ATLAN Im Auftrag der Menschheit Nr. 165
Die Stars von Kantanong von H.G. Francis
Auf den Stützpunkten der USO, den Pla...
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ATLAN Im Auftrag der Menschheit Nr. 165
Die Stars von Kantanong von H.G. Francis
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Ende September des Jahres 2843. Die Krise, die von Komouir, dem auf der galaktischen Eastside gelegenen Fundort wertvoller Schwingkristalle, ausging und Lordadmiral Atlan veranlaßte, gemeinsam mit Froom Wirtz, dem Instinktspezialisten, und Terrania Skeller, einem parapsychisch begabten Kind, der Welt der Schatzsucher einen Besuch abzustatten, ist ausgestanden. Der Chef der USO überlebte das Wirken von Kräften, die ganze Planeten und deren Bewohner zu hilflosen Spielbällen machten. Dank Skanmanyon oder dessen Überrest, der sich in dem zerstörten Körper Terrania Skellers festsetzte und das Mädchen auf unnatürliche Weise am Leben erhielt, gelang es Atlan auch, den Kriegsplaneten der Akonen unbeschadet wieder zu verlassen. Jetzt weilt der Arkonide wieder in Quinto-Center, seinem Hauptquartier, ohne vorerst überhaupt zu ahnen, daß auf Gostacker, dem Mond eines unwirtlichen und galaktopolitisch unwichtigen Planeten ein geheimnisvoller Fremder namens Chapat entdeckt wird, der im Leben des Lordadmirals noch eine wichtige Rolle spielen soll. Doch Chapat macht schnell von sich reden, als er Kantanong erreicht, den Show-Planeten der Galaxis. Binnen kurzem wird der junge Fremde zu einer Berühmtheit. Er reiht sich ein unter DIE STARS VON KANTANONG…
Die Hauptpersonen des Romans: Chapat – Er kommt aus dem Nichts und hält eine ganze Welt in Atem. Kayro Moozong – Präsident der GalacticMusic-Corporation. Galaxia Temona – Ein Sternchen soll zu einem Star gemacht werden. Pierre Bodanski – Chapats Freund und Helfer. Ramon Hablish – Boß der Madria von Kantanong. Atlan – Der Lordadmiral hört Ischtars Lied.
1. „Bleiben Sie ganz ruhig. Konzentrieren Sie sich. Und machen Sie sich vor allem keine Sorgen. Sie haben es geschafft. Die Tatsache, daß Sie es erreicht haben, bis in das Allerheiligste der GMC vorzudringen, sollte Ihnen Beweis genug dafür sein. Wer bis hierher kommt, ist praktisch schon ein reicher Mann. Glauben Sie mir, Sie brauchen nur noch den Mund aufzumachen. Sollte uns nicht auf Anhieb gefallen, was Sie daraus hervorbringen, werden wir die moderne positronische Technik einsetzen und alles bereinigen. Sie sehen also, Sie haben keinen Grund, nervös zu sein.“ Kayro Moozong schnaufte hörbar. Er legte dem Kandidaten die Hände an den Kopf und tätschelte seine Wangen. Dann wandte er sich um und glitt davon. Veyno wartete, bis die transparenten Türen sich hinter dem Verrenger geschlossen hatten. Er war verwirrt. Man hatte ihm Moozong als eiskaltes Wesen geschildert, aber das war er bestimmt nicht. Der Präsident der Galactic-Music-Corporation machte vielmehr den Eindruck eines umgänglichen Partners, der bemüht war, junge Talente nach Kräften zu fördern und ihnen über die Anfangsschwierigkeiten hinwegzuhelfen.
Zuerst war Veyno erschrocken gewesen, als er den Verrenger gesehen hatte. Moozong glich einer plump gebauten Schlange. Sein Oberkörper ragte etwa 2,70 m hoch auf. Der waagrecht verlaufende Teil des Körpers war etwa fünf Meter lang und einen Meter hoch. Er wurde von fünf Reihen kleiner Füße getragen. Der Nacken wurde von gezackten Hautfalten geziert, die sich feuerrot bis zum nach hinten schwingenden Teil des Körpers herabzogen. Die gleiche Farbe hatte auch der buschige Schwanz, während Kayro Moozong ansonsten ein zartblaues Fell hatte. Veyno setzte sich die Kopfhörer auf. Der Verrenger fuhr seine beiden Stielaugen weit aus und richtete sie auf ihn. Aki Axxy, der Agent, saß gelassen neben ihm und blätterte in seinen Papieren. Er schien überhaupt kein Interesse daran zu haben, wie gut oder schlecht Veyno abschnitt. Wie bei einem so modern eingerichteten Studio zu erwarten war, wurden sämtliche technischen Vorgänge von den positronischen Einrichtungen gesteuert. Moozong gab Veyno ein Zeichen. Der Kandidat begann zu singen. Er fühlte sich wirklich frei. Schon nach den ersten Takten merkte er, daß heute alles über Erwarten gut gelang. Seine Stimme klang einwandfrei. Veyno war mit sich zufrieden. Kayro Moozong neigte sich leicht vor. Seine Hand legte sich auf die Tasten. Veyno erwartete das berühmte Kreuzen der Hände, mit dem der Musikboß seinen Kandidaten zu verstehen geben pflegte, daß sie sich von nun an um ihre Finanzen keine Sorgen mehr zu machen brauchten. „Danke“, sagte Moozong. Seine Stimme blieb kühl und distanziert. „Lassen Sie sich an der Kasse die Spesen geben. Der Nächste, bitte.“ „Aber, Sir, ich bin doch noch gar nicht…“, begann Veyno stammelnd. „Stehlen Sie mir nicht meine Zeit. Machen Sie Platz für den nächsten Kandidaten.“ Die Stielaugen des Verrengers blickten ihn zornig an. Aki Axxy, der Agent, beugte sich vor und schaltete ein vor ihm stehendes Mikrophon ein. „Gehen Sie, Veyno. Machen Sie sich, nicht unglücklich. Damit geht die Welt doch nicht unter.“ Veyno nahm bestürzt die Kopfhörer ab. Er fühlte sich elend. Ihm war, als habe er soeben sein Todesurteil vernommen. Schlagartig durchschaute er das ganze Gehabe Moozongs. Die freundliche Geste
am Anfang der Probe war völlig bedeutungslos gewesen. Diese Worte sagte er jedem Kandidaten, der sich hier vorstellte. Das Urteil war endgültig und nicht mehr zu revidieren. Durch die Tür kam ein blonder Mann herein. Er wirkte verkrampft und unsicher. Kayro Moozong erschien neben ihm, legte ihm einen Arm um die Schulter und machte ihm mit den gleichen Worten Mut, mit denen er auch Veyno aufgemuntert hatte. Als sich die Türen geschlossen hatten, setzte der Blonde die Kopfhörer auf. Musik erklang. Er holte Luft für die ersten Töne, als Aki Axxy plötzlich aufsprang. Kayro Moozong richtete sich noch höher auf als sonst, und seine Stielaugen bogen sich weit nach vorn. Im Studio ging das Licht an. Verwirrt legte der Blonde die Kopfhörer ab. Er verstand die Erregung nicht. Sie konnte nicht auf ihn zurückzuführen sein, da er noch nicht einen einzigen Ton von sich gegeben hatte. Er drehte sich um. Drei Meter hinter ihm stand ein hochgewachsener Mann. „Was treiben Sie im Studio?“ brüllte der Präsident. „Wer sind Sie überhaupt?“ Der Fremde hatte schulterlanges Haar. Seine Haut sah bronzefarben aus. Er trug die Kleidung eines unbedeutenden Helfers, doch sie paßte nicht zu seiner Erscheinung. Ruhig, als ob es nichts Besonderes sei, daß er hier war, blickte er sich um. Seine Haltung verriet absolute Selbstsicherheit, und er besaß die Ausstrahlung einer ganz großen Persönlichkeit. Das merkte auch Moozong. „Also, bitte“, sagte er etwas leiser. „Was wollen Sie hier? Wollen Sie etwa auch vorsingen? Dann müssen Sie sich anmelden. Mr. Axxy wird Ihnen das Nötige dazu mitteilen. Und jetzt gehen Sie, bitte.“ In seiner Stimme klang bereits eine gewisse Resignation mit, denn er fühlte, daß der Fremde sich seinem Befehl nicht beugen würde. Der blonde Kandidat verlor die Beherrschung. „Wenn Sie nicht sofort tun, was Mr. Moozong sagt, dann…“, begann er, aber auch er spürte, daß seine Worte an dem ungebetenen Gast abprallten. „Ich meine, es geht doch um meine Chance. Ich bin… Ich wollte sagen, es war schwer genug, überhaupt bis hierher zu kommen.“ Kayro Moozong glitt durch die offene Tür herein. „Sie wollen mich sprechen?“
Die Lippen des Fremden entspannten sich, doch er schwieg noch immer. „Also, dann kommen Sie“, sagte der Verrenger seufzend. Seine Augen zogen sich tief in die Höhlen zurück. Das war ein deutlicher Ausdruck seiner Resignation. Eine der Türen zur Kontrollkabine öffnete sich. Zwei Männer traten laut miteinander diskutierend ein. Sie verstummten, als sie den unerwünschten Besucher im Studio sahen. „Das ist doch Lordadmiral Atlan“, sagte einer von ihnen mit nur leicht gedämpfter Stimme. „Atlan?“ fragte Kayro Moozong. Seine Stielaugen kamen wieder weit aus den Höhlen hervor und bogen sich dem Unbekannten entgegen. „Nein, Sie sind nicht Lordadmiral Atlan. Sie sind jünger als der Arkonide. Sie sind auch größer als er.“ „Mein Name ist Chapat.“ „Na, endlich. Sie können den Mund ja doch aufmachen. Chapat also. Und was wollen Sie, Mr. Chapat?“ Der Fremde griff in seine Jackentasche. Er brachte einen Spielkreisel daraus hervor, der aus einem tiefblauen Material bestand, etwa sieben Zentimeter hoch und spitz war und einen Durchmesser von ungefähr fünf Zentimetern an seiner Grundfläche hatte. Die Tür zur Kontrollkabine war offen geblieben. Einige weitere Männer und Frauen drängten sich neugierig herein. Irgend jemand schaltete das Licht heller. Die Platten, mit denen das Studio ausgelegt war, leuchteten auf. Chapat hielt den Kreisel in der Hand und blickte Moozong gelassen an. Er wartete ab. Der Verrenger wurde immer nervöser. „Also, mein bester Mr. Chapat“, sagte er endlich. „Sie haben vermutlich keine Vorstellung davon, was der Betrieb eines solchen Studios kostet. Ich habe weder Zeit noch genügend Geld, länger darauf zu warten, daß Sie endlich mit Ihrem Vortrag beginnen. Wenn Sie nicht sofort munter werden, werde ich Sie aus dem Studio entfernen lassen.“ Chapat bückte sich, stellte den Kreisel auf den Boden und warf ihn mit geschickter Handbewegung an. Er begann sich schnell zu drehen. Zugleich klang eine Frauenstimme auf. Kayro Moozong wollte etwas sagen, aber der Mund blieb ihm offen stehen. Die Männer und
Frauen in der Kabine verstummten. Aki Axxy kam lautlos in das Studio hinüber. Der Blonde blickte fasziniert auf den sich drehenden Kreisel. Chapat wich einen halben Schritt zurück. Er beobachtete abwechselnd den Agenten und Moozong. Der Musikproduzent schloß die Augen. Seine Lippen bewegten sich. Die Frauenstimme füllte den Raum aus. Sie klang fremdartig mit einem leichten Akzent, den keiner der anwesenden Personen einordnen konnte. Die Künstlerin sang in einer unbekannten Sprache, aber das war unbedeutend. Niemand brauchte die Worte zu verstehen. Jeder gab sich der Musik und der Stimme hin. Chapat beobachtete, daß einige Männer und Frauen die Schultern bewegten, als ob ihnen ein Schauer über den Rücken laufe. Kayro Moozong legte seine Hände an den Kopf. Er wiegte seinen Oberkörper hin und her. Völlig weltvergessen ließ er die Stimme auf sich einwirken, bis Chapat sich erneut bückte und den Kreisel aufnahm. Der Verrenger schien aus einem Rausch zu erwachen. Die Männer und Frauen in der Kontrollkabine klatschten begeistert Beifall. Aki Axxy, der Agent, kam mit glänzenden Augen auf Chapat zu. „Meine Güte“, sagte Kayro Moozong stammelnd. „Daß es so etwas gibt.“ Er klopfte sich mit den Handflächen gegen die Wangen. „Mr. Chapat“, seine Stimme steigerte sich euphorisch, und sein Oberkörper richtete sich hoch auf. „Mr. Chapat – ich danke Ihnen, daß Sie zu mir gekommen sind. Lassen Sie sich umarmen.“ Er glitt auf Chapat zu, verzichtete jedoch darauf, ihn in seine Arme zu schließen, als er erkannte, daß der unerwartete Besucher nicht damit einverstanden war. Er fuhr herum, streckte seinen Arm zur Kontrollkabine aus und schrie: „Tür schließen. Niemand verläßt den Raum.“ Dann wandte er sich wieder Chapat zu. Sein Gesicht verzog sich zu einem wohlwollenden Lächeln. Die Augen sanken tief in die Höhlen. In diesem Moment glich er einer terranischen Bulldogge auf verblüffende Weise. „Noch einmal, lieber Mr. Chapat. Gewähren Sie mir dieses Glück. Noch einmal!“ Chapat ließ den Kreisel in seiner Tasche verschwinden.
„In Ihrem Büro, Mr. Moozong.“ „Einverstanden. Ich bin einverstanden. Bestimmen Sie nur über mich.“ Er eilte zur Tür und bat Chapat mit übertriebener Geste, ihm zu folgen. Als der Besucher an ihm vorbeigegangen war, fragte er flüsternd: „Aufnahme gemacht?“ „Selbstverständlich“, antwortete Aki Axxy leise. In einer Antigravröhre schwebten sie nach oben in einen Empfangsund Arbeitsraum, der übertrieben luxuriös eingerichtet war. Moozong nahm auf einem wannenförmigen Spezialmöbel hinter einem wuchtigen Schreibtisch Platz. Aki Axxy und Chapat setzten sich in Sessel, die in sanft nachgebende Antigravfelder eingebettet waren. Zwei blonde Sekretärinnen kamen herein und reichten erfrischende Getränke, Gebäck und Zigaretten. Chapat trank nur einen kleinen Schluck von einem alkoholischen Gebräu, das nicht seinem Geschmack entsprach. Er ließ den Kreisel auf dem Arbeitstisch des Produzenten singen. Und wieder verfielen Moozong und Aki Axxy der Faszination dieser weiblichen Stimme. Die beiden Mädchen traten erneut ein. Sie blieben in der offenen Tür stehen und hörten zu. Der Verrenger ließ sie gewähren. „Wundervoll“, sagte er, als Chapat den Kreisel wieder aufgenommen hatte. „Einfach phantastisch.“ Kayro Moozong bebte am ganzen Körper. Man konnte ihm ansehen, daß seine Begeisterung echt war und daß er ein ganz großes Geschäft witterte. „Aki – bei aller Freundschaft. Du mußt gehen.“ Der Agent schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich würde Ihnen raten, Mr. Chapat, darauf zu bestehen, daß ich hier bleibe.“ „Warum?“ „Weil dieser alte Gangster Sie sonst schamlos betrügen würde. Ich bin Agent. Ich weiß genau, welche Gagen für eine solche Stimme bezahlt werden müssen.“ „Aki – noch ein Wort, und wir sind Feinde.“ „Vielleicht ist das gar nicht einmal so verkehrt, was Mr. Axxy sagt“, bemerkte Chapat. „Was ist die Stimme wert?“ „Seien Sie kein Narr, Mr. Chapat. Ich zahle Ihnen eine vernünftige Gage. Wenn Sie über Mr. Axxy abschließen, sieht das Honorar höher
aus, aber Sie haben so hohe Abzüge, daß Ihnen selbst am Ende praktisch nichts bleibt. Mr. Axxy ist ein moderner Wegelagerer, dem man eigentlich das Handwerk verbieten sollte.“ „Vertrauen Sie mir, Mr. Chapat“, warf Aki Axxy ein. „Moozong ist ein Geier, der die Stimme im Grunde genommen umsonst haben möchte. Das müssen wir verhindern.“ Chapat erhob sich. Er trat an das Fenster, von dem aus er die Stadt Kantanong – die den gleichen Namen trug wie der ganze Planet – übersehen konnte. Das Land stieg stufenförmig vom Meer auf. Überall leuchteten die Reklameschilder des Showgeschäfts, obwohl es noch heller Tag war. Mit raffinierter Technik versuchten die Werbemanager Lichteffekte zu erzielen, die selbst zur Mittagszeit die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zu lenken vermochten. „Bringen Sie mir die Frau“, forderte Moozong. „Ich muß sie sehen.“ Chapat drehte sich um. „Ich kann Ihnen die Frau nicht vorstellen.“ „Sie müssen – sonst kommen wir nichts ins Geschäft.“ Chapat nahm den Kreisel in die linke Hand, warf ihn hoch und fing ihn wieder auf. Er ging zur Tür. „Wohin wollen Sie?“ brüllte der Verrenger. „Sie können doch nicht einfach verschwinden“, protestierte Axxy. „Ich kann“, antwortete Chapat. „Die Frau bekommen Sie nicht.“ Kayro Moozong kam um den Arbeitstisch herum. Er blieb vor Chapat stehen, blickte auf ihn herab und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Verstehen Sie denn nicht?“ fragte er. „Ich muß diese Frau haben. Was wäre eine Show ohne Sängerin? Das Lied allein genügt nicht. Ich brauche die Interpretin, und ich verspreche Ihnen, daß ich sie zum größten Star der Galaxis mache. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Mr. Chapat, das heißt Geld und nochmal Geld. Soviel Sie wollen.“ Er hustete und fuhr danach kühl forschend fort: „Wieviele Lieder können Sie aus dem Kreisel herausholen?“ „Sie bekommen nur eines.“ „Nur das Lied?“ „Nur das Lied. Die Sängerin auf gar keinen Fall.“ Moozong führte Chapat zu seinem Sessel zurück.
„Gehen Sie noch nicht. Ich habe bereits eine Lösung.“ „Da bin ich aber gespannt“, warf Aki Axxy ironisch ein. „Wir werden einfach ein Playback machen. Ich habe schon ein Mädchen im Sinn, das wir dafür nehmen können.“ Er lachte dröhnend. „Wir nehmen ein Girl, das nur seine Lippen bewegt, und machen alles andere über die Lautsprecher.“ „Und Sie glauben wirklich, daß Sie jemanden finden werden, der so etwas tut?“ fragte Chapat. Moozong verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. „Tausende. Kantanong ist wie ein Ameisenhaufen aus karrierelüsternen Weibern. Ich kann jede von ihnen nehmen und alles mit ihr machen. Sie wird mir dafür noch die Füße küssen.“ „Und das ist immerhin ein ziemlich mühsames Unterfangen bei einem Tausendfüßler“, fügte Aki Axxy spöttisch hinzu. Moozong legte seine Hand auf eine Taste. Sekunden später kam eine der beiden Sekretärinnen herein. „Möchte einer der Herren etwas zu essen haben?“ Sowohl Chapat als auch der Agent lehnten ab. Moozong schickte das Mädchen wieder nach draußen. Er drückte eine andere Taste. An der Wand erschien ein Name. „Ich habe hier die Daten von ungefähr viertausend Mädchen, die sich alle einbilden, daß Kantanong nur auf sie gewartet hat. Suchen wir uns irgendeine aus.“ „Irgendeine?“ fragte Chapat. „Muß sie nicht etwas Besonderes haben?“ Moozong ging nicht auf seine Frage ein. Er drückte die Tasten. Die Namen an der Wand wechselten ständig. Hin und wieder leuchtete ein Bild daneben auf. Das geschah immer dann, wenn der Verrenger auf einen Namen gestoßen war, der ihm interessant erschien. Chapat nahm etwas Gebäck. In diesem Moment lachte Moozong auf. „Galaxia“, rief er. „Galaxia Temona – was für ein Name für ein Nichts! Einen dümmlicheren Künstlernamen kann ein Mädchen sich gar nicht aussuchen.“ Er drückte die Tasten. Die Namen wechselten erneut.
„Ich bin anderer Ansicht“, sagte Aki Axxy energisch. „Ich halte den Namen Galaxia für unsere Zwecke für gut. Ich betone: für unsere Zwecke. Er ist genau richtig. Wir haben ein Lied, das galaxisweit Erfolg haben wird. Es ist überhaupt die Sensation. Soll jemand dieses Lied singen, der Ap Pap oder Do Mo heißt?“ Kayro Moozong ließ die Namen zurücklaufen, bis wieder „Galaxia Temona“ an der Wand leuchtete. Er schaltete das Bild des Mädchens dazu. „Sie sieht aus wie alle anderen.“ „Sie ist bildschön, Kayro“, widersprach der Agent. „Das sind sie alle.“ „Willst du eine häßliche Gans für ein solches Lied?“ „Mr. Chapat, sind Sie einverstanden?“ fragte Moozong. „Ich habe nichts dagegen.“ Der Produzent drückte eine Taste. Eine Sekretärin kam. „Bestellen Sie Galaxia Temona zu mir, aber sagen Sie ihr, daß sie in spätestens einer Stunde hier sein muß, sonst suche ich mir eine andere.“ Er erhob sich. „Und Sie möchte ich zum Mittagessen einladen“, erklärte er zu Chapat und Aki Axxy gewandt. „Ich hoffe, Sie lehnen nicht ab.“ * Galaxia Temona machte keine Schwierigkeiten. Sie sagte sofort zu und unterzeichnete strahlend einen Vertrag, den Kayro Moozong ihr vorlegte, ohne ihn mehr als flüchtig zu lesen. Sie war noch schöner als sie auf dem Bild gewirkt hatte. Das dunkle Haar umrahmte ein raffiniert geschminktes Gesicht, bei dem durch Farbschattierungen der Eindruck besonders großer Augen hervorgerufen wurde. Die Augenbrauen waren abrasiert. An ihrer Stelle befanden sich schillernde Diamantbürsten, die wie leuchtende Halbmonde über ihren Augen lagen. Vier Regenbogenlinien liefen in Pastellfarben von einem Ohr zum anderen quer über das Gesicht hinweg. Sie sollten Galaxia den Ausdruck der Frische verleihen. Chapat beobachtete sie. Er schien sich zu fragen, ob er sie wiedererkennen würde, wenn sie kein Make-up trug. „Wie gefällt Ihnen unser neuer Star?“ fragte Moozong.
„Sie soll singen“, entgegnete Chapat. „Trällern Sie etwas, Galaxia.“ „Was denn?“ „Irgend etwas.“ Sie sang die ersten Takte eines Hits. Moozong winkte ab. „Gut“, sagte er. „Daraus können wir etwas machen. Aber jetzt passen Sie auf.“ Chapat nahm den Kreisel und setzte ihn auf die Platte des Schreibtischs. Die exotische Frauenstimme erklang. Wiederum erlagen Moozong und Axxy ihrer Faszination. Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. „Das soll ich singen?“ fragte sie, als die letzten Töne verklungen waren. „Nein, Sie sollen nur den Mund danach bewegen. Wir machen eine Show, in der Sie Mittelpunkt mit diesem Lied sind. Versuchen Sie es.“ Sie tat, was der Produzent ihr befohlen hatte. Da sie den Text noch nicht beherrschte, verlief diese erste Probe nicht sehr überzeugend. Moozong war dennoch zufrieden. „Nun, was meinen Sie?“ fragte er Chapat begeistert. „Sie ist nicht Ischtar – sie wird es niemals sein“, antwortete dieser. Er ging zum Fenster und blickte stumm hinaus. Die beiden Manager und das Mädchen beobachteten ihn. Sie warteten, bis er sich wieder umdrehte. „Ich habe einen Vertrag vorbereitet“, erklärte Moozong. „Sehen Sie sich ihn durch.“ „Wo wohnen Sie?“ fragte Aki Axxy. Chapat antwortete nicht. Er bewegte nur nichtssagend die Schultern. „Wenn Sie wollen, können Sie einige Tage bei mir bleiben“, erklärte der Agent. Sein Gesicht blieb kühl und unbeteiligt, aber in seiner Stimme klang die Gier nach Geld mit, die ihn erfaßt hatte. „Mr. Moozong soll mir ein Angebot machen“, sagte Chapat. Er blickte den Produzenten fragend an. Kayro Moozong hob abwehrend die Hände. Er war nicht bereit, die Karten offenzulegen. „Ich warte, Mr. Moozong.“ „Lassen Sie uns in Ruhe darüber reden.“
Chapat nahm den Kreisel auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und ging hinaus. Als sie sich hinter ihm schloß, raste der Verrenger hinter ihm her. Er nannte ihm eine Zahl. Galaxia Temona legte eine Hand an die Wange und pfiff überrascht. Ihr schwindelte. Sie hatte nicht annähernd mit einer solchen Summe gerechnet. Aki Axxy aber lachte nur höhnisch. „Ich habe es Ihnen gesagt, Mr. Chapat“, rief er. „Er will Sie betrügen.“ Er eilte ebenfalls hinter Chapat her. „Wir müssen miteinander reden“, sagte er eindringlich. „Einverstanden. Ich komme in zwei Stunden wieder.“ Damit wandte sich Chapat ab und ging endgültig hinaus. Axxy, Moozong und die Sängerin blieben zurück. Chapat sank in einer Antigravröhre nach unten. Er trat durch eine gläserne Tür auf einen freien Platz hinaus, auf dem ein Gleiter parkte. Von beiden Seiten traten je zwei Männer auf ihn zu. Bevor er reagierten konnte, richtete einer einen Paralysator auf ihn zu und schoß. Gelähmt brach er zusammen. Einer der Männer durchsuchte seine Taschen, fand den Kreisel und nahm ihn an sich. Chapat gelang es schließlich doch, sich auf die Seite zu wälzen, so daß er sehen konnte, wohin die Männer liefen. Sie stiegen in einen feuerroten Gleiter und starteten. Die Maschine flog dicht über den Gelähmten hinweg, der mit aller Macht gegen eine aufsteigende Bewußtlosigkeit ankämpfte. Am Boden des Gleiters befand sich ein einfaches Symbol. Es erinnerte Chapat an ein Stielauge.
2. „Hallo, Mann, was haben sie mit dir gemacht?“ fragte eine Baßstimme. Chapat schlug die Augen auf. Er wußte zunächst nicht, wo er war. Der Mann, der ihn mit leichten Schlägen auf die Wange wachgerüttelt hatte, sah grobschlächtig und brutal aus. Er hatte eng zusammenstehende Augen und eine Hakennase.
„Das Wetter ist zwar gut“, fuhr er fort, nachdem er einen prüfenden Blick zum Himmel hinaufgeworfen hatte, „aber dennoch sollte man nicht wie ein Zocker im Freien schlafen.“ Er packte Chapat an der Schulter und wollte ihm aufhelfen, doch der Paralysierte glitt ihm wieder aus den Händen. Dabei stöhnte er vor Schmerz. Einige weitere Männer und Frauen kamen hinzu. „Ich habe gesehen, daß man ihn mit einem Lähmstrahler beschossen hat“, sagte einer von ihnen. „Das dachte ich mir schon“, erwiderte der Mann mit der Baßstimme. Er hob Chapat auf und trug ihn in das Studiogebäude zurück. Eine der Sekretärinnen von Kayro Moozong trat ihnen aus dem Antigravschacht entgegen. „Bringen Sie ihn nach oben“, rief sie. Wenig später betraten sie das Büro des Präsidenten der GMC. Chapat konnte sich schon ein wenig bewegen. Er sträubte sich dagegen, daß man ihn auf eine Couch legte, aber Kayro Moozong bestand darauf. Sekunden später traf bereits ein Arzt ein, der Chapat eine Injektion machte. Die Lähmung klang nun schnell ab. „Was ist passiert?“ fragte der Verrenger. „Man hat ihn überfallen“, antwortete der Mann, der Chapat gefunden hatte. „Ich habe ihn hochgebracht. Haben Sie nicht eine Rolle für mich? Ich bin Schauspieler. Ich kann singen, tanzen, schießen, fechten… äh, nein?“ Er blickte Moozong erwartungsvoll an und schüttelte dann resignierend den Kopf. „Ich meine, Sie sind doch Produzent – oder? Eine kleine Rolle würde mir schon genügen.“ Kayro Moozong beachtete ihn nicht mehr. „Chapat, erzählen Sie schon.“ „Man hat mir den Kreisel gestohlen.“ „Ach, er ist weg?“ „So ist es.“ Der Verrenger schnaufte hörbar durch die Nase. Er glitt hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in der Wanne nieder. „Würden Sie mein Büro räumen, meine Herren?“ „Mein Name ist Pierre Bodanski“, sagte der Mann, der Chapat geholfen hatte. „Sie haben ihn doch sicherlich schon gehört?“
„Ich habe keine Rolle für Sie, Mensch, und wenn ich eine hätte, würde ich sie Ihnen nicht geben. Und jetzt ’raus!“ Bodanski murmelte einen Fluch und ging hinaus. Bis auf Chapat und Aki Axxy folgten ihm alle anderen. Kayro Moozong blickte Chapat fragend an. „Warum gehen Sie nicht? Wir haben nichts mehr miteinander zu tun.“ „Das ist ein Irrtum. Immerhin haben Sie eine Aufnahme des Liedes gemacht. Die Rechte daran gehörten mir.“ „Eine Aufnahme? Das muß wohl ein Mißverständnis sein, Mr. Chapat. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ „Mr. Axxy, was sagen Sie?“ „Ich möchte noch mit Ihnen reden, Mr. Chapat.“ „Sie wissen, daß eine Aufnahme gemacht worden ist.“ „Sie sollten sich von einem Arzt genau untersuchen lassen, Mr. Chapat. Mir scheint, daß Sie doch einige Schäden davongetragen haben. Wenn Sie danach in mein Büro kommen wollen, können wir vielleicht ein interessantes Geschäft miteinander machen.“ „Würden Sie jetzt bitte verschwinden, Mr. Chapat?“ Kayro Moozong gähnte herzhaft. Die Tür öffnete sich. Galaxia Temona trat ein. Ihre Augen blitzten vor Erregung. „Mr. Moozong, ich habe einen Vertrag mit Ihnen“, schrie sie. „Ich bestehe darauf, daß Sie Ihren Verpflichtungen nachkommen, auch wenn der Kreisel weg sein sollte.“ Der Verrenger antwortete nicht. Er wartete, bis Chapat gegangen war. Dann wandte er sich der Sängerin zu. * Pierre Bodanski wartete an der Stelle auf Chapat, an der dieser paralysiert worden war. Er rauchte eine rote Zigarette. „Hallo, Freund, auch ‘rausgeflogen?“ Fragte er. Chapat blieb stehen. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Das hat Moozong, dieser Geier, sich so vorgestellt. Erst klaut er den Kreisel, dann schmeißt er dich auf die Straße und dann kümmert er sich um gar nichts mehr.“
Chapat blickte Bodanski an. Er schien ihn zum erstenmal wirklich zu sehen. „Ich lade dich zu einem Bier ein, Freund. Was hältst du davon?“ Chapat zuckte nur nichtssagend mit der Schulter. Er ging neben dem Schauspieler her auf die Kantine der CMC zu. „Das ist dir doch wohl klar, daß Kayro Moozong dir den Kreisel gestohlen hat?“ fuhr Bodanski in seinem einseitigen Gespräch fort. „In dieser Hinsicht kennt er keine Hemmungen. Du kannst sicher sei, daß er das große Geschäft macht. Morgen schon wird irgendeine dumme Ziege in Kantanong-Vision auftreten und das Lied singen – oder wenigstens so tun, als ob sie es täte. Das wird Riesenauflagen geben. Ich habe einige Fetzen davon gehört. Glaube mir, Freund, das wird ein Galaxis-Hit.“ Er lachte meckernd. „Leider hast du nichts davon, denn du kannst nicht beweisen, daß dir das Lied gehört hat.“ „Es war mein Kreisel.“ „Du kannst ja sogar den Mund aufmachen. Alle Achtung. Dein Kreisel? Moozong behauptet, daß es seiner ist – und er kennt eine Reihe von Anwälten, die ihm das bescheinigen werden. Nein, Freund, du bist erledigt. Dein Schatz ist weg.“ Sie betraten die Kantine, die allerdings nichts mit einem Betriebsspeisungsraum gemein hatte, sondern in die Kategorie der Luxusrestaurants einzuordnen war. Das schien jedoch auf Chapat keinen Eindruck zu machen. Pierre Bodanski wies bei nahezu jedem zweiten Schritt auf eine andere der Filmgrößen hin. „Hier sitzen die Stars der Galaxis zusammen“, behauptete er. „Wer was sein und bleiben will bei Film und Galactic-Vision, der muß sich hier sehen lassen. Einmal in der Woche, würde ich sagen. Aber das ist auch das Minimum.“ „Und heute ist dein Tag?“ Bodanski blieb stehen. Er runzelte die Stirn. „Heute ist mein Tag“, entgegnete er dann lächelnd. „Hoffentlich geht es den Stars der Branche nicht auch so wie dir.“ „Wie meinst du das?“ „Sind sie alle auf der Jagd nach einer Rolle?“ „Komm, wir setzen uns“, sagte Bodanski, der leicht verärgert zu sein schien. Sein Unmut verflog jedoch sogleich wieder, als das Bier vor ihnen stand.
„Sieh dir den Mann da an“, sagte er und tippte Chapat gegen den Arm. Er zeigte auf den Eingang. „Das ist Mearl Perkon – mein Freund. Er hat einmal eine große Rolle neben mir gespielt.“ Ein dunkelhaariger Mann mit aufgedunsenem Gesicht kam in die „Kantine“. Er trug einen purpurroten Mantel, der mit goldenem Zierat versehen war. Seine Beine steckten in Lederstiefeln, die ihm bis an die Oberschenkel reichten. Ihm folgte ein blondes Mädchen, das den Kopf stolz lächelnd zurücklegte. Sie wußte offenbar, daß sich die Blicke aller auf Mearl Perkon richteten – und daß sie damit auch beachtet wurde. „Er ist ein Superstar“, erklärte Bodanski mit bedeutungsvoll gesenkter Stimme. „Er ist überhaupt der Star.“ Mearl Perkon schritt auf ihren Tisch zu. Einige Männer und Frauen verneigten sich vor ihm, als er an ihnen vorbeiging, ohne daß sich sein Gesicht verzog. Er schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Vor Pierre Bodanski jedoch blieb er stehen. Er lächelte. „Pierre, mein Freund“, sagte er mit rauher Stimme. „Nett, dich zu sehen. Mach dir um die Zeche keine Sorgen. Das erledige ich.“ Er winkte Bodanski mit großmütiger Geste zu und ging weiter. Pierre Bodanski räusperte sich, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie aufgewühlt er war. „Na ja“, bemerkte er schließlich. „Das ist eben mein Freund Mearl.“ „Glücklicherweise bezahlt er ja die Zeche“, erwiderte Chapat spöttisch. „Dann können wir uns wohl noch ein Bier leisten – oder?“ Bodanski winkte gelassen ab. „Das darfst du nicht so verstehen, Chapat. Das nächste Mal bezahle ich seine Zeche. So gleicht sich alles wieder aus.“ Chapat blickte zum Tisch des Superstars hinüber. Er war der einzige, der von dem Personal direkt bedient wurde. Alle anderen wurden über die Robotanlage versorgt. Die Mädchen und der Geschäftsführer schoben wahre Berge von galaktischen Delikatessen auf einer Antigravgleite zu Mearl Perkons Tisch. Chapat lächelte. Angesichts dieser Köstlichkeiten, die wahrscheinlich ein kleines Vermögen kosteten, spielten zwei Glas Bier wirklich keine Rolle. Pierre Bodanski beugte sich zu Chapat hinüber. „Also, hör zu, mein Freund, dein Kreisel ist weg. Davon müssen wir ausgehen.“
„Wie kommst du zu der Überzeugung, daß Moozong ihn gestohlen hat?“ „Es kommen nur drei in Frage: Moozong – er wußte von dem Kreisel, er wollte ihn haben, und er hat gemerkt, daß du ein absoluter Neuling bist.“ „Woher weißt du das?“ „Ich habe bereits einiges über dich gehört, bevor ich dich aufgelesen habe. Eine von den Sekretärinnen von Moozong leistet mir zuweilen Intimgesellschaft.“ „Sie macht… was?“ „Ist ja egal. Ich kenne sie gut. Sie hat mir alles über dich erzählt. So einen wie dich nimmt Moozong immer aus. Neben ihm käme eigentlich nur noch Aki Axxy in Frage, obwohl ich ihm eigentlich nicht zutraue, daß er es getan hat. Das ist nicht seine Art.“ „Und der dritte?“ „Die dritte ist die Madria.“ „Was ist das?“ „Die eigentliche Regierung von Kantanong“, erklärte Pierre Bodanski ironisch. „Ich verstehe nicht.“ „Die Madria ist eine Gangsterorganisation. Sie ist die absolute Macht hier. Sie diktiert das Geschehen. Sie entscheidet, wer leben darf und wer sterben muß. Sie bestimmt darüber, wer Geld verdienen kann und wer verhungert. Im Grunde genommen ist nicht anzunehmen, daß Moozong es gewagt hat, dir den Kreisel zu klauen, ohne vorher die Madria zu fragen.“ Die Augen Chapats verengten sich leicht. Pierre Bodanski hob abwehrend die Hände. „Sei kein Narr. Du kannst nichts gegen die Madria tun. Wenn sie den Kreisel hat, dann ist es besser, ihn zu vergessen. Du mußt versuchen, auf andere Weise Geld zu verdienen.“ „Und wie?“ „Aki Axxy hat gesagt, du sollst zu ihm ins Büro kommen. Das ist eine Chance. Du mußt sie nutzen. Alles andere wäre sinnlos.“ „Ich werde den Kreisel wiederholen.“ „Chapat, sei vernünftig. Gegen die Madria hat die Polizei den Kampf längst aufgegeben. Sie hat sich arrangiert. Wenn du der Madria unbequem wirst, bringt sie dich um. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten, auf Kantanong zu leben – entweder tut man das, was die Madria will, oder man wird Mitglied der Madria. Das aber können nur Männer von Kalimer werden. Bist du Kalimerer?“ „Nein.“ „Dann bleibt dir nur die andere Möglichkeit.“ Er legte Chapat die Hand auf den Arm. Zwei Männer betraten die „Kantine“. Sie gingen auf einen Tisch in der Ecke zu, an dem ein einzelner Mann saß. Er sprang auf, als er die Männer sah, und sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. Er wich bis in den äußersten Winkel der „Kantine“ zurück. Einer der beiden Männer zückte ein Messer und stieß es ihm mehrmals in die Brust, bis er tot zusammenbrach. Danach gingen die beiden Killer zu einem Tisch, setzten sich, bestellten sich ein Bier und tranken es aus. Chapat zitterte vor Erregung. Er schnellte sich hoch und wollte auf die beiden Männer zugehen. Doch Pierre Bodanski sprang ihn von hinten an und brachte ihn zu Fall. Er hielt ihn mit aller Kraft fest. Chapat wehrte sich wütend, aber er kam nicht frei. Die beiden Mörder erhoben sich gelangweilt und gingen hinaus, ohne daß sie jemand daran gehindert hätte. Bodanski ließ Chapat los und kehrte an seinen Tisch zurück. „Ich ahnte ja nicht, daß du so bald sterben möchtest“, sagte er und trank sein Bier aus. Chapat setzte sich bleich zu ihm. „Das hättest du nicht tun dürfen, Pierre.“ „Nicht? Wenn ich es nicht getan hätte, dann wärest du jetzt schon so tot wie der Mann dort in der Ecke – und niemand würde sich um dich kümmern. Man kämpft nicht gegen die Madria. Man lebt mit ihr. Wem das nicht paßt, der muß das nächste Raumschiff nehmen und verschwinden.“ Chapat blickte zu dem Superstar Mearl Perkon hinüber. Dieser plauderte lächelnd mit seiner Freundin und verzehrte genüßlich einige Delikatessen. Er schien überhaupt nicht bemerkt zu haben, was vorgefallen war. „Jeder, der hier Geld hat, verdankt es der Madria“, erklärte Bodanski. „Hast du das endlich begriffen?“ „Ich fürchte – ja“, entgegnete Chapat niedergeschlagen. *
„Hier herrscht Aki Axxy“, sagte Pierre Bodanski. „Hier werden Karrieren erdacht, begründet und aufgebaut. Niemand in der Showwelt hat mehr Macht als Aki Axxy.“ „Ausgenommen die Madria“, wandte Chapat ein. Sie schwebten mit einem Gleiter auf einen Parkplatz zu, der sich vor der T-förmigen Anlage von Gebäuden, Hallen und Parks befand. „Du hast es endlich erfaßt“, erwiderte Bodanski. Der Arkonide lehnte sich in seinem Sitz zurück. „Ich bin gespannt, was Aki Axxy von mir will“, sagte er. Der Gleiter setzte vor einer frei schwebenden Wandelhalle auf. Chapat stieg aus und näherte sich ihr. Er war überrascht von dem Anblick, der sich ihm bot. Ein langer, mit edlen Steinen ausgelegter Weg führte zu einem Kuppelgebäude. Zu beiden Seiten standen Roboter, alle jeweils zwei Meter voneinander entfernt. Chapat drehte sich zu Bodanski um. „Das sind mindestens hundert Roboter“, sagte er. „Einhundertzwanzig sind es genau“, entgegnete der Schauspieler. „Aki Axxy sammelt Roboter. Man sagt, daß er mehr Roboter habe als jeder andere auf Kantanong, vielleicht sogar mehr als jeder andere Privatmann in der Galaxis. Er hat die ersten primitiven Automaten, die auf der Erde hergestellt wurden, und er besitzt die teuersten und raffiniertesten Maschinen, die bereits als SemiAndroiden eingestuft werden. Willst du etwas von ihnen wissen? Frage sie.“ Sie schritten an der Reihe der Roboter entlang, die bewegungslos an ihren Plätzen standen. Nur an wenigen Exemplaren wiesen kleine Anzeichen darauf hin, daß sie voll aktiviert waren. Fast alle Automaten hatten eine Androide Gestalt. „Kannst du mir einen Rat geben?“ fragte Chapat einen Roboter neuerer Bauart. „Ja, Herr, ich möchte Ihnen empfehlen, sich zu beeilen. Mr. Axxy wartet nicht. Er hat noch nie auf jemanden gewartet.“ Pierre Bodanski lachte. Er legte seine Hand auf die Schulter des Arkoniden und gab ihm einen sanften Stoß, um ihn dazu zu bewegen, weiterzugehen. Schon nach wenigen Schritten blieb Chapat erneut vor einem Roboter stehen. Der Automat war mit
funkelndem Ynkelonium verkleidet, das allein für sich schon ein Vermögen gekostet haben mußte. „Man hat mir einen unersetzlichen Gegenstand gestohlen“, erklärte er. „Ich vermute, daß der Dieb der Präsident der Galactic-MusicCorporation ist. Was kann ich tun? Ich muß diesen Gegenstand unbedingt zurückhaben.“ Der Roboter drehte den Kopf und blickte den Arkoniden mit kalten Linsen an. „Kaufen Sie die GMC und entlassen Sie den Präsidenten.“ – Pierre Bodanski lachte schallend. „Diesen Tip hätte ich dir auch geben können, Chapat. Oder solltest du zufällig nicht bei Kasse sein?“ „Ich gestehe, daß ich etwas knapp bin“, entgegnete der Arkonide mit einem unmerklichen Lächeln. „Wieviel hast du?“ „Nichts.“ „Das dürfte etwas zu wenig sein. Die GMC hat ein Eigenkapital von immerhin rund neun Millionen Solar. Wer sie kaufen wollte, den müßte schon…“ „Komm, wir wollen uns beeilen“, unterbrach Chapat den Schauspieler. Ein blondes Mädchen erwartete sie in einer prunkvoll eingerichteten Halle. „Mr. Axxy wird Sie in zwei Minuten empfangen, Mr. Chapat“, sagte sie. „Wollen Sie, bitte, eintreten.“ Der Arkonide gab Bodanski einen befehlenden Wink. Doch der Schauspieler schüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht mit.“ „Doch. Ich brauche dich. Du bist mein Berater. Du verstehst etwas von diesen Dingen. Ich nicht.“ Widerstrebend folgte Bodanski dem Arkoniden in ein geräumiges Büro. Sie setzten sich in gepolsterte Schalen, die auf blau schimmernden Antigravfeldern ruhten. Unmittelbar darauf trat Aki Axxy ein. Er übersah Pierre Bodanski, wies ihn jedoch nicht aus dem Raum. Chapat begrüßte er mit Handschlag. „Ich habe schon alles vorbereitet“, erklärte der Agent und nahm eine beschriftete Folie aus seinem Schreibtisch. „Sie brauchen nur noch zu unterzeichnen.“
„Wollen Sie mir nicht zunächst erst einmal sagen, was Sie überhaupt vorhaben?“ Aki Axxy blickte den Arkoniden überrascht an. Er fuhr sich durch die flachsblonden Haare und blies die Wangen auf. „Das wissen Sie nicht?“ „Nein.“ „Ich will eine großartige Filmserie mit Ihnen als Star machen. Dabei werden Sie Millionen verdienen.“ „Sie wollen selbst produzieren?“ fragte Pierre Bodanski erstaunt. „Habe ich mich so undeutlich ausgedrückt, daß das nicht klar wurde?“ „Also – dann, Mr. Axxy, können wir ins Geschäft kommen. Mein Mandant wird jedoch nur unterschreiben, wenn für mich dabei auch eine Rolle abfällt. Eine große Rolle.“ Der Agent verzog den Mund. „Oder eine mittlere. Sagen wir eine mittlere Rolle. Ich muß mich ja auch noch um meinen Mandanten kümmern.“ Bodanski beobachtete den Agenten. „Aber wenigstens eine kleine, Mr. Axxy. Chapat, du wirst doch nicht unterschreiben – oder?“ „Eine interessante Rolle für Mr. Bodanski, oder wir werden uns nicht einig“, erklärte Chapat lächelnd. Aki Axxy gab zähneknirschend nach. Er holte einen zweiten Vertrag aus der Schublade hervor und reichte ihn Pierre Bodanski, der vor Freude strahlte. „Ich will Genaueres wissen, Mr. Axxy, bevor ich zusage“, bemerkte Chapat. „Was ist das für eine Rolle?“ „Liegt das nicht auf der Hand, Mr. Chapat? Sie sehen Lordadmiral Atlan verblüffend ähnlich. Wir werden eine Filmserie über den Arkoniden machen, und Sie werden die Hauptrolle spielen.“ „Mann“, sagte Pierre Bodanski. Er ließ sich in seinen Sessel sinken. „Chapat, das ist die Chance deines Lebens. So etwas läßt man sich nicht entgehen.“ „Ich bin einverstanden, Mr. Axxy. Bliebe nur noch die Frage der Gage zu klären.“ „Wir werden uns schnell einig werden.“ „Ich fürchte, Sie sind zu optimistisch.“
„Bedenken Sie, was für eine Chance ich Ihnen biete. Sie sind kein Schauspieler. Alles ist neu für Sie. Da muß man bescheiden bleiben.“ „Mr. Axxy – ich sehe wie Atlan aus, und das kostet Geld.“ Der Agent begann zu schwitzen. Er wußte, daß er auf die Forderungen Chapats eingehen mußte. Die Verhandlung zog sich noch eine volle Stunde hin. Dann endlich unterschrieb der Arkonide. Aki Axxy überreichte ihm einen Scheck und teilte ihm mit, daß für ihn und Bodanski ein Zimmer in einem der besten Hotels von Kantanong reserviert worden war. Als Chapat und Bodanski in einem Gleiter zu dem bezeichneten Hotel flogen, begann der Terraner schallend zu lachen. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben. Jetzt kannst du den Kreisel vergessen, Chapat.“ „Das werde ich niemals tun, Pierre. Er ist mir mehr wert als alles Geld, das Axxy mir je zahlen kann.“
3. „Standesgemäß“, sagte Pierre Bodanski, als sie das Hotel sahen, in dem Aki Axxy ihnen Zimmer besorgt hatte. Er landete auf dem Dach. Als er aussteigen wollte, hielt Chapat seinen Arm fest. „Pierre, ich habe noch eine Frage.“ „Ich höre.“ „Wer ist Atlan?“ Pierre Bodanski blickte den Arkoniden so fassungslos an, als habe er ihn gefragt, was der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Haluter sei. „Was ist los, Pierre? Ist dieser Atlan so berühmt, daß ich ihn kennen müßte?“ „Ich glaube, ich werde Mutter!“ sagte Bodanski stöhnend. „Da handelt dieser Mensch auf raffinierteste Weise einen Filmvertrag aus, übernimmt eine Millionenrolle und weiß dann noch nicht einmal, um was es eigentlich geht. Mann, jetzt brauche ich einen Whisky.“ Er stieg aus und ging mit weiten Schritten auf den Eingang des Hotels zu. Chapat folgte ihm langsam. Er war verwirrt und wußte offensichtlich nicht, was er von Bodanskis Antwort halten sollte. Ein
rothaariges, vollbusiges Mädchen wartete auf sie. Sie begrüßte Chapat mit glänzenden Augen. Ihr war anzusehen, daß sie bereits darüber informiert war, daß Aki Axxy einen neuen Star aufbauen wollte. „Trinkst du auch einen Whisky?“ fragte der Terraner. „Wenn es dich beruhigt, gern.“ Das Mädchen führte sie zu einer Liftröhre und flüsterte das Wort „Bar“ in ein Gittermikrophon. Eine schimmernde Platte kam ihnen entgegen. Die beiden Männer stellten sich darauf und ließen sich nach unten tragen. Die Bar erwies sich als eine Hohlkugel, die einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern hatte. Sie war nur mäßig mit Gästen gefüllt. Die mit Flaschen bedeckte Theke teilte den Raum in zwei Hälften, denn sie bildete eine Art Meridian. Die moderne Antigravtechnik ermöglichte die verblüffenden Effekte. So herrschte an jeder Stelle der Hohlkugel die gleiche Schwerkraft. Für die Gäste entstand der Eindruck, daß gerade dort, wo man sich befand, „unten“ war, während sich alle anderen Punkte höher zu befinden schienen. Chapat und Pierre Bodanski nahmen an einem der Tische Platz. Der Arkonide blickte nach oben. Genau über ihnen saßen zwei dunkelhäutige Männer und ein Mädchen. „Man wundert sich, daß sie nicht herunterfallen, nicht wahr?“ fragte der Terraner. „Das ist Galaxia Temona“, sagte der Arkonide. „Das Mädchen, das Ischtars Lied singen sollte.“ „Ischtar? Wer ist das?“ Chapat antwortete nicht. Vier maskierte Männer betraten die Bar. Sie hielten Schußwaffen in den Händen. Eine Frau schrie auf. Drei der Männer rannten auf den Tisch zu, an dem Galaxia saß. Es sah aus, als ob sie die Wand hochliefen. Einer von ihnen packte den Arm des Mädchens und riß sie aus ihrem Sessel hoch. Die anderen beiden richteten die Waffen auf die beiden Begleiter Galaxias. Das Mädchen trug flammend rote Shorts und eine hautenge Bluse. Sie schrie um Hilfe und schlug mit Armen und Beinen um sich, konnte aber gegen den Gangster nichts ausrichten. Empört sprang Chapat auf. Er eilte auf den Ausgang zu, um den Entführern den Weg abzuschneiden, doch wiederum griff Pierre
Bodanski ein. Er umschlang ihn mit beiden Armen an den Hüften und brachte ihn zu Fall. Der Arkonide schien dieses Mal jedoch entschlossen zu sein, ein Verbrechen zu verhindern. Er wälzte sich herum und schlug Bodanski die Faust unter das Kinn. Der Terraner, der sich halb aufgerichtet hatte, stürzte betäubt zu Boden. Doch nicht nur Chapat reagierte auf die Hilferufe des Mädchens, auch ein anderer Gast handelte. Er warf sich auf den Mann an der Tür und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Geschickt drängte er den Banditen zur Seite, griff nach dem Energiestrahler und richtete ihn auf die beiden anderen Männer, die mit Galaxia Temona bis an den Ausgang herangekommen waren. In diesem Moment feuerte einer der beiden Gangster. Der Schuß durchschlug den Kopf des Mannes, der dem Mädchen hatte helfen wollen. Tot brach er zusammen. Pierre Bodanski hielt einen Fuß Chapats fest, doch der Arkonide lief nicht weiter. Er blieb wie gelähmt stehen. Erst als die Entführer mit dem Mädchen verschwunden waren, wollte er weiterlaufen. Der Terraner ließ es nicht zu. „Sie knallen dich genauso ab wie den armen Kerl dort“, rief er. Chapat ließ die Schultern sinken. Er drehte sich um und blickte zu Bodanski herab. „Du kannst mich loslassen, Pierre.“ Er half dem Freund auf und setzte sich wieder auf seinen Platz. Er trank den Whisky aus, den ihm eine Servoautomatik auf den Tisch gestellt hatte. „Du bist noch nie auf Kantanong gewesen, nicht wahr, Chapat? Warum bist du so versessen darauf, dich selbst umzubringen? Du solltest doch begriffen haben, daß es Selbstmord ist, sich Verbrechern entgegenzustellen.“ Der Arkonide antwortete nicht. Er blickte nachdenklich in sein Glas. „Zuerst dachte ich, daß es einfach nur ein Werbegag war. Ich glaubte, Galaxia wollte sich interessant machen. Aber die Tatsache, daß es einen Toten gegeben hat, spricht dagegen, daß sie alles selbst veranlaßt hat.“ „Ich werde ihr helfen“, erklärte Chapat energisch. „Kannst du mir eine Waffe besorgen?“ Bodanski schüttelte den Kopf. „Ich könnte, aber ich will nicht.“
Gleichgültig blickte er zu der Gruppe hinüber, die sich um den Erschossenen gebildet hatte. Zwei Polizisten ließen sich von den Zeugen berichten, was geschehen war. „Dann werde ich es ohne Waffe tun, Pierre.“ „Ich werde es zu verhindern wissen.“ „Meinst du nicht, daß meine Chancen größer sind, wenn ich notfalls zurückschießen kann?“ „Ich werde dir keine Waffe besorgen, Chapat. Finde dich damit ab.“ „Schade, Pierre. Ich hatte mich schon auf die Zusammenarbeit mit dir vor der Kamera gefreut.“ „Wieso? Ich verstehe nicht.“ Chapat lächelte unmerklich. Er blickte Bodanski in die Augen. Der Terraner kaute wütend auf den Lippen. Er kämpfte mit sich. „Ich meine es doch nur gut, Chapat. Es ist Sache der Polizei, Galaxia zu finden und zu befreien.“ „Wann habe ich die Waffe?“ „Zum Teufel, Chapat, ich sagte doch… Also gut. In einer Stunde.“ Er trank seinen Whisky aus und ging mißmutig davon. * Chapat blieb noch einige Minuten auf seinem Platz sitzen. Er beobachtete die Polizisten und stellte dabei fest, daß sie ihre Untersuchungen desinteressiert durchführten. Schließlich stand er auf und begab sich zu ihnen. Der Tote lag noch immer auf dem Boden. Seine Hand war nur einige Zentimeter von der Strahlwaffe entfernt, die der Gangster verloren hatte. Chapat fiel auf, daß der ehemalige Besitzer des Blasters mit einem spitzen Gegenstand etwas in den Kolben geritzt hatte. Er bückte sich und betrachtete den Griff, ohne von den Beamten daran gehindert zu werden. Die primitive Zeichnung sollte eine Schlange darstellen. Chapat richtete sich auf. Ein zierlich gebauter Roboter trat ein. Er schob einen Metallsarg vor sich her, der auf einem Antigravfeld schwebte. Die Polizisten befahlen ihm, die Leiche zu entfernen. Einer von ihnen nahm den Strahler auf und steckte ihn weg. Chapat verließ die Bar und ließ sich von einer schimmernden Plattform nach oben tragen. Überrascht stellte er fest, daß Aki Axxy
ihm eine Luxussuite besorgt hatte, die allen nur erdenklichen Komfort bot und außerordentlich geschmackvoll eingerichtet war. Für ihn war beruhigend, daß er sie nicht zu bezahlen brauchte. Er schaltete die Trivideoanlage ein, und eine Wand des Salons verwandelte sich in eine Projektionsfläche. Das Bild einer Urwaldlandschaft entstand, wie es überzeugender in seiner Raumwirkung nicht hätte sein können. Die Täuschung war perfekt. Chapat ließ sich jedoch nicht verblüffen. Geradezu gleichgültig schaltete er auf einen anderen Sender um. Er hatte Auswahlmöglichkeiten unter neunzehn Programmen, fand aber nicht eines, das ihn interessierte. Er wollte Informationen über Kantanong haben, aber gerade darüber berichtete kein Sender. Er ließ sich über Videophon mit Aki Axxy verbinden. Der Agent meldete sich sofort. „Es läuft alles nach Wunsch“, sagte er begeistert. „Wir können schon morgen mit den Dreharbeiten beginnen.“ „So schnell?“ „Ein Team von zwanzig, Autoren arbeitet an den Drehbüchern. Sie werden überrascht sein, welch phantastisch gute Stories dabei herauskommen.“ „Eine Frage, Mr. Axxy. Haben Sie dieses Symbol schon einmal gesehen?“ Chapat nahm einen Zettel und zeichnete die Schlange auf, so wie der unbekannte Gangster sie in den Griff seiner Waffe geritzt hatte. Aki Axxy schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist mir völlig unbekannt.“ Chapat sah ihm an, daß er log. „Danke“, sagte er. „Ich lasse Sie morgen früh abholen.“ Der Arkonide schaltete ab. Wenig später betrat Pierre Bodanski den Raum. Wortlos hielt er Chapat eine flache Waffe hin. „Was ist das?“ „Ein Schocknadler. Eine andere konnte ich nicht bekommen. Das Ding verschießt kleine Nadeln, die mit einem Gift gefüllt sind. Es verursacht einen Schock, den das Opfer erst nach einigen Tagen überwindet. Nur in seltenen Fällen wirkt es tödlich – bei einem Kreislaufkranken beispielsweise.“ „Danke, Pierre. Ich wußte doch, daß du mein Freund bist.“ Er nahm das Blatt Papier auf und zeigte dem Terraner die Zeichnung.
„Was ist das?“ „Das Symbol der Madria.“ Bodanski blickte Chapat erschrocken an. Er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er ärgerte sich darüber, daß er so schnell und unüberlegt geantwortet hatte. „Wo hast du es gesehen?“ „Auf der Waffe.“ Bodanski setzte sich ächzend in einen Sessel. Er war bleich geworden. „Hoffentlich begreifst du jetzt, daß du nichts für Galaxia tun kannst. Man kämpft nicht gegen die Madria.“ „Ich möchte mir die Stadt ansehen, Pierre. Zeigst du sie mir?“ Der Terraner blickte ihn forschend an. Er nickte zögernd. * Pierre Bodanski gab sich alle Mühe, den Arkoniden von seinen Gedanken an Galaxia Temona abzubringen. Er flog mit dem Gleiter, den sie gemietet hatten, zu den interessantesten Plätzen von Kantanong. Außerhalb der Stadt lagen die Luxusvillen der Reichen von Kantanong. Die meisten von ihnen waren in kitschigem Stil errichtet worden. Viele Bauherren hatten Elemente aus verschiedenen architektonischen Epochen übernommen und bunt durcheinandergewürfelt. So waren Luxussiedlungen entstanden, wie es sie wohl nur auf einer solchen Show-Welt geben konnte, wo jeder sich so benahm, um andere am meisten zu beeindrucken. Chapat wurde immer stiller. Um so redseliger wurde Bodanski, der scheinbar alles richtig fand, was auf Kantanong geschah. Mehrere Male sagte er begeistert, daß er davon träume, auch so eine Villa in einer Bucht am Meer zu haben. Und dann zeigte er dem Arkoniden, wie er sich sein Haus vorstellte. Es waren gerade jene, die Chapat überhaupt nicht gefielen. „Wir fliegen ins Hotel zurück“, erklärte Chapat. „Wir könnten einen Ausflug ins Landesinnere machen“, schlug der Terraner vor. „Ich kenne einige Plätzchen, die man gesehen haben sollte, wenn man schon auf Kantanong ist.“ Chapat antwortete nicht. Er beugte sich ruckartig vor und blickte nach unten. Der Gleiter flog über eine Villa hinweg, die direkt am Meer lag. Der Arkonide sah ein Mädchen in rotem Pulli und roten
Hosen, das über eine Terrasse floh. Ein Mann lief hinter ihr her, packte sie an den Haaren und schleifte sie ins Haus zurück. „Das ist Galaxia“, sagte Chapat erregt. „Pierre, wir haben sie gefunden.“ „Wir haben sie doch gar nicht gesucht.“ „Du vielleicht nicht, aber ich.“ Bodanski beschleunigte voll, doch Chapat beugte sich zu ihm hinüber und stoppte die Maschine. „Umdrehen“, befahl er. „Nein. Ich lasse mich nicht mit der Madria ein.“ Chapat zog die Pistole und richtete sie auf den Kopf des Terraners. „Wenn ich dir einen Pfeil in den Kopf schieße, ist es aus mit der großen Rolle, Pierre. Aki Axxy kennt keine Gnade, wenn du für einige Wochen aus gesundheitlichen Gründen ausfallen solltest.“ „Wir könnten zu einer Polizeistation fliegen.“ „Einverstanden. Das ist wenigstens etwas.“ Er blickte sich um und prägte sich die Villa ein, in der er Galaxia wußte. Dann lehnte er sich in seinem Sitz zurück und überließ es Bodanski, die Ordnungshüter zu suchen. Der Terraner überflog die halbe Stadt, tat, als ob er nicht genau wisse, wohin er sich zu wenden habe, und landete schließlich vor einem kuppelartigen Gebäude, das auf seiner Oberseite einen großen Polizeistern trug. Derartige Stationen hatte Chapat schon mehrfach gesehen. Ihm war klar, daß Bodanski versucht hatte, ihn vor einer Gefahr zu bewahren, und daß er glaubte, ihn nun ausreichend verwirrt zu haben. Er mochte annehmen, daß es ihm nicht gelingen werde, das Haus wiederzufinden. Chapat aber war sich dessen ganz sicher, daß er es konnte. Sie betraten die Station. Ein einzelner Beamter empfing sie in einem kleinen Raum, in dem einige Stühle und ein Tisch standen. An den Wänden klebten die Fotos der großen Stars aus der Show-Welt. „Ich weiß, wo die entführte Galaxia Temona ist“, erklärte Chapat. „Ich kann Sie zu dem Haus führen.“ „Es genügt, wenn Sie es mir beschreiben. Wir werden uns dann darum kümmern.“ „Sie ist von der Madria entführt worden“, bemerkte Bodanski. Der Beamte blickte ihn fragend an. Er gab sich ahnungslos. „Von der Madria? Was ist das?“
„Das wissen Sie sehr wohl“, schrie der Terraner zornig. Er griff nach dem Arm des Arkoniden. „Komm, Chapat. Sie werden nichts tun. Irgend jemand wird ein Lösegeld für das Mädchen bezahlen, und damit ist die Sache in Ordnung.“ Der Polizist ging nicht auf diese Behauptung ein. Gleichmütig wartete er ab, ob Bodanski oder Chapat noch etwas sagen wollten. Aber auch der Arkonide hatte gemerkt, was gespielt wurde. Er erkannte, daß die Polizei tatsächlich nichts unternehmen würde. Schweigend verließ er die Kuppel. Seine roten Augen funkelten erregt. „Mich widert das an“, sagte er, als sie wieder im Gleiter saßen. Dieses Mal hatte er das Steuer übernommen, bevor Bodanski es tun konnte. „Fliegen wir zum Hotel zurück?“ fragte Bodanski hoffnungsvoll. „Nein – zu Galaxia. Sie ist wegen Ischtars Lied entführt worden.“ Der Terraner erbleichte. Schweiß stieg ihm auf die Stirn. „Das kann nicht dein Ernst sein.“ Chapat beschleunigte. Der Gleiter raste an der Küste entlang. „Du kannst nicht von mir erwarten, daß ich mich mit der Madria einlasse.“ „Der Polizist gab uns zu verstehen, daß es gar keine Madria gibt. Hast du das vergessen?“ „Weil er Angst hat. Er will nicht sterben. Und ich auch nicht. Lande und laß mich heraus.“ „Das geht nicht. Ich brauche dich. Du wirst im Gleiter bleiben und sofort mit mir starten, wenn ich Galaxia befreit habe.“ Pierre Bodanski stöhnte verzweifelt auf. Er redete mit Engelszungen auf den Arkoniden ein, erzielte jedoch keinerlei Erfolg damit. Chapat erwies sich als unbeugsam. Die Behauptung Bodanskis, Galaxia zu befreien, komme einem Selbstmord gleich, ließ ihn kalt. Schließlich landete er zweihundert Meter von der Villa entfernt, in der er das Mädchen wußte. „Du kannst aussteigen, wenn du willst.“ „Verdammt, ich bin kein Feigling, Chapat, aber auch kein Selbstmörder.“ Bodanski öffnete die Tür und kletterte aus der Maschine. Er sah niedergeschlagen aus. Mit hängenden Schultern stand er auf den Felsen und blickte auf die Wellen hinab. Der
Arkonide schloß die Tür und startete wieder. Er flog bis zu seinem Ziel und setzte den Gleiter auf der Terrasse auf. Schnell näherte er sich einer offenen Tür, als ihm ein untersetzter Mann entgegenkam. Chapat erkannte in ihm sofort einen jener Männer wieder, die Galaxia entführt hatten. Er hob seine Pistole. Der andere weitete überrascht die Augen. Seine Hand glitt unter die Jacke. Sie kam mit einem Energiestrahler wieder darunter hervor. Bevor der Gangster sie jedoch auf Chapat richten konnte, schoß dieser. Zischend fuhr die Nadel dem Verbrecher in die Wange. Er brach auf der Stelle zusammen. Stöhnend wälzte er sich auf dem Boden. Der Arkonide nahm den Energiestrahler auf und steckte ihn in den Gürtel. Lautlos betrat er das Haus. In diesem Moment schrie der Mann auf der Terrasse gellend auf. Für einige Sekunden blieb alles ruhig. Dann näherten sich schnelle Schritte. Gelassen zielte Chapat auf eine Tür. Als zwei bewaffnete Madrianer darin auftauchten, schoß er zweimal. Beide Male mit vollem Erfolg. Er sammelte die beiden Strahler auf und nahm sie mit, um sie in einen Nebenraum zu werfen, in dem sich niemand aufhielt. „Galaxia?“ rief er. Niemand antwortete. Chapat hob den Kopf und sog die Luft durch die Nase ein. Er roch das Parfüm, das Galaxia im Büro von Kayro Moozong getragen hatte. Und ihm wehte der Duft eines wilden Tieres entgegen. Er vernahm das Geräusch,; das Krallen verursachen, wenn sie über einen weichen Boden schleifen. Seine außerordentlich verfeinerten Sinne spürten die Nähe eines gefährlichen Gegners. Er ging langsam weiter, wobei er die Füße vorsichtig über den Boden schob, um so wenig Lärm wie möglich zu machen. Er zog den erbeuteten Energiestrahler aus dem Gürtel, entsicherte ihn und richtete ihn schußbereit nach vorn. Plötzlich flog eine Tür vor ihm auf, und ein gelbrot geflecktes Raubtier sprang auf ihn zu. Es verfügte über sechs muskulöse Beine und hatte fingerlange Reißzähne. Auf dem Kopf befanden sich zwei Dornen, an deren Spitzen ovale Verdickungen saßen. Aus ihnen spritzte Chapat eine ätzende Flüssigkeit entgegen.
Er warf sich zurück und schoß. Der sonnenhelle Energiestrahl raste durch die Bestie hindurch und schleuderte sie zurück. Chapat rollte sich über die Schultern ab und riß sich die Jacke vom Leib, die unter der Einwirkung der Säure Blasen warf und sich danach auflöste. Keuchend wich er zurück. Mit einem derart heimtückischen Angriff hatte er nicht gerechnet. Dafür hätte der Nadler auf gar keinen Fall ausgereicht. Das Tier war tot. Chapat wartete einige Sekunden, bis er ganz sicher war, daß die Raubkatze ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Dann ging er vorsichtig an ihr vorbei, wobei er den Strahler ständig auf sie richtete, um notfalls sofort schießen zu können. Ein Schatten schnellte sich auf den Gang hinaus. Der Arkonide löste den Nadler aus und ließ sich fallen. Ein gleißend heller Energiestrahl fauchte über ihn hinweg. Er schoß erneut und traf seinen Gegner ins Gesicht. Der Gangster brach mit einem Aufschrei zusammen. Chapat bückte sich und nahm ihm den Blaster weg. „Hallo?“ rief Galaxia ängstlich. „Kommen Sie heraus, Galaxia“, sagte er erleichtert. Zögernd trat das Mädchen hinter einer Tür hervor. Sie blickte erschauernd auf das tote Tier und den Entführer, der laut wimmerte. „Haben Sie sie… alle?“ fragte sie stockend. „Ich weiß nicht“, entgegnete der Arkonide. „Sehen Sie sich um. Sie wissen besser, wieviele es waren.“ Galaxia Temona schlüpfte an ihm vorbei und eilte auf die Terrasse hinaus. Er folgte ihr langsam, wobei er sorgfältig auf die Geräusche im Haus achtete, um nicht doch noch überrascht zu werden. So erreichte er die Terrasse später als sie. Galaxia Temona blickte ihn zornig an. „Was ist das?“ fragte sie heftig. „Keine Reporter? Noch nicht einmal eine Robotkamera? Wieso nicht? Was fällt Ihnen ein, darauf zu verzichten?“ „Wie bitte?“ Sie breitete die Arme aus. „Nichts ist los“, schrie sie. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Wie können Sie auf einen derartigen Gag verzichten? Glauben Sie vielleicht, ich werde morgen noch einmal entführt? So etwas passiert nicht alle Tage. Warum ist das Fernsehen nicht hier?“
Chapat schluckte. Ihm verschlug es die Sprache. Die Tür des Gleiters öffnete sich. Pierre Bodanski blickte heraus. „Was ist? Wollt ihr Wurzeln schlagen?“ fragte er. Chapat packte die Sängerin und stieß sie in die Kabine. Er setzte sich neben den Terraner, der sofort startete und auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigte. „Dieser Mann hat sein Leben riskiert, um Sie herauszuholen. Daran sollten Sie denken und ihm wenigstens danken.“ „Was interessiert mich sein Leben?“ entgegnete das Mädchen hochfahrend. „Er hat mir einen erstklassigen Werbegag vermasselt. Dafür sollte man ihm den Schädel einschlagen.“ „Lande, irgendwo, Pierre. Möglichst schnell.“ „Mußt du dich übergeben?“ „Ich bin dicht davor.“ Der Terraner setzte den Gleiter zwischen zwei Villen am Strand auf. Chapat öffnete die Tür. „Verschwinden Sie, Galaxia“, befahl er. Er nahm ihren Arm und warf sie aus dem Gleiter. Sie stürzte ins Gras. Chapat schlug die Tür zu, und Bodanski startete, so daß Galaxia Temona nicht mehr einsteigen konnte. „Und nun?“ fragte der Terraner. „Das weiß ich auch nicht.“ „Vergessen wir das. Tun wir, als ob nichts vorgefallen sei.“ „Etwas anderes wird uns wohl auch nicht übrigbleiben.“ Er verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. „Ich glaube, meine Filmkarriere wird mir keinen Spaß machen. Erzähle mir etwas über Atlan. Was ist das für ein Bursche?“ „Er ist neben Perry Rhodan, dem Großadministrator des Solaren Imperiums, der wohl mächtigste Mann der Galaxis. Er ist der Unsterbliche.“ Bodanski blickte den Arkoniden an. „Hebt das deinen Respekt vor diesem Burschen etwas?“
3. Am nächsten Tag begannen die ersten Aufnahmen, die ganz anders verliefen, als Chapat es erwartet hatte. Gelassen ließ er alles über
sich ergehen. Im Grunde genommen interessierten ihn die Filmarbeiten nur am Rande. Ihn beschäftigte die Frage, wie er das unersetzliche Ischtar-Memory wiederbekommen konnte, weitaus mehr. Darüber hinaus bot sich ihm die Möglichkeit, relativ schnell viel Geld zu verdienen. Und damit konnte sich das gleiche Ergebnis erzielen lassen, das er auch mit dem Verkauf von Ischtars Lied angestrebt hatte. Aki Axxy arbeitete mit modernster Technik. So war der Arkonide mehrere Stunden lang völlig allein im Studio und dennoch in Aktion. Der Agent, der in einer Kabine hoch über Chapat saß, erläuterte ihm, was er zu tun hatte. Meistens brauchte er sich nur ein wenig zu bewegen, sich zu bücken, hochzuspringen, die Waffe zu ziehen, an einen Tisch zu setzen, um eine Konferenz zu leiten, an der außer ihm niemand sonst teilnahm. In einer Pause zeigte Aki Axxy ihm die Ergebnisse. Chapat war verblüfft, denn nun sah er einen abenteuerlichen, spannungsreichen Film, in dem er mit zahllosen humanoiden und nichthumanoiden Lebewesen zusammen agierte. Er selbst war ständig nur in bereits bestehende Trivideostreifen eingeblendet worden, wobei derart perfekt gemachte Szenen entstanden waren, daß er die Täuschung selbst kaum noch erkennen konnte. „Das sind nur kleine Ausschnitte“, erläuterte Aki Axxy. „Selbstverständlich kommen wir um einige Außenaufnahmen nicht ganz herum, aber das hat Zeit.“ Am Nachmittag setzten sie die Arbeiten fort, wobei Chapat vor einem wandhohen Trivideowürfel stand, in dem die weiteren wichtigen Szenen abrollten. Er kämpfte mit einigen Gegnern aus diesen Streifen, ohne sie je berühren zu müssen. Die überzeugend dreidimensionale Darstellung erweckte den Eindruck, als befinde er sich mal vor und mal hinter seinem Kontrahenten, obwohl er sich niemals mehr als einige Zentimeter von der Stelle bewegte. Fliegende Robotkameras nahmen die Abschnitte aus den verschiedenen Richtungen auf. Aki Axxy saß mit seinem Regisseur vor einer Monitorwand und zeichnete die Bilder auf. Alle anderen Arbeiten wurden von robotischen Einrichtungen erledigt, die von einer positronischen Zentrale gesteuert wurden, die wiederum von Aki Axxy beaufsichtigt wurde. So gab es weder Beleuchter, noch Kabelschlepper, weder
Skript-Girls, noch Toningenieure, Kameramänner, Kameraassistenten, Dramaturgen oder Feuerwehrleute. Selbst die Maske wurde von der Positronik hergestellt und aufgezeichnet. Dadurch fielen auch die Fotografen weg, die jedesmal nach einem Arbeitsabschnitt Bilder von den Akteuren herstellen mußten, damit zu Beginn der nächsten Aufnahmeperiode die Masken noch stimmten. Pierre Bodanski saß gelangweilt dabei und sah zu. Er bekam an diesem Tag nur ein einziges Mal Gelegenheit, vor die Kameras zu treten. Das aber genügte ihm vollkommen, wie er Chapat versicherte. Bei Aki Axxy dagegen protestierte er temperamentvoll und forderte einen intensiveren Einsatz. „Verstehst du nun, weshalb die Schauspieler es so schwer haben?“ fragte er, als sie am Abend im Salon der Suite zusammensaßen, die der Arkonide bewohnte. „Man braucht heute einfach keine Schauspieler mehr. Man würde mit einer Handvoll auskommen.“ „Gibt es denn so viele?“ „Hunderttausende. Auf allen zivilisierten Welten der Galaxis wird den jungen Menschen vorgegaukelt, daß der Schauspieler einen Traumberuf hat. Er verdient Millionen – so behauptet man überall. Und dann bringt die Presse Berichte von den rauschenden Festen, die sich ein Mearl Perkon leistet. Boulevardvision lebt von den Klatschgeschichten über einen Mearl Perkon und seine ständigen Weibergeschichten. Dabei verdienen noch nicht einmal fünf Prozent aller Schauspieler genügend Geld, um anständig über die Runden zu kommen. Du weißt ja gar nicht, wieviel Glück du gehabt hast, diesen Vertrag zu bekommen.“ „Was ich nicht verstehe, ist, daß Aki Axxy ausgerechnet mir soviel bezahlt. Er hätte doch irgendeinen Arkoniden nehmen und ihn als Atlan maskieren können. Das wäre doch sicherlich viel billiger gewesen – oder nicht?“ „Ganz gewiß sogar, aber einen solchen Mann kann er der Öffentlichkeit nicht präsentieren. Man würde die Maske bald durchschauen. Du aber bist nicht mit Bioplastik verändert worden. Du siehst wirklich so aus wie der Lordadmiral. Wieso eigentlich? Wer bist du?“ „Chapat. Sonst nichts“, entgegnete der Arkonide zurückhaltend. „Und – wer ist Ischtar?“
„Ich habe gehört, daß morgen das große Spiel ist. Was ist das für ein Spiel?“ „Du willst also nicht antworten, eh? Na schön, das ist deine Sache.“ „Ich habe vorhin in den Nachrichten gehört, daß morgen das Spiel aller Spiele ist. Was ist das – Gleutz?“ Die Augen Bodanskis blitzten auf. „Du bist wirklich ahnungslos. Woher kommst du eigentlich? Aus einer anderen Galaxis?“ „Was ist Gleutz?“ fragte Chapat geduldig. „Moment.“ Der Terraner ließ sich mit Aki Axxy verbinden. Einige Sekunden verstrichen, dann kam der Agent tatsächlich ins Bild. „Ich habe eine großartige Idee, Mr. Axxy. Chapat interessiert sich für Gleutz. Und morgen ist das Spiel.“ „Deshalb stören Sie mich, Bodanski?“ „Ich meinte, daß… ich wollte sagen…“ „Wofür halten Sie mich eigentlich, Bodanski? Glauben Sie, ich wüßte nicht, wie man einen Star populär macht? Selbstverständlich habe ich Karten für das Spiel – für mich und Mr. Chapat.“ „Für mich wohl nicht… oder doch?“ fragte der Terraner enttäuscht. „Nein? Auch nicht einen Stehplatz?“ Aki Axxy schaltete ab. Pierre Bodanski setzte sich in einen Sessel und ließ den Kopf hängen. Chapat legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter. „Vielleicht kann ich doch noch etwas für dich tun, Pierre“, sagte er. „Wenn du so wild auf das Spiel bist, mußt du es doch sehen. Vorher aber mußt du mir schon erklären, worum es überhaupt geht.“ Bodanski schöpfte sofort neue Hoffnung. Er richtete sich auf, griff nach seinem Whiskyglas und entleerte es auf einen Zug. „Hör zu, Chapat, Gleutz ist einfach göttlich. Es ist…“ „Bitte, Pierre, ich möchte nur die Fakten.“ „Ach so. Also – Gleutz ist ein Männerspiel. Es findet auf einem Prallfeld statt, das mit einer Gleitsubstanz bedeckt ist. Dadurch ist das Spielfeld so glatt, daß es allein schon eine Kunst ist, auf den Beinen zu bleiben. Die Spieler müssen eine Scheibe, die einen Durchmesser von dreißig Zentimetern hat und zwanzig Zentimeter hoch ist, in ein Tor treiben. Dabei dürfen sie alle Körperteile einsetzen.“
„Ist das so schwer?“ „Sehr sogar, weil die Scheibe sich nämlich nicht vom Prallfeld löst, sondern nur auf ihm gleitet. Jede Aktion beginnt ganz langsam, weil die Spieler sich erst einmal auf dem glatten Grund in Bewegung setzen müssen. Je schneller sie werden, desto schneller wird auch das Spiel. Sie müssen versuchen, die Scheibe mit vollem Schwung zu treffen, sich auf sie zu werfen, um mit ihr quer über das Spielfeld in das Tor zu rasen, was die Abwehrspieler natürlich mit aller Kraft zu verhindern suchen. Dazu gehört Gewandtheit. Und die Spieler müssen eine ungeheure Kondition haben.“ „Und morgen ist ein wichtiges Spiel?“ „Es ist das Spiel? Es ist die abschließende Ausscheidung aller Welten, die weiter als 8000 Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Wer gewinnt, kommt in die Endspiele des Solaren Imperiums.“ Chapat nippte an seinem Whisky. „Und so ein Spiel kann natürlich nur auf einer Welt wie Kantanong stattfinden“, stellte er fest. „Hier sind alle technischen Voraussetzungen dafür gegeben, die Veranstaltung in alle Teile der besiedelten Galaxis auszustrahlen. Und hier gibt es auch die Madria, die vermutlich das Wettgeschäft besorgt und dabei Millionen verdient.“ Pierre Bodanski fluchte leise. „Damit kommst du noch nicht aus, Chapat. Hier laufen die Wettgeschäfte für einen großen Teil der Galaxis zusammen. Die Madria macht Hunderte von Millionen – vielleicht sogar noch mehr.“ „Und niemand unternimmt etwas dagegen.“ „Wer könnte schon etwas tun? Die SolAb? So etwas geht sie nichts an. Die USO? Die hat damit nichts zu tun. Wer käme sonst noch in Frage? Nur die Polizeibehörden von Kantanong, und wie tüchtig die sind, hast du ja selbst erlebt.“ „Was ist die SolAb? Was ist die USO?“ fragte Chapat. Bodanski griff sich stöhnend an den Kopf. Er wollte sich erneut danach erkundigen, woher der Arkonide eigentlich kam, daß er so wenig wußte. In diesem Moment sprang die Tür auf, und vier Männer kamen herein. Sie trugen schwere Impulsautomatiken in den Händen. Dem Terraner fiel vor Schreck das Whiskyglas aus den Fingern, während Chapat ruhig blieb. „Kommen Sie mit, Chapat“, befahl einer der Gangster.
„Wohin?“ „Das werden Sie schon noch erfahren. Los.“ Der Arkonide stellte sein Glas weg, erhob sich und duldete, daß ein anderer der Eindringlinge ihn nach Waffen untersuchte und ihm den Nadler abnahm. Dann ließ er sich aus dem Raum führen. Pierre Bodanski blieb bleich zurück. Er hatte bereits mit seinem Leben abgeschlossen und blickte fassungslos auf die sich schließende Tür, als die Madrianer verschwanden, ohne ihn zu beachten. Auf dem Dach parkte ein Luxusgleiter. Die Männer drängten den Arkoniden hinein und starteten. Niemand sprach ein Wort, und keiner schien es für wichtig zu halten, vor Chapat zu verbergen, wohin man flog. Der Gleiter raste an der Küste entlang und landete im Park einer Villa, die mit zahllosen Türmchen verziert war. Das Haus glich einer Festung. Chapat sah zahlreiche Kampfroboter, die unter den Bäumen im Park postiert waren. Auch auf dem Dach lagen Kampfmaschinen. Einige Raubkatzen der Art, wie er sie erschossen hatte, als er Galaxia Temona befreit hatte, streunten im Park herum. Die Männer führten den Arkoniden in einen Raum, der mit Jagdtrophäen überladen war. In einem mit Fellen ausgelegten Sessel saß ein weißhaariger Terraner, der Chapat mit wachen Augen musterte. „Setzen Sie sich“, sagte er freundlich. Er sprach ein auffallend gutes Interkosmo, das völlig frei von jeglichen Akzenten war. „Sie sind Chapat, nicht wahr?“ Der Arkonide nickte. „Mein Name ist Ramon Hablish. Ich bin Geschäftsmann.“ „Was man hier so Geschäftsmann nennt“, entgegnete Chapat verächtlich. Der Madria-Boß lächelte amüsiert. Seine dunklen Augen erhellten sich. Ein uniformierter Diener brachte Getränke. „Nun, Mr. Chapat, Sie haben sich recht temperamentvoll verhalten. Warum haben Sie Galaxia Temona so enttäuscht? Einige meiner Leute hatten sich ein kleines Nebengeschäft erhofft, und dieses Sternchen hätte ein wenig Publicity gehabt.“ „Ich finde diese Angelegenheit durchaus nicht spaßig, Mr. Hablish. Immerhin ist dabei ein Mann ermordet worden.“
„Das ist natürlich ärgerlich, gab aber auf der anderen Seite der Entführung auch jenen dramatischen Akzent, den die hiesige Presse braucht. Aber lassen wir das. Ich habe Sie nicht aus diesem Grunde zu mir gebeten. Wie ich erfahren habe, haben Sie sich bemüht, mit Kayro Moozong ins Geschäft zu kommen. Dabei hat man Ihnen einen wertvollen Gegenstand abgenommen. Ist das richtig?“ „Das stimmt. Ich weiß allerdings nicht, ob Moozong dafür verantwortlich ist, oder ob Ihre Leute es getan haben.“ Hablish lächelte hintergründig. „Wir sind doch keine Wegelagerer, Mr. Chapat.“ „Was wollen Sie von mir?“ „Ich möchte Geschäfte mit Ihnen machen, Mr. Chapat. Wenn wir uns einig werden, kann ich dafür sorgen, daß Sie Ihren Kreisel zurückbekommen.“ Der Arkonide überlegte. Er war sich über seine Situation im klaren. Ramon Hablish würde ihn töten lassen, wenn er nicht davon überzeugt war, daß er ihm nützen konnte. „Man könnte darüber reden“, erwiderte der Arkonide. Ramon Hablish prostete ihm zu. Chapat trank ebenfalls. „Worum geht es?“ „Das liegt doch auf der Hand, Mr. Chapat. Mich fasziniert Ihre unglaubliche Ähnlichkeit mit Lordadmiral Atlan. Darauf wird sich unser Geschäft aufbauen. Ich schlage vor, daß Sie nun in Ihr Hotel zurückkehren und sich alles in Ruhe überlegen.“ Der Madria-Boß erhob sich und streckte dem Arkoniden die Hand entgegen. Chapat ergriff sie, wobei er sich seinen Widerwillen nicht anmerken ließ. „Meine Leute werden Sie wieder zurückbringen.“ Hablish legte ihm den Arm um die Schultern und führte ihn bis zum Hauseingang. Chapat fühlte, daß er sich hoffnungslos verstrickt hatte. Er war in die Fänge der Madria geraten, ohne etwas dagegen tun zu können. Natürlich war ihm klar, daß Hablish ihn benutzen wollte, um jenen Lordadmiral Atlan zu vernichten oder ihm doch schwer zu schaden. Er sollte das Werkzeug in einem teuflischen Plan sein, der sich gegen jenen Mann richtete, den er in einer Filmserie spielen sollte. *
Quinto-Center – 1.10.2843 – Erdzeit Das Rufzeichen an dem Videomonitor auf dem Arbeitstisch von Lordadmiral Atlan flammte auf. Der Arkonide schaltete das Gerät ein. Das positronische Filterzeichen erschien, das darauf hindeutete, daß der nun folgende Gesprächspartner ein mit Außenaufgaben betreuter USO-Spezialist war, der eine für Atlan wichtige Meldung zu machen hatte. Er war von der Positronik geprüft und akzeptiert worden. Das Bild wechselte. Atlan sah das Gesicht eines Mannes von fast weiblicher Schönheit. „Ich bin Leutnant Hessefy, Lordadmiral. Eingesetzt für Kantanong. Ich bin sicher, daß ich eine wichtige Nachricht für Sie habe, die ich Ihnen gern übergeben möchte.“ „Kommen Sie herein, Leutnant Hessefy“, entgegnete der Arkonide mit einem leichten Lächeln. Er erwartete den Leutnant an seinem Arbeitstisch. Der zunächst etwas feminine Eindruck schwand. Hessefy war ein harter und intelligenter Mann, der sich optimal auf seinen Einsatzort eingestellt hatte. Als er auf den Arbeitstisch zuging, blickte Atlan auf einen Monitorschirm, auf dem die wichtigsten Daten und Charakteristika von Kantanong erschienen. Hessefy legte eine Tonspule auf den Tisch und setzte sich. „Auf Kantanong ist ein Mann aufgetaucht, Lordadmiral, der große Ähnlichkeit mit Ihnen hat. Als ich ihn zum erstenmal sah, hätte ich fast geglaubt, daß Sie es sind. Er ist jedoch etwas größer als Sie, und seine Haut ist bronzefarben. Dieser Mann machte einen etwas eigenartigen Eindruck, so als komme er aus einer ganz anderen Welt, die mit unserer nur wenig gemein hat. Dennoch spricht er flüssig Interkosmo.“ „Haben Sie ein Bild von ihm?“ „Leider nicht. Ich hatte nur für einen ganz kurzen Moment Gelegenheit, ihn zu sehen. Ich habe mich vor allem auf die Tonaufnahme konzentriert, die bei einer Musikproduktionsgesellschaft gemacht worden ist. Es war schwierig, sie zu bekommen.“ Atlan nahm die Spule in die Hand. Er wartete ab, denn er wußte, daß kein USO-Spezialist einfach nur mit einer Tonaufnahme zu ihm
gekommen wäre, wenn nicht noch etwas ganz besonderes dabei gewesen wäre. „Dieses Lied erzeugt eine derart euphorische Stimmung, daß ich vermute, daß es parapsychisch wirksam ist. Ich bin gekommen, um das überprüfen zu lassen.“ „Sie haben richtig gehandelt, Leutnant.“ Der Arkonide legte die Tonspule in ein Abspielgerät und schaltete es ein. Die Tonqualität war nicht besonders gut, dennoch erzielte die Aufnahme eine verblüffende Wirkung. Atlan wurde bleich. Seine Augen füllten sich mit Tränen – ein überaus deutliches Zeichen für seine Erregung. Er beugte sich nach vorn, als wolle er sich keine Nuance entgehen lassen. „Das ist Ischtars Stimme“, sagte er heiser. Seine Finger zitterten unmerklich, als er das Gerät abschaltete und die Spule zurücklaufen ließ. Abermals klangen die seltsamen, fremdartigen Töne durch den Raum. Leutnant Hessefy erschien es, als ob Atlan jedes Wort dieser unbekannten Sprache verstehe. „Ich bin froh, daß Sie so schnell gehandelt haben, Leutnant“, sagte Atlan endlich, als die Spule stehenblieb. „Schildern Sie mir den Mann noch einmal. Ich möchte jede Einzelheit wissen. Was ist auf Kantanong genau passiert?“ Leutnant Hessefy begann mit einem ausführlichen Bericht. Der Arkonide ließ ein Aufzeichnungsgerät mitlaufen, um sich nichts entgehen zulassen. Kantanong war für ihn plötzlich zu einer Welt von höchstem Interesse geworden. „Wie nannte sich der Fremde?“ fragte er abschließend. „Chapat.“ „Chapat“, wiederholte Atlan leise. * „Chapat!“ rief Pierre Bodanski. Er sprang aus dem Sessel auf, in dem er gesessen hatte und eilte auf den Arkoniden zu, als wolle er ihn umarmen. „Du lebst!“ Chapat kniff sich in die Wange. „Es tut weh, also lebe ich.“
„Berichte. Was ist geschehen? Ich habe keinen Soli mehr für dein Leben gegeben. Was wollte die Madria von dir?“ Chapat ging zur Servobar und zapfte sich ein Eiswasser ab. Mit knappen Worten erzählte er, was sich in der Villa von Ramon Hablish ereignet hatte. „Hablish?“ fragte Bodanski. Er ließ sich wieder in den Sessel zurücksinken. „Chapat, ich habe ein verdammt. flaues Gefühl im Magen. Jeden anderen hätten sie umgebracht. Warum dich nicht?“ Der Weißhaarige setzte sich ebenfalls. „Um ehrlich zu sein, Pierre, ich habe eigentlich auch damit gerechnet, daß sie sich rächen wollen. Sie haben es nicht getan. Sie wollen mit mir zusammenarbeiten.“ Bodanski erhob sich und holte sich ein Glas Whisky. Er entleerte es auf einen Zug und füllte sich ein zweites. Beunruhigt schüttelte er den Kopf. „Es gibt nur eine Möglichkeit für dich, Chapat. Du mußt verschwinden. So schnell wie möglich.“ „Wie stellst du dir das vor? Ich kann nicht so ohne weiteres weg. Ich habe keine Schiffspassage. Ich habe kein Geld.“ „Du hast den Scheck.“ „Das ist nicht mehr als ein Taschengeld. Und kannst du dir nicht vorstellen, daß ich überwacht werde? Was meinst du, würde Hablish wohl tun, wenn er mich am Raumhafen überraschte?“ „Das ist nicht weiter schwer zu erraten“, erwiderte Bodanski niedergeschlagen. Er fuhr sich mit dem Zeigefinger quer über die Kehle. „Also, was kann ich tun?“ „Nichts, Chapat. Du sitzt in der Patsche. Ich weiß nicht, wie du da wieder herauskommen willst. Es liegt auf der Hand, daß sie nicht allein wegen deiner schönen roten Augen an dir interessiert sind, sondern weil du eine so große Ähnlichkeit mit Atlan hast.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, welche Vorteile daraus für die Madria entstehen könnten.“ „Die Madria macht ihre Geschäfte mit Betrügereien, Erpressungen und Manipulationen großen Stils. Lordadmiral Atlan ist eine einflußreiche Persönlichkeit. Wer einen Doppelgänger in irgendein Spiel bringen kann, bei dem es um viel Geld geht, der kann ein
riesiges Geschäft machen – bei dem du auf jeden Fall der Dumme bist.“ „Das ist mir klar.“ „Sie werden dich verschwinden lassen, wenn alles vorbei ist.“ Chapat antwortete nicht. Nachdenklich saß er in seinem Sessel. „Nur eines kann dich noch retten“, sagte der Terraner. „Und das wäre?“ „Du mußt ganz schnell ins große Geschäft kommen. Du mußt ein Star werden, der Millionen wert ist. Die Madria ist überall beteiligt. Man darf ruhig annehmen, daß sie es auch bei Axxys Agentur ist. Wenn du für sie zum Goldesel wirst, werden sie dich nicht schlachten, sondern ausbeuten.“ „Wenn Superstar Mearl Perkon mir diesen Tip gegeben hätte, wäre ich glücklich gewesen, Pierre. Er weiß, wie man ein Star wird. Bei dir bin ich nicht ganz so sicher, daß du alle Karrieretricks kennst.“ „Leider“, entgegnete Bodanski. „Aber einen besseren Tip kann ich dir nun mal nicht geben.“ Die beiden Männer schwiegen. Jeder hing seinen Gedanken nach. „Vielleicht ist das Spiel morgen eine Chance für dich“, sagte der Terraner endlich.
5. Die Stadt Kantanong glich einem Hexenkessel. Über Nacht hatte sie sich in ein Heerlager von bunt kostümierten, fahnenschwenkenden Fans verwandelt, die überall zwischen den Häusern auf den freien Flächen kampierten. Aus der Richtung des Raumhafens, der etwa zweihundert Kilometer südlich der Stadt lag, kamen wahre Schwärme von Taxigleitern herauf. Aki Axxy erschien eine Stunde vor dem Beginn des Spieles in der Suite des Arkoniden. Er begrüßte ihn übertrieben freundlich. „Heute haben Sie Ihre große Chance, Mr. Chapat“, sagte er. „Was habe ich zu tun?“ „Nichts. Sie sollen nur ruhig neben mir sitzen und sich diszipliniert verhalten. Zeigen Sie nicht zuviel Begeisterung, aber auch nicht zu wenig. Während des Spieles werde ich Ihnen mitteilen, was Sie auf einer anschließenden Pressekonferenz sagen sollen. Sie werden
einige Spieler loben und einen verteufeln – wen, das hängt vom Spiel ab.“ „Was ist mit Bodanski?“ „Er wird uns begleiten.“ Eine halbe Stunde vor Spielbeginn trafen Aki Axxy, Chapat und der Terraner im Stadion ein, das etwa zwei Kilometer nördlich der Stadt lag. Der Arkonide sah zum erstenmal eine Anlage dieser Art. Die eigentliche Spielfläche schimmerte weiß. Sie wurde umgrenzt von anderthalb Meter hohen Banden, in denen die Prallfeldprojektoren verborgen waren. Auf beiden Seiten befand sich je ein fünfzig Zentimeter hohes und vier Meter breites Tor. Etwa zweihunderttausend Zuschauer drängten sich in dem Oval zusammen. Einpeitscher der verschiedenen Parteien brachten das Publikum in Stimmung. Immer wieder hallten die Gesänge der Fans durch das Stadion. Einige Reihen unter ihm zog Superstar Mearl Perkon mit einem Gefolge von drei Blondinen ein. Einige Robotkameras verfolgten ihn. Erst als der Schauspieler vor Ramon Hablish stehenblieb, bemerkte Chapat, daß auch dieser sich unter den Zuschauern befand. Ungefähr hundert Meter von ihm entfernt glitt Kayro Moozong, der Präsident der GMC, in eine für ihn reservierte Loge. Und dann begann ein mitreißendes Spiel, das die Zuschauermassen zu Begeisterungsstürmen hinriß. Schon nach wenigen Minuten war auch Chapat fasziniert. Aki Axxy dirigierte unauffällig einige Robotkameras in die Nähe, die einige Bilder von dem Arkoniden einfingen. Das Spiel war kampfbetont und hart. Es erforderte eine unglaubliche Körperbeherrschung, da die Spieler auf dem schlüpfrigen Boden kaum Halt fanden. So kam es vor allem darauf an, die Bewegungsabläufe vorher zu berechnen und auszunutzen. Immer wieder versuchten die Akteure, sich auf die Spielscheibe zu werfen und mit ihr quer über das Spielfeld bis ins Tor zu rutschen. Die Verteidiger brauchten der Scheibe jedoch nur einen geringen Stoß zu geben und damit ihre Position zu verändern, um die Angreifer ins Leere rasen zu lassen, da diese keine Möglichkeiten hatten, ihren Schwung vor der Bande abzufangen, es sei denn, daß sie mit einem Gegner zusammenprallten.
Einige Spieler bewegten sich mit unnachahmlicher Eleganz auf dem Feld, während andere nur schwer mit dem glatten Untergrund fertig wurden und zum Vergnügen des Publikums oft in grotesker Weise stürzten. Beide Mannschaften waren etwa gleichwertig. Dennoch verzeichnete eine von ihnen zur Halbzeit leichte Vorteile. In der Pause rollte ein roter Teppich auf das Spielfeld. Eine Reihe von Robotkameras und Spezialmikrophonen schwebte auf den Mittelkreis zu. Und dann schritt Galaxia Temona wie eine Königin über den Teppich aufs Feld. Sie trug ein tiefdekolletiertes Kleid. „Jetzt bin ich mal gespannt, was diese dumme Gans singt“, sagte Pierre Bodanski ärgerlich. „Wie ist das möglich, daß sie eine solche Chance bekommt?“ „Dafür dürfte Kayro Moozong verantwortlich sein“, erwiderte Aki Axxy, der von dem Auftritt dieses Mädchens ebenfalls nicht begeistert war. Im Stadion wurde es still. Dann setzte die Musik wie ein Paukenschlag ein. Aus sämtlichen Lautsprechern des Stadions klang das Lied Ischtars über das Rund. Schon die ersten Töne versetzten die Massen in einen Begeisterungstaumel. Überall sprangen die Männer und Frauen von ihren Plätzen auf und lauschten, als befänden sie sich im Rausch. Die traurige, fremdartige Stimme ließ sie die Wirklichkeit vergessen. Männer und Frauen brachen in Tränen aus. Viele von ihnen sanken wie in Ekstase auf die Knie und schlugen die Hände vor das Gesicht. Chapat stand kreidebleich in der Loge. Sein Gesicht zuckte. „Sie bleiben hier, Chapat“, sagte Aki Axxy, dem es gelang, sich der Faszination des Liedes zu entziehen. „Wenn Sie auch nur einen einzigen Schritt nach unten tun, sind alle Ihre Chancen dahin.“ „Ich töte sie“, sagte der Arkonide stammelnd. „Richten Sie Ihren Zorn lieber auf Kayro Moozong, der Sie betrogen hat“, entgegnete der Agent kalt. Pierre Bodanski brüllte wütend auf. Er sprang über eine Barriere hinweg, raste auf das Spielfeld zu und schwang sich über die Bande. Er versuchte, auf den Beinen zu bleiben, aber seine Füße rutschten unter ihm weg. Er stürzte und glitt hilflos über die Spielfläche. Dabei schlug er mit Armen und Beinen um sich, fand aber nirgendwo Halt. Doch das war für ihn gar nicht so wichtig. Er raste genau auf Galaxia Temona zu, prallte mit ihr zusammen und warf sie um.
Nun wälzten sich beide mit halsbrecherischen Verrenkungen auf dem schlüpfrigen Untergrund. Vergeblich bemühten sie sich, wieder auf die Beine zu kommen. Was auch immer sie taten, sie glitten sofort wieder aus und landeten auf dem Boden. Währenddessen hallte Ischtars Lied aber weiter aus den Lautsprechern, so daß nun auch der Dümmste im Stadion den Betrug erkannte. Damit war der Bann gebrochen. Die Besucher erwachten aus ihrer Starre und ihrem euphorischen Taumel. Gelächter kam auf. In einigen Blocks skandierten die Einpeitscher ihre Schlachtrufe. Ein Chaos entstand, das schlimmer für Galaxia Temona und ihren Produzenten nicht hätte sein können. Einige Spieler kamen aufs Feld, um das Mädchen und Bodanski herunterzuholen, aber die Regisseure der sportlichen 1v3ranstaltung reagierten noch schneller. Sie setzten die Antigravprojektoren ein, die überall am Spielfeldrand angebracht waren, und schoben die beiden durch einen Zugang hinaus. Galaxia war es dabei gerade gelungen, auf die Füße zu kommen. Sie stürzte erneut hin, warf die Beine nach oben und schrie gellend auf. Wieder brandete ein ohrenbetäubendes Gelächter durch das Oval. Es kennzeichnete das absolute Ende einer noch nicht ganz begonnenen Karriere. Dann aber begannen die Fans zu pfeifen und zu johlen. Allerlei Trinkgefäße und Kleidungsstücke flogen auf das Spielfeld. Chapat beobachtete mit funkelnden Augen, daß Kayro Moozong sich zornbebend aus dem Stadion zurückzog. Am liebsten wäre er ihm nachgelaufen, doch Aki Axxy hielt ihn energisch zurück. „Es genügt, daß Ihr Freund Bodanski sich lächerlich gemacht hat“, sagte er. „Sie müssen es nicht unbedingt auch noch tun.“ Chapat sank auf seinen Platz zurück. Er war wie betäubt, glaubte er doch, nunmehr den eindeutigen Beweis dafür zu haben, daß Moozong ihn bestohlen hatte. „Er war es“, erklärte er heftig. „Er hat den Kreisel.“ „Beruhigen Sie sich, junger Freund“, entgegnete der Agent. „Er hat eine oder mehrere Aufzeichnungen gemacht, als Sie in seinem Büro waren. Das bedeutet noch lange nicht, daß er Ihnen auch den Kreisel entwendet hat.“ „Das wird er mir bezahlen.“ „Wie denn?“ fragte Axxy spöttisch. „Sie können ja noch nicht einmal beweisen, daß Sie die Rechte an diesem Lied haben.“
Die Mannschaften kamen wieder auf das Spielfeld und setzten ihren Kampf fort. Doch das Publikum beruhigte sich nicht so schnell. Minutenlang ging das Pfeifkonzert weiter, bis die Aktionen der Spieler die Zuschauer in ihren Bann schlugen. * Als die Schlußsirene ertönte, fielen sich sowohl die Spieler der Mannschaft, die gewonnen hatte, als auch deren Anhänger in die Arme. Ein ungeheurer Beifallssturm brach los, der erkennen ließ, daß niemand noch daran dachte, was in der Pause vorgefallen war. Chapat erhob sich und wollte davongehen, doch Aki Axxy hielt ihn fest. „Nicht so schnell“, sagte er. „Sie müssen warten, bis Sie Gelegenheit hatten, einige Fragen der Reporter zu beantworten.“ „Ich sehe keine Reporter.“ „Die sitzen im Studio und lenkten die Robotkameras.“ „Ich muß wissen, was aus Pierre Bodanski geworden ist.“ „Das Geschäft geht vor. Sehen Sie, Mearl Perkon wird bereits gefragt, was er zum Spiel zu sagen hat. Gleich sind Sie an der Reihe.“ Er gab Chapat einige Anweisungen und Erklärungen. „Aber das entspricht doch überhaupt nicht den Tatsachen“, protestierte der Arkonide. „Das spielt keine Rolle. Die Zuschauer wollen das hören, und nichts anderes. Also – los!“ Eine Robotkamera schwebte auf Chapat zu, der ein wenig verwirrt in die Linse blickte. Aus einem Lautsprecher unterhalb der Optik hallten ihm einige Fragen entgegen, die er mechanisch beantwortete, so wie Aki Axxy es verlangte. Damit verhielt er sich offenbar richtig. Der Reporter im Studio bedankte sich mit überschwenglichen Worten. Chapat atmete auf, als die Kamera sich abwandte. Der Agent klopfte ihm auf die Schulter. „Das haben Sie prächtig gemacht, Chapat.“ „Ich finde das alles widerlich.“ „Fein. Sie dürfen Ihren privaten Geschmack haben, solange niemand zuhört.“ „Ich will jetzt wissen, was aus Pierre geworden ist.“
„Na gut. Ich begleite Sie.“ Der Agent kämpfte sich durch das Gewühl der aus dem Stadion strebenden Menschen, bis sie zu einem Abgang kamen, der zu den subplanetarischen Anlagen führte. Hier war es ruhiger. Offenbar wußte Axxy recht genau, in welchem Bereich er zu suchen hatte. Zielstrebig wandte er sich einer Sporthalle zu, die direkt unter dem Spielfeld errichtet worden war. „Da ist er“, sagte er, als sie durch ein Eingangsschott eintraten. Chapat sah einen Mann, der zusammengekrümmt im Mittelpunkt der kreisrunden Halle lag. Er eilte auf ihn zu und kniete bei ihm nieder. Pierre Bodanski lebte noch, aber er schwebte in großer Lebensgefahr. Sein Gesicht war kaum noch wiederzuerkennen. „Ich rufe einen Arzt“, rief Axxy vom Eingang aus. Er drehte sich um und lief davon. Sekunden später schon schwebte ein Medoroboter mit flammenden Signallichtern herein. Er nahm den Verletzten behutsam auf und legte ihn auf eine Trage, wo er mit energetischen Fesselfeldern gesichert wurde. Zahlreiche Sonden legten sich Bodanski an Kopf, Brust und Handgelenke, um seine Lebensfunktionen zu überwachen. Dann raste der Automat davon. „Sie haben genau gewußt, was los war“, sagte Chapat zornig zu dem Agenten. „Und Sie haben nichts getan, um ihm zu helfen.“ Axxy zuckte mit den Schultern. „Wer sich mit Kayro Moozong einläßt, muß damit rechnen, daß seine Gesundheit leidet“, antwortete er gleichgültig. „Die Show zu unterbrechen, war so ziemlich das Dümmste, was Bodanski tun konnte. Seien Sie froh, daß ich Sie zurückgehalten habe, sonst wären Sie jetzt auch auf dem Weg ins Medocenter.“ „Dafür wird Moozong zu zahlen haben!“ „Meinen Sie?“ „Sie können sich darauf verlassen.“ Aki Axxy lächelte überlegen. Er blickte auf sein Chronometer. „Wir sehen uns morgen früh im Studio.“ Er wartete nicht ab, ob Chapat noch etwas sagen wollte, sondern drehte sich um und ging davon. *
Chapat nahm sich einen Taxigleiter und ließ sich zum Medocenter bringen. Das vollpositronisch eingerichtete Krankenhaus lag auf einem Hügel oberhalb der Stadt. Die Kranken und Verletzten schwebten in röhrenförmigen Kammern in einem Antigravfeld, mit dem ihr Kreislauf entlastet wurde. Chapat passierte die Desinfektionsschleuse und erklärte einem als Krankenschwester konstruierten Roboter, aus welchem Grund er hier war. Der Roboter weigerte sich zunächst, ihn hereinzulassen. „Ich werde das Hospital auf jeden Fall betreten“, erklärte der Arkonide energisch. „Notfalls werde ich mir mit Waffengewalt Einlaß verschaffen. Ich bin der einzige Mensch, der sich um Bodanski kümmern kann. Mein Besuch ist für ihn aus psychologischen Gründen wichtig.“ Der Roboter schien eine Rückfrage bei der Positronik zu halten. Einige Sekunden verstrichen, dann öffnete sich eine weitere Schleuse, und Chapat konnte den Krankentrakt betreten. Langsam ging er an einer Lumisplastwand entlang, durch die er die Kranken undeutlich sehen konnte. Ihm fiel auf, daß sich über dem Gesicht jedes Patienten ein Trivideowürfel befand, der bei allen eingeschaltet war. Aus ihm blickte ein freundliches Gesicht auf die Behandlungsbedürftigen herab. Einige schienen auch zu sprechen. Chapat fühlte sich wie auf einer vollpositronischen Viehfarm. Abscheu erfaßte ihn. Er verstand nicht, daß es derart nüchtern denkende Stadtväter und Architekten geben konnte, die so wenig Rücksicht auf die Psychologie von erkrankten Menschen nahmen. Er blieb stehen, als er Pierre Bodanski erkannte. Der Schauspieler war nackt. Auch er schwebte frei in der Kammer. Überall an seinem Körper befanden sich Sonden, Schläuche und Impulsgeber, die seine Lebensfunktionen aufrecht erhielten. Vor Chapat flammte wie aus dem Nichts das Bild einer warmherzig lächelnden Krankenschwester auf. Auf den ersten Blick täuschte der Arkonide sich, doch dann erkannte er an den kalten Augen, daß er wiederum mit einem Roboter zu tun hatte. „Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Chapat“, erklärte der so menschlich aussehende Automat. „Der Zustand von Mr. Bodanski ist nicht ganz so schlimm, wie es zunächst den Anschein hatte. Er wird durchkommen. Er braucht lediglich einige Tage Ruhe. Dann können
Sie ihn hier abholen. Sobald sich seine Biodynamik stabilisiert hat, werden wir ihn in einen erholsamen Tiefschlaf versetzen, aus dem er gesund erwachen wird. Holen Sie ihn ab?“ „Ich werde kommen.“ Chapat wußte, daß es sinnlos gewesen wäre, dem Roboter irgendeinen Vorwurf zu machen. Er war programmiert und keineswegs verantwortlich zu machen. Dieses Krankenhaus paßte in das Bild einer absolut kaltherzigen Stadt, einer Metropole, in der nur die äußere Fassade wichtig war, nicht aber die Menschen, die in ihr lebten. Und doch schien es so, als habe Kantanong so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil es sich überhaupt um behandlungsbedürftige Menschen kümmerte. „Ich möchte mit ihm sprechen.“ „Das geht leider nicht, Mr. Chapat.“ „Aber sicher geht es. Ich werde nicht eher gehen, bis Sie sein Gesicht eingespiegelt haben. Er soll wissen, daß jemand hier ist, allein für ihn.“ Wiederum zögerte der Roboter, und abermals entschied die Positronik für Chapat. Das Bild der „Krankenschwester“ wechselte, und das zerschundene und verquollene Gesicht Bodanskis erschien. Mühsam hielt er die Augen offen. „He, Rotauge“, sagte er stöhnend. „Was machst du hier?“ „Ich wollte nach dir sehen, Pierre. Die Ärzte sagen, daß du es schaffst.“ „Ärzte!“ Verächtlicher hätte er es nicht sagen können. „Du warst großartig, Pierre. Du hast Galaxia gründlich die Show verdorben.“ „Und mir auch.“ „Das ist nicht wahr. Ich habe schon mit Aki Axxy gesprochen“, schwindelte der Arkonide. „Deine Rolle ist dir sicher. Du brauchst dir darum keine Sorgen zu machen.“ „Ehrlich?“ „Ehrlich.“ „Dann ist es gut.“ Er schloß stöhnend die Augen. Das Bild wechselte. Die kalten Linsen des Roboters blickten den Arkoniden wieder an. „Bitte, gehen Sie jetzt, Mr. Chapat. Der Patient braucht absolute Ruhe.“
Der Arkonide drehte sich um und ging langsam an der Reihe der röhrenförmigen Behälter entlang. Sie ähnelten in ihrer Anlage den Kühlboxeinschüben der gerichtsmedizinischen Institute, in denen die Toten aufbewahrt wurden. * Der nächste Tag brachte wieder harte Studioarbeit. Jetzt kamen noch einige weitere Akteure hinzu, so daß sich hin und wieder bereits sinnvolle Szenen ergaben. Aki Axxy war offensichtlich bemüht, seinen neuen Star den ganzen Tag über zu beschäftigen, doch am späten Nachmittag weigerte Chapat sich, noch länger zu arbeiten. „Ich bin erschöpft, Mr. Axxy“, behauptete er. „Ich kann mich nicht mehr genügend konzentrieren. Außerdem zweifle ich daran, daß wir bei diesem Arbeitstempo wirklich ein Spitzenprodukt schaffen können.“ „Das überlassen Sie bitte mir“, brüllte der Agent zurück. Er schlug seine Drehunterlagen zu und sagte: „Schluß für heute. Wir machen morgen weiter.“ Chapat wechselte noch einige belanglose Worte mit ihm, setzte sich danach in einen Taxigleiter und fuhr davon. Erst nach geraumer Weile, als er sicher war, daß ihm niemand folgte, flog er sein Ziel an. Er landete auf dem Parkdach der „Kantanong-Nationalbank“. Hier war man immerhin vornehm genug, sich menschliches Einweisungspersonal zu leisten. Der Arkonide ging auf einen älteren Mann zu, der hinter einem leeren Arbeitstisch am Eingang saß und jeden Kunden freundlich nickend begrüßte. Der Angestellte schien es nicht gewohnt zu sein, daß ihn darüber hinaus jemand beachtete. Seine eingefallenen Wangen verfärbten sich, als Chapat vor ihm stehenblieb. „Guten Tag“, sagte der Arkonide lächelnd. „Ich bin…“ „Lordadmiral Atlan“, unterbrach ihn der Alte. Er sprang auf. „Was kann ich für Sie tun, Lordadmiral?“ „Melden Sie mich, bitte, dem Präsidenten.“ „Sofort.“ Der Portier betätigte eine Taste und flüsterte in ein verborgenes Mikrophon: „Sir, Lordadmiral Atlan möchte Sie sprechen.“
Danach richtete er sich auf und streckte den rechten Arm aus. „Ich werde Sie zu Mr. Anxville führen.“ Der Präsident der Bank erwartete sie vor seinem Arbeitszimmer. Er musterte Chapat mit wachen Augen und schien mit dem Ergebnis seiner Prüfung einverstanden zu sein. Der Arkonide kam zu der Ansicht, daß seine Ähnlichkeit mit jenem Atlan in der Tat verblüffend sein mußte. Er war nunmehr entschlossen, sie für seine Zwecke auszunutzen. Wenn sie ihm im Filmstudio half, warum sollte sie ihm dann nicht auch den ganz großen Schlag gegen Kayro Moozong ermöglichen? Er setzte sich in einen der mächtigen Sessel. Der Präsident war ihm auf Anhieb sympathisch. Anxville machte einen soliden und grundehrlichen Eindruck. Seine persönliche Ausstrahlung war beeindruckend. Für einen kurzen Moment kamen Chapat erhebliche Zweifel, ob er diesen Mann täuschen konnte. Dann aber sagte er sich, daß er es zumindest versuchen mußte. Je sicherer und je zielstrebiger er vorging, desto größer waren auch seine Erfolgsaussichten. „Mr. Anxville“, begann er, „Sie werden sich denken können, daß ich nicht ganz ohne Grund nach Kantanong gekommen bin.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ „Es gibt hier gewisse Gruppen, deren Einwirken auf die Gesellschaft unerträglich ist.“ Er beobachtete den Präsidenten der Bank genau, um an seinen Reaktionen feststellen zu können, wie er über Verbrecherorganisationen dachte, die die eigentlichen Machthaber auf diesem Planeten waren. Die Augen Anxvilles leuchteten unmerklich auf. Chapat nahm es als Zeichen dafür, daß er ein Gegner der Madria war. Im Laufe des Gespräches sollte sich dieser Eindruck noch vertiefen. „Wir sind daher von unseren Spezialisten auf den Plan gerufen worden. Nach unseren Feststellungen ist die örtliche Staatsgewalt nicht mehr in der Lage, ihren eigentlichen Funktionen gerecht zu werden.“ „Sie meinen die Madria“, entgegnete Anxville. „Sie und noch einige andere Gruppen, deren Einfluß nicht länger geduldet werden kann.“ „Was können wir für Sie tun, Lordadmiral?“ Chapat lächelte unmerklich.
„Unsere Experten haben einen Plan ausgearbeitet, mit dem die einzelnen Machtgruppen gegeneinander ausgespielt werden sollen. Dabei geht es in erster Linie um finanzielle Transaktionen. Und dafür benötige ich Ihre Hilfe.“ Der Arkonide bemühte sich, nicht zu dem Aufnahmeobjektiv hinaufzusehen, das versteckt an der Wand hinter dem Präsidenten angebracht worden war. Er zweifelte nicht daran, daß Aufzeichnungen von diesem Gespräch gemacht wurden, die anschließend oder schon jetzt von einer Positronik kontrolliert wurden. Er fürchtete, von ihr entlarvt zu werden. „Das müssen Sie mir näher erklären, Lordadmiral.“ „Wir wollen den Hebel bei der Galactic-Music-Corporation ansetzen und dort die Mehrheitsverhältnisse ändern.“ „Die GMC ist ein Unternehmen, an dem die Madria maßgeblich beteiligt ist.“ „Das überrascht uns nicht“, erwiderte Chapat, der in der Tat mit einer derartigen Auskunft gerechnet hatte. Während der vergangenen Nacht hatte er die Informationsmöglichkeiten genutzt, die ihm die Trivideoanlage seines Hotelzimmers bot. Damit hatte er sich einige Kenntnisse über die wirtschaftlichen und zivilisatorischen Zusammenhänge von Kantanong verschafft. Dennoch fühlte er sich auf diesem Gebiet keineswegs sicher. Im Gegenteil. Je weiter er sich in die Materie hineinwagte, desto deutlicher spürte er, daß er im Grunde genommen nichts wußte. Er beherrschte sich jedoch mustergültig und bemühte sich, die Gesprächsinitiative mehr und mehr auf Anxville zu verschieben. „Wenn Sie Präsident Moozong ein lukratives Angebot machen, wird er zweifellos bereit sein, zu verhandeln“, erklärte Anxville. „Diese Tatsache allein dürfte bei der Madria unter Ramon Hablish erhebliche Unruhe verursachen.“ „Lassen sich klare Verschiebungen erreichen, ohne daß große finanzielle Mittel eingesetzt werden?“ Der Bankier lächelte hintergründig. Seine Augen blitzten begeistert auf. „Kennen Sie die du-Pont-Methode?“ „Nicht bis in jedes Detail.“
„Mit diesem Verhandlungsangebot können Sie ein Mehrheitspaket der GMC an sich bringen, ohne zunächst einen einzigen Solar einzusetzen.“ „Das müssen Sie mir näher erklären, Mr. Anxville.“ „Gern, Lordadmiral.“ Der Präsident drückte einige Tasten. Wenig später kam eine Sekretärin mit Kaffee und Gebäck herein. „Ich will Ihnen den Fall zunächst so erzählen, wie er sich zugetragen hat. Er ist ein klassisches Finanzierungsbeispiel, das ich mit besonderem Genuß während meines Studiums nachempfunden habe. Vergleiche mit der GMC sind besonders gut möglich, weil es hier ungefähr um gleiche Zahlen geht. Die GMC hat einen tatsächlichen Wert von etwa zwanzig Millionen Solar. Der Börsenwert beträgt jedoch nur 9 Millionen Solar. Ähnlich war es bei du Pont, als Thomas Coleman du Pont mit seinem Plan auftrat, die du-Pont-Werke zu kaufen. Nach Colemans Vermögensaufstellung war die Firma du Pont ungefähr 24 Millionen Dollar wert, doppelt soviel, wie der Kaufpreis betrug, den die Familie dafür haben wollte. Coleman erbot sich, den du-Pont-Aktionäre 15.360.000 Dollar zu zahlen statt zwölf Millionen. Dabei durfte jedoch nicht ein einziger Dollar den Besitzer wechseln. Alles sollte nur auf dem Papier stehen, ausgenommen die 2100 Dollar, die Coleman und zwei seiner Vettern als Gründungskapital einer neuen Gesellschaft einzahlen wollten. Diese sollte die Vermögenswerte der alten Gesellschaft übernehmen. Die alten Aktionäre stimmten dem Plan tatsächlich zu. Die neue Gesellschaft gab für 12 Millionen Dollar Schuldverschreibungen und 120.000 Aktien mit einem Wert von 12 Millionen Dollar zu pari heraus. Sämtliche Schuldverschreibungen und dazu 33.600 Aktien im Wert von 3.360.000 Dollar gingen an die Aktionäre der alten Gesellschaft. Die restlichen Aktien im Wert von 8 640.000 Dollar teilten sich Coleman und seine beiden Vettern als – hm – Gründergewinn. Mit einem Einsatz von siebenhundert Dollar, einem Drittel dessen, was die drei Vettern gemeinsam für die Gründung des neuen Konzerns zu zahlen hatten, war Coleman Präsident und Hauptaktionär einer Gesellschaft geworden, von der er Aktien im
Wert von 4 320.000 Dollar besaß. Ein derartiges Finanzierungsstück ist meines Wissens nie mehr einem anderen Unternehmer geglückt.“ Chapat schwindelte. Er hatte kein einziges Wort begriffen. Immer deutlicher wurde ihm, daß er sich weit überschätzt hatte. Wie konnte er einen derartigen Finanzierungsplan durchführen, wenn er nicht die geringste Ahnung von den Zusammenhängen hatte? „In der Tat. Phantastisch“, sagte er vorsichtig. Präsident Anxville merkte in seiner Begeisterung nicht, wie zurückhaltend Chapat sich verhielt. „Nun, ich nehme nicht an, Lordadmiral, daß es Ihre Absicht ist, sich zum Hauptaktionär der GMC in dieser Art zu machen. Es dürfte genügen, Verhandlungen aufzunehmen und Zwietracht unter den Hauptaktionäre Moozong und Hablish zu säen. Das ist in diesem Fall relativ einfach, weil unsere Bank auch über eine geringe Beteiligung verfügt. Ich könnte den Köder für Sie auslegen.“ „Einverstanden, Mr. Anxville. Lassen Sie Moozong eine entsprechende Nachricht zukommen. Die Idee einer Gründergesellschaft gefällt mir in der Tat gut.“ Chapat erhob sich. Ihm war flau in der Magengegend. Er hatte nur den einen Wunsch, das Büro so schnell wie möglich zu verlassen, weil er fürchtete, sich mit der nächsten Bemerkung schon selbst zu entlarven. „Wo erreiche ich Sie?“ Der Arkonide nannte ihm das Hotel, in dem Axxy ihn untergebracht hatte. „Ich werde mich morgen wieder bei Ihnen melden.“ Er reichte dem Bankier die Hand und verabschiedete sich. Eine Zentnerlast schien von ihm abzufallen, als er endlich wieder im Gleiter saß und startete. Er wußte nun, daß es unmöglich war, sich alle die Kenntnisse in kurzer Zeit anzueignen, die notwendig waren, wenn man sich mit einem derart qualifizierten Fachmann auf gleichem Niveau unterhalten wollte. Dennoch glaubte er, einen kleinen Sieg errungen zu haben. Vielleicht konnte er wirklich Unruhe stiften und dadurch einen Vorsprung gewinnen, der ausreichte, den Kreisel zurückzugewinnen.
6.
Die Madria meldete sich früher, als Chapat lieb war. Als er das Hotel erreichte, warteten die Männer auf ihn, die ihn schon einmal zu Ramon Hablish gebracht hatten. Einer von ihnen trat ihm entgegen, als er seinen Gleiter verließ. „Der Boß möchte Sie sprechen“, sagte er und wartete, bis der Arkonide in den Madriagleiter gestiegen war. Wiederum ging es in schneller Fahrt zu der Luxusvilla. Hablish saß in seinem Salon und verfolgte einen Film über eine Großtierjagd auf einem tropischen Planeten. Er erhob sich, als er Chapat sah, und reichte ihm die Hand. „Setzen Sie sich“, bat er und schaltete das Trivideogerät aus. „Möchten Sie etwas zu trinken haben?“ „Danke“, erwiderte Chapat unbehaglich. Er fühlte sich, als ob er direkt in eine Falle gelaufen war, aus der es kein Entkommen gab. „Nun, Mr. Chapat, haben Sie sich mein Angebot überlegt? Werden Sie mit uns zusammenarbeiten?“ „Es kommt darauf an“, antwortete der Arkonide vorsichtig. Das Gesicht des Madria-Bosses wurde hart. „Sie haben nur noch die Möglichkeit, ja oder nein zu sagen.“ „Was geschieht, wenn ich ablehne?“ „Dann, Mr. Chapat, sind Ihre Karriereträume beendet. Ihren Kreisel werden Sie dann nicht mehr zurückbekommen.“ „Also haben Sie den Kreisel.“ „Sie irren sich. Ich habe ihn nicht, aber ich weiß, wo er ist.“ „Sagen Sie es mir.“ „Kommen Sie mit.“ Ramon Hablish erhob sich und ging hinaus in den Park. Chapat folgte ihm. Auf einem flachen Hügel blieb der Gangsterboß stehen. Er zeigte auf eine große Villa, die wie ein Schwalbennest an den hoch aufsteigenden Berghängen errichtet war. „Das Haus dort oben gehört Kayro Moozong. Er hat Ihren wundervollen Kreisel. Wenn ich es will, wird er ihn herausgeben.“ „Nun gut, Mr. Hablish. Was soll ich tun?“ Der Madriachef kehrte zusammen mit dem Arkoniden in den Salon zurück. „Wir haben ein kleines Problem, Mr. Chapat. Eine geschäftliche Unternehmung auf einem Planeten, der fünf Lichtjahre von hier entfernt ist, befindet sich in Gefahr. USO-Spezialisten behindern uns.
Sie bieten uns eine Chance, die Angelegenheit schnell und reibungslos abzuwickeln. Sie werden mit einem Raumschiff zu diesem Planeten fliegen und von meinen Leuten dort so eingesetzt werden, daß die USO-Spezialisten Sie für Lordadmiral Atlan, ihren Chef, halten müssen.“ Chapat lachte Hablish ins Gesicht. „Und Sie meinen, ich sei naiv genug, mich auf etwas Derartiges einzulassen?“ „Worin sehen Sie das Risiko?“ „In der Tatsache, daß es nicht um ein Unternehmen auf Kantanong, sondern auf einer weit von hier entfernten Welt geht. Fraglos werden mich Ihre Leute am Ende dort zurücklassen, während Sie hier mit Ischtars-Memory Geschäfte machen können.“ „Ich kann Sie reich machen, Mr. Chapat, ich kann Sie aber auch zerbrechen. Ich kann Sie zwingen, für mich zu arbeiten, ich kann Sie aber auch bitten, auf freiwilliger Basis mitzumachen – dann sind Sie der Gewinner.“ „Man wird mich durch die ganze Galaxis jagen.“ „Haben Sie das Gefühl, daß Sie soviele Auswahlmöglichkeiten haben?“ Ramon Hablish lächelte maliziös. „Wann?“ „In zwei Tagen.“ Chapat zögerte. Er überlegte fieberhaft. Er dachte nicht daran, sich in ein Verbrechen verwickeln zu lassen. Was aber sollte er tun? Wie konnte er die Dinge innerhalb von zwei Tagen so zu seinen Gunsten beeinflussen, daß sowohl die Madria, als auch Kayro Moozong ausgespielt wurden? Er brauchte Geld, und das konnte er sich nur mit der Hilfe von Aki Axxy verdienen. Das aber ging nicht über Nacht. „Gut, Mr. Hablish, ich bin einverstanden. Ich habe keine andere Wahl. Ich muß mich darauf verlassen, daß Sie Ihr Wort halten.“ „Ich wußte, daß Sie vernünftig werden würden, Mr. Chapat. Machen Sie uns in den beiden kommenden Tagen keine Schwierigkeiten. Wenn Sie sich so verhalten, wie es geschäftlich richtig ist, wird es Ihr Schaden nicht sein.“ Chapat verließ das Zimmer. Hablish schaltete den Trivideowürfel wieder ein. Die Stimme eines Nachrichtensprechers hallte hinter dem Arkoniden her.
„… wurde bekannt, daß die Galactic-Music-Corporation von einer Auffanggesellschaft übernommen werden soll, die der United-StarsOrganisation nahe steht.“ Chapat hörte, daß Hablish laut fluchte. Er beschleunigte seine Schritte. Plötzlich hatte er Angst, daß der Madria-Boß ihn zurückrufen würde. Er stieg in den Gleiter. „Fliegen Sie mich ins Hotel zurück“, sagte er. „Aber beeilen Sie sich. Ich habe nicht soviel Zeit wie Sie. Wahrscheinlich muß ich heute abend noch in einer Show auftreten.“ Die Madrianer ließen sich nicht treiben. Gemächlich nahmen sie auf den Polstern Platz und starteten. Als die Maschine endlich beschleunigte, sah Chapat, daß Ramon Hablish aus der Gartentür auf die Terrasse heraustrat. Er blickte zu ihm herauf, rief den Gleiter jedoch nicht zurück. Bankier Anxville hatte den Köder ausgeworfen. Er hatte Moozong mit fast dreieinhalb Millionen Solar gelockt, und der Musikproduzent hatte angebissen. Sicherlich war er weniger damit einverstanden, daß die Presse informiert worden war. Das aber konnte für einen Streit zwischen ihm und Hablish nur vorteilhaft sein. Schweigend brachten die Madrianer den Arkoniden zu seinem Hotel. Chapat kehrte erleichtert in sein Zimmer zurück. Ein schwerer Tag lag hinter ihm. Er ließ sich das Abendessen servieren und hatte gerade ein paar Bissen heruntergeschluckt, als unvermittelt Anxville eintrat. „Guten Abend, Mr. Chapat“, sagte er lächelnd. Dem Arkoniden sanken die Hände auf den Tisch. Er hatte das Gefühl, daß sich ihm eine unerbittliche Hand um den Hals legte. „Sie wissen, wer ich bin?“ „Aber natürlich, Mr. Chapat. Schon bei unserem Gespräch in der Bank kamen mir erste Zweifel. Ich kenne Lordadmiral Atlan zwar nicht, aber ich weiß, daß er ein blendender Denker ist, der hervorragend auch über wirtschaftliche und finanztechnische Zusammenhänge informiert ist.“ Chapat lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Er bot dem Bankier Platz an. „Dann funktioniert Ihr Plan gar nicht?“ „Doch – er funktioniert, wenn die Gegenpartei mitmacht.“
„Aber…?“ „Sie hätten mit offenen Karten spielen sollen, Mr. Chapat. Ich bin ein eingeschworener Feind der Madria, wie Sie offenbar auch. Ich warte nur darauf, daß irgend jemand den Kampf gegen das organisierte Verbrechen aufnimmt, aber allein können Sie wirklich nichts ausrichten.“ „Wie meinen Sie das?“ „Ich wollte damit sagen, daß Sie sich auf ein Abenteuer eingelassen haben, das Sie auf gar keinen Fall lebend überstehen können.“ „Sie wollen mir also auch empfehlen, zu verschwinden?“ „Was sollte ich anders tun?“ – „Mit mir kämpfen.“ Anxville schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Mr. Chapat, Ihre wirklich verblüffende Ähnlichkeit mit Lordadmiral Atlan muß einen Grund haben. Ich verspüre eine gewisse Sympathie für Sie. Deshalb möchte ich, daß Sie überleben.“ „Ich kann nicht weg“, antwortete der Arkonide frostig. „Doch. Sie können. In zwei oder drei Tagen verläßt das Raumschiff TRAUMPALAST Kantanong. Der Besitzer ist Alfo Zharadin. Ich könnte Sie über eine Agentur an ihn vermitteln. Er wird Sie mitnehmen, ohne viel Aufsehen zu erregen.“ „Ich werde Kantanong nicht ohne den Kreisel verlassen.“ Anxville schüttelte betroffen den Kopf. „Dann kann ich Ihnen nicht helfen, Mr. Chapat. Einem Lordadmiral Atlan hätten die Aktionäre der GMC ihre Anteile vielleicht zu den genannten Bedingungen verkauft, nicht aber einem Chapat, dem sie ohnehin nicht besonders freundschaftlich gesinnt sind. Überlegen Sie sich mein Angebot.“ Er legte Chapat einen Zettel auf den Tisch, auf dem die Agentur vermerkt war, an die er sich wenden sollte. „In zwei oder spätestens drei Tagen, Mr. Chapat.“ Er erhob sich und lächelte entschuldigend. „Und, bitte, besuchen Sie mich nicht wieder in der Bank. Ich liebe mein Leben auch.“ Der Arkonide blickte dem Bankier nach. Er fühlte, daß er es ehrlich mit ihm meinte, und es tat ihm leid, ihn enttäuschen zu müssen. Aber er konnte nicht anders. Kein Mensch konnte ermessen, was ihm der Kreisel bedeutete.
Er erhob sich und trat an das große Fenster, das fast eine ganze Seite des Zimmers einnahm. Er betrachtete die farbenprächtige, vor Licht sprühende Show-Stadt, in der es alles gab, was dem Vergnügen dienen sollte. Ihm kam dieses Überangebot an Amüsiermöglichkeiten wie Hohn vor. Er hatte in den letzten Tagen erfahren, daß Touristen aus allen Teilen der zivilisierten Galaxis nach Kantanong kamen, um hier ihr Glück zu versuchen, einmalige Sensationen zu erleben und Dinge zu tun, die sonst nirgendwo erlaubt waren. Kantanong war nicht ohne Konkurrenz, wie Chapat gehört hatte, galt aber doch als Spitzenreiter unter ihresgleichen. Für ihn bot diese Stadt nur Terror und Enttäuschung. Sie hatte ihn mattgesetzt. Was auch immer er tat, es führte ihn nicht weiter, sondern machte seine Lage noch schwieriger. Er wollte sich jedoch nicht damit abfinden, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Es mußte eine Lösung für seine Probleme geben. … War es denn wirklich so schwierig, zu Geld und damit zu Einfluß und Macht zu kommen? Er war nahe daran gewesen, die GMC in die Hände zu bekommen. Damit hätte er zumindest die Möglichkeit gehabt, Kayro Moozong auszuspielen. Die Chance war vertan, weil die Bank nicht mitmachte. Er ging zum Video und ließ sich mit Aki Axxy verbinden. „Ich brauche Geld“, erklärte er lapidar. „Wieviel?“ „Wieviel können Sie mir geben?“ „Tausend Solar.“ „Das ist zu wenig.“ „Mehr haben Sie aber noch nicht verdient, mein Freund. Im Grunde genommen haben Sie sogar Schulden bei mir, denn solange wir die Filme nicht verkauft haben, steht Ihnen kein Gewinnanteil zu.“ „Also gut.“ „Gehen Sie zum Hotelchef, und lassen Sie es sich auszahlen. Ich spreche mit ihm.“ „Danke.“ Die Gestalt des Arkoniden straffte sich. Er trank einen Whisky und verließ das Zimmer. Er fand den Hotelchef in der großen Halle des Hotels. Anstandslos zahlte er ihm das Geld aus. Chapat schwebte im Antigravschacht wieder nach oben, nahm sich einen Gleiter und ließ
sich von ihm zu einem der großen Spielkasinos bringen, die er von seinem Hotelzimmer aus sehen konnte. Die Sonne Blowshmitt ging feuerrot über dem Meer unter. Chapat wurde von einem Glücksgefühl erfaßt, wie er es noch nie zuvor gekannt hatte. Plötzlich war er davon überzeugt, daß er an diesem Abend soviel Geld verdienen konnte, wie er wollte. Er schritt über das Dach des Kasinos und glaubte, den Boden unter seinen Füßen schwanken zu spüren. Nicht ein einziges Mal kam er auf den Gedanken, seine Siegesgewißheit könne auf parapsychische Beeinflussung zurückzuführen sein. Ein blondes Mädchen trat auf ihn zu und hängte sich bei ihm ein, als er durch den Eingang eilte. Jetzt schien es ihm, als dürfe er keine Zeit mehr verlieren. „Oh, Mr. Chapat“, sagte sie mit heiserer Stimme. „Der Superstar besucht uns. Darf ich Sie willkommen heißen?“ „Danke. Zeigen Sie mir, wo ich spielen kann?“ „Gern. Kommen Sie.“ Sie führte ihn durch die Säle des Kasinos, in denen hektisches Treiben herrschte. Überall standen Spielautomaten, und fast alle waren besetzt. „Wollen Sie Soli gewinnen oder das ganz große Geld, Superstar?“ „Raten Sie einmal.“ „Ich weiß schon.“ Sie eilte zu einer kreisrunden Platte. „Können Sie schießen?“ „Ich denke schon.“ Sie gab jemandem ein Zeichen, den Chapat nicht sehen konnte. Die Platte senkte sich nach unten und schwebte in einen Saal ein, der stark verräuchert war. In Sesseln, die halbkreisförmig angeordnet waren, saßen etwa fünfzig Männer und Frauen. Unter ihnen erkannte er Mearl Perkon, den Superstar, der eine Schale mit Früchten und gegrilltem Fleisch, sowie ein Fäßchen Bier vor sich hatte. Aber auch Kayro Moozong und ein zweiter Verrenger lagen in für sie geeigneten Wannen. Die anderen Männer und Frauen kannte Chapat nicht. Er sah noch zwei Nichthumanoide. Sie glichen aus dem Boden gerissenen Wurzeln von knorrigen Bäumen und machten einen unheimlichen und bedrohlichen Eindruck. Niemand schien sich jedoch vor ihnen zu fürchten.
Vor allen drehte sich ein großes Rad und wandte ihnen dabei seine Lauffläche zu. Da es sich recht langsam bewegte, konnte Chapat ausmachen, daß es mit zahlreichen Öffnungen versehen war, die fortlaufende Nummern trugen. Ein Gong ertönte. Das Rad beschleunigte sich, bis die einzelnen Zahlen sich ineinander verwischten. Nun begann eine Uhr zu ticken, und einer der Gäste feuerte nach dem anderen auf das Rad, wobei sich alle bemühten, ein bestimmtes Kästchen zu treffen. „Wie hält man die Schützen auseinander?“ fragte der Arkonide. „Ganz einfach. Jeder Pfeil hat eine andere Farbe und trägt ein anderes Zeichen. Wollen Sie mitmachen? Sie können das Hundertfache Ihres Einsatzes gewinnen, wenn Ihr Geschoß in das richtige Fach schlägt.“ Das Siegesgefühl hielt an. Chapat bemerkte die lauernden Blicke der Blonden nicht. Er nickte nur, als sei er über ihre Frage erstaunt Sie lächelte und führte ihn zu einem Platz. Vor ihm befanden sich zwei matt leuchtende Säulen. „Hier geben Sie Ihren Einsatz herein“, erläuterte sie. „Hier kommt Ihr Gewinn heraus. Es ist ganz einfach. Es werden immer drei von neununddreißig Nummern genannt. Die Uhr tickt nur drei Sekunden lang für Sie, wenn Sie dann nicht geschossen haben, ist Ihre Chance vertan. Was setzen Sie ein?“ „Hundert Solar.“ Er reichte ihr das Geld. Sie schob es in den Automaten und gab ihm den Nadler, mit dem er schießen sollte. „Wenn es soweit ist, leuchtet hier eine Lampe auf. Dann müssen Sie abdrücken.“ Beim erstenmal verpaßte Chapat seine Chance. Er war zu unkonzentriert. Das Mädchen ließ ihn allein. Wiederum setzte er hundert Solar. Und dieses Mal verpaßte er sein Ziel nur ganz knapp. Er war sich dessen sicher, daß er beim nächsten Mal treffen würde, und er wagte fünfhundert Solar. Er hob den Nadler, zielte und wartete, daß er an die Reihe kam. Sein Licht leuchtete auf. Da schrie Mearl Perkon triumphierend auf. „Eine Million“, brüllte er. „Das bringt eine Million Solar.“ Chapats Hand zitterte leicht. Die Nadel blieb am Rand des Faches stecken, Millimeter vom großen Erfolg entfernt. Er legte zweihundert Solar ein und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Chapat wartete. Die Zeit verstrich. Keiner der anderen Spieler ließ sich drängen. Alle scharten sich um Perkon. Der Arkonide wurde ungeduldig. Er fühlte, wie ihm die Tränen kamen. Vergeblich versuchte er, seine Erregung zu dämpfen. Er wußte, daß er seine Chancen minderte, wenn er nicht ruhiger wurde, aber je länger der Siegesjubel dauerte, desto weniger gelang es ihm, sich zu fangen. Endlich nahmen die anderen Spieler wieder ihre Plätze ein. Das Rad begann sich zu drehen. Die Zahlen, die getroffen werden mußten, leuchteten auf. Chapat konzentrierte sich auf eine von ihnen. Seine Lampe gab ihm das Startzeichen. Er schoß – und verfehlte das Ziel. Ärgerlich biß er sich auf die Lippen. Das war nicht nötig gewesen. Mit diesem Schuß hätte er dreißigtausend Solar einstreichen können. Er schob fünfzig Solar in die Säule und wartete. Aber die Belastung wurde zu groß. Alles hing nun von diesem einen Schuß ab. Chapat schaffte es nicht. Die Nadel pfiff Zentimeter am Ziel vorbei. Er drehte die fünfzig Solar, die er noch besaß, in den Händen. Sollte er es noch einmal versuchen? „Sie wollen doch noch nicht aufgeben, Superstar?“ fragte die Blonde und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Lassen Sie sich nicht entmutigen. Ich habe schon oft gesehen, daß der letzte Schuß saß.“ Sie nahm ihm das Geld aus der Hand und setzte es. Er griff nach dem Nadler. Wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. Er wischte sie hinweg. Sein Arm streckte sich aus. Er schoß. Zitternd blieb die Nadel am Rand des Faches stecken. „Oh, wie schade“, sagte die Blonde. „Ich habe Ihnen so sehr die Daumen gedrückt. Hier, trinken Sie noch ein Glas auf Kosten des Hauses.“ Chapat stand auf. Er entleerte das Glas, doch der. Whisky schmeckte ihm nicht. Er hatte einen faden Geschmack im Mund. Wortlos ließ er sich nach oben bringen. Er verließ das Kasino in der Gewißheit, eine Dummheit gemacht zu haben. In der Tasche fand er noch einige Münzen, die für einen Taxigleiter ausreichten. Er ließ sich zum Medocenter fliegen und verlangte dort, zu Pierre Bodanski geführt zu werden. Wiederum weigerte sich die Positronik, und abermals erreichte er mit einer Drohung, was er wollte.
„Es ist zu früh für den Kranken“, erklärte ihm eine Robotschwester. deren Bild eingeblendet wurde. „Wecken Sie ihn auf“, befahl er und setzte sich erneut durch. Bodanski sah schon wesentlich besser aus. Sein Gesicht war bleich, aber nicht mehr geschwollen. Die Wunden waren verschlossen und kaum noch zu erkennen. „Pierre, ich brauche dich“, sagte Chapat. „Du mußt herauskommen.“ „Hier bin ich sicher, Freund. In deiner Nähe lebt es sich wie vor dem Projektor einer Energiekanone, die jeden Moment abgeschossen werden kann.“ „Ich brauche Informationen, Pierre. Ich kenne mich nicht aus. Ich benötige jemanden, der mir sagt, wie die Verhältnisse sind.“ „Warum?“ „Ich mache alles falsch.“ „Dafür scheinst du ein besonderes Talent zu haben.“ „Ich verspreche dir, daß ich dich nicht in Gefahr bringen werde.“ „Einverstanden. Ich komme in ein paar Minuten.“ Chapat wartete ungeduldig. Er begann daran zu zweifeln, daß die Positronik Bodanski schon entlassen würde. Doch der Schauspieler kam tatsächlich. Er hinkte noch ein wenig, wirkte aber sonst erholt. Vor Chapat blieb er stehen und grüßte mit einer ironischen Geste. „Chefberater Bodanski zur Stelle, Lordadmiral Atlan“, sagte er. Ein wenig hilflos blickte Chapat auf ihn herab. „Wir sind nicht bei Filmaufnahmen“, entgegnete er. Bodanski lachte, legte ihm einen Arm auf die Schulter und drängte ihn zum Ausgang hin. Draußen war es dunkel. Dichte Wolken zogen über Kantanong hinweg. Sie ließen das Licht der Sterne nicht durch. Die Stadt leuchtete dafür um so mehr. Die Reklamen wetteiferten hinsichtlich der Farben, der Helligkeit und der Lebendigkeit miteinander. Kantanong glich einem quirligen Haufen von durcheinander kriechenden Lichtlebewesen. „Eine Stadt der Narren“, sagte Chapat. „Sie kommen in Scharen hierher, um ihr Geld abzuliefern.“ Er berichtete Bodanski von seinem Besuch im Spielkasino. Der Schauspieler begann schallend zu lachen, bis ihm die Luft wegblieb, und er husten mußte.
„Du bist wirklich ein wahrer Tor, Chapat“, rief er, als er endlich wieder sprechen konnte. „Warum? Ich verstehe dich nicht“, entgegnete der Arkonide bestürzt. „Was soll das?“ Pierre Bodanski wies mit ausgestrecktem Arm auf die Stadt hinunter, über die sie jetzt im Gleiter flogen. „Das ist die Geldmaschine der Madria. Sie ist nur dazu da, Geld einzubringen. Die Touristen kommen in dem Glauben, daß sie hier eine echte Chance haben, ihr Glück zu machen, aber das ist natürlich Unsinn.“ „Ich war dabei, als Mearl Perkon eine Million Solar gewann.“ Bodanski spuckte aus. „Das ist es ja gerade, Chapat. Das Kasino wird – wie jeder andere Glückspalast in Kantanong – parapsychisch durchstrahlt. Jeder, der sich ihm nähert, wird von einem wahren Siegesgefühl erfaßt, so daß er keine Hemmungen mehr hat, alles zu wagen, was er besitzt. So nimmt man den Leuten das Geld ab.“ „Aber Mearl Perkon…“ „Immer mit der Ruhe, Chapat. Mearl Perkon ist ein Popanz. Er ist weder ein Superstar noch ein Millionär. Er spielt nur die Rolle des Superstars.“ „Aber das ist doch sinnlos. Und wie könnte er das, wenn er kein Geld hat?“ „Er ist ein Angestellter der Madria. Eine Reklamefigur. Er spielt den unermeßlich reichen Superstar, um damit möglichst viele junge Menschen dazu zu veranlassen, Schauspieler zu werden. Je mehr Schauspieler es gibt, desto mehr Arbeitslose gibt es unter ihnen, und um so mehr können die Produzenten die Gagen nach unten drücken. Mearl Perkon gaukelt allen vor, daß man als Schauspieler reich werden kann. Im Kasino macht er das gleiche. Er hat nicht wirklich gewonnen. Die Direktion hat ihm einen Millionengewinn zugespielt, den er natürlich nicht ausbezahlt bekommt. Damit sollen nur die anderen Spieler aufgestachelt werden. Bei dir ist das ja auch gelungen.“ „Das hättest du mir auch schon sagen können, als ich Mearl Perkon zum erstenmal gesehen habe.“ „Zu diesem Zeitpunkt kannte ich dich kaum.“
Chapat stieg in den Gleiter und startete. Ziellos ließ er sich dahintreiben. „Kantanong widert mich an“, erklärte er. „Mich auch – aber ich kann nicht weg.“ Der Arkonide berichtete nun, was in der Zwischenzeit geschehen war. Bodanski hörte schweigend zu, bis Chapat alles erzählt hatte. Als er auch dann noch nichts sagte, fügte Chapat hinzu: „Ich verstehe nicht, wie der Plan des Bankiers hätte aufgehen können.“ „Das ist einfach“, antwortete Bodanski. „Die Altaktionäre hätten die Schuldverschreibungen an eine Bank verkaufen können und hätten damit Bargeld gehabt. Die CMC wiederum hätte mit ihren Gewinnen die Schuldverschreibungen von der Bank zurückgekauft. Der Plan war genial. Lordadmiral Atlan hätte ihn durchgestanden, aber du bist nicht Atlan.“ „Leider“, entgegnete Chapat. „Was hast du vor?“ „Ich weiß es nicht.“ „Du mußt untertauchen und versuchen, in zwei Tagen mit der TRAUMPALAST zu verschwinden.“ „Ohne Kreisel?“ „Mit Kreisel – sonst bekommst du kein Engagement.“ Chapat nickte. „Zu dieser Ansicht bin ich auch gekommen. Was aber soll ich tun? Soll ich ins Landesinnere fliegen und mich dort verstecken?“ „Sie würden dich schnell finden. Sie brauchten nur den Gleiter, den du nimmst, zurückzurufen, oder die Flugdaten abzulesen, die du eingetippt hast. Sie werden in der Zentrale aufgezeichnet.“ „Hast du einen anderen Vorschlag?“ „Du könntest gleich Selbstmord begehen“, entgegnete Bodanski mit einem schiefen Lächeln. Die beiden Männer schwiegen. Chapat ließ den Gleiter absinken und über den Strand hinausfliegen. Er sah, daß Dutzende von Männern und Frauen im Sand zusammengerollt lagen und schliefen. „Der Vorschlag gefällt mir nicht“, sagte er endlich. „Ich habe einen anderen. Ich werde versuchen, in die Villa von Kayro Moozong einzudringen und den Kreisel herauszuholen. Wenn ich das geschafft habe, werde ich zum Besitzer der TRAUMPALAST gehen und mich engagieren lassen.“
„Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die du noch hast, Chapat.“ Pierre Bodanski kreuzte die Arme vor der Brust. „Hilfst du mir?“ „Ich weiß nicht. Vergiß nicht, daß ich später keine Chance habe, mich ebenfalls zu verdrücken. Wenn die Madria merkt, daß ich mit deiner Flucht zu tun habe, wird sie sich an mir rächen.“ Er warf eine kleine Münze in den Automaten des Gleiters und zapfte sich ein alkoholisches Getränk ab. „Immerhin könnten wir es der Madria etwas schwerer machen, wenngleich wir ihr damit gleichzeitig auch wieder einen Tip geben würden.“ „Was meinst du?“ „Ich meine, du solltest ins Filmstudio gehen und dir von der Positronik eine Maske anlegen lassen, damit du Lordadmiral Atlan nicht mehr so verdammt ähnlich siehst. Natürlich wird diese Maske aufgezeichnet, so daß die Madria dein neues Aussehen erfährt. Es wird also notwendig sein, dich anschließend von Hand wiederum zu verändern. Dann könntest du dich unerkannt in Kantanong bewegen und wärest vor den Killern der Madria für einige Stunden sicher.“ „Und wann soll ich das tun?“ „Das mußt du wissen. Zunächst müßtest du dich erkundigen, wann die TRAUMPALAST startet. Danach muß sich alles andere richten.“ „Ich benötige eine neue Waffe.“ „Ich weiß“, erwiderte Bodanski seufzend. „Sag mal, was würdest du eigentlich tun, wenn du mich nicht hättest?“ „Ich würde Superstar werden“, erklärte Chapat lächelnd.
7. Pierre Bodanski betrat genau um Mitternacht die Suite, die Chapat bewohnte. Schweigend legte er eine Impulsautomatik auf den Tisch. Der Arkonide nahm die Waffe auf und prüfte sie. Er war zufrieden. „Das scheint mir eine gute Waffe zu sein“, sagte er. „Sie ist wirklich gut, Superstar.“ Bodanski bestellte sich auf der Servicetastatur ein Abendessen, das eines Mearl Perkon würdig gewesen wäre.
„Du gehst großzügig mit dem Geld von Aki Axxy um“, stellte Chapat fest. „Das schadet nichts. Er hat genug davon. Ich würde dir ebenfalls empfehlen, die teuersten Delikatessen zu probieren. Morgen hast du keine Gelegenheit mehr dazu.“ „Was soll das heißen?“ „Ich habe gerade erfahren, daß die TRAUMPALAST morgen abend startet.“ Bodanski lachte. „Worüber freust du dich so?“ „Ich dachte gerade daran, daß Aki Axxy ein enormes Verlustgeschäft gemacht hat. Er wird morgen feststellen, daß ihm sein Superstar davongelaufen ist. Damit ist seine Serie gestorben.“ Ein Roboter brachte das Essen herein. Er war mit Biomolplast verkleidet und trug die Maske eines dunkelhaarigen Mädchens. Pierre Bodanski machte sich mit einem wahren Heißhunger über die Delikatessen her. Chapat sah ihn schweigend zu. „Hast du dir alles überlegt?“ fragte der Terraner. „Du hast nicht mehr viel Zeit. Du solltest noch in dieser Nacht in die Villa von Kayro Moozong einbrechen. In der Dunkelheit hast du die besten Chancen.“ „Dann sollten wir keine Zeit verlieren“, entgegnete Chapat. Bodanski verzog das Gesicht, schob sich schnell noch eine Schnecke in den Mund und erhob sich. „Da hat man schon einmal derartige Sachen vor sich auf dem Tisch und kann sie nicht aufessen. Das Schicksal ist gegen mich. Gehen wir.“ Der Arkonide steckte die Waffe in seinen Gürtel und verließ zusammen mit dem Terraner die Suite. In einem Gleiter wechselten sie zum Studiogelände über. Der Robotpförtner ließ sie anstandslos passieren, nachdem er Chapat als einen beschäftigten Schauspieler identifiziert hatte. Bodanski kannte sich hier aus. Er führte den Arkoniden zum positronischen Maskenbildner, der sich in einem kleinen Raum befand. Vor einer Spiegelwand setzte Chapat sich auf einen Schalenstuhl. Der Terraner tippte das Programm in eine Tastatur. Von der Decke senkten sich mehrere mechanische Arme herab, und die Verwandlung begann. Sie dauerte nur wenige Minuten, dann
glich Chapat einem sommersprossigen, rothaarigen Terraner. Seine Augen waren blau, und ein mehrere Tage alter Bart verunzierte sein Gesicht. Eine Ähnlichkeit mit seinem vorherigen Bild war nicht mehr vorhanden. Bodanski blieb, wie er war. Er schaltete das Gerät aus und führte den Arkoniden aus dem Studio heraus. Sie stiegen mit einem Gleiter auf und ließen sich über die Stadt hinwegtreiben. Dabei entfernte der Terraner einige Biomolplastpölsterchen an Schläfen und Wangen Chapats und änderte sein Aussehen damit erneut. „Jetzt kannst du es versuchen“, sagte er. „Man wird dich nicht erkennen. Falls wir uns vor dem Start der TRAUMPALAST nicht mehr sehen sollten, will ich dich noch beruhigen. Du kannst die Maske leicht wieder beseitigen. Du brauchst dir den Kopf nur mit Wasser zu waschen. Hoffen wir also, daß es heute nacht nicht regnet.“ „Was hast du vor?“ „Ich werde dich mit dem Gleiter bis in die Nähe der Villa bringen. Alles andere liegt bei dir. Ich warte in der Nähe, aber ich kann dir nicht versprechen, daß ich dich heraushole. Du mußt dir selbst überlegen, wie du weiterkommst, wenn du den Kreisel hast. Ich habe schon genug für dich getan.“ „Und wie komme ich zum Raumhafen? Wo ist er überhaupt? Ich meine, kann ich ihn erreichen, ohne vorher von der Madria aufgegriffen zu werden?“ Pierre Bodanski blickte Chapat so bestürzt an, daß dieser erkannte, wie wenig der Terraner an diese Fragen gedacht hatte. Er atmete einige Male tief durch, dann fragte er mutlos: „Willst du es nicht doch lieber aufgeben, Chapat?“ „Nein.“ Der Terraner zog den Gleiter herum und beschleunigte. Er flog direkt auf die Villa von Kayro Moozong zu, die irgendwo in der Dunkelheit verborgen vor ihnen lag. Einige Minuten verstrichen, ohne daß einer der beiden Männer etwas sagte. Als Bodanski dann aber auf einem felsigen Parkplatz unweit des Luxushauses landete, stellte er fest: „Ohne Hilfe kannst du es einfach nicht schaffen. Ich weiß nicht, wie du zum Raumhafen kommen kannst, aber vielleicht fällt mir bis morgen noch etwas ein. Ich warte hier auf dich. Solltest du gezwungen sein, in eine andere Richtung zu fliehen, treffen wir
uns morgen früh unten am Strand. Du kannst dich zwischen den Bäumen, Büschen und Klippen dort unten recht gut verstecken, bis ich komme.“ „Ich danke dir, Pierre.“ „Verschwinde, bevor es hell wird“, entgegnete der Terraner grob. Chapat stieg aus und eilte davon. Bodanski blickte ihm nach. * Chapat konzentrierte sich vollkommen auf die bevorstehende Aufgabe. Alle Gedanken an das, was danach kommen konnte, schob er weit zurück. Er verließ sich darauf, daß Bodanski etwas einfallen würde. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, und seine überaus scharfen Sinne halfen ihm, sich zu orientieren. Er nahm schon von weitem jenen eigenartigen Geruch wahr, der von dem Verrenger Kayro Moozong ausging, obwohl dessen Ausdünstung so gering war, daß sie sonst kaum auffiel. Er stieg über die Felsen hoch und gelangte zwischen zwei Häusern hindurch auf eine Halde, die sich bis zur Luxusvilla Moozongs hinaufzog. Lautlos wie ein Schatten kletterte er von Stein zu Stein, wobei er ein hohes Tempo vorlegte. Über den Bergen wurde bereits ein heller Schimmer sichtbar. Er mußte sich beeilen, wenn er rechtzeitig vor Tagesanbruch im Haus sein wollte. Dann lag eine Steilwand vor ihm, an der es kaum Vorsprünge gab. Chapat zögerte keine Sekunde mit dem Einstieg. Geschmeidig wie eine Katze kämpfte er sich nach oben. Immer wieder fand er Halt für seine Füße. Als er noch etwa vier Meter unter der hüfthohen Mauer war, die das Grundstück des Verrengers umspannte, schien sein Weg zu Ende zu sein. Die Felswand über ihm war absolut glatt. So kletterte er seitwärts weiter, bis er eine Möglichkeit sah, nach oben zu kommen. Doch zwischen dem nächsten Ansatzpunkt dafür und ihm lag eine zwei Meter breite Rinne, die vom Regenwasser ausgewaschen war. Er strich mit der Hand prüfend über das Gestein. Es war so schlüpfrig, daß seine Füße daran abrutschen mußten. Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte sie überspringen. Auf der anderen Seite ragte eine Felszacke wenige Zentimeter aus der Wand hervor. Sie war sein Ziel. Er ließ sich tief in die Knie sinken, streckte
die Arme sichernd zu beiden Seiten aus, und schnellte sich hinüber. Ihm war, als habe er sich ins Nichts geworfen. Der Abgrund unter ihm schien ihn an sich reißen zu wollen. Dann schlug sein Fuß auf den Vorsprung und rutschte ab. Unwillkürlich schrie Chapat auf. Er schlug mit beiden Armen um sich, um den Sturz in die Tiefe zu vermeiden. Dabei krallten sich seine Finger an die Zacke, auf die er seinen Fuß hatte setzen wollen. Mit aller Kraft hielt er sich fest. Seine Fußspitzen scharrten haltsuchend über das Gestein. Er wartete, bis er ruhig hing. Dann brachte er auch seine linke Hand an die Zacke und zog sich hoch. Beängstigend lange erschien es so, als könne er es nicht schaffen, doch dann schob er sich wieder auf die Mauer zu, als sei nichts geschehen. Er schwang sich über sie hinweg, fiel ins Gras und rollte sich sofort zur Seite. Neben ihm schnappte eine Falle zu. Er spürte, wie etwas an seinem Kopf vorbeiflog, und er preßte sich fest an den Boden. Im Park vor dem Haus war es still. Chapat konnte keine Wächter sehen. Er wartete einige Minuten ab, bis sein Atem wieder ruhiger ging, dann kroch er auf allen vieren auf einen Steinweg zu. Seine Fingerspitzen tasteten sich vorsichtig durch das Gras. Und wieder hatte er Glück. Seine überaus empfindlichen Sinne warnten ihn rechtzeitig. Er hörte ein kaum wahrnehmbares Klicken. Seine Hände zuckten zurück und entgingen damit einer zweiten Klappfalle, in der er sich unweigerlich verfangen hätte, wenn er aufrecht gegangen wäre. Er verharrte auf der Stelle und wartete. Wiederum verstrichen einige Minuten, ohne daß etwas geschah. Dann glitt er weiter auf den Weg zu. Er entdeckte ein schwach glimmendes Licht in den Büschen. Es befand sich etwa in Kniehöhe. Er lächelte abfällig, erhob sich und stieg über die Strahlenfalle hinweg, die er hier vermutete. Das Haus des Musikproduzenten Kayro Moozong war etwa siebzig Meter breit. Es war in zwei übereinander liegenden Stufen gebaut worden, die in sich leicht gebogen waren. Die Front der oberen Stufe bestand aus einer gläsernen Wand. Chapat sah, daß einige Glastüren zur Seite geschoben waren. Der Wind bewegte die hauchfeinen Vorhänge. Dort oben war ebenfalls niemand zu sehen. Er hatte erwartet, hier wenigstens zwei oder drei Wachen vorzufinden. Kayro Moozong schien sich sicher zu fühlen.
Vermutlich hatte er auch keinen Grund, sich vor ungebetenen Gästen zu fürchten, denn er stand der Madria nahe oder gehörte ihr vielleicht sogar an. Als der Arkonide sich bereits wieder erheben und weitereilen wollte, senkte sich lautlos ein Gleiter auf das Gelände herab. Als er bis auf fünf Meter an das Gras herangekommen war, zuckte ein schwachblauer Blitz vom Haus zu einem der Bäume, und in zwei Räumen der Villa ging das Licht an. Chapat erkannte, daß ein unsichtbares Strahlendach das Anwesen vor unerwünschten Eindringlingen schützte. Zwei Männer entstiegen der Maschine. Sie eilten auf den Eingang des Hauses zu, wo sie von zwei anderen Männern erwartet wurden. Alle vier gingen ins Haus, und wenig später erlosch das Licht wieder. Chapat schlich sich an den Gleiter heran. Er hatte sich genau gemerkt, auf welchem Wege die Männer an die Villa herangegangen waren. Er näherte sich dem Gebäude ebenso, allerdings ging er nicht aufrecht, sondern schob sich bäuchlings durch das Gras. Direkt vor dem Eingang richtete er sich auf. Seine Hand streckte sich bereits nach dem Öffnungskontakt aus, als sich hinter der Tür ein großes Tier aufrichtete. Er fuhr zurück. Seine Augen begannen zu tränen. Er erwartete, daß dieser unangenehme Wächter Laut geben würde, aber alles blieb ruhig. Er wandte sich nach rechts und kroch an der Wand entlang bis zur Ecke des Gebäudes. Als er es fast erreicht hatte, trat ein Mann hinter dem Haus hervor, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen. Chapat konnte ihn gegen den etwas helleren Himmel recht gut sehen. Er wartete ab und lauschte mit angespannten Sinnen. Endlich hörte er, daß der Wächter atmete. Es war kein Roboter. Vor einem solchen Gegner hätte er sich erheblich mehr gefürchtet, weil er nicht gewußt hätte, wie er ihn hätte bekämpfen müssen. Er krümmte sich zusammen und schnellte dann wie eine Feder auseinander. Der Wachtposten wurde völlig überrumpelt. Chapat packte ihn mit der einen Hand bei der Kehle und schlug ihm die freie Faust wuchtig gegen die Schläfe. Das genügte. Der Arkonide fühlte, wie sein Gegner ihm unter den Händen erschlaffte. Sicherheitshalber setzte er seine Faust noch einmal ein. Dann streifte er dem anderen Jacke und Hemd ab und fesselte ihn damit. Er schob ihm einen Knebel in den Mund und legte ihn dicht an das Haus, nachdem er ihn
nach Waffen durchsucht hatte. Dabei hatte er jedoch nichts gefunden. Deshalb kroch er jetzt durch das Gras und tastete den Boden mit den Händen ab, bis er einen Strahler unter seinen Händen spürte. Er nahm ihn auf und behielt ihn in der Hand. Er bedauerte, daß er seinen Fund nicht klassifizieren konnte. Auf einen Hypno oder einen Paralysestrahler hätte er großen Wert gelegt, weil er mit ihnen wesentlich unauffälliger kämpfen konnte als mit einer Impulsautomatik. Er versuchte, zu dem höher gelegenen Stockwerk hinaufzukommen, doch vergeblich. Die Kante war zu hoch für ihn. Er konnte sie selbst im Sprung nicht erreichen. Deshalb wandte er sich schließlich um und schlich sich im Bogen an der Eingangstür vorbei zur anderen Ecke des Hauses. Es war nun bereits so hell geworden, daß er mehrere Meter weit sehen konnte. Neben dem Gebäude stand ein robotischer AG-Rasenmäher. Chapat lief einige Meter weit zurück, drehte sich um und rannte auf das Haus zu. Er schnellte sich auf das Gerät und ließ sich von dort zum ersten Stockwerk hinaufschleudern. Das Gehäuse des Mähers federte auf seinem Antigravfeld wie ein Sprungbrett. Chapat landete auf der Brüstung. Unmittelbar vor ihm befand sich ein Mann, der sofort herumfuhr und sich ihm entgegenstellte. Der befürchtete Alarmruf blieb aus. Der Arkonide wich einem Fausthieb aus. Der Posten versuchte, ihm mit einem Fußtritt umzustoßen, doch Chapat packte das Bein und zog es mit einem Ruck zu sich heran. Der Wächter fiel zu Boden, griff nach seiner Waffe und richtete sie auf den Arkoniden. Dieser feuerte den erbeuteten Strahler ab. Ihm blieb keine andere Wahl, und er hatte keine Zeit, noch darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn der sonnenhelle Energiestrahl eines Blasters die Nacht erhellen würde. Wiederum hatte er Glück. Sein Gegner sank zurück und ließ Arme und Beine zur Seite sinken. Er war paralysiert. Chapat atmete auf. Offenbar legte Kayro Moozong Wert darauf, bei nächtlichen Kämpfen in seinem Schlaf nicht gestört zu werden. Chapat löste den Paralysator abermals aus, eilte dann lautlos zur anderen Seite des Hauses, wo der Gefesselte lag. Er sah, daß sich dieser bereits wieder bewegte, und er lähmte auch ihn. Dann wandte er sich den offenen Glastüren zu.
Wo schlief der Verrenger? Chapat hob den Kopf und konzentrierte sich ganz auf den arttypischen Geruch dieser nichthumanoiden Intelligenz. Er mußte ihm den Weg weisen. Er schritt an der Glasfront entlang, bis er sicher war, die Räume des Produzenten gefunden zu haben. Er blieb stehen und horchte. Im Haus war alles still. Vorsichtig trat er an eine halboffene Tür heran. Drinnen war es absolut dunkel. Er konnte nichts erkennen. Plötzlich wußte er nicht mehr weiter. Er wußte nicht, was er tun sollte. Wo mochte Moozong den Kreisel versteckt haben – falls er ihn überhaupt hatte? Er trat durch die Tür ein. Deutlich hörte er den leisen Atem des Verrengers. Er hob den Paralysator, um ihn zu lähmen, als sich ihm etwas um Hals, Arme und Beine legte und ihn mit unwiderstehlicher Kraft zu Boden drückte. * 12.10.2843 – Quinto-Center Der Interkom vor Lordadmiral Atlan leuchtete auf. Der Arkonide blickte angespannt auf den Bildschirm, auf dem das kantige Gesicht eines Terraners sichtbar wurde. „Nun, Major Skyfan?“ „Die Aktion war ein voller Erfolg.“ „Dann ist sie jetzt abgeschlossen?“ „Sie ist beendet. Die CGH-Gruppe ist ins Leere gelaufen, genauso wie Sie es geplant hatten.“ „Ich gratuliere Ihnen, Major.“ „Ohne Ihre Hilfe hätten wir es nicht geschafft, Sir.“ „Gut, Major. Machen Sie Ihren Bericht.“ Atlan schaltete aufatmend ab. Ein äußerst schwieriger Einsatz einiger USOSpezialisten hatte ihn länger an Quinto-Center gefesselt, als ihm lieb war. Er erhob sich und verließ den Raum. Auf dem Gang begegnete er Ronald Tekener, seinem Stellvertreter, der erst vor einer knappen Stunde eingetroffen war. „Ich fliege nach Kantanong“, erklärte der Arkonide. „Sie werden von mir hören.“ Er reichte dem Narbengesichtigen die Hand und verabschiedete sich von ihm. Dann strebte er über eine der großen Gleitstraßen zur
Außenhülle des ausgehöhlten Mondes, wo seit Tagen schon ein Raumschiff für ihn startbereit in einem Hangar stand. Nachdenklich und still legte er den Weg zurück. Er hielt die Tonspule in der Hand, die der Spezialist Hessefy von Kantanong mitgebracht hatte. Sie stellte das einzige Verbindungsstück zu jenem seltsamen Fremden dar, der ihm so ähnlich sah. * Chapat stürzte zu Boden. Er schlug um sich, aber sein Gegner hielt seine Arme und Beine so fest, daß seine Bemühungen kläglich scheiterten. Das Licht ging an. Chapat erstarrte. Er befand sich in der Gewalt eines krakenähnlichen Wesens, das ihn mit seinen blauen Tentakeln umschlang. Direkt über seinem Kopf schwebte ein vogelkopfähnliches Gebilde mit zwei giftgrünen Augen, die ihn feindselig anblickten. Bedrohlicher aber war, daß unter den Augen zwei fingerlange Stachel aus einer Hautfalte herauswuchsen, an deren Spitzen einige Tropfen einer farblosen Flüssigkeit hingen. Der Arkonide erkannte augenblicklich, daß es sich dabei nur um ein starkes, vielleicht sogar absolut tödliches Gift handelte. Er ekelte und fürchtete sich vor diesem Geschöpf. Durch eine offene Tür glitt Kayro Moozong herein. Seine Stielaugen schoben sich aus seinem Kopf heraus, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Lachen. „Dachte ich es mir doch“, rief er. „Nimm ihm die Waffe ab, Zex.“ Der erbeutete Paralysator lag auf dem Boden. Er war Chapat entfallen. Das Krakenwesen nahm ihn mit einem freien Tentakel auf und entfernte ihn aus dem Blickfeld des Arkoniden. „Laß ihn los.“ Chapat sank erschöpft auf die Knie, als die Muskelstränge ihn endlich freigaben. Seine Hand- und Fußgelenke schmerzten, weil Zex mit aller Kraft zugepackt hatte. Dem Arkoniden erschien es wie ein Wunder, daß die Knochen diesem Druck widerstanden hatten. Er preßte die Ellenbogen an den Leib und verdeckte so die zweite Waffe, die er besaß. Offenbar kam Moozong gar nicht auf den Gedanken, daß er noch einen weiteren Strahler haben könnte.
Der Produzent wandte sich um, eilte in den Nebenraum und kam mit einem großen Glas zurück, das mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefüllt war. Er trank gierig, als sei er dicht vor dem Verdursten. „Du wolltest also alle betrügen, Chapat“, stellte er fest. „Mir wolltest du den Kreisel stehlen. Ramon Hablish wolltest du einen Freundschaftsdienst verweigern. Und für Aki Axxy wolltest du nicht länger Hauptdarsteller sein. Das kann ich sogar verstehen, denn Axxy wollte dich im wahrsten Sinne des Wortes ausbeuten.“ Chapat wollte sich aufrichten, doch Zex schlug mit einem Tentakel nach ihm und schleuderte ihn wieder zu Boden. „Geben Sie mir den Kreisel wieder, Mr. Moozong. Mehr will ich nicht.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Der Verrenger lachte dröhnend. „Aber so geht es natürlich nicht. Wir müssen andere Seiten aufziehen.“ „Was haben Sie vor?“ „Bist du wirklich so naiv? Du bist wertvoll wie reines Howalgonium für uns – für mich, für die Madria und für Aki Axxy. Bisher haben wir auf freiwillige Zusammenarbeit gesetzt. Damit bist du offenbar nicht einverstanden. Jetzt werden wir dich zwingen, das zu tun, was wir wollen.“ Chapat fühlte, wie die Spitzen der Tentakel über seinen Rücken glitten. Er erschauerte. Seine Chancen waren minimal. Wie schnell reagierte Zex? Er kniete vor Kayro Moozong. Die Schmerzen ebbten allmählich ab. Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte. Er wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Zweifellos hielten sich noch mehr Menschen oder auch andere Intelligenzen in der Villa auf. Sie waren vielleicht schon aufmerksam geworden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie eintrafen. Je größer die Zahl seiner Gegner aber war, desto auswegloser wurde seine Lage. „Ich werde niemals mit Ihnen zusammenarbeiten, wenn Sie nicht mit offenen Karten spielen. Für wie dumm halten Sie mich eigentlich? Sie meinen, Sie könnten mich hemmungslos ausnutzen, aber das wird Ihnen nicht gelingen.“ „Nun – dumm bist du nicht. Das stimmt. Der Finanzierungsplan, den Bankier Anxville mir unterbreitet hat, war wirklich sehenswert. Ich wäre fast darauf eingegangen.“
Chapat bemühte sich um ein geschmeicheltes Lächeln. Kayro Moozong ließ sich täuschen. Er hielt den Arkoniden für harmlos. „Darf ich aufstehen, Mr. Moozong?“ Der Verrenger fuhr seine Stielaugen ein. Sie sanken in die Höhlen zurück. Er streckte die Hand aus und forderte ihn mit großmütiger Geste auf, sich zu erheben. Als Chapat sich aufrichtete, blickte er über die Schultern zurück, als wolle er sich vergewissern, daß Zex ihn nicht abermals umstieß. Das Krakenwesen zog sich um etwa einen Meter zurück. Darum ging es dem Arkoniden. Er wollte wissen, wie groß der Abstand zwischen ihm und diesem gefährlichen Gegner war. Chapat warf sich entschlossen nach vorn, zog dabei die Waffe aus dem Gürtel und drehte sich zugleich im Flug herum. Er stürzte schwer auf die Schultern. Blaue Tentakel fuhren auf ihn zu. Kayro Moozong schrie auf. Der Arkonide löste den Strahler aus. Ein sonnenheller Energieblitz zuckte aus dem Projektionsfeld und traf das Krakenwesen. Es prallte zurück, sank in sich zusammen, schnellte dann jedoch wieder hoch und versuchte, Chapat anzugreifen. Der Arkonide feuerte abermals. Er traf den Kopf, der förmlich auseinanderbarst. Eine gelbe Dampfwolke stieg zischend auf. Chapat erhob sich. Er war wie betäubt. Seine Schultern schmerzten. Im Raum war es heiß geworden, und von dem toten Zex ging ein unerträglicher Gestank aus. Hustend und keuchend eilte der Arkonide in den Nebenraum, in den Kayro Moozong geflüchtet war. Er bemerkte nicht, daß der Teppich im Durchgang sich zu einigen Falten aufgeworfen hatte. Sein Fuß verfing sich darin, und er stürzte zu Boden. Im gleichen Moment zischte ein blauer Energiestrahl über ihn hinweg. Chapat rollte sich zur Seite. Kayro Moozong stand vor einem Wandschrank. Er hielt einen Blaster in der Hand und richtete ihn auf den Arkoniden, der instinktiv schoß. Er traf den Verrenger am Hals. Der Produzent ließ seine Waffe fallen, griff sich mit beiden Händen an die Augen und sank zu Boden. Er wälzte sich ächzend bis zum Fenster. Dort streckte er sich aus und bewegte sich nicht mehr. Chapat stand auf. Er schleuderte Moozongs Waffe mit dem Fuß zur Seite, zog sich bis in den äußersten Winkel des Raumes zurück
und lauschte. Im Haus wurden Stimmen laut. Einige Männer rannten unten in den Park hinaus. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie entdeckten, was hier oben geschehen war. Suchend blickte der Arkonide sich um. Er befand sich in einem Schlafraum, in dem Kayro Moozong geruht hatte. Wo hatte der Verrenger den Kreisel versteckt? Chapat eilte zu Moozong, kniete neben ihm nieder und griff nach einem seiner Arme, ließ ihn jedoch sofort wieder fallen. Kantanongs mächtigster Musikmanager war tot. Daran konnte kein Zweifel mehr bestehen. „Ischtar“, sagte der Arkonide zunächst leise. Dann rief er wesentlich lauter: „Ischtar! Ischtar!“ Wie ein gefangenes Tier lief er im Raum auf und ab. „Ischtar – Mutter!“ Er blieb stehen und horchte. Schritte näherten sich ihm. Mehrere Männer sprachen laut miteinander. Doch diese Geräusche nahm er kaum wahr. Er hörte jedoch, daß der Kreisel antwortete. Unwillkürlich lächelte er. Jetzt wußte er, daß der Kreisel tatsächlich in dieser Villa war. Er rief erneut: „Ischtar!“ Und wieder meldete sich der Kreisel. Dieses Mal hatte er sich die Richtung, aus der die Stimme kam, genau gemerkt. Er riß ein Bild von der Wand. Dahinter verbarg sich eine Panzertür. Sie war nicht fest verschlossen. Chapat riß sie auf. Zahlreiche Papiere, Tonspulen und Aufzeichnungsnadeln lagen vor ihm. Die Stimme des Kreisels klang aus einem verschlossenen Zusatzfach hervor. Er trat einige Schritte zurück, richtete den Strahler auf die obere Kante der Tür und schoß. Der Energiestrahl vernichtete einen Großteil des Materials im Safe, sprengte zugleich aber auch das Gefängnis des Kreisels. Chapat zog das glühende Fach mit Hilfe seiner Waffe auf, die er als Hebel benutzte. Dann ergriff er Ischtars-Memory, verbrannte sich fast die Finger daran und ließ es in eine Jackentasche fallen. Er hatte sein Ziel erreicht. Nun gab es keinen Grund mehr, auch nur eine Sekunde länger zu bleiben. Chapat rannte durch eine halboffene Tür in einen dunklen Nebenraum. Hier blieb er stehen und lauschte erneut. Vor den Glastüren befanden sich mehrere Männer, die sich nur zögernd dem
Zimmer näherten, in dem Kayro Moozong geschlafen hatte. Lautlos eilte der Arkonide weiter. Er fand eine Tür, die auf die Dachterrasse hinausführte. Er schob sie zur Seite, sah daß die Wächter die Toten gefunden hatten, und lief auf den Rand des Gebäudes zu. Niemand beachtete ihn. Er ließ sich in den Garten hinunterfallen und floh in den Schutz eines Baumes. Nun wurde es endgültig hell auf dem Gelände. Plötzlich wimmelte es von Männern und Frauen. Mehrere nichthumanoide Wesen, wie Chapat sie nie zuvor gesehen hatten, erschienen vor dem Haus. Sie alle zogen sich unmittelbar darauf wieder zurück. Der Arkonide sah sie wenig später über die Dachterrasse auf die Zimmer zuhasten, in denen er mit Zex und Moozong gekämpft hatte. Chapat nutzte die Verwirrung. Er schlich sich behutsam auf die Stelle der Umrandungsmauer zu, an der er in den Park eingedrungen war, wobei er sich stets in der Deckung der Bäume und Büsche hielt. Er wagte es nicht, den Abstieg an anderer Stelle anzugehen, weil er fürchtete, in einer der Fallen zu geraten. Er atmete erleichtert auf, als er einige Blütenstauden erreichte, an die er sich erinnerte. Mit einem weiten Satz schnellte er sich auf die Mauer zu. Da blitzte es beim Haus auf. Ein Energiestrahl fauchte an ihm vorbei. Chapat blickte zur Villa hinüber. Es war bereits so hell, daß er die Männer und Frauen sehen konnte, die dort standen. Sie wandten sich ihm alle zu. Und wieder feuerte einer auf ihn, verfehlte ihn jedoch wegen der großen Entfernung ebenfalls. Chapat ließ sich hinter die Säulenmauer sinken. Er zielte sorgfältig und löste seinen Strahler dann aus. Der Blitz schlug drüben unter dem oberen Dach ein. Die Freunde und Helfer des toten Kayro Moozong flüchteten ins Haus. Der Arkonide schickte zwei weitere Strahlen purer atomarer Energie zu ihnen hinüber. Er beobachtete, daß sie ihr Ziel erreichten und in den Zimmern einschlugen, wo Sekunden später Feuer ausbrach. Geduckt rannte ein Mann auf den abgestellten Gleiter zu. Chapat zögerte nicht. Er schoß und hatte Glück. Obwohl er nichts über die Maschinerie wußte, traf er ein wichtiges Aggregat. Eine Stichflamme brach krachend aus dem Heck. Für Chapat stand fest, daß ihn niemand mehr mit diesem Flugapparat bedrohen konnte. Sein Gegner stürmte zum Haus zurück.
Niemand wagte, ihn anzugreifen, weil er in einer idealen Schußposition lag und von seinem Standort aus das gesamte Gelände übersehen konnte. Das beruhigte ihn jedoch keineswegs, denn er sagte sich, daß irgendwo hinter der Villa Unterstände für weitere Gleiter sein konnten. Über Videophon konnte darüber hinaus aus der Stadt Unterstützung angefordert werden, die ihn aus der Luft attackieren konnte. Chapat entschloß sich zum Abstieg. Darin sah er seine einzige Chance. Er hoffte, daß er einige Minuten Vorsprung bekommen würde. Doch er war noch keine zwanzig Meter weit nach unten geklettert, als er aus der Richtung der Villa von Ramon Hablish vier Gleiter herankommen sah. Damit schien sein Kampf zu Ende zu sein. Unter ihm lag eine Steilwand, die etwa siebzig Meter hoch war. Bis zu den schützenden Felsen der Geröllhalde war es einfach zu weit. Und selbst dort unten boten sich ihm wahrscheinlich keine ausreichenden Verstecke. Chapat blieb auf einer Felszacke stehen. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte. Da bemerkte er ein Taxi, das von der Seite her kam. Er wollte seine Waffe auf den Gleiter richten, sah aber ein, daß es sinnlos war, noch weiterzukämpfen. Er ließ die Arme hängen und wartete, bis die Kabine direkt neben ihm war. Die Tür glitt zur Seite. Er blickte in das bleiche Gesicht von Pierre Bodanski. „Was ist?“ schrie der Schauspieler. „Willst du nicht endlich einsteigen?“ Chapat hechtete sich auf die Polster hinüber und krallte sich irgendwo fest, während Bodanski schon wieder beschleunigte. Mühsam zog der Arkonide sich auf einen Sitz hoch und schloß die Tür hinter sich. Der Terraner flog nur wenige Meter über den Bäumen dahin auf das Stadtzentrum von Kantanong zu. Ein Schwarm von sieben Gleitern folgte ihnen, wobei bereits jetzt deutlich war, daß die anderen über die schnelleren Maschinen verfügten. „Das schaffen wir nicht“, sagte der Arkonide verzweifelt. „Sie holen zu schnell auf.“ „Immer mit der Ruhe“, entgegnete Bodanski. „Wenn ich dir schon helfe, dann weiß ich auch, wie wir sie hereinlegen können.“ „Was hast du vor?“
„Wir kommen gleich an einem Lagerhaus vorbei. Es befindet sich hinter dem Hochhaus mit der grünen Reklame.“ Chapat entdeckte das Gebäude sofort, das der Terraner meinte. „Auf dem Dach befindet sich eine große Öffnung für einen Antigravschacht. Er wird von Transportgleitern benutzt, die erheblich größer sind als dieses Ding hier. Oft werden die Ladungen oben auch einfach nur ausgekippt.“ „Was haben wir davon?“ „Wir springen aus voller Fahrt hinein.“ „Das geht doch nicht.“ „Du kannst machen, was du willst. Ich tu es“, erklärte Bodanski entschlossen. „Das ist verrückt.“ „Du hast recht. Es war auch idiotisch, daß ich dir geholfen habe. Ich konnte jedoch nicht zusehen, daß sie dich einfach abknallen.“ „Ich wollte dich nicht beleidigen.“ Der Gleiter raste um das Gebäude herum. Bodanski fuhr die Schiebetür auf. Instinktiv tat Chapat das gleiche. Dann jedoch sah er die Schachtöffnung. Sie erschien ihm viel zu klein. Er glaubte nicht, daß sie sich aus rasendem Flug hineinstürzen konnten. „Warte auf mein Zeichen“, brüllte der Terraner. Chapat krampfte sich zusammen. Er blickte nach hinten. Das Haus mit der grünen Reklame deckte sie gegen die Verfolger. „Jetzt“, schrie Bodanski. Der Arkonide schreckte zurück, doch der Terraner gab ihm einen kräftigen Stoß, bevor er sich selbst hinausfallen ließ. Chapat überschlug sich in der Luft. Er sah das Dach auf sich zukommen, wirbelte erneut herum und verlor die Orientierung. Dann fühlte er sich jedoch weich aufgefangen. Es wurde dunkel um ihn. Er drehte sich herum und sah, wie die Schachtöffnung zurückwich. Neben ihm schwebte Pierre Bodanski. „Bist du in Ordnung?“ fragte der Terraner stöhnend. „Ich habe es überlebt“, entgegnete Chapat. „Frage mich jedoch nicht, wie. Ich weiß es nicht.“
8.
Die beiden Männer schritten über eine Schräge hinab und gelangten in einen Verladehof, auf dem mehrere Lastengleiter parkten. Pierre Bodanski trieb zur Eile an. „Sie werden zurückkommen und alles absuchen, wenn sie gemerkt haben, daß wir ausgestiegen sind“, sagte er. Sie überquerten eine Rasenfläche und eilten dann in einen Tunnel hinab, aus dem ihnen einige Arbeiter entgegenkamen, deren Ziel offensichtlich das Lagerhaus war. Über eine Fließstraße erreichten sie das Hafengelände, wo sie zwischen einigen abgestellten Containern in einem leeren Schuppen Zuflucht suchten. Von hier aus konnten sie auf das Meer hinausblicken, sahen aber auch, was in Kantanong geschah, da in der Rückwand des Gebäudes große Löcher klafften. Bodanski zündete sich eine rote Zigarette an und inhalierte tief. „Das war knapp“, erklärte er. „Mich hat nur überrascht, daß Moozong mich sofort erkannt hat, obwohl ich doch ganz anders aussehe als sonst.“ Er fand endlich Gelegenheit, dem Terraner zu erzählen, was in der Villa des Produzenten geschehen war. Bodanski hörte staunend zu. „Ich sah dich von unten her in der Falle sitzen“, berichtete er seinerseits, als Chapat geendet hatte. „Und ich konnte nicht zusehen, daß sie dich abschießen.“ „Ich muß mein Äußeres verändern“, sagte der Arkonide. „Wenn Moozong mich sofort identifizieren konnte, dann können es die Männer der Madria auch.“ „Irrtum“, entgegnete der Terraner besänftigend. „Der Verrenger hat wahrscheinlich damit gerechnet, daß du den Maskenbildner aufsuchen würdest. Er ist vielleicht sogar alarmiert worden. Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, hast du ihn nicht überrascht. Niemand sonst könnte in Kantanong auf. den Gedanken kommen, bei einem Mann wie ihn einzubrechen.“ „Ich habe den Kreisel“, sagte Chapat triumphierend. „Laß mich noch einmal das Lied hören“, bat Bodanski. „Ist das nicht zu gefährlich? Man könnte uns hören.“ „Wenn wir vorsichtig genug sind, kann nichts passieren.“ Chapat zögerte, griff schließlich aber doch in die Tasche und holte den Kreisel hervor. Er setzte ihn auf den Boden und ließ ihn singen.
Pierre Bodanski geriet augenblicklich in einen euphorischen Taumel. Er kniete auf dem staubigen Untergrund und lauschte mit glänzenden Augen, während der Arkonide den Schuppen verließ und sich umsah. Niemand befand sich in ihrer Nähe, und Ischtars Gesang war auch nicht so laut, daß er in größerer Entfernung noch zu hören gewesen wäre. Chapat kehrte erst wieder zu dem Terraner zurück, als das Lied verklungen war. Bodanski hielt den Kreisel in den Händen und drehte ihn. Bewundernd betrachtete er das blaue Gebilde, das auf so unbegreifliche Weise derart faszinierende Klänge von sich geben konnte. „Was ist das?“ fragte er, als Chapat vor ihm stand. „Ich verstehe das nicht. Für mich ist dieser Kreisel ein wirkliches Wunder.“ Der Arkonide streckte die rechte Hand aus. Bodanski legte den Kreisel hinein. Er wollte etwas sagen, schwieg jedoch. Kr sprang auf und eilte zu einer der Öffnungen in der Rückwand des Schuppens. Chapat folgte ihm. Sie beobachteten, daß zahlreiche Gleiter das Lagergebäude umkreisten, in das sie geflüchtet waren. „Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir zum Raumhafen kommen“, sagte Chapat. „Du hast recht“, erwiderte Bodanski. „Wir haben keine Zeit zu verschenken.“ Er kratzte sich das Kinn. „Es gibt natürlich viele Möglichkeiten“, erklärte er. „Wir könnten einen Gleiter nehmen. Wir könnten auch auf der Rollstraße im Tunnel hingehen, oder wir könnten uns in einem Container verstecken und somit im Güterstrom untertauchen, der fast ständig zwischen dem Raumhafen und der Stadt hin und her geht. Wir müssen aber damit rechnen, daß die Madria jetzt schon die Stadt, die Umgebung und den Raumhafen kontrolliert. Wohin wir uns auch wenden, überall werden wir auf die Leute von Ramon Hablish stoßen.“ „Wir müssen uns entscheiden.“ „Natürlich müssen wir das“, entgegnete Bodanski nervös. Er drückte seine Zigarette mit der Fußspitze aus. „Zunächst aber müssen wir uns einmal überlegen, was die Madria von uns erwartet. Vorläufig weiß sie ja noch nicht, daß wir heute noch zum Raumhafen wollen – obwohl es natürlich auch für sie auf der Hand liegt, daß wir
so schnell wie möglich von Kantanong verschwinden wollen. Ramon Hablish muß von drei Möglichkeiten ausgehen: daß wir in der Stadt bleiben, daß wir in der Wildnis Unterschlupf suchen, bis sich alles beruhigt hat, und daß wir uns auf den Weg zu den Sternen machen wollen. Das macht die Situation für ihn etwas schwieriger und für uns etwas leichter.“ „Wir verstecken uns im Güterstrom“, entschied Chapat. Bodanski wollte aufbegehren. Der Arkonide blickte ihm in den Augen. Sein Gesicht wurde hart. Der Terraner sah ihm an, daß er fest entschlossen war, sich nicht umstimmen zu lassen. „Also gut“, erwiderte Bodanski. Er atmete schnaufend aus, als sei eine große Last von ihm genommen. „Wahrscheinlich hast du recht. Wir können nicht warten, bis der Tag vorbei ist.“ Die beiden Männer verließen den Schuppen. Sie wandten sich nach Süden, weil sich dort der Sammelumschlagplatz für die Güter befand, die zum Raumhafen verschickt werden sollten. Nach etwa einhundert Metern begegneten sie zwei Männern, die eine Antigravplattform steuerten, die mit großen Stoffballen beladen waren. Einer von ihnen wandte sich ihnen zu und musterte sie auffallend lange. Pierre Bodanski beschleunigte seine Schritte. „He“, rief der Arbeiter. „Bleibt mal stehen. Das ist doch Bodanski.“ Er rannte auf den Terraner zu und sprang ihn an. Beide stürzten zu Boden. Chapat wollte dem Freund helfen, als auch der andere Arbeiter angriff. Mit wütenden Faustschlägen drang er auf den Arkoniden ein, der zunächst zurückwich und auf eine Chance wartete, den Kampf schnell zu beenden. Als sein Gegner merkte, wie schwer es sein würde, in dieser Auseinandersetzung Sieger zu werden, griff er unter das Hemd und holte ein Messer hervor. – „Ich weiß zwar nicht wer du bist, Freundchen“, sagte er, „aber offenbar steckst du mit diesem Mörder unter einer Decke.“ Er fintierte – und fiel auf eine Gegenfinte des Arkoniden herein. Er glaubte, Chapat das Messer in die Brust stoßen zu können, und legte sich mit dem ganzen Körpergewicht in den Angriff. Der Arkonide aber wich geschmeidig aus, packte den ausgestreckten Arm des anderen und drehte ihn aus. Der Arbeiter stürzte aufschreiend zu Boden. Er blieb liegen und drückte sich wimmernd die Hand gegen die Schulter. Chapat nahm das Messer auf und steckte es ein. Er
wandte sich Pierre Bodanski zu, der erhebliche Schwierigkeiten hatte. Auch sein Gegner setzte ein Messer ein und hatte den Schauspieler bereits zweimal getroffen. Der Terraner blutete an der Schulter und an der Hüfte. Chapat beugte sich über die Kämpfenden, packte den Arbeiter mit beiden Händen am Hals und riß ihn energisch hoch. Das Messer fuhr hautnah an der Kehle Bodanskis vorbei, der sofort hochschnellte und seine Fäuste einsetzte. Damit war auch dieser Kampf vorbei. „Komm, Chapat, schnell weg!“ Die beiden Männer rannten an einer Reihe von abgestellten Containern entlang. Sie blickten sich immer wieder um, aber niemand verfolgte sie. Offenbar war es den beiden Arbeitern noch nicht gelungen, andere zu alarmieren. Bodanskis Schritte wurden bald kürzer. Er rang mühsam nach Luft. Chapat stützte ihn, aber auch das half nicht viel. So legten sie zwischen zwei Containern eine kurze Pause ein, damit der Terraner sich etwas erholen konnte. Er ließ sich auf den Boden fallen und streckte die Beine aus. Seine Wunden bluteten stark. „Du mußt wieder ins Medocenter“, sagte Chapat. Er beugte sich über Bodanski und wollte ihm die Kleider öffnen, aber der Terraner wies ihn zurück. „Unsinn. Ein Gleiter genügt. Jeder Gleiter hat eine vernünftige Notausrüstung.“ „Wie du meinst, Pierre.“ Chapat erhob sich und entfernte sich einige Schritte, um sich zu orientieren. Er konnte keine Verfolger sehen. Zwischen den abgestellten Lagerbehältern, den Schuppen und den Verladegeräten war es ruhig. Als er zu dem Terraner zurückkehrte, beugte er sich über ihn und lächelte besänftigend. „Ich habe einen Parkplatz mit zwei Taxigleitern gefunden. Es ist nicht weit. Können wir weitergehen?“ „Ja“, entgegnete Bodanski und lächelte verzerrt. Chapat half ihm auf. Gemeinsam eilten sie weiter. Sie erreichten die Maschinen ohne Zwischenfälle und suchten sich die größere von den beiden aus. Der Arkonide wollte zunächst die Wunden versorgen, aber Bodanski bestand darauf, daß er sofort startete. Die Kabine stieg auf. Chapat lenkte sie nach Süden.
Bodanski streifte seine Jacke und sein Hemd ab, desinfizierte die Hautschnitte und verklebte sie. „Es ist nicht schlimm“, beteuerte er. „Ich werde es überleben.“ „Ich begreife nicht, weshalb sie uns angegriffen haben. Wieso bezeichneten sie dich als Mörder?“ „Das verstehe ich auch nicht.“ Pierre Bodanski schaltete den Trivideowürfel an. „Aber das werden wir gleich haben, Chapat. Ich befürchte…“, fuhr er fort, ohne den Satz zu beenden. Er ging sämtliche Programme von Kantanong durch, bis sein Gesicht auf dem Bildschirm erschien. „… wird der Terraner Pierre Bodanski, ein drittklassiger Schauspieler, wegen Mordes gesucht. Wie die Kriminalpolizei mitteilt, hat er in der vergangenen Nacht den Produzenten Kayro Moozong heimtückisch erschossen. Bodanski soll…“ Wütend schaltete Pierre ab. „Drittklassiger Schauspieler! Diese Bastarde. Das sollen sie mir büßen. Drittklassig! Eine derartige Unverschämtheit ist mir noch nie begegnet.“ „Sie wollen dir einen Mord in die Schuhe schieben.“ „Sollen sie. Das ist mir doch egal“, entgegnete Bodanski wutschnaubend. Er ballte die Fäuste und schüttelte sie. „Wenn ich diese Aasgeier erwische, schlage ich ihnen die Schädel ein. Von Kunst haben die überhaupt keine Ahnung. Man sollte… ach, ich platze gleich!“ „Du bist also wirklich drittklassig?“ Pierre Bodanski zuckte zusammen, als habe der Arkonide ihm eine Ohrfeige versetzt. Er saß für einige Sekunden völlig bewegungslos auf seinem Platz, dann zuckte seine Hand zum Gürtel Chapats und entriß ihm den Energiestrahler. Das Projektionsfeld flammte vor dem Gesicht des Arkoniden auf. „Sag das noch einmal!“ „Warum sollte ich das tun? Ich war immer der Meinung, daß du alles andere als drittklassig bist. Die Männer der Madria aber sind hervorragende Psychologen. Sie bezeichnen dich als schauspielerisch minderwertig, um dich aus der Reserve zu locken, und du fällst darauf herein. Das kann doch nur bedeuten, daß du dir deiner Qualitäten nicht bewußt bist – oder?“ Chapat lächelte.
Der Terraner warf ihm die Waffe auf den Schoß. Mit bebenden Händen zündete er sich eine Zigarette an. „Du hast mit deinem Leben gespielt.“ Der Arkonide ging nicht auf den Vorwurf ein. Er blickte sich um und stellte fest, daß ihnen niemand folgte. „Die Madria weiß also nicht, wo wir sind, und was wir planen. Das können wir aus ihrem Manöver wohl schließen.“ „Du hast recht.“ „Also – was machen wir?“ „Wir fliegen zum Raumhafen. Wir versuchen es einfach. Es wird schon klappen.“ „Einverstanden.“ Chapat nickte zustimmend. Er war froh, daß der Terraner keine Zeit mehr verschwenden wollte. Zudem glaubte er, daß seine Chancen um so besser waren, je früher er den Durchbruch versuchte. Bodanski richtete sich auf. Er zeigte an eine Stelle der Küste, an der die Felsen nahezu senkrecht aus dem Meer stiegen. Chapat sah, daß dort zahlreiche Gleiter verschwanden. Sie schienen um die Felsnadel herumzufliegen und hinter ihr zu landen. „Dort beginnt ein Tunnel“, erklärte der Terraner. „Dort fliegen wir in den Berg.“ „Ein Tunnel?“ fragte der Arkonide verblüfft. „Das verstehe ich nicht. Warum sollten wir durch einen Berg fliegen?“ „Du bist hier in Kantanong, mein Freund“, entgegnete Bodanski. „Da oben in den Bergen haben die Reichen ihre Luxusvillen. Jeden Tag aber bewegt sich ein Strom von Flugmaschinen von hier zum Raumhafen und zurück. Er müßte direkt vor den Häusern vorbeiziehen, so daß man von dort aus das Meer bald nicht mehr sehen könnte. Oder die Gleiterkolonnen müßten über die ganze Stadt zu den Bergen hinaufsteigen und sich dort nach Süden wenden. Das ginge natürlich auch über das offene Meer. Das alles aber war den Geldsäcken von Kantanong zu störend. Also hat man mit Desintegratorfräsen einen Tunnel durch die Berge gegraben.“ Je näher sie dem steilen Felsen kamen, desto deutlicher war zu erkennen, daß der Tunnel wie ein Trichter wirkte, der von allen Seiten Flugmaschinen aufnahm. In einer Höhe von etwa einhundert Metern schwebten die Gleiter in den Berg ein, fünfzig Meter tiefer kam der Gegenstrom heraus.
Chapat ordnete sich in die Kolonne der privaten Kabinen ein. „Kannst du nicht im Kofferraum verschwinden?“ fragte er unbehaglich. „Was passiert, wenn am Tunneleingang Madriamänner auf uns warten. Mich werden sie nicht erkennen, aber du bist nicht maskiert.“ „Du bist ein kluger Junge.“ Pierre Bodanski wechselte auf die hinteren Sitze hinüber und löste die Polster. Dahinter wurde ein leichtes Kunststoffgitter sichtbar, das den Fahrgast vom Kofferraum abtrennte. Mit dem Messer, das der Arkonide einem der Arbeiter abgenommen hatte, durchschnitt er es, so daß er hindurchschlüpfen konnte. Chapat klappte die Lehne wieder hoch. Er schaltete den Videowürfel wieder ein und ließ ein belangloses Musikprogramm laufen. Der Gleiter verringerte seine Geschwindigkeit automatisch, so daß der Abstand zu den anderen Maschinen stets gleich blieb. Schon aus großer Entfernung beobachtete Chapat zahlreiche zivil gekleidete Männer, die sich vor allem mit den Containern beschäftigten, die auf Antigravplatten in den Tunnel glitten. Er unterrichtete Bodanski davon, der hin und wieder Fragen stellte. „Sie scheinen zu glauben, daß wir uns irgendwo in der Ladung verstecken“, rief er. Tatsächlich ließen die Madriagangster keinen einzigen Transportbehälter aus. „Für die Personengleiter scheinen sie sich weniger zu interessieren.“ Er öffnete das Seitenfenster und legte den Arm auf die Kante. Es wurde schnell heiß. Der Himmel war völlig klar, und von Süden her wehte ein warmer Wind herauf. Zahllose rotgrün gefiederte Vögel umschwärmten die Flugmaschinen. Viele von ihnen ließen sich vor den Frontscheiben auf der Karosserie nieder. Chapat sah, daß viele Fahrgäste die Vögel fütterten. Auf einem Felsvorsprung stand ein kleines Kontrollgebäude. An ihm mußten alle Flugkabinen vorbei. Zwei Zivilisten standen dort. Sie lehnten sich lässig mit dem Rücken an eine Mauer und hielten überlange Zigaretten zwischen den Lippen. Ohne großes Interesse musterten sie die Personen in den Gleitern, die an ihnen vorüberzogen. „Jetzt sind wir soweit, Pierre“, meldete Chapat nach hinten. „Still. Keine Fragen, bitte.“
Er wendete nur kurz den Kopf und blickte zu den Gangstern hinüber. Dann tauchte er in den Tunnel, der zunächst tatsächlich wie ein ovaler Trichter war, der am Eingang einen senkrechten Durchmesser von etwa einhundert Metern hatte. Er verengte sich dann jedoch schnell bis auf einen Durchmesser von annähernd fünfzig Metern. Leuchtplatten bildeten in Abständen von zwanzig Metern helle Ringe. „Mir wird die Luft zu knapp“, rief Bodanski von hinten. „Ich komme heraus.“ „Warte noch etwas“, bat der Arkonide, doch der Terraner ließ sich nicht mehr zurückhalten. „Da hinten ist es heiß wie in einem Backofen“, erklärte er und setzte sich neben Chapat. Er schwieg, bis der Gleiter nach einigen Minuten den Tunnel verließ und über bergiges, dicht bewaldetes Land hinwegflog. „Für mich wird es schwer werden“, sagte er. „Warum?“ „Was habe ich schon zu bieten? Wer gibt mir auf einem Raumschiff ein Engagement? Du mit deinem Kreisel hast es wesentlich besser.“ „Du kannst nicht auf Kantanong bleiben, Pierre. Unmöglich.“ „Das werden wir sehen. Am Raumhafen trennen sich unsere Wege.“ „Was hast du vor?“ „Ich werde mich in die Wildnis zurückziehen. Sicherlich ergibt sich irgendwann die Möglichkeit, doch noch abzuhauen. Die Madria muß mich erst einmal vergessen. Wenn du ihr entkommen bist, werden sie mich erst recht suchen, aber sie werden mich nicht finden.“ Chapat blickte den Freund prüfend an. Pierre Bodanski schien genau zu wissen, was er wollte. „Ich habe mich schon zu lange als Schauspieler versucht, Chapat. Es wird Zeit, daß ich selbst einmal konsequent bin. Ich habe noch nie eine wirklich gute Rolle gehabt. Meinst du, es lohnt sich, ein ganzes Leben darauf zu warten, daß es eines Tages doch einmal klappt?“ „Vermutlich nicht.“ „Ich brauche die Einsamkeit, um zu mir selbst zu finden.“ Chapat pfiff durch die Zähne.
„Große Worte, Pierre.“ Bodanski grinste. „Ich muß jetzt große Worte von mir geben, wenn ich nicht dem heulenden Elend verfallen soll“, entgegnete er ironisch. Sie schwiegen. Der Gleiter raste in der Kolonne über das Land dahin. Bald kamen die ersten Raumschiffe in Sicht. Sie ragten bis zu einigen heraufziehenden Wolken hinauf. Bodanski entdeckte die TRAUMPALAST zuerst. Das Raumschiff schien größer als die anderen. „Ich versuche es doch“, sagte Bodanski. „Ich komme mit dir.“ Am Raumhafen gab es keine Kontrollen mehr. Die Madriagangster konzentrierten sich ganz auf Kantanong. Vielleicht glaubten sie, daß Chapat ohnehin keine Chance hatte, eine Raumschiffspassage zu bekommen. Aber sie irrten sich. Als der Arkonide seinen blauen Kreisel auf dem Arbeitstisch des Besitzers der TRAUMPALAST singen ließ, leuchteten die Augen Alfo Zharadins auf. Klein, fett und häßlich saß er in seinem Sessel und summte mit heller Kinderstimme das Lied Ischtars mit. Mit lauernden Blicken beobachtete er Chapat, den er wegen seiner Maske nicht als Arkoniden identifizieren konnte. Chapat nahm den Kreisel auf. „Nun?“ fragte er. Das Büro befand sich in einem hastig errichteten Kunststoffbungalow am Rande des Raumhafens. Wenigstens dreißig Männer und Frauen lungerten vor dem Gebäude herum. Sie alle waren Artisten, die hier auf ein Engagement hofften. „Einverstanden“, sagte Zharadin. Er zeigte mit seiner fetten Hand auf Bodanski. „Wer ist das?“ „Er gehört zu mir.“ „Ich will ihn nicht.“ „Sir“, sagte Bodanski. „Ich bin ein namhafter Schauspieler, der nicht hierher gekommen ist, um bei Ihnen zu betteln. Wenn wir überhaupt miteinander verhandeln, dann nur über eine große Show.“ „Nein.“ „Ich habe einen großen Namen zu verlieren, Sir. Mit weniger als einer guten Rolle in einer Show kann ich nicht zufrieden sein.“ „Nein.“ „Ich kann doch nicht als Tierpfleger mitfliegen. Oder – sollte Ihnen zufällig ein hochtalentierter Tierpsychologe fehlen?“
„Wer ist dieser Mensch?“ fragte Zharadin. „Er ist mir lästig.“ Chapat griff nach dem Arm Bodanskis. „Pierre, ich würde dir gern helfen.“ Der Terraner gähnte. Er tat, als könne er sich kaum noch auf den Beinen halten. „Glaubst du, ich spiele in jedem Hintertreppentheater? Mann, ich doch nicht. Bei dir ist das etwas anderes, du hast es nötig. Ich aber nicht. Ich werde meine Pläne nun doch verwirklichen.“ „Welche Pläne?“ „Wir sprachen darüber, als wir Kantanong hinter uns hatten“, erwiderte Bodanski, als käme es darauf an, ein großes Geheimnis zu bewahren. Chapat begriff. Der Terraner wollte sich in die Wildnis zurückziehen und ein Einsiedlerleben führen, bis er sich vor der Madria sicher fühlen konnte. Er reichte ihm die Hand. „Ich wünsche dir alles Gute, Pierre. Und ich bin sicher, daß sich noch mancher darüber ärgern wird, daß er dir nicht früher die große Chance gegeben hat.“ „Davon bin ich auch überzeugt.“ Chapat reichte ihm den Energiestrahler. „Ich brauche ihn nicht mehr, Pierre.“ Der Terraner nahm die Waffe, schob sie sich in den Gürtel und ging hinaus, ohne Alfo Zharadin noch eines Blickes zu würdigen. Wer ihn so sah, mochte ihn wirklich für einen großen Star halten.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN-exclusiv Nr. 166/32 Ein Abenteuer des Helden von Arkon
Begegnung auf Frossargon von H.G. Ewers
Sie kämpfen um Atlans Gunst –
Farnathia und Ischtar, die Goldene Göttin.
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