Fred McMason
Die Galeere des Sultans Das Schiff, das an diesem verhängnisvollen Morgen in den Hafen von Madras einlief...
48 downloads
441 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Fred McMason
Die Galeere des Sultans Das Schiff, das an diesem verhängnisvollen Morgen in den Hafen von Madras einlief, war eine prächtige Galeere. Sie konnte auch eine stolze Geschichte aufweisen. Vor knapp fünfunddreißig Jahren hatte sie ruhmreich an der Schlacht um Malta bei St. Elmo teilgenommen. Sie entstammte der osmanischen Flotte Süleimans des Prächtigen. Die Galeere hatte zwei Ruderdecks, zwei Masten und zwanzig leichte Geschütze, ihr Bug tief in einen gewaltigen, mit Blech beschlagenen Rammsporn aus, der sich krachend und vernichtend in so manches feindliche Schiff gebohrt hatte. Jetzt gehörte die Galeere dem Sultan von Golkonda. Er hatte sie für teures Geld erworben. In der Türkei war die Galeere in viele Teile zerlegt worden, und in Indien wurde sie von osmanischen Schiffbauern wieder originalgetreu zusammengesetzt. Sie war des Sultans ganzer Stolz...
Die Hauptpersonen des Romans: Sultan von Golkonda - Seine Hoheit besitzt eine ehemalige türkische Galeere und verfügt im übrigen über so viel Macht, daß sogar die Arwenacks in die Knie gehen müssen. Dan O'Flynn - muß sich vom Kutscher darüber belehren lassen, welcher Unterschied zwischen einem Mogul und einem Sultan besteht. Edwin Carberry - läßt den Profoshammer fliegen, aber auch er kann das Unheil nicht mehr abwenden. Philip Hasard Killigrew - muß erkennen, daß er und seine Arwenacks kräftig geleimt worden sind.
1. Dieses schaurig-schöne Ungeheuer schob sich jetzt langsam in den Hafen von Madras. Die Segel hingen halb im Gei. Nur ein paar große Riemen bewegten sich mit sanftem Schlag durch das Wasser. Der Rammsporn der prunkvollen Galeere schien wie zufällig auf die Schebecke zu zielen. „Was hast du gesagt?" fragte Hasard. Mac Pellew wiederholte es schlukkend. „Ich sagte, da braut sich ein höllisches Donnerwetter zusammen, Sir. Das habe ich so im Gefühl." Old Donegal, der interessiert am Schanzkleid lehnte und zu der Galeere hinüberblickte, hatte diesmal gar nichts „im Gefühl". Sein Blick hinter die Kimm war an diesem Tag getrübt, und so nahm er in keiner Weise das Unheimliche und Drohende zur Kenntnis, das von diesem Schiff ausging. „Feines Eimerchen", murmelte er
begeistert. „Ein Prunkschiffchen, das sicher so einem reichen Widdibum gehört." Wenn sich der Admiral für etwas begeisterte, dann tat er das durch Verniedlichung kund, und aus der riesigen Galeere wurde dann ein feines Eimerchen. „Was versteht man unter einem reichen Widdibum?" wollte Mac Pellew wissen. „So heißen die reichen Inder", behauptete der Alte. „Dachte immer, sie nennen sich Nawab und sind Vizekönige in Indien oder Provinzgouverneure. Reich sind sie jedenfalls." „Sie heißen Widdibum", sagte Old Donegal stur. „Na, meinetwegen", knurrte Mac. „Soll mir auch recht sein." Hasard kniff die Augen schmal und musterte durch das Sonnenlicht die einlaufende Galeere. In seinem Magen war Leere, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen. Er konnte das Gefühl nicht deuten, aber ihm schwante nichts Gutes.
5 Außerdem gingen ihm Macs Worte nicht aus dem Sinn. Der gute Mac hatte doch sonst keine trüben Vorahnungen! „Bedrückt dich dieser Anblick?" fragte der Spanier Juan de Alcazar, der neben den Seewolf getreten war. „Galeeren wecken immer schlechte Erinnerungen in mir. Sie haben etwas so - so Unmenschliches an sich. Ich habe sie auch schon von innen kennengelernt, angekettet auf der Ruderbank, gepeitscht von Blutsäufern und Menschenschindern." „Hier scheint es auch nicht viel besser zu sein", meinte der Spanier und wies auf einen bulligen Kerl an Oberdeck, der durch die Bankreihen ging und eine zusammengerollte Bullpeitsche unter dem Arm trug. „Scheint sich hier um eine Art Staatsbesuch zu handeln", fügte er hinzu. „Merkwürdig, daß der Sultan davon nichts erwähnt hat. Es muß irgendein Nawab sein, der Madras mit seinem Besuch beehrt." „Das könnte sein", gab Hasard zu. „Aber erwähnt hat er davon kein Sterbenswort, und gerade ihm müßte das doch bekannt sein." Sie hatten Gold und Silber ausgeladen, und es war auf einer Elefantenkarawane ins Landesinnere abtransportiert worden. Der Sultan von Golkonda hatte die Arwenacks gebeten, hier noch ein oder zwei Tage zu warten. Dann wollte er mit großem Gefolge zurückkehren und alle in seinen Palast einladen. Ein rauschendes Fest sollte gefeiert werden. Inzwischen, so hatte er empfohlen, sollten sie sich von den Strapazen
ausruhen und sich ein wenig in Madras umsehen. Aber Madras war ein ziemlich trostloses Kaff, in dem Carberry vor allem zünftige Kneipen vermißte. Statt dessen gab es den Kapaleswarund den Parthasarathi-Tempel sowie die Kathedrale San Thomé, die man über dem Grab des Apostels Thoma erbaut hatte, der im Jahre 68 n. Ch. in Mylapore den Märthyrertod gestorben war. Aber das hatten sie alles schon gesehen. Das Volk hier war arm, bettelarm und hauste in Lehmhütten. Es gab in Madras nur zwei Marktplätze, die allerdings märchenhaft und sehr exotisch anmuteten, ein paar Fischer und Gaukler, die sich mit Schlangen oder fürchterlicher Musik zur Schau stellten. Über Madras und dem Hafen hing an diesem Morgen eine Glocke aus brütender Hitze. Der Wind blies leicht ablandig und brachte den Gluthauch des Binnenlandes mit sich. Aber jetzt war die Langeweile durch das Erscheinen der Prunk-Galeere unterbrochen worden, einem Schiff, an dem die Arwenacks eine ganze Weile herumrätselten. „Zweifellos eine osmanische Galeere, wie wir sie in der Türkei bereits gesehen haben. Sie hat den gleichen fürchterlichen Rammsporn wie die Dromonen", sagte Ferris Tucker. „Aber was sucht eine osmanische Galeere in indischen Gewässern?" Er erhielt keine Antwort darauf. Der Kutscher deutete lediglich an, daß man sie wohl erobert haben
6
könnte, aber auch das sei ziemlich unwahrscheinlich. „Glaube ich nicht", sagte Ferris. „Man hätte sie dann durch das gesamte Mittelmeer und um den afrikanischen Kontinent herumbringen müssen. Das ist ein Törn, der länger als ein Jahr dauern kann. Zudem ist die Galeere nicht geeignet, durch die Ozeane zu schwimmen." Es war müßig, darüber nachzudenken. Jedenfalls war das Ungetüm jetzt hier und bewegte sich provozierend langsam auf die Schebecke zu. Der Rammsporn ragte aus dem Wasser - eine fürchterliche Waffe, mit der man andere Schiffe durchbohren oder vom Sporn aus auch entern konnte. Die schon halbaufgetuchten Segel hingen jetzt schlapp herab. Der warme Wind bewegte das Tuch kaum. Anfangs sah es so aus, als versuchten sie auf der Galeere, die Hafenausfahrt zu blockieren. Aber jetzt hatte sich die schwimmende Festung bereits hindurchgeschoben und nahm Kurs auf die Schebecke. „Das werden doch nicht wieder ein paar Höllenhunde sein, die hinter unserer Ladung her sind?" fragte Carberry stirnrunzelnd. „Da hätten die Herrschaften allerdings etwas früher aufstehen müssen. Jetzt ist der ganze Klumpatsch fort." Kommandos erklangen jetzt auf der Galeere. Die Ruderer auf den Bänken gingen mit der Schlagzahl zurück. Gleichzeitig wurde auch der Kurs ein wenig nach Steuerbord geändert. Ein dumpfer Trommelschlag war
zu hören. Die Riemen an Backbord hoben sich ein Stück aus dem Wasser. An Steuerbord wurde langsam weitergepullt, so daß das Prunkschiff einen Halbkreis beschrieb. „Die scheinen nicht viele Leute zu haben", bemerkte Matt Davies und zeigte mit der Hakenprothese auf etliche leere Bänke. „Vielleicht holen sie sich hier neue Arbeitskräfte." „Dann wären die Leute schon verschwunden und hätten sich in Sicherheit gebracht", meinte der Seewolf. „Sie stehen aber sehr andächtig da und sind fast in Verehrung versunken." Über dem Hafen lag ein eigentümliches Schweigen. Noch kurz zuvor war hier alles in lebhafter Bewegung gewesen, doch jetzt wirkte die Szenerie wie erstarrt. Fast ehrfürchtig starrten die Inder zu dem Riesenschiff. „Sie scheint hier bekannt zu sein", murmelte Ben Brighton. „Muß sich wohl doch um recht hohe Würdenträger handeln. Aber warum werden sie nicht vom Sultan empfangen?" „Weü der mit den Elefanten unterwegs ins Landesinnere ist", erwiderte Hasard. „Wahrscheinlich ist der Besuch nicht angemeldet worden." „Ob das der große Akbar persönlich ist?" fragte Dan O'Flynn in die Stille, die nur vom leisen Plätschern der Langriemen unterbrochen wurde. „Die Ladung gehörte ihm doch. Der Sultan will sie jedenfalls an ihn weiterleiten, wie uns erzählt wurde." Hasard hatte wieder dieses Gefühl entsetzlicher Leere im Magen, das er nicht definieren konnte. Auf dem Achterdeck nahe der großen Hütte tauchte jetzt ein Mann auf.
7 Er trug eine hüftlange Jacke aus teurem Brokattuch und darunter trotz der brüllenden Hitze, eine Art Weste, die mit silbernen Knöpfen besetzt war. Seine Beine steckten in engen weißen Röhrenhosen, um das Gewand schlang sich ein golden schimmernder Gürtel. In dem Gürtel steckte in einer reichverzierten Scheide ein Krummdolch. Unter dem hellen Turban waren schwarze Haare zu sehen. Der Mann hatte ein gutgeschnittenes Gesicht von Mahagonifarbe. Seine Nase war gerade, das Kinn energisch. Die Erscheinung strahlte Autorität aus. Kohlschwarze Augen blickten über den Hafen und blieben dann an der Schebecke für Augenblicke hängen. Der schlanke und hochgewachsene Inder deutete eine leichte Verbeugung an, sehr knapp und kurz, die Hasard seinerseits mit einem leichten Kopfneigen etwas irritiert beantwortete. Jetzt zeigte der Inder auf die gegenüberliegende Pier. Seine ringgeschmückte Hand wies nur einmal kurz dahin, und schon änderte die Galeere wie durch Zauberhand abermals den Kurs und hielt auf die Pier zu. Ein paar Fischer pullten mit ihren Kähnen eilig davon und verholten in einen anderen Teil des Hafens, als sie die Handbewegung sahen. Kein Zweifel. Die Galeere wollte dort anlegen. * Die Besatzung bestand zum größten Teil aus Sklaven, Leibeigenen
oder Verbrechern, dehn ausnahmslos alle Ruderknechte waren angekettet. Auf dem oberen Deck gab es jedoch auch einige Männer, die einen Turban trugen und nur mit einem Lendenschurz bekleidet waren. Sie gehörten offenbar zu den wenigen Freiwilligen, die die Galeere ruderten, denn wie der Seewolf sah, wurden sie bevorzugt behandelt. „Der sieht ebenfalls wie ein Sultan aus", sagte Dan O'Flynn leise. „Der Mann strahlt Autorität aus. Ich glaube fast, es scheint sich tatsächlich um den großen Akbar persönlich zu handeln. Das beweist schon der ganze pompöse Aufwand und die Prunk-Galeere." „Akbar hält sich irgendwo tief im Landesinnern auf", sagte Hasard so biestig, daß es Dan sofort auffiel. „Also kann er nicht hier sein." „Aye, Sir", murmelte Dan ergeben. „Darf man bescheiden anfragen, ob deine schlechte Laune wetterabhängig ist?" Der Seewolf wollte erst aufbrausen, doch dann zwang er sich gewaltsam zur Ruhe. „Ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Weiß der Teufel, woran das liegt. Mir ist, als wandere eine ganze Horde Ameisen in meinem Bauch herum." „Verstehe. Feuerameisen vermutlich. Die verursachen so ein scheußliches Brennen." Hasard wandte sich etwas zu brüsk ab und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Anlegemanöver der Galeere. Die Kerle verstanden ihr Handwerk, das mußte ihnen der Neid lassen. Sie begingen keinen Fehler beim
8 Manövrieren. Alles klappte reibungslos wie bei einer gut eingespielten Crew. Das mußte sogar der Profos anerkennen, der mit vorgeschobenem Rammkinn zur Galeere starrte. „Die haben was drauf, die Burschen, was, wie? Scheinen in eine harte Lehre gegangen zu sein. Die sputen sich wirklich." „Wenn du jedesmal eins übergezogen kriegst", sagte Bill, „dann bleibt dir auch gar nichts anderes übrig. Den meisten sitzt doch die Angst im Genick, denn der Bullenbeißer ist mit seiner Peitsche nicht gerade zimperlich." Der Kerl, den Bill als Bullenbeißer bezeichnete, trug ebenfalls einen Turban, aber einen von hellblauer Farbe. Seine Augen waren überall. Nicht die kleinste Bewegung entging ihm. Und als einer der Ruderer auf das Kommando nur einen winzigen Augenblick zu spät reagierte, zuckte die zusammengerollte Peitsche wie eine Schlange vor. Es war ein kurzer, aber heftiger Schlag aus dem Handgelenk, eine kaum sichtbare Bewegung. Aber das Ende der giftigen Schlange erwischte den Mann im Rücken, und er bog vor Schmerzen das Kreuz durch. Sein Gesicht verzerrte sich, und durch seinen Körper lief ein krampfartiges Zukken. Er gab aber keinen Ton von sich. Hasard fand das widerlich und abstoßend, und sein Gesicht drückte das auch nur allzu deutlich aus. Der Sultan von Golkonda hatte ihn eingeladen, einer Hinrichtung beizuwohnen, als ein Verräter durch das Schwert sterben sollte, und er hatte
es zwangsläufig mitansehen müssen. Doch an derartige Sitten und Gebräuche würde er sich nie gewöhnen. Die Mentalität dieser Leute war wohl nicht mit christlichen Maßstäben zu messen. Die Langriemen wurden eingezogen. An der Pier standen inzwischen etliche Inder, die die Leinen wahrnahmen. Etwas später war die Galeere vertäut. Die Ruderer blieben in der brüllenden Hitze an Deck. Ein paar andere verließen die Bänke und verschwanden nach unten in den Bauch des Schiffes. Ein Mann brachte den Angeketteten Wasser, und mit wem er es ganz besonders gut meinte, dem goß er zur Erfrischung noch eine Kelle voll Wasser über den Rücken. Diese Geste wurde mit großer Demut quittiert. Die Ruderer schienen direkt danach zu lechzen, bei dem Bullenbeißer gut angesehen zu sein und nicht in Ungnade zu fallen. Von dem Kerl hing schließlich ihr ganzes Wohlergehen ab. „Scheußlich", sagte Don Juan. „Männer in Ketten, gehalten wie Tiere und genauso behandelt. Ob sich das jemals ändern wird?" „Solange es Menschen gibt, bestimmt nicht", meinte der Seewolf. „Sie werden immer und ewig andere knechten oder unterdrücken." Er schwieg, als der Mann auf dem achteren Deck der Galeere wieder in ihre Richtung blickte. Sein leichtes Kopfnicken wirkte hoheitsvoll, aber nicht überheblich. Er faltete die Hände nicht über der Brust, wie das
9 hier so üblich war, sondern neigte nur leicht den Kopf. Um nicht unhöflich zu erscheinen, gaben Hasard und ein paar andere das angedeutete Kopfnicken zurück. „Wenn ich nur wüßte, was das soll", sagte der Seewolf. „Ob das eine Begrüßung von Kapitän zu Kapitän sein soll?" Dan O'Flynn verneinte ganz entschieden. „Der sieht nicht nach einem Kapitän aus, ganz sicher nicht. Das muß ein hoher Würdenträger sein." „Vermutlich sind sie das einem Fremden schuldig", sagte Don Juan. Nach dem Kopfneigen zog sich der Mann ebenfalls nach unten in die Räume der Galeere zurück. Auf der Galeere tat sich jetzt nichts mehr. Die Ruderer ließen die Köpfe auf die Brust hängen und dösten vor sich hin. Eine Viertelstunde verging, da erschienen zwei Männer an Deck und verließen das Schiff. Sie gingen über die Pier. Jeder der beiden trug in der Hand einen kleinen ledernen Beutel. „Almosenverteilung", kommentierte Jung Hasard. „Die Männer verteilen ein paar Silberstücke an die Bevölkerung." Das geschah wahrhaftig, kaum daß die Männer die Pier verlassen und sich unter die schweigende Menschenmenge gemischt hatten. Sie langten in die Beutel und hielten Silberstücke hoch. Hände reckten sich ihnen entgegen. Die Menge benahm sich manierlich und prügelte sich nicht um die kleine Zuwendung. Sobald einer ein Geldstück in Empfang
genommen hatte, verneigte er sich tief und zog beglückt ab. Es dauerte nicht lange, dann hatte sich die Menge aufgelöst, und die beiden Inder kehrten an Bord der Galeere zurück. „Also doch ein reicher Widdibum", tönte Old Donegal zufrieden. „Er erkauft sich das Wohlwollen der Leute mit Geld, damit sie ihn in guter Erinnerung behalten. Er macht sich auf diese Art beliebt beim Volk, und Geld scheint er in Massen zu haben." Hasard gab keinen Kommentar. Schon oft hatte er gesehen, daß Regenten Geld unters Volk warfen, oder daß höhere Beamte damit beauftragt wurden, das Volk bei Laune zu halten, indem sie Geldstücke verteilten. Hier schien das nicht anders zu sein. Als die beiden verschwunden waren, tat sich wiederum mehr als eine Viertelstunde lang absolut nichts auf der Galeere. Der Kutscher fragte an, ob bei dieser Hitze jemand Appetit oder vielmehr Hunger habe. Aber den meisten reichte noch das Frühstück - bis auf Paddy Rogers, der immer Hunger hatte, auch wenn das Frühstück noch nicht richtig vorbei war. „Wir haben einen ganzen Karren voll Tomaten erstanden", sagte der Kutscher. „Dazu Spargel und Früchte. Was haltet ihr von einem gemischten kalten Salat aus Tomaten, Spargel, Zwiebeln und Knoblauch? Etwas Chili muß natürlich auch noch hinein. Das Ganze übergießen wir mit Essig und Öl und würzen mit indischem Pfeffer und Salz." Die anderen waren begeistert, bis
10 auf Paddy, der verlegen seine Knubbelnase rieb. „Kein Hühnchen oder Hammel oder Fisch?" erkundigte er sich. „Sollen wir etwa extra wegen dir einen Hammel herrichten?" fragte Mac Pellew. „So mit Gemüse, Reis und eingedampfter Fleischbrühe? Vielleicht noch eine sämige Soße und hinterher ein paar Speckpfannkuchen?" „Ja, genau!" Paddy strahlte. „Genau in der Reihenfolge hätte ich es gern." „Darf's hinterher auch noch Pudding sein und vorher möglicherweise eine delikate Suppe?" „Ja, natürlich." Paddy rieb noch heftiger an seiner Nase. „Genauso kannst du es herrichten." „Morgen", sagte Mac grämlich. „Oder übermorgen. Heute gibt's Tomaten, wie der Kutscher schon vorschlug. Sonst verdirbt uns das ganze Zeug. Außerdem bist du viel zu dick, Paddy. Wenn du ewig nur ans Mampfen denkst, mußt du später immer in der Mitte des Schiffes laufen, damit wir keine Schlagseite kriegen." „Aber eben hast du noch von einem Hammel gesprochen", maulte Paddy. „Mir lief schon das Wasser im Mund zusammen." „Wird dir bei den Tomaten auch passieren", tröstete Mac. „Da packen wir nämlich soviel Chili und Knoblauch rein, daß dir die Tränen nur so kullern werden." Mac, der Kutscher und das pfiffige Bürschchen Clint Wingfield gingen unverzüglich an die Arbeit, um den kalten Salat vorzubereiten. Zwiebeln wurden geschnitten, Knoblauch zer-
drückt, Spargel in kleine Stücke geschnippelt. Clint wuselte unermüdlich hin und her. Er fühlte sich bei den Arwenacks so wohl, wie er sich noch nie in seinem kurzen Leben gefühlt hatte. Das Bordleben hier war genau nach seinem Geschmack, doch davon hatte er bisher nur träumen können. Hier gab es immer gut und reichlich zu essen, und es setzte vor allem keine Prügel. Es gab unter den Arwenacks auch keinen, der ihn schief ansah oder schlecht behandelte. Das war hier ausgeschlossen. Der Salat war schnell angerichtet und zog noch ein bißchen durch. Auf der Galeere tat sich wieder etwas. Dort erschienen zwei Mann mit einem Kübel an Deck, den sie zwischen die Gangreihen stellten. Der eine füllte die Kumme mit dunklem Reis, der andere verteilte sie an die angeketteten Männer, die trotz der Hitze gierig zu essen begannen. Hinterher gab es Wasser für die Sklaven. Auf der Schebecke aßen sie ziemlich lustlos ihren Salat. Lustlos deshalb, weil sie mitansehen mußten, wie wenig die armen Hunde da drüben kriegten. Daher schmeckte es den Arwenacks nicht so richtig. „Eine Schande ist das!" wetterte der Profos. „Die armen Rübenschweine dort müssen Schwerstarbeit verrichten, und der Lohn ist ein Fraß, den nicht mal ein Hund anrührt. Ich hätte nicht übel Lust, hinüberzugehen und den Rest an die armen Kerle zu verteilen." „Das würde uns eine Menge Ärger einbringen", warnte Hasard. „Wir ha-
11 ben uns nicht in die Angelegenheit irgendwelcher Regenten oder Gouverneure einzumischen. Wir sind Gäste in einem fremden Land und müssen die Sitten und Bräuche so nehmen, wie sie nun mal sind." Den Profos mit den Eisenfäusten und dem weichen Herz ärgerte das mächtig. Er konnte Ungerechtigkeiten nicht ausstehen, aber hier mußten sie sich wirklich heraushalten, um Ärger zu vermeiden. Es schien, als habe man auf der Galeere abgewartet, bis die Arwenacks mit dem Essen fertig waren. Jetzt tauchten drei prächtig gekleidete Inder auf, die zielstrebig Kurs auf die Schebecke nahmen. Einer trug auf den ausgestreckten Händen einen Ballen rosafarbener Seide, der andere hatte ein kleines Kästchen in der Hand, und der dritte trug eine geschnitzte Figur von Handgröße feierlich vor sich her. Die seltsame Prozession bewegte sich auf die Schebecke zu. „Na, da bin ich aber gespannt", sagte Hasard. ,,Die wollen uns doch wohl nicht etwa mit Geschenken beehren?" „Sieht aber ganz so aus", erwiderte Dan verdutzt. 2. Dicht vor dem Schiff verneigten sich die drei Inder mehrmals. „Unser hoher Herr läßt durch uns unwürdige Diener ein Begrüßungsgeschenk überbringen", sagte der eine. „Der hohe Herr würde es als Ehre ansehen, wenn Sie es annehmen."
Er sprach Hindi, und als er bemerkte, daß die Fremden damit Mühe hatten, wechselte er ziemlich fließend in die portugiesische Sprache über. Er sprach sehr weich und, samtig mit einschmeichelnder Stimme, beherrschte die Sprache aber sehr gut. Hasard bat die drei „unwürdigen Diener" höflich an Bord. Die Geschenke überreichten sie dem verblüfften Seewolf mit vielen Verneigungen. In dem Kästchen befanden sich ein daumennagelgroßer Diamant und ein Rubin, die auf dunkler Seide lagen. Das andere war ein Ballen kostbarster Seide und die Figur ein Elefant aus Silber, mit Halbedelsteinen reich verziert. Ablehnen konnte Hasard die Geschenke des hohen Herrn nicht. Das wäre unhöflich und ein Verstoß gegen die guten Sitten gewesen. Er nannte seinen Namen, doch zu seiner großen Verblüffung war er ihnen bereits geläufig, und sie kannten auch Schiwa-Carberry, der in dieser fernen Ecke offenbar großes Ansehen genoß und schon eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Darüber war der Profos genauso verdutzt wie alle anderen. „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr", sagte Hasard. „Wem haben wir diese Ehre zu verdanken?" „Dem hohen Herrn", lautete die Antwort. „Er bittet um eine Unterredung mit Senhor Killigrew. Er möchte seine Aufwartung machen, wenn es genehm ist." Hasard räusperte sich erst mal die Kehle frei. Er blickte sich um und sah überall in irritierte Gesichter.
12 „Ich lasse den hohen Herrn bitten", sagte er. Er wollte noch nach dem Zweck des überraschenden Besuches fragen, doch auch das wäre unhöflich gewesen, und so schwieg er lieber. Er würde es ja doch in aller Kürze erfahren. „Wie wünscht der hohe Herr angesprochen zu werden?" erkundigte er sich aber noch. „Die Anrede Hoheit wäre passend, Senhor Killigrew." „Hoheit", murmelte der Seewolf. „Richten Sie dem hohen Herrn aus, daß ich ihn jederzeit empfangen werde." Er bedankte sich noch für die kostbaren Geschenke, doch die drei „unwürdigen Diener" hatten es jetzt sehr eilig, wieder zur Galeere zurückzukehren. Hasard sah sich etwas ratlos im Kreis seiner Mannen um. „Versteht das jemand?" fragte er. „Wir scheinen hier bereits bekannt zu sein." „Es wird doch der große Akbar sein", sagte Dan O'Flynn, der von seinem Standpunkt nicht abzubringen war. „Den Sultan haben wir ja bereits kennengelernt, demnach kann es nur der andere Herrscher sein." „Wahrscheinlich hast du recht", erwiderte Hasard nach einer Weile angestrengten Nachdenkens. „Es muß wohl so sein, wenn er sich mit Hoheit anreden läßt." „War nur eine logische Schlußfolgerung", murmelte Dan bescheiden. „Ich pflege eben gründlich nachzudenken." „Bitte keine infamen Seitenhiebe, Dan", sagte Hasard. „Mir erscheint
das alles immer noch sehr rätselhaft, obwohl ich hin und wieder auch mal nachzudenken pflege." „Mir stachen gleich der Prunk und Pomp ins Auge", verkündete Dan etwas zu großspurig. „Ich nehme auch an, daß Seine Hoheit diese Galeere vermutlich gekauft hat. Er hat sie zerlegen und hier wieder zusammenbauen lassen. Auch das wäre eine logische Erklärung. Und Akbar, der Große, wie man ihn nennt, der indische Mogulkaiser und Sohn des Humajuns, ist schon zu Lebzeiten eine Legende. Ihr werdet sehen, daß ich recht habe." Der Kutscher, der neben den beiden stand, begann etwas süffisant zu grinsen, ein Zeichen, daß er von einer Sache absolut überzeugt war und ein weiteres untrügliches Zeichen dafür, daß Dan jetzt gleich etwas zu hören kriegte, das seine Legende zerstörte. „Du scheinst dich mit diesem Akbar bereits sehr beschäftigt zu haben", sagte er lauernd. „Ich weiß fast alles über ihn." Dan hatte heute offenbar seinen prahlerischen Tag. „Habe eine Menge darüber in einer alten Schwarte gelesen." „Wann ist der große Akbar denn geboren?" fragte der Kutscher. „Das weiß ich leider nicht genau, das stand in der Schwarte nicht drin." „Er wurde Fünfzehnhundertzweiundvierzig geboren", erläuterte der Kutscher, und jetzt ginste er nicht mehr. „In drei Monaten schreiben wir das Jahr sechzehnhundert. Vielleicht solltest du jetzt freundlicherweise noch mal nachdenken, etwas gründlicher am besten." Dan stieß langsam die Luft aus.
13 Seine Ohren nahmen eine rötliche Farbe an, und schließlich schluckte er. „Er - er muß demnach schon achtundfünfzig Jahre alt sein", stammelte er nach ein paar Augenblicken. „Fast sechzig also." Der Kutscher nickte ihm begütigend zu. „Im Rechnen warst du schon immer ausgezeichnet, Dan. Deshalb bist du auch ein hervorragender Navigator. Demnach ist der große Akbar also mit Verlaub gesagt - schon ein indischer Methusalem, ein alter Zauselchen, sozusagen. Die Burschen hier sehen aber mit fünfundzwanzig oder dreißig Jahren schon aus wie welkes Gras oder altes Sauerkraut. Logische Schlußfolgerung?" „Daß du einem immer alles vermiesen mußt", sagte Dan enttäuscht. „Der hohe Herr ist demnach höchstens halb so alt." „Womit bewiesen wäre, daß es nicht Akbar sein kann", beendete der Kutscher seine Erläuterungen. „Errare human est", sagte Dan ergeben. „Nec scire fas est omnia", meinte der Kutscher, was wiederum den Profos auf die Palme brachte. „Was, zum Teufel, heißt das schon wieder?" knurrte er erbittert. „Müßt ihr immer so kariert, Lateinisch daherquatschen?" „Dan hat gemeint, irren ist menschlich", sagte der Kutscher. „Und ich erwiderte, daß es nicht möglich ist, alles zu wissen." „Und das kann man nicht in Englisch ausdrücken?" fauchte der Pro-
fos. „Immer diese Geheimniskrämerei." „Kann man schon", erwiderte der schmale Mann. „Bloß verstehst du dann immer alles." „Ich lerne auch noch Latein", kündigte Carberry drohend an. „Und dann ist es aus mit der Sprache." „Davon bin ich fest überzeugt. Wenn dein Latein so prächtig ist wie dein Französisch, werden die Gelehrten die Sprache meiden wie die Pest." Es ging schon wieder los zwischen den beiden. Sie hatten sich auch schon lange nicht mehr am Wickel gehabt. Der Profos erklärte aufbrausend, daß ihn bisher noch jeder Franzose verstanden habe, worauf der Kutscher ironisch meinte, das müsse sich wohl auf Eds Fäuste beziehen, die er den Franzosen unters Kinn gerammt habe. „Ich kann sie dir ja auch mal unters Kinn setzen", sagte Carberry angriffslustig. „Aber dann fliegst du Knödeladmiral bis nach England und wieder zurück." „Was eine durchaus sinnlose Reise wäre", kommentierte der Kutscher. Das Gemotze wäre noch weitergegangen, aber Hasard unterbrach die beiden Streithähne. „Seine Hoheit geruhen, uns mit seinem Besuch zu beehren. Es wäre empfehlenswert, wenn ihr jetzt mal eure Futterluken schließen würdet. Ich bitte jedenfalls sehr darum." Die Unterhaltung verstummte fast schlagartig. Die Arwenacks sahen sich gespannt, aber unauffällig um. Zwei der Inder, die gerade an Bord gewesen waren, begleiteten einen
14 dritten, hochgewachsenen Mann, eben jenen, den sie kurz zuvor auf dem Achterdeck der Galeere gesehen hatten. Seine Hoheit schritt ruhig aus und ließ dabei kaum einen Blick von der Schebecke. „Spannt ein Sonnensegel", sagte Hasard. „Ich weiß zwar nicht, was uns bevorsteht, aber in der Kammer unten ist es zu heiß. Und bringt auch ein paar Sitzgelegenheiten mit an Deck." Das Sonnensegel war gleich aufgezogen. Es lag an Deck und brauchte nur noch gespannt zu werden. Die Inder fragten höflich an, ob es gestattet sei, an Bord kommen zu dürfen. Natürlich durften sie. * Es stellte sich heraus, daß Seine Hoheit ein vorzügliches Portugiesisch sprach und ein Dolmetscher somit überflüssig war. Seit sich die Portugiesen hier immer mehr ausbreiteten, gab es etliche Inder, die auch mehr oder weniger die Sprache beherrschten. Der hochgewachsene Mann mit den dunklen Augen und dem energischen Gesicht hatte offenbar keinen Namen, denn die Diener stellten ihn mit Hoheit vor, und dabei ließen sie es bewenden. Als Hasard seinen Namen nannte, erschien ein Lächeln im Gesicht des Mannes. Er kannte ihn bereits. „Ich hoffe, Sie hatten eine glückliche Reise, Sir Hasard." „Danke Hoheit. Aber sie war mit
etlichen Schwierigkeiten verbunden." Hasard hatte keine Ahnung, was den Mann so interessierte, und so redeten sie eine ganze Weile um den heißen Brei herum. Die Gäste hatten inzwischen Platz genommen, und der Kutscher bot ein paar Fruchtsäfte an. „Ein schönes Schiff", sagte der hochgewachsene Inder anerkennend. „Ich habe ein derartiges Schiff noch nie gesehen." „Es ist eine Schebecke aus dem Mittelmeer, Hoheit." Weitere Höflichkeitsfloskeln wurden gewechselt. Seine Hoheit kam immer noch nicht zur Sache. Aber das war hier auch durchaus üblich, obwohl Hasard der Grund immer brennender interessierte. Jetzt erzählte der Inder von der Galeere, und daß sie osmanischen Ursprunges sei. Er habe sie gekauft, zerlegen und über Arabien nach Indien bringen lassen. Sie stamme von Suleiman, dem Prächtigen, und habe sich bei St. Elmo in Malta beim Kampf hervorragend bewährt. Wenigstens ist das jetzt geklärt, dachte Hasard, obwohl es nun wirklich nicht mehr wichtig ist. Er konnte mit dem Inder einfach nichts anfangen. „Inwiefern gab es Schwierigkeiten, Sir Hasard?" fragte Seine Hoheit und zog unmerklich die Brauen hoch. „Gab es Probleme mit der Ladung?" „Eine Menge Probleme, Hoheit. Uns haben nicht nur Sturm und Unwetter hart zugesetzt, sondern leider auch ein paar Piraten, die sich unbedingt an der Ladung vergreifen woll-
15 ten. Ich glaube sagen zu können, daß ich froh bin, seit wir in Madras sind." „Hier wird Ihnen nichts mehr passieren", sagte der Inder lächelnd. „Dafür verbürge ich mich persönlich. Ich möchte mich jedenfalls bei Ihnen und Ihren Männern bedanken, Sir." Der Seewolf lächelte etwas gezwungen. „Keine Ursache", sagte er mühsam und hatte jetzt das Gefühl durch dikken Nebel zu waten, wo kein Horizont mehr erkennbar war. „Ich werde mich, was die Handelskonzessionen betrifft, jedenfalls sehr großzügig zeigen", versprach der Inder. „Sie haben mir damit einen unschätzbaren Dienst erwiesen, Sir Hasard." „Ich möchte mich noch für die kostbaren Geschenke bedanken, Hoheit. Es wäre ..." „Nur ein paar kleine Aufmerksamkeiten", wehrte der Inder höflich ab. „Schließlich war es eine gefahrvolle Reise für Sie und Ihre mutigen Männer." Hasard fiel auf, daß der Inder von Handelskonzessionen gesprochen hatte und er sich damit sehr großzügig zeigen wollte. Zum Teufel, hier ging doch etwas nicht mit rechten Dingen zu. War dieser Mann, entgegen jeder Annahme, doch der große Akbar? Sie hatten die Konzessionen doch bereits so gut wie in der Tasche, wenn der Sultan morgen oder übermorgen zurückkehren würde. Der Seewolf gestand sich ein, daß er den Überblick und vor allem den Durchblick verloren hatte. Der Inder nippte wieder an seinem
Saft, war freundlich und lächelte. Und das zog sich mehr als eine geschlagene Stunde hin, in der er über Belanglosigkeiten plauderte. „Begreifst du noch, was hier vorgeht?" fragte Don Juan Dan O'Flynn, der dem dahinplätschernden Gespräch reichlich uninteressiert lauschte. Dan schüttelte unmerklich den Kopf. „Keine Ahnung, ich weiß es wirklich nicht. Ich werde nur das dumpfe Gefühl nicht los, daß hier etwas im Busch ist, das wir noch gar nicht ermessen können." „Wer ist denn dieser Bursche?" „Wenn ich das wüßte! Nach Daddies Meinung eben ein reicher Widdibum." Nach einer Weile wechselte der Inder das Thema. „Hat Ischwar Singh noch eine Botschaft übermitteln lassen, Sir Hasard?" fragte er. Aha, den kennt er also auch, überlegte Hasard. „Nicht, daß ich wüßte, Hoheit. Er hat mir lediglich das Empfehlungsschreiben mitgegeben. Aber das habe ich bereits vorgewiesen." Der Inder sah ihn wie befremdet aus schmalen Augen an. „Entschuldigen Sie, Sir, ich habe es noch nicht gesehen. Aber das können wir später nachholen. Jetzt haben wir wichtigere Dinge zu erledigen. Ich möchte den großen Akbar nicht länger als nötig warten lassen." Damit schied der Inder also endgültig als großer Akbar aus. Hasard versuchte das zu überdenken, doch der Inder sprach weiter.
16 „Wäre es Ihnen lieber, ich würde die Galeere hierher beordern, oder möchten Sie mit der Schebecke längsseits gehen?" Hasard sah sich etwas ratlos im Kreis seiner Mannen um, die entweder verlegen grinsten, den Inder für einen Spinner hielten oder ebenfalls nicht mehr durchblickten. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Hoheit, aber welchem Zweck soll das dienen?" erkundigte er sich. Der Inder lachte kurz und trocken auf. Irgendwie klang es belustigt. „Sie haben wenigstens Humor, Sir Hasard. Ich mag Leute, die über einen trockenen Humor verfügen. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich mir die Ladung gern einmal ansehen." Vorhin war es nur ein Kribbeln im Magen gewesen, das der Seewolf verspürt hatte. Jetzt hatte er das Gefühl, als müsse dort ein ganzes Faß Schießpulver hochgehen und ihn in Stücke zerfetzen. „Die Ladung?" fragte er gedehnt. „Welche Ladung, Hoheit?" Der schlanke Inder lächelte etwas gequält. Offenbar lag ihm diese Art von Humor doch nicht besonders. „Die elf Tonnen Gold und Silber", erwiderte er. „Jene Schatzladung, die Ischwar Singh über mich an den großen Akbar per Schiff sandte. Von hier aus geht der Transport weiter, erst auf der Galeere, später dann ins Landesinnere." Auf der Schebecke herrschte für lange Augenblicke tiefstes Schweigen. Die Augen aller Arwenacks richteten sich auf den Inder. In Hasard keimte allmählich der
Verdacht, daß hier einer vor ihm stand, der von der Sache Wind gekriegt hatte und sich auf die krumme Tour einen großen Reibach erhoffte. Sie hatten unterwegs genügend Schnapphähne kennengelernt, abgefeimte Gauner und Beutelschneider, vornehme Banditen und in Lumpen gehüllte Figuren, die alle nur das eine Ziel kannten: sich an der kostbaren Ladung bereichern zu wollen. Dieser Mann hier sah zwar nicht wie ein Schnapphahn aus, aber der Eindruck konnte täuschen. Hasard befreite sich von dem unangenehmen Kribbeln im Magen durch ein herzhaftes Gelächter. „Sehr ergötzlich", sagte er, immer noch lachend. „Alle Welt ist hinter dem Gold des großen Akbars her. Es muß sich in Windeseile überall herumgesprochen haben." Er wurde wieder ernst und faßte den Inder genauer ins Auge. „Wer sind Sie?" fragte er dann. „Ich bin der Sultan von Golkonda." Die Stimme des Inders klang jetzt etwas hochmütiger und kühler. Ein paar Arwenacks grinsten unverschämt. „Er nun wieder!" tönte der Profos. „Hier laufen nur Sultane rum. Bin mal gespannt wann endlich eine Sultanine aufkreuzt." Die Kerle lachten ebenfalls und konnten sich kaum beruhigen. In die dunklen Augen des Inders trat ein eisiger Schimmer. Seine rechte Hand zuckte zum Dolch, blieb aber kurz darüber in der Luft hängen. Hasard schüttelte nur den Kopf und glaubte, sich verhört zu haben.
17 Was dieser Kerl hier vorbrachte, war doch wohl der Gipfel der Frechheit. „Auch Sie verfügen über eine beachtliche Portion Humor", sagte er. „Aber wer immer Sie auch sein mögen, der Sultan von Golkonda sind Sie ganz sicher nicht." „Sie zweifeln an meinen Worten?" fragte der Inder drohend. „Oder ist das ein Täuschungsmanöver von Ihnen, mit dem Sie den großen Akbar um sein Eigentum betrügen wollen? Ich gebe Ihnen den guten Rat, es nicht zu versuchen. Es könnte sehr gefährlich für Sie enden." Der Mann sprach mit einer Bestimmtheit, die Hasard etwas unsicher werden ließ. Aber das konnte natürlich auch geschauspielert sein. „Hören Sie, mein Freund", sagte der Seewolf mit klirrender Stimme, „ich bin nicht gewillt, mir Betrug oder Unterschlagung vorwerfen zu lassen. Ihr sicheres Auftreten hat mich zwar anfangs beeindruckt, aber das ist jetzt vorbei. Die Ladung ist gestern gelöscht und auf Elefanten verladen worden. Der Sultan von Golkonda erschien mit einem Boot und begleitete uns ein Stück. In seiner Gesellschaft befanden sich etwa vierzig Soldaten. Ich habe ihm die Empfehlungsschreiben überreicht. Das eine von Ischwar Singh aus Bombay, das andere von der englischen Königin. Er hat sie mir wieder zurückgegeben. Ich habe sie noch an Bord. Der Sultan bat uns, noch zwei Tage zu warten. Dann wollte er zurückkehren, und ein Fest veranstalten, zu dem wir alle eingeladen wurden. Das sind die Tatsachen. Und jetzt kommen Sie und be-
haupten, der Sultan von Golkonda zu sein." Der Inder stand wie erstarrt da. Nur in seinen dunklen Augen lag ein Glimmen und Funkeln, das wie die Fieberlanzen des Dschungels brannte. Er schien sich nur sehr mühsam zu beherrschen. „Das glaube ich nicht", sagte er mit heiserer Stimme, der seine ganze Erregung anzumerken war. „Das ist unvorstellbar. Ich möchte, daß Sie Ihre Laderäume öffnen. Hier ist etwas geschehen, was ich noch nicht in vollem Umfang begreife." Hasard blickte dem Inder in die Augen. Der Inder starrte zurück. Etwas wie Haß glomm in den Augen auf, aber es war auch Unsicherheit darin zu erkennen. „Ich möchte hier keinen Ärger haben", sagte der Seewolf. „Wer immer Sie auch sein mögen, ich werde Ihnen das ganze Schiff zeigen. Elf Tonnen Gold und Silber, verpackt in Kisten, Ballen und Fässern kann man nicht auf einem so kleinen Schiff verbergen." „Deckt die Räume auf", sagte Ben Brighton mit seltsam verzerrt klingender Stimme. Die Arwenacks gehorchten schweigend. Auch sie waren verwirrt, und das Gelächter war längst verstummt. Die Grätings wurden abgenommen. Ferris Tucker stellte eine Leiter an und bat den Inder mit einer Handbewegung nach unten. Doch der Inder schüttelte nur den Kopf, nachdem er einen Blick in die leeren Räume geworfen hatte. Er war sich wohl zu fein, um zwischen den
18 Proviant- und Wasserfässern herumzustöbern. Er sagte etwas auf Hindi zu seinen Begleitern, die daraufhin nach unten abenterten. Er selbst blieb oben stehen und sah schweigend hinunter. In den beiden Räumen waren Fässer verzurrt und das, was der Kutscher und Mac an Proviant gestaut hatten. Ferris Tucker öffnete ein paar Fässer, und die beiden Inder hoben sie zusätzlich an, um ihr Gewicht zu prüfen. Wenn sich Gold oder Silber in den Fässern befand, dann waren sie so schwer, daß zwei Mann sie nur mit Mühe lüften konnten. Sie kriegten sie aber spielend in die Höhe. Nachdem die Räume bis in den letzten Winkel durchsucht worden waren, führte Hasard den seltsamen Gast auf der Schebecke herum und zeigte ihm das Schiff von vorn bis achtern. Auch hier wurde keine Ecke ausgelassen. Anschließend war das Gesicht des Inders ratlos. „An Bord befindet sich die Ladung wirklich nicht mehr", gab er widerwillig zu. „Wir haben sie auch nirgendwo versteckt", sagte Hasard. Die beiden Diener standen herum, ebenso ratlos, und sahen ihren Herrn und Meister an, der ihnen in Hindi erneut ein paar knappe Befehle erteilte. Daraufhin verließen die beiden Männer eilig das Schiff. „Hier geht etwas Ungeheuerliches vor", sagte der Inder langsam. „Sie behaupten also nach wie vor, daß der Sultan von Golkonda gestern hier
war und die Ladung auf Elefanten verfrachten ließ?" „So entspricht es den Tatsachen." Hasard verzichtete bewußt auf den Titel „Hoheit". Er konnte den Mann immer noch nicht einordnen. „Darf ich die Empfehlungsschreiben sehen?" sagte der Inder. Der Seewolf winkte Bill heran. „Geh in meine Kammer, Bill, und bringe die Schriftstücke her. Sie liegen ganz oben auf meinem Pult." „Aye, aye, Sir." Als Bill zurückkehrte, überreichte er Hasard die Papiere, der sie an den Inder weitergab. Er überflog sie und nickte widerwillig. „Das ist das Siegel von meinem Vetter Ischwar", sagte er und reichte sie wieder zurück. Er mißtraute den Arwenacks nach wie vor, und er ließ sich das auch anmerken. Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf, daß einer der beiden Diener inzwischen die Galeere erreicht hatte, an Bord ging und dort mit einem anderen Mann etwas besprach, wobei er zur Schebecke deutete. Der andere ging inzwischen weiter und verschwand auf dem Marktplatz. Dort befahl er mit herrischen Gesten ein paar Einwohner zu sich. Sie debattierten aufgeregt. Der Inder bedeutete ihnen zu folgen. Hasard sah eine Menge Schwierigkeiten voraus. 3. „Der wahre Sultan von Golkonda bin ich", sagte der Inder, „und ich
19 dulde nicht, daß man den großen Akbar um sein Gold betrügt. Ischwar und ich haben für die Ladung die Verantwortung übernommen. Wenn die Ladung verschwunden ist, wird Sie das den Kopf kosten. Sie und alle Ihre Leute. Sie dürfen versichert sein, daß meine Worte keine leere Drohung darstellen." „Beweisen Sie mir erst, daß Sie der Sultan sind", sagte Hasard kühl. „Oder gibt es zwei Sultane von Golkonda?" „Es gibt nur mich. Ich bin der Sultan und Herrscher. Beschreiben Sie mir den anderen angeblichen Sultan." „Das ist nicht schwierig", sagte der Seewolf. „Es ist sehr vornehm gekleidet, meiner Schätzung nach etwa dreißig Jahre alt, und hat fast die gleiche Größe wie ich. Seine Augen sind fast schwarz. Auch sein Schiff, ein verhältnismäßig kleines Boot, war prachtvoll geschmückt und mit feinsten Stoffen ausgekleidet. In seiner Kammer lagen dicke Brokatkissen auf dem Boden, und in seinem Gefolge befanden sich etwa vierzig Soldaten und etliche Diener. Er ließ in unserem Beisein einen Verräter hinrichten. Der Mann hieß, glaube ich, Dilip Rangini." Er sah, wie der Inder die Farbe wechselte. Das mahagonif arbene Gesicht wurde fahlgrau. Die Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und aus den Lippen wurde ein dünner Strich. Die Wangenmuskeln zeichneten sich scharf in dem Gesicht ab. „Und der Mann hat sich als Sultan von Golkonda ausgegeben?" fragte der Inder ungläubig.
„Warum sollte ich an seinen Worten zweifeln? Er trat mit großen Gefolge auf und wußte genau über die Ladung Bescheid. Er sagte mir, daß sie ins Landesinnere gebracht und später dem großen Akbar übergeben werde." In die Augen des Inders traten jetzt blanke Wut und ein unbeschreiblicher Haß. Er zitterte am ganzen Körper und hatte sich nur noch sehr mühsam unter Kontrolle. „Dieser Bastard!" stieß er hervor. „Dieser hinterhältige Bastard, der Sohn einer räudigen Hündin. Verflucht soll er sein bis in alle Ewigkeit." Dem Seewolf schwante jetzt etwas, an das er noch nicht so richtig glauben wollte. Es wäre auch zu ungeheuerlich gewesen. Sollte er jetzt wirklich den echten Sultan von Golkonda vor sich haben und von einem absolut sicher auftretenden Bastard aufs Kreuz gelegt worden sein? Der Inder wandte sich ihm ruckhaft zu. „Dieser angebliche Sultan ist mein Todfeind und leider ein entfernter Vetter von mir. Er heißt Drawida Shastri. Der Halunke hat meinen guten Namen mißbraucht und die Rollen getauscht, indem er sich als Sultan ausgab. Das ist ungeheuerlich. Es ist nicht in Worte zu fassen." Auf der Schebecke wurde es abermals so still, als sei niemand an Bord. Die Arwenacks standen da und begriffen die Welt nicht mehr. Sie starrten ungläubig mal zu Hasard, dann wieder zu dem Inder, der in seiner
20 unbeschreiblichen Wut sehr echt wirkte. „Das ist doch nicht möglich", sagte Don Juan in die entsetzliche Stille hinein. „Nein, das ist auch nicht möglich", erwiderte Hasard. „Ich kann es jedenfalls nicht glauben." Der Inder hatte sich wieder in der Gewalt. Nur in seinen Augen lag noch immer dieser unbeschreibliche Haß. Er ließ sich von Hasard weitere Einzelheiten berichten, die er mit grimmigem Gesicht zur Kenntnis nahm. „Ein raffiniert ausgeklügelter Plan", sagte er schließlich. „Einer meiner Diener muß ihm das verraten haben, und wenn er Rangini töten ließ, dann bedeutet das nur, daß dieser Bastard ihm zuvorkommen wollte. Aber ich werde noch herausfinden, wer das verraten hat." „Es hat schon mehrmals Verrat gegeben", sagte der Seewolf. „Überall lauerten Spione, die sich an dem Schatz vergreifen wollten. Den ersten Überfall erlebten wir kurz hinter Bombay. Ein Vertrauter von Ischwar Singh hatte den Hinterhalt gelegt." Der Diener kehrte mit einem halben Dutzend Leute vom Markt zurück und blieb vor dem Schiff stehen. Die Leute, es waren vier Männer, eine Frau und ein größerer Junge, verneigten sich ehrfurchtsvoll und tief vor dem Inder. „Wer bin ich?" fragte er sie. Die Antwort war wie ein verwehender Hauch. „Der große, erhabene Sultan von Golkonda." Hasard hatte jetzt einen Krampf im Magen. Er schluckte hart, und er
wollte es immer noch nicht wahrhaben. „War Drawida Shastri hier?" fragte der Inder. „Ja, hoher Herr. Er war gestern hier mit einer Karawane Elefanten." „Und was taten er und seine Männer?" „Sie luden Kisten, Fässer und Ballen auf Elefanten, hoher Herr." „Von diesem Schiff hier?" „Von diesem Schiff, hoher Herr." „Gib ihnen ein paar Silberstücke", befahl der Inder. „Ihr könnt dann gehen." Der Diener verteilte aus einem Beutel ein paar Münzen an die Leute, die sich unter vielen Verbeugungen zurückzogen. „Vielleicht ist das auch nur ein Trick", sagte Dan O'Flynn im Flüsterton. „Der Kerl hat die Leute schon vorher präpariert." Hasard schüttelte müde den Kopf. Er fühlte sich ausgebrannt und fix und fertig. „Dann würde er jetzt nicht ein solches Theater aufführen, Dan. Die Ladung ist weg, und wenn er nicht der echte Sultan wäre, würde er jetzt nach ein paar Flüchen verschwinden." „Sie scheinen mir immer noch nicht zu glauben und zu trauen", sagte der Inder scharf. „Sie können sich aber in Madras überall erkundigen, wenn Sie das wünschen." Hasard glaubte ihm jetzt und stieß ein kurzes Lachen aus, in dem seine ganze Wut lag. „Jetzt bin ich davon überzeugt", sagte er. „Heilige Seeschlange, und ich war immer der Ansicht, daß mir
21 so etwas nie passieren könne. Man hat mich mit einem uralten und billigen Trick aufs Kreuz gelegt." „So, wie wir es oftmals getan haben", sagte Ben. „Zum letztenmal bei dem spanischen Geleitzüg, der mit Gold und Silber beladen war. Jetzt hat uns ein anderer kräftig geleimt." Der Sultan von Golkonda sah fassungslos zu, wie die Arwenacks in ein wildes, homerisch klingendes Gelächter ausbrachen. Sie konnten einfach nicht anders. Sie lachten über sich selbst. Der Bastard, der als Sultan von Golkonda aufgetreten war, hatte sie mit dem gleichen Trick hinters Licht geführt, den sie oftmals angewandt hatten. Diese Vorstellung war einfach zu köstlich. Die anderen Kapitäne, die sie selbst kräftig geleimt hatten, würden wahrscheinlich nicht lachen, jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie die Arwenacks. Hasard fluchte nicht, er tobte nicht, er lachte mit, mochte der Sultan jetzt denken, was er wollte. Es war ihm im Augenblick egal. „Eine erfrischende Vorstellung, selbst einmal der Dumme zu sein", sagte er, als das Gelächter abebbte. „Ich muß einem solchen Bastard und Gegner widerwillig meinen Respekt ausdrücken, auch wenn Sie das vielleicht nicht verstehen, Hoheit." Der Sultan verstand es wirklich nicht. Er kriegte jetzt jedes Wort in den falschen Hals und wurde ungehalten. „Dafür habe ich nicht das geringste
Verständnis, daß Sie einem Betrüger noch Lob und Anerkennung zollen." „Wir sind englische Korsaren, Hoheit", sagte Hasard. „Unsere Feinde sind die Spanier, und mit ihnen gehen wir nicht gerade zimperlich um. Wir nehmen ihnen das weg, was sie in anderen Ländern stahlen und wofür sie Menschen umbrachten oder sie wie Tiere behandelten. Wir haben oftmals den Trick angewandt und uns als Spanier ausgegeben. Jetzt hat es uns ein anderer heimgezahlt, aber ich bewundere nicht den Betrüger. Ich wundere mich nur, daß wir darauf hereingefallen sind. Man hat uns mit den eigenen Waffen geschlagen." Der Sultan verstand das wiederum falsch, oder er wollte es in seinem verständlichen Zorn nicht begreifen. „Mich wundert, daß mein Vetter Ischwar einem Korsaren eine so wertvolle Ladung anvertraut hat", sagte er höhnisch. „Wenn Sie schon zugeben, mit derartigen Raffinessen und Tricks zu arbeiten, dann kann ich mir gut vorstellen, daß hier ein abgekartetes Spiel läuft." „Wie darf ich das verstehen, Hoheit?" „So, wie ich es sagte, Senhor Killigrew oder Sir Hasard, wie Sie sich auch noch nennen. Sie haben sich mit Shastri abgesprochen und das alles inszeniert." „Das ist eine böse Unterstellung, die zudem noch unlogisch ist. Wenn das der Fall wäre, dann würde ich jetzt nicht hier liegen und auf Ihr Erscheinen warten." „Das kann ebensogut ein billiger Trick sein", sagte der Sultan mit kalter Stimme.
22 Hasard behielt noch die Nerven und ließ sich durch die Anschuldigungen und Vorstellungen nicht aus der Ruhe bringen. „Wir sollten in aller Sachlichkeit darüber sprechen und vor allem weitere Mißverständnisse ausräumen", schlug er vor. „Es gibt nichts mehr zu besprechen. Mißverständnisse sind hier mehr als genug aufgetreten, und ich werde künftig jeden Engländer wie einen Dieb behandeln, der sich an meine Küste verirrt. Der große Akbar wird mir Schwierigkeiten bereiten, und es wird eine Menge Ärger wegen des Goldes geben. Sie tragen dafür die Verantwortung und die Konsequenzen." Hasard blieb immer noch ruhig. „Was geschehen ist, ist nun einmal geschehen", sagte er. „Die Ladung ist uns erst kürzlich in Ceylon restlos geraubt worden. Durch Spanier, Portugiesen und religiöse Fanatiker. Wir haben sie wiederbeschafft und dafür hart gekämpft. Wir werden sie auch diesmal wieder zurückholen. Dafür stehe ich mit meinen Männern gerade." „Sie wissen nicht mal, wohin Shastri das Gold gebracht hat. Ins Landesinnere, hat er gesagt. Aber das Landesinnere Indien ist sehr groß. Wie wollen Sie das anstellen?" „Zunächst gibt es die Spuren der Elefanten, Hoheit. Wir werden ihnen folgen." Der Sultan lachte höhnisch. „Regen wird die Spuren verwischen, Wind und Staub werden sie zudecken. Gleich hinter der Küste ist
der Weg so hart und steinig, daß Sie keine einzige Spur mehr finden." „In Ceylon glaubten wir auch nicht, daß wir das Gold jemals zurückerobern könnten, denn es befand sich ebenfalls auf Elefanten, die ins Landesinnere unterwegs waren. Und dennoch schafften wir es." „Wir werden das Gold gemeinsam zurückholen", sagte der Sultan. Es klang fast freundlich, doch Hasard hörte den falschen Unterton genau heraus. „Ich möchte nicht, daß Ihre Männer deswegen in Gefahr geraten, Hoheit." „Das soll nicht Ihre Sorge sein. Ich habe Diener und Sklaven, die mir bis in den Tod treu ergeben sind. Es kommt auf ein paar mehr oder weniger nicht an. Für das Gold setze ich eine Menge aufs Spiel." Der Sultan lächelte eigentümlich. Ein Lächeln, das Hasard durchaus nicht gefiel. „Es ist jetzt Nachmittag", sagte er mit falscher Freundlichkeit. „Ich gebe Ihnen einen Tag Zeit, Akbars Gold zu beschaffen. Inzwischen wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Madras. Leben Sie wohl, Senhores, und denken Sie an Ihre Köpfe. Sie haben selbst gesehen, wie locker die hier manchmal auf den Hälsen sitzen." Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte sich der Sultan um und ging mit ruhigen Schritten von Bord. Die beiden Diener folgten ihm ebenso gemessen. Hasard sah ihnen nach, wie sie zur Galeere gingen und im Innern des Schiffes verschwanden. *
23 „Ohne Köpfe sehen wir ziemlich alt Hasard hatte sich da schon etwas aus." Es war der Profos, der das zurechtgelegt. sagte, um die Lage ein wenig zu ent„Augenblicklich haben wir noch spannen. Leider konnte keiner dar- Handlungs- und Bewegungsfreiheit. über auch nur grinsen. Ich nehme das jedenfalls an. Der Sul„Auch mit Köpfen sehen wir ver- tan gibt uns natürlich die Schuld an dammt alt aus", sagte Hasard. „Ich dem Desaster, was ich ihm nicht verkapiere immer noch nicht, daß dieser übeln kann. Falls er mit dem großen raffinierte Bastard uns so kräftig Akbar aneinandergerät, wird das übers Ohr gehauen hat. Daß wir dar- Land wegen ein paar Tonnen Gold über lachen, wird Seine Durchlaucht und Silber einen mächtigen Aufruhr sowieso nie begreifen. Nun muß sich erleben. Wir werden zwei Männer loszeigen, daß wir noch um eine Spur schicken, die der Spur folgen. Sie werden für die anderen unübersehraffinierter sind." bare Zeichen hinterlassen. Den be„Das Gold bis morgen zu beschafsten Spurensucher, den wir an Bord fen, ist natürlich aussichtslos", sagte Dan realistisch. „Wie hätten wir auch haben, ist Batuti. Die schärfsten Auwissen sollen, daß hier ein falscher gen hat Dan. Ich schlage daher vor, Sultan aufkreuzt. Daran hat wirklich daß ihr beide euch unverzüglich auf niemand auch nur im Traum ge- den Weg begebt." dacht." „Einverstanden", sagte Dan sofort. „Und das hat er ausgenutzt", sagte „Wir spielen die Fühlungshalter und Hasard. „Wir haben Don Julio kürz- hinterlassen auffällige Zeichen." lich auch so ausgetrickst - und noch Batuti erklärte sich ebenfalls sofort ein paar andere Spanier dazu. Es ist bereit. mir höllisch peinlich, daß mir das Inzwischen verschwand der Kutpassiert ist, aber leider nicht mehr zu scher mit einem Affenzahn in der ändern. Wir müssen jetzt nur ganz Kombüse und bereitete in aller Hast schnell handeln, denn die angedroh- einiges vor, damit die beiden unterten Konsequenzen können sehr unan- wegs etwas zu essen hatten. genehm werden. Außerdem haben „Wir folgen euch in kurzer Zeit mit wir England und unserer Königin da- ein paar Mann", sagte Hasard. „Falls mit keinen Gefallen erwiesen. Ganz ihr die Kerle wirklich entdeckt, dann im Gegenteil: Sie werden jeden Eng- laßt euch auf kein Geplänkel mit ihländer jagen und vermutlich auch nen ein. Es sind mehr als vierzig umbringen, wie der Sultan schon be- Leute." merkte. Alles in allem haben wir eine Der Gambiamann Batuti nahm seiBlamage erlitten." nen Langbogen mit, den er über die „Die wir wieder ausbügeln wer- Schulter hängte. Der Köcher war mit den", erklärte Don Juan. „Es stehen Pfeilen gespickt voll. Dan O'Flynn steckte sich zwei Pischließlich nicht nur unsere Köpfe auf dem Spiel. Aber wie wollen wir stolen in den Hosenbund für alle Fälle. jetzt vorgehen?"
24 „Wir können sofort losgehen", sagte Dan. „Damit tun wir gleichzeitig unseren guten Willen kund. Der Sultan wird sehen, daß wir es ernst meinen und wirklich auf den Schnapphahn hereingefallen sind." Carberry zeigte zur anderen Pier hinüber. „Da tut sich was", murmelte er. „Ich fürchte, die Burschen wollen uns ein bißchen einheizen." Auf der osmanischen Galeere wurden die Leinen losgeworfen. Auf den beiden Decks erklangen dumpfe Kommandos. Eine Trommel mit hohlem Ton wurde langsam geschlagen. Es hörte sich wie eine Todesdrohung an. Das Ungetüm mit dem Rammsporn wurde von kräftigen Fäusten von der Pier abgedrückt. Ein paar Männer halfen mit Haken nach. Die Riemen senkten sich ins Wasser, und die große Galeere, prachtvoll anzusehen, schaurig und schön zugleich, bewegte sich langsam durch den Hafen auf die Ausfahrt zu. „Die werden doch nicht einfach verschwinden", sagte Smoky. „Das ergäbe keinen Sinn." „Sie werden auch nicht", entgegnete Big Old Shane. „Sie werden sich vor die Ausfahrt legen und sie blokkieren, damit es uns nicht einfällt, auf und davon zu segeln." So war es auch. Das stolze Schiff wurde ein Stück gerudert. Danach wurden die Langriemen eingezogen, und nach einer Weile fiel der Anker. Der Rammsporn wies jetzt wie ein Menetekel mitten in den Hafen. Es dauerte nicht lange, dann lag sie be-
wegungslos da, und auch die Ruderer an Deck erschlafften und ließen die Köpfe hängen. „Ein unmißverständliches Signal", sagte der Seewolf. „Niemand kann mehr in den Hafen oder hinaus. Wir werden uns wohl oder übel damit abfinden müssen." Ein kleines Boot wurde von der Galeere weggefiert und irgendwo auf der achteren Backbordseite vertäut. Den Sultan sahen sie nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er sich in seine Gemächer zurückgezogen. „Eine verdammt höllische Situation", sagte Hasard. „Ich hoffe nur, wir gelangen da einigermaßen heil heraus. Ich würde dem Sultan gern einen Teil unseres Schatzes überlassen, aber leider liegt der auf Great Abaco und steht uns nicht zur Verfügung." Ben Brighton war ebenfalls pessimistisch. „Diesmal wird es wohl schwieriger werden. Die Schnapphähne haben einen Vorsprung von einem Tag. Ich glaube, daß sie sich höllisch beeilen werden, weil Shastri annimmt, daß ihm der echte Sultan von Golkonda auf den Fersen bleibt." „Wir marschieren jetzt los", sagte Dan O'Flynn. „Die Kerle haben einen westlichen Kurs eingeschlagen, aber das kann auch reine Täuschung gewesen sein." Die beiden hatten es jetzt ziemlich eilig und verließen die Schebecke. 4. Den Spuren zu folgen war anfangs kein Problem.
25 Der dunkelhäutige Gambiamann mit dem Prachtgebiß verfiel in einen leichten Laufschritt. Den konnte er mühelos einen ganzen Tag lang durchhalten, ohne Anzeichen von Ermüdung zu zeigen. So trabte er eine Stunde mit angewinkelten Armen dahin. Batuti lief barfuß, während Dan leichte Stiefel trug. Dan wurde nach der Stunde etwas langsamer. Laufen war nicht seine Stärke. Er konnte auf dem Boden auch nur anfangs die Spuren erkennen. Jetzt liefen sie an einem Bambuswald entlang. Rechts daneben befand sich ein ausgetrocknetes Flußbett. „Mann, dein Tempo bringt mich noch um", keuchte Dan. „Nur ein leichter Schritt", erwiderte der Riese und grinste. Nicht der kleinste Schweißtropfen stand in seinem Gesicht. Seine Haut war wie dunkler Samt und glatt. „Hier läuft es sich wie zu Hause. Ich könnte den ganzen Tag so rennen." Dan hatte erhebliche Mühe, Schritt zu halten. Einmal überrannte ihn Batuti fast, als er ganz plötzlich den Kurs wechselte. Eben noch hatten sie die westliche Richtung eingeschlagen, und jetzt wechselte Batuti ganz überraschend nach Norden. „Verdammt", keuchte Dan, „wo sind denn da Spuren? Ich habe jedenfalls keine gesehen." Der Weg war steinig geworden, das ausgetrocknete Flußbett wurde so breit wie ein Delta. Steine und Geröll lagen überall herum. Der Untergrund
war so hart, daß nicht mal Elefanten eine Spur hinterließen. Dan hatte zwar Adleraugen, aber im Spurenlesen konnte er Batuti nicht das Wasser reichen. Der Gambiamann blieb stehen und lachte. Sein Lachen klang immer so aufreizend und ansteckend, daß Dan breit zu grinsen begann. „Weißt du, ich habe es an einem kleinen Stein gesehen", sagte Batuti. „Ich hatte in Gambia einen Freund vom Stamme der Serahuli. Mit dem bin ich durch die Dornbuschsteppe über verkrustete Erde gelaufen. Der hat mir auch gezeigt, wie man Mangrovenwälder durchquert, wie man sich anschleicht und Spuren erkennt, auch wenn sie schon älter als ein paar Tage sind." „Schön und gut", schnaufte Dan. „Aber in diesem Flußbett liegen doch Tausende von Steinen, und einer sieht aus wie der andere. Die Elefanten walzen sie doch nicht platt, wenn sie darüberlatschen." „Das nicht. Ich werde es dir zeigen. Gehen wir ein paar Schritte in dem Flußbett zurück." „Und da willst du einen bestimmten Stein wiederfinden?" „Na klar", sagte Batuti sorglos lachend. „Du wirst es gleich selbst sehen." Sie gingen ein paar Schritte zurück, bis Batuti plötzlich stehenblieb und auf einen Stein deutete, der flach und halb so groß wie eine normale Faust war. „Fällt dir etwas auf?" Dan betrachtete den Stein, aber er konnte nicht behaupten, daß er sich von den anderen unterschied.
26 „Hm, ein Stein", knurrte er, weil er nichts damit anfangen konnte. „Er ist weder zersplittert noch dreckig, noch sonstwas." „Stimmt", sagte der Mann aus Gambia feixend. „Dreh mal den Stein daneben um." Dan O'Flynn tat es seufzend. „Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, werfe ich mit den Dingern nach dir." Wieder fiel Dan nichts auf. „Das ist so", erklärte Batuti. „Steine, die einfach so herumliegen, sind auf der Oberfläche heller. Wenn du sie umdrehst, wirst du feststellen, daß sie auf der zur Erde gekehrten Seite immer etwas dunkler sind. Das fällt kaum auf, und man muß schon genauer hinsehen, um das festzustellen. Du kannst es mal versuchen. Der Serahuli zeigte es mir am Mündungsarm des Gambia, wenn der Harmattan wehte und die Flußbetten ausgetrocknet waren." Dan sah den Riesen, der in Gambia zum Stamme der Mandingo gehört hatte, noch etwas mißtrauisch an. Aber dann tat er es doch und stellte zu seiner Verblüffung fest, daß es tatsächlich so war. „Aber was besagt das jetzt?" fragte er verdattert. „Du hast tatsächlich recht, und mir hast du damit etwas Neues beigebracht." „Das besagt", erklärte Batuti, „daß der Stein von irgendwas aufgewirbelt und umgedreht wurde. Er hat die etwas dunklere Fläche nach oben gekehrt. Elefanten wirbeln größere Steine auf, Menschen beim Laufen kleinere, und für die kleinen gilt ge-
nau das gleiche. Da drüben liegen noch mehr dunkle Steine." „Hast du noch mehr solcher Tricks auf Lager?" fragte Dan bewundernd. „Ich staune nur darüber, daß du das im Laufen erkennen kannst." „Und ich staune immer, daß du auf weite Entfernungen alles so gut sehen und erkennen kannst, als sei es ganz nahe. Aber ich kenne noch mehr solcher Dinge, die mir alle der Serahuli beigebracht hat. Er war ein richtiger Gorilla, jedenfalls sah er so aus und war auch so groß." Batuti lachte, als er sich daran erinnerte. „Er kannte auch die Affensprache und hat sich mit den großen Gorillas unterhalten. Sie haben ihm nie etwas getan. Er hat mich auch gelehrt, daß man aus vielen Spuren die Zeit herauslesen kann." „Na, na, jetzt übertreibst du aber ein bißchen, mein Freund." „Bestimmt nicht. Wenn du einem Mann folgst, der durch kurzes Gras gelaufen ist, wirst du feststellen, daß sich das Gras wieder halb aufgerichtet hat oder noch ganz niedergetrampelt ist. Nach sechs Stunden richten sich die Gräser wieder ganz auf. Daran kannst du die Zeit ablesen und weißt immer, wie weit du noch entfernt bist." „Mann, das ist ja kaum zu glauben", staunte Dan. „Das müssen ganz erstaunliche Burschen sein, diese Gambiamänner. Sind das alles so gute Spurenleser?" „Nicht alle. Die Mandingo, Serahuli und Dyola betreiben meist Ackerbau. Die Wolof sind Händler und Handwerker, und die Fulbe, die etwas hellhäutiger sind, halten Vieh. Aber
28 manchmal ändert sich das auch, und dann fahren die Mandingos zur See." Der riesige Schwarze grinste wieder. „Sag bloß, du kannst auch noch die Affensprache, Batuti." „Kann ich", versicherte Batuti ganz ernsthaft. „Ich unterhalte mich ja die ganze Zeit mit einem." „Na warte, du Bastardo!" fluchte Dan und sprintete hinter dem Mandingo her. Aber er hörte nur Batutis wildes Gelächter und brauchte eine geraume Weile, bis er ihn endlich eingeholt hatte. „Jetzt wird es mit den Spuren schon schlechter", sagte Batuti. „Hier gibt es kaum noch Steine, und der Boden ist hart und trocken wie gewachsener Fels. Die Kerle haben es schlau angefangen, und sie haben auch versucht, ihre Spuren zu verwischen." Links und rechts gab es wieder Bambuswälder. Ein Stück Dschungel schob sich wie ein gigantischer Keil dazwischen. Einmal flüchtete etwas vor ihnen, das im Bambusgestrüpp wie ein Tiger aussah. Sie konnten es nicht mehr genau erkennen. Das Flußbett, in dem es jetzt kein Geröll mehr gab, war steinhart und mindestens dreihundert Yards breit. Es bot einer Elefantenkarawane also genügend Platz, und es führte immer stur nach Norden ohne jede Krümmung. Ein paarmal verließen sie das ausgetrocknete Flußbett. Dan ging nach rechts, Batuti zur anderen Seite. Es bestand die Möglichkeit, daß die Karawane ihren Kurs geändert hatte
und irgendwo seitlich ausgebrochen war. Sie suchten an den Rändern des Bambuswaldes nach Spuren. „Nichts", sagte der Mandingo. „Keine Spur zu sehen." „Bei mir auch nicht. Also müssen sie weiter auf diesem Boden geblieben sein." „Ja, kann nicht anders sein." Die Sonne brannte heiß herab. Von dem harten Untergrund wurde die Hitze zurückgeworfen. In der Ferne schimmerte das Flußbett, als befände, sich noch Wasser darin. Aber das war reiner Sonnenglast, der sich wellenförmig über dem Boden erhob. Eine gute halbe Stunde später dröhnte ein Schuß auf. * Batuti fuhr herum, aber er sah niemanden. Sie waren den Spuren jetzt bis in den Dschungel gefolgt. Dort gab es einen Trampelpfad, auf dem die Karawane ihren Weg genommen hatte. Durch den Schuß wurde Blattwerk zerfetzt, und ein kleiner Ast segelte zu Boden. „Hinter den Baum!" raunte der Mandingo. Gedankenschnell gingen sie in Dekkung. Dan sah sich ebenfalls gründlich nach allen Seiten um. Sein Blick folgte dem Verlauf des Flußbettes, das jetzt in nordwestliche Richtung abknickte. Aber von dort war nicht auf sie geschossen worden. Der heimtückische Schütze mußte
29 in einem der Bäume hocken und hatte sich vorzüglich getarnt. Durch den dichten Verhau fiel nur schwach das Sonnenlicht ein. Am Boden herrschte fast Zwielicht. Deutlich waren die Spuren der Elefanten zu erkennen, aber sie hatten jetzt keine Zeit, darauf zu achten, denn der heimtückische Schütze bedrohte sie aus einem sicheren Versteck und konnte jeden Augenblick wieder seine Muskete abfeuern. Batuti unterzog jeden Baum einer genauen Prüfung, und nach einer Weile fand er auch, was er suchte. Ein paar Blätter bewegten sich in der Stille. Sie raschelten nicht, sie bewegten sich nur. Es konnte auch ein Tier sein, das sich dort vorsichtig voranhangelte. „Dort drüben hockt einer", raunte der Mandingo. „Oben in der Blattkrone des großen Baumes links vom Pfad. Siehst du ihn?" Dan brauchte nicht lange, um zu erkennen, daß sich dort jemand versteckt hielt. Er sah nur einen Teil des nackten Oberkörpers. „Ja, ich sehe ihn. Aber wir befinden uns im Augenblick im toten Winkel. Er kann nicht auf uns feuern." „Er war es auch nicht. Der Schuß fiel aus einer anderen Richtung. Ich glaube sie haben ein paar Kerle zurückgelassen und postiert, für den Fall, daß man ihnen folgt Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein. Da lauern etliche Heckenschützen." Unversehens waren sie in eine höllische Situation geraten. Aber offenbar konnten die unsichtbaren Schützen sie jetzt nicht unter Feuer neh-
men, denn der Baum bot hervorragende Deckung. „Da drüben hockt noch einer", sagte Batuti. „Es scheinen aber noch mehr zu sein, die sich rechts und links des Trampelpfades postiert haben." Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als wieder ein Schuß krachte. Im Dschungel klang er gedämpft wie ein dumpfes Husten. Die Bleikugel schrammte am Stamm entlang und fetzte einen langen Splitter heraus. Zwei Handbreiten weiter, und Batuti hätte die Kugel in den Schädel gekriegt. Den dritten Schützen bemerkte er erst nach geraumer Zeit. Der kauerte hinter einem weit entfernten dichten Busch, aber Batutis scharfen Augen entging das Versteck nicht. „Mindestens drei", sagte er leise. „Die werden uns abknallen wie die Hasen, sobald wir uns bewegen. Sie haben uns von mehreren Seiten gleichzeitig im Visier." „Damit sind wir in einen prächtigen Hinterhalt gelaufen", sagte Dan erbittert. Sie kauerten sich jetzt noch enger an den Stamm und warteten, bis die Gegner sich eine Blöße gaben. Aber die hatten Geduld und Ausdauer und lauerten nur. „Damit verschaffen sie den anderen einen großen Vorsprung", sagte Batuti nach einer Weile, in der alles ruhig blieb. „Sie halten uns auf, bis die Ladung in Sicherheit ist und alle Spuren verwischt sind. Ich werde jetzt auf den Baum steigen." „Was hast du vor?" „Mich nicht abknallen zu lassen." Batuti grinste wieder und sah an dem
30 fast glatten Baumriesen hoch. In drei Yards Höhe gab es ein prächtiges Versteck, von dem aus er auch einen besseren Überblick hatte und dennoch einigermaßen sicher war. „Die wollen uns doch umbringen, oder?" „Genau das haben sie vor." „Dann bilden wir jetzt eine Räuberleiter", sagte der schwarze Riese. „Was, zum Teufel, ist das schon wieder?" „Allein schaffe ich es nicht auf den Baum. Also faltest du zwei Hände, ich steige hinein und enter auf. Das ist eine Räuberleiter. Du mußt mich nur ein kleines Stück hochhieven." „Verstehe", sagte Dan. „Aber wir dürfen uns nicht zur Seite hin bewegen, sonst gibt's Durchzug im Kopf." Als Dan die Räuberleiter bildete, indem er die Hände fest zusammenlegte, wagte sich einer der Strauchdiebe aus seinem Versteck. Er tat es blitzschnell, hob die Muskete und feuerte. Dan und Batuti gingen gemeinsam zu Boden und fluchten leise. Wieder war die Kugel in den Baumstamm eingeschlagen. „Noch einmal", sagte Batuti. „Er muß erst nachladen." Diesmal ging es schneller. Als Dan die verschränkten Hände anhob, enterte Batuti in einem schnellen Satz auf und verschwand gedankenschnell in der riesigen Astgabel. „Bleib immer schön in Deckung", riet er aus seiner luftigen Höhe. „Nicht die Nase vorstrecken." „Ich will sie ja behalten." Der Kerl, den Batuti jetzt aus seiner Höhe besser sah, der aber noch nichts bemerkt hatte, war eifrig mit
dem Nachladen seiner Muskete beschäftigt und hob kaum den Blick. Es war eine miese kleine Ratte mit einem schiefen Gesicht und tückisch blickenden Augen. Auf seinem dunkelbraunen Gesicht lag ein hinterhältiges und gemeines Grinsen. Der Kerl trug nur einen Lendenschurz und seine Muskete. Als er mit dem Laden fertig war, legte er sich auf den Boden und begann vorsichtig in Dans Richtung zu robben. Batuti hatte ihn genau im Blickfeld. Die Entfernung betrug knapp vierzig Yards, wie er schätzte. Der Mandingo griff in den Köcher und legte einen Pfeil auf die Sehne. Den Bogen spannte er nur leicht, visierte sein Ziel aber bereits etwas genauer an. Er ließ dem heimtückischen Schützen noch etwas Zeit, beugte sich aus der Astgabel und sah in Dans Augen, der ebenfalls gerade hochblickte. „Ein Strolch wird gleich auftauchen", raunte er. „Laß dich aber nicht verleiten, aufzuspringen, falls du ihn siehst. Ich werde ihm seinen Spaß schon verderben." „In Ordnung, Batuti." Etwa fünfzehn Yards schlich der Kerl sich an. Vor einem wildwuchernden Gestrüpp blieb er liegen und verschnaufte. Batuti sah genau in die Rattenvisage. Das hinterhältige Grinsen des Kerls verstärkte sich noch, als er lautlos aufstand und den Lauf der Muskete zwischen die Blätter reckte. Es schien ihm großen Spaß zu bereiten, auf Ahnungslose zu schießen. Batuti nahm Maß und ließ den
31 Pfeil von der Sehne schwirren. Der Ton war kaum zu hören, nicht mehr als ein leises Zirpen, und der Pfeil flog so schnell, daß er kaum zu sehen war. Der Erfolg war jedoch deutlich zu sehen. Der Rattengesichtige krümmte sich zusammen und ließ die Muskete in den Busch fallen. Er torkelte einen Schritt vor und starrte auf den langen, gefiederten Pfeil, der aus seiner Brust ragte. Das Grinsen war ihm vergangen, als er noch zwei Schritte weiterstolperte, sich dann halb um die Achse drehte und still ins Gebüsch kippte. Es raschelte nur leise, als sei da ein Tier hindurchgehuscht. Damit waren sie einen der Heckenschützen los, und es sah ganz so aus, als wären die anderen Kerle noch ahnungslos. Ein paar Minuten später fiel wieder ein Schuß. Er sirrte durch die Blätter und pfiff plattgedrückt gegen einen Stamm. Den Blitz sah Batuti nicht, wohl aber gleich darauf die kleine, verräterische Rauchwolke, die aus dem Musketenlauf aufstieg. „Verflixt, noch ein vierter Kerl", sagte Batuti. „Es scheint einer von den Soldaten zu sein. Was tun wir jetzt?" Dan O'Flynn konnte aus seiner Position absolut nichts unternehmen, ohne daß er den Kopf riskiert hätte. Sie wußten nicht, wie viele Schützen im Hinterhalt auf der Lauer lagen. Immerhin hatte der falsche Sultan außer den Mahauts und einigen anderen Kerlen - noch vierzig Soldaten
bei sich. Damit konnte der ganze Trampelpfad gespickt sein. Der Qualm hatte sich noch nicht verzogen, als Batuti schon den zweiten Pfeil abfeuerte. Sechzig Yards weiter zuckte eine Gestalt im Baum heftig zusammen, versuchte noch, ihren Sturz abzufangen, doch dazu reichten ihre Kräfte nicht mehr. Der Pfeil war ihm mitten ins Herz gedrungen. Der Soldat kippte zusammengekrümmt aus dem Baum und fiel mit Getöse auf den Trampelpfad. Dort blieb er reglos liegen. Diesmal hatten es die anderen gemerkt. Sie antworteten mit Musketenfeuer. An mindestens sieben oder acht Stellen wölkten winzige Rauchfahnen hoch. Die meisten Schützen blieben im Blättergewirr unsichtbar. Batuti fluchte leise vor sich hin. Wenn es den Kerlen jetzt einfiel, zu stürmen, hatten sie keine guten Chancen. Sie konnten von allen Seiten gleichzeitig auftauchen. „Auf den Baum, Dan!" rief er. „Du mußt versuchen, mit einem Satz oben zu sein. Ich gebe dir die Hand, und dann enterst du blitzschnell zu mir auf." „Ist denn da oben noch Platz?" „Noch für weitere drei Männer. Hier sind wir besser geschützt als da unten." Batuti beugte sich aus der Astgabel und beobachtete dabei gleichzeitig die Stellungen der Heckenschützen. Mit den Beinen verkeilte er sich so, daß er nicht den Halt verlieren
32 konnte. Dann streckte er die Hand nach unten. Dan ergriff sie mit einem kleinen Anlauf und katapultierte sich regelrecht in die Astgabel. Batutis kräftiger Arm half dabei schwungvoll mit. „So, jetzt ist mir wohler", meinte Dan. „Da unten liegst du wie auf dem Präsentierteller, aber hier schützen uns die Blätter und Äste. Außerdem kann man uns hier schlecht sehen." „Verdammt schlecht sind wir trotzdem dran. Hasard hat uns noch gesagt, wir sollten uns auf keine Geplänkel einlassen." „Uns blieb ja nichts anderes übrig. Schließlich wurden wir aus dem Hinterhalt angegriffen. Sollen wir uns vielleicht abknallen lassen von den Bastarden, die unser Gold geklaut haben?" „Natürlich nicht. Aber gegen die Überzahl von Musketen können wir nicht viel ausrichten. Wird wohl besser sein, wenn wir bei günstiger Gelegenheit den Rückzug antreten." „Wann wird denn die Gelegenheit günstig sein?" „Erst bei Dunkelheit, vorher ganz sicher nicht. Aber bis dahin sind es noch etliche Stunden." Sie beobachteten weiter, aber der Dschungel blieb bis auf die üblichen Geräusche verdächtig still. Dan hatte sich die beiden Pistolen zurechtgelegt, um sie sofort griffbereit zu haben, aber gegen die Musketen waren sie schlecht treffende, fast harmlose Dinger auf größere Entfernungen. Da war Batuti mit seinem Langbogen wesentlich besser ausgerüstet, denn der traf noch auf eine Di-
stanz, wo Musketenkugeln schon wirkungslos wurden. „Mir ist etwas aufgefallen", sagte Batuti, nachdem er kurz zuvor eine Stelle fixiert hatte. „Ich glaube, die verdammten Bastarde haben sich getrennt." „Wie meinst du das?" forschte Dan. „Dann hätten wir zumindest eine Bewegung sehen müssen. Haben wir aber nicht." „Ich meine das anders. Ich sah vorhin eine winzige Staubwolke am nördlichen Horizont. Sie war kaum zu erkennen, aber es war genau so eine Staubwolke, die eine Elefantenkarawane aufwirbeln würde." „Aber wir haben doch hier die Spuren vor uns im Dschungel." „Stimmt, hier haben wir sie auch. Aber selbst ich bin darauf reingefallen. Wir folgten den Spuren gleich, weil sie abknickten, und haben uns nicht weiter um die anderen gekümmert. Die Idee kam mir erst eben, als ich die Wolke von hier aus sah. Sie war Meilen entfernt." „Vielleicht Vieh, das nach Norden getrieben wird", meinte Dan. Der Mann aus Gambia schüttelte lächelnd den Wollschädel. „Wer treibt schon Vieh durch ein knochentrockenes Flußbett, wo es kein Wasser und kein Hälmchen Gras gibt! Und in der größten Hitze treibt man Vieh schon gar nicht. Die Kerle haben es ganz schlau angefangen, Dan. Die halbe Karawane zieht nach Norden, und die hier nehmen den Weg durch den Dschungel. Vorher haben sie noch das Gold umgeladen. Wenn ihnen jetzt jemand folgt, nimmt er natürlich auch den Weg
33 durch den Dschungel. Kann sein, daß hier nur ein paar Elefanten durchgelaufen sind, die überhaupt kein Gold haben." „Zur Ablenkung meinst du." „Ja, natürlich." „Dagegen sprechen aber die Hekkenschützen." „Eben nicht", erwiderte der Neger. „Das ist vermutlich eine ganz bewußte Ablenkung. Während hier die Verfolger aufgehalten werden und einem Phantom nachjagen, ziehen die anderen Kerle lachend weiter und bringen die Beute in Sicherheit." Dan O'Flynn sah seinen langjährigen Freund nachdenklich an. „Als Kaufmann wärst du sicherlich ein ausgekochtes Schlitzohr, mein Alter. Aber hier bist du ein Genie. Du könntest recht haben, denn dieser Shastri, der als Sultan auftrat, ist ein raffinierter Bauernfänger und Oberschnapphahn. Der lacht sich vermutlich eins ins Fäustchen, wenn sein Vetter oder andere in die Falle laufen. Dabei werden gleichzeitig die Verfolger dezimiert, während er in Ruhe und völlig unbehelligt weiter nach Norden zieht. Ich gestehe ganz ehrlich, daß mir das nicht eingefallen wäre." „Wir laufen einer falschen Spur nach und sitzen außerdem noch in der Patsche", faßte Batuti zusammen. ,,Das ist das zweite Mal, daß wir auf diesen abgefeimten Halunken hereingefallen sind." „Trotz allem bleibt noch ein kleiner Unsicherheitsfaktor", meinte Dan mit einem leisen Seufzen. „Es kann auch umgekehrt der Fall sein, was die
Raffinesse dieses Kerl nur unterstreichen würde." „Kann auch sein", gab Batuti zu, „aber ich glaube nicht so recht daran. Ich kann mich auf mein Gespür verlassen." „Ja, das weiß ich." Sie sprachen so leise im Flüsterton, daß man sie schon auf eine Entfernung von zwei Yards nicht mehr hören konnte. In einem der vielen Bäume raschelte es leise. Ein paar Blätter bewegten sich. Der Heckenschütze verriet sich durch eine unbedachte Bewegung, die Batuti sofort ausnutzte. Blitzschnell spannten seine mächtigen Arme den Langbogen. 5. Der Pfeil verließ die Sehne mit einem feinen Zirpen. Fast gleichzeitig mit dem Zirpen war ein durchdringender und greller Schrei zu hören. Ein uniformierter Soldat aus dem Gefolge des falschen Sultans tauchte im Blätterwerk auf. Er griff sich, immer noch schreiend, an den Hals und kippte dann vom Baum hinunter. Seine Muskete begleitete den Sturz. Als er auf dem Boden aufschlug, hörte das Schreien auf. Der Pfeil saß in seinem Hals und bohrte sich durch den heftigen Aufprall noch tiefer hinein. Ein paar Augenblicke später war der Mann tot. Batuti preßte die Lippen zusammen. „Sie wollen es nicht anders", sagte
34 er grimmig. „Wir haben ihnen schließlich nichts getan. Aber ich sehe auch nicht ein, daß ich mich von ein paar lausigen Dieben einfach abschießen lasse." Sie rechneten mit weiteren Schüssen, doch ihre Gegner waren äußerst vorsichtig geworden und verrieten ihre Standorte vorerst nicht mehr durch weitere Schüsse. Fast eine Stunde verging, in der sich nichts rührte. Sie belauerten sich gegenseitig, obwohl die meisten der Schnapphähne über den Standort ihrer Verfolger nur schlecht informiert waren. Ein paar schienen es zu wissen, die anderen konnten es nur vermuten oder ahnen. Batuti und Dan hielten scharf Ausschau und ließen in ihrer Aufmerksamkeit keinen Augenblick nach. „Was tun wir, wenn es uns gelingt, von hier unbemerkt zu verschwinden?" fragte Batuti. „Der anderen Spur durch das Flußbett folgen?" Dan hatte auch schon lange überlegt. „Wir kennen den Kurs, den sie genommen haben. Hasard wäre es vermutlich nicht recht, wenn wir weitergingen. Am besten wäre wohl, wir kehren wieder zurück und berichten, falls die anderen inzwischen nicht schon aufgebrochen sind. Wir könnten das auch dem Sultan von Golkonda sagen. Er kennt sich in diesem Gebiet aus und wird vermutlich eine Ahnung haben, wohin sich die Kerle wenden." „Mit dem Sultan befürchte ich noch das Schlimmste", meinte Batuti. „Bei dem haben wir restlos verspielt, der
kocht vor Wut, und wenn wir nichts vorweisen, dann ..." Er sprach nicht weiter, aber seine Andeutung und der kurze Griff an seinen Hals besagten mehr als alle Worte. „Er wird ja wohl nicht erwarten, daß wir beide ihm das Gold und Silber gleich mitbringen. Immerhin haben wir eine Spur gefunden und somit etwas vorzuweisen. Glaubst du..." „Vorsicht!" zischte der Gambiamann. Einem der Kerle war das Warten jetzt zu lange geworden. Ganz plötzlich tauchte er hinter einem Gebüsch auf, hob die Muskete und feuerte auf die Astgabel, wo die beiden hockten. Die Kugel surrte ihnen heiß um die Ohren und raste haarscharf neben ihnen durch das Blattwerk. Dan O'Flynn hob die Pistole und schoß. Es war eine doppelläufige Waffe, und er hatte noch eine zweite dabei, auch eine Pulverflasche und etliche Bleikugeln. Er traf den Kerl in den Oberarm. Der Inder führte brüllend ein Tänzchen auf, schlenkerte den Arm und hüpfte auf einem Bein herum. Dabei schrie er Zeter und Mordio. Da der Kerl ihnen ans Leder wollte, um sie heimtückisch zu töten, kannte Dan O'Flynn auch keinen Pardon mehr. Er schoß ein zweites Mal - und traf. Der Kerl schrie noch einmal auf und taumelte in die Büsche. Dort brach er zusammen und blieb liegen. „Ein paar haben wir schon vom Hals", sagte Dan grimmig. „Aber leider wissen wir nicht, wie viele Kerle
35 es sind. Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten." Batuti blickte gespannt zu einem Baum und gab keine Antwort. In dem Baum war ihm schon zuvor eine flüchtige Bewegung aufgefallen. Er glaubte auch nicht mehr daran, daß es sich um Tiere handelte. Die waren beim ersten Krachen der Muskete längst geflüchtet. Seiner Ansicht nach hockten in dem Baum zwei Kerle, und sie hatten eine äußerst günstige Schußposition, aber sie schienen sich nicht sonderüch wohl in ihrem Versteck zu fühlen. Der Grund dafür war einleuchtend. Gegen den Lichtschein, der durch das Blätterwerk fiel, erkannte Batuti ein riesiges Hornissennest. Es hing wie eine überdimensionale Traube aus Hunderten von Waben im Baum. Um das Nest schwirrten ziemlich große und aggressive Biester. Die beiden Kerle hatten Pech und wohl zu spät bemerkt, was da über ihren Köpfen hing. Deshalb verhielten sie sich auch auffallend ruhig. Dan sah seinen schwarzen Freund boshaft grinsen. „Hast du was entdeckt?" „Ja, in dem Baum dort drüben hokken irgendwo zwischen den Astgabeln zwei Kerle. Sie haben bisher noch kein einziges Mal gefeuert. Zum einen ist ihre Position zwar günstig, zum anderen aber befindet sich etwa zwei Yards über ihnen ein Hornissennest. Können auch große Bienen sein, so genau kann ich das nicht erkennen. Weil sie Angst haben, von den lieben Tierchen übel zugerichtet zu werden, haben sie sich bisher kaum bewegt."
„Damit wären wir zwei weitere los, die zumindest zur Untätigkeit verdammt sind." „Wir werden schon Bewegung in die Kerlchen bringen", versicherte Batuti grinsend. „Die kennen den Hornissentanz noch nicht. Der geht wie ein echter Veitstanz, nur viel, viel schneller, und man brüllt dabei wie ein Affe." Jetzt begann auch Dan breit zu grinsen. „Willst du etwa das Nest...?" Der schwarze Riese nickte, und immer wenn er ein „Späßchen" ausheckte, lachte er sorglos wie ein Kind. „Warum nicht! Wenn ich die obere Wabe mit dem Pfeil treffe, fällt der ganze Klumpen genau in die Astgabel. Dort hocken die beiden Bastarde meiner Meinung nach. Runter können sie nicht, weil sie dann von uns eins auf den Pelz gebrannt kriegen. Sich groß bewegen, können sie auch nicht, weil dann die fliegende Armee sauer wird. Sie scheinen die lieben Tierchen genau zu kennen." „Na, dann gut Schuß", sagte Dan, und sein Grinsen verstärkte sich noch. Der Mann aus Gambia visierte. Ein breites Lachen lag auf seinem Gesicht, als er den Bogen spannte. Er gab sich immer noch so unbekümmert wie ein großer Junge, als er den Bogen spannte. * Er zielte diesmal sehr sorgfältig, denn das Ziel war verhältnismäßig klein und undeutlich, weil es teil-
36 weise vom Laub der Urwaldbäume nen dreckigen Turban vom Kopf und verdeckt wurde. wedelte damit herum. Aber diese GeBatuti kniff die Augen zusammen bärde ließen den Schwarm nur noch und sah dem gefiederten Pfeil nach, wilder reagieren. der irgendwo im Grün des Dschun„Fast so schlimm wie Pistolenkugels verschwand. geln", murmelte Batuti. „Und man „Treffer", sagte Dan lakonisch, als kann sich nicht dagegen wehren." habe er es gar nicht anders erwartet. „Ja, sehr schlimm", pflichtete Dan Oberhalb der riesigen Astgabel, in bei und konnte sich das Lachen kaum der die Kerle wie in einer kleinen verkneifen. Höhle hockten, löste sich ein dunkles Die anderen, versteckt lauernden Gebilde. Es fiel, wie vorausberechnet, Heckenschützen rätselten vergeblich genau in die Astgabel. daran herum, was ihren Kumpanen Schon einen Augenblick später war so zusetzte. Sie wurden aus dem Geein zorniges Summen zu vernehmen. zeter, Gekreische und Gebrüll nicht Der Hornissenschwarm war aus sei- schlau. Aber es mußte etwas Entsetzner Ruhe gerissen und reagierte jetzt liches passiert sein, sonst würden sich die beiden nicht so verrückt benehäußerst aggressiv. Den beiden Kerlen schwante nichts men. Gutes, als die Tierchen verstört aufAngstvoll lauschten sie in den stoben und sie attackierten. Dschungel, wo jetzt Blätter raschelZunächst war ein Fluch in Hindi zu ten, gebrüllt und geschrien wurde. hören, dann ein Klatschen. Die beiEiner der Kerle, von den Hornissen den Heckenschützen wurden immer bereits so übel zugerichtet, daß er nervöser. kaum noch denken konnte, sprang Die Hornissen wurden angriffslu- auf, schlug wild um sich und stürzte stiger und bösartiger, als wedelnde sich mit einem Satz aus dem Baum. Hände sie zu vertreiben versuchten. Er landete in einem Gebüsch und Sie stürzten sich auf ihre Opfer und blieb stöhnend liegen. stachen zu. Der andere verteidigte sich. Doch Jetzt fluchten sie nicht mehr, aber es war völlig aussichtslos. Je mehr er ihr Geschrei war auf weite Entfer- wedelte und um sich schlug, desto agnungen durch den Dschungel zu hö- gressiver reagierten die wildgeworderen. Schließlich benahmen sie sich nen Hornissen. wie zwei Irre, fuhren in die Höhe, Schließlich hielt er es nicht mehr schlugen um sich und schrien ihr Ent- aus. Sein Körper brannte wie Feuer. setzen und ihren Schmerz hinaus. Überall gab es Stiche, und Hunderte Batuti und Dan lauschten dem Ge- der kleinen giftigen Biester zeigten brüll und sahen dem wilden Gefuch- ihm die Stachel. tel der beiden zu. Die Inder gerieten Er konnte auch nicht mehr abenin Panik, als sich immer mehr Hornis- tern. Er war blind vor Angst und Entsen auf sie stürzten. setzen, und so tat er es seinem KumDer eine fummelte kreischend sei- pan nach und sprang einfach aus der
37 Astgabel zu Boden. Er landete neben dem anderen, der sich kreischend aufraffte und nach ihm schlug. Ein Schwarm Hornissen war ihnen gefolgt und setzte den beiden erbarmungslos zu. Die benahmen sich jetzt wie tobsüchtige Derwische, zuckten konvulsivisch, tanzten wie irre durch die Büsche und schlugen mit Tränen in den Augen wild um sich. Einer rannte in seiner Panik gegen einen Baum, der andere taumelte wie blind davon. „Tatsächlich - wie beim Veitstanz", sagte Dan andächtig. Vor Lachen rollten ihm zwei Tränen aus den Augen. „Muskelzucken und unkontrollierte Bewegungen. Die wissen nicht mehr, was sie tun." Batuti nickte fröhlich. Dabei sah er sich trotzdem nach allen Seiten um. Sie durften nicht leichtsinnig werden, denn überall lauerten noch Heckenschützen. Die schienen ihre Aufmerksamkeit jedoch mehr auf die beiden Veitstänzer zu konzentrieren, die durch den Dschungel tobten und wahllos alles niedertrampelten, was ihnen im Weg stand. „Wir sollten die Gelegenheit nutzen", sagte Dan. „Der Schwarm verteilt sich jetzt auf mehrere Bäume. Vielleicht besuchen sie uns auch noch, und dann können wir mittanzen. Wollen wir es versuchen? Die anderen sind jetzt noch abgelenkt." „Ja, sollten wir. Wir springen hinunter und rennen auf den Baum da drüben los. Da haben wir Deckung. Weiter vor uns dürften sich keine Kerle mehr versteckt halten."
„Dann springen wir zugleich", sagte Dan. Batuti hängte sich den Bogen über die Schulter. Ganz kurz besprachen sie noch, welche Richtung sie dann nehmen würden. Sie sprangen und setzten federnd auf dem Boden auf. Im Zickzack rannten sie dann wie verabredet auf den großen Baum zu und verschwanden im Sprintertempo dahinter. Gebüsch und wilder Verhau nahm sie auf. Es raschelte noch ein paarmal, dann tauchten sie unter im Gewirr der Blätter, Lianen, Blumen und Schlingpflanzen. Jetzt erst fielen ein paar Schüsse, wahllos abgefeuert auf ein Ziel, das die Heckenschützen nicht mehr sahen. Nur noch ein Zufallstreffer konnte sie erwischen. Etwas später waren sie aus dem Hinterhalt heraus und konnten erleichtert aufatmen. „Das haben wir geschafft", sagte Dan. „Jetzt gehen wir durch das Flußbett zurück und erstatten den anderen Bericht. Ich bin sicher, daß sie schon aufgebrochen sind." Dan bemühte sich nach Kräften, das Tempo Batutis mitzuhalten. Der lief so leichtfüßig und schnell wie ein Buschmann, der ein Wild verfolgt und nicht müde wird. Hin und wieder sahen sie die Zeichen, die sie hinterlassen hatten - ein paar aufgeschichtete Steine, ein dürrer, etliche Male geknickter Ast, der die Richtung wies, oder umgeknickten Bambus, den sie am Waldrand markiert hatten. Die Sonne neigte sich im Westen den Hügeln und Bergen zu und ver-
38 sank gemächlich hinter ihnen. War die Sonne erst mal weg, würde es schnell dunkel werden. Der Übergang von Dämmerung zur Nacht war nur kurz. Noch vor Einbruch der Dunkelheit trafen sie die anderen, die tatsächlich schon aufgebrochen waren, um ihnen zu folgen. Dan O'Flynn sah sie auf die weite Entfernung zuerst. „Unsere Leute", sagte er und wies auf ein paar kleine, kaum sichtbare Punkte, die sich am Rande des Flußbettes bewegten. Er schätzte ihre Zahl auf fünfzehn. Kurze Zeit später trafen sie zusammen. Hasard führte die Gruppe an. Einige trugen Musketen mit sich, die anderen waren mit Pistolen, Schiffshauern und Messern bewaffnet. „Gut, daß ihr da seid", sagte der Seewolf. „Den Spuren zu folgen, wird bei Anbruch der Dunkelheit immer schwieriger. Sie sind kaum noch zu sehen. Wir haben zwar Fackeln mitgenommen, aber damit verraten wir uns bei Nacht schon auf weite Entfernungen. Habt ihr die Halunken entdeckt?" „Ja, wir sind in einen raffiniert gelegten Hinterhalt gelaufen", berichtete Dan. Er erzählte, was passiert war und welche Schlüsse sie daraus gezogen hatten. „Wirklich raffiniert", mußte Hasard widerwillig zugeben. „Dieser Shastri ist ein Fuchs, ein ausgekochter Halunke. Im Moment ist er uns noch überlegen, aber das wird sich ändern." „Wir wollten dir die Entscheidung
überlassen, Sir", sagte Dan. „Ich nehme an, die Kerle haben noch mehr solcher Hinterhalte angelegt. Das war sicher nicht der einzige." „Wir haben also zwei Richtungen", meinte Hasard. „Es kann durchaus sein, daß die eine nur der Ablenkung dient und wir ins Leere stoßen. Es kann aber auch umgekehrt sein." „Wir nehmen an, daß sie das Gold auf dem trockenen Flußbett in Sicherheit bringen", bemerkte Batuti. „Dort gelangen sie schneller voran, verlieren keine Zeit und können einen Gegner mitunter schon meilenweit sehen." „Das wäre durchaus logisch." Hasard blickte nachdenklich dorthin, wo die Sonne jetzt nur noch ein dunstiger Schimmer war und einen rosigen Strahlenkranz verbreitete. „Hast du im Norden irgendwelche Orte auf den Karten entdecken können?" fragte Hasard. Dan hatte das Kartenmaterial, das den Verlauf der indischen Küste zeigte und von Ischwar Singh stammte, noch genau im Kopf. Aber meist waren dort nur die Orte eingezeichnet und benannt, die direkt an der Koromandelküste lagen. „Direkt im Westen erstreckt sich ein großes und langes Gebirge. Das dürfte eine ziemlich unwirtliche Gegend sein, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Shastri das Gold nach Norden bringt. Im Norden an der Küste war ein Ort eingezeichnet, der sich Nellore nennt. Danach ist auf etliche Meilen gar nichts, bestenfalls ein paar Fischerdörfer oder kleine Ansiedlungen." „Und Nellore ist größer?"
39 „Ja, ein größerer Ort." „Wie weit dürfte es bis dorthin sein?'' „Kann ich nur schätzen, Sir. Etwa achtzig Meilen, über den Daumen gepeilt." „Das ist noch eine beachtliche Strecke, die sie nicht in ein oder zwei Tagen mit den Elefanten zurücklegen können. Es ist möglich, daß Shastri unsere Ladung zu diesem Ort bringt. Vielleicht wartet da irgendwo ein Schiff, mit dem sie dann verschwinden, nachdem das Zeug umgestaut ist. Aber das ist nur eine Vermutung. Der ausgekochte Bastard wird natürlich alles versuchen, um seine Spuren zu verwischen, weil er den gerechten Zorn des Sultans fürchtet." „Was sollen wir tun, Sir?" „Auf diese Art und Weise hat es keinen Zweck, den Kerlen weiterhin zu folgen. Wir werden zurückkehren und mit der Schebecke dem Küstenverlauf bis nach Nellore folgen. Auf alle Fälle sind wir schneller da und können die Kerle abfangen. Wir werden auch gleichzeitig jede Bucht genau untersuchen, ob dort ein Schiff verborgen liegt." „Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler", sagte Don Juan. „Der Sultan wird davon nicht sehr begeistert sein, wenn wir lossegeln. Außerdem können wir den Hafen nicht verlassen, Er hat die Galeere so vor die Ausfahrt gelegt, daß ..." „Weiß ich alles, Juan. Dann werde ich eben die Erniedrigung auf mich nehmen und ihn höflich darum bitten. Wir haben ja die gute Absicht, die Ladung wieder zu beschaffen." „Ein Gang zum Beichtvater",
meinte der Spanier. „Eine Art Bußgang, wie ihn arme Sünder unternehmen. Der Sultan wird dich im Büßergewand vor seiner verdammten Galeere stehenlassen." „Ich habe nicht vor, ein Bußgewand anzulegen. Ich will ihm nur die Lage auseinandersetzen und ihm verklaren, daß wir immerhin etwas unternommen haben und nicht untätig waren. Er kennt seinen Vetter besser als wir, und vielleicht fällt ihm dazu etwas ein, wenn wir die Richtung der Karawane angeben." „Einen Versuch ist es immerhin wert. Aber ich glaube, daß er stur bleiben wird." „Werden wir ja sehen. Wir kehren um. Das ist das Beste, was wir im Augenblick tun können. Immerhin hat uns der Sultan nicht daran gehindert, die Schebecke zu verlassen." „Womit er auch kein Risiko einging. Wir werden ja schließlich nicht in den Dschungel oder in die Berge flüchten, um uns dort zu verstecken." „Du hast ja selbst gesagt, daß es einen Versuch wert sei. Er ist ein intelligenter Mann, daher muß er auch Argumenten gegenüber aufgeschlossen sein." Der Seewolf war jedoch von seinen eigenen Worten nicht ganz überzeugt. 6. Sie brauchten etwas mehr als eine Stunde, bis sie wieder bei der Schebecke eintrafen. Den anderen wurde ein kurzer Bericht erstattet. Hasard verlor jetzt keine Zeit
40 mehr. In der abgefierten Jolle ließ er sich zur Galeere hinüberpullen. Mittlerweile war es finster geworden. In Madras brannten in einigen Hütten kleine Öllampen, die die Häuser und den Ort gespenstisch erhellten. Zudem ergoß noch der Mond sein silbriges Licht auf die Bauten. Auch aus dem offenen Portal der Kathedrale drang Lichtschimmer. Das Achterdeck der Galeere war ebenfalls von Öllampen erleuchtet. Diener und Lakaien des Sultans hatten dort einen organgefarbenen künstlichen Himmel erschaffen. Der Himmel war ein riesiger Baldachin aus kostbarer Seide. Von dem Baldachin hingen lange Seidenschleier hinunter, die den Blick in das Innere verwehrten. Dennoch war durch die feine Seide alles in den Umrissen und Konturen deutlich zu erkennen. Der Profos kriegte schon Stielaugen und grinste lüstern, als er sich einmal umdrehte und einen Blick zu dem geheimnisvollen erleuchteten Achterdeck warf. Unter dem Baldachin stand ein prunkvolles Lotterbettchen, auf dem lässig der Sultan lag. Vor ihm waren Körbe mit Früchten aufgebaut, und hinter dem Lotterbett befanden sich weitere seidene Vorhänge. Das alles sah ein bißchen nach Tausendundeiner Nacht aus und wirkte sehr exotisch. Der Geruch nach stark duftenden Ölen drang herüber. Leise Musik war zu hören in der lauen Nacht. Der Profos verschluckte sich, als er noch einmal den Hals verrenkte, um sich ja nichts entgehen zu lassen. Vor dem Lotterbettchen bewegten
sich drei verschleierte Frauenzimmer anmutig zum Tanz der Musik. Sie trugen Perlenketten und Schleier, die ebenfalls von Perlenketten zusammengehalten wurden. Sie tanzten vor dem Sultan, und eine ließ einen Schleier fallen, eine kleine bunte Wolke aus Seide, die wie ein Schmetterling davonschwebte. „Sultan müßte man sein", brummelte der Profos, und es war deutlich der Neid aus seiner Stimme zu hören. „Der hat's gut, wo hier in diesem miesen Kaff nichts los ist." Hasard seufzte ein bißchen, aber das lag nicht an den verschleierten Ladies, die ihre Hüften so elegant schwangen. „Nicht gerade der günstigste Zeitpunkt für ein Gespräch", meinte er. „Vielmehr der unpassendste Augenblick überhaupt. Seine Laune dürfte das ganz sicher nicht heben." „Die hätten ja mit ihrem Schleiertanz noch warten können", sagte Carberry. „Oder sie hätten zuerst auf der Schebecke damit anfangen sollen." „Das wäre mir tatsächlich lieber gewesen." Auf der Galeere gingen Wachen. Es waren mindestens acht Mann, die den Sultan in seiner Mußestunde beschützten. Es dauerte auch nicht lange, bis sie angepreit wurden. „Was wollt ihr?" fragte eine grobe Stimme. Von Höflichkeit war keine Spur mehr zu bemerken. Es war einer der Lakaien, die den Sultan zur Schebecke begleitet hatten. Jetzt gab er sich sehr von oben herab. „Killigrew", sagte Hasard und er-
41 hob sich von der Ducht. „Ich möchte um eine kurze Unterredung mit dem Sultan bitten. Es ist von äußerster Wichtigkeit und betrifft die verschwundene Ladung." Der Kerl stierte auf die Jolle und schien zu überlegen, ob er die Bitte weitergeben sollte. „Seine Hoheit ist sehr beschäftigt, Senhor Killigrew." „Den Sir lassen sie auch schon weg", knurrte Carberry leise. Hasard sah selbst, daß Seine Hoheit sehr beschäftigt war. Er geruhte gerade, einer der Schönen den Schleier abzunehmen und ein wenig an ihr herumzutätscheln. „Es ist wirklich sehr dringend", sagte Hasard eine Spur härter. Der Lakai, herausgeputzt wie die indischen Elefanten bei einem der Feste, blickte sie noch eine Weile finster an, ehe er sich reichlich widerwillig nach achtern trollte. Von der Jolle aus konnten sie so ziemlich alles beobachten, was sich auf dem Achterschiff tat. Dort tanzten immer noch die Ladies den Tanz der verlorenen Schleier. Einer nach dem anderen fiel, bis Edwin Carberry einen trockenen Hals kriegte und sich unnötigerweise immer wieder räusperte. Die Zeremonie da drüben lief recht umständlich ab. Der Lakai meldete es einem anderen. Der ging ebenfalls ein paar Schritte nach achtern und redete auf einen dritten ein. Der hörte sehr geduldig zu und ließ sich viel Zeit. Er ging wiederum zu einem anderen, der ganz in der Nähe des Baldachins stand, und der überlegte abermals
gründlich, ob er den Sultan bei seiner anstrengenden Arbeit überhaupt stören dürfe. Nach einer Weile ging er hinein und verschwand schattenhaft hinter einem der vielen Schleier. Der Sultan schien heute wirklich sehr ungnädig oder verärgert zu sein. Der Kerl hatte noch nicht richtig den Mund geöffnet, da wurde er auch schon angeblafft und flog hinaus. „Ende für heute", sagte Nils Larsen von der Ducht her. Wieder wurde die Nachricht auf demselben umständlichen Weg weitergegeben, bis sie bei dem Kerl ganz vorn landete. Der Lakai zeigte mit dem Finger auf die Jolle und sagte mokant: „Wartet hier eine halbe Stunde. Seine Hoheit hat im Augenblick keine Zeit und nimmt gerade das Nachtmahl ein." Hasards Lippen wurden zwei dünne Striche. „Juan hat gar nicht so unrecht gehabt", sagte er. „Der Gang zum Beichtvater, von dem man wie ein dummer Schuljunge behandelt wird. Natürlich ist das reine Schikane." „Und das nennt er dann noch sein Nachtmahl einnehmen", empörte sich der Profos. „Der vernascht doch nur die hübschen Blinzelbienen mit den Tüllgardinen." „Was du an seiner Stelle natürlich nicht tun würdest", sagte der Seewolf mit einem bissigen Lächeln. „Ich war schon immer ein frommer Pilger", begann der Profos, aber Nils Larsen winkte ab, weil sie gerade diesen Spruch schon auswendig kannten. Und den vom Moralprediger
42 kannten sie auch sowie den gottgefälligen Gesichtsausdruck des Profosen mit zum Himmel gekehrten Blick und der ekstatischen Verzückung. Sie hockten da und warteten, und mit jeder Minute, die weiterhin nutzlos verstrich, sank Hasards Laune. Auf der Schebecke wurde geglast. Eine halbe Stunde war abgelaufen, und es tat sich nichts. Eine weitere Viertelstunde verging. Hasards Geduld erschöpfte sich langsam, aber gründlich. „Die halten uns doch zum Narren", sagte der Profos sauer. Nach ein paar Minuten preite der Seewolf noch einmal den Lakai an, diesmal etwas nachdrücklicher und mit eisiger Stimme. „Geduldet euch noch", wurde ihm hochnäsig beschieden. „Seine Hoheit darf beim Nachtmahl nicht gestört werden." Ein Blick zum Baldachinn bewies ihnen, daß der Sultan aufgestanden war, aber keineswegs das Nachtmahl einnahm. Er ging ein paar Schritte durch das kleine Gemach und nahm dann wieder auf dem Diwan Platz. Da glaste es von der Schebecke erneut. Hasards Augen wurden schmal. „Über eine Stunde ist jetzt vergangen, und der hohe Herr zeigt nicht das geringste Interesse. Offenbar scheint ihm recht wenig an der kostbaren Ladung zu liegen. Ich verstehe nicht, warum er sich dann so aufgeführt hat." „Er will uns damit strafen", sagte der Profos. „Wir sollen wie kleine, dumme Jungen dastehen und uns
schämen. Deshalb straft er uns mit Verachtung." „Dann soll er sich aber andere, dumme Jungen dafür aussuchen. Wir kehren an Bord zurück." „Na, endlich", erklärte der Profos. „Wir sind doch nicht seine Affen. Der Kerl haut sich feines Gemüse rein und befummelt die Schleierladies, und wir müssen zusehen. Das stinkt mir schon länger als eine Stunde." Sie hauten die Riemen ins Wasser. Hasard sah im Widerschein der Ölfunzeln, daß der Lakai hinterhältig grinste. Auf dem Achterdeck gingen hinter dem Baldachin und den seidenen Vorhängen die Öllampen aus, bis der Raum in dämmriges Dunkel gehüllt war. Seine Hoheit geruhten, heute nicht mehr zu empfangen. * Noch vor Morgengrauen verholte die osmanische Galeere an die lange Pier, wo auch die Schebecke lag. Sie verholte so, daß der Rammsporn jetzt auf den Bug zeigte. Wie zufällig waren auch die leichten Geschütze auf die Schebecke gerichtet. Die Ruderer saßen immer noch auf ihren Bänken. Bei manchen Galeeren wurden sie nachts losgeschlossen und nach unten in den Bauch des Schiffes gebracht, wo sie schlafen und sich ausruhen konnten. Hier war das Angekettetsein offenbar ein Dauerzustand. Nur einmal am Tag durften sie auf den Abtritt, dann
44 wurden sie wieder in Eisen geschlos- um für das Frühstück zu sorgen. Wieder mal zog ein lieblicher Duft über sen. In Kummen wurde ihnen Reis ge- das Deck. Auf der Galeere waren Baldachin, bracht. Dazu erhielt jeder eine große Seidenvorhänge und Lotterbett wie Mucke voll Wasser. durch Zauberei verschwunden. Ein glatzköpfiger Kerl, es war jeNichts deutete mehr auf die exotische ner, der die Trommel schlug und den Nacht des Sultans hin. Das große Rudertakt angab, brachte Pützen mit Schiff sah wieder nüchtern und sehr Seewasser an Deck. Die Ruderer wurzweckmäßig aus. den damit Übergossen und schüttelDer Sultan selbst war nicht zu entten sich. Danach war die Prozedur beendet, und jeder hatte seine Erfri- decken. Auch die Schleierladies beschung. fanden sich irgendwo in anderen „Nehme an", sagte Carberry, der Gemächern. An Deck tauchten sie jeseit gestern nicht mehr gut auf den denfalls nicht auf. Ein paar der LaSultan zu sprechen war, „seine Groß- kaien und Soldaten waren zu sehen. oberhochlordschaft werden sich jetzt Die Ruderer an Deck hatten noch die Ehre geben. Aber ich würde den glänzend nasse Oberkörper von dem Onkel dann genauso lange zappeln Wasserguß. lassen, Sir." Hasard nahm an, daß das Erscheinen des Sultans nicht lange auf sich „Kleinliche Rache ist nicht in jewarten lassen würde. Irgend etwas dem Fall angebracht", mußte sich mußte ja jetzt unternommen werden, Carberry belehren lassen. „Wenn ich ihn jetzt ebenfalls warten lasse, dann doch er dachte nicht daran, die ereskaliert die ganze Sache, und für uns niedrigende Prozedur von gestern zu springt nichts als Ärger dabei heraus. wiederholen. Den haben wir aber bereits zur GeWiederum aßen die Arwenacks nüge und müssen uns nicht noch ziemlich lustlos. Sie alle wußten, daß mehr einhandeln." etwas bevorstand, das nicht gerade „Der heutige Tag wird jedenfalls sehr angenehm zu werden versprach. kein vergnüglicher", orakelte Old Do- Das Unheil lag buchstäblich in der negal. „Ich wünschte, wir wären tau- Luft. send Meilen fort." Hasard fuhr herum, als Ben Brigh„Die Suppe müssen wir so oder so ton ihn antippte. auslöffeln", sagte Hasard. „Daran „Auf dem Schiffchen wird's lebenführt kein Weg vorbei. Ich hoffe nur, dig, Sir." daß er sich abreagiert hat und heute Vier Soldaten, bewaffnet mit Musetwas zugänglicher ist. Laßt euch keten, verließen die große Galeere also nicht provozieren. Streit ist das und marschierten über die wacklige letzte, was wir in unserer Lage brau- Pier. Dabei mußten sie zwangsläufig chen." an der Schebecke vorbei. Der Kutscher, Mac und Clint hanDie Männer trugen Turbane und tierten bereits eifrig in der Kombüse, hatten finstere, bärtige Gesichter. Sie
45 gingen vorbei, ohne die Arwenacks auch nur eines Blickes zu würdigen. „Die riegeln die Pier noch zusätzlich ab", meinte Ferris Tucker. „Sie wollen uns den Weg verlegen." „Der ist uns ohnehin verlegt", sagte Hasard. „Mindestens ein Dutzend Geschütze sind auf uns gerichtet. Wir hätten nicht den Hauch einer Chance zum Durchbruch, ohne durchlöchert zu werden. Die Kerle gehen nur auf Nummer Sicher." Die vier marschierten bis ans Ende der Pier, wo sich ein schmaler Sandstreifen befand. Dort nahmen sie Aufstellung und blickten finster vor sich hin, ohne sich zu rühren. Zwei weitere Inder verstärkten die Gruppe nach ein paar Minuten. Sie gingen lediglich ein paar Schritte weiter und blieben dann stehen wie festgenagelt. Inzwischen war längst die Sonne aufgegangen, und im Hafen von Madras wurde es warm. Kein Lufthauch wehte vom Meer herüber, dessen Oberfläche leicht gekräuselt war. In diesem Teil des Hafens würde bald wieder mörderische Hitze herrschen. „Sieht nach einer kleinen Gewaltanwendung aus", sagte der Profos bedächtig zwischen zwei Bissen. Er aß mit sichtlich gutem Appetit und unterschied sich damit in nichts von Paddy Rogers, der sich absolut nicht stören ließ. „Ich frage mich nur, ob wir uns das gefallen lassen müssen, Sir." „Warst du nicht immer ein friedlicher Pilger? Na also. Friedliche Pilger wenden doch keine Gewalt an. Und das werden wir in diesem Fall auch nicht tun. Der Sultan will sein
Gold haben, und wir werden alles dransetzen, es zu beschaffen. Ich nehme an, diesmal wird er es sein, der eine Unterredung will." „Was ist, wenn die Kerle uns angreifen?" „Das glaube ich nicht. Was hätten sie auch davon? Nichts weiter als ein paar tote Männer auf beiden Seiten." Hasard sah aus den Augenwinkeln ein Bewegung bei den Schuppen. Es waren Lehmschuppen, die zur Unterbringung von Waren dienten. Meist wurde jedoch nicht viel darin gelagert. „Soldaten", sagte Dan, der dem Blick gefolgt war. „Weiß der Teufel, wie die so plötzlich dahingelangt sind. Ich schätze, es sind insgesamt mindestens zwei Dutzend, die inzwischen ganz unauffällig den gesamten Hafen abgeriegelt haben." Die Soldaten des Sultans gaben ihr anfängliches Versteckspiel jedoch schnell auf und zeigten sich. Die Arwenacks rätselten noch daran herum, wann man die Soldaten abgesetzt haben mochte. Vielleicht war es unbemerkt noch während der Nacht auf der ihnen abgewandten Seite der Galeere geschehen. Die Wachen hatten jedenfalls nichts bemerkt, und sie hatten wahrhaftig nicht geschlafen. Überall tauchten sie jetzt auf, mit ihren Krummdolchen im Gürtel und Musketen in den Händen. „Hat der Sultan nicht gesagt, wir würden das Gold gemeinsam holen?" fragte Don Juan. „Möglicherweise sind das die Soldaten, die mit uns zusammen gehen werden." „Er hat aber auch gesagt, daß er
46 uns einen Tag Zeit gibt, das Gold zu und seine Bande dürften inzwischen beschaffen", erwiderte der Seewolf. einen sehr großen Vorsprung haben." Hasard bat den Sultan an Bord, „Das widerspricht sich." In diesem Augenblick ertönte auf doch der Inder ging nicht darauf ein und blieb mit seinen Lakaien auf der der Galeere ein dumpfer Gong. Sie alle wandten ruckhaft die Pier vor der Schebecke stehen. Er sagte nichts, er schien nur zu Köpfe. Der Sultan von Golkonda erschien warten. Hasard, der hier jeden unnötigen an Deck, und in seinem Gefolge befanden sich wieder die Lakaien, von Ärger vermeiden wollte, tat ihm den denen der eine sie hochnäsig und her- Gefallen. „Wir haben eine Spur gefunden, ablassend behandelt hatte. „Jetzt werden wir ja wohl etwas Hoheit", sagte er. „Wie schön. Und nach einer Weile mehr erfahren", sagte Hasard. Er war ruhig und gelassen, und das übertrug haben Sie sie natürlich wieder verlosich auch auf seine Männer, die dem ren. Oder haben Sie das Gold gleich mitgebracht?" Sultan gespannt entgegensahen. Der Ton ärgerte Hasard, das Gebaren ebenfalls. Aber noch gab er sich höflich und verbindlich. 7. „Nein, wir haben das Gold nicht. Der Blick des Sultans war finster, Die Karawane bewegte sich in einem als er die Pier betrat. Seine dunklen ausgetrockneten Flußbett erst nach Augen schossen Blitze nach allen Westen, später nach Norden. Zwei Richtungen. Seine Laune schien aus- meiner Leute sind ihnen gefolgt." gesprochen schlecht zu sein. „Das habe ich gesehen." Er blieb vor der Schebecke stehen „Die Karawane trennte sich nach und musterte Hasard mit einem lan- ein paar Meilen. Einige Elefanten zogen Blick von oben bis unten. gen weiter nordwärts, die anderen Der Seewolf wünschte einen guten nahmen einen Weg durch den Morgen, doch der Gruß wurde nicht Dschungel und legten dort einen Hinerwidert. terhalt." „Ich bat Sie heute nacht um eine „Einen Hinterhalt? Wie darf ich Unterredung", begann der Seewolf, das verstehen?" „doch sie wurde mir nicht gewährt. „Es war vermutlich ein Trick von Inzwischen ist kostbare Zeit vergan- Shastri, die Verfolger in die Irre zu gen." führen. Meine Leute folgten ein paar „Ich gewähre Unterredungen nur Elefanten, die nur zum Schein diesen dann, wenn ich das für richtig be- Weg durch den Dschungel nahmen. finde, Senhor." Sie wurden etwas später aus sicherer Die Stimme klang kühl und über- Deckung heraus beschossen." heblich. Zum erstenmal schien der Sultan „Das ist Ihre Sache, Hoheit. Shastri etwas interessierter zu sein.
47 „Das würde Shastri ähnlich sehen", sagte er. „Ja, das würde genau zu ihm passen. Er hat die Leute schon immer betrogen, sie hinters Licht geführt und sich gläubige Opfer gesucht. Und Sie haben ihn dabei tatkräftig unterstützt." Hasards Augen wurden eine Spur kälter. Es glitzerte jetzt wie Eis darin. „Ich lasse mir keine unlauteren Absichten unterstellen, Hoheit, auch nicht von Ihnen, bei allem Respekt nicht. Wir fielen unwissend auf einen raffinierten Betrüger herein, von dem wir nach allem, was wir sahen, tatsächlich annehmen mußten, daß er der Sultan sei." In diesem Punkt war mit dem Sultan nicht zu reden. Er stellte sich stur. „Sie hätten sich eben genau vergewissern sollen. Man gibt nicht einem Dieb, der sich als Sultan verkleidet, einfach elf Tonnen Gold und Silber in die Hände." „Wie hätte ich mich denn vergewissern sollen? Ischwar Singh gab mir leider kein Ölgemälde mit, auf dem Sie abgebildet sind." „Man kann die Leute hier befragen, ob alles seine Richtigkeit habe", erklärte der Sultan. „Man muß es sogar tun, wenn man so kostbare Ladung an Bord hat." Hasard hielt das für einen Witz, ohne es jedoch zu sagen. „Wir reden hier stundenlang über Dinge, die zur Zeit leider nicht zu ändern sind, Hoheit. Dabei verlieren wir immer mehr Zeit. Ob der große Akbar damit einverstanden wäre, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls scheint er die Ladung zu er-
warten. Ich möchte Ihnen deshalb einen Vorschlag unterbreiten." Der Sultan nickte und gab sich etwas gelangweilt. „Wir nehmen an, daß Shastri auf dem Landweg über das ausgetrocknete Flußbett Nellore erreichen will. Von dort kann das Gold möglicherweise auf ein Schiff umgeladen werden." In dem mahagonifarbenen Gesicht erschien ein überhebliches Lächeln. „Sie scheinen ihn für sehr dumm zu halten, meinen Vetter, meinen Todfeind, Senhor. Er wird ganz bestimmt nicht mit der Karawane nach Nellore ziehen. Mit Sicherheit nicht." „Aber es gibt weiter im Norden keine größeren Orte. Darüber wollte ich gestern mit Ihnen sprechen." „Es gibt noch Gudur, und es ist wahrscheinlicher, anzunehmen, daß er dorthin gehen wird. Aber Sie wollten einen Vorschlag unterbreiten." „Gudur", murmelte Hasard. „Das liegt nicht an der Küste. Wir waren vor Jahren dort einmal in der Nähe." Das Lächeln im Gesicht des Sultans vertiefte sich. Gleichzeitig war er aber auch sehr mißtrauisch. „Ich nehme an, Sie beabsichtigen, Shastri auf dem Seeweg zu folgen, um ihn in Nellore abzufangen." „Ja, das hatte ich vor, Hoheit. Mit dem Schiff sind wir schneller als er mit den Elefanten." Der Seewolf zuckte zusammen, als der Sultan lachte. Er schien sich köstlich zu amüsieren. Auch die Lakaien brachen in Gelächter aus und konnten sich kaum beruhigen. Hasard sah die Männer befremdet an.
48 „Ist der Vorschlag so abwegig?" fragte er eisig. „Der Vorschlag ist der Gipfel der Frechheit", erwiderte der Sultan belustigt. „Er würde allem die Krone aufsetzen." „Das verstehe ich nicht." „Sie treffen dort mit Shastri zusammen, teilen die Ladung und verschwinden, während wir hier warten, daß Sie das Gold zurückbringen." Hasard schluckte hart. Er mußte sich beherrschen, nicht laut loszubrüllen. „Ich setzte voraus, Sie seien ein intelligenter Mann", sagte er mit klirrender Stimme. „Das alles ergäbe doch keinen Sinn. Wir hätten mit dem Gold gar nicht erst Madras anzulaufen brauchen, sondern wären gleich nach Bombay damit verschwunden, wenn wir das gewollt hätten." „Sie zweifeln an meinem Verstand?" fragte der Sultan. „Ich zweifle an Ihrem logischen Denken, Hoheit, mehr nicht. Und ich nahm an, wir könnten vernünftig miteinander reden. Das scheint mir aber nicht mehr der Fall zu sein." „Es ist genug geredet. Wir verschwenden nur Zeit." „Das finde ich auch, wir sollten jetzt handeln." Das Lächeln im Gesicht des Sultans war falsch. Seine dunklen Augen schossen wieder kleine wilde Blitze. „Wir werden jetzt auch handeln. Und zwar werde ich Ihren Vorschlag aufgreifen und den Weg an der Küste entlang nehmen. Irgendwo auf der Höhe von Gudur, aber sicher nicht in Nellore, wird gut versteckt ein Schiff
liegen, davon bin ich fest überzeugt. Vielleicht sind es auch nur ein paar Fischerboote, die das Gold übernehmen. Wir werden diese Diebesbande gemeinsam suchen." Hasard atmete erleichtert auf. „Na, endlich! Davon rede ich ja die ganze Zeit. Die Schebecke ist schnell und leicht uns sehr wendig, und sie kann selbst bei Windstille gerudert werden." „Die Galeere auch", sagte der Sultan süffisant. „Sie bleibt in keiner Flaute stecken, und wenn der Schlagmann den richtigen Takt angibt, dann segelt sie wie eine Schwalbe über das Wasser. Aus diesem Grund werde ich die Galeere nehmen, nicht die Schebecke. Und Sie werden sich bei mir an Bord einfinden." „Einverstanden, Hoheit" sagte der Seewolf. „Ich wußte doch, daß wir miteinander reden können." „Ich lasse jederzeit mit mir reden, solange es nicht um fremdes Eigentum geht. Darum geht es aber, und allein aus diesem Grund will ich nicht das kleinste Risiko eingehen." Hasard verstand auch das und war froh, daß der Sultan jetzt zugänglicher wurde. Nur das Lächeln und das Glitzern in den Augen gefiel ihm noch immer nicht. Es drückte falsche Freundlichkeit aus. „In einer halben Stunde", sagte der Sultan im Befehlston, „sind Sie mit Ihren Männern an Bord. Mein Diener wird jetzt jene aussuchen, die inzwischen auf der Schebecke bleiben, bis wir wieder zurückgekehrt sind. Erfolgreich zurückgekehrt, selbstverständlich." „Ziemlich anmaßend, der Bur-
49 sehe", raunte Dan auf englisch. „Ich habe so ein verdammt mulmiges Gefühl bei der Sache. Der Mann hat etwas mit uns vor." „Wir beschaffen das verdammte Gold und verschwinden", erwiderte der Seewolf. „Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe und Madras so schnell wie möglich wieder verlassen kann. Dazu soll mir auch die Galeere recht sein." „Na schön, dann geben wir eben klein bei. Wir haben uns ohnehin bis auf die Knochen blamiert." Einer der jetzt wichtigtuerischen und hochnäsigen Lakaien ging an Bord und musterte die Männer wie Vieh, das auf einer Auktion verkauft werden sollte. Sein Blick streifte den neuen Moses, den jüngsten Mann an Bord, Clint Wingfield. „Du bleibst auf dem Schiff zurück", sagte er. „Zu schwach." Der nächste, den er musterte, war der graubärtige und riesige ExSchmied von Arwenack, allgemein Big Old Shane genannt. Vor ihm blieb er eine Weile stehen. Aber irgend etwas schien ihn an Shane zu stören, obwohl von dem Mann eine unwahrscheinlich bullige Kraft ausging. „Er bleibt auch hier zurück", sagte er in Richtung Hasard. Will Thorne war an der Reihe, der alte, bescheidene und immer im Hintergrund bleibende Segelmacher, der still und freudig seine Arbeit tat und nie aufmuckte. „Zu alt", blaffte der Lakai und ging weiter zu Mac Pellew. Der zog ein Gesicht wie eine saure
Miesmuschel und musterte seinerseits den Lakaien geringschätzig, aber auch griesgrämig und übelgelaunt. „Können wir nicht brauchen", sagte der Kerl. „Der bleibt auch hier." Hasard sagte nichts. Er war froh, wenigstens einige Leute auf der Schebecke zu haben, die das Schiff bewachten, denn in Madras gab es ein paar üble Hafenratten und Beutelschneider. Als sein Blick schließlich auf Old Donegal O'Flynn fiel, winkte er verächtlich ab. „Ein Holzbein, ein humpelnder Alter. Bleibt auch hier", entschied er. „Affenarsch", sagte Old Donegal auf englisch, weil er den indischen Ausdruck dafür nicht kannte. Der Lakai ging mit stolzgeschwellter Brust zu seinem Herrn. „Die Kerle mit den Haken an den Armen sind kräftig. Erst wollte ich sie nicht nehmen, aber sie sind doch sehr stark, Hoheit." „Dann ist es gut", sagte der Sultan. Er warf Hasard einen schnellen Blick zu und nickte. „Für den Aufenthalt auf der Galeere untersteht ihr dem Kommando des Schlagmannes, der den Takt angibt", sagte er. „Vergünstigungen stehen euch nicht zu. Ihr werdet behandelt wie Sklaven, und zwar solange, bis der Schatz wieder in meinem Besitz ist. Ich werde Shastri jagen, bis ich ihn habe, und solange bleibt ihr angekettet auf der Galeere." Hasard glaubte, sich verhört zu haben. Die anderen Arwenacks sahen den Sultan ungläubig an.
50 „Einen Augenblick", sagte der Seewolf. „Da haben wir uns wohl mißverstanden, Hoheit. Wir sind freie Männer und keine Sklaven. Wir haben angeboten, freiwillig als Ruderer zu dienen, aber nicht als Sklaven, die in Ketten geschlossen sind und keine Rechte haben. Damit bin ich nicht einverstanden, und meine Männer auch nicht. Ist es so?" fragte er in die Runde. Die Arwenacks murmelten laut und bestätigten, daß sie keine Sklaven seien. Daher also dieses süffisante Grinsen, dachte Hasard. Es hatte ihm gleich nicht gefallen. „Ob Sie einverstanden sind oder nicht, Senhor, interessiert mich absolut nicht. Ich befehle in diesem Land, und ich lasse jeden hinrichten, der sich laut empört oder meine Befehle mißachtet. Ich kann Sie auch alle köpfen, hängen oder erschießen lassen, und kein Hahn wird hier danach krähen. Sie haben sich meinen Befehlen zu beugen, und die lauten, daß Sie so lange mein Eigentum auf der Galeere sind, bis ich das Gold für Akbar in meinen Händen halte. Wenn das der Fall ist, dann sind Sie wieder freie Männer und können segeln, wohin Sie wollen. Es ist Ihre Schuld und nicht die meine, daß die Ladung verschwunden ist." „Ich lasse mich nicht anketten und von einem hirnlosen Affen verprügeln!" rief der Profos mit unterdrückter Wut. „Ich lege mich freiwillig in die Riemen und werde mich anstrengen. Aber nicht unter dieser menschenunwürdigen Bedingung." Die anderen murrten ebenfalls.
„Ruhe", sagte der Seewolf. „Ich gebe Ihnen mein Wort, Hoheit, daß keiner meiner Männer heimlich verschwindet, falls Sie das befürchten. Sie werden hart rudern, denn jeder ist selbst daran interessiert, daß wir die Ladung des Ischwar Singh wieder zurückkriegen." „Ihr Wort ist nicht viel wert", entgegnete der Sultan mit einer abschätzenden Handbewegung. „Ich gebe nichts darauf. So leichtfertig, wie Sie Gold und Silber vertan haben, so leichtfertig gehen Sie auch mit Ihrem Wort um. Ich wünsche nicht, daß meine Befehle diskutiert werden, und ich will auch nichts mehr hören." Hasard wußte, daß jetzt alles eskalieren würde. Es war auch nicht mehr aufzuhalten, denn in den Gesichtern der Arwenacks stand ein eiserner Wille. Und es erregte ihn maßlos, daß der Sultan sein Wort so verächtlich abtat. Die Narbe, die sich von der rechten Stirn über die linke Brust zur linken Wange zog und sonst kaum auffiel, wurde jetzt deutlich sichtbar und verfärbte sich. Hasard konnte nichts dafür, daß ihm das Blut in den Kopf schoß. Für einen Augenblick erwog er, den Sultan als Geisel zu nehmen und das Theater auf diese Weise zu beenden. Seine rechte Hand lag über dem Degengriff, und er beherrschte sich nur sehr mühsam. Aber der Sultan schien bereits etwas zu ahnen, denn sofort wich er ein paar Schritte zurück und wurde von den Lakaien umstellt. „Zum letzten Mal", sagte Hasard
51 oder Krummdolche einsetzen konnten. Es krachte laut, und die beiden Soldaten sausten wie Granaten ins Wasser. Wie ein wildgewordener Büffel stürmte der Ex-Schmied weiter, den Kopf nach unten gesenkt und das bullige Genick eingezogen. Seine Fäuste wirbelten durch die Luft und droschen kraftvoll nach allen Seiten. 8. Ein Inder empfing einen Schlag, der ihn anhob und stocksteif werden Von der Pier her stürmten beließ, ein weiterer krümmte sich brülwaffnete Soldaten heran. Die Holzlend unter einem Faustschlag zusambohlen dröhnten unter ihren Schritmen und landete auf den Bohlen. Die ten. ganze Meute trampelte brüllend und Von der Galeere her setzten sich tobend über ihn hinweg. weitere Soldaten in Marsch und lieDer Sultan entfernte sich in dem fen über den wackligen Holzsteg. Kampfgetümmel und unter dem Hasard wollte seine Freiheit nicht Schutz seiner beiden Leibwächter in mit dem Dasein eines GaleerensklaRichtung Galeere. ven tauschen, und die Arwenacks Die Ruderer schraken hoch und sawollten es auch nicht. hen angstvoll auf das Schauspiel, das Miteinembrüllenden„Ar-we-nack" ihnen geboten wurde. Gleich darauf sprangen sie von der Schebecke und zogen sie verängstigt die Köpfe ein, gingen auf die Soldaten los. als sich von der Galeere ein greller Innerhalb weniger Augenblicke Blitz löste. herrschte in dem ruhigen Hafen von Unter höllischer RauchentwickMadras die Hölle. lung und einem brüllenden Knall Big Old Shane, den der eine Lakai donnerte eine Kugel dicht über die so verächtlich verschmäht hatte, Schebecke hinweg. Sie streifte fast zeigte den Burschen gleich als erster, noch den Mast und schlug dann aufwelcher Dampf noch in seinen Fäuklatschend ins Hafenwasser. sten steckte. Shane hatte einmal beHasard sah ein, daß sie keine wiesen, daß er kaltes Eisen nur durch Chance mehr hatten. Es war bitter, kräftiges und schnelles Hämmern auf das feststellen zu müssen, aber es entdem Amboß glühen lassen konnte, sprach den Tatsachen. und jetzt stellte er das erneut unter Beweis, nur etwas anders. Die Kerle auf der Galeere würden Zwei Inder, die auf ihn losgingen, sich nicht scheuen, die Schebecke in hob er jeweils rechts und links an und Stücke zu schießen, und sie nahmen drosch sie mit den Schädeln zusam- auch keine Rücksicht auf die Soldamen, noch ehe sie ihrer Musketen ten aus ihren eigenen Reihen. mit lauter Stimme. „Entweder pullen wir freiwillig oder gar nicht." Einer der vielen Soldaten stieß einen Pfiff aus. Auf der Galeere wurde es daraufhin lebendig. Eine ganze Armee stand plötzlich auf den Beinen.
52 Ein Menschenleben galt bei dem Sultan nicht viel. Der Seewolf hätte auch den Degen benutzen können, doch er schlug nur mit den Fäusten um sich und wischte zwei Soldaten mit harten Schlägen ins Wasser. Wenn der Kampf hier beendet ist, überlegte er, würden sie am Ende doch die Verlierer sein. Wohin wollten sie fliehen - ins Landesinnere? Das war aussichtslos und brachte nichts ein. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Er sah, wie sich seine Arwenacks verbissen zur Wehr setzten, aber jetzt stürmten immer mehr Soldaten über die Pier. Ein paarmal Schossen sie mit Musketen in die kämpfende Meute, dabei in Kauf nehmend, auch ihre eigenen Leute zu treffen. Und genau das war der Fall. Einer der Inder riß die Arme hoch und stieß einen gurgelnden Schrei aus. Die Muskete entfiel seinen kraftlosen Fingern, und er selbst stürzte mit einem Loch im Kopf zu Boden. Hasard sah zähneknirschend, wie Luke Morgan eins über den Schädel kriegte und zusammensackte. Auch Bob Grey wurde nach heftiger Gegenwehr überwältigt. Er sah sich nach seinen beiden Söhnen um und erkannte sie ganz am Ende der Pier zusammen mit Carberry, der den Profoshammer fliegen ließ und sich mit drei Indern prügelte. Sie entfernten sich immer weiter, ob bewußt oder unbewußt, das war Hasard nicht klar. Vielleicht hatten sie vor, zu fliehen, damit noch ein
paar Männer mehr zurückblieben. Wenn sich noch ein paar absetzen konnten, dann sollte ihm das nur recht sein. Er prügelte sich weiter durch, fast erdrückt von einer Meute wilder Kerle, die sich wie reißende Bestien benahmen. Zu allem Überfluß erschien jetzt noch Mac Pellew, um sich in das Getümmel zu stürzen. Mac hatte immer seine ganz speziellen „Waffen" für Nahkämpfe, und die verstand er sehr wirkungsvoll einzusetzen. Er hielt eine große, eiserne Bratpfanne in den Händen und lauerte auf einen Turbanträger, der sich mit Blacky prügelte. Mac stand dicht am Schiff und wartete. Und dann schlug er zu, gerade als der leuchtende Turban vor ihm war. Die Bratpfanne gab einen hallenden Ton von sich, als sie auf dem Turban landete. Der Inder knickte in den Knien ein und kriegte glasige Augen. „Nett von dir, Mac!" brüllte Blacky begeistert, und weil der Inder immer noch halb stand und halb kniete, schob er ihm ein hartes Ding unter das Kinn nach. Mac hatte voller Feuereifer schon den zweiten am Wickel und tanzte um ihn herum. Der Inder hatte noch keine Erfahrungen mit Bratpfannen und wußte nicht, wie er sich dieser merkwürdigen Waffe gegenüber verhalten sollte. Er riß seinen Krummdolch heraus und stach zu. Aber Mac war in der Beziehung ein
53 Künstler, der sich auf sein Handwerk Hasard wollte seine Arwenacks nicht als Leichen auf der Pier liegen sehen. verstand. Der Stich landete am Pfannenbo„Hört auf", sagte er, „wir können den, der Dolch rutschte ab, und schon nichts mehr gewinnen." hatte der Soldat eine eiserne OhrÜberall zeigten jetzt Musketenfeige weg, daß ihm Hören und Sehen läufe auf die Arwenacks. An beiden verging. Seiten der Pier standen die Inder, auf Ein zweiter Schuß fegte über den der Galeere lauerten sie neben den Hafen, abgefeuert aus den Geschüt- Geschützen, und von den Lagerzen der Galeere. schuppen kamen auch einige langsam herüber und trieben die Arwenacks Für einen Augenblick wurde der vor sich her. Kampf unterbrochen und fast alle zogen die Köpfe ein. Carberry tauchte neben dem SeeNur Mac nutzte den Augenblick. Er wolf auf, der sich nach seinen beiden nahm die Eisenpfanne und hielt sie Söhnen umsah. Er konnte sie nireinem Kerl direkt an den Hosenbo- gends entdecken. „Mist, verdammter", wetterte der den. Die Pfanne schien noch sehr heiß Profos. „Ich könnte diesen falschen zu sein, denn der Inder jaulte los und Sultan umbringen, aber den echten ging fast kerzengerade hoch. Seine gleich mit. Diese Bastarde pressen Augen tränten, und auf seinem hellen uns jetzt auf die Galeere." Achtersteven bildete sich ein dunk„Jemand verletzt?" fragte Hasard. ler, verbrannter Fleck. Zum Schluß Es stellte sich heraus, daß es drei schlug ihm Mac die Pfanne einmal bewußtlose Arwenacks gab, aber sie um die Ohren. hatten nur eins mit den Kolben der „Beim nächsten Schuß wird Musketen auf die Schädel empfanGrobschrot verwendet!" schrie einer gen, und da die bei den meisten der Lakaien auf portugiesisch. ohnehin aus Eisen waren, würden sie Zwei leichte Geschütze schwenkten auch bald wieder auf den Beinen sein. herum und zielten auf die Pier. Jack Finnegan hatte eine leichte Mindestens zwanzig Soldaten leg- Stichverletzung am Arm, ein paar anten jetzt ihre Musketen an und zielten dere hatten sich Blutergüsse und aus sicherer Distanz auf die Arwe- blaue Flecken eingehandelt, aber das zählte bei ihnen nicht als Verletzung. nacks. „Geben Sie auf, Senhor!" rief der Sie mußten hintereinander antreSultan. „Wenn Sie nicht aufgeben, ten und fluchten verhalten. lasse ich alle Ihre Männer erschieHasard drehte den Kopf und überßen." flog seine Arwenacks mit einem Aus und vorbei. Es hatte keinen schnellen Blick. Er stellte fest, daß vier Mann fehlZweck mehr. Sie hatten sich gegen die Übermacht verteidigt und auch ten. eine Weile behaupten können, aber „Hast du meine Söhne gesehen?"
54 fragte er den Profos. „Ich kann auch nicht anders gewollt und auch nicht anders verdient." Smoky und Juan nirgends sehen." „Das hätten Sie auch freiwillig von „Philip und Hasard sind gerade noch rechtzeitig verduftet und befin- uns haben können", sagte Hasard galden sich da drüben in den Schuppen. lig. „Aber vernünftigen Argumenten Smoky und Juan konnten sich sind Sie ja leider nicht zugänglich." Seine Hoheit lachte leise und überebenfalls im letzten Moment absetzen. Sie sagten mir, daß sie sich Ver- legen. „Erst wenn das Gold bei mir an stecken wollten, um später etwas zu Bord ist, dann können wir wieder unternehmen." Hasard war einigermaßen erleich- miteinander reden, Senhor. Solange tert. Wenigstens war ihnen nichts haben Sie nichts zu sagen. Dann wird passiert, aber ob sie irgendwann ein- sich auch herausstellen, ob das alles mal eingreifen oder helfen konnten, nicht doch ein abgekartetes Spiel war noch sehr fraglich. Die Chancen war." „Darüber sollten Sie vielleicht einstanden schlecht. Ein Inder stieß ihnen den Lauf der mal genauer nachdenken, dann werMuskete in die Seite und drängte sie den Sie merken, daß Sie sich geirrt weiter in Richtung der osmanischen haben." „Falls das wahr ist, werde ich mich Galeere. Dort waren bereits ein paar Män- gebührend entschuldigen und Ihnen ner emsig bei der Arbeit. In einigen zu Ehren ein großes Fest geben, und großen Eisenbecken glühte Holz- ich lasse auch über alles andere mit kohle. Neben den Becken standen mir reden. Aber nicht jetzt und nicht zwei Ambosse. Zwei Kerle mit nack- unter diesen Umständen. Vorerst seid ten Oberkörpern waren dabei, auf ihr weiter nichts als Galeeren-Sklaglühendes Eisen pausenlos einzu- ven." Hasard gab keine Antwort. Er schlagen. Diejenigen, die Schuhwerk trugen, glaubte Haß auf den Sultan zu empmußten es ausziehen, damit ihnen die finden, doch seltsamerweise war das eisernen Fesseln um die Knöcheln ge- nicht der Fall. Er versuchte auch, den Sultan zu schlungen werden konnten. Vorgebogene Eisen hatten sie be- verstehen, doch das gelang ihm ebenfalls nicht ganz. Der Mann war reits eine Menge vorrätig. Ein bulliger Kerl schloß die oben zu hart, zu unnachgiebig und zu stur. sitzenden Ruderer einen nach dem Er dachte nur an das Gold, und das anderen los und brachte sie nach un- war wieder etwas, was Hasard einigermaßen verstehen konnte, obwohl ten ins andere Deck. „Ihr dürft hier oben Platz nehmen", er an seiner Stelle anders gehandelt sagte der Sultan von Golkonda. „Die hätte. Hitze wird euch austrocknen, und Aber hier rechnete man in anderen was die nicht schafft, werden die Maßstäben, und die waren schwieriMänner dort erledigen, Ihr habt es ger zu begreifen.
55 „Die Galeere geht nicht in See, bevor das genau geklärt ist", sagte der Sultan. „Warte, bis die Männer angeschlossen sind. Dann schickst du zehn Soldaten los, die sich in Madras umsehen sollen. Sie sollen mir die Kerle bringen, aber lebend. Mit toten Ruderern kann ich nichts anfangen." „Der Befehl wird sofort ausgeführt, Hoheit." . „Laß auch die Toten von der Pier wegschaffen", ordnete der Sultan noch an, bevor er die Arwenacks wieder musterte. Auf der Pier lagen vier reglose Gestalten, die von allein nie wieder aufstehen würden. Den einen hatte die Kugel von den eigenen Schützen getroffen, einen weiteren vermutlich * auch. „Die Männer haben sich rechtzeitig Genau das hatte Hasard befürchtet, denn ihm war nicht der suchende abgesetzt", behauptete der Sultan. Blick entgangen, mit denen der Sul- „Vermutlich war das auch verabretan die Leute gemustert hatte. det, wie so vieles hier verabredet zu „Da sind noch zwei Männer, die Ih- sein scheint. Aber wir kriegen sie, nen verteufelt ähnlich sehen, Senhor. darauf können Sie sich verlassen, Sie fielen mir schon gleich zu Anfang Senhor. Ich glaube auch nicht, daß eiauf. Wo sind die beiden, die vermut- ner von ihnen im Hafen ertrunken ist. lich Ihre Brüder oder Söhne sind?" Sie sind irgendwann heimlich ver„Ich weiß es nicht. Ich habe sie in schwunden, in der irrigen Hoffnung, dem Kampf getümmel aus den Augen Sie bei günstiger Gelegenheit befreien zu können. Das ist natürlich verloren." Einer der eifrigen Lakaien hatte die eine unsinnige Annahme." „Ich habe sie nicht gesehen", erwiMannschaft auf der Schebecke offenbar genau gezählt. derte Hasard, „und es ist auch nichts „Insgesamt fehlen vier, Hoheit", verabredet worden. Was sollen ein sagte er. „Einer ist vermutlich im Ha- paar Leute schon gegen eine Galeere fen ertrunken, aber über den Ver- ausrichten!" bleib der anderen weiß ich leider „Kleine Nadelstiche geben auch nichts. Vielleicht haben sie sich ver- mit der Zeit eine große Wunde." steckt. Die fünf anderen, die abgeDie Soldaten des Suchkommandos lehnt wurden, befinden sich auf ih- schwärmten aus. rem Schiff." Zuerst schafften sie die Leichen Inzwischen war Batuti angekettet worden und nahm auf der Ruderbank Platz. Dan O'Flynn folgte, Sam Roskill, Bill und der knubbelnasige Paddy Rogers, der mit Schaudern an den Reisfraß dachte, den es hier an Bord gab. Schließlich war auch Hasard an der Reihe, dann der Profos, Piet Straaten, sein Freund Jan Ranse und ebenso der schmalbrüstige Kutscher, der verbissen Platz nahm. Der Sultan ging durch die Reihen, sah sie alle an und drehte sich dann um. „Es fehlen noch ein paar Männer", sagte er.
56 fort, die sie der Einfachheit halber für harmlos, weil sie älter sind oder gleich ins Hafenbecken warfen, wo ein Holzbein haben. Wenn sie aber sie versanken. keine Wachen zurücklassen, sind wir Hasard lehnte sich auf den Langrie- schon neun Mann. Und neun Mänmen. Starr sah er über den Hafen hin- ner können mit einem Schiff allerlei weg. Jetzt waren sie tatsächlich Ga- zuwege bringen." leeren. Sklaven, angekettet wie wilde „Was denn, zum Beispiel?" Tiere, nur daß sie zusätzlich noch „Das weiß ich noch nicht, aber uns schwerste Arbeit bei mörderischer wird sicher noch etwas einfallen. Wir Hitze verrichten mußten. sollten hier möglichst bald verEr fragte sich besorgt, ob sie diesen schwinden." raffinierten Schnapphahn Shastri „Ja, sicher. Vielleicht merken sie, und das Gold jemals finden würden daß ein paar Mann fehlen, obwohl ich und der Sultan danach auch sein das für unwahrscheinlich halte", Wort hielt und sie auf der Galeere sagte Smoky. nicht vergammeln ließ. „Außerdem sollten wir uns trenEs waren noch sehr viele Fragen of- nen", schlug Jung Hasard vor. „Zu fen. viert fallen wir in Madras auf, zu zweit wird das nicht mehr so schlimm sein. Ich war mit dem Kutscher im 9. Ort, und da sah ich einen alten Händbei dem wir uns andere KlamotDie Zwillinge, Don Juan und ler, ten besorgen können. Damit fallen Smoky hatten sich in einem der La- wir noch weniger auf." gerschuppen versteckt und waren Sie warteten und sahen weiter zu, von den Soldaten im allgemeinen Gewas auf der Galeere geschah. Durch tümmel nicht bemerkt worden. die Ritzen des Lehmschuppens konnJetzt mußten sie hilflos mitanseten sie jede Einzelheit genau erkenhen, was alles passierte. Einer nach dem anderen wurde auf nen. „Bis auf uns haben sie jetzt alle", die Galeere gebracht und in Ketten sagte Philip, der kniend durch die geschlossen. Die Hände hatten sie Ritzen spähte. „Aber es sieht so aus, frei, nur um ein Bein war jeweils ein als ließen sie ein paar Soldaten zuRundeisen geschlossen, das mit einer rück. Sie scheinen doch gemerkt zu Kette zu einer längeren Kette lief, die haben, daß einige von uns fehlen." an den Ruderbänken vorbeiführte. „Genau das habe ich befürchtet." „Vielleicht war das doch keine so gute Idee von uns", meinte Don Juan. Don Juan schob sich ebenfalls an die „Falls sie Wachen bei der Schebecke Wand und sah hinaus. zurücklassen, können wir uns dort Sein Blick wanderte zur Schebecke, nicht mehr sehen lassen." wo die restlichen fünf Arwenacks „Glaube ich nicht", widersprach hilflos herumstanden und nicht wußPhilip. „Die halten unsere fünf Mann ten, was sie tun sollten. Will Thorne
57 blickte traurig zu der osmanischen Galeere hinüber. „Es ist wohl besser, wir verschwinden gleich", schlug der Spanier vor. „Wir marschieren vorerst getrennt und treffen uns später in der Nähe der Thomas-Kathedrale. Dort ist ein ruhiges Plätzchen, auf dem sich kaum jemand blicken läßt." „Vorher besorgen wir uns aber die Klamotten", sagte Jung Hasard. „Einverstanden. Hat jeder seinen Gürtel, oder braucht noch einer ein paar Silberstücke?" Jeder hatte seinen Gürtel. Sie trugen diese Gürtel immer mit sich, falls sie in eine Notlage geraten sollten. Der alte Segelmacher hatte sie einmal genäht. In den Gürtel waren unauffällig kleine Taschen eingearbeitet, und in jeder dieser Taschen befanden sich Gold- und Silbermünzen oder ein paar Perlen. Diese eiserne Reserve wurde in unregelmäßigen Abständen immer wieder aus der Bordkasse der Arwenacks aufgefüllt und war dadurch auch immer komplett. Wie es jetzt weitergehen sollte, wußten sie noch nicht. Sie wollten erst abwarten, bis die Galeere auslief. Wenn diese Bedrohung nicht mehr existierte, wollten sie beraten, was zu unternehmen sei. Den Zielort kannten sie. Don Juan gab den Kurs an. „Wir verschwinden am besten durch den Dschungel, schlagen einen Bogen in nördlicher Richtung und nähern uns dann wieder Madras, bis sich die ganze Aufregung gelegt hat. Sobald die Galeere weg ist, dürfte hier wieder alles seinen normalen
Gang gehen. Treffpunkt dann wie besprochen bei der Kathedrale. Smoky und ich gehen zusammen. Phil und Hasard ebenfalls. Am besten jetzt gleich. Wer will zuerst?" „Moment", sagte Philip. „Die setzen ein Kommando ab. Wahrscheinlich wollen sie noch einmal den Hafen durchkämmen." Smoky schluckte, als er zehn Soldaten sah, die jetzt über die Pier marschierten. Zuerst warfen sie die Toten ins Wasser, dann schwenkten die nach links ab und teilten sich in zwei Gruppen. Die eine Gruppe nahm Kurs auf die Schuppen, die andere ging in südliche Richtung. „Die suchen uns ganz gezielt", sagte er heiser. „Jetzt wird es aber allerhöchste Zeit. Hier können wir uns nicht verstecken." In dem Schuppen, in dem sie sich aufhielten, lagen nur ein paar Ballen herum. In den Ecken stapelten sich leere Fässer, die ausnahmslos alle kaputt waren. Ein einziger Blick würde genügen, um sie sofort zu sehen. Die wacklige Tür war nur angelehnt. Juan peilte kurz die Lage und ließ sich von Hasard erklären, wo sich die Soldaten gerade befanden. „Nichts wie raus", flüsterte er. „Uns bleiben nur ein paar Augenblicke, dann sind sie hier." Die Tür knarrte verräterisch, als sie weiter aufgedrückt wurde. Einer nach dem anderen huschte geduckt hinaus. Der Dschungel, ein breiter Streifen, der nach ein paar hundert Yards am ausgetrockneten Flußbett endete, be-
58 gann dicht vor Madras. Die Einwohner hatten ihn gerodet, aber innerhalb weniger Tage begann er wieder zu wuchern und breitete sich aus. Von der anderen Seite des Schuppens hörten sie Kommandos. Der Trupp näherte sich jetzt ziemlich rasch. Die Inder waren mit Musketen und Krummdolchen bewaffnet. Sie erreichten den Rand des Dschungels und verbargen sich im dichten Verhau. Fünf Inder gingen ganz in ihrer Nähe gleich darauf vorüber. Einen hätte Smoky fast mit der Hand greifen können, so dicht marschierte er vorbei. Mit Genugtuung sahen sie, wie die angelehnte Tür des Schuppens geöffnet wurde. Einer der Kerle hielt die Muskete waagerecht von sich. Der andere öffnete die Tür mit einem harten Tritt, so daß sie krachend nach innen schwang. „Das wäre das Ende der Fahnenstange gewesen", bemerkte Phil. Die Kerle zogen weiter, nachdem sie nichts gefunden hatten. Sie öffneten einen Schuppen nach dem anderen und durchsuchten ihn. Fünf andere Soldaten bewegten sich weiter unten am Hafen entlang, wo auf der rechten Seite hohes Gebüsch stand. Auch das wurde gründlich durchstöbert. Es gab keinen Zweifel, daß sie Suche ihnen galt. Nicht mehr lange, und sie würden sich auch den Dschungelrand vornehmen. Sie schlichen langsam und vorsichtig weiter. Einmal blieb Smoky stehen und warf einen Blick zurück. Er kratzte sich nachdenklich das Kinn. „Ich habe das dumpfe Gefühl, als
würden die Kerle ohne uns nicht auslaufen. Dabei hat der Sultan doch keine Zeit mehr zu verlieren. Aber sie hocken da, als sei es gar nicht eilig." „Meinst du wirklich?" fragte Juan zweifelnd. „Sieht ganz danach aus, sonst hätten sie längst abgelegt." Sie entfernten sich jetzt immer weiter von den suchenden Soldaten und schlugen um Madras einen großen Bogen. Hin und wieder, wenn der Dschungelgürtel dichter wurde, verloren sie die Galeere aus den Augen. Dann sahen sie sie wieder und auch die angeketteten Arwenacks, die auf den Ruderbänken hockten. Alle schienen sie auf etwas zu warten. Nach einer knappen Stunde hatten sie den Dschungelrand hinter sich und gelangten von der anderen Seite nach Madras. Hier trennten sie sich vorerst mit dem Versprechen, sich innerhalb kurzer Zeit bei der Kathedrale wieder einzufinden. Smoky und Don Juan gingen durch die staubigen Gassen. Bei der Hitze waren nicht viele Leute unterwegs. Die meisten hockten in oder vor ihren Hütten und warteten auf den Nachmittag. Philip und Hasard erreichten jenes kleine Viertel, das weitab vom Hafen lag und wo die Händler müde und gleichgültig vor ihren bunten Auslagen im Schatten saßen. Ein Köter kläffte sie an, und ein schmalbrüstiger Inder folgte ihnen, ohne daß sie es bemerkten. Er hatte sie schon seit geraumer Zeit im Auge. Der Inder war klein und schmal,
59 mit dunklen Augen und einem mehrfach gewickelten Turban, der zur Hälfte sein Gesicht verbarg. „Da drüben, der alte Bursche", sagte Philip. „Der hat jede Menge alte und neue Plünnen zu verhökern." Der dösende Alte schrak hoch, als die beiden vor ihm auftauchten. Verwundert blickte er von einem zum anderen. Den einen - Hasard - kannte er vom Sehen. Der andere sah genauso aus, und das verwirrte ihn ein bißchen. Er konnte sie nicht auseinanderhalten. Hasard gab ihm eine Silbermünze und deutete dann auf verschiedene Kleidungsstücke. „Sucht euch aus, was euch gefällt", sagte er auf Hindi. „Da hinten ist ein Raum, in dem ihr alles ausprobieren könnt." „Einen Turban können wir ja wikkeln", meinte Philip. „Aber vorher sollten wir noch einen Blick auf die Galeere werfen. Vielleicht legt sie gerade ab." „Dann zieh dich um, ich erledige das inzwischen." Hasard ging bis ans Ende der staubigen Straße. Dort hatte er einen Blick auf einen Teil des Hafens. Auf der Galeere rührte sich nichts. Unbeweglich lag sie da mit den angeketteten Männern an Deck. Als er wieder zurückkehrte, hatte sich sein Bruder bereits verwandelt. Er trug einen Turban, einen abgewetzten langen Rock und ein paar zerschlissene Brokatschuhe. „Sie liegt noch da", sagte er unbehaglich. „Und die Soldaten?" „Kann ich nicht erkennen. Wahr-
scheinlich werden sie jetzt bald das ganze Kaff auf den Kopf stellen." „Das gefällt mir gar nicht." „Mir auch nicht." Hasard nahm ebenfalls eine Verwandlung mit sich vor. Er musterte noch einmal schnell seinen Bruder. Philip fiel nicht weiter auf, wenn da nicht die eisblauen Augen gewesen wären. Die leuchteten in dem sonnengebräunten Gesicht wie ferne Gletscher. „Du solltest dir deinen Vorhang etwas dichter über die Augen ziehen, Phil, oder zumindest den Blick senken, falls uns Soldaten begegnen. Ich habe hier noch keinen Inder mit blauen Augen gesehen." Phil fummelte an dem Turban herum, während Hasard die Klamotten wechselte und sich ziemlich rasch veränderte. Auch er band den Turban tiefer um die Stirn. Der Alte wollte ihnen noch ein paar Rupien herausgeben, doch sie verzichteten darauf. Wieder einen Bogen schlagend, gingen sie auf Umwegen zu der Kathedrale San Thomé, die über dem Grab des Apostels Thomas erbaut worden war. Dort warteten sie im Schatten hinter ein paar Palmengruppen. Einmal hörten sie Geschrei, doch es galt nicht ihnen. Es war aber nicht auszuschließen, daß die Soldaten bereits in Madras nach ihnen suchten. Eine Viertelstunde verging, und sie sahen noch einmal nach der Galeere. Sie lag immer noch da. An Deck rührte sich kaum etwas. Als Hasard zurückkehrte, sah er zwei Gestalten über den Platz schlei-
60 chen und mußte unwillkürlich grinsen. Da trabten zwei Inder an. Don Juan fiel zwar nicht weiter auf, aber Smoky, etwas kleiner, gedrungen und mit einem breiten Kreuz wie ein Rahsegel, bot als Inder einen etwas fragwürdigen Anblick. Alle beide trugen ebenfalls abgewetzte Plünnen wie die meisten hier. Sie grinsten sich an, etwas verzweifelt und verbargen sich im Schatten der neuerbauten Kathedrale. „Wir könnten uns auch im Innern verbergen", schlug Smoky vor. „Ich glaube nicht, daß sie uns da suchen werden." „Zu riskant", entgegnete Jung Hasard. „Da stehen etliche Wächter herum, denen wir bestimmt auffallen würden. Das Grab des Apostels ist hier eine Art Heiligtum und wird ständig bewacht." „Aber irgendwo müssen wir uns verstecken. Die Soldaten werden alles absuchen." „Dann gehen wir zur anderen Seite und mischen uns unter die Marktbesucher", schlug Hasard vor. „Dort dürften wir am wenigsten auffallen, gekleidet wie wir sind." „Dort können wir auch den Hafen besser beobachten", sagte Don Juan. Auf dem Markt herrschte nur wenig Betrieb. Es war noch nicht die richtige Zeit, denn die Mittagshitze stand bevor. Aber etliche Händler hatten ihre Stände bereits aufgeschlagen, die meist nur aus wackligen Bambustischen bestanden. Zwei Soldaten bogen gerade in die Gasse ein und nahmen direkten Kurs
auf sie. Zwei andere näherten sich von Süden her der Kathedrale. Sie zerstreuten sich unauffällig und versuchten auszuweichen, denn die Soldaten musterten jeden, der vorüberging. „Auch das noch", fluchte Don Juan. Es gelang ihnen gerade noch, in eine winzige Gasse auszuweichen, als jemand Hasard am Arm zupfte. „Links in die zweite Hütte hinein", sagte eine heiser klingende Stimme auf Portugiesisch mit starkem Akzent. „Wartet dort auf mich." Hasard sah dem Inder verblüfft nach, der so plötzlich verschwand, als habe ihn der Boden verschluckt. Er winkte den anderen verdattert, die ihm sofort folgten. Die Hütte war baufällig und klein. Sie war unbewohnt. „Wer war das denn?" fragte Smoky erstaunt. „Eine Falle etwa?" „Keine Ahnung. Jedenfalls sprach der Kerl Portugiesisch. Er will uns vermutlich helfen und scheint einiges über uns zu wissen." „Warum sollte uns ein Unbekannter helfen wollen?" „Frag mich was anderes. Nach einer Falle sieht es allerdings nicht aus." Einmal sahen sie die Soldaten noch, die jetzt zum Markt hinübergingen. Danach herrschte Ruhe, bis auf einmal der kleine Inder ganz plötzlich wieder erschien. Im Halbdämmerlicht der Hütte sahen sie seine Gestalt nur undeutlich. „Sie suchen euch überall", sagte er in seinem holprigen Portugiesisch. „Da nutzt auch eure Kleidung wenig.
61 Ich werde euch helfen. Wenn ich ein Zeichen gebe, dann folgt mir." Die vier Arwenacks sahen sich verständnislos an.
sard. „Aber Hilfe können wir durchaus brauchen. Wir werden uns erkenntlich zeigen." „Nicht nötig. Ich will nur meine Rache." * Der Inder winkte ihnen zu und schlüpfte hinaus. Die Luft war „sauDas Kerlchen spähte hinaus und ber", wie er erklärte. nickte zufrieden. Sie folgten ihm durch verwinkelte Gassen, die zum Teil so aussahen, als „Wer bist du?" frgate Hasard. würden sie an einer Hauswand en„Das tut nichts zur Sache." den. Aber es ging weiter durch ein „Und warum willst du uns helfen?" paar schmutzige Innenhöfe, durch Die Antwort war verblüffend einverschachtelte Bauten, bis sie endlich fach. vor einem solide gebauten Haus aus „Aus Rache. Der Sultan hat meinen Backsteinen standen. Vater umbringen lassen. Ich hasse Der Inder schlich vor ihnen her, ihn und will mich an ihm rächen. Ich umging das Haus und sah sich noch werde ihm schaden, wo immer ich einmal nach allen Seiten um. nur kann." Dann öffnete er eine Tür, die in eiDas klang einigermaßen einleuchnen Keller führte. Sie war von außen tend, aber das Mißtrauen der Arwemit eisernen Beschlägen gesichert. nacks über die plötzliche Hilfe war „Da unten seid ihr sicher. Niemand noch nicht ganz ausgeräumt wird euch finden. Wenn ihr mir ein „Was weißt du über uns?" wollte paar Rupien gebt, besorge ich euch Phil wissen. auch etwas zu trinken und zu essen. „Fast alles." Der Inder spähte immer noch aus der Hütte und hatte sich Hier gelangt kein Soldat hin, das dazu auf einen Hocker gestellt. „Sie Haus ist im Augenblick auch nicht behaben eure Leute gefangen, und sie wohnt. Der Besitzer ist in Kanchipuwerden auch euch fangen. Wenn sie ram und kehrt erst in ein paar Woeuch aber nicht kriegen, dann werden chen zurück." Hasard nestelte eine Silbermünze sie mit ihrer verdammten Galeere aus dem Gürtel und gab sie dem Inverschwinden. Und ihr seid , dann der. ebenfalls frei." Dann betraten sie ein kellerähnli„Damit sind wir aber noch nicht ches Gewölbe, wo ein paar Fässer laaus dem Gröbsten heraus", meinte gerten und hölzerne Kisten herumDon Juan. standen. In den Wänden steckten in ''Alles weitere ist dann eure Sache. eisernen Halterungen Fackeln. TagesIrgendwann werden die Soldaten ablicht fiel nicht herein. ziehen. Aber ich werde euch ein Ver„Ich bringe noch ein paar Öllamsteck zeigen. Ihr könnt mir jetzt folpen." gen." Der Inder verschwand leise, doch „Unverhofft kommt oft", sagte Ha-
62 an der Tür drehte er sich noch einmal schnell um. Mit einem Ruck riß er seinen Turban ab und schlug gleichzeitig die Tür zu. Die eisernen Beschläge fielen herunter. Die vier Arwenacks saßen übergangslos in der Falle. Aber sie hatten das Gesicht noch gesehen, Es war das Gesicht einer jungen, schwarzhaarigen Frau, einer Frau, mit der sie eine Menge Ärger gehabt hatten. Es war die Dacoit Phoolan Devi, die Anführerin der Räuberbande, die Philip Hasard Killigrew aus Rache Pfeffer in die Augen gestreut hatte. „Oh, verdammt noch mal!" entfuhr es Jung Hasard. „Ausgerechnet diesem Biest sind wir auf den Leim gegangen, dieser Dacoit, die in immer anderen Verkleidungen auftritt." Von draußen erklang ihre Stimme, diesmal nicht mehr heiser und krächzend oder verstellt. „Da seid ihr wirklich sicher", sagte sie höhnisch. „Jedenfalls so lange, bis die Soldaten hier sind. Und das wird gleich der Fall sein. Ihr hättet mich nicht hintergehen dürfen, ihr Bastarde." „Als ob wir sie hintergangen hätten", knurrte Philip. „Wir haben nur versucht, ihr das schändliche Handwerk zu legen." „Raus hier!" brüllte Smoky, als die Schritte vor der Tür verklungen waren. „Vielleicht haben wir noch eine Chance, bevor dieses verdammte Weib die Soldaten holt." Sie warfen sich an die Tür und zerrten mit allen Kräften daran, doch es gab keinen Ansatzpunkt von innen.
Die Tür war aus Teakholz und sehr stabil. „Zwecklos", sagte Juan. „Wir vergeuden nur unsere Kräfte, und die werden wir auf der Galeere sicher noch brauchen, wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht." Aber diesmal geschah kein Wunder. Es dauerte keine zehn Minuten, als schwere Schritte durch das stille Haus dröhnten. Die Soldaten erschienen, die Dacoit hatte sie wirklich geholt. Als die schwere Tür geöffnet wurde, schoben sich Musketenläufe hinein. Den Arwenacks blieb nichts anderes übrig, als einzeln hinauszugehen, wo sie entwaffnet und gefangengenommen wurden. Phoolan Devi stand daneben und lachte höhnisch. Sie trug jetzt keinen Turban mehr, ihr langes, schwarzes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie war also doch nicht aus Madras verschwunden, wie die Arwenacks angenommen hatten. Unter der Bewachung von weiteren Soldaten wurden sie auf die Galeere gebracht. Man legte ihnen die Halbeisen an und zog die Kette durch. „In Madras ging aber auch wirklich alles schief", sagte Hasard. „Wirklich alles. Und den Rest hat uns dieses Weib gegeben. Aber jetzt sind wir ja wieder zusammen." Der Sultan stand mit verschränkten Armen an Deck. Auf der Pier weidete sich die Dacoit an ihrem Anblick, wie sie angekettet auf den Ruderbänken saßen. Sie sprach kein
63 Wort, aber auf ihrem Gesicht lag ein den die Leinen gelöst, und der Glatzhöhnisches Lächeln. kopf mit der Peitsche schlich lauernd Der Sultan von Golkonda war auch durch die Reihen. zufrieden, das bewies sein GesichtsSie mußten pullen, bei mörderischer ausdruck. Hitze und schwüler Luft, die sich wie „Unserer Abfahrt steht nichts mehr ein Gluthauch auf ihre Lungen legte. im Wege, Senhor", sagte er. „Sie werAnfangs ganz langsam, dann unter den jetzt etwas schneller die Riemen dem Schlag der Langriemen bewegte bewegen müssen, denn wir haben viel sich die „Stern von Indien" aus dem Zeit aufzuholen. Doch das ist auch Hafen von Madras. Ihre Schuld. Sie hätten sich das alles Als sie die Ausfahrt passierten, ersparen können, und Sie werden wurde der Takt schneller und die Rieauch merken, daß Sie mich in meimenschlagzahl erhöht. nem Herrschaftsbereich nicht hintergehen können." Sie erhielten einen ersten VorgeEin dumpfer Trommelwirbel be- schmack einer höllischen Reise, von gann. der sie noch nicht wußten, wie und Auf der osmanischen Galeere wur- wo sie enden würde. Aber es war jetzt
64 schon die Hölle, und die Bewacher gingen nicht gerade zimperlich mit ihnen um. Die zurückbleibenden Arwenacks sahen ihnen hilflos nach. Sie standen
an Deck und rührten sich nicht, bis die osmanische Galeere ihren Blicken entschwunden war. Dicht unter der Küste ging es in nördlicher Richtung weiter ...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 703
Die Diebeskaravelle von Sean Beaufort Als die Elefanten in das flache Wasser wateten und zu der ankernden Karavelle getrieben wurden, um von Bord die kostbare Gold- und Silberladung zu übernehmen, gab Philip Hasard Killigrew den Feuerbefehl. AI Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, hatte die Kanonen der „Stern von Indien" bereits gerichtet. Nacheinander wurden sie gezündet. Als die Geschosse ins Wasser klatschten und riesige Fontänen aus Schlamm, Schlick und faulenden Pflanzen hochschossen, brach zwischen den Elefanten Panik aus. Sie rissen die Rüssel hoch, stellten die Ohren nach vorn, trompeteten schrill und drehten sich im Kreis. Ein paar Inder wurden von ihren Sitzen geschleudert, überschlugen sich und landeten im aufspritzenden Wasser. Der Leitbulle hatte sich herumgeworfen und tobte mit unglaublicher Geschwindigkeit, gellende Trompetenschreie ausstoßend, auf die Bachmündung zu.