ERZÄHLERREIHE-191 Patty Frank Die Indianerschlacht am Little Big Horn
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ERZÄHLERREIHE-191 Patty Frank Die Indianerschlacht am Little Big Horn
MILITÄRVERLAG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Nach dem gleichnamigen Buch von Patty Frank für die Erzählerreihe bearbeitet
2. Auflage, 126.—248. Tausend Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik . Berlin 1973 Cheflektorat Militärliteratur Lizenz-Nr. 5 ES-Nr. 8 C Lektor: Helge Paulus Umschlaggestaltung: Erhard Schreier Vorauskorrektor: Ingeburg Zoschke • Korrektor: Ingeborg Kern Typografie: Günter Mollnski . Hersteller: Hannelore Münnich Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: Druckerei des Ministeriums für Nationale Verteidigung Offsetrotationsdruck — 34291-3 EVP 0,45
Der Überfall Die Fäden des Altweibersommers schwebten durch die Luft. An Bäumen und Sträuchern reiften Früchte. Hier und da starben schon einige Blätter an den Zweigen. Immer schwerer fiel es den Sonnenstrahlen, die Morgennebel und Dunstschichten über den Flußniederungen zu durchdringen. Die Bewohner der Savannen und Wälder im Inneren Nordamerikas bereiteten sich auf den Winter des Jahres 1868 vor. Sie sammelten Vorräte und Futtermittel für die kargen Tage. Bei Washita hatte der Stamm der Cheyenne sein Lager aufgeschlagen. Die Cheyenne hatten sich über Jahrzehnte von Stammesfehden und Händeln mit weißen Siedlern ferngehalten. Sie lebten in Frieden mit den Dakota, ihr Verhältnis zu den Weißen war freundschaftlich. Als sich an diesem Spätsommermorgen die Wipfel der Bäume im Osten immer deutlicher vom dunklen Horizont abhoben, erwachte das Leben zwischen den Tipis, den spitzen Indianerzelten. Frauen bereiteten die erste Mahlzeit. Männer sahen nach den Pferden, die abseits vom Lager weideten. Hier und da kräuselte sich Rauch über den Zeltspitzen in den klaren Morgenhimmel. Der Tag hatte begonnen wie jeder andere, niemand dachte an Gefahr. Doch in aller Stille hatten sich, von der Sorglosigkeit der Indianer begünstigt, Vorausabteilungen des siebenten Kavallerieregiments der amerikanischen Armee dem Lager genähert. Wie eine wildschäumende Woge brausten die Reiter von zwei Seiten heran und stürzten sich auf das Lager. Die Greise, Frauen und Kinder flüchteten in die nahe liegenden Wälder. Viele erreichten das schützende Dickicht nicht mehr. Sie brachen unter den Kugeln und Säbelhieben der Soldaten zusammen. Eine Schar todesmutiger Krieger stellte sich den Feinden entgegen, um die Flucht ihrer Angehörigen zu decken. Sie fielen kämpfend, unter ihnen der Häuptling Black Kettle. Die Soldaten wüteten verheerend. Alle Tipis wurden verbrannt, über achthundert erbeutete Pferde sinnlos niedergeschossen. Man weiß, daß der Indianer ohne Pferd ein hilfloser Mann ist. Auf dem Rücken seines Pferdes verfolgt er seine Jagdbeute und — wenn es sein muß — seine Feinde. Es ist ihm Retter in Gefahr — mit einem Wort, sein
zuverlässiger Freund. Dieser furchtbare Kampf und der Verlust seiner gesamten Habe hatten den Stamm der Cheyenne an seinem Lebensnerv getroffen.
General Custer All das, was sich bei Washita ereignet hatte, grub in die Herzen der Cheyenne tiefen Haß ein. Der Mann, der den Befehl zu diesem Gemetzel gegeben hatte und der sich später dafür feiern ließ, hieß George Armstrong Custer. Der Kommandeur des siebenten Kavallerieregiments war zu dieser Zeit schon eine bekannte Persönlichkeit, die in ihrer militärischen Laufbahn bereits Höhen und Tiefen durchmessen hatte. 1839 wurde George Armstrong Custer als Sohn eines Farmers und Hufschmieds in New Rumley im Staat Ohio geboren. Die Eltern schickten ihn mit siebzehn Jahren auf die Militärakademie der Vereinigten Staaten in West Point. Er beendete dort sein Studium 1861, als der Bürgerkrieg gegen die Konföderation der Südstaaten ausbrach, deren Plantagenbesitzer die Negerbevölkerung zu Sklavendiensten zwangen und dieses System auf weitere Gebiete ausdehnen wollten. So nahm er gleich nach seiner Ernennung zum Offizier an der Schlacht am Bull Run in Virginia im Sommer 1861 teil, wurde ausgezeichnet und nach weiteren militärischen Erfolgen bereits im Jahre 1862 Oberleutnant. Er avancierte nach den Schlachten bei Aldie, Gettysburg und in Virginia infolge seines Schneids ungewöhnlich schnell, so daß er bereits 1863 als Auszeichnung den Ehrenrang Brigadegeneral erhielt. 1864 heiratete er seine Jugendliebe Elisabeth Bacon, die Tochter eines Richters in Monroe. Im selben Jahr rief ihn Sheridan, der berühmte Reitergeneral und Befehlshaber der Kavallerie im amerikanischen Bürgerkrieg, in seine unmittelbare Nähe. Custer wurde sein Adjutant. Nach den Schlachten bei Yellow Tevern und bei Winchester, vor allem aber nach der Schlacht bei Richmond im Frühjahr 1865, in der er die Truppen der Südstaaten unter General Lee schlug, und schließlich als er am 9. April desselben Jahres den Widerstand
General Gordons endgültig brach, war Custers Ruhm im ganzen Lande bekannt. Custer war damals sechsundzwanzig Jahre alt. Mit den Erfolgen wuchs seine Eitelkeit. Das zeigte sich sogar auffällig an seinem Äußeren. Er war groß und schlank, hatte blondes lang herabfallendes Haar und einen blonden Schnurrbart. Seine Generalsuniform ließ er aus grausamtenem Stoff nähen. Sie war mit vielen goldenen Schnüren und Tressen verziert. Dazu trug er einen breitkrempigen, am Aufschlag mit goldener Kokarde geschmückten Hut und ein grellrotes Halstuch. Dieser Mann, dessen Verdienste im Kampf gegen die Armee der Sklavenhalter in den Südstaaten unbestritten sind, geriet danach immer mehr auf die abschüssige Bahn eines Abenteurers, der einem trügerischen Ruhm nachjagte. Er beteiligte sich 1867 als Kommandeur des siebenten Kavallerieregiments an einem weiteren ergebnislosen Kriegszug der amerikanischen Armee gegen die Indianer. Für das Mißlingen dieses Feldzuges verantwortlich gemacht, wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt und für die Dauer eines Jahres aus dem Dienst entlassen. 1868 jedoch übernahm er erneut das Kommando über sein ehemaliges Regiment und erkämpfte „den großen Sieg über die Cheyenne bei Washita". General Custer hatte damit sein Leben in den Dienst der Regierung der Industrieherren und Bankiers gestellt, die zwar im Bürgerkrieg mit ihrem Sieg über die Südstaaten das System der Sklaverei nach langem Zögern abgeschafft hatte, die aber wenig tat, die Neger als freie, gleichberechtigte Bürger in die Gesellschaft aufzunehmen. Im Gegenteil, Neger waren die billigsten Arbeitskräfte und konnten für die rasch wachsenden Industriebetriebe und Handelsunternehmen ausgenutzt werden. So duldeten die Präsidenten Andrew Johnson und der ehemalige Bürgerkriegsgeneral Grant, die Nachfolger des 1865 ermordeten Präsidenten Lincoln, daß die Plantagenbesitzer des Südens Gesetze einführten, die eine verschleierte Wiederherstellung der Sklaverei zum Ziel hatten. Mit Freiheit und Menschenwürde ließ sich das ebenso wenig vereinbaren wie die nach dem Bürgerkrieg verstärkt einsetzende Vertreibung der Indianer aus ihren Gebieten. Das geschah in erbitterten Kämpfen. Allein von 1862 bis 1867 gab die Regierung der Vereinigten Staaten für die Kriege gegen die Dakota, Cheyenne und Navajo 100 Millionen Dollar aus.
Spekulanten, Farmer, Eisenbahngesellschaften nahmen das Land der Indianer in Besitz. Immer mehr Siedler drängten nach dem Westen. Eisenbahnen zerschnitten die Gebiete der Indianer und durchquerten den Kontinent. Sie verbanden die rasch emporwachsenden Industriezentren. Ständig floß ein Strom von Einwanderern aus Übersee ins Land. Holz gab es genügend. Neue Kohlen- und Erzlagerstätten wurden entdeckt. Das Goldfieber griff um sich.
Der Indianerkrieg von 1876 Die großen Verlierer dieser Entwicklung waren die Indianer. Der neue Akt in dem Drama begann — wie schon so oft — mit einem Vertragsbruch. In einer feierlichen Vertragsgarantie hatte die Regierung der Vereinigten Staaten den Indianerstämmen der Dakota ein Gebiet zugesichert, das etwa dem Territorium der heutigen Dakota-Staaten und Wyoming entspricht. „Die Regierung der Vereinigten Staaten wünscht Frieden, und hiermit ist ihre Ehre zum Pfand eingesetzt, ihn zu erhalten." So stand es im Vertragstext. Die Tinte war kaum getrocknet, da zeigte es sich schon, was die solcherart verpfändete Ehre wert war. Im Jahre 1874 erteilte das Kriegsministerium General Custer den Befehl, die im Indianerterritorium liegenden Black Hills nach Gold und Silber zu durchforschen. Zur Sicherung dieser „Geologischen Expedition" wurde eine Streitmacht von 1200 Soldaten aufgeboten. Damit war der Frieden gebrochen, denn dieses Vorgehen fand bei den Indianern, denen die Unverletzlichkeit ihres Gebietes regierungsamtlich zugesichert worden war, schroffe Ablehnung. Sie versuchten, wo sie nur konnten, die bewaffneten Erkundungen, bei denen auch wirklich Gold festgestellt wurde, das unzählige Abenteurer und Glücksritter herbeilockte, zu stören. Auch diesmal schlössen sich, wie nach dem Kampf bei Washita, die Dakota und die Cheyenne zusammen, um sich auf einen Gegenschlag vorzubereiten. Den Indianern blieb keine andere Möglichkeit als der Kampf. Sie setzten sich zur Wehr gegen den Raub ihres Landes und gegen die rücksichtslose Ausrottung ihrer Büffelherden, weil ihnen damit die Voraussetzungen für Nahrung,
Kleidung und Zeltbau genommen wurden. Die Erbitterung der Indianer wuchs, und als sie in ihrem Zorn einige Eindringlinge erschlugen, stellte man 1876 eine Strafexpedition zusammen, die in Chicago von General Sheridan und im Westen von den Generalen Crook, Terry und Gibbon geleitet wurde. Die Indianer trafen ihrerseits die nötigen Vorbereitungen. Der bedeutende Dakota-Häuptling Sitting Bull, der indianische Hauptorganisator, versuchte, große Mengen von Waffen, Munition und Pferden zu beschaffen, und er hatte auch trotz aller Schwierigkeiten Erfolg. Trotzdem war die Bewaffnung der Indianer nicht einheitlich, und der Munitionsnachschub bildete ein schweres Problem. Aber immer wieder erhielt Sitting Bull Verstärkung aus den Reservationen, denn viele Indianer zogen es vor, auf der freien Steppe um eine Lebensmöglichkeit zu kämpfen, als in der Reservation eingepfercht zu verhungern. Andere versuchten den unmöglichen Forderungen der Regierung soweit wie möglich nachzukommen. Man hatte Ende 1875 verlangt, alle Indianer sollten sich bis zum 31. Januar des folgenden Jahres in den ihnen angewiesenen Reservationen stellen, andernfalls würden sie als Feinde behandelt. Diese Aufforderung erreichte manchen Stamm viel zu spät und viele Stämme überhaupt nicht, denn der Winter hatte sehr zeitig eingesetzt, war außerordentlich hart und brachte ungewöhnlich viel Schnee. Einzelne Verbände zogen trotzdem los, versuchten das Unmögliche, wie beispielsweise die Cheyenne und Oglala unter ihren Häuptlingen Two Moons und Crazy Horse. Sie führten sechsund-neunzig Tipis mit sich, in denen etwa zweihundertfünfzig Familien lebten. Die Indianer waren bis zum Powder River gekommen, als Oberst Reynolds am frühen Morgen des 17. März 1876 mit weit überlegener Truppenmacht das Lager überfiel.
Völlig überrascht fuhren die Cheyenne aus dem Schlaf auf. Die Frauen flohen mit ihren Kindern zu den in der Nähe liegenden Felshöhlen, notdürftig gedeckt von den nur mangelhaft mit Waffen ausgerüsteten Männern. Das ganze Lager wurde niedergebrannt. Reynolds, geführt von dem Verräter Grouard, berichtete hochtrabend von einem wahren Munitionsmagazin, das man im Lager gefunden hätte. Es bestand in Wirklichkeit aus sieben Pfund Pulver und zwanzig Pfund Blei. Mit siebenhundert erbeuteten Pferden trat er „wegen starker Kälte und Nahrungsmittelknappheit" einen hastigen Rückzug an. Viele warme Bisonfelle und mehrere tausend Pfund gutes Trockenfleisch hatte man mit den Zelten verbrannt. Als Frauen und Kinder in Sicherheit waren, nahmen die Cheyenne unter ihrem jungen, energischen Führer die Verfolgung der Soldaten auf. Der Wunsch, sich dem „Großen Vater", dem Präsidenten, willfährig zu erweisen, war ihnen gründlich vergangen. Während ein Teil die Frauen und Kinder auf dem Marsch begleitete, blieben etwa zweihundert Krieger den Soldaten den ganzen Tag auf den Fersen, holten sämtliche Pferde wieder zurück und nahmen den Truppen das Proviantvieh weg. Sehr verärgert mußte Crook nach dem Fort Fetterman zurück.
Der Häuptling Two Moons aber stieß mit seinem ganzen Stamm zu Sitting Bull. Der erste Vorstoß der Amerikaner hatte mit einem eindeutigen Mißerfolg geendet. Die Nachricht von diesem grausamen Überfall auf friedliche Indianer, die auf dem vorgeschriebenen Weg zogen, verbreitete sich rasch. Ganze Trupps verließen jetzt die Reservationen und stießen zu Sitting Bull, der in einer allgemeinen Zusammenkunft als Führer gewählt worden war. Da die Regierung beschlossen hatte, den Feldzug erst bei günstigerem Wetter wieder aufzunehmen, gewann Sitting Bull Zeit. Die Amerikaner waren vorsichtig geworden. Der 17. März hatte gezeigt, daß mit den Indianern nicht zu spaßen war. Man traf bessere Vorbereitungen und beschloß, gleichzeitig von drei verschiedenen Punkten aus gegen sie vorzurücken. Der Plan stammte von General Sheridan. General Terry hatte die Leitung der beiden von verschiedenen Punkten her operierenden Nordabteilungen. General Crooks Truppen, neu ausgerüstet, sollten abermals von Süden her vorrücken. Sheridan hatte den Plan in seinem Hauptquartier in Saint Louis ausgeheckt. Er vergaß nur, daß es in der Prärie etliche Indianerführer gab, die ihm an Strategie mindestens ebenbürtig waren. Als erster marschierte General Gibbon mit insgesamt vierhundertfünfzig Mann am 1. April von Port Ellis ab. Sein Marsch ging am Yellowstone River flußabwärts. Er sollte ein Ausweichen der Indianer nach Norden verhindern. Der Oberkommandierende der Nordabteilungen, General Terry, traf mit General Custer am 10. Mai im Fort Abraham Lincoln, der Garnison des siebenten Kavallerieregiments, ein. Dieses Fort lag damals auf dem rechten Ufer des Missouri, es wurde erst viele Jahre später auf das linke Ufer verlegt. Custer, der seinerzeit gehofft hatte, das Oberkommando zu erhalten, mußte sich damit begnügen, seine alte Einheit, das siebente Kavallerieregiment, unter General Terrys Oberbefehl an Stelle des kränklichen Obersten Sturgis zu führen. Er sann nur darauf, von Terry bei passender Gelegenheit loszukommen und den Feldzug allein zu entscheiden. Das sprach er offen aus. Bei Terrys und Custers Ankunft lag das Regiment schon in einem Marschlager etwa fünf Kilometer unterhalb des Forts Lincoln. Im Fort selbst lagen vier Kompanien Infanterie unter Major Moore, eine weitere Infanteriekompanie und eine Batterie von vier leichten
Geschützen. Einschließlich der Spähertrupps und des Trains betrug die Streitmacht etwas über tausend Mann. General Crooks Truppe, sie war im Fort Fetterman im Süden neu aufgestellt worden, bestand aus zehn Eskadronen Kavallerie, sechs Kompanien Infanterie und etwa dreihundert Indianern vom Stamm der Schoschonen und Crows, insgesamt rund ein-tausendvierhundert Mann. Crooks sollte sie unabhängig von Terry, aber im Zusammenwirken mit ihm führen. Mit großer Verzögerung, das Wetter hatte sich verschlechtert, marschierte die Expedition Terry-Custer am 17. Mai vom Fort Lincoln ab. Eine Infanteriekompanie und die Geschütze zogen auf dem Landweg voraus. Die Infanterieabteilung Major Moores wurde auf dem Dampfer „Far West" den Missouri hinauf nach Stanleys Stockade, ihrem vorläufigen Bestimmungsort, befördert. Das siebente Kavallerieregiment zog noch einmal mit klingendem Spiel zu einem kurzen Abschiedsaufenthalt ins Fort, und dann ging es westwärts. Der erste Teil des Marschweges war denen, die vor drei Jahren Stanleys Yellowstone-Unternehmen mitgemacht hatten, nicht unbekannt. Es ging den Little Heart River aufwärts. Schon im ersten Lager gab es keine richtige Nachtruhe. Überall flammten durch Fahrlässigkeit verursachte Präriefeuer auf, und immer wieder mußten die Soldaten die Flammen bekämpfen, die das Lager bedrohten. In der Zwischenzeit wurde der Sold ausgezahlt. Der Zahlmeister hatte bis hierher mitkommen müssen, weil Custer verhindern wollte, daß die Soldaten in der Abschiedsstimmung ihr ganzes Geld ausgaben. Mit der Löhnung für zwei Monate in den Tasahen krochen sie murrend in ihre Zelte. Hier konnten sie mit den Dollars nichts anfangen. Besondere Ereignisse gab es auf dem Marsch nicht. Einmal wurde eine unbedeutende indianische Lagerspur gefunden, aber nicht verfolgt. Man vermutete die Hauptmacht der Indianer am Little Missouri. Am 29. Mai wurde dieser Fluß erreicht, aber auch hier wurden keine weiteren Spuren entdeckt. Am selben Tag marschierte General Crook mit seiner Expedition vom Fort Fetterman auf demselben Weg wie im März nach Norden. Am 30. Mai unternahm Custer mit vier Eskadronen und einem Dutzend Arikara-Scouts, den indianischen Spähern im Dienste der amerikanischen Armee, einen ergebnislosen Erkundungsritt zwanzig
Meilen am Little Missouri hinauf. Am 31. Mai wurde der Little Missouri überschritten, und die Kolonne lagerte am Sentinel Buttes. , Als am frühen Morgen des 1. Juni die Hörner zum Wecken bliesen, blinzelten die überraschten Soldaten in eine Winterlandschaft. Ein Schneesturm pfiff von West. Zwei Tage lang wirbelten die Flocken um die.Kuppen des Sentinel Buttes und hielten Hie Truppen im Lager fest. Erst am 3. Juni schmolz der Schnee, so schnell, wie er gekommen war. Das Land trocknete rasch ab, und der Marsch konnte fortgesetzt werden. Aber durch den nicht vorausgesehenen Aufenthalt waren die Rationen knapp geworden. Am selben Tag trafen einige Späher Gibbons ein, der die Mündung des Tongue River erreicht hatte. Sie brachten die Nachricht, daß ostwärts vom Powder River keine Indianer aufgespürt worden seien. Terry sandte vom Lager am Beaver Creek den Befehl an Gibbon, am erreichten Platz zu bleiben, und ließ Major Moore bitten, ein Boot mit Proviant an die Mündung des Powder River zu senden. Es folgte ein schwieriger Marsch den Beaver Creek aufwärts und dann westwärts bis zum Powder River, der am 7. Juni fünfundzwanzig Meilen oberhalb seiner Mündung erreicht wurde. Terry ritt am 8. Juni mit zwei Eskadronen nach der Mündung des Powder River, wo er den Dampfer „Far West" und das erbetene Proviantboot fand. Kurz nach Terrys Ankunft traf auch General Gibbon ein, der mit einer Eskadron Kavallerie seiner Kolonne vorausgeritten war. Er hatte nichts Besonderes zu berichten. Leutnant Bradley, der die Späher führte, hatte am 15. Mai im Tongue-River-Tal Rauch festgestellt, er vermutete dort ein großes Lager. Am 27. Mai bemerkte man in den Wolf Mountains ebenfalls Rauch. Ein Spähtrupp sichtete von einer Höhe aus ein großes Lager. Bei Schießereien mit Indianern waren einige Soldaten gefallen. General Gibbon erhielt Befehl, bis zur Mündung des Rosebud River zurückzumarschieren, und General Terry kehrte am 10. Juni zu seinem Haupttrupp zurück, in den nun Bewegung kam. Noch am Nachmittag desselben Tages brach Major Reno mit sechs Eskadronen des siebenten Regiments, einer Gatlingkanone und einem Maultierzug zu einer größeren Erkundung auf. Der landeskundige Minton Bouyer, ein Halbblutspäher Gibbons, führte die Soldaten. Reno sollte zum Powder River ziehen, den Lauf des Mizpah Creek absuchen, die Wasserscheide überschreiten und den Tongue River abwärts bis zur Mündung marschieren.
Am selben Tag griff der Oglala-Häuptling Crazy Horse mit einigen Schützen überraschend Crooks Lager am Goose Creek im Oberlaufgebiet des Tongue an. Es wurden ein paar Salven gewechselt; als Crooks Truppen zum Gefecht aufrückten, zogen sich die Indianer zurück. Crazy Horse hatte Crook einige Zeit zuvor warnen lassen: „Wagt euch nicht über den Tongue River, wir greifen sonst an!" Nun hatte er gezeigt, daß er auf dem Posten war. Die indianischen Schützen kehrten in ihr Hauptlager am mittleren Tongue River zurück. General Terrys Kolonne brach am 11. Juni vom Lager am Powder River auf. Das Gelände war schwierig, und Terry rechnete damit, daß man bis zur Mündung in den Yellowstone zwei Tage brauchen würde; Custer aber trieb die Kolonne einschließlich der schwerbeweglichen Wagen bis zum Abend desselben Tages an den Bestimmungsort: Es waren fünfundzwanzig Meilen unzugänglichsten Geländes. Der Proviant war restlos aufgebraucht. Terry hatte am 9. Juni den Dampfer „Far West" getroffen, den er sofort nach Stanleys Stockade um Nachschub sandte. Die Vorräte trafen dann auch rechtzeitig ein. Im Lager wurden nun alle Säbel, auch die der Offiziere, abgegeben und in Kisten verpackt. Das Musikkorps sollte nicht weiter mitziehen und machte sich zur Rückkehr in die Garnison fertig. In der Zwischenzeit traf auch noch der Dampfer „Josephine" mit weiteren Vorräten ein. Es vergingen ein paar geschäftige Tage mit der Errichtung des endgültigen Nachschublagers. Am 15. Juni früh brach Custer mit der Kavallerie nach dem Tongue River auf, den man am 16. abends erreichte. Sie fanden dort einige Bestattungsgerüste von Indianern. Die Soldaten rissen sie um und plünderten sie, genau wie es zweieinhalb Jahrhunderte früher ihre Vorfahren im Osten, die frommen Puritaner, getan hatten. Major Reno war inzwischen weitergegangen, als ihm befohlen worden war. Er hatte im festgelegten Raum keine Spuren gefunden und war westwärts bis zum Rosebud River marschiert, wo er auf eine sehr starke Indianergruppe gestoßen war, die er verfolgt hatte. Als sich zeigte, daß die Spur am Rosebud aufwärts und dann plötzlich scharf nach Westen, wahrscheinlich ins Tal des Little Big Horn, führte, war Reno wieder am Rosebud abwärts marschiert. An der Mündung dieses Flusses am 19. Juni angekommen, fand er am Nordufer des Yellowstone General Gibbon mit seiner Truppe; er teilte ihm durch
Flaggensignale das Ergebnis seines Erkundungsmarsches mit, sandte einen Boten mit einem Bericht an Terry voraus und trat dann den Marsch zum Tongue River an. Der Bote traf am Abend des 19. Juni bei Terry ein, der ihn wieder zu Reno schickte mit dem Befehl, die Ankunft Custers mit der anderen Hälfte des Regiments abzuwarten. General Terry selbst fuhr auf der „Far West" den Yellowstone aufwärts. Am 20. Juni gegen Mittag, etwa in der Mitte zwischen der Tongue- und der Rosebud-Mündung, vereinigte sich das Regiment wieder. Bei diesem Zusammentreffen machte Custer Major Reno Vorwürfe, nicht, weil er weitergegangen war. als Terry`s Befehl lautete, sondern weil er nicht weit genug gegangen war und die Indianer nicht verfolgt hatte. „Wenn das Lager nach Aussagen Ihrer Späher in eineinhalb Tagen erreichbar war. dann hätte ich an Ihrer Stelle die Indianer verfolgt und gestellt. So aber ist viel kostbare Zeit verlorengegangen!" Nach dem Wortlaut des Befehls sollte Reno Indianer aufspüren, und diesen Befehl hatte er ausgeführt, wenngleich unter Abweichen von dem befohlenen Marschweg. Aber wenn er greifbare Ergebnisse bringen wollte, hatte er keine andere Wahl. Am 20. Juni lagerte das Regiment unterhalb der Mündung des Rosebud. Gegenüber, auf dem Nordufer des Yellowstone, stand Gibbons Truppe. Am Mittag des 21. Juni fuhr der Dampfer „Far West" mit Terry an Bord am Lager des siebenten Kavallerieregiments vorbei. Terry überbrachte Gibbon selbst den Befehl, seine Kolonne sofort nach der Mündung des Big Horn River in Marsch zu setzen. Gibbon blieb bei Terry an Bord des Dampfers, und bevor dieser das Lager des siebenten Kavallerieregiments am Südufer des Yellowstone erreicht hatte, war Gibbons Kolonne schon unterwegs. Custer, der die Ankunft des Dampfers erwartet hatte, ging eilends an Bord, als die „Far West" eintraf. In Terrys Kabine wurde der letzte Kriegsrat gehalten. Von Crook, der von Süden her vorstoßen sollte, wußte man nichts. Crook hatte rund tausend Mann reguläre Truppen und fast dreihundert verbündete Indianer. Keiner von den dreien auf der „Far West" hatte Kenntnis von der Schießerei am 10. Juni, keiner eine Ahnung, daß Crook am 17. Juni mit den Indianern zusammengetroffen und, nur knapp einem vernichtenden Schlag entronnen, schon wieder auf dem Rückmarsch nach Süden war. Nein, sie wußten nicht das geringste,
aber Terry rechnete klugerweise nicht mit Crook. Custer sollte mit seinem Regiment am Rosebud aufwärts marschieren, die von Reno gefundene Spur verfolgen und, wenn sie, wie vermutet, ins Tal des Little Big Horn abbog, weiter nach Süden gehen, um Terry und Gibbon mit der Infanterie genügend Zeit zu geben, zur Mündung des Little Big Horn zu marschieren. Terry hoffte, dort am 27. Juni einzutreffen. Als die Offiziere die Kabine verließen, fiel allen Außenstehenden eine Veränderung an Custer auf. Er war sehr schweigsam und seine Miene außergewöhnlich ernst, fast düster. Und nun ereigneten sich eine Reihe seltsamer Dinge. Gibbon hatte Custer schon einige Tage zuvor seinen besten und landeskundigsten Späher, den Halbblutindianer Minton Bouyer, überlassen. Jetzt gab er ihm dazu noch sechs seiner besten AbsarokaScouts und den Späher George Herendeen; der den Tullock Creek genau kannte. Während der Besprechung in Terrys Kabine hatte sich im Salon der „Far West" eine Anzahl anderer Offiziere über den Feldzug unterhalten. Die meisten von ihnen beurteilten Custers Verhalten nicht gerade freundlich. In tiefes Nachdenken versunken, hielt Custer sich allein auf dem Vorderdeck auf. Inzwischen ließ sich Major Brisbin bei Terry melden und schlug ihm vor, Custer noch die vier Eskadronen Kavallerie mitzugeben und selbst die Führung des Zuges zu übernehmen. Terry lehnte erst ab, aber der unerschrockene Brisbin wurde dringlich, und Terry fragte schließlich mit einer bei ihm gänzlich ungewohnten Schärfe: „Sie scheinen kein Vertrauen zu Custer zu haben?" „Nein! Ich habe überhaupt nichts für ihn übrig." Nach einigem Zögern sagte Terry: „Machen Sie ihm den Vorschlag, wenn Sie wollen, und sehen Sie, was er dazu sagt." Brisbin ging sofort zum Vorderdeck und sprach mit Custer. Dieser lehnte brüsk ab: „Das siebente Regiment wird mit allem allein fertig, was ihm begegnet!" Auch Leutnant Lows Angebot, die Gatlinggeschütze mitzunehmen, schlug Custer ab. Darauf verließ er den Dampfer und ging zu seinem Zelt. Noch während sich die Offiziere über die Eigenmächtigkeit Custers wunderten, erschien Terry persönlich vor Custers Zelt. Custer, der noch keinen schriftlichen Marschbefehl hatte, begrüßte ihn. Terry
verabschiedete sich und sagte: „Ich weiß nicht, was ich Ihnen zu guter Letzt sagen soll." „Bitte, sagen Sie, was Sie zu sagen wünschen", antwortete Custer. „Wenn Sie auf die Spur der Indianer treffen, tun Sie, was Sie nach Ihrem Ermessen für das beste halten. Aber was Sie auch tun mögen, lassen Sie Ihre Verwundeten nicht im Stich!" Ob der empfindliche Custer dies als Anspielung auf Major Elliots Schicksal vor fast acht Jahren bei Washita aufgefaßt hatte? Elliot war damals mit dem Ruf „Hier geht's um Beförderung oder um einen Sarg" hinter einigen flüchtenden Cheyennen hergejagt und, von Custer im Stich Gelassen, nicht zurückgekehrt.
Indianer in Sicht General Sheridans Plan sah folgendes vor: Custers Regiment bricht am 22. Juni auf. Terry und Gibbon folgen mit einem Kommando Kavallerie und Infanterie auf kürzerem Wege langsamen Schrittes. Alle vereinigen sich an der Mündung des Little Big Horn. In den Tagen vor dem Aufbruch war das ganze Lager mit Vorbereitungen beschäftigt. Auf einer Kartenskizze der unbe-siedelten Region, die durchquert werden mußte, zeichneten die Offiziere die Marschwege der beiden Abteilungen ein. Das war übrigens die einzige Karte, die man im Hauptquartier von General Terry auftreiben konnte. Am Morgen des 22. Juni machte sich das siebente Regiment marschfertig. Es wurden keine Zelte, keine Wagen mitgenommen. Man verstaute nur das Allernot-wendigste an Gepäck, Munition und für fünfzehn Tage "eiserne Rationen" auf Maultiere. In dem Durcheinander des Aufbruchs stolperte eine Ordonnanz Terrys hastig zu Custers Zelt. Sie überbrachte den schriftlichen Marschbefehl. Custer wollte am Tag dreißig Meilen marschieren. Sein Vorgesetzter, General Terry, schätzte, daß die Infanterie ungefähr bis zum 26. Juni brauchen würde, um Custer an dem festgelegten Punkt zu treffen, wo sich alle Abteilungen vereinigen sollten. Das Datum für ihr Zusammentreffen war also festgelegt. Am 22. Juni 1876, Punkt zwölf Uhr mittags, verabschiedete, sich das
siebente Kavallerieregiment der Vereinigten Staaten unter seinem Kommandeur, General Custer, von den Generalen Terry und Gibbon und marschierte los. Beim Abschied rief General Gibbon dem davonziehenden Custer nach: „Seid nicht so selbstsüchtig, wartet auf uns!" Custer antwortete: „Ich werde mich hüten!" Er glaubte, die Indianer würden versuchen zu entkommen und seine Pflicht sei es, sie wie eine Büffelherde zu umzingeln. Als das siebente Kavallerieregiment das rechte Ufer des Rosebud ' River hinaufzog, marschierten vor ihm ungefähr vierzig Arikara, kurz Ree genannt, und Crow-Scouts, seit langem Feinde der Dakota. Die Spuren der Indianer waren bald gefunden. In jedem trockenen Strombett fanden sie Reste eines verlassenen indianischen Lagers: Am Boden lagen Knochen und Fetzen von Büffelhaut, beinahe jedes Grashälmchen war von Pferden abgefressen worden. Im ganzen Tal fand man Schleifspuren von Stangen, die den Dakota zum Aufstellen der Tipis gedient hatten. Nach Anbruch der Dunkelheit kamen am 24. Juni die Crow-Scouts zurück und brachten die Nachricht, daß die Dakota das Scheidegebirge zum Tal des Little Big Horn hin überschritten hätten. Sofort wurden alle Trompetenrufe eingestellt, und Custer verpflichtete die Offiziere seiner Truppe, ihm über alle Vorkommnisse direkt zu berichten. Er sagte ihnen vertraulich, was die Späher erkundet hatten. Nach dieser Mitteilung befahl er, den Marsch während der Nacht fortzusetzen. Das war eine große Anstrengung für die Mannschaft. Er wollte das Tal des Little Big Horn unbedingt bei Tageslicht erreichen, was für
seinen Plan wichtig war. Seine alte, vielerprobte Methode war der Überraschungsangriff. Er pirschte sich an seine Opfer heran und schlug rücksichtslos zu. Auch bei seinem gegenwärtigen Zug versuchte er, in der Dunkelheit der Nacht seine Bewegungen zu verbergen. Sobald das indianische Lager festgestellt war, wollte er es dann bei Tagesanbruch überfallen. Die Kavalleristen kamen sehr langsam vorwärts. Sie mußten sich über heimtückische felsige Schluchten hinwegtasten und dabei ihre Pferde oftmals führen. Am 25. Juni, zwei Uhr morgens, hielten sie wieder an, um weitere Nachrichten von den Crow-Scouts zu erwarten. Diese
naturverbundenen Späher hatten ihre Schritte, ohne zu irren, nach einem hohen, felsigen Punkt gerichtet. Dieser Hügel war als Auslug bekannt. Von der Spitze des Scheidegebirges, auf dem die ersten Strahlen der Sonne den Anfang des neuen Tages verkündeten, sahen sie vor sich das Little-Big-Horn-Tal. Die aufgehende Sonne schmückte die Hügel mit Gold und Purpur. Sie stieg höher und höher. Jede Hügelspitze schimmerte wie ein Opal. Das ganze Gelände war in strahlenden Glanz getaucht. Gleich einem silbernen Band floß der Little Big Horn dahin. Infolge der klaren Sicht an jenem Morgen entdeckten die scharfen, geübten Augen der Späher in einer Entfernung von fünfzehn Meilen im Tal den Rauch von zahlreichen Tipis und nahe dabei große Ponyherden Der Späher Bouyer sandte einen seiner Leute zu Custer, um ihm mitzuteilen, daß das Lager Sitting Bulls gesichtet worden sei. Custer ließ sein Regiment anhalten und eilte selbst zu dem Auslug. Nach seiner Rückkehr widerlegte er in einer Offiziersversammlung den Bericht des Spähers. Er selbst hätte durch sein Feldglas das Lager nicht entdecken können. Bouyer ließ sich daraufhin zu der Bemerkung hinreißen: „Wenn Sie nicht mehr Indianer in diesem Tal finden, als Sie je zuvor gesehen haben, können Sie mich hängen lassen." „All right, all right", gab Custer zur Antwort, lachte kurz auf und sagte: „Es wäre etwas verdammt Gutes, wenn ich das täte." Beim Morgenappell stellte sich heraus, daß während der Nacht eines der Maultiere auf dem Pfad eine Kiste mit Nägeln und einen Sack mit Mehl verloren hatte. Die Artikel waren so wertvoll, daß eine kleine Patrouille ausgeschickt wurde, um die verlorenen Gegenstände zu suchen. Diese Patrouille traf wenig später auf einige bemalte und mit Federn geschmückte Dakota-Krieger, die den Inhalt der Kiste genau untersuchten. Als sich die Soldaten näherten, sprangen die Indianer auf ihre Pferde und flohen in die Berge. Eine indianische Spur wurde auch oben am Abhang der Schlucht entdeckt, in deren Nähe die Truppen in der Nacht vorher vorbeigezogen waren. Weitere Versuche, die Bewegungen der Truppen geheimzuhalten, erachtete man als überflüssig. Nur auf die Zeit kam es an. Das siebente Kavallerieregiment durchquerte das Gebirge, und in flottem Trab kamen die Soldaten in das Tal eines kleinen Flusses, der in Richtung des Little Big Horn floß. Etwa mittags wurde nochmals
haltgemacht. Die Truppe war fast die ganzen Tage und Nächte hindurch ununterbrochen geritten. Custer zog sich mit seinem Adjutanten Cooke zurück, und mit Bleistift und Notizbuch teilte er das Regiment auf. Das erste Bataillon mit den Eskadronen A, G, M übergab er Maior Reno. Das zweite Bataillon mit den Eskadronen K. H und D unterstellte er dem Befehl des Rittmeisters Benteen. Fünf weitere Eskadronen C, E, F, J, L leitete er selbst. Benteens Bataillon, zusammen einhundertfünfundzwanzig Mann, sollte den Packzug mit den Verpflegungsrationen und dem Munitionsvorrat schützen. Einige Unteroffiziere und mehrere Soldaten aus jeder Kompanie wurden dem Train zugeteilt. General Custer befahl dann Rittmeister Benteen. sich zur Linken der Regimentsroute zu halten. Das Land war in dieser Richtung sehr zerklüftet, so daß Benteen und seine Leute bald außer Sicht kamen. Der Rest des Regiments marschierte weiter den Fluß hinunter, Custer auf dem rechten, Reno auf dem linken Ufer. Mit bedächtigem Schritt ging die Truppe vorwärts. Es war kurz vor zwei Uhr. Sie waren ungefähr neun Meilen weit marschiert, als der Dolmetscher Fred Girard, der etwas vorausgerit-ten war, plötzlich auf einer Anhöhe nahe einem einsamen Tipi sein Pferd anhielt. Er wandte sich im Sattel um, winkte mit seinem Hut und wies auf etwa vierzig Dakota mit kriegerischem Kopfschmuck, die den Fluß hinuntereilten. Triumphierend rief er: „Hier sind Ihre Indianer. Sie laufen wie die Teufel!" Custer befahl den Crow-Scouts, die Dakota zu verfolgen, aber diese weigerten sich. Sogar Custers feste und dann fast flehende Aufforderung, sofort zu gehorchen, sonst müßten sie Pferde und Gewehre abgeben, nützten nichts. Man sah auch zum ersten Male eine große Staubwolke in nächster Nähe. Custer gab nun seinem Adjutanten einen Befehl, den er Reno mündlich überbringen sollte. Er lautete: „General Custer weist Sie an, einen schnelleren Schritt anzuschlagen, soweit dies möglich ist, und dann anzugreifen!" Cooke trabte schnell den Fluß hinunter. Custer grüßte noch mit seinem Hut. Er begab sich an die Spitze seines Bataillons.
Ein verzweifelter Kampf Die zwei Bataillone gerieten bald außer Sichtweite. Renos schneller Trab brachte ihn bald in die Nähe des Little Big Horn, der hier ein Strom von beträchtlicher Breite und Tiefe war. Er suchte eine Furt und überquerte das Wasser ohne Aufenthalt. Der Adjutant Cooke ritt, nachdem er Custers letzten Befehl übermittelt hatte, mit Major Reno an das Ufer des Flusses und kehrte dann zurück. Als die Pfadfinder Renos den Strom erreicht hatten, erklärten sie ihm aufgeregt, daß die Dakota das Tal heraufkämen, um ihn anzugreifen. Der Dolmetscher Girard, der nun bei Reno war, änderte sofort seine Meinung über die Taktik der Indianer. Er kannte Custers Annahme, daß der Feind flüchte, galoppierte deshalb in rasender Eile am Fluß entlang zurück, holte den Adjutanten ein und teilte diesem in größter Hast mit, daß die Dakota nicht flüchteten, wie er vermutet hatte, sondern mit starken Streitkräften zum Angriff übergingen. Bald danach überschritt Reno den Strom zum zweitenmal und hielt in einem kleinen Wäldchen an, um sein Bataillon wieder zu formieren. Mit den Ree-Scouts zu seiner Linken, mit den Eskadronen A und M in Schwarmlinie und der Eskadron G in Reserve trieb Renos Bataillon die Indianer anscheinend mit Leichtigkeit das Tal hinunter. Als sie sich dem indianischen Lager näherten, sahen sie, einem Rauchvorhang gleich, eine unheimliche, sich schnell nähernde Staubwolke vor sich, verursacht durch die Hufe der zahllosen indianischen Pferde. Die Indianer setzten den Angreifern starken Widerstand entgegen. Die Amerikaner hatten hohe Verluste und mußten Reservekräfte in den Kampf werfen. Doch plötzlich löste sich mit bemerkenswerter Raschheit die geschlossene indianische Schar auf und strömte nach links und rechts auseinander. „Was zum. Teufel haben sie vor?" murmelte Reno. Eine Kette berittener Indianer schwenkte nach links, eine andere nach rechts, und nun ritten sie in losen Reihen nach entgegengesetzten Richtungen. Aber mit einemmal schwenkten beide Flügel im rechten Winkel zusammen und jagten geradewegs auf den Abhang zu. „Damned, sie wollen sich zwischen uns schieben. Leute, wir müssen zurück, beißt die Zähne zusammen, wir müssen um unser Leben
kämpfen." Auf hundert Meter Entfernung waren die schnellen indianischen Reiter eben so schwer zu treffen wie fliegende Vögel. Renos Soldaten begannen zu schießen. Der Knall ihrer Schüsse ertrank in dem Kriegsgeschrei der Indianer. Es kam wild und gellend näher. Die meisten Soldaten ergriff panisches Entsetzen, und Reno wurde immer nervöser. Wie die Mustangs sprangen! Dabei überquerten sie die offene Fläche, die Gefahrenzone des Bleihagels, der nicht eine einzige Lücke in ihre Reihen riß. Als sie den Rand des Abhangs erreichten, wurden die Gäule auf ihre Hinterbeine zurückgerissen, und mit Blitzesschnelle waren sie alle reiterlos. Die Indianer hatten sich in das Gewirr der Felsen geworfen. „Gut gemacht, das muß ich sagen", rief Reno laut. „Jetzt haben wir es mit kriechenden Schlangen zu tun. Haltet die Augen offen!" Dieses Manöver hatte auf die Truppen eine deprimierende Wirkung. Die meisten Offiziere erkannten, wie ernst die Lage war, und wandten ihre ganze Aufmerksamkeit der neuen Gefahr zu. Die indianischen Krieger, die im Lager zurückgeblieben waren, verdoppelten ihre Schüsse. Die Blaujacken mußten sich langsam zurückziehen. Ein gefahrvoller Rückzug begann. Schüsse peitschten von hinten. Kugeln prallten auf dem Gestein ab und pufften weiße Staubwölkchen in die Luft. Rechts und links glitten die Indianer in dem Labyrinth der Felsblöcke wie Eidechsen dahin, verschwanden wieder, tauchten wieder auf. Aber jeder Soldat wußte, daß die Indianer unablässig vorrückten, schleichend, kriechend, sich schlängelnd von Fels zu Fels, von Baum zu Baum, die Sicht des Feindes vermeidend. Bloody Knife, der an Renos Seite blieb, wurde von einer Kugel getroffen und fiel tot vom Pferd. Reno bekam es langsam mit der Angst zu tun. Er mußte die Truppe zusammenhalten, die im Begriff war, sich aufzulösen. Der Kugelregen prasselte auf den Pfad. Die grelle Sonne brannte unvermindert auf das Schlachtfeld. Steine und Flinten waren heiß. Kein Lüftchen rührte sich, und der Kampf ging weiter. Major Renos Soldaten zogen sich noch immer zurück. Da die Pferde ein solches Tempo nicht gewöhnt waren, wurden sie wild, und einige rasten in die Reihen der Indianer. Die Streitkräfte der Dakota nahmen erstaunlich zu. Endlich gewährten die hohen Wälder den Soldaten Zuflucht. Der Major ließ die Kavalleristen absitzen und zu Fuß weiterkämpfen. Zwei Melder, die Reno an Custer sandte, um ihn von seiner schwierigen Lage zu informieren, kamen nicht durch die
indianischen Linien und kehrten zurück. Als ein Späher angewiesen wurde, es nochmals zu versuchen, Custer eine Botschaft zu überbringen, zeigte er auf die angreifenden Indianer hinter sich, schüttelte den Kopf und sagte bedeutungsvoll: „Kein Mann kann lebend dort hindurchkommen!" Die letzte schwache Hoffnung auf Entsatz durch General Custer war jetzt dahin. Major Reno stellte nun seine Soldaten an den Rand des Waldes. Die Dakota kamen langsam durch die Wälder. Pfeifende Kugeln erschreckten die Pferde. Die Reservemunition in den Satteltaschen der Soldaten war angerissen worden oder schon verbraucht. Die Kavalleristen sahen sich fast umzingelt. Major Reno mußte einen schnellen Durchbruch wagen, oder es gab kein Entrinnen mehr. Er befahl aufzusteigen. Im Gehölz fand man glücklicherweise eine kleine Lichtung. Hier stellte Reno seine Truppe wieder auf. Die Männer brachten ihre Pferde heran und standen bei ihnen, genau wie es die allen Kavalleristenvorschriften verlangten. Major Reno wurde es erst jetzt klar, daß er in das Tal gelockt worden war. Und doch, wenn er seinen Angriff fortgesetzt hätte, wäre sein ganzes Kommando verloren gewesen, weil er vor einer starken indianischen Streitmacht stand. Es gab für ihn keine Wahl mehr, er mußte den Rückweg antreten.
Als die Kavalleristen wieder im Sattel saßen, zogen sie ihre Revolver, schossen und galoppierten weiter zurück. In vollem Lauf erreichte die Kolonne das felsige Flußufer. Es lag etwa zwei Meter höher als der Fluß, und viele Pferde scheuten sich hinabzuspringen. Bei diesem Rückzug fielen neunundzwanzig Amerikaner. Die Überlebenden kletterten jenseits des Flusses keuchend das steile Ufer hinauf, einige verwundet, andere ohne Pferde, alle in panischem Schrecken und fast ohne Munition. Charley Reynold, Custers bester Scout, erhielt eine Kugel in die Brust. Renos Adjutant, Leutnant Hodgson, wurde beim Flußübergang schwer verwundet. Ein Trompeter reichte ihm seinen Steigbügel und zog ihn an das andere Ufer. Dort verteidigte er sich mit seinem Revolver, bis eine Kugel seinem Leben ein Ende setzte. Auch der Arzt Dr. Wolf fiel. Am anderen Ufer formierten sich die Reste der Abteilung erneut, um sich so gut wie möglich gegen den zu erwartenden weiteren Angriff der Dakota zu verteidigen. Hätten die Indianer Reno über den Fluß verfolgt und den Angriff sogleich fortgesetzt, so wäre ohne Zweifel kein einziger Mann von seinem Kommando übriggeblieben. Doch es sollte anders kommen. Als sich Reno über den Fluß zurückgezogen hatte, jagte der erfolgreiche Indianerhäuptling Gall zurück. Er verband sich mit Grazy Horse und Two Moons, die ihre Kriegslieder sangen. „Es ist ein großer Tag zum Kämpfen, es ist ein großer Tag zum Sterben. Starke Herzen, tapfere Herzen an die Front. Schwache Herzen und Feiglinge nach hinten." Die Oglala und Cheyenne, die einstigen Überfallenen von Washita, kämpften an diesem Tag mit besonderer Tapferkeit. Major Renos kleine Schar stand wie angewurzelt auf dem Boden, erschüttert, in Unordnung, fast ohne Munition, sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben. Immer wieder drängte sich den Soldaten Renos die Frage auf, warum Custer nicht kam, der sie doch mit seiner ganzen Macht unterstützen wollte. Die Abteilung erwartete jeden Augenblick den letzten Angriff, dem sie hätten unmöglich widerstehen können. Aber da wurde die Aufmerksamkeit des größten Teils der Indianer aus unerfindlichen Gründen abgelenkt, obwohl viele Krieger den Fluß oberhalb Renos Stellung schon überquert hatten und über Abhänge und Hohlwege vorgingen. Nie erfuhr Reno, was die Indianer von
ihrem Vorhaben, sofort weiter vorzugehen, abgebracht hatte. Und wieder ereignete sich etwas Unerwartetes. Rittmeister Benteen stieß mit seinem Bataillon zu ihnen. Er hatte kurz vor sechzehn Uhr durch den Trompeter Martin eine Nachricht von Custer erhalten. Auf seinem gefährlichen Ritt zu Benteen war der Trompeter von Indianern beschossen worden. Sein getroffenes Pferd blutete stark. Er selbst war sehr erschöpft. Benteen ritt, um General Custer zu suchen, mit seiner Abteilung dem Schall der Schüsse nach, den sie aus der Ferne hörten. Hinter einer Bodenerhebung öffnete sich das Tal des Little Big Horn ihren Blicken, und sie sahen zu ihrem Schrecken auf der gegenüberliegenden Seite eine überwältigende Schar von Indianern, die eine kleine Gruppe von Soldaten niedergeritten und getötet hatten. Das waren die letzten von Renos Kommando, die den Übergang nicht mehr geschafft hatten. Als Benteen und seine Soldaten auf dem Hügel erschienen, wurden sie von den Indianern gesichtet und beschossen. Die Entfernung war aber zu groß, so daß die Schüsse nicht trafen. Benteen überlegte, was er machen sollte. Da sah er an seiner rechten Seite eine Gruppe von Indianern. Es waren jene Pfadfinder, die sich von Custer getrennt hatten. Ihr Führer Half Yellow Face wies nach rechts. Leutnant Godfrey ritt zu ihm, zeigte zum Tal. dann zum Berg und fragte: „Soldaten?" Der Crow schüttelte den Kopf, zeigte auf die Höhe, auf die sich Reno zurückgezogen hatte, und sagte: „Soldaten." Benteens Leute zogen die Revolver und trabten vorwärts. Als sie den Berg erreicht hatten, rannte ihnen Major Reno, den Kopf mit einem Tuch verbunden, atemlos entgegen und rief: „Um Gottes willen, Benteen, helfen Sie mir! Ich habe die Hälfte meiner Leute verloren!" Einige Minuten später hatte sich Benteens Bataillon mit den Resten von Renos Einheit vereinigt. Renos Truppe war desorganisiert, aufgelöst und am Ende ihrer Kräfte. Einige der letzten, die den Dakota entschlüpft waren, kamen noch das Ufer herauf, erschöpft und voller Angst. Leutnant Godfrey ritt auf Reno zu und schüttelte ihm die Hand. Der Major sagte: „Ich bin sehr froh, Sie zu sehen. Wir haben im Tal einen erbitterten Kampf geführt und wurden verhauen wie noch nie!" Benteen zeigte Reno die Botschaft Custers. Sie lautete: „Benteen, komme schnell! Großes Lager. Beeile Dich! Bringe die Packpferde
mit!" Gefunden hatte Benteen aber nur den Rest des geschlagenen Bataillons von Reno. Von Custers Truppen keine Spur. Benteen war ein Mann von ansehnlichem Äußeren, kühn, verwegen und tapfer. Er brachte schnell Ordnung in das Durcheinander, gab seiner Truppe den Befehl, die Munition mit Renos Einheit zu teilen und formierte seine Leute neu. Wenig später erschienen auch, in eine Staubwolke gehüllt, die Truppe von Rittmeister McDougall und der sehnlichst erwartete Train mit den Munitionsvorräten. Alle Eskadronen vereint, bestanden nun aus ungefähr dreihundertachtzig Mann. Dieses Kommando marschierte den Fluß hinunter, um Custer ausfindig zu machen, mit dessen Unterstützung längst nicht mehr gerechnet wurde. Vorsichtig bewegte sich die Abteilung auf den Abhängen gegenüber dem indianischen Lager vorwärts, denn aus dieser Richtung vernahm man ferne Schüsse. Aber auch vom höchsten Punkt aus wurde Custer weder gesehen noch gehört. Major Reno schickte deshalb eine Abteilung, befehligt von Rittmeister Weir, aus, die versuchen sollte, Verbindung mit Custer zu bekommen. Weir gab jedoch Nachricht, daß er von den Indianern umzingelt würde, wenn er weiterginge. Danach bezog Major Renos Kommando wieder die alte Stellung in einer Bodensenke, die von kleinen Hügeln umgeben war. Das schien der beste Ort zur Verteidigung zu sein. Pferde und Maultiere wurden gedeckt aufgestellt und die Männer auf die umliegenden Hügel verteilt. Kaum waren die Vorbereitungen abgeschlossen, da griffen die Indianer erneut an. Diesmal war der Angriff noch heftiger. Bis zum Einbruch der Dunkelheit hielt Renos Kommando hartnäckig seine verstärkte Stellung gegen eine starke Übermacht der Indianer. Seine Lage war aussichtslos. In der Nacht feierten die Indianer in ihrem Lager, das sich über mehrere Meilen am Little Big Horn entlangstreckte. Der Widerschein zahlloser Freudenfeuer flammte auf, der lärmende Ton der Trommeln klang herüber. Die, beunruhigten Soldaten aber trafen fieberhafte Vorbereitungen für den am nächsten Tag zu erwartenden Angriff. Sie befestigten ihre Stellungen, gruben sich in dem steinigen Boden mit leeren Fleischbüchsen und ähnlichen „Werkzeugen", die sie im Augenblick zur Hand hatten, ein und bauten aus toten Pferden und
Maultieren sowie Kisten und anderem eine Art Brustwehr, die sie vor den indianischen Kugeln und Pfeilen schützen sollte. Zu ihrem Glück konnten sie über den steilen Abhang den Fluß erreichen und hatten Wasser. Auch während der Nacht wurde gearbeitet. Müde Hände packten unablässig zu. In der Ferne ertönte der Trommelschlag zum Indianertanz. Ungefähr um zwei Uhr dreißig morgens war die Arbeit beendet. Das Morgenrot stand über den Hügeln. Bald goß die aufgehende Sonne ihre Strahlen über die Landschaft, die in einen Schleier gehüllt zu sein schien. Allmählich wich der Nebel. Ein strahlendblauer Himmel versprach einen schönen Tag. Friedlich floß der Little Big Horn das Tal hinunter und verschwand schließlich zwischen den Hügeln. Die Ruhe, die sich über die Landschaft breitete, wurde plötzlich durch zwei indianische Gewehrschüsse unterbrochen. Und wie auf Kommando prasselte wütendes Feuer auf die Stellung der Soldaten nieder. Die Repetiergewehre, die die Indianer von den Händlern gekauft hatten, machten den hohen Preis wett, der dafür in Büffelfellen oder Biberhäuten bezahlt worden war. Sie übertrafen an Reichweite die Karabiner der Kavallerie. Dieser Vorteil wurde von den indianischen Scharfschützen ausgenutzt. Bei immer höher steigender Sonne kamen Hunderte von Indianern aus dem Lager, zogen das Tal hinauf und umzingelten die Stellung. Die Cheyenne, jene tollkühnen Reiter der Ebene, die ihre Pferde jetzt zurückgelassen hatten, schössen ihre Pfeile mit den Büffelbogen auf kurze Entfernung sehr wirksam ab. Trotzdem wurde der Angriff durch einen Gegenstoß unter der Führung von Rittmeister Benteen und Leutnant Godfrey abgewehrt. Es gab auf Seiten der Amerikaner viele Verwundete, und alle litten quälenden Durst. Unter dem Schutz einer Schützenkette rannten Freiwillige den Hügel hinab bis zum Fluß und füllten für die Verletzten einige Blechbüchsen mit Wasser. Man hatte beobachtet, daß sich in den Reihen der Indianer Männer in Uniform befanden. Dann und wann hörte man die langgezogenen Töne eines Horns; das waren Indianer, die sich erbeutete Uniformen angezogen hatten und auf den Hörnern der Soldaten bliesen. Gegen Mittag beobachtete man Kundschafter, die in das indianische Lager ritten. Bald darauf entstand Unruhe unter den Indianern. Die
hoffnungslosen Soldaten trauten ihren Augen kaum, als sie sahen, wie die Squaws hastig ihre Tipis abbrachen und die indianischen Krieger sich auf ein Signal ihrer Häuptlinge schnell zurückzogen. Nachmittags brannte das trockene Gras im Tal des Little Big Horn. Dichte Rauchwolken vermischten sich mit dem Staub, den die abziehenden Indianer aufwirbelten. Sie hatten sich in erstaunlich kurzer Zeit in Marsch gesetzt. Als der Zug hinter der Rauchwolke sichtbar wurde, konnte man die Anzahl der Indianer abschätzen. Es mochten zwischen fünfzehntausend bis achtzehntausend Pferde und außer den Hunderten von Frauen und Kindern etwa fünftausend bis achttausend Krieger sein. Es war das größte Zusammentreffen von Indianern in der Prärie, das jemals gesehen worden war. Wie man später festgestellt hat, standen die Zelte entlang dem Westufer des Little Big Horn. Jeder der verschiedenen Stämme lagerte für sich. Das ganze Lager war fast vier Meilen lang und an manchen Stellen fast eine halbe Meile tief. Die Zahl der Zelte wurde auf fünfzehntausend geschätzt. Der indianische Zug, der sich wie eine Silhouette gegen die untergehende Sonne abhob, blieb noch mehrere Stunden sichtbar. Dann war er in den Little-Big-Horn-Mountains verschwunden. Frei von dem Schrecken der letzten beiden Tage, beobachteten die Soldaten den Abzug. Da sie die Ursachen des schnellen Aufbruchs der Indianer nicht kannten, bauten sie in der folgenden Nacht wiederum ihre Stellung aus und sicherten sich außerdem einen ausreichenden Vorrat an Wasser, damit sie in der Lage waren, weitere Angriffe abzuwehren, falls die Dakota mit Verstärkung zurückkehrten. Am frühen Morgen des 27. Juni wurde wieder weit entfernt im unteren Teil eine Staubwolke entdeckt. Gespannt richteten die Offiziere ihre Feldstecher darauf. Man erkannte, daß es eine sich nähernde Kolonne war, und die wohlbekannten blauen Uniformen der Soldaten kündeten Entsatz an. War es General Custer mit seiner Truppe? Warum kam er nicht früher? Einige Offiziere, die dem herannahenden Zug entgegenritten, erkannten General Terrys Kolonne.
Die ungeheuerliche Wahrheit Terry berichtete, was sich ereignet hatte. Am frühen Morgen des 26. Juni ritten Terrys Späher unter der Führung von Leutnant Bradley aus, um Fühlung mit dem siebenten Kavallerieregiment zu nehmen. Sie stießen auf einige Indianer, die Custer verlassen hatten. Sie sagten aus: „General Custer und alle seine Soldaten sind tot." Mit dieser Meldung sandte Bradley einen Kurier zu Terry zurück. Die Kunde war so ungeheuerlich, daß General Terry und seine Offiziere sie nicht glaubten. Bei Einbruch der Dunkelheit lagerte die erschöpfte Kolonne etwa neun Meilen unterhalb von Renos Stellung. Bei Tagesanbruch am 27. Juni wandten sich Bradley und seine Späher wieder flußaufwärts, während Terry mit Gibbons Truppe das Tal entlangmarschierte. Da entdeckte Bradley auf einer jenseitigen Uferhöhe merkwürdige weiße Gegenstände. Er ritt mit seinen Leuten darauf zu: Es war ein totes Kavalleriepferd, und da lagen Custers Soldaten, nackt, unter ihnen der General. In Schwärmen flogen Krähen und Geier auf. Man kann sich das Grausen, das Renos Soldaten ergriff, vorstellen, als sie diese Nachricht von Terry erfuhren. Bald darauf wurden die Toten notdürftig begraben. Man zählte über zweihundert. Viele fehlten, denn es waren immerhin zwei Tage vergangen. Die Hitze und die Präriewölfe hatten das Ihrige getan. Das ist alles, was jemals über die Custer-Schlacht bekannt wurde. Das einzige lebende Wesen, das die Schlacht überstanden hatte, war das Pferd „Comanche", Rittmeister Keoghs Reitpferd. Man weiß nicht, warum General Custer seinen Plan zur Unterstützung Major Renos aufgegeben hatte. Ein Teil des Weges, den Custers Gruppe eingeschlagen hatte, konnte noch verfolgt werden. Kurz nachdem er sich von Major Reno getrennt hatte, schwenkte er nach Norden und ritt eine Meile im Galopp. Bouyer und die vier ihm verbliebenen Crow-Scouts wurden auf die Höhe eines Berges geschickt. An seinem Fuße ließ General Custer die Kolonne halten. Begleitet von seinem Bruder Tom, seinem Adjutanten Leutnant Cooke sowie seinem Neffen Autie Reed, galoppierte der General ebenfalls hinauf. Außerdem befand sich noch ein Mann bei
ihm: John Martin, der Trompeter. Der General beobachtete das Tal aufmerksam mit seinem Feldstecher. Das Lager schien zu schlafen. Außer mehreren Squaws und spielenden Kindern waren nur noch einige schläfrig in der Sonne liegende Hunde und Ponys zu entdecken. Das Lager schien von allen kampffähigen Männern entblößt zu sein. Darauf wandte sich Custer an seine Begleiter: „Jetzt haben wir sie! Wir können sie im Schlaf überfallen. Kommt, vorwärts!" Und mit einem Hutschwenken und lautem „Hurra" führte er seine Truppen nach Norden. Nachdem sie eine Weile galoppiert waren, ließ Custer halten und wandte sich zu seiner Ordonnanz. „Ich wünsche, daß Sie eine Mitteilung für Rittmeister Benteen entgegennehmen! Sagen Sie ihm, er soll sofort kommen und Munitionsvorrat mitbringen!" Der Trompeter Martin, dem er diesen Auftrag gab, zügelte sein Pferd und wandte sich um, den Befehl auszuführen, als Leutnant Cooke ihm nachrief: „Warten Sie, Ordonnanz, ich werde Ihnen diese Mitteilung schriftlich geben!" Cooke riß ein Blatt Papier aus seinem Notizbuch und schrieb: „Benteen, komme schnell! Großes Lager. Bringe die Packpferde mit!"
Alles, was geschah, nachdem Martin General Custer verlassen hatte, kann man nur vermuten. Nach Lage des Schlachtfeldes muß Custer etwa fünf Meilen flußaufwärts geritten sein, in der Absicht, das Indianerlager von der Flanke aus anzugreifen. Ob er versucht hat, den Fluß zu überqueren, ist unbekannt. Aber die Tatsache, daß mehrere Leichen seiner Leute in dem Lager gefunden wurden, weist darauf hin, daß einige seiner Soldaten in das Lager eingedrungen waren. Ob im Angriff oder auf der Flucht, bleibt ungewiß. Wahrscheinlich hatte sich Custer von Südosten dem Lager genähert. Es soll einer winzigen Gruppe von vier todesmutigen Cheyennen gelungen sein, Custers Vormarsch gegen das Lager einige Zeit aufzuhalten. Entschlossen hielten die vier Tapferen die Stellung, bald aber waren sie nicht mehr allein.
Noch bevor es Custer ahnte, war er mit seiner Streitmacht eingeschlossen. Er versuchte, sich auf die Anhöhe nordwärts zu retten. Immer dichter wurde die Schar der Indianer. Sie feuerten von allen Seiten auf die mehr und mehr zusammengedrängten Soldaten. Custers Truppe wurde immer kleiner. Das Ende nahte. Bald kam es zum Handgemenge. Und in einer halben bis dreiviertel Stunde war wohl alles vorbei. Nach dem Gefecht schwärmten die Squaws über das Schlachtfeld und entkleideten die Toten. General Custer lag nackt. Man hatte ihm seine Wildlederkleidung ausgezogen. Er soll weder skalpiert noch verstümmelt gewesen sein. Es war schwer, die indianischen Verluste festzustellen, da die Indianer meistens ihre Toten mit sich nehmen. Nach dem eiligen Abzug der Dakota fand man zwei Tipis mit den Leichen von zweiundzwanzig Kriegern. Sie waren für das Begräbnis geschmückt und die Zelte nach indianischen Sitten mit Pferdekadavern umgeben. Auch auf dem Weg, den die Indianer zogen, entdeckte man noch auf Bäumen und Gerüsten einige bestattete Tote. Im ganzen mochten es ungefähr vierzig Tote gewesen sein. Die Verwundeten des Kommandos von Major Reno wurden in Decken gehüllt und auf den Dampfer „Far West" gebracht, wo viele, auf dicken Lagen Büffelgras an Deck liegend, ihre Fahrt antraten. Der Arzt Dr. Porter betreute die zweiundfünfzig Verwundeten. Auch das Pferd „Comanche" fuhr mit. Von den sechshundert Mann, die siegesbewußt am 22. Juni an General Terry vorbeigeritten waren, kehrte etwa die Hälfte zurück. In der ganzen indianischen Geschichte steht dieser Sieg von Indianern über ausgebildete Truppen in seinen Ausmaßen einzig da. Über die Ursachen des Erfolges der Indianer gibt es die verschiedensten Meinungen. Fakt ist, daß die Kampfkraft der Indianer unterschätzt worden ist. Es waren achthundert bis eintausendfünfhundert Mann erwartet worden: die Soldaten fanden aber drei- bis viermal soviel vor, und die Indianer wußten, wofür sie kämpften. Sie kämpften um ihre Heimat, um ihr Lebensrecht. Sie bewiesen Standhaftigkeit und Opfermut im Gefecht und wurden von fähigen Häuptlingen geführt. Custer glaubte in seiner grenzenlosen Überheblichkeit, eine Bande zu finden, bewaffnet mit uralten Musketen, mit primitiven Speeren und Pfeilen, er stieß aber auf einen
Gegner, der mit beträchtlichen Munitionsvorräten und zum Teil mit modernsten Win-chesterbüchsen ausgerüstet war. So endete General Custer am Little Big Horn. Nach dieser Schlacht begannen sogenannte Überlebende zu erscheinen und angebliche Augenzeugenberichte über die Schlacht zu geben. Um die Wahrheit ihrer Geschichten stand es aber schlecht, denn außer den Indianern lebte wohl niemand mehr, der den Anspruch erheben konnte, im entscheidenden Kampf dabeigewesen zu sein.
Der Dakota-Häuptling Runs The Enemy berichtete: „Ich nahm mit einer Schar von hundertdreißig Two-Kettle-Dakota an dem Kampf teil. Mit der Erfahrung und dem Erfolg aus früheren Schlachten war ich befähigt, diese Streitmacht im Kampf zu führen. Wir lagerten zwei Tage im Tal des Little Big Horn. Am dritten Tag wollten wir das Lager abbrechen und weiterziehen, aber die alten Männer wollten noch einen Tag dableiben. Danach wurden die Pferde, die wir schon eingefangen hatten, wieder losgelassen. Sie weideten auf den Hügeln nördlich, westlich und südlich des Flußtales, und wir blieben im Lager. Alles war ruhig. Ich ging hinüber zu dem großen Tipi, wo verschiedene führende Männer waren. Wir saßen plaudernd und rauchend zusammen. Etwa um zehn Uhr kam ein Trupp Dakota, der unser Lager besucht und sich wieder auf den Heimweg begeben hatte, zurückgejagt. Sie brachten die Nachricht, daß sich Soldaten näherten. Wir wollten nicht glauben, daß die Soldaten so nahe seien, besonders, da wir von Kundschaftern wußten, daß die Amerikaner nach Wyoming zurückgegangen seien. In der Geschichte unseres ganzen Stammes, Generationen zurück, gab es kein Beispiel, daß Soldaten oder Indianer anderer Stämme ein Dakota-Lager bei Tag angegriffen hätten, sie hatten immer die Nacht abgewartet. Und immer noch saßen wir rauchend da. Doch nach kurzer Zeit hörten wir das Krachen von Büchsen, und Kugeln pfiffen durch das Lager von der anderen Seite des Flusses her. Ich ließ meine Pfeife liegen und rannte wie alle anderen so rasch ich konnte zu unseren Tipis. Schon tönte der Schrei durch das Lager: ,Die Soldaten sind da!' Ich packte mein
Gewehr und den Patronengürtel. Der Lärm und die Verwirrung waren so groß, daß wir nicht wußten, was wir taten. Ich hatte keine Zeit, meinen Kriegsschmuck anzulegen; ich sprang auf das nächste beste Pferd und jagte in die Richtung, aus der die Schüsse kamen. Ich hatte gedacht, ich wäre schnell, aber ich fand schon eine ganze Anzahl Dakota dort. Wir ritten alle auf den Hügel und brachten die Soldaten in Verwirrung. Vor Staub und Rauch konnten wir sie nicht mehr sehen, als sie sich gegen den Fluß zurückzogen. Wir waren ausgeruht und den Soldaten bald auf den Fersen. Wir griffen an. Die Soldaten mußten sich in Unordnung zurückziehen. Wir jagten sie durch den Fluß, der sehr tief war. Ich wußte damals den Namen des Kommandeurs der Soldaten nicht, aber ich hörte später, daß es Major Reno war. Nachdem sich die Soldaten über die Hügel zurückgezogen und wir eine große Anzahl von ihnen getötet hatten, war dieser Kampf beendet. Als wir nach diesem Gefecht ins Lager zurückkehrten, entdeckten wir auf den Hügeln zwei Kundschafter, die Signale gaben. Zwei von uns ritten hinüber und erfuhren, daß eine neue Streitmacht komme und über unsere Frauen und Kinder herfallen wolle. Ich jagte mit den anderen hinüber, spähte über die Hügel und sah die Soldaten anrücken. Es sah aus, als ob es Tausende wären, und ich dachte, wir würden sicherlich geschlagen werden. Als ich zurückkehrte, sah ich Hunderte von Dakota. Ich rief meine Leute zusammen, nahm die Bänder aus dem Haar, zog Hemd und Hosen aus, warf sie weg und behielt nichts als meinen Patronengürtel und das Gewehr. Ich dachte, heute werden die meisten Dakota fallen, ich will mit ihnen fallen. Um diese Zeit erschien Sitting Bull. Als hätte er meine Gedanken erraten, sagte er: ,Wenn ein Vogel brütend auf seinem Nest sitzt und Gefahr droht, breitet er seine Flügel aus. um Nest und Eier zu schützen. Er kann nicht seine Schwingen zur Verteidigung gebrauchen, aber er kann Lärm schlagen und versuchen, den Feind zu vertreiben. Wir sind hier, um unsere Frauen und Kinder zu schützen, und wir dürfen sie nicht in die Hände der Soldaten fallenlassen. Er saß auf einem Buckskin-Pferd und ritt von einem Ende der Linie zum anderen mit dem Ruf: ,Kämpft tapfer!' Wir waren alle auf dem Hügelrücken entlang versteckt. Während Sitting Bull sprach, sah ich, daß die Cheyenne die Soldaten von der West-, Nord- und Ostseite her einschlössen; wir füllten die Lücke auf der Südseite. Noch war hier
kein Schuß gefallen. Dann griffen die Dakota an. Das Gegenfeuer war so stark, daß wir uns wieder über den Hügel zurückziehen mußten. Ich befahl meinen Leuten, die Stellung zu halten. Wir fingen eine Anzahl von Custers Pferden und trieben sie zum Fluß. Sie waren so durstig, daß sie, sobald wir den Fluß erreichten, stillstanden und tranken. Sie waren alle beladen mit Patronen und Decken und all dem Zeug, was die Soldaten mit sich führten. An dem Schlußangriff nahm ich teil. Als der letzte Soldat getötet war, waren wir in Rauch eingehüllt. Die gefallenen Soldaten lagen stellenweise übereinander, hier und da ein Indianer. Über den Grund des Kampfes kann ich sagen: Wir Indianer wußten, daß uns die Soldaten zwingen wollten, in die Reservationen zurückzukehren, damit sie unser Land in Besitz nehmen konnten. Während des Kampfes wurden unsere Tipis nicht angegriffen. Nach der Schlacht suchten die Frauen ihre toten Männer und Brüder, legten sie in mehrere Tipis und verließen sie. Nach meiner Schätzung waren etwa zweitausend kampftüchtige Krieger an dem Gefecht beteiligt gewesen. Gewehre und Munition, die wir den toten Soldaten abgenommen hatten, stärkten unsere Kampfkraft. Es ist viel gestritten worden über die Zahl der getöteten Indianer. Nach meiner Schätzung sind fünfzig Dakota im Kampf gefallen, und andere starben kurze Zeit danach an ihren Wunden."
Gefahrvolle Heimfahrt Am 30. Juni begann der Dampfer ..Far West" von seinem Ankerplatz aus, der fünfzehn Meilen vom Schlachtfeld entfernt lag, die äußerst gefahrvolle Fahrt. Denn sowohl der Little Big Horn als auch der Yellowstone River mit ihren reißend dahinschießenden Fluten sind reich an Untiefen. Sandbänken, Felsenriffen, Stromschnellen und anderen unangenehmen Überraschungen. Zum erstenmal auf dieser waghalsigen Stromfahrt, Kapitän Marsh hatte das Schiff geschickt den Little Big Horn hinuntermanövriert, legte die „Far West" an der Einmündung in den Yellowstone an. Hier wurden vierzehn Verwundete, die inzwischen genesen waren, an Land
gebracht, während siebzehn Soldaten als Helfer für den Schiffsarzt Dr. Porter an Bord kamen. Dann ging die Fahrt weiter den Yellowstone River hinunter nach Fort Lincoln. Das war eine siebenhundert Meilen weite Reise. Als der Dampfer vom Yellowstone in den Missouri eingelaufen war, legte er nur noch einmal kurz im Fort Buford und darauf im Fort Stevenson an und erreichte am 5. Juli nach vierundfünfzig Stunden Bismarck. Da die Dämmerung bereits hereinbrach, wurde das Dampfschiff, das während der letzten Strecke halbmast geflaggt hatte, bei seiner Ankunft kaum bemerkt. Als aber die übermüdete Besatzung an Land ging, um sich von den außergewöhnlichen Anstrengungen zu erholen, verbreitete sich die Kunde von der Ankunft der „Far West" wie ein Lauffeuer in der Stadt. Die Bewohner eilten herbei, um nähere Einzelheiten über das Ende der Custer-Truppen am Little Big Horn zu erfahren. Am nächsten Morgen erschien ein Extrablatt der „Bismarck Tribüne". Es trug in dicken Lettern die merkwürdige Überschrift „Niedergemetzelt". Diese Lüge war so fett wie die Buchstaben, mit denen sie gedruckt war. Denn das Schicksal, das Custer und viele seiner Soldaten getroffen hatte, war alles andere als eine Niedermetzelung. Die Indianer hatten einen heimtückischen Überfall amerikanischer Truppen auf ihr Lager erfolgreich abgewehrt, nicht mehr und nicht weniger. Die „Far West" setzte nach ihrem Aufenthalt in Bismarck wieder ihre Kessel unter Dampf und strebte ihrem Ziel, dem einige Meilen stromabwärts gelegenen Fort Lincoln, zu. Hier wurden die Verwundeten ins Hospital eingeliefert. Zwei waren während der Fahrt gestorben. Es ist verständlich, daß die Nachricht, die die „Far West" mitbrachte, im Fort Trauer auslöste, hatten doch achtundzwanzig dort wohnende Soldatenfrauen ihre Männer verloren, unter ihnen die Frau des sechsunddreißig Jahre alten Generals Custer.
Letzte Zusammenstöße und Gefechte Die katastrophale Niederlage Custers hatte im amerikanischen Kriegsministerium die schlimmsten Befürchtungen wachgerufen. Konnte doch dieser im ganzen Lande aufsehenerregende Sieg zum Signal für alle Indianerstämme werden, einen verstärkten Kampf gegen das Militär zu führen. Außerdem wurden in den Vereinigten Staaten immer mehr Stimmen laut, die nach Vergeltung schrien. Dabei versäumten sie nicht, mit Nachdruck darauf zu verweisen, daß man dies angeblich der politischen wie der militärischen Ehre der Vereinigten Staaten schuldig sei. Infolgedessen sandte die Regierung in Washington größere militärische Einheiten in das Indianergebiet. Sie wurden von General Crook, der von den Soldaten und den Indianern der „alte graue Wolf" genannt wurde, mit Ungeduld erwartet Als erste näherte sich das fünfte Kavallerieregiment unter seinem Kommandeur Oberst Merrit. Es kam von Arizona, wo es gegen die Apatschen gekämpft hatte. Das Zusammentreffen mit General Crook verzögerte sich jedoch, da das Regiment durch eine größere Kriegsmacht der Cheyenne, die sich den siegreichen Dakota anschließen wollten, aufgehalten wurde. Am War Bonnet Creek jedoch fügte Oberst Merrit den Cheyennen so schwere Verluste zu, daß diese in ihre Reservationen zurückkehrten. Auch die restlichen Cheyenne, die unter ihrem Häuptling Dull Knife Widerstand leisteten, wurden noch im November 1876 unterworfen und ergaben sich zusammen mit den Kriegern von Crazy Horse. Erst nach diesen Zwischenfällen traf Oberst Merrits Regiment bei .General Crook ein, außerdem ein neues Infanteriebataillon; Verstärkungen, die zusammen mit General Crooks Truppen über eine ansehnliche Kampfkraft verfügten. Diese Kontingente führte Crook nordwärts den Rosebud River hinab, während General Terry, der an der Mündung des Rosebud gelagert hatte, ebenfalls beträchtlich verstärkt, mit seinen Truppen den Rosebud aufwärts zog. Beide Einheiten vereinigten sich am 10. August, so daß sie nunmehr über eine Streitmacht von dreitausend-sechshundert Mann verfügten, alle wohlausgerüstet und sehr gut bewaffnet, die gesamte Munitions- und Proviantbagage nicht mitgerechnet. Eine solche militärische Konzentration erwies sich jedoch in dem schwierigen Gelände als zu
unbeweglich, um mit Erfolg gegen die blitzschnell auftauchenden Indianer operieren zu können. Die Generale beschlossen deshalb, Oberst Miles zum Yellowstone River zu entsenden, damit er dort mit seinem Infanterieregiment am Strom entlang Posten bezog. Die Generale Crook und Terry glaubten, sie hätten damit die Indianer umzingelt. Das war aber ein Irrtum. Denn die indianischen Krieger hatten sich nach der Custer-Schlacht unter Führung der Häuptlinge Sitting Bull und Crazy Horse außerordentlich geschickt der Verfolgung durch die überlegenen Kräfte entzogen und sich in Sicherheit gebracht. So suchte das Militär vergeblich nach der Indianerfährte. Terry, einsichtiger als die beiden Generale, erkannte endlich die Sinnlosigkeit des Unternehmens und kehrte — nicht zuletzt auch wegen erheblicher Versorgungsschwierigkeiten — zur Freude seiner Soldaten nach Fort Lincoln zurück. Er verzichtete auf weitere höchst fragliche kriegerische Lorbeeren.
General Crooks Hungermarsch Anders General Crook. Er gab die Hoffnung, auf Indianer zu stoßen, noch nicht auf und zog mit seiner schwerfälligen Truppe weiter. Am Little Missouri bog er südwärts in die Black Hills ab. Und damit begann „Crooks Hungermarsch". Wie General Terry, so hatte auch General Crook große Mühe, seine zahlreiche Truppe ausreichend zu verpflegen. Schließlich waren alle Lebensmittel aufgezehrt, und es fehlte an Futter für die Pferde. Wild gab es in den unwirtlichen Schluchten wenig. Die Soldaten nährten sich nur kümmerlich von dem Fleisch ihrer abgemagerten Pferde, die entweder kurzerhand abgeschlachtet wurden oder die selbst vor Hunger umfielen. Die Lage wurde immer bedrohlicher. Es wurde kalt, und mehrere Tage lang regnete es ununterbrochen. Krankheiten brachen aus. Die Todesfälle häuften sich bei der körperlich heruntergekommenen und demoralisierten Truppe erschreckend. Die Rettung kam buchstäblich in letzter Minute. In den Black Hills war im Jahre 1874 eine Goldgräbersiedlung förmlich über Nacht aus der Erde gewachsen. Diese Siedlung, Deadwood City, hatten die Scouts von General Crook erkundet. Eine kleine berittene Abteilung bat um Hilfe. Sie erreichte,
daß die Siedler den Soldaten Lebensmittel und Dinge, die die Truppe sonst noch dringend benötigte, schickten. Dadurch konnten die Überlebenden des berüchtigten Hungermarsches doch noch gerettet werden.
Der Überfall an den Stirn Buttes Außer dem unbedeutenden Gefecht mit den Cheyennen am War Bonnet Creek konnten weder General Crook noch General Terry irgendwelche größeren „Erfolge" im Kampf gegen die Indianer erringen. Nur noch einmal, und zwar am 8. September, bot sich den Amerikanern eine Gelegenheit, blutigen Ruhm zu erwerben. Die kleine Abteilung Crooks unter Führung von Hauptmann Miles, die inDeadwood City Hilfe herbeigeholt hatte, entdeckte eine Indianerfährte. Sie führte zu einem Indianerlager. Der Häuptling des Lagers war der kühne American Horse. Diese Niederlassung wurde am frühen Morgen des nächsten Tages, als alles noch in tiefem Schlaf lag, überfallen. Nur mit Mühe konnten sich die Indianer in die umliegenden Schluchten retten. Das war ein billiger, äußerst blutiger „Erfolg", den General Crook an seine Fahnen heften konnte. Nach dem Überfall an den Slim Buttes waren die militärischen Aktionen des Sommers beendet. Sie hatten für die Amerikaner kein entscheidendes Ergebnis gebracht.
Das Ende des berühmten Crazy Horse Der Winter brach in diesem Jahr früh herein. General Terry hatte mit seinen Soldaten im Fort Lincoln, General Crook am Yellowstone Winterquartier bezogen. Das Kommando über das Winterlager am Yellowstone war dem bereits genannten Oberst Miles übertragen worden. Er setzte seine Erkundungszüge nach den Indianern auch in dieser kalten Jahreszeit fort. Spitzel aus den Reihen der Indianer unterrichteten ihn dabei immer wieder über Marschrouten und Aufenthaltsorte der Dakota, die sich unter den Häuptlingen Sitting
Bull und Gall und unter dem Häuptling Crazy Horse in getrennten Zügen nach dem Yellowstone hin von den Amerikanern absetzten. Oberst Miles, den die Indianer Bears Coat nannten, näherte sich am 21. Oktober dem Lager der Dakota und ließ Sitting Bull durch einen Unterhändler zu einer Unterredung vor das Lager bitten. Der Häuptling folgte der Aufforderung. Bei der Zusammenkunft versuchte der Oberst, den unbeugsamen Sitting Bull davon zu überzeugen, wie groß die Vorteile einer Rückkehr in die angewiesenen Reservationen seien. Aber Sitting Bull war nicht zu überreden. Er erinnerte Miles daran, wie oft ihm Versprechungen gemacht und feierlich
abgeschlossene Verträge von amerikanischer Seite mißachtet und skrupellos gebrochen worden waren. Am nächsten Tage, am 22. Oktober, bat Miles Sitting Bull nochmals um eine Zusammenkunft, die ebenso ergebnislos endete. — Stolz erklärte ihm Sitting Bull: „Der allmächtige Gott hat mich zu einem Indianer gemacht, aber nicht zu einem Agenturindianer!" Die Besprechungen scheiterten. Und da Sitting Bull den feindlichen Angriff voraussah, ließ er das dürre Präriegras in Brand setzen und zog sich mit seinen Leuten unter dem Schutz des Rauches zurück. Auch das Lager des Häuptlings Crazy Horse war Oberst Miles verraten worden. Die Krieger von Crazy Horse machten ständig kühne Streifzüge zum Winterquartier der Soldaten an der Mündung des Tongue River. Trotz starker Schneefälle und bitterer Kälte schickte der Oberst in den letzten Tagen des Jahres eine Expedition gegen Crazy Horse. Es gelang der Truppe, einige Verwandte von Unterhäuptlingen aus dem Zug Crazy Horses gefangenzunehmen. Die Dakota versuchten zwar, diese Gefangenen zu befreien; es gelang ihnen aber nicht. Das war am 7. Januar 1877. Am folgenden Tag kam es zum offenen Gefecht, das teilweise bei schwerstem Schneesturm anhielt. Die Soldaten waren wesentlich besser ausgerüstet als die Indianer. Es wurde erbittert gekämpft. Als die Infanterie Oberst Miles' zum Sturmangriff ansetzte, mußten die Indianer zurückweichen. Sie versuchten im starken Schneetreiben zu entkommen. Die Gefangenen, die Miles machte, schickte er nach einiger Zeit unter sicherer Bedeckung an Crazy Horse zurück. Sie sollten ihren Häuptling überreden, sich zu ergeben. Dieser Schachzug des Obersten hatte tatsächlich Erfolg: Crazy Horse ergab sich mit über zweitausend seiner Leute. Er hatte erkannt, daß sie den strengen Winter nicht durchhalten würden und weiterer Widerstand völlig aussichtlos wäre. Der bei seinen Stammesgenossen hochangesehene Häuptling fand noch im Herbst desselben Jahres den Tod. Die Amerikaner hatten Unruhen unter den Indianern angezettelt, für die sie Crazy Horse verantwortlich machten. Als er verhaftet und eingesperrt werden sollte, leistete er energischen Widerstand. Bei dem Handgemenge erhielt der Häuptling einen Bajonettstich und brach, tödlich getroffen, zusammen. Mit Crazy Horse war wieder einer der einst so mächtigen Dakota-Häuptlinge, die für das Recht und die Freiheit der Indianer gekämpft hatten, gefallen.
Sitting Bull begab sich mit seinen Leuten über die kanadische Grenze unter englische Oberhoheit.
Lame Deer war einer der letzten Nur ein einziger Stamm hatte bisher nicht kapituliert und wehrte sich bis in den Mai des Jahres 1877 hinein gegen das amerikanische Joch. Es waren die Minneconjou-Dakota unter ihrem Häuptling Lame Deer. Gegen sie wandte sich Oberst Miles, als der Frühling endlich Einzug hielt. Die Späher spürten die Indianer in der Nähe des Rosebud River auf. Es kam in der neutralen Zone zwischen den indianischen und amerikanischen Linien zu einer Begegnung des Obersten Miles mit Lame Deer. Doch dieses Treffen wurde zum Ausgangspunkt eines wütenden Kampfes. In dem Augenblick, als Miles dem Häuptling Lame Deer die Hand bot und dieser, wenn auch etwas mißtrauisch, einschlug, richtete ein Scout, ein Begleiter von Miles. sein Gewehr auf Lame Deer in dem Glauben, daß ein Anschlag auf den Obersten geplant sei. Als dies der Häuptling sah, zog er blitzschnell seine Hand zurück, hob seine Büchse und feuerte auf Miles. Der duckte sich unwillkürlich, so daß die Kugel einen hinter Miles stehenden Soldaten tödlich traf. Lame Deer sank, von Kugeln durchbohrt, nieder. Ein furchtbarer Kampf begann, in dem die Indianer nach kurzer Zeit unterlagen. Sie waren der Übermacht nicht gewachsen. Oberst Miles ging als Sieger hervor. Er hatte die Dakota und die Cheyenne unterworfen oder vertrieben, was den Generalen Crook und Terry nicht gelungen war. Später, in den achtziger Jahren, blieb er auch gegen die Apatschen siegreich. Damit war das gesamte indianische Territorium im Westen für die Weißen erobert. Die USARegierung ernannte Oberst Miles daraufhin zum Kommandierenden General der USA-Streitkräfte. Eine Stadt in dem früheren Indianergebiet am Yellowstone River erhielt den Namen Miles City. In den USA sprach kaum noch jemand von den Indianern, von ihren hartnäckigen und unerschrockenen Kämpfen um ihre Heimaterde. Sie waren die Unterworfenen und hatten sich mit der ihnen zugeteilten Rolle völliger Abhängigkeit in den angewiesenen Reservationen abzufinden. Nicht so sehr durch das militärische Machtaufgebot, sondern vielmehr
durch die sogenannten zivilisierten „Errungenschaften" wurden letztlich der immer wieder aufflackernde Widerstand und die zähe Lebenskraft der Indianer endgültig gebrochen.
Der Custer-Mythos Der Bericht über Custers letzten Kampf läßt noch manche Frage offen. Zum Beispiel: Was bewog Custer zum Angriff auf die Indianer am Little Big Horn? Die Indianer waren ihm an Zahl und Kampfkraft überlegen. Auch seine strategische Lage war nicht so günstig, daß er von vornherein mit einem siegreichen Ende des Kampfes rechnen konnte. Das Verlangen, sich um jeden Preis hervorzutun, um seine Position und sein Ansehen bei der Regierung in Washington wieder zu festigen und die Zweifel an seinem militärischen Können durch einen großen Schlag zu beseitigen, mögen bei seinen Entscheidungen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Er hatte von seinem Hügel aus feststellen können, daß in den indianischen Zelten mehrere tausend Krieger versammelt sein mußten. Diese Übermacht zu zerschlagen schien ihm eine nicht so bald wiederkehrende Gelegenheit, Lorbeeren einzuheimsen. So unternahm er den Angriff und ritt mit seiner Schar in den Tod. Sein absoluter Mangel an strategischer Weitsicht und an Urteilskraft, im ganzen gesehen also seine militärische Unfähigkeit, verursachten Custers Untergang. In einem zeitgenössischen Bericht wird die tiefere Ursache der Niederlage genannt. Es heißt dort: „Custer wurde besiegt, weil man die indianischen Ureinwohner betrogen und ihre Rechte verachtet hatte, die ihnen von amerikanischer Seite selbst in durchaus rechtsgültigen Verträgen zugesichert worden waren. Und niemand darf sich darüber wundern, denn skrupellos vertraten die amerikanischen amtlichen und militärischen Stellen den wenig ehrenhaften und kaltschnäuzigen Standpunkt: Ein guter Indianer ist ein toter Indianer. Auf solch brutaler Grundlage entwickelte sich stärkster Haß gegen das indianische Volk, das tatsächlich weit davon entfernt war, aus blutdürstigen Teufeln' zu bestehen, wie es manche hinzustellen belieben." Alle, die über die Verhältnisse genau Bescheid wissen, betonen, daß
sie die Indianer immer als anständige, achtenswerte Menschen kennengelernt haben, die ihre eigenen Ideale und Gebräuche haben. Diese einfache Wahrheit war aber für jene unbrauchbar, die gegen die Indianer zu Felde zogen. Sie verbreiteten in Presse und Literatur die Legende von den „barbarischen Wilden". Die amerikanischen Geschichtsschreiber taten alles, um die Niederlage in der CusterSchlacht zu verschleiern. Die Washingtoner Regierung half ihnen dabei, die Kämpfe am Little Big Horn und General Custer mit allen Mitteln fast ins Überdimensionale zu glorifizieren. Dabei steht fest, daß von allen Militärsachverständigen die Mängel und Fehler der von Custer getroffenen Anordnungen vor und in der Schlacht erkannt und zugegeben wurden. Auf dem Schlachtfeld in Südost-Montana wurde auf dem Kamm der Hügel ein riesiges Denkmal aus weißem Marmor als Nationaldenkmal errichtet. Das Gebiet der Kampfhandlungen, das sich über viele Meilen erstreckt, wurde unter erheblichem finanziellem Aufwand in eine parkartige Anlage verwandelt, die bis in die Schluchten hineinreicht. Weiße Marmorblöcke mit den Namen der in der Schlacht gefallenen Soldaten und Offiziere kennzeichnen die einzelnen Stellen, wo die Gefallenen lagen. Ihre Gebeine wurden auf dem prunkvollen Nationalfriedhof beigesetzt. Custer war 1877 auf dem Friedhof der West-Point-Militärakademie mit militärischen Ehren zur letzten Ruhe gebettet worden. Auf dem Schlachtfeld erinnert das Custer-Nationalmuseum an die Ereignisse des Jahres 1876. Es besitzt starke Anziehungskraft auf Hunderttausende von schaulustigen Besuchern, die es mit Eisenbahn und Autobus mühelos erreichen können. Das Museum zeigt an Hand von bildlichem und graphischem Material den historischen Verlauf der Indianerkriege innerhalb eines Zeitraumes von mehr als fünfundsiebzig Jahren. Dieses CusterNationalmuseum wurde am 25. Juni 1952 eröffnet. Die gesamte Anlage steht unter der Verwaltung des USA-Nationalpark-Dienstes. Der Zustrom zu den Custer-Gedenkstätten ist groß, weil sich die Besichtigung günstig mit einer Fahrt zum großen GlacierNationalpark und Alaska sowie zum Yellowstone-Nationalpark mit der berühmten Pacific-Nordwest-Railway verbinden läßt. In dieser Hinsicht bedeutet die Custer-Schlachtfeld-Parkanlage in ihrer monumentalen Prunkhaftigkeit ein einträgliches Geschäft, das die aufgewandten Mittel gewinnbringend verzinst.
Diese Bauten und Einrichtungen auf blutgetränktem Boden sind nicht der Ausdruck des Bekenntnisses einer erlittenen Niederlage, sondern schlechthin die Glorifizierung des Verbrechens, das an der indianischen Bevölkerung begangen worden ist. Die Geschichte der Indianerkriege, die mit der völligen Niederwerfung der freien Ureinwohner Nordamerikas endete, ist ein tief bedauerliches Kapitel in der Geschichte der Menschheit. In den heimatlichen Jagdgründen der Indianer wuchsen an den Flüssen weithin reichende Schienenstränge, große Städte und mächtige Industrien, die das Landschaftsbild völlig veränderten. Die Indianer aber und ihr heldenhafter Kampf um ihr Recht leben weiter im Gedächtnis der Menschheit und sind dauerhafter als jedes noch so herrliche Denkmal aus Stein und Erz.