenwert
Soll- Ausprägung
Anforderungen • Begrüßung des Kunden nach spätestens einer Minute
1
2
3
4
5
Kundennah
• Wenn möglich, den Kunden mit seinem Namen ansprechen • Erkundigung nach individuellen Bedürfnissen
1
2
3
4
5
Dynamisch
• ... • ...
1
2
3
4
5
Kompetent
• ... • .....
1
2
3
4
5
Progressiv
Abbildung 1: Beispiel für eine Markencharta
• ... • ...
Steigerung der Dienstleistungsproduktivität durch Behavioral Branding
381
2.2 Der Brand Behavior Funnel Bevor Behavioral Branding-Maßnahmen im Unternehmen ergriffen werden, gilt es, den Ist-Zustand des Mitarbeiterverhaltens zu erfassen. Dies setzt voraus, dass die Übersetzung der Markenidentität erfolgt ist und somit Soll-Verhaltensweisen definiert sind. Im Sinne einer Ursachenanalyse sollte ermittelt werden, warum Abweichungen zwischen Ist- und Soll-Verhalten bestehen. Hierzu kann der so genannte Brand Behavior Funnel (Wentzel et al. 2009b) genutzt werden (Abbildung 2), der sich aus Wissen, Commitment, Fähigkeiten und Verhalten zusammensetzt. Der Funnel geht davon aus, dass insbesondere drei Komponenten markenkonformes Mitarbeiterverhalten begünstigen.
Markenwissen: Der Mitarbeiter muss wissen und verstehen, wofür die Marke steht und wie sein Verhalten zur Markenbildung beiträgt (Stichwort „Wissen“). Commitment: Der Mitarbeiter muss – neben seinem Wissen – sich der Marke verbunden fühlen und bereit sein, Anstrengungen für die Marke zu ergreifen (Stichwort „Wollen“). Fähigkeit: Schließlich muss der Mitarbeiter über die physischen und/oder psychischen Fähigkeiten verfügen, um die Markenwerte in der Interaktion mit einem Kunden vermitteln zu können (Stichwort „Können“).
Wissen Markenidentität
Commitment
Verhalten
Fähigkeit
Erfahrungs - und Lerneffekte aus Interaktionen
Abbildung 2: Der Brand Behavior Funnel Das Markenwissen bezieht sich auf die kognitive Repräsentation der Marke in den Köpfen der Mitarbeiter und zeigt die vorhandenen Vorstellungen, Kenntnisse und Assoziationen der Mitarbeiter auf. Hierbei ist zwischen Markenwissen im weiteren und Markenwissen im engeren Sinne zu unterscheiden. Markenwissen im weiteren Sinne repräsentiert die Kenntnis der Markenidentität (Für welche Werte und Eigenschaften
382
Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel
steht die Marke?). Aufgrund unzureichender interner Penetration der Markenidentität (Wittke-Kothe 2001) kommt es hier häufig zu unterschiedlichen Sichtweisen innerhalb des Unternehmens. Das Markenwissen im engeren Sinne bezieht sich auf die Umsetzung von markenkonformen Verhalten und die damit verbundenen Wissensstrukturen der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter müssen wissen und verstehen, durch welche Verhaltensweisen das Markenversprechen eingelöst werden kann (Henkel et al. 2007). Markenwissen im engeren Sinne ist differenzierter als allgemeines Markenwissen. So unterscheidet sich das markenkonforme Verhalten eines Servicemitarbeiters in vielerlei Hinsicht von dem eines Außendienstmitarbeiters. Beide Mitarbeitergruppen müssen ein auf ihr Jobprofil zugeschnittenes Wissen aufweisen. Markencommitment reflektiert das „Wollen“ des Mitarbeiters, das heißt die freiwillige Verpflichtung, sich im Sinne der Marke zu verhalten (Wentzel et al. 2009b). Esch und Strödter (2009) definieren Markencommitment als „die psychologische Bindung der Mitarbeiter gegenüber ihrer Unternehmens-, Familien- oder Produktmarke, die zur Bereitschaft führt, Anstrengungen im Sinne dieser Marke zu ergreifen“. In Anlehnung an die organisationspsychologische Forschung (Allen/Meyer 1990) kann zwischen affektivem, rationalem und normativem Commitment unterschieden werden. Das affektive Commitment beschreibt die emotionale Bindung des Mitarbeiters an die Marke, während das rationale Commitment die Kosten- und Nutzenüberlegungen des Mitarbeiters als Motivationsquelle sieht. Das normative Commitment bezieht sich auf die vom Mitarbeiter empfundene moralische Verpflichtung und ist meist durch Sozialisation erlernt. Die drei Arten von Commitment sind in der Regel gleichzeitig vorhanden und schließen sich nicht aus. Die Forschung ist sich jedoch einig, dass das affektive Commitment in Hinblick auf Brand Behavior am wichtigsten ist (Burmann/Zeplin 2005; Esch/Strödter 2009). Weist ein Mitarbeiter ein hohes, affektives Commitment auf, ist er der Marke emotional so verbunden, dass er sich für sie einsetzt, ohne explizit dafür belohnt zu werden. Das Konstrukt Commitment ist eng mit dem Konstrukt Identifikation verwandt und kann in hoher Ausprägung auch in einer Art Markenliebe münden (Bruhn et al. 2010). Markenspezifische Fähigkeiten umfassen physische und psychische Fertigkeiten, die ein Mitarbeiter aufweisen muss, um Markenwerte in der Interaktion mit Kunden auch tatsächlich zu vermitteln (Wentzel et al. 2009b). Fähigkeiten können sowohl angeboren sein (z.B. Intelligenz) als auch erlernt werden (z.B. Fremdsprachen). Viele Autoren haben eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen funktionalen und sozio-emotionalen Fähigkeiten getroffen (z.B. Bitner et al. 1998; van Dolen et al. 2002). Diese Unterscheidung ist auch im Kontext Behavioral Branding sinnvoll. So muss z.B. ein EdekaMitarbeiter über die Kompetenz verfügen, die Kunden hinsichtlich der verkauften Lebensmittel zu beraten. Er muss aber auch die sozio-emotionalen Fähigkeiten haben, das Markenversprechen „Wir lieben Lebensmittel“ gegenüber dem Kunden zum Ausdruck zu bringen. Wissen, Commitment und Fähigkeiten sind eng miteinander verbunden. Erst wenn ein Mitarbeiter das notwendige Wissen besitzt, kann er ein Commitment zur Marke aufbauen und die für ihn geeigneten Fähigkeiten erwerben. Zwar ist es möglich, dass ein Mitar-
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beiter auch ohne Wissen und Fähigkeiten ein hohes Commitment aufweist, jedoch könnte sein Verhalten dann fehlgeleitet und zufällig sein. Für die Analyse von Wissen, Commitment, Fähigkeiten und Verhalten steht ein breites Spektrum von Erhebungstechniken zur Verfügung. Dieses reicht vom Einsatz von skalenbasierten, schriftlich oder elektronisch durchgeführten internen Befragungen über qualitative Einzelinterviews und Fokusgruppen bis hin zu beobachtungsbasierten Methoden wie Mystery Shopping. Sind Defizite im Mitarbeiterverhalten erkannt, lassen sich die einzelnen Funnelkomponenten und Brand Behavior durch eine Reihe von Instrumenten fördern. Im Folgenden wird zunächst schwerpunktmäßig auf die Instrumente Führung, Storytelling und Werbung eingegangen. Daran anknüpfend werden überblicksartig weitere Instrumente vorgestellt.
3.
Instrumente zur Förderung von Brand Behavior
3.1 Führung Eine zentrale Rolle bei der Förderung von Brand Behavior kommt den Führungskräften eines Unternehmens zu. Sie sind nicht nur selbst Markenbotschafter und repräsentieren die Marke nach außen, vielmehr beeinflussen sie durch ihr Verhalten die Motivation ihrer Mitarbeiter, im Sinne des Markenversprechens zu handeln. In Anlehnung an die von Bass entwickelte Theorie transaktionaler und transformationaler Führung (Bass 1985) unterscheiden Tomczak et al. (2008) zwischen markenorientierter transaktionaler Führung und markenorientierter transformationaler Führung. Markenorientierte transaktionale Führung gibt sehr konkrete Verhaltensstandards vor, wie die Mitarbeiter ihre Rolle als Repräsentanten der Marke auszuüben haben und sanktioniert deren Einhaltung. Sie überwacht aktiv das Verhalten der Mitarbeiter in Hinblick auf Konformität mit den vorgegebenen Rollen-Standards und schreitet korrigierend bei Abweichungen ein. So hat z.B. der Handelskonzern REWE die Markenwerte „Frischekompetenz“, „Verantwortung“ und „kontrollierte Qualität“ in eindeutige Verhaltensvorgaben für die Beschäftigten an den Frischetheken übersetzt und kontrolliert deren Einhaltung. Markenorientierte transformationale Führung artikuliert hingegen eine bestechende und differenzierende Markenvision, die bei den Mitarbeitern Begeisterung und Stolz für die Marke wecken soll. Der Vorgesetzte lebt die Markenwerte selbst vor und steht den Mitarbeitern als Mentor zur Seite, um aus den Markenversprechen Implikationen für ihr tägliches Handeln abzuleiten. Transformationale Führung fördert die Integration der Marke in das Selbstkonzept des Mitarbeiters über reines Rollenverhalten hinaus, sodass die Mitarbeiter eine hohe emotionale Bindung (Commitment) entwickeln können. Ein Vorreiter in dieser Hinsicht ist Microsoft mit den Führungspersönlichkeiten Steve Ballmer
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und Bill Gates. Im Sinne der Markenvision „Wir möchten Menschen und Unternehmen weltweit ermöglichen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen“ werden Mitarbeiter jeden Ranges ständig dazu ermuntert, sich mit ihren Ideen direkt an die Unternehmensspitze zu wenden. Die Vorschläge werden von Bill Gates im Rahmen seiner alljährlichen „Denkwoche“ persönlich ausgewertet und mit Kommentaren versehen zurückgespielt. Morhart et al. (2009) zufolge haben sowohl markenorientierte transformationale Führung als auch markenorientierte transaktionale Führung ihre Berechtigung. Danach erzielt ein Vorgesetzter die positivsten Effekte, wenn er zugleich stark transformational und moderat transaktional führt. Um den Mitarbeitern Orientierung zu geben, sollten demnach in einem gewissen Maße konkrete Vorgaben eingesetzt werden, die auch kontrolliert werden können. Darüber hinaus muss eine Führungskraft die Markenvision überzeugend kommunizieren, die Markenwerte selbst vorleben und den Mitarbeitern im Sinne von Bedeutungsmanagement helfen, die Dinge aus der Perspektive eines Markenverantwortlichen zu betrachten. Die Ergebnisse eines Feldexperiments von Morhart et al. (2009) zeigen, dass ein solches markenorientiertes Führungsverhalten durch Trainings erlernbar ist.
3.2 Storytelling Ein sich zunehmender Beliebtheit erfreuendes Instrument des internen Marketing ist Storytelling. Unter Storytelling versteht man den Einsatz von Geschichten, die die Mitarbeiter eines Unternehmens auf informelle Art und Weise untereinander austauschen (Swap et al. 2001). In Hinblick auf Behavioral Branding können solche Geschichten zum Einsatz kommen, um die Markeninhalte und deren Umsetzung auf lebendige Art und Weise zu illustrieren und im Sinne von Commitment positive Gefühle für die eigene Marke zu wecken (Wentzel et al. 2008). So veröffentlicht z.B. der Logistikkonzern FedEx regelmäßig Geschichten, die beschreiben, wie die Mitarbeiter den Markenkern „Absolutely, Positively“ umgesetzt haben. Markenstories weisen in der Regel eine einfache Dramaturgie auf (Shaw et al. 1998; Wentzel et al. 2009a). Meist gibt es ein klares Motiv (z.B. Kundenorientierung). Der handelnde Akteur (z.B. Mitarbeiter) möchte dieses Motiv verwirklichen und personifiziert damit das Drama. Der Umsetzung des Motivs stehen meist Hindernisse und Probleme im Weg (z.B. schwierige Kundensituation), die schließlich durch das Handeln des Akteurs gelöst werden können. Ein prominentes Beispiel sind die vielen Markengeschichten, die bei IKEA kursieren (Fog et al. 2005). Die meisten dieser Geschichten kreisen um den Firmengründer Ingvar Kamprad und dessen Anstrengungen, den IKEAWert „Bescheidenheit“ durchzusetzen. Eine dieser Geschichten beschreibt, wie Kamprad in den Gründungsjahren von IKEA durch Schweden reiste und sich darüber ärgerte, dass seine Mitarbeiter eigentlich noch brauchbare Ware aussortierten. Um diese Verschwendung abzustellen, begann er, bei jedem Termin eine halbe Stunde zu früh zu kommen. In dieser Zeit durchsuchte er persönlich die vor der Filiale stehenden Container und identifizierte noch brauchbare Möbelsstücke.
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Eine aktuelle Studie von Wentzel et al. (2008) beweist die Überlegenheit von Markengeschichten gegenüber sachlichen Darstellungsformen wie beispielsweise Präsentationen und Memos. In mehreren Experimenten konnten die Autoren zeigen, dass eine narrative Darstellung in Form einer Geschichte zu einer höheren Lebendigkeit der Markeninhalte im Gedächtnis der Mitarbeiter führt, und dass eine Markengeschichte besser geeignet ist, positive Gefühle für die Marke auszulösen als eine sachliche Darstellung. Eine Reihe von Mediationsanalysen ergab, dass diese Effekte auf den Prozess der „Transportierung“ (Green/Brock 2000) zurückzuführen sind, das heißt ein Mitarbeiter kann sich in eine narrative Darstellung besser hineinversetzen und empfindet deren Inhalte intensiver. Allerdings stellte sich auch heraus, dass Mitarbeiter aufgrund ihrer großen, emotionalen Nähe zu Markengeschichten, sehr empfindlich auf wahrgenommene Manipulationsabsichten seitens des Unternehmens reagieren. Serviceunternehmen sollten deshalb beim Einsatz von Storytelling darauf achten, realistische und glaubwürdige Geschichten einzusetzen.
3.3 Werbung Vielfach unterschätzt wird die Rolle der Werbung. Sie richtet sich eigentlich an externe Zielgruppen, kann aber auch Mitarbeiter stark beeinflussen (Gilly/Wolfinbarger 1998). Wissenschaftler sprechen deshalb von der Mitarbeiterschaft als „second audience“ und empfehlen, die Wirkung einer Kampagne auf Mitarbeiter im Vorfeld mit zu berücksichtigen (Acito/Ford 1980; Gilly/Wolfinbarger 1998; Henkel et al. 2009). Gerade im Servicebereich ist es üblich, dass Werbung Mitarbeiterverhalten darstellt. Werbung für Dienstleistungen kann daher nicht nur als Referenzpunkt für die Vorstellungen der Kunden dienen, sondern auch den Mitarbeitern signalisieren, welches Verhalten von ihnen erwartet wird. Vor diesem Hintergrund haben sich Henkel und Kollegen (Henkel et al. 2009) mit der Frage beschäftigt, wie Werbung gestaltet sein muss, damit sie beim Mitarbeiter die gewünschte Wirkung erzielt. Hierbei identifizierten sie den Grad der Übertreibung des Mitarbeiterverhaltens sowie die Ähnlichkeit zwischen dargestelltem und tatsächlichem Mitarbeiterverhalten als wichtige Faktoren. Ausgehend von der Tatsache, dass Werbung vielfach dazu neigt, die Leistungen und das Verhalten der Mitarbeiter positiver darzustellen als es in der Realität der Fall ist (Gilly/Wolfinbarger 1998), konnten sie im Rahmen von Feldexperimenten mit Mitarbeitern der Schweizer Bank UBS zeigen, dass leichte Übertreibungen einen positiven Einfluss auf die Verhaltensabsicht von Mitarbeitern ausüben, sofern die dargestellten Mitarbeiter als ähnlich wahrgenommen werden. Zu starke Übertreibungen beeinträchtigen hingegen die Motivation der Mitarbeiter in negativer Weise. Besteht keine Ähnlichkeit, hat der Grad der Übertreibung keine Wirkung auf die Motivation. Darüber hinaus zeigen weitere Studien (Wentzel et al. 2010), dass es auch auf die impliziten Fähigkeitstheorien der Mitarbeiter ankommt. In Anlehnung an Dweck et al. (1995) unterscheiden sie zwischen zwei Typen von Mitarbeitern:
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Benjamin von Walter, Torsten Tomczak und Sven Henkel Incremental-Theoretiker: Mitarbeiter, die davon ausgehen, dass ihre Fähigkeiten immer weiterentwickelt werden können. Entity-Theoretiker: Mitarbeiter, die davon ausgehen, dass ihre Fähigkeiten angeboren sind und nur begrenzt ausgebaut werden können.
Die Ergebnisse demonstrieren, dass Incremental-Theoretiker, die an eine Verbesserung ihrer Fähigkeiten glauben, sich von stark übertriebenen Vorbildern nicht entmutigen lassen und gleichermaßen positiv auf schwache wie starke Übertreibungen reagieren. Entity-Theoretiker bevorzugen hingegen einfach umzusetzende Vorbilder, da sie von stark übertriebenen Darstellungen verunsichert werden. Dies wirkt sich negativ auf ihre Motivation aus, im Sinne der Marke zu handeln. Ein Unternehmen sollte daher vor dem Start einer Werbekampagne besondere Rücksicht auf die Entity-Theoretiker unter seinen Mitarbeitern nehmen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass Mitarbeitern bestimmte Informationen, Trainings und Programme angeboten werden, die ihnen die Angst vor einem übertriebenen Vorbild nehmen. Nachgewiesenermaßen effektiv sind mentale Prozesssimulationen, in deren Rahmen sich die Mitarbeiter bewußt vorstellen, wie ein in der Werbung dargestelltes Verhalten Schritt für Schritt umgesetzt werden kann (Rivkin/Taylor 1999; Wentzel et al. 2010).
3.4 Weitere Instrumente Weitere Instrumente beziehen sich sowohl auf die Förderung des individuellen Mitarbeiters (Dialogbilder, Markenwelten, Markenspiele und -wettbewerbe, Markenschulungen und -workshops) als auch auf die Schaffung von Strukturen, die sich dem direkten Einfluss des Mitarbeiters entziehen, aber wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Brand Behavior sind (Empowerment, Anreiz- und Belohnungssysteme). Da sich nicht alle zur Verfügung stehenden Instrumente für die Förderung der einzelnen Funnelkomponenten Wissen, Commitment, Fähigkeiten und Verhalten gleichermaßen eignen, ist eine genaue Analyse der Ursachen erforderlich, um darauf aufbauend einen effektiven Instrumentemix zusammenzustellen. Mit Dialogbildern wird versucht, Wissen und Commitment zu fördern. Es handelt sich dabei um großformatige Bilder, die eine komplexe Realität, beispielsweise die Abläufe eines Unternehmens, in einem einzigen Bild detailreich darstellen. Es soll der Blick der Mitarbeiter auf das „große Ganze“ gelenkt, die Entstehung eines Wir-Gefühls gefördert und Diskussionen angeregt werden (Brexendorf et al. 2009). Dialogbilder wurden erfolgreich bei der Lufthansa AG eingesetzt. Es wurden vier verschiedene 1x2m Dialogbilder erstellt, die unterschiedliche Bereiche der Lufthansa abbilden und die am häufigsten von Mitarbeitern gestellten Fragen beantworten sollen (Weber 2003). Unter den Titeln „Unsere Welt“, „Monopoly des Luftverkehrs“, „Ein-Blick“ und „Unsere Kunden“ wurden die Bilder in einem strikten Bottom-Up-Prozess entwickelt. Markenwelten wie die „AutoStadt“ von Volkswagen, die „BMW Welt“, die „JURAWorld of Coffee“ oder die „Swarovski Kristallwelten“ sind als Orte des Begreifens, der
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Verehrung und des Begehrens konzipiert (Mikunda 2002). Markenwelten können die emotionale Beziehung der Mitarbeiter zum Unternehmen und zur Marke stärken (Brexendorf et al. 2009). Im Kopf des Mitarbeiters entstehen – wie auch bei den Kunden – eine Vielzahl von Sinneseindrücken, die mit der Marke assoziiert werden (Weinberg/Diehl 2005). Allerdings sind Markenwelten mit äußerst hohen Investitionen verbunden. In didaktischer Hinsicht wertvoll sind Markenspiele und -wettbewerbe. Sie fördern Lernprozesse, ermöglichen positive Erlebnisse, verfügen über eine hohe Gestaltungsvielfalt und breite Wirkung (Brexendorf et al. 2009). Neue Botschaften können so unterschwellig und originell vermittelt werden und motivieren zur Beschäftigung mit der Botschaft. BMW hat beispielsweise das Simulationsspiel „CSI: Munich“ entwickelt. Im Rahmen des Spiels werden Fahrzeuge mit den unterschiedlichsten Utensilien wie Blackberrys, Kekskrümeln oder Büchern präpariert. Diese dienen den teilnehmenden Mitarbeitern dann als Anhaltspunkte, um die Profile möglicher Fahrertypen zu erstellen und deren Bedürfnisse daraus abzuleiten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die dm Drogeriemarktkette mit ihrer erlebnisorientierten Ausbildung, in der regelmäßige Theaterworkshops mit den Auszubildenden einen festen Platz einnehmen. Markenspiele und -wettbewerbe sind häufig Teil von Markenschulungen und -workshops. Weitere Inhalte von Schulungen sind Vorträge, Lehrgespräche, Fallstudien, Exkursionen, Diskussionen über Problemfälle und individuelle Beratung. Je nach Ausgestaltung können mit diesem klassischen Instrument der Personalentwicklung alle Funnelkomponenten gefördert werden. Die Lufthansa hat unlängst in einem separaten Gebäudeteil ihres Trainingcenters die „Lufthansa Brand Academy“ eröffnet. Dort sollen die Führungskräfte und die Servicemitarbeiter die Marke Lufthansa mit allen Sinnen erleben. Schwerpunkte des Trainings sind unter anderem die Vermittlung der LufthansaMarkenwerte, die Einschätzung von markenbezogenem Kundenerwartungen sowie die Einlösung des Markenversprechens im Kundenkontakt. Empowerment beinhaltet alle Aktivitäten, die die Mitarbeiter ermächtigen, persönliche Verantwortung für die Zielerreichung des Unternehmens und der Marke zu übernehmen (Brexendorf et al. 2009). Empowerment zielt darauf ab, die Handlungspielräume der Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit zu erhöhen, was auf Seiten der Führungskräfte mit der Delegation von Verantwortung sowie einem gewissen Verlust an Kontrolle einhergehen kann. Das Unternehmen Ritz-Carlton stellt Mitarbeitern an der Rezeption im Jahr 2.000 US-Dollar zur Verfügung, um diese gegebenfalls im Sinne der Kundenzufriedenheit und der Marke einzusetzen. Letztlich muss sich markenkonsistentes Mitarbeiterverhalten auch in den Anreiz- und Belohnungssystemen widerspiegeln (Brexendorf et al. 2009). Aktuell plant z.B. der Handelskonzern REWE, markenspezifisches Engagement in das Bonussystem der Führungskräfte zu integrieren. Hierdurch soll das Management dazu angehalten werden, das Thema Brand Behavior stärker zu forcieren. Abschließend kann festgehalten werden, dass eine Vielzahl geeigneter Instrumente zur Förderung von Brand Behavior eingesetzt werden kann. Einer Umfrage unter Marketing-
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managern zufolge sind vor allem informelle Instrumente, die eine persönliche Interaktion beinhalten (wie Storytelling, Workshops, Spiele usw.) sowie Empowerment besonders geeignet, Brand Behavior zu fördern (Henkel et al. 2007).
4.
Fazit
Eine Erhöhung der Dienstleistungsproduktivität wird in vielen Dienstleistungsunternehmen nur zu erzielen sein, wenn nicht nur auf die kosteneffiziente Nutzung von InputRessourcen wie Technologie und Personal geachtet wird, sondern auch die kundenseitige Wahrnehmung der Dienstleistung verbessert werden kann (Grönroos/Ojasalo 2004; Bienzeisler/Löffler 2006). Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass die Mitarbeiter in einer Art und Weise handeln, die den Erwartungen der Kunden entspricht. Eine Möglichkeit dies zu erreichen stellt Behavioral Branding dar. Es zielt darauf ab, die Mitarbeiter im Sinne der Marke weiterzuentwickeln, um so eine Kongruenz zwischen den durch Markenführung vermittelten Vorstellungen und Erwartungen und dem wahrgenommenen Mitarbeiterverhalten herzustellen (Tomczak et al. 2005). Ausgangspunkt der Behavioral Branding-Aktivitäten stellt die Markenidentität dar. Diese bildet zum einen die Grundlage der externen Markenkommunikation und prägt so die Serviceerwartungen der Kunden und kann zum anderen den Mitarbeitern als Referenzpunkt für ihr Verhalten dienen. Hierzu ist es empfehlenswert, aus der Markenidentität bestimmte Verhaltensweisen abzuleiten, um so eine Soll-Grundlage für das Brand Behavior zu schaffen. Lücken zwischen Soll- und Ist-Verhalten können in Hinblick auf das Markenwissen, das Markencommitment und die markenspezifischen Fähigkeiten der Mitarbeiter analysiert werden. Sind Schwachstellen in diesen Bereichen bekannt, kann eine Vielzahl von Instrumenten bei der Implementierung helfen. Ein gezielter Instrumenteeinsatz kann zum einen die strukturellen Voraussetzungen für markenkonsistenes Mitarbeiterverhalten schaffen, zum anderen das Wissen, das Commitment und die Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters verbessern. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Rolle der Führung. Nur wenn die Vorgesetzten sich selbst als Markenbotschafter begreifen und entsprechend handeln, können sie auch ihre Mitarbeiter zu Brand Behavior motivieren. Außerdem sollte bereits bei der Konzeption der externen Markenkommunikation darauf geachtet werden, dass die Mitarbeiter das in der Werbung propagierte Verhalten auch einlösen können. Letztlich kann es so gelingen, die Perspektiven aller am Serviceprozess beteiligten Personen in einer für das Unternehmen vorteilhaften Weise anzugleichen und somit dem Ziel einer hohen Dienstleistungsproduktivität ein Stück näher zu kommen.
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Nadine Blinn, Markus Nüttgens, Michael Schlicker, Oliver Thomas und Michael Fellmann
Produktivitätssteigerung im technischen Kundendienst – Ein Ansatz auf Basis des IT-gestützten Mitarbeiterempowerments
1. Einleitung und Motivation 2. Grundlagen 2.1 Technischer Kundendienst – Bedeutung und Aufgaben 2.2 Informationssysteme im TKD 2.3 Produktivität im Kontext technischer Serviceleistungen 3. IT-gestütztes Mitarbeiterempowerment als Lösungsansatz zur Produktivitätssteigerung im technischen Kundendienst 3.1 Prinzip des Mitarbeiterempowerment 3.2 Lösungsansatz 3.2.1 Inhaltliche Sicht 3.2.2 Technische Sicht 4. Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _17, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Dipl.-Wirt.-Inf. Nadine Blinn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Hamburg. Prof. Dr. Markus Nüttgens ist Professor und Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Universität Hamburg. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Michael Schlicker ist Geschäftsführer der INTERACTIVE Software Solutions GmbH. Prof. Dr. Oliver Thomas ist Professor und Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik der Universität Osnabrück. M.A., Dipl. (DH) Michael Fellmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Lehrstuhl.
1.
Einleitung und Motivation
In zunehmend gesättigten Märkten wird produktbegleitenden Dienstleistungen hohes wertschöpfendes Potenzial zugeschrieben (Stille 2003). Produktbegleitende Dienstleistungen im Industrieunternehmen bzw. verarbeitenden Gewerbe sind Tätigkeiten und Leistungen, die u.a. im Zusammenhang mit Maschinen erbracht werden und dem Anwender erst die spezifische Nutzung ermöglichen. Mit einem Umsatzanteil von ca. 54 Prozent nehmen hierbei Wartung, Reparatur, Montage und Inbetriebnahme eine bedeutende Stellung ein. Diese Dienstleistungen werden unter dem Begriff Instandhaltung subsumiert und sind die Kernleistungen des Technischen Kundendienstes (TKD) (Mödinger/Redling 2004). Der Servicetechniker erbringt vor Ort beim Kunden „im Alleingang“ sach- und fachgerechte Leistungen auf einem hohen technischen Niveau (Breunig 2001). Somit übernimmt der an der Kundenschnittstelle eine Schlüsselfunktion und muss neben komplexen technischen Fragestellungen zunehmend auch kaufmännische Aspekte der (Ersatzteil-)Logistik, Gewährleistung und Rechnungsstellung bis hin zu Finanzierungsangeboten und Wirtschaftlichkeitsanalysen übernehmen. Seine Kompetenz ist von zentraler Bedeutung für die Kundenbindung. Er benötigt am mobilen „Point of Sale“ zeitnah und fallbezogene Fach- und Kontextinformationen. Implizites Expertenwissen und individuelle Erfahrungswerte müssen daher externalisierbar und mit den dokumentierten Serviceinformationen verknüpfbar sein. Je höher die Qualität der zur Verfügung stehenden Serviceinformationen ist, desto besser wird der Techniker in der Ausführung seiner Aufgaben unterstützt. Serviceinformationen sind produktspezifische Informationen, die je nach Anforderung in unterschiedlicher Granularität abgebildet und den Servicetechnikern in verschiedenen Formen zur Verfügung gestellt werden (DIN 2009). Somit bildet der Faktor Wissen die Basis für eine nachhaltige Produktivitätssteigerung im TKD. Der vorliegende Beitrag basiert auf der Prämisse, dass der Servicetechniker eines Informationstechnologie (IT)-gestützten Empowerments bedarf, um die Serviceinformationen in bestehenden Informationssystemen zu finden und adäquat einsetzen zu können. Oftmals bestehen in Unternehmen gewachsene Anwendungslandschaften („Insellösungen“), um Informationen zu managen und zu distribuieren. Ein Empowerment des TKD setzt folglich eine lösungszentrierte Anwendungs- und IT-Infrastruktur voraus. Empowerment bezeichnet hierbei die professionelle Unterstützung von Menschen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und wertschöpfend zu nutzen. Dies umfasst Strategien und Maßnahmen, die geeignet sind, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung zu erhöhen und übertragene Aufgaben weitgehend selbstverantwortlich und selbst bestimmt zu vertreten und zu gestalten.
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Nadine Blinn et al.
Im Folgenden wird ein gestaltungsorientierter Ansatz verfolgt, der interdisziplinär angelegt ist und sowohl ökonomische Fragestellungen der Wirtschaftswissenschaften als auch technische Aspekte der Ingenieurwissenschaften sowie der Informatik berücksichtigt. Das interdisziplinäre Spektrum der Wirtschaftsinformatik bietet hierbei Methoden und Werkzeuge, um die Zielstellung nachhaltig zu lösen. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut. In Kapitel 2 werden die Grundlagen dargestellt. Hierbei werden im ersten Teil des Kapitels Bedeutung und Aufgaben des TKD skizziert und im zweiten Teil Informationssysteme, die zur Unterstützung des TKD eingesetzt werden, dargestellt. Kapitel 2 schließt mit der Produktivitätsbetrachtung von technischen Kundendienstleistungen. Kapitel 3 umfasst die Darstellung des Prinzips IT-gestütztes Empowerment sowie eine gestaltungsorientierte Lösung, wie das Empowerment von Kundendiensttechniker aus inhaltlicher und technischer Sicht erfolgen kann. Kapitel 4 fasst den Beitrag zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Schritte.
2.
Grundlagen
2.1 Technischer Kundendienst – Bedeutung und Aufgaben Produktbegleitende Dienstleistungen wurden in der Vergangenheit als Ergänzung zum Kernprodukt betrachtet. Vor dem Hintergrund aktueller Forschungsansätze der hybriden Wertschöpfung ändert sich derzeit diese Auffassung. Produktbegleitende Dienstleistungen werden zunehmend zusammen mit technischen Sachleistungen als hybride Produkte bezeichnet. Daneben existieren auch Termini wie „Product-Service Systems“ (Thomas et al. 2008), „Hybrides Leistungsbündel“ (Meier/Kortmann 2005; Steven/Wasmuth 2006), „Produktbegleitende Dienstleistungen“ (Harms 2003; Stille 2003) und „Performance Contracting“ (Backhaus/Kleikamp 2001), die oftmals synonym verwendet werden. Umfragen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) und des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektroindustrie e.V. (ZVEI) aus den Jahren 1998 und 2002 belegen eine Trendwende in diesem Verständnis und tragen zur Erkenntnis der Bedeutung solcher Dienstleistungskomponenten bei. Diesen Umfragen zufolge erzielte die beschäftigungsstärkste Industriebranche Deutschlands, der Maschinen- und Anlagenbau, welche laut VDMA im Jahre 2008 ca. 914.000 Beschäftigte hatte, bereits im Jahre 1997 ca. 9,6 Prozent ihres Umsatzes mit produktbegleitenden Dienstleistungen. Dieser Anteil erhöhte sich im Jahre 2000 bereits auf 18,5 Prozent. Eine aktuellere Erhebung aus dem Jahre 2007 ergab bei den befragten Unternehmen aus dem Maschinenund Anlagenbau als Mittelwert sogar einen Anteil von 23,3 Prozent (Backhaus et al. 2007). Neben der Erschließung neuer Absatzmärkte sowie der Differenzierungsmöglichkeit lässt sich durch hybride Produkte auch die Kundenbindung steigern. So begegnen die
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Unternehmen dem gegenwärtig hohen Wettbewerbsdruck – neben Rationalisierungsund Differenzierungsmaßnahmen – vor allem durch Kundenbindung. Hierbei setzen Hersteller von Maschinen und Anlagen auf die Ausweitung und Verbesserung ihres Serviceangebots speziell im TKD, der Schnittstelle zwischen Herstellung und Nutzung der Produkte (Harms 2003; Muser 1988). Zudem ist der Bereich des TKD auch durch eine wesentlich längere Lebensdauer von Dienstleistungen im Vergleich zu Sachleistungen von besonderem Interesse (Simon 1993, S. 211). Ferner kann der Markterfolg eines technischen Produkts durch eine produktbegleitende Dienstleistung verstärkt werden, weil Markterfolge von Produkten oftmals auf die Kundenzufriedenheit zurückzuführen sind und gerade die Dienstleistungskomponente diese zu gewährleisten versucht. Kunden möchten mit einem hybriden Produkt eine komplette Lösung für ihre Bedürfnisse beziehen (Steven/Wasmuth 2006). Die Umfragen von VDMA und ZVEI zeigen, dass die Instandhaltung einen überdurchschnittlich großen Anteil am Dienstleistungsumsatz darstellt. Da die Instandhaltung in der Literatur als eine Leistungsfunktion des TKD betrachtet wird, ist der TKD zentraler Untersuchungsgegenstand und wird im Folgenden näher betrachtet. Unter dem Begriff des TKD werden Dienstleistungen verstanden, deren Leistung immaterieller Natur ist und an einer technischen Sachleistung erbracht wird (Harms 1999; Klostermann 2008, S. 13). Klostermann gliedert dabei den TKD nach seiner „Leistungsfunktion“ in die Ersatzteilbeschaffung und die Instandhaltung (Klostermann 2008, S. 15). Die DIN-Norm 31051 (DIN 2003) definiert Instandhaltung als „Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen sowie Maßnahmen des Managements während des Lebenszyklus einer Betrachtungseinheit zur Erhaltung des funktionsfähigen Zustandes oder der Rückführung in diesen, so dass sie die geforderte Funktion erfüllen kann“. Es wird dabei eine Unterteilung in Wartung, Inspektion, Instandsetzung und Verbesserung vorgenommen (vgl. Abbildung 1).
TKD
Ersatzteilbeschaffung
Wartung
Instandhaltung (präventiv / korrektiv)
Inspektion
Instandsetzung
Verbesserung
Abbildung 1: TKD-Leistungen im Überblick (Quelle: in Anlehnung an DIN 31051; DIN EN 13306; Klostermann 2008, S. 15)
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Die Wartung umfasst „Maßnahmen zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats“. Bei der Wartung liegt allerdings kein Defekt am Produkt direkt vor. Durch die Wartungsmaßnahme soll lediglich die Wahrscheinlichkeit eines Defekts verringert werden. Inspektionen umfassen „Maßnahmen zur Feststellung und Beurteilung des Istzustandes einer Betrachtungseinheit einschließlich der Bestimmung der Ursachen der Abnutzung und dem Ableiten der notwendigen Konsequenzen für eine künftige Nutzung“. Inspektionen finden generell in regelmäßigen Abständen statt und zielen darauf ab eine rechtzeitige Wartung oder Instandsetzung sicherzustellen. Bei Inspektionen wird jedoch nicht nur auf Fehlerfreiheit getestet, sondern auch auf Umweltverträglichkeit sowie der Gewährleistung der Sicherheit. Die Instandsetzung ist definiert als „Maßnahmen zur Rückführung einer Betrachtungseinheit in den funktionsfähigen Zustand, mit Ausnahme von Verbesserungen“. Bei der Instandsetzung liegt bereits ein Fehler oder ein Defekt am Produkt bzw. an der Anlage vor, der behoben wird. Die Verbesserung wird definiert als die „Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen sowie Maßnahmen des Managements zur Steigerung der Funktionssicherheit einer Betrachtungseinheit, ohne die von ihr geforderte Funktion zu ändern“. Neben der Funktionssicherheit wird unter Verbesserung oftmals auch eine Effizienzsteigerung der Anlage verstanden. Eine informationstechnische Unterstützung des TKD kann durch vielfältige Systemtypen erreicht werden, die in der Praxis in unterschiedlichen Branchen eingesetzt werden.
2.2 Informationssysteme im TKD Informationssysteme zur Unterstützung des TKD variieren in ihrem Umfang stark und reichen von vergleichsweise einfachen Dokumentenmanagementsystemen bis hin zu komplexen Expertensystemen oder Wissensmanagementkomponenten (Schröder 1997). Nachfolgend werden wesentliche, aktuell in der Praxis anzutreffende Informationssystemklassen zur Unterstützung des TKD vorgestellt. Wissensmanagementsysteme Wissensmanagementsysteme (WMS) können sowohl zur verbesserten Durchführung und Optimierung des TKD als auch zur Produktentwicklung eingesetzt werden. Im Kontext der Optimierung des TKD sind sie sowohl bei der Planung als auch bei operativen TKD-Maßnahmen von Interesse. Die enorme Bedeutung für den TKD ergibt sich aus der stark zunehmenden Komplexität technischer Anlagen und einer verstärkten Anforderung durch den Anlagenbetreiber an den TKD (Weinrauch 2005, S. 101). Die gespeicherten Wissensobjekte können ihrem Bezug nach in Service- sowie methoden- und anlagenspezifische Wissensobjekte unterteilt werden. Unter Wissen, das spezifisch für Anlagen ist, versteht man hierbei Wissen über den Zustand, die Einsatzerfahrung sowie Systemwissen über die Anlage. Wissen mit methodischem Bezug ist dagegen Wissen zur Planung und Durchführung von Servicemaßnahmen, wie beispielsweise technisches Können,
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Planungs- sowie Technologiewissen, und besitzt häufig anlagenübergreifende Gültigkeit (Weinrauch 2005, S. 108 ff.) Voraussetzung zur Schaffung einer geeigneten Wissensgrundlage ist die Systematisierung und Standardisierung von Inhalten und Abläufen, die Dokumentation der Servicemaßnahmen und schließlich der Integration der Wissenserfassung in das operative Tagesgeschäft (Weinrauch 2005, S. 130). Instandhaltungsplanungs- und -steuerungssysteme Instandhaltungsplanungs- und -steuerungssysteme (IPS) sind die am häufigsten verwendeten Systeme im Bereich des TKD (Weinrauch 2005, S. 234). Sie dienen der Planung, Disposition, Überwachung und Steuerung von präventiv geplanten Instandhaltungsmaßnahmen sowie außerplanmäßigen Aufträgen. Zur Bewältigung dieser Aufgaben bedarf es der horizontalen Integration mit Betriebsdatenerfassungs- und -überwachungssystemen (Weidehaun/Corsten 2004, S. 2). IPS zielen darauf ab, die Durchführung von TKDMaßnahmen effizient zu gestalten sowie eine gewählte Instandhaltungsstrategie zu gewährleisten. Aufgrund der Heterogenität und Vielzahl heutiger Maschinen und Anlagen sind sie nicht mehr aus der Instandhaltung wegzudenken (Scheer et al. 2006, S. 65). Allgemein werden durch IPS vielfältige Prozesse und Aufgaben abgedeckt (Weidenhaun/Corsten 2004, S. 3f.; Hahn et al. 2006). Dies umfasst die zentrale Erfassung von Störungen sowie eine Zuordnung zur betroffenen Anlage, die Visualisierung von Bearbeitungsvorgängen, die Bereitstellung personenbezogener Arbeitslisten, Aufgabendefinitionen und Daten. Darüber hinaus können auch Aspekte der Arbeitsplanung wie die Abbildung von zyklischen Maßnahmen und deren Zuordnung zu Personen oder Unternehmen sowie Vorschläge für den Kauf von günstigeren Ersatzteilen und Betriebsmitteln bis hin zur automatischen Nachbestellung von Ersatzteilen unterstützt werden. Schließlich können IPS auch Anhaltspunkte für die Modernisierung bis Stilllegung der Anlagen geben, falls ein Weiterbetrieb nicht mehr wirtschaftlich ist. Die mit IPS aus Erfahrungswerten gewonnen Erkenntnisse können in die Konzeption neuer Anlagen mit einfließen. Verbesserungspotenzial weisen IPS zum gegenwärtigen Zeitpunkt oftmals im Einsatz mobiler Endgeräte auf, durch die der TKD-Mitarbeitenden vor Ort auf Daten zugreifen, gewonnene Erkenntnisse und Werte aus der Anlage direkt in das System einpflegen sowie Aufträge sofort nach Beendigung abschließen kann (Weidehaun/Corsten 2004, S. 8). Diesen Anforderungen werden moderne Systeme immer häufiger gerecht. Condition-Monitoring-Systeme/Überwachungssysteme Als Condition-Monitoring-Systeme (CMS) werden Systeme bezeichnet, die zur Überwachung des Betriebszustandes für Maschinen und Anlagen eingesetzt werden. Damit ist es möglich, den Anlagenzustand zu erfassen um dadurch beispielsweise eine Schadensfrüherkennung bzw. -prognose erstellen zu können (Weinrauch 2005, S. 237). Im Vergleich zu reinen Überwachungssystemen zeichnen sich CMS dadurch aus, dass sie nicht nur „quasi-statische“ Parameter, wie Drehzahlen, Leistungen, Temperaturen usw.
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messen und überwachen können, sondern auch dynamische Parameter wie etwa Schwingzustände oder Drehmomente. Dadurch können Aussagen zu Maschinen- und Anlagenbelastungen sowie Verschleiß getroffen werden. Das durch ein CMS gewonnene Servicewissen ist für nach der Messung erfolgende Prognosen und Diagnosen der Anlage sehr wichtig. Daher wird eine Verschmelzung des CMS mit einem WMS, das auch Grundlage für weitere Systeme ist, als sinnvoll erachtet (Weinrauch 2005, S. 238). Diagnosesysteme Das Aufgabengebiet von Diagnosesystemen (DS) ist eng verbunden mit dem der Überwachungssysteme und CMS. Während es die Aufgabe von Überwachungssystemen an Maschinen und Anlagen ist, Fehlfunktionen festzustellen und Messwerte zu ermitteln, greift die Diagnose diese Erkenntnisse auf und versucht die Fehlerursache selbstständig zu finden oder einen Systembenutzer in der Suche der Fehlerursache zu unterstützen. Darüber hinaus steht das System dem Nutzer oftmals bei der Störungsbeseitigung beratend zur Verfügung (Thron et al. 2008). In Verbindung mit einer Teleservicekomponente kann sich ein Diagnosesystem als äußerst hilfreich erweisen. Teleservice ermöglicht die Vorbereitung eines TKD-Mitarbeitenden auf einen Servicefall, indem er oder sie beispielsweise im Vorhinein über benötigte Ersatzteile informiert wird, die er oder sie dann schon beim ersten Eintreffen vor Ort zur Verfügung hat (Hahn et al. 2006). Parametrisierungssysteme Parametrisierungssysteme (PS) dienen der Parametrisierung, unter der die Einstellung von Maschinen verstanden wird. Allein durch die Parametrierung können bereits Fehler und Störungen beseitigt werden, sofern diese nicht hardwareseitig bedingt sind. PS unterstützen jedoch neben den TKD-Mitarbeitenden auch die Maschinen- oder Anlagenbetreiber, da diese somit ihre Maschinen oder Anlagen individuell und selbstständig parametrisieren können. In Verbindung mit Teleservicelösungen ergibt sich so beispielsweise in der Sanitär-, Heizungs- und Klimabranche die Möglichkeit, eine Heizungsanlage aus der Ferne zu steuern, was z.B. bei Ferienhäusern oder anderen nicht dauerhaft bewohnten Gebäuden vorteilhaft ist. Mobile Anwendungssysteme im TKD Durch mobile Anwendungssysteme kann die Effizienz des Vorgehens in der Serviceerbringung erhöht werden (Isaac und Leclerq 2006). Um die mit diesen Dienstleistungen verbundenen Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können, muss ein TKD-Mitarbeitender mit dem richtigen Informationsmix versorgt werden. Ein zentrales Problem besteht hierbei in der Beantwortung der Frage nach dem Umfang, Zeitpunkt und Verdichtungsgrad der entscheidungsrelevanten Informationen (Hermes 1999; Bullinger et al. 2000; Sawy/Bowles 2003).
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2.3 Produktivität im Kontext technischer Serviceleistungen Vor dem Hintergrund aktueller Forschungsansätze der „Hybriden Wertschöpfung“ erfolgt die Bündelung von Sachgütern und produktbegleitenden Dienstleistungen zu komplexen hybriden Leistungsbündeln ganzheitlich (vgl. Abschnitt 2.1). Der Kunde fokussiert auf die Lösung seines Problems und muss nicht zwischen den einzelnen Komponenten seiner Lösung differenzieren könne. (Spath/Demuß 2003). Das Produktivitätspotenzial hybrider Wertschöpfung lässt sich über alle Leistungen im Produktlebenszyklus aufzeigen (Blinn et al. 2008). Die von den internen oder externen Kunden wahrgenommene Qualität der Leistungen entscheidet dabei über den wirtschaftlichen Erfolg (Desatnik 1989). Die korrekte und qualitativ hochwertige Ausführung der Leistungen durch den TKD ist somit unabdingbar (Byrne 1998). Die industrielle Praxis zeigt, dass etwa 60 Prozent der aufgetretenen Fehler oder Fehler ähnlicher Art bereits aufgetreten sind (Pfeifer 2001). Allerdings verhindert die räumliche und zeitliche Entkopplung von Fehlerentstehung und Fehlerentdeckung hier mögliche Produktivitätssteigerungen. Durch die zielgerichtete Nutzung von Feedbackinformationen kann solchen Fehlern nachhaltig entgegengewirkt werden. Vor diesem Hintergrund bestehen für produktbegleitende Dienstleistungen des TKD ein enormes Produktivitätspotenzial und damit verbundene geschäftskritische Wettbewerbsvorteile. In der industriellen Fertigung wird der Begriff Produktivität oftmals mit Automatisierung gleichgesetzt (VDI und Fraunhofer ISI 2009). Im Kontext von Sachgütern wird der Produktivitätsbegriff zudem weitestgehend einheitlich als „Ergiebigkeit der betrieblichen Faktorkombination“ (Gutenberg 1975) verstanden. Die Produktivität wird in diesem Kontext als Durchschnittsprodukt von Input und Output ermittelt (Corsten 1994). Für Dienstleistungen oder hybride Wrtschöpfungsleistungen hingegen existieren bis dato weder ein einheitliches Produktivitätsverständnis noch eine Berechnungsvorschrift, um die Produktivität von Dienstleistungen zu messen oder zu vergleichen (Reichwald/Möslein 1995). Vor allem die verursachungsgerechte Erfassung des In- und Outputs stellt im Dienstleistungskontext noch eine große Herausforderung dar (Corsten 1994). Um Produktivitätssteigerungen im Dienstleistungssektor zu realisieren, wird die Informationsverarbeitung schon seit längerer Zeit als Hebel betrachtet (Platz 1980). Somit ist es zur Realisierung des Produktivitätspotenzials unabdingbar, die Informationssysteminfrastruktur der Unternehmen in den Untersuchungsfokus einzubeziehen (Leimeister/Glauner 2008). Informationstechnologie wird heute im TKD zwar eingesetzt, jedoch arbeiten die hochspezifischen Lösungen aber weitgehend isoliert voneinander. Die fehlende Integration in die betrieblichen Systemlandschaften führt zu einer Vielzahl von Problemen: Die Systeme selbst stehen zur mobilen Nutzung durch den TKD vor Ort beim Kunden nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung, da die nutzbaren Teilsysteme vielfältig als Insellösungen existieren, was den TKD-Techniker zu zeitaufwändigen und fehleranfälligen Wechseln zwischen den Systemen zwingt. Die einhergehenden Medien- und Anwendungsbrüche führen zu redundanter und fehleranfälliger Dateneingaben. Zudem gestaltet sich die Aktualisierung der technischen Serviceinformationen als sehr aufwendig. Bis alle aktuellen Informationen verteilt sind, muss der TKD vor Ort Entscheidungen auf Grundlagen einer veralteten Da-
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tenbasis treffen. Schließlich stehen auch die im TKD generierten Feedbackinformationen nicht an den relevanten Stellen im Unternehmen (F & E, Qualitätssicherung, usw.) zur Verfügung (Abramovici at al. 2008). Diese Rahmenbedingungen reduzieren drastisch die Produktivität der Dienstleistungserbringung bzw. egalisieren die bereits an anderer Stelle im Unternehmen erbrachte Wertschöpfung. Somit herrscht dringender Forschungs- und Umsetzungsbedarf.
3.
IT-gestütztes Mitarbeiterempowerment als Lösungsansatz zur Produktivitätssteigerung im technischen Kundendienst
Das Prinzip des IT-gestützten Mitarbeiterempowerment, welches die Basis für die gestaltungsorientierte Lösung darstellt, wird nachfolgend vorgestellt.
3.1 Prinzip des Mitarbeiterempowerment In der heutigen Zeit existieren unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze, um ein Unternehmen und die Mitarbeitenden zu leiten. Die Idee des Empowerment findet zunehmend Eingang in Managementkonzepte. Der Begriff Empowerment bedeutet Ermächtigung oder Bevollmächtigung. Im Unternehmensumfeld wird damit ein Prozess verstanden, bei dem Mitarbeitende ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, sich der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen bewusst werden, Eigeninitiative ergreifen und soziale Ressourcen nutzen (Gerigk 2009). Somit gilt Empowerment als eine Verbesserung der Organisationskultur, eine Stärkung der Motivation und der Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Durch flache Hierarchien, Partizipation an Entscheidungen, Öffnung von Gestaltungsräumen, eine positive, anerkennende Teamkultur, Selbstevaluation, Übernahme von Verantwortung (auch für Ergebnisse), mehr Selbstbestimmung und ständiges Weiterlernen soll eine subjektive Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden bewirkt werden, die eine optimale Nutzung der vorhandenen Potenziale und Fähigkeiten erlaubt. Die Mündigkeit der Mitarbeitenden wird durch diesen Ansatz erhöht, in dem sie bei der Organisation und Planung der zu leistenden Aufgaben stärker eingebunden werden. Somit entwickeln sich Managementkompetenzen in niedrigeren Hierarchiestufen, was zu flacheren Hierarchien führen kann (Reichert 2009). Dies soll die Mitarbeitermotivation steigern sowie daraus folgend eine höhere Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen, da die Mitarbeitenden eigenverantwortlich reagieren und demzufolge kundenorientierter handeln können (Gerigk 2009; Tomczak et al. 2009). Des Weiteren sind seine vom Kunden wahrgenommene Fachkompetenz und sein Sozialverhalten von zentraler Bedeutung für die Kundenbindung. Dies wird im Auftritt des Kunden gegenüber auch als Hightouch-
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Fähigkeit bezeichnet (Naisbitt/Naisbitt 2001). Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass der Mitarbeitende die Fähigkeiten hat, der ihm übertragenen Verantwortung gerecht zu werden. Das Empowerment von Mitarbeitenden wird durch den Einsatz moderner Informationsund Kommunikationstechnologie weitestgehend unterstützt. So werden unter anderem relevante Informationen und Funktionalitäten zur Verfügung gestellt, die für die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Aufgaben notwendig sind (Kling 1996). Neben der Bereitstellung von Informationen und Funktionen für die Aufgabenerfüllung spielt das kooperative Arbeiten der Menschen im Unternehmen heutzutage eine immer wesentlichere Rolle. So sollten Potentiale jedes Einzelnen ausgeschöpft werden, um die jeweiligen Ziele bestmöglich erreichen zu können (Gerigk 2009). Durch den Einsatz von Computer Supported Cooperative Work (CSCW) Technologien (z.B. Groupware) oder Web 2.0 Technologien (z.B. Wikis) ist es möglich den Mitarbeitenden wesentlich mehr Eigenverantwortung zu geben und somit flachere Hierarchien zu etablieren. Diese Anwendungen bilden somit die technischen Voraussetzungen, um das Empowerment im Unternehmensumfeld umzusetzen. So ist es unternehmensweit möglich flachere Hierarchien und dezentrale Aufgabenbearbeitung durchzusetzen. Darüber hinaus wird die technologische Entwicklung durch die immer weiter fallenden Kosten für Informations- und Kommunikationssysteme begünstigt (Malone 1999). Das IT-gestützte Empowerment von Mitarbeitenden kann somit zu mehr Eigenverantwortung, schnelleren Entscheidungswegen und größerer Kundenorientierung führen.
3.2 Lösungsansatz Das Ziel der Produktivitätssteigerung produktbegleitender Dienstleistungen wird im Folgenden unter Berücksichtigung folgender Grundannahmen verfolgt: (1) Ein integrierter Daten- und Informationsaustausch zwischen dem TKD und den anderen Wertschöpfungsbereichen steigert bei zielgerichteter Nutzung signifikant die Gesamtproduktivität des Unternehmens. (2) Weiterhin lassen sich anhand einer Produktivitätssystematik verbunden mit adäquaten Methoden, Verfahren und Instrumenten Wertschöpfungs- und Produktivitätspotenziale in den Bestandteilen der Wertschöpfungskette identifizieren. (3) Unterstützt durch aktuelle IuK-Technologie sind für den TKD mobile Assistenzsysteme realisierbar, die wiederum Mitarbeitenden unterschiedlicher Abteilungen durch Empowerment zu einer höheren Produktivität in ihrer jeweiligen Arbeitsausführung befähigen.
3.2.1 Inhaltliche Sicht Gemäß der erweiterten Wertschöpfungskette nach Töpfer (2007), ist der TKD in den Teilprozess „Service/Kundendienst“ eingeordnet, wobei in der Gesamtbetrachtung zwi-
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schen Innendienst und Außendienst differenziert werden muss. Direkte Wertschöpfungspartner sind Forschung & Entwicklung, Arbeitsvorbereitung & Produktion, Lagerhaltung und der Vertrieb. Indirekt tragen die Qualitätssicherung und das Rechnungswesen/Controlling über alle Teilbereiche zur Wertschöpfung bei. Den zentralen Punkt der inhaltlichen Lösungsperspektive stellt eine neu zu entwickelnde Informations- und Kommunikationsbasis (IKB) dar (vgl. Abbildung 2). Sie repräsentiert den integrierten bidirektionalen Informationsaustausch zwischen den beteiligten Wertschöpfungspartnern und wird wesentlich von den in der Gesamtwertschöpfung wirkenden Geschäftsprozessen geprägt. Rechnungswesen/Controlling Qualitätssicherung
Innendienst Forschung & Entwicklung
Arbeitsvorbereitung & Produktion
Lagerhaltung
Vertrieb
Markterfolg
TKD
Außendienst
Wertschöpfungskette (Ausschnitt)
Informations- und Kommunikationsbasis (IKB)
Abbildung 2: Informations- und Kommunikationsbasis Hierbei wird differenziert nach: (1) die abteilungsübergreifenden, (2) unternehmensübergreifenden und (3) kollaborativen Geschäftsprozesse. Abteilungsübergreifende Prozesse bilden sich aus den innerbetrieblichen Prozessen der Partner und werden in deren Wertschöpfungsketten spezifiziert. Unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse bestehen dabei aus einer Abfolge von Aktivitäten, die nicht einer einzigen Unternehmung zuzuordnen sind. Denn in den wenigsten Fällen erbringen Unternehmen die zur Gesamtwertschöpfung erforderlichen Teilprozesse alleine. Merkmale dieser Prozesse sind: (1) sie bestehen aus autonomen Teilen und (2) sie sind nur teilweise sichtbar, dadurch bedingt, dass Geschäftsprozesse, welche sensible Daten beinhalten, nicht nach außen gegeben werden (Walter/Werth 2008). Vielmehr konzentrieren sich die Unternehmen auf bestimmte Wertschöpfungsprozesse die sie selbst ausführen und verbinden die anderen sy-
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nergetisch mit den Wertschöpfungsprozessen kooperierender Partner (Scheer/Loos 2002). Anhand der IKB werden die unterschiedlichen Informationsanfragen der einzelnen Wertschöpfungspartner bearbeitet und der entsprechende Informationsbedarf ermittelt. Anschließend wird nach der gesuchten Information recherchiert und wenn vorhanden auch beschafft. Danach werden die Informationen aufbereitet und zur Nutzung in unterschiedlichen Endgeräten den jeweiligen Abteilungen und Mitarbeitenden bereit gestellt und in den unterschiedlichen Arbeitsaufgaben genutzt. So können daraus beispielsweise Erkenntnisse aus strukturiert zurückgemeldeten Kundenanforderungen in die erste Phase des erweiterten Lebenszyklusmodells (Blinn et al. 2008) einfließen und von Marketing, Forschung und Entwicklung zur Gestaltung neuer Produkteigenschaften berücksichtigt werden. Wird durch die gemeinsame Nutzung der hinterlegten Informationen erkannt, dass der Grund für eine häufig auftretende Gerätestörung in einem von einem Zulieferer produzierten Bauteil liegt, können entsprechende Fehlererfassungs- und –behebungsprozesse beim Zulieferer angestoßen werden. Denn die Ursachen kostenintensiver Mängel finden sich häufig in der planerischen administrativen Ebene und in der Fertigung (Pfeifer 2001). Auch Daten über Anzahl, Art, Umschlaghäufigkeit und geografische, Verteilung der im TKD verwendeten Ersatzteile können genutzt werden. Diese Daten unterstützen den Hersteller bei der Versorgung der Partner mit entsprechendem Ersatzteilnachschub. Aus den Auswertungen der TKDDaten können auch Maßnahmen zur Kundenklassifizierung abgeleitet werden, die sich auf den Absatz/Vertrieb auswirken und in der im Lebenszyklusmodell dargestellten Vermarktungsphase wirken. Der TKD im Außendienst ist in die relevanten abteilungs-, unternehmensübergreifenden- und kollaborativen Geschäftsprozesse integriert profitiert durch die Bereitstellung aktueller Unternehmens-, Kunden- und Produktdaten in seiner Arbeitsausführung.
3.2.2 Technische Sicht Die technische Sichtweise wird in Abbildung 3 mit dem Architekturmodell des Lösungsansatzes wieder gegeben. Das Modell ist in drei Teile unterteilt. Der untere Teil stellt eine mögliche Auswahl der zu verwendenden Anwendungssysteme, in Abhängigkeit von den jeweiligen Wertschöpfungsstufen des Unternehmens, dar.
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Integrationsplattform Integrationsserver
Firewall
Datenbasis
INTERNET
Import/Export-Modul, Kommunikations-Middleware
Anwendungssysteme
Abbildung 3: Vereinfachtes Architekturmodell Die technische Verwirklichung der zuvor beschriebenen IKB mittels einer Integrationsplattform, die im Wesentlichen aus: (1) Integrationsserver, (2) Datenbasis, (3) Import/Export-Modul und Kommunikations-Middleware und (4) Firewall besteht, bildet das Kernstück des Lösungsansatzes. Der Integrationsserver organisiert die Basisdienste zum gemeinschaftlichen Informationsaustausch (Bewertung und Popularität der Information, Diskussion, Verschlagwortung) und verwirklicht mithilfe semantischer Datenanalyse sowie Schema-Matching-Verfahren die Integration der Daten. Dies bildet die Basis für die Realisierung der Assistenzfunktionen. Bei der Planung und Realisierung der Integrationsplattform wurden aktuelle Forschungsergebnisse im Kontext semantischer Wikis berücksichtigt (Schaffert et al. 2007). Ebenso finden Ergebnisse aus dem Forschungszweig der Künstlichen Intelligenz (KI) bei der Entwicklung des SematicKernels einbezogen. Die in der KI entwickelten und eingesetzten Methoden und Technologien wie Beschreibungslogiken, Regelsysteme und Ontologien sollen dabei nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sollen sie um neue Ansätze aus dem Bereich der maschinellen Informationsextraktion und partizipativer Software (Web 2.0, Social Semantic Software) ergänzt werden, um damit eine dauerhafte Verbindung zwischen formalen Wissensstrukturen und Methoden sowie deren Interpretation mit den Arbeits- und Wissensprozessen des TKD zu erreichen. Im Lösungskontext sollen dadurch die häufig nicht strukturiert vorliegenden Informationen zu technischen Produkten für die Verwendung in Assistenzsystemen aufbereitet werden. Die Analyse der Produktivitätssteigerungen mithilfe von definierten Bewertungskriterien und ausgewählter Kennzahlen wird durch
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das Produktivitätsmess- und -bewertungsmodul ermöglicht. Das Import/Export-Modul ermöglicht den Datentransfer zwischen den in den Unternehmen eingesetzten Systemen und dem Integrationsserver. Die Kommunikations-Middleware sorgt unter Verwendung aktueller Mobilfunktechnologie für den sicheren und komfortablen Datentransport zwischen dem Integrationsserver und den mobilen Endgeräten des TKD im Außendienst. Eine weitere Anwendung stellt das Assistenzsystem den Nutzern im Unternehmen: Die Darstellung der Informationen für den Servicetechniker ist als „Service Cloud“ vorgesehen. Die „Service Cloud“ ist dabei ein an das Konzept der Tag Cloud angelehntes Web 2.0 Prinzip (Aouiche et al. 2009). Die Schlagwortwolke mit relevanten Begriffen unterstützt das Empowerment des Servicetechnikers idealtypisch. Aufgrund der dynamischen Natur der Service Cloud werden als Antwort auf eine Informationsanfrage die jeweils passenden, aktuellen und relevanten Serviceinformationen geliefert. Die getroffenen Annahmen sollen durch die prototypische Umsetzung des Lösungsansatzes überprüft werden. Als Methode dient hierzu das Eyetracking oder Blickbewegungsregistrierung, bei der der Blickverlauf einer Person beim Betrachten eines Gegenstandes oder einer Anwendung gemessen wird (Ramanauskas et al. 2008). Mit Unterstützung der Endanwender soll diese Methode auf die Messung und Beurteilung der Usability der technischen Lösung und deren Modelle übertragen werden.
4.
Zusammenfassung und Ausblick
Der vorliegende Beitrag zeigt einen gestaltungsorientierten Ansatz auf, um anhand von IT-gestütztem Mitarbeiterempowerment die Produktivität von technischen Kundendienstleistungen zu managen. Der vorgestellte Ansatz wird sowohl von der technischen als auch der inhaltlichen Perspektive dargestellt und erläutert. Der dargestellte Lösungsansatz trägt dazu bei, die Produktivität von technischen Kundendienstleistungen zum Einen zu bewerten und zum Anderen durch ein IT-Artefakt positiv zu steuern und zu optimieren. Im nächsten Schritt sollen die Evaluierung und die Übertragbarkeit des Konzeptes getestet werden.
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Sönke Duckwitz, Sven Tackenberg, Christopher M. Schlick und Susanne Mütze-Niewöhner
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleistungsprozessen
1. Einleitung 2. Messung der Produktivität wissensintensiver Dienstleistungsprozesse 3. Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität wissensintensiver Dienstleistungsprozesse 4. Entwicklung eines integrativen Simulationsmodells 5. Simulationsstudie: Vorgehen, Ergebnisse und Diskussion 6. Ausblick Literaturverzeichnis ___________________________ Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.Ing. Sönke Duckwitz ist stellvertretender Leiter der Abteilung Arbeitsorganisation am Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen. Dipl.-Wirt.-Ing. Sven Tackenberg ist Leiter der Abteilung Arbeitsorganisation am selben Lehrstuhl. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Christopher M. Schlick ist Leiter des Lehrstuhls und Instituts für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen. Frau Dr.-Ing. Susanne Mütze-Niewöhner ist Leiterin der Abteilung Arbeitsorganisation am Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _18, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
1.
Einleitung
Die Erbringung produktbezogener und zugleich kundenindividueller Dienstleistungen hat in Europa zunehmend an Bedeutung gewonnen und ist heute ein tragender Geschäftsbestandteil im Leistungsportfolio von Unternehmen verschiedener Branchen. Mit der kontinuierlichen Zunahme der Bedeutung von Dienstleistungen gewinnt die Frage nach deren Produktivität an Relevanz, denn Produktivität und Wertschöpfung sind nicht allein als betriebswirtschaftliche Kenngrößen zu betrachten, sondern bilden das Fundament für anerkannte Formen organisierter Erwerbsarbeit (Ganz et al. 2006). Dienstleistungsproduktivität stellt somit eine wesentliche Voraussetzung für die Innovation und Diffusion von neuen Produkten in Verbindung mit Dienstleistungen dar (Ganz et al. 2006). Insbesondere wissensintensive Dienstleistungen von internen (Forschungs- und Entwicklungsabteilungen) und externen Akteuren (Engineering- und Personaldienstleistern) erbringen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Sachgütern, die aufgrund ihres Neuigkeitsgrades hinsichtlich Funktionalität und Wirtschaftlichkeit eine Spitzenposition auf dem Weltmarkt einnehmen. Die Konzepte zur Produktivitätsmessung und -steuerung in der Sachgüterproduktion lassen sich aber aufgrund der Unterschiede bei der Messung und Bewertung der Einflussgrößen nicht ohne Weiteres auf die Erbringung von wissensintensiven, überwiegend kreativen Dienstleistungen übertragen (Johnston/Jones 2003). Der notwendige Aufwand für die Entwicklung von Konzepten für Produktivitätslogiken bei Dienstleistungen erscheint aber gerechtfertigt, da wissensintensive Dienstleistungen aufgrund der hohen Lohnkosten für Entwickler und Konstrukteure einen wesentlichen Kostentreiber bei neuen Produkten darstellen. Eine zentrale Herausforderung stellt dabei die exakte Bestimmung der Einflussfaktoren, deren Wechselbeziehungen untereinander sowie der Größen dar, die die Produktivität einer schwach strukturierten und zudem komplexen Dienstleistung beschreiben. Die Gesamtproduktivität einer Dienstleistung ist aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren als das Zusammenwirken von drei im Leistungsprozess enthaltenen Teilproduktivitäten zu verstehen (Ganz et al. 2006):
Die Leistung, die der Dienstleistungserbringer eigenständig erbringt. Die Leistung, die der Kunde eigenständig erbringt. Die Leistung, die Kunde und Dienstleister gemeinsam im Prozess erbringen.
Produktivitätslogiken für wissensintensive Dienstleistungen basieren demnach auf einer Vielzahl von heterogenen Einflussfaktoren, die von Akteuren direkt, indirekt oder auch gar nicht beeinflusst werden können. Die Einsatzfaktoren für Leistungen, die vom Dienstleistungserbringer eigenständig bestimmt werden, wie beispielsweise Personalund Materialeinsatz oder der zugrundeliegende Arbeitsprozess lassen sich dabei relativ leicht identifizieren, quantifizieren und bewerten. Anders verhält es sich bei Einflussfaktoren, die der Kunde oder der Zulieferer in einen Dienstleistungsprozess einbringt und
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Sönke Duckwitz et al.
deren Ausprägung oftmals einem situativen oder nicht-rationalen Entscheidungsverhalten der Akteure unterliegt. Die Gesamtproduktivität lässt sich deshalb nicht von der Dienstleistungsqualität von Zulieferern, wie beispielsweise Engineering- und Personaldienstleistern und dem Verhalten des Kunden separieren. Bis dato fehlt es aber an theoretisch fundierten und zudem praxistauglichen Methoden und Werkzeugen zur transparenten Beschreibung und einer darauf aufbauenden Optimierung von Produktivitätslogiken bei der Erbringung von wissensintensiven Dienstleistungen. Aufgrund dieses Methodendefizits basieren heutige Aussagen über die Produktivität einer bestehenden Dienstleistung oder von zukünftigen Dienstleistungssettings oftmals auf dem Erfahrungswissen der involvierten Akteure. Daher sind die Autoren der Auffassung, dass bei der Beschreibung von Dienstleistungsorganisationen und -prozessen neue Wege abseits der klassischen statischen Prozessmodellierung gegangen werden müssen, um die zukünftig im scharfen globalen Wettbewerb notwendigen Produktivitätssteigerung bei wissensintensiven Dienstleistungen realisieren zu können. Wissensintensive Dienstleistungsprozesse weisen in vielen Fällen Projektcharakter auf und werden zumeist in Form kooperativer Projekte geplant sowie durchgeführt. Somit kann das Service-Engineering hierbei auf Erkenntnisse und Methoden des Projektmanagements zurückgreifen.
2.
Messung der Produktivität wissensintensiver Dienstleistungsprozesse
Die Beschreibung, Erfassung und Optimierung des Konstrukts Produktivität spielt in der Betriebswirtschaft seit ihrer Gründung als Wissenschaftsdisziplin eine besondere Rolle. Daher finden sich vielfältige Ansätze zur Bewertung der Produktivität von Arbeitsorganisationen aber auch Gesellschaften. Dennoch fehlt es bisher an einem einheitlichen Ansatz zur Begriffserklärung in Verbindung mit einem umfassenden methodischen Konzept zum Produktivitätsmanagement. Allen Ansätzen ist gemein, dass der Begriff der Produktivität das Verhältnis von Output und Input der eingebrachten Produktionsfaktoren beschreibt bzw. nach Gutenberg die „Ergiebigkeit der betrieblichen Faktorkombination“ charakterisiert (Zirpins 2007). Ein zu entwickelndes Konstrukt Produktivität ist dabei inhaltlich abzugrenzen von den Begriffen der Effektivität und der Effizienz. So umfasst die effektive Bearbeitung einer Aufgabe, die Durchführung der richtigen für eine Zielerreichung notwendigen Entscheidungen bzw. Tätigkeiten, während eine effiziente Ausführung das Erreichen eines bestimmten Zustands bei einem optimalen Arbeits- und Ressourceneinsatz charakterisiert. Die Effizienz einer Tätigkeit wird somit als quotiale Verknüpfung von Aufwand und Ertrag aufgefasst, deren Ergebnis in Beziehung zu einem zu definierenden Standard gestellt wird. Die Bestimmung der Produktivität eines Systems basiert auf dem gleichen Quotienten, der aber nicht in Bezug auf einen Standard, sondern zum Vergleich zwischen Leistungsprozessen, respektive Leistungseinheiten herangezogen wird (Ganz et al. 2006). Unter dem Produktivitätsbegriff kann somit die Ergiebigkeit der betrieblichen Faktorkombination verstanden werden.
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
417
Das zentrale Problem bei der Bestimmung und Beschreibung der Produktivität von Dienstleistungen ist aber, dass die exakte Ermittlung der zugrundeliegenden Faktorenkombinationen schwierig ist, weil sowohl mögliche Ausprägungen des Inputs als auch des Outputs von Unsicherheiten während der Dienstleistungserbringung determiniert werden. So ergeben sich für die Bestimmung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleistungen insbesondere Herausforderungen hinsichtlich der Abbildung der Auswirkungen des Entscheidungs- sowie Kooperations- und Kommunikationsverhaltens der involvierten Arbeitspersonen auf den Erfolg einer Dienstleistung. Das Entscheidungsverhalten bei der Ausgestaltung des Dienstleistungsprozesses hat dabei für die involvierten Akteure weniger den Charakter einer bedeutsamen Entscheidung, bei der alle vorhandenen Alternativen und deren Konsequenzen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Vielmehr werden derartige Entscheidungen routinemäßig und eher intuitiv, teilweise sogar unterbewusst getroffen. Bei der prospektiven Bewertung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleistungen ist aber das Entscheidungsverhalten aller Akteure des Dienstleistungsprozesses zu berücksichtigen, um valide Aussagen über die Produktivität einer Dienstleistung treffen zu können. Die umfassende Einbindung der Akteure in die Bewertung der Produktivität einer Dienstleistung entspricht auch dem Ansatz von Grönroos und Ojasalo (2004), die Dienstleistungsproduktivität als Funktion der internen Effizienz, der externen Effizienz und der Kapazitätseffizienz definieren. Die Kombination der Inputs bestimmt dabei die interne Effizienz des Dienstleisters, d.h. wie effektiv die Outputs auf Basis einer bestimmten Anzahl von Produktionsfaktoren erzeugt werden (Baumgärtner/Bienzeisler 2007). Die externe Effizienz eines Dienstleisters gibt dagegen an, inwiefern die vom Kunden wahrgenommene Dienstleistungsqualität bei einer vorgegebenen Anzahl von Produktionsfaktoren erreicht und verbessert werden kann (Ojasalo 1999; Grönroos 2000; Grönroos/Ojasalo 2004). Die Qualität einer Dienstleistung wird somit durch die Kundeninteraktion bzw. den Dienstleistungsprozess und das Dienstleistungsergebnis beim Kunden bestimmt und mündet mit dem Eindruck des Kunden in einer von ihm subjektiv wahrgenommenen Dienstleistungsqualität. Der Aspekt der Kapazitätseffizienz beschreibt dagegen die Effizienz der Produktionskapazität anhand der Auslastung durch den Kunden (Baumgärtner/Bienzeisler 2007). Das Konzept weist aber aufgrund des geringen bzw. unsicheren Informationsgehalts und des hohen Interaktionsgrades zwischen den Akteuren sowie der daraus resultierenden situativen Änderungen in Dienstleistungsprozessen jedoch gewisse Mängel auf. So besteht kein linearer Zusammenhang zwischen der Steigerung der Produktivität und dem ökonomischen Erfolg eines Dienstleistungsangebots. Das Konzept der Dienstleistungsproduktivität von Johnston und Jones (2003) berücksichtigt daher zwei verschiedene Produktivitäten: die Anbieter- und die Kundenproduktivität. Diese sind als tendenziell gegenläufige Prozesse im Sinne eigener Teilrationalitäten zu betrachten und können nur approximativ optimiert werden (Baumgärtner/Bienzeisler 2007). Während sich die verschiedenen gültigen Ausprägungen der Anbieterproduktivität mit simulationsbasierten Verfahren (Seel 2002; Jansen-Vullers/Reijes 2005; Winkelmann 2007) relativ eindeutig prospektiv bestimmen lassen könnten, ist die Kundenproduktivität schwieriger abzubil-
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Sönke Duckwitz et al.
den, weil hier ein hohes Maß an intagiblen Aspekten, wie beispielsweise Emotionalität und subjektives Erleben durch ein entsprechendes Modell zu beschreiben sind. Nach Johnston und Jones (2003) ist aber die eigentliche Herausforderung, die nichtlinearen statischen wie dynamischen Wechselwirkungen zwischen den Elementen zu identifizieren und zu beschreiben, deren systematische Ausgestaltung zu einer Steigerung der Anbieter- und Kundenproduktivität führen kann. Eine Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Anbieter- und Kundenproduktivität ist in Abbildung 1 beschrieben. Im Sinne eines kapazitativen Engpasses – beispielsweise durch fehlende Mitarbeiterkapazitäten auf Seiten des Dienstleisters – kann sowohl die Anbieterproduktivität als auch die Kundenproduktivität bei einer wissensintensiven Dienstleistung erhöht werden, wenn der Engpass zeitlich korrekt terminiert ist. = Materialien Ressourcenverbrauch = = Kunden T Mitarbeiter
Dienstleister
Kunden
=
Ertrag
S
= Kosten S Zeit = Aufwand S Kosten
Kunde
Erfahrung
S
Ergebnis
S
Nutzen
S
DienstleistungsS produktivität Effizienz
S
Auslastung
S
Kundenproduktivität
S
Zufriedenheit
S
= gleichbleibend S steigt T sinkt
Abbildung 1: Wechselbeziehungen zwischen Anbieter- und Kundenproduktivität (Quelle: in Anlehnung an Johnston/Jones 2003) So ist aus der Untersuchung von Entwicklungsprojekten bekannt, dass Kunden eine gewisse Bedenkzeit bei der Auswahl von Lösungen als angenehm empfinden, weil sie so in Ruhe das bestmögliche Konzept nach verschiedenen Kriterien bewerten können. Wird in diesem Zeitraum, der auch manchmal bis zu drei Wochen dauern kann, die Kapazität in der Entwicklungsabteilung reduziert (beispielsweise durch Überstundenabbau), so wird eine Steigerung der beiden Teilproduktivitäten realisiert. Trotz des Modells von Johnston/Jones (2003) bleibt aber festzuhalten, dass die wissenschaftlichen Ansätze (Heaton 1977; Blois 1984; Sherman 1984; Potts 1988; McLaughin/ Coffey 1990) nicht zu der Entwicklung eines allgemein gültigen Verständnisses von Dienstleistungsproduktivität geführt haben aus der sich eine anwendungsfallspezifische Betrachtung kurzfristig ableiten lässt. Daher nimmt ein praxisorientiertes und -erprobtes Produktivitätsmanagement für wissensintensive Dienstleistungen eine bedeutende Rolle ein.
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
3.
419
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität wissensintensiver Dienstleistungsprozesse
Die Identifizierung und anschauliche Beschreibung der Wirkzusammenhänge von Produktivitätslogiken erfordert den Einsatz von neuartigen Abbildungsmodellen, die über eine statische Beschreibung von Arbeitsprozessen hinausgehen. Insbesondere die Abbildung einer Arbeitsorganisation zugrundeliegenden Dynamik und Unsicherheiten erfordert eine einfache Generierung von validen Dienstleistungsszenarien. In der letzten Dekade haben sich daher verschiedene Forschungsgruppen und Wissenschaftler mit der simulationsgestützten Beschreibung von Arbeitsorganisationen und -systemen befasst und entsprechende Lösungsansätze entwickelt. So wurden insbesondere Simulationsmodelle zur Beschreibung von Produktionssystemen und standardisierten Produktionsprozessen konzipiert, um den Einfluss von Menschen und Maschinen auf die planerischen Zielgrößen einer Produktion zu bewerten. Schwach strukturierte Dienstleistungsszenarien und -prozesse wurden dagegen trotz des bestehenden Potenzials von arbeitsorganisatorischen Simulationsmodellen (Müller-Merbach 1997; Schweitzer 2004) nur von einer kleinen Minderheit der Unternehmen modelliert und simulationsbasiert analysiert (Koudal 2006). Dabei hat sich die Simulation als Werkzeug des Operations Research und der Systemanalyse bei der prospektiven Bewertung von mit Unsicherheit behafteten Alternativen etabliert, da rein analytische Modelle die in der Realität vorherrschende Komplexität nicht ausreichend abbilden können (Banks 1998). Im Gegensatz zu den Modellen zur Beschreibung von Produktionssystemen unterscheidet sich die Abbildung von Dienstleistungssystemen in Bezug auf die Simulation jedoch in einer Vielzahl an Aspekten (Laughery et al. 1998), sodass eine Adaption dieser Modelle nicht sinnvoll erscheint: Erstens existiert bei der Dienstleistungserbringung im Vergleich zu Produktionssystemen oftmals keine eindeutig definierte Menge an im Dienstleistungsprozess einzusetzenden Systemkomponenten. Zweitens hängt die Produktivität des Dienstleistungssystems stärker von den involvierten Menschen und ihrem (Entscheidungs-)Verhalten ab, sodass die daraus resultierende Leistung im Gegensatz zu der von Maschinen weniger präzise vorherzusagen ist und somit stärker variiert. Prinzipiell kann die Simulation, ein entsprechendes valides Modell einer Dienstleistungsorganisation vorausgesetzt, jedoch zur Analyse dieser stochastischen, komplexen Systeme, die zudem begrenzte Ressourcen aufweisen, eingesetzt werden (Laughery et al. 1998). Dies belegen erste abstrakte Simulationsmodelle zur Analyse der Konsistenz und der Performance von Dienstleistungsszenarien (Laughery et al. 1998; Seel 2002; Zülch/Fischer 2004; Jansen-Vullers/Reijes 2005; Winkelmann 2007). Für die Entwicklung von Methoden und praxisorientierten Werkzeugen zur Identifizierung, Beschreibung und Optimierung von Dienstleistungsorganisationen sind insbesondere die Arbeiten von Seel (2002) – simulationsgestützte Methode zur Visualisierung von Dienstleistungsprozessen – sowie die praxisorientierte Arbeit von Winkelmann
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Sönke Duckwitz et al.
(2007) – Petri-Netz basiertes Simulationsmodell zur prospektiven Bewertung der kooperativen Erbringung industrieller Dienstleistungen im Maschinenbau – von Relevanz. Diese Arbeiten betrachten insbesondere traditionelle Dienstleistungsorganisationen und weniger die Charakteristika von intern und extern erbrachten wissensintensiven Dienstleistungsprozessen. Für die Entwicklung eines Simulationsmodells zur prospektiven Bewertung von wissensintensiven Dienstleistungen erscheinen daher die Ansätze aus dem Bereich der statistischen und dynamischen Simulation von Produktentwicklungsprojekten geeignetere Anhaltspunkte liefern zu können, als dies bei den Simulationsmodellen für Produktionssysteme der Fall ist. So weisen Tätigkeiten in der Produktentwicklung vornehmlich einen informationsverarbeitenden Charakter auf. Einschlägige Theorien der menschlichen Informationsverarbeitung (Sanders 1983; Wickens/Hollands 2000) postulieren, dass Aufgaben, die auf gleiche Systeme zugreifen und ein hohes Maß an Kontrolle erfordern, aufgrund von Ressourcenkonflikten nur bedingt gleichzeitig ausgeführt werden können. Tätigkeiten im Rahmen von wissensintensiven Dienstleistungen wie auch in der Produktentwicklung erfüllen diese Kriterien, sodass hier davon ausgegangen wird, dass ein Akteur, d.h. eine Arbeitsperson seine kognitive Kapazität zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur auf eine einzige Aufgabe konzentrieren kann. Sollen in einem Zeitraum mehrere Aufgaben parallel bearbeitet werden (freie Aufgabenwahl), muss sich eine Arbeitsperson sowohl bei einer Produktentwicklungsaufgabe wie auch bei der Erbringung einer wissensintensiven Dienstleistung demnach für die Bearbeitung einer dieser Aufgaben entscheiden und zwischen den Aufgaben iterieren. Die Arbeitsteilung zwischen unabhängigen Aufgaben kann somit als Entscheidungsproblem formuliert werden. Bereits Anfang der 1980er Jahre wurden daher dynamische Modelle entwickelt, die eine Simulation eines Produktentwicklungsprojekts ermöglichen (Cooper 1980). Basierend auf diesen Ansätzen wurden in den beiden nachfolgenden Dekaden leistungsfähigere Ansätze konzipiert, die eine detaillierte Abbildung einer Arbeitsorganisation zuließen (Kusiak/Yang 1993; Steidel 1994; Smith/Eppinger 1997; Raupach 1999; Reddy et al. 2001; Ford/Sterman 2003; Yan et al. 2003; Kausch et al. 2006; Gärtner et al. 2008; Tackenberg et al. 2008). Obwohl allen diesen Ansätzen gemein ist, dass sie die Dynamik einer Projektorganisation beschreiben, weisen diese Modelle eine Vielzahl an unterschiedlichen algorithmischen Konzepten auf. Die hier angestrebte systematische Entwicklung eines Simulationsmodells zur Optimierung von Produktivitätslogiken erfordert es, die bestehenden Ansätze zu klassifizieren und ein entsprechendes Anforderungsprofil abzuleiten. In Anlehnung an Licht (2008) sollen die drei Klassen (1) System-Dynamics-Modelle, (2) prozessorientierte Modelle und (3) personenzentrierte Modelle unterschieden werden: (1) Mit System-Dynamics-Modellen können kreative, wissensintensive Arbeitsprozesse mittels Differential- und Differenzengleichungen auf einem hohen Abstraktionsniveau zeit- und zustandskontinuierlich beschrieben werden. Durch den geringen Detaillierungsgrad einer Arbeitsorganisation können keine diskreten Zustände und somit keine Eigenschaften und Ist-Zustände von konkreten Aufgaben abgebildet werden (Ford 1995; Sterman 2000). System-Dynamics-Modelle zur Beschreibung
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
421
einzelner Aufgaben bestehen dabei aus einer „statischen“ Aufbaustruktur und dynamischen Elementen, die temporär Bestandteil der „statischen“ Elemente sind. (2) Prozessorientierte Modelle sind charakterisiert durch eine statische, zumeist grafische Abbildung der Prozessstruktur mittels Sequenzen von spezifisch ausgeprägten Aktivitäten. Diese Aktivitäten stellen die aktiven Elemente einer Projektorganisation dar, die Zeit verbrauchen, („Fertig-“)Ereignisse generieren oder Ressourcen allokieren und wieder freigeben (Kausch et al. 2005; Kusiak/Yang 1993). Die Simulation von prozessorientierten Modellen bildet die deterministisch oder stochastisch bedingte Erzeugung von Ereignissen (beispielsweise Ausführung einer Aktivität) und den dabei erzielten Projektfortschritt ab. Die Dynamik der prozessorientierten Modelle kann dabei kontinuierlich, diskret oder ereignisdiskret sein. (3) Personenzentrierte Modelle beschreiben die Dynamik innerhalb einer Arbeitsorganisation eines Entwicklungsprojektes durch das Handeln der Akteure, wie beispielsweise Arbeitspersonen oder Organisationseinheiten. Diese Aktoren bilden somit die aktiven Elemente ab, die Aufgaben bearbeiten und dabei Zeit verbrauchen. Ein personenzentriertes Simulationsmodell beschreibt somit den Fluss der zu bearbeitenden Aufgaben durch die Instanzen der Projektorganisation. Je nach gewähltem Detaillierungsgrad der Instanzen ist das Entscheidungsverhalten der Akteure zu berücksichtigen, sodass Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelastet sein können und somit ein Warteschlangenproblem zu beschreiben ist. Durch die Vielzahl an Entscheidungsoptionen wird die Dynamik eines Modells durch eine ereignisdiskrete Simulation realisiert. Die Klassifizierung der bestehenden Simulationsmodelle ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern ist auch für die praxisorientierte Beschreibung von Produktivitätslogiken bei Dienstleistungen von hoher Relevanz. So handelt es sich bei prozessorientierten und aktororientierten Simulationsmodellen nicht um eine differenzierte Sichtweise auf den spezifischen Untersuchungsgegenstand wissensintensive Dienstleistung, repräsentiert durch ein Entwicklungsprojekt, sondern um unterschiedliche Konzepte für Ablauflogiken, die erhebliche Auswirkungen darauf haben, ob Produktivitätslogiken einer Dienstleistungsorganisationdurch durch ein Simulationsmodell beschrieben werden können. Wie in vorangegangenen Untersuchungen von Entwicklungsprojekten gezeigt, sind aktorenorientierte Modelle den System-Dynamics-Modellen und den prozessorientierten Modellen hinsichtlich der Beschreibung von wissensintensiven kreativen Arbeitsprozessen deutlich überlegen. Arbeitsaufgaben, Arbeitspersonen und Organisationsstruktur können mit einem angemessenen Detaillierungsgrad modelliert und simuliert werden. Mit Ausnahme des Ansatzes von Adler et al. (1995) können in allen Modellen Arbeitsmittel modelliert werden. Die essentiellen Charakteristika von Produktentwicklungsprozessen werden somit recht gut abgebildet. Aufgrund der „aktiven“ Menschmodelle ist es mit dem aktorenorientierten Ansatz daher prinzipiell möglich, personen- und ressourceninduzierte Abhängigkeiten zwischen informatorisch unabhängigen Aufgaben zu berücksichtigen. Das in vorangegangenen Veröffentlichungen vorgestellte Simulationsmodell von Licht et al. (2004) sowie Duckwitz et al. (2008) erfüllt die sich durch eine personenzentrierte
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Sönke Duckwitz et al.
Sichtweise ergebenden grundlegenden Anforderungen in weiten Teilen. Es wurde jedoch nicht für die Arbeitsplanung bei der Erbringung von wissensintensiven Dienstleistungen mit einem hohen Anteil kooperativer Arbeit angewendet. Um Produktivitätslogiken von wissensintensiven Dienstleistungen beschreiben und optimieren zu können, muss das Simulationsmodell von Licht (2008) wesentlich weiterentwickelt werden. Insbesondere sind in dem Modell kooperative Arbeitsprozesse und eine effiziente Allokation von Aufgaben zu Akteuren und Ressourcen nicht vorgesehen und sollen daher Bestandteil des in Kapitel 4 entwickelten Modells sein. Da wissensintensive Dienstleistungen jedoch in der Regel durch die Kooperation der Arbeitspersonen und durch mehrere Optionen bei der Übertragung von Verantwortlichkeiten geprägt sind, ist daher die Entwicklung neuer Methoden für das bestehende Simulationsmodell notwendig, um die (semi-)parallele, überlappende Struktur der Aufgaben abzubilden und in dem Simulationsmodell zu berücksichtigen.
4.
Entwicklung eines integrativen Simulationsmodells
Die zentrale Fragestellung bei der Entwicklung eines Simulationsmodells zur Beschreibung der Produktivität von komplexen Dienstleistungsprojekten lautet: Wie ist die Dynamik einer Dienstleistungsorganisation abzubilden, die maßgeblich die Ausprägungen der Einflussfaktoren zur Beschreibung der Produktivität determiniert? Das Ziel ist somit ein Modell, das die dienstleistungsbezogene Generierung und Optimierung einer Dienstleistungsorganisation in Form von Service-Plänen unter Berücksichtigung der vorgegebenen Rahmenbedingungen und der begrenzt rationalen Entscheidungsfindung bei der Auswahl der zu bearbeitenden Aufgaben durch die Arbeitspersonen erlaubt. Die Grundlage für das Simulationsmodell zur Beurteilung und Steigerung der Produktivität wissensintensiver Dienstleistungsprojekte bilden die am Institut für Arbeitswissenschaft entwickelten aktivitätsorientierten (Kausch et al. 2005; Tackenberg et al. 2008) und aktororientierten Simulationskonzepte (Licht 2008; Duckwitz et al. 2008). Ausgangspunkt der simulationsbasierten Optimierung ist die formale Beschreibung mindestens eines Dienstleistungsprojektes in Form einer Prozessmodellierung. Zu diesem Zweck werden von dem Service-Engineer des Dienstleistungsunternehmens mit einer entsprechenden Spezifikationstechnik – beispielsweise der K3-Methode (Kausch 2010) oder BPMN (White 2004) – die Aufbau- und Ablauforganisation für eine spezifische Dienstleistung modelliert. Hierbei werden bei der Ausführungsreihenfolge der Aktivitäten nur feste Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen vorgegeben, wenn diese zwingend erforderlich sind. Des Weiteren legt der Projektplaner die einzelnen Projektausstattungen fest, d.h. die Arbeitspersonen (auch auf Seiten des Kunden und der Lieferanten) und Ressourcen werden spezifiziert und den einzelnen Organisationseinheiten zugeordnet. Durch diese Zuordnung stehen in jeder Organisationseinheit ein Arbeitspersonen- und ein Ressourcenpool für die Bearbeitung der Dienstleistungsaufgaben bereit. Um den An-
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forderungen an ein Simulationsmodell zur Beurteilung und Optimierung der Dienstleistungsproduktivität mittels einer operativen (Multi-)Projektplanung zu entsprechen, ist es dem Planer jederzeit möglich, weitere Dienstleistungsprojekte zu definieren und in den Planungspool für zu planende Dienstleistungen zu integrieren. Die im Planungspool enthaltenen Informationen sind verkürzt in der Abbildung 2 durch ein Klassendiagramm dargestellt. Wesentlich ist die Formulierung der Beziehungen zwischen Aktivitäten (Ausführungsreihenfolge) sowie der variablen Allokation von Arbeitspersonen und Arbeitsmitteln zu Aufgaben unter Berücksichtigung entsprechender Restriktionen zur Ausführung einer Aktivität (Zuordnung zu einer Organisationseinheit, berufliche formale Qualifikation, Kompetenz, usw.).
Abbildung 2: Klassendiagramm der im Planungspool enthaltenen Informationen Die Schnittstelle zwischen dem personenzentrierten und dem prozessorientierten Ansatz bildet die Zuordnung von Aufgaben zu Arbeitspersonen. Für diese Integration wurden die Gemeinsamkeiten der beiden unterschiedlichen Simulationsansätze analysiert. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere Organisationseinheiten, denen die Arbeitspersonen zugeordnet sind, zentrale, verbindende Elemente darstellen. Alle Aufgaben, bzw. die daraus resultierenden Aktivitäten einer im Planungspool befindlichen Dienstleistung werden den entsprechenden Organisationseinheiten zugeordnet. Wird eine neue Dienstleistungserbringung vom Planer in den Planungspool abgelegt oder wird eine bestehende modifiziert, so werden die Aktivitäten erfasst und in dem jeweiligen organisationsspezifischen Aufgabenpool (Organisations-Aufgabenpool) abgelegt. Nach der erstmaligen Initialisierung aller Organisations-Aufgabenpools vor dem Start des ersten Simulationsdurchlaufs weisen alle Aktivitäten den Status „inaktiv“ auf. Das Modell unterscheidet die Aufgabenstatus „Aufgabe inaktiv“, „Aktivität aktiv“, „Aktivität
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Sönke Duckwitz et al.
unterbrochen“ sowie „Aktivität bearbeitet“. Die Übergänge zwischen den einzelnen Status, wie auch die Bearbeitungsreihenfolge der einzelnen Aufgaben, werden im Folgenden anhand eines Algorithmus verkürzt dargestellt (vgl. Abbildung 3). Start
nein ja nein Befindet sich ja ein Projekt im Planungspool?
Generierung neuer/modifizierter AP; AM; OE
Aktualisierung des Aufgabenpools einer AP
Zuordnung von neuen/modifizierten Aufgaben zu den entsprechenden Organisations-Aufgabenpools
Bewertung der Aufgaben mit dem Status „unbearbeitet/unterbrochen“
Zufällige Auswahl eines Organisations-Aufgabenpools
Auswahl der als nächstes zu bearbeitenden Aufgabe
AP: Status Organisieren
Abbruch Wurden Elemente/Sub-Elemente im Planungspool modifiziert?
Bearbeitung der Aktivität Statuswechsel „aktiv“
nein
Anzahl >= 1
Zu leistender Aufwand reduziert sich
ja Stochastische Auswahl einer Aufgabe
Aufwand für Aufgabe > 0?
nein
ja nein
Geeignete AP verfügbar?
nein
Anzahl geeignete AP > 1
nein Zeit- oder eventbedingtes Unterbrechen? Unterbrechen der Aktivität Statuswechsel „unterbrochen“
Kriterienbasierte Auswahl einer AP
Zuordnung Aufgabe zum Aufgabenpool einer AP
Statuswechsel Aufgabe: im Organisationsaufgabenpool „bearbeitet“
Statuswechsel Aufgabe: „Aktivität aktiv“ Lokaler Abbruch
Abbildung 3: Verkürzter Algorithmus des Simulationswerkzeuges
AP: Status Bearbeiten
Identifizierung einer Aufgabe mir dem Status: inaktiv-wartend
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
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Ausgangspunkt eines Simulationsdurchlaufs ist die Identifizierung der Aktivitäten in den einzelnen organisationsspezifischen Aufgabenpools, bei denen die Vorgängeraktivitäten ausreichend bearbeitet worden sind – Status „inaktiv-wartend“. Aufgaben mit diesem Status können von allen, die Mindestanforderungen für eine Ausführung erfüllenden, Arbeitspersonen einer Organisationseinheit bearbeitet werden. Wird eine Aufgabe einem Mitarbeitenden durch die Simulation zugeordnet, erscheint die zu bearbeitende Aufgabe im Aufgabenpool der Arbeitsperson. Dies führt dazu, dass sich im Verlauf einer Dienstleistungserbringung, aber insbesondere bei mehreren simultan ablaufenden Dienstleistungsprojekten in einem personenspezifischen Aufgabenpool mehrere Aufgaben befinden, die unterschiedliche Bearbeitungsstände aufweisen können. So ist beispielsweise in dem Modell berücksichtigt, dass eine Arbeitsperson eine begonnene Aufgabe nicht vollständig bearbeitet, sondern in Abhängigkeit von Events bzw. gearbeiteten Zeiteinheiten, die Bearbeitung der Aufgabe abbricht und mit der Bearbeitung einer anderen Aufgaben beginnt bzw. diese fortsetzt. Stehen mehrere Aufgaben in einem personenspezifischen Aufgabenpool für die Bearbeitung bereit, so organisiert der Mitarbeitende diese Aufgaben selbstständig. Hierzu wird ein Algorithmus eingesetzt, der die Aufgaben eines personenspezifischen Aufgabenpools mit Prioritäten versieht und so die Reihenfolge ihrer Bearbeitung bestimmt. Der zur Auswahl der Aufgaben eingesetzte Algorithmus bildet wichtige Entscheidungsprozesse von Arbeitspersonen bei der Priorisierung anstehender Tätigkeiten ab. So berücksichtigt dieser, dass eine Arbeitsperson bei Handlungsentscheidungen sowohl den Nutzen als auch die Kosten der verschiedenen Handlungsalternativen vergleicht (Schlick/Licht 2005; Licht et al. 2006). Dabei entscheidet eine Arbeitsperson während der Dienstleistungserbringung nicht immer rational, insbesondere weil die vorgegebenen Pläne im Allgemeinen abstrakt und durch die enthaltenen Freiheitsgrade generisch sind. Bedingt durch das operative Tagesgeschäft in einem Unternehmen neigen Arbeitspersonen dazu, kurzfristige Aufgaben als wichtiger anzusehen als langfristige. Erst eine zunehmende Reduzierung des Zeitraums bis zur gewünschten Fertigstellung der Aufgabe führt zu einer höheren Priorität. Dieses Verhalten wird in der Literatur als begrenzt rationales Verhalten bezeichnet (Kahneman 2003). Um ein solches Verhalten in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, ist die Integration der Dimension Zeit in einen Priorisierungs-Algorithmus erforderlich. Dieses leistet die Temporal Motivational Theory (TMT) von Steel/König (2006). Der Priorisierungs-Algorithmus des hier vorgestellten Simulationsmodells basiert auf den Erkenntnissen der TMT. Die Priorität, die eine Arbeitsperson einer Aufgabe zukommen lässt, setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen. Zunächst erhält jede Aufgabe einen Wert für „Wichtigkeit“, die sich aus der Bedeutung der betrachteten Aufgabe für das entsprechende Dienstleistungsprojekt (Ip), dem Beitrag der Dienstleistungserbringung zum Unternehmenserfolg (Ic) und der Wichtigkeit für die bearbeitende Arbeitsperson (Ia) ergibt. Die Wichtigkeit der Aufgabe stellt den positiven Effekt einer Aufgabenauswahl dar. Gleichzeitig wird auch der zeitliche Aspekt bei der Prioritätsberechnung berücksichtigt. Der positive Effekt einer Aufgabenbearbeitung wird realisiert, wenn die zur Lösung
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Sönke Duckwitz et al.
der Aufgabe notwendige Aktivität spätestens zur Deadline der betrachteten Aufgabe TDead ausgeführt worden ist. Neben dem Zeitraum bis zur Deadline ist zusätzlich der Aufwand zu berücksichtigen, der bis zum Erreichen der Deadline noch für die Aufgabe aufgebracht werden muss, da die Dringlichkeit einer Aufgabe maßgeblich vom bereits erzielten Bearbeitungsgrad einer Aufgabe bestimmt wird. Ein wesentlicher negativer Aspekt einer Aufgabenauswahl besteht in der Notwendigkeit der Einarbeitung in die Aufgabe. Dieser negative Nutzen wird durch eine festgelegte Einarbeitungszeit (TST) und dem Einarbeitungsgrad ST der Person in die jeweilige Aufgabe ermittelt. Weitere negative Aspekte stellen potenziell vorhandene Informations- und Kompetenzmängel einer Arbeitsperson beim Vollzug einer Aktivität dar und sind somit ebenfalls in den Priorisierungsalgorithmus zu integrieren. Das potenzielle Informationsdefizit (DID) wird durch einen Wert determiniert, der sich aus dem Anteil der noch nicht bearbeiteten Vorgängeraufgaben ergibt. Das Kompetenzdefizit (DKD) wird berücksichtigt, indem die Arbeitspersonen ein Kompetenzerfüllungsprofil erhalten und die Aufgaben mit Kompetenzanforderungen parametrisiert werden. Unterschiede in der Kompetenzanforderung einer Aufgabe und den Kompetenzen der bearbeitenden Arbeitsperson stellen dann das Kompetenzdefizit dar. Die beiden Faktoren werden zudem mit einem Multiplikator verknüpft, der die Eigenschaften der Personen widergibt und so einen Einfluss auf die Aufgabenwahl der Personen ausübt. Für den Priorisierungsalgorithmus des hier präsentierten Simulationsmodells ergibt sich schließlich:
Priorität
Texp 1 G c I p K p I c K c I w K w 1 * TDead t
k1 1 G ST TST K ST k 2 K ID DID k 3 K KD DKD Die individuelle Gewichtung der einzelnen Faktoren wird über die Werte Ki dargestellt. + stellt die Gewichtung der positiven Erträge durch die Arbeitsperson dar, - die Gewichtung der prioritätsmindernden Faktoren, ki sind Konstanten zur Abstimmung der Gleichung. Durch die individuellen Gewichtungsfaktoren der einzelnen Teilaspekte der Prioritätsberechnung wird die personenspezifische Definition von Entscheidungspräferenzen ermöglicht. Während eines Simulationsdurchlaufs wird mit Hilfe des Algorithmus in regelmäßigen Zeitabständen oder nach Auftreten eines Ereignisses (beispielsweise Eintreffen einer neuen Aufgabe) eine Priorisierung der sich zu diesem Zeitpunkt im Aufgabenpool der betrachteten Arbeitsperson befindenden Aufgaben durchgeführt. Für die Bearbeitung durch die Arbeitsperson wird jeweils die Aufgabe mit der höchsten Priorität ausgewählt, sofern die Voraussetzungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Arbeitsobjekten, Arbeitsmitteln und anderen benötigten Arbeitspersonen gegeben sind. Wissensintensive Dienstleistungsprojekte sind insbesondere durch kooperative Aufgaben, d.h. Aufgaben, die von mehreren Arbeitspersonen zeitgleich bearbeitet werden (beispielsweise Bespre-
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
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chungen), gekennzeichnet. Dieses zentrale Modellbestandteil orientiert sich an dem Abstimmungsverhalten in agentenorientierten Simulationsmodellen (z.B. Shen et al. 2005; Zhang et al. 2005; Leffert 2006). Eine Arbeitsperson initiiert die Verhandlung über die Bearbeitung einer Teamaufgabe, sobald eine kooperative Aufgabe die höchste Priorität besitzt. In diesem Fall stellt die Arbeitsperson Anfragen an alle weiteren beteiligten Personen, um den Nutzen aber auch die den Nutzenverlust zu ermitteln, die jede beteiligte Person der Bearbeitung der kooperativen Aufgabe zuteilt. Als Nutzen der Bearbeitung der Aufgabe wird hierbei die aktuelle Priorität übermittelt, die jede Person ihr zuordnet. Wird eine kooperative Aufgabe begonnen, so wird eine andere Aufgabe unterbrochen bzw. nicht begonnen, die die Arbeitsperson ansonsten zur Bearbeitung ausgewählt hätte. Der Nutzenverlust bei der Entscheidung für eine kooperative Aufgabe ist definiert als die Priorität der Aufgabe, deren Bearbeitung durch die beteiligten Personen nicht erfolgen kann, wenn die Bearbeitung der kooperativen Aufgabe begonnen wird. Wenn nun der kumulierte positive Nutzen den kumulierten Nutzenverlust übersteigt, so wird diese Aufgabe als nächste Aufgabe für alle beteiligten Arbeitspersonen festgelegt. In dem integrativen Simulationsmodell werden die Aufgaben der wissensintensiven Dienstleistung von den Arbeitspersonen bearbeitet, wobei das unterschiedliche Entscheidungsverhalten der beteiligten Akteure sowie stochastische Einflüsse (beispielsweise Unsicherheiten in der Aufgabendauer, unterschiedliche Grundbelastung der Arbeitspersonen durch projektexterne Aufgaben, usw.) unterschiedliche Dienstleistungsverläufe und somit eine Vielzahl an gültigen Lösungen für die Erbringung einer Dienstleistung ergeben. Anhand dieser Ergebnisse wird ein Projektplaner in die Lage versetzt, die Zusammensetzung des Projektteams zu evaluieren sowie Vorgaben für die Aufgabenbearbeitung abzuleiten, um eine optimierte Projektabwicklung zu gewährleisten.
5.
Simulationsstudie: Vorgehen, Ergebnisse und Diskussion
Im Rahmen einer ersten Verifikationsstudie wurden die Potenziale einer simulationsgestützten Bewertung und Optimierung der Produktivität von wissensintensiven Dienstleitungen aufgezeigt. Die Studie betrachtet ein komplexes Dienstleistungsprojekt eines Unternehmens, welches Kleinwasserkraftanlagen produziert, installiert und betreibt. Das Unternehmen entwickelt basierend auf dem Bedürfnis des Kunden, der eine in seinem Umfeld vorhandene Wasserströmung zur Produktion von Elektrizität nutzen möchte, eine maßgeschneiderte Lösung. Diese Dienstleistungserbringung enthält als Gesamtlösung für den Kunden neben der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung der kundenspezifischen Wasserkraftanlage, die topographische und infrastrukturelle Bewertung des geplanten Einbauortes, die Beratung und Klärung rechtlicher und genehmigungsrechtlicher Fragestellungen, die Realisierung der notwendigen Infrastruktur (z.B. Fischtreppen,
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Sönke Duckwitz et al.
Hochspannungsleitungen, usw.), den Bau von elektrotechnischen Anlagen (z.B. Generatoren, Frequenzumrichter, usw.) sowie die Einspeisungsvorbereitungen und die anschließende Wartung der Anlage. Zurzeit sind in dem Start-Up Unternehmen nur Mitarbeitende in der Vertriebs- und Konstruktionsabteilung sowie in der Bauausführung beschäftigt. Alle zusätzlichen Hardware-Komponenten der Lösung müssen in Zusammenarbeit mit Zulieferern und Sub-Unternehmern hergestellt werden. Einzelne Teile, zum Beispiel Gehäuse und Lamellen, usw., werden auf Bestellung gefertigt und in Zusammenarbeit mit einem Montageunternehmen am Aufbauort zusammengefügt. Die Koordination dieser Aktivitäten erfordert detaillierte Kenntnisse und Prozess eines systematischen Projekt-Controllings. Methodik Der Workflow des Dienstleistungsprozesses wurde mit einer graphischen Prozessmodellierungsmethode (K3) modelliert. In mehreren Workshops wurde der Dienstleistungserbringungsprozess in Zusammenarbeit mit dem verantwortlichen Projektplaner, den Produktentwicklern und Vertriebsmitarbeitenden partizipativ modelliert und anschließend simuliert. Insgesamt bestand das Projekt aus 108 Aktivitäten, deren Ausführungssequenz schwach strukturiert ist. Die Aktivitäten sind dabei sowohl unternehmensinternen als auch unternehmensexternen Organisationseinheiten zugeordnet (vgl. Abbildung 4). Der Fokus der Simulationsstudie lag auf der Analyse der Korrelationen zwischen den Arbeitspersonen und Ressourcen sowie auf der Untersuchung der Projektdauer, der Projektkosten und der Auslastung der beteiligten Arbeitspersonen. Zur Betrachtung dieser Ergebniskategorien wurden mehrere projektspezifische kritischen Einflussfaktoren variiert: die Anzahl der in das Projekt eingebundenen Arbeitspersonen und Ressourcen, die Qualifikation des Personals, der Umfang und die Wahrscheinlichkeitsverteilung der geschätzten Aufwände. Simulationsergebnisse Die Simulation und die Ergebnisanalysen der verschiedenen Konfigurationen von Arbeitspersonen des Projektteams zeigte eine signifikante Reduktion der Laufzeit des Projekts bei einem Anstieg von einem auf zwei in-house Mitarbeitende in den wichtigsten organisatorischen Einheiten Baumanagement, Konstruktion und Vertrieb. Des Weiteren zeigten die Simulationsergebnisse, dass nicht nur die Anzahl der Arbeitspersonen die Projektlaufzeit und das Projektverhalten direkt beeinflussen. Die Manager des Dienstleistungsunternehmens waren insbesondere in der Lage, aus der detaillierten Darstellung der Simulationsergebnisse direkt Ansatzpunkte für die Optimierung der Dienstleistungserbringung in zukünftigen Lösungsprojekten abzuleiten. In dieser Hinsicht stellt das Veranschaulichen des kumulierten Projektaufwands (im Projekt ausgeführte Arbeit) im Verhältnis zur Projektdauer für eine bestimmte Projektkonstellation (konstante Anzahl der verfügbaren Arbeitspersonen) eine geeignete Veranschaulichung dar.
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
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Abbildung 4: Ausschnitt aus dem K3-Modell des Dienstleistungsprojektes Der erste und zweite Simulationslauf (vgl. Abbildung 5) geben den Aufwand für das Unternehmen in einem Projekt wieder, welches aufgrund einer negativen Bonitätsbewertung des Kunden vorzeitig beendet wurde. Eine detaillierte Analyse des zweiten Simulationslauf zeigte zudem, dass im Vergleich zum ersten Simulationslauf die zusätzlichen Ausgaben und die längere Projektlaufzeit von einer unterschiedlichen Aktivitätenreihenfolge resultieren, da im zweiten Simulationslauf die Durchführung der Standortwahl der Kundenbewertung vorgelagert war, wodurch größere Aufwände ohne einen wertschöpfenden Beitrag für das Projekt erbracht wurden. Der dritte Simulationslauf beschreibt ein Szenario, bei dem es zu einem Abbruch der Dienstleistungserbringung nach der Angebotserstellung und der darauf folgenden Nichtbeauftragung durch den Kunden
430
Sönke Duckwitz et al.
kam. Durch ergänzende Visualisierungsmöglichkeiten der Software (Gantt-Charts, usw.), konnten die Manager des Unternehmens erstmalig alle Projektkosten für ihr Unternehmen detailliert berechnen einschließlich derjenigen, die bei einer Nichtbeauftragung entstehen. 7
Projektaufwand Zeiteinheiten [ZE]
6
8
5 4
3 2 1
P1
1
Simulationslauf 1
P1
Simulationszeitpunkt 1
Projektdauer Zeiteinheiten [ZE]
Abbildung 5: Dargestellt sind die Simulationsergebnisse von acht unterschiedlichen Dienstleistungsszenarien Der vierte und fünfte Simulationslauf beschreiben ein vollständig durchgeführtes Dienstleistungsprojekt, d.h. ausgehend von einer Kundenanfrage werden die Implementierung und die Inbetriebnahme einer Wasserkraftanlage ausgeführt. Die Varianz der Ergebnisse hinsichtlich der Projektdauer und des investierten Aufwandes resultiert aus einer unterschiedlichen Ausprägung der einzelnen Aktivitäten (z.B. durch unterschiedliche Lieferanten, Berücksichtigung der stochastischen Streuung der Aufwände, usw.) bei der Montage der Komponenten und der Fertigung der Anlage. Insbesondere wurden die Einflüsse des Outsourcens von Leistungen und die Effekte einer unterschiedlichen Lieferantenqualität auf den eigenen Dienstleistungsprozess identifiziert und durch weitergehende Untersuchungen herausgearbeitet. Der Einfluss der Lieferanten auf den Projekterfolg ist insbesondere anhand der Simulationsläufe sechs, sieben und acht erkennbar. Während im sechsten Simulationslauf nach der Entwicklung umfangreicher technischer Zeichnungen durch den externen Anlagenbauer nur eine erwähnenswerte Überarbeitungsschleife – erneute Durchführung von 18 Aktivitäten im Bereich der Konstruktion – vorzufinden ist, sind im siebten und achten Simulationslauf durch stochastische Effekte zwei Überarbeitungsschleifen aufgetreten. Obwohl diese beiden Projektverläufe eine nahezu identische Überarbeitung der technischen Zeichnungen aufweisen, existieren signifikante Unterschiede in der Projektdauer
Simulationsgestützte Bewertung der Produktivität
431
und im Aufwand. Durch eine detaillierte Untersuchung wurde festgestellt, dass insbesondere die Zuordnung von Aktivitäten zu Arbeitspersonen und die Aktivitätensequenz ab dem Projektzeitpunkt P1 (vgl. Abbildung 5) einen direkten Einfluss auf den weiteren Projektverlauf haben und in dem dargestellten Fall zu einer Projektlaufzeitverlängerung von 85 Zeiteinheiten führen. So konnte geschlossen werden, dass eine optimierte Zuordnung von Akteuren zu Aktivitäten sowie die Berücksichtigung Eigenschaften der am Projekt beteiligten Arbeitspersonen einen direkten Einfluss auf die Projektleistung haben. Finanzielle Perspektive
Dienstleitungsproduktivität
Kundenproduktivität
Kundenperspektive
Personalquantität Personalqualifikation Lieferantenqualität Arbeitssequenzausprägung Zeitpunkt der Aktivitätsausführung Zuständigkeiten für Aktivitätsausführungen Unsicherheiten im Dienstleistungsprozess Informationsverfügbarkeit
Kundenzufriedenheit Ertrag / Kosten Zeit Auslastung Geringe Änderungshäufigkeit
Hoher Stromertrag Kosten Zeit Ausfallsicherheit Qualität Kundenorientiertheit
Bonität Umgebung / Standort Informationen Preise Zeit Kundenindividualität der Lösung
Abbildung 6: Produktivitätsfaktoren des Dienstleistungsunternehmens Die mit dem Projektmanagement des Unternehmens partizipativ durchgeführte Modellierung des Dienstleistungsprojektes und der zugrundeliegenden Dienstleistungsorganisation führten zu einer Konkretisierung des Produktivitätsmodells von Johnston/Jones (2003). Durch die Abbildung der Dynamik der Dienstleistungserbringung im Simulationsmodell konnten die vorab spezifizierten Auswirkungen der genannten Einflussgrößen (beispielsweise Qualifikation der Arbeitsperson, Verfügbarkeit von Informationen) mit dem realen Projektverlauf verglichen werden. Dies führte zu der Identifikation neuer Einflussfaktoren, dem Präzisieren der Wechselwirkungen sowie der Ausprägungen der Einflussfaktoren, aber auch der relevanten Zielgrößen einer solchen Dienstleistung. Es gelang somit, das Produktivitätsmodell von Johnston/Jones (2003) für dieses Unternehmen konkret auszugestalten, sodass den Mitarbeitenden die Wirkzusammenhänge für die
432
Sönke Duckwitz et al.
Generierung von produktiven Dienstleistungen verdeutlicht werden konnten. Dabei sind für wissensintensive Dienstleistungen die folgenden Aspekte identifiziert worden:
6.
Ausblick
Das in diesem Beitrag dargestellte Simulationsmodell zur Beurteilung und Optimierung der Produktivität komplexer, schwach strukturierter Dienstleistungsprozesse stellt eine vielversprechende Möglichkeit zur prospektiven Analyse und Bewertung unterschiedlicher Dienstleistungsszenarien dar. Durch die Möglichkeiten der Simulation – insbesondere durch die systematischen Parametervariationen und das Aufzeigen der unterschiedliche Projektverläufe – werden Projektplaner in die Lage versetzt, die Teamauswahl für ein Projekt zu optimieren, Restriktionen hinsichtlich der Bearbeitungsreihenfolge vorzugeben und die zum Projekt passenden Lieferanten auszuwählen. Die Validität des präsentierten Simulationsmodells ist aufgrund der Komplexität der Vielzahl an zu berücksichtigenden Einflussfaktoren noch nicht nachgewiesen und muss in zukünftigen Studien durch die Untersuchung von weiteren Dienstleistungsprojekten erfolgen. Zudem sind Erweiterungen an dem zugrunde liegenden Einflussfaktorenmodell durchzuführen, um Dienstleistungsorganisationen mit einem höheren Detaillierungsgrad beschreiben zu können. Nur wenn es gelingt, die Entscheidungsprozesse von Arbeitspersonen und die daraus resultierende Qualität der Aufgabenausführung ausreichend genau abbilden zu können, kann eine exakte Beschreibung von Dienstleistungsproduktivität mit dem Modell von Johnston/Jones (2003) erfolgen. Entsprechende empirische Studien werden aktuell vorbereitet und im Rahmen von weiterführenden Forschungsprojekten angestrebt.
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Volker Nissen und Maik Günther
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität durch automatische Erstellung von Arbeitszeitmodellen in Verbindung mit der Personaleinsatzplanung am Beispiel Handel
1. Grundlagen und Forschungsfragen 2. Phasen im Workforce Management 3. Automatische Arbeitszeitmodellerstellung 4. Beschreibung der konkret untersuchten Problemstellung 5. Verwandte Forschungsarbeiten 6. Lösungsansätze für die Problemstellung 6.1 Konstruierendes Verfahren („Agentenansatz“) 6.2 Konstruierendes Verfahren (kommerziell) 6.3 Lokale Suche (Multistart-Version) 6.4 Metaheuristik Evolutionsstrategie 6.5 Hybrides Lösungsverfahren aus ES und integrierter Reparaturheuristik 7. Empirischer Vergleich und Diskussion der Ergebnisse 8. Zusammenfassung Literaturverzeichnis
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6 _19, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
___________________________ Prof. Dr. Volker Nissen ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Ilmenau. Davor war er in verschiedenen Funktionen der Unternehmensberatung tätig, zuletzt als Director. Dr. Maik Günther war externer Doktorand im Fachgebiet Wirtschaftsinformatik für Dienstleistungen an der TU Ilmenau und ist seit Juni 2010 als Produktmanager bei der SWM Versorgungs GmbH München tätig.
1.
Grundlagen und Forschungsfragen
Der Handel ist traditionell sehr personalintensiv und eine der größten Branchen Deutschlands (SBA 2009). Zur gleichen Zeit ist diese Branche von einem starken Wettbewerb und sinkender Kaufkraft seiner Kunden geprägt (Metro 2006). Stellenabbau, der vermehrte Einsatz geringfügig Beschäftigter, die Ausweitung der Verkaufsfläche oder des Waren- und Dienstleistungsangebots sind unter diesen Rahmenbedingungen nur einige Maßnahmen des Handels, die jedoch nicht immer erfolgreich sind (KPMG 2006). Zur Kostensenkung wurde die Mitarbeiteranzahl oft auf ein Minimum reduziert und der Personaleinsatz flexibilisiert. In Abhängigkeit von der Umsetzung liegen hier jedoch auch Risiken für die Dienstleistungsqualität aus Kundenperspektive und damit für den Umsatz. Notwendig ist eine strikt am Personalbedarf orientierte, hochflexible Personalplanung, welche Fehlallokationen im Personaleinsatz vermeidet und gleichzeitig danach strebt, das Serviceniveau zu verbessern. Daraus resultieren sehr anspruchsvolle Planungsaufgaben im Workforce Management (WFM). Aktuellen Untersuchungen zufolge (Proudfoot 2008) verbringen Arbeitnehmer im Durchschnitt über alle Branchen mehr als 34,3 Prozent ihrer Arbeitszeit unproduktiv, also nicht wertschöpfend. Im Handel ist diese Situation zwar besser (19,4 Prozent), aber immer noch nicht wirklich zufrieden stellend. Die Hauptursachen liegen, neben mangelnder Kommunikation und IT-Problemen, in unzureichender personalbezogener Planung und Steuerung. Gleichzeitig wird im Durchschnitt nur jede fünfte Person, die ein Geschäft betritt, zu einem Käufer (OCC 2006). Durch einen schlechten Service wird der mögliche Umsatz nicht maximal abgeschöpft. Ein am Personalbedarf orientierter Personaleinsatz kann neben einer Kostenreduktion durch die Vermeidung von Überdeckungen auch zu einer Verbesserung des Serviceniveaus und damit zur Umsatzsteigerung beitragen. Bei steigendem Umsatz sinkt der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten, was einer der größten Effekte von Systemen für das WFM im Handel ist (Gebhardt 2005). Von besonderer Bedeutung für eine am Bedarf orientierte, hochflexible Personaleinsatzplanung sind flexible Arbeitszeitmodelle sowie die Möglichkeit (geplanter) untertägiger Arbeitsplatzwechsel. Der vorliegende Beitrag verfolgt in diesem Kontext zwei Anliegen:
Erstens sollen Lösungsverfahren für eine im Handel, aber auch verschiedenen anderen Branchen (z.B. Logistikdienstleister, Call Center) relevante, komplexe Fragestellung der Personalplanung entwickelt werden, die eine deutliche Steigerung der Personalproduktivität ermöglichen. Diese Lösungsansätze müssen den Anforderungen hochflexibler Personaleinsatzplanung in der Weise gerecht werden, dass untertägige Arbeitsplatzwechsel einbezogen sind und auf starre Schichtmodelle verzichtet wird, ohne die von der Planung betroffenen Mitarbeitenden unangemessen zu belasten.
440
Volker Nissen und Maik Günther Zweitens sollen die vorgeschlagenen Heuristiken empirisch verglichen werden, wobei ein besonderer Fokus auf den bereits von Newell (1969) vorgeschlagenen Kriterien der Allgemeinheit einerseits und Leistungsfähigkeit andererseits liegt.
Der Grad an Allgemeinheit einer Heuristik bringt zum Ausdruck, auf wie viele verschiedene Problemstellungen sie anwendbar ist. Die Leistungsfähigkeit einer Heuristik lässt sich insbesondere entlang von drei Dimensionen messen: (1) Lösungswahrscheinlichkeit (definiert als Wahrscheinlichkeit, mit der die Heuristik eine Lösung von bestimmter Mindestqualität findet), (2) Lösungsqualität (definiert als Abweichung des Ergebnisses von einem Referenzwert) sowie (3) Ressourcenverbrauch (definiert als der notwendige Faktoreinsatz, um eine bestimmte Lösungsqualität und Lösungswahrscheinlichkeit zu erzielen). Generell wird ein inverser Zusammenhang von Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit einer Heuristik unterstellt (Newell 1969). Der in zahlreichen Publikationen des Operations Research dokumentierte Erfolg von Metaheuristiken, die nach Newell als „schwache Lösungsmethoden“ einzustufen sind, bei der Lösung auch sehr komplexer Problemstellungen liefert jedoch einen guten Anlass, den Zusammenhang von Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit am vorliegenden Anwendungsproblem noch einmal neu zu betrachten. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die einzelnen Phasen der Personalplanung kurz erläutert und aufgezeigt, welche Vorteile in der Integration mehrerer Planungsschritte liegen. Danach gehen wir auf starre Schichtmodelle und die Vorteile einer deutlich größeren Anzahl an Arbeitszeitmodellen für die bedarfsgerechte Personalplanung ein. Auch eine besonders flexible Form, die automatische Generierung von Arbeitszeitmodellen, wird betrachtet, da sie für den von uns betrachteten Anwendungskontext an Bedeutung gewinnt. In Abschnitt 4 erfolgt dann die formale Beschreibung der konkret untersuchten Problemstellung aus dem Handel, an der diverse Lösungsverfahren getestet werden sollen. Diese Heuristiken werden danach zunächst vorgestellt, bevor in Abschnitt 7 die empirischen Ergebnisse der Anwendung auf den Beispielfall dargestellt und diskutiert werden. Die Arbeit schließt mit einem kurzen Fazit.
2.
Phasen im Workforce Management
Der nachfolgend geschilderte und in Abbildung 1 visualisierte Ablauf kann als typisch für das Workforce Management angesehen werden und ist so auch in vielen ITWerkzeugen zum WFM hinterlegt.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
Personalbedarfsermittlung
Arbeitszeitmodellerstellung
441
Personaleinsatzplanung
Arbeitszeitmanagement
Abbildung 1: Typische Phasen im Workforce Management Phase 1: Personalbedarfsermittlung In dieser ersten Phase wird ermittelt, wie viele Mitarbeitende wann mit welcher Qualifikation auf welchem Arbeitsplatz bzw. in welcher Funktion benötigt werden. Für eine effiziente Personaleinsatzplanung ist es notwendig, den Personalbedarf möglichst exakt zu bestimmen. Fehler in dieser Phase können nach einer Studie von Miebach Consulting im Durchschnitt bis zu 15 Prozent höhere Personalkosten ausmachen (Miebach 2008, S. 4). In der Praxis werden je nach Planungshorizont verschiedene Verfahren eingesetzt, wobei in der kurzfristigen Bedarfsermittlung die einfache Schätzung dominiert (Miebach 2008, S. 14f.). Phase 2: Arbeitszeitmodellerstellung Ausgehend vom Personalbedarf werden Arbeitszeitmodelle erstellt, die den Personalbedarf möglichst gut abdecken. Gesetzliche und tarifliche Regelungen müssen Berücksichtigung finden. Der Aufwand für die Erstellung ist meist recht groß. Gewöhnlich werden Arbeitszeitmodelle daher nur selten geändert und für spätere Planungen weiterverwendet. Phase 3: Personaleinsatzplanung Hier findet die eigentliche Planerstellung statt, das heißt, es wird bestimmt, welche Mitarbeitende wann an welchen Arbeitsplätzen tätig sind. Der Planungshorizont kann dabei unterschiedlich groß sein. Auch der Zeitpunkt, zu dem ein neuer Plan für die Mitarbeitenden einsehbar ist, kann variieren. Bei der Planung werden Rahmenbedingungen berücksichtigt, wie etwa Qualifikationen, Mitarbeiterwünsche, Abwesenheiten, Zeitkontosalden und gesetzliche oder tarifliche Regelungen. Phase 4: Arbeitszeitmanagement In dieser Phase werden zum Beispiel die Saldenstände der Mitarbeitenden aufgrund ihrer Arbeitszeiten bestimmt. Abwesenheiten werden geplant und überwacht. Zudem werden alle Daten ermittelt, die für die Abrechnung an das Lohn- und Gehaltssystem zu übergeben sind oder die für Auswertungen benötigt werden.
442
Volker Nissen und Maik Günther
Üblicherweise werden die genannten Phasen sequenziell durchlaufen, wobei Phase 4 auch parallel zu den übrigen Phasen angeordnet sein kann. Jedoch erscheint die planerische Integration mehrerer Phasen zweckmäßig. In Call Centern sollte beispielsweise der Personalbedarf nicht losgelöst von der Personaleinsatzplanung betrachtet werden. Denn wenn der Servicelevel aufgrund einer zu geringen Besetzung schlecht ist, rufen einige Kunden in den Folgeperioden erneut an, was wiederum den Personalbedarf beeinflusst. Diese Zusammenhänge lassen sich nur in einem integrierten Planungsvorgehen oder wenigstens in einer zyklischen Planoptimierung lösen. Von besonderem Interesse ist die Integration der Phasen 2 und 3, weil durch die gemeinsame Festlegung von Arbeitszeitmodellen und Personaleinsatzplänen die Flexibilität der Personalplanung erheblich steigt und eine sehr präzise Abstimmung des Personalangebots auf die Nachfrage möglich wird. Diesen Ansatz findet man teilweise bereits im Handel. Lösungsverfahren für diese Planungsproblematik werden im vorliegenden Beitrag dargestellt und evaluiert. Noch vorteilhafter wäre die Integration der Phasen 1 bis 3 in einem gemeinsamen Planungsschritt. Dies setzt jedoch voraus, dass die Personalnachfrage nicht vollständig extern determiniert ist, was beispielsweise der Fall wäre, wenn einzelne Aufträge in gewissem Umfang zwischen verschiedenen Zeitfenstern hin und her verschoben werden können.
3.
Automatische Arbeitszeitmodellerstellung
Ein oft ungenutzter Hebel zur Steigerung der WFM-Agilität liegt in den meist sehr starren Schichtmodellen. In Abbildung 2 wird dieser Zusammenhang an konkreten Daten eines 3-Schicht-Betriebs veranschaulicht. Der Personalbedarf schwankt während der Woche sehr stark. Es gelingt mit den drei zur Verfügung stehenden Schichten jedoch nicht, Über- und Unterdeckungen im Personaleinsatz zu vermeiden. Überdeckungen führen zu Leerzeiten. Auf der anderen Seite müssen Unterdeckungen durch Überstunden oder durch den Einsatz von Leiharbeitskräften teuer ausgeglichen werden. Eventuell drohen sogar Umsatzeinbußen.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
443
Abbildung 2: Starrer Personaleinsatz (3 Schichten) bei schwankendem Personalbedarf Dieser Problematik kann mit der Einführung weiterer Arbeitszeitmodelle begegnet werden. Abbildung 3 zeigt deutlich, wie der Personaleinsatz bedarfsorientiert gestaltet wird. Durch die bessere Ausnutzung der Normalarbeitszeit aller Mitarbeitenden können Überund Unterdeckungen bei gleicher Anzahl Mitarbeitender und gleicher Arbeitsleistung drastisch reduziert werden. Dadurch werden folgende Effekte ermöglicht:
Kostensenkung durch bessere Ausnutzung der Normalarbeitszeit Reduzierung von Leerzeiten Verminderter Einsatz von geringfügig Beschäftigten bei Belastungsspitzen Steigerung der Mitarbeitermotivation Umsatzsteigerung durch ein erhöhtes Serviceniveau
Abbildung 3: Flexibler Personaleinsatz (automatische Arbeitszeitmodellerstellung) bei schwankendem Personalbedarf
444
Volker Nissen und Maik Günther
Mit einer Erhöhung der Anzahl möglicher Arbeitszeitmodelle kann selbst ein kurzfristig schwankender Personalbedarf kostengünstig abgedeckt werden. Selbstverständlich bedeutet diese Erhöhung einen Mehraufwand für die Erstellung und Pflege der Arbeitszeitmodelle. Manuell oder mittels einer Tabellenkalkulation ist dies nicht praktikabel, sondern leistungsfähige Planungssoftware ist notwendig. Besonders interessant ist eine automatische Erzeugung von Arbeitszeitmodellen direkt in der Einsatzplanerstellung, sodass keine starren Schichten mehr existieren. Der Planer gibt lediglich einige Regeln für die bedarfsgerechte Erstellung von Arbeitszeitmodellen an. Das sind u.a. die minimale und maximale Dauer der Arbeitszeitmodelle sowie die Grenzen für deren Beginn und Ende. Bei der automatischen Erstellung des Einsatzplanes werden dann individuelle Arbeitszeitmodelle für jeden Mitarbeitenden generiert. Diese Arbeitszeitmodelle sind so gestaltet, dass sie den Personalbedarf bestmöglich abdecken. Selbstverständlich können bei der automatischen Planung neben den Regeln für die Arbeitszeitmodellerstellung zum Beispiel auch Verfügbarkeiten, Mitarbeiterwünsche, Qualifikationen, Zeitsalden und Personalkosten berücksichtigt werden. Der harte Wettbewerb im Handel macht diese Form der Personalplanung zu einer akzeptablen und in manchen Fällen bereits eingesetzten Praktik. Sie ist auch in ähnlich gelagerten Branchen, beispielsweise bei Logistikdienstleistern sowie in Call Centern, eine interessante Option. Um den Nutzen greifbarer zu machen, werden die durch eine automatische Arbeitszeitmodellerstellung entstehenden Effekte nachfolgend an einem Praxisbeispiel erläutert. In einem Unternehmen wird zwischen 6 und 19 Uhr gearbeitet. Zur Planung der 480 Mitarbeitenden stehen fünf verschiedene Arbeitszeitmodelle zur Verfügung, womit man bereits recht flexibel ist. Das Arbeitsvolumen unterliegt konjunkturellen sowie saisonalen Schwankungen. Zudem treten häufig starke untertägige Sprünge im Personalbedarf auf. Das anstehende Arbeitsvolumen wird nicht immer während der Normalarbeitszeit der Mitarbeitenden bewältigt. Häufig müssen Überstunden geleistet werden. Auch Leerzeiten sind ein Problem, die meist mit „Alibi-Tätigkeiten“ gefüllt werden. In Abbildung 4 werden die Effekte einer Erhöhung der Anzahl von Arbeitszeitmodellen bis hin zur automatischen Arbeitszeitmodellerstellung veranschaulicht. Die Berechnungen wurden an einem kompletten Kalenderjahr vorgenommen und der Fokus der Optimierung lag jeweils auf der Reduzierung der Über- und Unterdeckung im Personaleinsatz. Eine stärkere Berücksichtigung von Verfügbarkeiten und Qualifikationen dürfte zu anderen Ergebnissen führen – gerade in Bezug auf die bedarfsgerechte Einsatzplanung. Die wesentliche Tendenz im Ergebnis bleibt jedoch auch dann erhalten. Alle Arbeitszeitmodelle dürfen nur im Zeitraum von 6 bis 19 Uhr beginnen bzw. enden. Tendenziell werden Arbeitszeitmodelle mit einer Länge von 7,5 Stunden erstellt. Zur optimalen Bedarfsdeckung wurden jedoch auch Arbeitszeitmodelle mit einer minimalen Länge von 3 Stunden bis hin zu einer maximalen Länge von 9 Stunden zugelassen.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
445
Überdeckung im Personaleinsatz (in h/Jahr)
Unterdeckung im Personaleinsatz (in h/Jahr)
Summe (in h/Jahr)
5 verschiedene Arbeitszeitmodelle
26.094
528
26.622
6 verschiedene Arbeitszeitmodelle
16.488
4.734
21.222
15 verschiedene Arbeitszeitmodelle
3.426
438
3.864
Automatische Arbeitszeitmodelle
0
0
0
Arbeitszeitmodelle
Abbildung 4: Gegenüberstellung der Effekte unterschiedlich vieler Arbeitszeitmodelle auf Fehlallokationen von Personal für den geschilderten Beispielfall Man erkennt in Abbildung 4, dass Fehlallokationen im Personaleinsatz bei einer Erhöhung der Anzahl Arbeitszeitmodelle insgesamt abnehmen. Der schwankende Personalbedarf kann viel besser abgedeckt werden. Prinzipiell ließen sich unter den bestehenden Restriktionen maximal 62 verschiedene Arbeitszeitmodelle bilden. Deren Erstellung, Verwaltung oder spätere Anpassung wäre jedoch äußerst zeitraubend und fehlerbehaftet. Diese Problematik umgeht man mit der automatischen Arbeitszeitmodellerstellung. Mit ihr lassen sich außerdem im geschilderten Fall Über- und Unterdeckungen sogar auf null reduzieren.
4.
Beschreibung der konkret untersuchten Problemstellung
Nachfolgend wird nun die aus dem Handel stammende Problemstellung beschrieben, an der anschließend verschiedene Lösungsverfahren für die integrierte Erstellung von Arbeitszeitmodellen und Einsatzplänen getestet werden sollen. Für Echtdaten und Benchmarkwerte wird auf (URL 2010) verwiesen. In einer Abteilung für Damenbekleidung eines Kaufhauses arbeitet eine Menge von 15 Mitarbeitenden ܧൌ ሼͳǡ ǥ ͳͷሽ an zwei Arbeitsplätzen ܹ ൌ ሼͳǡʹሽ. Wir gehen von einem diskreten Zeitraster T aus mit Index t = 0, …, T-1. Jede Periode dieses Zeitrasters hat eine Länge lt größer Null. (1)
lt ! 0 t T
446
Volker Nissen und Maik Günther
Die Zuordnung jeweils eines der Mitarbeitenden an einen der beiden Arbeitsplätze wird durch eine binäre Variable xewt modelliert. Es gilt (2) xewt = 1 , wenn Mitarbeitender e dem Arbeitsplatz w in Periode t zugeordnet ist, xewt = 0 , sonst. Das Kaufhaus hat von Montag bis Sonnabend von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Sonntags und an Feiertagen ist das Kaufhaus geschlossen. Weiterhin ist im Vorfeld bekannt, welcher Mitarbeitende wann Urlaub hat oder auf Fortbildung ist. Somit stehen die Verfügbarkeiten der Mitarbeitenden fest und werden mit der binären Variable aet festgelegt. (3) aet = 1 , wenn Mitarbeitende w in Periode t verfügbar ist, aet = 0 , sonst. Mitarbeitende werden auf die Arbeitsplätze „Kasse“ und „Verkauf“ verplant, wobei die Mitarbeitenden so geschult sind, dass sie an beiden Stationen arbeiten können. Qualifikationen werden bei der Planung daher nicht berücksichtigt. Die Definition der Arbeitsplätze ist recht weit gefasst, sodass Nebentätigkeiten, wie Refill, Switchen oder Umbau im Personalbedarf der beiden Arbeitsplätze integriert sind. Der Personalbedarf dwt ist für beide Arbeitsplätze in 1-Stunden-Intervallen gegeben. Er wurde für jeden Arbeitsplatz anhand von Vergangenheitsdaten ermittelt. Je Zeitintervall wurden Umsatzdaten und Anzahl Kassenbons für den Kassenarbeitsplatz sowie Umsatzdaten und Anzahl Kunden für den Verkaufsarbeitsplatz verwendet. Auch Feiertage, Brückentage sowie Werbeaktionen fanden bei der Bedarfsermittlung Berücksichtigung. Eine Minimal- und Maximalbesetzung je Arbeitsplatz und Zeitintervall begrenzen die Ergebnisse der Personalbedarfsermittlung. Der Personalbedarf an Mitarbeitenden pro Arbeitsplatz und Periode ist weit im Voraus bekannt und darf nicht negativ sein. (4)
d wt t 0 w W and t 7
Derzeit werden alle 15 Mitarbeitende mit MS EXCELTM verplant. Der zuständige Manager ist mit der Einsatzplanung überlastet. Eine Vielzahl unterschiedlichster Faktoren müssen berücksichtigt werden, wie Abbildung 5 verdeutlicht. Besonders die starken Schwankungen im Personalbedarf lassen eine bedarfsorientierte Personaleinsatzplanung mit dem aktuellen Vorgehen nicht zu.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
447
Vorschriften
Gespräche
Software
• Gesetze • Betriebsvereinbarungen • Sonstige Vorschriften
• Mitarbeiterwünsche • Commitment • Weiche Faktoren
• Lohn & Gehalt • Warenwirtschaft • BI/Reporting
Listen/Dateien • Personalbedarf • Personaleinsatzplan • Verfügbarkeiten
Erfahrung PLANER
• Nicht dokumentierte Abläufe, Regelungen, Rahmenbedingungen
Zeitwirtschaft
Organisation
Events
• Zeitkonten • Arbeitszeitmodelle • Urlaub
• Prozesse • Verantwortlichkeiten • Ein-/Austritte
• Werbeaktionen • Wetter • Umbauten
Abbildung 5: Einflussfaktoren der Einsatzplanerstellung im Personalbereich Um das geschilderte Problem abzustellen, soll eine Einsatzplanung mit automatisch erstellten Arbeitszeitmodellen vollzogen werden, bei der simultan die Zuordnung von Mitarbeitenden zu Arbeitsplätzen stattfindet. Der Planer gibt hierzu lediglich die minimal und maximal zulässige Länge der Arbeitszeiten an sowie die weiteren Restriktionen. In der Planung werden dann Arbeitszeitmodelle generiert, die den Bedarf möglichst gut abdecken. Dabei werden auch Öffnungszeiten sowie die Verfügbarkeiten der Mitarbeitenden und deren wöchentliche Sollarbeitszeit berücksichtigt. Aufgrund von Bedarfsschwankungen sind dabei untertägige Arbeitsplatzwechsel zulässig. Zu den harten Nebenbedingungen gehört, dass Arbeitsplatzwechsel oder der Beginn bzw. das Ende eines Arbeitszeitmodells nur jeweils zur vollen Stunde stattfinden dürfen. Ein Mitarbeitender kann in einer Periode t nur dann einem Arbeitsplatz w zugeordnet werden, wenn er auch tatsächlich verfügbar ist. Er kann zu jedem Zeitpunkt auch immer nur einem Arbeitsplatz zugewiesen werden. W
(5)
¦x
ewt
d aet
e ( and t 7
w 1
Außer diesen harten Nebenbedingungen sind auch weiche Nebenbedingungen in der Planung einzuhalten, bei deren Verletzung Fehlerpunkte auftreten. Über ihre Höhe findet
448
Volker Nissen und Maik Günther
eine Gewichtung der Restriktionen statt. Die Ermittlung der relativen Gewichtungen ist in der Praxis ein iterativer Prozess, der hier nicht näher dargestellt werden soll. Die im vorliegenden Fall verwendeten Fehlerpunkte entstammen Interviews mit dem Management und reflektieren die Bedürfnisse des betreffenden Unternehmens. Im Handel ist die Sicherstellung eines hohen Servicegrades mit Blick auf die Umsatzziele von besonderer Wichtigkeit. Daher sollen bei der Planerstellung Besetzungsabweichungen möglichst vermieden werden. Sobald eine Abweichung von der Besetzungsvorgabe dwt auftritt, entstehen Fehlerpunkte Pd für die Dauer und Höhe der Fehlbesetzung entsprechend der Fehlerpunkthöhe. Dabei werden verschiedene Fehlertypen unterschieden: cdo bei Überdeckung, wenn der Bedarf dwt > 0 ist, cdn bei Überdeckung, wenn der Bedarf dwt = 0 ist sowie cdu bei einer Unterdeckung. Durch relativ höhere Fehlerpunkte bei Überdeckung ohne Bedarf (cdn) wird dieser besonders unerwünschte Fall tendenziell vermieden. (6)
Pd
§ · ¦ ¦ cdn cdo cdu lt ¨ ¦ xewt ¸ d wt , 7 1
W
t 0
w 1
E
©e
1
¹
mit : cdo 1 wenn w in Periode t überbesetzt ist und d wt ! 0, sonst cdo
0
cdn
2 wenn w in Periode t überbesetzt ist und d wt
0, sonst cdn
0
cdu
1 wenn w in Periode t unterbesetzt ist und d wt ! 0, sonst cdu
0
Insgesamt existieren sechs verschiedene Arbeitsverträge, die sich in der zu leistenden Sollarbeitszeit se von 10 bis 40 Stunden einer normalen Arbeitswoche unterscheiden. Es werden dabei Vollzeit- und Teilzeitmitarbeitende sowie studentische Aushilfen differenziert. In Wochen mit Feiertagen wird die wöchentliche Sollarbeitszeit um einen Faktor h reduziert. Ist z.B. der Montag ein arbeitsfreier Tag, so ist h = 5/6. Die tatsächlich in einer Woche von einem Mitarbeitenden geleistete Arbeitszeit ie sollte nicht über der vertraglich fixierten wöchentlichen Sollarbeitszeit se liegen. Jede zu viel geleistete Minute wird mit cw Fehlerpunkten geahndet. 52
(7) w
E
¦ ¦ c i w
e
se h , mit cw
0 wenn se h ie t 0, cw
1 sonst
Woche 1 e 1
Ein besonderes Augenmerk liegt auf den automatisch erstellten Arbeitszeitmodellen. Die tägliche Arbeitszeit eines Mitarbeitendens soll nicht kürzer als drei Stunden und nicht länger als neun Stunden sein. Bei einem Verstoß gegen diese Regelungen fallen je Mitarbeitender und Tag jeweils ct = 1.000 Fehlerpunkte an. Die Summe dieser Fehlerpunkte für den Planungszeitraum ist Pt. Zudem dürfen Arbeitszeitmodelle am Tag nicht unterbrochen sein. Jeder Verstoß führt je Mitarbeitender und Tag zu cc = 10.000 Fehlerpunkten. Die Summe aller Fehlerpunkte durch unterbrochene Arbeitszeitmodelle wird mit Pc bezeichnet.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
449
Für eine optimale Bedarfsdeckung sind untertägige Arbeitsplatzwechsel zwar nötig, jedoch sollen unnötige Wechsel vermieden werden. Die Anzahl der Arbeitsplatzwechsel pro Mitarbeitender wird mit re bezeichnet. Jeder Arbeitsplatzwechsel wird mit cr = 1 Fehlerpunkten bestraft – die Summe ist Pr. E
(8) Pr
cr
¦r
e
e 1
Insgesamt gilt es daher, folgende Zielfunktion zu minimieren: (9) min P
Pd Pw Pt Pc Pr
Für die geschilderte Problemstellung liegen historische Daten für ein komplettes Kalenderjahr vor. Die Einsatzplanung kann daher unter Verwendung verschiedener Heuristiken für ein ganzes Kalenderjahr erfolgen. Im operativen Einsatz würde man hier kürzere Zeitintervalle (Monate oder Wochen) planen. Allerdings ermöglicht eine Jahresplanung dem Unternehmen auf einer eher strategischen Ebene zu erkennen, wie gut der erwartete Personalbedarf mit dem aktuellen Personal in mengenmäßiger und struktureller Hinsicht abgedeckt werden kann. Nachfolgend werden die wesentlichen Aspekte des praktischen Anwendungsfalles kurz zusammengefasst:
15 Mitarbeitende 2 Arbeitsstationen 8.760 Perioden (von je 1 h Dauer) Insgesamt 131.400 Entscheidungsvariablen
Das Problem ist nichtlinear in der Zielfunktion und kann mit klassischen (exakten) Optimierungsansätzen nicht gelöst werden, weshalb Heuristiken zum Einsatz kommen. Hierzu ist die Problemstellung zunächst geeignet zu repräsentieren. Dies geschieht nach dem Muster von Meisels und Schaerf (2003) als zweidimensionale Matrix (Abbildung 6). Die Zeilen stehen für die Mitarbeitenden und die Spalten für die Perioden. Die Werte in den Zellen bedeuten: 0: 1: 2: 3:
Geschäft hat nicht geöffnet oder Mitarbeitender ist nicht verfügbar (Urlaub, Schulung, Krankheit) Mitarbeitender ist dem Arbeitsplatz 1 zugewiesen Mitarbeitender ist dem Arbeitsplatz 2 zugewiesen Mitarbeitender wäre zwar verfügbar, wird aber nicht eingeplant („Dummy-Arbeitsplatz“)
450
Volker Nissen und Maik Günther
Mitarbeitender
Periode 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1 0
3
3
1
1
1
2
2
2
0
2 0
1
2
2
2
2
3
3
3
0
3 0
3
3
3
3
3
3
3
3
0
4 0
2
2
2
3
3
3
3
3
0
5 0
3
3
3
3
1
1
1
3
0
6 0
3
1
1
1
1
1
3
3
0
…
…
Abbildung 6: Problemrepräsentation als zweidimensionale Matrix
5.
Verwandte Forschungsarbeiten
Personaleinsatzplanungsprobleme sind ein intensiv beforschtes Themengebiet und bieten oft harte Optimierungsprobleme, die sich einer exakten Lösung entziehen und stattdessen einen heuristischen Ansatz erfordern (Garey/Johnson 1979; Tien/Kamiyama 1982; Kragelund/Kabel 1998). Ernst et al. (2002) geben einen umfangreichen Überblick über Problemstellungen und Lösungsverfahren zum Thema aus mehr als 700 untersuchten Arbeiten zwischen 1954 und 2004. Unsere oben beschriebene Problemstellung kann in den von Ernst et al. aufgestellten Kategorien den Bereichen „Task Assignment“, „Shift Scheduling“ und „Flexible Demand“ zugeordnet werden. Sauer und Schumann (2007) stellen ein konstruierendes Verfahren für ein ähnliches Personaleinsatzplanungsproblem im Handel vor. Es wurde im Rahmen eines kommerziellen Workforce Management Systems implementiert. Derzeit wird diese Software von zahlreichen Einzelhändlern erfolgreich eingesetzt. Der Personalbedarf steht in 15-MinutenSlots zur Verfügung und auch Arbeitszeitmodelle werden automatisch erstellt, wobei der Planungshorizont maximal eine Woche beträgt. Sauer und Schumann vollziehen die Planung für lediglich einen Arbeitsplatz unter Berücksichtigung von Öffnungszeiten, Feiertagen sowie Mitarbeiterverfügbarkeiten. Zudem ist es möglich, verschiedene Arbeitsverträge mit den entsprechenden Regelungen zur Arbeitszeit zu hinterlegen. Der Lösungsansatz basiert auf einem Greedy-Algorithmus, der die Integration von Expertenwissen erlaubt und schnell eine Lösung generiert. Prüm (2006) untersucht ein verwandtes Einsatzplanungsproblem aus dem Handel, bei dem gleichzeitig auch eine automatische Arbeitszeitmodellerstellung bei schwankenden Bedarfen in 1-Stunden-Intervallen stattfindet. Die Zuweisung von Mitarbeitenden erfolgt unter Berücksichtigung von Verfügbarkeiten, vertraglichen Regelungen sowie aufgrund
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
451
von Einschränkungen bei der minimalen und maximalen Dauer der täglichen Arbeitszeit. Prüm erprobt Simplex, Branch & Bound sowie ein hybrides Verfahren. Dabei wird die praktische Problemstellung jedoch stark vereinfacht, um exakten Lösungsverfahren zugänglich zu sein. So gibt es z.B. nur einen Arbeitsplatz und somit auch keine Arbeitsplatzwechsel. Eine aktuelle Publikation von Stolletz (2010) betrifft die Arbeitszeitmodellerstellung für das Bodenpersonal eines Flughafens. Der Planungshorizont der drei untersuchten Problemstellungen mit 13 bis 65 Mitarbeitenden beträgt 15 Tage, die in 30 MinutenIntervalle zerlegt sind. Zur Lösung nutzt Stolletz CPLEX. Auf einem PC mit 1,8 GHz und 2 GB RAM benötigt CPLEX je nach Problemstellung zwischen 23 und 900 Sekunden. Stolletz untersucht Problemstellungen ohne untertägige Arbeitsplatzwechsel, sodass es, wie bei den vorgenannten Arbeiten, nur um die Erstellung von flexiblen Arbeitszeitmodellen geht. Die Problemstellung im vorliegenden Beitrag ist deutlich umfangreicher und komplexer als die Fragestellungen von Prüm oder Sauer und Schumann. Prüm erstellt nur Pläne für einzelne Tage und im Höchstfall für eine Woche. Sauer und Schumann können im Maximum nur eine Woche planen. Zwar untersucht Stolletz recht umfangreich dimensionierte Problemstellungen. Diese sind jedoch immer auf exakt 15 Tage beschränkt. Im hier untersuchten Handelsproblem wird hingegen ein komplettes Jahr bzw. ein kompletter Monat herangezogen. Zudem ist die Komplexität durch die Berücksichtigung zweier Arbeitsplätze erheblich größer, da im Zuge der Einsatzplanung und automatischen Arbeitszeitmodellerstellung auch untertägige Arbeitsplatzwechsel zu erzeugen sind, deren Anzahl jedoch gleichzeitig minimiert werden soll. Prüm, Sauer und Schumann sowie Stolletz können lediglich einen Arbeitsplatz berücksichtigen. Weiterhin verwenden Prüm und Stolletz nur lineare Nebenbedingungen und Zielfunktionen.
6.
Lösungsansätze für die Problemstellung
Es folgt ein Überblick zu den Lösungsverfahren, die auf unsere Problemstellung angewendet wurden. Abschnitt 7 enthält dazu die Ergebnisse des empirischen Vergleiches.
6.1 Konstruierendes Verfahren („Agentenansatz“) Konstruierende Verfahren wurden als Lösungsverfahren in 133 der von Ernst et al. (2002) untersuchten Arbeiten zur Personaleinsatzplanung verwendet. Aufgrund seiner Bedeutung soll dieser Ansatz auch im vorliegenden Fall als Grundlage für die Entwicklung von Lösungsverfahren dienen. Dabei wird auf einige Konzepte aus der Literatur zu künstlichen Software-Agenten Bezug genommen. Diese „Agenten“ repräsentieren im
452
Volker Nissen und Maik Günther
vorliegenden Lösungsansatz unterschiedliche Ressourcen im Kontext der Personalplanung, die untereinander in Wechselwirkung treten, um so schließlich einen Plan zu konstruieren. Puppe et al. (2000) hatten zwei auf Multiagenten-Systemen beruhende Ansätze für das Scheduling in Krankenhäusern vorgeschlagen, wobei zwischen einem ressourcenorientierten und einem patientenorientierten Blickwinkel unterschieden wird. Auch Krempels (2002) erstellt Personaleinsatzpläne mittels Agenten, wobei der Ablauf in mehrere Phasen unterteilt ist. Zunächst werden die Präferenzen der Mitarbeitenden in der Planung ignoriert und erst später, im Rahmen einer Planverbesserung, einbezogen. Konflikte werden dabei durch direkte Verhandlungen zwischen Agenten, die Mitarbeitenden repräsentieren, aufgelöst. De Causmaecker et al. (2003) empfehlen, während solcher Verhandlungsphasen nur absolut notwendige Informationen auszutauschen und die Verhandlungsdauer zu begrenzen. Zwei neuere agentenbasierte Scheduling-Ansätze finden sich beispielsweise in Abbink et al. (2009) und Wauters et al. (2009). 1
Service-Agent
Service-Agent
5
2 4
8 Scheduling-Agent 1
Staff-Agent 1
Scheduling-Agent 2
Staff-Agent 2
3 0
Staff-Agent n 6 Wissensspeicher Verhandlung 7
Abbildung 7: Ablauf unseres konstruierenden Verfahrens mit „Agenten“ Nachfolgend wird der in Abbildung 7 visualisierte Ablauf unseres konstruierenden Lösungsverfahrens erläutert, das im Ergebnis einen Einsatzplan erzeugt:
Zunächst werden die Eigenschaften der existierenden Ressourcen, die aktuellen Anforderungen und die Rahmenbedingungen der Problemstellung im Wissensspeicher abgelegt (0). Hierzu gehören An-/Abwesenheiten der Mitarbeitenden, Öffnungszeiten, Feiertage, minimale und maximale Längen der Arbeitszeitmodelle, Fehlerpunkthöhen für den Verstoß gegen Restriktionen, Länge der Planungsintervalle, Personalbedarfe je Zeitintervall, usw.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
453
Die Informationen des Wissensspeichers werden an die zwei „Service-Agenten“ (2) und (5) geliefert (1). Zudem erfolgen Rückmeldungen von den beiden Agenten an den Wissensspeicher. Zu Beginn der Planung initialisiert Service-Agent (2) den Einsatzplan, indem alle Mitarbeitenden auf einen Dummy-Arbeitsplatz geplant werden. Dieser kennzeichnet, dass der jeweilige Mitarbeitende noch keinem reellen Arbeitsplatz zugeordnet wurde und daher nicht eingeplant ist. Die Zuweisung auf den Dummy-Arbeitsplatz erfolgt nur, wenn der Mitarbeitende auch verfügbar ist und das Geschäft geöffnet hat. Anschließend entscheidet Service-Agent (2) zufällig, welcher der beiden realen Arbeitsplätze im nächsten Schritt beginnen darf und daher die höhere Priorität erhält. Entsprechend der Priorität werden nacheinander zwei Scheduling-Agenten (3) vom Service-Agenten (2) initialisiert. Jeder Scheduling-Agent (3) entspricht einem der beiden Arbeitsplätze. Der Scheduling-Agent mit der höchsten Priorität beginnt und plant Mitarbeitende ein, die anwesend sind und noch nicht verplant wurden. Dabei sollen Über- und Unterdeckungen minimiert werden, soweit dies möglich ist. Das Planungsergebnis wird dem Service-Agenten (2) mitgeteilt (4), der wiederum die Rückmeldung über den Plan an den Wissensspeicher gibt (1). Anschließend startet der Service-Agent (2) den zweiten Scheduling-Agenten (3), der nun ebenfalls versucht, den Personalbedarf bestmöglich zu decken. Dabei darf er nicht auf bereits verplante Mitarbeitende zugreifen. Die bisherige Einsatzplanung ist aus der Unternehmenssicht erfolgt: Einhaltung der harten Nebenbedingungen und ein möglichst passgenauer Personaleinsatz. Dies geschah unter Vernachlässigung der Mitarbeiterbelange, also möglichst weniger Arbeitsplatzwechsel je Mitarbeitendem und Einhaltung aller Regelungen für die Arbeitszeitmodelle. Zwar ist der Plan aus Unternehmenssicht sehr gut, aus Mitarbeitersicht ist er aber nicht akzeptabel, zumal gegen diverse Regelungen der Betriebsvereinbarung verstoßen wird. Daher ruft Service-Agent (2) nach Erstellung des Einsatzplans den Service-Agenten (5) auf, um die Mitarbeiterbelange in der Planung zu berücksichtigen. Service-Agent (5) ist ebenfalls mit dem Wissensspeicher verbunden (1). Service-Agent (5) untersucht jedes Zeitintervall des Einsatzplans und prüft für jeden Mitarbeitenden, ob ein Arbeitsplatzwechsel, eine Besetzungsabweichung, ein Verstoß gegen die minimale bzw. maximale Länge der Arbeitszeiten vorliegt oder ob einem Mitarbeitenden mehr als ein Arbeitszeitmodell pro Tag zugewiesen ist. Trifft dies zu, so werden für die entsprechenden Zeitintervalle alle Mitarbeitenden identifiziert, die für eine Verhandlung in Frage kommen. Ein Mitarbeitender kommt dann für die Verhandlung in Frage, wenn er in den relevanten Zeitintervallen anwesend ist. Service-Agent (5) erzeugt für die relevanten Mitarbeitenden je einen StaffAgenten (6). Im Gegensatz zu den Scheduling-Agenten (3) existieren die StaffAgenten (6) zeitlich parallel.
454
Volker Nissen und Maik Günther Die Staff-Agenten (6) verhandeln nun über einen Tausch der Arbeitsplatzzuweisung (7) in einem oder in mehreren Zeitintervallen. Der Dummy-Arbeitsplatz, bei dem ein Mitarbeitender zwar verfügbar aber nicht eingeplant ist, bildet ebenfalls eine Tauschoption. Die Verhandlung läuft so ab: Der Staff-Agent, bei dem der ServiceAgent (5) einen Fehler gefunden hatte, fragt nacheinander bei allen anderen StaffAgenten an, ob sie tauschen wollen. Der Staff-Agent, bei dem aktuell die Anfrage liegt und der fehlerhafte Staff-Agent kennen jeweils ihre aktuellen Arbeitsplatzzuweisungen für die in Frage kommenden Zeitintervalle und die Zuweisungen der angrenzenden Zeitintervalle. Sie tauschen daher lediglich Informationen zu ihren Arbeitsplatzzuweisungen im in Frage kommenden Zeitraum aus und können so ohne Berechnung der Zielfunktion entscheiden, ob ein Tausch zu weniger Fehlerpunkten führen würde. Wenn dem so ist, stimmen sie dem Tausch zu und teilen dies dem Service-Agenten (5) mit (8), woraufhin der Tausch vollzogen und alle StaffAgenten gelöscht werden. Andernfalls verhandelt der fehlerhafte Staff-Agent mit dem nächsten Staff-Agenten, bis alle abgefragt wurden. Als Ergebnis findet demnach entweder ein Tausch zwischen zwei der Staff-Agenten statt oder es findet kein Tausch statt, wenn sich das Planungsergebnis nicht verbessern würde. Neben der Verhandlung (7) zwischen den Staff-Agenten (6) erfolgt in (7) auch eine Verhandlung zwischen einem Staff-Agenten und dem Service-Agenten (5). Ziel dieser Verhandlung ist es zum Beispiel, die Länge von Arbeitszeitmodellen zu variieren. Da dies Auswirkungen auf die Über- und Unterdeckung im Personaleinsatz hat, muss der Staff-Agent (6) hierzu mit dem Service-Agenten (5) verhandeln (7). Derartige Verhandlungen finden auch statt, um erzeugte Besetzungsabweichungen zu korrigieren. Der Service-Agent (5) wiederholt die drei zuvor genannten Schritte so lange, bis keine Verbesserung eintritt. Den Einsatzplan meldet er schließlich an den Wissensspeicher (1).
6.2 Konstruierendes Verfahren (kommerziell) Als Benchmark für unsere eigenen Lösungsverfahren wird im Folgenden eine kommerzielle WFM-Software verwendet. Der Name darf hier aus rechtlichen Gründen nicht genannt werden. Darin ist eine adäquate konstruierende Heuristik enthalten, die das gegebene Planungsproblem lösen kann. Über dessen Funktionalität besteht im Detail leider keine Kenntnis, sodass sie als Black Box angesehen werden muss. Bekannt ist aber, dass der Lösungsansatz, mit unterschiedlicher Parametrierung, auf verschiedene Optimierungsprobleme der Personalplanung anwendbar ist. Er ist daher als domänenspezifisch, jedoch nicht als problemspezifisch zu betrachten. Alle Restriktionen unseres Anwendungsproblems werden unterstützt und die entsprechenden Fehlerpunkte können in die Software eingegeben werden. Die Lösungen sind also mit denen der anderen Heuristiken vergleichbar. Auch untertägige Arbeitsplatzwechsel sind möglich.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
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Die genannte WFM-Software ist kommerziell erfolgreich und bei etwa 300 Unternehmen im praktischen Einsatz. Unsere Implementierung des Verfahrens wurde seitens des betreffenden Softwareanbieters unterstützt, sodass Handhabungsfehler der Planungssoftware ausgeschlossen sind.
6.3 Lokale Suche (Multistart-Version) Das nachfolgend dargestellte lokale Suchverfahren wird in dem Vergleich von Lösungsmethoden als Beispiel einer generischen Heuristik aufgenommen. Es ist durch nur wenig domänenspezifisches Wissen gekennzeichnet. Die Ausgangslösung wird zufällig bestimmt. Jedem Mitarbeitenden wird für komplette Tage jeweils ein zufällig ermittelter Arbeitsplatz (inkl. des Dummy-Arbeitsplatzes) für die Zeit seiner Anwesenheit zugewiesen. In der lokalen Suche werden die Arbeitsplatzzuweisungen der Startlösung nacheinander systematisch verändert. Nach jeder Änderung wird der Zielfunktionswert berechnet und die Änderung akzeptiert, wenn sie die Lösungsqualität nicht verschlechtert. Die Veränderung der Arbeitsplatzzuweisung erfolgt für alle Perioden, in denen das Geschäft geöffnet hat und der betroffene Mitarbeitende verfügbar ist. Dieser Ablauf ist in Abbildung 8 als Pseudocode schematisch dargestellt. 01: Create a random initial solution and evaluate the solution 02: For i = 0 to number of periods 03: 04: 05: 06:
Ӎ 1
If period i is at the opening hours and the employee is available For j = 1 to number of workstations do Actual workstation = workstation in period i Change workstation in period i to j
07:
Evaluate new solution
08:
If f(new solution)
f(actual solution) then actual solution = new solution
09:
Else Change workstation in period i to actual workstation
10:
End if
11: 12:
Next j End if
13: Next i
Abbildung 8: Ablauf der lokalen Suche in Pseudocode Im dargestellten Pseudocode wird der Index i für die Periode und der Index j für den Arbeitsplatz je Schleifendurchlauf erhöht. Es ist ebenfalls möglich, die Indizes der zeitlichen Perioden oder des Arbeitsplatzes vom größten Wert beginnend rückwärts zu zäh-
456
Volker Nissen und Maik Günther
len. Aus den Kombinationsmöglichkeiten der Laufrichtungen beider Indizes ergeben sich insgesamt vier Durchläufe, die bei der hier verwendeten lokalen Suche nacheinander absolviert werden. Die lokale Suche bricht ab, wenn die maximale Anzahl an Zielfunktionsberechnungen (hier auf 400.000 festgelegt) erreicht ist. Solange das Abbruchkriterium nicht greift, beginnt die lokale Suche wieder von vorn mit einer anderen Startlösung (Multistart-Version).
6.4 Metaheuristik Evolutionsstrategie Die ursprünglich von Rechenberg und Schwefel (Bäck 1996; Beyer/Schwefel 2002) entwickelte Evolutionsstrategie (ES) gehört in die Klasse der Metaheuristiken, speziell der sogenannten „Evolutionären Algorithmen“, die eine Abstraktion der biologischen Evolution als Lösungsmuster nutzen. Sie ist in ihrer Standardform für reellwertige Parameteroptimierungsprobleme besonders geeignet. In der Literatur existieren jedoch auch Modifikationen für diskrete und kombinatorische Optimierung (z.B. Herdy 1990; Nissen 1994; Rudolph 1994; Bäck 1996; Schindler et al. 2002; Li et al. 2006; Nissen/Gold 2008). Die ES wird in unseren empirischen Vergleich mit einbezogen, da sie bei einer grob ähnlichen Problemstellung aus der Logistik sowohl in Reinform (Nissen/Günther 2009) als auch in Kombination mit einer problemspezifischen Reparaturheuristik (Günther/Nissen 2010b) gute Ergebnisse geliefert hatte. Im vorliegenden Fall liegt eine kombinatorische Fragestellung vor. Daher waren einige Anpassungen des Basisverfahrens notwendig, wodurch die grundlegenden Charakteristika der ES aber möglichst nicht verändert werden sollten. In Abbildung 9 ist der Ablauf in Pseudocode dargestellt. 01: Initialise the population with μ individuals 02: Evaluate the μ individuals 03: Loop 04:
Draw and recombine two parents to generate offspring
05:
Mutate the offspring
06:
Evaluate offspring
07:
Select new population ( (μ + )- or (μ , )-selection )
08: Until termination criterion 09: Output best solution of entire run
Abbildung 9: Ablauf der Evolutionsstrategie in Pseudocode Zunächst wird zufällig eine Menge von Ausgangslösungen erzeugt, welche jedoch die harten Nebenbedingungen der Problemstellung einhalten müssen. So ist z.B. bekannt, zu welchen Uhrzeiten das Geschäft geöffnet ist, wann Feiertage sind und wann Mitarbei-
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
457
tende Urlaub haben. Dieses problemspezifische Wissen wird für die Initialisierung der ES genutzt. Die so gefundenen initialen Lösungen unserer Problemstellung („Individuen“) werden dann im Hinblick auf die gegebene Zielfunktion bewertet, was deren Qualitätsunterschiede offenlegt. Innerhalb einer Wiederholungsschleife werden nun immer zwei Lösungen als „Eltern“ zufällig herausgegriffen. Durch deren Rekombination entsteht eine neue Lösung als Nachkomme („Kind“). Die Rekombination zweier Elternlösungen zur Erzeugung eines Kindes läuft nach folgendem Muster ab: Es wird gleichverteilt zufällig für alle Mitarbeitenden der gleiche „Crossover“-Punkt ausgewählt und die Bestandteile der Elternlösungen an dieser Stelle getauscht. Abbildung 10 visualisiert den Ablauf. Diese vergleichsweise simple Form der Rekombination zweier Eltern hatte sich in Vorexperimenten unter 10 getesteten Varianten als Erfolgreichste herausgestellt. Die nachfolgende Mutation des Kindes ist der wesentlichste Variationsoperator im Rahmen einer ES, um im Suchraum der Problemstellung gute Lösungen zu finden. In der Standard-ES findet diese Mutation mittels normalverteilter Zufallsvariablen statt, sodass, dem biologischen Vorbild entsprechend, kleine Veränderungen der Lösung häufiger auftreten als größere. In unserem Fall wird in der betrachteten Lösung (Matrix) ein Mitarbeitender gleichverteilt zufällig ausgewählt und für ein ebenfalls zufällig festgelegtes Zeitintervall die Zuordnung der Arbeitsstation verändert, wobei auch der DummyArbeitsplatz gewählt werden kann. Dabei müssen allerdings die harten Nebenbedingungen der Problemstellung unbedingt eingehalten werden. Die Anzahl solcherart für die Mutation ausgewählten Mitarbeitenden einer Lösung folgt dem positiven Ast einer (0;)Normalverteilung. Da nur eine ganzzahlige Menge von Zuordnungsänderungen möglich ist, wird der Wert außerdem gerundet. Die sogenannte Mutationsschrittweite wird, dem üblichen Ablauf (Beyer/Schwefel 2002) einer Standard-ES folgend, durch das Verfahren selbst mittels einer Log-normalverteilten Zufallsgröße und intermediärer Rekombination der elterlichen -Werte selbstadaptiv angepasst.
Abbildung 10: Verwendeter Rekombinationsoperator Nach der Bewertung der so entstandenen Nachkommen werden diese anhand der gegebenen Zielfunktion hinsichtlich ihrer Lösungsqualität bewertet. Anschließend werden die μ Mitglieder der neuen Population von Lösungen für den nächsten Generationszyklus ausgewählt. Dabei kommen alternativ eine sogenannte (μ+)-Strategie (PlusSelektion) oder eine (μ,)-Strategie (Komma-Selektion) in Betracht. Während der Plus-
458
Volker Nissen und Maik Günther
Selektion konkurrieren die μ Eltern des aktuellen Generationszyklus mit ihren Nachkommen darum, zu „überleben“ und damit zu Eltern im nächsten Generationszyklus zu werden. Bei der Komma-Selektion ist das Überleben der Eltern ausgeschlossen und die neue Population wird ausschließlich aus den Nachkommen gebildet. Sowohl die Plusals auch die Komma-Selektion sind elitär, das bedeutet, nur die nach ihrem Zielfunktionswert besten Lösungen überleben. Experimentelle Voruntersuchungen zeigten im vorliegenden Anwendungsfall schnell, dass die Plus-Selektion zu signifikant schlechteren Ergebnissen als die Komma-Selektion führt. Dadurch, dass die Komma-Selektion die Elternlösungen nach einem Generationszyklus wieder „vergisst“, ermöglicht sie, anders als die Plus-Strategie, temporäre Verschlechterungen der Lösungsqualität während der Suche im Lösungsraum. Dies ist in hochkomplexen Suchräumen hilfreich, um lokale Optima verlassen und so ultimativ bessere Lösungen finden zu können. In den Experimenten des Abschnitts 7 wird daher nur noch auf die Ergebnisse der Komma-Strategie eingegangen. Entsprechend den Empfehlungen in der Literatur (Bäck 1996; Beyer/ Schwefel 2002) wird das Verhältnis von μ/ in den praktischen Tests zwischen 1/5 und 1/7 gewählt. Der beschriebene Generationszyklus wird solange wiederholt, bis ein Abbruchkriterium greift. Im vorliegenden Fall wird das Verfahren nach 400.000 generierten Lösungsalternativen abgebrochen, was einen fairen Vergleich mit der lokalen Suche (voriger Abschnitt) erleichtert. Die beste während eines ES-Laufes gefundene Lösung (diese wird immer separat gespeichert und bei Bedarf aktualisiert) stellt das Ergebnis dieses Verfahrens dar.
6.5 Hybrides Lösungsverfahren aus ES und integrierter Reparaturheuristik Das hier vorgestellte hybride Lösungsverfahren basiert im Kern auf der eben erläuterten Evolutionsstrategie. Da die ES als „reine“ Metaheuristik aber nur vergleichsweise wenig anwendungsspezifisches Wissen integriert, ist es das Ziel, bei dem Hybridverfahren möglichst viel problemspezifisches Wissen in den Lösungsansatz einzubeziehen. So soll im Sinne Newells (1969) die Chance auf gute Ergebnisse verbessert werden. Dazu wurde eine Reparaturheuristik implementiert, die Fehler in den Einsatzplänen der ES korrigiert, um so gültige Lösungen zu erzeugen, die möglichst alle Nebenbedingungen berücksichtigen. Dabei wird in der folgenden Reihenfolge vorgegangen, die sich, mit Ausnahme der ersten beiden Kriterien, an der Gewichtung der Restriktionen durch Fehlerpunkte orientiert: Bedarf = 0: Mitarbeitende, die einem Arbeitsplatz zugewiesen sind, bei dem in einem Zeitintervall kein Personalbedarf besteht, werden nach Möglichkeit umbesetzt.
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
459
Über-/Unterdeckung: Sind an einer Arbeitsstation in einem Zeitintervall zu wenig Mitarbeitende eingeplant, so wird versucht, Mitarbeitende von Arbeitsplätzen umzubesetzen, auf denen eine Überdeckung zu diesem Zeitpunkt herrscht. Somit wird gleichzeitig auch die Überdeckung minimiert. Über- und Unterdeckungen können nicht immer vermieden werden, da es Phasen gibt, in denen der Personalbedarf über bzw. unter dem Personalbestand liegt, sodass es zwangsläufig zu Besetzungsfehlern kommt. Mehr als ein Arbeitszeitmodell pro Tag: Ist einem Mitarbeitenden mehr als ein Arbeitszeitmodell pro Tag zugewiesen (zum Beispiel 1. Beginn 10 Uhr, 1. Ende 14 Uhr, 2. Beginn 16 Uhr, 2. Ende 20 Uhr), so wird versucht, eines der beiden Arbeitszeitmodelle auf einen anderen Mitarbeitenden zu übertragen, der im entsprechenden Zeitraum noch nicht eingeplant ist. Minimale Länge der Arbeitszeitmodelle: Unterschreitet ein Arbeitszeitmodell die minimale Länge, so wird versucht, das Arbeitszeitmodell eines anderen Mitarbeitenden zu kürzen und die freigewordenen Perioden dem zu kurzen Arbeitszeitmodell hinzu zu fügen. Gelingt dies nicht, so wird versucht, das zu kurze Modell an das Arbeitszeitmodell eines anderen Mitarbeitenden anzuschließen. Maximale Länge der Arbeitszeitmodelle: Wird die maximal zulässige Länge eines Arbeitszeitmodells überschritten, so wird es in zwei zulässige Teile zerlegt. Anschließend wird versucht, einen der beiden zulässigen Teile auf einen anderen Mitarbeitenden zu übertragen bzw. an ein bestehendes Arbeitszeitmodell eines anderen Mitarbeitenden anzuschließen. Arbeitsplatzwechsel: Arbeitsplatzwechsel dienen der bedarfsgerechten Personaleinsatzplanung. Unnötige Wechsel sind jedoch zu vermeiden. Pro Zeitintervall wird für jeden Mitarbeitenden geprüft, ob das Vertauschen seines Arbeitsplatzes mit dem eines anderen Mitarbeitenden zu einer Reduzierung der Gesamtanzahl Arbeitsplatzwechsel führt. Ist dies möglich, so erfolgt der Tausch. Maximale wöchentliche Arbeitszeit: Jeder Mitarbeitende hat gemäß Arbeitsvertrag eine maximale wöchentliche Arbeitszeit, die nicht überschritten werden sollte. Gibt es Überschreitungen, wird die Tagesbelegung
460
Volker Nissen und Maik Günther
eines Mitarbeitenden mit zu vielen Stunden mit der Tagesbelegung eines Mitarbeitenden mit zu wenig Stunden vertauscht. Finale Reparatur der Arbeitszeitmodelle: Nachdem alle Reparaturen durchlaufen wurden, kann es noch immer vorkommen, dass die minimale oder maximale Länge der Arbeitszeitmodelle nicht eingehalten wurde, oder es gibt noch Lücken in den Arbeitszeitmodellen. Die Einhaltung der Regelungen für die Arbeitszeitmodelle hat jedoch oberste Priorität und ist daher mit den höchsten Fehlerpunkten für Verstöße belegt. Daher werden an dieser Stelle die fehlerhaften Arbeitszeitmodelle ohne Rücksicht auf Über-/Unterdeckungen sowie wöchentliche Arbeitszeiten repariert. Zu kurze Arbeitszeitmodelle werden verlängert bzw. komplett gelöscht, je nachdem, was weniger Fehlerpunkte verursacht. Zu lange Arbeitszeitmodelle werden verkürzt. Lücken in den Arbeitszeitmodellen werden aufgefüllt oder Enden werden gelöscht, je nachdem, was weniger Fehlerpunkte verursacht. Die hier dargestellte Reparatur-Heuristik wird im Rahmen des hybriden Lösungsverfahrens auf alle neugebildeten Lösungen der Evolutionsstrategie direkt nach der Mutation angewendet. Ein grob ähnlicher Ansatz war bereits im Rahmen der Personaleinsatzplanung für einen Logistikdienstleister (Günther/Nissen 2010b) erfolgreich eingesetzt worden.
7.
Empirischer Vergleich und Diskussion der Ergebnisse
In Abbildung 11 sind die Ergebnisse der verschiedenen Lösungsansätze für unser Personalplanungsproblem aus dem Handel aufgeführt. Das Ziel bestand jeweils in einer Minimierung der Fehlerpunkte unter Einhaltung der harten Nebenbedingungen. Die Implementierung erfolgte in C# auf einem 2.66 GHz Quad Core PC mit 4 GB RAM. Für die Verfahren wurden jeweils 30 Läufe durchgeführt, um statistische Tests zu ermöglichen. Im Gegensatz zu den übrigen Lösungsansätzen führt bei der kommerziellen Konstruktionsheuristik jeder Lauf zum gleichen Ergebnis, da keine stochastischen Verfahrenselemente vorliegen und auf die Initialisierung kein Einfluss genommen werden kann. Dort benötigt ein Durchlauf etwa 10 Minuten. Im Vergleich dazu braucht die lokale Suche pro Lauf circa 2,5 Stunden, die Evolutionsstrategie circa 3 Stunden und der hybride Ansatz aus ES und Reparaturheuristik circa 6 Stunden auf der gleichen Hardware. Der Agentenansatz kommt dagegen mit einer Laufzeit von nur 0,6 Sekunden aus. Die kommerzielle konstruierende Heuristik kann als Benchmark-Verfahren angesehen werden, da sie als Teil eines etablierten Softwarepaketes für die Personalplanung in vielen Unternehmen im praktischen Einsatz ist. Obwohl dieses Verfahren in der Lage ist, mit untertägigen Arbeitsplatzwechseln umzugehen und dies explizit in der Konfiguration aktiviert wurde, sind in den erzeugten Einsatzplänen keine Wechsel vollzogen. Die Mög-
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
461
lichkeit, Unterdeckungen im Personaleinsatz durch geeignete Arbeitsplatzwechsel zu reduzieren, wird also nicht genutzt. Bezüglich der maximal zulässigen wöchentlichen Arbeitszeit fällt auf, dass das konstruierende Verfahren keine Unterschiede zwischen den einzelnen Arbeitsverträgen macht, obwohl auch dies in der Konfiguration hinterlegt wurde. Daher werden geringfügig beschäftigte Mitarbeitende wie Vollzeitmitarbeitende verplant, was den fertigen Einsatzplan unbrauchbar macht. Für den Planer entsteht dadurch ein sehr hoher Aufwand an notwendigen manuellen Umplanungen. Insgesamt liefert das kommerzielle konstruierende Verfahren bei der gegebenen Aufgabenstellung daher keine guten Ergebnisse. Bei Weitem schlechtere Ergebnisse generiert allerdings die lokale Suche. Hier treten hohe Fehlerpunkte durch falsch erzeugte Arbeitszeitmodelle auf. Zudem sind die Höhe der Über- und Unterdeckungen und die Anzahl der Arbeitsplatzwechsel im Vergleich zum Benchmark-Verfahren ungleich größer. Da in die lokale Suche kaum problemspezifisches Wissen integriert wurde, ist dieses Ergebnis, in Anbetracht der Komplexität der Aufgabenstellung, nicht allzu überraschend. Heuristik
Konstruierend (kommerziell) Konstruierend (Agenten) Lokale Suche (Multi-Start) ES(1,5) ES(1,5) + R
Durchschntl. Fehlerpunkte
84.690,0
Minimale Fehlerpunkte
84.690
Std.abw.
0,0
Anzahl untertäg. Arb.platzwechsel
Unterdeckung in Minuten
0,0
1.500
Überdeckung in Min. (dwt >0)
Überschr. WoArb.zeit in Minuten
0,0
83.190,0
Zu kurze Arb.zeitmodelle
Zu lange Arb.zeitmodelle
0,0
0,0
>1 Arb.zeitmodell pro Tag und MA 0,0
46.339,6
43.866
1.304,1
262,8
7.316,0
0,0
38.761,2
0,0
0,0
0,0
4.265.931,9
3.807.375
191.944,4
2.434,5
12.568,0
85.246,0
57.350,0
0,0
0,0
410,8
6.995.878,7
6.522.541
213.019,6
4.127,9
38.404,0
188.692,0
115.114,8
9,1
29,3
661,1
8.267,1
5.924
1.265,8
214,3
834,0
8,0
7.210,8
0,0
0,0
0,0
ES(10,50) + R
17.528,5
8.459
4.094,2
247,3
1.170,0
12,0
16.099,2
0,0
0,0
0,0
ES(30,200) + R
22.222,7
13.579
5.780,6
283,9
1.130,0
10,0
20.798,8
0,0
0,0
0,0
Die Angabe „+ R“ bei der Evolutionsstrategie signalisiert den hybriden Ansatz unter Nutzung der Reparaturheuristik. Beste Resultate unterstrichen und kursiv.
Abbildung 11: Ergebnisse der verschiedenen Lösungsverfahren für das Handelsproblem im Überblick (Planung für ein ganzes Jahr) Ähnliche Schwierigkeiten in noch deutlicherer Ausprägung offenbart die Evolutionsstrategie. Ergänzende Untersuchungen (in Abbildung 11 nicht wieder gegeben) zeigten dabei, dass weder eine Variierung der Populationsgröße noch ein Wechsel auf die PlusSelektionsstrategie am schlechten Abschneiden der ES grundsätzlich etwas ändern. Als reine Metaheuristik ohne echtes Domänenwissen scheitert dieses Lösungsverfahren an den komplexen Nebenbedingungen der Aufgabenstellung und generiert beispielsweise vergleichsweise viele Fehler bei den Arbeitszeitmodellen, was zu hohen Strafpunkten führt. Außer der lokalen Suche hat keine der übrigen Heuristiken dieses Defizit, wodurch sich der große Unterschied in den Gesamtfehlerpunkten zwischen der lokalen Suche und ES einerseits und den anderen Lösungsverfahren andererseits mit erklärt.
462
Volker Nissen und Maik Günther
H1 ES(1,5)+R < ES(1,5) ES(1,5)+R < Lokale Suche (Multi-Start) ES(1,5)+R < konstr. Heuristik (kommerziell) ES(1,5)+R < konstr. Heuristik (Agenten)
T
df
Signifikanz
-179,67 -121,49 -330,70
29,00 29,00 29,00
< 0,001 < 0,001 < 0,001
-114,74
58,00
< 0,001
95%-Vertrauensintervall Untere Grenze Obere Grenze -7.065.460,0 -6.909.760,0 -4.317.210,2 -4.198.119,3 -76.815,5 -76.030,2 -38.627,1
-37.517,8
Abbildung 12: T-Test-Ergebnisse für den paarweisen Vergleich der hybriden Heuristik mit den übrigen Lösungsverfahren (Planung für ein ganzes Jahr) Ein völlig anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn die ES mit einer problemspezifischen Reparaturheuristik verbunden wird, die Verletzungen der Nebenbedingungen weitgehend ausräumt. Dieses hybride Verfahren liefert deutlich bessere Ergebnisse als alle anderen Lösungsverfahren, was die statistischen Tests in Abbildung 12 klar belegen. Die Unterschiede in der Lösungsqualität sind im direkten Vergleich mit jeder der anderen Heuristiken statistisch hochsignifikant. Bei Betrachtung der Einsatzpläne, die mit dieser Strategiekonfiguration generiert wurden, lassen sich selbst mit äußerst großem Aufwand kaum manuelle Umplanungen vornehmen, die den Plan verbessern würden. Daher und wegen der erheblichen Verbesserung gegenüber dem kommerziellen Benchmarkverfahren können die Ergebnisse des Hybridansatzes als überaus brauchbar angesehen werden. Bei der Kombination aus Evolutionsstrategie und integrierter Reparaturheuristik wird eine Tendenz erkennbar, wonach kleinere Populationen zu besseren Ergebnissen führen. Aufgrund des gewählten Abbruchkriteriums von 400.000 inspizierten Lösungsalternativen bedeutet eine kleinere Population mehr Iterationszyklen des Verfahrens. Da letztlich viele kleine Schritte notwendig sind, um einen guten Personalplan zu erreichen, scheint es vorteilhaft zu sein, Änderungen über viele Iterationen zu testen anstatt in jeder Generation einen größeren Teil des Suchraumes (durch eine größere Population) abzudecken. Aus einer praktischen Perspektive reduziert der hybride Lösungsansatz ES(1,5)+R Zeiten der Personalunterdeckung, die schlechte Servicequalität und Überstunden (Zusatzkosten) nach sich ziehen können, gegenüber dem Benchmarkverfahren um 44 Prozent. Die Überschreitung der tarifvertraglich festgeschriebenen Wochenarbeitszeit (z.T. zuschlagspflichtig) konnte sogar um 91 Prozent abgebaut werden. Dies wird durch einen sehr geringen Anstieg von Personalüberdeckungen erkauft und eine ebenfalls moderate Anzahl untertägiger Wechsel des Arbeitsplatzes für einzelne Mitarbeitende. Hieran wird deutlich, welches Potenzial zur Produktivitätssteigerung in automatisch generierten, hochflexiblen Arbeitszeitmodellen verbunden mit untertägiger Personaleinsatzplanung liegt. Die Integration dieser beiden Planungsschritte hilft zusätzlich dabei, suboptimale Lösungen, wie sie in der sequentiellen Planung entstehen können, zu vermeiden. Abschließend ist noch erwähnenswert, dass die agentenbasierte konstruierende Heuristik zu Ergebnissen führt, die im Durchschnitt deutlich besser sind als das Benchmarkverfahren, was auf die viel geringere Überschreitung der vorgegebenen Wochenarbeitszeit zurück zu führen ist. Jedoch sind die Resultate in der Qualität nicht konkurrenzfähig mit
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
463
den Ergebnissen des hybriden Ansatzes aus Evolutionsstrategie und Reparaturheuristik. Bemerkenswert ist aber die äußerst geringe Rechenzeit, die den agentenbasierten Ansatz für zeitkritische Umplanungsaufgaben in Echtzeit interessant erscheinen lässt. Da in der Praxis häufig kürzere Zeiträume als ein volles Jahr Gegenstand der Personalplanung sind, wurden alle Lösungsverfahren zusätzlich an einem kleineren Anwendungsproblem, bei dem nur ein Monat zu planen war, getestet. Die Ergebnisse sind Abbildung 13 zu entnehmen und bestätigen die bisherige Analyse. Heuristik
Konstruierend (kommerziell) Konstruierend (Agenten) Lokale Suche (Multi-Start) ES(1,5) ES(1,5) + R ES(10,50) + R ES(30,200) + R
Durchschntl. Fehlerpunkte
Minimale Fehlerpunkte
Std.abw.
Anzahl untertäg. Arb.platzwechsel
Unterdeckung in Minuten
Überdeckung in Min. (dwt >0)
Überschr. WoArb.zeit in Minuten
Zu kurze Arb.zeitmodelle
Zu lange Arb.zeitmodelle
9.480,0
9.480
0,0
0,0
300,0
0,0
9.180,0
0,0
0,0
>1 Arb.zeitmodell pro Tag und MA 0,0
3.084,5
2.237
455,5
11,3
300,0
0,0
2.773,2
0,0
0,0
0,0
22.086,7
2.940
15.122,0
0,0
1.206,0
28,0
2.186,0
0,0
0,0
1,9
55.953,5 158,0 760,0 904,0
10.707 10 250 195
19.822,6 107,8 351,4 337,5
348,2 12,8 13,2 15,6
3.104,0 50,0 80,0 84,0
3.650,0 0,0 2,0 4,0
2.328,0 95,2 664,8 800,4
0,3 0,0 0,0 0,0
0,7 0,0 0,0 0,0
4,6 0,0 0,0 0,0
Die Angabe „+ R“ bei der Evolutionsstrategie signalisiert den hybriden Ansatz unter Nutzung der Reparaturheuristik. Beste Resultate unterstrichen und kursiv.
Abbildung 13: Ergebnisse der verschiedenen Lösungsverfahren für den kürzeren Planungszeitraum eines einzelnen Monats Abbildung 14 greift ergänzend die Eingangsfrage auf, wie die verschiedenen Heuristiken aus Sicht der Newell’schen Kriterien Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit zu beurteilen sind. Die drei Komponenten der Leistungsfähigkeit wurden folgendermaßen gemessen:
Lösungsqualität anhand der besten in 30 Läufen gefundenen Lösung, Lösungswahrscheinlichkeit anhand einer gemeinsamen Betrachtung der Durchschnittsergebnisse bei den Fehlerpunkten und der Standardabweichung über 30 Durchläufe, Ressourcenverbrauch anhand der durchschnittlichen CPU-Anforderungen eines Laufes der betreffenden Heuristik.
Der bereits von Newell festgestellte Trade-off zwischen der Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit einer Lösungsmethode ist auch im vorliegenden Anwendungsfall erkennbar. Allerdings wird deutlich, dass die Integration von problemspezifischem Wissen in eine ansonsten „schwache Methode“ (Metaheuristik Evolutionsstrategie) hier eine sehr erfolgreiche Strategie war, um ein leistungsfähiges Lösungsverfahren zu schaffen. Die Ergebnisse des hybriden Ansatzes sind sogar deutlich besser als bei dem domänenspezifischen kommerziellen Benchmarkverfahren. Die Metaheuristik bildet den explorativen Part des Lösungsansatzes und identifiziert grundsätzlich erfolgversprechende Bereiche des Lösungsraumes der Problemstellung. Gleichzeitig fokussiert die Reparaturheuristik die Suche lokal und findet qualitativ hochwertige Lösungen in der Nachbarschaft ungül-
464
Volker Nissen und Maik Günther
tiger Planungsergebnisse der Metaheuristik, die sonst mit hohen Strafpunkten belegt wären. Dieser Erfolg wird allerdings mit einer vergleichsweise hohen Rechenzeit bezahlt. Die Reparaturheuristik verdoppelt dabei in etwa die Laufzeit der Evolutionsstrategie. Jedoch zeigt das Beispiel der lokalen Suche, dass auch vergleichsweise erfolglose Methoden zu hohen Rechenzeiten führen können. Außerdem liegt im gegebenen Anwendungsfall kein besonderer Zeitdruck bei der Personalplanung vor, sodass die Rechenzeit von mehreren Stunden pro Durchlauf insgesamt vertretbar erscheint. Heuristik Konstruierend (kommerziell) Lokale Suche (Multi-Start) Evolutionsstrategie (ES) Hybrides Verf ahren (ES + R) Konstruierend (Agenten)
Integration von Domänenwissen
Allgemeinheit
Lösungsqualität
Lösungswahrscheinlichkeit
Ressourcenverbrauch
O
O
O
O
O
–
++
– –
– –
– –
–
++
– –
– –
– –
++
– –
++
++
– –
++
– –
+
+
++
Abbildung 14: Vergleich der Lösungsverfahren für das Handelsproblem anhand der Kriterien Allgemeinheit und Leistungsfähigkeit. Bewertung von ++ = sehr gut/sehr hoch bis – – = sehr schlecht/sehr gering. Ein vergleichbares Vorgehen hatte bereits im Kontext eines Personalplanungsproblems aus der Logistik (Günther/Nissen 2010b) zu sehr guten Resultaten geführt. Daher soll hier vorsichtig für komplexe Probleme des Workforce Management generalisiert werden, dass die vorgeschlagene Form der Hybridisierung mittels Reparaturheuristik einen sinnvollen Ansatz darstellt, um den Konflikt aufzulösen, dass einerseits ein Praxisproblem immer spezifische Charakteristika enthält, andererseits aber möglichst ein bekanntes, generisches Lösungsverfahren zum Einsatz kommen soll, anstatt eine vollständig individuelle Methode neu zu erschaffen. Um diese Erkenntnisse abzusichern, sind allerdings weitergehende Untersuchungen an verwandten Problemstellungen und alternativen Methoden notwendig. Die Leistungsfähigkeit der Hybridstrategie ist auch besser als die auf Agenten basierende, problemspezifische konstruierende Heuristik. Es zeigt sich beispielhaft, dass die Integration von viel problemspezifischem Wissen alleine noch nicht hinreichend ist, um wirklich gute Resultate zu erreichen. Hier ist die Komplexität des gegebenen Anwendungsfalles von Bedeutung, denn in einer einfacheren Problemstellung aus der Logistik (Günther/Nissen 2010a) hatte eine agentenbasierte, konstruierende Heuristik durchaus sehr gute Ergebnisse geliefert. Im vorliegenden Fall wäre es aus Sicht der Ergebnisse des Agentenansatzes notwendig, größere Umplanungen vorzunehmen und dabei sowohl Arbeitszeitmodelle anzupassen als auch Zuordnungen zwischen Mitarbeitenden und Arbeitsplätzen zu ändern. Dabei müssten mehr als zwei Mitarbeitende gleichzeitig betrachtet werden. Ebenso wären aus-
Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
465
gedehnte Zeiträume des Planungshorizontes einzubeziehen. Dies geht aber über das hinaus, was im Sinne von Verhandlungslösungen zwischen einzelnen Agenten erreicht werden kann. Vielmehr wäre eine zentrale Planungsinstanz notwendig, die individuelle Präferenzen von Mitarbeitenden auch einmal ignoriert, um einen verbesserten Gesamtplan für alle zu erreichen. Damit widerspricht man jedoch dem gängigen Grundgedanken (siehe z.B. Puppe et al. 2000) der dezentralen, agentenbasierten Planerstellung.
8.
Zusammenfassung
Die automatische Erstellung von Arbeitszeitmodellen (Schichten) in Verbindung mit der untertägigen Planung des Personaleinsatzes steigert den Wertbeitrag der einzelnen Mitarbeitenden beträchtlich, in dem Zeiten der Unterauslastung wie auch Überlastung deutlich reduziert und damit die Servicequalität bei stark schwankender Nachfrage gesteigert werden. Gleichzeitig belastet der erzeugte Plan die betroffenen Mitarbeitenden nicht unvertretbar, denn sowohl die Vereinbarungen hinsichtlich Wochenarbeitszeiten, als auch die Vorgaben des Planers zur Gestaltung von Arbeitszeitmodellen (z.B. Mindest- und Maximaldauer) sowie die weiteren Nebenbedingungen der Problemstellung werden ganz überwiegend eingehalten. Die Anzahl geplanter untertägiger Arbeitsplatzwechsel bleibt moderat. Dies gilt nicht nur im Handel, der den praktischen Hintergrund für die hier untersuchten Planungsheuristiken liefert, sondern auch in Branchen mit ähnlichen Anforderungen an die Flexibilität der Mitarbeitenden vor dem Hintergrund steigender Serviceanforderungen bei gleichzeitig hohem Kostendruck. Dazu gehören z.B. Call Center und Logistikdienstleister. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass sich aus einer generischen Metaheuristik durch Kombination mit einem problemspezifischen Reparaturverfahren ein sehr leistungsfähiger Lösungsansatz bilden ließ. Dieses hybride Vorgehen schnitt insbesondere deutlich besser ab als eine speziell auf die Handelsproblematik abgestimmte kommerzielle Planungssoftware, die auf einem konstruierenden Verfahren beruht. Die Reparatur selbst verursacht jedoch einen gewissen Rechenaufwand. Dieser kann in Kauf genommen werden, da es sich bei der Einsatzplanung über den hier betrachteten Zeitraum eines kompletten Kalenderjahres nicht um eine zeitkritische Problemstellung handelt. Im Ergebnis könnten nun z.B. Maßnahmen für eine geeignete mittel- bis langfristige Stellenplanung ergriffen werden, zum Beispiel die Einstellung weiterer geringfügig Beschäftigter. Wenn kürzere Zeiträume (Monat oder Woche) geplant werden, dann reduziert sich die Rechenzeit außerdem entsprechend.
466
Volker Nissen und Maik Günther
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Steigerung der Mitarbeiterproduktivität
467
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Volker Nissen und Maik Günther
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Teil B: Serviceteil
Ausgewählte Literatur zum Themengebiet „Dienstleistungsproduktivität“ Besonders einschlägige und einflussreiche Veröffentlichungen aus dem Bereich der Dienstleistungsproduktivität wurden an dieser Stelle ausgewählt, die ihrerseits Hinweise auf weiterführende Quellen geben. Eine vollständige Bibliographie kann hier nicht erfolgen.
Grundlagen der Dienstleistungsproduktivität Baumgärtner, M./Bienzeisler, B. (2006): Dienstleistungsproduktivität, Stuttgart. Bruhn, M./Stauss, B. (2006): Dienstleistungscontrolling – Einführung in die theoretischen und praktischen Problemstellungen, in: Bruhn, M./Stauss, B. (Hrsg.): Dienstleistungscontrolling – Forum Dienstleistungsmanagement, Wiesbaden, S. 3-29. Drucker, P.F. (1991): The New Productivity Challenge; in: Harvard Business Review, Vol. 69, No. 6, S. 69-79. Drucker, P.F. (1993): Dienstleistung und Produktivität, in: Simon, H. (Hrsg.): Industrielle Dienstleistungen, Stuttgart, S. 51-65. Drucker, P.F. (1999): Knowledge-Worker Productivity: The Biggest Challenge; in: California Management Review, Vol. 41, No. 2, S. 79-94. Eichhom, P. (2000): Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Basis der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden. Fricke, R. (1961): Die Grundlagen der Produktivitätstheorie, Frankfurt a.M. Grönroos, C./Ojasalo, K. (2004): Service Productivity Towards a Conceptualization of the Transformation of Inputs into Economic Results in Services, Journal of Business Research, Vol. 57, No. 4, S. 414-423. Kamakura, W. A./Mittal, V./de Rosa, F./Mazzon, J.A. (2002): Assessing the Service Profit Chain, in: Marketing Science, Vol. 21, No. 3, S. 294-317.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
472
Ausgewählte Literatur zum Themengebiet „Dienstleistungsproduktivität“
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Ausgewählte Literatur zum Themengebiet „Dienstleistungsproduktivität“
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Qualität, Kundenzufriedenheit und Dienstleistungsproduktivität Anderson, E.W./Fomell, C./Rust, R.T. (1997): Customer Satisfaction, Productivity and Profitability: Differences Between Goods and Services; in: Marketing Science, Vol. 16, No. 2, S. 129-145. Cheng H./Spohrer, J.C. (2009): Improving Service Quality and Productivity: Exploring the Digital Connections Scaling Model, in: International Journal of Services Technology & Management, Vol. 11, No. 3, S. 272-292. Filiatrault, P./Harvey, J./Chebat, J. (1996): Service Quality and Service Productivity Management Practices, in: Industrial Marketing Management, Vol. 25, No. 3, S. 243-255. Fischer, M./Herrmann, A./Huber, F. (2001): Return on Customer Satisfaction. Wie rentabel sind Maßnahmen zur Steigerung der Zufriedenheit; in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 71. Jg., Nr. 10, S. 1161-1190. Gummesson E. (1998): Productivity, Quality and Relationship Marketing in Service Operations, in: International Journal of Contemporary Hospitality Management, Vol. 10, No. 1, S. 4-15. Jones, P. (1988): Quality, Capacity and Productivity in Service Industries; in: Johnston, R. (Hrsg.): The Management of Service Operations. Proceedings of the Operations Management Association, S. 309-321. Huff, L./Fornell, C./Anderson, E.W. (1996): Quality and Productivity: Contradictory and Complementary, in: Quality Management Journal, Vol. 4, No. 1, S. 2239. Karlof, B. (1999): Effizienz. Die Balance zwischen Kundennutzen und Produktivität, München. Lehmann, A.P. (1998): Qualität und Produktivität im Dienstleistungsmanagement. Strategische Handlungsfelder im Versicherungs- und Finanzdienstleistungswettbewerb, Wiesbaden. Looy, B. van/Gemmel, P./Desmet, S./Dierdonck, R. van/Semeels, S. (1998): Dealing with Productivity and Quality Indicators in a Service Environment: Some Field Experiences; in: International Journal of Service Industry Management, Vol. 9, No. 4, S. 359-376. Lovelock, C.H. (1993): Dienstleister können Effizienz und Kundenzufriedenheit verbinden; in: Harvard Business Manager, 13. Jg., Nr. 2, S. 68-75.
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Stichwortverzeichnis A
- konfiguration 63, 65ff.
Affective Events Theory (AET) 358f., 360, 362, 365
- modell 68ff.
Agenten 451ff., 460ff.
- produktivität 59ff., 74, 76, 332, 334, 339
Akteursvernetzung 174ff., 178, 180f.
- prozesse 243, 246ff.
Anlageberatung 319ff., 326ff., 335ff.
- versprechen 378
Arbeitsproduktivität 351ff., 356, 361ff. Arbeitszeitmodell 439ff., 447f., 450ff., 459ff., 464f.
Differenzierung 215, 218, 220, 223f., 227, 229f. Diversität 243, 246ff.
Aufgabenattribute 309, 311, 313
Diversitätskontakte 243, 246f., 256
B
Dynamic Capabilities 156
Behavioral Branding 377ff., 381f., 384, 388
E
Bestimmungsgrößen 177
Elektronische C2C-Interaktion (eC2CInteraktion) 131ff., 135ff.
Boundary Spanning 319
Emotionalität 353, 358, 361ff.
Brand Behavior 378ff., 386ff.
Engineering internationaler Dienstleistungen 200
C Customer-to-Customer-Interaktion (C2C-Interaktion) 128ff., 139
Erfolgsfaktoren 103f., 107, 114, 117 Ergebnisattribute 297
D
Erwartungs-Management 378
Dienstleistungen 173f., 175, 178, 180ff., 189
F
Dienstleistungs-
Food-Branche 271, 274, 277f., 281
- innovation 37ff., 47ff., 104ff., 107ff.
Faultlines 243, 250ff., 256
Führung 378f., 383f., 387f.
- komponente 61, 63, 65, 67ff.
M. Bruhn, K. Hadwich (Hrsg.), Dienstleistungsproduktivität, DOI 10.1007/978-3-8349-6663-6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
482
Stichwortverzeichnis
G Geleitete Reflexion 303, 308f., 311ff. Globale Strategie 265, 278
Kosten-Nutzen-Betrachtung 103f., 108ff., 113 Kulturdimensionen 244, 246 Kulturelle Diversität 243, 246ff., 252ff.
H
Kunden-
Handel 265ff., 269ff., 278ff.
- bedürfnisse 50f.
Hybridität 174ff., 180f.
- integration 50f.
- Lösungsverfahren 458
- zufriedenheit 41f.
I
Kunde-zu-Kunde-Beziehung 127
Innovationen 37ff., 46
Kunde-zu-Kunde-Interaktion 127
Innovations-
L
- erfolg 103f., 106ff. - management 103, 117 Integration 198ff., 206, 210 Integrierte Kommunikation 149, 152, 158, 164
Leistungsvernetzung 174ff., 181 M Marke 378ff. Marketing Capabilities 160ff.
Internationale Handelsunternehmen 265
Merkmale 309ff., 321f.
Internationales Dienstleistungsunternehmen 224
Merkmalsausprägungen 309ff., 314
Internationalisierung 197ff., 206ff., 210 Internationalisierungsstrategien 265f., 268ff., 276, 278f., 281 IR-Framework 265ff., 271f., 279f., 282 IT-gestütztes MitarbeiterEmpowerment 395f., 402f., 407 K Komplexität 215ff., 220f., 223, 225f., 228ff., 233f.
Metaheurisitik 440, 456, 458, 461, 463ff. Methodenunterstützung 203ff. Mitarbeiter 377ff. Mitarbeiterproduktivität 437ff. Modellierung 416, 422 Multinationale Strategie 268, 277f. N Near-Food-Handel 270f., 278
Komponentisierung 61ff., 71, 75f.
Nichtlineare Effekte 104, 114ff.
Konstruierendes Verfahren 450f., 454
Non-Food-Handel 265, 270f., 281
Koordination 215, 219, 222, 225
Stichwortverzeichnis
483
O
Service Engineering 198,200
Operationalisierung 221, 229
Service Profit Chain 356ff.
Optimierung 416, 419, 422f., 427f., 432
Servicedominante Logik 148ff., 153, 155f., 160, 163
Organisationale Dienstleistungsproduktivität 312
Service-Engineering 416
Organisationsstruktur 216, 219f., 223, 226ff., 231f.
Servicepersonal 352ff., 361ff., 367
P
Standardisierung 215, 218f., 223f., 228f., 230
Partizipative Gestaltung 303 Personaleinsatzplanung 439, 441f., 446, 450f., 459, 462
Simulation 417, 419ff.
Storytelling 379, 383ff., 388 Subgruppen 250ff., 256
Praxisbezug 221, 229
Synthesis Approach 48
Problemlösung 173ff.
Systemdynamik 300, 306
Problemlösungsprozess 176, 178f., 181ff., 186, 188f.
Systemische Personal- und Organisationsentwicklung 298
Produktinnovation 105f., 108f., 111ff.
Systemmodellierung 296
Produktivität 61ff., 174f., 177ff., 184ff., 265f., 269, 271, 273, 276, 278, 279ff.
T
Produktivitätsmanagement von Agenturen 152, 156f., 162
Theorie der emotionalen Ansteckung 362
Produktivitätssteigerung 395, 401ff., 405
TKD 397ff., 405ff.
R Rahmenkonzept 199ff., 210 Rollenkonflikt 319, 323ff., 335, 337ff. Rollentheorie 324 S Sensemaking 157ff., 163 Service Cloud 407 Service Encounter 334
Technischer Kundendienst (TKD) 396
Total Quality Management (TQM) 152ff. Transnationale Strategie 265, 269, 276, 278, 280 Typologien von Dienstleistungsinnovationen 42
484
Stichwortverzeichnis
W
Z
Werbung 379, 383, 385f., 388
Zwischeneinheit 215, 220ff.
Wirkgraph 296f., 306ff., 312f. Wissensintensive Dienstleistungen 415, 418, 422, 432 Workforce Management 439ff., 450, 464