Die Pest in Sydney Version: v1.0
Er war der Erbe eines dämonischen Gottes. Eines der entarteten Schöpferwesen, die das...
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Die Pest in Sydney Version: v1.0
Er war der Erbe eines dämonischen Gottes. Eines der entarteten Schöpferwesen, die das Zeitalter des Men schen beenden wollten – und gescheitert waren –, hatte ihn erwählt, kurz bevor es starb. Er fraß das dämonische Aas im Schatten der zehntausendjährigen Huon-Kiefer, oben an den Hängen des Mount Reid. Er fraß die Schläue und den Haß, den Wahnsinn und die unsterbli che Rachsucht des hier verendeten Wondjinas. Er hatte vier Beine, messerscharfe Zähne und den Körper einer großen Ratte. Er war ein Tasmanischer Teufel, bereits so groß wie ein Hund vom überaus nahrhaften Aas, und er wuchs beständig weiter …
Was bisher geschah Überall dort, wo sich in Sydney Traumzeit-Relikte der australischen Schöpfer wesen befinden, wuchert seit Liliths Erwachen eine mysteriöse, stoffliche Schwärze, die die Wondjinas mutieren läßt. Menschen drehen unter ihrem Ein fluß durch. Beth gelangt im Zuge ihrer Recherchen zu einem Hochhaus in der City, in dem sie das Zentrum der Veränderungen vermutet. Ein Kiefernwald auf der tasmanischen Insel entpuppt sich als zusammenhän gender, uralter Organismus. Ein Schöpferwesen wohnt darin, das die vom Vampirkeim befreiten Menschen, die sich mit Lilith treffen sollten, zu sich ruft, um sie außer Reichweite der entarteten Wondjinas zu bringen. Fast gleichzeitig trifft aber ein Abgesandter der Entarteten beim Wald ein und infiziert den Baum mit der magischen Seuche. Lilith beschließt, dem Hochhaus einen Besuch abzustatten. Dort begegnet sie den zu Traumzeit-Dämonen mutierten Schöpferwesen. Sie erfährt, daß alle Menschen im weiten Umkreis von jener Schwärze angezogen und vereinnahmt werden. Lilith sucht die Helfer auf, die das Haus ihr versprochen hat – und erkennt, daß auch sie von der Seuche infiziert wurden. Trotzdem erhält sie Hilfe: Sie entdeckt in den Resten des Kiefernwaldes einen Zweig, in den sich der sterben de Wondjina zurückzog, als die Seuche über ihn kam, und seinen Tod in der Pflanze konserviert hat. Sie nimmt den Zweig mit, als sie ein zweites Mal in das Hochhaus eindringt. Der konservierte Tod kommt über die Dämonen. Lilith flieht aus dem Gebäu de, doch ihr Symbiont hat Schaden genommen und verfällt in einen Traum, den Lilith direkt miterlebt: So erfährt sie, daß ihre Mutter Creanna von einer schwefeläugigen Vampirin, die den Lilienkelch gestohlen hatte, in fremdem Auftrag aufgezogen wurde und lange Zeit mit Landru liiert war! Damals verübte Creanna auf Befehl der Unbekannten (und mit Hilfe des Symbionten) einen Mordanschlag auf Landru, dem dieser aber entging. Später verliebte sich Creanna in den Schotten Sean Lancaster und flüchtete mit ihm nach Australien, um Lilith zu zeugen – und damit den Plan jener Unbekannten zu erfüllen.
Die Hauptpersonen des Romans Lilith Eden – Tochter eines Menschen und einer Vampirin, dazu gezeugt, eine geheimnisvolle Bestimmung zu erfüllen. Für 98 Jahre lag sie schlafend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist zu früh erwacht – die Zeit ist noch nicht reif. Sie muß gegen die Vampire kämpfen, die in ihr einen Ba stard sehen, bis sich ihre Bestimmung erfüllt. Dabei hilft ihr ein Symbiont. Der Symbiont – ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, obwohl es fast jede Form annehmen kann. Einst gehörte es Creanna und wurde von ihr an Lilith weitergereicht. Der Symbiont ernährt sich von schwarzem Vampirblut und verläßt seine Wirtin bis zu deren Tod nie mehr. Landru – Mächtigster der alten Vampire und der Mörder von Liliths Va ter. Seit 267 Jahren jagt er dem verlorenen Lilienkelch nach, dem Unheilig tum der Vampire, ohne den es keinen Nachwuchs geben kann. Landru scheint irgendeine Schuld auf sich geladen zu haben – welche, ist noch un klar. Jeff Warner – der Police Detective wurde von Polizeichef Virgil Codd – einer Dienerkreatur der Vampire – in den Garten des Hauses geschickt, wo Lilith erwachte und wo seither etliche Menschen spurlos verschwanden. Doch Warner kehrt zurück – verändert. Im Auftrag des Hauses befreit er Codd vom Vampirkeim. Beth MacKinsey – Journalistin bei einer Sydneyer Zeitung. Bei ihr fand Lilith Unterschlupf. Mittlerweile kennt Beth Liliths wahre Identität – und hat sich, gleichgeschlechtlich veranlagt, in die Halbvampirin verliebt. Die Dienerkreaturen – Tötet ein Vampir einen Menschen mit seinem Biß, wird dieser kein vollwertiger Blutsauger, sondern eine Kreatur, die dem Vampir bedingungslos gehorcht. Seinerseits kann eine Dienerkreatur den Vampirkeim nicht weitergeben, benötigt aber Blut zum (ewigen) Leben und wird – anders als die Ur-Vampire – mit zunehmendem Alter immer lichtempfindlicher.
Ronnie Fowler war Spezialist in Sachen Töten. Man heuerte ihn an, wenn Eigeninitiative nicht mehr fruchtete. Die Zahl derer, die er auf dem Gewissen hatte, war Legion – und dennoch hatte er keinerlei Problem, sein kindliches Gemüt zu bewahren. Er brachte ja keine Menschen um. Nur Ungeziefer mit mehr als zwei oder überhaupt keinen Beinen. Also, da differenzierte er schon. Wanzen, Kakerlaken, Flöhe, giftige Schlangen und Spinnen, Mäu se und sonstige Nager … das war okay. Das war legitim. Zur Zeit boomten Ratten. Und dieser aktuelle – um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch erste – Großauftrag versprach Ronnie den heiß ersehnten »warmen Regen«, mit dem er endlich seine maroden Finanzen aufmöbeln konnte. In Kürze würde er seiner Angie den scharfen, absolut unanständi gen Fummel und die geilen Klunker verpassen, auf die sie seit lan gem ein Auge geworfen hatte …! Ronnies Zunge leckte, während er den Satz Giftköder aus dem Koffer in den Tragesack umschichtete, schwelgerisch über die Lip pen. Er war schon zum zweitenmal hier. Beim ersten Mal war er von so einem nervösen Bürokratenheini herumgeführt und in seine Aufga be eingewiesen worden. Heute war es ein total irres Gefühl, mutterseelenallein in dem zwanzigstöckigen Hochhaus rumzulatschen, wo sonst kein Mensch mehr lebte. Oder noch nicht wieder. Wegen der Ratten. Irgendwas war passiert. Vor ‘n paar Tagen.
Ronnie Fowler griente, als er das zuunterst liegende Kleinkaliber gewehr herausnahm. Gift war ‘ne todsichere Sache. Zeitsparend, aber Massenvernichtung. Da kam kein echter Sportsgeist auf. Nee! Ronnie schniefte, weil der Rotz ihm schon den Mund reinlief. Hat te sich ‘nen Zug geholt. Vielleicht, weil er bei offenem Fenster auf Angie ins Schwitzen gekommen war …! Egal. Noch mal die Nase hochgezogen, und dann frisch ans Werk! Ron nie war nich’ nur cool, sondern auch verdammt helle. Das beschei nigten ihm alle seine Kumpels. Clever, wie er war, packte er die Sache systematisch an. Stockwerk für Stockwerk. Von oben nach unten. Ganz oben lag das abgefahrene Penthouse von irgend so ‘nem ver mißten Multi. Scheiße, hatte Ronnie Augen gemacht, als er die Bude zum erstenmal betreten hatte. Sofort war die Idee geboren, mal mit Angie hier vorbeizuschauen. Wenn die Viecher weg waren, die sich auch dort überall tummelten. Ganz praktisch, den Schlüssel zu jeder Wohnung in diesem Luxu sturm zu haben. Ronnie hätte seine Zeit nur damit verplempern können, durch die einzelnen Apartments zu spazieren und in dem zu stöbern, was zu rückgelassen worden war. Aber so was machte Ronnie nich’. Es gab schließlich so was wie ‘n Berufsethos. Mit dem Lift stürmte Ronnie den Gipfel des Gebirges aus Glas, Stahl und Beton. Als die Türflügel auseinanderglitten, klatschte der Kammerjäger voller Tatendrang in die Hände. Die Köder im Ruck sack raschelten, und die Gewehrmunition in der Hosentasche klim
perte wie eine Handvoll Kleingeld, als er aus der Kabine trat und ins Penthouse stiefelte. Noch bevor sich die Flügel wieder hinter ihm schlossen und ihm das bislang einzige Licht raubten, war Ronnie am Schalter und fabri zierte voll Power Festbeleuchtung! Die Menschen hatten ‘se rausgeholt, den Strom Gott sei Dank da gelassen. Ronnie schmiß erst mal einen Rundblick. Dufte Bude, das konnte man nur immer wieder sagen. Hier waren Geld und Geschmack erbarmungslos aufeinandergeprallt. Ronnie pflanzte den Giftsack auf die gläserne Tischplatte im Wohnbereich und legte auch das hinderliche Gewehr, das an einer Schlaufe um die Schulter hing, ab. Die Bar lachte ihn an. Mensch, Ronnie, rief sie ihm zu. Einen Kleinen zur Aufmunterung, da kann deine Berufsehre echt nix gegen haben …! Ronnie ließ sich breitschlagen. War schon ein etwas anderer Stoff als der Billigfusel, den er da heim durch die Kehle rinnen ließ. Warum hier alles stehen- und lie gengelassen worden war, wunderte ihn schon. Oha! dachte Ronnie, als er einen Fiepton hörte, der ihn an seinen Job erinnerte. Sehen konnte er keins von den flinken Biestern. Die waren nich’ blöd. Die hielten sich in Deckung und zogen sich ‘rein, was sie nur kriegen konnten! Und hier war einiges zu holen. Herrgott im Himmel, warum bin ich nich’ als Multi zur Welt ge kommen? dachte Ronnie. Unwillkürlich zog er eine seiner Ge schäftskarten aus der speckigen Arbeitshose und betrachtete sie mit
einer Mischung aus Stolz und Wehmut. RONALD FOWLER Ihr Profi(t) in Sachen Schädlingsbekämpfung Auf das in Klammern gesetzte »t« war er besonders stolz. Warum teure Werbefritzen für wirksame Slogans engagieren? Gut geklaut war billiger. Ronnie war schon ein gewieftes Kerlchen. Erstaunlicherweise hatte er den Mammutauftrag bekommen, ohne auch nur ein einziges sei ner schmucken Kärtchen zu verteilen. »Wir haben natürlich unsere Erkundigungen über Ihre Firma ein geholt«, hatte der Mann in Nadelstreifen ihm versichert. »Sie haben den besten Leumund. Schlagen Sie ein, und der Auftrag gehört Ih nen!« Und wie Ronnie eingeschlagen hatte! Obwohl er sich noch immer fragte, was sein Mund mit dem Job zu tun hatte. Er kehrte zu seinem Säckel zurück, klemmte die Flinte unter die Achselhöhle und begann die Giftköder über die strategisch güns tigsten Plätze des jeweiligen Raumes zu verteilen. Tja, da mußte man schon seinen Grips zusammennehmen. Ein biß chen hierhin, ein bißchen dorthin, das langte hinten und vorne nich’. Nich’ bei dem IQ, den die Ratten besaßen. Richtige Intelligenzbestien, dachte Ronnie, während er sich eins pfiff, um die Stille, die ihn wie eine erstarrte Kruste umgab, aufzu brechen. Nee, nich’ aus Bammel! Zwischendurch zerrte er ein gewaltiges Taschentuch aus der Hose, glättete den verklebten Stoff soweit, daß die Nase reinpaßte, und schneuzte sich mit hellem Trompetenstoß. Dann steckte er’s wieder
weg und wechselte den Raum. Egal, wohin er kam, überall paßte der Spruch: Nobel geht die Welt zugrunde …! Ronnie grinste und hob einen der Giftköder an den un verändert triefenden Riechkolben. Charmanter Duft! Ronnie wußte, daß es bei allem im Leben auf die Verpackung an kam. Auch beim Tod. Die Viecher hier würden die Köder als allergrößte Delikatesse empfinden. Erst wenn ihre Mägen zersetzt würden und die inneren Blutungen ihre Leiber wie unter Starkstrom zum Zucken brachten, würden sie ihren Irrtum – vielleicht – begreifen. Ronnie hielt nichts von all dem neumodischen Kram. Eingriffe in den Hormonhaushalt der grauen Nager und so. Dauerte alles zu lange. Ein Erfolg zeigte sich erst mit den nächsten Rattengeneratio nen. Hier ging das nich’. Hier war allerhöchste Eisenbahn angesagt. Als sein Rucksack fast leer und nur noch ein einziger Raum übrig war, blieb Ronnies Hand ausgestreckt über der Klinke schweben. Das Fiepen von jenseits der Tür stammte zweifelsfrei nicht aus ei ner einzelnen Kehle, sondern aus vielen. Und es klang – Ronnie wußte nicht, warum ihm ausgerechnet das eine solche Gänsehaut bescherte – entfernt wie … Babygeschrei. Aber die Gänsehaut ging, und ein erwartungsvoller Zug erhellte seine Miene. Er setzte den Sack ab und nahm das Kleinkaliberge wehr in die Hand. Ein bißchen Wildwest war nie verkehrt. Lockerte das öde Kö derausteilen ‘n bißchen auf. Und wenn die Geräusche nicht total täuschten, würde sich die Ballerei da drinnen lohnen …
Seine Hand senkte sich mit der Klinke, drückte die Tür mit genau berechnetem Schwung nach innen auf und setzte sofort zum Licht schalter nach. Klick! Blenden mußte man die Biester! Blenden und … Das Licht flammte auf. Grellweiß und gnadenlos bis in den letzten Winkel der Kammer reichend. Ronnie Fowler stand da wie angewurzelt. Ein heiserer Schrei, der ihm kaum bewußt wurde, quälte sich aus seiner Brust. Das Bild war einzigartig. Etwas Vergleichbares hatte er in seiner ganzen Laufbahn noch nicht gesehen, und es bannte ihn sekunden lang völlig. Auch die Ratten ließen sich nicht stören. Gut zwanzig derer, die hier zur Plage geworden waren, hatten sich ins Fell eines anderen, mindestens fünfmal so großen Tieres (Was ist das? dachte Ronnie) verbissen, als würden sie von ihm ge säugt. Dieses andere Tier war rattenähnlich, aber mit Gewißheit keine Ratte! Ronnie, obwohl durchaus bewandert, was Viehzeug anging, brauchte ungewöhnlich lange, bis er begriff, mit was er es zu tun hatte. Mit etwas, das hier auf dem Kontinent längst ausgerottet war und nur noch drüben bei den »Tassies« in den unter Naturschutz stehen den Regenwäldern zu finden war: Ein Tasmanischer Teufel …!? Ronnie schnaubte hörbar ob der grotesken Größe dieses Raubbeut
lers. Und nicht nur die Dimensionen des auf der Seite liegenden Tieres beunruhigten ihn. Auch die wie bösartige Geschwülste aus dem Fell tretenden Beulen … Was ihm aber buchstäblich die Spucke im Mund gefrieren ließ, war der fast menschliche Zug, der um die Schnauze des Tieres lag. Es hatte die Lefzen nach hinten gezogen und entblößte seine Zähne wie zu einem hämischen Grinsen. Der Kopf war leicht in Ronnies Richtung gedreht. Die beiden Augen ließen ihn nicht mehr los …. »Scheiße!« quetschte er durch die eigenen zusammengebissenen Zähne. Dann riß er das Gewehr hoch, legte an und schoß, ohne nachzu denken. Die in den prallen Leib des Tasmanischen Teufels einschlagende Kugel sprengte die makabre »Idylle«. Die Ratten stoben quiekend auseinander. Wo sich ihre Nagezähne aus dem schwarzglänzenden Fell des Teufels lösten, sickerte jeweils ein einzelner, dunkler, zähflüssiger Tropfen nach. Nur dort, wo sich Ratten direkt in die Schwellungen der Lymphknoten verbissen hatten, dauerte es länger, bis sich die Wunden schlossen. Was Ronnie Fowler, den Profi, aber dazu veranlaßte, umgehend nachzuladen und einen weiteren bleiernen Gruß in den Tasmani schen Teufel zu schicken, war dessen geradezu unheilschwangere Teilnahmslosigkeit, mit der er den ersten – und nun auch den zwei ten – Volltreffer quittierte. Der Blick des Tieres hatte sich voller Heimtücke an Ronnies Augen festgesogen. In diesem Blick lag kein Vorbote des Sterbens.
Nicht einmal von Schmerz. Und dort, wo die Kugeln das Fell zerfetzt hatten, sickerte nicht einmal ein Tropfen Blut … Ronnie Fowler stand immer noch erstarrt in der offenen Tür. Die Ratten waren in Panik verschwunden. Und Ronnie hatte gute Lust, es ihnen nachzumachen! Statt dessen lud er erneut durch. Er konnte den Wahnsinn nicht so stehenlassen. Er hätte nie wieder Schlaf gefunden, wenn er jetzt einfach abgehauen wäre und dieses dralle, hundgroße Monstrum lebend hier zurückgelassen hätte … Nee, Ronnie hatte nich’ nur Grips, sondern auch Mumm! Alle seine Kumpels konnten das – Der Gedanke brach ab. Ronnie hatte einen Schritt in den hellen Raum gemacht und er kannte zu spät, daß schlaflose Nächte immer noch dem vorzuziehen gewesen wären, was ihn hier erwartete. Von oben fiel etwas auf ihn herab und verhedderte sich augen blicklich in seinem dichten Haar. Ronnie wußte sofort, daß es eine der Ratten war. Er realisierte nur nicht gleich, von wo sie auf ihn herabgesprungen war. Ohne das Gewehr aus der Hand zu geben und ohne sich an der Gegenwehr des Biestes zu stören, griff er mit der freien Hand zu. Er bekam das häßliche, schrill fiepende Tier irgendwo am Hinterleib zu packen, ignorierte den brennenden Scherz, der ihn, von Krallen und Zähnen geschlagen, durchgreife. Die tollwütige Angriffslust der Ratte ließ erst nach, als Ronnie aus holte und sie mit dem Genick gegen die Innenkante des Türrahmens schmetterte. Wenigstens diese Biester wußten noch zu sterben …!
Womit Ronnies Augen zu seinem eigentlichen Problem zurückfan den. Der Tasmanische Teufel lag nicht mehr, er kauerte nun auf Vor der- und Hinterläufen. Sprungbereit. Ronnie verschoß seine dritte Kugel – und hatte dann keine Zeit mehr nachzuladen. Von oben kam ein Fiepen. Alarmiert glitt sein Blick kurz von dem krötenhaft lauernden Mon strum weg und zur Decke. Es war der Moment, als er endgültig begriff, daß er gegen diesen Gegner nicht den Hauch einer Chance hatte. Er sah zum erstenmal Ratten, die wie Fledermäuse mit den Krallen zur Decke hingen und dort herumflitzten wie auf dem blanken Bo den! Er sah zum erstenmal etwas, mit dem sein Grips nicht fertig wur de. Nicht einmal ansatzweise. Und dann setzte der tödliche Hagel ein. Es regnete Ratten. Jene, die sich zuvor an dem riesigen Tasmanischen Teufel gütlich gehalten hatten, bohrten jetzt ihre Beißer in Ronnies Fell! Schnappten zu und tranken sein Blut. Bissen ihm in den Hals und durch die Kleider. Er schlug wild um sich, versuchte sie mit dem Gewehrkolben zu treffen. Aber sie verschonten auch nicht sein Gesicht. Wahnsinn lo derte wie eine Fackel in Ronnies Hirn, als die Schnauzen zweier Rat ten fast gleichzeitig in seine Augenhöhlen stießen und – Es war der häßlichste Schmerz, den er je bei Bewußtsein erlebt hat te.
Er hörte das Schmatzen der gierigen Meute und spürte das Blut, das aus seinen blinden Augen schoß. Ronnie Fowler taumelte zu Boden. Selbst blind wurde er das Bild des kauernden Teufels nicht los, der ihn anstarrte … anstarrte … an starrte … Und doch nicht sprang. Als ob Ronnie ihm zu unwichtig wäre. Oder als ob er seinen »Kindern« etwas »Spaß« gönnen wollte. Und, zur Hölle, den hatten sie! Ronnie … weniger.
* ES IST NOCH NICHT VORBEI! Der Spiegel war unbestechlich. Seit Tagen trotzte die aschfarbene Schrift, die darauf zu lesen war, hartnäckig jedem Versuch, sie weg zuwischen. »Nein«, murmelte Lilith Eden, die sich selbst nur als verschwom menen Schemen in diesem Spiegel wahrnahm. »Es ist noch nicht vorbei. Und vielleicht wird es das nie sein …« Sie fühlte sich wie durch den Wolf gedreht und litt immer noch unter den Nachwehen jenes Traumes, den der Symbiont ihr aufge zwungen hatte. Sie war von Erinnerungen überschwemmt worden, die das leben de Kleid von jenem »Wirt« gespeichert hatte, der es vor Lilith getra gen hatte: Creanna! Im Zeitraffer hatte Lilith die 169 Jahre dauernde Existenz ihrer Mutter »nacherlebt«. Man konnte auch sagen, sie war Creanna gewe
sen, denn sie hatte noch die kleinste Emotion gespürt, wie etwas, das ihr selbst widerfahren war.* Nun wußte sie, wie ein reinblütiger Vampir bei seiner Jagd auf Menschen fühlte. Wie er die Sterblichen geringschätzte. Wie er sie zum bloßen Stillen seines Durstes mißbrauchte. Wie er sie danach tötete oder zu Dienern degradierte … Theoretisch hatte Lilith all dies schon vorher gewußt. Aber für be grenzte Zeit in die Haut eines anderen zu schlüpfen war etwas völ lig anderes. Im nachhinein überwog dennoch das Mitleid für ihre Mutter. Li lith konnte sie nicht für ihre Taten verdammen, denn zu offensicht lich war geworden, daß Creanna – wie im Grunde alle Angehörigen der Alten Rasse – ein Werkzeug war. Ein Instrument des Kelchs, den eine immer noch namenlose Vampirin vor 267 Jahren stahl. Und auch der Kelch schien Werkzeug einer höheren Macht zu sein. Einer Kraft, als deren Tochter sich Creanna zuletzt gefühlt hatte … Der Lilienkelch zeugte Vampire, indem er Menschenkindern wäh rend eines dunklen Rituals schwarzes Vampirblut einflößte. Diese Kinder starben bei der Zeremonie – und erstanden, reanimiert durch den Kelch, als Träger des Keims wieder auf! Ein Vampir, auch das hatte Lilith als »Creanna« erfahren, reifte dann binnen weniger Wochen und Monate zu der Gestalt, die er für den Rest seines Daseins verkörperte. Blut half ihm, Jugend – mitun ter auch Schönheit – zu bewahren. Lediglich längere »Abstinenz«, ob freiwillige oder auferzwungene, ließ den relativ unsterblichen Körper altern. Dies war bei Lilith anders gewesen. Als Zwitterwesen, halb Mensch, halb Vampir, war sie über einen Zeitraum von 98 Jahren langsam zu einer jungen Frau gereift; optisch wirkte sie wie knapp
*siehe Vampira 15: »Ich, Creanna«
zwanzig. Offenbar speicherte der Symbiont, den Lilith seit ihrem Erwachen am Leib trug, das Wissen und die Erinnerungen seines »Wirtes«, auch Liliths sämtliche Gedanken seit ihrer Geburt bis zu diesem Au genblick! Was war das Geheimnis des Symbionten? Woher kam er? Wie viele Träger hatte er über wie viele Jahrhunderte bereits be sessen? Lilith trat vom Spiegel zurück und verdrängte die fruchtlosen Ge dankenspiele. Der Symbiont hatte seine »redselige Ader« nur einmal kurz aufblitzen lassen – erstaunlicherweise just während ihrer ersten Kontaktaufnahme zu Esben Storm. Der Aboriginal, der – wie Beth ihr berichtet hatte – auch die Mah nung am Spiegel hinterlassen hatte, war ein undurchsichtiger Cha rakter. Dieses ES IST NOCH NICHT VORBEI! paßte zu ihm. Storm war »niemandes Freund« – verpflichtet höchstens seinen Wondjinas, in deren Kosmos er eingebunden war wie kaum noch ein zweiter Aboriginal … Auch diesen Gedankenstreifzug beendete Lilith abrupt. Es gab so viel anderes, was sie aufwühlte, seit fremdes Leben wie eine Sturmflut über sie hinweggebraust war. Landru, zum Beispiel. Seit Nepal – und abgesehen von diesem »Traum« – war sie ihm nicht mehr persönlich begegnet. Dennoch stand für sie fest, daß er den Untergang der Tempel ebenso überlebt hatte wie sie selbst.* Landru würde nicht banal unter irgendwelchen Trümmern ster
*siehe Vampira 6-8
ben. Landru barg mehr Geheimnisse als jeder andere Vampir, den Li lith kannte – jene »schwefeläugige Kelchdiebin« einmal ausgeschlos sen. Was war das für ein seltsames Gelübde, das er sich auferlegt und von dem sie erstmals in der Erinnerungssequenz erfahren hatte? Daß es immer noch Bestand hatte und er sich unverändert als »Verdammter« fühlte, wußte sie seit Nepal. Dort hatte sie seine Op fer gesehen. Mit denselben Wunden, wie er sie in Creannas Beisein geschlagen hatte, um »auf Umwegen« aus ihnen zu trinken und nicht, wie bei Vampiren üblich, mit Hilfe der Eckzähne … Das Telefon schlug an. Lilith wartete, bis sich der Anrufbeantworter zugeschaltet und das Gerät seinen Spruch abgespult hatte. Erst als sich Beth’ Stimme mel dete, hob Lilith ab. »Du wolltest doch wissen, sobald sich etwas in der Stadt tut … Du weißt schon, was ich meine«, fiel Beth gleich mit der Tür ins Haus. Lilith stellte keine Fragen. Sie hatte Beth gebeten, Indizien dafür zu sammeln, daß das unheil volle Wirken der entarteten Wondjinas immer noch anhielt – ob wohl Sydney äußerlich wieder das Bild einer blühenden Weltstadt vermittelte. Storms Warnung war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Lilith hatte die Market Street aufgesucht und nur die unbewohnte Brandruine von Storms ehemaligem Laden vorgefunden. Eine Mög lichkeit, mit dem Aboriginal in Kontakt zu treten, bestand also nicht. »Nach inoffiziellen Informationen, denen wir gerade nachgehen«, fuhr Beth fort, »soll es im Marillion-Tower erneut zu einem Zwi schenfall gekommen sein …«
Mit »wir« meinte Beth die Zeitung, bei der sie arbeitete, den Syd ney Morning Herald. »Welcher Art?« fragte Lilith. Allein die Nennung des Hochhauses, in dem sie den TraumzeitDämonen begegnet war, machte sie nervös. »Ein Mensch wurde getötet.« »Ich dachte, der Tower wäre evakuiert?« wunderte sie sich. »Sag test du mir nicht gestern noch …?« »Er ist evakuiert. Der Mann wohnte nicht dort. Er hatte lediglich den Auftrag, das Hochhaus von ungebetenen Bewohnern zu säu bern …« »Obdachlose?« »Ratten«, verneinte Beth ernst. »Wie man hört, soll es im Marillion von den Biestern nur so wimmeln …« »Und wie starb der Mann?« »Ratten«, wiederholte Beth dunkel.
* Hendriks streckte den Kopf herein. »Bleibt es bei heute abend? Du weißt schon, meine Revanche …« Ohne aufzusehen, machte Clarence Hotstepper eine Geste, die zu gleich Verneinung und Bedauern demonstrieren sollte. »Sorry, aber Cindy ist in der Stadt. Sie hat vorhin angerufen. Du weißt schon … Verschieben wir unser Tennismatch auf ein andermal.« Hendriks grinste. »Kein Problem.« Und weg war er. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, war Dr. Hotstepper wie
der allein mit seinem Klienten. Auch nach hundert behördlich angeordneten Obduktionen hatte der Tod für Hotstepper noch etwas Ehrfurchtgebietendes. Der junge Pathologe haßte Klischees und Witze über seinen Berufsstand. Einen im Angesicht einer Leiche schlemmenden oder Witze reißenden Kolle gen hatte er persönlich noch nicht erlebt. Er hielt es auch für un denkbar. Das Öffnen eines Körpers, aus dem Leben und Seele (ja, er glaubte an die Eigenständigkeit einer solchen, auch wenn es im täglichen Umgang mit der menschlichen Reduktion auf pures Fleisch, Blut und Knochen manchmal schwerfiel) gewichen waren, war kein Akt, der Freude aufkommen ließ. Hotstepper rechtfertigte sein Tun einzig vom kriminalistischen Aspekt aus. Menschen, die ihm »unterkamen«, waren aus nicht ganz offenliegenden Gründen gestorben. Wie hier. Der Mann, etwa in Hotsteppers Alter, hieß Ronald Fowler. Dort, wo man ihn gefunden hatte, gab es ein Höllenheer an Ratten, und die Spuren, die sein verstümmelter Leichnam aufwies, konnten gut und gerne von Ratten rühren. Um dies aber genau herauszufinden, war die Autopsie angeordnet worden. Es war Hotsteppers zweiter Klient an diesem Tag – und zugleich der übelste Fall, der ihm in seiner ganzen Laufbahn begegnet war! Unter menschlichen Mördern gab es mitunter Wahnsinnige, die ihre Opfer zerstückelten. Manche aßen sogar aus pseudoreligiösen Gründen davon. Aber das alles war nicht vergleichbar mit den Spu ren, die mehr als ein Dutzend kleiner Gebisse an einem Menschen zurücklassen konnten … Es schien keine Stelle an Ronald Fowlers Körper zu geben, wo kein
Fleisch oder keine Haut herausgerissen war. Aber überall nur kleine Stücke, in wenigen Gramm aufzuwiegen. Soweit Hotstepper wußte, hatte man Fowler nur anhand des Um stands identifiziert, daß sich zum Todeszeitpunkt außer ihm nie mand am Fundort der Leiche hatte aufhalten können. Momentan suchte die Polizei fieberhaft nach Angehörigen oder Freunden, die letzte Zweifel an der Identität beseitigen konnten. Offenbar war dies aber nicht so einfach. Hotstepper indes machte sich auf die »innere Spurensuche«. Rou tiniert, aber nicht unbeteiligt durchtrennte er, was immer noch Zu sammenhalt besaß. Als er den Brustraum öffnete, stutzte er. Der entgegenströmende Geruch war derselbe wie immer, aber das Geräusch, mit dem die Gase entwichen, war anders … Hotstepper hielt inne. Er starrte in die klaffende Wunde, die er herbeigeführt hatte, und in diesem Moment wiederholte sich der hohe Ton, der ihn gerade ir ritiert hatte, noch einmal! Hotstepper starrte auf die blitzende Skalpellklinge, als läge dort die Antwort auf seine unausgesprochene Frage. Was war das? Dann ging alles ganz schnell. In der Leichenöffnung tauchte ein Kopf auf. Eine häßliche, dunkle, mit abgespreizten, feuchtglänzenden Haa ren versehene Schnauze, die … Hotstepper sprang zurück. Aber die Ratte war schneller. Sie schnellte fiepend aus dem Brust korb des Toten, sprang hoch und verbiß sich ungeachtet der Klinge in Hotsteppers Handrücken. Die Latexhandschuhe boten keinen Widerstand, und der perplexe
Pathologe nahm die Ratte in seiner Rückwärtsbewegung mit. Von Ekel überwältigt, schlug Hotstepper mit der anderen Hand nach dem Tier. Es war ein seltsames Gefühl zu spüren, wie der Schlag die Zähne der Ratte noch tiefer in seine Hand trieb. Der Schmerz hielt sich durch den Schock in Grenzen. Aber der Vorgang hatte etwas dermaßen Abstoßendes, daß der promovierte Mediziner Mühe hatte, seine Gefühle im Zaum zu halten. Gewaltsam mahnte er sich zu verstandgeleiteten Maßnahmen. Das Skalpell wechselte in die »rattenfreie« Hand. Und dann stach er zu. Von unten in die Kehle des Tieres. Die Ratte war zäh. Im Sterben besudelte sie Hotstepper mit ihrem eigenen schwärzlich schillernden Blut, und auch als sie endlich tot war, mußte Hotstepper ihr erst die Kiefer brechen, um die Zähne, die einen Mittelhandknochen umschlossen, lösen und die Ratte ent fernen zu können. Das tat wirklich weh. Angewidert warf Hotstepper den Kadaver in den Abfallschacht. Immer noch völlig geschockt und unter dem Eindruck des Gesche hens stehend, säuberte und desinfizierte er gründlich seine Wunde und injizierte sich, um völlig sicherzugehen, auch noch eine Toll wutprophylaxe. Erst danach kehrte er zu Fowlers Leichnam zurück. Er zitterte, und seine Schnitte kamen keineswegs so präzise wie üblich. Aber er wollte es nun genau wissen. Er wollte sehen, wo die Ratte sich viele Stunden lang unsichtbar verborgen gehalten und so gar geraume Zeit in einem der Kühlfächer überstanden hatte … Die Spuren, die Hotstepper in der Leiche fand, bestätigten, daß das Tier, das vermutlich zu Fowlers Mördern gehörte, sich seinen Weg durch den Rachenraum ins Innere gefressen hatte. Statt der Speiseröhre führte ein regelrechter »Schacht« in den Rumpf bis hin
ab in den Bauchraum, wo das wenig possierliche Tierchen in den Eingeweiden gewühlt hatte. Clarence Hotstepper beendete seine Arbeit mit der ihm eigenen Akribie, und das, obwohl an den Ratten als Verursacher von Fow lers Tod kein Zweifel mehr bestand. Ebenso penibel diktierte der Pathologe im Anschluß sein Gutach ten. Die Schmerzen in seiner Hand waren bereits am Abklingen, und auch das Loch in seinem Nervenkostüm schien weitestgehend verheilt. Cindy würde keine Mühe haben, ihn mit ihren offensichtlichen Reizen vollends auf andere Gedanken zu bringen. Sie besaß nicht nur die Gabe, sich rar zu machen, sondern auch die, jedes ihrer sporadischen Rendezvous unvergeßlich zu gestalten. Daran, daß dieser Abend Hotstepper bis ans Ende seiner Tage ver folgen würde, sollte ihr Anteil allerdings verschwindend gering bleiben. Zumal dieses Ende möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft lag …
* 333, Paddington Street Hier hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Genaugenommen schon vor 98 Jahren. Damals hatte Creanna Haus und Grundstück magisch präpariert. Sie hatte Siegel errichtet, um den Angehörigen ihrer eigenen Rasse den Zutritt zu verwehren.
Liliths Wiege sollte sicher sein. Vampirsicher. Es hatte funktioniert. 98 Jahre lang. Dann aber – zwei Jahre vor dem geplanten Ende ihres Schlafs – war Lilith geweckt worden und hatte selbst die Siegel durchschritten. Die Umstände waren bekannt.* Und inzwischen hatte sich Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen gefügt, so daß es kaum noch Zweifel gab, daß die Magie, die Crean na damals in Grund und Boden eingewoben hatte, letztlich zur Ent artung des ersten Wondjinas geführt hatte. Dessen Schöpfungsfunke und die Kraft, die das HAUS behüten sollte, hatten sich nicht miteinander vertragen. Erstmals fragte sich Lilith, während sie den Boden des Anwesens betrat, ob nicht auch das, was fast ein Jahrhundert als sicherer Hort fungiert hatte, entartet war. Sie erinnerte sich gut an das alptraumhafte Gesicht, mit dem das HAUS sie bei ihrem letzten Besuch empfangen hatte. Wie ein mons tröses, hohles Wurzelgeflecht hatte es ausgesehen. Und hatte sich nicht im Zentrum des Grundstücks zeitweise ein Baum erhoben, des sen Früchte den Dienerkreaturen ihre Menschlichkeit zurückgaben …? Lilith dachte ungern an diese Episode zurück. Sie hatte nie Be dienstete gewollt, aber das HAUS hatte anders entschieden. Die Ereignisse beim Urbaum auf Tasmanien hatten Liliths Zwie spalt dann radikal und nicht eben human gelöst. Seitdem gab es keine potentiellen Diener mehr. Der von einem Wondjina-Dämon übernommene Urbaum hatte die Menschen, die dort auf Lilith gewartet hatten, für seine dunklen Zwecke einge spannt. Die gestellte Falle wäre Lilith beinahe zum Verhängnis ge
*siehe Vampira 1: »Das Erwachen«
worden. Nein, es gab keine Diener mehr, und ihr grauste beim bloßen Ge danken, das HAUS könnte seinen Versuch wiederholen. Das HAUS … Hier war kein Haus mehr. Bulldozer hatten das Gebäude dem Erdboden gleichgemacht, es abgetragen und untergepflügt. Auch von der Vegetation war nichts mehr übriggeblieben. Das Grundstück war kahl und von der Sonne verdorrt. Hier wuchs nichts mehr. Der Anblick gab Lilith das dumpfe Gefühl, nun auch den letzten festen Bezugspunkt ihres Lebens verloren zu haben – den einzigen Ort, den sie guten Gewissens als Zuhause hatte bezeichnen können. Die Wohnung, die sie mit »Macbeth« teilte, war etwas anderes. Et was … Geliehenes. Lilith hatte nie den Eindruck, das dieser Ort etwas Dauerhaftes sein könnte. Und ihre Freundschaft zu Beth …? Das mußte die Zeit weisen. Der Nachthimmel war sternenklar. Lilith sah jedes Detail wie bei Tag – nur gab es sehr wenig »Details«. Sie schlenderte bis in die Mitte des Anwesens und wartete. Sie wäre sich dumm vorgekommen, nach dem HAUS zu rufen. Wenn davon noch etwas tief unter der Erde schlummerte, würde es ihre Ankunft spüren. Und wenn es Lilith begegnen wollte, würde es Jeff Warner schicken oder andere Wege der Kommunikation wählen. Wie stets, wenn sie hierher zurückkehrte, fürchtete Lilith auch, daß die Macht, die hier wohnte, es sich anders überlegt hatte und sie doch wieder in ihren »Schoß« zwingen wollte. Um die versäumten
zwei Jahre magischen Schlafes nachzuholen. Um Lilith auf ihre Bestimmung vorzubereiten. Was immer dies – über das Töten von Vampiren hinaus – sein mochte … Siebeneinhalb von vierundzwanzig Monaten waren inzwischen verstrichen, und Lilith wußte immer noch nicht, ob die Zeit nach Verlassen ihrer Wiege fortgezählt wurde – oder ob sie einfach unter brochen war. Sie glaubte und fürchtete ersteres. Fürchtete – weil sie sich unter ihrer Bestimmung nichts vorzustellen vermochte, was ihr Vorteile brachte. Bestimmung, das klang nach einer noch schwereren Bürde als die, die sie bereits jetzt zu tragen hatte. »Du entwickelst dich prächtig … Kompliment!« Sie versuchte ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Tatsächlich war sie nicht wirklich überrascht, die Stimme hinter sich zu hören. Langsam drehte sie sich um. Und erschrak dann doch sichtbar. Bei der Arche, was ist aus ihm geworden? Jeff Warner erhob sich wie eine aus schwarzem Ebenholz ge schnitzte Skulptur aus dem Boden des Grundstücks. Nackt. Und von unnahbarer Attraktivität. Seine Haut wirkte glattpoliert, und das Gesicht, das ebenso beweglich war wie der Rest, hatte etwas von einem Homunkulus – einem künstlich geschaffenen Menschen. »Warum tut es dir das an …?« rann es über Liliths Lippen. Sie war ehrlich bestürzt. Bei ihrer letzten Begegnung hatte Warner schon eine Aura besessen, die seine Normalsterblichkeit in Frage stellte. Nun schien es damit völlig vorbei. Er wirkte wie ein bedau ernswertes Geschöpf, an dem fortwährend Experimente getätigt
wurden. »Ich weiß es nicht«, antwortete Warner in einem Ton, als wüßte er vor allen Dingen nicht, warum Lilith so betroffen reagierte. »Viel leicht soll es dich erinnern, daß es noch nicht vorbei ist …!« Sie fröstelte plötzlich. »Redest du von den Wondjinas?« Jeff Warner ging gar nicht erst auf ihre Frage ein. »Du warst in Llandrinwyth«, wechselte er das Thema. »Du hast Creannas Leben erträumt. Und bald wirst du ersten Lohn für deine Mühen ernten. Du wirst den Kelch finden – oder der Kelch dich. Und dann …« »Zur Hölle mit dir!« unterbrach sie ihn. »Wenn du jeden meiner Schritte verfolgst und kennst, wenn du weißt, was ich weiß …. warum sagst du mir nicht vorher, was mich erwartet? Warum muß ich mir erst erkämpfen, was meiner … meiner Schöpferin längst be kannt ist? Am Ende weiß sie sogar, wo der Kelch steckt, und schickt mich trotzdem auf die Suche … Verdammt …!« Sie wandte sich zum Gehen. Warners regelrecht warmes Lachen stoppte sie. Verändert stand er da. »Vielleicht habe ich mich etwas hölzern ausgedrückt.« Er blickte entschuldigend an sich herab. »Sie liebt solche Scherze …« Lilith starrte ihn an. Er war immer noch nackt. Aber er wirkte nun sehr lebendig. Sehr echt. Und sehr, sehr männlich. »Verdammt, wer ist sie?« »Ich weiß es nicht.« Es klang nach Wahrheit. Natürlich, dachte Lilith. Sie benutzt ihn ebenso wie mich. Er weiß nur,
was er wissen darf. Frustrierend. »Ich brauche also nicht mehr zu berichten, was ich erlebt habe?« fragte sie rhetorisch. »Nein.« »Dann sag mir, was noch nicht vorbei ist!« »Etwas, das die Wondjinas auslösten, ist immer noch in Umlauf. Sieh dich vor. Es könnte sein …« Er legte eine Sprechpause ein, und sein Lächeln wechselte von warm zu bizarr. Lilith war total fasziniert. Sie konnte nicht unterdrücken, daß sie sich in diesem Moment wünschte, von diesem Körper genommen zu werden. »Es – könnte sein …?« Warners Lächeln erstarb. Und mit ihm jedes düster-erotische Cha risma. »… daß es dich sucht.«
* Sydney-Chinatown, Entertainment Center Der alte Hoskins ließ erleichtert den Schlagstock sinken. Sein Ge sicht war von Runzeln übersät wie der Hals einer Schildkröte. »Ah, Benny, fast hätte ich …!« Er verstummte. In seinen nächsten Sätzen schwang zunächst un überhörbar Verunsicherung mit, dann offenes Mißtrauen. »Was treibst du noch so spät hier im Fundus? Was könnte so wichtig sein, daß es nicht bis morgen früh Zeit hätte …?« Das Unverständnis des alten Hoskins wuchs mit jedem Wort, das über die trockenen Lip
pen kam. Benny Ong war in seiner Bewegung versteinert, als Hoskins die Tür zur Kammer aufgerissen hatte – und seither nicht mehr aus die ser Erstarrung erwacht. Hoskins wußte, daß ihm niemand mehr allzugroße Wachsamkeit zutraute – sein Ruhestand war längst überfällig, aber offenbar brachte es Wing Wah Chang, der Besitzer des Theaters, nicht übers Herz, ihm die Papiere auszuhändigen. Sam Hoskins war eine Insti tution. Er hatte schon unter Changs Vater »gedient« und die ersten bescheidenen Anfänge, des Theaters, das heute in ein riesiges Ver gnügungszentrum eingebunden war, mitbegleitet. Benny Ong aber war ein blutjunger Schauspieler, der hier sein ers tes Engagement erhalten hatte. Hoskins hatte ihn ein paarmal bei Auftritten beobachtet, von einem Platz aus, der noch über der höchsten Zuschauergalerie lag: seine ganz persönliche »Loge«. Benny war begabt. Vielleicht der begabteste Anfänger, den Hos kins je auf dieser Bühne gesehen hatte. Aber zugleich hatte Benny eine Ausstrahlung, die man auf diese oder jene Weise deuten konn te. Hoskins wertete sie als unstillbaren Erlebnisdrang. Benny Ong kam ihm vor wie ein Streichholz, das an beiden Enden zugleich ange zündet worden war und entsprechend schnell abbrannte. Das konnte nicht gutgehen. Dieser Junge hatte bei allem Talent keine Zukunft! Hoskins hütete sich, solche Urteile in der Öffentlichkeit zu fällen. Sich selbst gegenüber erlegte er sich jedoch keinen Maulkorb auf. »Was ist?« drängte er mit deutlicher Ungeduld. »Was tust du hier? Nachts hat hier niemand etwas verloren. Nicht mal ich …« »Dann verpiß dich doch, Alter, zur Hölle!« Hoskins war im ersten Moment völlig baff. Seine Faust ballte sich um den Knüppel, der so alt war wie sein Job hier. Die Knöchel tra
ten weiß unter der blassen Haut hervor. Er atmete einmal tief ein und aus. Dann bat er: »Sag das noch mal, du räudiger Straßenköter, und ich ziehe dir einen Scheitel über deinen arroganten Schädel, den du dir nie wieder rauskämmst!« Der alte Hoskins war im allgemeinen eine Seele von einem Men schen – solange man ihn nicht provozierte. Benny Ong hätte es sich spätestens jetzt eine Lehre sein lassen sol len. Aber er grinste nur leer. »Raus!« Hoskins streckte den Arm mit dem Schlagstock nach dem jungen Chinesen aus. »Verschwinde, oder die Sache wird ein Nach spiel haben!« Benny Ong trat einen Schritt auf ihn zu. Erst jetzt sah Hoskins, daß sein dichtes schwarzes Haar im Nacken dunkel verklebt und ver krustet war. Ein kurzes Zittern ging wie ein Beben durch den Körper des alten Mannes. Er wollte es zunächst nicht wahrhaben, aber er fürchtete sich vor diesem Jungen. Er fürchtete sich! Zeit, den miesbezahlten Job selbst an den Nagel zu hängen, dachte er. »Wir sollten reden«, sagte Benny Ong unvermittelt. Dabei machte er eine beschwichtigende Geste mit beiden Händen. »Reden?« echote Hoskins. »Magst du die Nacht, Alterchen?« »Die Nacht …?« Benny Ong feixte, und es wurde offensichtlich, daß er Hoskins eine Rolle vorspielte. Verdammt, dachte der alte Mann, was soll das? »Ich liebe, ich vergöttere sie. Sie hat heute zu mir gesprochen«,
sagte der Halbwüchsige und machte den nächsten Schritt auf Hos kins zu. »Ich lag in meinem Bett und schlief, als sie mich weckte …« »Wer?« unterbrach Hoskins ihn kratzig. »Die Nacht? Hör auf, mich zu verscheißern, du kleiner Bastard, oder es wird dir schlecht bekommen!« »Die Nacht hatte kleine, samtene, zärtliche Pfoten.« Benny redete sich in glühenden Eifer. »Sie trippelte über meinen schlafenden Kör per und küßte mich wach. Danach mußte ich hierher kommen, ver stehst du, Alterchen? Wir müssen ihr helfen. Sie mag nicht länger nur nachts Nacht sein. Sie sehnt sich nach des Tages Wärme. Nach dem streunenden Leben. Dem –« »Halt’s Maul!« keuchte Hoskins. »Ich sag’s nicht noch einmal: Ver schwinde!« Benny Ong machte den nächsten Schritt und stieß mit der Brust gegen das stumpfe Ende des Schlagstocks. Hoskins dachte nicht daran, ihn zu senken. Aber erneut pflanzte sich ein Zittern durch seinen Körper fort. »Was willst du?« keuchte er. Hinter Benny raschelte etwas zwischen den unzähligen Kostümen, die ordentlich aufgereiht an ihren Haken auf den nächsten Einsatz warteten. Die Luft roch muffig und irgendwie auch süßlich nach Urin und Kot. »Du könntest uns helfen, statt uns aufzuhalten«, schlug Benny in fast beiläufigem Ton vor. »Uns?« Er nickte. »Sie rücken mir nicht mehr von der Pelle. Soll ich euch miteinander bekannt machen?« Der alte Hoskins war plötzlich überzeugt, daß der junge Ong un ter Drogen stand. Vollgekifft bis zur Halskrause.
Und damit gefährlich. Trotz des Knüppels in seiner Hand wollte Hoskins plötzlich kein Risiko mehr eingehen. Eine Gänsehaut stellte ihm die Haare überall am Körper auf. Wieder raschelte es. Hoskins’ Augen fanden keinen Verursacher. »Danke«, bemühte er sich um Beherrschung. »Ich dreh’ lieber wei ter meine Runde. Mach das Licht aus, wenn du gehst, Junge.« Er zog den Stock zurück und tippte sich damit gegen den Schirm seiner Mütze. »Bis morgen …« Als er sich umdrehte, stand Benny immer noch lächelnd da. »Du willst sie nicht kennenlernen …?« Die Enttäuschung, die mitklang, war so absurd wie das ganze Schmierentheater. Hoskins spürte etwas, das sich so kalt um sein Herz krallte wie seine Faust um den Knüppel. Noch ehe er die Tür durchschritt, blickte er über die Schulter zurück. Schaudernd sah er, wie Benny lässig hinter sich griff und etwas von seinem Rücken pflückte, was die ganze Zeit schon dagewesen sein mußte. Eine Ratte. Eine junge, faustgroße Ratte, deren Augen so gespenstisch glom men wie die von Benny. Sie ließ sich dessen Griff im Genick ebenso stumm gefallen wie das Kraulen ihres weichen Bauchs. »Das ist Rae. Sie ist ein Weibchen. Ich glaube, ich habe mich ver liebt in sie …« Hoskins spürte ein Brennen in der Brust. Die Rättin zeigte blutverschmierte Zähne. »Es sind noch mehr Weibchen da«, sagte Benny. »Du hast freie Auswahl …«
Sam Hoskins taumelte aus der Tür. Er warf sie hinter sich zu und stützte sich kurz daran ab. Gedämpft drang Bennys Stimme zu ihm vor, als würde der Junge weiter mit »Rae« erzählen. Hoskins versuchte sich zu beruhigen. Er hatte noch nie Probleme mit dem Herzen gehabt, aber nun meldete es sich plötzlich, und ihm wurde schwindelig. Dieser kleine schlitzäugige Bastard …! Es war eine nie zuvor verspürte rassistische Anwandlung, die den alten Hoskins beschlich. Er schämte sich vor dem eigenen Gedan ken. Aber dann schämte er sich vor gar nichts mehr. Denn er sah, daß er auch hier auf dem matt erhellten Korridor, der weiter vorn zu den Garderoben abzweigte, nicht mehr länger allein war. Sie kamen aus beiden Richtungen. Aus ihren Kehlen drang aggressives, peitschendes Fauchen; aus manchen der offenen Mäuler tropfte zäher Schleim. Und auf dem Boden rückte ein unaufhörlicher Strom kleiner graubepelzter Leiber nach … Der alte Hoskins riß die Augen auf. Das Bild war in erster Linie phantastisch. Erst in zweiter Linie schürte es die Angst und das Brennen, das drinnen im Fundusraum begonnen hatte. Sam Hoskins stand wie festgenagelt. Die »rattenfreie« Lücke, in der er stand, schrumpfte von Sekunde zu Sekunde mehr in sich zusammen. Bis zu den Korridorenden rechts und links erstreckte sich der lebende Teppich. Das Band in Hoskins’ Brust zog sich mit jedem Stück, das die Meute näherrückte, enger zusammen. Er hustete.
Atmen wurde zum Problem. Jedesmal, wenn er dazu ansetzte ein zuatmen, schien sich ein Ventil in seinem Hals zu schließen. Er krümmte sich. Kopf und Oberkörper beugten sich dem Boden entgegen. Hinter ihm öffnete sich die Tür. Benny Ong lächelte, und der alte Hoskins erkannte, daß Drogen das geringste Problem in diesem teuflischen Spiel waren. Vielleicht spielten sie gar keine Rolle. Vielleicht war Benny von etwas völlig anderem high… Der junge Asiate hielt jetzt zwei Ratten in den Händen. Eine davon streckte er Hoskins entgegen. »Ich habe ihr von dir erzählt. Aber du mußt ihr selbst einen Namen geben. Sonst wird sie dir nie ganz ge hören.« Hoskins hatte das heilige Verlangen, Benny Ong die Ratten sonst wohin zu stopfen. Er hustete jetzt nicht mehr unter Tränen, sondern japste nur noch. Das Feuer in seiner Brust strahlte in seine Arme aus. Er mußte den Knüppel fallen lassen. Und er tat es in dem Bewußtsein, daß dieser Stock ihm auch nicht gegen das geholfen hätte, was sich auf ihn zu wälzte. Mühsam versuchte er, sich noch einmal aufzurichten und an Ben ny vorbei in die Kammer zu schlüpfen. Der Schauspieler blieb einfach stehen. Es gab kein Vorbeikommen. Hoskins’ Hände krallten sich in das Hemd des Jungen, zerrten daran und zogen das grinsende Gesicht dicht vor das seine. »Kleiner … Dreckskerl …!« quetschte Hoskins hervor, zu schwach, noch etwas anderes als diesen Fluch zu mobilisieren. An den Hosen beinen fühlte er schon die Ankunft der ersten Nager. Der Schmerz,
zunächst nur ein Kitzeln gegen die Qual in seiner Brust, steigerte sich mit jeder Sekunde. Schließlich rutschte Hoskins kraftlos an Benny Ong herab, der wie eine Statue dastand und ihm die noch ungetaufte Ratte in den Nacken setzte. »Dummer alter Mann«, hörte Hoskins ihn abfällig rufen. Ein dunkler, schwerer Schwamm senkte sich über sein Bewußtsein. »Seht zu, daß so wenig wie möglich von ihm übrigbleibt«, nahm er Benny Ongs letzte Worte mit, ehe dieser sich umdrehte und in den Fundus zurückkehrte.
* Paddington Street »Was ist aus dem Lilienkelch geworden? Damals?« fragte Lilith. »Ich kenne nun Mutters Leben. Sie diente, daran gibt es keinen Zweifel, derselben Sache wie du und ich – und auch wie jene rothaa rige Kelchdiebin! Wenn dem aber so ist – warum muß ich das Un heiligtum erst suchen? Was ist mit der Diebin und ihrer Beute ge schehen? Wenn weder die Vampire noch wir etwas über den Auf enthaltsort des Lilienkelchs wissen – wer bleibt dann noch übrig?« »Das sollst du herausfinden«, sagte Warner ruhig. »Du weißt es nicht?« »Ich weiß es nicht.« »Und sie?« Er zuckte – ganz Mensch, der er nicht mehr war – die Achseln. »Beim letzten Mal sagtest du, die Spur des Kelches verlor sich bei
Llandrinwyth. Von Mutter weiß ich, daß ihre Spur sich im schotti schen Hochland von Beinn Dearg verlor …« Jeff Warner schüttelte den Kopf. »Dort brauchst du keine Zeit mehr zu vergeuden. Dieser Ort war für deine Mutter und für andere wichtig – nicht für dich!« »Für andere?« Er ging nicht darauf ein. »Genug. Ich kann dir nicht mehr sagen, bis du deine Dinge hier geordnet hast.« »Hier?« »In Sydney. Sobald die Reste der Wondjina-Gefahr beseitigt sind, komm wieder. Vorher … nicht!« Lilith spürte einen Knoten in der Brust. Es war ihr zuwider, von dem »Gesandten des Hauses« hingestellt zu werden, als trüge sie die Schuld an der magischen Entartung der Schöpferwesen. Aber sie hatte den »Großen Plan«, dem schon Creanna diente, nicht ersonnen! Sie wollte all dies aufführen, aber Warner sank bereits zurück in den Bauch der Erde. Seine Haut, sein Fleisch, seine Augen … alles schien erneut seine Struktur zu verändern. Er sah aus wie ein Pflan zenmensch. Ein Geschöpf, durch dessen Adern flüssiges Chloropy hll statt Blut rann. Für Lilith eine wenig reizvolle Vorstellung. »Muß zurück …«, murmelte der Pflanzenmund, »… ruft nach mir …« Die nächsten Worte wurden bereits von Erde gedämpft. Der Bo den schloß sich spurlos über Warners Haupt, und nichts gab einen Anhaltspunkt darüber, wie tief er hinabgezogen wurde – oder wohin. Wie stets war Lilith froh, als sie den Ort ihres fast hundertjährigen Schlafs wieder verlassen hatte und festen, vertrauenerweckenden Bo
den unter die Füße bekam. Ganz verdrängen konnte sie die Angst nie, einmal in ähnliche Abhängigkeit zu geraten wie Warner. Immer erwartete sie insgeheim, von etwas Unbeschreiblichem gepackt und verschlungen zu werden. So lange war es auch noch nicht her, daß das HAUS versucht hat te, sich ihrer zu bemächtigen. Lilith schlug nicht den direkten Heimweg zu Beth’ Wohnung ein. Sie sann über die Warnung nach, die der »Pflanzenmensch« ihr wortgleich zu jener auf dem Spiegel übermittelt hatte: Es ist noch nicht vorbei! Sie war noch nicht weit gegangen, als nur einen Steinwurf entfernt etwas Liliths Weg auf nächtlicher Straße kreuzte. Etwas, das von ei ner Fahrbahnseite auf die andere huschte – und in einem der alten viktorianischen Häuser entlang der Paddington Street verschwand. Mechanisch heftete sich ihm Lilith an die Fersen. Das Telefonat mit Beth rückte ihr schlagartig ins Bewußtsein. Und der Marillion-Tower, in dessen Spitze entartete Schöpferwesen auf ihre Opfer gewartet hatten. Beth hatte von Ratten gesprochen, die sich dort versammelten … Und Ratten sah Lilith auch hier. Sie sah ein ganzes Heer dieser zä hen vierbeinigen Tiere auf einem gepflegten Anwesen verschwin den, das zu weit abseits der Nummer 333 lag, als daß es jemals unter den »Belagerungszustand« der Sydneyer Polizei gefallen wäre. Lilith rannte hinterher. Diesmal wurde sie nicht unterstützt vom Symbionten, der als Kleid an ihrem Körper hing und ihr in der Vergangenheit oftmals ein Gefühl der Leichtigkeit und katzenhafter Gewandtheit vermittelt hatte. Seit das Aboriginal-Totem den Symbionten »befallen« und Crean nas Erinnerungen freigesetzt hatte, hatte sich das Mimikrykleid –
ein Erbe ihrer Mutter – verändert. Liliths gedanklich artikulierte »Modewünsche« wurden nach wie vor prompt erfüllt, und sie ver mochte es immer noch nicht abzustreifen wie eines der beliebigen Kleidungsstücke, die der Symbiont so täuschend echt nachahmte. Aber spurlos waren die Ereignisse nicht an ihm vorübergegangen. Sie fragte sich, ob er immer noch eine so zuverlässige Waffe im Kampf gegen Vampire war, wie er es vor dem Kontakt mit der Wondjina-Magie oft unter Beweis gestellt hatte. Als sie den Pfad zum Haus erreichte, sah sie gerade die letzte Rat te in einem offenen Kellerfenster verschwinden. Mehr als zwei Dutzend Tiere hatte Lilith gezählt. Und das unge wöhnliche Rudel hatte den Eindruck vermittelt, als sei es regelrecht auf der Suche nach etwas. Nach mir? dachte sie in vager Erinnerung an Warners Worte, auf die weder er noch sie näher eingegangen waren. Die Lücke zwischen den Gitterstäben, die das offene Kellerfenster sicherten, war zu klein, um eine menschliche Gestalt passieren zu lassen. Lilith verwandelte sich kurz entschlossen in ihre magische Zweitgestalt. Als Fledermaus zwängte sie sich zwischen den Gittern hindurch und landete mit kurzem Flügelschlag auf dem Boden des Kellers. Hier verwandelte sie sich zurück. Die zweimalige, sehr abrupte Sinnesumstellung machte ihr einen Moment lang zu schaffen. Dann schüttelte sie die flüchtige Befan genheit ab und sah sich um. Rötlicher Dunst schien über dem Raum zu liegen. Aber diesen Ne beneffekt ihrer Nachtsichtigkeit war sie gewöhnt. Sie wußte inzwi schen auch, daß sie durchaus Restlicht benötigte. Etwas, und sei es nur ein Hauch, mußte da sein. In wirklich absoluter Dunkelheit ver mochte auch sie nicht zu sehen. Von den Ratten erblickte sie keine einzige, aber eine angelehnte
Tür führte zu einer Treppe, an deren Ende Lilith ein ins Türholz ge fressenes Loch fand. Verblüfft hielt sie inne. Der Vorsprung der Ratten betrug höchstens zwei Minuten. Wenn sie es in dieser kurzen Spanne geschafft hatten, ein solches Hinder nis zu überwinden, waren sie entweder sehr geschickt oder sehr … hungrig. Lilith öffnete die unverriegelte Tür ganz konventionell. Dann stand sie in einem Hausgang, gleich neben der Eingangstür. Durch die Stille hindurch hörte sie auch leises Scharren und verein zelte, nicht sehr laute, hohe Töne. Sie folgte den Geräuschen über eine weitere Treppe in den ersten Stock eines liebevoll nostalgisch eingerichteten Hauses. Unwillkür lich stellte sich Lilith ein altes Mütterchen vor, das ahnungslos in seinem Bett schlief, während … Während? Beth’ Behauptung, Ratten hätten im Marillion-Tower ein Todesop fer gefordert, hatte Lilith sensibilisiert. Aber es war ebensogut mög lich, daß sie sich etwas einbildete. Die Ratten konnten schon »ewig« hier hausen und waren von einem ihrer nächtlichen Streifzüge zu rückgekehrt. Lilith blieb den Vierbeinern mühelos auf den Fersen. Wieder wie sen ein Loch und Sägespäne den Weg. Wieder öffnete Lilith eine un verschlossene Tür und – Das Bild, das sich bot, schien den Untiefen ihrer Phantasie entris sen worden zu sein. Nur das »Mütterchen« suchte sie vergeblich … Dort im Bett schlief ein Mann. Tief und fest. Er lag auf dem Bauch. Die Bettdecke reichte nicht weiter als bis zur Hüfte. Es wäre ein schöner Anblick gewesen.
Ohne Ratten. Aber die Ratten waren da. Sie kauerten auf der Matratze rund um den Schlafenden verteilt, den sie bis zu Liliths Eintreten offenbar ta xiert hatten. Fleischbeschau … Nun ruckten die kleinen Köpfe synchron in Liliths Richtung. Kein Zweifel, daß auch sie mich sehen, dachte die Halbvampirin. Kein Zweifel, daß ich ihnen einen Festschmaus verdorben habe … Sie verlor keine Gedanken an die Absurdität, daß Ratten in einer Stadt wie Sydney nächtlich Jagd auf Menschenfleisch machten, ob wohl dies kein rattenverseuchter Slum war. Sie schrie eine Warnung und klatschte instinktiv in die Hände. Als wollte sie Vögel aus einem Gartenbeet scheuchen. Alles, was sie erreichte, war, daß der Mann auffuhr. Die Ratten blieben sitzen. Zunächst. Mit stoischem Glanz in den Knopfaugen blickten sie zu Lilith – und mit demselben Glanz teilte sich die Meute. Eine Hälfte sprang den orientierungslosen Schläfer an. Die andere Hälfte huschte furchtlos Lilith entgegen! »Verdammt, raus aus dem Bett!« schrie sie. Ihr war klar, daß der Mann nichts sehen konnte. Aber seine eigenen Schreie bewiesen, daß er spürte, worum es ging. Sich darauf einen Reim zu machen, eine Frau zu hören und zu gleich überall auf nackter Haut von winzigen Zähnen attackiert zu werden, war gewiß nicht leicht. Lilith hatte keine Zeit für rücksichtsvollere Strategien. Die Ratten waren bei ihr und versuchten sich auch in ihr Fleisch zu beißen.
Es hätte verhindert werden können, wenn der Symbiont seine ge wohnten Qualitäten entfaltet hätte. Liliths schwarzer, hautenger Body, der knapp unterhalb der Knie endete, hätte sich mühelos er weitern und als schützenden Schild alles bis hin zu den Zehenspit zen umschließen können. Die Biester hätten sich ihre scharfen Zähne daran ausgebissen. Aber der Symbiont reagierte nicht auf Liliths dringende Impulse. Schmerz durchgreife ihre Wade, wo sich das erste Kieferpaar ver hakte! Lilith bückte sich, packte mit beiden Händen zu, brach der Ratte das Genick und schleuderte den warmen Kadaver von sich. Aber der stumpfe Angriffswille des restlichen Dutzends, das es auf sie ab gesehen hatte, war damit keineswegs gebrochen. Während sie aus den Augenwinkeln sah, wie der Mann aus dem Bett floh und ver zweifelt bemüht war, die Ratten wenigstens von seiner Kehle fern zuhalten, rannte sie zum nächsten Lichtschalter. Für einen Sekundenbruchteil schien die Szene im hellen Schein der Deckenlampe zu gefrieren. Der Mann schrie auf. »Scheiße, was –?« Mehr hörte Lilith vorläufig nicht mehr von ihm. Überall an seinem Körper wimmelten die gefräßigen Vierbeiner, schlugen ihre Zähne in ihn, fiepten und zappelten … Lilith selbst hatte plötzlich das Gefühl, in tintige Schwärze zu tau chen. Sie verlor den Bezug zu ihrer Umgebung, spürte nur noch, wie sich eine unbezähmbare Spannung in ihr aufbaute – und sich explo sionsartig entlud. Als sie wieder zu sich kam, traute sie ihren Augen und Ohren nicht. Sie war blutüberströmt.
Es war … still. Dann sagte eine Stimme: »So etwas habe ich noch nicht erlebt …« Der Bewohner des Hauses hockte auf der Bettkante und ließ sei nen unsteten Blick von ihr zu den überall verstreuten toten Ratten und wieder zu Lilith zurück wandern. »Ein paar sind geflohen«, fügte er beherrscht hinzu. »Aber die meisten haben Sie erledigt … Nur wie, das dürfen Sie mich nicht fra gen, auch wenn Sie aussehen, als wüßten Sie es selbst nicht …« Das war der Punkt, Lilith wußte es wirklich nicht. Betroffen sah auch sie sich um. Der Anblick sprach eine unmißver ständliche Sprache. Etwas Ähnliches hatte sie schon einmal erlebt. In einem Kampf, als Vampire ihre Gegner waren. Damals in Leich hardt, im Haus von Duncan Luthers Eltern … Seither hatte sie diesen »Realitätsverlust«, während dem etwas an deres ihren Körper in eine Kampfmaschine verwandelte, nie wieder erlebt. Es war auch kein Zustand, nach dem sie sich sehnte. Er war hilf reich, aber … scheußlich. Sie richtete sich auf, sah an ihrem blutbefleckten Körper herab und sich dann suchend um. Der Mann verstand und deutete auf eine Tür. »Das Bad ist dort.« Sie suchte es auf, trat unter die Dusche und spülte das Rattenblut von ihrer Haut. Dabei fand sie mehrere kleine Verletzungen, die sich bereits wieder geschlossen hatten. Als sie Minuten später wieder aus der Duschzelle trat, waren nur ihr Körper und ihr Haar naß. Der Body hatte sich während des Du schens zurückgezogen und präsentierte sich völlig trocken und un versehrt. Als Lilith ins Schlafzimmer zurückkehrte, saß der Mann immer
noch auf dem Bett. Lilith ging zu ihm und sah ihm tief in die Augen … Zuerst ließ sie ihn die Kadaver beseitigen. Dann schickte sie auch ihn zum Duschen und versorgte seine Wunden. Eine Wunde fügte sie ihm selbst zu, denn sie verspürte großen Durst nach der Anstrengung des Kampfes. Aber diese Wunde heilte am schnellsten. Auch sein seelisches Gleichgewicht brachte sie wieder ins Lot. Die Gnade des Vergessens war jedoch etwas, was sie nur anderen schen ken konnte. Jeder Versuch einer Selbsthypnose scheiterte. Entsprechend aufgewühlt war sie, als sie das Haus in der Pad dington Street verließ und zu Beth heimkehrte. Ihre Freundin schlief. Lilith beließ es dabei. Sie selbst fiel in solch ungewohnt tiefen Schlaf, daß sie am nächs ten Morgen nicht einmal mitbekam, wie Beth aufstand und zur Ar beit ging …
* Clarence Hotstepper nippte entspannt an seinem Wein. Er tat es im Liegen, und er beobachtete Cindy, die sich hinge bungsvoll seinem erigierten Glied widmete. Sie blickte ihm dabei treuherzig in die Augen. Ihre Zunge streichelte sein bestes Stück wie Sandpapier. Rauh, aber voll eigener Lust. »Nicht aufhören«, seufzte Hotstepper und stellte das Glas zurück auf die Nachtkonsole. »Um Himmels willen, nicht aufhören …« Die naturblonde Schönheit, deren beinahe asketisches Gesicht
einen starken Kontrast zur Weichheit ihres übrigen Körpers bildete, lächelte, ohne ihn loszulassen. Sie dachte gar nicht daran aufzuhören. Als Stewardeß der Australian Airlines jettete sie rund um die Welt. Hier in Sydney war Hotstepper ihre Anlaufstelle. Wie es in an deren Städten rund um den Globus aussah, wußte er nicht. Es inter essierte ihn auch nur insofern, daß sie fast immer eine neue Variante ihres Verwöhnprogramms mit ihm ausprobierte. Ein netteres Mitbringsel konnte sich Hotstepper gar nicht vorstel len. Plötzlich, noch während er das Bild der vor ihm kauernden Nym phe und die durch seine Lenden strömende Lust genoß, schob sich die Alptraumszene mit der aus Fowlers Leiche schlüpfenden Ratte vor sein geistiges Auge. Er stöhnte. Cindy deutete es falsch und verschärfte die Attacke. Hotstepper aber brach plötzlich kalter Schweiß aus. Zudem mar terte ihn abrupt ein migräneartiger Anfall, und ihm wurde speiübel. Er fuhr hoch. So schnell, daß Cindy kaum schnell genug loslassen konnte. »Spinnst du …?« Sie richtete sich ebenfalls auf. »Willst du dich ka strieren? Fast hätte ich ihn mit nach Hause nehmen können …« Sein Sinn für Scherze hatte ihn verlassen. Er vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte die immer heftiger aufkommenden Bilder des Vorfalls in der Pathologie zu rückzudrängen. »He! Ist dir nicht gut?« Cindy konnte auch besorgt klingen. »Nicht gut ist gut …« Er blickte sie durch die gespreizten Finger an. »Ich glaube, ich kriege einen Infarkt …«
»Du?« Sie tippte sich an die Stirn. Aber sie sah wohl, daß ihm tatsächlich etwas zusetzte. »Soll ich den Doc rufen?« »Nein, laß. Es … geht schon wieder.« Er atmete gierig ein und aus. Die Übelkeit ging etwas zurück. Er hatte auch keinen Druck im Brustraum. »Es geht schon …« »Was ist denn mit deiner Hand?« Irgendwie scheute er davor zurück, ihr die Wahrheit zu sagen. Irgendwie wollte er niemandem von dem absurden Vorfall erzäh len. »Geschnitten«, log er. Er hatte nur ein größeres Pflaster über die Wunde geklebt und keinen Verband angebracht. »Vielleicht hast du ‘ne Blutvergiftung. Sieht nicht gut aus …« Er nahm die Hände herunter. Sofort begriff er, was sie meinte. Über die Ränder des Pflasters hinaus hatte sich die Haut verfärbt. Hotstepper wurde erneut übel, als er das Ausmaß dieser Verfär bung erkannte. Ein böser Verdacht stieg in ihm auf. Die Symptome paßten. Kopfschmerzen, Übelkeit, eine Art Aus schlag … Aber die Krankheit, die er meinte, kam fast nur in Asiens ärmsten Ländern vor. »Scheiße …«, fluchte er. »Scheiße – was?« wollte sie wissen. Er winkte ab. »Besser, ich lasse mir ein Antibiotikum geben. Scheint sich entzündet zu haben.« Sie glitt aus dem Bett. In ihren’Augen glomm Angst – aber nicht unbedingt nur um ihn.
»Und ich?« »Du?« »Ja, zur Hölle! Ist es ansteckend?« »Unsinn!« Er schüttelte kategorisch den Kopf. Überzeugend wirkte er nicht. Sie begann sich anzuziehen. »Was hast du vor? Willst du etwa schon gehen?« »Du mußt zum Arzt! Ich fahre dich!« »Ich bin Arzt.« »Ich möchte aber nicht, daß du ein Fall für dein Fachgebiet wirst …!« Er lachte kopfschüttelnd. »Jetzt übertreibst du aber gewaltig.« »Zieh dich an!« Er wollte etwas erwidern, als der nächste Schub kam. Er würgte und erbrach augenblicklich. Cindy schrie leise. Als er wieder auf blickte, tanzten dunkle Punkte vor seinen Augen. Er fühlte sich ster benselend und faßte sich an den Hals. Seine Gelenke begannen zu schmerzen. Zitternd schwang er sich vom Bett und ließ sich beim Anziehen helfen. Minuten später saßen sie in seinem Wagen. »Welches Krankenhaus ist dir am liebsten?« fragte sie fahrig. »Völlig egal. Das nächste …« Als sie die Notaufnahme betraten, konnte sich Hotstepper kaum noch selbst auf den Beinen halten. Schwer hing er auf Cindy ge stützt, die sich tapfer mühte, bis ein Rollstuhl zur Verfügung stand. Keuchend sank Hotstepper hinein. Der Stationsarzt schickte Cindy mit ein paar beruhigenden Worten in den Wartesaal und wandte sich dann an Hotstepper. »Wir sind Kollegen, wie ich hörte?«
Selbst einfaches Nicken fiel Hotstepper schwer. »Was ist passiert?« fragte der Arzt. »Es könnte … die Rattenbißkrankheit sein …«, preßte er hervor und erzählte, was ihm in der Pathologie passiert war. Der Arzt unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Seine Miene gab keine Auskunft, was er von Hotsteppers Geschichte hielt. Am Ende fragte er: »Wann war das? Vor wie vielen Tagen?« »Es war – heute.« »Bis zum Ausbruch der von Ihnen vermuteten Erkrankung dauert es Minimum drei Tage. Damit scheidet Ihr Verdacht aus.« »Und welchen Verdacht … haben Sie …?« »Das sage ich Ihnen, wenn ich Sie gründlicher untersucht habe. Wir nehmen jetzt von Ihrem Blut, und Sie erhalten ein Mittel, nach dem Sie gut schlafen werden. Bis Sie hoffentlich erholt aufwachen, liegen mir die Ergebnisse vor!« Hotstepper erhob keinen Widerspruch. Er war gar nicht mehr dazu in der Lage. Abwechselnd strömten Hitze und Kälte durch sei ne schmerzenden Glieder. Seine Lymphknoten waren angeschwol len. Bevor er einschlief, sah er nichts mehr von Cindy. Und auch als er erwachte, war sie nicht bei ihm. Nur der Arzt, den er an der Stimme erkannte. Sein Gesicht war hinter einem Atemschutz verborgen. Nicht gerade das beste Omen … »Zuerst die schlechte Nachricht, Kollege: Es ist nicht, wie von Ih nen geglaubt, die Rattenbißkrankheit.« Hotstepper grinste gequält. Sein Zustand hatte sich unter dem Ein fluß erhaltener Medikamente nicht spürbar verbessert. Eher das Ge genteil. »Und was ist die gute Nachricht?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Eine gute gibt es nicht. Es gibt nur eine noch sehr viel schlechtere: Wir beide, Ihre Freundin und alle, die Kontakt zu Ihnen und der toten Ratte hatten, werden in nächster Zeit strengste Quarantänebedingungen erdulden müssen. Zumin dest so lange, bis die normale Inkubationszeit von zwei bis vier Ta gen sicher überschritten ist.« »Normale Inkubationszeit wofür?« »Der Pest«, sagte der Arzt. »Es gibt keinen Zweifel, daß Sie sich ir gendeine bislang unbekannte Abart der Pest eingehandelt haben …! «
* Da nun der Strick zerrissen, so wird der Vogel frei … Sterbegedicht Joh. Chr. Günther (1695-1723) Beth starrte den Spruch in ihrem Taschenkalender versunken an. Zufällig hatte sie ihn aufgeschlagen, und er paßte frappierend zu ih rer Gemütsverfassung. Immer häufiger überkamen sie in den letzten Tagen düstere Ge danken an die Unausweichlichkeit des Todes. Bei wildfremden Leu te auf der Straße fragte sie sich plötzlich, wieviel Zeit ihnen wohl noch blieb. Diese Angewohnheit machte ihr selbst am meisten angst. Sie mochte keine Neurosen. Mit Lilith hatte sie noch nicht darüber gesprochen. Angefangen hatte die Marotte unmittelbar nach dem Besuch der
entarteten Dreamtime-Stätte im Nielsen Park. Es war, als suchte der Tod seither ihre Nähe. Als wollte er sich be hutsam bei ihr einschmeicheln, um sie … »Kaffee und Kuchen gefällig?« Moe Marxx’ verhaltene Stimme beendete die Mußestunde mit dem Charme einer Kreissäge. Er sprach immer leise. Aber der Inhalt sei ner Sätze war mitunter schwerverdauliches Dynamit. »Danke«, erwiderte Beth. Sie war selbst in dieser Stimmung nicht auf den Mund gefallen. »Ich bin noch gesättigt von unserem letzten Kränzchen.« »Freut mich zu hören.« Der spindeldürre Chefredakteur des Syd ney Morning Herald taxierte sie ohne die geringste Bereitschaft ei nes Friedensangebots. Noch immer kreidete er ihr journalistisches Versagen im Fall der seltsamen Sektierer an, die im Dunstkreis der Wondjinas auf Seelenfang gegangen waren. Von den Wondjinas selbst ahnte Marxx nichts. »Sie haben eine Schule dichtgemacht«, fuhr Moe Marxx betont un wohlgesonnen fort. »Unten in Darling Harbour. Fahren Sie gleich vorbei. Bis Mittag brauche ich zwanzig Zeilen einspaltig!« Das klang immer weniger nach Friedenspfeife. Das klang verflucht nach einer »Degradierung« knapp über den Volontärsstatus! Beth biß die Zähne zusammen. »Allein?« »Brauchen Sie dafür Assistenz?«
* Darling Harbour
Als Beth aus ihrem Wagen stieg und auf den stillosen Zweckbau der Junior High zuging, hatte sie eine sentimentale Anwandlung. Sie wurde an ihre eigene Kindheit auf einer ähnlichen Schule erinnert, ehe sie zur High School und später zum College wechselte … Die verklärte Sicht der Dinge wich spätestens, als sie die erregte Menge entdeckte, die vor dem Schuleingang aufmarschiert war. Es waren in der Hauptsache junge Frauen. Vereinzelt sah man auch ein paar ältere Semester. Im Näherkommen aufgeschnappte Gesprächsfetzen machten der Reporterin deutlich, daß sie es mit einer Abordnung aufgebrachter Elternteile zu tun hatte, die sich nicht mit lapidaren Erklärungen zur Unterrichtsaussetzung abspeisen lassen wollten. Beth fand diese Einstellung sympathisch und lobenswert. Der Mann, der wie ein Fels in der Brandung jeglichen Zutritt zum Gebäude verwehrte, sah das ganz offenbar etwas anders. Mit tief ins Gesicht gezogener Baseball-Mütze und ablehnend vor der Brust verschränkten Armen stand er da. Er war Mitte bis Ende Vierzig, und auf seinem blauen, kurzarmigen Hemd verriet ein Sti cker Namen und Job. Ed Sumner, der Hausmeister, trug Handschuhe, wie sie bei der Gartenarbeit Verwendung fanden. Auf seiner Stirn und auf der Oberlippe standen Schweißtropfen. Immer wieder fuhr er sich durch das schüttere, klebrig in die Stirn fallende Haar. Die Bewe gung wirkte hektisch und unvollendet. Sumner war hochgradig ner vös, daran bestand kein Zweifel. Beth drängte sich an den anderen vorbei und baute sich unmittel bar vor dem gedrungenen Mann auf. Als sie ihm ihren Presseaus weis unter die Nase hielt, ging ein Raunen durch die Menge. Sum ners erste Reaktion bestand darin, sich fluchend die Unterlippe zwi schen die Zähne zu klemmen. Dann schnauzte er: »Verschwinden
Sie!« »Haben Sie mich nicht gerufen?« Beth hatte nicht die Absicht, klein beizugeben. »Ich habe bestimmt niemanden gerufen!« Die Bulldoggen-Stimme paßte zu ihm. Eine andere, wesentlich zarter besaitete Stimme hinter Beth rief: »Das war ich! Ich habe bei der Zeitung angerufen! So geht das doch nicht! Man kann doch nicht einfach dichtmachen und uns Eltern die Erklärung verweigern!« Die Frau war unwesentlich älter als Beth, und sie stand – das war unüberhörbar – voll im Leben. Daß sie auch noch verdammt hübsch war, rang Beth ein spontanes Lächeln ab, das Verständnis signali sierte. Sie wandte sich wieder an Sumner. »Sie haben es gehört! Wo also liegt das Problem?« Er schwieg. Sein Gesicht war noch eine Spur grauer geworden. Der Schatten eines frischrasierten Bartes lag wie eine Halbmaske um Kinn und Lippen. »Ich sage es auch Ihnen«, reagierte er pampig. »Verlassen Sie das Gelände! Wir sind dabei, die Sache in Ordnung zu bringen. Sobald das Problem beseitigt ist, geht der Schulbetrieb weiter. Wir werden die Eltern rechtzeitig in Kenntnis setzen …« Beth drehte sich erneut der Menge zu. Sie suchte Blickkontakt zu der Frau, die beim Sydney Morning Herald angerufen hatte. Ver stohlen zwinkerte sie ihr zu und hoffte, daß sie begriff, worauf es jetzt ankam. In gespielter Erregung wandte sie sich erneut Sumner zu: »Es gibt also ein Problem. Warum nennen Sie es dann nicht beim Namen? Ich habe mich nicht aus Jux und Tollerei eine Stunde durch den Ver kehr gequält!« »Ich habe Sie nicht ge-«, setzte Sumner ablehnend an.
Beth rollte mit den Augen, seufzte abgrundtief und sank vor ihm zu Boden. Ehe jemand anders reagierte, war die Hübsche bei Beth und beug te ihr Ohr an Beth’ Lippen. Sekunden später richtete sie sich auf und richtete anklagend den Zeigefinger gegen den Hausmeister. »Ihr ist schlecht, und das ist auch Ihre Schuld!« »Reden Sie keinen Unsinn!« »Sie ist im dritten Monat schwanger … Stehen Sie nicht da wie ein Ölgötze! Helfen Sie mir! Wir müssen Sie irgendwo hinlegen und ihr ein Glas Wasser geben! Sie wohnen doch hier … Los, packen Sie endlich an!« Von dieser Entwicklung war Ed Sumner völlig überfordert. Sekun denlang stand er bewegungslos da. Als die Empörung darüber im mer mehr eskalierte, sah er sich genötigt, etwas zu tun. Sein Hirn war für Befehle prädestiniert. Er scheuchte Beth’ Verbündete zu den anderen zurück und küm merte sich allein um die Reporterin. »Stimmt das auch?« knurrte er. Beth nickte leidend. Daraufhin half er ihr auf und führte sie durch die Glastür, die er zuvor »bewacht« hatte. Hinter sich und Beth schloß er ab und mus terte sie noch einmal zweifelnd. »Dritter Monat? Man sieht Ihnen nichts an …« »Ich habe auch nicht vor, einen Elefanten zu gebären!« machte Beth auf gereizt. »Was erwarten Sie?« Er schwieg. Die Ahnungslosigkeit, was diese Dinge anging, stand ihm ins Ge sicht geschrieben. Den Arm um seine Schulter, ließ sich Beth durch die Vorhalle führen. Hinter einer weiteren Tür begann offenbar
Sumners Hausmeisterwohnung. Sie paßte zu ihm. Bieder und einfallslos erinnerten Mobiliar und Wandschmuck daran, daß es auch heute noch Menschen gab, denen es genügte, wenn ständig ein paar Flaschen Bier kühl standen. »Warum haben Sie die Schule dichtgemacht, Ed?« fragte Beth, als sie auf einem abgewetzten Sofa Platz genommen hatte. »Scheiße, fangen Sie schon wieder an? Ich dachte, es geht Ihnen nicht gut?« »Es geht mir auch nicht gut, wenn ich und andere für blöd ver kauft werden. Kommen Sie schon! Ich kann Ihnen zusichern, daß weder Ihr Name noch sonstige Details genannt werden, die auf Sie als Informanten rückschließen ließen. Sie brauchen keine Angst um Ihren Job zu haben. Niemand wird Ihnen an den Karren fahren!« Sie nahm ihr Handdiktiergerät aus der Tasche. »Was läuft hier, Ed?« Sumner musterte sie, als wollte er ihr den Kopf abbeißen – dritter Monat oder nicht. »Verdammt! Vor euch hat man nie Ruhe, wie?« »Wer hat Ihnen verboten, darüber zu reden, Ed?« »Der Direktor.« Sie war nicht sicher, ob er log. Er wechselte in den Nebenraum. Beth hörte Wasser rauschen. Kurz darauf kehrte Sumner zurück und hielt ihr ein volles Glas ent gegen. »Trinken Sie aus – und dann hauen Sie ab! Wenn Sie Fragen haben, richten Sie sie direkt an den Direktor. Mich lassen Sie in Frie den!« Beth nippte nur. Dann stellte sie das Glas auf den Tisch. »Den Tap feren gehört die Welt«, sagte sie im Aufstehen. »Nicht den Feiglin gen und Kleingeistern!« Sie zweifelte, daß er verstand, was sie damit ausdrücken wollte – oder daß er es überhaupt auf sich bezog.
Er brachte sie bis vor die Tür, ging aber nicht mehr mit ihr hinaus zu den Wartenden. Beth zuckte bedauernd die Achseln, als sie sich unter die Versam melten mischte. »Danke«, wandte sie sich an die couragierte Mutter, die sie so glänzend in Szene gesetzt hatte. »War leider umsonst. Der Wachhund hier ist stur wie ein Panzer!« »Sind Sie gar nicht schwanger?« fragte ein älterer Mann leutselig. »Ich bin nicht mal mannstoll«, gab sie ebenso leutselig zurück. Kurz darauf löste sich die Versammlung auf. »Ich würde gern noch auf einen Kaffee mit Ihnen gehen«, bedauer te Beth, als ihre Helferin sie auf dem Weg zu ihren Autos dazu ein lud. »Leider habe ich im Augenblick keine Zeit. Wie heißen Sie?« »Liv.« Beth gab ihr eine Karte mit der Redaktionsdurchwahl. »Vielleicht klappt es ja ein andermal …« Liv lächelte weich. »Das wäre sicher nett.« Sie stieg in ein gewaltiges Auto. Aber sie tat es mit einer Eleganz und Grazie, daß Beth ihr nachsehen mußte, bis sie losgefahren und ihren Blicken entschwunden war. Die Reporterin wartete, bis niemand mehr zu sehen war, der an der Demo teilgenommen hatte. Dann ging sie den Weg zur Schule zurück. Sie wußte nun, wo sie die Fenster zu Sumners Privatwoh nung zu suchen hatte. Über einen Rasenstreifen, halb hinter Hecken verborgen, erreichte sie ihr Ziel. Als sie vorsichtig durch die Scheibe des Wohnraumes spähte, in dem sie gesessen hatte, stand Sumner immer noch allein da, obwohl ein paar Minuten vergangen waren. Er bot Beth den Rücken und schien mit etwas beschäftigt zu sein, was sie nicht sehen konnte.
Plötzlich drehte er ihr das Profil zu, und Beth erkannte, daß er die Lippen bewegte. Er sprach. Mit wem? Sie folgte der Richtung, in die er schaute. Halb verborgen, im Durchgang zu einem anderen Zimmer, stand eine Gestalt von natür licher Autorität. Der Mann gestikulierte ausdrucksstark, als würde er Sumner heftige Vorwürfe machen. Vielleicht der Schuldirektor … Die Frage nach der Identität des Mannes rückte jedoch in den Hin tergrund, als Beth sah, was sich zu Füßen beider Männer tat. Sie mußte einen Aufschrei unterdrücken, als sie die schlanken, graube fellten Körper sah, die sich nicht von den Menschen stören ließen. Und dann konnte sie ihre Gefühle nicht mehr beherrschen. Sumner drehte sich so, daß sie erkennen konnte, womit er beschäf tigt war. Er hatte seine Handschuhe ausgezogen und war dabei, sich – ohne eine Miene zu verziehen – mit einer Schere Fleisch aus dem Handballen herauszuschneiden … Fleisch? Beth stöhnte so laut, daß sie geschworen hätte, man müßte sie jen seits der Fenster hören. Erschrocken wandte sie sich ab und rannte zu ihrem Wagen zu rück. Mit Vollgas und weichen Knien fuhr sie in die Redaktion zu rück, wo sie sich eine halbe Stunde lang hinter ihren Macintosh klemmte und keine Silbe auf den Monitor brachte. Erst ein kurzer, kalter Blickkontakt zu Moe Marxx im »Terrarium« half ihr auf die Sprünge. Zehn Minuten später lieferte sie ihm die zwanzig Zeilen ab. »Ratten? Die Schule wurde wegen Ratten geschlossen?«
»Inoffiziell. Offiziell war kein Statement zu erhalten.« Marxx nickte. »Dort also auch.« »Auch?« Beth wußte nur vom Marillion-Tower als Hort einer plötzlichen Rattenplage. Von Marxx erfuhr sie nun, daß an vielen Stellen der Stadt unge wöhnliche Zusammenrottungen dieser Tiere beobachtet wurden. Ständig gingen neue Anrufe in der Redaktion ein. »Sie können sofort zum nächsten Einsatz durchstarten«, eröffnete ihr Marxx durchaus ernstgemeint. »Ich mache Sie in Null Komma nichts zur uneingeschränkten Expertin für diese Biester!« Beth nutzte schon den nächsten Auftrag, um kurz in ihrer Woh nung bei Lilith vorbeizuschauen, die nicht ans Telefon gegangen war. Entweder sie schlief immer noch – was allmählich Anlaß zur Sorge gegeben hätte –, oder sie hatte das Apartment verlassen. Es gab auch noch eine dritte Möglichkeit, die Beth aber nicht ein mal im Traum in den Sinn gekommen wäre. Als sie die Wohnungs tür aufschloß, traf es sie wie ein Schlag. Das erste, was sie sah und sie ängstigte, war Blut: ein dicker, auf den Boden gemalter Strich, der sich einen Schritt hinter der Tür schwelle durch die Wohnung zog. Das zweite, noch Furchteinflößendere war Liliths fauchend ausge stoßene Drohung: »Stopp! Keinen Schritt weiter, oder ich zerreiße dich!«
* Lightning Ridge, New South Wales
Der kantige Mann beobachtete die schlafende Frau. Nachmittägliches Licht strömte durch die zugezogenen Vorhänge, die sich im Luftzug bewegten. Die Welt draußen döste. Kaum ein Geräusch drang herein. Seine Blicke streichelten über die Schlafende, die mit gelöstem Ausdruck dalag, ihm die verführerischen Brüste und das aparte Ge sicht zugewandt. Sie verkörperte all das, was er erst durch einen Akt der Gewalt wiedergewonnen hatte: die Lust am Leben! Gewalt war im Spiel gewesen. Ohne Gewalt hätte er den Tod nie wieder abstreifen können. Er hätte sich weiter bei Tag in die Schat ten und hinter geschlossene Jalousien geflüchtet. Er hätte dem lang samen Verfall seines Fleisches und dem atemlosen Schweigen der Lungen gelauscht … Ein leiser Seufzer entwich seinen Lippen. Und dieses winzige Ge räusch genügte, ihre Lider zu heben. »Was ist?« fragte sie, ohne mehr als Mund und Zunge zu bewe gen. »Bereust du es, zurückgekommen zu sein?« Mund und Zunge … Virgil Codd schüttelte den Kopf. Ihre Zuneigung, die aus jedem Wort, jeder Geste sprach, wühlte ihn immer noch auf wie am ersten Tag. »Niemals!« »Warum machst du dann nicht einfach auch ein wenig die Augen zu? Komm her!« Sie strich über das leere Laken neben sich. Er schaute in ihre Augen. Er lächelte. »Ich betrachte dich lieber noch eine Weile.« »Dazu wirst du noch genügend Gelegenheiten bekommen.«
Werde ich? Er senkte den Blick. Er wollte nicht, daß sie seine Zweifel bemerk te. Sie waren vorhin – ganz plötzlich – erwacht. Vorgestern war er zu Alice zurückgekommen. Aus Quilpie hatte ihn die Sehnsucht hierher getrieben. Fort vom verlassenen Treffpunkt der Diener. Und heute …? »Laß mich«, bat er. »Schließ du noch ein bißchen die Augen. Ich werde deinen Schlaf hüten …« Er kam sich keine Spur kindisch vor bei dem, was er sagte. Alice war eine besondere Frau, und sie hatte besondere Seiten in ihm geweckt. Ein kurzer Schatten schien hinter ihren zärtlichen Augen vorbeizu treiben – als ahnte sie etwas von dem, was ihn daran hinderte, auch seiner Seele Ruhe zu gönnen. »Denkst du schon wieder ans Fortgehen?« fragte sie, nachdem sie die Augen geschlossen und die Hände zusammengeballt hatte. »Nein«, sagte er ehrlich. Ihre Fäuste öffneten sich, als wüßten sie genau, wann er die Wahr heit sagte und wann nicht. Sekunden später war sie noch einmal entspannt weggedöst. Codd lehnte mit dem Rücken gegen Bettende und Wand. Er fühlte noch das Salz ihrer Haut auf seiner Zunge. Erst spät am Abend, als Alice sich im Empfangsraum des Motels aufhielt, verließ er Lightning Ridge. Ohne sich noch einmal umzu drehen, ging er in die Nacht hinaus …
*
Sydney Beth stand wie erstarrt in der offenen Tür. »Bist du – verrückt …?« Lilith kauerte auf dem Tisch im Wohnzimmer. So gut wie nackt, denn der Symbiont hatte sich zu einem Band um ihren Hals zurück gezogen. Trotzdem kamen keinerlei Lustgefühle in Beth auf. Lilith hockte wie ein sprungbereites Raubtier auf ihren Fersen. Die gespreizten Finger auf der Tischplatte halfen, den Körper, in dem je der Muskel angespannt schien, zu stützen. Ihr mähniges schwarzes Haar, die fiebrigglänzenden Augen, die über die Unterlippe treten den oberen Eckzähne und die zu messerscharfen, sichelförmigen Klauen gebogenen Finger machten sie zu einem Geschöpf, das sie selbst bei erstbester Gelegenheit zu töten versucht hätte. Zu einer Vampirin! Mit funkelndem Blick belauerte sie Beth. Die Nägel kratzten hör bar über den Tisch. Dies, das Blut auf dem Boden und ihr halboffe ner Mund überzeugten Beth, daß sie es mit keinem makaber-miß glückten Scherz zu tun hatte. Sie hielt immer noch den Türknauf in der Hand. Als sich jedoch der ankommende Lift hinter ihr am Ende des Korridors bemerkbar machte, warf sie hastig die Tür hinter sich zu. Es gab noch zwei wei tere Wohnungen auf dieser Etage, und einen unglücklicheren Zeit punkt, Lilith mit den Nachbarn bekannt zu machen, hätte es kaum geben können … »Was ist mit dir? Rede mit mir! Woher stammt das Blut?« Liliths Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Wage es nicht«, wiederholte sie ihre Warnung, »diese Linie zu übertreten!« Beth lachte auf, obwohl ihr überhaupt nicht danach zumute war. Ihr Blick folgte dem Verlauf der Markierung.
War es wirklich Blut? Auf jeden Fall schlängelte sich die Linie im Meterabstand an Kü che und Schlafzimmer vorbei und bildete eine vage Kreisform, in deren Mitte Lilith kauerte, als würde sie einem Bildhauer Modell sit zen. Oder, dachte Beth, wie ein wildes Tier, das seine Reviergrenzen abge steckt hat …! Die Konsequenz dieses Gedankens war, daß sich ihre Härchen an den Armen und im Nacken aufrichteten. Sie schauderte. Aber sie wollte es nicht wahrhaben. Sie tat den Schritt über die Linie. Als sie Lilith heranfliegen sah, konnte sie gerade noch zurückpral len. Die Tür im Rücken, starrte sie nun aus nächster Nähe in Liliths blutunterlaufene Augen, und jetzt endlich begriff sie, daß sie die Grenze respektieren oder sterben mußte! Es war absurd, und es war eine Tragödie – aber Beth las es glas klar in dieser Grimasse, die ein anmutiges Gesicht verdrängt hatte. Erstaunlich war, daß auch Lilith ihre selbstgezogene Linie respek tierte. Mit fauchendem Atem wartete sie jenseits des Blutes ab, ob Beth die Grenze noch einmal verletzte. Sie dachte nicht daran! Sie dachte nur noch darüber nach, wie sie diesen Wahnsinn unge schehen machen konnte. »Was ist passiert?« fragte sie noch einmal mit klopfendem Herzen. Was sie bei der Schule beobachtet hatte und worüber sie mit Lilith hatte reden wollen, erschien ihr plötzlich sinnlos. Die Gefahr, deren Atem sie heute gespürt zu haben glaubte, war nicht mehr nur drau ßen – sie war hier!
ES IST NOCH NICHT VORBEI! Das Menetekel auf dem Spiegel sprang ihr in die Augen. »Rede!« verlangte sie mit belegter Stimme. »Rede mit mir!« Von Argwohn begleitet, schob sie sich entlang der Markierung zur Küche hin. Als sie den abgetrennten Raum betrat und Lilith hinter ihr zurückblieb, atmete sie erst einmal fast befreit durch. Wie eine Verdurstende trank sie aus einer Milchflasche, die halb voll im Kühlschrank gestanden hatte. »Ich habe auch Durst!« Beth setzte die Flasche ab. In Liliths Stimme lag animalische Be gierde. Passend zum Ausdruck ihres veränderten Gesichts, aus dem der Schatten eines Wolfes lachte. Beth hielt ihr die Flasche entgegen. »Neeeiinnn. O nein … Ich will BLUT!« Das hatte sie schon häufig auch von Beth gewollt und bekommen. Aber noch nie hatte sie es in diesem Ton verlangt. Und noch nie war so deutlich zu hören gewesen, was ihrem Opfer blühen würde … Liliths gesamtes Verhalten hatte sich seit den Wondjina-Mutatio nen verändert. Schon kurz bevor die Erinnerung an Creannas Leben in ihr durchgebrochen war, hatte sie sich wie eine Kranke verhalten. Und auch nachdem Storm das Totem aus ihrem Symbionten entfer nen konnte, hatte sich Lilith nicht wieder wie vor diesen Geschehnis sen verhalten. Bislang hatte sich Beth um Verständnis bemüht. Sie selbst wäre unter einem solchen psychischen Ansturm, wie Lilith ihn zu bewäl tigten hatte, wahrscheinlich zerbrochen. Auch jetzt überwog das Verlangen, Lilith zu helfen. Aber wie sollte sie ihr in dieser Situation beistehen? Sie stellte die Milch in den Kühlschrank zurück und ging erneut
auf Lilith zu. Sie streckte die leeren Hände aus. »Ich bin deine Freundin – nicht deine Feindin. Erinnere dich!« »Ich erinnere mich an den Geschmack deines Blutes«, zischte Li lith. »Vielleicht solltest du doch die Linie überschreiten …?« Beth erbebte unter der offensichtlichen Zerrissenheit, von der Li lith gepeinigt wurde. Ihre Stimme klang, als hätte sie jeden Halt ver loren – und suchte zugleich verzweifelt nach einem Fixpunkt. Nach etwas, das ihr half, zu sich selbst zurückzufinden. »Was ist passiert?« fragte Beth. »Wo bist du gewesen, bevor du heute nacht heimkamst? Ich habe dich nicht bemerkt …« Lilith strich sich lüstern mit der Zunge über die vollen Lippen. »Ich war …« Sie verstummte. »Wo?« Plötzlich begann Lilith zu zittern. Und dann kippte sie der Länge nach rückwärts zu Boden und blieb reglos liegen. Beth stand da und wagte nicht, zu ihr zu gehen. Es konnte eine Finte sein. Verdammt, dachte sie. So weit sind wir schon… Sie unterdrückte ihre kreatürliche Furcht und übertrat die blutige Grenze.
* Sydney, Millers Point Elias Shanton blickte genau in dem Moment von seiner Lektüre auf, als die Digitalanzeige über dem Kontrollpult von 11:59 auf 00:00
sprang. »Mitternacht«, murmelte er. »Wie passend …« Erneut vertiefte er sich in John Sauls Wehe, wenn sie wiederkehren. Saul war Shantons Favorit auf dem Gebiet des Psycho-Horrors. King, Barker, Koontz … Sie alle waren nicht schlecht, aber für Shan tons Geschmack traf Saul seinen Nerv als Leser am ehesten. Shanton liebte den Kitzel, der ihn nirgends besser erreichte als in der nächtlichen Einsamkeit dieser Bunkeratmosphäre. Er hatte es zu Hause oder im Urlaub am Strand versucht. Aber die ständigen Ab lenkungen hatten ihn nur über die kunstvoll verknüpften Hand lungsfäden hinweglesen lassen, ohne daß er Zugang zur darin ver borgenen Gänsehaut-Mystik erhalten hatte. Hier war das anders. Hier störte das Ticken hinter den Verkleidungen der Pulte und Fließschemata nicht. Es gehörte dazu. Shanton glaubte fast, die Stim men der Romanfiguren zu hören, wenn er ihre Dialoge las … Das Dröhnen des Alarms ließ ihn zusammenfahren. Einen Moment lang nahm er das ins Buch gebundene Entsetzen mit in die Wirklichkeit, bevor er realisierte, was passiert war. Sektor F-3-Nord meldete den Ausfall eines Sicherungselements der Videoüberwachung! Als Shantons Blick zum entsprechenden Monitor wanderte, war dieser erloschen. Nichts Besorgniserregendes, aber ein Fehler, der behoben werden mußte. Am besten gleich. Elias Shanton schob seit acht Jahren Nachtschicht im Überwa chungsraum der gewaltigen Aufbereitungsanlage, die ganz Millers Point mit Trinkwasser versorgte. Die Anlage arbeitete vollautoma tisch; auch nachts. Aber natürlich mußte ständig jemand präsent
sein, der sich im Apparat auskannte. Je komplizierter eine Technik war, desto anfälliger war sie auch. 99 Prozent aller Störfälle waren jedoch Kleinigkeiten wie diese hier. Shanton hatte sich genügend Routine angeeignet, um keiner Versuchung zu erliegen, deshalb in Hektik auszubrechen. Sektor F-3-Nord lag im inneren Ring des Reservoirs, auf der Seite, die ein Kompaß als Norden ausgewiesen hätte. Elias Shanton zog seine über dem Stuhl hängende Jacke an, nahm seinen Reparaturkoffer und verließ die Kontrollstelle. Mit Lift und zu Fuß brauchte er zehn Minuten, um die umlaufen de Galerie zu erreichen, unter der er die spiegelglatte Oberfläche der gestauten Wassermenge nur ahnen konnte. Die Beleuchtung der Ga lerie reichte kaum ein paar Fuß tief. Manchmal malte sich Shanton aus, was geschähe, wenn dieser Mi niaturozean ebenso auf die Gezeitenwirkung des Mondes anspräche wie seine »großen Brüder«. Ebbe und Flut auf diesem begrenzten Raum, das wäre ein ebenso furchterregendes wie grandioses Schau spiel geworden … Shanton hielt inne und verzichtete sekundenlang sogar aufs Atem holen, um besser zu hören. Was war das? Patsch-patsch-patsch … Ununterbrochen, wie das Ticken einer Uhr, wiederholten sich die Geräusche. Er bückte sich und öffnete den Koffer. Sekunden später bohrte sich der Strahl einer Lampe in die Tiefe, wo er auf trägen Widerstand traf. Mehr als ein leichtes Kräuseln der Wasseroberfläche sah Shanton nicht.
Er setzte sich wieder in Bewegung. Zwei Minuten später erreichte er die ausgewiesene Störstelle und sah das, was aus einem herausge brochenen Lüftungsgitter hervorquoll. Ratten! Ein nicht abreißender Strom von Ratten, die sich nicht von Shan ton stören ließen. Beiläufig begriff er, daß sie die Ursache der Warnmeldung waren. Irgendwo unterwegs den Schacht herauf mußten sie eines der Kabel angeknabbert haben. Und hier … Was taten sie HIER? Shanton wußte es genau – er sah es –, aber sein Verstand weigerte sich lange, es zu akzeptieren. Patsch-patsch-patsch … Eine Ratte nach der anderen schob sich aus der zerstörten Gitter abdeckung, flitzte über den Metallsteg der Galerie – und sprang durch die handspannengroße Lücke zwischen Boden und Geländer hindurch in die Tiefe! Wie von Todessehnsucht getriebene Lemminge …! Elias Shanton leuchtete die Ratten jetzt direkt an. Er konnte nicht anders. Die kleinen vierbeinigen Selbstmörder übten eine magische Faszination auf ihn aus, und nun bemerkte er, was ihm zunächst entgangen war. Viele der grauen Nager waren von kleineren und größeren »Beu len« übersät. Manche dieser Geschwulste wässerten und sonderten eine Art Schleim ab, und die Augen, in denen sich das Scheinwerfer licht spiegelte, starrten Shanton an, als wollten sie ihn anflehen, sie vor dem Sprung zu bewahren. Minutenlang war er wie gelähmt.
Dann riß der Strom abrupt ab. Auch das monotone Patsch-patsch-patsch erstarb. Shanton würgte leise. Wie viele Ratten sich in die Tiefe gestürzt hatten, hätte er nicht zu sagen vermocht. Aber plötzlich begriff er, daß er etwas unternehmen mußte. Sofort. Er rannte zum Lift zurück. Als er in den bunkerartigen Kontroll raum stolperte und zum Telefon greifen wollte, hielt ihn ein hoher, fiepender Ton zurück. Er fuhr herum. Auf dem Deckel seines zugeschlagenen Buches hockte eine beu lenübersäte Ratte, die ihn gemein anstarrte! Shanton zwang sich, dennoch den Hörer abzunehmen und nach draußen zu wählen. Es dauerte unbegreiflich lange, bis er merkte, daß das Wählzeichen ausblieb und überhaupt kein Ton kam. Die Leitung war tot. Als er sich umdrehte, war die Ratte, die auf dem Buch gesessen hatte, verschwunden. Shanton brach der Schweiß aus. Und dann schrie er gepeinigt auf, weil sich die Ratte mühelos durch den Stoff seiner Hose biß. Es gelang ihm, das Tier abzuschütteln und in die Flucht zu treiben. Danach wurde er seltsam ruhig und überlegte, was er vor dem Tö ten hatte tun wollen. Der Warnton, der den Ausfall auf F-3-Nord meldete, summte im mer noch durch die Stille. Shanton ging und behob die Störung. Er brauchte etwas länger als gewohnt, weil jeder seiner Gedanken mit einem Verzögerungsmoment arbeitete. Er fand nichts Besonderes dabei.
Eine Stunde später saß er wieder an seinem Platz vor den Kontrol len. Lesend. Daß er das Buch verkehrt herum hielt und die Zeilen auf dem Kopf standen, störte ihn so wenig wie der Umstand, daß die Ratte ebenfalls wieder ihren Platz eingenommen hatte – an seinem Bein – und es sich gut schmecken ließ …
* Lilith schlug die Augen auf. Es dauerte eine Sekunde, bis sich ihr Sehvermögen auf die Verhält nisse umgestellt hatte. Draußen war Nacht. Erst als Lilith versuchte, das Bett zu verlassen, merkte sie, daß sie gefesselt war. An Händen und Füßen … »Beth …!?« Die Schlafzimmertür öffnete sich. Elektrisches Licht flammte auf. Beth schaute ganz merkwürdig zu ihr herüber. »Seit wann stehst du auf Fesselspiele?« fragte Lilith. Beth’ Blicke wirkten weiterhin, als mißtraue sie einer Situation ge hörig. »Seit wann bedrohst du beste Freundinnen?« fragte sie zurück. Jetzt war es an Lilith, merkwürdig zu schauen. »Wovon redest du?« »Von dir – und mir.« »Das dachte ich mir schon. Aber was meinst du damit?« »Du erinnerst dich an nichts?« Es klang mehr als skeptisch.
Lilith schloß kurz die Augen. Die Fesselung war lächerlich. Sie war sicher, sie mit einer einzigen Muskelanspannung sprengen zu können. Aber aus irgendeinem Grund verzichtete sie darauf. Vorläufig. »Ich erinnere mich«, sagte sie bemüht gelassen, »daß ich mich ne ben dich ins Bett legte und dich nicht wecken wollte. Ich kam aus der Paddington und –« »Das ist das letzte, woran du dich entsinnen kannst …?« Beth ver schränkte die Arme vor der Brust. Ihr blondes Kurzhaar umrahmte ein übernächtigtes Gesicht. Lilith nickte unbekümmert. Das verflog, als Beth sagte: »Dann fehlt dir ein ganzer Tag!« Liliths Augen weiteten sich ungläubig. Und sie wurden noch grö ßer, als ihr berichtet wurde, welche Situation Beth bei ihrer Heim kehr vorgefunden hatte. »Das – kann nicht wahr sein … Ich erinnere mich an nichts derglei chen. Nicht einmal an einen ähnlichen Traum. Ich habe geschlafen, und jetzt fühle ich mich ausgesprochen wohl!« »Wie schön für dich …« In Beth’ Stimme zitterte eine Angst nach, die Lilith endgültig überzeugte, daß sich all das, wovon ihre Freun din gesprochen hatte, tatsächlich zugetragen hatte. »Du hast Angst«, sagte sie dunkel und versuchte, Beth’ Blick fest zuhalten. Aber Beth wich aus. »Du fürchtest dich tatsächlich vor mir und hast mich deshalb gefesselt …?« Es war eine rhetorische Frage. Beth antwortete nicht. Aber sie sagte: »Du bist nicht gesund! Ich weiß nicht, was das bei einer Frau wie dir genau bedeutet, aber ich weiß, daß dein Problem auch mein Problem ist. Zur Hölle, gib mir einen Tip, was ich tun soll!«
»Beruhige dich …« Beth lachte hysterisch. »Du hättest dich sehen sollen!« Lilith schloß erneut die Augen. Sosehr sie sich anstrengte, es ge lang ihr nicht, das winzigste Fragment dessen, was sie gerade gehört hatte, aus ihrem Gedächtnis zu bergen. Aber sie erinnerte sich an ihre Erlebnisse in der Paddington Street. An die Ratten. »Seltsam …« Sie lag auf der Bettdecke, nicht darunter. Und ihr Blick tastete über mehrere Stellen an ihren Beinen, wo sie im Kampf gegen die Vierbeiner verletzt worden war. Ursprünglich hatten sich die Wunden bereits wieder geschlossen gehabt. Lilith besaß ein »Heilfleisch«, von dem Menschen nur träu men konnten. Zumindest war es immer so gewesen. Mit Befremden stellte sie fest, daß die Verletzungen wieder sicht bar geworden waren. »Was ist seltsam?« fragte Beth. Lilith erzählte ihr in Stichworten von dem Gespräch mit Warner und ihrer anschließenden Konfrontation mit dem Rattenheer. Auch dort hatte sie einen kurzen Blackout gehabt – aber er stand mit Ge wißheit nicht in Zusammenhang mit diesem, der einen ganzen Tag gedauert hatte. »Du wurdest gebissen?« Beth schürzte die Lippen. »Mehrfach.« Daraufhin erfuhr Lilith von Beth’ Beobachtungen bei der Schule in Darling Harbour. »Dieses gehäufte Auftreten der Ratten ist schon nicht normal«, schloß Beth. »Und die überall beobachtete Aggression der Tiere noch weniger. Normalerweise sind sie nämlich eher scheu. Und daß
sie ihr erstes – zumindest ihr erstes bekannt gewordenes – Opfer im Marillion-Tower fanden, müßte gerade uns zu denken geben. Wir beide wissen am besten, was dort wirklich geschah …« Lilith musterte Beth nachdenklich. Selbst wenn die Freundin ins geheim ahnte, daß die Fesseln im Ernstfall keinen wirksamen Schutz darstellten, schienen sie doch etwas Anspannung von ihr zu neh men. Ich habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen, dachte Lilith fernab von jeglichem Stolz. Sie war beunruhigt. auch wenn sie es nicht zeigte. Ihre Besorgnis über das, was sie in geistiger Umnachtung ge tan hatte, übertraf mit Bestimmtheit die ihrer Freundin. Mit wessen Blut hatte sie die Markierung gezogen? »Ist diese Blutmarkierung noch da?« fragte sie. Beth nickte verkniffen. »Wie spät ist es?« fragte Lilith. »Kurz vor Sonnenaufgang.« »Dann fahr heute etwas früher zur Arbeit.« Hinter Beth’ Haftschalen blitzte es auf. »Was hast du vor?« »Nachdenken«, sagte Lilith. »Ich will nachdenken und mich selbst beobachten. Stell das Telefon neben mich. Ruf an, ehe du zurück kehrst. Es wird dir verraten, ob ich noch ich selbst bin.«
* Falstaff-Klinik, Sydney »Und haben Sie irgendeine Veränderung an sich festgestellt?« fragte Dr. Hemsfield.
Cindy Walker starrte auf einen imaginären Punkt hinter dem Arzt. Mit steifer Zunge fragte sie: »Wir geht es ihm, Doc?« »Unverändert.« »Sie lügen! Sagen Sie mir die Wahrheit, Doc! Ich habe ein Recht darauf!« »Er hat keine näheren Angehörigen mehr?« fragte Dr. Hemsfield statt dessen. Seine Zunge schien ihm nicht so glatt gehorchen zu wollen wie gewohnt. Cindy schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, nein.« »Wir haben inzwischen den mutmaßlichen Auslöser der Infektion sichergestellt«, sagte er. »Eine tote Ratte. Der Erreger konnte aber noch nicht isoliert werden. Auch nicht bei Dr. Hotstepper. Nur das veränderte Blutbild weist auf eine bisher unbekannte Pest-Variante hin …« »Hören Sie auf mit diesem Gesülze, Doc! Wie geht es Clarence?« »Ich bin nicht sicher, daß es gut ist, wenn Sie es erfahren. Auf je den Fall wäre es tragisch, wenn Sie bereits Symptome an sich festge stellt hätten und sie mir verschwiegen …« »Ich bin okay«, versicherte sie. Der Arzt hegte seine Zweifel, und er machte auch keinen Hehl daraus. »Ist er … gestorben?« fragte Cindy aschfahl. »Nein.« »Aber es geht ihm auch nicht besonders?« »Nein, besonders nicht.« Dr. Hemsfield überlegte kurz, dann sagte er: »Er ist vor einer Stunde in ein tiefes Koma gefallen. Wir wissen nicht, ob er daraus noch einmal erwacht …«
* Das Gefühl, beobachtet zu werden, verfolgte Beth den ganzen Weg von der Tiefgarage ihres Apartments bis zur Innenstadt. Eine Weile dachte sie wirklich, Lilith habe sich ihr an die Fersen geheftet. Ich leide an Verfolgungswahn, dachte sie beklommen. Als sie die Redaktion betrat, war der Stuhl hinter ihrem Schreib tisch bereits belegt. Von einem, der das durfte. »Wieder auf den Beinen?« fragte Beth mit aufgesetzter Fröhlich keit. »Es ist soweit«, nickte der Veteran, vor dessen Bauch die obligato rische Kamera hing und in dessen Mundwinkel die obligatorische Zigarre steckte. Beides kalt, was bei der Kamera aber weniger auffiel. »Mein Leben nach der Abstinenz, wie Sie es so blumig nannten, hat begonnen. Ich bin unter die Lebenden zurückgekehrt. Mit allen Schattenseiten.« »Schattenseiten?« Beth setzte sich auf die Schreibtischkante. »Wel che ›Schatten‹ haben Sie denn so früh hierher getrieben?« Marxx thronte noch nicht hinter seiner Rundumverglasung. Allein das, fand Beth, wäre Grund genug gewesen, öfters beim ersten Hah nenschrei hier aufzukreuzen. »Machen Sie nur Ihre Witze«, brummte Moskowitz vergrämt. Er nahm das Torpedo aus dem Mund und modellierte das angefeuch tete Endstück. »In meinem Alter wird einem jeder Krankheitstag nachteilig ausgelegt – und ich lag nun mal auf der Schnauze, Sie werden sich erinnern.« »Ich erinnere mich.« »Ich dachte, ich schau’ vorbei, ehe der Trubel so richtig losgeht.
Wollte mich langsam wieder reinfinden …« »Ist das Ihr erster Arbeitstag nach der Grippe?« Moskowitz nickte und pflanzte die Zigarre zurück in die Einker bung, die sich über die Jahre in seinem Mundwinkel gebildet hatte. Wäre er auf den abwegigen Gedanken verfallen, auf seine alten Tage noch ein Kind zu zeugen, hätte sich diese Kerbe bestimmt an den bedauernswerten Nachwuchs weitervererbt. »Haben Sie es überhaupt noch nötig, sich von Marxx anpflaumen zu lassen?« fragte Beth, die diese Unterhaltung genoß, gerade weil sie keine sonderliche Bedeutung hatte. »Sie müßten doch Ihre Schäf chen längst im trockenen haben.« Im Schatten der Zigarre schob sich ein verschmitztes Lächeln auf seine Züge. »Ich tue es nicht für mich – jedenfalls nicht in erster Li nie.« »Sondern?« wunderte sie sich. »Ich tue es für ihn. Moe braucht vertraute Figuren, an denen er sei nen Lebensfrust abladen kann. Mich kennt er von allen am längsten. Bei mir macht es ihm doppelt Freude, die Ventile zu öffnen. Und … na ja, mir macht es wirklich nicht viel aus.« Beth hob zweifelnd die Brauen. Ehe sie sich dazu äußern konnte, fuhr er fort: »Ganz nebenbei habe ich läuten hören, daß jemand ver sucht, mir meine liebste Teamgefährtin abspenstig zu machen. Und so etwas kann ich nicht dulden. Da mußte ich die bittere Pille schlu cken und mein Krankenlager verlassen!« »Sie meinen Seymor?« »Ich meine Seymor.« »Seymor ist ein karrieregeiles Aas. Er kann Ihnen nicht das Wasser reichen!« »Ich weiß. Und nun küssen Sie mir schon die Füße, weil ich Sie vor
ihm bewahre – zumindest so lange, bis der da oben mich zur end gültigen Abstinenz verdonnert!« Moskowitz nickte zur Decke, über der noch einige Stockwerke lagen. Aber vermutlich meinte er eine Instanz, die noch etwas darüber angesiedelt war. »Das mit den Füßen«, lächelte Beth, »sollten Sie lieber zurückneh men. Es könnte mich verleiten, mich auf Seymors Seite zu schlagen.« Sie flachsten noch eine Weile. Dann räumte Moskowitz den Stuhl. »Wie ich höre, geht es immer noch rund in der Stadt und Umge bung. Ich werde Moe bitten, uns einen gemeinsamen Auftrag zu ge ben – gleich nachher, wenn er vom Frühstück besänftigt hier auf kreuzt.« »Ich fürchte, das wird schwierig. Er ist momentan nicht gut auf mich zu sprechen …« »Lassen Sie mich nur machen. Moe und mich verbinden ein paar Dinge, von denen kein Mensch ahnt. Ich bringe das ungern bei ihm zur Sprache, aber wenn er mich dazu zwingt …« Er empfahl sich winkend. Beth setzte sich an ihren Tisch und stellte fest, daß das kurze Inter mezzo Wunder vollbracht hatte. Ihr Stimmungsbarometer war wi der Erwarten gestiegen. Nicht einmal die Nachrichten, die sie wenig später aus dem »Ticker« zog, änderten daran zunächst etwas, ob wohl sie besorgniserregende Dinge berichteten. Eine seriöse Agentur meldete eine noch nicht namentlich benannte Epidemie, die im Stadtteil Millers Point ausgebrochen war und sich explosionsartig ausweitete. Man hatte einen finnischen Seuchenex perten, der eigentlich nur als Gastdozent in Sydney weilte, zu Rate gezogen, und dieser Dr. Frans Stålberg hatte den Ausbruch der Epi demie mit der Rattenplage in Verbindung gebracht. Nach weiteren Untersuchungen identifizierte er später in der Nacht das Leitungs wasser als Träger der Seuche.
Das Wasserwerk wurde sofort abgeriegelt und die Wasserversor gung gekappt. Man fischte eimerweise verendete Ratten aus dem Staubecken. Alle diese Ratten waren ertrunken – aber ebenso offenbar wurde, daß sie zuvor alle an derselben Krankheit gelitten hatten und daß diese Krankheit nun auf die Menschen in Sydney übergriff. Hinter vorgehaltener Hand wurde erstmals ein Begriff gehandelt, der jedem, der ihn hörte, Frost unter die Haut schob. »Die Pest?« Beth wollte es zuerst nicht glauben. Aber dann beru higte sie sich, weil selbst eine Krankheit wie die Pest heute – anders als im Mittelalter – ihren größten Schrecken eingebüßt hatte und be handelbar war. Zumindest bei Menschen. Lilith aber war kein Mensch … In Beth erwachte ein heißer Verdacht. Sie bekam Herzrasen, als sie sich vorstellte, daß Lilith durch die Rattenbisse infiziert worden war und sich deshalb wie wahnsinnig gebärdet hatte. Niemand konnte sagen, wie sich Pestilenz bei jemandem äußerte, der nur zur Hälfte Mensch war … Als Lilith auch nach mehrmaligem Bemühen nicht den Telefonhö rer abhob, sank Beth’ Stimmung zurück in den Keller.
* Lilith starrte düster auf das Telefon neben sich. Der Lärm, den es verursachte, schmerzte in ihren Ohren, und sie war versucht, es einfach gegen die Wand zu schmettern, um es zum Schweigen zu bringen. Statt dessen zerriß sie die Fesseln, die sie nie ernst genommen hatte, wie morsches Spinngewebe.
Das Summen des Telefons setzte aus. Um Liliths Lippen legte sich ein undefinierbarer Ausdruck. Sie blickte an sich herab. Der Versuch, dem Symbionten einen Kleidungswunsch zu über mitteln, endete in einem Fiasko. Ob es an ihr oder an ihm lag, forschte Lilith nicht nach. Sie akzeptierte, daß sie die Wohnung »in Lumpen« verlassen mußte. Spätestens unten auf der Straße erregte sie Aufsehen. Viele Passan ten blieben stehen, um die attraktive Frau zu mustern, deren vollen dete Figur nur von etwas Unvollendetem verhüllt wurde, das ent fernte Ähnlichkeit mit einem zerfetzten, trägerlosen Lederkleid be saß. Die Männerwelt jedoch war ihr selbst in solchem Ghetto-Look noch zugetan. Lilith registrierte es ebensowenig wie die giftenden Blicke einiger Begleiterinnen, die sich nicht damit abfinden konnten, selbst solcher »Konkurrenz« zu unterliegen. Lilith verließ die belebten Zonen auf schnellstem Weg. Dabei be wegte sie sich ohne erkennbare Hast. In einem unbeobachteten Mo ment löste sie eine Gullyabdeckung und glitt hinab in das unterirdi sche Labyrinth, das ganz Sydney unterwanderte. Die Kanalisation weckte verschwommene Erinnerungen, die sich so wenig festhalten ließen wie der Grund, weshalb sie hierher ge kommen war. In der Nacht mußte es geregnet haben. Lilith tauchte bis zu den Lenden in den kalten Strom, in dem sich Regenwasser mit Abwasser aus den Haushalten zu einer stinkenden Brühe vermischte. Lilith ignorierte die Gerüche. Sie watete durch das Wasser auf ein fernes Ziel zu. Alles war im Fluß. Nicht nur die vorübertreibenden Fäkalien – auch ihr Leben.
Sie spürte, daß sie an einem Scheidepunkt angelangt war. Sie folgte ihrer Bestimmung. Sie folgte dem Ruf. Stundenlang bewegte sie sich durch lichtscheue Gefilde, ohne zu ermüden. Dann erreichte sie ein Gewölbe, an dessen Wänden schwere Eisenringe verankert waren. Hier stand der Boden nicht mehr unter Wasser, nur eine schmale Rinne war gefüllt. Ablagerun gen an den Wänden verrieten jedoch, daß höhere Stände durchaus vorkamen. Lilith befand sich in einem der vielen Flutungsbecken, die verhinderten, daß es auch bei extremen Regenfällen zu oberirdi schen Überschwemmungen kam. In der Mitte des Gewölbes waren bleiche Gebeine, zweifellos menschlicher Natur, zu einem mannshohen Berg aufgeschichtet. Trotz elfenbeinernem Schimmer wirkten sie nicht alt. Aber Liliths Gedanken prallten an diesem Bild ab. Ohne ins Sto cken zu kommen, ging sie weiter zur nächsten Wand, wo die Ketten auf sie warteten. Ketten aus schwarzem, federleichtem »Metall«, die sie sich selbst um Hals und Handgelenke legte und »einrasten« ließ. Im selben Moment erwachte sie aus ihrer Gleichgültigkeit. Sie hörte Musik. Flötenspiel. Und dann tauchte eine aberwitzige Gestalt auf …
* Allmählich entwickelte Beth regelrechten Horror vor der eigenen Wohnung. Sie zitterte, als sie aufschloß, und sie zitterte, als sie die Räume durchschritt. Im Schlafzimmer fand sie die Reste zerrissener Fesseln – mehr nicht. Keine Nachricht, nichts.
Das ist nicht mehr die Lilith, die ich kenne – oder zu kennen glaubte, dachte sie. Der bloße Gedanke tat weh. Sie hatte kein Glück mit Frauen. Nicht mal mit Exoten… Moskowitz saß unten im Wagen. Gemeinsam waren sie auf dem Weg zur Falstaff-Klinik, wo – wie jetzt durchgesickert war – die ers ten Pestfälle untersucht und unter Quarantäne gehalten wurden. Den Abstecher zur ihrer Wohnung hatte Beth ohne Probleme bei Moskowitz durchgeboxt, obwohl sie ihm den wahren Grund natür lich verschwieg. Nun stand sie da und wußte nicht mehr weiter. Als sie Schritte im Wohnzimmer hörte, glaubte sie, ihr Kollege sei ihr gefolgt. »Einen Moment!« rief sie und beseitigte die Spuren der Fesselung. Sie fuhr sich über das müde Gesicht und verließ das Schlafzimmer, wo niemand zu sehen war. »Mosk?« Geräusche lockten sie in die Küche. Moskowitz drehte ihr den Rücken zu. Moskowitz? Nur der Trenchcoat war ähnlich. Der Mann, der ihr jetzt sein Ge sicht zuwandte, unterschied sich schon deshalb von dem Fotogra fen, weil er kaum etwas besaß, das die Bezeichnung »Gesicht« ver diente … »Sumner …!« stöhnte Beth. »Wer hat Ihnen erlaubt …?« Sie schauderte. Er hatte sich ein Messer genommen und stocherte schon wieder an sich herum. Aber seit der letzten Begegnung war eine erschreckende Veränderung mit ihm erfolgt. »Nicht … schimp fen!« bat er mit weinerlicher Stimme. »Bitte … nicht schimpfen! Ich
mußte es tun. Mußte Sie einfach wiedersehen!« Das klang wie bei einem liebeskranken Kater. Aber die Selbstver stümmelung, die er an sich betrieb, paßte nicht ins Bild. Gar nichts paßte ins Bild. Ed Sumners Gesicht sah aus, als hätte ein Tier daran gefressen! Beth wankte. »Sie – brauchen Hilfe …« Er schien sie gar nicht zu hören. »Nicht böse sein, bitte! Ich gehe, wenn Sie mich verstoßen – ich gehe sofort. Aber nicht böse sein …!« Beth starrte auf den Arm, dessen Hemdsärmel hochgerollt war. Sumner blutete, aber für das, was er sich auch jetzt wieder zufügte, blutete er unfaßbar wenig. Sein Arm wies etliche beulenartige Verdi ckungen auf. Manche waren gelbbraun verfärbt. In ihnen stocherte er mit der Messerspitze herum, mit demselben Gesichtsausdruck, mit dem sich andere Menschen manikürten. Beth würgte. Sie wartete nicht, bis Sumner ging. Sie machte selbst auf dem Absatz kehrt und wollte zum Apartment hinaus. Doch Sumner entwickelte eine Behendigkeit, wie Beth sie ihm nicht zugetraut hätte. Kurz vor der Wohnungstür holte er sie ein und verstellte ihr den Weg. »Lassen Sie mich durch!« »Erst muß ich meine volle Beichte ablegen … Wer weiß, wann ich wieder den Mut dazu aufbringe …« Irgendwie wußte Beth bereits, was er ihr theatralisch eröffnen wollte. Es war in seinen irren Augen zu lesen. »Ich bin verliebt«, sprach er es auch schon aus. »In Sie! Ich hätte nie gedacht …« »Ich schreie! Ich schreie das Haus zusammen, wenn Sie nicht au genblicklich –« Er streckte die Hand mit dem Messer nach ihr aus, sah sie zusam
menzucken, ließ das Messer fallen und streckte nun beide Hände aus. »Ich will Sie nur einmal berühren …« Beth wollte sich nicht von ihm berühren lassen. Auf keinen Fall. Yersinia pestis hieß auf Latein der Erreger der Pest, gegen die es bei rechtzeitiger Behandlung ein wirksames Mittel gab: TetracyclinKapseln. Aber bereits jetzt waren Stimmen laut geworden, die an eine Mutation dieses Erregers glaubten, die sich als resistent gegen Antibiotika erweisen könnte. Nicht zuletzt um nähere Informationen darüber einzuholen, wa ren sie und Moskowitz zum Falstaff-Klinikum unterwegs gewesen … »Pfoten weg!« Sumner ließ gekränkt die Arme sinken. Wie ein begossener Pudel drehte er sich um, hielt noch einmal inne und fragte: »Wirklich nicht …?« Beth war gelähmt von der Angst, er könnte es sich anders über legen und bleiben. Aber dann öffnete er die Tür und tappte hinaus auf den Gang. Die Reporterin machte einen Satz nach vorn und warf die Tür zu. Ein schriller, hoher, unmenschlicher Schrei ließ sie zusammenzu cken. In Knöchelhöhe klemmte etwas zwischen Tür und Rahmen. Als Beth impulsiv noch einmal einen Spalt weit öffnete, fiel der Schwanz der Ratte, die Ed Sumner eine Idee zu langsam aus der Wohnung gefolgt war, zu Boden.
*
Drei Schritte von ihr entfernt blieb der seltsame Flötenspieler stehen und musterte Lilith unverschämt. Er trug einen zylindrischen, schiefsitzenden Hut, an dessen Band der Kadaver einer Ratte bau melte. Sein Hals verschwand komplett hinter einer aufgeplusterten Manschette, die eher zu einem Clownskostüm gepaßt hätte und dem Kopf ein Aussehen verlieh, als wäre er einfach in diese Man schetten »hineingeschraubt« worden. Auch der Rest der Kleidung – die Kniehosen, das Schwert im Gürtel, die sandalenartigen Schuhe – wirkte wie Bestandteile eines Kostüms. »Wer sind Sie?« fragte Lilith. »Haben Sie mich hierher gelockt?« Der junge Bursche starrte sie weiter ungeniert an, ohne sein Flö tenspiel zu unterbrechen. Hinter ihm tauchten erste Ratten in der wassertragenden Rinne auf – lebendiger als das Exemplar an seinem Hut. Sie hielten geschickt ihre Schnauzen über Wasser, während ihre Beine groteske, aber wirksame Schwimmbewegungen vollführ ten. Lilith konnte zwei und zwei zusammenzählen. Sie wußte inzwi schen, daß sie nicht aus freien Stücken hierher gekommen war. Und spätestens seit ihrem Kampf mit der Rattenmeute wußte sie, daß den grauen Nagern eine besondere Bedeutung in diesem ES-ISTNOCH-NICHT-VORBEI-Trauma zukam. »Was wollen Sie von mir?« fragte sie. »Warum haben Sie mich hierher geholt?« »Ich …?« Lächelnd unterbrach er sein Flötenspiel. Die Ratten, die hinter ihm in endloser Folge aufrückten, soffen augenblicklich ab. Mit verzeihungsheischender Geste setzte der Junge erneut die Querflöte an die Lippen und entlockte ihr jene schwermütige Melo die, die selbst Rattenherzen zu erwärmen schien. Sofort setzte der Überlebensinstinkt der Nager wieder ein. Die Un tergegangenen kehrten zur Oberfläche zurück. Dann entstiegen sie
der Rinne, und in den nächsten Minuten sah es so aus, als dirigierte der Flötist sie mit gezielten Tönen zum Skelettberg in der Mitte des Gewölbes. Lilith spürte einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge, als ein nasses Fell neben dem anderen über die Gebeine unbekannter Toter kroch. Endlich setzte der Flötist sein Instrument wieder ab und wischte sich mit dem Ärmel seines Wamses nicht vorhandenen Schweiß aus der Stirn. »Puh! Das war ein hartes Stück Arbeit …« Lilith ließ sich nicht blenden. »Ich warte«, sagte sie. »Worauf?« tat er unschuldig. »Auf eine Antwort.« Er überlegte schwer. Steile Falten erschienen auf seinem glatten Jungengesicht. »Ich bin Benny!« sagte er schließlich. »Schön, Benny«, erwiderte Lilith, die ihre vorübergehende Unsi cherheit wieder abgelegt hatte und sich der Situation gewachsen fühlte – zumindest so lange, bis sie wußte, was ihre Situation eigent lich war. Kurz hatte sie bereits ihre Ketten geprüft. Und feststellen müssen, daß sie aus keinem normalen überwindbaren Eisen geschmiedet wa ren. Es konnte Zufall sein, daß ihre Schwärze Lilith an den Hort der Dämonen im Marillion-Tower erinnerte. Aber die Ketten um Hals und Arme lähmten und schwächten, als würden sie von Liliths Le benskraft stehlen. Sie wußte schon jetzt, daß es ihr nicht gelingen würde, sich davon aus eigener Kraft zu befreien. Es war absurd: Hatte sie alle bisherigen Prüfungen und Gefahren bewältigt, nur um irgendwo in Sydneys Kanalisation Opfer eines … ja, was eigentlich … zu werden? Benny zuckte mit den Achseln. »Ich muß wieder weiter.« Er tippte sich an den Hut. Der Kadaver, der ihm fast ins Gesicht baumelte,
störte ihn nicht im geringsten. Lilith glaubte zunächst nicht, daß er seine Ankündigung wahr ma chen und sie wirklich wieder allein lassen würde. Aber er wollte sie nicht foppen. »Halt!« rief sie ihm nach, als er sich bereits in Marsch gesetzt hatte. »Helfen Sie mir! Befreien Sie mich!« Der Versuch, ihn unter hypnotischen Bann zu zwingen, endete so kläglich, wie Lilith es von Anfang an befürchtet und deshalb gar nicht ernsthaft versucht hatte. Der Flötenspieler drehte sich lediglich noch einmal um. »Keine Zeit. Leider. Muß die Biester führen. Sind echt zu blöd ohne mich. Fänden nie den Weg …« Nach diesen Worten war er nicht mehr zu bremsen. Eine Weile, nachdem er bereits außer Sichtweite war, hörte Lilith noch das Ge räusch, mit dem er durch die Wasserrinne watete, statt daneben her auf dem Trockenen zu gehen. Die schwermütige Melodie erklang nicht mehr. Das einzige, was blieb und ihr Gesellschaft leistete, wa ren die Ratten, die Benny mitgebracht hatte. Aber auch sie schienen kein Interesse an Lilith zu hegen, sondern begannen urplötzlich, sich in den Knochenhaufen hineinzuwühlen. Sekunden später waren sie verschwunden. Nur ein schmatzendes Geräusch zeugte noch davon, daß sie weiterhin da waren und etwas taten. Lilith war nicht unbedingt scharf darauf zu erfahren, was es war …
* Der Schock über die Heimsuchung durch Sumner saß Beth noch in allen Gliedern. Auch daß Ratten bereits Einzug in ihre Wohnung ge
halten hatten, verkraftete sie nur schwer. Geradezu übermächtig aber war das Grauen, das Sumners entstellter Körper in Beth hinter lassen hatte. War er von der Pest befallen? Wenn ja, hatte die Krankheit nicht nur begonnen, seinen Körper, sondern auch seinen Verstand zu zer fressen! Er hat ÜBERALL hier seine Spuren hinterlassen, dachte sie mit Grau sen. Wer weiß, was er alles ANGEFASST hat …! Der Türsummer riß sie aus Gedanken, die sich gerade mit einer Desinfizierung der Wohnung beschäftigten. »Ja?« fragte sie durch die geschlossene Tür. »Verdammt, wo bleiben Sie?« empörte sich Moskowitz. Sie schloß auf. »Was ist passiert?« Er sah sofort, wie es um ihre Nerven bestellt war. Stockend schilderte sie ihm ihre Begegnung mit der Ratte – Sum ner erwähnte sie nicht, und Moskowitz schien ihm nicht begegnet zu sein, sonst hätte er den auffälligen Besucher wohl selbst zur Spra che gebracht. »Sie sollten die Gesundheitsbehörde verständigen«, sagte er. »Oder wenigstens einen Kammerjäger …« »Die dürften kaum noch freie Termine zu vergeben haben …« Er wiegte den Kopf. »Stimmt … Was ist? Fahren wir, oder soll ich Sie bei Moe entschuldigen?« »Das kann ich mir nicht leisten. Wir fahren …« Sie war froh, die Wohnung wieder zu verlassen. Sie wußte nun, daß Lilith nicht mehr da war. Aber sie wußte immer noch nicht, wo hin sie warum gegangen war … Als sie in den Wagen stiegen, hielt Beth kurz inne. »Sie bluten ja
…« Moskowitz lächelte abwiegelnd und verbarg die Hand. »Unge schickt läßt grüßen … Kleine Schürfung. Nicht der Rede wert. Als ich nach Ihnen sehen wollte, schlossen sich die Lifttüren etwas zu schnell für meinen behäbigen Körper … Ich werde es überleben.« Beth nickte knapp. Er preßte die leicht blutende Wunde gegen den Mund und zog daran wie an einer seiner gefürchteten Zigarren. Beth schaltete das Radio ein, aus dem neue Horrormeldungen über die Epidemie in Millers Point kamen. Auch an anderen Orten der Stadt wurden Fälle nicht benennbarer Erkrankungen gemeldet, bei denen die Betroffenen urplötzlich in ein Koma fielen … Sie verließen die Tiefgarage. Es hatte zu regnen begonnen. Ihr er klärtes Ziel war die Falstaff-Klinik. Aber sie kamen nie dort an.
* Der Symbiont hing wie tot an ihrem Körper. Lilith hatte mehrmals versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Vergeblich. Ebenso erfolglos hatte sie wieder und wieder versucht, sich der Ketten zu entledigen, die sie eigenhändig geschlossen hatte. Der Ring um ihren Hals und die Bänder an den Handgelenken waren nicht zu lösen. Sie schmiegten sich gerade so eng an ihre Haut, daß sie das Blut nicht stauten und das Atmen zuließen. Aber es war kein Millimeter Luft dazwischen. Auch die Mauerverankerung und die Kettenglieder gaben keinen Millimeter nach. Der »Stoff«, aus dem all dies gefertigt war, zehrte
fühlbar an Liliths Kräften. Je mehr sie sich um Befreiung bemühte, desto schwächer fühlte sie sich. Benny war noch nicht wieder aufgetaucht. Dafür zeigte sich in diesem Moment wieder die erste der Ratten, die in dem Skeletthaufen untergetaucht waren. Das Schmatzgeräusch war leiser geworden, kaum noch hörbar. Lilith verkrampfte innerlich, als sie sich klarmachte, wie gefräßig die Nagetiere sein konnten. Die Wunden, die sie ihr in der Padding ton Street geschlagen hatten, schmerzten zwar nicht mehr, aber sie waren wieder sichtbar geworden. Schon das war ungewöhnlich. Die Meute, die Benny in die Kanalisation geführt hatte, würde in Liliths augenblicklicher Lage wenig Schwierigkeiten haben, neue, schrecklichere Wunden zu schlagen. Und vielleicht würde Lilith bald den »Berg« bereichern, den sie die ganze Zeit im Blickfeld hatte … Sie erwartete nichts anderes, als daß die Ratten über sie herfallen würden, als nun eine nach der anderen zwischen den Knochen her vorkroch und auf Lilith zutrippelte. Wieder marschierten sie hintereinanander, wie an einer Kette auf gezogen. Doch sie hatten sich schrecklich verändert. Gekommen wa ren sie als normale Ratten. Jetzt schien irgendein Krebs in ihnen zu fressen. Die Schwellungen und Beulen, die ihre Körper nun überzo gen, waren zum Teil größer als die Köpfe der Ratten. Lilith starrte in die Augen der vordersten und las: SO Die Ratte schwenkte nach links ab. Die Augen der nachfolgenden sagten: LEICHT Die Augen der dritten: MACHE Der vierten: ICH
… ES … DIR … NICHT Jeder Blick war der Splitter einer Botschaft. Ein halbes Hundert Ratten – ein halbes Hundert »Worte«. Lilith versteinerte mehr und mehr. Die Ringe um Hals und Arme schienen sich nun doch mit jedem Wort enger zusammenzuziehen. Bis Lilith glaubte, ersticken zu müssen. Sie konnte nichts tun. Die Drohungen blitzten vor ihr auf, und sie vermochte nicht einmal die Augen zu schließen. DU WIRST GENAUSO ELEND ZUGRUNDE GEHEN WIE ICH DU SOLLST ERFAHREN WAS ES HEISST EINEN SCHÖPFER ZU TÖTEN ICH WOLLTE GROSSES ERSCHAFFEN MEIN WERK WAR NICHT MEHR GUTZUHEISSEN NUN BIN ICH TOT NUN SOLL ALLES STERBEN UND NICHT WIEDERERSTEHEN … Noch lange nachdem die letzte Ratte verschwunden war, ohne Li lith anzufallen, lauschte die Halbvampirin dem Echo des Fluchs, der ihr klargemacht hatte, in welcher Ecke sie ihren unversöhnlichen Gegner zu suchen hatte. Erst der helle Ton einer Flöte befreite sie von diesem Alpdruck. Benny kehrte zurück. Wieder brachte er Ratten in Scharen. Sie folgten dem verführeri schen Ton seiner Flöte, ohne ihn zu belangen. Daß ihm einer ihrer Artgenossen als Hutzierde diente, schienen sie ihm nicht nachzutra gen.
Lilith beobachtete stumm, wie sich das Schauspiel, das sie schon einmal beobachtet hatte, bis ins Detail wiederholte. Die grauen Na ger schwammen die Rinne entlang, krochen unmittelbar vor dem Skelettberg aus dem Wasser und setzten sich auf die fahlen Kno chen. »Wenn du mir schon nicht helfen willst«, rief sie dem Rattenfänger zu, nachdem er die Flöte von den Lippen genommen hatte, »verrate mir wenigstens, was der Sinn deines Tuns ist!« Der mandeläugige Asiate trat auf sie zu. »Du bist sehr … schön«, sagte er. »Du auch«, schmeichelte ihm Lilith. Er nickte. »Gefällt dir, wie ich mich kleide?« »Es ist – außergewöhnlich.« Er nickte wieder. Das ewige Lächeln um seinen Mund zerbrach. »Ich wüßte auch gern den Sinn meines Tuns …« Er zuckte die Schul tern und drehte sich abrupt von Lilith weg. »Es muß sehr wichtig sein. Ich darf nicht aufhören. Sie sind so dumm – ohne mich. Sie fän den nie den Weg …« Obwohl es aussichtslos war, versuchte Lilith, ihn aufzuhalten. Bennys Gesellschaft war besser als keine – oder die ausschließliche Gesellschaft der Schar, die er anschleppte. »Wer warst du, bevor du zum Rattenfänger wurdest?« Schweigend verschwand er aus dem Gewölbe. Eine Weile grübelte er über Liliths Frage nach. Seine Bewegungen waren etwas unbe schwerter als üblich. Aber dann schien sich der Wunsch, mehr über die eigene Identität zu erfahren, einfach zu verflüchtigen. Das stärker werdende Rauschen des Wassers wies darauf hin, daß auch von dieser Seite wenig Gutes zu erwarten war. Noch hielt es die Grenzen der Rinne ein, aber der Pegel war bereits sichtbar ge stiegen.
Es regnet, dachte Lilith. Als sie wieder zu den Gebeinen blickte, waren die Ratten ver schwunden, und nur mit größter Mühe vermochte sie das Schmat zen durch das Rauschen der Kanalisation hindurch zu hören. Aber es war da. Wie die Ratten – wenn auch unsichtbar – noch da waren. Bald würden sie wiederkehren. Grauenvoll verändert. Mit der Pest infiziert. Und Lilith fragte sich, welche Drohungen sich dann in ihren Au gen spiegeln würden …
* Al Weinberg saß wie eine Puppe hinter seinem Schreibtisch. Aus dem Fernseher dröhnten Katastrophenmeldungen. Egal, auf wel chen Kanal man switchte, es gab nur noch ein Thema: die Pestepide mie, die sich wie ein Feuersturm über Groß-Sydney ausbreitete! Der Besucher nickte dem Bürgermeister der untergehenden Stadt zu. »Genug. Schalte ab!« Weinberg gehorchte. Die Telefonanlage auf seinem Tisch signalisierte eingehende Ge spräche auf allen Leitungen. Weinberg ignorierte sie. Er war heiser vom vielen Reden. Die Me dien machten ihm die Hölle heiß. Seitens der Regierung hielt es sich in Grenzen. Dort saßen genügend von seiner Sorte an den richtigen Plätzen. »Was soll ich tun?« fragte er hilflos. Hora sah ihn an. Er trug nicht zufällig diesen Namen. Er hatte sich
Weinberg als neues Sippenoberhaupt der Herren vorgestellt. Aber nicht einmal er verkörperte genügend Stärke, um die Dienerkreatur Weinberg innerlich aufzurichten. »Wir können nichts tun«, sagte er. »Wir müssen abwarten.« »Worauf?« »Ob sich die Krise selbst reguliert.« Weinberg konnte nicht lachen – nicht ehrlichen Herzens, sonst hät te er es getan. Er konnte auch keine Bitterkeit empfinden, und den noch war ihm, als würde sich eine Faust um sein totes Herz kramp fen. »Warten, bis alle tot sind …?« »Bis jetzt sind erst wenige gestorben.« »Das Koma ist eine Vorstufe«, sagte Weinberg. »Der Tod wird fol gen.« »Dann ist es nicht zu ändern.« »Auch Ihr, Meister, kennt nicht die Ursache?« »Nein.« Die Stimme blieb kalt. Eine Kreatur hatte nicht mehr zu erwarten. »Und was ist, wenn alle sterben?« Hora wischte die Frage beiseite. »Bis jetzt«, sagte er, »hat es noch keinen der unsrigen erfaßt.« »Aber wir können ohne die anderen auch nicht dauerhaft überle ben«, sagte Weinberg. »Wenn sie alle sterben würden – was dann?« »Alle können nicht sterben!« Zweifelnd blickte Weinberg auf den Vampir, dem er diente. Es zerriß ihn innerlich, die Ohnmacht eines so allgewaltigen Wesens zu erkennen. »Können wir gar nichts tun?« »Nicht mehr, als bereits getan wurde. Kein Mensch darf Sydney verlassen. Weder zu Lande noch zu Wasser oder durch die Luft!
Wenn sie sterben, muß es unter allen Umständen auf diese Stadt be grenzt bleiben! Du hast alle Vollmachten. Das Militär ist informiert …« Hora erhob sich und verließ das Büro der Marionette.
* DIE STADT STIRBT ABER SIE IST ERST DER ANFANG FÜR MEINE BOTEN GIBT ES KEINE GRENZEN KEIN HINDERNIS HÄLT SIE AUF SIE KRIECHEN DURCH WASSERROHRE IN JEDE WOHNUNG SIE FINDEN ALLE WIE SIE DICH GEFUNDEN HABEN … Der Spuk hörte erst wieder mit der letzten Ratte auf, die den Kno chenberg verließ und an Lilith vorbeiglitt. Sie mußten es schwimmend tun. Das Wasser war über die Rinne getreten und bedeckte den Boden knöchelhoch. Lilith war sicher, sich bereits viele Stunden in der Kanalisation aufzuhalten. Aber durch ihr besonderes Sehvermögen fiel es ihr schwer zu bestimmen, ob »oben« noch Tag oder bereits Nacht war. Sie wartete. Auf Bennys Rückkehr. Sie hatte nicht viel mehr, worauf sie mit der Aussicht hoffen konn te, daß es auch eintrat. Auf Benny schien in dieser Hinsicht Verlaß zu sein. Zwischendurch bildete sie sich ein paarmal ein, ihn zu hören. Sein Flötenspiel. Aber es entpuppte sich als Täuschung ihrer überreizten
Sinne. Unentwegt fragte sie sich, wie ihr Schicksal aussehen sollte. Dar über hatten die Rattenaugen nur vage »gesprochen«. Möglicherwei se sollte sie langsam in diesem Kerker verrotten. Ohne Blut war dies eine langwierige, aber sichere Sache. Lilith wagte sich nicht die Qua len auszumalen, die ihr noch bevorstanden. Vielleicht würde sie vorher ertrinken … Aber das glaubte sie nicht wirklich. Der Regen gehörte nicht zum Kalkül ihres Gegners. Es wäre ihm ein zu einfacher Tod gewesen – und fraglich überdies. Konnte sie überhaupt ertrinken oder ersticken? Schon mehrfach hatte sie sich diese Frage gestellt. Eine verläßliche Antwort würde sie vielleicht erst erhalten, wenn es zu spät war, eine Lehre daraus zu ziehen … Bennys Flöte ertönte jetzt unmißverständlich. Sekunden später betrat er das Gewölbe. Er war selbst völlig durch näßt, aber das hinderte ihn nicht am schwermütigen Musizieren. Liliths Augen weiteten sich, als sie sah, was er diesmal außer Rat ten noch herbeiführte. Ein Stöhnen löste sich aus ihrer Brust. Hilflose Wut peitschte es heraus. Zwei Menschen bildeten das Ende der Schar. Sie wateten durch die fast unsichtbar gewordene Rinne. Das Wasser reichte ihnen bis zu den Schenkeln. Ein Mann und eine Frau. »Beth …!«
*
Beth reagierte nicht auf den Zuruf. Sie folgte dem Rattenfänger wie hypnotisiert. Auch den Mann kannte Lilith. Es war der Fotograf Moskowitz, der ihnen mehrfach geholfen hatte. Auch gegen die Wondjinas. Zuletzt hatte Lilith ihm die Erinnerung an gewisse Ereignisse genommen. Moskowitz gehörte nicht zu den Eingeweihten. Er wußte weder von Schöpferwesen noch von Vampiren. Aber selbst wenn ein Wunder geschah und sie aus dieser Sache le bend herausführte, würde es immer schwerer werden, ihm seine »Unschuld« zu bewahren … »Benny!« rief Lilith, als Beth und Moskowitz nicht reagierten. »Benny, verdammt!« Der Asiate im Kostüm eines mittelalterlichen Rattenfängers ließ sich nicht irritieren, bis die vielbeinige Schar den Knochenberg er reicht und sich darauf niedergelassen hatte. Beth und der Fotograf blieben unmittelbar davor stehen. Ihre Bli cke waren leer. Und ihre Gesichter … Lilith wollte die Schwellungen nicht wahrhaben, die an den Hälsen ihrer Freundin und des Mannes hervortraten! »Benny …!« »Ja?« Er trat zu ihr. »Laß sie frei! In wessen Auftrag du auch handelst, laß sie frei!« »Das kann ich nicht. Sie gehorchen der Flöte. Die Flöte gehorcht meinem Atem. Und mein Atem gehorcht …« »Wem?« »Ihm«, sagte Benny und wies mit ausgestreckter Hand zu den Knochen. »Tut mir leid, aber ich muß wieder los …« Benny ging.
Und Lilith mußte nicht lange warten, bis sie erfuhr, was der Rat tenfänger mit seiner Antwort wirklich meinte. Nicht die Knochen. Nicht die Ratten, die er in immer neuer Schar heranlockte. Die Nager kehrten zurück, kaum daß sie sich in den Haufen ge wühlt hatten. Trotzdem zeigten sich auch bei ihnen bereits erste Beulen im grauen Fell. ES IST ZEIT DU HAST IMMER NOCH NICHT BEGRIFFEN ICH KOMME … Die Augen der Ratten nach diesem Wort waren leer. Die nachfolgenden Tiere schwammen an Lilith vorbei, ohne sie ei nes »Blickes« zu würdigen. Ich komme … Voller Grausen starrte Lilith zu dem Knochenberg, der ins Rut schen gekommen war. Etwas Unwiderstehliches brachte ihn zum Zusammensturz, schleuderte die menschlichen Gerippe von sich und schob sich immer weiter ins Blickfeld von Liliths nachtsichtigen Augen …
* Lilith hatte selten etwas Scheußlicheres erblickt. Der Körper, der sich von den Skeletten befreite, der Körper, der al les von sich schüttelte wie morsches Geäst, das bedingte Zeit siche ren Unterschlupf gewährt hatte, war entfernt rattenähnlich. Aber zum einen war er riesig (mindestens menschengroß), und zum ande ren gab es Details, die verrieten, daß der Ursprung ein anderer war.
Eine Mutation, dachte Lilith. Aber eine Mutation wovon …? Das zunächst Schrecklichste an der sich enthüllenden Gestalt war ein rättischer »Nachzügler«, der immer noch seine Schnauze in eine der wie Euter ausgebildeten Beulen gegraben hatte und hörbar dar aus saugte. Was die Ratte sich zuführte – was alle Ratten vor ihr sich zugeführt hatten, ahnte Lilith nicht einmal. Aber sie zitterte vor dem, was es war, ohne es zu kennen. Sie stöhnte nicht mehr nur, sie schrie, sie krümmte sich und wim merte. Ihr Körper schien plötzlich in Feuer zu baden. Die von Ratten geschlagenen Wunden brannten wie mit Säure übergossen. Und langsam, ganz langsam, schob sich das monströse Geschöpf auf sie zu. Klumpen faulenden Gewebes blieben als stinkende Spur hinter ihm zurück. Die Nässe, die es umspülte, schien es nicht zu stören. Es »näßte« selbst, sonderte irgendein Sekret ab. Die beiden abseits stehenden Menschen würdigte es – noch – keines Blickes. Lilith sah ihr Verhängnis kommen. Das Verhängnis hatte vier Beine, einen verfilzten Pelz und mindes tens zwei Zentner Gewicht! Beim Blick in die Augen des Monstrums schien auch noch die letz te Kraft aus Liliths Gliedern weichen zu wollen. HIER BIN ICH, blitzte ein Stakkato durch ihr Gehirn. ICH LEBE NICHT MEHR ABER MEINE RACHE LEBT SIE WIRD DICH TREFFEN WIRD DICH VERNICHTEN DIE BESTIMMUNG DIE ICH DIR GEBE HEISST TOD DIESE STADT WIRD MIT DIR STERBEN DER TOD WIRD AUCH DORTHIN WUCHERN
WO ICH KEINE WURZELN HABE DIESE WELT WURDE VERDAMMT VON MIR … »Du redest«, sagte Lilith, »als müßte ich dich kennen. Doch ich kenne dich nicht. Bist du eines der Schöpferwesen, die im MarillionTower waren, als ich den Tod brachte?« ICH BIN DER DEN DU BEIM BAUM BESIEGTEST ICH HEILTE DEN BAUM VON SEINEM IRRTUM GUT SEIN ZU MÜSSEN ICH BIN DER HERR DER RATTEN IHRE AUGEN SIND MEINE AUGEN ICH SEHE WAS SIE SEHEN ICH BIN DER VAMPIR DER SICH AUF MIR PFÄHLTE ICH BIN DER TOD DER DEINE FREUNDE FRISST UND GANZ AM ENDE DICH … Lilith spürte den Tod ganz nahe. Die Augen des Monstrums droh ten sie zu verschlingen. Der Vampir, der sich auf mir pfählte … Sie war Zeugin eines solchen Selbstmords geworden. Vor vielen Wochen, als sie noch nichts von der Entartung der Wondjinas ge ahnt hatte. Draußen an der Küste, im Nielsen Park.
Alles deutete darauf hin, daß der Dämon, den sie auf der Tasmanischen Insel getötet
und der ihre »Diener« auf dem Gewissen hatte, einmal in der Traumzeit-Stätte im Nielsen Park gehaust hatte. Weder gut noch böse, solange er nicht an der Magie des HAUSES erkrankt war. Dann war auch er entartet und hatte aus dem zu Staub zerfallenen Körper des Vampirs ein Werkzeug geschaffen, um dem Fels zu ent fliehen, in den er sich vor Äonen zurückgezogen hatte. Vom Wahnsinn befallen, war er nach Tasmanien gegangen und hatte seine Krankheit an den dortigen Baum-Wondjina weitergege ben. Und dort hatte Lilith ihn gestellt. Sie hatte ihn dafür gestraft, was er den zwei Dutzend Menschen angetan hatte, die als ihre Diener vorgesehen waren. DU BIST GRAUSAM … »Und du zynisch! Du weißt nicht, was Grausamkeit und Tod wirk lich bedeuten. Du folgst nur dem Haß, den dir ein krankes Wesen eingeimpft hat …!« ICH BIN EIN TEUFEL ICH BEKENNE … Das Monstrum löste abrupt den Blick von Lilith. Die »Verständi gung« war unterbrochen. Jetzt erst zitterte Lilith unter dem, was sie in den Augen dieses Wesens gesehen hatte, das von sich selbst behauptete, längst tot zu sein.
Sie hatte mehr als Worte gelesen. Es war wie eine Vision. Sie hatte gesehen, wie die Menschheit an einer Pestform zugrunde ging, ge gen die es kein Mittel gab. Nur die Menschen. Die Vampire waren später gestorben. Auch ohne Pest. Und nicht sehr viel später … Und jetzt sah sie die überdimensionale »Ratte« auf Beth und Mos kowitz zugleiten. Zwei Menschen, die bereits alle Anzeichen der dämonischen Pest aufwiesen. Aber das war der »Ratte« nicht genug. Ich bin der Tod, der deine Freunde frißt … Lilith begriff, daß dieser Satz wörtlich zu nehmen war und der Skelettberg nicht von ungefähr kam. Aber sie hatte keine Möglichkeit, es zu verhindern.
* Sie hatte Duncan Luther verloren – und jetzt verlor sie Beth. Der Fluch, daß alle, die ihr, halfen, über kurz oder lang sterben mußten, schien einmal mehr traurige Bestätigung zu erfahren. Ich bin ein einsamer Schatten – ich werde nie Freunde haben, die mich durch die Jahrhunderte begleiten. Nicht einmal durch Jahre … Sie schrie vor Verzweiflung, als sie die starren Gesichter mit den dahinter eingesperrten Seelen sah. Sie waren in schlimmere Ketten geschlagen als sie. »Beth! Hörst du mich? Wach auf! Fliehe …!« Die Mutation ließ sich nicht beirren. Nur noch wenige Schritte trennten sie von ihren Opfern, die sie nur töten würde, um Lilith
weh zu tun – aus keinem anderen Grund. Es haßt mich, dachte Lilith. Oh, wie sehr muß es mich hassen! In diesem Augenblick erschien Benny mit der nächsten Schar Rat ten. Lilith hatte das Spiel der Flöte im weiter zunehmenden Rau schen des Wassers überhört. Aber jetzt sah sie ihn. Den Jungen mit dem Instrument, das Heerscharen jener Nager lockte, die anschlie ßend dann das Verderben über die Stadt verteilten. Kein Hindernis hält sie auf. Sie kriechen durch Wasserrohre in jede Woh nung… Einen Moment keimte in Lilith die Hoffnung, die Mutation würde sich vom Erscheinen der kleinen, behenden Todbringer ablenken lassen. Denn die Ratten stürzten voller Eifer auf sie zu, um sich von ihr »säugen« zu lassen. Aber selbst dies stoppte den Körper des Un getüms nicht. Wie Trauben hingen die grauen Nager am schwarzen Fell des Ungeheuers, das seinen Rachen öffnete. »Benny!« schrie Lilith. »Verhindere es!« Benny lachte mit demselben Atem, der die Ratten betörte. Dann hob er die Flöte und spielte zum Töten auf.
* Der kantige Mann fand den Weg wie im Schlaf. Er war bei strömen dem Regen in der Stadt angekommen und watete nun durch einen reißenden unterirdischen Bach auf den Punkt zu, von dem die laut losen Hilferufe erschollen. Er ermüdete nicht, obwohl die Strömung an ihm riß und zerrte. Er verspürte keine Angst. Nur die Beklemmung, vielleicht zu spät zu kommen, um die Herrin zu retten.
Als er aus dem unterirdischen Stollen in das weite Gewölbe trat, erfaßte das, was ihn schon so lange begleitete, die Situation augen blicklich. Seine Hände arbeiteten wie Paddel, um den Lauf der Beine zu be schleunigen. Entschlossen warf er sich gegen das Pest-Monster, das gerade zwei neue Opfer verschlingen wollte. Die Hände des kantigen Mannes tauchten in das »Fleisch« des Un geheuers, das augenblicklich in seiner Bewegung erstarrte. Auch die Bewegungen der Ratten, die sich in es verbissen hatten, erlahmten. Der Mann war unbewaffnet. Er hatte nur diese Hände, die keinen Widerstand im Leib des Monstrums fanden, bis … Plötzlich hielt er das Herz des Teufels in den Fingern und zog es – noch schlagend – aus dem schwarzen, beulenübersäten, faulenden Leib! Sekundenlang hielt er es ausgestreckt von sich – dann warf er es ins Wasser, wo sich sogleich alle in der Nähe befindlichen Ratten mit Heißhunger darauf stürzten. Das Ungetüm aber bäumte sich brüllend auf, ohne sich noch ge gen den kantigen Mann oder die beiden anderen, still wartenden Menschen zu wenden. Der Tasmanische Teufel brüllte und zuckte und wurde mit jedem Bissen, den die Ratten von seinem Herz verschlangen, ein wenig stil ler. Später bewegte nur noch das strömende Wasser den schrumpfen den Kadaver, der bald nicht größer als eine der davonstiebenden Ratten war. Der große, kantige Mann aber näherte sich der schwarzhaarigen Frau, deren Ketten unter seinen Händen barsten wie morsches Spinngewebe!
* »Wer – bist du?« Lilith konnte immer noch nicht glauben, was sie gesehen hatte und was geschehen war. Das Gesicht des Mannes, der das Monster mit bloßen Händen be siegt hatte, kam ihr bekannt vor – aber sie wußte nicht, woher. Dann erfuhr sie es. »Ich bin dein Diener«, sagte der kantige Mann, und sie fröstelte. »Dein Name!« verlangte sie. »Virgil Codd, Herrin.« »Wie hast du das getan?« fragte Lilith, die noch stärker fröstelte und vergeblich Ausschau nach dem Ungetüm oder irgendeiner der Ratten hielt. Nur Benny stand noch in der Nähe von Beth und Mos kowitz. Er hatte die Flöte gesenkt und sah sich verwirrt um. »Ich weiß es nicht«, sagte Codd. »Ich hatte den Auftrag, so zu han deln …. aber ich weiß nicht, von wem ich ihn erhielt …« »Was ist mit ihnen?« Lilith zeigte auf Beth und Moskowitz, die im mer noch zu Salzsäulen erstarrt standen. »Kannst du ihnen auch hel fen?« »Sie brauchen keine Hilfe mehr«, behauptete Codd. Lilith wußte zunächst nicht, ob dies Tod oder Rettung hieß. Sie watete zu Beth und ignorierte dabei, obwohl es ihr schwerfiel, sogar den jungen »Rattenfänger«. Die Pestspuren waren aus den Gesichtern der beiden Menschen verschwunden. Beth’ Augen begannen im selben Moment zu blin zeln, als auch in Moskowitz Bewegung kam.
»Wo –?« setzte er an und brach dann sprachlos ab. »Lilith …«, rann es über Beth’ Lippen. Aber es klang nicht sehr freundlich.
* Falstaff-Klinik »Kommen Sie schnell!« Die Schwester, die Dr. Hemsfield aus dem Quarantäne-Frust riß, obwohl sie selbst unter Quarantäne stand, gestikulierte wild. »Mister Hotstepper ist erwacht!« »Er ist – was?« Hemsfield glaubte sich verhört zu haben. »Erwacht! Alle Körperfunktionen arbeiten normal – sämtliche Symptome, die wir für Pest hielten, sind schlagartig verschwunden …!« »Sie machen Witze!« Schwester Maybritt machte keine Witze. Minuten später konnte sich Hemsfield persönlich davon überzeugen. Clarence Hotstepper strahlte ihn von seinem Bett aus an. »Ich habe vieles erlebt – aber das hier ist ein Wunder – ein echtes Wunder!« rief Hemsfield euphorisch. Schwester Maybritt machte Meldung, daß alle vorübergehend unter Quarantäne genommenen Personen, quasi im Handumdrehen, genesen waren! »Wir müssen zwar noch einige Tests durchführen, um letzte Ge wißheit zu erhalten, aber Ihrer Freundin«, er wandte sich an Hot stepper, »kann ich schon jetzt Entwarnung geben. Sie wird sich freu en wie eine Schneekönigin!« »Meine Freundin?«
»Cindy Walker. Wir mußten sie vorsichtshalber auch in Quarantä ne nehmen.« Dr. Hemsfield blickte ebenso fassungslos wie Schwester Maybritt auf den wundersam genesenen Patienten Hotstepper, der plötzlich einen Tobsuchtsanfall bekam. »Cindy Walker? Halten Sie mir bloß diese Frau vom Leib! Mir wird übel, wenn ich nur an sie denke …!«
* Lilith spürte sofort die Mauer zwischen sich und Beth. »Wie geht es dir?« fragte sie. »Gut«, erwiderte Beth schroff. Ihr Blick glitt zu Moskowitz, in des sen Augen es gefährlich irrlichterte. Er schien sich nicht entscheiden zu können, ob er das, was er erlebte, glauben und den Verstand ver lieren – oder es als Alptraum abtun sollte. »Vielleicht erklärt mir mal ein Mensch …?« Weiter kam er nicht. Lilith stellte ihn ruhig. Sie würde noch viel mehr tun müssen, um die Szenerie aus seinem Gehirn zu verbannen. Aber Moskowitz, das hatte sich bei früheren Gelegenheiten gezeigt, war höchst empfäng lich für ihre Suggestionen. »Wie fühlst du dich?« wandte sich Lilith erneut an die Freundin, die sie vorhin noch fest in den Fängen der Pest gesehen hatte. Es fiel ihr schwer, an diese Wunderheilung zu glauben, die Codds Ein schreiten ausgelöst hatte. Virgil Codd, der ehemalige Polizeichef von Sydney. Auch er war eine untote Dienerkreatur der Vampire gewesen. Jeff Warner hatte ihn »geheilt«, ihm das Menschsein wiedergegeben. Und zusammen mit den anderen Helfern hätte er vor Tagen am
Treffpunkt auf Lilith warten müssen. Offensichtlich war er nicht rechtzeitig dort eingetroffen. Das hatte ihm das neu gewonnene Leben gerettet. Als Lilith sich umdrehte, stand Codd bei Benny und unterhielt sich flüsternd mit ihm. Lilith verstand kein Wort. Aber das Gesicht des Asiaten zuckte wie unter einer Serie kleiner, gezielter Strom schläge. »Wie ist das passiert?« fragte Lilith, als Beth über ihre »Gefühle« keine Auskunft gab. »Wie hat es dich erwischt?« Beth’ Stimme nahm einen fast feindseligen Klang an, als sie auf Moskowitz deutete: »Der Alte hat mich reingelegt. Was Sumner nicht gelang, schaffte er. Als ich zu ihm ins Auto stieg, warteten die Ratten bereits auf mich – er wußte das. Sie hatten ihn schon vorher gebissen …« Die Art, wie Beth über den Fotografen sprach, verwirrte Lilith. Beth und Moskowitz waren immer ein gutes Gespann gewesen. Momentan schien nur noch Feindseligkeit zwischen ihnen zu herr schen. Lilith wollte Beth tröstend in den Arm nehmen, aber Beth wehrte ab. »Gehen wir. Ich ertrage diesen Ort nicht mehr!« Lilith nickte, obwohl sie innerlich elektrisiert zusammenfuhr. Sie konnte es sich einbilden – aber einen Moment hatte Beth ge klungen, als würde sie sagen: »Ich ertrage dich nicht mehr …« Kopfschüttelnd gesellten sie sich zu Codd und Benny. Auch Mos kowitz folgte wie ein erschöpfter alter Hund. Der Wasserspiegel war bereits wieder im Sinken begriffen. Wort karg suchten sie die nächsten Wandsprossen, um die Kanalisation zu verlassen. Lilith hatte Angst vor dem, was sie draußen sehen würde.
Eine Stadt im Würgegriff der Pest? Oder war die Epidemie überall mit dem seltsamen Tod der Muta tion erloschen? Oben auf der dunklen Straße trennte sich Benny von ihnen. Lilith wollte ihn stoppen, aber Codd hielt sie zurück. »Er wird nie mandem mehr schaden«, sagte er. »Wohin geht er?« »Zur Paddington.« Kopfschüttelnd blickte Lilith dem Kostümierten nach. Als er schon außer Sichtweite war, glaubte sie fernes Flötenspiel zu hören. Sie schauderte. Dann raubte sie Moskowitz alle Erinnerungen, die ihm das Leben schwermachen konnten. Als er sie verließ, wirkte er mitleiderregend einsam. »Armer Kerl«, sagte Lilith. »Aber ich weiß nicht, was ich anderes mit ihm hätte machen sollen …« Beth quittierte die Äußerung nur mit einer weiteren, ungewohnt abfälligen Geste. Als sie sich zu dritt auf den Weg zum Wagen der Reporterin auf machten, der in der Nähe abgestellt stand, war nirgends mehr etwas von den chaotischen Zuständen zu sehen, die die Stadt kurzzeitig in Atem gehalten hatten. Es schien allerorten Ruhe eingekehrt zu sein. Beim Betreten von Beth’ Apartment sprang ihnen das Menetekel auf dem Spiegel wieder ins Auge. Unverändert prangte die äscherne Drohung auf dem Glas. Codd aber, der seit Bennys Weggang kein Wort mehr gesprochen hatte, ging entschlossen darauf zu, nahm den Lappen, mit dem Beth und Lilith vergeblich versucht hatten, die Schrift zu beseitigen, und
wischte darüber. Auch er schaffte es nicht. Zumindest sah es zunächst so aus. Aber nur, weil die Anfänge und der Schluß des Satzes erhalten blieben. Die Mitte wurde ausradiert. ES IST VORBEI! Liliths Blick wanderte zweifelnd vom Spiegel zu Beth. Und die frostige Art, wie Beth diesen Blick erwiderte, deutete darauf hin, daß dieser neue Spruch – was sie beide anging – künftig Programm sein könnte. ES IST VORBEI! Beth’ nächste Worte unterstrichen Liliths Ahnung sehr privat – und sehr verletzend. »Ich möchte, daß du meine Wohnung verläßt, Vampirin!« sagte sie. »Sofort! Und nimm dieses Gespenst –«, sie nickte zu Codd, »gleich mit! Ich will, daß du mich nie wieder belästigst. Ich ertrage dein totes Fleisch nicht mehr – scher dich zum Teufel …!«
* Dieselbe Nacht … Kein Luftzug und kein Geräusch weckten den Instinkt des Dieners. Dennoch schlug Codd die Augen auf. Er erhob sich – nicht ganz lautlos. Eine Weile stand er da und ver suchte, was ihm nicht gelang: die Dunkelheit zu durchdringen. Aber er trauerte der Zeit, da seine Augen auch in finsterster Nacht sehend waren, nicht nach.
Konzentriert lauschte er seinem wiedergekehrten Atem – und dem ihren, die ganz in seiner Nähe schlief. Das aufkommende Glücksgefühl, sie gefunden und ihr geholfen zu haben, unterdrückte er. Langsam durchwanderte er die Woh nung, ertastete vorsichtig jedes Hindernis, immer nur begleitet von zweierlei Atem. Dennoch spürte er die Präsenz des anderen. Des Fremden und Be drohlichen, das wie ein Schatten durch die Räume geisterte. Er erreichte eine Tür und öffnete sie. »Verschwinde! Geh mir vom Leib, oder …!« Lilith fuhr von der Wohnzimmercouch hoch. Sie erfaßte die Situa tion. Virgil Codd stand in der offenen Tür zum Schlafzimmer, aus dem ihm Beth MacKinsey ihre Hysterie entgegenschleuderte. Es hat sich nichts geändert, dachte Lilith deprimiert, während sie aufsprang und einschritt. Sie schob Codd, ohne auf Widerstand zu stoßen, beiseite und trat an ihm vorbei in den hellerleuchteten Raum. Beth saß halb aufgerichtet in ihrem Bett. Sie hielt ein Messer in der Hand. Ihr Gesicht wirkte seltsam wächsern. Der Ausdruck darauf ähnelte mehr einem Wahn denn berechtigter Furcht. Lilith hielt Abstand und nahm einen neuen Anlauf, mit ihr zu re den. Vor Stunden hatte Beth ihr schon zu verstehen gegeben, daß sie es am liebsten sähe, wenn Codd und Lilith auf Nimmerwiedersehen aus ihren Augen verschwänden. Da hatte Lilith ihr überzogenes Ge baren noch auf die jüngsten Erlebnisse in Sydneys Kanalisation ge schoben – und auch damit entschuldigt. Aber die Nervenkrise ihrer Freundin hielt an. Lilith kam kaum zu Wort, ehe Beth sie bereits niederschrie: »Verschwindet endlich! Ich will euch hier nicht haben! Man ist ja seines Lebens nicht mehr si cher …« Sie fuchtelte mit dem Messer herum. Ihr Blick irrte zwi
schen Codd und Lilith hin und her, und ihre Augen schimmerten, als würde sie mühsam Tränen unterdrücken. Lilith starrte hilflos zu ihr. Dann wandte sie sich an Codd. »Was wolltest du hier bei ihr? Rede!« Das ehemalige Werkzeug der Sydneyer Vampirsippe sah sie ohne ein Schuldbewußtsein an. Seine Stimme klang herb. »Ich war auf der Suche.« »Ja!« fauchte Beth aus dem Hintergrund. »Auf der Suche nach mir – vielleicht nach meinem Blut! Wer sagt, daß er wirklich geheilt ist? Wer sagt, daß er nicht noch immer dieselben schlechten Gewohnhei ten pflegt wie –?« »Wonach wirklich?« wandte sich Lilith an den knochigen Mann, der lange Zeit die Geschicke der hiesigen Polizei im Sinne der Vam pire gelenkt hatte. Er war von ihnen zur Dienerkreatur gemacht worden, und in dieser Zeit hatte er all das getan, woran Beth sich noch gut erinnerte. »Wonach warst du auf der Suche?« Codd starrte sie aus blassen Augen an. Er wirkte ruhig. Die Reakti on der blonden, mitgenommenen jungen Frau, die angezogen im Bett lag, schien er zu registrieren, aber keiner persönlichen Wertung zu unterziehen. Fast emotionslos sagte er: »Ich weiß es nicht. Es ist nicht mehr da.« »Aber es war da?« Er nickte. »Eine Gefahr?« »Ja.« »Ein Vampir …?« »Nein.« Lilith verlor die Geduld, weil sie aus den Augenwinkeln sah, daß Beth die Geduld verlor. »Sag mir, was du über diese ominöse Gefahr
weißt! Hat es mit den jüngsten Ereignissen zu tun? Mit den Wond jinas …?« »Ich glaube nicht … Ich weiß es nicht.« Lilith seufzte und entschied: »Gehen wir wieder schlafen …« Sie wartete, bis Codd sich ohne Zögern abgewandt hatte und zu seinem provisorischen Schlaflager auf dem Teppich zurückgekehrt war. Dann wandte sie sich an Beth: »Du siehst, es war harmlos. Du über reagierst im Moment. Das ist verständlich nach allem, was auch hin ter dir liegt. Aber –« »Verschwinde! Bitte!« Lilith konnte nicht verhindern, daß eine jähe Traurigkeit ihr kurz den Blick vernebelte. Sie schluckte, dann sagte sie: »Wenn du das wirklich willst – auch morgen früh noch –, werde ich gehen. Ich zwinge dich nicht – zu nichts …« Beth begegnete Liliths Hoffnung, sie möge sich am Ende doch noch besinnen, unversöhnlich. »Ich verlasse mich darauf! Aber nimm ihn mit, wenn du gehst! Es tut mir leid, ich ertrage euch beide wirklich nicht länger …!«
* Lilith tat lange kein Auge mehr zu. Durch die Türritze sah sie, daß Beth das Licht im Schlafzimmer brennen ließ. Ob sie Schlaf fand, war ungewiß. Was war mit ihr passiert? Was war der Anlaß für die plötzliche Abneigung, nachdem sie und Lilith zuvor mehr als bloße Freundinnen gewesen waren. Sie hatten einander auch körperlich vieles gegeben. Beth suchte ihre se xuelle Erfüllung bei Frauen – mit Männern wußte sie nichts anzu
fangen. Von ihr hatte Lilith Einblick in die Zärtlichkeit lesbischer Liebe erhalten und es genossen, auch wenn sie selbst sich, wie sie er kannt hatte, beiderlei Geschlecht zugezogen fühlte. Aber ihre Beziehung war von Anfang an nicht auf das Körperliche reduziert gewesen. Das Vertrauen, sich einander hinzugeben, hatte erst wachsen müssen. Durch die gemeinsamen Erfahrungen war ihr Verhältnis schließlich so eng gewesen, daß Beth eines Tages in ihrer Zuneigung freiwillig noch weiter gegangen war. Sie hatte – in aus sichtsloser Situation – Lilith von sich trinken lassen, hatte sie mit ih rem Blut genährt, als sie in der Wahrscheinlichkeitswelt gefangen waren, wo es außer ihnen beiden nur, wie sie damals meinten, Tote gab.* Wir sind Blutsschwestern, dachte Lilith – und begriff immer weni ger, wie Beth all dies vergessen oder verdrängen konnte. An den Mann, der auf dem Teppich zu ihren Füßen lag, hatte sie sich hingegen selbst noch nicht gewöhnt. Bei ihm, der so unerwartet in brenzliger Situation aufgetaucht war, handelte es sich offenbar um den letzten ihrer vom HAUS vorgese henen »Diener«, der das Fiasko um die entarteten Schöpferwesen überlebt hatte.** Flüsternd fragte sie: »Hörst du mich?« »Ich höre dich«, gab er ebenso leise zurück. Sie sah, daß er die Augen geschlossen hielt. Vielleicht erwartete er, daß sie ihn noch einmal wegen des Vorfalls von eben befragte. Aber davon versprach sie sich nichts, und es gab noch andere Dinge, die ihr nicht mehr aus dem Sinn gingen. »Wie hast du das gemacht?« Gedankenverloren strich sie über den
*siehe Vampira 10: »Das Dorf der Toten« **
siehe Vampira 14: »Die Apokalypse«
Symbionten, der ihren Körper weich und warm umschmeichelte wie lange nicht mehr. Er war genesen vom Einfluß des Totems, das kurzzeitig in ihm aufgegangen war. Daß er Lilith keinen Beistand gegen die Gefahr in der Kanalisation geleistet hatte, mochte mit der dort zum letztenmal wirksam gewordenen, andersartigen Wondji na-Magie zu tun haben. Codd schien zu erahnen, worauf sie ansprach. »Ich wußte vorher auch nicht, daß ich es kann«, sagte er. »Meine Hände tauchten in den Körper dieses …« Er zuckte die Achseln und ließ den Satz un vollendet, weil ihm ein adäquater Begriff für das Geschöpf, das Syd ney fast unter die Pestknute gezwungen hätte, nicht einfallen wollte. »Es ging wie von selbst. Meine Haut prickelte etwas, als ich das Herz des Bösen herausriß – an andere Empfindungen erinnere ich mich nicht.« »Das Herz des Bösen«, murmelte Lilith wie abwesend. Sie spürte, wie müde und mitgenommen sie selbst von den Ereignissen war. Die Ketten hatten viel von ihrer Kraft gestohlen. Um die Schwäche zu besiegen, würde sie sehr bald wieder Blut brauchen. Von Beth würde sie es nicht erhalten – aber das hatte sie auch nicht vor. Sie ließ sich von Codd erzählen, was ihm widerfahren war, seit Jeff Warner ihn von seinem untoten Dasein erlöst hatte. Sie erfuhr, daß er dann erst am ursprünglichen Treffpunkt der Diener eingetroffen war, als dieser bereits verwaist war. Er verschwieg auch nicht seinen Aufenthaltsort vor und nach dieser für ihn schockierenden Einsicht. »Du hast diese Frau – wie heißt sie, Alice? – zweimal verlassen. Wegen mir?« Codd nickte, ohne die Augen zu öffnen. Seine Mimik veränderte sich unmerklich. »Ja«, sagte er. Lilith drehte sich auf die andere Seite, zum Rücken der Couch.
Auch sie schloß die Augen. Sie spürte den Zwiespalt Codds fast kör perlich. In diesem Moment spielte es keine Rolle mehr, was er in Diensten der Vampire an Greueltaten begangen hatte. Dies hier war eine andere Person. Jemand, der selbst mißbraucht wurde. Von ihr, Lilith, im engeren – und von jener Macht, die auch Lilith geschaffen hatte, im weiteren Sinn. Sie mußte lernen, mit diesem Bewußtsein umzugehen. Oder sie würde daran zugrunde gehen. »Hast du Erinnerungen an die Zeit deines Untotseins?« Noch gepreßter kam sein erneutes Bejahen. »Ich erinnere mich an alles.« »Weißt du auch, wohin sich die Sippe gewandt hat, nachdem sie ihren Unterschlupf unter dem Friedhof aufgab?« »Ich erfuhr es am Tag vor meiner Erlösung. Ich kann dich jederzeit dorthin führen.« »Morgen«, sagte Lilith. »Morgen werde ich darauf zurückkom men. Vielleicht gewährt man uns dort freie Kost und Logis, die uns hier verwehrt wird, wenn ich verspreche, meine Feinde erst über morgen zu töten …« Codd sah keine Veranlassung, darauf zu antworten. Während Lilith darüber nachdachte, wie sinnvoll oder unsinnig es war, weiterhin gegen einzelne Vampire oder Sippen vorzugehen, während der Lilienkelch weiterhin verschollen war, schlief sie ein. Auch Codds Atemzüge wurden tiefer. Aber kaum eine Stunde später zwang ihn erneut eine Wahrnehmung aufzustehen. Und diesmal wurde ihm der Schatten zum Verhängnis. ENDE
Der Schattenbote von Adrian Doyle Die magische Pest ist überwunden, doch sie hat einen dramatischen Nebeneffekt: Die Gefühlswelt der Geheilten hat sich ins Gegenteil verkehrt. Menschen, denen sie vorher zugetan waren, wecken nun Ekel und Haß in ihnen! Beth macht da keine Ausnahme; sie kann Li liths Gegenwart nicht ertragen, wendet sich von ihr ab. Lilith ist verzweifelt. Sie ahnt nicht, daß dies erst die Spitze des Eisbergs ist. Denn ein Gegner, der die letzten Wochen nur beobach tet hat, sieht die Gelegenheit gekommen, einzugreifen. Sein Besuch bei Beth McKinsey hat schreckliche Folgen – für sie und Lilith …