Alexander Wolf Die U. S.-amerikanische Somaliaintervention 1992-1994
VS RESEARCH
Alexander Wolf
Die U.S.amerikanis...
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Alexander Wolf Die U. S.-amerikanische Somaliaintervention 1992-1994
VS RESEARCH
Alexander Wolf
Die U.S.amerikanische Somaliaintervention 1992-1994
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17298-9
Meinem Mentor Reinhard C. Meier-Walser
Inhaltsverzeichnis
1.
Einführung 1.1 Der zweite Golfkrieg und Präsident Bushs „Neue Weltordnung“ 1.2 Problemstellung 1.3 Erkenntnisinteresse, Begriffsdefinition und Arbeitshypothese 1.4 Quellenlage und Forschungsstand 1.5 Zur Theorie der Internationalen Politik 1.5.1 Zur Legitimation theoriegestützter Forschung 1.5.2 Das neorealistische Theoriegebäude 1.5.3 Der klassische Realismus von Hans J. Morgenthau 1.5.4 Das „Sicherheitsdilemma“ 1.5.5 Die theoretischen Grundannahmen des Neorealismus
2.
3.
Die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik und die „Internationale Konstellationsanalyse“
11 15 16 20 25 27 27 29 30 31 32 35
2.1 Die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik 2.2 Die „Internationale Konstellationsanalyse“
35 37
Konstellationsanalyse - Die „Operation Restore Hope“ und das amerikanische Engagement in Somalia 1992-1994
39
3.1 Selektion und Darstellung der zentralen Problemstruktur der Konstellation 3.1.1 Der historische Kontext 3.1.1.1 Das koloniale Erbe Somalias 3.1.1.2 Somalische Unabhängigkeit und die Diktatur Siad Barres 3.1.1.3 Der Ogadenkrieg 1977 3.1.1.4 Kriegsniederlage und somalischer Bürgerkrieg (1978 - 1991) 3.1.1.5 Hobbes’ Naturzustand: „Bellum omnium contra omnes“ 3.1.2 Relevant beteiligte Aktionseinheiten
40 40 41 43 44 45 48 50
7
3.2 Die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika in der Somaliaintervention 1992 bis 1994 3.2.1 Die konstellationsrelevante Entscheidungsstruktur der Regierungen Bush und Clinton (1992 – 1993) 3.2.1.1 Das Entscheidungszentrum der Regierung Bush 3.2.1.2 Das Entscheidungszentrum der Regierung Clinton 3.2.1.3 Führungswechsel in der U.S. Außenpolitik 3.2.2 „Kalter Krieger“ vs „Baby Boomer”: Die Perzeptionsunterschiede zwischen der Bush- und Clinton-Regierung 3.2.2.1 Der Erfahrungshintergrund und die Ansichten der Bush Regie rung 3.2.2.2 Der Erfahrungshintergrund und die Ansichten der Regierung Clinton 3.2.2.3 Innerinstitutionelle Perzeptionsdifferenzen oder „Kampf der Generationen“ im außenpolitischen Establishment der USA 3.2.2.4 Generationswechsel in der amerikanischen Außenpolitik 3.2.3 Das amerikanische Interesse an der Somaliaintervention und der Mythos des „CNN-Faktors“ 3.2.3.1 Somalia - eine mediengetriebene Intervention? 3.2.3.2 Die Interessen nicht-staatlicher Organisationen und des US Kongresses 3.2.3.3 Russland, Bosnien und Somalia: Die Regierung Bush zwischen historischer Chance und historischem Trauma 3.2.3.4 „Assertive Multilateralism“ und das außenpolitische (Des-) Interesse Clintons 3.2.3.5 Die außenpolitischen Interessen Clintons in Somalia bis September 1993 3.2.3.6 Der inhaltliche Wandel der amerikanischen Somaliaintervention: Von humanitärer Hilfe zu „Nation-building“ 3.2.4 Potenziell und konkret vorhandene Machtmittel der Vereinigten Staaten von Amerika 3.2.5 Die U.S.-amerikanischen Prinzipien: Zwischen Freiheit und Herrschaft Multilateralismus und amerikanischer Exeptionalismus 3.2.5.1 3.3 Die Rolle der Vereinte Nationen in der Somaliaintervention 1992 – 1994 3.3.1 Die Vereinten Nationen und das System kollektiver Sicherheit 3.3.2 Die Wiedergeburt der Vereinten Nationen? Von friedenserhaltenden zu friedensschaffenden Operationen 3.3.3 Das „Sicherheitsdilemma“ der Vereinten Nationen in Somalia
8
51 54 54 55 56 56 56 59 62 62 63 63 64 66 71 73 75 76 78 80 82 82 84 85
3.3.3.1 3.3.4 3.3.4.1
4.
Das Interesse der Vereinten Nationen während UNITAF Macht und Ohnmacht der Vereinten Nationen UNOSOM II vor alten neuen Aufgaben
87 89 91
3.4 Die Rolle der Warlords in der Somaliaintervention 1992 – 1994 3.4.1 Die ethnographische Gesellschaftsstruktur Somalias 3.4.1.1 Der Wandel des somalischen Gesellschaftswesens 3.4.2 Somalischer Einfluss auf internationaler Ebene 3.4.3 Die somalische Perzeption 3.4.3.1 Somalische Perzeptionsveränderung unter UNOSOM II
92 92 94 95 97 101
3.5 Kooperation und Konflikt: Die Lageveränderung in Somalia 3.5.1 Radio Mogadischu: Vom „Nation-building“ zu Verbrecherjagd 3.5.2 Die Eskalation der Ereignisse in Mogadischu : Ein Beispiel institutioneller Verselbstständigung 3.5.3 „Black Hawk Down“ 3.5.4 Der reale „CNN-Faktor“ 3.5.5 Vom „Assertive Multilateralism“ zur „Strategy of Enlargement“
102 103
Synoptische Schlussbetrachtung 4.1 UNITAF, UNOSOM II und das Scheitern der amerikanischen Intervention in Somalia 4.1.1 Phase I: „Operation Restore Hope“ 4.1.2 Phase II: UNOSOM II
5.
Literaturverzeichnis
104 107 108 111 115 115 115 117 121
9
1 Einführung
Weltgeschichtliche Zäsuren verleiten den Menschen oftmals zu idealisierten und wünschenswerten Zukunftsvisionen für die kommenden Tage. Dies war nach dem Ende des Ersten und Zweiten Weltkrieges der Fall und es war der Fall nach dem Ende des „Kalten Krieges“. War die menschliche Gesellschaft doch einer in ihrer Geschichte nie da gewesenen existentiellen Gefährdung apokalyptischen Ausmaßes durch sich weltanschaulich feindlich gegenüberstehende, konventionell und atomar hoch gerüstete Blockmächte entronnen, so zeigten sich viele vom Wunsch nach einer „neue Weltordnung“ als Grundstein für friedlichere und sicherere Zeiten beseelt. Wie diese Ordnung konkret gestaltet werden sollte, war jedoch weniger deutlich zu erkennen. Durch die erstaunlich gewaltfreie Beendigung des Ost-West-Antagonismus, vergleichbar der „Erfüllung eines Wunschtraums echter Friedensforscher“1, schienen jene in ihrer Meinung bekräftigt, welche eine globale Friedensordnung auch tatsächlich für erreichbar hielten. Diese Vorstellungen wurzeln jedoch „[…] meist in einem geschichtsphilosophischen Fortschrittsdenken, das eine globale progressive Entwicklung von der Multipolarität zur Bipolarität und nunmehr zum >>Monismus<< der einen Welt unterstellt.“2 Das vom historischen Fortschrittsgedanken geprägte Modell einer solchen „Gesellschaftswelt“3 (Czempiel) bildete jedoch nicht den einzigen Ansatz hinsichtlich neuer Ordnungskonzepte internationaler Politik. Die Vorstellungsspanne reichte die theoretischen Denkschulen übergreifend, von einem ideologiefreien „Ende der Geschichte“4 (Fukuyama) zu einem „unipolaren Moment“5 (Krauthammer), in welchem der einzig verbliebenen Supermacht USA die legitime
1 Kindermann, Gottfried-Karl: Außenpolitik im Widerstreit. Spannung zwischen Interesse und Moral, in: Internationale Politik, Vol. 52, No. 9, September 1997, S. 1-6, hier: S. 5. 2 Link, Werner: Hegemonie und Gleichgewicht der Macht, in: Ferdowsi, Mir A. (Hrsg.): Sicherheit und Frieden zu Beginn des 21. Jahrhunderts, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2004, S. 43 - 61, hier S. 47. 3 Vgl. Czempiel, Ernst-Otto: Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München 1993. 4 Vgl. Fukuyama, Francis: The End of History?, in: The National Interest, Sommer 1989, S. 3 - 18. 5 Vgl. Krauthammer, Charles: The Unipolar Moment, in: Foreign Affairs, Vol. 70, No. 1, Winter 1991/1992, S. 23 - 33.
11
Weltführungsrolle zufiel. Von einer „Rückkehr in die Zukunft“6 (Mearsheimer) eines in Nationalstaaten fragmentierten machtpolitischen Balance-of-PowerSystems bis hin zu einem „Kampf der Kulturen“7 (Huntington) entlang soziozivilisatorischer Grenzen, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Weder auf intellektueller noch weniger auf politischer Ebene konnte zu diesem Zeitpunkt ein einheitliches Ordnungskonzept für das „neue“ internationale System ausgemalt werden. Jedoch zeigten einige Beobachter bereits vor der offiziellen Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 eine bemerkenswerte Weitsicht. Nach Stanley Hoffmann befand sich die Welt im Übertritt in eine Phase, welche „[…] is a period in which the discrepancy between the formal organization of the world into states and the realities of power, which do not resemble those of any past international system, will create formidable contradictions and difficulties.”8 Tatsächlich sollten sich aus der bipolaren Struktur des „Kalten Krieges“, die überwiegend aus quantifizierbaren militärischen Machtpotenzialen „errechnet“ worden war, mehrere hybride Teil- und Substrukturen internationaler Politik entwickeln, die sich einer traditionellen Einordnung entzogen. Im militärischen Bereich blieben (und bleiben) die Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund einer rasch einsetzenden Transformation ihrer Streitkräfte mit entsprechender Budgetierung des Verteidigungshaushalts unangefochten und weit vor allen anderen Nationen bestehen. Somit konnte zu Beginn der 1990er Jahre zwar ein Übergang von bipolarer Machtteilung zu unipolarer Machtfülle der USA im qualitativen wie auch im quantitativen Bereich traditioneller militärischer Potenz festgestellt werden. Die Weltwirtschaft hatte jedoch bereits seit den 1970er Jahren eine tripolare Struktur mit den Zentren USA, EU und Japan angenommen, welche 20 Jahre später die Leistungsfähigkeit der amerikanische Wirtschaft stark relativieren sollte. Diese Struktur hat sich mittlerweile durch Wiederaufstieg und Wachstum der alten Handels- und Kulturnationen China und Indien zu einer geoökonomischen Multipolarität weiterentwickelt.9 Die relativ stabile und klare Ordnung des auf verschiedenen Weltanschauungen basierenden, durch ein atomares Abschreckungssystem gesicherten und von zwei Supermächten aufrecht erhaltenen bipolaren Nachkriegssystems war 6
Vgl. Mearsheimer, John J.: Back to the Future: Instability in Europe after the Cold War, in: International Security, Vol. 15, No. 1, Sommer 1990, S. 5 - 56. 7 Huntington, Samuel P.: The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs, Vol. 72, No. 3, Sommer 1993, S. 22 - 49. 8 Hoffmann, Stanley: A New World and Its Troubles, in: Foreign Affairs, Vol. 69, No. 4, Herbst 1990, S. 115 - 122, hier: S. 115. 9 Vgl. Link: Hegemonie und Gleichgewicht der Macht, S. 48; Zum wirtschaftlichen Aufstieg Asiens siehe: Kindermann, Gottfried-Karl: Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840-2000. Vom Opium-Krieg bis heute, Stuttgart 2001.
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somit einer diversifizierten und fragmentierten internationalen Systemstruktur gewichen, welche vielen Beobachtern einer „neuen Welt-Unordnung“10 (Freedman) glich.11 Zwischenstaatliche Kriege - so glaubten viele - würden eben aufgrund der Erfahrungen des friedlichen Endes des Ost-West-Konflikts, aber auch durch die voranschreitende europäische Integration, zunehmend unwahrscheinlich werden. Segmentiell betrachtet schien mit einer Friedensdividende tatsächlich zu rechnen zu sein. Münkler weist jedoch berechtigterweise darauf hin, dass mit dem Ende des bipolaren Zeitalters nicht gleichzeitig ein Ende der Gewaltanwendung per se einherging12, sondern sich der Krieg nach Clausewitz wie „ein wahres Chamäleon“13 seinen äußeren Umständen anpasse. Denn dieser plötzliche internationale, regionale sowie ideologische Ordnungsverlust in der internationalen Politik schuf gefährliche Freiräume für neue Bedrohungen und Risiken, auf welche die Staatengemeinschaft keine vorgefertigten oder erprobten Reaktionsinstrumente bereit hatte. Besonders hervorzuheben ist der stark zunehmende Interdependenzcharakter dieser sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die Ursachen hierfür finden sich in vielfältiger gewordenen weltumfassenden ökonomischen Netzwerken, rapide gesunkenen Transportkosten im Verkehrswesen und kommunikationstechnologischen Entwicklungen (Internet, Satellitentelefonie, etc.), welche Räume „enger“ und Zeit „kürzer“ werden ließen. Dieses unter dem Begriff „Globalisierung“14 bekannt gewordene Faktorenbündel hat neben der Entstehung globaler Wettbewerbsmärkte die bekannten nationalstaatlichen Grenzen freilich nicht verschwinden,
10 Vgl. Freedman, Lawrence: Order and Disorder in the New World, in: Foreign Affairs, Vol. 71, No. 1, Winter 1991/1992, S. 20 - 37. 11 Dieser Prozess der Ordnungsgestaltung ist dabei weit davon entfernt abgeschlossen zu sein. So wandelte sich die vermeintliche Unipolarität, mit der einzigen Supermacht USA, spätestens Mitte der 1990er Jahre in ein multipolares System. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit wird eine „nonpolare Weltordnung“ oder die „Variable Geometrie“ diskutiert, welche aufgrund der fragmentierten und asymmetrischen Machtstrukturen verschiedener Aktionseinheiten das multipolare System aushöhlen. Zur Debatte um Nonpolarität siehe: Haass, Richard N.: The Age of Nonpolarity, in: Foreign Affairs, Vol. 87, No. 3, März/April 2008, S. 44 - 56; Zur “Variablen Geometrie” siehe: Roberts, Adam: Wer die nichtpolare Welt regiert, in: Internationale Politik, Vol. 36, No. 7/8, Juli/August 2008, S. 11 - 17. 12 Vgl. Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Reinbeck bei Hamburg 2002, S. 9. 13 Hahlweg, Werner (Hrsg.): von Clausewitz, Carl, Vom Kriege, 19. Aufl., Bonn 1980, S. 212; siehe auch: Münkler, Herfried: Clausewitz über den Charakter des Krieges, in: Hohls, Rüdiger/Schröder, Iris/Siegrist, Hannes (Hrsg.): Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart 2005, S. 385 - 390, hier: S. 387. 14 Der Begriffsinhalt der Globalisierung ist mittlerweile weniger umstritten als deren zeitlicher Beginn. Ulrich Menzel nennt nicht weniger als elf mögliche Datierungen eines Globalisierungsbeginns. Siehe dazu: Menzel, Ulrich: Was ist Globalisierung oder die Globalisierung vor der Globalisierung, in: Ferdowsi, Mir A. (Hrsg.): Weltprobleme, 6. vollständig überarbeitete Auflage, München 2007.
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sie jedoch porös werden lassen.15 Zwar sind diese Globalisierungstendenzen nicht gänzlich unbekannt, doch gestalten sie sich im historischen Vergleich „farther, faster, cheaper and deeper.“16 Aufgrund ihres interdependenten Charakters können somit sicherheitspolitische Entwicklungen in einer Region immer stärker und schneller die Lebensumstände, Sichtweisen und Handlungsoptionen anderer, auch weit entfernter Gesellschaften beeinflussen. Darüber hinaus hat sich mit dem Akteurswandel in der internationalen Politik ein Trend fortgesetzt, welcher regionale oder internationale Organisationen, nicht-staatliche Organisationen (INGOs/NGOs), Multinationale Konzerne (MNCs), oder substaatliche Aktionseinheiten (Medien, Bürgerkriegsparteien, Ethnien, Terrorgruppen, etc.) in steigendem Maße befähigt, das nationalstaatliche Handlungsmonopol in der internationalen Politik zu beeinflussen oder herauszufordern. Aufgrund des immerwährenden Handlungszwangs, welcher innerhalb dieser relativ überraschend veränderten geo-ökonomischen und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen weiterbestand, konnten sich die politischen Eliten keine ausgedehnten philosophischen Debatten um die zukünftige Struktur ihres Betätigungsfeldes leisten. Da jedoch gerade „[…] der Erfolg zukunftsorientierter politischer Planung [und, d.V.] gegenwärtiger politischer Aktion […] hochgradig mitbedingt [ist, d.V.] durch die Fähigkeit zur richtigen Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Aktions- und Reaktionsweisen im Rahmen unterschiedlicher Umweltmilieus“17 ist, durften die am politischen Entscheidungsprozess beteiligten politischen Führungskräfte aber auch nicht ohne neues „Weltbild“ bezüglich der sich wandelnden internationalen Ordnung zum Tagesgeschäft zurückkehren. Wie bereits erwähnt, überwog der Glaube an eine „qualitative Veränderung der Welt in Bezug auf die Durchsetzung von Recht, Prinzipien und Moral“.18 Durch den Wegfall der existentiellen Bedrohung nuklearer Vernichtung schienen einerseits die USA „zur Weltmacht verdammt“19, andererseits sahen viele die Stunde eines revitalisierten Systems kollektiver Sicherheit gekommen.20 Doch nicht nur die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen veränderten sich durch 15 Vgl. Nye, Joseph: Understanding International Conflict. An Introduction to Theory and History, Sixth Edition, New York et al. 2007, S. 204. 16 Friedman, Thomas: The Lexus and the Olive Tree, London 2000, S. 9. 17 Kindermann, Gottfried-Karl (Hrsg.): Grundelemente der Weltpolitik. Eine Einführung, 1. Auflage, München 1977, S. 29. 18 Rhode, Christoph: Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus, Wiesbaden 2004, S. 21. 19 Hacke, Christian: Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J.F. Kennedy bis G.W. Bush. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2002. 20 Vgl. von Hippel, Karin: Democracy by Force. US Military Intervention in the Post-Cold War World, Cambridge 2000, S. 9 - 10.
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die Auflösung des Ost-West-Konflikts. Der Wegfall der äußeren Bedrohung ging in der westlich-demokratischen Gesellschaft mit einer gewissen Perzeptionsveränderung hinsichtlich der Chancen und Risiken des neuen Zeitalters einher. Insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika wuchs eine öffentliche Erwartungshaltung, die „Friedensdividende“ einzukassieren. Als Sieger des ideologischen Wettstreits hatte die Nation lange genug Sicherheit vor Wohlstand setzen müssen. Was als bipolare Notwendigkeit erachtet wurde, hatte in den Augen vieler U.S.-Bürger zu einer Relativierung ihrer Wirtschaftskraft und somit auch ihrer Lebensstandards geführt. Warum sollten nun, in Abwesenheit existentieller Bedrohungen, die USA als Schutz- und Führungsmacht weiterhin die Kosten des Friedens und der Freiheit alleine tragen? 1.1 Der zweite Golfkrieg und Präsident Bushs „Neue Weltordnung“ In dieser ordnungspolitisch relativ orientierungslosen Phase stellte der am 2. August 1990 erfolgte Einmarsch des Irak im benachbarten Scheichtum Kuwait die „Vereinigte Welt“ vor ihre erste Bewährungsprobe. In einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten und den USA geführten multinationalen Koalition stellten sich 34 Nationen der Aggression des irakischen Diktators Saddam Hussein entgegen.21 In der neuen Weltordnung sollten Angriffskriege als legitimes Mittel der Außenpolitik diskreditiert werden. Bestand nach dem Ende des Kalten Krieges erneut die Möglichkeit, das Prinzip der kollektiven Sicherheit, institutionalisiert durch die Vereinten Nationen (im Folgenden auch: VN), zu stärken, so durfte diese Chance nicht vertan werden. Die Tatsache, dass ein Mandat des VN-Sicherheitsrat den Konsens seiner fünf ständigen Mitglieder und Vetomächte (China, Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA) bedurfte, mag dazu verleitet haben, „Operation Desert Storm“ als ideologie- und systemübergreifendes Bekenntnis zu einer neuen Art der Konfliktregelung zu werten. Denn zwei Faktoren lassen berechtigte Zweifel an der These aufkommen, der Zweite Golfkrieg wäre aus rein idealistischen Prinzipien geführt worden. Erstens bedrohte die irakische Invasion Kuwaits überregionale geopolitische Interessen. Denn eine mögliche Ausweitung der Aggression auf den erdölreichen Nachbarstaat Saudi-Arabien sowie die Straße von Hormus als strategischer 21 In der „Operation Desert Storm“ fanden sich so unterschiedliche Nationen wie: Afghanistan, Argentinien, Australien, Bahrain, Bangladesch, Kanada, die Tschechoslowakei, Dänemark, Ägypten, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Honduras, Italien, Katar, Kuwait, Marokko, die Niederlande, Niger, Norwegen, Oman, Pakistan, Polen, Portugal, Saudi-Arabien, Senegal, Südkorea, Spanien, Syrien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten, deren gemeinsames Ziel die Befreiung Kuwaits und die Aufrechterhaltung des Friedens war.
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Meerenge und „weltwirtschaftlicher Lebensader“ stellte keine ausschließlich regional begrenzte, abstrakt ordnungspolitische, sondern eine sehr reale existenzielle Bedrohung der auf Rohstofflieferungen angewiesenen Weltwirtschaft dar. Zweitens kann angenommen werden, dass die damals vom Niedergang gezeichnete Sowjetunion durch ein kooperatives Verhalten an ihrem im Weltsicherheitsrat formalisierten Supermachtstatus festzuhalten versuchte.22 „It was Gorbachev's promise of cooperation in the Persian Gulf that led Bush to express premature hopes for a new world order in which the superpowers would collaborate in preserving world peace.“23 Hoffnungen auf eine Zeit multilateraler Friedenskooperation mögen jedoch tatsächlich bestanden haben. Diese verdeutlichten sich vielleicht nirgends besser, als in der Rede des amerikanischen Präsidenten George H. W. Bush zum U.S. Kongress am 6. März 1991. “(…) Twice before in this century, an entire world was convulsed by war. Twice this century, out of the horrors of war hope emerged for enduring peace. Twice before, those hopes proved to be a distant dream, beyond the grasp of man. Until now, the world we’ve known has been a world divided - a world of barbed wire and concrete block, conflict and cold war. Now, we can see a new world coming into view. A world in which there is the very real prospect of a new world order. In the words of Winston Churchill, a ‘world order’ in which ‘the principles of justice and fair play … protect the weak against the strong …’ A world where the United Nations, freed from cold war stalemate, is poised to fulfil the historic vision of its founders. A world in which freedom and respect for human rights find a home among all nations. The Gulf war put this new world to its first test, and, my fellow Americans, we passed that test (…).”24 1.2 Problemstellung Die weltweiten sicherheitspolitischen Entwicklungen seit dem Ende des zweiten Golfkriegs25 zeigen, dass die „freie Welt“ unter der Führungsmacht USA weit davon entfernt ist, diesen Test erfolgreich abzulegen. Auch muss das Bekenntnis Präsident Bushs zum Prinzip der kollektiven Sicherheit kritisch hinterfragt wer22 Slomka, Marietta: Der UN-Generalsekretär im Kreuzfeuer der Kritik. Möglichkeiten und Grenzen eines Amtes, in: Internationale Politik, Vol. 51, No. 11, November 1996, S. 56. 23 Howard, Michael: The Prudence Thing: George Bush’s Class Act, in: Foreign Affairs, Vol. 77, No. 6, November/Dezember 1998, S. 130 - 134, hier: S. 133. 24 Bush, George H. W.: Address Before a Joint Session of the Congress on the Cessation of the Persian Gulf Conflict (6. März 1991), George Bush Presidential Library and Museum: http://bushlibrary.tamu.edu/research/public_papers.php?id=2767&year=1991&month=3 . 25 Mit dem Terminus „Erster Golfkrieg“ wir in der Literatur der „Persische Golfkrieg“ zwischen Irak und Iran (1980 - 1988) bezeichnet.
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den. Im Gegensatz zu ihrer Rhetorik verkörperte die vorgeblich altruistische Position der Bush-Regierung vielmehr eine Status quo bewahrende ordnungspolitische Maxime, welche den Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten durch einen betonten Multilateralismus innen- wie außenpolitisch legitimieren sollte.26 Die Einbindung und Stärkung der VN in Bushs Konzept einer neuen Weltordnung diente dabei als Deckmantel einer nach U.S.-amerikanischen Interessen wahrgenommenen Stabilisierung der Unipolarität des internationalen Gefüges. Um die „konfliktmüde“ gewordene amerikanische Gesellschaft vor einem Rückfall in den Isolationismus27 zu bewahren, wurde eine „arbeitsteilige“ neue Weltordnung suggeriert, in welcher die Vereinten Nationen als „Weltlegislativorgan“ und die USA als „Weltexekutive“ das Prinzip kollektiver Sicherheit erneut befördern sollten.28 Viele der Anfang der 1990er Jahre auftretenden neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, so z.B. der Konflikt in Somalia, entzogen sich jedoch weitgehend einer Einordnung in das von Präsident Bush vorgelegte Konzept. Trotz der gelungenen Anwendung des Prinzips kollektiver Sicherheit am Persischen Golf konnte „Operation Desert Storm“ schon damals nicht als wegweisende Entwicklung internationaler Politik nach dem Ende des „Kalten Krieges“ gesehen werden.29 Die historischen und ideologischen Wurzeln sowie die Strukturen dieser post-bipolaren Konflikte wurden von Bush völlig falsch eingeordnet.30 Zu diesem Zeitpunkt schien es, als ob sich das internationale System und die sicherheitspolitischen Herausforderungen schneller wandelten, als es den „Kalten Kriegern“ der Bush Regierung möglich war, sich selbst diesen neuen Gegebenheiten anzupassen. Weder definitorisch noch dogmatisch konnten diese neuen Problemfelder in das strategische Denkmuster des „Kalten Krieges“ eingepasst werden. Wie bereits erwähnt, führte der Wandel von Bipolarität zu Unipolarität durch den Wegfall des blockpolitischen Spannungsdrucks - zu einem konfliktbefördernden Ordnungsverlust, auf welchen keine unmittelbaren Antworten bereitstanden. Neben ihrer Interdependenz ist einer Vielzahl dieser neu auftretenden Konflikte die Tatsache gemein, dass sie einerseits (aber nicht ausschließlich) aufgrund staatlicher Instabilität entstehen und andererseits diese in den internationalen Raum exportieren. Dies war so nicht bekannt gewesen. Denn trotz des 26 Der Zusammen von Prinzipien und Interessen in der U.S.-amerikanischen Außenpolitik wird in Kapitel 3.2.5 ausführlich behandelt. 27 Der begriff Isolationismus bedeutet die Abkehr der USA von außenpolitischen Verstrickungen. Er wird ebenfalls in Kapitel 3.2.5 weiter ausgeführt. 28 Vgl. Hacke: Zur Weltmacht verdammt, S. 471 - 504. 29 Vgl. Mandelbaum, Michael: The Bush Foreign Policy, in: Foreign Affairs, Vol. 70, No. 1, Winter 1990/1991, S. 5 - 22, hier: S. 10. 30 Vgl. Hacke: Zur Weltmacht verdammt, S. 501.
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Ost-West-Antagonismus und regionalen Stellvertreterkriegen hatte die bipolare Machtverteilung zu einem relativ stabilen „langen Frieden“31 (Gaddis) geführt, dessen Gesetzmäßigkeiten relativ gut nachvollziehbar waren. Nach einer mehr als sechzigjährigen (kalten) Friedenszeit in Westeuropa sowie einer durch zwei Ozeane territorial geschützten amerikanischen Nation, wurde Sicherheit schließlich von vielen als selbstverständlich erachtet. Doch Joseph Nye hat Recht, wenn er schreibt „Security is like oxygen: easy to take for granted until you begin to miss it […].“32 Periphere Sicherheitsrisiken wie ferne Bürgerkriege, ethnische Spannungen oder drohender Staatszerfall und deren „Entwicklungspotential“ wurden im postsowjetischen Zeitalter nur schleppend wahrgenommen. Erst die verheerenden Terroranschlägen auf die Türme des World-Trade-Center in New York und das Pentagon in Washington D.C. am 11. September 2001 führten zu einer schlagartigen Perzeptionsveränderung hinsichtlich der sicherheitspolitischen Interdependenz der globalen Gemeinschaft. Fragilitätsinduzierter Stabilitätsverlusts in Afghanistan gepaart mit neuesten Kommunikationsmöglichkeiten wie Internetverbindungen oder Satellitentelefonie hatte substaatliche Akteure in die Lage versetzt, die Weltmacht USA auf asymmetrische Weise empfindlich zu verletzen. Durch diese Umgehung traditioneller Kriegsführung33 und symmetrischer Machtpotenziale wurde das Überleben des nationalstaatlichen Akteurs USA zwar nicht an sich bedroht, jedoch trafen die volkswirtschaftlichen, besonders aber die psychologischen Schäden dieser Angriffe das Land tief ins Mark. Die interdependenten Folgen der Anschläge sind bekannt. Das U.S.-amerikanische Militär sieht sich seit 2001 in Afghanistan und seit 2003 im Irak in Konflikte verstrickt, deren zufriedenstellende Beendigung trotz massiver konventioneller Überlegenheit weit entfernt scheint. Diese Konflikte bleiben ebenfalls nicht folgenlos. Die Unsicherheit in der Golfregion - ausgelöst durch den Regimesturz im Irak - hat (mit) zu steigenden Rohölpreisen, steigendem Antiamerikanismus oder regionalen Machtverschiebungen (Iran) beigetragen. Diese Liste nichtintendierter Folgen ließe sich beliebig fortsetzen. Das ist ein Charakteristikum des hochgradig interdependenten Beziehungsgeflechts, welches das internationale System derzeit darstellt.
31
Gaddis, John Lewis: The Long Peace. Inquiries Into the History of the Cold War, New York 1987. Nye: Understanding International Conflict, S. 205. 33 Asymmetrische Kriegsführung stellt dabei kein Novum in der Konfliktführung dar. Bereits Carl von Clausewitz hat in seiner Bekenntnisdenkschrift von 1812 auf die Vorteile der Kriegführung mit irregulären Kräften verwiesen. Siehe dazu: von Clausewitz, Carl: Bekenntnisdenkschrift, in: Hahlweg, Werner (Hrsg.): Schriften - Aufsätze - Studien - Briefe, Band 1, Göttingen 1966, S. 678 751. 32
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Die asymmetrische Gefahr, welche von Räumen fragiler Staatlichkeit ausgeht, wird mittlerweile nicht mehr unterschätzt. So kommen akademische Studien oder staatliche Sicherheitsplanungen an fragiler Staatlichkeit als Analysegegenstand nicht mehr vorbei.34 Ob als Rückzugsräume für regional oder international operierende Terrorgruppierungen oder als Austragungsorte ethnisch, ideologisch sowie machtpolitisch motivierter Konflikte, fragile Staaten bilden den Nährboden für weitere, sich international auswirkende Sicherheitsrisiken. Ein aktuelles Beispiel ist die Gefährdung der internationalen Schifffahrtswege im Golf von Aden durch somalische Piraten.35 Aus der primären Aufgabe eines Staates, seinen Bürgern Schutz zu bieten, entsteht somit eine Verantwortung, diesen Sicherheitsrisiken und -bedrohungen36 effektiv zu begegnen. Dies kann jedoch nicht mittels nationalstaatlicher Territorialverteidigung oder der Proklamation des „ewigen Friedens“ allein geschehen. Der verantwortliche Entscheidungsträger gleich welcher Staats- und Regierungselite hat stets Max Webers Gebot der Verantwortungsethik zu befolgen und bei all seinen Entscheidungen zu bedenken, „[…] dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns [und Nichthandelns, d.V.] aufzukommen hat.“37 Diese Verantwortung schließt die Machtanwendung in Form stabilitätsschaffender Militärinterventionen mit ein. Gerade dort, wo die staatliche Strukturen im Hinblick auf demokratische Werte wie Rechtsstaatlichkeit, persönliche Freiheit oder Menschenrechte im Vergleich zu westlichen Standards weniger ausgebildet sind, ist Gewalt und Krieg häufig endemisch und Sicherheit auch für weit entfernte Nationen instabil geworden.38 Die von Münkler mit dem Begriff der „[…] neue[n] Kriege [bezeichneten Konflikte, d.V.] werden von einer schwer durchschaubaren Gemengelage aus persönlichem Machtstreben, ideologischen Überzeugungen, ethnischkulturellen Gegensätzen sowie Habgier und Korruption am Schwelen gehalten und häufig nicht um erkennbarer Zwecke und Ziele willen geführt. Besonders dieses Gemisch unterschiedlicher Motive und Ursachen macht es so schwer, diese Kriege zu beenden und einen stabilen Friedenszustand herzustellen.“39 Im 34
Vgl. Schneckener, Ulrich: Fragile Staatlichkeit als globales Sicherheitsrisiko, in: Zerfallende Staaten, APuZ 28-29/2005, Bonn 2005, S. 26 - 31, hier S. 26. 35 Vgl.: International Maritime Bureau: Unprecedented rise in piratical attacks, 24. Oktober 2008: http://www.icc-ccs.org/index.php?option=com_content&view=article&id=306:unprecedented-risein-piratical-attacks&catid=60:news&Itemid=51 . 36 Der Begriff der Bedrohung setzt im politikwissenschaftlichen Sinn drei Charakteristika voraus: einen Akteur (1), mit einer Intention (2) und den entsprechenden Machtmitteln (3), um die Handlung ausführen zu können. 37 Weber, Max: Politik als Beruf, Stuttgart 1992, S. 70 - 71. 38 Vgl. Münkler: Die Neuen Kriege, S. 16. 39 Ebd., S. 16.
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Hinblick auf bisherige Erfahrungen stabilitätsschaffender Militärinterventionen (Kambodscha, Somalia, Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Irak, etc.) fällt eine Erfolgsbilanz auch mehr als ernüchternd aus. Bekanntlich konnte in keiner dieser Krisenregionen bisher ein nachhaltiger sowie selbsttragender Stabilisierungsund Friedensprozess induziert werden.40 Da mit ausbleibendem Erfolg der für demokratische Systeme so wichtige öffentliche Zuspruch in der Regel schneller schwindet als eine militärische Intervention realistischerweise befriedigende Ergebnisse zeitigen kann, fragt MeierWalser daher völlig berechtigt, ob „[...] nicht mehr Faktoren berücksichtigt werden [müssen, d.V.], bevor eine Intervention begonnen wird?“41 Verändern sich in deren Verlauf - für Militäreinsätze kaum ungewöhnlich - die Einsatzbedingungen, so hat der intervenierende Akteur zwei Möglichkeiten. Entweder er ändert sein taktisches Vorgehen oder er ändert sein strategisches Ziel. Seine Strategie, also seine langfristig verfolgten Gesamtziele, zu reduzieren, gefährdet den Erfolg der Mission und delegitimiert sie letztlich. Beschließt der intervenierende Akteur durch eine taktische Veränderung das strategische Ziel weiterhin zu erreichen, können insbesondere demokratische Regierungen nicht nach eigenem Gutdünken verfahren. Denn diese befinden sich stets im Spannungsfeld zwischen legitimierendem öffentlichem Zuspruch und realistisch-verantwortlicher Politikführung. Dies stellte schon Alexis de Tocqueville fest, welcher der Meinung war, dass „[…] die Demokratie […] nur mit Mühe die Einzelheiten eines großen Unternehmens [z.B. militärische Intervention; d.V.] in Einklang bringen, an einem Plan festhalten und ihn dann hartnäckig durch alle Fährnisse hindurch fortführen [kann, d.V.].“42 1.3 Erkenntnisinteresse, Begriffsdefinition und Arbeitshypothese Unter welchen Umständen können nun militärische Interventionen demokratisch verfasster Staaten erfolgreich sein? Diese Frage im Rahmen des vorliegenden Buches allumfassend beantworten zu wollen, wäre nicht nur anmaßend, sondern auch unwissenschaftlich. Denn die über Einzelfallstudien gewonnenen Erkenntnisse können nicht allgemeingültig für alle gleichartigen Fälle gelten. Die methodologische Stärke der hier angewandten Konstellationsanalyse ist es jedoch, 40
Zur Friedenskonsolidierung siehe: Carlo Masala: Protektorate erfolgreich managen, in: Internationale Politik, Vol. 61, No. 2, (Februar 2006), S. 110 - 115. Siehe auch: Ders.: Managing Protektorate. Die vergessene Dimension, in: Politische Studien, Nr. 411, S. 49 - 55. 41 Meier-Walser, Reinhard C.: Wann soll der Westen in Krisen intervenieren? Globale Einsätze als mehrdimensionale Projekte, in: Neue Zürcher Zeitung, 20. November 2007. 42 de Tocqueville, Alexis: Über die Demokratie in Amerika, München 1984, S. 263.
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dass sie die untersuchten Variablen äußerst stark beleuchtet und somit über die synoptische Zusammenschau der Einzelergebnisse sowie die Verifizierung der aufgestellten Arbeitshypothese die vielfach umstrittene Frage nach dem „Warum“ des Scheiterns der amerikanischen Somaliaintervention relativ genau beantworten und somit als Analogie und Ausgangspunkt weiterer Forschungen dienen kann.43 Ziel ist es daher, innerhalb der Konstellationsanalyse vier essentiellen Fragen nachzugehen, welche diejenigen Variablen kenntlich machen, die für den Misserfolg der militärischen Intervention der Vereinigten Staaten in Somalia verantwortlich gemacht werden können. Erstens wird die Frage gestellt, welche Variablen die Regierung Bush, nachdem sie ein Eingreifen in Somalia lange abgelehnt hatte, im Dezember 1992 in ihrer Interventionsentscheidung beeinflussten. Zweitens ist zu fragen, ob und wenn ja, warum dieser Interventionsabschnitt erfolgreich war. Drittens sollen diejenigen Gründe dargelegt werden, welche die U.S.-amerikanische Administration ab Juni 1993 zu einem verstärkten Mitteleinsatz in Somalia bewegten. Dabei soll geklärt werden, aufgrund welcher Einflussfaktoren Präsident Clinton der abgeschlossenen „Operation Restore Hope“, die einen zeitlich, räumlich und inhaltlich klar begrenzten Auftrag hatte, ein weiteres U.S.-amerikanisches Engagement innerhalb der komplexen und zeitlich unbestimmten United Nations Operation in Somalia II (im Folgenden: UNOSOM II) anschloss. Viertens werden diejenigen Faktoren herausgearbeitet, welche dafür verantwortlich waren, dass die USA ihr UNOSOM II Engagement vorzeitig und erfolglos mit dem Abzug aller U.S.-amerikanischer Truppen am 25. März 1994 beendeten. Anhand der synoptisch zusammengeschauten Forschungsergebnisse wird abschließend die Gültigkeit folgender Hypothese zum Einfluss primärstaatlicher Interessen und öffentlicher Meinung auf den Erfolg der militärischen Intervention der USA in Somalia überprüft. Bevor eine Hypothese formuliert werden kann, muss jedoch zuerst eine Arbeitsdefinition des Begriffs „Interesse“ erarbeitet werden, um diesen theoretisch nutzbar zu machen.44 Gemäß dem „Synoptischen Realismus“ sind subjektive Interessen „[…] situations-, perzeptions- und wertbedingten Zielsetzungen bzw. Zielorientierungen des Wollens von Verhaltensträgern, insbesondere Führungszentren, zur Regelung der Außenbeziehungen ihrer Staaten oder sonstigen Systeme 43 Zu den Stärken und Schwächen von Fallstudien siehe: van Evera, Stephen: Guide to Methods for Students of Political Science, Ithaca and London 1997, S. 49-88. 44 Diese Begriffsabgrenzung erfolgt hier ausschließlich für nationalstaatliche Akteure, da zwischen diesen und substaatliche Aktionseinheiten oftmals Interessenunterschiede bestehen können. So verfolgen gemäß der Organisationstheorie, (internationale) Organisationen (z.B. Vereinte Nationen) ihre eigenen Interessen, nämlich die bestmögliche Erfüllung ihrer konstitutiven Grundaufgaben, sowie die Steigerung ihres Prestiges; siehe dazu: Thompson, James D.: Organizations in Action, New York 1967, S. 168.
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zu anderen Staaten oder anderen Systemen ihrer jeweiligen internationalen Umwelt, wobei diese potentiell oder tatsächlich verhaltenssteuernden Zielbestimmungen (Hervorhebung im Original; d.V.) im Falle konkreter Planung zumeist unter Mitberücksichtigung innersystemischer und internationaler Determinanten und erwarteter Folgen sowie eines zu ihrer Verwirklichung als notwendig erachteten Mitteleinsatzes formuliert werden.“45 Obwohl ein rein objektiver Interessensbegriff im Sinne der „Münchner Schule“ nicht existiert, wird ihm dennoch ein gewisser heuristischer Wert beigemessen.46 Zur Formulierung der Hypothese wird demzufolge ebenfalls ein objektiver Interessenbegriff benutzt, welcher inhaltlich zumindest auf das staatliche Primärziel der physischen nationalstaatlichen Sicherheit beschränkt werden soll. Dass insbesondere die Gewährleistung physischer und materieller Sicherheit die konstitutive Primäraufgabe eines Staates darstellen, haben bereits weltanschaulich so unterschiedlich zu verortende Vertragstheoretiker wie Thomas Hobbes47, John Locke48 oder auch Jean-Jacques Rousseau49 dargelegt. Hauptsächlich zu diesem Zweck - physische und materielle Sicherheit - übertragen Individuen einen Teil ihrer natürlichen Rechte auf den Staat. Kann der so geschaffene Staat diesen Zweck nicht erfüllen, entfällt seine Legitimationsgrundlage und die Individuen befinden sich wieder in einem Naturzustand (in welchem das Recht des Stärkeren gilt).50 Die Abwehr territorialer Bedrohungen und der Schutz des Staatsvolkes vor physischer Gewalteinwirkung gelten daher an dieser Stelle als interessenbedingte Grundaufgaben der demokratisch verfassten USA. Die „Intervention“ stellt die unabhängige Variable (A) der Hypothese dar. Als abhängige Variable (B) gilt der gemäß den Operationszielen definierte „Erfolg der Intervention“. Als zweite abhängige Variable gilt der Misserfolg der Intervention (D). Während die grundlegende Bedingung „Interesse“ (C) den interventions- und meinungsprägenden Einflussfaktor darstellt, bilden „Interventionskosten“ (e), „öffentliche Meinung“ (f), „öffentlicher Zuspruch“ (g) und „öffentlicher Widerspruch“ (h) die intervenierenden Variablen der Hypothese. Mit (Z) werden weiter entfernte außenpolitische Interessen bezeichnet, welche das „Interesse“ (C) bedingen können. Mit dem Pfeilsymbol (ĺ) wird die kausale Wirkung dargestellt (z.B. „Intervention verursacht Erfolg“). Das Multiplikatorsymbol (X) verdeutlicht den Einfluss der grundlegenden Bedingung C auf die unabhängige
45
Kindermann: Grundelemente (1986), S. 20 - 21. Vgl. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 20. 47 Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan, Stuttgart 1970, S. 151 - 156. 48 Vgl. Locke, John: Two Treatises of Government, Whitefish, MT 2004, S. 33. 49 Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Gesellschaftsvertrag, Stuttgart 1977, S. 17 - 19. 50 Dies war der Fall in Somalia nach 1991. 46
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und die intervenierenden Variablen (z. B. „Je größer der Wert von C desto größer der Wert von f“). Folgende Annahmen sollen gelten: Eine aus primärstaatlichem Interessenkalkül (C) geführte militärische Intervention (A) verursacht Kosten (e) [Verlust von Geld/Verlust von Menschenleben etc.]. Dieser Umstand führt dazu, dass sich die Öffentlichkeit des intervenierenden Staates eine Meinung über das Geschehen (f) bildet. Sieht die Bevölkerung oder sehen deren parlamentarische Vertreter die Intervention (A) und deren Folgen (e) durch höherwertige primärstaatliche Interessen (C) gerechtfertigt, so bleibt der öffentliche Zuspruch (g) desto mehr erhalten, je höher der Wert der primärstaatlichen Interessen (C) in der öffentlichen Wahrnehmung (f) ist. Dieser öffentliche Zuspruch (g) ist dabei für den langfristigen Interventionserfolg (B) demokratisch verfasster Staaten von entscheidender Wichtigkeit. Denn die Exekutive kann aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen eine Intervention nicht lange ohne den handlungslegitimierenden Zuspruch des Volkes aufrecht erhalten. Stellt jedoch die Intervention in der öffentlichen Meinung (f) keine zwingend erforderliche Handlung zur Wahrung primärstaatlicher Interessen dar, so entsteht ein öffentlicher Widerspruch (h) in Bevölkerung und Parlament. Je geringer der Wert der betroffenen primärstaatlichen Interessen (C), desto stärker entwickelt sich öffentlicher Widerspruch (h) gegen die Intervention. Dies hat mittelfristig zur Folge, dass die Regierung ihre Interventionsziele reduzieren oder ganz aufgeben muss.51 Je geringer demnach der Wert der primärstaatlichen Interessen (C) ist, desto wahrscheinlicher ist ein Misserfolg der Intervention (D).
Demnach wird folgende Hypothese aufgestellt: H1: „Es wird angenommen, dass eine militärische Intervention der USA in Somalia nur dann erfolgreich gewesen wäre, wenn sie aufgrund primärstaatlicher Interessen geführt worden wäre und der Wert dieser Interessen die Interventionskosten überstiegen hätte.“
51 Eine Konfliktausweitung ist in diesem Zusammenhang nicht vorstellbar, da die öffentliche Meinung der bereits laufenden Intervention kritisch gegenübersteht.
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Darstellung der Hypothese im Pfeildiagramm52 Z
ĺ
C
C
X
x
A
ĺ
e
ĺ
f
ĺ
g
ĺ
B
A
ĺ
e
ĺ
f
ĺ
h
ĺ
D
x Z
x ĺ
C
C
Legende A (unabhängige Variable) B (abhängige Variable)
Militärische Intervention der USA in Somalia Gemäß der Interventionsziele definierter Erfolg der Intervention Z Weiter entfernte außenpolitische Interessen C (Grundlegende Bedingung) primärstaatliches Interesse D (abhängige Variable) Misserfolg der Intervention ĺ Kausale Bedingtheit X (Multiplikator) Einfluss der grundlegenden Bedingungen C und D auf die unabhängige und die intervenierenden Variablen e (intervenierende Variable) Interventionskosten f (intervenierende Variable) Öffentliche Meinung g (intervenierende Variable) Öffentlicher Zuspruch h (intervenierende Variable) Öffentlicher Widerspruch Es soll anhand einer Konstellationsanalyse der amerikanischen Somaliaintervention 1992 - 1994 gezeigt werden, dass im Falle einer militärischen Intervention der USA abseits klar definierter primärstaatlicher Interessen die amerikanische Öffentlichkeit der Intervention die Unterstützung entzieht, sollten die Interventionskosten die in den Interventionszielen verfolgten Interessen übersteigen. Denn wird eine Intervention ohne die entsprechende Interessengrundlage geführt, so 52 Die graphische Darstellung der Hypothese erfolgt in Form eines Pfeildiagramms, welches das Modell van Everas verwendet; Vgl. van Evera, Stephen: Guide to Methods for Students of Political Science, Ithaca and London 1997.
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wird bei steigenden Kosten die Öffentlichkeit bald nach den Hintergründen des Einsatzes fragen. Kann die Regierung die Kosten - beispielsweise den Verlust an Menschenleben - nicht mit gleich- oder höherwertigen Interessen rechtfertigen, wird sich die Bevölkerung gegen diese Intervention aussprechen. Aus diesem Grund sollte eine militärische Intervention einzig aus primärstaatlichen Interessen erfolgen, da scheinbar nur so der für die Regierung der USA (aber auch anderer demokratisch verfasster Staaten) handlungsgestaltende und handlungsbestimmende öffentliche Zuspruch erhalten werden kann. 1.4 Quellenlage und Forschungsstand Vorliegender Studie stellen sich mehrfache Herausforderungen. Einerseits besteht eine Vielzahl von Monographien, Sammelbänden, Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Internetpublikationen zum Thema der U.S.-amerikanischen Somaliaintervention. Somit kann auf eine reichhaltige Literaturbasis zurückgegriffen werden.53 Andererseits sind deren Erkenntnisse ihrer Anzahl entsprechend vielfältig, oftmals sogar widersprüchlich. Aus diesem Grund stellt es keine zu unterschätzende akademische Herausforderung dar, diese inhaltlich und qualitativ äußerst heterogene Informationsflut sinnvoll zu selektieren, zu ordnen, zu erklären und für das Forschungsvorhaben anwendbar zu machen. Dies wird durch zwei Faktoren zusätzlich erschwert. Erstens sind aufgrund der bis heute anhaltenden anarchischen Zustände in Somalia ist der Zugang zu offiziellen Dokumenten sowie Interviewpartner aus dem Land stark eingeschränkt. Da zusätzlich Analphabetismus aufgrund der späten Einführung der Schriftsprache (1972) ein in Somalia weit verbreitetes Phänomen ist, bestehen kaum Publikationen somalischen Ursprungs. Zwei von General Mohammed Farrah Aidid herausgegebene und mitverfasste Publikationen54 waren verfügbar und für die Studie von potentieller Relevanz gewesen. Da diese jedoch keinen akademischen Standards entsprechen, sondern vielmehr propagandistische, aus anderen Quellen (vor allem I.M. Lewis’ Werken) zusam-
53 Die Publikationen zum Thema der U.S.-amerikanischen Somaliaintervention sind überwiegend englischsprachige Werke. In deutscher Sprache wurde zu diesem Thema bisher weit weniger verfasst. Der akademischen Genauigkeit wegen muss die Studie daher sprachliche Abstriche machen und alle Zitate unübersetzt wiedergeben. 54 Die Publikationen Mohammed Farrah Aidids können auf folgender Internetseite gefunden werden: „On the Preferred Future Development in Somalia”: http://www.civicwebs.com/cwvlib/africa/somalia/1993/preferred_future_development/index.htm , und “Somalia: From The Dawn of Civilization To The Modern Times”: http://www.civicwebs.com/cwvlib/africa/somalia/1994/dawn_of_civilization/index.htm
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mengestellte Machwerke darstellen, wurden sie zwar gesichtet, jedoch nicht direkt in die Studie mit einbezogen. Der zweite Faktor stellt die Tatsache dar, dass sich die U.S.-amerikanische Somaliaintervention zum Zeitpunkt eines amerikanischen Regierungswechsels ereignete. Da der Beginn der Intervention im Zeitraum der Bush Regierung lag, der Mandatswechsel und das Ende des Engagements im Zeitraum der Clinton Regierung, müssen die teilanalytischen Untersuchungen für den Akteur USA jeweils für beide Präsidentschaften gesondert erfolgen. Dieser Umstand führt zu einer erhöhten Komplexität der Studie. Die Anzahl verfügbarer Literatur bezüglich der Präsidentschaft George Bushs und Bill Clintons übersteigt bei weitem die Anzahl der Publikationen zur Somaliaintervention. Auch hier wurde versucht, die relevanten Werke der maßgeblichen Autoren in diese Studie einfließen zu lassen. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit und der stetig steigenden Zahl an Veröffentlichungen zum Forschungsgebiet konnten leider nicht alle Quellen in dem Maße berücksichtigt werden, wie sie es berechtigterweise verdient hätten. Aufgrund oben angesprochener Zustände in Somalia sowie der mangelhaften Primärquellenlage können die Forschungen über die U.S.-amerikanische Somaliaintervention auch keineswegs als abgeschlossen gelten. Die kleine Fachgemeinschaft der Somaliaforscher kommt in der Bewertung des amerikanischen Einsatzes am Horn von Afrika zu äußerst unterschiedlichen Erkenntnissen. Dies gilt insbesondere für die Hintergründe, welche zur Interventionsentscheidung Präsident Bushs geführt haben sowie für die Frage, ob „Operation Restore Hope“ als Erfolg oder Misserfolg gewertet werden kann. Viele ehemals beteiligte Individuen wie Robert B. Oakley, John L. Hirsch, Mohammed Sahnoun, Boutros Boutros-Ghali, u.v.m. aber auch Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die U.S. Army haben das Thema in verschiedenen Publikationen behandelt. Dabei ist oftmals festzustellen, dass spezifische Ereignisse perzeptionsbedingt aus der eigenen Perspektive geschildert und Kausalitäten subjektiv verortet oder gar „unter den Tisch“ fallen gelassen werden. Hinsichtlich des Beginns und des Scheiterns der U.S.-amerikanischen Intervention in Somalia besteht, wie gesagt, keine einheitliche Position in der Fachgemeinschaft. Dies gilt allem voran für den „Mythos“ des sogenannten „CNN-Faktors“. Die meisten Studien stellen die Interventionsentscheidung der Bush Regierung als eine aufgrund medialen Drucks entstandene humanitäre und altruistische Entscheidung eines scheidenden Präsidenten dar. Nur wenige Publikationen machen sich die Mühe, weiter entfernte außen- und innenpolitischen Kodeterminanten wie die Ereignisse in Bosnien oder Russland im Jahr 1992, den U.S.-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf und Bushs Abkehr von der „Neuen Weltordnung“ nach den Zweiten Golfkrieg in die Erklärung der Interventionsentscheidung mit einzube-
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ziehen.55 Der überwiegende Teil der zu Somalia verfassten Werke untersucht entweder operationale Feinheiten der Missionen UNITAF oder UNOSOM II oder die ethnographische Gesellschaftsstruktur des Landes. Eine einheitliche Bewertung der Hintergründe und Folgen der U.S.-amerikanischen Intervention in Somalia von 1992-1994 kann somit in der Literatur nicht festgestellt werden. Eine konstellationsanalytische Untersuchung des amerikanischen Somaliaengagements von 1992-1994 besteht einzig im Sammelband von William J. Durch, wobei dieser jedoch seinen Forschungsschwerpunkt auf das operationale Vorgehen der Vereinten Nationen in Somalia legt.56 Breite politikwissenschaftliche Analysen der Somaliaintervention sowie ihrer weiter entfernten Hintergründe sind bis auf wenige Ausnahmen in der deutschsprachigen Literatur bisher kaum zu finden. Eine durch den Einzelfall Somalia konstellationsanalytisch vorgehende Fallstudie hinsichtlich der Gründe des Misserfolges der amerikanischen Somaliaintervention USA wie sie hier vorliegt, existiert meines Wissens nach noch nicht. 1.5 Zur Theorie der Internationalen Politik 1.5.1 Zur Legitimation theoriegestützter Forschung Jeder politikwissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Internationalen Politik muss zwingend ein Theorieansatz zu Grunde liegen. Aufgrund des komplexen Charakters des internationalen Systems mit seiner Vielzahl an Strukturebenen, Prozessen und Aktionseinheiten würde sich eine „theoriefreie“ Forschungsarbeit im Endlosen verlieren und zu guter Letzt willkürlich diskriminierend oder irrelevant verallgemeinernd sein. Ohne sinnvolle Kenntlichmachung, Zuordnung und Verknüpfung unterschiedlichster Faktoren, Begrifflichkeiten oder Kausalitäten wäre ein systematischer Lernprozess kaum möglich. Und „[a]ngesichts dieser Vielschichtigkeit und
55 Einen exzellenten Überblick über diese weiter entfernten Kodeterminanten der Somaliaintervention bieten: Western, John: Sources of Humanitarian Intervention. Beliefs, Information and Advocacy in the U.S. Decisions on Somalia and Bosnia, in: International Security, Vol. 26, No. 4, Frühjahr 2002, S. 112 - 142; sowie: Halberstam, David: War in A Time of Peace. Bush, Clinton, and the Generals, New York et al. 2001. 56 Vgl. Durch, William J. (ed.): UN Peacekeeping, American Policy, and the uncivil Wars of the 1990s, New York 1996.
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partiellen Widersprüchlichkeit des internationalen politischen Systems erhebt sich die Frage der intellektuellen Bewältigung.“57 Um sich diesen Widersprüchlichkeiten nähern zu können, weist eine Theorie der Internationalen Politik folgende vier Funktionen auf. Erstens werden aus einem komplexen Sachverhalt die relevanten Faktoren selektiert (Selektionsfunktion). Zweitens werden diese selektierten Faktoren einander logisch zugeordnet (Ordnungsfunktion). Drittens hat eine Theorie die Funktion, eben jene relevanten und strukturierten Faktoren sowie deren kausale Zusammenhänge zu erklären (Erklärungsfunktion), um viertens den daraus erzielten Erkenntnisgewinn der Wissenschaft und den politisch Handelnden verfügbar zu machen (operative Funktion).58 Theoretisches Denken und Vorgehen darf letztendlich seine primäre Bestimmung nicht aus dem Auge verlieren. Denn die genuine Aufgabe der Theorie ist weniger die punktuelle Erklärung eines einmaligen Ereignisses, als vielmehr das grundlegende Ordnungsschema scheinbar lose verknüpfter Kausalitäten zu erkennen.59 Erst Theorie gibt politikwissenschaftlicher Forschung den Grundrahmen singuläre Phänomene menschlicher Interaktion sinnhaft und kausal richtig einzuordnen, um somit transepochal und -kulturell gültige Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten. Darin liegt die Berechtigung der Theorie. Dies erfordert wiederum vom Wissenschaftler die Bereitschaft und das Vermögen, abstrakt zu denken - anders ausgedrückt, einfachen Erklärungen den Vorzug vor komplexen zu geben.60 Diese Art zu denken muss jedoch stets durch einen Skeptizismus gegenüber absoluten Wahrheiten und die Empfänglichkeit für Wahrscheinlichkeiten ergänzt sein, um somit „[d]ie Gefahren (Hervorhebung im Original, d.V.) unkritischer Verabsolutierung von Konstanten und einer dementsprechenden Unterschätzung des Wandels von Inhalten im Rahmen analog scheinender (Hervorhebung im Original, d.V.) Formen“61 nicht zu übersehen. Nur durch theoretisch abgesichertes Arbeiten können „[…] psychologische Grundstrukturen menschlichen Handelns [kenntlich gemacht werden, welche; d.V.] die Nachvollziehbar-
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Meier-Walser, Reinhard C.: Die wissenschaftliche Untersuchung Internationaler Politik. Struktureller Neorealismus, die „Münchner Schule“ und das Verfahren der „Internationalen Konstellationsanalyse“, Aktuelle Analysen 35, München 2004, S.7. 58 Vgl. Haftendorn, Helga: Theorie der Internationalen Politik. Gegenstand und Methode der Internationalen Beziehungen. Hamburg 1975, S.10. 59 Vgl. Rosenau, James N.: The Scientific Study of Foreign Policy. rev. ed., London 1980, S. 19 - 31. 60 Vgl. Rosenau: The Scientific Study of Foreign Policy, S. 19 - 31. 61 Kindermann, Gottfried-Karl: Grundelemente der Weltpolitik (1977), S. 29.
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keit selbst aus fernster Vergangenheit stammender Motivations- sowie Aktionsund Interaktionsstrukturen [bedingen und erklären; d.V.].“62 1.5.2 Das neorealistische Theoriegebäude Es liegt in der Natur der Sache, dass die Theorien der Internationalen Beziehungen die Komplexität, Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit ihres Forschungsgegenstandes widerspiegeln. So kann mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlichster Theorieansätze gezählt werden. Grundlegend bewegen sich jedoch die Mehrzahl aller Theorien zwischen den „Polen“ Liberalismus und Realismus. Dazu gesellen sich ergänzend die globalistischen und postinternationalen Theorieansätze.63 Alle Spielarten dieser Denkschulen weisen in unterschiedlichem Maße Gegensätze, aber auch Berührungspunkte untereinander auf. Selbst die oft vorgetragene konstruktivistische Kritik64, der Neorealismus würde durch das Überbetonen objektiver Tatsachen die subjektiven Faktoren menschlicher Interaktionen (z.B. Ideen) ausblenden, kann vor allem für die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik nicht gelten. Da die vorliegende Arbeit dem realistischen Paradigma im Allgemeinen, der neorealistischen Theorieströmung im Speziellen folgt und zur Operationalisierung des Forschungsvorhabens das Instrument der „Internationalen Konstellationsanalyse“ der „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik anwendet, erfolgt an dieser Stelle ein Überblick über die Grundannahmen des „Neorealismus“. Denn dieser stellt keine einheitliche Theorie, sondern vielmehr ein „verzweigtes und uneinheitliches Theoriegebäude“65 dar. Nicht nur aufgrund der o.e. Überlappungen verschiedener theoretischer Annahmen mit denen des Neorealismus ist eine strikte Kategorisierung oder die oft vorgenommene Gleichsetzung des Terminus „Neorealismus“ mit dem strukturel62 Kindermann, Gottfried-Karl: Neorealismus und Analyse. Zum Ansatz der Münchner Schule, in: Internationale Politik, Vol. 51, No. 8, August 1996, S. 21 - 28, hier: S. 21. 63 An dieser Stelle kann nicht auf alle Theorieströmungen eingegangen werden. Für einen Überblick: Dougherty, James E./Pfaltzgraff, Robert L. Jr.: Contending Theories of International Relations. A Comprehensive Survey, Longman 5th Edition, New York et al. 2001; oder: Viotti, Paul R./Kauppi, Mark V.: International Relations Theory. Realism, Pluralism, Globalism, and Beyond, Allyn and Bacon 3rd Edition, Boston et al. 1999. 64 Vgl. Katzenstein, Peter J. (ed.): The Culture of National Security: Norms and Identity in World Politics, New York 1996; oder: Wendt, Alexander: Anarchy is What States Make of It: The Social Construction of Power Politics, in: International Organization, Vol. 46, No. 2, Frühjahr 1992, S. 391 - 425. 65 Schörnig, Niklas: Neorealismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, Opladen 2003, S. 61 - 88, hier S. 81.
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len Ansatz von Kenneth Waltz unzulässig und in der Sache völlig falsch. „Der Terminus >>Neorealismus<< bedeutet zunächst nicht mehr und nicht weniger, als dass die sich einer mit diesem Terminus zu bezeichnenden Richtung zugehörig fühlenden Forscherinnen und Forscher sich nicht vollständig mit der Tradition des >>klassischen<< Realismus (>>Political Realism<<) Hans Morgenthaus identifizieren, sondern aufgrund anderer Einflüsse und (neuerer) Erkenntnisse teilweise von der älteren Schule abweichen.“66 1.5.3 Der klassische Realismus von Hans J. Morgenthau Als prominentester Vertreter67 und Gründungsvater entwickelte Hans J. Morgenthau68 den „klassischen Realismus“ „[...] als Gegenkonzeption zum Idealismus, oder wie er es nannte, zum ‚Utopismus’, ‚Sentimentalismus’, ‚Perfektionismus’ bzw. ‚Moralismus’, der die internationale Politik und die akademische Disziplin gleichen Namens zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte“69. Dabei war seine Theorie geprägt von einem historisch-anthropologischen Ansatz, welcher die Erfahrungen geschichtlicher Analogien sowie die Grundzüge menschlichen Verhaltens als Ausgangspunkt der Theorie erachtete. Die Lehren der Geschichte zeigten den „Realisten“ deutlich, dass menschliches Verhalten und somit auch Politik allem voran durch im Sinne von Macht verstandene Interessen geleitet wird. „ […] [I]n order to understand the very nature of politics and the perennial role of men as its actors one had to comprehend that striving for power and pursuing power-related interests were the dynamic primary sources of causation in political action and inter-action, no matter how much this causation might be disguised by all kinds of other motives or by genuine self-delusion“70. Ein „moralischer Skeptizismus“ (Dilthey), welchen der „Neorealismus“ später vom 66 Meier-Walser, Reinhard C.: Neorealismus ist mehr als Waltz. Der Synoptische Realismus des Münchner Ansatzes, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Vol. 1, No. 1, 1994, S. 115 - 126, hier: S. 115 - 116. 67 Der Realismus hat weiterreichende geisteswissenschaftlich-philosophische Wurzeln, welche über Max Weber, Thomas Hobbes, Niccolo Machiavelli bis zu Thucydides zurückreichen. Neben Morgenthau waren für die Entwicklung der „neueren“ Theorie E.H. Carr, Georg Schwarzenberger, Robert E. Osgood oder Hedley Bull von bedeutender Wichtigkeit. Praktische Anwendung fand der Realismus u.a. im politischen Wirken von Henry A. Kissinger, George Ball oder George F. Kennan. 68 Das maßgebliche Werk über Morgenthau und den klassischen Realismus stellt derzeit folgender Titel dar: Rhode, Christoph: Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus, Wiesbaden 2004. 69 Masala, Carlo: Kenneth N. Waltz. Einführung in seine Theorie und Auseinandersetzung mit seinen Kritikern, Baden-Baden 2005, S. 23 - 24. 70 Kindermann, Gottfried-Karl: In Memoriam Hans J. Morgenthau. The Man and His Message, In: Hacke, Christian/Kindermann, Gottfried-Karl/Schellhorn, Kai (Eds.): The Heritage, Challenge, and Future of Realism. In Memoriam Hans J. Morgenthau, Göttingen 2005, S. 17.
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„klassischen Realismus“ übernahm, stellt im verantwortungsethischen Sinne Max Webers tatsächlich vorhandene machtpolitische Interessen des Staates über idealistische und utopische Moralvorstellungen der Gesellschaft. In Morgenthaus wissenschaftsethischem Verständnis hat die primäre moralische Verpflichtung des Politikwissenschaftlers somit stets der Wahrheit zu gelten - und diese spiegelt sich in den realen Machtverhältnissen wider.71 Dennoch ist die Betonung des interessengeleiteten Machtbegriffes nicht mit kalter Staatsräson gleichzusetzen, denn „Morgenthaus Diplomatiekonzept fordert eine intelligente Entideologisierung der Außenpolitik, durch welche erst eine wahrhaft moralische, multilaterale Außenpolitik ermöglicht wird.“72 Morgenthaus Bewusstsein um die moralischen Unzulänglichkeit des Menschen und das dem „Realismus“ zugrundeliegende Wertegerüst, welches stark vom „christlichen Realismus“73 Reinhold Niebuhrs geprägt wurde, zeigt sich besonders gut in folgendem, von ihm oft verwandten Zitat: „What nation likes to be oppressed by a stronger power? Or who wants his property plundered unjustly? Yet, is there any single nation that has not oppressed its neighbour? Or where in the world will you find a people that has not plundered the property of another? Where indeed?”74 Der „klassische Realismus“, welcher zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Anfang der 1980er Jahre die vorherrschende Theorieströmung der Internationalen Beziehungen darstellte, basiert auf der anthropologischen Grundannahme menschlichen Machtstrebens. „Macht“, welche Morgenthau mit Politik gleichsetzt, stellt den alles überragenden Fundamentalbegriff des Politischen Realismus dar. Politik als autonomer Aktionsbereich kann seiner Meinung nach nur durch einen im Sinne von Macht verstandenen Interessenbegriff erklärt werden.75 1.5.4 Das „Sicherheitsdilemma“ Dies erfordert einen ebenso realistischen Blick auf die Verhaltensmuster strukturbestimmender Aktionseinheiten der Weltpolitik. Nationalstaaten stellen die maßgeblichen Akteure der internationalen Politik dar und nur sie verfügen über 71
Vgl. Morgenthau, Hans J.: The Commitment of Political Science, in: Ders.: Dilemmas of Politics, Chicago 1958, S. 43. 72 Rhode: Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus, S. 44. 73 Zum „christlichen Realismus“ siehe: Niebuhr, Reinhold: The Nature and Destiny of Man: A Christian Interpretation, New York 1941. 74 Morgenthau, Hans J.: Politics Among Nations, The Struggle for Power and Peace, 3rd edition, New York 1962, S. 34 - 35. 75 Vgl. Kindermann: Grundelemente der Weltpolitik. Eine Einführung, 3. erweiterte Neuauflage, München/Zürich 1986, S. 15 - 16.
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ein legitimes Gewaltmonopol innerhalb ihrer eigenen Grenzen. Daher muss der internationale zwischenstaatliche Raum im Gegensatz dazu durch die Abwesenheit von Herrschaft gekennzeichnet, also anarchisch, sein. Da keine den Nationalstaaten übergeordnete Sanktionsgewalt auf zwischenstaatlicher Ebene existiert, stellt sich internationale Politik als ein immerwährender Machtkampf zwischen unterschiedlich starken Staaten dar. Diese verfolgen in einem rationalen Prozess stets ihre nationalen Interessen, um so ihre Macht (militärisch, ökonomisch, ideologisch, etc.) zu vergrößern.76 „Die Starken haben [zwar, d.V.] kein ‚Recht’, was immer das bedeuten mag, die Schwachen zu missbrauchen, aber sie werden es tun, wenn es in Ihrem Interesse ist. Es nützt dem Schwachen nichts, wenn Zuschauer ihre moralische Empörung ausdrücken. Die Schwachen werden vom Missbrauch durch den Starken nur dann geschützt, wenn sie selber stark werden oder wenn sie von einem Stärkeren beschützt werden.“77 Nur auf diese Weise können die Akteure ihre Sicherheit, sprich ihr eigenes Überleben, sichern. Dieser stetige Versuch der Machtakkumulation führt jedoch zu dem Phänomen einer sich gegenseitigen verstärkenden Bedrohungsperzeption.78 Der Machttrieb der Staaten ist daher für den „Realismus“ die grundlegende Komponente und wichtigste Triebfeder Internationaler Politik. Die sogenannte „black box“, also die inneren Wirkungszusammenhänge und Systemstrukturen der Staaten werden in die Analyse nicht miteinbezogen.79 1.5.5 Die theoretischen Grundannahmen des Neorealismus Die verschiedenen Neorealismen teilen die Grundannahmen des klassischen Realismus bezüglich der Struktur internationaler Politik, grenzen sich jedoch in unterschiedlicher Weise von einigen wichtigen Bereichen ab, beziehungsweise versuchen, ihn durch den Einbezug neuer Forschungserkenntnisse weiterzuentwickeln. „So bemüht sich der Neorealismus (Hervorhebung im Original, d.V.) 76
Vgl. Dougherty/Pfaltzgraff: Contending Theories of International Relations, S. 63 - 64. Morgenthau, Hans J.: Antwort auf den Leserbrief von Prof. Loebl „CZECHOSLOVAKIA“ vom 26. März 1970, in: The New York Times Book Review, Vol. 14, No. 6; zitiert nach: Rhode: Hans J. Morgenthau und der weltpolitische Realismus, S. 25. 78 Dieses Sicherheitsdilemma (siehe: Herz, John: Das Sicherheitsdilemma im Atomzeitalter, in: ders.: Weltpolitik im Atomzeitalter, Stuttgart 1950, S. 130 - 137) führt nach neorealistischen Annahmen zu einer Balance-of-Power-Politik (siehe Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, New York 1979), bzw. einer Balance-of-Threat-Politik (siehe Walt, Stephen : Alliance Formation and the Balance of World Power, in: International Security, Vol. 9, No. 4 Frühjahr 1985, S. 3 - 43.). 79 Vgl. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 27. (Eine Ausnahme stellt der Neoklassische Realismus dar, auf welchen an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.) 77
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vor allem um eine Ausdifferenzierung des Machtbegriffs.“80 Der “Neorealismus” hat dabei das Ziel die realistische Tradition durch eine deutlichere und konsistentere Definition der Grundbegriffe zu verbessern. Macht bleibt als unabdingbare Komponente politischen Handelns weiterhin ein Grundbegriff des Neorealismus, verliert jedoch seinen Selbstzweck.81 Während der „Strukturelle Realismus“ von Kenneth Waltz82 in der internationalen Systemstruktur den verhaltenssteuernden Faktor sieht, betont der „Synoptische Neorealismus“ von Kindermann den Politikbegriff „[...] as its key concept, both in domestic politics and at the international level.“83 Neben diesen beiden Varianten stellen der „Ökonomische Realismus“84 von Robert Gilpin, die „Neorealistische Kooperationstheorie“85 von Joseph M. Grieco sowie der „Konfiguratorische Realismus“86 von Werner Link die einflußreichsten Weiterentwicklungen des klassischen Realismus dar.87
80 Lehmkuhl, Ursula: Theorien Internationaler Politik. Einführung und Texte, München/Wien/Oldenburg 1996, S. 75. 81 Vgl. Dougherty/Pfaltzgraff: Contending Theories of International Relations, S. 80. 82 Zum strukturellen Realismus von Kenneth Waltz siehe: siehe Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, New York 1979. 83 Dougherty/Pfaltzgraff: Contending Theories of International Relations, S. 81. 84 Zum „Ökonomischen Realismus“ siehe: Gilpin, Robert: War and Change in World Politics, Cambridge 1981. 85 Zur „Neorealistischen Kooperationstheorie“ siehe: Grieco, Joseph M.: Cooperation Among Nations. Europe, America, and Non-Tariff Barriers To Trade, Ithaca (NY) 1990. 86 Zum „Konfiguratorischen Realismus“ siehe: Link, Werner: Der Ost-West-Konflikt. Die Organisation der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1988; siehe auch: Ders.: Die Neuordnung der Weltpolitik. Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, München 1998. 87 Für einen Überblick über die neorealistischen Theorieströmungen siehe: Masala, Carlo/Roloff, Ralf (Hrsg.): Herausforderungen der Realpolitik. Beiträge zur Theoriedebatte in der Internationalen Politik, Köln 1998.
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2 Die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik und die „Internationale Konstellationsanalyse“
2.1 Die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik Die „Münchner Schule“ des Neorealismus im Fach Internationale Politik (im Folgenden: „Münchner Schule“ oder „Synoptischer Neorealismus“) verfolgt in Abgrenzung zu den anderen neorealistischen Strömungen einen multiperspektivischen, synoptischen Forschungsansatz, welcher historisch-anthropologisch fundiert und empirisch-analytisch vorgeht. Im Dialog mit, aber unter substantieller Abgrenzung zu Hans J. Morgenthau entstanden, „[…] geht [der synoptische Neorealismus, d.V.] davon aus, dass das Verhalten eines Staates A gegenüber einem Staat B weder ausschließlich durch Akteursmerkmale (Charakteristika der verantwortlichen außenpolitischen Entscheidungsträger von A), noch lediglich durch Merkmale des Aktionssystems (verhaltenssteuernde Besonderheiten des politischen Systems von A), oder exklusiv durch systemisch-strukturelle Merkmale (machtpolitische Positionierung von A vis-à-vis B) erschöpfend erklärt werden kann.“88 Der „Synoptische Neorealismus“ betont in Anlehnung an die Forschungen Arnold Begrstraessers89 vielmehr die Wichtigkeit aller drei Elemente, um durch eine multiperspektivische und synoptische Zusammenschau einzelner und unterschiedlicher, aber sich gegenseitig bedingender Faktorenbündel die „Grundelemente der Weltpolitik“ kenntlich zu machen. Die „Münchner Schule“ „[…] vertritt […] die Auffassung, dass eine empirisch-anthropologische, auf Elementen des Typischen im politischen Verhalten von Menschen abzielende Durchleuchtung weltgeschichtlicher Vorgänge - trotz der Vielfalt zeitlich und räumlich bedingter Varianten - die wichtigste Quelle politikwissenschaftlicher Erkenntnis verkörpert.90 Obwohl menschliches Machtstreben und Macht an sich somit auch für den synoptischen Neorealismus unver88
Meier-Walser: Neorealismus ist mehr als Waltz, S. 116 - 117. Siehe dazu: Bergstraesser, Arnold: Weltpolitik als Wissenschaft. Geschichtliches Bewusstsein und politische Entscheidung, Westdeutscher Verlag, Köln 1965 90 Kindermann: Grundelemente (1986), S. 12 -13. 89
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zichtbare Variablen bleiben, ist Macht jedoch (im Unterschied zu Morgenthaus Theorie) immer als Mittel für einen spezifischen, interessengeleiteten und situationsabhängigen Zweck anzusehen. Macht stellt demnach im Neorealismus nicht die, sondern eine Erklärungsvariable dar. So schreibt Kindermann: „Although power is, in our definition, a key instrument and a motivational co-determinant of politics, it is not seen as being co-equal with politics or as exhausting the motivational key determinants of politics.“91 Aufgrund der Dynamik historischer Entwicklungen sowie transkultureller, politisch-sozioökonomischer Systemunterschiede müssen die sie mitprägenden, spezifischen Verhaltens- und Denkmuster in jede politikwissenschaftliche Analyse mit einfließen.92 Die wissenschaftliche Betrachtung des polyzentrischen Gefüges internationaler Politik darf daher „[…] die internen Systemstrukturen der handelnden Einheiten als wichtige Kodeterminanten der Entscheidungsfindung nicht vernachlässigen.“93 Denn diese innerstaatlich gebildeten, ordnungspolitischen Entscheidungsprozesse prägen das Verhalten der am internationalen Interaktionsprozess beteiligten Aktionseinheiten (z.B. Staaten).94 Da diese internen Systemstrukturen von Akteur zu Akteur und Zeit zu Zeit variieren (können), verwendet die „Münchner Schule“ auch nicht den objektiven Interessensbegriff des klassischen Realismus, sondern betont die Wichtigkeit unterschiedlich perzipierter, situationsabhängiger Interessenlagen. Diese Betonung subjektiver, wahrnehmungsabhängiger Interessen ist ein wichtiger Unterschied zum klassischen Realismus Morgenthaus. „(D)er Begriff der außenpolitischen Interessen [im Neorealismus bezeichnet; d.V.] in erster Linie verhaltenssteuernde Zielsetzungen oder latente Willensorientierungen außenpolitischer Führungskräfte."95 Da monokausale Erklärungsansätze im Hinblick auf diesen polymorphen Gegenstand zu kurz greifen würden, bedarf es zur wissenschaftlichen Durchdringung internationaler Konstellationen eines multiperspektivischen Analyseinstruments.
91
Kindermann, Gottfried-Karl: The Munich School of Neorealism, Unveröffentlichtes Manuskript, München 1985, S. 9. 92 Vgl. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 14. 93 Meier-Walser: Neorealismus ist mehr als Waltz, S. 117. 94 Vgl. Kindermann: Neorealismus und Analyse, S. 23. 95 Kindermann: Grundelemente (1986), S. 21.
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2.2 Die „Internationale Konstellationsanalyse“ Die „Internationale Konstellationsanalyse“ ist das mehrdimensionale Analyseinstrument der „Münchner Schule“ „[…] zur Untersuchung entscheidender Determinanten sowohl des außenpolitischen Verhaltens einzelner Staaten als auch von internationalen Beziehungsgefügen.“96 Der Begriff der Internationalen Konstellation bedeutet dabei „ein zeitlich und räumlich (regional) bestimmbares Beziehungsgefüge zwischen Aktionseinheiten der internationalen Politik.“97 In der Konstellationsanalyse verdichtet der Forscher schrittweise gewonnenen Einzelerkenntnisse zu einem höherwertigen Gesamtergebnis, um in einer synoptischen Zusammenschau der Forschungsergebnisse den Wirkungszusammenhang, den das Ganze der Konstellationen hervorruft, darzustellen.98 Zunächst werden dazu die zentralen Problemstrukturen der zu untersuchenden Konstellation dargestellt. Diese sind in jedem Fall der historische Kontext, der Untersuchungszeitraum, die geographische Eingrenzung sowie die relevant beteiligten Aktionseinheiten. Der multiperspektivische und synoptische Charakter der Konstellationsanalyse zeigt sich in den sechs doppelpoligen Begriffspaaren, welche als Befragungskategorien den anschließenden Diagnoseprozess strukturieren. Diese Begriffspaare sind System und Entscheidung (1), Wahrnehmung und Wirklichkeit (2), Interesse und Macht (3), Norm und Nutzen (4) Struktur und Vernetzung (5) sowie Kooperation und Konflikt (6). Nach den gesondert voneinander vorgenommenen Einzelanalysen der relevanten Konstellationsdeterminanten (Analyseschritte 1 - 5) werden die über die untersuchten Aktionseinheiten gewonnenen Erkenntnisse in der Struktur- und Verhaltensanalyse (Analyseschritt 6 - 7) zueinander in relationale Beziehung gebracht. Abschließend werden die Forschungsergebnisse in synoptischer Zusammenschau zu einem dynamischen Gesamtergebnis verdichtet, welches grundlegende Erkenntnisse der Konstellation kenntlich und erklärbar machen soll, damit sie für Wissenschaft und Politik operationalisierbar gemacht werden kann.
96
Kindermann: Neorealismus und Analyse, S. 22. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 132. 98 Vgl. Kindermann: Neorealismus und Analyse, S. 22. 97
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3 Konstellationsanalyse - Die „Operation Restore Hope“ und das amerikanische Engagement in Somalia 1992 - 1994
In diesem Kapitel erfolgt eine methodisch leicht modifizierte Konstellationsanalyse der internationalen Intervention in Somalia von 1992 bis 1994. Dabei soll unter besonderer Berücksichtigung der Vereinigten Staaten von Amerika der Wirkungszusammenhang zwischen der „Operation Restore Hope“ / UNITAF99, der United Nations Operation in Somalia (UNOSOM) sowie den beiden Warlords Mohammed Ali Mahdi (Hawiye Abgal) und Mohammed Farrah Aidid (Hawiye Habr Gedir) analysiert werden. Mit der Kommandoübergabe von UNITAF an UNOSOM II tritt eine signifikante Lageveränderung ein, weshalb dieser Abschnitt gesondert betrachtet wird. Methodisch muss die Konstellationsanalyse den tatsächlichen Gegebenheiten realistischerweise angepasst und somit in zwei Feldern leicht modifiziert werden. Erstens sind in Somalia spätestens seit 1991 sämtliche politischen Strukturen zusammengebrochen, und das Land befand sich seitdem in einem quasianarchischen Zustand. Daher erfolgt die Systemanalyse Somalias nicht anhand einer Durchleuchtung des Institutionengefüges und seiner Kodeterminanten, sondern anhand einer ethnographischen Gesellschaftsanalyse. Dabei stellt die Untersuchung traditioneller somalischer Gesellschaftsstrukturen und Verhaltensweisen ein gewinnbringendes Verfahren dar, waren doch alle Versuche, die somalische Gesellschaft in ein zentralisiertes Staatswesen westlicher oder östlicher Provenienz zu verwandeln, erfolglos beziehungsweise Grund für deren Zusammenbruch. Die zweite Modifikation stellt die Erfassung (Aufwertung) der „Warlords“ als „Individualaktionseinheit“ der Konstellationsanalyse dar. Da die Führer der somalischen Clanfraktionen aufgrund des Fehlens offizieller somalischer Staatsakteure die relevantesten der handlungsmitbestimmenden Aktionseinheiten darstellen, werden primär diese Einzelpersonen als quasi-politische Entscheidungsträger hinsichtlich Konflikt und Kooperation angesehen. Auf diese Weise soll 99 Die in VN Sicherheitsratsresolution 794 verabschiedete „Unified Task Force“ (UNITAF) wurde im U.S.-amerikanischen Sprachgebrauch mit „Operation Restore Hope“ bezeichnet.
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eine theoretische Einordnung individuellen Handelns in das neorealistische Paradigma möglich gemacht werden. Nachdem in Einzelanalysen die konstellationsrelevanten Aktionseinheiten getrennt voneinander untersucht wurden, wird die Lageveränderung in Somalia (ab Mai 1993) hinsichtlich Kooperation und Konflikt der beteiligten Akteure untersucht. Die jeweils teilanalytisch gewonnenen Forschungsergebnisse werden anschließend in einer synoptischen Schlussbetrachtung korreliert, um die formulierte Hypothese bezüglich des amerikanischen Misserfolges der militärischen Intervention in Somalia verifizieren oder falsifizieren zu können. 3.1 Selektion und Darstellung der zentralen Problemstruktur der Konstellation An dieser Stelle wird mit einer Darstellung der Kolonialzeit, der Diktatur Mohammed Siad Barres und des somalischen Bürgerkriegs der historische Hintergrund beleuchtet, welcher die Grundlage der zu untersuchenden Ereignisse in Somalia zwischen 1992 und 1994 darstellt. Anschließend werden die für die Konstellationsanalyse zentralen Aktionseinheiten und Problemfelder selektiert. Vorab muss jedoch in einem einleitenden Exkurs auf die somalische Gesellschaftsstruktur eingegangen werden, ohne deren Verständnis ein Erfassen der maßgeblichen Problemstrukturen nicht möglich ist.100 3.1.1 Der historische Kontext Einleitender Exkurs: Ein eminent wichtiger Faktor, der in der Analyse des Konfliktes stets Beachtung finden muss, ist der ethno-soziale Orientierungsrahmen, welcher die somalische Gesellschaft traditionell prägt. Das wichtigste gesellschaftliche Bestimmungsmerkmal eines Somalis ist seine genealogische Position, seine Zugehörigkeit zu einem Clan, welcher die höchste Ebene des sogenannten Tol-Systems darstellt. „Genealogy […] constitutes the heart of the Somali social system and is the basis of the Somali collective predilection to internal fissions and internecine secondary conflicts as well as of the unity of thought and action among Somalis - unity that borders on xenophobia.“101 100 101
Die somalische Sozialordnung wird in Kapitel 3.4.1 ausführlich behandelt. Laitin, David/Samatar, Said: Somalia: Nation in Search of a State, London 1987, S. 29.
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Die somalische Gesellschaft umfasst sechs übergeordnete Clanfamilien, die aus vier pastoral-nomadischen Clans, den Hawiye, Daarood, Isaaq und Dir und zwei bäuerlich-sesshaften Clans, den Digil und den Rahanwein besteht.102 Jede Clanfamilie gliedert sich in mehrere Clans auf, welche über weitere Sub-Clans verfügen, deren kleinste Einheit die Familie (Raas) darstellt. Der Begriff des somalischen Clanwesens kann als Äquivalent zum Völker-/Stammesbegriff in anderen Gesellschaften betrachtet werden. Obwohl oft auf die besondere Homogenität des somalischen Volkes hingewiesen wird, stellen unterschiedliche Dialekte sowie die gesellschaftliche Unterscheidung in sesshafte (Saab; negative Konnotation) und nomadisierende (Samaal; „höherwertig“) Clans relativierende Faktoren dieses scheinbar homogenen Gefüges dar.103 Somit bestehen durchaus „Abstufungen“ innerhalb der somalischen Gesellschaft, die ein „natürliches“ Konfliktpotenzial für die politische Interaktion mit sich bringen. Insbesondere entlang dieser genealogischen Linien haben sich Zugehörigkeitsmuster der somalischen Gesellschaft entwickelt, die im historischen Rückblick häufiger zu einem konfliktiven als zu einem kooperativen Verhalten zwischen den Clans geführt haben.104 3.1.1.1 Das koloniale Erbe Somalias Die Region am Horn von Afrika gewann Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders seit der Freigabe des Suezkanals im Jahr 1869 strategische Bedeutung für westeuropäische Kolonialmächte. Während sich der christliche Nachbarstaat Äthiopien meist durch geschickte Diplomatie oder erfolgreich geleisteten Widerstand einer Fremdbeherrschung entziehen konnte, stand die somalische Gesellschaft aufgrund ihrer dezentralisierten Struktur dieser relativ machtlos gegenüber. Das somalische Territorium fiel in Folge seiner Kolonialisierung den (christlichen) Mächten Äthiopien, Frankreich, Großbritannien und Italien zu. Bei den in diesem Prozess gezogenen Grenzen handelte es sich um klassisch kolonialpolitische Gebietsaufteilungen, welche anthropo-geographische Regionalfaktoren, wie den Zugang zu Wasser- und Weidestellen kaum berücksichtigten.105 Folgen dieser künstlichen Grenzziehung sowie der kolonisierungsbedingten 102
Vgl. Samatar, Said S.: Somalia: The Segmentary Social Order, in: Library of Congress Country Studies: http://lcweb2.loc.gov/cgi-bin/query/r?frd/cstdy:@field(DOCID+so0053) . 103 Vgl. Herrmann, Ron: Der kriegerische Konflikt in Somalia und die internationale Intervention 1992 bis 1995: Eine entwicklungsgenetische und multidimensionale Analyse. (Diss.), Frankfurt a.M./Berlin 1997, S.30 - 32. 104 Vgl. Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order, (abgerufen am 15.11.2008). 105 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 37.
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Modernisierungen von Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung waren Mobilitätseinschränkung nomadisierender Viehbauern, die schwerwiegende ökonomische und soziale Veränderungen zur Folge hatten. 106 Die Entwicklung einer kostenintensiven Konsumwirtschaft, eine voranschreitende Urbanisierung der Bevölkerung sowie der durch die willkürliche Grenzziehung erschwerte Zugang zu Wasser- und Weidestellen führten zu einer Verarmung und Marginalisierung der traditionell pastoralen Gesellschaftsmajorität Somalias. Dies gab den sesshaften, auf Ackerbau und Handwerk spezialisierten Clans einen wirtschaftlichen und sozialen Vorteil.107 Aus der wachsenden Unzufriedenheit über die extern herbeigeführten Lebensumstände entwickelte sich eine pansomalische und antikoloniale Bewegungen, die in besonderem Maße von den benachteiligten nomadisierenden Clans unterstützt wurde. Diese (teilweise religiös motivierten) Rebellionen wiesen zugleich Züge herkömmlicher nomadischer Clan-Kämpfe auf, da aus kurzfristigem politischen Machtkalkül auch mit den Kolonialherren paktiert wurde.108 Zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich ein für den Geschichtsverlauf Somalias entscheidendes Spannungsfeld zwischen einem die Vereinigung aller somalisch bevölkerten Gebiete anstrebenden „Pansomalismus“109 und den traditionellen Partikularinteressen der einzelnen Clan-Familien. Während der Pansomalismus die „Nation“ einte, blieb sie stets entlang der Clanzugehörigkeiten geteilt. Nachdem Großbritannien im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Kontrolle über die äthiopisch und italienisch besetzten Teile Somalias übernommen hatte, wurde Italien nach Kriegsende von den Vereinten Nationen mit einer zehnjährigen Treuhandschaft für sein ehemaliges Kolonialgebiet betraut, das in den Grenzen von 1934 an seine Unabhängigkeit herangeführt werden sollte. Mit der Vereinigung von Britisch Somaliland und dem italienischen Treuhandgebiet wurde am 01. Juli 1960 die unabhängige Republik Somalia mit der Hauptstadt Mogadischu gegründet.110 Nicht Teil dieses Staates waren die ehemaligen somalischen Gebiete in Äthiopien (Ogaden), Dschibuti und Kenia (Northern Frontier District).
106
Vgl. Bestman, Catherine: Violent politics and the politics of violence: the dissolution of the Somalia nation-state, in: American Ethnologist, Vol. 23, No. 3, August 1996, S. 579 - 596, hier: S. 581. Vgl. Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order, (abgerufen am 15.11.2008). 108 Vgl. Matthies, Volker: Krieg am Horn von Afrika, in: Africa Spectrum, Vol. 90, No. 1, 1990, S. 10. 109 Diese Gebiete waren: British Somaliland, das italienische Somalia, die Ogaden-Region, der Northern-Frontier-District und Djibouti. Die fünf Zacken des Sterns der somalischen Flagge symbolisieren diese Gebiete. 110 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 42 - 44. 107
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3.1.1.2 Somalische Unabhängigkeit und die Diktatur Siad Barres In Verbindung mit dem Aufbau zentralistischer Staatsstrukturen führte der rasche ökonomische und gesellschaftliche Wandel des postkolonialen Somalias dazu, dass der neue Staat als „[…] an alien institution and repository of oppressive social relationships imposed to fulfill private (and foreign) interests“111 wahrgenommen wurde. Eine Ungleichverteilung der Regierungs- und Parlamentssitze zugunsten der eher „sesshaften“ Süd-Clans führte zu einer Verschärfung innersomalischer Spannungen.112 Auch bot der voranschreitende Modernisierungstrend in Ökonomie und Bildung insbesondere den urbanen Clanfamilien neue gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten. Verlierer dieses Prozesses waren die somalische Landbevölkerung bzw. die nichtsesshaften Viehbauern, die auch aufgrund ihrer nomadischen Lebensgewohnheiten und des mangelnden Engagements der Regierung wenig Zugang zu den staatlichen Entwicklungsprogrammen hatten.113 Da die neu geschaffene Demokratie die in sie gesetzten Erwartungen der somalischen Bevölkerung (besonders des Nordens bzw. der nomadischen Clans) nicht erfüllen konnte, sondern vielmehr zu einem Kampf um Pfründe verkam, von welchem ein Großteil der Gesellschaft ausgeschlossen war, suchten die Somalis Schutz in ihren traditionellen Clan-Strukturen.114 Der Staat hatte die Schutzfunktion des Clanwesens somit nicht ersetzen können, sondern diese geradezu verstärkt.115 Dass dieser gesellschaftliche Rückzug auf die tribalistischen Srukturen enorme politische Auswirkungen hatte, kann durch die Zersplitterung des somalischen Parteienwesens belegt werden. So standen sich mit der weltweit zweithöchsten Parteienrate pro Einwohner116 in der letzten landesweiten Wahl (März 1969) mehr als 60 verschiedene clanbasierte Parteien gegenüber.117 Im Zustand dieser fragmentierten Machtverhältnisse setzte sich Generalmajor Mohammed Siad Barre im Oktober 1969 durch einen Militärputsch an die 111
Samatar, Abi Ismael: The State and Rural Transformation in Northern Somalia 1884-1989, Madison 1989, S. 76; Vgl. auch: Samatar, Abi Ismail: Destruction of State and Society in Somalia: Beyond the Tribal Convention, in: The Journal of Modern African Studies, Vol. 30, No. 4, Dezember 1992, S. 634 ff. 112 Vgl. Ahmed, Ismail I./Green, Reginald Herbold: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland: local-level effects, external interventions and reconstruction, in: Third World Quarterly, Vol. 20, No. 1, S. 113 - 127, Februar 1999, hier S. 116. 113 Vgl. Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order, (abgerufen am 15.11.2008). 114 Vgl. Simons, Anna: Somalia and the Dissolution of the Nation-State, in: American Anthropologist, Vol. 96, No. 4, Dezember 1994, S.818 - 824, hier: S. 820. 115 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 48. 116 Vgl. Laitin/Samatar: Somalia: Nation in Search of a State, S. 69. 117 Vgl. Ahmed/Green: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland, S. 116.
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Spitze des relativ jungen Staates. Das in Demokratische Republik Somalia umbenannte Land wurde in einen sozialistischen Ein-Parteien-Staat umgewandelt und wandte sich in der blockpolitischen Konfrontation des „Kalten Krieges“ unverzüglich der UdSSR zu, die Somalia militärisch und wirtschaftlich unterstützte. Mit der Einführung eines als „wissenschaftlichem Sozialismus“ bezeichneten Wirtschaftssystems sowie einer weiteren Zentralisierung des Verwaltungsund Justizwesens, versuchte Siad Barre das Land von seiner Unterentwicklung und den tribalistischen Gesellschaftsstrukturen zu befreien.118 „The new regime announced radical plans to transform overnight an underdeveloped, conservative, Islamic country, inhabitated mostly by nomads and semipastoralist nomads, into a modern socialist state trough ‚scientific socialism’ […] determined to create a political system without constitutional, legislative, or judicial restraints on the exercise of executive power […].“119 Darüber hinaus sollte durch die Einführung der somalischen Schriftsprache120 im Jahr 1972 und pansomalische Rhetorik ein nationales Bewusstsein entstehen, welches im Sinne der kommunistischen Ideologie die Loyalität der Bevölkerung weg von den verschiedenen Clans, hin zu dem Nationalstaat, verkörpert durch die Einheitspartei (Somali Revolutionary Socialist Party, SRSP), bewegen sollte.121 3.1.1.3 Der Ogadenkrieg 1977 1977 nutzte Barre das durch den Sturz Kaisers Haile Selassie entstandene Machtvakuum im Nachbarland Äthiopien, um die Herrschaft Addis Abebas in der ehemals somalischen Ogaden-Grenzregion durch gezielte Guerillaaktionen weiter zu schwächen. Eine marxistische Revolution junger Offiziere hatte dort Verwaltung und Militär in zwei Lager gespaltet und trotz sowjetischen Beistands weiterhin große Schwierigkeiten, die Herrschaft zu konsolidieren. Nach den anfänglichen Guerillakampagnen im Ogaden kam es 1977 schließlich zu einer somalischen Invasion Äthiopiens.122 Die Betonung der ethnischen Zugehörigkeit des Ogaden zu Somalia konnte den Bündnispartner UdSSR jedoch nicht von der Legitimität dieser blockinternen Aggression überzeugen. Nachdem 118
Vgl. Hooglund, Eric: Somalia. Government and Politics, in: Library of Congress Country Studies: http://lcweb2.loc.gov/cgi-bin/query/r?frd/cstdy:@field(DOCID+so0053) . 119 Omaar, Rakiya: Somalia: At War with Itself, in: Current History, Vol. 91, No. 565, Mai 1992, S. 230 - 235, hier S. 231. 120 Vgl. Lewis, I. M.: A Modern History of Somalia. Nation and State in the Horn of Africa, Revised, Updated, and Expanded Edition, Boulder & London 1988, S. 5. 121 Vgl. Hooglund, Eric: Somalia, (abgerufen am 15.11.2008). 122 Vgl. Clark, Jeffrey: Debacle in Somalia, in: Foreign Affairs, Vol. 72, No. 1, Winter 1992/1993, S. 109 - 123, hier S. 110.
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die somalische Armee Äthiopien an den Rand einer Niederlage getrieben hatte, kündigte die Sowjetunion das Bündnis mit Somalia auf und mehrere sozialistische Staaten (Kuba, UdSSR) ergriffen aktiv Partei für die marxistische Regierung in Addis Abeba. Diese „[…] dramatic and massive intervention by socialist countries enabled the Ethiopians to crush and repel the invading army, which never recovered fully from its stunning defeat.”123 3.1.1.4 Kriegsniederlage und somalischer Bürgerkrieg (1978 – 1991) Als die pansomalischen Träume mit der militärischen Niederlage von 1978 gescheitert waren, verlor Siad Barre sowohl den Integrationsmotor der somalischen Gesellschaft als auch die Unterstützung seiner Bevölkerung. „[…] (T)he Ogaden debacle fatally wounded the regime in Mogadishu and may even have been the catalyst in the decomposition and demise of the Somali state.”124 Diese Niederlage, welche ihren Teil zum Scheitern des “wissenschaftlichen Sozialismus” und der verheerenden ökonomischen Situation in Somalia beitrug, kann als der wichtigste Einzelfaktor im Niedergang des Regimes gesehen werden125. In Verbindung mit der eintretenden Flüchtlingsbewegung ethnischer Somalis und einer daraus entstehenden Lebensmittelverknappung führten o.e. Faktoren bereits einen Monat nach Kriegsende zu einem ersten erfolglosen Putschversuch gegen die Regierung Barre.126 Ohne breiten Zuspruch in der somalischen Bevölkerung stützte sich Barre nun auf drei Clans der Daarood-Familie. „Although the people’s inspiration was now supposed to be the curious trinity of ‚Comrades Marx, Lenin and Syad’ […], Syiad’s actual power base was a more traditional trinity: his own clan, his mother’s clan and the clan of his son-in-law […].”127 Die Clans der Mareehaan (Siad), die Ogaadeen (Mutter) und die Dulbahante (Schwiegersohn) wurden somit nach dem Putschversuch in besonderem Maße gegenüber den übrigen Clans bevorteilt. Diese Ungleichbehandlung und das äußerst brutale und repressive Vorgehen des Regimes gegenüber allen anderen Clanfamilien im Lande, führten zu einer Intensivierung der Clanfehden in Somalia wie auch der Gründung bewaffneter Widerstandsgruppen. Als erste wurde die Somali Salvation 123 Tareke, Gebru: The Ethiopia-Somalia War of 1977 revisited, in: International Journal of African Historical Studies, Vol. 33, No. 3, 2000, S. 635 - 667, hier S. 635. 124 Tareke: The Ethiopia-Somalia War of 1977 revisited, S. 666. 125 Vgl. Ahmed/Green: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland, S. 118. 126 Vgl. Tareke: The Ethiopia-Somalia War of 1977 revisited, S. 666-667. 127 Lewis, Ioan/Mayall, James: Somalia, in: Mayall, James (ed.): The new interventionism 19911994. United Nations experience in Cambodia, former Yugoslavia and Somalia, Cambridge 1996, S. 103 - 104.
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Democratic Front (SSDF) gegründet, welche vornehmlich aus Angehörigen des Clan der Majerteen bestand, die von Äthiopien aus die Diktatur Barres bekämpften.128 Ungeachtet dessen konnte sich das nun dem westlichen Block angehörende Regime Siad Barres auch aufgrund amerikanischer Unterstützung unnatürlich lange an der Macht halten.129 Doch bereits 1981 schlossen sich als zweite Oppositionsgruppe die Clans der Isaaq im Norden des Landes zur Somali National Movement (SNM) zusammen und forderte das staatliche Gewaltmonopol durch gewaltsame Übergriffe auf Regierungsinstitutionen und deren Vertreter heraus.130 Als Siad Barre 1988 mit dem ebenfalls intern herausgeforderten äthiopischen Diktator Mengistu ein Abkommen zur gemeinsamen Bekämpfung der jeweiligen Wiederstandgruppen abschloss, verschärfte sich der Konflikt. Durch diesen Pakt mit dem traditionellen Erzfeind Äthiopien brachte sich Barre um den Rest des außerhalb der von ihm bevorzugten Clans verbliebenen Zuspruchs; der Bürgerkrieg griff auf das gesamte Land über. Trotz brutaler Vergeltungsaktionen der Regierung ermutigten bemerkenswerte Anfangserfolge des SNM andere somalische Clans, sich ebenfalls gegen das Regime aufzulehnen. 1987 formierte sich der United Somali Congress (USC), in welchem die Clans der Hawiye das Regime von Zentralsomalia aus bekämpften. Aus dem USC entstand 1989 durch Abspaltung die von dem im Süden lebenden Clan der Ogadeni geführte Somali Patriotic Movement (SPM). Die meisten anderen clanbasierten Milizen wurden erst nach der UNOSOM Intervention gegründet und sind daher für diese Arbeit nicht von Bedeutung.131 Um die Oppositionsgruppen entlang ihrer Clanzugehörigkeit zu spalten, griff das Regime auf das Prinzip „divide-et-impera“ zurück und stationierte Armeeeinheiten unterschiedlicher Clanzugehörigkeit in umkämpften Gebieten, wo sie u.a. gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden.132 Ziel Barres war es „[…] to pit clan against clan and to inflame clan passions in order to divert public attention from his increasingly vulnerable regime.“133 Diese Spaltungsversuche waren in dem Sinne erfolgreich, als dass die entlang ihrer Clanzugehörigkeit
128
Vgl. Ahmed/Green: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland, S. 118. Vgl. Bariagaber, Assefaw: The United Nations and Somalia. An Examination of a Collective Clientelist Relationship, in: Journal of Asian and African Studies, Vol. 31, No. 162, Dezember 1996, S. 162 - 177, hier S. 164 - 165. 130 Vgl. Lewis, Ioan M.: Blood and Bone. The Call of Kinship in Somali Society, Lawrenceville 1994, S. 177 - 178. 131 Vgl. Clark: Debacle in Somalia, S.111. 132 Vgl. Ahmed/Green: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland, S. 118. 133 Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order, (abgerufen am 15.11.2008). 129
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entstandenen Widerstandsgruppen in der Beseitigung der Regierung ihr einziges gemeinsames Interesse besaßen.134 Am 27. Januar 1991 vertrieben USC-Milizen unter der Führung von General Mohammad Farrah Aidid (Hawiye, Habr Gedir Subclan) nach äußerst verlustreichen Kämpfen Präsident Barre aus der Hauptstadt Mogadischu. Der Bürgerkrieg schien fast beendet, als sich nur Tage später der politische Führer des USC Ali Mohammed Mahdi (Hawiye, Abgal Subclan), ein wohlhabender Geschäftsmann, in Mogadischu zum neuen Interimspräsidenten Somalias erklärte. Dies tat er jedoch ohne, wie vereinbart, die Führer der anderen Oppositionsgruppen vorher konsultiert zu haben. Aidid, die SPM und SNM erklärten daraufhin die Ernennung Mahdis für nichtig und weigerten sich, seine Autorität anzuerkennen.135 General Aidid, welcher nun zwischen einem claninternen Machtkampf und der endgültigen Vertreibung des Diktators Barre wählen musste, entschied sich vorerst für letzteres.136 Die voreilige Ernennung Mahdis zum Übergangspräsidenten Somalias sollte schwerwiegende Folgen haben, die den USC in ein Mahdi-Lager und ein AididLager (umbenannt in Somali National Alliance; im Folgenden: SNA) spalteten. Diese Fraktionen standen sich in der Hauptstadt Mogadischu entlang einer NordSüd-Achse, bekannt als „Greenline“, gegenüber. Darüber hinaus sah sich die aus dem Norden stammende SNM unter der Führung von Abdirahman Ahmed Ali ‚Tuur’ hintergangen, waren doch Konsultationen aller Oppositionsgruppen bezüglich der Nachfolge Barres im Vorfeld vereinbart worden. Auch um einer neuerlichen Vorherrschaft des südlichen (sesshaften) Landesteils zu entgehen, spaltete sich der Norden Somalias ab und erklärte sich am 17. Mai 1991 zur (bis heute international nicht anerkannten) Unabhängigen Republik Somaliland.137 Andere Clans wie die SPM und die SSDF versuchten, durch Allianzbildung das Übergewicht des USC auszugleichen. Die wenig später aufflammenden inter- und intra-Clan-Kämpfe um das politische Erbe Siad Barres entzündeten eine zweite Phase des Bürgerkriegs.138 Dieser Machtkampf führte zu einer vollständigen politischen wie gesellschaftlichen Desintegration der verbliebenen Strukturen und Somalia versank in der Anarchie. „Lineages and sublineages, fighting over the spoils of state, turned on one
134
Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 66. Vgl. Omaar: Somalia: At War with Itself, S. 232. 136 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 81 - 82. 137 Vgl. Hooglund, Eric: Somalia, (abgerufen am 15.11.2008); Vgl. auch: Lewis: Blood and Bone, S. 215. 138 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 81 - 82. 135
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another in an ogry of internecine killings. The state collapsed and Somali society splintered into its component clans.”139 3.1.1.5 Hobbes’ Naturzustand: „Bellum omnium contra omnes“ „War and famine, peace and milk”140 somalisches Sprichwort Die Machtkämpfe zwischen den und innerhalb der verschiedenen Subclans sowie die Rückzugsgefechte Aidids mit Barre und ihm loyalen Milizen zerstörten in den nächsten Monaten den Großteil der fruchtbarsten Ackerbauregionen Somalias. Dabei verfolgte hauptsächlich Siad Barre - in dem verzweifelten Kampf, seine verlorene Macht wiederzugewinnen - eine Politik der „verbrannten Erde“, welche Ackerbau folglich unmöglich machte. Verstärkt durch eine Dürreperiode wurde aus der einstmals als Kornkammer Somalias geltenden Jubba-ShebelleRegion um die Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa das „Dreieck des Todes“.141 „Allein zwischen November/Dezember 1991 und März 1992 forderten die kriegerischen Auseinandersetzungen in Somalia mehr als 30.000 Tote und 27.000 Verletzte. Zeitgleich starben über 300.000 Menschen an Hunger bzw. dessen Nebenwirkungen. Anfang 1992 starben gar täglich ca. 3.000 Somalis, meist Frauen und Kinder, an Hungersnot. Bis Juni 1992 stieg die tägliche Sterberate auf über 5.000 Menschen. Bis September 1992 starb jedes vierte Kind in Somalia im Alter unter fünf Jahren.“142 Nahrungsmittellieferungen zahlreicher internationaler Organisationen und NGOs erreichten zwar die Häfen und Landebahnen Somalias, konnten jedoch nur in wenigen Fällen an die ca. 4,5 Millionen vom Hungertod bedrohten Somalis ausgeliefert werden. Ca. 80% der Hilfsgüter wurden bereits in den Häfen und Flughäfen von marodierenden Milizen geplündert. Im Falle einer Kontrolle dieser oft unter Drogeneinfluss stehenden Gruppen durch den jeweils zugehörigen Warlord, nutzten diese die Nahrungsmittel, um sie entweder aufgrund des gestiegenen Preisniveaus in den Nachbarländern (Kenia, Saudi Arabien, Äthiopien) zum Zweck des Waffenerwerbs gewinnbringend zu verkaufen oder um die eige139
Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order. Zitiert nach: Lewis, Ioan M.: Misunderstanding the Somali crisis, in: Anthropology Today, Vol. 9, No. 4, August 1993, S. 1- 3, hier: S. 1. 141 Vgl. McMullen, Ronald K./Norton, Augustus Richard: Somalia and other Adventures for the 1990s, in: Current History, Vol. 92, No. 573, April 1993, S. 169 - 174, hier: S. 171. 142 Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 96. 140
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ne Miliz zu verpflegen. Die wenigen im Lande verbliebenen Hilfsorganisationen waren zudem auf den „Schutz“ der verschiedenen Warlords angewiesen, welche sich ihre „Dienste“ teuer bezahlen ließen.143 Diese voranschreitende humanitäre Katastrophe führte am 23. Januar 1992 zur Verabschiedung der ersten VN-Sicherheitsratresolution 733, welche ein Waffenembargo über Somalia verhängte und die Konfliktparteien zur Aufnahme von Waffenstillstandsgesprächen aufrief. Nach einer Reihe gescheiterter Vermittlungsversuche verschiedenster Akteure, kam es schließlich am 3. März 1992 zu der Unterzeichnung eines von den VN vermittelten Waffenstillstandsabkommens zwischen General Aidid und Ali Mahdi.144 Auf internationaler Ebene blieb das somalische Problem jedoch bis Juli 1992 von den Zerfallskriegen auf dem Balkan überschattet und spielte im VN-Sicherheitsrat nur eine untergeordnete Rolle. Nach einem weiteren Bericht des algerischen Sonderbeauftragten des Generalsekretärs („Special Representative of the Secretary General“ im Folgenden: SRSG) Mohammed Sahnoun über die katastrophale Lage im Land, beschloss der Weltsicherheitsrat auf Empfehlung des Generalsekretärs am 24. April 1992 mit der Resolution 751 die United Nations Operation in Somalia (UNOSOM) zur Überwachung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Ali Mahdi und Aidid.145 Die zu diesem Zweck entsandten 50 unbewaffneten VN Beobachter konnten in der Folge zwar den Waffenstillstand überwachen, jedoch hatte UNOSOM keinerlei Kapazitäten zur Verteilung von Hilfsgütern oder der Gewährleistung von Sicherheit für die sich im Lande befindenden I/NGOs. Dieser Umstand sowie ein Andauern der Nahrungsmittelplünderungen führten zu einer weiteren Verschlechterung der humanitären Lage in Somalia. In der Folge verlor beispielsweise die Stadt Baidoa 40 Prozent ihrer Einwohner, einschließlich 70 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren.146 Die Tragweite dieser katastrophalen Zustände wird in folgendem Zitat einer somalischen Frau deutlich: „The situation is so bad that we’re on the point of eating one another.“147 In dieser humanitär katastrophalen Lage biblischen Ausmaßes konnten die VN weder für die Sicherheit ihrer eigenen Mitarbeiter oder die der NGOs sorgen, geschweige denn die hungernden Massen mit Nahrungsmitteln und Medikamen143
Vgl. Seybolt, Taylor B.: Humanitarian Military Intervention. The Conditions for Success and Failure, Oxford and New York 2007, S. 53; Vgl. auch: von Hippel, Karin: Democracy by Force, S. 59; Vgl. auch: Grosse-Kettler, Sabrina: External actors in stateless Somalia. A war economy and its promoters, Bonn 2004, S. 11. 144 Vgl. Bariagaber: The United Nations and Somalia, S. 169. 145 Vgl. Krech: Der Bürgerkrieg in Somalia, S. 61. 146 Vgl. Restoring Hope: The Real Lessons of Somalia for the Future of Intervention, Washington D.C. 1994, S. 7. 147 Zitiert nach: Biles, Peter: Somalia: Anarchy Rules, in: Africa Report, Vol. 37, No. 4, Juli/August 1992, S. 30 - 33, hier: S. 32.
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ten versorgen. Aufgrund rigider Auslegung der „rules of engagement“, materieller wie personeller Defizite und einer stark bürokratischen Führungsstruktur war UNOSOM selbst zum Gefangenen der anarchischen Zustände in Mogadischu geworden.148 Um den Vereinten Nationen ein Sicherheitsumfeld zu schaffen, in welchem sie die Hilfsgüter ungeplündert an die hungernde Zivilbevölkerung verteilen konnten, erklärte die Regierung Bush am 4. Dezember 1992 ihre Bereitschaft, den VN 28.000 U.S. Marines für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Somit sollte die Hoffnung wiederhergestellt werden. „Operation Restore Hope“ lief an. 3.1.2 Relevant beteiligte Aktionseinheiten Der Fokus der Konstellationsanalyse liegt auf dem amerikanischen Engagement innerhalb der internationalen Intervention in Somalia im Zeitraum von 1992 bis 1994. Als relevant beteiligte Aktionseinheiten werden daher neben den Vereinten Nationen (VN) und den somalischen Clanchefs (vor allem General Mohammed Farrah Aidid, SNA) insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika zu betrachten sein. Die USA bilden als Nationalstaat den einzigen klassisch-souveränen Akteur der zu betrachtenden Konstellation. Denn ausschließlich Nationalstaaten stellen territorial begrenzte, über ein Staatsvolk herrschende und nach innen unter Beanspruchung einer legitimierten physischen Zwangsgewalt (Max Weber) außenpolitisch souverän agierende sozio-politische Einheiten dar.149 Während die USA einen klassischen Akteur der internationalen Politik darstellen, werden die Vereinten Nationen als Internationale Organisation (IO), die somalischen Clans mit dem weiter gefassten Begriff der substaatlichen Aktionseinheiten umschrieben. Die VN als internationale Organisation können jedoch qualitativ nicht mit den verschiedenen somalischen Clanfraktionen gleichgesetzt werden. Substaatliche Aktionseinheiten grenzen sich insofern von klassischen Akteuren ab, als sie ein defizitäres Profil in den Bereichen innerer und äußerer Souveränität, Legitimität und des Gewaltmonopols aufweisen. So sind die Vereinten Nationen aber auch die somalischen Clans in der Interventionsentscheidung nicht autonom entscheidungs- und handlungsfähig. Während die Vereinigten Staaten als souveräner Akteur ihre Außenpolitik (Intervention/NichtIntervention) anhand nationalstaatlicher Interessen und intern gebildeter Entscheidungsprozesses planen und selbstständig durchführen, können weder die 148 149
Vgl. Restoring Hope: The Real Lessons of Somalia for the Future of Intervention, S. 7. Vgl. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 74 - 75.
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VN, als Symbolisierung und Institutionalisierung des globalen Dialogs der internationalen Staatengemeinschaft, noch die Clans, als Sonderfälle international relevanter Aktionssysteme, souverän über diese Entscheidung bestimmen.150 Obwohl sie demnach im Vergleich zu den USA keine „[...] formal gleichberechtigte(n), souveräne(n) und bewaffnete(n) Willens- und Aktionseinheiten“151 der Internationalen Politik darstellen, bleiben sie als kodeterminierende Aktionseinheiten für diese Konstellationsanalyse von entscheidender Relevanz. Denn wie bereits oben erwähnt, gewinnen nicht- oder substaatliche „Akteure“ wie internationale Organisationen (VN) aber auch substaatliche Aktionseinheiten (somalische Clans) im Feld der transnationalen Politik einen immer stärker werdenden Einfluss auf das staatliche Entscheidungs- und Handlungsmonopol. Während die VN über die - den vitalen staatlichen Interessen untergeordneten, aber das Primärakteursverhalten dennoch beeinflussenden - vitalen Prinzipien152 die Außenpolitik der USA teilweise in eine gewisse Richtung beeinflussen können, wird dargelegt werden, dass die somalischen Clanmilizen und deren Führer, als subsystemische, asymmetrische „Störfaktoren“ aktionsbedingende Kodeterminanten darstellen, welche in Verbindung mit einer medial vermittelten öffentlichen Meinung eine nicht zu unterschätzendes, verhaltensprägendes Gewicht aufbringen können. 3.2 Die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika in der Somaliaintervention 1992 bis 1994 Eine umfassende Analyse des außenpolitischen Handelns eines Staates darf sich nicht ausschließlich auf dessen inter-/nationale Interessenlage zum gegebenen Zeitpunkt der Konstellation beschränken. Dies gilt insbesondere für die USA während der Phase ihres Somaliaengagements 1992 - 1994. Vielmehr muss die Studie das Entscheidungsgefüge außenpolitisch verantwortlicher Institutionen und Individuen erfassen und dieses mitsamt der kodeteminierenden, außenpolitischen Peripherie sowie den epochalen Umbrüchen zu Beginn der 1990er Jahre verknüpfen. Der amerikanische Status als einzig verbliebene Supermacht beziehungsweise deren Rollenverständnis ist in diesem Zusammenhang von entschei150
Vgl. Kindermann: Grundelemente (1986), S. 76 - 79. Meier-Walser: Die wissenschaftliche Untersuchung Internationaler Politik, S. 6. Diese Prinzipien finden sich in den, von den Vereinigten Staaten von Amerika als Gründungsmitglied mitbestimmten, Charta der Vereinten Nationen. Diese niedergelegten Normen und die sie verkörpernde Institution (UNO) kodeterminieren die Außenpolitik eines Mitgliedsstaates, maximal bis zu einem Grad in dem sie den nationalstaatlichen Interessen entgegenstehen. Vgl. dazu auch: Kindermann: Grundelemente der Weltpolitik (1986), S. 87; S. 130. (Spannung zwischen prinzipieller Norm und konkretem Eigennutz; Zur Rolle von Rechtslagen und Normen)
151 152
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dender Bedeutung. Doch Außenpolitik ist zusätzlich von den kollektiven Normen einer Nation sowie vom individuellen, aber auch institutionellen Selbstverständnis der am Entscheidungsprozess beteiligten Führungseliten und Behörden mitbestimmt. Das Ende der bipolaren Blockkonfrontation und der damit verbundene „Aufstieg“ der USA zur einzigen Weltmacht erforderten eine paradigmatische Neuorientierung amerikanischer Außenpolitik. Diese Aufgabe fiel dabei zwei Präsidenten zu. George H. W. Bush und William Jefferson Clinton. Während Ersterer den sicheren Übergang vom alten ins neue Zeitalter schaffen musste, war es die Aufgabe des Zweiteren, das neue Zeitalter zu gestalten. Da „Operation Restore Hope“ unter dem scheidenden Präsidenten Bush begann (November 1992) - das Ende dieser Intervention (Mai 1993) und das folgende Engagement unter UNOSOM II (Mai 1993 bis März 1994) sich aber zur Zeit der Clinton Administration ereigneten, müssen die jeweiligen Interessenlagen beider Regierungen gesondert voneinander untersucht werden. Es sei darauf hingewiesen, dass im personalisierten amerikanischen Politikverständnis schon mit der Wahl eines neuen Präsidenten, dem einflussreichsten und machtvollsten Politiker in der U.S.-Außenpolitik, eine neue Ära der Außenbeziehungen zu beginnen scheint. Oder wie Christian Hacke es ausdrückt: „Mit der Präsidentschaftswahl gründen sich, überspitzt formuliert, die Vereinigten Staaten immer wieder aufs neue.“153 Alleine durch den stark normativ und personenbezogen geprägten Wahlkampf hat derjenige Kandidat die besten Chancen auf Erfolg, welcher die amerikanischen Werte am glaubwürdigsten vermitteln kann. Somit wird das amerikanische Volk stets an seine Grundnormen erinnert, die sich über die Wahl der Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses in den Kongress, der machtvollsten Institution zur Beschränkung der präsidentiellen Prärogative in der Außenpolitik übertragen. Verfassungsrechtlich gesehen steht das Spannungsverhältnis zwischen Präsidentenamt und Kongress an oberster Stelle der (außen-)politischen Gewaltenteilung in den USA.154 Dieses außenpolitische Konkurrenzverhältnis wird dabei stark vom „War Powers Act“ aus dem Jahr 1973 geprägt, welcher es dem Kongress ermöglicht, dem Präsidenten während militärischer Auseinandersetzungen kurzfristig Kompetenzen abzutreten, ohne jedoch ein späteres Kontrollrecht damit aufzugeben. Auerswald und Cowhey haben dargelegt, dass Präsidenten geneigt sind, die Dauer militärischer Konflikte zur Vermeidung innenpolitischer
153
Hacke: Zur Weltmacht verdammt, S. 22. Zum interdependenten Verhältnis zwischen Kongress und Präsident im außenpolitischen Entscheidungsprozess siehe: Bierling, Stephan G.: Partner oder Kontrahenten. Präsident und Kongreß im außenpolitischen Entscheidungsprozeß der USA (1974-1988), (Diss.) Frankfurt am Main et al. 1992. 154
52
Auseinandersetzungen mit dem Kongress begrenzt zu halten.155 „Operation Restore Hope“ kann dafür als klassisches Beispiel gelten, denn Präsident Bush hatte im Hinblick auf die Intervention den Kongress nicht in die Entscheidung mit eingebunden, das Engagement aber zeitlich sehr stark eingegrenzt. Nach Allison und Zelikow156 wäre jedoch eine Analyse des außenpolitischen Entscheidungsprozesses ohne die Berücksichtigung der Dialektik Verfassungsnorm und Verfassungsrealität stark verkürzend und würde kaum den faktischen Umständen entsprechen. Im Einklang mit dem funktionalen Außenpolitikverständnis des synoptischen Neorealismus als „[...] situationsbedingtes, interessenbezogenes und lernfähiges Entscheidungshandeln der Führungskräfte und Vollzugsorgane“157, muss auch die an der Entscheidungsfindung beteiligte „außenpolitische Infrastruktur“ analysiert werden. Diese setzt sich je nach Konstellation aus den relevanten Ministerien (Verteidigung, Außen, u.a.), den Medien als Träger der öffentlichen Meinung, Gewerkschaften und Interessengruppen (Lobbies) oder anderen zusammen. Die diesen Gruppen angehörigen Individuen können bei ihrem Entscheidungshandeln oder der Wahl außenpolitischer Instrumentarien gemäß dem Motto „Where you stand depends upon where you sit“ eine institutionelle Prägung aufweisen. Diese Strukturen können zudem vom persönlichen Einfluss außenpolitischer Berater auf den primären Entscheidungsträger ergänzt oder in manchen Fällen auch bestimmend gestaltet werden. So konnte beispielsweise der nationale Sicherheitsberater Henry Kissinger wesentlich stärker auf Präsident Nixon Einfluss nehmen, als der ihm protokollarisch übergeordnete Außenminister William Rogers.158 Neben all diesen Faktoren spielen der persönliche Erfahrungshintergrund, das Werteverständnis und die Weltanschauung der Führungskräfte eine maßgebliche Rolle bei der außenpolitischen Entscheidungsfindung, welche letztendlich jeder außenpolitischen Handlung in unterschiedlichem Maße vorausgeht. Im Folgenden werden nach einer Darstellung der Führungszentren der Regierungen Bush und Clinton, die jeweils erfahrungsgeprägten Sichtweisen der Präsidenten im Hinblick auf ihr außenpolitisches Selbstverständnis sowie weitere relevante Einflussfaktoren analysiert. Im Anschluss daran folgt eine Interessenanalyse hinsichtlich der Interventionsentscheidung (Bush) beziehungsweise der 155
Vgl. Auerswald, David P./Cowhey, Peter F.: Ballotbox Diplomacy: The War Powers Resolution and the Use of Force, in: International Studies Quarterly, No. 41, September 1997, S. 505 - 528, hier: S. 506 - 507. 156 Siehe dazu: Allison, Graham/Zelikow, Philip: Essence of Decision. Explaining the Cuban Missile Crisis, Second Edition, New York et al. 1999. 157 Kindermann: Grundelemente (1986), S. 17. 158 Zum Einfluss des amerikanischen Sicherheitsberaters siehe auch: Bierling, Stephan: Der nationale Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten: Anatomie und Hintergründe einer Karriere (19471989), Frankfurt/Main 1990.
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Aufrechterhaltung und strategischen Veränderung des amerikanischen Engagements in Somalia (Clinton). Ergänzt wird dies durch eine Betrachtung der potenziell verfügbaren Machtmittel der USA im Vergleich zu den konkret Einsetzbaren. Abgeschlossen werden die Einzelanalysen durch eine Betrachtung des U.S.amerikanischen Spannungsverhältnisses zwischen normativer Wertegebundenheit und realpolitischer Interessenkalkulation. 3.2.1 Die konstellationsrelevante Entscheidungsstruktur der Regierungen Bush und Clinton (1992 – 1993) 3.2.1.1 Das Entscheidungszentrum der Regierung Bush Das außenpolitische Kompetenzzentrum der Bush-Regierung im Jahr 1992 war von großer Professionalität und Erfahrung geprägt. Neben dem Präsidenten George H. W. Bush, ehemals Botschafter bei den Vereinten Nationen (1971/73), oberster Diplomat in China (1974/75), Direktor der Central Intelligence Agency (1975/76) und Vizepräsident unter Reagan (1980-88), gehörte diesem vor allem sein langjähriger Freund und politischer Weggefährte James Baker III als Außenminister159, der äußerst einflussreiche stellvertretende Außenminister Lawrence Eagleburger, Verteidigungsminister Dick Cheney sowie der Nationale Sicherheitsberater Brent Scowcroft an. General Colin Powell nahm sowohl unter Bush als auch unter Clinton als Generalstabschef maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik und ist daher für die zu betrachtende Konstellation von besonderer Bedeutung. Zusätzliche Einflussfaktoren im außenpolitischen Entscheidungsprozess stellen ferner das Verteidigungsministerium/Department of Defense (im Folgenden: DoD), das Außenministerium/Department of State (im Folgenden: DoS) sowie der Generalsstab/„Joint Chiefs of Staff“ (im Folgenden: JCS) mit ihren jeweiligen Unterbehörden dar. Dabei ist auf eine „umgekehrte“ institutionelle Prägung hinzuweisen, nach welcher sich das DoD wesentlich zurückhaltender in Bezug auf die Anwendung militärischer Machtmittel zeigte als das DoS. Die Medien, allen voran die drei großen Fernsehsender ABC, CBS und NBC, entwickelten sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts zu immer stärker werdenden Kodeterminanten des amerikanischen Politikprozesses. Als öffentlicher Meinungsbilder und -träger konnten sie durch eine zunehmend innenpoliti159
Ab dem 14. August 1992 griff Außenminister James Baker zu Gunsten seines Freundes George H.W. Bush in den Präsidentschaftswahlkampf ein. Seine Amtsaufgaben wurden Lawrence Eagleburger als „Acting Secretary of State“ übertragen.
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sche Berichterstattung die Administration, den Kongress und insbesondere die amerikanische Bevölkerung in ihrer Wahrnehmung und Entscheidungsfindung verstärkt beeinflussen.160 Speziell mithilfe der Tele-Medien konnten auch internationale und nationale nichtstaatliche Organisationen, wie das Internationale Rote Kreuz oder CARE ihre Belange teilweise auf die außenpolitische Agenda setzen und stellen daher ebenfalls zu beachtende Aktionseinheiten dar. 3.2.1.2 Das Entscheidungszentrum der Regierung Clinton Während die verfassungsrechtlichen und systemischen Rahmenbedingungen denen der Bush-Regierung glichen, gilt dies nicht für die qualitative Zusammensetzung des außenpolitischen Kompetenzzentrums der ersten Clinton Regierung. Clinton konnte nicht nur im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger weit weniger Erfahrungen in außenpolitischen Belangen aufweisen. Da seine Stärken sich vor allem in der Innenpolitik befanden, spielte Außenpolitik für ihn sogar anfänglich kaum eine Rolle.161 Gerade weil er durch einen explizit innenpolitisch ausgerichteten Wahlkampf an die Macht gekommen war, sollten die Außenbeziehungen in seiner Amtsführung eine weniger prominente Rolle spielen. Aus diesem Grund suchte Clinton einen zurückhaltenden Außenminister, den er in dem für seine hohe Arbeitsmoral und Loyalität, aber auch für seinen wenig ausgeprägten Aktionismus bekannten Warren Christopher fand.162 Das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters besetzte mit Anthony Lake einer der fähigsten demokratischen Außenpolitiker, den das New York Times Magazine mit „The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy“163 betitelte. Lake personifizierte dabei vielleicht am besten das ambivalente Spannungsfeld amerikanischer Außenpolitik zwischen idealistischen Prinzipien und nationalem Interesse. Konnte er unter dem Realisten Henry Kissinger Karriere machen, so trug er aufgrund moralischer Bedenken dessen Entscheidung, Kambodscha zu bombardieren, nicht mit und gab konsequenterweise seinen Posten auf.164 Les Aspin, welcher sich als eines der „whizkids“ unter Robert McNamara einen Namen gemacht hatte, wurde zum Verteidigungsminister ernannt, vermochte es jedoch nie eine fruchtbare Verbindung zum militärischen Führungszirkel aufbauen. Während Vizepräsident Al Gore auf160
Vgl. Halberstam, David: War in A Time of Peace. Bush, Clinton, and the Generals, New York et al 2001, S. 160 - 161. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 167. 162 Vgl. Ebd., S. 174-176. 163 DeParle, Jason: The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy, in: The New York Times Magazine, 20. August 1995, S. 32 - 39 / S. 46 / S. 55 - 57. 164 Vgl. DeParle: The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy; Vgl. auch: Halberstam: War in A Time of Peace, S. 184 - 185. 161
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grund der klassischen Limitationen seines Amtes sowie die amerikanische Botschafterin bei den VN Madeleine Albright in den ersten Monaten kaum Einfluss auf den außenpolitischen Entscheidungsprozess der ersten Clinton Administration hatten165, konnte der verbliebene Generalstabschef Colin Powell diesen weiterhin entscheidend mitgestalten. 3.2.1.3 Führungswechsel in der U.S. Außenpolitik Während Präsident Bush also die Außenpolitik stets als Chefsache betrachtet hatte und auf diesem Feld eine klare Führungsrolle ausübte, setzte Präsident Clinton andere Prioritäten. Für die erste Legislaturperiode Bill Clintons muss konstatiert werden, dass durch das Primat innen- und wirtschaftspolitischer Themen das Feld der klassischen Außenpolitik sträflich vernachlässigt wurde. Das Desinteresse Clintons an klassischer Außenpolitik ging soweit, dass außer der First Lady und den engsten innenpolitischen Beratern selbst hochrangige Angehörige seiner Administration, wie der Nationale Sicherheitsberater Lake, Verteidigungsminister Aspin oder der Direktor des Auslandsgeheimdienstes Jim Woolsey, nur selten einen direkten Zugang zum Präsidenten hatten. Da Außenminister Christopher sein Amt eher verwaltete, als gestaltete, war die Außenpolitik mehr oder minder führungslos. Der für seine extrem schnelle Auffassungsgabe bekannte Präsident entschied sich vielmehr, falls erforderlich, „ad-hoc“ auf außenpolitische Krisen einzugehen.166 Dieser „laissez-faire“ Ansatz erwies sich nicht nur hinsichtlich des Somalia Einsatzes als schwerwiegender Führungsfehler des Präsidenten. 3.2.2 „Kalter Krieger“ vs „Baby Boomer“: Die Perzeptionsunterschiede zwischen der Bush- und Clinton-Regierung 3.2.2.1 Der Erfahrungshintergrund und die Ansichten der Bush Regierung Die außenpolitischen Führungspersönlichkeiten der Bush-Regierung waren bis auf Verteidigungsminister Cheney im moderaten Flügel der republikanischen Partei politisch beheimatet. Dieser Flügel war in außenpolitischen Themen schon immer weniger ideologisch motiviert, als der in der Tradition Ronald Reagans 165 166
Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 196 - 197. Vgl. Ebd., S. 241.
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bezeichnet werden. Geprägt von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, des Kalten Kriegs und der ständigen Gefahr kollektiver Vernichtung durch Nuklearwaffen, verfolgten sie eine konservative Status-quo-Politik. „Thus for all the men around Bush, the geopolitical tensions in their lifetimes had been constant, the victories essentially incremental. Keeping things from getting worse was, in itself, a victory.”167 Aufgrund dieser alle politischen Bereiche überwölbenden, existentiellen äußeren Bedrohung, ordneten sie innenpolitische Belange stets der Außen- und Sicherheitspolitik unter. Denn ohne äußere Sicherheit war innere Freiheit undenkbar. Das höhere militärische Führungspersonal war ebenfalls, wenn auch aus einem anderen Grund, von Vorsicht und bedachtem außenpolitischen Vorgehen gekennzeichnet. Geprägt von den traumatischen Erfahrungen des Vietnamkrieges, in welchem der überwiegende Teil des JCS - im Gegensatz zu den meisten zivilen Beamten des DoS - gedient hatte, befürworteten sie nur einen äußerst restriktiven Gebrauch amerikanischer Streitkräfte.168 Diese geistige Grundhaltung des Militärs spiegelte sich am deutlichsten in der sogenannten „WeinbergerPowell-Doktrin“169 wieder, welche den Einsatz amerikanischer Truppen nur unter sechs bestimmten Voraussetzungen billigt. Das Militär soll demnach einzig dann eingesetzt werden, wenn das nationale Interesse es erfordert (1), die Truppenstärke dem Auftrag entspricht (2), der Auftrag politisch und militärisch klar definiert ist (3), Größe, Zusammensetzung und Disposition der Truppe stetig überprüft werden (4), die amerikanische Bevölkerung und der Kongress das Unternehmen unterstützen (5) und eine klare Exitstrategie besteht (6).170 Auf diese Weise sollte der politische „Preis“ eines Militäreinsatzes in die Höhe getrieben werden, um allzu leichtfertige Forderungen „interventionsfreundlicher“ ziviler Beamter minimieren zu können.171 Oft wird im Zusammenhang mit George Bushs Präsidentschaft von seinen Vorstellungen bezüglich einer „neue Weltordnung“ gesprochen. Tatsächlich kam das Ende des Ost-West-Konflikts jedoch in überraschender Schnelligkeit und die 167
Halberstam: War in A Time of Peace, S. 59. Vgl. Ebd., S. 37. 169 1984 wurde dieser Kriterienkatalog von dem damaligen U.S. Verteidigungsminister Caspar W. Weinberger erstmals vorgestellt. Darauf aufbauend entwickelte General Powell eine Doktrin, welche seitdem auch in der praktischen Politik Anwendung findet. 170 Vgl. Weinberger, Caspar W.: The Uses of Military Power, Remarks Prepared for Delivery by the Hon. Caspar W. Weinberger, Secretary of Defense, to the National Press Club, Washington D.C. 28. November 1984: http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/military/force/weinberger.html ; Vgl. auch: Powell, Colin L.: U.S. Forces: Challenges Ahead, in: Foreign Affairs, Vol. 71, Vol. 5, Winter 1992/1993, S. 32 - 45; siehe auch: Luttwak, Edward N.: Towards Post-Heroic Warfare, in: Foreign Affairs, Vol. 74, No. 3, Mai / Juni 1995, S. 112 -113. 171 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 36. 168
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Erarbeitung eines ausgeklügelten Programms für die postsowjetische Ordnung fand zu diesem Zeitpunkt nicht statt. „Inside and outside Washington there had been little or no intellectual preparation for this sweeping reversal of history.“172 Tief in seinem Herzen mochte sich Präsident Bush, wie seine Amtsvorgänger Wilson 1919 und Truman 1945, eine auf multilateraler, kollektiver Sicherheit beruhende Weltordnung tatsächlich gewünscht haben. Die eingangs zitierte Rede des Präsidenten vor den Vereinten Nationen kann dafür als Indiz gelten. Die erfolgreiche multinationale Kooperation während des Golfkriegs mag auch den einen oder anderen Beobachter dazu verleitet haben, die geostrategischen Interessen der Staatengemeinschaft im Persischen Golf zu übersehen. Was jedoch zählt und tatsächlich bewertet werden kann, sind die Handlungen politisch verantwortlicher Menschen. Denn als der amerikanischen Öffentlichkeit nach und nach bewusst wurde, dass Multilateralismus auch Einschränkung amerikanischer Handlungsfreiheit bedeutete, wurde Bushs „new world order“ und amerikanischer Interventionismus zunehmend kritisch hinterfragt. Eine große Debatte, welche eine starke Führungspersönlichkeit mit klaren Ordnungsvorstellungen erfordert hätte, konnte sich 1992 aufgrund des anstehenden Präsidentschaftswahlkampfs und innenpolitischer Kritik an Bush nicht entwickeln.173 Hätte der Präsident wirklich auf Multilateralismus, eine Stärkung der Vereinten Nationen und das Prinzip „protect the weak against the strong“174 gesetzt, so hätten die USA im Bosnienkonflikt intervenieren müssen, was sie nicht taten. Im Verlauf des Wahlkampfs 1992 hatte Bush zunehmend auf den Begriff „Prudence“ (Klugheit, bezeichnenderweise aber auch „Vorsicht“) gesetzt, welcher eine deutliche Kursänderung darstellte und sein Konzept einer „neuen Weltordnung“ relativierte. „We need not respond by ourselves to each and every outrage of violence. The fact that America can act does not mean it must. A nation’s sense of idealism need not be at odds with its interests. Nor does principle displace prudence. No, the United States should not seek to be the world's policeman. There is no support abroad or at home for us to play this role, nor should there be.”175 Denn als die multilaterale „neue Weltordnung“ am Widerstand der eigenen Bevölkerung zu scheitern drohte, obsiegte die Vorsicht und Bush fiel zurück auf seine altbekannten, Status-quo-orientierten Verhaltensmuster. Eine realistische 172
Hyland, William G.: Clinton’s World. Remaking American Foreign Policy, Westport, Conneticut/London 1999, S. 2. 173 Vgl. Hyland: Clinton’s World, S. 6 - 8. 174 Siehe Fußnote 24. 175 Bush, George: Remarks at the United States Military Academy in West Point, New York, (5. Januar 1993), George Bush Presidential Library and Museum: http://bushlibrary.tamu.edu/research/public_papers.php?id=5156&year=1993&month=01 .
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Politik schien Bush, welcher persönlich nie viel mit „the vision thing“ hatte anfangen können, angebracht.176 Die weltpolitischen Umbrüche der frühen 1990er Jahre waren real genug und stellten eine Gefahr für die ökonomisch-vernetzte Welt dar, in welcher die USA bereits 20 Jahre zuvor ihre alleinige Führungsrolle abgeben hatten müssen. Wollten sie ihren relativen Supermachtstatus bewahren, musste die fragile Zustand vermeintlicher amerikanischer Hegemonie stabilisiert werden, „[…] to keep disorder at bay.“177 Diese „status-quo-plus“178 Orientierung, insbesondere aber die Betonung der Außenpolitik, führten zu einer zunehmendem Entfremdung der BushRegierung von der Mehrheit der republikanischen Partei wie auch von der amerikanischen Bevölkerung insgesamt. Die Absenz des Kommunismus als überwölbender Sicherheitsbedrohung machte den Blick frei auf wirtschaftliche und innenpolitische Schieflagen in den USA. Waren Außenpolitik und Diplomatie als primäre Instrumente amerikanischer Machterhaltung die Grundvoraussetzungen für innere Freiheit gewesen, so setzte diesbezüglich ein öffentlicher Gesinnungswandel ein, welchen Bush nicht zu verstehen schien. „A generation was coming of age in the Congress who cared less about foreign affairs, elected by a generation of voters who cared less, and reported on by a media that paid less attention.“179 Die “Kalten Krieger” der Bush-Regierung und ihre Politik schienen im Vergleich dazu wie ein Anachronismus zu wirken. 3.2.2.2 Der Erfahrungshintergrund und die Ansichten der Regierung Clinton „Thomas Jefferson believed that to preserve the very foundations of our Nation, we would need dramatic change from time to time. Well, my fellow Americans, this is our time. Let us embrace it.“180 Bill Clinton (Inaugural Address 20. Januar 1993) Als Präsident Bush die Entscheidung zur militärischen Intervention in Somalia traf, stand ein Amtswechsel im Weißen Haus bereits fest. William Jefferson Clin176
Vgl. Howard: The Prudence Thing, S. 132. Bush, George: Remarks at Maxwell Air Force Base War College in Montgomery, Alabama, (13. April 1991), George Bush Presidential Library and Museum : http://bushlibrary.tamu.edu/research/public_papers.php?id=2869&year=1991&month=4 . 178 Miller, Linda B.: The Clinton Years: reinventing US foreign policy?, in: International Affairs, Vol. 70, No. 4, Oktober 1994, S. 621 - 634, hier: S. 623. 179 Halberstam: War in A Time of Peace, S. 75. 180 Bill Clinton, “First Inaugural Address”, 20. Januar 1993: http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3434 . 177
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ton hatte am 4. November 1992 die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewonnen und erbte somit von seinem Vorgänger neben dem Amt auch die „Operation Restore Hope“. Wie oben bereits erwähnt, stellt der Amtsantritt eines neuen Präsidenten alleine schon eine politische Zäsur in den USA dar. Der Wechsel von Bush zu Clinton jedoch noch viel mehr, als er zu einem Zeitpunkt fundamentalen (welt-)politischen Wandels stattfand. Die Bush Administration wie auch die Clinton Administration gestalteten und interpretierten gemäß ihrer historisch geprägten Weltanschauungen den Kurs und die Rolle der amerikanischen Außenpolitik im postsowjetischen Zeitalter auf ihre jeweils eigene Art und Weise. Waren Bush und seine Berater, wie oben dargelegt, von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Blockkonfrontation geprägt, so waren es insbesondere die Aufhebung der Rassentrennung in den amerikanischen Südstaaten, die gesellschaftlich-politischen Folgen des Vietnamkrieges und der wirtschaftliche Niedergang der USA, welche das Politikverständnis des Clinton-Lagers beeinflussten.181 Obwohl sich George Bush in Folge des Golfkrieges der geringen Unterstützung der Bevölkerung für seine „neue Weltordnung“ bewusst war, schaffte er es nicht, sich von seinen altbewährten Denkmustern zu lösen. Außenpolitik war das Feld seiner größten Erfolge. Durch sie hatte Amerika den „Kalten Krieg“ gewonnen und durch sie sollte Amerika seinen ökonomischen Supermachtstatus zurückgewinnen. Obwohl sich Bush (wie auch Clinton) zunehmend mit (damals) unkonventionellen Außenpolitikfeldern wie Handelspolitik im Rahmen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) befasste, verkannte er die Tragweite und politische Sprengkraft der inneramerikanischen Wirtschaftskrise 1991.182 Dies und die Überbetonung der Außenpolitik gegenüber der Innenpolitik machte Bush für den demokratischen Herausforderer Clinton im Wahlkampf angreifbar. Als Gouverneur des kleinen, von der Rezession stark betroffenen Bundesstaates Arkansas verstand es Clinton, den Nerv der Zeit zu treffen und der Gemütslage der amerikanischen Nation in seinem politischen Programm zu entsprechen.183 Gewonnen hatte Clinton den Präsidentschaftswahlkampf 1992 auch durch das Versprechen, sich künftig mehr um innenpolitische Belange der USA zu kümmern und die internationalen Verpflichtungen des Landes zu reduzieren.184 Berühmt geworden sind die Wahlkampfslogans „It’s the economy, stupid!“ oder „I feel your pain!“, mit welchen sich Clinton stets der primär wirt181
Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 167; Vgl. auch: Mandelbaum: The Bush Foreign Policy, S. 19 - 20. 182 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 15 - 16. 183 Vgl. Ebd., S. 18 - 22. 184 Vgl. Hyland, William G.: Zwischen Internationalismus und Isolationismus, in: Internationale Politik, Vol 51, No. 5, Mai 1996, S. 33 - 38, hier: S. 36.
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schafts- und innenpolitischen Orientierung der amerikanischen Wählerschaft zu erinnern schien. Clintons betont innenpolitischer Kurs war dabei bewusst gegen den Politikstil des „foreign policy president“185 gerichtet, welcher in den Augen vieler zu einer Vernachlässigung und dem Verfall inneramerikanischer Zustände geführt hatte. Obwohl sich George Bush nach dem Sieg am Persischen Golf im Frühjahr 1991 öffentlicher Zuspruchsraten von bis zu 90 Prozent erfreute, wurde ihm der schnelle und überwältigende Kriegserfolg mit zum Verhängnis. Gerade weil das amerikanische Militär aufgrund immenser Luftüberlegenheit und technologischer Vorteile sowie unter minimalen finanziellen und personellen Kosten186 die irakischen Truppen aus Kuwait vertrieben hatte, entstand keine lang anhaltende emotionale Bindung der Amerikaner zum Kriegsverlauf.187 „(W)hen it was over, it was over, leaving remarkably little resonance.”188 Die amerikanische Bevölkerung stand immer noch zu ihren Grundwerten und befürwortete das Engagement des Präsidenten zum Schutz der Freiheit, jedoch wollten sie selbst auch von der neuen Rolle als einziger Supermacht profitieren. Denn sie hatten einen nicht zu unterschätzenden Teil zum Ende des Ost-West-Konflikts beigetragen. Eine Tatsache, welche auch Präsident Bush anerkannte: „Der amerikanische Steuerzahler trug den Großteil dieser Bürde, und er verdient ein großes Stück des Ruhmes“189 Dass der amerikanische Nation jedoch vielmehr an Arbeitsplätzen und Wohlstand gelegen war als an Ruhm, brachte im Wahlkampf 1992 ein Aufkleber der demokratischen Partei auf den Punkt: „Saddam Hussein still has his job, do you?“190
185
Omestad, Thomas: Why Bush lost, in: Foreign Policy, No. 89, Winter 1992/1993, S. 70 - 81, hier: S. 70. 186 Während die Kosten des Zweiten Golfkrieges vom DoD mit 61 Milliarden US Dollar angegeben werden, hatten die USA nur 10 Mrd. USD davon zu tragen. Die restlichen 51 Mrd. USD wurden von Alliierten getragen (Japan, Deutschland alleine trugen 16 Mrd. USD - „Scheckbuchdiplomatie“). Während die irakischen Verluste auf 100.000 Tote geschätzt wurden, hatten die USA „nur“ 293 Gefallene zu beklagen. Siehe dazu: Gulf War Facts: http://www.cnn.com/SPECIALS/2001/gulf.war/facts/gulfwar/ . 187 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 15 - 16. 188 Ebd., S. 16. 189 U.S. Präsident George Bush in der Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress am 28. Januar 1992; zitiert nach: Roberts: Wer die nichtpolare Welt regiert, S. 11. 190 Vgl. Elliott, Stuart: The Media Business: Advertising; For This 4th They’re Putting Out Fewer Flags, in: New York Times, 3. Juli 1992.
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3.2.2.3 Innerinstitutionelle Perzeptionsdifferenzen oder „Kampf der Generationen“ im außenpolitischen Establishment der USA Der Generationswechsel, welcher prominent durch Bush und Clinton personifiziert wurde, zog sich ebenfalls durch die politischen Institutionen der USA. Innerhalb des Kongress, vor allem aber auf den unteren und mittleren Ministerialebenen war eine Generation an Staatsdienern nachgewachsen, welche ihre politische Sozialisation erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren hatte. Bemerkbar machte sich dies vor allem im auftretenden Spannungsfeld zwischen „selective engagers“ und „liberal humanitarianists“, das die außenpolitische Elite der USA ideologisch spaltete. Erstere, welche die Bush-Regierung und das verteidigungspolitische Establishment dominierten, befürworteten Militäreinsätze nur aufgrund nationalstaatlicher strategischer Interessen und in Übereinstimmung mit der „Weinberger-Powell-Doktrin“. Die liberalen Humanitaristen, vornehmlich in Juniorpositionen des DoS, sahen dagegen die USA aufgrund normativer Wertvorstellungen verpflichtet, auch aus humanitären Gründen militärisch in Konflikte einzugreifen. Die Spannungen zwischen diesen Lagern machten sich insbesondere in der damals vorherrschenden Debatte über die amerikanische Rolle im Bosnienkonflikt bemerkbar. Während die jüngere Generation, unter ihnen auch der Präsidentschaftskandidat Clinton, auf ein militärisches Eingreifen in ExJugoslawien bestanden, sah die obere Führungsschicht keine vitalen Interessen der USA berührt und lehnte eine Intervention kategorisch ab. Diese Position wurde am deutlichsten von Colin Powell und seinen Stabschefs vertreten, welche sich sicher waren, dass komplexe militärische Interventionen zwangsläufig in den Treibsand eines „neuen Vietnamkrieges“ führen würden.191 3.2.2.4 Generationswechsel in der amerikanischen Außenpolitik Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der erfahrene Außenpolitiker George Bush zur rechten Zeit am rechten Ort war. Durch seine geschickte und vorsichtige Diplomatie hatte er den „Kalten Krieg“ auf friedliche Weise mit beendet. Hatte er der Welt einen großen Dienst erwiesen, so bereitete er sich damit selbst sein politisches Ende. Geprägt durch blockpolitische Konfrontation und Sicherheitsdenken, vermochte Bush es nicht, sich selbst den neuen Umständen anzupassen. Als zusätzlich das „idealistisches Experiment“ am Persischen Golf keine dauerhafte Wirkung zeigte, kehrte er zu der ihm bekannten „Status-quo-Politik“ zurück. Bill Clinton hingegen war der erste Präsident der „Baby Boomer“ Gene191
Vgl. Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 117 - 121.
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ration. Geprägt durch den sozio-politischen Wandel der 1960er Jahre, Vietnam und Watergate verstand er die innen- und wirtschaftspolitischen Bedürfnisse der amerikanischen Bevölkerung besser als sein Amtsvorgänger. Inneramerikanischer Wohlstand war Prärequisite für amerikanische Weltmacht. Die Innenpolitik hatte somit bei Clinton Vorrang vor der Außenpolitik, welche primär den ökonomischen Interessen der USA dienen sollte.192 3.2.3 Das amerikanische Interesse an der Somaliaintervention und der Mythos des „CNN-Faktors“ 3.2.3.1 Somalia - eine mediengetriebene Intervention? Dass der Einfluss der öffentlichen Meinung sowie der Medien, insbesondere des Fernsehens in der amerikanischen Politik in den letzten Jahrzehnten äußerst stark angewachsen ist, kann als Tatsache gelten.193 Die oftmals voreilig aufgestellte Behauptung, dass ausschließlich medial vermittelte Bilder hungernder afrikanischer Menschen die Regierung Bush zu der humanitären Intervention am Horn von Afrika bewegt hätten, kann jedoch wissenschaftlichen Untersuchungen nicht standhalten.194 Gerade während der Hochphase der Hungerkatastrophe in Somalia gab es kaum mediale Berichterstattung aus der Region in den USA. Einzig nach Bushs Entscheidung zur Einrichtung einer Luftbrücke („Operation Provide Relief“) am 12. August 1992 flammte die Aufmerksamkeit der Medienvertreter kurz auf, um bis zur Interventionsentscheidung („Operation Restore Hope“) am 25. November 1992 wieder fast völlig abzuebben. Erst nach dem 25. November 1992 gewann das Problem abermals - und diesmal längerfristig - an Bedeutung in den Medien. Somit folgte eher das Medieninteresse der Intervention als umgekehrt.195 Zusätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass der Begriff „CNN-Faktor“, mit welchem der handlungsleitende Einfluss der Telemedi192 Vgl. Brinkley, Douglas: Democratic Enlargement: The Clinton Doctrine, in: Foreign Policy, No. 106, Frühjahr, 1997, S. 110 - 127, hier: S. 113. 193 Vgl. Bierling, Stephan: Supermacht ohne Führungskraft. Amerikanische Außenpolitik im neuen Zeitalter, in: Internationale Politik, Vol. 51, No. 5, Mai 1996, S. 27 - 32, hier: S. 28. 194 Zum Einfluss der Medien auf die Entscheidung zu Operation Restore Hope siehe: Strobel, Warren P.: Late-Breaking Foreign Policy: The News Media’s Influence on Peace Operations, Washington D.C. 1997, S. 131 - 137; siehe auch: Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 112 - 142; oder: Robinson, Piers: Operation Restore Hope and the Illusion of a News Media Driven Intervention, in: Political Studies, Vol. 49, No. 5, Dezember 2001, S. 941 - 956. 195 Vgl. Strobel, Warren P.: Late-Breaking Foreign Policy: The News Media’s Influence on Peace Operations, Washington D.C. 1997, S. 131 - 137.
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en oft beschrieben wird, eine semantische Schwäche aufweist. Dieser hebt nämlich auf den internationalen Fernsehsender Cable News Network (im Folgenden: CNN) ab, welcher im Vergleich zu seinen amerikanischen Pendants ABC, CBS und NBC seine Berichterstattung nicht speziell auf den U.S.-amerikanischen Markt ausrichtet. Obwohl CNN im Gegensatz zu den U.S. Sendern in den 1990er Jahren weiterhin an außenpolitischen Themen wie der Bosnienkrise festhielt, hatte er einen vergleichsweise geringen Einfluss in den USA und erreichte dort nur circa 1 Millionen Zuschauer pro Tag.196 Da die amerikanische Bevölkerung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ein gesteigertes Interesse an innenpolitischen Themen entwickelt hatte, passten die U.S. Fernsehsender ihr Programm dieser Präferenz entsprechend an. „Foreign news aired on the network news shows only when the connection to American concerns was unusually direct, or when the footage was so good and violent - lots of carnage - that it made for exeptional television.”197 Von einer mediengetriebenen Intervention kann daher im Fall Somalia nicht gesprochen werden. Trotz des geringen Einfluss der Massenmedien auf den Entscheidungsprozess, welcher zur „Operation Restore Hope“ führte, stellt der „CNN-Faktor“ eine überaus wichtige Variable der Konstellation dar, da dieser im späteren Verlauf der Intervention mit zum Abzug der amerikanischen Truppen aus Somalia führte. 3.2.3.2 Die Interessen nicht-staatlicher Organisationen und des U.S. Kongresses So wenig die Medien monokausal für die Interventionsentscheidung der Regierung Bush verantwortlich gemacht werden können, so wenig war es der Einfluss der humanitären Hilfsorganisationen beziehungsweise der ihrer Lobbies. Denn bis in den Sommer 1992 war es den in Somalia verbliebenen humanitären Hilfsorganisationen nicht gelungen, ihr Anliegen bis auf die höchste außenpolitische Entscheidungsebene zu tragen. Selbst die Unterstützung einiger Interventionsbefürworter im DoS konnte diesen Zustand nicht ändern. Ein Bruch, welcher auch in Hinblick auf die Bosnienproblematik deutlich wurde, teilte das DoS entlang hierarchischer Linien. Während die untere und mittlere Ministerialebene (viele davon „liberale Humanitaristen“) ein amerikanisches Engagement in Somalia befürworteten, bestand die Führungsebene des DoS (Baker, Eagleburger) darauf, dass „(m)ore important things were on the menue, a presidential election was
196 197
Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 161 - 166. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 161.
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coming up, and the administration was in no way anxious to be drawn into military action […].”198 Humanitäre Prinzipien konnten nationale Interessen nicht ersetzen und eine um ihre Wiederwahl kämpfende Regierung wollte jeden Anschein einer außenpolitischen Voreingenommenheit vermeiden. Weitere Versuche, den Hilfsorganisationen direktes Gehör auf oberster Regierungsebene zu verschaffen, scheiterten. „After all, Somalia was just not as important to United States national interests as it once was. We [mittlere Ebene DoS; d.V.] fought tooth and nail to gain the attention of Secretary of State James Baker III, but with no success.”199 Erst als der U.S. Kongress ab Juni/Juli 1992 begann, „fact-findingmissions“ in Somalia durchzuführen, konnten die Senatoren Nancy Kassenbaum (R-Kansas) und Paul Simon (D-Illinois) durch ihre Berichte von menschlichem Elend, Hunger und Gewalt das Interesse ihrer Amtskollegen auf Somalia lenken.200 Kassenbaum machte ihre Position vor dem Kongress deutlich, nach welcher die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung gegenüber Somalia hätten und die Zeit gekommen sei, humanitärer Hilfe den gleichen Stellenwert einzuräumen wie geostrategischen Interessen während des „Kalten Krieges“.201 Zur gleichen Zeit verstärkten I/NGOs wie das Internationale Rote Kreuz oder CARE ihre Öffentlichkeitsarbeit für ein stärkeres amerikanisches Engagement zum Schutz der Hilfsorganisationen vor Plünderungen und Erpressung durch die somalischen Warlords und deren Milizen. Ohne ein sicheres Umfeld war eine Versorgung der hungernden somalischen Bevölkerung unmöglich. Die Regierung Bush wurde jedoch erst aktiv, nachdem im Mai 1992 ein Bericht des amerikanischen Botschafters in Kenia, Smith Hempstone Jr., den Präsidenten erreichte und sein persönliches Interesse wecken konnte.202 Hinzu kam, dass sich VN-Generalsekretär Butros Butros-Ghali zeitgleich über das einseitige Interesse der Weltöffentlichkeit an der Bosnienkrise beklagte. Seine Kritik kulminierte in dem Vorwurf, die Sicherheitsratmitglieder „[are; d.V.] fighting a rich man’s war in Yugoslavia while not lifting a finger to save Somalia from disintegration.“203 198
Ebd., S. 34. Sommer, John G.: Hope Restored? Humanitarian Aid in Somalia 1990-1994, Refuge Policy Group, Center for Policy Analysis and Research on Refugee Issues, November 1994, S. 22. 200 Vgl. Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 124. 201 Vgl. Kramer, Reed: Somalia Rescue Begins, in: Africa News, August 1992, S. 1 - 2. 202 Vgl. Kantsteiner, Walter H.: U.S. Policy in Africa in the 1990s, in: Azrael, Jeremy R. / Payin, Emil A. (eds.): U.S. and Russian Policymaking With Respect to the Use of Force, Santa Monica 1995, S. 105 - 116, hier: S. 107. 203 VN Generalsekretär Boutros-Ghali, zitiert nach: George, John M.: The Politics of Peace: The Challenge of Civil-Military Cooperation in Somalia, in: Public Administration and Management, Vol. 10, No. 2, 2005, S. 153 - 190, hier: S. 161. 199
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Da das außenpolitische Vermächtnis Bushs und das Ansehen der Regierung nun Gefahr liefen, Schaden zu nehmen, wurde ein Engagement in Somalia in einem neuen Licht gesehen.204 Dieser Gesinnungswandel kann durchaus als wahltaktisches Kalkül der Regierung Bush gesehen werden. Obwohl ein Handeln in Somalia zwar kaum einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Wählerverhalten gehabt hätte, wäre das politische Ansehen des Kandidaten Bush durch eine zu starke Passivität hinsichtlich der humanitären Katastrophe beschädigt worden.205 3.2.3.3 Russland, Bosnien und Somalia: Die Regierung Bush zwischen historischer Chance und historischem Trauma Ende Juli 1992, spätestens jedoch mit der Entdeckung serbischer Konzentrationslager in Nordbosnien Anfang August 1992, wuchs der Druck der „liberalen Humanitaristen“ in Öffentlichkeit, Medien und Kongress auf die Regierung, in den Konflikt einzugreifen.206 Selbst Konservative wie Richard Perle, Albert Wohlstetter oder die ehemalige VN Botschafterin Jeane Kirkpatrick begannen aufgrund der eskalierenden Gewalt, sich dem Kurs der liberalen Humanitaristen anzuschließen und forderten zumindest eine begrenzte Intervention amerikanischer Truppen.207 Auf Anregung Lawrence Eagleburgers - welcher mehrere Jahre als Diplomat in Jugoslawien tätig gewesen war208 - blieben das Weiße Haus und das Pentagon jedoch ihrer bisherigen Linie treu und lehnten ein amerikanisches Eingreifen in den komplexen Konflikt weiterhin ab. Bush brachte diese Position auf den Punkt: „We are not going to get bogged down in some guerilla warfare.“209 Zu sehr waren Administration und Militär von den Erfahrungen des Vietnamkrieges geprägt, als dass sie leichtfertig idealistischen Empfehlungen entsprochen hätten. Das Widerstreben der Regierung Bush, im jugoslawischen Zerfallskrieg zu intervenieren, kann jedoch nicht monokausal mit militärstrategischer Vorsicht erklärt werden. Da sich 1992 die Kampfkraft und Moral des amerikanischen Militärs nach dem überwältigenden Sieg im Zweiten Golfkrieg auf einem Höhe204
Vgl. Lofland, Valerie J.: Somalia: U.S. Intervention and Operation Restore Hope, in: Williams, David A. (ed.): Case Studies in Policy Making & Implementation, Newport/Rhode Island 2002, S. 53 - 64, hier: S. 58. 205 Parlez, Jane: U.S. Encounters Snags In Airlift to Aid Somalia, in: The New York Times, 22. August 1992. 206 Vgl. DeParle: The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy. 207 Vgl. Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 127 - 128. 208 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 25 - 26. 209 Hoagland, Jim: August Guns: How Sarajevo Will Reshape U.S. Strategy, in: Washington Post, 09. August 1992, S. C.1.
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punkt befand, hätte eine Intervention durchaus von Erfolg gekrönt sein können. Jedoch wurde die abgeneigte Haltung älterer vietnamgedienter Offiziere von den außenpolitischen Rahmenbedingungen des postsowjetischen Zeitalters in besonderer Weise ergänzt. Das partnerschaftliche Verhältnis zu Russland, welches mit der amerikanischen Unterstützung Gorbatschows im innersowjetischen Machtkampf 1991 begonnen hatte,210 sollte auch 1992 fortdauern. Aus diesem Grund war die weitere Stabilisierung der fragilen demokratischen Regierung Yeltsin von äußerster Wichtigkeit für die Regierung Bush. Ein amerikanisches Engagement im ehemaligen Einflussbereich der UdSSR schien insofern den amerikanischen Interessen zu schaden, als es den kommunistischen Hardlinern in Moskau einen Beweis westlicher Aggression geliefert hätte. Dies hätte die junge Demokratie sowie Yeltsins Annäherungskurs an den Westen empfindlich unterminieren können. Ferner hätte eine amerikanische Billigung ethnisch-regionaler Souveränitätsbestrebungen in (Ex-) Jugoslawien, den Zerfallsprozess der ehemaligen Sowjetunion anheizen und als ein Signal an die ebenfalls nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepubliken interpretiert werden können.211 Da George Bush - der Golfkrieg hatte dies gezeigt - zur Stabilisierung des internationalen Systems auf eine kooperative Haltung Russlands angewiesen war, hätte ein aggressives Auftreten der USA in der weiterhin von Russland beanspruchten Einflusssphäre dieser Kooperation stark geschadet. Nach den Überlegungen der Regierung Bush stellte somit das Verhältnis zu Moskau ein übergeordnetes politisches Interesse dar, welches eine Intervention in Bosnien 1992 unmöglich machte. Diese kühle Realpolitik wäre paradoxerweise jedoch kaum der amerikanischen Öffentlichkeit vermittelbar gewesen und hätte eine Wiederwahl Bushs stark gefährdet. Da sich jedoch die Lage in Bosnien rapide verschlechterte und die Berichte über serbische Konzentrationslager nicht mehr ignoriert werden konnten, musste das Weiße Haus ein Ventil für den steigenden öffentlichen Druck finden. Um seinen Kritikern entgegenzuwirken und sein öffentliches Ansehen zu retten, entschied sich Präsident Bush am 14. August 1992 für eine Alternativstrategie. Unter Missachtung der Empfehlungen des „Office of Foreign Disaster Assistance“ des DoS, das durch eine Ausweitung der militärisch nicht abgesicherten Nahrungsmittellieferungen eine Konfliktverschärfung in Somalia befürchtete212, unterstützte die Regierung die VN-Sicherheitsratsresolution 767 vom 26. Juli 1992 in Form einer amerikanischen Luftverladeoperation („Operation Provide Relief“) zwischen Kenia und Somalia. In einem Interview sagte Sicherheitsberater Scowcroft: „[the Bosnian camp issue] probably did have a significant influence on us. We did not want to portray the administration as 210
Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 32 - 33. Vgl. Ebd., S. 139. 212 Vgl. Durch: Introduction to Anarchy, S. 317 - 318. 211
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wholly flint-hearted realpolitik, and an airlift in Somalia was a lot cheaper [than intervention in Bosnia] to demonstrate that we had a heart.”213 Obwohl die prekäre Sicherheitslage in Somalia - soviel war der Regierung Bush bekannt - eine effektive Verteilung der gelieferten Hilfsgüter weiterhin nicht zuließ, begannen die USA „Operation Provide Relief“. Das amerikanische Engagement sollte jedoch ausschließlich auf den Transport von Nahrungsmitteln und pakistanischen Blauhelmsoldaten beschränkt bleiben. Nach Scowcroft: „[…] there was no discussion of using U.S. force for any [other; d.V.] purpose at this point.“214 Dieser Zug entlastete Präsident Bush jedoch nur temporär. Als aufgrund des nahenden Winters in Bosnien eine nochmalige Verschlechterung der humanitären Lage drohte und die Rufe nach einer amerikanischen Intervention im Herbst 1992 nicht abbrachen, sahen sich die Regierung Bush und die JCS unter Powell immer stärker in die Defensive gedrängt. Da sich die Situation in Somalia trotz der U.S.-amerikanischen Luftbrücke ebenfalls nicht verbessert hatte, reichte auch dieses Engagement nicht mehr aus, die interventionsfreundlich gestimmten Kritiker der Bush Regierung zu besänftigen. Zu jenem Zeitpunkt, als weder die Vereinten Nationen, noch die „Operation Provide Relief“, eine Verbesserung des Sicherheitsumfeldes oder der humanitären Lage in Somalia herbeiführen konnten, gewann der Demokrat William J. Clinton am 3. November 1992 die amerikanische Präsidentschaftswahl. Dieser hatte bereits im Wahlkampf George Bush für seine Passivität in der Balkanpolitik stark kritisiert. Am 19. November machte Clinton zusätzlich in getrennten Besprechungen mit dem amtierenden Präsidenten und Generalstabschef Powell deutlich, dass er im Bosnienkonflikt zumindest ein begrenztes, aber effektives amerikanisches Eingreifen aus der Luft für angebracht hielte. Nach Powells Meinung stellte dieser Interventionismus eine allzu idealistische Politik dar, welche die realen Kosten und möglichen Folgen eines Militäreinsatzes ausblenden würde.215 Der Einschätzung des Generals nach, würden Luftangriffe ohne den Einsatz von Bodentruppen den serbischen Präsidenten Miloševiü kaum zur Aufgabe seines aggressiven Verhaltens in Bosnien bewegen und unkalkulierbare
213
Interview mit dem Nationalen Sicherheitsberater Brent Scowcroft; zitiert nach: Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 130. Interview mit dem Nationalen Sicherheitsberater Brent Scowcroft; zitiert nach: Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 125. 215 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 141; Vgl. auch: Norton, Richard J.: The US Intervention in Somalia: An Integrated Analysis of Decision Making, (Unpublished paper presented at the International Studies Association Conference (20. -24. Februar 2001), Chicago 2001, S. 14; Vgl. auch: George.: The Politics of Peace, hier: S. 163. 214
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Risiken in sich bergen.216 Später schrieb er bezüglich Clintons Vorschlag abschätzig: „There it was again, the ever-popular solution from the skies, with a good humanist twist; let’s not hurt anybody.“217 Diese voraussichtliche Bereitschaft des neuen Präsidenten, in Bosnien zu intervenieren, führte letztendlich zu einem Umschwenken der JCS in Bezug auf die Ausweitung des amerikanischen Engagements in Somalia. Am 21. November 1992 erklärte der stellvertretende Generalstabschef Admiral David E. Jeremiah überraschend auf einem Treffen des „National Security Council Deputies Committee“218 die Entscheidung der JCS, dass das Militär, falls notwendig, zur Lösung des „somalischen Problems“ bereitstehen würde. Die Truppenstärke sollte dabei gemäß der „Weinberger-Powell-Doktrin“ dem Auftrag angemessen sein und wurde auf 30.000 Mann veranschlagt. Jeremiah sagte später: „Thirty thousand troops is a pretty heavy deployment. No one thought Somalia was going to be cheap or completely risk free. But Bosnia made it seem as though we could do Somalia with a relatively moderate force […] Thirty thousand wouldn’t get you a running start in Bosnia.”219 Generalstabschef Powells Zustimmung am Horn von Afrika militärisch zu intervenieren war jedoch an drei Bedingungen geknüpft. Erstens sollte die Mission einen rein militärischen Charakter haben und einzig der Herstellung eines sicheren Umfelds für die Arbeit der Hilfsorganisationen dienen. Zweitens sollte sie geographisch ausschließlich auf den Raum Mogadischu, Baidoa, Berbera begrenzt sein. Und drittens sollte der Einsatz kurz vor oder kurz nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Januar 1993 beendet sein.220 Die Intervention erfüllte demnach nicht nur drei Grundelemente der „Weinberger-PowellDoktrin“, sondern ebenfalls die Voraussetzungen für den Einsatz des U.S. Militärs, wie George Bush sie in seinem „Prudence“-Konzept formuliert hatte: “(I)n every case involving the use of force, it will be essential to have a clear and achievable mission, a realistic plan for accomplishing the mission, and criteria no less realistic for withdrawing U.S. forces once the mission is complete. Only if 216
Dass sich Colin Powell in diesem Punkt möglicherweise geirrt hat, legen Daalder und O’Hanlon dar. Zwar mag Clinton idealistisch motiviert gewesen sein. Der Fall Kosovo hat jedoch gezeigt, dass NATO/U.S.-amerikanische Luftangriffe (von Kosovo-albanischen UCK-Einheiten am Boden unterstützt) durchaus ein probates Mittel waren, die serbische Seite zu Kompromissen zu bewegen.; Vgl. dazu: Daalder, Ivo M./O’Hanlon, Michael E.: Unlearning the Lessons of Kosovo, in: Foreign Policy, No. 116, Herbst 1999, S. 128 - 140. 217 Powell, Colin (with Persico, Joseph E.): My American Journey, New York 1995, S.562. 218 Ein unter Bush sen. regelmäßig eingerichteter Gesprächskreis der am außenpolitischen Entscheidungsprozess beteiligten Ministerien auf Stellvertreterebene, welcher tagespolitische Probleme diskutierte. Geleitet wurde dieser in der Regel vom stellvertretenden Sicherheitsberater Bob Gates. 219 Interview mit den stellvertretenden Generalstabschef Admiral Jeremiah, zitiert nach: Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 137. 220 Vgl. Lewis/Mayall: Somalia, S. 110 - 111.
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we keep these principles in mind will the potential sacrifice be one that can be explained and justified.“221 „Operation Restore Hope“ fehlte jedoch das formelle Einverständnis des amerikanischen Kongress, welchen Präsidenten Bush hinsichtlich der Entscheidung zwar konsultierte, jedoch nicht um eine offizielle Genehmigung der Intervention ersucht hatte.222 Dies mag aus dem Grund nicht geschehen sein, da die Regierung keine langfristige Stationierung der U.S. Truppen am Horn von Afrika plante, welche eine offizielle Genehmigung durch den Kongress bedurft hätte. „We on the NSC staff […] believed we could get in and get out of Somalia in a relatively short period of time. That is. Feed the starving masses, work to stabilize the situation, and then exit.”223 Somalia, so nahm das Militär und die Bush-Regierung an, sei eine „machbare“ Mission. Aufgrund der (fälschlicherweise angenommenen) unorganisierten Struktur der somalischen Milizen und des offenen Geländes, stellte das Land ein weniger gefährliches Terrain für U.S.-amerikanische Truppen dar, als das zerklüftete Bergland Bosniens.224 Auf Powells Entscheidung hin, erarbeitete eine interministerielle Arbeitsgruppe drei Optionen, welche dem Präsidenten ohne Empfehlung vorgelegt wurden. Option 1 sollte die bereits bestehende Hilfsoperation bei verstärkter VN-Präsenz in Somalia aufrecht erhalten. Option 2 sah die Aufstellung eines internationalen VN-geführten Truppenkontingents mit rein logistischer Unterstützung der USA vor. Option 3 gestaltete sich in Form eines VN-mandatierten US-Eingreifkontingents. Präsident Bush entschied sich am 25. November 1992 für die dritte Option und bot den Vereinten Nationen eine Interventionstruppe von 28.000 Mann an, welche am 4. Dezember 1992 vom Weltsicherheitsrat angenommen wurde. Am 9. Dezember 1992 erreichten die ersten amerikanischen Truppen Somalia.225 Diese sollten nach der Wiederherstellung der zur Beendigung des Hungers notwendigen Sicherheit bereits um den Tag der Amtseinführung Bill Clintons (20. Januar 1993) wieder rückverlegt werden. Die Regierung Bush sah „Operation Restore Hope“ in keinem Fall als ein längerfristiges U.S.-amerikanisches Engagement am Horn von Afrika an. Scowcroft sagte, „Operation Restore Hope“ „ […] looked like a relatively simple operation where we were simpley going to go in and open up the communications routes and put 221
Bush, George: Remarks at the United States Military Academy in West Point, New York, (5. Januar 1993), George Bush Presidential Library and Museum: http://bushlibrary.tamu.edu/research/public_papers.php?id=5156&year=1993&month=01 . 222 Vgl.: Hyland: Clinton’s World, S. 51. 223 Colonel (Ret.) Jeff James (NSC); zitiert nach: Lofland: Somalia, S. 58. 224 Vgl. Bryden, Matthew: Somalia: The Wages of Failure, in: Current History, Vol. 94, No. 591, April 1995, S. 145 - 151, hier: S. 148. 225 Vgl. Robinson: Operation Restore Hope and the Illusion of a News Media Driven Intervention, S. 946.
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the gang leaders back in their cages, and then hopefully a smaller UN force could police the country and keep the aid flowing.”226 3.2.3.4 „Assertive Multilateralism“ und das außenpolitische (Des-) Interesse Clintons Bill Clinton war der erste Präsident der Vereinigten Staaten, der nach dem Ende des „Kalten Krieges“ sein Amt antrat. Während all seinen Amtsvorgängern des Nachkriegszeitalters durch den Ost-West-Antagonismus eine gewisse außenpolitische Marschroute vorgegeben war, musste der junge Präsident diese nun neu bestimmen. Durch den Wegfall der existentiellen Gefährdung schienen die ehedem alles überlagernden außen- und sicherheitspolitischen Interessen relativiert zu sein. Da die Vereinigten Staaten als „the lonley superpower“227 zu Beginn des post-sowjetischen Zeitalters relativ frei in der Gestaltung ihrer politischen Kurses schienen, gewannen innen- und wirtschaftspolitische Interessen zunehmend an Gewicht. Wie bereits weiter oben deutlich geworden ist, galt aus diesem Grund Clintons politisches Interesse primär der Wiederherstellung amerikanischer Wirtschaftskraft. Diese stellte für ihn die Grundlage und Zukunft der neuen amerikanischen Außenpolitik dar. Dies kam insbesondere in der sogenannten „ClintonDoktrin“, der „Strategy of Enlargement“228 deutlich zum Ausdruck. Durch Demokratisierung, Ausweitung und Unterstützung neuer marktwirtschaftlicher Systeme (Mittel- und Osteuropa/Asien) sowie einer gezielten Anreiz- und Sanktionspolitik gegenüber repressiven Regimen sollte einerseits die Welt sicherer werden, andererseits die Führungsrolle der Vereinigten Staaten gewährleistet bleiben. Die „Strategy of Enlargement“ wurde jedoch erst im September des Jahres 1993 veröffentlicht und kann daher nicht ausschließlich als Artikulation amerikanischer Interessen im Untersuchungszeitraum gelten oder monokausal zur Erklärung amerikanischer Zielsetzungen in Somalia herangezogen werden. Zu Beginn seiner Amtszeit gelang es der Clinton Administration nämlich nicht, ein kohärentes außenpolitisches Konzept vorzulegen, in welchem die strategische 226
Rosegrant, Susan/Watkins, Michael D.: A “Seamless” Transition: United States and United Nations Operations in Somalia 1992 - 1993, Cambridge, MA 1996, S. 15. Huntington, Samuel P.: The Lonley Superpower, in: Foreign Affairs, Vol. 78, No. 2, März/April 1999, S. 35 - 49. 228 Lake, Anthony: From Containment to Enlargement, Address at the School of Advanced International Studies, Johns Hopkins University, Washington, D.C., (21. September 1993), in: U.S. Department of State Dispatch, 27. September 1993, Vol. 4, No. 39: http://dosfan.lib.uic.edu/ERC/briefing/dispatch/1993/html/Dispatchv4no39.html . 227
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Marschrichtung der USA artikuliert gewesen wäre. „U.S. foreign policy during Clinton’s first months in office was the product of crisis management rather than strategic doctrine.”229 Das gilt auch für das amerikanische Verhältnis gegenüber den Vereinten Nationen. Zwar hatte er im Wahlkampf stark auf den Ausbau multilateraler Konfliktbewältigung gedrängt und sogar eine schnelle Eingreiftruppe der VN zur Durchsetzung kollektiver Sicherheit gefordert, die über friedenserhaltende Maßnahmen hinaus eingesetzt werden sollte. Doch schränkte er diesen Vorschlag bereits kurz darauf dahingehend ein, dass die nationale Sicherheit der USA niemals internationalen Institutionen übertragen werde.230 Das Interesse des Präsidenten an einer Stärkung der Vereinten Nationen muss folgerichtig in seinem wirtschaftspolitischem Kontext gesehen werden. Denn durch multilaterale Kooperation sollten die amerikanischen Kosten für weltweite Friedenserhaltung möglichst reduziert werden.231 Ein weiteres prägendes Element neben dieser ökonomischen Interessenauslegung war ein „pragmatic neo-wilsonianism“232 - eine idealistische Grundtendenz, welche die Clinton Regierung kennzeichnete. Dieser „pragmatische Internationalismus“ wurde in den ersten Amtsmonaten Clintons unter dem von VN-Botschafterin Albright geprägten Begriff „Assertive Multilateralism“ bekannt. Während die vitalen amerikanischen Interessen weiterhin unilateral verfolgt werden sollten, wenn nötig auch durch den Einsatz militärischer Macht, wies das Konzept den USA die kostenreduzierte Führungsrolle einer multilateralen Staatengemeinschaft zu. Diese sollte über Kooperation und Institutionenbildung das Wohl der gesamten internationalen Gemeinschaft sichern und mehren. Albright verstand ihr Konzept folgendermaßen: „Assertive multilateralism to me is using the new setting of an international community to bring about agendas that are good not only for the United States, but the entire world by asserting American leadership within that particular setting and realizing assertive multilateralism has a multiplier effect."233 Daher lag es im amerikanischen Interesse, die gesamte Staatengemeinschaft weiterhin anzuführen und durch möglichst umfassende Beteiligung an formeller Allianzbildung und an mit eigenen Mittel ausgestatteten internationalen Organisationen - bei gleichzeitiger Kostenreduktion - ihre eigene Handlungslegitimität 229
Brinkley: Democratic Enlargement, S. 114. Vgl. Rosner, Jeremy D.: The New Tug-of-War, Washington D.C. 1995, S. 68. 231 Vgl. Rudolf, Peter/ Wilzewski, Jürgen: Beharrung und Alleingang. Das außenpolitische Vermächtnis des William Jefferson Clinton, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 44/2000): U.S.A.: http://www.bpb.de/publikationen/Y8I6Z8,1,0,Beharrung_und_Alleingang%3A_Das_au%DFenpolitis che_Verm%E4chtnis_William_Jefferson_Clintons.html#art1 . 232 U.S. Sicherheitsberater Anthony Lake, zitiert nach: DeParle: The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy, S. 35. 233 U.S. Botschafterin bei den Vereinten Nationen Madeleine Albright, zitiert in: Rudolf/Wilzewski: Beharrung und Alleingang. 230
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zu steigern.234 Dies war der „strategische“ Kontext, in dem die Clinton Regierung das amerikanische Somaliaengagement vorerst betrachten sollte. 3.2.3.5 Die außenpolitischen Interessen Clintons in Somalia bis September 1993 „There was […] Somalia where we had inherited a mission that we had to figure out what to do with it, and we didn’t do a good job on it […].“235 Anthony Lake Mit der Beendigung der „Operation Restore Hope“ am 4. Mai 1993 ging das Einsatzkommando in Somalia wieder auf die Vereinten Nationen über. Obwohl operationale Differenzen zwischen den VN und den USA in Bezug auf die Entwaffnung der Clanmilizen sowie den institutionellen Neuaufbau des Landes nicht beigelegt worden waren, hatte die amerikanische Intervention klar die sich gesetzten Ziele erreicht. Die Sicherheitslage im Land hatte sich nachdrücklich verbessert, die Hilfsorganisationen konnten ihre Arbeit ausführen und die Hungersnot in Somalia war ab April 1993 beendet.236 Das amerikanische Engagement, das vom U.S. Kongress nicht offiziell abgesegnet war, hätte zu diesem Zeitpunkt drastisch reduziert, wenn nicht gar beendet werden können. Am 26. März 1993 verabschiedete der VN Sicherheitsrat mit Resolution 814 die erste humanitär motivierte friedensschaffende Operation nach Kapitel VII VN Charta in der Geschichte der Organisation. Wollte die Clinton Regierung durch multilateralen Internationalismus und eine Stärkung der VN eine kostenreduzierte Weltführungsrolle der USA beibehalten, so durften die Vereinten Nationen nicht bei ihrem ersten robusten Einsatz scheitern. „(It) is in America’s interest to ensure that the UN’s first multinational peace enforcement effort under Chapter VII of its Charter is a success.“237 234
Vgl. Haass, Richard N.: Paradigm Lost, in: Foreign Affairs, Vol. 74, No. 1, Januar/Februar 1995, S. 43 - 58, hier: S. 51. 235 U.S. Sicherheitsberater Anthony Lake, zitiert nach: Frontline: „The Clinton Years“: http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/clinton/interviews/lake.html . 236 Vgl. Krech: Der Bürgerkrieg in Somalia, S. 74; wenige Experten sehen nicht „Operation Restore Hope“, sondern die endende Dürreperiode und gute Regenfälle im Herbst 1992 als Hauptgründe für das (natürliche) Ende der Hungerkatastrophe in Somalia an. Vgl. dazu: de Waal, Alex/Omaar, Rakiya: Doing Harm by Doing Good? The International Relief Effort in Somalia, in: Current History, Vol. 92, No. 574, Mai 1993, S. 198 - 202. 237 Tarnoff, Peter: U.S. policy in Somalia, in: U.S. Department of State Dispatch, 9. August 1993, Vol. 4, No. 32: http://dosfan.lib.uic.edu/ERC/briefing/dispatch/1993/html/Dispatchv4no32.html .
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Da bereits die Bush Regierung angedeutet hatte, UNOSOM II nach ihrer Implementierung substantiell zu unterstützen, sah Präsident Clinton keinen Grund, den Vereinten Nationen diese Unterstützung zu verweigern. Der Clinton Regierung war jedoch der unilaterale Charakter von UNITAF ein Dorn im Auge gewesen und nun drängte sie auf eine stärkere Rolle der VN in der Operationsführung in Somalia.238 Dieses fortgeführte, aber reduzierte U.S.-amerikanische Engagement innerhalb von UNOSOM II bekam den Namen „Operation Continue Hope“. Dazu stellten die USA den VN eine 1.300 Mann starke Eingreiftruppe („Quick Reaction Force“, im Folgenden: QRF), 4000 Blauhelmsoldaten (hauptsächlich Logistiktruppen) sowie Generalmajor Thomas M. Montgomery als stellvertretenden Befehlshaber der UNOSOM II Truppen und Admiral a.D. Jonathan Howe als SRSG zur Verfügung.239 Während die Logistiktruppen unter das Operationskommando der Vereinten Nationen gestellt wurden, verblieben die U.S.-amerikanischen Kampftruppen der QRF unter operationaler Führung des U.S. Central Command (CENTCOM) in Tampa, Florida. UNOSOM II bestand bei ihrer Kommandoübernahme von UNITAF am 4. Mai 1993 aus 16.000 Soldaten aus 21 Ländern.240 Die weitere Beteiligung amerikanischer Truppen sollte als Erfolgsgarant der VN-geführten UNOSOM II dienen. Das fortgesetzte Engagement der Vereinten Nationen, erstmals unter Kapitel VII ihrer Charta, war nach Madeleine Albright „[…] an unprecedented enterprise aimed at nothing less than the restoration of an entire country as a proud, functioning and viable member of the community of nations."241 Obwohl Präsident Bush verkündet hatte, die amerikanischen Truppen seien um den 20. Januar 1993 wieder zu Hause, war aus einer kurzfristigen humanitären Intervention ein längerfristiges “Nation-building” geworden. Welche Interessen hatte die Regierung Clinton an einem längerfristigen Engagement der USA in Somalia?
238
Vgl. Norton, Richard J.: Somalia II, in: Little, Kevin L. (ed.): Case Studies in Policy Making & Process, 8th edition, Newport/Rhode Island 2004, S. 61 - 76, hier: S. 63. 239 Vgl. Hirsch John L. / Oakley Robert B.: Somalia and Operation Restore Hope. Reflections on Peacemaking and Peacekeeping, United States Institute of Peace Press Washington D.C. 1995, S. 109 - 110. 240 Vgl. Stewart, Richard W.: The United States Army in Somalia 1992-1994, ohne Jahresangabe, S.14: http://www.history.army.mil/brochures/Somalia/Somalia.htm#p15 . 241 Zitiert nach Lewis, Paul: U.N. will increase troops in Somalia, in: The New York Times, 27. März 1993.
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3.2.3.6 Der inhaltliche Wandel der amerikanischen Somaliaintervention: Von humanitärer Hilfe zu „Nation-building“ Entgegen der weit verbreiteten Meinung, durch die Medien verbreitete Bilder hungernder Somalis hätten die amerikanische Administration zur „Operation Restore Hope“ bewegt, waren es, wie dargelegt wurde, vielmehr der kumulative Druck der Medien und der Öffentlichkeit, das Interesse an stabilen Beziehungen zu einem demokratischen Russland sowie die mehrfach erklärte Bereitschaft des designierten U.S. Präsidenten Bill Clinton in Bosnien zu intervenieren, welche Bush und die JCS zu ihrer Entscheidung, in Somalia einzugreifen, bewegten.242 In der Gesamtheit führte dies dazu, dass „[...] Bush and Powell decided that if the United States was going to intervene, it would be in Somalia - not in Bosnia. Somalia was the easier of the two missions.”243 Das primäre Interesse der Bush Administration war demnach, eine amerikanische Intervention in Bosnien aus oben dargelegten Gründen zu vermeiden. Da sich die Restriktionen der „Weinberger-Powell-Doktrin“ bestens mit dem umsichtigen außenpolitischen Führungsstil Bushs ergänzten, war „Operation Restore Hope“ in Auftrag, Raum und Zeit begrenzt gewesen. Alleine die Tatsache, dass Bush die Intervention nicht vom Kongress absegnen ließ, spricht dafür, dass der Militäreinsatz in Somalia kein offenes Ende haben sollte. Gemäß seinem Konzept der „neuen Weltordnung“ - welches schon bald durch „Prudence“ ersetzt worden war - hätte ein längerfristiges Engagement der USA in Somalia zu einer Stärkung der Vereinten Nationen beitragen können. Denn ohne die amerikanische Unterstützung wären der VN-Einsatz in Somalia zum Scheitern verurteilt gewesen. Bei einer genauen Betrachtung der vehementen Ablehnung eines Bosnien Einsatzes sowie der zeitlichen und inhaltlichen Restriktionen der Somalia Operation kann „Operation Restore Hope“ entgegen traditioneller Lesart vielmehr als eine Abkehr vom Prinzip kollektiver Sicherheit sowie (in Bosnien drohenden) multinationalen Friedenseinsätzen gewertet werden, aber auch der Versuch George Bushs, die letzten Tagen seiner Präsidentschaft in ein positives Licht zu rücken. Was also 1992 unter Bush nach einem reinen Lippenbekenntnis zu kollektiver Sicherheit aussah, schien 1993 vom neuen Präsidenten Clinton tatsächlich so gemeint zu sein. In Übereinstimmung mit seiner Wahlkampfrhetorik und dem von Albright ausgemalten Prinzip des „Assertive Multilateralism“ sollten Bushs Worten nun Taten folgen. Denn gemäß diesem Konzept war das Verbleiben ame242
Vgl. Mermin, Jonathan: Television News and American Intervention: The Myth of a MediaDriven Foreign Policy, in: Political Science Quarterly, Vol. 112, No. 3, Herbst 1997, S. 385 - 403, hier: S. 386. 243 Western: Sources of Humanitarian Intervention, S. 118.
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rikanischer Truppen als Teil des UNOSOM II Kontingents in Somalia im Interesse der Vereinigten Staaten. Lastengeteilter Multilateralismus sollte sich wieder lohnen und die USA mussten als Führungsmacht beispielhaft vorangehen.244 Im Vergleich zu Präsident Bush machte Clinton jedoch den Fehler, die Führung der Außenpolitik, mangels Interesse, aus der Hand zu geben. Ob jedoch durch einen verbesserten außenpolitischen Führungsstil der Auftrag des „Nation-building“ in Somalia erfolgreich hätte abgeschlossen werden können, muss ebenfalls angezweifelt werden. 3.2.4 Potenziell und konkret vorhandene Machtmittel der Vereinigten Staaten von Amerika Die potenzielle Machtfülle der einzig verbliebenen Supermacht USA mag zu Beginn der 1990er Jahre überwältigend erschienen haben. Wirtschaftlich befand sich das Land zwar in einer Krise, führte jedoch weiterhin mit Japan und der Europäischen Union eine „globalökonomische Triade“ an. Hinzu kam der politische Einfluss, welchen die USA über ihren Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die von ihnen dominierten Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfond (IMF) sowie als Führungsnation der nordatlantischen Allianz (NATO) besaßen. Militärisch hatten sie quantitativ, vor allem aber qualitativ, eine uneinholbare Vormachtstellung inne. Der Golfkrieg von 1991 hatte aller Welt die Schlagkraft und technologische Überlegenheit amerikanischer Streitkräfte vor Augen geführt, die in nur wenigen Wochen (davon nur vier Tage Bodenkrieg) die viertgrößte Armee der Welt besiegt hatten. Im traditionellen, konventionellen Machtverständnis schien es keinen Gegner zu geben, der die USA potenziell in die Knie hätte zwingen können. Auf konkreter Ebene besaßen die Vereinigten Staaten jedoch trotz potenzieller Machtfülle gleich mehrere Achillesfersen. Allem voran ist hier das, von den USA bereits im Vietnamkrieg schmerzhaft erfahrene, dialektische Begriffspaar von Asymmetrie und öffentlicher/medialer Meinung zu nennen. Gerade westlichdemokratische Staaten weisen an dieser Stelle einen systemimmanenten Schwachpunkt auf, da der Meinungspluralismus einen begrenzenden Einfluss auf die mögliche Machtanwendung eines Staates haben kann.245 Denn ohne den entsprechenden öffentlichen und innenpolitischen Zuspruch erhebt sich aus jeder
244
Vgl. Brinkley: Democratic Enlargement, S. 112 - 113. Loch, Thorsten: Zur Rolle der Medien in asymmetrischen Konflikten. Militärgeschichte und Medienwissenschaften im Fokus, in: Mittelweg 36 Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, No. 16, April 2007: http://www.eurozine.com/articles/2007-09-27-loch-de.html .
245
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militärischen Machtanwendung „[…] die grundlegende Frage nach der Verantwortlichkeit der Führung gegenüber der Öffentlichkeit.“246 Dies zeigte sich, wie oben bereits ausführlich dargelegt wurde, in George Bushs Ablehnung einer Intervention in Bosnien oder Somalia während des Präsidentschaftswahlkampfes 1992. Da er jedoch nach seiner Wahlniederlage die „Operation Restore Hope“ befürwortete, drängt sich der Eindruck auf, dass er bis zum Wahlentscheid versuchte hatte, gemäß der öffentlichen Meinung zu handeln, um die ihm vorgeworfene Kritik außenpolitischer Fixierung zu entkräften. Stand seine Niederlage erst einmal fest (3. November 1993), so war der Verlust öffentlichen Zuspruchs kompensatorisch247 geworden, d.h. er konnte unbeeinflusst von Öffentlichkeit und Medien, rein aufgrund nationaler Interessen, eine Entscheidungen treffen. Diese Interessen waren vor allem die Vermeidung eines ungewissen Engagements im komplexen Balkankonflikt und die Stabilisierung der Beziehungen zu Moskau. Um jedoch sein politisches Erbe nicht zu beschädigen, entschied er eine humanitäre Intervention amerikanischer Truppen in Somalia. Während die USA das Potenzial für ein wesentlich umfassenderes Engagement in Somalia gehabt hätten, stand unter anderem von Anfang an fest, dass die somalischen Bürgerkriegsparteien nur eine begrenzte Anzahl ausländischer Truppen in Somalia dulden würden.248 Insbesondere das „Vietnam-Trauma“, das trotz des Erfolges im Golfkrieg die amerikanische Nation und die Entscheidungsträger weiterhin prägte, stellte ein Hindernis möglicher militärischer Machtanwendung dar. Davon war vor auch die auf gute Beziehungen zur Öffentlichkeit und Kongress angewiesene Clinton Regierung betroffen. Denn seit dem Ende des Vietnamkrieges und insbesondere nach dem Ende des „Kalten Krieges“, wodurch außen- und sicherheitspolitische Interessen stark relativiert wurden, hatte der Kongress es erfolgreich verstanden, die außenpolitische Machtfülle des Präsidenten („imperial presidency“) zu beschneiden.249 Während die öffentliche Meinung, institutionalisiert durch Senatoren und Abgeordnete des Kongress, erheblichen Einfluss auf das außenpolitische Verhalten der Administration haben kann, stellt die finanzielle Abhängigkeit der Exekutive vom mittelbewilli-
246
Kissinger, Henry A.: Memoiren, Band I, München 1981, S. 377. Dieser Rückschluss ergibt sich aus der Anwendung des „nonkompensatorischen Prinzips“ des relativ jungen Ansatzes der poliheuristischen Entscheidungstheorie; Siehe dazu: Mintz, Alex/Geva, Nehemia (eds.): Decision-Making on War and Peace. The Cognitive-Rational Debate, Boulder/Colorado 1997; Mintz, Alex (ed.): Integrating Cognitive and Rational Theories of Foreign Policy Decision Making, New York 2003; Mintz, Alex: How Do Leaders Make Decisions?: A Poliheuristic Perspective, in: The Journal of Conflict Resolution, Vol. 48, No. 1, Februar 2004, S. 3 - 13. 248 Vgl. Sahnoun, Mohammed: Flashlights over Mogadishu, in: New Internationalist, Issue 262, Dezember 1994: http://www.newint.org/issue262/flashlights.htm . 249 Vgl. Schlesinger, Jr., Arthur M.: The Imperial Presidency, 3rd edition, Boston/New York 2004, xvi. 247
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genden Kongress die stärkste endogene Begrenzung potenziell verfügbarer Macht eines U.S. Präsidenten dar.250 Des Weiteren sah sich Bill Clinton der Herausforderung gegenüber, seine Politik und die Operationsführung im Hinblick auf Somalia stets im multilateralen Kontext des UNOSOM II Mandates zu belassen. Ein unilaterales, amerikanisches Vorgehen wäre möglicherweise effizienter gewesen, hätte aber erstens wesentlich höhere Kosten verursacht und zweitens den erklärten „Assertive Multilateralism“ sowie die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen unterminiert. Kostenreduktion amerikanischer Außenpolitik und eine Stärkung des Prinzips kollektiver Sicherheit waren jedoch erklärte Ziele der Clinton Regierung gewesen. 3.2.5 Die U.S.-amerikanischen Prinzipien: Zwischen Freiheit und Herrschaft Das außenpolitische Verhalten staatlicher Akteure wird zwar von den politischen Führungskräften gesteuert. Diese sind aber neben den bereits oben genannten Einflussfaktoren von Ideologien und gesellschaftliche Grundwerte in ihren Entscheidungen stets beeinflusst. Auf diesem Wege wird die auswärtige Politik eines Staates von dessen kollektivem Selbstverständnis mitgeprägt. Daher muss an dieser Stelle auf die gesellschaftlichen Leitideen der Vereinigten Staaten eingegangen werden, denn sie besitzen eine nicht zu unterschätzende „aktionsauslösende, wie aber auch aktionshemmende Wirkung.“251 Entstanden waren die Vereinigten Staaten von Amerika als Gegenentwurf zur „alten Welt“ - was damals Europa bedeutete. Im Unterschied zu den europäischen Fürsten- und Königtümern sollte „die von Gott erwählte Nation“ fundamentale Rechte wie Leben, Freiheit, Eigentum und das Streben nach Glück unabhängig von gesellschaftlichem Stand oder Reichtum des Einzelnen garantieren.252 Das Ziel der Schaffung dieser „Great Society“ hatte und hat für die Bevölkerung der USA einen handlungsleitenden, wie auch identitätsstiftenden Einfluss. Denn das kollektive Bewusstsein und der eigene Anspruch der Nation, als „workshop of liberty to the Civilized World“253 (James Madison) moralisch höherwertig als der Rest der Welt zu sein, führte zu einem kollektiven Selbstver250
Ein Beispiel für den finanzpolitischen Einfluss des Kongress ist der “Foreign Assistance Act“ von 1974, welcher durch eine Verweigerung der für die südvietnamesische Regierung gedachten Finanzmittel maßgeblich zur Beendigung des amerikanischen Engagements in Vietnam beitrug. 251 Kindermann: Grundelemente (1986), S. 137. 252 Siehe dazu: “The Virginia Bill of Rights”, 12. Juni 1776: http://www.gunstonhall.org/documents/vdr.html . 253 James Madison, zitiert in: H.W. Brands: What America Owes the World. The Struggle for the Soul of Foreign Policy, Cambridge 1998, S. 5.
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ständnis, das in einem starken Gefühl des Exeptionalismus mündet.254 Somit weist „[…] das amerikanische Staatswesen als genetischen Code die Vision [auf; d.V.], den Rest der Welt von der Verderbtheit und Drangsal zu befreien.“255 Da die Vereinigten Staaten für den Großteil ihrer Geschichte versucht haben, sich militärisch wie politisch von den europäischen Mächten abzukapseln, wurde der amerikanische Außenpolitikstil auch wesentlich stärker von den eigenen innerstaatlichen Erfahrungen und kulturspezifischen Traditionen geprägt, als dies für die im ständigen Nachbarschaftskonflikt liegenden Staaten Europas der Fall war.256 Seit ihrer Gründung kann also der als gottgegeben verstandene Auftrag der USA („with a firm reliance on the protection of divine Providence“257) - stark vereinfacht ausgedrückt - als die Implementierung einer normativ höherwertigen Weltordnung (Demokratie) gelten. Umstritten ist jedoch die Art und Weise, auf welche dieses Ziel erreicht werden kann, beziehungsweise erreicht werden soll. Die außenpolitische Grundorientierung der USA steht daher in einem Spannungsfeld der ideologischen Pole Idealismus und Realismus. Insbesondere die traditionelle Debatte zwischen Isolationisten und Internationalisten ist Ausfluss dieser unterschiedlichen Grundüberzeugungen. Der Isolationismus betont das Prinzip „America first“. Demzufolge müssen sich die USA von der Außenwelt möglichst abschotten und primär ihre eigenen Bedürfnisse erfüllen, um durch die somit zu erreichende Vollkommenheit, als „Leuchtturm der Freiheit“ ihren global wirksamen Beispielcharakter aufrechterhalten zu können. Der Internationalismus akzentuiert dagegen die Überzeugung „America No.1“, nach der die USA ihren Vorbildcharakter offensiv durchsetzen müssen, um weiterhin die globale Führungsrolle als „last best hope of earth“258 gerecht zu werden.259 Es wird dabei deutlich, dass diese Prinzipien einen negativen wie einen positiven Handlungseffekt besitzen können. Während „America first“ einen aktionshemmenden, passiven Charakter hat, weist „America No. 1“ einen aktionsauslösenden, aktiven Charakter auf. Diese hier dargestellten Prinzipien der U.S.amerikanischen Gesellschaft bestanden 1992 nicht mehr in dieser Reinform (falls 254
Vgl. Schweiger, Gebhard: Außenpolitik, in: Lösche, Peter / von Löffelholz, Hans Dietrich (Hrsg.): Länderbericht USA, 4. aktualisierte und neu bearbeitete Auflage, Bonn 2004, S. 410 - 507, hier: S. 438. 255 Roberts: Wer die nichtpolare Welt regiert, S. 12. 256 Vgl. Hook, Steven W. / Spanier, John: American Foreign Policy Since World War II, Sixteenth Edition, Washington D.C. 2004, S. 5. 257 The Declaration of Independence (Transcript), The National Archives, Washington D.C.: http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration_transcript.html . 258 Lincoln, Abraham: Annual Message to Congress, 1. Dezember 1862, in: Basler, Roy P: Collected Works of Abraham Lincoln, Vol. 5, New Brunswick, N.J 1953, S. 537. 259 Vgl. Schweiger: Außenpolitik, S. 417.
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sie es je getan haben). Sie lassen sich jedoch in unterschiedlichem Maße und variierender Stärke über den gesamten Geschichtsverlauf der USA hinweg nachweisen, wobei der prinzipielle Idealismus das gewichtigere Prinzip zu sein scheint.260 Die U.S.-amerikanische Außenpolitik befindet sich demnach stets in einem Spannungsfeld zwischen idealistischem Sendungsbewusstsein, das Morgenthau als „[…] intoxitation with moral abstractions [as; d.V.] prevailing substitute for political thought”261 kritisierte und realpolitischer Interessenswahrnehmung. Idealismus ist somit die grundlegende Triebkraft amerikanischer Außenpolitik Realismus die sie begrenzende Variable. Kennan verstand jedoch, dass diese positiven, handlungsauslösenden Prinzipien, „[…] normally suggest or involve action, [and carry; d.V.] over almost imperceptibly from the realm of principle into that of policy, where they develop a momentum of their own in which the original considerations of principle either are forgotten or are compelled to yield to what appear to be necessities of the moment.”262 Handlungsauslösende Prinzipien werden also früher oder später von der Realität eingeholt und führen zu einem Bruch in der ausgeführten Politik. Dieser Umstand, bzw. ein mangelndes Bewusstsein dieses Spannungsfeldes zwischen Prinzipien und Interessen, führt des Öfteren dazu, dass den Vereinigten Staaten eine gewisse Doppelmoral in außenpolitischen Belangen vorgeworfen wird oder vorgeworfen werden kann.263 3.2.5.1 Multilateralismus und amerikanischer Exeptionalismus In der Beurteilung amerikanischer Außenpolitik wird oft verkannt, dass die Vereinigten Staaten über einen klaren kulturspezifisch geprägten Außenpolitikstil verfügen, der nicht mit denen europäischer Staaten gleichzusetzen ist. So kann insbesondere der exeptionalistische Gedanke zur Erklärung des ambivalenten Verhaltens der USA gegenüber multilateral kooperierenden Institutionen wie den Vereinten Nationen herangezogen werden. Obwohl die U.S.-amerikanischen Werte zwar im Grunde genommen dem Prinzip kollektiver Sicherheit entsprechen, sieht ein nicht geringer Teil der Nation die normative Höherwertigkeit amerikanischer Positionen durch die notwendigen Kompromisse multilateraler 260
Vgl. Schweiger: Außenpolitik, S. 442. Morgenthau, Hans J.: The Mainsprings of American Foreign Policy: The National Interest vs. Moral Abstractions, in: The American Political Science Review, Vol. 44, No. 4, December 1950, S. 833 - 854, hier: S. 834. 262 Kennan, George F.: On American Principles, in: Foreign Affairs, Vol. 74, No. 2, März/April 1995, S. 116 - 126, hier: S. 120. 263 Vgl. Schweiger: Außenpolitik, S. 442. 261
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Kooperation verwässert.264 Nach dem Ende des „Kalten Krieges“ und vor der Erfahrung territorialer Verwundbarkeit am 11. September 2001 schien der isolationistische Grundgedanke - die Absonderung vom Rest der Welt - der amerikanischen Bevölkerung äußerst verlockend.265 Das Beharren der Bush Administration auf einer amerikanischen Führung der „Operation Restore Hope“ wie auch die Ausgliederung der QRF aus der UNOSOM II Kommandostruktur durch die Clinton Regierung, führen die amerikanische Ambivalenz hinsichtlich der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen beispielhaft vor Augen. Multilaterale Kooperation wird prinzipiell bejaht, aber nur unter amerikanischer Führung. Dieser Führungsanspruch speist sich dabei nicht aus dem objektiven Verlangen nach Macht, sondern vielmehr aus dem subjektiven Glauben politischmoralischer Höherwertigkeit. Des Weiteren lässt sich mit der Variable der handlungsauslösenden Prinzipien Bill Clintons Bereitschaft zu einer Verlängerung der U.S.-amerikanischen Beteiligung an UNOSOM II erklären. In Form des „Assertive Multilateralism“ verkörperte dieses Engagement das Prinzip „America No. 1“, da Clinton durch eine aktiv wahrgenommene Vorbildrolle die Vereinten Nationen und das Prinzip kollektiver Sicherheit zu stärken versuchte. Als sich jedoch die Operationsparameter veränderten und, wie es George Kennan beschrieben hatte, ein „eigenes Momentum entwickelten“266, musste die Clinton Regierung ihre Somaliapolitik den realen Gegebenheiten auf dem Boden anpassen. Denn der in ein „Nationbuilding“ umgewandelte Auftrag gestaltet sich im Vergleich zu einer friedensbewahrenden Mission ungleich komplexer. Dies mussten auch die Vereinten Nationen, welche mit der UNOSOM Mission das neue Kapitel friedens- und staatsschaffender Operationen aufgeschlagen hatten, schmerzhaft erfahren.
264
Vgl. Schweiger: Außenpolitik, S. 459. Vgl. Hook/Spanier: American Foreign Policy Since World War II, S. 5. 266 siehe Fußnote 266. 265
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3.3 Die Rolle der Vereinte Nationen in der Somaliaintervention 1992 – 1994 3.3.1 Die Vereinten Nationen und das System kollektiver Sicherheit Am 26. Juni 1945 vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges gegründet, sollte mit den Vereinten Nationen ein System kollektiver Sicherheit zur Aufrechterhaltung des weltweiten Friedens geschaffen werden. Das zentrale Prinzip der Charta der Vereinten Nationen stellt dabei das allgemeine Gewaltverbot nach Artikel 2 Ziffer 4 dar. Aufgrund der Abwesenheit einer übergeordneten Sanktionsgewalt auf internationaler Ebene hatten nationalstaatliche Akteure immer wieder auf militärische Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen zurückgegriffen. Dies sollte nun durch die Institutionalisierung allgemeingültiger Normen und Regeln unterbunden werden.267 In der Debatte über die Reichweite und Anwendbarkeit eines kollektiven Sicherheitssystems wurden vielfache Probleme aufgezeigt.268 Allgemein kann konstatiert werden, dass Anspruch und Wirklichkeit dieses in den Vereinten Nationen institutionalisierten Konzepts nicht übereinstimmen. Dies war insbesondere während des „Kalten Krieges“ der Fall gewesen, als der Weltsicherheitsrat in seiner Entscheidungsfindung durch ein meist reflexartig und aus blockpolitischen Überlegungen wahrgenommenes Vetorecht eines ständigen Mitglieds behindert wurde. Somit konnte in dieser Zeit das mächtigste VN Organ seine ihm in der Charta zugewiesene Hauptaufgabe, „[…] the maintenance of international peace and security“269, nur äußerst selten wahrnehmen. Dieser Umstand sollte sich jedoch nach dem Ende des „Kalten Krieges“ ändern. Hatten die ständigen Mitglieder des VN Sicherheitsrates zwischen 1945 und 1989 regelmäßig Gebrauch von ihrem Vetorecht gemacht, so führte ein ab 1990 zunehmend kooperatives Verhältnis der ehemaligen Gegner zu einem rapiden Anstieg der SR Resolutionen270 sowie der damit verbundenen Handlungen. 267
Vgl. Gareis, Sven/Varwick, Johannes: Die Vereinten Nationen, 3., aktualisierte und erweiterte Auflage, Bonn 2003, S. 73 - 75. 268 Aufgrund der Vielzahl an Literatur, welche zu diesem Themenfeld veröffentlicht wurde, sei hier nur auf einige Publikationen hingewiesen. Für (neo)realistische Kritik siehe: Link, Werner: Die Neuordnung der Weltpolitik. Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, 3. aktualisierte Auflage, München 2001; siehe auch: Mearsheimer, John: The False Promise of International Institutions, in: International Security, No. 3, Winter 1994/1995, S. 5 - 49; oder: Hoffman, Stanley: Duties Beyond Borders: On the Limits and Possibilities of Ethical International Politics, New York 1981; Für liberalistische Kritik siehe: Czempiel, Ernst-Otto: Die Reform der UNO. Möglichkeiten und Missverständnisse, München 1994. 269 Kapitel V, Art. 24 Charta der Vereinten Nationen: http://www.un.org/aboutun/charter/index.html . 270 Von 1946 bis 1989 verabschiedete der VN Sicherheitsrat gerade 646 Resolutionen. Diese Zahl stieg bis 1994 auf 969. Damit stieg die Anzahl der Resolutionen innerhalb von fünf Jahren um 50 %
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Formell kann der Weltsicherheitsrat, welcher aus zehn nicht-ständigen und fünf ständigen Mitgliedern besteht, alle Beschlüsse (außer Verfahrensfragen) verabschieden, wenn neun der fünfzehn Mitglieder zustimmen. Wird der SR nicht auf Antrag des Präsidenten oder eines SR Mitgliedes tätig, so ist es insbesondere die Aufgabe des VN Generalsekretärs, die Aufmerksamkeit des Rates auf einen ihm wichtig erscheinenden Sachverhalt zu lenken. Will der Sicherheitsrat militärische Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII VN Charta zur Verhinderung oder Beantwortung aggressiver, friedensbrechender Verhaltensweisen eines Staates verabschieden, so muss dies in Einklang mit Art. 39 VN Charta und in Verbindung mit Art. 42 VN Charta erfolgen.271 Das Hauptaugenmerk dieses Analyseabschnitts wird vornehmlich auf dem Amt des Generalsekretärs liegen. Denn der am 3. Dezember 1991 zum neuen VN Generalsekretär gewählte Ägypter Boutros Boutros-Ghali wurde in SR Resolution 733 vom 23. Januar 1992 vom Rat explizit beauftragt, „[…] to undertake the necessary actions to increase humanitarian assistance of the United Nations and its specialized agencies to the affected population in all parts of Somalia […] and […] to oversee the effective delivery of this assistance“.272 Daher hatte er innerhalb der Vereinten Nationen den größten Einfluss auf die Gestaltung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf die Somaliaoperation. Bereits als stellvertretender ägyptischer Außenminister verfügte Boutros-Ghali über enge Kontakte zum Somalia Siad Barres, welchen er persönlich gekannt und unterstützt hatte.273 Dieser Umstand ließ den Generalsekretär und die Vereinten Nationen in der Wahrnehmung vieler Somalis, besonders jedoch in der Perzeption General Aidids, verdächtig erscheinen und kompromitierte seine Verhandlungsposition. Das Engagement der Vereinten Nationen in Somalia lief nur äußerst schleppend an, da einer möglichen Intervention zu Beginn die ablehnende Haltung der Organization of African Unity (OAU) entgegenstand, welche eine ähnliche Position auch in vorangegangenen Krisen im Sudan und Liberia vertreten hatte. Das ungelöste Souveränitätsproblem, aber auch Artikel 2 der VN Charta, welcher den Eingriff in interne Angelegenheiten der Staaten untersagt, behinderten ein an, was mehr als eine Vervierfachung der verabschiedeten Resolutionen pro Jahr, im Gegensatz zu den vorangegangenen 43 Jahren bedeutet. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der jahresdurchschnittlich abgegebenen Vetos von 4,44 (Zeitraum 1946-1989) auf 1,8 (Zeitraum 1990-1994). (Eigene Berechnungen anhand offizieller Zahlen. Zu einzelnen Resolutionen siehe: http://www.un.org/documents/scres.htm , zu einzelnen Vetos siehe: http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/417/02/PDF/N0441702.pdf?OpenElement) 271 Vgl. Gareis/Varwick: Die Vereinten Nationen, S. 56 - 57. 272 VN Sicherheitsratresolution 733: http://www.un.org/documents/scres.htm . 273 Vgl. Stevenson, Jonathan: Hope Restored in Somalia?, in: Foreign Policy, No. 91, Sommer 1993, S. 138 - 154, hier: S. 149.
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schnelles und bestimmtes Vorgehen des Weltsicherheitsrates. Zusätzlich zog der 1991 auf dem Balkan - in unmittelbarer Nachbarschaft zu den europäischen Industrienationen - entbrannte und mit äußerster Brutalität geführte Regionalkonflikt das Interesse des VN Sicherheitsrates auf sich.274 3.3.2 Die Wiedergeburt der Vereinten Nationen? Von friedenserhaltenden zu friedenschaffenden Operationen Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts schien sich, wie weiter oben bereits dargelegt, zum dritten Mal im 20. Jahrhundert eine Chance zu bieten, der Friedenssicherung in der internationalen Politik das Konzept kollektiver Sicherheit zugrunde zu legen. Aufgrund der neu gewonnenen Handlungsfreiheit, welche durch die bis in den Weltsicherheitsrat hineinreichenden ideologischen Barrieren eingeschränkt gewesen war, schien sich den Vereinten Nationen die Gelegenheit der Verwirklichung ihres politischen Potenzials zu bieten. Gemäß dem Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali: “[…] an opportunity […] to achieve the great objectives of the Charter - a United Nations capable of maintaining international peace and security, of securing justice and human rights and of promoting, in the words of the Charter, ‘social progress and better standards of life in larger freedom’. This opportunity must not be squandered. The Organization must never again be crippled as it was in the era that has now passed.“275 Um diese erhoffte “Renaissance der Vereinten Nationen“ erfolgreich vorantreiben zu können, mussten jedoch konzeptionelle Veränderungen, insbesondere im Bereich friedenserhaltender Maßnahmen stattfinden. Denn ein effektives Handeln der VN bei innerstaatlichen Krisen wie dem Bosnienkonflikt oder dem regierungslosen Somalia, stand wie erwähnt im Konflikt mit Artikel 2 ihrer Charta. Dieser betont ausdrücklich die Wahrung nationalstaatlicher Souveränität der Mitgliedsstaaten der VN.276 Doch angesichts vermehrt auftretender Bürgerkriege und ethnisch motivierter Gewalttaten, einem neben der Globalisierung auftretenden Regionalisierungstrend und dem bereits erwähnten Profilwandel auf der Akteursebene zwischenstaatlicher Politik wurde dieses Souveränitätsprinzip zunehmend augehöhlt. Dabei hatten die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung am 26. Juni 1945 bis zur Somaliaintervention bereits zweimal das Souveränitätsgebot „missach274
Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 17. Boutros-Ghali, Boutros: An Agenda for Peace. Preventive diplomacy, peacemaking, and peacekeeping, Report of the Secretary-General pursuant to the statement adopted by the Summit Meeting of the Security Council on 31 January 1992: http://www.un.org/Docs/SG/agpeace.html . 276 Vgl. Art 2 Charta der Vereinten Nationen. 275
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tet“. 1950 autorisierte der Sicherheitsrat eine U.S.-amerikanisch geführte, multinationale Koalition in Reaktion auf den nordkoreanischen Überfall Südkoreas und ein zweites Mal 1991, um das vom Irak besetzte Kuwait zu befreien. Beide Interventionen waren jedoch gegen einen nationalstaatlichen Akteur gerichtet, „[…] to maintain and restore international peace and security“277 und standen daher im Einklang mit Kapitel VII der VN-Charta. Während die Beantwortung aggressiver Verhaltensweisen nationalstaatlicher Akteure somit das Souveränitätsgebot des Artikel 2 der VN-Charta außer Kraft setzen kann, gilt dies nicht im Falle humanitär begründeter Interventionen. Denn solange keine aggressive Handlung eines externen Akteurs vorlag, konnte nicht nach Kapitel VII, sondern nur nach Kapitel VI VN-Charta verfahren werden. Dadurch standen die VN wiederum vor dem Problem des zu beachtenden „Souveränitätsartikel“ 2 VN Charta, der im Falle von Kapitel VI Operationen nicht umgangen werden konnte. Denn laut Kapitel VI VN-Charta ist für die Durchführung friedenserhaltender Maßnahmen („peace-keeping operations“) das Einverständnis der beteiligten Konfliktparteien („[...] if all the parties to any dispute so request“) erforderlich.278 Da nach dem Ende des „Kalten Krieges“ die Anzahl innerstaatlicher Konflikte jedoch rapide zunahm, mussten die Vereinten Nationen, wollten sie ihrer neuen Rolle als Garant des Friedens gerecht werden, das Souveränitätsprinzip neu interpretieren. In seiner „Agenda für den Frieden” erklärte Boutros-Ghali daher auch, dass „[the; d.V.] time of absolute and exclusive sovereignty […] has passed; its theory was never matched by reality.”279 Da ab 1991 keine offizielle Regierung in Somalia mehr existierte, welche den Staat international hätte vertreten können, stellte eine Intervention nach Auffassung der VN keine Verletzung des Souveränitätsgebots nach Artikel 2 VN Charta dar. Somit war der Weg frei für die erste humanitär legitimierte, friedensschaffende Mission nach Kapitel VII VN Charta. 3.3.3 Das „Sicherheitsdilemma“ der Vereinten Nationen in Somalia Wie bereits angemerkt, gelang es den Vereinten Nationen nach mehrmaligen gescheiterten Anläufen im Rahmen der SR Resolution 733 (23. Januar 1992) eine vorübergehende Einstellung der Kampfhandlungen zwischen General Aidids SNA und Ali Mahdis USC zu erwirken.280 Nach einem Hilferuf der somalischen Interimsregierung unter Mahdi an die VN, sollte ein Waffenstillstand zwi277
Kapitel VII Charta der Vereinten Nationen. Vgl. Kapitel VI Charta der Vereinten Nationen. 279 Boutros-Ghali: An Agenda for Peace. 280 VN Sicherheitsratsresolution 733 vom 23. Januar 1992: http://www.un.org/documents/scres.htm . 278
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schen den Hauptgegnern im Kampf um die Hauptstadt Mogadischu, als Grundlage einer ausgeweiteten Hilfsaktion dienen.281 Das Waffenstillstandsabkommen, obwohl wichtig, band jedoch nur zwei von mindestens sechs verschiedenen Fraktionen und konnte somit keine substantielle Verbesserung der Sicherheitslage sowie der humanitären Situation herbeiführen. Insbesondere die Plünderungen der Hilfslieferungen in Mogadischus See- und Flughafen konnten nicht verhindert werden.282 Um dies zu ändern, beschloss der VN Sicherheitsrat auf Empfehlung des Generalsekretärs am 24. April 1992 mit der Resolution 751 die United Nations Operation in Somalia (UNOSOM).283 Durch die Stationierung von 50 unbewaffneten VN Beobachtern und 500 Blauhelmsoldaten sollte die Lage in Somalia stabilisiert und eine effektive Hilfsoperation ermöglicht werden. Resolution 751 forderte jedoch ausdrücklich, „[…] that the two parties [Mahdi und Aidid; d.V.] be consulted about this figure before the plan is finalized.“284 Der algerischen Diplomat Mohammed Sahnoun, welcher am 28. April 1992 zum “Special Representative of the Secretary General” (SRSG) ernannt worden war, wurde mit der Sicherstellung des Einverständnis beider Konfliktparteien betraut. Während Mahdi, als schwächerer der beiden Kriegsfürsten, eine VN Intervention begrüßte, lehnte Aidid die Stationierung fremder Truppen in Somalia kategorisch ab. Denn solange der kriegerische Zustand anhielt, konnte er sich berechtigte Hoffnungen auf die Durchsetzung seiner machtpolitischen Interessen machen. „Aidid, still basking in Siad Barre’s defeat, was absolutely convinced of the rightness of his claim to lead Somalia, and believed he could handily defeat Ali Mahdi within weeks.“285 Erst in langwierigen persönlichen Verhandlungen konnte SRGS Sahnoun dem SNA Führer schließlich am 21. Juni 1992 das notwendige Einverständnis zur Stationierung des UNOSOM Kontingents abringen. Seine Zustimmung knüpfte Aidid jedoch an die Bedingungen, dass sich die Truppenstationierung räumlich auf den See- und Flughafen sowie die Nahrungsmittelverteilungsstellen in Mogadischu begrenzte. Weiterhin sollte eine mögliche Aufstockung des Kontingents einzig mit Zustimmung des Führungsrats seiner SNA-Fraktion erfolgen dürfen.286 Dies wurde ihm von Sahnoun zugesagt. Da sich seit Verabschiedung von Resolution 751 (UNOSOM) am 24. April 1992 jedoch weiterhin keine Lageverbesserung, sondern eher eine Lagever281
Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 117. Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 20. 283 VN Sicherheitsratsresolution 751 vom 24. April 1992: http://www.un.org/documents/scres.htm . 284 The Situation in Somalia, Report by the Secretary General, S/23829 vom 21. April 1992, S.8. 285 Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 20. 286 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 118 - 121. 282
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schlechterung in Somalia eingestellt hatte, auch weil die 500 erwarteten pakistanischen Blauhelmsoldaten erst mit der am 14. August 1992 eingerichteten U.S.amerikanischen Luftbrücke („Operation Provide Relief“) im September 1992 nach Somalia transportiert werden konnten, sahen sich die Vereinten Nationen zu einer Ausweitung ihres Engagements gezwungen.287 Auf Anregung BoutrosGhalis verabschiedete der Sicherheitsrat mit den Resolutionen 767 (27. Juli 1992)288 und 775 (28. August 1992)289 eine Erweiterung des Operationsgebiets von UNOSOM auf vier Operationszonen in der Region Kismayo, Bardera und Baidoa sowie eine Aufstockung des Truppenkontingents um weitere 3000 Mann.290 Dabei mögen die Mitglieder des VN Sicherheitsrats in ihrer Entscheidung durch die Auffassung der Interimsregierung um Ali Mahdi beeinflusst gewesen sein, welche “[…] assured the Council that any measure — even a coercive one — taken to resolve the crisis in Somalia could not, and would not, be interpreted as interference in the country’s internal affairs, since it would save human lives and restore human dignity.”291 Doch diese Akzeptanz fremder Truppen in Somalia war nur bei sehr wenigen somalischen Fraktionen zu finden. Da zusätzlich die Entscheidung über eine Truppenverstärkung weder mit SRSG Sahnoun noch mit General Aidid abgestimmt worden war und beide von der Entscheidung erst über BBC erfuhren, war „Aidid […] enraged, certain he had been deliberately deceived.“292 Das von SRSG Sahnoun gewonnene Vertrauen Aidids war dahin. 3.3.3.1 Das Interesse der Vereinten Nationen während UNITAF Nachdem die bereits oben beschriebene Sicherheitslage in Somalia eine erfolgreiche Ausführung der Mission durch die Vereinten Nationen unmöglich machte, drückte der Weltsicherheitsrat am 25. November 1992 seine Unterstützung für die von Boutros-Ghali vorgeschlagene Überführung der Somaliaoperation in Kapitel VII der VN Charta aus. Am selben Tag wurde der Generalsekretär vom amtierende U.S. Außenminister Eagleburger davon unterrichtet, dass die Vereinigten Staaten im Falle einer Autorisierung nach Kapitel VII VN Charta die
287
Vgl. Restoring Hope: The Real Lessons of Somalia for the Future of Intervention, S.7. VN Sicherheitsratsresolution 767 vom 27. Juli 1992: http://www.un.org/documents/scres.htm . 289 VN Sicherheitsratsresolution 775 vom 28. August 1992: http://www.un.org/documents/scres.htm . 290 Vgl. Lewis/Mayall: Somalia, S. 109. 291 Department of Political Affairs, “Repertoire of the Practice of the Security Council, Supplement 1989-1992, New York 2007, S. 313. 292 Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 26. 288
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Führungsrolle in der Operation übernehmen würden.293 Daraufhin nahm der Sicherheitsrat am 3. Dezember 1992 in Resolution 794294 das U.S.-amerikanische Angebot an und verabschiedete erstmals in der Geschichte der VN eine friedensschaffende Operation aus humanitären Gründen.295 Wollten die Vereinten Nationen der unter Boutros-Ghali neu konzipierten Aufgabe („[…] to engage in peacemaking aimed at resolving the issues that have led to conflict“296) gerecht werden, so benötigten sie dazu den notwendigen militärischen Beistand. Die U.S.-geführte UNITAF wurde durch SR Resolution 794 gemäß Kapitel VII der VN-Charta dazu ermächtigt, „[…] to use all necessary means to establish as soon as possible a secure environment for humanitarian relief operations in Somalia.”297 In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass bezüglich der Dauer des Einsatzes eine starke Interessenkonvergenz zwischen den USA und den Vereinten Nationen bestand. Während Präsident Bush aus den bereits dargelegten Gründen eine zeitlich begrenzte Intervention befürwortete, war es Boutros-Ghalis primäres Interesse, die Vereinten Nationen so schnell wie möglich wieder in eine verantwortliche Position in der somalischen Operationsführung zu bringen.298 Nach einer kurzen Phase des „Peace Enforcement“ wollte der VN Generalsekretär baldmöglichst zu friedenserhaltenden Maßnahmen zurückfinden, um zu zeigen, dass entgegen vielfacher Kritik aus Medien und Politik die Organisation ihre Friedensmissionen selbstverantwortlich durchführen könne.299 Nach seiner Auffassung war es daher die Aufgabe der UNITAF „[to; d.V.] feed the starving, protect the defenceless and prepare the way for political, economic and social reconstruction.“300 In einem solchen Umfeld - so dachte Boutros-Ghali
293
Vgl. United Nations Department of Public Information: The Blue Helmets. A Review of United Nations Peace-keeping, Third edition, New York 1996, S. 293. 294 VN Sicherheitsratresolution 794: http://www.un.org/documents/scres.htm . 295 Vgl. Schrader, Peter J.: From Ally to Orphan: Understanding U.S. Policy toward Somalia after the Cold War, in: Scott, James M. (ed.): After the End. Making U.S. Foreign Policy in the Post-Cold War World, Durham and London 1998, S. 331. 296 Boutros-Ghali: An Agenda for Peace. 297 VN Sicherheitsratresolution 794: http://www.un.org/documents/scres.htm . 298 Vgl. Thakur, Ramesh: From Peacekeeping to Peace Enforcement: The UN Operation in Somalia, in: The Journal of Modern African Studies, Vol. 32, No. 3, September 1994, S. 387 - 410, hier: S. 395; Vgl. auch: Debiel, Thomas: UN-Friedenssicherung in Subsahara-Afrika: Möglichkeiten und Grenzen multilateraler Konfliktbearbeitung in regionalisierten Bürgerkriegen, (Diss.), Duisburg 2002, S. 304. 299 Vgl. Carl, Sascha: Krieg der Köpfe. Medien als Waffe im Kampf um Meinungen, Haltungen und Ideologien, (Diss.), Hamburg 2004, S. 175 - 176. 300 Boutros Boutros-Ghali: Operation Restore Hope: UN-mandated force seeks to halt tragedy, in: UN Chronicle, März 1993, S. 16.
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- sollte es den Vereinten Nationen möglich sein, den Staat Somalia wiederaufzubauen. 3.3.4 Macht und Ohnmacht der Vereinten Nationen Während demnach die relativ kurze Operationsdauer von UNITAF unumstritten war, so kann dies nicht für die inhaltliche Auslegung der operationalen Aufgaben gesagt werden. Der gewichtigste und folgenreichste Streitpunkt entbrannte in diesem Zusammenhang an der Frage der Entwaffnung somalischer Clanmilizen. Durch die unpräzise Formulierung der Auftragsziele in Resolution 794, („[…] to establish as soon as possible a secure environment for humanitarian relief operations in Somalia”301), ist ein Interpretationsspielraum offen gelassen worden, der das Verhältnis zwischen den VN und den USA belasten sollte. Washington vertrat in dieser Frage eine eher minimalistische Position, nach welcher eine Entwaffnung nicht als Grundvoraussetzung für die Erfüllung der Missionsziele angesehen wurde.302 Die VN drangen hingegen darauf, dass UNITAF die Bürgerkriegsparteien vor der Kommandoübergabe an UNOSOM II entwaffnete. Dies sollte nicht zuletzt deshalb geschehen, weil dem UNITAF Kontingent insbesondere den U.S.-amerikanischen Truppen, dazu die wesentlich schlagkräftigeren militärischen Mittel bereitzustehen schienen. Die USA vertraten jedoch den Standpunkt, dass die Aufgabe der Entwaffnung unverhältnismäßig viele Einsatzkräfte gebunden hätte, welche zur Bekämpfung des Hungers gebraucht würden303 oder wie Assistant Secretary of State Herman J. Cohen es ausdrückte: „[…] coalition forces do not have time to go house-to-house looking for arms - they have to protect food convoys.“304 Die Aussicht auf einen „status quo ante“ zurückzufallen, in welchem die Vereinten Nationen die Nachfolgeoperation in einem ähnlich instabilen Umfeld schwerbewaffneter und (teilweise) feindlich gesinnter Banditen übernehmen
301
VN Sicherheitsratresolution 794: http://www.un.org/documents/scres.htm . Einerseits gebot die “Weinberger-Powell-Doktrin” ein solches Vorgehen, andererseits versuchte die Bush Administration durch die Einschränkung des Aufgabenprofils die öffentliche Meinung und den Kongress für die Intervention in Somalia zu gewinnen. Siehe dazu auch: Mekhaus, Ken / Ortmayer, Louis: Key Decisions in the Somalia Intervention, Institute for the Study of Diplomacy, School of Foreign Service, Georgetown University Washington D.C.1995, S. 11 - 12. 303 Vgl. Chopra, Jarat / Eknes, Age / Nordbo, Torlav: Fighting for Hope in Somalia, Norwegian Institute of International Affairs, Peacekeeping and Multinational Operations, No. 6, Norsk Utenrikspolitisk Institutt 1995: http://www.jha.ac/articles/a007.htm . 304 Zitiert nach: Doherty, Carroll J.: The Question at the Hearing: „How do we get Out?“, in: Congressional Quarterly Weekly Report, 19. Dezember 1992, Vol. 50, No. 50, S. 3890. 302
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müsste, beunruhigte insbesondere den Generalsekretär Boutros-Ghali.305 Seine Bereitschaft, UNITAF rasch zu beenden, sank dementsprechend. Denn ohne die militärischen Kapazitäten der USA schien UNOSOM II zur Erfolglosigkeit verdammt zu sein. Die Somaliaintervention als erster Testfall künftiger friedensschaffender VN Operationen besaß in der Auffassung vieler einen wegweisenden Charakter für das postsowjetische Rollenverständnis der VN.306 Insbesondere der Generalsekretär erkannte, dass robuste Einsätze der Organisation nur mithilfe der Militärmacht USA erfolgreich durchgeführt werden können. Boutros-Ghali war sich der konkreten Machtlage der VN völlig bewusst, als er äußerte: „To put it bluntly, I have no power, no independence[…]. You are free to send the troops or not to send the troops. You are free to pay the money or not to pay the money. So unless I obtain your good will, I will not be able to do your work."307 In der Folge wurde jedoch kein kohärentes Konzept hinsichtlich dieser Problematik gefunden. Obwohl der Terminus „Entwaffnung“ sich auch im Resolutionstext nicht fand und UNITAF somit nicht dazu verpflichtet war308, hatten die amerikanisch geführten Truppen die Bürgerkriegsparteien dazu bewegt, ihre schweren Waffen aus der Hauptstadt Mogadischu zu entfernen, und sogar eine teilweise Entwaffnung vorangetrieben. Da Somalia jedoch während des „Kalten Krieges“ von beiden Blöcken massiv mit Waffenlieferungen unterstützt worden war und weiterhin Handfeuerwaffen aus Äthiopien, Eritrea und Serbien309 in das Land strömten, hatten diese Bemühungen nur einen marginalen Einfluss auf die Sicherheitslage.310
305
Vgl. Mekhaus, Ken / Ortmayer, Louis: Key Decisions in the Somalia Intervention, Institute for the Study of Diplomacy, School of Foreign Service, Georgetown University Washington D.C.1995, S. 12. 306 Vgl. Gilkes, Patrick: From Peace-Keeping to Peace Enforcement. The Somalia Precedent, in: Middle East Report, November/Dezember 1993, S. 21 - 24, hier: S. 21. 307 Sciolino, Elaine / Lewis, Paul: Secretary Besieged -- A special report; U.N. Chief Has to Direct Peace Efforts at U.S., Too, in: New York Times, 16. October 1993. 308 Vgl. Delaney, Douglas E.: Cutting, Running, or Otherwise? The US Decision to withdraw from Somalia, in: Small Wars and Insurgencies, Vol. 15, No. 3, Winter 2004, S. 28 - 46. Hier: S. 32. 309 Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass die Bush Regierung in Somalia intervenierte, um einen U.S.-amerikanischen Bodeneinsatz in Bosnien zu vermeiden, lässt serbischen Waffenlieferungen plausibel erscheinen. Wären die USA aufgrund militärisch gut versorgter Gegner länger gebunden gewesen, so hätte dies ein mögliches Eingreifen der Vereinigten Staaten in den Bosnienkonflikt verzögern können. 310 Vgl. Weiss, Thomas G.: Military-Civilian Interactions. Humanitarian Crises and the Responsibility to Protect, Second Edition, Lanham et al. 2005, S. 65 - 66.
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3.3.4.1 UNOSOM vor alten neuen Aufgaben Somit befanden sich die Vereinten Nationen in der prekären Lage, in einem sicherheitstechnisch kaum verbesserten Umfeld eine weitaus anspruchsvollere Mission eigenverantwortlich durchführen zu müssen. Als UNOSOM II im Mai 1993 begann, war die Hungersnot und das massenhafte Sterben zwar durch UNITAF gestoppt worden, die sozio-politischen und ökonomischen Zustände in Somalia gestalteten sich jedoch weiterhin katastrophal. Die Sicherheit konnte weder für die Zivilbevölkerung noch für die internationalen Helfer garantiert werden. Die Clans und ihre Milizen hatten sich zwar - aus eigenem Interesse mit Angriffen auf die kampferprobten und wesentlich besser ausgerüsteten U.S. Marines zurückgehalten. Als von der ehemals 28.000 Mann starken U.S.amerikanischen Kampftruppe gerade 1.300 in einer unter U.S. Kommando stehenden schnellen Eingreiftruppe zurückblieben, verlor UNOSOM II den Großteil ihrer militärischen Schlagkraft. Eine Entwaffnung hatte unter UNITAF, wie oben dargestellt, nur äußerst sporadisch und kaum wirksam stattgefunden, denn nach Auffassung von General Hoar (Kommandeur CENTCOM), war „[…] disarmament […] excluded from the mission because it was neither realistically achievable nor a prerequisite for the core mission of providing a secure environment for relief operations.“311 Ebenso unsicher wie die Sicherheitslage war die Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen und Individuen die verschiedenen Volksgruppen bzw. Clans repräsentieren und somit einen legitimen Herrschaftsanspruch besitzen. Übereilt hatten die VN die traditionellen Ältestenräte von der „Addis Ababa National Reconciliation Conference“ (15. März 1993) ausgeschlossen und dadurch die Warlords in ihrem Herrschaftsanspruch indirekt bestärkt. Somit wurde auch deren Machtkampf um die politische Herrschaft erneut angefacht.312 In dieser feindseligen und anarchischen Atmosphäre sah sich die von den VN geführte UNOSOM II einer äußerst komplexen und schwierigen Aufgabe gegenüber. Denn in Sicherheitsratresolution 814 (26. März 1993) wurde nicht weniger gefordert, als „[…] to promote the process of political settlement and national reconciliation and to assist the people of Somalia in rehabilitating their political institutions and economy.”313 Wie bereits erwähnt: Was als humanitäre Intervention begonnen hatte, wurde nun zum Versuch, einen Staat wiederherzustellen. Ein „Nation-building“ Auftrag für eine Organisation, welche weder über 311 Hoar, Joseph P.: A CINC’s Perspective, in: Joint Forces Quarterly, Herbst 1993, S. 56 - 63, hier: S. 58. 312 Vgl. Mekhaus/Ortmayer: Key Decisions in the Somalia Intervention, S. 12; Vgl. auch: Weiss: Military-Civilian Interactions, S. 66. 313 VN Sicherheitsratresolution 814 vom 26. März 1993: http://www.un.org/documents/scres.htm .
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die dazu benötigten Mittel noch über die dazu benötigte Zustimmung der Konfliktparteien verfügte. 3.4 Die Rolle der Warlords in der Somaliaintervention 1992 – 1994 Mit der Vertreibung Siad Barres 1991 und dem anschließenden Bürgerkrieg um die Staatsmacht verfiel Somalia in einen anarchischen Zustand hobbesianischen Ausmaßes. Diese Abwesenheit von Herrschaft, welche durch den Zusammenbruch fast aller politischen Strukturen entstanden war, macht demzufolge eine herkömmliche Systemanalyse Somalias unmöglich. Daher erfolgt an dieser Stelle eine ethnographische Analyse der somalischen Gesellschaftsstrukturen, welche die grundlegenden sozio-politischen Verhaltensmuster und deren normative Hintergründe beleuchtet. Denn die Gesellschaft Somalias basiert auf Clanfamilien sowie einem Abstammungsprinzip, das vielfältigen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Funktionen dient.314 Des Weiteren werden in diesem Kapitel die perzeptionsbedingten Lagebeurteilungen wie auch die subjektiven Partikularinteressen der relevant beteiligten somalischen Clanfraktionen, der Hawiye Abgal unter Ali Mahdi (USC) und der Habr Gedir unter General Aidid (SNA), dargestellt. 3.4.1 Die ethnographische Gesellschaftsstruktur Somalias „Myself against my brother, my brother and I against my cousins, my cousins and I against the world”315 somalisches Sprichwort Wie oben bereits erwähnt316, gliedert sich die somalische Gesellschaft in vier pastoral-nomadische (Samaal) und zwei agropastoral-sesshafte Clans (Saab) patriarchaler Ordnung. Die Segmentierung der somalischen Gesellschaft in Clans und deren Subeinheiten stellt das prägendste Charakteristikum des somalischen Sozialgefüges dar. Diese als „segmentary lineage system“ (somalisch: Tol) benete Differenzierung der Gesellschaftsstruktur in Primär-, Sekundär- und Tertiärlinien gilt als Grundprinzip somalischer Gesellschaftsbildung.317 314
Vgl. Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order. Somalisches Sprichwort, zitiert nach: Lewis/Mayall: Somalia, S. 101. 316 Siehe einleitender Exkurs, Kapitel 3.1.1. 317 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 26 - 28. 315
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In Verbindung mit dem Tol, welches als Individualordnung gelten kann, gilt das Prinzip des Heer, eines mündlich318 überlieferten Vertragswesens, das als rechtliche Grundlage kollektiven Handelns in der traditionellen somalischen Politik gilt.319 Nach Herrmann kann das Heer, „(a)ls ‚Zivilpakt’ im westlichen Sinne verstanden, [...] als Kombination eines Vertrags zwischen verschiedenen Abstammungsgruppen mit der Sharia und einem bürgerlichen Gesetzbuch verstanden werden. Es schreibt in jahrhunderte alter Tradition Pflichten, Rechte sowie Kollektivverantwortungen von Gruppen fest und gilt somit dem Schutz sowohl von Individual- wie Gruppenrechten, da es Grundwerte, Gesetze und Verhaltensrollen definiert“320 Das in Clanfamilien segmentierte Gesellschaftswesen Somalias ist darüber hinaus stark vom Konzept der „Blutrache“ (dia) geprägt. Gemäß dem Heer wird nicht der Einzelne für seine Handlungen zur Verantwortung gezogen, sondern die Clanfamilie, der er abstammt. „The term ‚dia-paying’ implies that families within the group have a collective responsibility for settling acts committed by or against, their members. […] The dia-paying groups also function as mutual aid groups during periods of emergency.”321 Dieses kollektivistische Verantwortungs- und Loyalitätsprinzip schloss im Bürgerkrieg u.a. die Entsendung eines männlichen Familienmitglieds pro Haushalt (Raas) an die dem Clan zugehörige Miliz ein und wurde strikt befolgt. Das dia-System, welches die Gruppe verpflichtet einem angehörigem Individuum Beistand zu leisten, kann folglich abschreckend, aber auch konfliktverstärkend wirken.322 Das somalische Clanwesen stellt demzufolge ein instabiles System dar, das auf allen Ebenen von wechselnden Allianzen gekennzeichnet ist, welche im klassisch (neo-) realistischen Sinn nach situativer Interessenlage gebildet und 318
Einen wichtiger aber oft unterschätzter Faktor ist der gesellschaftliche Stellenwert mündlicher Überlieferungen. Somalia gilt auf dem afrikanischen Kontinent auch als „Nation der Poeten“. Der britische Anthropologe I.M. Lewis betont vor allem „[...] the crucial role of poetic polemic in war and peace“ (siehe: Lewis/Mayall: Somalia, S. 101.). Aufgrund der erst 1972 eingeführten Schriftsprache, galt vor allem das Radio als wichtigstes Medium öffentlicher Meinungsbildung bzw. deren Steuerung. Daher besaßen auch alle größeren Bürgerkriegsfraktionen in Somalia ihren eigenen Radiosender, welche zu Propagandazwecken genutzt wurden. Flugblattaktionen der VN/US blieben hingegen von geringem Erfolg gekennzeichnet. 319 Vgl. Farrah, Mohamed Ahmed/Touati, Jasmin: Sedentarisierung von Nomaden. Chancen und Gefahren einer Entwicklungsstrategie am Beispiel Somalias, Saarbrücken 1991, S. 21; Vgl. auch: Lewis, Ioan M.: A Pastoral Democracy. A Study of Pastoralism and Politics among the Northern Somali of the Horn of Africa, 3rd edition, Hamburg 1999, S. 161 - 162. 320 Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 34. 321 Ahmed/Green: The heritage of war and state collapse in Somalia and Somaliland, S. 114. 322 Beispielsweise liefert das dia-System einen Erklärungsansatz für anhaltende Kämpfe zwischen General Aidids Hawiye Habr Gedir Clan und dem Barre-loyalen Dulbahante Clan von General Morgan (Siad Barres Schwiegersohn) lange nach dem Fall des Barre Regimes.
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gelöst werden.323 Dieses innergesellschaftliche Verhaltensmuster gilt nicht zuletzt in Verbindung mit dem starken Unabhängigkeitswillen der überwiegend nomadisch geprägten Somalis auch als ein Grund für die im postkolonialen Zeitalter andauernde Instabilität des Landes. „Aufgrund ihres großen individuellen Freiheitswillens und dem Willen zur Selbstbestimmung stehen Somalis somit kulturhistorisch bedingt starren hierarchischen und autoritären Systemen, welche ein Entscheidungsmonopol beanspruchen, äußerst ablehnend gegenüber.“324 Diese Erfahrung mussten schließlich neben den Kolonialmächten und dem Diktator Siad Barre auch die VN und die USA machen. Lewis schreibt zum Verhältnis der Somalis zu ihrem internationalen Umfeld: „As a fiercely independent people, with a powerful sense of ethnic exlusiveness and superiority, notwithstanding their myriad internal divisions, […] they have usually impinged on the world outside in contexts of confrontation and conflict.”325 3.4.1.1 Der Wandel des somalischen Gesellschaftswesens Waren bis zur o.e. kolonisierungsbedingten Erosion des Heer, traditionell „adhoc“ einberufene Ältestenräte für politische Entscheidungen wie z.B. Konfliktbeilegung verantwortlich, so legten die Einführung eines zentralstaatlichen Autoritätsanspruchs, die Kolonialverwaltung und der davon ausgelöste sozioökonomische Wandel die Grundlage für den Zusammenbruch des somalischen Gesellschaftsgefüges.326 Durch den Wegfall des ausgleichenden Heer-Prinzips entstand ein Überbetonung des Abstammungsprinzips Tol, „[…which is; d.V.] setting them against one another in a complicated maze of antagonistic clan interests.“327 Obwohl die somalische Bevölkerung überwiegend328 aus sunnitischen Muslimen besteht, wurde der ab dem 8. Jahrhundert in der Region eingeführte Islam zwar als weiteres handlungsleitendes Prinzip in das bestehende Abstammungssystem integriert, konnte sich jedoch nicht zum primär gesellschaftsprägenden Ordnungsprinzip entwickeln, wie er es in anderen Regionen (Arabien, Nordafrika, Südostasien) getan hatte.329 323
Vgl. Samatar: Somalia: The Segmentary Social Order. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 34. Lewis/Mayall: Somalia, S. 102. 326 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 44 - 45. 327 Laitin/Samatar: Somalia: Nation in Search of a State, S. 31. 328 Aufgrund des anarchisches Zustandes in Somalia existieren keine amtlichen Zahlen bezüglich Bevölkerungsstand oder religiöser Zugehörigkeit. 329 Vgl. Laitin/Samatar: Somalia: Nation in Search of a State, S. 75. 324 325
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Kolonialzeit, Dekolonisierung, diktatorischer Zentralismus und Bürgerkrieg führten zum Zerfall der traditionell dezentralisierten, pastoralen Gesellschaft, welche politische Entscheidungen in einem ausgleichenden System zwischen Claninteressen, kollektiver Verantwortlichkeit und islamischem Recht traf. Mit der Auflösung aller politischen und gesellschaftlichen Strukturen entstand ein Machtvakuum, „[...] a vacuum that the most ruthless elements in the society soon filled.”330 Die „neuen Herren“ Somalias waren demzufolge diejenigen Warlords, die über das wirkungsvollste Machtmittel verfügten - Waffengewalt. Da es keine staatliche Strukturen gab, welche die gewaltsamen Machtkämpfe unterbinden hätten können, nahm sich jeder, was ihm seiner Meinung nach zustand. Rechtssicherheit war ein Fremdwort geworden. Dies marginalisierte auch die Rolle der traditionellen Ältestenräte als Ort gemeinschaftlicher Konfliktlösung. Unter Ausnutzung des Abstammungsprinzips Tol bildeten sich clanbasierte Milizen und somit bis zu sechs verschiedene Entscheidungszentren, die sich in häufig wechselnden Allianzen gewaltsam bekämpften. Die Entscheidungskompetenzen fielen ohne den regulativen Einfluss des Heer fast ausschließlich den Warlords persönlich zu.331 Die für die Konstellation relevanten Gruppierungen stellen dabei zwei Fraktionen beziehungsweise deren Führer dar. Beide entstammten der Oppositionsgruppe USC (Hawiye-Clan). Ali Mohammed Mahdi (Subclan: Hawiye Abgal), Führer des politischen Flügels des USC und General Mohammad Farrah Aidid (Subclan: Hawiye Habr Gedir), einflussreichster Militärkommandeur der USC-Truppen (nach Abspaltung vom USC: SNA). 3.4.2 Somalischer Einfluss auf internationaler Ebene Aufgrund des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen sowie der fragmentierten Souveränität des somalischen Machtgefüges gab es (spätestens) ab 1991 nur einen äußerst geringen politischen Einfluss des Landes auf internationaler Ebene. Da während des Bürgerkriegs fast alle diplomatischen Vertretungen geschlossen wurden und der überwiegende Teil aller VN-Organisationen das Land verlassen hatte, bestanden so gut wie keine bilateralen Kontaktmöglichkeiten, welche die verschiedenen Fraktionen oder die umstrittene Interimsregierung unter Ali Mah-
330
Lyons, Terrence/Samatar, Ahmed I.: Somalia. State Collapse, Multilateral Intervention, and Strategies for Political Reconstruction, Washington D.C. 1995, S. 24. 331 Vgl. Chopra/Eknes/Nordbo: Fighting for Hope in Somalia.
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di für eine aktive politische Einflussnahme auf internationaler Ebene hätten nutzen können.332 Dass der Fall Somalia dennoch auf die Tagesordnung der VN gesetzt wurde, lag an dem seit langem bestehenden Interesse des VN Generalsekretärs hinsichtlich der Situation am Horn von Afrika. Boutros-Ghali unterstütze daher auch umgehend eine der wenigen offiziellen Initiativen, die von InterimsPremierminister Ghalib vorgetragene Bitte um humanitäre Nothilfe.333 Dieser vom Generalsekretär mitgetragene Appell bewog den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 23. Januar 1992 zur Verabschiedung der Resolution 733334, welche ein Waffenembargo über Somalia verhing und die Konfliktparteien zur Einstellung der Gewalttätigkeiten aufrief. Am 10. Februar 1992 fanden auf Grundlage dieser Resolution Waffenstillstandsgespräche zwischen Aidid und Mahdi in New York statt. Somit konnte erst Anfang 1992 wieder von politischer Kommunikation zwischen den Vereinten Nationen und (einigen) somalischen Fraktionen gesprochen werden, welche mit der Ernennung des algerischen Diplomaten Mohamed Sahnoun zum (ersten) Sonderbeauftragten des VN Generalsekretärs für Somalia Anfang März 1992 ausgebaut werden konnte. Über diesen Kanal wurden alle Konsultationen hinsichtlich eines möglichen militärischen Engagements der VN in Somalia geführt. Festzuhalten ist jedoch, dass sich dieser Verhandlungsprozess wegen der fragmentierten politischen Verhältnisse in Somalia äußerst komplex gestaltete und von Beginn an Schwächen aufwies. Aufgrund des Fehlens eines institutionalisierten somalischen Entscheidungszentrums fanden auch keine offiziellen Gespräche zwischen Washington und den Bürgerkriegsparteien statt. Eingedenk der o.e. Probleme der Vereinten Nationen bei der Neuinterpretation des Artikel 2 VN Charta muss angenommen werden, dass der informelle Charakter dieser Konsultationen den gewählten Kurs der VN unterstützte. Denn bei Anerkennung eines legitimen somalischen Gesprächspartners hätte diesem auch die souveräne Vertretung des Landes und den Somalis selbst Souveränität zugestanden werden müssen, wodurch eine friedensschaffende Mission nach Kapitel VII VN Charta nicht möglich gewesen wäre. Was bezüglich der positivrechtlichen Mandatierung von UNOSOM hilfreich schien, generierte materialrechtliche Schwierigkeiten, da die grundlegenden Ansichten bezüglich der Souveränität sowie Zweck und Ziel der internationalen Intervention zwischen den somalischen Fraktionen und den internationalen Koa-
332
Vgl. United Nations Department of Public Information: The Blue Helmets, S. 288; Vgl. auch: Debiel: UN-Friedenssicherung in Subsahara-Afrika, S. 207. 333 Vgl. Hermann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 116. 334 VN Sicherheitsratsresolution 733: http://www.un.org/documents/scres.htm .
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litionstruppen differierten.335 Wie weiter unten deutlich werden wird, lag der politische Fokus der rivalisierenden Fraktionen trotz der Bitte der Interimsregierung um humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen weniger auf der Leidenslinderung der Zivilbevölkerung oder einer Wiederherstellung staatlicher Ordnung in Somalia, als vielmehr auf der individuellen Machtmaximierung beziehungsweise auf einer Status-quo-orientierten Herrschaftskonsolidierung. 3.4.3 Die somalische Perzeption „The Moment Aideed senses the U.S. and the UN are one, the moment he believes they are favouring other clans over his, it will be open season on Americans here in Mogadishu.”336 SNA Vertreter Wie bereits weiter oben erwähnt, stellt das dia-Prinzip einen Rahmen kollektiver Verantwortlichkeit der Clanfamilien dar. Da dies insbesondere zu Krisenzeiten gilt, lässt es den Umkehrschluss zu, dass die Vereinten Nationen und das amerikanische Kontingent bei steigender Konflikteskalation in der somalischen Perzeption weniger trennscharf unterschieden und stärker als Einheit wahrgenommen wurden, als dies tatsächlich der Fall war. Gerade die Erfahrungen während der Kolonialzeit und der Diktatur Barres führten dazu, dass extern angestoßene Implementierungsversuche westlicher Zentralstaatsmodelle von einem Großteil der somalischen Bevölkerung als illegitime Fremdbeherrschung empfunden wurden. Als aus westlich-akademischen Kreisen schließlich der Vorschlag kam, Somalia in den Status eines VN-Treuhandgebiets zu überführen337, wodurch die Reorganisation von Gesetzes- und Verwaltungsangelegenheiten stark erleichtert worden wäre, wurde dies insbesondere von der SNA abgelehnt. Ihr Führer Aidid drohte im Falle einer Souveränitätsbeschneidung Somalias offen mit Widerstand in Form von Guerillakrieg.338 335
Diese Differenzen zeigen sich alleine an der Tatsache, dass die VN und die USA dem Land Somalia ihre Souveränität aberkannten, um überhaupt in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben der VN Charta intervenieren zu können. Die somalischen Warlords gingen hingegen von einer weiter bestehenden Souveränität Somalias aus und beanspruchten jeweils deren legitime Repräsentation. (Vgl.: Mekhaus/Ortmayer: Key Decisions in the Somalia Intervention, S. 11.). 336 Zitat eines politischen Beraters Aidids, zitiert nach: Fineman, Mark: In the Mind of Aideed, in: Los Angeles Times, 12. Oktober 1993, H1. 337 Vgl. Rowe, Trevor: UN Management Urged for Somalia, in: Washington Post, 30. November 1992, S.1. 338 Vgl. Mekhaus/Ortmayer: Key Decisions in the Somalia Intervention, S. 11.
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Wurde demnach eine groß angelegte Intervention unter Führung der Vereinten Nationen von den meisten Milizen abgelehnt, so befürworteten sowohl General Aidid als auch Ali Mahdi anfänglich die U.S.-amerikanische Führungsrolle in Somalia. Beide hatten dafür ihre eigenen Beweggründe. Aidid, weil er in den USA eine Alternative zu den ihm parteiisch erscheinenden Vereinten Nationen sah - Mahdi, weil er sich davon eine Stabilisierung seiner relativen Machtposition erwartete.339 Gerade weil VN Generalsekretär Boutros-Ghali die Entwaffnung der somalischen Milizen als Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Wiederaufbau des Landes forderte, stieß er bei General Aidid auf starken Widerstand. Denn durch eine Entwaffnung hätte der militärisch stärkste Warlord den größten relativen Machtverlust aller somalischer Fraktionen hinnehmen müssen. Darüber hinaus hätte dieses Vorgehen auch dem somalischen Selbstverständnis als „Kriegervolk“ widersprochen. Auf diesen Umstand hatte der Beauftragte des U.S.-Präsidenten für Somalia Robert Oakley bereits im Vorfeld hingewiesen, denn seiner Auffassung nach übersah Boutros-Ghalis Entwaffnungsvorschlag die Tatsache, dass „(in) the Somali soul there is a right to have a weapon. So when they hear foreigners are taking weapons by force, they say ‘no, never’.”340 Das den VN von Aidid entgegengebrachte Mißtrauen ist nicht nur von dieser Perspektive aus durchaus nachvollziehbar, da bereits vor dem Beginn der „Operation Restore Hope“ am 3. Dezember 1992 zwei weitere Zwischenfälle die Neutralität der VN hatten fragwürdig erscheinen lassen. Den ersten Vorfall (25. Mai 1992) stellte die Landung eines - mit der Kennzeichnung des World Food Program der VN versehenen - Flugzeuges mit Waffen und Bargeld an Bord in dem von Ali Mahdi kontrollierten Teil Mogadischus dar.341 Zwar stellte sich heraus, dass der Chartervertrag der Fluggesellschaft mit den VN einige Tage zuvor ausgelaufen war, als jedoch ein weiteres mit Waffen beladenes Flugzeug im Oktober 1992 nach einer Bruchlandung entdeckt wurde, nährte dies den Verdacht Aidids, die VN würden eine „versteckte Agenda“ verfolgen.342 Der zweite Vorfall steht in Verbindung mit SR Resolution 775. Denn auf persönliche Anregung Boutros-Ghalis vom 24. August 1992 wurde mit der Sicherheitsratsresolution 775343 am 28. August 1992 das von Aidid nur widerwillig abgesegnete VN Kontingent ohne die ihm in Verhandlungen zugesicherte 339
Vgl. Durch: Introduction to Anarchy, S. 320. Robert Oakley, zitiert nach: Parlez, Jane: Must US Strip a Land of Guns?, in: New York Times, 15. September 1992, S. A6. 341 Vgl. Hermann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 118. 342 Vgl. Durch: Introduction to Anarchy, S. 317; siehe auch: Chopra/Eknes/Nordbo: Fighting for Hope in Somalia, S. 33. 343 VN Sicherheitsratsresolution 775: http://www.un.org/documents/scres.htm. (Zur Truppenbewilligung siehe Punkt 3 der Resolution) 340
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Zustimmung eingeholt zu haben aufgestockt - von 500 auf 3500 Soldaten.344 In einem Interview (mit Chopra, Eknes und Nordbo) sagte Aidid: „The decision was taken without consulting me … What I accepted was 500 soldiers to secure humanitarian relief from the airport to distribution points in Mogadishu. But these 500 Pakistanis chose to stay at the airport and therefore never did what they came for. I found even this difficult to accept since I wanted Somalis to be in charge of airports as well as borders, for the sake of Somali sovereignty.”345 Diese beiden Vorfälle, verstärkt durch die aus der Barre-Diktatur stammende persönliche Animosität zwischen General Aidid und Boutros-Ghali - der Generalsekretär hatte als stellvertretender ägyptischer Außenminister engen Kontakt zu Siad Barre gehabt346 - ließen Aidid annehmen, dass die VN sich einseitig auf die Seite des selbsterklärten Interimspräsidenten Mahdi stellen und diesen in seinem Herrschaftsanspruch über Somalia bestärken würden. Dies entging auch nicht dem Sondergesandten des Generalsekretärs Sahnoun, welcher feststellte, dass die VN von der somalischen Bevölkerung zunehmend als unterstützende Partei Mahdis betrachtet wurde.347 Die SNA, welche die Hauptlast der Kämpfe gegen die Truppen des ehemaligen Diktators getragen hatte, schien somit in Aidids Wahrnehmung ihres legitimen Herrschaftsanspruchs beraubt. Aufgrund dieser Verdachtsmomente gegenüber den VN präferierte General Aidid eine U.S.-amerikanischen Kommandoübernahme in Somalia unter UNITAF. Dies und seine Befürchtung einer Benachteiligung gegenüber seiner Rivalen Siad Barre und Ali Mahdi werden in folgendem ausführlichen Zitat Aidids besonders deutlich: „Boutros-Ghali has his hidden agenda: He wanted Somalia to become a UN trusteeship and eventually to restore Siad Barre … Boutros-Ghali was also responsible for the delay of humanitarian aid in order to strengthen the demand for trusteeship. This ended, however, with a decision to establish UNITAF. This decision was unilateral. Initially, therefore, SNA was against it; but because of the humanitarian needs, and the fact that we did not expect the US to have colonial interests in Somalia and that country’s democratic history, we accepted UNITAF. Statements by the US President in support of this also contributed to our decision, since we were not against humanitarian assistance. We therefore accepted the US force with pleasure. I met with Ambassador Robert B. Oakley former US ambassador to 344
Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 26; vgl. auch: Hermann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 119 - 120. Interview mit Aidid, 20. Februar 1994, zitiert nach: Chopra/Eknes/Nordbo: Fighting for Hope in Somalia. 346 Vgl. Interview mit Aidid, 20. Februar 1994, zitiert nach: Chopra/Eknes/Nordbo: Fighting for Hope in Somalia. 347 Vgl. Sahnoun, Mohammed: Somalia: The Missed Opportunities, Washington D.C. 1994, S. 25-27 und 37-49. 345
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Somalia and special presidential envoy, who said that the US came as a friendly force. I also said that on radio because Oakley emphasized that UNITAF would not interfere in internal affairs. I therefore thought that Boutros-Ghali would not be able to fulfil his hidden agenda.“348 Durch den Aufbau der wichtigsten UNITAF Kommandobehörden in unmittelbarer Nähe zu Aidids Hauptquartier und seiner Waffenlager, versuchten die USA die Befürchtungen des Generals weiter zu entkräften.349 Der fast tägliche Kontakt zwischen den Vertretern Washingtons und Aidid kamen einer impliziten Anerkennung und politischen Aufwertung seiner Person gleich. Als Präsident Bush es zusätzlich ablehnte, einer Mandatserweiterung der „Operation Restore Hope“ um die Aufgabe der Entwaffnung somalischer Milizen zuzustimmen,350 schien Aidid von U.S.-amerikanischer Seite sogar teilweise favorisiert zu werden. Unter den anderen Clans ging nun die Befürchtung um, die USA würden Aidid als neuen Präsidenten Somalias installieren.351 Ab Januar beendeten jedoch die UNITAF Truppen ihr Passivität gegenüber Aidid und gingen, einerseits um ihre überparteiliche Rolle zu wahren, andererseits aufgrund unkontrollierter Provokationen der SNA Milizen, in gleichem Maße gegen seine Einrichtungen wie die anderer Clanmilizen vor.352 Obwohl Aidid militärisch gesehen die stärkste Fraktion im somalischen Machtkampf besaß und in seiner Wahrnehmung (und tatsächlich) durch die von ihm getragenen Kriegsanstrengungen wesentlich mehr zur Vertreibung des Diktators Barre beigetragen hatte als sein Konkurrent Mahdi, schien sich seine machtpolitische Lage nun rapide zu verschlechtern. Mahdi, dessen USC Fraktion weitaus schwächer war als die SNA Aidids, begrüßte dagegen die Stationierung ausländischer Truppen in Somalia und zeigte ein großes Interesse an einem kooperativen Verhältnis zu den Vereinten Nationen.353 Dass es im Zeitraum von „Operation Restore Hope“ kaum zu mehr als sporadischem Widerstand somalischer Milizen kam, lag einerseits an der abschreckenden Wirkung und der überwältigenden Schlagkraft der amerikanischen Kampftruppen, andererseits an der Tatsache, dass die UNITAF-Truppen sich weitgehend aus dem innersomalischen Machtkampf heraushielten. Gewaltsam geleisteter Widerstand gegen die USA lag somit nicht im Interesse der somalischen Warlords. Ein bewaffneter Konflikt mit den wesentlich 348
Interview mit Aidid, 20. Februar 1994; zitiert nach: Chopra/Eknes/Nordbo: Fighting for Hope in Somalia. 349 Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 60. 350 Vgl. Menkhaus/Ortmayer: Key Decisions in the Somalia Intervention, S. 11. 351 Vgl. “How to Turn a Warmonger into a Hero”, in: The Independent, 17 Juli 1993. 352 Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 60. 353 Vgl. Durch: Introduction to Anarchy, S. 316.
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besser ausgerüsteten und ausgebildeten Marineinfanteristen hätte immense Verluste auf somalischer Seite gefordert, wodurch die machtpolitische Position des Warlords stark geschwächt worden wäre. Amerika war zu stark und verfolgte einen prinzipiell neutralen Kurs. Von den VN erwarteten Mahdi und Aidid genau das Gegenteil. Solang also die amerikanisch geführte UNITAF nur für die Versorgung der leidenden Zivilbevölkerung sorgte, ohne sich in die innersomalischen Angelegenheiten einzumischen, schien es erfolgversprechender zu sein, sich für eine später auszuführenden Machtkampf in Position zu bringen. 3.4.3.1 Somalische Perzeptionsveränderung unter UNOSOM II „It may have been naive for anyone to seriously assert in the beginning you could go into a situation as politically and militarily charged as that one, give people food, turn around and leave, and expect everything to be hunky-dory."354 Bill Clinton Als sich Präsident Clinton dazu entschied, die US-Truppen in die VN-geführte UNOSOM II zu integrieren und das Ziel der Wiederherstellung staatlicher Strukturen in Somalia zu unterstützen, gaben die USA in der somalischen Perzeption ihre neutrale Position auf. Während Washington zu glauben schien, durch multilaterale Kooperation seine Überparteilichkeit bewahren zu können, sah vor allem Aidid darin eine U.S.-amerikanische Beihilfe für den - als parteiisch empfundenen - Kurs der Vereinten Nationen.355 Da dies primär seine Machtposition weiter zu schwächen schien, sah er sich zum Widerstand gezwungen. Somit entstand eine Spiralwirkung, welche als „selbsterfüllende Prophezeiung“ bezeichnet werden kann. Das perzeptionsbedingt kontraproduktive Verhalten Aidids führte zu einer stetigen Verschlechterung der Beziehungen zwischen SNA und den USA/VN, welche in General Aidid ein Hindernis auf dem Weg zur Friedenskonsolidierung in Somalia sahen. Als mit dem Ende von UNITAF jedoch der Großteil der amerikanischen Kampfverbände abgezogen wurden, eskalierte die Situation. 354
U.S. Präsident Bill Clinton; zitiert nach: Friedman, Thomas L.: A Broken Truce. Clinton vs. Bush in Global Policy, in: New York Times, 17. Oktober 1993. 355 Vgl. Matthies, Volker: Die UNO am Horn von Afrika: Die Missionen in Somalia (UNOSOM I, UNITAF, UNOSOM II) und in Äthiopien/Eritrea (UNMEE), in: von Schorlemer, Sabine (Hrsg.), Praxishandbuch UNO. Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin et al. 2003, S. 41 - 59, hier: S. 49.
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Obwohl auch die Aidids SNA zu den Unterzeichnern des Friedensvertrags von Addis Abeba356 gehörte, wurden das „Nation-building“ durch UNOSOM II weiterhin als Unterstützung gegnerischer Clans angesehen. Aufgebracht von dieser Einmischung in innersomalische Angelegenheiten und die Aussicht seine militärische Machtposition einbüßen zu müssen, rief Aidid über den SNAkontrollierten Sender Radio Mogadischu zum Widerstand gegen die VN auf.357 Somit kam es zu einem offenen Konflikt zwischen den VN/USA auf der einen Seite und der SNA sowie deren Verbündeten auf der anderen Seite. Die VN und die USA sahen es als zwingend notwendig an, Aidid vom politischen Prozess auszuschließen, um den Wiederaufbau des somalischen Staates vorantreiben zu können. Dies war ein Ziel, welches Aidid vehement bekämpfte. Als der Mann, der den Diktator Barre vertrieben und Somalia befreit hatte, sah er es nicht ein, sich den externen Mächten und deren Zukunftsplänen zu beugen. 3.5 Kooperation und Konflikt: Die Lageveränderung in Somalia “You can’t bring in UN troops for humanitarian purposes and then change the mandate - as they did in Somalia when they started pursuing the warlord Aideed. If you do, you have a total mess.”358 Mohammed Sahnoun Wenn es überhaupt ein singuläres Ereignis gibt, an welchem der Zeitpunkt der Lageveränderung in Somalia festgemacht werden kann, so ist dies der Zusammenstoß von UNOSOM II Truppen mit Aidids SNA Miliz am 5. Juni 1993. Bei diesem Gefecht kamen 24 pakistanische Blauhelmsoldaten ums Leben, weitere 57 wurden verwundet. Dies führte in der Folge zu einer militärischen Eskalation der Ereignisse in Mogadischu.
356
Addis Ababa Agreement on National Reconciliation in Somalia: http://www.usip.org/library/pa/somalia/somalia_03271993.html . 357 Vgl. von Hippel, Karin: Democracy by Force, S. 72. 358 Sahnoun: Flashlights over Mogadishu.
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3.5.1 Radio Mogadischu: Von „Nation-building“ zu Verbrecherjagd Ausgangspunkt dieser Zusammenstöße war der Versuch von UNOSOM II, ein Lager Aidids, das sich in der unmittelbaren Nähe seines, für Propagandazwecke so wichtigen Radiosenders befand, auf schwere Waffen hin zu inspizieren .359 Das Vorhaben, das von den Vereinten Nationen gegenüber der SNA am 4. Juni 1993 angekündigt worden war360, lehnte ein Berater Aidids mit den Worten „This is not acceptable“361 brüsk ab. Als am 5. Juni 1993 etwa 100 pakistanische Blauhelmsoldaten, unterstützt durch die U.S. QRF, gegen das Waffenlager vorgingen, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf 24 Pakistanis und 75 Somalis getötet wurden.362 Die Vereinten Nationen verurteilten den Vorfall als „[…] part of a calculated and premediated series of cease-fire violations to prevent by intimidation UNOSOM II from carrying out its mandate.“363 Aidid, der die Verantwortung hingegen bei den VN und USA sah, verkündete später über Radio Mogadischu: „Brothers and Sisters, I congratulate you on the way you have defended with your lives, your homes, religion and your country. […] They [VN und USA; d.V.] are directly responsible for the events that happened today.“364 Einer ultimativen Aufforderung von UNOSOM II an Aidid (am 6. Juni 1993), sich am Friedensprozess konstruktiv zu beteiligen (“the last opportunity for him to become part of the peace process”365), kam dieser nicht nach. Daher verabschiedete der Weltsicherheitsrat noch am selben Tag SR Resolution 837, in welcher Boutros-Ghali autorisiert wurde, “[…] to take all measures necessary against all those responsible for the armed attacks […] including against those 359
Da in Somalia erst 1972 die Schriftsprache eingeführt wurde und ein Großteil der Bevölkerung Analphabeten waren, stellte das Radio das wichtigste Medium öffentlicher Meinungsbildung und politischer Agitation dar. Die VN/USA versuchten mit Flugblattaktionen die somalischen Zivilbevölkerung über die Missionsziele von UNOSOM II zu informieren, erreichten damit ihr Ziel jedoch nicht. Daher waren die milizeigenen Radiosender von bedeutender Wichtigkeit für die jeweiligen Warlords. Über Radio Mogadischu hatte Aidid im Mai 1993 mehrfach zum Widerstand gegen die VN aufgerufen. Siehe dazu: Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 130 - 131; siehe auch: Durch: Introduction to Anarchy, S. 338. 360 Vgl. Report of the Secretary -General on the Implementation of Security Council Resolution 837, S. 3: http://documents-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N93/381/43/img/N9338143.pdf?OpenElement,. 361 Zitiert nach: Drysdale, John: Whatever happened to Somalia?, London 1994, S. 179 f. 362 Vgl. Herrmann: Der kriegerische Konflikt in Somalia, S. 131 - 132. 363 Report of the Secretary -General on the Implementation of Security Council Resolution 837, para. 1: http://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N93/381/43/img/N9338143.pdf?OpenElement. 364 Zitiert nach: Drysdale: Whatever happened to Somalia?, S. 183. 365 Report of the Secretary -General on the Implementation of Security Council Resolution 837, para. 13: http://documents-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N93/381/43/img/N9338143.pdf?OpenElement .
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responsible for publicly inciting such attacks, to establish the effective authority of UNOSOM II throughout Somalia, including to secure the investigation of their actions and their arrest and detention for prosecution, trial, and punishment.”366 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die USA, welche federführend an Formulierung von SR Resolution 837 beteiligt waren, einen nicht geringen Teil dazu beitrugen, den Auftrag des „Nation-building“ in eine Jagd nach General Aidid zu transformieren.367 Da auch U.S.-amerikanische Truppen an diesem Zwischenfall beteiligt gewesen waren und der amerikanische SRSG Admiral Jonathan Howe (welcher den Algerier Sahnoun ersetzt hatte) ein Kopfgeld von 25.000 US Dollar auf Aidid aussetzte, wurden die USA zur Konfliktpartei im somalischen Machtkampf. Diese Umstände und das Mandat der Sicherheitsratresolution 837, das stark in innersomalische Angelegenheiten eingriff, verwandelten das politische Klima von „[…] humiliated acceptance of an external helping hand to renewed polarization and the emergence of nationalist martyrs.“368 Präsident Clinton war hinsichtlich der Mandatsveränderung von seinen Beratern nicht konsultiert worden. Vielmehr waren es Powell, Lake und Albright gewesen, welche diese Entscheidung vorangetrieben hatten.369 3.5.2 Die Eskalation der Ereignisse in Mogadischu: Ein Beispiel institutioneller Verselbstständigung In den nächsten vier Monaten kam es verstärkt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Aidids SNA, UNOSOM II und der amerikanischen QRF. Während die Vereinten Nationen und die USA Aidid vorwarfen, die Blauhelmsoldaten regelmäßig in Hinterhalte zu locken, beschuldigte dieser sie im Gegenzug der absichtlichen und unverhältnismäßigen Gewaltanwendung gegenüber somalischen Zivilisten. Obwohl die VN/USA versuchten (u.a. durch das ausgesetzte Kopfgeld) zu verdeutlichen, dass sie General Aidid persönlich und nicht die gesamte SNA Fraktion oder Aidids Hawiye Habr Gedir Clan für die Situation verantwortlich machten, hatte dieser Plan keine Erfolgschancen.370 Denn wie bereits in der ethnographischen Gesellschaftsanalyse Somalias dargelegt, ver366
VN Sicherheitsratsresolution 837, para. 5, vom 6. Juni 1993: http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N93/332/32/IMG/N9333232.pdf?OpenElement . 367 Vgl. Allard, Kenneth: Somalia Operations: Lessons Learned, Washington D.C. 1995, S. 28. 368 Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, xiv. 369 Vgl. Drew, Elizabeth: On the Edge. The Clinton Presidency, New York 1994, S. 319 - 320. 370 Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 119 - 120; Vgl. auch: Huband, Mark: Somalia: The Politics of Violence, S. 15.
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pflichtete das „dia-Prinzip“ die Clans zu kollektivem Beistand gegenüber ihren Individuen. „A clan will lose pride if a leader is caught, thus those who chased Aidid made a whole clan to their enemy, everybody had to protect Aideed, and Somalis were killed because of that mistake!”371 Dieser Umstand wie auch die (mittlerweile) negative Stimmung, welche aufgrund steigender ziviler Opferzahlen den internationalen Interventionstruppen von der somalischen Bevölkerung entgegenschlug, führten zu einem sich selbst verstärkenden Prozess militärischer Gewaltanwendung. Wollten die Vereinten Nationen und die USA wieder zu einer friedlicheren Politik des „Nation-building“ zurückkehren, musste das „Hindernis“ Aidid aus dem Weg geschafft werden. Madeleine Albright äußerte sich dazu in der New York Times folgend: „Failure to take action [against Aidid] would have signaled to other clan leaders that the UN is not serious … The decision we must make is whether to pull up stakes and allow Somalia to fall back into the abyss or to stay the course and help lift the country and its people from the category of a failed state into that of an emerging democracy. For Somalia’s sake, and our own, we must preserve.”372 Eine weitere Eskalationsstufe wurde am 26. August 1993 durch die Entsendung der amerikanischen „Task Force Ranger“ zur Ergreifung Aidids erreicht. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Eskalation weniger von einzelnen Entscheidungsträgern als von standardisierten Verfahrensweisen der beteiligten Ministerien hervorgerufen wurde. Wie Allison und Zelikow dargelegt haben, können diese „[…] as outputs (Hervorhebung im Original; d.V.) of large organizations functioning according to standard patterns of behavior“373 verstanden werden. Da das U.S.-Militär nach der Übergabe von UNITAF an UNOSOM II außer einer 1.300 Mann starken QRF nur aus Logistiktruppen bestand, stellte die Anforderung weiterer Kampftruppen im militärpolitischen Denken die nächstliegende Option dar. Obwohl Generalstabschef Colin Powell dem Einsatz von Bodentruppen in Interventionen stets ablehnend gegenüberstand, verbat ihm jedoch sein militärischer Hintergrund, die geforderten Verstärkungen abzulehnen.374 So schrieb er in seiner Autobiographie: „In late August, I reluctantly yielded to the repeated requests from the field and recommended to [Verteidigungsminister Les; d,V.] Aspin that we dispatch the Rangers and the Delta Force. […] It was a recommendation I would later regret.”375 371
Interview mit dem Botschafter der Unabhängigen Republik Somaliland Hussein Ali Dualeh, zitiert nach: Lindner, Evelin Gerda: The Psychology of Humiliation. Somalia, Rwanda/Burundi, and Hitler’s Germany, (Diss.), Oslo 2000, S. 360. 372 Zitiert nach: Halberstam: War in A Time of Peace, S. 258; siehe auch: Gordon, Michael R.: Faction in Somalia Delaying U.S. Plans to Pull Out Troops, in: New York Times, 10. August 1993. 373 Allison/Zelikow: Essence of Decision, S. 143. 374 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 260. 375 Powell: My American Journey, S. 584.
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Diese Kampftruppenverstärkung, bekannt unter dem Namen “Task Force Ranger” (im Folgenden: TFR), stand ausschließlich unter operationaler und taktischer Befehlsgewalt des U.S. Central Command, welche im Einsatzgebiet durch Generalmajor William F. Garrison ausgeübt wurde.376 Ihr einziger Auftrag war - in Übereinstimmung mit SR Resolution 837 - General Aidid oder seine höheren Berater festzunehmen, um sie somit für die Ereignisse am und nach dem 5. Juni 1993 zur Verantwortung zu ziehen. Verteidigungsminister Aspin war sich der Tragweite dieser Entscheidung bewusst, als er seinem Freund Richard Holbrooke in einem Gespräch anvertraute: „We’ve made a fateful decision. We’re sending the Rangers to Somalia. We’re not going to be able to control them, you know. They’re like overtrained pit bulls. No one controlls them. They’re going to push right ahead.”377 Von der Entscheidung, weitere Kampftruppen nach Somalia zu verlegen, erfuhr Präsident Clinton ebenfalls erst später.378 Der operationale Auftrag hatte sich somit fundamental gewandelt. Da Präsident Clinton Somalia wenig Aufmerksamkeit schenkte, wurde die taktische Ausrichtung des Einsatzes von innerinstitutionellen Praktiken, Perzeptionen sowie standardisierten Verfahrensweisen des Verteidigungsministeriums und des U.S.- Militärkontingents in Somalia bestimmt. Diese Vorgehensweise zerstörte damit gleichzeitig die letzte Hoffnung auf eine politische Lösung des Konflikts mit Aidid, wie die Worte eines SNAOffiziellen belegen: „How can one expect the opposition to negotiate when, at the same time, one is carrying out military policies resulting in the deaths of Somalis and the attempted capture of their leaders?“379
376
Vgl. Durch: Introduction to Anarchy, S. 339. Zitiert nach: Halberstam: War in A Time of Peace, S. 260. 378 Vgl. Drew: On the Edge, S. 321 - 322. 379 Interview zitiert nach: Schrader: From Ally to Orphan, S. 345. 377
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3.5.3 „Black Hawk Down“380 „How could this happen?“381 Bill Clinton Nachdem das Vorhaben der Gefangennahme Aidids trotz der Verstärkung durch die schlagkräftige und den Milizen weit überlegene „TFR“ bis in den Herbst 1993 nicht erreicht worden war, versuchten die USA den VN Generalsekretär zu einem zusätzlichen politischen Vorgehen zu bewegen. Dies kann als ein Versuch der Clinton Administration gesehen werden, die im Kongress verstärkt auftretenden Rückzugsforderungen zu besänftigen.382 Boutros-Ghali zeigte sich aber von diesem zweigleisigem Ansatz wenig überzeugt und warnte die Vereinigten Staaten vor einem voreiligen Truppenabzug aus Somalia. Der Generalsekretär befürwortete vielmehr das (tatsächlich aufrechterhaltene) aggressive Vorgehen der USA gegen Aidid383, da UNOSOM II ohne dem U.S. Truppenkontingent die dazu erforderlichen Mittel fehlen würden.384 Als „TFR“ am 3. Oktober in einer als Überraschungsangriff geplanten Operation am helllichten Tag 24 Verdächtige, darunter zwei hochrangige Vertraute Aidids, festnahm, gelang es der SNA Miliz zwei U.S. Black Hawk Hubschrauber über dem Einsatzgebiet abzuschießen. Somit verlor das amerikanische Militär das für Kommandoaktionen so wichtige Initiativmoment und musste sich um die Bergung der verwundeten Hubschrauberbesatzungen kümmern. In dieser Situation gelang es der SNA Miliz und Aidid-treuen Zivilisten die amerikanischen Truppen einzukesseln. Als „TFR“ am 4. Oktober 1993, unterstützt von der QRF und weiteren UNOSOM II Einheiten, nach schweren Gefechten ein Ausbruch aus ihrer Belagerung gelang, waren 18 amerikanische Soldaten gefallen und weiter 78 verwundet worden. Die somalischen Opferzahlen wurden auf 500 bis 1000 Tote und Verletzte geschätzt.385 380
Titel des Buches von Mark Bowden sowie der Oscar-prämierten Verfilmung der sogenannten „Schlacht von Mogadischu“ am 3.und 4. Oktober 1993. 381 Präsident Clinton zu Anthony Lake, George Stephanopoulos und anderen Beratern, als er von den Ereignissen des 3./4. Oktober 1993 erfuhr; zitiert nach: Drew: On the Edge, S. 317. 382 Vgl. Murray, Leonie: Somalia and the “Body Bag Myth” in American Politics, in: International Politics, Vol. 44, No. 5, September 2007, S. 552 - 571, hier: S. 553. 383 Vgl. Krauss, Clifford: Senators Seek Early Pullout of U.S. Troops from Somalia, in: New York Times, 12. Oktober 1993. 384 Vgl. Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 127. 385 Für detaillierte Darstellungen den Ereignissen des 3.-4. Oktober 1993 siehe: Bowden, Mark: Black Hawk Down: A Story of Modern Warfare, New York 1999; siehe auch: Church, George J.: Anatomy of a Desaster, in: TIME, 18. Oktober 1993; siehe auch: Sangvic, Roger: Battle of Mogadishu: Anat-
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Die Gefangennahme der 24 Verdächtigen war dennoch gelungen und auch die Opferzahlen sprachen im relativen Vergleich für einen taktischen Sieg der U.S.-amerikanischen Truppen. Was die öffentliche Meinung in den USA jedoch nachhaltig prägte, war der Umstand, dass ein gefangengenommener und verwundeter amerikanischer Pilot, Michael Durant, öffentlich (per Video) zur Schau gestellt wurde und die Leichen gefallener U.S. Soldaten an den Füßen durch Mogadischu gezerrt und von jubelnden Somalis geschändet wurden.386 All diese Bilder erreichten innerhalb weniger Stunden über CNN die U.S.amerikanische Öffentlichkeit und dominierten in den folgenden Tagen die Nachrichtensendungen des Landes. War der Zuspruch von Bevölkerung und Kongress bereits seit der Mandatsübergabe von UNITAF an UNOSOM II rückläufig gewesen, so stellten die Ereignisse des 3. und 4. Oktober 1993 den maßgeblichen Wendepunkt in der Somaliapolitik der USA dar. 3.5.4 Der reale „CNN-Faktor“ „The people who are dragging American bodies don’t look very hungry to the people of Texas.“387 Senator Phil Gramm (R-Tex.) Wie weiter oben dargestellt wurde, kann der „CNN-Faktor“ nicht zur wissenschaftlichen Erklärung der Interventionsentscheidung herangezogen werden. Obwohl er keinen positiven, aktionsauslösenden Charakter in dieser Konstellation hatte, so kann ihm doch ein negativer, aktionshemmender Charakter attestiert werden. Stellt der öffentliche Zuspruch für demokratische Regierungen eine grundlegende Voraussetzung längerfristiger Amtsführung dar, so gilt dies insbesondere für das stark gewaltengeteilte Regierungssystem der Vereinigten Staaten. Ohne die Zustimmung oder zumindest das Wohlwollen des U.S. Kongress kann kein amerikanischer Präsident auf lange Sicht seine politischen Programme umsetzen. Da sich die Regierung Clinton weiteren wichtigen Themen wie der Wiederherstellung amerikanischer Wirtschaftskraft, der Krankenversicherung, dem omy of a Failure, School of Advanced Military Studies, U.S. Army Command and General Staff College, Fort Leavenworth 1998. 386 Vgl. Drysdale, John: Foreign Military Intervention in Somalia: The Root Cause of the Shift from UN Peacekeeping to Peacemaking and Its Consequences, in: Clarke, Walter / Herbst, Jeffrey (eds.): Learning from Somalia. The Lessons of Armed Humanitarian Intervention, Boulder Colorado 1997, S. 132. 387 Senator Phil Gramm, zitiert nach: Krauss, Clifford : The Somalia Mission. White House tries to calm Congress, in: New York Times, 6. October 1993.
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Bosnienkonflikt oder der fragilen Situation in Russland gegenübersah, war sie auf ein gutes Verhältnis zum Legislativorgan angewiesen.388 Zudem befanden sich die Vereinigten Staaten weiterhin nahe einer ökonomischen Rezession, wodurch dieses Verhältnis angesichts explodierender Kosten multilateraler VN Friedensmissionen zusätzlich belastet wurde. Seit 1987 war der finanziellen Posten der Friedensoperationen durch Einsätze auf dem Balkan, in Kambodscha und Somalia von 700 Millionen US Dollar auf 3,6 Milliarden US Dollar im Jahr 1993 angewachsen. Davon hatten die amerikanischen Steuerzahler 32 Prozent (~ 1,15 Milliarden USD) zu tragen.389 Einen lastengeteilten Multilateralismus, welchen die Clinton Regierung mit ihrem „Assertive Multilateralism“ verkündet hatte, stellten sich Bevölkerung und Kongress anders vor. Da Clinton ausgesprochen „poll driven“390 war, also Wählerumfragen größte Aufmerksamkeit schenkte, war er sich dieser Tatsachen bewusst und suchte einen Ausweg aus diesem Dilemma. Seine Außenpolitik schien angesichts einer zunehmend egozentrischen Bevölkerung und innenpolitischer Prioritäten immer noch zu teuer zu sein. Viel deutet darauf hin, dass in dieser Zeit ein Wandel im außenpolitischen Denken der Clinton Regierung stattfand, auf den weiter unten noch eingegangen wird. Weil der Präsident der Außenpolitik und somit auch der Operation in Somalia seit seiner Amtsübernahme wenig bis kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte, erfuhr er erst von der Lageveränderung als die Bilder getöteter und geschändeter U.S.-Soldaten in den Nachrichtensendungen zu sehen waren.391 Da sich der Nationale Sicherheitsrat (NSC) ebenfalls kaum für UNOSOM II interessiert gezeigt hatte, war es Verteidigungsminister Les Aspin zugefallen, sich dem Problem anzunehmen. Dieser hatte jedoch aufgrund mangelnden Rückhalts in seinem Ministerium und fehlender Zugangsmöglichkeiten zu Präsident Clinton nur einen sehr geringen Einfluss auf das Geschehen in Somalia.392 Aus diesem Grund entstand Konfusion über den bevorzugten Kurs in der amerikanischen Somaliapolitik. Während Clinton dachte, die Jagd nach dem Warlord sei zugunsten des von ihm befürworteten politischen Vorgehens vollständig eingestellt worden, war es
388
Vgl. Delaney: Cutting, Running, or Otherwise? The US Decision to withdraw from Somalia, in: Small Wars and Insurgencies, Vol. 15, No. 3, Winter 2004, S. 28 - 46, hier: S. 41; Vgl. auch: Drew: On the Edge, S. 322 - 323. 389 Vgl. Hillen III, John F.: Peacekeeping is Hell. America Unlearns the Lessons of Vietnam, in: Policy Review, No. 66, Herbst 1993, S. 36 - 39, hier: S. 37. 390 Halberstam: War in A Time of Peace, S. 208. 391 Vgl. Bowden, Mark: Freeing a pilot, ending a mission, in: Philadelphia Inquirer, 14. Dezember 1997: http://inquirer.philly.com/packages/somalia/dec14/default14.asp . 392 Vgl. Halberstam: War in A Time of Peace, S. 259.
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laut Aspin „(t)he Pentagon’s understanding of the policy […] to move to more diplomatic efforts but snatch Aideed on the side, if you can.“393 Diese Missverständnisse wurden auch durch den Umstand verursacht, dass die strategisch-konzeptionelle Arbeit des U.S.-amerikanischen Somaliaengagements unter Clinton in den allermeisten Fällen auf ministerieller Stellvertreterebene ausgeführt wurde.394 Selbst Außenminister Christopher gab zu, dass die Führungspersonen der Clinton Regierung in Bezug auf den Somaliaeinsatz „[…] not sufficiently attentive“395 waren. Die steigende Anzahl gefallener U.S. Soldaten während UNOSOM II hatte zu einer äußerst kritischen Wahrnehmung der Somaliaintervention im Kongress und in der amerikanischen Öffentlichkeit geführt. So waren die Zuspruchraten zum amerikanischen Engagement in Somalia seit der Amtsübernahme Clintons von 77 Prozent (Februar) auf 51 Prozent (Juni) und schließlich auf 41 Prozent (September) stetig gesunken.396 In Zusammenschau der Forschungen von Delaney397 und Burk398 kann eine relationale Beziehung zwischen Mandat und Opferzahlen einerseits und öffentlichem Zuspruch andererseits festgestellt werden. Als im Zeitraum 8. August 1993 bis 4. Oktober 1993 28 amerikanische Soldaten umkamen, sanken die Zuspruchsraten zur U.S. Beteiligung an UNOSOM II um 20 Prozentpunkte auf 21 Prozent.399 Burk hat zusätzlich gezeigt, dass die öffentliche Unterstützung schon vor diesem Anstieg der Opferzahlen mit der Ausweitung des Mandats stetig gesunken war. Der komplexe Auftrag des „Nation-building“ von UNOSOM II wurde demnach weniger unterstützt als die begrenzte, rein humanitäre UNITAF Mission.400 Die Zuspruchsraten unter den Kongressabgeordneten und Senatoren glichen denen der amerikanischen Öffentlichkeit. Über die Parteigrenzen hinweg wurde ein Verbleib amerikanischer Truppen in Somalia, das Mandat an sich sowie die finanziellen Kosten der Intervention zunehmend in Frage gestellt.401 All diese Ereignisse führten dazu, dass Präsident Clinton am 8. Oktober 1993 einen vollständigen Rückzug aller U.S.-amerikanischer Truppen aus Soma393
U.S. Verteidigungsminister Les Aspin, zitiert nach: Drew: On the Edge, S. 324. Vgl. Drew: On the Edge, S. 319. 395 Hirsch/Oakley: Somalia and Operation Restore Hope, S. 152. 396 Vgl. Hoey, Brian Patrick: Humanitarian Intervention in Somalia, 1992-1994: Elite Newspaper Coverage, Public Opinion, and US Foreign Policy, (unpublished PhD Dissertation), University of Maryland 1995, S. 163. zitiert nach: Delaney: Cutting, Running, or Otherwise?, S. 38. 397 Vgl. Delaney: Cutting, Running, or Otherwise?, S. 38. 398 Vgl. James Burk, „Public Support for Peacekeeping in Lebanon and Somalia: Assesing the Casualities Hypothesis”, in: Political Science Quarterly, Vol. 114, No. 1, Frühjahr 1999, S. 53-78. 399 Vgl. Delaney: Cutting, Running, or Otherwise?, S. 38. 400 Vgl. Burk, James: Public Support for Peacekeeping in Lebanon and Somalia, S. 67 - 69. 401 Vgl. Delaney: Cutting, Running, or Otherwise?, S. 39 und 41. 394
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lia bis 31. März 1994 verkündete. Dass Clinton persönlich möglicherweise an einer Eskalation des Konflikts gelegen gewesen war, belegt sein Berater George Stephanopoulos mit folgendem Zitat Clintons: "'When people kill us, they should be killed in greater numbers.' Then, with his face reddening, his voice rising, and his fist pounding his thigh, he leaned into Tony [Lake], as if it was his fault. 'I believe in killing people who try to hurt you. And I can't believe we're being pushed around by these two-bit pricks.'"402 Politisch konnte es sich die Regierung jedoch nicht leisten, gegen die öffentliche Meinung und den Kongress eine Ausweitung des Konflikts voranzutreiben. Während einige Senatoren und Kongressabgeordnete einen unverzüglichen Abzug aller amerikanischer Truppen forderten403, entschied Präsident Clinton stattdessen, die Jagd auf Aidid - diesmal endgültig - einzustellen und das U.S. Kontingent kurzfristig auf 20.000 Mann aufzustocken, um mögliche Verluste bis zum vollständigen Rückzug zu minimieren.404 Am 25. März 1994, sechs Tage früher als geplant, zogen die letzten amerikanischen Truppen aus Somalia ab. Einzig 50 Marines verblieben zum Schutz des amerikanischen Verbindungsbüros bis zum Abzug der VN im Land.405 3.5.5 Vom „Assertive Multilateralism“ zur „Strategy of Enlargement“ Parallel zum Abzug der U.S.-amerikanischen Truppen aus Somalia erfolgte ein doktrinärer Wandel in der Außenpolitik der Clinton Regierung. Das Konzept des „Assertive Multilateralism“ wurde aufgegeben und durch die am 21. September von Sicherheitsberater Anthony Lake vorgestellte „Strategy of Enlargement“406 ersetzt. Ihre Kernpunkte stellten die Verbreitung demokratischer und marktwirtschaftlicher Systeme, eine tendenzielle Abkehr vom Multilateralismus, eine neue Selektivität bezüglich außenpolitischen Krisenmanagements sowie die effektive Nutzung positiver Globalisierungserscheinungen zur Stärkung amerikanischer Wirtschaftskraft dar.407 Dem anfänglichen Idealismus, welchen Charles Krauthammer als „confusion […] between individual and national morality“408 kritisierte, schien 402
Zitiert nach: Stephanopoulos, George: All to Human. A Political Education, Boston 1999, S. 214. Vgl. Krauss: Senators Seek Early Pullout of U.S. Troops from Somalia, 12. Oktober 1993. 404 Vgl. Jehl, Douglas: The Somalia Mission: Overview; Clinton Doubling U.S. Force in Somalia, Vowing Troops will come Home in 6 Months, in: New York Times, 8. October 1993. 405 Vgl. Weiss, Thomas G.: Military-Civilian Interactions. Humanitarian Crises and the Responsibility to Protect, Second Edition, Lanham et al. 2005, S. 68. 406 Siehe dazu: Lake, Anthony: From Containment to Enlargement. 407 Vgl. Keller: Von der Eindämmung zur Erweiterung, S. 92 - 95. 408 Krauthammer, Charles: How The Doves Became Hawks, in: TIME, 17. Mai 1993. 403
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eine eher realistische Ausrichtung amerikanischer Außenpolitik zu folgen. Angesichts der schwierigen ökonomischen Grundvoraussetzungen und der sich daraus ergebenden ablehnenden Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit und des Kongress hinsichtlich der Somaliaintervention, musste auch die Regierung Clinton anerkennen, dass „[…] there are certain realities of American politics you have to deal with.“409 Gemäß der „Strategy of Enlargement“ sollte fortan die Gemeinschaft demokratisch verfasster Marktwirtschaften („the world's free community of market democracies“410) erweitert werden. Das primäre Ziel der Clinton Administration, die Wiederherstellung amerikanischer Wirtschaftskraft, kann dabei als Mittel zur Herstellung und Wiederbelebung amerikanischer Hegemonie zum Nutzen aller beteiligter Nationen angesehen werden. „The expansion of market-based economics abroad helps expand our exports and create American jobs, while it also improves living conditions and fuels demands for political liberalization abroad. The addition of new democracies makes us more secure because democracies tend not to wage war on each other or sponsor terrorism. They are more trustworthy in diplomacy and do a better job of respecting the human rights of their people. […] Throughout the Cold War, we contained a global threat to market democracies; now we should seek to enlarge their reach, particularly in places significant to us [eigene Hervorhebung; d.V.] .”411 Da sich diese interessengeleitete Strategie der USA primär auf demokratisch verfasste Marktwirtschaften bezog, wurden Staaten wie Somalia, welche diese Kriterien nicht erfüllten, an die außenpolitische „Peripherie“ gedrängt. Wie Somalia nach diesem strategischen Umdenken gesehen wurde, verdeutlichen Clintons Äußerungen am 7. Oktober 1993: „It’s not our job to rebuild Somalia’s society or even to create a new political process that can allow Somalia’s clans to live and work in peace.“412 Das war alles andere als das noch vor wenigen Monaten von Madeleine Albright vorgegebene Ziel, „[to] help lift the country and its people from the category of a failed state into that of an emerging democracy.”413 Kooperation in Internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, welche mehr Kosten als Nutzen zu bringen schienen, wurde zunehmend kritisch hinterfragt. Auch Clinton, welcher später einen Großteil der Verantwortung für die Ereignisse in Somalia auf Boutros-Ghali abschob, hatte bereits im September 409
U.S. Außenminister Warren Christopher zitiert nach: Kramer, Michael: The Political Interest Putting Business First, in: TIME, 29. November 1993. 410 Lake, Anthony: From Containment to Enlargement. 411 Lake, Anthony: From Containment to Enlargement. 412 Bill Clinton, zitiert nach: Haass, Richard N.: Intervention: the Use of American Military Force in the Post-Cold War World, Washington D.C. 1994, S. 46. 413 Siehe Fußnote 381.
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seine anfänglich euphorisch scheinende Position bezüglich der Vereinten Nationen relativiert. „If the American people are to say yes to U.N. peacekeeping, the United Nations must know when to say no.”414 Multilaterale Interventionen, die nicht die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten berührten, hatten nach dieser strategischen Neuorientierung keinen Platz mehr in der amerikanischen Außenpolitik. Die Äußerungen des Under Secretary of State for Political Affairs Peter Tarnoff vom 25. Mai 1993 hätten somit als Vorboten dieser neuen politischen Marschrichtung gesehen werden können. In einem fälschlicherweise als vertraulich verstandenem Pressegespräch hatte dieser in Bezug auf amerikanische Interventionspolitik erklärt, dass “‘[…] our economic interests are paramount.’ [The US must] ‘define the extent of its commitment and make a commitment commensurate with those realities. This may on occasion fall short of what some Americans would like and others would hope for. […] We simply don’t have the leverage, we don’t have the influence […] to bring to bear this kind of pressure that will produce positive results […].’”415 Drängendere Probleme standen an und Präsident Clinton musste akzeptieren, dass “[…] good intentions ‘can lead to a war of murderous naivete.’"416 Ohne das militärische Gewicht der USA war UNOSOM II faktisch schutzund chancenlos. „A peacekeeping force charged with a peace enforcement mandate.”417 Der Rückzug der Vereinigten Staaten bedingte auch den vorzeitigen Abzug der Truppenkontingente fast aller westlicher Industrienationen bis März 1994. UNOSOM II war gescheitert und beendete seinen Auftrag mit dem Abzug aller verbliebenen Truppen am 3. März 1995.418 Die Schuld an der gescheiterten Somaliaintervention wurde den Vereinten Nationen, insbesondere Generalsekretär Boutros-Ghali zugeschoben, welcher durch den „Nation-building“ Auftrag, die Mission unnötig verkompliziert hätte. Die Clinton Regierung zeigte sich nicht bereit, den Erfolg der Somaliaintervention über ihre andern innen- und außenpolitischen Ziele zu stellen. Da sie für diese auf die Unterstützung der Öffentlichkeit und des U.S. Kongress angewiesen war, änderte die Regierung auch ihr Verhältnis zu den VN und beschuldigte vielmehr diese, für den Misserfolg in Somalia verantwortlich zu sein.419 414
U.S. Präsident Bill Clinton, zitiert nach: THE U.N. ASSEMBLY; In Clinton's Words: U.N. Become Engaged in Every World Conflict, in: New York Times, 28. September 1993. 415 Under Secretary of State for Political Affairs Peter Tarnoff, zitiert in: Kern, Heinz A. J.: The Clinton Doctrine: A New Foreign Policy, in: The Christian Science Monitor, 18. Juni 1993. 416 Sicherheitsberater Anthony Lake, zitiert nach: DeParle: The Man Inside Bill Clinton’s Foreign Policy. 417 Delaney: Cutting, Running, or Otherwise?, S. 34. 418 Vgl. Krech: Der Bürgerkrieg in Somalia, S. 104. 419 Vgl. Murray: Somalia and the “Body Bag Myth” in American Politics, S. 553.
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4 Synoptische Schlussbetrachtung
An dieser Stelle werden in einer synoptischen Zusammenschau der in den Teilanalysen gewonnenen Forschungsergebnisse diejenigen Variablen identifiziert, welche für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg der U.S.-amerikanischen Somaliaintervention 1992-1994 verantwortlich gemacht werden können. Es werden die vier eingangs gestellten Fragen beantwortet, um abschließend die aufgestellte Hypothese hinsichtlich der Erfolgschancen des amerikanischen Militärengagements in Somalia auf seine Gültigkeit hin zu überprüfen. 4.1 UNITAF, UNOSOM II und das Scheitern der amerikanischen Intervention in Somalia Erfolg und Misserfolg der amerikanischen Somaliaintervention können nicht pauschal beurteilt werden. Vielmehr müssen für eine weiterführende Einordnung die beiden Operationsabschnitte unterschieden werden. Den ersten Abschnitt stellt hierbei die unter Präsident George Bush durchgeführte „Operation Restore Hope“ oder „UNITAF“ dar. Hinsichtlich dieser ersten Interventionsphase wurden folgende Fragen gestellt: Was waren die Beweggründe der Regierung Bush in Somalia zu intervenieren und wenn ja, warum war „Operation Restore Hope“ erfolgreich? Mit dem zweiten Abschnitt wird die unter Clinton erfolgte „UNOSOM II“ bezeichnet. Diesbezüglich wurde gefragt, warum Mittel und Mandat der Intervention verändert wurden und aus welchen Gründen UNOSOM II scheiterte. 4.1.1 Phase I: „Operation Restore Hope“ Im Jahr 1992 stand die Regierung Bush vor der Entscheidung, entweder in Bosnien oder in Somalia zu intervenieren. Wie oben dargelegt werden konnte, war dies keine Wahl aus zwei statischen Alternativen. Beide Optionen waren in unterschiedlichem Maße mit direkten und indirekten, realen und hypothetischen Folgen behaftet. Dass sich die Regierung Bush für eine Intervention in Somalia und gegen eine Intervention in Bosnien entschied, lag vor allem an der Fülle von
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negativen Begleiterscheinungen, die ein amerikanisches Eingreifen auf dem Balkan zu dieser Zeit mit sich gebracht hätte. Die Stabilisierung der fragilen russischen Demokratie war dabei einer der maßgeblichen Gründe, sich gegen eine Bosnienintervention zu entscheiden. Ein militärisches Eingreifen der USA in der weiterhin von Russland beanspruchten Einflusssphäre hätte die Glaubwürdigkeit der auf Annäherung bedachten Regierung Yeltsin untergraben und den revanchistischen Kräften in Moskau erneuten Auftrieb gegeben. Dies sollte vermieden werden. Ein weiterer Grund gegen eine Bosnienintervention war die von Generalstabschef Colin Powell vertretene Position eines restriktiven Gebrauchs amerikanischer Streitkräfte. Gemäß der nach ihm benannten Doktrin sollte das U.S. Militär einzig aus nationalstaatlichem Interesse, in entsprechender Stärke, bei entsprechender Unterstützung durch den Kongress und mit einer ausgearbeiteten Exit-Strategie eingesetzt werden. Geprägt von der Konflikteskalation des Vietnamkrieges und den politischen Führungsfehlern dieser Zeit, setzte Powell viel daran, unsichere und in seinen Augen überflüssige Militäreinsätze zu vermeiden. Da der komplexe ethnische Konflikt in der zerklüfteten Berglandschaft Bosniens für Powell mit zu vielen unkalkulierbaren Risiken behaftet war, lehnte er eine amerikanische Militärintervention auf dem Balkan vehement ab. Viel sprach daher in den Augen der Bush Regierung gegen die amerikanische Bosnienintervention, welche Teile der Öffentlichkeit vehement forderten und der gewählte Präsident Clinton bereits in Erwägung zog. Das nie wirklich unterstützte Konzept der „neuen Weltordnung“ bereits kurz nach seiner Einführung wieder verwerfend, sah es der Realpolitiker Bush als seine Pflicht an, eine Bosnienintervention auch nach der Amtsübergabe wenigstens zu verzögern. Befreit von dem Zwang, gemäß öffentlicher Zuspruchsraten handeln zu müssen, entschloss sich die Regierung Bush in den weniger komplex und ungefährlicher erscheinenden Somaliakonflikt zu intervenieren. Sollte dabei ein positives Licht auf den scheidenden, sich um humanitäre Angelegenheiten sorgenden Präsidenten fallen, so wurde dieser Nebeneffekt dankend angenommen. Aus diesen interessengeleiteten Gründen, nicht aus altruistischen Prinzipien oder aufgrund medialer Berichterstattung, beschloss die Regierung Bush, einen zeitlich, räumlich und inhaltlich klar definierten Militäreinsatz in Somalia durchzuführen. Das vorgegebene Missionsziel, die Herstellung von Sicherheit zur Beendigung der Hungerskatastrophe erreichte die mit 30.000 kampferprobten U.S. Soldaten ausgestattete UNITAF innerhalb des gesetzten Zeitfensters und bei überwiegender Neutralität gegenüber den am innersomalischen Machtkampf beteiligten Parteien. In diesem Sinne war „Operation Restore Hope“ - vor allem durch die Einhaltung der Kriterien der „Weinberger-Powell-Doktrin“ - ein voller
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Erfolg und das amerikanische Engagement in Somalia hätte von Präsident Clinton zu diesem Zeitpunkt beendet werden können. 4.1.2 Phase II: UNOSOM II War „Operation Restore Hope“ ein Erfolg gewesen, so kann von UNOSOM II das genaue Gegenteil behauptet werden. Diese Tatsache hat mehrere Gründe. Wie oben gezeigt werden konnte, ließ sich der junge und in außenpolitischen Belangen relativ unerfahrene Präsident Clinton bei der Beurteilung der Somaliaintervention weniger durch tatsächliche nationalstaatliche Interessen als vielmehr durch eine idealistische Grundüberzeugung und dem im „Assertive Multilateralism“ ausformulierten Bekenntnis zu dem Prinzip der kollektiven Sicherheit leiten. Um die Vereinten Nationen in ihrer angedachte Rolle als Hüter des Weltfriedens zu unterstützen, und somit den USA die alleinigen Kosten des „Weltpolizisten“ zu sparen, willigte die Regierung Clinton in ein anschließendes Engagement amerikanischer Truppen unter VN Befehlsgewalt ein. Da die amerikanische Nation jedoch ihr ambivalentes Verhältnis zu den Vereinten Nationen nicht vollständig verändern konnte, verblieben die einzig schlagkräftigen Kampftruppen der QRF auch in dieser Phase unter amerikanischem Kommando. Dennoch unterstütze Washington den von VN Generalsekretär Boutros-Ghali vorgegebenen Kurs des „Nation building“ in Somalia und beging damit einen fatalen Fehler. „Operation Restore Hope“ hatte ein strategisches Ziel, nämlich die Herstellung von Sicherheit zur Beendigung der Hungersnot, welchem die taktischen Rahmenbedingungen angepasst waren. UNOSOM II hingegen hatte als strategisches Ziel die vollständige Wiederherstellung des somalischen Staates, inklusive Wirtschaft und Gesellschaft. Zur Durchführung dieses herausfordernden Auftrags fehlten den Vereinten Nationen jedoch die erforderlichen taktischen Mittel. Diskreditiert durch den schwerwiegenden Eingriff in innersomalische Angelegenheiten, vermochten es die Vereinten Nationen und die USA nicht, den somalischen Widerstand gegen UNOSOM II einzudämmen. Waren die Souveränitätsverletzungen durch „Operation Restore Hope“ für die somalischen Bürgerkriegsparteien aufgrund ihres neutralen Charakters wenig bedeutsam und im Angesicht eines übermächtigen Gegners ein hinzunehmendes Übel, so wurden diese bei UNOSOM II nicht mehr hingenommen. Durch den Wiederaufbau des Staates musste UNOSOM II in den innersomalischen Machtkampf eingreifen und zwangsläufig eine Seite benachteiligen. Als lautester Kritiker der VN und persönlicher Feind Boutros-Ghalis sah sich alsbald der militärisch stärkste War-
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lord Mohammad Farrah Aidid in der Rolle des Benachteiligten. Da er jedoch die Hauptlast an der Befreiung Somalias im Bürgerkrieg getragen hatte, stellte er sich - in den Augen vieler Somalis rechtmäßig - den Forderungen der Vereinten Nationen und der USA entgegen. Das tief im somalischen Gesellschaftswesen verankerte Prinzip kollektiver Verantwortlichkeit missachtend, versuchte UNOSOM II den General persönlich aus dem Verkehr zu ziehen, um somit den Weg für einen Wiederaufbauprozess frei zu machen. In dieser Phase wurde die Somaliaintervention aber von der somalische Bevölkerung wie auch der amerikanischen Nation eher wie ein persönlicher Schlagabtausch wahrgenommen. Weder Somalis noch Amerikaner verstanden, weshalb zum Wiederaufbau eines Staates die Entsendung der Elitesoldaten der Task Force Ranger erforderlich war. Steigende Opferzahlen auf beiden Seiten verhärteten die Meinungsverschiedenheiten und eine politische Einigung rückte in unerreichbare Ferne. Als die Situation mit den Kämpfen und Schändungen am 3. und 4. Oktober 1993 schließlich eskaliert war und der wenig aufmerksame Präsident Clinton gemeinsam mit der amerikanischen Nation erschreckt und empört von der Situation in Somalia erfuhr, zeichnete sich das Ende des Engagements der USA am Horn von Afrika ab. Angesichts wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Schieflagen in den Vereinigten Staaten von Amerika war es dem amerikanischen Bürgern unverständlich, warum nach allem, was die Nation für den Weltfrieden bereits getan hatte, ihre Soldaten abseits nationalstaatlicher Interessen geopfert werden sollten. Somalia war im postsowjetischen Zeitalter von keinerlei geostrategischer Wichtigkeit für die Vereinigten Staaten von Amerika. Da somit keine vitalen Interessen auf dem Spiel standen, entzogen die amerikanische Bevölkerung und der Kongress der Regierung Clinton den in demokratisch verfassten Regierungssystemen so wichtigen öffentlichen Zuspruch. An dieser Stelle kann auch die oben aufgestellte Hypothese zum Einfluss primärstaatlicher Interessen und öffentlicher Meinung auf den Erfolg militärischer Interventionen demokratisch verfasster Staaten verifiziert werden. Mit der Vorstellung der „Strategy of Enlargement“ im September 1993 rückte Clinton klar von dem „humanitären Multilateralismus“ ab und gab der U.S.-amerikanischen Außenpolitik eine realistischere Ausrichtung. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dies vor den tragischen Ereignissen des 3. und 4. Oktober 1993 geschah. Daher ist anzunehmen, dass der schon seit längerem bemerkbar gewordene Verlust öffentlichen Zuspruchs diesen doktrinären Wandel bereits eingeleitet hatte, bevor die am 3. und 4. Oktober erlittenen Verluste die öffentliche Meinung nochmals polarisierten.
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Insgesamt machte die „Strategy of Enlargement“ sowie die ablehnende Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit und des Kongresses militärische Interventionen der Clinton Regierung nur sehr vereinzelt und selektiv möglich. Humanitäre Katastrophen wie der Genozid in Ruanda 1994 wurden zwar verurteilt ein aktives Eingreifen der USA in einen weiteren ethnisch motivierten Regionalkonflikt abseits nationalstaatlicher Interessen war jedoch nach dem Somaliadebakel undenkbar geworden. Prinzipien alleine können militärische Interventionen westlicher Demokratien bewirken. Ohne eine nationalstaatliche Interessengrundlage können diese Staaten jedoch die notwendige öffentliche Unterstützung meist nicht aufrecht erhalten, wenn die Interventionskosten nicht im Verhältnis zu dem nationalstaatlichen Nutzen stehen. Was ist eine Nation bereit, wofür aufzugeben? Was ist die Durchsetzung gewisser Prinzipien wert, was die Durchsetzung vitaler primärstaatlicher Interessen? Diese Opportunitätskostenfrage stellt sich jedem Politiker, der über militärische Interventionen zu entscheiden hat. Im Falle der Vereinigten Staaten von Amerika, möglicherweise auch im Falle aller demokratisch verfasster Staaten, stellen Ideen oder hehre Werte eine grundlegende Triebkraft politischen Handelns dar, welches jedoch stets durch eine realpolitische Interessenwahrung geleitet oder in seiner Reichweite begrenzt wird. Außen- und sicherheitspolitische Risiken und somit die Notwendigkeit militärischer Interventionen werden in Zeiten fragmentierter internationaler Machtverhältnisse, schwindender Rohstoffe und einer voranschreitenden Erosion der westfälischen Staatenordnung eher zu- denn abnehmen. Wollen die westlichdemokratischen Regierungssysteme weiterhin ihrer Primäraufgabe, dem physischen Schutz von Staatsvolk und Staatsgebiet, nachkommen, so müssen sich ihre Volksvertreter darüber im Klaren sein, dass Krisen, Risiken oder Bedrohungen scheinbar nur dann durch militärische Interventionen erfolgreich begegnet werden kann, wenn den Bürgern glaubwürdig vermittelt werden kann, dass der Wert der durch die Intervention geschützten Interessen die Interventionskosten aufwiegt oder übersteigt.
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