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Die Nacht war still und stockfinster. Die letzten Brände, die überall im Hafengebi...
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Seewölfe 245 1
John Roscoe Craig 1.
Die Nacht war still und stockfinster. Die letzten Brände, die überall im Hafengebiet gelodert hatten, waren erloschen. Das Feuer hatte keine Nahrung mehr gefunden. Über Tortuga lag die Stille der verlorenen Schlacht. Ein Bombardement wie dieses hatten die Piraten der Insel noch nie erlebt. Der Schwarze Segler, die „Isabella“ und die große, stark armierte Galeone der Roten Korsarin, „Roter Drache“, ankerten in der Hafenbucht. Ihre dunklen Silhouetten ragten drohend aus dem Wasser auf, den Rohren ihrer Geschütze entströmte noch immer eine leichte Wärme, Überbleibsel des stundenlangen Feuers, das auf Tortuga herniedergegangen war und die Piraten in ihre Schlupfwinkel zwischen den Felsen der Insel gejagt hatte. Ausgebrannte Wracks, gekenterte Galeonen und Karacken, zerschossene Schaluppen lagen im Hafen herum, stumme Zeugen der Vergeltung, die der Seewolf, der Wikinger und die Rote Korsarin für den hinterhältigen Angriff Don Boscos auf die Schlangeninsel geübt hatten. Am Schanzkleid der „Isabella“ lehnten Dan O’Flynn und Sam Roskill und starrten sehnsüchtig zur Küste hinüber, wo sich der Seewolf, Siri-Tong und Thorfin Njal, der Wikinger, mit ihren Crews amüsierten, um ihren Erfolg über den Schnapphahn Don Bosco und seinen mörderischen Anhang zu feiern. Dan leckte sich die Lippen und fluchte unterdrückt. „Ich wette, Carberry hat beim Knobeln gemogelt“, stieß er wütend hervor. „Ich hatte mit den Würfeln siebzehn Augen, und er wirft drei Sechsen!“ Sam Roskill begann zu grinsen. „Du hättest ihn nicht mit seinen eigenen Würfeln werfen lassen dürfen“, erwiderte er. „Du meinst ...“ Dan hatte das Gefühl, vor Wut platzen zu müssen. „Dieser Hundesohn, dieser dreimal verfluchte Affenarsch! Wenn der zurück ist, werde
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ich ihm seine Würfel stibitzen und sie mir ansehen. Und Gnade ihm Gott, wenn sie nicht in Ordnung sind! Ich werde ...“ „Reg dich nicht auf, Dan“, sagte Sam. „Wir sind doch nicht ...“ „Halt deine verdammte Schnauze, oder ich polier dir die Fresse, du verdammter englischer Irentöter!“ Sam Roskill hob grinsend die Schultern und schwieg. Wenn Dan in dieser Verfassung war, mußte man ihn in Ruhe lassen. Sicher, auch er ärgerte sich, daß er Bordwache schieben mußte, statt in der „Schildkröte“ zu sitzen und Diegos Wein zu schlürfen und sich eines der feurigen spanischen Mädchen zu holen, um ihr zu zeigen, was ein Engländer alles auf die Beine stellen konnte. Aber sie hatten nun mal das Pech gehabt, beim Knobeln zu verlieren. Sie waren nicht die einzigen. Sam drehte sich um und suchte Batuti, der ebenfalls an Bord hatte zurückbleiben müssen, aber der Schwarze war nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich irgendwo aufs Ohr gehauen. Warum auch nicht? Was konnte ihnen hier schon passieren? Die Piraten Don Boscos hatten so gewaltig was auf den Hut gekriegt, daß sie sich von der Niederlage wohl kaum erholen würden. Ohne ihren Anführer und seine beiden Spießgesellen Pablo und Nuno waren sie ein Nichts. Diejenigen, die den Seewölfen und den Leuten des Wikingers und Siri-Tongs hatten entkommen können, hockten jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Rattenlöchern und würden sich erst wieder herauswagen, wenn die „Isabella“, der „Rote Drache“ und der Schwarze Segler die Bucht von Tortuga wieder verlassen hatten. Sam warf einen Blick hinüber zu den beiden anderen Schiffen, die unweit der „Isabella“ vor Anker lagen. Er grinste. Auch dort würden Männer fluchen, weil sie nicht an der Feier in der Schildkröte teilnehmen durften. „Wo ist eigentlich Batuti?“ fragte Dan grollend.
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„Vielleicht hat er sich irgendwo aufs Ohr gehauen“, erwiderte Sam Roskill grinsend, wohlwissend, daß Dan bei dieser Antwort in die Luft gehen würde. „Aufs Ohr gelegt?” brüllte Dan, daß Arwenack, der im Mars nach all den Aufregungen der vergangenen Tage seine Nachtruhe genoß, aufgeregt zu keckern begann. „Halt du auch die Schnauze!“ schrie Dan hinauf. „Sonst binde ich dich mit deinem Schwanz an einen Tampen und lasse dich hinter der ‚Isabella’ herschwimmen, wenn wir zur Schlangeninsel zurückkehren!“ Arwenack verstummte. „Verdammt“, sagte Sam Roskill grinsend, „der versteht jedes Wort, was du sagst. Vielleicht liegt das an eurer gemeinsamen Herkunft.“ Dan kriegte für einen Augenblick keine Luft. Sein Gesicht lief dunkel an, was Sam aber nicht sehen konnte, weil der Mond gerade wieder hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden war. Zum Glück sah er auch nicht, wie Dans Hand hinten zur Hüfte fuhr und sich auf die gekürzte Pike legte, sonst wäre er sicher ein paar Schritte zurückgewichen und hätte sich in Sicherheit gebracht. Oh, ja. Dan O’Flynn war voll bis an die Ohren vor Wut. Nicht so sehr auf Sam. Der konnte ja nichts dafür, daß er, Dan, Bordwache schieben mußte. Aber Sam war nun mal der einzige, an dem er seine Wut auslassen konnte. Dan dachte voller Grimm an Carberry, der ihn mit den Würfeln offensichtlich beschissen hatte, und er dachte an seinen Alten, der ihm die Bitte abgeschlagen hatte, für ihn an Bord zurückzubleiben. „Du hast doch in deinem Leben schon genug gesoffen“, hatte er gesagt. „Du mußt doch einsehen, daß auch die Jugend mal zu ihrem Recht kommen muß.“ „Söhnchen“, hatte der Alte wohlwollend und mit einem leichten Grinsen erwidert, „werde erst mal trocken hinter den Ohren, dann kannst du daran denken, mit älteren Männern einen Schluck zu trinken. Und was sollen die Mädchen mit einem Spund wie dir anfangen? Erst neulich hat mir eine
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erzählt, daß ihr mit eurem Spaß schon immer am Ende seid, wenn sie sich darauf freut, daß es endlich losgeht.“ Dan war die Spucke weggeblieben, und ehe er seinem Alten die gebührende Antwort hatte geben können, war Old O’Flynn schon verschwunden gewesen. Einen Augenblick, nachdem die gesamte Crew bis auf Sam und Batuti das Schiff verlassen hatten, hatte er mit dem Gedanken gespielt, die „Isabella“ auf Grund zu setzen, was ihm das Recht gegeben hätte, ebenfalls an Land zu gehen. Zum Glück hatte er sich eines anderen besonnen und war mißmutig zu Arwenack in den Mars gekrochen, um sich erst einmal zu beruhigen. Und nun fing Sam Roskill wieder von vorne an! Dan hatte seine gekürzte Pike schon halb aus der Schärpe an der Hüfte gezogen, als neben ihm ein Schatten auftauchte. An der Größe des Schattens erkannte er, daß es sich um Batuti handelte. „He, ich denke, du pennst“, sagte Dan. „Nix pennen.“ Eine Zahnreihe und zwei große Augäpfel blitzten durch die Dunkelheit. „Der Kutscher sein schlaues Aas, aber Batuti sein schlauer.“ Batutis rechte Hand schob sich vor, und Dan spürte, wie etwas Rundes, Hartes seinen Bauch berührte. Er ließ die Pike los und griff danach. Ein leises Pfeifen drang an Sam Roskills Ohr. „Was habt ihr da?“ fragte er. „Mann, Batuti, du bist der raffinierteste Hund nach mir auf diesem verrotteten Kahn“, sagte Dan. Er lachte leise in sich hinein. Sam Roskill wußte immer noch nicht, was los war, doch als die Wolkendecke auf einmal etwas dünner wurde und der Mond wie hinter einem Schleier am Himmel aufzog, sah er, wie Dan eine dickbauchige Flasche an die Lippen setzte. Es gluckerte vernehmlich. „Aaaah“, stieß Dan wohlig hervor. „Das Ding ist zwar nur noch halbvoll, aber für mich und dich wird es reichen, Batuti.“
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„He!“ sagte Sam Roskill, und das Grinsen war aus seinem Gesicht wie weggewischt. „Ihr wollt den Rum doch nicht etwa alleine saufen?“ Er war einen Schritt näher an Batuti herangetreten, und seine empfindliche Nase nahm sofort den scharfen Geruch war, der aus Batutis Mund strömte, als dieser sagte: „Einen Schluck für Sam, Dan. Er sehen ganz krank aus. Vielleicht er haben Skorbut.“ „Na, meinetwegen“, gab Dan gnädig zurück. „Aber ich werde die Flasche festhalten, damit er sich nicht vollaufen läßt und wir in die Röhre gucken müssen. Schließlich hast du auch noch etwas verdient, Batuti.“ „Dieser Höllensohn?“ sagte Sam keuchend. „Geh doch mal näher an ihn ran, Dan. Der stinkt aus dem Maul wie zehn besoffene Schweden. Von wegen, die Flasche ist noch halbvoll. Was heißt noch? Nur noch, hättest du sagen müssen. Der Kerl hat sie wahrscheinlich schon in der Kombüse halb ausgesoffen!“ „Batuti nix besoffen!“ sagte der GambiaNeger mit beleidigtem Tonfall. „Ich haben nur probiert, ob Rum in der Flasche gut sein.“ Sam hatte sich der Flasche bemächtig und soviel wie möglich durch die Gurgel laufen lassen, bevor Dan sie ihm wieder aus den Händen reißen konnte. Sam keuchte und stöhnte dann wohlig auf. Er leckte sich die Lippen und sagte: „Wenigstens etwas. Aber wenn ich daran denke, daß ich jetzt mit einer vollbusigen Spanierin ...“ Dan, der gerade wieder die Flasche an die Lippen setzen wollte, hielt in der Bewegung inne und spitzte die Ohren. Er hatte ein plätscherndes Geräusch an der gegenüberliegenden Backbordseite vernommen. In diesem Moment begann Arwenack im Mars wild zu keckern, und Sir John, der irgendwo in den Wanten einen Platz zum Schlafen gefunden hatte, krächzte laut: „Alarm!“ Die drei Männer wirbelten herum.
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Batuti rülpste laut, als er die ersten Köpfe über dem Backbordschanzkleid auftauchen sah, Sam Roskill verschluckte sich und kriegte einen Hustenanfall. Nur Dan handelte blitzschnell. Er nahm einen hastigen Schluck aus der Rumflasche und schleuderte sie dann quer über die Kuhl. Er hatte haargenau gezielt. Das Geschoß zersplitterte am oberen Rand des Schanzkleides, und die Scherben spritzten einem bärtigen Mann, der im schwachen Mondschein wie ein Lama mit breitgeschlagener Schnauze aussah, mitten ins Gesicht. Schreiend stürzte der Mann zurück, bis ein lautes Platschen verriet, daß er ins Wasser gestürzt war. „Verdammt, wie kommen ...“ begann Sam Roskill zu brüllen, doch dann warf er sich vorwärts, hinter Dan und Batuti her, die ihre Waffen schon in den Fäusten schwangen und auf die ersten Kerle eindrangen, die die „Isabella“ entern wollten... 2. Der Mann sah aus, als hätte mal vor längerer Zeit jemand versucht, seinen Kopf in eine untere und eine obere Hälfte zu teilen. Wahrscheinlich war es nicht aus Absicht geschehen, aber der Araber, dem Scarface Callaghan seine fürchterliche Narbe im Gesicht zu verdanken hatte, war tausend Tode gestorben, nachdem Callaghan seine Verwundung überlebt und ausgeheilt hatte. Die Narbe, die an manchen Tagen karmesinrot leuchtete, als ob sie immer noch blutete, verlief quer über das Gesicht von einem Ohr zum anderen. Der Hieb mit dem Krummsäbel hatte den unteren Teil seiner Nase abgetrennt, und ein Mann, der seinen Ausspruch nicht lange überlebt hatte, hatte behauptet, Scarface Callaghan sähe aus wie eine Ananas mit Ohren. Callaghan war immer schon ein brutaler Mensch gewesen. In seiner Zeit als Profos auf einem Kriegsschiff Ihrer Majestät, der Königin Elisabeth von England, hatte er
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auf jeder Reise die Mannschaft um einige Leute dezimiert, bis er auf einem Landgang von seiner Crew an einen Baum genagelt worden war, die dann später auf dem Schiff behauptete, ihr Profos sei von Eingeborenen erschlagen worden. So war die Königin ihren Profos losgeworden, und Callaghan, der sich hatte befreien können, hatte seiner wahren Veranlagung freien Lauf lassen können, als ihn ein Piratenschiff aufnahm, das an seiner Insel die Wasservorräte auffrischen wollte. Bald war Callaghans Name in der gesamten Karibik ein Begriff geworden, aber berühmt wurde er erst, nachdem der Araber ihm das Gesicht gezeichnet hatte. Don Bosco, der Herrscher von Tortuga, hatte ihn in seine Crew geholt, und daß er beim Kampf gegen die Seewölfe nicht dabei gewesen war, lag an einer vollbusigen Schönheit von Hispanola, die er geraubt und nach Tortuga verschleppt hatte. Er war so verknallt in das Weib gewesen, daß er mit ihr auf der Insel verschwand und wochenlang in einer Hütte auf der Nordseite der Insel hauste. Erst vor ein paar Tagen war alles vorbei gewesen. Scarface war auf Jagd gegangen, und bei seiner Rückkehr hatte er seine Rosita in den Armen eines Bukaniers gefunden, der zufällig des Weges gekommen war. Scarface hatte nicht lange gezögert und sie beide erschlagen. Aber noch heute fragte er sich, wie ein Weib so wild sein konnte, daß es nicht einmal einen Tag ohne Liebe aushielt. Er bedauerte, daß die wilde Zeit mit Rosita vorbei war, aber er weinte ihr keine Träne nach. Er war zurück zur Südküste gegangen, und da erst hatte er erfahren, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Don Boscos Macht war zerschlagen. Zerschlagen von den Seewölfen, die der Herrscher von Tortuga in Ketten gelegt hatte. Scarface Callaghan konnte es nicht begreifen, aber an den verstörten und verängstigten Männern Don Boscos, die den Kampf mit den Seewölfen überlebt und sich versteckt hatten, sah er, daß er es
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mit Gegnern zu tun hatte, die er nicht unterschätzen durfte. Er hatte die restlichen Männer Don Boscos aus ihren Löchern geholt, in die sie sich verkrochen hatten. Einige von ihnen hatten ihm die Gefolgschaft verweigert, aber außer dem Tod hatte es ihnen nichts eingebracht. Scarface hatte erkennen müssen, daß die Angst vor den Seewölfen nach Don Boscos Verschwinden riesengroß war. Er war selbst schon so. weit gewesen, seinen Plan, den übermächtigen Gegner anzugreifen, aufzugeben, als ihm eine Fügung des Schicksals zu Hilfe geeilt war. Von der kleinen Insel Hogsty Reef nördlich von Inagua war eine Brieftaube eingetroffen, die eine Nachricht bei sich trug, daß es Don Bosco, Pablo und Nuno gelungen war, mit einer Schaluppe von der Schlangeninsel zu fliehen. Don Bosco war dabei, alles an Schiffen und Piraten aufzutreiben, was in den Gewässern zwischen Hispanola, Cuba und .den Caicos-Inseln herumsegelte. Sobald bekannt wurde, daß Don Bosco noch am Leben war und bereits wieder dafür sorgte, daß der Kampf gegen die Seewölfe erneut aufgenommen wurde, weigerte sich niemand mehr, Scarface Callaghans Befehlen Folge zu leisten. Immer mehr Männer tauchten aus ihren Löchern auf, und Scarface begann sich allmählich zu fragen, was für Feiglinge Don Bosco um sich versammelt hatte, wenn es so viele Kerle gab, die vor dem Kampf gekniffen hatten. Scarface Callaghan war kein Dummkopf, obwohl er es in der Hierarchie von Don Boscos Schnapphähnen noch nicht weit gebracht hatte. Aber jetzt erkannte er seine Chance. Wenn es ihm gelang, die Schiffe der Angreifer, die sich in dieser Nacht bei ihrer Siegesfeier in der Schildkröte vollaufen ließen, in seine Gewalt zu bringen, war er der Mann der Stunde. Vielleicht wurde er dann endlich dem Unterführer Don Boscos, Pablo, gleichgestellt, dem Don Bosco blind vertraute.
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Scarface Callaghan hatte seine Truppe gut organisiert. Er hatte einzelne Abteilungen gebildet und Unterführer ernannt. Zambo Jones, der Indianermischling, und Lama, der bärtige Bukanier, sollten einen Haufen Männer anführen, die die Aufgabe hatten, die Galeone zu entern, die in der Bucht vor Anker lag. Das große Schiff mit den roten Segeln war Rondo Kanes Männern vorbehalten. Sie sollten gleichzeitig mit Zambo Jones angreifen und so- fort aus der Bucht segeln, wenn es ihnen gelungen war, die Bordwachen zu überwältigen. Scarface Callaghan sah keine Schwierigkeiten. Ein Spitzel hatte ihm berichtet, daß nur wenige Männer auf den Schiffen zurückgeblieben sein konnten. Die Schildkröte barst vor Männern, und nur noch wenige sollten so nüchtern sein, daß sie ohne zu schwanken die Kneipe verlassen konnten, wenn sie sich mal erleichtern mußten. Trotzdem zog Callaghan es nicht einmal in Erwägung, die Schildkröte anzugreifen. Er kannte sich aus. Selbst wenn die Männer stockbesoffen waren - bei einem Kampf zählte das alles nicht mehr. Sie waren dann höchstens noch wilder als zuvor. Scarface hatte zu wenige Männer, um auch noch den Schwarzen Segler in der Bucht in seine Gewalt zu bringen. Er nahm sich vor, das Schiff mit den Kanonen der Galeone zu versenken. Alles war geplant bis ins kleinste, als das erste Floß sich im Schutze der Dunkelheit vom Strand löste und mit leisen Schlägen auf die ankernden Schiffe zugesteuert wurde. Callaghan, der sich im letzten Moment entschlossen hatte, mit auf die Galeone zu gehen, blickte zum Strand zurück. Er sah vor den Lichtern der Schildkröte ein paar dunkle Gestalten hin und her huschen und begann zu grinsen. Diese Dummköpfe, die er zurückgelassen hatte, damit sie die Männer in der Schildkröte daran hinderten, die Kneipe zu verlassen, wenn es Kampfgeräusche auf den Schiffen in der Bucht gab, würden alle sterben, dessen war er sicher. Aber was zählte das? Wenn die Kerle, die Don
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Bosco besiegt hatten, keine Schiffe mehr besaßen, waren sie geliefert. Dann konnte man beruhigt warten, bis Don Bosco mit seiner neuen Armada vor Tortuga auftauchte und mit seinen Kanonen alles zusammenschoß, was sich auf der Insel bewegte. Langsam trieben die Flöße in der Bucht hinaus. Callaghan warf immer wieder einen Blick zum Himmel. Er hoffte, daß die Wolkendecke nicht eher aufbrechen würde, als bis sie die Schiffe erreicht hatten. Die Wachen würden arglos sein. Wie Callaghan die zurückgebliebenen Männer einschätzte, würden sie sehnsüchtig zur Schildkröte hinüberstarren, wo ihre Kumpane zechten und sich mit den Weibern vergnügten. Wenn sie merkten, daß sich jemand ihres Schiffes bemächtigen wollte, würde es für sie zu spät sein. 3. Sie standen da, als hätten sie eine Armee hinter sich, aber sie waren allein. Don Bosco sah wüster aus als in seinen schlimmsten Tagen, wenn er wochenlang durchgesoffen und anschließend bei einer Kaperung ein halbes Hundert Männer niedergemacht hatte. Die Narben in seinem dunklen Gesicht schienen zu glühen, und die Muskeln auf seinen Oberarmen spielten und erweckten den Eindruck, als würden die Tätowierungen darauf leben. Die langen schwarzen Haare waren verfilzt und fettig, und in seinem stoppeligen Bart schienen sich noch Tangreste festzuklammern. Er sah wirklich aus, als hätte er Tage unter Wasser zugebracht und ein Gelage mit Neptun persönlich abgehalten. Der riesige, glatzköpfige Mann neben ihm war nicht weniger schreckenerregend. Sein Name war Nuno, und in seiner ehemaligen Funktion als Aufseher von Galeerensklaven hatte er schon so viele Schandtaten in seinem Leben begangen, daß es für eine Million Jahre Fegefeuer reichte, wenn ihn der Satan einmal zu sich holte.
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Der dritte der Männer war Pablo, dieses heimtückische, hinterhältige Exemplar der menschlichen Rasse, das den beiden anderen in nichts nachstand. Sie alle drei hatten fürchterliche Tage hinter sich. Nachdem es ihnen gelungen war, mit einer Schaluppe von der Schlangeninsel zu fliehen, und sie geglaubt hatten, dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein, hatte sie ein Sturm in ihren Fängen gehabt, der selbst ihnen die heilige Furcht eingebläut hatte. Die haushohen Brecher hatten das Deck der Schaluppe innerhalb kürzester Zeit zu Kleinholz verarbeitet, und Don Bosco, der Herrscher von Tortuga, hatte mehr als eine Stunde an einem Tampen außenbords gehangen und bereits dem Kichern von Satans Großmutter gelauscht, bevor es Nuno gelungen war, ihn wieder an Bord zu hieven. Als ob die drei Kerle selbst dem Teufel zu zäh gewesen wären, hatten sie es geschafft, dem Unwetter lebend zu entrinnen. Dazu hatten sie noch Glück gehabt, genau auf Hogsty Reef zugetrieben worden zu sein. Auf dem kleinen Eiland hatte eine Ketch Zuflucht vor dem Sturm gesucht, und der Kapitän hatte noch einen Tag gelebt, bis er erfuhr, daß Don Bosco sein Schiff übernehmen würde. Der Dummkopf war damit nicht einverstanden gewesen, in Zukunft vor dem Mast zu arbeiten. Auf Hogsty Reef lebten ein paar Negerfamilien, die für Don Bosco arbeiteten. Sie hatten Brieftauben in Verschlägen, und Don Bosco, der ahnte, daß der Seewolf, Siri-Tong, der Wikinger und der Franzose nach ihrer Flucht sofort nach Tortuga gesegelt waren, um seine Macht ein für allemal zu brechen, hatte sofort ein paar Tauben mit der Nachricht losgelassen, daß er eine Flotte sammeln würde, um die Schlangeninsel. endgültig in seinen Besitz zu bringen. Das mit der Flotte sammeln war nicht so einfach, wie Don Bosco es sich gedacht hatte. Sein Name schien in den letzten Wochen ziemlich gelitten zu haben. Es war unheimlich, wie schnell sich Nachrichten in dieser von so wenigen Menschen
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bewohnten Inselwelt verbreiteten, aber jeder schien schon zu wissen, daß es mit Don Bosco aus war. Don Bosco, Nuno und Pablo sahen sich zwei Dutzend verwegenen Gestalten gegenüber, von denen auch nicht einer einen Funken von Furcht oder Respekt zeigte, wie es Don Bosco von jedem Mann, der ihm gegenüber stand, erwartete. Vor den anderen hatte sich ein Kerl aufgebaut, der einen schwarzen Turban trug. Sein dunkles Gesicht wurde von einer mächtigen Habichtsnase geprägt. Er war mehr als sechs Fuß groß, und auch der schwarze Umhang, der seinen ganzen Körper einhüllte, konnte die Kraft, die in dem Mann steckte, nicht verbergen. Um die Hüfte hatte er einen dünnen Ledergurt gebunden, an dem ein Krummdolch in einer Lederscheide steckte. Ansonsten schien er unbewaffnet: Dafür waren die Männer hinter ihm umso mehr mit allen möglichen Waffen ausgerüstet. Viele von ihnen hielten Pistolen in den Händen, und die Mündungen waren unmißverständlich auf Don Bosco und seine beiden Vasallen gerichtet. Don Boscos Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Ihr verfluchten Hurensöhne!“ preßte er hervor. „Glaubt ihr, daß ihr uns davonjagen könnt, ohne daß ihr dafür mit eurem Leben zahlen müßtet? Ihr solltet mich besser kennen. Die Caicos sind mein Revier und werden es bleiben. Jeder, der meint, sich in ein gemachtes Bett legen zu können, wird sein blaues Wunder erleben!“. „Du bist ein Nichts, Ungläubiger!“ erwiderte 1 der Mann mit dem schwarzen Turban. „Dein Name erschreckt nicht einmal mehr unsere Kinder.“ Er wies mit der linken Hand in die Bucht, in der Don Boscos Ketch neben einer dreimastigen Galeone vor Anker gegangen war. „Sieh dir deine Nußschale an, Camorristo, dann weißt du, was du bist. Ich würde dich oder einen deiner beiden Kumpane nicht mal gegen einen meiner Männer tauschen.“
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Don Bosco begann zu grinsen wie ein Teufel. „Schau mal genau hin, du maurischer Esel“, sagte er triumphierend. „Meinst du, deine eigene Bordwache hat die Kanonen deiner Galeone auf euch gerichtet?“ Der Blick des dunklen Mannes zuckte zur Galeone hinüber und wurde blaß, als die schwarzen Augen die Bewegungen wahrnahmen. Die Stückpforten der Galeone klappten eine nach der anderen hoch, und immer mehr Kanonenrohre schoben sich durch die Öffnungen. In die Männer hinter dem Schwarzgekleideten geriet Unruhe. Die meisten Pistolenläufe hatten sich gesenkt. Auf den Gesichtern der Männer malte sich plötzlich die Erkenntnis, daß mit Don Bosco auch nach seiner vernichtenden Niederlage nicht zu spaßen war. „Was sollen wir tun, Tuareg?“ fragte einer der Piraten. „Du fragst den falschen Mann“, erwiderte Don Bosco anstelle des Mannes mit dem schwarzen Turban. „Euer Muselmann hat nichts mehr zu sagen.“ Die Hand des Herrschers von Tortuga fuhr hinunter zur Hüfte, und plötzlich hielt er ein langes Stilett in der Rechten, das aussah, als sei es ein gekürzter Degen. Der Tuareg reagierte schnell, aber nicht schnell genug für Don Bosco. Noch ehe der Muselmann seinen Krummdolch aus der Scheide hatte, bohrte sich das spitze Ding in seine Brust. Don Bosco hatte es aus der Bewegung, mit der er es aus dem Gürtel gezogen hatte, sofort auf den Tuareg zugeschleudert. Pablo und Nuno hielten plötzlich Pistolen in den Händen, und von der Bucht herüber ertönte das Krachen einer Kanone. Wenig später schlug etwa fünfzig Yards von den Männern eine Kugel in eine der Hütten ein, in denen die Piraten des Tuaregs hausten. Es gab keinen unter den Piraten, der seine Waffe gegen Don Bosco erhoben hätte. Alle starrten auf ihren ehemaligen Anführer, der langsam in die Knie sank. Es gelang ihm noch, sich das Stilett aus der Brust zu ziehen, bevor er nach vorn aufs Gesicht schlug.
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Don Bosco trat auf ihn zu und drehte ihn mit dem Fuß auf den Rücken. Er starrte in gebrochene Augen. Er winkte einem der Piraten und befahl ihm, das Stilett aufzuheben und zu säubern. Der Mann befolgte den Befehl umgehend, und als Don Bosco den anderen erklärte, daß nun alles unter seinem Kommando stand, wagte niemand einen Widerspruch. „Bereitet alles auf den Aufbruch vor“, sagte er. „Wir segeln morgen mit dem ersten Licht. Ihr könnt stolz sein, daß ihr mit zu den ersten gehört, die Don Boscos Macht zu einem neuen Höhepunkt führen. Wir werden diesmal die Schlangeninsel erobern. Unermeßliche Schätze lagern dort, und jeder von euch wird an der Prise beteiligt werden. Wir werden die alleinigen Herrscher der nördlichen Karibik sein, und der Teufel soll mich holen, wenn die Spanier nicht in kürzester Zeit von diesen Inseln vertrieben werden.“ Die Männer johlten Zustimmung. Der Tod ihres alten Anführers berührte sie nicht. Hauptsache, sie würden weiterleben, und wie es aussah, versprach Don Bosco ihnen größere Beute als der Tuareg. „Wie ich diese Muselmänner kenne, hat der Kerl doch sicher einen Haufen Weiber gehabt, oder?“ fragte Pablo einen der Piraten. Der Mann nickte hastig. Er wies auf ein schwarzes Zelt, dessen Spitze die Hüttendächer überragte. „Er lebte dort in dem Zelt“, erwiderte er hastig. „Ihr werdet sieben Frauen dort finden.“ Pablo grinste Don Bosco an. „Dann sollte wenigstens je eine für mich und Nuno übrig sein, Don Bosco“, sagte er vorsichtig. Don Bosco nickte gönnerhaft. „Aber ich werde sie euch aussuchen“, erwiderte er. „Hoffentlich hatte der Tuareg keinen absonderlichen Geschmack“, murmelte Pablo, der daran dachte, daß es viele Muselmänner gab, für die eine Frau erst eine richtige Frau war, wenn sie über zwei Zentner wog.
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Scarface Callaghan sah Lama neben sich und hörte das helle Klirren, mit dem etwas am Schanzkleid zersplitterte. Lama stieß einen Schrei aus und konnte sich nicht mehr halten. Rücklings stürzte er, krachte mit dem Rücken auf den Rand des Floßes und klatschte dann ins Wasser. Für einen Moment zögerten die anderen, aber Callaghan trieb sie mit einem leisen Fluch weiter. Er sah noch, wie sich das Floß, mit dem sie sich der Galeone hatten unbemerkt nähern können, langsam abtrieb, aber dann mußte er sich voll auf das konzentrieren, was vor ihm in der Kuhl der Galeone geschah. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Der Mond war Sekunden, bevor sie die Köpfe über das Schanzkleid gestreckt hatten, hinter einer dichten Wolkenbank hervorgekrochen, und die drei Figuren, die von der Steuerbordseite herüber auf sie zurannten, sahen mit ihren schwingenden Armen, in denen sie Waffen hielten, wie Sendboten aus einer anderen Welt aus. Scarface Callaghan konnte noch einen Moment denken, daß sie zum Glück in mehr als dreifacher Überlegenheit waren, selbst wenn Lama ausgefallen war, dann war ein großer Schatten vor ihm, und ein Belegnagel sauste auf ihn nieder. Er konnte sich gerade noch zur Seite werfen und mit einem Hechtsprung über das Schanzkleid rollen. Der Belegnagel krachte dicht neben ihm auf Holz und hinterließ einen hohlen Ton. Callaghan feuerte seine Pistole ab, obwohl er seinen Männern verboten hatte, ihre Schußwaffen zu gebrauchen. Aber in diesem Augenblick hatte er alles vergessen. Er wußte nur, daß ihre Übermacht nicht den Effekt hatte, den er erwartete. Er sah, wie die Kugel aus seiner Pistole das Ziel verfehlte. Die Mündungsflamme leuchtete das glänzende Gesicht eines Schwarzen aus, dessen Augen wild rollten. Wieder sauste der Belegnagel in der Hand des Schwarzen nieder, und diesmal traf er
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die Schulter Callaghans, die sich plötzlich taub anfühlte. Callaghan brüllte seinen Schmerz hinaus. Eine Stimme, die aus den Wanten zu kommen schien, antwortete mit einem ähnlichen Schrei, und Callaghan glaubte, die Hölle hätte sich gegen ihn verschworen. Er rollte über die Planken des Decks, stieß gegen ein aufgeschossenes Tau und jaulte, als er auf seine gelähmte Schulter fiel. Er warf dem Neger, der herumgewirbelt war und einem anderen Piraten mit dem Holz ins Reich der Träume schickte, seine Pistole entgegen. Sie traf den Riesen gegen die Brust und ließ ihn taumeln. Mit einem Sprung war Scarface Callaghan wieder auf den Beinen. Seine gelähmte linke Schulter ignorierte er. Das Klirren von Degen- und Säbelklingen drang wie durch eine dichte Wand aus Watte an seine Ohren, in denen es rauschte, als stünde er unter einem Wasserfall. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Mann der drei Bordwachen wie ein Berserker unter seinen Leuten wütete. Der Kerl hielt eine gekürzte Pike in den Händen und stach damit zu wie eine zuschnappende Schlange. Drei Männer wälzten sich schreiend auf den Planken, und es sah nicht so aus, als ob sie sich wieder erheben würden. Callaghan schwante plötzlich Schlimmes. Er wußte, daß er sich verrechnet hatte. Er hätte seine kleine Streitmacht niemals aufteilen dürfen. Wenn er die Männer, die jetzt vielleicht ebenso wie sie die Galeone mit den roten Segeln geentert hatten, hier bei ihnen gewesen wären, hätte vielleicht alles ein gutes Ende nehmen können, aber so... Noch konnte er den Angriffen des Schwarzen, der tatsächlich keine andere Waffe als den Belegnagel zu haben schien, ausweichen, aber nur, weil sich der Neger auch noch Curly McBrides zu erwehren hatte, der immer wieder mit seinem Entermesser auf ihrs eindrang. „Curly, hinter dir!“ brüllte Scarface, als er sah, daß der dritte Mann, der gerade einen
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Gegner zu Boden geschickt hatte, sich auf den Schotten werfen wollte. Curly McBride, der wegen seines fehlenden Haares neckisch Krausschopf genannt wurde, versuchte, sich zur Seite zu werfen. Mit dem Erfolg, daß sein eckiges Kinn mit dem Belegnagel des Negers zusammenstieß. Mit einem urigen Laut brach der Schotte zusammen und krachte auf die Planken, daß das Schiff in seinen Fugen erzitterte. Scarface Callaghan sah sich plötzlich zwei Männern gegenüber. Hatten sie Zeit, sich beide um ihn zu kümmern? Was war mit seinen Kumpanen? Er warf einen kurzen Blick an dem Neger vorbei und sah, daß nur noch Zambo Jones, der Indianermischling, und Shaggy Boone auf den Beinen waren. Um sie kümmerte sich der Mann mit der gekürzten Pike, und es sah nicht so aus, als hätte er auch nur eine Spur Angst davor, gegen zwei Gegner auf einmal kämpfen zu müssen. Curly McBride regte sich auf den Planken. Im Mondschein war deutlich zu erkennen, wie eine prächtige Beule auf seiner spiegelnden Glatze zu wachsen begann. Er hob seinen Kopf und starrte mit halb glasigen Augen Callaghan an, der wie eine in die Enge getriebene Ratte aussah und die rechte Hand mit seinem Säbel den beiden Angreifern entgegenstreckte. Der Belegnagel des Negers sauste auf Curly McBrides Glatze nieder und platzierte seinen Kopf wieder da, wo er vorher gewesen war. Der Grundstein für eine zweite prächtige Beule war damit gelegt. „He!“ stieß Scarface Callaghan hervor. „Will sich nicht einer von euch beiden um den anderen Mann kümmern? Er hat schließlich gegen zwei zu kämpfen, während ihr mir gemeinsam auf den Pelz rücken wollt,“ Er sah, wie sich der eine Mann umdrehte und einen kurzen Blick über die Schulter zurückwarf. „Mach dir keine Sorgen, Mann“, erwiderte er grinsend. „Das ist nur ein Spiel für ihn. Normalerweise weigert er sich zu
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kämpfen, wenn weniger als fünf Mann gegen ihn antreten.“ „Das ist nicht fair, was ihr tut!“ brüllte Callaghan, als der Neger und sein Kampfgefährte auf ihn eindrangen. „Wir tun dir doch gar nichts“, sagte der schlanke, dunkelhaarige Mann mit den dunklen Augen, in denen die Mondlichter tanzten. „Schmeiß deinen Säbel weg, dann peitschen wir dich nur aus, lassen dich kielholen, ziehen dir die Haut in Streifen ab, befreien dich von Ohren und Nase und hängen dich auf.“ „Und wenn ich meinen Säbel nicht wegschmeiße?“ fragte Scarface wütend. „Mann, dann lernst du uns erst richtig kennen!“ sagte der Schlanke mit grollender Stimme. Scarface Callaghan konnte viel vertragen, aber das hier ging über alles Maß hinaus. Verdammt, er hatte oft genug Seite an Seite mit Don Bosco gekämpft. Wer war er denn, daß er sich von diesen Hampelmännern Angst einjagen ließ? Wut und Haß überschwemmten ihn plötzlich wie eine Woge. Sein rechter Arm mit dem Säbel zuckte blitzschnell vor, und es hätte nicht viel gefehlt, und der Neger wäre einen Kopf kürzer gewesen. Scarface hatte einen Ruck im Arm erwartet, der den Treffer anzeigte, aber der Schwung seiner Bewegung riß ihn vorwärts. Der Neger stand schon längst nicht mehr dort, wo Callaghans Säbel hingezuckt war. Er hatte sich blitzschnell gebückt, mit dem Belegnagel ausgeholt und ihn mit einem Rundschlag gegen die Beine des Narbengesichtes geschwungen. Scarface Callaghan spürte einen stechenden Schmerz in den Schienbeinen, der ihm das Bewußtsein zu rauben schien. Er konnte nichts dagegen tun, daß er nach vorn stürzte. Er drehte sich instinktiv auf die linke Seite, damit er die Hand mit dem Säbel frei hatte, aber auch das war ein Fehler. Er merkte es, als er auf die gelähmte Schulter krachte und plötzlich feurige Ringe vor seinen Augen tanzten. Seine Rechte fuchtelte noch mit dem Degen herum, aber es stand niemand mehr
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in der Nähe, den er damit hätte gefährden können. Als die feurigen Ringe verschwanden und er wieder einigermaßen was sehen konnte, blickte er in zwei grinsende Gesichter, die sich prächtig über ihn zu amüsieren schienen. Im Hintergrund war der Kampf zwischen Zambo, Shaggy Boone und dem dritten Mann immer noch in vollem Gange, aber Scarface hatte das Gefühl, daß der Kerl mit seiner Pike nur mit den beiden Gegnern spielte. Callaghan spuckte aus und erhob sich auf die Knie. Feuerspeere jagten durch seine Schienbeine, aber als er daran dachte, was der Schlanke ihm alles angedroht hatte, ignorierte er den Schmerz und warf sich aus kniender Stellung vor, um den Kerl mit seinem Säbel aufzuspießen. Das letzte, was er sah, war, wie der Neger grinsend den Krauskopf schüttelte, kurz mit dem Belegnagel ausholte und zweimal kräftig hinlangte. Scarface Callaghan vergaß alle Schmerzen, die in seinem Körper tobten. Ein Lächeln huschte über seine Züge, weil er ein paar Engel vor seinem geistigen Auge vorbeischweben sah, dann waren auch sie verschwunden, und er befand sich in einem schwarzen Loch, in dem es keine Empfindungen mehr gab. 5. Batuti schüttelte grinsend den Kopf. „Der Kerl plemplem“, sagte er. „Erst schneiden ihm einer Gesicht kaputt, dann er kämpfen gegen Batuti.“ „Und gegen mich“, warf Sam Roskill ein. „Hast du nicht an seinen Augen gesehen, daß er vor mir viel mehr Angst gehabt hat als vor dir?“ „Ich sagen doch“, erwiderte Batuti. „Mann plemplem.“ Sam Roskill grunzte etwas, was Batuti zum Glück nicht verstand, weil er sich gerade umgedreht hatte und zu Dan hinüberschaute, der sich immer noch der beiden Piraten erwehren mußte. Auf den Planken der Kuhl lagen mit dem Glatzkopf und dem Narbengesicht, die
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Batuti ins Reich der Träume geschickt hatte, sieben weitere Piraten, von denen sich drei nicht mehr bewegten. An ihrer Haltung sah Batuti, daß sie nicht mehr lebten. Vier waren von Dans Pike und Sam Roskills Degen schwer verwundet. Zwei von ihnen versuchten gerade, zum Schanzkleid zu kriechen und sich daran hinaufzuziehen, aber sie schafften es nicht. Sam Roskill war neben Batuti getreten und sagte: „Meinst du nicht, daß Wir Dan ein bißchen helfen sollten, damit sie ihn nicht zu Mus hauen?“ Sam Roskills Frage war nicht lustig gemeint, denn er sah, daß der Mischling mit seinem Entermesser ein gefährlicher Kämpfer war und im Begriff war, sich langsam gegen Dan durchzusetzen, weil der auch noch gegen den zotteligen Urwaldmenschen kämpfen mußte, der in der linken Hand eine seltsam geformte Waffe mit einer sichelartigen Schneide und in der rechten ein Enterbeil hielt, mit dem er immer wieder auf die Pike Dans zielte, um sie ihm aus der Hand zu schlagen. Sam Roskill sprang vor. Sein Degen zischte durch die Luft und traf die rechte Hand des Zotteligen, der schreiend sein Enterbeil fallen ließ. Sofort wandte sich der Mann mit den tapsigen Bewegungen eines Bären um und griff Sam an, der tänzelnd zurückwich. „Nanu!“ sagte Sam und tat überrascht. „Das ist ja ein Mensch! Ich hab mich schon gewundert, daß sich so große Affen so gut dressieren lassen.“ Der Kerl schnaufte durch die Nase, und Sam erwartete jeden Augenblick, daß ein Feuerstrahl aus den Nasenlöchern auf ihn zuschoß. Aber er hatte den Kerl überschätzt. Er war ein ganz gewöhnlicher Bukanier, der auf der Insel wildlebende Schweine jagte und nicht viel anders lebte als seine Opfer. Der Mann fluchte auf Französisch. Er warf Sam seine sichelartige Waffe entgegen, daß der sich bücken mußte, und war im nächsten Augenblick am Schanzkleid. Mit einem gewaltigen Satz sprang er über Bord. Sam wartete auf das Aufplatschen im Wasser, aber statt dessen hörte er einen
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dumpfen Fall, und als er sich über das Schanzkleid beugte, sah er, daß der arme Kerl genau auf das Floß gesprungen war, das immer noch neben dem Schiff trieb. Mit verrenkten Gliedern lag er auf den zusammengefügten Stämmen. Offensichtlich hatte er sich beim Aufprall das Genick gebrochen. Ein unterdrücktes Stöhnen ließ Sam den Kopf wenden. Jetzt, nachdem Dan nur noch einen Gegner hatte, sah es schlecht für den Indianermischling aus. Immer wieder stieß Dans Pike auf ihn zu und krachte gegen das Entermesser. Und dann wirbelte die Waffe des Mischlings plötzlich in hohem Bogen davon, klirrte gegen den Großmast und fiel auf die Planken. Waffenlos stand der Indianer vor Dan, die Spitze der Pike an seiner Kehle. Er schluckte, aber auch das bereitete ihm Schwierigkeiten. „Laß ihn am Leben“, sagte Sam Roskill. „Er hat als einziger bis zum Schluß gut und fair gekämpft. Wenn er uns verrät, was das alles zu bedeuten hat, versprechen wir ihm, ihn freizugeben, wenn wir Tortuga wieder verlassen.“ Dan nickte und wartete, bis Batuti dem Mischling die Hände auf dem Rücken mit einem Lederriemen zusammengebunden hatte. Dann nahm er die Pike herunter und steckte sie sich in die Schärpe zurück. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Er schaute zu den Toten und Verwundeten hinüber und fragte: „Was geschieht mit ihnen?“ „Das soll der Seewolf entscheiden“, erwiderte Sam Roskill. „Ich werde einen Brandsatz in die Luft jagen, damit unsere besoffenen Kameraden Bescheid wissen, daß hier was im Gange ist. Ihr könnt inzwischen das Narbengesicht und den Glatzkopf fesseln, damit die nicht verrückt spielen, wenn sie wieder aufwachen.“ Er ging zum Achterdeck hinüber und schrak zusammen, als er plötzlich entferntes Waffenklirren hörte. Auch Batuti und Dan hatten es gehört. „Das ist auf dem ,Roten Drachen’ bei Shark Kelly!“ stieß Dan hervor.
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„Verdammt, die wollten alle Schiffe in ihre Gewalt bringen!“ Sam Roskill fluchte. „Los ihr beiden!“ rief er. „Worauf wartet ihr noch? Das Floß liegt noch längsseits! Ihr seid in ein paar Minuten drüben! Ich komme hier schon allein zurecht!“ Das brauchte er Batuti und Dan nicht zweimal zu sagen. Mit ein paar Sätzen waren sie an Backbord, kletterten geschmeidig über das Schanzkleid und schwangen sich auf das Floß. Dan stieß den toten Bukanier ins Wasser und griff sich die Riemen, mit denen die Piraten das Floß auf die „Isabella“ zugelenkt hatten. Batuti nahm den zweiten Riemen, und mit kräftigen Stößen trieben sie das Floß vorwärts auf den „Roten Drachen“ zu, der hundert Yards weiter vor Anker lag. Sam Roskill fesselte das Narbengesicht und den Glatzkopf, kümmerte sich dann um die Verwundeten, damit ihm niemand in den Rücken fallen konnte, fesselte auch sie vorsorglich und schickte nach wenigen Minuten einen der chinesischen Brandsätze in die Luft, mit dem er die Kameraden in der Schildkröte warnen wollte, daß die letzten Piraten Don Boscos einen Aufstand probierten. Das Feuer erhellte für einen kurzen Augenblick die ganze Bucht. An Deck des „Roten Drachen“ waren huschende Bewegungen zu erkennen. Kampfgeräusche wehten immer wieder herüber. Sam hoffte, daß Shark Kelly, Candy-Bill und Anvil ebenso auf der Hut gewesen waren wie sie selbst. Wenn es den Piraten gelang, den „Roten Drachen“ in ihre Gewalt zu bringen, wurde die Situation für die Seewölfe heikel. Die Frage war nur, ob gleichzeitig mit den Angriffen auf die Schiffe auch die Schildkröte Ziel eines Überfalls geworden war oder werden sollte. Sam konnte es sich nicht denken. Woher sollten auf einmal die vielen Piraten herkommen? Er versuchte, in dem schwachen Mondlicht zu erkennen, ob auch auf dem schwarzen Segler des Wikingers Kämpfe stattfanden, aber er konnte nichts sehen, weil der
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Segler zum Teil von den Konturen des „Roten Drachen“ verdeckt wurde. Sam Roskills Gedanken gingen zu Don Bosco und seinen beiden Spießgesellen zurück. Hatten die drei Schurken ihre Flucht mit der kleinen Schaluppe lebend überstanden? Es war fast unmöglich, einen solchen Sturm in einer Nußschale zu überstehen, dennoch wurde Sam das Gefühl nicht los, als ob der ehemalige Herrscher von Tortuga der Drahtzieher dieser nächtlichen Aktionen war. * Batuti verlor fast das Gleichgewicht, als das Floß gegen ein anderes stieß, das vor dem „Roten Drachen“ auf dem Wasser trieb und in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen war. Dan hatte es im letzten Augenblick gesehen, Batuti aber nicht mehr warnen können. Nachdem der Gambia-Neger sich gefangen hatte, sprangen sie beide auf das andere Floß hinüber, stießen sich ab und trieben auf den „Roten Drachen“ zu. Die Kampfgeräusche wehten jetzt überdeutlich zu ihnen herüber. Sie hörten die röhrende Stimme Anvils, und Dan begann zu grinsen, als er an den Riesen dachte, der unbeweglich wie ein Klotz war, dauernd einstecken mußte und trotzdem immer Sieger blieb, weil er alle Schläge verdaute. Er brauchte nur einmal mit einer seiner Fäuste zu treffen, dann hatte er Ruhe, denn wo er hinschlug, da wuchs kein Gras mehr. Mit einem dumpfen Laut stieß das Floß gegen die Bordwand des „Roten Drachen“. Dan hing schon an den Berghölzern und kletterte behände wie ein Affe zum Schanzkleid hinauf. Er hielt sich nicht damit auf, erst einmal die Lage zu peilen, sondern schwang sich mit seinem wilden Kampfruf „Arwenack!“ an Deck und hielt schon seine Pike in der Hand, als sich ein Pirat nach ihm umdrehte und sein Messer nach ihm warf. Batuti war nicht viel langsamer als Dan. Er meinte, das Keckern Arwenacks von Bord der „Isabella“ zu hören, als Dan seinen
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Kampfruf durch die Nacht schmetterte, und grinste. Das Grinsen verschwand schnell von seinem schwarzen, schweißglänzenden Gesicht, als ein Messer haarscharf an seinem Kopf vorbeizischte und irgendwo hinter ihm ins Wasser platschte. Er nahm noch wahr, wie der Mann vor Dan in die Knie ging und beide Hände auf den Leib preßte, dann sah er sich einem Gegner gegenüber, dessen Hautfarbe genauso dunkel war wie seine eigene. „Hallo, Bruder“, sagte der Mann und schlug mit seinem Entermesser zu. Die scharfe Schneide spaltete Batutis Belegnagel, als wäre er aus Wachs und nicht aus Eichenholz. Batuti starrte einen winzigen Augenblick auf seine demolierte Waffe, warf sie dann dem Gegner ins Gesicht und hechtete auf einen am Boden liegenden Mann zu, neben dem eine Säbelklinge im Mondlicht glitzerte. Sofort riß er die Waffe hoch. Klirrend schlugen der Säbel und das Entermesser gegeneinander. Batuti trat mit dem rechten Fuß zu und zog dem Schwarzen das linke Bein unter dem Körper weg. Der Mann, der Batuti mit „Bruder“ angeredet hatte, konnte sein Gleichgewicht nicht halten. Schwer stürzte er auf die Planken, und ehe er sein Entermesser zur Abwehr erheben konnte, hatte Batutis Säbel seine Brust durchbohrt. Der Ausdruck in Batutis Gesicht war furchtbar. Er hatte bei seinem Hechtsprung sofort gesehen, daß der Tote, dessen Säbel er aufgehoben hatte, Candy-Bill war, einer aus Siri-Tongs Mannschaft. Vielleicht war der Schwarze sein Mörder, dann hatte ihn das Schicksal mit der Waffe seines Opfers bestraft. Batuti sah sich wild um. Dan drang gerade auf vier Piraten ein, die Shark Kelly am Großmast -festgenagelt hatten. Einer von ihnen hob gerade seine Pistole, um den großen Mann mit den krausen, brandroten Haaren niederzuschießen. Dans Pike sauste auf seinen Arm nieder, der Schuß löste sich in dem Augenblick,
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als die Mündung in Richtung eines der Kumpane des Piraten zeigte. Die Kugel bohrte sich in die Brust eines bärtigen Kerls, der ohne einen Laut zusammenbrach. Shark Kelly drang sofort auf die beiden anderen Piraten ein. In der rechten Hand, auf deren Rücken ein tätowierter Hai prangte, hielt er ein geschwungenes Messer, das er sicher einem Piraten abgenommen hatte. Ein paar blitzschnelle Stöße verwirrten die Piraten, die sich nach Dan O’Flynn umgeschaut hatten, als der Schuß einen ihrer eigenen Kumpane niedergestreckt hatte. Shark Kelly kannte keine Gnade. :Wahrscheinlich hatte er mit ansehen müssen, wie Candy-Bill von einem der Piraten getötet worden war. Noch ehe Dan den Piraten mit der Pistole, der mit den Fäusten wild um sich schlug, auf die Planken geschickt hatte, waren die beiden anderen tot. Shark Kelly hatte ihnen nicht den Hauch einer Chance gegönnt. Batuti hatte sich inzwischen um die drei Kerle gekümmert, die auf Anvil einschlugen. Ab und zu zischte die Faust des Riesen vor, doch bisher hatte er noch keinen Treffer landen können. Den Säbel in seiner Linken benutzte er nur, um die Angriffe der Piraten mit ihren Stichwaffen abzuwehren. Dann aber war es soweit. Anvills Faust traf einen der drei Piraten. Der Mann überschlug sich in der Luft und schoß mit dem Kopf voran auf Batuti zu, der im letzten Augenblick ausweichen konnte. Wie eine Kanonenkugel sauste der Mann auf das Schanzkleid zu, krachte mit dem Kopf voran dagegen und blieb benommen liegen. Die beiden anderen starrten ihm mit offenen Mündern nach, und das war eine Gelegenheit, die Anvil sich nicht entgehen ließ. Zweimal zuckte seine gewaltige Rechte vor, und die beiden Kerle nahmen fast die gleiche Flugbahn wie ihr Kumpan. Auch diesen beiden konnte Batuti kaum ausweichen. „He!“ rief er. „Hör auf, mit Affen nach mir schmeißen!“ Anvil lachte dröhnend.
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„Batuti, du altes Rübenschwein! Dich hab ich lange nicht mehr so gern gesehen wie heute nacht!“ „Sie haben dir Birne kaputtgehauen, Anvil“, behauptete Batuti mit besorgtem Gesicht, denn Anvil konnte nichts leiden, was eine schwarze Haut hatte. Ein Schrei ließ sie zusammenfahren. Sie blickten sich um und sahen, wie Shark Kelly gerade noch einem Messerwurf eines der Burschen, die Anvil gegen das Schanzkleid gedonnert hatte, entging. Kelly vergaß sich in seiner Wut. Er war mit ein paar Schritten bei dem Mann, riß ihn hoch und schleuderte ihn ins Wasser. Die beiden anderen warf er gleich hinterher. Dann drehte er sich um und beugte sich über Candy-Bill, neben dem Dan O’Flynn kniete. Dan schüttelte den Kopf. „Er muß sofort tot gewesen sein”, sagte er leise. „Was war bei euch los?“ fragte Shark Kelly leise. „Wir haben gehört, daß ihr gekämpft habt.“ „Wir haben mehr Glück gehabt als ihr“, erwiderte Dan. „Wir sahen sie, noch bevor sie an Deck waren. Arwenack und Sir John haben uns gewarnt. Vielleicht hätten wir euch sonst nicht zu Hilfe eilen können und lägen jetzt schon auf dem Grund der Bucht.“ Shark Kelly nickte. „Ich habe das Feuer gesehen. Hoffentlich wissen der Seewolf und Siri-Tong, daß hier ein Aufstand im Gange ist. Was ist mit dem schwarzen Segler?“ Dan zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatten die Kerle nicht genügend Leute“, sagte er. „Wir können nur von Glück reden, daß sie nicht alle über ein Schiff hergefallen sind.“ Shark Kelly lehnte sich ans Schanzkleid und starrte zur Küste hinüber, wo die Mannschaften der drei Schiffe wahrscheinlich eine wüste Orgie nach ihrem Sieg feierten. Hoffentlich hatten sich nicht alle so besoffen, daß sie nicht merkten, wenn ihnen jemand an den Kragen wollte.
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Sie mußten den Brandsatz, den Sam Roskill vom Deck der „Isabella“ losgelassen hatte, doch gesehen haben! Shark Kelly überlegte, ob er an Land pullen sollte, um die Männer und Siri-Tong zu warnen. In diesem Moment krachten Musketen an der Küste. Kleine Mündungsfeuer flammten auf. Es sah aus, als würde sich jemand in der Nähe eine Pfeife mit einem Kienspan anzünden. Dan O’Flynn, Batuti, Shark Kelly und Anvil erstarrten. Jeder von ihnen dachte in diesem Moment daran, daß es einen ihrer Freunde, die sie so um ihren Landgang beneidet hatten, erwischen konnte. Vielleicht sogar den Seewolf, Siri-Tong oder den Wikinger. Dan O’Flynn hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, zu wissen, was dort vor der Schildkröte geschehen war... 6. Die Stimmung in der Schildkröte hatte ihren Höhepunkt längst überschritten. Hasard Philip Killigrew und Siri-Tong hatten sich hei dem Besäufnis, das sie ihren Männern nach den harten Kämpfen gegen Don Boscos Schnapphähne gönnten, absichtlich zurückgehalten. Sie beobachteten, was sich in dem kühlen, felsigen Labyrinth abspielte, dessen Herrscher der dicke Diego war. Thorfin Njal dagegen hatte mal wieder richtig hingelangt, wie es sich für einen Wikinger gehörte. Er war im Augenblick dabei, zusammen Carberry die schwere, eichene Tür des Gewölbes aufzubrechen, in dem Diego seine Vorräte an Wein und Rum aufbewahrte. Diego, der gerade noch mitgekriegt hatte, was sich da anbahnte, schoß mit erstaunlicher Schnelligkeit die steilen, in den Felsen gehauenen Stufen herunter, die zu seinem Vorratslager führten. Himmel! dachte er. Sä besoffen waren diese Kerle ja noch nie! Wenn ich mir jetzt nicht ganz schnell etwas einfallen lasse, dann verwandeln die Burschen in ihren
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besoffenen Köpfen meine Vorräte in einen Trümmerhaufen! Er grapschte nach Carberry, mit der anderen Hand versuchte er, den Wikinger von der schweren Bohlentür wegzudrängen, und es gelang ihm auch. Diego war absolut kein Schwächling und den Seewölfen und seinen Freunden durchaus wohlgesonnen. Aber er beabsichtigte nicht, sich seine Kneipe mit allem, was dazugehörte, total ruinieren zu lassen. Er drängte seinen gewaltigen Körper einfach zwischen den Wikinger und die Bohlentür zu seinem Vorratsraum. „Weg da!“ sagte er barsch und versetzte dem Wikinger einen Stoß, der ihn und Carberry ein paar Yard zurückwarf. Er benutzte dazu seinen gewaltigen Bauch, und er wußte aus Erfahrung, welche Wucht so ein Stoß entwickelte. Der Wikinger strauchelte, brüllte auf, ruderte wild mit den Armen in der Luft herum und krallte sich dann an Carberry fest. Zusammen gingen die beiden Hünen zu Boden. Das breite Schwert des Wikingers, mit der er die Tür hatte aufbrechen wollen, klirrte über die Felsen. Wieder brüllte Thorfin Njal vor Wut auf. Er begriff in seinem völlig benebelten Kopf gar nicht mehr, was in diesem Moment um ihn herum vorging. Anders wäre er auch nie auf die Idee verfallen, ausgerechnet in den Vorratsraum Diegos einbrechen zu wollen. Er kannte den dicken Wirt gut, und er wußte genau, daß er auf so etwas verdammt sauer reagieren konnte. Diego hatte es inzwischen geschafft, die Bohlentür zu öffnen. Er wischte hinein, und gleich darauf hielt er ein Faß mit Brandy in seinen Armen. Wie der Blitz stand er wieder draußen, gerade noch rechtzeitig, um dem zornigen Wikinger das Faß in die Arme zu drücken. „Mein bestes Faß!“ sagte er. „Für euch und den Seewolf und für Siri-Tong! Ich spendiere es euch, aber jetzt marschiert schleunigst wieder nach oben in die Schildkröte, oder ihr riskiert meine Freundschaft, klar?“
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Irgendwo dämmerte es in diesem Moment bei Carberry und dem Wikinger doch. Sie sahen sich an, Thorfin Njal schlug den Zapfhahn aus dem Faß und setzte es an die Lippen. Er nahm einen gewaltigen Schluck und reichte es dann Carberry hinüber. Sein Gesicht hatte sich verklärt, und irgendwie hatten sich auch die Nebel vor seinem Verstand wieder verzogen. Er hieb Diego seine Rechte auf die Schulter, daß der Dicke fast in die Knie brach und röhrte dann: „Also man merkt doch gleich, wo die rechten Freunde sind. Werde ich dir nie vergessen, Diego!“ In diesem Moment tauchte der alte O’Flynn ebenfalls auf. Mit seinem Holzbein humpelte er die steilen Stufen der Felsentreppe hinunter. Der Wikinger sah ihn, und ein wildes, wenn auch nicht unfreundliches Grinsen überzog sein Gesicht. Er mochte den Alten gern. „Du, Ed“, sagte er zu Carberry, der sich soeben selber angelegentlich mit dem Faß beschäftigte. Rülpsend setzte der Profos das Faß ab. „Ja?“ fragte er, und seine Stimme hatte gar nicht mehr den gewohnten sicheren Klang. Vor seinen Augen verschwamm in diesem Moment alles, aber Thorfin Njal packte ihn und drehte ihn kurzerhand herum. „Da kommt noch jemand, der Durst hat!“ sagte er und deutete auf den alten O’Flynn. „Los, dieses alte Rübenschwein da liegt schon viel zu lange trocken, der soll jetzt mal einen richtigen Schluck für ausgewachsene Männer nehmen!“ Der Wikinger, der auch in seinem besoffenen Kopf nicht vergessen hatte, daß ihm sein breites Schwert entglitten war, grapschte danach und steckte es wieder in die breite Lederscheide zurück. Dann aber nahm er Carberry das Brandyfaß kurzerhand ab und hielt es dem verdutzten Alten hin. „Du brauchst jetzt nur noch deinen Rüssel darunter zu halten, Alter!“ sagte er freundlich, „und dann wirst du einen Tropfen zu schmecken kriegen, wie du ihn noch nicht erlebt. hast!“ Old O’Flynn grinste erfreut.
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„Wußte ich doch, daß ich mal nach euch Rübenschweinen sehen mußte!“ murmelte er und dann packte ihn Carberry von der anderen Seite. Er hielt ihm den Kopf, der Wikinger goß ihm den Brandy in die Kehle. . Der Alte schluckte, hustete und spuckte schließlich. Dann riß er sich zornig los. „Verdammte Bande!“ schrie er, und er sah, wie der dicke Diego lachte, daß ihm der fette Bauch nur so auf und ab hüpfte, „ich werde es euch noch eintränken, ihr hinterlistigen Rattengesindel! Verdammt, ihr seid ja schon so stinkbesoffen, daß ihr gar nicht mehr wißt, was für ein herrlicher Tropfen das dort ist!“ Old O’Flynn packte zu. Er entriß dem verdutzten Wikinger das zwei GallonenFäßchen und humpelte mit ihm, so schnell er konnte, die Stufen wieder hinauf. „Halt, du verdammter verlauster und verwanzter Meermann!“ brüllte Carberry, und er wollte dem Alten nach, aber just dasselbe versuchte auch der Wikinger mit lautem Gebrüll, der sein Fäßchen Brandy bereits entschwinden sah. Die beiden prallten zusammen, ziemlich unsanft knallten sie auf die Stufen aus granithartem Fels, und wieder fluchten sie, was das Zeug hergab. Nur mühsam gelang es ihnen, wieder auf die Füße zu kommen, und erst, als der dicke Diego sie die steilen Stufen energisch hinaufbugsierte, schafften sie die steile Treppe nach dem dritten Anlauf. Aber da war Old O’Flynn mit dem Brandyfaß längst über alle Berge. Oben in der Grotte war der Lärm zwar gehört worden, aber niemand kümmerte sich darum. Kaum jemand schrie mehr nach Wein, einige der Männer waren an ihren grob zusammen gezimmerten Tischen schon eingeschlafen. Nur der Kutscher war noch voll im Gange. Er hatte nicht die rechte Freude am Saufen. Er war ja auch nicht so entwöhnt wie die anderen, hatte er doch die Möglichkeit, sich auch an Bord heimlich mal einen Schluck Rum zu gönnen, ohne daß die anderen etwas davon merkten. Er hatte sich lieber um Inez gekümmert, die kleine Hure, die sich so
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liebevoll um ihre Kunden kümmerte, wenn sie wußte, daß etwas Gutes dabei für sie heraussprang. Der Kutscher war es auch, der als erster auf Bill aufmerksam wurde, der mit bleichem Gesicht in der Tür der Grotte stand und aussah, als sei er einem Geist begegnet. Sein Mund öffnete und schloß sich, aber er brachte keinen Ton hervor. Inez sah Bill ebenfalls an, und sie bekam plötzlich große, runde Augen. „He, wer ist denn der da?“ fragte sie. „Also der Kleine dort gefällt mir aber wirklich. Vielleicht sollte ich mich mal mit ihm beschäftigen, ich ...“ Der Kutscher kniff sie in den Po, was sie mit Kichern Quittierte. Aber trotzdem versuchte sie, sich aus seinen Armen zu befreien. „Du bleibst bei mir!“ sagte er hastig, denn er dachte daran, daß er im voraus seinen Obolus entrichtet und noch nicht den vollen Gegenwert an Liebesdiensten dafür erhalten hatte. Und er war nicht gewillt, Bill partizipieren zu lassen: Außerdem war der für so was noch viel zu jung. „Feuer!“ stieß Bill hervor. Inez befreite sich mit einer geschmeidigen Bewegung vom Kutscher und war mit wenigen Schritten bei Bill. „Na, Kleiner“, flüsterte sie, „wo ist denn dein Feuer?“ Ihr fordernder Griff schien Bill nicht zu beeindrucken. Er schob sie mit einer heftigen Bewegung zur Seite. Sein Gesicht nahm wieder etwas Farbe an. Er sah, daß der Kutscher aufgesprungen war und ihn wütend anstarrte. „Feuer“, wiederholte er. „Jemand hat ein Warnzeichen von der ‚Isabella’ abgegeben!“ Der Kutscher war mit einem Schlag völlig nüchtern. Er drehte sich um und brüllte, so laut er konnte, durch die Höhle: „Alarm!“ Nur Sekunden später stand der Seewolf neben ihm und packte ihn am Arm. Der Kutscher wies. mit der Rechten auf Bill, der an der Tür stand und Inez immer wieder wegschob, die von dem Wort Feuer ganz begeistert zu sein schien. Offensichtlich hatte sie immer noch nicht
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begriffen, daß Bill ein anderes Feuer meinte als sie selbst. Der Seewolf war mit ein paar Schritten bei ihm und packte ihn an den Schultern. Inez zog einen Flunsch und wandte sich ab. „Was ist los?“ fragte Hasard eindringlich. „Ein Warnzeichen von der ‚Isabella’. Ich habe es gesehen, als ich draußen zum Pinkeln war“, stieß Bill hervor. „Es muß irgendetwas draußen in der Bucht passiert sein ...“ Hasard zuckte herum, als er ein donnerndes Geräusch vernahm, als wäre in der Grotte ein Pulverfaß explodiert. Er sah, daß Siri-Tong, die die Situation sofort erfaßt hatte, eine Pistole in der Hand hielt, aus deren Mündung Pulverrauch kroch und sich mit dem Tabakqualm, der im Raum schwebte, mischte. Im Nu füllte sich der vordere Grottenraum mit Männern. Hasard rief ihnen zu, daß draußen in der Bucht bei den Schiffen etwas geschehen sein mußte. Carberrys und Thorfin Njals Gebrüll erfüllte wenig später das Grottenlabyrinth, und die ersten Männer des Wikingers, die sich am schnellsten zusammengefunden hatten, stürmten zum Ausgang. * Thorfin Njal brüllte vor Zorn und warf sich wie ein Berserker vorwärts, obwohl Musketenkugeln dicht an ihm vorbeizischten und eine seinen Helm traf. Hasard gab mit ruhiger Stimme seine Anweisungen. Dann hatte das Feuer für einen kurzen Moment ausgesetzt, und Carberry hatte seine Männer hinausgescheucht, bevor die Hinterhaltschützen, die die Grottenkneipe belagerten, nachgeladen hatten. Die Mündungsfeuer hatten den Männern verraten, wo sich die Kerle verbargen, und mehr als ein Dutzend Männer von den drei Schiffen, die in der Bucht ankerten, waren auf dem Weg, sie auszuräuchern. Hasard hatte Siri-Tong, die mit dem Wikinger hatte losstürmen wollen, zurückgehalten.
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„Es können nicht viele sein“, sagte er zu ihr, als sie sich losreißen wollte. „Es muß etwas Bestimmtes dahinterstecken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein paar Piraten auf eigene Faust versuchen, uns zu überrumpeln. Sie müssen wissen, daß es nur ihren Tod bedeuten kann.“ „Du meinst ...“ Hasard nickte. „Sie wagen es nur, weil sie glauben, damit etwas zu erreichen bei jemandem, der Macht über sie hat.“ „Don Bosco!“ flüsterte Siri-Tong. „Hat dieser Höllensohn es tatsächlich geschafft, mit der Nußschale den Sturm zu überstehen?“ „Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“, erwiderte Hasard. „Wir müssen so schnell wie möglich zurück an Bord unserer Schiffe und Kurs auf die Schlangeninsel nehmen.“ Er wartete Siri-Tongs Antwort nicht ab. Mit einem geschmeidigen Satz sprang er durch die Tür und war draußen im Dunkel verschwunden. Noch immer blitzte Mündungsfeuer durch die Nacht, aber die Kugeln der Musketen fanden kein Ziel mehr. Hasard sah Old O’Flynn fluchend hinter einem Stapel Holz sitzen und wütend mit seinen Krücken gestikulieren. Wahrscheinlich ärgerte er sich mit seinem besoffenen Kopf, daß er nicht mehr wie die Jungen laufen konnte. Wütend klopfte er gegen sein Holzbein. Hasard drückte sich an ihm vorbei. Er suchte Carberry, aber der war vermutlich wie Thorfin auf dem Weg zu den Klippen, hinter denen sich die Heckenschützen verbarrikadiert hatten. Hasard hörte eine leichte Bewegung hinter sich und wandte den Kopf. Siri-Tong duckte sich an seiner Seite. „Können wir es schon wagen, hinunter zu den Booten zu laufen?“ fragte sie. Hasard schüttelte den Kopf. „Laß uns lieber warten, bis Carberry und Thorfin die Kerle ausgeräuchert haben. Zum Strand hinunter haben die Piraten freies Schußfeld.“ Die schattenhaften Umrisse der drei ankernden Schiffe in der Bucht waren jetzt
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deutlich zu erkennen. Hasards Befürchtungen, daß dort draußen etwas Schlimmes geschehen war, zerstreuten sich allmählich. Sonst hätten die Piraten sicher schon Segel gesetzt oder mit den Kanonen die Küste unter Feuer genommen. Gestalten huschten durch die Dunkelheit. Es war verwunderlich, wie nüchtern die Männer von der Schlangeninsel plötzlich wieder waren. Die tödliche Gefahr, die ihnen drohte, hatte den Alkohol aus ihren Gehirnen gewischt. Hasard hörte die leisen Rufe, mit denen Carberry und der Wikinger sich untereinander verständigten. Eine Salve von Schüssen unterbrach die leisen Laute. Es sah aus, als stünde der schmale Felskamm, hinter dem die Heckenschützen sich verborgen hatten, für einen kurzen Augenblick in Flammen, doch erlosch das Feuer wieder. Eine Wolkenbank schob sich vor den Mond, und von einem Augenblick zum anderen war es wieder stockfinster. „Los!“ zischte Hasard. Siri-Tong rief ihren Leuten etwas zu, und im nächsten Augenblick wurde es am Strand lebendig. Dunkle Gestalten hetzten im Zickzack hinunter zu den Booten. Ihre Umrisse hoben sich nur schwach von dem hellen Sand ab, aber das genügte nicht für die Piraten. Ein paar Schüsse krachten zwar, aber die Kugeln warfen nur Sandfontänen hoch. Hasard hatte in seiner Deckung gewartet, bis Siri-Tong eines der Boote erreicht hatte, dann war auch er aufgesprungen. Aber er schlug den Weg zu dem Felskamm ein... * Carberry und Stenmark trafen sich unterhalb der Felsen, die wie eine Mole auf den Strand hinausragten. Fast hätten sie sich gegenseitig etwas über die Rübe gehauen, doch im letzten Augenblick hatten sie sich erkannt. „Mann, Carberry“, flüsterte Stenmark, „warum hast du dich nicht einen Moment später zu erkennen gegeben? So eine
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günstige Gelegenheit, meinem Profos was über die Rübe zu geben, kriege ich nie wieder.“ Carberry brummte etwas, was Stenmark nicht richtig verstand, und dann glaubte er, daß der Profos plötzlich keinen Spaß mehr verstand, denn er kriegte einen Stoß, daß er der Länge nach hinschlug und sein Gesicht in den Sand steckte. Fluchend wollte Stenmark sich erheben, als er das Krachen einer Muskete hörte und gleichzeitig einen Gluthauch spürte, der ihm über den Rücken fuhr. Stenmark fühlte sich im Genick gepackt, und die kräftigen Fäuste Carberrys zerrten ihn über den Strand in Deckung eines kleinen Felsens. „Puh!“ sagte der Schwede. Schnell rappelte er sich auf und folgte Carberry, der über eine kurze freie Strecke hastete, den Felskamm erreichte, eine Lücke darin erspähte und sich mit einem wilden Schrei hindurchwarf. „Carberry, ich komme!“ brüllte Stenmark. Ein Feuerblitz blühte vor ihm in der Dunkelheit auf, doch er kümmerte sich nicht darum. Er wußte, daß Carberry ihm eben das Leben gerettet hatte, und er würde sich sein Leben lang Vorwürfe machen, wenn dem Profos jetzt etwas zustieß. Er erreichte die Lücke und stürmte hindurch, ohne nach links und nach rechts zu sehen. Ein Musketenlauf sauste auf seinen Schädel zu, und er konnte gerade noch rechtzeitig den linken Arm hochreißen. Der Schmerz zuckte bis zu seiner Schulter hoch. Wütend warf er sich herum und griff den Mann, der nach ihm geschlagen hatte, mit den bloßen Fäusten an. Der Pirat mußte annehmen, daß der Satan persönlich auf die Erde herabgestiegen war, so wild reagierte der Schwede. Zwei heftige Schläge genügten, und der Pirat hörte auf zu denken. Stenmark wirbelte herum und stürmte auf die Traube zu, die sich um Carberry gebildet hatte. Doch ehe er sie erreicht hatte, flogen ein halbes Dutzend Männer auseinander, als hätte eine Explosion sie
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zur Seite geschleudert. Carberry stand in ihrem Mittelpunkt, und in seiner Faust blitzte die breite Klinge eines Entermessers, die blitzschnelle Kreise beschrieb und einen Pirat ins Jenseits beförderte. Stenmark fing zwei der Kerle auf und donnerte ihre Schädel zusammen, daß sie die Engel im Himmel singen hörten. Dann bückte er sich, hob einen der bewußtlosen Piraten auf, als sei er ein Bündel Lumpen, und warf ihn seinen Kumpanen entgegen, die schreiend zu Boden gingen. Erst jetzt fand Stenmark Zeit, seinen Säbel zu ziehen. Seite an Seite mit Carberry ging er gegen die Piraten vor. Keiner von ihnen hatte noch die Zeit gefunden, seine Muskete nachzuladen, doch einer hielt plötzlich eine Pistole in der Hand und brachte sie auf Carberry in Anschlag. Stenmarks Bewegung mit der Rechten war nicht zu erkennen. Sein Säbel zischte wie ein Pfeil durch die Luft, .und im selben Augenblick, als der Pirat abdrückte, erreichte ihn die Klinge. Wahrscheinlich hatte der Pirat die Waffe noch in letzter Sekunde gesehen und die Pistole verrissen. Die Kugel jaulte jedenfalls eine Handbreit über Carberrys Schädel hinweg und schlug sich hinter ihm an einem Felsen platt. Der Pirat schrie seinen Schmerz hinaus. Der Säbel hatte seinen linken Arm durchbohrt. Stenmark war mit wenigen Schritten bei ihm und holte sich den Säbel zurück, ohne auf das Geschrei des Kerls zu achten. Als es ihm dennoch zu bunt wurde, schlug er kurz zu und brachte den Piraten zum Verstummen. Auf einmal fühlten sie sich ziemlich einsam. Carberry blickte sich wild um, aber da war niemand mehr, der gegen ihn kämpfen wollte. Er sah noch ein paar Schatten, die sich hinter irgendwelchen Felsen verdrückten, aber außer zwei Toten und drei Bewußtlosen hatte er nur noch Stenmark und den Wikinger vor sich, der hinter einer Biegung aufgetaucht war und laut zu fluchen begann, daß es für ihn nichts mehr zu tun gab.
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Er nahm den Helm ab und betrachtete die Schramme, die von einer Musketenkugel gerissen worden war. Fast liebevoll streichelte er seine Kopfbedeckung. Carberry, der das sah, sagte grinsend: „Du solltest dein Prachtstück beim Kämpfen abnehmen, Thorfin. Musketenkugeln hältst du doch auch mit deinem Schädel auf. Dann kriegt dein Helm wenigstens keine Schrammen.“ Thorfin Njal nickte grinsend. „Bei Odin, da hast du recht, Carberry“, erwiderte er. „Aber wenn du mir beim nächstenmal keinen übrigläßt, an dem ich meine Fäuste trainieren kann, werde ich dir ernstlich böse sein.“ Carberry zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, was mit den KaribikHaien los ist“, sagte er. „Seit wir aus Ostindien zurück sind, scheint hier alles verweichlicht zu sein. Nichts ist mehr wie früher. Schau mich an. Nicht die kleinste Schramme. Ich glaube, Thorfin, bald wird uns nichts anderes übrigbleiben, als gegeneinander anzutreten, wenn wir mal einen richtigen Männerspaß haben wollen.“ Der Wikinger nickte betrübt. „Immerhin haben wir einen guten Brandy getrunken“, sagte er. „Wenn Diegos anderes Zeug, das er uns zur Begrüßung immer gratis einschenkt, auch nicht schlecht ist, von diesem Tropfen hat er uns nichts verraten. Nur, daß dieser Alte uns das Faß geklaut hat, das stinkt mir immer noch!“ Der Wikinger lachte dröhnend, und sein Gelächter brach sich schaurig in den Felsen. „Habt ihr euch eigentlich über nichts anderes Gedanken zu machen?“ fragte eine Stimme hinter ihnen. Thorfin Njal und Carberry drehten sich grinsend um. Sie blickten Hasard entgegen, der sich über einen der bewußtlosen Piraten beugte und versuchte, ihn zur Besinnung zu bringen. Es war aber einer, der mit Carberrys Fäusten Bekanntschaft geschlossen hatte, und so war es nicht verwunderlich, daß Hasards Bemühungen vergeblich blieben.
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„Wir müssen zurück auf die Schiffe“, sagte Hasard. „Ich bin sicher, hinter alledem hier steckt kein anderer als Don Bosco.“ Carberry und der Wikinger sperrten ihre Mäuler auf. „Der verdammte Saufbold?“ rief Thorfin dröhnend. „Der muß mit seiner Schaluppe abgesoffen sein!“ „Vielleicht hat der Teufel ihn wieder ausgespuckt“, sagte Carberry. „Und wenn das wahr ist, dann steht uns noch einiges bevor. Der Schweinehund hat noch viel Macht auf den Inseln, und es wird nicht schwer für ihn sein, einen Haufen Halsabschneider zu finden, um zur Schlangeninsel zurückzusegeln, wenn er ihnen erzählt, welche Schätze wir dort gesammelt haben.“ Hasard erwiderte nichts, aber genau das, was Carberry ausgesprochen hatte, war auch seine Meinung. Don Bosco war auf den Caicos-Inseln gefürchtet wie der Satan persönlich. Die Tatsache, daß er nach einer vernichtenden Niederlage wieder aus der Versenkung auftauchte, würde die Legende, daß er einen Pakt mit dem Gehörnten hatte, nur neue Nahrung geben. „Wir gehen zurück an Bord“, sagte Hasard. „Beim Morgengrauen laufen wir aus. Nehmt einen der bewußtlosen Piraten mit, damit wir erfahren, weshalb sie uns angegriffen haben.“ Damit drehte Hasard sich um und ging zurück zum Strand, wo sich alle Männer bei den Booten versammelt hatten. Vor dem Eingang zur Schildkröte, in einiger Entfernung vom Seewolf, stand Diego. Hasard und der Wikinger und auch Carberry winkten ihm noch einmal zu, bevor sie zum Strand hinabgingen. Der dicke Diego sah ihnen nach, solange das die herrschende Dunkelheit, die durch den erst kürzlich aufgegangenen Mond etwas aufgehellt wurde, sobald sein Licht einmal durch eine der Wolkenlücken fiel, es ihm erlaubte. Auch Diego wurde das Gefühl nicht los, daß dieser Don Bosco überlebt hatte, daß es mit ihm noch eine ganze Menge Verdruß geben würde. Er drehte sich erst um, als auch das letzte Boot vom Strand ablegte und auf die in der
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Bucht vor Anker liegenden Schiffe zugepullt wurden. Er rief seine Schäfchen zusammen und befahl ihnen, Ordnung zu schaffen für die nächste Orgie, ganz gleich, wer sie bei ihm veranstalten würde. Er hatte ein bißchen Bedenken, wenn er daran dachte, daß der Überfall in den letzten Stunden nur auf dem Mist eines Mannes gewachsen sein konnte. Er hatte sowieso damit gerechnet, daß Scarface Callaghan irgendwann mal wieder auftauchte, wenn er die Nase voll hatte von der fetten Rosita, die lange nicht so attraktiv war wie seine Mädchen in der Schildkröte. Callaghan war verrückt genug, allein gegen einen Haufen starker Kerle loszugehen, aber Diego war der Überzeugung, daß es ihm niemals gelungen wäre, die anderen für den Überfall zu gewinnen, wenn er nicht mit einem Stärkeren hätte drohen können. Don Boscos Schatten war wieder über Tortuga gefallen. Diego spürte es fast körperlich, und er konnte nicht behaupten, daß es ein angenehmes Gefühl war. Er zog sich in seine Privatgemächer zurück und scheuchte Inez hinaus, die beim Kutscher zu kurz gekommen zu sein schien und immer noch auf der Suche nach jemandem war, der ihre Hitze ein wenig kühlte. Er hatte jetzt andere Sorgen. Für ihn war es keine Frage der Existenz, aber er hoffte dennoch, daß die Zeiten eines Don Bosco niemals mehr zurückkehren würden. 7. Don Boscos Einzug in Villa Nueva, einem Piratennest auf der Caicos-Insel Providence, glich alles andere als einem Triumphzug. Das Gesicht des schwarzhaarigen Riesen, der sich seinen Bart auf der eroberten Galeone wieder abgeschabt hatte, verfinsterte sich immer mehr. Die Narben in seiner brutalen Visage schienen zu tanzen, als er sah, wie Frauen, Kinder und Alte sich hastig in ihre Häuser und Hütten zurückzogen, als er mit seinen Männern durch die schmale Straße auf das
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festungsartige Gebäude zumarschierte, in dem Cannonball Prewitt sein Domizil hatte. Don Bosco wußte, daß Prewitt nicht gerade zu seinen treuesten Gefolgsleuten zählte, und das verschlechterte seine Laune noch mehr. Vielleicht war der Kerl gar nicht hier, denn in der kleinen Bucht hatte außer einem verrotteten spanischen Zweidecker, der mit Schlagseite vor Anker lag, kein Schiff gelegen. Ein Junge von etwa zwölf Jahren trat aus einer der Hütten, zuckte zusammen, als er die Meute von wüsten Kerlen sah, die sich durch die Gasse drängten, und wollte blitzschnell wieder in der Hütte verschwinden. Die Hand des glatzköpfigen Nuno schoß vor und packte den Jungen im Genick. „Warum rennst du vor uns davon, Bürschchen?“ fragte er grollend. Sein Daumen wies auf Don Bosco, der neben ihm stehengeblieben war. "Weißt du nicht, wer das ist?“ Der Junge nickte hastig. „El bravo Camorristo“, flüsterte er. Don Boscos narbiges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Dieser Name, den ihm seine Feinde gegeben hatten, gefiel ihm. Ja, er war ein wilder Saufbold, aber er war auch ein fürchterlicher Rächer, der alles in den Boden stampfte, was sich seinem Willen widersetzte. „Frag ihn, ob Cannonball Prewitt in seinem Loch steckt“, sagte er zu Nuno. Nuno brauchte die Frage nicht zu wiederholen. Der Junge nickte hastig und wollte sich aus Nunos hartem Griff befreien, was ihm allerdings nicht gelang. Don Bosco war überrascht. „Der alte Kahn, der schon vor Anker absäuft, ist sein Schiff?“ fragte er ungläubig. „Nein, Herr“, antwortete der Junge mit weinerlicher Stimme, weil ihm die Faust Nunos große Schmerzen bereitete. „Seine ‚Sturmvogel’ ist gestern ohne ihn ausgelaufen.“ „Gestern erst?“ fragte. Don Bosco mißtrauisch.
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Der Junge stöhnte. Er konnte nicht einmal mehr nicken, so kräftig war Nunos Griff. „Laß ihn los, Nuno, damit er mir antworten kann“, sagte Don Bosco. „Wenn er weglaufen will, kannst du ihm immer noch dein Messer hinterherwerfen.“ Nuno gehorchte widerwillig. Grinsend zog er sofort sein Messer, und dem Jungen stiegen Tränen in die Augen. In der Tür der Hütte tauchte eine Frau auf, die wohl ihrem Sohn beistehen wollte, aber auf Don Boscos Wink hin scheuchte einer der Piraten sie zurück. „Ich hab dich was gefragt, Junge“, sagte Don Bosco scharf. „Ja, erst gestern!“ stieß der Junge hervor. „Ich weiß aber nicht, warum Mister Prewitt nicht mitgefahren ist.“ Don Bosco begann schallend zu lachen. „Hast du gehört, Pablo?“ brüllte er. „Sie nennen diesen Hurenbock hier Mister! Ich glaube, es war höchste Zeit, daß wir ihm einen Besuch ab-¬ statten, damit er merkt, was er ist und wo er hingehört.“ Auf seinen Wink hin verschwand der Junge. Don Bosco ging weiter, aber auf seinem Gesicht lag jetzt ein nachdenklicher Zug. „Glaubst du das gleiche wie ich, Pablo?“ fragte er den kleinen Mann neben sich. Pablo nickte. „Ich hab dich schon immer vor Cannonball gewarnt“, erwiderte er. „Er ist hinterhältig und hat dich nie als Herrscher der Inseln anerkannt. Er wollte immer größer sein als du. Es sollte mich nicht wundern, wenn sein ,Sturmvogel` plötzlich vor der Bucht auftaucht und versucht, unsere Galeone zusammenzuschießen.“ Don Bosco nickte nachdenklich. „Du könntest recht haben, Pablo“, sagte er schließlich. „Geh zurück an Bord und lauf mit der ,Helfire’ aus. .Wenn Cannonballs Galeone auftaucht, dann jag sie vor dir her, bis du sie hier in der Bucht hast. Gib ihnen zu verstehen, daß Cannonball in meiner Hand ist, und sag ihnen, daß sie alle an den Rahen ihres Großmastes hängen werden, wenn sie auch nur wagen, einen einzigen Schuß auf mein Schiff abzufeuern.“
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Pablo drehte sich sofort um, gab zwei Männern aus der Begleitung Don Boscos einen Wink und lief hinunter zum Strand. Don Bosco und Nuno marschierten weiter. Sie hatten noch fünf Mann in ihrer Begleitung, aber Don Bosco hätte Cannonballs Festung auch betreten, wenn er mit Nuno allein gewesen wäre. Sie hatten schon damit gerechnet, gewaltsam eindringen zu müssen, doch kaum hatten sie die schwere, eichene Tür erreicht, da schwang sie nach innen auf, und ein katzbuckelnder Zwerg bat sie mit einladenden Bewegungen herein. Nuno grinste den Zwerg an, der ihm kaum bis zur Brust reichte. „Hallo, Witzbold“, sagte er. „Immer noch so eine flotte Zunge?“ „Man wird älter, Nuno“, erwiderte der Zwerg, „aber ein bißchen schneller als deine Peitsche ist sie immer noch.“ Nuno lachte aus vollem Hals. „Du bist blöd, daß du immer noch bei diesem alten Hurenbock Prewitt aushältst“, sagte er. „Warum bleibst du nicht bei Don Bosco? Wir könnten eine Menge Spaß miteinander haben.“ „Mir sind Hurenböcke lieber als Saufbolde“, erwiderte der Zwerg. „Sie verlieren nicht so oft den Verstand.“ „Hüte deine Zunge, Moro“, sagte Don Bosco scharf, „sonst bringt dich dein Witz eines Tages noch um!“ Der Zwerg warf Nuno einen kurzen Blick zu, als wolle er sagen, daß er genau das meinte. Don Bosco war ein Mann, der sauer reagierte, wenn jemand in seiner Gegenwart geistreiche Bemerkungen fallen ließ, die auf seine Kosten gingen. „Bring uns zu Cannonball, Moro“, fuhr Don Bosco fort. Der Zwerg schloß die Tür und ging voraus über einen mit Fliesen belegten Hof, in dessen Mitte ein kleiner Springbrunnen sprudelte. Palmen spendeten Schatten. Zwischen den Säulengängen des weißgetünchten Hauses, das aussah wie der Palast eines Gouverneurs, bewegten sich muskelprotzende Neger. Nunos Gesicht nahm einen bedenklichen Ausdruck an. Er hatte das Gefühl, daß sie
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hier in einer Mausefalle waren, aber Don Bosco schien seine Meinung nicht zu teilen. Ohne einen Moment zu zögern, folgte er dem Zwerg, der auf ein offenes Tor zusteuerte. Lautenklänge drangen an die Ohren Don Boscos, und noch bevor er den großen Raum betrat, der von dem quadratischen Schwimmbassin in der Mitte fast ganz ausgefüllt wurde, wußte er, was ihn erwartete. Cannonball Prewitt hatte seiner Meinung nach nicht alle Tassen im Schrank. Der Kerl hatte eine Vorliebe für das alte Rom, und man sagte ihm nach, daß seine Vorliebe, Städte anzuzünden und in Asche zu legen, daher rührte, daß Nero sein großes Vorbild, war. Don Bosco haßte es, Städte zu zerstören. Ausplündern ja, aber wenn etwas zerstört wurde, dauerte es viel zu lange, bis die Bewohner neue Reichtümer angesammelt hatten, die man ihnen wieder abnehmen konnte. Cannonball Prewitt lag in einem Berg von seidenen Kissen, umgeben von einem halben Dutzend schlanker Mädchen, die Kleider aus Stoff trugen, durch den man alles sehen konnte, was einen normalen Mann an einer Frau interessierte. Don Boscos Leute kriegten Stielaugen. Don Bosco sah ihnen an, daß sie kaum noch zu halten waren, aber auch, wenn in dem großen Raum keine bewaffneten Männer zu sehen waren, so war Cannonball Prewitt viel zu gerissen, einem Mann wie Don Bosco ohne Rückversicherung gegenüberzutreten. Ein Wink genügte, und Don Boscos Männer hielten sich zurück. Das einzige, was sich an ihnen noch bewegte, waren die Augen. Vielleicht auch noch was anderes, aber das war nicht zu erkennen. „Sei gegrüßt, Bruder Bosco!“ rief Cannonball Prewitt theatralisch und erhob sich in seiner bodenlangen Tunika, die ihn noch fetter erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. „Wir haben dein stolzes Schiff in unsere Bucht einlaufen sehen. Mein bescheidenes Heim steht dir und deinen Männern zur Verfügung. Ihr seid unsere
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Gäste.“ Er klatschte in die Hände. „Bringt Wein für unsere Freunde ...“ „Halt die Klappe, Prewitt“, sagte Don Bosco grob. „Ich bin nicht hier, um mit einem Verrückten neckische Spielchen zu treiben. Du weißt, daß sich ein paar Kerle hier bei den Caicos mausig gemacht haben.“ „Sprichst du von der Schlangeninsel?“ fragte Cannonball. „Von was sonst, du Schwachkopf!“ brüllte Don Bosco. „Sie hatten mich schon gefangen, aber ich konnte ihnen entwischen.“ „Manchmal schlägt das Schicksal hart zu“, sagte Moro, der Zwerg. Don Bosco starrte ihn an. In seinen Augen war Mord, aber dann schien er sich zu sagen, daß dieser lächerliche Zwerg es gar nicht wert war, ernst genommen zu werden. „Ich werde die Schlangeninsel erobern und den Seewolf, diese dreimal verfluchte Rote Korsarin und den hirnrissigen Wikinger an die Felsen ketten lassen, bis die Kraken des Höllenriffs sie mit ihren Saugarmen in Fetzen gerissen haben und nur noch die Ketten dort hangen!“. Don Bosco dachte schaudernd an die entsetzlichen Szenen, die sich am Höllenriff nach der Strandung seiner Galeere „Conchita“ abgespielt hatten. „Um das zu tun“, fuhr er fort, „sammle ich die größte Piratenflotte, die die Inseln unter dem Winde je gesehen haben. Du, Cannonball, wirst mit mirsegeln und an unserer Seite kämpfen. Wir werden gemeinsam den größten Schatz erobern, den je Piraten zusammengetragen haben.“ Das feiste Grinsen auf Cannonball Prewitts Gesicht war wie weggewischt. „Ich werde gar nichts“, sagte er. „Man hat dich mal den Herrscher von Tortuga genannt, Bosco. Aber du hast Tortuga nicht mehr, dort herrschen jetzt der Seewolf, der Wikinger und die Rote Korsarin. Du hast nur noch ein einziges Schiff. Du bist ein Arschloch, ein größenwahnsinniger, aufgeblasenerr Verrückter, ein Dreckskerl, von dem ich mir nichts mehr befehlen lasse. Kapiert?Ich Cannonball Prewitt, gebe dir noch eine
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Chance: Dreh um und verschwinde innerhalb einer Stunde von meiner Insel, oder ich werde dich zusammen mit den Knochen des Schweinebratens, den ich heute mittag verspeist habe, begraben lassen!“ Don Boscos Gesicht war rot angelaufen. Die Narben auf seinen Wangen glühten. Er hörte die Geräusche, die sich plötzlich im Raum ausbreiteten, nur wie durch eine dichte Wand. Nuno wollte ihn zurückreißen, weil er gegen die vielen Männer, die plötzlich durch sämtliche Türen des Raumes eindrangen und Pistolen auf sie richteten, nicht den Hauch einer Chance sah, aber Don Bosco schüttelte seinen Arm ab. Er sah nur das feiste, grinsende Gesicht von Cannonball Prewitt, und eine Woge des Zorns überschwemmte sein Bewußtsein. Die Bewegung seiner rechten Hand war so schnell, daß sie kaum einer wahrnahm. Das Messer, das er hervorgezerrt hatte, wirbelte durch die Luft, und Cannonball Prewitt, dieser Nero-Verschnitt, merkte erst, daß Don Bosco nicht zurückzuhalten war, als das Messer sich tief in seine Brust bohrte. Er plumpste zu Boden wie ein Mehlsack, und im Nu färbte sich seine blütenweiße Tunika blutrot. Die Mädchen sprangen schreiend auf und hasteten zu den Ausgängen, an denen schwerbewaffnete Männer standen und fassungslos auf ihren Herrn und Meister starrten, der in seinem Blut lag und ihnen keine Befehle mehr erteilen konnte. Don Bosco drehte sich herum. „Ich bin der Mann, der euch Befehle gibt!“ brüllte er. „Was seid ihr für Hanswurste, daß ihr für einen feigen Fettsack wie den da kämpft? Seid ihr Männer oder was sonst? Denkt nur nicht, daß ihr diesen Tag überlebt, wenn einer von euch es wagt, seine Pistole abzudrücken. Niemand kann mich töten! Ich habe einen Verbündeten, der stärker ist als alles, was auf dieser Erde herumkreucht! Los, schießt, ihr feigen Hunde, und ihr werdet sehen, daß sich der Boden auftut und euch mit Rauch und Pech und Schwefel verschlingt!“
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Bevor einer der Kerle auch nur einen Gedanken fassen konnte, rollte der Donner eines Kanonenschusses über die Bucht. Einen Moment war alles in dem großen Raum erstarrt. Selbst Nuno, der den Zwerg Moro mit seinem Messer bedrohte, weil nach seiner Meinung von ihm allein Gefahr ausgehen konnte, horchte dem Hall der. Detonation nach. Dann stürzte ein Neger in den Raum und schrien „Sie haben den ‚Sturmvogel’ in ihrer Gewalt! Wir sind alle ...“ Er verstummte abrupt, als er den Fleischberg Cannonball Prewitts leblos und mit blutbefleckter Tunika auf dem Boden liegen sah. Don Bosco triumphierte, und Nuno nahm grinsend das Messer von der Kehle des Zwerges. „Na, Moro?“ flüsterte Nuno. „Wie wär’s, wenn du mein Hofnarr werden würdest, wo du doch den guten Don Bosco nicht ausstehen kannst?“ „Hast du schon mal gesehen, daß ein Hofnarr einen Hofnarren hatte?“ erwiderte Moro. Nuno lachte schallend, brach aber sofort ab, als Don Bosco unwillig seinen rechten Arm hob. „Ihr kennt mich noch nicht, Leute“, sagte er zu den Männern Cannonballs, die ihre Pistolen hatten sinken lassen. „Ich bin ein harter Mann, der Verrat und Niedertracht gegen sich unnachgiebig bestraft, aber ich bin auch ein Mann, der euch gute Beute verschafft. Ich bin kein schlaffer Sack wie Cannonball Prewitt, der hier den Nero spielte und euch Männer zu Affen herabgewürdigt hat. Meint ihr, zu mir hätte ein Kerl eindringen und mich mir nichts dir nichts abmurksen können? Seid froh, daß ihr einem richtigen Mann dienen könnt. Ich werde euch zu den Beherrschern der Inseln machen. Wir werden eine Armada aufbauen, die alles andere, was in der Karibik bisher herumgesegelt ist, in den Schatten stellen wird. Wenn wir die Schlangeninsel erobert. haben, wird unser Reichtum unermeßlich sein, und mit diesem Reichtum werden wir uns Gouverneure, Kapitäne und Beamte kaufen
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können. Die Karibik hat den Spaniern einmal gehört. Die neuen Herrscher werden wir sein!“ „Es lebe Don Bosco!“ brüllte Nuno. Ein paar der Männer stimmten in den Ruf ein, aber die rechte Begeisterung war aus ihren Stimmen noch nicht zu erkennen. Don Bosco gab sich dennoch zufrieden, denn mit Cannonball Prewitts Tod war der erste Schritt getan, die Herrschaft über die Inseln anzutreten. Jetzt konnte ihm nur noch einer in den Weg treten: Jonathan Collins, der bärtige Ire, der unter seinem Kampfnamen Red Beard Furcht und Schrecken in den spanischen Kolonien Westindiens verbreitete. Don Bosco brauchte Red Beards Anhänger und Schiffe. Ohne sie glaubte er nicht, daß es möglich war, die kampferprobten Mannschaften des Seewolfes niederringen zu können. Er würde Red Beard genauso töten wie Cannonball Prewitt, wenn er sich weigerte, mit seinen Schiffen am Angriff auf die Schlangeninsel teilzunehmen. Aber Red Beard war ein anderes Kaliber als Prewitt. Der Ire war mißtrauisch wie eine Hafenratte. Ich werde ihm die gleichberechtigte Partnerschaft anbieten müssen, überlegte Don Bosco. Später, wenn der Sieg errungen war, konnte man ihm immer noch ein Messer zwischen die Rippen jagen. Don Bosco drehte sich nach Nuno um. Mit der linken Hand wies er auf den Zwerg und sagte kalt: „Schneid dem Kerl den Kopf ab.“ Nuno war es gewohnt, den Befehlen seines Herrn unverzüglich Folge zu leisten, doch jetzt zögerte er. Don Bosco hob überrascht den Kopf. „Don Bosco“, begann Nuno und wand sich, „ich möchte ihn gern behalten. Ich mag seinen Witz. Er bringt mich zum Lachen. Ich verspreche dir, daß er nichts tut, was dich beleidigen könnte. Dann werde ich sofort deinem Befehl gehorchen und ihn töten.“ Don Bosco war nach seinem triumphalen Sieg über Cannonballs Streitmacht in Geberlaune.
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„Gut, behalte ihn“, sagte er, „aber wenn er es wagt, in meiner Gegenwart das Maul aufzureißen und auf meine Kosten witzig zu werden, dann verliert nicht nur er den Kopf, sondern auch du!“ Nuno begann zu strahlen. „Aye, aye, Sir!“ sagte er, schnappte sich Moro und klemmte sich ihn unter den Arm. Die anderen Männer Don Boscos begannen mit ihrer Jagd auf die Mädchen von Cannonball Prewitt, und Don Bosco ließ ihnen das Vergnügen. Schließlich sollten die Männer Prewitts sehen, wie lustig und ungezwungen es in seiner Crew zuging. Der einzige, der nichts mehr zu lachen hatte, war außer dem toten Cannonball Prewitt Moro, der Zwerg. „Laß mich los, du Elefant!“ sagte er zornig und knallte Nuno die Faust in den Bauch. Der glatzköpfige Nuno lachte nur. Neben dem Springbrunnen stellte er den Zwerg auf die Beine, und bevor Moro den Mund aufkriegte, um etwas zu sagen, klatschte Nunos Peitsche über seinen Oberkörper, zerschnitt sein Hemd und hinterließ einen blutigen Striemen auf seiner Haut. Nuno grinste den tödlich erschrockenen Zwerg an. „Nur, damit du Bescheid weißt“, sagte den Glatzkopf. „Ich bin dein Herr und Meister, und ich behalte dich nur so lange, wie du mich mit deinen Späßen amüsierst. Also streng dich an, sonst lebst du nicht mehr lange.“ Aus Moros schwarzen Augen schossen Blitze. Wenn Nuno geglaubt hatte, der Zwerg würde vor Angst zittern, so sah er sich getäuscht. „Ich werde dich töten, wenn du noch einmal die Peitsche gegen mich erhebst, Elefant“, sagte er mit einer Stimme, in der ein tödlicher Haß mitschwang. Nuno lachte schallend. „Und womit willst du mich töten, Zwerg?“ fragte er. „Mit meiner Zunge, Elefant“, erwiderte Moro. Nuno grinste nicht mehr. „Ich mag das Wort Elefant nicht“, sagte er. „Wenn du so weiterredest, wirst du
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tatsächlich jemanden mit deiner Zunge töten, nämlich dich selbst.“ Ein leises Lächeln spielte um Moros Lippen. „Wo ist Don Bosco?“ fragte er. Nuno starrte den Zwerg mißtrauisch an. „Was willst du von ihm?“ „Nun, vielleicht mag er eines meiner Scherzchen“, erwiderte Moro. „Don Bosco eignet sich wie kein anderer dafür, daß man sich über ihn lustig macht.“ „Das wird aber deinen Kopf kosten, Zwerg“, sagte Nuno stirnrunzelnd. „Nicht nur meinen, Elefant“, erwiderte Moro. „Nicht nur meinen.“ Nuno begriff allmählich, und er fragte sich, ob es nicht doch besser wäre, dem Zwerg gleich den Kopf abzuschneiden, bevor er ihm mit seiner Zunge tatsächlich den Tod brachte. Aber dann sagte er sich, daß Don Bosco die Sache bestimmt nicht so ernst gemeint hatte. Er würde nicht auf ihn, seinen treuesten Diener, verzichten können. „Ich mag dich, Moro“, sagte er. „Laß uns unseren Streit begraben. Ich werde dich nicht mehr Zwerg nennen, und du sagt nicht mehr Elefant zu mir. Ist das ein Vorschlag?“ Moro zog seine zerfetzte Bluse auseinander. „Das war dein Vorschlag, Nuno“, sagte er. „Habe ich einen Nachschlag?“ Nuno grinste, schüttelte aber den Kopf. „Die Peitsche ist meine Waffe“, sagte er. „Nimm du für deinen Nachschlag deine Zunge.“ „Das werde ich tun“, erwiderte Moro lächelnd. „Sie wird schweigen, wenn sich einmal ein Meuchelmörder von hinten an dich heranschleicht.“ Nuno klatschte sich mit dem Stiel der Peitsche auf den Oberschenkel. „Gut, Moro!“ rief er lachend. „So gefällst du mir wieder. Hast du noch einen Scherz für mich auf Lager, worüber ich lachen kann?“ „Für dich werde ich auch gerade mein Hirn anstrengen“, erwiderte Moro. „Wie wär’s mit einem Furz?“ Nuno kriegte sich nicht wieder ein. Er hörte erst auf zu lachen, als Don Bosco
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auftauchte und ihn ansah, als hätte er den Verstand verloren. „Was lachst du so blöd?“ fragte Don Bosco. „Hat der Zwerg irgendeinen Witz über mich gerissen?“ Nuno war auf einen Schlag wieder ernst. „Nein!“ stieß er entsetzt hervor. „Nein, bei Gott nicht! Moro, sag ihm, daß es nicht stimmt!“ r drehte den Kopf zu dem Zwerg herum, und als er das schmale Lächeln in dem klugen Gesicht mit den großen dunklen Augen sah, zuckte er regelrecht zusammen und hob abwehrend die Hand. „Er sagt nichts in deiner Gegenwart, Don Bosco“, sagte Nuno hastig, „aber ich schwöre dir, daß ich ihn auf der Stelle köpfen werde, wenn er auch nur ein schlechtes Wort über dich fallen läßt!“ „Dann müßte er schon dreimal tot sein“, sagte Don Bosco, winkte aber ab, als Nuno etwas erwidern wollte. „Laß die Mannschaft noch ein bißchen feiern“, fuhr er fort. „Morgen beim ersten Licht laufen wir aus. Red Beard wird schon auf uns warten. Wir wollen ihn nicht enttäuschen. Wenn Hernandez mit seiner Botschaft eintrifft, will ich ihn sofort sprechen, ganz gleich, was ich gerade tu, verstanden?“ Nuno nickte und starrte Don Bosco nach, der wieder im Haus verschwand. „Was ist mit dir, Nuno?“ fragte der Zwerg. „Bist du ein Eunuch, daß dich die Mädchen nicht reizen, oder findest du vielleicht mehr Gefallen an ...“ Nunos Faust schoß vor und packte den Zwerg an dem zerfetzten Hemd. „Reize mich nicht, Moro!“ stieß er hervor. „Das ist eine der Grenzen, die du nicht überschreiten solltest.“ „Genau das ist auch meine Grenze, Nuno“, erwiderte Moro keuchend. „Und faß mich nicht an. Ich liebe keine Berührungen von Männerhänden!“ Nuno stieß den Zwerg von sich. In seinen Augen war keine Spur von Freundlichkeit. Sie spürten beide den Haß, der wie eine Flamme zwischen ihnen hin und her schlug, und Moro wußte, daß er sich irgendetwas einfallen lassen mußte, wenn er die nächsten Tage überleben wollte.
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Leben erfüllte wieder die drei Schiffe in der Bucht der Schildkröteninsel, die in der Nacht nur knapp dem Anschlag der Männer um Scarface Callaghan entgangen waren. Ben Brightons Befehle hallten über Deck der „Isabella VIII.“, Füße trampelten über die Decksplanken, und das Ankerspill knarrte, als sechs Männer damit begannen, die Ankertrosse mit dem schweren Anker einzuholen. Unter dem Achterdeck hatten sich Hasard, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Sam Roskill, Batuti und Dan O’Flynn versammelt. Vor ihnen, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, hockten die jammervollen Gestalten der Piraten, die Dan O’Flynn und seinen beiden Kameraden in die Fänge geraten waren. Die drei Toten waren noch in der Nacht über Bord gegangen. Ebenso zwei von den Verwundeten, die die Nacht nicht überlebt hatten. Neben Scarface Callaghan saß Curly McBride, auf dessen Glatze zwei prächtige Beulen prangten, die in allen Regenbogenfarben schimmerten. Zambo Jones, wie der Indianermischling hieß, hatte die schmalen Lippen zu einem Strich zusammengepreßt. Obwohl Sam Roskill vermutet hatte, daß er als erster reden würde, weil sie ihn verschont hatten, schwieg der Kerl, als hätte man ihm die Zunge herausgeschnitten. Scarface Callaghan war ein ebenso harter Brocken, und der Ire McBride hätte sowieso einem Engländer niemals ein Sterbenswörtchen verraten. Hasard setzte seine Hoffnung auf den Mann, den Carberry mit an Bord geschleppt hatte, und auf die beiden Verwundeten, denen die Verletzungen, die sie durch Dans Pike erlitten hatten, arg zusetzten. „Wir sollten sie einzeln befragen“, meinte Sam Roskill. „Das Narbengesicht ist wahrscheinlich ihr Anführer.“ Er trat auf Scarface Callaghan zu und sagte: „Erinnerst du dich, was wir dir versprachen, Narbengesicht? So wahr ich hier stehe, ich werde mein Versprechen
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halten, wenn du nicht endlich auspackst und sagst, was dieser ganze Zirkus sollte. Hast du wirklich geglaubt, eines der Schiffe in deine Hand zu bringen?“ „Geh zum Teufel!“ stieß Callaghan hervor. Er litt unter hämmernden Kopfschmerzen, die ihm Batutis Belegnagel beigebracht hatte. „Du gehst zum Teufel, Narbengesicht“, sagte Hasard kalt. „Wir werden Don Bosco einen Gruß von dir bestellen und ihm sagen, daß du in der Hölle auf ihn wartest, wenn wir ihn zu den Fischen schicken.“ Sie alle sahen den Schrecken auf den Gesichtern der Gefangenen. Nur der Indianermischling hatte keine Regung gezeigt. „Meinst du, wir wüßten nicht, daß Don Bosco es geschafft hat, den Höllensturm mit der Schaluppe abzureiten? Wir wollen nur von dir wissen, was Don Bosco vorhat. Das ist alles. Dann könnt ihr alle zurück auf die Insel. Wenn keiner von euch ein Wort sagt, werden wir euch nach zwanzig Seemeilen über Bord werfen. Dann wird euch nicht mehr viel Zeit bleiben, über eure Dummheit nachzudenken.“ „Sag es ihnen!“ flüsterte einer der Verwundeten. „Sag, was du weißt, Scarface, bevor wir alle krepieren. Don Bosco hat gegen diese Teufel keine Chance. Ich glaube nicht, daß er uns bestrafen wird, denn sie werden ihn jagen und töten.“ Scarface Callaghan blickte von Zambo, dem Mischling, zu McBride. Beide sagten nichts. Da schüttelte auch Callaghan den Kopf. Er wollte nicht derjenige sein, der den Verrat an Don Bosco später zu verantworten hatte. Der Verwundete fluchte unterdrückt. „Ich weiß nicht, ob es stimmt“, sagte er plötzlich, „aber Callaghan hat uns erzählt, daß Don Bosco euch hat entfliehen können. Er soll jetzt eine Flotte sammeln, wie sie die Inseln nördlich von Hispanola noch nicht gesehen haben. Er will mit allen Piraten, die er unter seine Flagge kriegt, euer Versteck angreifen und sich eure Schätze holen.“
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Einen Moment war es still unter dem Achterdeck. Die Männer der „Isabella“ starrten sich an. Jeder von ihnen wußte, was die Aussage des Piraten bedeutete. „Wo hält Don Bosco sich zur Zeit auf?“ fragte Hasard heiser. „Wo will er die Schiffe sammeln, bevor er zur Schlangeninsel segelt?“ Der Verwundete zuckte mit den Schultern. „Davon hat Callaghan uns nichts gesagt“, erwiderte er mit schwacher Stimme. Hasard drehte sich zu Carberry um. „Bringt die Männer von Bord“, sagte er. „Setzt sie auf dem Floß ab. Dan, du gibst die Nachricht hinüber zum ,Roten Drachen’ und zum ‚Schwarzen Segler’. Wir setzen jeden Fetzen, den die Masten tragen, und segeln zurück zur Schlangeninsel. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät.“ Auch Scarface Callaghan wollte sich erheben, als die Gefangenen aufstanden und von Carberry hinaus auf die Kuhl getrieben wurden. Hasard stieß ihn zurück. „Du bleibst bei uns, mein Freund“, sagte er. „Du bist der einzige, der wirklich was Genaues wissen kann, und je schneller du es ausspuckst, desto weniger mußt du schwimmen, um zurück an Land zu gelangen.“ Callaghan begann laut zu fluchen. „Ich weiß nicht mehr als die anderen!“ brüllte er. „Warum behaltet ihr nicht McBride zurück, oder den Mischling? Ich weiß nichts, wirklich nicht!“ „Du wirst lange schwimmen müssen“, erwiderte Hasard kalt. Er hörte Carberrys Donnerstimme draußen über Deck schallen und wollte sich abwenden, als Scarface Callaghan wütend hervorstieß: „Also gut, ich sag dir, was in der Nachricht stand, die Don Bosco von Hogsty Reef herüberschickte.“ „Beeil dich, wenn du noch mit dem Floß mit willst“, sagte Hasard. „Er will sich mit Cannonball Prewitt und Red Beard verbünden“, sagte Callaghan gepreßt. „Prewitt sitzt auf Providence, und Red Beard hat seine Stützpunkte auf East Caicos und Ambergris, wenn er sich nicht gerade auf Kaperfahrt befindet.“
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„Und wen will Don Bosco als ersten aufsuchen?“ fragte Hasard. Callaghan zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an, Cannonball Prewitt“, erwiderte er. Providence liegt auf dem Weg von Hogsty Reef nach East Caicos.“ „Gut, Narbengesicht“, sagte Hasard lächelnd. „Es war genau das, was ich von dir hören wollte. Steh auf und hau ab.“ Scarface Callaghan ließ sich das nicht zweimal sagen. Er fluchte unterdrückt. Er konnte jetzt nur noch hoffen, daß Don Bosco die Auseinandersetzung um die Schlangeninsel nicht lebend überstand. Wenn doch, dann konnte er, Scarface Callaghan, sich gleich eine Kugel in den Kopf jagen. Er dachte an die Peitsche Nunos, und kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Als er am Schanzkleid anlangte, sah er, daß das Floß schon abgelegt hatte. „He!“ brüllte er. „Wartet, ich will mit!“ Er hielt Dan O’Flynn, der neben ihm stand, die Hände hin, die ihm auf dem Rücken gebunden waren. „Schneid sie durch, du Arsch“, sagte er wütend. Dan wandte sich an Sam Roskill. „Hast du das gehört, Sam?“ fragte er. „Faß mal eben mit an.“ Sie packten beide zu, und mit gewaltigem Schwung flog Scarface Callaghan über Bord, klatschte ins Wasser und begann sofort zu brüllen, als er mit dem Kopf wieder auftauchte. „Auf dem Rücken schwimmen und schön mit den Beinen strampeln!“ schrie Dan hinter ihm her. Die anderen Männer hatten inzwischen das Floß in die andere Richtung gerudert und hielten auf Scarface Callaghan zu, der immer wieder unterging und eine Menge Wasser schlucken mußte. Dan wollte sich schier totlachen. Bis ihn eine scharfe Stimme erreichte, die ihn daran erinnerte, daß der Seewolf ihm eine Aufgabe übertragen hatten. Eine Stunde später segelten die drei Schiffe unter Vollzeug aus der Bucht und kreuzten gegen den Wind nach Osten. Hasards Ziel war die Schlangeninsel. Er konnte es nicht wagen, nach East Caicos
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zu segeln, um dort vielleicht Don Bosco abzufangen, denn er wußte nicht, wie groß die Armada bereits war, die der Pirat schon wieder um sich versammelt hatte. Es war, als hätte Don Bosco wirklich einen Pakt mit dem Satan. Hasard war entschlossen, den Kampf bis zum Letzten auszufechten. Solange Don Bosco lebte, würde es für ihn und die Seewölfe keinen Frieden geben. Sie waren Todfeinde, und selbst die weite See zwischen den Baham- und den SilverBanks war zu klein für sie beide. Dan O’Flynn wartete schon geraume Zeit auf eine günstige Gelegenheit. Immer wieder suchten seine Augen den Profos, der bei seinen Erzählungen von der Orgie in der Schildkröte leuchtende Augen kriegte, wenn er den anderen das Hochgefühl mitzuteilen versuchte, das der exquisite Brandy in einem Mann verursachen konnte, den er und der Wikinger von Diego erhalten hatten. „Und dann habe ich euch das Faß geklaut!“ triumphierte Old O’Flynn und klopfte mit seinem Holzbein auf die Planken, „das war leicht, die beiden Kerle waren nämlich voll wie tausend Mann!“ Carberry begann zu grinsen. „Erstens“, sagte er wohlwollend, „warst du ebenfalls stinkbesoffen, Donegal. Zweitens hätte ich dir Affenarsch so etwas Hundsgemeines, dem Wikinger und mir das Faß zu klauen, gar nicht zugetraut!“ „Ich besoffen?“ brüllte Old Dan. „Beim Bart meiner Großmutter, muß ich mir so was von dem schlimmsten Leuteschinder, der jemals die Planken eines Schiffes beschmutzt hat, sagen lassen? Ich war noch nie in meinem Leben besoffen! Soviel Schnaps gibt es gar nicht!“ Die anderen Männer begannen zu grinsen, als sie sahen, daß Carberry den Leuteschinder ins falsche Ohr gekriegt hatte und wütend wurde. Nur Dan hielt nicht die Klappe. Er hetzte seinen Alten auf. „Piek ihm doch mal mit deinem Holzbein in den Bauch, Dad“, sagte er, „dann vergeht ihm das wohlige Gefühl, das ihm der Brandy verursacht hat.“
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Carberrys Faust schoß vor, aber Dan war auf der Hut. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt er zur Seite. Old O’Flynn stieß Carberry die Krücke entgegen. „Laß meinen Jungen in Ruhe, du Kinderschreck!“ brüllte er. „Er hat ganz recht! Ein Kerl wie du, der sich von einem Mann mit einem Holzbein den Brandy klauen läßt, der taugt nun mal nichts, sondern ist und bleibt ein lausiger Affenarsch!“ Carberry vergaß Dan und baute sich vor dem Alten auf, der Mühe hatte, mit seinem Holzbein einen festen Stand zu finden. „So einen giftigen Methusalem wie dich sollte man in ein dunkles Schapp einsperren, damit er mit seinem Lästermaul nicht den lieben Gott beleidigt! He ...“ Carberry drehte sich um, als er eine Berührung an seiner Hosentasche verspürte. Seine Augen wurden plötzlich kugelrund, als er die drei kleinen Dinger in der offenen Hand Dan O’Flynns sah. Er wußte sofort, daß Dan den ganzen Streit nur aus diesem einen Grund inszeniert hatte. Seine Fäuste schossen vor, aber Dan war zu schnell für ihn. Er tauchte unter seinen Armen weg, blieb dann aber wieder in einer Entfernung von zwei Yards stehen. Wieder hielt er die offene Hand vor, auf der drei Würfel lagen. Jeder der anderen sah es jetzt deutlich. „Gib die Dinger her!“ brüllte Carberry. „Ich zieh dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, wenn du ...“ „Ich hab es gewußt!“ schrie Dan zurück. „Oh, ich ahnte es, als ich dein dreckiges Grinsen sah, Carberry! So was Gemeines ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert! Man sollte dich mit Rizinus vollpumpen, damit du alles wieder auskotzt, was du gesoffen hast!“ Carberrys Wut war einer eigenartigen Verlegenheit gewichen. Seine Augen huschten zwischen den Männern und Dan hin und her. Er hob beschwichtigend die rechte Hand und sagte gepreßt zu Dan, als ob es die anderen nicht hören, sollten:
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„Laß uns in Ruhe und alleine darüber unterhalten, Junge.“ Dan schüttelte wild den Kopf. „So nicht, Carberry!“ schrie er. „So nicht! Wie ist es, wollen wir um unsere Rumrationen für nächstes Jahr und um die nächsten zwanzig Bordwachen knobeln? Batuti, leih ihm mal für einen Augenblick deine Würfel! Ich setze alles aufs Spiel, obwohl Carberry ein Glückspilz ist, der nie verliert!“ „Mann!“ flüsterte Stenmark. „Die Rumrationen für ein ganzes Jahr? Du bist verrückt, Dan! Du hast doch bisher immer gegen Carberry verloren.“ Dan grinste wie ein Faun, der einen Teich voller Elfen entdeckt hatte. „Einmal wird sich das Glück wenden, Stenmark“, sagte er. „Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß ich diesmal gewinnen werde.“ „Dan“, Carberry trat einen Schritt auf Dan zu, der sofort zurückwich, „ich schwöre bei allen Meermännern und allen Meergeistern, die mir und unserem Schiff was Böses antun können, daß ich die Dinger bei dir das einzige Mal benutzt habe. Ich hab’ sie dem Glatzkopf Nuno abgenommen. Damals, nachdem ich ihn in der Schildkröte vermöbelt hatte. Sie lagen auf dem Boden. Als du deine Siebzehn gewürfelt hattest, ist die Versuchung in mir so groß geworden, daß ich nicht widerstehen konnte. Verdammt, dachte ich, der Profos darf nicht fehlen, wenn es einen Sieg zu feiern gibt ...“ „Aber ich brauch nicht dabei zu sein, wie, was?” brüllte Dan und warf die drei Würfel Stenmark zu, der sie geschickt auffing. Der Schwede drehte die Dinger in den Händen und pfiff laut durch die Zähne. Dann ließ er sie auf die Planken kullern. Ein Raunen ging durch die Männer. Drei Sechsen zeigten nach oben. „Wirf noch mal, Stenmark!“ sagte Dan wild. Stenmark nahm die Würfel wieder an sich und ließ sie abermals fallen. Wieder drei Sechsen. Ehe sich jemand sah, hatte sich Carberry gebückt. Stenmark wollte noch
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zuschnappen, aber diesmal war der Profos schneller. Seine Riesenpranken legten sich auf die Würfel, krallten sich darum, und ehe Dan etwas dagegen unternehmen konnte, hatte Carberry die Würfel über Bord geschleudert. „Weg mit dem Teufelszeug, damit es mich nie wieder in Versuchung bringt!“ rief er. Er rieb sich die Nase, als er die Blicke seiner Männer auf sich gerichtet sah. Einen Augenblick dachte er daran, loszubrüllen und sie über Deck zu scheuchen, doch dann sah er ein, daß er seine Schuld zugeben und wiedergutmachen mußte, wenn er nicht die Achtung von seinen Freunden verlieren wollte. „Was starrt ihr mich an?“ fragte er gepreßt. „Verdammt, wer von euch Affenärschen hätte es nicht versucht? Ja, ich wollte dabei sein, wenn ich der Schildkröte unser Sieg gefeiert wurde! Ich hab daran gedacht, wie furchtbar es sein würde, wenn die anderen feierten und ich hier ...“ Er verstummte und blickte Dan an. „Oouh, Mann“, stieß er hervor. ..Dan, du mußt das gleiche Gefühl gehabt haben ...“ „Darauf kannst du Gift nehmen, du hohlköpfiger Betrüger“, erwiderte Dan, und ein leichtes Grinsen zog seine Lippen in die Breite. Seine Wut war plötzlich verraucht, als er sah, wie Carberry tatsächlich von Gewissensbissen gequält wurde. Und wenn er daran dachte, daß er vor der gleichen Situation gestanden hätte wie der Profos ... Ja, auch er hätte die Teufelswürfel benutzt, so wahr er der Sproß des alten Donegal Daniel O’Flynn war. „Du bist mir nicht mehr gram, Dan?“ fragte Carberry zögernd. Dan O’Flynn schüttelte langsam den Kopf. „Aber deine nächsten drei Rumrationen gehören mir“, erwiderte er, „und die nächste Bordwache übernimmst du für mich freiwillig, und wenn wir vor einer Insel ankern, auf der tausend nackte Jungfrauen herumhüpfen und der beste Brandy aus Quellen sprudelt.“ „Abgemacht!“ sagte Carberry und reichte Dan die Pranke.
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Die Männer johlten und hauten den beiden auf die Schultern. „He, was ist da unten los!“ Die scharfe Stimme des Seewolfes riß sie aus ihrer Begeisterung. „Habt ihr nicht gehört, was Gary gerufen hat?“ Nein, das hatte niemand gehört. Carberry brüllte: „Aye, aye, Sir!“, und Dan war mit wenigen Sätzen in den Wanten und kletterte neben Arwenack zum Fockmars hinauf, wo Gary Andrews hockte und die Zeichen aufnahm, die vom „Schwarzen Segler“ herübergegeben wurden. „Schiffe in Sicht!“ brüllte Dan zum Deck hinab. „Sie segeln vor uns her. Wie viele, ist noch nicht festzustellen. Die Kimm ist voll von Masten!“ Innerhalb von Sekunden herrschte Zustand an Bord der „Isabella VIII.“. Hasard und Ben Brighton brüllten Befehle, die Carberry in der Kuhl weitergab. Die Galeone war in den nächsten Minuten gefechtsklar. Zeichen gingen hinüber zum „Schwarzen Segler“, und zum „Roten Drachen“, die abfielen und dann in Kiellinie mit der „Isabella“ segelten. Es gab keinen Zweifel. Der Mastenwald vor ihnen konnte nur eines bedeuten: Don Bosco hatte seine Armada versammelt und war auf dem Weg zur Schlangeninsel. Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er wußte, daß die Entscheidung bevorstand. Sie würde hier vor den Caicos-Inseln stattfinden, denn seine Schiffe waren schneller als die Don Boscos. Außerdem war er überzeugt, daß der ehemalige Herrscher von Tortuga sich sofort zum Gefecht stellen würde, wenn er die drei Schiffe entdeckte, die ihm in weiter Entfernung folgten. Es würde ein Kampf auf Leben und Tod werden. Es gab keine Gnade - weder von der einen noch von der anderen Seite. Don Bosco war eine Pestbeule, die mit Stumpf und Stiel ausgebrannt werden mußte, wollte man endgültig Ruhe vor der Seuche haben. 9.
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Red Beard war wahrhaftig ein anderes Kaliber als Cannonball Prewitt. Er versuchte es nicht auf die hinterhältige Art, sondern demonstrierte von Anfang an seine Stärke. Don Bosco hatte mit seinen vier Schiffen zuerst die kleine Insel Ambergris angelaufen, die am südlichen Ende der Caicos-Banks mit ihren gefährlichen Riffen ein ideales Versteck für Piraten bildete. Die Spanier hatten schon ein paarmal versucht, Red Beards Stützpunkt zu zerstören, aber die drei Schiffswracks, die auf den Riffen noch halb aus dem Wasser ragten und für die Piraten als Markierungspunkte dienten, erinnerten sie jedesmal, wenn sie es wieder versuchten, daran, daß es besser war, um diese gefährliche Ecke einen großen Bogen zu fahren. Zwei Galeonen, eine Brigantine, eine Karacke und zwei französische Lugger lagen in der Bucht vor Anker und hatten die „Hellfire“, die Don Bosco selbst befehligte, den „Sturmvogel“ von Cannonball Prewitt, die unter dem Kommando von Hernandez fuhr, die Ketsch und die Schaluppe, mit der Don Bosco von der Schlangeninsel geflohen war und die er als Glücksbringer betrachtete, mit geöffneten Stückpforten im Empfang genommen. Die Nachricht vom Tod des Tuareg hatte Red Beard schon erreicht, der Tod Cannonball Prewitts überraschte ihn jedoch. „Der Weiberheld hat es gewagt, sich gegen dich zu stellen, Don Bosco?“ fragte der Rotbart und lachte dröhnend. Don Bosco grinste, aber er ließ sich nicht täuschen. Jonathan Collins war ein raffinierter Hund. Soweit Don Bosco ihn kannte, würde er mit zur Schlangeninsel segeln, denn seine Gier nach Reichtum war niemals zu stillen. Sicher war nur eines: Nur einer von ihnen beiden konnte der Herrscher über die Inseln sein, wenn es ihnen gelungen war, den Schatz der Schlangeninsel in ihren Besitz zu bringen.
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Don Bosco schwor sich, daß er schneller sein würde als Jonathan Collins, in dessem roten Bart noch die Reste vom letzten Mahl hingen. „Wann wolltest du aufbrechen?“ fragte Red Beard Collins. „Sobald deine Schiffe zum Auslaufen bereit sind“, erwiderte Don Bosco. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich weiß, daß der Seewolf mit seinen Freunden über Tortuga hergefallen ist. Er wird meine Männer getötet haben, und er wird inzwischen vielleicht schon wissen, daß ich die Flucht von der Schlangeninsel und den Sturm überlebt habe. Der verdammte Kerl ist schlau wie ein Fuchs. Er wird sich denken, daß seine Insel in Gefahr ist. Er wird sofort auslaufen, und wenn wir uns nicht beeilen, wird er noch vor uns auf der Schlangeninsel sein.“ Red Beard zuckte mit den breiten Schultern. „Was ändert das?“ fragte er. „Mit unserer Armada werden wir ihn hinwegfegen. Wir bringen mehr als ein halbes Tausend Männer auf die Beine. Und was hat er? Wie ich hörte, sind seine Schiffe ziemlich unterbesetzt.“ Don Bosco nickte. Er wollte etwas erwidern, aber dann hielt er den Mund. Red Beard sollte nicht glauben, daß er ein Feigling war. Es genügte, wenn er selbst wußte, wie gefährlich die Kerle des Seewolfs waren. Jeder seiner Männer wog zehn Piraten von Red Beard auf, dessen war er sich sicher. „Ich werde einen Tag brauchen, um die Schiffe aufzuklaren“, sagte Red Beard. „Wir sind erst vor zwei Tagen von einer Kaperfahrt zurückgekehrt. Meine Männer sind müde.“ „Sie werden schon wieder munter, wenn sie erfahren, welche Prise ihnen winkt“, sagte Don Bosco. Red Beard nickte, aber Don Bosco sah, daß Collins mit seinen Gedanken schon ganz woanders war. „Anguilla wird euch zeigen, wo ihr übernachten könnt, wenn ihr nicht an Bord bleiben wollt“, sagte der Rotbart. Er klatschte in die Hände. „Aber laßt unsere
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Weiber in Ruhe. Du weißt, daß sie meinen Männern vorbehalten sind.“ Don Bosco nickte. Er kannte Red Beards Eifersucht, die alles betraf, was ihm gehörte. Er teilte nicht gern. Frauen nicht, und schon gar nicht gern eine erkämpfte Prise. Ein hellhäutiger Mulatte war in den Raum getreten. Er war ein breitschultriger Riese, der sogar Nuno noch um einen halben Kopf überragte. Auf seinem hübschen Gesicht lag ein überlegenes Lächeln, das Don Bosco gar nicht gefiel. Wenn es sein Mann gewesen wäre, hätte er ihm das Grinsen mit der Peitsche aus dem Gesicht geschlagen, aber Red Beard schien an dem Kerl einen Narren gefressen zu haben. „Zeig ihnen ihre Hütten, Anguilla“, sagte Red Beard, „und bereite dann alles für den Aufbruch vor. Im Morgengrauen des übernächsten Tages werden wir auslaufen.“ Der hellhäutige Mulatte nickte und gab Don Bosco mit einem lässigen Wink zu verstehen, daß er ihm folgen solle. Wütend folgte Don Bosco ihm. Draußen warteten Nuno und Pablo. Nuno hatte diesen komischen Zwerg an seiner Seite, und Don Bosco hatte das Gefühl, daß zwischen ihm und dem Mulatten eine gewisse Ähnlichkeit bestand, obwohl sie sich äußerlich voneinander unterschieden wie ein Maulwurf und ein Seeadler. „Wann brechen wir auf?“ fragte Pablo leise, als Don Bosco bei ihm war. „Er braucht noch einen Tag“, erwiderte Don Bosco. „Sein Mulatte wird uns unsere Hütten zeigen. Und laßt die Pfoten von den Weibern. Ihr wißt, wie eigen Red Beard in diesen Dingen ist.“ Der Mulatte tat, als hätte er nichts gehört, aber Moro, der Zwerg, bemerkte, wie ein leichtes Lächeln auf den Lippen des Riesen spielte. Der Mulatte gefiel Moro. Er beneidete ihn um seine makellose Gestalt, aber er wußte, daß seine dunkle Haut ihn genauso zum Außenseiter stempelte wie ihn, Moro, seine eigene verwachsene Gestalt. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, sich auf die Seite des Mulatten zu schlagen und Nuno, dieses
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glatzköpfige Ungeheuer, auf irgendeine Art loszuwerden. Die Frage war nur, ob der Mulatte das hielt, was Moro sich von ihm versprach. Er hatte den Stolz in den Augen des Mulatten deutlich erkannt, aber reichte der aus, den Mut zu finden, sich selbst auf den Thron zu setzen, für den er vielleicht besser geeignet war als Don Bosco oder Red Beard? Meine Zunge muß behände sein, dachte Moro, wenn ich ihn überzeugen will. Er muß wissen, daß er immer ein Ausgestoßener bleiben wird, wenn er keine Macht ausüben kann. Sein Stolz muß größer sein als seine Angst vor dem Tod, dann kann ich mein Spiel gewinnen. Moro schreckte ein wenig zusammen, als er die spöttische Stimme Nunos neben sich vernahm. „Was starrst du den Mulatten so an, Kleiner?“ fragte der Glatzkopf grinsend. „Sag mal was Witziges über ihn.“ „Deine Gegenwart lähmt mich, Nuno“, erwiderte Moro beißend. Nuno starrte den Zwerg an. „Du beginnst, mich zu langweilen, Zwerg“, sagte er böse. „Wenn dein Kopf leer ist, kann ich ihn auch abschneiden.“ „Warum hast du dann deinen nicht schon längst abgeschnitten?“ fragte Moro zurück. Nuno blieb stehen. Seine Pranke packte den Zwerg am Kragen und riß ihn hoch, daß seine kurzen Beine einen Fuß über der Erde in der Luft baumelten. „Don Bosco hat recht gehabt“, stieß er hervor. „Du bist nichts weiter als eine Kloake. In deinem Hirn ist kein Witz, sondern nur Gift, seit du bei uns bist.“ „Ich hab mich eben unter Menschen wohler gefühlt als bei euch“, gab Moro gepreßt zurück. Der Griff des Glatzkopfes nahm ihm die Luft. Don Bosco war stehengeblieben und sagte scharf: „Nuno, zum letztenmal! Schneid ihm seine Lästerzunge ab, oder du hängst neben ihm an der Großrahnock!“ Nuno zog grinsend sein Entermesser und holte aus. Das Grinsen in seinem Gesicht gefror jedoch, als sich eine dunkelhäutige Hand um seinen Unterarm legte und ihn davon abhielt, den Zwerg zu töten.
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„Red Beard hat zwar nichts verlauten lassen“, sagte der Mulatte lächelnd, „aber er findet es bestimmt ebenso ungewöhnlich wie ich, daß ihr hier bei uns auftaucht, um unsere Hilfe bittet und nicht einmal ein Gastgeschenk mitbringt. Ich nehme den Zwerg.“ Nunos Gesicht lief rot an, weil er es nicht schaffte, sich aus dem stählernen Griff des Mulatten zu befreien. „Ich werde ihn dir schenken, wenn ich ihm den häßlichen Kopf abgeschnitten habe!“ brüllte er. „Laß mich los, du verdammtes schwarzes Schwein, sonst lernst du mich kennen!“ Der Mulatte ließ Nuno los. Doch ehe er mit seinem Entermesser irgendetwas anrichten konnte, hatte Anguilla ihm eine Maulschelle verpaßt, die ihn ein paar Yards zurückschleuderte. Don Bosco und Pablo hatten ihre Degen gezogen. Der Mulatte blieb ruhig stehen und verschränkte die Hände vor der Brust. „Schießt ihnen in die Köpfe, damit ihr keine wertvollen Teile an ihnen verletzt“, sagte er über die Schulter von Don Bosco hinweg. Der Kopf Don Boscos ruckte herum. Seine Augen wurden groß, als er die verwegenen Gestalten sah, die wie aus dem Boden gewachsen aufgetaucht waren und ihre Pistolen auf ihn, Nuno und Pablo gerichtet hatten. Don Bosco erstickte fast an seinem Zorn, aber er steckte den Degen wieder weg und gab auch Pablo einen Wink, das gleiche zu tun. „Du hast das gleiche freche Maul wie der Zwerg“, sagte er zu dem Mulatten. „Ihr paßt zueinander.“ „Danke“, erwiderte der Mulatte. Er wies auf eine kleine Hütte am Rande der Siedlung. „Dort ist Euer Quartier, Don Bosco. Red Beard wird Euch jemanden schicken, der Euch bedient.“ Damit drehte er sich zu Moro um und fragte ihn: „Wie ist dein Name?“ „Moro“, sagte der Zwerg.
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Der Mulatte schüttelte den Kopf. „Das ist kein Name“, sagte er. „Das ist eine Beleidigung für einen Mann wie dich.“ Moro lächelte. „Ich heiße Fernando de Aragon.“ Mit einer verächtlichen Handbewegung wies er an sich hinunter. „In diesem verrotteten Körper fließt blaues Blut, eine Schande für ein stolzes Fürstengeschlecht.“ Anguilla schaute Don Bosco und seinen beiden Vasallen nach, die inzwischen die kleine Hütte erreicht hatten. „Abschaum“, stieß er hervor. „Mir hat sich der Magen umgedreht, als ich sah, wie dieser glatzköpfige Idiot mit dir umsprang.“ Moro lächelte. „Jeder springt mit einem verkrüppelten Zwerg so um. Es berührt mich nicht mehr.“ „Es berührt dich, und du fühlst dich beschmutzt“, erwiderte der Mulatte, „so wie ich mich beschmutzt fühle, wenn ich Schweinehunden und brutalen Schlächtern wie diesem Don Bosco oder auch Red Beard zu Diensten sein muß.“ Moro schaute zu dem Mulatten auf. Er hatte sich also nicht getäuscht. „Anguilla ist auch kein Name für dich“, sagte er lächelnd. Der Mulatte gab das Lächeln zurück. „Er ist so gut wie jeder andere. Mein Vater ist ein Portugiese. Er zeugte mich mit einer seiner Sklavinnen, indem er sie mit Gewalt nahm. Nach meiner Geburt hat er meine Mutter getötet. Du wirst verstehen, daß ich keinen Wert darauf lege, seinen Namen zu tragen.“ „Du hast ihn nicht getötet, als du stark genug dafür warst?“ „Red Beard tat es, als er die Plantage meines Erzeugers auf Anguilla überfiel“, erwiderte der Mulatte. „Ich war damals zwölf Jahre alt. Dafür blieb ich bei Red Beard, denn er hat einen Alptraum von meiner Seele genommen.“ „Du bist keine zwölf Jahre mehr alt“, sagte Moro. „Nein, ich bin jetzt zweiundzwanzig.“ Der Zwerg lächelte.
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„Alt genug, um zu wissen, daß du zum Herrschen und nicht zum Dienen geboren bist“, sagte er leise. Anguilla blickte den kleinen Mann an. Er sah, daß die Worte ernst gemeint waren. In seinem Inneren begannen Saiten anzuklingen, wie er sie vorher noch nie gespürt hatte. Er vermeinte, etwas in seinen Körper eindringen zu spüren, das von ihm Besitz nahm, ohne daß er sich Jage. gen wehren konnte. Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann nickte Anguilla und erwiderte: „Ich spüre in mir, daß es so ist, wie du gesagt hast, Fernando de Aragon. Ich glaube, daß Gott mir die Kraft gibt, der Mann zu sein, den du in mir siehst. Aber ich fühle mich zu schwach, es allein zu schaffen. Ich weiß, der Himmel hat dich mir geschickt, um mir seine Botschaft zu überbringen. Wirst du an meiner Seite stehen, gleich, was geschehen wird?“ Fernando de Aragon, der kleine, verwachsene Mann, der alles Leid der Ausgestoßenen dieser Welt durchlitten hatte, spürte eine Welle von Zuneigung und Stolz durch seinen verkrüppelten Körper fließen. Auf einmal war er nicht mehr klein. Er war groß und stark wie der junge, makellos gewachsene Mulatte, und Anguilla hatte die Kraft seines Geistes. Sie waren eins, und er hatte das Gefühl, daß es nur noch zwei Mächtigere auf dieser Welt gab als sie: Gott und den Tod. 10. Die „Isabella VIII.“, der Schwarze Segler und der „Rote Drache“ segelten in Linie auf den Pulk der Piratenarmada zu. Obwohl die Flotte Don Boscos den Schiffen des Seewolfes an Zahl und Mannschaften haushoch überlegen war, fürchtete Hasard nicht, diesen Kampf zu verlieren. Er wußte, daß die Disziplin auf den drei Schiffen seines kleinen Geschwaders dieser Übermacht aufwog. Don Boscos Talente lagen nicht in einer überragenden Kriegsführung zur See. Er war ein brutaler Mann, der sich andere Menschen durch Einflößung von Furcht
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untertan machte. Sie kämpften für ihn, solange die Bedrohung durch Don Bosco größer war als die durch seine Feinde. War es umgekehrt, verlor Don Bosco seine Macht über sie. An Bord der „Isabella“ war es ruhig wie vor einem großen Sturm. Jedermann an Bord wußte, was seine Aufgabe in diesem Gefecht um Leben und Tod sein würde. Jeder hatte seinen Platz, den er ausfüllen würde, bis der Tod ihn von der Seite seiner Kameraden riß. Auf dem Quarterdeck stand neben dem Seewolf und Ben Brighton der Franzose Jean Ribault, der sein Schiff, die „Le Vengeur II.“, in der Bucht der Schlangeninsel verloren hatte. Ribault schien um Jahre gealtert. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und wenn man ihn fragte, wie er von der Schildkröte zurück an Bord der „Isabella“ gelangt war, so war er der letzte, der darüber hätte etwas sagen können. Pete Ballie, der mit verkniffenem Gesicht in seinem Ruderhaus stand, und Smoky hätten darüber schon eher Auskunft geben können. Sie hatten den Franzosen nämlich durch den Kugelhagel der Piraten über den Strand zu den Booten geschleppt. Ribault fühlte sich immer noch hundsmiserabel. Er hatte dieses totale Besäufnis gebraucht. Bei dem heimtückischen Angriff auf seine ankernde und keineswegs gefechtsbereite „Le Vengeur II.“ waren viele seiner Männer schwerverletzt worden, etliche tot. Wer von den Schwerverletzten überleben würde, stand noch nicht fest, denn Wunder vermochten auch Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen nicht zu vollbringen. Hasard sah, wie dem Franzosen zumute war. Don Bosco mußte sich vor Ribault hüten, denn er machte auf den Seewolf den Eindruck eines Mannes, der erbarmungslos entschlossen war, die Toten seiner „Le Vengeur II.“ zu rächen. Der Seewolf nahm sich vor, ein Auge auf den Franzosen zu behalten, denn er wußte, wie hitzköpfig Ribault, der ein brillanter Kämpfer war,
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sein konnte. Sein gallisches Temperament ging nur allzu leicht mit ihm durch. Ein Ruf aus dem Fockmars unterbrach Hasards Überlegungen. „Zwei Galeonen drehen bei!“ brüllte Dan. Hasard nahm das Spektiv wieder ans Auge und blickte zu den Schiffen, die in breiter Front vor ihnen segelten. Es waren vier Galeonen, die die „Isabella“ und die beiden anderen Schiffe an Größe übertrafen. Die Karacke, die Brigantine und die drei kleineren Schiffe waren ihnen an Bewaffnung wahrscheinlich unterlegen, aber mit ihrer Wendigkeit konnten sie ihnen sicher ganz schön zusetzen, wenn sie damit beschäftigt waren, gegen die Galeonen zu kämpfen. Ein Blick hinunter in die Kuhl überzeugte Hasard davon, daß die Mannschaft gefechtsbereit war. Die Geschütze waren fertig zum Feuern. Das Deck war mit Sand bestreut, und neben den einzelnen Culverinen lagen die Kugeln in Grummets bereit. Al Conroy ging von einem Geschütz zum anderen, hatte hier und dort noch etwas zu bemängeln, und die Männer führten seine knappen Befehle sofort aus. „Zwei der Galeonen halten auf uns zu“, sagte Hasard plötzlich zu Ben Brighton. „Wir werden ihnen ausweichen und zuerst die kleinen Schiffe angreifen, damit sie uns nicht in den Rücken fallen können.“ „Die beiden anderen Galeonen bleiben zurück“, sagte Ribault. „Fast sieht es so aus, als wollten sie gar nicht in den Kampf eingreifen, sondern abwarten, was die beiden anderen erreichen.“ Hasard nickte. Das gleiche hatte auch er gedacht. Er gab Befehl, zu den beiden anderen Schiffen hinüber zu signalisieren, daß sie unbedingt jedes Manöver der „Isabella“ nachvollziehen sollten, bis Hasard einen anderen Befehl gab. Er wußte, daß es dem Wikinger und auch SiriTong stinken würde, daß sie nicht auf eigene Faust gegen die Piraten vorgehen konnten, aber sie konnten diese Übermacht nur bezwingen, wenn sie diszipliniert vorgingen und erst dann überraschende
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Manöver vornahmen, wenn der Feind nicht mehr damit rechnete. Die beiden Galeonen näherten sich schnell. Sie segelten in einem Abstand von etwa hundert Yards nebeneinander. Wahrscheinlich hatten sie vor, die „Isabella“ und die beiden Schiffe in ihrem Kielwasser in die Zange zu nehmen. Ein grimmiges Lächeln lag auf Hasards Zügen. Die Kerle würden sich wundern! Ben Brighton und die Männer an den Schoten und Brassen reagierten mit traumwandlerischer Sicherheit, als Hasard seine Befehle hinausschrie. Es war, als ginge ein Ruck durch den Rumpf der „Isabella“. Das Schiff fuhr eine elegante Halse, und als die Gegner sich darauf einzustellen und ihrerseits ihre Schiffe in eine andere Position zu bringen versuchten, hatte Hasard sie schon ausgetrickst. Das Donnern der Kanonen auf den gegnerischen Galeonen konnte den Seewölfen nur ein grimmiges Lächeln entlocken. Keine der Kugeln lag auch nur in der Nähe ihrer Schiffe. Die „Isabella“ dagegen hatte plötzlich die Karacke und die beiden kleinen, wendigen Lugger vor sich, die mit dieser Wendung nicht gerechnet hatten. „Feuer!“ brüllte Hasard, und gleichzeitig mit den Geschützen des Schwarzen Seglers donnerten auch die Backbordculverinen der „Isabella“ los. Ein Zittern ging durch das ganze Schiff. Plötzlich löste sich die Spannung, die alle Männer ergriffen hatte. Schreie hallten über Deck. Das Rumpeln der schweren Lafetten, die von den Brooktauen aufgefangen wurden, mischte sich mit Carberrys Brüllen und Al Conroys Befehlen, die Geschütze wieder zu laden. Wie Affen turnten die Männer auf den Geschützrohren, säuberten sie von Pulverresten und luden sie erneut mit vorgefertigten Kartuschen. Die Drehbasse auf dem Quarterdeck, die von Bob Grey bedient wurde, spuckte ihr tödliches Eisen zu einem der kleinen Lugger hinüber. Die Ladung rasierte über das Deck des kleinen Kutters, knickte den
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Mast wie einen Kienspan und löschte wie ein Todeshauch alles Leben mit einem Schlag. Die Karacke hatte zwei volle Treffer hinnehmen müssen, bevor sie den ersten Schuß hatte abfeuern können. Donnernd krachte die Großrah an Deck und erschlug die Piraten, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit hatten bringen können. Die zweite Kugel war dicht über der Wasseroberfläche in den Rumpf eingedrungen und hatte ein großes Leck gerissen, durch das das Wasser in das feindliche Schiff eindrang. Niemand auf der Karacke dachte noch daran, eine Kanone abzufeuern. Das Schiff begann zu krängen. Männer stürzten schreiend ins Wasser, und als schon niemand mehr wußte, was er tun sollte, krachte die zweite Breitseite der „Isabella“ wie ein Inferno in die Karacke hinein. Das Bersten von Holz war bis zur „Isabella“ herüber mit ohrenbetäubendem Lärm zu vernehmen. Die Karacke hatte von einem Augenblick zum anderen keine Masten mehr. Das Schiff drehte sich innerhalb von Sekunden um sich selbst, so stark wirkte der über Steuerbord gegangene Großmast als Treibanker.. Männer sprangen über Bord und klammerten sich an treibenden Holzstücken fest. Eine Kanone an Backbord geriet in Bewegung, riß sich aus den Brooktauen und Geschütztaljen und donnerte quer über das Deck, wischte drei Piraten, die nicht mehr rechtzeitig hatten zur Seite springen können, zu Boden und durchbrach das Schanzkleid an Steuerbord, als bestünde es aus Pappe. Eine Wasserfontäne schoß mittschiffs hoch. Es sah aus, als atme ein Wal aus. Ein Grollen im Leib der Karacke kündigte das Unheil an, und dann hob eine gewaltige Explosion das Schiff ein Stück aus dem Wasser. Hasard duckte sich unwillkürlich, als er die Trümmer, Holzteile, Stengen, Geschütze samt ihrer Lafetten durch die Luft fliegen sah, doch dann wandte er sich schon wieder um und gab Ben Brighton den Befehl zu wenden.
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Er sah, daß der „Schwarze Segler“, des Wikingers die Brigantine in Brand geschossen hatte. Ein Treffer mußte auch die kleine Schaluppe erwischt haben, denn sie sackte langsam ab und war wenig später gesunken. Der „Schwarze Segler“ hatte einen Treffer vom zweiten Lugger hinnehmen müssen. Eine Kanonenkugel hatte eines der bronzenen Gestelle auf dem Vorderdeck aus der Verankerung gerissen, und das schwere Gerät, mit dem Brandsätze verschossen wurden, hatte auf seinem Weg quer über Deck schlimme Verwüstungen angerichtet. Ein Mann schien schwer verwundet worden zu sein, denn Hasard sah, wie seine Kameraden ihn unter Deck schleppten, um ihn zu verarzten. Thorfin Njal gestikulierte zu Hasard herüber, und der Seewolf wußte, was der hitzköpfige Wikinger wollte. Aber noch war es zu früh, aus der Linie auszubrechen, noch hatten sie die vier Galeonen gegen sich, die nur langsam wieder eine Position einnahmen, die ihnen gefährlich werden konnte. Siri-Tong hatte es mit ihrem „Roten Drachen“ am Ende der Linie am schwersten. Sie mußte sich bereits der einen Galeone erwehren. Eine der Geschosse hatte das Heck des „Roten Drachen“ nur knapp verfehlt, aber auch Siri-Tong hatte keinen Treffer anbringen können. Für Hasard war das Verhalten der beiden anderen Galeonen ein Rätsel. Wenn sie neben den ersten beiden Galeonen geblieben wären, hätte es wahrscheinlich schlimm für den unterlegenen Feind ausgesehen, aber so waren die Schiffe der Seewölfe bereits in einer Position, in der sie die Schlacht kaum mehr verlieren konnten. Hasard sah, daß Siri-Tong aus der Linie ausbrach. Im ersten Augenblick wollte er einen Fluch ausstoßen, doch dann begriff er, daß ihr gar keine andere Wahl geblieben war, wenn sie nicht in die Zange von der Ketsch und dem zweiten Lugger geraten wollte. Die Kanonen ihrer Galeonen donnerten auf. Eine Kugel
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genügte, um den Lugger außer Gefecht zu setzen. Die Ketsch wurde am Heck getroffen, konnte aber selbst noch feuern. Hasard gab sein Zeichen. Ein 1 Brandsatz stieg. vom Quarterdeck der „Isabella“ in den Himmel, und Hasard vermeinte förmlich, den befreienden Schrei Thorfin Njals zu vernehmen, dessen „Schwarzer Segler“ sofort aus der Linie ausbrach und Kurs auf eine der beiden Galeonen nahm, die sie ausgesegelt hatten. In Sekundenabständen brüllten die Geschütze an der Steuerbordseite des „Schwarzen Seglers“ auf, und die Ketsch, die sich noch durch ein waghalsiges Wendemanöver in Sicherheit hatte bringen wollen, wurde in ihre Einzelteile zerlegt. Die „Isabella“ fuhr eine Halse und näherte sich im Schutz der brennenden Brigantine, die bereits von allen Männern verlassen worden war, einer der beiden Galeonen, die sich bisher zurückgehalten hatten. Fast sah es so aus, als zögerte der Kapitän des Schiffes, überhaupt in den Kampf einzugreifen. Hasard hatte eine Idee und rief in die Kuhl hinab: „Al, setz den Feiglingen mal eine Kugel vor den Bug! Vielleicht genügt das schon bei ihnen!“ In diesem Augenblick krachte im Mars eine Muskete, und Dan O’Flynn brüllte: „Ich hab den verdammten Rotbart getroffen! Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht dieser Henkerssohn Red Beard war!“ Das vorderste Geschütz der „Isabella“ brüllte auf. In hohem Bogen flog die Kugel auf die gegnerische Galeone zu und ließ nur ein paar Yards neben dem Schiff eine Wasserfontäne hochsteigen. Fast im selben Moment drehte die Galeone bei. Durch das Spektiv sah Hasard einen riesigen Mulatten, der wild gestikulierte. Wahrscheinlich hatte er den Befehl über die Galeone übernommen, nachdem der Rotbart von Dan O’Flynn außer Gefecht gesetzt worden war. Die zweite Galeone vollführte das gleiche Manöver. Die Männer der „Isabella“ brüllten ihren Triumph hinaus. Sie hatten einen übermächtigen Feind in die Flucht
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geschlagen, ohne eigene Verluste hinnehmen zu müssen. Hasard brachte seine Männer mit scharfen Befehlen wieder zur Vernunft. Noch war die Schlacht nicht geschlagen, obwohl schon alle Zeichen auf Sieg standen. Die beiden anderen Galeonen nahmen kein Reißaus. Sie waren bedeutend stärker bewaffnet als die Schiffe des Seewolfs, und als das eine Schiff seine erste Breitseite auf den „Roten Drachen“ abfeuerte, glaubte Hasard, daß es um SiriTong und ihr stark armiertes, großes Schiff geschehen sei. 11. „Dieser Don Bosco ist ein Idiot“, sagte Red Beard zu Anguilla. „Er begreift nicht mal, was dieser verdammte Seewolf vorhat. Ich wette, Bosco sieht ziemlich naß aus, wenn er merkt, daß sich die drei Schiffe nicht in die Zange nehmen lassen.“ „Willst du nicht an ihnen dranbleiben, damit du rechtzeitig eingreifen kannst?“ fragte der Mulatte. Red Beard grinste teuflisch. „Du weißt nicht, wie mir dieser Idiot auf die Nerven geht“, erwiderte er. „Wenn der Schatz dieses Seewolfs auf der Schlangeninsel mich auch reizt, noch mehr wünsche ich mir, daß dieser Don Bosco endlich zur Hölle fährt.“ „Warum hast du ihn nicht selbst zur Hölle geschickt, als er zu uns nach Ambergris kam?“ „Soll ich mir nachsagen lassen, mir könne man nicht trauen?“ fragte Red Beard. Er starrte plötzlich nach vorn auf die beiden Galeonen, die nebeneinander die drei Schiffe des Seewolfs angreifen wollten. „Da!“ stieß er hervor. „Ich hab’ es gewußt! Dieser Satanskerl ist zu schlau für den Idioten Don Bosco Paß auf, gleich werden sie die Karacke und die beiden Lugger angreifen!“ „Auf den Luggern sind unsere Leute, Red Beard!“ sagte der Mulatte scharf. „Laß uns angreifen! Die kleinen Schiffe haben sonst keine Chance!“
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Er hatte laut gesprochen, und die Männer an Bord der Galeone hatten es gehört. Sie hörten auch Red Beards Antwort, als er sagte: „Das verstehst du nicht, Junge. Das ist Taktik. Für große Ziele muß man Opfer bringen.“ „Aber diese Opfer sind überflüssig!“ schrie Anguilla. „Dann gib ihnen wenigstens das Signal, daß sie abdrehen sollen! Sie segeln sonst in ihr Verderben!“ Mit einer unwilligen Bewegung brachte Red Beard den Mulatten zum Schweigen. Anguilla wollte sich abwenden, aber Moro, der neben ihn getreten war, hielt ihn zurück. „Wenn Don Bosco auch ein Idiot ist“, sagte er mit lauter Stimme, „ein Feigling, der seine eigenen Leute dem Feind zum Fraß vorwirft, ist er sicher nicht!“ Red Beard verlor alle Farbe aus dem Gesicht. „Was will der verkrüppelte Zwerg hier auf dem Achterdeck?“ brüllte er. „Schmeißt die Mißgeburt über Bord, wenn ihr mich nicht wütend machen wollt!“ Einer der Männer, die hinter Red Beard standen, wollte nach Moro greifen, doch ein Blick von Anguilla genügte, ihn zögern zu lassen. Red Beard drehte sich um. „Ah, so ist das!“ stieß er hervor. „Mein Ziehsohn probt den Aufstand, wie? Warte, bis wir dies hier hinter uns gebracht haben, mein Sohn, dann werde ich dir beibringen, was es heißt, ungehorsam gegen mich zu sein!“ „Da!“ Anguilla hatte die Worte Red Beard gar nicht richtig wahrgenommen. Entsetzt blickte er auf das Geschehen, das sich vor seinen Augen abspielte. Die Karacke wurde von Treffern des ersten Schiffes schwer erschüttert, und eine einzige Ladung einer Drehbasse hatte genügt, alles Leben auf dem einen Lugger auszulöschen. „Laß uns eingreifen, Red Beard!“ schrie Anguilla verzweifelt. „Sonst ist die Karacke verloren!“ „Warum schießen die Idioten nicht zurück!“ preßte Red Beard hervor. Wenn sie sich nicht selber helfen, haben sie es
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nicht anders verdient, als daß der Teufel sie holt.“ Anguilla hatte den Griff seines Degens umkrampft. Er sah den scharfen Blick des Zwerges auf seinem Gesicht ruhen, der ihn drängte, Red Beard zu töten und selbst das Kommando über die Galeone zu übernehmen. Aber irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. Red Beard hatte den verhaßten Vater getötet, und er hatte ihn aufgenommen wie einen Sohn. Das ließ sich nicht mit einem Degenstich aus der Welt schaffen. Anguilla verzweifelte fast, als er sah, wie auch die Brigantine von einem seltsamen Feuer in Brand geschossen wurde und die Mannschaft schreiend über Bord ging, um nicht in den Flammen bei lebendigem Leibe zu verbrennen. „Wir müssen näher heran, um sie an Bord zu nehmen!“ stieß er hervor. Red Beard rührte sich nicht. Unbeweglich stand er da uns sah sich das Chaos an, das sich seinen Augen bot. Die Schaluppe Don Boscos sackte plötzlich ab und riß die Besatzung mit sich in die Tiefe. Don Bosco und die andere Galeone, die von Hernandez befehligt wurde, schienen endlich begriffen zu haben, daß sie zwei Fehler auf einmal begangen hatten. Erstens hatten sie den Gegner unterschätzt, und zweitens hatten sie sich auf ihren Verbündeten verlassen. Jetzt standen sie allein da, aber das hielt sie nicht davon ab, die drei gegnerischen Schiffe anzugreifen, auch wenn sich das Kräfteverhältnis zu ihren Ungunsten verändert hatte. In diesem Augenblick brach als erste die Galeone mit den roten Segeln aus der Linie aus und griff den Lugger an, der sich mit einer eleganten Wende in eine gute Position gebracht und seine Kanone auf die Galeone abgefeuert hatte. Die schweren Geschütze der Galeone zertrümmerten den Lugger, gleichzeitig wurde Don Boscos Ketsch am Heck getroffen und lief aus dem Ruder. „Sie greifen an!“ brüllte ein Mann aus dem Mars.
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Red Beard starrte zu der gegnerischen Galeone, die plötzlich Kurs auf sie nahm. Er wollte einen Befehl brüllen, doch in diesem Augenblick begann er zu wanken und krachte der Länge nach auf die Planken des Achterdecks. Durch den Gefechtslärm hatte niemand das dünne Peitschen des Musketenschusses gehört. Anguilla bückte sich und sah den großen, dunklen Fleck, der sich schnell auf der Jacke Red Beards ausbreitete. Als er sich aufrichtete, blickte er in das triumphierende Gesicht Fernando de Aragons, und er wußte, daß der Himmel ihm ein zweites Mal ein Zeichen gegeben hatte. Eine Kugel schlug dicht neben dem Rumpf der Galeone ein und ließ eine Fontäne Wasser aufsteigen. „Wollt ihr für Don Bosco kämpfen und sterben?“ brüllte Anguilla durch den Lärm. Die Männer senkten den Kopf. Niemand gab eine Antwort. Für den Mulatten war es Antwort genug. Mit scharfer Stimme gab er den Befehl, die Galeone zu wenden und Signal zur zweiten Galeone hinüberzuschicken, daß sie nicht in den Kampf eingreifen würden, sondern zurück nach Ambergris segelten. Moro, der blaublütige Zwerg, wußte, daß seine Zeit als Hofnarr eines Trottels oder Idioten vorbei war. Er spürte die Macht, die er über den jungen Mulatten hatte, und er war entschlossen, sie auszunutzen. Vielleicht hatte er eines Tages sogar die Gelegenheit, es seiner Verwandtschaft, die ihn wegen seines verkrüppelten Wuchses verstoßen hatte, zurückzuzahlen, was sie ihm angetan hatte. Er trat ein paar Schritte zurück und starrte auf das breite Kreuz Anguillas, der an der Quarterdeckbalustrade stand und wußte, daß für ihn ein neues Leben begann. * Don Bosco tobte vor Wut, als er sah, daß Red Beard mit seinen beiden schwerbestückten Galeonen zurückblieb, und völlig außer Fassung geriet er, als er sah, daß der Seewolf ihm ein Schnippchen
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schlug und seiner plumpen Falle mit einer eleganten Halse entging. Er brüllte seine Befehle über Deck, doch ehe er seine Galeone wieder in Angriffsposition gebracht hatte, war das Gefecht schon fast entschieden. Der Seewolf hatte die kleinen Schiffe angegriffen und sie im ersten Kugelhagel vernichtend geschlagen. Die Brigantine brannte, die Karacke Red Beards zerbrach in zwei Teile, als ihre Pulverkammer in die Luft flog. Die kleinen Lugger und die Ketsch waren hilflose Wracks. Und Red Beard, dieser verfluchte Verräter, drehte einfach ab und suchte das Weite! Don Bosco meinte, zerspringen zu müssen vor Wut. Plötzlich sah er sich mit seinen beiden Galeonen allein den drei Schiffen des Seewolfes gegenüber, und wenn er auch mehr Kanonen auf seinen Schiffen hatte, so spürte er doch deutlich, daß dies der Anfang vom Ende war. „Wir sollten ebenfalls abdrehen, Don Bosco“, sagte Pablo heiser, doch ein Schlag mit dem Handrücken brachte ihn zum Schweigen. „Wir werden es auskämpfen!“ schrie Don Bosco. „Ich will den Seewolf absaufen sehen! Ich will die Schlangeninsel, und ich will seinen Schatz! Und jeder, der nicht kämpfen will, kriegt von mir eine Kugel!“ Er fuchtelte mit der Pistole herum, und jeder Mann auf dem Achterdeck wußte, daß Don Bosco nicht spaßte. Nuno scheuchte die Männer an den Schoten und Brassen. Sie mußten die „Hellfire“ dichter an den Wind bringen, um eine bessere Angriffsposition zu haben. In Don Bosco tobte der Haß. Er sah, daß die drei Schiffe des Seewolfs ihre Linie aufgaben. Zuerst die Galeone mit den roten Segeln, die einen Lugger versenkte und seine Ketsch am Heck traf. Der Seewolf mit der „Isabella“ wurde von der brennenden Brigantine verdeckt, der Schwarze Segler griff die Ketsch an und schoß sie mit einer Breitseite zusammen. Don Boscos haßverzerrtes Gesicht zeigte den Ausdruck des Triumphes, als er erkannte, daß die Galeone mit den Roten
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Segeln nicht schnell genug wenden konnte, um seinen Kanonen zu entgehen. Er brüllte seine Befehle über Deck, und Sekunden später donnerten die vierzehn Steuerbordkanonen auf und spuckten ihre Kugeln hinüber zur Galeone, auf derem Achterdeck eine Frau mit schwarzen Haaren und einer roten Bluse das Kommando zu haben schien. „Diesmal bist du dran, verfluchte Hexe!“ stieß Don Bosco hervor, als er sah, daß mindestens fünf der vierzehn Kugeln ihr Ziel nicht verfehlt hatten. Sie lagen zwar etwas hoch, aber dadurch, daß sie die Topstengen der Masten wegrasierten und mehrere Segel zerfetzten, geriet die Galeone aus dem Ruder und lief der „Hellfire“ genau breitseits vor die Kanonen. „Feuer!“ brüllte Don Bosco mit sich überschlagender Stimme. Er begann zu toben, als er sah, daß seine Männer noch nicht mit dem Nachladen der Geschütze fertig waren. Ein fürchterlicher Schrei hallte vom Mitteldeck zu ihm herauf. Er sah, wie eine Stichflamme aus einer Kanonenmündung schoß und ein Mann in hohem Bogen ins Meer geschleudert wurde. Der Idiot hat doch tatsächlich das neue Pulver ins heiße Geschützrohr geschoben! dachte Don Bosco voller Zorn. „Bin ich denn nur von Schwachköpfen umgeben?“ kreischte er. „Sind die Geschütze endlich nachgeladen? Feuer, verflucht noch mal! Feuer! Feuer!“ Er hüpfte von einem Bein aufs andere und sah in diesem Moment wie der Leibhaftige aus. Es wurde keine vernichtende Breitseite, die die „Hellfire“ abschoß. Einzeln gingen die Geschütze los, je nachdem, wie schnell die Geschützmannschaften mit dem Laden ihres Fünfundzwanzigpfünders fertig wurden. Diesmal war die Trefferquote gleich Null, obwohl die Galeone mit den roten Segeln manövrierunfähig schien, Spieren und Stage waren auf Deck niedergeprasselt, und die Männer waren unermüdlich dabei, das Deck wieder aufzuklaren, damit die
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Leute an den Geschützen ungehindert arbeiten konnten. Ehe die Piraten zum drittenmal zu feuern vermochten, erhielten sie endlich die gebührende Antwort vom „Roten Drachen“. Nur zwei der hastig abgefeuerten Kugeln trafen. Eine Kettenkugel, die sich während des Fluges in zwei Hälften geteilt und, durch eine Kette verbunden, taumelnd in die Takelage der „Hellfire“ geschlagen war, richtete starke Verwüstungen an. Die Bramstenge des Vormastes wurde am Masttopp abrasiert, kippte nach achtern und zerfetzte mit kreischenden Geräuschen das Großsegel. Eine zweite Kugel schlug achtern in die Bordwand an, und Don Bosco glaubte am Splittern von Glas erkennen zu können, daß das Geschoß wahrscheinlich seine Kapitänskammer in Trümmer gelegt hatte. Zum Glück für die „Hellfire“ war der „Rote Drache“ zu schwer angeschlagen, als daß er hätte nachsetzen können. Die beiden Galeonen liefen aneinander vorbei, und nur eine Eisenladung aus einer Drehbasse fegte noch über das Vordeck der „Hellfire“ und tötete mehrere Piraten. Der Schwarze Segler hatte sich auf die zweite Galeone gestürzt. Der Wikinger war dem Spanier Hernandez in seinem seglerischen Können weit überlegen, und die Mannschaft des Wikingers, die bis ins letzte eingespielt war, ließ den Piraten nicht den Hauch einer Chance. Die erste Breitseite, kurz vor den Piraten abgefeuert, entschied praktisch das Gefecht zwischen den beiden Schiffen. Der „Sturmvogel“ des toten Cannonball Prewitt war innerhalb von Minuten ohne Masten. Das Deck war ein Chaos von zersplitterten Spieren, verwundeten und toten Männern, und nur noch vom Mitteldeck aus wurden einige Kanonen abgefeuert. Die Löcher in den Segeln des „Schwarzen Seglers“ entlockten Thorfin Njal nur ein dröhnendes Lachen, und auch als eine weitere Kugel ihm den Bugspriet mitsamt der Blinde hinwegfegte, wurde seine Siegeszuversicht nicht erschüttert.
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Er hörte durch den Gefechtslärm das Schreien des Kapitäns auf dem Achterdeck, aber seine Befehle konnten gar nicht mehr befolgt werden. Die zweite Breitseite des „Schwarzen Seglers“ schlug mittschiffs im Mitteldeck ein und brachte die endgültige Entscheidung. Mit donnernden Geräuschen explodierten Kartuschen und Pulverladungen. Kanonen schossen durch die Bordwand, als sei sie aus Papier. Ein paar Piraten versuchten, auf der Backbordseite ein Boot abzufieren, aber es schlug schon um, noch ehe sie es über das Schanzkleid gebracht hatten. Die mastenlose Galeone legte sich plötzlich zur Seite. Ein dumpfes Gurgeln übertönte die Schreie der Verwundeten. Männer sprangen über Bord ins kochende Wasser, und als Thorfin Njal aus seinen Bronzegestellen Brandsätze zum Wrack des „Sturmvogels“ hinüberschickte, warf sich auch der Kapitän mit einem Hechtsprung von der Reling des Achterdecks von Bord und gab sein Schiff auf. Das Gurgeln verstärkte sich. Die See begann zu brodeln, und mit urweltlichen Geräuschen sackte die Galeone innerhalb von Minuten ab und hinterließ einen Riesenteppich von hölzernen Wrackteilen, an die sich verzweifelt um ihr Leben kämpfende Piraten klammerten. Thorfin Njal blickte sich um. Er sah, daß der „Rote Drache“ von Siri-Tong wieder von der zweiten Galeone bedrängt wurde, auf derem Achterdeck er den gestikulierenden Don Bosco erkannte. Die Befehle des Wikingers durchschnitten den Jubel seiner Männer. Sofort waren wieder alle Männer auf ihren Posten und wendeten den Schwarzen Segler, um die letzte Galeone anzugreifen und der Roten Korsarin zu Hilfe zu eilen. Der Wikinger fluchte, als er sah, wie die „Isabella“ hinter der lodernd brennenden Brigantine hervorschoß und auf Don Boscos Galeone und den „Roten Drachen“ zusegelte. Der Seewolf würde den Feind eher erreichen, und Thorfin Njal mußte
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seinen Kurs korrigieren, um nicht die „Isabella“ zu rammen. Siri-Tong begriff inzwischen, daß sie Don Bosco nach den ersten schweren Treffern, die der „Rote Drache“ hatte hinnehmen müssen, nichts mehr entgegensetzen konnte. Die auf Deck gekrachten Spieren hatten mehrere Männer erschlagen. Sie sah Shark Kelly in seinem Blut .legen, und ihre Lippen preßten sich zu einem schmalen Strich zusammen, als sie auch den riesigen Körper Anvails bewegungslos neben dem Ankerspill liegen sah. Aus seiner Brust ragte ein armlanger zersplitterter Teil einer Spiere, der ihn wie ein Speer durchbohrt hatte. Niemand konnte sich um die Toten und Verletzten kümmern. Verzweifelt bemühten sich die Männer, das Deck aufzuklaren, damit die Geschütze bedient werden konnten. Durch ein Segelmanöver, das mit der zerfetzten Takelage ein Meisterstück gewesen war, hatte sich die Rote Korsarin ein wenig Luft verschaffen können, aber Don Bosco hatte ebenfalls reagiert und griff jetzt abermals an. Siri-Tong hatte mit Genugtuung beobachtet, wie der Wikinger die zweite Galeone mit ein paar Breitseiten erledigt hatte, und dann sah sie, wie die „Isabella“ hinter der rennenden Brigantine hervorschoß und Don Boscos Schiff angriff. Auch Don Bosco wußte, daß es jetzt ums Überleben ging. Der Glatzkopf Nuno hatte als erster gesehen, welche Gefahr ihnen von der „Isabella“ drohte. Don Bosco zitterte vor Wut. Minuten hätte er nur noch gebraucht, um die Rote Korsarin mit ihrem Schiff in die Hölle zu blasen, aber wenn er seine jetzige Position nicht sofort änderte, würde er eine sichere Beute des Seewolfs werden. Wütend brüllte er seine Befehle zur Kuhl hinunter, und der Profos jagte die Männer an den Schoten und Brassen, um die „Hellfire“ zu wenden, damit sie sich dem neuen Feind zum Kampf stellen konnte. Pablo, der neben Don Bosco an der Quarterdeckbalustrade stand, wußte, daß
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das Manöver zu spät erfolgt war. Die „Isabella“ war schnell, und sie brauchte ihren Kurs nicht zu ändern, um ihre Backbordbreitseite auf die „Hellfire“ abfeuern zu können. Don Bosco schrie sich die Kehle aus dem Hals, aber es nützte alles nichts. Pablo zog unwillkürlich den Kopf ein, als aus der Backbordseite der „Isabella“ die gelbroten Mündungsfeuer hervorstachen und Pulverdampfwolken das gegnerische Schiff in einen Nebel hüllten. Erst Sekunden später vernahm er das Krachen der Geschütze, und dann heulte es über die Decks der „Hellfire“, als würden sich über ihr die Schleusen des Bösen öffnen. Krachend schlugen die Geschosse in die Takelage. Der Besanmast mit dem Lateinersegel wurde einfach von Deck gefegt. Der Stag des Großmastes brach, und wie eine riesige Peitsche schoß das untere Ende über das Hauptdeck hinweg und tötete mehrere Männer, die sich nicht schnell genug hatten hinwerfen können. Der Großmast hatte plötzlich keinen Halt mehr, und als eine weitere Kugel das Eselshaupt des Großmasttopps zerschlug, knickte die Marsstenge nach vorn, verhakte sich im Vormarssegel und schlitzte es auf. Don Bosco brüllte seinen Steuermann an. „Ruder hart Backbord!“ Das Krachen, das ihn von der anderen Seite erreichte, ließ ihn zusammenzucken. Er riß den Kopf herum. Er glaubte, wahnsinnig werden zu müssen. Verdammt, er hatte geglaubt, die Rote Korsarin so zusammengeschossen zu haben, daß sie genug damit zu tun hatte, ihre Toten an Deck einzusammeln. Und jetzt griff sie mit ihrem schwer havarierten Schiff schon wieder an! Don Bosco hatte das Gefühl, als ob ein Riese an sein Schiff pochte und Einlaß forderte. Mit harten Schlägen, die den Rumpf erschütterten, schlugen drei Kugeln an der Backbordseite dicht unterhalb des Schanzkleides ein. Don Bosco wurde blaß. Er hatte gesehen, was mit der Karacke geschehen war. Wenn
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die Rote Korsarin seine Pulverkammer traf, war es um sie alle geschehen. „Wir haben keine Chance mehr, Don Bosco!“ brüllte Pablo durch den Lärm von splitterndem Holz und durch das Schreien von Verwundeten. „Wir müssen weg hier!“ „Das weiß ich auch, du Schwachkopf!“ brüllte Don Bosco zurück und wies in die demolierte Takelage hinauf. „Was meinst du, wie viel schneller wir sein werden als die ‚Isabella’, he?“ In den Augen Pablos glomm Todesangst auf. Wie er, wußte jedermann auf der „Hellfire“, daß der Tod schon neben ihnen auf den Planken stand. Sie saßen in der Zange. Gleich, welches Manöver sie ausführen würden, eines der beiden gegnerischen Schiffe würde ihnen den Todesstoß versetzen. Und selbst, wenn es ihnen gelang, der tödlichen Umklammerung noch einmal zu entrinnen—etwas abseits wartete der Schwarze Segler, um die endgültige Entscheidung zu erzwingen. „Zeigt es ihnen, Männer!“ brüllte Don Bosco. „Wollt ihr euch wehrlos zusammenschießen lassen? Sie sollen sehen, wie Don Boscos Männer kämpfen können! Wir nehmen sie alle mit zur Hölle, wenn wir schon sterben müssen!“ Es war, als ginge ein Ruck durch die Piraten. Sie waren harte Burschen, die nicht zum erstenmal dem Tod ins Auge blickten, und die Worte ihres Anführers hatten sie aufgerüttelt. Ihr Leben war Kampf gewesen, und im Kampf wollten sie auch sterben. Die Breitseite der „Isabella“, die große Lücken in die Reihe ihrer Kameraden riß, ließ sie nur noch verbitterter kämpfen. Don Bosco sah nur noch eine Chance. Er mußte dicht an die „Isabella“ heran und versuchen, sie zu entern. Im Kampf Mann gegen Mann wollte er den verdammten Seewolf und seine Höllenmannschaft in die Knie zwingen. Noch gab er sich nicht verloren. Verloren war ein Mann erst, wenn kein Leben mehr in ihm war. Der Bug der „Hellfire“, drehte sich plötzlich auf die „Isabella“ zu, und mit
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grimmigem Blick erkannte Don Bosco, daß das Manöver den Seewolf überraschte. Doch schneller, als er vermutet hatte, reagierte der Feind. Don Boscos Augen wurden groß, als er die dunkel starrenden Mündungen der acht Culverinen vor sich sah, als berührten sie schon sein Gesicht... 12. Der Seewolf atmete auf, als er sah, wie der „Rote Drache“ eine letzte Breitseite auf Don Boscos Galeone abfeuerte und die Piraten zwang, sich wieder der „Isabella“ zuzuwenden. Das Manöver der „Hellfire“ überraschte ihn und Ben Brighton für ein paar Sekunden, doch blitzschnell wurde der Fehler wieder ausgebügelt. „Feuer!“ Al Conroy hatte den richtigen Zeitpunkt erwischt. Die beiden Galeonen waren nur noch etwa zwanzig Faden voneinander entfernt. Die acht Geschosse, die zur gegnerischen Galeone hinüberjaulten, schlugen voll in den Rumpf. Eine zerfetzte das Schanzkleid des Hauptdecks auf einer Breite von fünf Yards und riß eine Gasse des Todes quer über das Schiff. Das Boot, das über der Gräting der zum Batteriedeck führenden Luke festgezurrt war, wurde ein paar Fuß in die Luft geschleudert und krachte dann zurück aufs Deck. Al Conroy trieb seine Männer an. Der Pulverdampf war noch nicht abgezogen, da hatten seine Leute die Geschütze erneut geladen und waren wieder feuerbereit. „Feuer!“ Wieder brüllten die acht Culverinen auf und übertönten alle anderen Geräusche. Aber diesmal war irgendetwas anders als sonst. Hasard, der an der Backbordreling des Achterdecks stand, vermeinte, aus dem Brüllen seiner Männer etwas anderes herauszuhören als Triumphgeheul. Er starrte in den Pulverrauch, der sich in dichten Schwaden über das Deck zog, und als ein Loch vom Wind in die grauen Wolken gerissen wurde, verlor er alle Farbe aus dem Gesicht.
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Eine der Culverinen war von ihrer Lafette gerissen worden. Das hintere Ende des Geschützes schien gespalten. Doch das nahm Hasard alles nur im Unterbewußtsein wahr. Mit wenigen Sätzen war er neben Ben Brighton an der Balustrade und starrte auf die beiden Männer, die neben dem Geschütz lagen. Stenmarks Unterkörper war blutüberströmt. aber der Schwede richtete sich schon wieder auf. Neben ihm lag Bob Grey, der sich nicht rührte. Blacky bückte sich neben Stenmark und schrie dann: „Nur ein Splitter im Oberschenkel!“ Der Kutscher kümmerte sich um Bob Grey und schleifte ihn zurück unter das Achterdeck. Seinen Zeichen entnahm Hasard, daß auch er nicht tödlich verwundet war. Hasard wollte sich umdrehen, als er ein fürchterliches Bersten vernahm und ein Gluthauch über seine Wange strich. Vor seinen Augen hob sich das Ruderhaus der „Isabella“ aus seiner Verankerung, blieb einen Augenblick in der Luft hängen und krachte dann wieder zurück. Die Kugel der „Hellfire“, die dort eingeschlagen war, zischte an der Steuerbordseite ins Wasser. Hasard ignorierte den brennenden Schmerz auf seiner Wange und lief zum zerschmetterten Ruderhaus hinüber. „Pete!“ brüllte er. Ein blutüberströmter Kopf tauchte zwischen den Trümmern auf und starrte mit glasigen Augen durch den Seewolf hindurch. „Aye, aye, Sir!“ sagte Pete Ballie mit zitternder Stimme. Der Rudergänger taumelte, und Hasard konnte ihn gerade noch auffangen. Sam Roskill war plötzlich neben Hasard, und ohne einen Befehl abzuwarten, übernahm er das Ruder, nachdem er ein paar Trümmer beiseite geräumt hatte. Der Seewolf schleppte Pete Ballie ein Stück zur Seite, dann drehte er sich hastig, als er einen Schatten hinter sich aufwachsen sah. Das Geschrei seiner Männer hatte er völlig überhört.
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Seine Augen wurden groß, als er sah, wie die „Hellfire“, die dicht an die „Isabella“ herangetrieben war, umschlug und innerhalb von Minuten kenterte. Die Männer auf der „Isabella“ brachten sich vor den Stümpfen der zerschossenen Masten in Sicherheit, die aufs Deck der Galeone zu schlagen drohten. Einige der Piraten vom Hauptdeck versuchten, sich zur „Isabella“ hinüberzuschwingen, aber sie stürzten ins Wasser und wurden vom Sog der kenternden Galeone in die Tiefe gerissen. Nur die Piraten, die sich auf dem Achterdeck der „Hellfire“ befanden, schafften es, an Bord der „Isabella“ zu springen, als die beiden Heckaufbauten der Galeonen zusammenstießen und das Achterdeck der „Hellfire“ am Rumpf der „Isabella“ entlangschrammte. Jeder der Seewölfe hatte sofort erkannt, wer sich unter dem halben Dutzend Piraten befand, die nicht mit ihrer Galeone in die Tiefe gerissen worden waren. Ehe Hasard seinen Degen hatte herausreißen können, waren sie plötzlich alle da: Dan O’Flynn mit seiner gekürzten Pike, der eben noch eines der Geschütze bedient hatte, der alte Donegal O’Flynn, der auf einmal mit seinem Holzbein laufen konnte wie ein Junger. Und Carberry, der nur den glatzköpfigen Nuno sah, mit dem er noch eine so große Rechnung zu begleichen hatte. Schneller als alle anderen war Smoky. Er hieb mit seinem Entermesser nach einem der Piraten, der neben Don Bosco stand und vielleicht erwartete, daß die Seewölfe ihn gefangen nehmen würden. Der Mann wich geschmeidig zur Seite und traf Smoky mit dem Rücken einer Axt an der Schläfe. Der große Mann ging ohne einen Laut zu Boden. Aus einer Platzwunde rann Blut, und für die Seewölfe mußte es so aussehen, als ob der Pirat Smoky erschlagen hätte. Don Bosco riß seinen Degen hoch. Sein Gesicht war verzerrt von einem unbändigen Haß, der einem einzigen Mann galt. Mit einem wilden Schrei auf den
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Lippen warf er sich vorwärts. Seine Klinge zischte durch die Luft, aber ehe sie Hasard verwunden konnte, hatte dieser pariert. Jetzt brach der Bann. Die Männer, die sich bisher nur angestarrt hatten, griffen einander an. Die Piraten kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Sie hatten nie Gnade mit ihren Feinden gehabt, und so nahmen sie an, daß auch sie keine Gnade finden würden. Sie wußten, daß sie sterben würden, aber sie wollten es kämpfend tun. Don Bosco war ein guter Fechter, doch er konnte Hasard nicht ein einziges mal in Bedrängnis bringen. Der Haß in seinen Augen verwandelte sich in Angst, und der Seewolf, der bereit gewesen war, Don Bosco zu töten, spürte plötzlich Abscheu vor dieser Ratte, die soviel Unglück über die Inseln der Karibik gebracht hatte. Don Bosco stieß mit dem Rücken gegen den Besanmast, und Hasard reckte die Hand mit dem Degen vor. Der Pirat ließ seine Waffe fallen und sackte auf die Knie. Seine flackernden Augen waren auf die Spitze des Degens gerichtet, die dicht vor seinem Gesicht leicht hin und her schwankte: Plötzlich warf sich Don Bosco zur Seite. Er riß ein Messer aus einer Scheide an seinem Gürtel und stürzte sich mit einem wilden Schrei in die Klinge. Leblos sackte er zusammen. Der Seewolf wandte sich angewidert ab. Fast unbeteiligt sah er zu, wie der Kampf auf dem Achterdeck der „Isabella“ beendet wurde. Carberry fegte gerade den glatzköpfigen Nuno mit einem mächtigen Schlag über die Reling. Pablo lag mit einer tödlichen Stichwunde vor Jean Ribault neben den Trümmern des Ruderhauses, und der letzte Pirat wußte sich gegen die Übermacht nicht anders zu helfen, als freiwillig über Bord zu springen. Er verschwand sofort im Sog der gesunkenen
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„Hellfire“, der das Wasser immer noch aufwühlte. Die plötzliche Ruhe wirkte wie lähmend. Die Seewölfe starrten sich an, und keiner von ihnen hatte dieses fürchterliche Gemetzel schon so weit verdrängen können, daß er in Jubel über den Sieg ausgebrochen wäre. Erst als der Wikinger mit dem Schwarzen Segler längsseits ging und mit dröhnender Stimme seinem Unmut Ausdruck verlieh, daß man ihn nicht an der Entscheidung hatte teilnehmen lassen, löste sich die Anspannung der Seewölfe. Hasard kümmerte sich um die verwundeten Männer. Smoky und Pete Ballie redeten noch wirres Zeug, aber der Rum schmeckte ihnen schon wieder, was das beste Zeichen für eine baldige Genesung war. Stenmarks und Bob Greys Wunden an den Beinen, die von Eisensplittern der explodierten Geschützkammer herrührten, waren ebenfalls nicht so schlimm, wie es anfangs ausgesehen hatte. Don Bosco, der Herrscher von Tortuga, der die Karibik in ein Meer von Blut verwandelt hätte, um den Schatz auf der Schlangeninsel in seinen Besitz zu bringen, war tot. Mit seinem Tod war die schlimmste Gefahr gebannt, die jemals die Schlangeninsel bedroht hatte. Hasard kniff die Lippen zusammen, als er die drei Schiffe seines kleinen Geschwaders betrachtete. Sie wiesen alle ziemlich schwere Schäden auf, aber was zählte das schon bei dem Sieg, den sie errungen hatten? Sie würden zur Schlangeninsel segeln und die Schäden beseitigen. Die Pestbeule Don Bosco war ausgebrannt. Die Menschen auf den Inseln der Karibik würden aufatmen, wenn die Nachricht sie erreichte, aber niemand würde wissen, wie erbarmungslos die Schlacht bei den Caicos-Inseln geschlagen worden war.
ENDE