Everett Jones
Die Hölle von Andersonville Ronco Band Nr. 255/32
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte I...
10 downloads
235 Views
754KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Everett Jones
Die Hölle von Andersonville Ronco Band Nr. 255/32
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Fällt als Kurier den Konföderierten in die Hände. Der Galgen wartet auf ihn. Shlta – Der treue Hund ist die letzte Rettung für General Shermans Kampfplan – und vielleicht für Ronco. Sergeant Zattig – Der Aufseher im Todeslager von Georgia kennt keine Gnade und ist ein Sadist. Olf – Er und seine Kameraden scheinen den einzigen Weg gefunden zu haben, den es in die Freiheit gibt. York Wepper – Hustet und röchelt sich die Seele aus dem Leib und stopft Roncos Rationen in sich hinein.
Die Hölle von Andersonville 20. November 1880 Ich reite wieder durch New Mexico, eine Tatsache, die zu erwähnen sicher nötig ist und die ich deshalb in meinen Aufzeichnungen festhalte. Denn eigentlich hatte ich beschlossen, dieses Land nie mehr zu betreten. Es ist das Territorium, mit dem sich meine schlimmsten Erinnerungen verbinden. Ich faßte diesen Entschluß kurz nach meiner Rehabilitierung, die mir zwar endlich die späte Gerechtigkeit widerfahren ließ, aber nicht die Demütigung ersetzen konnte, jene öffentliche Demütigung, die ich im Laufe von Jahren hinnehmen mußte. Man hatte mich auch niemals entschädigt oder es gar für nötig erachtet, mich öffentlich zu rehabilitieren. Hier, in New Mexico, war Andrew Hilton daheim. Hier hatte er seine lukrativen und zum größten Teil lichtscheuen Geschäfte abgewickelt, hatte er bestochen, betrogen, verleumdet und Terror ausgeübt. Hier hatte er Geld gemacht, korrumpiert und ein Imperium besessen. Hier war er der nächste Mann nach dem Gouverneur gewesen, und wenn das nie an die große Glocke gehängt worden war, weil Andrew Hilton es verstanden hatte, im Hintergrund zu bleiben. So hatte er sich selbst die Hände niemals direkt beschmutzen müssen. Für sein Geld hatten das andere Leute erledigt, Leute bis in die höchsten Verwaltungsstellen hinein. Aber ich habe meinen Schwur, New Mexico zu umgehen, doch gebrochen. Senator Vaud Wilson, mein Freund, dem ich verdanke, wenigstens nicht mehr vom Gesetz gejagt zu werden, hat mir ein Telegramm geschickt. Ich soll zu ihm reiten. Und ihm bin ich so sehr verpflichtet, daß ich die eigene Untreue gern auf mich nehme. Daß es einmal so sein würde, hatte ich auch nicht voraussehen können. So reite ich leichten Herzens. Zwar werde ich Lindas Tod kaum jemals überwinden können. Aber immerhin weiß ich, daß wenigstens mein kleiner Sohn Jellico in Sicherheit ist. Bei den Padres am Pease River konnte ich ihn zurücklassen, dort in Texas, wo ich selbst aufgewachsen bin. Dort ist er am besten aufgehoben, das weiß ich.
Alles, was er braucht, wird er von den Padres erhalten, vor allem, seine volle Sicherheit. Diese Gewißheit nimmt mir alle Lasten von den Schultern, die ich monatelang mit mir herumgetragen habe. Sie hält mir den Rücken frei und gibt mir Handlungsspielraum für das, was ich tun werde und vorhabe. Wir reiten über Schnee und Eis durch ein unter Kälte liegendes Land. Lobo, der treue Freund, ist bei mir. Scharfer Nordwest-Wind heult uns aus der Prärie entgegen. Aber wir haben Schutz bei ein paar Felsen gefunden und rasten im Windschatten. Der Winter brach in diesem Jahr früher als erwartet aus. Ich habe mein Tagebuch auf den Knien und spüre die angenehme Wärme des kleinen Feuers, das Lobo in Gang hält, indem er immer wieder dürre Äste von Büschen zerknickt und in die Flammen wirft, die der Wind beutelt. Meine Finger sind steif und ungelenkt. Es ist wie damals, vor sechzehn Jahren. Es war ein ähnlich harter Winteranfang. Ich war Zivilscout bei der Unionsarmee. Der mörderische Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden strebte einer Entscheidung zu. Die Heermassen des Nordens, zu dem ich gehörte, und die ungeheure materielle Überlegenheit, über die wir verfügten, ließen ein nahendes Ende des Krieges bereits ahnen. Wir waren durch Georgia gezogen, und ich war mit meinen sechszehn Jahren der Zivilscout von General Sherman. Von Atlanta aus waren wir nach Georgia einmarschiert, um die letzten Lebensadern der Konföderierten zu zerschneiden. Unsere Soldaten gingen oft bestialisch vor und erzeugten einen sich ständig steigernden Haß. Vielleicht war es das, was mich im November 1864 auf einen Weg führte, der direkt in der Hölle zu enden schien …
1. Es war kalt in Georgia. Aber als wir Sandersville eingenommen hatten, änderte sich das. General Shermans Soldaten waren in diesem erbarmungslosen Bruderkrieg zum großen Teil zu Bestien geworden. Sie plünderten die Häuser, aus denen entsetzte Einwohner schreiend flohen, metzelten nieder, was Widerstand leistete, und
zündeten danach die Gebäude an. So war es fast warm an jenem Abend, da ich durch die Hauptstraße des Nestes ritt. Vereinzelt knatterten noch Schüsse in das Fauchen der Flammen und das Heulen des kalten Nordwindes, der wie ein wildes Tier aus den schmalen Gassen sprang, die ich passieren mußte. Er fuhr in die Feuer, schleuderte sie auseinander und warf Funkenregen in den sich schwarz färbenden Himmel. Ein Mann mit weißen Haaren wurde von zwei Soldaten aus einem Haus getrieben und brutal zusammengeschossen. Ich ritt vorbei und bemühte mich, so wenig wie nur möglich zu sehen und in mich aufzunehmen. In einem anderen Haus schrie eine Frau, der man die Kleider vom Leibe gerissen hatte. Die Soldaten fielen über sie her. »Nein, nein!« schallte es auf die Straße. Shita, mein struppiger Hund, war stehengeblieben, blickte zu dem Haus hinüber und hatte ein Bein an den Körper gezogen und die Ohren aufgestellt. »Los, weiter, Shita!« rief ich dem struppigen Bastard zu und schlug zugleich meinem braunen Hengst gegen den Hals. Vor dem Bahnhof hatte man ein paar Dutzend konföderierter Soldaten zusammengetrieben und entwaffnet. Die größtenteils jungen Männer standen mit erhobenen Händen zwischen ihren Bewachern. In ihren Augen flackerte die nackte Angst. Wahrscheinlich kannten sie die Devise von General Sherman, der mehr als einmal gesagt hatte, daß Gefangene auf dem Marsch durch das Land des Feindes nur hinderlich wären. Seine Leute hatten sich regelmäßig danach gerichtet. Ein Reiter jagte die Straße herauf und riß sein Pferd vor mir so hart zurück, daß es mit einem scharfen Wiehern auf die Hinterhand stieg. »Da finde ich dich ja endlich, Mann!« rief der Reiter, nachdem er sein Tier beruhigt hatte. Es war Sergeant Moore. »Wo brennt's denn?« fragte ich und zügelte den Braunen. Shita blieb neben dem Hengst stehen. »Du sollst bei Captain Frazier antanzen, Ronco! Aber ein bißchen
plötzlich!« »Ich bin schon unterwegs.« Im Bahnhofsgebäude erschallte ein Pfiff. Unionssoldaten stürzten aus dem Gebäude. »Achtung, Sprengung!« brüllte ein Sergeant. »Los, weg hier!« rief Moore vor mir, zog sein Pferd herum und galoppierte davon. Ich ritt in eine Gasse, in der es zwischen den engstehenden Häusern bereits dunkel war. Shita war dem Hengst gefolgt. Vor dem Bahnhof erschallte die Pfeife wieder, und abermals meldete sich die Donnerstimme des Sergeanten. Gestalten hasteten auseinander. Eine Minute später ertönte eine ohrenbetäubende Explosion, und mit Feuer und Rauch wurde der Bahnhof auseindergefetzt. Eine bläuliche Stichflamme schoß in den Himmel, Bretter, Balken, Steine und zersplittertes Glas flogen umher, schlugen auf Hausdächer und der Straße ein, und dort, wo gerade noch das Bahnhofsgebäude gestanden hatte, breitete sich eine so dichte Staubwolke aus, daß nichts weiter als diese graue Wand zu erkennen war. Vor meinem Pferd krachte ein Balken auf die Straße und barst auseinander. Eine Tür wurde geöffnet. »Achtung, da ist auch einer!« rief eine keifende Stimme. In der nächsten Sekunde fiel ein Schuß. Eine Kugel streifte den Hals des braunen Hengstes. Ich sprang gedankenschnell aus dem Sattel, riß den Navy-Colt aus der Halfter und feuerte auf den Mann an der Tür, der gerade das Gewehr fallen ließ und nach einer Reiterpistole griff, die er hinter dem Gürtel stecken hatte. Meine Kugel traf die mir fremde Gestalt in den Leib. Der Mann schrie, krümmte sich zusammen und stürzte auf die Schwelle. Dahinter im Lichtschein einer Lampe erkannte ich ein paar Frauen und zwei steinalte Männer, die an einer Wand standen. Ich verließ den Braunen, ging auf die Tür zu und stieg über den Mann hinweg, dessen Leben mit einem Röcheln endete. Die Wärme des brennenden Ofens ließ meine Wangen glühen.
»Warum hat er auf mich geschossen?« fragte ich. »Bist du kein Yankee?« erwiderte einer der alten Männer. »Ich bin mit den Nordstaatlern hier und reite für General Sherman. Ja, das ist richtig. Aber ich habe wirklich nichts gegen euch. Ich wünschte, dieser sinnlose Krieg wäre zu Ende.« Einer der Frauen liefen Tränen aus den Augen, und sie schluchzte von Herzschlag zu Herzschlag lauter. »Aber ich muß mich natürlich wehren.« Ich schüttelte den Kopf, weil ich sie wirklich nicht begriff. Ich trug Zivil, und das hatte der Mann sehen müssen. Ich hatte mich auch nicht feindselig verhalten. Einer der alten Männer sagte: »Wir dachten …« Er brach ab und zuckte mit den Schultern. »Verschwindet, bevor die Soldaten in dieser Gasse auftauchen«, entgegnete ich. »Es ist besser.« »Verschwinde du, mein Junge, bevor du selbst so geworden bist, wie die Soldaten der Yankees sind.« »Die Soldaten der Konföderierten sind auch nicht besser«, gab ich zurück. »Auch wenn ihr das nicht gern hört, es stimmt. Ich habe sie kennengelernt.« »Ihr seid Zehntausende«, sagte der Mann verächtlich. »Und bis an die Zähne mit Kriegsgerät beladen, daß ihr kaum laufen könnt, mit zahllosen Wagen und Pferden, und alles vollgestopft. Gegen euch haben wir doch gar keine Chance. Da müssen unsere Jungens eben ein bißchen härter sein als in einem normalen Krieg.« Ich begriff, daß es keinen Zweck hatte, mit ihnen zu reden. Obendrein war es gefährlich für mich, da es die Unions-Offiziere nicht gern sahen und oft falsch auslegten. Ich verließ das Haus. Der Mann auf der Schwelle regte sich nicht mehr. »Mein Gott, er hat ihn einfach niedergeschossen!« schrie die eine Frau hysterisch. Sie hatten wie unsere Leute gelernt, daß alles richtig war, was sie taten und alles falsch, was die anderen taten. Ich sprang in den Sattel, rief Shita und ritt schnell durch die Gasse. Auf dem Bahnhofsvorplatz hatte sich die große Staubwolke der Explosion aufgelöst. Die Trümmer lagen überall herum. Eine
Lokomotive, die auf einem Gleis hinter dem Gebäude gestanden hatte, lag umgekippt neben den Schienen. Niemand dachte daran, die Trümmer zu beseitigen. Unsere Soldaten waren größtenteils wieder verschwunden, um nach neuen Objekten zu suchen. Der Zwischenfall, der mich beinahe das Leben gekostet hatte, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Sergeant Moore, der bereits vor der Explosion nach mir gesucht hatte, tauchte wieder auf. »Da steckst du ja!« rief er und zügelte sein Pferd mitten in den verstreut herumliegenden Trümmern. »Ich mußte wegen der Sprengung zurück«, sagte ich. Wir ritten nebeneinander vom Bahnhofsvorplatz. »Warum sprengt man eigentlich alles?« fragte ich. »Nach aller Logik werden Sprengungen von jenen Truppen vorgenommen, die sich zurückziehen müssen und dem Gegner möglichst wenig in die Hände fallen lassen wollen. Was ihr heute sprengt, müßt ihr doch morgen wieder aufbauen.« »Vielleicht wollen wir nur, daß nichts mehr an die verhaßten Südstaatler erinnert, mein Junge.« »Eine seltsame Logik«, erwiderte ich. Wir erreichten einen Teil der Hauptstraße, der wieder von plündernden Soldaten heimgesucht wurde. Hinter den Häusern knatterten Schüsse, und die Schreie Getroffener waren zu hören. »Die werden auf der Flucht erschossen«, sagte Sergeant Moore und grinste. Aus einem anderen Haus schlugen Flammen aus den krachend zersplitternden Fenster. Eine Frau schrie in höchster Not. Drei Männer liefen aus einer Gasse auftauchend über die Straße. Schüsse knatterten, und die Männer brachen zusammen. Soldaten tauchten auf, sahen uns und schlugen die Gewehre an. »Seid ihr verrückt?« rief der Sergeant wild. »Hier ist Sergeant Moore!« »Verdammt, die wollten fliehen«, sagte ein Soldat. »Schon gut«, erwiderte Sergeant Moore. »Werft sie da drüben in das Feuer, dann haben wir ein paar Geier weniger in der Stadt, wenn es Tag wird.«
Wir ritten an den Leichen vorbei und erreichten das Ende der Stadt. Der größte Teil von Shermans Armee lagerte hier draußen in der anbrechenden Nacht. Geschütze waren zusammengefahren worden. Die Pferde standen in rasch aufgestellten Seilkorrals. »Wir werden eine Schneise in die Linie des Gegners schneiden«, sagte der Sergeant. »Damit ist der nördliche Teil vom südlichen abgeschnitten und hat keine Basis und keinen Nachschub mehr. Der Krieg ist bald zu Ende, mein Junge.« »Hoffentlich.« »Wir sind in ein bis zwei Wochen in Andersonville. Dort fällt uns ein Eisenbahnknotenpunkt in die Hand. Dann läuft nichts mehr nach Norden.« Ich lenkte mein Pferd auf das Haus zu, in dem General Sherman für die Dauer unseres Aufenthaltes wohnte. Dort würde ich auch Captain Frazier treffen, der auf mich wartete. Shita lief dem braunen Hengst nach. Der Sergeant ritt das letzte Stück voraus und rief den Wachen vor dem Haus zu: »Der hat sich noch in der Stadt herumgetrieben. Wie die jungen Leute heute eben sind. Keine Spur von Disziplin. Los, Ronco, ein bißchen Beeilung, wenn ich bitten darf.« »Warum denn auf einmal so forsch?« Ich mußte über den Eifer des Sergeanten den Kopf schütteln, saß ab und strich Shita über den Hals. »Du bleibst hier und paßt auf!« »Vorwärts, Ronco!« Der Sergeant war bereits an den Wachen vorbei und hielt die Tür auf. Drinnen brannte Licht, und ich sah Captain Frazier an einem großen Tisch, der mit Generalstabskarten und Akten überhäuft war. Rauch quoll mir entgegen und brannte in meinen Augen. Es war sehr warm in dem großen Zimmer, in dem acht Petroleumlampen brannten. Der Sergeant schloß die Tür. Von draußen drang das Schießen in der Stadt nur noch gedämpft herein. * »Da sind Sie ja endlich.« Captain Frazier wandte sich um. Er war ein untersetzter, ernster Mann mit einem Knebelbart im geröteten
Gesicht. Seine Stimme klang rauh und barsch, »Ja, Sir.« Vergebens hielt ich nach General Sherman Ausschau. Vielleicht nutzte er die Pause, um endlich ein paar Stunden schlafen zu können. Ein paar Stabsoffiziere standen hinter dem Tisch, die Fäuste auf Militärkarten gestemmt und den Blick auf mich gerichtet. »Die Soldaten brennen alles nieder«, sagte ich. »Sogar die Lagerhallen, in denen das Saatgut für das Frühjahr und Lebensmittel liegen.« Die Offiziere grinsten mit nach unten gebogenen Mundwinkeln. Sie hielten mich für einen grünen Narren, der nichts von ihrem blutigen Handwerk verstand. »Dabei könnte das selbst in unserem eigenen Hinterland gut gebraucht werden«, setzte ich hinzu. Es reizte mich, ihren Widerspruch herauszufordern. »Und die Männer werden zur Flucht veranlaßt und zusammengeschossen. Hinterrücks! Flüchtlingstrecks sind nach Süden unterwegs. Ohne ausreichende Lebensmittel und genau genommen ohne Ziel.« »Ich habe Sie nicht herbestellt, damit Sie große Reden schwingen«, erklärte Captain Frazier kalt. »Wir wissen selbst, was nötig ist, um einen alsbaldigen totalen Sieg zu erringen. Nur ein völlig demoralisierter Feind wird in einem Bürgerkrieg aufstecken. Wir werden die Südstaatler demoralisieren. So, und nun zu Ihrer Aufgabe. Sie reiten in dringender und äußerst wichtiger Mission zu General Thomas, Ronco.« »Jawohl, Sir.« Der Captain nahm einen versiegelten braunen und dicken Briefumschlag vom Tisch. »Sie wissen, daß ich Ihnen viel zutraue, Ronco. Diesmal ist es besonders wichtig. Dieser Brief hier enthält genaue Angaben für General Thomas, wie er die Stadt Macon einnehmen kann und wann das geschehen soll.« Ich nickte. »Wir selbst marschieren auf Andersonville und lenken so die Aufmerksamkeit der Haupttruppen des Gegners auf uns. General Thomas muß mit seinen Verbänden von Süden, also von hinten, gegen Macon vorgehen und das Hauptquartier der Konföderierten in Georgia im Handstreich nehmen. In einer nächtlichen Aktion. Ich
erzähle Ihnen das, damit Sie sich über die Wichtigkeit Ihrer Mission im klaren sind. Haben Sie verstanden?« »Ja, Sir.« »Sie müssen mitten durch das vom Feind kontrollierte Land. Dennoch dürfen die Aufzeichnungen unter keinen Umständen in Südstaatlerhände fallen.« »Ich habe verstanden, Sir.« Captain Frazier gab mir den dicken Brief. »Hals- und Beinbruch, mein Junge. Und kehren Sie unverzüglich zurück.« »Ja, Sir.« Ich wandte mich um und ging zur Tür, die der Sergeant geschlossen hatte. Der Sergeant kniff ein Auge zu und schlug mir auf die Schulter. Dann öffnete er die Tür. »Ronco!« rief der Captain. Stehenbleibend schaute ich zurück. »Was immer auch geschieht, wir nehmen in Kürze Andersonville ein. Uns wird also nichts aufhalten.« »Sie meinen, falls ich den Feinden in die Hände falle und den Brief nicht zu General Thomas bringen kann?« »Genau das.« Einen Herzschlag lang blickte ich den Offizier noch an, dann wandte ich mich ab und ging zu meinen Tieren. Shita knurrte leise und trat unruhig von einem Bein aufs andere. Ich schob den Brief in die Satteltasche, zog den Gurt nach und saß auf. Nach der angenehmen Wärme im Quartier der Offiziere empfand ich die beißende Kälte doppelt stark. Der Wind hatte noch aufgefrischt. »Adios, mein Junge!« rief mir der Sergeant nach. Ich ritt durch die Straße zum Bahnhofsvorplatz. Die Staubwolke der Explosion war auseinandergetrieben. Einzelne Nebengebäude standen in Flammen, ein Schwellenhaufen brannte, und im Feuer liegende Schienen verbogen sich in der Glut. Ein Haufen Menschen hastete um einen Wagen geschart durch den Feuerschein und verschwand in der Dunkelheit. Ich verließ den Vorplatz durch eine Gasse, die nach Süden führte. Es war bereits so dunkel geworden, daß ich vor mir kaum noch etwas erkannte.
Shita sprang jäh kläffend vorwärts, fiel einen Mann an, warf ihn um und fuhr ihm an die Kehle. Ich zügelte den Braunen und beugte mich zur Seite. Das angstverzerrte Gesicht war mir so unbekannt wie alles andere hier in Sanderville. Ein Messer lag auf dem Boden. Dunkel blitzte die Klinge. »Zurück, Shita!« Widerstrebend gehorchte der treue Hund. Das tiefe Knurren vermochte er jedoch nicht zu unterdrücken. »Stehen Sie auf!« befahl ich. Der Mann tastete sich an einer Wand in die Höhe und lehnte den Rücken dagegen. »Wollt ihr euch denn alle gegenseitig abmurksen?« fragte ich. Der Mann starrte mich verständnislos an. Ich mußte daran denken, daß ich selbst einen Mann aus einer Reflexbewegung heraus erschossen hatte, gerade rechtzeitig genug, um selbst am Leben bleiben zu können.
2. Während der Nacht hatte ich immer wieder Flüchtlinge gesehen, die hofften, im Süden auf die Truppen der Südarmee zu stoßen. So gut es ging, war ich ihnen ausgewichen. Shita lief meistens ein Stück vor dem braunen Hengst her. Mehrmals war ich abgestiegen und hatte das Pferd geführt. So hatte ich seine Kraft einteilen und aus mir selbst die grimmige Kälte vertreiben können. Als der Morgen graute, hatte ich ein Waldstück erreicht, dessen Saum wir folgen konnten. Shita blieb nun zumeist dicht neben dem braunen Hengst. Ich beobachtete das wellige Gelände im Osten, über das sich das frühe Tageslicht schob. Rosarot zeigte sich das erste Licht der aufgehenden Sonne am Horizont. Ein aus mehreren Wagen bestehender Flüchtlingstreck war eine Meile von mir entfernt unterwegs. Im Süden tauchten Reiter auf. Ich zügelte das Pferd, verharrte einen Moment, beobachtete die Reiter und lenkte den Braunen dann hinter die ersten Stämme. Es schienen Konföderierte zu sein.
Die Reiter hielten auf den Treck zu, der angehalten hatte. Mit einem Satz war ich aus dem Sattel, faßte den Zügel kurz und wartete. Die Eskadron erreichte die Wagen, und ich sah, wie sie gleich darauf nach Westen abschwenkten und direkt auf den Wald zuritten, der mich und meine Tiere deckte. »Teufel, die müssen mich gesehen haben«, murmelte ich, schwang mich in den Sattel und galoppierte tiefer in das Dunkel des Waldes. Das Unterholz barst unter den Hufen. Nach zweihundert Yards zügelte ich das Pferd und sprang aus dem Sattel. Shita war schon ein Stück weiter, kehrte aber zurück und richtete sich an mir auf. Ich strich ihm über den Kopf und schob ihn zurück. Das Pferd weiterführend hielt ich nach dichtem Unterholz Ausschau, das uns alle drei decken konnte. Es war noch so dunkel im Wald, daß meine Sicht auf etwa zwanzig Yards begrenzt war. Endlich entdeckte ich verfilztes Buschwerk und führte das Pferd hindurch. Lautes Brechen und Knacken hallte durch den Wald und weckte ein geisterhaftes Echo. »Shita, hierher!« Der herumstreunende Hund näherte sich. »Platz!« Shita gehorchte und rieb mit der Schnauze an meinem Bein entlang. Zwei Minuten später hörte ich die Reiter, wie sie in den Wald eindrangen. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Die Leute des Trecks hatten mich gesehen und davon den Südstaaten-Soldaten berichtet. Pferde schnaubten. Unverständliche Kommandos schallten durch das Dunkel. »Halt!« rief eine Stimme schroff. Ich mußte meinem Pferd die Nüstern zuhalten, damit er mich nicht verriet. »Vielleicht haben die Leute sich geirrt«, sagte jemand. »Ich habe jedenfalls absolut nichts von einem Reiter bemerkt, Sir!« »Wir schwärmen aus. Wer etwas Verdächtiges bemerkt, schießt in die Luft!« Wieder barst herumliegendes Holz, und Pferde schnaubten. Nach
einer Weile sah ich einen Reiter, der sich langsam näherte. Ich zog den Navy-Colt und spannte den Hammer. Zehn Yards vor den Büschen hielt der Reiter an. Ich hatte das Gefühl, als sähe er mir direkt in die Augen, obwohl zwischen uns das Buschwerk stand. Der Mann ritt wieder an und näherte sich weiter. Meine Hand mit der Waffe wanderte in die Höhe. Ich würde ihn erschießen, dann auf das Pferd springen und losreiten, und wenn ich etwas Glück hatte, entwischte ich ihnen. Da fiel unerwartet ein Schuß. Laut hallte das Wummern durch den Wald. Der Reiter riß sein Pferd herum und jagte davon. »Fehlanzeige, Sir!« schallte eine dröhnende Stimme durch den Wald. »Pecco hat nur einen Hasen gesehen.« »Es hat so laut geraschelt«, sagte ein anderer Mann. »Da dachte ich, hier liegt einer.« Ich konnte den Reiter inzwischen nicht mehr sehen. »Und es ist ja so verdammt dunkel«, fuhr der Mann fort, der zuletzt gesprochen hatte. »Wer weiß, was die Flüchtlinge gesehen haben, Sir. Die konnten sich doch nicht mal einigen, ob der Kerl nun eine Uniform trug oder nicht.« »Wir brechen ab«, erklärte der Offizier. »Falls er hier in der Nähe war, ist er sowieso längst gewarnt.« Gleich darauf entfernten sich die Geräusche. Ich wartete, bis nichts mehr zu hören war, ließ noch eine volle Minute verstreichen und zog dann die Hand vom Kopf des Braunen zurück. »Da haben wir noch mal Glück gehabt«, murmelte ich. Shita gähnte mit weitaufgerissener Schnauze und rieb dann das eine Ohr an meinem Bein. Ich war auch ziemlich müde und hätte mich am liebsten für ein paar Stunden auf den Boden zum Schlafen gelegt, zumal es hier ziemlich sicher war. Die Soldaten würden kaum am selben Fleck noch einmal suchen. Aber die Kälte, die selbst hier im Wald noch beißend war, hinderte mich daran. Ich kletterte in den Sattel und ritt durch das Gestrüpp. Als ich den Wald im Süden verließ, sah ich den Treck viel weiter im Osten als zuvor. Einzelne Personen waren nicht zu erkennen.
Hinter den Wagen war die Sonne über den fernen Horizont gestiegen. Nach einer Stunde hatte ich mich so weit nach Süden bewegt, daß ich den Flüchtlingstreck nicht mehr sah. Shita lief seit geraumer Zeit wieder voraus. Ich zügelte das Pferd, stieg steifbeinig ab und führte das Tier. Es war mir, als liefe ich auf Eiern. Die Beine spürte ich eine ganze Weile überhaupt nicht, und meine Finger kribbelten. Ich schlug die Hände gegen die Hose und merkte nach Minuten, wie das Blut zu pulsieren begann. Ich marschierte weiter. Nach einer halben Stunde entdeckte ich zwischen nicht sehr hohen Hügeln ein Haus, einen Stall und eine Remise, deren Tor offenstand. Ein leerer, teilweise zerstörter Korral stand neben dem Brunnen am Rande des Hofes. Rostende Arbeitsgeräte lagen achtlos weggeworfen herum. Ich ging auf das Haus zu, griff nach dem Gewehr und zog es aus dem Sattelschuh. Shita lief voraus und kläffte. Ich führte den Braunen zu dem Brunnen, das Gewehr in der Armbeuge. »Hallo, ist hier jemand?« rief ich. Die bizarren Splitter im Fenster des Hauses schienen im Sonnenlicht zu grinsen. Niemand meldete sich. Ich ging mit dem angeschlagenen Gewehr auf das Haus zu. Die Tür stieß ich mit dem Lauf auf. Laut knarrend bewegten sich die Scharniere. Shita lief vorbei und schnupperte in das Haus, aus dem mir muffiger Geruch entgegenwehte. Ich trat ein. Das Haus war verlassen und kalt, aber es schützte vor dem eisigen Wind. Ich ging zum Herd, stellte das Gewehr ab, bückte mich und legte mit klammen Fingern Holz in das Feuerloch. Bald darauf brannten die Scheite, und ich konnte den kleinen Flammen die Hände entgegenstrecken. Shita legte sich vor den allmählich warm werdenden Ofen. »Hier halten wir es ein oder zwei Stunden aus, was?« Ich strich dem Hund über das nasse Fell und spürte, wie sehr er zitterte. Das Pferd kam schnaubend in das Haus und wandte sich ebenfalls dem warmen Ofen zu. Ich schloß die Tür, warf einen sichernden Blick durch das Fenster und einen Blick in die Kammer, die sich an
den großen vorderen Raum anschloß. Die Farm erweckte den Eindruck, hastig von ihren Bewohnern aufgegeben worden zu sein, aber das mußte schon eine ganze Zeit zurückliegen. Ich ging zurück und griff in die Satteltasche, um mich zu vergewissern, ob der wichtige Brief noch da war. Dabei fand ich ein Paket mit Proviant, das ich herauszog. »Du denkst aber auch an nichts«, stand mit Bleistift darauf geschrieben. Ich mußte lächeln und dachte an den bärbeißigen Sergeanten, der mir den Proviant in die Satteltasche gesteckt haben mußte. Shita streckte die Pfoten aus und legte den Kopf darauf. »So hält man es aus, was?« Ich setzte mich auf ein verstaubtes, altersschwaches Sofa, packte den Proviant aus und warf Shita ein Stück von dem Schinken zu, der sich im Paket fand. Der braune Hengst rückte näher, schnupperte und ließ sich mit Maisbrot füttern. »Der Sergeant hat aber auch nicht an alles gedacht«, sagte ich. »Immerhin sind wir drei.« * Ich hatte die Farm noch vor dem Mittag wieder verlassen. Die Pause in dem warmen Haus hatte uns allen dreien gut getan und wir gelangten wieder flott voran. Als es Abend wurde und die Schatten der Nacht von Osten mit Kälte und heulendem Wind über das brach liegende Land krochen, tauchte eine Streife so unvermittelt vor mir auf, daß ich meinte, mir stockte der Herzschlag. Jäh hatte ich den Hengst gezügelt. Shita blieb stehen und zog das eine Vorderbein an den Körper, wie er es immer tat, wenn sich seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Punkt konzentrierte. Es waren vierzehn Reiter. Ein paar zu viele für mich. Sie trugen die Uniform der Konföderierten und hielten auf der linken Flanke eines Hügels im Süden, vierhundert Yards von mir entfernt. Ich schaute nach rechts und links und sah dichte Buschgürtel im
Westen, wo es noch relativ hell war. Flucht war das einzige, was mir blieb. Ein Soldat feuerte einen Schuß ab, und ich hörte das Pfeifen einer Kugel ein Stück über mir. Es konnte Absicht sein, daß ich nicht getroffen wurde. Eine Fanfare schmetterte helle Töne in den eiskalten Himmel, die vom heulenden Wind zerrissen wurden. Ich riß das Pferd herum und trieb es zum Galopp an. »Vorwärts – Shita!« Der Hund stürzte hinter dem Braunen her. Als ich zurückschaute, galoppierten die Konföderierten den Hügel hinunter. Sie schossen. Pulverrauch zerflatterte im Wind über den Reitern, die mich hetzten. Ich warf mich auf den Hals des Pferdes, um kein gutes Ziel zu bieten. Sie schossen weiter, schlugen auf ihre Pferde ein und brüllten, als ritten sie eine Attacke auf eine feindliche Stellung. Die Büsche rückten näher. Eine Kugel streifte meinen linken Arm und wimmerte so dicht am Kopf des Braunen vorbei, daß er einen bockenden Sprung vollführte und mich um ein Haar abgeworfen hätte. Doch da waren die Büsche erreicht. Das Pferd flog wie eine Kanonenkugel hinein. Das Gestrüpp wurde auseinandergepeitscht. Abermals schaute ich hinter mich, sah die Reiter aber über die hohen Zweige nicht mehr. Ich lenkte das Pferd nach rechts. Dichter und dichter wurde das Gestrüpp, das der Wind beutelte und an dem keine Blätter mehr hingen. Die Verfolger stellten das Feuer ein, doch als ich den Braunen zügelte, hörte ich den Hufschlag noch, der einem Donnergrollen glich. Sie waren sehr nahe. Ich jagte weiter und bemerkte Sumpfland, das jedoch gefroren war. Die Hufe hämmerten darüber weg. Das Gestrüpp verdichtete sich noch zu einem tiefen Gürtel am Ende der starren Morastfläche, die zu jeder anderen Jahreszeit eine tödliche Falle sein mußte. Abermals zügelte ich den Braunen und lauschte. Pferde wieherten. Der Hufschlag verklang. Kommandos schallten durch das Buschwerk. Wenn ich weiterfloh, würden sie mich sofort
hören und erneut alle hinter mir her sein. Also stieg ich ab, führte das Pferd noch ein Stück und wartete. Die Stimmen blieben unverständlich. Shita drängte sich an mich. Die Dämmerung sank rasch tiefer. Ich hörte überall die Büsche rascheln und wußte nicht, ob es der Wind war oder die suchenden Soldaten. Wenn es ihnen gelang, mich zu stellen, war ich geliefert. Eine Ausrede würden sie mir kaum abnehmen, und spätestens, wenn ihnen der Brief in die Hände fiel, sahen sie sowieso klar. Heiß und kalt rann es mir über den Rücken, als ich an die Brisanz des Briefes dachte. Captain Frazier hatte sich das entschieden zu einfach vorgestellt. Ich hatte zwar den Truppenverbänden des Gegners aus dem Wege gehen können, nicht aber den Streifen. Und die nahmen wohl jeden Reiter unter die Lupe und kontrollierten sogar die Flüchtlingstrecks. »Ihr da drüben entlang!« befahl eine harte Stimme. Ich konnte von Glück reden, daß die Büsche hoch genug waren, auch den Braunen zu decken. Lauter raschelte das Buschwerk. Ich sah die Soldaten nicht. Sie zogen auf beiden Seiten an mir vorbei. Plötzlich verklangen die Geräusche, und jemand sagte gar nicht weit entfernt: »Jedenfalls entrinnt der uns nicht mehr. Er steckt noch hier drin.« »Wie in einer Mausefalle.« »So ist es.« »Aber es wird rasch dunkel.« »Das nützt ihm gar nichts. Wir sehen ihn schon.« Wieder raschelte es im Buschwerk. Die Geräusche entfernten sich, ohne zu verklingen. Die Dunkelheit breitete sich wie ein riesiges, schwarzes Tuch immer weiter aus und bedeckte auch das Buschland um den Sumpf. Kaum war es richtig dunkel, erkannte ich den Widerschein von Feuer, der in den Himmel zuckte. Sie hatten das Buschland verlassen und rundum Feuer entzündet, damit sie mich sehen konnten, wenn ich versuchte, zu fliehen. Meine Lage war ziemlich aussichtslos geworden. Zwar stand für mich fest,
daß ich den Fluchtversuch trotz allem unternehmen würde, ob er nun gelang oder nicht. Aber den Brief dabei noch in der Satteltasche zu haben, erschien mir doch zu riskant. Ich zog ihn aus der Tasche, fand einen Bleistift, kauerte mich auf den Boden und kritzelte mit steifen Fingern auf den Umschlag: »Bin von Konföderierten eingeschlossen, kann wahrscheinlich nicht mehr fliehen. Anderen Scout schicken.« Ich richtete mich auf, suchte nach einem Riemen in der Satteltasche und band Shita den Brief an den Körper. Ich kniete, streichelte den Hund und sagte: »Du mußt umkehren, Shita! Hörst du? Du mußt nach Sandersville zurück. Zu Captain Frazier. Er soll einen anderen Scout schicken.« Der Hund stieß mir die Nase ins Gesicht und leckte über meine Wange, aber ich war unsicher, ob er begriffen hatte, was er tun sollte. »Hast du mich verstanden?« Ich blickte ihn ernsthaft an. »Du mußt zurück, Shita! Umkehren!« Ich schob den Hund dorthin, wo wir in das Gebüsch eingedrungen waren. »Lauf, Shita!« Der Bastardhund ging ein paar Schritte, blieb stehen und blickte zurück. »Geh!« Shita wandte sich um, kehrte zurück und leckte über meine Hand. Ich streichelte ihm den Kopf, drehte ihn wieder herum und schob ihn erneut in Richtung Norden. »Geh – lauf, Shita! Lauf zurück nach Sandersville!« Der Hund lief ein Stück, so daß ein paar Äste hinter ihm leise peitschend zusammenschlugen. Dann jedoch stand er wieder, und ich sah seine zurückschauenden, leuchtenden Augen im Dickicht. »Geh, Shita!« rief ich. Da verschwand der Hund, und mit ihm der brisante Brief an General Thomas. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß Shita zu Captain Frazier gelangen würde, und doch hoffte ich es. Eine Weile wartete ich noch. Als Shita jedoch nicht mehr auftauchte, war mir klar, daß er nach Norden gelaufen war. Er mußte das Gestrüpp auch schon hinter sich haben. Schüsse waren nicht gefallen und laute Rufe nicht zu hören gewesen. Shita schien
entwischt zu sein. Ich zog den Sattelgurt nach und stieg auf. »Dann wollen wir mal sehen, ob man wirklich nicht durchbrechen kann.« Ich schlug dem braunen Hengst gegen den Hals. »Los, vorwärts!« Das Tier bewegte sich durch das Gestrüpp. Der Feuerschein wurde rasch deutlicher. Noch ritt ich langsam, um solange wie möglich unbemerkt zu bleiben. Vor mir flammte das Feuer in die Höhe. Durch das Geäst konnte ich die Flammen bereits sehen. Ich lenkte den Braunen nach rechts und ritt langsam weiter. Der gefrorene Boden unter den Hufen knirschte. Es war hier besonders kalt, so daß der Sumpfboden hatte frieren können. Ein Ast bog sich und hatte sich am Steigbügel verfangen. Ich sah es nicht, hörte nur das scharfe Peitschen, als er losriß und zurückschlug. »Achtung!« rief eine scharfe Stimme. Da spornte ich den Braunen an und jagte durch das letzte Stück des Dickichts. Zwischen zwei Feuern, die hundert Yards voneinander entfernt waren, erreichte ich die Prärie und sah einen einzelnen Soldaten an dem einen Feuer. Am anderen war niemand. Ich gab dem Hengst abermals die Sporen. Sie waren so wenige, daß sie einzeln stehen mußten. Ich ärgerte mich, daß ich daran nicht gedacht hatte, als ich noch im Dickicht war. Der Soldat schoß. Er war mir so nahe und konnte mich im Feuerschein so gut sehen, daß es wie ein Wunder war, daß seine Kugel nur die Hinterhand meines Pferdes streifte. Doch das genügte schon. Der Braune vollführte mit einem schrillen Wiehern einen Luftsprung und krümmte sich wie eine Katze zusammen. Ich wurde ausgehoben, krachte wieder auf die Hinterhand des davonjagenden Tieres, rutschte ab und stürzte zu Boden. So steifgefroren, wie ich war, hatte ich überhaupt keine Chance, in dieser Situation noch etwas Entscheidendes für mich zu tun. Ich flog durch die Luft, schlug hart auf und rollte um meine eigene
Achse. »Hierhier!« brüllte der Soldat. Ich hörte seine Schritte, wälzte mich herum und stand. Er griff mit dem erhobenen Gewehr an und schlug mit dem Lauf zu. Es war mir, als würde meine Schulter zerschmettert, so hart wurde ich getroffen. Dabei fiel ich auf die Knie, erhielt noch einen Schlag gegen den Hals und stürzte auf der anderen Seite auf die Schulter. Von überall hasteten die Gestalten heran und schlossen einen Kreis um mich. »Holt den Gaul zurück!« befahl ein dicker Offizier, der noch schnaufte, so schnell war er gerannt. Benommen wälzte ich mich auf den Rücken und sah die Soldaten groß wie Riesen über mir. In dieser Minute war ich heilfroh, Shita zurückgeschickt zu haben. Als könnten sie meine Gedanken ahnen, sagte einer: »Hatte der Kerl nicht einen Hund dabei?« Der dicke Offizier schaute sich um. »Los, Leute, sucht ihn. Der steckt noch irgendwo.« Drei der Konföderierten verschwanden. »Helft ihm mal auf die Beine!« Zwei bückten sich, griffen unter meine Arme und stellten mich auf die Füße. Der dicke Offizier war auf einmal nicht mehr so groß. Er blickte mich erstaunt an und fragte: »Wie alt bist du eigentlich, Bürschchen?« »Sechzehn«, antwortete ich der Wahrheit gemäß. »Sieht aber älter aus, Sir«, sagte einer der Soldaten. »Ich wette, der will nur unser Mitleid wecken.« Sie sahen schmutzig, stoppelbärtig und hungrig aus, diese gehetzten Soldaten, für die der Krieg keinen sehr günstigen Verlauf nahm, seit er seitens des Nordens in eine Materialschlacht ausgeartet war, der sie kaum etwas entgegenzusetzen hatten. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren von schwarzen Ringen umgeben. »Ist ja auch egal«, sagte der Offizier. »Woher kamst du, als wir dich sahen.« »Von Missouri«, log ich.
»Aha. Und wohin wolltest du?« »Einfach nach Süden.« Ich zuckte mit den Schultern. »Weil es da wärmer ist.« Der dicke Offizier grinste mich an. »Und ich nehme jeden Morgen eine Zange in die Hand, mein Junge. Und was denkst du, warum ich das tue?« »Keine Ahnung, Sir.« »Um die Hosen anzuziehen. Das heißt, das würde ich tun, wenn ich verrückt genug wäre, deine Geschichte zu glauben. Darüber reden wir aber noch. Ist denn der Köter nun endlich da?« »Hier ist nichts, Sir?« ertönte es aus dem Gestrüpp. »Wo ist der Hund?« fuhr mich der Offizier an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Der Mann beugte sich etwas vor. Ein Funkeln traf mich aus seinen Augen. »Was heißt denn da? Hattest du keinen Hund?« »Nein.« Der Körper des Mannes zog sich zurück, und sein Gesicht entfernte sich von mir. »Alles mögliche kann ich leiden, mein Kleiner, aber nicht, daß einer meint, ich wäre so dämlich wie ein Kalb. Gebt es ihm!« Die Kerle lachten wild und schlugen von allen Seiten mit den Gewehrkolben auf mich ein. Binnen von Sekunden lag ich wieder auf dem Boden und hatte das Gefühl, als schwimme mein Bewußtsein davon. Nebelwände breiteten sich aus und bedeckten die Gesichter, die sich in die Breite schoben und unkenntlich wurden. »Noch mal«, sagte der Offizier, der sich immer weiter zu entfernen schien und offenbar schweben konnte. Sie zogen mich auf die Beine und schlugen mich abermals zusammen. Als ich wieder zwischen ihnen lag, nahm ich das schon nicht mehr auf.
3. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen ritt ich zwischen den Soldaten in ein Militärlager. Feuer erhellten überall den Platz, auf
dem ein paar Zelte standen. Der größte Teil der Soldaten lag in der Nähe der Feuer auf dem eiskalten Boden. Ich sah Männer mit Verbänden um Beine, Arme oder Köpfe und ausgemergelte Gestalten. Sie alle trugen Uniformen und waren mehr schlecht als recht bewaffnet. Die Armee des Generals Lee war dem Ende nahe, und das in jeder Beziehung. Was die Männer aufrecht hielt und immer wieder erbittert gegen den überlegenen Gegner im Norden kämpfen ließ, was der verbissene Wille zu einem nicht mehr ausdenkbaren Sieg, der Wille, an einer überholten Idee festzuhalten, über welche die Geschichte bereits hinwegging. So fanatisiert waren sie noch schlimmer als die Nordstaatler, denen der brutale Feldzug gegen den Bruder auch längst das letzte Ideal genommen hatte. Ich ritt zwischen den Soldaten auf ein Zelt zu, vor dem wir anhielten. Da sie mir die Hände auf den Rücken gefesselt hatten, war ich machtlos gegen alles, was mit mir geschah. Zu meinem Glück waren die ruhenden Soldaten so ausgebrannt, daß sich keiner die Mühe bereitete, aufzustehen oder etwas zu rufen, was andere Gemüter hätte erhitzen können. Sie brauchten Ruhe. Bald würde General Shermans Armee hier auftauchen und sie zu einer Schlacht zwingen. Sie schienen es zu ahnen. Ich wurde vom Pferd gerissen, so daß ich zu Boden stürzte. Jemand schnitt meine Fesseln durch. »Aufstehen!« kommandierte eine bärbeißige Stimme. »Na los, ein bißchen Bewegung!« Ich erhob mich noch, als mich ein Tritt traf, und in das Zelt beförderte, in dem ich wieder zu Boden stürzte. Zwei Soldaten mit Revolvern in den Händen traten ein. Ihre Colts zielten auf mich. »Bleib so liegen«, sagte der eine. Ich stellte die Mühsal ein, mich zu erheben, und massierte meine von den Fesseln und der Kälte geröteten Handgelenke, an denen die Haut an ein paar Stellen wundgescheuert war. Als ich mich setzen wollte, sagte der zweite Wächter: »Liegst du auf den Ohren?« Also blieb ich auf dem eiskalten Boden liegen.
Die beiden rührten sich nicht. Unendlich langsam verstrich die Zeit. Die Kälte wurde immer intensiver, je länger ich bewegungslos lag. Die beiden Wachen bewegten sich mitunter, steckten auch die Colts weg und schlugen mit den Händen gegen ihre Oberschenkel. »Soll ich hier erfrieren?« fragte ich. Sie gaben keine Antwort. Als ich mich nun doch setzen wollte, rückte der eine näher und trat mir gegen die Schulter. Er schüttelte mit dem Kopf, als ich auf den Rücken stürzte. »Die Nordstaatler sind dumm wie Stroh«, erklärte der andere. »Ohne die vielen Kanonen hätten wir sie überrannt. Auf diese Überlegenheit bilden sich nun schon die halben Kinder was ein. Soll ich dir was sagen, Freundchen?« Ich gab keine Antwort. Der Mann trat etwas näher, und sein Schatten wurde von der an einer Zeltstange hängenden Lampe auf mich geworfen. »Wärst du zehn Jahre älter, könntest du jetzt das Gras schon von unten ansehen.« »Warum darf ich nicht aufstehen?« »Weil wir nicht wollen.« Der Mann trat zurück. Endlos dehnte sich die Zeit weiter. Endlich, nachdem es mir schien, als wären viele Stunden vergangen, näherten sich Schritte. Die Zeltbahn wurde zurückgeschlagen, und der dicke Offizier der Eskadron tauchte auf. »Ist er friedlich?« »Ziemlich, Sir.« Eisiger Wind fuhr fauchend ins Zelt und blähte die schäbige, durchlöcherte Plane. »Schafft ihn hinüber ins Vernehmungszelt. Hat er was gesagt?« »Nein, Sir, nur gemault. Auch noch nicht mal gejammert, wie es fast alle tun.« »Der hat trotz seiner Jugend Haare auf den Zähnen«, sagte der Offizier. »So ist die Jugend bei denen im Norden. Da könnt ihr es mal sehen. Dahin führt es, wenn die Menschen vor nichts mehr Respekt haben. Gestreikt haben sie in Baltimoore. Einen Sheriff
erschossen! Und am liebsten hätten sie es nun, wenn die Nigger auch zu den Menschen zählen! Bei denen würde alles zum Teufel gehen, woran wir ein Leben lang geglaubt haben.« »Steh auf, verdammt!« Einer der Wächter trat nach mir, weil ich mich nicht schnell genug erhob. Ich erhielt den durchlöcherten Stiefel gegen die Schulter und flog an die Zeltbahn, die unter dem Anprall knirschend riß. »Jetzt hat er auch noch das Armee-Eigentum beschädigt!« rief der dicke Offizier. »Als ob wir es so reichlich hätten.« »Dafür sollte man ihn zweimal erschießen«, sagte der eine Wachtposten. Ich kämpfte mich auf die Beine und schleppte mich den brutalen Kerlen entgegen. Sie packten mich und schleuderten mich aus dem Zelt. Steif gefroren, wie ich war, schlug ich wieder zu Boden. »Helft ihm!« befahl der dicke Offizier. Sie waren mir gefolgt, stellten mich auf die Füße und hielten mich fest. Die bei den Feuern liegenden Soldaten hoben noch immer nicht die Köpfe. Vielleicht wiederholte sich so ein Schauspiel so oft, daß es kein Interesse mehr bei ihnen fand. Die beiden Kerle schleiften mich an ein paar Zelten vorbei. Eine Behausung aus bunten Decken, Planen und ein paar Strohmatten tauchte auf. Steilwände von zwei Yards Höhe und ein stumpf zulaufendes Dach ließen das Zelt größer als alle anderen erscheinen. Zwei Wachen mit Gewehren und blaugefrorenen Gesichtern standen davor. Einer bewegte sich steif und hielt ein Stück Decke hoch. Ich sah den Lichtschein im Inneren und wurde vorwärtsgeschoben. In das Zelt taumelnd, gewahrte ich einen Tisch, Stühle und zwei Männer hinter einer ziemlich großen Petroleumlampe, die einen Spiegelschirm hatte, in dem das Licht der Flamme gebrochen und anscheinend verzehnfacht wurde. Geblendet von den Strahlenbündel schloß ich die Augen. Meine Bewacher packten mich erneut und schoben mich auf den Stuhl vor dem Tisch, der genau im Blendbereich der Lampe stand. »Ihr könnt gehen«, sagte einer der beiden Männer hinter der Spiegellampe.
Die Wächter entfernten sich. »Ist das der Kerl?« »Ja«, erwiderte der dicke Offizier hinter mir. »Er hatte einen Hund bei sich, den wir trotz intensiver Suche nicht finden konnten. Es wäre aber denkbar, daß uns das Tier bereits vorher entwischte.« Ich versuchte, trotz der starken Blendung durch die Lampe die beiden Männer zu erkennen. Es waren Offiziere, wie ich an dem Schimmern an ihren Uniformjacken erkannte. Sie hatten hagere Gesichter, die mich an Totenschädel erinnerten. Ihre Augen glitzerten, als wären sie aus Glas. »Was ist mit dem Hund?« Der eine Mann trat etwas vor. »Wo ist der Hund geblieben?« Ich merkte, daß von der spiegelnden Lampe auch ein wenig Wärme über den Tisch strahlte. Auch wenn es den Augen schmerzte, hoffte ich, daß sie mich eine Weile so sitzenlassen würden. »Hast du nicht verstanden?« schrie der Mann und stemmte die Hände auf den Tisch. »Vielleicht ist mir ein Hund nachgelaufen«, sagte ich. »Was wollt ihr denn eigentlich von mir? Ich bin aus Missouri und will nach Süden. Weil es da wärmer ist.« Fluchend trat der dicke Offizier gegen meinen Stuhl, so daß ich mit ihm umkippte. »Aufstehen!« bellte der Mann hinter dem Tisch. Ich rappelte mich auf, stellte den Stuhl und setzte mich, noch bevor ich dazu aufgefordert wurde. »Na, was habe ich gesagt?« fragte der Dicke. »So jung er noch ist, so verschlagen ist er auch schon!« »Vielleicht ist er doch kein Yankee.« Der zweite Mann trat aus dem Schatten der Lampe und stützte die Hände zu Fäusten geballt ebenfalls auf den Tisch. »He, Kleiner, bist du ein Yankee, oder bist du keiner?« »Ich bin aus Missouri«, wiederholte ich stur. »Der lügt, wenn er das Maul aufreißt«, sagte der dicke Offizier neben mir. »Ich sage euch, der ist ein Kurier der Yankees. Die wollen uns in die Zange nehmen, und er sollte eine Nachricht überbringen.«
»Stimmt das?« Der eine Mann beugte sich über den Tisch und bemühte sich um ein freundliches, väterlich wirkendes Lächeln, das ihm jedoch nicht gelang. »Unsinn«, sagte ich. Der Offizier stellte sich gerade. Der Dicke fluchte lästerlich und trat mir in die Hüfte, daß der Stuhl wackelte und ich nur wie durch ein Wunder nicht wieder auf dem Boden landete. In den Augen der Offiziere sah ich das Schimmern der Nervosität, die sie beherrschte. Diese Einheit von General Lees Südarmee war eigentlich schon geschlagen. Sie waren ein verlorener, hungernder und frierender Haufen, der ungefähr zur Hälfte aus Verletzten bestand und nicht genügend Munition hatte. Sie wollten unter allen Umständen erfahren, was sie als nächstes von den Nordstaaten zu erwarten hatten und wieviel an ihrer Furcht wirklich dran war, in die Zange genommen zu werden. Meine Taktik bestand darin, absolut nichts zuzugeben. Denn hatte ich nur eine Kleinigkeit verraten, würden sie mich mit Sicherheit umbringen. Ich war nicht überzeugt, glimpflicher davonzukommen, wenn ich beharrlich schwieg. Aber vielleicht ergab sich doch eine Chance. Der dicke Offizier lief hinter meinem Stuhl hin und her. Die beiden anderen schauten sich an, als wollte jeder vom anderen wissen, wie sie weiter mit mir verfahren sollten. »Von Missouri nach Süden!« Der Dicke blieb stehen. »Das kann man einem erzählen, der im Kopf nicht mehr ganz richtig ist! Der Bursche ist ein Kurier von Sherman! Die haben mitunter solche Hunde dabei, die präzise abgerichtet sind und die man irgendwohin schicken kann. Ja, das gibt es wirklich!« »Hab ich noch nie erlebt«, sagte der eine, der rechts neben der blendenden Lampe stand. »Aber ich«, beharrte der Dicke. Der dritte Offizier schüttelte ebenfalls den Kopf. »Davon habe ich auch noch nichts gehört. Ich könnte mir eher denken, daß er eine mündliche Nachricht überbringen soll und der Hund ihm vielleicht wirklich einfach nachlief. Das ist in der jetzigen Situation möglich. So ein Tier irrt herum und findet nichts zu fressen. Begegnet es einem Menschen, hofft es auf seine Hilfe. Hunde suchen instinktiv
die Nähe der Menschen. Seit Tausenden von Jahren, Cocoran.« Der Dicke fluchte wieder. »Aber man kann einem Kurier eine Nachricht eintrichtern, daß er kein Wort davon vergißt«, fuhr der Mann rechts der Spiegellampe fort. Er beugte sich wieder über den Tisch. »Das gibt es, mein Junge. Und das wissen wir. Was haben sie dir in den Schädel gehämmert?« Ich preßte die Lippen aufeinander. Der dicke Cocoran beugte sich nieder. »Du wurdest etwas gefragt, mein Kleiner.« »Ich will nach Süden«, sagte ich stur. Cocoran schüttelte den Kopf und schmetterte mir die Faust auf die Wange. Ich flog vom Stuhl und krachte zu Boden. Der Dicke war um den Stuhl herumgetreten und bearbeitete mich mit seinem Stiefel. Ich griff danach und wollte den Kerl umreißen, hatte aber nicht die Kraft dazu. Meine kalten Finger vermochten den Stiefel nicht festzuhalten und rutschten über das brüchige Leder. Ein zweiter Triff traf mich gegen den Hals und ließ mich röcheln. Ich wollte aufspringen, aber auch das gelang mir nur sehr langsam. Kaum stand ich auf den Beinen, setzte mir der dicke Cocoran die Faust mitten ins Gesicht. Ich schrie im Schmerz, taumelte durch das Zelt und prallte gegen eine Stange, die sich ächzend bog. Der Dicke rückte nach und schlug auf mich ein, bis ich zusammenbrach und ein Rauschen in den Ohren hörte. Der Dicke ging an den Tisch und stand wie von einem Strahlenkranz umgeben vor dem erleuchteten Spiegel der Lampe. »Es sind einige dabei, die lassen sich umbringen, bevor sie die Zähne auseinanderkriegen«, sagte er wütend. »Es könnte auch sein, daß er doch kein Kurier ist«, erwiderte einer der beiden anderen. »Und?« Ich sah, wie der Mann rechts der Lampe mit den Schultern zuckte. »Keine Ahnung, Cocoran. Was schlägst du vor? Was sollen wir mit ihm tun? Umlegen?« Cocoran blickte über die Schulter. »Man sieht es nicht gar zu gern, wenn wir so junge Burschen erschießen. Es sind auch Zivilisten hier, und die Zivilisten müssen bei dem Glauben bleiben, daß wir die
Besseren in diesem Krieg sind.« »Eben.« Der Mann rechts der Lampe nickte. »Es könnte aber auch sein, daß er doch ein Kurier ist«, fuhr Cocoran fort. »Schließlich ist er geflohen, als er uns sah.« »Das sagt noch gar nichts«, mischte sich der dritte Offizier ein. »Fliehen tun heute viele junge Männer, wenn sie Soldaten sehen. Die wollen mit uns einfach nichts zu tun haben und fürchten, in eine Uniform gesteckt zu werden.« »Ich glaube trotzdem, daß er lügt«, beharrte Cocoran. »Wenn wir ihn laufen lassen, könnte er doch noch eine Nachricht überbringen.« »Laufen lassen können wir ihn auch aus anderen Gründen nicht«, erklärte der Mann rechts der Lampe, der offenbar hier den Ton angab. »Er hat zuviel von diesem Lager gesehen. Ich schlage deshalb vor, daß wir ihn ins Gefangenenlager bringen.« Cocoran sagte: »Und ich wette mit euch, daß er etwas weiß.« Der Dicke wälzte sich wieder auf mich zu, beugte sich nieder, griff nach mir und stellte mich auf die Beine. Er schleifte mich zu dem Stuhl und stieß mich hart darauf. »Du weißt etwas und wirst es jetzt ausspucken. Hast du verstanden? Rede, mein Junge, oder deine letzte Stunde hat geschlagen.« Mir war indessen die Kälte ziemlich vergangen. Nur meine Finger und die Füße waren immer noch wie taub. Cocoran zog einen Revolver aus einer großen schwarzen Tasche an seinem Gürtel, richtete ihn mit der Mündung auf mich und spannte den Hammer. Die beiden anderen blickten mich gespannt an. »Also?« fragte Cocoran. »Wie lautet die Nachricht, die du überbringen sollst?« Mir lief es heiß über den Rücken, ein paar Schweißtropfen brachen auf meiner Stirn aus den Poren. »Ich zähle bis drei, mein Junge, dann drücke ich ab«, versprach Cocoran. Mir schlotterten die Knie, meine Hände wurden nun doch warm und feucht, und meine Schultern zuckten. »Eins …«
Mein Blick war starr auf die Mündung gerichtet, die mich wie ein Auge anzugrinsen schien. Grau schimmerten die Spitzen der Bleigeschosse in den Kammern. Ich schluckte. »Zwei …« zählte der dicke Offizier. Die beiden anderen beugten sich weiter über den Tisch. Das Blut hämmerte mir so laut durch die Schläfen, daß ich meinte, sie müßten es hören. Die Spannung konnte sich nicht mehr steigern, meine Angst jedoch auch nicht. Dennoch hielt ich die Lippen zusammengepreßt. Meine indianische Erziehung würde es mir ermöglichen, das auch noch zu ertragen und ohne einen Laut zu sterben. »Rede!« schrie der Offizier rechts der Lampe. Fester preßten sich meine Lippen zusammen. »Drei«, zählte Cocoran, zögerte noch einen Moment und drückte ab. Der Hammer schlug mit einem metallischen Klicken in die Kammer, aber es erfolgte kein Knall. Ich begriff, daß Cocoran die Kammer hinter dem Hammer leer gelassen hatte, um sich nicht selbst ins Bein zu schießen, wenn er mit dem Ärmel am Hammer hängenbleiben sollte und dieser dabei bewegt wurde. Mein Aufatmen traf mit dem Schlag ins Gesicht zusammen, der mich noch einmal vom Stuhl schleuderte. Der Dicke schob den Colt in die Halfter. »Aussichtslos«, murmelte er resignierend. »Von mir aus, schafft ihn fort.« Er wandte sich ab und verließ das Zelt. Unentschlossen schauten sich die beiden anderen an. »Wenn wir ihn erschießen, kann er nie mehr etwas erzählen«, sagte der eine. Der andere nickte. »Daran habe ich auch schon gedacht. Das heißt, Cocoran brachte mich auf den Gedanken, als er den Revolver zog.« Ich begriff, daß die direkte Gefahr noch immer nicht vorbei war und stand auf. Mein Blick richtete sich auf die Eingangsplane. Die beiden Offiziere griffen nach ihren Colts und schauten mich abwartend an. Sie warteten darauf, daß ich auf die Plane zustürzte, um das Zelt zu verlassen, dann konnten sie mich sozusagen guten Gewissens auf der Flucht erschießen.
»Was ist da drin los?« fragte draußen plötzlich eine scharfe Stimme. Die beiden Offiziere rechts und links der Lampe ließen die Waffen los. »Eine Vernehmung, Sir!« meldete ein Wachtposten. Die Plane wurde zurückgeschlagen. Ein hagerer, bärtiger Mann in der Uniform eines Major-Generals betrat das Zelt und blickte prüfend auf mich, während die Offiziere rechts und links der Spiegellampe Haltung annahmen. »Was ist hier los, Gentlemen?« »Ein Gefangener, Sir. Aber es ist nichts aus ihm herauszuholen. Wir wissen nicht, was wir mit ihm anfangen sollen.« Der eine Offizier trat um den Tisch herum. »Vielleicht wäre es am klügsten, kurzen Prozeß mit ihm zu machen.« »Erschießen?« Der Offizier war neben mir stehengeblieben und hob die Schultern. »Vielleicht.« »Ausgeschlossen«, sagte der General barsch. »So einen jungen Menschen kann man doch nicht erschießen. Wir sind doch keine Barbaren, Mister McNee!« »Zu Befehl, Sir.« Der Blick des Major-Generals fiel wieder auf mich. Er schien etwas fragen zu wollen, ließ es aber. »Schafft ihn ins Lager bei Andersonville. Gute Nacht!« Die Offiziere nahmen abermals Haltung an. Der General verließ das Zelt. Seine Schritte entfernten sich draußen mit dem Rasseln der Sporen. »Also«, sagte der Mann neben mir. »Aber bilde dir nur nicht ein, daß Andersonville ein Zuckerlecken wäre, mein Junge.«
4. Der Wind war steifer und kälter geworden. Sandfontänen wurden über den Boden geschleudert. Der blaßblaue Himmel war verhangen und die Sonne eine bleiche Scheibe hoch über uns. Mit einigen anderen Gefangenen die sich ebenfalls im Camp der
Konföderierten befunden hatten, stand ich zusammengepfercht auf einem hochbordigen Wagen, der sich von Reitern umgeben nach Osten bewegte. Verlassene Farmen lagen am Wege. Andersonville war weit in der Ferne zu erkennen und verschwand wieder. Manchmal zogen Flüchtlingstrecks noch weiter nach Süden hinunter, oder Soldaten marschierten mit wenig Gerät in die entgegengesetzte Richtung. Es war schon Nachmittag, als das Gefangenenlager in Sicht kam. Hinter Busch- und Waldgebieten sah ich den Palisadenzaun, der das Lager wie ein Fort umgab. Bastionen standen an allen vier Zaunecken und rechts und links des Tores. Das Tor stand offen. Abgerissene Gestalten trugen Tote heraus und warfen sie in ein großes Massengrab, neben dem sich ein Haufen Kalk befand, in dem Schaufeln steckten. Die Gestalten schleppten sich in das Lager hinter dem offenen Tor zurück und tauchten bald darauf abermals mit starren Leichen auf, die sie zum Massengrab trugen und hineinwarfen. Krähen kreisten heiser krächzend am Himmel. Zwei, drei stürzten sich in das Grab hinunter, kaum daß sich die schwankenden Männer abgewandt hatten. »Da könnt ihr gleich mal sehen, was euch blüht!« rief einer der Reitersoldaten uns zu. Niemand antwortete ihm. Auch über dem Wald kreisten Krähen am Himmel. Sie saßen im Geäst der Bäume und in den Büschen und schienen uns zu belauern. Sie hofften, der Transport würde liegenbleiben und Futter für sie werden. Denn sonst konnten sie in der trostlosen Einöde nichts finden. Zwei Reiter trabten voraus und meldeten die Ankunft der neuen Gefangenen. Abermals wurden Leichen ins Massengrab geworfen und mit Kalk überwerfen. So konnte das Grab zur weiteren Benutzung offengehalten werden, ohne daß eine Seuche auszubrechen drohte. Als wir uns bis auf hundert Yards genähert hatten, erkannte ich hinter dem Palisadenzaun eine Bretterwand, die sich einem zweiten Zaun gleich um das ganze Lager zog. Auf zehn Yards gab es
zwischen beiden Hindernissen nichts als Sand. Es war ein Todesstreifen. Das Überklettern der inneren Bretterwand bedeutete, daß von den Wachen ohne Anruf geschossen wurde. Der Wagen rumpelte an den Bastionen vorbei in das Gefangenenlager und hielt. Die Männer, die mich schlotternd vor Kälte und Hunger umgaben, blickten wie ich entsetzt auf das Bild, das sich uns bot. Innerhalb des Bretterzauns hausten abgerissene, kaum noch als Menschen zu erkennende Lebewesen in primitiven Spitzzelten, die aus Decken, Lumpen und Planen zusammengefügt waren, saßen in Erdlöchern und ein paar Buden aus Kistenbrettern. Links teilte ein Zaun einen Teil des Lagers ab. Dahinter war eine lange Mannschaftsunterkunft für die Aufseher zu erkennen, das Büro des Kommandanten, ein Korral mit Pferden und ein Magazin. Von den sechs Bastionen hinunter blickten die Bewacher, die ihre Gewehre auf das Lager angeschlagen hielten. Grenzenloses, nie geahntes Elend lag auf einmal vor mir. Gestalten wankten herum und brachen mitunter zusammen. Niemand kümmerte sich um sie. Wahrscheinlich wurden sie irgendwann hinausgetragen, falls kein Leben mehr in ihnen sein sollte. »Los, los, absteigen!« kommandierte der Kutscher und schlug mit seiner Peitsche nach uns. Ein paar Gefangene stürzten vom Wagen, so steifgefroren waren sie. Andere konnten den Hieben ausweichen. Ich wurde gegen den Hals getroffen und verlor den Halt. Auf einen anderen Mann stürzend war mein Aufschlag weniger hart. Ich rollte über den harten Boden und stand auf, bevor mich die Peitsche mit dem bleibeschwerten Ende abermals treffen konnte. »Vorwärts!« befahlen die Reiter und trieben uns weiter weg vom Wagen. »Antreten!« In einer Reihe mußten wir uns nebeneinander aufstellen. Eine Tür im Zaun zum Militärteil des Lagers öffnete sich, und ein Captain von untersetzter, schmächtiger Gestalt tauchte auf, gefolgt von einem Sergeanten, der groß und klotzig war und aus dessen Gesicht herausquellende Froschaugen böse auf uns schauten. Ein paar Soldaten folgten und blieben mit angeschlagenen Gewehren
stehen. Der Captain und sein Sergeant näherten sich uns und schritten an unserer Reihe entlang. »Name?« schrie der Captain den Mann neben mir an. »York Wepper, Sir!« stieß der krank aussehende, ausgemergelte Gefangene hervor. Er war fünfzigjährig, hatte lichtes Grauhaar und ein hohlwangiges Gesicht von gelblich ungesunder Farbe. Der Offizier ging weiter, musterte mich nur kurz und fuhr den nächsten wieder an: »Name?« Der Mann zuckte zusammen und stotterte eine Entschuldigung. »Name?« brüllte nun der klotzige Sergeant und schlug den Gefangenen mit einem einzigen Fausthieb zusammen. Der Captain ging bereits weiter. »Damit ihr gleich wißt, was hier für ein Wind weht! Es wird sofort geantwortet und keine Frage gestellt. Beschwerden können nur direkt bei mir vorgebracht werden. Nur direkt bei mir, kapiert?« Er schien keine Antwort zu erwarten, brüllte wieder einen Gefangenen nach seinen Namen an und ging dann zu dem Zaun zurück. Die Tür wurde geöffnet. Der schmächtige Captain verschwand. Der Sergeant war ein paar Schritte zurückgetreten und schlug sich mit einer kurzen Reitpeitsche, die an seinem Handgelenk hing, gegen den Schenkel. »Ihr könnt euch eine Behausung suchen, könnt euch auch eine bauen, wenn ihr Material findet. Ihr könnt andere aus ihrer Unterkunft hinauswerfen, wenn ihr mehr Kraft habt! Alles dürft ihr, nur nicht maulen, keine Ansammlungen bilden und nicht an den Bretterzaun gehen. Wer es wagt, ihn zu überklettern, wird erschossen. Das war's.« Der Mann wandte sich ab und folgte dem Offizier. Die Wachen schlossen sich ihm an. Unsere Reihe löste sich auf. Nur der krank aussehende Mann blieb bei mir stehen. Er trug noch seine blaue Uniformhose. Anstelle der Jacke hatte er eine aus Fellen zusammengenähte Weste am Oberkörper, aus der die Hemdärmel ragten. Der Mann hustete, wobei sein ganzer Körper wie dürres Laub im Winde geschüttelt wurde. Stöhnend richtete sich inzwischen der andere Gefangene wieder auf, der seinen Namen nicht schnell genug hatte nennen können und
zusammengeschlagen worden war. Ich blickte mich in dem ziemlich weitläufigen Lager um. Von der vorderen bis zur hinteren Seite des Bretterzaunes maß die Entfernung etwa zweihundert Yards. Die Breite war ungefähr die gleiche. »Was tun wir denn nun?« York Wepper hustete wieder. »Wie soll man ohne Messer und Spaten ein Loch in den harten Boden graben?« Er bückte sich und scharrte mit den Fingern auf der Erde herum. »Gefroren scheint es ja zum Glück nicht zu sein. Wenn der Boden gefroren ist, kannst du ihn keinen Fuß tief aushöhlen.« »Ich weiß.« Wepper richtete sich auf. Wir gingen zusammen durch das Lager und sahen die herumliegenden Gestalten mit ihren hohlen Gesichtern, aus denen die Knochen stachen. Manch einer war sicher längst unfähig, sich zu erheben. »Hast du gehört, was er sagte?« Wepper blieb stehen und schaute mich an. »Was?« »Man kann sich auch einfach ein Zelt nehmen.« »Ja, das habe ich gehört.« »Du bist noch gut bei Kräften. Das sieht man, mein Junge. Du könntest dir ein Zelt nehmen, wenn du wolltest. Aber warum sagen sie so etwas zu uns?« »Damit wir es tun sollen. Damit einer des anderen Teufel ist. Sie haben es dann leichter, uns zu bewachen.« »Ja, so wird es wohl sein.« York Wepper nickte mehrmals und hustete wieder. »Ich heiße Ronco.« Mein Blick wanderte über das Lager und blieb an einer reglosen Gestalt haften, die neben einem Erdloch lang ausgestreckt auf dem Boden lag. Ich ging auf den Mann zu, sah dessen glasigen, ins Nichts gerichteten Blick und begriff, daß er tot war. Wepper war mir gefolgt, beugte sich nieder und blickte sich dann schnell um. Niemand kümmerte sich um uns. Wepper warf sich auf die Knie, wälzte die Leiche auf die Seite und zerrte ihr die ziemlich gut erhaltene Uniformjacke herunter.
»Der braucht sie doch nicht mehr«, sagte er auf meinen verwunderten Blick hin. Ich wandte mich ab und ging weiter. Als York Wepper mich einholte, hatte er die Uniformjacke des Toten über die Fellweste gezogen und knöpfte sie gerade zu. »Der brauchte sie doch nicht mehr«, sagte er noch einmal entschuldigend. In einem knapp einen Yard tiefen Erdloch kauerten drei abgerissene, schmutzige und stoppelbärtige Gestalten mit angezogenen Beinen und zusammengekrümmten Schultern. »Ist hier noch ein bißchen Platz, Kameraden?« fragte Wepper. »Haut bloß ab!« schimpfte einer. »Grabt euch selbst ein Loch, zur Hölle!« Zehn Yards entfernt kniete ich und versuchte, den Sand mit den bloßen Händen wegzukratzen. Es war unmöglich. Die Haut riß mir infolge der Kälte auf. Wepper war zu einem Zelt weitergelaufen, schaute hinein und fragte: »Kameraden, habt ihr noch ein wenig Platz?« Ein Stiefel schoß heraus und traf Wepper mit solcher Wucht, daß er stürzte und sich rückwärts überschlug. »Das fehlte uns noch!« rief in dem aus Lumpen bestehenden Zelt eine heisere Stimme. York Wepper rappelte sich auf. »Was wäre denn weiter, wenn sie ein wenig zusammenrücken?« Links, in der Nähe des Zaunes, hatten zwei mit uns angelangten Gefangenen ein Stück Blech ergattert, das so groß wie eine Hand war und mit dem sie versuchten, ein Loch in den Boden zu scharren. Ohne zu wissen, wohin ich eigentlich wollte, trottete ich weiter durch das Lager, ständig verfolgt von dem hustenden York Wepper. Was er sich von meiner Gegenwart versprach, blieb mir rätselhaft. Die Stiefel eines Mannes ragten aus einem kleinen Zelt. Wepper blieb stehen. »He, Kamerad, hast du noch etwas Platz für zwei Mann? Wir können zusammenrücken, verstehst du?« Der Mann im Zelt gab keine Antwort. Ich war stehengeblieben und blickte zu den durchlöcherten Stiefeln hinüber.
»Hallo, Kamerad!« Wepper hustete, trat näher an den Mann heran, bückte sich und berührte die Stiefel. Ich folgte ihm, schlug die Plane zurück und sah schon wieder einen Toten. Sonst war niemand in dem kleinen Zelt, das durch die Nähe des Bretterzauns einen zusätzlichen Schutz hatte. »Er war allein«, sagte Wepper, der es anscheinend kaum fassen konnte. Er blickte sich um. Niemand näherte sich. Keiner hatte bisher bemerkt, daß hier ein Zelt offensichtlich herrenlos geworden war. Auch ich selbst vermochte das Glück kaum zu fassen. Wepper entwickelte auf einmal einen unerwarteten Eifer, zerrte die Leiche aus dem Zelt und kroch hinein. Er stieß gegen den Stab in der Mitte und das ganze Gebilde begann zu wackeln. Noch immer erschien niemand. »Auf was wartest du denn?« rief Wepper. »Los, es ist jetzt unser Zelt. Wir besetzen es einfach.« Ich kroch in das Zelt. Weppers Augen glitzerten. Der unverhoffte Glücksfall stimmte ihn für den Augenblick selig wie ein kleines Kind, dem ein großes Geschenk zuteil geworden ist. * »Nicht so müde!« schallte es in der Nähe durch das Lager. Eine Peitsche knallte scharf. Schritte waren zu hören. Ich spähte durch einen Riß in der alten, modrigen Decke und sah ein paar Gefangene, die von zwei Wächtern mit Peitschen durch die Gasse getrieben wurden. Zwei Männer hoben den Toten draußen auf und trugen ihn weg. Ein Wächter blickte herein. Wepper griff sich von Angst erfüllt an den Hals. »Lebt hier noch alles?« fragte der Wächter. »Ja«, sagte ich. Der Mann verschwand. Die Plane fiel herunter. Schritte entfernten sich und verstummten. Wepper ließ die Hand sinken. »Mein Gott, bin ich vielleicht
erschrocken.« Das ferne Bimmeln einer Glocke tönte ins Zelt. York Wepper hob den Kopf. Ich kroch hinaus, stand auf und sah, wie Gefangene mit Blechnäpfen in den Händen zu dem Tor strömten, durch das es hinüber in den Mannschaftsteil der Konföderierten ging. »Es scheint Essen zu geben«, sagte ich, als ich wieder ins Zelt kroch. »Sie haben alle Näpfe.« Wepper kramte unter einem Planefetzen herum. Ich sah ein kleines Loch im Boden und darin einen Blechnapf, einen Löffel und ein paar Stücke Schnur. »Wir wissen nicht einmal, wie er hieß.« Ich nahm Wepper den Blechnapf aus der Hand und verließ das Zelt. Mit dem Strom der Gefangenen wurde ich durch das Lager getragen. Viele Gefangene waren hilfloser als York Wepper und vermochten sich offensichtlich nicht mehr zu erheben. Niemand kümmerte sich um diese ausgebrannten Männer. Sie würden kein Essen kriegen und folglich um so schneller und sicherer ihr Ende finden. Der Strom nahm mich mit durch das Tor, an Wachen vorbei und in eine Schlange hinein, die sich langsam auf die Küche schob. Das war eine Baracke, aus der so intensive Wärme drang, daß ein Flimmern vor der offenen Tür in der Luft entstand. Immer näher wurde ich auf diese Tür zugeschoben, und immer deutlicher spürte ich diese Wärme. Aus einer großen Kelle schwappte Wassersuppe in meinen Blechnapf, und die nachdrängende Menge schubste mich aus dem Bereich der Hitze. Ich lief durch das Tor zurück und fand Wepper mit gierig auf den rauchenden Napf gerichteten Augen im Zelt kauernd vor. »Gib her! Gib her!« rief er und winkte heftig mit den Händen. »Du bist kräftiger als ich!« Ich hatte selbst mächtigen Hunger, aber ich gab dem kranken Mann die Schüssel und sah, wie er die Wassersuppe gierig in sich hineinlöffelte. Nichts blieb übrig. Als der Löffel auf den Blechboden klapperte, schaute Wepper mich überrascht an. »Du kannst dir ja noch mal holen«, sagte er. »Du bist jung und kräftig. Geh, hole dir noch einen Schlag.« Ich nahm die Schüssel und ging wieder. In der Masse der
Gefangenen fiel ich überhaupt nicht auf und wurde weder von den Wachen am Tor, noch von dem dicken Koch mit der hohen, weißen Mütze zurückgeschickt. Als ich das Zelt abermals erreichte, waren Weppers Augen so gierig wie vorher auf die dampfende Schüssel gerichtet, und ich gab sie ihm, ohne daß er danach fragen mußte. Er löffelte eine Weile, dann ging es ihm nicht mehr schnell genug. York Wepper ließ den Löffel fallen, setzte den Blechnapf an und trank ihn aus. Er ließ die Schüssel sinken, legte sie aus den Händen und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Du kannst ja noch mal gehen. Du bist …« »Wie oft willst du mich eigentlich noch schicken, York?« »Es ist doch nichts weiter dabei. Jetzt bist du erst mal an der Reihe. Ich verspreche es.« Ich nahm die Schüssel aus Blech und kroch aus dem wackligen, wurmstichigen Zelt. Doch noch bevor ich das Tor im Bretterzaun erreichte, wurden die Gefangenen zurückgeschoben. Das Tor schloß sich. »Was ist denn los?« fragte ich einen Mann. »Die Futterkrippe ist geschlossen.« Er grinste schief. »Wann gibt es wieder was?« »Morgen.« »Morgen erst?« fragte ich entgeistert. »Ja. Du hättest früher aufstehen müssen, Bürschchen.« Der Mann wandte sich ab und verschwand in der schimpfenden Menge. Kranke schleppten sich vom Zaun weg. Manch einer brach zusammen. Schwer genug waren sie auf die Beine gelangt und hatten versucht, eine Kräftigung zu ergattern. Aber auch sie waren zu spät erschienen. »Was ist denn, traust du mir nicht?« fragte Wepper, als ich ins Zelt kroch. »Warum soll ich dir nicht trauen?« »Du hast es unterwegs getrunken. Hier ist doch ein Löffel. Du kannst mir doch vertrauen.« »Es war alle.« »Was sagst du?« Wepper legte den Kopf schief. »Es gab nichts mehr. Sie haben nicht so viel, daß alle etwas
erhalten oder manche dreimal fassen dürfen.« »Du hast nichts gekriegt?« Ich warf den Blechnapf in die Ecke und legte mich auf den kalten Boden. »Nein. Aber mach dir nichts daraus, ich halte schon durch.« Eine Weile lag ich so, spürte die aus dem Boden steigende Kälte und hörte das tiefe, rasselnde Atmen Weppers. Auf einmal brach draußen Gebrüll aus. Ich kniete, schlug die Plane zurück und sah einen Mann, der wie von Furien gehetzt auf den Bretterzaun stürmte und dabei das laute Gebrüll ausstieß. Apathisch hatte Wepper den Kopf gehoben. Der Mann draußen rannte wie von Sinnen weiter, obwohl die Wachen in der Bastion an der nicht weit entfernten Ecke bereits die Gewehre auf ihn anschlugen. »Bleib stehen!« schrie ich. Der Mann hörte nicht, sprang den schwankenden Bretterzaun an und kletterte hinauf. Da entluden sich die Gewehre, der Mann auf dem Zaun zuckte unter den Einschlägen der Geschosse zusammen, und sein Gebrüll verstummte. Er rutschte erst, dann stürzte er steif von der Planke und rollte auf das Gesicht. »Was ist denn passiert?« fragte York Wepper heiser. »Sie haben einen erschossen.« »Aber warum …« Wepper brach ab und schüttelte den Kopf. »Es muß bei ihm ausgesetzt haben.« Draußen war nichts mehr zu hören. Der Vorfall fand kein besonderes Interesse, und der Tote blieb liegen. Kein einziger Wächter sah nach, ob sie ihn wirklich getötet hatten. * Grau dämmerte der Morgen herauf. Der Himmel war verhangen und der kalte Wind eingeschlafen. Das fahle Morgenlicht kroch in das eisige Zelt. Ich hörte das heisere Krächzen der Krähen, die ganz in der Nähe sein mußten.
York Wepper atmete keuchend und hustete immer wieder. Sein geschwächter Körper wurde von den Anfällen geschüttelt. Als ich ihn im Dämmerlicht erkannte, hatte er blutigen Schaum vor dem Mund, schien aber erschöpft eingeschlafen zu sein. Ich stand auf und versuchte, durch ein paar Bewegungen der Starre Herr zu werden. Der Hunger setzte mir nun auch schon derart zu, daß ich mit Gewalt an etwas anderes als Essen denken mußte. »Wo willst du hin?« fragte Wepper. Er hatte die Augen offen. »Ich nahm an, du schläfst.« Wepper seufzte. »Eben habe ich noch geschlafen. Gibt es schon Essen?« »Ich war nicht draußen.« »Sieh doch nach, ob es endlich wieder etwas zu essen gibt.« »Kann mir nicht denken, daß der Koch schon munter sein soll«, erwiderte ich mürrisch. Wepper wälzte sich ächzend auf die Schulter. »Es sticht furchtbar. Es ist die Lunge.« »Ich sehe dann gleich nach, ob es etwas zu essen gibt«, sagte ich. »Ja, und sag denen, daß ich sehr krank bin.« Obwohl das niemanden interessierte, wie krank Wepper oder ein anderer war, nickte ich zustimmend und kroch aus dem Zelt. Draußen war es noch kälter. Die Leiche lag noch am Bretterzaun, und auf ihr hockten ein paar Krähen, die mich bemerkten, heiser krächzten und heftig mit den Flügeln schlugen. Als ich daraufhin nicht schleunigst wieder im Zelt untertauchte, gewann ihre Angst die Oberhand, und sie flatterten über die Planke weg in den bleifarbenen, verhangenen Himmel. »Warum gehst du denn nicht endlich?« fragte Wepper mit quengelnder Stimme im Zelt. Er schien mich sehen zu können. Ich bewegte mich daraufhin nach links und ging ein Stück weg. Überall lagen Gestalten auf dem Boden in der Kälte des heraufziehenden Tages. Die ganze Nacht hatten sie so zugebracht, wahrscheinlich aber wenig oder gar nicht geschlafen. Sie nahmen mein Auftauchen ohne Regung zur Kenntnis. Keiner dachte daran, mich anzusprechen. Ich erreichte eine Stelle, von der aus ich durch
die Nebelschwaden bis zum Tor auf der Westseite sehen konnte und die Wachen in den Bastionen schemenhaft erkannte. Der Gedanke an Flucht hatte mich die halbe Nacht lang beschäftigt, ohne daß ich eine Möglichkeit gefunden hatte, wie das zu realisieren wäre. Das Gefangenenlager glich dem Biwak eines geschlagenen Heerhaufens. Die morgendliche Ruhe wirkte gespenstisch. Dies vor allem deswegen, weil kaum noch einer schlief. Das Tor im Zaun zum Lager unserer Bewacher war natürlich geschlossen. Aber es standen ein paar Gefangene dort, die ihre Blechnäpfe in den Händen hielten. »Wann gibt es Essen?« fragte ich, als ich bei ihnen angelangt war. Einer zuckte mit den Schultern. »Irgendwann.« »Steht es nicht fest? « »Nein. Es hängt davon ab, wann der Koch Lust hat. Wo hast du deine Schüssel, Kamerad?« »Vergessen.« »Wenn du dich mit anstellen willst, brauchst du deinen Napf«, sagte der nächste. »In die Hände wird er dir kaum was schütten.« Ich drehte mich um und lief zurück. Noch war ich nicht so weit, daß ich mich unter Umständen einen halben Tag lang anstellte. Ich konnte noch schnell genug laufen, um zweimal Essen zu fassen. Und heute sollte mir Wepper nicht mit seiner Büßermiene alles wegnehmen. Dafür wollte ich schon sorgen. »Weg da!« brüllte es hinter mir barsch. Eine Peitsche knallte. Ich schnellte herum und sah Sergeant Zattig, jenen klotzigen Kerl mit den Froschaugen und dem kurzgeschorenen, roten Borstenhaar, dem zwei Soldaten mit angeschlagenen Gewehren durch das Tor folgten. Die Gefangenen gingen zurück. »Wartet!« befahl der Sergeant. »Los, alles mit mir! He, du da!« Er schaute mich an. »Name?« »Ronco.« »Los, hierbleiben! Leichen einsammeln!« Ich lief zu den anderen und schloß mich an. Unser Weg führte wahllos durch das Lager. Die Soldaten spürten die Leichen auf, und
wir trugen sie zum Haupttor im Westen, das geöffnet wurde. Ich hatte die Beine eines steifen Toten und folgte einem älteren Gefangenen. Wir näherten uns dem großen Massengrab und warfen den Toten in das riesig wirkende Loch hinunter, in dem die Gestorbenen wie Heringe in einer Dose lagen, mit dem gelöschten Kalk wie von Schnee gepudert. Ich schaute mich um. Das Tor war fünfzig Yards entfernt. Im Westen schob sich der Wald heran. Von den Türmen herunter aber richteten sich die Gewehre auf uns. »Es hat keinen Sinn«, murmelte der ältere Gefangene, der meine Gedanken zu erraten schien. »Meinst du?« »Man schafft es keine zehn Yards weit, dann ist man ein Sieb.« Zwei andere Nordstaatler brachten einen weiteren Toten, gingen am Zaun entlang und warfen ihn in das Loch. »Da unten landen wir alle«, sagte der ältere Mann neben mir. »Der eine etwas früher, der andere etwas später.« Wir trotteten ins Lager zurück und wurden von Zattig gerufen, der mit der Peitsche knallte. »Bewegung, Bewegung, ihr müden Haufen!« schrie der Sergeant. »Immer in Bewegung bleiben, sonst setzt es was!« Wir liefen schneller und holten den am Zaun liegenden Toten, der tags zuvor dem Lagerkoller zum Opfer gefallen war. Wir trugen die von Krähen zerhackte Leiche durch das Lager, hinaus, am Zaun entlang und zu dem Massengrab, in das wir den Toten warfen. Dann gingen wir zurück. Ich prägte mir den Weg ein und sah mir die Palisaden genau an. Alles war fest und solide gebaut. Hinter uns wurde das Tor geschlossen. »So, das war es für den Morgen«, verkündete der Sergeant. »Verkriecht euch in euren Löchern, ihr Ratten!« Ich ging durch das Lager, erreichte unser wurmstichiges Zelt und kroch hinein. Wepper lag von Fieberschauern geschüttelt auf dem Boden und stieß hervor: »Wo bleibst du solange? Wo hast du gesteckt?« »Wir mußten Leichen hinaustragen.«
»Wo hast du das Essen?« »Es gibt noch nichts.« Wepper stützte sich auf den Ellbogen. Sein Gesicht glühte, und er hatte Schweißperlen auf der Stirn stehen. »Du lügst! Du hast es schon selbst gegessen.« »Unsinn. Ich hatte doch den Blechnapf gar nicht mit.« »Vielleicht gab es Brot. Und Schinken. Oder Wurst.« »Leg dich hin. Wenn es Essen gibt, werde ich es holen. Jetzt gibt es noch nichts.« York Wepper ließ sich auf den Rücken fallen. Er stöhnte, sein Körper wurde geschüttelt, und seine Zähne schlugen laut aufeinander. Der Mann tat mir leid, aber ich hatte nichts, womit ich ihm helfen konnte. Auf den Knien kroch ich zu ihm hinüber und tupfte ihm mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn. »Du hast es mir weggegessen!« stieß Wepper keuchend hervor. »Du bist ein verdammter Halunke.« »Sei ruhig. Du mußt deine Kraft schonen.« »Gemeiner Halunke!« Ich tupfte ihm weiter die Stirn ab und gab mir Mühe, die Haßtiraden zu überhören. Auf einmal schlug er wild um sich, schrie, packte meinen Arm und preßte die knochigen Finger wie Krallen zusammen. Ich befreite mich aus seinem Griff und schob mich auf den Knien zurück. »Nein, Nein!« brüllte Wepper. Er streckte die Hände abwehrend über sich aus und zog die Beine an, als wollte er sie ebenfalls zur Abwehr eines imaginären Feindes benutzen. Abermal kroch ich aus dem Zelt und schaute mich um. Am Tor zur Küchenbaracke drängten sich bereits mehrere Dutzend Gefangene mit ihren blechernen Eßgeschirren. Ich lief zum nächsten Zelt und warf einen Blick hinein. »Verschwinde!« fuhr mich ein ausgemergelter Gefangener an. »Ich will ja nur etwas fragen. Gibt es einen Arzt oder so etwas Ähnliches bei den Bewachern?« »Hau ab, verdammt!« zischte der Kerl. Ich ließ die Plane los und ging weiter. Plötzlich sah ich einen
Geistlichen, der wie eine Fata Morgana zwischen den Erdlöchern und Zelten stand und aus einem kleinen Buch mit goldenen Rändern vorlas. Vor ihm auf der kalten Erde lagen und saßen Gefangene wie gelehrige Schüler und hörten ihm zu. Meine Beine setzten sich in Bewegung, ohne daß ich es merkte. Ich kam dem Mann näher, erreichte ihn und zupfte am schwarzen Ärmel seines weiten Umhangs, der bis zu seinen schwarzen Schuhen reichte. Der Mann schaute mich mit ernstem Gesicht und fragenden Augen an. »Und, mein Sohn?« »Bei mir liegt ein Mann, der sehr krank ist, Hochwürden«, erwiderte ich. Der Pastor klappte das Buch zu und schlug ein Kreuz über seine Zuhörer. »Ich gehe mit dir, mein Sohn. Führe mich!« Mich umwendend, lief ich vor dem Geistlichen her zu unserem Zelt zurück. Wepper redete im Fieber und kämpfte immer noch gegen die Geister, die über ihn herfallen wollten. Der Pastor kroch hinter mir her und auf den Kranken zu. »Er hat mir alles weggegessen«, sagte Wepper wild, versuchte sich aufzurichten und zeigte auf mich. Der Pastor blickte mich über die Schulter streng an. »Er phantasiert, Hochwürden.« »Alles weggegessen!« rief Wepper. »Er ist an allem schuld! Er hat uns verraten!« »Beruhige dich, mein Sohn«, murmelte der Geistliche und faltete dem Kranken mit sanfter Gewalt die Hände. »Wir beten jetzt gemeinsam zu Gott.« Ich kroch wieder hinaus und wanderte ziellos durch das große Lager. Als ich unser Zelt wieder erreichte, verließ es der Pastor gerade. »Ich sollte ihn allein da drin lassen«, sagte ich. Der Geistliche lächelte freundlich und schüttelte den Kopf. »Warum, mein Sohn?« »Warum soll ich mir das anhören und gefallen lassen?« »Du mußt noch lernen, duldsam zu sein. Es geht ihm sehr
schlecht. Er hat große Schmerzen und weiß nicht, wie sehr er dir weh tut. Kümmre dich um ihn. Ich hole ein paar Medikamente, die ihm vielleicht helfen werden.« »Na gut.« Ich ließ mich widerstrebend zu dem Zelt schieben und kroch hinein. »Du hast mir alles weggegessen!« legte York Wepper sofort los und starrte mich böse an.
5. Die Medikamente hätte York Wepper viel früher einnehmen müssen, oder sie waren bei der Schwere seiner Lungenentzündung unwirksam. Am Nachmittag konnte er kaum noch das Essen schlucken, daß ich besorgt hatte. Dafür kam ich dann für meine eigene Portion wieder zu spät. Das Tor war geschlossen. Der Pastor war im Zelt geblieben und betete für York Wepper. Zuerst für seine Genesung, dann für seine Seele. Weppers Gesicht wurde immer spitzer und röter, und die Schweißperlen nahmen von Stunde zu Stunde zu. Er atmete laut röchelnd wie ein Erstickender, seine Brust hob und senkte sich, und seine Hände lagen wie Schraubklemmen um den Arm des Geistlichen, der unverdrossen betete und betete und Verse aus seinem kleinen Buch mit den schimmernden Goldrändern vorlas. »Was-Wasser!« stieß Weppers hervor. Ich gab ihm das Wasser zu trinken, das wir in einer Flasche hatten. Der Pastor hatte sie mitgebracht. Wepper verschluckte sich. Mit Blut vermischt lief ihm Wasser vom Mundwinkel zum Ohr. Und der Pastor betete mit an Fanatismus grenzender Inbrunst, bis Wepper plötzlich schrie und sein Körper sich aufrichtete. Er starrte den Mann im schwarzen Talar mit hervorquellenden Augen an, kriegte keine Luft mehr, röchelte und stürzte steif zurück. Noch ein paar Herzschläge lang kämpfte sein Lebenswille gegen den Tod an, dann war seine Kraft zu Ende. Der Pastor kniete neben ihm und schwieg. Herabgesunken war die Hand mit dem Buch. Starr blickten York Weppers Augen zu jener Stelle in der Mitte
des Zeltes, an der die Wandteile zusammenliefen und der Stock ins Freie führte. Der Pastor drückte der Leiche die Augen zu, deutete mit Handbewegungen ein Kreuz an und richtete den Oberkörper auf. »Friede seiner Seele. In Ewigkeit. Amen.« Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, kroch der Geistliche aus dem Zelt, stand auf und ging davon. Mir war klar, daß Wepper für den Geistlichen ein Fall unter Dutzenden war, mit denen er tagtäglich konfrontiert wurde, ohne kaum jemals wirksam helfen zu können. Aber auch ich hatte in diesem Lager und überhaupt in diesem mörderischen Krieg schon zu viele Tote sehen müssen, als daß Weppers Ende eine sehr tiefgehende Anteilnahme bei mir hätte erwecken können. Ich kauerte ein paar Sekunden reglos da und blickte auf das starre Todengesicht, dann packte ich die Leiche und schleifte sie hinaus. Ich wuchtete mir den Toten auf die Schulter und trug ihn durch das Lager, um ihn hinaus in das Massengrab zu schaffen. Doch noch bevor ich am Tor war, schrie Sergeant Zattig: »He, du da! Stehenbleiben!« Mit der Leiche auf der Schulter wandte ich mich um und sah den Sergeanten. Zattig hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und den Oberkörper nach vorn geneigt. Die kurze Reitpeitsche baumelte an seinem rechten Handgelenk. »Er ist tot«, sagte ich. »Ich will ihn doch nur in das Grab tragen.« »Wann die Leichen verscharrt werden, bestimme ich, kapiert? Ich und sonst niemand.« Ich ließ den Toten von der Schulter rutschen. Zattig rückte auf mich zu. Sein Gesicht mit dem vorgeschobenen Kinn wirkte wie eine leibhaftige Drohung. Blitze schienen aus seinen Augen zu schießen. »Ich bestimme das. Und sonst keiner? Hast du verstanden, Freundchen?« »Ja.« »Ja, Sergeant!« brüllte der Kerl mich an. Und weil ich nicht schnell genug reagierte, knallte er mir die Faust ins Gesicht.
Ich stolperte über den Toten und rollte über den Boden. Maßlose Wut überfiel mich. Ich sprang auf und wollte Zattig angreifen, aber er war schon wieder da und hieb mir die Peitsche über das Gesicht. Ich hatte das Gefühl, von einem glühenden Schwert getroffen zu werden und fiel wieder um. »Schreib dir das hinter die Löffel!« schrie der klotzige Sergeant mit den herausquellenden Froschaugen mich an. »Und Widerspruch dulde ich nicht!« Ich sah, wie Zattig sich abwandte und blieb liegen, bis er verschwunden war. Dann stand ich auf und ging durch das Lager zurück zu dem Zelt, in dem wir gehaust hatten. Wepper würde man hinaustragen, wenn es der klotzige Sergeant befahl. Und man würde ihn wie die anderen in das Loch werfen und mit Kalk überschütten, damit nicht die Pest über das Gefangenenlager herfiel. Als ich das Zelt erreichte, wackelte die bunte, durchlöcherte Decke, und eine Stimme sagte: »Geh doch ein bißchen zur Seite, zum Teufel! Mußt du dich denn immer so breit machen?« »He, was ist hier los!« Ich schlug die Decke zurück und sah vier Gesichter im fahlen Halbdunkel. »Verschwinde«, sagte ein großer, brutal aussehender Kerl. »Und laß die Kälte draußen!« »Es ist mein Zelt!« »Dein Zelt? Du hast sie wohl nicht mehr alle, was? Hört euch den an, Jungens! Es wäre sein Zelt, sagt er.« Die Kerle lachten mich glatt aus. Der mir am nächsten Kauernde wollte nach mir schlagen, aber ich war zu weit von ihm entfernt. »Los, bau eine Fliege!« rief der Mann. »Es ist unser Zelt!« »Mein Kochgeschirr ist auch noch drin«, sagte ich schon etwas kleinlaut. »Der würde noch behaupten, daß wir klauen«, sagte ein anderer. »Müssen wir uns das bieten lassen, Rip.« »Wirklich nicht.« Der Kerl am Eingang kroch heraus. Er war ein Riese von Gestalt und hatte Fäuste wie Vorschlaghammer. Er hielt mich am Kragen fest und drosch mir die Faust in den Magen, daß ich mich schreiend zusammenkrümmte. Ein zweiter Hieb traf mich am Kopf. Vor den Füßen des Kerls brach ich zusammen.
»Laß dir das als Lehre dienen, du kleines Stinktier!« schimpfte der Halunke. »Rip Lumer lügt und stiehlt nicht!« Der Mann kroch in das kleine Zelt zurück. Der Spalt schloß sich. Ich kniete, hob den Kopf und spürte den kalten Wind, der wieder an mir vorbeistrich. Und auf einmal wurde mir bewußt, daß es das Überleben bedeuten konnte, was ich soeben verloren hatte. Und nur, weil ich den Toten wegtrug. Weil ich keine Zeit gefunden hatte, mich mit einem anderen zusammenzutun, mit dem ich das Zelt abwechselnd hätte bewachen können. Blieb nur die Frage, ob ich es gegen diese Horde hätte verteidigen können. Der Kerl blickte wieder heraus. »Heb dich endlich weg«, sagte er. »Und tritt mir nicht wieder unter die Augen.« Weil ich nicht reagierte, verließ er das Zelt wieder und trat mir ins Gesicht. Ich wurde nach rückwärts geworfen, überschlug mich und sprang auf. Dabei hatte meine rechte Hand auf einem Knüppel gelegen, den ich wie automatisch mitnahm. In meiner Wut fiel ich den großen Kerl an und hieb ihm den Knüppel mit solcher Wucht gegen das Ohr, daß er schwankte. Ich schlug wieder und wieder zu, ehe er sich wehren konnte, und so drosch ich ihn regelrecht zusammen. Aber das veranlaßte zwei seiner Kumpane, aus dem Zelt zu kriechen und auf mich loszugehen. Der eine entriß mir den Knüppel, als ich ihn gerade wieder hochschwang. Der andere warf sich mit der Schulter gegen mich. Ich schwankte und wurde von dem Knüppel auf den Rücken getroffen. Mir blieb nur die Flucht. Mit Lumer und noch einem wäre ich schon fertig geworden. Dafür war ich noch kräftig genug. Aber drei waren auch für mich zu viele. Lumer war wieder aufgesprungen. Ich lief fort, um ihnen zu entgehen. In der Nähe kauerten Gestalten in Erdlöchern und hinter schützenden Planen. Alle hatten die Szene beobachtet, aber keiner hatte ein Wort gesagt, geschweige denn eingegriffen. Die drei Kerle folgten mir ein paar Yards, dann blieben sie stehen und lachten über mich, der ich ihnen zu einem Zelt und obendrein zu einer Abwechslung verholfen hatte.
* Ich kauerte in der Nachtkälte und wartete auf Rip Lumer. Ihm hatte ich es nicht so heimzahlen können, wie es meiner Wut entsprach. Es war bitter kalt geworden. Der Vorhang am Himmel hatte sich geteilt, und die fahle Mondscheibe schickte silbernes Licht auf das Lager. Gespenstisch muteten die Bastionen und die Spitzen der Palisaden an, auf denen hier und da die Krähen saßen. Die Wachen in den Türmen waren an ihren Bewegungen zu erkennen. Manchmal schimmerte ein Gewehrlauf, wenn er in den Mondschein geriet. Da auf einmal bewegte sich das kleine Zelt, in dem York Wepper gestorben war. Eine Gestalt kroch heraus, wandte sich nach links und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich folgte ihr, geriet in die Nähe der Latrinen und sah den Mann wieder. Es war Lumer. Ich frohlockte und packte den Knüppel fester, den ich mir wieder hatte beschaffen können. Niemand war sonst in der Nähe. Sand knirschte unter meinen Stiefeln. Lumer fuhr herum, sah mich und zog den Kopf ein. »Was schleichst du hier herum?« »Es war mein Zelt«, sagte ich. »Du bist noch nicht lange hier, ich weiß es.« »Trotzdem.« »Es gehört aber jetzt uns.« »Wäre es schlimm gewesen, wenn ihr mich auch mit hineingelassen hättet?« »Hau ab!« Ich ging weiter auf den Kerl zu. Er stand vor dem Balken, hinter dem die nach Fäkalien stinkende Grube schwarz und unheimlich im Mondlicht zu erkennen war. »Hau ab«, sagte Lumer noch einmal. »Wo vier Platz haben, passen auch fünf hinein«, erwiderte ich. »Ich hasse es, wenn nur die Masse und die Kraft über das bestimmen, was Wahrheit sein soll.« »Es ist aber so«, entgegnete Lumer grinsend. »Da kannst du anfassen, was du willst. Wenn es dir nicht gelingt, es festzuhalten,
wird es dir auch nicht gehören.« Er fiel mich so plötzlich an, daß ich überrascht wurde und zu spät zuschlug. Der Knüppel streifte nur noch Lumers Arm. Ich erhielt einen Kinnhaken und strauchelte. Lumer warf sich gegen meine Brust, und ich stürzte zu Boden. Den Stock hatte ich bereits verloren. Als ich aufsprang, hatte Lumer den Knüppel in der Hand. »So, nun wollen wir mal sehen, Freundchen. Komm her, ich schlag dich zu Mus!« Ich tat, als wollte ich springen. Der brutale Kerl ließ sich wirklich täuschen und schlug zu. Er wurde hinter dem fehlgehenden Hieb hergerissen, taumelte und schlug mit dem Stock auf den Boden. Als er sich aufrichtete, donnerte ich ihm die Faust gegen das Kinn. Er flog zurück und krachte gegen den Balken der Latrine. Ich hätte seine Beine schnappen und hochwerfen können, und er wäre mit Sicherheit in das Fäkalienloch gestürzt. Obwohl das mein Ziel gewesen war, fehlte mir jetzt der brutale Wille, es wirklich zu tun. Ich wandte mich ab und ging fort, und ich wußte, daß die Sache damit für mich erledigt war. Zugleich fragte ich mich, ob ich jemals so werden konnte wie diese Halunken, die nur an sich selbst dachten. Irgendwo kauerte ich mich in den Schutz eines Zeltes, kreuzte die Arme vor der Brust und rieb über meine Oberarme. Ein Mann kroch aus einem Erdloch und kauerte sich neben mich. Ich sah ihn an, und er musterte mich. »Hast du etwas zu rauchen?« »Nein«, sagte ich. Gestalten huschten auf einmal nicht sehr weit vor uns vorbei. Es mußten mindestens fünf oder sechs sein. Ich konnte sie im Mondlicht schon nicht mehr erkennen, da die Helligkeit nicht ausreichte, ein großes Blickfeld zu schaffen. »Idioten«, murmelte der Mann neben mir. »Wieso?« »Die wollen abhauen. Gleich wird es knallen!« Ich blickte nach vorn und lauschte. Die Gestalten waren nach Osten gelaufen. Sekunden später knatterten Schüsse durch das Lager, und
Mündungsflammen zuckten durch die Nacht. Überall tauchten bleiche Gesichter auf und blickten sich fragend um. Schemenhaft waren Gestalten auf den Palisaden zu sehen. Schreie ertönten. Noch immer wurde heftig von den Türmen herunter geschossen. »Achtung, zwei oder drei sind geflohen!« brüllte ein Wächter. »Die schaffen es nicht weit«, murmelte der Mann neben mir. »Wollen wir wetten?« »Um was?« »Um deine Jacke.« Gefangene liefen durch das Lager. Schüsse strichen über uns weg. »Alles hinlegen!« kommandierte Sergeant Zattig, den ich nicht sehen konnte. Dann kläfften Hunde. Ich hatte mich auf den eisigen Boden geworfen, und der Mann neben mir ebenfalls. »Na, wollen wir, Kleiner?« »Laß mich in Ruhe«, sagte ich frostig. Wieder wurde über uns weggeschossen. Ich schaute mich um und sah, daß alles, was sich gerade noch bewegt hatte, platt auf dem Bauch lag. Wächter hasteten zu dem aufschwingenden Tor im Westen des Zaunes, begleitet von den kläffenden Bluthunden. Soldaten mit gesattelten Pferden liefen hinterher. Draußen entfernte sich das Kläffen. Das Tor wurde geschlossen. Als nicht mehr geschossen wurde, kniete ich, um der Kälte aus dem Boden nicht so sehr ausgesetzt zu sein. Das Bellen der Hunde erklang allmählich um das Lager herum und entfernte sich nach Osten. »Die sind bald wieder hier«, prophezeite der Mann, der neben mir auch wieder kniete. »Ohne Pferde schafft man es nicht. Schon gar nicht, wenn man bereits beim Überklettern entdeckt wird.« Das Kläffen der Bestien hatte sich weit entfernt, war aber immer noch zu hören. »Es klingt, als hätten sie die Narren schon gefaßt«, fuhr der Mann fort. »Du könntest deine schöne Jacke jetzt bereits verloren haben. Willst du sie nicht mir geben? Ich bin viel älter und schwächer als
du. Könnte sie besser gebrauchen, um zu überleben. Los, Junge, hab ein Herz und schenke deine schöne Jacke einem armen Teufel!« Der Kerl griff auf einmal nach mir und schien mir die Jacke vom Körper reißen zu wollen. Ich stieß ihn so heftig zurück, daß er auf den Rücken stürzte. Rasch lief ich weg. Das Leben in diesem Todeslager der Konföderierten ekelte mich an. Viel schlimmer als die Umstände und die auf die Dauer tödliche Kälte waren die Menschen, diejenigen, die Kameraden gewesen waren. Ich kauerte mich zu ein paar schweigenden Gestalten, die zum Tor blickten, das undeutlich im Mondlicht zu sehen war. Das Bellen der Hunde näherte sich wieder. »Sie bringen die Ausbrecher«, sagte jemand. Das Tor wurde geöffnet. Zwei der Ausgebrochenen wurden von Reitern mit Kolbenschlägen ins Camp getrieben, gefolgt von den angeleinten Hunden. Die Gefangenen waren zu weit entfernt, als daß ich sie genau gesehen hätte. Aber das war sicher auch besser so. »Das haben die Idioten nun davon«, murmelte der Mann. »Und morgen henkt man sie auf.« Die beiden zurückgebrachten Ausbrecher wurden mitten im Lager zusammengeschlagen, bis sie sich auf dem Boden liegend nicht mehr rührten. Danach befahlen die Wächter ein paar in der Nähe kauernde Gefangene zu sich und ließen die Mißhandelten in den anderen Teil des Camps tragen. Ich kroch hinter ein größeres Zelt, wo bereits zwei Gestalten auf dem Boden lagen. Der eine Mann schien zu schlafen, der andere schaute mich ohne Interesse an. »Störe ich?« »Meine Frage wurde von keinem der beiden beantwortet. Ich legte mich neben sie, zog die Beine an den Körper und preßte die Arme an die Brust. So versuchte ich zu schlafen, was mir auch mehrmals kurzzeitig gelang. Die Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen. Manchmal sah ich eine Gestalt durch die Schwärze schleichen oder irgendwo hustete jemand, so wie York Wepper gehustet hatte. Die beiden neben mir verhielten sich still. Aber dem einen, der mir das
Gesicht zuwandte, sah ich an den schimmernden, unsteten Augen an, daß er nicht schlief. Endlich jedoch dämmerte ich schließlich für längere Zeit ein. Als ich erwachte, war ich durchgefroren und zitterte. Zugleich sah ich das Licht eines neuen Tages am Horizont. Ich schaute auf den Mann neben mir, der mich immer noch anstarrte. Aber das unstete Schillern war aus seinen Augen verschwunden. »Hallo, Kamerad«, sagte ich leise und stieß ihn an. Steif rollte er auf den Rücken. Ich kniete, vergaß die Kälte im eigenen Körper und blickte nicht begreifend auf die Leiche. Der Gefangene war neben mir gestorben, ohne daß ich es bemerkte. Er war erfroren. Mit offenen Augen erfroren, zu schwach, sich zu erheben und gegen das Vordringen der Kälte in seinem Körper etwas zu tun.
6. Der Galgen bestand aus drei langen Balken. Zwei davon waren senkrecht in den Boden gerammt. Der dritte lag über den beiden anderen und war durch lange Blechbänder gesichert. Vom Galgenbaum hingen ein paar kurze Lassoschlingen herunter. Zwei Kisten standen unter den Schlingen auf dem Boden. Ich hatte mir mit dem Eßgeschirr des Erfrorenen Essen geholt und heißhungrig in mich hineingelöffelt. Satt geworden war ich noch nicht einmal andeutungsweise. Mein Versuch, zu einem zweiten Schlag zu gelangen, scheiterte jedoch. Die Wassersuppe war verteilt, bevor ich die Küche wieder in der Schlange erreichte. In der Tasche hatte ich noch das Stück Brot, das als Extraration ausgegeben worden war. Ich suchte mir im Lager einen verlassenen Ort, an dem ich in Ruhe essen konnte, ohne befürchten zu müssen, das Brot wie tags zuvor das Zelt zu verlieren. Dann biß ich in den harten Kanten, der die Zähne zu zerbrechen drohte. Ich weichte das Brot im Munde mit Speichel auf und steckte den Brotrest unter die Jacke, damit ihn niemand sehen konnte, der gerade vorbeilief. Ich wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis ich fertig und
ausgebrannt wie die meisten war und nicht mehr die Kraft hatte, einen Kerl wie Lumer in seine Schranken zu verweisen. Da auch die Kälte sicher noch zunehmen würde, war das Ende voraussehbar für mich wie für alle anderen in diesem Todeslager der Konföderierten. Krähen schwebten den ganzen Tag über krächzend über dem Lager. Tote wurden hinaus ins Massengrab getragen und mit Kalk überworfen. Die Nervosität bei den Wächtern war auch nicht zu übersehen. Bereits wenn ein Mann hastig von einem Erdloch zu einem anderen lief, schossen sie aufgeregt in die Luft, manchmal auch direkt ins Lager. Als es dämmerte, wurden die beiden zurückgebrachten Ausbrecher durch das Tor in der Zwischenwand getrieben. Kolbenhiebe trafen die beiden Unglücklichen, denen keiner beizuspringen wagte. Es wäre auch selbstmörderisch gewesen. Der eine stürzte schreiend zu Boden und brüllte: »So tötet mich doch, ihr Schweine!« Die brutalen Südstaatler stellten ihn auf die Beine und prügelten ihn weiter, dem Galgen entgegen. Der andere war bereits ein Stück voraus. Die ausgemergelten Gefangenen blickten aus ihren schäbigen Zelten und den Erdlöchern, aber niemand wagte, seine Behausung zu verlassen, auch wenn sie noch so notdürftig war. Im offenen Tor der Zwischenwand stand der untersetzte, schmächtige Lagerkommandant, Sergeant Zattig, der klotzige Antreiber, war den Wachen gefolgt, die sich zehn Mann stark ins Lager gewagt hatten. Von den Türmen herunter richteten sich die Gewehre der übrigen Wachmannschaften auf das Camp. Am Galgen wurde der eine Gefangene geschnappt und auf die eine Kiste gestellt. Der andere wollte fliehen, aber Zattig schob ihm das Bein in den Weg, und er flog darüber weg. Ein Wächter richtete seine Gewehrmündung in den Nacken des Liegenden und befahl ihm, so zu verharren. Der Gefangene bewegte sich nicht mehr. Seinem Kameraden hatten sie inzwischen die Schlinge über den Kopf gelegt. Der Gefangene hatte sich wirklich damit abgefunden, das sah ich an jeder Bewegung, die er noch tat. Ein Soldat stand neben ihm auf der Kiste, zog das Seil straff und band es fest. Er
sprang hinunter. Zattig rollte ein Papier aus und verlas das ergangene Urteil, während der Soldat bei der Kiste bereits ein Bein an den Rand stellte, um sie umzustoßen, wenn der Befehl dazu erteilt wurde. Zattig rollte das Papier zusammen. Der andere Delinquent lag noch auf dem Boden, die Gewehrmündung im Nacken. »Tod allen Sklavenhaltern!« brüllte der Mann mit der Schlinge um den Hals. Aus dem vollgestopften Gefangenenlager ertönte kein Echo auf seinen Ruf. Sergeant Zattig gab ein Handzeichen. Der Soldat trat mit Wucht, gegen die Kiste, und diese wurde umgeworfen. Das Seil straffte sich. Der Kopf des Verurteilten schnellte nach vorn und schlug mit dem Kinn auf die Brust. Sein Körper zuckte. Hinter dem Galgen hob ein Soldat das Gewehr an und beendete die Qualen des Gehenkten durch einen Genickschuß. »So, nun du!« rief Zattig. Der zweite Todeskanditat wurde von zwei Soldaten auf die Füße gestellt und zu dem Galgen gezerrt. Der Gehenkte drehte sich am Lasso um seine eigene Achse, und dicht über ihm flatterten zwei Krähen, deren Laute wie Gezänk klangen. »Ich will nicht sterben!« schrie der Verurteilte und versuchte, sich aus dem Griff der Soldaten zu befreien. Der Mann wurde auf die Kiste gestellt und festgehalten. Der Soldat, der zu ihm kletterte, um die Schlinge über seinen Kopf zu streifen, wurde von dem Gefangenen von der Kiste gestoßen. Zattig fluchte wie ein Fuhrknecht. Der Soldat sprang auf. Der Gefangene wurde anschließend von vier Soldaten festgehalten. Da gelang es, ihm die Schlinge überzustreifen. Sergeant Zattig rappelte den Urteilsspruch herunter, und die Kiste wurde umgestoßen. Der Todeskandidat schrie noch einmal röchelnd auf, seine Beine zappelten, dann verlor sich das Zucken seines Körpers, und er wurde durch Genickschuß ebenfalls ins Jenseits befördert. Wie die andere Leiche, so drehte sich der leblose Körper unter dem Galgenbaum im Kreise.
Zattig hatte sich umgewandt. Seine Soldaten eskortierten ihn mit angeschlagenen Gewehren bis zu dem Tor, in dessen Rahmen der schmächtige Kommandant stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Seht es euch an!« rief Zattig und wies mit dem rechten Zeigefinger hinüber zum Galgen. »So enden alle, die versuchen, zu fliehen!« * Meine Zähne schlugen aufeinander. Ich schlotterte so sehr am ganzen Körper, daß ich keinen Schlaf finden konnte. Zusammengekrümmt auf dem eisigen Boden liegend beobachtete ich einen Mann, der geduckt durch das fahle Mondlicht lief und hinter einem Spitzzelt verschwand. Vor ein paar Minuten hatte ich bereits einmal einen Mann in diese Richtung gehen und nicht zurückkehren sehen. Die Krähen saßen im Mondlicht auf den Spitzen der Palisaden. Ihre Augen und die gekrümmten Schnäbel schillerten im silbrigen Lichtschein. Wieder tauchte ein Mann in meiner Nähe auf, lief geduckt vorbei und verschwand hinter dem Zelt. Die Ahnung, daß etwas Geheimnisvolles vor sich ging, ließ mich aufstehen. Ich rieb über meine Arme und Beine, um gegen die Kälte Herr zu werden. Ein Stück von dem Weg entfernt, den die Gestalten genommen hatten, umging ich das Zelt auf der anderen Seite und sah nicht weit vom inneren Bretterzaun entfernt ein kleines Erdloch. Niemand war in der Nähe. Ich stutzte, ging in die Hocke und wartete. Es war, als hörte ich Stimmen in dem kleinen Loch. Krähen krächzten plötzlich, flogen über mich weg und fielen über die Leichen unter dem Galgenbaum her. Es dauerte jedoch nicht lange, dann flogen sie zu den entfernten Palisaden zurück. Sekunden später tauchte eine Gestalt auf, lief auf das kleine Erdloch zu und sprang hinein. Ich hatte mich auf den Bauch fallen lassen, um nicht gesehen zu werden.
Die Krähen auf den Palisaden krächzten wegen der Störung und schlugen mit den Flügeln. Geräusche ertönten bei dem Loch, die ich nicht verstand. Auf dem Bauch kroch ich näher und sah, daß Sand aus dem Loch geworfen wurde, den ein Mann auf dem Boden verteilte, soweit seine Hände reichten. »Bald müssen wir das Zeug fortschaffen«, sagte eine flüsternde Stimme. »Habt ihr überhaupt daran gedacht, daß wir mit dem Sand schließlich irgendwohin müssen?« Abermals hastete eine schemenhafte Gestalt heran und sprang in das Loch hinunter. Sand flog heraus. Ein Gesicht war wie ein heller Streifen zu sehen, und Augen schauten in meine Richtung. »Da ist einer, der uns beobachtet«, flüsterte der Mann. Es war zu spät, mich zu verdrücken. Drei Gesichter tauchten nebeneinander auf. Ein weiterer Mann hastete wie aus dem Nichts auftauchend heran und verharrte geduckt neben dem Loch, aus dem sie Sand geworfen hatten. »Ein Spitzel«, raunte der Kerl in der Mitte, der mich bemerkt hatte. Sie sprangen aus dem Erdloch und huschten auf mich zu. Ich setzte mich, weil es zu gefährlich war, aufrecht zu stehen. Die Wachen konnten es sehen, deren Turm nur ungefähr achtzig Yards entfernt an der Nordwestecke des Lagers stand, einem schwarzen Monument im gleißenden Mondlicht gleich. Als sie alle vor mir kauerten, waren sie sieben. Sechs waren allein aus dem kleinen Loch gekrochen, in das der eben erst angelangte Gefangene sicher auch hatte springen wollen. Für sie alle war das Loch entschieden zu klein. Und doch hatte ich sie herausklettern sehen. »Nein, das scheint einer von uns zu sein«, sagte ein ungefähr vierzig Jahre alter Unionssoldat, der ziemlich groß, aber sehr hager war. Ich blickte von einem zum anderen. Sie sahen alle ausgehöhlt und verloren aus. Der Hunger und die Kälte hatten sie gezeichnet, und ihre Angst war nicht zu übersehen. »Los Olf, auf was wartest du!« stieß einer der sieben Kerle hervor.
»Murks ihn ab!« In der Hand des großen, hageren Mannes blitzte die Klinge eines Messers. Aber er zögerte, mich anzugreifen, obwohl sie alle darauf lauerten. »Er ist erst gebracht worden«, sagte ein anderer. »Ich habe es gesehen.« »Er wird uns verpfeifen, Olf!« hetzte ein kleiner Kerl mit schillernden Augen, der mich an Wepper und an die Krähen erinnerte. Es gab in diesem Lager so fürchterlich viele schillernde Augen und ausgemergelte Gesichter, daß sie alle untereinander verwandt erschienen. Da warf sich Olf vor und wollte mir das Messer in die Brust rammen. Aber er war längst so schwächlich, daß ihm die Hände zitterten und der Sprung reichlich kurz ausfiel. Ich schlug ihm ohne sonderliche Mühe aufs Handgelenk und griff sofort nach dem Messer, das seinen Fingern entfiel. Olf hatte den Sturz mit den Händen abgefangen und starrte mich an. Er schien darauf zu warten, daß ich meinerseits nun versuchte, ihn zu töten. Und die anderen warteten allem Anschein nach auch darauf. »Was tut ihr denn?« fragte ich und betrachtete das Messer, das stumpf und zerkratzt war. »Grabt ihr etwa ein Loch in die Erde?« Olf kroch zurück. Ich blickte auf den nahen Bretterzaun, hinter dem sich der Todesstreifen befand, der bis zu den Palisaden führte. Alles war mir auf einmal klar. Sie wollten einen Tunnel unter Zaun, Todesstreifen und Palisaden hinweg graben, und sie mußten schon ein Stück vorgedrungen sein, daß sie alle in dem Loch Platz finden konnten. Ich schaute wieder auf die kauernden Gestalten. Sie starrten mich an und warteten auf das, was ich sagen oder tun würde. »Kann man das denn wirklich schaffen?« fragte ich. Sie merkten, daß ich es durchschaut hatte. Olf wagte sich näher heran. »Wenn man die Ausdauer dazu hat. Die Kraft, verstehst du. Hast du einen Namen?« »Ronco.« »Bist du Soldat gewesen?«
»Zivilscout. Bei General Sherman. Er rückt mit seiner Streitmacht auf das Hauptquartier der Konföderierten in Georgia zu. Sie sind vielleicht schon bald hier.« Sie wechselten Blicke untereinander und schoben sich näher an mich heran. »Sie können auch meilenweit entfernt vorbeiziehen«, sagte einer. »Sie können ein Land nicht Meile um Meile besetzen. Sie begnügen sich mit den Städten und Dörfern und kontrollieren die Straßen. Wer weiß, ob sie von diesem Lager wissen. Hast du davon gewußt?« »Nein.« »Da siehst du es.« Ich befühlte die stumpfe Schneide des Messers. »Ist denn der Boden nicht gefroren?« »Nein.« »Es scheint aber so.« »Nur die Kruste. Die erste Schicht auf der Oberfläche. Wir sind viel tiefer.« Ich reichte Olf das Messer, und er griff danach. »Vielleicht bringen sie uns auch um, bevor unsere Leute eine Befreiung starten können.« Olf schob das Messer hinter den Gürtel. »Aber du kannst uns helfen. Ein kräftiger Bursche wäre uns schon recht. Und ob sieben oder acht durch den Gang kriechen, ist egal.« »Und wohin mit dem vielen Sand, den ihr aus der Erde befördern müßt?« fragte ich. »Daran haben wir erst gar nicht gedacht.« Olf schaute sich in der Dunkelheit um. »Aber den schaffen wir schon weg.« Ich kniete. Mich umschauend sah ich Erdlöcher und Zelte. »Es ist wegen des hellen Mondlichts ungünstig«, sagte Olf. »Aber das ist ja nur, weil heute keine Wolken am Himmel stehen.« »Gestern sah ich auch keine.« »Ja, stimmt. Aber nächste Nacht haben wir sicher wieder welche. Dann siehst du hier nicht die Hand vor den Augen, und es ist ganz einfach. Die Wachen kontrollieren die Löcher nie. Wir haben alles sorgfältig beobachtet, bevor wir anfingen. Und es geht. Noch drei oder vier Tage, dann sind wir durch. Willst du nun?« »Ja.«
Zwischen den anderen wurde ich zu dem Loch geschoben, setzte mich an dessen Rand und stieg hinunter. Das Loch war mit lockerem Sand ausgefüllt. Ein Gang führte in Richtung Norden, endete aber bald in völliger Schwärze. Olf und zwei andere krochen herein. Olf stieß das Messer gegen die Wand vor uns. Der Sand rieselte herunter. Ich schob ihn mit den Händen hinter mich. Dort beförderten ihn die anderen weiter. Nach einer Weile konnte Olf die Hand nicht mehr heben und keuchte laut. »Gib mir das Messer«, sagte ich. Er gab es mir ohne Mißtrauen. Hier herrschte Zusammenhalt unter den wenigen Männern. Dieser Zusammenhalt war aus der Hoffnung geboren worden, gemeinsam erreichen zu können, was für einen einzelnen unmöglich erschien. Ich rammte das Messer kraftvoll in den Sandboden, der nach unten rieselte und von den anderen hinter uns geschafft wurde. »Wenn der Morgen graut, müssen fünf von uns aus dem Loch sein«, erklärte Olf. »Damit niemand Verdacht schöpft.« »Ihr müßt vor allem den Sand weit genug wegschaffen«, erwiderte ich. »Sonst fallen wir garantiert auf.« »Das machen wir schon.«
7. Völlig entkräftig lag ich am Rande des Ganges auf dem Boden, die Stirn auf den angewinkelten Ellenbogen gebettet. Meine Hände brannten. Von dem scharfkantigen Sand war die Haut aufgerissen. Ich wälzte mich auf die Schulter und sah Olf und Jug im Schein eines Talglichtes am Ende des Ganges arbeiten. Roman, ein kleiner Farmer aus Maine, hatte die Kerze beschafft. Keiner wußte, woher. Sie sprachen nicht darüber, weil es unwichtig war. So wußte auch niemand, woher sich Olf das Messer besorgt hatte. Er hatte es eben, und es gehörte ihm. Sorgfältig verbarg er es unter Sand, wenn es Tag wurde. In dem Stollen war es angenehm warm gegen die Kälte draußen in der Nacht. Seit einer Woche gruben wir nun schon. Sie hlatten damit gerechnet, drei oder vier Tage zu brauchen, um die andere Seite der
Palisaden zu erreichen. Das war ein verrückter Gedanke gewesen. Nach der Länge des Stollens zu urteilen, würden wir mindestens noch eine Nacht graben müssen, um jenseits der Palisaden anzulangen und zur Oberfläche durchstoßen zu können. »Ronco, los, grab du mal weiter«, sagte Olf, der sich umgewandt hatte und winkte. Ich kniete und kroch durch die Enge nach vorn. Olf gab mir das Messer, und ich stieß es gegen die harte Sandwand. Olf kroch zurück. Der kleine Farmer aus Maine schob den Sand hinter sich. Ich stieß das Messer immer wieder gegen die Wand. Der Sand rieselte zu meinen Knien hinunter und grub sie ein. Mir schmerzten die Hand, das Gelenk, der Arm und die Schulter. Aber ich mußte durchhalten. Im Verlauf der letzten sieben Tage war ich für die anderen zu der Hoffnung geworden. Sie allein hätten den Plan sonst sicher längst aufgegeben. Nach einer halben Stunde kroch Jug in den Gang und fragte: »Soll ich jetzt mal, Ronco?« »Blöde Frage«, maulte der kleine Farmer. »Ronco ist mittlerweile schon fast so ausgebrannt wie wir. Kein Wunder. Die Hälfte der ganzen Arbeit hat er getan.« Ich gab Jug das Messer und winkte dem Farmer, daß er sich zurückziehen sollte. An seiner Stelle schob ich nun den locker herumliegenden Sand durch den Stollen, bis ich nach abermals einer knappen halben Stunde von Miller abgelöst wurde. In dem inzwischen etwas erweiterten Erdloch erwartete mich die scharfe Nachtkälte, und ich sah die Schwärze. Seit Nächten und Tagen zogen schneeschwere Wolken nach Westen, ohne daß sich die weiße Pracht bisher über uns entladen hatte. Der anhaltende kalte Wind hinderte die Wolken wohl daran. Nur ganz selten einmal war ein Streifen Mondlicht wie eine Fata Morgana zu sehen. Sonst herrschte Finsternis, in der man in der Tat kaum die Hand vor den Augen erkennen konnte. »Vorwärts, verschaff dir ein bißchen Bewegung«, raunte Olf mir zu. Ich kletterte aus dem Loch, schaute mich um, erkannte aber nichts,
kein Zelt, kein Loch und auch nicht den Bretterzaun, in dessen unmittelbarer Nähe wir uns befanden. Sie gaben mir ein Stück Decke herauf, das ich an den vier Ecken anfassen mußte. Es war mit Sand vollgepackt. Ich stand mit der Last auf und schlich durch das Dunkel. Irgendwo warf ich den Sand ab, kniete und verteilte ihn flüchtig. Als der Morgen graute, kauerte ich mit Olf in der Nähe einer Bretterbude, deren Windschatten uns ein wenig schützte. Wir blickten auf das Tor in die Freiheit, durch das schon wieder Leichen nach draußen getragen wurden. »Zehn Yards hinter dem Palisadenzaun ist ein Busch«, erklärte Olf, »Wenn alles klappt, stoßen wir dort nach oben. Hundert Yards weiter erreichen wir ein Waldstück, Wenn wir das geschafft haben, sehen sie uns nicht.« »Ich war heute nicht mehr im Stollen«, erwiderte ich. »Wie weit sind wir denn nach deiner Schätzung?« »Ich schätze nicht, ich messe«, sagte Olf fast wütend. »Und ich denke, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.« »Entschuldige.« Olf fluchte leise und blies in seine kalten Hände. »Wenn nicht ab und zu diese dämlichen Zählungen wären, könnten wir tagsüber im Gang liegen und schlafen und brauchten nicht hier in der Kälte herumzuhängen.« »Wie weit sind wir denn nun?« »Noch drei Yards, dann treiben wir den Stollen nach oben.« »Wirklich?« fragte ich überrascht. »Wenn ich es sage. Und ich wollte dir noch etwas sagen.« Ich blickte Olf gespannt an. »Du gehst als letzter!« »Wie du willst.« »Und du achtest darauf, daß nicht zwei oder drei auf einmal losrennen. Ich gehe als erster und achte meinerseits darauf, daß keiner blindlings losrast, wenn er im Wald ist. Es könnten auch dort Krähen herumsitzen. Möglich ist alles. Wenn die gestört werden und krächzend aufsteigen, merken die Wachen mit Sicherhit etwas.« »Gut, Olf. Aber wenn Krähen im Wald sitzen, dann steigen die
auch auf, wenn wir antanzen.« »Die flattern nacheinander davon, wenn wir nichts überstürzen. Und ein paar bleiben sitzen. Aber wenn es plötzlich rebellisch im Busch wird, flattern alle auf einen Schlag los und gebärden sich, als hätten sie Whisky getrunken. Also, immer nur einer. Und dann eine Weile warten. Nerven behalten ist das Wichtigste. Davon hängt alles ab, mein Junge.« * Die Decke brach plötzlich ein, und ich wurde von den Sandmassen halb verschüttet. Mit dem Messer noch in der Hand befreite ich mich und spürte den kalten Luftzug, der von draußen hereindrang. »Verdammter Mist«, flüsterte Olf. Ich sah Sterne am schwarzen Himmel und hörte das Rascheln des Windes in dem Buschwerk, das unmittelbar hinter dem Loch sein mußte. Meine Hochachtung für Olf, der das berechnet hatte, war in dieser Minute schier grenzenlos, und ich verstand sein Maulen erst gar nicht. Dann jedoch wurde mir klar, daß bei dieser Mondhelligkeit keiner daran denken konnte, ungesehen von den Wachen in der nordwestlichen Bastion das Waldstück zu erreichen, das sich hundert Yards nördlich befand. Der kleine Farmer aus Maine schob sich an mir vorbei und wollte sich aufrichten. Fluchend riß Olf ihn zurück. »Willst du gesehen werden, du verdammter Idiot?« »Der Busch deckt mich doch.« »Du spinnst, Mann. Es klappt nur, wenn es ganz dunkel ist«, sagte Olf. »Und wenn es nicht richtig dunkel wird?« Eine Weile war Schweigen. Dann sagte Olf: »Dann weiß ich auch nicht mehr weiter.« Ich schob das Messer hinter den Gürtel und blickte in den Himmel. Wolkenfetzen schwebten an den Sternen vorbei und verdeckten sie mitunter. »Wenn es nicht anders geht, müssen wir das Loch irgendwie
tarnen«, sagt Olf. »Alles war umsonst, wenn wir es im Mondschein versuchen. Das dürft ihr ruhig glauben, Leute. Es ist eher möglich, daß sie den Stollen nicht entdecken, als daß wir es bei dieser Sicht bis zu dem Wald schaffen. »Olf hat recht«, sagte Miller. »Die Südstaatler haben bestimmt keine Tomaten auf den Augen.« Wieder sah ich Wolkenfetzen wie Nebelschwaden vor die Sterne ziehen und verschwinden. Die Mondscheibe konnte ich von meinem Standort aus nicht entdecken. Inzwischen waren alle Mitverschwörer im Stollen nahe des Ausgangs angelangt. Der kleine Farmer aus Maine murmelte unverständliche Worte und bekreuzigte sich, was Miller animierte, verächtlich die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Aber niemand sagte deswegen etwas. Eine Stunde verrann. Olf sagte, daß es nun bald hell werden müßte. Auf einmal wurde es dunkel. Das silberne Mondlicht und die Sterne verschwanden wie weggewischt. Wir starrten alle in den Himmel. Olf richtete sich langsam auf, trat ganz nach vorn und mir auf die Schulter, um sich aus dem Loch recken zu können. »Was ist, Olf?« fragte der kleine Farmer. »Ist es eine richtige, große Wolke?« »Es ist alles schwarz, Leute«, erwiderte Olf. »Überhaupt kein Stern mehr zu sehen. Ronco, hast du alles behalten, was ich dir einschärfte, mein Junge?« »Jedes Wort.« »In Ordnung, Dann geht es jetzt los Freunde. Also, immer nur einer. Und geduckt auf den Wald zulaufen. Das heißt, einfach weg vom Lager. Wenn ihr die Bäume seht, dann achtet auf mein Zeichen. Nicht nervös werden.« »Beweg dich schon, verdammt, sonst wird es wieder hell.« »Wenn es hell werden sollte, bleibt ihr unten.« »Du hast vielleicht Nerven«, sagte der kleine Farmer Roman. Olf hörte ihn nicht mehr. Er schwang sich bereits aus dem Loch und verschwand. Mir schlug das Herz bis zum Hals hinauf. Von Kälte konnte keine
Rede mehr sein. Wir alle waren aber in der gleichen Verfassung. Und wir lauschten, obwohl nichts als das gelegentliche Krächzen der Krähen zu vernehmen war. Der Farmer wollte mir auf die Schulter klettern, aber ich packte seinen Arm und zog ihn wieder herunter. »Was ist los?« »Warte noch.« »Olf ist schon drei Minuten weg.« »Schön war's. Aber es stimmt nicht.« Ich ließ Roman los und versuchte, möglichst präzise die verstreichende Zeit abzuschätzen. »Das geht an die Nerven«, sagte Miller. »Mann, wenn sie uns jetzt entdecken, ist einer fort, und wir hängen am Galgen!« »Jetzt, Roman«, sagte ich zu dem Farmer. »Und langsam, denke daran!« Roman kletterte mir auf die Schulter und aus dem Loch. Sand rieselte herunter. Der Mann verschwand. »Hörst du, wie laut mein Herz schlägt?« fragte Tully, ein dicker Bursche. »Meinst du mich?« Morris legte den Kopf schief, obwohl das niemand sehen konnte. »Ja.« »Ich höre nichts, Tully.« »Jetzt ich!« Morgan verschaffte sich Platz nach vorn. »Erst ich!« widersprach Miller. »Ich stehe schon die ganze Zeit hier vorn.« »Was hat das denn zu bedeuten, wo man steht?« Morgan fluchte. »Ich habe mehr gearbeitet als du und bin vor dir dran!« »Nein, erst ich!« Die beiden begannen zu raufen, was ich gar nicht verstand. Morgan erhielt einen Kinnhaken und flog gegen die anderen. Er fluchte wieder und wollte sich auf Miller werfen, aber ich hatte mich aufgerichtet und ging dazwischen. »Ihr seid wohl nicht mehr richtig im Kopfe«, sagte Jug abfällig. »Wenn wir Pech haben, hören die Wachen den Krach.« »Still!« zischte ich. Alle schwiegen.
Das heisere Krächzen von ein paar Krähen drang in das Loch, entfernte sich aber. Sekundenlang lauschten wir mit angehaltenem Atem und fürchteten wieder, daß die Wachen etwas bemerkt haben und auftauchen könnten. Doch nichts geschah. Einer nach dem anderen verließen die Gefangenen vor mir das Loch, bis ich ganz allein im Sand kauerte und hinauf in den verhangenen Himmel schaute. Das Dunkel hielt an. Ich zog das Messer, die einzige Waffe, die wir besaßen und die Olf vergessen hatte, sich geben zu lassen. Ein Vogel strich über das Loch weg. Ich richtete mich auf und schlug eine Kuhle in die Wand, in die ich treten konnte. Alle waren mir auf die Schulter gestiegen, um ins Freie gelangen zu können. Keinen hatte es interessiert, wie ich in die Freiheit kletterte. Den Stiefel in die Kuhle stellend stemmte ich mich hoch und griff nach dem Rand des Kraters. Ich erkannte den Busch und dahinter undeutlich die Palisaden. Krähen saßen offensichtlich nicht auf den Spitzen. Die Wachtürme konnte ich nicht erkennen. Ich schnellte mich hoch, landete mit dem Leib auf dem Rand und konnte aus dem Loch kriechen. Kalt fuhr mir der Nachtwind entgegen und trocknete den Schweiß auf meiner Stirn. Ich stand auf und lief vorwärts, das Messer in der rechten Hand. Plötzlich sah ich links von mir eine Gestalt auftauchen, warf mich auf die Knie und hoffte, nicht gesehen zu werden. »Der Wald ist weg!« brüllte Morris mir zu. Er schien mich erkannt zu haben. »Wieso bist du denn hier?« fragte ich aufstehend. »Der Wald ist weg!« Mir dämmerte, daß Morris in die verkehrte Richtung gelaufen sein mußte. »Er ist weg!« schrie er wie von Sinnen und viel zu laut. Ich packte ihn und zog ihn mit mir gegen den von der Seite angreifenden Wind gestemmt. Es war ganz einfach, die Richtung zu halten, wenn man sich merkte, von wo einen der Wind zuerst getroffen hatte.
Aber Morris war einfach mit dem Wind gelaufen. Das Donnern eines Schusses zerriß die Stille. Ein Flammenbündel leckte durch die Schwärze. »Du Idiot hast zu laut geschrien«, sagte ich wütend. »Die haben was gemerkt und suchen jetzt.« Gleich darauf war vor uns der Wald zu sehen. »Hier!« meldete sich Olf. Ich lief mit Morris auf ihn zu. Von einer Bastian herunter knatterten erneut Schüsse. »Verdammt, ich hatte die Richtung verloren!« stieß Morris hervor. Sie begriffen alle, was unser gemeinsames Auftauchen und Morris Worte zu bedeuten hatten und warum geschossen wurde. »Jetzt sind wir erledigt«, sagte der kleine Farmer. »Zur Hölle, die hätten noch mindestens eine Stunde gebraucht, bis ihnen etwas aufgefallen wäre.« »Die hätten so schnell überhaupt nichts gemerkt«, sagte Olf. Bevor ich zwischen sie gehen konnte, schlug Olf Morris mit einem Knüppel zusammen, den er im Walde aufgehoben haben mußte. Morris stürzte bewußtlos zu Boden. Olf schlug auf ihn ein, als könnte er dadurch etwas ändern. »Nichts wie weg!« brüllte der kleine Farmer. Im Lager war es lebendig geworden. Hunderte von Krähen waren aufgeschreckt in den Himmel gestiegen und krächzten in der Dunkelheit empört über die Störung. Wir liefen in den Wald. Wegen Morris zurückzubleiben, war viel zu gefährlich. Mir schwante bereits, daß ihre Gemeinsamkeit hier wieder zu Ende war. Ich hastete in das Dunkel, aus dem das Knacken des Unterholzes an meine Ohren drang. Wir liefen durch den Wald, ohne zu wissen, wohin wir nun wollten. Darüber war nicht nachgedacht worden, weil wir gemeint hatten, Stunden Zeit zu haben, das weitere zu planen. * Das Kläffen von Hunden hallte gespenstisch durch das Dickicht, das uns noch immer umgab. Es rückte näher und näher, so schnell wir
auch liefen. »Wasser müßte irgendwo sein«, rief Olf. »Dann könnten wir unsere Spuren verwischen!« Niemand antwortete. Wir liefen im geschlossenen Haufen weiter, weil wir Angst hatten. Keiner wollte allein sein. Als ein Hund schon dicht hinter uns sein mußte, stolperte Morgan. Er brüllte, als er zu Boden stürzte. Ich schaute zurück, ohne stehenzubleiben und sah, wie ihn die Bestie anfiel und ihm ins Genick biß. Morgans Schrei zerriß abrupt. Abermals schaute ich hinter mich, hörte den Hund aber nicht mehr. Er schien bei seinem ersten Opfer zu bleiben. Kommandostimmen hallten wie Gelächter durch den Wald. Weitere Hunde bellten. Olf und die Meute schwenkten nach rechts ab. Ohne nachzudenken schloß ich mich an. Doch es dauerte nicht mehr lange, dann war wieder das Bellen eines Hundes hinter uns, das sich näherte. Das Messer in meiner Hand war die einzige Waffe, mit der wir uns der Bestie vielleicht entledigen könnten. Ich blieb stehen, wandte mich keuchend um und wartete. Der Hund tauchte auf und flog, ohne zu zögern, in die Höhe, um mir an die Kehle zu fahren. Ich sprang zu Seite, und als das gestreckte Tier neben mir war, stach ich zu. Blut spritzte durch den Wald. Der Hund winselte und stürzte ins Dickicht. »King!« rief eine Stimme durch den Wald. »King, hierher!« Der Hund verendete hechelnd im Gestrüpp, in dem er wie eingesponnen lag. Jetzt bellte kein Tier mehr, und es waren auch keine Schritte zu hören. Gehetzte und Verfolgte schienen stehengeblieben zu sein. Hinter mir knackte ein Ast. Ich schnellte herum und hob das blutbesudelte Messer. »Ich bin es, Olf!« Das Gesicht wurde deutlicher. Ich ließ die Hand sinken, lehnte mich erschöpft gegen den nächsten Baum und atmete aus.
»Der eine Köter hat Morgan zerfetzt«, sagte ich. »Dann hat er Blut in der Schnauze und will das Opfer nicht mehr loslassen. Das ist gut für uns. Gib mir das Messer.« »Was?« »Das Messer!« »Ach so.« Ich hielt Olf das Messer hin. Er griff danach und wischte es an seiner Hose ab. »Jetzt müssen wir auf der Hut sein. Ohne die Hunde können sie keine Spuren finden. Wir schaffen es vielleicht doch noch. Los, weiter, mein Junge!« Ich stemmte mich von dem Baum los, aber bevor wir gehen konnten, hörte ich hinter uns etwas, verharrte und lauschte. Auch Olf hatte etwas gehört und stand still. Ein lautes Prasseln schallte dutzendfach durch das Gehölz. »Sie sind dicht hinter uns«, flüsterte ich. »Sie hören es, wenn du mit dem Arm einen Ast streifst!« Wir warteten und hörten, wie jemand immer näher an uns heranrückte. Olf ging an mir vorbei zurück und stand dicht neben dem Busch, in dem der Kadaver lag. Die suchenden Soldaten hatten sich getrennt. »Wartet nur, wenn ich euch schnappe!« murmelte eine harte Stimme. Olf trat zurück, beugte sich zu mir herüber und sagte dicht an meinem Ohr und kaum hörbar: »Sergeant Zattig!« Ich kam nicht dazu, zu antworten. Olfs Kopf war schon wieder ein paar Handbreit von mir entfernt. Er stand nach vorn gebeugt und wartete. Ein Ast zerbrach. »Ist da jemand?« fragte Zattig, der vielleicht unsere Nähe ahnte. Olf zögerte nicht länger, sprang vor und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich hörte Zattig leise und überrascht aufschreien und die beiden zu Boden stürzen. Das Bersten des Holzes klang beinahe wie das Splittern von Glas. Danach war es still, bis Olf leise fluchend sagte: »Wo hat er denn nur seinen Revolver?«
Erleichtert atmete ich auf, lauschte in die Tiefe des Waldes und hörte weit entfernt einen Hund anschlagen. Olf tauchte auf und gab mir das Messer. Die Klinge war warm und feucht. »Den Revolver kann ich nicht finden. Immerhin haben wir jetzt ein Gewehr.« Ich wischte das Messer ab und schob es hinter meinen Gürtel. Zattig konnte ich immer noch nicht sehen. Aber er atmete nicht mehr. Da wurde wieder geschossen. Anhaltend wummerte das Knattern durch den Wald. Laut kläffte der Hund. Ein gellendes Schreien war zu hören. »Jetzt aber weg!« rief Olf. Wir wandten uns um und hetzten durch das Dunkel. Olf knallte gegen einen Baum, verlor das Gewehr und schimpfte so laut, daß ich befürchtete, er könnte von den Soldaten der Südarmee gehört werden. Das Schießen war verklungen. Ab und zu blieben wir stehen und versuchten, von den anderen Gefangenen und von den Verfolgern etwas zu hören. Endlich hörten wir etwas. Olf rief: »Roman?« »Es ist Olf. Mein Gott, wo habt ihr denn nur gesteckt?« Das Gehölz brach wieder. Zwei Gestalten traten auf uns zu. »Wer ist da noch?« wollte Olf wissen. »Tully, Olf. Bist du allein?« »Ronco ist noch hier. Zattig war hinter uns her. Aber jetzt schmort er bereits in der Hölle. Wo sind die anderen?« »Keine Ahnung«, erwiderte Roman, der kleine Farmer aus Maine, der selbst nicht wußte, was ihn einmal bewegen hatte, sich freiwillig zur Armee zu melden. »Dann …« Olf schaute mich an. »Ja«, entgegnete ich kratzig. »Man hat sie wohl bemerkt.« »Und abgeknallt.« Olf ging weiter. Minuten später hatten wir den Saum des Waldes erreicht und sahen undeutlich das Land, über das der kalte Wind strich. »Die können nicht wissen, wie viele abgehauen sind«, erklärte Olf.
»Vielleicht bilden sie sich ein, uns alle zu haben.« »Bis sie wieder zählen«, schränkte der dicke Tully ein. »Und das passiert bei Tagesanbruch bestimmt.« »Wer weiß, ob sie immer genau wissen, wie viele Leichen sie jeden Morgen aus dem Lager schleppen. Los, Leute, wenn wir Glück haben, finden wir was zu essen und schaffen es bis zu unseren Linien.« Wir verließen den Wald und liefen, so schnell wir konnten, nach Norden.
8. Noch vor dem Morgengrauen hatten wir einen Sumpfwald erreicht, der sich nach Norden erstreckte und durch den wir uns einen Weg bahnten. Das Unterholz war von dichten Schlinggewächsen überwuchert. Das Moor war gefroren, ausgenommen ein paar warme Quellen, die gluckernde Blasen an der Oberfläche platzen ließen. Zwischen den Wipfeln der Bäume erkannten wir das heller werdende Tageslicht. Vor uns war ebenfalls Lichtschimmer zu erkennen. »Der Sumpfwald ist zu Ende«, sagte Roman, der sich taumelnd vorwärts bewegte. Mir brannten ebenfalls die Füße. Auch Tully und Olf taumelten. Die Arbeit im Stollen und das karge Essen waren Schuld an unserem Zustand. Und ohne die Angst im Nacken hätten wir es kaum soweit geschafft. Das frühe Tageslicht schimmerte schon durch die Bäume. Auf einmal stockten mir die Füße. Sofort blieben auch die anderen stehen. »Was ist los, mein Junge?« fragte Olf. »Kannst du nicht mehr weiter?« »Nein!« Ich schüttelte den Kopf. »Seht ihr denn nichts?« Sie spähten in dieselbe Richtung wie ich, nämlich dorthin, wo der Lichtschimmer zu erkennen war. »Was denn?« fragte der Farmer aus Maine. »Na los, verdammt, spuck es schon aus!«
»Eine Hütte.« »Eine Hütte?« Olf duckte sich und schlug das von Zattig erbeutete Gewehr an. »Ja, eine Hütte.« Langsam setzte ich Fuß vor Fuß und hörte, daß die anderen folgten. Olfs Gewehrlauf schob sich neben mich. »Was denkst du, ob sie was Richtiges zwischen die Zähne für uns haben?« Mir lief der Speichel im Munde zusammen. »Was Besseres als die Wassersuppe im Lager haben sie hier auf jeden Fall«, sagte Tully hinter uns. »Teufel noch mal, ich darf gar nicht daran denken!« Ein Ast zerbrach unter Olfs Stiefel. Schlagartig blieben wir alle stehen und versuchten, vor uns mehr zu erkennen, als es in dem fahlen Lichtschimmer außerhalb des Sumpfwaldes möglich war. Eine Weile verharrten wir so, dann lief ich weiter. Sie folgten mir wieder. Olf wirkte etwas unsicher in der letzten Stunde und hatte mir mehr und mehr die Führung überlassen, ohne daß wir darüber gesprochen hätten. Ich erreichte eine Lichtung, die offensichtlich gerodet worden war. Sumpfgelände führte bis zu einem Wildzaun, den Gestrüpp überwucherte. »Der pflanzt hier Reis an«, sagte Roman, der Farmer, sachkundig. »Hast du den Eindruck, daß es mehrere Männer sind, die hier leben, Roman?« fragte Olf. »Ach was, das ist einer allein. Ein Strohkopf wie ich einer war, Olf. Der erledigt alles selbst.« »Siehst du das wirklich?« fragte Olf mit leichten Zweifeln in der Stimme. »Auf den ersten Blick, Mann.« Ich ging weiter und folgte einem Pfad neben dem Sumpfgelände, das unter Wasser stand, und auf dem sich eine dünne Eisschicht gebildet hatte. Die Hütte am Rande des Waldes war bereits nicht mehr zu übersehen. Ich erkannte auch den Schuppen, der aus krummen Fichtenästen bestand und dessen Ritzen mit Moos zugestopft waren. Ein kleiner Korral befand sich zwischen den beiden Gebäuden. In ihm sah ich zwei Ochsen und ein paar Rinder.
Zwei Ziegen hatte man mit Halsbändern versehen und mittels Leinen vor dem Korral an der Umzäunung angehalftert. Die Ziegen blickten zu uns herüber, als wir noch gedeckt von den Bäumen anhielten und zunächst die Farm beobachteten. Trotz der reichlich frühen Stunde brannte bereits Licht in der Hütte, und ein Schatten bewegte sich manchmal hinter dem Fenster vorbei. »So sind die Farmer«, murmelte Roman. »Wie sind sie?« fragte Olf. »Na ja, müssen früh aufstehen, wenn es am Horizont grau wird. Im Sommer ist das ja richtig. Da wird der ganze Tag benötigt, wenn man die Schufterei packen will. Aber im Winter fällt bei weitem nicht soviel Arbeit an. Und trotzdem stehen sie so früh auf.« »Und wie war es bei dir?« erkundigte sich Tully. »Bei mir war es kein bißchen anders«, sagte Roman. »Das ist ja das Trauerspiel, zur Hölle!« »Es sind zwei drin«, sagte Olf. »Könnte aber auch eine Frau bei ihm sein.« »Sehr wahrscheinlich«, mischte sich Roman wieder ein. »Wenn du nicht eine tatkräftige Frau dabei hast, kannst du als Farmer gleich wieder einpacken.« »Schaffen Frauen mehr als Männer?« Ich blickte über die Schulter und Roman an. »Das nicht unbedingt. Es gibt solche und solche. Genau wie unter den Männern.« »Aber?« »Sie arbeiten für nichts, mein Junge. Davon hängt alles ab. Billig wirtschaften. Arbeiter, die nur ihr Essen wollen. Das schaffst du nur mit einer Frau!« Ich schlich bis zum letzten Baum vor dem kleinen Anwesen. Hinter der Farm schoben sich Hügel nach Norden und Westen. Im Osten führte der Waldsaum noch ein ganzes Stück weiter, so daß die Farm nach dieser Seite gegen den kalten Wind geschützt stand. »Ziemlich unübersichtlich alles«, sagte Olf unzufrieden. »Ob wir die verdammten Halunken auch wirklich abgehängt haben?« »Woher soll ich das wissen«, erwiderte ich.
»In so einem Sumpfgelände findet ein Köter kaum Spuren, was?« »Kaum«, bestätigte ich. »Und es war eine Menge Sumpf auf unserem Wege. Wenn wir hier nur Pferde kriegen könnten!« »Ein schönes Stück Speck und frisches Brot genügen mir erst mal«, sagte Tully. »Auf was warten wir eigentlich noch?« Olf und ich verließen den Wald. Olf hatte das Gewehr sinken lassen und trug es mit der Mündung zum Boden gerichtet neben seinem Bein, so daß es von der Hütte aus nicht gesehen werden konnte. Das Haus war aus Stämmen, Buschwerk und Brettern zusammengenagelt. Wir hatten es noch nicht erreicht, als die Tür aufflog, ein Mann nur mit Hemd, Hose und Stiefeln bekleidet heraustrat und seine Sharps anschlagen wollte. Doch soweit kam es nicht. Blitzschnell hatte Olf das Gewehr hoch. »Weg mit dem Ding!« rief er. In der Hütte schrie eine Frau. Der Farmer fluchte und ließ das Gewehr fallen. »Es sind Yankees, Melani«, sagte er über die Schulter. Olf und ich gingen weiter. »Ja, wir sind Yankees«, erwiderte ich. »Abgehauen aus dem Lager«, sagte der Farmer verächtlich. »Das schmeckt mir vielleicht.« »Haben Sie etwas gegen uns?« Olf hob das Gewehr höher, damit der Mann die Mündung sehen konnte. »Ich kann Yankees nicht leiden!« stieß der Farmer hervor. »Und ich will keinen Kummer mit der Verwaltung des Lagers!« »Tut uns wirklich sehr leid.« Ich lächelte den Mann an. »Aber wir können uns nicht aussuchen, wo wir uns etwas zu essen bitten wollen. Wir müssen dort fragen, wo wir gerade vorbeiziehen.« »Bitten? Hast du bitten gesagt, Junge?« »Wir bitten oder helfen nach«, erklärte Olf scharf. »Ganz wie es beliebt, Sklaventreiber!« Der Mann duckte sich. »Ich habe nie Sklaven gehabt. Könnte gar keinen bezahlen!«
»Aber du hilfst denen, die Hunderte von Sklaven haben!« schrie Olf wütend. »Und es scheint mir gar, als wolltest du dir darauf auch noch was einbilden!« »Laß sie, Adam«, meldete sich die Frau. Ich packte den Farmer und zog ihn von der Tür weg. Jetzt vermochte ich die Frau zu sehen. Sie stand am Tisch, war höchstens dreißig Jahre alt, dunkelblond und blauäugig. »Entschuldigen Sie«, sagte ich, noch verblüfft von ihrem Anblick, der mich sehr überraschte. Der Mann war gut und gern fünfzehn Jahre älter als sie, wenn nicht sogar zwanzig. »Los, geh vor mir hinein!« befahl Olf vor der Tür. »Und versuch keine Zicken, dann passiert euch nichts.« An der Frau vorbeigehend setzte ich mich an den Tisch und streckte die schmerzenden Beine aus. Sie trat an den Herd hinüber, in dem Feuer brannte. Von der Decke hing eine ebenfalls brennende Lampe, die sehr helles Licht verbreitete. Der Farmer trat gegen die Wand. Draußen hob Tully die Sharps 52 auf, sah nach, ob sie auch geladen war und klemmte sie unter den Arm. Sie betraten alle die Hütte. Roman schloß die Tür. »Ich war auch Farmer«, sagte der kleine Mann. »Oben in Maine. Falls euch das interessiert. Ich weiß, wo das Brot aufgehoben wird und der Speck hängt. Soll ich nachsehen, Olf?« »Nein, die Frau geht«, bestimmte Olf. Er setzte sich neben mich an den Tisch und legte das Gewehr vor sich auf die Platte. »Wir wollen essen und uns ausruhen, dann verschwinden wir wieder.« Roman nahm ebenfalls Platz. Tully setzte sich auf eine primitive Holzbank, die an der Wand neben der Tür stand und im Sommer sicher draußen, vor der Hütte, ihren Standort hatte. Die Frau betrat die Küche und wollte die Tür schließen. Aber Olf war rasch auf den Beinen und trat gegen die Füllung. Die Tür schwang zurück und knallte gegen die Wand. »Es ist gesünder für uns alle, wenn wir genau sehen können, was passiert«, sagte Olf. »Versuch ja nicht, uns aufs Kreuz zu legen. Wir sind von euren Leuten bis aufs Blut gereizt worden und haben bestimmt keinerlei Hemmungen. Weißt du eigentlich, wie es im
Lager zugeht, Mister?« Der Farmer setzte sich an den Tisch. »Ich habe damit nichts zu tun und will es nicht wissen.« »Es gibt keine Unterkünfte und nur Wassersuppe. Und wer nicht sehr schnell ist, schaut in die Röhre. Jeden Morgen tragen sie eine halbe Stunde lang die Toten aus dem Lager. Die meisten erfrieren.« »Es ist eben Krieg«, sagte der Mann. »Da kann nicht jeder wie in Friedenszeiten leben!« »Das ist Terror«, erwiderte ich. »Eure Leute hausen in dem Lager wie die Vandalen.« »Die Yankees stehen schon in unserem Land. Vielleicht gar nicht weit entfernt.« Die Frau brachte ein großes, rundes Brot und legte es auf den Tisch. Olf teilte es auf der Stelle mit dem Messer und warf jedem ein Stück zu. Wir schlugen die Zähne hinein, kauten mit Heißhunger und schlangen es hinunter. Als die Frau Schinken aus der Küche trug und auf den Tisch stellte, war das Brot bereits verspeist. Doch Olf teilte auch den Schinken und warf jedem seinen Teil zu. Als Tully nach seinem Anteil griff rutschte sein Ärmel nach oben und ich sah verkrustetes Blut an seinem Handgelenk. »Was hast du denn da?« »Eine Kugel streifte mich.« Wir starrten ihn alle an. »Es ist aber nicht so schlimm.« Tully grinste schief. »Wirklich nicht, Olf.« Wir aßen weiter. Der Farmer schob sich allmählich an der Wand entlang in die Nähe der Küche. Olf griff nach dem abgelegten Gewehr. »Wenn du auf der Schwelle bist, schieße ich«, erklärte er kalt. Der Mann blieb wie an den Boden genagelt stehen. Die Frau trat aus der Küche und brachte noch Speck. »Es ist wahr, die Yankees sind schon in unserem Land«, sagte die Farmersfrau. »Und manchmal sehen wir die Flüchtlingstrecks, die nach Süden ziehen. Bei dieser Kälte! Warum werden sie denn verjagt?« »Alle sind grausam«, erwiderte ich »Aber der Süden hat angefangen. Er hat den gemeinsamen Präsidenten nicht mehr
anerkannt und sich abgespalten.« »Es ist wegen der Neger«, entgegnete der Farmer. »Immer hatten sie Neger auf den Plantagen. Selbst George Washington hatte hundert oder zweihundert Sklaven. Niemals hat jemand etwas dabei gefunden. Auf einmal soll alles anders sein. Wie sollen sie denn dann leben können auf den Plantagen?« »Du begreifst das nie, wie?« fragte Roman verächtlich. »Die Herrschaften hatten immer Sklaven«, beharrte der Sumpffarmer, bei dem wir zufällig gelandet waren. »Und den Negern geht es gut auf den Plantagen. Sie kriegen ihr Essen, Kleidung, und manche haben sogar eine Schule besuchen dürfen. Was wollen diese Schwarzen mehr? Ihre Großväter haben mitunter noch im Busch gesessen und Menschen gefressen! Es geht ihnen doch gut hier.« »Schluß jetzt!« befahl Olf, als Roman wieder etwas sagen wollte. »Merkst du denn nicht, wie sinnlos das ist? Mister, wir ruhen uns noch ein oder zwei Stunden aus, dann ziehen wir weiter. Es wäre von Ihnen am klügsten, wenn sie gar nichts tun.« * »Wenn wir genau nach Norden laufen, müssen wir auf unsere Truppen stoßen.« Ich ging zur Tür, blickte zurück und sah meine Kameraden aufstehen. Zwei Stunden hatten wir uns hier auf der Farm aufgehalten und fühlten uns nun imstande, den ganzen Tag zu marschieren. »Entschuldigen Sie, daß wir nichts dafür bezahlen können«, sagte ich zu der blonden Frau, deren blaue Augen mich traurig anschauten. »Was haben Sie denn?« Sie zuckte zusammen. »Ich? Was soll ich haben?« »Also entschuldigen Sie.« Ich öffnete die Tür und trat hinaus in die Kälte. Die Ziegen am Korral meckerten und versuchten, sich von den Leinen zu befreien. »Was haben die Biester denn?« sagte Olf, der mir gefolgt war. Auch Roman und Tully verließen die Hütte. Ich war überzeugt, daß der Farmer und seine Frau jetzt aufatmeten, denn man hatte
ihnen die ganze Zeit angesehen, wie sehr sie um ihr Leben bangten. Die Tür fiel zu. Laut scharrte ein Riegel und ein metallisches Schnappen war zu hören. Die eine Ziege vollführte bockende Sprünge. Die Rinder im Korral brüllten. »Da stimmt doch was nicht!« rief Tully. In dieser Sekunde sahen wir es. Ein rundes Dutzend Soldaten trat mit angeschlagenen Gewehren aus dem Wald. »Weg mit der Waffe!« befahl ein Sergeant, der mir noch nie im Lager aufgefallen war. Olf ließ das Gewehr fallen. »Zwecklos, bei der Übermacht«, sagte er leise. »Es sind Yankees!« rief der Mann in der Hütte überflüssigerweise. »Die Pfoten hoch!« brüllte der Sergeant heiser. Sie hatten einen Hund dabei, der auf einmal kläffte und sich von der Leine losreißen wollte. Die Ziegen am Korral gebärdeten sich wie rasend, vermochten aber die Halteleinen nicht zu sprengen. »Vorsicht, die haben Haare auf den Zähnen«, meldete sich der Sumpffarmer noch einmal. Die Soldaten bildeten einen Ring um uns, und ich sagte: »Wenn ihr jetzt alle abdrückt, fallen von euch ein paar mit um.« »Was redest du denn so schlau«, sagte hinter mir eine Stimme, die ich meinte, schon gehört zu haben. Dann traf mich ein Schlag mit dem Lauf eines Gewehres auf den Kopf. Ich taumelte gegen einen Soldaten, der mir einen Kinnhaken versetzte. Und von hinten traf mich das Gewehr am Hals. Mir war es, als öffne sich der Boden, aber in Wahrheit gaben nur meine Kniegelenke nach. Ich prallte gegen den Soldaten, der vor mir stand und höhnisch grinste. Ein letzter Schlag explodierte auf meinem Kopf und warf mich endgültig um. »So, da hätten wir ja alle wieder eingesammelt«, meldete sich die Stimme des Sergeanten wie aus einer anderen Welt. »Nur sind die vier anderen leider schon tot.«
9.
»Hast du Sergeant Zattig getötet?« fragte mich der schmächtige Kommandant und kratzte sich den struppigen Bart. »Na los, was gibt es denn da lange zu überlegen?« Der Wächter hinter mir hieb mir den Gewehrkolben in die Hüfte, daß ich furchtbare Schmerzen spürte und gegen die Wand prallte. Tränen rannen aus meinen Augen, so sehr ich mich auch dagegen wehrte. Captain Wirtz, der ein gebürtiger Schweizer war, blieb stehen und kratzte sich erneut im Bart. »Ist ja auch egal. Hängen werdet ihr alle vier.« Ich stellte mich mühsam gerade. Wir befanden uns im Dienstzimmer des Kommandanten, einem einfachen Raum mit der Spalterfahne an der Wand und einem aus Brettern zusammengenagelten Schreibtisch, hinter dem ein zerfledderter Sessel stand. »Hast du verstanden? Tod durch Erhängen! Morgen, wenn der Tag graut, Ronco!« Das formlose Urteil traf mich hart, obwohl ich mit nichts anderem hatte rechnen können. Alle waren gehenkt worden, die jemals versucht hatten, zu fliehen. Warum sollte es mir und den drei Kameraden anders ergehen. Ich mußte an die Leichen unter dem Galgenbaum denken, die noch dort hingen und von den Krähen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden waren. Das also war nun das Ende. »Abtreten!« befahl der Kommandant schroff und mit böse funkelnden Augen. »Los, los, du hast doch gehört, was der Captain sagt!« rief der Wachtposten und hieb mir abermals den Kolben seines Gewehres in die Hüfte. Ich prallte abermals gegen die Wand, wurde an der Schulter erfaßt und weggezogen. Ich taumelte durch den Raum zur Tür, öffnete sie und lief durch einen fast finsteren Flur, in dem es keine einzige Lampe gab. Die Haustür der Blockhütte stand offen. Draußen warf der Wind Sand über den Boden, und es heulte und pfiff in der Luft. Der Posten
bearbeitete mich mit Schlägen, bis wir endlich im Hof waren. »Zu den Arrestzellen, mein Freund. Dort kannst du noch achtzehn Stunden darüber nachdenken, wie schlecht es die Welt mit dir meint!« Der Kerl lachte hähmisch und schlug wieder nach mir. Ich stolperte und stürzte. Der scharfe Sand riß mir das Gesicht auf. »Aufstehen!« So schnell ich konnte, raffte ich mich auf, um so wenige Tritte wie nur möglich zu kassieren. Ich schleppte mich zu den Bretterbuden weiter, die als Arrestzellen dienten. Eine davon stand offen. Ich hatte sie schon fast erreicht, als der Wächter hinter mir mit einem Satz vorsprang und mir wenigstens noch einen Hieb verpassen zu können. Gegen die Schulter getroffen taumelte ich in den stinkenden, zugigen Bau und knallte gegen die Wand. Die Tür schlug zu und wurde verriegelt. Ich ließ mich zu Boden sinken und blickte in die nächste Zelle. In der Zwischenwand fehlte ein Brett, und so konnte ich Olf sehen, dessen Gesicht noch schmaler und faltiger geworden war. Die Zellen waren einen Yard lang und genauso breit. Zwischen den einzelnen Brettern klafften daumenbreite Ritzen, so daß der Wind fast ungehindert hindurchpfeifen konnte. Eine andere Tür wurde hinter meinem Rücken geöffnet. »Los, jetzt du, Halunke!« sagte der Wächter. »Ich habe eine Frau daheim!« bettelte der Farmer aus Maine. »Mich könnt ihr doch am Leben lassen. Ronco, was hat er gesagt?« Ich gab keine Antwort. »Ronco …« »Los jetzt, oder ich schleife dich über den Hof, du Jammerlappen!« »Ich bin doch nur mit den anderen mit. Der Tunnel war nicht mein Gedanke. Ich kann das beschwören. Und ich habe auch Sergeant Zattig nicht getötet. Bestimmt, ich war das nicht. Ich habe ja kein Messer. Es gehört Olf!« Ich sah das jähe Aufblitzen in Olfs Augen. Hinter mir war ein Krachen und Romans lautes Jammern zu hören. Er schien die Zelle zu verlassen. Die Schritte entfernten sich.
»So sind sie dann«, sagte Olf resignierend. »Wollte er wissen, wer Zattig gegeben hat, was er verdiente?« »Ja. Aber nur am Rande.« »Hast du es ihm gesagt?« Ich schüttelte den Kopf. »Wozu? Es hätte meinen Kopf nicht retten können.« »Du hättest es auch nicht gesagt, wäre der Kopf dadurch aus der Schlinge gerutscht, mein Junge. Du nicht! Dazu muß man ein Waschlappen wie Roman sein. Oder wie Tully! Hörst du ihn?« Ich wandte den Kopf und lauschte, weil der dicke Tully in der übernächsten Zelle hinter mir stecken mußte. Das leise Jammern war mir vorher entgangen. »Der fette Kerl ist nichts weiter als ein ganzer Sack voller Tränen«, sagte Olf verächtlich. »Wann?« Ich blickte ihn nicht begreifend an, weil seine Gedankensprünge zu schnell erfolgten. »Wann?« schrie er mich an. »Meinst du, wann es so weit ist mit uns?« »Verdammt, was denn sonst! Stell dich doch nicht so an, Also?« »Morgen, wenn es Tag wird.« Es dauerte nicht sehr lange, dann wurde der Farmer zurückgebracht und in seine Arrestzelle gestoßen. »Ich habe doch nichts getan!« jammerte Roman. »Jetzt du!« rief der Wächter weiter entfernt. Er holte Tully, der sich das Urteil von Captain Wirtz anhören sollte. Sie wahrten das Reglement, zumindest dem Anschein nach. »Ich habe eine Frau!« rief Roman. »Olf, sag du ihm, daß ich mit dem Tod von Zattig nichts zu tun hatte!« Olf gab ihm keine Antwort. »Wir hätten uns nicht so lange bei dem Farmer am Wald aufhalten dürfen.« Ich blickte zu Olf hinüber. »Am besten hätten wir einen Bogen um die Farm geschlagen.« »Dann wären wir um den schönen Speck, den Schinken und das frische Brot betrogen worden, mein Junge.« Olf lächelte und verdrehte selig die Augen. »Der Schinken zerging richtig auf der Zunge. Schon für den hat es sich gelohnt.« Mir lief bei dem Gedanken der Speichel im Munde zusammen,
gleich darauf hörte ich das Klappern von Blechnäpfen vor der nahen Küchenbaracke. »Mann, mir knurrt der Magen«, redete Olf weiter. »Sie werden uns nichts geben«, erwiderte ich. Bald darauf wurde Tully zurückgebracht und eingesperrt. Ich hörte den Wächter an der Arrestzelle vorbeigehen, in der ich auf dem Boden hockte. Olfs Zelle wurde aufgeschlossen. »Jetzt kannst du dir deine Kiste abholen«, sagte der Soldat draußen vor den Zellen. Olf stand auf. »Ich würde mir lieber etwas zu essen holen. Wie steht es denn damit?« »Ausgeschlossen. Dann bist du zu schwer, und der Strick reißt. Das wollen wir doch nicht riskieren.« Die Tür fiel zu, pendelte aber wieder ein Stück auf. Ich sah den hellen Streifen durch das Loch in der Wand, stand auf und trat gegen das nächste Brett neben dem Spalt. Die Zellen waren so dürr wie Zunder. Das Brett flog hinüber in den Raum. Ich zwängte mich durch den Spalt, schob die Tür auf und sah Olf vor dem Wächter mit dem Gewehr im Blockhaus verschwinden. Wie von Sinnen stürmte ich aus der Arrestzelle und zum Korral, in dem viel Pferde standen. »Halt!« befahl jemand hinter mir. Ein Schuß fiel, eine Kugel pfiff über mich weg. Vor mir tauchten Soldaten auf. Ich warf mich ihnen entgegen, und es war mir gleichgültig, ob sie schossen. Lieber jetzt schnell gestorben als langsam eine Nacht lang. Aber sie feuerten nicht auf mich. Sie schlugen mit Colts auf mich ein. Ich hämmerte dem Kerl vor mir die Faust ins Gesicht, und als er stürzte, sprang ich über ihn weg, setzte über den Zaun und sah ein gesatteltes Pferd in dem Rudel. Das Tier schnaubte und trabte davon. Ich vermochte das Glück kaum zu fassen, raste dem Tier nach und sprang in den Sattel. Scharf riß ich den Grauschimmel herum und trat ihm die Absätze in die Seiten. Das Tier wieherte und schnellte vorwärts. Als würden wir fliegen, ging es über die Umzäunung weg. Soldaten warfen sich aus dem Weg, um nicht niedergeritten zu
werden. Der Palisadenzaun rückte näher. Da wieder ein Schuß aus nächster Nähe. Die Kugel traf den Kopf des Pferdes und ließ es zusammenbrechen. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde ich hochgeschleudert, flog durch die Luft und landete auf dem Boden. Ich rollte ein Stück und sprang wieder auf. Ich wollte noch immer nicht einsehen, daß es nicht ging, stürmte auf den Zaun zu und hatte auf einmal einen Mann und einen Gewehrkolben vor mir. Der Kolben versperrte mir die Sicht, traf mich gegen Nase und Stirn und warf mich wieder um. * Der Wind war eingeschlafen. Das heisere Krächzen der Krähen erfüllte die Nacht. Ich hatte noch immer Schmerzen im Gesicht, obwohl es ungefähr dreizehn, vierzehn oder fünfzehn Stunden her sein mußte, daß mich der Schlag traf. Es war noch tiefe Nacht. Man hatte uns kurz vor Mitternacht in den beiden Zellen zusammengesperrt. Draußen hörten wir die Wachen. Es waren mehr Soldaten, als uns auf der Farm gestellt hatten, und sie standen auf beiden Seiten der Arrestzellen. Roman jammerte manchmal leise vor sich hin. Tully schluckte und wischte sich immer wieder verstohlen über die Augen. In dem Dunkel war es mehr an den Geräuschen zu bemerken, als zu sehen. »Es geht ganz schnell vorbei«, sagte Olf in einem Ton, als wäre er bereits einmal gehenkt worden und könnte aus Erfahrung sprechen. »Nur wenn sich die Schlinge zuzieht, ist es unangenehm.« »Hätten wir den Tunnel doch nicht gegraben!« jammerte Roman. »Ich hatte diese Idee nicht. Ich nicht!« »Der Tunnel war 'ne ganz große Sache«, erwiderte Olf. »Das hat sogar der Kommandant zu mir gesagt.« »Was hat er?« fragte ich ungläubig. »Er hat mir gratuliert. Ja, richtig gratuliert. Wegen des Tunnels. Und er sagte, dafür hätte ich eigentlich einen Orden verdient. Aber leider müßten sie mich aufhängen.« Ich lehnte mich zurück und versuchte, durch die Ritzen etwas zu erkennen. Der neue Tag konnte nicht mehr fern sein. Vor meinem
geistigen Auge begann eine Schlinge zu pendeln. Das Herz schlug mir schneller. Der Lebenswille bäumte sich wieder auf und suchte nach einem Ausweg aus der verfahrenen Lage, aber mein noch präzise arbeitender Verstand sagte mir, daß es keinen Ausweg mehr gab. Draußen knirschte der Sand unter den Stiefeln der Wächter. Roman stand auf, schlug mit den Fäusten gegen die sich biegenden Bretter und schrie: »Ich will nicht sterben! Laßt mich hier heraus!« Die Tür öffnete sich. Schemenhaft sah ich die Gestalten. Roman wurde zusammengeschlagen. Die Tür schloß sich, und der Riegel knirschte. »Alles sinnlos«, sagte Olf leise. Roman wimmerte auf dem Boden. »Wir müssen es wie Männer tragen«, sprach Olf weiter. »Ihr müßt euch nicht den Kopf zermartern, wie ihr hier noch herauskommen könntet, sondern ihr müßt nachdenken, wie ihr es mannhaft ertragen könnt. Nur darauf müßt ihr euch konzentrieren!« Ich stand langsam auf. Mir war es, als hätte ich etwas gehört. Die Schritte der Wächter waren verstummt. Auch die Krähen meldeten sich seit ein paar Minuten nicht mehr, wie mir jetzt auffiel. »Was ist denn los?« fragte draußen eine Stimme. Plötzlich knatterten überall Schüsse. Rund um das ganze Gefangenenlager wurde geschossen. Der Widerschein von Mündungsflammen war zu erkennen. Schreie erschallten. Gestalten stürzten getroffen von den Bastionen herunter. »Die Yankees sind da!« brüllte eine Stimme. »Mein Gott!« Roman sprang auf und umarmte mich. »Mein Gott, unsere Leute! General Shermans Armee hat das Lager umstellt!« Das heftige Knattern der Schüsse hielt ein paar Minuten lang an, immer erneut untermalt vom gellenden Geschrei der Getroffenen. Dann verstummte das Feuer, und eine Stimme rief: »Werft die Waffen weg und kommt mit erhobenen Händen zum Hauptausgang!« Wir standen im Dunkeln unserer Todeszellen und starrten in die Schwärze.
Schritte entfernten sich. Es wurde still. Die Zeit verstrich. Schließlich trat ich gegen die Tür, daß der Riegel abgerissen wurde und zu Boden fiel. Die Tür schwang auf. Draußen war niemand. Ich verließ die Zelle und roch den Schwarzpulverrauch, der die Luft erfüllte. Weit entfernt hörte ich Kommandos. Drüben, im anderen Teil des Lagers hob Siegesgeschrei unter den ausgemergelten Gestalten an. Olf, Roman und Tully liefen an mir vorbei. Ich wollte ihnen schon nach, als ein Schatten auf mich zusprang und gegen mich prallte. Bei dem Versuch, mich zur Wehr zu setzen, spürte ich das zottige Fell eines Hundes und erkannte, daß es Shita war. Der Bastardhund sprang in die Höhe und jaulte und winselte. Ich kraulte ihm das Fell und begriff nur langsam, wie gut es gewesen war, daß sie gestern nicht auf mich geschossen hatten, als ich ein letztes Mal zu fliehen versuchte. Ich kniete und umarmte den jaulenden Hund, bis ich Captain Frazier sagen hörte: »Da sind Sie ja, Ronco!« Der Adjutant mit dem Knebelbart stand zwischen ein paar Unionssoldaten. »Ich hatte erst gar nicht gesehen, wohin der Hund läuft.« Ich richtete mich auf und blickte nach Osten. Dort war der erste Schimmer des neuen Tages zu sehen – der letzte Tag, der mir nach dem Willen von Captain Wirtz hatte beschieden sein sollen. »Shita hat die Nachricht wohlbehalten zurückgebracht«, sagte Captain Frazier. Ich kraulte meinem Hund den Nacken. »Ja, auf Shita ist schon Verlaß, Sir.« »Wieso sind Sie eigentlich auf dieser Seite des Lagers?« »Das ist eine ziemlich lange Geschichte, Captain. Und gar keine sehr schöne. Die erzähle ich Ihnen bei anderer Gelegenheit.« »Wie Sie wollen. Übrigens, Ihren Hengst haben wir auch gefunden. Der ist aber im Augenblick bei General Shermans Troß, der in dieser Stunde Andersonville erreichen dürfte. Hören Sie das Kanonenfeuer?« Ich lauschte, hörte aber nur das Jubeln der befreiten Gefangenen. »Na, Sie werden es schon noch hören.« Captain Frazier wandte
sich ab und ging mit seinem Soldaten in das Dunkel zurück. Langsam folgte ich den Männern mit Shita. Als wir später nach Andersonville kamen, hatten die Unionstruppen die Stadt bereits eingenommen. Ich erhielt meinen Braunen wieder und ritt mit Shermans Truppen weiter durch Georgia. Der erste Schnee fiel. Der Wind, der von der nahen Atlantikküste heranstrich, nahm an Stärke und Kälte wieder zu. Aber die abgespalteten Südstaaten befanden sich bereits im militärischen Todeskampf. Ihre Streitkräfte zersplitterten und zerfielen und überall mangelte es an Lebensmitteln und Munition. Das Ende des blutigen, langen Krieges schien nähergerückt.
ENDE
Vorschau Im Saloon drängten sich die Männer an den Schwingtüren. Kutschen und Reiter hatten mitten auf der Straße angehalten. Männer reckten die Hälse hinter den Fenstern der Stores. Alle verfolgten atemlos das Geschehen auf der Main Street, wo Jacob McKeag, der älteste Sohn des alten Tyrannen, auf Ronco zurückte. Ronco ließ ihn heran. Er blockte Jacobs erste Schläge mit den Armen ab und pendelte, um ihnen die Wirkung zu nehmen. Und er spürte sofort, daß der Koloß da vor ihm auf der Hut war. Er würde erst mit voller Kraft zuschlagen, wenn er wußte, daß er mit den Fäusten auch Roncos Deckung durchdrang. Sie wateten im Schlamm, umkreisten sich, pendelten, finteten, schlugen blitzschnell zu. »Gib es ihm, Jacob!« johlte Irwin McKeag, der Sadist. »Schlag ihn tot!« Dann traf Ronco der erste Schlag an der Schulter. Jacob hatte seine Deckung durchbrochen. Eine fürchterliche Wucht steckte hinter dieser Geraden. Ronco taumelte einen Moment und hatte Mühe, in dem glitschigen Lehm nicht auszurutschen. Und schon fing er noch einen Hieb ein – dicht über der Leber … Die Jagd auf Ronco geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 256 dieser großen deutschen Western-Serie:
Der Todespaß