Paul Krugman, geboren 1953, lehrt an der Princeton University und ist einer der bedeutendsten und bekanntesten Wirtscha...
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Paul Krugman, geboren 1953, lehrt an der Princeton University und ist einer der bedeutendsten und bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler der Welt. 2008 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis. Er gilt als der wichtigste politische Kolumnist Amerikas und als sprachgewaltigster Ökonom unserer Zeit.
Paul Krugman
Die neue Weltwirtschaftskrise Mit einem Nachwort von Irwin L. Collier Aus dem Englischen von Herbert Allgeier und Friedrich Griese
Campus Verlag Frankfurt/New York
Dieses Buch ist die aktualisierte und um drei Kapitel erweiterte Neuauflage des 1999 im Campus Verlag unter dem Titel Die große Rezession erschienenen Buches. Die amerikanische Originalausgabe erschien 1999 bei W. W. Norton & Company, New York, unter dem Titel The Return of Depression Economics. Die Neuauflage erschien 2008 bei W. W. Norton & Company, New York, unter dem Titel The Return of Depression Economics and the Crisis of 2008. Copyright © 1999, 2008 Paul Krugman. This translation is published by arrangement with W. W. Norton & Company, Inc.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-38933-2 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 1999, 2009. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main. Umschlaggestaltung: Kathrin Steigerwald, Hamburg Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Vorwort für die deutsche Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Der große Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Warnung überhört: Lateinamerikas Krisen . . . . . . . . . 3. Japans Falle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Asienkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Politik der Unvernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Masters of the Universe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Greenspans Blasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Schattenwirtschaft des Bankwesens . . . . . . . . . . . 9. Das Echo aller Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Keynes kehrt zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 41 70 95 122 142 165 180 193 211
Über den Autor von Irwin L. Collier . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Vorwort für die deutsche Ausgabe
Gegen Ende dieses Buches erkläre ich, dass die eigentliche Knappheit in der Welt von heute, anders als in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, keine Knappheit »der Ressourcen oder gar der Tugend, sondern der Erkenntnis« ist. Besonders akut scheint diese Knappheit derzeit in der deutschen Regierung zu sein, was nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa ein Problem aufwirft. Zum Hintergrund: Gegenwärtig hat die Finanz- und Wirtschaftskrise, die in den Vereinigten Staaten begann, ein zweites Epizentrum entwickelt, diesmal in der Peripherie Europas. Die Schwierigkeiten der aufstrebenden Volkswirtschaften Europas erinnern stark an frühere Probleme in Asien und Lateinamerika – Lettland ist das neue Argentinien, die Ukraine das neue Indonesien. Nimmt man noch die geplatzten Häuserblasen in einigen höherentwickelten Volkswirtschaften Europas wie Spanien und Großbritannien hinzu, so ist dadurch ein europaweiter Konjunktureinbruch entstanden, der durchaus so ernst sein könnte wie der in Amerika. Deutschland ist auch ohne eine Häuserblase nicht immun: Der Export ist merklich zurückgegangen, und unabhängige Forschungsinstitute sagen die schlimmste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Europa braucht wie die Vereinigten Staaten unbedingt einen fiskalischen Stimulus, um den Einbruch der privaten Ausgaben
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wettzumachen. Doch im Unterschied zu den Vereinigten Staaten besitzt Europa keine gemeinsame Regierung. Deshalb ist es darauf angewiesen, dass die Regierungen der größeren EU-Mitgliedsländer zu einer koordinierten Anstrengung bereit sind. Und damit sind wir beim deutschen Problem. Aus unerfindlichen Gründen scheinen deutsche Spitzenpolitiker das ungeheure Ausmaß der Krise oder die Notwendigkeit einer energischen Reaktion einfach nicht zu begreifen. Kanzlerin Merkel erklärte, an einem »sinnlosen Wettbewerb um Milliarden« werde sie sich nicht beteiligen. Peer Steinbrück, ihr Finanzminister, ging noch weiter: Nicht genug damit, dass er es ablehnte, selbst einen ernstzunehmenden Plan zur Stimulierung der Wirtschaft vorzulegen, griff er die Pläne anderer europäischer Regierungen an und warf insbesondere Großbritannien vor, einem »krassen Keynesianismus« zu huldigen. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Keynesianismus, wie in diesem Buch erläutert wird, alles andere als krass – er ist der Schlüssel, um die derzeitige Lage zu begreifen und mit ihr fertig zu werden. Dass die deutsche Regierung es »nicht kapiert«, hat weiter reichende Folgen, als man vielleicht denkt. Die Europäische Union ist eine hochgradig integrierte Volkswirtschaft, und das bedeutet, dass es für ein einzelnes Land sehr schwierig ist, eine fiskalische Expansion im Alleingang zu schaffen. Wenn Frankreich beispielsweise ein unilaterales Programm der fiskalischen Stimulierung betreibt, um Arbeitsplätze zu schaffen, werden viele der neuen Arbeitsplätze nicht in Frankreich entstehen, sondern in anderen europäischen Ländern – aber die zusätzliche Verschuldung wird allein Frankreich tragen. Es bedarf wirklich einer koordinierten Expansion, weil sonst für alle einzelnen Länder ein Anreiz besteht, zu wenig zu tun – und damit bliebe die gesamteuropäische Antwort auf die Krise weit hinter dem zurück, was jetzt nötig ist. Eine koordinierte europäische Antwort wird es jedoch nicht geben, wenn die größte Volkswirtschaft Europas nicht erkennt, dass jetzt gehandelt werden muss.
Vorwort für die deutsche Ausgabe 9
Frau Merkel und ihre Beamten glauben anscheinend noch immer, hier herrschten die normalen Regeln der Wirtschaft, jene Regeln, die dann gültig sind, wenn man mit Geldpolitik noch etwas ausrichten kann. Sie haben nicht begriffen, dass in Europa genau wie in den Vereinigten Staaten mittlerweile ein Depressionsklima eingezogen ist, in dem die normalen Regeln nicht mehr gelten. Sobald wir wieder normale Verhältnisse haben, werde ich jenen, die wie Herr Steinbrück fiskalische Disziplin predigen, gern die ihnen gebührende Ehre erweisen. Sich jetzt aber an die Orthodoxie zu klammern, ist hochgradig destruktiv – für Deutschland, Europa und die Welt. Paul Krugman
Einleitung
Die meisten Ökonomen – sofern sie sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen – halten die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre für eine unnötige, vermeidbare Tragödie. Wenn nur der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Herbert Hoover angesichts des Konjunkturrückgangs weniger Haushaltsdisziplin geübt hätte; wenn nur die Notenbank (Federal Reserve) nicht auf Gedeih und Verderb zulasten der heimischen Wirtschaft am Goldstandard festgehalten hätte; wenn nur der Staat den bedrohten Banken mit Liquidität zu Hilfe geeilt wäre, um dem Bankenansturm, der sich 1930/31 anbahnte, frühzeitig zu wehren – dann hätte der Börsenkrach des Jahres 1929 nie solche Konsequenzen zeitigen können. Alles wäre bei einer ganz normalen, schon bald vergessenen Rezession geblieben. Und da ja Ökonomen wie Politiker ihre Lektion anscheinend gelernt haben, wird sich eine Depression dieses Kalibers bestimmt niemals wiederholen. Kein heutiger Finanzminister würde Andrew Mellons berühmtem Ratschlag folgen und mit einer Radikalkur alles vor die Hunde gehen lassen (alles »liquidieren« – Arbeitsplätze, Börse, Farmer, Immobilien et cetera), um das System gleichsam von Grund auf zu sanieren. Aber ist diese Zuversicht wirklich gerechtfertigt? Ende der neunziger Jahre geriet eine Gruppe asiatischer Volkswirtschaften – die zusammengenommen immerhin für ein Viertel der Weltproduktion sorgten und eine Bevölkerung von rund 700 Millionen auf-
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wiesen – in eine Wirtschaftskrise, die in geradezu beängstigender Weise an die große Depression der dreißiger Jahre erinnerte. Wie in den Dreißigern schlug die Krise gleich einem Blitz aus heiterem Himmel zu, wobei die meisten Kommentatoren noch eine Fortsetzung des Booms prognostizierten, als der Abschwung längst an Dynamik gewonnen hatte; und wie in den Dreißigern erwiesen sich die gängigen wirtschaftlichen Rezepte als unwirksam, vielleicht sogar als kontraproduktiv. Die Tatsache, dass so etwas in unserer modernen Welt überhaupt noch geschehen konnte, hätte jedem, der einen Sinn für Geschichte hat, einen Schauer über den Rücken jagen sollen. Mir jedenfalls erging es so. Die erste Auflage dieses Buches entstand als Reaktion auf die Asienkrise der neunziger Jahre. Während manche Beobachter diese Krise als spezifisch asiatisches Phänomen betrachteten, sah ich sie als ein schlechtes Omen für uns alle – als Warnung, dass die Probleme nachhaltiger Konjunktureinbrüche keineswegs aus der modernen Welt verschwunden sind. Es stimmt mich durchaus nicht fröhlich, dass ich mit meinen Befürchtungen Recht behalten habe: Während diese Neuauflage in Druck geht, kämpft ein Großteil der Welt – und zuvörderst die Vereinigten Staaten – mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die der großen Depression der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts eher noch stärker ähnelt, als dies bei der Asienkrise der neunziger Jahre der Fall war. Dabei glaubten wir, wirtschaftliche Schwierigkeiten der Art, wie Asien sie vor gut zehn Jahren erlebte und wie sie die Welt heute erneut bedrohen, inzwischen im Griff zu haben und somit verhindern zu können. Mochten in den schlechten alten Zeiten auch große, fortgeschrittene Länder mit stabilen Regierungen – wie Großbritannien in den zwanziger Jahren – mit längeren Stagnations- und Deflationsperioden ihre Probleme gehabt haben: Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritte von John Maynard Keynes bis Milton Friedman, dachten wir, sollte es künftig kein Problem mehr sein, derlei Entwicklungen zu unterbinden.
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Mochten kleinere Länder – etwa Österreich 1931 – früher einmal den internationalen Kapitalströmen machtlos gegenübergestanden haben: Heute dürfte es angesichts des Sachverstands von Banken und Regierungen (ganz zu schweigen vom Internationalen Währungsfonds) keine Schwierigkeit mehr sein, rasch ein geeignetes Maßnahmenpaket zu schnüren, um solche Krisen rechtzeitig zu managen. Früher mochten Regierungen – wie 1930/31 die amerikanische – hilflos zugesehen haben, wie ihr Bankensystem zusammenbrach; doch in der modernen Welt gibt es ja schließlich die Einlagengarantie und außerdem eine mächtige Zentralbank, die solche Entwicklungen zu verhindern weiß, indem sie die bedrohten Einrichtungen rechtzeitig mit Liquidität versorgt. Zwar war kein vernünftiger Mensch so vermessen zu glauben, nun seien alle wirtschaftlichen Probleme ein für alle Mal vom Tisch; aber wir hatten schon das Gefühl, dass es so dick wie in den zwanziger und dreißiger Jahren nie mehr kommen könne. Eigentlich aber hätten wir bereits vor zehn Jahren sehen müssen, dass unser Selbstbewusstsein arg überzogen war. Japan steckte fast die gesamten neunziger Jahre über in einer ökonomischen Falle, die Keynes und seinen Zeitgenossen vollkommen vertraut vorgekommen wäre. Die kleineren asiatischen Volkswirtschaften wiederum stürzten praktisch über Nacht vom Boom in die Baisse – doch auch das Drehbuch ihres Niedergangs könnte geradewegs einem Werk der Wirtschafts- und Finanzgeschichte der dreißiger Jahre entstammen. Ich verglich das Ganze damals mit ehedem hoch infektiösen, dank der modernen Medizin aber längst als besiegt geltenden Bakterien, die sozusagen in einer neuen Variante aufgetaucht waren, gegen welche die üblichen Antibiotika nichts ausrichten konnten. Hier ein kurzer Auszug aus der Einleitung zur ersten Auflage: »Noch freilich ist die Zahl der Opfer gering. Dies kann jedoch für alle anderen nur heißen, alles daranzusetzen, um möglichst rasch neue Gegenmittel und prophylaktische Maßnahmen zu entwickeln, damit weitere Opfer vermieden werden.«
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Nun, wir waren dumm genug, den Rat nicht zu befolgen. Und jetzt hat es uns erwischt. Ein Großteil dieser neuen Auflage beschäftigt sich mit der Asienkrise der neunziger Jahre, die sich als eine Art Vorläufer der globalen Krise herausstellt, mit der wir es gegenwärtig zu tun haben. Ergänzend findet sich jedoch auch umfangreiches neues Material, das Licht auf die Frage werfen soll, wie es dazu kommen konnte, dass die Vereinigten Staaten sich in einer ähnlichen Situation wiederfanden wie Japan ein Jahrzehnt zuvor, dass es Island nicht viel anders erging als damals Thailand und dass die ursprünglichen Krisenländer der neunziger Jahre sich mit Schrecken erneut am Rande des Abgrunds sahen.
Über dieses Buch Ich will es vorweg sagen: Es handelt sich im Kern um eine analytische Abhandlung. Es geht mir also weniger um das Was, sondern um das Warum. Das Ziel ist, einige zentrale Zusammenhänge zu verstehen: Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Wie können sich die betroffenen Länder aus ihrer Misere befreien? Wie können wir Ähnliches in Zukunft verhindern? Letztlich geht es also darum, die Theorie des Falles zu entwickeln (wie man an den Business Schools sagen würde). Wir müssen versuchen, System in die Sache zu bekommen. Gleichzeitig kam es mir jedoch darauf an, ein allzu trockenes und theorielastiges Vorgehen zu vermeiden. Der Leser wird also nicht mit mathematischen Gleichungen belästigt, so wenig wie mit schwer verständlichen Diagrammen. Und ich habe mich auch bemüht, Fachjargon möglichst beiseite zu lassen. Als an akademische Verhältnisse gewöhnter Ökonom würde es mir bestimmt nicht schwer fallen, ein Buch mit sieben Siegeln zu schreiben. Solche Fachpublikationen haben ja auch durchaus ihren Sinn und spielten eine wichtige Rolle im Erkenntnisprozess, dessen
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Ergebnisse ich hier präsentiere. Doch worauf es jetzt ankommt, sind sachgerechte politische Maßnahmen. Und um diese zu ermöglichen, müssen die gewonnenen Ideen und Einsichten einem breiteren Publikum – und nicht nur Fachkollegen – auf möglichst verständliche Weise dargeboten werden. Im Übrigen sind die Gleichungen und Diagramme der Volkswirtschaftslehre sowieso nur das Gerüst, mit dessen Hilfe das intellektuelle Gebäude errichtet wird. Sobald Letzteres steht, kann man das Gerüst wieder entfernen. Übrig bleiben sollte nur klarer, verständlicher Text. Der Leser wird auch feststellen, dass ungeachtet des analytischen Grundanliegens viel Erzählerisches im Spiel ist. Dies hat zum einen damit zu tun, dass der Erzählfaden – die Entwicklung der Ereignisse – häufig wichtige Anhaltspunkte dafür liefert, welche Theorie des Falles denn sinnvoll ist. (Beispiel: Eine fundamentalistische Sicht der Wirtschaftskrise – die gleichsam annimmt, dass eine Volkswirtschaft immer nur die Strafe bekomme, die sie verdient – muss den sonderbaren Zufall erklären können, warum so viele offenkundig ganz verschiedene Volkswirtschaften binnen weniger Monate so tief in den Schlamassel gerieten.) Als weiterer Punkt kommt hinzu, dass der Erzählfaden erst den nötigen Kontext für die Erklärungsversuche schafft, zumal die wenigsten Leser mit der Entwicklung und den Geschehnissen der letzten eineinhalb Jahre hinreichend vertraut sein dürften. Nicht jeder wird zum Beispiel wissen, was Mohamad Mahathir im August 1997 in Kuala Lumpur von sich gab, und kaum jemand wird die Verbindungslinien zu dem ziehen können, was Donald Tsang ein Jahr später in Hongkong tat. Nun, dieses Buch soll dem Gedächtnis des Lesers auf die Sprünge helfen. Eine Anmerkung zum Thema »intellektueller Stil«: Wirtschaftsautoren sind oft versucht, sich prätentiös zu geben, vor allem bei so ernsten Themen. Natürlich geht es um sehr wichtige Dinge, nicht selten um Leben und Tod. Doch viele von ihnen scheinen zu glauben, dass ein ernstes Thema einen gespreizten Stil erfordere, dass große Fragen große Worte verlangten, dass Informelles und Locke-
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res da keinen Platz habe. Tatsache ist aber, dass man neuen und unverstandenen Phänomenen auf spielerische Weise viel eher auf den Grund kommt. Das Wort »spielerisch« benutze ich hier übrigens in voller Absicht. Denn den Salbungsvollen und Hochtrabenden, die alles Lockere grundsätzlich für unter ihrer Würde halten, gelingt es selten, für frischen Wind zu sorgen – in der Ökonomie so wenig wie anderswo. Nehmen wir folgende Aussage als relativ typisches Beispiel: »Japan leidet derzeit an fundamentalen Abstimmungsdefiziten, weil sein staatsorientiertes Wachstumsmodell zu struktureller Inflexibilität führt.« Das hört sich gelehrt an, doch der Informationswert geht gegen Null. Bestenfalls bringt der Satz zum Ausdruck, dass die Probleme groß und die Lösungen schwierig sind – und Letzteres ist möglicherweise auch noch falsch. Nehmen wir demgegenüber an, ich illustriere Japans Schwierigkeiten anhand eines unterhaltsamen Beispiels, etwa dem Auf und Ab in einer Babysitting-Kooperative (dieses Beispiel wird in der Tat noch mehrfach auftauchen). Manchem Leser mag so etwas zu läppisch erscheinen, manch einen mag es gar befremden. Doch dieses spielerisch-lockere Vorgehen verfolgt einen wichtigen Zweck: Es eröffnet nämlich eine neue Sicht auf die Sache und legt in unserem Fall den Schluss nahe, dass es für Japan vielleicht tatsächlich einen überraschend einfachen Weg aus der Krise gibt (jedenfalls partiell). Erwarten Sie also kein hochgestochenes Buch! So ernst es mir mit meinem Anliegen ist, so locker und unprätentiös soll es – im Interesse der Sache – bei der Darstellung zugehen. Und damit beginnen wir nun unsere Reise, ausgehend von jener Welt, wie sie sich uns vor wenigen Jahren noch darbot.
Kapitel 1
Der große Irrtum
2003 war es, als Robert Lucas, Professor an der Universität von Chicago und Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1995, in seiner präsidialen Ansprache zur Eröffnung der Jahrestagung der American Economic Association einen bemerkenswerten Satz von sich gab. Nachdem er zunächst über die Entstehung der Makroökonomik als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre referiert hatte, erklärte er, dass es für diese Disziplin nun an der Zeit sei, einen Schritt nach vorne zu machen: »Das zentrale Problem der Depressionsvermeidung«, sagte er, »ist in jeder praktischen Hinsicht gelöst.« Damit wollte Lucas natürlich nicht zum Ausdruck bringen, dass der Konjunkturzyklus – das Auf und Ab des unregelmäßigen Wechsels zwischen Schrumpfung (Rezession) und Wachstum (Expansion), das uns über gut eineinhalb Jahrhunderte begleitet hat – nunmehr gänzlich der Vergangenheit angehöre. Wohl aber behauptete er, dass der Zyklus so weit gezähmt, mithin unter Kontrolle sei, dass der Nutzen weiterer Bemühungen auf diesem Gebiet trivial erscheine: Die Glättung der kleineren Schwankungen im Wirtschaftswachstum, so Lucas, brächte nur unbedeutende Steigerungen des Gemeinwohls. Daher sei es an der Zeit, Themen wie das langfristige Wirtschaftswachstum ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Lucas war mit seiner Meinung, die Vermeidung ausgedehnter
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und tief greifender Rezessionen sei als Problem vom Tisch, keineswegs allein. Ein Jahr später hielt auch Ben Bernanke, ehemals Professor in Princeton, bevor er zur Fed ging und bald darauf ihr Vorsitzender wurde, unter dem Titel The Great Moderation (frei übersetzt: Die gelungene Zähmung) eine bemerkenswert optimistische Rede. Darin vertrat er ganz ähnlich wie Lucas die Auffassung, dass die moderne makroökonomische Politik die Konjunktur inzwischen im Griff habe – oder genauer: das Problem zumindest so weit unter Kontrolle, dass es allenfalls noch kleinere Unpässlichkeiten, aber keine schweren Krisen mehr verursachen könne. Blickt man heute, nur wenige Jahre später, auf diese forschen Aussagen zurück, wirkt ihre Naivität angesichts einer weltweit wütenden, nur allzu sehr an die dreißiger Jahre erinnernden Finanzund Wirtschaftskrise geradezu erschütternd. Was diesen Optimismus noch seltsamer macht, ist die Tatsache, dass ökonomische Probleme gravierender, an die Große Depression erinnernder Art auch in den neunziger Jahren keineswegs aus der Welt waren. Im Gegenteil. Es gab sie in einer Reihe von Ländern – darunter Japan, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Freilich waren die Vereinigten Staaten zu Beginn dieses Jahrzehnts noch von depressionsartigen Problemen verschont geblieben. Gleichzeitig schien die Inflation – die Geißel der siebziger Jahre – endlich unter Kontrolle zu sein. Hinzu kam, dass die relativ beruhigenden Wirtschaftsnachrichten in ein politisches Umfeld eingelagert waren, das seinerseits den Optimismus stützte: Die Welt schien den Marktwirtschaften gewogener zu sein als je zuvor in fast neunzig Jahren.
Der Siegeszug des Kapitalismus Dieses Buch dreht sich um wirtschaftliche Zusammenhänge; doch alles Wirtschaftliche spielt sich in einem politischen Rahmen ab.
Der große Irrtum 19
Die Welt, wie sie sich uns noch vor ein paar Jahren darstellte, lässt sich daher nur richtig deuten, wenn wir das grundlegende politische Faktum der neunziger Jahre mit berücksichtigen: den Zusammenbruch des Sozialismus, und zwar nicht nur auf politischer, sondern auch auf intellektueller Ebene. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war ausgerechnet China. Man kann es noch immer nicht ganz begreifen, dass Deng Xiaoping sein Land 1978 auf einen in der Konsequenz kapitalistischen Weg brachte – nur drei Jahre nach dem Sieg der Kommunisten in Vietnam und nur zwei Jahre nach der internen Niederlage der radikalen Maoisten, die ja eine neue Kulturrevolution anstrebten. Es ist allerdings zu vermuten, dass Deng damals nicht völlig klar war, wohin dieser Weg letztlich führen würde. Auf jeden Fall aber brauchte der Rest der Welt sehr lange, um zu begreifen, dass ein Milliardenvolk still und leise Abschied vom Maoismus genommen hatte. Selbst Anfang der neunziger Jahre hatten viele Intellektuelle noch immer nicht richtig verstanden, welcher Wandel in China im Gange war. Die Bestseller jener Zeit malten noch immer das Bild vom Kampf zwischen dem großen Dreigestirn Europa, Amerika und Japan. China tauchte allenfalls als sekundäre Größe auf, mitunter als Teil eines sich entwickelnden Yen-Blocks. Eine andere Veränderung jedoch war allen klar. Gemeint ist der Zusammenbruch der Sowjetunion. Niemand kann so recht erklären, was dem Sowjetregime eigentlich widerfuhr. In der Rückschau neigen wir dazu, das ganze System für von Grund auf unsolide zu halten, weshalb der Zusammenbruch unvermeidlich gewesen sei – irgendwann. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es ein Herrschaftssystem war, das Bürgerkrieg und Hungersnot überdauerte, das wider alle Erwartungen die Nazis besiegte, das durch Mobilisierung seiner wissenschaftlichen und industriellen Ressourcen sogar der Atommacht Amerika Paroli zu bieten vermochte. Dass es mit diesem System so plötzlich zu Ende ging – nicht mit einem Knall, sondern mit einem Seufzer! –, ist im Grunde eines der großen Rätsel der politischen
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Ökonomie. Vielleicht war es ja wirklich nur eine Frage der Zeit – möglicherweise lässt sich der revolutionäre Eifer (jenseits aller Bereitschaft, Andersdenkende im Namen eines höheren Gemeinwohls einen Kopf kürzer zu machen) tatsächlich nur über zwei, vielleicht drei Generationen konservieren. Vielleicht auch lag es am Kapitalismus, dem es gar nicht einfiel, sich in der ihm zugeschriebenen Dekadenz zu präsentieren, sodass das sozialistische System immer stärker unterminiert wurde. Ich persönlich halte es für denkbar (ohne nun empirische Belege anführen zu können), dass der wirtschaftliche Aufstieg der kapitalistischen Volkswirtschaften Asiens die Sowjetherrscher auf subtile, doch nachhaltige Weise demoralisierte, stellte er doch den lebenden Gegenbeweis zu der These dar, der Sozialismus habe die Geschichte (beziehungsweise die Zukunft) auf seiner Seite. Verstärkend hinzu kam sicherlich der kräftezehrende, nicht zu gewinnende Krieg in Afghanistan, ferner die offenkundige Unfähigkeit der Sowjetwirtschaft, Ronald Reagans Aufrüstung zu kontern. Doch was auch immer die Gründe gewesen sein mögen – 1989 brach die Sowjetherrschaft in Osteuropa urplötzlich zusammen, und 1991 geschah Gleiches mit der Sowjetunion selbst. Die Auswirkungen dieses Zusammenbruchs waren überall auf der Welt spürbar, mal mehr, mal weniger direkt. Gewinner war stets der Kapitalismus, dessen politische und ideologische Vorherrschaft nun immer deutlicher wurde. Erstens natürlich fanden sich mehrere hundert Millionen Menschen, die bis dahin unter marxistischer Herrschaft gelebt hatten, plötzlich als Bürger von Staaten wieder, die sich den Märkten öffneten. Es überrascht allerdings, dass sich dies in gewisser Weise als die am wenigsten durchschlagende Konsequenz des Zusammenbruchs des Sowjetreiches erweisen sollte. Entgegen der allgemeinen Erwartung nämlich stürmten die »Volkswirtschaften im Übergang« nicht ungestüm auf die Weltmärkte und entwickelten sich nicht zu bevorzugten Investitionsräumen für internationales Kapital. Im Gegenteil. Den meisten Ländern fiel der Übergang
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ausgesprochen schwer. Ostdeutschland zum Beispiel wurde zum deutschen Mezzogiorno, einem sozial- und finanzpolitischen Problemgebiet, dem es schwer fiel, auf die Beine zu kommen. Erst jetzt, fast zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus, schälen sich ein paar Länder heraus – Polen, Estland, Tschechien –, in denen sich wirtschaftlicher Erfolg einzustellen scheint. Und Russland selbst ist für den Rest der Welt überraschenderweise zu einer enormen Quelle finanzieller und politischer Instabilität geworden. Doch mehr zu diesem Thema in Kapitel 6. Eine direkte weitere Auswirkung des Zusammenbruchs des Sowjetregimes bestand darin, dass jene Länder, die auf die Unterstützung der Sowjetunion vertraut hatten, nun plötzlich auf sich selbst gestellt waren. Da jedoch einige dieser Länder den Gegnern des Kapitalismus als Ideal und Idol gegolten hatten, versetzten die plötzliche Armut dieser Staaten – und die Erkenntnis ihrer Abhängigkeit von der UdSSR – der Legitimität aller dieser Bewegungen einen schweren Schlag. Solange Kuba die heldenhafte Nation spielte, die als kleiner Zwerg den starken USA die Zähne zeigte, war es den Revolutionären in ganz Lateinamerika ein äußerst willkommenes Symbol des Kampfes – weit brauchbarer natürlich als die grauen Bürokraten im fernen Moskau. Die Schäbigkeit und Tristesse des nachsowjetischen Kuba ist daher nicht nur an sich desillusionierend; sie macht auch schmerzlich klar, dass der Heldenstatus der Vergangenheit nur möglich war, weil jene Bürokraten dem Land stark unter die Arme gegriffen hatten. Eine ähnliche Rolle spielte bis in die neunziger Jahre hinein Nordkorea. Trotz seiner gespenstischen Verhältnisse übte das Land auf viele Radikale – insbesondere unter den südkoreanischen Studenten – eine nicht geringe Faszination aus. Seit aber die Bevölkerung buchstäblich zu verhungern begann, weil die Unterstützung aus Russland ausblieb, ist natürlich auch die Faszination dahin. Eine weitere mehr oder weniger direkte Folge des sowjetischen Zusammenbruchs ist das Verschwinden der vielen radikalen Bewegungen, die – ungeachtet ihrer hohen und reineren revolutio-
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nären Ansprüche – faktisch von Moskau abhängig waren: Moskau lieferte die Waffen, sorgte für die nötige Ausbildung und stellte die finanziellen Mittel bereit. In Europa hörte man immer wieder das Argument, die radikalen Terroristen der siebziger und achtziger Jahre – Baader-Meinhof in Deutschland, die Rote-Armee-Brigaden in Italien – seien die wahren Marxisten, ohne Verbindung zu den korrupten Altkommunisten in Russland. Doch inzwischen ist klar, dass sie sogar sehr stark von der Unterstützung aus dem Sowjetblock lebten. Als diese Hilfe ausblieb, waren auch jene Bewegungen am Ende. Vor allem aber zerstörte der demütigende Niedergang der Sowjetunion den sozialistischen Traum. Anderthalb Jahrhunderte lang fungierte die Idee des Sozialismus – jeder nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen – als intellektuelles Sammelbecken für alle, die von der Hand des Marktes nicht viel hielten. Nationalistische Führer beriefen sich auf sozialistische Ideale, um Auslandsinvestitionen einen Riegel vorzuschieben oder Auslandsschulden auf die elegante Weise loszuwerden; Gewerkschaftler bedienten sich sozialistischer Rhetorik, um höhere Löhne durchzusetzen; sogar Geschäftsleuten waren sozialistische Prinzipien mitunter willkommen, wenn es galt, Zölle oder Subventionen einzufordern. Jene Staaten, die im Prinzip trotzdem auf freie Märkte setzten, taten dies vorsichtig und eher verschämt, weil sie befürchteten, eine allzu offene und kompromisslose Marktorientierung könne ihnen den Vorwurf einer brutalen, inhumanen, unsozialen Politik einbringen. Wer aber vermag heute noch das sozialistische Vokabular zu verwenden, ohne dabei zu erröten? Als Kind der fünfziger und sechziger Jahre weiß ich aus eigener Erfahrung, welchen Glanz die Idee der Revolution – die Vorstellung von mutigen Männern im Dienste der Geschichte – ausstrahlte. Das alles ist heute dahin. Nach all seinen Säuberungen und Gulags war Russland so rückständig und korrupt wie eh und je. Nach all seinen »großen Sprüngen« und Kulturrevolutionen entschied sich China für den wirtschaftlichen
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Erfolg als das höchste Ziel. Freilich gibt es noch immer einige radikale Linke, die dickköpfig darauf beharren, wahrer Sozialismus sei doch noch nirgendwo ausprobiert worden. Und da sind ferner die gemäßigten Linken, die mit nachvollziehbareren Gründen behaupten, dass jemand, der den Marxismus-Leninismus ablehnt, deswegen nicht gleich ins Lager von Milton Friedman wechseln müsse. Dies ändert aber nichts daran, dass die Sache der Kapitalismusgegner inzwischen ihrer Seele beraubt ist. Erstmals seit 1917 leben wir also in einer Welt, in der Eigentumsrechte und freie Märkte als Eckpfeiler, nicht nur als widerwillig akzeptierte Hilfsinstrumente auf Zeit gelten, und in der die unschönen Seiten einer Marktwirtschaft – Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Ungerechtigkeit – als schlichte Notwendigkeiten akzeptiert werden. Wie bereits in der viktorianischen Zeit, so verdankt der Kapitalismus seine Dominanz auch heute weniger seinen Erfolgen (die jedoch, wie wir gleich sehen werden, durchaus vorhanden sind), sondern der Tatsache, dass es keine brauchbare Alternative gibt. Dieser Zustand wird allerdings nicht ewig währen. Es werden neue Ideologien kommen, neue Träume. Und zwar umso eher, je länger die momentane Wirtschaftskrise andauert und je einschneidender sie wirkt. Derzeit jedoch führt der Kapitalismus weltweit unangefochten das Regiment.
Die Zähmung der Konjunktur Die Erzfeinde kapitalistischer Stabilität waren schon immer Krieg und Krise. Krieg gibt es noch immer, keine Frage. Doch jene Kriege, die dem Kapitalismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts fast den Exitus bescherten, waren massive Konflikte zwischen Großmächten – und es gibt wenig Grund anzunehmen, dass uns ein solcher Krieg in absehbarer Zukunft wieder blühen könnte. Doch wie steht es mit Wirtschaftskrisen? Wir erinnern uns, dass die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre um ein Haar Ka-
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pitalismus samt Demokratie zerstört hätte und dass sie mehr oder weniger direkt in den Krieg mündete. Danach allerdings folgte in den Industrienationen eine Generation lang eine Phase nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums. Rezessionen waren in dieser Zeit kurz und mild, die darauf folgenden Aufschwünge kräftig und ausgedehnt. Ende der sechziger Jahre hatte man in den USA schon so lange keine Rezession mehr erlebt, dass wirtschaftswissenschaftliche Konferenzen sich mit Themen befassten wie: »Ist der Konjunkturzyklus ein Phänomen von gestern?« Die Frage war voreilig. Die siebziger Jahre waren ein Jahrzehnt der Stagflation, sprich: rückläufiger Konjunktur gepaart mit Inflation. Den beiden Energiekrisen von 1973 und 1979 folgten die schlimmsten Rezessionen seit den dreißiger Jahren. Gleichwohl tauchte die Frage zu Beginn der neunziger Jahre erneut auf. Und wie wir gerade sahen, schlugen auch Robert Lucas und Ben Bernanke vor ein paar Jahren in die gleiche Kerbe, als sie behaupteten, dass – ungeachtet gelegentlicher Rücksetzer – die Tage wirklich schwerer Rezessionen, geschweige denn weltweiter Depressionen, ein für alle Mal hinter uns lägen. Was ist von einer solchen These nun zu halten (einmal davon abgesehen, dass eine schwere Rezession in letzter Zeit tatsächlich nicht mehr vorkam)? Zur Beantwortung der Frage bedarf es eines kleinen theoretischen Exkurses. Fragen wir uns zunächst einmal, was es mit dem Konjunkturzyklus eigentlich auf sich hat. Oder noch konkreter: Warum geraten Marktwirtschaften in Rezessionen? Man könnte meinen, die Antwort sei klar – Rezessionen entstünden aus diesem oder jenem mehr oder weniger einleuchtenden Grund. Tatsache aber ist, dass eine Rezession nichts Normales, sondern den Ausnahmefall darstellt, wie bei näherem Nachdenken rasch erkennbar ist (denn der Markt schafft es ja in der Regel ganz gut, Angebot und Nachfrage in der Balance zu halten). Ein wirtschaftlicher Abschwung – und insbesondere ein schwerer – ist nun aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass das Angebot groß
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und die Nachfrage gering ist. Es gibt folglich Arbeitswillige, doch keine Jobs; exzellente Fabriken, doch keine Produktionsaufträge; offene Läden, doch nicht genügend Kunden. Eine selektive Nachfragelücke (bestimmte Erzeugnisse betreffend) lässt sich meist leicht erklären: Wenn Produkt A in großen Mengen produziert wird, die Verbraucher aber das Konkurrenzprodukt B vorziehen, bleibt Produkt A eben liegen. Doch wie kann es dazu kommen, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen generell zu schwach ist? Müssen die Leute ihr Geld denn nicht für irgendetwas ausgeben? Das Verständnisproblem besteht zum Teil jedenfalls darin, dass man sich zumeist schlicht kein Bild davon zu machen vermag, was bei einem wirtschaftlichen Abschwung geschieht. Es gibt indes ein sehr schönes Beispiel, mit dem sich nicht nur erklären lässt, wie eine Rezession entsteht, sondern das mir selbst auch immer wieder zu neuen Ideen und Einsichten verhilft. (Wer meine früheren Bücher kennt, wird sich an das Beispiel erinnern.) Der Hintergrund ist übrigens nicht erfunden; die Kooperative beziehungsweise Interessengemeinschaft gab es also wirklich. In Kapitel 3 – im Zusammenhang mit der Erklärung der japanischen Malaise – wird das Beispiel dann allerdings in erweiterter Form eine wichtige Rolle spielen. Ursprünglich stammt die Geschichte von Joan und Richard Sweeney, die sie in einem 1978 veröffentlichten Artikel mit dem Titel Monetary Theory and the Great Capitol Hill Baby-sitting Co-op Crisis (Geldtheorie und die große Krise der Babysitting-Kooperative von Capitol Hill) für ihre Erläuterungen verwendeten. Auch hier wieder gilt: Der Titel mag unernst klingen, doch geht es natürlich um ausgesprochen seriöse Themen. In den siebziger Jahren waren die Sweeneys Mitglieder eines solchen Babysitting-Kreises, eines Zusammenschlusses junger Paare (in diesem Fall hauptsächlich Personen, die im US-Kongress beschäftigt waren) zum Zweck der wechselseitigen Kinderbetreuung, um so mehr Freizeit zu gewinnen. Der Teilnehmerkreis
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war ungewöhnlich groß (etwa 150 Paare). Dies bedeutete, dass an potenziellen Babysittern kein Mangel herrschte. Allerdings warf die Größe der Organisation auch Managementprobleme auf. Vor allem galt es sicherzustellen, dass jedes der beteiligten Paare auch seinen fairen Arbeitsanteil übernahm. Wie bei derartigen Tausch- beziehungsweise Gegenseitigkeitssystemen meist der Fall, versuchte auch der Capitol-Hill-Kreis das Problem durch die Ausgabe von Berechtigungsscheinen zu lösen: Coupons, die dem Besitzer jeweils eine Dienstleistung im Umfang von einer Stunde Babysitten garantierte. Wer also die Kinder eines anderen Paares hütete, erhielt von den die Dienstleistung in Anspruch nehmenden Eltern die entsprechende Anzahl Coupons. Dieses System war vom Prinzip her narrensicher: Es garantierte automatisch, dass im Laufe der Zeit jedes Paar genauso viele Stunden ableistete, wie es in Anspruch nahm. Ganz so problemlos lief die Sache aber eben doch nicht. Es stellte sich nämlich heraus, dass für das reibungslose Funktionieren eines solchen Systems eine bestimmte Umlaufmenge an Coupons erforderlich ist. Hatte ein Paar zum Beispiel mehrere Abende in Folge frei, jedoch nichts Besonderes vor, tendierte es dazu, sich für die Zukunft eine Couponreserve anzulegen. Diesem Horten stand natürlich ein entsprechender Abbau der Couponvorräte anderer Paare gegenüber, doch über einen längeren Zeitraum gesehen waren alle Paare wohl daran interessiert, hinreichend viele Coupons zu besitzen, um zwischen den diversen Babysitting-Runden bei Bedarf mehrmals hintereinander ausgehen zu können. Die Ausgabe der Coupons allerdings war bei dieser Kooperative eine recht komplizierte Angelegenheit: Die Paare erhielten bei Eintritt welche und waren gehalten, die Coupons bei Austritt zurückzuerstatten; sie entrichteten jedoch auch ihre Mitgliedsgebühren in Form von Coupons, welche dann zur Entlohnung der Funktionsträger verwendet wurden. Die Details sind hier jedoch unwichtig. Der Punkt ist, dass plötzlich die Situation eintrat, dass sich nur relativ wenige Coupons im Umlauf befanden – zu wenige jedenfalls für die Bedürfnisse der Kooperative.
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Die Konsequenzen waren seltsam. Paare, die den Eindruck hatten, ihre Couponvorräte seien zu gering, gingen ungern aus und versuchten verstärkt, Babysitting-Stunden abzuleisten. Doch erst die Entscheidung eines Paares, auszugehen, war die Chance eines anderen Paares, Stunden abzuleisten und Coupons zu gewinnen. Die Gelegenheiten zum Babysitten wurden folglich immer rarer, was wiederum die Konsequenz hatte, dass die Paare ihre Couponreserven immer weniger gern angriffen, sie sich vielmehr lieber für besondere Gelegenheiten aufhoben, weshalb die Gelegenheiten zum Babysitten noch rarer wurden ... Kurz gesagt: Die Kooperative geriet in eine Rezession. So weit, so gut. Doch was halten Sie eigentlich von diesem Beispiel? Falls Sie einigermaßen ratlos sind – weil Sie sich vielleicht sagen: Ich dachte, ich erfahre hier etwas über die weltwirtschaftliche Krise. Was soll da Babysitten? –, haben Sie etwas Wichtiges noch nicht begriffen: Wer komplexe Systeme verstehen will (sei es das globale Wetter oder die globale Wirtschaft), muss mit Modellen arbeiten, das heißt mit vereinfachten Darstellungen des jeweiligen Systems. Nur so lassen sich die grundlegenden Funktionszusammenhänge verstehen. Diese Modelle können unterschiedliche Formen annehmen. Manchmal sind es Gleichungssysteme, manchmal Computerprogramme (denken wir an die Simulationen auf der Wetterkarte). Mitunter aber handelt es sich dabei um so etwas wie die Modellflugzeuge, mit denen die Konstrukteure die Untersuchungen im Windkanal durchführen: kleinmaßstäbliche Ausführungen, mit denen sich viel besser experimentieren lässt. In ähnlicher Weise ist die Capitol-Hill-Kooperative eine Volkswirtschaft im Miniformat – vielleicht die denkbar kleinste Wirtschaft, in der eine Rezession auftreten kann. Doch es handelte sich zweifellos um eine richtige Rezession – genauso real, wie der Auftrieb, den die Tragflächen eines Modellflugzeugs erzeugen, ein echter Auftrieb ist. Und in gleicher Weise, wie das Verhalten des Modells den Konstrukteuren wichtige Hinweise auf das Verhalten des Jum-
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bos liefert, ermöglicht uns unser Babysitting-Beispiel wichtige Einsichten bezüglich der Frage, weshalb Volkswirtschaften gut oder schlecht funktionieren. Falls Sie aber eher befremdet sind – weil Sie sich vielleicht sagen: Es geht hier um wichtige und ernsthafte Dinge, was soll da diese läppische kleine Parabel von amerikanischen Yuppies! –, muss ich Sie ebenfalls rügen. Erinnern Sie sich daran, was ich in der Einleitung sagte? Eine gewisse Lockerheit – die Bereitschaft zu Gedankenspielen – macht die Sache nicht nur unterhaltsam, sondern ist gerade heute von zentraler Bedeutung. So wenig man einem Flugzeugkonstrukteur trauen sollte, der nicht mit Modellen arbeitet, so wenig sollte man auch einem Wirtschaftsexperten trauen, der das Spiel mit Modellen für unter seiner Würde hält. Wie wir noch sehen werden, ist unser humoriges BabysittingBeispiel sogar ein ganz hervorragendes Instrument zum besseren Verständnis der ganz und gar nicht humorigen Probleme realer Volkswirtschaften. Die theoretischen Modelle, die in den Wirtschaftswissenschaften in der Regel verwendet werden (hauptsächlich mathematische Konstrukte), sind demgegenüber natürlich weit komplizierter. Gleichwohl lassen sich ihre Hauptergebnisse normalerweise in leicht verständliche Parabeln übersetzen, ähnlich wie bei unserem Babysitting-Beispiel. (Falls nicht, ist dies meist ein Hinweis darauf, dass mit dem Modell etwas nicht stimmt.) Ich werde auf unseren Babysitter-Club deshalb noch mehrfach zu sprechen kommen, und zwar in unterschiedlichen Zusammenhängen. Zunächst wollen wir uns aber mit zwei zentralen Fragen beschäftigen, die sich aus unserem Beispiel ergeben: Wie kommt es zu Rezessionen? Was kann man gegen sie tun? Erstens also: Warum geriet die Kooperative überhaupt in eine Rezession? Sehen wir uns zunächst an, woran es nicht lag: Der Grund lag nicht in einer schlechten Dienstleistungsqualität. Vermutlich machten die Babysitter ihre Arbeit ganz gut, vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist das hier nicht das Problem. Auch gab es keine Verzerrungen, Ungerechtigkeiten oder Vetternwirtschaft. Und auch
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mit »technologischen« Gründen (im Sinne fehlender Anpassung an neue Entwicklungen) hatte das Marktversagen nichts zu tun. Um es zusammenzufassen: Das Problem lag nicht auf der Produktionsseite. Es herrschte vielmehr einfach ein Mangel an »effektiver Nachfrage«. Es wurde zu wenig für die angebotenen Dienstleistungen (Babysitting-Stunden) ausgegeben, weil die Leute ihr Geld (das heißt ihre Coupons) lieber horteten. Die entscheidende Schlussfolgerung für das reale Wirtschaftsleben lautet: Das konjunkturelle Auf und Ab hat möglicherweise wenig oder überhaupt nichts mit den wirtschaftlichen Stärken und Schwächen fundamentalerer Art zu tun. Anders ausgedrückt: Auch »guten« Volkswirtschaften kann Schlimmes widerfahren! Zweitens: Was kann man gegen eine Rezession tun? Die Sweeneys berichten, dass es in ihrem Fall ziemlich schwierig war, den »Verwaltungsrat« der Kooperative – in dem hauptsächlich Juristen saßen – davon zu überzeugen, dass es sich im Kern um ein rein technisches Problem handelte, für das es eine recht einfache Lösung gab. Die Funktionäre jedoch gingen zunächst so vor, als handle es sich um ein strukturelles Problem, auf das man direkt mit Reglementierungsmaßnahmen reagieren müsse. Es wurde also eine Vorschrift erlassen, derzufolge jedes Paar verpflichtet war, monatlich mindestens zweimal auszugehen. Schließlich aber setzten sich doch die Ökonomen durch, und das Couponangebot (die umlaufende »Geldmenge«) wurde erhöht. Die Wirkung war frappant: Angesichts größerer Couponreserven gingen die Paare nun wieder häufiger aus; dadurch gab es mehr Möglichkeiten zum Babysitten, was die Bereitschaft zum Ausgehen noch mehr verstärkte – und so weiter. Das BBP der Kooperative (das Brutto-Babysitting-Produkt, gemessen in Kinderbetreuungseinheiten) stieg kräftig an. Halten wir uns noch einmal deutlich vor Augen: Diese positive Entwicklung hatte weder etwas mit einer qualitativ verbesserten Dienstleistung noch mit irgendwelchen strukturellen Reformen zu tun. Ausschlaggebend war allein die Tatsache, dass der monetäre Engpass beseitigt wurde. Anders ausgedrückt: Re-
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zessionen lassen sich einfach dadurch bekämpfen, dass man Geld druckt – der Rest ergibt sich in der Regel von allein. Zurück zum volkswirtschaftlichen Konjunkturzyklus. Die Wirtschaft selbst eines kleinen Landes ist natürlich weit komplexer als im Falle unseres Babysitting-Kreises. Zum Beispiel dient in einer Volkswirtschaft das Geld nicht nur zur Befriedigung momentaner Bedürfnisse, sondern es wird auch in die Zukunft investiert (stellen wir uns analog vor, jemand gibt einen Teil seiner Coupons nicht zum Babysitten aus, sondern um einen neuen Kinderlaufstall bauen zu lassen). In der großen Welt gibt es ferner einen Kapitalmarkt. Er ermöglicht es denen, die freie Mittel besitzen, ihr Kapital gegen Zinsen an jene zu verleihen, die aktuellen Bedarf haben. Doch die Grundzusammenhänge sind trotzdem die gleichen: Eine Rezession ist normalerweise dadurch bedingt, dass die Öffentlichkeit insgesamt versucht, Geld zu horten (oder – was auf dasselbe hinausläuft – mehr zu sparen als zu investieren). Dem kann in der Regel leicht und wirksam begegnet werden, indem man einfach mehr »Coupons« ausgibt. Die Couponbereitsteller der modernen Welt sind bekanntlich die Zentralbanken: Federal Reserve, Europäische Zentralbank, Bank von Japan und so weiter. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, die Wirtschaft gut am Laufen zu halten, indem die zirkulierende Geldmenge je nach Bedarf vergrößert oder verkleinert wird. Wenn aber alles so einfach ist – warum kommt es dann überhaupt zu konjunkturellen Einbrüchen? Warum drucken die Zentralbanken nicht einfach genug Geld, um die Wirtschaft dauerhaft auf Vollbeschäftigungsniveau zu halten? Was die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg angeht, wussten die Verantwortlichen einfach nicht, wie sie dem Problem begegnen sollten. Heute aber sind sich die Ökonomen – von Milton Friedman bis zu den Linken im Spektrum – praktisch einig, dass die Weltwirtschaftskrise durch einen Zusammenbruch der effektiven Nachfrage verursacht wurde und dass die US-Notenbank (Fed) gut daran getan hätte, die Geldmenge erheblich auszuweiten, um den
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Abschwung rechtzeitig zu bremsen. Damals jedoch waren diese Zusammenhänge schlicht unbekannt. Tatsächlich herrschte bei vielen führenden Ökonomen eine Art moralistischer Fatalismus, der die Depression als unvermeidliche Folge vorausgehender Exzesse begriff – und damit als heilsamen Prozess: Die Erholung, erklärte Schumpeter, »ist nur dann echt, wenn sie sich aus sich selbst heraus entwickelt. Jeder künstlich herbeigeführte Aufschwung bedeutet nur, dass der Heilungsprozess der Krise abgewürgt wird. Die unbeseitigten Missverhältnisse werden so durch neue Fehlkorrekturen nur noch verstärkt, was die nächste (und vielleicht schlimmere) Krise absehbar macht.« Diese fatalistische Sicht verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Generation lang bemühten sich die meisten Länder um aktive Steuerung der Konjunktur, und dies mit beträchtlichem Erfolg. Die Rezessionen waren mild, Arbeitsplätze gab es in der Regel genug. Ende der sechziger Jahre begannen daher viele zu glauben, die Konjunktur habe man nun weitgehend im Griff. Sogar Richard Nixon versprach eine »Feinabstimmung« der Volkswirtschaft. Doch das war Hybris. Die einer jeden Vollbeschäftigungspolitik immanente Gefahr trat in den siebziger Jahren offen zutage. Ist die Zentralbank nämlich allzu optimistisch in Bezug auf die Zahl der möglichen neuen Arbeitsplätze und bringt sie folglich zu viel Geld in Umlauf, so führt dies zu Inflation. Hat sich die Inflationserwartung aber erst einmal tief in den Köpfen der Menschen festgesetzt, so lässt sie sich nur durch eine Phase hoher Arbeitslosigkeit wieder austreiben. Kommt dann noch ein preissteigerndes externes Ereignis hinzu (zum Beispiel eine Verdoppelung des Ölpreises), ist die Konstellation für einen kräftigen, wenn nicht gar verheerenden Konjunkturrückgang perfekt. Bis Mitte der achtziger Jahre jedoch war die Inflation wieder auf ein akzeptables Niveau gesunken, das Öl sprudelte erneut, und die Zentralbanken schienen endlich begriffen zu haben, wie man die Dinge handhaben muss. Die auftretenden wirtschaftlichen Schocks schienen den allgemeinen Eindruck, dass derlei Probleme
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endlich unter Kontrolle seien, höchstens noch zu unterstreichen. Als beispielsweise 1987 die US-Börse zusammenbrach – wobei der erste Tag ähnliche Kursverluste brachte wie seinerzeit beim Börsenkrach des Jahres 1929 –, reagierte die Fed rasch und pumpte Geld in das System. Die reale Wirtschaft blieb daher von den Börsenturbulenzen praktisch völlig unbeeindruckt, und der Dow Jones erholte sich schon bald. Ende der achtziger Jahre dann machten sich die Zentralbanken zwar zunächst die falschen Sorgen, weil sie auf eine leicht steigende Inflation fixiert waren und deshalb zu spät bemerkten, dass eine Rezession nahte. Diese kostete zwar George H. W. Bush das Amt, war dann aber mit den nunmehr bekannten Mitteln in den Griff zu bekommen, und es folgte erneut eine Phase nachhaltiger Expansion. So konnte sich bis Ende der neunziger Jahre der allgemeine Eindruck festsetzen, die Konjunktur sei endgültig gezähmt: Moderate Auf- und Abschwünge mag es ja noch geben, doch so richtig schlimm werde es nie mehr kommen. Den größten Anteil an dieser Zähmung schrieb man den Herren des Geldes zu. Noch nie in der Geschichte hat ein Zentralbankchef eine so mystische Verehrung genossen wie Alan Greenspan. Doch daneben herrschte auch der Eindruck, die Wirtschaft habe sich in ihren Grundstrukturen so verändert, dass einer dauerhaften Hochkonjunktur nichts mehr im Wege stehe.
Die Technologie als Retter Von einer rein technischen Warte aus könnte man sagen, dass das moderne Informationszeitalter mit Intels Mikroprozessor begann – 1971 also, als das Innenleben eines Rechners auf einem einzigen Chip Platz fand. In den folgenden zehn Jahren entstanden dann Produkte, mit denen diese Technologie im Alltag sichtbar um sich griff – Faxgeräte, Videospiele, PCs. Damals aber hatte man keineswegs das Gefühl, es finde eine Revolution statt. Fast alle glaubten, dass die Informationsindustrien weiterhin von großen,
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bürokratischen, unbeweglichen Großunternehmen wie IBM beherrscht bleiben würden. Gängig war zudem die Vorstellung, auch in Zukunft werde alles laufen wie beim Fax, Videogerät und Kassettenrekorder: Pfiffige Amerikaner erfinden; gesichtslose japanische Hersteller machen daraus marktfähige Produkte. Doch in den neunziger Jahren erkannte man allmählich, dass die Informationsindustrien im Begriff waren, die gesamte Wirtschaft zu revolutionieren – nach außen wie nach innen. Über den letztendlichen wirtschaftlichen Nutzen der Informationstechnologie kann man nach wie vor geteilter Meinung sein. Unbestreitbar ist jedoch, dass die neuen Technologien sichtbarere Auswirkungen auf unsere Arbeitsweise und -organisation hatten als alles, was in den zwanzig oder dreißig Jahren davor die Welt bewegte. Der typische amerikanische Arbeitnehmer sitzt heute ja in einem Büro. Von 1900 bis in die achtziger Jahre hatte sich an den Einrichtungen und Abläufen von Büros praktisch nichts geändert. Überall ziemlich das gleiche Bild: Schreibmaschinen, Aktenschränke, Mitteilungen, Sitzungen. (Zugegeben, das Durchschlagpapier wurde durch den Xerox-Kopierer überflüssig.) Dann aber änderte sich alles binnen kürzester Zeit: vernetzte PCs auf allen Schreibtischen, E-Mail, Internet, Videokonferenzen, Telearbeit. Dies war ein qualitativer, unverkennbarer Wandel, der in einer Weise das Gefühl des Fortschritts vermittelte, wie dies rein quantitative Verbesserungen nicht vermögen. Und es war nicht zuletzt dieses Fortschrittsgefühl, das dem Kapitalismus neues Leben einhauchte und ihn mit neuem Optimismus verband. Zumal die neuen Industrien auch das Romantische am Kapitalismus wiederbelebten: die Idee des heroischen Unternehmers, der eine bessere Mausefalle baut als sein Konkurrent und damit verdientermaßen reich wird. Seit den Tagen Fords war es mit dieser heldenhaften Gestalt ja immer mehr bergab gegangen. In der Wirtschaft dominierten die Großunternehmen, in denen keineswegs romantische Innovatoren das Sagen hatten,
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sondern Bürokraten, die sich in wenig oder nichts von ihren staatlichen Pendants unterschieden. 1968 diagnostizierte Kenneth Galbraith: »Mit dem Aufstieg des modernen Unternehmens, dem Aufkommen der durch moderne Technologie und Planung benötigten Organisation sowie der Trennung zwischen Kapitaleignern und Unternehmensführung hat der ›Unternehmer‹ als Einzelperson im voll entwickelten Industriebetrieb keinen Platz mehr.« Doch wen konnte schon ein Kapitalismus begeistern, der mehr oder weniger einem Sozialismus ohne Gerechtigkeit glich? Durch die Informationsindustrien geriet diese industrielle Ordnung jedoch ins Wanken. Wie im neunzehnten Jahrhundert, so schrieben auch jetzt wieder bemerkenswerte Individuen Geschichte: Männer und (gelegentlich wenigstens) Frauen, die eine pfiffige Idee hatten, sie in der Garage oder am Küchentisch entwickelten und letztlich reich wurden. Wirtschaftsmagazine boten wieder interessanten Lesestoff, und wirtschaftlicher Erfolg fand wieder Bewunderung in einer Weise, wie dies über ein Jahrhundert lang nicht mehr der Fall gewesen war. Dies bereitete den Boden für marktwirtschaftliche Ideen. Vor vierzig Jahren hatten die Anhänger der Marktwirtschaft – jene, die von Wert und Nutzen des freien Unternehmertums überzeugt sind – ein Imageproblem: Sagten sie »Privatunternehmen«, dachte jeder gleich an General Motors; redeten sie vom »Geschäftsmann«, hatten die meisten das Bild vom Mann im Nadelstreifenanzug vor Augen. In den neunziger Jahren aber war plötzlich die Vorstellung wieder da, dass Reichtum und Tugendhaftigkeit (zumindest aber Kreativität) durchaus miteinander vereinbar sind. Was aber den Optimismus wirklich anheizte, war der sich weithin ausbreitende Wohlstand – nicht nur in den Industrienationen (tatsächlich gab es dort sogar gehörige Defizite im Hinblick auf die allgemeine Teilhabe am Wohlstand), sondern auch in vielen Ländern, die man vor nicht allzu langer Zeit noch als hoffnungslose Fälle abgeschrieben hatte.
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Die Früchte der Globalisierung Der Terminus »Dritte Welt« war ursprünglich ein stolzes Etikett. Jawaharlal Nehru prägte ihn, und gemeint waren die blockfreien Länder, jene also, die sich ihre Unabhängigkeit bewahrten und sich weder dem Westen noch der Sowjetunion anschlossen. Bald jedoch wurde die politische Absicht von den ökonomischen Realitäten verdrängt: »Dritte Welt« wurde zum Synonym für rückständig, arm, unterentwickelt. Nicht gerechte Forderungen verband man fortan mit dem Begriff, sondern Hoffnungslosigkeit. Dies änderte sich mit der Globalisierung, das heißt mit dem Technologie- und Kapitaltransfer von den Hochlohnländern in die Niedriglohnländer und der daraus resultierenden Zunahme lohnintensiver Exporterzeugnisse aus der Dritten Welt. Wir können uns schon gar nicht mehr so recht vorstellen, wie die Welt vor der Globalisierung eigentlich aussah. Drehen wir die Uhr also für einen Moment zurück und werfen wir einen Blick auf die Dritte Welt, wie sie sich vor einer Generation präsentierte (und heute in vielen Ländern noch immer präsentiert). Eine Handvoll kleiner ostasiatischer Länder hatte damals gerade begonnen, durch ihr rasches Wirtschaftswachstum die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zu ziehen; Entwicklungsländer wie die Philippinen, Indonesien oder Bangladesch hingegen hatten praktisch überhaupt keine Fortschritte gemacht, sondern waren noch immer vorwiegend Rohstofflieferanten und Importeure von Industriegütern. Eine schwache, ineffiziente Industrie versorgte die heimischen Märkte mehr schlecht als recht, geschützt durch Einfuhrkontingentierung; Arbeitsplätze waren unter diesen Vorzeichen natürlich Mangelware. Gleichzeitig führte der zunehmende Bevölkerungsdruck dazu, dass den verzweifelten Bauern nur zwei Optionen blieben: entweder in einer zunehmend ertragsschwachen Landwirtschaft ihr Dasein zu fristen oder sich auf andere Weise irgendwie eine Existenzmöglichkeit zu suchen – etwa als Müllverwerter auf den Abfallhalden am Rande der Großstädte der Dritten Welt.
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Angesichts dieser trostlosen Situation gaben sich die Arbeitskräfte in Jakarta oder Manila schon mit einem Hungerlohn zufrieden. Doch um die Mitte der siebziger Jahre konnte man mit billiger Arbeitskraft allein auf dem Weltmarkt für Industriegüter nicht mehr konkurrieren. Die spezifischen Vorteile der Industrieländer – Infrastruktur und technisches Know-how, Größe der Märkte und Nähe zu Lieferanten, politische Stabilität und soziale Anpassungsfähigkeit (wobei Letzteres ganz entscheidend ist für eine funktionierende, effiziente Wirtschaft) – schienen sogar eine zehn- oder zwanzigfache Lohndifferenz wettzumachen. Selbst die Radikalen schienen an diesen immanenten Vorteilen der entwickelten Länder zu verzweifeln: Die Forderungen nach einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung zielten in den siebziger Jahren hauptsächlich auf höhere Rohstoffpreise – und weniger darauf, die Länder der Dritten Welt an das Niveau der modernen Industrienationen heranzuführen. Dann aber änderte sich etwas. Durch eine Kombination von Faktoren, die wir bis heute nicht ganz durchschauen – niedrigere Zollschranken, bessere Nachrichtenübermittlung, billigerer Luftverkehr –, verringerten sich die Standortnachteile der Entwicklungsländer. Im Großen und Ganzen ist es freilich noch immer günstiger, in der Ersten Welt zu produzieren. Dies zeigt auch die Tatsache, dass nicht wenige Unternehmen, die ihre Produktionsstätten nach Mexiko oder Ostasien verlegten, nach einiger Zeit wieder zurückkehrten, weil sie mit den Nachteilen eines solchen Standorts nicht zurechtkamen. Trotzdem aber gab es jetzt eine beträchtliche Zahl von Branchen, in denen die Entwicklungsländer ihr niedriges Lohnniveau als Wettbewerbsvorteil auf den Weltmärkten nutzen konnten. Länder, die ehedem Jute oder Kaffee exportierten, begannen nun, stattdessen Hemden oder Turnschuhe zu produzieren. Natürlich verdienen die Arbeitskräfte in diesen Textil- oder Schuhfabriken zwangsläufig sehr wenig, und die Arbeitsbedingungen sind meist beklagenswert schlecht. Ich sage »zwangsläu-
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fig«, weil die Arbeitgeber ihr Geschäft ja nicht aus Wohlfahrtsgründen betreiben. Sie werden natürlich versuchen, so wenig wie möglich zu zahlen, und das Lohnminimum richtet sich nach den verfügbaren Beschäftigungsalternativen. Leider handelt es sich in vielen dieser Fälle noch um extrem arme Länder. Gleichwohl kam es in jenen Ländern, in denen die neuen Exportindustrien Fuß fassten, unzweifelhaft zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensverhältnisse der breiten Bevölkerung. Dies hat zum Teil damit zu tun, dass eine aufstrebende Industrie ihre Arbeitskräfte mit leicht überdurchschnittlichen Löhnen anwerben muss. Wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass das Wachstum der verarbeitenden Industrie – und die im Halbschatten des neuen Exportsektors entstehenden Arbeitsplätze – spürbare Auswirkungen auf den Rest der Volkswirtschaft hatten. Der Druck auf den ländlichen Bereich ließ nach, sodass die Löhne dort stiegen; die Zahl der auf jedwede Arbeit angewiesenen Arbeitslosen in den Städten sank, sodass die Fabriken miteinander um Arbeitskräfte zu konkurrieren begannen, was auch die Löhne in den Städten steigen ließ. Wo sich dieser Prozess lange genug fortsetzen konnte – etwa in Südkorea oder Taiwan –, haben die Löhne inzwischen das Niveau fortgeschrittener Länder erreicht. (In konkreten Zahlen ausgedrückt: 1975 betrug der durchschnittliche Stundenlohn eines Südkoreaners nur fünf Prozent dessen, was ein US-Amerikaner verdiente. 2006 waren es bereits 62 Prozent.) Der Nutzen, den ein exportinduziertes Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern für die breite Masse mit sich brachte, ist nichts Spekulatives, sondern sehr wohl messbar. Indonesien zum Beispiel ist zwar noch immer so arm, dass sich der Fortschritt in Kalorien angeben lässt. Zwischen 1968 und 1990 stieg die ProKopf-Aufnahme von 2 000 auf 2 700 Kalorien pro Tag, und die Lebenserwartung erhöhte sich von 46 auf 63 Jahre. Ähnliche Verbesserungen lassen sich im gesamten pazifischen Gürtel beobachten, ja selbst in Ländern wie Bangladesch. Sie fanden keineswegs
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deshalb statt, weil etwa gutmeinende Leute im Westen besonders hilfsbereit gewesen wären – die Auslandshilfe (die ja nie sehr groß war) ging in den neunziger Jahren praktisch auf Null zurück. Und sie waren auch nicht der menschenfreundlichen Politik der jeweiligen Landesregierung zu verdanken – es zeigte sich ja leider sehr bald, dass diese Regierungen so schäbig und korrupt waren wie eh und je. Die positive Entwicklung war vielmehr das indirekte und unbeabsichtigte Ergebnis des Verhaltens seelenloser multinationaler Konzerne und raffgieriger einheimischer Unternehmer, die beide nichts anderes im Sinn hatten, als sich die Profitchancen, die mit niedrigen Löhnen einhergingen, nicht entgehen zu lassen. Ein besonders erfreuliches Schauspiel war und ist dies gewiss nicht. Doch so niedrig die Motive der Beteiligten auch gewesen sein mögen, im Ergebnis vermochten sich Hunderte Millionen von Menschen aus äußerster Armut zu befreien und zu Lebensverhältnissen zu gelangen, die mitunter zwar noch immer menschenunwürdig waren, aber dennoch eine deutliche Verbesserung darstellten. Wieder einmal also konnte sich der Kapitalismus mit guten Gründen den Erfolg auf die Fahnen schreiben. Die Sozialisten hatten es ja lange genug versprochen und versucht. Es gab ja eine Zeit, als die Dritte Welt völlig auf Fünfjahrespläne stalinscher Machart fixiert war und sich davon den Entwicklungsschub ins zwanzigste Jahrhundert versprach. Und selbst als die Sowjetunion ihren Nimbus der Fortschrittlichkeit längst eingebüßt hatte, glaubten viele Intellektuelle noch immer, die armen Länder könnten der Armutsfalle nur entkommen, indem sie den Weltmarkt meiden und dem Wettbewerb mit den entwickelteren Nationen aus dem Weg gehen. Im Laufe der neunziger Jahre aber war an konkreten Beispielen ganz offenkundig geworden, dass rasche Entwicklung tatsächlich möglich und keineswegs Träumerei war – und dass der Schlüssel zum Erfolg nicht in stolzer sozialistischer Isolation bestand, sondern genau dem Gegenteil: möglichst starker Integration in den globalen Kapitalismus.
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Skeptiker und Kritiker Nicht alle freilich waren nach dem Zusammenbruch des Kommunismus mit dem Zustand der Weltwirtschaft zufrieden. Während es den Amerikanern bemerkenswert gut ging, konnten dies andere Industrieländer weniger von sich behaupten. Japan zum Beispiel war seit Beginn der neunziger Jahre, als die Spekulationsblase geplatzt war, nicht mehr auf die Beine gekommen, und Europa litt noch immer an »Eurosklerose«, das heißt fortdauernder hoher Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jungen, selbst in Zeiten guter Konjunktur. Doch auch in den USA war der allgemeine Wohlstand durchaus nicht ganz so allgemein. Die Segnungen des Wirtschaftswachstums verteilten sich vielmehr recht ungleich: Die Vermögens- wie auch Einkommensunterschiede nahmen in einer Weise zu, wie man dies seit den Tagen des Großen Gatsby – den zwanziger Jahren – nicht mehr erlebt hatte, und den amtlichen Zahlen zufolge waren die Reallöhne vielfach sogar gesunken. Man muss diese Zahlen nicht auf die Goldwaage legen, um zweifelsfrei feststellen zu können: Es gab mindestens 20 oder 30 Millionen Amerikaner am unteren Ende der Verteilungsskala, die von der florierenden amerikanischen Wirtschaft nicht nur nicht profitierten, sondern sogar Einbußen hinnehmen mussten. Anderen wiederum trieben andere Missstände die Röte ins Gesicht. Die niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen in den angesprochenen Exportindustrien der Dritten Welt waren häufig Anlass zu moralisierender Kritik – es war ja schließlich offensichtlich, dass es diesen Beschäftigten nach den Maßstäben der Industrieländer ganz elend ging, und die Kritiker hatten meist wenig Verständnis für den Einwand, schlechte Jobs für schlechten Lohn seien besser als gar keine Jobs. Zweifellos stichhaltiger war der kritische Hinweis der Humanitaristen, dass große Teile der Welt von den Segenswirkungen der Globalisierung noch immer völlig unberührt sind: Afrika vor allem ist noch immer ein Konti-
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nent mit wachsender Armut, epidemischen Krankheiten und brutalen Konflikten. Und wie immer gab es auch Kassandrarufe. Das freilich war seit den dreißiger Jahren nie anders gewesen. Stets gab es Stimmen, die eine neue Depression im Anmarsch sahen. Vernünftige Beobachter hatten gelernt, derlei Warnungen nicht allzu ernst zu nehmen. Und so erklärt sich, weshalb die ominösen Entwicklungen, die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Lateinamerika ergriffen und die, wie wir heute wissen, die Möglichkeit einer Wiederkehr der Depressionsproblematik andeuteten, im Allgemeinen ignoriert wurden.
Kapitel 2
Warnung überhört: Lateinamerikas Krisen
Stellen wir uns ein Assoziationsspiel mit international erfahrenen Bankern, Finanzexperten oder Ökonomen vor: Einer der Spielpartner sagt ein Wort oder einen Satz, und der andere muss spontan nennen, was ihm dazu einfällt. Bis vor Kurzem noch wäre die Antwort auf das Stichwort »Finanzkrise« mit Sicherheit »Lateinamerika« gewesen (und ist es vielleicht noch immer). Über Generationen hinweg waren in den lateinamerikanischen Ländern Währungskrisen, Bankenzusammenbrüche, Hyperinf la tionsschübe und sonstige monetäre Übel, die die moderne Menschheit plagen können, an der Tagesordnung. Schwache demokratische Regierungen wechselten sich ab mit militärgestützten Diktatoren, und beide versuchten ihre Machtposition mit viel zu teuren populistischen Programmen zu untermauern. Angesichts knapper Finanzen sahen die Regierungen da meist nur zwei Auswege: Kredite von sorglosen Auslandsbanken, was im Endeffekt zu Zahlungsbilanzkrise und Zahlungsunfähigkeit führte, oder das Anwerfen der Notenpresse, was typischerweise eine Hyperinflation nach sich zog. Wenn sich Ökonomen über die Gefahren eines »makroökonomischen Populismus« und die vielen Möglichkeiten des Geldwertverlustes unterhalten, denken auch heute noch viele in erster Linie an den Peso. Ende der achtziger Jahre allerdings schien es so, als habe Lateinamerika seine Lektion endlich gelernt. Wenige Lateinamerikaner
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hegten Sympathie für Augusto Pinochets brutales Regime; doch die ökonomischen Reformen, die er in Chile eingeleitet hatte, erwiesen sich als äußerst erfolgreich und wurden auch weitergeführt, als Chile 1989 endlich zur Demokratie zurückfand. Chiles Rückkehr zu den »viktorianischen Tugenden« – stabile Währung und freie Märkte – gewann immer mehr Aufmerksamkeit, als sich das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen begann. Endlich schienen auch die Lateinamerikaner zu begreifen, dass es im bisherigen Stil nicht weitergehen konnte. Die Schuldenkrise, die 1982 begonnen hatte, durchzog fast das ganze Jahrzehnt. Den meisten dämmerte, dass nur eine radikale Umorientierung der Region einen Ausweg bot. Lateinamerika beschritt also den Weg der Reform. Staatsbetriebe wurden privatisiert, Importbeschränkungen aufgehoben, Haushaltsdefizite abgebaut. Ganz vorrangig war die Bekämpfung der Inflation. Manche Länder ergriffen, wie wir noch sehen werden, sehr drastische Maßnahmen, um wieder Vertrauen in ihre Währung zu schaffen. Und diese Bemühungen hatten auch rasch Erfolg. Nicht nur verbesserte sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit; auch das Vertrauen der ausländischen Investoren kehrte zurück. Länder, die in den achtziger Jahren wie Finanzparias behandelt wurden – noch 1990 bekam ein Gläubiger, der aus einem lateinamerikanischen Kreditgeschäft aussteigen und seine Forderungen an weniger risikoscheue Investoren abtreten wollte, im Durchschnitt nur dreißig Cent pro Kreditdollar –, avancierten zu Hätschelkindern der internationalen Finanzmärkte: Es flossen nun wieder Gelder in einem Umfang ins Land, dass sich die Bankkredite, deretwegen die Schuldenkrise seinerzeit ausgebrochen war, wie Peanuts ausnahmen. Die internationalen Medien begannen von einem »neuen« Lateinamerika zu reden, und vor allem das »mexikanische Wunder« hatte es ihnen angetan. Im September 1994 enthielt der jährliche World Competitiveness Report (Bericht über die globale Wettbewerbsfähigkeit), herausgegeben von den Veranstaltern der berühmten Davoser Konferenzen, eine spe-
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zielle Botschaft vom Helden der Stunde, dem mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas. Drei Monate später jedoch schlitterte Mexiko in die größte Finanzkrise seiner Geschichte. Die sogenannte Tequila-Krise verursachte eine der schlimmsten Rezessionen, die einem einzelnen Land seit den dreißiger Jahren widerfahren war. Die dadurch ausgelösten Erschütterungen breiteten sich über ganz Lateinamerika aus; nur haarscharf schrammte das argentinische Bankensystem an einem Zusammenbruch vorbei. Im Rückblick muss man feststellen, dass die Tequila-Krise eigentlich ein Omen war – eine Warnung, dass die Märkte launisch sein können und dass die gute Presse von heute nicht gegen die Vertrauenskrise von morgen schützt. Doch die Warnung wurde ignoriert. Um dies zu verstehen, müssen wir uns Lateinamerikas große Krise, die offenbar nie so recht verstanden wurde, etwas näher ansehen.
Mexikos Entwicklung seit den achtziger Jahren Unfähigkeit konnte man Mexikos Regierung gewiss nicht vorwerfen. Der engste Beraterkreis des Präsidenten – die sogenannten Científicos – bestand aus gut ausgebildeten jungen Männern, die aus Mexiko ein modernes Land machen wollten und glaubten, dass dies nur über eine starke Integration in die Weltwirtschaft möglich sei. Ausländische Investoren waren willkommen, ihre Eigentumsrechte wurden respektiert und garantiert. Angesichts einer so progressiven Regierung kamen sie auch in Scharen und begannen bei der Modernisierung des Landes eine zentrale Rolle zu spielen. Spaß beiseite: Die obige Beschreibung gilt natürlich nicht einer mexikanischen Regierung der neueren Zeit, sondern dem Regime von Proforio Díaz, der Mexiko von 1876 an ein Vierteljahrhundert lang regierte, bis ein Volksaufstand seiner Herrschaft 1911 ein
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Ende setzte. Und die stabile Regierung, die sich nach einem Jahrzehnt des Bürgerkriegs schließlich etablierte, war populistisch und nationalistisch ausgerichtet und demzufolge misstrauisch gegenüber ausländischen Investoren allgemein und gegenüber allem US-Amerikanischen im Besonderen. Mitglieder des neuen Regimes, der »Institutionellen Revolutionspartei« (PRI), wie sie sich vollmundig nannte, betrieben zwar durchaus eine Modernisierung Mexikos, aber eben auf ihre eigene Weise: Die Entwicklung der Industrien war heimischen Unternehmen vorbehalten, die den heimischen Markt belieferten, durch Zölle und Importbeschränkungen von besseren, effizienteren ausländischen Wettbewerbern abgeschottet. Ausländisches Geld war zwar willkommen, aber nur, solange damit keine ausländische Einflussnahme beziehungsweise Kontrolle verbunden war. Und die Regierung hatte auch nichts dagegen, dass sich einheimische Firmen bei US-Banken Kapital liehen, solange die Stimmrechtsaktien dieser Unternehmen in lokalen Händen blieben. Diese nach innen gerichtete Wirtschaftspolitik mag zwar ineffizient gewesen sein, denn abgesehen von den maquiladoras (exportorientierten Fabriken, die auf eine schmale Zone an der Grenze zu den USA beschränkt waren), koppelte sich Mexiko völlig von der beginnenden Globalisierung und den damit verbundenen Chancen ab. Einmal etabliert, wurde diese Entwicklungspolitik aber zu einem tief im politischen und gesellschaftlichen System des Landes verankerten Element, verteidigt von einem »eisernen Dreieck«: Industrieoligarchen (mit privilegiertem Zugang zu Kredit- und Einfuhrgenehmigungen), Politikern (die von der Großzügigkeit der Industriebosse profitierten) und Gewerkschaften (die eine »Arbeiteraristokratie« relativ gut bezahlter, in den geschützten Branchen tätiger Arbeiter vertraten). Bis in die siebziger Jahre hinein ist allerdings auch festzustellen, dass Mexiko sehr darauf bedacht war, sich finanziell nicht zu übernehmen. Das Wachstum ließ zwar zu wünschen übrig, doch es gab auch keine Krisen. Ende der siebziger Jahre jedoch war es mit dieser traditionellen
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Umsichtigkeit plötzlich vorbei. Die mexikanische Wirtschaft erlebte einen fieberhaften Aufschwung, hauptsächlich infolge der Entdeckung neuer Ölvorkommen, hoher Ölpreise und mächtiger Kredite von ausländischen Banken. Nur wenige erkannten die Warnzeichen, als die Wirtschaft heißzulaufen begann und immer mehr Geld ins Land strömte. Zwar gab es in den Medien einzelne Berichte, die auf wachsende Finanzprobleme hindeuteten, doch dies änderte nichts an der allgemeinen Ansicht, Mexiko (und Lateinamerika insgesamt) sei ein relativ sicherer Anlageplatz. Diese Selbstgefälligkeit und Sorglosigkeit lässt sich leicht in Zahlen fassen: Noch im Juli 1982 lag die Rendite auf mexikanische Staatsanleihen sogar leicht unter derjenigen von (allgemein als risikolos geltenden) Weltbankanleihen. Zahlungsprobleme schien man bei Mexiko offenbar für unmöglich zu halten. Doch schon Mitte des folgenden Monats flog eine mexikanische Regierungsdelegation nach Washington, um dem amerikanischen Finanzminister die böse Nachricht zu überbringen: Mexiko sei pleite und müsse seinen Schuldendienst einstellen. Schon wenige Monate später hatte die Krise bereits den größten Teil Lateinamerikas (und darüber hinaus noch weitere Länder) erfasst, nachdem die Banken begonnen hatten, ihre Kredite einzufrieren und Rückzahlung zu verlangen. Alle Kräfte wurden aufgeboten: Hilfskredite von der US-Regierung und von internationalen Institutionen wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich; Umschuldungen; sogenannte »konzertierte Kredite« (bei denen die Banken mehr oder weniger gezwungen wurden, den entsprechenden Staaten das für die Zinszahlungen benötigte Geld zu leihen). So vermochten die meisten der Länder zwar dem totalen Offenbarungseid zu entgehen. Doch der Preis für die Vermeidung der völligen Finanzkatastrophe war eine tiefe Rezession, gefolgt von einem nur zögerlichen, häufig unterbrochenen Aufschwung. 1986 lag das reale Pro-Kopf-Einkommen Mexikos um zehn Prozent unter dem Niveau von 1981, und die Reallöhne, aufgefressen von einer durchschnittlichen Inflationsrate von über 70 Prozent in den vo-
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rausgegangenen vier Jahren, lagen gar um 30 Prozent unter ihrem Vorkrisenstand. In dieser Situation trat die neue Generation von Reformern auf den Plan. Im Verlaufe der siebziger Jahre hatte in Mexikos herrschender Partei (und damit der Regierung) eine »neue Klasse« an Einfluss gewonnen. Gut ausgebildet, oft mit Universitätsabschlüssen von Harvard oder MIT, des Englischen mächtig und internationalistisch in der Haltung, waren sie Mexikaner genug, um mit der politischen Günstlingswirtschaft der PRI klarzukommen, und amerikanisiert genug, um zu wissen, dass sich einiges ändern musste. Die Wirtschaftskrise stellte die alte Garde – die »Dinosaurier« – vor unlösbare Probleme. Dies war also die Chance der »Technokraten«, die überzeugend darlegen konnten, wie marktwirtschaftliche Reformen Chile vorangebracht hatten, wie Korea zu einem exportgetriebenen Wachstum gefunden hatte, wie Israel die Inflation in den Griff bekommen hatte. Und sie waren nicht allein: Mitte der achtziger Jahre gab es in Lateinamerika nicht mehr viele Ökonomen, die noch den alten starren Ansichten der fünfziger und sechziger Jahre anhingen. Stattdessen war man allgemein auf die später sogenannte »Washington-Denkschule« eingeschwenkt. Deren Credo lautete: Wachstum lässt sich am besten über einen soliden Haushalt, niedrige Inflation, deregulierte Märkte und freien Handel herbeiführen. 1985 begann Präsident Miguel de la Madrid diese Doktrin umzusetzen. Eine der drastischsten Maßnahmen war die völlige Freigabe des mexikanischen Handels: Die Zölle wurden radikal gesenkt, ebenso die Zahl der genehmigungspflichtigen Importe. Außerdem wurde mit der Privatisierung staatlicher Betriebe begonnen, und die für ausländische Beteiligungen beziehungsweise Besitzungen geltenden strengen Bestimmungen wurden gelockert. Am bemerkenswertesten aber war wohl, dass de la Madrid nicht einen der PRI-Bosse zu seinem Nachfolger bestimmte, sondern einen Exponenten der neuen Reformer: Planungs- und Finanzminister Carlos Salinas de Gortari, selbst Harvard-Absolvent
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und umgeben von einem hochkarätigen Stab überwiegend am MIT ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler. Ich habe absichtlich von Salinas Bestimmung zum Nachfolger gesprochen. Mexikos politisches System der Jahre 1920 bis 1990 war wahrhaft einzigartig. Auf dem Papier war Mexiko zwar eine repräsentative Demokratie, und in den letzten Jahren hat sich das Land erstaunlicherweise auch zu einer solchen entwickelt. Doch 1988, als Salinas gewählt wurde, erinnerte das System eher an Chicagoer Verhältnisse früherer Tage als an eine Demokratie. Mexiko besaß ein Einparteiensystem, in dem man die Stimmen durch Patronage zu kaufen pflegte, und wo immer es trotzdem eng wurde, half man durch kreative Stimmenauszählung nach. Am verwunderlichsten war an diesem System aber die Tatsache, dass der Präsident in seiner sechsjährigen Amtszeit zwar wie ein absoluter Monarch schalten und walten konnte, eine Wiederwahl aber ausgeschlossen war. Zwischenzeitlich seltsamerweise reich geworden, pflegte er also nach Ablauf von sechs Jahren das Feld zu räumen und die Zügel einem von ihm benannten Nachfolger in die Hand zu geben, den die PRI dann nominierte und der damit die Wahl praktisch schon gewonnen hatte. 1988 aber befand sich dieses System – wie Mexiko insgesamt – unter Druck. Salinas hatte es diesmal bei den Parlamentswahlen mit einem echten Herausforderer zu tun: Cuauhtémoc Cárdenas, Sohn eines populären früheren Präsidenten, der Salinas’ marktwirtschaftlichen Reformansatz mit einem traditionelleren, antikapitalistischen Populismus konterte. Die Wahl ging knapp aus – und Cárdenas gewann sie. Doch die amtliche Auszählung führte dann seltsamerweise doch zu einem anderen Ergebnis. Salinas wurde Präsident. Stärker als je einer seiner Vorgänger stand er nun aber unter Erfolgsdruck. Dabei konnte er sein hoch qualifiziertes, am MIT ausgebildetes Beraterteam mehr als gut gebrauchen. Die Erfolge der Salinas-Jahre basierten auf zwei entscheidenden politischen Schachzügen. Der erste davon betraf die Beendigung
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der Schuldenkrise. Anfang 1989 ließ die US-Regierung – die amerikanischen Präsidentschaftswahlen waren gerade vorbei – eine unerwartete Bereitschaft erkennen, unangenehmen Realitäten ins Auge zu blicken. Sie räumte schließlich ein, was ohnehin schon lange kein Geheimnis mehr war: dass sich viele US-Bausparkassen mit Steuergeldern verspekuliert hatten und vor dem Bankrott standen. Unterdessen gab Finanzminister Nicholas Brady in einer überraschenden Rede bekannt, dass die Lateinamerikaner ihre Schulden nicht voll zurückzahlen könnten und dass man sich daher irgendwie über einen Schuldenerlass einig werden müsse. Der sogenannte Brady-Plan war allerdings mehr eine Absichtserklärung als ein Plan – denn Bradys Rede entsprang im Grunde bürokratischen Intrigen, die jeder Satireshow zur Ehre gereichen würden: Jene Regierungsbeamten, die über die nötige Sachkompetenz zur Ausarbeitung eines funktionierenden Plans verfügten, wurden bewusst im Dunkeln gelassen, weil man Widerstände befürchtete. Doch der Brady-Vorstoß bot den außerordentlich fähigen Mexikanern die Chance, die sie brauchten. Binnen weniger Monate legten sie ihrerseits einen praktikablen Plan vor, der schließlich dazu führte, dass Mexiko einen Großteil seines Schuldenberges in »Brady-Bonds« mit herabgesetztem Nennwert umgewandelt bekam. Quantitativ war der Schuldenerlass eher bescheiden, doch er markierte einen psychologischen Wendepunkt. Er besänftigte jene Mexikaner, die schon lange auf Zahlungsverweigerung gedrängt hatten, weil sie sahen, dass die ausländischen Banken wenigstens bereit waren, den Mexikanern nicht noch das allerletzte Hemd vom Leib zu reißen. Jedenfalls trat die Schuldenkrise politisch in der Folge in den Hintergrund. Die ausländischen Anleger wiederum, die zuvor aus Angst um ihr Geld wenig zu Investitionen geneigt gewesen waren, werteten die Schuldenregelung als Schlussstrich unter diese Unsicherheitsphase und ließen die Gelder wieder fließen. Die Zinssätze, zu denen sich Mexiko gezwungen gesehen hatte, um das Kapital im Land zu halten, fielen nun
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rasch. Dadurch verschwand auch das Haushaltsdefizit sehr bald, da die Zinslast entsprechend sank. Binnen eines Jahres hatte sich Mexikos finanzielle Lage völlig gewandelt. Die Schuldenregelung war aber nicht der einzige Joker, den Salinas aus dem Ärmel zog. 1990 überraschte er die Welt mit seinem Vorschlag eines Freihandelsabkommens mit den USA und Kanada (zwischen diesen beiden Ländern bestand ein solches Abkommen bereits). In quantitativer Hinsicht war das vorgeschlagene »Nordamerikanische Freihandelsabkommen« (NAFTA) eigentlich von geringerer Bedeutung, als viele glaubten: Der US-Markt war ja ohnehin für mexikanische Erzeugnisse schon ziemlich offen, und infolge der bereits von de la Madrid eingeleiteten Handelsliberalisierung hatte sich auch Mexiko selbst dem freien Handel schon ein gutes Stück – wiewohl nicht ganz – geöffnet. Doch wie schon der Schuldenerlass, so sollte auch das NAFTA-Abkommen ein Signal setzen und einen psychologischen Wendepunkt markieren. Indem Salinas die Öffnung Mexikos für ausländische Waren und ausländisches Kapital nicht nur zu einer rein mexikanischen Initiative, sondern zum Bestandteil eines internationalen Vertrages machte, hoffte er, diese Maßnahmen unumkehrbar zu machen – und vor allem die Märkte davon zu überzeugen, dass dies so war. Und natürlich erwartete er Gegenseitigkeit, das heißt eine Zusage der Amerikaner, dass auch ihr Markt den mexikanischen Produkten auf Dauer offen stehen werde. George H. W. Bush nahm Salinas’ Angebot an. Wie hätte er auch ablehnen können! Als die mexikanische Schuldenkrise 1982 zuschlug, fürchteten viele Amerikaner, dass dies zu einer Radikalisierung der mexikanischen Politik führen werde und dass antiamerikanische Kräfte – vielleicht sogar Kommunisten – von dem entstehenden Chaos profitieren würden. Stattdessen kamen auf wundersame Weise proamerikanische, marktwirtschaftlich orientierte Kräfte – »Leute unserer Couleur« – an die Macht, die nun sogar anboten, all die alten Schranken niederzureißen. Hätte man ihnen die kalte Schulter gezeigt, wäre das mit Sicherheit ein
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schwerer Schlag für die Reform gewesen. Niemand bräuchte sich dann zu wundern, wenn beim südlichen Nachbarn erneut Instabilität und Feindseligkeit einkehrten. Aus zwingenden außenpolitischen Gründen waren die US-Diplomaten daher ganz hingerissen von der NAFTA-Idee. Nicht ganz so leicht freilich war der Kongress für die Sache zu gewinnen, wie wir noch sehen werden. Im ersten Begeisterungssturm allerdings war davon noch nichts zu merken. Auch in der Folge übrigens nicht. Tatsächlich gewann die positive Einstellung gegenüber dem Abkommen noch an Breite, als Mexiko seine Reformen sichtbar vorantrieb – als ein Staatsbetrieb nach dem anderen privatisiert wurde, weitere Importbeschränkungen fielen, ausländische Investoren ins Land gebeten wurden. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit multinationalen Führungskräften – alles Direktoren lateinamerikanischer Konzerntöchter – erinnern, das im März 1993 in Cancún stattfand. Ich äußerte damals einige milde Vorbehalte gegenüber der mexikanischen Entwicklung, weil ich die Ergebnisse der Reform für etwas dünn hielt. »Sie sind der Einzige hier, der negativ über dieses Land denkt«, wurde ich höflich zurechtgewiesen. Und Leute wie meine Gesprächspartner ließen ihren Worten und Ansichten offenkundig auch Taten folgen: 1993 floss ausländisches Anlagekapital in Höhe von mehr als 30 Milliarden Dollar nach Mexiko.
Argentiniens Bruch mit der Vergangenheit »Reich wie Argentinien!« Vor dem Ersten Weltkrieg war dies in Europa ein geflügeltes Wort, zu einer Zeit also, als Argentinien von der Öffentlichkeit und nicht zuletzt von den Investoren als Land der großartigen Gelegenheiten eingestuft wurde. Ähnlich wie Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten war Argentinien ein an Bodenschätzen reiches Land und überdies bevorzugtes Ziel nicht nur für europäische Emigranten, sondern auch für europäisches Kapital. Buenos Aires war eine angenehme Stadt mit europäi-
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schem Flair, Zentrum eines erstklassigen, von den Briten gebauten und finanzierten Eisenbahnnetzes, über das Weizen und Fleisch aus den Pampas den Weg in alle Welt fanden. Durch Handel und Investitionen in die globale Wirtschaft und durch den Telegrafen in die globalen Kapitalmärkte eingebunden, genoss Argentinien im internationalen System der Vorkriegszeit hohes Ansehen. Zugegeben: Schon damals neigte Argentinien hin und wieder zur überzogenen Nutzung der Notenpresse, und auch Zahlungsschwierigkeiten waren nicht gänzlich unbekannt. Doch solche Probleme gab es auch andernorts, selbst in den Vereinigten Staaten. Wenige hätten wohl erwartet, dass Argentinien so weit zurückfallen würde. Die Zwischenkriegsjahre waren für Argentinien so schwierig wie für alle anderen Rohstoffexporteure. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte waren in den zwanziger Jahren bereits niedrig und brachen in den dreißiger Jahren völlig ein. Verschlimmert wurde die Situation noch durch die Schulden, die man sich in besseren Zeiten aufgehalst hatte. Argentinien befand sich praktisch in der Situation eines Landwirts, der in guten Zeiten kräftig Kredite aufgenommen hatte und sich dann zwischen fallenden Preisen und festen Tilgungssätzen in der Klemme fand. Trotzdem ging es Argentinien in der Weltwirtschaftskrise nicht ganz so schlecht, wie man hätte erwarten können. Seine Regierung zeigte sich flexibler als die Verantwortlichen in den Industrieländern, die entschlossen waren, sich in Währungsangelegenheiten unter keinen Umständen eine Blöße zu geben. Dank einer Abwertung des Pesos, Kapitalverkehrskontrollen und eines Schuldenmoratoriums gelang Argentinien nach 1932 tatsächlich ein relativ starker Aufschwung, sodass es 1934 bereits wieder Zielpunkt vieler europäischer Emigranten war, da sich ihnen dort bessere Beschäftigungsmöglichkeiten boten als zu Hause. Doch der Erfolg einer unorthodoxen Politik während der Weltwirtschaftskrise trug auch dazu bei, dass sich im Regierungsapparat Gepflogenheiten breit machten, die sich im Laufe der Zeit
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zunehmend negativ auswirkten. Die eigentlich als Notmaßnahme eingerichteten Devisenkontrollen entwickelten sich zu einem alptraumhaften bürokratischen Wust an Vorschriften, die die Wirtschaft blockierten und die Korruption förderten. Aus ursprünglich befristeten Einfuhrbeschränkungen wurden Dauerschranken, die erstaunlich unproduktiven Industrien das Überleben sicherten. Verstaatlichte Unternehmen erwiesen sich als öffentliche Anstalten zur Geldvernichtung, die zwar Hunderttausende beschäftigten, es aber dennoch an den grundlegendsten Leistungen fehlen ließen. Und auch die Staatsverschuldung nahm immer wieder bedrohliche Formen an, mit der Konsequenz immer heftigerer Inflationsschübe. In den achtziger Jahren kam alles noch schlimmer. Nach dem Falkland-Debakel von 1982 war Argentiniens Militärregierung zurückgetreten. Die nachfolgende Zivilregierung Raúl Alfonsíns trat mit dem Versprechen an, die Wirtschaft neu zu beleben. Doch die lateinamerikanische Schuldenkrise traf Argentinien ebenso hart wie die übrigen Länder der Region, und Alfonsíns Versuch, die Preise durch Einführung einer neuen Währung, des Australs, zu stabilisieren, scheiterte kläglich. Bis 1989 schließlich hatte sich eine echte Hyperinflation entwickelt – die Preise stiegen jährlich um sage und schreibe 3000 Prozent. Der Sieger der Präsidentschaftswahlen von 1989 war der Peronist Carlos Menem – Kandidat der von Juan Perón gegründeten Partei also, jenes Perón, dessen nationalistische und protektionistische Politik seinerzeit mehr als alles andere dazu beigetragen hatte, dass sich Argentinien zu einem Dritte-Welt-Land entwickelte. Doch Menem hatte ein geschicktes Händchen. Er machte Domingo Cavallo, einen Harvard-Absolventen, zum Finanzminister – einen Mann vom Schlage eines Pedro Aspe, Mexikos Finanzminister am Beginn der mexikanischen Krise. Und Cavallo entwickelte einen Reformplan, der noch radikaler war als der mexikanische. Dieser Plan sah unter anderem eine Öffnung Argentiniens für die Weltmärkte vor. Insbesondere galt es, mit jener lange prak-
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tizierten, doch destruktiven Haltung aufzuräumen, die in den Agrarexporten des Landes die Geldkuh schlechthin sah (brauchte man Subventionsmittel, so erhöhte man einfach die Ausfuhrsteuern). Hinzu kam eine sehr zügig durchgeführte Privatisierung des immens großen und äußerst verschwenderisch geführten öffentlichen Sektors. (Im Unterschied zu Mexiko privatisierte Argentinien sogar die staatlichen Ölgesellschaften.) Nimmt man den miserablen politisch-ökonomischen Ausgangszustand, in dem sich Argentinien befand, zum Maßstab, bewegten diese Reformen außerordentlich viel. Doch Cavallo-typisch war vor allem die Währungsreform. Um dem Inflationsgespenst ein für alle Mal den Garaus zu machen, ließ er ein Währungssystem wieder aufleben, das in der modernen Welt fast schon in Vergessenheit geraten war: einen Währungsrat (currency board). Währungsräte waren früher in den auswärtigen Besitzungen der europäischen Staaten üblich. Den Kolonien war in der Regel eine eigene Währung erlaubt. Wertmäßig blieb diese Währung jedoch fest an die Mutterlandswährung gebunden, und für Stabilität sorgte ein nationales Gesetz, das die Währungsausgabe nur bei voller Deckung durch Hartwährungsreserven erlaubte. Mit anderen Worten: Der Öffentlichkeit war der Umtausch der heimischen Währung in Pfund oder Francs zu einem gesetzlich festgelegten Kurs möglich, und die Zentralbank war verpflichtet, in voller Höhe Reserven in Mutterlandswährung zu halten, um notfalls alle heimischen Noten umtauschen zu können. In den Nachkriegsjahren – mit dem Niedergang der Kolonialmächte und dem Aufkommen einer aktiven Wirtschaftspolitik – gerieten die Währungsräte in Vergessenheit. 1983 allerdings griff Hongkong angesichts eines Ansturms auf die heimische Währung auf dieses Instrument zurück und koppelte den Hongkong-Dollar zum Kurs von 7,8 an den US-Dollar an. Doch Hongkong war ja – trotz seiner wirtschaftlichen Dynamik – noch so etwas wie ein koloniales Relikt, sodass der Vorgang nur relativ wenig Beachtung fand.
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Argentiniens Vertrauensdefizit war jedoch so groß, dass Cavallo sich ebenfalls genötigt sah, bei der Vergangenheit Anleihen zu machen. Der unselige Austral wurde durch einen wieder entdeckten Peso ersetzt, und dieser neue Peso wurde zum Kurs von eins zu eins fest an den Dollar gebunden – jeder umlaufende Peso war also durch einen in Reserve gehaltenen Dollar gedeckt. Nach Jahrzehnten des Währungsmissbrauchs hatte sich Argentinien damit per Gesetz verpflichtet, Geld nur dann zu drucken, wenn jemand bereit war, einen Dollar gegen einen Peso einzutauschen. Das Ergebnis war überwältigend. Die Inflation fiel rapide gegen Null. Dem mexikanischen Beispiel folgend, handelte auch Argentinien einen Brady-Deal aus und wurde mit neuen Kapitalzuflüssen belohnt (wenn auch nicht in gleichem Umfang wie Mexiko). Die Folge war ein sagenhafter Wirtschaftsaufschwung: Nach Jahren des Niedergangs vermochte Argentinien sein BIP in nur drei Jahren um ein Viertel zu steigern.
Mexikos schlechtes Jahr Versetzen wir uns zurück: Gab es Ende 1993 denn schon irgendwelche Wolken am lateinamerikanischen Horizont? Die Investoren waren euphorisch; sie benahmen sich, als hätte die neue marktwirtschaftliche Ausrichtung einen Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten geschaffen. Auch ausländische Geschäftsleute (wie damals bei der Gesprächsrunde in Cancún) waren voll des Lobes über die Marktchancen, die ihnen die Liberalisierung bot. Nur wenige Ökonomen äußerten Kritik – und dann nur in milder Form. Eine Frage, die sowohl Mexiko als auch Argentinien betraf, war die Höhe des Wechselkurses. Beide Länder hatten ihre Währungen stabilisiert; beide hatten die Inflation gekappt; doch in beiden Fällen hinkte der Inflationsrückgang der Wechselkursstabilisierung hinterher. In Argentinien zum Beispiel wurde der Peso 1991 fest an den Dollar gebunden. Doch in den darauf folgenden zwei Jahren
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stiegen die Verbraucherpreise um 40 Prozent, verglichen mit nur sechs Prozent in den USA. Ähnliches geschah in Mexiko, wiewohl nicht im gleichen Ausmaß. In beiden Fällen aber trat der gleiche Effekt ein: Die Güter der beiden Länder verteuerten sich auf den Weltmärkten, woraufhin die Ökonomen die Frage der Überbewertung der beiden Währungen aufwarfen. Damit verbunden war das Problem der Handelsbilanz (genauer: der Leistungsbilanz, die ja etwas breiter angelegt ist und Dienstleistungen, Zinszahlungen und so weiter einschließt – diese Differenzierung spielt in unserem Zusammenhang jedoch keine Rolle). Anfang der neunziger Jahre stiegen Mexikos Ausfuhren nur recht zögerlich an, hauptsächlich aufgrund des starken mexikanischen Pesos, der auf den Weltmärkten Preisnachteile mit sich brachte. Gleichzeitig aber nahmen die Einfuhren sehr stark zu, bedingt durch die Beseitigung der Einfuhrbeschränkungen einerseits und den einsetzenden Kreditboom andererseits. Ergebnis war ein riesiger Einfuhrüberschuss: 1993 hatte Mexikos Defizit die Marke von acht Prozent des BIP erreicht, eine in der Geschichte kaum je vorfindbare Situation. War dies ein Warnzeichen? Mexikanische Regierungskreise – wie auch viele ausländische Stimmen – verneinten dies. Dabei bezogen sie ihr Argument direkt aus den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern. Aus rein buchhalterischen Gründen nämlich befindet sich die Zahlungsbilanz automatisch immer im Gleichgewicht: Für jeden Auslandskauf muss es einen Verkauf gleicher Größenordnung geben. (Volkswirte wissen freilich, dass diese These ein klein wenig eingeschränkt werden muss, was mit der Berücksichtigung unentgeltlicher Leistungen zu tun hat; dies spielt hier aber keine Rolle.) Wenn also ein Land in seiner Leistungsbilanz ein Defizit aufweist (wenn es also mehr importiert als exportiert), dann muss es in seiner Kapitalbilanz einen Überschuss gleicher Höhe geben (es verkauft also mehr Vermögenswerte, als es kauft). Und umgekehrt gilt das Gleiche: Ein Land, das in seiner Kapitalbilanz einen Überschuss aufweist, hat zwangsläufig eine negative Leistungsbilanz. In anderen Worten: Mexikos
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erfolgreiche Öffnung des Landes für ausländisches Kapital (sodass Ausländer mexikanische Vermögenswerte beziehungsweise Anlagegüter erwarben) hatte zwangsläufig ein entsprechendes Handelsbilanzdefizit zur Folge. Das Defizit ließ sich insofern auch als Ausdruck der Begeisterung der ausländischen Investoren für das Anlageland Mexiko sehen. Grund zur Besorgnis gebe es nur dann, so die Optimisten, wenn es sich um einen gewissermaßen künstlichen Kapitalzufluss handelt – wenn nämlich der Staat entweder durch eigene Kreditaufnahme Kapital ins Land zieht (wie vor 1982 geschehen) oder durch Haushaltsdefizite die einheimischen Ersparnisse zu sehr strapaziert. Beides jedoch sei in Mexiko nicht der Fall. Der Haushalt sei ausgeglichen und der Staat stocke nicht seine ausländischen Verbindlichkeiten, sondern vielmehr seine ausländischen Vermögenswerte (Devisenreserven) auf. Warum also besorgt sein? Wenn der private Sektor sein Geld gern in Mexiko anlege – warum sollte die Regierung dies verhindern? Und doch stimmte tatsächlich etwas nicht mit Mexikos Entwicklung: Wo blieb bei all den Reformen und all dem einströmenden Kapital eigentlich das Wachstum? Zwischen 1981 und 1989 war die mexikanische Wirtschaft jährlich um 1,3 Prozent gewachsen – zu wenig angesichts des viel rascheren Bevölkerungswachstums, sodass das Pro-Kopf-Einkommen weit unter das Spitzenniveau von 1981 fiel. Von 1990 bis 1994 – in den Jahren des »mexikanischen Wunders« – lief es dann deutlich besser: Die Wirtschaft wuchs nun jährlich um 2,8 Prozent. Doch dieser Wert lag nur knapp über dem Bevölkerungswachstum, sodass sich Mexiko nach eigenen Angaben auch 1994 noch immer weit unter dem Niveau von 1981 befand. Wo also war das Wunder? Wo die Früchte all der Reformen, all der Auslandsinvestitionen? 1993 veröffentlichte der MIT-Ökonom Rudiger Dornbusch, ein langjähriger Beobachter der mexikanischen Wirtschaft (und überdies akademischer Lehrer vieler der in der mexikanischen Wirtschaftspolitik maßgebenden Ökonomen, Aspe eingeschlossen), eine beißende Situationsanalyse mit dem Titel Mexico:
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Stabilization, Reform, and No Growth (Mexiko: Stabilisierung, Reform – doch kein Wachstum). Verteidiger der mexikanischen Entwicklung entgegneten, diese Zahlen seien kein getreues Spiegelbild des Fortschritts, den die Wirtschaft erzielt habe. Vor allem werde dabei der Wandel von einer ineffizienten, nach innen gerichteten Industriebasis zu einer sehr wettbewerbsfähigen, exportorientierten Wirtschaft übersehen. Dennoch war es unbestreitbar ein großes Manko, dass die riesigen Kapitalzuflüsse zu so wenig messbaren Ergebnissen führten. Was war der Grund? Dornbusch und andere sahen die Ursache im Wert des Pesos. Eine extrem starke Währung verteuere die mexikanischen Produkte auf den Weltmärkten und verhindere damit, dass die Wirtschaft aus den wachsenden Produktionskapazitäten Kapital schlagen könne. Was Mexiko demnach brauche, sei eine Abwertung – eine einmalige Verringerung des Dollarwerts des Pesos. Dies werde die Wirtschaft wieder auf Trab bringen. Schließlich sei ja auch Großbritannien 1992 von den Finanzmärkten (und insbesondere von George Soros – mehr dazu in Kapitel 6) gezwungen worden, das Pfund abwerten zu lassen, mit der Konsequenz der Umkehrung der Rezession in einen Boom. Mexiko, meinten einige, würde von einer richtigen Dosis der gleichen Medizin ebenfalls profitieren. (Ähnliche Überlegungen gab es auch im Zusammenhang mit Argentinien, dessen Wirtschaft zwar im Vergleich zu Mexiko weit stärker gewachsen war, das aber einfach nicht von seiner hohen Arbeitslosigkeit herunterkam.) Die Mexikaner aber ignorierten diese Ratschläge. Stattdessen versicherten sie den Investoren, dass ihr Wirtschaftsprogramm auf Kurs sei und bleibe. Für eine Pesoabwertung gebe es weder einen Grund, noch würden entsprechende Überlegungen angestellt. Ein solides Erscheinungsbild war für die Mexikaner vor allem deshalb wichtig, weil der US-Kongress das NAFTA-Abkommen noch ratifizieren musste, dort aber heftige Opposition aufgekommen war. Von Ross Perot stammt die denkwürdige Warnung vor einer Sogwirkung (»great sucking sound«), das heißt einer mit dem Abkom-
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men verbundenen starken Abwanderung der Arbeitsplätze gen Süden; daneben gab es andere, seriöser klingende Einwände aus respektableren Quellen. 1993 aber gelang es der Clinton-Regierung schließlich, das Projekt (das sie von der Vorgänger-Administration geerbt hatte) durch den Kongress zu boxen, wenn auch unter großen Schwierigkeiten – und gerade noch rechtzeitig. Denn im Verlauf des Jahres 1994 bekam Mexiko erhebliche Schwierigkeiten. Am Neujahrstag fand in der armen, rückständig gebliebenen Agrarprovinz Chiapas ein Bauernaufstand statt. Zwar war die Stabilität der Regierung nicht in Gefahr, doch der Vorfall machte deutlich, dass die schlechten alten Verhältnisse – Korruption und bedrückende ländliche Armut – noch längst nicht der Vergangenheit angehörten. Ernster war die Ermordung von Salinas’ designiertem Nachfolger, Donaldo Colosio, zu der es im März kam. Colosio war eine seltene Mischung aus Reformer und charismatischem, populärem Politiker gewesen; viele hatten in ihm den Hoffnungsträger für eine wirkliche Legitimierung des neuen Weges gesehen. Seine Ermordung beraubte das Land also eines politischen Führers, den es dringend gebraucht hätte. Gleichzeitig wurde durch sie klar, dass es noch immer dunkle Mächte (korrupte Spitzenpolitiker? Drogenbarone?) gab, die mit allen Kräften gegen die Reform arbeiteten. Der Ersatzkandidat, Ernesto Zedillo, war ein in den USA ausgebildeter Ökonom, dessen Integrität und Kompetenz gänzlich außer Frage standen; politisch aber war er ein Leichtgewicht, das den »Dinosauriern« in seiner Partei nicht gewachsen war. Im Zuge des Wahlkampfes schließlich beschloss die PRI großzügige staatliche Ausgabenerhöhungen, um Wähler zu gewinnen. Ein Teil der in diesem Zusammenhang gedruckten Pesos wurde in Dollars umgetauscht, was die Devisenbestände dahinschmelzen ließ. Zedillo gewann die Wahl, ziemlich deutlich sogar, weil es ihm gelang, die Wähler davon zu überzeugen, dass die populistischen Ansichten Cárdenas’ eine Finanzkrise heraufbeschwören würden. Oder wie es einer meiner mexikanischen Freunde ausdrückte: Die PRI überzeugte das Wahlvolk, dass – falls Zedillo nicht ge-
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winne – »wiederkehre, was schon einmal da war«. Doch die Finanzkrise kam leider trotzdem.
Die Tequila-Krise Im Dezember 1994 musste die mexikanische Regierung angesichts schwindender Devisenreserven handeln. Dabei gab es zwei Optionen: Sie konnte die Zinssätze erhöhen, um für die Einheimischen Anreize zu schaffen, ihre Ersparnisse in Peso zu belassen, und darüber hinaus vielleicht auch internationales Kapital anzuziehen. Doch eine Zinserhöhung würde der Wirtschaft und der Verbrauchernachfrage schaden, und Mexiko stand nach mehrjähriger Wachstumsschwäche ohnehin am Rande einer Rezession. Oder aber man entschloss sich zu einer Abwertung des Peso (das heißt einer Verringerung seines Dollarwerts) in der Hoffnung, dass dies den gleichen Effekt wie sechzehn Monate zuvor in Großbritannien haben würde. Im Erfolgsfalle würde eine Abwertung also nicht nur Mexikos Ausfuhrgüter wettbewerbsfähiger machen, sondern auch das Vertrauen der Anleger in Mexikos Wirtschaft stärken und mithin niedrigere Zinsen ermöglichen. Mexiko entschied sich für die Abwertung. Doch die Sache ging schief. Das Ziel einer Abwertung besteht unter anderem darin, den Spekulanten den Wind aus den Segeln zu nehmen, sodass sie sich sagen: »Okay, das war’s. Mehr wird es nicht geben.« So funktionierte es 1992 sowohl in Großbritannien als auch in Schweden. Die Gefahr besteht einfach darin, dass die Spekulanten die Abwertung nur als ersten Schritt verstehen und sich anschließend nur noch stärker auf die Währung stürzen. Um dies zu vermeiden, muss sich eine Regierung unbedingt an gewisse Regeln halten. Erstens muss die Abwertung deutlich genug ausfallen; nur so lassen sich Spekulationen niederhalten. Zweitens muss die Regierung nach erfolgter Abwertung alles tun, um den Märkten zu signalisieren,
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dass sie alles unter Kontrolle hat, dass auf sie Verlass ist und die Investoren nichts zu befürchten haben. Andernfalls können Zweifel an der Bonität des Landes aufkommen, was leicht zu Panikreaktionen führen kann. Mexiko verletzte beide Regeln. Die anfängliche Abwertung betrug 15 Prozent, das heißt nur die Hälfte dessen, was Ökonomen wie Dornbusch geraten hatten. Und auch das Verhalten der Regierungsvertreter war alles andere als ermutigend. Der neue Finanzminister Jaime Serra Puche gab sich arrogant und den ausländischen Gläubigern gegenüber gleichgültig. Schlimmer noch: Bald sickerte durch, dass mexikanische Geschäftsleute im Vorfeld der Abwertung in die Beratungen einbezogen worden waren, weshalb sie im Unterschied zu den ausländischen Geldgebern von Insiderwissen profitieren und ihre Schäfchen ins Trockene bringen konnten. Dies hatte zwangsläufig eine massive Kapitalflucht zur Folge. Bald schon sah sich die mexikanische Regierung gezwungen, jeglichen Versuch aufzugeben, den Wechselkurs zu fixieren. Immerhin wurde Serra Puche rasch ersetzt, und Mexikos Regierung verhielt sich in der Folge klüger. Außerdem hätte man annehmen können, dass all die Reformen, die seit 1985 erfolgt waren, letztlich doch auch etwas zählen würden. Aber nein: Die ausländischen Investoren waren entsetzt – regelrecht geschockt –, feststellen zu müssen, dass Mexiko nicht der vermeintliche Musterknabe war. Sie wollten um jeden Preis aus dem Land heraus. Bald schon war der Peso um die Hälfte gefallen. Das drängendste Problem war indessen der eigene Haushalt. Länder von zweifelhafter Bonität haben bekanntlich Schwierigkeiten, langfristige Anleihen zu platzieren. In der Regel bestehen daher relativ hohe kurzfristige Verbindlichkeiten, die immer wieder verlängert und im Zinssatz neu festgelegt werden müssen. Mexiko war hier keine Ausnahme, und die hohen Zinsen für diese Kredite waren eine der schwersten Haushaltsbelastungen der achtziger Jahre. Wie wir sahen, bestand einer der großen Vorteile des Brady-Abkommens von 1989 ja gerade darin, dass das Vertrauen
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der Kapitalgeber zurückkehrte, was es Mexiko ermöglichte, seine kurzfristigen Verbindlichkeiten zu wesentlich günstigeren Konditionen umzuschulden. Nun aber waren diese Vorteile dahin und nicht nur das: Schon im März musste Mexiko den Anlegern 75 Prozent Zinsen bieten. Verschlimmernd kam hinzu, dass Mexiko bei dem Versuch, alle Abwertungsspekulationen vom Tisch zu wischen, kurzfristige Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe in sogenannte – an den Dollar gekoppelte – tesobonos umgewandelt hatte. Als nun aber der Peso ins Bodenlose fiel, hatte dies eine Explosion dieser dollarisierten Schulden zur Folge. Und je mehr in der Öffentlichkeit über das tesobono-Problem diskutiert wurde, dessen stärker griff in den Finanzmärkten die Panik um sich. Die staatliche Finanzkrise griff bald auch auf den privaten Sektor über. Im Verlaufe des Jahres 1995 sank das reale BIP um sieben Prozent, die Industrieproduktion gar um 15 Prozent – eine Entwicklung, die schlimmer war als alles, was Länder wie die USA seit den dreißiger Jahren erlebt hatten, und weit schlimmer auch als der anfängliche Abschwung, der 1982 durch die Schuldenkrise ausgelöst worden war. Tausende Unternehmen machten Bankrott; Hunderttausende Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz. Die Kernfrage aber ist natürlich, warum die Finanzkrise eigentlich so katastrophale Auswirkungen auf die reale Wirtschaft hatte – warum also die mexikanische Regierung nicht einzugreifen vermochte (etwa à la Babysitting-Kooperative). Doch stellen wir die Erörterung dieser Frage erst einmal zurück und sehen wir uns zunächst noch ein paar andere Krisen an. Überraschenderweise nämlich blieb die Krise nicht auf Mexiko beschränkt. Vielmehr machte sich der »Tequila-Effekt« in weiten Teilen der übrigen Welt bemerkbar, vor allem natürlich in Lateinamerika, und da insbesondere in Argentinien. Dies war eine unschöne Überraschung. Zum einen nämlich sind Argentinien und Mexiko geographische Gegenpole auf dem lateinamerikanischen Kontinent, und zwischen den beiden Län-
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dern bestehen nur wenige direkte Handels- und Finanzverbindungen. Zum zweiten bestand der Hauptzweck des argentinischen Währungsrat-Systems ja eben darin, dem argentinischen Peso unter allen Umständen Vertrauen zu sichern. Wie also konnte die mexikanische Krise hier trotzdem zuschlagen? Vielleicht kam Argentinien deshalb mit unter die Räder, weil nordamerikanische und andere ausländische Kapitalanleger alle lateinamerikanischen Länder in einen Topf zu werfen pflegen. Nachdem aber der argentinische Peso einmal unter Spekulationsdruck geraten war, wurde rasch klar, dass der Währungsrat (currency board) keineswegs die segensreiche Wirkung zeitigte, die sich seine Urheber von ihm erhofft hatten. Zwar war jeder in der Wirtschaft umlaufende Peso durch einen Reservedollar gedeckt, sodass sich in einem technischen Sinn der Wert des Pesos tatsächlich immer stützen ließ. Was aber würde geschehen, wenn die Öffentlichkeit – vernunftgeleitet oder nicht – damit beginnen würde, große Pesobeträge in Dollar umzutauschen? Die Antwort war, wie sich bald herausstellen sollte, dass die Banken des Landes rasch an den Rand des Zusammenbruchs gedrängt wurden. Damit drohte aber auch dem Rest der Wirtschaft das Chaos. Und so ungefähr sah das Drehbuch der argentinischen Krise wohl aus: Nehmen wir an, der Leiter einer New Yorker Kreditabteilung, unruhig geworden durch die Meldungen aus Mexiko, entschließt sich, sein gesamtes Lateinamerika-Engagement sicherheitshalber zu verringern, weil er wenig Sinn darin sieht, seinem Chef klarmachen zu wollen, dass es sich – um mit Ronald Reagan zu sprechen – eigentlich um »völlig unterschiedliche Länder« handelt. Also informiert er seinen argentinischen Kunden, dass der Kredit leider nicht verlängert werden könne und deshalb Rückzahlung erforderlich sei. Der argentinische Kunde hebt daraufhin von seiner argentinischen Hausbank die nötigen Pesos ab und tauscht sie ohne Probleme in Dollar um, denn die Zentralbank ist ja gut mit Dollar eingedeckt. Doch die Hausbank muss nun ihre Bargeldreserven wieder aufstocken; also kündigt
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auch sie ein Darlehen an einen ihrer argentinischen Geschäftspartner. Nun aber setzen allmählich die Probleme ein. Um sein Darlehen zurückzahlen zu können, muss sich dieser Geschäftsmann Pesos besorgen – wahrscheinlich von einem Konto bei einer anderen argentinischen Bank. Diese muss nun aus Liquiditätsgründen ihrerseits wieder Darlehen kündigen, was weitere Kontogänger auf den Plan ruft und zu entsprechend weiteren Kreditkündigungen führt. Die ursprüngliche Kündigung des Auslandskredits hat also innerhalb Argentiniens einen Multiplikationseffekt: Jedem verlorenen Kreditdollar aus New York stehen in Buenos Aires mehrere Pesos aus gekündigten Darlehen gegenüber. Je weiter aber das Kreditvolumen schrumpft, desto mehr beginnt die argentinische Wirtschaft zu wackeln. Die Unternehmen haben natürlich Probleme, ihre Darlehen kurzfristig zurückzuzahlen, zumal auch ihre Kunden finanziell unter Druck sind. Und die Sparer bekommen es nach und nach mit der Angst zu tun, dass ihre Bank auf ihren Forderungen sitzen bleiben könnte. Also beginnen sie vorsorglich damit, ihre Einlagen in Sicherheit zu bringen – was die Kreditmarktsituation weiter verschlechtert. Es entwickelt sich also eine Art Teufelskreis, bei dem sich Kreditknappheit und Bankenansturm gegenseitig hochschaukeln. Wir kennen dieses Szenario von früher: Es richtete 1930/31 in der amerikanischen Wirtschaft verheerende Schäden an. Nun, moderne Volkswirtschaften haben gegen derlei Entwicklungen ja Vorsorge getroffen. Erstens sind die Einlagen staatlich garantiert; die Sparer sollten sich demnach also hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit ihrer Bank keine Sorgen machen müssen. Zweitens gibt es eine Zentralbank, die als »Geldgeber der letzten Instanz« fungiert und den Geschäftsbanken mit Krediten unter die Arme greift, damit diese durch Forderungen der Einleger nicht zu sehr in Not (das heißt einen Liquiditätsengpass) geraten können. Eigentlich sollte Argentinien also doch ganz gut in der Lage gewesen sein, den Dingen von Anfang an zu wehren!
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Doch die Dinge waren eben nicht so einfach. Die argentinischen Einleger zweifelten möglicherweise durchaus nicht an der Sicherheit ihrer Pesos, wohl aber an der Wahrung des Dollarwerts dieser Pesos. Vorsichtshalber also besorgten sie sich ihre Dollar lieber gleich – für alle Fälle eben. Doch unter diesen Voraussetzungen fiel die Zentralbank als Geldgeber der letzten Instanz aus, denn sie durfte Pesos ja nur im Austausch gegen Dollar drucken! Anders formuliert: Die gleichen Regeln, die das System gegen die eine Art von Vertrauenskrise schützten, machten es in anderer Hinsicht tief verwundbar. Anfang 1995 also gerieten Mexiko und Argentinien schlagartig vom Himmel in die Hölle. Es stand wahrlich zu befürchten, dass die reformerischen Bestrebungen beider Länder im Kollaps enden würden.
Die große Rettung Was also Lateinamerika dringend brauchte, waren Dollars. Dollars, mit denen Mexiko bei Fälligkeit seine tesobonos zurückzahlen konnte; Dollars, mit denen Argentinien Pesos drucken konnte, um diese den heimischen Geschäftsbanken zu leihen. Das mexikanische Paket war das größere, dringlichere und politisch schwierigere der beiden. Während ein Großteil der Mittel von internationalen Einrichtungen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Verfügung gestellt wurde, betrachteten Europa und Japan die Mexikohilfe in erster Linie als US-Angelegenheit – ein ziemlicher großer Brocken hing also allein an den Vereinigten Staaten. Leider aber regte sich in den USA starker Widerstand gegen ein solches Hilfsprogramm. Insbesondere jene, die schon mit Verve gegen das NAFTA-Abkommen gekämpft hatten, sahen die mexikanische Krise als Bestätigung dessen, was sie schon immer gepredigt hatten. Sie waren nun keinesfalls bereit, die Mexikaner – einschließlich der Banken, die ihnen Geld gelie-
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hen hatten – mit Steuergeldern herauszuhauen. Die Konservativen waren inzwischen ohnehin auf einem Standpunkt angelangt, der mit jeder Art Staatsintervention zur Stützung von Märkten unvereinbar war, und insbesondere die Rolle des Internationalen Währungsfonds war ihnen ein steter Dorn im Auge, sahen sie den IWF doch als ersten Schritt auf dem Weg zu einer Weltregierung. Bald wurde klar, dass der US-Kongress einem mexikanischen Hilfspaket keinesfalls zustimmen würde. Glücklicherweise aber, so stellte sich heraus, kann das USSchatzamt nach eigenem Ermessen auf einen speziellen Notfonds für Devisenmarktinterventionen, den sogenannten Währungsausgleichsfonds (Exchange Stabilization Fund – ESF) zugreifen. Ursprünglich war dieser Fonds zweifellos für Maßnahmen zur Stabilisierung des Dollars gedacht; dies war aber im entsprechenden Gesetz so genau nicht präzisiert. Das Finanzministerium (US-Schatzamt) nutzte den Fonds also kurzerhand und mit bewundernswerter Kreativität zur Stabilisierung des Peso. Mittels ESF und anderen Quellen gelang es sehr rasch, Mexiko einen gewichtigen 50-Milliarden-Dollar-Kredit zur Verfügung zu stellen. Das Herzklopfen dauerte zwar noch einige Monate an, doch dann begann sich die finanzielle Situation zu stabilisieren. Das etwas kleinere argentinische Hilfspaket kam von der Weltbank, die den Banken des Landes 12 Milliarden Dollar an Stützungsmitteln zur Verfügung stellte. Die Hilfsmaßnahmen für Mexiko und Argentinien konnten freilich eine starke Schrumpfung dieser Volkswirtschaften nicht verhindern. Tatsächlich war der Rückgang der Wirtschaftsleistung beträchtlich schlimmer als im ersten Jahr der Schuldenkrise der achtziger Jahre. Ende 1995 aber begann sich die Lage wieder zu beruhigen, und die Furcht der Anleger vor einem totalen Kollaps der Wirtschaft begann zu schwinden. Die Zinssätze gingen nun wieder zurück; die Nachfrage belebte sich neu; und bald schon waren Mexiko und Argentinien wieder stark im Aufwind. Für Tausende Unternehmen und Millionen Beschäftigte hatte die Krise zweifel-
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los verheerende Folgen gehabt; doch sie war rascher überwunden, als von den meisten befürchtet oder erwartet.
Die falschen Lektionen gelernt Zwei Jahre nach der Tequila-Krise schien es so, als sei alles wieder im Lot. Mexiko und Argentinien boomten, und jenen Investoren, die die Nerven behalten hatten, ging es in der Tat sehr gut. Was man eigentlich also als Warnung hätte sehen müssen, wurde nicht selten gar zur Quelle des Stolzes und der Selbstgefälligkeit. Während sich nur wenige explizit mit den Konsequenzen aus der lateinamerikanischen Krise auseinandersetzten, lässt sich die allgemeine Einschätzung der Ereignisse in etwa so zusammenfassen: Erste (falsche) Lektion: Die Tequila-Krise war eine spezifisch mexikanische Angelegenheit und hat folglich mit dem Rest der Welt wenig zu tun. Ursache waren politische Fehler auf mexikanischer Seite – vor allem die Tatsache, dass man eine Überbewertung des Peso zuließ, dass man eine expansive anstelle einer restriktiven Kreditpolitik betrieb, als die Spekulationsattacken auf den Peso einsetzten, und dass man die Abwertung selbst so dilettantisch ins Werk setzte, dass die Investoren unruhig wurden. Der nachfolgende, sehr starke Konjunktureinbruch hatte hauptsächlich mit den unvergleichlich schwierigen politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun, mit dem noch immer ungelösten Problem des Populismus und Antiamerikanismus. In gewisser Weise könne man sogar sagen: Die Wirtschaftskrise war die Strafe für die Wahlfälschung des Jahres 1988. Die Lektion hieß also, kurz gesagt, dass Mexikos Debakel für den Rest der Welt wenig von Bedeutung sei. Sicher, die Krise hatte auch auf das übrige Lateinamerika übergegriffen; doch die Tatsache, dass Argentinien nur haarscharf am finanziellen Zusammenbruch vorbeigeschrammt war, wurde der Welt offenbar nicht
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recht bewusst – wohl deshalb, weil bald darauf ein so starker Aufschwung folgte. Und natürlich glaubte man zudem, dass sich die Tequila-Krise in gut funktionierenden, nicht von einem traditionellen makroökonomischen Populismus geprägten Volkswirtschaften nie wiederholen könne – in den asiatischen Wunderwirtschaften zum Beispiel. Zweite (falsche) Lektion: Sie bezog sich nicht auf Mexiko, sondern auf Washington – genauer: den Internationalen Währungsfonds und das US-Schatzamt. Die Krise schien demnach zu beweisen, dass Washington alles unter Kontrolle habe und über die Mittel wie auch die Kompetenz verfüge, um jeder schweren Finanzkrise Herr zu werden. Binnen kürzester Zeit konnte Mexiko ja mit einer riesigen Summe unter die Arme gegriffen werden – und erfolgreich zudem. Ganz im Unterschied zu den sieben schmalen Jahren in den Achtzigern war die Tequila-Krise in nur eineinhalb Jahren vorbei und vergessen. Daraus musste man ja förmlich schließen, dass die Verantwortlichen mit derlei Dingen inzwischen umzugehen wussten. Vierzehn Jahre nach dem Ausbruch der Tequila-Krise ist angesichts einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die einen Großteil der Welt, die USA eingeschlossen, erfasst und nicht wenig Ähnlichkeiten mit den Ereignissen der Jahre 1994/95 hat, klar, dass wir aus der lateinamerikanischen Krise die falschen Schlussfolgerungen gezogen haben. Die wirklich wichtige Frage, die man sich hätte stellen müssen, wäre jene gewesen, die der Ökonom Guillermo Calvo (tätig zunächst bei der Weltbank, später an der University of Maryland) auf vielen Konferenzen anschnitt: »Warum eigentlich zog ein so geringfügiges Vergehen eine derart schwere Strafe nach sich?« Nach den Tequila-Ereignissen war es nur allzu einfach, sich die Politik der Mexikaner im Vorfeld der Krise kritisch vorzunehmen und Fehler zuhauf zu bemängeln. Tatsache ist jedoch, dass damals kaum jemand an dieser Politik etwas auszusetzen fand, und selbst im Nachhinein lassen sich schwerlich Fehler jener Größenordnung
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finden, die das wirtschaftliche Desaster des Jahres 1995 rechtfertigen würden. Wir hätten gut daran getan, Calvos Frage – die ja implizierte, dass es möglicherweise Mechanismen gibt, die aus kleinen Fehlern große Katastrophen werden lassen – ernst zu nehmen. Wir hätten uns die Argumente einiger Kommentatoren genauer ansehen sollen – jener Kommentatoren, die zu bedenken gaben, es habe eigentlich überhaupt keine gravierenden Politikfehler gegeben (ausgenommen vielleicht das dilettantische Verhalten bei der Abwertung, das die Märkte verunsicherte und eine sich selbst verstärkende Panik auslöste). Und wir hätten uns folglich auch darüber klar werden können und müssen, dass das, was in Mexiko geschah, jederzeit auch andernorts passieren kann. Die wahre Lektion hätte also die Erkenntnis sein müssen, dass der augenscheinliche wirtschaftliche Erfolg eines Landes, die Bewunderung der Märkte und Medien für seine Elite, in keiner Weise eine Immunität des Landes gegen plötzliche Finanzkrisen garantieren. Im Rückblick wird auch klar, dass wir die Rolle »Washingtons« – des IWF und des US-Schatzamts – viel zu positiv sahen. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass beide Institutionen mutig und entschlossen handelten und dass die Maßnahmen wirkten. Doch bei näherer Betrachtung eignet sich dies alles wenig als Blaupause für künftiges Krisenmanagement. Erstens nämlich waren die Gelder lediglich über einen juristischen Handstreich zu mobilisieren, der sich im Prinzip nur durch die besondere Rolle Mexikos in Bezug auf das nationale Interesse Amerikas rechtfertigen ließ. Für künftige Krisen würde dies alles nicht gelten; an einen Hilfsfonds wäre also weder so schnell noch so leicht heranzukommen. Das mexikanische Hilfspaket wurde außerdem durch das kooperative Verhalten der mexikanischen Regierung entscheidend erleichtert: Zedillo und seine Mannschaft saßen nicht auf dem hohen Ross – nicht angesichts Mexikos Vergangenheit! –, und man war sich über Ziele und Vorgehensweise vollkommen einig. Der Umgang mit asiatischen Ländern, die gewohnt sind, aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln, und deren Führer sich ungern
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Vorschriften machen lassen, stünde demgegenüber unter völlig anderen Vorzeichen. Vor allem aber haben wir wohl nicht begriffen, wie sehr Mexiko und Washington einfach nur Glück hatten. Es handelte sich nämlich keineswegs um einen wohl überlegten Rettungsplan, der die Krise an der Wurzel packte. Es war vielmehr eine Finanzspritze für eine in die Klemme geratene Regierung, die ihren Part wiederum voll übernahm und schmerzhafte Maßnahmen durchführte – weniger deshalb, um den wirtschaftlichen Problemen grundsätzlich zu Leibe zu rücken, sondern weil man hoffte, durch eine entschlossene Haltung das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Das gelang auch, wiewohl zu einem hohen Preis. Doch es gab keinerlei Grund zu glauben, dass eine solche Strategie das nächste Mal wieder funktionieren würde. Niemand war also auf eine neue, ähnliche Krise ein paar Jahre später in Asien vorbereitet, vor allem nicht darauf, dass eine Strategie à la Mexiko in diesem Fall nicht taugen würde. Und noch weniger gewappnet waren wir für die globale Krise, die 2007 ausbrach. Dabei befand sich Asiens größte Volkswirtschaft längst in ernsten Schwierigkeiten – und war ganz offenkundig nicht in der Lage, die Dinge in den Griff zu bekommen.
Kapitel 3
Japans Falle
Es gab einmal eine Zeit – es ist noch gar nicht so lange her –, da waren die Amerikaner von Japan ganz in den Bann gezogen. Die Erfolge der japanischen Industrie schürten sowohl Bewunderung als auch Angst. Es gab praktisch keinen Buchladen, der den Leser nicht mit Dutzenden von Büchern begrüßte, deren Einbände eine aufgehende Sonne oder ein Samurai-Krieger zierte. Nicht wenige dieser Bücher versprachen Einblicke in die Geheimnisse des japanischen Unternehmensmanagements. Andere wiederum prophezeiten (oder forderten) den Wirtschaftskrieg. Die Japaner beschäftigten uns also sehr – sei es als Vorbild oder Feindbild. Damit ist es inzwischen vorbei. Hin und wieder macht Japan zwar noch Schlagzeilen, zumeist aber in negativen Zusammenhängen, etwa wenn der Nikkei-Index wieder einmal abgesackt ist oder wenn sogenannte »Carry-Trades«, bei denen HedgeFonds in Japan günstige Kredite aufnehmen, um das Kapital andernorts gewinnbringend zu verleihen, in die Hose gehen. Im Großen und Ganzen aber hat unser Interesse deutlich nachgelassen. So tolle Burschen sind das dort offenbar doch nicht, scheint sich die Öffentlichkeit zu denken, und wendet sich anderen Themen zu. Sollte sie aber nicht. Denn die Misserfolge der Japaner sind mindestens ebenso interessant wie ihre Erfolge. Was mit Japan
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passierte, ist Tragödie und Omen zugleich. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat ja ihre vielen gut ausgebildeten und leistungsfähigen Arbeitskräfte nicht von heute auf morgen verloren, besitzt nach wie vor einen modernen Kapitalstock und verfügt noch immer über ein beeindruckendes technologisches Knowhow. Das Land hat eine stabile Regierung, die keine Probleme mit der Steuermoral ihrer Staatsbürger hat. Und im Unterschied zu Lateinamerika (oder auch kleineren asiatischen Ländern) ist Japan eine Gläubigernation und damit in keiner Weise von ausländischen Investoren abhängig. Hinzu kommt die schiere Größe der japanischen Volkswirtschaft, was bedeutet, dass die Produzenten überwiegend den heimischen Markt bedienen. Dadurch hat Japan – ähnlich wie die Vereinigten Staaten – im Prinzip ein Maß an Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit, von dem kleinere Länder nur träumen können. Dennoch ging es mit Japan in den neunziger Jahren überwiegend bergab. Wachstumsperioden waren kurz und schwach, unterbrochen von immer ausgeprägteren Rezessionen. So hatte der frühere Wachstumskrösus unter den Industrienationen Ende 1998 ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als noch 1991. Aber noch schlimmer als die wirtschaftliche Entwicklung als solche waren das um sich greifende Gefühl des Fatalismus und der Hilflosigkeit, das schwindende Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, die Lage zum Besseren zu wenden. Dies war die eigentliche Tragödie. Denn eine so große Volkswirtschaft hat es weder nötig, noch verdient sie es, in einem jahrzehntlangen Abschwung gefangen zu sein. Zumal Japans Probleme nie mit denen anderer asiatischer Länder vergleichbar waren, auch wenn sie – mit weit weniger Berechtigung – viel länger anhielten. Insofern war Japan auch ein schlechtes Omen: Wenn so etwas sogar denen passieren konnte – warum dann nicht auch uns? Und in der Tat erging es uns ganz ähnlich. Wie nun konnte es in Japan dazu kommen?
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Japan als Nummer eins Kein anderes Land der Welt – nicht einmal die Sowjetunion zu Zeiten der Stalinschen Fünfjahrespläne – hat je einen so fundamentalen wirtschaftlichen Wandel erlebt wie Japan in der Zeit seines höchsten Wachstums, von 1953 bis 1973. In nur zwanzig Jahren entwickelte sich Japan von einem weitgehend agrarischen Land zum Exportweltmeister in Stahl und Autos. Groß-Tokio ist inzwischen das größte und wohl auch vitalste städtische Ballungsgebiet der Welt. Und auch im Lebensstandard machten die Japaner einen gewaltigen Satz nach vorn. Einigen westlichen Beobachtern entging dies nicht. Schon 1969 veröffentlichte der Futurologe Herman Kahn sein Werk The Emerging Japanese Superstate (Japan – Supermacht von morgen), in dem er prognostizierte, Japan werde angesichts seiner hohen Wachstumsraten bis zur Jahrtausendwende die führende Industrienation der Welt sein. Erst Ende der siebziger Jahre freilich – etwa um die Zeit, als Erzra Vogel seinen Bestseller Japan as Number One (Japan als Nummer eins) veröffentlichte – begann es einer breiteren Öffentlichkeit zu dämmern, was in Japan eigentlich geschah. Und als dann plötzlich japanische Spitzenprodukte – vor allem Automobile und elektronische Geräte – die westlichen Märkte überschwemmten, war die Verwunderung groß, und alle fragten sich: Wie machen die Japaner das bloß? Die große Japan-Debatte entbehrte also – was den Zeitpunkt angeht – nicht einer gewissen Ironie. Tatsächlich nämlich begann der Westen die Japaner erst richtig ernst zu nehmen, als die große Zeit des japanischen Wirtschaftswachstums längst vorbei war. Anfang der siebziger Jahre kam es überall in der Ersten Welt zu einer Abschwächung des Wachstums, wobei die Gründe bis heute nicht ganz klar sind. Dabei erlebte Japan, das Land mit den höchsten Zuwachsraten, auch den größten Konjunktureinbruch – von neun Prozent jährlichem Zuwachs in den sechziger Jahren auf weniger als vier Prozent nach 1973. Natürlich waren dies im internationa-
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len Vergleich noch immer exzellente Werte – kein Land konnte da mithalten (auch nicht die USA; die Zuwächse der Japaner waren eineinhalbmal so hoch). Freilich war dies trotzdem zu wenig, um Kahns Prognose zu erfüllen; die Nummer eins konnte Japan bei solchen Steigerungen erst irgendwann im 21. Jahrhundert werden. Dennoch beneidete man Japan, und das aus verständlichen Gründen. Vielen schien es so, als sei das japanische Wirtschaftsmanagement einfach das bessere. Und nicht wenige waren der Meinung, der Erfolg der Japaner gehe – teilweise zumindest – auf das Konto naiver westlicher Wettbewerber. Die Debatte über Japans Erfolg lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen. Grundsätzlich gab es zwei Lager. Die eine Seite schrieb das japanische Wachstum guten Basisbedingungen – vor allem dem exzellenten Bildungsniveau und der hohen Sparquote – zu und bemühte darüber hinaus in stereotyper Weise amateursoziologische Konstrukte, um die überragende japanische Fertigungseffizienz zu erklären. Die andere Seite hob mehr auf das grundsätzlich andere Wirtschaftssystem ab, das als neue und überlegene Form des Kapitalismus interpretiert wurde. So entwickelte sich der Japandiskurs auch zu einer ökonomischen Grundsatzdebatte über die westliche Wirtschaftsphilosophie im Allgemeinen und den Nutzen der Marktwirtschaft im Besonderen. Ein Element des vermeintlich überlegenen japanischen Systems war die führende Rolle des Staates. In den fünfziger und sechziger Jahren hatte die Regierung in der Tat einen wichtigen Part bei der Lenkung der Wirtschaft inne – sowohl in Form des berühmten Handels- und Industrieministeriums (Ministry of International Trade and Industry – MITI) als auch in Gestalt des mehr im Hintergrund agierenden, gleichwohl eher einflussreicheren Finanzministeriums. Das Wirtschaftswachstum verlief zumindest teilweise nach den strategischen Plänen der Regierung, indem Bankkredite und Einfuhrgenehmigungen an bevorzugte Branchen und Firmen vergeben wurden. Zu der Zeit jedoch, als Japan wirklich ins Blickfeld des Westens geriet, hatte der staatliche Einfluss auf die Wirt-
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schaft bereits deutlich nachgelassen. Dessen ungeachtet kursierte im Westen das Bild von der »Japan AG« – einer zentral gelenkten Wirtschaft – bis weit in die neunziger Jahre hinein. Ein weiteres Element des spezifisch japanischen Wirtschaftsstils war die Freiheit der Großunternehmen von kurzfristigen Finanzzwängen. Die Mitglieder japanischer Keiretsu – Gruppen verbündeter, um eine Bank herum organisierter Unternehmen – waren in der Regel wechselseitig stark aneinander beteiligt, sodass das Management kaum Rücksicht auf externe Aktionäre zu nehmen brauchte. Auch konnte den japanischen Unternehmen der eigene Aktienkurs wie auch das Vertrauen der Märkte ziemlich gleichgültig sein, da sie sich selten über den Verkauf von Anteilen oder Anleihen finanzierten – denn wenn sie Kapital brauchten, holten sie es sich von ihrer Hausbank. Die kurzfristige Rentabilität zumindest – vielleicht sogar die Rentabilität überhaupt – spielte bei den japanischen Firmen folglich keine besonders große Rolle. Man hätte indes glauben können, dass die spezifische Finanzlage einer Keiretsu-Bank letztlich zu Investitionsdisziplin führen würde: Falls die Bank durch faule Kredite an verbundene Unternehmen unseriöse Geschäfte betrieb – würden sich dann nicht irgendwann die Einleger davonmachen? Doch in Japan wie sonst überall auch lebten die Sparer in dem festen Vertrauen auf die staatlich garantierte Einlagensicherheit. Folglich sahen sie wenig Veranlassung, den Banken in besonderer Weise auf die Finger zu schauen. Im Ergebnis, so fanden Bewunderer und Kritiker in seltener Einmütigkeit, ermögliche dieses System dem Land eine langfristige Entwicklungsperspektive. Schritt für Schritt, so das allgemeine Bild, nähmen sich die Japaner eine »strategische« Industrie nach der anderen zur Brust – Branchen, die als Wachstumsmotoren fungieren können. Der Staat ebne der privaten Wirtschaft den Weg in derlei Industriezweige und halte ausländische Konkurrenz eine Zeit lang fern, damit sich die Branche entwickeln und im heimischen Markt kräftig etablieren kann. Anschließend folge dann eine große Exportoffensive, bei der die Unternehmen mit aller Kraft
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und unter Vernachlässigung aller Rentabilitätsgesichtspunkte ihren Marktanteil auszubauen und ihre ausländische Konkurrenz in Grund und Boden zu rammen versuchen. Sei schließlich die Branchendominanz erreicht, gehe es an den nächsten Industriezweig. Stahl, Automobile, Videorekorder, Halbleiter, Computer und Flugzeuge seien mithin nur eine Frage der Zeit. Die Skeptiker hatten gegen diese Sichtweise manches einzuwenden. Doch auch jene, die Japan keine auf Verdrängung angelegte Wettbewerbspolitik vorwerfen mochten, ebenso wie jene, die an der angeblichen Allwissenheit der Zauberer im MITI durchaus ihre Zweifel hatten, tendierten zu der Ansicht, dass die Besonderheiten des japanischen Systems irgendwie mit dem Erfolg der Japaner zu tun haben mussten. Erst viel später sollte dieses unverwechselbar Japanische – die Kumpanei zwischen Staat und Wirtschaft, die äußerst laxe Kreditpolitik von Banken, für die der Staat haftete, gegenüber wirtschaftlich eng verbundenen Unternehmen – auf einen Begriff gebracht werden, der nun aber das Negative, die Wurzel der japanischen Malaise, benannte: Vetternwirtschaft. Doch die Schwächen des Systems lagen für alle, die sie sehen wollten, bereits Ende der achtziger Jahre vollkommen offen zutage.
Die Blase platzt – und die Probleme beginnen Zu Beginn der neunziger Jahre war die Marktkapitalisierung Japans – das heißt der Gesamtwert aller Aktien aller japanischen Unternehmen – höher als der Vergleichswert der USA, obwohl Letztere doppelt so viele Einwohner und ein mehr als doppelt so hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) aufweisen als Japan. Die Grundstückspreise – die im dicht besiedelten Japan schon immer relativ hoch waren – stiegen ins Unermessliche: Wie häufig kolportiert wurde, war der rund 2,5 Quadratkilometer umfassende Grund und Boden, auf dem der Kaiserpalast steht, damals mehr wert als der gesamte
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US-Staat Kalifornien. Willkommen also in der »Blasenwirtschaft«, Japans Gegenstück zu den »tollen zwanziger Jahren« in Amerika. Die ausgehenden achtziger Jahre stellten für Japan eine Zeit des Wohlstands dar: hohes Wachstum, geringe Arbeitslosigkeit und satte Unternehmensgewinne. Dennoch rechtfertigten die guten wirtschaftlichen Rahmendaten in keiner Weise eine Verdreifachung sowohl der Grundstückspreise als auch der Aktienkurse in jener Zeit. Viele Beobachter attestierten diesem Finanzboom auch damals bereits manische und irrationale Züge – es war einfach ungesund, traditionelle Unternehmen in langsam wachsenden Industrien wie Wachstumswerte zu behandeln (mit Kurs-GewinnVerhältnissen von 60 und höher). Doch wie häufig in Fällen, wenn Märkte verrückt spielen, vermochten sich die Skeptiker und Warner einfach kein Gehör zu verschaffen, sei es, weil ihnen die Mittel oder auch einfach nur der Mut fehlten; die Euphoriker, die das Meinungsbild prägten, fanden alle möglichen Rechtfertigungen für die himmelhohen Preise und Kurse. Finanzspekulationen sind freilich nichts Neues. Von der Tulpen- bis zur Internetmanie gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass sich selbst die vernünftigen und umsichtigen Anleger häufig von der Dynamik solcher Vorgänge anstecken lassen. Es scheint einfach schwer zu sein, kühl zu bleiben und langfristig zu denken, wenn alle Welt offenbar auf dem Weg zum schnellen Reichtum ist. Doch angesichts dessen, dass ja gerade die Japaner im Ruf standen, langfristig und strategisch denkende Köpfe zu sein, und in Anbetracht auch der allgemeinen Einschätzung, die Japan AG gleiche eher einer Planwirtschaft als einem für alle zugänglichen freien Markt, muss die Dimension der japanischen Spekulationsblase doch überraschen. Nun, Japans Reputation hinsichtlich langfristiger, gesellschaftlich kontrollierter Investitionen beruhte schon immer auf einer Übertreibung. Die Grundstücksspekulanten, die schon immer wussten, wie man Politiker schmiert, und die für alle Fälle auch noch ihre Yakuza-Verbindungen in der Hinterhand haben, waren
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traditionell ein erstaunlich wichtiger Faktor des japanischen Wirtschaftslebens. Immobilien- und Bodenspekulationen trieben bereits in den siebziger Jahren die Banken an den Rand einer Krise. Die Situation konnte damals nur durch einen Inflationsschub gerettet werden, durch den sich der Realwert der Verbindlichkeiten der Spekulanten verringerte, was aus faulen wieder relativ sichere Kredite machte. Trotzdem war das riesige Ausmaß der damaligen Spekulationsblase überraschend. Gab es denn jenseits der Massenpsychologie vielleicht eine tieferreichende Erklärung für das Phänomen? Wie sich herausstellt, war die japanische Spekulationsblase nur einer von mehreren Ausbrüchen von Spekulationsfieber, die in den achtziger Jahren die Welt erfassten. Allen diesen Vorgängen war gemeinsam, dass sie im Wesentlichen auf Bankdarlehen basierten. Typisch war vor allem, dass traditionell seriöse Einrichtungen damit begannen, ihre Kreditpolitik zu lockern und auch risikofreudigen, nicht selten zwielichtigen Marktteilnehmern Kapital anzubieten, wenn dafür überdurchschnittlich hohe Zinsen winkten. Der bekannteste Fall sind die amerikanischen Spar- und Darlehenskassen (Bausparkassen) – Einrichtungen, deren öffentliches Erscheinungsbild einst von der sprichwörtlichen Seriosität des amerikanischen Kleinstadtbankiers geprägt war, wie er etwa in Jimmy Stewarts Roman It’s a Wonderful Life idealtypisch dargestellt ist. In den achtziger Jahren freilich brachte man diese Einrichtungen inzwischen mehr mit skrupellosen texanischen Grundstückshaien in Verbindung. Doch auch andernorts gab es ähnlich dubiose Geldgeschäfte, insbesondere in Schweden, einem Land, das man ebenfalls eher kaum mit Spekulationsfieber in Verbindung bringen würde. Die Ökonomen vermuten allerdings schon lange, dass hinter all diesen episodischen Erscheinungen irgendeine Systematik stecken muss – ein ökonomisches Prinzip, das – ähnlich wie unser Babysitting-Beispiel zum Thema Rezession – in diesem Buch noch mehrfach eine Rolle spielen wird. Es handelt sich dabei um die sogenannte »Verführung zum Risiko« (engl. moral hazard).
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Der Begriff des moral hazard stammt aus der Versicherungswirtschaft. Schon sehr früh stellten insbesondere die Feuerversicherer fest, dass bei voll versicherten Hauseigentümern verdächtig häufig Brände auftraten – vor allem, wenn der vermutliche Marktwert des Gebäudes aufgrund veränderter Bedingungen unter die Versicherungssumme gefallen war. (Mitte der achtziger Jahre gab es in New York eine Reihe von Immobilieneigentümern, bei denen bekanntermaßen häufig Brände auftraten und die nach folgendem Strickmuster zu arbeiten pflegten: Man erwirbt von einer Scheingesellschaft, die einem selbst gehört, ein Gebäude zu überhöhtem Preis und schließt auf der Basis dieses Preises eine hohe Feuerversicherung ab. Ganz »zufällig« brennt dann später ausgerechnet dieses Anwesen nieder. So ein Pech – fragt sich nur, für wen!) Das Konzept der Verführung zum Risiko fand schließlich in einem allgemeinen Sinn Verwendung, indem es Situationen bezeichnet, in denen jemand ein Risiko eingeht, für das im Schadensfall nicht er selbst, sondern ein anderer geradestehen muss. Leihgeschäfte haben naturgemäß viel mit solch »subjektivem Risiko« zu tun. Angenommen, ich bin ein cleverer Junge, besitze jedoch kein Kapital. Es gelingt mir aber, einen Geldgeber so von meinen Fähigkeiten zu überzeugen, dass er mir welches zur Verfügung stellt, sagen wir eine Milliarde Dollar, die ich mit dem Versprechen, Darlehenssumme samt Zinsen binnen eines Jahres zurückzuzahlen, beliebig investieren darf. Selbst wenn der Kapitalgeber einen hohen Zinssatz verlangt, ist das Ganze für mich ein Bombengeschäft: Ich schnappe mir die Milliarde, investiere sie in ein lukratives Projekt mit ungewissem Ausgang und hoffe auf das Beste. Geht alles gut, sahne ich ab; geht die Sache schief, hebe ich die Hand und trolle mich. Bei Zahl gewinne ich, bei Wappen verliert ein anderer! Klar, niemand wird mir einen solchen Blankoscheck ausstellen, wenn ich nicht auch Eigenkapital nachweisen kann. Allein mit Cleverness werde ich es also kaum allzu weit bringen. Normalerweise sind die Kapitalgeber vorsichtig genug, indem sie erstens eine
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Zweckbindung der Mittel vornehmen und zweitens vom Kreditnehmer verlangen, dass er selber eine beträchtliche Summe aufbringt. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Investor einen hinreichenden Anreiz verspürt, Verluste zu vermeiden. Mitunter aber scheinen die Kapitalgeber diese guten Regeln zu vergessen, indem sie große Summen tatsächlich Leuten in die Hand drücken, die nichts vorzuweisen haben außer schönen Worten. (Von den Hedge-Fonds – hochspekulativen Investmentfonds – und deren verblüffender Geschichte wird diesbezüglich in Kapitel 6 noch die Rede sein.) Zu bestimmten Zeiten freilich kann das Eigenmittelerfordernis durchaus auch zu einer Destabilisierung der Märkte führen. Wenn etwa Anlagewerte im Kurs sinken, kann auf jene, die sie auf Kreditbasis erwarben, eine Nachschussforderung zukommen: Sie müssen dann weitere Mittel bereitstellen oder andernfalls ihre Gläubiger voll auszahlen, indem sie die entsprechenden Papiere verkaufen, was den Preisverfall jedoch weiter verstärkt – ein Prozess, der, wie wir noch sehen werden, in der aktuellen Finanzkrise eine zentrale Rolle spielt. Doch abgesehen von solchen Marktanomalien gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die guten Regeln solider Kreditgeschäfte gern gebrochen werden: Das ganze Spiel findet nämlich auf dem Rücken des Steuerzahlers statt. Erinnern wir uns daran, was wir im Zusammenhang mit den Hausbanken japanischer Keiretsu feststellten: dass ihre Einleger fest davon ausgingen, dass ihr Erspartes sicher war, weil der Staat hinter ihnen stand. Gleiches gilt für fast alle Banken der Welt, insbesondere in den Industrieländern, aber auch anderswo. Moderne Staaten können und wollen einfach nicht zulassen – selbst wenn keine ausdrückliche Einlagengarantie besteht –, dass der kleine Mann seine sauer verdienten Groschen verliert, nur weil er sie zur falschen Bank gebracht hat – so wenig wie der Staat untätig zusehen kann, wenn Flutkatastrophen Häuser mitreißen, die man unvorsichtigerweise in Niederungen gebaut hat. Nur die rigorosesten Konservativen hätten es gern anders. Ergebnis aber ist, dass die all-
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gemeine Vorsicht leidet: Man macht sich keine großen Gedanken darüber, wo man sein Haus hinsetzt, und bei Geldanlagen ist man noch eine Spur blauäugiger. Diese Sorglosigkeit bietet einem skrupellosen Geschäftsmann natürlich verführerische Möglichkeiten: Man eröffne eine Bank, möglichst in einem gediegenen Gebäude und mit zugkräftigem Namen, biete den potenziellen Einlegern genügend Anreiz (gute Zinsen, wenn erlaubt; andernfalls Werbegeschenke irgendwelcher Art) und verleihe die zufließenden Mittel zu Höchstsätzen an risikofreudige Spekulanten (vorzugsweise Freunde; oder man tritt gleich selber mit einem weiteren Unternehmen als Darlehensnehmer auf). Die Einleger werden schon keine unangenehmen Fragen stellen, denn sie gehen ja davon aus, dass sie auf jeden Fall auf der sicheren Seite sind. Eine einmalige Chance ohne Risiko also: Werden die erhofften Investitionserträge Wirklichkeit, wird man superreich; geht alles schief, ist das nicht so schlimm – der Staat wird«s schon richten. Zugegeben: Das Beispiel überzeichnet; ganz so leicht ist es in der Praxis natürlich nicht. Schließlich gibt es ja auch staatliche Auflagen. Tatsächlich kamen zwischen 1930 und 1980 solche Verhaltensweisen bei Banken auch nur ganz selten vor. Denn die Aufsichtsbehörden taten mehr oder weniger genau das, was auch ein privater Anleger tut (oder tun sollte), bevor er jemandem ein paar Millionen Spielgeld gibt: Sie zogen Grenzen hinsichtlich der Verwendung der Einlagen, um übermäßig riskanten Anlagen vorzubeugen. Sie verlangten von den Bankeignern im Rahmen der Vorschriften zur Kapitalstruktur ein bestimmtes Maß an Eigenmitteln. Und in eine ähnliche Richtung wirkte – auf subtilere und vielleicht unbeabsichtigte Weise – der Umstand, dass im Bankenwesen traditionell nur ein beschränkter Wettbewerb zugelassen war, was die Konzession zu einem wertvollen Gut machte, mit dem man entsprechend sorgsam umging und das man keinesfalls leichtfertig aufs Spiel setzte. Doch in den achtziger Jahren wurden diese Beschränkungen
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vielerorts gelockert oder ganz abgebaut. Der Hauptgrund war Deregulierung. Die Banken alten Stils waren zwar sicher, aber auch sehr konservativ, und mit Recht ließ sich an diesem System eine suboptimale, nicht hinreichend produktive Kapitalverwendung kritisieren. Das Heilmittel bestand für die Reformer in einer Öffnung des Sektors für den Wettbewerb. Lassen wir doch die Banken selbst entscheiden, wie sie ihre Gelder verleihen wollen, so die These, und öffnen wir den Markt für eine größere Zahl von Spielern, die um die Ersparnisse der Allgemeinheit konkurrieren. Dabei vergaß man, dass dies auch ein Gefahrenpotenzial in sich birgt, dass – mit anderen Worten – bei fallendem Wert der Bankenkonzession auch die Risikobereitschaft der Bankiers wachsen würde. Hinzu kamen Änderungen in den Marktverhältnissen. Insbesondere das Aufkommen alternativer Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung unterminierte zusätzlich die Gewinnspannen jener Banken, die weiter auf eine solide Geschäftspolitik alten Stils setzten. So kam es, dass sich in den achtziger Jahren der Faktor »Verführung zum Risiko« weltweit in epidemischem Ausmaß bemerkbar machte. Nur wenige Länder können von sich behaupten, hier angemessen reagiert zu haben – gewiss nicht die Vereinigten Staaten, deren Handhabung der Bausparkassenaffäre ein klassisches Beispiel für eine unkluge, kurzsichtige und mitunter korrupte Politik ist. Japan freilich war gegen die Lockerungen im Finanzsektor besonders schlecht gewappnet, denn in Japan waren die üblichen Grenzen – zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen Banken und Kunden, zwischen den Fällen, in denen der Staat bürgt, und jenen, in denen er dies nicht tut – schon immer äußerst vage. Japans Banken waren Weltmeister bei der Kreditvergabe, nahmen aber die Bonitätsprüfung ihrer Schuldner so locker wie nur möglich. Auf diese Weise trugen sie wesentlich dazu bei, dass die Spekulationsblase immer größer wurde, bis das Ganze schließlich groteske Ausmaße annahm. Früher oder später platzen solche Blasen immer. Im Falle Japans
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geschah dies freilich nicht ganz unerwartet. Die Bank von Japan sorgte sich bereits 1990 über spekulative Exzesse und begann daher die Zinsen anzuheben – in der Hoffnung, so etwas Luft aus dem Ballon abzulassen. Anfänglich zeigte die Maßnahme allerdings wenig Wirkung. Ab 1991 jedoch begannen die Grundstückspreise und Aktienkurse deutlich zu fallen; binnen weniger Jahre sanken sie auf ein Niveau von 60 Prozent ihres Höchststandes. Anfänglich – und wohl auch noch in den Folgejahren – scheinen die japanischen Behörden dies als gesunden Prozess betrachtet zu haben, als Rückkehr zu einer vernünftigeren, realistischeren Anlagen- beziehungsweise Vermögensbewertung. Allmählich aber wurde doch klar, dass das Ende der Spekulationswirtschaft nicht ökonomische Gesundung, sondern eine sich ständig vertiefende Malaise beschert hatte.
Die heimliche Depression Im Unterschied zu Mexiko 1995, Südkorea 1998 und Argentinien 2002 hat Japan nie ein Jahr mit einem eindeutigen, katastrophalen wirtschaftlichen Absturz erlebt. In dem Jahrzehnt nach dem Platzen der Spekulationsblase gab es in Japan nur zwei Jahre, in denen das reale BIP tatsächlich fiel. Jahr für Jahr aber blieb das Wirtschaftswachstum nicht nur hinter den Werten der Vergangenheit zurück, sondern war auch gemessen an der Zunahme der Produktionskapazitäten unzureichend. In der Dekade ab 1991 gab es lediglich ein Jahr, in dem Japan die durchschnittliche Wachstumsrate des vorausgegangenen Jahrzehnts erreichte. Und selbst bei vorsichtiger Schätzung der Zuwachsrate des »potenziellen« japanischen Ausstoßes (jener Wirtschaftsleistung also, die bei voller Ressourcennutzung möglich wäre) gab es nur ein Jahr, in dem die tatsächliche Outputsteigerung mit dem Wachstum der Produktionsmöglichkeiten Schritt hielt.
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Die Ökonomen haben natürlich auch für das, was sich im Japan der neunziger Jahre abspielte, einen ihrer sonderbaren Begriffe parat: »Wachstumsrezession«. Darunter ist Folgendes zu verstehen: Eine Wirtschaft wächst zwar, doch nicht stark genug, um mit den Kapazitätssteigerungen Schritt halten zu können, weshalb immer mehr Maschinen stillstehen und immer mehr Arbeitskräfte ohne Beschäftigung sind. Wachstumsrezessionen sind normalerweise eher selten, weil in der Regel sowohl die Auf- als auch die Abschwünge dynamisch verlaufen, was im einen Fall zu starkem Wachstum und im anderen Fall zu einem klaren Rückgang führt. Japan jedoch erlebte praktisch ein Jahrzehnt lang eine Wachstumsrezession, wodurch es so weit unter Soll-Niveau blieb, dass es am Rande eines ganz neuen Phänomens stand: einer Wachstumsdepression. Die Gemächlichkeit, mit der es mit Japans Wirtschaft abwärts ging, sorgte an sich schon für viel Verwirrung. Weil die Depression so klammheimlich kam, wurde sie von niemandem so richtig bemerkt, weshalb in der Öffentlichkeit auch zu keinem Zeitpunkt Forderungen nach drastischen staatlichen Maßnahmen laut wurden. Und weil der Wirtschaftsmotor nicht den Kolbenfresser bekam, sondern nur immer schwächer wurde, sah sich die Regierung veranlasst, ihre Erfolgsmaßstäbe ebenfalls in kleinen Schritten herunterzusetzen, sodass man das abgeschwächte Wachstum noch immer als Erfolg der eigenen Politik verkaufen konnte – auch wenn die Messlatte des Wünschbaren und objektiv Erreichbaren deutlich unterlaufen wurde. Gleichzeitig machte sich bei den japanischen wie auch bei den ausländischen Analysten eine veränderte Einschätzung breit: Man schien aus dem jahrelang schwachen Wachstum stillschweigend zu folgern, Japans Wirtschaft könne gar nicht rascher wachsen. Japans Wirtschaftspolitik war also von einer sonderbaren Mischung aus Selbstgefälligkeit und Fatalismus geprägt – gepaart mit einem deutlichen Mangel an Bereitschaft, intensiv und kritisch über die Ursachen der Misere nachzudenken.
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Japans Falle Der Beginn des wirtschaftlichen Abschwungs im Jahr 1991 hat überhaupt nichts Geheimnisvolles an sich: Irgendwann platzt jede Finanzblase, und die Folgen sind klar: rückläufige Investitionen, rückläufiger Konsum und damit rückläufige Gesamtnachfrage. Das Gleiche geschah in den Vereinigten Staaten, nachdem die Aktienmarktblase der neunziger Jahre geplatzt war, und erneut im folgenden Jahrzehnt, als der Immobilienblase das gleiche Schicksal blühte. Die Frage ist jedoch, weshalb Japans Verantwortliche, insbesondere die Zentralbank, nicht in der Lage waren, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Es ist an der Zeit, wieder zu unserem Babysitting-Beispiel zurückzukehren. Angenommen, der amerikanische Aktienmarkt bräche von heute auf morgen ein und würde damit das Vertrauen der Verbraucher untergraben. Müsste dies zwangsläufig eine tief greifende Wirtschaftskrise nach sich ziehen? Betrachten wir es einmal von der folgenden Warte aus: Wenn das Vertrauen der Konsumenten in die Wirtschaft nachlässt, so ist das, als würden die Mitglieder der Babysitting-Kooperative plötzlich weniger ausgehen und mehr Coupons für spätere Notfälle ansammeln. Dieses Verhalten kann in der Tat eine Krise einleiten, doch muss es das nicht, wenn – wie gesehen – das Management rechtzeitig reagiert und mehr Coupons in Umlauf bringt. Genau dies tat unser Couponausgeber, Alan Greenspan, im Jahr 1987. Was aber wäre, wenn der Couponausgeber nicht rechtzeitig reagieren und die Konjunktur tatsächlich einbrechen würde? Nur keine Panik! Auch wenn der Notenbankchef überrascht wird, ist der Zug noch nicht ganz abgefahren. Im Normalfall kann er immer noch Herr der Situation werden, indem er die Zahl der umlaufenden Coupons nachträglich erhöht. Beispiele wären etwa die starken Geldmengenausweitungen, die die US-Rezessionen der Jahre 1981/82, 1990/91 und 2001 stoppten. Doch wie steht es mit all den unnützen Investitionen, die wäh-
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rend des Booms getätigt wurden? Nun, dieses Kapital ist in der Tat weitgehend verloren. Aber es gibt keinerlei zwingenden Grund, weshalb die schlechten Investitionen von gestern einen effektiven Rückgang der Produktionsleistung von heute nach sich ziehen müssen. Die Produktionskapazität mag zwar nicht im erwarteten Maß gestiegen sein, doch gefallen ist sie keineswegs! Warum also nicht einfach genügend Geld drucken, um die Verbrauchernachfrage zu stabilisieren, damit die Wirtschaft wenigstens die vorhandenen Kapazitäten voll nutzen kann? Wie wir bei unserem Babysitting-Beispiel gesehen haben, sind Wirtschaftskrisen keine göttliche Strafe für begangene Sünden, keine Leiden, die uns das Schicksal auferlegt und die wir erdulden müssen. Die Kooperative kam nicht deshalb in Schwierigkeiten, weil ihre Mitglieder schlampige Arbeit ablieferten, und die Probleme hatten auch nichts mit unfairen Praktiken, Vetternwirtschaft oder ähnlichen fundamentalen Schwächen zu tun. Ursache war allein ein technisches Problem: Zu viele Leute waren hinter zu wenigen Coupons her. Die Lösung war ganz einfach: Man brauchte nur seinen Kopf ein wenig anzustrengen. Diese Lektion sollte uns gegen jeglichen Anflug von Pessimismus und Fatalismus wappnen. Im Prinzip jedenfalls scheinen Rezessionen immer – und dazu auch noch recht leicht – heilbar zu sein. Warum aber hat dann Japan damals nicht die Ärmel hochgekrempelt, als die Spekulationsblase platzte? Wie ist es zu erklären, dass das Land trotzdem in eine offenbar nicht zu bewältigende Krise geriet – eine Krise, aus der die Notenpresse allein anscheinend nicht herauszuhelfen schien? Nun, wir brauchen unsere Babysitting-Parabel nur ein wenig zu erweitern, und schon haben wir ein Modell, das die japanische Situation recht gut verdeutlicht. Erstens müssen wir uns eine Kooperative vorstellen, deren Mitgliedern klar geworden ist, dass ihr System ein ärgerliches, doch unnötiges Defizit aufweist: Es kommt immer wieder vor, dass ein Paar mehrmals hintereinander Verpflichtungen außer Haus hat. Irgendwann aber gehen die Coupons aus, sodass kein Baby-
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sitter zu bekommen (beziehungsweise zu bezahlen) ist, wiewohl das Paar bereit ist, zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit Gegenleistung zu erbringen. Um dieses Problem zu lösen, so wollen wir annehmen, beschließt der Kreis, den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, sich bei der Verwaltung im Bedarfsfall Coupons zu leihen – zurückzuzahlen über die durch späteres Babysitten hereinzuholenden Coupons. (Wir könnten diese Parabel noch mehr der Wirklichkeit annähern, indem wir uns vorstellen, dass die Paare auch wechselseitig Coupons voneinander leihen können. Der Zinssatz in diesem rudimentären Kapitalmarkt würde dann also jene Rolle spielen, die in unserem Beispiel der von der Verwaltung erhobene »Diskontsatz« einnimmt.) Freilich muss hier Missbrauch vorgebeugt werden. Deshalb wird die Verwaltung nicht umhinkönnen, die Entleihung von Coupons mit einer Art Strafe zu belegen, indem die »Kreditnehmer« mehr Coupons zurückzahlen müssen, als sie sich tatsächlich ausgeborgt haben. Dieses neue System wird vermutlich dazu führen, dass die Beteiligten angesichts der Möglichkeit, sich in Notfällen jederzeit Coupons leihen zu können, nun weniger hohe Reserven bilden als zuvor. Die Verwaltung jedoch hat damit nun ein neues Steuerungsinstrument in der Hand. Wenn die Mitglieder des Kreises berichten, es sei leicht, einen Babysitter zu finden, aber schwer, eine Möglichkeit zum Babysitten zu ergattern, kann man einfach die CouponEntleihbedingungen attraktiver gestalten, um den Leuten das Ausgehen zu erleichtern. Im umgekehrten Fall – Babysitter sind schwer zu finden – kann durch Verschlechterung der Entleihbedingungen dafür gesorgt werden, dass die Leute tendenziell weniger ausgehen. Anders ausgedrückt: In diesem erweiterten und etwas komplexeren Beispiel besitzt die Kooperative praktisch eine Zentralbank, die eine schlecht laufende Wirtschaft durch Senkung des Zinssatzes ankurbeln und eine überhitzte Wirtschaft durch Erhöhung des Zinssatzes dämpfen kann. Nun aber stellen wir bei Japan fest, dass die Zinssätze fast auf Null fielen – und trotzdem steckte die Wirtschaft in der Krise! Sind
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wir nun doch an einem Punkt angelangt, wo uns unsere Parabel nicht mehr weiterhilft? Stellen wir uns vor, dass Angebot und Nachfrage beim Babysitten saisonal schwanken. Im Winter, der kalten und dunklen Jahreszeit, gehen die Paare weniger gern aus, bleiben also lieber daheim und hüten anderer Leute Kinder, um Punkte zu sammeln, die sich an lauen Sommerabenden nutzen lassen. Solange diese saisonalen Schwankungen nicht allzu krass sind, dürfte das Instrument der Zinssatzänderung – niedrige Zinssätze im Winter, höhere im Sommer – ausreichen, um Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Anders sieht es jedoch bei sehr starken Schwankungen aus. Dann nämlich werden im Winter – trotz eines Zinssatzes von Null – immer noch mehr Paare lieber babysitten als ausgehen. Dies bedeutet, dass Möglichkeiten zum Babysitten rar werden, mit der Konsequenz, dass jene Paare, die die Sommerabende gern draußen verbringen und deshalb Couponreserven brauchen, ihre vorhandenen Reserven schon gar nicht angreifen, wodurch sich die Möglichkeiten zum Babysitten noch mehr verknappen ... Die Kooperative gerät also selbst bei einem Zinssatz von Null in eine Rezession! In diesem Sinne waren die neunziger Jahre der Winter von Japans Ungemach. Vielleicht wegen der vergreisenden Bevölkerung, vielleicht auch wegen einer allgemeinen Skepsis und Zukunftsangst schienen die Japaner nicht hinreichend konsumwillig zu sein, um die vorhandenen Kapazitäten der Wirtschaft zu nutzen – nicht einmal bei einem Zinssatz von Null. Japan, sagen die Ökonomen, geriet in die gefürchtete »Liquiditätsfalle«. Worum es sich dabei handelt und wie diese Situation eintreten kann, haben wir an einem einfachen Beispiel gerade kennen gelernt.
Ein Schiff auf Schlingerkurs Das Standardrezept zur Bekämpfung einer Rezession heißt Zinssenkung. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Die Leute sollen
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sich günstig Coupons leihen können, damit sie wieder öfter ausgehen. Japan hat sich nach dem Platzen der Spekulationsblase mit der Zinssenkung gewiss viel Zeit gelassen, hat den Zinssatz aber schließlich doch bis auf Null heruntergefahren, ohne indes den gewünschten Erfolg zu erzielen. Wie also weiter? Die klassische Antwort – im Prinzip auf John Maynard Keynes zurückgehend – lautet: Ist Vollbeschäftigung nicht möglich, weil es an privater Nachfrage mangelt, muss der öffentliche Sektor einspringen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der Staat soll also Geld aufnehmen, um damit öffentliche Investitionsprojekte zu fördern – möglichst sinnvolle natürlich, aber dies ist durchaus von zweitrangiger Bedeutung. Der Gedankengang stellt sich wie folgt dar: Staatliche Projekte schaffen Arbeitsplätze; dies erhöht die allgemeine Konsumbereitschaft; dadurch entstehen weitere Jobs – und so weiter. Die Große Depression im Amerika der dreißiger Jahre konnte auf diese Weise tatsächlich beendet werden: durch massive defizitfinanzierte (das heißt auf Verschuldung beruhende) staatliche Bauprogramme (bekannt als Kriegsprogramm »World War II«). Warum also nicht auch das japanische Wachstum durch ein ähnliches, allerdings friedfertiges Programm ankurbeln? Japan versuchte es. Seit Anfang der neunziger Jahre legte die Regierung ein Ankurbelungsprogramm nach dem anderen auf und baute mit geliehenem Geld Straßen und Brücken, ob das Land sie brauchte oder nicht. Dadurch entstanden zweifellos (und direkt) Arbeitsplätze, und nicht zu bestreiten ist ferner, dass die Wirtschaft insgesamt jedes Mal einen Schub erhielt. Das Problem war jedoch, dass die Programme nicht ausreichten, um dem Yen auf die Beine zu helfen. 1991 wies Japan noch einen ziemlich kräftigen Haushaltsüberschuss auf (2,9 Prozent des BIP). Bis 1996 war daraus jedoch ein happiges Defizit in Höhe von 4,3 Prozent des BIP geworden. Trotzdem stotterte der Wirtschaftsmotor nach wie vor, während sich das Finanzministerium wegen des ständig wachsenden Defizits allmählich Sorgen zu machen be-
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gann, denn so konnte es ja nicht weitergehen. Das große Problem war die demographische Entwicklung (die möglicherweise auch Japans hohe Sparquote und geringe Investitionsnachfrage erklärt). Ähnlich wie viele andere Länder hatte auch Japan früher einen Babyboom, dem geburtenschwache Jahrgänge folgten, weshalb es ein steigendes Verhältnis zwischen Rentnern und Erwerbstätigen zu erwarten hat. Doch in Japan wiegen die mit einer solchen Entwicklung verbundenen Probleme besonders schwer: Die Erwerbsbevölkerung nimmt tatsächlich ständig ab, während die Zahl der Pensionäre stark ansteigt. Und da Ruheständler modernen Staaten schwer auf der Tasche liegen (denken wir nur an die hohen Versorgungsbezüge der Beamten und die teuren Leistungen im Gesundheitswesen), wurde unter Hinweis auf die Grundsätze einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik die Forderung laut, Japan solle – um seinen künftigen Verpflichtungen gerecht werden zu können – besser einen Treuhandfonds einrichten, statt das Defizit immer weiter zu vergrößern. 1997 gewannen die finanzpolitischen Mahner die Oberhand, und Premierminister Ryutaro Hashimoto erhöhte die Steuern, um das Haushaltsdefizit abzubauen. Prompt aber geriet die Wirtschaft in eine Rezession. Japan griff daraufhin erneut zum Instrument des »deficit spending« und legte 1998 ein massives neues Bauprogramm auf. Doch das Haushaltsthema war nun in der Diskussion und blieb es. So konnte es den Investoren nicht entgehen, dass Japan auf ein Defizit von zehn Prozent zusteuerte und dass die Staatsschuld inzwischen bei über 100 Prozent des BIP angekommen war – Zahlen, die man bisher immer nur mit dem hyperinflationsgefährdeten Lateinamerika in Verbindung gebracht hatte, aber mit Japan doch nicht! Niemand traute Japan zwar im Ernst hyperinflationäre Verhältnisse zu, doch begannen die Investoren zumindest ansatzweise unruhig zu werden und an der langfristigen Solidität der japanischen Staatsfinanzen zu zweifeln. Kurz gesagt: Japan schien mit seinen Bemühungen, der Wirtschaft durch kreditfinanzierte
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Staatsausgaben wieder auf die Beine zu helfen, am Ende der Fahnenstange angekommen zu sein. Doch welche Optionen gab es sonst noch? Staatsausgaben sind die eine schulmäßige Möglichkeit, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen; eine zweite besteht darin, die Banken mit Liquidität zu versorgen. Ein Ansatz zur Erklärung der Großen Depression geht davon aus, dass das Ganze deshalb kein Ende nahm, weil die Bankenkrise von 1930/31 die Kreditmärkte langfristig lahm legte. Nach dieser Sichtweise waren also nicht die Unternehmen schuld. Viele hätten gern mehr investiert, wenn sie an Kapital herangekommen wären, und die erforderliche Bonität sei durchaus vorhanden gewesen. Doch die Banken, die man für solche Kredite gebraucht hätte, waren entweder selbst pleite oder hatten keine Mittel zur Hand, weil das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Bankensystem nachhaltig erschüttert war. Um unser Babysitting-Beispiel zu bemühen: Es gab durchaus Leute, die bereit waren, im Winter auszugehen und im Sommer als Babysitter zu fungieren, aber sie hatten keine Möglichkeit, sich die nötigen Coupons zu leihen. Nun, die japanischen Banken hatten als Erblast aus den Jahren der spekulativen Überhitzung der Wirtschaft natürlich eine Menge fauler Kredite zu verkraften, und die lange Stagnation, die anschließend folgte, verschlimmerte diese Situation noch. Ein Ansatz zur Erklärung der japanischen Krise ging daher davon aus, dass sich das Land hauptsächlich deshalb in einer Liquiditätsfalle befand, weil die Banken finanziell so schwach waren. Die Lösung lautete dementsprechend: Schaffe Ordnung im Bankensystem, und der Wirtschaft wird es schon bald wieder besser gehen. Ende 1998 verabschiedete das japanische Parlament in diesem Sinne ein Bankenhilfsprogramm im Umfang von 500 Milliarden Dollar. Eine weitere Option bestand für Japan darin, mit Macht zu versuchen, ein wenig Inflation herbeizuführen. Dies bedarf allerdings einiger Erläuterungen. Die Wahrheit ist, dass sich die Ökonomen lange Zeit kaum mit
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dem Thema »Liquiditätsfalle« befassten. Vor Japans Problemen in den Neunzigern schien es dieses Phänomen in einer größeren Volkswirtschaft auch lange nicht mehr gegeben zu haben – genauer gesagt: zuletzt in den Vereinigten Staaten in den späten dreißiger Jahren. Dabei sind sich die Wirtschaftshistoriker in der Bewertung jener Situation nicht einmal einig: Manche sind der Meinung, es habe sich überhaupt nicht um eine echte Liquiditätsfalle gehandelt (die Fed hätte die Situation bereinigen können, wenn sie nur gewollt hätte); andere glauben, dass es nur durch extreme – und damit kaum wiederholungsverdächtige – politische Fehler überhaupt so weit gekommen sei. Als sich dieses Problem nun um die Mitte der neunziger Jahre in Japan erneut abzeichnete, waren die Wirtschaftswissenschaftler eher schlecht vorbereitet – ja sogar desinteressiert, wenn ich diese Kritik an meinem Berufsstand anbringen darf. Es erstaunt mich noch immer, wie wenige Ökonomen rund um die Welt begriffen, um welch zentrales Problem es sich bei Japans Liquiditätsfalle tatsächlich handelte – und zwar sowohl in praktischer als auch in wirtschaftstheoretischer Hinsicht. Freilich handelt es sich bei den Wirtschaftswissenschaften – um Alfred Marshall, den großen englischen Ökonomen des neunzehnten Jahrhunderts, zu zitieren – »nicht um einen Schatz konkreter Wahrheiten, sondern um ein Instrument zur Entdeckung konkreter Wahrheit«. Oder etwas prosaischer ausgedrückt: Alte Modelle können neue Wege weisen. Wie an der erweiterten (»saisonalen«) Variante unseres Babysitting-Beispieles demonstriert, kann ein Modell, das eigentlich entwickelt wurde, um zu erklären, weshalb eine Zentralbank im Normalfall eine Rezession durch Senkung der Zinssätze beenden kann, auch dazu dienen, jene Umstände näher zu beleuchten, unter denen dieses Rezept nicht funktioniert. Und diese zweite Variante weist, wie wir gleich sehen werden, einige Wege, wie man aus einer Liquiditätsfalle herauskommen oder überhaupt vermeiden kann, dass man in eine hineingerät. Erinnern wir uns: Das Hauptproblem der Babysitting-Kooperative besteht darin, dass die Mitglieder darauf aus sind, die Früchte
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ihres winterlichen Babysittens aufzusparen und erst im Sommer zu nutzen, und zwar selbst bei einem Zinssatz von null Prozent. Insgesamt aber – auf »gesamtwirtschaftlicher« Ebene – wird eine solche Sparstrategie natürlich nicht funktionieren; entsprechende Bemühungen (zu vieler) einzelner Mitglieder führen in der Tendenz zu nichts anderem als einem Rückgang des Babysittings im Winter. Das Ganze ist, wie jeder Ökonom sofort erkennt, ein Preisproblem, und da liegt auch die Lösung: Die Mitglieder müssen wissen, dass im Winter verdiente Coupons an Wert verlieren, wenn sie bis zum Sommer gehortet werden. Beispiel: Fünf Babysitting-Gutstunden schmelzen bis zum Sommer auf vier (wenn sie also nicht rechtzeitig genutzt werden). Dies schafft einen allgemeinen Anreiz, die Gutscheine beziehungsweise Coupons eher einzusetzen, wodurch sich mehr Gelegenheiten zum Babysitten bieten. Man könnte nun freilich versucht sein zu sagen, dies sei irgendwie unfair; bedeute es denn nicht eine Art Enteignung der Ersparnisse? Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kooperative insgesamt ja gerade nicht die Möglichkeit hat, in dieser Weise im Winter für den Sommer vorzusorgen. Folglich würde es dem allgemeinen Interesse zuwiderlaufen und falsche Anreize schaffen, würde man ein 1:1–Verhältnis zwischen Winter- und Sommerstunden zulassen. Was aber entspricht in der realen Wirtschaft nun eigentlich den im Sommer abgewerteten Winter-Coupons? Die Antwort lautet Inflation. Inflation heißt nichts anderes, als dass sich der Realwert des Geldes im Laufe der Zeit verringert. Präziser ausgedrückt: Ein Mittel, um eine Volkswirtschaft aus einer Liquiditätsfalle zu befreien, ist erwartete Inflation, denn dies hält die Leute davon ab, ihr Geld zu horten. Wenn man die Möglichkeit einer Liquiditätsfalle ernst nimmt – und der Fall Japans spricht sehr dafür –, kommt man kaum an der Einsicht vorbei, dass Inflationserwartung eine sehr positive Sache sein kann, eben weil sie hilft, der Falle zu entkommen. Ich habe die positiven Effekte der Inflation anhand der humorigen Parabel von der Babysitting-Kooperative illustriert,
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doch zu genau dem gleichen Ergebnis führen auch die mathematischen Modelle, wie sie von Ökonomen in der geldtheoretischen Diskussion üblicherweise verwendet werden. Tatsächlich gibt es schon seit langem eine Denkrichtung, die die These vertritt, dass eine maßvolle Inflation möglicherweise vonnöten ist, um Rezessionen mit geldpolitischen Maßnahmen bekämpfen zu können. Gleichwohl haben es die Befürworter der Inflation schwer, gegen eine tief verwurzelte Auffassung anzukämpfen, die da lautet: Preisstabilität ist prinzipiell etwas Gutes; alles, was die Inflation fördert, ist hingegen gefährliches Teufelszeug. Diese Übergewichtung der Preisstabilität hat indes rein emotionale Gründe, besitzt also keinerlei wirtschaftstheoretische Grundlage. Im Gegenteil: Die Lehrbücher weisen sogar direkt auf Inflation als die natürliche Lösung hin. Doch Wirtschaftstheorie und gängige Meinung liegen leider nicht immer sehr nahe beieinander. Dies wurde auf drastische Weise deutlich, als sich im Zuge der Ausbreitung der Finanzkrise ein Land nach dem anderen vor harte Entscheidungen gestellt sah.
Japans Erholung Um das Jahr 2003 begann sich in der japanischen Wirtschaft endlich eine gewisse Wiederbelebung abzuzeichnen. Das reale BIP wuchs nun mit etwas mehr als zwei Prozent pro Jahr, die Arbeitslosigkeit sank, und die Deflation, welche die Wirtschaft im Würgegriff hielt (und die Liquiditätsfalle noch verschlimmerte), ließ nach, obgleich von Inflation keine Spur zu sehen war. Warum die positive Entwicklung? Die Erklärung liegt vor allem in den Exporten. In der Mitte dieses Jahrzehnts kam es in den Vereinigten Staaten zu riesigen Außenhandelsdefiziten, bedingt durch entsprechende Industriegütereinfuhren. Zum Teil kamen diese Waren aus Japan, obgleich der größte Zuwachs bei Importen aus China und anderen Schwellen-
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ländern zu verzeichnen war. Japan profitierte allerdings auch vom chinesischen Wirtschaftswachstum, da in vielen chinesischen Industriegütern japanische Teile enthalten sind. Ein Nebeneffekt des amerikanischen Importbooms waren daher die Ankurbelung der japanischen Exporte und – damit verbunden – eine Erholung der japanischen Wirtschaft. Freilich war Japan noch lange nicht aus dem Schneider. Der japanische Tagesgeldsatz (die call money rate, das Gegenstück zur funds rate der amerikanischen Notenbank) lag zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches bei nur 0,5 Prozent. Dies lässt der japanischen Zentralbank ausgesprochen wenig Spielraum, um angesichts einer drohenden Rezession die Zinsen zu senken. Sollte der Abschwung heftig werden, wird sich Japan daher sehr schnell erneut in der Falle sehen.
Kapitel 5
Die Asienkrise
Thailand ist eigentlich kein kleines Land. Es hat mehr Einwohner als Großbritannien oder Frankreich, und Bangkok ist ein großstädtischer Alptraum, dessen Verkehrschaos man erlebt haben muss. Die Weltwirtschaft insgesamt freilich ist so groß, dass man sich die Dimensionen kaum vorstellen kann, und in diesem Rahmen wiederum spielt Thailand natürlich eine eher randständige Rolle. Trotz eines rapiden Wirtschaftswachstums in den achtziger und neunziger Jahren handelt es sich noch immer um ein armes Land, und die Kaufkraft aller Thailänder zusammengenommen liegt nicht höher als die der Bevölkerung des US-Bundesstaats Massachusetts. Man hätte also annehmen können, dass die thailändischen Wirtschaftsangelegenheiten von begrenzter Bedeutung sind – außer für die Thailänder selbst, die unmittelbaren Nachbarn sowie all jene Unternehmen, die direkt im Land engagiert sind. Doch als Thailand 1997 seine Währung, den Baht, abwertete, löste dies eine Lawine aus, die einen Großteil Asiens unter sich begrub. Dies wirft zwei zentrale Fragen auf: Warum geschah das? Und wie konnte so etwas überhaupt geschehen? Bevor wir aber zum Warum und Wie kommen, wollen wir einen Blick auf das Was werfen: die Geschichte von Thailands Wirtschaftsboom, seinem Zusammenbruch und dem Tempo, mit dem die Crashwelle über Asien hinwegfegte.
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Der Boom Thailand war im Kreis der asiatischen Wirtschaftswunderländer ein Nachzügler. Als traditioneller Agrarexporteur entwickelte sich das Land erst in den achtziger Jahren zu einem bedeutenden industriellen Zentrum, als ausländische – insbesondere japanische – Firmen dort Fabriken zu bauen begannen. Als dann die Wirtschaft aber endlich in Schwung kam, gab es eine enorme Entwicklung. Die Bauern strömten von den ländlichen Gebieten der neuen Jobs wegen in die Städte, die guten Erfahrungen der ersten Welle ausländischer Investoren machten Schule: Thailand begann mit einer jährlichen Rate von acht Prozent oder mehr zu wachsen. Schon bald lagen die berühmten Tempel von Bangkok im Schatten von Büro- und Wohnhochhäusern. Und ähnlich wie in den Nachbarländern gilt auch für Thailand: Millionen einfacher Menschen gelang es, sich aus bitterster Armut zu befreien und wenigstens in Ansätzen ein menschenwürdiges Leben zu führen. Einige wenige freilich wurden reich, sehr reich. Bis in die frühen neunziger Jahre stammte der überwiegende Teil der wachstumsfördernden Investitionen aus den Ersparnissen der Thailänder selbst. Ausländisches Geld floss zwar in die Großfabriken; die kleineren Unternehmen jedoch wurden von einheimischen Geschäftsleuten aus eigener Tasche finanziert, und das Kapital für die neuen Büro- und Wohnblocks stammte aus den Spareinlagen der einheimischen Bevölkerung. 1991 lag Thailands Auslandsverschuldung noch immer leicht unter seinen Exporten – keine völlig harmlose Situation, gewiss, aber doch eine Relation, die sich vollkommen im Rahmen normaler Sicherheitsgrenzen bewegte. (Zum Vergleich: Die durchschnittliche lateinamerikanische Verschuldung belief sich im gleichen Jahr auf das 2,7-Fache der Exporte.) Während der neunziger Jahre jedoch begann Thailands finanzielle Unabhängigkeit zu schwinden. Der Hauptanstoß dazu kam von außen. Die Beendigung der lateinamerikanischen Schulden-
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krise (wie in Kapitel 2 beschrieben) machte Investitionen in der Dritten Welt wieder hoffähig. Der Niedergang des Kommunismus – und die damit verbundene Abnahme der Furcht vor einer radikalen Verstaatlichung – ließ Investitionen außerhalb der sicheren westlichen Welt nun weniger riskant erscheinen als früher. Hinzu kam, dass sich Anfang der neunziger Jahre die Zinssätze in den Industrieländern auf ausgesprochen niedrigem Niveau bewegten, weil die Zentralbanken versuchten, ihre in einer milden Rezession steckenden Volkswirtschaften wieder flottzubekommen. Viele Geldgeber sahen sich daher im Ausland nach besseren Renditen um. Vielleicht am wichtigsten aber war, dass die Investmentfonds für das, was man zuvor einfach Dritte Welt oder Entwicklungsländer genannt hatte, einen neuen Namen prägten: »emerging markets« (aufstrebende Märkte, auch »Schwellenländer« genannt), die neue Welt der finanziellen Möglichkeiten. Die Investoren kamen scharenweise. 1990 noch beliefen sich die privaten Kapitalströme in die Entwicklungsländer auf nur 42 Milliarden Dollar; offizielle Einrichtungen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank finanzierten damit mehr Investitionen in der Dritten Welt als alle privaten Investoren zusammengenommen. Bis 1997 jedoch hatten sich die privaten Kapitalströme auf 256 Milliarden Dollar versechsfacht, während der Zufluss öffentlicher Mittel sogar abgenommen hatte. Anfänglich floss dieses Kapital hauptsächlich nach Lateinamerika, insbesondere nach Mexiko. Ab 1994 aber rückten die für sicherer gehaltenen südostasiatischen Länder in den Blickpunkt. Doch wie gelangte das Kapital eigentlich von Tokio oder Frankfurt nach Bangkok oder Jakarta? (Die meisten dieser Asienkredite kamen aus Japan oder Europa; die US-Banken waren relativ selten beteiligt, sei es aus Klugheit oder purem Glück.) Und was geschah damit, wenn es dort ankam? Verfolgen wir das Ganze Schritt für Schritt. Stellen wir uns zunächst eine typische Transaktion vor: Eine japanische Bank gibt einer thailändischen Finanzierungsgesell-
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schaft ein Darlehen, einer Einrichtung also, deren Hauptzweck darin besteht, als Transmissionsriemen für Auslandskapital zu fungieren. Die Finanzierungsgesellschaft erhält demzufolge Yen, die sie als hochverzinslichen Kredit an einen einheimischen Bauunternehmer weiterverleiht. Doch die Baufirma benötigt natürlich Baht, nicht Yen, denn sie will Baugrund erwerben und muss die einheimischen Arbeiter in Landeswährung bezahlen. Also bedient sich die Finanzierungsgesellschaft des Devisenmarkts und tauscht die Yen in Baht um. Nun aber gilt im Devisenmarkt, wie in anderen Märkten auch, das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Steigt die Nachfrage nach einem Gut, steigt normalerweise auch dessen Preis. Dies heißt konkret: Der Baht-Bedarf der Finanzierungsgesellschaft führt tendenziell dazu, dass der Wert des Baht gegenüber anderen Währungen steigt. Doch während der Boomjahre bestand die Politik der thailändischen Zentralbank darin, den Wechselkurs des Baht in Relation zum Dollar stabil zu halten. Dies war jedoch nur möglich, indem sie dafür sorgte, dass eine Nachfrage nach Baht durch ein erweitertes Angebot an Baht wieder ausgeglichen wurde – sie musste also Baht verkaufen und ausländische Währungen wie Dollar oder Yen ankaufen. Der japanische Yen-Kredit hat also eine doppelte indirekte Konsequenz: erstens eine Erhöhung der Devisenreserven der Bank von Thailand, zweitens eine Steigerung der umlaufenden Baht-Geldmenge. Außerdem erhöht sich in der Folge auch die Kreditschöpfung in der Volkswirtschaft. Denn das anfängliche Darlehen seitens der Finanzierungsgesellschaft zieht Folgekredite jener Banken nach sich, auf deren Konten die konvertierten Baht landen. Und da vermutlich ein Großteil des verliehenen Kapitals selbst wieder in Form neuer Einlagen zu den Banken zurückkehrt, ist dies Quelle weiterer Kredite – und so fort. Wir haben es hier mit dem klassischen Thema des »Geldmengenmultiplikators« (Verhältnis Geldmenge/Geldbasis; auch »Geldangebotsmultiplikator« genannt) zu tun. (Meine Beschreibung der argentinischen Bankenkrise des Jahres 1995 war im Übrigen ein
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Beispiel für eine in der umgekehrten Richtung verlaufende Entwicklung.) Der wachsende Umfang der Auslandskredite zog eine massive Kreditschöpfung nach sich, verbunden mit einer Welle neuer Investitionen. Dies schlug sich teilweise tatsächlich in neuen Bauprojekten nieder (hauptsächlich Büro- und Wohngebäude), doch ein Großteil der Mittel diente auch der reinen Spekulation (hauptsächlich im Grundstücks- und Immobilienbereich, aber auch an der Börse). Anfang des Jahres 1996 begannen die südostasiatischen Volkswirtschaften immer stärker Züge einer »Blasenwirtschaft« anzunehmen, wie sie Ende der achtziger Jahre in Japan geherrscht hatte. Die Frage drängt sich auf: Warum griffen die Verantwortlichen nicht ein, um den Spekulationsboom zu unterbinden? Nun, sie versuchten es wohl, doch es gelang ihnen nicht. In allen asiatischen Volkswirtschaften versuchten die Zentralbanken, die Kapitalzuflüsse zu »neutralisieren«: Da die Bank von Thailand gezwungen war, auf dem Devisenmarkt Baht zu verkaufen, versuchte sie – gleichsam per Gegengeschäft –, diese Baht anderweitig wieder zurückzuholen, nämlich durch den Verkauf von Staatsanleihen. Praktisch bedeutete dies, das gerade gedruckte Geld durch Verschuldung wieder zurückzuholen. Diese Kreditaufnahme trieb jedoch die inländischen Zinssätze nach oben, was die Kreditschöpfung via Ausland noch intensivierte und weitere Yen und Dollar ins Land fließen ließ. Die Bemühungen um »Neutralisierung« scheiterten: Der Kreditboom nahm immer größere Ausmaße an. Im Grunde hätte es nur ein Mittel gegeben, dem rasanten Wachstum des Geld- und Kreditvolumens zu wehren: Freigabe des Wechselkurses, das heißt den Baht einfach steigen lassen. Inzwischen ist das eine allgemein akzeptierte Erkenntnis, doch damals fand dieser Vorschlag wenig Freunde. Alle befürchteten nur, dass ein stärkerer Baht die Exporte verteuern und Thailands Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten schmälern würde (wegen des höheren Dollarwerts der Löhne und sonstigen Kosten). Außerdem
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war man in Thailand generell der Ansicht, ein stabiler Wechselkurs sei vertrauensbildend und das Land überdies zu klein, um starke Wechselkursschwankungen so problemlos wegzustecken wie etwa die Vereinigten Staaten. Folglich nahm der Boom seinen Lauf. Irgendwann freilich stieß die Geldmengen- und Kreditausweitung an ihre eigenen Grenzen, genau wie die Wirtschaftstheorie dies auch erwarten lässt. Stark zunehmende Investitionen – im Verein mit einem Nachfrageschub seitens der neu zu Geld gekommenen Verbraucher – führten zu einem Anstieg der Einfuhren, während infolge der boomenden Wirtschaft die Löhne stiegen, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der thailändischen Exporte schmälerte (insbesondere weil China, ein wichtiger Konkurrent, die eigene Währung 1994 abgewertet hatte), sodass das Exportwachstum nachließ. Ergebnis war ein riesiges Handelsbilanzdefizit. Statt also dem heimischen Geld- und Kreditmarkt zugute zu kommen, begannen die Fremdwährungskredite in Importe zu fließen. Stellt sich die Frage: Warum auch nicht? Einige Ökonomen argumentierten (ähnlich wie die mexikanischen Himmelstürmer Anfang der neunziger Jahre), die Handelsbilanzdefizite Thailands, Malaysias und Indonesiens seien ein Zeichen wirtschaftlicher Stärke, nicht der Schwäche, folglich sei mit diesen Märkten alles in bester Ordnung. Um es noch einmal zu sagen: Aus rein rechnerischen Gründen muss ein Land, das unter dem Strich Kapitalzuflüsse verbucht, zwangsläufig ein Leistungsbilanzdefizit gleicher Höhe aufweisen. Solange man also die Kapitalzuflüsse für wirtschaftlich gerechtfertigt hält, sind auch die Handelsbilanzdefizite in Ordnung. Und was sollte angesichts der Wachstumsentwicklung und ökonomischen Stabilität der Region so falsch daran sein, internationales Kapital in großen Mengen in Südostasien zu investieren? Zumal in diesem Fall ja keineswegs die Regierungen so ausgabenfreudig waren: Zwar hatten Malaysia und Indonesien einige öffentliche Großprojekte aufgelegt, finanziert allerdings aus den laufenden Erträgen, sodass die Haushalte weitgehend in
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Ordnung waren. Die Handelsbilanzdefizite resultierten mithin aus Entscheidungen des Privatsektors. Was sollte es daran auszusetzen geben? Trotzdem wurde es den Beobachtern zunehmend unwohl, als Thailands und Malaysias Defizit auf sechs, sieben, acht Prozent des BIP kletterte. Die Zahlen erinnerten doch allzu sehr an Mexiko und die Tequila-Krise. Die mexikanische Erfahrung hatte manchen Ökonomen gelehrt, dass internationalen Kapitalbewegungen – auch wenn sie den freien Entscheidungen der Privatwirtschaft entsprangen – nicht unbedingt zu trauen war. Der Optimismus der Investoren im Hinblick auf Asien hatte irritierend viel Ähnlichkeit mit dem Ansturm auf Lateinamerika einige Jahre zuvor. Und die mexikanische Erfahrung hatte gezeigt: War die Stimmung im Markt erst einmal umgeschlagen, gab es kein Halten mehr. Außerdem hätten wir durchaus bemerken können, dass das Argument, die Kreditvergabe beruhe auf freien privatwirtschaftlichen Entscheidungen, nicht so ganz stimmte. Denn Südostasien krankte – wie Japan in den Spekulationsjahren – an dem Problem der Verführung zum Risiko. Bald sollte sich dafür ein anderer Begriff einbürgern: Vetternwirtschaft. Kehren wir zurück zu jener thailändischen Finanzierungsgesellschaft, die sich die Yen lieh und damit den Stein (das heißt den gesamten Prozess der Kreditausweitung) ins Rollen brachte. Worum handelte es sich bei diesen Gesellschaften eigentlich? Nun, normale Geschäftsbanken waren es nicht. Im Regelfall verfügten sie über geringe oder gar keine Einlagen. Auch handelte es sich nicht um Investmentbanken westlichen Stils, sprich Spezialeinrichtungen, die mit ihrem Know-how helfen, Kapital möglichst nutzbringend anzulegen. Was war also ihr Zweck? Was hatten sie vorzuweisen? Die Antwort lautet im Kern: vor allem politische Beziehungen. Häufig handelte es sich beim Inhaber des Finanzierungsunternehmens um einen Verwandten irgendeines Regierungsmitglieds.
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Daher klingt die Behauptung, es habe sich bei den Kreditaufnahmeund Investitionsentscheidungen um rein privatwirtschaftliche Angelegenheiten gehandelt, mehr als nur ein wenig hohl. Natürlich waren die Kredite an die Finanzierungsgesellschaften nicht mit formellen Garantien verbunden, wie sie etwa für Einlagen bei amerikanischen oder europäischen Banken und Sparkassen gelten. Doch Auslandsbanken, die dem Unternehmen des Neffen des Ministers Geld liehen, konnten mit gutem Grund davon ausgehen, dass sie unter einem gewissen besonderen Schutz standen und dass der Minister sie nicht im Regen stehen lassen würde, falls die Sache schief gehen sollte. Und so war es in der Praxis dann auch: In etwa neun von zehn Fällen wurde den Auslandsgläubigern der Finanzierungsgesellschaften von der thailändischen Regierung aus der Bredouille geholfen, als die Krise kam. Betrachten wir nun die Situation aus der Sicht des Neffen des Ministers, das heißt des Inhabers der Finanzierungsgesellschaft. Er war im Prinzip in der Lage, sich beliebig viel Geld zu niedrigen Zinssätzen zu leihen. Was konnte für ihn also natürlicher sein, als dieses Kapital zu hohen Zinsen an seinen Freund, den Bauunternehmer, weiterzuverleihen, dessen spekulatives neues Bürogebäude ja schließlich einen Reibach versprach? Ging alles gut – fein für beide. Andernfalls – auch nicht so schlimm: Der Minister war ja auch noch da und würde schon einen Weg finden, der Gesellschaft aus der Klemme zu helfen. Zahl (Neffe) gewinnt; Wappen (Steuerzahler) verliert! In der einen oder anderen Form fanden derlei Risikospiele auch in all den anderen Ländern statt, die schon bald in die Krise geraten sollten. In Indonesien freilich spielten die Mittelsmänner eine weniger große Rolle. Dort handelte es sich bei der typischen dubiosen Transaktion um ein Direktdarlehen von einer Auslandsbank an eine direkt von einem Präsidentenspezi geleitete Gesellschaft. (Typischstes Beispiel war das Darlehen, das Peregrine Investment Holdings, Hongkong, in den Ruin trieb – ein Direktkredit an das Taxiunternehmen der Tochter Suhartos.) In Korea wiederum waren
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die großen Kreditnehmer Banken, die von den chaebol kontrolliert wurden, jenen riesigen Konglomeraten, die nicht nur die Wirtschaft des Landes beherrschten, sondern – bis vor Kurzem – auch dessen Politik. Überall in der Region trugen also stillschweigende staatliche Garantien dazu bei, dass vergleichsweise riskante und wenig aussichtsreiche Investitionsgeschäfte getätigt wurden, was einen vermutlich ohnehin schon überhitzten Spekulationsboom weiter nährte. Angesichts dieser Zustände war eigentlich klar, dass es irgendwann zum Knall kommen musste. Einige Ökonomen sagten in der Tat auch Währungskrisen voraus, und das mehr als ein Jahr vor ihrem Eintritt. Doch niemand ahnte, wie hart die Krise schließlich zuschlagen würde.
Der 2. Juli 1997 Im Verlaufe des Jahres 1996 und in der ersten Hälfte 1997 geriet der Kreditmotor, von dem der thailändische Boom getrieben wurde, zunehmend ins Stottern. Dies hatte teilweise externe Ursachen: Einige thailändische Exportmärkte gaben nach, und infolge der Abwertung des japanischen Yen verlor die südostasiatische Industrie generell etwas an Wettbewerbsfähigkeit. Meist jedoch war es einfach eine Frage der Zeit: Eine wachsende Zahl der spekulativen Engagements, die ja direkt oder indirekt durch günstige Auslandsdarlehen finanziert worden waren, wurden notleidend. Spekulanten gingen Bankrott, und einige der Finanzierungsgesellschaften verschwanden ebenfalls von der Bildfläche. Dadurch machte sich unter den ausländischen Geldgebern zunehmend Unruhe breit, und die Gelder flossen immer spärlicher. Dies war in gewissem Maß ein sich selbst verstärkender Prozess. Solange die Immobilienpreise und die Aktienmärkte boomten, sahen selbst zweifelhafte Anlageoptionen rosig aus. Als jedoch die Luft aus der Spekulationsblase entwich, türmten sich auch
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die Verluste auf. Dadurch versiegte das Vertrauen der Märkte und damit der Zustrom frischer Kredite immer mehr. Bereits vor der am 2. Juli einsetzenden Krise waren die Grundstückspreise und Aktienkurse deutlich gefallen und notierten weit unterhalb ihres Höchststands. Die rückläufigen Auslandskredite stellten aber auch die Zentralbank vor Probleme. Da weniger Yen und Dollar ins Land flossen, ließ die Nachfrage nach Baht am Devisenmarkt nach; gleichzeitig aber bestand eine unverminderte Notwendigkeit, Baht in Auslandswährungen umzutauschen, um die Importe bezahlen zu können. Um den Baht nicht sinken zu lassen, musste die Bank von Thailand daher genau das Gegenteil dessen tun, was sie getan hatte, als das Kapital ins Land zu strömen begann: Sie ging in den Markt und kaufte – im Tausch gegen Dollar und Yen – Baht an, stützte also die eigene Währung. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man den Kurs der eigenen Währung niedrig oder hoch zu halten versucht: Das Angebot an Baht (die umlaufende Geldmenge) kann die Bank von Thailand nach Belieben erhöhen, indem sie einfach Baht druckt; Dollar hingegen kann sie nicht drucken. Folglich war den Möglichkeiten, den Baht hoch zu halten, eine immanente Grenze gesetzt. Früher oder später würden die Reserven erschöpft sein. Der einzige Weg, den Wert der Währung zu stützen, hätte darin bestanden, die zirkulierende Geldmenge zu verringern. Dies hätte die Zinssätze hochgetrieben und Dollar-Kredite wieder interessant gemacht, und diese Dollars hätte man dann in Baht reinvestieren können. Freilich wären damit Probleme anderer Art verbunden gewesen. Denn mit abebbendem Investitionsboom schwächte sich auch die thailändische Konjunktur ab – die Bautätigkeit ließ nach, was weniger Arbeitsplätze bedeutete, was wiederum die Einkommen reduzierte, was wiederum Entlassungen in der übrigen Wirtschaft nach sich zog. Zwar handelte es sich noch nicht um eine ausgewachsene Rezession, doch war man weit entfernt von den guten wirtschaftlichen Verhältnissen, an die man sich zwischenzeitlich gewöhnt hatte. Eine Anhebung der Zinssätze hätte daher
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der Investitionstätigkeit noch mehr geschadet und die Wirtschaft möglicherweise erst recht in die Krise getrieben. Die Alternative bestand darin, der Währung freien Lauf zu lassen, das heißt den Baht-Ankauf zu stoppen und den Wechselkurs sinken zu lassen. Aber natürlich hatte auch dies seine Nachteile. Zum einen würde eine Abwertung den guten Ruf der Regierung untergraben. Zum anderen hatten sehr viele thailändische Banken, Finanzierungsgesellschaften und sonstige Unternehmen ja Verbindlichkeiten in Dollar. Würde also der Dollar in Relation zum Baht steigen, triebe dies viele dieser Unternehmen in den Konkurs. Daher zauderte die thailändische Regierung zwischen zwei gewiss unschönen Alternativen. Den Baht wollte man nicht fallen lassen; doch auch zu den rigiden inländischen Maßnahmen, die den Verlust der Reserven hätten aufhalten können, konnte man sich nicht durchringen. Man wartete also ab und hoffte anscheinend, dass sich irgendwie noch eine bessere Lösung auftun werde. Das ganze Szenario hatte freilich schulbuchmäßige Züge: Es war der klassische Beginn einer Währungskrise, und zwar genau der Art, wie sie die Ökonomen in ihren Modellen gerne durchspielen – und wie sie die Spekulanten gerne provozieren. Als nämlich klar wurde, dass die Regierung nicht den Nerv zu harten Maßnahmen hatte, erhöhte dies automatisch die Wahrscheinlichkeit einer letztendlichen Baht-Abwertung. Noch aber war es ja nicht so weit – also blieb Raum für entsprechende Spekulationen. Solange der Baht/Dollar-Wechselkurs als stabil eingeschätzt wurde, bestand ein Anreiz, sich Kapital in Dollar zu leihen und in Baht zu verleihen, bedingt dadurch, dass die thailändischen Zinssätze einige Prozentpunkte über den amerikanischen lagen. Doch als die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Baht-Abwertung zunahm, verkehrte sich die Anreizsituation genau ins Gegenteil – also Kreditaufnahme in Baht (in der entsprechenden Erwartung, dass der Dollarwert dieser Verbindlichkeiten bald fällt) und Umtausch der Baht in Dollar (in der Erwartung, dass der Baht-Wert dieser An-
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lagen bald steigt). Die heimischen Geschäftsleute liehen sich also Baht und lösten ihre Dollarverbindlichkeiten ab; reiche Thailänder verkauften ihre Staatspapiere und kauften stattdessen US-Schatzwechsel; und schließlich – doch nicht zuletzt – begannen einige große internationale Spekulationsfonds (die sogenannten HedgeFonds) damit, Baht aufzunehmen und diese Devisen in Dollar umzutauschen. Bei all diesen Aktionen ging es also darum, Baht zu verkaufen und andere Währungen anzukaufen. Für die Zentralbank aber hieß dies, noch mehr Baht ankaufen zu müssen, um die Währung zu stabilisieren, was die Aufzehrung der Devisenreserven noch beschleunigte und die Überzeugung weiter verstärkte, dass der Baht früher oder später um eine Abwertung nicht herumkommen würde. Eine klassische Währungskrise war in vollem Gang. Jeder Währungsfachmann weiß, dass eine Regierung in einer solchen Situation unbedingt entschlossen handeln muss – egal wie: Entweder also muss sie entschieden klarmachen, dass man die Währung unter allen Umständen verteidigen wird, oder aber den Wechselkurs sofort freigeben. Doch den Regierungen fallen solche Entscheidungen in der Regel leider schwer. Thailand machte also denselben Fehler, den viele andere Länder auch schon begingen (und der wohl nicht aussterben wird): Die Verantwortlichen warteten ab, während die Devisenreserven dahinschmolzen. In dem Bemühen, sich den Märkten stärker zu präsentieren, als die Situation dies rechtfertigte, versuchte man, diese Reserven durch unangekündigte Währungsswaps aufzumöbeln (man lieh sich praktisch Dollar, die zu einem späteren Zeitpunkt zu einem festen Zinssatz zurückzuzahlen waren). Dies brachte mitunter zwar kurzfristig etwas Entlastung, doch bald schon war der Druck wieder da. Anfang Juli war dann klar, dass das Spiel ausgespielt war. Am 2. des Monats ließ die thailändische Regierung den Baht fallen. Bis zu diesem Punkt hin waren die Ereignisse freilich nicht allzu überraschend. Der Abbau der Reserven, die spekulative Attacke auf eine offenkundig schwache Währung – all dies steht in
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jedem volkswirtschaftlichen Lehrbuch. Doch trotz der noch frischen Erfahrungen mit der Tequila-Krise war man allgemein der Auffassung, die Abwertung des Baht werde der Geschichte mehr oder weniger einen Schlusspunkt setzen. Alles werde glimpflich ausgehen – mit einer Demütigung für die Regierung, gewiss, wohl auch einem bösen Schlag für einige Unternehmer, die sich übernommen hatten; Katastrophales aber erwartete niemand. Thailand war ja schließlich nicht Mexiko. Das Diktum »Stabilisierung, Reform – aber kein Wachstum« galt für Thailand zweifellos nicht. Und es gab auch keine populistische Opposition – wie Cárdenas in Mexiko –, die nur auf ihre Chance wartete. Eine tief greifende Rezession war hier also wohl kaum zu befürchten, dachten alle. Sie irrten.
Die Krise schlägt zu Die Rezession, die im Gefolge der Abwertung des thailändischen Baht ganz Asien erfasste, wirft zwei recht unterschiedliche Fragen auf. Die eine von ihnen ist technischer Art: Wie konnte die Krise solche Ausmaße annehmen? Warum sollte die Abwertung der Währung eines kleinen Landes die Investitionstätigkeit und Wirtschaftsleistung einer so großen Region so nachhaltig tangieren? Und die andere, gewissermaßen tiefer gehende Frage lautet: Warum haben die Regierungen die Katastrophe nicht verhindert, oder warum konnten sie sie vielleicht gar nicht verhindern? Was war mit der makroökonomischen Politik eigentlich los? Diese letztere Frage ist – zum Teil jedenfalls – nicht ganz leicht zu beantworten, weil auch kenntnisreiche Leute hier sehr unterschiedlicher Meinung sind. Vertagen wir ihre Erörterung also auf das nächste Kapitel und versuchen wir, uns zunächst einmal klarzumachen, was bei dieser Krise eigentlich geschah. Wenn alles gut läuft, hat eine Abwertung keine übertrieben negativen Konsequenzen. Als die Briten im Jahr 1992 das Pfund
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freigaben, fiel die Währung um etwa 15 Prozent, stabilisierte sich dann aber: Die Investoren hatten den Eindruck, das Schlimmste sei nun vorbei, die Abwertung werde die britischen Ausfuhren ankurbeln – und damit war das Land attraktiver für Investitionen als zuvor. Typische Berechnungen gingen in Thailand ebenfalls davon aus, dass der Baht um etwa 15 Prozent fallen müsse, um die thailändische Wirtschaft auf der Kostenseite wieder wettbewerbsfähig zu machen, folglich schien eine Abwertung in dieser Größenordnung wahrscheinlich. Stattdessen aber begab sich die Währung in den freien Fall. Der Baht-Preis des Dollar stieg in den nachfolgenden zwei, drei Monaten um 50 Prozent und hätte wohl weiter zugelegt, hätte Thailand nicht die Zinssätze stark angehoben. Warum aber fiel der Baht so stark? Kurz gesagt: aufgrund der Panik. Doch Panik hat viele Schattierungen. Um welche handelte es sich also hier? Zum einen gibt es ganz »normale« Paniken: irrationale Reaktionen seitens der Investoren, die durch die tatsächlichen Verhältnisse überhaupt nicht gerechtfertigt sind. Ein Beispiel wäre der kurze Fall des Dollar im Jahr 1981, nachdem ein Verrückter Ronald Reagan angeschossen hatte. Es war zweifellos ein schockierendes Ereignis, doch selbst wenn Reagan das Attentat nicht überlebt hätte, hätte dies die Stabilität der US-Regierung und die Kontinuität ihrer Politik kaum berührt. Wer in dieser Situation die Nerven und seine Dollars behielt, sah sich belohnt. Wirtschaftstheoretisch viel bedeutsamer sind jedoch Paniken, die sich – unabhängig vom jeweiligen Anlass – selbst verstärken, weil Panik Panik erzeugt. Das klassische Beispiel ist ein Bankenansturm: Wenn alle Sparer plötzlich ihre Einlagen abheben wollen, ist die Bank gezwungen, ihre Aktiva zu Schleuderpreisen zu veräußern, sodass sie in die Pleite getrieben wird. In diesem Fall sind jene Sparer, die die Nerven bis zum Schluss behalten, letztlich die Dummen. In der Tat gab es in Thailand damals einige Bankenanstürme, noch häufiger sogar in Indonesien. Man darf sich allerdings nicht
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zu sehr auf dieses Einzelphänomen konzentrieren. Denn in Wirklichkeit handelte es sich um einen zirkulären Prozess – einen fatalen Feedback-Kreis –, bei dem sich Negativmeldungen und Vertrauensschwund gegenseitig hochschaukelten. Herkömmliche Bankenanstürme waren da nur ein Aspekt des ganzen Kreislaufes. Das Diagramm auf der nächsten Seite illustriert diese Zusammenhänge. Im Prinzip war es dieser Funktionskreislauf, der – in der einen oder anderen Form – in allen betroffenen asiatischen Ländern die entscheidende Rolle spielte. Beginnen wir an einer beliebigen Stelle des Kreises – zum Beispiel beim schwindenden Vertrauen in die thailändische Währung und Wirtschaft. Dieser Vertrauensschwund veranlasste die (ausländischen wie einheimischen) Anleger, ihr Geld außer Landes zu bringen. Bei sonst gleichbleibenden Bedingungen muss dies bedeuten, dass der Baht an Wert verliert. Da die thailändische Zentralbank die eigene Währung nicht mehr zu stabilisieren vermochte, weil ihr ja die Dollars und Yen ausgingen und sie folglich auf dem Devisenmarkt keine Baht mehr ankaufen konnte, gab es nur noch eine Möglichkeit, den Fall der Währung zu stoppen: Erhöhung der Zinssätze und damit Verknappung der umlaufenden Geldmenge. Leider aber brachten sowohl der fallende Baht als auch die gestiegenen Zinssätze die Wirtschaft (und zwar die Finanzinstitute wie die sonstigen Unternehmen) in finanzielle Not. Auf der einen Seite nämlich hatten viele von ihnen Dollarschulden, die nun, als der Baht fiel, plötzlich viel stärker drückten, weil mehr Baht für einen Dollar erforderlich waren. Andererseits wiederum hatten viele Unternehmen auch Baht-Verbindlichkeiten, und auch hier nahm der Druck wegen der steigenden Zinssätze zu. Und die Kombination aus höheren Zinssätzen, wackligen Unternehmensbilanzen und einem Bankensystem, das nicht einmal mehr sicherste Kredite unterzubringen vermochte, hatte zwangsläufig zur Konsequenz, dass die Unternehmen ihre Ausgaben einschränken mussten. Dies löste eine Rezession aus, die ihrerseits dafür sorgte, dass die
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Vertrauensschwund
Finanzprobleme bei Unternehmen, Banken, Haushalten
Währungsverfall, steigende Zinssätze, starker Konjunkturabschwung
Der Teufelskreis der Finanzkrise
Unternehmensgewinne noch weiter in den Keller rutschten und die Bilanzen noch mehr in Schieflage gerieten. Diese schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft wiederum beschleunigten den Vertrauensschwund – die Abwärtsspirale war in vollem Gang. Lässt man die komplizierten Details (die die Forschung noch immer beschäftigen) einmal außer Acht, scheint mir diese Darstellung ziemlich zutreffend zu sein – zumal etwas ganz Ähnliches 1995 in Mexiko geschah. Warum aber waren dann die katastrophalen Auswirkungen der Baht-Abwertung für alle so überraschend? Im Kern muss die Antwort wohl lauten: Viele Ökonomen waren sich über die Einzelaspekte der Situation sehr wohl im Klaren – die theoretischen Zusammenhänge zwischen Vertrauensschwund, Finanzmärkten und realer Wirtschaft –, doch niemand begriff so recht die Intensität dieses Rückkopplungsprozesses in der Praxis. Niemand hatte also eine Vorstellung davon, welche Explosivität in der Logik des Krisenkreislaufs steckt. Verdeutlichen wir uns das Ganze an einem technischen Beispiel. Ein Mikrofon, das in einem großen Raum benutzt wird, erzeugt immer eine Rückkopplungsschleife: Die Geräusche und Laute, die das Mikrofon aufnimmt, werden durch die Lautsprecher verstärkt; was die Lautsprecher von sich geben, wird vom Mikrofon
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seinerseits wieder aufgenommen – und so weiter. Solange aber die Echodynamik des Raums nicht zu stark und die Lautsprecherverstärkung nicht zu groß ist, bleibt alles relativ »gedämpft«, schafft also keine Probleme. Doch sobald man übersteuert – die Verstärkung also zu sehr intensiviert –, läuft der ganze Prozess aus dem Ruder: Nun wird selbst das geringste Geräusch aufgenommen, verstärkt, wieder aufgenommen und so weiter – und plötzlich entsteht ein ohrenbetäubendes Gekreische. Es kommt also nicht nur auf die Rückkopplung als solche an, sondern auch auf deren Quantität beziehungsweise Intensität. Auf die Asienkrise übertragen heißt dies: Alle waren überrascht davon, dass der »Verstärker« so weit aufgedreht war. Selbst heute noch können viele kaum glauben, dass eine Marktwirtschaft so instabil sein kann – dass die in unserer Abbildung dargestellten Rückwirkungen tatsächlich so stark sein können, dass es zu einer explosiven Krise kommt. Doch sie sind es – wie rasch deutlich wird, wenn wir uns die Ausbreitung der Krise näher ansehen.
Der Virus greift um sich Es hat vermutlich seinen guten Grund, weshalb bedeutende internationale Finanztreffen (vor allem, wenn es um Krisenmanagement geht) an ländlich-abgeschiedenen Orten stattfinden: Das Weltwährungssystem der Nachkriegszeit etwa wurde im rustikalen Mount Washington Hotel in Bretton Woods (New Hampshire, USA) zurechtgezimmert, und die Finanzminister und Zentralbankchefs versammeln sich jeden Sommer traditionell in Jackson Lake Lodge (Wyoming) zu Gesprächen. Eine solche Umgebung hilft wohl, den Alltagsstress zu vergessen und für kurze Zeit wenigstens den Blick auf die zentralen Fragen und Zusammenhänge zu richten. Jedenfalls trafen sich Anfang Oktober 1997 – als die Asienkrise bereits in vollem Gange, in ihren letztendlichen Konsequenzen aber noch
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wenig begriffen war – eine Reihe von Bankenrepräsentanten, Regierungsvertretern und Ökonomen in Woodstock (Vermont, USA) zu einem intensiven Gedankenaustausch. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Thailand ganz offensichtlich schon in großer Bedrängnis. Die Währung des Nachbarn Malaysia war ebenfalls bereits unter Druck, und die indonesische Rupiah hatte etwa 30 Prozent ihres Werts verloren. Die meisten Teilnehmer an der Gesprächsrunde waren der Ansicht, Thailand habe sich seine Probleme selbst zuzuschreiben. Auch für Malaysia, das wie Thailand in der jüngeren Vergangenheit riesige Leistungsbilanzdefizite angehäuft hatte und dessen Premierminister mit seinen negativen Äußerungen über die üblen Spekulanten mutwillig noch Öl ins Feuer gegossen hatte, hegte man nur wenig Sympathie. Einig war man sich aber auch darin, dass Indonesien zwar gut daran getan habe, die Rupiah fallen zu lassen (überhaupt wurde Indonesiens Wirtschaftspolitik sehr gelobt), dass die Schwäche der Rupiah im Grunde aber ungerechtfertigt sei. Denn Indonesiens Leistungsbilanz war, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nicht annähernd so weit in die roten Zahlen gerutscht wie die der Nachbarn – im Jahr 1996 war das indonesische Defizit mit weniger als vier Prozent des BIP sogar geringer als zum Beispiel das australische. Außerdem machte die Exportbasis des Landes – teils Rohstoffe, teils lohnintensive Industriegüter – einen guten Eindruck, und dies galt im Grunde auch für die Gesamtwirtschaft. Doch binnen drei Monaten geriet Indonesien in einen noch schlechteren Zustand als der Rest Südostasiens – ja, es zeichnete sich sogar die schlimmste Wirtschaftskrise der Weltgeschichte ab. Diese Krise hatte inzwischen nicht nur ganz Südostasien erfasst, sondern auch Südkorea, ein weit entferntes Land mit einem Bruttoinlandsprodukt doppelt so groß wie das indonesische und dreimal so groß wie das thailändische. Die Ansteckung einer Wirtschaft lässt sich mitunter ganz vernünftig erklären. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort: Wenn die Vereinigten Staaten niesen, bekommt Kanada Grippe. Dies
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verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass Kanada einen Großteil seiner Produktion auf den riesigen Märkten seines südlichen Nachbarn verkauft. Und auch im Falle der betroffenen asiatischen Staaten gab es einige direkte Wirtschaftsbeziehungen: Thailand ist ein Absatzmarkt für malaysische Erzeugnisse und umgekehrt. In gewisser Weise machte sich vielleicht auch die Tatsache negativ bemerkbar, dass die asiatischen Länder auf den Weltmärkten mitunter direkt in Konkurrenz zueinander stehen. Als daher Thailand seinen Baht abwertete, verbilligte dies seine Textilien auf den westlichen Märkten, allerdings zulasten der Gewinnspannen der indonesischen Hersteller ähnlicher Produkte. Doch alle Schätzungen dieser direkten, von den Gütermärkten ausgehenden Spillover-Effekte zwischen den in die Krise geratenen Volkswirtschaften deuten darauf hin, dass sie bei der Ausbreitung der Krise keine wirklich signifikante Rolle gespielt haben können. Insbesondere Thailands Rolle für Südkoreas Wirtschaft – sei es als Markt oder als Wettbewerber – war angesichts der Größenverhältnisse rechnerisch kaum mehr als ein Rundungsfehler. Eine weit ernster zu nehmende »Infektionsquelle« bildeten wohl die mehr oder weniger direkten Finanzbeziehungen. Zwar waren die thailändischen Direktinvestitionen in Korea quantitativ vernachlässigbar und Gleiches gilt umgekehrt. Doch die Kapitalströme in diese Länder nahmen oft den Weg über sogenannte Schwellenländer-Fonds (»emerging market funds«), sodass diese Länder im Wortsinne in einen Topf geworfen wurden. Nachdem also aus Thailand schlechte Nachrichten verlauteten, wurde das Kapital aus diesen Fonds und mithin aus allen Ländern der Region abgezogen. Noch gravierender als diese mechanische Verbindung war jedoch das Bild, das die Anleger von Asiens Volkswirtschaften hatten. Die Region stand bei den Investoren deshalb so hoch im Kurs, weil man sie allesamt mit dem »asiatischen Wunder« in Verbindung brachte. Als nun aber ein Land diesen Ruf kräftig zu ruinieren begann, machten sich allgemeine Ernüchterung und in der
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Folge auch im Hinblick auf die übrigen asiatischen Nationen Skepsis breit. Die klugen Männer, die in Woodstock die Lage erörterten, waren sich natürlich wohl bewusst, dass Indonesien und Thailand sehr verschiedene Länder sind; der normale Anleger jedoch sah dies weniger differenziert und zog sein Kapital sicherheitshalber ab. Und wie sich herausstellen sollte, hatten diese Volkswirtschaften trotz aller Unterschiede in der Tat etwas gemeinsam: eine Anfälligkeit für eine suggestive, sich verselbstständigende Panik. Insofern irrten die klugen Männer von Woodstock in Bezug auf Indonesien, während sich die panisch reagierenden Investoren bestätigt fanden. Dies lag auf Seiten der Woodstock-Runde keineswegs an einer Überschätzung der Stärken des Landes, sondern an einer Unterschätzung seiner Verwundbarkeit. In Malaysia, in Indonesien, in Korea wie auch in Thailand setzte der Vertrauensschwund in den Märkten einen Teufelskreis des finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs in Gang. Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, dass diese Volkswirtschaften güterwirtschaftlich praktisch kaum miteinander verflochten waren. Es genügte, dass sie in den Köpfen der Investoren zusammengehörten, sodass schlechte Nachrichten aus dem einen Land flugs auch auf die anderen Länder gemünzt wurden. Und wehe der Volkswirtschaft, die in den Verdacht der Panikanfälligkeit gerät!
Warum Asien – und warum 1997? Warum erlitt gerade Asien eine fürchterliche Wirtschaftskrise – und warum begann sie 1997? Um mit Bill Clinton zu sprechen: Die Antwort hängt davon ab, was mit dem Warum gemeint ist. Richtet sich die Frage auf die Auslöser der Krise? Oder zielt sie – was wichtiger ist – auf die Ursachen der ungewöhnlich großen Verwundbarkeit der asiatischen Länder? Wer nach spezifischen Ereignissen als Auslöser der Asienkrise
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sucht, wird rasch fündig. Da ist zum Beispiel der Wechselkurs zwischen Yen und Dollar: Zwischen 1995 und 1997 ging der Yen so rasant nach unten, wie er zuvor mysteriöserweise auf Rekordniveau geklettert war. Da die meisten asiatischen Währungen mehr oder weniger an den Dollar gekoppelt waren, verteuerte dies die Ausfuhren dieser Länder sowohl auf dem japanischen Markt als auch im direkten Wettbewerb mit japanischen Erzeugnissen anderswo. Die Folge war ein Rückgang bei den Exporten. Auch die 1994 erfolgte Abwertung der chinesischen Währung – und ganz allgemein die wachsende Konkurrenz durch Chinas Billiglöhne – wirkte sich negativ auf die thailändischen und malaysischen Ausfuhren aus. Als weiterer Krisenfaktor kam die weltweit rückläufige Nachfrage nach Elektronikerzeugnissen allgemein und Halbleitern im Besonderen hinzu – in Bereichen also, auf die sich die asiatischen Länder tendenziell spezialisiert hatten. Doch das allein konnte es nicht sein. Asien hatte schon ganz andere Tiefschläge weggesteckt. Der Ölpreisverfall des Jahres 1985 zum Beispiel war ein harter Schlag für den Erdölexporteur Indonesien, und dennoch wuchs die Wirtschaft des Landes. Die Rezession der Jahre 1990/91, die zwar nicht sehr einschneidend war, aber fast alle Industrieländer erfasste, senkte zwar die Nachfrage nach asiatischen Exportgütern, konnte jedoch die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region überhaupt nicht stören. Die zentrale Frage lautet daher: Was hatte sich an Asien (oder vielleicht auch global) so verändert, dass die genannten Negativfaktoren eine derartige Krisenlawine auszulösen vermochten? Einige Asiaten – zuvorderst Malaysias Premierminister Mahathir – hatten schnell eine Antwort zur Hand: Verschwörung. Mahathir behauptete nicht nur, die Panik in Asien sei von großen Finanzspekulanten wie George Soros bewusst geplant und herbeigeführt worden, sondern Soros selbst sei nur der Strohmann der US-Regierung gewesen, die den aufmüpfigen Asiaten eins auf die Mütze geben wollte. Aus der zeitlichen Distanz freilich nahm sich Mahathirs Dämonisierung der Spekulationsfonds nicht mehr ganz
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so absurd aus. Die Rolle der Hedge-Fonds muss man inzwischen in der Tat sehr ernst nehmen, weshalb ihr ein ganzes Kapitel dieses Buches gewidmet ist (Kapitel 6). Allerdings haben diese Fonds ihre Bedeutung im Wesentlichen erst 1998 erlangt (zu einem Zeitpunkt also, als die Aktivitäten von Soros und anderen in ziemlichem Widerspruch zu den Intentionen der amerikanischen Politik standen). Zur Erklärung der Asienkrise kann die Konspirationstheorie folglich nicht taugen. Andererseits wurde der Finanzkrach in Asien von vielen westlichen Beobachtern als eine Art moralischen Lehrstücks gelesen – als ein Drama über Schuld und Sühne, in dem die beteiligten Volkswirtschaften die unvermeidliche Strafe für ihre Korruptionssünden bekamen. Nach der Katastrophe blühten die Kolportagen über Exzesse und Korruption in der Region – über die Finanzierungsgesellschaften, über Malaysias grandiose Pläne für einen »Technologiekorridor«, über die von der Suharto-Familie angehäuften Reichtümer, über die bizarren Diversifizierungsstrategien der koreanischen Konglomerate. (Mir fällt beispielsweise die Geschichte von der Unterwäschefirma ein, die einen ganzen Skiort aufkaufte und ihn später an Michael Jackson veräußern musste.) Doch diese moralisierende Sicht der Dinge ist aus mindestens zwei Gründen problematisch. Erstens sind Vetternwirtschaft und Korruption in Asien nichts Neues. Bei Koreas chaebol handelte es sich im Wesentlichen um traditionelle Familienunternehmen in modernem Gewande. Deren Bosse waren schon seit Jahrzehnten an Sonderbehandlung gewöhnt – an privilegierten Zugang zu Kreditmitteln, Einfuhrgenehmigungen, staatliche Subventionen. Dies also in Zeiten, in denen es mit dem Land wirtschaftlich steil bergauf ging. Man mag dieses System – an westlichen Maßstäben gemessen – nicht besonders löblich finden, doch Tatsache ist, dass es 35 Jahre lang ziemlich gut funktionierte. Ähnliches gilt (in geringerem Maß vielleicht) auch für all die anderen Länder, die von der Krise erfasst wurden. Warum also sollten diese Mängel im Jahr 1997 plötzlich so entscheidend sein?
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Ein zweiter, damit verknüpfter Punkt kommt hinzu. Wenn man behauptet, die Krise sei gleichsam die verdiente Strafe für die Sünden der asiatischen Volkswirtschaften gewesen: Warum gerieten dann so unterschiedlich weit entwickelte Länder allesamt gleichzeitig in die Bredouille? Korea zählte 1997 fast schon zu den entwickelten Nationen; sein Pro-Kopf-Einkommen entsprach in etwa dem der südeuropäischen Länder. Indonesien hingegen war noch immer ein sehr armes Land, dessen Fortschritt sich am täglichen Kalorienverbrauch der Bevölkerung messen ließ. Wie also kann ein so ungleiches Paar zur selben Zeit in die Krise geraten? Die in meinen Augen einzig sinnvolle Antwort kann nur lauten: Die Krise war (im Kern jedenfalls) nicht die Strafe für früheres Fehlverhalten. Diese Volkswirtschaften mochten zwar ihre realen Mängel haben, doch ihre Hauptschwäche war ihre Schutzlosigkeit gegenüber einer sich selbst verstärkenden Panik. Zurück zu den Bankenanstürmen: 1931 ging etwa die Hälfte der US-Banken Pleite. Diese Banken waren keineswegs alle gleich. Es gab sehr schlecht geführte darunter; andere machten hochriskante Geschäfte, teils wider besseres Wissen; wieder andere waren recht ordentlich, ja sogar konservativ geführt. Als das Land dann aber von einer Panik erfasst wurde, als die Sparer überall die Schalter stürmten und auf der Stelle ihr Geld wollten, spielte all dies keine Rolle mehr. Nur die extrem konservativen Banken, die – an normalen Maßstäben gemessen – einen übertrieben hohen Teil ihrer Einlagen als Bargeld bereithielten, hatten eine Chance zu überleben. Ähnliches gilt für Asien. Thailand hatte gewiss eine schlecht geführte Wirtschaft, war bei weitem überschuldet und hatte das Kapital in sehr zweifelhafte Projekte gesteckt. Indonesien wiederum war – trotz seiner Korruption – viel weniger belastet, weshalb die klugen Köpfe von Woodstock mit ihrer positiven Einschätzung im Grunde keineswegs falsch lagen. Doch als die Panik einsetzte, spielten alle diese Unterschiede keine Rolle mehr. Waren die asiatischen Länder einer solchen Finanzpanik 1997 stärker ausgeliefert als zum Beispiel noch fünf oder zehn Jahre
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zuvor? Zweifellos ja. Der Grund war aber weder die Vetternwirtschaft noch eine im üblichen Sinne schlechte Politik. Ihre größere Anfälligkeit hatte vielmehr zwei andere Gründe: Erstens war da die Öffnung ihrer Finanzmärkte, das heißt die Tatsache, dass sich diese Länder inzwischen zu besseren, nicht schlechteren Marktwirtschaften entwickelt hatten! Zweitens die beträchtliche Verschuldung im Ausland, weil man sich die neue Beliebtheit bei den internationalen Investoren zunutze gemacht und Kapital ins Land geholt hatte. Diese Schulden intensivierten die Wechselwirkung zwischen Vertrauensschwund und Finanzkollaps, verstärkten mithin den Teufelskreis der Krise. Es lag primär also nicht an Fehlinvestitionen (die es natürlich auch gab). Es lag vielmehr daran, dass die neuen Schulden – im Unterschied zu den früheren – in Dollar notierten. Das war der Punkt, der letztlich in die Katastrophe führte.
Epilog: Argentinien 2002 Argentinien ist kein asiatisches Land, wie jeder weiß. Dennoch ereignete sich dort im Jahr 2002 eine ähnliche Krise wie damals in Asien, und zwar eine, die sehr klar macht, wie eine allseits hochgelobte Wirtschaftspolitik ein Land ins Verderben stürzen kann. Mit der Geschichte der argentinischen Geldpolitik haben wir uns in Kapitel 2 ausführlich befasst. Nachdem man über Generationen Geld gedruckt hatte, wann immer es opportun erschien, versuchte die argentinische Regierung im Jahr 1991, dem verantwortungslosen Treiben durch Einrichtung eines Währungsrats (currency board) ein Ende zu setzen. Dadurch sollte der argentinische Peso fest und dauerhaft an den US-Dollar gebunden werden. Jeder umlaufende Peso sollte also ohne Ausnahme durch einen in Reserve gehaltenen Dollar gedeckt sein. Von dieser monetären Stabilität erhoffte man sich dauerhafte Prosperität. Wie in Kapitel 2 gesehen, schlitterte Argentinien 1995 dennoch
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nur haarscharf an einer Katastrophe vorbei, als im Zuge der Mexikokrise das Bankensystem fast zusammenbrach. Doch als die Krise abebbte, kehrte das Vertrauen zurück. Aus dem Ausland gab es weiterhin viel Lob für die argentinische Wirtschaft und ihre Verantwortlichen, weshalb es an Kapitalzuflüssen nicht mangelte, vor allem in Form von Dollarkrediten für argentinische Firmen und Privatpersonen. Ende der neunziger Jahre aber begann alles zu kippen. Zunächst lag das Problem in der Rigidität des Wechselkurssystems, wodurch ein Peso einem US-Dollar gleichgesetzt war. Diese starre Bindung wäre weniger problematisch gewesen, wenn Argentinien – wie Mexiko – den größten Teil seines Handels mit den Vereinigten Staaten abgewickelt hätte. Doch wie ein Blick in den Atlas zeigt, liegt Argentinien nicht näher an den Vereinigten Staaten als an Europa. Tatsächlich ist das Volumen des argentinischen Handels mit der Europäischen Union und dem Nachbarn Brasilien größer als dasjenige mit den USA. Und gegenüber diesen beiden Währungen – dem Euro und dem brasilianischen Real – garantierte das argentinische Währungssystem eben keine Wechselkursstabilität. Im Gegenteil. Das System tendierte sogar zur Auslösung wilder Schwankungen im Wechselkurs – und damit auch in der argentinischen Außenhandelsposition. Stieg beispielsweise der Dollar relativ zum Euro, egal aus welchem Grund, so hatte dies eine sofortige Verteuerung argentinischer Waren auf dem europäischen Markt und damit einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit zur Folge. Genau so kam es für Argentinien ab Ende der neunziger Jahre. Zum einen stieg der Dollar relativ zum Euro – zeitweilig bekam man für einen Euro nur noch 85 US-Cent, während es derzeit (zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches) 1,26 Dollar sind. Zum anderen wertete das von der russischen Finanzkrise (siehe Kapitel 6) angesteckte Brasilien seinen Real auch noch stark ab. Im Ergebnis bedeuteten diese Wechselkursänderungen einen schweren Schlag für die Wettbewerbsfähigkeit der argentinischen Exporte, und das Land stürzte in eine Rezession.
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Als die argentinische Wirtschaft auf Talfahrt ging, verloren jedoch die ausländischen Investoren das Vertrauen. Rasch verwandelten sich die Kapitalzuflüsse in Kapitalabflüsse. Die Folge war eine Kreditklemme. Und wie bereits 1995 geschehen, löste der Verlust der ausländischen Mittel zudem eine Bankenkrise aus. Die argentinische Regierung stemmte sich verzweifelt gegen die sich ausweitende Krise. Sie kürzte die Staatsausgaben – und verschlimmerte damit die Rezession – in der Hoffnung, das Vertrauen der ausländischen Investoren wiederzugewinnen. Sie fror die Bankeinlagen ab einer bestimmten Höhe ein, erntete damit aber nur wütende Demonstrationen mit Töpfen und Pfannen bewaffneter Hausfrauen, die trommelnd den Präsidentenpalast belagerten. Nichts schien zu helfen. Ende 2001 sah sich die Regierung sogar außerstande, die Peso-Dollar-Bindung aufrechtzuerhalten. Der Wert des argentinischen Peso stürzte daraufhin von einem Dollar auf etwa 30 Cent ab. Das Ergebnis dieses Währungsverfalls war zunächst katastrophal, ganz ähnlich wie bei den analogen Vorgängen in Asien. Da viele argentinische Firmen und Privatpersonen Dollarschulden hatten, ruinierte der heftige Anstieg der Peso-Kosten pro Dollar die Bilanzen, und die Insolvenzen nahmen rapide zu. Auch die Wirtschaft im Ganzen traf es hart: Das reale BIP brach 2002 erneut um elf Prozent ein, nachdem es bereits 2001 um vier Prozent zurückgegangen war. Insgesamt verringerte sich das Volumen der argentinischen Wirtschaft zwischen 1998 und 2002 um 18 Prozent – eine Kontraktion in der Größenordnung der Weltwirtschaftkrise der dreißiger Jahre. In den folgenden fünf Jahren ging es mit Argentinien wieder stark bergauf, getragen von einem Abkommen, gemäß dem das Land nur rund 30 Prozent seiner Dollar-Auslandsschulden zurückzahlen musste. (Die ausgesprochen pfiffige Schlagzeile eines Reuters-Berichts über die Schuldenerlassverhandlungen lautete: »Argentina to Creditors: So Sue Us« – Argentinien zu seinen Schuldnern: Wenn ihr wollt, verklagt uns doch!) Doch die Erfahrung ging
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tief. Und zum jetzigen Zeitpunkt, da dieses Buch in Druck geht, befindet sich Argentinien wieder einmal in der Krise.
Die tiefer gehende Frage Kenner der Materie werden mit meiner Analyse der Asienkrise in diesem Kapitel vielleicht nicht in allen Details einverstanden sein. Manch einer wird argumentieren, der Schaden durch verantwortungsloses Geschäftsgebaren der kreditgebenden Banken sei größer gewesen, als ich ihn darstelle. Andere werden im Gegenteil einwenden, die betroffenen Volkswirtschaften seien sogar in einem sehr guten Zustand gewesen, umso unverdienter daher die Krise. Die technischen Details der Krise – die jeweilige Rolle der Bankenzusammenbrüche, Wechselkurse, Zinssätze und so weiter – werden die Wirtschaftswissenschaft sicherlich noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen. Im Großen und Ganzen aber glaube ich schon, dass meine Darstellung weithin akzeptiert werden wird. Die eigentliche Kontroverse (oft heftig und persönlich gefärbt, weil diejenigen, die die Handhabung der Krise kritisieren, gleichzeitig auch die Akteure selbst angreifen) betrifft jedoch ohnehin die Rolle der Politik. Warum also waren die Regierungen nicht in der Lage, den Schaden geringer zu halten?
Kapitel 5
Politik der Unvernunft
Im Dezember 1930, als allmählich klar wurde, dass die Vereinigten Staaten sich nicht in einer normalen Rezession befanden, versuchte John Maynard Keynes, die Ursachen der Krise der breiten Öffentlichkeit begreiflich zu machen. »Wir haben Probleme mit dem Anlasser«, erklärte er. Dies war eine ziemlich radikale Feststellung, behauptete er doch, dass der Wirtschaftsmotor nicht mehr von selbst »anspringen« würde, sondern dass ein Anschub oder »Fremdstart« (durch die Regierung) erforderlich sei. In einem tieferen Sinn jedoch erwies sich Keynes damit durchaus als Konservativer: Seine Feststellung bedeutete nämlich, dass der Motor an sich sehr wohl funktionsfähig und der Schaden durch einen technischen Handgriff behebbar sei. Zu einer Zeit also, als vielen Intellektuellen der Kapitalismus als gescheitertes System galt und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise nur durch den Übergang zur sozialistischen Planwirtschaft möglich schien, verkündete Keynes das genaue Gegenteil: Der Kapitalismus sei keineswegs zum Untergang verdammt; es genüge vielmehr eine kleine technische Maßnahme – ein begrenzter Eingriff, der mit Fragen des Privateigentums und privater Verfügungsgewalt überhaupt nichts zu tun hat –, um die Wirtschaft wieder flottzubekommen. Zur Überraschung der Skeptiker überlebte der Kapitalismus tatsächlich. Doch auch wenn es die heutigen Anhänger der reinen Marktwirtschaftslehre ungern hören werden: Dass das Kind
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nicht mit dem Bade ausgeschüttet wurde, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass Keynes’ Therapievorschläge letztlich zum Tragen kamen. Allerdings war es der Zweite Weltkrieg, der für den Anschub sorgte, den Keynes seit Jahren gefordert hatte. Doch was den Glauben an freie Märkte letztlich wieder belebte, war nicht nur die Erholung nach einem tiefen Konjunktureinbruch, sondern die neue Gewissheit, dass es durch makroökonomische Intervention – Zinssenkungen beziehungsweise kreditfinanzierte Ausgabensteigerungen als Mittel der Bekämpfung von Rezessionen – gelingen kann, eine Marktwirtschaft bei Vollbeschäftigung im Gleichgewicht zu halten. Die Ökonomen trafen im Namen des Kapitalismus gleichsam eine Abmachung mit der Öffentlichkeit: Freie Märkte sind in Zukunft akzeptiert; wir sorgen im Gegenzug dafür, dass Depressionen dieser Art nie wieder vorkommen. Diese stillschweigende Übereinkunft hat sogar einen Namen: Paul Samuelson nannte sie in seinem berühmten Lehrbuch die »neoklassische Synthese«. Ich selber spreche in diesem Zusammenhang aber lieber vom »keynesianischen Pakt«. In den Vereinigten Staaten und den meisten anderen entwickelten Ländern gilt dieser Pakt noch immer. Natürlich gibt es hin und wieder Rezessionen. Doch genau in solchen Fällen erwartet die Öffentlichkeit ja, dass die Zentralbank geeignete Maßnahmen ergreift, wie dies in den USA zum Beispiel 1975, 1982 und 1991 geschah, als die Fed die Zinssätze senkte, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Ferner erwartet man, dass die Regierung im Notfall zudem die Steuern senkt und die Staatsausgaben erhöht, um den Erholungsprozess zu unterstützen. Was dieser Pakt aber sicherlich nicht beinhaltet, ist ein Krisenmanagement, wie es Herbert Hoover, der Präsident der Vereinigten Staaten von 1929 bis 1933, betrieb: Steuererhöhungen, Kürzung der Staatsausgaben und Erhöhung der Zinssätze. Als aber die Finanzkrise in Asien zuschlug, griffen die betroffenen Länder zu Maßnahmen, die fast genau das Gegenteil dessen darstellten, was die USA im Falle eines Abschwungs taten: Ausga-
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benbeschränkung hieß die Marschroute; außerdem wurden die Zinssätze angehoben, und zwar teilweise extrem. Der Grund war freilich nicht Dummheit oder Inkompetenz. Im Gegenteil: Die Entscheidungsträger dieser Länder kannten den keynesianischen Pakt in der Regel recht gut und hatten sich in der Vergangenheit auch weitgehend daran zu halten versucht. Ohnehin sahen diese Länder ihre Politik weitgehend von Washington bestimmt, als die Krise zuschlug – das heißt vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem US-Schatzamt. Und die Verantwortlichen dieser Institutionen zählten ja eigentlich zu den klügsten Köpfen überhaupt. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass noch nie in der Geschichte so viele hochkarätige Ökonomen in so maßgeblichen Positionen waren. Umso mehr drängt sich die Frage auf, warum diese klugen Köpfe bei den Schwellenländern zu Maßnahmen rieten, die dem Lehrbuchwissen völlig zuwiderliefen. Die knappe Antwort lautet: Angst vor Spekulanten. Sie lässt sich aber nur verstehen, wenn wir sie in einen größeren Zusammenhang stellen. Insbesondere müssen wir uns etwas eingehender mit den verzwickten Verhältnissen des internationalen Kapitals beschäftigen.
Warum es nicht zum Weltwährungssystem kam Es war einmal eine Zeit, da gab es auf der ganzen Welt nur eine einzige Währung, den Globo. Der war in guten Händen, denn die Global Reserve Bank (kurz »Glob« genannt), geleitet von ihrem weisen Vorsitzenden Alan Globespan, verstand ihr Handwerk recht gut. Sie erhöhte die weltweite Geldmenge, wenn eine Rezession drohte, und verknappte sie, wenn die Zeichen auf Inflation standen. So kam es, dass in späteren Jahren die Herrschaft des Globo vielen als eine goldene Zeit erschien. Vor allem der Wirtschaft war das System sympathisch, weil es den weltweiten Handel erleichterte. Doch es zogen Wolken auf am Himmel über dem Paradies. Zwar
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gelang es durch gutes Globo-Management, extreme Konjunkturschwankungen für die Welt insgesamt zu vermeiden, doch für die einzelnen Elemente des Ganzen war dies nicht möglich. Folglich gab es in der Geldpolitik häufig Interessenkonflikte. Manchmal verfolgte die Glob eine lockere Geldpolitik, weil Europa und Asien sich am Rande einer Rezession befanden; doch bald schon löste dieses billige Geld in Nordamerika einen wilden Spekulationsboom aus. Zu anderen Zeiten sah sich die Glob zu einer strafferen Geldpolitik verpflichtet, um in Nordamerika den Anfängen einer Inflation zu wehren; dies aber verschlimmerte eine sich in Südamerika anbahnende Rezession. Da es jedoch keine spezifisch kontinentalen Währungen gab, standen die kontinentalen Regierungen diesen Problemen hilflos gegenüber. Schließlich war die Enttäuschung so groß, dass man das System aufgab. Anstelle des Globo hatte nun jeder Kontinent seine eigene Währung und betrieb dementsprechend seine eigene Geldpolitik, orientiert an seinen eigenen Bedürfnissen. War Europas Wirtschaft in Überhitzungsgefahr, konnte die Euro-Geldmenge verknappt werden; geriet Lateinamerika in einen Abschwung, konnten mehr Latino in Umlauf gebracht werden. Die Probleme, die einer globalen, gemeinsamen Geldpolitik unweigerlich anhafteten, waren zunächst gelöst. Doch bald stellte sich heraus, dass die Eliminierung des einen Problems ein anderes schuf – denn die Wechselkurse zwischen den kontinentalen Währungen schwankten heftig. Man hätte meinen können, der Wechselkurs etwa zwischen dem Euro und dem Latino richte sich nach den Bedürfnissen des Handels – etwa danach, in welchem Maß die Lateinamerikaner Latino gegen Euro eintauschen, um europäische Waren zu kaufen, und umgekehrt. Schon bald wurde aber klar, dass der Markt hauptsächlich von den Kapitalanlegern bestimmt wurde, Leuten also, die Währungen an- und verkauften, um damit Aktien und Anleihen zu erwerben. Da diese Investitionsnachfrage aber starken Schwankungen unterlag und zudem stark von spekulativen Beweggründen gespeist wurde, er-
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wiesen sich auch die Währungskurse als recht instabil. Verschlimmernd kam hinzu, dass die Marktteilnehmer auch auf den Wert der einzelnen Währungen selbst zu spekulieren begannen. Resultat waren wilde Kursschwankungen, verbunden mit einem hohen Maß an Unsicherheit für die Wirtschaft. Denn niemand konnte verlässlich abschätzen, was die ausländischen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten morgen wirklich wert sein würden. Deshalb gingen einige Kontinente dazu über, ihre Wechselkurse zu stabilisieren, indem sie auf dem Devisenmarkt die eigene Währung an- oder verkauften, um etwa den Kurs des Euro in Relation zum Afro oder den Kurs des Gringo in Relation zum Latino konstant zu halten. Die Zentralbanken behielten sich allerdings das Recht vor, das Wechselkursniveau nötigenfalls anzupassen – etwa durch Abwertung der eigenen Währung, falls dies helfen konnte, eine hohe Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Bald stellte sich jedoch heraus, dass dieses anpassungsfähige System fester Wechselkurse mit verstellbaren Kurszielwerten den Spekulanten zu viele Angriffsflächen bot. Befand sich ein Kontinent in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gab es auch nur die geringsten Anzeichen einer möglichen Abwertung, begannen die Spekulanten auch schon mit dem Verkauf dieser Währung. Es dauerte dann nicht lange, bis die kontinentale Zentralbank vor der Alternative stand, entweder die Zinssätze anzuheben – was den Konjunkturabschwung nur noch verstärkte – oder aber sofort abzuwerten. Daneben blieb nur noch eine einzige (dritte) Option: Beschränkung des Kapitalverkehrs, um den Spekulanten direkt ins Handwerk zu pfuschen. So waren die Kontinente der Welt also gezwungen, sich für eines von drei »Währungssystemen« zu entscheiden, von denen freilich jedes eine gravierende Schwäche aufwies. Sie konnten, erstens, für eine unabhängige Geldpolitik votieren, mochte der Wechselkurs schwanken, wie immer er wollte. Dies versprach den Vorteil völliger Handlungsfreiheit bei der Bekämpfung von Rezessionen, wäre aber von ärgerlichen Unsicherheiten für die Wirtschaft begleitet.
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Zweitens konnten sie sich für einen festen Wechselkurs entscheiden und versuchen, die Märkte davon zu überzeugen, dass eine Abwertung niemals in Frage kommen würde. Für die Wirtschaft würde dies Sicherheit und Vereinfachung bedeuten; allerdings hätte man sich nun wieder das Problem einer undifferenzierten Allzweck-Geldpolitik eingehandelt. Drittens schließlich konnten sie den festen Wechselkurs mit Anpassungsoption beibehalten. Dies war jedoch nur in Verbindung mit Kapitalverkehrskontrollen sinnvoll. Solche Kontrollen sind aber schwer durchzuführen, bedeuten eine Kostenbelastung für die Unternehmen und öffnen der Korruption Tür und Tor (wie alle Verbote oder Beschränkungen im Zusammenhang mit gewinnträchtigen Geschäften). Klar, dieses Szenario ist erfunden und hat sich so nie abgespielt. Natürlich gab es nie einen Globo. Eine entfernte Ähnlichkeit damit hatte vielleicht der Goldstandard der Jahre vor den Dreißigern. Jenes System wurde aber leider nicht so gehandhabt, dass weltweite Konjunkturschwankungen vermieden worden wären. Unser obiges Szenario bietet im Unterschied zu den tatsächlichen (und naturgemäß komplexen) Abläufen jedoch den Vorteil, dass es uns das »Trilemma«, mit dem die nationalen Volkswirtschaften in einer globalen Wirtschaft konfrontiert sind, prinzipiell und damit sehr klar vor Augen führt. Betrachten wir die Sache einmal aus der Sicht des Wirtschaftspolitikers. Der wünscht sich dreierlei: Spielraum in der Geldpolitik, damit er Rezessionen und Inflationen bekämpfen kann; stabile Wechselkurse, damit die Wirtschaft eine solide Arbeitsgrundlage hat; freie internationale Wirtschaft (insbesondere den freien Devisentausch), damit der Staat dem Privatsektor möglichst nicht in die Quere kommt. Wie uns die Parabel vom Globo und dessen Versagen aber zeigt, kann ein Land nie alle drei Wünsche erfüllt bekommen, sondern bestenfalls zwei. Damit bieten sich konkret folgende Optionen: Man kann die Wechselkursstabilität aufgeben; dies bedeutet einen freien beziehungsweise schwankenden Wechselkurs, wie ihn zum
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Beispiel die USA und Australien haben. Oder man gibt den geldpolitischen Spielraum auf; dies bedeutet einen festen Wechselkurs, ähnlich wie ihn Argentinien in den neunziger Jahren hatte, und möglicherweise auch Aufgabe der eigenen Währung (wie in der Europäischen Union). Oder man verabschiedet sich vom Grundsatz völlig freier Märkte und führt Kapitalverkehrskontrollen ein; dies war der Regelfall zwischen den vierziger und sechziger Jahren, und China verfährt derzeit genauso. Welche dieser drei unvollkommenen Optionen ist nun aber die beste? Manche halten die Vorteile eines festen Wechselkurses für sehr groß, den Nutzen einer unabhängigen Geld- beziehungsweise Währungspolitik hingegen für geringer als gemeinhin angenommen. Ihr Standardbeispiel sind die USA, ein Land, das sich über einen ganzen Kontinent erstreckt und dennoch mit einer gemeinsamen Währung sehr gut fährt. Auch Europa mit seinen gut 300 Millionen Einwohnern habe inzwischen ja eine gemeinsame Währung eingeführt. Warum also nicht eine gemeinsame Weltwährung? Die meisten Ökonomen werden hier jedoch einwenden, dass die Vereinigten Staaten ein Sonderfall sind, dessen spezifische Bedingungen für eine gemeinsame Währung ausgesprochen günstig sind: Vor allem zu nennen ist hier die hohe Mobilität der Arbeitskräfte, die dorthin ziehen, wo es Arbeitsplätze gibt, sodass eine einheitliche Geldpolitik relativ gut möglich ist. Was Europa angeht, war die Einführung des Euro jedoch sehr umstritten. Viele Ökonomen bezweifelten, dass Europa die gleichen guten Voraussetzungen besitzt wie die USA. Zumindest für die großen europäischen Volkswirtschaften lässt sich aber feststellen, dass sie einander sehr ähneln und zudem sehr eng miteinander verzahnt sind, was bedeutet, dass im Regelfall eine für Frankreich geeignete Geldpolitik auch für Deutschland das Richtige ist (und umgekehrt). Hingegen kann man sich nur schwer vorstellen, wie eine Geldpolitik aussehen sollte, die sowohl auf Japan als auch auf die Vereinigten Staaten passt – geschweige denn eine, bei der die USA und Argentinien unter einen Hut zu bringen sind. Dies erklärt,
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weshalb es nur wenige Ökonomen gibt, die den guten alten Tagen des Goldstandards nachtrauern oder auf den Globo setzen. Anders ausgedrückt: Nationale – oder vielleicht auch regionale – monetäre Unabhängigkeit ist noch immer unverzichtbar. Andererseits sind Kapitalverkehrskontrollen, die es den entwickelten Ländern in den ersten Nachkriegsjahrzehnten erlaubten, feste Wechselkurse mit einer keynesianischen Politik zu verbinden, heute völlig aus der Mode gekommen. Das Grundproblem dieser Kontrollen liegt darin, dass die Unterscheidung zwischen »guten« und »schlechten« internationalen Geschäften sehr schwierig ist. Ein Spekulant, der sein Kapital aus Malaysia abzieht, weil er versucht, aus einer erwarteten Abwertung Nutzen zu ziehen, verhält sich unsozial; ein malaysischer Exporteur hingegen, der im Ausland Kunden gewinnt, indem er eine großzügige Zahlungsfrist gewährt, hilft seinem Land, auf den Weltmärkten zu bestehen. Doch angenommen, der Exporteur spekuliert ebenfalls auf eine baldige Abwertung des Ringgit und bittet seinen Kunden, die Ware in Dollar zu bezahlen, sich mit der Begleichung der Rechnung aber ruhig Zeit zu lassen. Im Effekt ist dies das Gleiche, als würde er Ringgit auf dem Schwarzmarkt in Dollar tauschen. Es ließen sich Dutzende anderer Beispiele anführen, bei denen die Grenzlinie zwischen volkswirtschaftlich produktivem Geschäft und eigennütziger Währungsspekulation verschwimmt. Konkret bedeutet dies, dass Bemühungen um die Eindämmung von Spekulation leicht ins Leere laufen, es sei denn, man greift zu sehr restriktiven Maßnahmen (indem man zum Beispiel die Zahlungsziele, die Exporteure ihren Kunden einräumen können, limitiert). Vor fünfzig Jahren galten den meisten Staaten derlei Restriktionen als akzeptabel. Heute jedoch leben wir in einer Welt, in der freie Märkte wieder etwas gelten, staatliche Interventionen mit Argwohn betrachtet werden und vor allem jeder weiß, dass Verbote immer auch Bestechung und Korruption fördern. Bleibt also noch die dritte Option, die frei schwankenden Wechselkurse. Bis Mitte der neunziger Jahre galt sie den meisten Öko-
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nomen als das kleinste der drei Übel. Allerdings übertrafen die Schwankungen häufig das angesichts der wirtschaftlichen Fundamentaldaten als angemessen geltende Ausmaß. (Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre hat zum Beispiel der Dollar-Yen-Kurs heftig geschwankt: Von 120 Yen fiel der Dollar auf 80, stieg dann auf knapp 150, um schließlich wieder bei knapp 110 zu landen, ohne dass sich bei den Fundamentaldaten viel geändert hätte.) Und selbst die Befürworter freier Wechselkurse räumen ein, dass stark integrierte Regionen, die sogenannte »optimale Währungsgebiete« bilden, am besten zur konsequentesten Form fester Wechselkurse – einer gemeinsamen Währung – greifen. (Ob Europa ein solches Währungsgebiet darstellt, steht freilich auf einem anderen Blatt.) Dennoch lässt sich feststellen, dass die meisten Ökonomen einen freien Wechselkurs in der Regel bevorzugen, und zwar hauptsächlich deshalb, weil er dem keynesianischen Pakt am besten entspricht – bietet er doch die Möglichkeit, eine marktwirtschaftliche mit einer Vollbeschäftigungspolitik zu verbinden. Die Vorzüge eines frei beweglichen Wechselkurses – sodenn die Sache funktioniert – sind unschwer zu belegen. Die Vereinigten Staaten zum Beispiel fahren gut mit ihrer Politik einer freundlichen Distanz gegenüber dem Wechselkurs des Dollar. Heftige Schwankungen des Dollar in Relation zu Yen oder Euro mögen zwar ärgerlich sein; dies ist aber sicherlich ein geringer Preis, gemessen an der Handlungsfreiheit, die der Verzicht auf eine eigenständige Wechselkurspolitik der Notenbank (Fed) beschert – der Möglichkeit nämlich, die Zinssätze ohne Rücksichtnahme sofort und in jeder erforderlichen Höhe zu senken, wenn eine Rezession oder Finanzkrise naht. Ein noch besseres Beispiel ist Australien während der Asienkrise. 1996 war ein australischer Dollar fast 0,80 US-Dollar wert. Bis Spätsommer 1998 war er jedoch auf wenig mehr als 0,60 gefallen. Was nicht wundert, denn die meisten australischen Ausfuhren gingen entweder nach Japan oder in die krisengeschüttelten Tigerstaaten. Australien versuchte jedoch keineswegs, seine
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Währung zu stützen (sieht man einmal von einer kurzen Periode im Sommer 1998 ab, als sich das Land von einer koordinierten Hedge-Fonds-Attacke bedroht wähnte; doch dazu mehr im nächsten Kapitel) – weder durch Ankauf der eigenen Währung auf dem Devisenmarkt, noch durch Anhebung der Zinssätze. Und siehe da, der Fall der Währung fand eine natürliche Grenze: Der billige Austral-Dollar kam den Anlegern gerade recht, um günstig in eine Volkswirtschaft zu investieren, die sie offenkundig nach wie vor für sehr solide hielten. Dieses Vertrauen schien angesichts des »australischen Wunders« auch durchaus gerechtfertigt zu sein: trotz seiner Abhängigkeit von den asiatischen Märkten boomte Australien inmitten der Asienkrise. Stellt sich also die Frage: Wenn es Australien gelang, sich in einer Krisenregion so gut zu behaupten, warum schafften dies dann Indonesien oder Südkorea nicht ebenfalls?
Die spekulative Bedrohung Stellen wir uns eine Wirtschaft vor, in der die Dinge nicht ganz zum Besten stehen (an Beispielen mangelt es ja nicht). Das Land hat beispielsweise ein hohes Haushaltsdefizit, das zwar nicht direkt die Zahlungsfähigkeit bedroht, sich aber doch nur mit Mühe verringern lässt; oder aber Banken mit politischen Verbindungen haben eine Menge wackliger Kredite in ihren Bilanzen. Doch nehmen wir an, es handelt sich bei all dem um Probleme, die keineswegs unlösbar sind, sondern mit etwas gutem Willen und ein paar stabil verlaufenden Jahren in den Griff zu bekommen wären. Dann aber bekommen es die Investoren aus irgendeinem Grund – vielleicht wegen einer Wirtschaftskrise auf der anderen Seite des Globus – mit der Angst zu tun und ziehen ihr Kapital massenhaft ab. Plötzlich also befindet sich das Land in großen Schwierigkeiten, die Aktienkurse sinken, die Zinssätze steigen. Auch hier könnte man nun meinen, dies sei für clevere Anleger die Chance,
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sich gut einzudecken. Denn die wirtschaftlichen Fundamentaldaten haben sich ja nicht verändert, und das müsste doch bedeuten, dass die Anlageobjekte nun unterbewertet sind. Doch wie wir in Kapitel 4 schon sahen, trifft diese Argumentation nicht immer zu. Drastische Buchwertverluste können durchaus gesunde Banken ins Nichts stürzen. Wirtschaftlicher Abschwung, hohe Zinsen und eine abgewertete Währung können auch gesunde Unternehmen in den Bankrott treiben. Vor allem aber können wirtschaftliche Krisen politische Instabilität nach sich ziehen. Vielleicht also ist der Einstieg zu einem Zeitpunkt, wenn alle die Ausgänge suchen, doch keine so gute Idee; vielleicht sollte man unter solchen Umständen selber auch besser das Weite suchen. Es ist im Prinzip also durchaus möglich, dass ein einsetzender Vertrauensschwund in einem Land eine Wirtschaftskrise auslöst, die ihrerseits den Vertrauensschwund rechtfertigt und weiter forciert – dass Länder also für eine sich selbst verstärkende, eine eigene Dynamik entwickelnde spekulative Attacke anfällig sind. Zwar waren die Ökonomen hinsichtlich solcher sich selbst nährender Krisen lange Zeit skeptisch. Doch die Erfahrungen der neunziger Jahre – in Lateinamerika und Asien – beseitigten derlei Zweifel, zumindest auf einer praktischen Ebene. Das Verrückte daran ist: Nimmt man die Möglichkeit dieser Art von Krisen ernst, gewinnt die Marktpsychologie einen zentralen Stellenwert – so zentral, dass innerhalb gewisser Grenzen die Erwartungen, ja selbst die Vorurteile der Investoren regelrecht zu wirtschaftlichen Fundamentaldaten werden. Die Fiktion wird Wirklichkeit, weil sich der Glaube seine eigenen Realitäten schafft. Nehmen wir beispielsweise an, es herrscht die allgemeine Überzeugung, dass Australien trotz seiner bemerkenswert hohen Abhängigkeit von ausländischem Kapital (das Land hat seit Jahrzehnten hohe Leistungsbilanzdefizite von mehr als vier Prozent des BIP) in grundsätzlicher Hinsicht eine solide Wirtschaft besitzt. Man hält das Land also für politisch wie ökonomisch verlässlich
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und stabil. In diesem Fall wird der Markt auf einen gefallenen australischen Dollar positiv reagieren. »Gut, das war’s, steigen wir ein!«, sagen sich die Investoren, und die Wirtschaft profitiert am Ende sogar. Die gute Meinung des Marktes findet sich somit bestätigt. Nehmen wir andererseits an, man hält Indonesien trotz seiner bemerkenswerten Fortschritte in den letzten zwanzig Jahren noch immer für einen Wackelkandidaten, traut den Dingen also nicht so ganz. In diesem Fall löst eine Abwertung der Rupiah sehr wahrscheinlich negative Reaktionen aus. »Oh Gott, schon wieder die bösen alten Zeiten«, denken sich viele Anleger und bringen rasch ihr Kapital in Sicherheit. Diese Kapitalflucht löst dann tatsächlich eine finanzielle, wirtschaftliche und politische Krise aus, mit der Konsequenz, dass die negative Grundhaltung des Marktes im Nachhinein in ganz ähnlicher Weise bestätigt wird. Anders formuliert: Es hat ganz den Anschein, als sei der keynesianische Pakt eine Sache der Vergangenheit. Die unter Ökonomen gängige Ansicht, freie Wechselkurse seien die beste, wenngleich nicht ideale Antwort auf das oben skizzierte geldpolitische »Trilemma«, beruhte natürlich auf den Erfahrungen von Ländern wie Kanada, Großbritannien und USA. Doch in den neunziger Jahren musste eine Reihe von Ländern – Mexiko, Thailand, Indonesien, Korea – feststellen, dass für sie andere Regeln galten. Immer wieder das gleiche Bild: Versuche, eine moderate Abwertung vorzunehmen, zogen einen drastischen Vertrauensschwund nach sich. Es ist dieses Vertrauensproblem, das letztlich die Schuld daran trägt, dass der keynesianische Pakt gebrochen wurde.
Das Vertrauensspiel Im Sommer 1998 litt Brasilien bereits unter einer Abschwächung der Konjunktur. Die Arbeitslosigkeit stieg an; die Inflation jedoch – das alte brasilianische Übel – war inzwischen einem sta-
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bilen Preisniveau gewichen, und manche sprachen sogar von Deflation. Dann aber löste das Scheitern der russischen Wirtschaftsreform einen Angriff auf Brasiliens Real aus (die Gründe lernen wir in Kapitel 6 kennen), und das Land wandte sich an die USA und den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe. Was Brasilien brauchte, war zum einen natürlich Geld, zum anderen aber – wohl noch wichtiger – eine Art Gütesiegel für seine Politik der umsichtigen Haushaltsführung, um nervöse Anleger zu beruhigen. Im Gegenzug verpflichtete sich das Land, ein Programm zur »Stabilisierung« der Wirtschaft umzusetzen. Und so sah das Programm aus (wohlgemerkt für ein Land mit nachlassender Konjunktur und ohne nennenswerte Inflation): Steuererhöhungen, Kürzung der Staatsausgaben sowie Beibehaltung extrem hoher Zinssätze (die bei Beginn der Krise auf fast 50 Prozent angehoben worden waren). Mit anderen Worten: Die brasilianische Regierung betrieb eine extrem restriktive Geldund Fiskalpolitik! Damit war für 1999 eine böse Rezession praktisch programmiert. Es war in der Tat ein eigenartig extremes Programm, fast eine Karikatur der Maßnahmen, mit denen man es im Jahr zuvor in Asien versucht hatte. Doch typisch für Karikaturen ist ja, dass sie die jeweiligen Hauptzüge besonders verdeutlichen. So auch hier. Im Kern stellten die Maßnahmen, die Washington in den zurückliegenden Jahren vielen Krisenländern verordnet hatte, eine vollkommene Umkehrung des keynesianischen Pakts dar: Angesichts einer Wirtschaftskrise wurden die Länder gedrängt, die Zinssätze anzuheben, die Staatsausgaben einzuschränken und die Steuern zu erhöhen. Wie war es nur möglich, dass sechzig Jahre nach Keynes so etwas für gut befunden werden konnte? Die Antwort liegt darin, dass man glaubte, das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen zu müssen, koste es, was es wolle. Erstens und vor allem hielt man für Brasilien die australische Lösung – die Währung einfach abrutschen zu lassen – für völlig
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ausgeschlossen. Der feste Wechselkurs zwischen Real und Dollar war ein Kernstück des brasilianischen Reformprogramms gewesen, jenes Programms, das nach Generationen hoher Inflation endlich Preisstabilität gebracht hatte. Eine Aufgabe des festen Kurses, so fürchtete man in Brasilien wie Washington, würde das Vertrauen der Investoren schwer beschädigen. Zwar hätte man mit guten Gründen argumentieren können, der Real sei – um zwanzig Prozent etwa – überbewertet, sodass eine entsprechende Abwertung dem Land mehr nutzen als schaden würde. Doch niemand hielt dies ernsthaft für eine realistische Strategie. Um es mit den Worten eines US-Offiziellen zu formulieren: »Für Entwicklungsländer gibt es keine geringen Abwertungen.« Die Frage war also nur: Wie ließ sich eine Abwertung des Real vermeiden? Nun, der IWF konnte Geld bereitstellen, um Brasilien in die Lage zu versetzen, mit diesem Kredit plus den eigenen Devisenreserven die Währung in den Märkten zu stützen. Diese Mittel würden allerdings rasch aufgezehrt sein, falls es nicht gelang, die Kapitalflucht zu stoppen. Folglich bot sich als einzig direkt verfügbares Mittel eine starke Anhebung der Zinssätze an, und zwar auf ein Niveau, das die Investoren dazu bewegte, ihr Kapital selbst dann im Land zu lassen, wenn sie fürchteten, es werde irgendwann zu einer Abwertung kommen. Leider aber war mit dieser Maßnahme nicht alles in trockenen Tüchern. Als die Märkte nämlich den Eindruck gewannen, Brasilien sei ein gefährliches Pflaster, brachten sie dies rasch auch mit dem hohen Haushaltsdefizit in Verbindung, sahen darin also eines der Hauptprobleme des Landes. Die Güte einer solchen Einschätzung lässt sich freilich bezweifeln. Denn Fakt ist erstens, dass Brasiliens Schulden keineswegs überzogen hoch waren. Gemessen am Volkseinkommen waren sie sogar deutlich niedriger als in vielen europäischen Ländern oder in Japan. Außerdem war ein Großteil des Defizits direkt Folge der Krise: Hohe Zinsen trieben natürlich die Zahlungsverpflichtungen enorm in die Höhe, während auf der anderen Seite infolge des konjunkturellen Abschwungs gleichzeitig
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die Steuereinnahmen sanken. (Bei »normalen« Beschäftigungsund Zinsverhältnissen wäre Brasiliens Verschuldung tatsächlich recht moderat gewesen.) Aber solches Argumentieren war ja sinnlos. Die Investoren hatten sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Brasilien stehe vor einer katastrophalen Krise, falls es nicht rasch gelinge, das Defizit zu senken. Auf ihre Weise behielten sie damit auch Recht, denn sie selber waren es, die schon bald – im Januar 1999 – die Krise anfackelten. Der Punkt, um den es hier geht, lautet: Da spekulative Attacken sich ihre Daseinsberechtigung selbst schaffen können, reicht eine an den Fundamentaldaten orientierte, wohlbegründete Wirtschaftspolitik offenbar nicht aus, um die Märkte zu beruhigen und Vertrauen zu schaffen. Oder anders formuliert: Die Notwendigkeit, Vertrauen zu schaffen, kann vernünftige Politik verhindern und Maßnahmen hoffähig machen, die unter normalen Umständen als absolut widersinnig gesehen würden. Betrachten wir die ganze Situation einmal aus dem Blickwinkel der klugen Ökonomen in Washington. Sie hatten es ausschließlich mit Ländern zu tun, denen die Anleger durchweg skeptisch gegenüberstanden. Gleichsam per Definition handelte es sich bei den Staaten, die bei den USA und/oder beim IWF anklopften, immer nur um solche, deren Währungen im Markt bereits unter hohem Druck standen und die einen neuen Ansturm befürchteten. Oberstes Ziel aller Maßnahmen musste deshalb die Beruhigung der Märkte sein. Da Krisen jedoch, wie wir gesehen haben, eine Eigendynamik entwickeln können, war mit einer soliden Wirtschaftspolitik vermutlich wenig zu gewinnen; vielmehr kam es in den Augen der Verantwortlichen vor allem darauf an, den Wahrnehmungen, Vorurteilen und Launen des Marktes Rechnung zu tragen – oder besser gesagt: dem, was man dafür hielt. Dies ist also der Punkt, weshalb der keynesianische Pakt gebrochen wurde und die Wirtschaftspolitik im internationalen Rahmen völlig aus den Fugen geriet. An die Stelle einer soliden Politik trat psychologistisches Dilettieren, wobei IWF und US-Schatzamt
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versuchten, die Länder zu Maßnahmen zu überreden, von denen man glaubte, sie würden die Stimmung in den Märkten verbessern. Wundert es da noch, dass die Ökonomielehrbücher in hohem Bogen aus dem Fenster flogen, als die Krise zuschlug? Leider aber wurde man die Probleme, die in den Lehrbüchern behandelt werden, auf diese Weise nicht los. Nur einmal angenommen, Washington hätte mit seinem Ansatz – dass ein von Panik in den Märkten bedrohtes Land am besten die Zinsen erhöht, die Staatsausgaben kürzt und die eigene Währung stützt, um eine katastrophale Krise zu verhindern – Recht gehabt: Nach wie vor bleibt die Tatsache, dass eine restriktive Geld- und Haushaltspolitik in Verbindung mit einer überbewerteten Währung zwangsläufig in eine Rezession führt. Welche Antwort hat Washington eigentlich darauf parat? Nun, gar keine! Die vermeintliche Notwendigkeit des »Vertrauensspiels« wischte alle anderweitigen Überlegungen und Belange, die bei der Festlegung einer Wirtschaftspolitik eine Rolle spielen sollten, schlicht vom Tisch. Das hört sich hirnrissig an und ist es auch. Dies beantwortet jene Frage, mit der Kapitel 4 schloss: Warum gelang es der Politik nicht, den verheerenden Rückkopplungsprozess, durch den eine Volkswirtschaft nach der anderen in die Katastrophe geriet, zu unterbinden? Die Erklärung lautet: Die politischen Entscheidungsträger glaubten, sich auf Gedeih und Verderb auf das Vertrauensspiel einlassen zu müssen. Die Folge war eine makroökonomische Politik, die konjunkturelle Abschwünge tatsächlich noch verstärkte, statt sie aufzufangen. Die Kernfrage lautet demnach: War es wirklich notwendig, sich auf das »Vertrauensspiel« einzulassen?
Goss der IWF noch Öl ins Feuer? Der Internationale Währungsfonds ist nicht sehr beliebt; alles andere wäre auch ein schlechtes Zeichen. Denn der IWF kann für die
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jeweilige Regierung immer nur die letzte Rettung sein, wenn es an Geld mangelt. Ein solcher Helfer der letzten Instanz verbindet seine Gabe in der Regel mit harten Auflagen: Der Bittsteller bekommt nur, was er unbedingt braucht, und auch nur dann, wenn er bereit ist, sich zu bessern. Ein warmherziger, karitativer IWF wäre keine gute Einrichtung. Der Umkehrschluss gilt aber nicht automatisch: Nur weil die Leute den IWF nicht besonders mögen, muss seine Politik noch lange nicht schlecht sein. Kritik an der Rolle des IWF gibt es freilich schon seit Beginn der Asienkrise. Nicht wenige glauben, der IWF (und das US-Schatzamt, das faktisch für seine Politik verantwortlich ist) habe die Krise sogar selbst verursacht oder jedenfalls entscheidend dazu beigetragen, dass die Verhältnisse so sehr aus dem Ruder liefen. Treffen diese Vorwürfe zu? Fangen wir mit dem leichteren Teil an. Zweierlei hat sich der IWF ganz klar zuschulden kommen lassen. Erstens hat er im Falle Thailands, Indonesiens und Koreas zunächst einmal Haushaltsdisziplin verlangt, das heißt Steuererhöhungen und Kürzung der Staatsausgaben, um die hohen Haushaltsdefizite zu senken. Kein vernünftiger Mensch vermag allerdings zu begreifen, warum dies die Hauptstrategie sein sollte, denn im Falle Asiens (wohlgemerkt im Unterschied zu Brasilien ein Jahr später) schien sich allein der IWF an den Haushaltsdefiziten zu stören. Die Bemühungen dieser Länder, die Haushaltsauflagen zu erfüllen, hatten indes eine doppelt negative Auswirkung: Wo sie erfolgreich waren, führten sie zu einem Nachfragerückgang und verschlimmerten dadurch die Rezession; wo sie nicht erfolgreich waren, verstärkte dies unnötigerweise noch den allgemeinen Eindruck, die Dinge seien außer Kontrolle geraten, und die Panik in den Märkten nahm noch zu. Zweitens machte der IWF »strukturelle« Reformen – also Maßnahmen, die weit über die Geld- und Fiskalpolitik hinausgingen – zur Bedingung für die Kredite. In manchen Punkten mögen die verlangten Reformen ja durchaus krisenrelevant gewesen
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sein – etwa die Schließung maroder Banken. Andere Punkte – zum Beispiel die Forderung, Indonesien müsse aufhören, der Präsidentenclique in bestimmten Geschäftszweigen lukrative Monopole einzuräumen – hatten wenig oder gar nichts mit den Aufgaben des IWF zu tun. Natürlich war das Gewürznelkenmonopol (die Indonesier pflegen die Zigaretten mit Gewürznelken zu veredeln) eine üble Sache und ein klassisches Beispiel für Vetternwirtschaft. Aber was, bitte schön, hatte dies mit dem Ansturm auf die Rupiah zu tun? Hätte man IWF-Offizielle damals nach den Gründen gefragt, hätten sie zweifellos geantwortet, dies alles sei Teil des Vertrauensbildungsprogramms. Die Haushaltsdefizite waren zwar aktuell für die Märkte kein Problem, doch der IWF war der Auffassung, dazu werde es bald kommen. Außerdem glaubte man, es komme für die betroffenen Länder darauf an, ihre Umkehr möglichst deutlich zu dokumentieren. Man könnte dies fast als Strategie der symbolischen Selbstkasteiung bezeichnen: Tu dir weh – ob dies nun mit den Ursachen der Krise etwas zu tun hat oder nicht –, um zu zeigen, dass du es ernst meinst! Nur so, glaubte man, könne das Vertrauen der Investoren zurückgewonnen werden. Falls das die Theorie gewesen sein sollte, dann war sie ziemlich falsch. Die Haushaltsauflagen wurden letztlich nämlich doch wieder gelockert, ohne dass davon groß Notiz genommen wurde. Die Märkte zeigten sich Korea gegenüber wieder von der freundlichen Seite, obwohl die strukturellen Reformen offenkundig zum Stillstand gekommen waren. Hinzu kommt, dass durch den schieren Umfang der IWF-Auflagen ein sich hinziehendes Gezänk zwischen den betroffenen asiatischen Ländern und ihren »Rettern« praktisch programmiert wurde, was die Vertrauenskrise nicht eben besänftigte, sondern im Gegenteil verstärkte. Ganz abgesehen übrigens von dem Verdacht, die Amerikaner benutzten die Krise, um Asien die eigene Ideologie aufzuzwingen. In zwei wesentlichen Punkten war der Hilfsplan des IWF also gründlich verpfuscht. Doch die zentralen Probleme betrafen na-
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türlich die Zinsen und Wechselkurse. Verhielt sich der IWF hier genauso stümperhaft? In Asien verfuhr der IWF insofern ein wenig anders als später in Brasilien (weshalb ich das brasilianische Paket auch eine Art Karikatur des Asienprogramms nannte), als er nicht darauf bestand, die Landeswährung müsse unter allen Umständen gestützt werden. Eine Anhebung der Zinssätze verlangte er allerdings auch hier – und zwar anfänglich auf ein sehr hohes Niveau, um Kapitalflucht zu verhindern. Einige der härtesten Kritiker des IWF – allen voran Jeffrey Sachs von der Harvard University – insistierten, dies sei genau die falsche Maßnahme. Sachs war der Ansicht, die asiatischen Länder hätten sich Australien zum Vorbild nehmen und ihre Währung einfach dem freien Fall überlassen sollen. Irgendwann wäre der Wechselkurs für die Anleger wieder Investitionsanreiz genug gewesen, und zur großen Krise wäre es nie gekommen. Der IWF hielt dem entgegen, Asien sei nicht Australien: Hätte man den Wechselkurs dem freien Markt überlassen, wäre eine »Hyperabwertung« die Folge gewesen, was eine doppelt negative Konsequenz gehabt hätte: massive Finanzprobleme (wegen der Dollar-Kredite vieler Unternehmen) plus galoppierende Inflation. Der Schwachpunkt dieser Argumentation liegt freilich darin, dass sich die massiven Finanznöte trotzdem einstellten – bedingt durch die hohen Zinssätze und die dadurch mit ausgelöste Rezession. Bestenfalls also flüchtete sich der IWF von einem Teufelskreis in einen anderen. Diese Feststellung untergräbt im Übrigen auch die IWF-Kritik vieler Rechter. Sie behaupten, es wäre besser gewesen, die ursprünglichen Wechselkurse unter allen Umständen zu halten. Nun, dies hätte vielleicht die Währungen dieser Länder vor einem Vertrauensverlust schützen können, nicht aber die jeweilige Volkswirtschaft! Zur harten Landung wäre es also sehr wahrscheinlich trotzdem gekommen. Wäre es also wirklich besser gewesen, die Währungen einfach fallen zu lassen? Sachs argumentierte, dass ein Verzicht auf eine
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Anhebung der Zinsen die bessere Strategie gewesen wäre, weil man so der Finanzmarktpanik weitgehend den Boden entzogen hätte. Resultat wäre seiner Ansicht nach eine maßvolle, verkraftbare Abwertung und ein weit besseres wirtschaftliches Ergebnis gewesen. Dieses Argument fanden damals, zum Zeitpunkt der Asienkrise, viele Beobachter (ich selbst eingeschlossen) wenig überzeugend. Seit Januar 1999 aber, als Brasilien von Washington ganz klar die falsche Medizin verabreicht bekam, stellt sich die Sache doch anders dar. Mehr dazu in Kapitel 7. Man muss aber wohl feststellen, dass es eine ideale, rundum glückliche Lösung offenbar nicht geben konnte. Die Regeln des internationalen Finanzsystems ließen den Entwicklungsländern anscheinend einfach keine Chance, ungeschoren davonzukommen. Insofern konnte eigentlich niemand etwas dafür, dass alles so miserabel ausging. Was allerdings nicht heißen soll, dass das Drama nicht doch seine Schurken hatte.
Kapitel 6
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In den schlechten alten Zeiten, vor dem Siegeszug des Kapitalismus, war die Gestalt des bösen Spekulanten – des schwerreichen Übeltäters, der die Märkte zum Nachteil aller rechtschaffenen Arbeiter manipuliert – ein gängiges massenkulturelles Phänomen. Doch mit dem Niedergang des Kommunismus, dem Erfolg der Globalisierung und dem neu erwachten Vertrauen in die freien Märkte ereilte die Figur des bösen Spekulanten das Schicksal der Hexen und Hexenmeister: Ernsthafte Menschen vermochten solchem Hokuspokus nichts mehr abzugewinnen. Niemand – außer ganz extremen Laisser-faire-Vertretern vielleicht – leugnete zwar, dass es mitunter zu Insidergeschäften kam oder dass ein Aktienkurs hier oder ein Rohstoffpreis dort manipuliert wurde. Doch derlei galt als Kavaliersdelikt; an Verschwörungstheorien der Art, dass das Schicksal ganzer Länder von den Finanztransaktionen einzelner Drahtzieher abhängen könnte, mochte niemand glauben – für so etwas hielt man die Märkte für viel zu groß. Insofern schien es einfach undenkbar, dass Einzelpersonen oder kleine Gruppen in der Lage sein könnten, den Währungskurs selbst einer nur mittelgroßen Volkswirtschaft nennenswert zu beeinflussen. Doch da irrte man möglicherweise. Einer der bizarrsten Aspekte der Wirtschaftskrise der neunziger Jahre war die markante Rolle der sogenannten Hedge-Fonds. Dabei handelt es sich um hoch spekulative, auf makroökonomische Entwicklungen setzende Invest-
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mentfirmen, die in der Lage sind, kurzfristig mit Summen zu operieren, die weit über das Einlagekapital hinausgehen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass solche Fonds den Weltmärkten hart zusetzten – im Erfolgsfall nicht weniger als im Fall des Scheiterns. Und in einigen Fällen zumindest hatte der böse Spekulant tatsächlich seine Finger im Spiel.
Hedge-Fonds: Was ist das eigentlich? Hedge-Fonds haben mit »Hedging« (Kurssicherungsgeschäften) überhaupt nichts zu tun. Eigentlich tun sie genau das Gegenteil. Wer »Hedging« betreibt, versucht potenzielle Verluste durch kompensatorische Gegengeschäfte (Wetten, Anlagen und so weiter) abzudecken. Hedging soll also sicherstellen, dass Marktschwankungen das eigene Vermögen möglichst nicht mindern. Hedge-Fonds hingegen versuchen gerade die Marktschwankungen optimal für sich zu nutzen. Die typische Strategie dabei ist, Verkaufspositionen (das heißt das Versprechen, Wertpapiere oder Waren zu einem späteren Termin zu einem bestimmten Preis zu liefern) mit Kaufpositionen zu kombinieren. Gewinne ergeben sich, wenn a) die auf Baisse verkauften Werte im Kurs fallen (sodass der Verkäufer sich zum Erfüllungstermin günstiger eindecken kann, als er liefern muss) oder b) die gekauften Werte im Kurs steigen oder c) beides zusammenfällt.
Exkurs Die Fachbegriffe »short« und »long« sind hier ziemlich wichtig und nützlich, deshalb einige Erläuterungen. Die Eröffnung von Kauf- oder LongPositionen bedeutet, dass der Anleger versucht, von künftig steigenden Kursen oder Preisen zu profitieren. Dies ist also die Strategie des gewöhnlichen Investors, der Wertpapiere, Grundstücke/Immobilien oder sonstige Anlagewerte erwirbt (sogenannte Hausse-Spekulation). Bei Verkaufs- oder
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Das Schöne an solchen Spekulationsgeschäften ist, dass sie den am Fonds beteiligten Investoren einen hohen Gewinn einbringen, wenn alles gut geht. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass der Fonds mit einer viel größeren Kapitalsumme als nur den Einlagegeldern der Anleger operieren kann, denn er finanziert seine Kaufpositionen im Wesentlichen aus den Mitteln, die er mit seinen Verkaufs- beziehungsweise Leerpositionen vereinnahmt. Streng genommen braucht solch ein Fonds für seine Geschäfte überhaupt kein Eigenkapital – oder höchstens insoweit, als er den Kontrahenten seiner Verkaufspositionen eine gewisse Sicherheit bieten muss, dass die Lieferung zum Erfüllungstermin gewährleistet ist. Das Ganze hängt also in gewisser Weise auch vom Ruf des Fonds ab. Hedge-Fonds mit einem guten Namen vermögen Positionen in einer Größenordnung aufzunehmen, die das Einlagekapital um das Hundertfache übersteigt. Dies bedeutet, dass ein nur einprozentiger Anstieg des Kurses der gekauften Werte beziehungsweise
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ein einprozentiger Rückgang des Kurses der Leerpositionswerte (sprich Verbindlichkeiten) das eigene Kapital verdoppelt. Das weniger Schöne an diesem Spiel ist natürlich, dass der Hedge-Fonds auch genauso kräftig verlieren kann. Marktbewegungen, die der normale Anleger gar nicht groß wahrnimmt, können einen Hedge-Fonds aufgrund der äußerst dünnen Eigenkapitaldecke sehr rasch die Existenz kosten oder auf jeden Fall dazu führen, dass er seine Short-Positionen verliert – weil jene Anleger, die dem Fonds Aktien oder sonstige Werte geliehen haben, Rückgabe verlangen. Wie groß sind Hedge-Fonds eigentlich? Niemand kann es genau sagen, weil es bislang niemand für notwendig hielt, der Frage nachzugehen. Tatsächlich blieben Hedge-Fonds ungeachtet gelegentlicher Warnungen seitens beunruhigter Ökonomen und trotz der Ereignisse, die ich gleich beschreiben werde, praktisch von jeder Regulierung verschont. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass Hedge-Fonds angesichts ihres begrenzten Eigenkapitalbedarfs und ihres kleinen Geldgeberkreises Steueroasen nutzen können und dies auch gern tun, sich also in Rechtsgebieten ansiedeln, in denen man ihnen möglichst wenig auf die Finger schaut. Dies würde zwar eine Überwachung ihrer Geschäftstätigkeit nicht gänzlich unmöglich, wohl aber schwierig machen. Und wie gesagt: Lange Zeit sah in den USA jedenfalls niemand eine besondere Veranlassung für solche Maßnahmen. So ganz verständlich war das allerdings nicht, denn bereits 1992 hatte ein berühmter Hedge-Fonds demonstriert, wie viel Einfluss ein stark mit Fremdkapital arbeitender Investor tatsächlich ausüben kann.
Die Legende George Soros George Soros, ein ungarischer Flüchtling, der in Amerika als Unternehmer reüssierte, gründete seinen Quantum Fund im Jahr
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1969. 1992 war er Milliardär, als Finanzgenie (»the world’s greatest investor«) bereits berühmt und darüber hinaus auch wegen seiner großzügigen und einfallsreichen Aktivitäten als Philanthrop gefeiert. Doch Soros – ein Mann nicht nur mit finanziellen, sondern auch intellektuellen Ambitionen, der auch als Philosoph Anerkennung sucht – wollte mehr. Nach eigenen Aussagen war er auf der Suche nach einem Geschäftscoup, der ihm nicht nur Geld, sondern auch einen großen Namen einbringen würde – Publizität, die er für seine außergeschäftlichen Ambitionen nutzen wollte. Die Gelegenheit bot sich ihm in jenem Sommer in Großbritannien. 1990 hatte sich das Land dem Europäischen Währungssystem (EWS) und dessen Wechselkursmechanismus (ERM) angeschlossen, einem System fester Wechselkurse, das als Zwischenstation auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Währung gedacht war. Doch wie die unzufriedenen Kontinente in unserer Globo-Parabel, so stellte auch Großbritannien bald fest, dass ihm die Währungspolitik, der es nun folgen musste, überhaupt nicht schmeckte. Damals war die Idee einer Europäischen Zentralbank noch Zukunftsmusik. Während theoretisch die rechtliche Fiktion einer Symmetrie zwischen den beteiligten Nationen galt, hatten sich in der Praxis jedoch alle nach der Geldpolitik der Deutschen Bundesbank zu richten. Deutschland aber befand sich damals in einer absoluten Sondersituation, da es aufgrund der Wiedervereinigung große Summen in den Aufbau Ost pumpen musste. Da die Bundesbank fürchtete, die damit verbundenen Ausgaben könnten die Inflation anheizen, hielt sie die Leitzinsen relativ hoch, um einer Überhitzung der Wirtschaft vorzubeugen. Mittlerweile aber befand sich Großbritannien, das sich dem EWS vermutlich sowieso zu einem zu hohen Wechselkurs angeschlossen hatte, in einer schweren Rezession, und in der Bevölkerung wuchs der Unmut. Regierungskreise versicherten zwar immer wieder, dass man nicht daran denke, aus dem EWS auszuscheren. Es blieben jedoch nagende Zweifel, ob dies von den Briten auch wirklich ernst gemeint war.
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Es war eine Situation wie maßgeschneidert für eine Währungskrise. Und Soros beschloss, nicht nur auf die Krise zu spekulieren, sondern sie eigenhändig herbeizuführen. Konzeptionell war die Sache relativ einfach; extrem schwierig aber war die Umsetzung. In der ersten Phase musste es sehr bedeckt, ja geheimniskrämerisch zugehen, da der Quantum Fund einen Kreditrahmen aufbauen musste, der es ihm erlaubte, britische Pfund im Gegenwert von 15 Milliarden Dollar aufzunehmen, um diese Summe anschließend nach Bedarf in Dollar umzutauschen. Sobald dies zu großen Teilen realisiert war – also Kaufpositionen in Dollar, Leerpositionen in Pfund bestanden –, folgte die zweite Phase. Soros begann lautstark zum Angriff auf das Pfund zu trommeln, sprach viel von Baisse-Spekulationen gegen das Pfund, gab in Interviews kund, das britische Pfund werde demnächst abgewertet – und so weiter. Ziel der Strategie war, die Finanzmärkte zu einem Ansturm auf das Pfund zu animieren, um so die britische Regierung zum Nachgeben – sprich: zur Abwertung – zu zwingen. Und die Spekulation ging auf. Soros begann seine lautstarke Attacke im August. Binnen weniger Wochen war Großbritannien gezwungen, fast 50 Milliarden Dollar auf den Devisenmärkten auszugeben, um das Pfund zu stützen, doch ohne Erfolg. Mitte September hob die Regierung die Zinsen an, um den Pfundkurs zu halten, doch dies erwies sich als politisch inopportun. Nach nur drei Tagen scherten die Briten aus dem Wechselkursmechanismus des EWS aus: Der Wechselkurs des Pfundes wurde freigegeben (und blieb es bis heute). Soros machte dieser Coup – angesichts eines Kapitalgewinns von rund einer Milliarde Dollar – nicht nur über Nacht steinreich, sondern auch zum berühmtesten Spekulanten aller Zeiten. Was aber hat Soros eigentlich getan? Wie muss man seine Aktion bewerten? Drei Grundfragen stellen sich hier. Erstens: Hat Soros eine Währung unterminiert, die andernfalls völlig stabil geblieben wäre? Wahrscheinlich nicht. Tatsache ist, dass das Pfund ohnehin immer mehr unter Druck geraten war, und viele
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Ökonomen (wiewohl nur wenige Marktteilnehmer) vermuteten bereits, dass die EWS-Tage der Briten gezählt seien. Diese Behauptung lässt sich zwar schwer beweisen, doch steht für mich fest, dass Großbritanniens Versuch, sich dem kontinentalen Währungsclub anzuschließen, von vornherein eine schlechte und daher zum Scheitern verurteilte Entscheidung war – mit oder ohne Soros. Zweitens: Hat Soros die Entwicklung nicht auf jeden Fall aber beschleunigt? Mit großer Sicherheit: ja. Die Frage ist nur, wie sehr. Auch hierzu lassen sich keine Belege anführen. Ich selber neige jedoch zu der Ansicht, dass die Briten aufgrund der gegebenen Umstände auf jeden Fall schon recht bald aus dem Wechselkursmechanismus ausgestiegen wären. Soros hat die Geschehnisse wohl lediglich um ein paar Wochen beschleunigt. Drittens: Hat Soros seinen Opfern Schaden zugefügt? Die Regierung von Premierminister John Major hat sich von dieser Demütigung zweifellos nie mehr erholt. Davon abgesehen jedoch lässt sich die These vertreten, dass Soros dem Land insgesamt einen Dienst erwies. Die Abwertung des Pfundes zog keineswegs eine Wirtschaftskrise nach sich; vielmehr stabilisierte sich der PfundKurs rasch auf einem etwa 15 Prozent niedrigeren Niveau. Befreit von dem Zwang, das Pfund stützen zu müssen, konnten die Briten nun auch die Zinssätze senken. (Schatzkanzler Norman Lamont frohlockte, er sei froh gewesen, als das Pfund endlich fiel – nachdem er allerdings wenige Tage zuvor noch öffentlich erklärt hatte, Großbritannien werde nie und nimmer aus dem EWS ausbrechen. Seine Freude war allerdings etwas voreilig; während die Briten im Allgemeinen von der Abwertung profitierten, sah er sich persönlich bald zum Rücktritt gezwungen.) Niedrigere Zinsen und ein wettbewerbsfähigerer Wechselkurs führten gemeinsam schon bald einen starken wirtschaftlichen Aufschwung herbei, sodass binnen weniger Jahre auch die Arbeitslosigkeit auf ein Niveau sank, von dem man in den Nachbarstaaten nicht einmal zu träumen wagte. Für den Durchschnittsbriten hatte Soros’ Attacke auf das Pfund also überwiegend positive Folgen.
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Soll das nun heißen, dass Soros eigentlich ein verkappter Wohltäter war? Nun, jene Europäer, denen an einer Währungsunion gelegen war, betrachteten die Ereignisse des Jahres 1992 natürlich als eine Tragödie. Insbesondere aus Frankreich vernahm man Stimmen, die die Währungsspekulanten zum Teufel wünschten, hatten die Franzosen doch ihrerseits in den Jahren 1992 und 1993 ähnliche Attacken abzuwehren (wobei der Wechselkurs des Franc zwar zunächst kurz freigegeben, dann aber wieder in den EWSWechselkursmechanismus zurückgeholt worden war). Doch in den führenden angelsächsischen Ländern ging die politische Diskussion relativ rasch über Soros« Handstreich hinweg; zumindest sah man darin in keiner Weise ein böses Omen. Dies alles änderte sich, als die Asienkrise hereinbrach. Und wie sich erweisen sollte, konnte eine solche Währungsspekulation noch ganz andere Folgen haben.
Der Wahnsinn von Premierminister Mahathir Versetzen wir uns einmal in die Situation: Er hatte die schwierigen, ethnisch geprägten politischen Prozesse seines Landes mit enorm viel Geschick gelenkt. Er hatte es geschafft, die malaiische Mehrheit des Landes mit einem Bodenprogramm (dem bumiputra-Programm) zu befrieden, das dieser Mehrheit eine bevorzugte wirtschaftliche Behandlung garantierte, ohne aber die als Wirtschaftsfaktor sehr wichtige Minorität chinesischer Händler aus dem Land zu treiben. Er hatte Malaysia zu einem bei multinationalen Firmen beliebten Standort gemacht; gleichzeitig war es ihm aber gelungen, eine unabhängige, tendenziell antiwestliche Außenpolitik zu verfolgen, die der überwiegend islamischen Bevölkerung keine Bauchschmerzen bereitete. Und nicht zuletzt hatte das Land unter seiner Führung voll am »asiatischen Wunder« partizipiert: Als es mit der Wirtschaft steil nach oben ging, gaben sich interessierte ausländische Geschäftsleute – von Bill Gates ab-
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wärts – die Klinke in die Hand, sodass Mahathir im Sommer 1997 vom Magazin Time zu den 100 bedeutendsten »Technologieführern« der Welt gerechnet wurde. Nun ja, es gab auch Kritik. Einige seiner Freunde sowie Mitglieder seines Clans schienen auf ziemlich elegante Weise reich geworden zu sein. Einige Ausländer wiederum warfen ihm Größenwahnsinn vor, weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte, das größte Gebäude der Welt und eine neue Hauptstadt zu bauen sowie einen massiven neuen »Technologiekorridor« einzurichten. Im Großen und Ganzen aber hatte Mahathir allen Grund, mit dem Erreichten hoch zufrieden zu sein. Dann aber wendete sich alles schockartig zum Schlechten. Seine undisziplinierten Nachbarn hatten mit einer Währungskrise zu kämpfen – nun, das war zunächst ja ihr eigenes Problem. Plötzlich aber setzte auch in Malaysia die Kapitalflucht ein, und Mahathir sah sich vor zwei demütigende Alternativen gestellt: entweder die Währung abrutschen zu lassen oder die Zinsen zu erhöhen. Beide Optionen würden die Wirtschaft schwer belasten und viele der mühsam aufgebauten Unternehmen in arge Finanznöte stürzen. Irgendwie kann man daher schon verstehen, dass Mohamad Mahathir, Malaysias Ministerpräsident, für Verschwörungstheorien zugänglich war. Schließlich war ja auch allgemein bekannt, dass George Soros fünf Jahre zuvor den Ansturm auf das britische Pfund eingefädelt hatte; und ebenso klar war, dass der Quantum Fund in den letzten Jahren in südostasiatischen Währungen spekuliert hatte. Nichts lag also näher, als den berühmten Spekulanten für die Nöte des Landes verantwortlich zu machen. Man könnte darin sogar eine Art poetischer Gerechtigkeit sehen: Soros hatte seinen eigenen Aussagen zufolge das Pfund ja mindestens so sehr aus Geltungs- wie aus Geldgründen aufs Korn genommen. Insofern bekam er jetzt nur, was er verdiente. Trotzdem hätte Mahathir sicherlich besser geschwiegen. Zu einer Zeit, als es mit dem Vertrauen in seine Wirtschaft bergab
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ging, war ein offen mit dem Vorwurf einer amerikanischen – ja implizit sogar jüdischen! – Konspiration zu Felde ziehender Premierminister gewiss keine Werbung für das Land. Zumal der Vorwurf mit Sicherheit nicht zutraf. Der Quantum Fund mag ja gegen Thailand spekuliert haben, doch das taten viele andere Investoren auch. Die spekulative Kapitalflucht hingegen geht, wie sich herausstellte, hauptsächlich auf das Konto der Malaysier selbst – insbesondere einiger jener Geschäftsleute, die dank Mahathirs Protektion reich geworden waren. Dennoch steckte Mahathir keinen Deut zurück und griff Soros in Reden und Pressekonferenzen immer wieder an. Erst nach mehreren Monaten, als sich der Zustand der malaysischen Wirtschaft drastisch zu verschlechtern begann, besann er sich, wohl aus Angst, die Märkte zu verprellen. Vielleicht merkte er auch endlich, für wie absurd seine Vorwürfe allgemein gehalten wurden. Verschwörungen solchen Kalibers gibt es in der realen Welt doch einfach nicht. Dann aber kam es wirklich zu einer.
Die Attacke auf Hongkong Hongkong hatte schon immer einen besonderen Platz in den Herzen der Marktenthusiasten. Zu einer Zeit, als die meisten Entwicklungsländer glaubten, Protektionismus und staatliche Planung seien der einzig richtige Weg, setzte Hongkong auf freien Handel und freies Unternehmertum – und bewies damit, dass eine weit offene Wirtschaft zu Wachstumsraten in der Lage war, die Entwicklungstheoretiker eigentlich für unmöglich gehalten hatten. Der Stadtstaat brachte auch Währungsräte (currency boards) wieder in Mode, die einige Konservative ja gern als ersten Schritt auf dem Weg zurück zum Goldstandard feierten. Jahr für Jahr genoss Hongkong daher einen Spitzenplatz auf der Werteskala des von der konservativen Heritage Foundation erstellten »Index wirtschaftlicher Freiheit«.
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Doch Hongkong blieb von der Asienkrise nicht unberührt, wiewohl man dem Stadtstaat kaum eigene Fehler anlasten kann. Mehr als in jeder anderen Volkswirtschaft der Region galten in Hongkong rechtsstaatliche Prinzipien, die Bankenaufsicht funktionierte, die Haushaltspolitik war konservativ-solide. Anzeichen von Vetternwirtschaft gab es vor der Krise kaum, und auch die Kapitalflucht hielt sich – im ersten Jahr jedenfalls – in sehr engen Grenzen. Nur das Umfeld stimmte eben nicht. Als es bei den Nachbarn ringsum kriselte, ging es auch mit Hongkongs Geschäften bergab: Die Japaner kamen nicht mehr zu ihren Einkaufstouren herüber, die Dienstleistungen von Hongkongs Banken waren bei den südostasiatischen Unternehmen immer weniger gefragt. Verschlimmernd hinzu kam Hongkongs rigides Währungsratsystem, durch das die Währung zum festen Kurs von 7,8 an den US-Dollar gebunden war und blieb, selbst als fast alle anderen asiatischen Länder abwerteten. Plötzlich also war Hongkong viel teurer als Bangkok oder selbst Tokio. Ergebnis war ein sich beschleunigender konjunktureller Niedergang – der schlimmste, den man je erlebt hatte. So war es unvermeidlich, dass sich Zweifel zu regen begannen. Würde Hongkong seinen Wechselkurs wirklich auf Biegen und Brechen verteidigen? Geschäftsleute der Stadt drängten die Währungsbehörde ganz offen zu einer Abwertung, um die kostenseitige Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Derlei Forderungen wurden jedoch zurückgewiesen, und die Regierung erklärte den Wechselkurs für unantastbar. Freilich war dies bei Großbritannien 1992 nicht anders gewesen. Außerdem stellte sich die Frage nach China. Asiens Gigant war von der ersten Krisenwelle weitgehend verschont geblieben, hauptsächlich dank seiner Devisenbewirtschaftung. Doch im Sommer 1998 zeigte auch China Anzeichen eines konjunkturellen Abschwungs, begleitet von Gerüchten über eine möglicherweise bevorstehende Abwertung – was Hongkong noch weit stärker unter Druck brachte. Viele betrachteten diese Entwicklung wohl mit Sorge; für einige Hedge-Fonds indes war es eine günstige Gelegenheit.
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Zu den Ereignissen vom August und September 1998 gibt es verständlicherweise keine harten Zahlen und Belege. Ich kann daher nur versuchen, die Entwicklung anhand der Schilderungen von Beteiligten – Hongkonger Regierungsvertretern und Marktteilnehmern – nachzuzeichnen. Eine kleine Gruppe von HedgeFonds – mit Sicherheit beteiligt waren Soros« Quantum Fund und Julian Robertsons zwar weniger bekannter, aber ebenso einflussreicher Tiger Fund, vielleicht noch zwei oder drei andere – begann ein »Doppelspiel« gegen Hongkong. Sie eröffneten Leerpositionen mit Hongkong-Werten – liehen sich diese Werte also von ihren Inhabern und verkauften sie dann gegen Hongkong-Dollar (mit dem Versprechen an die Besitzer, die Aktien später zurückzukaufen und zurückzugeben, verbunden natürlich mit einer »Leihgebühr« für die zwischenzeitliche Nutzung). Anschließend wechselten sie die durch den Verkauf erworbenen HK-Dollar in US-Dollar um. Die Fonds spekulierten also darauf, dass eine der beiden folgenden Situationen eintreten würde: Entweder es kam zu einer Abwertung des Hongkong-Dollar; in diesem Fall würde die Währungsspekulation aufgehen. Oder Hongkongs Währungsbehörde würde die Zinsen anheben, um die eigene Währung (den HK-Dollar) zu stützen; in diesem Fall würden die Börsenkurse nachgeben und die Leerpositionen würden das große Geld bringen. Doch nach Ansicht von Hongkonger Regierungskreisen spekulierten die Hedge-Fonds nicht nur auf das Eintreten dieser Ereignisse, sondern versuchten darüber hinaus auch, sie – wie Soros 1992 – aktiv herbeizuführen. Die HK-Dollar-Verkäufe erfolgten demonstrativ – in großen Blöcken und regelmäßigen Abständen, damit es auch tatsächlich auffiel. Ferner behaupteten Regierungsvertreter (ohne direkt Namen zu nennen), dass die Hedge-Fonds Reporter und Redakteure schmierten, um Berichte in Umlauf zu bringen, denen zufolge der Hongkong-Dollar oder der chinesische Renminbi oder beide vor einer Abwertung stünden. Mit anderen Worten: Sie versuchten absichtlich, einen Ansturm auf Hongkongs Währung auszulösen.
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Haben die Hedge-Fonds tatsächlich konspiriert? Nun, möglich ist es schon. Denn während auf eine explizite Absprache, den Kurs etwa der Microsoft-Aktie zu manipulieren, Gefängnis steht, fällt eine vergleichbare Verschwörung gegen die Hongkonger Börse (die 1998 etwa dieselbe Kapitalisierung aufwies) offenbar durch das juristische Sieb. Wahrscheinlicher aber ist eine informelle Koordination der Aktionen zwischen den Hauptbeteiligten, etwa in Form gewisser Andeutungen bei einer Runde Golf oder einer schönen Flasche Wein. Es war ja ein relativ kleiner Kreis von Beteiligten, und sie alle beherrschten das Spiel aus dem Effeff. Tatsächlich sahen einige Beobachter sogar Anzeichen für einen noch größeren Coup. Die Vier von Hongkong (oder die Fünf, je nachdem) hatten parallel noch andere Aktionen laufen. Sie besaßen Leerpositionen in Yen (weil die Zinsen in Japan niedrig waren und die Möglichkeit bestand, dass neben dem Hongkong-Dollar auch der Yen nachgeben würde), aber auch in australischen und kanadischen Dollar und so fort. Und tatsächlich wurden auch bei einigen dieser anderen Währungen demonstrative Verkäufe initiiert. Insofern ist es denkbar, dass Hongkong nur das Kernstück eines Coups gegen fast die gesamte asiatisch-pazifische Region war. Möglicherweise also handelte es sich um die größte Marktkonspiration aller Zeiten. Und es sah alles ganz nach Erfolg aus. Was blieb Hongkong auch übrig? Seine Börse war zwar im Vergleich mit denen anderer Entwicklungsländer recht groß, doch noch um einiges bedeutender waren die Mittel der Hedge-Fonds. Berichten zufolge sollen die Leerpositionen der angeblichen Konspirateure zusammengenommen etwa 30 Milliarden US-Dollar wert gewesen sein, was an der USBörse Leerverkäufen in Höhe von etwa 1,5 Billionen US-Dollar entspräche. Hinzu kam, dass die Hongkonger Börse sehr offen war (und wohl auch bleiben wird): Die Stadt lebt ja geradezu von ihrem liberalen Ruf, sodass staatliche Interventionen beziehungsweise Kapitalverkehrskontrollen kaum zu befürchten waren. Insgesamt also war es ein cleverer Plan; die Erfolgschancen standen ausgezeichnet.
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Wider Erwarten aber setzte sich Hongkong zur Wehr. Seine Hauptwaffe war eine unkonventionelle Verwendung der Mittel der Währungsbehörde. Und wie sich herausstellte, waren diese gewaltig. Bekanntlich besaß Hongkong ja einen Währungsrat, sodass 7,8 umlaufenden HK-Dollar ohnehin jeweils ein US-Dollar als Reserve gegenüberstand. Tatsächlich aber hatte die Währungsbehörde noch weit mehr Dollar in der Rückhand. Wie konnte dieses Kapital nun zum Schutz gegen die Hedge-Fonds eingesetzt werden? Ganz einfach: Man kaufte damit einheimische Aktien, um deren Kurs nach oben zu treiben und den Fonds – die hier ja Leerpositionen hatten – Verluste zuzufügen. Um wirksam zu sein, verlangte diese Strategie allerdings Käufe in erheblicher Größenordnung – einem Volumen, das mindestens dem der Baisse-Verkäufe (Leerpositionen) der Hedge-Fonds entsprach oder dieses gar überstieg. Doch die Behörde war dazu allemal in der Lage. Warum aber hatten die Hedge-Fonds mit so etwas nicht gerechnet? Nun, weil sie glaubten, Hongkongs Regierung würde es nicht wagen, ihren marktwirtschaftlichen Ruf aufs Spiel zu setzen und sich von aufgebrachten Konservativen den Vorwurf der Marktmanipulation einzuhandeln. Und die Reaktionen gingen auch durchaus in diese Richtung. Milton Friedman titulierte die Maßnahmen als »Verrücktheit«, und die Heritage Foundation entzog dem Stadtstaat prompt ihren Status als Bastion der Wirtschaftsfreiheit. In Zeitungsberichten fand sich Hongkong in eine Reihe mit Malaysia gestellt, das kurz zuvor zu drakonischen Kapitalverkehrskontrollen gegriffen hatte. Finanzminister Donald Tsang klapperte daraufhin die Welt ab, um den Anlegern die Situation zu erklären und zu versichern, dass seine Regierung so prokapitalistisch eingestellt sei wie eh und je. Doch es war für Tsang eine schwierige Mission. Eine Zeit lang glaubten die Hedge-Fonds, die hervorgerufenen Reaktionen würden Hongkong doch noch zum Einlenken zwingen. Sie verlängerten ihre Leerpositionen (zahlten den jeweiligen Papierinhabern also eine zusätzliche Gebühr für das Recht, die
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Rückgabe hinauszuschieben) und versuchten, die Sache einfach auszusitzen. Die Regierung aber legte sogar nach und beschränkte Baisse-Spekulationsgeschäfte beziehungsweise Leerverkäufe auf dem Verordnungswege. Jene Anleger, die ihre Aktien an die Fonds verliehen hatten, waren dadurch gezwungen, sie sofort zurückzufordern. Was wiederum die Hedge-Fonds zwang, ihre Leerpositionen zu liquidieren. Natürlich löste dies alles einen weiteren Aufschrei der Empörung aus. Dann aber traten die Geschehnisse in Hongkong etwas in den Hintergrund, weil eine bizarre, weltweite Serie von Ereignissen die Hedge-Fonds selbst zwang, ihre Aktivitäten zurückzufahren.
Die Potemkinsche Wirtschaft Im Jahre 1787 bereiste die russische Kaiserin Katharina die Große die südlichen Provinzen ihres Reiches. Der Legende zufolge reiste ihr engster Berater, Fürst Grigorij Aleksandrowitsch Potemkin, einen Tag voraus, um in den armen Dörfern falsche Fassaden aufzubauen und der Kaiserin Wohlstand vorzutäuschen. Anschließend wurden die Attrappen rasch abgebaut, zum nächsten Ort transportiert und dort wieder aufgestellt. Seither steht der Ausdruck »Potemkinsches Dorf« für Blendwerk und schönen Schein. Insofern lässt sich also mit einigem Recht behaupten, Russland selbst habe sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zu einer Art Potemkinscher Wirtschaft entwickelt. Alle Länder hatten mit dem Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus ihre Schwierigkeiten, doch Russland fiel dies offenbar besonders schwer. Über Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus schien die Wirtschaft in einem Ausnahmezustand zu verharren: Die zentralen Planer und Lenker waren weg, doch ein funktionierendes Marktsystem fehlte noch immer. Selbst auf das, was früher wenigstens einigermaßen klappte, war kein Verlass mehr: Fabriken, die früher immerhin Güter mäßiger Qualität
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herstellten, produzierten nun gar nichts mehr, und die Kolchosen waren noch weniger produktiv als je zuvor. Die tristen Breschnew-Jahre begannen sich demgegenüber wie eine goldene Zeit auszunehmen. Zwar gab es Hunderttausende hoch qualifizierter Programmierer, Ingenieure, Wissenschaftler und Mathematiker, doch keine vernünftige Arbeit für sie. Es war ein trauriger Zustand, in dem sich Russland befand, aber einen letzten Trumpf besaß es: Als Erbe der Sowjetunion verfügt es noch immer über ein massives Arsenal an Atomwaffen. Zwar drohten die Russen nicht explizit damit, diese Waffen meistbietend zu verkaufen, doch allein die Möglichkeit als solche war für den Westen – und insbesondere die USA – Grund genug, zu vielem eine gute Miene zu machen. Lange nachdem von den meisten Sachkennern nur noch bissige Kommentare zu hören waren, blieben die Vereinigten Staaten unbeirrt bei ihrer Hoffnung, dass es Russlands Reformern irgendwie gelingen würde, den ins Stocken geratenen Prozess des Übergangs doch noch zu Ende zu führen, und dass die Oligarchenclique aufhören würde, sich so raffgierig und vor allem so kurzsichtig zu verhalten. Deshalb drängte die USRegierung den IWF, Russland Mittel bereitzustellen. Man wollte Zeit gewinnen für Stabilisierungspläne, aus denen letztlich leider aber doch nichts wurde. (Der Medley Report, ein internationales Wirtschaftsblatt, meinte dazu süffisant, es sei wohl so, dass man das Geld weniger zum Fenster hinaus- als vielmehr in ein Raketensilo hineinwerfe.) Die offenkundige Fähigkeit der Russen, ihre Atomwaffen gleichsam als Pfand einzusetzen, animierte wiederum risikofreudige ausländische Investoren, sich in Russland zu engagieren. Jeder wusste, dass eine – vielleicht massive – Abwertung des Rubel im Bereich des Möglichen lag oder dass der russische Staat irgendwann einfach pleite sein könnte. Man baute jedoch darauf, dass der Westen es gar nicht so weit kommen lassen, sondern rechtzeitig mit einem weiteren Notkredit einspringen würde. Und da ja russische Staatspapiere mit extrem hohen Zinssätzen lockten
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(zum Schluss waren es 150 Prozent), war dies für hoch risikobereite Investoren – insbesondere Hedge-Fonds – ein gefundenes Fressen. Doch die Rechnung der Spekulanten ging diesmal nicht auf. Im Sommer 1998 spitzte sich Russlands finanzielle Situation rascher zu als erwartet. Im August machte George Soros (!) öffentlich den Vorschlag, Russland solle den Rubel abwerten und einen Währungsrat installieren. Dies hatte einen Ansturm auf den Rubel, eine missratene Abwertung mexikanischen Stils und schließlich eine Mischung aus Währungszusammenbruch und Schuldenmoratorium zur Folge. Der Westen hatte offenkundig aber die Nase voll: Ein Hilfspaket gab es dieses Mal nicht. Plötzlich also bekam man für seine Forderungen an den russischen Staat allenfalls noch einen Bruchteil ihres Nennwerts (sofern sich überhaupt noch Käufer fanden) – Milliarden Dollar waren verloren. (Was passierte eigentlich mit jener »Sicherheit« – den Nuklearwaffen –, mag man sich fragen. Doch vergessen wir’s lieber!) Rein von ihrem Dollarwert her gesehen waren die Verluste in Russland allerdings eher unbedeutend – nicht mehr als das, was beispielsweise an der Wall Street verloren geht, wenn der Index um den Bruchteil eines Prozents nachgibt, was ja praktisch jeden zweiten Tag vorkommt. Der Unterschied ist jedoch, dass die Russland-Verluste eine kleine Gruppe von Marktteilnehmern betrafen, die mit einem hohen Fremdkapitalanteil arbeiteten, was sich ganz unverhältnismäßig stark auf den Rest der Welt auswirkte. Einige Wochen lang sah es tatsächlich so aus, als würde Russlands Finanzkollaps die ganze Welt in den Abgrund reißen.
Die Panik des Jahres 1998 Im Sommer 1998 waren die Bilanzen der Hedge-Fonds weltweit nicht nur ziemlich voluminös, sondern auch enorm komplex. Gleichwohl war ein Muster erkennbar. In der Regel besaßen diese Fonds Leer- beziehungsweise Verkaufspositionen in sicheren und
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liquiden Papieren, bei denen also nicht die Gefahr eines Wertverlusts bestand und die leicht zu verkaufen waren, falls man die Mittel benötigte. Gleichzeitig besaßen sie Kaufpositionen in riskanten und kaum marktgängigen Werten. Typisch waren etwa Leerpositionen in deutschen Staatstiteln (die als sicher und leicht veräußerbar gelten) und Kaufpositionen in hypothekarisch gedeckten, also über die Möglichkeit des Rückgriffs auf Immobilienvermögen gesicherten dänischen Papieren (die etwas riskanter und kurzfristig sehr viel schwieriger zu veräußern sind). Ein anderes Beispiel wären japanische Staatsanleihen als Leerpositionen; und russische Staatstitel als Kaufpositionen. Der grundlegende Sachverhalt hierbei war, dass die Märkte herkömmlicherweise dazu tendierten, sowohl Sicherheit als auch Liquidität mit einer relativ hohen Prämie zu belegen, weil Kleinanleger risikoscheu sind und nie genau wissen, wann sie ihr Geld brauchen und ihre Positionen glattstellen müssen. Dies kam großen Marktteilnehmern entgegen, denn sie waren in der Lage, durch sorgfältige Diversifizierung (das heißt Ankauf eines Mix von Werten, sodass Verluste im einen Bereich normalerweise durch Gewinne in einem anderen Bereich ausgeglichen werden) das Risiko zu minimieren; außerdem war bei ihnen die Gefahr eines plötzlichen Liquiditätsengpasses relativ gering. Hauptsächlich durch Ausnutzung dieser Spielräume machten die Hedge-Fonds also Jahr für Jahr so viel Gewinn. Bis 1998 allerdings hatten sich viele etabliert, die nach diesem Muster verfuhren, und die Konkurrenz unter den Hedge-Fonds selbst schränkte auch die Profitmöglichkeiten zunehmend ein. Es gab sogar Hedge-Fonds, die den Anlegern ihr Kapital zurückgaben, weil sie nicht genug gewinnträchtige Anlagemöglichkeiten sahen. Andere wiederum suchten nach neuen Wegen, indem sie sich noch stärker verausgabten und komplexe Positionen aufnahmen, die auf den ersten Blick zwar sehr riskant aussahen, aber angeblich so clever ausgetüftelt waren, dass sich die Verlustrisiken in relativ engen Grenzen hielten.
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Was man erst begriff, als es krachte, war, dass der Konkurrenzkampf unter den Hedge-Fonds um die zunehmend geringeren Profitchancen einen Mechanismus in Gang gesetzt hatte, der sich irgendwann verheerend auswirken musste. Und so ungefähr spielte sich das Drama ab. Nehmen wir an, ein Hedge-Fonds – nennen wir ihn Relativity Fund – setzt auf russische Staatstitel und hat sich eine umfangreiche Position zugelegt. Plötzlich aber wird Russland zahlungsunfähig, und der Fonds macht Riesenverluste, sagen wir eine Milliarde Dollar. Dies macht die Kontrahenten seiner Leerpositionen – jene Anleger also, die dem Fonds Aktien und Anleihen für eine bestimmte Zeit geliehen haben – nervös, und sie verlangen ihre Werte zurück. Der Relativity Fund hat diese Papiere aber nicht im Depot, folglich muss er sich erst eindecken (sie also zurückkaufen). Doch dafür braucht er Kapital, weshalb er andere Positionen auflösen muss. Da der Fonds aber mit einem sehr großen Volumen operiert, bleiben seine Verkäufe nicht ohne Konsequenz – die Kurse der entsprechenden Papiere sinken. Ein Konkurrenzfonds – nennen wir ihn Pussycat Fund – hat allerdings ebenfalls in viele jener Papiere investiert, die der Relativity Fund jetzt abstößt. Diese plötzlichen massiven Verkäufe bescheren aber auch dem Pussycat Fund große Verluste, sodass auch er sich gezwungen sieht, seine Leerpositionen durch Verkauf anderer Anlagewerte zu decken (das heißt Liquidierung von Kaufpositionen, um Deckungskäufe vornehmen zu können). Dies löst eine weitere Kettenreaktion aus, da auch die Kurse dieser Papiere nun fallen und zum Beispiel einem dritten Fonds – nennen wir ihn Elizabethan Fund – Probleme bescheren ... und so fort. Wenn Sie dies an die Asienkrise erinnert (wie in Kapitel 4 geschildert), dann ist das kein Zufall. Im Grunde handelt es sich in beiden Fällen um den gleichen Prozess: fallende Kurse gepaart mit einstürzenden Bilanzen – einen Teufelskreis des Deleveraging (Abbau von Kreditpositionen mit gleichzeitigem Wertverfall der Aktiva infolge einer Abwärtsspirale). Niemand hielt so etwas in
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der modernen Welt für möglich – doch es war möglich, und die Konsequenzen waren verheerend. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Hedge-Fonds so emsig damit beschäftigt gewesen waren, die Liquiditäts- und Risikoprämien wegzuarbitrieren, dass sie bei vielen schwer veräußerbaren Werten den Markt schließlich unter sich ausmachten. Als sie nun aber alle gleichzeitig zu verkaufen versuchten, gab es keine anderweitigen Käufer. Nach Jahren ständigen Rückgangs schossen die Liquiditäts- und Risikoprämien nun plötzlich extrem in die Höhe, als Hedge-Fonds gezwungen waren, ihre Positionen glattzustellen. US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 29 Jahren – vollkommen sichere Papiere, denn wenn der amerikanische Staat in die Knie geht, ist auch manch anderes nicht mehr zu retten – wurden zu beträchtlich höheren Zinssätzen gehandelt als jene mit dreißigjähriger Laufzeit, die in einem größeren Markt gehandelt werden und daher etwas leichter zu veräußern sind. Industrieanleihen bieten in der Regel sowieso höhere Renditen als etwa US-Staatsanleihen, doch die Differenz hatte sich nun plötzlich auf mehrere Prozentpunkte ausgedehnt. Und hypothekarisch gedeckte gewerbliche Anleihen schließlich – jene Instrumente also, mit denen indirekt die meisten Industriebauten finanziert werden – ließen sich überhaupt nicht mehr verkaufen. Ich erinnere mich noch gut an eine Sitzung, bei der ein Notenbank-Vertreter auf die Frage, was man angesichts dieser Situation denn tun könne, nur antwortete: »Beten.« Glücklicherweise aber tat die Fed doch mehr als das. Erstens plante und initiierte sie eine Stützungsaktion für den bekanntesten der in Not geratenen Hedge-Fonds, die Firma Long-Term Capital Management (LTCM) aus Connecticut. Die LTCM-Geschichte ist noch bemerkenswerter als die des legendären George Soros. Soros ist eine Figur, die in einer langen Tradition steht, jener des schillernden, draufgängerischen Finanzhelden (vom Schlage eines Jim Fisk oder Jay Gould, das heißt der großen amerikanischen Finanziers und »Raubritter«-Symbolfigu-
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ren des neunzehnten Jahrhunderts). Die LTCM-Manager hingegen waren moderne Typen: unauffällige Cleverlinge, die mit Formeln und Computern arbeiteten, um den Marktmechanismen auf die Spur zu kommen. Dem Unternehmen gehörten sogar zwei Nobelpreisträger und viele von deren besten Studenten an. Sie alle waren überzeugt davon, dass sich durch sorgfältiges Studium der historischen Trends und Entwicklungszusammenhänge Portefeuilles zusammenstellen lassen – Leerpositionen hier, Kaufpositionen dort –, mit denen exzellente Renditen bei minimalem Risiko zu erzielen sind. Über viele Jahre hinweg waren die Ergebnisse des Fonds auch durchweg so ausgezeichnet, dass die Anleger schließlich wohl gar nicht mehr zu fragen wagten, ob das Unternehmen denn auch über genug Kapital verfügte, um als seriöser Partner gelten zu können. Dann aber spielten die Märkte verrückt. Noch immer ist unklar, ob es sich bei den Verlusten, die LTCM erlitt, um einmalige, unvorhersehbare Vorgänge handelte oder ob die Computermodelle inadäquat waren, weil sie gelegentliche starke Marktstörungen unberücksichtigt ließen. (Und falls Letzteres zutrifft, stellt sich die Frage, ob Absicht dahintersteckte, also wieder einmal Verführung zum Risiko im Spiel war.) Wie auch immer die Ursachen, im September jedenfalls sah sich das Unternehmen seitens der Kapitalgeber mit Nachschussforderungen konfrontiert (also Forderungen nach sofortiger Erhöhung der Barrücklagen oder andernfalls vollständiger Rückzahlung), denen es nicht nachzukommen vermochte. Plötzlich wurde offenbar, dass LTCM inzwischen ein so großer Marktteilnehmer war, dass ein Bankrott der Firma (und die damit verbundene Schließung ihrer Positionen) in den Märkten eine Riesenpanik auslösen würde. Es musste also etwas geschehen. Am Ende ging es dann aber doch ohne öffentliche Mittel ab, da es der Fed gelang, eine Bankengruppe zu bewegen, die Mehrheit an LTCM zu übernehmen und im Gegenzug die dringend benötigten Mittel bereitzustellen. Wie
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sich nach Abkühlung der Märkte herausstellte, war dies für die beteiligten Banken letztlich ein ganz gutes Geschäft. Trotz erfolgreicher Rettung des LTCM-Fonds aber war noch längst nicht alles in trockenen Tüchern. Als die Federal Reserve auf ihrer regulären September-Sitzung die Leitzinsen lediglich um 0,25 Prozent senkte, reagierten die Märkte enttäuscht, und die noch immer schwierige Lage drohte erneut zu eskalieren. Plötzlich häuften sich Vergleiche mit der Finanzkrise und den Bankenanstürmen der dreißiger Jahre, welche die USA (und die Welt) in die Große Depression gestürzt hatten. J. P. Morgan ging gar so weit, für 1999 unverblümt eine schwere Rezession vorauszusagen. Doch die Fed hatte noch einen Joker im Ärmel. Normalerweise werden Zinssenkungen vom Offenmarktausschuss beschlossen, der etwa alle sechs Wochen tagt. Auf jener September-Sitzung jedoch hatte der Ausschuss Alan Greenspan Vollmacht erteilt, die Zinssätze bei Bedarf um einen weiteren viertel Prozentpunkt zu senken. Von dieser Möglichkeit machte Greenspan am 15. Oktober zur Überraschung der Märkte Gebrauch – und siehe da, die Kurse erholten sich. Und als die Fed auf der darauf folgenden Sitzung noch einmal eine Senkung vornahm, schlug die Panik plötzlich in Euphorie um. Bis Ende 1998 war von ungewöhnlichen Liquiditätsprämien nichts mehr zu sehen, und die Börsenkurse kletterten auf neue Höchststände. Auch heute noch wundern sich viele bei der Fed, dass die Rettungsaktion so ausgezeichnet verlief. Auf dem Höhepunkt der Krise konnte man durchaus glauben, eine Senkung der Zinsen werde diesmal wenig bewegen – denn wenn gar keine Kreditaufnahmen möglich sind, ist es im Grunde auch ziemlich egal, wie hoch die Zinssätze stehen. Und wenn sich eine allgemeine Untergangsstimmung nebst entsprechender Panik eingestellt hätte, hätte daraus in der Tat sehr rasch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden können, wie in so vielen anderen Ländern geschehen. In der Rückschau erscheint Greenspan wie ein General, der an der Spitze eines entmutigten Heeres reitend das Schwert
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hebt und seine Mannen zu neuen Taten anspornt – und auf wundersame Weise wendet sich das Blatt tatsächlich. Gut gemacht, kann man da nur sagen, aber verlassen wir uns besser nicht ein zweites Mal darauf! Nicht umsonst sah man es bei der Fed nicht so gern, dass ihr die Öffentlichkeit fast göttliche Fähigkeiten zuschrieb. Dies schaffe Raum für Sorglosigkeit, für eine neue Form der Verführung zum Risiko, fürchtete ein Greenspan-Berater, weil man sich allgemein darauf verlasse, dass die Fed die Wirtschaft und die Märkte schlicht aus jeder Krise heraushauen könne. Und tatsächlich wurde die begrenzte Macht der Fed nur allzu deutlich, als die Krise des Jahres 2008 zuschlug. Bevor wir uns diesem Thema zuwenden, wollen wir uns zunächst mit der Legende Alan Greenspan und der Frage befassen, weshalb alles schiefging.
Kapitel 7
Greenspans Blasen
Über achtzehn Jahre lang, vom Mai 1987 bis Januar 2006, war Alan Greenspan Vorsitzender des Direktoriums der US-Notenbank Federal Reserve. Allein diese Position machte ihn zu einem der mächtigsten Finanzverantwortlichen der Welt. Doch der Einfluss Greenspans ging weit über seinen amtlichen Zuständigkeitsbereich hinaus: Er war der Maestro, das Orakel, das führende Mitglied des Komitees zur Rettung der Welt, wie es 1999 in einer Time-Titelgeschichte hieß. Als Greenspan aus dem Amt schied, war er von einem Glorienschein umgeben. Alan Blinder von der Universität Princeton erklärte ihn zum wohl größten Notenbanker der Geschichte. Bei einem seiner letzten Auftritte vor dem Kongress wurde er gleichsam wie ein Messias des Geldes umjubelt: »Sie haben die Geldpolitik durch Börsencrashs, Kriege, Terrorangriffe und Naturkatastrophen geführt«, verkündete ein Abgeordneter. »Sie haben sehr zum Wohlstand der Vereinigten Staaten beigetragen, und das Land steht in Ihrer Schuld.« Nicht ganz drei Jahre später war Greenspan untendurch. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Reputation Greenspans ist mehr als eine Hymne auf persönliche Tugendhaftigkeit. Sie schildert zugleich, wie die Wirtschaftspolitiker sich einredeten, sie hätten alles unter Kontrolle, nur um zu ihrem Entsetzen – und zum Kummer des Landes – zu erfahren, dass genau das nicht stimmte.
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Die Ära Greenspan Wie wurde Greenspan zu einer solchen Legende? Vor allem, weil es unter seiner Ägide überwiegend positive Wirtschaftsnachrichten gab. Die siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren eine Zeit der Schocks gewesen: Inflationsraten und Arbeitslosenquoten im zweistelligen Bereich hatten den schlimmsten Einbruch der Wirtschaft seit der Weltwirtschaftskrise begleitet. Verglichen damit war die Ära Greenspan relativ beschaulich. Die Inflation blieb durchweg niedrig, und die zwei Rezessionen während seiner Amtszeit waren kurze Affären von acht Monaten – nach der offiziellen Chronologie zumindest (mehr darüber später). Arbeitsplätze gab es reichlich; Ende der neunziger Jahre und dann wieder in der Mitte des folgenden Jahrzehnts sank die Arbeitslosigkeit auf einen Stand, den man seit den sechziger Jahren nicht mehr erlebt hatte. Und für Finanzinvestoren waren die Greenspan-Jahre traumhaft: Der Dow-Jones stieg auf über 10 000, und die Aktienkurse wuchsen jährlich im Durchschnitt um mehr als 10 Prozent. Wie groß ist das Verdienst, das Greenspan an diesem guten Abschneiden zukommt? Sicherlich geringer, als es ihm zuteil geworden ist. Es war Paul Volcker, Greenspans Vorgänger, der die Inflation unter Kontrolle brachte, und er erreichte dieses Ziel durch eine Politik des knappen Geldes, die zwar einen massiven Konjunktureinbruch zur Folge hatte, aber letztlich dem Inflationsgespenst das Rückgrat brach. Nachdem Volcker die schwere, unbeliebte Arbeit erledigt hatte, konnte Greenspan sich in dessen Erfolg sonnen. Auch hatten die guten Wirtschaftsnachrichten großenteils kaum etwas mit Geldpolitik zu tun. In den Greenspan-Jahren fanden amerikanische Unternehmen endlich heraus, wie sie die Informationstechnologie effektiv einsetzen konnten. Nach der Einführung einer neuen Technologie dauert es oft eine Weile, bis die wirtschaftlichen Vorteile deutlich werden, denn zunächst müssen
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die Unternehmen ihre Strukturen umbauen, um die Neuerung richtig zu nutzen. Das klassische Beispiel ist die Elektrizität. Obwohl schon in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts elektrische Maschinen verfügbar waren, wurden Fabriken weiterhin nach herkömmlichem Muster gebaut: mehrstöckige Bauten mit engen Räumen, die man mit Maschinen vollstopfte, eine Konstruktion, die von dem Zwang diktiert war, dass im Keller eine große Dampfmaschine stand, die all die Antriebswellen und Antriebsscheiben in Gang hielt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg begannen Unternehmen den Umstand zu nutzen, dass sie nicht mehr eine zentrale Energiequelle benötigten, und gingen über zu eingeschossigen Großraumfabriken, die genügend Platz für den Transport von Material boten. Mit der Informationstechnologie ging es nicht anders. Der Mikroprozessor wurde 1971 erfunden, und Anfang der achtziger Jahre waren Personal Computer weit verbreitet. Dennoch wurde in den Büros noch lange so gearbeitet wie im Zeitalter des Durchschlagpapiers. Erst ab Mitte der neunziger Jahre begannen Unternehmen ernsthaft die neue Technologie zu nutzen, um vernetzte Büros zu schaffen, kontinuierlich den aktuellen Lagerbestand zu erfassen und dergleichen mehr. Dabei kam es in den USA zu einer deutlichen Steigerung der Wachstumsrate der Produktivität, der Stundenleistung des durchschnittlichen Arbeitnehmers. Das erhöhte die Gewinne, half, die Inflation einzudämmen, und trug so zu den guten Wirtschaftsnachrichten unter Greenspan bei; der Vorsitzende der Fed hatte damit aber nichts zu tun. Weder besiegte Greenspan die Inflation, noch revolutionierte er die Produktivität, aber er hatte eine unverwechselbare Methode der Geld- und Kreditpolitik, die damals gut zu funktionieren schien. Das maßgebliche Wort könnte hier »schien« sein, doch schauen wir uns, bevor wir darauf eingehen, einmal genauer an, was an Greenspans Herrschaft als Vorsitzender unverwechselbar war.
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Amerikas »Fahrer des Abends« Alan Greenspan war nicht der Fed-Chef mit der längsten Amtszeit. Diese Ehre gebührt William McChesney Martin Jr., der die Fed von 1951 bis 1970 führte. Die Geldphilosophie der beiden Männer hätte nicht unterschiedlicher sein können. Von Martin stammt der berühmte Spruch, es sei Aufgabe der Fed, »die Bowle genau dann fortzuschaffen, wenn die Pary in Schwung kommt«. Er meinte damit vor allem, dass die Fed die Zinsen anheben sollte, um zu verhindern, dass eine boomende Konjunktur sich überhitzt, was zur Inflation führen könnte. Seine Bemerkung wurde jedoch auch so gedeutet, dass die Fed sich bemühen solle, einen »irrationalen Überschwang« (Greenspan) an den Finanzmärkten zu unterbinden. Wohl warnte Greenspan vor einem solchen irrationalen Überschwang, doch getan hat er kaum etwas dagegen. Den Ausdruck »irrationaler Überschwang« benutzte er 1996 in einer Rede, in der er andeutete – ohne es direkt zu sagen –, dass die Aktienkurse aufgebläht seien. Er hob jedoch nicht die Zinsen an, um den Überschwang der Börse zu dämpfen; er bemühte sich nicht einmal, den Aktienmarktinvestoren Sicherheitsleistungen abzuverlangen. Stattdessen wartete er ab, bis die Blase platzte, was sie im Jahr 2000 tat, und versuchte dann, den Saustall nachträglich aufzuräumen. Wie es in einem Reuters-Artikel bissig, aber treffend hieß, handelte Greenspan wie ein Vater, der die Teenager streng warnt, es nicht zu übertreiben, aber selbst die Party nicht beendet, sondern quasi als Fahrdienst bereitsteht, der die anderen nach Hause fährt, wenn der Spaß vorbei ist. Doch gerechterweise muss man sagen, dass viele Ökonomen von beiden Seiten des politischen Spektrums diese Verfahrensweise guthießen. Und die Wahrheit ist, dass die Bereitschaft Greenspans, nicht ins Geschehen einzugreifen, der amerikanischen Wirtschaft in mindestens einer Hinsicht gutgetan hat: Die spektakuläre Schaffung von Arbeitsplätzen in den Clinton-Jahren
Greenspans Blasen 169
wäre wohl nicht ganz so spektakulär ausgefallen, wenn jemand anderer an der Spitze der Fed gestanden hätte. Die nachstehende Abbildung, die die amerikanische Arbeitslosenquote seit Anfang 1987 darstellt, sagt eigentlich alles.* Die offiziellen Rezessionsdaten sind durch die schattierten Balken angedeutet. Was in dieser grafischen Darstellung auffällt, ist der außergewöhnliche Rückgang der Arbeitslosigkeit von 1993 bis 2000, der die Arbeitslosenquote zum ersten Mal seit 1970 auf unter 4 Prozent senkte. Nun war Greenspan nicht der Auslöser dieses Rückgangs, aber er ließ ihn geschehen. Und seine Politik des »Benign Neglect«, des »wohlwollenden Geschehenlassens«, war sowohl unorthodox als auch, wie sich zeigte, richtig. Anfang bis Mitte der neunziger Jahre herrschte die (von mir geteilte) Ansicht, dass die Inflation anziehen wird, wenn die Arbeitslosenquote unter etwa 5,5 Prozent sinkt. Das schien die Lehre der zurückliegenden Jahrzehnte zu sein. In der Tat hatte die Inflation Ende der achtziger Jahre wie gerufen angezogen, als die Arbeits�% �% �% �% Arbeitslosenquote �% Rezessionen
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* Quelle: 2008 Federal Reserve Bank of St. Louis. Zivile Arbeitslosenquote vom Bureau of Labor Statistics des US-Arbeitsministeriums; Daten über US-Rezessionen vom NBER.
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losenquote auf 5 Prozent zuging. Als sie die traditionelle rote Linie Mitte der neunziger Jahre unterschritt, forderte ein Chor von Ökonomen Greenspan auf, die Zinsen anzuheben, um ein Wiederaufleben der Inflation zu verhindern. Doch Greenspan wollte nicht feuern, bevor er – bildlich gesprochen – nicht das Weiße im Auge der Inflation sah. Er tat öffentlich seine Überlegung kund, dass die Beschleunigung des Produktivitätswachstums den historischen Zusammenhang zwischen niedriger Arbeitslosigkeit und steigender Inflation verändert haben könnte. Mit diesem Argument schob er eine Zinserhöhung so lange hinaus, bis klare Beweise dafür vorlägen, dass die Inflationsrate tatsächlich gestiegen war. Und wie sich herausstellte, hatte sich in der Wirtschaft wirklich etwas geändert. (Was, darüber streiten sich die Ökonomen immer noch.) Die Arbeitslosigkeit sank auf einen Tiefstand, den man seit Jahrzehnten nicht erlebt hatte, doch an der Inflationsfront blieb es ruhig. Und das Land hatte das Gefühl, einen Wohlstand zu erleben, den es seit den sechziger Jahren nicht mehr gekannt hatte. Was die Schaffung von Arbeitsplätzen angeht, war es also eine glänzende Idee, die Bowle wegzusperren, während die Party im Gange war. Doch was den irrationalen Überschwang an den Kapitalmärkten angeht, war Greenspan nicht erfolgreich – im Gegenteil. Wie erfolglos er gewesen war, sollte erst deutlich werden, nachdem er aus dem Amt geschieden war.
Greenspans Blasen Wie ich schon bemerkte, warnte Greenspan vor irrationalem Überschwang, aber er tat nichts dagegen. Und tatsächlich hält der FedVorsitzende einen, wie ich glaube, einsamen Rekord unter den Notenbankern: Unter seiner Ägide gab es nicht eine, sondern zwei gewaltige Anlageblasen, zuerst bei Aktien, dann bei Immobilien. Die folgende Grafik zeigt den zeitlichen Verlauf und die Größe
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dieser beiden Blasen. Eine Kurve verdeutlicht das Verhältnis der Aktienkurse zu den Unternehmensgewinnen, einen gebräuchlichen Indikator dafür, ob die Aktien einen vernünftigen Kurs haben. Die andere zeigt ein vergleichbares Maß für Wohnungspreise, das Verhältnis der durchschnittlichen amerikanischen Hauspreise zu Durchschnittsmieten, ausgedrückt als Index mit dem Jahr 1987 als Basis 100. Man erkennt deutlich die Aktienblase der neunziger Jahre, gefolgt von der Immobilienblase im nächsten Jahrzehnt.* Insgesamt wichen die Häuserpreise nie so stark von der historischen Norm ab wie die Aktienkurse. Aber das ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Erstens ist das Wohnen wichti-
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Hauspreis-Mieten-Verhältnis (rechte Skala)
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Kurs-Gewinn-Verhältnis (linke Skala)
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* Das Kurs-Gewinn-Verhältnis in der Abbildung ist von Robert Shiller von der Yale University, der die Aktienkurse mit den durchschnittlichen Gewinnen der letzten zehn Jahre vergleicht, um kurzfristige, konjunkturbedingte Schwankungen der Unternehmensgewinne zu glätten. Der Hauspreisindex ist der nationale Index von Case-Shiller, während die Mieten vom Bureau of Economic Analysis stammen.
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ger als die Börse, besonders für Mittelschichtfamilien, für die das Haus für gewöhnlich den wichtigsten Vermögenswert darstellt. Zweitens war der Boom der Häuserpreise keine einheitliche Erscheinung: Im Herzen der Vereinigten Staaten, wo es Baugrund im Überfluss gibt, ging der Anstieg der Häuserpreise nie weit über die allgemeine Inflation hinaus, während die Preise in den Küstenregionen, besonders in Florida und Südkalifornien, in die Höhe schossen und mehr als das Doppelte ihres normalen Verhältnisses zu den Mieten erreichten. Schließlich zeigte sich, dass das Finanzsystem für die Nebenwirkungen fallender Häuserpreise sehr viel anfälliger war als für die Nebenwirkungen einer Börsenpleite. Auf die Gründe gehe ich in Kapitel 9 ein. Wie konnten diese Blasen entstehen? In der Aktienblase der neunziger Jahre kamen meiner Meinung nach vor allem zwei Dinge zum Ausdruck. Einerseits herrschte ein extremer Optimismus hinsichtlich des Gewinnpotenzials der Informationstechnologie – ihm wurde große Aufmerksamkeit zuteil. Andererseits breitete sich ein Gefühl der Sicherheit im Hinblick auf die Wirtschaft aus: Man glaubte, dass es nie mehr zu ernsten Rezessionen kommen werde – dies wurde eigentlich nirgendwo angemessen diskutiert. Beides zusammen trieb die Aktienkurse in schwindelerregende Höhen. Heute kennt jeder die Dotcom-Blase, die wohl am besten symbolisiert wird von dem Phänomen Pets.com, das aus einem zweifelhaften Geschäftsmodell und einer raffinierten Werbekampagne eine erstaunliche Bewertung hervorzauberte. Es ging aber nicht nur um die Dotcoms. Aus nahezu allen Wirtschaftsbranchen hörte man, die neue Technologie habe alles verändert und die alten Regeln von den Grenzen der Gewinne und des Wachstums seien überholt. In nicht wenigen Fällen beruhten diese Feel-good-Geschichten auf Bilanzfälschung, wie sich später herausstellte. Der Kernpunkt war aber, dass die Anleger sahen, welch riesige Gewinne die ersten Käufer von Microsoft und anderen jungen Firmen im IT-Bereich
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gemacht hatten, und daraufhin glaubten, derartige Wunder würden auch viele andere Unternehmen vollbringen. Grundlage des Ganzen war natürlich ein Rechenfehler – so viele Microsofts, wie sie in die Zukunft projiziert wurden, brauchte die Wirtschaft gar nicht. Aber ein Hype zieht immer, und die Leute waren bereit, hin und wieder den Verstand auszuschalten. Außerdem schien es seriösere Gründe zu geben, Aktien zu kaufen. Unter Ökonomen und Finanzexperten war es allgemein bekannt, dass Aktien sich historisch als sehr gute Anlagen erwiesen, zumindest dann, wenn man sie lange genug hielt. Es gab sogar eine ausführliche wirtschaftswissenschaftliche Literatur über das Rätsel der »Aktienprämie«: Längerfristig schnitten Aktien so viel besser ab als andere Anlageformen wie etwa Anleihen, dass kaum zu verstehen war, wieso die Leute nicht ihr ganzes Geld in Aktien steckten. Der Grund war vermutlich Angst: Die hohen Aktienverluste in den dreißiger Jahren und die noch frischen Erinnerungen an den schwindenden Wert von Aktien angesichts der Stagflation in den siebziger Jahren – zwischen 1968 und 1978 sank der reale Wert von Aktien jährlich um 7 Prozent – machten die Anleger vorsichtig. Da aber die »Great Moderation« mit einer niedrigen Inflation und ohne schwere Konjunktureinbrüche anhielt, ließ die Angst allmählich nach. Bücher wie Dow 36,000 – hier wurde die wissenschaftliche Literatur über die Aktienprämie verwurstet (die Berechnung der Autoren stimmte zwar vorne und hinten nicht, aber wer rechnete schon?) – wurden zu Bestsellern. Und als die Kurse stiegen, wurden sie zum Selbstläufer. Die mehr oder weniger vernünftigen Argumente für einen Aktienkauf spielten 1998 schon gar keine Rolle mehr. Die Leute sahen nur eines: Wer Aktien gekauft hatte, fuhr große Gewinne ein; wer abgewartet hatte, ging leer aus. Daher strömten immer mehr Gelder in den Aktienmarkt, die Kurse stiegen und stiegen, und die Blase wuchs – scheinbar unbegrenzt. Eine Grenze gab es natürlich doch. Wie Robert Shiller, der Ver-
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fasser des Buches Irrational Exuberance (deutscher Titel Irrationaler Überschwang), zeigt, ist eine Anlagenblase so etwas wie ein Schneeballsystem, bei dem Leute so lange Geld verdienen, wie sich weitere Dummköpfe hineinziehen lassen. Wenn sich am Ende keine Dummköpfe mehr finden, bricht das Ganze zusammen. Bei den Aktien wurde der Gipfel im Sommer 2000 erreicht. In den beiden folgenden Jahren verloren die Aktien rund 40 Prozent ihres Wertes. Kurz darauf begann sich die nächste Blase zu bilden: die Immobilienblase. Sie war im Prinzip noch weniger gerechtfertigt als die Aktienblase der vergangenen zehn Jahre. Ja, es war töricht, sich von Firmen wie Pets.com verrückt machen zu lassen, aber dass sich eine aufregende neue Technologie-Welt zur Ausbeutung aufgetan hatte, traf sehr wohl zu. Nahm man hinzu, dass die gesamtwirtschaftliche Performance sich tatsächlich verbessert hatte – die Stagflation war als Gefahr in weite Ferne gerückt, und die Konjunktur schien sich beruhigt zu haben -, so gab es durchaus Grund anzunehmen, dass einige der alten Regeln nicht mehr galten. Was aber rechtfertigte eine Blase auf dem Immobiliensektor? Wir wissen, warum die Häuserpreise zu steigen begannen: In den ersten Jahren dieses Jahrzehnts waren die Zinsen sehr niedrig – auf die Gründe gehe ich in Kürze ein –, und das machte den Hauskauf attraktiv. Und dies rechtfertigte fraglos einen gewissen Anstieg der Preise. Es rechtfertigte aber nicht die Annahme, dass alle alten Regeln nicht mehr galten. Häuser sind Häuser; die Amerikaner sind es seit Langem gewohnt, Häuser mit geliehenem Geld zu kaufen, aber es ist nicht einzusehen, warum irgendjemand um 2003 geglaubt hat, dass die Grundsätze einer solchen Kreditaufnahme außer Kraft gesetzt seien. Wir wissen aus langer Erfahrung, dass Hauskäufer keine Hypotheken aufnehmen sollten, deren Tilgung sie sich nicht leisten können, und dass sie genügend Geld zur Seite legen sollten, um einen moderaten Rückgang der Häuserpreise durchzustehen und dennoch über ein gewisses Kapital zu verfügen. Niedrige Zin-
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sen hätten sich auf die vom Kreditbetrag abhängigen Tilgungsraten auswirken sollen – und auf sonst nichts. Tatsächlich aber ließ man die hergebrachten Grundsätze vollkommen fahren. Dafür war bis zu einem gewissen Grad der irrationale Überschwang einzelner Familien verantwortlich, die sahen, dass die Häuserpreise ständig stiegen, und deshalb beschlossen, sich ins Geschäft zu stürzen und sich über die Tilgung keine Gedanken zu machen. In stärkerem Maße war dafür jedoch eine veränderte Praxis der Kreditvergabe verantwortlich. Man gewährte den Käufern Kredite, ohne eine Anzahlung – oder allenfalls eine geringe – zu verlangen, und mit Monatsraten, die weit über dem lagen, was sie sich leisten konnten, oder die spätestens dann unerschwinglich werden würden, wenn der anfängliche niedrige Lockvogel-Zins stieg. Vieles, aber nicht alles an dieser zweifelhaften Kreditvergabe lief unter dem Titel »Subprime«, doch das Phänomen reicht weit über den Kreis der zweitklassigen Kreditnehmer hinaus. Und es waren nicht nur Hauskäufer mit geringem Einkommen oder aus ethnischen Minderheiten, die sich mehr aufbürdeten, als sie schultern konnten; es war ein allgemeines Phänomen. Warum lockerten die Kreditgeber ihre Kreditvergabe-Maßstäbe? Erstens, weil sie an ständig steigende Hauspreise glaubten. Solange die Hauspreise steigen, ist es aus der Sicht des Kreditgebers gleichgültig, ob ein Kreditnehmer seine Zahlungen leisten kann oder nicht – sind die Zahlungen zu hoch, kann der Käufer entweder ein »Home Equity Loan« (ein Eigenkapitaldarlehen, bei dem der Buchwert der Immobilie beliehen wird) aufnehmen, um mehr Bargeld zu bekommen, oder, im schlimmsten Fall, das Haus einfach verkaufen und die Hypothek tilgen. Zweitens, weil sich die Kreditgeber um die Qualität ihrer Darlehen nicht kümmerten, da sie nicht in ihren eigenen Büchern aufschienen. Sie verkauften sie vielmehr an Anleger, die gar nicht begriffen, was sie da eigentlich erwarben. Die Verbriefung von Hypothekendarlehen – also die Zusam-
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menfassung vieler Hypotheken, um Anteile an den Zahlungen der Kreditnehmer an Anleger zu verkaufen – ist keine neue Praxis. Eingeführt wurde sie von Fannie Mae, der in den dreißiger Jahren gegründeten staatlich geförderten Hypothekenbank. Bis zur großen Häuserblase war die Verbriefung jedoch nahezu komplett auf »erstklassige« Hypotheken beschränkt: Kredite gingen nur an Darlehensnehmer, die eine beträchtliche Anzahlung leisten konnten und über ein hinreichendes Einkommen verfügten, um die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Auch solche Kreditnehmer gerieten hin und wieder in Verzug, weil sie ihre Stelle verloren oder ernstlich erkrankten, aber die Ausfallquoten waren gering, und die Käufer von hypothekarisch gesicherten Wertpapieren wussten mehr oder weniger, was sie kauften. Die finanzielle Innovation, die die Verbriefung von zweitklassigen Hypotheken ermöglichte, war die Collateralized Debt Obligation, kurz CDO. Was eine CDO anbot, waren Anteile (Tranchen) an den Zahlungen aus einem Pool von Hypotheken – aber nicht alle Tranchen waren gleich. Die sogenannten Senior-Tranchen hatten einen erstrangigen Anspruch auf die Zahlungen der Hypothekenschuldner. Erst wenn diese Ansprüche befriedigt waren, wurden die nachrangigen Tranchen bedient. Dadurch sollten die SeniorTranchen im Prinzip eine sehr sichere Anlage sein; der eine oder andere Hypothekenschuldner mochte zwar pleitegehen, aber wie wahrscheinlich war es, dass so viele ausfielen, dass der Cashflow an diese Senior-Tranchen ernstlich gefährdet war? (Ziemlich wahrscheinlich, wie sich herausstellte – aber das begriff man damals nicht.) Daher waren die Ratingagenturen bereit, Senior-Tranchen von CDOs mit der Note AAA zu bewerten, auch wenn die zugrunde liegenden Hypotheken höchst dubios waren. Das ermöglichte eine großzügige Finanzierung von Subprime-Krediten, weil es viele institutionelle Anleger gibt, zum Beispiel Pensionsfonds, die zwar nichts anderes kaufen als AAA-Wertpapiere, aber durchaus bereit waren, mit AAA bewertete Vermögenswerte zu kaufen, die erheblich höhere Erträge abwarfen als gewöhnliche festverzinsliche Anleihen.
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Solange die Hauspreise ständig stiegen, schien alles in Ordnung zu sein, und das Schneeballsystem lebte munter weiter. Hin und wieder gab es Ausfälle, doch die hypothekarisch gesicherten Wertpapiere warfen hohe Erträge ab, und es flossen weiterhin riesige Mittel in den Häusermarkt. Einige Ökonomen, darunter meine Wenigkeit, wiesen warnend darauf hin, dass eine größere Häuserblase entstanden war und dass ernste Risiken auf die Wirtschaft zukamen, wenn sie platzt. Doch maßgebliche Persönlichkeiten erklärten das Gegenteil. Namentlich Alan Greenspan gab zu verstehen, dass ein stärkerer Rückgang der Hauspreise »höchst unwahrscheinlich« sei. Auf lokalen Immobilienmärkten, räumte er ein, gebe es vielleicht ein wenig »Schaum«, aber landesweit könne von einer Blase keine Rede sein. Diese Blase gab es aber sehr wohl, und 2006 begann sie sich aufzublähen, anfangs langsam, dann mit zunehmender Geschwindigkeit. Da war Greenspan nicht mehr Vorsitzender der Fed, an seine Stelle war Ben Bernanke getreten. Doch das Greenspansche Gedankengut herrschte nach wie vor: Die Fed (und die Regierung Bush) glaubten, die Folgen der Häuserpleite ließen sich »eindämmen« und Bernanke könne wie Greenspan als »Fahrer des Abends« dienen, der Amerika sicher nach Hause bringt. Doch die Erfahrung nach dem Platzen der Aktienblase hätte eine deutliche Warnung sein müssen, dass diese Zuversicht unangebracht war.
Wenn Blasen platzen Die Geschichte der Folgen der Aktienblase der neunziger Jahre wird in der Regel so erzählt: Als die Blase geplatzt war, geriet die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession. Doch Greenspan senkte aktiv die Zinsen und schaffte rasch die Wende. Die Rezession war flach, ohne größere Einbußen beim BIP, und sie war kurz, denn sie war nach nur acht Monaten vorbei.
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Die wahre Geschichte indes geht so: Offiziell war die Rezession kurz, aber die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechterte sich noch lange, nachdem die Rezession offiziell für beendet erklärt worden war. In der Abbildung auf S. 169 können Sie das sehen: Während der Rezession (der schattierte Balken) stieg die Arbeitslosenquote steil an – und sie nahm in den Folgemonaten weiter zu. Insgesamt dauerte die Phase der nachlassenden Beschäftigung nicht acht Monate, sondern zweieinhalb Jahre. Warum, könnten Sie nun fragen, wurde die Rezession in diesem Fall so rasch für beendet erklärt? Es ist so, dass über den Beginn und das Ende von Rezessionen in den Vereinigten Staaten offiziell ein unabhängiges Komitee von Ökonomen befindet, das dem National Bureau of Economic Research zugeordnet ist. Das Komitee schaut sich verschiedene Indikatoren an: Beschäftigung, Industrieproduktion, Verbraucherausgaben, BIP. Gehen all diese Indikatoren zurück, wird eine Rezession proklamiert. Gehen mehrere von ihnen wieder aufwärts, wird die Rezession für beendet erklärt. Ende 2001 legten Industrieproduktion und BIP zu, wenn auch langsam, und das deutete auf das offizielle Ende der Rezession hin. Doch die Lage am Arbeitsmarkt verschlechterte sich, wie wir gesehen haben, weiterhin. Und die Fed machte sich große Sorgen wegen der Schwäche des Arbeitsmarktes und der allgemeinen Flaute der Wirtschaft, die allzu sehr an Japan in den neunziger Jahren erinnerte. Greenspan sollte später schreiben, er sei wegen der Möglichkeit einer »zerstörerischen Deflation« besorgt gewesen. Deshalb senkte er weiter die Zinsen und drückte die Federal Funds Rate schließlich bis auf 1 Prozent. Dass die Geldpolitik endlich Zugkraft gewann, verdankte sie dem Häusermarkt. Zyniker sagten, Greenspan habe nur deshalb Erfolg gehabt, weil er die Aktienblase durch eine Häuserblase ersetzte – und sie hatten Recht. Und die Frage, die jeder hätte stellen sollen (aber nur wenige stellten), lautete: Was passiert, wenn die Häuserblase platzt? Die Fed war gerade noch in der Lage, die Wirt-
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schaft aus der Rezession, in die sie nach dem Platzen der Aktienblase geraten war, herauszuholen, und auch das schaffte sie nur, weil sie das Glück hatte, dass zur rechten Zeit eine neue Blase aufkreuzte. Würde ihr dieses Kunststück ein weiteres Mal gelingen? Als der Fall eintrat und die Häuserblase platzte, waren die Folgen weit schlimmer, als man es sich je hatte vorstellen können. Warum? Weil sich das Finanzsystem in einer Weise verändert hatte, die niemand vollständig erfasste.
Kapitel 8
Die Schattenwirtschaft des Bankwesens
Banken sind etwas Wunderbares, wenn sie funktionieren. Und für gewöhnlich funktionieren sie. Aber wenn sie nicht funktionieren, ist der Teufel los – und das war in den Vereinigten Staaten und weiten Teilen der Welt während der zurückliegenden Jahre der Fall. Aber sollte die Zeit der Bankenkrisen nicht vor siebzig Jahren geendet haben? Sind die Banken nicht reguliert, versichert, bis zum Gehtnichtmehr abgesichert? Ja und nein. Ja für traditionelle Banken, nein für weite Teile des faktischen Banksystems von heute. Um das Problem zu verstehen, hilft ein kurzer, selektiver Blick in die Geschichte des Bankwesens und der Bankenregulierung.
Die Geschichte des Bankwesens, vereinfacht Moderne Banken sollen ihren Ursprung bei den Goldschmieden haben, deren Kerngeschäft die Anfertigung von Schmuck war, die aber einen gewinnbringenden Nebenerwerb daraus machten, das Geld anderer Leute aufzubewahren: Weil sie gute Tresore hatten, boten sie für die Reichen einen sichereren Ort, ihr Bares zu bunkern, als, sagen wir, eine Schatulle unter dem Bett. (Denken Sie an die Romanfigur des Leinenwebers Silas Marner.) Irgendwann kamen die Goldschmiede darauf, dass sie mit ihrem Nebenerwerb als Hüter des Geldes mehr Gewinn machen
Die Schattenwirtschaft des Bankwesens 181
konnten, wenn sie etwas von dem ihnen anvertrauten Geld nahmen und gegen Zinsen ausliehen. Sie werden nun womöglich einwenden, dass die Goldschmiede dadurch Probleme bekamen, denn was war, wenn die Eigentümer auftauchten und die sofortige Herausgabe ihres Geldes verlangten? Die Goldschmiede hatten jedoch erkannt, dass das nach der Wahrscheinlichkeitstheorie kaum zu erwarten war: Der eine oder andere Einleger würde wohl an einem bestimmten Tag aufkreuzen und sein Geld zurückverlangen, die meisten aber nicht. Es genügte daher, wenn der Goldschmied einen Teil des Geldes als Reserve vorhielt; den Rest konnte er arbeiten lassen. Und damit war das Bankwesen geboren. Hin und wieder kam es jedoch vor, dass etwas spektakulär schiefging. Es gab vielleicht ein Gerücht – das zutreffen mochte oder auch nicht –, eine Investition der Bank sei geplatzt, sie habe nicht mehr genug Mittel, um ihre Einleger auszuzahlen. Das Gerücht löste bei den Einlegern vielleicht den Drang aus, ihr Geld herauszuholen, bevor alles futsch war – wir nennen das heute »einen Ansturm auf die Bank« oder einen »Banken-Run«. Und oft trieb ein solcher Ansturm die Bank wirklich in den Ruin, obwohl an dem ursächlichen Gerücht nichts dran war. Um rasch Bargeld aufzutreiben, musste die Bank Vermögenswerte zu Schleuderpreisen verkaufen, und bei diesen Preisen gingen ihr dann tatsächlich die Mittel aus, um das, was sie schuldete, zurückzuzahlen. Da selbst ein auf falschen Gerüchten beruhender Ansturm ein gesundes Institut in den Ruin treiben konnte, wurde ein Banken-Run zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Um den Zusammenbruch einer Bank herbeizuführen, musste nicht einmal gerüchtweise behauptet werden, ihr sei eine Investition geplatzt – es genügte schon, wenn gemunkelt wurde, sie werde bald Opfer eines Runs werden. Und ein solches Gerücht konnte dadurch hervorgerufen werden, dass andere Banken bereits Opfer eines Ansturms geworden waren. In der Geschichte des amerikanischen Finanzsystems vor der Weltwirtschaftskrise hatte es immer wieder »Paniken« gege-
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ben: die Panik von 1873, die Panik von 1907 und so weiter. Meistens handelte es sich dabei um Serien von Bankenanstürmen, die ansteckend waren: Der Zusammenbruch einer Bank untergrub das Vertrauen in andere Banken, und so fielen die Finanzinstitute um wie Dominosteine. Sollte jemand in dieser Beschreibung der Paniken vor der Weltwirtschaftskrise eine Ähnlichkeit mit der finanziellen Infektion entdecken, die in den ausgehenden neunziger Jahren über Asien hinwegfegte, so ist das kein Zufall. Alle Finanzkrisen weisen untereinander eine gewisse Familienähnlichkeit auf. Nach den Bankenpaniken machte man sich auf die Suche nach Lösungen. Zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Ersten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten keine Zentralbank – die Federal Reserve wurde erst 1913 ins Leben gerufen –, aber sie hatten ein System von »nationalen Banken«, die in bescheidenem Maße einer Regulierung unterlagen. Ferner legten an manchen Orten die Banker ihre Mittel zusammen und schufen ein Clearinghaus, das im Falle einer Panik für die Verbindlichkeiten eines Mitglieds garantierte. Und in einigen Bundesstaaten begann die Regierung, eine Einlagensicherung für die Einlagen ihrer Bank anzubieten. Die Panik von 1907 machte jedoch die Grenzen dieses Systems deutlich (und lieferte ein schauriges Vorzeichen der derzeitigen Krise). Die Krise entstand in Institutionen, die in New York als »Trusts« bezeichnet wurden – bankähnliche Institutionen, die zwar Einlagen entgegennahmen, ursprünglich aber nur dazu gedacht waren, Erbschaften und Vermögen reicher Kunden zu verwalten. Weil sie sich auf risikoarme Geschäfte beschränken sollten, waren die Trusts in geringerem Maße reguliert, mussten geringere Rücklagen bilden und geringere Barreserven halten als die nationalen Banken. Doch als die Wirtschaft im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts boomte, begannen die Trusts, mit Immobilien und Aktien zu spekulieren, was den nationalen Banken verboten war. Da sie nicht denselben Regulierungen unterlagen wie die nationalen
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Banken, konnten sie ihren Einlegern höhere Erträge zahlen. Dabei profitierten sie – ohne Gegenleistung – vom soliden Ruf der nationalen Banken, weil die Einleger sie für ebenso sicher hielten. Dadurch wuchsen die Trusts rasch, und 1907 war der Gesamtwert der Guthaben bei den Trusts in New York City ebenso hoch wie bei den nationalen Banken. Dem New York Clearinghouse, einem Konsortium von nationalen Banken in New York, das sich für die Bonität seiner Mitglieder verbürgte, wollten die Trusts jedoch nicht beitreten, denn dann hätten sie höhere Barreserven halten müssen, was ihre Gewinne geschmälert hätte. Die Panik von 1907 begann mit der Insolvenz des Knickerbocker Trusts, eines großen New Yorker Trusts, der bei der Finanzierung einer groß angelegten Aktienspekulation Schiffbruch erlitten hatte. Rasch gerieten andere New Yorker Trusts unter Druck, weil verängstigte Einleger Schlange standen, um ihre Gelder abzuziehen. Das New Yorker Clearinghaus lehnte es ab, einzuspringen und den Trusts etwas zu leihen, und selbst Trusts, die gut dastanden, gerieten in arge Bedrängnis. Innerhalb von zwei Tagen war ein Dutzend größerer Trusts pleite. An den Kreditmärkten ging nichts mehr, und die Börse stürzte ab, weil die Börsenhändler keinen Kredit mehr bekamen, um ihre Geschäfte zu finanzieren, und das Vertrauen der Geschäftsleute verflog. Zum Glück sprang der reichste Mann New Yorks, ein Banker namens J. P. Morgan, rasch ein, um die Panik zu beenden. Er begriff, dass die Krise um sich greifen und in Kürze auch gesunde Institute, Trusts ebenso wie Banken, verschlingen würde. Deshalb tat er sich mit anderen Bankern, reichen Männern wie John D. Rockefeller und dem amerikanischen Finanzminister zusammen, um die Reserven der Banken und Trusts durch Liquiditätshilfen zu stärken, damit sie für den Ansturm der Geldabhebungen gewappnet waren. Als die Leute sich erst einmal sicher waren, dass sie ihr Bares wiederbekamen, ließ die Panik nach. Sie hatte zwar kaum mehr als eine Woche gedauert, aber sie und der Absturz der Börse hinterließen die Wirtschaft stark geschwächt. Es folgte eine vier-
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jährige Rezession, in der die Produktion um 11 Prozent sank und die Arbeitslosigkeit von 3 auf 8 Prozent stieg. Einer Katastrophe war man zwar mit knapper Müh und Not entgangen, aber darauf zu setzen, dass J. P. Morgan die Welt ein weiteres Mal retten würde, schien keine gute Idee zu sein, nicht einmal im Goldenen Zeitalter. Deshalb kam es nach der Panik von 1907 zu einer Bankenreform. 1913 wurden das System der nationalen Banken beseitigt und das Federal Reserve System ins Leben gerufen mit dem Ziel, alle Institute, die Einlagen hereinnahmen, dazu zu zwingen, ausreichende Reserven bereitzuhalten und ihre Geschäftsbücher für die Einsichtnahme durch eine Regulierungsstelle zu öffnen. Das Halten von Bankreserven wurde zwar durch das neue Regime standardisiert und zentralisiert, aber die Gefahr von Bankenstürmen wurde dadurch nicht beseitigt – und so kam es dann zu Beginn der dreißiger Jahre zur schwersten Bankenkrise der Geschichte. Während die Wirtschaft stark zurückging, verfielen die Rohstoffpreise; dies traf die hoch verschuldeten amerikanischen Farmer schwer und führte zu einer Serie von Kreditausfällen, denen in den Jahren 1930, 1931 und 1933 Runs folgten, die jeweils bei Banken des Mittleren Westens begannen und dann auf das ganze Land übergriffen. Unter Wirtschaftshistorikern ist man sich weitgehend einig, dass es die Bankenkrise war, die die damalige Rezession in die Große Depression verwandelte. In Reaktion darauf schuf man ein System mit zahlreichen weiteren Sicherheitsvorkehrungen. Der Glass-Steagall Act teilte die Banken in zwei Arten auf: Depositenbanken, die Einlagen hereinnahmen, und Investmentbanken, die das nicht taten. Den Depositenbanken wurden hinsichtlich der Risiken, die sie eingehen durften, strenge Einschränkungen auferlegt; dafür hatten sie leichten Zugang zu Krediten der Fed (die sogenannte Rediskontfazilität), und – was vermutlich das Wichtigste war – ihre Einlagen waren durch den Steuerzahler versichert. Weit weniger straff waren die Investmentbanken reguliert, aber das galt als akzeptabel, weil bei ihnen als Instituten ohne Einlagen nicht die Gefahr eines Bankensturms bestand.
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Dieses neue System bewahrte die Wirtschaft fast siebzig Jahre lang vor Finanzkrisen. Oft ging etwas schief – am bekanntesten ist der Fall der Spar- und Darlehenskassen (S&L), die als spezieller Banktyp zur dominierenden Quelle von Wohnungsbaudarlehen geworden waren und in den achtziger Jahren durch eine Kombination von Pech und falscher Politik in die Pleite schlitterten. Da die S&L-Einlagen per Bundesgesetz versichert waren, mussten am Ende die Steuerzahler die Zeche zahlen, die sich schließlich auf rund 5 Prozent des BIP belief (was heute einem Betrag von über 700 Milliarden Dollar entspräche). Der Untergang der S&Ls führte zu einer zeitweiligen Kreditverknappung, die wesentlich für die Rezession von 1990–91 verantwortlich war, erkennbar in der Abbildung auf S. 169. Der Schaden hielt sich jedoch in Grenzen. Das Zeitalter der Bankenkrisen, sagte man uns, sei passé. Das war es aber nicht.
Das Schattenbankensystem Was ist eine Bank? Die Frage mag Ihnen dumm vorkommen. Jeder weiß, wie eine Bank aussieht: Sie ist ein großes Marmorgebäude – na gut, heutzutage kann es auch eine Ladenfront in einem Einkaufszentrum sein – mit Kassierern, die Bargeld entgegennehmen und aushändigen, und einem Schild im Fenster, auf dem »FDIC insured« steht, also »Versichert durch den Einlagensicherungsfonds« der Vereinigten Staaten. Doch aus Sicht des Ökonomen sind Banken nicht dadurch definiert, wie sie aussehen, sondern durch das, was sie tun. Seit den Zeiten der unternehmungslustigen Goldschmiede ist das Geschäft der Banken bis zum heutigen Tag im Wesentlichen dadurch charakterisiert, dass sie denjenigen, die ihnen ihr Geld anvertrauen, jederzeitigen Zugang zu Bargeld versprechen, während sie zugleich den größten Teil dieses Geldes in Anlagen investieren, die nicht sofort flüssig gemacht werden können. Jedes Institut, das
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dies macht, ist eine Bank, ob es sich nun in einem großen Marmorgebäude befindet oder nicht. Betrachten wir zum Beispiel ein Arrangement, das unter der Bezeichnung »Auction-Rate Security« 1984 von Lehman Brothers erfunden wurde und zur bevorzugten Finanzierungsquelle für viele Institutionen geworden ist, von der Port Authority of New York and New Jersey bis zum New Yorker Metropolitan Museum of Art. Das Arrangement funktionierte folgendermaßen: Einzelpersonen leihen dem kreditgebenden Institut Geld auf langfristiger Basis; rechtlich könnte das Geld dreißig Jahre lang gebunden sein. Doch in kurzen Intervallen, oft jede Woche, veranstaltet das Institut eine kleine Auktion, in der potenzielle Anleger auf das Recht bieten, anstelle anderer Anleger, die herausmöchten, einzusteigen. Der Zinssatz, der durch dieses Bieteverfahren festgelegt wird, gilt für alle Gelder, die in das Wertpapier investiert sind, bis zur nächsten Auktion, und so geht es weiter. Wenn die Auktion fehlschlägt – wenn es beispielsweise nicht genügend Bieter gibt, damit jeder, der herausmöchte, auch wirklich gehen kann –, zieht der Zinssatz so stark an, dass er einem Strafzins gleichkommt, sagen wir, auf 15 Prozent; mit diesem Fall wird aber nicht gerechnet. Hinter diesem Wertpapier mit variablem Zinssatz steckt die Idee, den Wunsch von Kreditnehmern nach einer sicheren langfristigen Finanzierung mit dem Wunsch von Kreditgebern nach jederzeitigem Zugriff auf ihr Geld in Einklang zu bringen. Das ist ja eigentlich genau das, was eine Bank macht. Die Auction-Rate Securities schienen jedoch für jedermann ein besseres Geschäft zu bieten als das herkömmliche Bankwesen. Die Anleger, die ihr Geld in diese Wertpapiere steckten, erhielten höhere Zinsen, als sie für Bankeinlagen erhalten hätten, während die Emittenten dieser Papiere niedrigere Zinsen zahlten als die, die sie für langfristige Bankdarlehen gezahlt hätten. Nichts ist umsonst, hatte uns Milton Friedman gelehrt, aber gerade die Möglichkeit, etwas umsonst zu bekommen, schienen diese Papiere zu bieten. Wie schafften sie das?
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Nun, die Antwort scheint auf der Hand zu liegen, jedenfalls im Nachhinein: Banken sind hochgradig reguliert; sie müssen flüssige Reserven bereithalten, ein erhebliches Eigenkapital halten und in den Einlagensicherungsfonds einzahlen. Wenn Kreditnehmer Kapital auf dem Weg über Auction-Rate Securities aufbrachten, konnten sie diese Vorschriften und die damit verbundenen Kosten umgehen. Das hieß allerdings auch, dass diese Wertpapiere nicht durch das Bankensicherheitsnetz geschützt waren. Und wie zu erwarten brach das System der Auction-Rate Securities, das auf seinem Höhepunkt 400 Milliarden Dollar umfasste, Anfang 2008 zusammen. Eine Auktion nach der anderen war ein Fehlschlag, weil viel zu wenige neue Anleger kamen, um den beteiligten Anlegern die Möglichkeit zu bieten, ihr Geld herauszuziehen. Leute, die dachten, sie hätten jederzeit Zugriff auf ihr Geld, entdeckten plötzlich, dass dieses Geld in jahrzehntelangen Investitionen gebunden war, aus denen sie nicht herauskamen. Und jede gescheiterte Auktion zog die nächste nach sich, denn wer wollte, wenn er die Tücken dieser überschlauen Anlageprojekte mal erkannt hatte, noch frisches Geld in das System stecken? Was mit den Auction-Rate Securities passierte, war – bis auf den anderen Namen – nichts anderes als eine ansteckende Serie von Bankenstürmen. Die Parallele zur Panik von 1907 liegt auf der Hand. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts schienen die Trusts, diese bankähnlichen Institutionen, ein besseres Geschäft zu bieten, weil sie außerhalb des Regulierungssystems operieren konnten, und sie wuchsen rasch, bis sie zum Epizentrum einer Finanzkrise wurden. Hundert Jahre passierte das Gleiche wieder. Heute werden die Institutionen und Arrangements, die als »Nichtbank-Bank« agieren, generell entweder als »Parallelbankensystem« oder als »Schattenbankensystem« bezeichnet. Der letztere Ausdruck ist in meinen Augen anschaulicher und bildhafter. Die herkömmlichen Banken, die Einlagen hereinnehmen und Be-
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standteil des Federal Reserve-Systems sind, operieren mehr oder weniger im Sonnenlicht, mit offenen Büchern und Regulierern, die ihnen über die Schulter schauen. Was dagegen die Institute ohne Einlagen treiben, ist weit undurchsichtiger. Und in der Tat scheint bis zum Ausbruch der Krise kaum jemand erkannt zu haben, wie wichtig das Schattenbankensystem geworden war. Timothy Geithner, der Präsident der New York Federal Reserve Bank, hielt im Juni 2008 vor dem Economic Club of New York einen Vortrag, in dem er zu erklären versuchte, wie es möglich war, dass das Ende der Häuserblase einen so großen finanziellen Schaden angerichtet hatte. (Das Schlimmste sollte noch kommen, aber das wusste Geithner nicht.) Der Vortrag enthielt unvermeidlich eine kräftige Dosis Fachjargon der Zentralbanker; dennoch wird deutlich, wie schockiert Geithner darüber war, dass das System derart außer Kontrolle geraten konnte: Während des Booms änderte sich die Struktur des Finanzsystems grundlegend, wobei der Anteil der Anlagen außerhalb des traditionellen Bankensystems dramatisch wuchs. Dieses Nichtbank-Finanzsystem wurde schließlich sehr bedeutend, besonders an den Geld- und Kreditmärkten. Anfang 2007 umfassten forderungsgesicherte Papiere in Zweckgesellschaften, strukturierte Investmentvehikel, nachrangige Unternehmensanleihen mit einer per Auktion ermittelten Verzinsung, Tender Option Bonds und Variable Rate Demand Notes ein Vermögen von zusammen rund 2,2 Billionen Dollar. Durch Eigenmittel unterlegte Triparty-Repos mit einer Laufzeit von einem Tag nahmen auf 2,5 Billionen Dollar zu. Die in Hedgefonds gehaltenen Vermögenswerte wuchsen auf grob geschätzte 1,8 Billionen Dollar. Die Bilanzsumme der damals fünf großen Investmentbanken belief sich auf zusammen 4 Billionen Dollar. Die Gesamtaktiva der fünf größten Bankholdinggesellschaften in den Vereinigten Staaten kamen zu jenem Zeitpunkt auf nur gut 6 Billionen Dollar, und die Gesamtaktiva des gesamten Bankensystems lagen bei etwa 10 Billionen Dollar.
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Geithner betrachtete somit eine ganze Reihe von finanziellen Arrangements – nicht nur Auction-Rate Securities – als Teil des »Nichtbank-Finanzsystems«: Gebilde, die unter dem Gesichtspunkt der Regulierung keine Banken waren, aber dennoch Bankfunktionen erfüllten. Anschließend legte er dar, wie anfällig das neue System war: Der Umfang der langfristig riskanten und relativ illiquiden Anlagen, die durch sehr kurzfristige Verbindlichkeiten finanziert wurden, machte viele der Vehikel und Institutionen in diesem parallelen Finanzsystem anfällig für einen Bankenansturm klassischen Typs, aber ohne Schutzmaßnahmen wie die Einlagensicherung, die dem Bankensystem zur Verfügung stehen, um solche Risiken zu reduzieren. Tatsächlich sind mehrere der von ihm beschriebenen Sektoren inzwischen zusammengebrochen: Auction-Rate Securities sind verschwunden, wie bereits beschrieben; mit Assets unterlegte Geldmarktpapiere (kurzlaufende Schuldverschreibungen, emittiert von Fonds, die das Geld in langfristige Anlagen investierten, einschließlich hypothekarisch gesicherter Wertpapiere) sind dahingewelkt; zwei der fünf großen Investmentbanken sind bankrott, und eine weitere hat mit einer konventionellen Bank fusioniert. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Dabei ließ Geithner, wie sich jetzt herausstellt, einige wichtige Punkte der Verletzlichkeit aus: Die amerikanische Regierung musste AIG, die größte Versicherungsgesellschaft der Welt, praktisch verstaatlichen, und die Carry Trades – ein internationales Finanzarrangement, das Gelder aus Japan und anderen Niedrigzinsländern in höherverzinsliche Investitionen in anderen Ländern transferiert – implodierten, als die Neuauflage dieses Buches in Druck ging. Aber verschieben wir die Diskussion über die Krise auf das nächste Kapitel und fragen wir stattdessen nach der Entstehung der Krise: Warum ließ man es zu, dass das System so verletzlich wurde?
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Bösartige Vernachlässigung Die Finanzkrise führte unvermeidlich zur Suche nach den Übeltätern. Manche der Anschuldigungen sind völlig haltlos, zum Beispiel die bei den Rechten beliebte Behauptung, verantwortlich für all unsere Probleme sei der Community Reinvestment Act, der angeblich die Banken zwang, Kredite an Hauskäufer aus ethnischen Minderheiten zu vergeben, die dann mit ihren Hypotheken in Verzug gerieten; tatsächlich wurde das Gesetz schon 1977 erlassen, sodass kaum einzusehen ist, wie man ihm die Schuld an einer Krise geben kann, die erst drei Jahrzehnte später eintrat. Ohnehin galt das Gesetz nur für Depositenbanken, auf die lediglich ein Bruchteil der faulen Kredite während der Häuserblase entfiel. Andere Anschuldigungen enthalten ein Körnchen Wahrheit, sind aber eher falsch als berechtigt. Konservative schieben die Schuld an der Häuserblase und der Fragilität des Finanzsystems gern auf Fannie Mae und Freddie Mac, die staatlich geförderten Hypothekenfinanzierer, die der Verbriefung den Weg bereiteten. Das Körnchen Wahrheit besteht hier darin, dass Fannie und Freddie, die zwischen 1990 und 2003 enorm gewachsen waren – hauptsächlich dadurch, dass sie die Lücke füllten, die durch den Zusammenbruch vieler Spar- und Darlehenskassen entstanden war –, in der Tat leichtsinnig Kredite vergaben und außerdem in Buchhaltungsskandale verwickelt waren. Aber gerade die Überprüfung, die sich Fannie und Freddie durch diese Skandale einhandelten, sorgte dafür, dass sie sich in der heißesten Phase der Häuserblase von 2004 bis 2006 weitgehend aus der Sache heraushielten. Deshalb waren die beiden Institute nur geringfügig an der Epidemie der zweifelhaften Kreditvergabe beteiligt. Auf der linken Seite des politischen Spektrums macht man gern die Deregulierung für die Krise verantwortlich, speziell die Aufhebung des Glass-Steagall Act im Jahr 1999, die es Geschäftsbanken erlaubte, in das Investmentbankgeschäft einzusteigen und dadurch höhere Risiken einzugehen. Rückblickend war das
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sicherlich ein Schritt in die falsche Richtung, und er könnte indirekt zur Krise beigetragen haben – einige der in den Boomjahren geschaffenen Finanzgebilde waren zum Beispiel Aktivitäten von Geschäftsbanken »außerhalb der Bilanzen«. Doch bei der Krise ging es überwiegend nicht um Probleme mit deregulierten Institutionen, die neue Risiken eingingen. Es ging um Risiken, die von Institutionen eingegangen wurden, die von vornherein gar nicht reguliert waren. Und das ist meines Erachtens der Kern des Problems. Als das Schattenbankensystem sich ausdehnte, um an Bedeutung mit dem herkömmlichen Bankwesen gleichzuziehen oder es gar zu übertreffen, hätten Politiker und Regierungsbeamte erkennen müssen, dass wir erneut jene finanzielle Verletzlichkeit schufen, die die Große Depression möglich gemacht hatte – und ihre Reaktion hätte darin bestehen müssen, die Regulierung und das finanzielle Sicherheitsnetz so auszuweiten, dass auch diese neuen Institutionen davon erfasst worden wären. Einflussreiche Persönlichkeiten hätten eine einfache Regel verkünden müssen: Alles, was das tut, was eine Bank macht, alles, was in Krisen gerettet werden muss, so wie Banken gerettet werden, sollte auch wie eine Bank reguliert werden. Eigentlich hätte die in Kapitel 6 geschilderte Krise um LongTerm Capital Management als Lehrbeispiel für die Gefahren dienen müssen, die im Schattenbankensystem stecken. Bestimmt hatten viele bemerkt, wie knapp das System einem Zusammenbruch entgangen war. Doch diese Warnung wurde ignoriert, und es wurde nichts getan, um die Regulierung auszuweiten. Der Zeitgeist – und die Ideologie der Regierung George W. Bush – waren vielmehr zutiefst regulierungsfeindlich. Symbol dieser Einstellung war ein Fototermin im Jahr 2003, bei dem Vertreter der an der Bankenaufsicht beteiligten Behörden einen Stapel von Regulierungsvorschriften mit Gartenscheren und einer Kettensäge in Fetzen rissen. Ganz konkret nutzte die Regierung Bush ihre Befugnisse auf Bundesebene
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einschließlich obskurer Befugnisse des Bankenaufsichtsamts aus, um die Einzelstaaten daran zu hindern, die Vergabe von Subprime-Krediten einer gewissen Aufsicht zu unterwerfen. Diejenigen, die sich wegen der Fragilität des Systems hätten Sorgen machen müssen, sangen stattdessen Loblieder auf die »finanzielle Innovation«. »Nicht nur sind einzelne Finanzinstitutionen weniger anfällig für Schocks von zugrunde liegenden Risikofaktoren geworden«, erklärte Alan Greenspan 2004, »sondern das Finanzsystem insgesamt ist robuster geworden.« Die wachsenden Risiken einer Krise für das Finanzsystem und die Wirtschaft insgesamt wurden also ignoriert oder heruntergespielt. Und die Krise kam.
Kapitel 9
Das Echo aller Furcht
Am 19. Juli 2007 kletterte der Dow Jones Index erstmals auf über 14 000 Punkte. Vierzehn Tage später gab das Weiße Haus ein »Merkblatt« heraus, das stolz die Leistung der Wirtschaft während der Amtszeit der Regierung Bush anpries: »Die wachstumsfreundliche Politik des Präsidenten hilft, unsere Wirtschaft stark, flexibel und dynamisch zu erhalten«, hieß es dort. Und die bereits erkennbaren Probleme am Häusermarkt und mit den Subprime-Hypotheken? Sie seien »weitgehend unter Kontrolle«, sagte Finanzminister Henry Paulson am 1. August in einer Rede in Peking. Am 9. August schloss die französische Bank BNP Paribas drei ihrer Fonds – und die erste große Finanzkrise des 21. Jahrhunderts begann. Ich bin versucht zu sagen: So etwas wie diese Krise hat es noch nie gegeben. Richtiger wäre wohl, dass wir alles an dieser Krise schon einmal hatten: eine platzende Immobilienblase, ähnlich dem, was Ende der achtziger Jahre in Japan passierte; eine Serie von Bankenanstürmen, vergleichbar mit denen vom Anfang der dreißiger Jahre (nur dass hier nicht gewöhnliche Banken betroffen sind, sondern vorwiegend das Schattenbankensystem); eine Liquiditätsfalle in den Vereinigten Staaten, die wiederum an Japan erinnert; und zuletzt eine Störung der internationalen Kapitalströme sowie eine Welle von Währungskrisen, die allzu sehr an
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das erinnern, was in den ausgehenden neunziger Jahren in Asien passierte. Schauen wir uns also an, wie es sich abgespielt hat.
Die Immobilienkrise und ihre Folgen Im Herbst 2005 begann der große Immobilienboom in Amerika nachzulassen, aber es dauerte eine Weile, bis die meisten es merkten. Als die Preise einen Punkt erreicht hatten, an dem der Kauf eines Hauses – selbst ohne Anzahlung und zu Lockvogelzinsen – für die meisten Amerikaner unerschwinglich war, gaben die Umsätze nach. Man hörte es zischen, wie ich seinerzeit schrieb, weil Luft aus der Blase zu entweichen begann. Die Hauspreise stiegen allerdings noch eine Weile. Das war zu erwarten. Häuser sind anders als Aktien, die einen einheitlichen Kurs haben, der sich von einer Minute zur nächsten ändert. Jedes Haus ist einmalig, und Verkäufer rechnen damit, dass sie eine Weile warten müssen, bis sich wirklich ein Käufer findet. Die Preise orientieren sich deshalb an dem, was in letzter Zeit für andere Häuser gezahlt wurde; mit einer Preissenkung beginnen Verkäufer erst dann, wenn ihnen schmerzlich bewusst wird, dass sie den vollen Preis vermutlich nicht erzielen. Nachdem die Hauspreise über längere Zeit jedes Jahr deutlich gestiegen waren, gingen die Verkäufer davon aus, dass dieser Trend anhalten würde, und deshalb stiegen die Preisforderungen auch im Jahr 2005 noch eine Zeitlang, obwohl der Absatz schon nachgab. Doch im ausgehenden Frühling 2006 wurde die Marktschwäche allen bewusst. Die Preise begannen zu sinken, erst langsam, dann immer schneller. Bis zum zweiten Quartal 2007 waren die Preise, folgt man dem vielgenutzten Case-Shiller-Hauspreisindex, gegenüber dem Spitzenwert ein Jahr zuvor erst um 3 Prozent zurückgegangen. Ein weiteres Jahr später lagen sie 15 Prozent darunter. Der Preisverfall war natürlich weit größer in jenen Regio-
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nen, die vorher die größten Blasen gesehen hatten, zum Beispiel an der Küste Floridas. Schon der anfangs nur langsame Rückgang der Hauspreise machte jedoch die Annahme zunichte, auf der der Boom der Subprime-Kredite basierte. Das Grundprinzip dieser Art von Kreditvergabe war ja, dass es dem Kreditgeber egal sein konnte, ob der Kreditnehmer zu den Hypothekenzahlungen wirklich in der Lage war, denn solange die Hauspreise permanent stiegen, konnten Kreditnehmer, wenn sie Probleme hatten, entweder umschulden oder das Haus verkaufen und ihre Hypothek damit tilgen. Sobald die Hauspreise zu sinken begannen, begann die Ausfallquote zu steigen. Und an diesem Punkt trat eine weitere hässliche Wahrheit zutage: Die Zwangsvollstreckung ist nicht nur eine Tragödie für die Hauseigentümer, sie ist auch ein lausiges Geschäft für den Kreditgeber. Für den Kreditgläubiger ist die Zwangsvollstreckung mit Anwalts- und Gerichtskosten verbunden, das leerstehende Haus verfällt, und wenn er es überhaupt wiederverkaufen kann, darf er höchstens mit einem Teil – sagen wir, der Hälfte – des ursprünglichen Wertes des Darlehens rechnen. Warum, könnten Sie fragen, sollte man sich in diesem Fall nicht mit dem aktuellen Hauseigentümer auf eine Verringerung der Tilgungsraten einigen und die Kosten einer Zwangsvollstreckung vermeiden? Dazu ist zunächst zu sagen, dass auch das Geld kostet und Personal erfordert. Auch wurden die Verträge über SubprimeKredite größtenteils nicht von Banken abgeschlossen, die diese Kredite in ihren Büchern aufführten, sondern von Kreditvermittlern wie etwa Hypothekenmaklern, die die Kredite rasch an Finanzinstitutionen veräußerten, die ihrerseits die Hypotheken portionsweise in Collateralized Debt Obligations (CDOs) packten und an Anleger verkauften. Die eigentliche Betreuung der Kredite lag bei Kreditverwaltern, die weder die Mittel noch in den meisten Fällen einen Anreiz hatten, sich mit einer Umschuldung zu befassen. Und noch etwas: Die Komplexität der finanztechnischen Kniffe, die das Eigentum an den Hypotheken auf viele Anleger mit
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Forderungen von unterschiedlichem Vorrang verteilte, bildete ein erhebliches rechtliches Hindernis für jede Art von Schuldenerlass. Da eine Umschuldung in den meisten Fällen nicht in Frage kam, blieben nur die kostspieligen Zwangsvollstreckungen. Und das bedeutete, dass Wertpapiere, die mit Subprime-Hypotheken unterlegt waren, sich in sehr schlechte Anlagen verwandelten, sobald der Immobilienboom zu stocken begann. Der erste Augenblick der Wahrheit kam Anfang 2007, als das Problem mit den Subprime-Krediten erstmals offenkundig wurde. Sie erinnern sich, dass die Collateralized Debt Obligations Tranchen von unterschiedlichem Rang umfassten: Senior-Tranchen, die von den Ratingagenturen mit AAA bewertet wurden, wurden mit Zahlungen als Erste bedient, während nachrangige, niedriger bewertete Tranchen erst dann an die Reihe kamen, nachdem die Eigner der höherrangigen Tranchen bekommen hatten, was ihnen zustand. Etwa im Februar 2007 machte sich die Erkenntnis breit, dass die niedriger bewerteten Tranchen wahrscheinlich schwere Verluste erleiden würden, und die Preise dieser Tranchen stürzten ab. Damit war der ganze Prozess der Vergabe von Subprime-Krediten mehr oder weniger am Ende. Weil keiner die nachrangigen Tranchen kaufen würde, war es nicht länger möglich, SubprimeKredite umzuverpacken und zu verkaufen, und damit verschwand diese Form der Finanzierung von der Bildfläche. Dass dadurch wiederum eine wichtige Quelle der Nachfrage nach Häusern versiegte, verschlimmerte die Immobilienkrise zusätzlich. Dennoch glaubten die Anleger lange Zeit, die Senior-Tranchen in diesen CDOs seien halbwegs geschützt. AAA-bewertete Tranchen in Hypothekenpools mit nicht erstklassigen Hypotheken wurden noch im Oktober 2007 annähernd zu ihrem Nennwert gehandelt. Schließlich wurde jedoch deutlich, dass nichts, was mit Immobilien zu tun hatte, sicher war – nicht die Senior-Tranchen und nicht einmal Kredite an Kreditnehmer mit guter Bonität, die erhebliche Anzahlungen leisteten.
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Warum? Wegen des schieren Ausmaßes der Häuserblase. Im Sommer 2006 waren Wohnimmobilien landesweit vermutlich um mehr als 50 Prozent überbewertet, und das hieß, dass die Preise um ein Drittel würden sinken müssen, um die Überbewertung zu eliminieren. In einigen Ballungsgebieten war die Überbewertung weitaus schlimmer. In Miami zum Beispiel schienen die Hauspreise mindestens doppelt so hoch zu sein, als es durch den Fundamentalwert der Häuser gerechtfertigt war. Es war daher zu erwarten, dass die Preise in einigen Gebieten um 50 Prozent oder mehr sinken würden. Das bedeutete, dass praktisch jeder, der in den Spitzenjahren der Blase ein Haus gekauft hatte, selbst dann, wenn er 20 Prozent angezahlt hatte, am Ende mit einem negativen Eigenkapital dastehen würde – einem Haus, das weniger wert war als der Betrag der noch nicht getilgten Hypothek. Wenn dieses Buch in Druck geht, wird es vermutlich rund 12 Millionen amerikanische Hausbesitzer mit negativem Eigenkapital geben. Solche Hausbesitzer sind erstklassige Anwärter auf Zahlungsausfall und Zwangsvollstreckung, unabhängig von ihrer finanziellen Situation. Manche könnten sich entschließen, einfach »auszusteigen« – ihre Hypothek zurückzugeben in der Annahme, am Ende finanziell besser dazustehen, auch wenn sie dabei ihr Haus verlieren. Wie bedeutsam dieses Aussteiger-Phänomen wirklich ist, wurde nie ganz klar, aber es gibt noch eine Menge anderer Wege in den Zahlungsausfall. Verlust des Arbeitsplatzes, unvorhergesehene medizinische Ausgaben, Scheidung – das alles kann dazu führen, dass ein Hausbesitzer seine Hypothek nicht mehr bedienen kann. Und wenn das Haus weniger wert ist als die Hypothek, besteht keine Möglichkeit, den Kreditgeber zu befriedigen. Als man begriff, wie ernst die Immobilienkrise ist, wurde klar, dass die Kreditgeber eine Menge Geld verlieren würden, aber auch die Anleger, die hypothekarisch gesicherte Wertpapiere gekauft hatten. Aber warum sollten wir diese Leute bedauern, anders als die Hausbesitzer selbst? Schließlich wird das Ende der Häuserblase unter dem Strich Vermögen von rund 8 Billionen Dollar vernich-
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tet haben. Davon werden die Hausbesitzer rund 7 Billionen Dollar verloren haben und die Anleger nur 1 Billion Dollar. Warum so viel Aufhebens um diese 1 Billion Dollar? Weil sie den Zusammenbruchs des Schattenbankensystem ausgelöst hat.
Die Nichtbank-Bankenkrise Im ersten Halbjahr 2007 gab es, wie wir gesehen haben, einige ernsthafte finanzielle Erschütterungen, aber noch Anfang August wurde offiziell verkündet, dass die durch den Preissturz für Häuser und die Subprime-Kredite aufgeworfenen Probleme unter Kontrolle seien – und die Stärke der Börse deutete an, dass die Märkte die offizielle Sicht teilten. Doch dann brach, um es ganz klar zu sagen, die Hölle los. Was war geschehen? In Kapitel 8 zitierte ich Tim Geithner von der New York Federal Reserve Bank zu den Risiken, die der Aufstieg des Schattenbankensystems barg: »Der Umfang der langfristig riskanten und relativ illiquiden Anlagen, die durch sehr kurzfristige Verbindlichkeiten finanziert wurden, machte viele der Vehikel und Institutionen in diesem parallelen Finanzsystem anfällig für einen Bankenansturm klassischen Typs, aber ohne Absicherungen wie die Einlagensicherung, die dem Bankensystem zur Verfügung stehen, um solche Risiken zu reduzieren.« In demselben Vortrag, gehalten im Juni 2008, beschrieb er in einer für einen Zentralbanker erstaunlich anschaulichen Sprache, wie sich dieser Ansturm tatsächlich abgespielt hatte. Begonnen hatte es mit den durch die SubprimeKredite bedingten Verlusten, die das Vertrauen in das Schattenbankensystem untergruben. Und das zog einen Teufelskreis des Abbaus der Fremdfinanzierung (Deleveraging) nach sich: Sobald die Anleger in diese Finanzierungsarrangements – viele konservativ geführte Geldfonds – ihre Gelder aus diesen Märkten abzogen oder
Das Echo aller Furcht 199 abzuziehen drohten, wurde das System anfällig für einen sich selbst verstärkenden Kreislauf, in dem der erzwungene Verkauf von Vermögenswerten die Volatilität weiter verstärkte und dies wiederum die Preise einer ganzen Reihe von Anlagekategorien drückte. Daraufhin wurden die Mindesteinschuss-Sätze erhöht, oder einem Teil der Kundschaft wurde die Finanzierung gänzlich entzogen, was ein weiteres Deleveraging erzwang. Kapitalpolster schmolzen ab, weil Vermögenswerte zu Schleuderpreisen veräußert wurden. Was diese Dynamik noch verstärkte, war die geringe Qualität der Vermögenswerte – insbesondere hypothekengebundener Vermögenswerte –, die über das ganze System verteilt waren. Dies ist einer der Gründe, warum eine relativ kleine Menge riskanter Vermögenswerte das Vertrauen der Anleger und anderer Marktteilnehmer in einem sehr viel breiteren Spektrum von Vermögenswerten und Märkten untergraben konnte.
Sie sehen: Geithner hebt besonders hervor, dass sich sinkende Vermögenswerte nachteilig in den Bilanzen niederschlugen, was in einem Teufelskreis weitere Vermögensverkäufe erzwang. Dies ist auf einem fundamentalen Niveau die gleiche Logik des Abbaus der Fremdfinanzierung, die zu den in Kapitel 4 beschriebenen, sich selbst verstärkenden Finanzkrisen von 1997 und 1998 in Asien führte. Hochgradig fremdfinanzierte Akteure im Wirtschaftssystem erlitten Verluste, die sie zu Aktionen zwangen, die zu weiteren Verlusten führten, und so fort. In diesem Fall traten die Verluste durch den Werteinbruch riskanter finanzieller Assets ein und nicht, wie in Indonesien oder Argentinien, durch den Werteinbruch der eigenen Währung, aber im Grunde ist es die gleiche Geschichte. Und das Ergebnis dieses sich selbst verstärkenden Prozesses war faktisch ein massiver Bankenansturm, der das Schattenbankensystem zusammenschrumpfen ließ, ähnlich wie das herkömmlichen Bankensystem Anfang der dreißiger Jahre zusammengeschrumpft war. Die Auction-Rate Securities, faktisch ein Bankensektor, der Kredite im Wert von 330 Milliarden Dollar bereitstellte, verschwanden. Durch Aktiva gedeckte Geldmarktpapiere, ein anderer faktischer Bankensektor, die zuvor Kredite
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in Höhe von 1,2 Billionen Dollar bereitgestellt hatten, hielten nur noch 700 Milliarden Dollar vor. Und so ging das auf der ganzen Linie weiter. An den Finanzmärkten trugen sich zunehmend verrückte Dinge zu. Die Zinsen auf US-Schatzanweisungen – also kurzlaufende Schuldverschreibungen – gingen fast auf null zurück. Der Grund war, dass die Anleger sich in Sicherheiten flüchteten, und wie es in einem Kommentar hieß, war das Einzige, was sie zu kaufen bereit waren, Schatzanweisungen und Trinkwasser. (Staatliche Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten sind absolut sicher, nicht weil die USA das verantwortungsbewussteste Land der Erde sind, sondern weil eine Welt, in der der amerikanische Staat in die Knie ginge, eine Welt wäre, in der alles andere auch zusammenbräche – deshalb die Nachfrage nach Trinkwasser.) Ein paar Mal erreichten Schatzanweisungen sogar eine negative Verzinsung, weil sie das Einzige waren, was man als Sicherheit bei Finanzgeschäften zu akzeptieren bereit war, und weil sich die Leute wegen des begrenzten Angebots darum rissen. Der Zusammenbruch des Schattenbankensystems veranlasste manche Kreditnehmer, sich bei der Kreditsuche wieder an herkömmliche Banken zu wenden. Die Ausweitung des Bankkredits gehörte zu den scheinbar widersinnigen Aspekten der Krise, sie verwirrte einige Beobachter, und so fragten sie: Wo ist die Kreditverknappung? Tatsache ist aber, dass die Ausweitung des altmodischen Bankkredits bei Weitem nicht ausreichte, um die Schrumpfung des Kreditvolumens als Folge des Zusammenbruchs des Schattenbankensystems wettzumachen. Der Verbraucherkredit hielt sich einstweilen noch, doch im Oktober 2008 mehrten sich die Anzeichen, dass auch Kreditkarten nicht davonkommen würden: Das Kreditlimit wurde gesenkt, die Zahl der abgelehnten Bewerber stieg, und die Möglichkeiten der inzwischen nervös gewordenen amerikanischen Verbraucher, Dinge auf Kredit zu kaufen, wurden zunehmend unterhöhlt. In der gesamten Wirtschaft gab es Unternehmen und Personen,
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die keinen Zugang zu Kredit mehr hatten, und andere, die sich mit höheren Zinsen belastet sahen, obwohl die Federal Reserve bemüht war, die Zinsen zu drücken. Und das bringt uns zu der neuen Tatsache, dass sich die amerikanische Geldpolitik mit einer Falle konfrontiert sieht, wie Japan sie erlebt hat.
Die Fed hat keinen Biss mehr Als die Finanzkrise ausbrach, stand Alan Greenspan nicht mehr an der Spitze der Fed. Sein Nachfolger, der mit dem von ihm angerichteten Chaos fertig werden musste, war Ben Bernanke, bis dato Professor der Volkswirtschaftslehre in Princeton. (Bevor er zur Fed ging, war Bernanke Vorsitzender der Fakultät für Volkswirtschaftslehre an der Universität Princeton, und er war es, der mich vom MIT nach Princeton holte.) Wenn jemand dafür in Frage kam, während dieser Krise die Fed zu leiten, dann Bernanke. Er hat sich intensiv mit der Großen Depression befasst. Seine Untersuchungen über die Verstärkung der Depression durch die Bankenkrise brachten ihn dazu, einen bedeutenden theoretischen Beitrag zur wirtschaftlichen Bedeutung der Geldpolitik zu verfassen, der davon handelt, wie Kreditverfügbarkeit und Bilanzprobleme die Investitionen drosseln (wenn ein Kreis von Ökonomen besorgt über die Krise diskutiert, brauchen Sie nur »Bernanke-Gertler« zu murmeln, und alle werden wissend nicken). Und er hat sich ausgiebig mit den Problemen Japans in den neunziger Jahren befasst. Keiner war geistig besser auf den Schlamassel vorbereitet, in dem wir jetzt stecken. Dennoch hatte es die Fed unter Bernanke in der um sich greifenden Krise schwer, maßgebend auf die Finanzmärkte oder auf die Volkswirtschaft als Ganzes Einfluss zu gewinnen. Die Fed hat im Wesentlichen zwei Aufgaben: die Zinsen zu beeinflussen und die Banken im Notfall mit Geld zu versorgen. Zur
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Beeinflussung der Zinsen bedient sie sich der Schatzanweisungen: Wenn sie diese von den Banken kauft, erhöht sie deren Reserven, wenn sie sie an die Banken verkauft, verringert sie deren Reserven. In schwierigen Zeiten versorgt sie bestimmte Banken mit Geld, indem sie es ihnen direkt leiht. Und sie hat diese Instrumente seit Beginn der Krise aktiv genutzt. Die Fed hat die Federal Funds Rate – das ist der Zinssatz für Übernachtkredite, zu dem Banken Reserven untereinander verleihen, und er ist das übliche Instrument der Geldpolitik – von 5,25 Prozent vor Ausbruch der Krise auf 1 Prozent zum gegenwärtigen Zeitpunkt gesenkt. Die »Kreditaufnahme der Banken (genauer: der Geschäfts- und Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Niederlassungen ausländischer Banken in den Vereinigten Staaten) bei der Federal Reserve«, ein Maß der direkten Ausleihungen, ist von beinahe Null vor der Krise auf über 400 Milliarden Dollar angestiegen. In normalen Zeiten hätten diese Maßnahmen eine erhebliche Krediterleichterung nach sich gezogen. Eine Senkung der Federal Funds Rate führt im Regelfall dazu, dass die Zinsen auf breiter Front sinken: bei den Warenkrediten, den Unternehmensanleihen und den Hypotheken. Historisch haben Ausleihungen an Banken immer ausgereicht, um Liquiditätsengpässe im Finanzsystem zu beseitigen. Doch dies sind keine normalen Zeiten, und historische Präzedenzfälle sind hier nicht anwendbar. Dass die Fed keinen Biss mehr hat, wird am stärksten bei den riskanteren Kreditnehmern sichtbar. Gegenwärtig werden offensichtlich keine Subprime-Kredite mehr vergeben, und damit ist eine ganze Klasse von potenziellen Hauskäufern vom Markt ausgeschlossen. Unternehmen ohne erstklassige Bonität zahlen für kurzfristige Kredite heute höhere Zinsen als vor der Krise, obwohl die von der Fed beeinflussten Zinssätze um mehr als vier Prozentpunkte gesunken sind. Der Zinssatz für Baa-bewertete Unternehmensanleihen liegt, während ich dies schreibe, bei über 9 Prozent, gegenüber 6,5 Prozent vor der Krise. Auf der ganzen Linie sind die
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Zinsen, die für Kauf- oder Investitionsentscheidungen maßgebend sind, gestiegen oder jedenfalls nicht gesunken, obwohl die Fed sich bemüht, die Zinsen zu drücken. Davon sind sogar Hypothekennehmer mit bester Bonität betroffen: Der Zinssatz für eine Hypothek mit einer Laufzeit von dreißig Jahren ist immer noch ungefähr so hoch wie im Sommer 2007. Das liegt daran, dass private Kreditgeber durch die Krise im Finanzsystem praktisch aus dem Markt gedrängt wurden, sodass jetzt nur noch die halbstaatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac im Geschäft sind. Dabei sind Fannie und Freddie selbst in Schwierigkeiten; sie hatten zwar nicht so viele zweifelhafte Kredite vergeben wie der private Sektor, aber einige eben doch, und sie wiesen eine sehr dünne Kapitaldecke auf. Im September 2008 wurden Fannie und Freddie von der Regierung übernommen, was die Sorgen über ihre Verschuldung und über gesunkene Hypothekenzinsen hätte verringern müssen. Weil die Regierung Bush aber ausdrücklich erklärte, sie werde für die Schulden von Fannie und Freddie nach Treu und Glauben nicht aufkommen, hatten die beiden Institute auch nach der Verstaatlichung noch Probleme, Geld am Markt aufzutreiben. Was haben all die Kredite, die die Federal Reserve den Banken gab, bewirkt? Geholfen haben sie vermutlich schon, aber nicht in dem zu erwartenden Maß, weil die herkömmlichen Banken nicht der Kern der Krise sind. Hier ein Beispiel: Wären Auction-Rate Securities innerhalb des herkömmlichen Bankensystems gehandelt worden, hätten sich die Emittenten Geld von der Fed besorgen können, wenn zu wenige Anleger bei den Auktionen erschienen; die Auktionen wären dann nicht gescheitert, und das System wäre nicht zusammengebrochen. Weil sie aber nicht Teil der herkömmlichen Banken waren, scheiterten die Auktionen, und der Sektor brach zusammen, und selbst noch so große Fed-Ausleihungen an die Citibank oder die Bank of America konnten diesen Prozess nicht aufhalten.
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Die Fed musste also im Prinzip zusehen, wie sich eine Liquiditätsfalle nach Art der japanischen aufbaute, in der die herkömmliche Geldpolitik keinerlei Einfluss mehr auf die Realwirtschaft hatte. Gewiss war die Federal Funds Rate noch nicht bis auf Null reduziert, aber es gab wenig Grund zu der Annahme, dass eine Senkung um einen weiteren Prozentpunkt viel ausgerichtet hätte. Was konnte die Fed sonst noch tun? 2004 hatte Bernanke in einer wissenschaftlichen Arbeit dargelegt, dass die Geldpolitik selbst in einer Liquiditätsfalle etwas bewirken könnte, falls man bereit wäre, »die Zusammensetzung der Bilanz der Zentralbank zu verändern«. Statt nur Schatzanweisungen und Kredite für herkömmliche Banken zu halten, könnte die Fed Kredite an andere Akteure vergeben: an Investmentbanken, Geldmarktfonds, vielleicht sogar an Nichtbanken. Tatsächlich führte die Fed im Laufe des Jahres 2008 ein ganzes Potpourri von speziellen »Kreditfazilitäten« ein: die Term Securities Lending Facility, die Primary Dealer Credit Facility und so weiter. Im Oktober 2008 kündigte die Fed an, demnächst auch forderungsgesicherte Wertpapiere zu kaufen, also im Prinzip die Kreditvergabe zu übernehmen, zu der das private Finanzsystem nicht bereit oder in der Lage war. Zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, erscheint es immer noch möglich, dass diese Pläne irgendwann Früchte tragen. Es muss jedoch gesagt werden, dass ihre Effekte bislang enttäuschend waren. Das liegt zum einen daran, dass die Fed hier in eine fremde Rolle schlüpft, zum anderen an der Größenordnung des Geschäfts. Wenn die Fed handelt, um die Bankreserven zu erhöhen, tut sie etwas, was keine andere Institution kann: Nur die Fed kann die Geldbasis schaffen, die als Bargeld im Umlauf genutzt oder als Bankreserven gehalten werden kann. Außerdem sind ihre Aktionen zumeist groß im Verhältnis zum Umfang der betroffenen Anlagekategorien, denn die Geldbasis beträgt »nur« 800 Milliarden Dollar. Versucht die Fed dagegen, den Kreditmarkt breiter zu unterstützen, dann tut sie etwas, das private Akteure ebenfalls tun – und entsprechend könnte der Kredit, den sie in das System
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pumpt, durch den Rückzug von privaten Akteuren teilweise wirkungslos werden; außerdem versucht sie, ein sehr viel größeres Gebilde zum Handeln zu bewegen, nämlich den Kreditmarkt mit einem Volumen von rund 50 Billionen Dollar. Die Bernanke-Fed hatte außerdem das Problem, dass sie immer wieder der Realität hinterherhinkte. Die Finanzkrise nimmt ständig neue Dimensionen an, aber nur wenige Leute – einschließlich der sehr klugen Leute bei der Fed – sehen sie kommen. Und damit bin ich bei der internationalen Dimension der Krise.
Die Mutter aller Währungskrisen Nach den Finanzkrisen von 1997 und 1998 versuchten die Regierungen der betroffenen Länder, sich vor einer neuen Krise zu schützen. Sie mieden die Kreditaufnahme in anderen Ländern, durch die sie sich der Gefahr ausgesetzt hatten, dass die Auslandsfinanzierung einmal stocken könnte. Sie legten gewaltige Kriegskassen voller Dollars und Euros an, die sie vor einem künftigen Notfall bewahren sollten. Und nach gängiger Meinung waren die Schwellenländer – Brasilien, Russland, Indien, China und eine ganze Reihe kleinerer Volkswirtschaften, darunter auch die Opfer der Krise von 1997 – jetzt von den Vereinigten Staaten »abgekoppelt« und in der Lage, trotz des Schlamassels in Amerika weiter zu wachsen. »Die Abkoppelung ist kein Mythos«, versicherte der Economist seinen Lesern noch im März. »Sie könnte sogar noch die Weltwirtschaft retten.« Doch dafür spricht leider wenig. Stephen Jen, Chef-Währungsstratege bei Morgan Stanley, meint im Gegenteil, dass die »harte Landung« in den Schwellenländern zum »zweiten Epizentrum« der globalen Krise werden könnte (das erste waren die amerikanischen Finanzmärkte). Was war geschehen? Parallel zum Wachstum des Schattenbankensystems hatte sich im Charakter des Finanzsystems während
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der zurückliegenden fünfzehn Jahre – vor allem nach der Asienkrise – ein anderer Wandel vollzogen. Es war zur finanziellen Globalisierung gekommen, und in jedem Land gab es Investoren, die starke Interessen in anderen Ländern hatten. 1996, vor der Asienkrise, hatten die Vereinigten Staaten Auslandsguthaben in Höhe von 52 Prozent des BIP und Auslandsschulden in Höhe von 57 Prozent des BIP. Bis 2007 waren diese Zahlen auf 128 beziehungsweise 145 Prozent gestiegen. Die Vereinigten Staaten waren tiefer in den Nettoschuldnerstatus geraten; aber das Netto ist nicht so beeindruckend wie die enorme Steigerung der wechselseitigen Beteiligungen. Diese Änderung sollte – wie so vieles, was in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren im Finanzsystem geschehen ist – das Risiko verringern: Investoren waren, weil sie einen Großteil ihrer Anlagewerte im Ausland hatten, nicht so stark von einer Rezession im eigenen Land betroffen; dies galt für Amerikaner wie für Ausländer. Die Ausweitung der finanziellen Globalisierung beruhte aber großenteils auf Investitionen von Highly-Leveraged-Institutionen, die mit einem hohen Anteil von Fremdkapital arbeiteten und allerlei riskante grenzüberschreitende Wetten eingingen. Und wenn in den Vereinigten Staaten etwas schiefging, fungierten diese Auslandsinvestitionen als ein »Transmissionsmechanismus«, wie die Ökonomen sagen, sodass eine Krise, die mit dem amerikanischen Häusermarkt begonnen hatte, weitere Krisenrunden im Ausland drehen konnte. Der Kollaps von Hedgefonds, die mit einer französischen Bank verbunden waren, gilt allgemein als Beginn der Krise; im Herbst 2008 hatten Probleme mit Hausdarlehen in einer fernen Gegend wie Florida das Bankensystem von Island zerstört. Was die Schwellenländer besonders treffen konnte, waren die sogenannten Carry Trades. Der Händler nimmt dabei in Niedrigzinsländern (häufig, aber nicht nur, in Japan) Geld auf und leiht es in Hochzinsländern wie Brasilien und Russland aus. Das war ein sehr profitables Geschäft, solange nichts schiefging – aber schließlich ging etwas schief.
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Auslöser war anscheinend der Fall der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008. Als Bear Stearns, eine andere der ursprünglich fünf großen Investmentbanken, im März 2008 in Schwierigkeiten geriet, hatten Fed und Finanzministerium eingegriffen – nicht um die Firma zu retten, denn die verschwand, sondern um die »Geschäftspartner« der Firma zu schützen, denen sie Geld schuldete oder mit denen sie Finanzgeschäfte vereinbart hatte. Man erwartete allgemein, dass sie bei Lehman genauso verfahren würden. Das Finanzministerium kam jedoch zu dem Schluss, dass eine Lehman-Pleite nicht so schwerwiegende Folgen haben würde, und ließ die Firma untergehen, ohne die Geschäftspartner zu schützen. Das war ein verheerender Fehler, wie sich nach wenigen Tagen zeigte. Das Vertrauen brach weiter ein, die Vermögenspreise stürzten nochmals ab, und die wenigen Kreditkanäle, die noch funktionierten, versiegten. Die faktische Verstaatlichung des riesigen Versicherers AIG konnte die Panik nicht mehr eindämmen. Und zu den Opfern der letzten Runde der Panik gehörten eben jene Carry Trades. Der Mittelfluss aus Japan und anderen Niedrigzinsländern blieb aus, und es traten die aus der Krise von 1997 allzu vertrauten, sich selbst verstärkenden Effekte auf. Weil aus Japan kein Kapital mehr abfloss, schnellte der Wert des Yen in die Höhe, und weil kein Kapital mehr in die Schwellenländer floss, sackte der Wert der Währungen der Schwellenländer ab. Dies führte zu hohen Kapitalverlusten bei allen, die in einer Währung Kredit aufgenommen und in einer anderen investiert hatten. Betroffen waren in einigen Fällen Hedgefonds, und prompt begann die ganze Branche der Hedgefonds, die sich bis zum Untergang von Lehman Brothers besser gehalten hatte als erwartet, zu schrumpfen. Betroffen waren aber auch Firmen in Schwellenländern, die günstige Kredite im Ausland aufgenommen hatten und plötzlich vor großen Verlusten standen. Denn wie sich zeigte, waren die Bemühungen der Regierungen von Schwellenländern, sich vor einer weiteren Krise zu schützen,
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vergeblich gewesen, weil der private Sektor sich nicht des Risikos bewusst war. In Russland zum Beispiel drängten sich Banken und Unternehmen, um Kredite im Ausland aufzunehmen, weil die Zinsen dort niedriger waren als die Verzinsung beim Rubel. Während also die russische Regierung eine beeindruckende Devisenreserve von 560 Milliarden Dollar aufbaute, häuften russische Unternehmen und Banken nicht minder beeindruckende Auslandsschulden von 460 Milliarden Dollar an. Als diesen Unternehmen und Banken dann plötzlich die Kreditlinie gekündigt wurde, schnellte der Rubel-Wert ihrer Schulden in die Höhe. Und niemand war sicher: Große brasilianische Banken zum Beispiel vermieden es, hohe ausländische Verbindlichkeiten einzugehen, gerieten aber trotzdem in Schwierigkeiten, weil ihre Inlandskunden nicht ebenso vorsichtig gewesen waren. Das alles erinnerte stark an frühere Währungskrisen – Indonesien 1997, Argentinien 2002 –, allerdings in einem ungleich größeren Maßstab. Dies ist wirklich die Mutter aller Währungskrisen, und es stellt für das Weltfinanzsystem eine neue Katastrophe dar.
Eine globale Rezession Bisher haben wir uns in diesem Kapitel vor allem den finanziellen Aspekten der Krise gewidmet. Was bedeutet das alles für die »Realwirtschaft«, die Wirtschaft der Arbeitsplätze, der Löhne und der Produktion? Nichts Gutes. Selbst wenn das Finanzsystem nicht zusammengebrochen wäre, hätten Länder wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Spanien und andere vermutlich eine Rezession erlebt, als ihre Häuserblasen platzten. Sinkende Hauspreise wirken sich sofort negativ auf die Beschäftigung aus, weil die Bautätigkeit zurückgeht, und sie ziehen in der Regel verringerte Verbraucherausgaben nach sich, weil die Verbraucher sich ärmer fühlen und den Zugang zu Eigenkapitaldarlehen auf ihr Haus verlieren; diese negativen Er-
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scheinungen wirken insofern als Multiplikator, als eine nachlassende Beschäftigung die Verbraucherausgaben weiter zurückgehen lässt. Dennoch behauptete sich die amerikanische Wirtschaft angesichts der Immobilienkrise zunächst recht gut, hauptsächlich, weil durch die Schwäche des Dollars die Exporte stiegen und den Rückgang der Bautätigkeit teilweise wettmachten. Es scheint jedoch sicher zu sein, dass das, was eine ganz normale Rezession hätte sein können – Ende 2007 begann die Beschäftigungsquote der Vereinigten Staaten zu sinken, doch bis September 2008 war der Rückgang noch recht maßvoll –, sich durch den finanziellen Zusammenbruch zu etwas sehr viel Schlimmerem auswächst. Die Zuspitzung der Kreditkrise nach dem Fall von Lehman Brothers, die unerwartete Krise in den Schwellenländern und der Einbruch des Verbrauchervertrauens, seitdem das Ausmaß des Finanzschlamassels Schlagzeiten machte – das alles deutet darauf hin, dass wir es mit der schwersten Rezession nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt seit den frühen achtziger Jahren zu tun haben. Und viele Ökonomen werden erleichtert sein, wenn es nur dabei bleibt. Wirklich besorgniserregend ist die Machtlosigkeit der Politik, ist der Umstand, dass geldpolitische und fiskalische Anreize sich nicht mehr direkt auf Wachstum und Beschäftigung auswirken. Die Rezession von 1981/82, die die Arbeitslosenquote auf über 10 Prozent steigen ließ, war schrecklich, aber sie war gleichzeitig mehr oder weniger gewollt: Die Fed betrieb eine Politik des knappen Geldes, um der Inflation das Rückgrat zu brechen, und als der Fed-Vorsitzende Paul Volcker zu dem Schluss kam, dass die Wirtschaft genug gelitten habe, und die Schrauben lockerte, sprang die Ökonomie sofort wieder an. Es war verblüffend, wie schnell die Mutlosigkeit in der Wirtschaft der optimistischen Botschaft von Reagans »Morning in America« wich. Jetzt dagegen lahmt die Wirtschaft, obwohl die Politiker immer wieder versuchen, sie in Schwung zu bringen. Diese Machtlosigkeit der Politik erinnert an Japan in den neunziger Jahren. Und sie
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erinnert an die dreißiger Jahre. Wir befinden uns derzeit nicht in einer Depression, und ich glaube trotz allem nicht, dass wir auf eine solche zusteuern (obwohl ich mir dessen nicht so sicher bin, wie ich es gern wäre). Unbestreitbar ist aber, dass die alten Symptome einer Depression wieder da sind.
Kapitel 10
Keynes kehrt zurück
Von einer Depression ist die Weltwirtschaft derzeit gewiss noch ein gutes Stück entfernt und wird es trotz der Dimension der aktuellen Krise wohl auch bleiben (obgleich ich mir bei dieser Prognose gern ein wenig sicherer wäre). Doch Depressionssymptome – Probleme jenes Typs, wie sie in den dreißiger Jahren einen Großteil der Weltwirtschaft prägten, seitdem aber nie mehr auftauchten – sind in beängstigender Weise wieder Aktualität. Noch vor fünfzehn Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass moderne Staaten aus Angst vor Währungsspekulanten in eine verheerende Rezession getrieben werden und führende Industrieländer dauerhaft außerstande sein könnten, für genügend Nachfrage und damit hinreichend Beschäftigung zu sorgen. Die Weltwirtschaft scheint ein viel gefährlicheres Pflaster zu sein, als wir alle dachten. Wo aber liegen die Gründe für diese Entwicklung? Und wichtiger noch: Wie kommen wir aus der derzeitigen Krise wieder heraus, und was können wir tun, um solche Situationen künftig zu vermeiden? Ich habe bisher in diesem Buch eine Menge Geschichten erzählt; nun ist es an der Zeit, ihre Moral zu erkunden.
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Warum Depressionsgefahr? Was heißt dieses Wiederaufleben alter Krisensymptome nun konkret? Im Kern meine ich damit die Nachfrageschwäche, das heißt die Tatsache, dass erstmals seit zwei Generationen wieder Defizite auf der Nachfrageseite der Wirtschaft – zu wenig privater Konsum, um die verfügbare Produktionskapazität auszunutzen – in weiten Teilen der Welt ganz eindeutig zur Wohlstandsbremse Nummer eins geworden sind. Wir alle – nicht nur die Ökonomen, sondern auch die Politiker sowie die gebildete Öffentlichkeit ganz allgemein – waren auf diese Situation überhaupt nicht vorbereitet. Jene törichten Konzepte, die unter dem Etikett supply-side economics (angebotsorientierte Wirtschaftspolitik) kursieren, hätten mit Sicherheit wenig Einfluss gewonnen, stünde diese Doktrin nicht den Sichtweisen der Reichen so nahe und würde sie über die einschlägigen Medien nicht so nachdrücklich im Gespräch gehalten. Gleichwohl ist festzustellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine ständige Verschiebung des ökonomischen Denkens (und Diskurses) stattgefunden hat, weg von der Nachfrageseite, hin zur Angebotsseite der Wirtschaft. Dies hatte seinen Grund zum einen in den theoretischen Auseinandersetzungen in den Wirtschaftswissenschaften, deren Ergebnisse nach und nach, doch in verstümmelter Form in die öffentliche Debatte einsickerten (man kennt das ja auch von anderen Wissenschaftsgebieten). Kurz gesagt, ging es bei diesen Auseinandersetzungen um folgende These: Im Prinzip müssten Defizite in der Gesamtnachfrage automatisch behoben werden, sofern bei steigender Arbeitslosigkeit die Löhne und Preise nur rasch genug fielen. Nehmen wir unser Beispiel der Babysitting-Kooperative in der Rezession: Eine theoretische Möglichkeit der Bereinigung der Situation aus sich selbst heraus wäre ein niedrigerer Preis pro Babysitting-Dienstleistungsstunde (ausgedrückt in Coupons). Dies würde die Kaufkraft der vorhandenen Couponmenge erhöhen,
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und die Kooperative würde ohne jegliche Maßnahmen der Verwaltung zu »Vollbeschäftigung« zurückkehren. In der Realität jedoch findet angesichts einer Rezession eben kein rascher Preisrückgang statt, wobei sich die Ökonomen über die genauen Gründe hierfür nach wie vor uneins sind. Man hat sich in diesem Zusammenhang schon viele bittere akademische Schlachten geliefert, was freilich dazu führte, dass das gesamte Thema Rezession (einschließlich Ursachenforschung) zu einer Art Minenfeld wurde, dem immer mehr Ökonomen auswichen. Woraus die Öffentlichkeit begreiflicherweise ableitete, dass entweder die Wirtschaftswissenschaftler der Sache nicht gewachsen sind oder aber die nachfrageseitigen Instrumente nichts taugen. Tatsache ist jedoch, dass die gute alte nachfrageorientierte Makroökonomik in unserer gegenwärtigen Problemlage eine ganze Menge zu bieten hat. Leider fehlt es den Verteidigern dieser Theorie an Engagement und Überzeugungskraft, wohingegen die Kritiker ihre Position mit Verve vertreten. Paradoxerweise aber waren nicht nur die theoretischen Schwächen der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik schuld daran, dass wir auf die Wiederkehr depressionstypischer Probleme so schlecht vorbereitet waren, sondern auch ihre praktischen Erfolge. In all den Jahrzehnten, in denen sich die Ökonomen über die Frage stritten, ob die Geldpolitik denn ein taugliches Mittel sei, um eine Volkswirtschaft aus einer Rezession herauszuführen, haben die Zentralbanken Nägel mit Köpfen gemacht und es einfach angewandt – und zwar wiederholt und so wirkungsvoll, dass man sich ein durch Nachfrageschwäche verursachtes längeres Konjunkturtief schon gar nicht mehr vorstellen konnte. Alle Welt begann zu glauben, die Fed und ihre Pendants in anderen Ländern seien jederzeit in der Lage, über eine entsprechende Senkung der Zinssätze die Nachfrage auf dauerhaft hohem Niveau zu halten. Die ganz kurzfristige Perspektive einmal ausgenommen, gab es in den Augen vieler nur noch einen einzigen Engpass wirtschaftlicher Leistung: die Produktionsfähigkeit – sprich: die Angebotsseite. Selbst heute noch betrachten viele Ökonomen Rezessionen als
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ein minderes Problem, das als wissenschaftliches Thema folglich eher wenig Ansehen genießt. Wie in Kapitel 1 zitiert, behauptete Robert Lucas in seiner präsidialen Ansprache explizit, dass der Konjunkturzyklus kein bedeutendes Thema mehr sei und dass die Ökonomen ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf den technologischen Fortschritt und das langfristige Wachstum richten sollten. Dies sind zweifellos interessante und wichtige Themen, vor allem langfristig. Doch wie Keynes so treffend sagte: Auf lange Sicht sind wir alle tot. Auf kürzere Sicht indes hangelt sich die Welt von Krise zu Krise, und stets steht oder stand dabei das Problem der Nachfrageschwäche im Zentrum. Japan von Anfang der neunziger Jahre bis heute, Mexiko 1995, Mexiko, Thailand, Malaysia, Indonesien und Korea 1997, Argentinien 2002, und 2008 praktisch die ganze Welt – ein Land nach dem anderen geriet in eine Rezession, die den wirtschaftlichen Fortschritt von Jahren zumindest zeitweilig zunichte macht, und in jedem einzelnen Fall lässt sich feststellen, dass die konventionellen Maßnahmen wirkungslos verpufften. Erneut also drängt die Frage ins Zentrum der Überlegungen, wie sich genügend Nachfrage erzeugen lässt, damit die vorhandene volkswirtschaftliche Produktionskapazität genutzt werden kann. Anders ausgedrückt: Eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik zur Depressionsbekämpfung ist wieder gefragt.
Der Ernstfall ist da – was tun? Was die Welt jetzt braucht, ist eine Rettungsaktion. Das Kreditsystem ist weltweit gelähmt, und während ich dies schreibe, verschärft sich eine weltweite Rezession. Die Schwachpunkte, die diese Krise ermöglicht haben, müssen unbedingt beseitigt werden, aber das hat noch Zeit. Die aktuelle und eindeutige Gefahr hat absoluten Vorrang. Auf der ganzen Welt muss zweierlei geschehen: Die Kredite müssen wieder zum Laufen gebracht werden, und die Nachfrage muss gestärkt werden.
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Die erstgenannte Aufgabe ist die schwerere, aber sie muss erledigt werden, und zwar rasch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine neue, durch das Versiegen des Kredits ausgelöste Katastrophe gemeldet wird. Als ich an der Rohfassung dieses Kapitels saß, kamen Meldungen über den Zusammenbruch des Akkreditivs, der ein wichtiges Finanzierungsmittel des Welthandels ist. Plötzlich können Käufer von Importgütern besonders in Entwicklungsländern ihre Geschäfte nicht mehr zu Ende führen, und Schiffe werden stillgelegt: Der Baltic Dry Index, ein Index, der die Frachtraten der Seeschifffahrt erfasst, ist dieses Jahr um 89 Prozent gesunken. Hinter der Kreditverknappung stecken einerseits das gesunkene Vertrauen in die Finanzinstitutionen, andererseits deren dezimierte Kapitaldecke. Einzelpersonen und Institutionen einschließlich der Finanzinstitute machen Geschäfte nur mit Partnern, die genügend Kapital haben, um die Einhaltung ihrer Versprechen sicherzustellen; doch die Krise hat das Kapital auf breiter Front dezimiert. Die naheliegende Lösung ist, mehr Kapital in das System zu pumpen. Das ist sogar eine übliche Reaktion in Finanzkrisen. 1933 benutzte die Regierung Roosevelt die Reconstruction Finance Corporation, um die Banken zu rekapitalisieren, indem sie Vorzugsaktien kaufte – Aktien, die gegenüber Stammaktien Vorrechte bezüglich der Gewinnverteilung genießen. Als Schweden Anfang der dreißiger Jahre eine Finanzkrise durchlebte, intervenierte der Staat und versorgte die Banken mit zusätzlichem Kapital in einer Höhe, die 4 Prozent des schwedischen BIP entsprach – übertragen auf die Vereinigten Staaten von heute wären das rund 600 Milliarden Dollar; im Gegenzug wurde der Staat anteilig am Eigentum beteiligt. Als Japan 1998 aktiv wurde, um seine Banken zu retten, kaufte es Vorzugsaktien für über 500 Milliarden Dollar, was in den Vereinigten Staaten, bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt, einer Kapitalspritze von rund 2 Billionen Dollar entspräche. In beiden Fällen half die Bereitstellung von Kapital, die Fähigkeit der Banken
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zur Kreditvergabe wiederherzustellen und die erstarrten Kreditmärkte wiederzubeleben. Eine finanzielle Rettungsaktion in diesem Sinne wird jetzt in den Vereinigten Staaten und anderen hochentwickelten Volkswirtschaften in die Wege geleitet, sie kommt allerdings ein wenig spät, was auch der ideologischen Neigung der Regierung Bush zuzuschreiben ist. Zunächst gedachte das Finanzministerium nach dem Fall von Lehman Brothers, problematische Papiere in Höhe von 700 Milliarden Dollar von Banken und anderen Finanzinstitutionen aufzukaufen. Dabei war jedoch nicht klar, wie dies die Situation retten sollte. (Zahlte das Finanzministerium den Marktwert, würde das die Kapitalposition der Banken kaum stärken; zahlte es aber mehr als den Marktwert, würde es sich dem Vorwurf aussetzen, das Geld der Steuerzahler zu verschleudern.) Wie dem auch sei, nach dreiwöchigem Zaudern folgten die Vereinigten Staaten dem Beispiel von Großbritannien und einigen kontinentaleuropäischen Ländern und beschlossen, den Banken bei der Rekapitalisierung zu helfen. Ob das ausreicht, um die Wende zu schaffen, erscheint jedoch zweifelhaft, und das aus mindestens drei Gründen. Erstens wird es, selbst wenn die 700 Milliarden Dollar vollständig zur Rekapitalisierung genutzt werden (bislang wurde nur ein Bruchteil davon in Anspruch genommen), im Verhältnis zum BIP wenig sein, verglichen mit dem, was Japan zur Rettung der Banken getan hat – und es ist noch die Frage, ob die Schwere der Finanzkrise in den Vereinigten Staaten und Europa derjenigen Japans gleichkommt. Zweitens ist noch immer nicht klar, wie viel von dem Rettungsplan das Schattenbankensystem erreichen wird, das den Kern des Problems darstellt. Drittens ist unklar, ob die Banken bereit sein werden, die Gelder auszuleihen, statt auf dem Geld zu sitzen (wie es im New Deal vor fünfundsiebzig Jahren der Fall war). Nach meiner Einschätzung wird die Rekapitalisierung am Ende größer und umfassender ausfallen müssen, und der Staat wird schließlich entschlossener die Kontrolle übernehmen müs-
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sen – praktisch wird es auf eine vollständige befristete Verstaatlichung eines beträchtlichen Teils des Finanzsystems hinauslaufen. Um nicht missverstanden zu werden: Das ist kein langfristiges Ziel, es geht nicht darum, die Kommandostände der Wirtschaft an sich zu reißen; sobald man es mit ruhigem Gewissen tun kann, sollte man die Finanzwirtschaft wieder privatisieren, so wie Schweden nach seiner großen Rettungsaktion Anfang der neunziger Jahre das Bankwesen wieder in den Privatsektor überführt hat. Zurzeit muss man aber alle verfügbaren Mittel dafür einsetzen, dass wieder Kredite fließen, und zwar ganz ohne ideologische Scheuklappen. Nichts könnte schlimmer sein, als das Notwendige zu unterlassen, nur weil man fürchtet, Aktionen zur Rettung des Finanzsystems könnten irgendwie »sozialistisch« sein. Dies gilt auch für einen anderen Ansatz zur Auflösung der Kreditklemme – dass nämlich die Fed vorübergehend in das Geschäft einsteigt, direkt Kredite an den nichtfinanziellen Sektor zu vergeben. Die Bereitschaft der Federal Reserve, forderungsbesicherte Wertpapiere zu kaufen, ist ein großer Schritt in diese Richtung, aber wahrscheinlich reicht das noch nicht aus. All diese Maßnahmen sollten wegen der wie in Kapitel 9 beschriebenen Globalisierung mit anderen hochentwickelten Ländern koordiniert werden. Amerikanische Rettungsmaßnahmen für das Finanzsystem werden sich auch in der Form bezahlt machen, dass der Zugang zu Krediten in Europa erleichtert wird, und europäische Rettungsbemühungen werden sich auch in der Form bezahlt machen, dass in den USA wieder Kredite fließen. Im Prinzip sollten also alle dasselbe tun, denn wir stecken alle zusammen im Dreck. Und noch etwas: Weil die Finanzkrise auch Schwellenländer erfasst hat, gehört zur Lösung der Krise ebenfalls ein globaler Rettungsplan für Entwicklungsländer. Was die Rekapitalisierung betrifft, wurde so manches zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, bereits umgesetzt: Der Internationale Währungsfonds vergab Kredite an Länder mit notleidender Wirtschaft wie die Ukraine, unter-
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ließ dabei aber moralisierende Forderungen und Sparauflagen, mit denen er während der Asienkrise der neunziger Jahre hausieren ging. Die Fed räumte derweil mehreren Zentralbanken von Schwellenländern Swap-Linien ein, sodass sie sich bei Bedarf Dollars leihen können. Zur Rekapitalisierung ist zu sagen, dass die bisherigen Bemühungen in die richtige Richtung zu gehen scheinen, aber ungenügend sind, weshalb man noch mehr wird tun müssen. Selbst wenn es den Rettungsmaßnahmen für das Finanzsystem gelingt, die Kreditmärkte wieder in Gang zu bringen, haben wir es immer noch mit einer sich vertiefenden globalen Rezession zu tun. Was eignet sich zum Gegensteuern? Die Antwort lautet nahezu sicher: der gute alte fiskalische Stimulus von Keynes. Nun haben es die Vereinigten Staaten Anfang 2008 schon mit einem fiskalischen Stimulus probiert; sowohl die Regierung Bush als auch die Demokraten im Kongress priesen ihn an als einen Plan, der Wirtschaft eine »Starthilfe« zu geben. Das Ergebnis war jedoch enttäuschend – aus zwei Gründen. Erstens war der Stimulus zu klein, denn er entsprach nur rund 1 Prozent des BIP. Der nächste sollte sehr viel größer sein und bei rund 4 Prozent des BIP liegen. Zweitens bestand das Geld im ersten Paket überwiegend in Steuernachlässen, die zum großen Teil gespart und nicht ausgegeben wurden. Schwerpunkt des nächsten Plans sollte es sein, die Staatsausgaben zu stützen und auszuweiten – zu stützen in Form von Zuweisungen an Einzelstaaten und Gemeinden, auszuweiten durch Ausgaben für Straßen, Brücken und andere Teile der Infrastruktur. Gegen Staatsausgaben als wirtschaftlichen Stimulus wird für gewöhnlich eingewandt, dass sie zu spät greifen, dass die Rezession schon vorbei ist, wenn der Nachfrageschub ankommt. Diese Sorge ist derzeit jedoch unangebracht, denn ein rascher Aufschwung ist nicht in Sicht, sofern nicht eine neue Blase auftaucht, die die Häuserblase ersetzen könnte. (Die satirische Zeitschrift The Onion brachte das Problem in einer Überschrift auf den Punkt: »Rezessionsgeplagtes Land fordert neue Blase zum Investieren.«)
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Wenn die öffentlichen Ausgaben einigermaßen zügig auf den Weg gebracht werden, müssten sie rechtzeitig wirksam werden – und sie haben zwei wichtige Vorteile gegenüber Steuererleichterungen. Zum einen würde das Geld wirklich ausgegeben, zum anderen würde etwas Wertvolles geschaffen (beispielsweise Brücken, die nicht einstürzen). Nun könnte man einwenden, dass Japan in den neunziger Jahren doch genau das getan hat und noch immer tut – durch Ausgaben für öffentliche Bauarbeiten einen fiskalischen Stimulus zu geben. Doch selbst in Japan haben öffentliche Ausgaben wahrscheinlich verhindert, dass eine schwächelnde Wirtschaft in eine regelrechte Depression abstürzte. Außerdem spricht einiges dafür, dass ein Stimulus durch öffentliche Ausgaben, wenn er rasch kommt, in den Vereinigten Staaten besser funktionieren würde, als er in Japan funktioniert hat. Zum einen stecken wir noch nicht in der Falle der Deflationserwartungen, in die Japan nach Jahren halbherziger Maßnahmen geraten war. Zum anderen hat Japan mit der Rekapitalisierung seines Bankensystems zu lange gewartet – ein Fehler, den wir hoffentlich nicht machen werden. Mir geht es bei alledem darum, dass wir an die gegenwärtige Krise in dem Geiste herangehen, alles zu tun, was nötig ist, um die Wende zu schaffen; wenn das, was bisher getan wurde, nicht genügt, müssen wir mehr tun und etwas anderes tun, bis die Kredite wieder fließen und der Aufschwung der Realwirtschaft beginnt. Und sobald die Bemühungen um den Aufschwung in Gang kommen, wird es an der Zeit sein, dass wir uns prophylaktischen Maßnahmen zuwenden und das System so reformieren, dass sich die Krise nicht wiederholt.
Die Finanzreform Wir haben ein Problem mit der Zündung, sagte John Maynard Keynes, als die Große Depression begann – der Wirtschaftsmotor
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war in gutem Zustand, nur ein wichtiges Bauteil, das Finanzsystem, funktionierte nicht. Und Keynes sagte ferner Folgendes: »Wir sind in einen gewaltigen Kuddelmuddel geraten, weil wir grobe Fehler im Umgang mit einer empfindlichen Maschine gemacht haben, deren Funktionsweise wir nicht verstehen.« Beides gilt heute genauso, wie es damals galt. Wie ist es zu diesem zweiten »gewaltigen Kuddelmuddel« gekommen? Nach der Großen Depression hatten wir die Maschine so umgebaut, dass wir sie wirklich verstanden – jedenfalls gut genug, um größere Katastrophen zu vermeiden. Die Banken, also jener Teil des Systems, der in den dreißiger Jahren so schrecklich versagt hatte, wurden einer straffen Regulierung unterworfen und von einem starken Sicherheitsnetz gestützt. Internationale Kapitalbewegungen, die in den dreißiger Jahren eine zerstörerische Rolle gespielt hatten, wurden ebenfalls eingeschränkt. Das Finanzsystem wurde ein bisschen langweilig, aber viel sicherer. Irgendwann wurde es dann wieder interessant und gefährlich. Wachsende internationale Kapitalströme schufen die Bedingungen für verheerende Währungskrisen in den neunziger Jahren und für eine globalisierte Finanzkrise im Jahr 2008. Das Wachstum des Schattenbankensystems ohne eine entsprechend erweiterte Regulierung schuf die Bedingungen für moderne Bankenanstürme gewaltigen Ausmaßes. Drängten sich damals verzweifelte Menschen vor verschlossenen Banken, so vollzog sich der Ansturm diesmal in Form verzweifelter Mausklicks, aber deshalb war er nicht minder verheerend. Wir müssen ohne Frage erneut die Lektionen lernen, die unseren Großvätern durch die Große Depression erteilt wurden. Auf die Einzelheiten eines neues Regulierungssystems werde ich hier nicht eingehen, aber das Grundprinzip sollte klar sein: Alles, was in einer Finanzkrise gerettet werden muss, weil es im Finanzsystem eine wesentliche Rolle spielt, sollte, wenn keine Krise da ist, reguliert sein, damit es keine maßlosen Risiken eingeht. Seit den dreißiger Jahren mussten Geschäftsbanken über hinreichendes
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Kapital verfügen, Reserven an flüssigen Mitteln halten, die rasch in Bargeld umgetauscht werden können, und die Art der von ihnen getätigten Investitionen beschränken – und dafür erhielten sie staatliche Garantien, falls etwas schiefging. Nun, da wir erlebt haben, dass eine Vielzahl von Nichtbank-Institutionen etwas erzeugte, was einer Bankenkrise gleichkommt, muss eine vergleichbare Regulierung auf einen sehr viel größeren Teil des Systems ausgeweitet werden. Außerdem werden wir uns sehr genau überlegen müssen, wie wir mit der finanziellen Globalisierung umgehen. Nach der Asienkrise der neunziger Jahre wurde von verschiedenen Seiten gefordert, internationale Kapitalströme langfristig zu beschränken und nicht nur in Krisenzeiten vorübergehend zu kontrollieren. Diese Forderungen wurden zumeist zurückgewiesen zugunsten einer Strategie, große Devisenreserven aufzubauen, mit denen künftige Krisen abgewehrt werden sollten. Diese Strategie hat, wie man jetzt sieht, nichts gebracht. Für Länder wie Brasilien und Korea muss es ein Albtraum sein, wenn sie nach allem, was sie unternommen haben, die Krise der neunziger Jahre erneut durchmachen. Wie man beim nächsten Mal reagieren soll, ist nicht ganz klar, aber auf jeden Fall hat sich gezeigt, dass wir nicht erkannt haben, wie gefährlich die finanzielle Globalisierung tatsächlich ist.
Die Macht der Ideen Wie der Leser wohl schon erkannt hat, bin ich nicht nur der Ansicht, dass wir wieder massive Anzeichen einer neuen Depression sehen, sondern auch, dass John Maynard Keynes, der Ökonom, der die Große Depression verstanden hat, heute aktueller und wichtiger ist als je zuvor. Keynes beendete sein Meisterwerk, die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, mit einem berühmt gewordenen Satz über die Bedeutung ökonomischer Ideen: »Aber früher oder später sind es Ideen und
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nicht Interessengruppen, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.« Man kann darüber streiten, ob das immer stimmt, aber in Zeiten wie diesen stimmt es auf jeden Fall. Der Kernsatz der Ökonomie lautet angeblich »Es gibt nichts umsonst«; er besagt, dass die Ressourcen begrenzt sind, dass man, wenn man von einer Sache mehr haben will, hinnehmen muss, von einer anderen Sache weniger zu haben, oder um es mit dem Sprichwort zu sagen: Kein Preis ohne Fleiß. In der Depression geht es jedoch gerade darum, dass es in manchen Situationen doch etwas umsonst gibt, nur müssten wir herausfinden, wie wir es in die Hände kriegen, weil es ungenutzte Ressourcen gibt, die man nutzbar machen könnte. In der Welt von Keynes – und in der unseren – betraf die eigentliche Knappheit daher nicht die Ressourcen oder gar die Tugend, sondern die Erkenntnis. Die Erkenntnis, die wir brauchen, werden wir aber nur erreichen, wenn wir bereit sind, uns klare Gedanken über unsere Probleme zu machen und diesen Gedanken zu folgen, wohin sie auch immer führen mögen. Manche sagen, unsere wirtschaftlichen Probleme seien struktureller Natur und eine rasche Abhilfe sei nicht in Sicht. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass die wesentlichen strukturellen Hindernisse für eine prosperierende Welt allein in den überholten Doktrinen bestehen, die den Menschen den klaren Blick verstellen.
Über den Autor Irwin L. Collier1
Am Montag, 13. Oktober, sollte bekanntgegeben werden, wer den Wirtschaftsnobelpreis 2008 erhält. Ich weiß noch, wie ich über den Schiffbauerdamm ins Berliner Studio von n-tv eilte, wo unmittelbar nach der Bekanntgabe ein Interview geplant war. Da wir keine Insiderinformationen hatten, war ich zur Vorbereitung die Gerüchte und die gemeldeten Wettquoten für die üblichen Verdächtigen durchgegangen. Paul Krugman gehörte seit langem zu den Ökonomen, die vom Nobelpreis-Komitee ernsthaft in Erwägung gezogen wurden, aber in diesem Jahr schien es so etwas wie einen Bullenmarkt für Eugene Fama, den Begründer der sogenannten »Effizienzmarkthypothese«, zu geben. Mir war gar nicht wohl bei der Aussicht, eine Wahl erklären zu müssen, die viel mit Theorie zu tun hatte, aber kaum etwas mit den Sorgen einer Weltwirtschaft, die in der tiefsten Finanzkrise seit über siebzig Jahren steckte. Doch die Mitglieder des schwedischen Auswahlkomitees hatten schon Monate zuvor unter größter Geheimhaltung eine ganz andere Wahl getroffen: Professor Paul Krugman von der Universität Princeton für seine bahnbrechende Arbeit über Außenhandels1 Das Nachwort basiert im Wesentlichen auf der Laudatio, die Irwin L. Collier anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin am 4. Dezember 1998 zu Ehren Paul Krugmans hielt. Irwin L. Collier ist Professor für Volkswirtschaftslehre am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
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theorie und Wirtschaftsgeografie. Statt zu einem Himmelfahrtskommando über die Hypothese effizienter Märkte wurde das Interview bei n-tv für mich zu einem Heimspiel. Knapp zehn Jahre zuvor hatte ich die Ehre gehabt, die Laudatio zu halten, als meine Universität Paul Krugman die Ehrendoktorwürde verlieh. Damals arbeitete Paul Krugman an der ersten Ausgabe dieses Buches. Die große Rezession war für viele amerikanische und westeuropäische Leser seinerzeit nicht mehr als eine Sammlung von Berichten, die andere Zeiten und ferne Länder betrafen. Wohlwollende Leser erkannten darin Lektionen für Politiker von Ländern, die nicht so begünstigt waren wie das unsere, Lektionen, die vielleicht für die Leute von der Finanzfeuerwehr des IWF von Interesse sein mochten, aber nicht für Menschen, die das Glück hatten, in wohlgeordneten und gutgeführten Volkswirtschaften zu leben. Mit der ersten Ausgabe dieses Buches war Paul Krugman seiner Zeit fast ein Jahrzehnt voraus. Jetzt ist er mit seiner aktualisierten und erweiterten zweiten Ausgabe wieder da. Ich hoffe um unsertwillen, dass es für die Verantwortlichen noch nicht zu spät ist, ihre Kenntnisse der Rezessionsökonomie aufzufrischen. Zwei Dinge sind es, die Paul Krugman in ganz besonderer Weise auszeichnen: seine lebendige Sprache und ein ganz unvergleichlicher Stil bei der Darstellung ökonomischer Zusammenhänge. Dies erklärt, warum er inzwischen zu den meistgelesenen Ökonomen überhaupt zählt. Auf Fachkonferenzen weltweit lässt sich leicht die Probe aufs Exempel machen. In der Regel genügt beim gemeinsamen Mittagessen ein kleiner Anstoß, und schon beginnen die Leute, sich wechselseitig ihre Lieblingsgeschichten von Paul Krugman zu erzählen. Wenn nicht, dann sitzen sie am falschen Tisch. Paul Krugman, 1953 geboren, wuchs in einem New Yorker Vorort auf und besuchte die dortige öffentliche High School. Sein Grundstudium absolvierte er am Yale College und schloss es 1974 mit einem B.A. (Bachelor of Arts) in Volkswirtschaftslehre ab. Allerdings hatte er bis dahin nur wenig mehr als die für Hauptfachstudenten verlangte Mindestzahl an Kursen belegt. Denn genauso
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wichtig war ihm eine für amerikanische Verhältnisse ganz und gar übliche breitgefächerte, interdisziplinär angelegte geistes- und sozialwissenschaftliche Ausbildung. Insbesondere Geschichte war neben der Ökonomie Krugmans Schwerpunktfach während seiner Zeit als »undergraduate«. Im vorletzten Jahr seines Grundstudiums besuchte er ein gemeinsam von Tjalling Koopmans (Nobelpreis 1975) und William Nordhaus abgehaltenes Seminar und schrieb eine Seminararbeit über langfristige Elastizitäten beim Benzin, die auch empirische Schätzungen enthielt. Diese Arbeit erregte Nordhaus’ Aufmerksamkeit und brachte Krugman einen Teilzeitjob als Forschungsassistent ein. Nordhaus, der seinerzeit selbst am Massachusetts Institute of Technology promoviert hatte, ist heute wohl vor allem als Koautor der Neuauflagen von Paul Samuelsons Lehrbuch-Klassiker Volkswirtschaftslehre einem breiten Fachpublikum bekannt. Seinem Lehrer Nordhaus aber verdankt Paul Krugman noch etwas anderes, nämlich eine Entdeckung, die er später als »MITStil« bezeichnete: »Gute Ökonomie kann man auf vielerlei Weise betreiben. Zum Beispiel, indem man grundlegende Theoreme beweist. Oder indem man detaillierte empirische Studien durchführt. Was mich aber schon immer besonders fasziniert hat, seit ich ihn einst bei [William] Nordhaus kennen lernte, ist der MIT-Stil: kleine Modelle, die man auf reale Probleme anwendet; eine Mischung aus empirischen Beobachtungen und einem Schuss Mathematik, die es uns erlaubt, zum Kern der Fragestellung vorzudringen.« Das hört sich ziemlich einfach an. Man sollte also besser klarstellen, dass es sich dabei weder um aus Büchern erlerntes Wissen noch in irgendeiner Weise um ein Ergebnis formaler Ausbildung handelt. Vielmehr ist es die enge Zusammenarbeit mit dem Meister, der Krugman seine Technik verdankt. Darin liegt der ganze Unterschied. Paul Krugman erhielt in der Folge von der renommierten National Science Foundation (NSF) ein Graduiertenstipendium für das
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Fach Ökonomie. Dies ermöglichte ihm ein Promotionsstudium im Rahmen eines beliebigen US-Graduiertenprogramms seiner Wahl. Er konnte sich seine Uni also praktisch aussuchen. Doch als Nordhaus-Schützling war es für Krugman ziemlich selbstverständlich, seine Studien am MIT zu betreiben, zumal das MIT bei den NSFStipendiaten dieser Fachrichtung seinerzeit als allererste Adresse galt. Paul Krugman begann seine Studien am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft des MIT im September 1974. Es ist vielleicht kein Zufall, dass aus der Studiengruppe, der er angehörte, eine ganze Reihe inzwischen sehr bekannter Persönlichkeiten hervorging. Erwähnt seien nur ein ehemaliges Mitglied des Wirtschaftssachverständigenrats (Council of Economic Advisers) des US-Präsidenten, ein ehemaliger mexikanischer Finanzminister, der frühere Chef der portugiesischen Zentralbank, einer der derzeitigen Herausgeber des European Economic Review sowie verschiedene Mitautoren von makroökonomischen Lehrbüchern, die seit Jahren bereits zum Lehrstoff gehören. In einem seiner Schwerpunktgebiete, der Theorie des Internationalen Handels, besuchte Krugman Vorlesungen und Seminare von Jagdish Bhagwati. In seiner Abschlussarbeit überraschte er seinen Lehrer mit einem neuen theoretischen Sonderfall: Armut auslösendes Wachstum. Von besonderer Bedeutung – sowohl für den Fachbereich insgesamt als auch für Krugmans eigene Entwicklung – war damals die Berufung von Rudiger Dornbusch, der 1975 die Nachfolge von Charles Kindleberger antrat und für die Graduiertenkurse im Fachgebiet Internationale Finanzwirtschaft zuständig war. Dornbusch sollte in der Folge – zusammen mit Stanley Fischer – der gesamten neuen Doktorandengruppe des Fachgebiets Makroökonomie seinen geistigen Stempel aufdrücken. Nur der Vollständigkeit halber seien hier noch die weiteren Fächer erwähnt, die Krugman zur Abrundung seines Wirtschaftsstudiums betrieb: Statistik und Ökonometrie lernte er bei dem jungen Jerry Hausman, und mit der Dualitätstheorie wurde er durch den jungen Hal Varian (Chef-
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volkswirt, Google) vertraut. Empirische Makroökonomik und Dynamische Makroökonomik wiederum studierte er bei Robert Hall bzw. Robert Solow (Nobelpreis 1987). Mit praktischer Wirtschaftspolitik erstmals richtig in Kontakt kam Krugman eines Sommers, als er zusammen mit anderen ausgewählten MIT-Doktoranden bei der portugiesischen Zentralbank an einem von Professor Richard Eckhaus geleiteten Projekt teilnahm. 1977 schloss Krugman sein Graduiertenstudium nach nur drei Jahren mit dem Doktorgrad ab (also ein Jahr schneller, als es die Regelstudienzeit am MIT vorsieht). Seinen ersten größeren Fachaufsatz hatte Krugman bereits während seines Hauptstudiums verfasst. Allerdings ist er in seiner Dissertation mit dem Titel Essays on Flexible Exchange Rates (Cambridge, Mass., MIT, Diss., 1977) nicht enthalten. Der Hauptgrund ist wohl, dass der Aufsatz bei Rudiger Dornbusch, Krugmans Doktorvater, anfänglich eher wenig Gnade fand. Was aber nur beweist, dass es mitunter kein Kinderspiel ist, seinem eigenen Lehrer gewisse Einsichten beizubringen. Gute Lehrer wie Dornbusch aber zeichnen sich eben dadurch aus, dass die Botschaft letztlich doch begriffen wird. Die Anregung zu jenem ersten Aufsatz erhielt Krugman übrigens während eines zweimonatigen Forschungsaufenthalts bei dem Federal Reserve Board of Governors in Washington D.C.; dort entdeckte er Parallelen zwischen spekulativen Attacken auf Rohstoffvorräte und Währungskrisen. Seine akademische Lehrtätigkeit begann Paul Krugman 1977 als Assistant Professor in Yale, seiner ursprünglichen Alma mater, wo er bis 1980 blieb. In dieser Zeit gelang ihm auch der erste große Durchbruch. Der Jungprofessor Paul Krugman scheint während seines Einstiegssemesters freilich nicht die allerschönste Zeit genossen zu haben, sah er sich doch – von Bedenken geplagt – als »ohne Vision dahintreibend«. Doch Mitleid mit dem jungen Helden wäre durchaus fehl am Platze. Denn was unsereins als Echtzeitbewegung erlebt, das nimmt Krugman als Zeitlupentempo
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wahr. Seine Suche nach Orientierung dauerte folglich nicht einmal ein halbes Jahr – und sie fand ihr Ende, als er einen völlig neuen Schlüssel zum Verständnis des Welthandels entdeckte, nämlich die Bedeutung von Größenvorteilen in der Produktion und deren Folgen für den Wettbewerb. Seine erste Bekanntschaft mit derlei Modellen verdankt er nach eigenem Bekunden einem Graduiertenkurs bei Robert Solow im Jahre 1976. Konkrete eigene Vorstellungen entwickelte er dann im Januar 1978, angeregt durch ein Gespräch mit Rudiger Dornbusch, der ihn in seiner Auffassung bestätigte, dass die Anwendung dieses Bausteins der Theorie des unvollkommenen Wettbewerbs auf ein Modell internationalen Handels interessante Ergebnisse erbringen könnte. Freilich fehlte damals noch ein wichtiges argumentatives Zwischenglied, doch im Frühjahr 1979 vermochte er auch diese Lücke zu schließen. Im Juli 1979 schließlich stellte Krugman – im Rahmen eines vom National Bureau of Economic Research veranstalteten Seminars – seine Ideen den in seinem Forschungsgebiet führenden Wissenschaftlern vor. Später schrieb er über dieses Ereignis: »Trotz allem, was ich seither gemacht habe, bin ich nach wie vor der Meinung, dass jener eineinhalbstündige Vortrag die besten neunzig Minuten meines Lebens waren.« Dem beipflichtend, kann man ohne Übertreibung ergänzen: Jener Vortrag und die folgenden drei Aufsätze machten Krugman zu einem der führenden Welthandelstheoretiker des zwanzigsten Jahrhunderts.2 Worin bestand nun Krugmans spezifischer Beitrag? Im Prinzip bediente er sich bei Adam Smith und dessen Erkenntnis, dass Arbeitsteilung die Produktionskosten senkt. Auf dieser Basis gelang es ihm, die scheinbaren Widersprüche zwischen den logischen Ergebnissen der herkömmlichen Außenhandelstheorie 2 Bei diesen Folgeaufsätzen handelt es sich um: »Increasing Returns, Monopolistic Competition, and International Trade«, in: Journal of International Economics, 1979; »Scale Economies, Product Differentiation, and the Pattern of Trade«, in: American Economic Review, 1980; »Intraindustry Specialization and the Gains from Trade«, in: Journal of Political Economy, 1981.
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und empirisch beobachtbaren Handelsstrukturen aufzulösen. Krugman entwickelte also ein Modellierungsverfahren, mit dem die Welthandelstheoretiker zu komplexeren und realitätsgerechteren Betrachtungen in der Lage waren, jenseits der bequemen, doch simplifizierenden Annahme vollkommener Konkurrenz bei gleichzeitiger Vernachlässigung sogenannter »economies of scale« bzw. Skalenerträge. Bis dahin hatte man den internationalen Handel als im Wesentlichen von drei Faktoren geprägt gesehen: länderspezifischen Unterschieden, unterschiedlichen Kostenverhältnissen (Ricardo) sowie unterschiedlicher Faktorausstattung (Heckscher-Ohlin). Wie aber lässt sich dann das zu beobachtende riesige Handelsvolumen zwischen offenkundig ähnlichen Volkswirtschaften erklären? Nun, Krugmans Linse der Theorie des monopolistischen Wettbewerbs gibt Aufschluss darüber, warum nach dem Krieg der Handel zwischen Ländern so stark zunahm, die über eine ähnliche Faktorausstattung verfügten und in denen kein nennenswerter Verteilungskampf zwischen durch den Außenhandel begünstigten und benachteiligten Produktivkräften stattfand. Und ausgehend von der Beschäftigung mit den Implikationen einer bestimmten Marktstruktur für die Theorie des internationalen Handels war es dann nur natürlich, auch die Auswirkungen anderer Marktstrukturen (etwa des Oligopols) auf die Handelsstrukturen und die internationale Handelspolitik zu untersuchen. 1980 kehrte Krugman im Rang eines Associate Professor ans MIT zurück. Im Sommer 1982 wurde er vom damaligen Vorsitzenden von Ronald Reagans Wirtschaftssachverständigenrat, Professor Martin Feldstein von der Harvard University, als Leiter der Abteilung Außenwirtschaft in dessen Stab berufen. Krugman ließ sich also für das akademische Jahr 1982/83 beurlauben und ging nach Washington, um seine Tätigkeit im unmittelbar neben dem Weißen Haus gelegenen Old Executive Office Building aufzunehmen. Ironischerweise waren im Beraterstab der Reagan-Administration jener Jahre noch einige Ökonomen-Jungstars in leitenden
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Positionen vertreten; erwähnt seien nur Krugman, Gregory Mankiw (später Wirtschaftsberater von Präsident George W. Bush) und Lawrence Summers (der unter Präsident Bill Clinton Finanzminister war und unter Barack Obama wirtschaftspolitischer Chefkoordinator werden soll). Das Jahr in Washington war für Krugman eine prägende Erfahrung, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen konnte er sich wertvolle direkte Einblicke in die wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozesse verschaffen – einschließlich der Erkenntnis, dass die politisch Verantwortlichen mitunter ein beklagenswert lückenhaftes oder gar falsches Verständnis der ökonomischen Grundtatbestände besitzen, bedingt dadurch, dass ihnen Jasager häufig lieber sind als kritische Berater. Dies dürfte ihm wohl den letzten Rest seines Glaubens daran geraubt haben, dass das bessere Argument in der internen Diskussion obsiegt. Zum andern aber entdeckte er in dieser Zeit ein Talent in sich, das ihm später noch ausgesprochen gute Dienste leisten sollte: die Fähigkeit, wirtschaftliche Zusammenhänge allgemeinverständlich darzustellen. Krugmans Feder ist schon beim gemeinschaftlich erstellten Jahresbericht 1983 des Sachverständigenrats (Annual Report of the Council of Economic Advisers für 1983) unschwer zu erkennen. Nach seiner Rückkehr ans MIT zum Herbstsemester 1983 begann Krugman eine intensive Zusammenarbeit mit einem MIT-Gastprofessor, Elhanan Helpman von der Universität Tel Aviv. Gemeinsam gelang den beiden eine Synthese dessen, was bereits als »Neue Handelstheorie« bekannt war, das heißt eine Zusammenführung und Verschmelzung von Außenhandelstheorie und Theorie der industriellen Organisation. Das Buch trägt den Titel Market Structure and Foreign Trade und ist inzwischen das Standardwerk für diese neue Richtung der Theorie des internationalen Handels. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wandte sich Krugman verstärkt praktischen, anwendungsbezogenen Themen der internationalen Politik zu. Während zuvor die großen Fragen der Ökonomie – wie etwa nach den Ursachen für die Existenz des interna-
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tionalen Handels – im Zentrum seines Interesses standen, begann er den spezifischen (Nordhausschen) MIT-Stil nun auf konkret politische Themen anzuwenden. Beispiele sind der Erlass von Schulden der Dritten Welt, die Funktionsweise des Europäischen Währungssystems oder die augenfällige Tendenz zur Bildung von Handelsblöcken. Sein Modell der Wechselkurszielzonen – dargelegt in Target Zones and Exchange Rate Dynamics (in: Quarterly Journal of Economics, 1991) – gehört zu den einflussreichsten Arbeiten aus dieser Periode der verstärkten Beschäftigung mit praktisch-politischen Fragen. Das Jahr 1990 markierte eine Wasserscheide in Krugmans Entwicklung. Bis dahin hatte sich sein Wirken weitgehend auf den akademischen Bereich beschränkt. Er zählte inzwischen zu den Arrivierten seines Fachs, war einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, doch noch war er nicht jener Krugman, der nicht nur bibliografisch zur Kenntnis genommen, sondern in Fachkreisen auch eifrig gelesen und fleißig zitiert wird. Sein Buch The Age of Diminished Expectations (tatsächlich bereits 1989 geschrieben) war eine bahnbrechende Einführung in zeitgenössische Wirtschaftsfragen. Nach wenigen Jahren bereits hatte dieser »Kultklassiker« auch die Seminarräume erobert und ist in den USA inzwischen fester Bestandteil der Lektürelisten wirtschaftswissenschaftlicher Grundkurse. Ich erinnere mich noch gut daran, als mir dieses Werk in einem Buchladen erstmals in die Hände fiel. Beim Blättern sprang mir auf den ersten Seiten gleich jene berühmte krugmansche Unterscheidung zwischen drei Arten des Schreibens über ökonomische Themen ins Auge: Technisch-abstrakt (»Greek letter«), phänomenologisch (»up-and-down«) und reißerisch (»airport«). Die erste Kategorie meint den Fachdiskurs der Ökonomen untereinander – formal, theoretisch und mathematisch. In die zweite Kategorie fallen die Wirtschaftsseiten der Zeitungen oder die allabendlichen TV-Wirtschaftsmeldungen (»Der Index schloss bei lebhaftem Geschäft im Plus«); gemeint ist also die rein beschrei-
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bende Tagesberichterstattung. Die dritte Kategorie schließlich bezieht sich auf die aufgetakelten Bestseller – jene Sorte Taschenbücher, die speziell die Regale von Flughafen-Buchläden füllen und vorzugsweise Szenarien vom Untergang der Zivilisation oder des Heraufdämmerns neuer, leuchtender Zeitalter entwerfen. Paul Krugman aber ging mit diesem Buch ebenso wie mit dem vorliegenden ganz eigene Wege: Er verzichtet auf Formeln und Fachjargon und beweist da mit, dass man komplexe ökonomische Argumentationsketten allgemeinverständlich auf den Punkt bringen kann, und zwar auf die denkbar unterhaltsamste Weise. Ich hatte selber Gelegenheit, The Age of Diminished Expectations als das erste dieses neuen Genres von Literatur über ökonomische Fragen in meinen Seminaren zu testen: Ich konnte feststellen, dass die Studenten daraufhin viel bessere Klausurarbeiten schrieben. Ähnlich wie Mark Twains Huckleberry Finn vermag auch Krugman mit seinen populär geschriebenen Büchern Leser unterschiedlichsten intellektuellen Niveaus anzusprechen. Noch bevor sich jedoch die Vorzüge dieses großartigen Erstlings des Genres in Fachkreisen allgemein herumgesprochen hatten (Mundpropaganda braucht eben ihre Zeit), erhielt Krugman 1991 die John-Bates-Clark-Medaille der American Economic Association verliehen. Diese Auszeichnung wird alle zwei Jahre an einen herausragenden Ökonomen unter vierzig Jahren verliehen. Zu den Trägern der Medaille zählen so große Vertreter ihres Fachs wie Paul Samuelson, Milton Friedman, James Tobin, Kenneth Arrow, Lawrence Klein, Robert Solow und Gary Becker (später alle Träger des Wirtschaftsnobelpreises). Trotzdem kann Paul Krugman keine schwere Wahl gewesen sein. Während des Präsidentschaftswahlkampfs von 1992 wurde die Person Paul Krugman dem breiten Publikum in einer Weise zum Begriff, wie dies einem Ökonomen so schnell nicht mehr widerfahren dürfte. Schuld daran war vor allem ein Thema, das in The Age of Diminished Expectations eine wichtige Rolle spielt, nämlich die wirtschaftliche Ungleichheit, die in den Reagan-Jahren be-
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trächtlich zugenommen hatte. Krugman trug in dieser Sache eine öffentliche Fehde mit dem Wall Street Journal aus. Will man den damaligen Gerüchten glauben, galt er als ernsthafter Kandidat für eine leitende Position in einer künftigen Clinton-Administration. Doch wie Krugman selbst einmal anmerkte, ist er nicht der Typ des Höflings, und zum Hofnarren eigne er sich schon gar nicht. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft ist es freilich alles andere als bedauerlich, dass Krugman nicht erneut nach Washington ging. Zu Beginn der neunziger Jahre nämlich widmete er sich intensiv wirtschaftsgeographischen Themen, und auf diesem Gebiet gelang ihm auch prompt ein zweiter fundamentaler Durchbruch. Während zuvor die äußerst produktive Auseinandersetzung mit steigenden Grenzerträgen und unvollkommenen Marktstrukturen sein Schaffen geprägt hatte, arbeitete er nun mit externen Effekten und geschichtlichen Besonderheiten als Erklärungsparametern der räumlichen Dimension wirtschaftlicher Aktivitäten, etwa in Geography and Trade (MIT Press, 1991). 1994 nahm Paul Krugman eine Professur in Stanford an, blieb dort aber nur kurze Zeit. Im August 1996 kehrte er also zurück ans MIT und wurde Ford International Professor of Economics, bis er im Jahr 2000 eine Professur an der Universität Princeton annahm. Neben seinen Forschungen im Bereich sowohl der realen als auch monetären Aspekte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat sich Krugman – zusammen mit Maurice Obstfeld – auch einen Namen als Lehrbuchautor gemacht. Ihr gemeinsames Werk International Economics: Theory and Policy zählt zu den führenden Lehrbüchern auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und des Welthandels. In zwei neueren populär geschriebenen Werken – Peddling Prosperity und Pop Internationalism3 – meldet sich ein kritischer Paul 3 Letzteres Buch erschien auf deutsch unter dem Titel Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg, Campus Verlag, Frankfurt/M. 1999.
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Krugman zu Wort. Hier kommt es ihm vor allem darauf an, den öffentlichen Diskurs in Wirtschaftsfragen gleichsam vom Kopf auf die Füße zu stellen und einem allgemeinen Publikum den Zugang zu echtem ökonomischem Denken zu eröffnen. Wir erleben hier den Einzelkämpfer Krugman, der die falschen Idole vom Sockel holt, indem er die Behauptungen und Argumente vieler Wortführer der öffentlichen Diskussion messerscharf zerpflückt und ihnen nachweist, dass sie in Wahrheit weder die Grundlagen der Ökonomie beherrschen noch gar den Wissenszuwachs zur Kenntnis genommen haben, den uns die ökonomische Forschung im Lauf der Zeit gebracht hat. Der polemische Krugman nimmt keinerlei falsche Rücksichten, attackiert also keine Strohmänner, sondern nennt Ross und Reiter beim Namen. Kommentatoren und Meinungsmacher, Politiker und Regierungsvertreter, ideologische Scharlatane links wie rechts – sie alle müssen gewärtigen, den eigenen Unverstand von Krugman namentlich unter die Nase gerieben zu bekommen. Krugman beansprucht für sich keinen Pardon – und er gewährt auch keinen. Man sollte meinen, die Entsorgung fehlerhafter Theorien über wirtschaftliche Zusammenhänge sei ein Job mit in etwa genauso viel Glamour wie der eines Zirkusangestellten, der den Elefanten in der Manege hinterherfegt. Doch ebenso leicht übersehen wir die grundlegende Bedeutung von modernen Abwassersystemen für ein gut funktionierendes städtisches Gemeinwesen. Krugmans Reputation auch außerhalb seines Berufsstandes ist inzwischen gewaltig. Er ist – im besten Sinne des Wortes – zweifellos einer der größten Popularisierer des ökonomischen Denkens, einer, der es versteht, auch dem Nichteingeweihten wirtschaftliche Zusammenhänge begreiflich zu machen. Hierzu dienten ihm nicht zuletzt auch zwei Kolumnen, in denen er sich regelmäßig zu aktuellen Wirtschaftsfragen äußerte. Die eine war im Internet in dem Microsoft-Online-Magazin Slate und läuft unter dem Etikett Dismal Science (das war als ironisch-koketter Hinweis auf die »trostlose Wissenschaft von der Knappheit der Mittel« gemeint).
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Die andere erschien – ganz konventionell – im Wirtschaftsmagazin Fortune. Ich würde gern den Leser sehen, der beispielsweise einem Artikel mit der Überschrift »Viagra and the Wealth of Nations« (Viagra und der Wohlstand der Nationen) zu widerstehen vermag. Seit Januar 2000 schreibt Paul Krugman zweimal in der Woche eine Kolumne für die altehrwürdige New York Times und ist dadurch zu einem der bekanntesten Intellektuellen in der Geschichte der Vereinigten Staaten geworden. Auf das erste Jahr, in dem Krugman regelmäßig für die New York Times schrieb, folgten die acht Jahre der Präsidentschaft von George W. Bush, für den der Kolumnist Krugman zum bedrohlichsten politischen Bösewicht wurde. Zwei Wochen bevor Präsident Bush sein Steuergesetz durch seine Unterschrift in Kraft treten ließ (Juni 2001), warf Krugman ein Buch von 128 Seiten mit dem Titel Fuzzy Math auf den Markt. Darin enthüllte er die politischen Grundlagen dieses Vorhabens der republikanischen Regierung, Vermögen und Einkommen weitgehend umzuverteilen, und zeigte, dass es die Ungleichheit nicht linderte, sondern verschärfte. Eine Auswahl der Kolumnen, in denen er Bushs Wirtschaftspolitik kritisierte, wurde 2004 in sein Buch Der große Ausverkauf. Wie die Bush-Regierung Amerika ruiniert aufgenommen. Krugmans neue Kollegen, politische Journalisten, kamen mehrheitlich rasch zu der Meinung, sein Stil sei zu schrill und sein Ton gegenüber dem Amt des Präsidenten grenze an Majestätsbeleidigung. Gleichwohl gewann Krugman mit seinen politischen und wirtschaftlichen Kommentaren immer mehr treue Leser. Im September 2007 startete Paul Krugman seinen Blog bei der New York Times, der seither seine Leser mit noch mehr zufälligen Beobachtungen, Kommentaren, Mitteilungen und witzigen Bemerkungen versorgt, und zwar, wie es scheint, rund um die Uhr und die ganze Woche hindurch. Genau ein Jahr, bevor die schwedische Akademie verkünden sollte, dass der Wirtschaftsnobelpreis an Paul Krugman verliehen
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wird, veröffentlichte er eine großartige Untersuchung, The Conscience of a Liberal.4 Darin geht er den Gründen nach, die zum Aufstieg der konservativen Bewegung führten, der seinen Höhepunkt in den zwei Amtszeiten von Präsident George W. Bush fand, und er legt seinen eigenen Plan für einen neuen New Deal für die Vereinigten Staaten vor. Der Vollständigkeit halber kann ich nur beiläufig erwähnen, dass Paul Krugman gemeinsam mit seiner Frau und ÖkonomieKollegin Robin Wells ein Lehrbuch zur Einführung in die Volkswirtschaftslehre verfasst hat, das jetzt in die zweite Auflage geht. Als sie erfuhr, dass ihrem Mann gerade der Nobelpreis zuerkannt worden war, bemerkte Robin Wells halb ironisch: »Paul, dafür haben wir wirklich keine Zeit.« Am 10. Dezember 2008 wurde Paul Krugman im Stockholmer Konzerthaus zusammen mit den Nobelpreisträgern für Physik, Chemie, Medizin/Physiologie und Literatur die höchste internationale Ehrung für Wissenschaft und Literatur zuteil. Es gab Spekulationen, dies sei eine politische Auszeichnung des »Alten Europa« für einen Amerikaner, der in den letzten acht Jahren immer wieder schonungslos die Bush-Regierung kritisiert hatte. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ich hatte während der Nobel-Feierlichkeiten in Stockholm Gelegenheit, mit mehreren der an der Entscheidung beteiligten Ökonomen zu sprechen. Man war der Meinung, Paul Krugman habe mit seinem doppelten Beitrag zur Theorie des Außenhandels und zur Wirtschaftsgeografie, der seinen Anspruch auf fundamentale Originalität begründet, zur Entwicklung der Volkswirtschaftslehre als einer wissenschaftlichen Disziplin beigetragen. Die übrigen Facetten der Arbeit von Paul Krugman hätten die in der Nobelpreisurkunde erwähnte fundamentale Originalität weder vermehrt noch beeinträchtigt. Krugman kann im Alter von 55 Jahren also bereits auf drei be4 Auf deutsch erschienen unter dem Titel Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten, Campus Verlag, Frankfurt/M. 2008.
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deutende Karrieren zurückblicken: Er ist innovativer Theoretiker, kenntnisreicher Analytiker und Kommentator der Wirtschaftspolitik sowie Aufklärer über aktuelle volks- und weltwirtschaftliche Fragen und Probleme. Von fallenden Grenzerträgen ist in keinem der drei Bereiche auch nur die Spur zu erkennen. Bei einem so dynamischen, mannigfaltig interessierten Forscher wie Krugman, der hoffentlich noch mindestens genauso viele Jahre seines Wissenschaftlerlebens vor wie hinter sich hat, ist eine Prognose schwierig. In Anbetracht der enormen Präsenz seiner populären ökonomischen Schriften – wie ein Blick auf die Webseiten von Ökonomieprofessoren weltweit deutlich zeigt – ist er den Studenten des Fachs ein Begriff wie kein Wirtschaftswissenschaftler sonst. Hinzu kommt seine potentielle Breitenwirkung. Ich finde es faszinierend, mir vorzustellen, wie vielen Menschen er noch helfen kann und wird, ihr Interesse und nicht zuletzt auch ihr Talent für das Fachgebiet der Ökonomie zu entdecken. Dies ist freilich eine Saat, die erst nach Generationen richtig aufgehen wird. Ein kleines Gedankenspiel mag dies verdeutlichen: Erinnern wir uns nur an unser eigenes literarisches Schlüsselerlebnis, das uns zur Ökonomie gebracht hat; nehmen wir dann zum Vergleich das erste Krugman-Werk, das uns beeindruckt hat; und stellen wir uns nun einen jungen Menschen vor, der über Paul Krugman die Welt der Wirtschaft entdeckt! Ich darf mit einer ganz persönlichen Erinnerung schließen. Am MIT gibt es im Rahmen des Graduiertenprogramms die schöne Einrichtung einer alljährlichen Veranstaltung, bei der die Studenten eines Jahrgangs – oder mitunter der ganzen Fakultät – ein parodistisches Stück aufführen. Dies gibt den hart geforderten Nachwuchsökonomen Gelegenheit, allerhand Frustrationen abzubauen, indem sie ihr Fach allgemein und ihre akademischen Lehrer im Besonderen auf die Schippe nehmen. Aufhänger ist meist eine bekannte Geschichte. Ich erinnere mich an sehr fröhliche, ja ausgelassene Abende mit nicht immer ganz hasenreinen Späßen. Eine unserer damaligen parodistischen Einlagen basierte auf dem
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berühmten Judy-Garland-Film Der Zauberer von Oz. Keine Frage, auf wen der große und mächtige Oz gemünzt war – Paul Samuelson (Nobelpreis 1970) natürlich. Die Frage war nur: Wer sollte den Part übernehmen? Ich will mich heute nicht mehr festlegen, ob unser guter Paul Krugman sich freiwillig meldete oder mit sanftem Druck überredet wurde – jedenfalls übernahm er die Rolle. Dass Paul seine Sache ganz exzellent machte, weiß ich aber nach nunmehr über zwanzig Jahren noch ganz genau. Ich sehe ihn noch immer vor mir, wie er Samuelsons etwas schlurfenden Gang kopierte. Und ich wüsste wirklich zu gerne, ob Paul Samuelson an jenem Abend nicht vielleicht doch schon etwas ahnte von dem künftigen Krugman, der sich hinter seinem mit Fliege bestückten Imitator auf der Bühne verbarg. Lieber Paul Krugman: Wenn die Schuhe passen – nur zu!
Register
– Afghanistan 20 Agrarexporte 53 AIG 189, 207 Aktienmärkte 103 Alfonsín, Raúl 52 Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik 212 Arbeitslosigkeit 23, 31, 39, 57, 76, 93, 126, 133, 148, 166, 169 f, 184, 212 Arbeitslosigkeit 23, 31, 39, 57, 76, 93, 126, 133, 148, 166, 169 f., 184, 212 Arbeitsmarkt 178 Argentinien 7, 50–54, 57, 61–66, 82, 118–121, 128, 199, 208, 214 – Tequila-Effekt/Krise und 43, 59, 61, 66 f., 101, 107 – Währungsreform 53 Asiatische Finanzkrise (Asienkrise) 12, 14, 95, 111, 114, 116, 121, 130 f., 138, 141, 149, 152, 160, 206, 218, 221 – Anfälligkeit/Verwundbarkeit der Weltwirtschaft 114, 118 – Ausbreitung der 93, 111, 113 – Baht-Abwertung und 105, 110 – Beginn der Rezession bei 107, 109, 119 – China und die 100, 115
– Feedback-Kreis der Krisenverschlimmerung bei 109 – Krise vom 2. Juli 1997 und 103 f. – Mahathirs Verschwörungstheorie der 115 – Spontanerholung (1998) bei 89 f. – Suggestivpanik bei 114 – Woodstock-Konferenz und 112, 114, 117 – Verführung zum Risiko bei 101 – zweierlei Maßstäbe und Vertrauensproblem in 116 f. – siehe auch einzelne Länder Asien als Erdölexporteur 115 Aspe, Pedro 52, 56 Auction-Rate Securities 186 f., 189, 199, 203 »Auf lange Sicht sind wir alle tot.« (Zitat Keynes) 214 Aufstrebende Märkte siehe Schwellenländer Auslandsverschuldung 96 Australien 50, 128, 130–132, 140 Babysitting-Kooperative (Modell) 16, 25–30, 61, 77, 84 f., 90–92, 212 Baht, thailändischer 95, 98 f., 104–106, 108 f.
240 Die neue Weltwirtschaftskrise – Abwertung des 105–107, 110, 113 – in Relation zum Dollar 105, 108 f. Baisse-Spekulation siehe Leerpositionen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 45 Bank von Japan 30, 82 Bank von Thailand 98 f., 104 Bankenanstürme 108 f., 117, 163, 182, 193, 220 Bankensicherheitsnetz 187 Bankenzusammenbrüche 41, 121 Bernanke, Ben 18, 24, 177, 201, 204 f. Bestechung 129 Bevölkerung 11, 21, 37, 95 f., 117, 146, 149 – Vergreisung der 87 – Wachstum der 56 Bevölkerungsdruck, zunehmender 35 Blasenwirtschaft siehe auch Spekulationswirtschaft – japanische 76, 99 – siehe auch Spekulationswirtschaft Börsenkrach 1929 11, 32 Börsenkrach 1987 32 Brady, Nicholas 48 Brady-Abkommen//-Plan 54 Brasilien 119, 133–136, 138, 140 f., 205 f., 221 – Abwertung des Real 119, 135 – IWF und 64 f., 68 – Kapitalverkehrskontrollen und 51 Breschnew, Leonid 157 Bruttoinlandsprodukt (BIP) 54 f., 61, 75, 82, 88 f., 93, 101, 112, 120, 132, 177 f., 185, 206, 215 f., 218 Bundesrepublik Deutschland 7, 9, 21 f., 128, 146
Bush, George H. W. 32, 49 Bush, George W. 191, 230, 235 f. Calvo, Guillermo 67 f. Cárdenas, Cuauhtémoc 47, 58, 107 Carry Trades 70, 189, 206 f. Case-Shiller-(Hauspreis-)Index 171, 194 Cavallo, Domingo 52–54 chaebol 103, 116 Chile 42, 46 China, Volksrepublik 19, 22, 93, 100, 115, 128, 152, 205 – Anfälligkeit für Wirtschaftskrise 114, 118, 132 – Übernahme Hongkongs 151–156 – Wirtschaftswachstum 35, 37, 95 Clinton, Bill 114, 230 Clinton-Administration/-Regierung 58, 169, 233 Collateralized Debt Obligations (CDOs) 176, 195 f. Colosio, Donaldo 58 currency boards siehe Währungsräte Dämonisierung der Spekulationsfonds 115 De la Madrid, Miguel 46, 49 Deng Xiaoping 19 Depression(en) 11, 24, 31, 40, 123, 210 f., 219, 221 f. – Bekämpfung der 214 – Gefahr einer 212 – Große 12, 18, 80, 88, 183 f., 191, 201, 219 f., 221 – heimliche 82 f. – Symptome 210 f. – Vermeidung einer 17 – Verstärkung der 201 Depressionsklima 9
Destabilisierung der Märkte 79 Deutsche Bundesbank 146 Devisenbewirtschaftung siehe Kapitalverkehrskontrollen Devisenmärkte 147 Devisenmarktinterventionen 65 Devisenreserven 56, 59, 98, 106, 135, 221 Direktinvestitionen 13 Diversifizierung 159 Diversifizierungsstrategien in Korea 116 Dollar – australischer 130 Hongkong- 53, 153 f. – kanadischer 154 Dollar, US- 53, 118 f., 152–155 – in Relation zum thailändischen Baht 105, 108 f. – Wechselkurs des 118 f., 130, 152 f., 155 Dornbusch, Rudiger 56 f., 60, 226–228 Dritte Welt 35, 38, 52, 97 – als aufstrebende Märkte 97 Effizienzmarkthypothese 223 Einwohner 75, 95, 128 Emerging Markets siehe Schwellenländer Erdölexporte 115 Erwerbsbevölkerung 89 ESF siehe Währungsausgleichsfonds Estland 21 Euro 119, 125 f., 128, 130, 205 Europäische Zentralbank (EZB) 30, 146 Europäischer Wechselkursmechanismus (ERM) 146–149
Register 241 Europäisches Währungssystem (EWS) 146, 231 Eurosklerose 39 Export(e) 7, 36, 93, 209 – argentinische 119 – aus China 115 – Erzeugnisse für den 35 – von Agrargütern 53 – japanische 94 – von Rohstoffen 51 – thailändische 96, 99 f. Exportgüter, asiatische 115 Exportindustrien/-sektor 37, 39 Exportmärkte 103 Fabriken, exportorientierte 44 Fannie Mae 176, 190, 203 Federal Reserve (Fed) 11, 18, 30, 32, 91, 123, 130, 161–165, 167–170, 177 f., 182, 184, 188, 198, 201– 2045, 207, 209, 213, 217 f., 227, 230 – Rettung der Hedge-Fonds durch 161 Fertigungseffizienz, japanische 73 Finanzkollaps 118, 158 Finanzkrise(n) 41, 43, 58 f., 61, 67 f., 79, 93, Finanzmärkte 110, 147, 168, 200 f., 205 – internationale 42, 61 – Öffnung der 118 Finanzministerium – japanisches 73, 88 – US- siehe Schatzamt, USFinanznöte 140, 150 Finanzreform 219 Finanzspekulanten 115 Finanztransaktionen 142 Fisk, Jim 161 Ford, Henry 33
242 Die neue Weltwirtschaftskrise Franc, französischer 53, 149 Frankreich 8, 91, 128, 149 Freddie Mac 190, 203 Frei schwankender Wechselkurs 126 f., 129 Freie Märkte 22 f., 42, 123, 128 f., 142 Friedman, Milton 12, 23, 30, 155, 232 Galbraith, John Kenneth 34 Gates, Bill 149 Geldangebotsmultiplikator 98 Geldmenge 29 f., 98, 104, 109, 134 ~Ausweitungen der 84 – des Euro 125 Geldmengenmultiplikator 98 Geldwertverluste 41 Gerechtigkeit 34, 150 Gewinnpotenzial 172 Globalisierung 35, 39, 44, 142, 217 – finanzielle 206, 221 Goldstandard 11, 127, 129, 151 Gould, Jay 161 Greenspan, Alan 32, 84, 163–171, 173, 175, 177–179, 192, 201 Grenzen der Geldmengenausweitung 100 Großbritannien 7 f., 12, 57, 59, 95, 133, 146–148, 152, 208, 216 – Soros und Pfund-Abwertung 57, 147 f., 150 Große Depression 12, 18, 88, 90, 163, 184, 191, 201, 219 f., 221 Größe der Märkte 36 »Gute Meinung des Marktes« 133 »Hand des Marktes« 22 Handelsbilanz 55 – Defizit(e) 56, 100 f. Hashimoto, Ryutaro 89 Häuserblase 7, 176–179, 188, 190, 197, 208, 218
Häuserpreise 171 f., 174 f. Hausse-Spekulation siehe Kaufpositionen Hedge-Fonds – Abwertung des britischen Pfunds und 145 f., 152 – Definition 142 f. – Hongkong-Marktkonspiration und 154 – Panik von 1998 und 71, 90, 131 – Rettung durch Fed 161 – russischer Rubel und 157 f. Hedge-Fonds 70, 79, 106, 116, 131, 142–145, 152–156, 158–161, 188, 206 f. Heritage Foundation 151, 155 Himmelstürmer, mexikanische 100 Hochkonjunktur 32 Hochlohnländer 35 Hoffnungslosigkeit 35 Hongkong – Asienkrise und 152 – Marktkonspiration der HedgeFonds in 154 Hoover, Herbert 11, 123 Hyperinflation 41, 52, 89 Hypotheken(darlehen) 175 – zweitklassige 176 Hypothese effizienter Märkte 224 Immobilienkrise 194, 196 f., 209 Immobilienmärkte 177 Importbeschränkungen 42, 44, 50 Importboom, amerikanischer 94 Importe 100, 104 – genehmigungspflichtige 46 – aus China 93 – von Industriegütern 35 Importgüter 215 Indonesien 7, 35, 37, 131, 133, 138 f., 199, 208, 214
– Asienkrise und 100, 102, 108, 112, 114 f., 117 Inflation(en) 18, 24, 31 f., 41 f., 45 f., 54, 90, 92 f., 124 f., 127, 133–135, 140, 146, 166–170, 172 f., 209 – galoppierende 140 Inflationsgespenst 53, 166 Inflationsschübe 41, 52 Informationstechnologie 33, 166 f., 172 Insidergeschäfte 142 Instabilität, politische 21, 50, 132 Institutionelle Revolutionspartei (PRI), Mexiko 44 Internationaler Währungsfonds (IWF) 13, 64 f., 67, 217 – Asienkrise und 97, 124 – brasilianische Finanzkrise und 13 – Kritiker des 137 Interventionen, staatliche 129, 154 Investitionen, höherverzinsliche 189 Israel 46 Italien 22 J. P. Morgan 163, 183 f. Japan – Arbeitslosigkeit nach japanischer Rechnung 76 – Beziehungen Staat/Wirtschaft in 73–75, 79–81, 83, 88, 90 – Blasen-/Spekulationswirtschaft 82 – Deregulierung in 81 – Exportoffensive 74 – japanischer Wirtschaftsstil 74 – Keiretsu-Gruppen 74, 79 – Liquiditätsfalle 87, 90–93 – Rezession in 71, 77, 83, 85, 87, 89, 91, 93f
Register 243 – und Anstieg des Yen 88 – Verführung zum Risiko und 81 – wirtschaftlicher Erfolg 70, 73, 75, 88 Kahn, Herman 72 f. Kanada 49 f., 112 f., 133 Kapitalflucht 60, 133, 135, 140, 150–152 Kapitalgewinn 147 Kapitalismus – informationstechnologische Revolution und 33 – Russlands Übergang zum 21 – und Zusammenbruch des Sozialismus 21 Kapitalmärkte 170 globale 51 Kapitalströme 13, 97, 113, 193, 220 f. Kapitaltransfer 35 Kapitalverkehrskontrollen 51, 127–129, 154 f. Katharina II. (die Große), Kaiserin von Russland 156 Kaufkraft 95, 212 Kaufpositionen 143 f., 147, 159 f., 162 Keiretsu 74, 79 Keynes, John Maynard 12 f., 88, 122 f., 211, 214, 218–222 Keynesianischer Pakt 124, 130, 133 f., 136 Keynesianismus 8 Kompensatorische Gegengeschäfte 143 Konglomerate, Asienkrise und 103, 116 Kongress, US- 25, 50, 57 f., 65, 165, 218 Konjunktur 18, 134, 174 – Abschwächung 133 – Abschwung/Abschwünge der 110, 126, 135, 137, 152
244 Die neue Weltwirtschaftskrise – boomende 168 – Einbruch/Einbrüche der 7, 12, 30, 66, 72, 84, 123, 166, 173 – gute 39 – japanische 84 – Rückgang 11, 31 – Schwankungen 29, 125, 127, 171 – Steuerung der 31 – thailändische 104 – Zähmung der 23, 32 Konjunkturtief 213 Konjunkturzyklus 17, 24, 30, 214 Konspirateure beim Leerverkauf 154 Konspiration 116, 151 Kontinentaler Währungsclub 148 »Konzertierte Kredite« 45 Korea, Republik (Süd-) 37, 46, 82, 116 f., 131, 133, 138 f., 214, 221 – Asienkrise und 102, 112–114 Korea, Volksrepublik (Nord-) 21 Korruption 52, 58, 116 f., 127, 129 Kreditaufnahme 56, 99, 102, 105, 163, 174, 202, 205 Kreditfazilitäten 204 Kreditklemme 120, 217 Kreditmärkte 90, 183, 188, 216, 218 Kreditnehmer, zweitklassige 175 Kreditvergabe 81, 101, 175, 190, 195, 204, 216 Krugman, Paul 223–238 Kuba 21 Kulturrevolution 19, 22 Kumpanei zwischen Staat und Wirtschaft 75 Laisser-faire-Vertreter 142 Lamont, Norman 148 Lateinamerika 7, 21, 40–43, 45 f., 48, 50, 52, 54, 61 f., 64, 66 f., 71, 89, 96 f., 101, 125, 132; siehe auch einzelne Länder
Leerpositionen 143 f., 147, 153–156, 158–160, 162 Leistungsbilanz 55, 112 Defizit(e)100, 112, 132 Liquiditätsfalle 87, 90–93, 193, 204 – Vermeidung der 91 Liquiditätsprämien 163 Lockvogel-Zinsen 175, 194 Long-Position siehe Kaufpositionen Long-Term Capital Management (LTCM) 161–163, 191 Mahathir, Mohamad 15, 115, 149–151 – Verschwörungstheorie 115, 150 Major, John 148 Makroökonomik 17, 213, 227 Malaysia 129, 149 f., 155, 214 – Asienkrise und 100 f., 112, 114– 116 Märkte 20, 22, 49, 59, 68, 76, 98, 100, 106, 113, 127, 131, 135 f., 142, 151, 159, 162–164, 198 f. – Abkühlung der 163 – deregulierte 46, 72 – heimische 35 – launische 43, 136–139 – westliche 72, 113 Marktenthusiasten 151 Marktkonspiration 154 Marktmanipulation 142 Marktstimmung 137 Marktstützung 65 Marktwirtschaft siehe freie Märkte Marshall, Alfred 91 Marxismus 23 Medley Report 157 Mellon, Andrew 11 Menem, Carlos 52 Mexiko
– Aufstand in der Provinz Chiapas 58 – Brady-Abkommen/-Deal/-Plan und 48, 54, 60 – Handelsbilanzdefizit 56 – Hilfspaket für 65 – NAFTA und 49 f., 57, 64 – politisches System von 47 – Reformen gemäß WashingtonDenkschule 67–69 – Tequila-Krise 43, 59, 61, 66 f., 101, 107 MITI (Ministerium für Internationalen Handel und Industrie), Japan 73, 75 Mittelschichtfamilien 172 Monetäre Übel 41 Nachfrageorientierte Wirtschaftstheorie und -politik 213 f. Nazi-Deutschland 19 Negative Grundhaltung des Marktes 133 Nehru, Jawaharlal 35 Neoklassische Synthese 123 New York Clearinghouse 183 Nichtbank-Bank/-Bankenkrise 187, 198 Niedergang der Konjunktur 152 Niedriglohnländer 35 Niedrigzinsländer 189, 206 f. Nixon, Richard M. 31 Nordamerikanisches Freihandelsabkommen (NAFTA) 49 f., 57, 64 Notenpresse 41, 51, 85 Notfonds für Devisenmarktinterventionen 65 Nuklearwaffen 158 Offenmarktausschuss (Fed) 163 Österreich 13
Register 245 Paulson, Henry 193 Pensionsfonds 176 Peregrine Investment Holdings 102 Perón, Juan 52 Perot, Ross 57 Peso, argentinischer 41, 51, 54, 62–65, 118–120 Peso, mexikanischer41, 54 f., 57–61, 66 Pfund, britisches 57, 107, 147, 150 – Abwertung des 108, 147 ff. Philippinen 35 Pinochet, Augusto 42 Polen 21 Populismus – antiamerikanischer 66 – antikapitalistischer 47 – makroökonomischer 41, 67 Potemkinsche Wirtschaft 156 Potemkinsches Dorf 156 Preisnachteile 55 Preisverfall 79 – beim Ölpreis 115 – bei Häusern 194 PRI siehe Institutionelle Revolutionspartei Primary Dealer Credit Facility 204 Pro-Kopf-Einkommen 45, 56, 71, 117 Quantum Fund 145, 147, 150 f., 153 Ratingagenturen 176, 196 Reagan, Ronald 20, 62, 108, 209, 229, 232 Real – brasilianischer 119, 134 f. – Abwertung des 119, 135 – Krise 1999 und 134 Reallöhne 39, 45 Realwirtschaft 204, 208, 219
246 Die neue Weltwirtschaftskrise Rediskontfazilität 184 Revolution 22 – technologische 32 – wirtschaftliche 33, 167 Revolutionäre in Lateinamerika 21 Rezession(en) 11, 17 f., 24 f., 27–33, 43, 45, 57, 59, 71, 77, 83–85, 87, 89, 91, 93 f., 97, 104, 107, 122–125, 130, 134, 137 f., 140, 146, 163, 166, 169, 172, 177–179, 184 f., 206, 211–214 – in Asien 107, 109, 115, 119 f. – Bekämpfung der 123, 126 f. – globale 208 f., 218 Rezessionsökonomie 224 Ringgit, malaysischer 129 Robertson, Julian 153 Rockefeller, John D. 183 Rohstoffexporteure 51 Rubel, russischer 157 f., 208 Rupiah, indonesische 112, 133, 139 Russland 21 f., 156, 158, 160, 205 f., 208 – Atomwaffenarsenal 157 – Übergang zum Kapitalismus 156–158 – zaristisches 156 Sachs, Jeffrey 140 Salinas de Gortari, Carlos 43, 46 f., 49, 58 Samuelson, Paul 123, 225, 232, 238 Schattenbankensystem 185, 187 f., 191, 193, 198–200, 205, 216, 220 Schatzamt, US- 65, 67 f., 124, 136, 138 Scheuklappen, ideologische 217 Schumpeter, Joseph 31 Schweden 59, 77, 215, 217 Schwellenländer 37, 97, 113, 124, 205–207, 209, 217 f. Senior-Tranchen 176, 196
Serra Puche, Jaime 60 Shiller, Robert 171, 173 Short-Positionen siehe Leerpositionen Solow, Robert 227 f., 232 Soros, George 57, 115 f., 145–147–151, 153, 158, 161 – Abwertung des britischen Pfunds und 147–150 Sowjetunion 19–22, 35, 38, 72, 157 – Zusammenbruch der 19, 22 Sozialismus 19 f., 22, 23, 34, 156 – Zusammenbruch des 19 Spar- und Darlehenskassen (S&L) 185 Spekulationsfonds 106, 115 Spekulationswirtschaft 82 Spielräume für Hedge-Fonds 159 Spillover-Effekte 113 Staatsintervention 65 Stabilität der Preise 93, 135 – kapitalistische 23 – monetäre 118 – ökonomische 100 – politische 36, 108, 58 – währungspolitische 53 Stagflation Stalinsche Fünfjahrespläne 38, 72 Steueroasen 145 Strohmann/-männer 115, 234 Subprime-Hypotheken/-Kredite 175 f., 192 f., 195 f., 198, 202 Suharto 102, 116 Summers, Lawrence 239 Supply-side economics siehe angebotsorientierte Wirtschaftspolitik Sweeney, Joan 25, 29 Sweeney, Richard 25, 29 Taiwan 37
Technologie(n) 32–34, 166 f., 172, 174 – Globalisierung und 35 Technologieführer 150 Technologiekorridor 116, 150 Technologietransfer 35 Tequila-Krise 43, 107 – Auswirkungen auf Argentinien 43, 61, 66 f. – Mexiko und 59, 61, 66 f., 101 Term Securities Lending Facility 204 Teufelskreis der Finanzkrise 110 Thailand 14, 95 f., 99 f., 106–108, 112–114, 117, 133, 138, 151, 214 – Abwertung des Baht 95, 113 – als traditioneller Agrarexporteur 96 – Exportwachstum 100 – Handelsbilanzdefizit 100 f. – Krise vom 2. Juli 1997 103 – Wirtschaftsboom in 95 f., 103 Tiger Fund 153 Trusts 182 f., 187 Tsang, Donald 15, 155 Tschechien 21 Überhitzung der Wirtschaft 90, 125, 146 Ungerechtigkeit(en) 23, 28 US-Kriegsprogramm 88 US-Schatzanweisungen 200, 202, 204 Verbraucherausgaben 178, 208 f. Vereinigte Staaten 7–9, 11 f., 14, 18, 50 f., 64, 71, 81, 84, 91, 93, 100, 112, 119, 122 f., 128, 130, 157, 165, 172, 178, 180, 182, 185, 188, 193, 200, 202, 205 f., 208 f., 215 f., 218 f., 235 f. – Bausparkassenaffäre 48, 77, 81
Register 247 – Hilfsprogramm für Mexiko 64 – NAFTA und 49 – russische Wirtschaftsreform und 134 Verführung zum Risiko 77 f., 81, 101, 162, 164 Verkaufspositionen siehe Leerpositionen Vernachlässigung 75, 190, 229 Vertrauen der Märkte 69, 74, 104, 134 Vertrauensschwund 110, 114 Vetternwirtschaft 28, 75, 85, 101, 116, 118, 139, 152 Vogel, Ezra 72 Wachstum 83 Währungsausgleichsfonds (Exchange Stabilization Fund – ESF) 65 Währungsbehörde, Hongkong 152 f., 155 Währungskrisen 41, 103, 193, 205, 208, 220, 227 Währungsrat/-räte (currency boards) 53, 62, 118, 151 Währungsspekulanten 149, 211 Wandel der technischen Effizienz 57 Wandel – in China 19 – in Japan 72 – in Mexiko 57 – in den Vereinigten Staaten 205 – durch die Informationstechnologie 33 »Washington-Denkschule« 46 Wechselkurse – feste 126, 128–130, 146 – frei bewegliche 129 f., 133 Wechselkurspolitik 130 Wechselkursstabilität 119, 127
248 Die neue Weltwirtschaftskrise Weltbank 65, 67, 97 – Anleihen der 45 Welthandel 215, 228, 233 Welthandelstheoretiker 228 f. Weltmärkte 20, 36, 52, 55, 57, 99, 113, 129, 143 Weltwirtschaftskrise 11, 17, 23, 30, 51, 122, 166, 181 f. Wiedervereinigtes Deutschland 146 Wirtschaft, exportorientierte 57 Wirtschaftswachstum 17, 35, 37, 39, 42, 72 f., 82, 94 – Asienkrise und 95 Wirtschaftswachstum, exportgetriebens/ induziertes 37, 46 Wohlstand 34, 39, 76, 156, 165, 170, 235 Wohlstandsbremse 212 Woodstock-Konferenz 112, 114, 117 World Competitiveness Report 42 World War II 88
Yen, japanischer 88, 98 f., 104, 154 – Anstieg des 207 – Abwertung des 103, 115 – in Relation zum Baht 98, 101 – »kontrollierte« Inflation und – Wechselkurs und 115, 130 Yen-Block 19 Zahlungsbilanz 55 – Krise 41 Zahlungsunfähigkeit – Lateinamerikas 41 Zedillo, Ernesto 58, 68 Zentralbank(en) 13, 30–32, 53, 62f– 64, 84, 86, 91, 94, 123, 126, 146, 182, 188, 198, 204, 213, 218, 226 f. – als »Geldgeber der letzten Instanz« 64 – Asienkrise und 97–99, 104, 106, 109 Zukunftsangst 87