Der Autor geboren 1942 Promotion über Burleys ›über de vita‹ seit einigen Jahren Lyrik, Kurzprosa, Roman 1995 Die kaschu...
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Der Autor geboren 1942 Promotion über Burleys ›über de vita‹ seit einigen Jahren Lyrik, Kurzprosa, Roman 1995 Die kaschubische Wunde Roman 1999 Die Befreiung aus der Symmetrie Roman Das viagrinisch Trostbüchlein Bibliophiler Text (Pseudonym: Renarius Flabellarius) Zwielichtzeit Roman Mitarbeiter (u.a.) bei: orte / SCRIPTUM / le miracle tatoué / Gegenwind / Pegasus / Allmende / INN / Texttürme / the mower / PCETERA /FZA / DIE HÖREN / neue deutsche literatur / Noisma / Podium Mitgliedschaft: VS und PDS
Klappentext Der Band versammelt sieben Kurzgeschichten, von denen jede auf ihre Weise vom Tod handelt. Dabei könnte der jeweilige Plot nicht unterschiedlicher sein. So erzählt die Titelgeschichte von einem jungen Mann, der einer Unbekannten hilft, eine verletzte Katze zum Arzt zu bringen. "Katzen kannst du Gewalt antun, erreichen kannst du sie nicht." Eine andere Geschichte leuchtet in die Abgründe eines Mörders, wieder eine andere zeigt wie eine tiefe Resignation zwei Menschen in den Tod führt. Wedler gelingt es, durch ein gekonntes Spiel mit ungewöhnlichen Perspektiven und sprachliches Geschick den spannenden Geschichten eigenen Charakter zu geben.
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Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt.
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Rainer Wedler
Die Katze 7 ausgesuchte Kurzgeschichten
in der edition MINOTAURUS im Klaus Bielefeld Verlag präsentiert von der GALERIE VEVAIS MINOTAURUS – Buch 004 Herausgeber: Alexander Scholz Satz und Layout: GALERIE VEVAIS Originalausgabe, 1. Auflage, Oktober 2000, ISBN 3-932.325-96-6 © für diese Zusammenstellung und die Texte bis zum 600. Exemplar edition MINOTAURUS © für die Zeichnung auf der Vorderseite des Buchumschlages Ron Schmidt Alle Rechte vorbehalten Nachdruck und Vervielfältigungen aller Art (auch von Auszügen) nur mit schriftlicher Genehmigung der edition MINOTAURUS MINOTAURUS, PF: 100.804, 03.008 Cottbus
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In guter Zeit am Ziel Ob das ein hämisches Grinsen ist: ich bin weiter als ihr, war’s schon immer? Oder haben sie mir bloß nicht rechtzeitig die Kinnlade hochgebunden? Und dann war’s zu spät. Mit Gewalt hätten sie mir den Kiefer brechen müssen. Wie hätte das ausgesehen, wo sie mich doch ausstellen. Da sind alle, die kommen müssen, fast alle. Der Georg fehlt, wenn ich richtig sehe. Kein Wunder, der hat mir nie die Luft gegönnt, der Neidhammel, der. Unsinn, jetzt bin ich doch weg vom Fenster, hab den Löffel weggeschmissen, jetzt kannst du dich doch freuen und ein paar Trauertränen rausquetschen. Niemand weiß, daß sie falsch sind, nur ich, aber ich bin nicht mehr. Ich kann zufrieden sein mit meiner Beerdigung. Sogar Thomas ist gekommen und hat ein weißes Hemd angezogen und einen schwarzen Schlips umgebunden. Wenn das kein Grund zur Trauer ist! Dauernd geht er für ein wenig Frischluft mit dem Zeigefinger zwischen Kragen und Hals. Ein bißchen kalt ist mir schon. Das kommt davon, daß man sich in so einem Behältnis nicht bewegen darf, weil sonst die Leute erschrecken und den Arzt rufen, und dann fängt die ganze Prozedur noch mal von vorne an. Also heißt es stillhalten, bis sie den Deckel zugemacht haben. Unbequem ist es obendrein, weil der Sarg so steht, daß das Kopfteil erhöht ist, ich also nach unten rutsche und das ganze Gewicht auf die Fußballen drückt. Die Augen müssen geschlossen bleiben. Hören kann ich ohne Gefahr. Der Verblichene war uns allen ein Vorbild, ein Vorbild als Ehegatte, ein Vorbild als Vater, ein Vorbild als Kollege. Eine Lücke ist aufgerissen, die nie zu schließen sein wird. Aber, liebe Freunde, es bleibt neben der tiefen Trauer die Frage nach dem Warum. Warum ist unser lieber Verstorbener von uns gegangen? Wir wissen es nicht. Die ärztliche Kunst ist an eine Grenze gestoßen, die zu überschreiten ihr nicht gegeben war. Fügen wir uns in den unerforschlichen Ratschluß Gottes.
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Das hättet ihr gern gewußt, wie einer, der noch voll im Saft stand, mit einem Male dahinschwand, bis die Restmenge nicht mehr ausreichte, sein Leben zu erhalten. Der Verstorbene hat uns ein schmales Werk hinterlassen, schmal, aber nicht unbedeutend. So großzügig er war, wenn es um seine Freunde ging, so sparsam, ja geizig war er mit dem Wort in seinem Schaffen. Mein Tod ist konsequent. Die flüssige Sprache des Tages habe ich nie gelernt. War Zuhörer. Versuche auf dem Papier. Von einem Blatt, was blieb da? Eine paar Sätze, oder gar nichts. Reduktion. Ist Reduktion Feigheit? Ein Kern ohne Fleisch? Unfruchtbar verdorrender Same? Endlich kann ich’s mir bequem machen. Der Deckel ist drauf und verschraubt. Angst vorm Wiedergänger? Wer will schon zurück? So dumm können nur Lebende sein, diese künstlich beatmeten, mit Kleidern notdürftig drapierten Leichname. Ich habe Reduktionen vorgenommen, erst in den Kontakten zu anderen, dann in der Sprache. Genauer: beides war nicht voneinander zu trennen, ging ineinander über, bedingte sich wechselseitig. Beim Bäcker oder im Lebensmittelladen fiel das nicht weiter auf, schlimmstenfalls legte man mein merkwürdiges Verhalten als Unhöflichkeit aus. Meine Zurückhaltung bei Freunden war bekannt und als unabänderlich akzeptiert. Die ständige Verringerung meiner Redeanteile fiel daher nicht weiter auf. Die Familie hatte längst resigniert. Jetzt rollen sie mich zum Loch, in das sie mich versenken werden. Ich höre entfernt durch die Eiche-massiv ein paar Formeln des Inhalts, daß ich wieder zu Erde würde. Dann poltert es in kurzen Abständen auf das Sargdach, daß ich jedes Mal erschrecke. Schließlich wird es ganz ruhig. Das war’s dann wohl. Später schaufeln sie das Loch zu. Die begrenzt ewige Ruhe kann beginnen. Ich lasse noch für kurze Zeit Haare und Nägel wachsen, stelle es aber schließlich ganz ein, da es sinnlos ist. Außerdem habe ich kurz vor meinem Ableben gelesen, daß das Nachwachsen von Hornhautpartikeln in den Bereich der Fama gehört.
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Sie werden es nicht herauskriegen, warum ich so frühzeitig am Ziel war, noch nicht fünfzig. Ich habe die Zahl der Wörter gegen Null gehen lassen. Wörter treffen nie das Gemeinte. Wörter sind unzuverlässig und hinterhältig, sie fallen dem Denken in den Rücken. Ich wollte auf sie ganz verzichten, den Kern mit anderen Mitteln freilegen. Die Mittel aber entzogen sich, je näher ich meinem Ziel zu kommen schien. Wie also ist es zu meinem eben noch eindrucksvoll betrauerten Abgang gekommen? Denken ist Leben. Denken ist Sprechen und Schreiben. Also schafft Sprache Leben, die wirkliche Wirklichkeit. Indem ich meine Sprache immer sparsamer einsetzte, verlor ich sie. Der Glaube an die Reduktion als Bündelung, um mit ganzer Schärfe zum Kern vorzustoßen, hat in die Irre geführt. Mein Rückzug wurde von vielen als Arroganz interpretiert. Die Kinder wurden schneller erwachsen und zogen aus. Meine Frau warf sich verzweifelt in eine späte Leidenschaft. Die Nahrungsbeschaffung war gegen Ende hin nur noch im Supermarkt möglich. Aber selbst dort war ich bald auf die bildliche Darstellung des Produkts auf der Verpackung angewiesen, was zu einer immer einseitigeren Ernährung führte. Die Folgen sind bekannt. Die Sprache war mir am Ende ganz abhanden gekommen. Und mit ihr war das Gedächtnis und mit dem Gedächtnis die Orientierung für den Berührungspunkt von Vergangenheit und Zukunft verloren. Das Ende war zwingend. Ohne Gegenwart mußte mein Leben erlöschen. Den Geräuschen auf meinem frischen Grabhügel entnehme ich, daß der Friedhofsgärtner die Plastikschleifen der Kränze ordnet: In tiefer Trauer…
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Die erste Heuer Heute weiß ich, daß der Kapitän es selbst verschuldet hat. Es war ein tödlicher Fehler, die junge Frau mit an Bord zu nehmen. Mein Fehler war, daß ich mich nicht von der Angst befreien konnte. Es war meine erste Heuer als Vollmatrose. Ich hatte mir das Ganze anders vorgestellt: Große Fahrt auf einem der modernen Pötte in die Staaten oder wenigstens ins Mittelmeer. Und jetzt das: ein rostiges Kümo, das gerade noch von der Farbe zusammengehalten wird, das an der Küste entlang schippert nach Frankreich, vielleicht nach Nordspanien und wieder zurück. Wir mußten einen Tag länger im Hafen bleiben, weil draußen die Hölle los war, Windstärke 7-8. Also haben wir gesoffen, was das Zeug hielt. Der Alte hat nicht mitgemacht. Das war der Anfang vom Ende. Und daß er gelogen hat. - Das ist meine jüngste Schwester, unser Nesthäkchen, die nehmen wir bis Bordeaux mit, sie macht dort ein paar Tage Urlaub. Der Alte ist gleich nach dem Abendessen nach oben gegangen, ihr wißt, ich hab noch viel Papierkram, das muß alles erledigt werden. - Alles klar, Kurt, das geht man schon o.k. Kaum war die Tür zu, spuckte Ike es aus: Der bumst jetzt seine Schwester, dabei haute er die geballte Rechte in die offene Linke, Brüderchen und Schwesterchen, bumst das Schwein sein Schwesterlein, das hätt ich ihm abnehmen können. Dabei griff er sich in den Schritt und tat so, als würde er sich einen hochholen. - Knallkopp, von wegen Schwester, dat is ne Tuss von der Herbertstraße, dat riech ich mit dem Kolben hier, sagte Fred und deutete auf sein in der Tat imponierendes Riechorgan, der Kolben könnt euch was erzählen, wenn er könnt. Muschimischimäuschen, wer schnuppert an meim Häuschen. - Du Sau, halts Maul, und wenns doch seine Schwester ist? Der Maschinist machte einen auf fair. - Und du, was meinst du, fragte mich Robin, so jedenfalls nannten ihn die anderen. Klingt nicht echt, Robin, wer heißt schon Robin. Es war das erste Mal, daß ich ihn sprechen hörte. Eine unauffällige Stimme, verwechselbar, austauschbar, vielleicht ein bißchen zu hoch
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oder zu dünn. Ich war der Neue, ich kannte die Machtverhältnisse noch nicht, also war ich vorsichtig. - Ja, was weiß ich, vielleicht ist es seine Schwester, vielleicht auch nicht. Und, um dem Ganzen noch einen Dreh zu geben, sagte ich, auf jeden Fall bumst er die jetzt, ich merks am Seegang. Robin verzog keine Miene, seine Augen wurden noch heller, noch blauer. Da war die Angst zum ersten Mal. Am nächsten Morgen erfuhr ich von Ike, daß Robin auch neu in der Besatzung war. - Der ist in Kiel an Bord gejumpt, der hat es ziemlich eilig gehabt, hat behauptet, daß er seine Papiere vergessen hat. Weil wir dringend einen Mann brauchen, hat der Alte gesagt, o.k. aber laß dir die Sachen bis Bordeaux nachschicken. Weil der Sturm anhielt, lagen wir eine weitere Nacht fest und vernichteten einige Kästen Beck’s. Als ich mal wieder draußen mein Wasser abstellen mußte, bin ich wohl mit dem Arm an die Flasche gekommen, jedenfalls ist die umgekippt und der Saft ist Robin über die Hose gelaufen. Der hat sich erstaunlich schnell vor mir aufgebaut, du Drecksau, das machst du nicht noch mal, du, jetzt hat ihm das Bier die Zunge schwer gemacht, du Sau, ich schmeiß dich über Bord. Dabei packte er mich am Hemdkragen und zog mich hoch. Er war viel größer als ich. Wenn die anderen sich nicht eingemischt hätten, ich hätte keine Chance gehabt, der hätte mich glatt über die Reling gekippt, dieser Kerl mit diesen hellen Augen. Fred und Ike verdrehten ihm die Arme hinter dem Rücken. Ich bin sicher, wenn er nicht so besoffen gewesen wäre, er hätte sich freikämpfen können. Wie er mich ansah, wußte ich, daß der schon einen erledigt hat. Deshalb hat er so schnell an Bord müssen. - Tut mir leid, ich wasch dir das Zeug. Die Angst diktierte mir, was zu sagen war. Robin spuckte mir vor die Füße, das kannst du gleich mit wegwischen. Dann ließen sie ihn los. In dieser Nacht war ich froh, daß Willi in der Koje über mir schlief. Wenn wir erst auf See sind, wird einer von uns auf Wache sein. Dann muß ich mir was einfallen lassen, die Klinke irgendwie fest-
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binden oder sonst was, das mich warnt, wenn Robin die Tür aufmacht. Am nächsten Morgen hatte es aufgeklart, die See hatte sich beruhigt, höchstens noch Windstärke 4. Wir konnten also auslaufen. Ich bewegte mich wie hinter den feindlichen Linien, immer die Augen auf, immer bereit zu fliehen. Bei 121 Meter Länge und 16 Meter Breite wenig erfolgversprechend. Robin mußte das bemerkt haben, im Vorbeigehen sagte er: Kumpel, vergiß das von gestern abend, o.k. vergiß es. Wenn er mich dabei wenigstens angesehen hätte, dann hätte ich es vielleicht einschätzen können. Ist vergessen, sagte ich und war irgendwie froh, daß er mir schon den Rücken zugedreht hatte. Die Sonne legte mächtig zu, als wir den Kanal hinter uns hatten. Keiner war mehr ganz klar im Kopf, weil die Sauferei auch bei Tag nie ganz aufhörte. Der Alte drohte, ihr könnt alle den Sack nehmen, wenn wir zurück sind. Fred, der Älteste von uns, meinte so nebenbei, dann gib uns doch deine Schwester zum Ficken. Der Alte hat es nicht gehört, vielleicht war er aber auch klug genug, nur so zu tun. Jedenfalls klebten am Abend überall solche Zettel, sogar auf dem Klo: Der übermäßige Alkoholgenuß während der Dienstzeit macht sich bei allen Besatzungsmitgliedern in erschreckender Weise bemerkbar. Ich verhänge daher über die gesamte Mannschaft ein absolutes Alkoholverbot. Wer Alkohol (egal in welcher Form) zu sich nimmt, macht sich strafbar und verliert seine Heuer bei der Ankunft im Heimathafen. Am wärmsten ist es achtern direkt hinter den Aufbauten, da geht der Wind über, da kann man schön dösen, nur das beruhigende Brummen der Maschine und das Rauschen der Schraube, sehen, wie wir eine weiße Schleppe hinter uns herziehen, die immer breiter wird, schließlich ununterscheidbar. Ich hatte Freiwache und wollte mich zurückziehen. Da lag diese Frau im einzigen Liegestuhl, den wir an Bord hatten, in der windgeschützten Ecke. Sie schien zu schlafen, jedenfalls hatte sie die Augen geschlossen, den Kopf zur Seite gedreht, die langen blonden Haare kräuselten sich leicht über ihrem Gesicht. Die obersten Knöpfe ihrer Bluse hatte sie geöffnet, verdammich, ich spürte die Dinger schon in
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meinen Händen, mein zweites Ich begann zu klopfen. Unwillkürlich drehte ich mich um, wie um mich abzusichern. Hinter mir an der Reling lehnte Robin, den hätte ich doch vorhin sehen müssen, lässig schob er sich eine Zigarette zwischen die Zähne, was sein Grinsen ins Unerträgliche vergröberte. Dann machte er das Fickerzeichen und nickte mit dem Kopf in Richtung der Frau. Wieder war die Angst da, die verhinderte, daß ich überlegte, handelte. Wie ertappt kletterte ich, so schnell ich konnte, die Treppe hoch, bloß raus aus diesen Augen. Jetzt gehörte sie ihm, nein, so wahnsinnig würde er nicht sein. Am Abend hatte Ike Wache. Der Alte war wieder mit seinen Papieren beschäftigt. Die Freiwache köpfte Beck’s in Jupps Kammer, Jupp war nur wenig älter als ich. Ein frischer Wind fiel durch das Bulleye herein und hielt uns einigermaßen klar. Jede geleerte Flasche, die durchs Bulleye flog, wurde begröhlt. Je länger wir soffen, desto geringer wurde die Erfolgsquote. Die ersten Flaschen lagen schon als glitzernder Bruch auf dem Boden. Das Gespräch drehte sich wie immer um Titten und Putten, die, je länger es dauerte, um so größer und saftiger wurden. - Ich hab mal eine gehabt, die hat fast damit sprechen können, ehrlich, die war so was von trainiert, da hast du ein Fünfmarkstück auf den Rand gestellt, die ist in die Hocke gegangen, die hat nie ein Höschen angehabt, in der Hocke hat die mit ihrer Mördermöse das Stück geschnappt, ehrlich. Jupp wollte sich den geilen Schleim, der ihm am Zäpfchen pappte, mit Bier wegspülen, er hatte schon die Flasche an den Lippen, als ein ungeheuerer Schlag das Schiff erzittern ließ, der Typhoon dröhnte, die Schrauben drehten volle Kraft zurück, für einen Augenblick schien es, als würde der Rumpf in der Mitte auseinanderbrechen. Wir rannten auf die Brücke, wo Ike blöd grinsend mit der Hand nach links deutete, wo sich die Lichter des Schiffes entfernten, das wir fast gerammt hätten, - Das war eng, sagte Ike und behielt sein blödes Grinsen. Der Alte war, von seinen Papieren aufgeschreckt, dürftig angezogen auf der Brücke erschienen. Er tobte und ließ wieder seinen Satz ab von wegen ihr kriegt alle euren Sack, wenn wir erst zurück sind! Derweil hatte sich am Schritt ein dunkler Fleck gebildet.
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Robin war als einziger in der Kammer geblieben. Du hast Nerven, meinte Fred. Ohne die Flasche aus dem Gesicht zu nehmen, sagte Robin, mir grausts vor gar nichts mehr, vor überhaupt gar nichts und niemand. Er lallte mehr, als er sprach. Diese blauglasigen Augen, diese wäßrigen hellen Augen. Verbrannt hab ich den, cheers, was, was glotzt ihr denn so, den hab ich abgemurkst, hab ich den, der war mir im Weg. Auf nen Stuhl hab ich ihn gesetzt, der war schwer, tot ist schwer, ist doch so oder? Prost, ein bißchen festgebunden, damit er nicht aufsteht, hahaha, die Klamotten angezündet, o.k. am Fleisch hats gezischt, so einer brennt lang, o.k. brennt der, sag ich euch, echt fackelmäßig, stinkt so einer, der füllt die ganze Abrißbude mit seinem Süßgestank. Robin lacht wie irr. So einer stinkt bis in den Himmel, Robin lacht, verschluckt sich, kippt sich Beck’s rein, rülpst wie ein Vierzentnerschwein, und lacht weiter. Was glotzt ihr so blöd, wer blöd glotzt, wird abgestochen o.k.? O.k. hab ich gesagt, o.k.? Ist alles genauso passiert, genau so, o.k.? Warum bin ich auf diesem Scheißpott, warum bin ich das? Wieder schluckt er sein Bier, das ihm mit Schleim vermischt übers Kinn lief. Hat noch einen Joke gemacht, der auf seinem Stuhl, verstinkt sich zu Asche, bloß die Beine, o.k. die Beine bleiben heil, sieht zum Verrücktwerden, komisch zum Verrücktwerden aus, der angesengte Stuhl, darauf sitzen zwei Beine, glaubt ihr nicht? Ist aber so, ich scheiß euch nicht an, o.k? Robin ist dann ganz plötzlich weggekippt. Wir haben ihn in seine Koje gelegt, die hat er dann in der Nacht vollgekotzt. Ich war also gewarnt, alle waren wir gewarnt. Suffgequatsche, nichts weiter, sagte Fred, der hat Probleme, der phantasiert das aus. Niemand widersprach, die Sache schien vergessen, nie geschehen. Ich blieb hinter den feindlichen Linien, gewissermaßen allzeit bereit. An der Klinke hatte ich eine leere Dose befestigt, wenn er nachts aufmacht, reißt er die Dose aus ihrer Verankerung, das würde ich hören, jedenfalls bei der ruhigen See, die wir jetzt hatten. Auf der Höhe der Girondemündung wurde es so heiß, daß man flach liegende Metallteile mit der bloßen Hand nicht anfassen konnte. Die Schwester des Alten war im Schatten der hinteren Aufbauten eingeschlafen. Sie hatte nur einen Bikini an. Ich war am Schornstein,
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um die Farben der Reederei neu zu streichen, saß auf einem Brett wie auf einer Kinderschaukel und hab nicht gestrichen, bloß die Frau angestarrt, verdammich! Ich begann zu schaukeln, das hat ihn hochgekitzelt, ich war kurz vorm Handanlegen, da kam Robin die Treppe runter, nur in Shorts, sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß. Als er sie nahm, ist der Liegestuhl zusammengekracht. Alles ging so schnell, ich konnte nichts tun. Das hat mich gerettet, heute weiß ich das. Die Zeit war aber lang genug, daß er mir gekommen ist. Die Dinge liegen so eng zusammen. Jetzt erst schrie die Frau, verzweifelt scharf. Diesen Schrei habe ich nie vergessen. Er steckt noch heute tief in mir. Dann hat es sich beschleunigt, besinnungslos. Ich gehörte nicht mehr dazu. Es lief ab. Es ereignete sich. Handlung mit Akteuren, die nur so und nicht anders handeln können. Es war, als erinnerte ich mich eines lang zurückliegenden Geschehens wie durch einen Weichzeichner. Gedämpft die Wahrnehmung des Ungeheuerlichen. Die Frau floh die Treppe hoch, sie kam nicht weit, Robin bekam einen Fuß zu fassen, er riß daran, daß sie mit dem Gesicht aufschlug, er zerrte weiter, daß ihr Kopf wie ein Ball von Stufe zu Stufe geschlagen wurde, ein dumpfes Poltern, kein Schrei mehr, sie mußte bewußtlos sein. Als sie vor seinen Füßen lag, wußte ich, daß er mit dem Messer zustößt. Er hat immer ein Messer dabei, oder eher: das Messer ist ein Teil von ihm. Der Schrei hatte alle erreicht. Der Alte ging mit der Zimmermannsaxt auf den Mörder los, der das von Blut rote Messer von einer Hand in die andere warf. Wie in einem drittklassigen Film. Robin war im Vorteil, der Alte mußte die Treppe runter, es gab keinen anderen Weg. Robin durchtrennte ihm mit einem schnellen Schnitt die Achillesferse, der Alte stürzte ab, mit dem Gesicht in die eigene Axt. Robin mußte ihn nur noch umdrehen und zustechen. Diesen Augenblick nutzten die anderen, um auf die Ebene der Schlächterei zu kommen. - Aufhören, wirf das Messer weg, schrie Fred mit einer vor Angst und Entsetzen schartigen Stimme. Jetzt wirft er das Messer weg, dachte ich. Und Robin warf tatsächlich das Messer weg, Fred vor die Füße. Der bückte sich, da packte Robin blitzschnell die Axt und kam
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mit einer unerwarteten Drehung hoch. Die Axt beschrieb einen blutigen Kreis, daß Fred und Ike zu Boden gingen. Robin zertrümmerte ihnen den Schädel. Jupp rannte seinen irren Schreien hinterher. Wie kann ich in einen Film eingreifen? Bin ich der Regisseur? Nicht einmal der Vorführer, nicht einmal anhalten kann ich diesen Film. Robin jagte Jupp aufs Vordeck, der stolperte über die Ankerkette, schlug lang hin. Robin war sofort über ihm, umdrehen, zustechen, rausziehen, an der Leiche abwischen. Warum reißt der Film nicht? Warum schreie ich nicht? Robin verschwand im Innern des Schiffes, mir war klar, daß er nun mich suchte, ich war der einzige mögliche Zeuge. - Wo ist das Schwein? Ich krieg dich. Solange er unter Deck war, hatte ich Zeit, mich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Aber wie soll das auf so einem kleinen Pott gehen? Wenn er mich entdeckte, das wußte ich, hatte ich keine Chance. Ich mußte außen vom Schornstein weg, ich durfte keine Spur hinterlassen. Ich wickelte das Seil um den Bauch, schnitt das Brett ab und warf es ins Wasser. Dann zog ich mich hoch und kletterte in den Schornstein. Was man von außen sieht, ist nur Attrappe, der eigentliche Schornstein ist viel dünner. Ich band mich oben fest, da schaut er bestimmt nicht hoch. Verdammt heiß, ich muß aufpassen, daß ich nicht ans glühend heiße Metall komme. - Du Schwein, ich krieg dich, zeig dich doch du feiges Schwein! Dich kipp ich über Bord, ich habs dir versprochen. Er war ganz nah. Dann nichts mehr. Jetzt hat er mich. Durchhalten, tief atmen, diese heiße beißende Luft, die reißt an den Lungen. Lange war das nicht mehr durchzuhalten. Vorsichtig streckte ich den Kopf ins Freie, frischer Wind, die Füße im Feuer. Robin hatte inzwischen, so viel konnte ich sehen, die Axt an die Füße des Alten gebunden. Er legte ihn auf die Reling und kippte ihn rüber. Dann ging er aus meinem Blickfeld. Ich konnte nur warten in dieser Schornsteinhölle. Nach gut einer Stunde hörte ich das Tuckern des Rettungsboots. Jetzt haut er ab. Erst als das Boot zwischen den Wellenkämmen nicht mehr zu sehen war, wagte ich mich hinunter. Überall Blut, von der Besatzung keine Spur. Der hat sie alle mit Eisen versenkt. Die Maschine lief noch, die automatische Steuerung hielt das Schiff auf
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Kurs. Ich mußte mich in Küstennähe befinden. Ich könnte es allein schaffen, notfalls setze ich den Kasten an einem flachen Strand auf Grund. Ich hatte schon die Automatik abgeschaltet, als mir klar wurde, daß ich keine Chance hatte. Niemand würde mir glauben. Wie sollte ich Beweise liefern für das Grauenvolle, das ich selbst nicht verstand. Ich wäre der Mörder, das Monster. Auf jeden Fall mußte ich in Sichtweite der Küste kommen, für das verlorene Rettungsboot Ersatz finden. Eine leere Öltonne – zu gefährlich. Jede größere Welle schwappt da rein, rausschöpfen geht nicht, dafür ist es viel zu eng. Schließlich war es eine Palette, ein Brett als Paddel. Bevor ich am Seil, an dem ich die Palette zu Wasser gelassen hatte, das Schiff verließ, hatte ich es gedreht und die Automatik so eingestellt, daß der Pott aufs offene Meer hinausfahren mußte. Auf jeden Fall Zeit gewinnen. Als die ersten Surfer auftauchten, verließ ich mein Floß und zog mich aus bis auf die Badehose, um als unauffälliger Schwimmer an den Strand zu gehen. Der Rest war ein Kinderspiel und ist deshalb schnell erzählt. Ich suchte mir eine wenig frequentierte Bucht, wo ich ungefährdet die Geldscheine trocknen konnte, die mein Geschlecht gepolstert hatten. Ich hatte die Schiffskasse geplündert und die Brieftaschen und Geldbeutel der anderen. Wenn ich nicht zu viele Scheine an derselben Stelle ausgab, würde es nicht weiter auffallen, daß sie wellig waren. Das Geld würde reichen, mir Klamotten zu kaufen und ein Ticket nach Hamburg. Dann bliebe noch genug für ein paar gute Wochen, bis ich eine neue Heuer bekommen würde. Mein Seemannsbuch trug die Spuren eines Schiffbruchs, das müßte ich erklären. Zwei Tage war ich schon in Hamburg, als die ersten Meldungen in den Zeitungen erschienen: Küstenmotorschiff ohne Besatzung aufgebracht. BILD titelte: Gespensterschiff mit blutigem Geheimnis. Die FAZ brachte es ein bißchen gehobener: Fliegender Holländer gibt sein Geheimnis nicht preis. Ich kaufte mir alle verfügbaren Zeitungen und verbrachte die nächsten Tage damit in den Cafés am Jungfernstieg. So erfuhr ich, daß Robin zwei Löcher ins Vorschiff gebohrt hatte, um mich mit dem Kasten absaufen zu lassen und auch die letzte Spur zu tilgen. Dabei hatte er aber vergessen, alle Schotten
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zu öffnen. Deshalb ist nur ein Teil des Vorschiffes vollgelaufen. Die Barbara ist etwa 90 Seemeilen vor der Küste von französischen Marineeinheiten geentert und nach La Rochelle geschleppt worden, weil die Ölvorräte fast aufgebraucht waren. Die Ermittlungsbehörden tappten im dunkeln, außer Blut war nichts zu entdecken. Das Geheimnis des Geisterschiffs wird wohl nie gelüftet werden, meinte das Hamburger Abendblatt und setzte so einen Schlußpunkt, neue Sensationen waren angesagt. Robin konnte sich sicher fühlen. Entweder war ich beim Versuch, das Schiff zu verlassen, ertrunken, dann war er todsicher. Oder ich hatte es geschafft, dann würde ich den Teufel tun, mit meiner Geschichte zur Polizei zu gehen. Was könnte ich beweisen? Keine Leichen, kein Mord. Sollten Taucher drunten die Leichen suchen? Die Absurdität dieses Gedankens erledigte sich selbst. Wäre nicht ich der Verdächtige? Schließlich, das wußte Robin, gab es keine Unterlagen über seine Heuer, weil er so knapp an Bord gekommen war. Sollte ich trotzdem so wahnsinnig sein, vielleicht hätte ich ja doch irgendein Indiz, sollte ich ihn also anzeigen, so wüßte ich nur, daß er Robin heißt. Ich bin mir heute ganz sicher, ein Mörder dieses Kalibers kann nicht Robin heißen. Sollte auch nur ein Splitter des Geheimnisses ans Licht kommen, so wäre klar, daß nur ich dahinter stecken konnte. Sein Messer kenne ich und seinen Blick. Er würde mich finden. Ich kann niemandem davon erzählen. Das Grauen überfällt mich in der Nacht, daß ich laut schreie. Die dicke Wirtin der kleinen Pension hat schon mal geklopft, was denn los sei. Magenkrämpfe hätte ich, sagte ich durch die Tür. Seitdem stellt sie mir jeden Morgen einen Gesundheitstee auf den Tisch, obwohl sie meiner Erklärung nicht glaubt, da bin ich sicher.
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Jo ist tot Als er hinter ihr hergeht, weiß er schon nicht mehr, warum er diese Frau in die Verlegenheit des Schweigens gebracht hat. Es wäre besser gewesen, wie die anderen Kursteilnehmer im TVRaum die Tagesschau anzusehen. Oder in die City zu fahren. Die Schritte gedämpft vom Teppichboden. Sag doch was. Sie ist viel älter als du. Was willst du von ihr? Bloß weil sie doch an Jo erinnert? Blondiert, wianerisch, unzählige Haarrisse im Gesicht. Nur eben etwas jünger als Jo, um einiges seriöser. Jo ist tot. Genaueres weiß Hennecke nicht, im Grunde nicht einmal dies. Er hat es daraus geschlossen, daß alle Post an sie wieder zurückkam. Nachforschungen hat er nicht angestellt. Eigentlich hat er Jo nicht gekannt. Die Sitzgruppe in einer Ecke des Schlaftraktes liegt im dunkeln. Sie knipst das Licht an, das sich im Fenster spiegelt und ihr Gesicht zur Hälfte schwach beleuchtet. Hennecke setzt sich ihr gegenüber in einen sehr modernen Sessel. Bald schiebt er ein Kissen zwischen Lehne und Rücken. Blitzmädchen war sie gewesen, die aus der Ostmark. Nach der Befreiung Flucht vor den Befreiern. Die Mutter wartete, der Offiziersvater ein toter Held. Sie hatte sich ihre blonden Haare mit Ruß und Dreck beschmiert, ins Gesicht mit Lippenstift einen Ausschlag gemalt, den Busen mit einem Tuch weggepreßt. Ihr Gesicht zieht sich kaum merklich in die Dunkelheit zurück, ihre Stimme folgt. Hennecke dreht den Kopf zum Fenster und sieht sich selbst. Trotzdem bin ich vergewaltigt worden. Ich hab mich nicht gewehrt, als es unausweichlich war. Das hat dem Jungen aus Smolensk oder einem Dorf hinter dem Ural geholfen und mir. Als es vorbei war, hat er sich mit Gesten und ein paar Brocken Deutsch entschuldigt. Dann hat er gefragt, wohin er mich bringen kann, und einen Jeep organisiert. Wir haben eine Zigarette zusammen geraucht.
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Hennecke bedauerte, daß er Nichtraucher war. Er kann nichts sagen. Als sie sich eine Zigarette anzündet, weiß er, daß er überflüssig ist. Trotzdem bleibt er sitzen und betrachtet sein Gesicht im Fenster. Nur das Einziehen und Ausstoßen des Rauchs, das Abschnippen der Asche. Hennecke erschrickt vor der Helligkeit ihres Gesichts, plötzlich neben seinem. - Sind Sie Jo? - Jo ist tot. - Woher wissen Sie das? - Es war Ihre Frage. Sie starren mich an, seit wir hier sind, das sind jetzt drei Tage. Wenn Sie den Kopf in die Hände stützen, schauen Sie zwischen den Fingern durch. Ich habe es sofort bemerkt und mich geschmeichelt gefühlt. Sie sind ein junger Mann, jedenfalls für mich. Hennecke ist damit beschäftigt, sich nicht im Spiegel des Fensters zu verlieren. - Ich habe mich am nächsten Tag ein bißchen mehr angemalt, falls Ihnen das aufgefallen ist. Dann aber habe ich das Bild in Ihren Augen bemerkt, das Negativ für das Sie das Positiv suchen. Hennecke nimmt sein Gesicht aus dem Fenster, wendet es ihr zu. - Weshalb ist Jo tot? - Sie ist tot, vielleicht lebt sie noch. Für Sie jedenfalls ist sie tot. Warum, das können nur Sie wissen. Sie ist gestorben an einem ganz bestimmten Tag, zu einer ganz bestimmten Stunde. Sie ist tot oder lebt weiter, wie ich damals weitergelebt habe, 45 in Wien. Hennecke beginnt zu verstehen. Er war mit Jo zusammen gesessen wie jetzt mit dieser Frau. Es war auf dem Zimmer einer Fremdenpension in einer kleinen Kurstadt. Jo war wie jedes Jahr gekommen. Henneckes Eltern hatten die Pension seinerzeit bei der Arisierung günstig erworben. Er hatte gelegentlich ein wenig ausgeholfen, wenn Not am Mann war. Jo erzählte von ihrer Jugend in Wien, von ihren kleinen Affären. Ihre Stimme erregte ihn, zwang ihn zu tun, was sie erzählte von dem feschen Ingenieur. Als es vorbei war, sah Hennecke die langen schlaffen Brüste und ein naßfahles Gesicht.
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Als er zur Tür ging, sagte sie: Sei mir net bös, Bub. - Schlampe. Als es gesagt war, war es zu spät. - Jo ist tot, Sie haben recht. Ich hätte es längst wissen müssen. - Sehen Sie, und ich will leben. Sie stand unvermittelt auf und reichte Hennecke die Hand. - Gute Nacht. Hennecke verließ die Tagung vorzeitig.
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Die Katze Die Katzen gehören sich selbst. In die schmalen Schlitze ihrer Augen kommst du nicht hinein. Ihre Krallen sind schnell, wenn ihnen dein Kraulen nicht mehr gefällt. Am Straßenrand gehören sie dir, da sind sie tot. Von den Reifen zerquetscht, weil sie die Geschwindigkeit unterschätzt haben. Vor allem nachts. Da haben ihre Augen noch einmal kurz aufgeleuchtet. Die schnellen Autos können nicht ausweichen, sie pressen den Tieren die Gedärme aus dem Leib, walzen sie platt bis zur Unkenntlichkeit. Dazwischen holen die Krähen ihr Teil. Am Ende nicht einmal mehr eine Unebenheit, kaum ein Ausschlag am Lenkrad. Ein dunkler Fleck. Katzen kannst du nur Gewalt antun, erreichen kannst du sie nicht. Sie war über das Tier gebeugt und weinte. Ohne jeden Laut. Er war hilflos, weil er nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. Von weitem schien alles ganz einfach. Er würde anhalten, sein Rad in das dichte Gras der schmalen Böschung fallen lassen und fragen: Was ist passiert? Kann ich helfen? So aber sah er auf ihr langes braunes Haar, das das Tier so vollständig bedeckte, als wollte sie es damit schützen. Er ging in die Hocke und sah, wie die Katze mit den Pfoten zuckte, eine kleine getigerte Katze. Ein Bein hatte sie unnatürlich weggestreckt. - Ich könnte sie zum Tierarzt bringen, sagte er schließlich ganz leise, als wollte er die Katze nicht erschrecken. Ich kenne einen, es ist ganz in der Nähe. Endlich drehte das Mädchen den Kopf. Sie mußte die Haare mit der Hand aus dem Gesicht streifen. Vorsichtig legten sie das Tier auf sein Badetuch. Die halbgeschlossenen Augen können dich noch auf Distanz halten. - Ist das deine Katze? fragte er, als sie leicht nach hinten versetzt neben ihm herfuhr, ohne den Blick von dem Fahrradkorb zu lassen, in dem die Katze lag. Sie antwortete nicht, im Augenwinkel sah er aber, daß sie den Kopf schüttelte. Da wußte er, daß er sie verletzt hatte. Einen Unterschied zu machen zwischen mein und nicht-mein! Bei einem Wesen, das einem sowieso nicht gehören kann. Er schwieg deshalb.
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Beim Arzt sagte er nur das Notwendige. Jetzt erst hatte er Gelegenheit, ihre Augen zu sehen. Niemand würde es ihm glauben: sie waren schmal und gaben ihrem Gesicht etwas Katzenartiges. Du spinnst, würden die Klassenkameraden sagen, wenn er es ihnen erzählen würde. - Ein Bruch des Hinterlaufs, nichts Ernsthaftes, das gipsen wir. Für den Arzt reine Routine. Sie fuhren zu ihr nach Hause. Er legte die linke Hand ganz sacht auf den Rücken der Katze, die aufgehört hatte zu zittern. Er tat es mehr für das Mädchen als für die Katze. Im Fell des Tieres erschraken ihre Hände, als sie sich trafen. Deshalb fragte er, wie sie heiße. - Wie du willst. Dabei verschmalte sie ihre Augen noch mehr. - Katze, sagte er, ich werde dich Katze nennen, weil ich sicher bin, daß du so heißt. Jetzt schien es ihm, als ob ihre Pupillen senkrecht stehen. Sie nickte und kraulte die Katze. - Und jetzt solltest du gehen. Sie hat es fast nebenbei gesagt. Nach einer kleinen Pause genauso beiläufig: Du solltest mal wiederkommen. Die Sprunggelenke der Katzen sollte man nicht unterschätzen. Als er auf die Straße trat, bemerkte er, daß er noch nie in dieser Gegend gewesen war. Die Fassaden der Häuser waren mit üppigem Rankenwerk verziert, die Fensterstürze wurden von Frauen getragen, die aus dem sandsteinernen Mauerwerk hervorwuchsen, Mauernixen mit wunderbaren Brüsten, die Achseln zum Spiel angehoben. Er trat so stark in die Pedale, daß die Kette überspannt wurde und zu reißen drohte. Sich außer Atem bringen. Er mißachtete die Verkehrsregeln und wäre von einem Auto angefahren worden, wenn der Fahrer nicht eine Vollbremsung gemacht hätte. Die dunkle Spur war noch tagelang zu sehen. Nicht einmal die steile Sommersonne hat sie mit dem Asphalt verschmelzen können. Er zögerte einige Tage. Zögern vor dem Unbekannten, von dem er ahnte, daß es entscheidend sein würde. Er sollte wiederkommen, hatte sie gesagt. Er zögerte, weil er nicht verfrüht sein wollte. Keinen
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Gedanken aufkommen lassen, der sie dachte, der Katze dachte, der den Augenspalt versetzte. Dann der Brief: Übermorgen. Die ungeheuerste Nachricht, die er je erhalten hatte. Kein Datum auf dem Blatt, das sie irgendwo herausgerissen hatte, das ausgefranst war. Was, wenn übermorgen heute ist? Auf dem Stempel nachsehen, wenn der bloß nicht verwischt ist. Er hatte Glück, das Datum war stempelscharf. Übermorgen ist also morgen. In dieser Nacht schlief er kaum. Es half auch nichts, daß er selbst Hand anlegte. Die erste Frau! Sie ist sicher älter als ich. Dieser Gedanke beruhigte und beunruhigte ihn. Kein Gedanke oder sein Körper war ein Gedanke. Oder sein Denken ein einziges Gefühl. Zu weich, Gefühl! Es war etwas, das ihn zittern machte in der hohen Sonne. Katzen liegen da ruhig und blinzeln nicht einmal. - Wie geht’s der Katze? Sie führte ihn ins Wohnzimmer und deutete mit einer leichten Kopfbewegung in die Ecke am Fenster, wo in der scharfen Sonne des späten Vormittags die Katze so eng zusammengerollt lag, wie es der Gips zuließ. - Und wie geht ’s der Katze? - Da mußt du schon selbst nachsehen. Diese Herausforderung war zu groß. Er riß sie an sich, er spürte ihre Weichheit. An der Härte ihres Schambeins ist es ihm gekommen, sofort, ohne Gnade. Alles, was er war, ist aus ihm hinausgeschossen. Zusammengerollt wie eine Katze lag sie auf dem Bett, als er aus dem Bad zurückkam. Seine Hand fuhr über die Wirbel ihres nackten Rückens. - Komm, sagte sie. Ein schmatzender Untergang. Die Katze ist der Sonne nachgegangen. Wenn sie nicht durch den Gipsverband daran gehindert worden wäre, würde sie jetzt an ihren Füßen liegen, davon war er überzeugt. Beim dritten Mal sagte er, Katze, Katze, Katze, sie krallte sich in ihn hinein, Katze, Katze, Katze… Er hatte vorher nicht gewußt, warum Katzen so schreien. Der Sommer dauerte einige Tage.
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Der Katze konnte der Verband bald abgenommen werden. Eines Morgens war sie verschwunden. Das war der Tag, an dem ihre Eltern vom Urlaub zurückkamen. - Wir können uns nicht mehr treffen, sagte sie. Ihre Pupillen waren wieder auf einen Schlitz verschmalt. Unter der Tür ließ sie zu, daß er sie auf die Wange küßte. Eher eine flüchtige Berührung. Sie trat einen Schritt zurück. Sie hat nichts gesagt und die Tür geschlossen. Er hat sie nie mehr erreichen können. Seine Briefe gingen ins Leere. Am Telefon ließ sie sich verleugnen oder sie verstellte ihre Stimme, um die Schwester vorzutäuschen oder sie legte gleich auf. Auf der Straße hat er sie nie mehr gesehen. Die Katze ist eine Katze.
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Balmung Schon oft war es so gewesen. Dieselben Gedanken wie sie. Er gibt es vor ihr nicht zu, auch nicht vor sich selbst. Er will auf eine obskure Art und Weise sich selbst besiegen, wie er es pathetisch ausdrücken würde, um mit versuchter Ironie die Hohlheit seines Verhaltens zu verdecken. Zugleich eine mißlingende Opposition gegen die notorische Übereinstimmung, die ihn manchmal ängstigte. Sie hüteten, wie man so sagt, das Haus eines Freundes, der für eine Woche verreist war. Sie hatten herrliches Wetter. Am ersten Abend stöberten sie in der umfänglichen Bibliothek. Es gibt kaum Aufregenderes als die Bibliothek eines Freundes. Du kennst den Menschen, der dies alles zusammengetragen hat. Die Bücher bestätigen das Bild, das du dir von ihm gemacht hast, oder sie ziehen es in Zweifel. Oder ergänzen es. Du nimmst ein Buch heraus, bläst den Staub herunter, blätterst, findest Unterstreichungen, Anmerkungen, gar einen bekritzelten Zettel. Mit einem Mal bist du Voyeur. Du findest es gemein, kannst aber nicht widerstehen, weiter in den Freund einzudringen. Manche Bemerkung, diese oder jene Geste, damals ohne Bedeutung, bringen eine Nuance in das Bild. An diesem Abend gehen sie spät ins Bett. 2 x 90 cm auf 200 cm. Schmaler als gewohnt, tiefer als gewohnt. Die Fenster sind ohne Vorhänge, sie haben keine Läden. Weil das Haus am Hang liegt, würde nur mit Mühe jemand hereinsehen können. Günther blättert im überflüssigsten Druckwerk, das ihm je in die Hände gekommen war. Simon’s Book of World Sexual Records. Er hatte es auf dem Regal über dem Bett gefunden. Testical largest aphrodisiac most effective sex play most dangerous techniques penis (human) oddest Er fühlte sich unbehaust. Er sieht zu, wie sie sich auszieht.
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Es gefällt ihm. Ingrid weiß, daß es ihm gefällt. Sie kennen sich lange. Er würde lügen, wenn er behauptete, er hätte nicht hin und wieder eine andere begehrt. Aus der Art, wie sie sich auszieht, weiß er, ob sie mit ihm schlafen will. Heute will sie nicht. Dabei haben sie sich heute oft berührt, besonders mit Blicken. Sie haben einander gewollt, aber die Kinder haben es nicht zugelassen. Er denkt an den warmen Nachmittag. Sie löscht das Licht, auch eine Chiffre, jetzt eine überflüssige. Er weiß, daß es nicht gehen wird. Der Mechanismus läuft ab, den er nicht aufhalten kann. Signale, einmal gesetzt, müssen befolgt werden, Normen der Männlichkeit erfüllt. Dabei haben sie oft besprochen, wie lächerlich das ist. Trotzdem. Der fremde Geruch des Zimmers, das eine ferne Straßenlampe nur schwach beleuchtet. Sie glaubt sich beobachtet. Der glotzt mich so gruslig an, so kalt. Die Batik mit dem großen blauen Fisch. In der Dunkelheit leuchtet das Weiß seines Auges. Wie jede Nacht kriecht Günther hinüber. Zwischen den Betten eine tiefe Kluft. Metallrost an Metallrost. Er schlägt sich die Hüfte an. Das war doch damals im Elsaß viel schlimmer, sagt er. Sie antwortet nicht. Damals hatten sie wenig Geld und die Übernachtungen waren entsprechend abenteuerlich. Einmal hatte sie hemmungslos geweint. Große rosa Blumen auf weinrotem Grund, an den Lichtschaltern und den Türen speckig glänzend. Die rote Steppdecke war am Kopfende dunkel, der Geruch von altem Schweiß, Parfüm und Sperma. Ich komme mir vor wie ein Flittchen in der letzten Absteige. In jener Nacht haben sie nicht miteinander geschlafen. Beide wissen, daß es keinen Grund gibt, sich vor diesem Zimmer zu fürchten. Die Blätter der Grünpflanzen sind von einem grauen, durchsichtigen Film überzogen Mumifizierungen. Als der Freund sie vor einiger Zeit voller Stolz durch sein neues Haus geführt hat, hat er neben den üblichen Flapsereien über das Schlafzimmer gesagt:
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- Zwischen unseren Betten liegt Sigfrids Schwert. Günther hat gefragt: Bist du Sigfrid oder Gunter? - Hingst du schon mal am Bettpfosten? Im eine Spur zu aufwendigen Treppenaufgang hat die Frau des Freundes gesagt: Hier schläft Dietrich oft am Nachmittag, wenn er die Zeit dazu hat, und deutete dabei auf ein großes Ausstellungsplakat, das drei spärlich bekleidete Frauen zeigte: Celebrazioni tiepolesche – Mostra del Tiepolo – Villa Manin di Passariano – 27 Guigno31 Ottobre 1971. Darunter das Sofa. - Da hat er, was er braucht. Die Frau des Freundes hatte ihre Stimme nur mit Mühe unter Kontrolle. Ingrid lenkte rasch ab: Einen herrlichen Blick ins Tal habt ihr. Bissigkeiten beim Nachtessen. Günther spürte seinen Magen. Später erzählte ein Freund des Freundes von einem heftigen Verhältnis des Freundes. Günther ist sicher, daß Ingrid dasselbe denkt. Er hat mit einem Mal den Ehrgeiz, sich von diesem Zimmer nicht unterkriegen zu lassen. Dabei weiß er im voraus, was kommen wird. Mechanismen, die kläglich versagen. Der letzte Versuch mit Brutalität, die aufgesetzt ist, die durchschaut wird. Lächerlich. Sie nimmt seinen Kopf in ihre Hände und küßt ihn. Dabei lächelt sie. Er gräbt sein Gesicht in ihren Hals und schmeckt ihre Haut. Und spürt, das kein Schwert mehr zwischen ihnen liegt.
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Vittorio Vittorio dreht sich unauffällig um die eigene Achse, bückt sich blitzschnell, greift in die fette Erde und stopft eine Handvoll in die Tasche seines Drillichs. Der Baggerführer hat nichts gesehen. Vittorio steht auf der via praetoria. Das weiß er aber erst viel später, nachdem die Fachleute vom Denkmalamt das Kastell kartiert haben. Zu Hause zerbröselt er die Erde, die seine Körperwärme zusammengebacken hat. Die Ohrringe sind komplett. Er wäscht die letzten Krümel aus den dünnen Goldplättchen, geht zum Spiegel und hält sich die kleinen Dinger an die Ohrläppchen. Der im Spiegel hat den Helm mit dem querstehenden Busch so tief ins Gesicht gedrückt, daß er den Hals nach hinten überstrecken muß, um Vittorio in die Augen sehen zu können. Sein Gesicht ist eingeklemmt vom blitzenden Wangenschutz. Vittorio wich unwillkürlich ein wenig zurück vor der fordernd ausgestreckten Rechten des Zenturio: Er habe die Ohrringe damals verloren, als plötzlich Alarm gegeben wurde, Fehlalarm, wie sich später herausstellen sollte, aber man weiß ja nie bei diesen Leuten vom Rhein. Es habe ihm seinerzeit überhaupt nicht gepaßt, daß man ihn in dieses verdammte Oppidum versetzt hatte, zumal er eine gerade begonnene heftige Liebe in Mediolanum habe aufgeben müssen. Dabei machte er so ausladende Armbewegungen, daß der Schuppenpanzer klirrte und Silen aus seinen Augen brach. Vittorio faßte sich mehrfach an Kinn und Nase, zwickte sich ins Ohr in der Hoffnung, das Spiegelbild würde es ihm gleichtun. Der im Spiegel fuhr indessen unbeirrt fort: Er sei auf dem Weg zu Hiltgund gewesen, auch sie eine wunderbare Liebhaberin, zwar mit wenig Raffinement, dafür aber von einer unbestimmten gefährlichen Naivität. Dabei sei er sich nie sicher gewesen, was sie schauspielerte, was echt war. Das Gute an den Germaninnen sei, daß es ohne eisernen Ring gehe, bei ihnen genüge ein feines Ringlein mit Glaspaste oder eben ein Paar goldener Ohrringe. Als der Alarm aufgehoben war, habe er den Verlust des Schmucks bemerkt. Er sei dann den
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Weg, der zu Hiltgund führte, mehrfach auf- und abgegangen, habe aber nichts mehr gefunden. Vittorio versteckte die Hände hinter dem Rücken. Er befürchtete, der Zenturio könnte den Gladius ziehen und ihn zwingen, den Schmuck herauszugeben. Er fixierte die zornschwarzen Augen des Mannes im Spiegel, und wirklich, es schien Vittorio, als würden die Bewegungen des Mannes im Spiegel sich verlangsamen, erstarren. Im Halbdunkel des Abends zogen sich die Farben in graue Linien und unsichere Flecke zurück. Ich müßte den Spiegel mal wieder putzen. - Warum hast du so lange nicht aufgemacht? Vittorio befand sich noch immer an der Oberfläche des Spiegels. - Du solltest mal Licht machen, was ist bloß mit dir heute? - Nonne tu es? Cur sero venis? Susanne knipste das Licht an: ich versteh dich nicht, was hast du gesagt? Vittorio antwortete nicht. Die junge Frau schüttelte den Kopf, die langen blonden Haare folgten der Bewegung nur zögerlich. Sie öffnete das Fenster. Das scharfe Licht der Halogenlampe entkleidete sie. - Amo ti tuoi capelli. Seine Fingerspitzen verirrten sich in ihrem Haar, wohl wissend, was sie anrichteten. Sie entzog sich schnell. Vittorio betrachtete seine leeren Hände, die gespreizten Finger. Wie immer, wenn Susanne ihn besuchte, hatte er ein kleines Essen vorbereitet, jetzt entkorkte er die Flasche. Ein Dolcetto d’Alba, wie immer. Eine Tradition: hast du Lust auf einen Dolcetto? Vittorio schenkte sich ein wenig in sein Glas, fischte ein Korkstückchen heraus und probierte. Dabei fiel sein Blick in den Spiegel. Das grelle Licht schnitt eine schiefe Bahn. Er versuchte mit einem Taschentuch die Flecken wegzuwischen, verhauchte dabei mehrfach sein Spiegelbild. - Du bist schön, sagte Vittorio. Sie stand hinter ihm, ihre Bilder suchten sich im Spiegel. Sie hatte ihr Haar jetzt hochgesteckt.
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- Warte, sagte er und löste sich aus dem Spiegelblick. Er stellte sich so dicht hinter sie, daß sie eins waren. Er hielt ihr die goldenen Plättchen ans Ohr. - Die hab ich dir schon lange schenken wollen, hatte sie aber verloren. Heute morgen waren sie wieder da. Sie öffnete ihr Haar.
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Der Letzte Der Letzte trug die Tasche am Lederriemen über der rechten Schulter. Sein Anzug saß schlecht. Nicht nur weil er Schlußverkaufsqualität war. Der rechte Ärmel baumelte leer. Jahrgang 1922. Er rauchte viel und zündete das Feuerzeug in der hohlen linken Hand. Den alten Ford fuhr er selbst. Um in der Partei gewesen zu sein, war sie zu jung, damals. Da sie zudem Grundkenntnisse in Stenographie vorweisen konnte und leidlich tippen nach dem 10-Finger-Prinzip, hatte sie in der amerikanischen Zone eine Stelle als Protokollantin bei der Spruchkammer eines Provinznestes bekommen. Sie wohnte zwangseinquartiert beim ehemaligen Ortsgruppenleiter, von Beruf Volksschullehrer, von Passion Jäger. Er ergab sich eine Dreieinigkeit gegenseitiger Nutzung, als Monika einen amerikanischen Offizier anschleppte, der in Permanenz das Fraternisierungsverbot mißachtete. Der Amerikaner ermöglichte dem PG, wieder auf die Jagd zu gehen, und Mony brauchte sich nicht mehr kunstvoll die Nähte nichtvorhandener Nylons auf ihre blassen Beine malen. Von der Schokolade und den Konserven profitierte das ganze Haus. Johnny bedeutete Hershey und Camel, die Schlüssel zu knappen Gütern. Johnny, das war auch massiger Sex. Aus der Häufigkeit schloß der Altnazi: ein Jud! Außerdem: diese Nase! Mony war, als es anfing, verheiratet. Johnny hatte eine Familie in den Staaten. Die Zeiten, die waren halt so. Und die Moral? Was war das noch? Wenn das Haus erst aufgerichtet, stellt Moral sich trefflich ein. Inzwischen hatte sich der kleine Bill eingestellt. Einige Zeit später folgte die Heirat. Der Kleine wurde bald Zeuge der abnehmenden Sexualkraft des Vaters und der daraus erwachsenden zunehmenden Brutalität. Heute ist Billy ein gepflegter junger Mann, blondiert, mit rosa Lack auf dem Nagel des kleinen Fingers der linken Hand. Und wird keine Frucht bringen.
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Von Johnny weiß der Ortsgruppenleiter a. D. daß Mony echt rothaarig ist. Nach einer erfolgreichen Jagd hatten sie sich beim Bourbon andere Jagdgeschichten erzählt. Johnny ist schon lange Jahre tot. Über die Hintergründe seines Ablebens kursieren die verschiedensten Gerüchte. Polizeiärztlich war es Herzversagen. Das beziehungsreiche Ensemble: Auf dem Hochsitz, vornüber gefallen der Kopf auf dem Zwillingsgewehr, das er in den erstarrten Händen hielt. Der Lauf wies gen Himmel. Untersuchungen hatten ergeben, daß eine Kugel fehlte. Nachbarn gaben zu Protokoll, es habe einen lautstarken Streit gegeben, bevor der Chevy, Johnny fuhr Chevy und nichts anderes, mit wütendem Gas davonfuhr. Es sollen Gegenstände gegen die Wand und auf den Boden geworfen worden sein. Was die Polizei nicht erfuhr, aber subversiv im Umlauf war, das war die Sache mit Freddy. Der soll das Defizit, das die schwindende Kraft von Johnny erzeugte, nicht ganz selbstlos zwar, aber doch mit Hingabe ausgeglichen haben. Dieses merkwürdige Verhältnis MonyFreddy, so es denn bestanden hat, erklärt sich aus der Tatsache, daß auch Mony dem unausweichlichen Prozeß der Wertminderung unterlag. Daher der sich immer mehr verstärkende Einsatz von Kosmetika. Um es kurz zu machen: Die Umstände von Johnnys Tod und der Ruch eines illegitimen Verhältnisses gaben den idealen Nährboden ab für Gerüchte, die bekanntermaßen bei längerem Umlauf, durch exotische Details, an Dramatik zunehmen. Ein Exoticum sei erwähnt, weil es dazu benutzt wurde, die Mordtheorie zu unterfüttern. Der Freddy sei so scharf auf Mony gewesen, was übrigens beweisen würde, daß die materiellen Zuwendungen ihrerseits nur von sekundärer Bedeutung gewesen sind, also, Freddy soll so gelitten haben, als er sie für zwei, drei Wochen nicht hatte haben können, daß er einen Slip, den sie bei ihrem letzten Besuch hatte liegenlassen, regelrecht aufgefressen habe. Freddy soll das Gift besorgt haben. Als ehemaliger Krankenpfleger habe er schließlich Beziehungen gehabt. Mony hat es dann dem Johnny in den Bourbon geschüttet. Davon waren die meisten über-
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zeugt. Johnny hat immer einen Doppelten gekippt, wenn er auf die Jagd ging. Bei der Beerdigung habe sie nicht geweint, wie sich das gehört, sondern immer nur in die Ferne gesehen, wo manche glaubten, Freddy zwischen den Grabsteinen ausgemacht zu haben. Ob der Kerl wirklich Freddy geheißen hat, ob es ihn überhaupt gegeben hat, ist nicht mit Sicherheit zu eruieren gewesen. Johnny hatte eine hohe Pension nebst Lebensversicherung hinterlassen, was Mony ermöglichte, ein gutes Leben zu führen und zunehmend für die materielle Seite ihrer Verhältnisse zu sorgen. Der Letzte in einer längeren Reihe war also der Einarmige. Es war ein amerikanisches Schrapnell gewesen, in der Normandie bei Arromanche, gleich im Juli. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Sie hatte ihn bei einem Besuch mitgebracht, ihn vorgestellt. Wir hatten den Namen nicht verstanden, irgend etwas wie Nührmann oder Niemann. Nicht wichtig genug, um nachzufragen. Die wechselnden Figuren hatten uns nie richtig interessiert. Er aß sehr wenig. Ich merkte, daß meine Frau düpiert war. Immerhin hatte sie Osso buco gekocht. Beim Tee erfuhren wir den Grund: Ein Schuß in den Unterleib hatte ihn auch zum Verdauungskrüppel gemacht. Er erzählte dann von drei weiteren Verwundungen und schloß mit dem Hinweis, auch mit der Linken würde er noch jeden Russen abknallen, wenn’s drauf ankäme. Dabei hatte er mit einer raschen Bewegung etwas Schweres, in Samt Eingeschlagenes aus der Jackentasche geholt und auf den Tisch gelegt. Fast feierlich wickelte er eine Pistole aus und ein gefülltes Magazin. In unser Erschrecken hinein sagte er, daß er ohnehin nicht mehr lange zu leben habe. Die üblichen Widersprüche ließ er nicht gelten. Er nahm ein zweites volles Magazin aus der Pistole und drängte mir das mattglänzende Ding in die Hand. Made in Czecho-Slovakia, schwarz in schwarz. Ich war erstaunt, wie schwer so etwas ist, und legte die Waffe auf den gelben Samt zurück. Er habe immer eine Waffe getragen, auch damals. Damit meinte er die Zeit nach der sogenannten Stunde Null. Mony spürte, daß ihr Kerl einen Fehler gemacht hatte. Das heißt, viel Gespür gehörte nicht dazu, dafür war meine Reaktion ungewollt
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zu deutlich. Sie griff sich eine HB aus der Packung, die er ihr hinhielt, schaute auf die Uhr und erinnerte ihn daran, daß sie am Abend noch in Kassel sein wollten. Man verabschiedete sich mit gezwungener Höflichkeit. Mony zog ihr Bein noch stärker nach als sonst. Sie winkte aus dem Wagenfenster, auch der Mann hob kurz den Arm. Von Bill kam ein paar Wochen später eine schwarzumrandete Karte. Der Kerl hatte nur zwei Kugeln gebraucht.
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