Udo Zolleis Die CDU
Udo Zolleis
Die CDU Das politische Leitbild im Wandel der Zeit
Bibliografische Information Der...
133 downloads
2717 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Udo Zolleis Die CDU
Udo Zolleis
Die CDU Das politische Leitbild im Wandel der Zeit
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Anke Vogel Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15548-7
Inhalt Abkürzungsverzeichnis ...........................................................................................................9 Vorwort .................................................................................................................................11 1
Einführung.....................................................................................................................13 1.1 Einleitung................................................................................................................13 1.2 Gegenstand und Ansatz der Untersuchung.............................................................15 1.3 Analysezugang........................................................................................................19 1.3.1 Innerparteiliches Leben.................................................................................29 1.3.2 Agieren auf dem politischen Markt ..............................................................34 1.3.3 Zentrale Fragestellung...................................................................................37 1.4 Zeitliche und inhaltliche Eingrenzung....................................................................37 1.5 Grundlage und Aufbau der Arbeit ..........................................................................39
2
Ursprünge der Christdemokratie in Deutschland und Europa ......................................41 2.1 Einleitung................................................................................................................41 2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa ........................................................43 2.2.1 Die Entstehung der konfessionellen Parteien in Europa...............................43 2.2.2 Die politische Konzeption der christlichen Parteien.....................................45 2.2.3 Die Organisation der konfessionellen Parteien.............................................48 2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland ...............................................50 2.4 Zusammenfassung ..................................................................................................60
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien in der Nachkriegszeit und die Herausbildung ihrer Wirtschaftspolitik.................................................................................63 3.1 Einleitung................................................................................................................63 3.2 Das christdemokratische Politikverständnis...........................................................69 3.3 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft............................................................75 3.3.1 Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft .....................................................75 3.3.2 Personalismus und Soziale Marktwirtschaft .................................................77 3.4 Recht auf Eigentum ................................................................................................79 3.5 Mitbestimmung.......................................................................................................81 3.6 Umwelt und Wirtschaft...........................................................................................83 3.7 Zusammenfassung ..................................................................................................85 4
Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“.........................89 4.1 4.2
Einleitung................................................................................................................89 Das politische Leitbild der CDU ............................................................................90
6
Einleitung
5
Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt...............................................................97 5.1 5.2 5.3
Einleitung................................................................................................................97 Gründung der CDU.................................................................................................98 Der Einfluss des Sozialkatholizismus und der bürgerlichen Sozialreform auf den Eigentumsgedanken der CDU .................................................................107 5.4 Die Miteigentumspläne: eine gescheiterte Initiative zur Eigentumspolitik der CDU................................................................................................................109 5.4.1 Grundkonzept..............................................................................................110 5.4.2 Innerparteiliche Diskussion.........................................................................111 5.5 Das erste Vermögensbildungsgesetz: Die erfolgreiche Durchsetzung der Eigentumspläne ..............................................................................................122 5.6 Zusammenfassung: Die Wirtschaftspolitik der CDU in den 1950er und 1960er Jahren........................................................................................................125 6
Die CDU entwickelt sich zu einer Mitgliederpartei....................................................129 6.1 Einleitung..............................................................................................................129 6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu ...........................................................130 6.2.1 Die traditionellen Linkages werden schwächer ..........................................133 6.2.2 Das innerparteiliche Leben .........................................................................135 6.2.3 Programmatische Neuorientierung .............................................................142 6.3 Die Mitbestimmungsforderungen in der christdemokratischen Tradition ...........146 6.3.1 Mitbestimmung und Katholizismus ............................................................147 6.3.2 Mitbestimmung und Protestantismus..........................................................149 6.3.3 Traditionen in der deutschen Sozialpolitik .................................................150 6.4 Die Mitbestimmung als politisches Thema der 1960er und 1970er Jahre ...........151 6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union ....153 6.5.1 Mitbestimmung als Streitthema in der CDU der 1960er und 1970er Jahre ................................................................................................153 6.5.2 Die Blöcke bilden sich: Reformkräfte vs. Wirtschaftsflügel ......................161 6.5.3 Der Streit eskaliert: Der Düsseldorfer Parteitag von 1971 .........................169 6.5.4 Die Parteiführung nimmt sich des Themas „Mitbestimmung“ an ..............172 6.5.5 Die neue Linie setzt sich durch: Der Hamburger Parteitag 1973 ...............177 6.6 Zusammenfassung ................................................................................................179
7
Die CDU vor der Wiedervereinigung als pragmatische Regierungspartei der Mitte .183 7.1 Einleitung..............................................................................................................183 7.2 Die neue Lagerbildung im politischen Markt.......................................................186 7.3 Innerparteiliches Leben ........................................................................................190 7.4 Programmformulierung ........................................................................................193 7.4.1 Der programmatische Willensbildungsprozess in der Union .....................194 7.4.2 Das programmatische Profil der CDU ........................................................196 7.4.3 Die Entwicklung einer CDU-Umweltpolitik ..............................................204 7.4.4 Bremer Programmparteitag.........................................................................205
Inhalt
7
7.5 Umweltmaßnahmen der schwarz-gelben Bundesregierung .................................207 7.5.1 Großfeuerungsanlagen-Verordnung............................................................208 7.5.2 Einführung des bleifreien Benzins..............................................................209 7.5.3 Etablierung des Bundesumweltministeriums..............................................211 7.6 Zusammenfassung ................................................................................................212 8
Die CDU in den 1990er Jahren ...................................................................................215 8.1 Einleitung..............................................................................................................215 8.2 Politischer Markt...................................................................................................217 8.3 Innerparteiliches Leben ........................................................................................221 8.3.1 Die CDU bekräftigt ihre Werte: Das Grundsatzprogramm von 1994 ........223 8.4 Petersberger Steuervorschläge..............................................................................227 8.5 Die Privatisierung in der Politik der CDU............................................................229 8.5.1 Privatisierung des Fernmeldewesens ..........................................................231 8.5.2 Die Privatisierung der Bahn ........................................................................232 8.6 Zusammenfassung ................................................................................................233
9
Die CDU nach Helmut Kohl: Zwischen Euphorie und Parteikrise – Die Oppositionsjahre 1998 bis 2005. ..........................................................................235 9.1 Einleitung..............................................................................................................235 9.2 Politischer Markt...................................................................................................237 9.3 Innerparteiliches Leben ........................................................................................243 9.4 Programmarbeit ....................................................................................................247 9.4.1 Wirtschaft und Arbeit als Kernthema im Wahlprogramm von 2002..........251 9.4.2 Die Leipziger Beschlüsse von 2003............................................................254 9.5 Zusammenfassung ................................................................................................259
10
Konklusion: Zwischen Werteidentität und politischem Markt – Die CDU als christdemokratische Partei ..............................................................261
10.1 Die christdemokratischen Grundwerte in der CDU.........................................261 10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes in der Geschichte der CDU ...............264 10.2.1 Die CDU in der Adenauerzeit .....................................................................264 10.2.2 Die CDU reformiert sich.............................................................................267 10.2.3 Die CDU in der Zeit Helmut Kohls ............................................................269 10.2.4 Die CDU in der zweiten Oppositionsphase ................................................271 10.2.5 Die CDU im Wandel...................................................................................272 Literatur ...............................................................................................................................277
Inhalt
9
Abkürzungsverzeichnis ACDP BDKJ CDA CDU CSU CSV CVP CVP-PSC DC DGB DKP DP EVP FAZ FDP FR KAB KCVP KVP MRP ÖVP PCS PPI SKVP SPD StBKAH SZ
Archiv für Christlich-Demokratische Politik Bund der Deutschen Katholischen Jugend Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Christlich-Demokratische Union Christlich-Soziale Union Chrislich-Soziale Volkspartei Christelijke Volkspartij Christelijke Volkspartij-Parti social chretien Democracia Cristiana Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Kommunistische Partei Deutsche Partei Europäische Volkspartei Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Frankfurter Rundschau Katholische Arbeit(nehmer)bewegung Konservativ-christliche Volkspartei Katholische Volkspartei Mouvement Republican Populaire Österreichische Volkspartei Parti Chrétien Social Partido Populare Italiano Schweizerische Konservative Volkspartei Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Süddeutsche Zeitung
Vorwort
Christdemokratische Politik hat mich seit meinen ersten politischen Gesprächen mit meinem Großvater fasziniert und interessiert. Im Laufe meines Studiums stieß ich in zahlreichen Seminaren, Übungen und Vorlesungen auch wissenschaftlich auf die Frage, was unter Christdemokratie eigentlich verstanden werden kann, welche Elemente sie charakterisieren und ob ihre Leitideen überhaupt noch zeitgemäß sind. Nachdem ich meine Masterarbeit an der LSE mit Blick auf diese Fragen über die irische Partei Fine Gael geschrieben hatte, wählte ich für mein Promotionsvorhaben die CDU – sicherlich bis heute neben ihrer bayerischen Schwesterpartei die erfolgreichste „C“-Partei in Europa. Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2006/2007 vom Promotionsausschuss der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Mein erster Dank gilt daher meinem Doktorvater Prof. Josef Schmid. Er übernahm nicht nur die Betreuung und kritische Begleitung, sondern er ermutigte mich immer wieder bei diesem Projekt und spornte mich zu weiteren wissenschaftlichen Tätigkeiten bis zum heutigen Tag an. Zudem danke ich Prof. Hans-Georg Wehling, der als Zweitgutachter diese Arbeit prüfte und dessen konstruktive Kritik die Arbeit verbesserte. Auch gilt mein herzlicher Dank Prof. Peter Lösche, der, vor allem zu Beginn meiner Arbeit, durch eine Vielzahl von Anregungen und Hilfestellungen mein Promotionsvorhaben ganz entscheidend prägte. Ganz besonders danke ich auch Prof. Berthold Rittberger, der meine wissenschaftlichen Aktivitäten seit gemeinsamen Londoner Tagen stets freundschaftlich und motivierend begleitet hat. Für zahlreiche Anregungen ist weiterhin Daniel Buhr ebenso wie Stefan Bürzle, Maria Josua, Andrea Lindlohr, Simone Mager und Dennis Weilmann zu danken. Mein ganz besonderer Dank für die zahlreichen Layoutarbeiten gilt Mathias Gabel. Verbliebene Fehler gehen selbstverständlich zu Lasten des Verfassers. Zu danken ist vor allem auch dem Cusanuswerk. Die Bischöfliche Studienförderung samt ihren Mitarbeitern und „Cusanern“ haben dieses Promotionsvorhaben materiell wie auch ideell sehr unterstützt. Zuletzt möchte ich aber meiner Familie ganz herzlich danken. Ohne die Unterstützung meiner Eltern und meines Bruders Kai über die Jahre hätte ich meinen bisherigen Lebensweg so nicht gehen können. Dies gilt ganz besonders nach dem überraschenden Tod meines Vaters vor zehn Jahren für meine Mutter. Sie ermunterte mich stets, mein Studium und meine Promotion durchzuführen, auch wenn dies für sie persönliche Einschränkungen bedeutete. Daher ist ihr von ganzem Herzen dieses Buch gewidmet. Tübingen/München, im August 2007 Udo Zolleis
1 Einführung
1.1 Einleitung Die Frage nach der Gültigkeit des „C“ in der CDU wurde bereits früh gestellt. Schon in den 1960er Jahren konstatierte der Jesuit und katholische Sozialwissenschaftler OSWALD VON NELL-BREUNING: „Ihr Christentum hat die CDU restlos ausgeschwitzt und ist zu einer treuen Kapitalistenpartei geworden.“1 Ähnlich argumentierte rund dreißig Jahre später der Kölner Erzbischof KARDINAL MEISNER, der der CDU das Recht absprach, das „C“ in ihrem Namen zu führen.2 Aber nicht nur katholische Vertreter zweifelten am „christdemokratischen“ Kern der CDU. So folgerte der österreichische Politikwissenschaftler FRANZ HORNER, dass aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen Säkularisierung und dem Abschwächen soziokultureller Milieus sich christdemokratische Parteien zwangsläufig zu diffusen liberal-konservativen Sammlungsparteien gewandelt hätten.3 Auch Medien und Publizisten fragten nach der Gültigkeit des „C“ in der Politik der CDU. So erklärte die Wochenzeitung RHEINISCHER MERKUR in den siebziger Jahren: „Was heißt christliche Politik? Die Pragmatiker verweisen auf Wählerumfragen, nach denen das „C“ bei der Wahlentscheidung kaum mehr eine Rolle spiele. Die CDU sei für die Wähler die Partei der sozialen Marktwirtschaft, der europäischen Einigung, der Staatsautorität. Die Union solle sich … weniger als christliche denn als konservative Partei profilieren.“4 Die Reaktion der CDU-Parteiführung auf das schwache Abschneiden bei der Bundestagswahl 2005, das CDU-Grundsatzprogramm zu überarbeiten und damit die Grundlage für bessere Wahlergebnisse zu schaffen, belegt auch die hohe politische Bedeutung der eigenen Identität, die sich im politischen Leitbild manifestiert. Denn in Zeiten komplexer und komplizierter Entscheidungen geben politische Leitlinien nicht nur Orientierung für die Wählerschaft, sondern helfen auch der politischen Elite, ihr Handeln zu legitimieren und Unterstützung für ihre Politik inner- und außerhalb der eigenen Reihen zu organisieren. Das politische Leitbild, das heißt die Summe aller normativen Wertvorstellungen einer Partei – positioniert diese auf dem politischen Markt, zieht den roten Faden für deren politisches Handeln und strukturiert ihr innerparteiliches Leben. Aber auch politiktheoretisch ist die Frage nach dem politischen Leitbild der CDU interessant. Denn trotz ihrer Bedeutung in der bundesrepublikanischen Politik ist die wissenschaftliche Lücke über die CDU deutlich.5 SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, aber auch rechtsextreme Parteien haben mehr Interesse in der akademischen Welt gefunden als die
1 2 3 4 5
Zitiert nach Bock 1976: 64 Vgl. Welt vom 17.6.1992. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 19.6.1992 Horner 1984: 134 Rheinischer Merkur vom 5.10.1973 Broughton 1994: 101
14
1 Einführung
CDU.6 Noch stärker sticht die wissenschaftliche Lücke bei der Betrachtung der unterschiedlichen Abhandlungen über die CDU hervor. Sie sind entweder sehr personen- oder politikfeldorientiert oder Studien über eine bestimmte Organisationsbeschaffenheit der Partei.7 Arbeiten, die sich mit dem Wandel des politischen Leitbildes der CDU beschäftigen, sind bis dato nur als allgemeine Überblicksdarstellungen über die Parteigeschichte vorhanden.8 Aber nicht nur in den einzelnen CDU-Studien, auch in der politikwissenschaftlichen Theorie über den Wandel des innerparteilichen Lebens spielen Leitbilder von Parteien keine übergeordnete Rolle. Dies zeigen nicht zuletzt die in den vergangenen Jahren erschienenen Studien zum Organisationswandel von Parteien. Sie erklären die veränderten gesellschaftlichen Bindungen, gehen auf die veränderte Mitgliederlogik der Parteien ein und beschäftigen sich mit Wahlkämpfen und dem Verhältnis der Parteien zum Staat. Über den Wandel und die Kontinuität von politischen Leitbildern als Kitt dieser Organisationen sagen sie nichts aus.9 Dabei schaffen diese erst die logische Verknüpfung zwischen der Strukturierung des politischen Lebens, der eigenen Positionierung und dem Handeln auf dem politischen Markt sowie die eigene Programmposition. Gerade historische Umbrüche in der Geschichte bedeutender Parteien zeigen den engen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Bereichen und Funktionen von Parteien. Ein gutes Beispiel für den grundlegenden Wandel ist die italienische KPI. In der ersten Republik waren die italienischen Kommunisten auf dem politischen Markt eine Anti-System-Partei. Als geborene Oppositionspartei entsprach ihre Parteiorganisation bis in die 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts der einer ideologischen Massenpartei.10 Sie besaß organisationsstarke Vorfeldorganisationen, eine breite Parteibürokratie und eine Massenmitgliedschaft. Ihre Wahlkämpfe wurden nicht für den medianen Wechselwähler, sondern zur Mobilisierung der eigenen Stammwählerschaft geführt. Aus diesem Grund gab es auch weder einen endogenen noch exogenen Druck, die eigenen programmatischen Leitlinien aufzubrechen oder sich innerparteilich zu reformieren. Dies geschah erst, als sich das Parteiensystem Anfang der neunziger Jahre deutlich veränderte und die Partei ihr bisheriges politisches Leitbild abstreifte.11 Das Beispiel der KPI zeigt, wie eng verknüpft die programmatische Positionierung, die Strukturierung des innerparteilichen Lebens und das Handeln auf dem politischen Markt sind. Diese Arbeit basiert auf der theoretischen Grundannahme, dass diese Trias nicht zufällig ist, sondern die programmatische Positionierung, die Strukturierung des innerparteilichen Lebens und das Handeln auf dem politischen Markt durch bestimmte politische Leitlinien verknüpft sind, die sich im politischen Leitbild wieder finden. Folglich analysiert diese Arbeit das Wirken und die Ausprägung des politischen Leitbildes der CDU. Sie fragt, inwieweit die CDU in den vergangenen sechzig Jahren eine „christdemokratische“ Partei geblieben ist. Aus diesem Grund wird die vorliegende Arbeit nicht nur klären, was historisch und im Ländervergleich unter einer „christdemokratischen“
6 7 8 9 10 11
Uertz 2004: 32f Vgl. Yorck 1996, Heidenheimer 1960, Bösch 2001, Schmid 1990, Schönbohm 1985, Zohlnhöfer, Reimut 2001 Siehe hierzu insbesondere die beiden detailreichen Studien: Kleinmann 1992, Bösch 2002 Vgl. hierzu: Beyme 1997: 359-383, Panebianco, Angelo 1988, Katz und Mair 1995: 5-28, Katz 2002 87ff Vgl. Hine 1993: 114-117 Daniels 1999: S. 71ff
1.2 Gegenstand und Ansatz der Untersuchung
15
Partei verstanden wird, sondern auch, in welcher Weise sich das politische Leitbild der CDU in den vergangenen sechs Jahrzehnten ausgedrückt und mitunter verändert hat.12 1.2 Gegenstand und Ansatz der Untersuchung Gerade die Analyse des politischen Leitbildes der CDU gibt nicht nur einen interessanten Aufschluss über eine der bedeutendsten Parteien Westeuropas, sondern ist vor allem theoretisch interessant. Die CDU wurde als Analysefall ausgewählt, da sie nicht nur eine etablierte Großpartei ist, sondern auch gleichzeitig ihre Wurzeln in eine traditionelle Parteifamilie hineinreichen und sie als „geborene Regierungspartei“13 dem Handlungsdruck auf dem politischen Markt besonders ausgesetzt ist. Zudem galt sie als Vorbild für die neu entstandenen überkonfessionellen „christdemokratischen Parteien“, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus ihren konfessionell geprägten Vorläufern entstanden sind.14 Obwohl man gegen dieses historisch-institutionelle Auswahlkriterium einwenden könnte, dass gerade die EVP Mitgliedsparteien kennt, die trotz eines fehlenden christdemokratischen Ursprungs heute eine christdemokratische Identität aufweisen,15 würde eine solche Fallstudie doch die Fragestellung der Arbeit über die bestehende Gültigkeit eines christdemokratischen Leitbildes hin zur Adaption von christdemokratischen Werten verschieben. Bei einer traditionell christdemokratischen Partei stellt sich daher die Frage, ob trotz organisatorischer Wandlungen und Veränderungen auf dem politischen Markt ein bestimmtes politisches Leitbild Bestand hatte.16 Unter „CDU“ wird in dieser Arbeit die Institution Partei verstanden und unter „Christdemokratie“ ein bestimmtes politisches Leitbild, das auf das von KLAUS VON BEY17 ME beschriebenen Konzept der Familles spirituelles basiert. Demnach besitzen Partei12
13
14 15
16 17
Die Gegenthese zum Konzept der „familles spirituelles“ sieht die Christdemokratie nicht als eine eigenständige politische Parteienfamilie, sondern als eine zeitspezifische politische Strömung der 1940er und 1950er Jahre darstellt, die als Folge des Neubeginns nach dem Zusammenbruchs der politisch-demokratischen Ordnung während der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entstanden ist, indem ehemals konfessionell inspirierte Parteien durch die Diskreditierung des traditionellen Konservativismus den dadurch verwaisten MitteRechts-Raum des Parteienspektrums dominierend einnehmen konnten. Vgl.: Zig 1982: 1-21, Niedermayer 1997: 115. Als „geborene Regierungspartei“ wird hier der Anspruch der Partei als Wahlziel verstanden, die dominante Regierungspartei zu sein. Dies gilt nicht nur als Abgrenzung zu Anti-System-Parteien, sondern auch zu kleineren Parteien und Patronageparteien, die an der Regierung beteiligt sein wollen, aber deren politischen Kurs nicht dominant beeinflussen wollen. „Geborene Regierungsparteien“ sind somit sowohl demokratische wie auch programmatisch ausgerichtete Parteien. Lappenküper 2001: 385ff siehe als Fallbeispiele die irische Fine Gael oder auch die skandinavischen Länder. Obwohl gerade Irland eines der ersten Länder, in dem der politische Katholizismus entstand, wurde das nationale Parteiensystem ursprünglich von der Konfliktlinie über den Unabhängigkeitsvertrag von 1922 geprägt. [vgl. Mair 1996: 86103.] Trotzdem wurde Fine Gael auch als „christdemokratisch” angesehen. [vgl. Rutan 1997: 1103-1131. Zolleis 1999] In Skandinavien verhält sich dieser Fall wiederum anders. Dort wurde nach einer späten Gründung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Öffnungsschritt zu einer Volkspartei bewusst nicht gewählt, sondern man hielt an einer christlichen Partei mit einer relativ engen, auf soziokulturelle Werte gestützten Programmatik fest. [vgl.: Karvon, 1994: 121-141, Madeley 1994: 142-154.] Zu den organisatorischen Veränderungen vgl. Bösch 2002, Kleinmann 1992 Vgl. Beyme 1984, Ware 1996: 17-49. Frappierend ist diese Lücke auch bei dem von Klaus von Beyme herausgegebenen Buch „Parteien im Wandel“. In diesem Werk taucht sein ursprüngliches Konzept – auch nicht ablehnend – nicht auf. [Beyme 2000].
16
1 Einführung
familien bestimmte Ideen, Normen und jeweils konstituierende Wertvorstellungen, die ihr politisches Handeln prägen. Werte werden hier als orientierender Konsens einer Institution – sprich Partei – im Hinblick auf das politisch Erwünschte verstanden. Wertorientierungen sind von spontanen Wünschen und von Bedürfnissen zu unterscheiden.18 Die Summe dieser normativen Werte ergibt das politische Leitbild einer Partei.19 Es prägt sowohl die einzelnen programmatischen Positionen einer Partei, als auch die grundlegenden Ziele, wie etwa Machtgewinnung, Wählerstimmenmaximierung oder auch Programmtreue.20 Ferner beeinflusst es das innerparteiliche Leben einer Partei.21 So ist etwa innerparteiliche Partizipation im Selbstverständnis einer aus den sozialen Bewegungen hervorgegangenen Partei der Grünen mehr verankert, als dies bei einer klassischen Honoratiorenpartei im 19. Jahrhundert oder auch einer medial ausgerichteten Partei, wie beispielsweise Silvio Berlusconis Forza Italia, der Fall ist.22 Daher drückt sich ein bestimmtes Leitbild einer Partei nicht nur in ihren politischen Programmaussagen, sondern auch in ihrem Willensbildungsprozess aus.23 Eine auf die Überwindung des Klassenkonflikts ausgerichtete, schichtübergreifende Volkspartei wird in anderer Form die Interessenaggregation und den Interessenausgleich, beispielsweise welche Gruppen über Proporzgesichtspunkte eingebunden werden, organisieren als eine Klein- und gruppenspezifische Partei wie die FDP. Aus diesem Grund wird diese Arbeit untersuchen, in welcher Weise sich das politische Leitbild beim Willensbildungsprozess der Partei wiederfindet. Denn nicht nur in der Art und Weise, sondern auch in der Zielsetzung des Willensbildungsprozesses drückt sich das politische Leitbild aus. In diesem Zusammenhang hat KEES VAN KERSBERGEN nachgewiesen, dass der integrierende Politikansatz unterschiedlicher sozio-ökonomischer Interessen bestimmend für den christdemokratischen Politikansatz war und ist.24 Bevor diese Arbeit die Frage klären wird, inwieweit die CDU ein „christdemokratisches“ Leitbild besitzt, definiert sie mit Hilfe einer historischen Herleitung und eines Vergleichs von westeuropäischen Parteien, die in der Fachliteratur als „christdemokratisch“ beschrieben werden, was in dieser Arbeit unter einem „christdemokratischen Leitbild“ verstanden wird. Im Anschluss daran wird die Arbeit den Wandel des politischen Leitbildes der CDU analysieren. Gerade mit dieser Frage knüpft die Arbeit an unterschiedliche politikwissenschaftliche Forschungsarbeiten an: Parteien verändern sich nicht nur innerhalb der eigenen Parteienfamilie programmatisch wie ideologisch, sondern können auch die Identität einer herkömmlichen Parteienfamilien ablegen oder auch neu annehmen. So kann sich das Leitbild einer Partei im Laufe der Parteiengeschichte mitunter grundlegend verändern.25 In Anlehnung an PETER A. HALL unterscheidet diese Arbeit dabei drei Arten von Veränderungen.26 Die Veränderungen einer Partei – als soziales Lernen verstanden – ist ein 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Vgl. Rokeach 1973 Vgl. Drucker1979: 8f Vgl. zu den unterschiedlichen Zielen von Parteien: Harmel/Janda 1994: 259-287 Vgl. zu den Primary goals einer Partei: Strøm/Müller 1999: 1-35. Ferner wird auch noch innerparteiliche Demokratie als solches angeführt: Harme/Jamda 1994: S. 269 Zu den einzelnen Parteitypen vgl.: Beyme 2000, Duverger 1954, Nipperdey 1961, Poguntke 2000 Ware 1996: 22 Kersbergen 1999: 353 Demker: 420f. Auch: Zolleis 1999 Hall 1993: 275-296.
1.2 Gegenstand und Ansatz der Untersuchung
17
bewusster Vorgang: sie überdenken Ziele oder auch Einstellungen von, in und über bestimmte Politikbereiche als Antwort auf Erfahrungen und den Gewinn neuer Informationen. Bei dieser Neujustierung gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der graduellen Intensität. Deshalb ist es sinnvoll, von erstrangigen, zweitrangigen und drittrangigen Veränderungsprozessen zu sprechen: Unter Veränderungen erster Ordnung werden dabei alltägliche und für das Leitbild sehr unerhebliche Veränderungen verstanden, die lediglich technischen Charakter besitzen. Veränderungen zweiter Ordnungen betreffen alle Maßnahmen, die erhebliche Umstellung der Instrumente bezüglich der verfolgten Politik betreffen, ohne allerdings die Hierarchie der erwünschten Ziele zu verändern. Eine Veränderung dritter Ordnung betrifft jedoch einen radikalen Wandel und damit die Veränderung der Hierarchie der Ziele und des Leitbildes einer Partei. Ein solcher Wandel impliziert somit einen einschneidenden Ideenwandel. Demnach steht nicht nur die Art und Weise, sondern auch die Intensität des Wandels des politischen Leitbildes der CDU im Zentrum dieser Arbeit. Der grundlegende Wandel der Ziele einer Partei und damit der „Austritt“ aus einer Parteienfamilie durch ein „neues“ politisches Leitbild stellen somit den Wandel dritter Ordnung dar. Demzufolge wäre die CDU erst dann kein integraler Bestandteil der europäischen Parteienfamilie der Christdemokratie mehr, wenn das politische Leitbild die grundlegenden Ziele der Christdemokratie verlassen hätte. Jede einzelne der fünf Zeitepochen der CDUParteigeschichte wird folglich dahingehend untersucht, in welcher Weise sich das politische Leitbild der CDU im innerparteilichen Leben, in der verfolgten Programmatik und in den gefundenen Politikpositionen geändert hat. Neben der Stellung auf dem politischen Markt und der Strukturierung des innerparteilichen Lebens wird diese Arbeit die Veränderungen des Einflusses des politischen Leitbildes anhand der sozio-ökonomischen Konfliktlinie untersuchen. Obwohl christdemokratische Parteien in sozialpsychologischen Wahluntersuchungen nach dem Michigan-Konzept durchaus als kompetent in der Wirtschaftspolitik angesehen werden,27 ist dieses Politikfeld weder ein klassisches Politikfeld dieser Parteienfamilie, noch zeigt die europäische Christdemokratie darin auf europäischer Ebene eine große Homogenität.28 Denn die christdemokratische Parteienfamilie basiert in ihrer historischen Entwicklung auf der Konfliktlinie, die durch die veränderte Rolle der Kirche in der Gesellschaft und ihre Beziehung zum Staat im 19. Jahrhundert entstand. Somit verwundert auch die Feststellung von ROLAND IRVING nicht, dass die verfolgten Politikansätze der unterschiedlichen christdemokratischen Parteien im Hinblick auf die Wirtschaftspolitik eine große Varianz aufweisen: „ ... it is true, that politicians calling themselves Christian Democrats have pursued a wide variety of policies ranging from decisive State interventionism by the French MRP in the postLiberation period to laisser-faire economics by the German CDU in the heyday of the Wirtschaftswunder.“29
Einen ähnlichen Standpunkt vertritt HANS MAIER, der zwar Gemeinsamkeiten in der Sozial- und Gesellschaftspolitik sieht, aber keinen gemeinsamen christdemokratischen Ansatz in wirtschaftspolitischen Fragen.30 Ferner haben sich originär christdemokratische Politiker 27 28 29 30
Als Beispiel sei hierfür die CDU angeführt. [vgl.: Brettschneider 2000: 126] Hix/Lord 1997: 50 Irving 1979a: 29 Vgl. Maier 1965
18
1 Einführung
nicht durch innovative Erneuerungen bei wirtschaftspolitischen Fragen ausgezeichnet. So gibt es im Gegensatz zum Reagonomics und Thatcherismus weder einen „Kohlismus“ noch „Andreottismus“.31 Nach soviel Skepsis über eine definierbare „christdemokratische“ Wirtschaftspolitik bleibt zu fragen, warum sich diese Arbeit überhaupt mit Wirtschaftspolitik als Analyseobjekt beschäftigt und sich nicht auf originär „christdemokratische“ soziokulturelle Themen – wie beispielsweise die Familien- und Bildungspolitik – stützt, oder warum nicht das unbestrittene Prestigeprojekt der Christdemokratie, die Europäische Einigung, als Analyserahmen gewählt wurde. Letztere stellt zumindest einen klaren Ertrag aus einer gemeinsamen christdemokratischen politischen Kultur der Subsidiarität und der Relativierung des nationalen Gedankens dar.32 Diese Themen haben im nationalen Parteienwettbewerb nicht die gleiche tagesaktuelle Brisanz wie das in (West-)Europa Wahl entscheidende Politikfeld der Wirtschaftspolitik.33 Denn Wirtschaftspolitik besitzt nicht nur eine große Bedeutung für den Erfolg bei Wahlkämpfen, sondern auch für das eigene programmatische Selbstverständnis der Parteien im Hinblick auf programmatische Identifikation, Kohärenz und Glaubwürdigkeit.34 Gerade die im politischen Markt entscheidende Konfliktlinie lässt am besten die Gültigkeit des politischen Leitbildes erkennen, da es dort aufgrund strategischer Handlungsoptionen am stärksten unter Veränderungsdruck gerät. Nicht zuletzt am Beispiel der Christdemokratie zeigt sich, dass sich das politische Leitbild im Hinblick auf die programmatische Kohärenz auf alle wesentlichen Politikfelder auswirkt. Geht man davon aus, dass die im Leitbild postulierten gesellschafts- und sozialpolitischen Ziele35 signifikant sind, können diese nur schwerlich von einer gewünschten Wirtschaftspolitik konterkariert werden. Wirtschaftspolitik wird grundsätzlich als die Summe aller geplanten staatlichen Maßnahmen verstanden, mit denen bestimmte ökonomische und gesellschaftliche Ziele verwirklicht werden sollen.36 Sicherlich gibt es bei einzelnen Maßnahmen Diskussionsraum, ob diese oder jene Initiative zu den gewünschten Ergebnissen führen würde, über das grundsätzliche Konzept kann aber wenig Zweifel bestehen. Deshalb wird auch dieses im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen. Diese Arbeit geht von der Überlegung aus, dass das politische Leitbild, das in einem bestimmten Politikfeld entstanden ist, in ein anderes übertragen werden kann. Daher basiert diese Arbeit auf drei Prämissen: 1. 2. 3.
31 32 33 34 35 36
Es gibt ein einheitliches christdemokratisches Gesellschaftskonzept, das sich im politischen Leitbild wiederfindet. Christdemokratische Parteien sind Programmparteien, indem sie ein homogenes Programm für sich beanspruchen. Eine christdemokratische Wirtschaftspolitik ist Ausdruck eines spezifischen politischen Leitbildes, das auf einer profunden Sozial- und Gesellschaftskonzeption fußt. Zohlnhöfer 1999: 142 Vgl. Burgess 1994: 125-137 Vgl. zur Relevanz der sozioökonomischen Konfliktlinie für die Wahlentscheidung in den Ländern Westeuropas: Donovan/Broughton 1999: 255-274, Huber/Inglehart 1995: 73-111, Laver/Hunt 1992, Castles/Mair 1984: 73-89, Smith 1990: 251-269. Für den deutschen Fall vgl.: Klingemann/Volkens 1997: 517-536 Beyme 1984 Kersbergen 1995, Huber/Ragin/Stephens 1993: 711-749 Altmann 1995: 4
1.3 Analysezugang
19
Die Relevanz des „christdemokratischen“ Leitbildes zeigt gerade im Hinblick auf ihre Wirtschaftspolitik somit seine Gültigkeit für das politische Handeln der CDU insgesamt. Hierbei wird neben den konkreten Auswirkungen auf die Politikpositionen und ihrer Programmatik der innerparteiliche Willensbildungsprozess im Zentrum der Betrachtung stehen. 1.3 Analysezugang Die CDU ist ein überaus interessanter Gegenstand, um die Gültigkeit eines politischen Leitbildes in einer Fallstudie zu untersuchen. Erstens stellt sie die unterschiedlichen Entwicklungsstufen des innerparteilichen Lebens und die damit zusammenhängende unterschiedliche Strukturierung des innerparteilichen Willensbildungsprozesses dar. Von einer Honoratiorenpartei in der bundesrepublikanischen Gründungszeit über die überkonfessionelle Sammlungspartei und der Catch-all-Party als Vorbild des Volksparteientyps bis hin zur professionell beratenen Wählerpartei in der Zeit von Angela Merkel hat sie alle Stadien der Parteiorganisationstypologie mehr oder weniger idealtypisch durchlaufen. Sie ist somit ein anschauliches Fallbeispiel, an dem die Wandlungen der westeuropäischen Parteientwicklungen exemplarisch nachvollzogen werden können.37 Zweitens zeigt sie die Wandlungsfähigkeit der christdemokratischen Parteienfamilie auf. In seiner glänzenden Studie über die Anfänge der Christlichen Demokratischen Union beschreibt Winfried Becker die sehr auf die christlichen Milieus fixierten Ursprünge der CDU.38 In dieser Zeit basierten ihre Gründungszirkel auf starken konfessionellen Wurzeln. Erst in den Anfangsjahren der Kanzlerschaft Konrad Adenauers wurden die Grundlagen einer überkonfessionellen, bürgerlich orientierten Sammlungspartei gefunden.39 Aus dieser erwuchs der Prototyp der Volkspartei, deren Wahlerfolg 1957 in der absoluten Mehrheit gipfelte.40 Ihre Lösung von den christlichen Milieus und die Schaffung einer Identität im Mitte-Rechts-Raum verstärkte die Union in den 1970er Jahren, indem sie Reformanstrengungen aus der Ära Kiesinger aufgriff und diese vor allem in den ersten Jahren des Parteivorsitzenden Helmut Kohl weiterentwickelte.41 Den Grad der Veränderung der CDU von einer Honoratiorenpartei über eine Catch-all-Party zu einer Art professionellen Wählerpartei zeigte ihr innerparteilicher Willensbildungsprozess. So wurde bei der Entscheidungsfindung auf den Parteitagen das Konsensprinzip durch das Mehrheitsprinzip ersetzt, bis es schließlich durch ein diffuses, an der Parteispitze ausgerichtetes Entscheidungssystem abgelöst wurde, das in erster Linie auf der fachlichen Zustimmung von Expertenrunden und der parteiinternen Zustimmung durch appellative Großveranstaltungen basierte. Drittens ist die CDU, die sich selbst als wertebasierte Programmpartei verstand42 – und sich zugleich als geborene Regierungspartei sah43, stets am Erfolg auf dem politischen 37 38 39 40 41 42
Vgl. hierzu: Beyme 1997a: 359ff., Lösche 1998: 68ff Vgl. Becker 1987 Vgl. hierzu die äußerst fakten- und detailreiche Studie von Bösch 2001 Heidenheimer 1960, Buchhaas 1981 Vgl. hierzu die Dissertation und gleichzeitig den Augenzeugenbericht dieser Reformanstrengung von Schönbohm 1985: 126ff. Diese Reformanstrengungen wurden auch in der Politikwissenschaft als zweite Parteigründung gesehen [vgl. Scheer 1977: 149ff] Der Begriff „Programmpartei“ ist bei der CDU umstritten [vgl.: Schäuble 2000], in dem Sinne, dass sie jeden programmatischen Punkt als eine Art Masterplan „abarbeitet“. Jedoch ist unumstritten, dass sich die
20
1 Einführung
Markt interessiert gewesen. Stellte sich der Erfolg44 nicht ein, wurde die Partei schnell unruhig. Das spürten zunächst die Parteivorsitzenden, aber auch innerparteiliche Programmdebatten gewannen an Bewegung.45 Sie verstand sich stets als Partei der Mitte und nahm im Wählermarkt den Mitte-Rechts-Raum ein. An den Wandlungen in allen drei Bereichen einer Partei lässt sich erkennen, ob ein politisches Leitbild in allen drei Bereichen greift und in welchen Aspekten es sich verändert hat. Durch die Frage nach der Relevanz des Leitbildes erhält diese Dissertation ihre theoretische Spannung. Sie versucht, die These zu widerlegen, dass durch Säkularisation christdemokratische Parteien eine Wandlung hin zu liberal-konservativen Allerweltsparteien abgeschlossen haben,46 die allein an wahlstrategischen Gesichtspunkten im Parteiensystem orientiert sind und für die traditionelle, aus der Parteigeschichte erworbene, ideelle Leitbilder47 nicht mehr von Interesse für ihre politische Arbeit sind. Die Gültigkeit des christdemokratischen Leitbildes für die CDU würde bedeuten, dass die Christdemokratie ein immer noch eigenständiges politisches Konzept besitzt, das konstituierend für ihre programmatischen Aussagen und Politikformulierung ist. Dies würde auch die Theorie von KLAUS VON BEYME stützen. Zugespitzt geht diese Arbeit von drei zentralen Thesen aus, die modernen Parteien zugrunde liegen: 1. 2. 3.
43
44
45 46 47
Parteien sind keine monolithischen Zweck-Mittel-Gebilde. Parteien besitzen ein politisches Leitbild, das ihr Handeln, ihre innerparteiliche Struktur und ihr programmatisches Profil beeinflusst. Das politische Leitbild wird nachhaltig durch die jeweilige Entstehungsgeschichte der Partei geprägt, die damit in deren aktuelle Politik auch nachwirkt. CDU als werteorientierte Partei versteht und aus dieser Doktrin ihre politische Orientierung zieht. „Das christliche Verständnis vom Menschen ist und bleibt das geistige Proprium der CDU. Es steht nicht zur Disposition. Aus der christlichen Anthropologie heraus müssen immer wieder neu die ethischen Ansprüche und Anforderungen an die Politik formuliert werden. Es fordert dazu auf, die Bedrohung der Würde des Menschen immer wieder neu ins Blickfeld zu rücken.“ [vgl. Hintze 1995: XXXVI] Der Begriff „geborene Regierungspartei” wird hier nicht nur für ihre lange Regierungszeit in der Geschichte der Bundesrepublik verstanden, sondern auch in ihrem Anspruch, bei jeder Bundestagswahl stets die führende Regierungspartei werden zu wollen. Nicht nur der Machtverlust im Jahre 1969 führte die CDU in eine schwere Identitätskrise [vgl. Veen 1976], sondern auch der Regierungsverlust im Jahre 1998 wurde zunächst als reines Übergangsstadium bis zur kommenden Bundestagswahl angesehen [vgl. Langguth 2001: 136ff., Schmidt, 2005, Zolleis 2007] Bei einer föderalen Partei war aber nicht nur der Erfolg auf Bundesebene, sondern vielmehr auch die Performance auf Landesebene wichtig. Zentral war eben nicht nur, ob die CDU Bundestagswahlen gewann, sondern auch in welcher Weise sie bei Landtags- und bei Kommunalwahlen abschnitt. Aus diesem Grund geriet die Partei auch die meiste Zeit – mit Ausnahme der Parteispendenaffäre – im Laufe der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder nicht unter Druck, da sie bei Landtagswahlen glänzend abschnitt. Bösch 2005: 172-185 Horner 1984: 134 Der Begriff „Weltanschauung“ wird hierbei sehr weit gefasst: Eine vollkommen entwickelte „Weltanschauung“ stellt demnach ein weltanschauliches System von Überzeugungen dar, die in allen entscheidenden Phasen und Aspekten des politischen Entscheidungsprozesses, d.h. in der Phase der Problemdefinition, der Agenda-Gestaltung, der Politik-Formulierung, der Produktion von politischen Entscheidungen in Form u.a. von Gesetzen und dergleichen, der Politikimplementierung und schließlich der Novellierung der Politik, sich auswirken und diese prägen. Es kann somit sein, dass rivalisierende Weltanschauungen nur in bestimmten Punkten unterschiedliche Auffassungen finden. In diesem Fall wird die Mehrheit ihrer Ansichten weniger bedeutend für einen Vergleich. vgl. Dierickx 1994: 15f, Nohlen 1998: 260f, Schmidt M. 1997: 575
1.3 Analysezugang
21
Als ideengeschichtliches Ordnungsschema versteht somit das Konzept der Familles spirituelles politische Parteien als Gesinnungsgemeinschaften und nicht als rein rational agierende, auf Machterhalt und Machtgewinnung ausgerichtete Organisationen. Dieses Verständnis ist aber in der Politikwissenschaft nicht unumstritten. Nach MICHAEL GALLAGHER, MICHAEL LAVER und PETER MAIR können Parteien in erster Linie nach zwei Vorstellungen gruppiert werden:48 erstens anhand der lokalisierten Politikpositionen im Parteiensystem und zweitens mit Hilfe des Konzepts der Familles spirituelles. Beide Schemata basieren auf programmatischen Kriterien: Dem an einer imaginären, räumlichen Rechts-Links-Skala orientierten Spatial analysis approach liegt die Vorstellung eines Wettbewerbs um bestimmte politisch-ideologische Spektren im Parteiensystem zugrunde. Er basiert auf der von ANTHONY DOWNS beschriebenen wettbewerbsorientierten Strategie von Parteien um Wähler und deren Stimmen. Anhand einer eindimensionalen Links-Rechts-Achse nahm er an, dass ein Wähler seine eigene Position in diesem Spektrum nicht nur erkennen könne, sondern auch als rationaler Akteur nach der Partei Ausschau halten würde, die seiner Position am nächsten stünde.49 Da es nun gerade in einer postmodernen, industrialisierten Welt mehr als ein ideologisches politisches Spektrum gibt, haben IAN BUDGE, DAVID ROBERTSON und DEREK HEARL Parteien nach ideologischen Spektren gruppiert, die gerade aus multidimensionalen, hervorstechenden politischen Standpunkten im politischen Markt bestehen. Grundlage für ihre Einteilung bleibt aber die jeweilige Politikposition, die die Parteien im nationalen Parteienwettbewerb einnehmen.50 Die Stärke dieses Einteilungsschemas besteht in seiner methodischen Anschaulichkeit wie auch in seiner empirischen Überprüfbarkeit. Es verdeutlicht die programmatische Position der jeweiligen Partei in ihrer nationalen Parteienlandschaft und kann nicht nur die aktuellen politischen Programmstandpunkte aufzeigen, sondern auch gewisse Marktstrategien der Parteien vor Augen führen. Die gewonnenen Daten fügen die jeweilige Politikposition in den nationalen Ordnungsrahmen ein. Somit werden Parteien nicht durch ihre historisch gewachsenen politischen Ideale verglichen, sondern durch ihre strategischen Handlungsoptionen und politischen Aktionsräume in ihren Parteiensystemen charakterisiert. Damit lassen sich nicht nur der jeweilige politische Markt im Hinblick auf das politische Angebot sowie auf die Adressaten in der Wählerschicht und Mitbewerber vergleichen, sondern auch Messwerte über aktuelle Programmdifferenzen im internationalen Vergleich finden.51 Dieser Ansatz bietet den Vorteil, einen groben Überblick über vorhandene Programmpositionen verschiedenster Parteien in bestimmten Politikfragen zu erhalten und diese in einen nationalen Kontext einzuordnen. 48
49 50 51
Gallagher/Laver/Mair 1995: 181. Als drittes Schema wird die organisatorische Einteilungsweise genannt. Sie wird schlicht nach ihren eigenen gesetzten transnationalen Organisationen gruppiert. Solche Verbindungen können sowohl in Form von internationalen Dachorganisationen wie auch durch eine Mitgliedschaft in einer multinationalen Partei bestehen. Obwohl dieses Schema einen klaren Überblick über die Existenz grenzüberschreitender Parteienkooperation bietet, berücksichtigt es allerdings nicht die Gründe für deren Entstehen oder auch den jeweiligen Grad an Homogenität sowie gedanklicher und politischer Kohärenz innerhalb der geschaffenen Institutionen und wird daher nicht nur von den Autoren verworfen, sondern findet auch in der politikwissenschaftlichen Literatur keine relevante Beachtung. Downs 1957 Budge/Robertson/Hearl 1987 Vgl. Huber/Inglehart 1995: 73-111, Castles/Mair 1984
22
1 Einführung
Ein rein wettbewerbsorientiertes Einteilungsschema schmälert die Aussagekraft für alle Elemente einer Partei. VALDIMIER ORLANDO KEYS unterscheidet drei Parteiebenen: party in the electorate (Wähler, Mitglieder und Parteiaktivisten), party in organization (Partei als außerparlamentarische Organisation) und party in government (Partei als Organisation öffentlicher Ämter).52 Der Wettbewerbsansatz konzentriert sich bei seiner Analyse nur auf die erste Dimension. Ihre Bestimmungsfaktoren vernachlässigen geschichtliche, institutionelle und politische Zusammenhänge, Besonderheiten und Zwänge im jeweiligen politischen System und innerhalb der Parteien. Auch wird ein Parteiwettbewerb allein schon, um Informationsreduzierung zu ermöglichen, grundsätzlich weniger Dimensionen aufweisen, als solche, die für die Programmatik und Identität der Partei prägend sind. Parteipositionen, die allein von strategischem Handeln im Bezug auf nationale Gegebenheiten, wie etwa dem Wahlrecht oder den politischen Markt, abhängen, können sich bei geänderten Rahmenbedingungen, wie etwa einer Veränderung im Parteisystem oder der Schaffung transnationaler Parteienbünde, rasch wandeln. So wäre z.B. gerade bei der Fusion nationaler Parteien hin zu europäischen Parteien für ihre Stabilität entscheidender, mehr auf das langfristig wirkende, da identitätsstiftende politische Leitbild ihrer jeweiligen nationalen Parteien zu achten, als auf die jeweiligen kurz- bzw. mittelfristig verfolgten Wettbewerbsstrategien. Diese Politikpositionen sind demnach eine Ansammlung von sich nicht gegenseitig widersprechenden unabhängigen Themen, die sich wiederum anhand unterschiedlicher Konfliktlinien äußern. Deshalb können diese ideologischen Räume von Parteien auch besetzt, vernachlässigt oder wieder neu besetzt werden.53 Ein gutes Beispiel dafür ist das irische Parteiensystem. Trotz der einzigartigen Gründungskonfliktlinie, nach dem dieses Parteiensystem entstand, ist der politische Wettbewerb mit dem anderer europäischer Parteienwettbewerbe durchaus vergleichbar.54 So können die allein nach dem Wettbewerb ausgerichteten Themen sich verändern, bzw. mit neuen, eigentlich von diesen vollkommen unabhängigen Themen verknüpft werden, solange die grundlegenden Werte und Prioritäten der Partei dadurch nicht gefährdet werden. Dieses Vergleichssystem ist daher nur fruchtbar, um die Schlüsselthemen der Konfliktlinien und den jeweiligen Polarisierungsgrad der nationalen Parteiensysteme zu vergleichen. Sie eignet sich aber nicht, Parteiidentitäten zu verstehen. Obwohl BUDGE, ROBERTSON und HEARL durchaus die nationalen Unterschiede in ihren jeweiligen Codiereinheiten weit besser berücksichtigen, findet dieser Ansatz auch dort seine Grenzen: Erstens beleuchtet er nicht Motivationen und Präferenzstrukturen der Parteien, gewisse Policies zu verfolgen, und kann zweitens nicht zeigen, wann Parteien aufgrund eines steifen programmatischen Korsetts bereit sind, Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen.55 Die Hauptkritik an diesem Ansatz liegt in dessen Grundannahme, politische Parteien allein als monolithische Handlungseinheiten zu verstehen, die rein auf Machterwerb ausgerichtet seien und diesem Ziel rational und strategisch alles andere unterordnen würden.56 Dieser Ansatz unterscheidet folglich nicht zwischen dem Wettbewerbsbereich und dem Identitätsbereich einer Partei.57 52 53 54 55 56 57
Key 1964 Sartori 1976: 335 Laver 1992: 35ff Budge 1987: 15-38 Drucker 1979: 8-18 Sani/Sartori 1983: 307ff
1.3 Analysezugang
23
Das Verständnis von Parteien als strategisch-rational monolithische Einheiten verkennt also die Vielschichtigkeit dieser Organisationen. Sie bewegen sich vielmehr in einem Spannungsverhältnis zwischen Anarchie und strategischem Handeln.58 Parteien haben nicht nur Wettbewerbsvorteile im Auge, sondern sind auch vielschichtige Großorganisationen, deren strategische Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind.59 Die älteren Gründungsmythen prägen zwar nicht mehr vorrangig das Themenmanagement im Parteienwettbewerb.60 So spielen die aus der Kulturkampfzeit stammenden Gründungsthemen der Christdemokratie nicht mehr eine herausgehobene Stellung im Parteienwettbewerb. Aber sie wirken sich bei soziokulturellen Themen, wie der Abtreibungsfrage, aus.61 Die entstandene Wertedebatte kann aber auch auf andere aktuelle Fragestellungen übergreifen. Ein gutes Bespiel findet sich im Jahr 2003 in der Zerrissenheit der CDU beim Thema Irak-Krieg. Anders als in (säkular-)konservativen Parteien war es in einer „christlichen“ Partei nicht egal, wie die christlichen Kirchen auf diese ethische Frage zwischen Krieg und Frieden reagierten. Die Parteibasis begehrte auf und hinterfragte kritisch den amerikafreundlichen Kurs der Parteivorsitzenden Angela Merkel. Hier wirkten sich die aus dem politischen Leitbild stammenden Werte auf die außenpolitische Debatte innerhalb der Partei aus. Im Gegensatz zu diesem wettbewerbsorientierten Ansatz, ist das zweite Einteilungsschema vom institutionellen Ansatz beeinflusst. Parteien werden als Gesinnungsgemeinschaften verstanden. Neben dem Machterwerb sei das Verhalten dieser Familles spirituelles vor allem auch durch traditionelle Politik- und Wertvorstellungen bestimmt.62 So können auch Konfliktlinien, die für den Parteienwettbewerb längst bedeutungslos geworden sind, identitätsstiftend für eine Partei sein. Um das Leitbild einer Partei zu erschließen, ist somit weniger die aktuelle Themenorientierung anhand der Ideological spaces relevant, als vielmehr die Entstehungsgeschichte einer Partei.63 Die Klassifikation der Familles spirituelles beruht auf dem verbindenden politischen Leitbild einer Gruppierung. Sie gruppiert die Parteien nach ihrer auf historischen Ursprüngen basierenden Identität. Somit bildet diese und nicht das Wettbewerbsverhalten der Partei das entscheidende Kriterium zum Verständnis über das Wesen der jeweiligen Partei.64
58 59 60 61 62
63 64
Vgl. zu diesen Überlegungen den Sammelband von Schmid/Zolleis 2005 Raschke 2002: 207ff Zolleis/Weilmann 2004: 29ff Gante 1991: 138-147 Dieses nach Werten und Grundeinstellungen ausgerichtete Einteilungsschema wird in seinen Überlegungen auch von Paul Sabatier unterstützt. Er geht davon aus, dass sich bei Streifragen über bestimmte politische Probleme langfristig Akteure mit übereinstimmenden allgemeinen Wertvorstellungen zusammenschließen. Auf diese Weise entstehen in jedem Subsystem zwei bis vier wie auch immer organisierte Zusammenschlüsse mit übereinstimmendem Kern von Grundsätzen. Policy-orientierte Veränderungen finden zunächst vor allem innerhalb dieser Zusammenschlüsse statt und können unterschiedliche Grundlagen haben. So führen beispielsweise Erfahrungen dazu, dass Mitglieder der Koalitionen ihre Strategien ändern. Kontakte innerhalb der Koalitionen können zu einer Verbreitung bestimmter Ziele führen, neue Mitglieder können andere Sichtweisen einbringen oder alte Mitglieder die Koalition verlassen. Diese Koalitionen sind in der Regel stabil, da neben normativen auch soziale Grundlagen geschaffen werden. Allein externe Einflüsse, aber auch empirisch exakt belegte Informationen können in der Regel nur zu einer Politikveränderung der jeweiligen Koaltionen im Sinne von sozialem Lernen führen. [vgl. Sabatier 1993: 136-141, Bandelow 1999: 54f] Ware 1996: 21-24 Mair/Mudde 1998: 225
24
1 Einführung
Diese Debatte findet sich bei der Funktionsbeschreibung von Parteien wieder. Trotz enormer Literaturfülle zur Parteienforschung ist strittig, welche Rolle und Funktionen die politischen Parteien im politischen System eigentlich erfüllen. KLAUS VON BEYME unterscheidet fünf Funktionen von Parteien: Zielfindung, Interessenartikulation, Mobilisierung, Elitenbildungs- und Rekrutierungsfunktion. Anthony Downs verengt die Funktion auf die Machtfrage: „The party is thus a loosely formed group of men who cooperate chiefly in an effect to get some of their member elected to office. However, they may strongly disagree with each other about the policies which those elected should put into practice.”65
Jedoch werden in seiner vom Rational-Choice-Ansatz geprägten Definition zwei zentrale Elemente von Parteien genannt. Erstens sind Parteien wahl- und machtorientiert. Dies trifft auf alle wichtigen Parteien der europäischen Demokratien zu.66 Zweitens bedeutet Partei stets Teil einer Gesamtheit, d.h. Teil der Gesellschaft oder Teil der politischen Aktivbürger.67 Daraus folgt aber auch, dass eine Partei ihre Gegenpartei braucht.68 Der Wettbewerbsgedanke im politischen Markt ist nicht nur dem Wortstamm der Partei, sondern auch ihrer institutionellen Beschaffenheit zugrunde gelegt. Über diese Wesensbeschreibung besteht in der wissenschaftlichen Literatur ein breiter Konsens. Die unterschiedliche Funktionszuschreibung resultiert vielmehr aus zwei divergierenden Erklärungsansätzen in der Parteienforschung: dem historischen Institutionalismus und dem Rational-Choice-Ansatz. Während der wettbewerbsorientierte Rational-Choice-Ansatz hilfreiche Beiträge für den Parteienwettbewerb ergibt, zeichnet er ein unzureichendes Bild einer Partei. Sie werden als monolithische Einheiten im Sinne von ANTHONY DOWNS oder auch von MAX WEBER dargestellt. Dies verengt aber die Aussagekraft über Parteien. In jeder repräsentativen Versammlung – egal wie beschränkt das Wahlrecht auch war – wurden politische Gruppen und Gegengruppen gebildet. Sei es im antiken Rom, sei es im Großbritannien des 18. Jahrhunderts. Repräsentanten schenkten ihrer Wiederwahl Beachtung oder waren daran interessiert, ihren Einfluss durch gewählte Freunde zu erweitern. Allerdings kann man diese Gruppen oder auch Klubs nur schwer als politische Parteien im modernen Sinn verstehen. Hier ist zwischen einem Gruppennamen, also einem Label, und politischen Organisationen, die moderne Parteien darstellen, zu unterscheiden. Dabei ist weniger der Organisationsgrad, als vielmehr die politische Qualität der Zusammenschlüsse bedeutend. Erst ganze Gruppen von Amtsinhabern oder auch Kandidaten für politische Ämter sind Parteien, denen ein bestimmtes Politikhandeln zugeordnet werden kann.69 Moderne Parteien geben damit einer Massenwählerschaft Klarheit und Kontinuität – über einzelne Individuen hinaus.70 Eine Partei benötigt somit nicht nur den Willen zur Macht, sondern auch eine für sie konstitutive politische Idee, bzw. eben ein Leitbild. Denn Parteien erfüllen neben der Machterlangung auch weitere zentrale Funktionen:
65 66 67 68 69 70
Downs 1957: 25, vgl. Zeigler 1993: 1 Beyme 1997a: 360 Lösche 1994: 11 Beyme 2000: 20f Budge/Keman 1990: 5 Epstein 1967: 21
1.3 Analysezugang
25
Sie schaffen soziale Integration.71 „Partei ergreifen“ hat neben der spaltenden auch eine einigende Funktion. Durch innere Verbundenheit und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich Parteien zu Identitätsgemeinschaften. Ein gutes Beispiel dafür ist die SPÖ der fünfziger und sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. „Von der Wiege bis zur Bahre“ bot sie ihren Anhängern eine Vielzahl von Angeboten, die ihr tägliches Leben betrafen. Zu ihren Organisationen zählten Gesangsvereine ebenso, wie Sportvereine, Kindergärten oder auch Altersheime. Obwohl diese allumfassende Angebotspalette bei den zeitgenössischen Parteien kaum mehr anzutreffen ist, bleibt der soziale Aspekt für viele Parteiaktivisten weiterhin wichtig. Parteien sind nicht zuletzt auch gesellige Organisationen. Vieles, was in Parteien stattfindet, ist in keiner Weise zweckrational auf Macht orientiert. Vielmehr ist politische Macht nur ein – wenn auch zentrales – Element von Parteien.72 Nicht gesellige Veranstaltungen, ein karitativer oder kultureller Zweck, sondern das Politische bildet den Kitt dieser Vereinigungen. Das unterscheidet sie von anderen gesellschaftlichen Organisationen; auch besonders von Interessenverbänden, die allein ganz spezifischen Interessen verpflichtet sind und bei allgemeinen Wahlen nicht antreten. Zudem haben Parteien die wichtige Funktion, den politischen Nachwuchs zu rekrutieren. Sie wählen die zukünftige politische Elite aus. Wie dies geschieht, hängt entscheidend vom politischen Leitbild der Partei ab. Eine autoritäre Partei hat nicht nur ganz andere Rekrutierungswege als eine basisdemokratische, auch ihr Auswahlprozess wird durch geschlechtsspezifische, konfessionelle, regionale oder auch schichtspezifische Überlegungen jeweils unterschiedlich geprägt. Da diese Auswahlkriterien von der Partei bewusst gewählt und auch – nicht zuletzt gegenüber den Verlierern der Auswahlentscheidungen – gerechtfertigt werden müssen, sagen sie viel über das eigene Organisations-, Politik- und Selbstverständnis aus. Sie zeigen nicht nur die einflussreichen und politisch bedeutenden Gruppen auf, sondern geben auch einen Hinweis auf die Hierarchisierung der Parteiziele. Letztlich versucht die Personalauswahl, die gewünschten Zielgruppen zu erschließen und zu repräsentieren. Jedoch ist keine andere Funktion der Partei so stark mit individuell erfahrbarer Machtverteilung ausgestattet wie die der politischen Ämterauswahl. Hier halten sich demnach Traditionsstränge besonders lange, da ihr Verlust von den Betroffenen persönlich unmittelbar, in ihrer politischen Konsequenz konkret und damit als besonders hart empfunden wird. Veränderungen im Auswahlprozess sind demnach nicht nur kleine Anpassungsleistungen der Partei an bestimmte Veränderungsprozesse. Sie zeigen vielmehr einen hohen Grad des Wandels der Partei an. Denn insbesondere Veränderungen bei der personellen Auswahl sind – nicht zuletzt aufgrund der großen persönlichen Auswirkungen für die Betroffenen – schwer durchsetzbar. Aus diesem Grund wird die Arbeit in ihren jeweiligen Teilbereichen auch immer auf den Auswahlprozess eingehen, denn sie sagen viel über das tatsächlich empfundene Parteiverständnis aus. Hier sind nicht nur die unterschiedlichen Gruppierungen, die berücksichtigt werden, wichtig, sondern auch von wem, in welchem Verfahren und auf welche Weise die Entscheidungen getroffen werden. Dies gilt auch für die Programmatik. Moderne Großparteien, wie die CDU, sind Programmparteien.73 Das bedeutet: Parteien prägen den politischen Diskurs in der Öffentlich71 72 73
Neumann 1956: 48 Lösche 1994: 11 Hier wird nicht so sehr das Verständnis von Programmparteien im Sinne von Wolfgang Schäuble verstanden, dass Parteien für jedes Regierungshandeln in ihren Parteiprogrammen nachschlagen müssen, sondern
26
1 Einführung
keit. Sie sind keine einfachen Resonanzkörper für politische Stimmungen in der Wählerschaft, sondern beeinflussen die politische Öffentlichkeit.74 Auch wenn Medien hierbei eine bedeutende Rolle spielen,75 sind Parteien entscheidende Akteure, politische Stimmungen zu erzeugen, Themen zuzuspitzen, politische und personelle Alternativen aufzuzeigen sowie öffentliche Stimmungen und Meinungen in politische Wirkung umzuwandeln. Obwohl eine klare Marktabhängigkeit der Parteien bei Wahlen besteht, sind Parteien in ihrer Entscheidung frei, der Wählerschaft ein entsprechendes Politikangebot anzubieten und in für sie günstigen Politikpositionen den Wettbewerb zu suchen. In einer repräsentativen Demokratie hat der Wähler in der Wahlkabine nicht die Chance, über jedes einzelne Issue abzustimmen, sondern nur die Gelegenheit „ja“ oder „nein“ zu dem vielfältigen Politikangebot der jeweiligen Partei zu sagen. Die Zusammensetzung, Ausformulierung und die Betonung der jeweiligen Positionen bestimmen die Parteien.76 Die Parteiführung muss deshalb, bevor sie sich mit dem erarbeiteten Wahlprogramm der Wählerschaft stellt, dieses zuerst erarbeiten und implementieren. Dafür benötigt sie die Mehrheit in der Partei. Deswegen ist es nicht nur interessant, welche Themen in den Vordergrund geschoben werden, sondern auch, welche Themen Parteien vernachlässigen. Die Zurückstellung kann aus zweierlei Gründen erfolgen: Zum einen versuchen Parteien die Themen, in denen sie in der Wählerschaft ein nur geringes Kompetenzprofil besitzen, herunterzuspielen,77 zum anderen werden solche Themen, die innerparteilich strittig sind, in den Hintergrund gerückt. Diese Vetoposition der Parteibasis bzw. von Parteiflügeln ist ein wichtiger Einflussfaktor in der Programmformulierung. Aufgrund des Zwangs für Parteien zur Geschlossenheit ist eine solche Programmformulierung bei der Aufstellung von Wahlprogrammen entscheidender als tatsächlich stattgefundene Debatten bzw. Kontroversen auf Parteitagen.78 Das politische Leitbild gibt der programmatischen Debatte die Fixpunkte, um innerparteiliche Zustimmung zu organisieren. Diese können gerade auch Schlüsselbegriffe sein, die der Parteibasis die inhaltliche Sicherheit und programmatische Orientierung geben, dass mit den getroffenen Beschlüssen der bisherige politische Referenzrahmen der Partei erhalten bleibt. Neben dieser Vetorolle müssen Parteien auch den aktiven Willensbildungsprozess organisieren. Die Aggregations- und Selektionsfähigkeit gesellschaftlicher Interessen ist eine der zentralen politischen Aufgaben der Parteien. Im Wandel des Parteienwettbewerbs haben sich die Kommunikationsmittel und teilweise auch die gesellschaftlichen Linkages der Parteien mit ihrer Umwelt und vor allem mit ihren Wählern gewandelt, indem sie zunehmend mithilfe der Massenmedien und weniger über die einfachen Parteimitglieder den direkten Kontakt zu den Wählern suchen. Der Grundmechanismus und die Probleme des politischen Willensbildungsprozesses sind für Parteien jedoch gleich geblieben: Seitdem Parteien Wählerstimmen für ihr politisches Überleben benötigen, sind sie gezwungen, die Wünsche der Wähler ernsthaft bei ihren Politikkonzeptionen in Betracht zu ziehen.79 Diese Notwendigkeit zwingt die Parteien, einen Austauschprozess mit ihren Wählern zu organi-
74 75 76 77 78 79
vielmehr im Sinne von Klaus von Beyme, der diese Definition in der Gegenüberstellung zu Protest- und Patronageparteien verwendet hat [vgl. Beyme 2000: S.64ff] Mair 1997: 89 Vgl. Blumer/Kavanagh 1999: 33-52 Sartori 1976 Longchamp 2000: 191ff, S.a.: Budge 1987: 15ff Zolleis 2004 Poguntke 200: 43
1.3 Analysezugang
27
sieren. Dieser wird umso wichtiger, je stärker durch die abnehmende Parteienbindung die originäre Parteimitgliedschaft nicht mehr dem Querschnitt der Wählerschaft entspricht. Diese Notwendigkeit kann die Wirkungskraft traditioneller Parteithemen verringern, wenn sie auf der Prioritätenskala der Wählerschaft merklich an Bedeutung verlieren.80 Die Parteien müssen bei der Organisation ihres Willensbildungsprozesses deshalb drei Prinzipien beachten: 1. 2. 3.
gesellschaftliche Repräsentanz, gesellschaftliche Akzeptanz sowie Responsivität auf die vorgeschlagenen Konzeptionen.
Daher wird eine Partei, die auf dem politischen Markt erfolgreich sein will, nicht doktrinär an ihrem programmatischen Korsett hängen, sondern umweltoffen nach dessen Tragfähigkeit für die Mehrheit ihrer gewünschten Wählerschaft fragen. Um neue Themen aufzuspüren und gesellschaftliche Interessen zu repräsentieren, wird sich daher eine Partei gerade auf flexiblen Wählermärkten öffnen.81 So wird diese Arbeit untersuchen, inwieweit diese neuen Themen – wie zum Beispiel der Schutz der Umwelt – eine Partei mit ihrem politischen Leitbild verbinden, indem sie Antworten auf die neuen Anliegen suchen, die mit ihren Grundsätzen vereinbar sind. Um diese Frage zu klären, wird nicht nur die programmatische Begründung für das politische Handeln untersucht, sondern auch das Zustandekommen realer politischer Entscheidungen im Regierungshandeln bzw. – für Oppositionszeiten – von Parteierklärungen, in denen sich die Partei öffentlich eindeutig zu einem konkreten politischen Handeln bekennt. Der entscheidende Unterschied zu Anthony Downs Parteienverständnis besteht weniger darin, dass Parteien nicht für Veränderungen offen sind, sondern dass sie diesen Anpassungs- und Wandlungsprozess nicht allein marktstrategisch gestalten. Parteien werden nicht als reine Zweck-Mittel-Gebilde im Sinne von Max Weber betrachtet, sondern ihnen wird ein eigener Charakter, der über die reine Machtsicherung und -gewinnung hinausgeht, zugesprochen. Für das Wesen einer Partei ist es bestimmend, welche Ziele sie besitzt. Anthony Downs definiert: „Parties formulate policies in order to win elections rather than win elections in order to formulate policies.”82
Das Streben nach Macht als primäres Ziel der Parteien ist als genereller Grundsatz durch zahlreiche Beispiele nicht haltbar. So hat die britische Labour Party in den achtziger Jahren aufgrund ihres starren Festhaltens an ihrer linken Ideologie bewusst ihre Wahlchancen gemindert. Und dies zu einer Zeit, als ihre konservative Gegenspielerin nicht sehr populär in der englischen Wählerschaft war.83 Ideologische Profilschärfe wurde der Stimmenmaxi-
80 81 82 83
Ein gutes Beispiel für diesen Anpassungsprozess sind die grünen Parteien, die sich zunehmend auf die sinkende Relevanz ökologischer Themen in der Wählerschaft einstellen, indem sie stärker sozioökonomische Themen propagieren [vgl. Raschke 1993: 57ff, Klein/Falter 2003: 71ff] Vgl. Mair/Müller/Plasser 1999: 391-402 Downs 1957: 28 Dunleavy/Husbands 1985
28
1 Einführung
mierung vorgezogen. Ähnliches vollzogen die Konservativen in ihrer Oppositionszeit unter William Hague.84 Jedoch ist es nicht leicht, andere übergeordnete Parteiziele empirisch exakt zu messen. Zudem gibt es eine Vielzahl möglicher Ziele von Parteien. HARMEL und JANDA beschreiben, dass sich der Erfolg – also das Erfüllen von grundlegenden Zielen – einer Partei am Gewinn von Wahlen ausdrücken kann.85 Aber wann sind Wahlen gewonnen? Eine Partei ist – so wurde in der Literatur festgestellt – erfolgreich, wenn sie ihre Stimmen maximiert. Dieses Ziel ist aber rein funktional. Es erklärt noch nicht, warum eine Partei Stimmen erzielen will. Das Erlangen von politischen Ämtern und die Durchsetzung einer bestimmten Politik können die vorrangigen Ziele für Parteien sein. Auch können Parteien das Ziel der innerparteilichen Partizipation besitzen.86 Indem allerdings der Parteiorganisation als Gesamtheit Ziele bzw. Funktionen zugeschrieben werden, wird leicht die Tatsache verdeckt, dass nicht personifizierte Organisationen, sondern die in ihnen handelnden Individuen und Gruppen Träger von konkurrierenden Zielvorstellungen und Nutzungsbestrebungen sind. Die sich hieraus ergebende charakteristische Vielfalt, Unklarheit, Unstimmigkeit, Konfliktträchtigkeit und Dynamik der Ziele von Parteien kann das politische Zweck- und Funktionsmodell somit nicht erfassen.87 Eine Partei wird nicht ausschließlich eines dieser unterschiedlichen Ziele verfolgen, sondern eine bestimmte Präferenzkette daraus bilden. Die jeweilige Zusammensetzung findet sich im politischen Leitbild wieder.88 Die unterschiedlichen Ebenen der Partei – die politische Elite, die politische Klasse und die einfache Mitgliedschaft – können dabei eine divergierende Präferenzkette von Interessen bilden.89 Der Rational-Choice-Ansatz findet beim Ziel der Ämtererlangung seine Grenzen. Denn der Wahlsieg bringt nur wenigen aus der politischen Klasse einen Vorteil: der politischen Elite, die neue Perspektiven in Regierungsämtern findet, und jenen Teilen der politischen Klasse, die persönlich durch den Stimmenzuwachs einen Parlamentssitz erhalten. Für die breite Masse der politischen Klasse ändert sich materiell zunächst gar nichts. Sie waren und bleiben Mitglieder im Parlament. Erst recht gilt diese Konsequenz für die breite Mitgliedschaft einer Partei. Diese muss ihre Motivation aus einer anderen Grundlage als dem reinen materiellen Nutzen ziehen. Denn sie erhält ihn einfach nicht. Im Gegensatz zur Wirtschaft bietet Politik nur kollektive Güter an. Unabhängig von irgendeiner erbrachten Vorleistung werden die Vor- und Nachteile einer bestimmten Politik kollektiv bezogen. Aus dem Wesen des politischen Marktes kann deshalb die KostenNutzen-Analyse nur bedingt greifen. Die Ziele von Parteien müssen daher sowohl für die Wählerschaft als auch für die große Masse der Parteimitglieder und für die Mehrheit der politischen Klasse andere sein als reines individuelles Macht- und Ämterstreben. Normative Ziele schaffen und stiften Identität und diese ergeben das politische Leitbild einer Partei. Wie bereits oben erwähnt, prägt ein solches Leitbild in zweifacher Weise die Politikkonzeption einer Partei. Zum einen beeinflusst es die Art der Willensbildung innerhalb einer Partei. Durch bestimmte Vorstellungen der Partei, z.B. ihr Verhältnis zur direkten Demokratie oder den Sozialpartnern, wird das Wesen des innerparteilichen Lebens be84 85 86 87 88 89
Vgl. Nadler 2000 Schlesinger 1984: 382 Harmel/Janda 1994: 269-271 Wiesendahl 1984: 79 Schlesinger 1984: 373 Vgl. Beyme 1993: 11-38
1.3 Analysezugang
29
stimmt. Zum andern wirkt sich das Leitbild auf die Politikformulierung direkt aus. Zwar prägt es selten die tagespolitischen Aktivitäten, wohl aber die großen politischen Debatten. Je unübersichtlicher die tagesaktuelle Diskussion wird, desto häufiger wird nach den Leitlinien gefragt, um das Handeln im Rahmen ersterer überhaupt zu verstehen. So sind einzelne Maßnahmen zur Gesundheitspolitik äußerst kompliziert. Will man die Positionen der Parteien deutlich machen, muss man sie über ein Gesamtkonzept verständlich übersetzen. Eine Partei wirkt authentisch und nicht beliebig austauschbar, wenn sie ihr Handeln in Bezug zu ihrem Leitbild setzen kann. Dabei gibt es zwei Vorgehensweisen: Parteien können rückwirkend ihr Handeln theoretisch-normativ legitimieren. Sie können aber auch durch bestimmte Leitlinien zu einem bestimmten Handeln inspiriert werden. Beide Argumentationsweisen zu unterscheiden, ist wichtig für diese Arbeit. Beide bedeuten jedoch auch, dass ein konkretes Leitbild in der politischen Debatte Relevanz besitzt. Die politischen Leitlinien, die aus der langen Parteigeschichte herrühren,90 stellen für die Wählerschaft eine hilfreiche Informationsreduzierung dar. Zudem sind sie gerade für die einfachen Mitglieder eine gute immaterielle Motivation. Sowohl im internen wie auch im externen politischen Markt sind sie für Parteien nützlich. Sie stützen die Kernkompetenzen der Parteien – gerade auch bei eher komplexen politischen Sachverhalten – und lassen die Parteien in den Augen der Wählerschaft glaubwürdiger und berechenbarer erscheinen. Eine politische Führung verstößt daher nicht leichtfertig gegen das politische Leitbild einer Partei –aus vier maßgeblichen Gründen: a. b. c. d.
Es stellt ein hilfreiches Charakteristikum für die Wählerschaft dar. Es ist für das innerparteiliche Leben eine wichtige Identitätsklammer. Die politische Elite ist mit diesem Leitbild politisch aufgewachsen. Es bildet ein wichtiges Element ihrer politischen Sozialisation. Es legitimiert das politische Handeln der Führung nicht nur in markt-strategischer, sondern auch in normativer Hinsicht.
Die tatsächliche Relevanz des politischen Leitbildes zeigt sich im innerparteilichen Leben und beim Agieren der Partei auf dem politischen Markt. Beide stellen daher die Kernbereiche der Untersuchung dar. 1.3.1 Innerparteiliches Leben Eines der Kernelemente des Konzepts der Familles spirituelles besteht in ihrer Betonung des innerparteilichen Lebens für die Politikgestaltung der Parteien. In einer Partei gibt es zahlreiche Akteure mit unterschiedlichen Präferenzen. Die Bedeutung der Parteiorganisation begründet sich in ihrem Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess und in der Machtverteilung. Zudem spiegelt die Organisationsstruktur einer Partei nicht nur ihren Funktionsanspruch, sondern auch ihren Charakter wider. So sagt die unterschiedliche Gestaltungen von Parteitagen viel über die Machtverhältnisse und die politische Kultur einer Partei aus. Parteitage können als Foren der Parteiführung für öffentlichkeitswirksame De90
Hix/Lord 1997: 50
30
1 Einführung
batten dienen oder das zentrale Entscheidungsgremium zur Festlegung für alle möglichen politischen Aussagen einer Partei sein. Das innerparteiliche Leben strukturiert sich in der jeweiligen Parteiorganisation. Eine Partei benötigt eine Organisation, die ihre Ressourcen in einer möglichst effizienten und konfliktfreien Weise nützt.91 Die Organisation ist nicht nur Bedingung für einen strategiefähigen Akteur, sie ist auch selbst Gegenstand strategischer Steuerung. Organisationsfähigkeit muss sich darin bewähren, tragfähige Kompromisse im Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und einem innerparteilichen Willensbildungsprozess zu finden. Für das Ermöglichen, Kontrollieren, Beteiligen an strategischer Steuerung kann es keine sauberen und auf Dauer stabilen Lösungen geben.92 Deshalb sind Parteiorganisationen in ihrer Geschichte auch keine statischen Gebilde geblieben, sondern starken Veränderungen unterworfen. Studien über Parteiorganisationen gehören zu den frühesten Forschungsfeldern der modernen Politikwissenschaft.93 Mit dem Abbau soziologischer Deduktionen der Parteien aus verfestigten und „eingefrorenen“ Cleavages kam die Parteiorganisation wieder stärker ins Blickfeld, die in der früheren Parteiforschung von ROBERT MICHELS und MICHAEL OSTROGORSKI bis zu MAURICE DUVERGER dominant gewesen ist.94 So ist es kein Wunder, dass die Herausgeber eines in den neunziger Jahren neu erschienenen politikwissenschaftlichen Journals zur Parteienforschung die erste Ausgabe mit einem weit beachteten Artikel zur Parteiorganisation aufmachten. In ihrem Aufsatz beschreiben die Autoren RICHARD KATZ und PETER MAIR vier Stadien der Parteientwicklung:95 1. 2. 3. 4.
Honoratiorenparteien im 19. Jahrhundert Massenparteien (1880-1960) Volksparteien, bzw. Catch-all-Parties (seit 1945) Kartellparteien (seit 1970)
Diese Typologie zu den verschiedenen Stufen der Parteiorganisation wurde anhand der sich wandelnden Beziehungen von Parteien zur organisierten Bürgergesellschaft, der veränderten Rekrutierung, der Mitgliederstruktur und der Grundziele der Parteien unterschieden. Die erste Stufe der nachgezeichneten Entwicklung der Parteitypen in Westeuropa reicht von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Universalisierung des Massenwahlrechts nach 1918. In dieser Phase wurde der politische Prozess primär von den Honoratioren- oder Kaderparteien bestimmt. Die politische Klasse benutzte die Kaderparteien, aber die Honoratioren aus den Oberschichten waren nicht nur auf dieses Herrschaftsinstrument angewiesen. Dieses Honoratiorenkartell wurde durch den Parteitypus der Massenpartei abgelöst. Dieser zweite Parteitypus war nicht nur durch eine große Massenmitgliedschaft – in der Parteiorganisation selbst oder in ihren Vorfeldorganisationen –, sondern auch durch Weltanschauungen geprägt. Der Übergang zur zweiten Stufe der Parteientwicklung wurde durch das Organisieren der unterprivilegierten gesellschaftlichen Gruppen in den zunehmend industrialisierten und urbanisierten westeuropäischen Gesellschaften des späten 19. 91 92 93 94 95
Vgl. Ware 1996: 93 Raschke 2001: 28 Ware 1996: 93 Beyme 2000: 104 Katz/Mair 1995: 5-28
1.3 Analysezugang
31
Jahrhunderts vorangetrieben. Dabei entwickelten insbesondere sozialistische und konfessionell geprägte Parteien, die als politische Vertretung eines weltanschaulich geprägten sozial-moralischen Milieus agierten, neue Organisationsformen. Beispielhaft für diese Parteien waren die SPD oder auch das deutsche Zentrum. Das politische Leitbild war bei diesen Parteien fest verwurzelt nicht nur in der Mitgliedschaft, sondern auch in der Wählerschaft. Es war weltanschaulich fundiert und – wie THOMAS NIPPERDEY betonte96 – es war für die Tagespolitik so maßgeblich, dass selbst die Parteien in Detailfragen kaum Manövrierraum besaßen. Dies lag aber weniger am starken Imperativ der Mitglieder, sondern vielmehr an der enormen weltanschaulichen Fundierung der Massenparteien. Denn obwohl die Massenmitgliedschaft für die Wahlkampfführung und für die Finanzierung dieser Parteien sehr wichtig war, führten die Eliten die Massenparteien relativ autoritär. ROBERT MICHELS entwickelte ausgehend von seinen Erfahrungen in der damaligen SPD sein „ehrendes Gesetz der Oligarchie“.97 Den Kitt bildete schließlich die Durchsetzung einer spezifischen Weltanschauung und nicht innerparteiliche Partizipation. Trotzdem integrierten diese Parteien die Wählermassen organisatorisch in das politische System.98 MAURICE DUVERGER sah im Entstehen der Massenparteien einen positiven Schritt in Richtung einer Demokratisierung. Durch ihre Strukturen wurde ein enger und glaubwürdiger Kontakt zwischen den Mitgliedern und der politischen Elite geschlossen.99 Nach der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg erschienen diese neuen Massenparteien in Bezug auf ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Interessen zu repräsentieren, Wähler zu mobilisieren und demokratische Legitimation herzustellen, gegenüber den alten Honoratiorenparteien als überlegen.100 Die dogmatische Fixierung des politischen Leitbildes war zwar für die Integration und die Mobilisierung der Wählerschaft hilfreich, für die Praxis der täglichen politischen Arbeit jedoch hinderlich. Es erschwerte die Schaffung eines politischen Ausgleichs zwischen unterschiedlichen Parteien. Fast jede politische Tagesfrage wurde durch die jeweilige Weltanschauung als nicht verhandelbar überhöht und damit dem politischen Kompromiss entzogen.101 Die Partei war auf den Kampf um die Durchsetzung konkurrierender Gesellschaftskonzepte, die ideologisch in fundierten Programmen ausgearbeitet waren, fixiert. Die Mitglieder waren nicht nur die Hauptfinanziers der Massenpartei, sondern auch für die Wahlkämpfe sehr wichtig. Da die Partei sich als der politische Arm der jeweiligen Gesellschaftssäule verstand, lag der Schwerpunkt der politischen Agitation in parteieigenen Kommunikationsnetzen und den Medien der Vorfeldorganisationen.102 Die dritte Stufe der Parteientwicklung wurde als der Typus der Volkspartei/Catch-allParty beschrieben.103 Der neue Parteitypus war ein Produkt der Erosion der zuvor fest gefügten gesellschaftlichen Lager in der Nachkriegszeit. Dazu trugen einerseits der soziale Wandel, die erhöhte Mobilität und die ökonomische Prosperität in den modernen Industriegesellschaften der fünfziger Jahre bei, die zu einem Abbau der Klassengegensätze und 96 97 98 99 100 101 102 103
Nipperdey 1973: 32-55 Michels 1925/1989: 351ff Neumann 1965 Duverger 1963: 427 Detterbeck 2001: 25 Nipperdey 1973: 32-55 Schattschneider 1942:1 Kirchheimer 1967: 177-200
32
1 Einführung
solidaritäten, sowie dem Anwachsen der Mittelschichten führten. Die früheren Solidargemeinschaften verloren durch den Ausbau der Staatstätigkeit nach 1945 an Bedeutung, da der moderne Wohlfahrtsstaat viele Aufgaben übernahm, die zuvor den Parteien und vor allem ihren Vorfeldorganisationen zugekommen waren.104 Dieser gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufbruch schwächte auch die ideologischen Grabenkämpfe der Zwischenkriegszeit. Nun bemühten sich die Parteien über eine bestimmte gesellschaftliche Klasse oder soziokulturelle Nische hinaus um Wählerstimmen. Diese „Allerweltspartei“ wandte sich bewusst an die größtmögliche Wählerschaft, indem sie sich als Makler zwischen dem Staat und den Bürgern und nicht als verlängerter politischer Arm einer bestimmten Weltanschauung verstand. Zusammenfassend definiert sich der Organisationstyp Catch-all-Party anhand von vier Kriterien: 1. 2. 3. 4.
Er ist sozial heterogen. Er ist bemüht möglichst viele Wählergruppen anzusprechen. Deswegen wurde als entscheidende Marge auch ein Wähleranteil von 30% festgelegt. Catch-all-Parties sind demnach Großparteien.105 Schließlich ist die Catch-all-Party nur als Teil eines repräsentativ-demokratischen politischen Systems parlamentarischer und präsidentieller Prägung denkbar. 106 Die Catch-all-Party besitzt kein ausformuliertes Weltanschauungssystem. Sie besitzt aber politische Leitideen.107
Allerdings bleibt der Grad ihrer Entideologisierung umstritten. PETER HAUNGS hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Parteien zwar keine ausformulierten Weltanschauungssysteme mehr besaßen, aber dennoch spezifische Ideologiefragmente und Denkformen aufwiesen.108 Sie behielten folglich ihr politisches Leitbild, denn die Entideologisierung führte keineswegs zu einer vollkommenen programmatischen Beliebigkeit. Vielmehr wurden daraus politische Leitlinien anstatt fest gefügter ideologischer Korsetts.109 Die vierte Stufe der Parteientwicklung, deren Entstehen nach 1970 verortet wird, ist durch das Auftauchen von Kartellparteien gekennzeichnet. Kartellparteien treten im politischen Prozess als semi-staatliche Organisationen auf, die mit ihrer zunehmenden Verankerung in der staatlichen Sphäre den Prozess der Abkopplung von ihrer ursprünglichen gesellschaftlichen Basis verstärken. Das besondere Merkmal dieses neuen Parteitypus ist die enge zwischenparteiliche Kooperation der etablierten Parteien in der Absicherung ihrer staatlichen Privilegien.110 Die Parteien bilden als Kartell der Berufspolitiker ein Netzwerk der Privilegiensicherung. Ihr Kontakt zur Bürgergesellschaft schwindet und der Kontakt zu den Wählern wird direkt über die Massenmedien gesucht. Die politische Elite nutzt die Ressourcen auf dem Markt und weniger aus der Partei. Durch den Ausbau der staatlichen Parteienfinanzierung sind die Parteien nicht mehr auf freiwillige Zuwendungen durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge angewiesen, sondern direkt durch den Steuerzahler alimentiert. 104 105 106 107 108 109 110
Detterbeck 2001: 26 Smith 1989: 168 Lösche 1995: 183 Haungs 1980: 63ff Ebd Niclauß 2002: 30 Detterbeck 2001: 30
1.3 Analysezugang
33
Diese Parteien der Berufspolitiker sind in der Lage, rasch und flexibel auf die Erfordernisse der Stimmungsdemokratie zu reagieren. Die Parteiaktivisten werden funktionslos, da auch die Kampagnen zunehmend professionalisiert werden. Vor allem wurden die jeweiligen aktiven lokalen Einheiten, die die politische Sozialisierung der breiten Massen in den Massenparteien ermöglichten, bedeutungslos.111 Die Kommunikation mit den Wählern, aber auch den Parteiaktivisten erfolgt in Zeiten von Fernsehen und Internet hauptsächlich über die Massenmedien und weniger über örtliche Netzwerke.112 KATZ und MAIR sehen in der selbstreferentiell beschlossenen Verteilung staatlicher Ressourcen ein grundlegendes Legitimationsproblem der westeuropäischen Parteiendemokratien. Der grundlegende Gedanke des „Party Government“-Modells liegt darin, dass die Bürger, selbst wenn ihnen keine weitergehenden politischen Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt werden, in Wahlen via Parteien das Handeln der Regierung kontrollieren und daher eine gewisse Responsivität der Politik herstellen können. Die Möglichkeit des vom Wähler durch Abwahl aufgezwungenen Machtwechsels steht im Zentrum dieser demokratietheoretischen Konzeption. Als Folge der Kartellbildung zwischen den Parteien würden die Wähler die Möglichkeit verlieren, sich für eine politische Alternative zu entscheiden. Durch parlamentarisches Mitregieren der Opposition, programmatische Homogenität in weiten politischen Bereichen und durch die staatliche Parteienfinanzierung auch für Oppositionsparteien würden Wahlen an Bedeutung verlieren. Diese Charakterisierung der modernen Parteien als Kartellpartei ist – trotz mancher Entwicklungen – in zentralen Punkten zu kritisieren. In der Literatur wurden drei maßgebliche Kritikpunkte aufgeworfen. Erstens wies KLAUS VON BEYME darauf hin, dass die historische Einteilung zu stark auf große geschichtliche Zäsuren, wie es zum Beispiel das Jahr 1945 darstellt, fixiert sei. Die gesellschaftliche Entwicklung würde aber nicht zeitgleich mit den großen politischen Einschnitten verlaufen. Vielmehr können diese – wie im Fall der Parteientwicklung der Kartellpartei – mit Zeitverzögerung eintreten.113 Zum anderen kritisierte RUUD KOOLE, dass die Beziehungen der Partei zur organisierten Bürgergesellschaft zu statisch betrachtet werden. Denn die Beziehungen verändern sich nicht nur aufgrund einer anderen Organisationsart der Parteien, sondern auch aus einer anderen Art der Bürgergesellschaft. Dies bedeute aber nicht gleichzeitig eine größere Distanz der Partei zur Civil society.114 Zugleich wird auch der Begriff „Kartell“ für den neuen Parteityp kritisiert. Er sei irreführend, da eine Eigenschaft, die sich auf ein Gesamtsystem beziehe, nicht die Charakteristiken einer individuellen Organisation beschreiben könne.115 Treffender ist sicherlich die Beschreibung des neuen Parteientypus als „professionelle Wählerpartei“.116 Die Frage nach der Existenz politischer Leitideen ist bei diesem Typ offen. Sie wird von der Literatur eher in Frage gestellt.117 Die Vorstellung dieses Organisationstyps ist aufgrund seiner Wählermarktbezogenheit programmatisch sehr flexibel einzustufen. Ob dieses Agenturmodell – wie es zum Beispiel in wichtigen Bereichen in der Anfangszeit bei Forza Italia
111 112 113 114 115 116 117
Scarrow 2000: 82 Römmele 2003: 8 Beyme 1997a: 368 Koole 1996: 509 Ebd.: 508 Panebianco 1988 Katz/Mair 1995: 5-28
34
1 Einführung
festgemacht werden konnte118 – für die CDU seit Mitte der 1990er Jahre zutrifft, muss in dieser Arbeit untersucht werden. Wenn dies der Fall wäre, hätte dort das christdemokratische Leitbild allein schon aufgrund des organisatorischen Verständnisses keinen Raum mehr. Zu überprüfen, ob dies wirklich zutrifft, ist Aufgabe dieser Arbeit. Denn betrachtet man das Parteiinnenleben von der untersten Ebene – der Parteimitgliedschaft – aus, so wird deutlich, dass die Organisation auch einer modernen Partei vielschichtig ist. Gerade auch, weil sich die Mitgliedschaft elementare Rechte behalten hat, die die politische Führung in ihrem Handlungsfeld einschränkt. Im politischen Prozess ist nicht nur der direkte Einfluss entscheidend, sondern auch der indirekte. Sei es über Repräsentanten – wie zum Beispiel Delegierte oder Abgeordnete – oder auch über eine mögliche Gefahr eines parteiinternen Widerspruchs zur Unzeit – wie zum Beispiel im Wahlkampf. Parteien sind im Vergleich zu anderen Organisationen extrem umweltabhängig. Sie sind in einem feinmaschigen Beziehungsnetz direkter und indirekter Umweltbeziehungen eingebunden. Sie korrespondieren mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Personen, Gruppen, Einrichtungen des privaten und öffentlichen Lebens, die widersprechende Wünsche und Erwartungen an sie richten, ihre Entscheidungen und Handlungen zu beeinflussen oder Bedingungen schaffen, die bei der Gestaltung organisatorischer Aktivitäten zu beachten sind.119 Das innerparteiliche Leben ist damit vielschichtig. Es wird nicht nur von der Mitgliedschaft – sei sie nun formal oder informell – bestimmt, sondern auch von der Parteiführung in Teilen gesteuert. Die Mitglieder der politischen Elite sind die Unternehmer der Partei.120 Sie versuchen ihre Strategie nach Effizienz- und Erfolgskriterien für den politischen Markt auszurichten. Dabei müssen sie das innerparteiliche Selbstverständnis ebenso beachten, wie auch den politischen Markt. Meist sind sie in der Partei und damit auch mit ihren elementaren Wertvorstellungen sozialisiert. Die etablierten westeuropäischen Parteien kennen nur wenige Quereinsteiger.121 Sie sind durch frühzeitiges Engagement in diesen Parteien mit den Besonderheiten ihrer Organisation vertraut. Ihrem Verständnis der politischen Prozesse ihrer Partei und ihrem antrainiertem Wissen, das für ihren Aufstieg nutzen, verdanken sie ihre politische Karriere. Erst der Aufstieg von der politischen Klasse zur politischen Elite konfrontiert sie mit dem zweiten entscheidenden Faktor – dem politischen Markt. Während sie also das Parteileben verinnerlicht haben und diesem ihre Karriere verdanken, werden sie mit den Realitäten des politischen Marktes erst im Laufe ihrer politischen Karriere konfrontiert. 1.3.2 Agieren auf dem politischen Markt Neben dem politischen Leitbild ist vor allem das strategische Handeln der Partei für den politischen Markt entscheidend. Der politische Markt konstituiert sich aus zwei Elementen: der Wählerschaft, d.h. der periodisch abgerufenen Bestätigung oder Nicht-Bestätigung der Repräsentation und den etablierten, meist über Verbände organisierten Kontakten der Partei 118 McCarthy 1996: 130-147. Zu einem anderen Bild gelangt Paolo Alberti, der die Partei nach ihrer ersten Oppositionszeit untersucht hat [vgl. Alberti 2005: 238-258] 119 Wiesendahl 1984: 84 120 Schlesinger 1984: 384-393 121 Borchert 2003: 86ff
1.3 Analysezugang
35
in die Gesellschaft hinein, den gesellschaftlichen Linkages. Auch steht jede Partei in einem Wettbewerb mit der politischen Konkurrenz. Folglich muss sie ständig – insbesondere im Hinblick auf Wahlen – Erfolg oder Misserfolg bilanzieren.122 Der politische Markt ist für die Parteien existentiell. Es gibt bei der Bewertung des politischen Erfolges keine wirtschaftlichen Bilanzabschätzungen. Die Wahlen geben Auskunft über Erfolg oder Misserfolg der politischen Akteure. Sie entscheiden über ihr politisches Schicksal. Parteien und ihre Repräsentanten sind abhängig vom politischen Markt. Insbesondere die politische Elite muss demnach stets versuchen, auf diesem Markt erfolgreich zu sein. Im Gegensatz zum wirtschaftlichen Markt handelt der politische Markt jedoch mit kollektiven Gütern. Parteien wandeln Forderungen in politische Themen, indem sie Politikalternativen im Kontext ihres politischen Leitbildes formulieren. So arbeiten Parteien Forderungen in lockere, kohärente Politikpakete um. Dies gibt den Wählern die Chance, bei Wahlen Entscheidungen zu treffen. Dabei haben die Parteien die zentrale Rolle beim politischen Entscheidungs- und Implementierungsprozess. Aus dieser Sicht müssen Parteien Politiken auswählen. Sie sind die Hauptakteure in der repräsentativen Demokratie, wenn es der Lösung sozialer Probleme bedarf.123 Die Kongruenz zwischen Wahlversprechen und Regierungshandeln ist dabei das funktionierende Element einer Demokratie. Parteien stehen in einem Abhängigkeits- und Spannungsverhältnis zum politischen Markt, das dann deutlich wird, wenn eine Partei einem politischen Leitbild mit seinen Zielen und gewünschten Maßnahmen folgt, die bei den eigenen Wählern irrelevant oder sekundär geworden sind. Innerparteiliche Spannungen treten dann auf, wenn die Partei programmatische Anpassungen an das gewandelte Bewusstsein, die gewandelte Interessenlage ihrer Wähler vornimmt, sei es aus dem obigen Grund oder weil sie über ihre traditionelle Wählerklientel hinaus neue Wählerschichten ansprechen will. Die politische Elite wird also versuchen, ein Politikangebot zusammenzustellen, das sowohl dem politischen Leitbild folgt und gleichzeitig für eine breite Wählerschaft ansprechend wirkt. Dabei sind Parteien nicht einfach die Resonanzböden der Wählerschaft. Aus der Vielzahl der gesellschaftlichen Interessen muss eine Partei ihr Politikkonzept auswählen. Dies muss sowohl authentisch zur Partei passen, als auch relevant für die Wählerschaft sein.124 Parteien sind in der Lage, neue Themen aufzugreifen und für den politischen Wettbewerb zu verwenden.125 Damit wählen sie Themen für den politischen Wettbewerb bereits im Vorfeld aus. Dies ist auch plausibel, wenn man die politische Willensbildung aus Sicht der Wählerschaft betrachtet. Bereits Joseph Schumpeter hielt das Bild vom allseits informierten und rationalen Bürger für eine Fiktion: das Handeln des Bürgers folge weniger rationaler Überlegung als eingespielten Gewohnheiten, sei durch Information kaum belehrbar, sein Denken sei assoziativ und affektmäßig; die Wähler würden sich oft als schlechte Kenner ihrer eigenen langfristigen Interessen erweisen; denn es sei das kurzfristige Versprechen, das politisch zähle, und nur die kurzfristige Rationalität, die sich wirksam durchsetzen lasse.126
122 123 124 125 126
Laver/Hunt 1992: 2 Klingemann/Hoffbret/Budge 1994: 2 Zolleis/Weilmann 2004: 29ff Mair 1997: 89 Schumpeter 1975: 414
36
1 Einführung
75 Prozent der Bevölkerung gehören zum typischen Massenpublikum, das ein geringes Informationsniveau über politische Vorgänge besitzt und sich nur fallweise – wie z.B. vor Wahlen – um Politik kümmert. Offenbar hat das Nichtinteresse an Politik für viele Bürger kaum nachteilige Folgen in ihrer alltäglichen Lebensführung. Dies gilt jedenfalls so lange, wie das demokratische System auf der Makroebene nicht empfindlich gestört wird. Ein instrumentelles Interesse an Politik und damit die Erfordernis einer informationellen Systemorientierung besteht nur bei einem außerordentlich kleinen Prozentsatz der Bevölkerung. Angesichts des enorm geringen Einflusses, den eine einzelne Wählerstimme auf das Gesamtergebnis auszuüben imstande ist, und der Tatsache, dass die Wahlentscheidung nur eine einfache Präferenz für einen bestimmten Kandidaten oder eine bestimmte Partei auszudrücken braucht, stellt – so die Rational-Choice-Theorie – umgekehrt der aktive und informierte Bürger das eigentliche Rätsel dar: vom Standpunkt einer ökonomischen ZweckMittel-Rationalität ist der informierte Bürger eine Anomalie.127 Parteien wollen eine möglichst große Anzahl an Stimmen erreichen. Dies können sie strategisch nur planen, wenn sie der Wählerschaft eine bestimmte Präferenzkette unterstellen. Parteien können Wähler für bestimmte Themen interessieren und mobilisieren. Jedoch bedarf es nicht nur einer Emotionalisierung der politischen Kommunikation, sondern auch einer Informationsreduzierung. Aber es gibt eine markante Entwicklung, die langfristig den Parteienwettbewerb geändert hat. Es ist die zunehmende Volatilität zwischen den Parteien. Auch wenn die Wählerwanderung vom einen zum anderen politischen Lager zum Teil bestritten wird,128 sind die Erosion der sozial-moralischen Milieus und die Entideologisierung unumstritten. Dies hat Auswirkungen vor allem auf die Mobilisierungsfähigkeit der Wählerschaft und der Rekrutierungsauswahl des politischen Nachwuchses. Die Wählerschaft ist nicht mehr in dem gleichen Maße politisiert wie dies noch in den siebziger Jahren der Fall war. Die Bindungen der Parteien zur Wählerschaft sind lockerer geworden. Die Folgen für den demokratischen Wettbewerb sind widersprüchlich: Einerseits führt die Entideologisierung dazu, dass die Politik pragmatischer und im Ergebnis konsensual wird. Andererseits zieht sie eine schärfere Konkurrenz nach sich, weil die Wähler wechselbereiter werden und die Parteien nicht mehr wie bisher auf ihre natürliche Anhängerschaft vertrauen können.129 Dadurch rücken die Alternativen im Parteienwettbewerb immer unterschiedsloser zusammen und die Mobilisierung für die Wahlen wird schwieriger. Die Grundstruktur des Parteienwettbewerbs ändert sich dabei jedoch nicht. Die Parteien stellen ihre Stärken heraus, versuchen ihre Schwächen aus dem Parteienwettbewerb möglichst auszublenden und durch die Besetzung neuer Themen, die Wahlchancen zu erhöhen.130 Festzuhalten bleibt: Parteien hängen vom politischen Markt erheblich ab. Sie haben entscheidenden Einfluss auf den Parteienwettbewerb, indem sie die Tagesordnung der politischen Diskussion maßgeblich beeinflussen. In diesem Wettbewerb müssen die Parteien jeweils ein geschlossenes Bild abgeben. Deshalb können sie der Wählerschaft nur ein Politikkonzept anbieten, das in der eigenen Partei mehrheitsfähig ist. So korrespondieren das innerparteiliche Leben und die Chancen auf dem politischen Markt miteinander. Beide
127 128 129 130
Wimmer 1996: 505 Mair 1997: 76ff Decker 2002: 55 Budge 1987: 15-38
1.4 Zeitliche und inhaltliche Eingrenzung
37
Arenen werden vom politischen Leitbild beeinflusst und beeinflussen dieses wiederum ihrerseits. 1.3.3 Zentrale Fragestellung Die Kontinuitäten bzw. Veränderungen des christdemokratischen Leitbildes erfordern als Analyseraster – aufgrund der unterschiedlichen Organisationstypologien, die Parteien in den vergangenen sechzig Jahren erfahren haben – unterschiedliche Zeitabschnitte. In jedem wird folgende Leitfrage zu stellen sein:
Ist ein Leitbild in dieser Zeitepoche für die CDU erkennbar? Und wenn ja, welches?
Diese Frage wird nur zu beantworten sein, wenn sich das politische Leitbild in drei Bereichen wiederfinden lässt:
im innerparteilichen Leben, in der Programmatik sowie in der tatsächlich verfolgten Politik.
So ergeben sich für diese Arbeit fünf zentrale Fragen: 1. 2. 3. 4. 5.
Was sind die charakteristischen Elemente eines christdemokratischen Leitbildes? In welcher Weise drückt sich dieses Leitbild im innerparteilichen Leben der CDU aus? In welcher Weise drückt sich dieses Leitbild in der CDU-Programmatik aus? In welcher Weise drückt sich dieses Leitbild in der CDU-Wirtschaftspolitik aus? In welcher Weise hat sich der Einfluss des politischen Leitbildes bezüglich des innerparteilichen Lebens, der Programmatik und der Wirtschaftspolitik in den vergangenen sechzig Jahren verschoben?
1.4 Zeitliche und inhaltliche Eingrenzung Diese Arbeit umfasst den gesamten Zeitrahmen der CDU-Parteigeschichte. Sie beginnt mit den Gründungszirkeln in der unmittelbaren Nachkriegszeit und endet in der zweiten Oppositionsphase der Union. Als Zäsur ist hier der Leipziger Parteitag von 2003 gesetzt, der mit seinen Beschlüssen das programmatische Rüstzeug für die vorgezogene Bundestagswahl 2005 bot. Diese Untersuchungszeit unterteilt sich in fünf Zeitperioden – 1948-60, 1960-73, 1973-89, 1990-1998 und 1998-2003. Die zeitliche Einteilung erfolgte nicht aufgrund von personellen Wechseln an der Parteispitze oder im Kanzleramt, sondern ist aufgrund von zwei anderen Faktoren gewählt: Zum einen wurde die Regierungsbeteiligung bzw. der Gang in die Opposition als zeitliche Einordnung gewählt. Für die CDU als geborener Regierungspartei glich der Gedanke an eine mögliche oder tatsächliche Oppositionsrolle einem Horrorszenario. Aus diesem Grund hat die Forschung die These vertreten, dass insbesondere in Oppositionszeiten die
38
1 Einführung
Union maßgebliche Veränderungen erfuhr.131 Ob dies für die Union zutraf und was dies für ihr politisches Leitbild bedeutete, wird im Folgenden zu klären sein. Zum zweiten wurden die von der Parteiforschung analysierten Zeitabschnitte bezüglich der typologischen Organisationsveränderungen von Großparteien als zeitliche Abschnitte gewählt.132 Wie oben bereits angeführt, haben westeuropäische Parteien idealtypisch in den vergangenen sechzig Jahren unterschiedliche Wandlungen im politischen Markt durchlebt. Alle Einteilungen – bis auf die neunziger Jahre – wurden gewählt, da dort Anzeichen für die Entwicklung eines neuen Parteityps erkennbar sind. Ein eigenes Kapitel für die 1990er Jahre wurde aufgrund der deutschen Besonderheit der Wiedervereinigung eingefügt. Die CDU verstand sich – was sich unter anderem an der Zählung der Parteitage und der Neuformulierung des Grundsatzprogramms ablesen lässt – als eine durch die Wiedervereinigung institutionell veränderte Partei. Mögliche Konsequenzen und Veränderungen aufgrund des institutionellen Bruchs sollte durch das eigenständige Kapitel genauer untersucht werden. Inhaltlich wurden Analysebereiche ausgewählt, die für eine christdemokratische Wirtschaftspolitik wichtig sind. Obwohl dies später eingehender zu begründen sein wird, basiert die Vorstellung des christlichen Menschenbildes auf dem Personalismus. Er ist das Herzstück christdemokratischen Denkens.133 Aus seinen gesellschaftspolitischen Überlegungen ergeben sich Konsequenzen für eine Wirtschaftskonzeption: Erstens sind Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln kein reiner Selbstzweck, sondern stellen eine wichtige Dimension für die wirtschaftliche und soziale Entfaltung jeder Person dar. Somit stellt Arbeitslosigkeit per se nicht nur ein materielles Problem, sondern vor allem auch ein gesellschaftliches dar, weil dem Menschen eine entscheidende Dimension für seine Entfaltung und Selbstbestätigung genommen wird. Zweitens, da der Arbeitsplatz auch ein originärer sozialer Bezugspunkt ist, soll dieser auch mitverantwortlich von jedem Arbeiter und Arbeitnehmer des Unternehmens geprägt werden. Daher folgt ein Mitbestimmungskonzept, das auf den Idealen der Ordnung und Harmonie beruht. Drittens garantiert aber auch das Postulat der Freiheit der Person den Schutz des Eigentums. So soll jede Person frei (und auch verantwortlich) über seine materiellen Ressourcen verfügen können und seine materiellen Grundbedürfnisse aus eigener Kraft autonom gestalten können. Viertens fördert das christdemokratische Gesellschaftsverständnis das Überleben und Entfalten von kleinen und mittleren Einheiten. Daraus kann man ableiten, zumal Wirtschaft einen wesentlichen Lebens- und Entfaltungsraum jeder Person bedeutet, dass in diesem Bereich der Staat gegen Zwangsmaßnahmen – sei es durch übermäßige staatliche Eingriffe, sei es durch Monopolbildung – vorgeht, um durch einen gerechten Wirtschaftswettbewerb allen Teilnehmern eine gerechte Teilhabe zu gewähren. Fünftens und letztens kann ebenso aus dem Postulat des Ideals der Verantwortlichkeit für wirtschaftliches Handeln geschlossen werden, dass auch im Bereich Wirtschaft und Umweltschutz nicht allein der wirtschaftliche Gesichtspunkt, sondern auch der Erhalt der Schöpfung mitgestaltet werden soll. Ba131 Vgl. Bösch 2005:172-185, Schönbohm 1985: 132-138 132 Beyme 1997a: 359-383 133 Irving 1979a: 30-32. Unter “Personalismus” wird hier das im folgenden Kapitel näher zu erläuternde Konzept aus dem politischen Katholizismus verstanden, das vom liberalen Individualverständnis abzugrenzen ist.
1.5 Grundlage und Aufbau der Arbeit
39
sierend auf diesen fünf Rückschlüssen zum christdemokratischen Wirtschaftsverständnis werden folgende vier Bereiche analysiert:
Schutz und Verantwortung des Eigentums, Mitbestimmung, Wirtschaft und Umweltschutz sowie der wirtschaftliche Ordnungsrahmen.
1.5 Grundlage und Aufbau der Arbeit Das in der Arbeit verwendete Material ist aufgrund der unterschiedlichen Zeitepochen unterschiedlich ausgestaltet. Während in den ersten beiden Zeitabschnitten sehr gut auf Quellenmaterial gestützt gearbeitet werden kann,134 ist dies in den folgenden Zeitabschnitten aufgrund der Archivsperren nicht mehr der Fall. Hier werden insbesondere Parteitagsprotokolle,135 Parteiprogramme,136 Zeitungsartikel137 und Interviews138 als wesentliche Quellen benutzt. Daneben wurde für alle Teilbereiche die im Literaturverzeichnis angegeben Literatur ausgewertet und verwendet. Die Untersuchung ist in einen theoretischen Teil und in einzelne Analysen gegliedert. Sowohl historisch wie auch im Ländervergleich definiert diese Arbeit das „christdemokratische“ Leitbild. Deshalb widmet sich das zweite Kapitel dieser Arbeit den historischen Wurzeln der Christdemokratie in Europa und im Speziellen in Deutschland. Es zeigt die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Gründungszeit der christdemokratischen Parteifamilie auf und beleuchtet die zentralen politischen Zielsetzungen und die wirtschaftspolitischen Grundlinien der Vorläuferorganisationen der CDU. Die fünf folgenden Kapitel überprüfen für ihren jeweiligen Zeitabschnitt die Leitfrage dieser Arbeit, inwieweit die CDU als eine christdemokratische Partei bezeichnet werden kann. Dabei beleuchten sie jeweils einen zentralen Aspekt ihrer Wirtschaftspolitik ebenso wie das innerparteiliche Leben, d.h. ihre Themenfindung, ihren Willenbildungsprozess, ihre Organisationsbeschaffenheit und ihre Personalrekrutierung sowie ihre Stellung im politischen Markt und ihr Verhältnis zu ihren politischen Mitbewerbern, möglichen Koalitionspartnern und dem gesellschaftlichen Vorfeld. Abschließend werden diese Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt, inwieweit die CDU als eine christdemokratische Partei verstanden werden kann, in einer Konklusion zusammengefasst. 134 Das überwiegende Quellenmaterial ist mit dem Kürzel ACDP verzeichnet und stammt aus dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin. Zudem wurde noch das Archiv Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf benutzt. Diese Quelle ist mit StBKAH versehen. 135 Diese lagen dem Autor bis auf die 1950er und 1960er Jahre in gedruckter Form vor Ort vor. Für den anderen Zeitabschnitt wurde die ACDP-Bestände benutzt. 136 Zitiert nach Hintze 1995 137 Hier wurde vorrangig das Zeitungsarchiv der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin genutzt. 138 Interviews wurden im November 2003 mit folgenden Politikern durchgeführt: Christoph Böhr, Rainer Eppelmann, Heiner Geißler, Hermann Kues, Wolfgang Schäuble und Matthias Wissmann. Das Interview mit Peter Hintze fand im November 2001 statt.
2 Ursprünge der Christdemokratie in Deutschland und Europa
2.1 Einleitung Die geschichtlichen Ursprünge der Christdemokratie in Deutschland und damit die Traditionsstränge der CDU liegen im 19. Jahrhundert. Das historische Kapitel über die Entstehung eines christdemokratischen Leitbildes wird daher bis in diese Zeit zurückreichen und den europaweiten Entstehungsprozess der konfessionellen Parteien aufzeigen, um anschließend ausführlich auf den deutschen Fall einzugehen. In der historischen Rückschau zeigt sich die Langlebigkeit der westeuropäischen Parteiensysteme. Trotz zahlreicher institutioneller Brüche haben sie eine bemerkenswerte Langlebigkeit weniger gesellschaftlicher Grundkonflikte aufrechterhalten.139 Einer dieser zentralen Grundkonflikte resultiert aus dem Gegensatz zwischen den Ansprüchen des aufkommenden modernen Staates im 19. Jahrhundert und den traditionellen Rechtsansprüchen der katholischen Kirche.140 Er war die Initialzündung für die europäische Christdemokratie.141 Nicht nur ihr Anspruch, eine schichtübergreifende Volkspartei zu sein, sondern auch die Leitideen ihrer Gesellschafts- und Sozialpolitik entstanden in dieser Zeit. Dies prägte nicht nur ihr Verständnis von der Rolle der Wirtschaft in Staat und Gesellschaft, sondern ihre Ideale vom christlichen Solidaritätsverständnis. Selbstverantwortung, Klassenausgleich und Subsidiarität ließen sich auch in ihren politischen Modifikationen wieder finden. Dieses Erbe unterscheidet die Christdemokraten von säkularkonservativen Parteien.142 Die konfessionellen Ursprungsorganisationen der europäischen Christdemokratie waren keine geborenen Regierungsparteien. Sie gehörten nicht dem gesellschaftlichen und politischen Establishment an, sondern entstanden in Opposition zur herrschenden Elite. Dabei schöpften ihre Vertreter konsequent die Möglichkeiten aus, die ihnen ein Verfassungsstaat bot, lehnten jedoch radikale Umwälzungen ab. So arrangierten sie sich mit der vorgefundenen politischen Ordnung und versuchten, in dieser systemkonform ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Vier Entwicklungen des zeitgenössischen Katholizismus begünstigten die Herausbildung konfessioneller Parteien im 19. Jahrhundert:143 1.
Die Glaubensformen wurden im Vergleich zur katholischen Aufklärung stark popularisiert.
139 140 141 142 143
Lipset/Rokkan 1967: 91-138 Boyer 2001: 25 Hanley 1994: 3 Kersbergen 1994: 31-50 Boyer 2001: 40-49
42
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
2.
Die Hinwendung zu den breiten Volksschichten führte zu einem stärkeren Massencharakter und einer Massenidentität, aus der eine politische und soziale Mobilisierung entstehen konnte. Die Zentralisierung und Uniformisierung des kirchlichen Lebens im 19. Jahrhundert bildete eine transnationale und vom staatlichen Einfluss unabhängige Identität heraus. Die Kirche schuf eine geschlossene Soziallehre, die, da sie über rein karitative Aspekte hinausging, politisches und gesellschaftliches Handeln erforderte.
3. 4.
Weltanschaulich fußten die konfessionellen Parteien auf den Traditionen des politischen und sozialen Katholizismus.144 Unter „Katholizismus“ wurde allerdings nicht die Kirche als Organisation verstanden, sondern all das, was vom katholischen Glauben und der bloßen Tatsache, dass man katholisch war, herkam oder darauf zurückging. Dies schloss die Wirksamkeit katholischer Laien und Laienverbände einschließlich des niederen Klerus ein. So umfasste der Begriff „Katholizismus“ vieles, was nicht im Bereich der Kirche, sondern im außerkirchlich gesellschaftlichen Bereich lag.145 Das Politikverständnis der konfessionellen Parteien ging somit über eine bloße kirchliche Interessenspolitik hinaus. Es band breite Bevölkerungsschichten in die liberalen und liberal-autoritären konstitutionellen politischen Systeme ein.146 Dabei verteidigten die Katholiken nicht nur ihre soziokulturellen Gemeinschaften, sondern entwickelten auch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorstellungen.147 In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg überwunden die christdemokratischen Parteien ihre konfessionellen Grenzen. Ihr Wertefundament resultierte nun nicht mehr aus einem klar umrissenen katholischen Gesellschaftsverständnis, sondern speiste sich aus einer eher abstrakten christlichen Wertefundierung. Dieser Anspruch wurde in der Wirtschaftspolitik durch einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus beschritten, in der Bildungspolitik durch eine freie Schulwahl, die zum Anwalt kirchlicher Schulen wurde, propagiert und in der Sozialpolitik durch die Förderung einer an christlichen Werten orientierten Gesellschaftspolitik und einem sozialen Ausgleich bestimmt. Eine geschlossene Ideologie besaß die Christdemokratie auch vor dem Zweiten Weltkrieg nicht. Ihr politisches Leitbild wurde abstrakt von der christlichen Doktrin abgeleitet, die das christliche Menschenbild in den Vordergrund schob. Besonders auf die Schriften der katholischen Soziallehre stützten sich ihre gesellschaftlichen Vorstellungen. Eine allzu starke Theorielastigkeit für ihr politisches Handeln musste sie sich daher nicht vorwerfen lassen. Die Ideale waren genügend abstrakt, um pragmatisches Handeln zuzulassen. Sie waren aber eng genug, um nicht Beliebigkeit entstehen zu lassen, sondern ein spezifisches Politikverständnis zu entwickeln.148
144 145 146 147 148
Kersbergen 1995: 205 Nell-Breuning: 1975: 148 Boyer 2001: 58 Kersbergen 1995: 230-231 Rutan 1997: 113
2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa
43
2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa 2.2.1 Die Entstehung der konfessionellen Parteien in Europa LIPSET und ROKKAN haben in ihrer Parteientheorie vier Schwellen angeführt, die neue Parteien erst überwinden müssen, damit sie sich im jeweiligen politischen System etablieren können. Sie müssen ihren potenziellen Anhängern bzw. Wählern glaubhaft vermitteln, 1. 2. 3. 4.
dass die artikulierte Kritik als berechtigt anzusehen ist und von den Regierenden nicht einfach als „verschwörender Protest“ abgetan werden kann (Legitimationsschwelle), dass sie einen Status erreichen können, der ihnen gleiche Chancen in der Auseinandersetzung mit anderen einräumt (Integrationsschwelle), dass sie selbst stark genug sind, um auf der politischen Entscheidungsebene mitzuwirken, ohne sich älteren Gruppierungen anschließen zu müssen (Repräsentationsschwelle), und dass sie Systemhürden in Bezug auf die Mehrheitsregeln überwinden können, bzw. dass ihr Wahlerfolg genügt, um größere strukturelle Veränderungen im nationalen System durchzusetzen (Mehrheitsschwelle).149
Ein Beleg für diese Theorie ist die Entstehung der Christdemokratie, die im 19. Jahrhundert in ihrem Gründungsprozess diese vier Schwellen erfolgreich überwand: 1.
2.
3.
4.
Der Kulturkampf, der in unterschiedlichen Ländern ausbrach, hob die Frage nach der Ausgestaltung und auch Begrenzung des Einflusses der katholischen Kirche auf den staatlichen und gesellschaftlichen Bereich auf die Tagesordnung. Die Konfliktlinie wurde relevant. Die Katholiken besaßen gerade im soziokulturellen Bereich genügend identifikationsstiftende Elemente. Religion und religiöse Anliegen waren im 19. Jahrhundert keine Provenienz, sondern standen im Zentrum der alltäglichen Lebenswelt. Sie hatten also für eine Gruppenbildung ausreichend Identitäts- und damit Integrationskraft. Die Katholiken bildeten in den betreffenden europäischen Ländern eine starke gesellschaftliche Macht, die sich wirkungsvoll politisch mobilisieren und bemerkbar machen konnte. Durch die aufbrechenden Kulturkämpfe entstand auch eine Trennlinie, die diese Gruppe nicht in etablierte politische Gruppen integrierte. Durch ihre Vorfeldorganisationen erreichten sie genügend Unterstützung und Mobilisierungskraft in den katholisch geprägten Regionen, um ihre Kandidaten in die Parlamente entsenden zu können.
Die Wurzeln der Christdemokratie liegen in der katholischen Subkultur und damit in der katholischen Bewegung.150 Die katholische Bewegung kämpfte für die Sicherung der traditionellen katholischen Rechte im modernen Staat. Gesellschaftspolitisch wurde sie durch den sozialen Katholizismus geprägt, der versuchte, die soziale Frage als Folge der Industri-
149 Lipset/Rokkan 1967: 91-138 150 Conway 1996: 19
44
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
alisierung aus katholischer Sicht zu beantworten.151 Die katholische Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts war geprägt vom gesellschaftlichen und politischen Umbruch. Als Folge veränderte sie sich im 19. Jahrhundert theologisch und strukturell grundlegend. In der Napoleonzeit wurde die alte Feudalkirche abgeschafft und die Diözesen den Ländern entsprechend neu zugeschnitten. Die Bischöfe wurden von Reichsfürsten zu Untertanen ihrer neuen – zum Teil protestantischen – Landesherrn. An die Spitze der Bistümer traten anstelle der hochadligen Fürstbischöfe profilierte Kleriker. In der Kirche fand auch ein theologischer Umdenkprozess statt. Die Veränderung beeinflusste das innerkirchliche Binnenverhältnis. Im Prozess der Neuorganisation gelang es der päpstlichen Kurie, ihr Zentralisierungskonzept durchzusetzen, das im Universalepiskopat gipfelte, die Idee der Nationalkirchen beendete und die Episkopate schließlich den Päpsten klar unterstellte. Durch die Konkordate wurde die neue Position des Papstes staatsrechtlich festgeschrieben. Dieser neue Hierarchisierungsprozess ließ allmählich ein ganz rational konstruiertes soziologisches Einheitsideal des Katholizismus entstehen.152 Die katholische Aufklärung, die von den Fürstbischöfen und ihren führenden Mitarbeitern getragen worden war, fand ihr Ende und wurde von der katholischen Bewegung, die vielfach auch als Ultramontanismus bezeichnet wurde,153 abgelöst. Diese neue Richtung, die sich zu einer Massenbewegung ausbreitete, war romtreu, lehnte die Nationalkirche ab und besann sich auf volksfrömmige Elemente in ihrer Religiosität. Nicht rationale Reflexionen über Religion, sondern demonstrative, leicht verständliche und emotional ergreifende Glaubensrituale, wie Wallfahrten oder Marienandachten, rückten ins Zentrum der katholischen Bewegung. Sie unterwarf – im Gegensatz zum übergreifenden Prozess der Säkularisierung – noch einmal sämtliche Lebensbereiche der kirchlichen und damit konfessionellen Zensur. Sie machte den Widerspruch gegenüber der modernen Welt und den liberalen Strukturprinzipien der nach-ständischen, bürgerlichen Gesellschaft zu einem Kriterium der Rechtsgläubigkeit und sie war eine ultramontane Reaktion einer verunsicherten Kirche auf die Erscheinungsformen der neuen Welt, von der sie sich in ihrer Existenz bedroht sah. Die Einstellungen und Lebensweisen des aufgeklärten Bürgertums wurden dabei misstrauisch betrachtet. Gegen diese Tendenzen entwickelte sich die katholische Bewegung zu einer Volksbewegung, indem sie die Frömmigkeit der breiten Massen popularisierte und förderte. So entwickelte sich die Trier-Wallfahrt von 1844 zur größten Massenveranstaltung des Vormärz.154 Diese Mobilisierungskraft, die zunächst im religiös-sozialen Bereich stattfand, begeisterte die katholische Öffentlichkeit, erschreckte aber zutiefst die liberalen und aufgeklärten Zeitgenossen. Sie sahen in der Wiederbelebung einfacher Glaubensrituale, wie der rituellen Andachten und Rosenkranzgebete, einen Rückfall in vormoderne Zeiten und vor allem eine verantwortungslose Verführung des Volkes in einen dumpfen Aberglauben.155 Die katholische Bewegung schmiedete mit diesen populären Elementen eine geschlossene und gefestigte katholische Identität breiter Bevölkerungsschichten gegen Aufklärung und Liberalismus. Das verhärtete die Konfliktlinie mit den fortschrittsbegeisterten Kräften der jeweiligen Länder. Diese versuchten, ihre Vorstellungen von einem modernen, laizistischen 151 152 153 154 155
Durand 1995: 25-48 Schmidt, U. 1987: S. 33 Vgl. zur umstrittenen Begrifflichkeit: Weber 1991: 20-22, Raab 1989: 461-465 Steinruck 1996: 307ff Nipperdey 1988: 20
2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa
45
Staat unabhängig aller kirchlichen Proteste mit Hilfe von staatlichen Gesetzen durchzusetzen. Diese Gesetzgebung gab es in Deutschland, Österreich, Belgien, Spanien, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich.156 Als Reaktion darauf wurde die religiös-soziale Bewegung zunehmend politisch.157 Sie sah die katholische Identität durch den Streit über den Einfluss der christlichen Religion in wichtigen Handlungsfeldern des gesellschaftlichen Lebens angegriffen.158 Somit schufen die innerkirchlichen Veränderungen erst die Voraussetzungen für die Entstehung der politischen Bewegung, aus der die Christdemokratie hervorging: 1. 2. 3. 4.
Die neue Papstzentrierung schuf eine neue, staatsunabhängige Identifikation der katholischen Welt und allmählich eine mächtige Zentrale der katholischen Kirche. Die Popularisierung der Kirche hin zum „gemeinen Volk“ ermöglichte die Voraussetzungen für die Mobilisierungskraft einer Massenbewegung. Der strikte antiaufklärerische und antiliberale Kurs schuf einen Trennstrich zu etablierten bürgerlichen Parteien und damit die Notwendigkeiten für eine eigene politische Bewegung. Das Katholische wurde nicht nur sozial identitätsstiftend, sondern auch durch die Religiosität ideell sinnstiftend. Durch die kirchlichen Lehrverlautbarungen erhielt die neue Bewegung fruchtbare Anstöße, um allmählich eine geschlossene politische Konzeption zu entwickeln.
2.2.2 Die politische Konzeption der christlichen Parteien Trotz ihres großen Zuspruchs besaß die katholische Bewegung zunächst ein nicht gerade unerhebliches Strukturproblem für ihr politisches Handeln. Ihr Hauptziel war zwar schichtübergreifend und in der katholischen Welt mobilisierend, aber auch für die politische Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts vollkommen illusionär und realitätsfremd. Eine Rückkehr zur christlichen Fundierung der weltlichen Ordnung erschien ebenso nicht erreichbar wie eine Verwirklichung des ständestaatlichen Theorems, dem sie nachhing. Der Ultramontanismus mochte zunächst einmal identitätsstiftend wirken, für die Auseinandersetzung mit den Problemen der sich industrialisierenden Gesellschaft und die politischen Entscheidungen, die in der Umbruchphase getroffen werden mussten, waren seine rückwärtsgewandten Zielvorstellungen von überschaubaren dörflich-agrarischen Strukturen wenig zielführend.159 Es bedurfte erst innerhalb der katholischen Bewegung eines Erneuerungsschubs, um realisierbare Konzepte zu entwickeln, die sich in die politische Wirklichkeit implementieren ließen. Die Träger der Erneuerung fanden sich in der mobilisierten und selbstbewusster auftretenden Laienbewegung, die nach und nach auch die kirchliche Hierarchie für die neuen Herausforderungen an die moderne Welt gewinnen konnte. Mit dem Kulturkampf wurde für die bedrängte Kirche die Mobilisierungskraft der bereiten katholischen Welt lebenswichtig. Die Laien und der untere Klerus gewannen dadurch er156 157 158 159
Smith 1995: 19 Lipset/Rokkan 1967: 91-138 Mooser 1991: 263 Loth 1991: 268
46
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
heblich an politischer Bedeutung, auch wenn sich das zunächst im innerkirchlichen Einfluss noch nicht ausdrückte. In der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung spielten sie aber den entscheidenden Part.160 Auch wurde dieser schichtübergreifende Massencharakter für die sich bildenden konfessionellen Parteien prägend. Sie waren nicht Ausdruck der herrschenden Elite, sondern fühlten sich von ihnen in ihrer Lebenswelt angegriffen und durch die divergierenden sozio-kulturellen Vorstellungen herausgefordert. Ihr Ziel war es, die herrschenden Verhältnisse zu verändern und nicht zu konservieren. Ihr verbindendes Band waren soziokulturelle (katholische) Werte und nicht materielle Klasseninteressen. Die klassenübergreifende Bewegung versuchte, die herrschenden konstitutionellen bzw. demokratischen Systeme zu nutzen, um ihre Anliegen zu erreichen. Sie integrierte somit die katholischen Massen in das politische System. Ihre Ziele waren auf Veränderung, aber nicht auf Umsturz angelegt. Ihre Ressource waren die katholischen Bevölkerungsteile, d.h. eine numerisch große Anzahl, deren Wählerpotenzial sie durch Demokratisierung politisch zur Geltung bringen wollten. Ihr Freiheitskonzept war auf die Person in der Gemeinschaft und nicht auf den freiheitlichen Individualismus konzentriert.161 Dieses Verständnis von der Gemeinschaft als bedeutende Einheit, in der sich der Mensch erst als Person entfalten könne, zog sich wie ein roter Faden als Grundidee sowohl durch die Schul- und Familienpolitik als auch durch die Kirchenfrage sowie durch die Wirtschafts- und Sozialpolitik.162 Auf Grundlage der Idee des Personalismus hatte die Christdemokratie die Freiheit der Gruppen im Auge. Deshalb trat sie auch für freie, d.h. kirchliche Schulen ein, erklärte die Familie zur Keimzelle der Gesellschaft und maß den sozialen, den so genannten natürlichen Strukturen die zentrale Bedeutung in ihrer gesellschaftspolitischen Konzeption bei. Auch die Wirtschaft wurde unter diesem Aspekt beleuchtet. Wirtschaften und wirtschaftlicher Erfolg wurde von ihr nicht als reiner Selbstzweck verstanden. Vielmehr gehörte wirtschaftliches Handeln zur Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Menschen. Aus dieser Haltung entwickelte sich der Anspruch nach der Inklusion in den Wirtschafts- und Arbeitsprozess aller (männlichen) Erwachsenen als Gesellschaftsziel ebenso163 wie menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Kommunismus und Sozialismus wurden von der päpstlichen Lehre nicht nur aufgrund ihres atheistischen Charakters verworfen, sondern vor allem auch, weil ihre kollektivistischen Ansichten in den Augen der kirchlichen Lehre die familiären Strukturen und das Privateigentum bedrohten.164 Persönliches Eigentum und der verantwortliche Umgang damit wurde von den Christdemokraten befürwortet, da es die jeweilige Familie materiell absichern und die Verantwortung des Eigentümers für die Gesellschaft betonen sollte.165 Die Ordnungsvorstellung einer harmonischen Gesellschaft lehnte den Klassenkampfcharakter ebenso ab, wie den liberalen Nachtwächterstaat. Da die Integration in die wirtschaftliche Welt für jede Person als identitätsstiftend angesehen wurde, war ihre Aus160 161 162 163
Kalyvas 1996 Tönnies 1926: 266f Durand 1995: 118-127 Die Inklusion der Frauen in die Wirtschaftswelt widersprach zu dieser Zeit weniger der wirtschaftspolitischen denn der gesellschaftspolitischen Konzeption der katholischen Kirche, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert das Ideal der bürgerlichen Familie in den Vordergrund ihrer Betrachtungen rückte. Hierbei wurde auch die Vorstellung der „heiligen Familie“ theologisch idealisiert und popularisiert. 164 Conway 1996: 15 165 Kersbergen 1999: 358
2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa
47
gestaltung auch Angelegenheit aller und nicht ausschließlich der Besitzenden. Die Versöhnung zwischen den gesellschaftlichen Klassen war das Hauptziel der christdemokratischen Wirtschaftskonzeption. Dabei wurde auf Kooperation und Gemeinsinn gesetzt. Der am Reingewinn orientierte Kapitalismus, die Ausbeutung der Arbeiterschaft sowie das bloße individualistische und auf Gewinnmaximierung ausgelegte Leistungsprinzip wurden dagegen abgelehnt.166 Diese Leitlinien bestimmten auch den sozialen Katholizismus, der sich besonders der Arbeiterfrage annahm. Das soziale Elend der Arbeiterfamilien bestimmte die päpstlichen Sozialenzykliken. Diese päpstlichen Verlautbarungen bildeten den theoretischen Überbau der christdemokratischen Sozial- und Gesellschaftspolitik. Ungezügelter Kapitalismus und Sozialismus wurden in gleicher Weise abgelehnt. Die Bemühungen des Sozialkatholizismus lebten von der Grundtatsache, dass die Kämpfe für die Freiheit der katholischen Kirche und die Gleichberechtigung der Katholiken mit dem Emanzipationsstreben auch der katholischen Arbeiter, dem Einsatz für soziale Reformen einhergingen. Zudem war die Kirche nicht mehr mit der herrschenden Klasse verbunden. Das erleichterte soziale Initiativen und Aktivitäten.167 Die katholische Soziallehre bildete sich in der Kirchengeschichte als ein verhältnismäßig junges Phänomen heraus. Sie entwickelte sich erst nach 1887. Seit dieser Zeit hat sie ihre Bedeutung in päpstlichen Verlautbarungen gefunden. Den neuen Denkansatz, der während des Pontifikats Leo XIII. in den Vatikan Einzug erhielt, basierte auf der Annahme, dass die Industriegesellschaft mit dem Katholizismus verbunden werden könne. Die Soziallehre wurde zu einer eigenständigen Lehrform innerhalb des Katholizismus. Rom sah sich als moralische Instanz nicht nur für religiöse Angelegenheiten, sondern auch für wirtschaftliche und soziale Fragen berufen. Die erste päpstliche Enzyklika zur Katholischen Soziallehre – „Rerum novarum“ aus dem Jahr 1891 – behielt zwar den Fokus auf der Armenfürsorge aus Gemeinsinn und Nächstenliebe, aber berief sich auch erstmals auf die Idee der sozialen Gerechtigkeit. Sie versuchte andere Ansätze gegen das soziale Elend zu finden als nur die herkömmliche Mildtätigkeit. Die Verantwortung der Arbeitgeber für gerechte Arbeitsbedingungen wurde festgelegt. Sie hielt aber auch am Eigentumsbegriff fest. So war die erste Sozialenzyklika der katholische Gegenentwurf zum Sozialismus.168 Lohnanstiege und Spartätigkeit könnte die materielle Lage der Arbeiter verbessern und eine gerechtere Ressourcenverteilung ermöglichen. Eine verbesserte Lage würde die Arbeitnehmer nicht in die sozialistischen Irrungen treiben. Das Elend der Arbeiter wurde als Folge der Auflösung der traditionellen gemeinschaftlichen Bande von Religion und von der Ständegesellschaft gesehen. An ihre Stelle trat keine neue Einrichtung, die diesen Schutz hätte aufnehmen können. Privateigentum wurde als adäquates Mittel angesehen, um das Los der Arbeiterschaft zu verbessern. Diese Eigentumstheorie als Sozialpolitik resultierte aus dem klaren katholischen Bekenntnis gegen die sozialistische Vergesellschaftungspolitik. Sie setzte die Unumstößlichkeit des Eigentumsgedankens ins Zentrum ihrer wirtschaftspolitischen Überlegungen.169
166 167 168 169
Nipperdey 1988: 54 Ebd Kersbergen 1995: 221 Gilson 1954: 213
48
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Die gesellschaftliche Ungleichheit wurde akzeptiert, so lange sie nicht den Menschen hinderte, seine Persönlichkeit zu entfalten.170 Die Idee des Klassenkampfs und die Vorstellung revolutionärer Umstürze zur Erlangung eigener politischer Ziele wurden strikt abgelehnt. Dagegen wurde das Ideal einer harmonischen Gesellschaft gesetzt, in der die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten konstruktiv zusammenarbeiten sollten. Die Religion mit ihrer ethischen Grundlage würde die Gerechtigkeit innerhalb dieser Gesellschaft garantieren.171 Vierzig Jahre nach der Verkündigung der ersten Sozialenzyklika konkretisierte „Quadragesimo anno“ die katholische Sozialehre, indem dem Staat die Bewahrung der sozialen Rechte als eine Kernaufgabe zugeschrieben wurde.172 Die politische Konzeption war stark von katholischen Werten und hier insbesondere von der katholischen Soziallehre geprägt. 2.2.3 Die Organisation der konfessionellen Parteien Die Organisationsgrundstruktur der konfessionellen Parteien bestand in ihrem schichtübergreifenden Anspruch, Volkspartei zu sein. Diese Terminologie interpretierten sie aber nicht im Sinne Kirchheimers,173 sondern lediglich dadurch, nicht an Klasseninteressen gebunden zu sein. Diese Parteien waren jedoch alles andere als „Allerweltsparteien“. Als integraler Bestandteil der katholischen Lebenswelt verstanden sie sich als politischer Arm ihrer Subkultur.174 Innerparteiliche Spannungen, die wie im belgischen Fall zur temporären Spaltung führten,175 prägten die organisatorische Beschaffenheit der konfessionellen Parteien. Auch wenn die päpstlichen Verlautbarungen den Klassenkonflikt als verwerflich ablehnten, war die Konfliktlinie über ökonomische Interessen im katholischen Milieu nicht bedeutungslos.176 Der parteipolitische Anspruch, den Konflikt politisch zu überwinden, führte gerade zu innerparteilichen Spannungen aufgrund der doch vorhandenen divergierenden sozioökonomischen Interessen. Dass die Partei durch diese nicht zerrissen wurde, zeigt die große Integrationsleistung und geschickte Organisation des innerparteilichen Lebens. Obwohl die Kirchenbindung der Arbeiterschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts ab- und ihre Unterstützung für die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien zunahm, blieb doch eine starke katholische Arbeitnehmerbewegung bestehen. Besonders im Ruhrgebiet, im Baskenland sowie in den französischen und belgischen Industrieregionen bildeten die katholischen Arbeiter eine einflussreiche und selbstbewusste Kraft.177 Mit der breiteren Demokratisierung der europäischen Gesellschaften verlangten die katholischen Arbeiter ihre Repräsentanz durch Funktions- und Mandatsträger. Die katholische Gewerkschaftsbewegung wuchs mächtig während der Zwischenkriegszeit mit starken Organisationen in 170 Hierbei wurde die Persönlichkeitsentfaltung jedoch im Vergleich zur postmaterialistischen Sichtweise nur als sehr eingeschränkt verstanden. Es wurde nur auf ein menschenwürdiges Auskommen, den Unterhalt der Familie und die Ausübung von Religion Wert gelegt [vgl. Durand 1995: 161ff] 171 Kersbergen 1995: 223-224 172 Ebd.: 226 173 Kirchheimer 1967: 177-200 174 Nipperdey 1988 175 Vgl. Siegemund 1989: 64ff 176 Conway 1996: 8 177 McLeod 1981: 126f
2.2 Die Wurzeln der Christdemokratie in Europa
49
Deutschland, Frankreich und Belgien. Dies hatte Einfluss auf den Politikformulierungsprozess.178 Die Sozialpolitik wurde zu einem zentralen Bestandteil der christdemokratischen Politik. Allerdings mussten sich die Arbeitervertreter mit ihren Forderungen innerparteilich durchsetzen. Dieser Interessenausgleich steigerte die Durchsetzungsfähigkeit und Realisierungschancen ihrer Forderungen auf dem politischen Markt. Der Arbeiterflügel fand seine innerparteiliche Entsprechung sowohl im bürgerlichen wie auch im agrarisch-strukturierten Lager. Diese beiden Gruppen organisierten sich nicht nur, um organisatorische Verbindungsstellen zu den gesellschaftlichen Zielgruppen zu schaffen, sondern auch, um ihre Interessen wirkungsvoll innerhalb der christdemokratischen Bewegung zu vertreten. Bereits seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren die Landwirtschaftsverbände ein hervorstechendes Merkmal der katholischen Politik in ländlichen Gebieten, während die ökonomischen Krisen der Zwischenkriegszeit die Mittelstandsgruppen anwachsen ließen, um ihre Interessen wirkungsvoll zu vertreten.179 Die Organisation sozioökonomischer Gruppen ermöglichte die Aggregation, Artikulation und schließlich auch die Integration der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Interessen in eine schichtübergreifende politische Bewegung. Ihre Politikfindungsprozesse konnten aufgrund dieses spezifischen berufständischen Charakters nur schwer nach dem Mehrheitsprinzip erfolgen. Vielmehr mussten bei allen – vor allem sozioökonomischen Konflikten – Kompromisse ausgehandelt und die Integration der divergierenden Interessen sichergestellt werden. Weltanschaulich entsprach dieses innerparteiliche Organisationsschema dem päpstlichen Anspruch einer Lösung der Klassengegensätze. Politikstrategisch sicherte sie sich dadurch die größtmögliche Anzahl katholischer Wähler für die Konfessionsparteien. Diese Vereinigungen, die oft auch nur organisatorisch im gesellschaftlichen Vorfeld der Partei eingebettet waren, wurden für ihre Mitglieder identitätsstiftender als eine Mitgliedschaft in der Gesamtorganisation. Die eigentlichen Parteien waren somit im Gegensatz zu ihren sozialistischen oder sozialdemokratischen Pendants keine Massenmitgliederparteien. Sie gestalteten sich, wie im Falle des Zentrums, als Honoratiorenparteien aus dem katholischen Milieu oder, wie im belgischen oder österreichischen Fall, als Koordinierungsorganisationen der unterschiedlichen Vereinigungen. Letztere kannten gar keine direkte, sondern nur die indirekte Mitgliedschaft über die unterschiedlichen Organisationen. Die konkrete Politik und die Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner wurden letztendlich in der Fraktion und nicht in den Parteigremien formuliert. Dabei spielte die Aushandlung von Kompromissen zwischen den einzelnen Gruppierungen die entscheidende Rolle. Die Mediatisierung von divergierenden Interessen ging aber auch über soziale Schichtinteressen hinaus. Regionale, intellektuelle und generationenspezifische Unterschiede erforderten ebenfalls Integrationsleistung.180 Die Beispiele in Deutschland, Belgien aber auch später in Italien zeigten, dass die katholischen Parteien aufgrund des Subsidiaritätsprinzips für entsprechende dezentrale Parteistrukturen gut geeignet waren und diese heterogenen Interessen durch ihre konsensuale Vermittlungsstrategie einbinden konnten. Damit gelang es der Christdemokratie nicht nur, konfessionelle Gruppen in das jeweilige politische System zu integrieren, sondern auch, gerade Regionen in der Peripherie zu repräsentieren. Dies galt vor dem Ersten Weltkrieg zum Beispiel für Bayern und Flandern. 178 Conway 1996: 8 179 Ebd 180 Kersbergen 1999: 346ff
50
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Für das innerparteiliche Leben der konfessionellen Parteien lassen sich zusammenfassend folgende Kriterien als konstituierend festhalten:
Die Partei besaß ein klares gesellschaftliches Linkage zur katholischen Subkultur. Die Partei war keine organisierte Massenmitgliedspartei, sondern organisierte ihre Massenanhängerschaft über Vereinigungen und Vorfeldorganisationen. Die Partei im engeren Begriff war eine Honoratioren- oder Koordinierungspartei der unterschiedlichen Gruppierungen. Sie war dezentral strukturiert und besaß keine starke Parteizentrale mit ausgebautem Apparat. Die politische Elite wurde aus der etablierten Honoratiorenschaft des katholischen Milieus rekrutiert. Eine so genannte „Ochsentour“ durch Parteigremien gab es mangels ihrer fehlenden Relevanz nicht. Vielmehr mussten sich die potenziellen Anwärter in der katholischen Subkultur – vor allem in den lokalen Strukturen – bewährt haben. Nicht die Partei als solche, sondern das Milieu war die entscheidende politische Identität. Dies galt auch bei der Bewährung der jeweiligen politischen Kompetenzen. Ihre Leitwerte hießen Subsidiarität, Klassenausgleich und gemeinschaftlicher Pluralismus.
Abschließend bleibt für die konfessionellen Parteien im europäischen Vergleich festzuhalten, dass die katholische Subkultur mit ihren diversen politischen und gesellschaftlichen Organisationen eine Gesinnungsgemeinschaft entwickelte, die nicht nur die Interessen der Kirche an den Staat im Auge behielt, sondern als eigenständige Gemeinschaftsideologie auch eigene Leitlinien für andere Politikbereiche, wie der Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftspolitik, entwickelte.181 2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland Der politische Katholizismus in Deutschland stützte sich in seinem Herkommen und seiner Mobilisierungskraft auf das ultramontan-katholische Milieu. Dieses entstand in der Ära von Reaktion und Reichsgründung als Ergebnis zweier Prozesse, die sich wechselseitig bestärkten und die Partei etablierten: Zum einen der integrale Ultramontanismus in der katholischen Kirche und zum anderen das Aufbegehren katholischer Volksteile gegen die empfundenen Zumutungen des Modernisierungsprozesses, wie er sich mit der preußischkleindeutschen Reichsgründung vollzog. Das Entstehen eines katholischen Milieus aus einem Geflecht an sozialen Vernetzungen und kulturellen Gruppenidentitäten wäre ohne die Veränderungen der politischen, sozialen und religiösen Welt im 19. Jahrhundert nicht zu denken gewesen.182 Somit ist Deutschland ein beispielhafter Fall für die Entstehung und Ausprägung konfessioneller Parteien in Europa. Mit Napoleon veränderten sich das alte Europa und die alte Reichskirche. Die Säkularisation zerstörte die frühere Einheit von Kirche, Staat und Gesellschaft in der „Germania sacra“. Dies hatte vielfältige gesellschaftliche, politische und kulturelle Umwälzungen zur Folge. So verloren die Diözesen ihre Reichsunmittelbarkeit und wurden in die einzelnen 181 Diereckx 1994: 17 182 Loth 1991: 266
2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland
51
Länder eingegliedert. Viele katholische Territorien – zum Beispiel das Rheinland – wurden protestantischen Fürsten zugeschlagen. Die Katholiken umfassten in Deutschland gut ein Drittel der Bevölkerung. Sie bildeten dadurch eine Minderheit, hatten aber doch eine Größe, die sie stark genug für den infrastrukturellen Auf- und Ausbau einer schlagkräftigen Subgesellschaft war. Diese Konstellation erzeugte gerade in den mischkonfessionellen Ländern eine ständige gesellschaftliche Spannung und bewirkte die konfessionelle Milieuverfestigung, die die politische Kultur im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts prägen sollte. Somit loderte dieser konfessionelle Streit in denjenigen Ländern auf, in denen starke katholische Minderheiten ihre gesetzlichen Rechte und soziokulturellen Ansprüche gegenüber protestantischen Regierungen und Bürokratien geltend machen konnten.183 In Deutschland fand der politische Katholizismus im Vormärz seinen Ursprung. Seine Initialzündung löste der Kölner Kirchenstreit im Jahr 1837 aus, da er den katholischen Bevölkerungsteil bezüglich des Vordringens des Staates in den kirchlichen Einflussbereich sensibilisierte.184 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich schließlich ein katholisches Milieu mit einem eigenen politischen Bewusstsein heraus.185 Dieses war nicht erst seit dem Kulturkampf, sondern mit der ultramontanen Neuformierung der katholischen Kirche geschaffen worden. Es war keine statische Größe, aber es hatte sich bereits in den beiden Jahrzehnten vor der Reichsgründung herausgebildet. Noch ehe diese von den Politikern gegründet wurde, gab es daher ein Wählermilieu für eine katholische Partei.186 Der deutsche Katholizismus fühlte sich in dieser Zeit als Minderheit bedroht. Dies schuf Abgrenzung aber auch eine eigene Gruppenidentität. Er wurde zum Verbands- und Vereinskatholizismus. Durch die politische Entmachtung der Kirchenführung, wurde der Katholizismus in der modernen Form der Vereine zu einer Macht. Das band und integrierte die unterschiedlichen katholischen Bevölkerungskreise in die katholische Lebenswelt. Das Leben in einer konfessions-pluralistischen Gesellschaft wurde konfessionell eingehegt.187 Diese Identitätsbildung war neu. Die Kirche nahm nicht nur populäre Mittel in der Religionsverkündung und –mobilisierung auf, sie wurde zu einer Volksbewegung weit über den religiösen Aspekt hinaus. Der Vereinskatholizismus organisierte nicht nur die einzelnen Interessen innerhalb des Milieus und schuf katholische Identitäten, sondern er zog auch klare konfessionelle Grenzlinien. So stellte er nicht nur eine Emanzipation der deutschen Katholiken dar, sondern intensivierte und verhärtete auch die Fragmentierung und Segmentierung der deutschen Gesellschaft. Für die Entstehung der deutschen Christdemokratie spielte dieser Vereinskatholizismus eine entscheidende konstitutive Bedeutung. Er schuf eine selbstbewusste katholische Laienbewegung, die ihre Anliegen in die eigenen Hände nahm und zunehmend selbstbewusst gegenüber der kirchlichen Hierarchie auftrat. Die aufgrund der Vereinsstruktur stattfindende Partizipation band die breite katholische Masse in das konstitutionelle und später demokratisch-republikanische System ein. Auch beflügelten die Vereine die katholischen Reformtendenzen.188 183 184 185 186 187 188
Schmidt, U. 1987: 30 Vgl. Lönne 1986: 123-138 Lepsius 1966: 25ff Walter 1999: 43ff Nipperdey 1988: 24ff Kalyvas 1996: 203ff
52
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
So emanzipierten sich die katholischen Laien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Denn mit der fortschreitenden Industrialisierung drangen Katholiken vermehrt in die Bereiche der Großindustrie, des Handels und des Bankwesens ein und entfalteten dort beträchtliche Aktivitäten. Ebenso profitierten sie von der Ausweitung der öffentlichen Verwaltung, der Wohlfahrtspflege und des Bildungswesens und stellten einen nicht unwesentlichen Anteil an der neuen Schicht der technischen Intelligenz. Gleichzeitig rückten sie gesellschaftlich immer deutlicher zu einer Gruppe zusammen und entwickelten ein stärker an den Werten des Industriestaates profiliertes Selbstbewusstsein. Dies wirkte sich auf die politische Welt aus, indem sie auch dort deutlicher als Gruppe in Erscheinung traten. Die Wirtschafts- und Sozialordnung des modernen Kapitalismus wurde nicht mehr, wie bislang vielfach in den katholischen Kreisen üblich, prinzipiell in Frage gestellt, sondern ganz im bürgerlichen Sinne als Grundlage allgemein materiellen Fortschritts begrüßt. Wissenschaft und Technik wurden nicht länger als bedrohlich für die traditionellen Lebensverhältnisse empfunden, sondern als Grundlagen moderner Existenzbehauptungen aufgegriffen. Vereine, Parteien und Parlamente galten als nützliches Mittel, um die eigenen Anliegen zur Geltung zu bringen. Die Auseinandersetzung mit der geistigen Entwicklung der Zeit erschöpfte sich nicht länger in kategorischer Ablehnung und Untergangsszenarien der modernen Welt, sondern ging auf weite Strecken in eine unbefangene Lernbereitschaft über.189 Dieser Erfolg der katholischen Bürger, aber auch die Vernetzung der katholischen Vereine in alle Schichten, drängte unbeabsichtigt aber doch wirksam das Klerikale und Ultramontane, das in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts den Katholizismus noch dominiert hatte, zurück. Die zentrale Klammer der katholischen Welt bildeten die Vereine und nicht die Kirchenhierarchie.190 Ihre politische Macht begründete sich auf ihre gesellschaftliche Basis und wurde nicht abgleitet von einer externen Autorität, wie der Kirche. In dieser Zeit wurden die Grundlagen für die moderne Christdemokratie in Deutschland gesetzt, indem die Konzeption von einer kirchlichen Interessenspolitik hin zu einer an christlichen Werten orientierten politischen Konzeption weiterentwickelt wurde. Das Arrangement mit dem protestantischem Kaisertum und der damit erwünschten Beendigung des Kulturkampfs schwächte zwar die Bindekraft der katholischen Identität, erweiterte aber auch die Themenpalette und die Positionierung auf dem politischen Markt. Denn inzwischen war nicht mehr zu übersehen, dass die katholischen Mittelschichten nach dem Ende des Kulturkampfes ihre Emanzipationsbedürfnisse nicht mehr so eindeutig wie bisher mit dem Kampf für die Kirchenfreiheit identifizierten. Ihnen ging es vielmehr darum, ihre Führungspositionen in Wirtschaft, Verwaltung und Kultur auszubauen und mit den Protestanten zu teilen, ihre gesellschaftliche Gleichstellung mit Protestanten gleicher Schichtzugehörigkeit durchzusetzen und mit den konservativen Protestanten im Interesse gemeinsamer politischer und sozialer Interessen zu kooperieren.191 Andererseits grenzten sich die christlichen Gewerkschaften seit ihrem Breslauer Kongress im Jahr 1906 dezidiert von der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ab und erklärten die Sozialdemokratie als Weltanschauung wie als politische Partei zu ihrer großen Rivalin. Sie boten den bürgerlichen Parteien ihre Mitarbeit an und hofften, auf deren Sozialpolitik Einfluss nehmen zu können. Die
189 Loth 1991: 270 190 Kalyvas 1996: 203ff 191 Schmidt, U. 1987: 81
2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland
53
christlichen Gewerkschaftler im Zentrum akzeptierten mit der Linie der „Kölner“ Gruppierung implizit auch die Dominanz der Mittelstandsinteressen über die katholischen Arbeiter.192 Zusammenfassend wurde der politische Katholizismus im Kaiserreich von drei zentralen Fragen bestimmt, die das politische Leben des 19. Jahrhunderts in Deutschland prägten: 1. 2. 3.
Die Frage nach dem Verhältnis Staat und Kirche, die zur Entstehung der Zentrumspartei führte; die nationale Frage, die das komplizierte Verhältnis zum Kaiserreich konstituierte, und die soziale Frage, die das christdemokratische Gesellschaftsverständnis zur konkreten Politik werden ließ.
Die erste Frage betraf das Gründungsthema katholischer Politik. Aus ihr ging das Zentrum hervor. Der Konflikt zwischen den traditionellen Rechten der Kirche und den Ansprüchen des modernen Staates prägten auch in Deutschland die Politik der konfessionellen Partei. Das Zentrum war durch den Kulturkampf Bismarcks in die Defensive geraten und damit auf die Vertretung der politischen Interessen des katholischen Volksdrittels abgedrängt.193 Es ging in der großen Auseinandersetzung nicht nur um eine Flurbereinigung oder um die Abwehr von Übergriffen der einen oder anderen Seite, sondern sie umfasste von Anfang an eine Fülle grundsätzlicher Probleme aus dem Verhältnis von Staat und Kirche. Infolgedessen standen dabei nicht nur religiöse, gesellschaftliche und politische Überzeugungen dieser Zeit einander gegenüber: protestantischer und katholischer Glaube, liberale und konservative Weltanschauung, aufgeklärter Naturalismus sowie Bildungsideale. Dieses Ringen griff tief in die Wesensfragen der jeweiligen Weltanschauungen selbst ein.194 Die neue Reichsbegeisterung vor allem des nationalliberalen Bürgertums wollte dem Staat die volle Hoheit über das in seinen Grenzen sich abspielende Geschehen zusprechen. Diese Idee wies darum jede Anerkennung selbständiger Rechte der Kirche, die in die Aufgabenbereiche des Staates fielen, ab. Eheschließung, Schulen, Universitätsbildung wurden als Aufgaben des Staates angesehen.195 In Treitschkes Geschichte wurde folgerichtig ausgeführt, dass der Katholizismus unweigerlich mit dem deutschen Geist der neuen Nation in Konflikt geraten würde.196 Die Zentrumspartei war die in ihrer Anhängerschaft stabilste und mit etwa einem Viertel der Mandate seit 1874 meist auch die im Reichstag stärkste Partei im deutschen Parteiensystem. In ihrem Charakter war sie von den anderen Parteien grundsätzlich unterschieden. Während jene bestimmte soziale Schichten und ökonomische Interessen organisierten, war es dem Zentrum weitgehend gelungen, die Katholiken aller Bevölkerungsschichten vom Hochadel über das Bürgertum und die Bauern bis zu einem erheblichen Teil der industriellen Arbeiterschaft in einer Partei zu integrieren. Das Zentrum entwickelte sich zur politischen Vertretung der katholischen Minderheit im kleindeutschen Nationalstaat mit einer evangelischen Monarchie, die ebenso wie Preußen seine höhere Beamtenschaft weit überproportional aus Protestanten rekrutierte.197 192 193 194 195 196 197
Ebd.: 82 Anderson 198: 82-115 Bornkamm 1950: 46 Morsey 1981b: 75-81 Smith 1995: 32 Morsey 1973: S. 273ff
54
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Die Zentrumspartei war trotz ihrer populistischen Wähler zunächst durchaus elitär, eine Honoratiorenpartei, in der die adelige Regionalelite auf dem Lande, die erfahrenen, im Parlament und im katholischen Vereinswesen aktiven städtisch-bürgerlichen Notabeln, Rechtsanwälte und Journalisten und schließlich Geistliche das Sagen hatten. Das Zentrum vertrat als Partei die katholischen Interessen, aber es verstand sich nicht als verlängerter Arm der Hierarchie und legte in allen nicht-kirchenpolitischen Fragen Wert auf seine Unabhängigkeit. Der niedere Klerus bildete das lokale Netz der Wahlorganisation. Das Zentrum brauchte im Grunde keine Wahlkämpfe zu führen; der Widerstand, das Milieu, das Vereinswesen schufen eine Atmosphäre ständiger politischer Mobilisierung. Wahlen galten als Zählappelle der kirchentreuen Katholiken. Und dies war die übergroße Mehrheit der damaligen Katholiken. Allenfalls wurden in Wahlkämpfen politische Desinteressierte aus dem eigenen politischen Milieu mobilisiert. Auch die katholische Arbeiterschaft wurde von den Sozialdemokraten noch nicht angesprochen und wählte zum weit überwiegenden Teil das Zentrum. Durch die erfolgreichen Wahlen konnte das Zentrum Einfluss gewinnen, aber dadurch noch nicht gleichsam Macht erringen. Dafür musste es sich zuerst mit dem herrschenden System arrangieren. Der Wille der führenden Zentrumspolitiker zur Macht begünstigte jedoch ein solches Arrangement. Die nun bekundete Akzeptanz der Katholiken zum Hohenzollernstaat befestigte wiederum das bestehende System. Die katholische Bevölkerung wurde in die politische Ordnung des Kaiserreiches integriert.198 Die katholischen Vereine, besonders der Volksverein, ersetzten dem Zentrum die Massenorganisation. Die Zentrumspartei hatte keine direkte Mitgliederbasis. Die Massen wurden durch die katholischen Vereine bei der Partei gehalten. Die Organisation beruhte auf einem Honoratiorensystem mit von oben zugezogenen Berufen der Stände und Klassen. Das Schwergewicht der Macht lag bei den Provinzial- und Landesvorständen. Die lokalen Führungen besaßen auch ein beträchtliches Maß an indirektem Einfluss. Eine innerparteiliche Opposition musste sich außerhalb der Parteiorganisation zusammenschließen. Über die Politik entschied allein die Fraktion. Diese Organisation entsprach der älteren, agrarischmittelständischen Gesellschaftsstruktur der Zentrumswählerschaft. Sie entsprach ihrem gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein. Die neu aufsteigenden Schichten der industriellen Massengesellschaft konnten in diese Organisation eigentlich nicht mehr eingefügt werden. Aus diesem Grund wurden katholische Arbeitervereine gegründet.199 Die Generalversammlung der deutschen Katholiken, der so genannte Katholikentag, übernahm die Funktion der Parteitage für das Zentrum. Im Bewusstsein des katholischen Volksteils und seiner Führer fielen der öffentliche aktive Katholizismus und die Bindung an die Zentrumspartei zusammen. Da aber seine Anhänger nicht so autoritätsbestimmt und nicht so homogen wie die Konservativen waren, brauchte die Partei ein Forum, in dem sie zu Wort kam, durch das sich die Partei öffentlich kundtat und durch Resonanz in breiten Kreisen ihre Volkstümlichkeit demonstrierte. So wurde allgemein stärker auf Resolutionen des Katholikentages als auf Kundgebungen des Zentrums Bezug genommen. Diese Resolutionen beschäftigten sich zum großen Teil mit den jeweils aktuellen politischen Fragen. Im Ganzen dienten diese Tagungen der Selbstbestätigung. Die Parteieinheit wurde demonstriert. Ein bedeutender Einfluss auf die politischen Entscheidungen ging von ihnen nicht aus. Die wirkliche Führung der Partei war die Führung der Reichstagsfraktion. Der 198 Mayeur 1980: 65-67 199 Nipperdey 1961: 292
2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland
55
entscheidende politische Führer war dabei amtlos, er wurde darum nicht ernannt oder gewählt, er wuchs vielmehr von selbst in seine Stellung hinein. Er konnte der Unterstützung des Fraktionsvorsitzenden sicher sein, die Fraktion bestätigte durch ihr Verhalten sein faktisches Führen. Mit ihm musste die Regierung und mussten die anderen Fraktionen verhandeln.200 Diese enge Verzahnung zwischen Zentrum und katholischem Milieu beeinflusste nicht nur das innerparteiliche Leben, sondern auch die Politikgestaltung der Partei. Sie wurde von den gleichen Leuten und Organisationen getragen. Das verbindende Element erhielt das Zentrum aus der Kulturkampfzeit. Aus diesen soziokulturellen anstelle von materiellen Themen erklärte sich auch, dass nur die Zentrumspartei als Volkspartei Anhänger und Wähler in allen Bevölkerungsschichten besaß. Die Folge dieser Konfliktlinie war allerdings auch der Zwang, aber auch die Fähigkeit zu ständigem innerparteilichen Interessensausgleich und damit zu einer Politik der mittleren Linie. Diese Eigenschaften erschwerten jedoch eine Vertretung noch so berechtigter Einzelbzw. Gruppeninteressen. Daraus ergaben sich innerparteiliche Konflikte. Diese schlugen immer stärker durch, als sich die konfessionellen Gemeinsamkeiten als wichtigstes politisches Bindemittel abschwächten.201 Allerdings erhielt das Zentrum durch diesen Konsenszwang eine strategische Schlüsselposition auf dem politischen Markt in Deutschland. Im deutschen Vielparteiensystem war der politische Katholizismus das moderierende Element, koalitionsfähig nach links und rechts. In Deutschland radikalisierte sich das katholische Milieu nicht zu einem militanten Lager, das die Vernichtung des weltanschaulichen Gegners und die fundamentale Katholisierung der Gesellschaft anstrebte.202 Die zweite Frage, die die Politik im 19. Jahrhundert in Deutschland prägte, war die Nationale Frage. Der politische Katholizismus war vor 1866 großdeutsch ausgerichtet gewesen. Damit verfochten sie nicht die kleindeutsch-preußische Lösung, die sich schließlich 1871 realisierte. Die Zerschlagung der großdeutschen Ideen durch die politische Wirklichkeit begründete eine Wende der katholischen Partei hin zum Partikularismus. Reich und Nation wurden zwar anerkannt, aber sie hatten gerade in den ersten Jahrzehnten des Reiches gegenüber Papst und Kirche wie auch gegenüber dem eigenen Partikularstaat oder der Region keinen Vorrang.203 Trotz ihrer politischen Opposition gegen das protestantische Übergewicht im Reich und der Tatsache, dass die Abgeordneten der neu gegründeten Zentrumspartei gegen die Annahme der Reichsverfassung gestimmt hatten, begannen sich die katholischen Staatsbürger mit dem Kaisertum abzufinden.204 Der schlagartig und schließlich in seiner Vehemenz doch überraschend begonnene Kulturkampf ließ aber die Skepsis vieler Katholiken an der Politik des preußisch-protestantisch geprägten modernen Nationalstaates wachsen. Obwohl der Kulturkampf eine Isolierung des katholischen Volksteils bewirkte, stellte er bei eben diesem das monarchische System oder auch nur die preußische Staatlichkeit nicht in Frage. Mit Beendigung des Kulturkampfes entspannte sich die Lage zum Nationalstaat. Die Zentrumspartei entwickelte nach der Jahrhundertwende – gerade auch mit einer neuen Generation von Zentrumspolitikern, wie Matthias Erzberger, die den Kulturkampf aktiv nicht miter200 201 202 203 204
Nipperdey 1961: 280-292 Morsey 1981a: 111 Walter 1999: 53 Nipperdey 1993: 428ff [siehe auch Nipperdey 1993: 337ff] Morsey 1973: 270
56
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
lebt hatten – eine neue Begeisterung für die nationale Sache.205 Das Zentrum akzeptierte nicht nur den Nationalstaat, sondern trug schließlich auch seine nationalen Ziele mit.206 In diesem Bereich legte die Christdemokratie die Grundlage, sich zu einer Partei der nationalen Einheit zu entwickeln, auch wenn sie – wie die deutschlandpolitischen Positionen der CDU in den 1940er und 1950er Jahren zeigen – zunächst dieses Thema als höchste Priorität für den politischen Wettbewerb angesehen hatte. In der dritten großen gesellschaftlichen Frage des 19. Jahrhunderts – der Sozialen Frage – spielten die Katholiken wieder einen aktiveren Part. Die Auseinandersetzung mit der sozialen Frage wurde zu einem zentralen Thema des organisierten Katholizismus in den Industrierevieren, wobei an kapitalismus-kritische Überlieferungen der katholischen Soziallehre, wie auch an den lebensweltlichen Traditionalismus katholischer Arbeiterschaft angeknüpft wurde.207 Der Einsatz für die sozial Benachteiligten und gesellschaftlich Ausgegrenzten hatte im Katholizismus schon lange Tradition. Bereits seit dem Mittelalter entfaltete sich ein breites Netz von Sozialeinrichtungen für Arme, Alte und Waisen. Neu war allerdings im 19. Jahrhundert, dass neben individueller Fürsorge eine gesellschaftlichpolitische Bewegung wuchs, die die soziale Not strukturell bekämpfen wollte. Der soziale Katholizismus war im 19. Jahrhundert untrennbar mit dem politischen verbunden. Die soziale Frage bot dem Katholizismus in Deutschland die Chance, den wirtschaftlichen Rückstand des katholischen Volksteils und seine Zurücksetzung im staatlichen Leben zu überwinden und die ihm bis dahin vorenthaltene staatsbürgerliche Gleichstellung zu erringen.208 Bereits der Mainzer Bischof Ketteler griff die Soziale Frage auf und berief sich sogar auf Ferdinand Lasalle, indem er das eherne Lohngesetz akzeptierte und sich als Gegner des Liberalismus auch in wirtschaftlichen Fragen bekannte.209 Er wandte sich der neuen Gruppe der Arbeiterschaft zu, brachte schon 1848 als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung die Arbeiterfrage auf die Mainzer Domkanzel.210 Er erarbeitete sich Schritt für Schritt ein immer zutreffenderes Bild von dieser neuen sozialen Gruppe und ihrer Lage und versuchte, nachdem er Bischof in Mainz geworden war, auch seinen bischöflichen Amtsbrüdern das Verständnis dafür zu erschließen. Sein vor der Fuldaer Bischofskonferenz 1869 gehaltenes Referat war das erste Engagement der Kirche in der Arbeiterfrage.211 Kettelers Einfluss – nicht nur auf den politischen Katholizismus in Deutschland – war beachtlich. Auch beeinflusste er die päpstliche Soziallehre, insbesondere die Enzyklika „Rerum Novarum“. Dieses Dokument folgte in weiten Teilen seiner Schrift „Christentum und die Arbeiterfrage“.212 Die Verbindung von sozialem Engagement und entschiedener Abwehr vor allem sozialistischer Ideen kennzeichnete schon frühzeitig die Beschäftigung der katholischen Kirche und ihrer aktiven Mitglieder mit der sozialen Frage. Die Sozialdemokratie wurde, als sie gerade die katholischen Industriearbeiter in der Masse nicht für sich gewinnen konnte, mehr und mehr zu einer sozialen Volkspartei der protestantisch geprägten, aber nicht mehr kirchlich praktizierenden Schichten der deutschen Gesellschaft unterhalb der Linie von Besitz 205 206 207 208 209 210 211 212
Morsey 1973: 279 Ebd.: 290 Klönne 1990: 34 Nell-Beruning 1975: 152 Schneider 1983: 27 Vgl. zu Leben und Wirken von Bischof Ketteler: Jungnitz 1972 Nell-Beruning 1975: 153 Kersbergen1995: S. 218
2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland
57
und Bildung. Die katholische Arbeiterbewegung hatte sich verselbständigt und integrierte sich parteipolitisch in das Zentrum, dem sie das Gepräge einer Partei gab, die auch Arbeiterinteressen repräsentierte. Es war damals nicht nur der Industrialisierungsgrad, sondern ebenso sehr der Konfessionsfaktor, der über die Stärke oder Schwäche der Sozialdemokratie entschied.213 Die historische Leistung des Arbeiterkatholizismus vor dem Ersten Weltkrieg lag darin, dass er es zuwege brachte, diesen Widerspruch zu überbrücken und sich zu einer Säule sowohl des Verbandskatholizismus, als auch der politischen Kultur der Arbeiterbewegung aufzubauen. Das Zentrum entwickelte sich durch die Integration des Arbeiterkatholizismus zu einer schichtübergreifenden Volkspartei. Dieser innerparteiliche Anspruch sensibilisierte sie gerade auch für sozialpolitische Belange, die nicht mehr als karitative Hilfsleistungen, sondern als gesellschaftspolitische Ansprüche verstanden wurden. Wenn in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg erste sozialstaatliche Errungenschaften im Interesse der Arbeiter zustande kamen, so war dies nicht nur dem Willen der Reichsregierung zuzuschreiben, durch sozialpolitische Zugeständnisse demokratischen oder klassenkämpferischen Bestrebungen in der Arbeiterschaft das Wasser abzugraben. Wirksam wurde auch, vermittelt über die Zentrumspartei, der soziale Reformdruck des Arbeiterkatholizismus.214 Die Zentrumsfraktion im Reichstag beteiligte sich mit schöpferischen Gedanken an der Sozialpolitik, gab immer wieder neue Antriebe und behielt bis in die Weimarer Zeit, als die Sozialdemokratie längst die Wendung hin zur positiven Mitarbeit vollzogen hatte, sozialpolitisch die Führung.215 Die katholische Soziallehre wurde im gesellschafts-politischen Bereich durch die katholisch-soziale Bewegung flankiert. Sie folgte der Logik, dass die Kämpfe für die Freiheit der katholischen Kirche und die Gleichberechtigung der Katholiken mit dem Emanzipationsstreben auch der katholischen Arbeiter gleichzeitig verlaufen sollte. So setzten sich ihre Protagonisten ebenso für soziale Reformen wie für die Abwehr der Sozialdemokratie und gingen in gleicher Weise zur protestantischen und liberalen Bourgeoisie auf Distanz. Der katholische Klerus kam meistens selbst nicht aus dem Bildungsbürgertum, sondern eher aus dem einfachen Volk. So blieb er trotz agrarisch-kleinbürgerlicher Vorprägung auch den neuen städtischen Unterschichten näher als die evangelische Pastorenschaft. Der katholische Klerus war nicht mit der herrschenden Klasse verbunden. Dies öffnete die Kirche, obwohl sie insgesamt eher der alten Sozialordnung verbunden war, für soziale Initiativen und Aktivitäten.216 Die katholische Sozialbewegung stellte einen Entwicklungsprozess der Kirche und des katholischen Milieus dar, indem sie versuchte, in Anlehnung an ihr Wertefundament neue Antworten auf die gesellschaftliche Veränderung, die mit der Industrialisierung einherging, zu suchen. Diese fand sie nicht nur in der Programmatik, sondern auch in ihrer Organisationsbeschaffenheit. So modernisierte die katholische Sozialbewegung die katholischen Traditionsstrukturen, indem sie das öffentliche und soziale Leben entklerikalisierte, die christ-
213 214 215 216
Klönne 1990: 36 Ebd.: 39 Nell-Beruning 1975: 156 Morsey 1981a: 110ff
58
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
lichen und weltlichen Sachgebiete stärker voneinander schied und neben die kirchenamtliche Hierarchie eine Laiendemokratie setzte.217 So stieg die deutsche Zentrumspartei nach dem Ersten Weltkrieg zur wesentlichen sozialpolitischen Kraft im Reich auf. Es gab kaum eine parlamentarische Initiative, an der sie nicht beteiligt war, kaum ein Gesetz, das sie nicht mitgestaltet hätte. In allen Reichsregierungen zwischen 1919 und 1932 war sie beteiligt und die vier von ihr gestellten Kanzler regierten die Republik über die Hälfte ihrer Dauer. Eine entscheidende Voraussetzung für diese neue Rolle war, dass der Übergang von der alten zur neuen Ordnung der Partei nicht durch eine theoretische oder traditionelle Festlegung auf die monarchistische Staatsform erschwert wurde. Allerdings hatte das Zentrum keine republikanische Tradition. Es verstand sich auch nach der Revolution nicht als eine republikanische Partei. Dennoch hat sie die neue Staatsform mitgetragen. Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Erstens hatte das Zentrum mit dem ihm eigenen Hang zum Pragmatismus erkannt, dass sich nur so die Revolution in parlamentarischen Bahnen überleiten lassen würde. Zweitens sah es deutlich, dass allein über die Anerkennung der Republik die Teilhabe an der Macht zu haben sein würde. Mit Vorliebe wurde die eigene Politik mit der Verfassung legitimiert und ihre Anerkennung wurde Voraussetzung für jegliche Zusammenarbeit. Trotz realpolitischer Bedenken und den Rückschlägen bei der Durchsetzung von katholischen Anliegen ließen die Tradition des politischen Katholizismus als Volksbewegung, seine parlamentarische Praxis im Kaiserreich wie auch die zentrale Stellung des als organisches Gebilde verstandenen Volkes im neuen Staats- und Gesellschaftsaufbau keine grundsätzlichen Zweifel an der Weimarer Demokratie aufkommen.218 Dem politischen Katholizismus war es verhältnismäßig gut gelungen, die Mehrheit der deutschen Katholiken ungeachtet ihrer Anhänglichkeit an die überkommene monarchische Staatsform zur inneren Bejahung des neuen demokratischen Staatswesens zu führen. Der Umstand, dass die Weimarer Reichsverfassung der Kirche eine bis dahin nie gekannte Freiheit beschert und die Zurücksetzung der Katholiken als Staatsbürger zweiter Klasse, wenn schon nicht völlig beseitigt, so doch weitgehend abgebaut hatte, erleichterte das sehr. Die kirchenpolitischen Ziele des politischen Katholizismus waren in der Hauptsache erreicht. Damit schwächte sich der soziokulturelle Trennungsstrich zum protestantischen Bevölkerungsteil langsam ab. Sozial- und wirtschaftspolitische Themen rückten immer stärker ins Blickfeld des Zentrums.219 Diese programmatische Schwerpunktverlagerung hatte zunächst jedoch keine Auswirkungen auf die Begebenheiten des innerparteilichen Lebens. In wesentlichen Grundzügen setzte das Zentrum die Parteienstruktur des Kaiserreichs fort. Zwar war in Zentrumskreisen die interkonfessionelle Erweiterung der nach wie vor faktisch katholischen Partei erneut thematisiert worden, diese Diskussion hatte jedoch nicht zu einer Neuformierung geführt. Vom Zentrumsstreit unterschied sich die neuerliche Diskussion in zwei wichtigen Punkten: 1.
Die Initiative zur Umstrukturierung der Parteiorganisation ging nicht von bürgerlichen Honoratioren aus, sondern kam aus den Führungsgruppen der christlichen Gewerkschaften und des Volksvereins.
217 Ebd. 218 Ruppert 1992: 412 219 Nell-Beruning 1975: 157
2.3 Die christdemokratischen Wurzeln in Deutschland 2.
59
Den Befürwortern der interkonfessionellen Kooperation ging es nicht mehr um bloße Absprachen oder Wahlbündnisse, sondern sie nahmen um der politischen Zusammenarbeit mit den protestantischen Konservativen willentlich die Preisabgabe des Zentrums in Kauf.220
Diese Pläne – die in Karl Bachem und Anton Stegerwald engagierte Fürsprecher fanden – wurden in der Weimarer Republik nicht in die Tat umgesetzt. Sie bildeten aber die Grundlage für die nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklichte überkonfessionelle Parteigründung. Die gedankliche Vorbereitung für die überkonfessionelle Zusammenarbeit war bereits gelegt. Der politische Wille und letztlich die Initialzündung zur organisatorischen Öffnung fehlten allerdings in der Zwischenkriegszeit. Dies sollte erst nach 1945 gelingen. Die Vorarbeiten waren jedoch bereits erfolgt. Dies lag nicht zuletzt an der Wirtschaftspolitik. Denn eine eigene Wirtschaftspolitik kristallisierte sich beim Zentrum in den Jahren der Zwischenkriegszeit heraus. Das Wirtschaften verstand die konfessionelle Partei nicht als Selbstzweck. Das Ziel war vielmehr die Schaffung eines menschenwürdigen Daseins. Dieses wirtschaftsethische Gebot setzte der wachstumsorientierten privat-kapitalistischen Produktion zugleich ihre Grenzen und war der Hauptantrieb einer vielfältigen Sozialpolitik. Von diesen Prinzipien ausgehend beschränkte sich die Wirtschaftspolitik der Partei darauf, durch gezielte Einzelmaßnahmen, Konjunkturprogramme und Subventionen die Produktion in Gang zu halten. Von seinem sozialharmonischen Denken her wie aufgrund seiner Zusammensetzung war das Zentrum der prädestinierte Vermittler in der Steuer- und Zollpolitik. Die Kapitalarmut der deutschen Wirtschaft als Folge des Krieges sowie die zentrale Rolle des deutschen Exports bei der Aufbringung der Reparationen zwangen das Zentrum im Ganzen aber zu einer wirtschaftsfreundlicheren Steuer- und Zollpolitik, als ursprünglich intendiert war. In den gravierenden sozialen Spannungen zwischen Kapital und Arbeit sah der politische Katholizismus eine der wesentlichen Ursachen für die politische Zerrissenheit der Nation. Sie sollte daher vor allem mit Hilfe sozialpolitischer Gesetzgebung überwunden werden. Die Regelung der Machtverteilung zwischen Kapital und Arbeit war dabei immer nur ein Aspekt unter anderen. Es ging stets auch darum, durch die Übertragung von gemeinsamer Verantwortung den sozialen Frieden zu sichern und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Durch solche Formen der Mitgestaltung, innerbetriebliche Mitbestimmung wie materielle Verbesserungen sollte darüber hinaus mit der Stärkung des Selbstbewusstseins der Arbeiterschaft und ihrer gesellschaftlichen Anerkennung ein zentrales Anliegen der Sozialpolitik verwirklicht werden. Am besten spiegelt vielleicht das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1927 diese sozialpolitische Konzeption wider. Das Zentrum blieb weitgehend Gesinnungsgemeinschaft mit einer Weltanschauung, die sich nicht zuletzt aus vorpolitischen christlichen Normen und Werten speiste. Auf dieser Grundlage gedieh ein den Weimarer Möglichkeiten am ehesten entsprechender Pragmatismus, der sich mit der Bewältigung der anstehenden Probleme begnügte. Der politische Katholizismus sah den letztlichen Zweck einer solchen Politik in der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung als Garant des Allgemeinwohls. Dies war nicht nur ein politisches Ziel, sondern auch sittliches Gebot. Aus christlichem Weltverständnis entsprangen die für Weimar so wichtig gewordenen Fähigkeiten des Zentrums zu Kompromiss und 220 Schmidt, U. 1987: 87
60
2 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
politischem Verzicht, aus ihm heraus fand es den Zugang zur Mitverantwortung für eine nüchterne und entbehrungsreiche Politik.221 2.4 Zusammenfassung Die konfessionellen Parteien entwickelten aufgrund christlicher Werte ihr eigenes Politikverständnis. Dies drückte sich nicht nur in ihren programmatischen Standpunkten aus, sondern spiegelte sich auch in ihrem innerparteilichen Leben, wie dem Organisationsaufbau und den Entscheidungsprozessen wider. Ihr politisches Leitbild prägt den Charakter ihrer Politik: 1) Die konfessionellen Parteien, wie das Zentrum, entstanden aus einer Protestbewegung gegen die herrschenden Eliten. Aus diesem Grund organisierten sie ihren politischen Rückhalt auf einer Massenbasis und nicht auf exklusiven Machtzugängen in den herrschenden Zirkeln. Sie nutzen zunächst für ihre Bewegung geschickt die Möglichkeiten des Verfassungsstaates und propagierten die parlamentarische Demokratie. Sie forderten zudem gesellschaftliche Pluralität und die Freiheit der Gemeinschaften vor staatlichem Allmachtzugriff. Aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit dem Bismarckstaat setzen sie ein plurales Gesellschaftsverständnis entgegen, das die Freiheit unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen forderte. Aufgabe des Staates war es demnach, die Gruppen nicht einzuengen, sondern zu fördern. Dies entsprach auch ihrer Vorstellung des Subsidiaritätsprinzips. Die konfessionellen Parteien sahen diese Gemeinschaften als optimale Mediatoren zwischen Staat und Bürger. Aus diesem Grund förderten sie die Gemeinschaften im Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftsbereich. 2) Die Massenmobilisierung basierte auf den katholischen Bevölkerungsteilen. Dies bedeutete nicht nur einen pragmatischen Anspruch möglichst exklusiv – d.h. auch schichtübergreifend – diesen Bevölkerungsteil zu repräsentieren, sondern auch einen ideologischen Anspruch, den Klassenkonflikt friedlich zu lösen. Aus diesem Grund wurde der soziale Anspruch nicht an karitativen Maßnahmen, sondern in erster Linie an gesellschafts- und sozialpolitischen Leistungen gemessen. Aus diesem Grund propagierten die konfessionellen Parteien eine aktive Gesellschafts- und Sozialpolitik. Das Soziale wurde nicht allein als karitative Aufgabe auf der Grundlage eines wie auch immer gelagerten Barmherzigkeitsempfindens angesehen, sondern aufgrund des gesellschaftlichen Solidaritätsgedankens als Pflicht der Allgemeinheit gegenüber sozial Schwachen. Hier sollten aber nicht so sehr anonymisierte soziale Transferzahlungen den sozialen Ausgleich schaffen, sondern wiederum die einzelnen Gemeinschaften so gestärkt werden, dass sie Hilfe zur Selbsthilfe leisten können. Da bereits die konfessionellen Parteien mehr eine Gemeinschafts- denn eine Gesellschaftsideologie vertraten, empfanden sie eine anonyme Sozialbürokratie als unsozial. Der Grad der materiellen Umverteilung wäre nicht so entscheidend, wie die Leistungsfähigkeit der gesellschaftlichen Strukturen. Daher favorisierten sie eine plurale Struktur gesellschaftlicher Gruppen, die die Solidarität organisieren sollten. 221 Ruppert 1992: 417-419
2.4 Zusammenfassung
61
3) Die Integration aller Schichten führte zur Herausbildung schichtspezifischer Organisationen. Der Anspruch zur Überwindung der sozioökonomischen Konfliktlinien führte zur innerparteilichen Auseinandersetzung durch das Mediationsprinzip. Jede soziale Schicht sollte ihre Stimme in der Organisation haben und durch den Entscheidungsprozess nicht untergepflügt werden. Folglich war der Entscheidungsprozess konsensual im Sinne des Mediationsprinzips angelegt. Der politische Anspruch der konfessionellen Parteien, die Interessen unterschiedlicher Schichten auszugleichen und zusammenzuführen, war für ihre Politik charakteristisch. Aufgrund ihres Anspruches, zum Teil widerstreitende Interessen zu integrieren, bedurfte es eines konsensualen Entscheidungsprozesses, einer Personalpolitik, die nach Proporzgesichtspunkten geführt wurde, sowie der organisatorischen und politischen Flexibilität, auf sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen einzugehen und Forderungen zu adaptieren. Die Abschwächung des Gründungskonflikts stellte gerade für die konfessionellen Parteien eine wachsende Integrationsschwierigkeit dar. Die Lebenswelt und die damit zusammenhängende Bindungskraft des katholischen Milieus blieb aber auch in der Weimarer Republik stark genug, um für die Wählerschaft mobilisierend zu sein. 4) Die konfessionellen Parteien mussten aber für das wichtigste Politikfeld der Wirtschaftsund Sozialpolitik eine eigenständige Politik entwickeln, vor allem als mit der Beendigung des Kulturkampfes die Verteidigung der katholischen Sache von der aktuellen politischen Tagesordnung nach und nach verschwand. Dies führte zu innerparteilichen Verhandlungsprozessen, die nicht nach dem Mehrheitsprinzip, sondern auf der Grundlage einer innerparteilichen Konsensfindung stattfanden. 5) Diese innerparteilichen Mechanismen wurden zur Stärke der Zentrumspartei auf dem politischen Markt. Nicht nur eröffneten sich ihr als politische Mitte im Parteiensystem vielfältige Koalitionsoptionen, sie hatte auch ein ansprechendes Politikkonzept, das im Vorfeld von unterschiedlichen Schichten erarbeitet worden war. Somit konnten auf ihrer Linie auch häufig tragfähige Kompromisse für die Regierungspolitik der zahlreichen Regierungskoalitionen gefunden werden und sich das Zentrum mit seinen Vorstellungen häufig durchsetzen. Bereits am Ende der Kaiserzeit, aber insbesondere in der Weimarer Republik war das Zentrum regierungsorientiert. Es verstand sich nicht als Anti-System-Partei, seine politische Strategie war auf Machtbeteiligung ausgerichtet. 6) Die allgemeine Koalitionsfähigkeit mit den demokratischen Kräften, ihr Machtwillen und schließlich auch die Abnahme der konfessionellen Konflikte in der Gesellschaft ließ die Debatte über eine Öffnung des „konfessionellen Turms“ aufkommen. Diese wurde jedoch nicht in der Zwischenkriegszeit verwirklicht. Allerdings war die Gründung einer überkonfessionellen Partei nicht nur mit den totalitären Erfahrungen erklärbar, sondern reichte auf Überlegungen der Weimarer Republik zurück. Die Parteistruktur und ihr gemeinschaftlicher Pluralismus schuf die Grundlage für den konfessionellen Öffnungsprozess der Partei.
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien in der Nachkriegszeit und die Herausbildung ihrer Wirtschaftspolitik
3.1 Einleitung Nach 1945 erfolgte in der Christdemokratie eine Zäsur. Sie wurde zur überkonfessionellen Partei. Obwohl an den Traditionen der konfessionellen Vorläuferorganisationen angeknüpft wurde, entstanden neue Parteien. Daher ist für die Analyse eines christdemokratischen Leitbildes wichtig, die Besonderheiten und Charakteristiken der Nachkriegsparteien zu beleuchten. Deshalb werden im Folgenden in einer ländervergleichenden Perspektive die wesentlichen Merkmale der Christdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Überblicksartig können für die christdemokratischen Parteien in Europa aus politik- und geschichtswissenschaftlicher Literatur folgende allgemeinen typologischen Charakteristiken festgestellt werden:222
Christdemokratische Parteien berufen sich a priori auf eine „christliche“ Wertebasis. Allerdings neigen gerade in den Ländern, in denen christdemokratische Parteien an die Stelle von konservativen als dominante Parteien der rechten Mitte getreten sind, christdemokratische Parteien dennoch zum Typus der Catch-all-Party, die gerade auch nicht „christlich gläubige“ Menschen ansprechen wollen. Christdemokratische Parteien sind im Links-Rechts-Spektrum dem Zentrum und/oder der gemäßigten Rechten zuzuordnen. Die genauere Positionierung resultiert aus der konkreten Wettbewerbssituation in den einzelnen Ländern. Christdemokratische Parteien sind im Materialismus-Postmaterialismus-Spektrum nicht einfach auszumachen – sie stehen diesbezüglich jedenfalls zwischen den (traditionell materialistischen) sozialdemokratischen und den (spezifisch postmaterialistischen) grünen Parteien. Christdemokratische Parteien neigen zumindest in ihrem Selbstverständnis dazu, ihren standes- und schichtübergreifenden Charakter im Sinne eines Volksparteikonzepts zu betonen.
Mit Ausnahme der Schweiz und Irland bildete der Zweite Weltkrieg in der Parteigeschichte der westeuropäischen Christdemokratie einen tiefen Einschnitt. Die Ereignisse um den Zweiten Weltkrieg und der totalitären Schreckensherrschaften, die vor allem die Kollaboration mancher konservativer Kräfte mit den faschistischen bzw. nationalsozialistischen Machthabern einschloss, wirkten sich auf die christdemokratische Bewegung in mehrfacher 222 Pelinka 2001: 538
64
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Hinsicht einschneidend aus. Nicht nur bedeutete diese Zäsur für die christdemokratischenParteien institutionelle Neugründungen, sondern auch eine grundlegende Neuausrichtung der christdemokratischen Bewegung:
Erstens eröffnete die Diskreditierung von konservativen Politikern, Parteien und Richtungen der Christdemokratie einen dominierenden Platz im Mitte-Rechts-Spektrum des Parteiensystems. Dies war nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Italien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden der Fall. Zweitens half dieses entstandene Vakuum im Parteienspektrum der Christdemokratie ihre konfessionellen Grenzen zu überwinden. Ein Versuch, der in den 1920er Jahren noch gescheitert war. Sie wurde gerade im Laufe der 1950er Jahre zunehmend nicht nur für konfessionelle Bevölkerungsteile, sondern auch für bürgerliche Kräfte, die nicht dem katholischen Milieu nahe standen, wählbar. Die Christdemokratie verstand sich nicht mehr allein als politischer Arm des katholischen Milieus. Drittens wirkte sich nach und nach diese allmähliche Lösung vom katholischen Milieu aus. Zwar wurden ihre Gründungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit organisatorisch sehr stark von der katholischen Infrastruktur, vor allem durch die Verbands-, Pfarrei- und Pressestrukturen unterstützt, getragen und begleitet. Diese organisatorische Klammer wurde jedoch zunehmend schwächer. Dies lag zum einen an der besagten Öffnungsstrategie, die spätestens seit den fünfziger Jahren einsetzte, aber zum anderen mindestens auch im gleichen Maße an den Veränderungen, die die Kirche selbst aufgrund des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von 1962-1965 stattfand, vollzog. Sie öffnete sich der pluralistischen Welt und suchte den Kontakt auch zu anderen politischen Kräften. Viertens sorgte der Anti-Kommunismus für ein neues Mobilisierungsmoment. Nicht mehr der liberale Laizismus wurde die treibende Kraft, gegen die die Christdemokratie anging, sondern der Kommunismus.223 Diese Neuausrichtung veränderte zusätzlich die politische Themenschwerpunktsetzung: Nicht mehr soziokulturelle Themen, sondern sozioökonomische Anliegen wurden für den politischen Markt und für die Partei zentral.
223 Durand 1995: 229ff
3.1 Einleitung
65
Tabelle 1: Christdemokratische Parteien Westeuropas224 Land
Partei
Vorläuferorganisation
Gründungsjahr
Deutschland
Christlich Demokratische Union (CDU)/ Christlich Soziale Union (CSU)
Zentrum/ Bayerische Volkspartei (BVP)
1950/ 1946
Österreich
Österreichische Volkspartei (ÖVP)
Christlich Soziale Partei (CSP)
1945
Belgien
Christelijke Volkspartij (CVP)/ Parti Social Cretien (PSC)
Katholieke Vlaamsche Volkspartij (KVV)/ Parti Catholique Social (PCS)
1945
Frankreich
Mouvement Républicain Populaire (MRP)
Parti Démocrate Populaire (PDP)
1944
Italien
Democrazia (DC)
Partito Populare Italiano (PPI)
1943
Niederlande
Katholieke Volkspartije
Rooms Katholieke Staatspartije (RKSP)
1945
Irland
Fine Gael (FG)
Cumann na nGaedheal
1933
Schweiz
Konservativ Christlich Soziale Partei (KCSP)
Schweizerische Konservative Volkspartei (SKV)
1957
Cristiana
Christlich-Demokratische Volkspartei (CDVP) Luxemburg
CSV
1971
Rechtspartei
224 Vgl. Keersbergen 1995: 50, Mair 1992: 86ff., Schroen 2000: 344ff
1944
66
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Die Neuausrichtung der Christdemokratie war gerade in den 1950er und teilweise auch in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts für den politischen Markt erfolgreich. Die christdemokratischen Parteien waren – abgesehen vom Spezialfall Irland – nicht nur überwiegend an der Regierung beteiligt, sondern dominierten auch mit Ausnahme von Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz diese Regierungen. Die Christdemokratie entwickelte sich so in vielen westeuropäischen Staaten während der 1950er Jahre zur geborenen Regierungspartei.225 Sie wurde zur dominanten Partei der Mitte bzw. des Mitte-Rechts-Raumes. Die Regierungsdominanz und der damit zusammenhängende strategische Pragmatismus erleichterten den Öffnungsprozess, da mit dieser Strategie die wachsenden Erfolge auf dem politischen Markt sichtbar und spürbar wurden. Zu den wichtigen Parteizielen gehörte im Gegensatz zur Kulturkampfzeit der unbedingte Hang zu Ämtern und Macht. Eine Oppositionsrolle durch strikte ideologische Gralshüter wurde als zu wirkungslos angesehen. Tabelle 2: Christdemokratie als geborene Regierungspartei von 1945 bis 1960226 Land
Partei
Regierungsdauer in %
Regierungsdominanz
Anzahl der Regierungen
Deutschland
CDU/CSU
100
.71
6
Österreich
ÖVP
100
.58
7
Belgien
CVP/PSC
63
.72
14
Frankreich
MRP
89
.30
29
Italien
DC
100
.71
6
Niederlande
KVP
100
.39
6
Irland
FG
45
.50
5
Schweiz
SKV/KSCP/ CVP
100
.39
16
Luxemburg
CSV
100
.68
5
Der Erfolg der christdemokratischen Neugründungen drückte sich nicht nur in den Regierungsbeteiligungen, sondern vor allem auch in ihren Wahlerfolgen aus. Bis auf Frankreich und die Schweiz erfüllten alle christdemokratischen Parteien in den ersten zweieinhalb
225 Fogarty 1957: 340 226 Kersbergen 1995: 55, Schroen 2000: 397f
3.1 Einleitung
67
Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die von GORDON SMITH aufgestellte Wahlhürde für Volksparteien von ungefähr 30 Prozent.227 Von den christdemokratischen Parteien wiesen vor allem die belgische CVP/PSC und die italienische DC den Charakter einer Mitgliederpartei auf.228 Die DC war in absoluten Zahlen die mitgliedstärkste Partei der Christdemokratie. Sie war fraglos eine besonders effizient organisierte Großpartei. Ihr war es gelungen, ihre lange Zeit führende Rolle in der Regierung, in Verbindung mit einer starken gesellschaftlichen Präsenz, in eine dichte Organisationsentwicklung umzusetzen.229 Die belgische CVP/PSC erreichte einen im Verhältnis dazu niedrigeren, aber dennoch relativ hohen Organisationsgrad von zehn Prozent. Damit waren die christdemokratischen Parteien in Belgien und Italien deutlich dichter organisiert als die deutsche CDU. Diese blieb in den fünfziger Jahren lediglich unter einem Mitgliederstand von 300.000.230 Erst im Laufe der 1960er und vor allem der 1970er Jahre stieg die Mitgliederzahl bei der CDU an, ohne jedoch je entfernt nur an die Organisationsdichte der DC oder auch der CVP/PSC heranzureichen.231 Tabelle 3: Wahlergebnisse und Mitgliedschaft christdemokratischer Parteien von 1945 bis 232 1960 Land
Partei
Mitglieder
Stimmenanteile
308 263
MitgliederWählerVerhältnis .02
Deutschland
CDU/CSU
Österreich
ÖVP
534 667
.28
45.06
Belgien
CVP/PSC
213 751
.10
43.80
Frankreich
MRP
Keine Angaben
Keine Angaben
19.00
Italien
DC
1 185 358
.15
41.55
Niederlande
KVP
385 500
.20
30.76
Irland
FG
Keine Angaben
Keine Angaben
27.24
Schweiz
SKV/KCSP
Keine Angaben
Keine Angaben
22.55
Luxemburg
CSV
Keine Angaben
Keine Angaben
46.37
43.93
Den organisatorischen Spitzenwert unter den christdemokratischen Parteien erzielte jedoch die ÖVP. Die Österreichische Volkspartei erreichte durch ihre aus einer berufsständischen Tradition kommende „bündische Struktur“ einen Organisationsgrad von knapp 30 Prozent.233 227 228 229 230 231 232 233
Smith 1989: 157-168 Pelinka 2001: 540 Masala 2001: S. 348ff Vgl. Lappenküper 2001: 387f Schönbohm 1985: 160ff Kersbergen 1995: 53, Schroen 2000: 397f., Coakley/Gallagher 1996: 105ff Müller W./Steininger 1994: 88-92
68
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Die Nachkriegszeit bildete für die Christdemokratie auch bezüglich ihrer Organisationsentwicklung eine Zäsur. Dies lag nicht nur im institutionellen Bruch der Parteineugründung, sondern in der organisatorischen Qualität der Parteien. Die Christdemokratie, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Dach- oder Honoratiorenparteien als politische Parteien wurde, schuf sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach breitere Parteiorganisationen. Diese besaßen vor allem folgende Neuerungen: 1. 2. 3.
Die Parteien übernahmen mit Ausnahme der ÖVP und der SKV die direkte Parteimitgliedschaft. Sie organisierten sich föderal und nicht zentralistisch. Mit der Zunahme der staatlichen Parteienfinanzierung wurde allmählich ein von den Vorfeldorganisationen unabhängiger und zunehmend professionalisierter Parteiapparat geschaffen.
Marktstrategisch wurden die christdemokratischen Parteien in ihrem Vertretungsanspruch zweifach herausgefordert:234
Erstens stellte sich die Frage, inwieweit sie traditionelle Weltanschauungsparteien blieben, die Wählerinnen und Wähler jenseits konfessionell definierter Grenzen nicht ansprechen konnten oder dies erst gar nicht versuchen wollten. Zweitens wurde die Christdemokratie mit der Herausforderung konfrontiert, inwieweit die christdemokratischen Parteien die ganze soziale Breite der Gesellschaft in ihrer Wählerstruktur ansprachen oder faktisch als Klassenpartei auf Teilsegmente beschränkt blieben.
Die Grundlage der Öffnungsstrategie war die Idee der Christdemokratie, Volkspartei zu sein. Dieses Verständnis sollte nicht mehr nur in einem schichtübergreifenden Sinne, sondern nun auch konfessionsübergreifend Wirklichkeit werden.235 Dies geschah vor allem nicht nur in gemischtkonfessionellen Ländern, sondern auch in Ländern, in denen die katholische Bevölkerung den dominierenden Teil einnahm. Ein Beispiel für diesen Prozess der Öffnung, der De-Konfessionalisierung, lieferte die belgische CVP/PSC. Der Eckstein des Gründungsprogramms, dem so genannten Weihnachtsprogramm, war das Bekenntnis zur belgischen Nation, die Menschenwürde, die Achtung vor der Familie, die legale Autorität und der Respekt vor menschlicher Arbeit. Insgesamt referierte das Weihnachtsprogramm zum Prinzip des Personalismus.236 CVP/PSC präsentierte sich nicht länger als religiöse konfessionelle Partei. Sie wünschte nicht länger, den Interessen der kirchlichen Hierarchie höchste Priorität zu geben. Sie öffnete sich auch denen mit anderen politischen Überzeugungen, die sich lediglich auf christliche Werte bezogen und nicht integraler Bestandteil der kirchlichen Subkultur waren. Allerdings blieb die starke Beziehung zur katholischen Kirche bestehen.237
234 235 236 237
Pelinka 2001: 542 Vgl. dazu Jansen 1996: 170f Lamberts 2001: 332 Lamberts 2001: 332
3.2 Das christdemokratische Politikverständnis
69
Der französische MRP verstand sich als politische Mitte zwischen den sozioökonomischen Polen des französischen Parteiensystems und stellte seinen sozialen Charakter als Volkspartei heraus. Damit wollte sich der MRP nicht nur von den „Klassenparteien“ der Linken, sondern auch von den traditionellen „bürgerlichen“ Rechtsparteien abheben.238 Die CDU dagegen hatte von Anfang an eine besondere Position unter den christdemokratischen Parteien. Sie wollte die parteipolitische Verklammerung des deutschen Katholizismus mit dem deutschen Protestantismus.239 Die Bandbereite eines Vertretungsanspruches beinhaltete naturgemäß die Tendenz zur programmatischen Aufweichung. Betonten christdemokratische Parteien zu sehr ihre Verankerung im katholischen Milieu, dann konnte sie die Grenzen eben dieses Milieus nicht überschreiten. Ignorierten aber christdemokratischen Parteien diese Milieus gänzlich, dann drohte ihnen, gegenüber anderen Parteien nicht mehr unterscheidbar und somit austauschbar zu sein240 sowie der Verlust ihrer Stammwähler. In eine andere Richtung verlief die Entwicklung bei den „C“-Parteien in der Schweiz und in den Niederlanden. Die niederländische KVP entstand als Partei des Protests gegen die protestantische Hegemonie, wie das ursprünglich auch für die Schweizer SKVP gegolten hatte.241 Die KVP war somit die Partei eines katholischen Großghettos in einer protestantisch dominierten Gesellschaft. Der SKVP und der KPV konnten daher in den 1950er und 1960er Jahren weder neue Wählerschichten erschließen, noch durften sie auf ihr stärkstes Mobilisierungs- und Identifikationsthema verzichten und blieben zunächst strikte Konfessionsparteien.242 Der Gründungsanspruch der Christdemokratie, Volkspartei zu sein, ließ sie gerade auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse pragmatisch reagieren. Sie stellte ihre Organisation strategisch auf die Veränderungsprozesse ein. Durch die Öffnung der Christdemokratie über ihre konfessionellen Grenzen hinaus entwickelten sich die Christdemokraten als Volkspartei im Mitte-Rechts-Raum, die versuchte, auch andere Wähler aufzunehmen. Auch ihre Werte ließen eine solche pragmatisch orientierte Öffnungsstrategie zu. 3.2 Das christdemokratische Politikverständnis In der Nachkriegszeit wurde die Christdemokratie nicht als abgeschlossene politische Doktrin weiterentwickelt, sondern blieb durch eine Neuinterpretation ihrer christlichen Werte geprägt. Trotz der verbindenden Elemente durch die gemeinsame Berufung auf christliche Werte waren die Tradition der Partei und ihr Leitbild stets in ihren jeweiligen nationalen und regionalen Ausprägungen gefärbt. So war zum Beispiel das Anliegen der Unterrichtsfreiheit, das in Frankreich von Anfang an einen zentralen Platz in der christdemokratischen Programmatik und in ihrer politischen Praxis besessen hatte, in Deutschland nur in der abgeschwächten Form als Elternrecht existent, ohne jedoch den Rang eines Grundrechts einzunehmen.243 Die Entstehungsgeschichte der Christdemokratie wurde im 19. Jahrhun238 239 240 241 242 243
Bethourt 2001: 314f Lappenküper: 387 Pelinka 2001: 543 Gees 2001: 425 Ebd: 426ff Hürten 1990: 414
70
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
dert durch den Abwehrkampf laizistischer Ideen von modernen Staatsvorstellungen vor allem im soziokulturellen Bereich geprägt.244 Diese blieben auch in den letzten fünfzig Jahren ein verbindendes Element ihrer Politik.245 Beispielhaft für ihre christliche Fundierung in diesem Bereich war ihre kritische Haltung zur Abtreibungsfrage,246 aber auch ihr Einsatz für den Gottesbezug in der Europäischen Verfassung.247 Im Vergleich dazu passte der oftmals beschriebene wirtschaftspolitische Pragmatismus der Christdemokratie nicht zur Einschätzung eines definierbaren, spezifischen christdemokratischen Politikkonzeptes. Wenn ein politisches Leitbild für die Politik einer Partei tatsächlich relevant ist, dann muss es sich in dem zentralen Politikfeld auswirken. Die maßgeblichen Parteienforscher über die europäische Christdemokratie sind sich einig, dass die politischen Leitlinien dieser Parteifamilie auf einem klaren und unterscheidbaren Wertefundament basierten.248 Dieses speiste sich in erster Linie aus der christlichen Gesellschafts- und Soziallehre.249 Anhand dieser aus den gemeinsamen Bezügen herausgebildeten Werte hatte sich ein christdemokratisches Leitbild entwickelt. Dies schuf Identität und band individuelle und kollektive Akteure in das gesellschaftliche und politische Umfeld ein, indem es inklusive und exklusive Komponenten enthielt.250 Ihre Identität als Parteienfamilie resultierte aus politischen Leitlinien, die gleichzeitig für und gegen bestimmtes politisches Handeln gerichtet waren.251 Diese politischen Überzeugungen, auch wenn sie aus dem soziokulturellen Bereich stammten, wirkten sich auch in anderen Politikbereichen aus.252 Die Christdemokratie besaß ihre geistigen Wurzeln in der Romantik, im Geist der 1848er-Revolutionen und schließlich in den Lehren des Kulturkampfes.253 Aus dieser geschichtlich gewachsenen Werteidentität resultierten auch die Leitlinien, auf die sich die christdemokratischen Programme stets bezogen haben: Solidarität, Subsidiarität, Pluralismus und Freiheit tauchten stets in christdemokratischen Programmen auf und wurden meist in der Vorstellung vom christlichen Menschenbild subsumiert.254 Dieses Menschenbild stellte nicht nur ein programmatisches Leitbild dar, sondern besaß auch konkrete Auswirkungen für die jeweiligen Politikansätze.255 Im Mittelpunkt des christlichen Menschenbildes stand und steht die Überzeugung von der Unantastbarkeit seiner Menschenwürde. Die Person jedes Menschen besitzt eine unumstößliche Würde und auch unveräußerliche Grundwerte. Die Achtung der Menschenwürde gebietet, die vielfältigen Dimensionen entfalteter personaler Existenz in den Blick zu nehmen, die aus der Bestimmung des Menschen zur Freiheit und Verantwortung und aus seinen materiellen und geistigen, individuellen und sozialen Bedürfnissen resultieren. In den 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254
Seiler 1980: 303-338 Rauscher 1997: 439-446 Minkenberg 2002: 221ff Interview Hermann Kues. Auch: Palmer 2002: 802ff Irving 1979a: 29f, Dierichx 1994: 18, Kersbergen 1994: 35, Conway 2003: 45, Hürten 1990: 412 Hanley 1994: 3 Vgl. zu diesen beiden prägenden und konstituierenden Komponenten für Parteifamilien: Mair 1998: 211ff Pasture 1999: 7 Vgl. Dierichx 199: 26. Kersbergen 1994: 31-50 Lukaszewski 1990: 37f Vgl. die länderübergreifende Programmanalyse von Weidenfeld 1978: 1-8. Für die exklusiven Komponenten dieser Wertekombination siehe: Dierickx 1994: 15-30. Für die politischen Ausprägungen dieses geschichtlich gewachsenen Wertefundaments vgl. das historische Kapitel von Kersbergen 1995: 205-228 255 Vgl. Huber/Ragin/Stephens 1993: 711-749. Auch: Kersbergen 1997: 113-140
3.2 Das christdemokratische Politikverständnis
71
persönlichen Freiheitsrechten, in den politischen und gesellschaftlichen Mitwirkungsrechten und in den sozialen Grundrechten äußert sich die konkrete Realisierung dieser Menschenwürde.256 Die Gemeinsamkeiten aller Menschen, ihre Gleichheit, begründen sich in der Personalität eines jeden einzelnen Menschen. Für den Christen gründet sich die Personalität in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Das christliche Menschenbild und sein Bekenntnis zur Personalität implizieren ein Gesellschaftsbild und die Grundsätze gesellschaftlicher Ordnung. Im Mittelpunkt dieser Ordnung steht der Grundsatz der Subsidiarität. Nach dieser Vorstellung ist jeder selbst bestimmt und frei, solange er seine Freiheit nicht auf Kosten der Würde Dritter sucht.257 Auf diese Weise entwickelt sich ein Verständnis von Gesellschaft als einem Geflecht von Beziehungen gleichberechtigter Achtung und Anerkennung zum wechselseitigen Vorteil. Eine wirtschaftspolitische Folge dieses Gesellschaftsbildes ist der Vorrang einer mittelständischen Ordnung im Wirtschaftsleben.258 Das personale Verantwortungsverständnis mündet in eine Politik, die Übernahme wechselseitiger Verantwortung fördert und einfordert. Deshalb baut eine christdemokratische Politik gerade auf persönliche Verantwortungsgemeinschaften.259 Die Wirkungsmacht dieser im politischen Leitbild zusammengefassten Werte zeigte sich nicht nur in ihrer Parteigeschichte, sondern auch in den Kausalüberlegungen des politischen Kernkonzepts der Christdemokratie – dem Personalismus. Bereits in der Zeit der konfessionellen Vorläuferparteien am Ende des 19. Jahrhunderts wirkte sich dies bei der Verbindung von sozialem und politischem Katholizismus aus. Im frühen Kampf um die staatlichen und gesellschaftlichen Interessen des katholischen Milieus adaptierten sie als Massenbewegung gleichzeitig die Anliegen der katholischen Arbeiterschaft. Diese waren im Gegensatz zu den sozialistischen Anliegen kompatibel mit den politischen Zielen des politischen Katholizismus. Denn die Notwendigkeit, um Massenanhang zu werben, ließ die konfessionellen Parteien sich auch für die moralische wie materielle Hebung der breiten Volksschichten einsetzen, als deren Repräsentanten sie auftraten. Jedoch entsprach das soziale Engagement nicht nur taktischen Winkelzügen, sondern resultierte auch aus ihrer christlichen Wertehaltung. Das Bewusstsein der Verpflichtung zu christlicher Caritas, die in der Aufbruchszeit des politischen Katholizismus organisatorisch oftmals von denselben Persönlichkeiten entwickelt wurde, die auch Partei und Presse voranbrachten, war genuin christlicher Natur, der sich keine Gruppe organisierter Christen entziehen konnte. Durch die christliche Armenfürsorge war die Sozialpolitik der Konfessionsparteien zwar nicht abschließend formuliert, aber eine soziale Ausrichtung ihres politischen Handelns wurde damit grundgelegt.260 Ihre gemeinsame Identität basierte auf den christlichen Werten, die häufig im direkten Gegensatz zu den politischen Zielen nicht nur der sozialistischen, sondern auch der liberalen Gegner standen. Diese Gegnerschaft drückte sich auch in ihrer Ablehnung der wirtschaftspolitischen Konzepte der Liberalen und Sozialisten aus.261 Da sowohl das kollektivistische als auch das rein individuell geprägte Staats- und Gesellschaftsverständnis abge256 257 258 259 260 261
Vgl. Herms 2001 Böhr 2003: 6 Ebd Ebd: 7 Hürten 1990: 409 Rutan 1997:1105
72
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
lehnt wurde, fanden Christdemokraten weder eine Begeisterung für die kollektive Staatswirtschaft noch für die liberale Markwirtschaft.262 Die Substanz der christlichen Parteien konnte jedoch nicht auf kirchliche Lobbygruppen reduziert werden, die in Zeiten der säkularisierten Gesellschaft zunehmend redundant für die politische Welt geworden waren. Sie verstanden sich in ihrer Geschichte stets als eine von der kirchlichen Hierarchie autonome politische und gesellschaftliche Strömung.263 Vielmehr resultierte allein aus ihrem Staatsverständnis nicht nur die Forderung nach Religionsfreiheit, sondern auch ihre Vorstellung über eine gerechte Gesellschaft als zentrale Staatsaufgabe. Ihr Eintreten für die Rechte der Kirche nahmen die frühen Christdemokraten auch darum so wichtig, weil sie glaubten, dass ein sich der christlichen Moral verpflichtet fühlender Mensch auch ein guter Staatsbürger sei, da die Einhaltung der Gesetze und das Eintreten für eine gerechte Gesellschaft letztlich nur durch eigene Einsicht sowie eigenen Willen und nicht durch staatlichen Zwang garantiert werden würden.264 Dieses Wertefundament war aber nicht nur durch die Erfolge der konfessionellen Parteien geprägt. Gleichzeitig war die Erfahrung der totalitären Herrschaften in Europa für die Christdemokratie bedeutend. Ihr christliches Fundament in der Frühphase der Christdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in erster Linie nicht als Produkt einer spezifischen historischen Entwicklung angesehen, sondern bot auch normativen Halt in wirtschaftlich schweren und politisch ungewissen Zeiten. Die ersten Gründungsaufrufe in Italien, Belgien, Österreich, den Niederlanden und Deutschland waren dann auch stark christlich-pathetisch formuliert. Christliche Werte waren somit seit der Gründung der integrale Bestandteil des politischen Leitbildes der christdemokratischen Parteien. Obwohl mit der Renaissance des Christentums in dieser Notzeit auch eine konfessionelle Revitalisierung einherging, wirkte sich diese im Politischen nicht aus. Vielmehr wurde nicht nur versucht, die konfessionellen Gräben in der Parteipolitik endgültig zu überwinden, sondern – und dies war gerade in den Ländern mit einer überwiegend katholischen Bevölkerung entscheidender – die Christdemokratie für liberalen Kräfte sowie für atheistische und agnostische Kreise zu öffnen. Dies war das substantiell Neue an der Christdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die theoretische Unterfütterung dieser Öffnungsstrategie war – wie bereits erwähnt – der Personalismus. Im Zentrum der christdemokratischen Tradition stand die personale Dimension in einer pluralen Gesellschaft.265 Diese bedeutete in Anlehnung an den französischen Philosophen Etienne Born die Verbindung des Personalismus mit dem Pluralismus als die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Essenz der politischen Philosophie der christdemokratischen Bewegung.266 In seinen politik- und gesellschaftsrelevanten Dokumenten hat sich das Zweite Vatikanische Konzil mit dem christlichen Personalismus dem sozialethischen Argumentationsstil angeschlossen, der der vom Protestantismus geprägten Verantwortungsethik ähnelt. Dieser Argumentationsstil, der seit 1965 kirchenamtlich bestätigt wurde, etablierte sich als politische Idee schon gut dreißig Jahre früher im christdemokratischen Spektrum. In den 1930er Jahren führten der französische Philosoph Jacques Maritain und der 262 263 264 265 266
Meny 1990: 68 Kalyvas 1998: 293-312 Becker 1990: 20 Dumoulin 1997: 370 Fogarty 1959: 27, Irving1979a: 30, Dierichx 1994: 22. Auch: Rutan 1997: 1106, Uertz 2002: 53, Tetteroo 2000: 38
3.2 Das christdemokratische Politikverständnis
73
italienische Priester Luigi Sturzo den christlichen Personalismus in die christliche Sozialethik und die Programmatik der christlichen Parteien ein.267 So wurde der politische Katholizismus für liberale Ideen geöffnet.268 Diese Öffnung war der zentrale gedankliche Schritt zur Überwindung der konfessionellen Parteien hin zur modernen Christdemokratie nach 1945. Sie überwand nicht nur ihre ehemaligen Feindbilder, sondern öffnete sich für bürgerliche Strömungen, die ihr einst fern standen. Nur so konnte sie zur Sammlungspartei werden. Diese Veränderungen sind aber nach 1945 nicht schlagartig passiert. Wie die Beispiele aus Deutschland, Österreich und Italien zeigen,269 beruhte diese Veränderungen eher auf einem sich entwickelten Prozess als auf einer klaren Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg.270 So setzte sich dieser neue Ansatz erst allmählich bis Mitte der 1950er Jahre durch. Der Personalismus stand weniger für eine klar umrissene philosophische Position als für die Gesamtheit praktischer, moralischer und politischer Einstellungen, die der Person und vor allem der Würde eines jeden Menschen den Vorrang gegenüber der Natur, dem Staat und vor allem auch jedweder ideologischen Konstruktion einräumten. Das neue Moment lag in der Annahme einer profan christlichen und nicht sakral christlichen Auffassung der öffentlichen Angelegenheiten. Damit wurde die Auffassung, die in Deutschland häufig unter dem Begriff „christliches Menschenbild“ bezeichnet wurde, auch für Atheisten und Agnostiker geöffnet. Der Terminus „personalistisch“ gewann seine volle Bedeutung nur in Bezug auf die thomasische Unterscheidung zwischen „Individuum“ und „Person“. Gerade die Arbeiten Jacques Maritains zum Personalitätsprinzip waren für die theoretische Fundierung der Christdemokratie überaus bedeutsam. Beinahe die gesamte katholische Führungsschicht der Nachkriegszeit wurde mehr oder weniger nachhaltig durch die Lektüre Maritains beeinflusst. Die ideale politische Gemeinschaft zeichnete sich nach Jacques Maritain durch vier Merkmale aus:
267 268 269 270
Erstens sollte sie einmal „personalistisch“ ausgerichtet sein. Das hieß, die Gesellschaft als Gesamtmenge von Personen zu begreifen, denen eine Würde eigen sei, die allem Gesellschaftlichen vorangehe. Zweitens war sie „gemeinschaftlich“, da sie zwar die Würde jedes Individuums achtete, aber zugleich ein Gemeinwohl anstrebte, das dem Wohl des einzelnen übergeordnet sein sollte. Drittens war sie „pluralistisch“, weil sie die Tatsache berücksichtigte, dass die Person sich innerhalb vielfältiger Gemeinschaften und Vereinigungen entwickeln musste, die dem Staate gegenüber frei und autonom sein mussten. Viertens war sie „christlich“. Sie sah in Gott das Prinzip der menschlichen Person und ließ sich vom Naturrecht leiten, welche – nach Maritains Auffassung – die Gemeinschaft erst zusammenhielte. Aber auch diejenigen, die weder an Gott, noch an das Evangelium glauben würden, könnten nach Ansicht des französischen Philosophen dennoch an der Verwirklichung einer solchen Gesellschaft mitwirken. Sie mussten nur
Belardinelli 1990: 259 Uertz 2002: 44 Vgl. die Überblicksdarstellungen: Haungs 1983, Pelinka 1983 Vgl. Beyme 2000: S. 29
74
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien die Würde der Person akzeptieren ebenso wie den davon abgeleiteten Gerechtigkeits-, Freiheits- und Solidaritätsverständnis.271
Im Vergleich zu Maritains Überlegungen war Don Luigi Sturzos Personalismus dagegen weniger philosophisch untermauert und orientierte sich strikt an der Katholischen Soziallehre. Sturzo war auch in der Vorkriegszeit kein Gegner des Liberalismus gewesen. Er schätzte aus religiösen und politischen Gründen die „formalen Freiheiten“ und den Rechtsstaat sehr hoch. Zudem berief er sich auf die Solidarität als dasjenige Prinzip, welches jeden ökonomischen Egoismus eben nicht durch den Klassenkampf, sondern durch eine geduldige und entschlossene Suche nach dem Gemeinwohl überwinden wollte und dabei die Rechte der Person respektierte.272 Der Personalismus als theoretische Grundlage der Christdemokratie ist folglich alles andere als eine bloße Synthese katholischer und evangelischer Sozialethik. Sie konnte sich gerade aufgrund der negativen Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, den gesellschaftlichen Zerwürfnissen der Demokratien in der Zwischenkriegszeit und den totalitären Regimen offeneren Grundhaltung als in den Zeiten der konfessionelleren Parteien durchsetzen, besaß aber unzweifelhaft katholische Wurzeln. Die politische Theorie der Christlichen Demokratie war mit der evangelischen Ethik vereinbar273, stützte sich besonders jedoch auf die katholische Sozial- und Gesellschaftslehre.274 Zugleich emanzipierte sie sich auch als politische Bewegung, indem sie sich strategisch und von kirchlichen Einflüssen autonom auf den politischen Markt ausrichtete.275 Die christlich-personalistischen Ideen schufen nicht nur eine ideengeschichtlich fundierte Werteidentität, die einen überkonfessionellen Öffnungsprozess ermöglichte, sondern bildeten auch die strategischen Grundlagen für die Erfolge der Christdemokratie nach 1945. Sie gestatteten politisch und parteisoziologisch die Integration der verschiedensten Richtungen, die sich in den christdemokratischen Parteien zusammenfanden. Die sozialethischen Prinzipien der Personalität, Subsidiarität, Solidarität und Gerechtigkeit ermöglichten es der Christdemokratie, in den Volksparteien soziale, liberale und konservative Kräfte zusammenzuführen.276 Diese werteorientierte Klammer bildete auch die Ausgangslage für einen weiteren Aspekt der Sammlungsbewegung. Die politische Bewegung der Christdemokratie war im Gegensatz zu den konfessionellen Vorläufern mehr auf Integration innergesellschaftlicher Kräfte ausgerichtet, denn auf gesellschaftliche Polarisierung. Dies lag zum einen an dem Zustand der erstarkten Mündigkeit der neuen Demokratien. Die demokratisch-parlamentarische Grundordnung war nach 1945 nicht mehr ein politisches Streitthema, sondern ein gesellschaftlicher Grundkonsens aller „systemkonformen“ Parteien. Nicht mehr ideologische Schlachten standen auf der Tagesordnung des politischen Alltags, wie dies unter anderem im Deutschland, Österreich und Italien der Zwischenkriegszeit noch stattgefunden hatte, sondern die Parteien suchten pragmatisch ihre Stellung auf dem politischen Markt auszubauen und neue Wählergruppen zu erschließen. Dies bedeutete eine strategische Neuausrichtung der Christdemokraten. Sie versuchten nicht mehr 271 272 273 274 275 276
Belardinelli 1990: 250 Ebd: 256 Zur Evangelischen Sozialethik und ihre Bedeutung für die Christdemokratie vgl. Honecker 1995: 33-34 Kersbergen 1994: 31-33 Uertz 2002: 56 Ebd
3.3 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft
75
der politische Arm eines Milieus zu sein, sondern als eine Catch-all-Party Stimmenmaximierend auf dem politischen Markt zu wirken. Dies traf zwar in unterschiedlichen Abstufungen zu, aber die Entwicklung, auch über das jeweilige konfessionelle Milieu zu wirken, war in jedem Land zu beobachten. Diese Werte wirkten sich auch auf die favorisierte Wirtschaftskonzeption aus. Folglich ist die Grundlage des christdemokratischen Denkens – das christliche Menschenbild – gegenüber seiner Vorstellungen einer gerechten und damit normativ positiven Wirtschaftswelt nicht wertfrei. Es lehnt in gleichem Maße einen kollektivistischen Staatssozialismus wie einen ungezügelten Kapitalismus ab. Denn das wirtschaftliche Handeln wird nicht rein selbstbezogen, sondern in erster Linie als ein Grundbedürfnis für die Entfaltung der Würde eines menschlichen Lebens angesehen.277 Daher wird die Wirtschaft nicht als reiner Selbstzweck, sondern als eine wesentliche Dimension zur Entfaltung der Person verstanden.278 Obwohl anti-kapitalistische Tendenzen in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine gewisse Popularität erfahren hatten, wurde relativ rasch die Soziale Marktwirtschaft als Leitbild der Christdemokraten herausgebildet. Nicht nur in der CDU hatten die dominikanischen Vorstellungen eines „christlichen Sozialismus“ als programmatischem Sozialismus bald ausgedient.279 Die meisten der christdemokratischen Parteien hatten – unabhängig von ihrer zentristischen Programmatik – die gemäßigten Rechtspositionen im Parteienspektrum besetzt.280 3.3 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft 3.3.1 Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft trat am Ende der 1940er Jahre bzw. am Beginn der 1950er Jahre seinen Siegeszug innerhalb der europäischen Christdemokratie an. Obwohl sie anfangs gerade auch seitens der österreichischen, belgischen und italienischen Christdemokraten umstritten war, wurde die Soziale Marktwirtschaft aufgrund ihres Erfolges in der Bundesrepublik sukzessive übernommen. Schließlich wurde die Soziale Marktwirtschaft zum Kernbestand des christdemokratischen Leitbildes gezählt.281 So übernahm die EVP dieses Konzept als ihre Wirtschaftsordnung.282 So hat sich im Laufe der letzten fünfzig Jahre die Soziale Marktwirtschaft als Leitlinie der christdemokratischen Wirtschaftspolitik durchgesetzt. Die Grundgedanken der wirtschaftspolitischen Konzeption, die als „Soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet wird, waren schon zu Beginn der 1930er Jahre entwickelt worden. Obwohl der deutsche Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard bei ihrer konzeptionellen Entwicklung keine Rolle spielte,283 lag sein Verdienst in der politischen Implementierung dieses wirtschaftspolitischen Konzepts. Erhard rezipierte erst nach 1945 in der Diskussion des 277 278 279 280 281 282 283
Durand 1995: 161 Kersbergene 1994: 44 Pelinka 2001: 544 Laver/Hunt 1992, Castles/Mair 1984: 73ff Conway 2003: 45 Jansen 1996: 151-163 Vgl. Görtemaker: 141-146, Koerfer 1999: 153f
76
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Münchner Arbeitskreises um Adolf Weber die Thesen der „Freiburger Schule“ um Walter Eucken, Leonhard Miksch und Franz Böhm. Sie vertraten den so genannten „Ordoliberalismus“, bei dem die Freiheit unternehmerischen Handelns auf eine staatlich garantierte Marktordnung bezogen sein sollte.284 Die Überzeugungen der Freiburger Schule wurden durch die wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit mit Inflation und Weltwirtschaftskrise ebenso, wie durch den Grundsatzstreit zwischen Kapitalismus und Sozialismus beeinflusst. Gerade Alfred MüllerArmack wurde durch das Versagen der wissenschaftlichen Wirtschaftspolitik geprägt, die für das Jahr 1929 fälschlicherweise den Kurszusammenbruch an der New Yorker Börse ausgeschlossen und eine weitere Hochkonjunktur prognostiziert hatte.285 Dieses Versagen der Wirtschaftswissenschaften löste ein Umdenken in der akademischen Welt aus. Die deutschen Nationalliberalen um Walter Eucken, Friedrich von Hayek und Wilhelm Röpke suchten nach einem dritten Weg. Sie hatten sich schon in den frühen dreißiger Jahren gegen einen ungezügelten Manchester-Liberalismus gewandt, da er in Monopolbildung, Subventionssicherung und Protektionismus ausarten würde.286 Das Neue dieses Ansatzes bestand vor allem darin, den vom (Alt-)Liberalismus geforderten, schwachen Staat aus seiner Nachtwächterrolle zu befreien und ihm eine zentrale Funktion bei der Sicherung einer wirklich freien Wirtschaft zu verleihen. Die wirtschaftliche Ordnung sollte nicht durch einen Systemwechsel hin zu mehr Kollektivismus verbessert werden, sondern durch eine Revitalisierung des Leistungs- und Wettbewerbsgedanken in der freien Marktwirtschaft. In anderen Worten sollte der Kapitalismus vor dem dominierenden Einfluss der Kapitalisten geschützt werden. Dafür sollte ein starker Staat den Ordnungsrahmen setzen. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft fußte auf drei wirtschaftlichen Prinzipien: Zum einen betonte sie im Gegensatz zur Planwirtschaft die wirtschaftliche Selbstbestimmung und (neben der politischen) auch die wirtschaftliche Freiheit des Menschen. Mit marktfähigen Preisen und einem fairen Wettbewerb sollte das Leistungsprinzip geweckt werden. Beides sollte weder staatlicherseits noch von Einzelpersonen oder Verbänden unterbunden werden. Damit wurde die unabhängige Monopolkontrolle als eine der tragenden Säulen dieser Wirtschaftsordnung angesehen.287 Die Neubegründung der marktwirtschaftlichen Konkurrenz wurde zum primären Ordnungskriterium der Ökonomie. Das Wettbewerbsprinzip sollte nicht allein die volkswirtschaftliche Produktionsleistung steigern, sondern auch in einer die politische Demokratie stützenden Weise ökonomisch Macht dezentralisierend wirken.288 Alfred Müller-Armack erweiterte die neoliberalen Prinzipien um einen sozialen Anspruch, indem er Marktwirtschaft mit sozialer Sicherung verband. Der Markt sollte als Garant für das Zusammenspiel der produktiven Kräfte zum gemeinsamen Erfolg im Mittelpunkt stehen.289 In gleicher Weise, wie die Bewahrung einer Wirtschaftsordnung eines starken Staates bedurft hätte, um die wirtschaftlichen Kräfte in einer fairen Ordnung zu halten, benötigte es eines starken Staates, um soziale Schieflagen auszugleichen. Der Staat sollte einen Rahmen schaffen, in dem die Menschen ihre Möglichkeiten entfalten könnten. 284 285 286 287 288 289
Müller G. 1982: 121 Müller-Armack 1971: 14-15 Görtemaker 1999: 153 Blank 1967: 42 Hockerts 1981: 249 Görtemaker 1999: 156
3.3 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft
77
Als Richtschnur sah Müller-Armack dabei die christlichen Werte und gesellschaftspolitisch den darauf basierenden Personalismus als Vorbild an.290 Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft wurde von ihren Vätern nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern vor allem gesellschaftspolitisch verstanden. Müller-Armack war schließlich nicht nur Nationalökonom, sondern verstand sich auch als christlich inspirierter Kultursoziologe. So umfasste Wirtschaftspolitik bei Müller-Armack mehr als ein rein ökonomisches Modell bzw. autonomes Subsystem der Politik. Für ihn war die Wirtschaft Teil der Gesellschaft und nur in diesem Zusammenhang zu verstehen. Vor allem in seiner Arbeit „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ suchte er nach einer neuen Verbindung zwischen diesen beiden Elementen und formte seine Überlegungen zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Für ihn bestand die Aufgabe der Sozialpolitik darin, die Gleichheit der Startbedingungen und eine Mindestsicherung für diejenigen, die ihre Existenz nicht aus eigener Kraft sichern könnten, zu gewährleisten. Später ergänzte er diese Überlegungen um die Forderung nach einer zweiten Phase der „Sozialen Marktwirtschaft“, in der eine sinnvolle Gestaltung der sozialen und natürlichen Umwelt im Vordergrund stehen sollte. Dabei war seine Vorstellung von einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht nur ökonomisch geprägt, sondern basierte auf einem breiten kultur- und religionssoziologischen Fundament. Diese Sichtweise wurde vor allem in seiner Arbeit „Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit“ auch gesellschaftspolitisch begründet. So knüpften seine Überlegungen an die Katholische Soziallehre an, indem er die Verantwortung des Individuums gegenüber der Gesellschaft sowie die Verpflichtung auf das Gemeinwohl und das Subsidiaritätsprinzip betonte.291 Die Soziale Marktwirtschaft war aus drei Gründen für christdemokratische Parteien ein reizvolles Wirtschaftskonzept: 1. 2. 3.
Die Soziale Marktwirtschaft setzte eine klare Abgrenzung zu kollektivistischen Auffassungen der Sozialisten und Kommunisten. Dieser polarisierende Gegensatz half auch dem Katholizismus, skeptische bürgerliche Kräfte zu vereinen. Zudem besaß die Soziale Marktwirtschaft genügend integrative Kraft, um die unterschiedlichsten Strömungen innerhalb der Parteien zusammenzufassen. Zudem war sie innerparteilich mehrheitsfähig. Die Soziale Marktwirtschaft – die in Deutschland entstand – strahlte aufgrund ihres politischen Erfolges europaweit aus. Wirtschaftspolitischer Kompetenz konnte somit mit einem Bekenntnis zum politischen Leitbild verbunden werden.
3.3.2 Personalismus und Soziale Marktwirtschaft Diese strategischen Vorteile können aber nicht erklären, warum die Soziale Marktwirtschaft Kernbestandteil des christdemokratischen Politikverständnisses wurde. Die Soziale Marktwirtschaft bildete vielmehr den Mittelweg zwischen Kollektivismus und Kapitalismus, indem sie die Freiheit des Marktes mit einer staatlich aktiven Wirtschaftspolitik verband.
290 Müller-Armack 1948: 197 291 Schmid 2004: 330ff
78
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Dieser Mittelweg wurde jedoch nicht nur aufgrund pragmatischer Versöhnungsversuche angestrebt, sondern entsprach ihrem politischen Leitbild. Die grundlegende Idee der Sozialen Marktwirtschaft bestand somit darin, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“292 Damit wurde freilich nur eine globale Zielvorstellung formuliert. Die entscheidende Frage ging den Möglichkeiten der Realisierung einer solchen angestrebten Synthese nach.293 Sie bildete das wirtschaftliche Fundament der Sozialen Marktwirtschaft. Nach Auffassung von Ludwig Erhard konnte nur in dem Maße, wie das Prinzip der Freiheit auf dem Markte materiellen Wohlstand zu schaffen im Stande war, auch eine Politik des sozialen Ausgleichs erfolgswirksam betrieben werden. Die Forderung nach „Wohlstand für alle“ setzte nicht in erster Linie auf staatliche Umverteilung, sondern auf die individuelle aktive Partizipation im wirtschaftlichen Prozess. Dadurch sollte jeder möglichst eigenverantwortlich und selbst bestimmt für seine wirtschaftlich-soziale Existenz sorgen. Vollbeschäftigung wurde deshalb nicht nur als „soziale Leistung“ betrachtet, sondern in erster Linie als Grundlage einer Politik des sozialen Ausgleichs angesehen.294 Ausgehend von dieser Grundannahme ist das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft eine liberale Konzeption. Allerdings verwies nicht nur der staatliche Eingriff gegen Monopole auf die Bedeutung des Staates bei der Erhaltung der gewählten Wirtschaftsordnung. Nicht nur bei der Kartellvermeidung war eine aktive Rolle des Staates wünschenswert, sondern auch generell wurde die Vorstellung eines Nachtwächterstaats abgelehnt. So kam der Schaffung einer Wettbewerbsordnung durch allgemeine Rahmenbedingungen grundlegende Bedeutung zu. Im Gegensatz zu den meisten anderen liberalen Leitbildvorstellungen sah sie aber einen über diesen Bereich der Wirtschaftspolitik hinausgehenden Handlungsbedarf staatlicher Wirtschaftspolitik: Denn sie ging davon aus, dass wettbewerbliche Marktsteuerung allein dem Gesichtspunkt der Bedarfsgerechtigkeit und der sozialen Sicherheit sowie dem Schutz der Umwelt von sich aus nicht ausreichend Rechnung trug. Diese Ergänzungsbedürftigkeit wurde jedoch auch als ergänzungsfähig betrachtet. Hierbei waren vor allem zwei Grundsätze von elementarer Bedeutung: Das Subsidiaritätsprinzip und das der Marktkonformität. Auf Basis dieser Prinzipien folgte die Gestaltung der sozialen Sicherung im Sinne des Leitbildes der Sozialen Marktwirtschaft folgenden vier Kriterien: 1. 2. 3.
Das Individualprinzip hat Vorrang vor dem Sozialprinzip, d.h. eigenverantwortliche Vorsorge wird vor staatlichem Zwang bevorzugt. Staatliches Eingreifen wird nur akzeptiert, wenn die Eigenvorsorge an ihre Grenzen stößt. Das Versicherungsprinzip hat Vorrang vor dem Versorgungsprinzip, d.h. so viel Leistungsbezogenheit (Äquivalenzprinzip) wie möglich, so wenig steuerfinanzierte Umverteilung wie nötig. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sind Transferzahlungen als „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu gestalten, um die Begünstigten und die Lage zu versetzen und zu motivieren, sich (wieder möglichst weitgehend) eigenverantwortlich am Prozess der Leistungserstellung zu beteiligen.
292 Müller-Armack 1966:. 243 293 Zohlnhöfer W. 1997: 23 294 Ebd
3.4 Recht auf Eigentum 4.
79
Marktkonforme Regelungen haben Vorrang vor marktinkonformen, d.h. die Anreize sind so zu setzen, dass ein Missbrauch von Sozialtransfers nicht ermutigt, sondern möglichst wirksam entmutigt wird.295
Diese ideengeschichtlichen Überzeugungen der Christdemokratie waren aber auch in marktstrategische Überlegungen der Parteien eingebunden. Diese wirkten sich auf das innerparteiliche Leben aus. Hier bildeten gerade die bürgerlichen Mittelstandskreise eine dominierende Rolle, die vor allem auch von den bäuerlichen Gruppen gestützt wurden.296 Diese soziale Basis hatte zwei Auswirkungen. Zum einen öffnete sie strategisch den Wählermarkt auch für nicht christlich bzw. konfessionell gebundene Wählerschichten, zum anderen lockerte sie aber auch den konfessionellen Kitt, der die Identität der Parteien vor 1945 maßgeblich bestimmt hatte.297 Nicht zuletzt der Erfolg ihres Wirtschaftskonzepts beflügelte die christdemokratischen Parteien zur dominierenden politischen Kraft des Mitte-Rechts-Raumes im Parteienspektrum. Als Folge war die christdemokratische Wählerbasis nicht nur konfessionell, sondern zunehmend auch sozioökonomisch geprägt.298 Über die Interpretation und die genauere Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft wurde aber in christdemokratischen Parteien heftig gestritten. Dabei spielte vor allem die Frage nach dem Eigentumsbegriff im Spannungsfeld der Rechte des Eigentümers sowie seiner Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit eine wichtige Rolle. Zudem wurde die Verteilung und Streuung des Eigentums innerhalb der Gesellschaft thematisiert. Darüber hinaus spielte die Mitbestimmung, d.h. die Mitsprache der Arbeitnehmer in ihren Wirtschaftsunternehmen, eine große Rolle. Aufgrund ihrer Auffassung, dass das Wirtschaftsleben nicht nur Grundlage für die Lebenshaltungskosten, sondern auch für die persönliche Erfüllung sein sollte, stellte sich auch die Frage nach der persönlichen Beteiligung an der Ausgestaltung und den Entscheidungen des Unternehmens. 3.4 Recht auf Eigentum Im Gegensatz zu den Säkularkonservativen wurde das Eigentum von den Christdemokraten weniger absolut gesetzt.299 Privateigentum wurde als bedeutend für die Autonomie der eigenen Person sowie deren Freiheit angesehen und war damit Grundlage für die Selbstentfaltung. Jedoch gab es neben dem Eigentumsrecht auch dessen Pflichten im Hinblick auf Gesellschaft und Umwelt. Zudem sah das christliche Ideal eine harmonische Gesellschaft fern aller Klassengegensätze vor. Dies bedeutete für die konfessionellen Parteien wie auch ihren christdemokratischen Nachfolgern den Anspruch, ökonomische Gegensätze aufzuheben.
295 296 297 298
Zohlnhöfer W. 1997: 23 Conway 2003: 55 Ebd Gerade die katholische Gewerkschaftsbewegung entwickelte sich in den jeweiligen Ländern äußerst unterschiedlich. In Deutschland gab es zwar gerade in den fünfziger Jahren noch eine starke katholische Arbeiterbewegung, aber die christlichen Gewerkschaften gingen – zumindest ihre relevanten Teile – in der Einheitsgewerkschaften des DGBs auf. In dieser war dann auch die CDA vertreten. [vgl. Conway 2003: 55ff] 299 De Clerq 1990: 250
80
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Von allen Strömungen vertrat die Katholische Soziallehre den Gedanken einer breiten Streuung des Vermögens und einer Beteiligung der Arbeiter an den Unternehmen ein Jahrhundert hindurch am beharrlichsten.300 Diese Idealvorstellung einer ursprünglichen Harmonie von Kapital und Arbeit in der bäuerlichen Familie oder im Zunfthandwerk war eines der wichtigsten Leitbilder katholischer Sozialreform. Mit dem Fortschreiten der Industrialisierung, aber auch unter dem Einfluss liberaler Auffassungen des belgischen und französischen Sozialkatholizismus, vollzog sich allmählich eine Wandlung. Das Wachstum der Wirtschaft schien Verteilungsspielräume zu eröffnen. Es wurde möglich, gesellschaftliche Missstände durch Sozialpolitik zu bekämpfen.301 Das bewirkte die Hinwendung von der integralen Sozialreform zur partiellen Sozialpolitik.302 Damit gewann der Katholizismus Anschluss an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung und konnte sich praktischen Lösungsvorschlägen unterschiedlichster Herkunft öffnen. Insgesamt verlor die Eigentumsfrage im Zuge der Hinwendung zur praktischen Sozialpolitik an Bedeutung. Allerdings blieb der Gedanke der Eigentumsbildung im sich organisatorisch verfestigten Sozialkatholizismus lebendig. Eigentum erschien nicht mehr in erster Linie als Einkommensquelle, sondern als Mittel zur Entproletarisierung der Arbeiter, als Unterscheidungsmerkmal von Proletariern und Bürgern, als Ziel des persönlichen Sparfleißes. Weniger Antrieb als Ausdruck dieser Veränderung war die Enzyklika „Rerum Novarum“ von Leo XIII. im Jahr 1891, die zur Grundlage der Katholischen Soziallehre des 20. Jahrhunderts wurde. Sie rechtfertigte die Institution des Privateigentums und forderte zugleich eine gleichmäßige Verteilung des Vermögens.303 Diese Überlegungen bildeten die Grundsätze aller weiteren Papstenzykliken bis „Mater et Magistra“ (1961) und wurden nur im Detail weiter vertieft. Das Naturrecht forderte die Institution des persönlichen Eigentums. Dies beinhaltete nicht den Anspruch auf ein bestimmtes Vermögen, doch erklärte die Enzyklika es für wünschenswert, dass der Staat auf eine gleichmäßigere Verteilung des Besitzes hinwirken sollte. Im Unterschied zu späteren Enzykliken ließ „Rerum Novarum“ weitgehend offen, wie die Arbeiter zu Besitz gelangen sollten. Sie griff die Lehre vom gerechten Lohn auf, der hoch genug sein müsse, um die Familie des Arbeiters zu ernähren und es ihm zu ermöglichen, dass er einen Sparpfennig zurücklegen und zu einer kleinen Habe gelangen könne.304 Gerade im Bezug auf die Eigentumsfrage muss zwischen den zwei Schulen der jesuitischen und der dominikanischen Soziallehre unterschieden werden. Zum einen gab es die betont liberale, marktwirtschaftlich orientierte Schule der Jesuiten, die den so genannten Christlichen Solidarismus vertrat, und die kollektiv ausgerichtete Schule der Dominikaner, die das Gemeinwohl herausstellte. Die bedeutendere war stets die der Jesuiten. Sie prägte nicht nur nachhaltig die kirchenamtliche Soziallehre, wie etwa die Enzyklika „Quadragesimo Anno“ von 1931, sondern übte auch Einfluss auf die Programmatik der frühen christlichen Gewerkschafter, wie zum Beispiel beim Essener Programm Stegerwalds von 1920, und des Zentrums aus. Während die Jesuiten, basierend auf den Anschauungen Augustinus, die Sozi300 301 302 303 304
Gundelach 1983: 159f Dietrich 1996: 26ff Stegmann 1969: 325-560 Sircio 1993: 58 Dietrich 1996: 26-36
3.5 Mitbestimmung
81
alprinzipien nur als Regulative der Gesellschaftsordnung sahen und streng zwischen Ziel und Ordnung, Ethik und Politik trennten, dabei aber die liberal-individualistische Ordnung der Gesellschaft grundsätzlich akzeptierten, verfuhr die dominikanische Schule wesentlich anders. Streng an Thomas von Aquin orientiert, der die Ganzheit vor dem Individuellen betonte und Ziel und Ordnung, Ethik und Politik sehr eng zusammen sah, vermochte die Schule der Dominikaner aus den Sozialprinzipien, insbesondere dem Zentralbegriff der katholischen Sozialphilosophie, dem Gemeingut, einschneidende, betont soziale und sogar sozialistische Ordnungsideen abzuleiten.305 Das Eigentumsrecht bildete einen zentralen Baustein in der christdemokratischen Wirtschaftskonzeption. Seine Unverfügbarkeit sowie seine Verantwortung für das gemeinsame Ganze bildeten die Leitidee in der christdemokratischen Wirtschaftskonzeption. Allerdings gab dieser Spagat – wie bereits die jesuitischen und dominikanischen Überlegungen zeigen – genügend Interpretationsspielraum. Dies zeigte sich auch bei der Frage der Mitbestimmung. 3.5 Mitbestimmung Da die unterschiedlichen Interessen nicht allein materiell angesehen wurden, sondern die Wirtschaft auch zur eigenen Persönlichkeitsentfaltung beitrug, sollten die Klassengegensätze überwunden werden. Damit wurde betriebliche Mitbestimmung zum Leitmotiv der Christdemokratie.306 Dies basierte auf dem Gedanken, dass die Wirtschaft nicht das letzte Ziel der Welt sein könne, sondern in dieser einen integralen und nicht einen übergeordneten Bestandteil darstelle. Die Frage nach der Mitbestimmung stand aus der Sicht der katholischen Sozial- und Gesellschaftslehre im Kontext zweier großer Traditionen: Als Entwurf einer gesellschaftlichen Neuordnung war die berufständische Ordnung Kernstück der Enzyklika „Quadragesimo anno“ von 1931. Sie war das Ergebnis von Überlegungen zu einer gerechteren katholischen Wirtschaftsordnung. Sie stellte die katholischen Alternative zur negativ bewerteten liberalen Marktwirtschaft und dem Sozialismus dar. Bereits Leo XIII. ließ in „Rerum Novarum“ an der Verurteilung des Sozialismus keinen Zweifel. Aber ebenso wandte er sich gegen den liberalen Kapitalismus. Er kritisierte auch die Logik des „gierigen Wuchers“. Er denunzierte die ungezügelte „Habgier der Konkurrenz“ und er kritisierte die Tatsache, dass wenige übermäßige Reiche einer Masse vom Besitzlosen ein nahezu sklavisches Los auferlegt hätten. Er sah die Zukunft der sozialen Probleme nicht im Klassenkampf, sondern im gesellschaftlichen Kompromiss. „Quadragesimo anno“ knüpfte an diesen Gedanken an und entwickelte ihn weiter. So sollte die Entproletarisierung der Arbeiter durch Eigentum und wirtschaftliche Mitbestimmung die rechtliche Voraussetzung für die leichtere Akzeptanz der berufständischen Ordnung schaffen.307 Diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung richtete sich mit ihrem funktionalen Gliederungsprinzip auf eine größere solidarische Einheit der Gesellschaft aus.
305 Vgl. Uertz 198: 19, Doering-Manteuffel 1990: 89 306 Dierichx 1994: 26 307 Schasching 1991: 69-71
82
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Dazu gehörte nicht nur die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen, sondern auch einer gesellschaftlichen Leistungskraft. Verwurzelt in programmatischen Vorstellungen des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts war die Idee der berufständischen Ordnung in der Weimarer Republik weiterentwickelt worden. Sie nahm unter den christlich-sozialen Zielsetzungen einen herausgehobenen Rang ein, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung ihrer Elemente. Unter dem weiten Dach der Sozialreform gab es eine Fülle von Vorschlägen und Forderungen, die die Frage nach der Mitbestimmung betrafen. Die rechtliche Besserstellung der Arbeiter, die Stärkung ihrer Interessenvertretung im Unternehmen, die Ertrags- und Gewinnbeteiligung oder auch die Eigentumsbeteiligung griffen stets den ursprünglichen Gedanken auf, dass der Arbeiter als Person nicht Objekt, sondern Subjekt im Wirtschaftsbetrieb sein müsse.308 Im Rahmen der Mitbestimmungsdebatte wurde auf dem Essener Kongress der Zentralarbeitsgemeinschaft der christlichen Gewerkschaften von 1920 der Beginn einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit begrüßt. Als Ergänzung schlug Anton Stegerwald vor, die Arbeiter sollten in irgendeiner Form auch Teilhaber am Gewinn und Mitbesitz des Betriebes werden. Damit wurde im Rahmen der Mitbestimmungsdiskussion wiederum der Gedanke einer Mitbestimmung durch Mitbesitz verknüpft.309 Die Arbeit wurde als ein Akt der Selbstentfaltung und Selbstfindung des Menschen und Ausdruck der menschlichen Person – unauflöslich mit Freiheit und Selbstverantwortung verbunden – verstanden. Die Enzyklika „Octogesima adveniens“ aus dem Jahr 1971 bezeichnete deshalb den Anspruch auf Mitbestimmung als einen Ausdruck der menschlichen Würde und Freiheit. Die Forderung nach betrieblicher Mitbestimmung begründete sich für die Katholische Soziallehre aus dem Personalitätsprinzip. Industrielle Fertigung, Rationalisierung oder Spezialisierung gaben dem Menschen nur noch wenig Raum zur personalen Entfaltung und Selbstbestimmung. Der arbeitende Mensch drohte, in die Rolle eines mechanischen Apparates gleich einer seelenlosen Maschine abgedrängt zu werden. Es wurde befürchtet, dass der Mensch und seine Arbeit allein zur Ware und zur beliebig austauschbaren Funktion verengt werden würden. Dies stand im diametralen Gegensatz zum christlichen Menschenbild. Vor allem die sozialpolitische Aufgabe des wirtschaftlichen Handelns sollte durch die Teilhabe in den Vordergrund gerückt werden. Die wirtschaftspolitischen Mitbestimmung und die Mitverantwortung wurden so die Ansatzpunkte, um die entpersönlichenden Situationen und Bedingungen abzubauen.310 Die Generallinie der päpstlichen Enzykliken forderte den Aufbau einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung auf der Basis der gleichberechtigten Zusammenarbeit der Sozialpartner. Dies sollte nicht durch Abschaffung des Kapitals, sondern gerade mit Hilfe des Kapitals erfolgen. Daher warnte Papst Pius XII. vor der Überschätzung des Mitbestimmungsrechtes. Für entscheidender hielt er das Recht auf Eigentum. In diesem Zusammenhang wies er auf die Bedrohung der personalen Verantwortlichkeit des Eigentümers durch anonyme Kollektive hin. Vor allem wandte er sich vehement gegen zwei falsche Begründungen: Weder die Natur des Arbeitsvertrages, noch die Natur des Betriebs würden solche Rechte notwendigerweise nach sich ziehen. In späteren Äußerungen wiederholte er seine Auffassung, dass dies weder aus der Natur des Lohnvertrages, noch des Unternehmers 308 Oelinger 1980:162 309 Stegmann 1978: 175 310 Herr 1987: 122
3.6 Umwelt und Wirtschaft
83
abgeleitet werden könne.311 Pius XII. wertete in einem Sendschreiben 1952 die positiven Auswirkungen wirtschaftlicher Mitbestimmung auf. Er argumentierte sogar, dass diese, wenn nicht auf freiwilligen Regelungen von Unternehmen und Arbeiterschaft beruhend, auch vom Staat eingeführt werden könnte, in Betrieben, in denen sich das sich selbst überlassene Kapital offensichtlich gemeinschädlich auswirken würde. Wirtschaftliche Mitbestimmung wurde hier zwar nicht grundsätzlich, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen um des Gemeinwohl willens begrüßt.312 „Mater et Magistra“ widmete der Mitbestimmung einen außerordentlich breiten Raum. Was sich mit der Diskussion spätestens um „Mater et Magistra“ herausschälte, blieb auch in der Folgezeit die bestimmende Konstellation im katholischen Pluralismus: In der Mitbestimmungsfrage rückte die Unternehmensebene in den Vordergrund. Die überbetriebliche Mitbestimmung war kein Ziel mehr. Die innerkatholische Bilanz zur Mitbestimmung selbst belegte eine weite Spanne der Positionen und Argumente, die sich vor allem am Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen festmachte.313 Nicht nur die Distribution des Wirtschaftsertrages müsse der Gerechtigkeit entsprechen, sondern der gesamte Wirtschaftsvollzug. Das Unternehmen müsse zu einer echten menschlichen Gemeinschaft in kooperativer Zusammenarbeit werden. Der Arbeiter sei kein „bloßer Untertan“.314 In gleicher Weise wurden auch in Umweltfragen die wirtschaftlichen Belange keineswegs absolut gesetzt. 3.6 Umwelt und Wirtschaft Eine originär christdemokratische Umweltpolitik gab es nicht. Dies galt auch für die Lehren der Kirchen. Die Schöpfung wurde generell etwas abstrakt als Kern einer Unverfügbarkeit angesehen, die nicht einer Verdinglichung oder Einzelinteressen eines Wirtschaftszweiges wie auch einer Generation untergeordnet werden konnte. In der Natur hat die „Schaffenstat Gottes zu verdankende Wirklichkeit…. In Ihm hat alles Leben seinen Ursprung und letzten Grund. ... Schöpfung birgt einen Kern der Unverfügbarkeit; sie ist kein Produkt, das man im Notfall einfach einer Reparatur unterziehen kann.“315 Aus diesem Grund ließ sich ein verantwortlicher Umgang durchaus als christlicher Auftrag verstehen. Es war daher folgerichtig, dass Wertkonservative aus einem christlichen Umfeld zu den ersten Umweltbewegten gehörten. Auch geistliche Orden, wie zum Beispiel die Benediktiner, nahmen sich konsequent des Umweltschutzes, etwa durch ökologische Landwirtschaft, an. Als Gründe für die zunehmende Umweltverschmutzung wurden insbesondere weltanschauliche und moralische Ursachen genannt. Aus kirchlicher Sicht wurde vor allem aufgrund unzureichender Grundeinsichten die Umwelt zunehmend gefährdet. Folgende Gründe wurden dafür aufgeführt:
311 312 313 314 315
Stegmann 1969: 518 Jähnchen 1993: 345 Oelinger 1980: 204 Bellers 1990: 23 Rock 1990: 3ff
84
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
1.
Ein Naturverständnis, das den Menschen in falscher Weise in den Mittelpunkt stellen würde, betrachte die Natur bloß als Objekt. Zudem würden menschliche Fähigkeiten zur Erhaltung natürlichen Lebens überschätzt und der Eigenwert der Natur nicht wahrgenommen. Zudem gelte ein Verständnis von der Technik, die mit mechanistischen Vorstellungen in die Natur eingreife und die Nebenwirkungen nicht beachte. Zugleich gäbe es auch eine generelle Technikfeindlichkeit, die naturnahe technische Möglichkeiten verkennen und angepasste technische Lösungen behindern würde. Eine Fortschrittsgläubigkeit, die auf die Lösbarkeit eines jeden Problems vertraue, den Zielkonflikt zwischen technischem Fortschritt und bewahrender Naturnähe aber nicht wahrnehme und ökologische Schäden zugunsten ökonomischen Wirtschaftens und industriellen Wachstums bedenkenlos akzeptierten. Eine ethische Verunsicherung, aufgrund deren Ehrfurcht vor allem Lebenden, Demut, Rücksichtnahme und Problembewusstsein nicht mehr den ihnen gebührenden Rang einnähme.316
2.
3.
4.
Aus dem christlichen Werteverständnis ergab sich eine Verpflichtung zum Schutz der Schöpfung. Aus diesem Grund war der Schutz der Umwelt ein christdemokratischer Auftrag und das Thema Umweltpolitik lag für die Christdemokraten aufgrund ihrer Wertehaltung auf der Hand. Das christliche Menschenbild stellte schließlich die Wirtschaft in den Dienst des Menschen und seiner Belange – zu der schließlich auch der Umweltschutz gehörte – und nicht umgekehrt. So hielt das gemeinsame Positionspapier zwischen EKD und Bischofskonferenz fest: „Die gegenwärtige Umweltkrise hat vor allem mit Beginn der industriellen Revolution ihren Anfang genommen. Sie ist nicht eigentlich Folge des Christentums, sondern eines einseitigen wissenschaftlich-technischen Wirklichkeitsverständnisses und der damit verbundenen Verabsolutierung des Menschen.“317 „Trotz des anerkennenswerten Beitrages der Wirtschaft ist ein grundlegendes Nachdenken unausweichlich, das beim Verständnis unserer Wirtschaftsordnung ansetzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist aus grundsätzlichen Überlegungen die Notwendigkeit einer „Sozialen Marktwirtschaft“ erkannt worden. Dieses Konzept muss jetzt um die ökologische Komponente erweitert werden. Es geht dabei um eine Wirtschaftsordnung, in der freier Wettbewerb durch Anreize und Auflagen Impulse zugunsten ökologischer Ziele enthält und der ein ökologiepolitischer Rahmen gesetzt ist, der den Wirtschaftsprozess gegenüber der Umwelt in eindeutige Schranken verweist. Eine solche Wirtschaftsordnung setzt auf Einsicht, freiwillige Beschränkung und umweltbewusstes Verhalten der Unternehmen, schließt aber auch Auflagen und Sanktionen bei umweltschädigendem Verhalten nicht aus. … Der Gedanke einer ‚ökologisch verpflichteten sozialen Marktwirtschaft’ setzt also auf die Anpassungsfähigkeit des wirtschaftlichen Systems sowie auf die unternehmerische Einsicht und das Interesse, bei gegebenen Anreizen Aufgaben aufzugreifen, die der Natur und dem Gemeinwohl dienen. Diese Konzeption berücksichtigt auch den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.“318 „Abzulehnen sind hingegen Forderungen, die auf ein alternatives Wirtschaftssystem setzen, das 316 Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung: 14 317 Ebd: 31 318 Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung: 45f
3.7 Zusammenfassung
85
die Gefahr in sich trägt, die marktwirtschaftlichen Mechanismen gänzlich außer Kraft zu setzen und auf ausschließlich kleinteilige Wirtschaftsformen abheben oder auf eine bürokratische Lenkung der Wirtschaftsvorgänge im Interesse ökologischer Ziele. … Von einem solchen Weg, der letztlich den Zielkonflikten unserer Wirtschaft ausweicht und sich primär für einzelne ökologische Ziele entscheidet, sind ernste soziale und politische Folgen und nur mäßige ökologische Erfolge zu erwarten.“319 Der Umweltschutz sollte demnach in die bisherige Wirtschaftsordnung eingebunden werden und nicht über die Wirtschaftsordnung gesetzt werden. In gleichem Maße wie die Verabsolutierung des Wirtschaftens abgelehnt wurde, sollte auch die Natur nicht verabsolutiert werden. Trotz dieser grundsätzlichen Festlegungen blieb eine Wirtschaftspolitik auf christlichen Grundlagen eher vage und ungenau. Die Christdemokratie konnte hier nicht, wie zum Beispiel bei der katholischen Soziallehre, auf eine dezidiert ausgearbeitete christliche Lehre aufbauen bzw. sich mit dieser auseinandersetzen. Bis auf wenige grundsätzliche Punkte war bezüglich der Wirtschaftspolitik für die Christdemokratie ein weites Feld offen. 3.7 Zusammenfassung Das „christdemokratische“ politische Leitbild ist nicht beliebig, sondern basiert auf vier Prinzipien: dem gesellschaftlichen Ausgleich, dem gemeinschaftlichen Pluralismus sowie dem Personalitäts- und Subsidiaritätsprinzip. Die Gültigkeit dieses Leitbildes lässt sich nur belegen, wenn sich nachweisen lässt, dass diese Prinzipien sich beim strategischen Agieren der Partei auf dem politischen Markt, bei ihrem innerparteilichen Leben und bei ihren Programmaussagen zeigen. Gerade durch die Verzahnung der drei Handlungsbereiche einer Partei durch die Prinzipien des politischen Leitbildes wird letzteres erst bedeutend. Es gibt der Partei nicht nur eine politische Grundlinie, sondern schafft auch eine programmatische, politische und organisatorische Identität. So verstand sich die Christdemokratie sowohl in der Zeit vor wie auch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als schichtübergreifende Volkspartei. Die Mediation der unterschiedlichen sozioökonomischen Interessen wurde so zu ihrem Markenkern. Dies bedeutete, dass sie in einem nach sozioökonomischen Anliegen strukturierten politischen Markt die politische Mitte als ihren Platz beanspruchte. Zudem musste sie in ihrem innerparteilichen Leben diese sozioökonomischen divergierenden Interessen so ausgleichend organisieren, dass alle beteiligten Gruppen ihre zum Teil gegenläufigen Interessen einbringen konnten und ein allgemein akzeptierter Kompromiss gefunden werden konnte. Folglich kannten die christdemokratischen Programmaussagen keinen sozioökonomischen Radikalismus. Aufgrund des diffusen Willensbildungsprozesses hatte auch eine wirtschaftstheoretische Denkschule wenig Chance, in Gänze als Parteiprogrammatik implementiert zu werden. Vielmehr benötigte die Partei neben ein paar Grundlinien genug Handlungsoptionen, um eben eine kompromissfähige und damit in der Partei akzeptierte Politik auszuhandeln. Ein zentrales Charakteristikum eines christdemokratischen Leitbildes ist folglich die Mediation unterschiedlicher sozioökonomischer Interessen. 319 Ebd: 48
86
3 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
Eine weitere Leitlinie der Christdemokratie liegt im Subsidiaritätsprinzip begründet. Christdemokratische Parteien sind meist föderal aufgebaut, bzw. ihre Regionalvertreter besitzen eine starke Stellung im innerparteilichen Leben. Der beschriebene Aushandlungsprozess schließt ein Austarieren und die Integration diverser regionaler Interessen in das politische System mit ein. Das Subsidiaritätssystem geht aber weit über föderale oder regionale Strukturen hinaus. Es beschränkt den Einfluss der oberen Ebenen und stärkt die unteren. Dies gilt nicht nur für die innerparteiliche Willensbildung, sondern auch für die politischen Programmpositionen in der Wirtschaftspolitik. Kleine Ebenen dürfen von zentralen Entscheidungen nicht erdrückt, sondern müssen gefördert und gestärkt werden. Aus diesem Grund haben sich die Jesuiten wie auch die päpstlichen Sozialenzykliken stets zu einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen und zum Privateigentum bekannt. Weder dürfen kleinere Einheiten durch eine Planwirtschaft staatlicherseits gesteuert werden, noch durch unlautere Absprachen weniger Große ihrer Existenz beraubt werden. Auch haben christdemokratische Theoretiker darauf hin gewiesen, dass kleinere Einheiten nicht nur vorhanden, sondern auch im besten Sinne des Wortes überlebensfähig sein müssen. Folglich wollen Christdemokraten möglichst viele Gruppen in die Lage versetzen, selbstverantwortlich ihre Geschicke in die Hand zu nehmen und nicht auf staatliche Transferzahlungen angewiesen zu sein. Dafür benötigen sie aber auch finanzielle Unabhängigkeit. Eine Folge davon ist, dass sich christdemokratische Parteien für eine Vermögensbildung in Arbeiterhand ebenso eingesetzt haben wie prinzipiell für eine breite Einkommensstreuung. Das christdemokratische Leitbild betont zudem das Personalitätsprinzip. Das Verständnis der Freiheit der Person verbietet nicht nur eine Koalition auf dem politischen Markt mit radikal-kollektivistischen und totalitären Parteien, sondern gebietet auch den freien innerparteilichen Willensbildungsprozess. Dieser kann sowohl über frei gebildete Gruppen als auch individuell erfolgen. Was aber diesem Prinzip widersprechen würde, wäre eine rein zentralisierte elitäre Entscheidungsstruktur, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Basis ausschließen würde. Eine reine Medienpartei mit einer zentralisierten und nicht freien Entscheidungs- und Personalfindung, wie dies etwa bei Forza Italia in der Gründungsphase der Fall war, wäre sowohl mit dem Personalitätsprinzip als auch mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar. Auch in den Programmpositionen drücken sich die Vorstellung der Freiheit der Person und ihr kommunitaristischer Bezug aus. Da die Person sich nur in der Gemeinschaft entfalten könne, sei es nicht nur wichtig, dass die Menschen zu den unterschiedlichen Lebensbereichen Zugang erhalten, sondern dass sie diese auch mitgestalten können. Für den wirtschaftlichen Bereich gehört damit die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit fern jeder materiellen Notwendigkeiten ebenso dazu, wie auch die Möglichkeit der Arbeitnehmervertreter, an ihrem Arbeitsplatz ein Mitspracherecht zu erhalten. Ferner bekennt sich die Christdemokratie zum Pluralismus. Hierbei wird die Entfaltung unterschiedlicher Gruppen verstanden. Der Pluralismus im christdemokratischen Verständnis korrespondiert eng mit dem Subsidiaritäts- und Personalitätsprinzip. Für den politischen Markt und das innerparteiliche Leben bedeutet dies, dass christdemokratische Parteien zu unterschiedlichen Gruppen Kontakt pflegen, ihre Anliegen ernst nehmen und innerparteilich schließlich auch in ihren Willensbildungsprozess einbinden. Zudem wird eine christdemokratische Partei diese Linkages im politischen Markt durch innerparteiliche Vereinigungen fortsetzen. Diese können nicht nur sozioökonomische Gruppen sein, sondern auch aufgrund generationsspezifischer, soziokultureller oder auch ethnischer Anliegen bestehen. Ihre Freiheit sowie ihre Einbindung in den innerparteilichen Willensbildungspro-
3.7 Zusammenfassung
87
zess sowie ihre proportionale Berücksichtung bei der Personalauswahl sind dabei wichtige Kriterien. Die Hochachtung unterschiedlicher pluraler Gruppen zeigt sich auch in den Politikpositionen. So setzen sich die Christdemokraten gegen Monopolbildung und für einen festen marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen ein. Auch haben christdemokratische Parteien die Tarifautonomie unterstützt, da dort schichtspezifische Gruppen gegenseitig ihre zum Teil entgegen gesetzten Interessen aushandeln. Tabelle 4: Charakteristiken und Auswirkungen des christdemokratischen Leitbildes Politischer Markt
Innerparteiliches Leben
Programmposition in der Wirtschaftspolitik Keine wirtschaftspolitischen Extrempositionen; keine einheitliche Denkschule
Mediation
Strategische Mittelstellung im Parteiensystem; Koalitionsoptionen mit einer gemäßigten Arbeiterbewegung sowie bürgerlichen und agrarischen Parteien
Aushandlungsprozess über unterschiedliche sozioökonomische Interessengruppen
Subsidiarität
Starke Vertretung regionaler Anliegen und Ausgleich zwischen Peripherie und Zentrum eines Landes
Föderaler Aufbau; keine zentristische Parteiführung; regionale autonome Entscheidungsfindung
Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zum Privateigentum sowie Forderung nach einer breiten Vermögensstreuung
Personalität
Keine Bündnisse mit radikalkollektivistischen und totalitären Parteien möglich
freie Willensbildung, kein zentralistisch – kollektiver Wilensbildungsprozess
Mitbestimmung, Schutz der Umwelt, Forderung nach gerechten Löhnen, Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit
Pluralismus
Starke Linkages zu Vorfeldorganisationen
Existenz eines Vereinigungswesen, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen werden in die Parteiarbeit eingebunden
marktwirtschaftlicher Ordnungsrahmen und Monopolkontrolle, Bekenntnis zur Tarifpartnerschaft
4 Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“
4.1 Einleitung Die CDU stellte eine organisatorische Neuerung im deutschen Parteiensystem dar. Der Zusammenschluss zwischen den beiden konfessionellen Strömungen, aber auch das Zusammenwirken liberaler und (säkular-)konservativer Kräfte, bildete eine neue Partei. Diese Parteineugründung fand aber nicht im luftleeren Raum statt. Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft markierten auf den ersten Blick eine schärfere Zäsur als das Kriegsende von 1918 und der ihn begleitende Übergang von der Monarchie zur Republik. Die physische Zerstörungen von Menschen und Dingen und die massenhafte Verschiebung von Bevölkerungen riefen nach 1945 ein Gefühl des ganz elementaren Ordnungsverlustes hervor, von dem auch die sozialen Strukturen nicht verschont blieben.320 Der Eindruck des Zusammenbruchs und der sozialen Desorganisation schob sich einseitig in den Vordergrund und verdeckte, wie stark dahinter auch alte Strukturen erhalten geblieben waren und Kontinuitäten wieder wirksam werden konnten.321 Der Heidelberger Politikwissenschaftler KLAUS VON BEYME betonte gerade die für die Entstehung des deutschen Parteiensystems in den vierziger Jahren relevanten gesellschaftlichen Kontinuitäten der Weimarer Republik.322 Die Traditionsstränge und Identitäten spielten bei den Gründungszirkeln der CDU eine große Rolle. Ihr politisches Leitbild erhielten sie aus der Milieubildung, die aufgrund der Erfahrungen des Dritten Reiches, wie beim katholischen Milieu, durchaus eher gefestigt als erodiert war. Ein wesentlicher Impuls für die europäische Christdemokratie – das katholische Milieu – wurde somit auch zur tragenden Säule der CDU in der unmittelbaren Nachkriegszeit.323 Flankiert – wenn auch mit anfänglich nicht ganz so großem Erfolg – wurde diese katholische Säule von konservativprotestantischen Kräften. Sie verstärkten in der deutschen Christdemokratie – im Vergleich zur italienischen, belgischen oder auch österreichischen Schwesterpartei – ihr Ausbrechen aus der katholischen Gesellschaftssäule, um andere Segmente im Wählermarkt anzusprechen. Dieser Aufbruch vollzog sich zwar in allen christdemokratischen Parteien Europas und bildete so auch im Vergleich zur Zwischenkriegszeit eine neue programmatische Qualität, aber der CDU war die Überkonfessionalität aufgrund einer bikonfessionellen Gesellschaft gleich zu Beginn zugrunde gelegt und entwickelte sich nicht erst im Verlauf der wachsenden Säkularisierung der Gesellschaft. Die Union wurde daher auch nicht als Sonderweg innerhalb des europäischen Kontextes verstanden, sondern glich gerade in diese 320 321 322 323
Nolte 2000: 208 Kleßmann 1991: 63 Beyme 1997a: 362 Kühnhard 2004: 19
90
4 Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“
Öffnungsstrategie vielen Schwesterparteien.324 Eine Folge dieser Öffnungsstrategie gerade gegenüber bürgerlich-protestantischen Wählergruppen lag aber in der Dominanz der bürgerlichen Kräfte vis-a-vis des Arbeiterflügels. Aus diesem Grund waren auch die marktwirtschaftlichen Kräfte in der CDU stärker ausgeprägt als in anderen christdemokratischen Parteien. 4.2 Das politische Leitbild der CDU Die CDU findet ihren Ursprung in konfessionellen Milieus. Das Christliche und insbesondere das Katholische bildeten eine feste Identität, die auch in vielen CDU-Gründungszirkeln maßgeblich wurde.325 Insbesondere die deutsche Zentrumspartei bot in der theoretischen und praktischen Ausformung ihres Verhältnisses zu Staat und Gesellschaft konsens- und mehrheitsfähige Alternativen zu liberalen, sozialdemokratischen und konservativen Verhaltensmustern und Zukunftsperspektiven an. Ihre aus der deutschen Konfessionskarte und der staatlichen Entwicklung erklärliche konfessionelle Abschließung und ihr unrühmliches Ende unter den Konstellationen der Strukturkrise von Weimar lassen allzu leicht die inneren Verbindungslinien übersehen, die zur CDU/CSU hinüberreichten.326 An diese Verbindungslinien ist gerade nach den Erfahrungen mit der NS-Herrschaft neu angeknüpft worden.327 Die Geschichte der deutschen Christdemokratie fand mit der Machtergreifung der Nationalsozialsten im Jahr 1933 nicht ihr Ende. Vielmehr nahm sie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ihren zweiten Anlauf. Gerade die Erfahrungen aus dem Zusammenbruch der Weimarer Republik und die Schrecken des nationalsozialistischen Terrorregimes prägten die Gründungsaufrufe der Christlichen Demokraten. Hitlers Erfolg war nicht zuletzt auf die Schwächen und Fehler seiner demokratischen Gegner zurückzuführen: Darin waren sich die ehemaligen Weimarer Politiker einig. Die Bürgerlichen unter ihnen sahen zumeist in der Zersplitterung des Parteiwesens eine wesentliche Ursache für das Scheitern der ersten deutschen Republik. Aus dieser Erkenntnis heraus sannen sie auf eine Konzentration der politischen Kräfte.328 Eine überkonfessionelle Partei schien deshalb die folgerichtige Konsequenz zu sein. Das Erbe des Widerstandes gegenüber dem Nationalsozialismus hatte diese einigende Tendenz verstärkt. Dabei verdeutlichte die Organisationsgeschichte der CDU ihre Herkunft aus unterschiedlichen ideologischen und regionalen Parteitraditionen. Im Begriff Union kam das Ziel einer Sammlungsbewegung zum Ausdruck.329 Ohne Zweifel war der Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Union. LEO SCHERING sprach in diesem Zusammenhang vom „Katakombengeist“ in den Widerstandskreisen und Gefängnissen, der die traditionellen sozialen, politischen, konfessionellen und landsmannschaftlichen Gegensätze auslöschte und dem Gedanken einer christlich-demokratischen Volkspartei, wie er schon während der Weimarer Republik diskutiert worden war, unwiderstehliche Kraft verlieh. Nahezu die Hälfte der 35 324 325 326 327 328 329
Lappenküper 2001: 385ff Becker 1981: 8ff Ebd: 10 Ebd: 10 Winkler 2002: 122 Kleßmann 1991: 143
4.2 Das politische Leitbild der CDU
91
Unterzeichner des Berliner Gründungsaufrufs der CDU waren ehemalige Inhaftierte des NS-Regimes gewesen.330 Die Bedeutung des evangelischen Kirchenkampfs für die Zeit nach 1945 liegt nicht zuletzt darin, dass durch die gemachten Erfahrungen klar wurde, dass die Selbständigkeit der Kirche nur in einem Rechtsstaat gewährleistet, dass die Freiheit nur in einer gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher weltanschaulicher Positionen gesichert, und dass das Christentum jenseits der konfessionellen Unterschiede durch anti-christliche Ideologien bedroht sei. Die Konsequenzen, die sich aus diesen Erfahrungen ergaben, lagen auf der Hand. Um die Freiheit der Kirche zu gewährleisten, musste sie viel stärker als bisher selbst mithelfen, die Freiheit im staatlichen Bereich zu institutionalisieren, im gesellschaftlichen Bereich abzusichern und durch tatkräftiges Engagement zu bewahren.331 Der Geist des Widerstandes war es, der die neue Partei als antinationalsozialistisch konstituierte, der antrieb, christliche Grundsätze zum Fundament einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung zu nehmen, der die Überbrückung konfessioneller und sozialer Trennschranken forderte und der eine neue Parteizersplitterung verhinderte. In Widerstand und Verfolgung unter dem NS-Regime liegen die Grundlagen der neuen Partei, auf denen nach 1945 aufgebaut werden konnte. Die konkrete politische, programmatische und organisatorische Ausgestaltung wurde bestimmt von den Umständen und Notwendigkeiten angesichts der Katastrophe, des Chaos und des Zusammenbruchs.332 Robert Tillmanns hat zurückblickend daher neben der Bedeutung der Tradition von vor 1933 und der Erfahrung der nationalsozialistischen Herrschaft den Neubeginn als entscheidend für die Union dargestellt: „Sie verdankt ihren Ursprung echter politischer Neubesinnung, geboren im Schmelztiegel der Katastrophe von 1945. Das […] unterscheidet sie wesentlich von allen anderen heutigen politischen Parteien.“333 Anknüpfend an die Zusammenarbeit katholischer und evangelischer Christen während der Zeit, der „inneren Opposition“ und des „Kirchenkampfes“, fanden schon in den ersten Nachkriegsmonaten, teilweise noch während der letzten Kriegswochen, verschiedene interkonfessionelle Parteigründungen in allen Teilen Deutschlands statt. Männer und Frauen aus evangelischen und katholischen kirchlichen Kreisen kamen zusammen, um den Neuanfang Deutschlands – gerade im politischen Bereich – von vornherein christlich zu prägen.334 Obwohl die Gründungen der Unionsparteien in den verschiedenen Ländern und Besatzungszonen ohne gegenseitige enge Führungsnahme einsetzten, zeigte sich früh ein weitgehend übereinstimmendes weltanschauliches Fundament: Allein die christlichen Werte und die naturrechtlichen Normen wurden von den Gründern als geeignete Basis für den Neuanfang angesehen. Das erste Reichstreffen der Parteigruppen, das vom 14.-16. Dezember 1945 in Bad Godesberg stattfand, verwies auf diesen gemeinsamen ethischen und religiösen Nenner. Das deutsche Volk könnte nur durch eine Wiederbesinnung auf die christlichabendländischen Werte gerettet werden und der christliche Glaube mit seinen Prinzipien und Werten sollte die künftige demokratische Sozialordnung bestimmen.335 330 331 332 333 334 335
Kleinmann 1993: 21 Gotto 1981: 62 Ebd: 67 Vgl. Protokoll des Zweiten Parteitag der CDU in Karlsruhe 18.-21. Oktober 1951. Gauly 1990: 150 Kaack 1971: 170
92
4 Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“
Die Programme der CDU trugen eindeutige Züge der katholischen Staats- und Soziallehre, da von Anfang an am Entwurf dieser interkonfessionellen Partei Politiker der katholisch-sozialen Tradition, ehemalige Zentrumsabgeordnete sowie Kleriker und Bischöfe mitwirkten, die größtenteils bereits in der Weimarer Republik zusammengearbeitet hatten. In der gesamten Parteiprogrammatik der Union schlug sich diese Prägung nieder.336 Aufgrund dieser programmatischen Nähe und der zahlreichen personellen Verflechtungen, schließlich auch infolge des großen Einflusses von engagierten Christen auf die Parteigründungen, war es kein Zufall, dass sich sehr früh auch hohe Würdenträger der Kirche öffentlich für die Unionsparteien stark machten. Von einer Äquidistanz der katholischen Kirche zu den einzelnen politischen Strömungen konnte in dieser Zeit keine Rede sein. Denn die Kirche bezog nach anfänglicher Skepsis klar Stellung für die CDU.337 So trat der Kölner Kardinal Joseph Frings bewusst in die CDU ein, um ein Zeichen gegen die Wiedergründung der konfessionellen Zentrumspartei zu setzen. Tatsächlich war die CDU zunächst eine Partei, die überwiegend im katholischen sozialen, politischen und kulturellen Milieu verankert war. In einigen Regionen war dieses Milieu bis Ende der 1950er Jahre weitgehend Ersatz für die Parteiorganisation. Die Institutionen dieses Milieus, Klerus, Kirchenzeitungen, Vereine und Verbände, fungierten als Vermittlungsagenturen für christlichdemokratische Regierungspolitik. Unter diesem Gesichtspunkt war die CDU eine Volkspartei: eine katholische.338 Einer der ersten und zugleich prominentesten Befürworter aus den Reihen des Episkopats zur Gründung der überkonfessionellen CDU war der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen.339 Das christliche Element war nicht nur eine Markenidentität der CDU und festes gesellschaftliches Linkage, sondern bildete das politische Leitbild. Die Gründungsappelle, die für heutige Parteiprogramme etwas fremd klingen, waren nachhaltig christlich geprägt. So heißt es im Berliner Gründungsaufruf aus dem Jahr 1945: „… Aus dem Chaos von Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteuers gestürzt hat, kann eine Ordnung in demokratischer Freiheit nur entstehen, wenn wir uns auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen und diese Kraftquelle unserem Volke immer mehr erschließen.“340 Auch der Kölner Gründungsaufruf berief sich auf das christliche Werteverständnis: „Unser fester Wille aber ist es, eine soziale Ordnung aufzurichten, die der demokratischen Überlieferung der deutschen Vergangenheit ebenso entspricht wie der Weite und dem Geis336 Zur ethischen Motivation der CDU-Gründer vgl. Pütz 1975: 12ff, Becker 1987: 23-38, Lappenküper 2001: 386ff 337 Doering-Manteufel 1981: 205ff 338 Grebing 1981: 135 339 Gauly 1990: 151 340 Berliner Gründungsaufruf, zitiert in Hintze 1995: 3. Weiter heißt es in diesem Text: „… Unsagbar schwer ist unsere Aufgabe. Nach 1918 rettete die politischen Führung Organe des staatlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens aus dem militärischen Zusammenbruch. Unzerstörte Städte und Dörfer, Fabriken, Werkstätten, Felder und Wälder blieben als Grundlage für einen allmählichen Aufstieg des Volkes erhalten. Heute aber stehen wir vor einer furchtbaren Erbschaft, vor einem Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte. Dieses Mal trieb ein gewissensloser Diktator mit seinem Anhang einen frivolen entfesselten Krieg bis zum letzten Ausbluten unseres Volkes. … Kämpfer echter demokratischer Gesinnung, evangelischer und katholischer Christen, zahllose jüdische Mitbürger, Männer und Frauen aus allen Schichten des Volkes litten und starben unter diesem Terror. Im Geist ihres Vermächtnisses, geeint durch die gleiche Liebe zu unserem Volke, erkennen wir unsere Pflichten, mit diesem Volke den Weg der Sühne, den Weg der Wiedergeburt zu gehen.“
4.2 Das politische Leitbild der CDU
93
te des Naturrechts. Im Glauben an den lebendigen Gott beugen wir uns vor seinen Geboten, den wahren und einzigen Stützen sozialer Ordnung und Gesellschaft. … Zu Beginn des schweren Werkes gedenken wir den Toten auf den Schlachtfeldern des Krieges und unter den Ruinen unserer Städte und Dörfer. In Ehrfurcht neigen wir uns vor den Blutzeugen des christlichen Glaubens und der bürgerlichen Freiheit, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Im Geiste dieser Toten sind wir fest entschlossen, dem deutschen Volke im Rahmen des Reiches mit all unseren Kräften zu dienen.“341 Über alle programmatischen Grundsätze und Forderungen hinaus war es dieser Kern der christlichen Botschaft von der „Erneuerung des Lebens durch die Liebe Christi“, der die Attraktivität der Unionsparteien in den ersten Nachkriegsjahren begründete. Keine der anderen Parteien, die wieder entstanden sind, hatte so wie die Union den Gedanken der geistigen und sittlichen Erneuerung herausgestellt, ist in gleicher Weise mit dem Anspruch angetreten, „etwas Neues“ zu sein und „von Grund auf“ Neues zu schaffen.342 Es ging den Unionsgründungen um mehr als einen neuen Staat oder eine neue Gesellschafts- und Lebensordnung. Sie wollten einen geistigen Neubeginn hin zu christlichen Werten. Bis zum Ende der Wiederaufbauepoche lebte der Erfolg der Union aus der Kraft ihrer christlichen Grundlegung. Noch 1962, auf dem 11. Bundesparteitag in Dortmund, sprach Konrad Adenauer vom Christentum als dem „Lebensinhalt“ der CDU.343 Der erste Bundeskanzler war der Auffassung, „dass nur eine neue Partei, wurzelnd in dem weiten christlichen Boden, auf festen ethischen Grundsätzen und gestützt auf alle Schichten des deutschen Volkes, in der Lage sein würde, Deutschland aus seiner Not wieder aufzurichten. … Der aus christlichem Ideengut erwachsene Grundsatz, das die Würde der Person, die Freiheit und die sich daraus ergebenden Folgerungen über allem stehen müssen, konnte allein uns helfen, ein neues politisches Ziel dem deutschen Volk zu weisen, ein neues politisches Leben in ihm zu erwecken.“344 Ohne den politischen Katholizismus wäre der Erfolg der CDU nicht vorstellbar gewesen. Er bildete den maßgeblichen Ausgangspunkt der Unionsgründung und er blieb auch das Fundament, auf dem die Wahlsiege der beiden folgenden Jahrzehnte fußten. Dies galt nicht nur ideell, sondern auch aufgrund der organisatorischen Infrastruktur.345 Ein weiterer Kern des politischen Leitbildes sollte gerade für die protestantischen Teile mobilisierend wirken. Erst der Antitotalitarismus, der bald ein entschiedener Antikommunismus wurde, wurde für den überkonfessionellen Zusammenschluss elementar wichtig. Dieser Antitotalitarismus speiste sich jedoch zunächst aus den Erfahrungen der NS341 342 343 344 345
Kölner Leitsätze in Hintze 1995: 10 Vgl. CDU 1947: 15ff Kleinmann 1993: 17 Adenauer 1965: 51 Bösch 2001: 22. Frank Bösch spitzt die These noch verstärkt zu, indem er feststellt: „Der rasche CDUErfolg wäre undenkbar gewesen, wenn die Union nicht die komplette Infrastruktur der alten Zentrumspartei hätte übernehmen können. Wollte man Arnulf Barings berühmten Anfangssatz „Im Anfang war Adenauer“ eine neue Variation entgegnen, so müsste sie lauten Am Anfang war das katholische Milieu.“ [Bösch 2001: 22]. In diesem Zusammenhang muss allerdings festgestellt werden, dass politischer Katholizismus als traditioneller Ideenschatz verstanden wird und nicht als Klammer der weltanschaulichen Indoktrination der Adenauerregierung durch die Katholische Kirche, wie dies in der Arbeit von Gerhard Kraiker dargestellt wird. [vgl. Kraikers 1972: 25ff] Kraikers Thesen werden nicht nur von Rudolf Uertz widerlegt [vgl. Uertz 1981: 16f, sondern auch in den neuen Studien über die Christdemokratie und die CDU in der Adenauerzeit [vgl. Bösch 2001: 22ff, Kalyvas 1998: 293-312]
94
4 Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“
Diktatur. Die Gründungsimpulse waren nicht nur sehr christlich geprägt, sondern auch – wie der Historiker HANS-OTTO KLEINMANN eindrucksvoll zeigte – aufgrund der spezifischen Besonderheiten der unmittelbaren Nachkriegszeit normativ auf einen demokratisch am Gemeinwohl orientierten Gemeinsinn ausgerichtet, der die Voraussetzungen und Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik von Grund auf bekämpfen wollte. „Die Unions-Aufrufe aus dem ersten Nachkriegsjahr, mit ihrer uns Heutigen mitunter fremd anmutenden Sprache, vermitteln einen umrisshaften Eindruck von der „Stunde Null“ – so aus Hamburg: „Millionen von Toten, Millionen von Krüppeln und Siechen, Millionen von Verarmten und Heimatlosen, von vernichteten Existenzen und zersprengten Familien … Hunger und Elend, Austreibung und Flüchtlingsnot! Unser Vaterland ein Trümmerfeld, Städte in Ruinen, Fabriken in Schutt und Asche. Unersetzliche Kulturwerte, das kostbare Erbe von Generationen, Stolz eines fleißiges Volkes, sinnlos vernichtet! Die Volkskraft auf Jahrzehnte erschöpft, der in Jahrhunderten errungene Wohlstand der gesamten Nation zerstört! Das Rechtsempfinden verfälscht, die Moral zersetzt, das Familienleben erschüttert. Das ist die fürchterliche Bilanz des Nationalsozialismus!“; und aus Westfalen: „Wertvollste Jugendkraft auf den Schlachtfeldern verblutet, zahllose Menschen verstümmelt und in Gefangenschaft, das Reich entmachtet, unsere Städte und Dörfer zerstört, Wirtschaft und Finanzen ruiniert, Millionen von Deutschen heimatlos, obdachlos, ohne Kleidung und Brot, weiteste Kreise unseres Volkes enttäuscht, verbittert, ohne jeden geistigen Halt und ohne Leitern, der ihnen einen Weg in die Zukunft weisen könnte.“346 Ihren „Blutzoll“, also die Verfolgung und den Widerstand der Parteigründer, führten viele katholische Kreise nicht nur als moralische Legitimation für die Rechristianisierung der Gesellschaft an, sondern auch als Grund für den Zusammenschluss der beiden Konfessionen. In den protestantischen Zirkeln stand dagegen die Bedrohung von Links im Zentrum. Diese Furcht wurde christlich überhöht.347 Der protestantische Einfluss wirkte sich auf das Selbstverständnis der Christdemokratie aus. Die Liberalisierung der Programmatik der deutschen Christdemokratie, die nicht zuletzt durch den Argumentationsstil der evangelischen Ethik der Verantwortungsethik wesentlich beeinflusst wurde,348 setzte eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Verantwortungsbereich des Christen und des Bürgers in Familie, Politik und Gesellschaft einerseits sowie den kirchlich-theologischen Aufgaben und Interessen andererseits. Dieser christliche Personalismus bildete somit das programmatische Fundament der CDU.349 So mobilisierend der Antikommunismus für die protestantischen Teile der Union war, so sensibilisiert waren auch die katholischen Bevölkerungskreise gegenüber den Schrecken des Krieges, der NS-Herrschaft und dem Kommunismus. Der Antikommunismus band nicht nur die Protestanten ein, sondern verhalf auch der Bereitschaft der Katholiken, erstere überhaupt willkommen zu heißen, zum Durchbruch. Bezeichnenderweise orientierten sich die meisten katholischen Parteizirkel dabei nicht am „preußischen“ Berlin, sondern an Köln als der „Hauptstadt“ der alten Zentrumspartei. Aus der katholischen Sicht erleichterte die Kommunismusfurcht somit die Grundsatzentscheidung für eine überkonfessionelle Sammlungspartei. Das entscheidende Argument dafür, sich trotz aller Bedenken für die christliche 346 347 348 349
Kleinmann 1993: 16 Bösch 2001: 40 Honecker 2001: 33ff Uertz 2004: 48
4.2 Das politische Leitbild der CDU
95
Union auszusprechen, erwuchs sowohl bei den Bischöfen als auch bei den führenden ehemaligen Zentrumspolitikern vor allem aus einem gemeinsamen Negativkonsens: Es war die Angst, dass sich auch in den Westzonen der nun vermeintlich erstarkte „Marxismus“ durchsetzen könnte.350 Auch war der Anti-Kommunismus ein gutes Bindeglied, die beiden Themenschwerpunkte – zum einen die eher an der Wirtschaftspolitik interessierten bürgerlichen Kräfte und die an soziokulturellen Themen interessierten katholischen Gruppierungen – zu verbinden und gemeinsame Schnittmengen zu bilden. Ferner war die CDU stets eine Partei der regionalen Identität und des Föderalismus. Die Betonung des regionalen Charakters lag schon ihrem dezentralen Gründungsaufbau zugrunde. Weder entstand die CDU nach einem einheitlichen Plan, noch wurde ihre Gründung von zentraler Stelle vorgenommen oder gelenkt. In ihren Vereinigungen und Verbänden bewahrte die Partei ihre föderale Struktur.351 Die Eigenständigkeit und das Selbstbewusstsein der Landesverbände sind seit der Gründungszeit ein Wesensmerkmal der CDU, die als Bundespartei verhältnismäßig spät gegründet wurde. Hier entsprach ihr Subsidiaritätsprinzip auch der gelebten Organisationswirklichkeit. Im Laufe ihrer Parteigeschichte entwickelte die CDU sich auch zum Anwalt für die deutsche Einheit. Diese war zwar in den Anfangsjahren bereits ein Ziel der Parteigründer, allerdings wurde im Laufe der siebziger Jahre die Bedeutung des Themas erhöht und gerade gegenüber den politischen Mitbewerber pointiert dargestellt.352 Die Union betonte zunächst die Westbindung und die Europaidee. Die vornehmlich von katholisch-konservativen Publizisten, wie dem Chefredakteur der Zeitschrift „Neues Abendland“ Emil Franzel, propagierte Utopie einer Auflösung Deutschlands in Europa war in der Bundesrepublik der späten fünfziger Jahren alles andere als konservativer Konsens. Auch der Chefredakteur des Rheinischen Merkurs, Paul Wilhelm Wenger, bezeichnete Bismarcks Reichsgründung als Irrweg.353 Diese Äußerungen wurden gerade von evangelischen Christdemokraten, wie Eugen Gerstenmeier, scharf zurückgewiesen.354 Der proeuropäische Kurs der 1950er Jahre blieb neben den christdemokratischen auch innerhalb konservativer Kreise unbestritten, weil er sowohl historisch nicht diskreditiert, als auch durch den Ost-West-Konflikt zusätzlich legitimiert war. Zudem wurde die CDU die Partei der neuen Bundesrepublik. Dies lag auch daran, dass die Katholiken überdurchschnittlich positiv dem neuen Staat gegenüber standen. Früher als die Protestanten versöhnten sie sich mit der Gegenwart. 46 Prozent der Katholiken, aber nur 35 Prozent der Protestanten erklärten im Jahre 1959, in der Bundesrepublik entfalte sich geschichtlich Deutschlands beste Zeit in diesem Jahrhundert. Erst zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich die Protestanten in fast so großer Zahl wie die Katholiken mit der Bundesrepublik angefreundet.355 Ein weiterer zentraler Gründungsmythos war der Anspruch, Volkspartei zu sein. So stellte Konrad Adenauer rückblickend über das idealisierte Konzept einer schichtübergreifenden Volkspartei fest: 350 351 352 353 354 355
Bösch 2001: 28 Kleinmann 1993: 18 Winkler 2002: 172 Ebd: 173 Ebd: 175 Schmidtchen 1973: 245
96
4 Die CDU als Mitglied der christdemokratischen „famille spirituelle“
„Nur eine sehr große Partei, die alle Schichten unseres Volkes umfasste, konnte das am Boden liegende, zerbrochene Deutschland wieder gestalten. Ihr mussten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Bauern, Mittelständler, Beamte, Intellektuelle, Menschen aus Nord und Süd, Heimatvertriebene und Flüchtlinge angehören können. Die ethischen Grundsätze, wie sie die CDU zu ihren Prinzipien machte, würden die Kraft und die Elastizität haben, die notwendig waren, um die natürlichen Spannungen innerhalb einer großen Partei zu überwinden und auszugleichen.“356 Diese organisatorische Idealvorstellung prägte in der Parteigeschichte das Selbstverständnis der Politik. Dies führt soweit, dass die Union es zunächst ablehnte, „bürgerlich“ genannt zu werden. Erst als der Wortsinn seine schichtspezifische Semantik zunehmend abgelegt und eher mit einer gewissen parteipolitischen Einstellung verbunden wurde, assoziierte sich die CDU mit diesem Begriff immer mehr. In diesem Verständnis stand die CDU auch in der Tradition zum Zentrum, das sich die innerparteiliche Überwindung sozioökonomischer Konflikte zum Ziel gesetzt hatte. Hier versuchte die CDU ihren programmatischen Interessenausgleich bereits organisatorisch aufzufangen, damit kein Schichtinteresse in der Partei unbemerkt blieb.Dem Gründungsmythos nach war die Union antikommunistisch ausgerichtet und den christlichen Werten, Personalität, Pluralität und Subsidiarität verpflichtet. Die Union verstand sich als Volkspartei und trat für eine starke Westbindung ein. Diese grundlegenden Überzeugungen aus der Gründerzeit sollten die weitere Parteigeschichte prägen.
356 Adenauer 1965: 52
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
5.1 Einleitung Die CDU ist untrennbar mit der Nachkriegszeit verbunden. Das Jahr 1945 stellte für das deutsche Parteiensystem einen Neubeginn dar. Nach dem Zusammenbruch der Demokratie 1933 und jeglicher politischer Ordnung in der Endphase des Zweiten Weltkrieges bestimmten zunächst die Alliierten die politischen Geschäfte in Deutschland. Den Deutschen wurde erst nach und nach die politische Partizipation und das politische Handeln überlassen. Das demokratische System wurde von unten nach oben aufgebaut. Für die deutschen Parteien bedeutete dies nicht nur die Notwendigkeit, eine Zulassung von den Alliierten zu erhalten, sondern auch aus dezentralen Gründungszirkeln entstanden zu sein. Das politische Leben bildete sich zunächst in den Kommunen und Regionen heraus und dehnte sich erst in den Folgejahren auf größere Zusammenschlüsse aus. Neben dem dezentralen Gründungsaufbau waren für die Ausbildung des westdeutschen Parteiensystems drei Faktoren maßgeblich: Erstens waren durch die Schrecken des dritten Reiches weite Teile der politischen Rechten diskreditiert. Nicht nur die teilweise Kooperation der konservativen Elite mit den braunen Machthabern machte diese Strömung am Ende des Dritten Reiches wenig attraktiv. Zudem verloren sie mit der Diskreditierung des Nationalismus ihr verbindendes und mobilisierendes Element. Zweitens förderte die Angst vor der Roten Armee die Vorbehalte gegenüber dem existierenden Sozialismus – gerade auch in den westlichen Besatzungszonen. Die Schrecken der Vertreibung, die Berichte aus der Ostzone und die Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen erhoben die Sowjets zum westdeutschen Schreckensgespenst. Der Antisozialismus wurde zur Integrationsklammer der bürgerlichen Welt. Drittens wurde durch den Verlust der deutschen Ostgebiete und der Abtrennung der sowjetischen Besatzungszone das regionale Koordinatensystem der Parteienlandschaft nach West- und Süddeutschland erheblich verschoben. Damit verloren nicht nur die Säkularkonservativen ihre politische Heimat,357 die Dominanz der protestantisch-preußischen Leitkultur war auch nicht mehr gegeben. Die Katholiken waren zahlenmäßig nun nicht mehr in einer Minderheitenposition, sondern nahezu gleichauf mit den Protestanten. Auch nahmen sie vermehrt Schlüsselpositionen im neu zu gründenden Staat ein. Dies veränderte die politische Kultur der Republik und die Bedeutung gesellschaftlicher Gruppen erheblich.358 Diese Faktoren begünstigten die Entfaltung einer christdemokratischen Partei zur dominierenden Kraft im deutschen Parteiensystem, gaben diese Entwicklung jedoch nicht zwingend vor. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus bestanden weiterhin fort und sollten erst in den sechziger Jahren schwächer werden. Der politische Zusammenbruch 357 Puhle 1989: 401 358 Nolte 2000: 208ff
98
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
bedingte nicht konsequenterweise gleichsam den gesellschaftlichen.359 So war der Erfolg keineswegs vorprogrammiert. Nach dem knappen Sieg bei der ersten Bundestagswahl 1949 zogen die wirtschaftlichen und sozialen Rückschläge in der Anfangsphase der Sozialen Marktwirtschaft die Partei bei Landtagswahlen in starke Mitleidenschaft. Erst der parteipolitische Konsolidierungsprozess stoppte den Negativtrend 1953.360 Im Anschluss entwickelte sich die CDU zur unbestritten dominierenden Kraft des Mitte-Rechts-Lagers im deutschen Parteiensystem.361 Die Grundentscheidung für die Wirtschaftskonzeption der CDU fiel noch vor ihrer offiziellen Gründung. Bereits 1948/49 legte sich die Union für die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungskonzept fest. Diese Wirtschaftskonzeption, die in den Düsseldorfer Leitsätzen als offizielles Parteiprogramm festgelegt wurde, war nicht unumstritten gewesen. Zudem entstammte dieses Konzept ursprünglich nur einem – dem wirtschaftsliberalen – Parteiflügel. In der Folgezeit der jungen Bundesrepublik wurde deshalb parteiintern über die Ausgestaltung und über die Bedeutung des Attributs „sozial“ heftig debattiert. Hier standen sich vor allem der christlichsoziale und wirtschaftsliberale Flügel konzeptionell gegenüber. Beide besaßen unionsintern keine Mehrheit, sondern mussten diese erst suchen und finden. Gerade die Eigentumsfrage – eines der zentralen Elemente der Sozialen Marktwirtschaft und auch der katholischen Soziallehre – war Gradmesser dieser Ausgestaltung. Hier gab es heftige politische Auseinandersetzungen. Dabei stand die Art und Weise der Streuung des Eigentums im Vordergrund der Debatte. In diesem Kapitel wird anhand zweier Gesetzesvorhaben – dem Miteigentum und dem ersten Vermögensbildungsgesetz – das innerparteiliche Leben, das Wirken auf den politischen Markt und die Relevanz der christdemokratischen Werte in der CDU untersucht.362 5.2 Gründung der CDU Die CDU war ein Kind der Besatzungszeit. Ohne die spezifische Nachkriegskonstellation und die totalitären Erfahrungen der vergangenen Jahre wäre es deutlich schwerer gewesen, die programmatischen, personellen und organisatorischen Unterschiede zwischen den katholischen und protestantischen Parteigründungen auszugleichen. Beide Konfessionen und die diversen Widerstandsgruppen gegen das Dritte Reich hatten in Zeiten gemeinsamer Bedrohung verbindende Substanz erfahren und überwanden über die tagespolitischen und kirchenpolitischen Gegensätze hinaus die bis dahin herrschende Kluft. Alte Zentrumsmitglieder waren jetzt bereit zum längst propagierten Ausbruch aus dem 1933 endgültig zerstörten konfessionellen Turm. Die Konfessionsschranken wurden durch das Erlebnis des 359 360 361 362
Beyme 1997a: 362 Lappenküper 2001: 385 Morsey 2000: 50 Für diesen Abschnitt ist die detailreiche und analytisch sehr wertvolle Arbeit von York Dietrich zur Vermögenspolitik der CDU maßgeblich. Zudem waren besonders für die Anfangsphase der Union mit ihren unterschiedlichen politischen Strömungen die Studien zur Geschichte der CDU von Winfried Becker, Dorothee Buchhaas, Peter Haungs, Arnold Heidenheimer, Geoffrey Pridham und das detailreiche Standardwerk von Otto Kleinmann sehr aufschlussreich. Eine besondere Hilfe war auch das Werk von Frank Bösch zur CDU in der Adenauer Zeit, das vor allem einen tieferen Einblick in die konfessionellen Hintergründe der Parteigeschichte vermittelt.
5.2 Das erste Vermögensbildungsgesetz
99
totalitären Regimes abgeschliffen, wenn auch nicht aufgehoben. Die Erfahrung von Terror, Unterdrückung und Religionsverfolgung hatte sich in den letzten Kriegsjahren mit der Einsicht verbunden, dass der konfessionelle Gegensatz angesichts des gemeinsamen Glaubens nachrangig sei. Der Gründungsimpuls der überkonfessionellen Gruppen war 1945 tief emotional. Die christlichen Prinzipien wurden zutiefst politisch verstanden. In der Situation von 1945 war die evangelische Argumentation in Wirtschaftsfragen vor allem vom individualistischen Denken des Protestantismus geprägt, und nicht primär liberal-marktwirtschaftlich orientiert.363 Das pragmatische Zusammengehen von Katholiken und Protestanten, das anfänglich alles andere als eine Liebesheirat darstellte,364 wurde zum Neuanfang der Christdemokratie in Deutschland. Der Niedergang jeder humanen politischen Ordnung in Deutschland hatte neben der sozialdemokratischen nur die christliche Tradition des Widerstands gegen die Gefahren von Willkürherrschaft unbeschädigt gelassen. Programmatisch entwickelte sie mit ihren personalistischen, anti-etatistischen, antikollektivistischen, anti-nationalistischen, anti-materialistischen Werten und auch mit ihrem Appell gegen den Klassenkampf und für die Gerechtigkeit eine erhebliche Anziehungskraft. Der Anspruch auf Gestaltung der politischen und sozialen Welt schien in der gegebenen Situation gerade von diesen christlichen Grundwerten her möglich.365 Das Christentum erfuhr eine Renaissance in der deutschen Gesellschaft.366 Dieser christlich empfundene Auftrag schlug sich in den Vorstellungen der Gründerkreise der CDU jenseits aller personellen Tradition zahlreich nieder. Die Mischung aus konservativ-restaurativen Elementen mit sozial-fortschrittlichen Zielen war nicht zuletzt den meisten Dokumenten der Widerstandsgruppen wie den CDU-Programmen eigen.367 Programmatisch war die Gründungs- und Konsolidierungsphase zunächst durch ein Neben- und Miteinander der unterschiedlichen Standpunkte geprägt. Von einem katholischgewerkschaftlich geprägten Christlichen Sozialismus bis hin zu bürgerlichen Wirtschaftsliberalen reichte gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eine große Spanne von Meinungen und politischen Vorstellungen, die nur schwer unter einen Hut gebracht werden konnten. Der seit Frühjahr 1948 durchgesetzte bereits deutlich konturierte liberale Kurs der Union im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hatte sich erst allmählich durchgesetzt: Zu Beginn war das liberale Moment lediglich eines unter vielen Facetten der Sammlungsbewegung. Die Vielzahl spontaner, kaum koordinierter Gründungsinitiativen einte in der Anfangsphase zuweilen wenig mehr als ein vages Ziel: eine christliche Volkspartei zu werden.368 Dieser Anspruch ließ viel Spielraum und Interpretationen für die reale Politik zu. So konnte die Union – die als bundesweite Organisation erst 1950 gegründet wurde – nicht nur als Plattform für unterschiedliche Strömungen dienen, auch trug die öffentliche Stimmung nicht ganz unwesentlich dazu bei, welche Richtung schließlich in der Partei eine Mehrheit finden sollte. Dies galt nicht zuletzt für die Wirtschaftspolitik. Die CDU besaß keine geschlossene Ideologie, die zielgerichtet auf die Soziale Marktwirtschaft hinsteuerte. Vielmehr verband sie ein christliches Wertefundament, das auf die Ideale von Solidarität, Sub363 Doering-Manteuffel 1990: 91 364 Die programmatischen Unterschiede und vor allem auch die zahlreichen Befindlichkeiten zwischen Katholiken und Protestanten werden hervorragend in der Studie von Frank Bösch herausgearbeitet: Bösch 2001 365 Nipperdey 1986: 137 366 Hanssler 1978: 104 367 Narr 1966: 76 368 Buchhaas 1981: 106
100
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
sidiarität, Personalität, persönliche Freiheit, Demokratie und Pluralismus setzte, die gewisse Formen, wie den liberalen Nachtwächterstaat oder auch den marxistischen inspirierten Sozialismus klar ausschlossen. Die Entwicklung der CDU als Partei der Sozialen Marktwirtschaft hing aber in großem Maße von parteiexternen Entwicklungen, wie dem Einfluss der Westalliierten, der Währungsreform und den anfänglichen Erfolgen des Frankfurter Wirtschaftsdirektoriums unter der Leitung von Ludwig Erhard ab.369 FRANK BÖSCH weist darauf hin, dass das eigentlich verbindende Element zwischen den evangelischen und katholischen Parteigründungen nicht ein konkretes Politikkonzept, sondern die Angst vor dem Kommunismus bildete. Die Furcht vor der radikalen Linken band bürgerliche Gruppen und Wähler an die Union. Die Angst vor der Roten Armee zog viele Vertriebene in die CDU. So bildete die Union einen losen Zusammenschluss unterschiedlicher politischer Strömungen, die ihre größte Gemeinsamkeit im Antikommunismus fanden und durch das „C“ legitimiert wurden. Der politische Katholizismus bildete dabei das maßgebliche gesellschaftspolitische Fundament, auf dem die Wahlsiege der ersten beiden Jahrzehnte fußten.370 Die Kommunismusfurcht erleichterte die Ausbildung der CDU zur Sammlungspartei. Ihre politische Mobilisierungskraft war jedoch in erster Linie bei bürgerlichen Protestanten und bei den Flüchtlingen ausschlaggebend. Bei den Katholiken war sie eher von untergeordneter Bedeutung. Hier spielten die christlichen Wurzeln als Nachfolgeorganisation des Zentrums die entscheidende Rolle. Für den Parteiaufbau gerade in katholischen Regionen war daher von größerer Bedeutung, dass die CDU trotz des interkonfessionellen Bündnisses regional das Erbe des alten Zentrums antrat. Sowohl auf programmatischer, personeller als auch auf organisatorischer Ebene knüpfte die CDU hier an den politischen Katholizismus an. In dieser Tradition standen ebenso ihre stark religiösen Akzente. Katholische Bischöfe begleiteten die Gründung der CDU mit Sympathie, da sie deren programmatische Grundsätze begrüßten.371 Vor allem die eindeutigen katholischen Züge der Staats- und Soziallehre der CDU ließen die Sympathien für die neue Sammlungspartei wachsen. Von Anfang an wirkten an der Programm- und Organisationsarbeit der Partei Politiker der katholischsozialen Tradition, ehemalige Zentrumsabgeordnete sowie Kleriker und Bischöfe mit, die größtenteils in der Zwischenkriegszeit zusammengearbeitet hatten. In der gesamten Parteiprogrammatik der Union schlug sich diese starke katholische Prägung nieder.372 Die Unterstützung des Episkopats war anfangs nicht so sehr für die Auseinandersetzung der späteren Hauptkonkurrenten im Parteiensystem, wie zum Beispiel den Sozialdemokraten bedeutend, sondern vor allem aufgrund der Neugründung der Zentrumspartei. Hier drohte eine Spaltung in Zentrums- und Unionskatholiken.373 Fast alle Gründungsaufrufe wurden mit geradezu pathetischen Glaubenbekenntnissen eingeleitet, welche die Rechristianisierung einer in die Irre geführten Gesellschaft einforderten.374 Die Gründungszirkel wurden von christlichen Wertvorstellungen stark bestimmt. Dies war nicht nur ein Ausdruck ehemals konfessioneller Politiker nach den Schrecken einer 369 Ambrosius 1977 370 Bösch 2001: 22 371 Vgl. Frings 1974: 106 (Der Kölner Kardinal und Vorsitzende der Bischofskonferenz war seit 1948 CDUMitglied), Morsey 1997: 686-699 372 Gauly 1990): 151 373 Vgl. Schmidt U. 1987, Wieck 1953 374 Bösch 2001: 29f
5.2 Das erste Vermögensbildungsgesetz
101
totalitären Unterdrückung, sondern auch Ausdruck einer neuen religiösen gesellschaftlichen Besinnung. Folglich war diese geistige Neuausrichtung nicht nur ein gesellschaftliches Bedürfnis infolge der durchlebten menschlichen Tragödien des Krieges und der Gewaltherrschaft, sondern spiegelte auch die neue Achtung vor den Kirchen wider, die als einige der wenigen moralischen Instanzen institutionell überlebt hatten.375 Die fortbestehende Integrationskraft des katholischen Milieus zeigte sich auch in der sozio-kulturellen Zusammensetzung der CDU-Verbände. Sie wiesen erstens ein verhältnismäßig breites Spektrum an Berufsgruppen auf, das auch größere Arbeiteranteile mit einschloss. In den während der fünfziger Jahre äußerst einflussreichen Landesverbänden Rheinland und Westfalen lag er immerhin bei einem Fünftel der Mitglieder. Der religiöse Bezug bildete damit weiterhin eine stärkere Klammer als Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht oder Klasse.376 Deshalb blieb gerade auch für die katholischen Arbeitnehmervertreter das „C“ in der Partei bedeutend. Sie verstanden sich nicht als bürgerliche Politiker, sondern als christlichsoziale. Das christliche Element bildete für sie die Identifikation und Legitimationsbasis für ihre sozialen Forderungen.377 Im evangelischen Raum fehlte stets ein fester Mittelpunkt, der wie die katholische Kirche um sich herum das politische Vorfeld hätte binden können. Die Kirchenbindung der Protestanten war im Vergleich zu den Katholiken stets schwächer ausgeprägt gewesen. Und ihre wichtigste staatliche Integrationsklammer, der Nationalismus, war nach seiner Radikalisierung im Nationalsozialismus nun kaum noch in seiner alten Form reaktivierbar. Gemeinsam war den meisten protestantischen Gründungszirkeln, dass sie im Gegensatz zu den Katholiken zunächst den Namensbestandteil „christlich“ mieden. Auch zwei Jahrzehnte nach ihrem Entstehungsprozess gab es in evangelischen Kreisen immer noch erhebliche Skepsis gegen die Verwendung des „C“ im Namen der CDU.378 In den protestantischen Gründungszirkeln bildete nicht das „C“, sondern die Abwehr des Marxismus die entscheidende Integrationsklammer. Da im Gegensatz zum katholischen Raum eine kulturelle Identität fehlte, schlug hier jene Klassengrenze zur Sozialdemokratie durch, die eine schichtübergreifende Volksparteibildung zunächst in weite Ferne zu rücken schien.379 Auch machte ihre Zusammenarbeit mit den Katholiken die evangelischen Christdemokraten bei den protestantischen Etablierten zunächst suspekt. Aus diesem Grund bot gerade in den protestantischen Gebieten die Union ein Betätigungsfeld für die heimatlos gewordenen Flüchtlinge, die sich als Zugereiste in den katholischen Gebieten viel schwieriger in Unionskreisen etablieren konnten als in den protestantischen. Insgesamt gab es in der Union der fünfziger Jahre schematisch vier dominierende Flügel: einen wirtschaftsliberalen, einen säkularkonservativen, einen bürgerlich-katholischen und einen christlichsozialen. Die Wirtschaftsliberalen konstituierten sich aus zwei Gruppen: den theoretisch orientierten Ordoliberalen und aus Unternehmervertretern. Letztere dachten zwar auch wirtschaftsliberal, aber nicht so konsequent. Sie vertraten die ordoliberale Wirtschaftstheorie nicht in Reinkultur. Sie propagierten eine unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik, die marktwirtschaftlich orientiert war, aber staatliche Subvention oder Ver375 376 377 378 379
Langner 1978: 123ff Bösch 2001: 33 Bock 1976: 53 Vgl. Mannheimer Morgen vom 31. März 1966, Gerstenmeier 1957: 14-18 Bösch 2001: 38-45
102
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
günstigungen in der Realität nicht ablehnte. Zudem sahen sie die Monopolkontrolle zudem in Einzelfällen skeptisch. Während die Ordoliberalen vorrangig ihren Rückhalt im Bundeswirtschaftsministerium besaßen, fanden sich die Unternehmensliberalen in den Unternehmensverbänden wieder. Gemeinsam war ihnen ihr konsequentes Eintreten für die Marktwirtschaft und ihre Abneigung gegen gewerkschaftlichen Einfluss auf unternehmerische Marktentscheidungen. Ihr Ziel lag hauptsächlich in der Durchsetzung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Die Säkularkonservativen waren überwiegend protestantisch geprägt und verstanden die Union weniger in katholischer Tradition, sondern als Auffangbecken bürgerlicher Gruppierungen. Ihr verbindendes Element bestand in der Nation und im Anti-Sozialismus. Sie gehörten meist nicht zu den Gründungszirkeln der Union, sondern stießen nach und nach zur CDU, als sie sich zur dominierenden Kraft der bürgerlichen Welt durchgesetzt hatte und gezielt die protestantischen Konservativen ansprach.380 Während sie den marktwirtschaftlichen Kurs zum großen Teil mittrugen und ihn durch eine starke Agrarlobby ergänzten, hatten sie doch Probleme mit dem strikten Westkurs Adenauers und die in diesem Zusammenhang angenommenen Auswirkungen auf die Verwirklichungsmöglichkeiten einer deutschen Wiedervereinigung.381 Die dominierende Kraft der CDU, aus deren Reihen zahlreiche Führungspolitiker der ersten Jahre stammten, waren die bürgerlichen Katholiken.382 Sie vertraten die größte Schnittmenge aller Flügel innerhalb der CDU. Sie waren pragmatisch marktwirtschaftlich eingestellt, hielten christliche Werte wie Solidarität und Personalismus hoch und besaßen eine große Abneigung gegenüber den Sozialisten. Zudem hielten sie die Mehrheit in den Landesverbänden Rheinland und in Westfalen-Lippe, die in den Gründungsjahren einen überproportionalen Einfluss auf die Bundespartei besaßen.383 Zudem stellten sie mit Konrad Adenauer das Aushängeschild und Machtzentrum der Partei. Aufgrund ihrer strategischen Position musste eine Initiative ihre Zustimmung erlangen, um parteiintern mehrheitsfähig zu werden. Diesem Flügel, der sich nicht auf spezielle Vereinigungen, sondern auf seinen Einfluss in den zentralen Entscheidungsgremien der Fraktion, Regierung und Partei stütze, kam eine Schlüsselstellung im innerparteilichen Willensbildungsprozess zu.384 Der vierte Flügel, die Christlichsozialen, entstammten dem katholischen Milieu. Ihre Identifikation lag in der christlichen Wertehaltung und ihrer christlichen und nicht sozialistischen Identität. Ihr politischer Anspruch basierte auf der Schaffung sozialer Gerechtigkeit im Sinne der katholischen Soziallehre.385 Sie waren organisiert in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und den Sozialausschüssen der CDU (CDA). Obwohl die CDA interkonfessionell ausgerichtet war, kam die überwältigende Mehrheit in der Nachkriegszeit aus dem katholischen Sozialmilieu.386 Ihr programmatischer Schwerpunkt lag anfangs sehr konzentriert auf der Sozialpolitik. Außerdem betrachtete dieser Flügel die Soziale Marktwirtschaft skeptisch und versuchte Korrekturen innerhalb des Wirtschaftssystems zu einem stärker sozialen und weniger marktwirtschaftlichen Anspruch durchzusetzen. Die Konflikt380 381 382 383 384 385 386
Haungs 1983: 25ff Küsters 1990: 335-370, Baumgart 1988: 609-632 Bösch 2001: 110ff Krey 1965, Schmid 1990: 102-105 Lappenküper 2001: 386-389 Chauvistre 1973: 18-20 Schröder 1992: 285
5.2 Das erste Vermögensbildungsgesetz
103
linie Kapital-Arbeit ließ vor allem die beiden Gegenlager Wirtschaftsliberale und Christlichsoziale einander gegenüberstehen. Während die christlichen Arbeitnehmer die Bedeutung der programmatischen Traditionen aus der katholischen Soziallehre für die Christdemokratie und den Anspruch der Union, als schichtübergreifende Volkspartei aufzutreten, für ihre Belange in der innerparteilichen Diskussion für sich in Anspruch nahmen, brachten die Wirtschaftsliberalen parteiintern weniger traditionelle Ansprüche in die Diskussion ein, sondern argumentierten mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten und ihren wirtschaftspolitischen Erfolgen. Zudem hegten sie den Anspruch, stets der Garant für den Wahlerfolg gegenüber der vereinten Linken aus SPD und DGB zu sein. Ein erstes gesellschaftspolitisches Programm – wenn auch nur für die CDU in der britischen Zone – gab sich die Partei mit dem Programm von Ahlen im Jahr 1947. Es beachtete zunächst die in der Union durchaus auch vorhandene antikapitalistische Grundstimmung, die am stärksten von den katholischen Arbeitnehmern artikuliert wurde. Der marktwirtschaftliche Kurs, der von den meisten Protestanten und bürgerlichen Katholiken vertreten wurde, setzte sich als generelle Parteilinie endgültig erst im Düsseldorfer Programm von 1949 durch. Beide Programme waren das Ergebnis mühsam gefundener Kompromisse und vor allem vereinbarter Sprachregelungen. So verzichtete die Union sehr bald auf den Begriff „Christlicher Sozialismus“, da er sich zuwenig von der SPD abgrenzte. Diese Programme waren aber nicht nur Ergebnis eines innerparteilichen Willensbildungsprozesses, der sich nach und nach in Richtung einer marktwirtschaftlichen Ordnung entwickelte, sondern auch eine Reaktion auf den politischen Markt. Waren die Düsseldorfer Leitsätze von 1949 als (wirtschaftspolitisches) Wahlprogramm für die erste Bundestagswahl konzipiert, so wurde das Ahlener Programm im Hinblick auf die Landtagswahlen in der britischen Zone – und vor allem für Nordrhein-Westfalen – geschrieben. So lag zwischen diesen beiden Programmen nicht nur ein innerparteilicher Konsolidierungs- und Klärungsprozess, sondern vor allem auch die Popularisierung der marktwirtschaftlichen Idee, die zunächst in den ersten zwei Jahren der Nachkriegszeit nicht sonderlich ausgeprägt war.387 Die marktwirtschaftliche Ordnung war in den zwanziger Jahren mit Hyperinflation, Börsenkrach und Massenarbeitslosigkeit in Verruf geraten. Auch stellte sie nicht mehr das gewohnte Wirtschaftssystem dar, nachdem seit 1936 unterschiedliche Formen der Planwirtschaft in Deutschland eingeführt worden waren. Bis 1948 war die Kritik am Kapitalismus populär. Offensichtlich war die Erwartung, dass die bürgerliche Gesellschaft – zumindest in ihrer durch Privateigentum an großindustriellen Produktionsmitteln und Marktkonkurrenz bestimmten wirtschaftlichen Ausdrucksform – an ihr Ende gekommen sei, zunächst weit verbreitet.388 Trotz der kritischen Stimmen zum Kapitalismus war das Ahlener Programm kein sozialistisches Programm. Zwar erreichten die Christlichsozialen aufgrund der kapitalismuskritischen Töne einen Erfolg in der Präambel, aber im Ganzen ließ es die Frage nach der zukünftigen Wirtschaftsform offen, solange die christlichen Prinzipien nicht verletzt werden würden. Anders wäre es auch bei weiten Teilen der Christdemokraten nicht mehrheitsfähig gewesen, da es dem politischen Leitbild widersprochen hätte. Konrad Adenauer hatte es maßgeblich entwickelt. Konzeptionell lag es auf seiner gesellschaftspolitischen Linie, taktisch entsprach es der damaligen politischen Lage. In Ahlen wurde aus Sicht Adenauers der Sozialismus programmatisch überwunden. Symptomatisch dafür ist ein Brief von Adenauer 387 Hockerts 1986: 25ff 388 Hockerts 1985: 245
104
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
an Johannes Albers vom November 1947. In diesem Schreiben äußert er sich über Kaisers wirtschaftspolitischen Vorstellungen: „… Dagegen befindet sich Herr Kaiser mit seinen Ansichten über Sozialismus nicht im Einklang mit der überwiegenden Mehrheit unserer Partei. … Daß … die kommende Zeit nicht dem Sozialismus gehören wird, das zeigen völlig klar für jeden einsichtigen Politiker die Wahlen in Italien, in Frankreich und auch die Gemeindewahlen in England. … Das Ahlener Programm ist und bleibt die offizielle Stellungnahme der CDU der britischen Zone zur Frage des Sozialismus und der Sozialisierung. Wenn Herr Kaiser in seinen Ausführungen über das Ahlener Programm hinausgehen würde, würde ich gezwungen sein, mich dagegen zu wenden, weil ich als Vorsitzender der CDU der britischen Zone nicht zugeben kann, dass unsere Linie umgebogen oder gebrochen wird.“389
Aufgrund der psychologischen Wirkungen der Währungsreform auf die Menschen durch volle Regale und die Überwindung der anfänglichen sozialen Probleme aufgrund des Auseinanderklaffens der Preis- und Lohnspirale wurde die Marktwirtschaft, die nun eingängig „Soziale Marktwirtschaft“ genannt wurde, in der Bevölkerung immer populärer. Zudem konnte man sich mit diesem Konzept gut von der SPD als Hauptkonkurrentin auf dem politischen Markt abgrenzen. Die Sozialdemokraten setzen weiterhin auf die Planwirtschaft.390 Die von Ludwig Erhard propagierte Marktwirtschaft mit sozialem Anspruch entsprach dem Leitbild. Daher konnte es – in seiner liberalen bzw. sozialen Ausprägung in den folgenden Jahren heiß diskutiert – als Referenzrahmen in der Union mehrheitsfähig werden. Letztlich waren es aber nicht seitenlange Programmtexte und Politikkonzepte, sondern Schlagworte, die das Image der Partei im politischen Wettbewerb bestimmten: Antikommunismus, das Christliche und die Selbstverortung als Volkspartei der Mitte bildeten ihre Koordinaten. Legitimationspotenziale gewährte die christliche Verankerung aber auch im Hinblick auf die sozialpolitische Auseinandersetzung. Nicht individuelles Wirtschaftsinteresse sollte im Vordergrund des Handeln stehen, sondern der soziale Ausgleich zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten sollte maßgeblich für das politische Handeln sein. Das „C“ gab dem katholischen Milieu und dem protestantischbürgerlichen Lager eine gemeinsame, individuell fühlbare und eine über den tagespolitischen Streit hinausreichende Klammer, die in der konkreten Wirtschafts-, Sozial-, und Außenpolitik nur schwer hätte gefunden werden können.391 Die Ausprägung als ideologisch eher heterogene Sammlungsbewegung hatte für die Union zwei markante Konsequenzen: Erstens entwickelte sich ein starker Trend zur Personalisierung. Die Exponenten innerhalb der Partei fungierten aufgrund der unterentwickelten Entscheidungsstrukturen ersatzweise als primäre Katalysatoren inhaltlicher Konsensfindungsprozesse und erschwerten damit die Kontrollierbarkeit des Willensbildungsprozesses. Zweitens fand eine stärkere Konzentration auf die praktische Politik anstelle von programmatischen Grundsatzpapieren statt. Nicht Programme, sondern Begriffe und gemeinsame Werte bildeten die christdemokratische Identität in der Anfangsphase der Bundesrepublik. Die CDU war eine Union, die mehr auf gemeinsamen Werten als auf konkreten politischen Maßnahmen aufbaute. Aus diesem Grund benötigte die politische Arbeit einen erhöhten 389 Schreiben Adenauer an Albers vom 2.11.1947 [StBKAH 08.11] 390 Eschenburg 1983: 434-438 391 Bösch 2001: 61-63
5.2 Das erste Vermögensbildungsgesetz
105
Koordinierungsaufwand für die divergierenden Interessen. Mit Konrad Adenauer fand die Union dafür die ideale Integrationsperson. Er erschien den unterschiedlichen politischen Strömungen als Vorsitzender akzeptabel.392 Konrad Adenauers Rolle bei der Entstehung der CDU und vor allem ihre Etablierung als dominierende Partei im Mitte-Rechts-Raum des deutschen Parteiensystems kann nicht überbewertet werden. Auch wenn er seine bundespolitische Karriere in einem Alter begann, als andere in den Ruhestand gingen. Seine politische Prägung hatte der demnach im Kaiserreich und in der Weimer Republik erhalten. Seit 1906 war Adenauer zunächst als Beigeordneter dann ab 1917 als Bürgermeister für seine Heimatstadt Köln politisch aktiv. Der Rheinländer war von christlichen Wertvorstellungen mit katholischer Grundierung geprägt. Als katholischer Verbindungsstudent und ehemaliger Kirchentagspräsident war er auch im katholischen Milieu stark verankert. Allerdings betrachtete er das Zentrum nicht als verlängerten Arm der katholischen Amtskirche und ging als selbstbewusster Laie Konflikten mit dem Episkopat nicht aus dem Weg. Adenauer war dem freiheitlichen Geist des nach Westeuropa geöffneten Rheinlandes zugewandt und gegenüber der preußischen Militärtradition äußerst skeptisch eingestellt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste er alle politischen Ämter niederlegen und in die innere Emigration gehen. Die englischen Besatzungsmächte ernannten ihn 1945 zum Kölner Oberbürgermeister, um ihn nach ein paar Wochen danach unehrenhaft zu entlassen. Adenauer – zum zweiten Mal verwitwet – steckte politisch nicht auf, sondern strebte taktisch geschickt und zum Teil auch skrupellos zu höheren politischen Aufgaben.393 Sein Führungsstil verfolgte sowohl vor 1933 als auch nach 1945 in allen politisch relevanten Ausschüssen und Kommissionen, denen er angehörte, das Ziel, jeweils den Vorsitz übertragen zu bekommen, um diesen anschließend auch gegen Widerstände zu behalten. Zwar konnte Adenauer innerhalb der Unionsparteien seinen Führungsanspruch nicht unmittelbar durchsetzen. Er wurde erst nach drei vergeblichen Anläufen als Bundeskanzler zum Vorsitzenden gewählt. Auch der Gründung der Gesamtpartei stimmte er erst zu, nachdem ihm die Position des Vorsitzenden sicher war. Die Erfahrungen der fehlgeleiteten deutschen Geschichte lieferten Adenauer die Orientierungsschwerpunkte seiner Politik. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um die innen-, gesellschafts-, wirtschafts- und außenpolitisch konkretisierte Haltung des Antisozialismus und Antikommunismus, als Kampf gegen die aktuellen Richtungen des Materialismus und Kollektivismus. Fixpunkte für Adenauers Konzeption der Wirtschaftsordnung waren die unternehmerische Initiative, das Privateigentum, soziale Gerechtigkeit insbesondere in der Form breiter Streuung des mäßigen Eigentums und die Abwehr politischer und ökonomischer Machtzusammenballung, sei es in öffentlichen, sei es in privaten Händen. Strukturell musste dies in jeder Beziehung eine überaus dezentralisierte Wirtschaftsordnung bedeuten.394 Die Parteiorganisation der CDU war in ihren Anfangsjahren nicht besonders ausgeprägt. Sie gründete sich als bundesweite Partei erst nach den ersten Bundestagswahlen und als ihre Politiker bereits in der Bundesregierung den dominierenden Einfluss ausübten. Diese späte bundesweite Gründung hatte auch Einfluss auf die innerparteiliche Willensbildung in den fünfziger und sechziger Jahren. Neben den Vereinigungen waren vor allem die 392 Bösch 2001: 61 393 Siehe: Heidenheimer 1960, Köhler 1994, Schwarz 1981 394 Jäger 1976: 429
106
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
Landesverbände mit einem großen Selbstbewusstsein ausgestattet. Zudem sahen viele führenden Politiker ihre Machtbasis nicht in ihren Parteiämtern, sondern in ihrem jeweiligen Regierungs- oder Fraktionsamt, durch das sie den unionsinternen Einfluss gewonnen hatten. Dieses Faktum ließ die Partei in den Schatten von Bundesregierung und Fraktion treten.395 Auf ihrer konfessionellen Vorläuferorganisation basierten nicht nur ihre programmatischen Wurzeln, sondern auch ihre Organisationsbeschaffenheit. Entstanden war die CDU analog dem alten Typus als Weltanschauungspartei auf Honoratiorenbasis. Ihre Attraktivität für die Wähler kann teilweise gerade in den fünfziger Jahren auf ihre organisatorisch unverbindliche Ausprägung zurückgeführt werden.396 Ähnlich wie andere christdemokratische Parteien und ihre konfessionellen Vorläufer, besaß sie eine relativ begrenzte direkte Mitgliederkartei, aber dafür eine Reihe von einflussreichen Vereinigungen und ihr nahe stehenden Verbänden. So stellte im deutschen Parteiensystem die CDU die Besonderheit dar, dass die gesellschaftlichen Interessen, für die sie stand, nicht so sehr durch ihre Programme als durch ihre Vereinigungen repräsentiert wurden. Das Volksparteiverständnis der Union fußte nicht so sehr auf dem Vorhandensein einer breiten Mitgliedschaft, sondern auf den unterschiedlichen in Vereinigungen und bald auch in Sonderorganisationen organisierten Interessensgruppen. Dieses Verbandswesen knüpfte an die Organisationsbeschaffenheit der Zentrumspartei mit ihren Vorfeldorganisationen an.397 Auch damals war das Gros der Aktiven und Sympathisanten nicht eingeschriebenes Mitglied der Zentrumspartei gewesen, sondern war in Verbänden des katholischen Milieus organisiert. In den Jahren bis zur ersten Bundestagswahl versuchte Adenauer als ehemaliger Katholikentagspräsident, in einen möglichst engen Kontakt mit den katholischen Organisationen zu treten und sie für die Ziele seiner Partei zu gewinnen. Adenauers Absicht war – analog zur Weimarer Zeit –, selbstbewusste katholische Laienorganisationen in das Unionsvorfeld loyal einzubinden.398 Allerdings erreichten die katholischen Verbände inner- wie auch außerkirchlich nicht mehr die gleich hohe Bedeutung, wie das noch in der Weimarer Zeit der Fall gewesen war. Als Folge stieg auch die Bedeutung „parteieigener“ Vereinigungen anstelle kirchlich nahe stehender Gruppierungen, obwohl die Union gerade in den fünfziger Jahren noch einen engen Kontakt zu ihnen, wie z.B. dem BDKJ und der KAB, pflegte. Der Aufbau des Vereinigungssystems der Union hing mit ihrem dezentralen Gründungsprozess zusammen, der die unterschiedlichen Traditionslinien aufsog. Die Vereinigungen unterschieden sich nicht nur nach Organisationsart, Mitgliederstärke und regionaler Verteilung, sondern waren auch nach Finanzressourcen und Selbstverständnis sehr stark von einander verschieden. Zudem entstanden sie auch in ganz unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Partei. Fast gleichzeitig mit den Gründungszentren der Union bildeten sich auf lokaler Ebene zunächst der Sozialausschuss der Christlichen Arbeitnehmerschaft, Arbeitskreise der Jungen Union und der Frauen sowie Gruppen der kommunalpolitischen Arbeitsgemeinschaft. Diese vier Vereinigungen waren auch auf interzonaler und Bundesebene schon vor der Gründung der Bundespartei im Jahr 1950 aktiv. Ihnen fiel die wichtigste Funktion zu, politische Brücken zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu schlagen.399 395 396 397 398 399
Lappenküper 2001: 386 Narr 1966: 88 Vgl. Nipperdey 1961 Gauly 1990: 154 Kleinmann 1993: 97
5.3 Das erste Vermögensbildungsgesetz
107
Gerade weil die Union in der Gründungsphase wegen ihrer Vielschichtigkeit und ihrer programmatischen Heterogenität außer einem vagen Wertegerüst wenig Verbindliches besaß, hatten die Vereinigungen aufgrund ihrer spezifischen Ausrichtung eine große Integrations- und Identifizierungskraft. Wie bei der CDU selbst bestand auch bei den Vereinigungen eine personelle Verbindung zur Weimarer Republik. Vor allem ehemalige Funktionsträger des Zentrums prägten den Neubeginn.400 Der föderale Gedanke war nicht nur in der Programmatik lebendig, sondern wurde auch lebhaft in der Parteiorganisation und ihrem Willensbildungsprozess vertreten. Die Landesverbände waren durchweg mit einem starken Selbstbewusstsein ausgestattet, das sich auch in der Beharrung alter Landesverbände ausdrückte, die kleiner als Bundesländer waren. Zusammenfassend lässt sich über den Gründungsprozess der Union feststellen, dass sich die CDU in der Wählerschaft zunehmend stärker verankerte, indem sie sich von einer stark katholisch geprägten Anhängerschaft in das protestantisch bürgerliche Lager ausdehnte. Die CDU erweiterte die soziale Konfiguration des alten Zentrums umso stärker, als mit dem Untergang des Deutschen Reiches die Minderheitensituation der Katholiken überwunden war. Der CDU gelang es im Laufe der fünfziger Jahre aus der konfessionellen Wählerverengung der alten Zentrumspartei auszubrechen ohne jedoch ihre Bindekraft an die katholischen Wähler zu verlieren.401 Die aktive Unterstützung der katholischen Kirche in der Periode Adenauer bis etwa 1960 hat zum Erfolg der Union beigetragen, während die evangelischen Kirchen – insbesondere ihre gesinnungsethischen Gruppen – eine geteilte Auffassung hinsichtlich ihrer parteipolitischen Beziehungen und Einbindungen hegten.402 5.3 Der Einfluss des Sozialkatholizismus und der bürgerlichen Sozialreform auf den Eigentumsgedanken der CDU Der gesellschaftliche Wert von persönlichem Eigentum war ein Grundprinzip der Christdemokratie. Nicht zuletzt da das persönliche Eigentum ein zentraler Bestandteil des Personalismus ist. Aus diesem Grund wurde nicht nur am persönlichen Eigentumsgedanken festgehalten, sondern auch gewünscht, dass möglichst viele Menschen persönliches Eigentum bilden sollten. Folglich war ein Kernbestandteil der katholischen Soziallehre der Gedanken einer breiten Streuung des Vermögens. Dies war eine Kernidee der Sozialen Marktwirtschaft, die als Wirtschaftskonzeption nicht eine Vermögenskonzentration bei Einzelnen sah, sondern die Beteiligung vieler im Wirtschaftsprozess und damit auch an der Vermögensbeteiligung. Der Gedanke einer breiten Eigentumsstreuung begleitete die CDU seit ihrer Gründungszeit. Sowohl die Kölner als auch die Frankfurter Leitsätze aus dem Jahre 1945 forderten die Schaffung neuen Eigentums für die besitzlosen Schichten auf zwei Wegen: zum einen durch gerechten Güterausgleich und zum anderen durch soziale Lohngestaltung. Fortgeführt wurde dieser Gedanken im Ahlener Programm, in welchem Eigentumsbildung als eines der beiden Grundelemente der anzustrebenden partnerschaftlichen Wirtschaftsund Sozialordnung gefordert wurde. Auch in die Düsseldorfer Leitsätze fand der Eigentumsgedanke Eingang. Hier wurde noch zusätzlich mit dem Hinweis auf seine marktwirt400 Ebd 401 Rannacher 1970: 18 402 Wildenmann 1976: 278
108
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
schaftliche Komponente betont, dass durch eine breite Eigentumsstreuung, worunter auch eine möglichst differenzierte Teilhabe am wirtschaftlichen Besitz verstanden wurde, Machtzusammenballung sowie die stets latent vorhandene Gefahr des Machtmissbrauchs verhindert, respektive vermieden werden könne.403 Auch Konrad Adenauer leitete aus dem persönlichen Eigentumsgedanken seine Vorstellungen einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung mit sozialem Anspruch ab. In seinen Augen war das Privateigentum der sicherste Schutz für die wirtschaftliche und damit auch für die politische Freiheit. Es war für ihn auch ein Gegenposten zur „Lohnsklaverei“ und bot dem Menschen zusammen mit einer Arbeit eine sichere wirtschaftliche Grundlage, auch in der Zeit der Krise. Die Grenzen des Rechts auf Privateigentum zog Adenauer dort, wo höherrangige ethische Grundsätze und die Erfordernisse allgemeinen Wohls dagegen standen. Insbesondere sollte durch eine unangemessene Größenordnung privaten Eigentums dessen Freiheit sichernde Funktion nicht in eine potenzielle Freiheitsbedrohung für andere umschlagen. Besitz in der Hand Einzelner durfte keine ungerechte Herrschaft über Mitmenschen verleihen. Nicht zuletzt beruhten die mittelständischen Neigungen Adenauers auf allgemeinen politischen Erwägungen. Die Errichtung kleinerer und mittlerer Betriebe zog für ihn eine erfreuliche Dezentralisierung wirtschaftlicher Macht nach sich. Darüber hinaus garantierte ein breiter wirtschaftlicher Mittelstand politische und soziale Stabilität.404 „Denn je mehr selbständige Existenzen ein Volk hat, desto gesicherter und ausgeglichener ist es in seinem ganzen Handeln und Treiben.“405
Dieser Haltung entsprach auch, dass er im mäßigen Besitz möglichst vieler die sicherste Grundlage für eine wahrhafte Demokratie erblickte. Wenn sich die vermögenspolitische Debatte nach 1950 stark um technische Fragen drehte, so lag dies insbesondere daran, dass die Grundsatzdiskussion bereits in der Vorkriegszeit stattgefunden hatte. Die Vorstellungen der meisten Akteure entstammten aus dieser Zeit – ob es sich um die Führungsspitze der CDA um Theodor Blank oder auch sozialkatholische Wissenschaftler wie Oswald von Nell-Breuning handelte. Die bürgerlichen Sozialreformer waren tendenziell eher auf die Bewahrung der bestehenden Gesellschaftsordnung aus, während im Sozialkatholizismus radikale Neuordnungsvorstellungen nie ganz verschwunden waren. Gemeinsam war allen, dass Evolution, soziale Reform und nicht Revolution die Lage der Arbeiter verbessere. Ein bescheidener Besitz galt als Garantie, dass aus dem potenziell gefährlichen Arbeiter ein an der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung interessierter Staatsbürger werden würde. Sparen wurde als ethischer Wert des Konsumverzichts gesehen. Das verbindende Element all dieser Pläne bestand in dem Willen, die Arbeitnehmer an die Unternehmen zu binden, Eigentum für eine breite Bevölkerungsschicht zu schaffen, Freiheit zu gewährleisten und die Möglichkeit für ein selbst bestimmtes Leben zu schaffen. Erstmals gab es mit der CDU eine politische Kraft, die die Vermögensbildung der Arbeitnehmer als eines ihrer wichtigsten Ziele propagierte. Erstmals eröffnete zudem eine lang
403 Gundelach 1983: 185 404 Wenzel 1983: 62 405 Niederschrift der Fraktionssitzung im Zweizonenwirtschaftsrat vom 23.2.1948 [zitiert nach Wenzel 1983: 62]
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
109
andauernde Prosperität die Aussicht, sich nach der Überwindung der drängenden Not dem anspruchsvollen Ziel einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung zuwenden zu können.406 Die Kritik an der bestehenden Eigentumsordnung war einer der schwersten und ständig wiederkehrenden Vorwürfe des sozialen Katholizismus gegen die Soziale Marktwirtschaft. Dies lag an den wachsenden Vermögensunterschieden, die in der Wiederaufbauphase relativ rasch entstanden waren. Diese konnten nur bedingt durch die ungewöhnlich hohen Investitionen erklärt werden, die von den Unternehmern zum großen Teil über die erzielten Gewinne, also durch Selbstfinanzierung, aufgebracht werden mussten.407 Dies lag besonders auch an dem großen Wirtschaftswachstum, das 1948 noch nicht absehbar war. So wurde die Politik von der wirtschaftlichen Dynamik positiv, von den vermögensrelevanten Folgen jedoch negativ überrascht. Seit Beginn des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs der Bundesrepublik machten Vertreter des sozialen Katholizismus auf diese offensichtliche Fehlentwicklung aufmerksam. Die Düsseldorfer Leitsätze der CDU erklärten, der wirtschaftliche Ertrag beruhe auf der Zusammenarbeit von Arbeit, Kapital und Unternehmerleistung. Den Arbeitern komme daher der Anspruch auf einen gerechten Anteil am Ertrag des Unternehmens zu. Auf dem Bochumer Katholikentag des gleichen Jahres spielten die Begriffe „Soziallohn“, der es – zusätzlich zum Unterhalt einer Familie – ermöglichen sollte, zu Privateigentum zu gelangen und „Gewinnbeteiligung“ eine große Rolle. In diesem Bereich unternahmen CDU-Politiker im Zeitraum von 1949 bis 1961 zwei große Initiativen. Die Miteigentumspläne und das Erste Vermögensbildungsgesetz. Während die erste Initiative scheiterte, wurde die zweite in Regierungspolitik umgesetzt. 5.4 Die Miteigentumspläne: eine gescheiterte Initiative zur Eigentumspolitik der CDU Die Miteigentumspläne lehnten sich an alte christlichsoziale Eigentumspläne an. Sie verbanden sowohl den Anspruch, die Entproletarisierung der Arbeiterschaft zu befördern, die Vermögensverhältnisse breiter zu streuen, die Arbeiter durch Kapitalbeteiligungen sich stärker mit ihrem Unternehmen identifizieren zu lassen und die Idee der Mitbestimmung materiell zu unterfüttern. Obwohl die Düsseldorfer Leitsätze sich zur „größtmöglichen Streuung des Eigentums“408 ausdrücklich bekannten, die CDU in ihrem Bundestagswahlprogramm von 1953 das Bekenntnis zum Miteigentum aufnahmen409 und Politiker, wie Karl Arnold, auf Bundesparteitagen mit dieser Idee punkten konnten, gelang es den Verfechtern nicht, diese Pläne gegen die Skepsis der führenden und marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftspolitiker der Union durchzusetzen. Die Gründe für ihr Scheitern waren vielschichtig. Sie sind sowohl im politischen Markt als auch in der Struktur des Willensbildungsprozesses innerhalb der Partei begründet. Vor allem konnte außerhalb der Christlichsozialen kein anderer Parteiflügel für diese Idee gewonnen werden.
406 407 408 409
Dietrich 1996: 67f Stegmann 1967: 513 CDU 1949/1995: Die Düsseldorfer Leitsätze, S. 29 CDU 1953/1995: das Hamburger Programm, S. 41
110
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
5.4.1 Grundkonzept Die Wirtschaftspolitik schritt nach 1948 keineswegs von Erfolg zu Erfolg. Zwar löste der Übergang zur Marktwirtschaft in den drei Westzonen eine Euphorie aus, die von der Hoffnung auf eine rasche Verbesserung der trostlosen ökonomischen Gesamtsituation genährt war. Die rapide Vermehrung des Warenangebots, die in allen Schaufenstern sichtbar wurde, ließ zusätzlich den Eindruck entstehen, dass Ludwig Erhards entschlossene Wirtschaftspolitik praktisch über Nacht ein Wunder bewirkt habe. In Wirklichkeit waren aber nicht alle wirtschaftlichen Probleme mit der Einführung der neuen Währung von einem Tag auf den anderen gelöst.410 Die Aufhebung der Preisbindung und der Kaufdrang der Bevölkerung nach Jahren des Mangels ließen die Lebenshaltungskosten erheblich steigen. Durch die geringeren Lohnsteigerungsraten sank das Realeinkommen für weite Teile der Bevölkerung. Zudem wuchs die Arbeitslosigkeit, da in Zeiten einer harten Währung die Unternehmer mit Lohnkosten sparsamer umgingen. Zwar verbesserte sich die Lage 1949 etwas, aber die wirtschaftlichen Spannungen dauerten bis 1951 und beeinflussten die Zeit bis 1953.411 „Miteigentum“ war in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre ein Schlagwort, das im Sprachgebrauch des sozialen Katholizismus alle erdenklichen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung oder der privaten Vermögensbildung überhaupt bezeichnete. Im Verständnis der Zeitgenossen wurde der Begriff aber mehr und mehr auf eine bestimmte Form der einzelbetrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteiligungen beschränkt. Er wurde zum Synonym für einen vermögenspolitischen Plan. Diese Verengung des Begriff war auf einen CDA-Mann zurückzuführen: Rupprecht Dittmar.412 Dittmar entwickelte seine Gedanken bereits vor 1950 und legte sie 1953 in einer Denkschrift und 1957 in einem für die CDA ausformulierten Gesetzesentwurf dar.413 Die Grundgedanken blieben von Beginn an unverändert. Die Arbeitnehmer eines Unternehmens sollten zusätzlich zum Barlohn individuell zurechenbare Gewinnanteile erhalten, die aber nicht ausgezahlt, sondern im Betrieb belassen werden sollten. Es handelte sich mit anderen Worten um eine Beteiligung der Arbeitnehmer an dem durch Selbstfinanzierung erfolgten Vermögenszuwachs. So würde der Anteil der Belegschaft durch fortgesetzte Gewinnbeteiligung sowie durch die Verzinsung ihrer eigenen Anteile allmählich wachsen. Den Gedanken, den Klassenkampf auf betrieblicher Ebene zu überwinden, hatte die Idee des Miteigentums mit den Partnerschaftsbestrebungen auf Unternehmerseite gemeinsam. Diese Überlegung schloss sich an den traditionellen Ansatz katholischer, aber auch bürgerlicher Sozialreformer an, die sich von der Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmen eine Abmilderung der Klassengegensätze erhofften. Der Versuch, über das Miteigentum die Mitbestimmung zu untermauern und langfristig womöglich auszubauen, kam dem gewerkschaftlichen Ansatz entgegen. Die gewerkschaftliche Unterstützung ließ die Begeisterung bei den Unternehmern jedoch nicht gerade wachsen. Die meisten witterten dahinter gewerkschaftliche Machtgelüste, die auf eine Majorisierung der Alteigentümer abzielten. Das wohl wichtigste Motiv für ihre Ablehnung wurde dagegen nur selten in der politischen Auseinandersetzung ausgesprochen: Den Unternehmern entging nicht, dass die Verwirkli410 411 412 413
Görtemaker 1999: 156 Birke 1989: 383f Dietrich 1996: 59 Dittmar 1953
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
111
chung der Miteigentumspläne – aller Partnerschaftsrhetorik zum Trotz – letztlich eine Änderung der Einkommens- und Vermögensverteilung zu ihrem Nachteil bedeuten würde. Der Begriff „Miteigentum“ wurde im Unternehmerlager schnell zu einem Reizwort, das vielfältige Aversionen auslöste.414 Die führenden Wirtschaftspolitiker der Union, wie Erhard und Etzel, sahen diese Pläne mit Skepsis. Sie setzen den Plänen ein Gegenkonzept entgegen. Im Mittelpunkt ihrer Konzeption standen die Bewahrung und Wiederherstellung der Funktionen des Eigentums. Nicht die Nivellierung der Vermögensverteilung unter den sozialen Schichten, sondern die Steigerung der Vermögensbildung und ihre Verlagerung auf die privaten Haushalte war primäres Ziel.415 Folglich erkannten beide innerparteilichen Strömungen der Union die Interessen an einer breiten Eigentumsstreuung als berechtigt an. Von beiden Seiten wurde die Vermögensverteilung in der frühen Bundesrepublik äußerst kritisch gesehen. Jedoch unterschieden sich die Lösungsvorschläge erheblich voneinander. Während die christlichsozialen Kräfte auf eine betriebliche Lösung setzten, die in dem jeweiligen Betrieb alle Arbeiter gleich behandeln sollte, favorisierte der Wirtschaftsflügel – insbesondere die ordoliberalen Kräfte – eine Vermögensbildung über die gesamte Volkswirtschaft anhand von Volksaktien. Nach ihrer Ansicht sollten breite Bevölkerungskreise dazu angeregt werden, über den Markt Volksaktien zu erwerben. Dies könnte dann auch staatlicherseits gefördert werden.416 5.4.2 Innerparteiliche Diskussion Die innerparteiliche Diskussion zeigte nicht nur, dass strategische Überlegungen auf dem politischen Markt ebenso eine große Rolle spielten, wie programmatische Überzeugungen und christliche Werttraditionen. Der innerparteiliche Klärungsprozess verdeutlichte zudem, dass die CDU in dieser Zeit eine Union von Vereinigungen und unterschiedlichen – zum Teil nicht organisierten – Strömungen war. Ihre Koordinierung fand in der Fraktion statt. Die Parteitage dienten weniger innerparteilichen Klärungsprozessen, sondern waren vielmehr öffentliche Demonstrationen für das programmatische Erscheinungsbild der Union auf dem politischen Markt. Aus diesem Grund blieben die dortigen Reden für die konkrete Politik folgenlos. Sie konnten jedoch wirksame Zeichen setzen. Mit einem solchen begann die vermögenspolitische Debatte. Karl Arnold ergriff 1951 auf dem zweiten Parteitag, nachdem in Goslar – dem Tagungsort des Ersten Bundesparteitages – vermögenspolitische Forderungen noch keine Rolle gespielt hatten,417 die Initiative. Er griff damit eine innerparteiliche Stimmung auf, die Erhards Soziale Marktwirtschaft noch skeptisch sah. Zwar war durch die Düsseldorfer Leitsätze die Richtungsentscheidung zwischen Plan- und Marktwirtschaft zugunsten letzterer entschieden, aber ihre Ausgestaltung nicht abschließend geklärt. Die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft war in erster Linie aus strategischen Motiven für den politischen Markt gefällt worden. Sicherlich konnte man einer sozialen Planwirtschaft aus Gründen christlicher Werte nicht zustimmen. 414 415 416 417
Dietrich 1996: 59-60 Ebd Ebd: 59ff Vgl. Protokoll des ersten CDU Bundesparteitag in Goslar vom 20.-22.10.1950.
112
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
Aber diese Ablehnung bedeutete nicht zwangsläufig eine Entscheidung für Erhards Politik. Zum einen war die SPD-Politik nicht so sozialistisch, wie sie von einigen christdemokratischen Propagandisten dargestellt wurde. Auch fand die Partei Unterstützung bei christlichsozialen Intellektuellen wie Nell-Breuning. Es gab also aus der Sicht der Parteiwerte eine klare Ablehnung einer dirigistischen, staatlichen Zwangswirtschaft, aber doch eine beachtliche Spannbreite in der Ausgestaltung einer christdemokratischen Wirtschaftspolitik. Um die konkrete Gestaltung konnte insbesondere in den ersten beiden Legislaturperioden hart gerungen werden. Auf der einen Seite standen Vertreter des linken Parteiflügels, die in der Tradition der katholisch geprägten christlichen Gewerkschaften aus der Weimarer Republik standen. Zu ihnen zählten Karl Arnold, Jakob Kaiser und die CDA-Führung. Ihre Erfahrungen und politischen Überzeugungen ließen sie kapitalismuskritische Positionen vertreten. Auf der anderen Seite standen die Wirtschaftsliberalen. Sie waren strikt antisozialistisch eingestellt und verstanden die Union als bürgerliche Sammlungspartei, die an ihrer Wirtschaftspolitik gemessen werden würde. Ihre Herkunft war bürgerlich – katholisch wie protestantisch – und ihr Standpunkt liberal-konservativ. Ihr Verhältnis zu den Unternehmerverbänden war besser als zu den Sozialausschüssen, obwohl gerade die Ordoliberalen unter ihnen – wie Erhard – auch keinem Konflikt aus dem Weg gingen, wenn der ordoliberale Wettbewerbsgedanken in der Wirtschaft unterhöhlt zu werden drohte. In der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung bildeten sich innerparteilich die Anti-Poden zwischen den Wirtschaftsliberalen und den Christlichsozialen. Beide Gruppen bildeten aber nicht das Machtzentrum. Dies lag in der Fraktion und in der Regierung. Hier besaßen die bürgerlichen Katholiken um Konrad Adenauer die strategische Mehrheit. Diese wurden zusätzlich von den marktwirtschaftlich orientierten Säkularkonservativen unterstützt. Beide Gruppen fuhren einen pragmatischen und weniger durch wirtschafts- oder sozialtheoretische Überlegungen geleiteten Kurs in der Wirtschaftspolitik. Dies förderte zwar den nicht ganz unberechtigten Eindruck, keine stringente Regierungspolitik in Wirtschaftsfragen zu verfolgen, gab aber der Partei den Handlungsspielraum, die wirtschaftspolitischen Interessen aller ihrer Wählergruppen mehr oder weniger gleichmäßig zu berücksichtigen.418 Dabei spielte der „Parteimainstream“ nicht etwa eine Schiedsrichterrolle zwischen den beiden konkurrierenden Flügeln, sondern ermöglichte erst die notwendigen Initiativen.
418 Vgl. zu diesem Konzept: Zohlnhöfer 2001: 20
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
113
Die CDU im Kräftespiel Anfang der fünfziger Jahre Parteiprogrammatik: Bekenntnis zur Marktwirtschaft (Düsseldorfer Leitsätze) Bekenntnis zu einer solidarischen Gesellschaft im christlichsozialen Geist (Ahlener Programm). Innerparteiliches Leben: Wirtschaftspolitischer Widerstreit zwischen Wirtschaftsliberalen und Christlichsozialen. Politischer Markt: Knappe Mehrheit für Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft; Zweifel über soziales Attribut im Wirtschaftskonzept vorhanden; Anfang der fünfziger Jahre herrschte die „Gründungskrise“ der frühen Bundesrepublik. Die wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung der Partei zugunsten der marktwirtschaftlichen Ordnung war endgültig 1949 gefallen. Aber auch die Christlichsozialen wollten sozial- und wirtschaftspolitische Veränderungen im marktwirtschaftlichen System bewirken. Als Reaktion auf die Anfangsschwierigkeiten der Sozialen Marktwirtschaft und den wachsenden Vermögensunterschieden – die aufgrund der Währungsreform und des steilen Wirtschaftswachstum entstanden waren – bildete sich gerade auch im katholisch-sozialen Lager Kritik an den damaligen Verhältnissen. Die unterschiedlichen Auffassungen zu Mitbestimmung, Investitionshilfe und die Neuordnung der Konzerne führten dazu, dass sich die Sozialausschüsse dem Thema Miteigentum öffneten.419 In diesem Umfeld startete Karl Arnold öffentlichkeitswirksam seine vermögenspolitische Initiative. Arnold war ein Protagonist des linken Flügels, obwohl er auf Distanz zur CDA-Führung stand. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hatte sich gegen den marktwirtschaftlichen Kurs von Theodor Blank und Anton Storch im Frankfurter Wirtschaftsrat ausgesprochen. Auch nach 1949 betrachtete er den Wirtschaftskurs der Union eher skeptisch. Seine Initiative auf dem Parteitag brachte aber auch aus Sicht der Parteiführung propagandistischen Gewinn für die Gesamtunion. Die Herausstellung des „linken“ Arnolds war nicht so sehr Ausdruck einer unabgestimmten Initiative des linken Parteiflügels, sondern entsprach politisch-strategischen Gründen. Bei den Landtagswahlen 1950/51 hatte die CDU hohe Verluste einstecken müssen, weil die Wähler sie für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verantwortlich gemacht hatten. Mochte die Grundlinie der Marktwirtschaft entschieden sein, das Soziale musste stärker herausgearbeitet werden, um nicht zunehmend auf dem politischen Markt erfolglos zu werden. Die Parteitagsregie sah deswegen auch kein Grundsatzreferat von Ludwig Erhard auf diesem Parteitag vor. Die Notwendigkeiten auf dem politischen Markt ließen der Parteiführung eine Stärkung der Parteilinken für opportun erscheinen. 420
419 Wenzel 1983: 143-144 420 Dietrich 1996: 156f
114
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
Die Partei sah die Notwendigkeit, ihr wirtschaftpolitisches Konzept in eine soziale Vision emotional einzubetten. Die Stimmung zu Beginn der 1950er Jahre machte deutlich, dass eine rein neoliberal ausgerichtete Wirtschaftspolitik nicht mehrheitsfähig war: weder in der Partei noch in der Wählerschaft.421 Diese entschied sich in ihrer Mehrheit im Jahre 1949 nur knapp für die marktwirtschaftliche Ordnung. Auch war diese Mehrheitsmeinung zeitlich relativ nah am Wahltermin erfolgt. Zwei Jahre vor der ersten Bundestagswahl sahen die positiven Einschätzungen für die Marktwirtschaft weitaus schlechter aus.422 Deshalb konnte ein Meinungsumschwung zuungunsten einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik nicht ausgeschlossen werden. Das Problem, wie die CDU, deren Wirtschaftspolitik noch wenig Anklang fand und der viele soziale Missstände angelastet wurde, die kommende Bundestagswahl bestehen sollte, stellte sich immer drängender.423 Zudem war der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ noch keine Dachmarke für wirtschaftlichen Erfolg, sondern ein eher für die Menschen nicht greifbarer Begriff. Auf die Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie. „Wenn jemand von sozialer Marktwirtschaft spricht, wissen Sie, was damit gemeint ist?“, antworteten 56 Prozent der Befragten noch 1953 mit „Weiß ich nicht“, 27 Prozent machten falsche Angaben, nur zwölf Prozent der Antworten waren richtig.424 Politische Ansätze zu einer ausgewogeneren Verteilung der Eigentumsverhältnisse – zumal sie in das programmatische Gesamtkonzept der Christdemokratie passten – konnten einen solchen sozialeren Schwenk gut begründen. Über die konkreten Maßnahmen, wie ein solcher Schritt ausgestaltet werden sollte, bestand jedoch wiederum keine Einigkeit. Ludwig Erhard sprach sich gegen gesetzgeberische Maßnahmen in Bezug auf das betriebliche Miteigentum aus.425 Allerdings konnte die CDU-Linke dem Argument des Wirtschaftsflügels, nur aus Sparen und Konsumverzicht könne Eigentum erwachsen, nicht viel abgewinnen. Ihre Vertreter argumentierten, die volkswirtschaftlich notwendige steuerliche Begünstigung der Kapitalbildung der Unternehmen nach der Währungsreform lasse sich wohl kaum als Konsumverzicht der Unternehmer definieren. Was aber damals bei den Unternehmen richtig gewesen sei, könne jetzt bei den Arbeitnehmern, die mit zur Produktivitätsentwicklung beigetragen hätten, nicht falsch sein.426 Dieser Disput bewies, dass die eigentliche wirtschaftspolitische Entscheidung nicht von einem der beiden wirtschaftspolitisch exponierten Flügel, sondern beim marktwirtschaftlichen „Mainstream“ der katholischen Bürgerlichen getroffen werden musste. Da diese nach bestimmten Prinzipien entschieden, die nicht verletzt werden durften, aber ansonsten kein ausgefeiltes Konzept besaßen, waren sie für pragmatische Lösung weitgehend offen. Allerdings durften sowohl die Eigentumsrechte wie auch das Solidaritätsprinzip der Partei nicht grundlegend verletzt werden. Letzteres schien Anfang der fünfziger Jahre in Schieflage gekommen zu sein.427 Deshalb entschloss sich die CDU-Führung, den Begehrlichkeiten nach mehr sozialer Wärme zu entsprechen. Die CDU-Führung wollte zudem, da sie bereits Ende 1952 Kenntnis vom Wahlprogramm der SPD hatte, sowohl programmatisch eigenständig als auch unterscheidbar zum 421 422 423 424 425 426 427
Wildemann 1976: 277ff Eschenburg 1983: 435f Protokoll der CDU-Bundesvorstandssitzung vom 15. Dezember 1952, S. 225f Eschenburg 1983: 439f Frese 2000: 71 Ebd: 78 Hockerts 1986: 25-41
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
115
politischen Gegner erscheinen. So sollte auch ein eigener Leitfaden für das Soziale in der Marktwirtschaft entwickelt werden. Grundlage dafür sollte der Beschluss des Berliner Parteitages sein, in dem die Ausschüsse der Partei beauftragt wurden, dem Hamburger Parteitag Vorschläge für die Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu unterbreiten, insbesondere zur Förderung der Familie und der Bildung von Eigentum für breiteste Schichten des Volkes.428 Hinzu kam die Notwendigkeit, den einprägsamen Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ auch im Hinblick auf sein Attribut stärker mit Leben zu füllen. So argumentierte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold 1951 geschickt, indem er Forderungen der Christlichsozialen aufgriff, ohne den Wirtschaftsflügel vor den Kopf zu stoßen. In seiner Rede forderte er eine intensive Eigentumspolitik der Union als Antwort auf die soziale Frage, indem er sich explizit auf die katholische Soziallehre berief. Dabei stellte er auch im Bezug auf das Ahlener Programm heraus, dass die Wirtschaft kein Selbstzweck sein dürfe, sondern der Gemeinwohlverpflichtung des Menschen obliege. Die breite Streuung sei dabei ein Kernpunkt: „... Die zunehmende Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung der sozialen Ordnung in Deutschland ist vor allem erkennbar an der Tatsache, daß zahlreiche Menschen Vertrauen zu sich selbst und damit zu ihrer Umwelt, zur Gesellschaft und zum Staat verloren haben. ... Der geringe Sparsinn und die Sucht nach kostspieligen Zerstreuungen machen dies besonders deutlich. Sie alle kennen diese unerfreulichen Erscheinungen, und ich brauche deshalb keine Beispiele dafür anzugeben. ... Ich halte daher die soziale Festigung unseres Volkslebens für die Voraussetzung sowohl für eine Ordnung im Inneren wie für eine vernünftige erfolgreiche Außenpolitik. ... [Im Bezug auf das Ahlener Programm fügt er hinzu:] Wir wollten den geistig gefestigten und freien Menschen über die Wirtschaft erheben. Es ist damals ausgesprochen worden, daß darin gleichermaßen eine Absage an die Anonymität und Verschleierung der wirklichen Verantwortung beim Großkapital, wie auch eine Absage an einen verbürokratisierten Staatskapitalismus zu sehen sei. ... Vom totalen Staat, wie er infolge einer restlosen oder auch nur vorwiegend staatlichen Wirtschaft naturnotwendig entstehen würde, sollen wir nichts wissen. ... Die christliche Soziallehre hat den Satz von der fundamentalen Bedeutung des privaten Eigentumsrechts für die Verantwortlichkeit und Initiative in der Wirtschaft immer wieder betont und auf die Gefahren der anonymen „Kollektivverantwortlichkeit“ hingewiesen.429
Karl Arnolds Rede stieß auf eine positive Resonanz, blieb aber aufgrund der fehlenden Relevanz des Parteitages für konkrete politische Entscheidungen zunächst folgenlos. Sie zeigte aber, dass man mit diesem christlichsozialen Thema parteiintern durchaus punkten konnte. Die Partei war für Kurskorrekturen innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft offen eingestellt. Allerdings fehlte es zunächst an konzeptioneller und inhaltlicher Schärfe des linken Flügels. Der Wirtschaftsflügel der Union stand dem Vorstoß des nordrheinwestfälischen Regierungschefs skeptisch gegenüber. Vor allem sah er den Eigentumsbegriff ad absurdum geführt, wenn der Staat Eigentum für Arbeitnehmer usurpiere.430 In diesem Bereich musste eine Einigung gefunden werden, die beide Flügel nicht vor den Kopf stoßen durfte. Denn diese Strömungen waren nicht nur parteiintern in dieser Zeit 428 Protokoll der CDU-Bundesvorstandssitzung vom 7. November 1952, S. 166f 429 ACDP VII-004-356/1 [Rede Karl Arnolds auf dem Karlsruher Parteitag] 430 So Hellwig am 7.11.52 auf einer Sitzung des BFA Wirtschaft unter der Leitung von Etzel [ACDP VII-004 D- 076/1]
116
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
überaus wichtig, sondern symbolisierten nach außen ihrem Wählerklientel, ob und in welcher Weise die CDU eine Politik für die bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verfolgte. Aus diesem Grund konnte die Volkspartei CDU nicht eine Gruppe vollkommen vor den Kopf stoßen, wollte sie diese im politischen Markt nicht als Wählergruppe verlieren. Aus diesem Grund bestand innerparteilich ein Einigungszwang. Dies führte unter anderem auch zu informellen Gremien, die eine Einigung erreichen sollten. So wurde im Oktober 1952 auf dem dritten Parteitag ein Ausschuss auf Betreiben der Sozialausschüsse und des Wirtschaftsliberalen Franz Etzel eingesetzt.431 Während die Sozialausschüsse sich anschickten, ihren Forderungen nach Miteigentum in den Parteiorganen zur Durchsetzung zu verhelfen, fielen die wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen weiterhin in den Fraktionen der Regierungsparteien und in den Ministerien für Finanzen und Wirtschaft. Gerade im Wirtschaftsministerium besaßen die Wirtschaftsliberalen eine Bastion. Dabei erhielten sie eine herausgehobene institutionalisierte Stellung.432 Sie konnten demnach die Regierungspolitik in ihrem Sinne beeinflussen und vor allem auch verlangsamen. Die Entscheidungen fielen jedoch in der Fraktion bzw. im Kabinett. Hier hatten die bürgerlichen Kräfte die Oberhand, die wie Adenauer wirtschaftspolitisch einen pragmatischen, den politischen Notwendigkeiten Rechnung tragenden Kurs fuhren. Von diesem ließen sie sich auch nicht abbringen. Die Eigentumspolitik der ersten Legislaturperiode in der Regierungszeit Konrad Adenauers bot daher das paradoxe Bild: Weder die sozialpolitisch motivierten Initiativen der CDA, noch die ordnungspolitischen Reformbestrebungen des Wirtschaftsministeriums wurden letztendlich verwirklicht. Hingegen dominierte eine pragmatische, von widerstreitenden Wirtschaftsinteressen geprägte, um Ausgleich bemühte und daher notwendigerweise kurzatmige Politik.433 Diese pragmatische Politik wurde in Wahlkampfzeiten noch verstärkt. Um die Jahreswende 1952/53 richtete sich die Aufmerksamkeit innerhalb der CDU auf die Erarbeitung einer programmatischen Grundlage für den Wahlkampf. Im Gegensatz zur Innen- und Außenpolitik war das soziale Profil der Union nur schwer auszumachen. Da gerade die politische Stimmung 1952 einen Sieg der Union nicht als sicher erschienen ließen, rückte das Sozial- und Wirtschaftsprogramm der Union wieder in den Vordergrund. 434 Eine offensive Politikstrategie in diesem Bereich sollte vermehrt Arbeitnehmerstimmen an die CDU binden, die in ihrer Mitgliedschaft weit unterrepräsentiert waren.435 Daher kam den Sozialausschüssen als Interessengruppen der Arbeitnehmer eine wichtige Rolle zu. Für die CDA war diese Anerkennung für die Wahlauseinandersetzung 1953 in zweierlei Hinsicht bedeutend. Zum einen wertete sie ihre Rolle innerparteilich auf. Zum anderen konnte die CDA in der organisierten Arbeitnehmerschaft ihren Anspruch untermauern, der einflussreiche Vertreter der Arbeitnehmerinteressen zu sein, indem sie sich nicht in einer totalen Oppositionsstrategie gegenüber der Regierung verrannte. Bis dato wurden die
431 432 433 434
Vgl. Protokoll des Vierten Parteitages in Hamburg vom 18.-22.4.1953. Vgl. hierzu Tsebelis 1999: 596f Vgl. Dietrich 1996: 193ff Vgl. Referat Adenauer auf der CDU-Bundesvorstandssitzung am 15. Dezember 1952 [Protokoll der CDUBundesvorstandssitzung am 15 Dezember 1952, S. 237f.] 435 Lappenküper 2001: 386
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
117
Christlichsozialen als bloßes Anhängsel der Regierung betrachtet und von vielen aktiven Gewerkschaftlern nicht Ernst genommen.436 Im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 1953 wurde die Entwicklung zum Miteigentum beschleunigt. Auf Drängen des CDU-Bundesvorstandes, der am 11. März 1953 tagte, machte der Sonderausschuss zum Miteigentum die Kölner Entschließung der CDA zur Grundlage der weiteren Beratungen. Tatsächlich bildete das Papier die Basis für den Antragsentwurf des Sonderauschusses für den Hamburger Parteitag. Mit diesem Schritt sollten Defizite auf sozialpolitischem Gebiet wettgemacht und vor der Wahl offene Auseinandersetzungen mit dem Arbeitnehmerflügel vermieden werden.437 Die CDA konnte aus Wahlmotiven der Gesamtpartei das Miteigentum in das Programm festschreiben lassen. Diese taktischen Überlegungen überwanden zunächst die Widerstände seitens des Bundeswirtschaftsministeriums. In das Hamburger Programm – das Wahlprogramm für die Bundestagswahl von 1953 – wurde so das Miteigentum als CDU-Ziel festgeschrieben. Unter der Überschrift „Eigentum für alle Schichten des Volkes“ fanden sich im Hamburger Programm die Kernsätze: „Die Verbindung von Mitbestimmung und Miteigentum ist die beste Verwirklichung des machtverteilenden Prinzips in der Wirtschaft. Die Bildung von Miteigentum darf den Lohnstandard nicht beeinträchtigen. Die Schaffung von Miteigentum ist durch den Staat zu fördern und durch freiwillige Vereinbarungen auf der Grundlage einer Rahmengesetzgebung zu verwirklichen. Neben dem Eigentum am eigenen Betrieb ist ein System des mittelbaren Eigentums da zu ermöglichen, wo direkte Beteiligungen nicht zu verwirklichen sind. Verstaatlichung und sozialistisches Gemeineigentum sind keine Lösungen der sozialen Frage. Miteigentum am Betrieb ist soziale Tat jenseits von Kapitalismus und Sozialismus und dient der sozialen Ausgestaltung der Marktwirtschaft.“438
Für die weitere Entwicklung der Mitbestimmungsziele war jedoch von großer Bedeutung, dass die Grundlage für die Hereinnahme des Miteigentums in das Wahlprogramm nicht eine breite Willensbildung in den Gremien von Fraktion- und Bundesregierung, sondern Resultat rein wahltaktischer Überlegungen gewesen war. Denn insgesamt war das Bekenntnis zum Miteigentum im Hamburger Programm nicht mehr als ein Formelkompromiss. Die Auseinandersetzung in der CDU drehte sich denn auch bis 1957/58 darum, wie die Formulierungen praktisch auszufüllen sein sollten. Das Hamburger Wahlprogramm stellte somit lediglich einen Augenblickserfolg für die Sozialausschüsse dar, indem sie ihr traditionsreiches Schlagwort „Miteigentum“ in das Parteiprogramm hineingebracht hatten. Die Zeit arbeitete jedoch für die Gegner des Konzepts. Deren Rückhalt in Bundestagsfraktion und Regierung war im politischen Tagesgeschäft stärker. Da die CDA ein eindeutiges Bekenntnis zur Konzeption Dittmars letztlich nicht durchsetzen konnte, war die Offenlassung der Interpretation des Regierungsauftrages eine langfristige Niederlage für den Arbeitnehmerflügel.439 Diese Niederlage ist auch auf die veränderten Rahmenbedingungen auf dem politischen Markt zurückzuführen.
436 437 438 439
Schröder W. 1992: 182 Vgl. Dietrich 1996: 187 CDU 1953/1995: Hamburger Programm, S. 41 Dietrich 1996: 228
118
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
Der unerwartet hohe Sieg von CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1953 verschlechterte noch die Chancen der Sozialausschüsse, ihre Miteigentumspläne durchzusetzen. Die Befürchtung der Partei, die Wähler würden die Regierungsparteien für sozialpolitische Versäumnisse bestrafen, hatte sich nicht bewahrheitet. Der Anteil der Arbeiter, die CDU wählten, hatte sich sogar erhöht. Der große Erfolg bei den Wählern aus der Arbeitnehmerschaft ließ die Strategie, den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Vorstellungen eine komplett eigenständige Wirtschafts- und Sozialpolitik entgegenzustellen, als Erfolg versprechend erscheinen.440 Damit entfielen die taktischen Erwägungen für die Miteigentumspläne, wie sie noch vor der Bundestagswahl gegolten hatten. Der Strategiewechsel wirkte sich schnell aus. Nahm das Miteigentum 1953 noch einen bedeutenden Platz im Wahlprogramm der CDU ein, so verschwand es nach der Wahl von der politischen Tagesordnung, bevor es 1957 endgültig beerdigt wurde. Grundgelegt wurde diese Entwicklung durch die parteiinterne Einflusskonstellation, die nun nicht mehr durch strategische Überlegungen im politischen Markt überdeckt wurde. Ein Charakteristikum der Union der Gründerjahre war, dass die einzelnen Lager relativ isoliert nebeneinander arbeiteten. Besonders die Überlegungen zur weiteren Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft liefen innerhalb der unterschiedlichen Flügel der Union ohne einen größeren Gedankenaustausch ab. Die Abschottung der Parteiflügel voneinander, gegenseitige Verständnislosigkeit und lieb gewonnene Ressentiments verhinderten, dass die Möglichkeit der Umsetzung gemeinsamer Projekte erwogen wurde.441 Hier zeigte sich, dass das institutionelle Gemeinsame noch hinter den Gruppeninteressen zurücktrat und die jeweilige Gruppenidentität ein großes Gewicht besaß. Häufig gestaltete sich die Zusammenarbeit der einzelnen Strömungen nicht nur unkooperativ, sondern auch konfrontativ. Der Arbeitskreis „Wirtschaftliches Miteigentum“, der als flügelübergreifende Koordinierungskommission eingesetzt wurde, entwickelte sich zum Bremsklotz der Wirtschaftsliberalen gegenüber den CDA-Ideen. Der Arbeitskreisvorsitzende Fritz Hellwig war ein erklärter Gegner der Miteigentumspläne. Damit hielten die Wirtschaftsliberalen eine weitere Schlüsselposition inne, die ihre Vetomacht stärkte. Zudem konnten sie sich sicher sein, dass keine unangenehmen Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium, dem Bundesfachausschuss Wirtschaft oder dem zuständigen Fraktionsarbeitskreis kommen würden.442 Das Thema Miteigentum konnte aus Sicht der Wirtschaftsliberalen in ihrem Sinne am besten gelöst werden, wenn eine Konzeption gefunden würde, die für die CDA akzeptabel wäre und ihren eigenen wirtschaftlichen Grundsätzen mehr entsprechen würde. Das soziale Anliegen der Partei war aber im Parteiprogramm festgeschrieben und die Partei in der Öffentlichkeit festgelegt. Es entstand Handlungsdruck für die Partei, ein Konzept für eine gerechtere Vermögensbildung zu finden.443 Dafür bildete Hellwig sechs Wochen vor dem Parteitag 1957 eine Kommission aus seiner politischen Einstellung genehmen Mitgliedern, die eine Stellungnahme zum Miteigentum erarbeiten sollte. Anstelle der Miteigentumspläne wurde nun die Idee der Privatisierung des Bundesvermögens ins Spiel gebracht. Die Wirtschaftsliberalen favorisierten eine 440 Vgl. Äußerung von Franz Josef Strauß in der CDU-Bundesvorstandsitzung am 10. September 1953[vgl. Protokoll der Bundesvorstandssitzung vom 10. September 1953, S. 39f.] 441 Dietrich 1996: 229 442 Vgl. Strategische Absprache des Vorstands BFA Wirtschaft vom 1.3. 1957, Miteigentumspläne ruhen zu lassen und einen besseren Konsens mit der CDA zu suchen [ACDP VII-004 D- 076/1] 443 Sitzung des BFA Wirtschaft vom 29.1.1957 [ACDP VII-004 D- 076/1]
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
119
mehr marktwirtschaftliche Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand mit Hilfe einer „Volksaktie“. Durch diese Aktie sollten Spartätigkeit und Vermögensbildung breiter Volksschichten gefördert werden.444 Mit diesem Vorschlag wurde der wirkungsvollste Hebel gegen das Miteigentum gesetzt. Keine Initiative konnte mit dem Argument zurückgewiesen werden, dass ihr Ziel mit dem Leitbild der CDU unvereinbar sei. Die Kritik musste sich auf die technische Seite des Vorhabens beschränken. Die Miteigentumsgegner verwarfen die CDAVorschläge mit der Begründung ihrer praktischen Undurchführbarkeit. Diesen Vorwürfen konnten die Arbeitnehmervertreter wenig entgegensetzen, da die CDA für Detailfragen der Wirtschaftspolitik wenig Interesse mitbrachte. Der Arbeitnehmerflügel betrachtete sich als Gralshüter der Sozialpolitik und mischte sich kaum in die wirtschaftspolitischen Fachdiskussionen ein.445 So konnte der Wirtschaftsflügel in der Partei viel Gehör für seine Einwände finden, dass die Miteigentums-Pläne nicht in das geltende Aktienrecht passen würden. Sie waren zu einer Zeit entstanden, als ein funktionierender Kapitalmarkt die Vorstellungskraft vieler Zeitgenossen überschritten hatte, und beruhten auf der Annahme, dass ein überwiegender Teil des Betriebskapitals in Form von Selbstfinanzierung unvermeidlich sei.446 Hier rächte sich wieder die im Vergleich zu den Wirtschaftsliberalen schlechte Ressourcenausstattung der CDA, da erstere aus abstrakten Konzepten realisierbare und durchsetzungsfähige Politiklösungen ausarbeiten konnten. Aus diesem Grund wurde ihnen auch in der Miteigentumsfrage das Heft des Handelns im entscheidenden Moment aus der Hand genommen. Hier zeigt sich auch ein weiterer Grundzug des Vereinigungscharakters. Man zog sich nicht nur in seine Vereinigung zur politischen Debatte zurück, sondern verengte sich auf ein bestimmtes Politikfeld. Für Politikfeld übergreifende Lösungen zeigte man folglich wenig Neigung und Kompetenzen. Trotz ihrer innerparteilichen Erfolge konnten die Wirtschaftsliberalen das Thema nicht vollkommen wegwischen, da die Union auf dem politischen Markt für die kommenden Bundestagswahlen ein sozialpolitisches Zeichen setzen wollte. Dieser Handlungsdruck wurde vor allem von zwei Faktoren, die vom politischen Markt auf die Partei einwirkten, noch zusätzlich verstärkt: Im Sommer 1956 rechnete kaum jemand mit einem triumphalen Wahlsieg der Union im kommenden Jahr. Zu dem Meinungstief trug nicht zuletzt das zerstrittene und führungslose Bild bei, das die Regierungsparteien in der Wirtschaftspolitik boten. Diese geriet nämlich nicht nur aus den Reihen der Sozialausschüsse unter Druck. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wurde auch seitens der Ordoliberalen aufgrund ihrer populistischen Entscheidungen kritisiert. Auslöser waren eine Reihe von Wahlgeschenken im Jahr vor der Bundestagswahl. Die Abgeordneten von CDU und CSU versuchten durch großzügige Geschenke an alle möglichen Wählergruppen den für sie negativen politischen Trend umzukehren und hielten dies aufgrund der vollen Kassen des Bundes für realisierbar. Konrad Adenauer, der sich nie als Gralshüter einer reinen wirtschaftspolitischen Lehre verstanden hatte, unterstütze diese Wahlgeschenke an Rentner, Industrie, Mittelstand und Landwirtschaft.447 Dies führte nicht nur zu einem offenen Zerwürfnis zwischen Adenauer auf der 444 445 446 447
Dietrich 1996: 228 Ebd Jostock 1955: 149 Dietrich 1996: 232
120
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
einen und Ludwig Erhard, Fritz Schäffer und der Bundesbank auf der anderen Seite,448 sondern schuf Begehrlichkeiten, indem alle Interessensverbände ihren Teil des Kuchens einforderten. Dies erhöhte zusätzlich den Druck auf die Sozialausschüsse, ihre Politik für die Arbeitnehmer zu forcieren, um greifbare Erfolge am Wahltag vorweisen zu können. Den Sozialausschüssen fehlten für ihre Pläne aber innerparteilich potente Bündnispartner und der öffentliche Druck des politischen Marktes. Der Wirtschaftsflügel der Union forcierte nun seine Vermögenspolitik für Arbeitnehmer. Dies war aber weniger ein Strategie im Hinblick auf den politischen Markt, da die öffentliche Kritik an der ungleichen Vermögensbildung im Wiederaufbau seit 1952/1953 abgeflaut war. Die gesteigerte vermögenspolitische Aktivität war vielmehr das Ergebnis der zunehmenden Unzufriedenheit der Vertreter der Wirtschaftsliberalen in der CDU über das Steckenbleiben ihrer Reformvorhaben. Sie erkoren nun vermögenspolitische Maßnahmen zu ihren Reformvorstellungen. Die Verquickung ordnungspolitischer Reformvorstellungen mit der Vermögenspolitik resultierte aus mehreren Gründen: Die damalige Konjunkturüberhitzung ließ eine Förderung des Sparens angebracht erscheinen. Auch die Reformvorhaben auf dem Gebiet der Kapitalmarktpolitik und des Aktienrechts ließen sich ohne weiteres vermögenspolitisch rechtfertigen. Doch gab es noch einen weiteren Grund für die christdemokratischen Ordoliberalen, auf vermögenspolitischem Gebiet Erfolge zu suchen. Der Arbeitnehmerflügel hatte mit seinen vermögenspolitischen Bestrebungen zwar seit 1953 keine innerparteilichen Erfolge mehr zu verzeichnen gehabt, aber vor dem Stuttgarter Parteitag im April 1956 war es um den Gesetzesentwurf zum Miteigentum zu heftigen internen Auseinandersetzungen gekommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Streit öffentlich ausgetragen werden würde. Man versuchte, seitens des Wirtschaftsrates und hier vor allem von Seiten Franz Etzels ein konsistentes kapitalmarkt- und vermögenspolitisches Programm für die dritte Legislaturperiode zu erarbeiten.449 Diese vermögenspolitischen Initiativen des Wirtschaftsflügels überrollten die christlichsozialen Arbeitnehmer. Während sich die vermögenspolitischen Vorstellungen des Wirtschaftsflügels der CDU in parlamentarischen Initiativen konkretisierten, registrierte die CDA bei ihren Miteigentums-Bestrebungen kaum Fortschritte. 450 Der CDU-Führung war nun mehr daran gelegen, das mittelständische und wirtschaftsfreundlichere Image zu verbessern. Die Miteigentums-Pläne würde den mittelständisch orientierten Konkurrenten der CDU, der FDP und der DP, die Gelegenheit bieten – so die Kritiker dieser Pläne – gegen einen angeblichen Linksruck der Kanzlerpartei zu polemisieren und damit ihr Vertrauen im Mittelstand zu verspielen.451 In den Chor der Kritiker stimmte auch Ludwig Erhard ein. Erhard warb für die Volksaktien und versuchte zugleich, die CDA-Vertreter davon abzuhalten, ihre Miteigentums-Forderungen allzu laut zu artikulieren. In seiner Rede auf dem Wahlparteitag 1957 ließ Erhard erkennen, dass er alle vermögenspolitischen Pläne für „mechanistisch“ und damit für „sozialistisch“ hielt. Als einzig konkrete Maßnahme schlug er die Privatisierung des Volkswagenwerkes unter Beteiligung „breitester Volkskreise“ vor.452 Er erklärte die SPD zum Hauptgegner und diese Auseinan448 449 450 451
Ebd: 233 Ebd: 242 Dietrich 1996: 256 Siehe Äußerung von Kai-Uwe von Hassel vom 7. Februar.1957. [vgl. Protokoll des CDU-Bundesvorstandes am 7. Februar 1957, S. 1219f] 452 Protokoll des Siebten Bundesparteitages in Hamburg vom 11.-15.5.1957
5.4 Das erste Vermögensbildungsgesetz
121
dersetzung sollte in der Wirtschafts- und Soziapolitik nicht anhand einer eigenständigen Position aus der katholischen Soziallehre entstehen, sondern mit Hilfe der eingängigen Parole Marktwirtschaft gegen gewerkschaftliche Zwangswirtschaft. Die CDA-Pläne wurden in dieser Links-Rechts Auseinandersetzung zerrieben. So erlitten die Sozialausschüsse im Vorfeld des Parteitages von 1957 einen erheblichen Rückschlag. Sie hatten nicht das kleinste Zugeständnis für ihre Forderung nach einem Miteigentum der Arbeitnehmer erhalten. Dagegen waren sie in der Frage der Privatisierung dem Wirtschaftsflügel weit entgegengekommen. Die Wirtschaftsliberalen hatten sich durchgesetzt. Der VW-Entwurf verdrängte vorerst alle Miteigentumspläne, zumal die Privatisierungspläne die Gewerkschaften und Sozialdemokraten auf die sprichwörtlichen Barrikaden trieben. Dies kam der CDU für die im Wahljahr gewünschte Zuspitzung gelegen, konnte sie so den Wahlkampf gegen den gewohnten Gegner der Linken führen und die Differenzen in den eigenen Reihen vergessen lassen. Jedoch spielte das Thema Eigentum im Wahlkampf 1957, der mit dem besten Ergebnis für die CDU in ihrer Parteigeschichte endete, letztendlich keine entscheidende Rolle. Die CDU hatte ihr Stimmungstief vom Vorjahr überwunden und überrundete seit Jahresanfang bei Meinungsumfragen die SPD. Die gute Wirtschaftslage, die Rentenreform, der UngarnAufstand waren Faktoren, die zum Wahlsieg der Regierungsparteien beitrugen.453 Damit waren die Miteigentumspläne, wie sich bald herausstellen sollte, endgültig vom Tisch.454 Der Arbeitnehmerflügel der CDU konnte seine Miteigentumspläne nicht gegen den Widerstand der Wirtschaftsliberalen durchsetzen. Diese Schwäche resultierte aber nicht nur aus innerparteilichen Konstellationen, sondern begründete sich auch aus fehlenden parteiexternen Verbündeten. Die freien Gewerkschaften unterstützen die CDA-Pläne nicht und gingen weiterhin zu den christdemokratischen Regierungsvertretern auf Konfrontation. Zudem spaltete sich das christlichsoziale Lager über das Verhältnis zum DGB. Die KAB und weite Kreise politischer Katholiken favorisierten die Gründung eigener christlicher Gewerkschaften. Dies belastete zusätzlich das Verhältnis und ließ CDA und KAB teilweise auf Konfrontationskurs gehen.455 Insgesamt fehlte der CDA ein gesellschaftlicher Linkage, der für ihre Ideen in der politischen Öffentlichkeit geworben und auf die Partei den notwendigen Druck ausgeübt hätte. Die Wirtschaftsliberalen kooperierten wesentlich besser mit den Arbeitgeberverbänden. Zudem zeigte im Gegensatz zum Wirtschaftsminister der Sozialminister Anton Storch an dieser Problemlage wenig Interesse.456 Dies verringerte nochmals die Bündnisstruktur und ließ keinen regierungsamtlichen Druck zur Lösung der Frage aufkommen. Zudem bemühte sich die CDA-Führung hauptsächlich um Zustimmung in der Parteiorganisation, da sie in der Regierung und in der Fraktion noch weniger Unterstützung hatten. Doch die vermögenspolitischen bedeutsamen Entscheidungen fielen in der CDU/CSUBundestagsfraktion. Besonders ins Gewicht fiel auch die fehlende Attraktivität dieser Pläne für den politischen Markt. Dies wurde bereits deutlich bei der Bundestagswahl von 1953, als Arbeitnehmer die CDU aufgrund der praktischen Erfolge in der Wirtschaftspolitik und 453 Dietrich 1996: 266 454 In der unmittelbaren Vorstandssitzung nach der Bundestagswahl sah Konrad Adenauer – neben außenpolitischen Gründen – vor allem in der bisher erfolgreichen Wirtschaftspolitik [vgl. Protokoll der CDUBundesvorstandssitzung am 19. September 1957, S. 3] 455 Schröder W. 1992: 228 456 Dietrich 1996: 267
122
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
nicht wegen ihres sozialen Anspruchs in der Marktwirtschaft wählten. Dies erschwerte den innerparteilichen Stand der Sozialausschüsse für das Miteigentum. Getragen nur von der CDA und abgelehnt von einem breiten Bündnis aus den Reihen der Wirtschaftsliberalen, Pragmatikern der Fraktion sowie öffentlich der Gewerkschaften war diese Idee innerhalb der Partei nicht mehrheitsfähig. Sie versprach auf den politischen Markt keinen durchschlagenden Erfolg. Die Bekenntnisse der Partei, die sich stets auf ihre christlichsozialen Wurzeln bezogen, erlaubten es den wirtschaftsliberalen Kritikern jedoch nicht, diese Pläne generell, d.h. ideologisch zu verdammen. Vielmehr musste in langwierigen Abstimmungsprozessen auf ihre praktische Undurchführbarkeit hingewiesen werden. Dabei kam den Kritikern zugute, dass sie durch eigene Forschungsinstitute und vor allem auch durch den Apparat des Wirtschaftsministeriums die besseren wissenschaftlichen Ressourcen besaßen. Auch konnten sie durch ihre strategischen Schlüsselstellungen die Tagesordnung und den Zeitplan bestimmen. Der innerparteiliche Druck, eine Lösung in der Eigentumsfrage endlich herbeizuführen, ließ schließlich 1956 die Idee der Volksaktie aus der (Teil-)Privatisierung von Volkswagen entstehen. Mit Zugeständnissen im Detail sicherte man sich die Zustimmung der CDA, die die breite Ablehnungsfront ihrer eigenen Pläne bereits resigniert eingesehen hatte. Die Miteigentumspläne zeigten, dass die Wirtschaftsliberalen durch eine geschickte Argumentation die Mehrheit in der Partei mobilisieren konnten. Eine große Hilfe war ihnen zusätzlich ihr Sympathie- und Kompetenzträger Ludwig Erhard. Die CDA besaß auf Parteitagen und vor allem in der Fraktion sowohl zu wenige eigene Kräfte als auch Bündnispartner um sich dagegen wirkungsvoll aufzulehnen. Dies gelang ihr – wie 1953 die Hereinnahme in das Wahlprogramm bewies – nur durch den Verweis auf die Notwendigkeiten des politischen Marktes. Waren diese Zwänge nicht stichhaltig, endete die Unterstützung der Partei. Der Einfluss des christlichsozialen Anspruchs war aber so groß, dass sich alle Flügel um eine Konsensfindung bemühten und Auswege suchten, die jedoch ihren, d.h. wirtschaftsfreundlicheren Konzepten näher lagen. Die CDU empfand sich nicht als Partei der Wirtschaft, sondern als Partei mit mehr wirtschaftspolitischen Sachverstand. Diesem Selbstverständnis, das eine stärkere marktwirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftspolitik einforderte, musste sich auch die CDA unterwerfen. Dieser Argumentation folgten viele bürgerliche Funktionäre und Mandatsträger. Die soziale Balance musste – wenn auch nur zum Teil – stets gewahrt bleiben. Die Miteigentumspläne waren mit der Wahl 1957 beendet. Die Kritik an der Eigentumsverteilung der Sozialen Marktwirtschaft jedoch nicht. Daran setzen die christlichsozialen Politiker erneut an. 5.5 Das erste Vermögensbildungsgesetz: Die erfolgreiche Durchsetzung der Eigentumspläne Nach dem Scheitern der Miteigentumspläne mussten Alternativen für eine wirksame, breite Eigentumsstreuung gefunden werden. Im Vorfeld der Bundestagswahl von 1957 unterstrich Hans Katzer deren Notwendigkeit ausdrücklich: „Wir begrüßen es, dass die Union der Christlichen Demokraten die Frage der Eigentumsbildung nunmehr als Hauptziel für den dritten Deutschen Bundestag aufgestellt hat. Wir bejahen auch die vorgeschlagenen Wege, möchten aber nachdrücklich betonen, dass der Weg der Volksaktie
5.5 Das erste Vermögensbildungsgesetz
123
allein nicht die volle Lösung bringen wird. Es muss Miteigentum und Investivlohn hinzukommen!“457
Die Sozialausschüsse um Hans Katzer hatten ihr Ziel einer umfassenden Eigentumspolitik keineswegs aufgegeben.458 Wollte die CDA ihr Ziel verwirklichen, musste die Unionsfraktion zu einer entsprechenden Initiative bewegt werden.459 Die Appelle für die weitere Gestaltung der Eigentumspolitik betrafen zum einen die Privatisierung von industriellem Bundesvermögen: Die breite Streuung der Aktien, die Erstausgabe mit einem Sozialrabatt und die Bezugsrechte für die Arbeitnehmer der privatisierten Unternehmen sollten als Orientierungspunkt dienen. Zum anderen wurde erklärt, dass die Förderung des Sparens im konventionellen Sinne weder ausreiche, um in wünschenswertem Umfang Eigentum für alle zu schaffen, noch auf dem politischen Markt wirklich als die Erfüllung der Wahlkampfversprechen angesehen werden könnte. Daher müssten zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen neben Belegschaftsaktien bei Klein- und Mittelunternehmen freiwillige Substanz- und Ertragsbeteiligungen nach Kräften unterstützt werden.460 Das Netzwerk der Organisationen und ihrer Beziehungen in der dritten Legislaturperiode gab den Sozialausschüssen die Chance zu einer zumindest teilweisen Durchsetzung ihrer Ziele. Heinrich Krone betonte als Fraktionsvorsitzender zu Beginn der Legislaturperiode, dass die Eigentumsbildung ein überaus wichtiger Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialpolitik sei.461 Bis dato war der Einfluss der CDA eher verhalten und die Wirtschaftspolitik vom Dualismus zwischen Ordoliberalen und Unternehmensverbänden maßgeblich beeinflusst worden. Die Steuerreform von 1958, die Große und Kleine Aktienrechtsreform, die Privatisierung von VW und Preussag sowie das Sparprämiengesetz waren vom Wirtschaftsflügel und der neoliberal beeinflussten Ministerialbürokratie initiiert und geprägt worden. Die Sozialausschüsse hatten kaum Anteil an der Entstehung dieser Gesetze. 1957 und 1958 beharrte der Arbeitnehmerflügel der CDU nach wie vor auf der zu Beginn der fünfziger Jahre entwickelten Miteigentumskonzeption. Erst in dem Maße, in dem sich die neu in den Bundestag gekommenen Vertreter der CDA davon lösten, konnten sie Einfluss auf den Gang der vermögenspolitischen Gesetzgebung nehmen. Das erste Vermögensbildungsgesetz von 1961 war das einzige Gesetz, das auf eine Initiative des Arbeitnehmerflügels hin zustande kam. Es enthielt nur noch wenige Elemente der früheren Miteigentumspläne, kombiniert mit den Ansätzen betrieblicher Sozialpolitik.462 Zweifellos hatten sich die institutionellen Voraussetzungen gegenüber 1953 für den Arbeitnehmerflügel verbessert. Allerdings war die Position der Arbeitnehmer nicht so stark, dass sie auf eine Durchsetzung der wesentlichen Elemente ihrer Miteigentumskonzeption hätten hoffen können. Sie besaßen allerdings genug Einfluss, um Initiativen anderer Gruppen oder der Regierung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dafür mussten sie jedoch bereit sein, ihre eigenen Pläne erheblich zu modifizieren. Trotz dieser chancenreichen Ausgangslage blickten die Sozialausschüsse skeptisch auf die Machtlage im Parlament. Die Zahl der 457 458 459 460 461 462
Katzer, Hans 1957: Ahlener Programm, S. 99 Vgl. Gauland 1983: 173 Frese 2000: 73 Ebd: 86 Dietrich 1996: 364f Ebd: 365
124
5 Die CDU im christdemokratischen Jahrzehnt
Arbeitnehmervertreter in der Gesamtfraktion war relativ gesehen geringer geworden, da die CDA keinen Anteil an der recht beträchtlichen Steigerung der Mandate genommen hatte. Außerdem zeigten sie sich beunruhigt über die Evaluation der Wahlergebnisse durch Teile der Partei, die das weitere Vordringen der CDU/CSU in das Stimmenpotenzial der Arbeitnehmerschaft als Ausdruck derer vollkommenen Zufriedenheit werteten und daraus den Schluss zogen, dass es jetzt an der Zeit sei, nicht weiter den Weg in Richtung eines Ausbaus des Wohlfahrtsstaates zu gehen.463 Aufschlussreich für die unionsinterne Machtverteilung war dabei die Schaffung von Gremien in Fraktion und Regierung, die zwischen den in der CDU vereinigten Anhängern unterschiedlicher vermögenspolitischer Konzeptionen vermitteln sollten. Äußerlich ging es um Durchbrechung der überkommenen Trennung zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik, tatsächlich um die Überwindung des Gegensatzes zwischen Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel. Unterschiedlich gut funktionierte diese Koordination. Auf Parteiebene fast gar nicht vorhanden, war sie in Arbeitskreisen und Unterausschüssen der Fraktion, in die die Ausschussberatungen vorverlagert wurden, recht erfolgreich. Zudem fand ein strategischer Paradigmenwechsel bei der CDA statt. Die neue Führungsgeneration wollte sich nicht länger auf die Sozialpolitik allein beschränken, sondern hatte eine Gesamtkonzeption zwischen Sozial-, Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik im Auge. Davon versprachen sie sich eine bessere Durchsetzung ihrer Politik. So war es ein Bruch mit der christlichsozialen Tradition, dass Hans Katzer – ebenso wie Rainer Barzel – 1957 in den Bundestagsausschuss für Wirtschaftspolitik ging, und nicht, wie in seinen Kreisen üblich, in den Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik.464 Sein strategisches Ziel war es, der CDA die Führungsstelle im Sozialkatholizismus zu eröffnen und sie als Verhandlungspartner des DGB aufzuwerten. Eine programmatische Annäherung zwischen Gewerkschaften und CDA wiederum konnte die Stellung der Sozialausschüsse in der CDU stärken Auch suchte die CDA nun den Kontakt zu Wirtschaftskreisen inner- und außerhalb der Partei und bemühten sich, die Zusammenarbeit von Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel der Fraktion zu institutionalisieren. Damit wurde die Mehrheitsfraktion zum Forum der Auseinandersetzung, nachdem es sich in der ersten und zweiten Legislaturperiode als nutzlos erwiesen hatte, die Vermögenspolitik durch Parteitagsbeschlüsse voranzubringen.465 Zusammenfassend lässt sich über die vermögenspolitische Ausrichtung der CDU zusammenfassend feststellen: Die Motivation der CDU für ihre neuen vermögenspolitischen Initiativen resultierte nicht so sehr aus der öffentlichen Kritik an der Vermögensbildung der Wiederaufbaujahre. Diese verklang zunehmend aufgrund der Auswirkungen des Wirtschaftswunders im Vergleich zum Beginn 1950er Jahre. Ausschlaggebend war vielmehr, dass in der CDU und in der Ministerialbürokratie mit den Christlichsozialen und den Ordoliberalen zwei Richtungen repräsentiert waren, denen eine breite Vermögensbildung aus unterschiedlichen Gründen besonders am Herzen lag. Gemeinsam war ihnen die Furcht, die ungleiche Vermögensbildung könne in der Zukunft Grund für soziale Konflikte werden. Die schärfste Opposition gegen die vermögenspolitischen Initiativen der CDU ging in der dritten Legislaturperiode nicht von SPD oder DGB, sondern von ihrem früheren Koalitionspartner, der FDP, aus. Die Liberalen hielten am längsten an der Auffassung fest, die 463 Gundelach 1983: 181 464 Frese 2000: 85ff 465 Dietrich 1996: 270ff
5.6 Das erste Vermögensbildungsgesetz
125
wichtigste Voraussetzung für die Eigentumsbildung sei der unbedingte Sparwille des einzelnen. Der Wirtschaftsflügel war dagegen flexibler. Er favorisierte, um eine breitere Vermögensstreuung zu erreichen, die Einführung einer „Volksaktie“.466 Dagegen verfügten die Sozialausschüsse über keine wirtschaftspolitische Konzeption, die eine Fortführung der Vermögenspolitik unabhängig von taktischen Erwägungen verlangt hätte. Die Vertreter des Wirtschaftsflügels griffen vor allem Katzers Behauptung an, die Sparfähigkeit der Arbeitnehmer reiche nicht aus, um allein durch eine Steigerung der freiwilligen Ersparnis die Vermögenskonzentration zu bekämpfen. Um innerhalb der CDU/CSU-Fraktion konsensfähig zu sein, musste ein Gesetz zugunsten der Vermögensbildung der Arbeitnehmer sich auf eine Förderung des Sparens bei freier Disposition der Anleger beschränken. Zugleich nahm der Druck auf die führenden Vertreter der Arbeitnehmergruppe zu, endlich Erfolge vorzuweisen. Zumindest in einer Hinsicht brachte der Entwurf für die CDA einen Gewinn: erstmals knüpfte die Förderung der Vermögensbildung an das Arbeitsverhältnis an. Ansonsten hatte sich der Wirtschaftsflügel durchgesetzt. Die Demontage des Miteigentums-Entwurf von 1957 war abgeschlossen. Hans Katzer beurteilte das Erste Vermögensbildungsgesetz bei der dritten Lesung im Deutschen Bundestag am 31. Mai 1961: „Dieses Gesetz ist ein Teilstück unserer Gesellschaftspolitik. Es ist die konsequente Fortsetzung der Einheit von Wirtschafts-, Sozial-, und Gesellschaftspolitik der Christlichen Demokraten. Die Leitidee dieser Politik ist die Idee der Partnerschaft. Im Gegensatz zur Sozialdemokratischen Partei haben wir uns immer zu dieser Idee der Partnerschaft bekannt. Wir haben uns immer und zu jeder Zeit jedem Klassenkampfdenken energisch widersetzt. Im Gegensatz zu den Teilen der FDP haben wir uns immer für eine echte Partnerschaft eingesetzt. … Die zweite Phase der Marktwirtschaft gilt der Stärkung der Stellung des einzelnen in der Gesellschaft. Diese Phase ist gekennzeichnet durch eine Forderung: Eigentum für jeden.“467 Was Katzer in seinem Beitrag in der Bundestagsdebatte zum zweiten Vermögensbildungsgesetz nur angedeutet hatte, führte er auf der Bundestagung weiter aus: Eine breite Vermögensstreuung allein gewährleiste nicht die Lösung aller gesellschaftlichen Ordnungsprobleme und Machtfragen. Dazu sei es angesichts der wachsenden Unternehmenskonzentration, die gerade bei einer breiten Streuung des Produktivvermögens einen Machtzuwachs für das Management bedeute, erforderlich, geeignete Formen zur Vertretung dieses Eigentums zu finden.468 Damit rückte allmählich die Mitbestimmungsfrage wieder ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Diskussion.
5.6 Zusammenfassung: Die Wirtschaftspolitik der CDU in den 1950er und 1960er Jahren Die Behandlung der Miteigentumspläne und des Ersten Vermögensbildungsgesetzes zeigen die programmatische Heterogenität der CDU in der Adenauerzeit. Sie war geprägt von vier verschiedenen Parteiflügeln, von denen sich nur zwei auf genuin christdemokratische Wurzeln beriefen. Die Integration der evangelischen Bürgerlichen, die einst im Nationalbewusstsein eine andere als die christliche Integrationsklammer besaßen, ließ die Union nicht 466 Ebd: 370 467 Frese 2000: 103 468 Ebd: 133
126
5 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien
nur zu einer überkonfessionellen Sammlungspartei werden, sondern auch den Block christlich-bürgerlicher Ideen dominant werden. In dieser Identität unterschied sich die Union von ihrem konfessionellen Vorläufer, dem Zentrum. Die Union versuchte wahltaktisch sogar bewusst, ihr katholisches Image abzustreifen. Allerdings waren innerparteilich die bürgerlichen Katholiken mehr als das Zünglein an der Waage. Sie prägten das politische Leitbild der Partei. Das Ziel einer gerechten Vermögensvereitlung – ein zentraler Bestandteil der katholischen Soziallehre – wurde von ihnen nie in Frage gestellt. Sie unterwarfen sich und ihre politischen Leitlinien nie der reinen marktwirtschaftlichen Lehre. Jedoch entsprach ihren Vorstellungen aus der bürgerlichen Herkunft die Logik des marktwirtschaftlichen Handelns, auch wenn sie dies punktuell durch Interventionen konterkarierten. Die marktwirtschaftliche Grundlinie durfte nicht nur aus Gründen des politischen Erfolges, sondern aus ihrem Selbstverständnis heraus, nämlich solide zu wirtschaften und persönliches Eigentum zu schützen, nicht in Frage gestellt werden. An dieser Überzeugung konnten die Wirtschaftsliberalen stets appellieren, wenn ihre ordnungspolitische Argumentation zunächst nicht verfing. Somit bestand ein Kernelement des politischen Leitbildes der CDU im Schutz des persönlichen Eigentums. Dies wurde insbesondere von den wirtschaftsliberalen Kräften bei allen vermögenspolitischen Diskussionen betont. Es wurde davor gewarnt, allein aufgrund gesellschaftspolitischer Erwägungen diesen Grundsatz zu verletzten. Der Diskussionsprozess zeigte zudem, dass die christdemokratische Wirtschaftspolitik kein fest gefügtes Konzept war, sondern vielmehr aus einem Aushandlungsprozess bestand. Bei der Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft stützte die CDU sich nicht allein auf ordoliberale Ideen. Allerdings ließ sie sich gerne von den Vertretern dieser Richtung, wie Ludwig Erhard, überzeugen, wenn diese Politik für den Wirtschaftsverlauf erfolgreich erschien und sie mit ihrem übergeordneten Gesellschaftsverständnis in Einklang zu bringen war. Hierbei besaß die Partei ein Politikverständnis, das nicht auf Programm, sondern auf einen politischen Pragmatismus ausgerichtet war, der den Klassengegensatz überwinden sollte. Ordoliberale Gedanken verinnerlichte die Partei nicht. Die ordnungspolitische Weichenstellung zugunsten der Marktwirtschaft war zwar seit der Verabschiedung des Düsseldorfer Programms entschieden, über die Ausgestaltung des Attributs der Sozialen Marktwirtschaft im Wirtschaftsprogramm gab es jedoch in den folgenden Jahren harte Auseinandersetzungen. Das besondere Charakteristikum des innerparteilichen Lebens bestand in der Anfangszeit der Union darin, dass die unterschiedlichen Flügel nicht nur durch ihre Vereinigungen und Sonderorganisationen identitätsstiftend waren, sondern auch programmatisch neben sich her existierten. Obwohl, wie die Ausarbeitung der Volksaktiengesetzgebung und des ersten Vermögensbildungsgesetzes zeigten, Kooperationen gerade auch des Sozial- und Wirtschaftsflügels von Erfolg gekrönt sein konnten, wurde diese Zusammenarbeit nur wenig gesucht. So kam dem katholisch-bürgerlichen Flügel nicht nur eine numerische und strategische Überlegenheit zu, sondern auch die Rolle des notwendigen Schlichters parteiinterner Konflikte. Dies verstärkte nochmals seine Position und seine Leitlinien als Mittler der Parteiflügel und der sozioökonomischen Interessen. Das politische Leitbild wurde von ihm und damit von der Parteimehrheit getragen. Sie waren katholisch und bürgerlich beeinflusst, aber auch ihre Prinzipien darauf ausgerichtet, die Protestanten und Arbeiter zu integrieren. Die Union besaß bewusst keine kohärente und geschlossene Weltanschauung, sondern folgte einem von Prinzipien beeinflussten politischen Pragmatismus. Die Motivation dafür lag in den Erfahrungen der Weimarer Republik
5.6 Zusammenfassung
127
und seinem zersplitterten Parteiensystem. Diese Erfahrungen beeinflussten nicht nur die Verfassungsdiskussionen auf Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat, sondern fanden sich auch in den politischen Leitbildern der Parteien wieder. Aus den historischen Erfahrungen schöpfte die Union ihre Motivation neben der schichtübergreifenden nun auch eine konfessionelle Sammlungspartei sein zu wollen. Die Aufnahme protestantischer Parteimitglieder veränderte aber nicht nur die Positionen zu soziokulturellen Themen, wie z.B. der Schulfrage, sondern vor allem auch zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die Partei wurde im Vergleich zum Zentrum bürgerlicher und wirtschaftsfreundlicher. Die protestantischen Mitglieder waren überwiegend bürgerlicher Herkunft und ihre Integrationsklammer war der Anti-Sozialismus. Diese Entwicklung wurde im Laufe der fünfziger Jahre durch die Konzentration des deutschen Parteiensystems verstärkt. Die CDU entwickelte sich neben der Sammlungspartei protestantischer und katholischer Christen zur Sammlungspartei der bürgerlichen Kräfte gegen die Linke. Adenauers Deutschland-, Verteidigungs- und Außenpolitik machte deutlich, dass nicht ein Nationalverständnis, sondern das bürgerlich-christliche Werteverständnis zur Integrationsklammer der Union wurde. Die Gründungsaufrufe wie auch das Ahlener und Düsseldorfer Programm zeigten nicht nur eine christliche Grundierung der Partei, sondern auch die klassischen Politikfelder christdemokratischer Parteien, zumal die Bildungspolitik – das zentrale Thema der Nachkriegszeit aus dem soziokulturellen Bereich – auf landespolitischer Ebene angesiedelt war. Das Leitbild war demnach von christlichen Werten und einem bürgerlichen Politikstil geprägt, der gleichzeitig die Überwindung der Klassengegensätze suchte. Im Gegensatz zu säkularkonservativen Parteien verstand sich die CDU als betont föderale Partei, die die nationale Sache nicht über alles setzte. Dies überließen die CDU-Politiker – mit Ausnahme der Berliner Parteifreunde um Jakob Kaiser – den Sozialdemokraten um Kurt Schumacher. Wirtschaftspolitisch gab sich die CDU-Parteiführung marktwirtschaftlich. Dies änderte sich auch nicht im Verlauf der fünfziger Jahre. Die erfolgreichen Wahlkämpfe von 1953 und 1957 bestärkten die Mehrheit der Parteiführung in der Annahme, dass die Partei nicht gewerkschaftliche Forderungen programmatisch adaptieren sollte, sondern eine Politik zur Entproletarisierung der Arbeitnehmerschaft beschreiten sollte. Sie knüpfte dabei an die Ideen der katholischen Soziallehre an. Die katholische Arbeitnehmerschaft, deren Verhältnis zu den freien Gewerkschaften Mitte der fünfziger Jahre auf einem Tiefpunkt angelangt war, unterstützte diesen Kurs weitgehend. Wie das Beispiel der Volksaktie zeigte, lehnte sie Vergesellschaftungsideen ab und versuchte mit Hilfe marktwirtschaftlicher Ansätze ihr Ziel einer sozial gerechteren Gesellschaft zu erreichen. Dabei spielte die Streuung des Vermögens eine große Rolle. Auch das erste Vermögensbildungsgesetz setzte auf diese Strategie. Der „Kapitalist“ wurde nicht als Feind sondern als – wenn auch schwieriger – Partner gesehen. Staatlicher Zwang wurde nur als äußerstes Mittel betrachtet und vorrangig zur Setzung eines Ordnungsrahmens genutzt. Betrachtet man die Programmatik der Union seit den Düsseldorfer Leitsätzen, so fallen drei Charakteristika besonders ins Auge: 1.
Die Union entwickelte einen großen programmatischen Pragmatismus als MitteRechts-Partei. Der Ausgleich der divergierenden Klassengegensätze, die auch das innerparteiliche Leben belasteten, stand im Vordergrund ihres Verständnisses als Volkspartei.
128 2. 3.
5 Die Entwicklung christdemokratischer Parteien Programmatisch verband sie konsequent wirtschaftsliberale Ideen mit der katholischen Soziallehre. Hier konnte sie sich vor allem auf die jesuitische Tradition stützen. Ihr überkonfessioneller Charakter wirkte sich auf die Themenpriorität aus. Nicht soziokulturelle, sondern sozioökonomische Themen prägten neben allgemeinen außenpolitischen Fragen die politische Agenda.
Die CDU in der Adenauerzeit war keine Programmpartei. Die Parteiorganisation war nicht nur kaum entwickelt, auch resultierte die Machtbasis ihrer führenden Köpfe nicht aus den innerparteilichen Positionen, sondern aus ihren Ämtern in Regierung und Fraktion. Dies ließ die Partei als politische Einheit in den Hintergrund treten. Die politischen Sachfragen wurden in der Fraktion entschieden. Große programmatische Entwürfe, die die Partei in den Vordergrund gebracht hätten, fanden nicht statt. Das politische Handeln wurde durch allgemeine Prinzipien beeinflusst. Daneben wurden die Notwendigkeiten des politischen Marktes adaptiert. Beides wurde in den Wahlprogrammen festgehalten. Wie der Umgang mit den Miteigentumsplänen zeigte, wurden die Wahlprogramme allerdings seitens der Fraktion als Handlungswünsche und nicht als Direktiven der Partei betrachtet. Die Fraktion behielt sich vor, sowohl die Details als auch ihre praktische Durchführbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt zu prüfen und – wenn nötig – auch negativ zu bescheiden. Die Partei besaß somit sowohl organisatorisch als auch programmatisch und machtstrategisch nicht die Position einer modernen Volkspartei. Ihre Prinzipien waren allerdings christdemokratisch mit einem starken marktwirtschaftlichen Einschlag. Dies resultierte aus dem dominanten Einfluss des bürgerlich-katholischen Flügels. Auch ihre lose am Vereinigungsprinzip orientierte Organisationsform entsprach der christdemokratischen Tradition. Die CDU in der Adenauerzeit war somit keine genuin neue politische Organisation, sondern stand in der starken Tradition des konfessionellen Zentrums. Allerdings war der konfessionelle Aufbruch gelungen und wirkte sich in der politischen Prioritätensetzung und im strikt marktwirtschaftlichen Kurs aus. Die CDU stellte somit unter dem verbindenden christlichen Element eine Sammlungspartei unterschiedlicher Kräfte dar. Dies galt ganz besonders auch für das politische Leitbild der CDU. Es war originär christdemokratisch. Allerdings war es in sich keine geschlossene Weltanschauung, sondern bestand aus zentralen Leitbegriffen und abstrakten Vorstellungen, die sich am Personalismus orientierten, die aber in der tagtäglichen Politik erst übersetzt werden mussten. Ausgehend vom Personalismus berief sie sich auf Subsidiarität, Pluralismus und Mediation. Gerade letztere bestimmte sowohl programmatisch wie auch organisatorisch das innerparteiliche Leben und sicherte den strategisch wichtigen Platz in der Mitte des Parteienspektrums. Der ausgleichende Politikstil, der innerparteilich zu diversen Spannungen führte, baute die Position der CDU als dominanter Regierungspartei in den fünfziger Jahren aus.
6 Die CDU entwickelt sich zu einer Mitgliederpartei
6.1 Einleitung Das folgende Kapitel untersucht den Wandel der CDU in den späten 1960er und in den 1970er Jahren anhand der Mitbestimmungsfrage.469 Neben der Eigentumsfrage war die Mitbestimmung der entscheidende Konflikt innerhalb der Union um die Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft. In der Sammlungspartei CDU entlud sich der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit an dieser Frage. Die Gültigkeit eines christdemokratischen Wirtschaftsund Gesellschaftsverständnisses wurde von vielen Christlichsozialen gerade an der Ausgestaltung der innerbetrieblichen Machtverhältnisse und Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerschaft festgemacht. An dieser Frage wurde nicht nur das „Soziale“ der bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung gemessen, sondern vor allem auch der Anspruch der Union, eine christliche Volkspartei zu sein. Zudem hielten zahlreiche Vertreter der katholischen Soziallehre der Union vor, die stärkste Motivation für die Verabschiedung von Sozialgesetzen würde für die Union nicht von ethischen Aspekten oder gesellschaftspolitischen Idealen ausgehen, sondern allein auf politische Wettbewerbsvorteile am Wahltag ausgerichtet sein.470 Die Mitbestimmungsfrage fiel noch in die traditionelle Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit, die das deutsche Parteiensystem prägte471 und sich durch die christliche Volkspartei zog. Sie bestimmte vielfach die Auseinandersetzungen auf den Parteitagen, wie in Düsseldorf 1971 oder in Hamburg 1973, und wurde erst nach schweren innerparteilichen Kämpfen, die die Parteiführung zu einem Strategiewechsel zwangen, gelöst. Auf der einen Seite standen die christlichsozial eingestellten Arbeitnehmer, auf der anderen der wirtschaftsliberale Flügel. Auch die politische Ausrichtung und die politische Strategie der Landesverbände fanden sich auf der jeweiligen Seite. In dieser Frage stand das katholisch geprägte Rheinland mit seinen starken christlichsozialen Wurzeln gegen den unter Alfred Dregger strikt konservativ ausgerichteten Landesverband Hessen.472 Auf der anderen Seite waren aber nicht nur traditionelle Interessenvertreter der Arbeitnehmer zu finden, auch junge Reformkräfte innerhalb der JU und des RCDS sahen die Mitbestimmungsfrage als eine bedeutende Angelegenheit ihres politischen Engagements an. Sie wollten mit einer Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung die Demokratisierung der deutschen Gesell469 Dieses Kapitel greift neben den bekannten Überblicksdarstellungen, wie die sehr detailreichen Studien von Hans-Otto Kleinmann und Frank Bösch, auf die Studie von Brigitte Feser über die CDA und auf das Werk von Wulf Schönbohm zur Parteireform zurück. 470 Zitiert nach: Bock 1976: 64 471 Vgl. zu den Konfliktlinien: Lipset/Rokkan 1967: 91-138. Zum deutschen Parteiensystem in den sechziger und siebziger Jahren siehe: Smith 1976: 387ff 472 Vgl. zu den unterschiedlichen programmatischen Ausprägungen der CDU-Landesverbände die Studie von Schmid 1990
130
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
schaft vorantreiben.473 In dieser Frage zeigte die Union ein facettenreiches Bild zwischen traditionellen Kräften, wie CDA und Wirtschaftsrat, und Reformkräften. Interessanterweise war die Mitbestimmung die letzte große Streitfrage in der herkömmlichen Konfliktlinie zwischen Wirtschaftsliberalen und Arbeitervertretern, die die gesamte Partei in ihren Bann zog.474 Diese Frage wurde schließlich von der neuen Sozialen Frage abgelöst, die das Soziale in der Marktwirtschaft nicht mehr daran maß, inwieweit die Unionspolitik den klassischen Forderungen der Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbänden entsprach, sondern sich der Belange der nichtorganisierten tatsächlich sozial Bedürftigen annahm.475 6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu Die sechziger Jahre bedeuteten für die CDU im Vergleich zu den fünfziger Jahren einen deutlichen Rückgang ihres Erfolges auf dem politischen Markt. Durch fehlende politische Strategiefähigkeit, zahlreiche interne Querelen und gesellschaftliche Veränderungen fand sich die Union – angetreten als dominante Mehrheitspartei im deutschen Parteiensystem zu Beginn der sechziger Jahre – am Ende des Jahrzehnts in der Rolle als Oppositionspartei wieder. Zuerst verlor sie als Folge des Berliner Mauerbaus 1961 die absolute Mehrheit und musste mit der liberalen FDP ein Bündnis eingehen. 1963 trat der greise Adenauer auf Druck von Teilen seiner eigenen Partei und des liberalen Koalitionspartners vom Amt des Bundeskanzlers zurück. Er blieb aber bis 1966 Bundesvorsitzender der CDU. Der kontraproduktive Nachfolgestreit um Adenauers Kanzlerschaft, der spätestens seit der Bundespräsidentenwahl von 1959 im vollen Gange war, spaltete die Partei und hinterließ in der Öffentlichkeit ein beschädigtes Bild der einst in kritischen Phasen geschlossen aufgetretenen Union.476 Die parteiinternen Veränderungen der Jahre zwischen 1967 und 1973 trafen allen voran den in Staatsämtern eingebundenen pragmatisch-konservativen Parteiflügel. Die Konfliktlinie, um die sich die innerparteiliche Opposition um Kohl und andere formierte, war zuallererst nicht ideologisch bestimmt, sondern gruppierte sich eher um die Frage, welches Parteimodell für die zukünftige Entwicklung zugrunde gelegt werden sollte und welches aus marktstrategischen Gesichtspunkten notwendig sei. Die Barzel-Gruppe setzte auf einen traditionellen Weg, demzufolge die Rückkehr an die Macht bei der nächsten regulären Bundestagswahl 1973 ohne eine programmatische Neubestimmung erfolgen sollte. Aus dieser Präferenz leitete sich in der Oppositionszeit das Modell der Fraktionspartei ab, bei dem das politische Zentrum auf Bundesebene eindeutig bei der Bundestagsfraktion lag. Die Parteizentrale sollte zwar durchaus im Sinne der seit 1969 partiell eingeleiteten Reorganisation auf einem leistungsfähigen Standard gehalten werden, nicht jedoch zum Koordinati473 Interview mit Matthias Wissmann. 474 Obwohl innerparteiliche Konflikte über sozioökonomische Fragen nicht ausblieben (vgl. Winter, Thomas von (1989): Die CDU im Interessenkonflikt: Eine Fallstudie zur parteiinternen Auseinandersetzung über den Paragraphen 116 AFG, S. 46ff.), wurde kein Konflikt mehr in dieser Schärfe und über einen solch langen Zeitraum wie die Mitbestimmung in den siebziger Jahren ausgetragen. 475 Vgl. zur Sozialen Frage: Geißler 1976b, Grosser 1978: 3-14 476 Vgl. dazu die hervorragende Studie über die Ursachen und Auswirkungen dieses Konflikts: Koerfer 1987: 707-760. Zum gleichen Aspekt in der CDU-Geschichte auch: Dedering 1989, Günter 1970
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
131
ons- und Steuerungszentrum avancieren. Die Partei behielt ihre Organisationslogik bei, indem ihre höchsten Entscheidungsgremien erstens auf die Bundesebene konzentriert und in etablierten Gremien zusammengefasst werden sollten. Der einzige Unterschied bestand darin, dass nun – als Folge fehlender Alternativen – die Koordinierung in der Fraktion und nicht mehr auch im Kabinett und durch das Kanzleramt erfolgen sollte. In eine andere Richtung ging das Konzept der Gruppe um Helmut Kohl. Diese sah die Chancen für die kommende Bundestagswahl als eher gering an und favorisierten einen grundlegenderen und umfassenderen Neubeginn, der insbesondere die bisherige programmatische Ausrichtung überdenken und organisatorische Reformen beinhalten sollte.477 Obwohl sie diese zu Beginn der siebziger Jahre nicht durchsetzen konnte, war schon damals ihre Zukunftsperspektive für die Parteiorganisation auf einen klaren Reformkurs eingestellt.478 Der Erfolg Barzels bei der Wahl zum Parteivorsitzenden im Jahr 1971 erklärte sich nicht zuletzt daraus, dass das von ihm favorisierte Modell zutiefst das Selbstverständnis der CDU widerspiegelte. Erst die verheerende Wahlniederlage der vorgezogenen Bundestagwahl des Jahres 1972 ermöglichte, das für die CDU atypische Organisationsmodell der Gruppe um Kohl durchzusetzen. Ein weiterer Faktor beschleunigte die Parteireform. Kohl, der nicht für den Bundestag kandidiert hatte, verfügte über kein Bundestagsmandat und konnte das Amt des Fraktionsvorsitzenden nach Barzels Abtritt nicht übernehmen. Als Parteivorsitzender, dessen hauptsächliches Betätigungsfeld aufgrund des Ministerpräsidentenamtes auf Landesebene lag, war dieser gezwungen, die Eigenständigkeit der Parteizentrale gegenüber der Bundestagsfraktion zu stärken. Die neue Parteispitze verfügte in den etablierten Gremien der Bundesebene, das heißt in der Bundestagsfraktion und der Parteivereinigung, über keine wesentliche Hausmacht, die zur Konsolidierung ihres innerparteilichen Einflusses und zur ausreichenden Politiksteuerungsfähigkeit notwendig gewesen wäre.479 Aus diesem Grund kann die Neuorganisation nicht nur mit sozio-strukturellen Änderungen in der Gesellschaft, d.h. mit dem Wegbrechen der soziokulturellen Milieus im Sinne von M. RAINER LEPSIUS, sondern auch mit dem institutionellen Rationalismus,480 der zum Ziel die Machtsicherung der neuen Parteiführung besaß, erklärt werden. Die Voraussetzung für den umfangreichen institutionellen Wandel, der Machtverlust der Christdemokraten auf Bundesebene, zeichnete sich in seiner Konsistenz schon lange an. Bei der Bundestagswahl 1965 erlangte die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Ludwig Erhard nochmals gemeinsam mit den Liberalen die Regierungsmehrheit, aber bereits 1966 scheiterte die Koalition mit der FDP. Die Union schloss unter ihrem Kanzler Kurt Georg Kiesinger eine große Koalition mit der SPD, die damit erstmals an einer Bundesregierung beteiligt war. 1969 errangen CDU/CSU mit ihrem Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden Kiesinger zwar ihr bis dahin zweitbestes Wahlergebnis von 48,8 Prozent, aber die SPD unter der Führung Willy Brandts erreichte mit ihrem liberalen Juniorpartner die Regierungsmehrheit und –macht.481 Damit verlor die Union ihre strategische Mehrheit im Wählermarkt, die sie – mit Bündnispartnern oder auch alleine – in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik besessen hatte. 477 478 479 480 481
Vgl. Kohl 2004: 171ff Vgl. dazu: Huneeus 1996: 432-459 Lange 1995: 481 Vgl. Hall/Taylor 1996: 936ff Kleinmann 1993: 315
132
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Als Folge fand sich die CDU im Deutschen Bundestag nun in der vollkommen ungewohnten Rolle der Opposition wieder. Dies traf die Partei umso schwerer, verstand sie sich selbst doch als geborene Regierungspartei. Die Oppositionsstrategie der Union in der Legislaturperiode 1969-1972 war deshalb auch weniger auf eine mittel- bis langfristige Erneuerung, sondern auf die schnellstmögliche Erlangung der erneuten Regierungsbeteiligung ausgerichtet. Die knappe Mehrheit der Regierungskoalition im Bundestag und die Zerstrittenheit der FDP – vor allem im Hinblick auf ihre Neuausrichtung in der Deutschland- und Ostpolitik – stimmte sie für diese Strategie zuversichtlich.482 Als Folge verzichtete die Union darauf, ihren parlamentarischen Standpunkt neu zu bestimmen. Dies sollte sich als gravierender strategischer Fehler erweisen.483 Anstelle eines programmatischen und organisatorischen Neuanfangs strebte die Union danach, an der politischen Führung beteiligt zu werden und mit dem Mantel „gouvernmentaler Wichtigkeit“ umgeben zu bleiben.484 Der CDU fiel es als ehemaliger Staatspartei sichtbar schwer, die Schwerpunktverlagerung vorzunehmen, nicht mehr die Regierungspolitik zu beeinflussen, sondern als Opposition ein Alternativkonzept zur sozial-liberalen Regierung zu erarbeiten. Trotz einiger Reformbemühungen der CDU-Führung um den Parteivorsitzenden Kurt Georg Kiesinger und seinem Generalsekretär Bruno Heck empfand die Union die verlorene Macht nicht als Ausdruck sozialer Veränderungen in der Wählerschaft, die besonders in der Auflösung der alten sozialmoralischen Milieus einsetzte, sondern in erster Linie als Machtperfide der Liberalen. So reagierte die Partei in ihren ersten Oppositionsjahren verhalten auf die gesellschaftlichen Veränderungen, obwohl bereits einige Reformer – darunter der junge Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg – in der späten Vorsitzendenzeit Adenauers dringend Reformen anmahnten.485 Daran änderte sich auch nichts als der Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel Kiesinger 1971 als Bundesvorsitzender ablöste. Erst mit der deutlichen Niederlage 1972, bei der die Union erstmals und bis 1998 einmalig zweitstärkste Kraft im deutschen Parteiensystem werden sollte, setzte strukturell wie auch personell der Erneuerungsprozess vollständig ein. Dieser Reformprozess war so grundlegend, dass in der politikwissenschaftlichen Literatur die innerparteilichen Reformen auch als zweite Parteigründung bezeichnet wurden.486
482 Gerade in den ersten beiden Jahrzehnten der bundesrepublikanischen Geschichte galt die FDP auch als Sammelbecken von Deutschnationalen, die dem neuen Kurs von Willy Brandt und Walter Scheel – gelinde gesagt – äußerst skeptisch gegenüberstanden. Als Folge trat unter anderem der ehemalige FDP-Bundesvorsitzende und einstige Vizekanzler Erich Mende von den Liberalen zur CDU über [vgl. dazu: Lösche 1996: 66] 483 Pridham 1977: 189 484 Veen 1976: 199 485 So kritisierte Helmut Kohl auf der Bundesvorstandssitzung am 9. Februar 1965, dass der CDUBundesvorstand seiner Führungsaufgabe aufgrund seiner geringen politischen Einbindung nicht nachgekommen ist. [vgl. Protokoll der CDU-Bundesvorstandssitzung vom 9. Februar 1965, S. 871]. Gerhard Stoltenber mahnte auf der Bundesvorstandssitzung am 26. April 1963 an, dass die Bundesgeschäftsstelle ihre strategischen Fähigkeiten – insbesondere im Bereich der Gegnerbeobachtung – ausweiten sollte. [vgl. Bundesvorstandsprotokoll vom 26. April 1963, S. 455.] 486 Scheer 1977: 149-172
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
133
6.2.1 Die traditionellen Linkages werden schwächer Eine der zentralen Veränderungen in der Organisationsbeschaffenheit der CDU lag in ihrem Verständnis zu den Vorfeldorganisationen. In der Frühphase waren sie – insbesondere die der katholischen Milieus – die Mobilisierungsbasis der Union. Das Neue in der CDU-Organisationsreform lag nun darin, dass man sich als Basis nicht mehr der Vorfeldorganisationen bediente, sondern eine eigene Organisation schuf. Die Linkages wurden nicht mehr in der Fraktion als Quasi-Partei zusammengefasst, sondern zwischen der Organisation und der jeweiligen Vorfeldorganisation etabliert. Dies brachte nicht nur ein neues Verständnis der Organisationskultur – auf das später noch genauer eingegangen wird – sondern vermehrte auch die Intensität und Art des Verhältnisses zu den traditionellen Vorfeldorganisationen. Am sinnfälligsten war die Veränderung des Verhältnisses zur katholischen Kirche und ihren Organisationen. Im Umfeld der Unionsparteien gab es im Laufe der sechziger Jahre zunehmend Stimmen, die ein Auseinanderdriften zwischen Programm und Praxis monierten. Besonders aus kirchlich-katholischen Kreisen wurde die CDU-Politik häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, das „Christliche“ im Parteinamen immer stärker zu vernachlässigen und stattdessen liberale Positionen einzunehmen. So brach zu Beginn der sechziger Jahre erneut der Streit um das „C“ in der Partei auf und die Beziehungen zwischen Partei und katholischer Kirche erreichten ihren bisherigen Tiefststand. Auch gegenüber Rainer Barzel, der neben Heinrich Krone und Hans Globke als Verbindungsmann zum kirchenpolitischen Gremium fungierte, hielten sich die Kirchenleute zunehmend bedeckt.487 Besonders in den konservativen Kreisen des Katholizismus verstärkte sich angesichts dieser Geschehnisse das Unbehagen gegenüber den Unionsparteien, denen man eine zunehmende Entideologisierung und Liberalisierung unterstellte. Die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) brachte die Sorge der Kirchenführung über das Erscheinungsbild der Union auf den Punkt: „… Eine Geringschätzung der Belange des katholischen Bevölkerungsanteils seitens CDU/CSU, die mit verstärkten und glaubwürdigen Bemühungen der SPD um eine verständnisvolle Partnerschaft mit den Kirchen parallel laufen würde, könnte 1969 das Wahlergebnis entscheidend verändern.“488
Sie drohte, dass eine Union, die das „C“ durch ein „N“ für Neoliberal zu ersetzen bestrebt sei, dann kaum noch mit der Unterstützung der katholischen Stammwählerschaft rechnen könne. Eindeutig klang hierbei auch die Kritik seitens zahlreicher Katholiken an der neuen protestantischen Troika der Union von Ludwig Erhard, Gerhard Schröder und Kai-Uwe von Hassel an.489 Seit den 1960er Jahren hatte sich mit der Repräsentation der CDU durch vorwiegend evangelische Politiker ihre katholische Grundrichtung zu einer liberalkonservativen verschoben. Die hohe Zahl evangelischer Politiker auf nationaler Ebene in diesen Jahren unterstrich, dass der Proporzgedanke gegen Ende der Adenauerzeit für die Elitenrekrutierung bedeutungsloser geworden war und zunehmend von Tendenzen überla-
487 Gauly 1990: 238 488 Zitiert nach Ebd: 244 489 Ebd: 244
134
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
gert wurde, in deren Folge der Gedanke an eine Rechristianisierung der deutschen Gesellschaft als ein zentraler Motor für katholisches Engagement allmählich verblasste.490 Auch verbesserte sich das Verhältnis zwischen Kirche und Union bis 1974 nicht merklich. Dies lag zum einen am Desinteresse von Kanzler Kurt Georg Kiesinger und zum anderen am verbesserten Verhältnis der katholischen Kirche zu den Sozialdemokraten.491 Nicht nur versuchte die Union – spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre492 – Wählergruppen auch fern ihrer christlichen Milieus zu erschließen, sondern die Kirchen öffneten sich auch ihrerseits als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils anderen politischen Strömungen. Daher waren die Kirchenführer gewillt, vor allem zu den beiden Großparteien Kontakt zu pflegen. So gab es keine feste kirchenpolitische Allianz mehr, wie sie noch Kardinal Joseph Frings und Konrad Adenauer geknüpft hatten. Auch wurde der einsetzende Dialog zwischen der Kirche und der SPD seitens der Union mit Skepsis verfolgt. Besonders der junge Würzburger Bischof und spätere Münchner Kardinal Julius Döpfner war gegenüber anderen politischen Richtungen offen eingestellt und suchten verstärkt das Gespräch mit der deutschen Sozialdemokratie.493 Zudem half die bayerische Schwesterpartei nicht gerade tatkräftig mit, das Verhältnis zur katholischen Kirche zu verbessern. Die CSU betrieb unter ihrem jungen Vorsitzenden Franz Josef Strauß einen klaren Abgrenzungskurs zur katholischen Kirche. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie auf die politische Unterstützung kirchlicher Kreise verzichten wollte. In der Öffentlichkeit aber wurde ein deutlicher Trennstrich zwischen Kirche und Partei gezogen. Öffentlichkeitswirksam wurden in zum Teil schroffer Form Forderungen der Kirchen im politischen Bereich abgelehnt.494 Dieser Kurs war aber weniger Ausdruck eines tief empfundenen Antiklerikalismus in der bayerischen Union, als vielmehr Wahltaktik einer in weiten Teilen der Wählerschaft noch als klerikal angesehenen Partei, sich neuen Wählerschichten zu öffnen und sich auch in evangelischen Gebieten – vor allem in Franken – als die dominierende Kraft zu behaupten.495 Mit dieser Strategie wollte die CSU-Führung die festen traditionellen gesellschaftlichen Bindungen zugunsten neuer Wählerschichten lockern. 496 Das erklärte Ziel der Parteivorsitzenden Hanns Seidel und Franz Josef Strauß bestand darin, die CSU von ihrem konfessionellen Image, wie es der so genannte Hundhammer-Flügel um den ehemaligen bayerischen Kultusminister und Landtagspräsidenten aus den Zeiten der Bayerischen Volkspartei (BVP) konserviert hatte, zu befreien und sich liberalen und säkularkonservativen Kreisen zu öffnen.497 Die Öffnungsstrategie innerhalb der deutschen Christdemokratie trübte nicht nur das Verhältnis der Katholischen Kirche mit der CSU. Es war auch für die CDU ein strukturelles Dilemma zwischen traditionellen gesellschaftlichen Bindungen und neuen, beweglichen Marktstrategien. So blieb auch mit der Übernahme des Bundesvorsitzes durch Helmut Kohl das Verhältnis trotz aller grundsätzlichen weltanschaulichen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Organisationen kühl. Allein die heftige Auseinandersetzung zwischen der sozi490 491 492 493 494 495 496 497
Buchhaas 1981: 289 Vgl. die ausführliche Studie zu diesem Thema: Brehm 1989. Auch: ders. 1989 Vgl. Beyme 2000: 29 Vgl. Brehm 1989 Gauly 1990: 282 Mintzel 1978 Krieger 1995: 163ff Vgl. zu diesem strategischen Ansatz und den innerparteilichen Differenzen: Treml 1994: 445, Strauß 1989: 530
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
135
alliberalen Regierungskoalition und der katholischen Kirche und die klare Distanzierung der Unionspolitiker von der sozial-liberalen Reformpolitik, vor allem in der Abtreibungsfrage, verbesserten das Klima. Allerdings war das erneute Zusammenrücken von Christdemokraten und Kirchenführern im Laufe der siebziger Jahre mehr taktisch bedingt als eine unverrückbare Symbiose gemeinsamer weltanschaulicher Identitäten.498 Die Säkularisierung der Gesellschaft aber auch die Pluralisierung der Kirche in politischen Fragen lockerten die Verbindung zwischen der CDU und der katholischen Kirche. Dieser Prozess bot der Union die Möglichkeit, ihre Wählerbasis zu erweitern, indem sie die Skepsis gegen die katholische Dominanz in liberalen und konservativ-protestantischen Kreisen auflöste. Allerdings hatte dieser weitere Öffnungsprozess – der mit dem personellen Ausscheiden der letzten Zentrumspolitiker zusammenfiel – auch starke Auswirkungen auf das innerparteiliche Leben. Ihre Anhängerschaft konnte nicht mehr automatisch aus dem katholischen Milieu mit seinen Vorfeldorganisationen rekrutieren, sondern musste zunehmend neu organisiert werden. Diese Entwicklung ließ die Ausbildung der CDU zu einer modernen Massenmitgliederpartei zügig voranschreiten. 6.2.2 Das innerparteiliche Leben Ein erheblicher Einschnitt zwischen der Adenauerzeit und den siebziger Jahren lag im Regierungsverlust begründet. In der Opposition verlor die Partei das entscheidende Koordinierungszentrum der Adenauerzeit. Allerdings war bereits in den sechziger Jahren die steigende Bedeutung der Parteiorganisation erkennbar. Während Konrad Adenauer im Jahre 1950 Vorsitzender einer christlich orientierten Sammlungsbewegung geworden war, verabschiedete sich der scheidende Vorsitzende 1966 von einer selbstbewussten Partei. Bereits seit Beginn der sechziger Jahre war die CDU dem Stadium einer reinen Sammlungsbewegung entwachsen und entwickelte zunehmend ein innerparteiliches Leben. Allerdings stand dieses klar im Schatten von Fraktion und Regierung.499 Die Parteiorganisation rückte verstärkt in den Blickwinkel der CDU-Führung als der politische Erfolg vermehrt ausblieb und die politischen Akteure sahen, dass sie mit den bisherigen Methoden, die Aggregation der Interessen nicht mehr zufrieden stellend leisten konnten. Denn das wichtigste politische Kapital der CDU – ein die Flügel integrierender Kanzler und eine erfolgreiche Wirtschaftswachstumspolitik mit den entsprechend üppigen Wohlfahrtssteigerungen als Regierungsbilanz im Rücken – war durch die innerparteilichen Zwistigkeiten in den sechziger Jahren aber vor allem auch durch die Rezession von 1966/67 erheblich geschmälert worden.500 Zusammenfassend lässt sich festhalten:
Der CDU gelang die Organisation der Interessen und die Einbindung der Wählerschaft nur noch bedingt erfolgreich. Dies basierte auf einer Organisationsstruktur, die in erster Linie auf der Überwindung der konfessionellen und schichtspezifischen Interessensgegensätzen basierte. Diese waren gruppenspezifisch und konnten somit durch eine klare Personeneinbindung pragmatisch überwunden werden. Mit einer Auffäche-
498 Gauly 1990: 287 499 Buchhaas 1981: 285 500 Scheer 1977: 149
136
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung rung der Interessenslage und einer Zunahme der Parteiidentität als Gesamtorganisation mit spezifischen Einzelinteressen war dies nicht mehr möglich. Zudem nahm die Organisationsstärke deutlich zu. Nicht nur die Mitgliederstärke der CDU wuchs,501 sondern auch die Parteigremien wurden zunehmend wichtiger für die politische Koordinierung einer föderalen Partei. Aufgrund der Politikverflechtung zwischen Bundes- und Landesebene konnte dies nicht mehr in ausreichendem Maße über die Bundestagsfraktion gelingen.
Der Braunschweiger Parteitag von 1967 versuchte, die Partei im Sinne erhöhter innerparteilichen Demokratie, Transparenz und Effektivität zu reformieren. Die politische Kultur veränderte sich jedoch mit den Strukturveränderungen nicht automatisch. Der Bundesparteitag gestaltete sich im Ablauf und in der Präsentation wie eine Neuauflage der Kanzlerparteitage der fünfziger Jahre. Diese Parteiversammlungen waren mehr Heerschau der Mobilisierungsmacht sowie der Selbstbestätigung der Parteiführung und ihres Kurses als innerparteiliche Willensbildungsorgane für strittige Fragen. Demonstrative Elemente wurden daher diskursiven bewusst vorgezogen. Die CDU glaubte, sich gerade in den für sie schwierigen Zeiten Mitte der sechziger Jahre für die Zukunft zu rüsten, indem sie die Verhaltensstile und das Szenarium der Vergangenheit wieder belebte. Sie war in ihren Handlungen und vor allem auch im Erscheinungsbild noch immer stark in den fünfziger Jahren verhaftet. Sinnbildlich wurde dies beim Parteitag von 1967 unter anderem anhand einer gigantischen Adenauer-Fotografie, die an der Kopfseite des Saales hinter dem Podium hing. Hierin drückte sich nicht nur Verehrung für einen großen Vorsitzenden und berechtigter Stolz auf vergangene Leistungen aus, sondern vor allem auch die Hoffnung, in seinem Glanz ein wenig weiterleuchten zu können.502 Der Veränderungs- und Reformdruck auf die Union wuchs mit ausbleibendem politischem Erfolg, d.h. der Regierungsmacht, erheblich. Vor allem das Vereinigungssystem mit seinem Konsensprinzip wurde immer stärker in Frage gestellt. Gerade unter dem Aspekt der innerparteilichen Demokratie wurden die innerparteilichen Entscheidungsprozesse kritisiert. Insbesondere folgende drei Punkte standen im Mittelpunkt der Kritik:503
Der theoretisch beanspruchte Interessenpluralismus in der CDU leide aufgrund der faktischen innerparteilichen Koalitionsverhältnisse an erheblichen Gleichgewichtsstörungen. Da die meisten Vereinigungen keine breite aktive Mitgliedschaft aufweisen könnten, fände eine Programmkonkurrenz zwischen den Vereinigungen auf der unteren Ebene selten statt, sondern allenfalls auf der mittleren Funktionärsebene, wo sie meistens in eine Personalkonkurrenz umschlagen würde. Apathie und Mentalität der Vereinigungsmitglieder würden eine Reduzierung innerparteilicher Teilnahme bewirken und oligarchische Tendenzen in den Funktionärseliten auf allen Ebenen verstärken.
501 Vgl. Falke 1982 502 Buchhaas 1981: 296 503 Kühr 1974: 7 Die Partizipationsmöglichkeiten für einfache Mitglieder in einer von den Vereinigungen dominierten Parteienstruktur wurden auch von Wolfgang Schäuble rückblickend als nicht mehr zeitgemäß kritisiert. (vgl. Schäuble-Interview). Gleich lautend äußerte sich auch Matthias Wissmann (vgl. WissmannInterview).
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
137
Diese Kritikpunkte erhöhten den Veränderungsdruck hin zu einem demokratischen Delegiertensystem, der die Gesamtorganisation stärker für den innerparteilichen Willensbildungsprozess im Blick haben sollte. Diese Strukturveränderung benötigte aber zugleich ein anderes Entscheidungszentrum. Im Laufe der Oppositionsphase in den siebziger Jahren entwickelte sich die Bundespartei zum entscheidenden politischen Koordinations- und Integrationszentrum für die Politik der CDU. Sie trat nach der Bildung der großen Koalition und endgültig nach dem Machtverlust aus dem Schatten der Regierung heraus und etablierte sich auch immer stärker gegenüber der Fraktion. Dieser politischer Anforderungs- und Bedeutungszuwachs zugunsten der Parteiorganisation war Voraussetzung für die Realisierung der in den sechziger Jahren immer dringlicher geforderten und als notwendig erkannten Parteireform.504 Das neue Selbstverständnis der Parteiorganisation hatte aber nicht nur soziostrukturelle Ursachen, sondern war auch in einem neuen programmatischen Anspruch begründet. Neben dem Verlust des Regierungsapparates wurde die Partei auch durch die steigende Bedeutung der Programmarbeit in den späten sechziger und siebziger Jahren aufgewertet. Nicht mehr tagespolitischer Pragmatismus, sondern programmatische Leitlinien und politische Planung der Partei wurden von den Bürgern immer stärker nachgefragt.505 Nicht von ungefähr fielen die Parteireform und die Ausarbeitung umfassender Programme, wie die Mannheimer Erklärung und das Ludwigshafener Programm, in das gleiche Jahrzehnt. Bereits 1966 entwarf Bruno Heck ein Konzept für die zukünftige Parteireform der CDU für das nächste Jahrzehnt. Er propagierte den Aufbruch aus der etablierten Kanzlerpartei der Adenauerzeit. Damit erfolgte ein erheblicher Modernisierungsprozess, der wesentliche Aspekte des innerparteilichen Lebens – die Aggregation der Themen, die Nachwuchsrekrutierung aber auch die Mitgliederpartizipation – nachhaltig beeinflussen sollte. Die Reform setzte an der Mobilisierung einer eigenen und breiten Mitgliederbasis an. Die CDU wollte und konnte sich zunehmend nicht mehr auf die etablierten Vorfeldorganisationen und die lokalen Honoratioren verlassen, sondern wollte durch eine eigene große Mitgliederzahl eine breite gesellschaftliche Basis direkt an die Partei binden. Dieses Ziel stellte ein Novum in der christdemokratischen Organisationsform dar, indem sich die Partei ihrer eigenen Mitglieder und nicht mehr vorrangig der Mitgliedschaft von Vorfeldorganisationen versicherte. Als Folge verschob sich das innerparteiliche Leben: Die neue Mitgliederbasis ersetzte in gewisser Weise die alten Milieuvereine, die Fachtagungen lösten die Verbandstreffen der Vorfeldorganisationen und die Kreisgeschäftsführer die Honoratioren ab.506 Diese breite Mitgliederbasis verjüngte nicht nur die Partei, sondern veränderte zusätzlich ihre Rekrutierungsmechanismen. Nicht mehr das Ansehen lokaler Honoratioren, sondern die so genannte „Ochsentour“ wurde zur entscheidenden Größe des Auswahlprozesses der mittleren Parteiführung. Die Partei ernährte nun die politische Klasse, verschaffte ihr Ansehen und gewährte Zukunftsaussichten.507 Was früher typisch für Gewerkschaften und SPD gewesen war, erhielt nun auch Einzug in die CDU. Die Partei war nicht mehr ein Zusammenschluss Gleichgesinnter, unabhängiger Persönlichkeiten, die als verbindendes Moment aus den christlichen Milieus stammten, sondern eine Versicherungsgesellschaft auf Gegen504 505 506 507
Schönbohm 1985: 296 Simon 1975: 27-37 Bösch 2002: 108ff Borchert 2003: 86ff
138
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
seitigkeit, in der Zurücksetzung in der Karriere weit schwerer empfunden wurde als ein Abweichen von den gemeinsamen Zielen.508 Die Partei stellte nun nicht mehr in erster Linie eine Verbindung zwischen einem bestimmten Teil der Gesellschaft und dem Staat dar, sondern entwickelte zunehmend ein autonomes Leben. Dieser Modernisierungsprozess führte jedoch nicht zu einer Entkoppelung der unterschiedlichen Ebenen, wie dies im Parteienmodell der „Cartel Party“ beschrieben wurde,509 sondern zu einer stärkeren Vernetzung der politischen Ebenen. Gerade im Gegensatz zu den fünfziger Jahren wurde aufgrund der zunehmenden Politikverflechtung im politischen System der Bundesrepublik die Koordination der unterschiedlichen politischen Ebenen immer wichtiger. Ein klares Indiz für diese Entwicklung war die Verschiebung des Einflusses von der Bundestagsfraktion, d.h. einem Gremium allein auf der Bundesebene, hin zum Präsidium und Bundesvorstand der Partei, d.h. Gremien, die von Politikern aus Bundes- und Landesebene sowie der kommunalen Ebene zusammengesetzt waren. Ferner änderte sich das neue Selbstbewusstsein der Partei auch im innerparteilichen Willensbildungsprozess. Er wurde nicht nur lebendiger, sondern auch demokratischer. Zudem verlagerte er sich von der Koordination der unterschiedlichen Parteiflügel hin zu einem Willensbildungsprozess durch die Kreis-, Bezirks- und Landesverbände bis hin zur Bundespartei. Die Parteiführung – so hieß das erklärte Ziel der Reformer – bedürfe einer klaren Willensbildung innerhalb der Partei.510 Den Reformanstoß der Union am Ende der sechziger Jahre hatte ihr damaliger Parteivorsitzender Kurt Georg Kiesinger nicht zu verantworten. In seinem Desinteresse an Parteiangelegenheiten stand er Ludwig Erhard nur wenig nach. Aber dennoch leitete die CDU mit Kiesingers Amtsantritt die ersten Schritte einer grundlegenden Parteireform ein. Denn nicht die personelle Spitze, sondern vier andere Entwicklungen waren für die 1967 einsetzende Reformen verantwortlich.
508 509 510 511
Erstens führte die Große Koalition dazu, dass die Partei nun nicht mehr aus der Regierung heraus koordiniert und geleitet werden konnte. Die Christdemokraten mussten jetzt bereits vor den Kabinettssitzungen ihre Linie unter den Parteiflügeln absichern, wenn sie innerparteiliche Zwietracht vermeiden wollten. Einen weiteren Grund gab zweitens das Parteiengesetz. Achtzehn Jahre nach Verkündigung des Grundgesetzes hatten sich die Parteien durchgerungen, es 1967 zu verabschieden. Erst dieses vom Bundesverfassungsgericht indirekt angemahnte Parteiengesetz zwang die Christdemokraten, innerhalb von kürzester Zeit ihre Satzung zu revidieren, Vorstände zu wählen und sich ein Programm zu geben. Drittens stieg inner- und außerhalb der Partei der Bedarf an einer glaubwürdigen und ansprechenden Parteiarbeit. Aufgrund der loseren Kontakte zu sinnstiftenden Einrichtungen wie den Kirchen, konnte sich die Partei weniger auf ihre Botschaften berufen, sondern musste selbst sinnstiftend werden. Verstärkt wurde diese Notwendigkeit zu einer intensiveren Programmarbeit durch die Re-Ideologisierung der deutschen Bevölkerung seit der Mitte der sechziger Jahre.511 Gauland 1994: 50 Vgl. Katz/Mair 1995 UID vom 21. Juli 1966 Nr. 29, S. 4. Ellwein 1989: 99-102
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
139
Viertens beschleunigte der massive Generationenwechsel die Parteireform. Mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Helmut Kohl erlebte die Partei eine Art Frischzellenkur, die sie im Kontext der klaren politischen Polarisierung in den siebziger Jahren gerade auch für jüngere Menschen ausgesprochen attraktiv machte. Diese personelle Erneuerung kann in ihrer Bedeutung für die Partei nicht unterschätzt werden. Der enorme Zuwachs an Mitgliedern brachte der Parteireform einen starken Rückhalt.512
Der Politikwissenschaftler und ehemalige CDU-Mitarbeiter Wulf Schönbohm wies in seiner Studie über die CDU-Parteireform zu Recht darauf hin, dass erst seit 1967 die Bundespartei eine funktionsfähige Willensbildungs- und Führungsstruktur besaß.513 Dieser institutionelle Vorrang der Parteiorganisation war in einer christdemokratischen Organisationskultur neu und stellte einen Paradigmenwechsel des innerparteilichen Wandels dar. 1969 war durch eine Satzungsänderung die politische Führungsrolle der Partei festgeschrieben worden, wonach die Beschlüsse des Parteitages als Grundlage für die Arbeit der CDUFraktion und der von der CDU geführten Regierungen in Bund und Ländern verbindlich festgeschrieben wurden.514 Erst Anfang der siebziger Jahre existierten in allen Bundesländern demokratisch legitimierte Parteigremien der CDU, die verbindliche Aussagen zur Landes- und Bundespolitik im Namen der Parteiorganisation des jeweiligen Landes beschließen konnten. Ein verändertes Selbstverständnis der Partei, das in der Überwindung des traditionellen föderalistisch-partikularistischen Denkens und Verhaltens der Parteigliederung und der Fähigkeit zu geschlossenem Handeln auf allen Parteiebenen nach innerparteilicher Diskussion zum Ausdruck kam, bildete einen wichtigen Schritt zur Etablierung der CDU als Mitgliederpartei. Vor allem entwickelte die CDU einen hohen Grad an Geschlossenheit. Trotz fehlender Disziplinierungsmöglichkeiten der Parteiführung, wie sie noch Konrad Adenauer zur Verfügung standen, entwickelte die Partei eine große Koordinationsfähigkeit vor allem auch zwischen der Bundesebene und den einzelnen Landesverbänden. Diese hohe Geschlossenheit und Integration, die die CDU in den siebziger Jahren erreicht hatte, wurde aufgrund der häufigen Auseinandersetzungen und Dissonanzen zwischen CDU und CSU in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre übersehen. Das CDU-Präsidium und nicht der mitgliederstarke CDU-Bundesvorstand entwickelte sich dabei zur zentralen Koordinationsinstanz.515 Im innerparteilichen Leben nahm die Debattenkultur zu. Sie wurde nicht nur intensiver geführt, sondern gewann auch verstärkt einen intellektuellen und abstrakteren Charakter. Das christliche Menschenbild wurde nicht mehr als persönlicher Ausdruck der eigenen Glaubenserfahrung empfunden, sondern als theoretisch hergeleitetes Werteideal für politisches Handeln verstanden. In den für diese Studie durchgeführten Interviews bestätigten Wolfgang Schäuble und Matthias Wissmann diesen Trend gerade auch bei den JUDiskussionen in den siebziger Jahren. Diese Abstrahierung führte jedoch nicht zu einer Inhaltsleere, sondern vielmehr zu einer stärken normativen Allgemeinverbindlichkeit des Wertekanons der CDU. Dies sollten auch die Programmdiskussionen zu den Grundsatzprogrammen von 1978 und 1994 zeigen, die sich theoretisch sehr genau mit dem Wertehinter512 513 514 515
Schäuble 1994: 168 Schönbohm 1985: 132f Protokoll des CDU-Bundesparteitags in Mainz vom 17.-18.11.1969 Schönbohm 1985: 132
140
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
grund des christlichen Menschenbildes befassten. Zu beachten bleibt dabei aber, dass das christliche Menschenbild weiterhin der Referenzrahmen der CDU darstellte, auch wenn das Christliche nicht mehr von allen aus einer kirchlichen Lebenswirklichkeit erfahren, sondern theoretisch erschlossen wurde.516 Auch der Rekrutierungsprozess der Partei änderte sich erheblich. Die aufstrebenden Politiker wie Helmut Kohl und Gerhard Stoltenberg waren keine anfänglichen Hospitanten mehr, sondern hatten seit ihrem Studium von und für die Partei gelebt. Im Unterschied zu ihren älteren Kollegen, die nebenbei noch Kanzleien, Unternehmen oder Verbände leiteten, war für sie professionelle Parteiarbeit selbstverständlich. Sie hatten sich bewusst für diesen Beruf entschieden und ihren Berufswunsch bereits konsequent verfolgt. Dabei zeichnete sich eine neue Rekrutierungsform des politischen Nachwuchses ab. Die Partei fand ihre politische Führungsmannschaft nicht mehr in den lokalen Eliten der christlichen Milieus, sondern rekrutierte ihre zukünftigen Führungskräfte zunehmend mit Hilfe ihrer eigenen Nachwuchsorganisation.517 Dies sollte gerade in der Phase der siebziger Jahre mit ihrem großen Mitgliederzuwachs noch verstärkt erfolgen. Dieser frühe und begrenzte Selektionsprozess hatte Folgen für die politische Kultur der Partei. Die prägende Kraft der jungen Parteiorganisation lag nicht mehr in Vorfeldorganisationen wie der katholischen Jugend, sondern in der Partei selbst. Ihre Themen schöpfte sie demnach auch in der Jugend aus der politischen Welt, sie waren weniger weltanschaulich überhöht. Die Sozialisierungsform wurde nicht mehr in erster Linie die Kirchengemeinde, sondern die Lokalpolitik.518 Dieses Reformbestreben fand in dem jungen Helmut Kohl ihre personelle Manifestation. Mit der Wahl von Kohl entschied sich die Partei bewusst für einen Vorsitzenden, der die Partei reformieren und stärken sollte. Helmut Kohl hatte bereits in seinem eigenen Landesverband Rheinland-Pfalz erfolgreich eine Parteireform betrieben. Diese basierte auf vier Prinzipien, die auch für die bundesweite CDU-Reform maßgeblich wurde: 1. 2. 3. 4.
Ein Generationenwechsel in der Führungsmannschaft, die auf die neuen gesellschaftlichen Veränderungen besser reagieren konnte. Auf- und Ausbau professioneller Parteistrukturen mit einem hauptamtlichen Parteiapparat. Eine Programmerneuerung, ohne allerdings an dem traditionellen politischen Leitbild zu rütteln. Dieses sollte vielmehr in die Herausforderungen, die sich aus den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen ergaben, übersetzt werden. Die Partei musste wieder „regierungsfähig“ werden. Das hieß vor allem, ihre Wählerschaft zu verbreitern und tragfähige Bündnispartner zu suchen. Helmut Kohl dachte hier nicht so sehr an eine eigene absolute Mehrheit, sondern vielmehr an eine langfristige Allianz mit der FDP.519
Aus diesen – bereits in seiner rheinland-pfälzischen Zeit entstandenen – Überlegungen entwickelte Kohl auch die Grundstrategie für seinen politischen Führungsstil. Die persönlichen und die institutionellen Ressourcen wurden nicht nur als kompatibel, sondern als 516 517 518 519
Vgl. Interviews mit Matthias Wissmann und Wolfgang Schäuble Hackel 1978: 281f Grasser 1973: 327-348 Huneeus 1996: 436
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
141
komplementär angesehen.520 Kohl verstand sich nicht als politischer Führer einer losen Sammlungspartei, sondern als Vorsitzender einer programmatischen Volkspartei. Dies unterschied seinen Führungsstil von Adenauer.521 Kohl fixierte seinen Führungsstil auf ein informelles Netzwerk aus persönlichen Beziehungen mit Mandatsträgern und Funktionären. Dies pflegte nicht nur Vertrauen, sondern sicherte auch gegenseitige Loyalitäten.522 Das Präsidium wurde dabei zunehmend zu einer Clearingstelle für Länderfragen. Die Aufwertung des Bundespräsidiums war auch die Reaktion der Partei auf die zunehmende Politikverflechtung im bundesrepublikanischen politischen System seit der großen Koalition.523 Durch die Aufwertung des Bundesrates und die Zunahme der Bundeszuständigkeiten, etwa durch die Gemeinschaftsaufgaben und die Mischfinanzierung, wurde für die Länder die Bundespolitik immer entscheidender und die Koordination der Arbeit der Unionsministerpräsidenten im Bundesrat für die CDU bedeutender.524 Zudem änderte sich seit Ende der sechziger Jahre die Politikvermittlung in der Medienlandschaft. Das Durchdringen der elektronischen Massenmedien ließ es auch für verdiente und leidenschaftliche Landespolitiker erforderlich erscheinen, bundesweit in diesen neuen Medien aufzutreten und damit im eigenen Bundesland an Bekanntheit zu gewinnen.525 Mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg und dem baden-württembergischen Amtskollegen Hans Filbinger, schließlich auch mit Ernst Albrecht saßen hier die wichtigsten Vertreter der Nord- und Süd-CDU, deren Zustimmung Kohl sich in Einzelfällen besonders versichern musste. Ein weiterer wichtiger Punkt betraf die Verschiebung der regionalen Gewichte. Die südwestlichen Landesverbände gewannen zunehmend an Bedeutung, was auch ihren verbesserten Regierungsressourcen auf Landesebene entsprach. Insgesamt wurden ihre Politikkonzepte aufgrund ihrer großen Akzeptanz in ihren jeweiligen Bundesländern auch als erfolgreicher angesehen. Der Mitgliederanstieg war für die CDU in den siebziger Jahren nicht nur in der Auswirkung, sondern auch in den absoluten Zahlen beachtlich: Von 1971 bis 1976 verdoppelte sich die Parteibasis auf über 600.000 Mitglieder. Anschließend sollte sie bis 1983 zumindest gemächlich weiter wachsen.526 Trotz der sozial-strukturellen Kontinuitäten veränderte der neue Mitgliederboom das Machtgefüge innerhalb der Union. Er stärkte die Jugendverbände und ihre Delegiertenmacht. Dies wirkte sich nicht nur bei der Auswahl der Mandats- und Funktionsträger, sondern auch bei der Programmarbeit aus. Denn kein Programm zur Parteireform hätte das innerparteiliche Leben stärker im Reformsinn beeinflussen können, wie es der Wandel der CDU zur Mitgliederpartei schaffte. Nicht so sehr der Überdruss an zweifelhaften Entscheidungsmechanismen und Verkrustungen war der Auslöser der inneren Modernisierung, sondern erst der sehr viel später in den siebziger Jahren einsetzende enorme Zuwachs an jungen Mitgliedern.527
520 521 522 523 524 525 526 527
Ebd: 437 Haungs 1989a: 28ff Dreher 1998: 324ff Lehmbruch 1976 Schmid 1990 Wolf 1975: 83-92 Vgl. Falke 1982 Schäuble 1994: 168
142
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
6.2.3 Programmatische Neuorientierung Nicht nur die Notwendigkeiten für eine Programmarbeit als Oppositionspartei,528 auch die zunehmende Ideologisierung der deutschen Gesellschaft, erhöhte den Druck auf die CDU, ihre Leitlinien wieder zu konkretisieren und theoretisch zu untermauern.529 Schließlich wurde die Programm- und Theoriearmut Anfang der siebziger Jahre auch von konservativer Seite stark kritisiert. So forderte die FAZ, dass die Politik der CDU wieder mehr „Sinn“ haben müsse: „Die CDU braucht keine Ideologie. Auf solchem Holzwege kann sie die Sozialdemokraten mit ihren Jusos getrost allein lassen. Aber die CDU muss theoretisch interessanter werden für die, die Gedanken suchen. Die CDU braucht ein Prinzip, das ihre Kritik an der Regierung, ihre politischen Ziele und ihre Handlungen durchleuchtet. Die CDU hat ein solches Prinzip, aber sie vergisst es oft und denkt selten darüber nach. Es ist nicht das „C“ in ihrem Namen. Es ist die Freiheit, die der Menschlichkeit und Würde eines jeden entspricht – einerlei, ob man dies aus christlich-humanistischen oder säkularisiert-humanistischen Gründen ableitet.“530
Der Wunsch zu einem stärkeren normativen Überbau der Unionspolitik ging einher mit dem Verlust weltanschaulicher Gewissheiten aufgrund der Erosion sozialmoralischer Milieus.531 Da die Union nicht mehr der verlängerte politische Arm einer bzw. mehrerer sinnstiftender Organisationen war, musste sie nun zunehmend selbst ihr Handeln normativ begründen. Da ihre Politik nun nicht automatisch mehr „katholisch“ oder auch „christlich“ war, war sie auch für diese Bevölkerungsteile nicht mehr zwangsläufig „normativ-gut“. Aus diesem Grund wurde von der Partei nicht mehr allein strategisches Handeln in den vorgegeben Bahnen eines starken Wertefundaments erwartet, sondern auch zunehmend eigene, sinnstiftende Impulse gefordert. Dies war für christdemokratische Parteien neu. Die Skepsis vor zuviel theoretischer Programmformulierungseuphorie wurde in der Forderung laut, die Union brauche kein eigenes „Bad Godesberg“.532 Trotz aller Bedenken beschleunigte der Regierungswechsel von 1966 und 1969 die Programmarbeit der CDU. Durch die 1966 geschlossene große Koalition konnte sich die christdemokratische Regierungspolitik nicht mehr von den Sozialdemokraten abgrenzen, sondern musste Kompromisse verkaufen. Die gemeinsame Regierung machte damit ein eigenständiges Auftreten der Partei nötig, um Unterschiede zum politischen Rivalen, der nun Partner auf Zeit war, zu unterstreichen. Da die SPD das Wirtschafts- und Außenministerium besetzte, galt dies insbesondere für die bisherigen Kernkompetenzen der Unionspolitik. Auch die allgemeine Planungseuphorie, die nun in der Gesellschaft um sich griff, förderte bei der Union die Programmdiskussion.533 Programmkommissionen und Planungsgruppen wurden eingerichtet, die Programme und langfristige Konzepte für das Parteiprofil
528 Pridham 1977: 193 529 Eschenburg, Theodor 1973: Tradition und Entwicklung der Unionspartei. Referat anlässlich der Tagung der Katholischen Akadamie in Bayern vom 7. bis 9. Dezember 1973 in München 530 Gillessen, Günther: Eine liberalere Partei, in FAZ vom 11. Januar 1973. 531 Vgl. dazu: Walter/Dürr 2000: 25-50 532 Schönbohm 1981: 131ff 533 Bösch 2002: 29-36
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
143
erarbeiteten.534 Diese aufkommende Programmbegeisterung, die nicht nur in der CDU sondern in allen größeren deutschen Parteien stattfand, hatte im Wesentlichen fünf Gründe: 1. 2.
3.
4.
5.
Die Politik erlebte Ende der sechziger Jahre einen gesellschaftlichen Aufbruch. Dieser wurde nicht nur durch die Studentenbewegung verursacht, sondern spiegelte auch einen Generationenkonflikt in den politischen und gesellschaftlichen Eliten wider. Durch die Re-Ideologisierung der Studentenbewegung rückten die politischen Alternativen wieder in den Vordergrund. Politische Resultate wurden nicht nur an ihrem Erfolg sondern auch an ihren gesamtgesellschaftlichen, normativen Zielen gemessen. Das politische Leitbild wurde nun auch theoretisch untermauert. Die marktwirtschaftliche Ordnung erhielt durch die wirtschaftlichen Schwächephasen in den sechziger Jahren Kratzer an ihrer Reputation. Durch das zunehmende Misstrauen in die Marktkräfte wurde das Zutrauen in die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand stärker. Die finanziellen Rahmenbedingungen für öffentliche Investitionen waren aufgrund der guten Haushaltsituationen in Bund, Ländern und Gemeinden gegeben. Politik und Ziele konnten nicht nur formuliert, sondern in reale Maßnahmen umgesetzt werden. Politische Gestaltung wurde durch finanzielle Maßnahmen planbar und für die junge Generation gerade in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik spürbar. Den Christdemokraten waren nicht nur die exklusiven Bedingungen zum kirchlichen Milieus abhanden gekommen, sondern auch die weltanschaulichen Gewissheiten, die die Verbindung transportiert hatten. Sie mussten nun durch Programme ersetzt werden. So positiv man die Programmarbeit bewerten mag – ihre Notwendigkeit war zugleich auch ein Krisenzeichen für eine Partei, die ihren politischen Standpunkt erst in mühsamen Diskussionen suchen musste.
Der innerparteiliche Generationenwechsel verstärkte zusätzlich die Bereitschaft für neue Ansätze in der Programmarbeit. Gerade die jüngeren Christdemokraten um Helmut Kohl forderten eine gründliche Programmrevision. Sie sollte das antiquierte Parteiimage verbessern.535 Der Kanzlerpartei war der Kanzler abhanden gekommen. Dies half ihr, sich in Richtung einer Programmpartei zu entwickeln.536 In der Adenauerzeit war das Programm der CDU noch durch die Regierungsarbeit festgelegt worden. An den Erfolgen oder Misserfolgen der unter Adenauer geführten Bundesregierung konnte man Richtung und Qualität der CDUPolitik ablesen. In der Bundestagsfraktion und im Kabinett wurde zusammen mit den wichtigsten Parteiführern um die aktuelle Politik und die damit verbundenen, notwendigen Grundsatzentscheidungen gerungen, aber dazu brauchte man keine Parteiprogramme.537 Die Bedeutung der Programmarbeit wuchs aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen. 534 Die neue Begeisterung für politische Planung wurde zunächst nicht von Willy Brandt aufgegriffen, sondern von dem damaligen CDU-Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger. Er richtete im baden-württembergischen Staatsministerium als erster Regierungschef in Deutschland eine politische Planungsabteilung ein, deren Konzept er schließlich auch im Kanzleramt unter der Großen Koalition institutionalisierte. [vgl. Gassert 2006] 535 Schönbohm 1981: 132 536 Pridham 1977: 209 537 Der Reformprozess ist im Werk des ehemaligen Mitarbeiters der CDU-Bundesgeschäftstelle und engen Vertrauten von Heiner Geißler in seiner Zeit als CDU-Generalsekretär, Wulf Schönbohm, sehr detailreich und aus einer sowohl kompetenten wie auch reflektierten Innensicht geschrieben. Siehe hier: Schönbohm 1981: 132
144
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
In der Reformphase wurde die Programmarbeit maßgeblich von drei Schriften geprägt: dem Berliner Programm, der Mannheimer Erklärung und dem ersten CDU-Grundsatzprogramm, dem so genannten Ludwigshafener Programm. Das Berliner Programm war das erste geschlossene Parteiprogramm der CDU, das auf einem Parteitag verabschiedet wurde. Das Berliner Programm war jedoch ein Aktions- und kein Grundsatzprogramm.538 Mit dem Berliner Programm sollte sich die CDU nach dem Willen ihrer Führung den Anforderungen der siebziger Jahre stellen. Eine Auseinandersetzung erschien den Parteistrategen längst überfällig. Es sollte das Imageproblem der CDU angehen. Denn in breiten Teilen der Bevölkerung galt die Union als zu konservativ, zu wenig fortschrittsorientiert und zu undynamisch.539 Das Berliner Programm blieb mit einer Ausnahme hinter den Erwartungen gerade der veröffentlichten Meinung zurück. Aus der Kanzlerpartei war in Berlin eine „Partei mit Eigenleben“ geworden. Im veränderten Charakter der CDU als Delegiertenpartei zeigte sich ein neues Selbstbewusstsein der Partei. Das Parteitagsplenum sollte fortan – so der Parteireformer Wulff Schönbohm – nicht nur Staffage für die rhetorischen Glanzstücke der Prominenz oder lediglich Abstimmungsmaschine, sondern ein diskussionsfreudiges Parteiparlament sein.540 Neue Akzente setzte die Partei mit dem Berliner Programm in der innerparteilichen Willensbildung. Nicht mehr in Kommissionen sollten die jeweiligen Positionen der unterschiedlichen Lager einem Konsens zugeführt werden, die Partei sollte vielmehr breit über das Programm diskutieren. Wirklich umstrittene Fragen wie die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung oder die Vermögensverteilung wurden aus dem Programmtext jedoch lieber ausgeklammert. Die strittigen Fragen wurden auf spätere Parteitage verwiesen, weil eine Festlegung der CDU in diesen Punkten die Partei in Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel zu zerreißen drohte. Immerhin hatten prominente Wirtschaftspolitiker wie Franz Etzel dem Bundesvorstand ausdrücklich ausrichten lassen, „aus der CDU auszutreten, wenn die Montan-Mitbestimmung ausgedehnt würde“.541 Bereits der Mainzer Parteitag im November 1969 setzte eine neue Kommission ein. Sie sollte das Berliner Programm fortschreiben und an die veränderten Tatsachen und den neuen Stand der Meinungsbildung anpassen. Die Leitung erhielten diesmal auffälligerweise nicht der Generalsekretär Bruno Heck, sondern die jungen Reformer Helmut Kohl und Heinrich Köppler. Auch die Mitbestimmung war eines von zwölf Themen. Durch die eigenwillige Interpretation des Parteitagsbeschlusses durch den Bundesvorstand, nur das Berliner Programm fortschreiben zu wollen, erfolgte eine Anbindung an das Berliner Programm von 1968. Es sollte nicht der Verdacht aufkommen, die CDU benötige ein „Bad Godesberg“, also eine radikale programmatische Umkehr. Mit dieser Uminterpretierung wurde der Spielraum für die Programmkommission erheblich eingeschränkt, da es nur noch um eine Fortschreibung und Präzisierung des Berliner Programms ging. Neue Akzente konnten daher nur als Abkehr vom Berliner Programm interpretiert werden und gerieten dadurch unter besonderen Begründungszwang.542 Allerdings scheint die Kritik an der programmatischen Starre der Kiesinger-CDU, wie sie unter anderem Wulf Schönbohm in 538 539 540 541 542
Schönbohm 1981: 139 Buchhaas 1981: 309 Ebd: 316 Brief Etzel an Benda am 4.10.1967 [ACDP VII-004-040/1] Schönbohm 1985: 121
6.2 Die CDU organisiert und besinnt sich neu
145
seiner Studie formuliert hat, etwas zu scharf zu sein.543 Denn die damalige Unionsführung war mit einem nicht geringen Dilemma konfrontiert. Zum einen musste sie Reformfreude und Veränderungsbereitschaft zeigen, zum anderen durfte sie ihre bisherige Politik nicht diskreditieren. Eine zu große Distanz von der Politik Konrad Adenauers und Ludwig Erhards hätte ihre Glaubwürdigkeit und ihre Reputation untergraben. Mit den Kernprinzipien – sprich mit dem politischen Leitbild – wollte die Partei weder brechen noch ändern. So hielt der Bundesvorstand auf einer Klausurtagung vom 26. bis 28.11.1970 fest, dass das Berliner Programm lediglich fortgeschrieben werde und die Partei kein vollkommen neues benötige. Die wesentlichen Veränderungen, die der Bundesvorstand vornahm, berücksichtigten die angesprochenen, besonders kontroversen Themenbereiche und schrieben sie auf das bisherige Programmniveau der CDU zurück. Es wurde tunlichst der Eindruck vermieden, die CDU benötige wie die Sozialdemokraten ein „Bad Godesberg“, also einen einschneidenden Schwenk ihrer bisherigen Politik. Die Reformer zeigten sich enttäuscht und kritisierten den Entwurf des Bundesvorstandes in der Öffentlichkeit als „Rückschreibung der Fortschreibung“.544 Besonders aus Kreisen der Jungen Union wurde der Programmentwurf des Bundesvorstandes massiv kritisiert. Diese Kräfte ließen die programmatische Debatte dann auch in der Folgezeit nicht zum Stillstand kommen, sondern trieben sie voran. Vor allem die verheerende Wahlniederlage von 1972 förderte innerhalb der CDU die Bereitschaft, ihre Position grundsätzlich zu überdenken. Die Parteiführung um Rainer Barzel gestand ein, dass die Union die geistige Führung im politischen Wettbewerb verloren habe, weil sie nicht rechzeitig auf die gesellschaftlichen Veränderungen der sechziger Jahre reagiert hätte. So wie sich die SPD nach ihren Niederlagen den Mittelschichten gegenüber öffnen musste, wäre nun für die Christdemokraten eine neue inhaltliche Annäherung an die Arbeiter, Frauen und an die Jugend notwendig. 545 Der verstärkte Veränderungsdruck und die damit zusammenhängende Neuorientierung produzierte größere Reibungspunkte zwischen den Parteiflügeln. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik war dies vor allem die Mitbestimmungsfrage. Die sozioökonomische Konfliktlinie zwischen den divergierenden Wirtschaftsinteressen wurde durch die Abnahme der christlichen Identität beschleunigt. Dies zeigte sich zu Beginn der siebziger Jahre besonders an der Mitbestimmungsfrage. Aber auch zwischen den Landesverbänden der Union herrschte Heterogenität. Die CDU-Landesregierungen unterschieden sich in der Sozialpolitik, hinsichtlich der Staatsverschuldung oder der Größe des Beamtenapparates. Die Union war eben nicht überall rein markwirtschaftlich, sparsam und antibürokratisch. Vielmehr war sie weiterhin eine regional sehr unterschiedliche Partei.546 Ihr neuer, 1973 gewählter Bundesvorsitzender Helmut Kohl sollte dabei maßgeblich die programmatische Reform vorantreiben und koordinieren. Mit Kurt Biedenkopf, Richard von Weizsäcker und Heiner Geißler förderte Kohl dabei bewusst drei intellektuelle Köpfe, die zugleich mit der neuen Debatten- und Medienkultur umzugehen verstanden. Diese neuen Gesichter sollten nicht nur den Neuanfang der Union symbolisieren, sondern auch eine 543 544 545 546
Ebd Ebd Bösch 2002: 29f Vgl. Schmidt M. 1980
146
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
neue Linie verdeutlichen. Eine sozialpolitische Kurskorrektur versprach die Mannheimer Erklärung von 1975. Sie wurde unter maßgeblicher Beteiligung von Kurt Biedenkopf erstellt. Sie deutete in einer neuen Weise die gesellschaftlichen Veränderungen und leitete daraus Schlüsse für die Union ab. Die Mannheimer Erklärung geriet aber in die Kritik des konservativen Flügels und zeigte den Reformern ihre Grenzen auf. Dieser Kritik schloss sich lautstark der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß an, der in den kommenden Jahren zur Zielscheibe seiner kritischen Attacken besonders gern die jeweiligen CDUGeneralsekretäre auswählte und mit den Amtsinhabern Kurt Biedenkopf und Heiner Geissler eine Art Dauerfehde führte, die auch vor persönlichen Diffamierungen nicht zurückschreckte.547 Die näher rückende Bundestagswahl und die Auseinandersetzung über den Kanzlerkandidaten der Union taten ein Übriges, sich aktuellen Fragestellungen zuzuwenden.548 In dieser Zeit baute sich die CDU kontinuierlich ihren Vorsprung gegenüber der SPD wieder auf, der sie langfristig wieder ins Zentrum des Parteien- und Regierungssystems brachte.549 6.3 Die Mitbestimmungsforderungen in der christdemokratischen Tradition Die Mitbestimmung war ein Kernelement des christdemokratischen Programmverständnisses, denn sie basierte auf zwei prinzipiellen Überlegungen des Personalismus.550 Erstens überwand sie den Klassenkampfcharakter, indem sie die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer forderte. Zweitens reduzierte sie das Arbeitsleben nicht allein auf den Aspekt des Broterwerbs, sondern erkannte die Teilnahme am Wirtschaftsleben als zentralen Bestandteil der Persönlichkeitsentfaltung an. Jedoch war ihre Ausprägung, d.h. die Frage nach der Teilhabe der Arbeitnehmervertreter an der Unternehmensführung und nicht nur am Arbeitsleben, auch aus christlicher Sicht heftig umstritten. Die Mitbestimmungsdiskussion innerhalb der deutschen Christdemokratie fußte auf zwei Konzeptionen: der katholischen Soziallehre und der deutschen Sozialpolitik. Dagegen waren die protestantischen Einflüsse eher bedeutungslos. Die betriebliche Mitbestimmung war ein großes Anliegen der Christlichsozialen in der Union, die sich den Traditionen der katholischen Soziallehre verpflichtet sahen. Sie sehnten sich nach einem fairen Ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und wollten diese durch eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung erreichen. Die wirtschaftsfreundlichen Christdemokraten befürchteten jedoch einen Kompetenzverlust bei der Unternehmensführung, wenn Arbeit-
547 Die Oppositionsjahre der CDU in den 1970er Jahren vergrößerten das Gewicht der CSU im Binnenverhältnis zur CDU erheblich. Mit mehr als einem Fünftel der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU konnte sie bundespolitisch und fraktionsintern einen größeren Einfluss ausüben, zumal sie bei strittigen außen- und gesellschaftspolitischen Fragen – wie der Mitbestimmung – als monolithischer Block innerhalb der Fraktion auftrat und handelte. Gerade auch Person und Stil des CSU-Vorsitzenden zogen einerseits das konservative, nationalliberal-bürgerliche Lager an. Das gab für die Wählerstammsituation von CDU und CSU einen positiven Effekt. Andererseits wurde Franz Josef Strauß als Wortführer eines antisozialistischen, staatlichen Ordnungsdenkens zur Schreckgestalt für linke Meinungsmacher, zur negativen Identifikationsfigur. Dies zeigte sich ganz besonders im Anti-Strauß-Wahlkampf im Jahr 1980. [vgl. Kleinmann 2002: 79] 548 Krieger 1995: 180-181 549 Walter 1998: 179 550 Dierickx 1994: 26
6.3 Die Mitbestimmungsforderungen in der christdemokratischen Tradition
147
nehmer eine Mitsprache über die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse hinaus in das direkte operative Geschäft der Unternehmensführung erhalten sollten. 6.3.1 Mitbestimmung und Katholizismus Die Mitbestimmung hatte nicht nur bei den katholischen Arbeitnehmern, die in der KAB und der CDA lautstarke Verbände besaßen, sondern auch in der Person des Kölner Kardinals Frings einflussreiche Befürworter.551 Diese beeinflusste auch die Entschließung des Bochumer Katholikentages von 1949. In der Gesamtentschließung des Katholikentages hieß es zur Mitbestimmung: „Die katholischen Arbeiter und Unternehmer stimmen darin überein, dass das Mitbestimmungsrecht aller Mitarbeitenden bei sozialen und personalen und wirtschaftlichen Fragen ein natürliches Recht in gottgewollter Ordnung ist, dem die Mitverantwortung aller entspricht. Wir fordern eine gesetzliche Festlegung. Nach dem Vorbild fortschrittlicher Betriebe muss schon jetzt überall mit seiner Verwirklichung begonnen werden.“552
Die Bedeutung dieser Entschließung lag in ihrem Zustandekommen als Konsens von Vertretern verschiedener sozialer Gruppen, von Arbeitern und Unternehmern, von Kaufleuten und Angestellten.553 Jedoch empfand Kardinal Frings sein Eintreten für die Mitbestimmung als ein Gesetz der Stunde und nicht als eine notwendige Folge des Naturrechts. Daher schloss er eine immer währende Gültigkeit aus.554 Papst Pius XII. warnte vor der Überschätzung des Mitbestimmungsrechtes. Für entscheidender hielt er das Recht auf Eigentum. Zudem wies er auf die Bedrohung der personalen Verantwortlichkeit des Eigentümers durch anonyme Kollektive hin. Vor allem wandte er sich vehement gegen zwei falsche Begründungen: Weder die Natur des Arbeitsvertrages noch die Natur des Betriebs würden solche Rechte notwendigerweise nach sich ziehen. In späteren Äußerungen wiederholte er seine Auffassung, dass diese weder aus der Natur des Lohnvertrages noch des Unternehmers abgeleitet werden könne.555 Pius XII. wertete in einem Sendschreiben 1952 die positiven Auswirkungen wirtschaftlicher Mitbestimmung auf. Er argumentierte sogar, dass diese, wenn nicht auf freiwilligen Regelungen von Unternehmen und Arbeiterschaft beruhend, auch vom Staat eingeführt werden könnte, in Betrieben, in denen sich offensichtlich das sich selbst überlassene Kapital gemeinschädlich auswirken würde. Wirtschaftliche Mitbestimmung wurde hier zwar nicht grundsätzlich, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen um des Gemeinwohl willens begrüßt.556 Das Gesetz zur Montanmitbestimmung von 1951 und das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 ließen die Debatte etwas abklingen. Erst Ende der 1950er Jahre rückte die Diskussion wieder in den Vordergrund. Einer der Gründe bestand darin, dass die Verlagerung von Unternehmensschwerpunkten aus der Montanindustrie in andere Bereiche der Wirt551 552 553 554 555 556
Vgl. Frings 1949: 78-122 Generalsekretariat des Zentralkomitees der Deutschen Katholikentage 1949: 114 Oelinger 1980: 158 Frings 1949: 94-98 Stegmann 1969: 518 Jähnchen 1993: 345
148
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
schaft, die für diesen Zweig geltende paritätische Mitbestimmung aushöhlte. Schließlich erschien 1961 die päpstliche Enzyklika „Mater et magistra“ von Johannes XXIII. Ihr Grundton war mitbestimmungsfreundlich. Sie unterstützte die Forderung der Arbeiter nach der aktiven Teilnahme am Leben des sie beschäftigenden Unternehmens. „Wie diese Teilnahme näher bestimmt werden soll, ist wohl nicht ein für allemal auszumachen … In jedem Fall aber sollten die Arbeiter an der Gestaltung ihres Unternehmens aktiv beteiligt werden.“ Das übergeordnete Ziel sah man darin, „das Unternehmen zu einer echten menschlichen Gemeinschaft zu machen“.557
Der Grundgedanken lag in der katholischen Auffassung, dass die Arbeit für die Entfaltung der Person ein entscheidender Faktor sei. Deshalb gebe es nicht nur ein Recht auf Arbeit, sondern vor allem auch die Notwendigkeit, dass der Arbeiter sich mit seiner Arbeit identifiziere und sich aktiv in sein Unternehmen einbringen könne. Dies erfordere die Mitbestimmung. Die Berechtigung der Arbeiter, Mitbestimmung zu fordern, leiteten ihre Befürworter auch aus der Natur des Eigentumsrechts ab. Sozialethisch argumentierten sie, würde es keinen stichhaltigen Beweis geben, unternehmerisches Eigentumsrecht auch als Herrschaftsrecht über Personen auszulegen. Eigentumsrecht würde schließlich nur Verfügungsgewalt über Sachen, nicht über Personen gewähren. Für den Bund Katholischer Unternehmer stellte sich die Sachlage jedoch anders dar. Das Eigentum sei eine Sache, während die Arbeit ein unmittelbarer Ausfluss persönlicher Selbstverwirklichung sei. Beide würden daher unvergleichbare Größen darstellen. Das Recht des Eigentümers zur Unternehmensführung oder zur Bestellung würde sich nun aus dem Eigentum am Unternehmen als Ganzes und der Tatsache ableiten, dass das Eigentum, d.h. das Unternehmensvermögen, für alle Verbindlichkeiten zu haften hätte, die sich aus jeder unternehmerischen Tätigkeit ergeben würde. Dagegen würde die Mitbestimmung in keinster Weise die erwünschte Subjektstellung des einzelnen arbeitenden Menschen fördern, gleichzeitig aber die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens aufheben und damit das Eigentumsrecht verletzten. Sie sei somit eine Gefährdung für die freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Eine sach- und systemgerechte Beteiligung der menschlichen Arbeit im Bereich der Wirtschaftsunternehmen sei daher nur durch Partnerschaft in vielfältiger und differenzierter Weise erreichbar, nicht aber durch eine institutionelle und wesensfremde paritätische Mitbestimmung.558 Der Unterschied in diesen Positionen bestand in der Frage der Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Unternehmensentscheidungen. Dieser Grundsatzstreit bildete auch in der Folge die Konfrontationslinie in der CDU.559 In den fünfziger Jahren wurde die Forderung nach Mitbestimmung durch den Aspekt des Minderheitenschutzes ergänzt. Hinter der Forderung nach mehr Minderheitenschutz stand nicht zuletzt eine doppelte Erfahrung. Einmal war die Mitbestimmung unter sehr starken gewerkschaftlichen Einfluss geraten. Zum anderen waren Christlichsoziale, die die Mitbestimmung maßgeblich gefördert hatten, in der Praxis dieser Mitbestimmung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmervertretern zu wenig zum Zuge gekommen. Immer wieder 557 Johannes XXIII. 1961: 196f [zitiert nach: KAB 1992] 558 Stegmann 1969: 524-527 559 Oelinger 1980: 161
6.3 Die Mitbestimmungsforderungen in der christdemokratischen Tradition
149
wurde die Vorherrschaft und mangelnde Toleranz sozialistischer Kräfte im DGB gerade bei der Ausgestaltung der Mitbestimmung in den Betrieben kritisiert.560 Die innerkatholische Mitbestimmungsdiskussion veränderte ihre Positionen und Begründungen in der Zeit des Bochumer Katholikentages bis in die Zeit der 60er Jahre hinein nicht wesentlich. Dies galt sowohl für katholische Sozialwissenschaftler als auch für Verbände. Zwar gab es Akzentverschiebungen, doch in sozialethischer und prinzipieller Hinsicht hielten sich die Grundzüge der Stellungnahmen und Argumentationen.561 „Mater et Magistra“ widmete der Mitbestimmung einen außerordentlich breiten Raum. Was sich in der Diskussion spätestens um „Mater et Magistra“ herausschälte, blieb auch in der Folgezeit die bestimmende Konstellation im katholischen Pluralismus: In der Mitbestimmungsfrage rückte die Unternehmensebene in den Vordergrund. Die überbetriebliche Mitbestimmung fand keine größere Aufmerksamkeit mehr. Die innerkatholische Bilanz zur Mitbestimmung selbst belegte eine weite Spanne der Positionen und Argumente, die sich vor allem am Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen festmachten.562 Nicht nur die Distribution des Wirtschaftsertrages müsse der Gerechtigkeit entsprechen, sondern der gesamte Wirtschaftsvollzug. Das Unternehmen müsse zu einer echten menschlichen Gemeinschaft in kooperativer Zusammenarbeit werden. Der Arbeiter sei kein „bloßer Untertan“.563 6.3.2 Mitbestimmung und Protestantismus Die Ablösung vom patriarchalisch-feudalen Gesellschaftsbild der kirchlichen Tradition war für den Protestantismus unter den institutionellen und sozialen Bedingungen des 19. Jahrhunderts ein äußerst schwieriger Prozess. Die spätestens seit der Industrialisierung zwingend erforderliche Neuorientierung wurde nur zögernd in Angriff genommen. Weithin dominierten bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vorindustriell geprägte Einstellungen. Im Unterschied zum sozialen Katholizismus, der recht schnell die Unterstützung eines Teils der Hierarchie gewinnen konnte, waren es im Protestantismus zunächst Einzelgänger und später vor allem die freien Verbände, die ihm neue sozialethische Impulse gaben. Dabei ist insbesondere seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Vielfalt der theologischen Begründungen sowie von sozial- und wirtschaftspolitischen Reformvorschläge feststellbar. Dieser interne Pluralismus war ein wichtiges Merkmal des entstehenden sozialen Protestantismus. Während die katholische Kirche unter dem Einfluss der Hierarchie eine relativ einheitliche, schließlich auf den Sozialenzykliken basierende Soziallehre entwickelte und diese durch ihre sozialen Verbände in der Öffentlichkeit offensiv als christliche Positionen vertrat, rivalisierten in der evangelischen Kirche unterschiedliche Auffassungen über den sozialethischen Auftrag der Kirche. Es lassen sich hier idealtypisch vier Einstellungstypen mit jeweils eigenen Organisationsstrukturen unterscheiden:
Eine ungebrochene Orientierung an patriarchalischen Leitbildern, die sich vielfach als unpolitisch verstand und einen sozialen Auftrag der Kirche ablehnte.
560 561 562 563
Ebd: 194 Ebd: 195 Ebd: 204 Bellers 1990: 23
150
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung Eine sozialkonservative Haltung, die eine Nähe zum sozialen Katholizismus aufwies, jedoch stärker den Gedanken sozialstaatlicher Intervention betonte. Sozialliberale Positionen, die die kapitalistische Wirtschaftsordnung durch institutionalisierte Formen einer gleichberechtigten Zusammenarbeit der Sozialparteien zu ergänzen suchten. Die Eröffnung sozialistischer Optionen.
Diese Vielfalt war bereits in der wilhelminischen Ära vorhanden und gelangte in der Weimarer Republik zur vollen Entfaltung. Die unterschiedlichen Einstellungstypen standen in heftigem Gegensatz zueinander. Der soziale Protestantismus der Weimarer Zeit deckte somit nahezu das gesamte Spektrum ordnungspolitischer Optionen ab, jedoch mit einem sehr starken Übergewicht an sozialkonservativen Einstellungen. Diese Situation, die zu einer gewissen sozialethischen Beliebigkeit führte, wurde seit den dreißiger Jahren vor allem durch die ökumenische Studienarbeit und durch die Erfahrung des Kirchenkampfes verändert. Das Bemühen ging dahin, durch konsensfähige sozialethische Überlegungen extreme Positionen auszuschließen, ohne jedoch eine einheitliche evangelische Soziallehre entwickeln zu wollen. Somit blieb im Protestantismus eine sozialethische Pluralität weiterhin bestehen.564 Gerade auch in der Frage der Mitbestimmung blieb die evangelische Kirche bis in die siebziger Jahre unbestimmt und gespalten.565 Somit kann keine originär „protestantische Haltung“ gegenüber der Mitbestimmungsfrage hergeleitet werden. 6.3.3 Traditionen in der deutschen Sozialpolitik Neben der sozialreformerischen Tradition wurde für die Mitbestimmungsdiskussion eine zweite Tradition wirksam, nämlich die der deutschen Sozialpolitik. Sie hatte neben Arbeiterschutz und Sozialversicherung als ihren dritten Zweig eine gesetzliche Regelung der Produktions- und Arbeitsordnung, der Beziehungen zwischen „Arbeit“ und „Kapital“, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Betrieb und Unternehmen herausgebildet. Diese „Betriebsverfassung“ besaß drei Herkunftslinien: die Angebotslinie der Unternehmer, d.h. freiwillige Beschränkung der Unternehmermacht, die Forderungslinie der Arbeiterbewegung und die Gesetzgebungslinie. Alle drei trafen sich zum ersten Mal in dem Hilfsdienstgesetz von 1916. Denkbar und möglich war also, eine Betriebsverfassung entweder durch eine freiwillige Vereinbarung oder per Gesetz zu verwirklichen. Die Bilanz der Weimarer Zeit zeigte die Gesetzgebungslinie als die bestimmende an. Die der Vereinbarung, etwa durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, rückte dagegen in den Hintergrund.Nach 1945 hatte sich vor allem auch die Ordnungskonzeption der politisch führenden Kräfte gewandelt. Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die entwickelten Vorschläge zur wirtschaftspolitischen Selbstverwaltung zugunsten der nach der Währungsreform so erfolgreich einsetzenden Sozialen Marktwirtschaft und der in ihrem Namen praktizierten Wirtschaftspolitik aufgegeben worden. Die Bewältigung wirtschaftlicher Macht, ihre Dezentralisierung, der Ausgleich von Interessen und die gemeinwohladäquate Steuerung der 564 Jähnchen 1993: 390-391 565 Ebd: 400-401
6.4 Die Mitbestimmung als politisches Thema der 1960er und 1970er Jahre
151
Volkswirtschaft wurden in der veränderten Konzeption hauptsächlich oder allein dem Instrumentarium eines funktionsfähigen Wettbewerbs überlassen. Die Idee einer berufsständischen Ordnung wurde seitens der Christdemokratie endgültig verworfen. In der neoliberalen Vorstellung erschien eine von der berufsständischen Konzeption angestrebte wirtschaftliche Selbstverwaltung als Störfaktor. Ihre Institutionen standen für sie in dem unkorrigierbaren Verdacht der Kartellbildung und der Usurpation staatlicher Macht. Sie waren unvereinbar mit der wettbewerblich-freiheitlichen Ordnung.566 6.4 Die Mitbestimmung als politisches Thema der 1960er und 1970er Jahre Die Mitbestimmung auf der Unternehmensebene war zu Beginn der sechziger Jahre in drei Gesetzen geregelt: Im Bereich der Montanindustrie wurden aufgrund des MontanMitbestimmungsgesetzes vom Mai 1951 bzw. des so genannten Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom August 1956 die Aufsichtsräte der Unternehmen bzw. Obergesellschaften paritätisch von Anteilseignern- und Arbeitnehmervertretern gebildet. Den Vorständen gehörte ein Arbeitsdirektor an, der nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter gewählt werden durfte. In der übrigen Wirtschaft galten die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes vom Oktober 1952, denen zufolge in Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern ein Drittel der Aufsichtsratssitze von Arbeitnehmervertretern besetzt werden musste.567 In den sechziger und vor allem den siebziger Jahren gewann die Frage nach betrieblicher Mitbestimmung erheblich an Bedeutung. Die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten stand zu Beginn der siebziger Jahre im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Regierungskommissionen, Parteien, Gewerkschaften und kirchliche Organisationen überboten sich gegenseitig in der Ausarbeitung von Mitbestimmungsentwürfen. Die Mitbestimmung wurde in den siebziger Jahren nicht nur als sozialpolitisches Ziel verstanden, um das soziale Los der Arbeiter zu verbessern, sondern auch durch den gesellschaftspolitischen Anspruch vorangetrieben, die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft über den politischen Bereich hinaus zu forcieren.568 Ende 1962 ergriff der DGB die Initiative. Der Gewerkschaftsverband schlug eine Ausweitung des Montanmitbestimmungsgesetzes auf Großunternehmen und -konzerne vor. Dies war eine Antwort auf die vom DGB als bedrohlich angesehene Entwicklung, dass die Montan-Mitbestimmung immer weniger Anwendung fand. Denn bis zur Mitte der sechziger Jahre hatte sich aufgrund von Konzentrationsvorgängen bzw. Umsatzschwerpunktverlagerungen die Zahl der montanmitbestimmten Unternehmen kontinuierlich verringert. Dem Bedeutungsverlust der Montanindustrie stand die wachsende Bedeutung der chemischen Industrie gegenüber.569 Die Tendenz schlug sich auch in einem Bericht zur Mitbestimmungsfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1975 nieder:
566 567 568 569
Oelinger 1980: 176 Frese 200: 163f. Auch: Fischer 1969 Vgl. Niedenhoff 1977: 57f Frese 2000: 165
152
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung „In wachsendem Maße wird es als ein Gebot der Demokratie erkannt, diejenigen, die von der Entscheidung gesellschaftlicher und politischer Institutionen in erster Linie betroffen werden, in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Die Arbeitnehmer können ein ebenso großes und manchmal sogar noch größeres Interesse als die Anteilseigener am Betriebsgeschehen haben. Die Arbeitnehmer beziehen von dem Unternehmen, das sie beschäftigt, nicht nur ihr Einkommen; sie widmen darüber hinaus dem Betrieb den größten Teil ihres täglichen Lebens. Entscheidungen, die von oder im Unternehmen getroffen werden, können kurz- oder langfristig beträchtliche Auswirkungen auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse haben; dies gilt auch für die Befriedigung, die ihnen ihre Arbeit verschafft, für ihre Gesundheit und ihre körperliche Verfassung, für die Zeit und die Kraft, die sie ihren Familien und anderen Dingen als ihrer Arbeit widmen können. Es ist für sie darüber hinaus eine Frage der Menschenwürde und Selbstbestimmung. Daher überrascht es nicht, dass der Frage, wie und in welchem Ausmaß die Arbeitnehmer auf die Entscheidungen der Unternehmen Einfluss nehmen sollten, immer mehr Beachtung geschenkt wird.“570
Abgesehen von den Arbeitgebern, die jegliche Erweiterung der Mitbestimmung über die Drittelparität hinaus ablehnten, bestand ein breiter gesellschaftlicher Konsens darin, dass die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten stärker repräsentiert werden sollten, als dies im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 festgeschrieben worden war.571 Die unterschiedlichen normativen und ordnungspolitischen Vorstellungen dürfen nicht übersehen werden, wenn man die unterschiedlichen Vorschläge und Positionen zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, zur Erweiterung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer analytisch betrachtet: Hand in Hand mit der Re-Ideologisierung der Diskussion über die Aufgaben des Staates, die Legitimität von Macht in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hatte sich die Auseinandersetzung um die Ziele und Ordnungsstrukturen einer „sozialen Demokratie“ voll auf den Bereich des Wirtschafts- und Arbeitslebens ausgedehnt. Die Mitbestimmungsfrage war damit zugleich immer eine Frage nach dem Verständnis des Rechts auf Selbstbestimmung und Autonomie, des Rechts auf Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung und des Ausmaßes der sozialen Pflichten sowie der hieraus folgenden Beschränkungen zumal wirtschaftlicher Entscheidungsmacht. Die Diskussion um die „Humanität im Arbeitsleben“ gehörten ebenso zum Hintergrund der Mitbestimmungsfrage wie die Forderungen nach einer grundlegenden Überprüfung und Begrenzung der Eingriffsrechte und Steuerungsmöglichkeiten des Staates. Deswegen wurde auf der einen Seite nach neuen Chancen zur Dezentralisation der großen staatlichen „Machthaushalte“ gesucht, und auf der anderen Seite Vorschläge zur Begrenzung der Macht der multinationalen Unternehmen, Großorganisationen in Wirtschaft und Gesellschaft unterbreitet.572 Eine vollkommene Parität sahen die Entwürfe von DGB, DAG, der SPD und der CDA vor. Der DGB forderte eine Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf die Großbetriebe der anderen Industriezweige nach dem Montanmodell. Ähnliche Vorstellungen fanden sich auch bei der SPD, der DAG und den Sozialausschüssen. Im Unterschied zum DGB, der ein Delegationsrecht bezüglich der Arbeitnehmervertreter beanspruchte, wollten diese Gruppierungen den Einfluss der Gewerkschaften bei der Auswahl der Arbeitnehmer570 Kommission der Europäischen Gemeinschaft 1975: 5 571 Niedenhoff 1977: 57f 572 Voss 1978: 325
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
153
vertreter in den Aufsichtsräten zugunsten der Wahl durch die im Betrieb Beschäftigten beschränken.573 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Streitpunkt nicht nur sozialpolitisch, sondern vor allem gesellschaftspolitisch motiviert war. Es ging nicht nur um eine bessere Repräsentanz der Anliegen der Arbeiter und Arbeitnehmer, sondern vor allem auch um die Emanzipation des mündigen Bürgers in der modernen Arbeitsgesellschaft. Die Trennlinie der damaligen Debatte durchzog gleichsam die der christlichen – katholischen wie protestantischen – Überlegungen. Aufgrund der geschwundenen Bindungskraft zum kirchlichen Milieu und des damit verbundenen Schwindens christlicher Identitätskraft, war die deutsche Christdemokratie gerade in dieser Frage einer großen innerparteilichen Auseinandersetzung ausgesetzt. Sie traf gleichfalls die Hauptspannungslinie innerparteilicher Konflikte. 6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union 6.5.1 Mitbestimmung als Streitthema in der CDU der 1960er und 1970er Jahre Die Unzufriedenheit mit dem Erscheinungsbild der CDU trat durch den Regierungsverlust offen zutage. Reale Regierungspolitik konnte nicht mehr die programmatischen Defizite der Unionspolitik überdecken. Der CDU, die die politischen Debatten noch mit der Westbindung und der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in großem Stil dominiert hatte, gingen ihre Kompetenzthemen und ihre klare Botschaft verloren. Zwar stand ihr Hauptkonkurrent im politischen Markt weiterhin links, aber dessen Platz im Parteiensystem rückte immer weiter Richtung Mitte. Dies lag nicht nur an dessen charismatischen „Dauerkandidaten“ Willy Brandt,574 sondern machte darüber hinaus mit den Beschlüssen auf dem Bad Godesberger Parteitag deutlich, dass für die SPD die Zeit von Marxismus und Klassenkampf, von kühnen Sozialisierungspostulaten und starren sozialistischen Endzielen vorbei war.575 Dieser programmatische Häutungsprozess des Hauptrivalen im deutschen Parteiensystem entzog der CDU nicht nur die Möglichkeit pointierter Stimmungsmache gegen einen radikalen Politikwechsel. Diese Mäßigung der politischen Auseinandersetzung beinhaltete ein großes Risiko für die langjährige Regierungspartei. Trotz aller Erfolge und Verdienste stellte sie die programmatische Lücke der CDU bloß. Diese Lücke im politischen Markt schlug nun auf das innerparteiliche Leben zurück: Mit dem Regierungsverlust verlor die Parteiführung eines ihrer wirksamsten Mittel bei der Konfliktregelung der unterschiedlichen sozialen Gruppen: den Proporzgedanken bei der Personalauswahl. Der CDA-Vorsitzende Hans Katzer verlor nicht nur „sein“ Sozialministerium, sondern auch die Deutungsmacht über die CDU-Sozialpolitik anhand des realen Regierungshandelns in seinem Ministerium. Die einzelnen Parteiflügel konnten so nicht über personelle Einbindungen zueinander geführt werden. Die Konflikte verlagerten sich nun 573 Thum 1991: 91 574 Willy Brandt personifizierte als junger, dynamischer und charismatischer Kanzlerkandidat der SPD in den Bundestagswahlkämpfen 1961, 1965 und schließlich auch 1969 den programmatischen Neuaufbruch der deutschen Sozialdemokratie, der 1959 in Bad Godesberg programmatisch manifestiert worden war. [vgl. Merseburger 2004: 343ff] 575 Walter 2002: 152
154
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
verstärkt auf die verbliebenen Machtgremien. Dies waren zum einen die Bundestagsfraktion und zum anderen die Parteigremien, die nun enorm an Bedeutung gewonnen. Der Verlust an Einfluss – der in der Adenauer-CDU über die personelle Zusammensetzung der Bundesregierung organisiert wurde – beraubte die Vereinigungsoberen einer ihrer stärksten Machtressourcen. Dieser Verlust beschleunigte die Entwicklung, die bereits zu Beginn der sechziger Jahre eingesetzt hatte, aber durch geschickte Personalpolitik überdeckt werden konnte: Im innerparteilichen Leben zeichnete sich eine Einflussverschiebung von den Eliten der Vereinigungen hin zu den Parteitagsdelegierten ab. Durch den Verlust der Schlüsselstellungen in den für „ihre“ Politikbereiche relevanten Ministerien verloren sie gleichfalls ihre Vetoposition im Politikbetrieb. Nicht mehr das Aushandeln tragfähiger Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Interessengruppierungen der Union, sondern Mehrheitsabstimmungen auf Parteitagen wurden zur verbindlichen Entscheidungsform in der Partei erhoben. Dieser Paradigmenwechsel von Aushandlungs- zu Mehrheitsentscheidungen veränderte nachhaltig das innerparteiliche Leben der CDU.576 Dieser grundlegende Wandel in der innerparteilichen Willensbildung wirkte sich nicht nur auf die Relevanz von Parteiorganisationen und -gremien aus, sondern auch auf die Politikformulierung. Denn dieser neue innerparteiliche Willensbildungsprozess änderte das Machtverhältnis innerhalb der Union. Die Vereinigungen verloren ihren absoluten Inklusionsanspruch innerhalb des Willensbildungsprozesses. Auch verstärkte der fortschreitende Erosionsprozess der klassischen Milieus die Verunsicherung. Die Union verlor ihr politisch-ideologisches Selbstverständnis. So wurde in der zeitgenössischen Presse an der CDU bemängelt, der Partei würden nicht so sehr konkrete Alternativvorschläge zu Sachproblemen, wie Bodenrecht oder auch Vermögensbildung, als vielmehr ein Konzept hinter diesen Vorschlägen fehlen.577 Die Mitbestimmungsfrage war eine solche Frage im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die grundsätzliche Diskussionen auslöste. In Anlehnung an den sozialen Katholizismus wurden in der Frühphase der CDU-Geschichte kaum Einwände gegen die Forderung nach Mitbestimmung erhoben. Die Frankfurter Leitsätze, das Programm von NeheimHüsten und auch das Ahlener Programm sahen in der Mitbestimmung ein Recht, das den Arbeitern nicht verwehrt werden dürfe.578 Ende der vierziger Jahre war die Begeisterung für die Mitbestimmungsideen nicht mehr in allen Teilen der Union verbreitet. Zwar trat man weiterhin geschlossen für die Mitwirkung der Arbeiter und Arbeitnehmer durch Mitberatung und Mitsprache sowie durch Mitbestimmung der Arbeiter im sozialen und personellen Bereich ein. Bei der Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung endete aber die Einmütigkeit. Seitens der Unternehmerkreise wurde auf das fehlende Sachwissen der Arbeiter sowie die Notwendigkeit einer freiheitlichen Unternehmerinitiative und einheitlicher Unternehmensleitung verwiesen. Zudem sahen die katholischen Unternehmenskreise die Eigentumsrechte gefährdet und die Verantwortlichkeiten verwischt. Die in der Nachkriegszeit häufig diskutierte überbetriebliche Mitbestimmung durch paritätisch besetzte Wirtschaftsräte wurde trotz mehrerer Initiativen des Arbeitnehmerflügels der CDU und der Forderungen der Gewerkschaften überhaupt nicht thematisiert. Da576 Lappenküper 2001: 394ff 577 Vgl. Riehl-Heyse, Herbert: Die Union kämpft mit der Profilneurose, in SZ vom 10.12.1973 578 Stegmann 1969: 517
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
155
mit wurden die ordnungspolitischen Ziele der Gewerkschaften im Blick auf die überbetriebliche Mitbestimmung und auf das Betriebsverfassungsgesetz in wesentlichen Punkten nicht berücksichtigt. Das, wenn auch abgeschwächte „Ja“ zur Mitbestimmung stärkte den weitgehend katholisch geprägten Arbeitnehmerflügel der CDU. Während es gelang, bei der Auseinandersetzung um die Montanbestimmung vermittelnd einzugreifen, führte das Engagement für eine Verbesserung des Betriebsverfassungsgesetzes und für die Errichtung von Wirtschaftsräten nicht zum Erfolg. Nach der gesetzlichen Fixierung der Mitbestimmungsregelungen 1951 und 1952 klang die innerkatholische Mitbestimmungsdebatte ab. Das zentralpolitische Anliegen des sozialen Katholizismus wurde seit Mitte der fünfziger Jahre die Zielsetzung einer breiten Eigentumsverteilung. Diese Diskussion, die von den DGB-Gewerkschaften nur zögernd und vereinzelt aufgenommen wurde, zeigte, dass der soziale Katholizismus in erster Linie nach wie vor von dem Faktor Eigentum her dachte und die Mitbestimmung als Recht des Faktors „Arbeit“ diesem eindeutig unterordnete.579 Die Mitbestimmungsdebatte erlangte in der Union in den sechziger Jahren wieder an Relevanz. Diese Debatte basierte nun aber auf zwei Ursprüngen, die sich im Laufe der Debatte zunehmend vermischten: Zum einen war sie geprägt von den christlichsozialen Überlegungen über die Rolle und die daraus resultierenden Rechte des Arbeitnehmers in der Wirtschaftsgesellschaft. Diese – dem traditionellen Interessengegensatz in der Partei entsprechende Auffassung – war auch in der katholischen Soziallehre nicht eindeutig gelöst. Sie betraf die Mitbestimmung des „Faktors Arbeit“ über den Bereich der Arbeitsbedingungen hinaus auf die Fragen der generellen Unternehmensführung. Sie war im christlichen Lager seit den vierziger und vor allem fünfziger Jahren heftig umstritten.580 Das geringe Gewicht christlicher Gewerkschaften und die Dominanz sozialistischer und sozialdemokratischer Kräfte im DGB ließen auch den Arbeitnehmerflügel der Union eher skeptisch auf den vermehrten Einfluss der Gewerkschaften blicken. Sie favorisierten dagegen eine stärkere Einflusssicherung der Betriebsräte. Diese Überzeugung resultierte aber nicht nur aus machtpolitischen Realitäten, sondern stand auch im Einklang mit christdemokratischer Überzeugung. Als Gemeinschaftsideologie war sie davon überzeugt, den Menschen im Wirtschaftsprozess direkt verantwortlich einzubinden. Dies sollte durch aktives Mitwirken in der direkten Arbeitswelt und weniger mittels Massenorganisationen erfolgen. Aus diesem Grund lehnte auch der CDA eine zu starke Gewerkschaftsmacht von außen in die Betriebe ab. Das vorrangige Ziel der Christlichsozialen lag nicht in der kollektiven Einbeziehung einer gesellschaftlichen Klasse in die Wirtschaftssteuerung, sondern in der Einbindung des individuellen Arbeiters in „sein“ Unternehmen. Somit lag der Fokus klar auf der betrieblichen Mitbestimmung und auf der Einbindung der Betriebsräte in dieser. Der zweite Ursprung der aufgeflammten Mitbestimmungsdiskussion rührte aus der neuen Begeisterung für vermehrte demokratische Elemente in der Bundesrepublik her. Dieser Ansatz unterschied sich von den zentralen Anliegen des sozialen Katholizismus. Vielmehr wurde er innerparteilich von den jungen Reformern aus den Reihen der JU, wie zum Beispiel deren langjährigen Bundesvorsitzenden und späterem Wirtschaftspolitiker Matthias Wissmann, bestimmt. Aus jenem Grund wurde diese Diskussion nicht nur anhand der traditionellen Konfliktlinie zwischen Wirtschaftsliberalen und Arbeitnehmer geführt, 579 Jähnichen 1993: 346 580 Frings 1949: 78-122
156
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
sondern war auch ein heftig diskutiertes Thema zwischen den Traditionalisten und den Modernisierern. Letztere favorisierten eine erweiterte Mitbestimmung nicht aus originär christlichsozialen Motiven, sondern aufgrund einer demokratisch-normativen Zielsetzung. Er wurde daher auch in erster Linie nicht von den katholischen Arbeitnehmervertretern ins Feld geführt, sondern von den Repräsentanten der Jungen Union und den Studenten aus dem RCDS. Aus diesem Grund trafen in dieser Frage nicht nur die klassischen Vereinigungen aufeinander, sondern auch die beiden unterschiedlichen Konzepte der innerparteilichen Willensbildungsmodelle. Der Wirtschaftsflügel nahm die Auseinandersetzung bereitwillig auf, glaubte er – wie sich im Nachhinein auch bewahrheiten sollte zu Recht –, dass er innerparteilich für seine Konzepte die Mehrheit organisieren könne. So forderte der Wirtschaftsrat einen öffentlichen Dialog, den er in seinen Publikationen auch anschob. Zur Kritik gestellt wurde hier der Entwurf eines neuen Programms der CDU gegenüber dem Berliner Programm von 1968. Die Aushandlungsdemokratie als bisherige traditionelle Form des Willensbildungsprozesses wurde seitens der Öffentlichkeit wie auch der Wissenschaft zunehmend als undemokratisch kritisiert: Die Hauptkriegsschauplätze der Interessengruppierungen lagen in dieser Zeit vor allem auf der oberen Organisationsstufe der Partei. Dort wurde versucht, konkrete politische Initiativen und Aktionen durchzusetzen oder zu verhindern. Die Führungsgremien der Partei oder spezifische Koordinierungsgremien – wie es sie beispielsweise zwischen den Sozialausschüssen und Wirtschaftsrat gab — funktionierten nicht mehr.581 Der neue programmatische Aufbruch sollte mit einer Demokratisierung des innerparteilichen Willensbildungsprozesses erfolgen. Nicht mehr die Verhandlungen zwischen den führenden Repräsentanten der unterschiedlichen Parteiflügel hinter verschlossenen Türen sollten die Debatte bestimmen, sondern die öffentliche Diskussion auf den Parteitagen. Mit der Erosion der sozialkulturellen Milieus und der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft582, galt dies auch für die CDU-Organisation. Die Partei wurde durch ihre Standesorganisationen fragmentierter als früher. Dies war auch ein Grund für ihre sinkende Relevanz. Welchen Bedingungen diese Willensbildung unterlag, konnte vornehmlich auch an ihrer Organisationsstruktur erkannt werden.583 Die innerparteiliche Willensbildung wurde in der Adenauer CDU durch das Konsensmodell geregelt.584 Die Parteireform der siebziger Jahre änderte dies zum Konkurrenzprinzip. Die Besetzung von Führungspositionen und Entscheidungen sollte nun aus dem innerparteilichen Wettbewerb konkurrierender Gruppen resultieren und nicht mehr einvernehmlich durch einen konsensualen Aushandlungsprozess gelöst werden.585 Dieser Wandel stellte nicht nur einen Paradigmenwechsel in der innerparteilichen Willensbildung, sondern vor allem auch in der Organisationslogik der CDU dar. Der Rückhalt in der Mitgliedschaft und nicht die Repräsentanz bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wurden zur Bestimmungsgröße innerparteilichen Einflusses.586 581 582 583 584 585 586
Baumanns/Bergsdorf 1971: 15-18 Görtemaker 1999: 475ff Kühr 1974: 7 Bösch 2005: 172ff Kühr 1974: 8 Zolleis 2003: 17
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
157
Das Konkurrenzmodell wurde von der damaligen politikwissenschaftlichen Literatur aus fünf Gründen begrüßt: 1. 2. 3. 4. 5.
Die innerparteiliche Opposition erhält die Möglichkeit der Artikulation und der Werbung. Die öffentliche Diskussion konturiert die unterschiedlichen Argumentationsweisen und macht eine rationale Entscheidungsfindung eher möglich. Die Stärkeverhältnisse zwischen gegensätzlichen Gruppierungen werden sichtbar. Die untere Parteielite gewinnt durch den Vertrauensbeweis der Delegierten und Mitglieder eine breitere Legitimationsbasis für ihr Vorgehen. Die offene Willensbildung und die Solidarisierung mit der Parteispitze an der Basis löst Rückwirkungen auf den oberen Parteiebenen aus. Die obere Funktionärselite wird durch den offenen Willensbildungsprozess auf der unteren Ebene zur Revision der eigenen Entscheidungsart und des Entscheidungsinhalts veranlasst. 587
Diesen innerparteilichen Demokratisierungsprozess versuchten die Reformkräfte auf die Wirtschaftspolitik zu übertragen: Die Mitbestimmung wurde so neben allen Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit von den Modernisierern der Union als entscheidender Punkt für die Reformfähigkeit der CDU angesehen. Diese politische Frage sollte nicht nur eine moderne Wirtschaftspolitik ausdrücken, sondern stand pars pro toto für die gesamten Reformen der Union – politisch und organisatorisch. Aufgrund dieser Symbolhaftigkeit wird erst die Zähigkeit der Auseinandersetzung – gerade auf Seiten der Reformkräfte – verständlich.588 Die Demokratisierung ging auch mit einer Intellektualisierung der politischkonzeptionellen Debatte innerhalb der CDU einher. Diese resultierte aber weniger aus der Akademisierung des politischen Nachwuchses gegenüber den Zeiten Adenauers oder sogar Windhorsts. Auch damals waren Akademiker – und Juristen im Besonderen – überrepräsentiert. Die neue Lust an der politischen Konzeptionsarbeit entsprang vielmehr aus den Veränderungen des innerparteilichen Lebens. Die Abkehr vom Proporzkonzept hin zur Delegiertenpartei benötigte neue Formen innerparteilicher Willensbildung und damit auch der Artikulation der divergierenden Interessen. Die organisatorische Annährung an die Parteistrukturen der Sozialdemokarten steigerte auch die Notwendigkeit ähnlicher innerparteilicher Kommunikationsformen.589 Eine öffentliche Willensbildung benötigte eine öffentliche Debatte. Diese wurde nun auch breit und offen mittels öffentlicher Publikationen und Stimmungsmache geführt.590 Dies galt nicht zuletzt für das umstrittenste sozial- und wirtschaftspolitische Thema innerhalb der Union in den späten sechziger und in den siebziger Jahren: die Mitbestimmung. Das Stichwort Mitbestimmung wurde zu einem „affektgeladenen Kampfruf“.591 Die CDU-Parteiführung versuchte, das umstrittene Thema konsensual zu lösen, indem sie eine Kommission einsetzte. Im Vorfeld des 1968 geplanten Berliner Programmparteitags richtete die CDU eine Mitbestimmungskommission unter der Leitung von 587 588 589 590 591
Kühr 1974: 9 Vgl. Interview mit Matthias Wissmann Gauland 1994: 19f Bösch 2002: 102f Vgl. Referat von Russe in der Mitbestimmungskommission der CDU [vgl. ACDP VII-004-040/1]
158
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Ernst Benda ein.592 Die CDA ging in dieser Frage mit ihrer Offenburger Erklärung in die Offensive, indem sie feststellte: „Verstärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers in Fragen, die ihn persönlich betreffen, Ausbau der Mitbestimmung des Betriebsrates, gleichberechtigte Stellung der Arbeit in den Aufsichtsräten der Großunternehmen.“593
Der Wirtschaftsflügel war von diesen Ideen der Sozialausschüsse in keinster Weise begeistert. Für ihn verstießen sie nicht nur gegen wirtschaftspolitische Logik, sondern vor allem auch gegen den Gründungsgeist der Sozialen Marktwirtschaft. So lehnte Franz Etzel die Pläne kategorisch ab: „... Ich habe Ihnen schon … meine grundlegenden Bedenken zum Ausdruck gebracht. Nach Auffassung der christlichen Sozialethik und in Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen des Art. 1 GG muss jedes menschliche Zusammenleben ausgehen von der Achtung der Menschenwürde. Das gilt auch für die menschliche Arbeit. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft ist die Achtung der Menschenwürde notwendig gemeinschaftsbezogen. Da hiernach auch die Würde des Menschen geprägt sein muss, ist sie mit den Sachgütern nicht vergleichbar. Diese stehen als Basis und Ordnungselement wirtschaftlicher Produktion lediglich in menschlichen Diensten. Andrerseits ist nicht zu leugnen, dass zwischen der menschlichen Arbeit und der Funktion, die den Sachmitteln in einer Volkswirtschaft zukommt, ein naturgegebener Konflikt besteht. Deswegen müssen die von den Sozialpartnern vereinbarten und die vom Staat gesetzten Normen in der Erkenntnis dieser Zusammenhänge gewährleisten, dass der Arbeitnehmer durch die Arbeit nicht nur seinen Lebensunterhalt sichern, sondern zugleich seine Persönlichkeit entfalten und vervollkommnen kann. Wirtschaft wird durch Menschen getragen und gestaltet. Der Sinn des Wirtschaftens liegt in erster Linie in der optimalen Versorgung der Verbraucher mit Gütern und Dienstleistungen. Darin liegt zugleich die eigentliche soziale Funktion des Wirtschaftens. Andrerseits hat das Wirtschaften in einer arbeitsteiligen Industriegesellschaft auch eine zwischenmenschliche Komponente, weil sie Menschen zur Erreichung des Wirtschaftszwecks zusammenführt. Insofern ist Wirtschaften zugleich auch Daseinserfüllung des einzelnen Menschen. … Im Übrigen besteht zwischen der paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie und deren Ausdehnung auf alle großen Unternehmen der gesamten Wirtschaft nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer Unterschied. Erst die Ausdehnung der Sonderregelung bei Kohle und Stahl auf die Gesamtwirtschaft bringe die volle Gewerkschaftsmacht zum Durchbruch und verändere damit das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.“594
Die Kommmission Mitbestimmung stellte die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der CDU in ihrem Protokoll 1967 fest: „Gegensätzliche Meinungen bestehen darüber, ob die unternehmerische Entscheidungsfreiheit durch die Mitbestimmung eingeschränkt wird. Einigkeit besteht darüber, dass die Funktion des Unternehmers und des Unternehmens am Markt auch durch die Mitbestimmung nicht eingeschränkt werden darf. Dagegen besteht keine Einigung über die Frage, ob die gegenwärtige Praxis der Mitbestimmung eine Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bedeutet, und wie sich eine Ausweitung einer qualifizierten Mitbestimmung auf die Funktion des Unternehmers auswirken würde. … Jedes gesamtwirtschaftlich bedeutsame und gemeinschaftsbe592 Frese 2000: 181 593 CDA 1967: Offenburger Erklärung, S. 125 594 Brief Etzel an Benda am 4.10.1967 [ACDP VII-004-040/1]
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
159
zogene Verhalten muss – gemäß unserer Wirtschaftsverfassung – den Geboten der Gerechtigkeit genügen. Der Sinn des Wirtschaftens liegt also nicht nur in der Steigerung der Produktion, des Wachstums des Sozialprodukts, sondern auch in der Bedeutung, die es für die Daseinserfüllung der einzelnen Menschen und der wirtschaftenden Gebilde hat. ... Es wird anerkannt, dass eine teilweise Besetzung [des Aufsichtsrates] mit Arbeitnehmervertretern eine Bereicherung darstellt, weil neue Aspekte und Argumente eingebracht werden können. Unstreitig ist, dass Arbeitnehmervertreter dem Aufsichtsrat angehören sollen. Ebenfalls unstreitig ist eine Besetzung des Aufsichtsrates mit einem Drittel Arbeitnehmervertreter. Umstritten ist die paritätische Besetzung des Aufsichtsrates. … umstritten ist [ferner] der Einfluss der Gewerkschaften im Aufsichtsrat“595
Insgesamt lassen sich aus den Diskussionen innerhalb der CDU in der Spätphase der sechziger Jahre zwei zentrale Streitpunkte zusammenfassen, die auch im Katholizismus die entscheidenden waren: 1. 2.
Die generelle Teilhabe der Arbeitnehmer an den Unternehmungsentscheidungen. Die Frage der paritätischen Mitbestimmung.
Zudem gab es noch einen Streitpunkt, der sich durch die Reihen der Arbeitnehmervertreter zog: Die Frage des Einflusses der Gewerkschaften. Der Berliner Parteitag erreichte zwischen den beiden Flügeln noch einmal einen Kompromiss, der – wie sich bereits in den folgenden Monaten herausstellte – jedoch für beide Seiten unbefriedigend war und damit nicht trug. Die entscheidenden Sätze dieser Kompromissformel lauteten: „Wir bekennen uns zu einem modernen und fortschrittlichen Unternehmensrecht. Das wirtschaftliche Geschehen ist partnerschaftlich zu gestalten. Das Betriebsverfassungsgesetz muss voll ausgenutzt und weiter ausgebaut werden. Die weitere Gestaltung der Mitbestimmung muss auf der Grundlage des Berichts, den die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission erstattet hat, sorgfältig geprüft werden. Bei einer Neuordnung des Unternehmensrechts darf ein überbetriebliches Einflussmonopol zugunsten von organisierten Interessen nicht zugelassen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen auch im internationalen Wettbewerb nicht beeinträchtigt werden. Angesichts dieser Zielsetzung kann eine schematische Übertragung des Modells der Montan-Mitbestimmung nicht befürwortet werden.“596
In der Fortführung der Mitbestimmungskommission wurde zunächst eine Reihe von Kommissionen gebildet. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion richtete eine zehnköpfige Mitbestimmungskommission ein, die CSU-Landesgruppe bildete eine Arbeitsgruppe für die Fragen der Mitbestimmung, Lohnfortzahlung und Vermögensbildung, und schließlich konstituierte sich Anfang 1969, dem Beschluss des Berliner Parteitages folgend, in der CDU eine Mitbestimmungskommission. In allen Kommissionen waren Wirtschaft und Mittelstand auf der einen und Arbeitnehmerschaft auf der anderen Seite gleichbedeutend vertreten. Trotz dieser zahlreichen Kommissionsbildungen kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Partei zwar Aktivitäten vorgab, aber eigentlich auf den Bericht der Regierungskommission unter der Leitung von Kurt Biedenkopf wartete. Denn mit dem Beschluss des Berliner 595 Ergebnisprotokoll der Mitbestimmung über die Sitzung vom 7. Juni 1967 [vgl. ACDP VII-004-040/1] 596 Vgl. CDU (1968): Berliner Programm Ziff. 64
160
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Parteitages, den Bericht der Biedenkopf-Kommission zur Grundlage für Überlegungen zur weiteren Gestaltung der Mitbestimmung zu machen, stand fest, dass bis zur Vorlage des Berichts keine endgültige Klärung erfolgen würde.597 Somit dienten die Arbeitsgruppen, Kommissionen und Arbeitskreise nicht zu einer internen Konsensbildung, sondern zur Zeitverzögerung und damit zur Beruhigung der Partei. Auf dem politischen Markt wurde dieses Thema auch prioritär behandelt. Der sozialdemokratische Koalitionspartner versuchte, dieses von Bundeskanzler Kiesinger wenig geschätzte Thema zur eigenen Profilbildung zu nutzen. Die innerparteiliche Kritik an der Großen Koalition seitens der SPD erreichte auf dem Nürnberger Parteitag ihren Höhepunkt.598 Das Bemühen, den Koalitionsfrieden zu wahren, trat gegenüber der Absicht, das eigene Profil zu stärken, zunehmend in den Hintergrund. Hiervon blieb die Entschließung zur Mitbestimmung als Lieblingsthema des DGB nicht unbeeinflusst.599 Eine daraus entwickelte Gesetzesinitiative scheiterte am Widerstand der Unionsvertreter, bedeutete aber trotzdem eine innerparteiliche Belastung der CDU. Es zeigte aber auch, dass diejenigen, die den Demokratiebegriff auch im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich für anwendbar hielten, in der Union eine Minderheitenposition vertraten. Das Berliner Programm hatte bewiesen, dass die CDU in ihrer Mehrheit weit davon entfernt war, Demokratie als Ordnungsprinzip über den staatlichen Bereich hinaus zu wollen. Im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes von 1969 ließen Ausführungen Brandts auf der einen und Hecks auf der anderen Seite die Differenz im Demokratieverständnis deutlich sichtbar werden.600 Nachdem das koalitionsintern schwierige Thema innerhalb der Faktion nicht mehr geklärt werden konnte, wurde versucht, dies durch eine externe Sachverständigenkommission zu lösen. Der fachliche Sachverstand sollte das politische Konfliktpotenzial entschärfen. Die Biedenkopf-Kommission hatte – über ihren eigentlichen Auftrag hinausgehend – ein eigenes Mitbestimmungsmodell entworfen. Es sah folgende Punkte vor:
597 598 599 600
Hinsichtlich der Besetzung des Aufsichtsrates sollte das Übergewicht der Anteilseignerseite beibehalten werden; bei zwölf Mitgliedern sollten sechs der Anteilseigner-, vier der Arbeitnehmerseite angehören und zwei weitere Mitglieder vom Aufsichtsrat mit der Mehrheit der Vertreter beider Seiten kooptiert werden, wobei für diese dem Vorstand ein Vorschlagsrecht einzuräumen sei. Von den Arbeitnehmervertretern sollten ein oder zwei von den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften nominiert werden dürfen. Die Vorstandsberufung sollte im Konfliktfall durch die Anteilseignerseite erfolgen, das Eintreten eines solchen Falles aber erschwert werden. Für den Normalfall – also die Berufung durch den Aufsichtrat, wäre die Arbeitnehmerseite stärker einzubeziehen, indem sie bereits am informellen Auswahlverfahren beteiligt würde. Das Berufungsverfahren sollte für alle Vorstandsmitglieder gleich sein, auch für den für Personal- und Sozialfragen bestellten Vorstandsvertreter; ein Arbeitsdirektor wie beim Montan-Modell wurde also abgelehnt.
Frese 2000: 197 Lehnert 1985: 197f Frese 2000: 198 Frese 2000: 203
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
161
Die Mitbestimmungsregelung wurde vorgesehen für Kapitalgesellschaften und die GmbH & Co. KG mit mindestens 1.000 bzw. 2.000 Beschäftigten; Umsatz oder Bilanzsumme als Kriterien zu wählen, hielt die Kommission für ungeeignet.
Das Paritätsprinzip bildete nach Auffassung der Kommission keine sachgerechte Richtlinie für die sich aus der Mitbestimmung ergebenden gesellschafts- und unternehmensrechtlichen Probleme, denn im Aufsichtsrat käme es nicht auf eine Neutralisierung und Befriedigung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gegensätze an, sondern auf ein flüssiges Zusammenspiel unter der Maxime des Erfolges. Die unternehmerische Entscheidung dürfte nicht gehemmt oder durch Pattsituationen blockiert, allerdings auch keine Gruppe ständig majorisiert werden. Dieses Modell stand aber diametral den Auffassungen der Sozialausschüsse entgegen. Folgerichtig wurde es von ihnen auch heftig bekämpft. Dies förderte die Blockbildung innerhalb der CDU. 6.5.2 Die Blöcke bilden sich: Reformkräfte vs. Wirtschaftsflügel Der neue Willensbildungsprozess hatte auch zur Folge, dass sich nun anhand von Streitfragen Blöcke herausbildeten, die gegenseitig in einer öffentlichen Debatte den anderen überstimmen wollten. Dies verschärfte das innerparteiliche Klima, da ein Konsenszwang nicht mehr bestand, sondern vielmehr die Mehrheit für ein Anliegen gesucht werden musste. Viele wichtige Reformvorstellungen und Reformaktivitäten innerhalb der CDU seit Ende der Adenauer-Ära kamen aus den Vereinigungen selbst. Aufgrund des starken Eigenlebens der Vereinigungen traten deshalb auch die unterschiedlichen Interessensstandpunkte innerhalb der Union deutlicher als in anderen Parteien zutage. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Union zur „modernen Volkspartei“ verteilten sich Gewicht und politischer Einfluss der Vereinigungen neu. Am auffälligsten veränderte sich dabei die Position der Sozialausschüsse (CDA). 601 Die Abschwächung ihres Einflusses ging zu einem wesentlichen Teil darauf zurück, dass der alte Stamm der katholischen Arbeiterführer vom Schlage eines Kaiser, Arnold, Albers, Lücke oder Blank, die beim Aufbau und Aufstieg der CDU in der Nachkriegszeit große Verdienste erworben hatten, allmählich in den Ruhestand eintrat. Zum anderen ging generell der Anteil der Arbeiter in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft der Bundesrepublik zurück. Dieses gesamtgesellschaftliche Phänomen wirkte sich auch in der Partei aus. Dazu kam die fortschreitende Säkularisierung des Lebens, mit der die christliche Soziallehre, der so genannte „Lebensnerv“ der Sozialausschüsse, viel von ihrer Geltungskraft in der Arbeiterschaft verlor. Die Sozialausschüsse gerieten also in eine doppelte Bedrängnis: soziologisch und ideologisch.602 Die Mitbestimmungsfrage war das klingende Schlagwort für die Arbeitnehmervereinigung. Für sie war diese Frage der Gradmesser, bei dem die CDU ihren Volksparteicharakter unter Beweis stellen sollte und den Vorwurf, jeder wirtschaftsliberalen Idee nachzulaufen, zu widerlegen hoffte. Ihr damaliger führender programmatischer Kopf und Hauptgeschäfts-
601 Kleinmann 1993: 273f 602 Ebd
162
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
führer, der spätere Arbeitsminister in der Kanzlerschaft Helmut Kohls, Norbert Blüm, wies auf die für den Arbeitnehmerflügel zentrale Leitidee bei der Mitbestimmung hin: „Die CDU ist nicht das Netz für aus dem Netz gefallene Konservative. Die CDU ist 1945 nicht als reaktionäres Sammelsurium entstanden und darf es auch in Zukunft nicht sein. … Wer heute den Versuch unternimmt, die CDU zu einem Sammelbecken aller bürgerlichen Kräfte zu machen, die durch nichts anderes zusammengehalten werden als durch Antisozialismus, weicht von den Intentionen der Gründer ab. Die „Abweichler“ befinden sich nicht auf dem linken Flügel der CDU.“603
Die Mitbestimmung würde auf eine institutionelle Erweiterung der Freiheit als Ermöglichung der Selbstbestimmung abzielen. Mitbestimmung dürfte weder ein isoliertes Problem der Wirtschaft noch eine gewerkschaftliche Spezialforderung sein, sondern ein in der Gesellschaft von mündigen Bürgern gewachsenes Verlangen nach Selbstbestimmung durch vermehrte Beteiligungsrechte.604 Das Ziel, dem sich die CDU verpflichtet fühlen müsste, hieße Partnerschaft. Partnerschaft wäre aber nicht lediglich eine Organisationstechnik, die Strukturen glätten sollte, ohne sie anzugreifen. Partnerschaft dürfte nicht zu einem betriebsklimatischen Regulativ verniedlicht oder gar zu einem „Seid-nett-zueinander“-Slogan werden. Partnerschaft müsste ein Organisationsmodell sein, das die Menschen in eine Zuordnung bringen sollte, in der sie einander Partner sein könnten. Davon könnte jedoch nur gesprochen werden, wenn die Beteiligten gleichberechtigt und gleich mächtig wären. Wo einer der Partner einen Machtvorsprung hätte, sei der andere bestenfalls das Objekt von Wohltaten und nicht Träger einer gemeinsamen Verantwortung gewesen. Der Inhalt der Gemeinsamkeit könnte und würde in diesem Falle von der Macht des Stärkeren diktiert werden. Nur in einer Partnerschaft des Gleichgewichts wären die Partner auf das Miteinander und jeder auf Argumentation angewiesen, denn jeder Partner müsste überzeugen, wenn er seine Interessen in die Entscheidung einbringen wollte.605 Selbstbewusste Arbeitnehmer wären die Voraussetzung dafür, dass die Mitbestimmungsrepräsentation – und ohne Vermittlung durch Repräsentation ginge es auch in der Mitbestimmung nicht – basisorientiert bliebe.606 Die rechtliche Gestalt des Unternehmens würde bis heute auf einem Gesellschaftsrecht beruhen, das die Eigentümer und ihre Beauftragten in den Vordergrund stellen würde. Der Arbeitnehmer wäre nicht Mitglied des Unternehmens. Seine Beziehungen zum Unternehmen würden durch einen Arbeitsvertrag geregelt. Prinzipiell stünde damit der Arbeitnehmer auf der Stufe des Lieferanten. Die Sozialgesetzgebung habe durch Fürsorgepflichten des Arbeitgebers und Schutzansprüche des Arbeitnehmers die Härte des schuldrechtlichen Arbeitsvertrages gemildert. Hinzu käme, dass die Gewerkschaften die Schwäche des Einzelnen durch Sammlung in Kollektivansprüchen überwunden hätte. Dennoch würde bis heute der Arbeitnehmer Lieferant von Arbeitskraft und Empfänger von Lohn sein. Dieser Zustand wäre ein Skandal, der weder vom partnerschaftlichen Leitbild noch vor der christlichen Soziallehre gerechtfertigt werden könnte.607
603 604 605 606 607
Blüm 1972: 11 Ebd: 66 Blüm 1972: 68 Ebd: 69 Ebd: 73
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
163
In der christlichen Soziallehre wäre das Eigentumsrecht nie mit dem Verfügungsrecht über Menschen ausgestattet worden. Es beinhalte lediglich ein Verfügungsrecht über die Sache. Wenn diese Verfügung Menschen eingeschlossen hätte, müssten mit diesen die Bedingungen der Unterstellung ausgehandelt werden. Das Mitbestimmungsverlangen der Arbeitnehmerschaft widerspräche daher nicht dem Eigentumsrecht.608 Aber nicht nur die CDA, sondern auch die JU wurden zu Beginn der siebziger Jahre große Unterstützer der Reform. Der CDU-Historiker HANS-OTTO KLEINMANN wies auf den großen Umbruch innerhalb der JU hin. Bis zu diesem Zeitpunkt war ein wesentlicher Grundsatz der JU durch den Antikommunismus geprägt gewesen.609 Dieser Grundsatz verlor nicht zuletzt in der jungen Generation mit der neuen Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung nach 1969 seine mobilisierende Brisanz.610 In der Wirtschaftspolitik beschritt der Parteinachwuchs neue Wege. In ihrem Grundsatzprogramm von 1973 bekannte sich die JU zwar zur Sozialen Marktwirtschaft, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass die Wirtschaft wie jeder andere Gesellschaftsbereich den zentralen Grundwerten unterworfen sei.611 So stellte die JU fest: „Eine Gesellschaftsordnung, die die Freiheit nicht nur formal schützt, sondern auch tatsächlich gewährleistet und fördert, verlangt auch eine Wirtschaftsordnung, die diese Forderung erfüllt. Freiheit und Menschenwürde stehen im Mittelpunkt und haben im Konfliktfall Vorrang vor ökonomischen Nutzen.“612
Nach der Wahl des CDA-Mitglieds Wissmann zum JU-Bundesvorsitzenden kam es auf dem Hamburger Bundesparteitag der CDU 1973 zu einer gemeinsamen Strategie zwischen JU und CDA. Schon vorher war gefordert worden, die Reformkräfte innerhalb der Union müssten sich zusammenschließen und ein gemeinsames taktisches Konzept entwickeln. Traditionell galt lange Zeit in der CDU eine enge Zusammenarbeit zwischen der JU und der CDA als eine „natürliche Koalition“. Diese Koalition schien an ihr Ende gelangt zu sein, als 1966 der Wirtschafsrat und die JU in Wiesbaden ein „Forum 66“ veranstalteten, bei dem die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung abgelehnt wurde.613 Dem Anspruch, der Motor der Partei zu sein, kam die JU in den Jahren der Reformdiskussion am nächsten, auch wenn böse Zungen meinten, sie hätte mehr die Rolle eines Lautsprechers gespielt. Tatsache ist, dass sich die Junge Union im innerparteilichen Ringen um Programmpositionen und Personen seit dem Abgang Adenauers als ein Faktor erwies, mit dem jeder rechnen musste. Bis 1968 lagen ihre politischen Schwerpunkte im Jugend- und Bildungsbereich, in der Europaidee und der Auseinandersetzung mit den linksradikalen Kräften an den Hochschulen. Das Jugendpolitische Programm vom 1. Mai 1965 entsprach noch ganz dem Image von einem der Parteiführung gegenüber loyalen und ergebenen Parteinachwuchs. Mit der Reformdiskussion änderte sich dies jedoch rasch. Die JU setzte sich an die Spitze der Reform608 Ebd: 74 609 Vgl. die gute Übersicht über die programmatischen Veränderungen der CDU-Nachwuchsorganisation: Kleinmann 1993: 274ff 610 Grotz 1983: 158 611 Vgl. Junge Union (1973): Grundsatzprogramm, Ziff. 416 612 Junge Union (1973): Grundsatzprogramm, Ziff. 416 613 Grotz 1983: 241f
164
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
kräfte für eine Dynamisierung und Demokratisierung der Partei. Im so genannten Rheinischen Papier sprach die JU Rheinland die Parole von der innerparteilichen Opposition aus. Bezeichnend für den neuen Kurs war auch, dass die JU mit ihren gesellschaftspolitischen Konzepten die Nähe zu den Sozialausschüssen suchte, in denen sich in ähnlicher Weise Kerne kritischen Potentials bildeten.614 Insgesamt erarbeiteten die Deutschlandtage nach 1969 eine umfangreiche Reformkonzeption, deren Ziel in der „Fortentwicklung“ des bestehenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems bestand.615 Zu der gesellschaftspolitischen Programmatik gehörte neben der paritätischen Mitbestimmung, die Kontrolle multinationaler Konzerne, Verschärfung des Kartellrechts, Beschränkung unkontrollierten Wachstums, betriebliche Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer und die Forderung nach der Humanisierung der Arbeit.616 Jedoch war dieser Reformkurs nicht ganz unumstritten und wurde von machen Mitgliedern als „Linkskurs“ geschmäht. Zwischen den Landesverbänden Hamburg und Saarland, die für eine rein paritätische Mitbestimmung ohne neutrale Dritte waren, und den Gegnern der Parität trat der Landesverband Rheinland für das so genannte Biedenkopf-Modell ein. Auf dem Deutschlandtag in Herford gelangte dann als Kompromiss ein an den Mitbestimmungsforderungen der Sozialausschüsse orientiertes Modell zur Verabschiedung. Die Lösung wurde in einer ganz neuen Unternehmensverfassung gesucht, die ein partnerschaftliches Verhältnis von Arbeitnehmern, Kapitaleignern und Unternehmensleitung auf der Grundlage „gleichgewichtiger Legitimation der Faktoren Arbeit und Kapital“ garantieren sollte. Die in der Union seit Gründungstagen schwelende Idee eines „dritten Weges“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus flammte – in Anknüpfung an das Ahlener Programm – wieder auf.617 Die Gemeinsamkeiten der beiden Hauptprotagonisten für die Mitbestimmungsfrage ließen eine Koalition für innerparteiliche und gesellschaftliche Reformkräfte zusammenfinden. Die Annäherung zwischen JU und CDA vollzog sich über einen längeren Zeitraum. Diese Entwicklung wurde insbesondere bei der innerparteilichen Diskussion um die Mitbestimmung zwischen 1968 und 1973 deutlich. Bis zum Deutschlandtag 1968 in Ludwigshafen existierte in der Jungen Union keine einheitliche Meinung zum Mitbestimmungskonflikt. Der damalige JU-Bundesvorsitzende Egon Klepsch lehnte 1968 nochmals nach einem Gespräch mit dem Wirtschaftsrat eine Ausweitung der Mitbestimmung ab.618 Der CDA war es jedoch 1968 auf dem Berliner Parteitag gelungen, gegen sechs CDU-Landesverbände, den Wirtschaftsrat und die Mittelstandsvereinigung durchzusetzen, dass die Entscheidung über die paritätische Mitbestimmung offen gehalten wurde.619 Unter dem neuen Bundesvorsitzenden Jürgen Echternach diskutierte die JU nach 1969 im Rahmen der „Weiterentwicklung der Demokratie“ auch die Mitbestimmung im Unternehmen. Auf dem Deutschlandtag in Braunschweig von 1970 war die Mitbestimmungsfrage das wichtigste und brisanteste Thema.620 Das Abstim-
614 615 616 617 618 619 620
Kleinmann 1992: 277 Grotz 1983: 146 Vgl. Neumann 1975: 73 Kleinmann 1992: 277 Grasser 1973: 235 Kramer G./Kramer J. 1976: 34 Grotz 1983: 242
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
165
mungsergebnis verdeutlichte, dass im Gegensatz zum Bundesvorstand eine konservative Mehrheit in Sachfragen bei der JU noch vorherrschte.621 Auf dem Düsseldorfer Parteitag unterlag die JU mit ihrer Position. Jedoch ließ diese Abstimmungsniederlage die Mitbestimmungsdiskussion innerhalb der JU nicht abflauen. Im Grundsatzprogramm von 1972 bekannte sich die JU zur Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit. Speziell nach der verlorenen Bundestagswahl von 1972 betonte die JU mit ihrem Vorsitzenden an der Spitze die Notwendigkeit eines Reformblocks mit der CDA: „Die Junge Union muss sich als programmatisch-politische Vorhut der Partei zusammen mit Gleichgesinnten und möglichen Bündnispartnern, also besonders der Arbeitnehmerorganisation der Union, für diesen Weg einsetzen.“622
Im März 1973 wurden auf einer gemeinsamen Sitzung der beiden Bundesvorstände von JU und CDA die Positionen abgesteckt.623 Die sich abzeichnende Koalition zwischen der JU und den Sozialausschüssen wurde jedoch erst inhaltlich mit Substanz gefüllt, als sich die JU auf ihrem Deutschlandtag in Herford von 1973 zum zweiten Mal mit einem Konzept zur Mitbestimmung auseinandersetzte. Mit einer klaren Mehrheit votierten die Delegierten für einen Antrag des JULandesverbandes Rheinland, der eine Mitbestimmungskonzeption enthielt, die der der Sozialausschüsse weitgehend entsprach.624 Das neue Mitbestimmungsmodell der JU sah vor, dass ein betriebliches Führungsorgan – der Unternehmensrat als eine Zusammenfassung von Aufsichtsrat und Vorstand – in allen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und mindestens 75 Mio. DM Bilanzsumme gebildet werden sollte. Diesem Unternehmensrat sollten sechs Vertreter der Anteilseigner, sechs Vertreter der Arbeitnehmer sowie drei Vertreter der Geschäftsleitung angehören.625 Mit diesem Beschluss war die JU komplett auf die Linie der CDA eingeschwenkt und die Koalition der beiden Vereinigungen brachte ihr Mitbestimmungsmodell auf dem Hamburger Bundesparteitag in die CDU zur Beratung ein. Mit dem Deutschlandtag in Lahnstein hatte man sich 1974 endgültig im linken Parteiflügel etabliert. In der Rede des Bundesvorsitzenden Wissmann begründete dieser die Zusammenarbeit zwischen JU und CDA mit der sachlichen Übereinstimmung der Beschlüsse der beiden Vereinigungen zu vielen gesellschaftspolitischen Grundfragen und der Notwendigkeit, innerhalb der Union ein Kraftfeld für fortschrittsoffene Politik zu schaffen. Auf dem Deutschlandtag in Hamburg im Jahr 1973 votierte die JU für den konstruktiven Konflikt mit dem Bundesvorstand der Partei. Auf den Gebieten Mitbestimmung, Vermögensbildung, Bodenrecht und Berufliche Bildung ging man im „linken Flügel“ der Union, angeführt von Hans Katzers Sozialausschüssen, gemeinsam vor und unterlag auf dem Hamburger Bundesparteitag. Eine Zeitlang bemühte man sich noch um Aufrechterhaltung des Bündnisses, um in der Union für den nötigen Reformdruck zu sorgen, wie man sich tröstete. Doch die Strategie des „dritten Weges“ – in Lahnstein noch heiß diskutiert –, die Soziale Marktwirtschaft zu einer freieren und gerechteren Gesellschaftsordnung weiterzuentwi621 622 623 624 625
Ebd: 245 Echternach 1973: 6 Grotz 1983: 246 Vgl. Frankfurter Rundschau vom 4.6.1973 Grotz 1983: 247
166
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
ckeln, verlor mit dem Schwinden der allgemeinen Reformeuphorie Mitte der siebziger Jahre an Attraktivität. Die Sorge um die demokratische Verfassung und jugendpolitische Fragen, wie z.B. in der Initiative „Zukunftschancen in der jungen Generation“, traten in den Vordergrund der JU-Aktivitäten.626 Aufgrund der engen Kooperation drohte nun der Wirtschaftsflügel seine innerparteiliche Mehrheit für seinen Wirtschaftskurs zu verlieren. So beunruhigte die Kooperation zwischen Sozialausschüssen und Junger Union zunehmend die wirtschaftsnahe Presse.627 Die Entwicklung der JU und der CDA zeigten, dass sich ein neuer auf Bundesparteitagen starker Reformblock zusammengeschlossen hatte. Nicht nur die Zusammenstellung dieser Koalition war neu, sondern auch die Qualität eines solchen Zusammenschlusses. Deren neue Koalition setzte nicht auf die Aushandlungsdemokratie zwischen den heterogenen Interessen, sondern suchte die Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsflügel auf dem Parteitag und setzte dabei auf ihre Delegiertenstärke. Ihre Vertretung auf Parteitagen schätzen sie höher ein als in der Bundestagsfraktion.628 Ihre Argumentationsbegründungen zeigten die unterschiedlichen Motive für den Reformblock. War die CDA stärker von traditionellen christlichsozialen Vorstellungen beeinflusst, die die Rolle des Arbeitnehmers im Wirtschaftsleben betonten, setzte die JU stärker die Emanzipation des demokratischen Bürgers in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in den Vordergrund. Die Auffassung des Reformflügels war kein Allgemeingut in der Union. Neben außenpolitischer Stärke fand die Union in den vierziger und fünfziger Jahren ihre zweite Stärke in den wirtschaftspolitischen Erfolgen. Diese wollten die wirtschaftlichen Kräfte nicht aufgrund gesellschaftspolitischer Visionen leichtfertig aufs Spiel setzen. Auf der wirtschaftspolitischen Kompetenz ruhte schließlich der Erfolg der Union. Der Wirtschaftsflügel und die Arbeitgeberseite hatten als Reaktion auf die aufkommenden Pläne zur erweiterten Mitbestimmung die Reihen fest geschlossen. Die Forderungen des DGB wurden entschieden zurückgewiesen, wobei es im Kern darum ging, nachzuweisen, dass die Ausweitung der Mitbestimmung der Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft widerspreche. Insbesondere die als Begründung der Ausweitung herangezogene Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft wurde dabei als Verstoß gegen die Konstitutive der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet: An die Stelle der Privatautonomie würde das Fremdbestimmte treten, an die der selbstverantwortlichen Unternehmensführung die Kollektivierung der Entscheidung durch Gewerkschaftsmacht; Legitimationskraft und Funktionsfähigkeit des Privateigentums an den Produktionsmitteln würden entfallen. Zudem sei das Argument der Gewerkschaften, Mitbestimmung sei notwendig, um wirtschaftliche Macht kontrollieren zu können, hinfällig, da in der sozialen Marktwirtschaft 626 Höfling 1980: 125ff 627 Industriekurier, 15.8.1970 628 Diese Minderheitenposition stellte auch das Wirtschaftsmagazin Capital heraus: Die Zahl der CDU–Abgeordneten, die die Links-Forderungen der Sozialausschüsse vertraten, waren in der Bundestagfraktion eine klare Minderheit: die meisten Mitglieder der CDA waren weder Arbeiter noch Angestellte, sondern Beamte. Diese zählten nicht zu den Freunden einer erweiterten Mitbestimmung. Die wirkliche Kerntruppe, die Ausweitung der Mitbestimmung und Vermögensverteilung auf ihre politischen Fahnen geschrieben hatte, waren ganze zwanzig DGB-Mitglieder in der CDU-Fraktion [vgl. Capital Nr. 12/69 vom Dezember 1969]. Das wesentlich größere Gewicht auf Parteitagen im Vergleich zur Parlamentsfraktion ließ den Vorsitzender der CDA, Hans Katzer, auch im Vorfeld des Düsseldorfer Parteitags zuversichtlich stimmen. [vgl. Frankfurter Rundschau vom 30.10.1970]
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
167
wirtschaftliche Macht erstens immer geteilt sei und zweitens der Markt die notwendige Kontrolle mit sich bringe. Im Übrigen bedinge eine Ausweitung der Mitbestimmung eine sehr einseitige Kontrolle wirtschaftlicher Macht, da sie diese in den Händen der Gewerkschaften konzentriere. Die Montan-Mitbestimmung sei ein Fremdkörper in der Sozialen Marktwirtschaft und ihre Bewährung keineswegs bewiesen.629 Auf wirtschafts- und gesellschaftspolitischem Terrain trat Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU als Gegenspieler der als Fortschrittsfraktion der Partei agierenden Allianz von JU, RCDS und Sozialausschüssen auf. So formierten sich die mittelständischen Kräfte der Union, um ihre traditionelle Vorherrschaft630 auch weiterhin zu behalten. Durch die neue Organisationsform wollte man die einst „natürliche“ Vorherrschaft organisatorisch manifestieren. Aber nicht nur innerparteiliche Motive waren für die Gründung maßgeblich. Die Bedeutung des 1956 gegründeten Bundesarbeitskreises Mittelstand der CDU/CSU wuchs etwa gleichzeitig mit der Herausbildung mittelstandspolitischer Vertretungen auf Verbandsebene seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Das kam unter anderem darin zum Ausdruck, dass sich seit 1957 eine personelle Trennung im Vorsitz der Vereinigung und des Diskussionskreises Mittelstand der Bundestagsfraktion durchsetzte. Das Erstarken der Mittelständler in der Union zeigte sich nicht nur in dem hohen Mitgliederzuwachs, der in den siebziger Jahren nur noch von der Frauenvereinigung überboten wurde, sondern auch in der Entwicklung zur stärksten „soziologischen Gruppierung“ der Bundestagsfraktion. Die politische Arbeit der Vereinigung erfolgte in dem Selbstverständnis, dass der Mittelstand das Rückgrat der CDU sei.631 Ihr programmatisches Verständnis basierte auf einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik, die auf Förderung des Leistungswettbewerbs sowie auf strukturpolitische Ausgewogenheit zwischen Sektoren, Regionen und Betriebsgrößen gerichtet war. Sie traten für ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf der Grundlage des bestehenden Betriebsverfassungsgesetzes ein.632 Analog zu den katholischen Unternehmerverbänden lehnten somit die Wirtschaftsvertreter der Union geschlossen die Zunahme des Arbeitermehreinflusses strikt ab. Der Wirtschaftspolitiker Franz Etzel brachte in der Kommission Mitbestimmung bereits 1967 diese Haltung auf den Punkt: „ ... Partnerschaft ist kein technischer, sondern ein gesellschaftlicher Begriff, der die große Verständigung zwischen allen Berufsschichten beinhaltet. Partnerschaft greift daher also weit über die Mitbestimmung hinaus. ... Partnerschaft verlangt Gleichberechtigung. Gleichberechtigung heißt aber nicht: Gleichheit in allen Einzelheiten, heißt auch nicht automatische Gleichheit des Risikos, und ebenso nicht Gleichheit der in der Unternehmerfunktion liegenden Entscheidungsmacht auf Produktion und ihre Gestaltung. ... Der Wettbewerb entscheidet darüber, ob der Unternehmer die Produktionsfaktoren richtig eingesetzt hat. Arbeitnehmerinteressen und Arbeitnehmerrechte einerseits sowie Kapitalinteressen andererseits sind hier keine Gegensätze. ...
629 630 631 632
Frese 2000: 174f Kersbergen 1994: 41 Kleinmann 1992: 284 Ebd
168
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung Partnerschaftliche Mitbestimmung in Bezug auf Arbeitnehmerrechte und Arbeitnehmerinteressen: Ja! Mitbestimmung im Bereich der Unternehmerfunktion: Nein!“ 633
Dieser Auffassung stimmte Duvernell aus dem Geist der Sozialen Marktwirtschaft zu, indem er die paritätische Mitbestimmung mit den Gedanken einer christdemokratischen Wirtschaftspolitik als unvereinbar erklärte: „... In der sozialen Marktwirtschaft ist das Privateigentum Ordnungsgrundlage und Organisationsprinzip. Die Sozialfunktion des Eigentums garantiert das Funktionieren der Gesamtwirtschaftsordnung. ... Diese sozialgebundene Sachfunktion des Eigentums wird vom Unternehmer als Eigentümer oder als Beauftragter des Eigentümers vollzogen... . Parallel dazu bedeutet die sozial verpflichtende Personalfunktion des Eigentums die Verpflichtung des Unternehmers, die personale Würde aller am Wirtschaftsvollzug Beteiligten zu achten und zu fördern (leiten). Die Antinomie von „Kapital“ und „Arbeit“ gehört überholten Denkkategorien an. ... Das Betriebsverfassungsgesetz schränkt die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers im Wesentlichen nur insoweit ein, wie es die wohlverstandene Erfüllung seiner sozialen Pflichten erfordert. Es gibt darüber hinaus Ansatzpunkte für die immer stärkere Entwicklung einer von der technischen und wirtschaftlichen Evolution geforderten echten Partnerschaft, ohne dabei die klaren Funktionen beider Seiten anzutasten oder zu verwischen. Die qualifizierte Mitbestimmung in den bisher bekannten Formen entspringt dem Misstrauen gegen das soziale Verantwortungsbewusstsein von Eigentümern, Unternehmen und teilweise auch der Betriebsangehörigen selber. Dieser Ausgangspunkt widerspricht der auf gegenseitigem Vertrauen begründeten hohen Idee der Partnerschaft. ... Sie ist mit dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, das auf Eigentum, Verantwortlichkeit und Freiheit beruht, so wie bisher von der CDU vertreten, nicht vereinbar.“634 Die Haltung des Wirtschaftsflügels konnte nur schwer mit denen des Reformblocks unter einen Hut gebracht werden. Es wurde aber schon zu Beginn der innerparteilichen Auseinandersetzung die Einigung erzielt, dass die Funktion des Unternehmers und des Unternehmens am Markt auch durch die Mitbestimmung nicht eingeschränkt werden darf. Somit wurden die Kernpunkte der Argumentation bereits 1967 deutlich. Die Frage, ob die unternehmerische Entscheidungsfreiheit durch die Mitbestimmung eingeschränkt wird, war der eigentliche Streitpunkt. Auch stritten sich die beiden Parteiflügel um die Frage, ob die gegenwärtige Praxis der Mitbestimmung eine Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bedeuten würde, und wie sich eine Ausweitung einer qualifizierten Mitbestimmung auf die Funktion des Unternehmers auswirken könnte. Kontroverse Meinungen gab es auch über die Legitimation der Tätigkeit des Unternehmers.635 Der Wirtschaftsflügel versuchte aber nicht nur durch Argumente zu überzeugen. So drohte der Industrielle Alfred Neuhaus dem Generalsekretär Bruno Heck: „ ... Ich kann mich im Augenblick nicht dazu entschließen, die Bundespartei in irgendeiner Form finanziell zu unterstützen und zwar so lange nicht, bis es gelingt, uns auf vernünftige wirtschafts- und sozialpolitische Zielsetzungen zu einigen. Ich halte die Tatsache, dass zumindest ein Teil unserer Sozialausschüsse (vor allem Nordrhein-Westfalen und Königswinter) die Forderungen des DGB auf paritätische Mitbestimmung in der Wirtschaft zur Zeit hartnäckiger vertreten als weite Kreise der SPD, offen gesagt für einen Skandal. Gar nicht zu sprechen von der mir zu Ohren gekommenen und anscheinend nicht ganz unbegründeten Behauptung, dass der DGB 633 Vgl. Referat Franz Etzel in der CDU-Mitbestimmungskommission [ACDP VII-004-320/3] 634 Vgl. die von H. Duvernell erarbeitete Vorlage für Mitbestimmungskommission vom 10.5.1967 [ACDP VII004-320/3] 635 Vgl. Ergebnisprotokoll der Kommission „Mitbestimmung“ zur Vorbereitung des Aktionsprogramms am 3.5.1967 [ACDP VII-004-320/3]
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
169
auf sehr geschickte Weise gewisse Kosten von Königswinter [, d.h. die Zentrale der CDA,] finanziert. Die Angriffe in der Sozialen Ordnung gegen den Wirtschaftsrat und gegen einzelne Persönlichkeiten des Wirtschaftsrates erinnern sehr stark an überwunden geglaubte sozialistische Demagogie. Ich meine jedenfalls und die gerade gehabte Landtagswahl müsste dies bestätigen, dass die Chance unserer Union auf diesem Gebiet nur in der Hilfe zur Selbsthilfe unter Aufrechterhaltung freiheitlicher und privatwirtschaftlicher Rechtsgrundsätze liegen kann und nicht im Kollektivismus der Funktionäre. Ich frage Sie, was nützt unserem einzelnen Arbeitnehmer die paritätische Mitbestimmung der Gewerkschaftsfunktionäre, vor allem aber auch wo bleibt deren in Mark und Pfennig auszuführende Mitverantwortung, wenn etwas schief geht? Ihr Kollege Schmücker hat m.E. recht deutlich im letzten Mittelstandsbrief gesagt, wo wir fortschrittlich weiterarbeiten müssen und dies liegt im weiten Feld der Eigentumspolitik.636
Die Position des Wirtschaftsrates lehnte weiterhin jede Art von paritätischer oder quasiparitätischer Mitbestimmung – sowohl im privatwirtschaftlichen Bereich als auch bei den Unternehmungen der öffentlichen Hand – ab. Aus ihrer Sicht sprachen ordnungs- wie wirtschaftspolitische Gründe ebenso dagegen wie die Gefahr, dass paritätische nationale Regelungen die notwendige Harmonisierung des europäischen Gesellschaftsrechts verhindern könnten. Unverzichtbare Mindestvoraussetzung für eine Neuregelung der Mitbestimmung im Unternehmen müsste eine klare, institutionell gewährleistete Mehrheit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat sein.637 6.5.3 Der Streit eskaliert: Der Düsseldorfer Parteitag von 1971 Die Entscheidung zugunsten des Wirtschaftsflügels wurde auf dem Düsseldorfer Parteitag von 1971 getroffen. Es wurde ein Mitbestimmungsmodell verabschiedet, das sich auf die Formel „sieben Kapitaleigner: fünf Arbeitnehmer“ bringen lässt.638 Der Reformblock aus JU und CDA erfuhr eine herbe Niederlage. Die Konfrontationsentscheidung ging zugunsten des Wirtschaftsflügels aus, für den sich besonders der hessische Landesvorsitzende Alfred Dregger stark einsetzte. In seiner pointierten Rede, die von einem starken Abgrenzungskurs gegenüber den linken Kräften geprägt war, sah er in der Mitbestimmungsfrage eine gute Chance für die Union, sich gegenüber der SPD zu positionieren. Die CDU könnte ihr Profil als Partei der Sozialen Marktwirtschaft beweisen, indem sie klar gegen die paritätische Mitbestimmung ins Feld zöge. So bezog er in seinem Referat klar Stellung: „… Worum geht es in diesem Paritätskonflikt? Wir sind mit unseren Freunden von den Sozialausschüssen darin einig, dass sich die bisherige Mitbestimmung bewährt hat und dass sie ausgeweitet werden soll. Mit den Sozialausschüssen bejahen wir die Mitbestimmung als Überwindung des Manchester-Liberalismus ebenso wie als Gegenposition zur Klassenkampfideologie 636 Brief Neuhaus an Heck vom 25.4.1967 [ACDP VII-004- 639/1] 637 Vgl. Brief George an die Mitglieder des Wirtschaftsrates der CDU am 21.10.1970 [ACDP VII-004- 639/1] 638 Dieser Antrag wurde vom Landesverband Schleswig-Holstein eingebracht und von anderen, u.a. von Hessen, unterstützt. Er unterscheid sich aber nur graduell – und nicht in den großen Linien der hier skizzierten Mitbestimmungsdiskussion von dem eingebrachten Vorstandsantrag, der auf dem Biedenkopfgutachten basierte und von einer Kommission zur Frage der Mitbestimmung unter der Leitung von Thomas Ruf erarbeitet wurde. [vgl. hierzu auch die Ausführung von Helmut Kohl als Vorsitzendem der Programmkommission: Rede von Helmut Kohl auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. CDU 1971: 18. Bundesparteitag Düsseldorf. 25.-27. Januar 1971. Niederschrift, S. 302-304]
170
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung der Sozialisten. Wir meinen jedoch – und darin unterscheiden wir uns von den Sozialausschüssen – dass die Mitbestimmung mit der Parität eine neue, eine systemverändernde Dimension erhält, eine die soziale Marktwirtschaft zerstörende Dimension zu geben. … Meine Damen und Herren, dass die Mitbestimmung mit der Parität eine neue, systemverändernde Dimension erhält wird deutlich, wenn … die Anteilseigner – also die Eigentümer des Unternehmens – das Verfügungsrecht über diese Unternehmen weitgehend verlieren, weil sie im entscheidenden Organ, dem zum Verwaltungsrat ausgebauten Aufsichtsrat, in die Minderheit geraten.“639
Der hessische Landesvorsitzende warnte gerade vor der Mitbestimmung als einer Manifestation gegen linke Umtriebe. „… Meine Freunde, dass unsere gemeinsamen politischen Gegner, die Sozialisten, gewillt sind, mit Hilfe der Parität die Mitbestimmung aus einer Gegenposition zu einer Durchgangsstation zum Sozialismus umzufunktionieren, darüber kann es keine Zweifel gegeben.“640 Auch warnte er vor zuviel Gewerkschaftsmacht, die gegen die Interessen der CDU stünde: „… Die jetzigen Führer des DGB – das darf in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden – sind ganz überwiegend engagierte SPD-Politiker, die unserer marktwirtschaftlichen Ordnung mit einigen Vorbehalten gegenüberstehen. … Das hat nichts mit der legitimen und unverzichtbaren Rolle der Gewerkschaften als Mitträger unserer freiheitlichen Ordnung zu tun, die sie spielen müssen, gleichgültig welcher Partei ihre Führer in erster Linie angehören, wohl aber mit der Frage, ob man Gewerkschaften eine Machtposition einräumt, die den Rahmen dieser freiheitlichen Ordnung zu sprengen vermag.“641
Hans Katzer setzte Dreggers Rede in ähnlich pointierten Ausführungen die Idee der klassenübergreifenden Volkspartei gegenüber: „1949 … setzte die Union dem Klassendenken und den Klassenkampfparolen der SPD die Idee der Partnerschaft in der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft gegenüber. Zu dieser Idee der Partnerschaft gehört … die Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit. Partnerschaft ist nur denkbar unter Gleichberechtigten; sonst ist der eine von vornherein unterlegen.“642 Und weiter argumentiert er für die Parität: „Es wird also eine effektive Mitbestimmung dort möglich sein, wo die Unternehmenspolitik effektiv bestimmt wird. … Ich vermag nicht einzusehen, dass der Rentabilitätsgedanke beim Aktionär größer sein kann als das elementare Interesse der Arbeitnehmer an einer nachhaltigen Rentabilität im Interesse der Sicherheit der Arbeitsplätze für sie selbst und für ihre Familien, denn davon hängt das Schicksal ihrer Familien letztlich entscheidend ab. … Bei zunehmender Automatisierung muss es unser Ziel sein, dass der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz die Möglichkeit findet, selbst Verantwortung zu tragen und persönliche Initiative zu entfalten. Der einzelne darf nicht das Gefühl haben, Objekt des Arbeitsprozesses zu sein. 639 Rede von Alfred Dregger auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. CDU 1971: 18. Bundesparteitag Düsseldorf. 25.-27. Januar 1971. Niederschrift, S. 259] 640 Rede von Alfred Dregger auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. CDU 1971: 18. Bundesparteitag Düsseldorf. 25.-27. Januar 1971. Niederschrift, S. 260]. Als Warnung vor vermeintlichen sozialistischen Umtrieben zitierte er auch den damaligen Vorsitzenden der Jungsozialisten, Karsten Voigt, mit den Worten „… dass die Mitbestimmung, …, nur ein Zwischenschritt sein kann auf dem Weg zur Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. Die Mitbestimmung ist Übergangsstadium, in welchem nach unserer Auffassung Arbeiter und Angestellte die Leitung des Betriebes erlernen, damit sie sie … in einer späteren Phase ganz übernehmen können.“ [vgl. Ebd] 641 Rede von Alfred Dregger auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. CDU 1971: 18. Bundesparteitag Düsseldorf. 25.-27. Januar 1971. Niederschrift, S. 259] 642 Rede von Hans Katzer auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. Ebd: 267]
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
171
Meine Damen und Herrn, und dieses Modell gibt dazu die Chance. Wir sollten … das unternehmerische Denken der Arbeitnehmer fördern, um sie zu Partnern des betrieblichen Geschehens zu machen.“643
Die Junge Union favorisierte ein drittes Modell, das zwar die Parität erreichte, aber nur mit Hilfe der leitenden Angestellten, die der Arbeitnehmerseite zugeschrieben werden sollte. Der JU-Bundesvorsitzende Jürgen Echternach begründet auf dem Parteitag die Zielsetzung des Vorschlages: „Unser Vorschlag trägt dem Gleichgewicht von Kapital und Arbeit Rechnung, die letzten Endes auf der Würde des Menschen begründet ist, ohne aber dabei gleichzeitig in die Pattstellung der Parität einzumünden. … Unser Vorschlag ist zweitens, dass jederzeit im Konfliktfall zwischen den Gruppen Mehrheitsentscheidungen getroffen werden können, damit die Wettbewerbsfähigkeit und die Rentabilität der Unternehmen gewährleistet bleiben. Unser Vorschlag stärkt schließlich die Kontrollmöglichkeiten und damit die Funktionsfähigkeit der Aufsichtsräte, indem zwei Vertreter der Gruppe kooptiert werden, die, wie keine andere, in der Lage ist, den Vorstand auch wirksam zu kontrollieren.“644
Der Düsseldorfer Parteitag demonstrierte eindrucksvoll, dass sich die Union im Vergleich zur Adenauerzeit gewandelt hatte. Mehrheitsentscheidungen lösten ausgehandelte Kompromisse zwischen den Vereinigungen ab. Zwar begründeten beide Seiten ihre Konzepte mit einer christdemokratischen Wertehaltung, während die einen eher die marktwirtschaftlichen und die anderen eher die solidarische Komponente in den Vordergrund schoben, aber ihre Auffassungen über die verbindenden Elementen des innerparteilichen Lebens hatten sich geändert: Nicht mehr konsensuale Integration, sondern klare Entscheidungsfindung war nun die strategische Marschrichtung. Die Sonderorganisationen und Vereinigungen blieben die Interessensgruppen, aber ihre innerparteiliche Machtbasis fußte nun auf ihrer Delegiertenanzahl und nicht mehr auf der Abbildung ihrer jeweiligen sozialen Gruppe in der Wählerschaft. Zwar wurde das Argument des Erfolgs auf dem politischen Markt verwendet, für den innerparteilichen Konfrontationskampf war letztendlich aber die eigene Hausmacht an Delegiertenstimmen ausschlaggebend. Dieses Vorgehen zeigte aber auch einen Wandel im Verständnis der Organisationslogik der Mitgliedschaft. Die unterschiedlichen für die eigene Wählerschaft relevanten gesellschaftlichen Schichten waren in erster Linie nicht mehr über die Vereinigungen eingebunden, sondern – denn dies gab nun den Ausschlag – die Wählerbasis war in der Mitgliedschaft bereits repräsentativ zusammengesetzt. Folglich konnte diese auch mehrheitlich über die Politik befinden. Trotzdem zeigte die Reaktion auf den Düsseldorfer Parteitag, dass die Union die Entscheidungsfindung mittels Mehrheitsentscheid noch nicht vollständig verinnerlicht hatte, da der Streit über das richtige Konzept anhielt.
643 Rede von Hans Katzer auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. Ebd: 270f] 644 Rede von Jürgen Echternach auf dem Düsseldorfer Parteitag [vgl. CDU (1971): 18. Bundesparteitag Düsseldorf. 25.-27. Januar 1971. Niederschrift, S.257]
172
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
6.5.4 Die Parteiführung nimmt sich des Themas „Mitbestimmung“ an Nach dem Düsseldorfer Parteitag hatte die Partei eine klare Entscheidung gegen die paritätische Mitbestimmung gesprochen. Der Wirtschaftsflügel hatte sich durchgesetzt: Das christdemokratische Kernprofil der Union sollte weiter eine klar marktwirtschaftliche Ausrichtung in der Wirtschaftspolitik sein, das auch nicht durch gesellschaftspolitische Reformbemühungen konterkariert werden durfte. Die klaren Worte und angenommenen Beschlussempfehlungen von Alfred Dregger, die ja über die Kompromisslinie des Bundesvorstandes hinausgegangen waren, zeigten die Machtlage innerhalb der Union eindeutig an. Der Reformflügel war in der Minderheit und musste sich gerade auf den modernen Foren der innerparteilichen Willensbildung geschlagen geben. Obwohl die JU und auch die CDA keine Mehrheit besaßen, versuchten sie ihre Ideen mit einem Verweis auf den Wählermarkt durchzusetzen. Gleiches war ja auch stets argumentativer Bestandteil des Wirtschaftsflügels gewesen. Ein zentrales Ereignis, dass die Machtkarten innerhalb der Union neu mischen konnte, war 1972 eingetreten. Die Union verlor bei der Bundestagswahl am 9. November 1972 ihre dominierende Position auf dem Wählermarkt und fuhr ihr bis dahin schlechteste Ergebnis ein. Zudem wurde sie erstmals in Kombination mit ihrer bayerischen Schwesterpartei nur zweitstärkste Kraft im deutschen Parteiensystem. Der Reformflügel fühlte sich durch die empfindliche Wahlniederlage in seiner Haltung bestätigt, dass die CDU die Mehrheit im politischen Wählermarkt nur mit einem Linkskurs erreichen könnte. Das Wahlergebnis war für den CDA-Hauptgeschäftsführer Norbert Blüm eine Bestätigung seiner Auffassung, dass die CDU nur dann zur bestimmenden politischen Kraft in der Bundesrepublik werden könnte, wenn sie wieder eine glaubwürdige soziale Volkspartei werde.645 Direkt oder indirekt wurde dabei wiederholt die Entscheidung der CDU in der Mitbestimmung angesprochen.646 Die paritätische Mitbestimmung sollte in den Augen der CDA ein Baustein sein, um die CDU wieder für Arbeitnehmer attraktiv zu machen.647 Der Reformblock von CDA und JU stützte sich bei seinen Überlegungen auch auf strategische Gedanken von Generalsekretär Kraske, der im Nachgang der Wahl von 1972 erklärte, die CDU könne bei Wahlen nur Mehrheiten als Partei der Mitte gewinnen. Im Rahmen einer solchen Volkspartei komme den Sozialausschüssen der CDU eine besondere Rolle zu. Kraskes Strategie der Union der Mitte stütze sich auf folgende Punkte: 1. 2.
Die Union kann nicht durch innerparteiliche Gruppen vertreten werden und es ist falsch, immer nur von solchen Punkten zu sprechen, in denen die eigene Gruppe Erfolg hatte oder sich nicht durchsetzen konnte. Es darf nicht vergessen werden, wann und wo andere Gruppen nachgaben. Etwa bei der arbeitsrechtlichen Lösung der Lohnfortzahlung oder beim Beteiligungslohn. Dies
645 HAZ vom 27.4.1973 646 Vgl. Ausgaben in der Sozialen Ordnung, besonders auch die vom 30.8.1973 647 Vgl. die Äußerungen vom stellv. Bundesvorsitzenden und Landesvorsitzenden der CDU Rheinland, Heinrich Köppler, auf dem Hamburger Parteitag von 1973: „Sie [,die CDU,] muss ein klares Signal in die Bevölkerung dieser Bundesrepublik geben, das deutlich macht, dass diese Union in der Lage ist, die Frage der Mitbestimmung auch als Volkspartei zu lösen und dass bei dieser Volkspartei die Interessen von Millionen Arbeitnehmern bestens aufgehoben sind, besser als bei anderen.“ [vgl. CDU 1973: 22. Bundesparteitag Hamburg 1973. 18.-20. November 1973, S. 277]
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
3. 4. 5.
173
sind ebenso wichtige Basisentscheidungen, wie die des Düsseldorfer Parteitages über die Mitbestimmung. Die Mitbestimmungsfrage darf nicht als der einzige Maßstab für Qualität, Realismus und Fortschrittlichkeit des gesellschaftlichen Konzepts einer Partei angesehen werden. Es ist verhängnisvoll, wenn man von denen, die bei innerparteilichen Abstimmungen mit ihrem Konzept unterlegen sind, eine nachträgliche Kontroverse erwartet. Aus diesem Grund können die Sozialausschüsse zwar weiter ihr Konzept in der Mitbestimmungsfrage vertreten. Sie müssen aber gleichzeitig auch das Recht der Mehrheit verfechten, eine andere Meinung zu haben. Insbesondere muss anerkannt werden, dass sich wie in der Mitbestimmungsfrage die Gesamtpartei entschieden hat.648
Folglich waren die Spuren der Resignation seit dem Düsseldorfer Parteitag zu Beginn des Jahres 1973 verflogen. Die CDU sollte sich nach links öffnen und damit auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren, die das politische System nach links verschoben hätte, indem die Wähler sozialbewusster geworden seien. Die Sozialausschüsse befürchteten, die CDU würde an den rechten Rand des Parteiensystems abgedrängt werden, wenn sie sich in den wirtschafts-, gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen nicht bewegen würden. Eine ganz entscheidende Frage würde hier die Mitbestimmung sein.649 Gerade in diesem Punkt versuchten sich die Sozialausschüsse zu profilieren. Denn in den Zentren der Sozialausschüsse verlor die Union zunehmend an Boden. Diesen versuchte die CDA wieder gut zu machen, indem sie politisch eine Abkehr von der kapitaldominierten Gesellschaft forcierte.650 Ihr zunehmendes Drängen resultierte also nicht so sehr aus innerparteilicher Stärke, sondern aus externem Druck. Diese Ausgangsformation zeigte auch schon die Gründe für das Scheitern ihrer Strategie, da zunehmend der Erfolg der Volkspartei CDU weniger am Erfolg ihrer Arbeitnehmerorganisation hing. Ihre Relevanz im innerparteilichen Leben sank mit ihrer Bedeutung auf dem politischen Markt. Die Union benötigte für ihr Selbstverständnis als Volkspartei keine innerparteilich institutionell starke Stellung der Sozialausschüsse mehr. Allerdings spürte die CDA ebenso wie die Mutterpartei aufgrund ausbleibender Wahlverluste eine tiefe Verunsicherung. Diese drückte sich bei der CDU jedoch zuerst einmal nicht in einem programmatischen Richtungswechsel, sondern im personellen Neuanfang aus. Im Juni 1973 gab der machtpolitisch sehr angeschlagene und fraktionsintern nunmehr umstrittene Rainer Barzel seinen Platz für Helmut Kohl frei. Dieser holte Kurt Biedenkopf als Generalsekretär in die Führungsetage der CDU mit dem Auftrag, gerade auch konzeptionell der Partei einen neuen Aufbruch zu geben. Der CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf versuchte daher nicht nur organisatorisch die Partei in Schwung zu bringen, sondern vielmehr auch den roten Faden in der CDU-Oppositionspolitik zu verdeutlichen. So bestach Biedenkopf 1973 auf einer viel beachteten Tagung der Katholischen Akademie in Bayern mit einer Grundsatzrede über die programmatischen Leitlinien der CDU. Er stellte kritisch fest, die CDU habe bisher nicht unter dem Fehlen eines Programms gelitten, sondern unter dem Mangel an programmatischer Führung. Seit Anfang der sechziger Jahre sei die Partei im Materialismus stecken geblieben, alle programmatischen Aussagen seien verdunkelt 648 Handelsblatt vom 7.4.1972 649 HAZ vom 27.4.1973 650 Welt vom 6.11.1973
174
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
worden. Die geistigen und moralischen Grundlagen der CDU gingen auf das Ahlener Programm und die ordnungspolitischen auf die Düsseldorfer Leitsätze zurück. Diese beiden richtungsweisenden Konzepte, die ihre Wurzel einerseits in der christlichsozialen Ethik und andererseits im Ordo-Liberalismus hätten, müssten jetzt wieder scharf herausgestellt werden. Die Mitbestimmungsfrage würde die Verbindung dieser beiden programmatischen Erklärungen darstellen.651 Im Gegensatz zu sozialistischen Theorien würde die Union den Einzelnen immer durch seine Verantwortlichkeit im Kollektiv einbinden, denn die CDUPolitik hatte sich stets zur Gleichheit der Chance, die sozialistische Politik aber zur Gleichheit der Resultate bekannt. Deshalb müsste das Prinzip der Minderheitsrechte auch im Kollektiv anerkannt werden.652 Die Verbindung von christlichem Gedankengut und einer klaren Ordnungspolitik mussten für Biedenkopf die Eckpfeiler einer christdemokratischen Politik sein, die über das alleinige Wirtschaften hinausreichen würde: „Mit ihrem Verständnis von christlichem Gedankengut und Ordnungspolitik bietet die CDU die Chance, den entscheidenden Nachteil einer reinen liberalen Politik, die vollständige Säkularisierung der Gesellschaft und ihres gesamten Werthaushaltes zu überwinden, ohne die liberalen Errungenschaften der Verfassungskämpfe des 18. und 19. Jahrhunderts zu opfern. Ich sehe in einer solchen Synthese die einzige Grundlage für eine lebensfähige, politische gestaltbare und damit mehrheitsfähige Alternative zu sozialistischen Utopien. Sie ist Antwort auf die Komplexität und die Veränderungsprobleme, vor die unser Land und damit eine hoch industrialisierte Gesellschaft als Herausforderung gestellt sind. Dass die CDU in ihrem politischen Fundus keine ausreichenden Ansätze für die Entwicklung einer solchen freiheitlichen Alternative bietet, ist schlicht unzutreffend. Hier liegt eine Verwechslung zwischen dem politischen Kapital und dem „unternehmerischen Einsatz“ dieses Kapitals in einer konkreten politischen Situation vor.“653
Biedenkopf sah auch in der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik das zentrale Unterscheidungsmerkmal der Union im deutschen Parteienwettbewerb: „Die Lösung der Machtfrage in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft ist das Kernproblem der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie. Dieses Problem besteht nicht nur für die Organisation des Staates, sondern auch für die Organisation der Gesellschaft. Im gesellschaftlichen Bereich kommt vor allem der freien Marktwirtschaft bei der Lösung der Machtfrage eine entscheidende Funktion zu. … Die freiheitliche Zukunft gehört nicht dem Sozialismus: sie gehört der offenen, von allen Bürgern mitgestalteten Verfassung der Sozialen Marktwirtschaft. Auch die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft steht ständig unter dem Grundsatz „Erneuern und Bewahren“. Zur Erneuerung steht dabei vor allem auch der Begriff des Sozialen im Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. … Der soziale Auftrag der Marktwirtschaft ist nicht auf Sozialpolitik beschränkt. Bei aller Verbesserungsnotwendigkeit im Einzelnen: Im Prinzip ist es uns gelungen, die soziale Frage des 19. Jahrhunderts zu beantworten. … Der soziale Auftrag der Marktwirtschaft ist nicht gegenstandslos geworden. Aber mit dem Wandel der gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Bedingungen hat sich die Hauptrichtung dieses Auftrages geändert. … Sozialbindung bedeutet für mich auch Bindung des autonomen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einzelinteresses zugunsten des überragenden Allgemeininteresses, zu651 Dönhoff, Marion Gräfin 1973: Die Union auf dem Weg nach links? Generalsekretär Kurt Biedenkopf, in Die Zeit vom 14.2.1973 652 Badische Zeitung vom 11.2.1973 653 Biedenkopf 1974
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
175
gunsten des Allgemeinwohls. Sozialbindung als politischer Auftrag bedeutet somit: Einordnung der autonomen Gruppen und Verbände in den Gesamtzusammenhang der Gemeinschaft unter der Wahrung sowohl ihrer autonomen Teilfunktionen wie des Interesses der Gesamtheit nach Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. … Die Verwirklichung der Sozialpflichtigkeit der autonomen Verbände und Organisationen, deren wirtschaftliche und damit politische Macht nicht auf Privateigentum an Produktionsmitteln beruht, ist die eigentliche soziale Frage des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie ist die Frage der zweiten industriellen Revolution – sowie die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums die soziale Frage der ersten industriellen Revolution war.“654
Aufgrund seiner Tätigkeit in der Mitbestimmungskommission aus den Zeiten der großen Koalition waren die Sozialausschüsse gegenüber Kohls Generalsekretär eher skeptisch eingestellt. So berichtete der ehemalige Universitätsrektor und Manager seinem Parteivorsitzenden verwundert über den kühlen Empfang auf einer CDA-Hauptvorstandssitzung: „... Bereits das Votum eines jüngeren Hauptvorstandsmitgliedes setzte den Ton für die restliche Aussprache. Dem Bundesvorstand und mir persönlich wurden nicht nur Unredlichkeit, Doppelbödigkeit und – wie ein anderes Mitglied des Hauptvorstandes es später formulierte – „Hinterfotzigkeit“ vorgeworfen, sondern auch schlicht Betrug und betrügerische Absicht. Die Argumentation des Bundesvorstandes, die ihn zu seinem Beschluss veranlasst hatte, war den Mitgliedern des Hauptvorstandes offenbar unbekannt. ... Bei einer vorsichtigen Bemerkung zu persönlichen Angriffen in den ersten Voten musste ich mich von Herrn Katzer belehren lassen, dass ich froh sein sollte, dass ich die Hauptvorstandsmitglieder in dieser Weise zurückhielten. Er selbst müsse sich in ganz anderer Weise angreifen lassen. Ich habe aufgrund der Teilnahme an der Sitzung die Überzeugung gewonnen, dass der Hauptvorstand der CDA an einer Fortführung der Diskussion mit dem Ziel eines Kompromisses nicht interessiert ist. ... Abgesehen von Höhepunkten in der Auseinandersetzung an der Universität habe ich bisher noch an keinem Gespräch mit einem Spitzengremium teilgenommen, in dem die Bereitschaft zur Anerkennung der Redlichkeit des Gesprächspartners so gering war wie in der Auseinandersetzung am 13.10.“655
Diese Skepsis der CDA war auch nicht vollkommen grundlos. Die Parteiführung griff nämlich das Thema „Mitbestimmung“ nicht nur auf, sondern bewertete es strategisch vollkommen neu. Es galt ab sofort als nicht mehr zentral, und sollte möglichst rasch gelöst werden. Sowohl für den politischen Markt als auch für das innerparteiliche Leben konnte man nach Ansicht der neuen Parteiführung mit diesem Thema wenig punkten. Helmut Kohl hatte sich in diesem Thema bereits auf dem Düsseldorfer Parteitag von 1971 pragmatisch gezeigt, als er, obwohl er den Vorsitz der Antragskommission inne hatte, gegen den Antrag des Bundesvorstandes und für den Antrag von Alfred Dregger gestimmt hatte. Und somit bei der – wenn auch knappen – Mehrheit der Delegierten gewesen war.656 Kohl wies zwar stets darauf hin, dass seine unerwartete Abstimmung ein persönliches Versehen gewesen war, denn außer viel Spott und Misstrauen gegenüber seiner vermeintlichen programmatischen Belie654 Biedenkopf 1973: 21 655 Vermerk Biedenkopf an Kohl (15.10.1973) [schildert die Erlebnisse im Rahmen einer Teilnahem der CDA Hauptvorstandssitzung am 13.10. 1973] [vgl. ACDP VII- 004 - 027/2] 656 Dreher 1998: 151f Helmut Kohl nannte diese „Abstimmungspanne“ rückblickend den dümmsten Fauxpas, „der mir in meinem politischen Leben je passiert ist.“ [Kohl 2004: 278. Vgl. auch Krause-Burger 1984: 31] Diese Selbsteinschätung kann aber auch durchaus daran liegen, dass zahlreiche Autoren – wie Klaus Dreher – von Kohl Biographien diese Abstimmung als vermeintlichen Beweis für Kohls vermeintliche pragmatische Beliebigkeit auslegen.
176
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
bigkeit brachte ihm dieser „Abstimmungserfolg“ wenig ein. Für unseren Aspekt zeigte der Vorgang jedoch eines deutlich: Die Mitbestimmungsfrage war ihm kein Herzensanliegen. Denn programmatische Beliebigkeit konnten auch die innigsten Feinde Helmut Kohls nicht ernsthaft unterstellen, wenn sie sich seine rheinland-pfälzischen Jahre vergegenwärtigten. Zwar war Helmut Kohl – wie jeder ambitionierte Politiker – bestrebt, die Mehrheit seiner Partei und Fraktion hinter sich zu scharen, aber er war gerade auch in für ihn wichtigen inhaltlichen Fragen, wie zum Beispiel in der Schulfrage – durchaus bereit, Konflikte mit der eigenen Anhängerschaft auszufechten.657 Vielmehr sah er in der Mitbestimmungsfrage nicht einen wesentlichen innerparteilichen Zankapfel, für den es wert gewesen wäre, die Geschlossenheit der Partei und damit ihren politischen Erfolg zu opfern. Vielmehr setzte er auf eine neue Strategie. Unter Helmut Kohl änderte sich die Oppositionsstrategie, die Fragen wie die der Mitbestimmung in den Hintergrund treten ließen. Mit der neuen Parteiführung begann eine Konsolidierungsphase, die weit über die folgende Wahl von 1976 hinausreichte. Diese Strategie drückte sich schon in der Hamburger Parteitagsrede von Helmut Kohl aus, die für die Diskussion vorbereitete Hauptthemen zwar einleitend anriss, aber dann zielstrebig die Alternative der Union zur Bundesregierung nicht im Detail, sondern im Grundsätzlichen suchte.658 Darunter fasste er den Ausbau des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates, die Eingliederung in die westeuropäisch-atlantische Gemeinschaft und die weltweite Zusammenarbeit mit allen fortschrittlichen Kräften zusammen. Diese Politik sollte sowohl im Inneren als auch nach Außen vom Geist der Partnerschaft und des fairen Ausgleichs der Interessen erfüllt sein. Die neue Führung der Union suchte den von zwei Niederlagen stimulierten und von Barzel geförderten Reformgeist so zu lenken, dass daraus kein Linksdrift für die Partei wurde. Die Union verstand sich nun vielmehr als Anwalt der schweigenden Mehrheit und ihres Interesses an Ordnung und Sicherheit, Anständigkeit und Wohlstand.659 Die Union suchte die Auseinandersetzung im Politisch-Grundsätzlichen. Karl Carstensens fasste auf dem Bundesparteitag in Mannheim die neue Linie zusammen: „Es geht um die Frage, ob in unserem Land Kollektivismus und Sozialismus siegen werden oder ob wir das seit 1949 kontinuierlich fortentwickelte System einer freien, gerechten Gesellschaftsordnung, einer Sozialen Marktwirtschaft, einer Beharrung der natürlichen Bindungen von Ehe, Familie und Eltern-Kind-Beziehungen erhalten wollen oder nicht.“660
Die Konzentration auf große Themen und grundsätzliche Entscheidungen verhalf der Bundestagsfraktion zu einer größeren Geschlossenheit und erleichterte erheblich die Zusammenarbeit zwischen ihr und der CSU, zumindest bis ins Vorfeld des Wahlkampfes für die Bundestagswahl 1976.661 Auf dem politischen Markt versuchte die Union den politischen Gegner hauptsächlich auf drei Ebenen zu treffen: Wirtschaftspolitisch bei der Bekämpfung von Inflation und der Arbeitslosigkeit, bei der Inneren Sicherheit bei der Bekämpfung des Terrorismuses sowie außenpolitisch in Fragen der Ostpolitik und der europäischen Einigung. Dabei wurde die SPD besonders angegriffen, indem ihr eine systemverändernde, auf eine sozialistische Ge657 658 659 660 661
Gauland 1994: 19f, Auch Kohl 2004: 151f Zitiert in Kleinmann 1993: 366 Kleinmann 1993: 366ff Ebd: 366 Ebd: 366ff
6.5 Die Mitbestimmung als wirtschaftpolitischer Zankapfel innerhalb der Union
177
sellschaftsordnung hinzielende Politik vorgeworfen wurde. Gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik konnte die Union mit öffentlichkeitswirksamen, „regierungsfähigen“ Alternativen aufwarten. Diese Strategie wurde von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen befördert. Gegen Mitte der siebziger Jahre hatte der Rückgang der Konjunktur zu einer disproportionalen Entwicklung von Investitionstätigkeit und Konsum geführt. Die Union forderte daher eine grundlegende Steuerreform, die sich am Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit orientierten und nicht als Mittel zur Umverteilung im Sinne einer leistungsfeindlichen Gleichheit eingesetzt werden sollte.662 Folglich wurde die Wirtschaftspolitik für den Wechselwähler als rationales Thema auf dem politischen Markt angeboten. Emotional versuchte die CDU – besonders für die eigenen Klientel, d.h. die so genannten Parteiidentifizierer – den Antikommunismus, bzw. das Bekenntnis zur Deutschen Einheit zu betonen. Auch der Wahlkampf war für die Auseinandersetzung über die großen Linien angelegt. Der Wahlslogan „Freiheit statt Sozialismus“ rief Erinnerungen an den kämpferischen Geist und die Grundsätzlichkeit der fünfziger Jahre wach. Das Wahlprogramm beschwor das „Schicksal Deutschlands und Europas“, das sie durch sozialistische Experimente und bürokratische Gängelung, durch sozialistische Schule und Verharmlosung von politischem Radikalismus auf Spiel gesetzt sah. Dem stellte sie ihre Vorstellung von Demokratie, von einer freien und offenen, gerechten und solidarischen Gesellschaft gegenüber. Gerade der Blick auf die klassischen Domänen der CDU in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg lässt erkennen, dass sie mit ihrer Entwicklung zur modernen Mitgliederund Volkspartei vor die Aufgabe gestellt wurde, einen neuen Mehrheitskonsens zu finden. „Die Mitte als Mehrheit mobil zu halten, ist die demokratische Mission der Union.“663 6.5.5 Die neue Linie setzt sich durch: Der Hamburger Parteitag 1973 Der Hamburger Parteitag war die erste Bewährungsrobe für die neue Parteiführung. Als erstes musste er die Partei nach ihrer bis dahin schwersten Niederlage aufrichten. Deren Strategie wurde aber von der CDA skeptisch gesehen. Was 1971 ihr noch auf dem Düsseldorfer Parteitag misslang, sollte auf dem Hamburger Parteitag von 1973 gelingen. Dort wollte sie ihre paritätische Mitbestimmung zur offiziellen Parteiprogrammatik erheben. Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen, entscheidenden Einfluss auf die Politik der Partei und der Bundestagsfraktion zu nehmen, visierte die CDA den Durchbruch für den Hamburger Parteitag an. Tatsächlich blieb der Einfluss des linken Flügels jedoch weiter hinter den Erfordernissen zurück, die Mehrheit der Partei hinter sich zu scharen. Die rund 100.000 Mitglieder der Sozialausschüsse, von denen etwa die Hälfte gleichzeitig der CDU angehörte, reichten als progressives Potenzial nicht aus, der Partei ein anderes Profil zu geben.664 Um innerparteiliche Geschlossenheit wieder herzustellen, war es für die Parteiführung elementar, die Mitbestimmungsfrage als zentrales Problem innerhalb der Partei endgültig aus der Welt zu schaffen. Denn die gesellschaftspolitische Konfrontation zwischen linkem Flügel und wirtschaftlich orientiertem Teil der Partei war nach wie vor nicht unerheblich. 662 Ebd: 366ff 663 Altmann 1970: 43ff 664 SZ vom 20.1.1973
178
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Sie gefährdete sowohl das Image der Partei des wirtschaftlichen und sozialen Ausgleichs, wie die Spaltung auch insgesamt die Regierungsfähigkeit konterkarierte. Die Sozialausschüsse erklärten, die Arbeitgebervertreter und das „Großkapital“ würden unbekümmert den Kräften, von denen sie den Umsturz befürchteten, in die Hände arbeiten. Mit ihrer Reformfeindlichkeit schafften die Arbeitgeber den besten Nährboden für Linksextremisten, die die Herrschaft des Kapitals durch ihre eigene Funktionärsherrschaft ersetzen wollten.665 Norbert Blüm konkretisierte die „neue Mitte-Strategie“ aus Sicht der CDA: Die Mitbestimmung und die Vermögensbildung, Wettbewerbsordnung und Steuerumverteilung markierten die wichtigsten Unterschiede zwischen den Sozialausschüssen und der Gesamtpartei. Dass die Sozialausschüsse auf dem Düsseldorfer Parteitag von 1971 abgeschmettert wurden, hat sie keineswegs mutlos gemacht. Sie hofften auf einen Sinneswandel ihrer Parteifreunde und auf die wachsende Einsicht in Unternehmerkreisen. Die JU unterstützte weiterhin die CDA. Zudem hatte sie in den rheinischen und westfälischen Landesverbänden große Unterstützer. Sie votierten im Vorfeld des Hamburger Bundesparteitages auf ihren Parteitagen für das CDA-Modell.666 Diese Verbände sollten in Hamburg nahezu ein Drittel der Delegierten stellen. Auch in anderen Landesverbänden, wie Hessen oder Baden-Württemberg, konnte sich das Vorstandsmodell nur knapp durchsetzen. Und vorsichtige Sondierungen der Strategen im Bonner Konrad-Adenauer-Haus ergaben, dass auch in den übrigen Landesverbänden die Bruchstelle ziemlich deutlich mitten durch die Partei ging. Folglich befanden sich die Sozialausschüsse im Vorfeld des Hamburger Parteitags in keiner hoffnungslosen Lage. Der CDU-Vorstand hatte zwar im Grundsatz eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte vorgesehen, diese Gleichgewichtigkeit zugleich aber erheblich eingeschränkt. Abgesehen davon, dass leitende Angestellte als eigene Gruppe betrachtet werden sollten, sollte in Pattsituationen sichergestellt sein, dass die Kapitaleigner die Entscheidung treffen konnten.667 Helmut Kohl und sein Generalsekretär wollten der Union ein stärkeres Reformimage geben. Leitidee war, die Partei der politischen Mitte zu sein.668 Jedoch war der neue Generalsekretär in der Mitbestimmungsdebatte festgelegt und favorisierte im Prinzip die Düsseldorfer Entscheidung.669 Helmut Kohl wandte in der Debatte sein altes Prinzip an, die strittige Frage möglichst lange offen zu halten.670 665 666 667 668
Handelsblatt vom 7.4.1972 Welt vom 6.11.1973 SZ vom 6.11.1973 Programmatisch vage, aber doch in der Zielsetzung klar, formulierte rückblickend Helmut Kohl in seiner Autobiographie, das programmatische Selbstverständnis der CDU in den siebziger Jahren: „Wir, die Christlichen Demokraten, waren nicht das Gegenteil der SPD. Wir waren nicht konservativ, wo die SPD für fortschrittlich gehalten wurde, wir waren nicht unternehmerfreundlich, wo die SPD für arbeitnehmerfreundlich ausgegeben wurde. Wir waren nicht rechts, wo die SPD links war. Wir waren immer eine Partei der Partnerschaft, eine Partei der Mitte, der Humanität. Wir waren der Anwalt dafür, dass alle an dieser Politik teilnehmen konnten, dass niemand zum Verstummen gebracht wurde.“ [vgl. Kohl 2004: 326] 669 Über die festgelegte Haltung von Kurt Biedenkopf war die CDA sehr enttäuscht. So vermerkt Büsau an Biedenkopf (24.10.1973): „... Auf der letzten rheinischen Landesvorstandssitzung hat Herr Katzer sich sinngemäß geäußert, daß Sie die in Ihrem Amt enthaltene Vermittlerposition fortlaufend verletzen. Er verband dies mit einem ausdrücklichen Lob für Herrn Dr. Kraske, von dem ihn zwar auch einiges getrennt habe, der aber in dieser Beziehung ein hervorragender Generalsekretär gewesen sei.“ [vgl. ACDP VII- 004 - 027/2] Ähnliches bekam der neue Generalsekretär auch aus dem Landesverband Rheinland zu hören: „... Ein längeres Telefongespräch mit Herrn Pietsch, den stellvertretenden Landesgeschäftsführer der CDU-Rheinland, bestärkt mich in der Mutmaßung, daß die Sozialausschüsse des Rheinlandes Sie sozusagen zum ‚Parteifeind Nr.
6.6 Zusammenfassung
179
Im Vorfeld des Hamburger Parteitages kritisierte Kurt Biedenkopf die CDA und besonders ihren Vorsitzenden Hans Katzer. Das Gleichgewicht von Kapital und Arbeit sei Sache der gesamten Union, der CDU wie der CSU. Dies sei vor allem ein Verdienst der Sozialausschüsse. Diese setzten sie jedoch leichtfertig aus Spiel, weil sie die Diskussion auf die Spitze trieben. Dieser Politik könnte nach Ansicht Biedenkopfs der Parteitag nicht folgen. Hans Katzer habe zur Mitbestimmung einen Vorschlag vorgelegt, der vom Zentralproblem her, nämlich der Kontrolle der Unternehmensführung, der schlechteste Vorschlag sei, den er habe machen können. (!)671 Der CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf warb für das Bundesvorstandsmodell: „… die Idee von der christlichen Partnerschaft und die Idee von der Sozialen Marktwirtschaft … Dies ist die freiheitliche Antwort auf das kollektivistische Unternehmen sozialistischer Prägung.“ Matthias Wissmann war für die Mitbestimmung: „Deswegen ist die Junge Union der Meinung, dass es darauf ankommt, dieses Prinzip ‚soziale Partnerschaft’ auch in der konkreten Mitbestimmungsaussage zu beherzigen und durchzuhalten. Dies heißt für uns, Partnerschaft in der Mitbestimmung ist nur möglich durch echte Gleichberechtigung von Arbeitnehmern und Anteilseignern, und echte Gleichberechtigung ist nur möglich durch ein glasklares Ja zur paritätischen Mitbestimmung durch die gesamte CDU. … Ich meine, dies muss hier so deutlich gesagt werden, weil unsere JU zur paritätischen Mitbestimmung die konsequente Verwirklichung des Grundsatzes ‚soziale Partnerschaft’ ist und damit dazu beiträgt, diesen Grundsatz als Alternative zu den sozialistischen Klassenkampfvorstellungen glaubwürdig zu machen.“672
Zudem bekam die CDA Unterstützung von Barzel und Kraske, die ihren Nachfolgern ihre Grenzen aufzeigen wollten. Die Mitbestimmungsfrage wurde immer mehr zur Machtfrage stilisiert.673 Und folglich auch so entschieden. Mit der erneuten Ablehnung setzten sich Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf endgültig durch. Die folgenden Parteitage und Abstimmungen sollten zeigen, dass die Partei die Entscheidung vom Hamburger Parteitag akzeptiert hatte. Helmut Kohl hatte seine Strategie – nicht nur der programmatischen Ausrichtung, sondern bezüglich des Selbstverständnisses als Partei der Mitte und des innerparteilichen Lebens – durchgesetzt. 6.6 Zusammenfassung Die CDU entwickelte am Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre ein neues Politikverständnis. Dies drückte sich nicht nur durch eine Neustrukturierung des innerpar-
670 671 672 673
1’ abstempeln wollen. Verschiedene Vorfälle bestärken diese Annahme. Dazu gehört die Absage der Jungen Arbeitnehmerschaft für den Termin am kommenden Samstag. Dazu gehören abfällige Bemerkungen über Sie in Zusammenhang mit unseren Hearings während der letzten Landesvorstandssitzung der CDU-Rheinland. Dazu gehört auch, daß es diesen Leuten gelungen ist, zu verhindern, daß Sie beim Landesparteitag am 3.11. in Grevenbroich als Gast zu einer Ansprache eingeladen werden, wie ursprünglich geplant war. Motor dieser Kampagne ist nach Auffassung meiner Gesprächspartner, Herr Müller und der Landessozialsekretär Hettinger.“[vgl. Vermerk o.A. an Biedenkopf (18.9.1973) ACDP IV 004-027/2] Spiegel vom 30.4.1973 SZ vom 12.11.1973 Rede von Matthias Wissmann auf dem Hamburger CDU-Bundesparteitag von 1973 [vgl. CDU 1973: 22. Bundesparteitag Hamburg 1973. 18.-20. November 1973, S. 274f] Welt vom 6.11.1973.
180
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
teilichen Lebens von einer konsensual orientierten Sammlungspartei hin zu einer nach einem Delegiertensystem organisierten Volkspartei aus, sondern auch in einer neuen programmatischen Schwerpunktsetzung. Die CDU vermehrte nicht nur erheblich die eigene Mitgliederanzahl, sondern verfolgte auch eine neue Strategie im Parteiensystem. Diese Neuausrichtung war das Produkt veränderter Rahmenbedingungen auf dem politischen Markt. Nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen, wie die zunehmende Auflösung traditioneller Milieus, sondern auch die schwierige Oppositionsrolle der Union in einem zweieinhalb Parteiensystem erzeugte Veränderungsdruck auf die Union. Zum einen musste sie ihr innerparteiliches Leben neu strukturieren, und zum anderen waren nun grundsätzliche Gegenkonturen der neuen Oppositionspartei zur sozialliberalen Regierungskoalition notwendig. Die Auflösung der Milieubindung brachte für die Christdemokratie auch Veränderungen für das politische Leitbild mit sich. Sie konnte sich nicht mehr über das Wertegerüst eines gesellschaftlichen Vorfeldes normativ legitimieren, sondern musste dies nun selbst tun. Aus diesem Grund etablierte sie eine Programmarbeit, wie zum Beispiel im Vorfeld des Grundsatzprogramms von 1978, die in früheren Jahren nur die SPD praktiziert hatte. Das Christliche wurde für die CDU nicht mehr als selbstverständlich angesehen, da sie auch nicht mehr automatisch die Partei der christlichen Milieus war, sondern sie musste ihren eigenen Wertehintergrund theoretisch begründen. Folglich waren das Einsetzen einer umfangreichen Wertedebatte und die ausführlichere Formulierung des christlichen Menschenbildes nicht überraschend, sondern für die neue Entwicklung konsequent, da christliche Werte abstrakt theoretisch begründet wurden und nicht mehr der logischen Lebenswirklichkeit der Menschen entsprachen. Die Union behielt – und das zeigte auch die Diskussion in der Mitbestimmungsfrage sehr deutlich – die Orientierung an ihrem politischen Leitbild bei, die sich aus dem christlichen Anspruch her ableitete: Sie beanspruchte, eine schichtübergreifende Volkspartei zu sein, die „Soziale Marktwirtschaft“ blieb wirtschaftspolitisch ihr Fixpunkt. Sie verkörperte ihre marktwirtschaftliche Ausrichtung ebenso wie ihren Anspruch, einen gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen und gesellschaftliche Ungleichheiten auf einem erträglichen Maß auszutarieren. Dabei besaß sie einen klaren Wertekanon für Eigentumsrechte aber gleichzeitig auch für die Interessen der Arbeitnehmerschaft. Dazu passte auch ihr Einsatz für eher kleine Einheiten – auch im Wirtschaftsleben. Für die CDU bedeutete Mitbestimmung stets betriebliche, nicht überbetriebliche Mitbestimmung. Die Konflikte, die die Union bezüglich der Mitbestimmung austrug, waren auch in der katholischen Welt vorhanden. An den Prinzipien des politischen Leitbildes rüttelte dagegen niemand: das christliche Menschenbild blieb die Grundlage für das politische Handeln. Folglich stand die Mitbestimmung als solches nie prinzipiell zur Debatte, lediglich ihre Ausgestaltung war umstritten. Im Rahmen des christlichen Verständnisses der Mitbestimmung setzte die Christdemokratie aber eindeutig ihren Schwerpunkt auf die marktwirtschaftliche Ausrichtung und wies auch alle Bestrebungen der Reformkräfte zurück, die Demokratie über den staatlichen Bereich hinaus als Ordnungsprinzip – wie zum Beispiel im wirtschaftlichen Bereich – zu verankern. Die CDA konnte die Mehrheit in der Union nicht für die paritätische Mitbestimmung gewinnen. Der Faktor Arbeit wurde dem Privateigentum nicht gleichgesetzt. Die Union unterstützte nachdrücklich, dass Arbeitnehmer ihren Lebensbereich im Unternehmen gestalten konnten und favorisierte hier ein Anwachsen der Arbeitnehmerrechte, aber sie favorisierten dies nicht bezüglich der Unternehmensführung. Hier sollten die Anteilseigner das eigentliche Sagen behalten. Bei den Parteitagen drückte sich auch der große Einfluss
6.6 Zusammenfassung
181
mittelständischer Vorstellungen bei den wirtschaftpolitischen Überlegungen der Union aus. In den Debatten spielte nicht so sehr der betriebliche Alltag in Großunternehmen eine Rolle, als vielmehr die Erfahrungen in der mittelständisch geprägten Wirtschaftswelt. Und in dieser war das Verständnis für die Teilhabe der Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen nicht besonders stark ausgeprägt. Diese Vorbehalte konnten die Gegner der paritätischen Mitbestimmung geschickt nutzen und eine Mehrheit gegen die CDA-Pläne innerparteilich organisieren. Dies gelang ihnen auch aus einem anderen Grund: Insgesamt wurde das Anliegen für den politischen Markt nicht mehr als so wichtig angesehen. Die Überbrückung der Klassengegensätze verlor ihre Bedeutung – innerparteilich wie auch im Wählermarkt –, da der innerparteiliche Klassenkonflikt zugunsten neuer, den organisierten Interessen entzogenen sozialpolitischen Forderungen in den Hintergrund trat. Dies zeigte das neue sozialpolitische Programm der Partei klar auf. Es stellte die Neue Soziale Frage in den Mittelpunkt. Die bis dato stattgefundene Sozialpolitik hatte sich an der Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit orientiert. Kurt Biedenkopf als CDUGeneralsekretär und Heiner Geißler als rheinland-pfälzischer Sozialminister entwickelten das Konzept der „Neuen Sozialen Frage“. Diese sozial- und gesellschaftspolitische Überlegung sollte die sozialen Partizipationschancen derjenigen Bevölkerungsgruppen verbessern, deren soziale Sicherung nicht unmittelbar aus einem Arbeitsverhältnis abgeleitet und deren Anliegen daher durch die klassischen Interessenverbände nicht vertreten werden konnte. Sie löste damit die Sozialpolitik der Union aus den klassischen Feldern der verteilungspolitischen und sozialen Vorsorgeprobleme und bettete sie in die in die wesentlich umfänglicheren Dimensionen menschlich-sozialer Bedürftigkeit ein. Die CDU sah sich nicht als verlängerten Arm der Gewerkschaften, sondern als Anwalt der wirklich schwachen NichtOrganisierten. Hierzu zählte sie besonders alte (pflegebedürftige) Menschen, allein erziehende Mütter, nicht mehr Arbeitsfähige, Arbeitslose, Jugendliche, kinderreiche Familien, Gastarbeiter oder Behinderte. Die Neue Soziale Frage stand aufgrund ihres Solidaritätsund Subsidiaritätsprinzip in der Tradition der katholischen Soziallehre und fand über die Mannheimer Erklärung von 1975 und das Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 Eingang in die Programmatik der CDU. Ihre wesentlichen Forderungen waren: eine Neubesinnung auf die vorrangigen sozialen Aufgaben zu ermöglichen; bei der Auswahl des Empfängerkreises von Leistungen mehr als bisher die Gesichtspunkte von Gerechtigkeit und Solidarität anzuwenden; finanzielle Spielräume durch Erhöhung der sozialen Wirksamkeit der sozialpolitischen Mittel zu schaffen; die Durchsetzung dieser Anliegen politisch-organisatorisch zu forcieren; den Subsidiaritätsgedanken in den konkreten Maßnahmen zu stärken und eine Allzuständigkeit des Staates durch die Hintertür des Wohlfahrtsstaates zu verhindern; die Erziehungsleistungen in den Sozialsystemen verstärkt anzuerkennen (z.B. durch eine familiengerechte und leistungsbezogene Partnerrente) und den Mutterschaftsschutz zu verbessern sowie die Förderung des bürgerlichen Engagements auszubauen. Neben der strategischen Neuausrichtung wurden vor allem sozio-kulturelle Themen verstärkt von den Programmerneuerern ins Auge gefasst. Die Wirtschaftspolitik dagegen blieb
182
6 Die CDU vor der Wiedervereinigung
marktwirtschaftlich ausgerichtet und der sozialdemokratischen entgegengestellt. Ein klarer wirtschaftlicher Ordnungsrahmen und eine seriöse Finanzpolitik wurden der Wirtschaftspolitik von Helmut Schmidt entgegengesetzt. Dieser wurde zunehmend wegen der damals erscheinenden miserablen Finanzlage und der hohen Arbeitslosigkeit angegangen. Beides sollte aus Unionssicht mit einer klaren wirtschaftspolitischen Neubestimmung erfolgreich bewältigt werden, die wieder auf Wachstum und eine solide Haushaltsführung setzte. Die Partei schuf sich in den 1970er Jahren eine klare organisatorische Identität, bei der der schichtübergreifende Charakter als Volkspartei beibehalten und in grundsätzlichen Reden auch stets betont wurde. Dies lag aber nicht nur an der christdemokratischen Tradition, sondern war auch strategischen Überlegungen auf dem Wählermarkt geschuldet. Die CDU hätte ohne Arbeiterstimmen nie ihr Ziel, die Mehrheit auf dem politischen Markt zu erreichen, verwirklichen können, wenn sie sich dieser Zielgruppe im Wählermarkt verschlossen hätte. Nur die Ansprache erfolgte nun weniger über die entsprechende Vertreterorganisation, sondern direkt über die Partei mit ihrem gesamten Areal an programmatischen Aussagen. Die Vereinigungen, die in der Gründungsphase ein kraftvoller Baustein der Union waren, traten in ihrer Bedeutung zurück. Die „Soziale Marktwirtschaft“ war der nun etablierte Markenkern der Union, der elektrisierend auf die Wählerschaft und damit auch auf die Arbeiter wirken sollte. Das moderierende Element der Sozialausschüsse wurde dabei immer weniger gebraucht. Der Aufbau nach unterschiedlichen sozioökonomischen Gruppen trat gegenüber einer föderal gegliederten Gesamtorganisation in den Hintergrund. Nicht die schichtübergreifende Austarierung divergierender Interessen wurde zum Leitmotiv der Volkspartei, sondern der Einsatz für mehr Wirtschaftswachstum und der Auftrag, Anwalt für die tatsächlich – und oftmals nicht organisierten – sozial Schwachen zu sein. Diesem innerparteilich geschlossenen Politikansatz entsprach auch das neue innerparteiliche Leben. Da die Union nicht mehr das Aushandeln unterschiedlicher ökonomischer Interessen in den Mittelpunkt ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik stellte, konnte sie auch ihren Willensbildungsprozess nach dem Mehrheitsprinzip organisieren. Die sinkende Relevanz des Themas Mitbestimmung, die marktwirtschaftliche Ausrichtung in der Wirtschaftspolitik und der neue innerparteiliche Willensbildungsprozess gingen somit Hand in Hand. Die größte Veränderung durchlief die CDU organisatorisch. Hier erfolgte im Sinne von PETER HALL ein Wandel zweiter Ordnung. Zwar wurde der prinzipielle Anspruch – Volkspartei zu sein – nicht angegriffen, aber der innerparteiliche Willensbildungsprozess hatte sich strukturell erheblich gewandelt. Programmtisch behielt die CDU ihren marktwirtschaftlichen Kurs bei, obwohl innerparteiliche Kräfte stärker gesellschaftspolitische Einsprengsel berücksichtigt sehen wollten. Die generelle Akzeptanz der Mitbestimmung wurde jedoch aufgrund des christlichen Werteverständnisses und des Anspruchs, eine schichtübergreifende Politik zu verfolgen, akzeptiert
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung als pragmatische Regierungspartei der Mitte
7.1 Einleitung Während im Verlauf der siebziger Jahre die Mitbestimmungsfrage in der Union heiß diskutiert wurde, entstand ein Anliegen in der Wählerschaft, das immer mehr Menschen in seinen Bann zog: den Schutz der Umwelt.674 Obwohl eigentlich ein wertkonservatives Thema, nahm sich die CDU dessen in den siebziger Jahren, als es zunehmend in der Wählerschaft an Attraktivität gewann, nicht konsequent an. Die CDU-Wirtschaftspolitik war auf die Anliegen des Mittelstandes, auf eine solide Finanzpolitik und auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gerichtet.675 Eine politische Folge war nicht nur ein gewisser programmatischer „Nachholbedarf“ in der Umweltpolitik, sondern – vor allem langfristig nachwirkend – auch der Verlust über die Deutungshoheit in diesem Politikfeld.676 Erst zu Beginn der achtziger Jahre versuchten die deutschen Christdemokraten Antworten auf die umweltpolitischen Fragen zu finden und sie in ihre programmatische Grundlinie einzubetten. Dieser Prozess zog sich über das gesamte Jahrzehnt hinweg und wurde – programmatisch – erst auf dem Bremer Parteitag im Jahr 1989 vollständig gelöst. Anhand dieses neuen Themas lassen sich nicht nur das innerparteiliche Leben in der ersten Phase der Kanzlerschaft Helmut Kohls gut erkennen, sondern auch die neuen Rahmenbedingungen auf dem politischen Markt sowie das programmatische Selbstverständnis der Partei deutlich aufzeigen. Nicht nur durch den Einzug der Grünen in den Deutschen Bundestag im Jahr 1983, sondern auch durch die stetig wachsende Bedeutung des Umweltthemas in der Wählerschaft, 677 musste sich die CDU verstärkt um dieses Thema kümmern und eigene Positionen finden. An dem Verhältnis zwischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen und Umweltschutz kann der Spannungsbogen zwischen dem Wertverständnis des politischen Leitbildes aufgezeigt werden. So war das politische Leitbild für die Belange des Umweltschutzes im Prinzip offen, innerparteilich waren wirtschaftliche Belange – insbesondere des Mittelstandes – von großer Bedeutung und aufgrund des politischen Marktes musste sich die CDU mit diesem neuen Thema auseinandersetzen und durfte gleichzeitig nicht die Wirtschaftskompetenz der CDU verspielen. In dieser Frage lässt sich deswegen nicht nur die Relevanz des politischen Marktes für die Programmformulierung belegen, sondern auch die innerparteiliche Struktu-
674 Für dieses Kapitel ist die Arbeit von Jürgen Gros (vgl. Gros 1998) von großem Interesse. Auch bietet die Überblicksdarstellung von Frank Bösch über die Geschichte der CDU (vgl. Bösch 2002) aufschlussreiche Einblicke in die Parteiereignisse der 1980er Jahre 675 Vgl. Interview mit Wolfgang Schäuble 676 So wurde zum Beispiel der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Lakmustest für eine umweltpolitisch gute Einstellung, da das ökologische Thema neuen sozialen Bewegungen überlassen wurde. 677 Küchler 1990: 419ff
184
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
rierung des Willensbildungsprozesses erkennen. Zudem gibt das Thema einen guten Einblick über die Bedeutung des politischen Leitbildes. In den 1980er Jahren veränderten sich alle drei Bereiche des politischen Lebens für die CDU: Im politischen Markt wurde aufgrund der Koalitionsbildung mit der FDP die Oppositionsrolle überwunden und die CDU etablierte sich in der Kombination mit den Liberalen zur strukturellen Mehrheitspartei auf dem politischen Markt. Innerparteilich wurde zwar die in den siebziger Jahren neu entstandene Mitgliederpartei nicht abgeschafft, aber die Partei insbesondere in ihrer Programmarbeit durch das Kanzleramt stark beeinflusst, bzw. der Willensbildungsprozess durch die Regierungszentrale koordiniert. Die Wertegrundlage veränderte sich nicht entscheidend. Das christliche Menschenbild bildete weiterhin den Werterahmen und auf dieses wurde in den programmatischen Schriften der Partei auch stets explizit und an prominenter Stelle hingewiesen.678 Das christliche Grundverständnis wurde jedoch – wie in den siebziger Jahren – stärker theoretisch aufbereitet. In den achtziger Jahren erlebte der politische Markt zwei zentrale Veränderungen: Zum einen etablierten sich die Grünen als neue Partei im politischen System der Bundesrepublik, zum anderen drängten rechtsextreme Parteien auf den politischen Markt.679 Das Entstehen der Grünen zeigte, dass die etablierten Parteien nicht im Stande gewesen waren, das Konfliktthema Ökologie erfolgreich aufzunehmen. Dieses postmaterialistische Thema wurde zwar von SPD und Union in den siebziger Jahren durchaus erkannt, die beiden Parteien behandelten es aber nur am Rande. In der Union blieben mittelständische Wirtschaftsthemen prägend und innerparteilich wurde die Union über die Deutschlandfrage und die neue Ostpolitik zusätzlich mobilisiert. Die Parteibildung der Grünen – die vorrangig im „linken“ Lager wilderten und vor allem den Sozialdemokraten bei der Nachwuchsrekrutierung zunehmend das Wasser abgruben680 – wurde seitens der Unionsführung zunächst eher mit Schadenfreude goutiert.681 Jedoch war dieses Thema, das in der Diskussion nicht nur am Umweltschutz festgemacht wurde, sondern vor allem auch das Verhältnis zwischen einer modernen Wirtschaftswelt und den Belangen der Umwelt verband, eng mit christdemokratischen Werten verknüpft. Denn dieses Thema war per se kein „linkes“. Vielmehr beinhaltete es zahlreiche Anlehnungen an das traditionelle christdemokratische Werteverständnis, wie beispielsweise den Schutz der Heimat oder auch den christlichen Anspruch nach der Erhaltung der Schöpfung. Christliches Denken und Konservatismus boten inhaltlich eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für ein an der Natur und den natürlichen Gesetzmäßigkeiten orientiertes Denken. Dahinter stand der theologische Gegensatz zwischen dem Schöpfungshandeln Gottes und dem von der Schöpfungsordnung sich loslösenden „Machen“ des Menschen. Der Organismusgedanke wurde auf Staat und Geschichte angewendet.682 Hierbei definierte der Gegensatz zwischen einer gewachsenen, d.h. einer „natürlichen“, Ordnung und die vom Menschen geschaffenen Zustände das Spannungsfeld. Diese Auffassung lehnte auch einen unkritischen Fortschrittsgedanken nicht nur im soziokulturellen Bereich, sondern vor allem auch im wirtschaftlich-sozialen Bereich ab. 678 CDU 1984: Stuttgarter Leitsätze (1984), S. 203; CDU 1985: Essener Leitsätze, S. 229; CDU 1988: Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes, S. 249; CDU 1989: Unsere Verantwortung für die Schöpfung, S. 289f 679 Alemann 2000: 62f 680 Niclauß 2002: 47 681 Interview Wolfgang Schäuble 682 Wüst 1993: 34
7.1 Einleitung
185
Zudem entsprachen die Anliegen vieler Umweltschützer dem christdemokratischen Wirtschaftsverständnis nach Begrenzung der Wirtschaft in all den Bereichen, in dem das „Wirtschaften“ zum Schaden des Menschen gereichen würde.683 Aus diesem Grund hatten sich Christdemokraten – vor allem im Ruhrgebiet – bereits in den fünfziger Jahren für einen stärkeren Emissionsschutz eingesetzt. Analog zur katholischen Soziallehre, in dem die wirtschaftliche Freiheit bezüglich ihrer sozialen Missstände begrenzt werden sollte, entwickelte sich bei vielen Christen die Auffassung, dass der vom christlichen Anspruch vorgegebene Schutz der Umwelt auch in der christdemokratischen Programmatik eine größere Rolle spielen sollte. Gerade der in der Mitbestimmungsfrage wirtschaftsfreundliche Landesverband Hessen, mit Alfred Dregger an der Spitze, forcierte in den siebziger Jahren die Ökologie als christdemokratisches Thema.684 Trotz aller Ansätze ignorierte es die CDU jedoch als Gesamtinstitution weitgehend. So wurde es weder zu einem mobilisierenden Element für die Wählerschaft, noch wurde es von den Parteifunktionären hoch gehalten.685 Die CDU bedauerte seit Mitte der achtziger Jahre, dass sie die Bedeutung dieses Thema zu spät erkannt hatte,686 und widmete sich in den achtziger Jahren verstärkt dem Umweltschutz. Dabei versuchte sie, ihre bisherige Wirtschaftspolitik mit umweltpolitischen Anliegen zu verknüpfen. Diese Neuorientierung stellte eine Weiterentwicklung und keinen radikalen Wandel dar. Führende Unionspolitiker, wie etwa der Parteivorsitzende Helmut Kohl, hoben die stark wirkenden Traditionslinien bei dieser Neuausrichtung hervor.687
683 Vgl. Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, S. 22-24 684 Vgl. Kentmann 1985: 161-173 685 Vgl. Die Kompetenzabschätzungen im Vorfeld der Bundestagswahlen 1983 und 1987: Berger 1986: 271, Küchler 1990: 431 686 Siehe die kritischen Worte Heiner Geißlers auf dem Bremer Parteitag 1989: „… Der frühere CDUBundestagsabgeordneter Herbert Gruhl hatte im Jahr 1975 den Beststeller „Ein Planet wird geplündert“ geschrieben. Es war das erste große populäre Umweltbuch in Deutschland, von einem Mann in unseren Reihen, einem Mann, der seit 1954 CDU-Mitglied war. 1978 ist er aus der CDU ausgetreten. Wir alle … haben es zugelassen, dass er uns verlassen hat. … Er hat Ärger gemacht. … Aber morgen reden wir den ganzen Tag über ein Thema, das schon vor 15 Jahren sein Thema war. Da kann man sich die Frage stellen: Wie würden wir heute dastehen, wenn wir sensibler und rechtzeitiger reagiert, wenn wir diese Probleme früher ernst genommen hätten? Dann wären die GRÜNEN möglicherweise gar nicht entstanden oder so stark geworden. …, für den politischen Erfolg der CDU als Volkspartei ist es entscheidend, dass sie rechtzeitig bemerkt, welche politische Fragen virulent werden. Erkennt sie diese nicht oder gibt sie darauf keine überzeugende Antwort, dann machen sich diese Probleme selbständig und suchen sich politisch eine andere Trägerschaft. Die Folgen sind dann neue soziale Bewegungen oder neue Parteien. Dadurch wird Wählerbasis einer Volkspartei natürlich schmaler.“ [vgl. CDU 1989: Protokoll 37. Bundesparteitag, S. 46.] Auch im Interview bedauerte Wolfgang Schäuble, dass Herbert Gruhl nicht besser in die CDU integriert hätte werden können.] 687 So betonte der damalige Bundeskanzler auf dem Bremer Parteitag von 1989: „Die weitreichende Umstellung auf umweltfreundliche Produkte und Produktionsverfahren können wir nur bewältigen, weil wir auf die freiheitliche Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft setzen. Wir setzen auf die Kreativität und die Leistungsbereitschaft der Menschen im Lande, insbesondere auf die vielen jungen Leute mit ihrer Freude am Forschen, am Entdecken und am Gestalten. Nur eine funktionierende, eine dynamische und innovative Wirtschaft kann Zukunftsaufgaben lösen.“ [vgl. CDU 1989: Protokoll 37. Bundesparteitag, S. 31]
186
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
7.2 Die neue Lagerbildung im politischen Markt Die Bundestagswahl von 1983 bildete eine Zäsur im deutschen Parteiensystem. Der Zentrismus, der für den Parteienwettbewerb in Deutschland in den siebziger Jahren bestimmend gewesen war und der der FDP eine strategische Schlüsselstellung zuspielte, zerbrach.688 Im Parteiensystem entstanden zwei fest gefügte Blöcke – ein „bürgerlicher“ und ein „linker“.689 Diese neue Entwicklung hatte nicht nur unterschiedliche Ursachen, sondern auch weitreichende Folgen für die CDU und ihre Mitbewerber: Zum einen war dieser Wechsel durch einen Stimmungsumschwung innerhalb der FDP hin zur Union begründet. Das glänzende Wahlergebnis im Anti-Strauß-Wahlkampf von 1980 festigte nur auf den ersten Blick die sozialliberale Koalition. Durch das fulminante Wahlergebnis der Liberalen zogen unerwartet viele Neulinge ins Parlament ein, die einer Koalition mit der Union näher standen und den Koalitionspartner SPD mit wachsender Skepsis betrachteten. Aufgrund der Organisationslogik der Liberalen – die in hohem Maße ihr innerparteiliches Leben in der Bundestagsfraktion koordinierte690 – war diese Machtverschiebung innerhalb der FDP-Fraktion von grundlegender Bedeutung für die weitere strategische Ausrichtung der Liberalen. Aber nicht nur die liberale Fraktionsmehrheit drängte zurück zu einer Koalition mit der Union. Auch in den verbliebenen lokalen und regionalen liberal-bürgerlichen Restmilieus gewannen die Gegner einer weiteren Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten an Boden. Die wirtschaftliche Krise und der damals als enorm empfundene Schuldenberg reaktivierten im liberalen Bürgertum die antisozialistischen Reflexe. Die Zweifel an der wirtschaftlichen Solidität der Sozialdemokraten waren dort im Laufe der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt erheblich gewachsen. Die wirtschafts- und finanzpolitische Bilanz der sozial-liberalen Koalition war ernüchternd. Die Staatsverschuldung hatte in der Zeit der sozial-liberalen Koalition für damalige Zeiten ungeahnte Höhen erreicht. Zudem war die Investitionsquote erheblich geschrumpft.691 In der FDP mehrten sich die Stimmen, die für einen radikalen Wechsel in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik eintraten. Die Bonner Koalition unter Helmut Schmidt wurde zunehmend als handlungsunfähig angesehen. Die Mehrheit der Liberalen drängte aus der Koalition, um mit den Christdemokraten wieder bürgerlich zu wirtschaften und ihre Partei in stabile Regierungskoalitionen im Bund und in den Ländern zu bringen.692 Dies war der Humus für das LambsdorffPapier, das die inhaltliche Begründung für den Koalitionswechsel der Liberalen lieferte. Die Wende war aber nicht nur politisch von den Liberalen gewünscht, sondern wurde durch die Wähler auch im Parteiensystem bestätigt. In den achtziger Jahren gab es für die FDP auf Bundesebene nicht den geringsten Raum für eine Taktik der prinzipiellen Offenheit. Sowohl bei den Bundestagswahlen von 1983 wie auch von 1987 erlangte ein Bündnis zwischen SPD und FDP keine theoretische Mehrheit mehr im Wählermarkt.693 Der FDP blieb nur noch der Part als Korrektiv in einer festen Koalition mit der Union.694 Und dies galt nicht nur für die Bundes-, sondern eben auch für die Landesebene. Bis auf den Stadt688 689 690 691 692 693 694
Jeffrey 1999: 109 Padgett 1989: 127-130 Lösche/Walter 1996: 106 Kleinmann 1992: 364ff Lösche/Walter 1996: 106-108 Jeffrey 1999: 109 Lösche/Walter 1996: 117
7.2 Die neue Lagerbildung im politischen Markt
187
staat Hamburg fanden auch in Länderregierungen keine sozialliberalen Modelle in den achtziger Jahren seit der Bildung der Kohlregierng mehr statt. Somit war die FDP nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im gesamten föderalen Bundesstaat ein fester Bundesgenosse der Union geworden. Diese inhaltliche, strategische und wahlbedingte Ausrichtung war einer der zentralen Bausteine für die neue Blockbildung im deutschen Parteiensystem. Ein weiterer Baustein war die Festlegung der CDU auf die FDP als festen Bündnispartner. Die klare Ausrichtung zugunsten der Liberalen – die einst unter anderem von Franz-Josef Strauß bekämpft worden war – wurde nun von der gesamten Partei als erfolgreich angesehen. Diese Strategie, die Kohl bereits in den frühen siebziger Jahren angelegt hatte,695 setzte sich nun aufgrund zweier Begebenheiten zu Beginn der achtziger Jahre erfolgreich durch. Erstens waren den Konservativen innerhalb der Union durch die herbe Wahlschlappe von Franz Josef Strauß Kanzlerkandidatur deutlich geworden, dass die Idee einer vierten Partei oder auch das Erreichen einer absoluten Mehrheit theoretisch zwar verlockend klang, aber real die Union von der Macht fern hielt.696 Dies musste auch der CSU-Vorsitzende – wenn auch schweren Herzens – für die Zeit nach 1983 einräumen.697 Die Koalition wurde trotz Differenzen im Detail seitens beider Koalitionspartner nie mehr in Frage gestellt. Auch war damit die Idee einer vierten Partei endgültig vom Tisch. Die Union bildete mit der FDP nun einen festen „bürgerlichen“ Block, der sich im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik gefunden hatte und sich nun gegen eine „mehrdimensionale“, das heißt unterschiedliche Themen vereinigende Links-Rechts Achse, von den politischen Gegnern abgrenzte. Diese Blockbildung wurde seitens der SPD nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, auch wenn zahlreiche Sozialdemokraten, wie Johannes Rau, erhebliche Berührungsprobleme mit den Grünen bis zum Ende der achtziger Jahre hatten. Der dritte Baustein für die Blockbildung war die Etablierung der Grünen. Die Grünen und ihr Einzug in den Bundestag 1983 war nicht nur das parteipolitische Erbe der kurz zuvor entstandenen sozialen Bewegungen, sondern auch Ergebnis der Bündnisbildung von Umweltaktivisten. Für die CDU war in den achtziger Jahren vor allem für den politischen Markt relevant, dass die Grünen durch eine ganze Serie von Anti-Positionen bestimmt waren: Antikapitalismus, Antimarktwirtschaft, Antiparlamentarismus, Antiimperialismus, Antiamerikanismus, Antimilitarismus, Antiindustrialismus, Antipatriarchismus, Antizentralismus. Diese feindlich erfahrene Umwelt diente der neuen Bewegung als Mobilisierungselement, das durch Abgrenzung zur Identitäts- und Gemeinschaftsbildung verhalf. Das Anderssein, das gleichzeitig als Vorreiterrolle und als Avantgarde angesehen wurde, genügte zur eigenen Identität, die sich gerade gegen die etablierten Parteien – und hier insbesondere gegen die Christdemokraten richtete. Blickt man tiefer, so war die grüne Parteibildung das Ergebnis ganz unterschiedlicher Strömungen. Neben marxistischen, leninistischen, maoistischen, trotzkistischen, linkssozialistischen und anarchistischen Strömungen gab es bei den Grünen nichts, was es im vielfältigen Sammelsurium der Neuen Sozialen Bewegungen nicht gab: Das Lila der feministischen Frauenbewegung war ebenso vertreten wie die Aktivisten der Friedensbewegung oder auch wertkonservative Ökogruppen. Somit pass-
695 Vgl. vorheriges Kapitel und auch: Huneeus 1996: 432ff. Auch: Koh 2004: 279 696 Langguth 2000: 47 697 Strauß 1998: 558f
188
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
te der Regenbogen als Parteilogo viel besser zu den Grünen als die Einfarbigkeit der gelben Sonnenblumenblätter.698 Aufgrund ihres Ursprungs aus den Neuen Sozialen Bewegungen unterschieden sich die Grünen in zwei Punkten erheblich von der Christdemokratie, die aus christlichen und bürgerlichen Milieus entstanden war. Zum einen waren die Neuen Sozialen Bewegungen viel zu verschieden, als dass sie sich mehr als zu reinen Zweckbündnissen hätten zusammenschließen können. Die großen Turbulenzen auf den Parteitagen und auch die heftigen Austrittswellen in den achtziger Jahren, bei denen sehr viele Wertkonservative die Grünen wieder verließen, verdeutlichte dies eindrucksvoll. Auch die herrschende starke Flügelbildung der Grünen zeigte diesen Bündnischarakter. Aus diesem Grund konnte sich die Partei leicht einigen, wogegen man war. Aber es bildete sich kaum heraus, wofür man über den Tag hinaus eintrat. Häufig war gerade die Union der Hauptfeind der Grünenaktivisten. Somit wurden die Grünen nicht nur zum Bürgerschreck und zum Mobilisierungselement der Unionsanhänger.699 Auch die Lagerbildung im Parteiensystem wurde dadurch verfestigt, da für sie nur die Sozialdemokraten als Bündnispartner – wenn überhaupt – in Frage kamen. In ihrer Zusammensetzung waren sie klar im linken Lager verortet und eine starke Antipode zur Union als der Partei des bundesrepublikanischen Systems. 700 Der vierte und entscheidende Baustein für die Lagerbildung lag bei den Sozialdemokraten. Mit der Ablösung der Regierung Schmidt unternahmen die Sozialdemokraten einen Linksruck, der sich im Irseer Programmentwurf von 1986 und im Berliner Grundsatzprogramm von 1989 manifestierte und ein verheerendes Presseecho für die Erfolgschancen der SPD auf dem politischen Markt auslöste.701 Mit „Irsee“ meldeten die Sozialdemokraten in Abkehr zu ihrem bis dahin gültigen Bad Godesberger Programm tiefgehende Zweifel am vorherrschenden Politikverständnis an.702 Ihr Fortschrittsoptimismus wandelte sich ins Gegenteil. Sie lehnten das herkömmliche Wachstumsdenken ab und plädierten stattdessen für eine Ökologisierung von Produktion und Konsum. Weiter traten sie für eine auch ethisch begründete Kontrolle der Technik und der Produktionsentfaltung im Ganzen ein. Schließlich hielten noch feministische Vorstellungen Einzug in das Programm, da die Sozialdemokraten jetzt „männliche Denkmustern“ eine Absage erteilten und Fähigkeiten reklamierten, die „lange als weiblich galten“.703 Trotz ihrer Wahlschlappe bei den Bundestagwahlen von 1987, bei der die Sozialdemokraten insbesondere bei den modernen Arbeitnehmerschichten in den prosperierenden Regionen verloren, kam die SPD nicht aus ihrem Ghetto des sozialpolitischen Interessenverbandes der Arbeitnehmer in strukturschwachen Gebieten heraus.704 Auch im Berliner Programm von 1989 fanden sich viele Elemente einer linkssozialdemokratischen Konzepti-
698 699 700 701
Klein/Falter 2003: 53 Raschke 1993: 39ff Klein/Falter 2003: 53 Süskind, Martin E.: Unterwegs mit unbekanntem Ziel, in SZ vom 20.12.1988; Schmidt, Klaus-Peter: Die Schlacht von gestern, in Die Zeit vom 20.1.1989; Spiegel vom 16.1.1989; Lölhoffel, Helmut: Zehn „Botschaften“ in einem Programm, in FR vom 14.1.1989. 702 Winter, Martin: SPD nimmt Abschied von Godesberg, in FR vom 24.6.1986 703 Meyer 1989: 210ff 704 Lösche/Walter 1992: 127f
7.2 Die neue Lagerbildung im politischen Markt
189
on wieder.705 Die Verkürzung der Arbeitszeit, die Erweiterung der Mitbestimmung und die Ausrichtung der deutschen Wirtschaft nach ökologischen Maßstäben waren Grundpfeiler dieser Programmatik. Die SPD verabschiedete sich zwar nicht von der Marktwirtschaft, aber sie wurde durch zahlreiche sozialstaatlich-interventionistische Auflagen und Einschränkungen bereichert und damit ad absurdum geführt.706 Im Rückblick auf diese programmatischen Veränderungen war die Umdeutung des Arbeitsbegriffs am auffälligsten. Jedes soziale und kulturelle Engagement wurde mit der Erwerbsarbeit gleichgesetzt.707 Unter der Federführung von Oskar Lafontaine öffnete sich die SPD zunehmend neuer Ideen, die eine Abkehr von der traditionellen Arbeitsgesellschaft propagierte und die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik einen Linksruck versetzte. So forderte sie beispielsweise ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen.708 Dieser Linksruck der SPD festigte nicht nur die Blockbildung im deutschen Parteiensystem, sondern versetzte sie in eine Minderheitenposition im politischen Markt. Trotz der Schwäche des politischen Gegners und beeindruckender wirtschaftspolitischer Leistungen der Kohlregierung blieb der Wahlerfolg der CDU jedoch bescheiden. Die Wahlen von 1987 waren für die Union eine herbe Enttäuschung.709 Sie erreichte – mit Ausnahme von 1949 – ihr schlechtestes Ergebnis. Sie stieß auf ein Problem, das beide großen Volksparteien in Deutschland in den achtziger Jahren durchlebten: Ihre Integrationsfähigkeit sank.710 Die Nutznießer dieser Integrationsprobleme der beiden Volksparteien waren die kleineren Parteien der jeweiligen Blöcke, deren Gesamtstärke zueinander sich aber dadurch nicht wesentlich änderte. Zwischen 1985 und 1987 legten beide Parteien gerade in den urbanen, modernen, durch hohes wirtschaftliches Wachstum geprägten Regionen zu, während die Volksparteien dort im Stimmnanteil zurückgingen.711 Ein wesentlicher Grund dafür war, dass die sozial-kulturellen Bindungskräfte der beiden großen Parteien in einer individualisierten und zunehmend fragmentierten Gesellschaft nicht ausreichten. Sie mussten auf die neuen Themen eigene programmatische Positionen entwickeln und ein eigenes Profil erarbeiten. Sozio-ökonomische Erfolge bildeten nicht mehr – das zeigten die Wahlergebnisse der Union nicht zuletzt in den Ländern – die Basis für den Erfolg im politischen Markt. Auch rechtsradikale Parteien, vor allem die Republikaner, erzielten Erfolge. Dies galt besonders für die Berliner Bürgerschaftswahlen und für die Europawahlen im Jahr 1989. Die mangelnde Integrationsfähigkeit resultierte neben einer zunehmenden Wählervolatilität vor allem aus der Fixierung der Union auf die Wirtschaftsthemen in den achtziger Jahren. Sozio-kulturelle Themen spielten für die Christdemokraten keine erkennbare Rolle mehr. Die deutsche Einheit jedoch überlagerte schließlich das neue Aufkommen von rechtsradikalen Parteien, auch wenn sie bei einzelnen Landtagswahlen noch erfolgreich Stimmen fangen sollten. Für die Union wirkten diese Einzelfälle aber nicht als strukturelle Gefahr, weil spätestens seit der deutschen Wiedervereinigung das Protestpotenzial sich nicht verfestigen konnte. So war bis zur Wiedervereinigung der politische Markt zwischen den beiden Blöcken aufgeteilt, in dem allerdings der „bürgerliche“ die strukturelle Mehrheit besaß. 705 706 707 708 709 710 711
Krämer 1999: 146 Lösche/Franz 1992: 130 Vgl. SPD (1989): Berliner Programm. SPD (1989): Berliner Programm Strauß 1998: 475f Wiesendahl 1990: 9 Lösche/Walter 1996: 119
190
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
7.3 Innerparteiliches Leben Das innerparteiliche Leben in den 1980er Jahren hob sich durch zwei Charakteristiken klar von der Adenauerzeit ab. Zum einen war die Partei institutionell stark gefestigt und führte als Gesamtorganisation ein institutionelles Eigenleben. Zum anderen wurde diese Partei nur bedingt vom Kanzler beeinflusst. Dies galt – wie sich noch zeigen wird – sowohl bei programmatischen Aussagen, wie auch bei der Personalrekrutierung. Allerdings auch bei diesen war häufig der Parteivorsitzende und Bundeskanzler eher oberster Moderator denn der alles bestimmend Handelnde. Die Organisationsstrukturen, die sich in den Oppositionsjahren herausgebildet hatten, blieben bestehen.712 Das bedeutete zum einen für den programmatischen Willensbildungsprozess, dass die Parteigliederung zumindest formal eine starke Stellung beim Politikformulierungsprozess einnehmen konnten, und zum anderen, dass der Personalrekrutierungsprozess – insbesondere die Wahl auf unteren Ebenen und die Kandidatenaufstellung für den Bundestag – dezentral vor Ort erfolgte. Auch wurde durch die zunehmende Politikverflechtung und den bundespolitischen Anspruch der führenden Landespolitiker – insbesondere der Ministerpräsidenten – der föderale Charakter der Bundespartei verstärkt. Die CDU wurde während der Kanzlerschaft in der politikwissenschaftlichen Literatur überwiegend unter dem Aspekt des „Systems Kohl“ beleuchtet.713 Manche Autoren gingen sogar soweit, in Anlehnung an die Zeit unter dem Parteivorsitzenden Konrad Adenauer, von einem „Kanzlerwahlverein“ bzw. einer „Kanzlerpartei“ zu sprechen.714 Dieser Trend Richtung Kanzleramt zeichnete sich aber in erster Linie im Politikformulierungsprozess der Unionspartei ab. Dieser wanderte von der Bundesgeschäftsstelle bzw. der Bundestagsfraktion hin zum Kanzleramt ab. Führt man sich aber den Begriff „Kanzlerwahlverein“ bzw. „Kanzlerpartei“ in seinen unterschiedlichen Kennzeichen vor Augen, zeigt sich, dass diese Klassifizierung für das innerparteiliche Leben der CDU in den achtziger Jahren irreführend ist. Politikwissenschaftlich lässt sich ein „Kanzlerwahlverein“ anhand von vier Eigenschaften klassifizieren: 1.
2. 3.
Indem das Amt des Kanzlers wie das des Bundesvorsitzenden in einer Person vereinigt werden, gewinnt der Kanzler, soweit er die Partei hinter sich bringt, das entscheidende Machtgewicht, um seine Richtlinienkompetenz sowohl innerhalb der Exekutive wie auch in der Bundestagsmehrheit durchzusetzen – auch gegenüber dem Koalitionspartner. Gleichzeitig vermag er aufgrund von Wahl- und Regierungserfolgen die Partei zu lenken, sie hinter sich zu bringen und sie zu beherrschen. Die Partei verliert an Gewicht und Macht und ist fast ausschließlich auf Wahlen, Wahlkampf und Wahlerfolge abgestellt. Die Zielvorgabe lautet schlicht: (Wieder)Wahl des Kanzlers. Die einfache, wenig ausdifferenzierte Parteistruktur erlaubt ein leichtes Parteimanagement von oben nach unten, d.h. aus dem Kanzleramt und über den Regierungsapparat als Ersatz für einen Parteiapparat.
712 Lange 1995: 489 713 Vgl. Bickerich 1995, Clemens 1998, Clough 1998, Kaltefleiter 1996, Korte 1998b, Schmidtke 2001 714 Vgl. Bösch 2002: 129 + 134, Haungs 1992b: 573ff
7.3 Innerparteiliches Leben 4.
191
Zunehmend rückt die Parteiidentifikation bei Wahlen als bestimmender Faktor in den Hintergrund zugunsten der Frage nach der Attraktivität bzw. den Führungsqualitäten des Kandidaten.715
Nach diesen Kriterien müsste der Kanzler demnach auf eine homogene, von wechselnden Mehrheiten wenig geplagte Partei zurückgreifen können.716 In der Realität besaß Helmut Kohl – dies zeigte sich gerade auch vor dem Bremer Parteitag 1989 – zwar ein hervorragendes Netzwerk in der Partei. Das brauchte er aber auch, denn er war in einem hohen Maße verwundbar gegenüber der Partei. Er verfügte keinesfalls über jene quasi uneingeschränkte Führungsrolle innerhalb der Partei wie der britische Premierminister, sondern musste sich seine Mehrheiten – wie bei der Novellierung des § 116 AFG717 – in einem schwierigen innerparteilichen Willensbildungsprozess sichern. Helmut Kohl hatte somit nicht nur in der Oppositionszeit, sondern auch in seiner Amtszeit als Kanzler die parteiinternen Entscheidungs-, Informations- und Koordinationsmuster zu berücksichtigen.718 Dieses institutionelle Selbstbewusstsein der Partei war auch nicht verwunderlich. 1983 war die Mitgliederbasis zweieinhalb Mal so groß wie zu Zeiten der Kanzlerschaft Kurt Kiesingers.719 Als Folge wurde nach dem Beginn der christlich-liberalen Koalition die Partei nicht zum verlängerten Arm der Regierung, sondern besaß ihr eigenes Binnenleben. „Die“ Partei als monolithisches Gebilde gab es bei den unterschiedlichen Beziehungen, Abhängigkeiten und Einflussmöglichkeiten nicht. Sie bestand vielmehr aus einem horizontalen wie auch föderalen Geflecht, das der Kanzler berücksichtigen musste und auf das er bei der Durchsetzung seiner Sach- wie Personalpolitik angewiesen war. Zum einen gab es die Parteizentrale, die sich als Ideengeber für eine „moderne Christdemokratie“ ansah. Sie fungierte auch in der Regierungszeit selbstbewusst unter der Führung von Heiner Geißler als reformorientierter Ideenpool der CDU.720 Beispielsweise wurde dafür die politische Planungsgruppe dem Generalsekretär direkt zugeordnet und zu seiner persönlichen Denkfabrik umfunktioniert. Mit ihrem Leiter Wulf Schönbohm war ein prononcierter Reformer innerhalb der CDU einer der engsten Mitarbeiter Heiner Geißlers. Diese personelle und strukturelle Maßnahme war ein bewusstes Signal zugunsten des von Heiner Geißler propagierten Modells, die Eigenständigkeit der Parteiorganisation auch gegenüber der von ihr geführten Bundesregierung zu unterstreichen. 721 Jedoch entsprach die Bundesgeschäftsstelle nun mehr einer Ideenbörse als einem Sprachrohr des innerparteilichen Willensbildungsprozesses. Dieser Willensbildungsprozess erfolgte vornehmlich über den Bundesvorstand und informelle Absprachen – nicht zuletzt auch über die Koalitionsrunden. Zudem wurden diese durch ein personelles Geflecht unterschiedlicher Ämter ergänzt. So war zum Beispiel Lothar Späth nicht nur Mitglied im Bundesvorstand und im Präsidium, sondern gleichzeitig auch CDU-Landesvorsitzender und als Ministerpräsident Mitglied im Bundesrat. Seine Mitwirkungsrechte und -möglichkeiten bzw. die seines Landesverbandes bezogen sich also nicht nur auf die klassischen Parteigremien und waren auch 715 716 717 718 719 720 721
Fröhlich 2001: 79 Ebd Winter 1989: 46ff Fröhlich 2001: 81 Wiesendahl 1990: 6 Vgl. Lange 1994: 274 Vgl. Ebd
192
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
nicht auf die Organisation des Willensbildungsprozesses durch die Partei angewiesen. Gerade im personellen Bereich waren die Einflussfaktoren – zumal in einer föderalen Partei mit zusätzlichen selbstbewussten Kreisverbänden – des Kanzleramtes gering. Die Partei behielt folglich auch weiterhin ihre organisatorische Qualität als föderale Mitgliederpartei. Dies zeichnete sich durch drei Charakteristiken aus:
Sie besaß erstens eine eigene institutionelle Identität. Sie verstand sich nicht mehr als verlängerter Arm eines oder mehrerer Milieus, sondern als identitätsstiftende politische Organisation. Es gab zweitens weiterhin eine breite Mitgliedschaft, die nicht nur die Außendarstellung der Partei mitprägte, sondern auch als innerparteilicher Machtfaktor bei politischen Entscheidungen mitberücksichtigt werden musste. Drittens verschob sich zwar mit der Regierungsbeteiligung das Machtgeflecht zwischen Landes- und Bundesebene zugunsten Bonns. Der föderale Charakter blieb aber bestehen. Die Landesverbände bildeten einen entscheidenden Machtfaktor.
Das institutionelle Gewicht und die Eigenständigkeit der Partei, die weit mehr war als ein loser Wahlverein, zeigte sich gerade bei der Übernahme der Kanzlerschaft: Zum einen lag sie in der Herausbildung des modernen Parteienstaates mit der Professionalisierung der politischen Klassen. Der Kanzler wurde nun mehr nach der politischen Macht als Parteiführer als nach der repräsentativen Darstellung seines Amtes gemessen.722 Diese Entwicklung hatte Kohl nicht geschaffen, aber er nutzte sie geschickt und zielsicher aus. Das Zentrum der Macht war bei der Partei und nicht in der Fraktion oder dem Kabinett angesiedelt. In den Koalitionsrunden und nicht in den Kabinettssitzungen wurden die wichtigen Entscheidungen abgestimmt und getroffen. Im Gegensatz zur Adenauerzeit waren die Fraktionssitzungen nicht mehr der entscheidende Ort, divergierende Interessen der unterschiedlichen Parteiströmungen zusammenzuführen. Vielmehr war die Fraktion nur noch eine, wenn auch nicht ganz unwichtige, Größe. Allerdings wurde dieser Einfluss durch die Fraktionsführung bzw. in Sachfragen durch ihre Sprecher vertreten. Hier fand also eine Verschiebung in der innerparteilichen Willensbildung statt, indem die Fraktion nicht mehr die zentrale Funktion des innerparteilichen Lebens, sondern nur noch als ein Akteur in diesem fungierte. Zum anderen blieb die Partei aufgrund ihrer institutionellen Beharrungskräfte ein starker Machtfaktor. Die Rekrutierung und der Aufstieg des politischen Personals erfolgten weiterhin über das Delegiertensystem. Wie in den siebziger Jahren bildete nicht das Ansehen lokaler Honoratioren, sondern die so genannte „Ochsentour“ die entscheidende Größe des Auswahlprozesses der mittleren Parteiführung. Dies galt aber nicht nur für den Parteinachwuchs, sondern war nun in den achtziger Jahren zur innerparteilichen Selbstverständlichkeit geworden.723 In der Kanzlerschaft Kohl verlor die Partei daher als Gesamtinstitution nicht an politischen Einfluss und Macht, aber ihre Bedeutung verschob sich deutlich von der Programm- zur Personalauswahl. Von der Parteiführung eingesetzte Quereinsteiger wurden seltener, insbesondere solche Personen, die neue Strömungen in der Wählerschaft repräsentierten sollten und mit deren Hilfe die Christdemokraten neue gewinnen wollten.
722 Altmann 1970: 43ff 723 Gauland 1994: 50
7.4 Programmformulierung
193
Dies war nicht nur ein Unterschied zu den Gründungszeiten der CDU, als protestantische Honoratioren bewusst geworben, bzw. in der Parteikarriere gefördert wurden, und auch im Vergleich zu den siebziger Jahren, als die Parteiführung prominente Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und gesellschaftspolitischen Vorfeld anzog. Entscheidender wurde nun, bestimmte Kreis-, Landes-, und Bezirksverbände hinter sich zu bringen. Wie das Beispiel der Besetzung des Umweltministeriums in diesem Kapitel noch zeigen wird, galt die Verankerung in der Partei durch eine herausgehobene Position als das entscheidende Kriterium der Personalrekrutierung und nicht Sachkompetenz oder Repräsentanz einer bestimmten Wählergruppe. Zunehmend wurde der innerparteiliche Abstimmungsprozess informeller und selektiver. Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende bestimmte die Tagesordnung und den Rahmen, in dem sich die Auseinandersetzung abzuspielen hatte. Die Union war somit keine Partei, die vom Vorsitzenden programmatisch dominiert wurde, sondern eine Partei, die der Vorsitzende geschickt nutzte. Sie rückte somit faktisch ins Zentrum der Macht, auch wenn sie ihre Machtressource nicht aus einem institutionalisierten Machtbereich zog.724 Dieser informelle Willensbildungsstil zeigte sich nicht zuletzt im Führungsstil von Helmut Kohl. Er war weniger von einer gezielten Umsetzung klarer politischer Vorgaben, sondern durch einen mühsamen Aushandlungsprozess geprägt. Der Kanzler und Parteivorsitzende musste nicht nur die beiden Koalitionspartner und die unterschiedlichen Ressortinteressen zusammenführen, sondern vor allem auch die Parteigefolgsleute hinter sich bringen. Dabei versuchte er nicht den Fehler seines Vorgängers Ludwig Erhard zu wiederholen, dessen Schwäche als Kanzler darin lag, die Partei nicht in Griff bekommen zu haben. Zahlreiche innerparteiliche Kräfte divergierten Auseinander und untergruben die Autorität und die Handlungsfähigkeit des Parteivorsitzenden und damit des Bundeskanzlers.725 Helmut Kohls Politikmanagement entsprach daher auch nicht einer hierarchischen Umsetzung eines Generalstabsplans, sondern war geprägt von der Moderation der unterschiedlichen Kräfte innerhalb seiner Koalition und speziell in seiner Partei. 7.4 Programmformulierung Wie im vorhergehenden Kapitel zum innerparteilichen Leben beschrieben, lagen zentrale Veränderungen der CDU der achtziger Jahre bei der Programmformulierung. Diese zeigten sich wiederum in erster Linie nicht bei den zentralen Inhalten, sondern bei der Art und Weise der Organisation des Willensbildungsprozesses. Die achtziger Jahre bildeten hier einen klaren Wechsel zu dem vorausgegangenen Jahrzehnt. Während die Organisationsbeschaffenheit der Mitgliederpartei der siebziger Jahre auch bis in das neue Jahrtausend unter der Parteiführung von Angela Merkel beibehalten wurde, so brachte doch die Veränderungen des Willensbildungsprozess in den achtziger Jahren einen deutlichen Einschnitt: Die Parteiorganisation als ganzes bestimmte nicht mehr den Programmformulierungsprozess. Vielmehr erfolgte er seitens der politischen Elite und wurde von der Partei hingenommen bzw. nachträglich von ihr zur offiziellen Parteipolitik erhoben. Diese Entwicklung lässt sich 724 Bösch 2002: 46 725 Vgl. Winkler 2002: 232
194
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
anhand von vier Punkten im Bereich der Umweltprogrammatik sehr gut zeigen. Zum einen anhand der Strukturierung des Willensbildungsprozesses, der sich nicht nur deutlich von dem an den Parteitagen orientierten der siebziger Jahre erheblich unterschied, sondern eben auch von der Entscheidungsfindung der Adenauerzeit. Weder die Parteitage noch die Fraktionssitzungen bildeten mehr das entscheidende Element der innerparteilichen Willensbildung. Zum zweiten wurde dadurch das programmatische Profil der Partei nicht wesentlich umgeworfen. Die Kontinuität des wirtschaftspolitischen Grundverständnisses der Christdemokratie war in den achtziger Jahren sichtbar. Ein radikaler Wandel der christdemokratischen Wirtschaftspolitik fand in dieser Zeit nicht statt. Und zwar nicht nur im Vergleich zu den Reformen der Ära Margaret Thatcher, sondern auch zur verfolgten Programmatik der 1960er und 1970er Jahre der Union.726 So bildeten die Stuttgarter Leitsätze aus dem Jahr 1984 keine programmatische Zäsur,727 sondern eine programmatische Weiterentwicklung, bei der die Kontinuität des wirtschaftspolitischen Grundverständnisses im Vordergrund stand und dieses auf neue wirtschaftspolitische Herausforderungen – insbesondere bei den Problemen der steigenden Massenarbeitslosigkeit und der zunehmenden Umweltverschmutzung – übersetzt wurde. 7.4.1 Der programmatische Willensbildungsprozess in der Union Der Wandel des programmatischen Willensbildungsprozesses lässt sich im Umgang mit dem „neuen“ Thema Umweltpolitik gut erkennen. Bei der Behandlung dieses Themas – das zeigen die einzelnen beschriebenen politischen Maßnahmen im folgenden Abschnitt – standen nicht mehr die Debatten im Parteitagsplenum oder etwa ein Aushandlungsprozess innerhalb der Fraktion im Vordergrund, sondern ein informeller Aushandlungsprozess der vom Bundeskanzler und Parteivorsitzenden moderiert wurde und dessen Personalunion dabei eine zentrale Bedeutung zukam. Beide Funktionen gaben ihm die Möglichkeit sowohl in den Parteigremien als auch in den Regierungs- und Parlamentsinstitutionen den Aushandlungsprozess beispielsweise durch informelle Aushandlungs- und Entscheidungsfindungen zu gestalten und zu kontrollieren. Bei diesem Willensbildungsprozess zeigte sich aber auch, dass dieser von einer programmatisch eifrigen, debattierfreudigen Mitgliederpartei ebenso weit entfernt war wie von einem inhaltsleeren und allein kampagnenorientierten Wahlverein, der vom Kanzler erdrückt wurde. Auch darf bei der Programmformulierung der föderale Aufbau der Partei nicht unterschätzt werden.728 Durch die zunehmende Politikverflechtung, die zum einen seit Ende der sechziger Jahre ein zunehmender Trend des bundesrepublikanischen Systems war, zum anderen aber auch durch die neuerliche Regierungsbeteiligung innerparteilich ein neues Gewicht erlangte, waren die föderalen Einflussfaktoren nicht nur gestärkt worden, sondern drückten sich auch auf unterschiedliche Art und Weise aus. Auf die Parteiprogrammatik, die seit 1982 gleichzeitig Regierungsprogrammatik war, konnte nicht nur durch Parteigremien, sondern auch durch staatliche Institutionen, wie zum Beispiel den Bundesrat 726 Im folgendem Abschnitt wird vor allem die konträre Auffassung zu Frank Bösch vertreten, wonach die Stuttgarter Leitsätze wesentlich marktliberaler waren als alle bisherigen Programmtext. [vgl. Bösch 2002: 46] 727 Bösch 2002: 46 728 Schmid 1990
7.4 Programmformulierung
195
seitens der Ministerpräsidenten unionsgeführter Länder, erheblicher Einfluss geltend gemacht werden. Die Veränderungen des Willensbildungsprozesses waren deswegen kein Ergebnis fehlgeschlagener Organisationsstrukturen, sondern Folgen veränderter Rahmenbedingungen, in denen die CDU sich zu Beginn der achtziger Jahre wiederfand. Zum einen war die Union wieder an die Regierung gelangt. Sie hatte mit dem Kanzleramt nicht nur ein neues Machtzentrum erhalten, sondern auch im Regierungshandeln eine neue Parteiidentifizierung bekommen. In der Öffentlichkeit wurde erstmals wieder seit dem Beginn der Großen Koalition im Jahr 1966 die Partei mit dem Regierungshandeln konkret beurteilt, da sie nun die mit Abstand größte Regierungspartei war und die überwiegende Mehrheit der Minister stellte. Mit dieser Gleichsetzung war es erstmals seit dem Beginn der Parteireform wieder notwendig, das Regierungshandeln zu beeinflussen, um gleichzeitig Einfluss auf die Parteiprogrammatik zu besitzen. Diese Parallelität bedeutete aber weniger einen vollkommenen Vorrang des Kanzleramts vor allen Parteigremien als vielmehr die verstärkte Einführung informeller Aushandlungsprozesse zugunsten klarer formalisierter Mehrheitsentscheidungen auf Parteitagen. Diese Entwicklung beruhte wiederum zum einen auf innerparteilichen Faktoren, und zum anderen auf Sachzwängen, die aus der neuen Funktion als Regierungspartei resultierten. Die Union streifte ihre Programmbegeisterung zum Leidwesen der Parteireformer um Heiner Geißler und Wulf Schönbohm in der Bundesgeschäftsstelle ab. Diese Form der Programmarbeit war nicht wesentlicher Bestandteil des innerparteilichen Lebens geworden und die Veränderung des innerparteilichen Willensbildungsprozesses führte deswegen auch auf den Parteitagen der 1980er Jahre nicht zu Konfrontationen. Die neue an der Regierungszentrale ausgerichtete Politikformulierung wurde von der Mehrheit stillschweigend gebilligt. Eine Folge war, dass der Bundeskanzler und Parteivorsitzende keine wesentliche Abstimmung zu programmatischen Fragen – anders noch als in den siebziger Jahren – verlor. Dieser Wechsel war aber weniger ein vollkommener Paradigmenwechsel, da die Programmbegeisterung der 1970er Jahre zwar auf Bundesebene vorhanden gewesen war, aber auf Landesebene diese keine Entsprechung gefunden hatte. So wurde etwa das Regierungshandeln in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder auch Schleswig-Holstein in den 1970er Jahren nicht durch wegweisende Parteitagsbeschlüsse gelenkt, sondern die jeweiligen Regierungen und Fraktionen nahmen eine bedeutende Rolle im innerparteilichen Leben ein.729 Im politischen Leitbild der CDU war dieser Willenbildungsprozess nicht eingegangen. Beide widersprachen diesem nicht und daher war diese Wende für die Partei auch leicht akzeptabel. Innerparteiliche Partizipation war in dien siebziger Jahren somit nicht zu einem Leitwert der CDU geworden. Und Regierungsbeteiligung blieb der zentrale Anspruch. Die Partei hatte sich jedoch von einem reinen Aushandlungsprozess der unterschiedlichen Schichtorganisationen gelöst. Die Christdemokraten konzentrierten sich auf das aktuelle Regierungshandeln und in diesen Fragen konnte es – das zeigte beispielsweise die Frage nach der steuerlichen Begünstigung von Katalysatorenautos – durchaus zu hitzigen Auseinandersetzungen kommen. Normativ wurden jedoch nur die übergeordneten Werterahmen und Leitbegriffe, wie Christliches Menschenbild, Soziale Marktwirtschaft oder die deutsche Einheit als Bezugsrahmen verwendet. Hier blieb das politische Leitbild im Grundsätzlichen gültig. Für tiefgreifende Debatten über programmatische Positionen gab es aber nun kein konkretes Interesse mehr. 729 Schmid 1990: 130
196
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Aber auch die neue Regierungsfunktion erschwerte eine langfristige Programmarbeit. Zum einen war eine Regierungspartei mit viel mehr Detailentscheidungen konfrontiert als eine Oppositionspartei, zum anderen waren zahlreiche Akteure von den Entscheidungen direkt betroffen und mussten daher im Vorfeld konsultiert worden. Zudem musste auf tagesaktuelle Ereignisse schnell reagiert werden und auch die Koalitionspartner mussten mit einbezogen werden. Und zwar schneller als ein innerparteilicher Willensbildungsprozess idealtypisch organisiert werden konnte. Dies zeigte insbesondere der Beschluss der Kohlregierung, ein Umweltministerium zu schaffen. Auch spielten die gesellschaftlichen Entwicklungen bei den Veränderungen des Willensbildungsprozesses eine wichtige Rolle. Die Union erreichte die Wählerschaft nur noch bedingt. Denn die Christdemokraten wurden nicht so sehr durch Regierungsmisserfolge unattraktiv, sondern vor allem, weil sie neue Themen nicht überzeugend aufgreifen und vermitteln konnten. Dies zeigte insbesondere das „neue“ Thema Umwelt. Die Union verlor trotz einer erfolgreichen Regierungsbilanz zunehmend „Marktanteile“, weil sie die Themenfindung immer schwerer parteiintern organisieren konnte. Die Parteiorganisation wurde bei der Themenaggregation und -selektion sowie bei der Programmformulierung erfolgloser. Damit erhöhte sich für die Parteiführung der Zwang, Themen profiliert auch ohne vorherigen Willensbildungsprozess anzugehen. 7.4.2 Das programmatische Profil der CDU Das programmatische Profil der CDU in den 1980er Jahren war zunächst von einer großen Kontinuität geprägt. In der Rhetorik der Programmformulierung wurde auf radikale neue Ansätze verzichtet. Vielmehr setzte sie auf eine „Wiederbelebung“ bewährter Werte und Ordnungsvorstellungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft.730 Dies galt sowohl für die wirtschaftspolitischen Vorstellungen,731 wie auch für die grundlegenden Werte der Partei.732 Diese programmatische Kontinuität griff neue Elemente auf. In Anlehnung an die 730 Explizit stellte Helmut Kohl die Aufbauleistung der unmittelbaren Nachkriegszeit bei der Betrachtung seiner geistig-moralischen Wende in den Vordergrund seiner ersten Regierungserklärung: „…, erneut bilden CDU/CSU und FDP eine Koalition der Mitte, um einen historischen Neuanfang zu setzen. Was 1949 gelang unter schweren seelischen Wunden und materiellen Lasten, das ist auch heute möglich und notwendig. Die Verbindung des sozialen, des christlichen und des liberalen Gedankens war das prägende Merkmal einer Epoche, die zu Recht als die erfolgreichste Ära der deutschen Nachkriegspolitik gilt.“ [vgl. Kohl, Helmut 1982: Regierungserklärung 1982, S. 411f] 731 Die Anknüpfung an die wirtschaftspolitische Tradition und die Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft wird in den Stuttgarter Leitsätzen überaus deutlich. So heißt es: „Die Soziale Marktwirtschaft ist ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Programm für alle, weil es Leistung mit sozialer Gerechtigkeit, Wettbewerb mit Solidarität und Eigenverantwortung mit sozialer Sicherheit in Einklang bringt. Die Soziale Marktwirtschaft hat ihr geistiges Fundament in der zum Menschenbild des Christen gehörende Idee der verantworteten Freiheit. … Als einzige Wirtschaftsordnung ist die Soziale Marktwirtschaft auch den heutigen und zukünftigen Herausforderungen unseres Landes gewachsen. … Auch in einer Zeit neuer Herausforderungen, vor denen die Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren steht, müssen persönliche Freiheit, Gleichheit der Chancen, Eigentum, Wohlstand, Arbeit und sozialer Fortschritt für alle gesichert werden. Um diese Ziele zu erreichen, müssen in Zukunft vor allem die grundlegenden ordnungspolitischen Elemente der Sozialen Marktwirtschaft wieder stärker zur Geltung kommen.“ [vgl. Stuttgarter Leitsätze, S. 203f] 732 1988 verabschiedete der 36. CDU-Bundesparteitag in Wiesbaden das Parteiprogramm „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“. In diesem Programm wurde in den einleitenden Sätzen die Kontinuität der christliche Werte für die Politik der CDU genannt: „Die Politik der CDU beruht auf dem
7.4 Programmformulierung
197
traditionellen christdemokratischen Werte – insbesondere des christlichen Menschenbildes – wurde versucht, die neu aufgetretenen oder veränderten politischen Fragestellungen zu beantworten. Dies wurde nicht nur bei der Umweltpolitik deutlich, sondern auch bei den Stuttgarter Leitsätzen oder auch dem Parteipapier „Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes“ sowie auch bei bioethischen Fragen733 oder auch der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.734 Die am häufigsten kritisierten innenpolitische Äußerung von Kohl war die von der „geistig-moralischen“ Wende. Als Oppositionsführer hatte er Schmidt vorgeworfen, dem Land keine „geistige Führung“ zu geben. Helmut Schmidt entgegnete, er betrachte sich als den ersten Angestellten der Bundesrepublik und hielte es nicht für die Aufgabe von Politikern, moralischen Einfluss auszuüben. Aber Kohl war davon überzeugt, dass die Regierung moralische Werte in der Gesellschaft verankern müsse. „Die schweren materiellen Probleme, vor denen wir stehen, sind … nur zu lösen, wenn wir uns den geistig-moralischen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Wir stecken nicht nur in einer wirtschaftlichen Krise. Es besteht auch eine tiefe Unsicherheit, gespeist aus Angst und Ratlosigkeit – Angst vor wirtschaftlichem Niedergang, Sorge um den Arbeitsplatz, Angst vor Umweltzerstörung, vor dem Rüstungswettlauf, Angst vieler junger Menschen vor ihrer Zukunft.“735 Die Hauptursache, behauptete er, läge in „einer seit über einem Jahrzehnt betriebenen Verunsicherung im Verhältnis zu unserer Geschichte, zu unseren grundlegenden ethischen Werten und sozialen Tugenden, zu Staat und Recht und letztlich auch in einer Verunsicherung in unserem nationalen Selbstverständnis.“736 Viele Werte seien im Abfalleimer der Geschichte gelandet: Religion, Autorität, Familienbildung und Respekt vor dem Alter. „Immer mehr Menschen wurden im letzten Jahrzehnt der ethischen und moralischen Orientierungspunkte für ihr Handeln beraubt. Wachsende Verunsicherung und zunehmende Orientierungslosigkeit führten zu einem weitverbreiteten Kultur- und Fortschrittspessimismus und Zukunftsangst.“737 Entgegen dem Zeitgeist – gerade auch der veröffentlichten Meinung – pries Hel-
733
734
735 736 737
christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Aus christlichem Glauben lässt sich kein bestimmtes politisches Programm ableiten. Aber er gibt uns mit seinem Verständnis vom Menschen eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik. … Die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit geben unserer Politik die Orientierung und sind Maßstäbe unseres politischen Forderungen.“ [vgl. Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, S. 249]. Vgl. hier insbesondere „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“: „Das menschliche Leben hat den höchsten Anspruch auf Schutz und Achtung seiner Würde. Ungeborenes und geborenes menschliches Leben sind gleichwertig. Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. … Menschen dürfen nicht Gegenstand von Experimenten oder Geschäften sein. Deshalb darf eine kommerzielle Verwertung — auch toter – menschlicher Embryonen nicht gestattet werden. Die derzeitige Fassung des § 219 StGB nimmt menschliche Embryonen bis zur Einnistung in die Gebärmutter von jeglichem strafrechtlichen Lebensschutz aus. Diese Regelung ist angesichts neuer medizinischer Erkenntnisse nicht mehr haltbar und bedarf der Änderung.“ [vgl. Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, S. 251f] vgl. hier die 1985 verabschiedeten Essener Leitsätze: „Das christliche Verständnis vom Menschen und die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, die nach dem Grundsatzprogramm Grundlage christlichdemokratischer Politik sind, fordern die Gleichberechtigung von Frau und Mann. … Partnerschaft bedeutet, dass Mann und Frau sich gegenseitig in ihrem Eigenwert anerkennen, füreinander verantwortlich sind und ihre Aufgaben innerhalb und außerhalb der Familie gleichberechtigt vereinbaren.“ [vgl. Leitsätze der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau, S. 229.] Zitiert nach: Clough 1998: 89 Zitiert nach: Ebd Zitiert nach: Clough 1998: 89
198
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
mut Kohl die bürgerliche Familie und die Rolle der Mütter. Er sprach von Heimat, Vaterland und Liebe zu Deutschland. Mit dieser Debatte knüpfte er an einer gesellschaftlichen Entwicklung der siebziger Jahre in Deutschland an, in der traditionelle Werte eine Renaissance erlebten. Dies hatte vor allem vier Gründe: 1. 2. 3. 4.
Die Studentenbewegung untergrub die geistig-moralischen Werte, auf die sich die Gesellschaft der Adenauerzeit stützte. Der Ruf nach einer Wiederbelebung der Werte wurde lauter. Die sozial-liberale Koalition bildete einen einigenden Gegner, insbesondere im soziokulturellen Bereich. Die programmatische Leere der ersten Oppositionszeit stärkte die konservative Ideologie. Die ökonomische Krise von 1974/75 belebte konservative Gedanken.738
Die politische Kontinuität in Wertefragen prägte auch die wirtschaftspolitische Haltung der Union als Partei Ludwig Erhards. Ihre wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung ergab sich sowohl aus den innerparteilichen Debatten zum Ludwigshafener Grundsatzprogramm, als auch aufgrund ihrer wirtschaftspolitischen Profilierung auf dem politischen Markt als Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Letzteres wurde insbesondere durch die Entwicklung der Jahre von 1978 bis 1982 geprägt. Hier war der Wahlkampf von 1980 ein entscheidender Einschnitt. Er brachte gerade dem konservativen Flügel eine herbe Niederlage. Sie stürzte die CDU in eine größere Orientierungskrise als dies später angesichts der 1982 erfolgten und unerwarteten Regierungsübernahme reflektiert wurde. Wenngleich mehr oder weniger parteioffiziell die Linie vorgegeben wurde, nun quasi an den Stand des Jahres 1978 anzuknüpfen und von diesem Punkt aus weiterzuarbeiten, lag das Problem tatsächlich tiefer. Die Kanzlerkandidatur von Strauß hatte den besagten Einschnitt im Erscheinungsbild und im Selbstverständnis der modernisierten CDU zugefügt und zugleich hatte der zugrunde liegende Konflikt die Grenzen der strategischen Parteiöffnung deutlich aufgezeigt. Anfang der 1980er Jahre war zwar nicht mit einem zweiten Kreuth zu rechnen, dennoch blieb die Frage virulent, wie dauerhaft das breite Spektrum zwischen ordnungsliberalen, christsozialen und technokratisch-konservativen Positionen über den pragmatisch-zentristischen Flügel bis hin zu den wertkonservativen und traditions- bis rechtskonservativen Positionen zu integrieren war.739 So verstand sich die CDU zwar immer noch als Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Aber die Antworten, die konkret gegeben wurden, waren doch erheblich unterschiedlich. Dies wurde schon an den unterschiedlichen verfolgten Politikkonzepten der jeweiligen CDU-geführten Landesregierungen deutlich. Im Gegensatz zum niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, der einem stärkeren ordnungspolitischen Denken anhing, forderte der baden-württembergische Regierungschef Lothar Späth für den Aufbau einer Hochtechnologiewirtschaft weitreichende staatliche Interventionen mit erheblichen Fördermaßnahmen.740
738 Grande 1987: 283f 739 Lange 1995: 486 740 Vgl. FAZ vom 25.1.84; Deutsches Allgemeine Sonntagsblatt vom 12.2.84
7.4 Programmformulierung
199
Die Wirtschaftspolitik behielt den höchsten Stellenwert aller Politikbereiche: Sie wurde zur Eingangstür für die Regierungsbeteiligung. Helmut Kohl stellte die Außen-, und das heißt vor allem die ostpolitischen Kontroversen, die das Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Opposition seit 1969 geprägt hatte, in den Hintergrund und konzentrierte die Auseinandersetzung auf wirtschafts- und finanzpolitische Themen, bei denen zunehmend deutlicher wurde, dass einerseits die Distanz zwischen CDU/CSU und FDP geringer war als die zwischen FDP und SPD, und andererseits, dass das Streben nach solider und erfolgreicher Finanz- und Wirtschaftspolitik im Wertesystem der Bevölkerung wieder an Priorität gewann. Auf diese Weise hatte er die FDP aus der Koalition mit der SPD herausgelockt.741 Denn mit dem Beginn der ökonomischen Krise Mitte der siebziger Jahre hatten sich innerhalb der Regierungskoalition aus SPD und FDP zusehends Spannungen entwickelt. Die Vorstellungen der beiden Regierungsparteien, wie denn die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern und die Arbeitslosigkeit abzubauen sei, gingen erheblich auseinander: dominierte bei Sozialdemokraten das Ziel der Vollbeschäftigung und als Mittel die keynesianische Globalsteuerung, so bevorzugten die Liberalen die Geldwertstabilität und angebotsorientierte Instrumente. Vor allem die so genannten Haushaltsoperationen, die mit Einschnitten in soziale Leistungsgesetze zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beitragen sollte, belasteten das Koalitionsklima und zusehends auch das Verhältnis zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Partei wie auch den Gewerkschaften.742 Die Koalition der Mitte versprach eine geistig-politische Erneuerung und eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, die den schnellen Aufschwung bringen sollte. Ein Dringlichkeitsprogramm zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, Verlagerungen in den öffentlichen Haushalten von konsumtiven zu zukunftsorientierten, investiven Ausgaben, steuerliche Anreize für den privaten Wohnungsbau, Ausbau des Kabelnetzes durch die Bundespost und eine rückzahlbare Investitionshilfe wurden verkündet.743 Die Folge der Wirtschaftskrise wurde von der CDU als Ergebnis der sozialliberalen Regierung und nicht in den Schwächen des Marktes gesehen.744 Trotz der generellen Bejahung marktwirtschaftlicher Elemente war die interne Struktur der Koalition komplex. Die drei Regierungsparteien repräsentierten unterschiedliche soziale Gruppen und Interessen sowie unterschiedliche ideologische Formationen. Während die FDP keine Rücksichten auf die Wählerstimmen von Arbeiter nehmen musste und eine strikte liberale Wirtschaftspolitik einforderte, waren die beiden christdemokratischen Volksparteien hierbei wesentlich zurückhaltender.745 Diese Heterogenität in der Wirtschaftspolitik wurde vornehmlich durch vier Strömungen geprägt: 1. 2.
Die Ordoliberalen, die sich für eine reine Lehre der Marktwirtschaft einsetzten. Traditionelle Konservative: Reduktion von dem öffentlichen Defizit und der Staatsquote
741 742 743 744 745
Kaltefleiter 1996: 33 Schmid 199: 21 Vgl. Regierungserklärungen des Bundeskanzlers vom 13.10.1982 und 4.5.1983 Grande 1987: 284 Ebd: 291
200 3. 4.
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung Pragmatische Flügel akzeptierten den prinzipiellen Vorrang der Marktwirtschaft und ökonomischen Effizienz. Allerdings wollten sie nicht die Prinzipien über die Notwendigkeit von Wahlgeschenken für den Erfolg auf den politischen Markt setzen. Neo-technokratische Flügel.746
Als Folge dieser Komplexität, die durch die innerparteiliche Strukturen und das bundesrepublikanische Regierungssystem im Gegensatz zu Großbritannien nur schwer übergangen werden konnte, leitete die Union in den achtziger Jahren keinen radikalen Wechsel ihrer Wirtschaftspolitik ein. Der vergleichsweise gemäßigte Umbruch hatte verschiedene Gründe. Zum einen war die CDU durch ihre katholisch-soziale Verwurzelung weiterhin eine Volkspartei, in der die soziale Absicherung einen deutlich höheren Stellenwert hatte.747 Diese eindeutige Uneindeutigkeit zeigte sich auch darin, wie Helmut Kohl die wirtschaftspolitische Debatte bestimmte. Der neue Bundeskanzler und Parteivorsitzende entschied diese inhaltliche Kontroversen nicht anhand eines klaren wirtschaftspolitischen Kurses einer bestimmten parteipolitischen Richtung, wie dies etwa Margaret Thatcher als Parteivorsitzende und Premierministerin vorexerziert hatte,748 sondern versuchte durch eine Art Moderatorenrolle, die innerparteilichen Kontroversen nicht abschließend vorzugeben, stattdessen lieber von Fall zu Fall zu entscheiden und damit insgesamt abzumildern. Als Hilfsmittel dienten ihm hier Fixpunkte, die jedoch unkonkret genug waren, um im politischen Alltagsgeschäft genügend Manövrierraum zu besitzen.749 In dieser pragmatischen Haltung war er Konrad Adenauer nicht unähnlich, auch wenn nun die Union weniger in klar ausgegrenzte sozio-ökonomische Interessensgruppen ausdifferenziert war, sondern sich vielmehr durch ihre wirtschaftspolitischen Denkschulen unterschied. Im Vordergrund der wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Helmut Kohl standen aber wie bei Adenauer nicht eine konkrete wirtschaftspolitische Ordnungsvorstellung, sondern ganz reale Machtfragen. Der Handlungsspielraum des wirtschaftspolitischen Machbaren war die entscheidende Größe.750 Helmut Kohl hatte den Weg ins Kanzleramt als Fraktionsvorsitzender systematisch aus der Opposition heraus vor allem über eine Annäherung der wirtschafts- und finanzpolitischen Positionen der Union an die der FDP geebnet.751 Er betonte zur stärkeren Profilbildung der CDU und zur Abgrenzung zu den Soziademokraten zudem „konservative Werte“ aus dem bürgerlichen Lebensumfeld für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dies war allerdings kein radikaler Kurswechsel. Die „neue“ Programmatik – wie sie nicht zuletzt in den 746 747 748 749 750
Grande 1987: 288 Bösch 2002: 46 Zolleis/ Schmid 200: 79ff Vgl. Wirtschaftswoche vom 20.1.84 So beschrieb die Wirtschaftswoche den Wirtschaftspolitikstil des Kanzlers: „… Proklamierte Harmonie und Partnerschaft, demonstrierter unerschütterlicher Optimismus und zur Schau getragene Zuversicht in die nahe und ferne Zukunft sind die Grundwerte seiner Psycho-Wirtschaftspolitik. ‚Wir brauchen mehr Miteinander und nicht mehr Gegeneinander’, ist sein immer wiederkehrendes Credo, eine ‚neue Solidarität’ müsse her. ‚Wir werden die ökonomischen Daten nur dann in Ordnung bringen’, so Kohl …, ‚wenn eben ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen den durchaus legitimen persönlichen Egoismus des einzelnen und dem Wollen und dem Willen zum Wir für das Ganze unseres Vaterlandes da ist.“ [vgl. Wirtschaftswoche vom 10.1.84] Diese Argumentationsmuster zeigt den Impetus des christdemokratischen Wirtschaftspolitik nach Partnerschaft, Harmonie und als Teil des Wirtschaftens für ein großes Ganzes mit persönlicher Freiheit, und dennoch blieben seine Ausführen zu unkonkret, um wirklich von einer wirtschaftspolitischen Neufundierung aus christdemokratischer Sicht sprechen zu können. 751 Fröhlich 2001: 86
7.4 Programmformulierung
201
Stuttgarter Leitsätzen ausdrückte – waren kein Ergebnis eines neuen, in sich geschlossenen Politikkonzept sondern eine Rückbesinnung auf die ordnungspolitischen Leitideen der Sozialen Marktwirtschaft. Die Senkung der Staatsquote und die Verringerung der Nettoneuverschuldung waren der Kern dieser Politik. Seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen waren in allen Gruppen konsensfähig, auch wenn sie – wie sich in bestimmten Sachfragen zeigen sollte – bei konkreten Punkten keine klaren Vorgaben machten. Aus diesem Grund drängten zahlreiche Mitglieder des Präsidiums auf eine wirtschaftspolitische Klärung. Ein von Ernst Albrecht verfasstes Thesenpapier war der Beginn einer breiten programmatischen Debatte, die 1984 in die Stuttgarter Leitsätze mündete. Dabei zeigte sich, dass Albrechts Thesen innerhalb der Partei nicht mehrheitsfähig waren. Der unerwartete Regierungswechsel und die nicht gelösten innerparteilichen Flügelkämpfe schufen einen erheblichen innerparteilichen Gesprächsbedarf über die wirtschaftspolitische Ausrichtung. Den ersten Stein dieser Diskussion warf der niedersächsische Ministerpräsident ins Wasser. Im August 1983 diskutierte das CDU-Präsidium seinen Entwurf.752 Albrecht warnte seine Parteifreunde, sich vorzeitig auf die Lorbeeren der Bundestagswahl von 1983 auszuruhen. Denn das hohe Ansehen der Partei Ludwig Erhards als Sachwalterin des Wohlstandes und der Solidität, das ihr zu einem eindrucksvollen Wahlsieg verholfen hätte, sei bereits angekratzt. Die mangelnde Entschlossenheit bei Subventionskürzungen, die Zuflucht zu Zwangsleihen, Steuer- und Abgabeerhöhungen und die Ankündigung neuer sozialer Wohltaten, wie etwa beim Mutterschaftsgeld, schienen den bisherigen marktwirtschaftlichen Grundsätzen zuwiderzulaufen.753 Nur wenn die Union auch weiterhin das ordnungspolitische Gewissen und damit wirtschaftspolitisch erfolgreich sei, könnte sie bei Wahlen Erfolge einfahren.754 Die CDU sah bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Schwerpunktaufgabe ihrer Wirtschaftspolitik. Die Stuttgarter Leitsätzen sahen als Lösungsweg dabei verbesserte Rahmenbedingungen für den Strukturwandel der Wirtschaft, eine engere Verbindung von Forschung und der wirtschaftlichen Anwendung moderner Technologie sowie die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.755 Helmut Kohl kanalisierte diese Debatte, indem beschlossen wurde, eine Kommission einzusetzen, die ein neues wirtschaftspolitisches Papier erarbeiten sollte. Es sollte auf dem kommenden Parteitag in Stuttgart, der im Mai 1984 stattfand, verabschiedet werden. Unter dem Vorsitz des Generalsekretärs Heiner Geißler wurden die CDU-Spitzenpolitiker Ernst Albrecht, Lothar Späth, Norbert Blüm, Gerhard Stoltenberg und Kurt Biedenkopf beauftragt, ein Gesamtkonzept für die christdemokratische Wirtschaftspolitik für die kommenden Jahre auszuarbeiten.756 Die sichtbaren Konfliktlinien bei der Erarbeitung des wirtschaftspolitischen Programms bildeten sich um zwei Diskussionspunkte, bei denen die Ordnungspolitiker um Ernst Albrecht und Gerhard Stoltenberg von zwei Seiten kritisiert wurden. Zum einen gab es Streit mit der CDA über die Zukunft der sozialen Sicherung und bei der Gestaltung des 752 753 754 755 756
HAZ vom 19.11.83 Vgl. FAZ vom 25.1.84 Vgl. Stern vom 8.12.83 Kölner Stadtanzeiger vom 25.1.84 Stern vom 8.12.83, HAZ vom 19.11.83
202
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Arbeitsmarkts. Zum anderen wurden ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Lothar Späth kritisiert. Die CDA setzte sich gegen einen möglichen Sozialabbau zur Wehr, die aus einer möglichen Senkung der Staatsquote resultieren könnte. Sie kritisierten an den Vorstellungen von Ernst Albrecht, dass weitere Einsparungen im sozialen Bereich zur Sanierung der öffentlichen Haushalte weder sozialpolitisch vernünftig, noch wirtschaftspolitisch sinnvoll seien. Die CDU-geführte Bundesregierung müsste vielmehr rasch ihre Koalitionsaussagen verwirklichen, wonach auch Steuersubventionen wie Vergünstigungen aus Abschreibungsgesellschaften und Bauherrenmodellen abgebaut werden sollten.757 Zudem propagierten die christdemokratischen Arbeitnehmer eine Verkürzung der Arbeitszeiten.758 Die CDA sollte sich schließlich auch in den Stuttgarter Leistsätzen wiederfinden, auch wenn sie ihre Forderungen nicht eins zu eins durchsetzen konnte. Hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Vorschriften wurden lediglich diejenigen Grundsätze aufgenommen, die Norbert Blüm als Arbeitsminister bereits seinen konkreten Vorschlägen für befristete Arbeitsverträge oder zum Ausbau von Teilzeitarbeitsplätzen zugrunde gelegt hatte.759 Der sozialpolitische Teil der Stuttgarter Leitsätze wurde umso konkreter, je weniger diese Bereiche die Regierungspolitik direkt betrafen. So wurde sowohl vor steigenden Lohnnebenkosten gewarnt, als auch Rahmenvereinbarungen für flexiblere Arbeitszeiten angemahnt.760 Der zweite Konflikt zwischen dem ordnungsliberalen und dem reform-technokratischen Flügel wurde im Programm nicht eindeutig gelöst war. Folglich blieb dieser wirtschaftspolitische Gegensatz innerhalb der CDU bestehen. Es war allerdings auch eine Streitfrage, die die süddeutschen von den norddeutschen Landesverbänden trennte. Die norddeutschen Verbände versuchten durch einen strikten ordnungspolitischen Kurs ihre Wirtschaft möglichst rasch in Schwung zu bringen und die in ihren Landesverbänden zum Süden vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit zu senken, während die süddeutschen – und hier insbesondere der baden-württembergische Landesverband – den Strukturwandel staatlicherseits steuern und für die Betroffenen abmildern wollten. Aus diesem Grund favorisierte besonders Lothar Späth ein staatliches Eingreifen in der Forschungs- und Technologieförderung. Insbesondere durch eine Cluster-Strategie wollte er in seinem Land den Strukturwandel nicht zuletzt politisch steuern. Sowohl in den achtziger wie auch in den neunziger Jahren entwickelte das baden-württembergische Staatsministerium eine Clusterstrategie, die zum Ziel hatte, den Strukturwandel zu steuern. Durch politische Planung sollten Zukunftsfelder aufgezeigt, diese wissenschaftlich intensiviert und die Wirtschaft schließlich staatlicherseits Anreize erhalten, gezielt in diesen zu investieren. Gerhard Stoltenberg und Ernst Albrecht sahen dagegen in dieser vehementen Technologieförderpolitik ihres baden-württembergischen Amtskollegen 757 HAZ vom 28.11.83 758 Ebd 759 Vgl. Handelsblatt vom 29.2.84. Das Handelsblatt wies auch auf die mangelnde Durchsetzung der CDUVorschläge hin: „Hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Vorschriften werden lediglich diejenigen Grundsätze aufgenommen, die Bundesarbeitsminister Norbert Blüm bereits seinen konkreten Vorschlägen für befristete Arbeitsverträge oder zum Ausbau von Teilzeitarbeitsplätzen zugrunde gelegt hat. Wenn dies, wie es in dem Programm heißt, eine der wichtigsten Aufgaben der Sozialen Marktwirtschaft in den 80er Jahren sein soll, so wird der Bundesarbeitsminister seine parteiinternen Hausaufgaben schon bald erledigt haben. Die Ausführungen zu Lebensarbeitszeit und 35-Stunden Woche treffen die Situation des Jahres 1984.“ [Handelsblatt vom 29.2.84] 760 Stuttgarter Leitsätze, S. 221
7.4 Programmformulierung
203
nicht nur einen ordnungspolitischen Sündenfall, sondern auch – analog der Steinkohle – ein neues riesiges Subventionsfass.761 In den Stuttgarter Leitsätzen fanden sich beide Positionen wieder. Sie sprachen sich sowohl für eine Rückführung zu Grundsätzen marktwirtschaftlicher Ordnung und einen umfassenden Subventionsabbau aus,762 wie sie auch neue Sonderabschreibungen bei Investitionen in Forschung und Entwicklung und die Zuschussförderung für Personal im Forschungsbereich kleinerer und mittlerer Unternehmer763 sowie eine vermehrte Bereitstellung von staatlichen Wagniskapital vorsahen.764 Das reale Regierungshandeln sollte aber unterstreichen, dass die staatlich-interventionistische Haltung häufig innerhalb der Union die Oberhand gewann.765 Insgesamt gaben die Stuttgarter Leitsätze keine klare ordnungspolitische Richtung vor. Es wurden zum einen die sozialpolitischen Forderungen der CDA berücksichtigt. Zum anderen konnte sich auch der Flügel um Lothar Späth im Programm gut wieder finden. Und schließlich erreichte auch Gerhard Stoltenberg, dass keine konkreten Finanzierungskosten für den Bundesfinanzminister in dem Papier festgeschrieben wurden.766 Dies war sicherlich ein persönlicher Erfolg des Finanzministers,767 aber auch der Logik der neuen Regierungspartei geschuldet, der Regierung keine konkreten Vorschriften zu unterbereiten. Für ordnungspolitische Gralshüter war dieses Papier jedoch ein Graus.768 Es spiegelte den Kompromiss einer Volkspartei wider, ihre unterschiedlichen programmatischen Facetten und Flügeln zu integrieren. Damit entsprang es keiner einheitlichen Denkschule, sondern war ein Potpourri unterschiedlicher Forderungen. Insgesamt wurde das Papier nicht als großer programmatischer Wurf betrachtet. Es wurde als eine nachträgliche Rechtfertigung der 761 762 763 764 765
Handelsblatt vom 30.3.84 Stuttgarter Leistsätze, S. 214. Ebd: S. 218 Ebd: S. 214 So hält das Handelsblatt fest: Die Union hält sonntags die Marktwirtschaft hoch und betreibt alltags handfeste Industriepolitik. Ein Musterbeispiel für das Handeln des Bundesforschungsministers als ‚Zukunftsdeuter’ ist das Programm zur Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen. Hier entscheiden Ministerialbürokratie oder die mit der Projektabwicklung befassten Technologieberatungsstellen über die Förderungswürdigkeit von neuen Technologien. Mit dem Vorrang der Steuerungsfunktion des Marktes hat dies alles kaum noch etwas gemein. Die Union sollte ehrlich sein. Sie betreibt im Forschungsministerium – aber auch in vielen Landesministerien – aktiv gestaltende Strukturpolitik, nicht mit der Peitsche von Verboten und Geboten, aber mit dem Zuckerbrot von direkten und indirekten Subventionen. Diese aktive Rolle des Staates im Modernisierungsprozess sollte sie beschreiben, nicht schamhaft verstecken. Politische Praxis und Programm einer Partei müssen übereinstimmen. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit.“ [vgl. Handelsblatt vom 30.3.84] 766 Welt vom 29.2.84 767 Handelsblatt vom 29.2.84 768 So lehnte beispielsweise der ordnungspolitisch ausgerichtete Kommentator der FAZ, Ernst Günter Vetter, dieses Papier entschieden ab: „… Wer angesichts der außerordentlichen strukturellen Umstellungen der Volkswirtschaft, angesichts der immer noch hohen Arbeitslosigkeit und der daraus sich ergebenden Gefahren für die wirtschaftliche Stabilität die Kräfte einer freien Wirtschaft nachhaltig wieder beleben will, muss sich auf die geistigen Grundlagen dieser Marktwirtschaft besinnen Ein wirtschaftspolitisches Grundsatzprogramm, wie es auf dem Parteitag der CDU im Mai verabschiedet werden soll, müsste daher zuerst ein Dokument dieser geistigen Erneuerung sein. Doch der bis jetzt vorliegende Entwurf sieht noch nicht nach neuer Orientierung, sondern eher nach Kompromissen aus. Das riecht nach dem gutbürgerlichen Eintopf einer Volkspartei, die jedem schmecken soll. … Vielleicht liegt die konzeptionelle Impotenz zum Teil gerade daran, dass führende Köpfe der Partei zu sehr mit dem Regieren beschäftigt sind, als dass sie noch die Kraft zu einem bedeutenden intellektuellen Wurf haben könnten.“ [vgl. FAZ vom 8.3.84]
204
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Regierungspolitik des vergangenen Jahres angesehen, bei dessen Formulierung die Zukunftsperspektive verschwommen blieb.769 Die Stuttgarter Leistsätze proklamierten erneut die christdemokratischen Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit.770 Das Eintreten für die Soziale Marktwirtschaft wurde damit begründet, dass sie genau diese Werte erfüllen würde.771 Auch wurde festgehalten, dass Marktwirtschaft kein Wert an sich sei, sondern nur, dass sie dem Menschen Möglichkeiten biete, die für seine Person elementar seien.772 Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wurden weiterhin als Einheit gedacht.773 In diesem Kontext musste auch eine christdemokratische Umweltpolitik integriert werden. 7.4.3 Die Entwicklung einer CDU-Umweltpolitik Trotz grundsätzlichen Ansichten zur „Erhaltung der Schöpfung“ war die Umweltpolitik auf christlicher Grundlage eher vage und ungenau. Die Christdemokratie konnte hier nicht, wie zum Beispiel bei der katholischen Soziallehre, auf eine dezidiert ausgearbeitete christliche Lehre aufbauen bzw. sich mit dieser auseinandersetzen. Bis auf wenige grundsätzliche Punkte ergab sich somit für die Christdemokratie ein weites Feld. Dies galt auch für die Programmatik der CDU: Wer sich in den 1980er Jahren im Parteiprogramm der CDU über umweltpolitische Grundsätze informieren wollte, musste feststellen, dass sich hier kaum Antworten auf ökologische Fragen der Zeit fanden. Der CDU fehlten klare, in einem Programm gebündelte umweltpolitische Aussagen. Erst 1988 beziehungsweise 1989 wurde diese programmatische Lücke geschlossen. Als erstes gingen die Stuttgarter Leitsätze auf das Verhältnis Soziale Marktwirtschaft und Umweltschutz ein: „Wirtschaftliches Wachstum ist jedoch kein Ziel an sich, sondern eine wesentliche Hilfe für die Lösung gegenwärtig bestehender und künftiger ökonomischer, ökologischer und sozialer Probleme. Wir dürfen Wachstum aber nicht ausschließlich nach dem Umfang der Güter und Dienstleistungen bewerten, sondern müssen auch qualitative Veränderungen berücksichtigen. Einsparungen im Energieverbrauch durch neue Techniken und die Kontrolle sowie die Verringerung von Schadstoff-Emissionen sind Beispiele solchen qualitativen Wachstums, das unsere Lebensbedingungen verbessert und Ressourcen verschont.“774 „Neue ordnungspolitische Maßnahmen müssen dafür sorgen, dass in Zukunft die umweltbelastenden Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten in die Kalkulation eingehen. Die Inanspruchnahme von Umwelt, z.B. durch Schadstoffemissionen, darf keine wirtschaftlichen Vorteile bieten. Vielmehr ist zu erreichen, dass die Vermeidung von Schadstoffemissionen zu einem Ziel jedes gewinnorientierten Unternehmens wird. … Wir befürworten den verstärkten Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente. Bei der Lösung von Umweltproblemen mit den Instrumenten 769 Vgl. Handelsblatt vom 29.2.84. Auch das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt urteilt über das Papier: „So sind … [sie] eher eine kompetente und fleißige Bestandsaufnahme denn eine große, auch Alternativen einschließende Vision für die nächsten Jahrzehnte genannt werden dürfen. Man beschränkt sich augenblicklich auf das Machbare, dem vielschichtigen Geflecht von Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, und Arbeitsmarktpolitik musste Tribut gezollt werden.“ [Vgl. Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt vom 11.3.84] 770 Stuttgarter Leitsätze, S. 203 771 Ebd 772 Ebd: S. 204 773 Ebd 774 CDU 1984: Stuttgarter Leitsätze, Ziff. 21
7.4 Programmformulierung
205
der Sozialen Marktwirtschaft wird angestrebt, eindeutige und realistische umweltpolitische Ziele möglichst wirtschaftlich zu erreichen.“ 775
Diese Aussagen knüpften an christliche Positionen an, indem sie das Wirtschaften in den Dienst der Menschen stellten und den Umweltschutz als einen zentralen Politikauftrag ansahen. Aufgrund der vagen programmatischen Spezifizierung musste eine Konkretisierung jedoch das reale politische Handeln weisen. 7.4.4 Bremer Programmparteitag Das auf dem Bremer Parteitag 1989 verabschiedete Papier „Unsere Verantwortung für die Schöpfung“ zeigte exemplarisch, dass Partei- und Regierungsarbeit zunehmend vernetzt wurden und Parteitagsbeschlüsse das Regierungshandeln nachzeichneten. So wurde nicht 776 nur von führenden Regierungsvertreten das Papier erarbeitet, sondern auch vor der innerparteilichen Diskussion im Vorfeld des Parteitags und auf dem Parteitag die Vorschläge zum Regierungshandeln propagiert. Helmut Kohl übernahm die bereits am 17. April 1989 vorgestellten Thesen der Programmkommission für seine Regierungserklärung am 27. 777 April 1989. Somit war kaum Raum für eine große innerparteiliche Debatte, da diese im Jahr vor der Bundestagswahl die inhaltliche Amtsführung des Bundeskanzler, Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten auf dem politischen Markt konterkariert hätte. Die Absicht dieses Papiers war auch nicht, der Partei ein neues innerparteiliches Verständnis bezüglich ihrer Umweltpolitik zu geben, als vielmehr das umweltpolitische Profil der 778 CDU auf dem politischen Markt zu schärfen. Das Papier war folglich weniger auf Unmutsäußerungen im innerparteilichen Leben ausgerichtet, sondern auf den politischen Markt und dort besonders auf die Wahlen im Jahr 1990, in dem nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch die Landtagswahlen im Saarland und Niedersachsen stattfinden sollten. Zentral für dieses übergeordnete Ziel war demnach keine kontroverse Debatte, die innerparteilich Klarheit über die in der Gesellschaft strittige Fragen wie die Zukunft der Kernenergie oder die Überprüfung des Regierungshandelns mit dem Erarbeiten imperativer Aufträge an Bundestagsfraktion und Bundesregierung, sondern die Verdeutlichung der Unionsprogrammatik in der Öffentlichkeit. Die CDU hatte in vergangenen Jahren die Deutungshoheit über das Thema nicht gewinnen können und befand sich – insbesondere in der Frage der Kernenergie – zunehmend in der Defensive.779 Auf diesen Wettbewerbsnachteil 775 CDU 1984: Stuttgarter Leitsätze, Ziff. 41 776 Hier sind insbesondere der Bundesumweltminister Klaus Töpfer und der Bundeskanzleramtsminister Wolfgang Schäuble, der die Formulierung der Antragskommission auf die Verträglichkeit mit der Auffassung anderer Ressorts hin abklopfte. [vgl. Gros 1998: 378-389] 777 Regierungserklärung in: Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte. 11. Wahlperiode. 140. Sitzung. 27.4.1989, S. 10291-10304. Auch wurde im Vorfeld der Bundesvorstandsklausur auf Regierungsebene die umweltpolitische Arbeit forciert. Die Kabinettssitzung am 15.2.89 war thematisch auf die Umweltpolitik ausgerichtet. In einer Grundsatzdebatte wurde nicht nur Bilanz gezogen, sondern auch das künftige Aufgabenspektrum definiert. [vl.: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg): Umweltpolitik der Bundesregierung (Zwischenbilanz). Bonn 1989 (Pressemitteilung).] 778 Welt vom 17.1.89 779 Hier sei vor allem auf die erhitzte Debatte über die Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und die Pläne für die Wiederaufbereitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf hingewiesen
206
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
wies auch Klaus Töpfer in seiner Rede auf dem Bremer Parteitag unumwunden hin, indem er feststellte: „Wir müssen schon wirklich glaubwürdig Antwort darauf geben, wofür wir wirtschaftliches Wachstum erarbeiten und dass wir ein wirtschaftliches Wachstum gewährleisten, das eben angekoppelt ist von Energieverbrauch, von Umweltbelastung, von Rohstoffzuwächsen. Das ist unsere Aufgabe, wenn wir auch die Akzeptanz dafür gewinnen wollen, dass wir mit hervorragenden wirtschaftlichen Ergebnissen Mehrheiten in der Bevölkerung gewinnen wollen.“780
Nachdem auf dem Parteitag 1988 auf Wunsch von Helmut Kohl nicht über die Umweltpolitik im Zusammenhang des neu zu beschließenden Papiers über „Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes“ diskutiert wurde,781 musste das Papier einen Zusammenhang zur bisherigen Programmatik der CDU und den neuen Anforderungen der Umweltpolitik finden. Aufschlussreich bei dem neuen umweltpolitischen Programm war nicht nur die enthaltenen Forderungen, die insbesondere die Einführung und Förderung des Katalysatorenautos und einer Naturschutzabgabe vorsahen,782 sondern auch das Fehlen von Forderungen, die Klaus Töpfer favorisiert hatte. Dies betrafen vor allem eine kritischere Bewertung zur Zukunft der Kernenergie783 und die Einführung eines generellen Tempolimits auf den bundesdeutschen Autobahnen. Beide Forderungen lehnte Helmut Kohl von vornherein ab, da sie die bayerische Schwesterpartei mehr als verärgern würde und er befürchtete auf dem politischen Markt geschwächt zu werden.784 Insbesondere diese Rücksichtnahme – die ja zugespitzt nichts anderes bedeutete, als dass der Parteivorsitzende den Parteitagsdelegierten aufgrund marktstrategischer Überlegungen einen Maulkorb verhängte –, zeigte eine neue Qualität der innerparteilichen Diskussion. Die programmatischen Positionen der CDU wurden durch das Regierungshandeln und die Rücksichten auf Koalitionspartner bestimmt. Somit stieß der Antrag der Jungen Union, im Programm ein Vetorecht in ökologischen Belangen für den Umweltminister im Kabinett zu fordern, auf wenig Gegenliebe des Parteivorsitzenden. Die Antragskommission milderte daher die Forderung dahingehend ab, dass in künftigen Gesetzesentwürfen auch Informationen über die umweltpolitischen Auswirkungen enthalten sein sollten. Damit wurde kein Veto für den Umweltminister gefordert, sondern eine Berücksichtigung umweltpolitischer Belange bei der Gesetzgebung, was de facto eine frühzeitige Einbeziehung des Umweltministeriums in Gesetzesvorhaben bedeuten würde. Dagegen konnte sich Töpfer in der Antragskommission mit seinem Vorschlag durchsetzen, eine Novellierung des Naturschutzgesetzes zu beschleunigen und eine Naturschutzabgabe einzuführen. An der bisherigen wirtschaftspolitischen Richtung wurde hingegen wenig geändert. Die Union hielt wenig von starken staatspolitischen Interventionen, die
780 CDU 1989: Protokoll. 37. Bundesparteitag 11.-13. September 1989 in Bremen, S. 159 781 Dieses Thema wurde auf Wunsch von Helmut Kohl aus dem ursprünglichen Antragstext gestrichen, da der umweltpolitische Teil dem Parteivorsitzenden zu weit ging und er eine grundlegende Überarbeitung für wünschenswert hielt. [vgl. FAZ vom 16.3.88; Spiegel vom 8.2.88] 782 CDU 1988: Unsere Verantwortung für die Schöpfung, S. 289-320 783 FR vom 27.2.1988 784 Welt vom 17.1.1989
7.5 Umweltmaßnahmen der schwarz-gelben Bundesregierung
207
beispielsweise das Irseer Programm der SPD vorsah. Dies verdeutlichte auch noch Klaus Töpfer auf dem Parteitag: „Solidarität heißt Aufnahme der ökologischen Zielsetzungen in unsere Soziale Marktwirtschaft. Was wir dazu ergänzend sagen müssen, ist: Unsere Umweltpolitik ist auf dem Weg zu einer ökologisch sozialen Marktwirtschaft. Eine ökologisch soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass wir zwei Säulen haben, auf denen wir Umweltpolitik aufbauen: erstens auf einem klaren Rahmen von Gesetzen, von Geboten und Verboten. Nur so können wir die nachteiligen Auswirkungen, die die Gefährdungen der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt mit sich bringen, in den Griff bekommen.“785 „… Wir wollen nicht genau vorgeben, wer was tut, sondern wir wollen sagen, was getan werden kann. Das Minderungsziel ist entscheidend. Wer dann dieses Minderungsziel am kostengünstigsten erreichen kann – das sollten wir der Kreativität des Marktes überlassen. Das hat nichts mit Steuern zu tun, sondern mit Einfallsreichtum im umweltpolitischen Bereich. Wir nutzen diese Möglichkeit etwa bei der Überarbeitung des BundesImmissionsschutzgesetzes hinsichtlich der Kompensationsregelung.“786
Der Parteitagsbeschluss unterstrich nicht nur die Gültigkeit des christlichen Menschenbildes, sondern fügte auch dem bisherigen Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft ein neues ökologisches Bewusstsein hinzu. Die CDU integrierte folglich das neue Anliegen in ihr bisheriges Programmverständnis; jedoch ohne große Leidenschaft. Als Folge verinnerlichte sie den neuen Begriff der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft nicht. Die programmatische Erneuerung war vielmehr Notwendigkeiten des politischen Marktes geschuldet, als dass sie Ergebnis innerparteilichen Drucks gewesen wäre. Das politische Leitbild wurde daher auch nicht berührt. Denn die programmatische Erneuerung war rein taktischer Natur und entsprach damit einer Veränderung erster Ordnung. Sie veränderte weder Konzept noch das Verständnis der CDU bezüglich ihrer Wirtschaftspolitik. 7.5 Umweltmaßnahmen der schwarz-gelben Bundesregierung Aufgrund der programmatischen Unbestimmtheit sollte das Regierungshandeln die reale Politik in Umweltfragen weisen. Die in den Programmen skizzierte umweltpolitische Leidenschaftslosigkeit spiegelte sich zunächst auch in der Politik der Bundesregierung wider. Die Regierung unter der Leitung von Helmut Kohl betonte zunächst alles andere als umweltpolitischen Maßnahmen. Es fiel zunächst eher die Kontinuität zur sozialliberalen Vor785 CDU 1989: Protokoll. 37. Bundesparteitag 11.-13. September 1989 in Bremen, S. 161 786 CDU 1989: Protokoll. 37. Bundesparteitag 11.-13. September 1989 in Bremen, S. 162. In gleicher Weise wie der Umweltpolitiker Klaus Töpfer äußerte sich auch der Wirtschaftspolitiker Kurt Biedenkopf: „… Was wir jetzt versuchen, ist, neben die Sozialpflichtigkeit unserer Verfassung eine Ökologiepflichtigkeit zu setzen. Das hat sehr praktische Wirkung. Eigentum verpflichtet heißt es in unserer Verfassung. Sozialpflichtig soll das Handeln der Eigentümer, aber auch der Verbände sein. Was wir jetzt tun, ist: Wir verlangen auch eine Ökologiepflichtigkeit. Wenn der Eigentümer Grundwasser oder das Flusswasser verschmutzt, verstößt er gegen die Ökologiepflichtigkeit unseres Rechts- und Wirtschaftsordnung. Das ist eine ganz konkrete Verankerung einer neuen Pflicht in der Verfassung unserer Wirtschaft. Deshalb meine ich, dass hier nicht nur von Ökologiepflichtigkeit, sondern auch von der ökologischen Marktwirtschaft gesprochen werden muss. Was wir hier versuchen, ist eine Fortentwicklung des Erhardschen Konzepts, ist eine Erweiterung um die Dimension Schutz der Schöpfung, des Menschen und – ganz entscheidend – der Zukunft.“ [vgl. CDU 1989: Protokoll. 37. Bundesparteitag 11.-13. September 1989 in Bremen, S. 183.]
208
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
gängerregierung als eine grundlegende Änderung in der Umweltpolitik auf. Eine nähere Betrachtung zeigte jedoch, dass teilweise erhebliche Fortschritte im Bereich des Umweltschutzes zu verzeichnen waren.787 7.5.1 Großfeuerungsanlagen-Verordnung Zum einen baute man auf Vorarbeiten der vorherigen Regierung auf und verstand die Umweltpolitik als administrative Aufgabe, die dem Parteienstreit entzogen war. So griff Friedrich Zimmermann, der nun für den Umweltschutz zuständige Bundesinnenminister, auf Vorarbeiten der sozialliberalen Regierung zurück. In kurzer Zeit setzte er zur Überraschung seiner vielen Kritiker strenge Umweltschutzregelungen durch. Dies galt vor allem für die seinerzeit wegen der rapiden Zunahme der Waldschäden als wichtig angesehene Luftreinhaltepolitik. Die Fertigstellung des schon vorliegenden Entwurfs der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zählte zu den ersten Amtshandlungen des neuen Innenministers. Die Verordnung, an der die alte Regierung nahezu fünf Jahre gearbeitet hatte, wurde von ihm bereits nach nur neun Monaten des Regierungswechsels in Kraft gesetzt. Sie enthielt europaweit die strengsten Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen von Luftschadstoffen aus Großanlagen.788 Dem CSU-Politiker war damit als erstem in der Geschichte der Luftreinhaltepolitik gelungen, den einflussreichen Machtblock der Energieversorgungsunternehmen zu überwinden und auch umweltpolitische Anliegen in der Energiepolitik zur Geltung zu bringen. Diese Initiative war aber weniger „christdemokratisch“, sondern administrativ. Friedrich Zimmermann handelte hier allein als zuständiger Ressortminister und wurde auch von der Opposition in dieser Frage wenig attackiert. Das Thema war für den politischen Markt uninteressant und für die Partei nicht profilbildend. Die gedankliche Initiative, tatsächliche Ausgestaltung und auch die politische Motivation kamen allein aus der Administration und nicht aus der Partei. Letztere verweigerte sich nicht, sondern nahm den Einzug von umweltpolitischen Argumenten in die Energiepolitik zustimmend, aber auch leidenschaftslos zur Kenntnis. Zimmermann befand sich mit seiner Maßnahme auf der vorher in den Koalitionsverhandlungen abgestimmten Regierungslinien, die unumstritten Eingang in die Koalitionsvereinbarungen von 1983 gefunden hatte. Zu einem besonderen Schwerpunkt im Bereich des Umweltschutzes wurde dabei die Luftreinhaltung.
787 Weidner 1991: 145 -150 788 Die Verordnung vom 22. Juni 1983, die am 1. Juli 1983 in Kraft trat sah vor, dass alle neu zu genehmigende Großfeueranlagen ab 100 Megawatt mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage auszustatten waren. Kleinere Anlagebetreiber wurden verpflichtet, nur schwefelarme Brennstoffe zu verwenden. Für Altanlagen wurden Übergangsfristen zur Umrüstung und Stilllegung vorgesehen. Gleichzeitig war eine Novellierung der Immissionswerte der Technischen Anleitung (TA) Luft vorgenommen worden. Die neuen Vorschriften waren zum 1. März 1983 in Kraft getreten. Parallel wurde seit Anfang 1983 neben den genannten Maßnahmen zur Verringerung von Schadstoffen in der Luft zudem die Verringerung von Stickoxidausstößen durch Autos zum Politikinhalt.
7.5 Umweltmaßnahmen der schwarz-gelben Bundesregierung
209
7.5.2 Einführung des bleifreien Benzins Dies sollte die CDU-geführte Regierung bei der Einführung des bleifreien Benzins unter Beweis stellen. Die Bundesregierung beschloss in der Kabinettssitzung am 21. Juli 1983, die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung bleifreien Benzins ab dem 1. Januar 1986 zu schaffen und Schadstoffgrenzwerte für Autoabgase vorzuschreiben, die der Katalysatortechnologie entsprechen sollten. Bereits im Mai 1983 hatte die Bundesregierung in einem EG-Memorandum die EG-weite Verfügbarkeit von bleifreiem Benzin als Voraussetzung für die Einführung der katalytischen Abgasreinigung bei Autos gefordert.789 In der Kabinettssitzung vom 26. Oktober 1983 traf die Bundesregierung die zusätzliche Entscheidung zur Umsetzung ihres Beschlusses vom Juli und formulierte ein erstes Teilkonzept zur Emissionsverminderung im Kraftfahrzeugsektor. Es wurde beschlossen, die in den USA geltenden Abgasgrenzwerte und die dort angewandten Testverfahren zur Ermittlung von Schadstoffgrenzwerten auch für die Bundesrepublik zu übernehmen. Ziel der Bundesregierung sollte es dabei sein, eine einvernehmliche Lösung der Abgasproblematik mit den EG-Staaten zu finden. Mit diesem Kabinettsbeschluss war zugleich der bis dahin von Bundesverkehrsminister Werner Dollinger und Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann geführte Disput über die Alltagstauglichkeit von Katalysatoren zur Autoabgasreinigung beendet. Unverholen hatte das Verkehrsministerium die Einführung von Katalysatoren nach amerikanischen und japanischen Vorbild als ökologisch und ökonomisch ineffizient abgelehnt.790 Nachdem die baden-württembergische Landesregierung unter Führung von Ministerpräsident Lothar Späth im Januar 1984 im Bundesrat eine eigene Gesetzesinitiative eingebracht hatte, die steuerliche Vergünstigungen für umweltfreundliche Autos und eine höhere Besteuerung für Altersfahrzeuge vorsah, hatten sich zwei miteinander verwobene Konfliktlinien herausgebildet. Zum einen existierte im Kabinett der Konflikt zwischen Zimmermann und Stoltenberg über die Modalitäten der Katalysatorenförderung. Die Vertreter der CDU-geführten Bundesländer lehnten dies – ebenso wie Stoltenberg – aus ordnungspolitischen Gründen mehrheitlich ab. Zum anderen lagen unterschiedliche Auffassungen über die Frage einer europäischen Koordination der Katalysatorentechnik und die Frage der gesetzlich verbindlichen Vorschreibung der Zulassung abgasarmer Autos zwischen den CDUMinisterpräsidenten und den Mitgliedern der Bundesregierung vor. Während die Bundesregierung mittlerweile einhellig einen Alleingang ablehnte, sahen Vertreter der CDUregierten Bundesländer hierin eine zumindest diskussionswürdige politische Handlungsoption. Die Wirtschafts- und Umweltpolitik waren hier mit der Europapolitik verwoben. Aus europapolitischen Überlegungen war ein nationaler Alleingang aber kaum vorstellbar. Aufgrund des bestehenden Dissenses wurde diese Angelegenheit ins CDU-Präsidium gebracht. Dort konnten die verhärteten Fronten jedoch auch nicht aufgebrochen und keine Kompromisslösungen ausgearbeitet werden. Das CDU-Führungsgremium war in dieser Phase nur insofern von Bedeutung als die CDU-Ministerpräsidenten dem Parteivorsitzenden und den teilnehmenden Regierungsmitgliedern nachdrücklich – die allerdings bereits bekannte Position – verdeutlichten, dass eine Position der Katalysatorsubvention am Widerstand der unionsgeführten Länder im Bundesrat scheitern würde. Das Druckmittel lag 789 Westheide 1984: 64 790 Zimmermann 1991: 226-230
210
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
somit außerhalb der Partei. Wie schon zuvor spielte auch im weiteren Verlauf bis zur endgültigen Entscheidungen über die Einführung der Katalysatortechnik die Parteigremien keine entscheidende Rolle. Die Kontroverse endete mit einem Kompromiss: In Fragen weiterer finanzieller Anreize zur Anschaffung abgasarmer Autos sollten sich die Bundesländer fern jedes Parteigremiums verständigen. Zudem hatten sich die Beteiligten darauf geeinigt, dass die Neuzulassung abgasarmer Autos ab dem 1. Januar 1989 obligatorisch sein sollte. Gleichzeitig wurde in der Koalitionsrunde vereinbart, dass Stoltenberg Zimmermann am folgenden Tag nach dem nunmehr nur noch formal vorzunehmenden Kabinettsbeschluss gemeinsam präsentieren sollten.791 Die Bundestagfraktion nahm die Einigung im Nachhinein per Akklamation hin.792 Die Frage nach der Einführung des bleifreien Benzins zeigte, dass in dieser Frage zwar wirtschaftspolitische Punkte eine Rolle spielten, aber keine die in der Partei ausgefochten wurden. Das CDU-Parteipräsidium wurde zwar in die Verantwortung einbezogen, spielte in der Debatte aber keine Rolle. Vielmehr waren Regierungsorgane, mit Abstrichen die Fraktion und vor allem auch der Bundesrat die entscheidenden Willenbildungsorgane bzw. Druckmittel auf die Regierung, die nicht nur die Initiative trug, sondern auch zwischen den einzelnen Punkten vermitteln sollte. Insbesondere die Rolle der Landespolitiker ist hier beachtenswert. Sie forcierten bzw. beeinflussten die Idee der Bundesregierung, die ja nicht unwesentlich von der EG, d.h. von einem externen Akteur, angestoßen worden war, nicht über Parteigremien, sondern administrativ über den Bundesrat. Dies zeigte nicht zuletzt die Relevanz der Parteigremien beim innerparteilichen Willensbildungsprozess in dieser Frage. Nicht nur der Kanzler nutzte den Regierungsapparat zur CDU-Politikgestaltung, sondern auch die Länderchefs gingen den gleichen Weg. Dies bedeutete aber gleichfalls, dass Regierungsbeteiligung – sei es nun im Kabinett der Bundesregierung oder auch der Beteiligung an Landesregierungen über die Möglichkeit der Beeinflussung der CDU-Politik. Konkret spielten zwei zentrale Punkte in dieser Diskussion eine wichtige Rolle. Zum einen wurde generell die Einführung des bleifreien Benzins aufgrund des Schutzes der Umwelt befürwortet. Das war im Automobilland Deutschland ein weit reichender Schritt. Ein Alleingang gegenüber den europäischen Partnern wurde nur im Hinblick auf einer Verschärfung und nicht einer Aufweichung in Betracht gezogen. Zum anderen wurde über die ordnungspolitische Marschrichtung – Kaufanreiz vs. generelles Verbot – diskutiert. Hier setzte sich Friedrich Zimmermann zwar durch, aber dies gelang ihm aufgrund der Rückendeckung des Kanzlers und einer Gegenfinanzierung und nicht auf Grundlager neuer Argumente. Die Verfechter einer klaren Ordnungspolitik betrachteten diese Regelung als „Sündenfall“ und nicht als Startpunkt für neue Begehrlichkeiten. Hier zeigte sich der Streitpunkt im Umfang und den Notwendigkeiten staatlichen Eingreifens in das Wirtschaftshandeln, der auch bei den Stuttgarter Leitsätzen eine große Rolle gespielt hatte. Den Belangen der Umweltpolitik räumte die CDU einen zunehmend starken Raum bei ihrer tatsächlichen Wirtschaftspolitik ein. Dies erfolgte jedoch mehr aufgrund des politischen Marktes und weniger aufgrund starker innerparteiliche Strömungen. Auch die Schaffung des Umweltministeriums war der gewachsenen Bedeutung der Umweltpolitik für den politischen Markt geschuldet. 791 dpa-Pressemeldung vom 18.9.1984 792 Gros 1998: 324
7.5 Umweltmaßnahmen der schwarz-gelben Bundesregierung
211
7.5.3 Etablierung des Bundesumweltministeriums Die niedersächsische Landtagswahl von 1986 drohte für die Union vom Thema „Tschernobyl“ – dem größten Unfall in der zivilen Nutzung der Kernkraft – überschattet zu werden. Als letzte Landtagswahl mit CDU-Regierungsbeteiligung vor der kommenden Bundestagswahl war sie strategisch überaus bedeutend. Die Parteiführung wollte keineswegs hinnehmen, dass die CDU für die politischen Folgen des Reaktorunfalls in der Ukraine verantwortlich gemacht werden würde. Mit der Gründung des Umweltministeriums sollten dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ein Wahlkampfschlager geliefert und ein deutliches umweltpolitisches Signal gesetzt werden. Die Herausbildung des Umweltministeriums war somit ausschließlich den Anforderungen des politischen Marktes geschuldet. Denn das Thema „Umweltschutz“ hatte in der laufenden Legislaturperiode ständig an Bedeutung in der öffentlichen Meinung gewonnen. Gleichzeitig nahm der Prozentsatz derjenigen in der Bevölkerung, die der Auffassung waren, die Regierung habe „etwas bzw. viel“ auf dem Gebiet der Umweltpolitik getan, sukzessive ab.793 Die der CDU zugeschriebene umweltpolitische Kompetenz war rückläufig. Sie erlebte zunehmend weniger Rückhalt auf dem politischen Markt und musste auch in diesem Politikfeld ein Zeichen setzen. Dies sollte mit der Gründung eines Umweltministeriums erfolgen. Das Ministerium sollte Beweis und Ausdruck für die Bedeutung sein, die die CDU-geführte Bundesregierung der Umweltpolitik beimaß. Wiederum spielte das Parteipräsidium bei der Gründung des Umweltministeriums keine Rolle. Helmut Kohl hatte sich ausschließlich mit wenigen Einzelakteuren, die diesem Gremium angehörten, im Voraus abgestimmt. Auch das Kabinett wurde offiziell in der Sitzung am 5. Juni über die Neubildung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die Absicht, Walter Wallmann mit der Leitung zu beauftragen, in Kenntnis gesetzt. Interessant ist allerdings die Personalentscheidung für Walter Wallmann. Der Frankfurter Oberbürgermeister war als umweltpolitischer Fachpolitiker noch nicht hervorgetreten, war aber als hessischer CDU-Landesvorsitzender Teil der Führungselite der Bundespartei. Helmut Kohl entschied hier personell nicht in administrativ-kompetenten Bahnen, sondern vielmehr nach parteipolitischen Überlegungen. Dies sollte sich auch auszahlen, da Walter Wallmann bereits rund ein Jahr nach der Ernennung zum Minister bereits als erster CDU-Politiker zum hessischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Dies zeigte, dass bei der Personalauswahl die Parteihierarchie und -wünsche berücksichtigt wurden. Bei der Schaffung des Umweltministeriums lassen sich für den innerparteilichen Willensbildungsprozess und die Marktstrategie der Union folgende fünf Punkte feststellen: Zum einen spielte die Partei kaum eine tragende Rolle. Die personelle und institutionelle Entscheidung wurde in keinem Parteigremium abgestimmt, sondern allein durch den Bundeskanzler und Parteivorsitzenden bestimmt. Zwar informierte der Kanzler den CSUVorsitzenden, weil das von der bayerischen Schwesterpartei geführte Innenministerium von der Neubildung des Umweltministeriums in seinem Ressortzuschnitt erheblich betroffen war. Letztendlich führte der CDU-Vorsitzende und nicht sein bayerischer Kollege mit dem CSU-Innenminister das entscheidende Gespräch.794 Die Entscheidung der Schaffung eines 793 Gros 1998: 322ff 794 Vgl. Kohl 2005: 422
212
7 Die CDU vor der Wiedervereinigung
Umweltministeriums traf das Kanzleramt nicht aufgrund innerparteilichen Drucks, sondern wegen der herrschenden Unruhe auf dem politischen Markt.795 Die Union musste Handlungsaktivität und umweltpolitische Profilschärfe zeigen. Dies sollte durch zügiges Regierungshandeln belegt werden, um bei den bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Personalauswahl belegte die wahltaktischen Gründe, da ein innerparteilich bedeutender Landesvorsitzender und kein umweltpolitischer Experte der erste Umweltminister wurde. Hier sollte insbesondere der kommende Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl aufgewertet werden und nicht eine bestimmte christdemokratische Denkschule in der Umweltpolitik mit der Führung des Umweltministeriums betraut werden. Das umweltpolitische Profil der CDU wurde nicht auf Parteitagsbeschlüssen gewonnen, sondern durch den nun führenden Umweltpolitiker als Umweltminister. Ihm bzw. dann seinem Nachfolger oblag es, das umweltpolitische Profil der Union zu personifizieren und vor allem zu verdeutlichen. In der Partei wurde der Stellenwert zwar bedeutender, aber richtig verinnerlicht hatte sie das Thema noch nicht – das zeigte die breite Ablehnungsfront gegen den Terminus „ökologisch soziale Marktwirtschaft“ in der Partei. 7.6 Zusammenfassung Die durch das Regierungshandeln vorgenommenen Maßnahmen zeigten, dass die Union umweltpolitische Anliegen in ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen einfügen konnte. Jedoch stellte diese Aufnahme keinen radikalpolitischen Wandel dar, weil die generelle Grundrichtung der christdemokratischen Wirtschaftspolitik beibehalten wurde. Die in den Stuttgarter Leitsätzen aufgestellten wirtschaftspolitischen Vorstellungen drückten exemplarisch den in der CDU der 1980er Jahre herrschenden Kompromiss aus, der sich zwischen einer staatlichen interventionistischen Denkschule und einem ordnungspolitischen Haltung herausbildete. Charakteristisch war hier nicht nur eine bestimmte Denkschule, sondern auch klare und doch relativ unbestimmte Bekenntnisse zum persönlichen Eigentum, einer mittelstandsorientierten Wirtschaftspolitik und im Generellen zur Sozialen Marktwirtschaft. Leitbegriffe prägten diese Wirtschaftspolitik stärker als klar konturierte Leitsätze. Dies war auch eine Folge unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Vorstellungen, die innerhalb der Partei unter einem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengefasst wurden. Die programmatischen Unterschiede waren weniger Ergebnis unterschiedlicher sozio-ökonomischer Gruppen, sondern vielmehr unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Denkrichtungen. Aus diesem Grund wurde die wirtschaftspolitische Debatte auch nicht zwischen den unterschiedlichen Lagern der Partei auf allen Ebenen durchgefochten, wie dies unter anderem bei der Mitbestimmungsdebatte noch stattfand. Stattdessen wurde sie zwischen den einzelnen Akteuren und hier insbesondere den Ministerpräsidenten, Bundesministern und Fraktionsmitgliedern ausgefochten; zum Beispiel beim Katalysatorenauto oder auch bei der Formulierung der Stuttgarter Leitsätze. Zusammenfassend lässt sich für die CDU der 1980er Jahre feststellen: 1. Innerparteiliches Leben: Die CDU war in den 1970er Jahren durch eine große Reformanstrengung zur Mitgliederpartei geworden. Mit der Regierungsübernahme 795 Vgl. Interview Wolfgang Schäuble, Kohl 2005: 419 und Gros 1998: 322ff
7.6 Zusammenfassung
2.
3.
213
schaffte sich diese neue Mitgliedschaft nicht ab. Allerdings musste sich die Partei den Erfordernissen einer Regierungspartei anpassen. Im innerparteilichen Leben nahm die Bedeutung für die Programmarbeit ab und wurde elitenzentriert. Jedoch blieb die Parteibasis nicht ganz unbedeutend, konnte sie doch eine mächtige Vetorolle übernehmen. Diese musste bei dem Politikformulierungsprozess auch von Regierungsmitgliedern beachtet werden. Diese Vetorolle galt gerade für wichtige Gruppen in der Partei, wie die CDA, die trotz ihrer vermeintlichen Minderheitenposition die Politik der Union nicht unerheblich beeinflussten.796 So konnte aufgrund der sehr heterogenen Interessenbasis der CDU ein neokonservatives Gedankengut oder auch ein ordnungsliberales Denken nicht zur dominanten Politiklinie erhoben werden.797 Marktverständnis: Der CDU gelang es nicht, das neue Thema der Umweltpolitik, obwohl es in ihrem Parteiverständnis hineinpasste, aufzunehmen. Die Parteienkonstellation des Jahres 1983 blieb bis zur Deutschen Einheit bestehen. Die symmetrische Vorstellung zweier Lager mit CDU/CSU und FDP auf der einen sowie SPD und Grüne auf der anderen Seite vereinfachte jedoch die Situation der Parteien.798 Klassische Wirtschaftsthemen bildeten den Kern der Auseinandersetzungen und bestimmten die Wahlprogramme. Umweltthemen galten – wenn überhaupt – als Profilierungsfeld des „linken“ Lagers. Die CDU versuchte damit zunächst nicht auf dem politischen Markt zu punkten. Wertebasis: Dieser veränderte Mitgliederzuwachs prägte das innerparteiliche Leben viel stärker als irgendeine Programmdebatte. Die breite Mitgliedschaft stütze sich nicht mehr auf die lokalen Honoratioren, sondern wurde in ihrem Tun und Denken alltäglicher. Dies veränderte auch die Prioritäten der Themen. Sie waren stärker pragmatisch-materieller und weniger idealistisch ausgerichtet.799 Das „C“ wurde verstärkt programmatisch-theoretisch hergeleitet und weniger aus der direkt erfahrenen Lebensumwelt bestimmt.
Das politische Leitbild war demnach weiterhin gültig. Sowohl in Wertefragen als auch in der Stellung im politischen Markt entsprach es dem Selbstverständnis der CDU als christdemokratische Partei. Der politische Willensbildungsprozess in der Kanzlerschaft Helmut Kohls war vom Ausgleich der unterschiedlichen Strömungen gekennzeichnet. Dies entsprach zum Leidwesen zahlreicher liberal eingestellter Reformer der christdemokratischen Vorstellung von Mediation divergierender sozio-ökonomischer Interessen, die wiederum in den 1980er Jahren stärker von Denkschulen als von Interessensgruppen beeinflusst wurden. Jedoch waren diese Richtungen in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen durchaus unterschiedlich beliebt, so dass der Ausgleichscharakter das Regierungshandeln der CDU weiterhin dominierte. Die nach Mehrheitsprinzip organisierte Willenbildung der 1970er Jahre wurde im Regierungsalltag stillschweigend wieder einkassiert. Damit wurde auf Bundesebene eine Entwicklung nachgezeichnet, die bereits in den CDU-Regierungen auch vor 1982 Praxis war.
796 797 798 799
Grande 1987: 281ff Schmid 1991: 27 Niclauß 2002: 47 Interview Wolfgang Schäuble 2003
8.1 Einleitung
215
8 Die CDU in den 1990er Jahren
8.1 Einleitung Die 1990er Jahre bedeuteten in der Parteigeschichte der Union keine Periode umfassender Paradigmenwechsel.800 Es zeichneten sich aber bereits schleichende Veränderungen ab. Diese basierten zum einen auf externen Faktoren: die Wiedervereinigung unterhöhlte – das zeigten die Bundestagwahlen seit 1994 – die Rolle der Union als strukturelle Mehrheitspartei. Zudem beschleunigte die Wählerschaft der neuen Bundesländer eine Entwicklung, die sich schon in den achtziger Jahren deutlich abzeichnete. Die Parteien verloren an Organisationsmacht, die Wählerschaft wurde volatiler.801 Auch gerieten die Parteien durch die vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker angestoßene Debatte über die Parteienverdrossenheit zunehmend in die Defensive.802 Dieser Veränderungsdruck löste aber im innerparteilichen Leben kaum Reaktionen aus, um die Interessenaggregation, -selektion und -findung zu verbessern. Ganz im Gegenteil: Wie dieses Kapitel und – insbesondere die Untersuchungen zum Programm- und Politikformulierungsprozess zeigen – wurde die Entscheidungsfindung nicht nur elitärer, sondern auch von der Parteiöffentlichkeit zunehmend abgeschirmt. Die im Theorieteil beschriebene Entwicklung zur professionalisierten Wählerpartei zeigte in den neunziger Jahren deutliche Züge. Ein wichtiger Einschnitt war, dass sich die CDU auf dem Bremer Parteitag endgültig vom Delegiertenmodell verabschiedete, obwohl – wie das vorherige Kapitel schon zeigte – dieses Modell in den 1980er Jahren bereits sehr ausgehöhlt war. Nicht nur die Interessensorganisation, sondern auch die Stellung im politischen Markt wurde für die Union aufgrund der abnehmenden Organisationsmacht zunehmend schwierig zu planen. Die fehlende Organisationsmacht ging auch mit einem zunehmenden Verlust an greifbaren politischen Zielen einher. Dies zeigten nicht zuletzt die Debatten über das neue Grundsatzprogramm von 1994. Es wurde nicht nur von der Person des Parteivorsitzenden dominiert, sondern vor allem auch machttaktischen Strategien einer Regierungspartei unterworfen.803 Viele neue gesellschaftspolitische Fragen wurden nicht aufgegriffen und wirtschaftspolitische Probleme, die durch die finanziellen Anstrengungen seit der Wiedervereinigung wesentlich erschwert worden waren, wurden nicht beherzt angegangen. Die Programmdebatte bekräftigte die christdemokratischen Werte im prinzipiellen, aber sie wurden nicht mit konkreten politischen Projekten und Zielen verknüpft. Bereits bei den Bundestagswahlen 1994 zeigt sich die neue Schwäche der CDU, die ihr in den folgenden 800 Für dieses Kapitel war insbesondere die Dissertation von Reimut Zohlnhöfer über die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl von großer Bedeutung und Hilfestellung. Siehe Zohlnhöfer 2001. Aufschlußreich für das innerparteiliche Leben der CDU ist auch die Arbeit von Gerd Langguth. Siehe Langguth 2001 801 Vgl. Stöss 1997: 226-246, Veen 1995: 117ff 802 Vgl. die populären Vorwürfe: Kunze 1994, Arnim 1993 803 Vgl. die detailreiche Studie von Reichart-Dreyer 2000
216
8 Die CDU in den neunziger Jahren
Jahren auf dem politischen Markt nachhaltige Probleme bereiten sollte. Sie wurden nicht nur bis 1998 in vielen Niederlagen bei Landtagswahlen, sondern auch zu dem klaren Absinken der CDU unter die 40 Prozentmarke bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 deutlich. Die CDU bekam zunehmend Probleme, ihr politisches Leitbild in eine Politik mit positiven Botschaften und Begriffen zu übersetzen. Politikwissenschaftler konstatierten, dass die CDU der 1990er Jahre sich in einer schwierigen Situation befunden habe. So analysierten FRANZ WALTER und TOBIAS DÜRR, dass die Union ihre Zukunftsvision verloren hätte.804 Ihre Kritik griff die Problematik der CDU auf, dass sie sich bis in die 1980er Jahre mit der bundesrepublikanischen Gründungsgeschichte und den rheinischen Kapitalismus identifizierte.805 Auch sei nach der Wende der Antikommunismus als Triebfeder für die eigene Mobilisierung abhanden gekommen. Die Partei befände sich in einer eigentümlichen Lethargie. David Seeber, ein damaliger Mitarbeiter im CDU dominierten baden-württembergischen Staatsministerium, schrieb 1995 über den Zustand der CDU: „… die CDU ist erkennbar alt geworden in der Bundesrepublik. Die 50 Jahre merkt man der CDU stärker an als der SPD die 125 Jahre. Sie lebt weniger in den Entwicklungsspannungen der Gesellschaft als ihr großer Kontrahent. Entsprechend geringer ist das geistige Training und die Bereitschaft, sich diesem zu unterziehen. … Die Strecke vom Grundsatzprogramm 1978 zum Grundsatzprogramm 1994 ist nach Logik und geistiger Ökonomie jedenfalls eher ein Abstieg denn ein Aufstieg. … Ihre Familien- und Frauenpolitik ist widersprüchlich, weil sie zwischen traditionellem Frauenpolitik und emanzipatorischer Frauenpolitik wankt. Und vor allem zieht sie noch nicht die Konsequenzen aus der funktionsgeschwächten Position der Familien. … Die CDU hat trotz des ihr zuerkannten Kompetenzvorsprungs in wirtschaftspolitischen Fragen einen veralteten, für eine Volkspartei als Wählerpartei hinderlichen Wirtschaftsbegriff. Sie „denkt“ Wirtschaft in erster Linie als Produktionsapparat, ihr Part im Handeln ist die Unternehmenswirtschaft als ökonomischer und gesellschaftlicher Machtfaktor. Der Durchschnittsbürger erlebt Wirtschaft aber anders: als Wirkungseinheit von Finanz-, Unternehmens- und Sozialpolitik. Er urteilt und 804 Walter/Dürr 2000: 123ff 805 Hier sind u.a. treffend zu lesen, unterschiedliche Reden von Helmut Kohl, die vom Bundespresseamt der Bundesregierung für das Wahljahr 1990 herausgegeben wurden. In diesen betonte der damalige Bundeskanzler und Parteivorsitzende nicht nur die Kontinuität der christdemokratischen Wirtschaftspolitik, sondern auch ihr Erbe als entscheidende Gründungspartei der CDU, die nicht zuletzt auf der Sozialen Marktwirtschaft und dem Rheinischen Kapitalismus basiere: „Wir in der Koalition der Mitte heute empfinden das Erbe Ludwig Erhards als eine unverändert gültige Herausforderung an die heutige Gesellschafts- dun Wirtschaftspolitik. Wir sind deshalb im Herbst 1982 angetreten, die Soziale Marktwirtschaft im Geiste Ludwig Erhards zu erneuern. .. [Zur Währungsreform meinte Helmut Kohl weiter:] Und diese Reform so anzusetzen, wie es Erhard getan hat, bedeutete zugleich eine prinzipielle Entscheidung gegen planwirtschaftliche und sozialistische Rezepte, die dem damaligen Zeitgeist in allen großen politischen Gruppierungen durchaus entsprochen hätten. Es ging um eine Richtungsangabe, die unmissverständlich und kompromisslos auf eine freiheitliche Gesellschafts- und Wettbewerbsordnung zielte. … [Und zur Gültigkeit des heutigen Konzepts] Währungsreform und Soziale Marktwirtschaft sind … keineswegs nur ein Thema für Historiker oder Geschichtsbücher. Richtig ist vielmehr, dass Leistungen und Leistungsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft in späteren Jahren für viele so selbstverständlich wurden, dass ihre Grundlagen für manchen in Vergessenheit gerieten. Das Interesse in Politik und Gesellschaft verengte sich mehr und mehr darauf, wie denn dieser Jahr für Jahr scheinbar selbstverständlich wachsende wirtschaftliche „Kuchen“ verteilt werden könne. Das „ganzheitliche Denken“ Ludwig Erhards, das die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik stets in den Vordergrund der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gestellt hatte, war nicht mehr sonderlich gefragt.“ [vgl. Bundespresseamt 1990: Bundeskanzler Kohl. Reden zu Fragen der Sozialen Marktwirtschaft, S. 16, S. 104ff]
8.2 Politischer Markt
217
reagiert als Konsument, als Gehaltsempfänger, als Steuerzahler, als Transfergeldempfänger. Es gibt in der CDU einen ökonomischen Grundzug, der sie bislang daran hindert, das Beschäftigungsthema als eines der hauptsächlichen und schwierigsten Zukunftsthemen wirklich in Angriff zu nehmen. … Die CDU wagt es in der Sozial- und Versorgungsstaatsdiskussion bislang nicht, das Subsidiaritätsprinzip auch in seiner das Individuum fordernden materiellen wie immateriellen Komponente voll in Anschlag zu bringen, dass nämlich, was der einzelne leisten kann, ihm nicht die Gesellschaft abnehmen darf, genauso wie die größere Gemeinschaft nicht der kleineren abnehmen darf, was diese leisten kann.“806 Warnfried Dettling ergänzte Mitte der 1990er Jahre: „Die CDU hat die Fähigkeit verloren, sich ebenso selbstbewusst wie wertengagiert auf neue Fragen und Entwicklungen einzulassen; verloren hat sie ihr Urvertrauen in die eigene Sache wie in die Gesellschaft. Die politische und soziale Umwelt wird von ihr nicht mehr als Raum und Aufgabe erlebt, die es zu gestalten gilt, sondern eher als Hinterhalt, aus dem allerlei Gefahren drohen, gegen die man sich möglichst geschlossen und entschlossen zur Wehr setzen muss.“807 Der Politikwissenschaftler Werner Perger resümierte, dass zwar die Regierung funktionierte, die Partei aber in einer ernsthaften Krise gewesen war, deren Anfänge und Ursachen vor der großen deutschen Wende 1989/90 gelegen habe. Sie waren vor allem struktureller und personeller Natur. Viele der Probleme, die in den 1990er Jahren unter dem akuten Handlungsbedarf aufgrund der Vereinigung mit einem Mal deutlich sichtbar geworden waren, hätten schon vor dem Fall der Mauer der Lösung bedurft.808 Insbesondere auf den Zerfall der traditionellen Bindungsstrukturen, auf die zunehmende Angst in der Bevölkerung vor dem sozialen Abstieg sowie auf veränderte Werteeinstellungen und Lebensstile wäre die Partei zu wenig eingegangen. Die Veränderungen, die die CDU in den 1990er Jahren erfuhr, sollen im Folgenden durch das neue Grundsatzprogramm der CDU, die Petersberger Beschlüsse und schließlich durch ihre Privatisierungspolitik nachgezeichnet werden. Zuerst will dieses Kapitel auf die nicht unerheblichen Veränderungen, die in den 1990er Jahren auf dem politischen Markt stattfanden, eingehen. 8.2 Politischer Markt Grundlegend änderte sich der politische Markt im Vergleich zu den 1980er Jahren nicht. Zum einen blieb die Lagerbildung bestehen. Bis auf Rheinland-Pfalz, das seit 1991 von einer sozialliberalen Landesregierung unter der Führung von Rudolf Scharping und seit 1994 von Kurt Beck geleitet wurde, gab es keine der Bonner Koalition durchkreuzende Koalitionen. Schwarz-grün blieb weiterhin illusionär. Ganz im Gegenteil: die Bildung neuer rot-grüner Bündnisse auf Bundesebene, wie 1990 in Niedersachsen, 1991 in Hessen oder auch 1995 in Nordrhein-Westfalen, verfestigten die Lagerbildung. Jedoch verschwanden im deutschen Parteiensystem zentrifugale Kräfte, die sich am Ende der 1980er Jahre vor allem am rechten Rand gezeigt hatten. Die Rechtsradikalen, die vorher so bedrohlich in der Wäh-
806 Seeber 1995: 140f und 150f 807 Dettling 1994: 5 808 Perger 1992: 4
218
8 Die CDU in den neunziger Jahren
lergunst aufgestiegen waren, wurden überall abgeschlagen.809 Auch gelang es der PDS nicht, im Westen Fuß zu fassen. Sie verfehlte somit 1994 die Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag. Die SED-Nachfolgepartei blieb auf Ostdeutschland begrenzt und wurde dort neben einer Protestpartei eben auch eine Regionalpartei.810 Auch wurden der CDU die Mitte im Parteiensystem zunehmend streitig gemach, da die beiden konkurrierenden Volksparteien politisch näher aneinanderrückten. Aus dieser Zentrierung des deutschen Parteiensystems erwuchs für beide die Schwierigkeit, ihre ehemals sozialstrukturell wie ideologisch klar umrissene Wählerklientel anzusprechen. Mit dem Ende der Ost-West-Konflikts fiel auch der „Krieg“ entlang ideologischer Grundpositionen im parteipolitischen Wettbewerb weg. Die einfachen Muster, mit denen man bis in die 1980er Jahre Wahlkämpfe als Auseinandersetzungen zwischen den politischen Systemen führen konnte, taugten nicht mehr.811 Als Folge wurde ihr programmatisches Profil für die Wählerschaft zunehmend schwieriger unterscheidbar, und auch der Anteil der wechselbereiten Wähler im Elektorat stieg beträchtlich an.812 Schließlich dominierten am Ende des Jahrzehnts die Sozialdemokraten mit Gerhard Schröders Neuer Mitte durch ihren Wahlerfolg von 1998 das deutsche Parteiensystem. Dies wurde für die Union umso bedrohlicher, da ihr Koalitionspartner in der Wählergunst zunehmend schwächelte. Gerade die Situation der CDU im „bürgerlichen“ Lager war prekär. Hier fehlte es zunehmend an einer ausreichenden Mehrheit.813 So stark die CDU in den Oppositionszeiten der sozial-liberalen Koalition in den Ländern an Gewicht gewann und den Machtwechsel vorbereitet hatte, so deutlich zeigte sich die Abnahme der eigenen Stärke in dem durch die Wähler aufgezwungenen Auszug aus den Staatskanzleien in den Ländern: die CDU wurde nicht nur bei Meinungsumfragen unpopulär, sondern zunehmend auch bei Landtagswahlen erfolglos. Für eine föderal gegliederte Partei bedeutete aber diese Niederlage weit mehr als nur verkorkste Resultate minderer Zwischenwahlen. Dieser Bedeutungsschwund in den Ländern – der sich vor allem zunehmend in Nord- und Westdeutschland manifestierte – rührte am Fundament der Partei, die sich in erster Linie aus ihren Ländern mit Themen und Führungspersonen rekrutiert hatte.814 Bei dem Versuch den Wahlausgang zu erklären, bewerteten viele Beobachter den politischen Konkurrenzkampf 1998 als Ergebnis unterschiedlicher Marketingstrategien der Parteien und sahen in der Kandidatenfrage den eigentlichen Motor für die Mobilisierung einerseits und die Demotivierung andererseits. Den Ausschlag gab aus dieser Warte letztlich die Überlegenheit eines tatkräftigen und mediengewandten Siegertyps in Gestalt des SPD-Bewerbers Gerhard Schröder gegenüber einem in der öffentlichen Wahrnehmung verbrauchten, von den Medien kritisch beäugten Helmut Kohl.815 Die strukturellen Probleme der deutschen Christdemokraten und auch ihre Niederlage bei der Bundestagswahl 2002 – trotz einer mehr als durchwachsenen rot-grünen Regierungsbilanz – widersprachen aber einer solchen allein an dem Image des Einheitskanzlers orientierten Schlussfolgerung. 809 810 811 812 813 814 815
Alemann 2003: 71 Hartleb 2004 Roth 2001: 222 Ebd Alemann 2003: 75 Schmid 1990 Vgl. Jung/Roth 1998: 3ff
8.2 Politischer Markt
219
Die Erfolglosigkeit der Union lag in erster Linie an einer Reihe von Strukturproblemen, für die die Partei in den 1990er Jahren keine tragfähigen Lösungsansätze gefunden hatte:
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Durchsetzen zahlreicher christdemokratischer Forderungen, wie die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft oder der Westintegration, wurde deutlich, dass klassisch christdemokratische Themen ihre Wirkung verloren hatten. Programmatisch bot die CDU in den 1990er Jahren wenig Neues.816 Zeigte sich Helmut Kohl in den siebziger Jahren als geschickter Reformer der Partei, war davon in seiner späten Amtszeit nichts mehr zu merken.817 In den 1970er Jahren war die CDU diskussionsfreudig, neuen Themen aufgeschlossen und vor allem auch bemüht, Quereinsteiger, wie beispielsweise Richard von Weizsäcker oder Kurt Biedenkopf, anzuziehen. Nicht zuletzt dadurch gelang es der Union in den Folgejahren, sich von der negativen Wahlentwicklung ihrer christdemokratischen Schwesterparteien abzukoppeln. Sie geriet im Gegensatz zu anderen „C”- Parteien in den Beneluxländern, Italien, Österreich aber auch der Schweiz nicht in den Strudel gravierender Wählerverluste, der durch die Erosion des katholischen Milieus und der politischen Pluralisierung der katholischen Kirche in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils einherging.818 Seit Ende der 1960er Jahre hatte sich das Selbstverständnis der Union von einer christlichen Integrationspartei zu einer pluralistischen Volkspartei verschoben. Die CDU bezeichnete sich fortan als Volkspartei mit sozialem, liberalem und konservativem Anspruch.819 Die Klammer dieser nun bürgerlichen Sammlungspartei stellte aber nicht mehr ein stark katholisch geprägtes Fundament dar. Sie lag vielmehr in einer tiefen Abneigung gegen den Sozialismus und linke Weltveränderungstheorien. So wurden gerade die größten ideologischen Feinde der Union – die Sowjetunion und später auch die 68er Bewegung mit ihrem angekündigten Marsch durch die Institutionen – zu einer festen Stütze der Mobilisierungskraft christdemokratischer Politiker und ein Bindemittel der sozialstrukturell sehr heterogenen Wählerschaft.820 Durch die Proklamierung von Schröders Neuer Mitte verlor diese Furcht erheblich an ihrem Mobilisierungspotential.
Die Loslösung von der katholischen Umwelt erschwerte aber zunehmend, ein gemeinsames Bindemittel von einer sozial sehr unterschiedlich strukturierten Wählerschaft zu finden. Nicht nur erfuhren die Sozialausschüsse seit dem Abgang von Norbert Blüm einen herben Bedeutungsverlust,821 sondern auch die sozialkatholischen Elemente der CDU wurden immer weiter zurückgedrängt. Deshalb erlebte die CDU während der 1980er und 1990er Jahre gerade in den seit dem 19. Jahrhundert traditionellen Hochburgen des Sozialkatholizismus
816 817 818 819 820 821
Zum Entstehen und dem Inhalt des Grundsatzprogramms von 1994 siehe: Reichhardt-Dreyer 2000 Schönbohm 1985: 127 Walter/Dürr 2000: 131 Lappenküper 2001: 395 Walter/Dürr 2000: 132 Zohlnhöfer 2001
220
8 Die CDU in den neunziger Jahren
schwere Wahlschlappen: erst in Nordrhein-Westfalen, dann im Saarland und schließlich in Rheinland-Pfalz.822 Zudem wurde das Parteiensystem nach der Wiedervereinigung zweigeteilt, in ein west- und ostdeutsches. Dabei gab es bereits vor der Volkskammerwahl 1990 drei wahlsoziologische Interpretationsmuster über die Qualität des ostdeutschen Parteiensystems, die sich, mit Abschwächungen, bis heute erhalten haben:823 a.
b.
c.
Der erste vor allem von Mitgliedern der Forschungsgruppe Wahlen vertretene Interpretationsstrang ging davon aus, dass es in der DDR und in der Folge in den neuen Bundesländern keine Parteibindungen im klassischen Sinne gegebene habe bzw. geben könne, da alle Voraussetzungen hierfür fehlten. Auch sei die sozialstrukturelle Beeinflussung des Wahlverhaltens bestenfalls gering ausgeprägt gewesen. Die wahrscheinliche, wenngleich nicht unbedingt notwendige Folge dieser Abwesenheit von Parteibindungen und sozialstrukturellen Prägungen sei eine hohe Volatilität des Wahlverhaltens.824 Eine zweite Interpretationsrichtung ging von der Existenz längerfristiger Parteibindungen in der DDR und den neuen Bundesländern aus. Zunächst seien die Parteibindungen zwar medial vermittelt und weniger sozialstrukturell fundiert gewesen. Durch die Affinität zu jeweiligen Parteien würde es aber auch in Ostdeutschland zumindest Relikte von Parteibindungen geben.825 Ein weiterer Interpretationsweg geht davon aus, dass sich aufgrund der besonderen Lage der neuen Bundesländer neue Parteibindungen, die quer zu den bisherigen Spaltungen in der deutschen Politik verliefen, herausbildeten. Angesichts einer unterschiedlichen Problemlage Ostdeutschlands, die insbesondere aus den zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten herrührte, bildete sich ein neues Ost-West-Cleavage heraus.826
Für das hier behandelte Forschungsinteresse bedeuten aber alle drei Interpretationen, dass die Union innerparteilich aufgrund der hohen Volatilität der ostdeutschen Wählerschaft und ihrer geringen organisatorischen Durchdringung keinen radikalen Wandel durchschreiten musste. Die Parteien fungierten in Ostdeutschland als Dachmarken, die ideologische Debatten waren vernachlässigenswert und der politische Erfolg hing – dies zeigten vor allem auch Landtagswahlen mit ihren großen Schwankungen – an den realen Regierungserfolgen und an der Persönlichkeit der Spitzenkandidaten.827 Gleichzeitig spielten in diesen Wahlkämpfen negative Bundeseinflüsse eine erhebliche Rolle.828 Im Hinblick auf den politischen Markt bedeutete es aber für die Union, dass die neuen Bundesländer zunehmend ein schwer umkämpftes Feld wurden. Denn die hohe Zustimmungsquote zu Beginn der 1990er Jahre nahm in den folgenden Jahren ab. Vor allem aber setzte sich die Wählerschaft im Ostteil des Landes anders zusammen. Denn aufgrund des 822 823 824 825 826 827 828
Walter/Dürr 2000: 130ff Siehe hier als komprimierte Überblicksdarstellung: Falter 1998: 223ff. Auch Schmitt 1997: 425ff Vgl. Roth 1990: 369ff Vgl. Rattinge 1994: 105ff Vgl. Winter 1996: 298ff Vgl. Veen 1998 Vgl. Ebd
8.3 Innerparteiliches Leben
221
Verlaufs der deutschen Vereinigung etablierte sich die CDU zunächst als Partei des „Vereinigungskanzlers“ und der Vereinigungsoptimisten in den neuen Bundesländern über mehrere Jahre hinweg mit einem unerwartet starken Rückhalt in der Arbeiterschaft. Demgegenüber befanden sich die Sozialdemokraten in einer Minderheitenposition. Ein Umstand, der einerseits auf eine starke Stellung der PDS als Partei der Vereinigungsskeptiker, aber auch auf Defizite im eigenen Mitglieder- und Organisationsbereich zurückging. Diese Konstellation in der Wählerschaft Ostdeutschlands wirkte sich auch positiv für die Union bei der folgenden Bundestagswahl 1994 aus. Erst allmählich und im Zuge der wirtschaftlichen Transformation Ostdeutschlands kam es zur Angleichung des Wählerverhaltens in Ost und West. Sie war freilich mit wachsenden Spannungen in der Anhängerschaft der Union zwischen einer starken, wohlfahrtsstaatlich orientierten Wählerschaft in den neuen Bundesländern und den in dieser Hinsicht heterogenen Wählern im Westen verbunden. Während sich damit die Integrationsprobleme in der Unionswählerschaft verschärften und den „OstBonus“ relativierten, vollzog sich – wenn auch mit ziemlicher Verspätung – auch in der deutschen Sozialdemokratie wie in anderen westlichen Demokratien eine neue politische Positionierung.829 In der Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer waren die wohlfahrtsstaatlichen Orientierungen als Erbe des Sozialismus von Anbeginn signifikant stärker ausgeprägt als im Westen der Bundesrepublik. Die Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Transformation, insbesondere die über Jahre hinweg anhaltende hohe Arbeitslosigkeit konservierten diese Unterschiede zwischen Ost und West. Hinzu kam, dass im Verständnis der meisten Ostdeutschen ein umfassender Wohlfahrtsstaat ein essentieller Bestandteil der Demokratie war.830 Für die Union ergab sich daher, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der west- und ostdeutschen Wählerschaft nicht nur nicht deckungsgleich, sondern mitunter diametral gegenüberstanden. Auch war in den neuen Bundesländern der für die Union in ihren Hochburgen wirtschaftspolitisch prägende Mittelstand nicht sehr ausgeprägt. Für das innerparteiliche Leben und den Willensbildungsprozess wirkte sich zudem aus, dass es der CDU in Ostdeutschland nicht gelang, ihre gesellschaftlich zum Westen anders zusammengesetzte Wählerschaft in ihrer Mitgliedschaft organisatorisch zu festigen. Der CDU gelang es somit im gesellschaftlichen Vorfeld kaum, die PDS organisatorisch zu verdrängen.831 Insbesondere in den neuen Bundesländern entsprach die CDU eher einer Wähler-, denn Mitgliederpartei. Dies spürte sie vor allem bei Kommunalwahlen, da sie dort erhebliche Probleme bekam, in ausreichendem Maße lokale Mandatsträger zu bekommen. Der niedrige Organisationsgrad, die hohen Wählervolatilität und die zunehmenden Wahlverluste hatten Auswirkungen auf das innerparteiliche Leben. 8.3 Innerparteiliches Leben Bereits Ende der 1980er Jahre reagierte die CDU sichtlich nervös auf die immer größere Anzahl von Wahlverlusten in den Ländern. Ihre Nervosität entlud sich in personellen Spannungen. Sie gipfelten auf dem Bremer Bundesparteitag 1989 in der Ablösung Heiner Geiß829 Eith/Mielke 2000: 95 830 Roller 1992: 341 831 Vgl. Interview Rainer Eppelmann
222
8 Die CDU in den neunziger Jahren
lers. Dieser personelle Wechsel unterstrich letztendlich die endgültige Beerdigung des CDU-Delegiertenmodells.832 Die zahlreichen Kontroversen zwischen Heiner Geißler und Helmut Kohl entsprangen schließlich nicht nur personellen Animositäten. Sie waren in erster Linie strukturell und programmatisch begründet. Die Spannungen ergaben sich nicht zwischen der Gesamtpartei und Kanzleramt, sondern zwischen der Bundesgeschäftsstelle und dem Kanzleramt. Beide Institutionen favorisierten jeweils zwei sich diametral gegenüberstehenden Konzeptionen der Parteiarbeit. Die Vertreter der Bundesgeschäftsstelle standen in der Tradition der Parteireform der 1970er Jahre mit ihrem Anspruch einer kontrovers diskutierenden Partei, die gegenüber den Regierungszwängen gesellschaftspolitische Fortschritte propagieren und vorantreiben sollte. Das Kanzleramt vertrat dagegen einen pragmatischen, allein auf die Zwänge des Regierungshandelns ausgerichteten Politikstil und legte den Schwerpunkt auf die Wirtschafts- und Außenpolitik. Als logische Konsequenz wurde Geißlers Nachfolger kein Sozial- oder Gesellschaftspolitiker, sondern ein Außenpolitiker. Volker Rühe entsprang einem Politikfeld, das klassisch regierungsorientiert und durch Pragmatismus gekennzeichnet war. Die Ablösung von Heiner Geißler unterstrich auch die Einstellung von Helmut Kohl, die Parteizentrale nicht als Ideenbörse zu nutzen. Die Bundesgeschäftsstelle wurde fortan als eine nachgelagerte Behörde betrachtet, die sich mit der Mitgliederverwaltung und der Wahlkampfplanung beschäftigen sollte. Strategisch wurde sie aus dem Kanzleramt gesteuert. So blieb dem CDU-Generalsekretär auch der Kreis der engsten Vertrauten des Kanzlers verschlossen. Dieser Stil führte zwangsläufig zu einer Entfremdung von Parteiarbeit und Regierungshandeln. Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth benennt diese Ferne als einer der Hauptgründe für die große Niederlage von 1998: „Die Vorstellung Kohls, das politische Handeln der Regierung und die öffentlich Darstellung durch eine Regierungspartei ließen sich trennen, hat sich als fataler Irrtum erwiesen. Die Tatsache der Entkoppelung zeigt sich auch in einem Phänomen, das man als „Bunkermentalität“ bezeichnen kann. Sie veranlasste Kohl dazu, sich im Kanzleramt mit engsten Vertrauten förmlich einzugraben und abzuschotten. So hat er beispielsweise im Laufe seiner Regierungszeit die Koalitionsrunden immer kleiner gemacht. Zum Schluss waren zu diesen Runden nur noch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden eingeladen, natürlich einschließlich des Ministers im Kanzleramt, Friedrich Bohl, als letzter verbliebener Vertrauter. So konnte der Sachverstand von Kabinettsangehörigen in wichtige Entscheidungsprozesse häufig nicht mehr mit einfließen.“833 In den 1990er Jahren zeigte sich aber auch der innere Widerspruch zwischen Wahlverein und Delegiertenpartei. Die politisch-personellen Entscheidungen fielen in immer kleineren Kreisen, die Mitgliedschaft repräsentierte nicht mehr die Wählerschaft und wurde damit für die Interessensfindung, -aggregation und -selektion unwichtiger. Jedoch behielten die Landes- und vor allem die Bezirks- sowie Kreisverbände das entscheidende Gewicht bei der Personalauswahl. Gleichzeitig wurden durch die wachsende Bedeutung der Massenmedien bei der Wahrnehmung der Politik in der Wählerschaft834 – insbesondere des Fernsehens – die politischen Erfolge und die Wirkungsmacht der Dachmarke für die unterschiedlichen Ebenen immer stärker miteinander verflochten. Unter dem Popularitätsverlust der Regierung Kohl litten nicht zuletzt die CDU-Landesverbände, da reihenweise Landtags832 Zur Konzeption dieses Modells: Schönbohm 1985: 99-159 833 Lannguth 2001: 55f 834 Fabris 1989: 119-128, Donsbach 1993: 389-407, Farell/Wortmann 1987: 297-318
8.3 Innerparteiliches Leben
223
wahlen in den 1990er Jahren verloren gingen. Durch die Abkoppelung des Willensbildungsprozesses vom Rekrutierungsprozess, der sich bereits in den 1980er Jahren abzeichnete und sich in den 1990er Jahren vollständig realisierte, wurde die Partei auch in einem zentralen Punkt nicht mehr vernetzt: der programmatischen Mobilisierungsfähigkeit. Nun war die CDU nie eine Partei überhöhter ideologischer Visionen gewesen. Aber die Union besaß stets mobilisierende Schlagworte für politische Konzepte, die ihr nun abhanden kamen. Dies lag zum einen daran, dass ein wesentliches Gründungsthema – der Antikommunismus – sich mit der Wende selbst erübrigt hatte. Die Programmdebatte verdeutlichte aber, dass obwohl die einenden Werte gleich blieben, der Union es zunehmend schwer fiel, ihre Schlagworte – wie etwa in der Wirtschaftspolitik – neu zu beleben. Dies zeigte nicht zuletzt die Arbeit am Grundsatzprogramm von 1994. 8.3.1 Die CDU bekräftigt ihre Werte: Das Grundsatzprogramm von 1994 Auf ihrem Vereinigungsparteitag in Hamburg von 1990 beschlossen die Delegierten, ein neues Grundsatzprogramm zu verfassen. Dies sollte dokumentieren, dass die Partei nicht eine bloße Erweiterung erfahren hatte, sondern ein tatsächlicher Neubeginn versucht wurde. Insbesondere im Hinblick auf die Attraktivität im politischen Markt wollte die Parteiführung unterstreichen, dass die CDU nicht nur die Partei war, die die deutsche Einheit maßgeblich vorangebracht hatte, sondern sich auch als erste wirklich „wiedervereinigte Partei“ betrachtete, die durch ein neues Grundsatzprogramm programmatisch vereint wurde.835 Die Zielsetzung der Formulierung des Programms war von vornherein auf die öffentliche Wirkung im politischen Markt ausgerichtet und unterschied sich damit erheblich vom Ludwigshafener Programm von 1978, das neue programmatische Positionen in der Partei breit diskutieren und ein neues Parteiprofil festschreiben wollte. Das Ludwigshafener Programm war demnach stark innerparteilich orientiert und folgte damit der klassischen Funktion eines Grundsatzprogramms, das stärker an den innerparteilichen Diskurs und weniger an der äußeren Wirkung des Textes orientiert war.836 Die Parteiführung der CDU folgte 1994 einer anderen Richtung. Das Papier sollte den Charakter einer wiedervereinigten Partei in
835 So zitiert das Handelsblatt vom 18.01.1993 den Vorsitzender der CDU-Grundsatzprogramm Reinhard Göhner: Das Jahr 1993 sollte nun nach dem Willen der Parteispitze ein Jahr der Programmdiskussion sein, ehe die Grundsätze im Februar 1994 auf dem CDU-Parteitag in Hamburg verabschiedet werden sollten. Die CDU sollte mit ihrem neuen Grundsatzprogramm dann in das „Mega-Wahljahr 1994“ (Göhner) gehen, in dem außer der Bundestagwahl weitere 18 Landtags- und Kommunalwahlen stattfinden würden. Auch Helmut Kohl äußerte sich auf dem „Grundsatzforum“ – einen Kongress zur vorbereitenden Beratung des Grundsatzprogramms – in ähnlicher Weise: „Die CDU sei die erste Partei in Deutschland, die sich mit dem derzeit in allen Gliederungen diskutierten Entwurf ein gesamtdeutsches Grundsatzprogramm nach der Wiedervereinigung geben werde. Für die CDU seine die Leitsätze nicht nur eine organische Weiterentwicklung alter Programme, sondern zugleich eine Rückbesinnung auf die Ursprünge. Echte Politik könne nur aus festen weltanschaulichen Grundansichten betrieben werden. Diese lägen bei der CDU im christlichen Menschenbild, in Soziallehre und in Sozialethik der beiden großen Kirchen und in der europäischen Aufklärung.“ [FAZ, 26.6.93 ] Auch Statement von Bernhard Vogel auf dem Hamburger Parteitag 1994: „… Dabei sind wir die erste deutsche Partei, die dieses Programm gemeinsam für alle deutschen Länder schreibt und als ein Programm versteht, das für unser ganzes Vaterland Gültigkeit hat.“ [vgl. Protokoll des 5. Parteitags der CDU Deutschland 21.-23. Februar 1994, S. 187.] 836 Vgl. Klingemann/Volkens 1997: 517ff. Auch Lösche 1994
224
8 Die CDU in den neunziger Jahren
der Öffentlichkeit837 unterstreichen und zum anderen nach einer über zehn jährigen Regierungszeit das Regierungshandeln normativ begründen. Das Programm war deswegen bereits zu Beginn der Debatte stark auf die öffentliche Wirkung ausgerichtet und daher auch zeitlich auf das Superwahljahr 1994, in dem nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch 18 weitere Landtags- und Kommunalwahlen stattfanden, abgestimmt worden. Diese unterschiedliche Zielrichtung erklärte von Anfang an, die sowohl im zeitlichen, als auch in der inhaltlichen Tiefe verkürzte Auseinandersetzung des neuen Grundsatzprogramms im Vergleich zum ersten CDU-Grundsatzprogramm.838 Zudem war die anfängliche Begründung – mit der Erfüllung der deutschen Einheit benötige die CDU neue Ziele, da ihr grundlegendstes erfüllt sei839– mehr als dünn. Denn das zentrale Element des bisherigen Grundsatzprogramms der CDU war nicht deutschlandpolitisch orientiert gewesen. Dieser Punkt war nie innerparteilich umstritten. Vielmehr stellte das Ludwigshafener Programm in der Gesellschaftspolitik Neuansätze dar. Im neuen Programm wurden dagegen neue gesellschaftspolitische Ideen nicht aufgezeigt. Das prägende Element war 1994 die Kontinuität. Denn die CDU-Führung konnte an einer strittigen Diskussion über die zukünftige Politik der CDU aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen wenig interessiert sein. Dies lag zum einen an der Rolle als Regierungspartei: Jede präzise inhaltliche Diskussion hätte den Regierungsalltag belastet.840 Allerdings konnte eine konstruktive programmatische Debatte nicht die Regierungsarbeit ausklammern. Ansonsten wäre sie vollkommen realitätsfern und wirkungslos geworden. Als Ausweg sollte die Programmdiskussion auf eine andere Ebene gehoben werden, die die Regierungsarbeit unterstützen sollte – nämlich auf eine normative. An Helmut Kohls Regierungsarbeit wurde nicht erst seit der Wiedervereinigung kritisiert, sie sei visionslos, würde die Probleme des Landes nur aussitzen und von der ursprünglich propagierten geistig-moralischen Wende sei überhaupt nichts mehr zu erkennen.841 Um dieser Kritik entgegenzuwirken, kam eine grundsätzliche Wertedebatte Helmut Kohl günstig gelegen. Dass er damit den Nerv der Partei exakt traf, sollte die Kritik am ersten Entwurf zeigen, der vielen Parteimitglieder zu wenig wertefundiert und zu stark an der Tagespolitik orientiert war. Auch wurde angemahnt, eine größere Kontinuität zum Ludwigshafener Programm – insbesondere im Wertekapitel – aufzuzeigen.842 Innerparteilich wurde damit der Wunsch ausgedrückt, verstärkt Werte zu betonen. Wie sich aber abzeichnen sollte, war damit keine normative Neuausrichtung gemeint, sondern eine im Zuge von einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft und auch der eigenen Basis verunsicherten 837 U.a. wurde daher zum ersten Vorsitzenden der Grundsatzprogrammkommission Lothar de Maiziere berufen. 838 Vgl. zur Debatte des ersten Grundsatzprogramms Schönbohm 1985:141-145 839 Vgl. das Statement von Bernhard Vogel: „… Wir schreiben ein neues Programm, weil einer der zentralen Punkte des Ludwigshafener Programms erfüllt ist: Wir sind ein wiedervereinigtes Volk. Deswegen müssen wir neue Ziele in unserem Grundsatzprogramm formulieren.“ [vgl. Protokoll des 5. Parteitags der CDU Deutschland 21.-23. Februar 1994, S. 187] Auch hatte Helmut Kohl die gleiche Auffassung [vgl. Handelsblatt vom 28.8.93] 840 Dies zeigten schließlich auch die Vorschläge der Grundsatzkommission zu Europa und steuerpolitischen Überlegungen bezüglich der Umwelt- und Familienpolitik [vgl. Handelsblatt vom 23.12.93] 841 Seeber 1995: 140f und 150f, Dettling 1994: 5 842 Dazu schreibt die Süddeutsche Zeitung vom 27.08.1993: „Die CDU wird den ersten Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms stark überarbeiten. … Göhner betonte, vor allem im Grundlagenteil müsse stärker Bezug auf vorangegangene Parteiprogramme genommen werden. In den Eingaben habe es eine ‚deutliche Nachfrage nach christlichen Werten’ gegeben, die in dem Entwurf offenbar zu kurz gekommen seien. … Göhner räumte ein, dass der Programmentwurf überladen und auch in Teilen von aktuellen Themen geprägt sei. Deswegen betonte er, dass die ‚Tagespolitik’ rausfliegt.“
8.3 Innerparteiliches Leben
225
Partei843 ein bekräftigendes Bekenntnis zu den christlichen Werten abzugeben.844 Die Betonung der traditionellen Werte, jedoch ohne ihren realpolitischen Bezug zu veränderten Rahmenbedingungen zu nennen, ersetzte nicht das Aufzeigen neuer politischer Ziele. Letzteres fehlte aber aufgrund des Willens der Parteiführung und mit Einverständnis der Parteibasis. Daher lässt sich in der Rückschau des Entstehungsprozesses des Grundsatzprogramms feststellen, dass die grundsätzliche Wertedebatte eher bestärkenden als reformerischen Charakter trug. Das christliche Menschenbild wurde auch weiterhin als Dreh- und Angelpunkt der CDU angesehen.845 Wie 1978 wurden auch 1994 Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit als die drei Grundwerte der Christlichen Demokratie in Deutschland angesehen.846 So betonte auch Bernhard Vogel in seinem Einleitungsbeitrag über den Grundwerteteil des Grundsatzprogramms: „…Dieses Programm steht in der Tradition unserer Partei. Es steht in der Tradition christlichdemokratischer Programmatik und ist vom christlichen Verständnis vom Menschen und den daraus abgeleiteten Grundwerten geprägt. …Unsere Programmatik ist durch die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit geprägt. Zu diesen Grundwerten mag man neu Stellung beziehen, aber diese Grundwerte kann man nicht beliebig alle zehn Jahre in Frage stellen.“847
Die CDU hielt an ihrem „C“ fest. Alles andere hätte auch eine Revolution gerade in den westdeutschen Landesverbänden bedeutet. Bedenkt man zudem, dass Grundsatzprogramme Konsenspapiere sind, in dem sich jedes Mitglied wiederfinden soll, so verwundert der Verweis auf das christliche Menschenbild nicht. Umso interessanter ist jedoch seine Begründung. Das Christliche in der Politik der CDU wurde ausschließlich auf das Menschenbild und nicht auf konkrete Politik- oder Organisationsgestaltung festgemacht.848 Vielmehr galt das „C“ als Basis für die Grundwerte der CDU, und dabei besonders ihr Bezug zur Menschenwürde. Hier galten die Freiheit und ganz besonders die freiheitliche Grundordnung als zentrales Element.849 Freiheit wurde im Grundsatzprogramm von 1994 als der zentrale 843 Anton Pfeifer weist auf diese Problematik in seinem Beitrag hin, der im offiziellem Begleitband zum Grundsatzprogrammentwurf erschien. Er stellt fest: „… nach neueren Erhebungen ist die Zahl derer, die sich zu keiner christlichen Kirche bekennen, im vereinten Deutschland mit knapp 26 Millionen fast genauso groß wie die Zahl der Katholiken mit knapp 27 Millionen und die Zahl der evangelischen Christen mit 27,5 Millionen. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht, wie zunächst gesagt wurde, mit der Wiedervereinigung evangelischer geworden, sondern der Anteil derer, die sich zu keiner Konfession bekennen, ist größer geworden und beträgt heute fast ein Drittel der Bevölkerung. Die Mitgliederstruktur der CDU bleibt von dieser Entwicklung nicht unbeeinflusst. [Pfeifer 1993: 28] 844 Anton Pfeifer schrieb im offiziellem Begleitband zum Grundsatzprogrammentwurf: „Das Festhalten am „C“ im Programm und im Namen der Union ist für die Identität der CDU unverzichtbar und nicht aufgebbar. Es ist zugleich der entscheidende Integrationsfaktor für unsere gemeinsame Arbeit. Ohne ihn würden wir nicht – wie manche meinen – zu einem weltanschaulich neutralen Sammlungspartei werden, in der Christen, wie in anderen Parteien, auch mitwirken können, sondern, wir würden schnell auch jegliche Bindungswirkung als Volkspartei verlieren.“ [Pfeifer 1993): 35] 845 Bereits im ersten Absatz beruft sich das Grundsatzprogramm auf das christliche Menschenbild, der fast gleich lautend abgefasst ist: „Die Christliche Demokratische Union Deutschlands ist eine Volkspartei. Sie wendet sich an alle Menschen in allen Schichten und Gruppen unseres Landes. Unsere Politik beruht auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott.“ [Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“, S. 367] 846 Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“, S. 369 847 Protokoll des 5. Parteitags der CDU Deutschlands, S. 187-189 848 Pfeiffer 1993: 30 849 Pfeiffer 1993: 32
226
8 Die CDU in den neunziger Jahren
Wert gesehen, denn dieser würde die freiheitliche Grundordnung von totalitären Staatsmodellen trennen. Der zentrale Aspekt dieser Freiheit müsse die Menschenwürde sein.850 Der Geschäftsführer der CDU-Grundsatzkommission, Thomas Gauly, wies auf Reflexions- und Theoriedefizite der Partei hin. Dabei würde es ihr nicht mehr gelingen, die geistige Auseinandersetzung über die politische Dimension des Christlichen zum Thema von Partei und Öffentlichkeit zu machen. Sie habe dabei den Kern ihrer Programmatik nicht kontinuierlich aktualisiert und weiterentwickelt. Stärker als bisher sollte die Partei über das christliche Ethos ihrer Programmatik nachdenken.851 Obwohl die personale Würde und Freiheit des Menschen genuin christlichen Ursprungs seien, würde dies nicht bedeuten, dass sie für eine säkulare Gesellschaft nicht akzeptabel und annehmbar sein. Das christliche Menschenbild sollte gerade auch für Nicht-Christen aufgrund der kulturellen Tradition die verbindende Wertordnung für politisches Handeln sein. Der Aspekt der Freiheit wurde dabei besonders betont. Die Diskussion bekräftigte, dass der Staat nicht der Organisator von Solidarität sein konnte. Solidarität müsste vielmehr in der Gesellschaft selbst entstehen. Der Staat hätte in den vergangenen Jahren schon zu viele Verpflichtungen übernommen, die durch Steuergelder alleine volkswirtschaftlich vertretbar und nicht finanziert werden könnten.852 Den Begriff der Freiheit ergänzte das Grundsatzprogramm mit den Werten Gerechtigkeit und Solidarität.853 Hier zeigte sich in der Grundsatzdebatte, dass die Union die Senkung der Staatsquote zwar „gerecht“ gestalten wollte, aber doch in den kommenden Jahren zügig durchgesetzt werden sollte. Freiheit wurde in der Union nun nicht nur außen- und gesellschaftspolitisch, sondern immer stärker wirtschaftspolitisch betont. In der Grundsatzkommission vertrat Roland Koch diesen Schwenk an prominenter Stelle. Er folgte damit einer spannenden Debatte, die von Kurt Biedenkopf losgetreten, aber von der Parteiführung in der Grundsatzdiskussion nicht weiter berücksichtigt wurde. Sie enthielt für ein Wahljahr viel zu viel Sprengstoff. Kurt Biedenkopf wies im Rahmen der Grundsatzdebatte darauf hin, dass die Politik viel zu lang und intensiv damit beschäftigt gewesen war, persönliche Ansprüche zu entdecken und zu ermuntern. Die Rechte des einzelnen hätten die Union in der Vergangenheit hinreichend beschäftigt. Darüber würden Defizite in der politisch wirksamen Festlegung gemeinsamer Ziele und Interessen entstanden. Sie müssten abgebaut werden. Nur so könnte die Störung des Gleichgewichts zwischen Freiheit und Verantwortung für das Ganze überwunden werden.854 Insbesondere das „Besitzstandsdenken“ kritisierte Kurt Biedenkopf. Es würde im Bürger mehr einen Anspruchsberechtigten und im Staat mehr einen Erfüllungsgehilfen individueller Wünsche sehen. Die CDU würde einem falschen Zeitgeist folgen, wenn sie den Staat auf das Gesellschaftliche beschränken wollte und die Gesellschaft dann zur Amme mache, die dem Bürger in allen Notfällen zur Seite stehen müsste. Hier müsste sich die CDU für mehr Eigenverantwortung aussprechen. Der Diskussionsprozess zeigte, dass der Bundeskanzler die Programmarbeit zielgerichtet steuerte und kontrollierte. Sie war keine ergebnisoffene Diskussionsplattform, sondern sollte speziell für die Position auf dem politischen Markt ein gutes Ergebnis bieten. Als Parteivorsitzender konnte Helmut Kohl über die finanziellen Mittel und die Zeitvorga850 851 852 853 854
Gauly 1993: 261-263 Ebd: 265 Koch 1993: 43 Ebd: 37 FAZ vom 13.5.93
8.4 Petersberger Steuervorschläge
227
ben entscheiden. Er wählte aus, wer an den Formulierungen beteiligt werden sollte und setzte die Rahmenbedingungen, unter denen sich die Kommission intern mit den Mitgliedern austauschen durfte. Die Programmarbeit war in die laufende inhaltliche Arbeit der Bundesgeschäftsstelle nicht eingebunden. Die Bundestagfraktion, die Ministerialbürokratie und das Bundeskanzleramt wurden durch die personale Beteiligung von Hans Reckers, Horst Teltschik und Klaus Gotto einbezogen.855 Der Willensbildungsprozess der Partei im Rahmen der Grundsatzprogrammdebatte bestätigte, dass die CDU programmatisch elitär, das heißt von der Parteiführung gesteuert wurde und gerade seitens der Mitgliedschaft keine politischen Impulse bekam. Die Parteibasis – insbesondere das mittlere Parteimanagement – zog sich auf die Personalauswahl zurück. Gerade die Debatte auf dem Parteitag 1993 zum Grundsatzprogramm demonstrierte dies eindrucksvoll. Bereitwillig wurde auf die traditionellen Werte verwiesen, eine Neuformulierung abgelehnt und neue gesellschaftswie auch wirtschaftspolitische Initiativen gesucht. Diese kamen – wie die Petersberger Steuerbeschlüsse zeigen sollten – vom Parteiestablishment und wurden von der breiten Parteibasis getragen. 8.4 Petersberger Steuervorschläge Folglich kam auch bei dem Abfassen der Petersberger Steuervorschläge ein ähnlicher Willensbildungsprozess zustande wie beim Grundsatzprogramm. Die Petersberger Steuervorschläge hatten eine umfassende Steuerreform zum Ziel. Dass eine Reform der Einkommenssteuer eine der zentralen politischen Fragen der letzten Legislaturperiode in der Kanzlerschaft Helmut Kohls werden würde, war nach dem Wahlprogramm der Unionsparteien nicht unbedingt zu erwarten. Allerdings rückte diese Reform immer mehr in den Blickpunkt, da die Union aufgrund der enormen Arbeitslosigkeit auf dem politischen Markt immer stärker in Bedrängnis geriet. Der Handlungsdruck wurde für die CDU in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre immer drängender. Bei den vielen Diskussionen um Lösungswege gerieten häufig die Sozialpolitiker mit den Wirtschaftsliberalen aneinander. Die Konfliktlinien liefen sowohl quer durch die Unionsfraktion als auch zwischen CDU/CSU und FDP.856 Eine CDU-Kommission, in der die Landesverbände und alle Vereinigungen der Partei vertreten waren, erarbeitete unter der Leitung von Wolfgang Schäuble entsprechende Vorschläge. Angestrebt wurden eine deutliche Nettoentlastung und eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts. Dabei legte man sich auf folgenden Tarif fest: Der Eingangssteuersatz der Einkommenssteuer nach dem Existenzminimum sollte von 25,9 auf unter 20 Prozent gesenkt werden, während beim Spitzensatz eine Senkung von 53 auf 35 Prozent vorgeschlagen wurde. Ebenso auf 35 Prozent sollte die Körperschaftssteuer festgelegt werden. Auf der anderen Seite sollte die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer erweitert werden. So sollten Lohnersatzleistungen, die nach geltendem Recht dem Progressionsvorbehalt unterlagen, in die Besteuerung einbezogen werden. Ebenso sollte es den bisher steuerfreien Lohnteilen wie den Zuschlägen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ergehen. Die Absetzbarkeit von privat mitveranlassten Ausgaben wie Geschäftsessen sollte eingeschränkt und die Kilometerpauschale für Fahrten zum Arbeitsplatz auf 20 Pfennig pro Ki855 Reichart-Dreyer 2000: 232ff 856 Schäuble 2000: 16
228
8 Die CDU in den neunziger Jahren
lometer begrenzt werden. Daneben waren Einschränkungen im Unternehmensbereich vorgesehen.857 Die CSU und Teile der CDU – insbesondere aus ländlich geprägten Flächenstaaten – widersetzen sich einer erheblichen Kürzung der Pendlerpauschale.858 Das Ressentiment dagegen war aber weniger wirtschaftspolitisch als vielmehr wahltaktisch begründet. Zahlreiche Politiker fürchteten sich vor verstimmten Berufspendlern und deren Auswirkungen am Wahltag. Das grundsätzliche Vorhaben wurde aber nicht in Frage gestellt. Weder auf dem Bundesparteitag von 1996 noch in der vorangegangen Diskussion regte sich ernsthafter Widerstand gegen die relative Senkung des Spitzensteuersatzes. Die Sozialausschüsse hatten diese Senkung sogar in ihr eigenes Konzept aufgenommen, was angesichts des heftigen Widerstandes der Steuerreform von 1990 einem großen Sinneswandel gleichkam.859 Auf Grundlage der Parteitagsbeschlüsse erarbeitete eine von der schwarz-gelben Koalition eingesetzte Kommission die Petersberger Steuervorschläge. Sie sahen folgende Regelungen vor: Im Entlastungsbereich sollten die Steuersätze deutlich gesenkt werden. Dazu war für 1999 vorgesehen, den Eingangssteuersatz, der bei gut 13.000 DM einsetzen sollte, auf 15 Prozent zu senken. Dieser Grenzsteuersatz sollte für alle Einkommen bis 18.000 DM gelten. Bei Einkommen über 18.000 DM sollte der Grenzsteuersatz auf 22,5 Prozent springen und von dort linear ansteigen bis zu einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent, der bei einem Einkommen von 90.000 DM erreicht werden sollte. Der Höchstsatz für gewerbliche Einkünfte sollte von 47 auf 35 Prozent sinken. Auch sollte die Körperschaftssteuer von 45 auf 35 Prozent sinken. Die Petersberger Beschlüsse gingen in vielen Bereich erheblich über die Regelungen der Steuerreform von 1990 hinaus. Dies betraf schon das Finanzvolumen, das mit der Reform bewegt werden sollte. Die CDU verfolgte nun mit dieser Reform eine stärkere angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, unter anderem durch die erhebliche Senkung des Spitzensteuersatzes. Schließlich konnte sich die Koalition 1997 im Gegensatz zu 1987 bei der Erweiterung der Bemessungsgrundlage auch auf Maßnahmen verständigen, die Kürzungen in sozial sensiblen Bereichen betrafen, etwa bei der Besteuerung von Renten und Lohnersatzleistungen.860 Ein Grund war neben der hohen Arbeitslosigkeit auch das Anschnellen der Staatsquote im Zuge der Wiedervereinigung. War es der christlich-liberalen Koalition noch in 1980er Jahren gelungen, die Staatsquote merklich zu verringern, so kehrte sich dieser Trend infolge der Deutschen Einheit nach 1990 um. Hatte der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt 1989 noch bei 45,3 Prozent und 1990 bei 45,8 Prozent gelegen, schnellte er in den Folgejahren in die Höhe: 1993 überstieg die Staatsquote die 50 Prozent Hürde, unter der sie erst wieder 1997 gedrückt werden konnte. Die Hauptlast der Vereinigungskosten wurde über die Sozialversicherungen und über die Staatsverschuldung finanziert. So stieg die Abgabenquote von 15,9 Prozent im Jahr 1989 auf 19 Prozent im Jahr 1997.861 Die umfassendsten Steuerreformvorschläge in der Kanzlerschaft von Helmut Kohl erhitzten nicht die Gemüter der Partei. Sie trugen die Reform mit, deren Pläne von der Fraktionsführung in Abstimmung mit den Fachministerien erarbeitet wurden. Ein Blick auf die Entscheidungsfindung der Partei zeigt, dass von einer Alleinherrschaft Kohls in dieser Zeit 857 858 859 860 861
Zohlnhöfer 2001: 238 Ebd Ebd Ebd: 245 Homeyer 1998: 353
8.5 Die Privatisierung in der Politik der CDU
229
keine Rede sein konnte. Neben der Riege der Ministerpräsidenten der Union, deren Macht und Autonomie sich etwa bei der Frage der Finanzierung der deutschen Einheit gezeigt hatte, etablierte sich im Laufe des Jahrzehnts Wolfgang Schäuble als zweiter Mann. Zudem wurden Repräsentanten der neuen Bundesländer – wohl mehr symbolisch als machtpolitisch begründet – in den Führungsgremien der Partei aufgenommen. Schwächer geworden war der Einfluss der Vereinigungen: Eine Reformkoalition aus Junger Union, Sozialausschüssen und Frauenunion wie in den siebziger Jahren war in den neunziger Jahren nicht zu finden. Auch hat eine Reihe von empfindlichen Wahlniederlagen auf Landesebene den innerparteilichen Föderalismus relativiert. Die sinkenden Attraktivität der Union bei den Landtagswahlen stärkte die Bundesebene um den Partei- und auch den Fraktionsvorsitzenden.862 Der auf das Regierungshandeln ausgerichtete Willensbildungsprozess der Partei zeigte sich auch bei den in der Wirtschaftspolitik größten Projekten in den 1990er Jahren: der Privatisierung. 8.5 Die Privatisierung in der Politik der CDU In den 1980er Jahren war für Unionsparteien zum Leidwesen ihres liberalen Koalitionspartners die Unionsparteien die Privatisierung kein großes Thema.863 Im Gegensatz zu anderen Mitte-Rechts-Regierungen in Westeuropa und der ersten Regierungserklärung von Helmut Kohl, in der er die Reduzierung staatlicher Involvierung in der Wirtschaft und die Stärkung der Marktkräfte ankündigte, waren neoliberale Wirtschaftswissenschaftler über das Erreichte enttäuscht. Die intendierte Deregulierung und Privatisierung sei nahezu insignifikant geblieben.864 Immerhin wurden 1982/83 noch Zahlen über ein enormes Privatisierungspotenzial vorgetragen. Es wurde ein Vermögen von zwei Billionen DM kolportiert. Zu diesem zählte ein gewerbliches Vermögen von 20 Prozent oder 400 Milliarden DM. Ein beachtlicher Teil davon würde privatisierungsfähig sein.865 Diese ausgebliebene Privatisierung hatte jedoch nicht nur politische Gründe. Sie begründete sich auch aufgrund der speziellen industriellen Rahmenbedingungen. Die Soziale Marktwirtschaft gab prinzipiell privater Initiative und privatem Eigentum Vorrang und zielte darauf ab, staatliche Interventionen zu minimieren. Zu Nationalisierung von Branchen und Unternehmen kam es – im Gegensatz beispielsweise zu Großbritannien, Frankreich und Österreich – nicht.866 Als Folge des Verzichts der Bundesrepublik auf eine Nationalisierung von Schlüsselindustrien nach dem Zweiten Weltkrieg stammten alle bestehenden Staatsanteile aus der Zeit des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches.867 Als Folge war der staatliche Anteil an Unternehmen im westeuropäische Vergleich sehr gering.868
862 863 864 865 866 867 868
Jox/Schmid 2002: 77 Esser 1988: 61 Woll 1987: 11f Knauss 1993: 123f Ebd: 139 Esser 1988: 62 1987 war im westeuropäischen Durchschnitt der staatliche Anteil an den 269 größten Unternehmen bei 13.7 %. In Deutschland betrug der Wert lediglich 3.9 % und war damit der kleinste Anteil von allen Ländern.
230
8 Die CDU in den neunziger Jahren
Trotzdem wurden im Laufe der bundesrepublikanischen Geschichte grundlegendere Privatisierungen durchgeführt: In konsequenter Umsetzung der an der Marktwirtschaft orientierten Beteiligungspolitik begann bereits in den 1950er Jahren die Diskussion um die Privatisierung von Aktien am Bundesbesitz. Ludwig Erhard setzte auf dem Bundesparteitag der CDU am 14. Mai 1957 die Akzente. Der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft sollte verringert werden. Eingebettet in das Konzept „Wohlstand für alle“ wurde die Beteiligung breiter, einkommensschwächerer Schichten am Produktivkapital der öffentlichen Unternehmen eingeleitet, nicht zuletzt auch in Form von Belegschaftsaktien für die Mitarbeiter der Unternehmen. Zielsetzung war zugleich, die Aktie in Form der Vermögensanlage zu popularisieren, das durch Konzentrationstendenzen ausgezehrte Börsenkapital anzureichern und schließlich den Kapitalbedarf der öffentlichen Unternehmen ohne Belastung des Etats zu decken.869 Das vorrangige Ziel lag in der Schaffung von Volksaktien und war die Reaktion von Ludwig Erhard und seinen neoliberalen Kreise auf die Idee der Sozialausschüsse auf die Miteigentumspläne.870 Diese Privatisierungspläne entsprachen also nicht dem vorrangigen Ziel, die Balance zwischen staatlicher und privater Wirtschaft zu ändern, sondern breite Volksschichten an Vermögensbildung zu beteiligen.871 Auf diesem Wege wurde Preussag 1959 komplett privatisiert und die Bundesbeteiligungen an VW und an VEBA veräußert. Die Bundesrepublik kann somit als das Mutterland großer Privatisierung in breiter Streuung von Aktien gelten. Hier waren die bereits skizzierten vermögenspolitischen Initiativen der Unionsparteien maßgeblich. In der Folgezeit verpuffte jedoch diese Aktienstreuung.872 Die zweite Privatisierungsdiskussion Mitte der 70er Jahre drehte sich im Schwerpunkt um die Aufgabenverlagerung auf Private, vor allem im kommunalen Bereich.873 Erst die Diskussion nach der Regierungsübernahme 1982 durch CDU/CSU und FDP war wieder auf ein Gesamtkonzept nicht nur der Privatisierung, sondern der Entstaatlichung überhaupt gerichtet.874 Sowohl die Privatisierung des Fernmeldewesens als auch die Privatisierung der Deutschen Bahn entsprangen aber nicht einer klaren wirtschaftspolitischen Vorstellung der Union, sondern waren zweckrational ausgerichtet. Hier gab es zwei externe Anlässe: Zum einen ergriff – wie im Falle des Fernmeldewesens – als Folge von weltwirtschaftlichen Zusammenhängen die europäische Ebene die Initiative. Die Union unterstützte diese Politik, sie führte aber weder zu ideologischen Profilierungen auf dem politischen Markt noch im innerparteilichen Leben. Zum anderen wurden die Privatisierung durch die erheblichen finanziellen Lasten der deutschen Einheit und des dortigen massiven Investitionsstaus ausgelöst. Ein gutes Beispiel war hier die Privatisierung der Bahn. Beide Privatisierungsmaßnahmen waren aber kein Ausdruck eines neoliberalen Kursschwenks der Union, sondern einem pragmatischen Regierungshandeln geschuldet.
869 870 871 872 873 874
Zum Beispiel betrug der Wert in Frankreich 24.9%, in Großbritannien 12.5 %, in Italien 51.8 % und in Österreich sogar 82 %. [vgl. Esser 1988: 64] Knauss 1993: 142 Vgl. Dietrich 1996: 326-335. Auch Knauss 199: 142f Hockerts 1986: 25ff Esser 1988: 68 Knauss 1993: 143 Tietmeyer 1983: 281ff
8.5 Die Privatisierung in der Politik der CDU
231
8.5.1 Privatisierung des Fernmeldewesens Die Idee der Privatisierung der Telekom und die Streuung ihrer Aktien war das größte Privatisierungsprojekt der 199er Jahre. Dabei galt das Staatsmonopol im Post- und Fernmeldewesen seit jeher als sakrosankt. Auch die CDU/CSU-Opposition forderte in der Zeit der sozialliberalen Koalition keine Privatisierung. Der Impuls zur Privatisierung entstand somit weniger aus dem nationalen Parteienwettbewerb. Sie folgte einer Initiative auf europäischer Ebene. Diese war eine Reaktion auf amerikanische Firmen, die sich im Gefolge der dortigen Deregulierung in Europa zu engagieren begannen. 1987 erschien das erste einer Reihe von Grünbüchern, in dem die Kommission Vorschläge für eine EG-Telekommunikationspolitik erarbeitete, die in den Bereichen Netzentwicklung und Basisdienste die Monopole belassen, zusätzliche Dienste und die Bereitstellung von Endgeräten jedoch der Konkurrenz öffnen und die Trennung von regulativen und operativen Tätigkeiten herbeiführen sollte. Der Europäische Rat übernahm die Grundlinien dieser Politik 1988 und fasste erste Umsetzungsbeschlüsse.875 Nach Beschluss des Ministerrats der EG vom 22. Juli 1993 und vom 22. Dezember 1994 mussten die Mitgliedstaaten den Telekommunikationssektor bis zum 1.1.1998 liberalisieren. Wie der Wettbewerb in diesem Bereich aber geregelt werden sollte, blieb vergleichsweise offen und war im wesentlichen Sache des einzelnen Staates.876 Ein weiterer Beleg für die vergleichsweise „ideologiefreie“ Privatisierung lässt sich an den ersten Schritten der christlich-liberalen Koalition erkennen. Nicht der rasche Verkauf erstarkter Beteiligungen, sondern Bereinigungen in Problembereichen standen im Vordergrund der ersten Privatisierungen. Sie wurden vom Finanzministerium und nicht von einem eigenem Ministerium vorbereitet und durchgeführt. Das Fernmeldewesen gehörte jedoch nicht dazu.877 Neben den Veränderungen in den tatsächlichen Rahmenbedingungen spielten veränderte Einstellungen und Einschätzungen über die Leistungsfähigkeit von Markt und Staat eine Rolle. Wie in anderen Bereichen auch war die Staatsnähe im Post- und Fernmeldewesen zum Teil durch die militärische Bedeutung bedingt, und wurde auch mit der Bedeutung von Post und Telekommunikation als Teil der industriellen Infrastruktur begründet. Sie führte wiederum zu Versorgungspflichten, die ihrerseits durch Staatsmonopole und öffentlich-rechtliche Organisationsformen der Aufgabenwahrnehmung gesichert wurden, weil angesichts der in Frage stehenden Güter und dem Vorliegen natürlicher Monopole die Zulassung eines einzigen Unternehmens als adäquates Ordnungsmittel betrachtet wurde. Diese Auffassung wurde allerdings zunehmend in Zweifel gezogen. Die Effizienz der Aufgabenwahrnehmung durch öffentlich-rechtliche Unternehmen und die Begründung ausschließlicher Rechte wurde für die Post und Telekommunikation in Frage gestellt. Um die Dienstleistungen im Bereich der Post und der Telekommunikation zu verbessern, die Sicherheit der Arbeitsplätze zu gewährleisten und für die Stabilität des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu sorgen, schien insbesondere die Privatisierung der bisher unter dem Dach der Deutschen Bundespost agierenden öffentlichen Unternehmen DBP Postbank, DBP Telekom und
875 Göbel 1996: 273f 876 Benz 1997: 291ff 877 Knauss 1993: 148
232
8 Die CDU in den neunziger Jahren
DBP Postdienst erforderlich.878 Im Gegensatz zur großen Steuerreform 1998/99 ging das Telekommunikationsgesetz problemlos über die politische Bühne. Die politische Entscheidung zugunsten einer Liberalisierung war faktisch bereits schon zu Beginn gefallen. Sie stand damit nicht im Zentrum der politischen Auseinandersetzung und auf dem politischen Markt um Wählerstimmen. 8.5.2 Die Privatisierung der Bahn Diese ideologiefreie Privatisierung des Telekommunikationsbereiches zeigte sich auch bei der Bahn. Der Vergleich mit der britischen Bahnreform von 1993 offenbarte bereits, dass in der Bundesrepublik keineswegs eine übermäßig weitreichende Reform verabschiedet wurde, setzte die Conservative Party doch sogar die Aufteilung von British Rail in mehr als dreißig Unternehmen und deren materielle Privatisierung sowie ein noch wesentlich liberaleres Regulierungsregime durch.879 Der Konfliktfall bestand in erster Linie zwischen Bund und Ländern, bzw. zwischen Finanzministerium und dem Verkehrsministerium über die Finanzierung der Bahnreform. War also in erster Linie administrativ bedingt. Dies betraf vor allem die Frage des Regionalverkehrs.880 Die Länder hatten hierbei vor allem zwei Interessen, die mehr aufgrund ihres politischen Ebeneninteresses als aufgrund ideologisch-programmatischer Punkte ihre Begründung fand. So waren auch die stärksten Kritiker auf dem Weg der Privatisierung, die Länder Bayern und Hessen, in unterschiedlichen politischen Lagern zu finden. Zum einen waren die Länder an einem weiterhin flächendeckenden Regionalbahnnetz interessiert, und betrachteten diese Punkte nicht allein aufgrund unternehmerischer Erfolge des zukünftigen Gesamtkonzerns, sondern aufgrund regionaler Entwicklungschancen und den Interessen des ländlichen Raums. Aus diesem Grund waren sie gegenüber der Privatisierung des Bahnnetzes skeptisch eingestellt.881 Zum anderen wollten sie auf den finanziellen Kosten des Regionalverkehrs nicht sitzen bleiben und wollten daher eine ausreichende Kompensation vom Bund.882 Nachdem der Bund sich bereit erklärt hatte, den Ländern die Kosten für den Regionalverkehr zu erstatten, war dieser Ebenenkonflikt gelöst. Mit der Bahnreform wurde ein Gesetz mit einer breiten, die SPD einschließenden Mehrheit verabschiedet, das weit über das hinausging, was als Umsetzung von EG-Regelungen notwendig gewesen wäre.883 Der Grund für diesen Politikwechsel lag vor allem auch in der wirtschaftlich schwierigen Lage der deutschen Bahnen, d.h. der westdeutschen DB und der ostdeutschen Reichsbahn. Diese Situation brachte einen parteiübergreifenden Konsens unter den Verkehrspolitikern hervor, dass der bestehende Ordnungsrahmen unhaltbar sei, weil er entweder zu massiven
878 879 880 881
Benz 1997: 293f Knill/Lehmkuhl 2000: 71f Vgl. Lehmkuhl 1996: 81 So schlug der Bundesrat vor, das Eigentum des Bundes am Schienennetz im Grundgesetz festzuschreiben (BT-Drs. 12/5015, S. 11) 882 Vgl. BT-Drs. 12/5014, S. 28 883 Denkhaus/Schneider 1997: 84
8.6 Zusammenfassung
233
Streckenstilllegungen oder zu explodierenden Finanzzuweisungen des Bundes an die Bahnen führen musste.884 Allerdings begrenzte nicht nur die Finanzlage der Bahnen, sondern auch weitere Rahmenbedingungen die Handlungsfähigkeit der Parteien. Dies lag nur zum Teil an den Beschlüssen der EG. Mindestens so wichtig war, dass eine weitere Stärkung des Staates im Eisenbahnwesen fast nicht möglich schien, weil die Bahn als Sondervermögen des Bundes bereits einem Maximum an staatlichem Einfluss ausgesetzt war. Insofern war nur eine Stärkung des Marktprinzips im Eisenbahnsektor logisch.885 Über das Ausmaß, in dem das Marktprinzip Zugang zum Eisenbahnwesen erhalten sollte, bestand aber zwischen den Beteiligten keineswegs Einigkeit, wie schon der Blick auf die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerungen der Bundesregierung belegt. Entsprechend dieser Konstellation, und angesichts der Mehrheitserfordernisse der Reform überraschend, blieben einige ihrer Bestandteile, die ihr eine größere ordnungspolitische Stringenz verliehen hätten, auf der Strecke. So erreichten Bundesrat und SPD-Fraktion zum Beispiel, dass der Bund im Mehrheitsbesitz des Steckennetzes bleiben musste und es keinen Automatismus für die Auflösung der Holding gab.886 8.6 Zusammenfassung Im Gegensatz zu der Privatisierungspolitik unter Ludwig Erhard entsprang die in den 1990er Jahren verwirklichte Privatisierungspolitik keinen originär neuen wirtschaftspolitischen Leitidee. Zwar zeigte die Union durch die Petersberger Steuervorschläge eine verstärkte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, aber diese Politik setzte sie bei der Privatisierung – insbesondere bei der Bahnreform – nicht konsequent um. Hier gab es einen breiten Konsens, nicht zuletzt auf dem politischen Markt einer zum britischen Fall vergleichsweise behutsamen Privatisierung, die auf fiskalischen Notwendigkeiten fußte. Die Partei als solche nahm die beiden Reformen teilnahmslos hin. Den Petersberger Steuervorschlägen folgte die Union ebenfalls. Dies lag nicht zuletzt an der erheblichen Bedeutung der Wirtschaftsfragen für den Parteienwettbewerb. Im Winter 1995/1996 überstieg die Zahl der Arbeitslosen im Bundesgebiet erstmals die vier Millionen Grenze und erreichte damit ein Ausmaß, das die Wiederwahl der Koalition aus der Sicht ihrer führenden Politiker im höchsten Maße gefährdete. Als Reaktion darauf kündigte der Bundeskanzler an, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen. Sollte dieses Ziel aber erreicht werden, mussten angesichts des ausbleibenden Erfolges der bisherigen vorsichtigen Maßnahmen weitreichende Reformen Wirklichkeit werden. Aus der programmatischen Orientierung der Koalition folgte dann aber, dass die Reformen eine angebotsökonomische Ausrichtung zeigte. Insbesondere bei der Steuerpolitik revidierten auch die Sozialausschüssen im Verlauf der 1990er Jahre ihren Standpunkt in einer Reihe von Fragen. Besonders deutlich wurde dies bei der Frage des Spitzensteuersatzes, der nach Auffassung der CDA bei der Reform 1990 überhaupt nicht verändert werden sollte, während die CDU-Arbeitnehmer in den neunziger Jahren sogar einen Höchstsatz von 35 Prozent vorschlugen. 884 Zohlnhöfer 2001: 339 885 Ebd 886 Ebd
234
8 Die CDU in den neunziger Jahren
Die Union verinnerlichte zunehmend die ordnungspolitische Denkweise, die bereits Landesverbände der Union bei der Formulierung der Stuttgarter Leitsätze in den 1980er Jahren vertreten hatten, die wie Niedersachen oder Schleswig-Holstein bereits in wirtschaftlichen Krisenzeiten steckten. Die Privatisierungspolitik Bayerns und Baden-Württembergs demonstrierte aber auch, dass die Union ein stärker staats-interventionistisches Denken bei vergleichsweise wirtschaftspolitischer Prosperität nicht aufgegeben hatte. Hier wurden die Privatisierungserlöse staatlich gesteuert und mit einem klaren wirtschaftspolitischen Auftrag ausgegeben. Auf Bundesebene sollte dies aber im Zuge der Einheit immer schwieriger werden, weil die Staatsquote bereits über 50 Prozent gestiegen war. Somit waren weniger klassische ordnungspolitische Gralshüter der Grund für die verstärkte angebotsorientierte Politik, sondern vielmehr nackte wirtschaftliche Nöte. Diese – so waren sich die Christdemokraten einig – konnten zumindest theoretisch nur mit mehr ordnungspolitischem Verständnis erfolgen. Und diese bildeten auch die Grundlage für die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der kommenden Oppositionsjahre.
9 Die CDU nach Helmut Kohl: Zwischen Euphorie und Parteikrise – Die Oppositionsjahre 1998 bis 2005.
9.1 Einleitung Nach sechzehn Jahren an der Regierung befand sich die CDU 1998 wieder in der Opposition. Wie in den siebziger Jahren sorgte diese Periode auch für erhebliche personelle Umbrüche, es gab jedoch keine programmatische Neubestimmung und grundlegende organisatorische Reformen. Die CDU führte ihre programmatischen Grundsätze – vor allem in der Wirtschaftspolitik – fort und entwickelte sie lediglich in Abgrenzung zur rot-grünen Bundesregierung weiter. Auf dem Programmparteitag in Leipzig verabschiedete sie sowohl ein umfassendes Steuerkonzept, das auf den Petersberger Beschlüssen und auf den programmatischen Beschlüssen des Hamburger Parteitags von 1996 fußte, als auch Pläne für eine neue Finanzierung des Gesundheitssystems. Letzteres brach zwar mit der herkömmlichen Praxis der Union, stand aber dennoch in einer Kontinuität zur politischen Arbeit der neunziger Jahre. Die Senkung der Lohnnebenkosten sollte durch mehr Eigenverantwortung der Versicherten erreicht werden. Trotz des Ausbleibens grundlegender organisatorischer Reformen wurden in der Amtszeit von Angela Merkel doch erhebliche Veränderungen sichtbar. Insbesondere durch die Ablösung von Helmut Kohl samt seines machtvollen Netzwerkes – das durch die Spendenaffäre nachhaltig zerstört wurde – setzten sich neue Elemente im innerparteilichen Leben durch. Die Parteispitze suchte nun immer stärker über die Medien und nicht mehr über den einst mächtigen „Mittelbau“ der Partei ihren Kontakt zur Basis. Zum Rückhalt der neuen Parteivorsitzenden wurden nicht primär die Bundestagsfraktion oder die Landes- und Bezirksvorsitzenden, sondern ihre Sympathien bei der Basis. Dieses neue Machtgefüge – das sich von dem informellen Netzwerk Kohls, das über die Multiplikatoren des Mittelbaus organisiert wurde, deutlich unterschied – hatte auch Auswirkungen auf das innerparteiliche Leben, insbesondere beim personellen Auswahl- und beim programmaischen Willensbildungsprozess. Die Veränderungen der CDU in diesem Zeitabschnitt werden anhand des Leipziger Parteitags und seiner programmatischen Vorbereitung untersucht.887 Den großen Veränderungen des innerparteilichen Lebens personifizierte nicht zuletzt die neue Parteivorsitzende. Zu Beginn der Oppositionsphase dachte wohl niemand daran, dass sie die Spitze der Partei erklimmen würde. Vielmehr galt es allseits als große Überraschung, als Wolfgang Schäuble sie 1998 als seine neue Generalsekretärin präsentierte. Erst die Spendenaffäre sollte nicht nur das Macht- und Personalgefüge der Union in seinen Grundfesten erschüttern, sondern auch die Ära Kohl endgültig beenden. Somit lag vieles, was die Oppositionsphase seit 1998 prägte, in den ersten eineinhalb Jahre begründet. 887 Für dieses Kapital sind sowohl die detailreiche Studie von Langguth 2001 als auch der Aufsatz von Bösch 2005 und Schmidt V. 2005 sehr gewinnbringend.
236
9 Die CDU nach Helmut Kohl
Zunächst war Kohls langjähriger Kronprinz Wolfgang Schäuble die unumstrittene Nummer eins in der Union. Seine Position wurde noch durch den Führungswechsel in der CSU erhöht, da sein langjähriger Rivale, Theo Waigel, die erste Reihe der politischen Bühne verließ. Schäuble hielt nun neben dem Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch den Parteivorsitz in seinen Händen. Kohl wurde wunschgemäß der Ehrenvorsitz angetragen, der ihn berechtigte, an allen wichtigen Gremiensitzungen der Partei weiterhin Sitz und Stimme einzunehmen.888 Damit wurde der Dualismus zwischen Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden zugrunde gelegt, der die Partei in den nächsten beiden Jahren belasten sollte. Dem politischen Wesen Helmut Kohls war die Rolle eines zurückhaltenden Elder Statesman fremd. In seinem stark an Personen orientierten Politikverständnis galt Loyalität und damit auch Dankbarkeit als zentraler Wert. In seinen Augen handelte ein von ihm über lange Jahre intensiv geförderter Politiker äußerst schändlich, wenn er versuchte, sich vom einstigen Förderer abzusetzen. In seinem Tagebuch offenbarte Kohl diese Sichtweise, durch die Bewertung von Rita Süssmuth, Heiner Geißler und Richard von Weizsäcker. Nicht eine politische Kontroverse oder ein politischer Fehler wurde ihnen angelastet, sondern ihre vermeintliche Illoyalität galt für ihn als durch und durch verwerflich.889 Der Konflikt zwischen Schäuble und Kohl musste sich zunehmend verschärfen, wenn Schäuble eine eigenständige Rolle als Parteivorsitzender spielen sollte, um eigenes Profil und Führungsstärke in seinem Amt zu beweisen. Der politische Führungswechsel wurde in der CDU vor allem auch dadurch erschwert, dass das „System Kohl“ nicht auf Gremien aufbaute, sondern durch ein informelles Netzwerk gesteuert wurde. Daher wirkte sich der Verlust von Helmut Kohls herausgehobener Stellung in Parteigremien zunächst wenig aus. Gremien hatte er gerade in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft als notwendige Institutionen, aber nicht als Hort der zentralen politischen Entscheidungen angesehen.890 Das System Kohl basierte vielmehr auf einem dichten Netzwerk von Parteifreunden. Damit besaß er nicht nur ein feinmaschiges Informationsnetzwerk, sondern konnte auch eine große Anzahl von Multiplikatoren für sich nutzen. Gerade das Informelle, nicht Strukturierte war das Besondere an diesem System.891 Aufgrund seiner immensen Anziehungskraft und Beliebtheit als verdienstvoller Altkanzler an der Parteibasis, seines großes Renommée bei Ratschlägen und seiner mannigfaltigen Kontakte war er auch nach seinem Ausscheiden vom Parteivorsitz für sehr viele Mandatsträger und Funktionäre von überaus großen Nutzen. Diese nicht unerheblichen Pfunde konnte er innerparteilich auch weiterhin in die Waagschale werfen. Wollte der neue Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble nicht als reiner Übergangskandidat der ausklingenden Kohlära erscheinen, musste er zunehmend das politische Machtzentrum in der Union einnehmen. Nur so würde er den für einige schmerzliche Generationenwechsel und die Parteireformen erfolgreich gestalten und bestimmen können. Die Omnipräsenz Helmut Kohls erschwerte dies zunehmend. Das personale Element des Systems Kohl überlebte im innerparteilichen Leben das Ende von Kohls Kanzlerschaft. Dieser kaum aufzulösende Grundkonflikt musste zu einem Eklat führen, falls beide Interessenssphären aufeinander tra888 889 890 891
Langguth 2001: 99ff Kohl 2000: 117-145 Dreher 1995: 272ff Vgl. die mitunter sehr persönlichen, aber doch aufschlussreichen Anmerkungen von Friedbert Pflüger [vgl. Pflüger, Friedbert (2000): Ehrenwort. Das System Kohl und der Neubeginn, S. 13-80]
9.2 Politischer Markt
237
fen. Damit war die Grundlage für die Sprengkraft der folgenden CDU-Spendenaffäre gelegt. Dieser Konflikt sollte schließlich Ende 1999 mit voller Wucht ausbrechen. Zunächst begann das Jahr 1999 für die Union jedoch viel versprechend: Wolfgang Schäuble begann mit einer ausgewogenen personellen Erneuerung an der Parteiführung. Auch programmatisch erhofften sich viele Berichterstatter neue Impulse für die CDU. Schäuble war spätestens seit 1990 der unbestrittene zweite Mann in der CDU sowie der Vordenker der Partei und Reformer in einem. Sowohl die Petersberger Beschlüsse zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, als auch das Wahlprogramm von 1998 trugen seine Handschrift. Es gab keine ernstzunehmende programmatische Debatte der CDU in den 1990er Jahren, die er nicht prägte. Auch als Oppositionsführer glänzte er als scharf analysierender Debattenredner und setzte somit gekonnt einen parlamentarischen Gegenpol zur rot-grünen Bundesregierung. Auch der Erfurter Parteitag läutete eine Reformdebatte ein, die die Partei aufbrechen sollte. Zudem spielte das im ersten Regierungsjahr herrschende Chaos von Rot-Grün der Opposition in die Hände. Das ganze Jahr hindurch gewann die Union Landtagswahl um Landtagswahl. Allerdings resultierten diese Wahlerfolge weniger aus einer neuen Stärke als vielmehr aus der Schwäche der Regierung. Die Wahlerfolge standen auf wackeligen Beinen, aber sie stabilisierten zunächst eine verunsicherte Union und stärkten die Parteiführung.892 Diese Anfangserfolge wurden aber durch die Spendenaffäre zunichte gemacht. Die größte innerparteiliche Krise war durch drei Faktoren geprägt, die in der hektischen Berichterstattung über die sich überschlagenden Ereignisse zunehmend in der öffentlichen Wahrnehmung verwoben wurden, bis in der Öffentlichkeit das Bild einer korrumpierten Partei haften blieb. Kohls geheimes Kontosystem, eine Spende an Schäuble, die nicht ordentlich verbucht wurde, und schließlich die Millionenbeträge des CDU-Landesverbands Hessen, die ins Ausland verschoben worden waren. Alle drei Fälle konnten nie lückenlos aufgeklärt werden. Schäubles Ruf als Krisenmanager war aber mit dieser Affäre ruiniert. Er räumte seinen Platz und sah sich als Opfer übler Parteiintrigen.893 Von Ende 1999 bis Mitte 2000 zog die Aufklärung der dubiosen Parteifinanzen die CDU in ihren Bann.894 Es erfolgte an der Spitze eine radikale Verjüngung und hinterließ eine alte Garde, die sich vollkommen überworfen hatte. Diese Zeitspanne ist – wie sich zeigte – nicht nur für das innerparteiliche Leben interessant, sondern vor allem für den politischen Markt. Die CDU fiel für mehrere Monate als Opposition und gestalterische politische Kraft aus. Erst allmählich konnte die unerfahrene neue Parteispitze Tritt fassen. Dies führte zu der glücklichen Chance der Regierung Schröder sich zu stabilisieren. Und gleichzeitig erhöhte die Affäre die Bedeutung der Schwesterpartei CSU, die im Unionslager schließlich als einzige Kraft unbeschadet aus der Affäre hervorging. 9.2 Politischer Markt Die erste Legislaturperiode wurde durch zwei Ereignisse geprägt: Die Bundestagswahl 1998 und besagte Spendenaffäre. Die Bundestagswahl 1998 sollte für die beiden kommen892 Langguth 200: 181ff 893 Schäuble 2000: 266ff 894 Langguth 2001: 165-170
238
9 Die CDU nach Helmut Kohl
den Legislaturperioden den politischen Markt prägen, da die Union zur zweitstärksten Kraft im deutschen Parteiensystem hinter die Sozialdemokraten zurückfiel. Das für die Union niederschmetternde Ergebnis bildete eine Zäsur in der Parteiengeschichte der Union. Mit 35,2 % erreichte sie in dieser Bundestagswahl ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949. Erstmals fand auf der Bonner Bühne ein Machtwechsel durch einen klaren Wahlausgang statt. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP erhielt nach sechzehn Amtsjahren eine für viele unerwartete klare Absage, und im Gegenzug wurden SPD und Grüne mit einer überraschend großen Regierungsmehrheit ausgestattet.895 Die Rolle als Oppositionspartei war für die meisten Unionspolitiker nach 16 Jahren Regierungszeit ungewohnt. Diese Zäsur kam nicht vollkommen unerwartet. Denn die Abnahme in der Wählergunst war bereits in den neunziger Jahren deutlich sichtbar und äußerte sich in erheblichen Wahlverlusten. Diese strukturellen Defizite wurden zudem durch eine magere Regierungsbilanz verstärkt: Die Koalition aus CDU, CSU und FDP handelte nur noch defensiv. Sie präsentierte keine greifbare Vision und besaß keine wirkliche Gestaltungskraft. Die zentralen innenpolitischen Probleme – bestehend aus einer nicht bewältigten Rekordarbeitslosigkeit, einer nicht angegangenen Haushaltskonsolidierung und aufgeschobenen Reformen im Rentenund Gesundheitswesen896 – wurden nicht rechtzeitig, d.h. zu Beginn der Legislaturperiode im Jahr 1994, angepackt. Die Menschen bekamen das Gefühl, dass die CDU die neuen technologischen wie auch ökonomischen Entwicklungen in einer globaler werdenden Welt nicht kompetent anpacken konnte oder wollte897 sowie keine Antworten auf die Massenarbeitslosigkeit finden konnte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, da seit 1997 unterschiedliche Reformen unternommen wurden, diese aber mit Helmut Kohl nur noch unzureichend personifiziert werden konnten.898 Auch gelang es der Union im Wahlkampf nicht, das Konzept der „Neuen Mitte“ von Gerhard Schröder erfolgreich zu parieren. Der niedersächsische Kanzlerkandidat reklamierte erfolgreich einen Markenkern der Union. Dabei war die CDU in ihrem Selbstverständnis stets die Partei der Mitte gewesen.899 Im Bauern- und Arbeiterstaat der DDR wusste keiner mit dem Leitbild einer sozialen Mitte etwas anzufangen. In der Bundesrepublik dagegen erlebte die Vision von einer ausbalancierten, in der Mitte stabilisierten Gesellschaft in den 1950er und 1960er Jahren eine Hochkonjunktur und wurde auch im politischen Diskurs entsprechend genutzt – wiederum überwiegend gegen das linke Lager. Nicht zuletzt wurde die Union aufgrund der prosperierenden Wirtschaft, die auch Arbeiter und Angestellte am Wohlstand teilhaben ließ, sehr geschätzt. Die Formel von der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ wurde zu einer Art sozialem Gründungsmythos der Bundesrepublik.900 Im Ganzen bezeichnete die „Mitte“ in den Anfangsjahrzehnten der Bonner Republik ein Projekt, das in der Kontinuität bürgerlicher Stabilisierungskonzepte stand und dementsprechend auch überwiegend von den Unionsparteien politisch und rhetorisch genutzt wurde. Die Entproletarisierung der Arbeiterschaft war ihr Ziel. Die Propagierung der Neuen Mitte stellte das bisherige Erfolgsmodell der Union in Frage. 895 896 897 898 899 900
Feist/Hoffman 1999: 215 Langguth 2001: 143 Ebd: 142 Schmidt V. 2005: 143ff Vgl. Festrede von Helmut Kohl auf dem Festakt 60 Jahre CDU am 16. Juni 2005 in Berlin Nolte 2000: 318ff
9.2 Politischer Markt
239
Die Neue Mitte war jedoch mehr ein dem Wahlkampf geschuldetes Image als ein Produkt gesellschaftlicher Realität. Aus diesem Grund konnte sie sich langfristig auf dem politischen Markt nicht behaupten. Vielmehr traten in den ersten Regierungsmonaten der neuen Bundesregierung unter Gerhard Schröder bereits vielfach Widersprüche auf, die auch nicht behoben wurden, als der Dualismus zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine nach dessen Ausscheiden aus der Bundesregierung beseitigt war.901 Schließlich war nicht ein Abschleifen sozialer Unterschiede, nicht eine Homogenisierung sozialer Lagen in der ominösen „Mitte“ das Kennzeichen der bundesrepublikanischen Gesellschaft im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Wie in den meisten anderen westlichen Gesellschaften auch, angeführt von den USA und Großbritannien, zeigte in sozialökonomischer Hinsicht eine Tendenz zur Polarisierung der Gesellschaft: Die Einkommenssituation in Deutschland war in den letzten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht durch eine Schere gekennzeichnet. Dabei stiegen nicht nur die Einkommen aus selbständiger Arbeit viel stärker als die Einkommen der abhängig Beschäftigten. Zugleich war auch der Abstand zwischen unteren und mittleren sozialen Lagen vielfach gewachsen. Ein Grund dafür war die Massenarbeitslosigkeit, ein anderer die Zunahme familiärer Instabilitäten in der Unterschicht.902 Dies galt gerade auch für die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft.903 Jedoch war das sozialdemokratische Mitte-Konzept in seiner Beständigkeit und seiner Tragfähigkeit sehr begrenzt. Unter dem breiten Sonnenschirm der „Neuen Mitte“ fanden sich gewerkschaftlich orientierte Arbeiter ebenso wieder wie leitende Angestellte der New Economy oder Beamte aus dem höheren Dienst. Diese Heterogenität der sozio-ökonomischen Hintergründe wurde durch divergierende sozio-kulturelle Lebenswelten noch verschärft. Die Brüchigkeit wurde auch im Laufe der Reformdebatte immer stärker sichtbar. Denn die sozioökonomischen Anliegen bzw. die sozio-kulturellen Lebenswelten der neuen Mittelschichten hatten wenig miteinander gemein.904 Zur weiteren Erosion trug bei, dass die Vielfalt dieses Bündnisses organisatorisch nie ausgedrückt bzw. aufgefangen wurde.905 In den darauffolgenden Jahren veränderte sich das Parteiensystem jedoch kaum. Die Bundestagswahl 1998 bedeutete eine Machtverschiebung innerhalb des Parteiensystems, aber keine Neuordnung. Lediglich der linke Block wurde stärker und gewann die Mehrheit. Anders als 1982 fand aber keine Veränderung des Parteienwettbewerbs als solcher statt. Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz waren die politischen Koalitionen klar geordnet. RotGrün im Bund standen zahlreiche Landesregierungen gegenüber, die entweder durch eine absolute Mehrheit der Union oder durch eine CDU-FDP Koalitionsregierung getragen wurden. Diese politische Konstellation wurde durch die Landtagswahlen in Niedersachen, Hessen und Hamburg neu begründet, bzw. in anderen Landtagswahlen, wie etwa in BadenWürttemberg und Bayern, klar bestätigt. Die Union war seitens der FDP der natürliche Bündnispartner. Eine Absetzbewegung, wie es sie im Bundestagswahlkampf von 2002 gegeben hatte, stellte sich rasch als Flop für die Liberalen heraus und verstärkte nur die Aussichten, dass die Liberalen eine Koalition mit den Christdemokraten klar anstrebten. 901 902 903 904 905
Vgl. Glotz 2005: 309-315 Nolte 2002 Alemann/Godewerth 2005: 158ff Nolte 2004: 27ff Alemann/Godewerth 2005: 158ff
240
9 Die CDU nach Helmut Kohl
Für die Betrachtung des politischen Marktes war der Bundestagswahlkampf von 2002 von großer Bedeutung, da er mit dem Mythos aufräumte, dass die Bundestagswahl von 1998 allein durch Helmut Kohl verloren gegangen war. Dies zeigte das nicht wesentlich bessere Ergebnis von 2002, das die strukturelle Mehrheit nicht wieder brachte. Das zerstrittene Erscheinungsbild der CDU hatte 2002 den CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten aufs Schild gehoben.906 In seiner bis dahin neunjährigen Regierungszeit als bayerischer Ministerpräsident demonstrierte er wirtschaftspolitische Kompetenz. Zudem ergaben die Umfragen ein führungsstärkeres Image als das von Angela Merkel. Die Wahl von Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidat zeigte, dass die Machtgrundlage von Angela Merkel bei der Parteibasis brüchig war. Nicht nur die Mehrheit der Landesvorsitzenden, sondern auch weite Teile der Parteibasis befürworteten den CSUVorsitzenden als Kanzlerkandidaten. Sie erhofften sich mit ihm und seinem Image ein besseres Abschneiden auf dem politischen Markt. Die Sympathie an der Basis erforderte somit aufgrund ihrer fehlenden Stabilität und Konstanz eine permanente Kampagne zur Aufrechterhaltung der innerparteilichen Zustimmung. Denn diese Zustimmung war wankelmütig und musste stetig gesichert werden. Somit sah in ihm nicht nur die Mehrheit der CSU-Anhänger den richtigen Kandidaten, sondern es zeichnete sich auch eine Mehrheit für seine Spitzenkandidatur in den Führungsgremien der CDU ab. Gerade in Friedrich Merz und Wolfgang Schäuble besaß Edmund Stoiber große Fürsprecher. Letztlich gaben aber die beiden Landesvorsitzenden Christian Wulff und Roland Koch den Ausschlag für den Bayern.907 So lenkte Angela Merkel bei einem Frühstück im Hause Edmund Stoibers am 11.1.2002 vor der angesetzten CDUKlausurtagung ein und bot dem CSU-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur an.908 Damit folgte sie dem Willen der Mehrheit ihrer Partei und der veröffentlichten Meinung. Stoiber bestach in den Bereichen der Wirtschafts- und Führungskompetenz. Und diese beiden Eigenschaften galten als wahlentscheidend.909 Bis zur heißen Wahlkampfphase verlief der Wahlkampf für die Union ideal. Neben Regierungspannen spielten die aktuellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktzahlen der Union in die Hände. So bereitete sich auf dem Frankfurter Wahlparteitag bereits große Zuversicht aus. 910
906 Im Gegensatz zu den meisten Lebenswegen seiner westdeutschen Unionskollegen, wie Theo Waigel, Helmut Kohl, Friedrich Merz oder Roland Koch, engagierte sich Edmund Stoiber relativ spät in der Union. Er bekleidete mit 30 Jahren sein erstes Parteiamt. Er wurde JU-Ortsvorsitzender. Danach folgte aber eine rasante Parteikarriere. Ein Jahr später wird er persönlicher Referent des damaligen CSU-Hoffungspolitikers Max Streibl – seinem späteren Vorgänger im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten. 1974 wechselte er vom Berater zum aktiven Politiker und wurde direkt in den Landtag gewählt. In dem damaligen CSUVorsitzenden und späteren Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß fand Stoiber seinen großen Förderer. Er macht ihn 1978 zum CSU-Generalsekretär und 1983 zum Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. Als seine rechte Hand lernte Stoiber von Strauß das politische Handwerk. Nach seinem Tod wurde er 1989 Innenminister, bevor er 1993 Ministerpräsident wurde. Den CSU-Vorsitz erhielt er von seinem langjährigen Widersacher Theo Waigel nach der Bundestagswahl 1998 (Stiller, Michael: Unter dem Druck, der Beste zu sein, in SZ 14.1.02). 907 Feldmeyer, Karl: Kehrtwende zum taktischen Erfolg, in FAZ (14.1.02) 908 Höll, Susanne: Frühstück bei Stoibers, in SZ 12.1.02 909 Geis, Matthias: Im Schatten der Schwester. Nr. 4/2002 (17.1.2002) 910 „Selten zuvor begann die heiße Wahlkampfphase so lau. Noch nie zuvor wussten so viele Leute so wenig, wen sie wählen sollten. Und trotzdem sah die Wahl schon vor dem Endspurt längst schon entschieden aus wie schon lange nicht mehr. Der Kanzler liegt zwar in den Umfragen deutlich vor dem Kandidaten, aber
9.2 Politischer Markt
241
Die magere Erfolgsbilanz der Bundesregierung spiegelte sich in ihren schlechten Bewertungsergebnissen, wie zum Beispiel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zwei Tage vor der Wahl, wider: „Regierungen werden nicht gewählt, sondern abgewählt – wie zuletzt und zu Recht die von Kohl nach einer Ära der Stillstandsverwaltung. Und die Regierung Schröder? Auch sie hat die Wiederwahl nicht verdient.“911 Abgesehen von den Sympathiewerten der beiden rot-grünen Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Joschka Fischer waren die Werte, vor allem auch die Kompetenzwerte in den zentralen Politikfeldern, mehr als durchwachsen.912 So verwunderte es nicht, dass nach dem Abflauen der CDU- Spendenaffäre die rot-grüne Koalition rasch und vollständig ihren gewaltigen Vorsprung verspielte. Sie hatte in den prominenten Politikfeldern der Wirtschafts- und Sozialpolitik keine vorzeigbaren Erfolge aufzuweisen. Gerade im Bereich der Arbeitslosigkeit war das Scheitern vor selbst gesetzten Zielen offenkundig. Trotz der schlechten Performanz der Bundesregierung gelang es der Union nicht, RotGrün abzulösen. Der Leitartikler der links-liberalen Süddeutschen Zeitung fasst am Wahlwochenende zusammen: „Gründe, Schröder abzuwählen, gibt es genug. Deutschlands Wirtschaft schwächelt, sie wächst langsamer als in jedem anderen reichen Land Europas. Es gibt über vier Millionen Arbeitslose, die Zahl der Bankrotte steigt, die Kaufkraft der Verbraucher schwindet. Schröder hat den Arbeitsmarkt nicht flexibilisiert, den Einfluss der Betriebsräte gestärkt und die Sozialabgaben nicht wirklich angetastet. Er hat sein wichtigstes Vorhaben, die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken, nicht realisieren können. Daran wollte er gemessen werden, und wer sich erinnert und nicht verzeiht, wird nach vier Jahren sein Urteil fällen: ab in die Opposition.“913 Somit war das Wahlergebnis für die Union noch enttäuschender als 1998. Besonders eklatant wirkte sich dabei das Abschneiden der Union in den norddeutschen Großstädten aus.914 Besonders bei der wechselbereiten so genannten „Generation Golf“ der
911 912 913 914
seine rot-grüne Mehrheit, die ist dahin, unwiederbringlich, selbst wenn er doch noch auf andere Weise Kanzler blieben sollte.“ Leicht, Robert: Die Wippelbrüder, in Die Zeit Nr. 36/2002 (29.8.02) Joffe, Josef: Soiber, in Die Zeit Nr. 57/2002 (19.9.02) Graf, Jutta und Neu, Viola 2002: Analysen der Bundestagswahl vom 22. September 2002, in Politikkompaß Nr. 91. Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin, S. 71-76 Kilz, Hans Werner: Kanzlerwahl? Politikwahl!, in SZ 21.9.02 Gerade wegen der Schwäche der Regierung war das Wahlergebnis für die CDU ernüchternd. Für die Union wurde eine bedenkliche Tendenz der Verschiebung der politischen Nord-Süd Grenze nach Süden sichtbar. Dies wurde im Vergleich des Wahlergebnisses 2002 zu 1994 deutlich. Dieser Vergleich ist deshalb besonders aufschlussreich, weil 2002 die dritte gesamtdeutsche Bundestagswahl unter den „normalen“ Umständen stattgefunden hatte, die sicherlich für die erste gesamtdeutsche Wahl 1990 nicht gegolten hatten. Die 1998er Verluste gegenüber 1994 konnten nur Bayern (plus 7,4 Prozent) und Baden-Württemberg (minus 0,4 Prozent) ausgleichen. Obwohl alle neuen Bundesländer 2002 geringfügig hinzugewonnen hatten, blieben ihre Verluste gegenüber 1994 dramatisch: Sachsen minus 14,4 Prozent, Thüringen minus 11,6 Prozent, SachsenAnhalt minus 9,7 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern minus 8,2 Prozent und Brandenburg minus 5,8 Prozent. Insofern lag das im Rückblick trotz des damals knappen Wahlausgangs gute Unionsergebnis 1994 eher noch im Windschatten der Einheitswahl von 1990, während sich die Union offenbar mit der 2002 bestätigten Wahl von 1998 auf ihre tatsächliche Stärke in den neuen Bundesländern eingependelt hat. Die norddeutschen Länder Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und der Sonderfall Berlin liegen mit ihren Verlusten gegenüber 1994 zwischen 5,5 Prozent und 6,8 Prozent. Davon abgesetzt waren mit einer Abnahme von 2,2 Prozent bis 3,6 Prozent gegenüber 1994 das Saarland, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Dabei lohnte ein besonderer Blick auf das bevölkerungsreichste Bundesland, in dem nach allgemeiner Meinung Bundestagswahlen verloren beziehungsweise gewonnen wurden. Dort hatte sich die Hoffnung nicht erfüllt, das hervorragende Abschneiden bei den Kommunalwahlen von 1999 hätte durch die
242
9 Die CDU nach Helmut Kohl
Mitte Zwanzigjährigen bis Mitte Vierzigjährigen traf die Union nicht mehr das Lebensgefühl der Menschen. Die Union schleppte ihre mageren Ergebnisse bei den Erstwählern der siebziger und achtziger Jahre weiter. Trotz des „Reifungsprozesses“ dieser Jahrgänge erreichte die Union hier die Wähler nicht mehr in einem ausreichenden Maße. Im Wahlkampfendspurt wurden die Union und ihre Kandidat Opfer ihrer eigenen Strategie.915 Letztendlich war die Union weniger Opfer der Flut oder der Irak-Frage als vielmehr ihrer fehlenden politisch-konzeptionellen Vielfalt. Zwar bestach der Kandidat durch seine Wirtschaftskompetenz, die er als Ministerpräsident in Bayern gesammelt hatte. Der CDU fehlte aber die zündende politische Idee, die den Wählern Beleg gewesen wäre, sie unbedingt zur Regierungsübernahme zu wählen. Die Unzufriedenheit mit der Regierung war zwar spürbar, der Wille zum Wechsel aber beim Wähler nur bedingt vorhanden. Dies war Folge der schwachen Oppositionszeit. In der Gesundheits-, der Familien- oder auch der Sozialpolitik besaß sie wenig konzeptionell Neues. Die Wähler sahen eben nicht, dass die Union neu aufgestellt, den Reformstau lösen würde. Dieser Mangel wurde von Teilen der Union in der Feststellung zusammengefasst, die Union erreiche die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht. Gerade bei Frauen, in den Großstädten und bei der Generation der Mitte Zwanziger bis Mitte Vierziger erreichte die Union zuwenig Wählerstimmen. Dagegen sah eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung916 die Ursache bei der mangelnden Mobilisierung der (älteren) Stammwähler. Freilich löste diese Interpretation das Strukturproblem der Union im Wählermarkt nicht.917 Allein schon aufgrund der relativ hohen Wahlbeteiligung konnten die Ursache für die Wahlniederlage nicht bei Mobilisierungsdefiziten gefunden werden. Vielmehr verriet das Wahlergebnis von 2002 viel über die marktstrategischen Defiziten der Union. Die CDU setzte voll auf ihre Wirtschaftsthemen.918 Ihre Kompetenzwerte in Wirtschaftsfragen galten als ihr Zugpferd bei Landtagswahlen und sicherten auch ihre Vorreiterrolle bei den obligatorischen Sonntagsfragen. Diese Stärke wollte die Union nicht verspielen, indem sie Diskussionen über sozio-kulturelle Paradigmenwechsel führte. Dies hätte ihre Strategie konterkariert. Die Union wollte Gerhard Schröders SPD auf dem prominenten Feld des politischen Marktes entzaubern. Sie setzte folglich auf Schröders Erfolglosigkeit und das Verpuffen der Neuen Mitte. Diese Strategie war zwar – dies bewies der Bundestagswahlkampf 2002 – nicht ohne Risiken, da sie programmatische Lücken der Union bei anderen Politikfeldern aufriss, aber die Zeit sollte für die Union spielen. Aufgrund des tiefen Spalts in der SPD über die Reformpolitik des Bundeskanzlers wurde eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik nicht nur Tag für Tag vom Regierungslager zerredet, sondern war auch zunehmend für die Wähler nicht mehr erkennbar. Damit verlor die Regierungspolitik nicht
915 916 917 918
Vielzahl neuer kommunaler Spitzenrepräsentanten aus den Reihen der Union eine besondere positive Wirkung auf das Bundestagswahlergebnis. Mit einem Stimmenplateau von 35,1 Prozent bei den Wahlen 2002 lag Nordrhein-Westfalen deutlich näher bei seinem nördlichen Nachbarn Niedersachsen als seinen südlichen Nachbarn Hessen und Rheinland-Pfalz. Das war ein weiteres Indiz für die Südausweitung des für die Union politisch schwierigen Nordens.914 Höll, Susanne: Das letzte Duell, in Süddeutsche Zeitung vom 14.9.02 Graf, Jutta und Neu, Viola 2002: Analysen der Bundestagswahl vom 22. September 2002, in Politikkompaß Nr. 91. Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin, S. 71-76 Darüber können auch gewonnen Landtagswahlen aufgrund der viel geringeren Wahlbeteiligung nur bedingt hinweg täuschen. Spreng, Michael 2003: Entscheidend ist eine Zeitraum von nur 14 Tagen, in Frankfurter Rundschau vom 28.01.2003
9.3 Innerparteiliches Leben
243
nur ihre Kontur, sondern auch stetig das Zutrauen der Menschen. Die Christdemokraten unter Angela Merkel und Edmund Stoiber setzten somit nicht in erster Linie auf plakative Gegenkonzepte zu Rot-Grün in allen wesentlichen Politikbereichen, sondern auf die Abnützungserscheinungen des rot-grünen Regierungsprojekts. 2002 sollten sie noch mit dem möglichen Irak-Krieg ein verbindendes Thema finden. Als dieses Thema zunehmend wieder in den Hintergrund auf dem politischen Markt rückte, verstärkten sich die innerparteilichen Spannungen der Sozialdemokraten. Dies zeigte sich bereits bei den Koalitionsverhandlungen zur zweiten Legislaturperiode, als ein Steuererhöhungsvorschlag den nächsten jagte. Aufgrund ihrer Wartehaltung blieb eine programmatische Neubestimmung der Union aus. Vielmehr wurden lediglich die programmatischen Lösungen in Sachfragen – insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik – weiterentwickelt. Zu einer Neupositionierung auf dem politischen Markt kam es jedoch nicht. Die FDP blieb der natürliche Koalitionspartner und schwarz-grüne Debatten blieben Scheindebatten. Sie tauchten als Spekulationen auf, wurden aber nie Realität. Auch wurden die traditionellen Linkages – soweit sie in der Nach-Kohl-Ära noch bestanden – durch Treffen gepflegt, aber weder programmatisch unterfüttert, noch neu aufgebaut. So blieb zum Beispiel eine Renaissance der Beziehung zwischen den Kirchen und der Union in bioethischen Fragen aufgrund der indifferenten Haltung der Union aus.919 Als Folge dieser abwartenden Strategie wurde weniger auf die Erschließung neuer Wählersegmente als auf die zunehmende Volatilität in der Wählerschaft gesetzt. Die Strategie wurde durch die Personalpolitik noch verstärkt. Im Gegensatz zu den siebziger Jahren zog die Union keine neuen Wählergruppen durch spektakuläre Personalentscheidungen an. Trotz oder gerade wegen des fehlenden Aktionismus war diese Strategie erfolgsversprechend. Sie anerkannte nämlich, dass der politische Markt anders als vor 20 oder 25 Jahren strukturiert war. Er war viel stärker fragmentiert und die Wählerschaft volatiler als in der ersten Oppositionszeit. Aus diesem Grund versuchte die Union neben der Stammklientel möglichst viele Wechselwähler anzusprechen. Die sollte mit dem Wirtschaftsthema aufgrund der Erfolglosigkeit der Regierung Schröder gelingen. Somit sollte sich gerade durch eine aufgrund externer Rahmenbedingungen verbesserten Situation auf dem politischen Markt auch genau dort der Erfolg der Union einstellen. 9.3 Innerparteiliches Leben Das eigentlich Überraschende an der Parteireform war, dass sie ausblieb.920 Dies galt aber nur für eine Parteireform, wenn man sie an den Statuten und Gremien misst. Dass das innerparteiliche Leben seit dem Ende der Kohlära einen erheblichen Wandel erfahren hatte, war in der Partei zum Greifen nahe. Das bewies schon die Auswahl der neuen Vorsitzenden. Dass ausgerechnet eine ostdeutsche, noch dazu protestantische Frau ohne Hausmacht einmal CDU-Vorsitzende sein würde, hatte noch wenige Wochen vor ihrer Wahl kaum einer vorausgesehen. Nach der Ankündigung Schäubles, den Partei- und Fraktionsvorsitz niederzulegen, folgten turbulente Wochen des Übergangs, wobei keineswegs klar war, wer in den CDU-Vorsitz aufrücken würde. Dann wurde Angela Merkel am 11. April 2000 auf 919 Interview Chrisoph Böhr und Hermann Kues 920 Bösch 200: 172ff
244
9 Die CDU nach Helmut Kohl
dem CDU-Bundesparteitag in Essen zur Nachfolgerin Schäubles gewählt. Die Politikerin erhielt dieses Amt durch besondere Glücksumstände, die sie mit Kalkül zu nutzen wusste. Eine orientierungslos gewordene Basis hatte sie nach oben getragen. Dies war das Ergebnis mehrerer Umstände: Zum einen befand sich die CDU in einer erheblichen Identitätskrise. Das sorgsam von Kohl gepflegte Image der seriösen Bürgerlichkeit war mit einem Mal dahin. Durch die Äußerungen des Lobbyisten Schreiber und die unglücklichen Reaktion Schäubles schien letzterer selber im Spendensumpf zu stecken. Die Spendenaffäre traf die Union in ihrem Selbstverständnis als die Partei des rechtschaffenen Bürgertums tief. Die täglich durch die Presse grassierenden Verdächtigungen und Beschuldigungen vermehrte bei der Parteibasis die Skepsis vor ihrem bisherigen Führungspersonal. Als Ergebnis dieses Misstrauens gab es in jenen Tagen kein funktionierendes Machtzentrum mehr. Die CDU war es aber in den langen Jahren der Kanzlerschaft Kohls gewohnt, Führung durch den Parteivorsitzenden zu erfahren. So verlief der Führungswechsel der Union ungewohnt konfus. Zum zweiten war die Union bis 1998 in den Ländern personell ausgelaugt und erholte sich erst wieder langsam seit 1999 durch zahlreiche Wahlerfolge. Aber einen erfahrenen Ministerpräsidenten, der durch sein Alter und seinen Politikansatz einen glaubwürdigen Neubeginn personifizieren hätte können, gab es nicht. Entweder waren sie, wie zum Beispiel Roland Koch oder auch Peter Müller, erst seit ein paar Monaten im Amt, oder sie repräsentierten, wie Erwin Teufel, Kurt Biedenkopf oder auch Bernhard Vogel, die Union der achtziger und neunziger Jahre. Die Erfolgsstrategie der sechziger und siebziger Jahre, personelle Krisen auf Bundesebene durch eine Frischzellenkur aus den Ländern zu beheben,921 war diesmal nicht möglich. Drittens hatte Angela Merkel einfach Glück: In den Wochen nach Schäubles Rücktrittserklärung fanden die noch von Wolfgang Schäuble angesetzten Regionalkonferenzen statt. Nach SPD-Vorbild sollten sie ein nützliches Vehikel sein, um aufgestautem Protest der Parteibasis ein Ventil zu geben. Diese satzungsmäßig nicht vorgesehenen Gremien entwickelten sich zu Appellationsveranstaltungen für Angela Merkel. Sie bediente sich dabei geschickt den Wünschen einer orientierungslos gewordenen, nach unbelasteten neuen Kräften suchenden Parteibasis. Damit konnte die Ostdeutsche, die erst seit nicht einmal zehn Jahren der CDU angehörte, ihr kaum vorhandenes innerparteiliches Netzwerk öffentlichkeitswirksam kompensieren. Vor allem hatte Merkel rasch und zielgerichtet reagiert: Sie grenzte sich frühzeitig, bereits Ende 1999, in einem Artikel der konservativen und von den Parteifunktionären viel gelesenen Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Übervater der Partei ab. Somit setzte sie sich als glaubwürdiges Symbol für einen Neuanfang in Szene und ließ die lange Förderung durch den Altkanzler während ihrer achtjährigen Ministerzeit vergessen. Angela Merkel wurde in einem emotionalen Überschwang der Parteibasis der Vorsitz an der mittleren Parteiführungsebene vorbei quasi plebiszitär übertragen. Dies war gerade in der Folgezeit ihre Machtstärke, da sie als Liebling der Parteibasis angesehen wurde.922 Bereits dieser personelle Auswahlprozess zeigte eine neue Art des innerparteilichen Lebens. Die mittlere Ebene verlor an Einfluss, und die Führungsspitze konnte mit Hilfe der Medien, die Basis und damit die innerparteiliche Zustimmung für sich einnehmen. Die 921 Schmid 1990: 286 922 Langguth 2001: 224-234
9.3 Innerparteiliches Leben
245
Medien und nicht der Mittelbau wurden zum Transmissionsriemen zwischen Basis und Parteiführung. Diese strukturelle Machtverschiebung entschied bereits den Machtkampf zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz, bevor er begonnen hatte. Der neue Fraktionsvorsitzende verkörperte das Gegenbild zu der norddeutschprotestantischen, liberalen Angela Merkel. Keine ihrer tagespolitischen Entscheidungen wurde öffentlichkeitswirksam mit dem Verweis auf ihren christlichen Wertehintergrund vertreten. Bei der Gentechnik hielt sie sich lange bedeckt. Die Liberalisierung des Abtreibungsrechts befürwortete Merkel auf Grund ihrer Ost-Herkunft. Dabei sei sie durch ihre Eltern klar christlich geprägt worden.923 Der Grundwert Freiheit nahm bei der neuen Parteivorsitzenden einen vorrangigen Stellenwert ein, der sicherlich auch mit ihrer besonderen Ost-Herkunft erklärbar ist.924 Der neue Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz besaß dagegen eine Bilderbuchkarriere eines westdeutschen Berufpolitikers. Er war schon früh in der Jungen Union aktiv und studierter Jurist. Gefördert durch Wolfgang Schäuble machte er in der Fraktion, der er erst seit 1994 angehörte, schnell Karriere. Dort wurde er nicht nur wie sein Vorgänger fachlich geschätzt, sondern war auch menschlich äußerst beliebt. Somit besaß er gerade bei der mittleren Parteiebene starken Rückhalt, während die untere Parteiebene eher sein von den Medien projizierte negative Image wahrnahm. Durch sein langes Engagement in der Nachwuchsorganisation besaß er in zahlreiche Landesverbände hinein gute Kontakte, die auf persönlichen Freundschaften ruhten. Durch sein klares Weltbild glänzte er als pointierter programmatischer Vordenker. Zugleich besaß er mit dem Mitarbeiterstamm der Fraktion einen wesentlich größeren Apparat als die CDU- Bundesgeschäftsstelle.925 Theoretisch hätte die Union damit gute Voraussetzungen gehabt, die Oppositionsarbeit mit einer ausgleichenden und populären Vorsitzenden sowie einem politisch zuspitzenden und programmatisch vordenkenden Fraktionschef glänzend zu bestreiten. Persönliche Differenzen verhinderten jedoch eine gute Zusammenarbeit der beiden Spitzenpolitiker. So wurden in der Folgezeit die Schlagzeilen durch Personaldiskussionen geprägt und weniger durch programmatische Gegenkonzepte zur Regierung. Kontroverse Debatten wurden vermieden, weil der mangelnde Zusammenhalt in der Partei bei programmatischen Zuspitzungen, wie dies die Debatte um die Leitkultur oder auch die große Steuerreform exemplarisch zeigte, die Gefahr eines persönlichen Imageverlustes barg, der gleichzeitig einen Nachteil im innerparteilichen Machtkampf bedeuten konnte. Eine Konsequenz des Dualismus an der CDU-Spitze war, dass beide Führungspersönlichkeiten Führungskompetenz und Sympathiewerte einbüßten. Dieser rapide Wandel trat aber erst durch die Spendenaffäre ein. Denn nach der Niederlage von 1998 gelang zunächst ein schnellerer Führungswechsel in traditionellen Bahnen. Die CDU schien aus der Zeit nach 1969, aber auch aus dem langen Abschied von Adenauer gelernt zu haben. Im Unterschied zu Adenauer und Kiesinger legte Helmut Kohl sofort den Parteivorsitz nieder und trat öffentlich in den Hintergrund. Einen Nachfolgestreit vermied er, indem er Wolfgang Schäuble öffentlich als Parteivorsitzenden empfahl.926 In der weiteren Führungsspitze kam es zu einem fließenden Übergang zwischen alten und 923 924 925 926
Focus vom 8.12.03 Ebd Langguth 2001: 240-246 Die Welt vom 30.9.1998
246
9 Die CDU nach Helmut Kohl
neuen Politikern. Die neue Generalsekretärin Angela Merkel, der Schatzmeister Matthias Wissmann und die beiden Stellvertreter Volker Rühe und Norbert Blüm standen für eine Kontinuität aus dem Kabinett heraus, die Parteivize Christian Wulff und Annette Schavan dagegen für eine gewisse Erneuerung aus den Ländern. Ähnliches galt für die Präsidiumsund Vorstandswahl im November 1998. 927 Das Machtzentrum verlagerte sich vom Kanzleramt zunächst in die Fraktion und nicht in die Parteiorganisation. Dies lag in erster Linie daran, dass die Bundesebene die für die Unionspolitik bestimmende Ebene wurde und ein Austausch zwischen Landes- und Bundespolitikern mit wenigen Ausnahmen unterblieb. Die Koordinierungsfunktion des Parteipräsidiums war in den ersten Monaten der Oppositionsjahre nicht so notwendig. Die Union war in den Ländern weiterhin schwach. Dies sollte sich erst durch zahlreiche Wahlsiege – die nur im Zeitraum der Spendenaffäre unterbrochen worden waren – ändern. In organisatorischer Hinsicht fielen die Erfolge der CDU nach 1998 gering aus. Im Unterschied zum ersten Machtverlust fehlte ihr nun eine organisatorische Zukunftsperspektive. 1999 gelang es der CDU zwar, ihre fortlaufenden Mitgliederverluste abzubremsen. Die Hoffnung, wieder einen ähnlich großen Mitgliederzulauf zu erreichen, war jedoch von vornherein so unrealistisch, dass kaum jemand ernsthaft daran glaubte. Seit Ende 1999, also seit der Spenden-Affäre, sank die Mitgliederzahl ähnlich wie bei der SPD wieder kontinuierlich.928 Statt zur Mitgliederpartei wollte sich die CDU deshalb zur „Bürgerpartei“ entwickeln. Tatsächlich begann sie eine neue, direkte Wähleransprache. Dazu zählte in erster Linie ihre Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die den Wahlsieg in Hessen einleitete. Telefon- und Internetaktionen begleiteten diesen Versuch, neue Wählerbindung aufzubauen, die nicht über die Mitgliedschaft lief.929 Was dieser Parteireform aber unterschied, war dass sie zwar modern wirken, aber politisch ziemlich orientierungslos verlief, weil kein Rückgriff zum politischen Leitbild erfolgte. Weder der politische Nutzen noch die Tradition standen im Vordergrund der Reform. Aus diesem Grund erfolgte sie auch nur halbherzig und ohne richtiges Ziel. So wurde zwar mehr innerparteiliche Partizipation ermöglicht, diese sie aber eigentlich nicht praktiziert. Obwohl fast alle Landesverbände in der ersten Hälfte der neunziger Jahre entsprechende Satzungsreformen vorgelegt hatten, sollten diese nur sehr vereinzelt und mit erheblicher Verspätung zum Zuge kommen. So wurden zum Beispiel 2004 sowohl in Rheinland-Pfalz mit Christoph Böhr als auch in BadenWürttemberg mit Günther Oettinger durch einen Mitgliederbefragung die Spitzenkandidaturen entschieden. So blieben viele christdemokratische Reformforderungen in dieser Zeit die gleichen wie seit über drei Jahrzehnten. Ihre Beschlüsse „Krise als Chance“ vom Essener Parteitag 2000 ähnelten in hohem Maße dem Papier „Moderne Parteiarbeit in den neunziger Jahren“, das 1989 verabschiedet, aber nie wirklich umgesetzt wurde. 2003 verabschiedete der Bundesparteitag das Konzept Bürgerpartei CDU – Reformprojekt für eine lebendige Volkspartei. Die CDU erhob in dem Papier den Anspruch, die Lücke zwischen Bürgergesellschaft und Politik schließen zu wollen. Die CDU blieb aber weiterhin eine Mitgliederpartei, deren Rechte gestärkt wurden.930 Insbesondere die Kreisverbände sollten das CDU-Personal rek927 928 929 930
Bösch 2002: 126 Ebd Union im Dienst 1/1999 Bösch 2002: 126
9.4 Programmarbeit
247
rutieren, auswählen und bestätigen. Das Papier bezog sich stärker auf die Modernisierung der Kommunikationstechniken, denn auf die Modernisierung der Parteistrukturen. So hielt sie auch an ihren historisch gewachsenen Vereinigungen und Sonderorganisationen fest. Die organisatorische Reform der CDU gelang damit nach 1998 nicht. Erstaunlicher Weise hatte die Regierungspartei SPD nach dem Machtwechsel mehr derartige Parteireformen verwirklicht als die Union, obwohl bei der Oppositionspartei eher eine Erneuerung zu erwarten gewesen wäre.931 Durch den Dualismus zwischen der Parteivorsitzende und dem Fraktionsvorsitzenden hätte man eine Stärkung der Parteizentrale erwarten können. Die Spendenaffäre sorgte jedoch dafür, dass gerade in der Bundesgeschäftsstelle die organisatorische Stärkung ausblieb. Vielmehr zwang die Finanznot dazu, die Mitarbeiterzahl drastisch zu senken und die gewaltige Fluktuation zu verstärken. Insgesamt verkleinert sich die Geschäftsstelle bis November 2001 um ein knappes Drittel auf 117 Mitarbeiter. Damit fiel sie auf den Stand der sechziger Jahre zurück. Eine vergleichbare Aufbau-Euphorie wie nach dem ersten Machtverlust konnte sich somit kaum entwickeln. Aber nicht nur die fehlenden Finanzmitteln, sondern auch der Mangel an klaren Zielen erschwerte die Parteiarbeit. Die Grundstruktur der Partei wurde nach 1998 nicht angetastet, obwohl sie in vielerlei Hinsicht eher den Bedürfnissen der siebziger Jahre als der Gegenwart entsprach. Das galt nicht nur für die Vereinigungen der Union, sondern auch für den organisierten Vereinscharakter der Partei, die zu häufig nicht mehr das Brennglas der Wählermehrheit war. Dies wirkte sich auch auf die Programmarbeit aus. 932 9.4 Programmarbeit Im Gegensatz zu den siebziger Jahren bedeutete der Gang in die Opposition für die Union keine programmatische Neuausrichtung. Sie sah auch nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 keine Notwendigkeit für eine Neuausrichtung, da sie ihre bisherigen Antworten weiterhin für überzeugend hielt. Diese Unerschütterlichkeit wurde vor allem durch zwei Faktoren bestärkt:
Die Regierung Schröder war in ihrer überwiegenden Amtszeit unter erheblichen politischen Druck, da sie Landtagswahl um Landtagswahl verlor. Die CDU fuhr somit in der überwiegenden Zeit ihrer Oppositionsjahre einen politischen Erfolg nach dem anderen ein. Die wirtschaftlichen Probleme – insbesondere die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – blieben stets das beherrschende Thema, das nur durch die Spendenaffäre der Union und in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes 2002, in der der drohende Krieg im Irak und das Elbehochwasser die politische Debatte beherrschten, unterbrochen wurde. Aus diesem Grund konnte die Union auch zufrieden auf ihre Umfragewerte – insbesondere ihre Kompetenzwerte in der Wirtschaftspolitik – blicken. Sie sah keine Veranlassung, dieses für sie erfolgreiche und auf dem politischen Markt hoch gehan-
931 Bösch 2005: 172ff, Alemann/Godewerth 2005: 158ff 932 Deeg/Weibler 2005: 22ff, Bösch 2005: 172ff
248
9 Die CDU nach Helmut Kohl delte Thema durch Diskussionen über ein anderes Thema – die eine Neuprofilierung zwangsläufig mit sich gebracht hätte – in den Hintergrund zu rücken.
Diese Strategie war schwierig, denn mit dem Regierungsverlust 1998 traten programmatische Defizite zutage. Allerdings steckte die Union in der Klemme. Und damit war auch diese Strategie ein Kompromiss. Denn neben dem Erschließen neuer Wählergruppen stand auch die Glaubwürdigkeit der Union auf der Probe. Wollte sie politisch nicht unglaubwürdig werden – durfte sie nicht zu viele programmatische Volten schlagen.933 Die verheerende Wahlniederlage von 1998 zeigte, dass die CDU ganze Wählerschichten nicht mehr erreichte und bei sich neu etablierenden Wählermilieus, insbesondere in den Großstädten, nicht einmal mehr zweitstärkste politische Kraft war. Die im November 1998 neugewählte CDUParteiführung stand mithin vor der Aufgabe, die Partei wieder stärker als bisher in den Dialog mit wichtigen Gruppen der Bevölkerung zu bringen. Gleichzeitig durfte aber die innere Balance der Union nicht verletzt werden. Erschwerend wirkte sich aus, dass die Union seit Anfang der neunziger Jahre immer größere Marktanteile in der Wählerschaft verlor.934 Beim Bundesparteitag in Erfurt im April 1999 stand die Verständigung auf die Programmarbeit im Mittelpunkt der CDU.935 Die Gratwanderung bei der anstehenden Programmarbeit bestand darin, einerseits den Markenkern der CDU zu wahren und insoweit in der Kontinuität christdemokratischer Politik zu bleiben, andererseits aber den Nachholbedarf, der sich auf mehreren Politikfeldern während der Regierungszeit entwickelt hatte und der mit Rücksicht auf die innerparteiliche Geschlossenheit vernachlässigt worden war, zu bewältigen.936 Wie in den siebziger Jahren hielt die Union nach 1998 an ihren programmatischen Grundlagen fest, gab ihnen aber zugleich vorsichtig neue Akzente. Das galt zunächst für ihr Verhältnis zum „C“. Niemand zweifelte ernsthaft die christliche Wertbasis an. Die meisten programmatischen Äußerungen bezeichneten das christliche Menschenbild weiterhin als das Fundament der Partei.937 In Landesverbänden, wie zum Beispiel in NordrheinWestfalen und Niedersachsen, aber auch auf Bundesebene fanden große Kongresse zum Thema statt. Unter der Leitung von Christoph Böhr entwarf 1999 die Wertekommission der Partei ein Papier zum Thema „Die Aktualität des Christlichen Menschenbildes“. Markant wurden darin die Verbindungen des christlichen Menschenbildes mit der Marktwirtschaft herausgestellt. Der Illusion, die gerechte Verteilung der Güter und die Solidarität von Arm und Reich würden sich von selbst einstellen, gaben sich die Autoren erst gar nicht hin. Das Papier anerkannte „den Eigennutz als Antrieb jedweden marktwirtschaftlichen Handelns“.938 Sie erhoben aber den Eigennutz nicht zur Kardinaltugend, sondern versuchten ihn
933 934 935 936
Interview Wolfgang Schäuble Vgl. Schäuble 2000: 50 Vgl. Ebd: 147 CDU (1999): Erfurter Leitsätze. Aufbruch ´99. Beschluss des 12. Parteitages in Erfurt 25. bis 27. April 1999, S. 6 937 Bösch 2002: 67 938 CDU 2001: Die Aktualität des Christlichen Menschenbildes.
9.4 Programmarbeit
249
durch eine Institutionenethik nutzbar zu machen.939 Dies war weit entfernt von der liberalen Auffassung von der selbstordnenden Hand des Marktes.940 Die Böhr-Kommission behauptete zudem, dass das christliche Menschenbild ein „realistisches Konzept“ sei. Wirklichkeitstreu wäre nicht nur das stete Bewusstsein um die „gefallene Schöpfung“, also um die Unzulänglichkeit und Fehlbarkeit der handelnden Personen, sondern auch „die Anerkennung der Unterschiedlichkeit des Menschen“ aus der Einsicht heraus, dass sich deren Gleichheit nicht auf die Begabung und Leistungsfähigkeit beziehen würde.941 Christoph Böhr und Hermann Kues, der kirchenpolitische Sprecher der Bundestagfraktion, beklagten aber auch, dass für viele in der Partei aber auch in der Öffentlichkeit das christliche Profil der CDU kaum noch erkennbar sein würde.942 Beispielsweise waren die von der Böhr-Kommission geforderten Grundsätze zur Genforschung und Bioethik mit den bislang eher an forschungs- und wirtschaftspolitischen Interessen formulierten Positionen der CDU nicht vereinbar.943 In dieser Frage spitzte sich auch der Konflikt mit den Kirchen – insbesondere mit der katholischen – zu. Gerade wurde seitens von Kirchenführern und auch der katholischen Publizistik angeführt, dass es bei dieser Frage um den Kern des Christlichen gehen würde und da sei Indifferenz fehl am Platze. Die Würde des Menschen sei der zentrale Punkt des Christlichen Menschenbildes und nach christlicher Ethik nicht diskutierbar.944 Der streitbare Kölner Kardinal Joachim Meisner riet – bei unterschiedlichen Gelegenheiten – in sehr deutlichen Worten, dass die Union das „C“ aus ihrem Namen streichen müsse.945 Neben der Bioethikfrage entwickelte sich die Flüchtlings-, Asyl-, und Zuwanderungsdebatte zum Zankapfel mit den Kirchen. Auch offizielle Würdenträger beider Konfessionen machten keinen Hehl aus ihren Bedenken gegen die restriktive Haltung der Union.946 Die Kritik an der Säkularisierung der CDU ließen christdemokratische Frontmänner, wie Friedrich Merz, der als Sauerländer und Mitglied einer katholischen Verbindung selbst im katholischen Bereich sozialisiert wurde, nicht auf sich sitzen. Diese Kritik glich auch in ähnlicher Weise den Debatten, die Konrad Adenauer mit Kardinal Frings und auch schon mit dem Münchner Kardinal Faulhaber geführt hatte. Friedrich Merz hielt dabei fest: 939 Ebd 940 Hefty, Georg Paul 2001: Maßstab und Handlungsanleitung. Die CDU verdeutlicht ihr christliches Menschenbild, in FAZ vom 1.12.01 941 Ebd 942 Vgl. Statement von Christoph Böhr in FAS vom 20. 12. 01; auch Hermann Kues äußerte sich kritisch zur Rolle des „C“ in der CDU: „Das „C“ ist ein sehr hoher Anspruch. Nur: Früher kam unser Personal aus dem kirchlichen Bereich, es wuchs in der kirchlichen Jugendarbeit nach. Wer in die Politik ging, hat dort seine Sozialisation erfahren. Das geht zurück. Es gibt eine zunehmende Fremdheit. Deshalb muss man daran arbeiten, damit es auch künftig Politiker gibt, die in der Kirche und in der CDU leben. Die CDU muss erkennen, dass das nicht irgendeine Sache ist wie Verbraucherschutz, sondern zentral. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die Partei das in der Tragweite begriffen hat.“ Vgl. Rheinischer Merkur vom 5.6.03. Auch sei hier auf eine Stellungnahme des einstigen „Vorzeigekatholiken“ der CSU, Hans Meier, hingewiesen: „Christliche Parteien ohne genügend christliche Politiker sind auf Dauer ohne Lebenskraft, ja sie kompromittieren die Sache, der sie dienen sollen.“ (Vgl. Rheinischer Merkur vom 22.2.02) 943 FAS vom 20. 12. 01 944 Giert, Matthias 2002: Zuwanderung, Biopolitik – die Distanz zu den Kirchen wächst. Entfremdung auf Raten, in Rheinischer Merkur vom 22.2.02 945 Vgl. u.a. Idea Spektrum vom 10.7.02 946 FR vom 11.7.02
250
9 Die CDU nach Helmut Kohl „Die CDU braucht das Engagement der Christen, den „christlichen Citoyen“. Nur wer sich einmischt, kann auch prägen. Den Luxus, nur Zuschauer zu sein, dürfen wir uns aus christlich geformter Verantwortung heraus nicht erlauben. Es ist richtig: Christen leben aus dem Absoluten, dem Nichtverfügbaren. Aber deswegen müssen sie nicht desinteressiert oder fundamentalistisch sein, sondern können mit eigenem Selbstbewusstsein für Toleranz und aktive Gestaltung der Welt eintreten. Das „C“ muss als Anspruch und Herausforderung in Politik und Gesellschaft erhalten bleiben. Wichtiger Bestandteil nicht nur des Christseins in der Welt, sondern auch des politischen Selbstverständnisses der CDU ist das Ringen um den besten Weg für die Lösung der politischen und gesellschaftlichen Probleme“947
Das „C“ blieb weiterhin das bestehende Wertefundament der Christdemokratie und in nahezu jedem Parteitagsdokument wurde auf dessen Gültigkeit für die Unionspolitik hingewiesen. Allerdings wurden in der Debatte – dies zeigte sich gerade auch bei bioethischen Fragen – nicht mehr allgemeinverbindliche, sondern ethische Fragen zunehmend aus der Parteidisziplin ausgeklammert. Dies galt zwar auch schon Mitte der 1990er Jahre für die Abtreibungsfrage, allerdings war damals die Meinungsvielfalt nicht so groß wie in der Bioethikdebatte. Die Beschäftigung mit dem „C“ blieb als Referenzrahmen bestehen, aber dieser wurde sehr groß ausgelegt. Dies zeigte sich allerdings bei sozio-kulturellen Themen stärker als bei der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftspolitisch nahm die Union zwar semantische Glättungen, aber keinen Kurswechsel vor. Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass beispielsweise das Zukunftsprogramm vom Wahlkampf 1998 vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble ausgearbeitet worden war.948 Trotz der Kritik eines „sozial zu unausgewogenen Wahlprogramms“ sah die Unionsspitze keinen Änderungsbedarf. Zwar wurde eingeräumt, dass die Kommunikation und der Zeitpunkt des Reformbeginns verunglückt waren. An der generellen Richtung wurde aber festgehalten.949 Aus diesem Grund sollte das Konzept auch nach 1998 die wirtschaftspolitische Richtung der CDU vorgeben. Die wirtschaftspolitische Überzeugung der CDU ging von der Annahme aus, dass die Arbeitslosigkeit nur durch wirtschaftliches Wachstum reduziert werden könne. Dazu waren drei Schritte notwendig: Erstens sollte das Arbeitsrecht zu Lasten der Arbeitnehmer verändert werden, um eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte zu erreichen. Zweitens sollten die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Und drittens sollten die ökonomischen Bedingungen durch eine Steuerentlastung verbessert werden.950 Dieser Dreischritt verfing aber bei der Bundestagswahl 1998 nicht in der Wählerschaft. Nicht nur in der Sozialpolitik, sondern auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit rangierte im Wahljahr 1998 die CDU bei den Kompetenzabschätzungen in der Wählerschaft abgeschlagen hinter den Sozialdemokraten.951 Das Wahldesaster von 1998 veranlasste die CDU nicht zu einer radikalen programmatischen Umkehr. Auch ihre programmatische Agenda wurde nicht umgekrempelt. Diese Kontinuität drückte sich in erster Linie in zwei Punkten aus:
947 Merz, Friedrich 2000: Prägekraft und Prüfungsinstanz. Zur Bedeutung des „C“ in der Politik, in Tagespost vom 17.6.00 948 Schmidt V. 2005: 143ff 949 Schäuble 2000: 49ff 950 Vgl. CDU 1998: Das Zukunftsprogramm. 951 Brunner/Walz 2000: 41
9.4 Programmarbeit
251
Die Union behielt die gleichen Themenprioritäten bei. Die Konzentration auf Wirtschaftsthemen wurde in den folgenden Jahren sogar noch verstärkt, nachdem aufgrund der fehlenden exekutiven Befugnisse außenpolitische Themen in den Hintergrund traten und sozio-kulturelle Themen nicht langfristig aufgegriffen wurden.952 Die Union änderte auch bei ihrem wichtigsten Thema nicht ihre Schwerpunktsetzung; nicht einmal – vergleicht man zum Beispiel die beiden Wahlprogramm von 1998 und 2002 – ihren Zungenschlag.953 Die Schaffung von mehr Wirtschaftswachstum blieb die absolute Priorität.
Der politische Ansatz des Zukunftsprogramms von 1998, der seinen Ursprung in den Petersberger Beschlüssen der Partei vom 22. Januar 1997 fand, bildete die Grundlage für die programmatische Weiterentwicklung der CDU und fand schließlich seine Ausformung und Weiterführung in den Leipziger Beschlüssen der Partei.954 Dies lag auch darin begründet, dass die Parteispitze zutiefst davon überzeugt war, dass im Grunde das Programm die richtigen Antworten gab. Diese wurden aufgrund der schlechten politischen Stimmung nur im Wahljahr 1998 nicht wahrgenommen. Der Grund also, warum der programmatische Neubeginn 1998 kraftlos verpufft sei, war die magere wirtschaftspolitische Bilanz der letzten Legislaturperiode von Kohls Kanzlerschaft gewesen und nicht die programmatische Richtung der Partei.955 Neben der durchwachsenen Regierungsbilanz war aber das Hauptproblem des 1998er Wahlkampfs für die Union, dass sie neben wirtschaftspolitischen Antworten – die durch ihre Regierungsbilanz die Menschen nicht mehr glauben mochten – keine populäre Visionen und damit keinen wählerwirksamen Aufbruch mehr anbieten konnte. Aus diesem Grund traf die Union die Wahlkampfstrategie der SPD, die so genannte Neue Mitte umso härter, da sie für die Auseinandersetzung auf dem politischen Markt nur unzureichend gerüstet war. 9.4.1 Wirtschaft und Arbeit als Kernthema im Wahlprogramm von 2002 Die Themenstrategie zeigte sich aber auch bei der Bundestagswahl im Jahr 2002. Die CDU setzte auf die Wirtschaftsprogrammatik. Schon lange vor der Nominierung Edmund Stoibers war die strategische Entscheidung auf dem politischen Markt gefallen. Den Wahlkampf nicht zu polarisieren, keine rein konfrontative Auseinandersetzung oder gar einen konservativen Gesinnungswahlkampf zu führen, war als strategische Grundausrichtung bereits zum Zeitpunkt des Frühstücks in Wolfratshausen entschieden. Dies passte auch zum politischen Naturell des Kandidaten am besten. Schließlich war Edmund Stoiber nie Oppositionspolitiker gewesen. Vielmehr organisierte und führte er stets Wahlkämpfe in Bayern, die auf einer breiten politischen Mehrheit beruhten. So pointiert seine bundespolitischen Beiträge auch in der Vergangenheit gewesen sein sollten, so konsensual war sein Regie952 Vgl. Zolleis/Schmid 2005: 320 953 Vgl. CDU 1998: Zukunftsprogramm (beschlossen auf 10. Parteitag der CDU in Bremen). CDU/CSU 2002: Leistung und Sicherheit. Zeit für Taten 954 Merz 2001 955 Schäuble 2000: 30-34
252
9 Die CDU nach Helmut Kohl
rungsstil in Bayern angelegt. Nicht zuletzt genoss er sogar bei den bayerischen Gewerkschaften hohes Ansehen.956 Das Erfolgsgeheimnis der CSU konnte auf den Satz reduziert werden, dass sie von Anfang an eine Partei der so genannten „kleinen Leute“ und damit der Unterschied zur SPD „in den sozialen Fragen immer gering“ war.957 Das Wahlprogramm „Leistung und Sicherheit.“ war ein Novum in der Parteiengeschichte. Erstmals verabschiedeten CDU und CSU ein gemeinsames Wahlprogramm. Das „Regierungsprogramm“ umfasste auf seinen 61 Seiten alle für eine Bundesregierung relevanten Politikbereiche. Die zentralen Botschaften konzentrieren sich auf das für die Union wichtige Wahlkampfthema Wirtschaft und Arbeit. Dieses Thema wurde zusammen mit der Familienpolitik bereits im Januar als Wahlkampfthemen ausgewählt.958 Das Kernstück war die Forderung „3 X 40“. Mit diesem Konzept wurde auf Beschlüsse der Kohl-Ära zurückgegriffen, die durch eine „Modernisierung“ des Wirtschaftsstandortes Deutschland hin zu mehr Eigenverantwortung die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland verbessern sollten. Jedoch fehlten diesmal klar erkennbare soziale Grausamkeiten, wie z.B. das Aussetzen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dagegen wurden mehr abstrakt wirtschaftspolitische Leitsätze verabschiedet: 1. 2. 3.
Die Staatsquote sollte auf unter 40 Prozent begrenzt werden. Die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge sollte unter 40 Prozent liegen. Der Spitzensteuersatz sollte auf 40 Prozent gesenkt werden.959
Die Union unternahm alles, um das Modell Deutschland nicht anzutasten. Obwohl die Gewerkschaften klar für das sozialdemokratische Lager warben und sich nicht scheuten, auf Wahlkampfveranstaltungen für Schröder einzutreten, gelang es nicht, der Union „soziale Kälte“ zu unterstellen. In ihrem Programm nahm die Union Kerngedanken der Kohlära auf, indem sie die Staatsquote senken, die Flächentarifverträge lockern und die Mitbestimmungsrechte in Kleinbetrieben wieder zurückdrängen wollte. Dies konnte aber nur schwerlich als ein Paradigmenwechsel hin zur neoliberalen Politik gedeutet werden. Vielmehr stand das Wahlprogramm von 2002 in der Kontinuität christdemokratischer Wirtschaftspolitik. Die Union versuchte, ihre Leitlinie für die Wirtschaftspolitik mit drei wirtschaftspolitischen Botschaften zu ziehen: Erstens wurde gerade in der Steuerpolitik ein Kurswechsel von Großunternehmen hin zu mittelständischen Betrieben propagiert. Zweitens sollte die Arbeitslosigkeit als ernstes soziales Problem durch die Stärkung der Wirtschaftskraft behoben werden. Drittens sollte diese Stärkung der Wirtschaftskraft nicht durch einen radikalen Umbau des Wirtschafts- und Sozialsystems erreicht werden. Weder wurde das Prinzip der Mitbestimmungen generell angetastet, noch der Sozialstaat ernsthaft in Frage gestellt. So wurden die sozialen Errungenschaften, wie Pflege- und Arbeitslosenversicherung, nicht angetastet. Der Sozialstaat sollte mittel- und langfristig sogar durch die Schaffung eines Familiengeldes ausgebaut werden. Die Stärkung der Wirtschaftskraft sollte nicht zuletzt durch die Verbesserung des Bildungssystems erreicht werden. Lediglich die Reformen der rot-grünen Bundesregierung der vergangenen vier Jahre sollten zurückgenommen werden. 956 957 958 959
Prantl, Heribert: Der Kunstschmied seiner selbst, in SZ 17.9.02 Kießling 2004 Beck, Sebastian: Stoiber setzt auf Wirtschafts- und Familienpolitik, in SZ 17.1.02 CDU/CSU: Leistung und Sicherheit. Berlin/München. 2002, S. 5
9.4 Programmarbeit
253
Das Modell Deutschland mit seinen konsensualen und sozialstaatlichen Ausprägungen sollte aber nicht angetastet werden. Die Mitte – so glaubten die Unionsstrategen – würde nur mit einer Betonung des Sozialen gewonnen werden, nicht mit einer Bekämpfung des Sozialstaates.960 Zudem wurde in der Finanzpolitik ein einfacheres Steuerrecht gefordert. Mit Senkung der Staatsquote, einer konsequenten Entbürokratisierung, die unter anderem eine zeitliche Befristung von Gesetzen vorsah, und einer für den Bürgern verständlichen Steuerstruktur, die auf dem Prinzip einer breiteren Bemessungsgrundlage und dafür niedrigere Steuertarife beruhte. Zudem wollte die Union im Falle eines Wahlsieges gering bezahlte Zusatzjobs von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen befreien. Sie griff dabei wiederum auf Pläne aus der Kohlära zurück, indem sie das in weiten Kreisen beliebte und auf Betreiben der Gewerkschaften von Rot-Grün abgeschaffte so genannte „630-Mark-Gesetz“ als „400-Euro-Gesetz“ wieder einführen wollte. Auch sollte das von der amtierenden Bundesregierung auch für Kleinbetriebe erweiterte Mitbestimmungsrecht wieder rückgängig gemacht werden. Die Union vermied geflissentlich, als „Partei der Bosse“ zu erscheinen, und nahm daher den Mittelstand in den Mittelpunkt ihrer wirtschaftspolitischen Argumentation. Dies entsprach nicht nur traditionellem Gedankengut der christdemokratischen Wirtschaftspolitik, sondern war auch auf dem politischen Markt hilfreich. Dies lag an den phonetischen Ähnlichkeiten von „Mitte“ und „Mittelstand“. Obwohl „Mittelstand“ streng genommen nur einem kleinen Anteil der Wählerschicht entsprach, fühlte sich doch die Mehrheit wirtschaftspolitisch als Mitte der Gesellschaft, vom Facharbeiter zum Lehrer, vom Krankenhausarzt hin zum Gemüseladenbesitzer. Ein guter Ansatzpunkt für diese Sprachregelung bestand in der Neuregelung der Körperschaftssteuer. Sie benachteiligte Personenunternehmen gegenüber den Kapitalgesellschaften. Und damit wurde sie vom Mittelstand, insbesondere den Handwerksverbänden, abgelehnt. Zudem riss diese Steuerreform Löcher in die Haushalte von Bund, Ländern und vor allem den Kommunen. Durch die Verknüpfung von „Stärkung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“ und „Schaffung von neuen Arbeitsplätzen“ konnte die Union in alte sozialdemokratische Kernkompetenz einbrechen. Sie gewann durch ihr Programm, das sehr stark an 1998 angelehnt war, wirtschaftspolitische Kompetenz zurück, indem sie Wirtschaft und Beschäftigung miteinander verband. Damit schuf sich die CDU/CSU eine herausragende Position für die heiße Wahlkampfphase. Sie lag beim voraussichtlichen wahlentscheidendem Thema in den Kompetenzwerten klar vorn.961 Neben der Arbeitsmarktpolitik spielte in der Sozialpolitik die Familienpolitik eine hervorgehobene Rolle. Zu Beginn des Jahres 2002 profilierten sich SPD und Grüne in der 960 Dieses Fernhalten von neoliberalem Gedankengut passte zur bayerischen Regierungsbilanz von Edmund Stoiber. Wirtschaftspolitisch verfolgte Stoiber in Bayern eine durchaus auch für Sozialdemokraten lupenreine Interventionspolitik. Der Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus war in der bisherigen Regierungszeit Edmund Stoiber ein festes Credo. Der bayerische Wirtschaftsminister, Otto Wiesheu sah einen nicht unerheblichen Teil seiner Arbeit darin, Betriebe vor der Pleite zu retten. Mit kaltem Neoliberalismus hatte dies nichts zu tun. In der Sozialpolitik war die CSU häufig sogar auf der linken Überholspur gewesen. Das soziale Klima in Bayern ist milder als anderswo. Als einziges Land hat es in Bayern ein funktionierendes Bündnis für Arbeit gegeben. Im Ton ist die CSU oft rustikal und vor allem meist lauter als die große Schwester gewesen. Aber das rechtere politische Profil hat sie keineswegs gehabt. Fahrenholz, Peter: Schwarz mit roten Punkten, in SZ 11.1.02 961 Peter Lösche weist zurecht daraufhin, dass die SPD traditionell Bundestagswahlen nur gewinnen konnten, wenn sie in der Wirtschaftskompetenz mit der Union einigermaßen aufschließen konnte. (vgl. Lösche 1992)
254
9 Die CDU nach Helmut Kohl
Person von Renate Schmidt und Fritz Kuhn in der Familienpolitik. Sie sahen in der Schaffung von Ganztagesbetreuungsangeboten die Verbesserung von Vereinbarkeit von Beruf und Familie am besten gewährleistet und erblickten darin die Zukunft der Familienpolitik. Die CDU/CSU stellte diesem etatistisch ausgerichteten Familienbild das Konzept des Familiengeldes entgegen. Das Familiengeld sollte den Familien unabhängig von ihrem Einkommen bezahlt werden und das unübersichtliche System der bestehenden Familienförderung ablösen.962 Allerdings konnte in diesem Bereich die Union nur eine mittel- bis langfristige Perspektive eröffnen. Eine schlüssige Finanzierungsantwort für die nächsten Jahre fand sie dabei allerdings nicht. Somit blieb das angekündigte Familiengeld eine perspektivische Vision und nicht ein realpolitischer Vorschlag für einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik. Damit verlor jener Vorschlag erheblich an Bedeutung. Die familienpolitischen Vorschläge zeigten aber christdemokratische Kontinuität. Zum einen wurden sozialpolitische Akzente in der Familienpolitik gesetzt, zum anderen wurden darin die Wahlfreiheit der Eltern hoch gehalten und staatliche Vorgaben, wie sie etwa bei der Einführung von verbindlichen Ganztagesschulen der Fall gewesen wären, abgelehnt. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die innerparteiliche Akzeptanz des Wahlprogramms nicht umstritten war. Es wurde auf dem Frankfurter Parteitag mit einer feierlichen Akklamation, die rund zehn Minuten dauerte, angenommen. Debatten waren weder erwünscht, noch wurden sie seitens der Teilnehmer nachgefragt. Sie passten weder zum geeinten Erscheinungsbild der Union für den Wahlkampf, noch waren sie für den Abstimmungsprozess mit der CSU über das gemeinsame Wahlprogramm hilfreich. Dem Wahlprogramm und seinen programmatischen Positionen wurde auch nicht innerparteilich im Nachgang zur Wahl kritisiert. Dies lag nicht nur daran, dass sie dem eingeschlagenen Kurs weiter folgte, sondern auch daran, dass die Union bereits auf ihrem ersten Bundesparteitag seit der Bundestagswahl im November 2002 wieder im Aufwind der politischen Stimmung lag. Das Jahr 2003 sollte mit den erfolgreichen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen – die vor allem die Proteststimmung gegen die Bundesregierung nutzte – gleich hervorragend für die Union starten.963 9.4.2 Die Leipziger Beschlüsse von 2003 Eine innerparteiliche Debatte – die jedoch ausblieb – wäre somit nicht über die Leitlinien, sondern nur über eine Ausgestaltung der jeweiligen Reformschritte gegangen. Ziel musste sein, die Maßnahmen des Wahlprogramms von 2002 und damit auch der Petersberger Beschlüsse zu konkretisieren und in die aktuelle politische Debatte zu übersetzen. Diese war seit März 2003 über die von Gerhard Schröder vorgestellte Agenda 2010 bestimmt. Die Union musste nun in erster Linie aufgrund der Anforderungen des politischen Marktes ein reformfreudiges, geschlossenes und einprägsames Konzept entwerfen, das nach den vielen Nachbesserungen der rot-grünen Bundesregierung den Eindruck der Öffentlichkeit vermitteln sollte, dass es durchgerechnet und in sich schlüssig sei. Der Blick auf den politischen Markt überwog hier innerparteiliche Abstimmungsprozesse.
962 CDU/CSU: Leistung und Sicherheit, S. 30. Berlin/München. 2002 963 Vgl. Müller Rommel 2003: 689ff
9.4 Programmarbeit
255
Angela Merkel hatte die Programmerneuerung seit langem betrieben, weniger weil sie – wie beim Gesundheitssystem – schon früh grundlegende Reformen für unausweichlich gehalten hatte, sondern eher, weil sie vorausahnte, dass die Union sich gegenüber der SPD grundlegend unterscheidbar halten müsste. Sie teilte diese Erkenntnis den Delegierten in dem Satz mit, sie wolle nicht, dass die Union denselben Fehler wie Herr Schröder machen würde, und die Oppositionszeit verschlafe, um dann eine Landtagswahl nach der anderen zu verlieren.964 Dies war für eine in den Ländern erstarkte föderale Partei ein zugkräftiges Argument. Die eigentliche Reformarbeit wurde von der CDU-Vorsitzenden nicht ihren Parteigremien aufgegeben, sondern einer Kommission übertragen. Das wirkte zwar zunächst wie die ideenlose Kopierung der Schröderschen Reformkommission, war aber doch der Unlust zum Wandel in der Partei geschuldet und gewährte der Parteivorsitzenden, sobald sich Herzogs Ergebnisse in der Hand hatten, Freiheit im Handeln.965 Nach acht Monaten mit 14 ziemlich geräuschlosen Sitzungen verständigten sich die Mitglieder in knapp 80 Seiten auf ihren Gesetzesentwurf. 966 Die Herzog-Kommission beschäftigte sich grundsätzlich mit vier Aspekten des Sozialstaates. Dem Gesundheitswesen, der Pflegeversicherung, dem Rentensystem und der Arbeitslosenversicherung. Alle vier Punkte waren miteinander verwoben. Im Gesundheitswesen sollten versicherungsfremde Leistungen aus dem beitragsfinanzierten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgelöst werden. Finanzielle Eigenbeteiligungen der Versicherten bei Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wurden ebenso befürwortet wie eine stärkere Differenzierung der Leistungsangebote der Krankenversicherungen. Dem Modell einer Einheitsversicherung – der so genannten Bürgerversicherung – wurde eine Absage erteilt. Stattdessen schlug die Kommission vor, für jeden Beitragszahler eine lebenslange Prämie zur Krankenversicherung einzuführen, gestaffelt nach Jahrgängen. Ein sozialer Ausgleich sollte aus Steuermitteln finanziert werden. Ferner sollte in die Prämiengestaltung ein „Präventions-Bonus“ eingebaut werden. Gestützt auf die Dienste der Unternehmensberatung McKinsey präsentierte die Union ein Konzept, das deutlich weiter ging als die Vorschläge der Rürup-Kommission. Im Gegensatz zum Konzept einer von Rot-Grün favorisierten Bürgerversicherung sollte der Kassenbeitrag künftig vom Lohn abgekoppelt und der Faktor Arbeit somit deutlich entlastet werden.967 Damit war eine der Kernforderung der Union seit 1997 erfüllt. Bei der Pflegeversicherung wandte sich die CDU strikt gegen eine Einschränkung von Leistungen und wollte die häusliche Pflege stärken. Die Pflegeversicherung sollte schrittweise bis spätestens zum Jahre 2030 aus dem gegenwärtigen Umlageverfahren in ein kapitalgedecktes Prämienmodell überführt werden. Es wurde dazu ein Beitrag von maximal 66 Euro pro Monat und Versichertem kalkuliert. Beim Rentensystem sollten die umlagefinanzierte Alterseinkommen und kapitalgedeckten Alterseinkommen aus betrieblicher und privater Altersvorsorge in eine neue Balance gebracht werden. Ferner sollte als künftige Richtschnur gelten: Nur wer 45 Versicherungsjahre nachweisen könnte und ein Alter von 63 bis 67 Jahren erreicht hätte, könnte 964 965 966 967
FAZ vom 2.12.03 Ebd Rheinischer Merkur vom 2.10.03 Rheinischer Merkur vom 2.10.03
256
9 Die CDU nach Helmut Kohl
abschlagsfrei Rente beziehen. Anreize zur Frühverrentung sollten umfassend beseitigt werden. In die gesetzliche Rentenanpassungsformel sollte ein erweiterter Demografiefaktor eingebaut werden, der mit steigender Lebenserwartung oder bei rückläufiger Erwerbstätigenzahl den Rentenanstieg verlangsamen sollte. Ferner wurde angeregt, die gesetzliche Basisrente durch steuerfinanzierte Ergänzungsbeiträge zu fördern, damit sie mindestens 15 Prozent über der Sozialhilfe liegen würde. Für jedes Kind sollte in die gesetzliche Rentenversicherung die Zahl der Entgeltpunkte verdoppelt werden. Auch bei der Arbeitslosenversicherung sollte der Kostenfaktor Arbeit entlastet werden. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollten zum damaligen Zeitpunkt rund 6,5 Prozent auf unter 5 gesenkt werden, indem sie auf ihre Kernaufgaben zurückgeführt werden. Dazu sollten nur noch die Arbeitsvermittlung, Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld, Berufsberatung, Lehrstellenvermittlung und berufliche Rehabilitation gehören. Arbeitslosengeld sollte längstens für zwölf Monate (bzw. 18 Monate für Arbeitnehmer älter als 55 Jahre) gezahlt werden.968 Diese CDU-Agenda besaß eine klare Grundlinie: Sie wollte das in die Krise geratene Netz der sozialen Sicherung demographiefest machen, indem möglichst viele Elemente einer kapitalgedeckten Vorsorge auch in den bestehenden gesetzlichen Systemen implementiert wurden. Das Unionspapier setzte deutlich auf mehr Wettbewerb und mehr eigenverantwortliche Vorsorge. Der heikle Satz wurde offen ausgesprochen: Angesichts der Veränderungen müsse „ein Teil der Kosten der sozialen Sicherung in die individuelle Eigenverantwortung des Bürgers gegeben werden.“969 Für die innerparteiliche Begründung war Roman Herzogs Parteitagsrede interessant. Sie bildete den Leitfaden für die Reformagenda der Union auf dem Parteitag. Roman Herzog provozierte nicht nur anhaltenden Applaus für den Systemwechsel, sondern verwandelte – so die Wochenzeitung DIE ZEIT – sich geradezu zum Gründungsvater einer neuen Christdemokratie im Zeichen der Krise des Landes. Es gelang ihm somit ein ideologiepolitisches Manöver. Die Verteilungsgerechtigkeit unterlag dem Diktat der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Dazu gehörte nicht nur die Senkung der Lohnnebenkosten,970 sondern auch die Schaffung von mehr Wirtschaftswachstum und einer besseren Bildungspolitik.971 Begründet wurden die Anstrengungen mit dem sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und für die Zukunft der Kinder des Landes. Das Land würde wieder mehr Wirtschaftskraft benötigen. Nur so könnte der Sozialstaat erhalten bleiben. Er sagte: „Die Wirtschaftskraft und die soziale Leistungsfähigkeit eines Landes stehen eben, was auch immer die Gutmenschen behaupten mögen, in einem unlösbaren Zusammenhang zueinander: Es ist wahr: Eine Wirtschaftspolitik ohne soziale Gerechtigkeit gefährdet den sozialen Frieden und die Idee der Gerechtigkeit führt im Ergebnis zu volkswirtschaftlichen Verlusten. Umgekehrt gilt eben auch: Eine Sozialpolitik ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Ökonomie und wirtschaftliches Wachstum beraubt sich selbst ihres Fundaments und sägt damit an dem Ast, auf dem sie sitzt.“972 968 969 970 971
Ebd Ebd Die Zeit vom 4.12.03 Bericht des Vorsitzenden der Kommission „Soziale Sicherheit“ Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Roman Herzog, S. 12f 972 Ebd
9.4 Programmarbeit
257
Die Implementierung dieser Programmatik zeigte aber die Neugestaltung des innerparteilichen Lebens. Denn die neue Reformagenda wurde vornehmlich von Angela Merkel an den Parteigremien vorbei durchgesetzt. Sie nutzte die Reformdebatte, um ihr davor wenig erkennbares programmatisches Image zu konkretisieren. Zum Auftakt der innerparteilichen Auseinandersetzung über Maß und Umfang der Sozialreformen hatte sich Angela Merkel überraschend klar hinter die strittigen Pläne der Herzog-Kommission gestellt.973 Sie unterstützte diese Idee auf ihrer Berliner Rede „Quo vadis, Deutschland?“, die als programmatische Standpunktrede lange angekündigt worden war und im Fernsehen live übertragen wurde. Diese Rede war nicht nur an die Partei, sondern an die breite Öffentlichkeit gerichtet. Darin entwarf Merkel öffentlich ein umfangreiches Konzept ihrer politischen Leitgedanken für die Zukunft Deutschlands und damit auch die programmatischen Grundlagen ihres CDU-Vorsitzes. Große Bedeutung maß sie dabei der Freiheit des Einzelnen bei. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit seien die Grundwerte der CDU. Jedoch sei die Freiheit in der Rangfolge zu weit herabgerutscht.974 Der Partei blieb am Ende also nur, den Reformvorgaben zu folgen, oder ihre Vorsitzende zu desavouieren. „Ich bin stolz darauf, dass wir uns damit befassen“, lautete ein Schlüsselsatz Angela Merkels Leipziger Rede.975 Inhaltlich hatte Angela Merkel die CDU nun klar auf Reformkurs gebracht. Mit ihrem schnellen Ja zu den Grundzügen der Pläne aus der Herzog-Kommission nahm sie all den Kritikern den Wind aus den Segeln, die ihr bisher vorgeworfen hatten, sich in keiner Frage inhaltlich festlegen zu wollen. Neben den innerparteilichen Kräfteverschiebungen brachte die CDU-Vorsitzende die Union geschickt in eine neue Position. Mit der Bereitschaft zur Kooperation erhöhte sie den Reformdruck auf Bundeskanzler Gerhard Schröder, der angesichts der SPD-Linksabweichler um seine eigene Mehrheit zittern musste.976 Merkel brachte nun Schröder durch eine Art Doppelstrategie in Schwierigkeiten: Indem sie durch das Angebot zur Kooperation den Preis für die Zusammenarbeit hochtrieb und nun die programmatische Legitimation besaß, mit Verweis auf Parteitagsbeschlüsse zu blockieren.977 Einige Details des Programmentwurfs wirkten nicht frei von Zweifeln innerhalb der Partei. Trotz einer langen Diskussion nahm der Parteitag mit großer Geschlossenheit seinen durchaus umstrittenen Beschluss über einen Systemwechsel in der Krankenversicherung an. Die Entscheidung, das bestehende Beitragssystem abzuschaffen und eine Kopfpauschale an seine Stelle zu setzen, war aber schon getroffen, bevor die Delegierten in Leipzig zusammenkamen. Seit sich Angela Merkel Anfang Oktober 2003 die Empfehlungen der HerzogKommission zu eigen gemacht hatte, ging es nicht mehr allein um eine Sachfrage. Die meisten Delegierten sahen sich vor allem aufgefordert, den Führungsanspruch der Vorsitzenden zu unterstützen. Genau dazu hatten sich die Delegierten fast einstimmig entschieden. Sie hierzu zu veranlassen und sich den Führungsanspruch ihrer Vorsitzenden zu eigen zu machen – das war der eigentlich, der übergeordnete Zweck des Parteitages. Das zu erreichen, gelang auch Angela Merkel. Die Entscheidung war in Leipzig keinen Augenblick offen.978 Die wenigsten Delegierten dürften in der Lage gewesen sein, das Für und Wider 973 974 975 976 977 978
SZ vom 2.10.03 Ebd FAZ vom 2.12.03 Wirtschaftswoche vom 9.10.03 Ebd FAZ vom 3.12.03
258
9 Die CDU nach Helmut Kohl
der Entscheidung aus eigener Sachkenntnis zu bewerten. Das war auch nicht ihr Bedürfnis. Den Systemwechsel mochten die Experten weiter diskutieren. Für die Delegierten ging es darum, die eigene Parteiführung in ihrer Entscheidung zu unterstützen. Das erfuhren auch Gegner des Beschlusses, wie Norbert Blüm. Entschieden lehnte er die Abkehr vom Beitragssystem als ungerecht, unsolidarisch und uneffektiv ab. Die Delegierten hörten ihm höflich zu, und ebenso höflich war ihr Beifall. Daran, wie sie abstimmen würden, konnte Blüm aber keinen Zweifel haben. Denn der großen Mehrheit ging es ausschließlich darum, für die Kopfpauschale und damit für die Parteivorsitzende zu stimmen.979 Angela Merkel versicherte, dass trotz Systemumstellung künftig niemand mehr für die Krankenversicherung aufbringen müsse als derzeit. Zum Antrag der CDU waren 474 Änderungsanträge eingegangen. Dazu zählte auch der Vorschlag, Familien in der Rentenversicherung über einen monatlichen Beitragsabschlag in Höhe von 50 Euro zu fördern. Dieser solle ebenfalls über Steuern finanziert werden.980 Nur vier der 1001 Delegierten opponierten gegen die Vorgabe ihrer Chefin.981 Das Mantra, das galt, hieß: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Merkels Konzept besaß jedoch eine klare Botschaft: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ rief sie in die Leipziger Messehalle.982 Aus diesem Grund war es nur konsequent, dass die Union die Reform des Steuersystems auf dem gleichen Parteitag wie die Reform der sozialen Sicherungssysteme anpackte. Obwohl es in der Presse große Zweifel gab, ob das von Friedrich Merz erarbeitete Steuerreformmodell zu den Herzog-Vorschlägen passen würde.983 Das Steuerkonzept der Union sah einen Stufentarif mit den Sätzen 12, 24 und 36 Prozent vor.984 In dieser Steuerreform sollten sich aber auch ihre Gesellschaftsprioritäten widerspiegeln. Es sah nur drei Ausnahmen vor: Für Familien, der Bildung einer Altersvorsorge und Spenden für Wohltätigkeitsorganisationen. „… Wenn Sie so wollen, entspricht es auch unserem Menschenbild, dass wir den Familien in Deutschland nicht mit Steuern etwas nehmen, was wir ihnen an anderer Stelle mit Transfereinkommen wieder zufließen lassen müssen. Dies ist eine wesentliche Entscheidung unseres Steuerkonzepts. … Das Bild vom freien Menschen, das wir haben, bedeutet, dass wir den Menschen das Einkommen lassen müssen, das sie brauchen, um existenznotwendige Aufwendungen tätigen zu können. Wir dürfen es ihnen nicht durch Steuern nehmen, um es ihnen durch Zuwendungen wieder zustecken zu müssen. … Man darf [weiter] den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes nicht nur das nicht nehmen, was sie für den Unterhalt der Familie brauchen, sondern darf ihnen auch das nicht nehmen, was sie für die Altersvorsorge aufwenden müssen, damit sie sich für das Alter ein angemessenes Einkommen aus Rentenversicherung, privater und betrieblicher Altersversorgung schaffen können. … Wir wollen [zudem], dass Spenden an anerkannte gemeinnützige Einrichtungen auch in Zukunft steuerlich abzugsfähig sind. … Man kann mit Recht einwenden, damit durchbreche man das Prinzip des Markteinkommens und das Nettoprinzip. Das hilft aber nicht weiter: Wenn diese Gesellschaft eine menschliche
979 980 981 982 983 984
Ebd Welt vom 2.12.03 Focus vom 8.12.03 Zeit vom 4.12.03 SZ vom 1.12.03 Welt vom 2.12.03
9.5 Zusammenfassung
259
Gesellschaft bleiben soll, dann müssen wir in Deutschland auch in Zukunft sicherstellen, dass Spenden an anerkannte gemeinnützige Einrichtungen … abzugsfähig bleiben.985 Die Partei änderte somit kaum die Leitlinien ihrer Politik, obwohl dies beispielsweise von Norbert Blüm vorgeworfen wurde. Das Wachstum der Wirtschaft, ein sozialer Ausgleich – der nun zwar verstärkt über die Steuern organisiert werden sollte –, die Stärkung der Bürgergesellschaft, das heißt der kleinen Einheiten, und die Betonung der Familie im sozialpolitischen Bereich bildeten die Schwerpunkte ihres Konzepts. Die Marktwirtschaft war weder eine vollkommen freie und daher in einen festen Ordnungsrahmen eingefügt, noch bildeten sie den Absolutheitsanspruch des Marktes. Das Bekenntnis zu christlichen Werten und ihres Gesellschaftsideals blieb stets die stärkste Begründung für die Union. Diese zeigten sich auch in den beiden Begründungen von Friedrich Merz und Roman Herzog. 9.5 Zusammenfassung Die Programmdebatte vor und auf dem Leipziger Parteitag zeigte die zentrale Stellung der Parteiführung. Insbesondere der privilegierte Zugang der Parteiführung zu den Medien schuf nicht nur eine direkte Kommunikation zur Parteibasis, sondern auch ein Druckmittel der Parteiführung, innerparteiliche Debatten abzukürzen – wollten eigene Gefolgsleute nicht Gefahr laufen, die Partei als gespalten in der Öffentlichkeit gelten zu lassen und ihr damit zu schaden. Mit dieser privilegierten Stellung erreichte die Parteiführung – wie sich dies unter anderem in Merkels Ankündigung in ihrer „Quo vadis“-Rede zeigte – ein großes Maß an Prägekraft nicht nur über die Tagesordnung, sondern auch über die Richtung der programmatischen Debatte. Hier erfolgte eine Weiterentwicklung der programmatischen Richtung der CDU auf der Grundlage der Petersberger Beschlüsse. Diese waren kein Gegensatz zum politischen Leitbild. Handlungsleitend war jedoch die Positionierung im politischen Markt. Und nicht der grundlegende Ausdruck, aus dem Leitbild eine Wirtschaftspolitik aus einem Guss zu machen. Dies zeigte gerade auch die relativ emotionslose Beschäftigung mit „C“-Fragen, gerade auch bei den neuen Herausforderungen die sich mit den neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten beschäftigten. Hier gab es – wie zum Beispiel bei der Stammzellenforschungsdebatte – durchaus ein äußerst heterogene Vielfalt der Meinungen in der Partei. Die programmatische Debatte unterschied sich auch in ihrer Strukturierung klar von der in der ersten Oppositionsperiode. Programmatische Fragen wurden von der neuen Parteivorsitzenden zu Machtfragen erhoben und damit der ursprüngliche Aushandlungsspielraum unterschiedlicher sozio-ökonomischer Interessen bereits im Vorfeld erheblich eingeschränkt. Das Delegiertensystem hatte sich überlebt. Über die Personalauswahl entschied zunehmend die Parteibasis. Und dies galt nicht nur für Personalentscheidungen auf Kreisebene, sondern eben auch zunehmend für Personalentscheidungen auf Landes- und Bundesebene. Gerade der Wahl von Angela Merkel waren Regionalkonferenzen vorausgegangen, die akklamatorischen Charakter trugen. Die Parteibasis, nicht der Mittelbau der Parteibasis, wählte die Parteiführung aus. Dies gab der Parteivorsitzenden – gerade auch in den Machtkämpfen mit der Fraktion – eine große Legitimation. Dieser Unterstützung musste sich die Parteivorsitzende jedoch immer aufs Neue versichern, denn sie konnte – dies zeigte die Spitzenkandidatenkür zur Bundestagswahl 2002 – sehr leicht ver985 Rede von Friedrich Merz auf dem Leipziger Parteitag, Protokoll des Bundesparteitags
260
9 Die CDU nach Helmut Kohl
gehen. Die Entscheidung für Edmund Stoiber resultierte eben nicht nur aus der fehlenden Unterstützung vieler Landesvorsitzenden, sondern auch in ihrem damaligen schwindenden Rückhalt an der Basis. Dies zeigte sich nicht nur bereits Ende 2001 auf dem Dresdner Parteitag als Edmund Stoiber bejubelt wurde, sondern setzte sich durch Umfragen bei den Anhängern der Union fort. Das innerparteiliche Leben wurde zunehmend durch von den Medien erzeugte Stimmungen geprägt. Nicht nur die Wahl der Parteivorsitzenden, sondern auch die programmatische Entscheidungen wurden in großer Form in den so genannten Regionalkonferenzen per Akklamation und diffuser Meinungsbilder vorentschieden, um anschließend in großer Einmütigkeit auf den Bundesparteitagen formal sanktioniert zu werden. Somit war auch in dieser Zeit nicht der programmatische Wandel der tiefgreifende, sondern der Wandel des innerparteilichen Willensbildungsprozesses. Der tiefe Einschnitt durch die Spendenaffäre entmachtete zwar ein Stück weit den Parteimittelbau. Dies war aber ein Trend, der sich nur fortsetzte und nicht Ausdruck eines radikalen Wandels. Die Zufriedenheit der Partei mit ihrer formalen Organisationsstruktur erwies sich darin, dass ein formal institutioneller Wandel, etwa durch Satzungsänderungen, ausblieb. Der innerparteiliche Willenbildungsprozess hob sich aber im Vergleich zur ersten Oppositionszeit deutlich ab, er war diesem sogar diametral entgegengesetzt. Nicht mehr über die Delegierten, sondern über die Medien und die Regionalkonferenzen, die appellativen Charakter der Basis für die Parteiführung besaßen, wurde der Entscheidungsprozess der Partei gesteuert. Die Politik wurde weniger in Gremien erarbeitet, sondern dort bereits fertige Konzepte abgenickt. Dies zeigen gerade die Beratungen zum Leipziger Parteitag. Hier entwickelte sich die CDU zu einer professionell beratenen Wählerpartei. Diese Partei behielt zwar den Anspruch bei, eine schichtübergreifende Volkspartei zu sein, aber sie geriet zunehmend unter Druck, diesen Aushandlungsprozess auch sinnvoll zu organisieren. Dies wurde noch erschwert, indem die Partei keine tragfähigen gesellschaftlichen Linkages besaß, um den Klassenkonflikt zu moderieren. So wurde die Unionsführung in der rotgrünen Regierungszeit damit konfrontiert, dass sie zwar zunehmend breite Schichten in der Arbeiterschaft anzog, für diese aber keine institutionelle Verwurzelung fand. Das bedeutete eine erhebliche organisatorische Veränderung im christdemokratischen Willensbildungsprozess.
10 Konklusion: Zwischen Werteidentität und politischem Markt – Die CDU als christdemokratische Partei
Diese Arbeit geht zwei zentralen Fragen nach: In den ersten beiden Kapitel beschäftigt sie sich mit der Frage „Was sind die charakteristischen Elemente eines christdemokratischen Leitbildes?“ und zum zweiten wirft sie die Frage auf: „In welcher Weise hat sich der Einfluss des politischen Leitbildes bezüglich des innerparteilichen Lebens, der Programmatik und der Wirtschaftspolitik in den vergangenen sechzig Jahren verschoben?“ 10.1 Die christdemokratischen Grundwerte in der CDU Die CDU weist alle vier christdemokratischen Grundwerte auf. Jedoch haben sie das politische Leitbild der CDU unterschiedlich geleitet und geprägt. Ein pluralistisches Gruppenverständnis wurde nicht zum höchsten innerparteilichen Wert der CDU erklärt. Zwar wurden anfänglich starke Vorfeld- bzw. parteieigene Gruppen gebildet, die die unterschiedlichsten Anliegen institutionell in der Partei verankern sollten, aber ihre Bedeutung nahm kontinuierlich ab. Dies wurde sowohl beim innerparteilichen Willensbildungsprozess deutlich, als auch beim Verhältnis zu den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen. Die Bedeutung dieser Gruppen zur Positionierung auf dem politischen Markt wie auch beim innerparteilichen Willensbildungsprozess verringerte sich drastisch. Das politische Leitbild der CDU verinnerlichte nicht die Bedeutung dieser Gruppen und band sie für ihre politische Arbeit nur bedingt ein. Programmatisch hielt sie zwar am markwirtschaftlichen Ordnungsrahmen, der Monopolkontrolle und dem Bekenntnis zur Tarifpartnerschaft fest, aber dies hatte durchaus andere Gründe: Das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und für die Mediation der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ließen es opportun erscheinen, an all diesen Punkten nicht zu rütteln. Als besonderes Eintreten für zahlreiche gesellschaftliche Organisationen konnte dies nur schwer verstanden werden. Einzig beim Bekenntnis zur Familie und bei der Herausbildung des bundesrepublikanischen Sozialstaates konnte sich das Verständnis zu einer gemeinschaftlichen Pluralität sozialer Gemeinschaften ausdrücken. Ob es aber ein Ergebnis pluralistischer Vorstellungen war, kann letztlich nicht abschließend geklärt werden, weil auf Parteitagsreden der Subsidiaritätsaspekt im Sozialstaat stärker betont wurde. So wurde die Idee der Subsidiarität auch ganz allgemein gegenüber dem Pluralismus stärker betont. Sie prägte sowohl das Handeln auf dem politischen Markt, das innerparteiliche Leben und das programmatische Profil der Partei. Die CDU sah sich vor allem als Anwalt kommunaler und regionaler Anliegen. Diese starke regionale Identität war Ausdruck ihres innerparteilichen Lebens. Nicht nur besaß sie starke Landesverbände, die gemeinhin autonom agierten, sondern auch starke Kreisverbände. Die Auflösung der Milieus wurde durch einen Ausbau der Parteiorganisation auf kommunaler Ebene kompensiert. Damit erfolgte der personale Auswahlprozess weiterhin dezentral. Der Willensbildungsprozess in
262
10 Konklusion
programmatischen Fragen wurde zunehmend elitärer, aber nicht zentralisiert. Die Entscheidungen fielen weiterhin auf der jeweiligen politischen Ebene, nur wurde die Partei als Ganzes nicht einbezogen. Die Entscheidungsstruktur des Delegiertensystems von unten nach oben wurde nicht in die Gegenrichtung umgedreht, sondern erfolgte lediglich im kleineren Kreis. Damit hatte es zunehmend Auswirkungen auf die Durchsetzung des Mediationsprinzips, aber nicht auf das Subsidiaritätsprinzip, da in kleinere Gemeinschaften oder föderale Strukturen von oben nicht eingegriffen wurde. Vielmehr setzten sich die jeweiligen Entscheidungsgremien mit zahlreichen Vertretern der jeweiligen unteren Ebenen zusammen, so dass deren Interessen stets berücksichtigt wurden. Dies galt gerade für die 1980er und 1990er Jahre. Die elitär gefundenen Entscheidungen mussten stets von den institutionell etablierten Gremien abgesegnet werden und besaßen damit eine „vorauseilende Vetoposition“. Somit erfuhr der Willenbildungsprozess erhebliche Veränderungen, er streifte aber seinen subsidiären Charakter nicht ab. Gleiches galt für die Programmatik. Die Stärkung und der Schutz kleinerer Einheiten wie die Skepsis vor Planwirtschaft prägten auch die Wirtschaftsprogrammatik der CDU. Dies zeigte sich nicht nur im Bekenntnis zum Privateigentum, in der Ausgestaltung der Mitbestimmung wie auch bei der Vermögensbildungspolitik. So sollten die kleinen Einheiten gestärkt werden, besonders Mittel- und Kleinbetriebe, Betriebsräte sowie – zumindest bei der finanziellen Sicherstellung – die Familien. Zudem war das Personalitätsprinzip ein Charakteristikum der CDU. Auf dem politischen Markt wurde ein Bündnis mit radikalen Kräften entschieden abgelehnt. Der innerparteiliche Willensbildungsprozess gelang auf freie, demokratische Weise. Besonders zeigte sich das Prinzip aber in der Programmatik: Vor allem ihre Initiativen zur Mitbestimmung, zum Schutz der Umwelt wie auch der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit verdeutlichten, dass das wirtschaftliche Handeln für die CDU kein Wert an sich darstellte, sondern in erster Linie die Persönlichkeitsentfaltung der Menschen befähigen sollte. Das Erwerbsleben wurde als zentraler Punkt zur Entfaltung der Person angesehen. Deshalb widersprach kaum eine wirtschaftliche Entwicklung diesem Prinzip so sehr wie die Massenarbeitslosigkeit. Dies konnte auch nicht durch höhere soziale Transferzahlungen kompensiert werden. Die zunehmende Nervosität der CDU gegenüber dem Phänomen der Massenarbeitslosigkeit resultierte nicht nur aus den Schwierigkeiten auf dem politischen Markt. Die Gründe lagen auch in der Partei selbst. Sowohl die Petersberger Beschlüsse wie auch der Reformparteitag in Leipzig waren Ausdruck der Überzeugung, die Staatsquote senken zu müssen, um die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen zu können. Nicht irgendeine neo- bzw. ordoliberale Denkschule oder ein gewisses Staatsverständnis war Ausdruck dieser Politik, sondern die Furcht vor der Massenarbeitslosigkeit und die damit zusammenhängende Ausgrenzung vieler Menschen von wirtschaftlicher und damit auch gesellschaftlicher Teilhabe. Aus diesem Grund konnte sich die CDU in den 1990er und den folgenden Jahren für aktivierende Sozialpolitik begeistern. Die CDU entwickelte jedoch auf der Basis ihres Personalitätsprinzips keine wirtschaftspolitische Denkschule reinster Form – das Konzept der sozialen Marktwirtschaft entsprach ihrem Denken. Die soziale Marktwirtschaft war in der Auslegung der CDU allerdings kein geschlossenes Konzept, obwohl es dafür – man denke nur an die Konzeptionen zur sozialen Marktwirtschaft von Müller-Armack, Böhm und Eucken – durchaus Ansätze gegeben hätte, sondern auf die Erfüllung gewisser Leitbegriffe ausgerichtet. Die Vorstellung der Person als zentrales Element ihrer Politik gehörte in allen untersuchten Zeitabschnitten
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
263
dazu. Das Personalitätsprinzip war gerade auch in anderen Politikbereichen – insbesondere in der Sozialpolitik und bei sozio-kulturellen Themen, wie etwa der Bildungspolitik, – wichtig. Es zog sich wie ein roter Faden durch die Politikvorstellungen der CDU. Besonders wurde das politische Leitbild in der Wirtschaftspolitik aber vom Mediationsprinzip geprägt. Die CDU verstand sich auf dem politischen Markt als Partei der Mitte. Sie war Koalitionen sowohl mit den Sozialdemokraten als auch mit den Liberalen eingegangen – auch wenn sie, wohl aus marktstrategischen Gründen, die meiste Zeit mit dem kleineren Partner koalierte. Besonders prägend war aber ihr innerparteiliches Verständnis als Schicht übergreifende Volkspartei. Sie sah sich keiner sozio-ökonomischen Gruppe besonders verpflichtet und wollte alle sozio-ökonomischen Interessen vertreten, obwohl aus einer gewissen Marktstrategie die Interessen der bürgerlichen Mittelschichten leicht überwogen. Sie nahm programmatisch keine wirtschaftspolitische Extremposition ein. Vielmehr versuchte sie in ihrer Parteigeschichte zunächst die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Gruppeninteressen auszugleichen. In den folgenden Jahrzehnten wandte sie das Mediationsprinzip auch auf die unterschiedlichen Denkschulen an, indem sie nicht nur eine verfolgte, sondern zwischen kontroversen Auffassungen einen Ausgleich zu finden versuchte. So war ihre Wirtschaftspolitik aufgrund des Anspruchs, einen gesellschaftlichen Ausgleich zu gewährleisten, häufig ein Potpourri unterschiedlicher Forderungen. Das Mediationsprinzip wurde aber seit den 1990er Jahren schwieriger, da sich die Partei zunehmend aus dem Willensbildungsprozess zurückzog. Aus diesem Grund stieß die CDU nach und nach auf Schwierigkeiten, den Interessensausgleich zu organisieren. Die Interessensorganisation berührte den christdemokratischen Kern vielmehr als die politisch-programmatischen Leitbegriffe. Diese blieben in der Geschichte der CDU erstaunlich konstant. Der Grund für diese Langlebigkeit beruhte auf der Konstanz der vier Leitprämissen, um die sich die christdemokratischen Grundwerte gruppierten und die in der innerparteilichen Selbstvergewisserung immer beschworen wurden:
Die CDU verstand sich stets als Partei des Anti-Kommunismus. Ausgehend von ihrem Personalitätsprinzip und der damit zusammenhängenden Vorstellung nach personaler Freiheit, wandte sie sich gegen eine kollektive Weltanschauung und staatliche Allmacht. Ihr Kampf um ein „freies Europa“ war auch ein Kampf für ein christlichabendländisch geprägtes Europa. Die CDU verstand sich stets als Volkspartei. Aus diesem Grund band sie nicht nur unterschiedliche sozio-ökonomische Gruppen ein, sondern versuchte auch unterschiedliche Wählersegmente zu vereinen und ihre Interessen ausgleichend zu vertreten. Programmatisch und organisatorisch spielte hier das Mediationsprinzip die entscheidende Rolle. Die CDU verstand sich stets als eine föderale Partei, die ein politisches Mehrebenensystem favorisierte. Ausgehend von ihrem Subsidiaritätsprinzip war sie nicht auf eine Ebene fixiert. Damit entwickelte sie sich weniger zu einer zentralistischen Nationalpartei, noch zu einer regionalen Partikularpartei. Sie trat für die Rechte der Länder und Kommunen ebenso ein, wie sie die Europäische Einigung begrüßte. Die CDU verstand sich seit 1949 als Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Ausgehend von ihrem Personalitäts-, Subsidiaritäts- und Mediationsverständnis entwickelte sie ihr Wirtschaftsverständnis, das genügend Interpretationsspielraum ließ, um alle heterogenen Gruppen innerparteilich zu integrieren. Das Bekenntnis zum Privateigentum, zu
264
10 Konklusion Wettbewerb in einem gesetzten Ordnungsrahmen – damit auch kleinere und mittlere Betriebe eine Chance haben würden –, zu einem starken Staat, der diese Prinzipien auch gewährleisten konnte, und zur Entfaltung der Person in der Wirtschaft waren diesem Konzept zugrunde gelegt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die CDU in ihrer rund 60-jährigen Geschichte ihr politisches Leitbild aus den christdemokratischen Grundwerten bezog. Dazu gehörte – wie erwähnt – der Anti-Kommunismus. Dieser wurde auf dem christlichen Personalitätsverständnis begründet, war aber vor allem auch marktstrategisch wichtig, um protestantisch bzw. liberal gesinnte Bürger – d.h. einst dem Zentrum fern stehende Wählerschichten – zu integrieren. Mit der Öffnungsstrategie hin zu „säkular“ bzw. protestantisch bürgerlichen Kreisen wurden gerade auch neue Themen in die Partei einbezogen, die sich nur bedingt von den christdemokratischen Grundwerten ableiten ließen, auch wenn sie mit ihnen vereinbar waren. Vornehmlich war es der Anspruch der Union – den sie vor allem in Ablehnung zur sozialliberalen Außenpolitik pointiert herausstellte – die Partei der deutschen Einheit zu sein und die Interessen der Vertriebenen zu vertreten. Hier speiste sie sich verstärkt aus säkular-konservativen und national-liberalen Quellen, denn originär christdemokratischen. Ihre Europapolitik, aber vor allem auch – für diese Arbeit bedeutender – ihre Wirtschaftskonzeption zeigte, dass die christdemokratischen Grundwerte in zentralen Politikbereichen und im innerparteilichen Leben die Partei maßgeblich prägten. Folglich ist die CDU eine christdemokratische Partei geblieben. Diese Arbeit widerspricht daher der These, dass die CDU eine liberal-konservative Allerweltspartei geworden sei und ihre christdemokratische Identität abgelegt habe.986 Ihr politisches Leitbild weist weiterhin die charakteristischen Elemente für ein Mitglied der christdemokratischen Famille spirituelle auf. Diese aus der Gründungsgeschichte stammenden Leitideen gaben nicht nur für das innerparteiliche Leben, sondern auch für die Programm- und Politikformulierung die entscheidenden Leitblanken für die CDU. 10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes in der Geschichte der CDU Diese Arbeit untersucht aber nicht nur die Relevanz eines christdemokratischen Leitbildes in der CDU, sondern auch seine Veränderung in den vergangenen sechzig Jahren. Dabei weist das Einleitungskapitel auf die Überlegungen von PETER HALL hin, der nicht so sehr den Wandel als solchen, sondern seine Intensität beleuchtet. Aus diesem Grund wird diese Arbeit mit einer kurzen Übersicht über die für das politische Leitbild der CDU entscheidenden Wandlungen schließen. 10.2.1 Die CDU in der Adenauerzeit In der Adenauerzeit war das politische Leitbild christdemokratisch geprägt. Dies galt nicht nur für ihre Programmatik, ihre Stellung auf dem politischen Markt, sondern auch für ihr innerparteiliches Leben. In den 1940er und 1950er Jahren glich die CDU in vielem noch 986 Vgl. Horner 1984: 134
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
265
dem Aufbau der Zentrumspartei der Zwischenkriegszeit jedoch mit der Ausnahme, dass in ihr protestantische und bürgerliche Milieus angekoppelt wurden. Ihre Grundstruktur blieb vergleichbar: Die Partei besaß institutionell gegenüber den Vereinigungen einen eher schwachen Stand und war organisatorisch nicht straff geführt. Vielmehr wurde der Willensbildungsprozess in institutionell ausgelagerten, ideell aber angegliederten Gremien, wie zum Beispiel der Bundestagsfraktion oder davor in der CDU-Fraktion im Wirtschaftsrat, gesucht, ausgehandelt und schließlich gefunden. Aufgrund der gering entwickelten organisatorischen Selbstidentität erfolgte die Willensbildung über eine konsensuale Entscheidungsfindung. Dieser Prozess war nicht zuletzt dem Anspruch geschuldet, eine Schicht übergreifende Volkspartei zu sein. Das Mediationsprinzip regelte die innerparteiliche Willensbildung. Weil die jeweiligen sozio-ökonomischen Gruppen wegen des virulenten Klassenkonflikts darauf angewiesen waren, Kompromisse zu finden, versuchten die Christdemokraten diesen Konflikt einvernehmlich zu überbrücken. Der hohe Stellenwert des Klassenkonflikts für das innerparteiliche Leben zeigte sich auch in der organisatorischen Festigkeit der jeweiligen sozio-ökonomischen Gruppen. Zwar waren in der CDU die Arbeitnehmervertreter stets in einer Minderheitenposition, aber der Anspruch der CDU, den sie für den politischen Markt hegte, nämlich möglichst viele Arbeiter anzusprechen, zwang die Partei, auch innerparteilich die Arbeitnehmervertreter ernst zu nehmen. So knüpfte auch die CDU an der christdemokratischen Tradition an, die jeweiligen Klasseninteressen über „Standesorganisationen“ zu organisieren, zu artikulieren und auszugleichen. Der Sammlungscharakter der Parteiorganisation entsprach auch den Bedürfnissen des politischen Marktes. Das bundesrepublikanische Parteiensystem war in der Gründungsphase insbesondere im Mitte-rechts-Raum zerklüftet. Wollte sich die CDU zur dominanten Kraft im bürgerlichen Lager etablieren, musste sie organisatorische Adaptionsfähigkeit beweisen. Erst wenn sie langfristig die unterschiedlichen politischen Strömungen organisatorisch einbinden und politisch-programmatisch mobilisieren würde, konnte sie im politischen Markt erfolgreich sein. Diesen Anforderungen des politischen Marktes trug die Union bereits bei ihrer Gründung Rechnung. Als Sammlungspartei versuchte sie die unterschiedlichen christlichen Milieus zu verbinden, aber auch das bürgerliche Lager vollständig zu integrieren. Als Folge wurde sie im Zuge der Konsolidierung des deutschen Parteiensystems im Laufe der fünfziger Jahre zur Mehrheitspartei. Mittels parteieigener Vereinigungen und/ oder Vorfeldorganisationen, wie etwa der KAB oder den Unternehmerverbänden, versuchte die CDU die jeweiligen Interessen auf dem politischen Markt zu finden, zu aggregieren, zu selektieren und schließlich auch zu artikulieren. Der organisatorische Sammlungscharakter spiegelte auch ihren programmatischen Einigungscharakter unterschiedlicher politischer Gruppen wider. Das Ausgleichsprinzip der diversen sozio-ökonomischen Interessen wurde auf die sozio-kulturellen Gruppen nach 1945 in gleicher Weise angewandt. Als sowohl schicht- wie auch konfessionsübergreifende Sammlungspartei musste die CDU nun zwei innerparteiliche Konfliktlinien überwinden. Dies gelang mit zwei Mobilisierungsthemen, die grundsätzlich unterschiedlich waren, sich aber aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit gut verbinden ließen: einem christlichen Kulturverständnis und dem Antikommunismus. Beides ließ sich – etwas abstrakt – im christlichen Menschenbild vereinen und
266
10 Konklusion
sinnstiftend erhöhen. Die CDU betonte dabei zunächst – stärker als das Zentrum in der Zwischenkriegszeit – die christlich-personalistischen Grundsätze,987 das heißt die Verantwortung und die unveräußerlichen Rechte der Person, an denen die Macht des Staates ihre Grenzen finden müsse, aber auch das Recht auf individuelle politische und religiöse Freiheit sowie die Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Freiheit. Dieser Liberalisierungsschub war Folge der negativen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen, kommunistischen, faschistischen und autoritären Kollektivismus.988 Liberal-christliche Gedanken stellten nicht nur ein Gegengewicht gegen jede Art von Sozialisierung des Individuums dar, sondern eine gemeinsame überkonfessionelle Plattform. Denn diese Liberalisierung der Programmatik wurde nicht zuletzt durch den Argumentationsstil der evangelischen Ethik wesentlich beeinflusst und trennte klar den Verantwortungsbereich des Christen und des Bürgers in Familie, Politik und Gesellschaft einerseits und den kirchlich-theologischen Aufgaben und Interessen andererseits. Durch diese Differenzierung gelang es der CDU, nicht-katholische und den Kirchen eher fern stehende Wähler anzusprechen Ihre programmatische Klammer umfasste aber nicht nur sozio-kulturelle Wertvorstellungen, sondern gerade auch wirtschaftspolitische Ansichten. Am deutlichsten wurde dies in den Vorstellungen der Sozialen Marktwirtschaft, die von Ludwig Erhard eingeführt wurde und als Leitbegriff bewusst unkonkret blieb, damit sich alle Parteigruppierungen unter diesem Label wiederfinden konnten. Gerade die unterschiedliche Bedeutung, die die Wirtschaftspolitik bei den zahlreichen Parteiströmungen einnahm, zeigte, dass die nichtkatholischen Anhänger, das heißt die neu hinzugewonnenen liberalen und (säkular)konservativen bürgerlichen Gruppen, wirtschaftlichen Anliegen eine hohe Bedeutung beimaßen, während die katholischen Anhänger weiterhin auf die etablierten Themen, wie die Schulfrage oder sozio-moralische Themen setzten. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte erschwerten zunächst eine wirtschaftspolitische Richtungsbestimmung. Denn bereits über die Vorstellung, welches Ziel die Wirtschaftspolitik einnehmen sollte, gingen die Meinungen innerhalb der CDU weit auseinander. Betrachteten die traditionellen „Christdemokraten“ aus der Zentrumszeit die Wirtschaftspolitik in erster Linie als einen Teil der Gesellschaftspolitik, waren die neu gewonnenen ordnungspolitisch orientierten Parteiaktivisten marktwirtschaftliche Gralshüter, die staatliche Interventionen in wirtschaftliche Abläufe innerhalb des gesetzten Rahmens überaus kritisch gegenüberstanden und den Markt durch eine klare ordnungspolitische Kursbestimmung vor staatlichen Eingriffen schützen wollten. Folglich bestanden die wirtschaftspolitischen Markierungen der CDU in den 1950er Jahren mehr in Leitbegriffen, als in einer geschlossenen und in sich kohärenten Theorie. Die vermögenspolitischen Pläne der Union waren so auch ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess zwischen den unterschiedlichen Anliegen der zahlreichen Gruppierungen – und kein konsequentes Ergebnis einer bestimmten wirtschaftspolitischen Denkschule. Das christdemokratische politische Leitbild, das vor allem in den Begriffen Personalität, Subsidiarität, Pluralismus und Mediation zusammengefasst werden kann, war für die CDU in der Adenauerzeit gültig. Allerdings – wie der Aushandlungsprozess zur Vermögenspoli987 Der christliche Personalismus, der seit dem Zweiten Weltkrieg das programmatische Fundament der Christdemokratie bildete, wurde auf evangelischer Seite vor allem vom Theologen und Religionssoziologen Ernst Troeltsch in Verbindung mit der Verantwortungsethik als grundlegendes Element der christlichen Ethik herausgestellt. 988 Uertz 2004: 47
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
267
tik zeigte – als Kompromissformel. Nur zwei von vier Parteiströmungen waren genuin christdemokratisch. Jedoch besaß eine davon – die bürgerlich-katholische – eine herausgehobene Stellung in der Partei, weil sie den innerparteilichen Mainstream bildete und entscheidende Schlüsselpositionen – nicht zuletzt das Bundeskanzleramt – innehatte. Der programmatische Sammlungscharakter, der sich unter elektrisierenden Leitbegriffen wie „Soziale Marktwirtschaft“ verbarg, war auch in der Folgezeit bestimmend. 10.2.2 Die CDU reformiert sich In den späten 1960er und in den 1970er Jahren kam die Initialzündung für innerparteiliche Reform aus einer veränderten Lage auf dem politischen Markt und weniger aufgrund innerparteilicher Reformkräfte. Die Abnahme der sozio-kulturellen Milieus hatte zweierlei Auswirkungen auf die CDU: Zum einen gab es einen positiven Effekt: Der sozio-kulturelle Graben zwischen den einzelnen gesellschaftlich-kulturellen Gruppen wurde zwar nicht von einem Tag zum anderen in der CDU eingeebnet, aber doch allmählich zugeschüttet. In diesem Themenbereich überwand die Union ihre Gegensätze. Das zeigte nicht zuletzt das Lösen von der Idee konfessionell getrennter Bekenntnisschulen, das seit Mitte der fünfziger Jahre in den einzelnen Landesverbänden stattfand. Das Abschwächen der sozio-kulturellen Milieus brachte für die Union im programmatisch-politischen Bereich eine verstärkte Einigung der ehemals sehr heterogenen Sammlungspartei. Aber andererseits waren ihre organisatorische Bindungsfähigkeit und ihre Selbstidentität durch die Auflösungserscheinungen in Frage gestellt. Deshalb verwundert es auch nicht, dass gerade in den siebziger Jahren Organisationsreformen wie auch die Programmarbeit in der Partei einen Boom auslösten, da einst als selbstverständlich hingenommene gesellschaftliche Linkages schwanden und politische Rahmenbedingungen sich veränderten. Dies galt zum einen für ihre christliche Identität, wie auch für ihre Organisationsbeschaffenheit als Sammlungspartei. Beides erfuhr einen Wandel: Während die Identität einer christlichen Volkspartei sich hin zum Selbstverständnis der „Volkspartei CDU“ entwickelte, wandelte sich die CDU organisatorisch von einer lose organisierten Sammlungspartei hin zu einer Delegiertenpartei. Dabei war der Identitätswandel der weniger intensive. In den Kategorien von PETER HALL kann man ihn als Wandel erster Ordnung beschreiben. Die CDU legte sich eine eigene Identität zu, die nicht mehr von Vorfeldmilieus abgeleitet wurde. Aus diesem Grund wurden auch die programmatischen Leitlinien der CDU theoretisch neu begründet, da sie nun nicht aus der Lebenswirklichkeit der Milieus entlehnte Grundsätze mehr stillschweigend und unbestritten übernehmen konnte. In diese Zeit fällt die erste umfassende Programmarbeit der CDU, die in das erste Grundsatzprogramm der CDU – das Ludwigshafener Programm von 1978 – mündete. Die Partei erschuf sich damit nicht nur eine eigene normative Identität, die allein deshalb ein Wandel erster Ordnung war – weil sie weiter am christdemokratischen Leitbild und seinen Grundprinzipien festhielt. Das Ludwigshafener Programm schrieb das christliche Menschenbild als verbindendes Element ebenso fest, wie auch die CDU sich zu den christdemokratischen Grundsätzen in ihrem Programm bekannte, auch wenn sie semantisch popularisiert wurden. Wie die Debatte um die Mitbestimmung zeigte, war das Subsidiaritätsprinzip ebenso für die jeweiligen Konzeptionen der unterschiedlichen Parteiflügel wichtig, wie auch das Personalitäts- und das Mediationsprinzip.
268
10 Konklusion
Aus diesem Grund wurde die Mitbestimmung – auch wenn sie im Detail umstritten war – grundsätzlich bejaht. Der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit sollte möglichst ausgeglichen und die Arbeitswelt von jeder beteiligten Person mitgestaltet werden. Neben dem Mediations- und Personalitätsprinzip war den CDU-Politikern auch das Subsidiaritätsprinzip wichtig. Aus diesem Grund lehnten sie nicht nur eine überbetriebliche Mitbestimmung ab, sondern wollten in der betrieblichen Mitbestimmung die Betriebsräte stärken. Folglich fanden sich zentrale christdemokratische Grundwerte nicht nur im Grundsatzprogramm der CDU, sondern auch in den realen Politikentwürfen ihrer Wirtschaftskonzeption wieder. Organisatorisch war der Wandel der CDU jedoch in dieser Zeitspanne intensiver. Die Mitgliederpartei nach dem Delegiertenprinzip stellte einen großen Wandel im Organisationsverständnis des christdemokratischen Leitbildes dar. Denn die Schaffung einer starken Parteiorganisation war ein Bruch mit dem bisherigen innerparteilichen Leben. Dies war eine Folge der veränderten Marktstrategie der Union. Bisher eher vernachlässigte Parteistrukturen wurden aufgewertet. Das galt nicht nur für die Parteiführungsgremien, sondern ganz besonders auch für die Parteitage. Nicht nur das erhebliche Anwachsen der Mitgliedschaft, sondern auch der Wechsel vom konsensualen Aushandlungsprozess zum Mehrheitsprinzip bei der Entscheidungsfindung zeigte, dass die Partei ein neues innerparteiliches Leben entwickelte, das mit den Grundwerten nicht brach, aber doch deutlich die Werkzeuge änderte. Der Grund für diese Veränderungen waren marktstrategische Überlegungen. Die CDU wollte nicht ihre politische Anschauungen neu erfinden, sondern organisierte die Wähleransprache neu. Nicht mehr die Verwurzelung in einem eingehegten Milieu galt als das entscheidende Kriterium, sondern die Ansprache unterschiedlicher Segmente in der Wählerschaft. Der organisatorische Anspruch, Volkspartei zu sein, wurde nun aber nicht nur schichtspezifisch oder überkonfessionell, sondern auch für den Wählermarkt sehr umfassend verstanden. In diesem Sinne versuchte die Union, eine Allerweltspartei zu sein. Die jeweiligen Wählersegmente sollten aber nicht durch ein bestimmtes, von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ausgehandeltes politisches Wahlprogrammpaket angesprochen werden, denn aufgrund der zunehmenden Fragmentierung des politischen Marktes konnte ein solcher Aushandlungsprozess immer schwieriger gefunden werden. An dessen Stelle entwickelte die CDU ein geschlossenes Politikangebot, das seitens der Gesamtorganisation formuliert und mehrheitlich beschlossen wurde. Der Willensbildungsprozess wurde nicht mehr durch die Vereinigungen, sondern mittels der Mitgliedschaft der Gesamtorganisation bestimmt. Augenfällig wurde das neue Organisationsverständnis auch bei der Rekrutierung des politischen Nachwuchses. Nicht mehr das Ansehen lokaler Honoratioren, sondern die so genannte „Ochsentour“ wurde zur entscheidenden Größe des Auswahlprozesses der mittleren Parteiführung. Am Prinzip, eine Schicht übergreifende Volkspartei zu sein, hielt die Partei fest, indem sie durch eine überzeugende Politik und nicht durch Bündnisse unterschiedlicher Gruppierungen die Wähler an sich band. Aus diesem Grund konnte die CDU auf Aushandlungsprozesse nach dem Konsensprinzip mehr und mehr verzichten. Wie die neue Strategie von Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf im Vorfeld zur Bundestagwahl 1976 zeigte, waren auch Grundlinien und Positionierungen der Partei wichtiger als das Einbinden diverser Milieus. Der Markenkern der CDU wurde somit gegenüber dem Sammelcharakter gestärkt. Beide damaligen Führungspolitiker verfolgten nun keine genuin „christliche“, sondern eine CDUPolitik. Das bedeutete jedoch nicht, dass diese CDU-Politik nicht auch eine christdemokratische Wertehaltung beanspruchte. Aber sie leitete sie nun nicht aus einer gelebten Alltags-
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
269
wirklichkeit ab, sondern begründete sie theoretisch-abstrakt. So spielte das christliche Menschenbild auch in den 1970er Jahren eine herausgehobene Rolle. Gleiches galt für die Schlagwörter „Volkspartei“ und „Soziale Marktwirtschaft“. Ein CDU-Politiker tat sich mit seiner Partei schwer, wenn ihm von Parteifreunden vorgeworfen wurde, eben genau diese Prinzipien zu verletzen. Aber in der Deutung, was genau unter diesen Begriffen in der konkreten Politik zu verstehen sein müsste, blieb die Partei vage. So jonglierten alle CDUPolitiker gerade in den kontroversen Debatten mit diesen Begriffen, was sowohl die Unbestimmtheit, als auch die Integrationsfähigkeit der Begriffe veranschaulicht. Gleichzeitig verschaffte es der Parteiführung aber auch die Möglichkeit, sich strategisch auf dem politischen Markt zu bewegen, um neue Wählergruppen zu erschließen. Das Delegiertensystem stellte zwar einen bedeutenden organisatorischen Einschnitt, aber keinen radikalen Wandel des eigenen Selbstverständnisses dar, weil die Union die grundlegenden Ziele für ihren Willensbildungsprozess nicht änderte. Ihre institutionellen Veränderungen waren vielmehr Ergebnis eintretender organisatorischer Unzulänglichkeiten. Zum einen sollte eine Kompensation auf die brüchiger werdenden Milieus gefunden werden, und zum anderen war der Wunsch ausgeprägt, zu „demokratischeren“, d.h. vor allem zu transparenteren Entscheidungen zu gelangen. Die Partei nahm die Veränderungen ihres innerparteilichen Lebens auch nicht als Notsituation hin. Sie begrüßte es. Allerdings verinnerlichten sie diese Änderungen nicht, wie sich an der organisatorischen Weiterentwicklung in den achtziger Jahren zeigen sollte. Innerparteiliche Demokratie und Mitgliederpartizipation wurden nicht zu einem grundlegenden Parteiziel und gingen somit nicht in das politische Leitbild ein. 10.2.3 Die CDU in der Zeit Helmut Kohls Aufgrund ihrer Ähnlichkeit werden hier die 1980er und 1990er Jahre der CDUParteigeschichte zusammengefasst. Diese beiden Jahrzehnte zeigten, dass die CDU sich in den 1970er Jahren reformiert, aber nicht im Kern gewandelt hatte. Die zunehmende programmatische Entmachtung der Parteitage nahm die Partei und ihre Mitglieder nahezu achselzuckend hin. In ihrer Politikformulierung entwickelte sich die Partei in den 1980er und 1990er Jahren weiter zur professionalisierten Wählerpartei. Allerdings spielten hier die Landesverbände – vor allem die Landesvorsitzenden – eine wichtige Rolle. Das zeigte nicht nur die Bahnreform, sondern auch die weitaus strittigere Frage der Einführung der Katalysatorenautos. Der Einfluss der Bundesgeschäftsstelle auf die Programmformulierung nahm jedoch ab. Zum einen war sie von Heiner Geißler weniger als Sprachrohr der innerparteilichen Willensbildung angelegt, sondern vielmehr als Ideenpool für innerparteiliche Reformer und Vordenker bei sozio-kulturellen Themen. Zum anderen fand die Politikkoordinierung im Kanzleramt statt, da sie vornehmlich elitezentriert war und dort leichter erfolgen konnte. Augenfällig war jedoch der im Vergleich zur Adenauerzeit reduzierte Einfluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Diese war nur noch ein Mitspieler im innerparteilichen Willensbildungsprozess und nicht mehr der entscheidende Ort der innerparteilichen Entscheidungsfindung. Dies traf erst recht für die Parteitage zu, die ihre herausgehobene Stellung der 1970er einbüßten. Somit war der Wandel auffällig, aber im Hinblick auf das politische Leitbild weniger intensiv als in den 1970er Jahren. Kein Grundprinzip wurde von den Veränderungen wesentlich berührt. Das Mediationsprinzip wurde durch die informelle
270
10 Konklusion
Koordinierung aus dem Kanzleramt und den Ministerien geregelt, wie zum Beispiel bei der Einführung der Katalysatorenautos, der Etablierung des Bundesumweltministeriums oder der Privatisierung der Bahn, oder durch Ad-hoc-Arbeitsgruppen der Partei, wie bei der Erarbeitung der Stuttgarter Leitsätze. Durch die Unabhängigkeit der Landes-, Bezirks- und Kreisverbände wurde auch der Subsidiaritätsgrundsatz gesichert. Dies zeigten zum einen die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Politikansätze, die die unterschiedlichen CDULandesregierungen verfolgten, wie auch die Personalauswahl, die jeweils auf der möglichst niedrigsten Zuständigkeitsebene geregelt wurde. Die unterschiedlichen Parteiströmungen und auch die jeweiligen Landesverbände wurden über das personale Element eingebunden, was zu einer nicht unerheblichen Ausweitung der Anzahl der parlamentarischen Staatssekretäre führte. Die organisatorische Qualität der Personalrekrutierung entsprach aber nicht dem Idealtypus einer professionalisierten Wählerpartei. Hier achtete die Partei sehr wohl auf die Auswahlrechte der unteren Ebenen – insbesondere der Landes-, Bezirks- und Kreisverbände. Zwar verschob sich die Personalauswahl von den Milieus hin zu den institutionalisierten Parteigremien, aber sie blieb regional verankert. Den oberen Ebenen gelang es folglich nur in den seltensten Ausnahmefällen989, für Quereinsteiger Wahlkreise zu finden.990 Die überwiegende Anzahl der Wahlkreiskandidaten rekrutierte sich vornehmlich aus den entsprechenden Kreisverbänden. Auch wurde der regionale Proporz bei der Aufstellung der Landeslisten – insbesondere der sicheren bzw. aussichtsreichen Listenplätze – beachtet. Hier zeigte sich aus prinzipiellen Gründen weniger eine bloße Postenschacherei, als vielmehr der Versuch der Partei, ihren politischen Nachwuchs regional ausgewogen zu rekrutieren. Die Union war eine föderale Partei, die dem regionalen Aspekt eine große Bedeutung beimaß. Sie hielt aber auch am personalen Element der Integration strikt fest. Nicht allein organisatorische Entscheidungsprozesse mussten subsidiär gegliedert sein, auch das personale Element sollte die regionale Ausgewogenheit sichern. Insbesondere der Rekrutierungsprozess zeigte nicht nur die Langlebigkeit der Organisationsstruktur, sondern auch die Zäsur, die zu Beginn der siebziger Jahre statt gefunden und sich seitdem nicht mehr geändert hatte: Die CDU schuf sich eine eigene Organisationsidentität. Dies blieb in den folgenden beiden Jahrzehnten bestehen. Programmatisch hielt die CDU trotz aller Elitezentrierung an den Grundsätzen des politischen Leitbildes der Christdemokratie fest. Die Stuttgarter Leitsätze zeigten, dass sie nun nicht nur einen Ausgleich der sozio-ökonomischen Interessen anstrebte, sondern auch die der unterschiedlichen Denkschulen. Aufgrund ihres Ausgleichsprinzips gelang es keiner Denkschule – im Gegensatz zu den britischen Konservativen – sich als die bestimmende Idee in der CDU durchzusetzen. Die Prinzipien der CDU – insbesondere ihr personales Verständnis der Wirtschaft – offenbarten sich auch in der Umweltpolitik der 1980er Jahre. Sie nahm zwar aufgrund technischer und weniger wirtschaftlicher Überlegungen ein positives Verhältnis zur Kernenergie ein, aber die zentralen umweltpolitischen Anliegen wurden von ihr auch gegen Wirtschaftsinteressen forciert. Hier überwogen zwar marktwirtschaftliche Überlegungen vor kollektivistischen, aber der Mensch und seine Entfaltungschancen 989 Hier sei u.a. die MdB Kandidatur von Rita Süssmuth im WK Göttingen (Niedersachsen) zu nennen. 990 Im Interview erwähnte Wolfgang Schäuble, dass es in den achtziger Jahren gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung seitens der CDU-Bundesführung Überlegungen gab, Quereinsteiger verstärkt über die Bundesebene auf aussichtsreiche Wahlkreiskandidaten zu hieven. Diese Pläne scheiterten jedoch im Ansatz.
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
271
standen im Vordergrund. Vor allem sollten die natürlichen Grundlagen des Menschen erhalten bleiben. Ein Grund, warum die Umweltpolitik der CDU in erster Linie auf den Landschaftsschutz und die Luftreinhaltung zielte, wie sich bei den Beratungen zum ersten Umweltprogramm der CDU zeigen sollte. Wie in den 1970er Jahren erhob die CDU auch in den 1980er und 1990er Jahren den Anspruch Volkspartei zu sein. Das wurde aber nicht nur schichtspezifisch oder überkonfessionell, sondern auch für den Wählermarkt sehr umfassend verstanden. In diesem Sinne versuchte die Union, eine Allerweltspartei zu sein. Die jeweiligen Wählersegmente sollten aber nicht durch ein bestimmtes, von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ausgehandeltes politisches Politikpaket angesprochen werden und durch keine Denkschule eingeengt werden. Abschließend ist für diesen Zeitabschnitt zu erwähnen, dass die Wiedervereinigung für die 1990er Jahre wenig Veränderung brachte und daher in dieser Arbeit nicht weiter herausgestellt worden ist. Zwar wurden fünf ostdeutsche Landesverbände neu gegründet und der Berliner erheblich verändert, aber auf die Gesamtorganisation hatten diese Veränderungen wenig Einfluss. Sie wurden – wie westdeutsche Landesverbände – nicht nur nach westedeutschem Vorbild organisiert, sondern ebenso personell eingebunden. Eine der bekanntesten Repräsentanten dabei war Angela Merkel, die im Laufe der Spendenaffäre den Parteivorsitz übernehmen sollte. Programmatisch wie auch organisatorisch ging wenig Druck von dieser institutionellen Ausdehnung aus. Die CDU integrierte die neuen Landesverbände in ihr innerparteiliches Leben. Die Dachmarke und ihr Image blieben jedoch unverändert. Die auffälligsten Punkte betrafen den politischen Markt: Die CDU gewann souverän die Bundestagswahl 1990, um danach langfristig in den fünf neuen Bundesländern bei nationalen Wahlen die strukturelle Mehrheit zu verlieren. Zum anderen wurden die wirtschaftlichen Probleme – insbesondere die Arbeitslosigkeit – drängender und beherrschten immer vordringlicher die Tagesordnung. Insgesamt ist für die Fragestellungen diese Arbeit aber die Wiedervereinigung als marginal zu betrachten, da sie auf die Struktur, die Handlungsweise und die Selbstidentität der CDU – abgesehen vom Wegbrechen des AntiKommunismus – keine direkte Auswirkungen besaß 10.2.4 Die CDU in der zweiten Oppositionsphase Die CDU festigte in ihrer zweiten Oppositionsphase die Elitezentrierung ihrer innerparteilichen Willensbildung. Während in der Kanzlerschaft Helmut Kohls diese Zentrierung – wie er sich etwa bei der Bildung des Bundesumweltministeriums ausdrückte – aufgrund schneller Regierungsentscheidungen, die lange Parteidebatten ausschlossen, ihre Begründung fand, waren die Veränderungen – wie sich in der Zeit nach 1998 zeigen sollte – tiefer. Dies galt nicht zuletzt für die Bundesparteitage. Hier schien zwar weiterhin das Paradigma gültig, wonach die Programmatik mit dem traditionellen politischen Leitbild der Union vereinbar sein müsse, aber der Parteiführung gelang es relativ mühelos, die Partei von ihrer politischen Linie zu überzeugen. Selbst die Reformagenda von Angela Merkel akzeptierte die Partei bereitwillig, da die Frage zu der Zustimmung auf dem Leipziger Parteitag von 2003 zur zentralen Machtfrage hochstilisiert wurde. Die Partei beschränkte sich auf die Auswahl der politischen Klasse und der politischen Elite. Allerdings brachten diese sich wiederum in die Fraktion ein. In der Partei erfolgte somit ein informeller Rückkoppelungsprozess. Die Aggregation, Selektion und das Finden der Themen wurde von der Parteiführung über-
272
10 Konklusion
nommen und wie sich zeigen sollte, auch nicht nur aufgrund von Regierungszwängen. Die Politik wurde elitärer entschieden und an der Spitze zunehmend auch der Ausgleich zwischen den Interessen versucht – die Rekrutierung erfolgte regional bzw. lokal. Ein Paradigmenwechsel weg von einem christdemokratischen Politikverständnis fand jedoch nicht statt. Die CDU hielt weiterhin an ihren Leitwerten fest. Dies zeigten nicht nur die Debattenbeiträge, sondern vor allem auch die Redeschwerpunkte der Beiträge von Friedrich Merz, Roman Herzog und Angela Merkel. Sie betonten die Prinzipien der christdemokratischen Wirtschaftspolitik. Die CDU betrieb weiterhin eine Politik, die die christlichen Leitgedanken der Personalität, Subsidiarität, Pluralität und Mediation erfüllen sollte. Diese wurden in den Leitbegriffen „Christliches Menschenbild“ und „Soziale Marktwirtschaft“ zusammengefasst. Hier fand kein zentraler Paradigmenwechsel statt. Insbesondere die Senkung der Staatsquote, von der ein erhöhtes Wachstumspotential erwachsen sollte, wurde nicht als neoliberaler Paradigmenwechsel verstanden. Er wurde nicht als heiliger Gral einer erneuerten Wirtschaftsprogrammatik angesehen, sondern als konsequente Weitverfolgung einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik betrachtet. Die Senkung der Staatsquote wurde nicht als letztendliches Ziel einer klaren wirtschaftspolitischen Theorie betrachtet, sondern galt als erfolgreiches Werkzeug zur Schaffung von mehr Wohlstand und für die wirksame Senkung der hohen Arbeitslosigkeit. Aus diesem Grund wurden vorsätzliche Verletzung der „reinen Lehre“, wie sie etwa die Privatisierungspolitik in BadenWürttemberg darstellte, auch nicht als Sakrileg angesehen, sondern waren politisch in der Union vertretbar und wurden – wie die Kanzlerkandidatur von Edmund Stoiber unterstrich – auch als erfolgreich angesehen. Die christdemokratische Wirtschaftspolitik war auch nach diesen sechzig Jahren nicht zu einer kohärenten politischen Theorie erhoben worden. Sie war weiterhin Mittel zum Zweck. Zentral blieb ein unkonkretes, an Schlüsselbegriffen orientiertes, politisches Leitbild: es bestand im Anspruch, eine Schicht übergreifende Volkspartei zu sein, aber auch in der Sozialen Marktwirtschaft und dem christlichen Menschenbild. Diese waren für einen wirtschaftspolitischen Masterplan zwar zu unkonkret, aber in ihrer Bedeutung nicht irrelevant. Sie immunisierten die CDU vor der Übernahme radikal marktwirtschaftlicher Ansätze ebenso wie in den vierziger Jahren vor planwirtschaftlichen Ideen. Aufgrund dieses fehlenden wirtschaftspolitischen Profils ist die christdemokratische Wirtschaftspolitik mitunter schwer zu fassen. Sie prägte aber nachhaltig die Regierungspolitik, so dass sich in der Rückschau eine einheitliche Linie ergibt. Zentral dabei sind ihr institutioneller Aushandlungsprozess unterschiedlicher politischer Strömungen und Denkrichtungen sowie das Ausrichten auf zentrale Leitbegriffe. 10.2.5 Die CDU im Wandel Die Übersicht über die einzelnen Zeitepochen zeigt, dass die CDU einige Veränderungen im Laufe ihrer Parteigeschichte durchlaufen hat. Sie ist aber weiterhin eine christdemokratische Partei, weil sie an zentralen christdemokratischen Grundwerten im innerparteilichen Leben wie auch in der Programmformulierung und im politischen Markt festhält. Im politischen Markt hat sie sich stets als Partei der Mitte, d.h. als Partei des Ausgleichs und als Volkspartei verstanden, die möglichst viele gesellschaftliche Gruppen ansprechen will. Zudem hat sie es stets abgelehnt, mit extremistischen Parteien zu koalieren
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
273
oder informell zusammenzuarbeiten. Damit hat sie im politischen Markt sowohl das Mediations- wie auch das Personalitätsprinzip verwirklicht. Für das Selbstverständnis einer Partei ist aber das strategische Agieren auf dem politischen Markt nicht so aussagekräftig wie die Programmformulierung und das innerparteiliche Leben, zumal letztere mehr Facetten aufweisen. Bei beiden fällt eine Veränderung in den vergangenen Jahren auf; vor allem, dass sich die programmatische Themensetzung geändert hat. Sozio-kulturelle Themen traten mit der zunehmenden Säkularisation und dem Wegbrechen der katholischen Milieus in den Hintergrund. Diese Entwicklung wurde noch durch den Zusammenbruch des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa verstärkt. Dadurch verlor die CDU ein nicht nur emotional hochwertiges sozio-kulturelles Thema, sondern auch ein entscheidendes Gründungsband der einstigen Sammlungspartei. Ein Grund für die zum Teil mageren Wahlergebnisse findet hierbei seine Begründung. Der CDU brach ein zentrales Mobilisierungsthema weg. Eine Folge davon sowie der zunehmenden wirtschaftlichen Folgen der deutschen Einheit und der weltwirtschaftlichen Veränderungen war, dass Wirtschaftsthemen für die CDU dominant wurden. Der Partei fiel es – ganz besonders in der zweiten Oppositionszeit – programmatisch schwer, sich in sozio-kulturellen Themen zu behaupten. Nun ist die Untersuchung jener Themen nicht Fokus dieser Arbeit, aber die deutliche Verengung auf Wirtschaftsthemen ist für eine Partei, die sich bzw. deren Vorläufer sich auf sozio-kulturellen Themen gründeten, erstaunlich. In der Programmarbeit ist diese Präferenzverlagerung beachtlich und ein Wandel zweiten Grades. Denn diese Präferenzverlagerung ist nur bedingt mit den beschriebenen externen Veränderungen vollständig erklärt. Zum verbindenden und mobilisierenden innerparteilichen Element wurde in den vergangenen zwanzig Jahren immer stärker auch die Wirtschaftspolitik. In den siebziger Jahren wurde mit der Lösung der Mitbestimmungsfrage der innerparteiliche Streit über sozio-ökonomische Themen erheblich entschärft. Dies hatte nicht nur den Vorteil innerparteilicher Geschlossenheit, sondern auch den Nachteil, dass die Partei zunehmend bestimmte Wählersegmente und Kompetenzfelder nur noch bedingt besetzen und an sich binden konnte. Insbesondere bei der Anprache von Arbeitern und in der Behandlung von sozialen Themen wurde dies in den neunziger Jahren deutlich. Abstrakt gedacht, trat der Mediationsanspruch der Partei zwar nicht zurück, aber ihre Fähigkeit, aus unterschiedlichsten Gruppen Themen zu aggregieren, ging zurück. Und die mangelnde Interessensfindung musste langfristig Auswirkungen auf die Aushandlungskompetenz von Interessen haben. Dieser Mangel konnte durch bestimmte Marktbedingungen der siebziger und achtziger Jahre sowie einer breiten Massenmitgliedschaft vorübergehend kompensiert werden. Weil beide Elemente aber inzwischen nicht mehr vorhanden waren, trat dieser Mangel in den neunziger Jahren und danach deutlich zum Vorschein. In der veränderten Anwendung des Mediationsprinzips liegt auch der größte Wandel des innerparteilichen Lebens der CDU. Dieses Prinzip, das für die Anfangszeit der CDU ihr Erfolgsgeheimnis war, wurde durch drei Entwicklungen ausgehöhlt:
Erstens war das Mehrheitsprinzip ein logischer Bruch des Ausgleichsprinzips. Die Minderheit konnte jederzeit überstimmt werden und verlor damit an politischer Relevanz sowohl innerparteilich wie auch als Brückenkopf zum jeweiligen Vorfeld. Zweitens streifte die CDU ihren Charakter als Sammlungspartei durch die Schaffung ihrer eigenen Organisationsidentität ab. Für das innerparteiliche Fortkommen waren die allgemeine Parteilinie und damit die Mitte der Partei und nicht mehr ihre Ränder entscheidend. Die zentralen Themen hießen in den 1970er Jahren Wirtschaft und Ein-
274
10 Konklusion heit – und nach 1990 eben nur noch Wirtschaft. Die CDU verlor durch das Wegbrechen ihrer Ränder nicht nur eine Ideenpluralität, sondern auch eine Themenbreite. Der Druck unterschiedlichster Interessen, und damit Themen und Meinung unter einen Hut zu bringen, ging nach und nach innerparteilich verloren, was in der Folge in der Wählerschaft Boden kostete. Drittens war für das Mediationsprinzip die Elitezentrierung der Entscheidungsfindung, die seit den 1980er Jahren stattfand, von Nachteil. Im Gegensatz zur Adenauerzeit und der Konsensfindung in der Bundestagsfraktion entschied in der Kanzlerschaft von Helmut Kohl der Kanzler, was die Mitte war. Dies tat er zwar mit Bedacht und durch ein feinmaschiges Netzwerk, aber das Mediationsprinzip wurde weiter entinstitutionalisiert. Nicht einmal mehr auf Parteitagen konnte wirkungsvoll gegen ein bestimmtes Anliegen opponiert werden. So ist es nicht verwunderlich, dass mit Verlust der Vetoposition des Arbeitsministers Norbert Blüm und dem Wegbrechen von Kohls Netzwerk, die Mediation, d.h. der Interessensausgleich, in der Union weiter zurückgedrängt wurde. Ausgehöhlt wurde dieses Prinzip schließlich, als auf dem Leipziger Parteitag aus einer umstrittenen Sach- eine personale Machtfrage wurde. Das war neu, das gab es bei Helmut Kohl noch nicht. Hier stieß innerparteilich das Mediationsprinzip an seine Grenzen.
Die weitere CDU-Geschichte wird zeigen, ob der Wandel von zweiter Ordnung in die dritte Ordnung fällt. Diese würde erhebliche Auswirkungen auf das politische Leitbild der CDU haben, weil das Mediationsprinzip für das innerparteiliche Leben das zentrale Wesenselement der Christdemokratie ist. Würde sich die CDU davon verabschieden, könnte sie kaum glaubhaft versichern, noch eine schichtübergreifende Volkspartei zu sein. Dies hätte auch auf die Qualität der CDU-Wirtschaftskonzeption eine erhebliche Auswirkung, da sie das prägende Element bei ihrer Ausrichtung war. Dieser Punkt ist umso beachtenswerter, weil die CDU beim Subsidiaritäts- und beim Personalitätsprinzip durchaus stabil war. Das Subsidiaritätsprinzip wurde seitens der CDU nie grundsätzlich verletzt. Sowohl bei der innerparteilichen Willensbildung wie auch bei politischen Entscheidungen wurde darauf geachtet, die unteren Ebenen einzubinden und ihnen eine größtmögliche Autonomie zu geben. Allerdings war dieses Prinzip in der Wirtschaftspolitik auch nicht das alles entscheidende. Die Arbeit zeigt, dass das Personalitätsprinzip keine erheblichen Bedeutungswandel in der CDU erfuhr. Nicht zuletzt die Leipziger Beschlüsse rückten die personale Verantwortung für sich selbst, aber auch für andere in den Vordergrund. Die Wirtschaft wurde stets nur als ein Mittel zur Entfaltung und nicht als Wert an sich angesehen. Allerdings ist hierbei einzuräumen, dass die bedeutenden Streitfragen über die persönliche Würde in den vergangenen Jahren nicht in der Wirtschaftspolitik geführt wurden. Deshalb wird für die Gültigkeit dieses Prinzips eine Untersuchung über die Diskussion der CDU über soziokulturelle Themen und insbesondere zu den neuen Möglichkeiten der Biotechnologie entscheidend sein. Folglich wird die zukünftige Ausrichtung der CDU erheblich davon abhängen, inwieweit sie den gesellschaftlichen Ausgleich organisieren kann. Hierbei wird sie vor allem ihre Interessensfindung und -aggregation verbessern müssen. Sie bilden die Grundlage, um einen möglichen Ausgleich zu organisieren. Diese Kompetenz ist ihr Stück für Stück seit den 1980er Jahren weggebrochen. Dieses Defizit wird die CDU erst dann wieder beheben
10.2 Der Wandel des politischen Leitbildes der CDU
275
können, wenn sie die Lücke zwischen organisatorischem und programmatischem Anspruch schließen kann. Personalrekrutierung ist in einer modernen Wählerpartei nur eine wichtige – nicht jedoch alles entscheidende – Integrationsklammer. Der Politikformulierungsprozess ist die andere. Für diese muss die CDU wieder politische Fühler ausbilden, um rechtzeitig und ausreichend die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen zu finden – und so ihren Anspruch, Volkspartei zu sein, erfolgreich ausfüllen zu können. In anderen Worten muss es der CDU parteiorganisatorisch gelingen, einen wirksamen Willensbildungsprozess innerhalb und außerhalb der Partei zu organisieren. Das historisch schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl von 2005 zeigt, dass die CDU vor der Gefahr steht, ihrem Anspruch als Volkspartei nicht mehr gerecht zu werden. Interessen in der Wählerschaft aufzugreifen und diese nach bestimmten Prinzipien auszugleichen, ist der Kern des Mediationsprinzips. Ohne dieses Element würde sie zwangsläufig auch ihren christdemokratischen Charakter verlieren.
Literatur Gedruckte Quellen: Adenauer, Konrad (1965): Erinnerungen 1945-1953. Stuttgart. Barzel, Rainer (1970): Die Rolle der Opposition, in Rollmann, Dietrich (Hg.): Die CDU in der Opposition. Eine Selbstdarstellung. Hamburg, S. 30-34. Biedenkopf, Kurt (1979): Wirtschafts- und Sozialpolitik, in Weizsäcker, Richard von (Hg.): CDU Grundsatzdiskussion. Beiträge aus Wissenschaft und Politik. München, S. 119- 131. Biedenkopf, Kurt (1975): Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität: Die Grundlagen christlichdemokratischer Politik, in Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen (Hg.): Demokratische Gesellschaft. Konsensus und Konflikt. München, S. 15-126. Biedenkopf, Kurt (1974): Fortschritt in Freiheit. Umrisse einer politischen Strategie. München. Biedenkopf, Kurt (1973): Die Zukunft gehört nicht dem Sozialismus, in Österreichische Monatshefte. Blätter für Politik, Kultur und Wissenschaft 29, S. 20-22. CDA (1967): Offenburger Erklärung. Königswinter. CDU (1989): Politik auf Grundlage des christlichen Menschenbildes. Bonn. CDU (1993a): Im Gespräch: Ein neues Grundsatzprogramm. Bonn. CDU (1993b): Materialien zur Grundsatzprogramm-Diskussion. CDU (1993d): Leitfaden zur Diskussion. Materialien 1. Bonn. CDU (1993d): Zahlen, Daten, Fakten und Prognosen. Materialien 2. Bonn. CDU (1993e): Die CDU und das „C“. Beiträge zum grundlegenden Selbstverständnis der CDU Deutschlands. Materialien 3. Bonn. CDU (1993f): Gesellschaftspolitik. Beiträge zum grundlegenden Selbstverständnis. Materialien 4. Bonn. CDU (1993g): Wirtschaftsstandort Deutschland Chancen nutzen – Zukunft gestalten. Materialien 5. Bonn. CDU (1993h): Deutschlands Verantwortung in Europa und der Welt. Beiträge zum grundlegenden Selbstverständnis. Materialien 6. Bonn. Fine Gael (1993): Report of the Commission on the Renewal of Fine Gael. Dublin. Generalsekretaritat des Zentralkomitees der Deutschen Katholikentage (1949): Gerechtigkeit schafft Frieden. Der 73. Deutsche Katholikentag vom 31. August bis zum 4. September 1949 in Bochum. Berichtsband. Paderborn. Gerstenmaier, Eugen (1957): Darf sich die CDU christlich nennen?, in CDU und CSU (Hg.): Politisches Jahrbuch der CDU/CSU. Bonn, S. 14-18. Glück, Alois (1999): Schrumpfende Kirchen - wachsende C-Parteien. Positionspapier der CSULandtagsfraktion. München Glück, Alois (1996): Abstieg oder Aufbruch. Plädoyer für eine liberal-konservative Erneuerung. München. Görres, Joseph von (1845): Die Wallfahrt nach Trier. Regensburg. Hintze, Peter (Hg./ 1995): Die CDU-Parteiprogramme. Bonn. Kohl, Helmut (21990): Reden zu Fragen der Sozialen Marktwirtschaft. Reihe Berichte und Dokumentationen des Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn. Kohl, Helmut (1976): Freiheit und Gerechtigkeit – Perspektiven christlich-demokratischer Politik, in Mayer-Vorfelder, Gerhard und Zuber, Hubertus (Hg.): Union alternativ. Stuttgart, S. 12-26. Kohl, Helmut (1973): Zwischen Ideologie und Pragmatismus. Aspekte und Ansichten zu Grundfragen der Politik. Stuttgart. Kohl, Helmut (2000): Mein Tagebuch. 1998-2000. München. Kohl, Helmut (2004): Erinnerungen. 1930-1982. München. Kohl, Helmut (2005): Erinnerungen. 1982-1990. München. Müller-Armack, Alfred (1948): Das Jahrhundert ohne Gott. Regensberg.
278
Literatur
Müller-Armack, Alfred (1971): Auf dem Weg nach Europa. Tübingen. Müller-Armack, Alfred (1966): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur sozialen Marktwirtschaft und zur europäischen Integration. Freiburg. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1990): Bundeskanzler Helmut Kohl. Reden zu Fragen der Sozialen Marktwirtschaft. Bonn. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. „Adenauer: „Es musste alles neue gemacht werden.“ bearbeitet von Günther Buchstab. Düsseldorf. 1986. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953-1957. „Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschafft.“ bearbeitet von Günther Buchstab. Düsseldorf. 1990. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1957-1961. „Adenauer: … um den Frieden zu gewinnen“ bearbeitet von Günther Buchstab. Düsseldorf. 1994. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1961-1965. „Adenauer: Stetigkeit in der Politik“ bearbeitet von Günther Buchstab. Düsseldorf. 1998. Röbke, Wihelm (1944): Civitas Humana. Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform. Ellenbach-Zürich. Ruf, Thomas (1973): Gleichgewicht der Partner. Zu einem wichtigen Aspekt der MitbestimmungsDiskussion in der CDU, in Gesellschaftspolitische Kommentare 20, S. 205-208. Schäuble, Wolfgang (2000): Mitten im Leben. München. Spranger, Carl-Dieter (1984): Umweltbedrohung und Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung, Erfolge, Probleme, Aufgaben, in Eichholz Brief H. 1, S. 29-38. Tietmeyer, Hans (1983): Neukonzeption der Beteiligungspolitik des Bundes, in Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 118 vom 4. November 1983. Bonn, S. 10791085. Wissmann, Matthias (1988): Jahre der Erneuerung. Die Junge Union von 1973 bis 1983, in Böhr, Christoph (Hg.): Jugend bewegt Politik. Die Junge Union Deutschlands 1947 bis 1987. Krefeld, S. 153-164. Wissmann, Matthias (1976): Christlich-demokratische Politik in einer veränderten Welt – jenseits von Marxismus und erstarrtem Konservatismus, in Schönbohm, Wulf und Wissmann, Matthias (Hg.): Für eine humane Gesellschaft. Beiträge zum Programmdenken der jungen Generation. Frankfurt am Main, S. 8-29. Wissmann, Matthias (1993): Wirtschaften in ökologischer und sozialer Verantwortung, in Göhner, Reinhard (Hg.): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München, S. 144-156. Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (1973): Sammelband der Gutachten von 1948-1972. Göttingen. Zimmermann, Friedrich (1986): Umweltpolitik in Wort und Tat. Stuttgart. Zimmermann, Friedrich (1991): Kabinettstücke: Politik mit Strauß und Kohl. 1976-1991. München.
Sekundärliteratur: Abelshauser, Werner (1987): Die langen fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 1949-1966. Düsseldorf. Abelshauser, Werner (1983): Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (1945-1980). Frankfurt am Main. Ackermann, Eduard (1994): Mit feinem Gehör. Vierzig Jahre in der Bonner Politik. Bergisch Gladbach. Aiginger, Karl (1985): Die wirtschaftsprogrammatischen Vorstellungen der ÖVP 1945-1985, in Junius Verlag (Hg.): Schwarz Bunter Vogel. Studien zu Programm, Politik und Struktur der ÖVP. Wien, S. 95-124.
Literatur
279
Alberti, Paolo (2005): Forza Italia – neuer Wein in alten Schläuchen. Eine klassische ,Catch-allPartei’ mit einem neuen Modell politischer Legitimation, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen, S. 238 - 258. Alemann, Ulrich von (2000): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. Alemann, Ulrich von (Hg./1995): Politikwissenschaftliche Methoden. Wiesbaden. Alemann, Ulrich von (1972): Mehr Demokratie per Dekret? Innerparteiliche Auswirkungen des deutschen Parteiengesetz von 1967, in Politische Viertelsjahresschrift 13, S. 181-202. Allemeyer, Werner (1964): Christliche Demokratie in Europa und Lateinamerika. Eichholz. Allemeyer, Werner (1978): Die europäischen Parteien der Mitte: Analysen und Dokumente zur Programmatik christlich-demokratischer und konservativer Parteien Westeuropas. Bonn. Allememeyer, Werner (1978): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, in Konrad-AdenauerStiftung (Hg.): Die europäischen Parteien der Mitte. Analysen und Dokumente zur Programmatik christlich-demokratischer und konservativer Parteien in Westeuropa. Bonn, S. 253-272. Almond, Gabriel (1948): The political ideas of Christian democracy, in The Journal of Politics 10, S.734-763. Altgelt, Wolfgang (1999): German Catholics, in Lidtke, Rainer und Wendehorst, Stephen (Hg.): The emancipation of Catholics, Jews and Protestants. Minorities and the nation state in ninteenthcentury Europe. New York, S. 100-121. Altmann, Jörn (1995): Wirtschaftspolitik. Eine praxisorientierte Einführung. Stuttgart. Altmann, Rüdiger (1970): Die Wandlungen der Union, in Politische Meinung 15/133, S. 43-47. Ambrosius, Gerold (1977): Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945-1949. Stuttgart. Amery, Carl (1963): Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute. München. Andersen, Uwe und Pieper, Hildegard (1974): Innere Reformen im Entscheidungsprozess. Zum Meinungsstreit um den Koalitionskompromiß über Mitbestimmung und Vermögensbildung, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/74. Anderson, Margaret (1986): The Kulturkampf and the course of German history, in Central European History 19, S. 82-115. Anderson, Margaret (1993): Liberalismus, Demokratie und die Entstehung des Kulturkampfes, in Lill, Rudolf (Hg.): Der Kulturkampf in Italien und in den deutschsprachigen Ländern. Berlin, S. 109-126. Aretz, Jürgen (1978): Katholizismus und die deutsche Sozialdemokratie 1949-1963, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik 1949-1963. Paderborn, S. 205-228. Langner, Albrecht (1978): Diskussionsbericht, in ders. (Hg.): Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik. Paderborn. 1949-1963, S. 123-136. Artez, Jürgen (1982): Katholische Arbeiterbewegung und christliche Gewerkschaften – Zur Geschichte der christlich-sozialen Bewegung, in Rauscher, Anton (Hg.): Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1963. Bd. 2. München, S. 159-214. Avagliano, Lucio (1997): Democrazia Cristiana Italiana e Politiche Socio-Economiche, in Lamberts, Emil (Hg.): Christian Democracy in the European Union. Löwen, S. 363-368. Bahners, Patrick (1998): Im Mantel der Geschichte: Helmut Kohl oder die Unersetzlichkeit. Berlin. Bamberg, Hans-Dieter (1987): Von Blüm zu Fink. Die Sozialausschüsse der Union, in Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 12, S. 1510-1515. Badelow, Nils (1999): Lernende Politik. Advocacy-Koalitionen und politischer Wandel am Beispiel der Gentechnologie. Berlin. Bandemer, Stephan von und Haberle, John (1998): Wirtschaftspolitik im Zeichen des Primats der Politik oder der Ökonomie?, in Wewer, Göttrik (Hg.): Bilanz der Ära Kohl. Opladen, S. 129-144. Bardi, Luciano (1996): Transnational trends in European parties and the 1994 elections of the European parliament, in Party Politics 2, S. 99-114.
280
Literatur
Bardi, Lcuiano (1994): Trasnational party federations, European Parliamentary Party groups and the buildings of Europarties, in Katz, Richard und Mair, Peter (Hg.): How parties are organize? London, S. 357-372. Baring, Arnulf (1982): Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel. Stuttgart. Baumanns, Hans Leo und Bergsdorf, Wolfgang (1971): Die CDU im dritten Jahrzehnt, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 40/71, S. 3-22. Baumgart, Winfried (1988): Adenauers Europapolitik 1945-1963, in Dickerhof, Harald (Hg.): Festgabe für Heinz Hürten zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main, S. 609-632. Baumgartner, Alois (1977): Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ideen, Strömungen im Sozialkatholizismus in der Weimarer Republik. München. Beaufays, Jean (1973): Les partis catholiques en belgique et aux pay-bas 1918-1958. Brüssel. Becker, Dierk-Eckhard und Wiesendahl, Elmar (1972): Ohne Programm nach Bonn oder die Union als Kanzlerwahl-Verein. Reinbek bei Hamburg. Becker, Winfried (1981): Historische Voraussetzungen und Gründung, in Buchstab, Günter und Gotto, Klaus (Hg.): Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten. München, S. 7-33. Becker, Winfried (1984): Die CDU im demokratischen Neubeginn 1945/46. Motive der Gründung und parteipolitischer Standort, in Rüther, Günther (Hg.): Geschichte der ChristlichDemokratischen und Christlich-Sozialen Bewegungen in Deutschland. Bon, S. 104-109. Becker, Winfried (1987): CDU und CSU 1945-1950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei. Mainz. Becker, Winfried (1988): Der lange Anlauf zur Christlichen Demokratie. Joseph Görres und andere Interpreten, in Becker, Winfried und Morsey, Rudolf (Hg.): Christliche Demokratie in Europa. Grundlagen und Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert. Köln, S. 1-29. Becker, Winfried (1990): Die Entscheidung für eine neue Wirtschaftsordnung nach 1945. Christliche Werte in der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Ehrhards, in Roth, Rainer und Seifert, Walter (Hg.): Die zweite deutsche Demokratie. Ursprünge, Probleme, Perspektiven. Köln, S. 67-90. Becker, Winfried (1990): Historische Grundlagen der Christlich-demokratischen Bewegung in Europa, in Becker, Winfried und Klepsch, Egon (Hg.): Zur Geschichte der christlich-demokratischen Bewegung in Europa. Melle, S. 14-28. Becker, Winfried (1991): Zur Geschichte und Konzeption der Christlichen Demokratie, Baadte, Günther und Becker, Winfried (Hg.): Christen und Demokratie. Graz, S. 11-39. Becker, Winfried (1997): The emergence and development of Christian democratic parties in Western Europe, in Lamberts, Emil (Hg.): Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, S. 109-120. Becker, Winfried (2003): Form Political Catholicism to Christian Democracy: The Development of Christian Parties in Modern Germany, in Kselman, Thomas und Buttigieg, Joseph (Hg.): European Christian Democracy. Historical Legacies and Comparative Perspectives. Notre Dame, S. 93-120. Behrendt, Günther (1976). Das Bundeskanzleramt. Frankfurt am Main. Belardinelli, Sergio (1990): Die politische Philosophie des christlichen Personalismus, in Ballestrem, Karl Graf von und Ottmann, Hennig (Hg.): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts. München, S. 243-262. Benz, Angelika (1997): Privatisierung und Regulierung im Post- und Fernmeldewesen, in König, Klaus und Benz, Angelika (Hg.): Privatisierung und staatliche Regulierung. Bahn, Post und Telekommunikation. Rundfunk. Baden-Baden, S. 262-346. Bering, Henrik (1999): Helmut Kohl. Washington. Berger, Manfred; Gibowski, Wolfgang; Roth, Dieter und Schulte Wolfgang (1986): Legitimierung des Regierungswechsels. Eine Analyse der Bundestagswahl 1983, in Klingemann, Hans-Dieter und Kaase, Max (Hg.): Wahlen und politischer Prozeß. Analysen aus Anlaß der Bundestagwahl 1983. Opladen, S. 251-288. Bergmann, Knut (1998): Der Bundestagswahlkampf 1998. Vorgeschichte, Strategien, Ergebnis. Wiesbaden.
Literatur
281
Besier, Gerhard (2000): Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert. München. Bethouart, Bruno (2001): Le Mouvement Republicain Populaire. L’entrée des chatholiques dans la Republique francaise, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 313-331. Beyme, Klaus von (1971): Regierungswechsel 1969. Zum Wandel der Karrieremuster der politische Führung, in Lehmbruch, Gerhard; Beyme, Klaus von und Fetscher, Iring (Hg.): Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland. München, S. 255-286. Beyme, Klaus von (1981): Do parties matter?, in Politische Vierteljahresschrift 22, S. 343-358. Beyme, Klaus von (1984): Politische Parteien in Westeuropa. München. Beyme, Klaus von (1988): Der Vergleich in der Politikwissenschaft. Frankfurt am Main. Beyme, Klaus von (1993): Die politische Klasse im Parteienstaat. Frankfurt am Main. Beyme, Klaus von (1996): Party leadership and Change in Party Systems: towards a Postmodern Party State, in Government and Opposition 31, S. 135-159. Beyme, Klaus von (1997a): Funktionswandel der Parteien in der Entwicklung von der Massenmitgliederpartei zur Partei der Berufspolitiker, in Gabriel, Oscar, Niedermayer, Oscar und Stöss, Richard (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Wiesbaden, S. 359-383. Beyme, Klaus von (1997b): Die Politische Klasse im Parteienstaat. Frankfurt am Main. Beyme, Klaus von (2000): Parteien im Wandel. Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wählerparteien. Wiesbaden. Beyme, Klaus von (2001): Elite relations in Germany, in German Politics 10, S. 19-36. Bickerich, Wolfram (1995): Der Enkel. Analyse der Ära Kohl. Düsseldorf. Birke, Adolf M. (1989): Nation ohne Haus. Deutschland 1945-1961. Berlin. Birsl, Ursula und Lösche, Peter (1998): Parteien in West- und Ostdeutschland: Der gar nicht so feine Unterschied, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 29, S. 7-23. Blank, Theodor (1967): Vom Ahlener Programm zu den Düsseldorfer Leitsätzen – Zur Dogmengeschichte der CDU, in Müller-Armack, Alfred und Schmidt, Herbert (Hg.): Wirtschafts- und Finanzpolitik im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft. Stuttgart, S. 31-70. Blaschke, Olaf (2000): Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in Geschichte und Gesellschaft 26, S. 38-75. Blondel, Jean und Cotta, Maurizio (Hg./1996): Party and Government. An inquiry into the Relationship between Governings and Supporting Parties in Liberal Democracies. Basingstoke. Blüm, Norbert (1972): Reaktion oder Reform. Wohin steuert die CDU? Reinbek bei Hamburg. Blüm, Norbert (1980): Werkstücke. Aufsätze – Essays – Reden. Köln. Blumer, Jay und Kavanagh, Dennis (1999): The third age of political communication: Influences and features, in Political Communication 16, S. 33-52. Bock, Peter Josef (1976): Die CDU und ihre Arbeitnehmer, in Fetscher, Iring (1976): Im Prinzip sozial. Die großen Parteien und die Arbeitnehmer. Hannover, S. 51-86. Böhr, Christoph (1988): Orientierung und Wandel. Zum Wechsel politischer Erwartungen in den 80er Jahren, in ders. (Hg.): Jugend bewegt Politik. Die Junge Union Deutschlands 1947 bis 1987. Krefeld, S. 165-194. Böhr, Christoph (1992): Vor einer Wegscheide. Die Union gewinnt ihre Kraft nur aus der Rückbindung an weltanschaulichen Überzeugungen, in Die politische Meinung 274, S. 37-45. Böhr, Christoph (1993): An der Schwelle zu einer neuen Epoche. Die Vision der Verantwortungsgesellschaft, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 31/93, S. 26-32. Böhr, Christoph (2002): Ein Volksentscheid über ein Lebensgefühl, in Die Neue Ordnung 56, S. 455459. Böhr, Christoph (2003): Christliches Menschenbild und Politik. Von der Unverrückbarkeit des Anspruchs, in Politische Meinung 4002/03, S. 5-8. Borchardt, Knut (1990): Zäsuren in der wirtschaftlichen Entwicklung. Zwei, drei oder vier Perioden, in Brozat, Martin (Hg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Oldenburg, S. 21-34.
282
Literatur
Borchert, Jens (1995): Die konservative Transformation des Wohlfahrtsstaates. Großbritannien, Kanada, die USA und Deutschland im Vergleich. Frankfurt am Main. Borchert, Jens (2003): Die Professionalisierung der Politik. Zur Notwendigkeit eines Ärgernisses. Frankfurt am Main. Bornkamm, Heinrich (1950): Die Staatsidee im Kulturkampf, in Historische Zeitschrift 170, S. 41-72. Bösch, Frank (1999): „Zu katholisch“: Die Durchsetzung der CDU und das schwierige Zusammengehen der Konfessionen in der Bundesrepublik Deutschland, in Dürr, Tobias und Walter, Franz (Hg.): Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft: Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Lösche. Opladen, S. 395-418. Bösch, Frank (2000): Kontinuität im Umbruch. Die CDU/CSU auf dem Weg ins neue Jahrhundert, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/ 2000, S. 12-21. Bösch, Frank (2001): Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei. 19451969. Stuttgart. Bösch, Frank (2002): Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart. Bösch, Frank (2005): Oppositionszeiten als Motor der Parteireform? Die CDU nach 1969 und 1998 im Vergleich, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Strategie und Anarchie. Der Erfolg von Parteiorganisationen. Wiesbaden, S. 172-185. Boss, Alfred u.a. (1996): Deregulierung in Deutschland. Eine empirische Analyse. Tübingen. Boswell, Jonathan (1993): Catholicism, Christian Democrats and ‘Reformed Capitalism’, in Crouch, Colin und Marquand, David (Hg.): Ethics and Markets. Oxford, S. 48-65. Bouckaert, Luk und Bouckaert, Gert (Hg./1992): Metafysiek en engement. Een personalistische visie op gemeenschap en economie. Löwen. Boyer, John W. (2001): Catholics, Christians, and the Challenges of Democracy: The heritage of the nineteenth century, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 23-59. Braun, Christopher (1984): Das Engagement der Nationalen Parteien in der Europäischen Volkspartei (EVP). Ein Beitrag zur Erforschung der transnationalen Parteienkooperation in Europa. Diplomarbeit Universität Konstanz. Brehm, Thomas (1989): SPD und Katholizismus – 1957 bis 1966. Jahre der Annäherung. Frankfurt am Main. Brettschneider, Frank (2000): Kohls Niederlage? Schröders Sieg! Die Bedeutung der Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 1998, in Pickel, Gert; Walz, Dieter und Brunner, Wolfram (Hg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen, S. 109-140. Broughton, David (1992): The Christian democratic voter: A four country Comparison. Konferenzpapier auf der ECPR Joint Sessions of Workshops, University of Limerick. Broughton, David (1994): The CDU-CSU in Germany: is there an alternative?, in Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. A comparative perspective. London, S. 101-120. Brück, Gerhard (1989): Von der Utopie zur Weltanschauung: Zur Geschichte und Wirkung der sozialen Ideen in Europa. Köln. Bruckmüller, Ernst (1995): Die ständische Tradition. ÖVP und Neokorporatismus, in Kriechbaumer, Robert und Schausberger, Franz (Hg.): Volkspartei – Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Wien, S. 281-316. Bruges Group (1999): Conservative MEPs and the European People’s Party. Time for Divorce. Bruges Group Occasional Paper No. 36. Brüklin, Wilhelm P. (1984): Grüne Politik. Ideologische Zyklen, Wähler und Parteiensysteme. Opladen. Brummer, Christian (1978): Politische Planung im parlamentarischen Regierungssystem. Wien. Brunner, Wolfram und Walz, Dieter (2000): Die politische Stimmungslage im Vorfeld der Bundestagswahl 1998, in Pickel, Gert; Walz, Dieter und Brunner, Wolfram (Hg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen, S. 31-56.
Literatur
283
Buchhaas, Dorothee (1981): Die Volkspartei. Programmatische Entwicklung der CDU 1950-1973. Düsseldorf. Buchhaas, Dorothee (1985): Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und Betriebsverfassungsgesetz 1945-1952. Bonn. Buchstab, Günther (1998): Hans Katzer. Zur Erinnerung an einen rheinischen Sozialpolitiker, in Historisch Politische Mitteilungen 5, S. 167- 174. Buchheim, Karl (1963): Die Frage nach der katholischen Partei, in Zeitschrift für Politik 10, S. 63-77. Budge, Ian (1987): The internal analysis of election programmes, in Budge, Ian; Robertson, David und Hearl, Derek (Hg.): Ideology, Strategy and Party Change. Cambridge, S. 15-38. Budge, Ian, und Robertson, David (1987): Do parties differ, and how? Comparative discriminant and factor analyses, in Budge, Ian; Robertson, David und Hearl, Derek (Hg.): Ideology, Strategy and Party Change. Cambridge, S. 387-416. Budge, Jan; Farlie, Dennis und Laver, Michael (1983): What is a ‘Rational’ Choice? Shifts of Meaning Within Explanation of Voting and Party Competition, in Electoral Studies 2, S. 23-38. Budge, Jan and Keman, Hans (1990): Parties and Democracy. Coalition Formation and Government Functioning in Twenty States. Oxford. Bull, Martin (1994): The European Community and ‘Regime Parties’: A Case Study of Italian Christian Democracy. European University Institute Working Paper 94/4. Bulmer, Simon und Humphreys, Peter (1989): Kohl, Corporatism and Congruence: the West German Model und Challenge, in Bulmer, Simon (Hg.): The changing agenda of West German Public policy. Dartmouth, S. 177-197. Burgess, Michael (1994): Politischer Katholizismus, Europäische Einigung und der Aufstieg der Christdemokratie, in Greschat, Martin und Loth, Winfried (Hg.): Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft. Stuttgart, S. 125-137. Busch, Andreas (1989): Neokonservative Wirtschaftspolitik in Großbritannien. Vorgeschichte, Problemdiagnose, Ziele und Ergebnisse des „Thatcherismus“. Frankfurt. Busch, Andreas (2000): Durch Wandel zur Annäherung? Politische Ideen und rational choice, in Zeitschrift für Politikwissenschaft 10, S. 999-1014. Busche, Jürgen (1998): Helmut Kohl. Anatomie eines Erfolges. Berlin. Busse, Volker (1994): Bundeskanzleramt und Bundsregierung. Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise mit Blick auf Vergangenheit und Zukunft. Heidelberg. Castles, Francis G. and Mair, Peter (1984), Left-right political scales: some ‘expert’ judgments, in European Journal of Political Research 12, 73-88. Cary, Noel (1996): The path to Christian Democracy. German Catholics and the Party system from Windhorst to Adenauer. Cambridge/ Mass. Cassier, Siegfired (1960): Der Streit um das Miteigentum der Arbeitnehmer. Frankfurt am Main. Chalmers, Alan (41999): Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie. Berlin. Chandler, Wiliam (1998): The Christian Democratic Center-Right in German politics, in Wilson, Frank (Hg.): The European Center-Right at the End of the Twentith Centry. New York, S. 63-82. Chauvistre, Norbert (1973): Die CDU und ihre Vereinigungen – Beispiel: Sozialausschüsse, in Sonde 2/73, S. 18-34. Christmann, Alfred und Kunze, Otto (1964): Wirtschaftliche Mitbestimmung im Meinungsstreit. Band1. Köln. Clemens, Clay (1998): Party management as a Leadership ressource: Kohl and the CDU/CSU, German Politics 7, S. 91-119. Clemens, Clay (1994): The Chancellor as Manager: Helmut Kohl, the CDU and Governance in Germany, in West European Politics 17, S. 28-51. Clough, Patricia (1998): Helmut Kohl. Ein Portrait der Macht. München. Coakley, John und Gallagher, Michael (1996): Politics in the Republic of Ireland. Limerick. Conway, Martin (1996): Belgium, in Buchanan, Tom und Conway, Martin (Hg.): Political Catholicism in Europe 1918-1965. Oxford, S. 187-218.
284
Literatur
Conway, Martin (2003): The Age of Christian Democracy: The Frontiers of Success and Failure, in Kselman, Thomas und Buttigieg, Joseph (Hg.): European Christian Democracy. Historical Legacies and Comparative Perspectives. Notre Dame, S. 43-67. Conze, Werner (1969): Jakob Kaiser. Politiker zwischen Ost und West 1945-1949. Stuttgart. Cripps, Stoffard (1948):Christliche Demokratie. Zürich. Czada, Roland (1996): The Treuhandanstalt and the Transition from Socialism to Capitalism, in Benz, Arthur und Goetz, Klaus (Hg.): A New German Public Sector? Reform, Adaptation and Stability. Aldershot, S. 45-70. Daalder, Hans (2002): Parties: Denied, Dimsissed, or Redundant? A Critique, in Gunther, Richard; Ramon-Montero, Jose und Linz, Juan (Hg.): Political parties. Old concepts and new challenges. Oxford, S. 39-57. Dalton, Russel J. (2000): The decline of party identifications, in Dalton, Russel J. und Wattenberg, Martin (Hg.): Parties without partisans. Oxford, S. 20-36. De Donder, Johan (1991): Het levend geweten. 40 jaar CVP-Jongeren in Vlaanderen. Antwerpen. De Kessel, Greetje (1991): Ethische Componenten In De Christdemokratische Doctrine. Doctrinele ontwikkelingen in CVP en CDA. Lic.-Arb. Universität Löwen. De Winter, Lieven (1989): Parties and Policy in Belgium, in European Journal of Political Research 17, S. 707-730. De Winter, Lieven und Dumont, Patrick (1999): Belgium: party system(s) on the Eve of Disintegration, in Broughton, David und Donovan, Mark (Hg.): Changing Party Systems, S. 183-206. Decker, Frank (2002): Die Macht der Gesäßgeografie, in Berliner Republik 4/02, S. 58-67. Decker, Franz (1999): Parteien und Parteiensysteme im Wandel, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 30, S. 345-361. Dedering, Klaus-Heinrich (1989): Adenauer- Erhard- Kiesinger – die CDU als Regierungspartei 1961-1969. Pfaffenweiler. Deeg, Jürgen und Weibler, Jürgen (2005): Politische Steuerungsfähigkeit von Parteien, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen. Wiesbaden, S. 22-42. Delfeck, Herman (1996): La Politique Sociale, in Berx, Cathy u.a. (Hg.): Un parti dans l’histoire 1945-1995: 50 ans d’action du Parti Social Chrétien. Löwen, S. 441- 484. Delfosse, Pascale (1979): La formation des familles politiques en Belgique (1830-1914), in Res Publica 21, S. 465-493. Demker, Marie (1997): Changing party ideology. Gaullist parties facing voters, leaders and competitors, in Party Politics 3, S. 407-426. Denkhaus, Ira und Schneider, Volker (1997): The Privatization of Infrastructures in Germany, in Lane, Jan-Eric (Hg.): Public Sector Reform. Rationale, Trends and Problems. London, S. 64-113. Descamps, Henri (1981): La Democratie Chretienne et le MRP: De 1946 a 1959. Paris. Detterbeck, Klaus (2001): Der Wandel politischer Parteien in Westeuropa. Eine vergleichende Untersuchung von Organsiationsstrukturen, politische Rolle und Wettbewerbsverhalten von Großparteien in Dänemark, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz. 1960-1999. Opladen. Detterbeck, Klaus (2005): Die strategische Bedeutung von Mitgliedern für moderne Parteien, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen, S. 63 - 76. Dettling, Warnfried (1975). Die CDU nach Mannheim. Wandel und Kontinuität, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 30/75, S. 3-19. Dettling, Warnfried (1982): Zukunftsperspektiven der Sozialen Marktwirtschaft, in Aus Politik und Zeitgeschichte B22/82. Dettling, Warnfried (1994): Das Erbe Kohls. Bilanz einer Ära. Frankfurt a. Main. Dexheimer, Wolfgang und Hartmann, Max (1970): Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und –gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in Zeitschrift für Palamentsfragen 1970, S. 232-236.
Literatur
285
Dierickx, Guido (1994): Christian Democracy and its ideological rivals, in Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. London, S. 15-30. Dietrich, Yorck (1996): Eigentum für jeden. Die vermögenspolitischen Initiativen der CDU und die Gesetzgebung 1950-1961. Düsseldorf. Dittberner, Jürgen (1997): Neuer Staat mit alten Parteien? Die deutschen Parteien nach der Wiedervereinigung. Opladen. Dittmar, Rupprecht (1974): Lohn und Vermögensverteilung. Über die Lohngestaltung und ihren Zusammenhang mit der Kapital- und Vermögensbildung und der Verteilung der Vermögenszuwächse. Göttingen. Dittmar, Rupprecht (1953): Miteigentum. Eine Betrachtung zum Thema Lohngerechtigkeit und Unternehmensertrag. Hamburg. Dittmar, Rupprecht (1958): Der DGB jetzt auch für Eigentumsstreuung, in Soziale Ordnung 6/58, S. 93-95. Doering-Manteuffel, Anselm (1990): Die ‘Frommen’ und die ‘Linken’ vor der Wiederherstellung des bürgerlichen Staates. Integrationsprobleme und Interkonfessionalismus der frühen CDU, in Kaiser, Jochen-Christoph und Doering-Manteuffel, Anselm (Hg.): Christentum und politische Verantwortung. Kirchen im Nachkriegsdeutschland. Stuttgart, S. 88-108. Doering-Manteufel, Anselm (1981): Katholizismus und Wiederbewaffnung. Die Haltung der deutschen Katholiken gegenüber der Wehrfrage 1948-1955. Mainz. Döhler, Marian und Schmid, Josef (1988): Wohlfahrtsstaatliche Politik der CDU – Innerparteiliche Strukturen und Politikformulierungsprozesse. Discussion Paper WZB. Berlin. Dölken, Clemens (1992): Katholische Sozialtheorie und liberale Ökonomik. Das Verhältnis von katholischer Soziallehre und Neoliberalismus im Lichte modernen Institutionenökonomik. Tübingen. Donovan, Mark (1994): Democraczia Cristiana: Party of Government, Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. London, S. 71-86. Donovan, Mark und Broughton, David (1999): Party system change in Western Europe Positively Political, in Broughton, David und Donovan, Mark (Hg.): Changing party systems in Western Europe. London, S. 255-274. Dörner, Andreas (2002): Diagnosen und Prognosen zum Kontextwandel parteipolitischen Handelns, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 33, S. 759-769. Downs, Anthony (1957): An Economic Theory of Democracy. New York. Dreher, Klaus (1998): Helmut Kohl. Leben mit Macht. Stuttgart. Dröser, Elisabeth (1983): Die Sehnsucht der Welt von gestern: Probleme des amerikanischen Wertesystems, in Schissler, Jakob (Hg.): Neokonservatismus in den USA. Eine Herausforderung. Opladen, S. 89-110. Drucker, Henry Matthew (1979): Doctrine and ethos in the Labour Party. London. Dunleavy, Patrick und Husbands, Christopher (1985): British Democracy at the Crossroads. Boston. Dumoulin, Michel (1997): The socio-economic impact of Christian Democracy in Western Europe, Lamberts, Emil (Hg.) Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, 269-374. Dumoulin, Michel (1997): L’influence des démocrates-chrétiens dans L’ordre socio-économique en Belgique, in Lamberts, Emil (Hg.) Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, 328-335. Durand, Jean-Dominique (1995): L’Europe de la Démocratie Chrétienne. Paris. Duverger, Maurice (1954 [1990]): Caucus and branch, cadre parties and mass parties, in Mair, Peter (Hg./1990): The West European Party System. Oxford, S. 37-45. Duverger, Maurice (1963): Political parties. New York. Dyson, Kenneth (1991): Die Entwicklung der Telekommunikationspolitik in Westeuropa, in Grande, Edgar; Kulen, Rainer; Lembruch, Gerhard und Mäding, Heinrich (Hg.): Perspektiven der Telekommunikationspolitik. Opladen, S. 43-69.
286
Literatur
Eberlein, Burkard (2000): Institutional change and continuity in German Infrastructure Management: The Case of Electricity Reform, in German Politics 9, S. 81-104. Ebbighausen, Rolf und Kaltenborn, Wilhelm (1973): Arbeiterinteressen in der CDU? Zur Rolle der Sozialausschüsse, in Dittberner, Jürgen und Ebbighausen, Rolf (Hg.): Parteiensystem in der Legitimationskrise. Studien und Materialien zur Soziologie der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. Eccleshall, R. (2000): The doing of conservatism, in Journal of Political Ideologies 5, S. 275-287. Echternach, Jürgen (1973): Der Kommentar, in Die Entscheidung 1/73, S. 6. Egen, Peter (1971): Die Entstehung des EAK der CDU/CSU. Diss. Univ. Bochum. Eichhorn, Wolfgang (1997): Agenda-Setting-Prozesse. Eine theoretische Analyse individueller und gesellschaftlicher Themenstrukturierung. München. Eiermann, Rudolf (1997): Ist die Bahnreform ein Erfolg?, in Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 20, S. 457-464. Eith, Ulrich und Mielke, Gerhard (2000): Die soziale Frage als "neue" Konfliktlinie? Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat und zur sozialen Gerechtigkeit und Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 1998, in: Deth, Jan van; Rattinger, Hans und Roller, Edeltraud (Hg.): Die Republik auf dem Weg zur Normalität? Wahlverhalten und politische Einstellungen nach acht Jahren Einheit. Opladen, S. 93-115 Elff, Martin (2000): Neue Mitte oder alte Lager?, in Deth, Jan van; Rattinger, Hans und Roller, Edeltraud (Hg.): Die Republik auf dem Weg zur Normalität? Wahlverhalten und politische Einstellungen nach acht Jahren Einheit. Opladen, S. 67-92. Ellwein, Thomas (1989): Krisen und Reformen. Die Bundesrepublik seit den sechziger Jahren. München. Elvert, Jürgen (2001): Gesellschaftlicher Mikrokosmos oder Mehrheitsbeschaffer im Reichstag? Das Zentrum 1918-1933, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 160-180. Eppler, Erhard (1976): Ende oder Wende: Von der Machbarkeit des Notwendigen. Stuttgart. Epstein, Leon D. (1967): Political Parties in Western Democracies. New Brunswick. Eschenburg, Theodor (1983): Jahre der Besatzung. 1945-1949. Stuttgart. Esser, Josef (1988): „Symbolic privatization“: the Politics of Privatization in West Germany, West European Politics 11, S. 61-73. Falke, Wolfgang (1982): Die Mitglieder der CDU. Eine empirische Studie zum Verhältnis von Mitglieder- und Organsiationsstruktur der CDU 1971-1977. Berlin. Falter, Jürgen W. (1998): Das Wahlverhalten in den alten und neuen Bundesländern bei der Bundestagswahl 1994, in Jesse, Eckhard und Löw, Konrad (Hg.): Wahlen in Deutschland. Berlin, S. 223-235. Farell, David und Wortmann, Martin (1987): Party strategies in the electoral market: Political marketing in West Germany, Britain and Ireland, in European Journal of Political Research 15, S. 297318. Farrell, David und Webb, Paul (2000): Political parties as campaign organisations, in Dalton, Russell und Wattenberg, Martin (Hg.): Parties without partisans. Oxford University Press. Oxford, S. 102-128. Farell, David (2002): Campaign Modernization and the West European Party, in Luther, Kurt Richard and Müller-Rommel, Ferdinand (Hg.): Political Parties in the New Europe. Oxford, S. 63-84. Feist, Ursula und Hoffmann, Hans-Jürgen (1999): Die Bundestagswahlanalyse 1998: Wahl des Wechsels, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 30, S. 215-251. Feist, Ursula; Güllner, Manfred und Liepelt, Klaus (1977): Strukturelle Angleichung und ideologische Polarisierung. Die Mitgliedschaft von SPD und CDU/CSU zwischen den sechziger und siebziger Jahren, in Politische Vierteljahrsschrift 18, S. 257-278. Feldkirchen, Wilfried (1998): Die Deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhundert. München.
Literatur
287
Fink, Ulf (1979): Soziale Marktwirtschaft. Grundsätze einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung, in Geißler, Heiner (Hg.): Grundwerte in der Politik. Analysen und Beiträge zum Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Frankfurt, S. 52-57. Fiorina, Morris (1981): Retroperspective Voting in American National Elections. New Haven. Fischer, Rolf (1969): Wirtschaftliche Mitbestimmung. Darstellung und Dokumentation. Neuwied. Flanagan, Scott und Dalton, Russell (1984): Parties under stress: Realignment and dealignment in advanced industrial societies, in West European Politics 7, S. 7-23. Focke, Franz (1978): Sozialismus aus christlicher Verantwortung. Die Idee des christlichen Sozialismus in der katholisch-sozialen Bewegung und in der CDU. Wuppertal. Fogarty, Michael (1995): The uncertain future of Christian democracy in Western Europe, in Oxford International Review 6, S.47-53. Fogarty, Michael (1995): Phoenix or Chesire Cat? Christian democracy past, present and Future? Movement for Christian democracy. Occasional Paper No. 4. Fogarty, Michael (1959): Christliche Demokratie in Westeuropa 1820-1953. Freiburg. Fratzscher, Arnold (1971): Die CDU in Niedersachsen. Die Demokratie der ersten Stunde. Wuppertal. Frese, Birgit (2000): Anstöße zur sozialen Reform. Hans Katzer, die Sozialausschüsse und ihre Vorschläge zur Schaffung einer partnerschaftlichen Wirtschaftsordnung. Diss. Univ. Düsseldorf. Friedberger, Walter (1983): Christliche Verantwortung und Soziale Marktwirtschaft aus katholischer Sicht, in Weigelt, Klaus (Hg.): Kirche und Wirtschaft. Melle, S. 111-120. Frings, Joseph (1949). Verantwortung und Mitverantwortung in der Wirtschaft. Was sagt die katholische Gesellschaftslehre über Mitwirkung und Mitbestimmung? Köln. Frings, Joseph (1974): Für die Menschen. Erinnerungen des Alterzbischofs von Köln Joseph Kardinal Frings. Köln. Fröhlich, Stefan (2001): „Auf den Kanzler kommt es an“: Helmut Kohl und die deutsche Außenpolitik. Persönliches Regiment und Regierungshandeln vom Amtsantritt bis zur Wiedervereinigung. Paderborn. Frühwald, Wolfgang (1977): Anfänge der katholischen Bewegung. Zur Parteinahme der Romantiker im Streit zwischen Kirche und Staat in den preußischen Westprovinzen 1819-1845, in Rheinische Vierteljahresblätter 41, S. 231-248. Fuchs, Jockel (1990): Rheinland-pfälzische Jahre, in Appel, Rheinhard (Hg.): Helmut Kohl im Spiegel der Macht. Bonn, S. 147-160. Fuest, Winfried (1993): Die Wirtschaft im neuen Grundsatzprogramm der CDU: Anmerkungen zum Diskussionsentwurf. Köln. Fysch, Peter (1990): Gaullism and the liberal challenge – How parties change their programme [Phd. University of London]. Gabel, Matthew und Huber, John (2000): Putting parties in their place: Inferring party left-right ideological positions from party manifestos data, in American Journal of Political Science 44, S. 94103. Gallagher, Michael; Laver Michael and Mair, Peter (1995): Representative Government in Modern Europe. London. Gante, Michael (1991): § 218 in der Diskussion. Meinungs- und Willensbildung. 1945-1976. Düsseldorf. Garret, Geoffrey (1998): Partisan Politics in the Global economy. Cambridge. Gassert, Philipp (2006): Kurt Georg Kiesinger: 1904-1988. Kanzler zwischen den Zeiten. München. Gauland, Alexander (1994): Helmut Kohl. Ein Prinzip. Berlin. Gauly, Thomas (1990): Kirche und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. 1945-1976. Bonn. Gauly, Thomas (1991): Katholiken. Machtanspruch und Machtverlust. Bonn. Gauly, Thomas (1993): Christlich-demokratische Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in Göhner, Reinhard (Hg.): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München, S. 260-269.
288
Literatur
Gebhardt, Hans-Peter (1991): Telekommunikationspolitik in Europa, in Grande, Edgar; Kulen, Rainer; Lembruch, Gerhard und Mäding, Heinrich (Hg.): Perspektiven der Telekommunikationspolitik. Opladen, S. 238-248. Geißler, Heiner (1975): Katholische Soziallehre und politische Praxis. o.O. Geißler, Heiner (1976a): Die sozialpolitischen Akzente der Union, in Mayer-Vorfelder, Gerhard und Zuber, Hubertus (Hg.): Union alternativ. Stuttgart, S. 277-291. Geißler, Heiner (1976b): Die Neue Soziale Frage. Analysen und Dokumente. Freiburg. Geppert, Dominik (2002): Thatchers konservative Revolution. Der Richtungswechsel der britischen Tories 1975-1979. München. Gerard, Emmanuel (2001): The emergence of a People’s Party: The Catholic Party in Belgium 19181945, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdeokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 98-121. Gerard, Elmar (1997): Christian Democracy in Belgium, in Lamberts, Emil (Hg.): Christian democracy in the European Union. Löwen, S. 65-78. Gerard, Emmanuel (1985): De Katholike Partjie in crisis. Parteijepolitik leven in België (1918-1940). Löwen. Gerard, Emmanuel (1995): De Christlijke Volkspartij en het Sociaal Pact na de Bevrijding (19441948), in Lytun, Dirk und Vanthemsche, Guy (Hg.): Het Sociaal Pact van 1944. Oorsprong, betekenis en gevlogen. Brüssel, S. 325-344. Gerard, Emmanuel (1996): Du Parti Catholique au PSC-CVP, in Dewachter, Wilfried u.a. (Hg.): Un Parti dans l’Histoire. 1945-1995. 50 ans d’action du Parti Social Chrétiens. Louvain-La-Neuve, S. 11-31. Gerard, Emmanuel und Wynants, Paul (Hg./ 1994): Histoire du Movements Ouvrir Chretien en Belgique. Löwen. Gerard, E. und Van den Wijngaert, M. (1982): Van katholike partij naar christelijke volkspartij. o.O. Gees, Thomas (2001): Erfolgreich als „Go-Between“. Die Schweizerische Volkspartei (SKVP) 19431971, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 425-463. Geyer, Matthias; Kurbjuweit, Dirk und Schnibben, Cordt (2005): Operation Rot-Grün. Geschichte eines politischen Abenteuers. München. Giersch, Herbert; Paqué und Schmieding, Holger (1992): The fading miracle. Four decades of market economy in Germany. Cambridge. Gilson, Etienne (1954): The Church speaks to the modern world. London. Ginsborg, Paul (1990): A History of Contemporary Italy. Society and Politics 1943-1988. London. Girvin, Brian (1988): Varieties of conservatism, in Girvin, Brian (Hg.): The transformation of contemporary conservatism. London, S. 1-12. Glotz, Peter (1984): Die Macht der Zuspitzung. Berlin. Glotz, Peter (2005): Von Heimat zu Heimat. Erinnerungen eines Grenzgängers. Berlin. Gniss, Daniela (2005): Der Politiker Eugen Gerstenmaier 1906-1986. Eine Biographie. Düsseldorf. Göbel, Stefan (1996): Verkehrs- und Telekommunikationspolitik, in Kohler-Koch, Beate und Woyke, Wichard (Hg.): Lexikon der Politik. Bd. 5: Die Europäische Union. München, S. 270-275. Godar, Jean-Charles (1973): Les fondaments idéologiques de la politique sociale allemande depuis 1945. Straßburg. Göhler, Gerhard und Klein, Ansgar (1993): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts, in Lieber, HansJoachim (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn, S. 259-657. Göhner, Reinhard (1990): Vom Rahmenfaktor zur Existenzbedingung: Umweltschutz beim wirtschaftlichen Handeln, in Wissmann, Matthias (Hg.): Deutsche Perspektiven. Unser Weg zum Jahr 2000. München, S. 84-93. Göhner, Reinhard (Hg.) (1993): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München. Göhner, Rheinhard (1995): Vernetzt denken – Verantwortlich handeln. Erneuerung von Politik und Gesellschaft. Bonn.
Literatur
289
Gotto, Klaus (1981): Verfolgung und Widerstand unter dem NS-Regime, in Buchstab, Günter und Gotto, Klaus (Hg.): Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten. München, S. 48-69. Gottschlach, Wilfried (1969): Ideengeschichte des Sozialismus in Deutschland, in Gottschlach, Wilfried; Karrenberg, Friedrich und Stegmann, Franz Josef (Hg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. München, S. 19-324. Grabow, Karsten (2000): Abschied von der Massenpartei. Die Entwicklung der Organisationsmuster von SPD und CDU seit der deutschen Vereinigung. Wiesbaden. Graf, Friedrich (1978) Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus. Stuttgart. Graf, Wolfgang (1972): Kirchliche Beeinflussungsversuche zu politischen Wahlen und Abstimmungen als Symptome für die Einstellung der katholischen Kirche zu Politik. Diss. Univ. Mainz. Grafe, Peter (1986): Schwarze Visionen. Die Modernisierung der CDU. Reinbeck. Grande, Edgar (1987): Neoconservativism and conservative-liberal economic policy in West Germany, in European Journal of Political Research 15, S. 281-296. Grande, Edgar (1989): Vom Monopol zum Wettbewerb? Die Neokonservative Reform der Telekommunikation in Großbritannien und in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden. Grasser, Ulrich (1973): Die CDU und die Junge Union, in Dittberner, Jürgen und Ebbighausen, Rolf (Hg.): Parteiensystem in der Legitimationskrise. Studien und Materialien zur Soziologie der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen, S. 327-348. Grebing, Helga (1995): Von der Mitbestimmung zur „Repräsentation der Arbeit“, in Giegel, Georg; Langhorst, Peter und Remele, Kurt (Hg.): Glaube in Politik und Zeitgeschichte. Paderborn, S. 169-178. Grebing, Helga (1981): Parteien, in Benz, Wolfgang (Hg.): Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden. Bd.1. München, S. 126-191. Gritz, Claus (1983): Die Junge Union. Kehl. Grogan, Gerladine (1991): Daniel O’Connell and the German Catholic movement. 1830-1850. Dublin. Gros, Jürgen (1998): Politikgestaltung im Machtdreieck Partei, Fraktion, Regierung. Zum Verhältnis von CDU-Parteiführungsgremien, Unionsfraktion und Bundesregierung 1982-1989 an den Beispielen der Finanz-, Deutschland- und Umweltpolitik. Berlin. Grosser, Manfred (1978): Die neue Soziale Frage, in Aus Politik und Zeitgeschichte 10/78, S. 3-14. Grottian, Peter; Krotz, Friedrich; Lütke, Günter und Pfarr, Heide (1988): Die Wohlfahrtswende. Der Zauber konservativer Sozialpolitik. München. Grotz, Claus-Peter (1983): Die Junge Union. Struktur – Funktion – Entwicklung der Jugendorganisation von CDU und CSU seit 1969. Kehl am Rhein. Gube, Frank; Richter, Gerhard und Thaysen, Uwe (1976): Politische Planung in Parteien und Parlamentsfraktionen. Göttingen. Gundelach, Herlind (1983): Die Sozialausschüsse zwischen CDU und DGB. Selbstverständnis und Rolle 1949-1966. Diss. Univ. Bonn. Günter, Klaus (1970): Der Kanzlerwechsel in der Bundesrepublik: Adenauer, Erhard, Kiesinger; eine Analyse zum Problem der intraparteilichen De-Nominierung eines Kanzlers und Nominierung eines Kanzlerkandidaten am Beispiel des Streits um Adenauers und Erhards Nachfolge. Hannover. Hackel, Wolfgang (1978): Die Auswahl des politischen Nachwuchses in der Bundesrepublik Deutschland. Die Junge Union als Sprungbrett für politische Karrieren in der CDU. Stuttgart. Hahn, Karl Josef (1990): Konsequent durchgehaltene Grundpositionen, in Becker, Winfried und Klepsch, Egon (Hg.): Zur Geschichte der christ-demokratischen Bewegung in Europa. Melle, S. 39-42. Hahn, Karl Josef (1967): Die christliche Demokratie in der internationalen Politik, in Civitas 2, S. 141-158.
290
Literatur
Hahn, Wilhelm (1996): Das Erbe des Kirchenkampfes: Christliche Verantwortung im politischen Raum, in Langguth, Gerd (Hg.): In Verantwortung für Deutschland. 50 Jahre CDU. Wien, S. 25-38. Hall, Peter (1993): Policy paradigms, social learning and the state. The case of economic policymaking in Britain, in Comparative Politics 25, S. 275-296. Hall, Peter und Taylor, Rosemary (1996): Political Science and the Three New Institutionalisms, in Political Studies 44, S. 936-957. Hanisch, Ernst (1999): Zwischen Klerikalismus und Wirtschaftsliberalismus: die ÖVP, in Wilhelm, Michael und Wuthe, Paul (Hg.): Parteien und Katholische Kirche. Fünf Studientage der Österreichischen Bischofskonferenz mit: FPÖ, Liberales Forum, SPÖ, ÖVP, Die Grünen, S. 129-133. Hanley, David (1994): Christian democracy as a political Phenomenon, in David Hanely (Hg.): Christian Democracy in Europe. A Comparative Perspective. London, S. 1-11. Hanley, David (1994): The European People’s Party: towards a new party form?, in David Hanely (Hg.): Christian Democracy in Europe. A Comparative Perspective. London, S. 185-201. Hanssler, Bernhard (1978): Der Pluralisierungsprozeß im deutschen Katholizismus und seine gesellschaftlichen Auswirkungen, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik. 1949-1963. Paderborn, S. 103-122. Harmel, Robert und Janda, Kenneth (1994): An integrated theory of party change, in Journal of Theoretical Politics 6, S. 259-287. Harmel, Robert u.a. (1995): Performance, leadership, factions and party change: An empirical analysis, in West European Politics 18, S. 1-33. Haungs, Peter (1980): Parteiendemokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin. Haungs, Peter (1983): Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und die Christlich Soziale Union in Bayern (CSU), in Veen, Hans-Joachim (Hg.): Christlich-demokratische und konservative Parteien in Westeuropa 1. Paderborn, S. 9-194. Haungs, Peter (1988): Die CDU in den achtziger Jahren. Anmerkungen zur Organisation und Strategie, in Breitling, Rupert und Gellner, Winand (Hg.): Machiavellismus. Parteien und Wahlen. Medien und Wahlen. Zum 65. Geburtstag von Erwin Faul. Gerlingen, S. 87-105. Haungs, Peter (1989a): Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich: Adenauers Nachfolger, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 1-2/89, S. 28-39. Haungs, Peter (1989b): Kontraproduktive Effekte einer Modernisierung von oben? Die CDU: Krise einer modernisierten Volkspartei? Entwicklung und Probleme der Parteiorganisation, in Der Bürger im Staat 39, S. 237-241. Haungs, Peter (1991): Parteipräsidien als Entscheidungszentren der Regierungspolitik – Das Beispiel der CDU, in Hartwich, Hans-Hermann und Wewer, Göttrik (Hg.): Regieren. Bd 2. Opladen, S. 113-124. Haungs, Peter (1992a): Die CDU im Parteiensystem des vereinten Deutschlands, in Eisenmann, Peter und Hirscher, Gerhard (Hg.): Die Entwicklungen der Volksparteien im vereinten Deutschland. München, S. 11-26. Haungs, Peter (1992b): Persönliche und politische Parteien – ein Alternative, in ders. u.a. (Hg.): Civitas. Widmungen für Bernhard Vogel zum 60. Geburtstag. Paderborn, S. 573-585. Hehl, Ulrich von (1999): Konfessionelle Irritationen in der frühen Bundesrepublik, in HistorischPolitische Mitteilungen 6, S. 167-187. Heidar, Knut (1994): The polymorphic nature of party membership, in European Journal of Political Research 25, S. 61-86. Heidenheimer, Arnold (1958): Schattierungen im Röntgenbild der Christlichen Demokraten, in Die neue Gesellschaft 5, S. 172-181. Heidenheimer, Arnold (1960): Adenauer and the CDU: The rise of the leader and the integration of the party. The Hague. Hellwig, Fritz und Neumann, Manfred (1987): Economic Policy in Germany: Was there a turnaround?, in Economic Policy 5, S. 105-147. Helms, Ludger (2001): Die „Kartellparteien“-These und ihrer Kritiker, in Politische Vierteljahresschrift 42, S. 698-708.
Literatur
291
Hennecke, Hans Jörg (2003): Die dritte Republik. Aufbruch und Ernüchterung. München. Hennis, Wilhelm (1998): Auf dem Weg in den Parteienstaat. Aufsätze aus vier Jahrzehnten. Stuttgart. Hermann, Frank (1976): Vom Kurfürst zum Kanzler. Person. Politik. Programm. Bonn. Herms, Eilert (2001): Menschenbild und Menschenwandel. Gütersloh. Herr, Theodor (1987): Katholische Soziallehre. Eine Einführung. Paderborn. Herwig, Stalpaert (1986): Het CVP- Kerstprogramma van 1945. Lic.-Arb. Universität Löwen. Heusgen, Christoph (1981): Ludwig Erhards Lehre von der Sozialen Marktwirtschaft. Ursprünge, Kerngehalt, Wandlungen. Bern. Hine, David (1993): Governing Italy. The politics of bargaining pluralism. Oxford. Hinkelammert, Franz (1976): Die Radikalisierung der Christdemokraten. Vom parlamentarischen Konservatismus zum Rechtsradikalismus. Berlin. Hinrichs, Jan-Peter (2002): Wir bauen eine Themenpark. Wähler werden doch mit Inhalten gewonnen – durch Issues-Mangement, in Althaus, Marco (Hg.): Kampagne. Neue Strategien für Wahlkämpfe, PR und Lobbying. Münster, S. 45-64. Hix, Simon (1995): Parties at the European level and the legitimate of EU socio-economic policy, in Journal of Common Market Studies 33, S. 527-554. Hix, Simon (1998): A comparative perspective on democracy in the European Union, in West European Politics 21, S.19-52. Hix, Simon (1999): The political system of the European Union. Basingstoke Hix, Simon und Lord, Christopher (1997): Political Parties in the European Union. Basingstoke. Hockerts, Hans Günter (1980): Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957. Düsseldorf. Hockerts, Hans Günter (1985): Bürgerliche Sozialreform nach 1945, in vom Bruch, Rüdiger (Hg.): Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform vom Vormärz bis zur Ära Adenauer. München, S. 245-273. Hockerts, Hans Günter (1986): Integration der Gesellschaft: Gründungskrise und Sozialpolitik in der frühen Bundesrepublik, in Zeitschrift für Sozialreform 32, S. 25-41. Hockerts, Hans Günter (1990): Metamorphosen des Wohlfahrtsstaats, in Broszat, Martin (Hg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Opladen, 35-46. Höfling, Wolfram (1980): Die Vereinigungen der CDU. Eine Bestandsaufnahme zur Organisationsstruktur, Finanzen und personelle Repräsentanz, in Kaack, Heino und Roth, Reinod (Hg.): Handbuch des deutschen Parteiensystems. Struktur und Politik zu Beginn der achtziger Jahre. Band 1: Parteistrukturen und Legitimation des Parteiensystems. Opladen, S. 125-152. Höfling, Wolfram (1980): Funktionsprobleme des Vereinigungssystems der CDU, in Kaack, Heino und Roth, Reinod (Hg.): Handbuch des deutschen Parteiensystems. Struktur und Politik zu Beginn der achtziger Jahre. Band 1: Parteistrukturen und Legitimation des Parteiensystems. Opladen, S. 153-174. Hoffbret, Richard und Klingemann, Hans-Dieter (1990): The policy impact of party programmes and government declarations in the Federal Republic of Germany, in European Journal of Political Research 18, S. 277-304. Höffner, Josef (1949): Katholik und Sozialismus. Ein klares Wort an die deutschen Katholiken. o.O. Höffner, Josef (1968). Christliche Gesellschaftslehre. Kevelaer. Holz, Marcus (1992): Christliche Weltanschauung als Grundlage von Parteipolitik. Eine Analyse des genuin Christlichen in der frühen CDU/CSU (1945-50) aus der Betrachtung des christlichen Menschenbildes und seiner ideengeschichtlichen Hintergründe. [Diss. BW Universität München] Homeyer, Immo (1998): Die Ära Kohl im Spiegel der Statistik. Ein statistischer Überblick über die Beschäftigungs-, Finanz- und Sozialpolitik seit 1982, in Wewer, Göttrik (Hg.): Bilanz der Ära Kohl. Christlich-liberale Politik in Deutschland 1982-1998. Opladen, S. 333-355. Honecker, Martin (2001): Evangelische Sozialethik, in Historisch-Politische Mitteilungen 8, S. 33-44. Horn, Gerd-Rainer (2001): Left Catholicism in Western Europe in the 1940s, in Horn, Gerd-Rainer und Gerard, Emmanuel (Hg.): Left Catholicism. 1943-1955. Catholics and Society in Western Europe at the Point of Liberation. Löwen, S. 13-44.
292
Literatur
Horner, Franz (1981a): Konservative und christdemokratische Parteien in Europa. Wien. Horner, Franz (1981b): Christliche Demokratie und Konservativismus, in Pelinka, Anton (Hg.): Ideologien im Bezugsfeld von Geschichte und Gesellschaft. Innsbruck, S. 187-200. Horner, Franz (1984): Christlich-demokratische Programmatik und der Typus Volkspartei, in Koren, Stephan (Hg.): Politik für die Zukunft. Festschrift für Alois Mock, S. 125-139. Horner, Franz (1987): Die Kirche und die christliche Politik, in Concilium 23, S. 372-378. Horner, Franz (1999): Die Österreichische Volkspartei zwischen christlicher Demokratie und (Neo)konservativismus, in Wilhelm, Michael und Wuthe, Paul (Hg.): Parteien und Katholische Kirche. Fünf Studientage der Österreichischen Bischofskonferenz mit FPÖ, Liberales Forum, SPÖ, ÖVP, Die Grünen. Graz, S. 134-140. Hossfeld, Frank-Lothar (1993): Grundzüge des biblischen Menschenverständnisses, in Rauscher, Anton (Hg.): Christliches Menschenbild und soziale Orientierung. Köln, S. 9-26. Huber, Evelyne; Ragin, Charles und Stephens, John (1993): Social democracy, Christian democracy, constitutional structure and the Welfare state, in American Journal of Sociology 99, S. 711-749. Huber, John und Inglehart, Ronald (1995): Expert interpretations of party space and party locations in 42 societies, in Party Politics 1, S. 73-111. Hubert, Bernhard (1996): Jacques Maritain en Europe. La réception de sa pensée. Paris. Hucke, Jochen (1990): Umweltpolitik: Die Entwicklung eines neuen Politikfeldes, in Beyme, Klaus von und Schmidt, Manfred G. (Hg.): Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen, S. 382-398. Humphreys, Peter (1992): The Politics of Regulatory Reform in German Telecommunications, in Dyson, Kenneth (Hg.): The Politics of German Regulation. Aldershot, S. 105-135. Huneeus, Carlos (1996): How to Build a Modern Party: Helmut Kohl’s leadership and the Transformation of the CDU, in German Politics 3, S. 432-459. Hürten, Heinz (1985): Der Topos vom christlichen Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden Weltkriegen, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus, nationaler Gedanke und Europa seit 1800. Paderborn, S. 131-154. Hürten, Heinz (1990): Normative Orientierung christlicher Parteien. Eine historische Betrachtung, in Stimmen der Zeit 208, S. 407-414. Hürten, Heinz (1994): Der Beitrag christlicher Demokraten zum geistigen und politischen Wiederaufbau und zur europäischen Integration nach 1945: Bundesrepublik Deutschland, in ders. (Hg.): Katholiken, Kirche und Staat als Problem der Historie. Ausgewählte Aufsätze 1963-1992. Paderborn, S. 257-267. Hürten, Heinz (1994): Die Bundesrepublik und ihre Katholiken, in ders. (Hg.): Katholiken, Kirche und Staat als Problem der Historie. Ausgewählte Aufsätze 1963-1992. Paderborn, S. 268-281. Hürten, Heinz (1994): Der Einfluß Jacques Maritains auf das Politische Denken in Deutschland, in ders. (Hg.): Katholiken, Kirche und Staat als Problem der Historie. Ausgewählte Aufsätze 19631992. Paderborn, S. 308-322. Hürten, Heinz (1999): Konrad Adenauer und die katholische Kirche, in Hehl, Ulrich von (Hg.): Adenauer und die Kirchen. Bonn, S. 29-42. Huster, Ernst-Ulrich (1989): Konsens im sozialen Konflikt: zur Relativität sozialer Gerechtigkeit aus kirchlicher Sicht. Die wirtschafts- und sozialpolitische Programmatik der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, in Abromeit, Heidrun und Wewer, Göttrik (Hg.): Die Kirchen und die Politik. Beiträge zu einem ungeklärten Verhältnis. Wiesbaden, S. 180-200. Hüwel, Detlev (1980): Karl Arnold. Eine politische Biographie. Wuppertal. Ignazi, Piero (1996): The crisis of parties and the rise of new political parties, in Party Politics 2, S. 549-566. Immerfall, Stefan (1998): Strukturwandel und Strukturschwächen der deutschen Mitgliederparteien, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 1-2/98, S. 3-12. Inglehart, Ronald und Rabier, Jacques (1986): Political Realignment in Advanced Industrial Society: From Class-Based Politics to Quality-of-Life Politics, in Government and Opposition 21, S. 456-479.
Literatur
293
Inglehart, Ronald und Minkenberger, Michael (2000): Die Transformation religiöser Werte in entwickelten Industriegesellschaften, in Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien (Hg.): Religion und Politik. Zwischen Universalismus und Partikularismus. Opladen, S. 125-138. Irving, Roland (1979a): The Christian democratic Parties of Western Europe. Irving, Roland (1979b): Christian Democracy in Post-War Europe: Conservativism Wright-Large or Distinctive Political Phenomenon, in West European Politics 2, S. 53-68. Irwin, Galen (1998): Ups and Downs on the Right: The VVD and CDA in the Netherlands, in Wilson, Frank (Hg.): The European Center-Right at the End of the Twentith Century. New York, S. 139170. Jacobs, Jörg (2000): Die konfessionell-religiöse Spannungslinie bei der Bundestagswahl 1998, in Pickel, Gert; Walz, Dieter und Brunner, Wolfram (Hg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems, S. 141-164. Jadoulle, Jean-Louis (1996): L’évolution du programme du Parti Social Chrétien/Christelike Volkspartij (Noël 1945-1968) Éléments pour une histoire des idées social-chrétienns, in Dewachter, Wilfried u.a. (Hg.): Un Parti dans l’Histoire. 1945-1995. 50 ans d’action du Parti Social Chrétiens. Louvain-La-Neuve, S. 11-31. Jäger, Wolfgang (1976): Adenauers Einwirkung auf die programmatische Entwicklung der CDU 1945 bis 1949 in der Frage der Wirtschaftsordnung, in Blumenwitz, Dieter u.a. (Hg.): Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Stuttgart, S. 427-452. Jäger, Wolfgang (1988): Von der Kanzlerdemokratie zur Koordinationsdemokratie, in Zeitschrift für Politik 35, S. 15-32. Jäger, Wolfgang (1996): Die Zukunft der Volkspartei, in Langguth, Gerd (Hg.): In Verantwortung für Deutschland. 50 Jahre CDU. Wien, S. 121-136. Jäger, Wolfgang und Walter, Michael (1998): Die Allianz für Deutschland. CDU, Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union 1989/90. Wien. Jagodzinski, Wolfgang und Kühnel, Stefan (1997): Werte und Ideologien im Parteienwettbewerb, in Gabriel, Oscar, Niedermayer, Oscar und Stöss, Richard (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Wiesbaden, S.209-232. Jagodzinski, Wolfgang und Dobelaere, Karel (1994): Secularization and Church religiosity, in Deth, Jan van (Hg.): The Impact of Values. Oxford, S. 76-120. Jähnichen, Traugott (1993): Vom Industrieuntertan zum Industriebürger. Der soziale Protestantismus und die Entwicklung der Mitbestimmung. 1848-1955. Bochum. Jansen, Thomas (1990): Christlich-demokratisch und/oder konservativ, in Sonde 23, S. 42-49. Jansen, Thomas (1995): Die Europäischen Parteien, in Weidenfeld, Erner und Wessels, Wolfgang (Hg.) Jahrbuch der Europäischen Integration 1995/1996, S. 263-265. Jansen, Thomas (1996): Zur Entstehung einer Europäischen Partei. Geschichte und Struktur der Europäischen Volkspartei. Bonn. Jeffery, Charlie (1999): Germany: From Hyperstability to change?, in Broughton, David und Donovan, Mark (Hg.): Changing party systems in Western Europe. London, S. 96-117. Johansson, Karl Magnus (1997): ‘Transnational party alliance’. Analysing: The hard-won alliance between conservatives and Christian Democrats in the European Parliament. Lund. Johansson, Karl Magnus (1998): The transnationalisation of party politics, in Bell, David und Lord, Christopher (Hg.): Transnational parties in the European Union. Aldershot, S. 28-50. John, Antonius (1991): Rudolf Seiters. Einsichten in Amt, Person und Ereignisse. Bonn. Jostock, Paul (1955): Das Sozialprodukt und seine Verteilung. Paderborn. Jox, Markus und Schmid, Josef (2002): Zurück zum Kanzlerwahlverein? Die CDU in den neunziger Jahren, in Süß, Werner (Hg.): Deutschland in den neunziger Jahren. Politik und Gesellschaft zwischen Wiedervereinigung und Globalisierung. Opladen, S. 71-82. Jun, Uwe (2002): Professionalisiert, mediatisiert und etatisiert. Zur Lage der deutschen Großparteien am Beginn des 21. Jahrhunderts, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 33, S. 770-789.
294
Literatur
Jun, Uwe (2000): Die CDU: Behutsamer Übergang in der Zeit nach Kohl, in Pickel, Gert; Walz, Dieter und Brunner, Wolfram (Hg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen, S. 207-226. Jung, Matthias und Roth, Dieter (1998): Wer zu spät kommt, den bestraft der Wähler. Eine Analyse der Bundestagswahl 1998, in Aus Politik und Zeitgeschichte B52/98, S. 3-19. Jungnitz, Ingobert (1972): Bischof Wilhelm E. von Ketteler. Stationen seines Lebens. Mainz. Kaack, Heno (1971): Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems. Opladen. Kaase, Max und Gibowski, Wolfgang (1990): Deutschland im Übergang: Parteien und Wähler vor der Bundestagswahl 1990, in Aus Politik und Zeitgeschichte B37-38/90, S. 14-26. Kaiser, Wolfram (2000): Co-operation of European Catholic Politicians in Exile in Britain and the USA during the Second World War, in Journal of Contemporary History 35, S. 439-465. Kaltefleiter, Werner (1968): Wirtschaft und Politik in Deutschland. Konjunktur als Bestimmungsfaktor des Parteiensystems. O.O. Kaltefleiter, Werner (1970): Analytische Anmerkungen zum Bundestagswahlergebnis 1969, in Gölter, Georg und Pieroth, Elmar (Hg.): Die Union in der Opposition. Analyse – Strategie – Programm. Düsseldorf, S. 11-28. Kaltefleiter, Werner (1996): Die Kanzlerdemokratie des Helmut Kohl, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 27, S. 27-37. Kalyvas, Stathis (1996): The Rise of Christian Democracy in Europe. Ithaca. Kalyvas, Stathis (1998): From Pupilt to Party. Party Formation and the Christian Democratic Phenomenon, in Comparative Politics 30, S. 293-312. Kalyvas, Stathis (1998): Democracy and Religious Politics. Evidence from Belgium, in Comparative Political Studies 31, S. 292-320. Kaßnitz, Ute (1979): Grundpositionen in der Strategie und in der parlamentarischen Auseinandersetzung der CDU/CSU-Opposition in der 7. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Diss. Univ. Bochum. Karoven, Lauri (1994): Christian parties in Scandinavia: victory over windmills?, in Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. A comparative perspective. London, S. 121-141. Kaste, Hermann und Raschke, Joachim (1977): Zur Politik der Volkspartei, in Narr, Wolf-Dieter (Hg.): Auf dem Weg zum Einparteienstaat. Opladen, S. 26-74. Katz, Richard (2002): Internal party life, in Luther, Richard und Müller-Rommel, Ferdinand (Hg.): Political parties in the New Europe. Oxford, S. 87-118. Katz, Richard (1996): The electoral reform and the transformation of party politics in Italy, in Party Politics 2, S. 31-53. Katz, Richard und Mair, Peter (1995): The emergence of the Cartel party, in Party Politics 1, S. 5-28. Katzer, Hans (1969): Aspekte moderner Sozialpolitik. Köln. Katzenbach, Friedrich Wilhelm (1987): Politischer Protestantismus: historische Profile und typische Konstellationen seit 1800. Saarbrücken. Kaufmann, Franz-Xaver (1988): Christentum und Wohlfahrtsstaat, in Zeitschrift für Sozialreform 34, S. 65-89. Kaufmann, Franz-Xaver (1989): Religion und Moderne. Sozialwissenschaftliche Perspektiven. Tübingen. Kavanagh, Dennis (1981): The Politics of Manifestos, in Parliamentary Affairs 34, S. 7-27. Kellermann, Charlotte und Rattinger, Hans (2002): Composition and Political Orientation of the „Center“ in Germany, in Clemens, Clay und Herischer, Gerhard (Hg.): Christian-Democratic and Center-Right Parties in Europe and North America: Selected Perspectives. München, S. 25-46. Keman, Hans (1993): Theoretical Approaches to Social Democracy, in Journal of Theoretical Politics 5, S. 291-316. Kentmann, Rosemarie (1985): Umweltpolitik in der Opposition. Von den frühen Denkanstößen zur Zukunftsperspektive, in Wolf, Werner (Hg.): CDU Hessen. 1945-1985. Politische Mitgestaltung und Kampf um die Mehrheit. Köln, S. 161-173.
Literatur
295
Kersbergen, Kees van (1994): The distinctiveness of Christian Democracy, in Hanley, David (Hg.): The distinctiveness of Christian Democracy. A comparative perspective. London, S.31-50. Kesbergen, Kees van (1995): Social Capitalism. A study of Christian democracy and the welfare state. London. Kersbergen, Kees van (1999): Contemporary Christian Democracy and the Demise of the Politics of Mediation, in Kitschelt, Herbert u.a. (Hg.): Continuity and Change in Contemporary Capitalism. Cambridge, S. 346-370. Key, Valdemir Orlando (1955): A Theory of Critical Elections, in Journal of Politics 17, S. 3-18. Key, Valdemir Orlando (1964): Politics, parties and pressure groups. New York. Kiep, Walther Leisler (1976): FDP und SPD übernahmen unseren CDU-Vorschlag, in ManagerMagazin 2, S. 22-23. Kießling, Andreas (2003): Machterhalt und Machterneuerung. Wiesbaden. Kinsky, Ferdinand (1979): Personalism and Federalism, in Publius. The Journal of Federalism 9, S. 132-156. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (1985): Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung: Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz. Gütersloh. Kirchheimer, Otto (1967): The transformation of the Western european party system, in Mair, Peter (Hg./1990): The West European Party System Change. Oxford, S. 177-200. Kitschelt, Herbert (1995): A Silent Revolution in Europe?, in Hayward, Jack und Page, Edward (Hg.): Governing the New Europe. Durham, S. 123-165. Kitschelt, Herbert (1989): The internal politics of parties: The law of curvilinear disparity revisited, in Political Studies 37, S. 400-421. Klein, Markus und Falter, Jürgen W. (2003): Der lange Weg der Grünen. München. Kleinmann, Hans-Otto (1992) Die Geschichte der CDU. Stuttgart. Kleinmann, Hans-Otto (2002): 1969-1982, in Becker, Winfried u.a. (Hg.): Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland. Paderborn, S. 78-85. Kleßmann, Christoph (51991): Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn. Klingemann, Hans-Dieter und Volkens, Andrea (1997): Struktur und Entwicklung von Wahlprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1994, in Gabriel, Oskar; Niedermayer, Oskar und Stöss, Richard (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Wiesbaden, S. 517-536. Klingemann, Hans-Dieter; Hofferbert, Richard und Budge, Jan (1993): Parties, policies, and democracy. Boulder. Klingemann, Hans-Dieter (1987): Election programmes in West Germany: 1949-1980 explorations in the nature of the political controversy, in Budge, Ian; Robertson, David und Hearl, Derek (Hg.): Ideology, Strategy and Party Change. Cambridge, S. 294-323. Klönne, Arno (1990): Arbeiterkatholizismus. Zur Geschichte des Sozialkatholizismus in Deutschland, in Ludwig, Heiner und Schröder, Wolfgang (Hg.): Sozial- und Linkskatholizismus. Erinnerung – Orientierung – Befreiung. Frankfurt am Main, S. 32-45. Knauss, Fritz (1993): Privatisierung in der Bundesrepublik Deutschland. 1983-1990, in ders. (Hg.): Privatisierungs- und Beteiligungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden, S. 121-193. Kneuer, Maianne (2000): Die Zukunftsfähigkeit der Christdemokratie ist keine Schicksalsfrage. In Europa drängt alles in die Mitte, in Die Politische Meinung 367, S. 17-20. Knill, Christoph und Lehmkul, Dirk (2000): An Alternative Route of European Integration: The Community’s Railways Policy, in West European Politics 23, S. 65-88. Knirsch, Thomas (2003): Wahlkampf, Wahlwerbung und Wertewandel: die Bundestagswahlkämpfe der CDU und SPD von 1949-1994. Diss. Univ. Bonn. Knoblich, Axel (1989): Die Vorstellungen der Sozialausschüsse und des Wirtschaftsrates der CDU e.V. vom Sozialstaat. Mag.-Arbeit Univ. Mainz. Knutsen, Oddbjorn (1998): Expert judgements of the left-right location of political parties in West European countries: a comparative longitudinal study, in West European Politics 21, S. 63-94.
296
Literatur
Koch, Woldemar (1963): Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, in Beckerath, Erwin von und Giersch, Herbert (Hg): Probleme der normativen Ökonomik und der wissenschaftlichen Beratung. Berlin, S. 405-420. Koch, Roland (1993): Grundwerte in der pluralen Gesellschaft, in Göhner, Reinhard (Hg.): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München, S. 37-45. Koelble, Thomas (1995): The New Institutionalism in Political Science and Sociology, in Comparative politics 27, S. 231-243. Koecke, Johannes und Sachs, Matthias (2003): Religion – Politik – Gesellschaft. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage. Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung. Berlin. Köhler, Henning (1994): Adenauer. Eine politische Biographie. 2 Bände. Frankfurt am Main. Köhler, Thomas (1992): Auf der Suche nach der einen Wahrheit. Eine Analyse christdemokratischer Programmatik von Democrazia Cristiana, ÖVP und CDU/CSU. Diss. Univ. Wien. König, Klaus (1988): Developments in Privatization in the Federal Republic of Germany: Problems, Status, Outlook, in International Review of Administrative Sciences 54, S. 517-551. König, Thomas und Liebert, Ulrike (1996): Germany: Party influence or chancellor rule?, in Blondel, Jean (Hg.): Party and Government. An inquiry into the relationship between Governments and Supporting parties in liberal democracies. London, S. 78-90. Koerfer, Damiel (1999): Ludwig Erhard (1897-1977), in Oppelland, Torsten (Hg.): Deutsche Politiker 1949-1969. Band 1. Darmstadt, S. 152-162. Koerfer, Daniel (1987): Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer. Stuttgart. König, Klaus (1988): Developments in Privatization in the Federal Republic of Germany: Problems, Status, Outlook, in International Review of Administrative Sciences 54, S. 517-551. Konrad-Adenauer-Stiftung (1978): Die europäischen Parteien der Mitte. Analysen und Dokumente zur Programmatik christlich-demokratischer und konservativer Parteien Westeuropas. Handbücher der Politischen Akademie Eichholz Bd. 6. Eichholz. Konrad-Adenauer-Stiftung (1995): Kleine Geschichte der CDU. Koole, Ruud (1996): Cadre, Catch-all or cartel. A comment on the notion of the cartel party, Party Politics 2, S. 509-526. Koopmans, Ruud (1996): New Social Movements and Changes in Political Participation in Western Europe, in West European Politics 19, S. 28-50. Korte, Karl-Rudolf (2002): Die Regierungserklärung: Visitenkarte und Führungsinstrument der Kanzler, in ders (Hg.): „Das Wort hat der Herr Bundeskanzler“. Eine Analyse der großen Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. Wiesbaden, S. 11-32. Korte, Karl-Rudolf (1998a): The Art of Power: The „Kohl System“, Leadership and Deutschlandpolitik, in Clemens, Clay und Paterson, William (Hg.): The Kohl Chancellorship. London, S. 64-90. Korte, Karl-Rudolf (1998b): Kommt es auf die Person des Kanzlers an?: zum Regierungsstil von Helmut Kohl in der „Kanzlerdemokratie“ des deutschen „Parteienstaates“, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 29, S. 387-401. Korte, Karl-Rudolf (2000): Wie Parteien auf komplexe Wählermärkte reagieren: Das Beispiel der CDU, in Blätter für deutsche und internationale Politik 45, S. 707-716. Korte, Hermann (1987): Eine Gesellschaft im Aufbruch. Die Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren. Frankfurt am Main. Kraiker, Gerhard (1972): Politischer Katholizismus in der BRD. Eine ideologische Analyse. Stuttgart. Krämer, Ralf (1999): Abkehr vom Reformismus. Vom Berliner Programm zur „neuen Sozialdemokratie“, in Klönne, Arno (Hg.): Der lange Abschied von der Sozialdemokratie. Hamburg, S. 146- 154. Kramer, Rolf (1983): Christliche Verantwortung und Soziale Marktwirtschaft aus evangelischer Perspektive, in Weigelt, Klaus (Hg.): Kirche und Wirtschaft. Melle, S. 121-132. Kramer, Gertrud und Kramer, Johannes (1976). Die Einflüsse der Sozialausschüsse der ChristlichDemokratischen Arbeitnehmerschaft auf die CDU. Ein Beitrag zur Parteientheorie, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 46/76, S. 17-46.
Literatur
297
Krause-Burger, Sibylle (1984): Wer uns jetzt regiert. Stuttgart. Kremendahl, Hans (1975): Parteiprogramme in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, in Hergt, Siegfried (Hg.): Parteiprogramme. Opladen, S. 9-37. Krockow, Christian Graf von (1986): Wozu brauchen wir eigentlich Parteien? in ders. und Lösche, Peter (Hg.): Parteien in der Krise. Das Parteiensystem der Bundesrepublik und der Aufstand des Bürgerwillens. München, S. 10-19. Kormphardt, Jürgen (1984): Die neue Wirtschaftspolitik in Großbritannien und den USA. Ein Vorbild für die westdeutsche Wirtschaftspolitik?, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 12/84, S. 21-32. Krieger, Gerhard (1995): Franz Josef Strauß und die zweite Epoche in der Geschichte der CSU, in Hans-Seidel Stiftung (Hg.): Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU. 1945-1995. München, S. 163-194. Küchler, Manfred (1990): Ökologie statt Ökonomie: Wählerpräferenzen im Wandel?, in Kaase, Max und Klingemann, Hans-Dieter (Hg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1987. Opladen, S. 419-444. Kühnhardt, Ludger (2004): Das christlich-demokratische Gesellschaftsmodell und die Folgen von 1989, in Buchstab, Günter und Uertz, Rudolf (Hg.): Christliche Demokratie im zusammenwachsenden Europa. Entwicklungen. Programmatik. Perspektiven. Freiburg. Kühr, Herbert (1974): Probleme der innerparteilichen Demokratie in der CDU, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 34-35/74, S. 3-16. Küpper, Jost (1985): Die Kanzlerdemokratie. Voraussetzungen, Strukturen und Änderungen des Regierungsstils in der Ära Adenauer. Frankfurt am Main. Laitenberger, Volkhard (1986): Ludwig Erhard. Der Nationalökonom als Politiker. Göttingen. Lamberts, Emiel (1997): Christian Democracy in the European Union, in Lamberts, Emil (Hg.): Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, S. 473-481. Lamberts, Emiel (1996): Du personalisme au social-personalisme (1968-1995), in Dewachter, Wilfried u.a. (Hg.): Un Parti dans l’Histoire. 1945-1995. 50 ans d’action du Parti Social Chrétiens. Louvain-La-Neuve, S. 365-376. Lamberts, Emiel (2000): La démocratie chrétienne en Europe comme expression politique des religions chrétiennes: essor et décline (1945-2000), in Social Compass 47, S. 113-125. Landfried, Christine (1994): Parteifinanzen und politische Macht. Baden-Baden. Lange, Hans-Jürgen (1995): Responsivität und Organisation. Eine Studie über die Modernisierung der CDU von 1973-1989. Marburg. Langguth, Gerd (2001): Das Innenleben der Macht. Krise und Zukunft der CDU. Berlin. Langner, Albrecht (1980): Wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen im deutschen Katholizismus 19451963, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 19451963. Paderborn, S. 27-108. Lapalombra, Josph und Weiner, Myron (1966): The origin of political parties, in Mair, Peter (Hg.): The West European Party System. Oxford, S. 25-30. Lappenküper, Ulrich (2001): Zwischen “Sammlungsbewegung” und “Volkspartei”. Die CDU 19451969, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 385-398. Laver, Michael (1992): Are Irish parties peculiar?, in British Journal of Political Science 79.S. 35-54. Laver, Michael und Hunt, Ben (1992): Policy and party competition. London. Lawson, Kay (1994): Conclusion: Towards a Theory of How Political parties Work, in ders. (Hg.): How Political Parties Work. Perspectives from Within. Westport, S. 285-303. Lawson, Kay und Merkel, P.H. (1988): When parties fail – emerging alternative organizations. Princeton. Lawson, Kay (1980): Political parties and linkage, in ders. (Hg.): Political parties and Linkage. A comparative perspective. New Haven, S. 3-24. Layton-Henry, Zig (1982): Conservativism and Conservative Politics in ders. (Hg.): Conservative politics in Western Europe. New York, S. 1-21.
298
Literatur
Leggewie, Claus (1987): Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin. Lehmbruch, Gerhard (1970): Einführung in die Politikwissenschaft. Stuttgart. Lehmbruch, Gerhard (1991): Telekommunikation: Ein Politikfeld im Wandel, in Grande, Edgar; Kulen, Rainer; Lembruch, Gerhard und Mäding, Heinrich (Hg.): Perspektiven der Telekommunikationspolitik. Opladen, S. 10-15. Lehmbruch, Gerhard (2000): Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Regelsysteme und Spannungslagen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. Lehmkuhl, Dirk (1996): Privatizing to Keep it Public? The Reorganization of the German Railways, in Benz, Arthur und Goetz, Klaus H. (Hg.): A New German Public Sector? Reform, Adaptation and Stability. Aldershot, S. 71-92. Lehmkuhl, Dirk und Herr, Christof (1994): Reform im Spannungsfeld von Dezentralisierung und Entstaatlichung: Die Neuordnung des Eisenbahnwesens in Deutschland, Politische Vierteljahresschrift 35, S. 631-657. Lehnert, Detlef (1985): Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 18481983. Frankfurt am Main. Leinemann, Jürgen (1998): Helmut Kohl. Die Inszenierung einer Karriere. Berlin. Lenz, Carl Otto (1971): Strategie und Taktik der Unions-Fraktion in der Opposition, in Gölter, Georg und Pieroth, Elmar (Hg.): Die Union in der Opposition. Analyse – Strategie – Programm. Düsseldorf, S. 119-131. Leonardi, Robert und Wertman, Douglas (1989): Italian Christian Democracy. The Politics of Dominance. London. Lepsius, M. Rainer (1966): Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in ders. (Hg. /1993): Demokratie in Deutschland. Göttingen, S. 2550. Linz, Juan (1967): Cleavage and Consensensus in West German Politics: The early fifties, in Lipset, Seymour und Rokkan, Stein (Hg.): Party systems and voter alignments: Cross-National Perspectives. New York, S. 283-322. Lijphart, Arend (1971): Comparative Politics and the Comparative Method, in The American Political Science Review 65, S. 682-693. Lijphart, Arend (1984): Democracies. Patterns of Majoritarian and Consensus Government in Twenty-One Countries. Yale. Lipset, Seymour Martin und Rokkan, Stein (1967): Cleavage Structures, party systems, and voter alignments, in Mair, Peter (Hg./ 1990]): The West European Party System. Oxford, S. 91-138. Lohse, Eckhart (1990): Helmut Kohl als Oppositionsführer 1976 bis 1982, in Appel, Reinhard (Hg.): Helmut Kohl im Spiegel seiner Macht. Bonn, S. 129-146. Lompe, Klaus (1975): Möglichkeiten und Grenzen politischer Planung in parlamentarischen Demokratien mit marktwirtschaftlicher Ordnung. Hannover. Longchamp, Claude (2000): Themenhierarchisierung und Klimaerzeugung: Überlegungen zur Bedeutung des “agenda setting”- Ansatzes für die Analyse und Gestaltung von politischen Kampagnen am Beispiel der schweizerischen Nationalratswahlen 1983-1995, in Bohrmann, Hans u.a. (Hg.): Wahl und Politikvermittlung durch Massenmedien. Wiesbaden, S. 191-212. Lönne, Karl-Egon (1986): Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main. Lönne, Karl-Egon (1996): Germany, in Buchanan, Tom und Conway, Martin (Hg.): Political Catholicism in Europe. 1918-1965. Oxford, S. 156-186. Lord, Christopher (1998): The untidy right in the European Parliament, in Bell, David und Lord, Christopher (Hg.): Transnational parties in the European Union. Alderhot, S. 117-133. Lösche, Peter (1993): „Lose verkoppelte Anarchie“. Zur aktuellen Situation von Volksparteien am Beispiel der SPD, in Aus Politik und Zeitgeschichte B43, S. 34 - 45. Lösche, Peter (1994): Kleine Geschichte der deutschen Parteien. Stuttgart. Lösche, Peter (1995): Haben die Volksparteien noch eine Chance? Die SPD als „lose verkoppelte Anarchie“, in Gellner, Wieland und Veen, Hans-Joachim (Hg.): Umbruch und Wandel in westeuropäischen Parteiensystemen. Frankfurt am Main, S. 181-193.
Literatur
299
Lösche, Peter (1998): Kanzlerwahlverein? Zur Organisationskultur der CDU, in Dürr, Tobias und Soldt, Rüdiger (Hg.): Die CDU nach Kohl. Frankfurt am Main, S. 68-84. Lösche, Peter und Walter, Franz (1996): Die FDP. Richtungsstreit und Zukunftszweifel. Darmstadt. Lösche, Peter und Walter, Franz (1992): Die SPD. Klassenpartei, Volkspartei, Quotenpartei. Darmstadt. Loth, Winfried (1991): Integration und Erosion: Wandlungen des katholischen Milieus, in Loth, Wilfried (Hg.): Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Moderne. Stuttgart, S. 266-281. Lucardie, Paul (1997): From family father to DJ: Christian Democratic Parties and Civil Society in Western Europe, in Lamberts, Emil (Hg.) Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, S. 210-221. Lübbe, Hermann (1982): Historische, Philosophische und soziologische Wurzeln des Konservatismus, in Rühle, Hans und Veen, Hans-Joachim (Hg.): Der Neo-Konservativismus in den Vereinigten Staaten und seine Auswirkungen auf die Atlantische Allianz. Melle, S. 86-106. Lucardie, Paul und Napel, Hans-Martin ten (1994): Between confessionalism and liberal conservativism: the Christian democratic parties of Belgium and the Netherlands, in Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. A comparative perspective. London, S. 51-70. Lucardie, Paul (1994): Between confessionalism and liberal conservativism: The Christian Democratic Parties of Belgium and the Netherlands, in Hanly, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. Melle, S. 51-70. Lukaszeweski, Jerzy (1990): Hinweise auf die geistigen Wurzeln, in Klepsch, Egon (Hg.): Zur Geschichte der christlich-demokratischen Bewegung in Europa. Melle, S. 37-38. Luhmann, Niklas (1971): Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Opladen. Lutzke, Hans-Hermann (1967): Der Beitrag Franz Etzels zur Wirtschaftspolitik – Zur Geschichte des Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik der CDU, in Müller-Armack, Alfred und Schmidt, Herbert (Hg.): Wirtschafts- und Finanzpolitik im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft. Stuttgart, S. 123-186. Luykx, Theo (1985): Politieke Geschiedenis van België van 1944 tot 1985. Antwerpen. Mabille, Xavier (1992): Histoire politique de la Belgique: factuers et acteurs de changements. Brüssel. Mackie, Tom und Franklin, Mark (1992): Electoral change and social change, in Franklin, Mark (Hg.): Electoral Change. Cambridge, S. 33-61. Madeley, John (1994): The antinomies of Lutheran politics: the case of Norway’s Christian People’s Party, in, Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. A comparative perspective. London, S. 142-154. Maier, Hans (1965): Revolution und Kirche. Studien zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie (1789-1901). München. Maier, Hans (1995): Die überkonfessionelle Volkspartei der Mitte. Zum historischen Ort der Parteigründung, in Langguth, Gerd (Hg.): In Verantwortung für Deutschland. 50 Jahre CDU. Wien, S. 1-24. Mair, Peter (1993): Myths of electoral change and the survival of traditional parties, in European Journal of Political Research 23, S. 1-13. Mair, Peter (1997): Party system change. Approaches and interpretations. Oxford. Mair, Peter (1998): The party family and its study, in Annual Review Political Science 1, S. 211-229. Mair, Peter (2001): Searching for the positions of political actors. A review approaches and a critical evaluation of expert surveys, in Laver, Michael (Hg.): Estimating the Policy Position of Political Actors. London, S. 10-30. Mair, Peter; Müller, Wolfgang C und Plasser, Fritz (1999): Die Antworten der Parteien auf Veränderungen in den Wählermärkten in Westeuropa, in Mair, Peter; Müller, Wolfgang und Plasser, Fritz (Hg.): Parteien auf komplexen Wählermärkten. Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa. Wien, S. 391-402.
300
Literatur
Malunat, Bernd (1987): Umweltpolitik im Spiegel der Parteiprogramme, in Aus Politik und Zeitgeschichte 29/87, S. 29-42. Margedant, Udo (1987): Entwicklung des Umweltbewusstseins in der Bundesrepublik Deutschland, in Aus Politik und Zeitgeschichte 29/87, S. 15-28. Maritain, Jacques (1950): Christlicher Humanismus. Politische und geistige Fragen einer neuen Christenheit. Heidelberg. Martens, Wilfried (1969): Crisis van de politike partijen. En progressistisch alternatif, in Kultuurleven 36, S. 180-189. Martin, Matthias (1998): Der katholische Weg ins Reich. Der Weg des deutschen Katholizismus vom Kulturkampf hin zur staatstragenden Kraft. Frankfurt am Main. Martina, Giacomo (1993): Die Archivdaten des Vatikans zur ersten Phase des Kulturkampfes. 18711878, in Lill, Rudolf und Traniello, Francesco (Hg.): Der Kulturkampf in Italien und in den deutschsprachigen Ländern. Berlin, S. 167-220. Masala, Carlo (2001): Die Democrazia Cristiana 1943-1963. Zur Entwicklung des partito nazionale, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 348-369. Maser, Werner (1990): Helmut Kohl. Der deutsche Kanzler. Berlin. Mattar, Paul (1981): Die PSC und CVP in Belgien. Sindelfingen. Mayer, Tilman (2004): Opposition als Gesamtkunstwerk, in Zehetmair, Hans (Hg.): Das deutsche Parteiensystem. Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 79-86. Mayeur, Jean-Marie (1972): Catholicisme intransigeant, catholicisme social, démocratie chrétiens, in Annales. Économies, sociétés, civilisations 27, S. 483-499. McCharty, Patrick (1996): Forza Italia: the new politics and old values of a changing Italy, in Gundle, Stephen und Parker, Simon (Hg.): The New Italian Republic. From the Fall of the Berlin Wall to Berlusconi. London, S. 130-146. McLeod, Hugh (1981): Religion and the People of Western Europe 1789-1970. Oxford. Meckenstock, Günter (2001): Zur wirtschaftsethischen Bedeutung des christlichen Menschenbildes, in Herms, Eilert (Hg.): Menschenbild und Menschenwürde. Gütersloh, S. 107-117. Méndez-Lago, Mónica (1996): Electoral consequences of (de-)pillarisation. The cases of Austria, Belgium and the Netherlands (1945-96), in Luther, Kurt Richard und Deschower, Kris (Hg.): Party Elites in Divided Societies. Political Parties in Consociational Democracy. London, S. 191-223. Mény, Yves (1990): Government and Politics in Western Europe. Britain, France, Italy, Germany. Oxford. Merseburger, Peter (2004): Willy Brandt. 1913-1992. München. Mertes, Michael und Müller, Helmut (1987): Der Aufbau des Bundesministeriums, in VerwaltungsArchiv 78, S. 459-476. Merz, Friedrich (2001): Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. Antworten der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik auf die neuen Herausforderungen. München. Metz, Andreas (1998): Die ungleichen Gründerväter. Adenauers und Erhards langer Weg an die Spitze der Bundesrepublik. Konstanz. Michels, Robert (1925/1989): Soziologie des Parteiwesens. Stuttgart. Michner, Norah Willis (1955): Maritain and the nature of man in a Christian democracy. Minkenberg, Michael (2002): Religion and Public Policy. Institutional, Cultural and Political Impact on the Shaping of Abortion Policies in Western Democracies, in Comparative Political Studies 35, S. 221-247. Mintzel, Alf (1977): Geschichte der CSU. Ein Überblick. Opladen. Misner, Paul (1991): Social Catholicism in Europe. From the onset of industrialization to the First World War. New York. Misner, Paul (2003): Christian Democratic Social Policy: Precedents for Third-Way Thinking, in Kselman, Thomas und Buttigieg, Joseph (Hg.): European Christian Democracy. Historical Legacies and Comparative Perspectives. Notre Dame, S. 68-92.
Literatur
301
Misra, Joya und Hicks, Alexander (1994): Catholicism and Unionization in affluent postwar democracies: Catholicism, culture, party and unionisation, in American Sociological Review 59, S. 304-326. Möller, Horst (1992): Deutschland zwischen Ost und West: Die deutschen Parteien und die Westintegration nach 1945, in Bracher, Klaus u.a. (Hg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag. Berlin, S. 771-802. Molony, John (1977): The emergence of political Catholicism in Italy. Partito Populare 1919-1926. Cambridge. Molitor, Bernhard (1993): Ist die Marktwirtschaft noch gefragt? Eine ordnungspolitische Bilanz der Jahre 1982 bis 1992. Tübingen. Morsey, Rudolf (1973): Die deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und erster Weltkrieg, in Ritter, Gerhard A. (Hg.): Deutsche Parteien vor 1918. Köln, S. 270-298. Morsey, Rudolf (1979): Katholizismus und Unionsparteien in der Ära Adenauer, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik. 1949-1963. Paderborn, S. 33-59. Morsey, Rudolf (1981a): Der politische Katholizismus in Deutschland, in Rauscher, Anton (Hg.): Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1963. München, S. 110-164. Morsey, Rudolf (1981b): Der Kulturkampf, in Rauscher, Anton (Hg.): Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1963. München, S. 72-109. Mooser, Josef (1991): Volk, Arbeiter und Bürger in der katholischen Öffentlichkeit des Kaiserreichs. Zur Sozial- und Funktionsgeschichte der Deutschen Katholikentage 1871-1913, in Puhle, HansJürgen (Hg.): Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Göttingen, S. 259-273. Morsey, Rudolf (1997): Adenauer und Kardinal Frings 1945-1949, in Hehl, Ulrich von u.a. (Hg.): Rudolf Morsey. Von Windhorst bis Adenauer. Ausgewählte Aufsätze zu Politik, Verwaltung und politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert. Paderborn, S. 686-702. Morsey, Rudolf (2000): Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969. München. Müller, Georg (1999): Die Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung im Frankfurter Wirtschaftsrat 1947-1949. Frankfurt am Main. Müller, Wolfgang (2000): Political parties in parliamentary democracies: Making delegation and accountability work, in European Journal of Political Research 37, S. 309-333. Müller, Johann Baptist (1992): Die politischen Ideenkreise der Gegenwart. Berlin. Müller, Johann Baptist (2000): Marktprinzip und Kulturverfall in konservativer Perspektive, in Schrenck-Notzing, Caspar von (Hg.): Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus. Berlin, S. 217-231. Müller, Josef (1990): Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950-1957. Düsseldorf. Müller, Wolfgang und Steininger, Barbara (1994): Christian democracy in Austria: The Austrian People’s Party, in Hanley, David (Hg.): Christian Democracy in Europe. A comparative perspective. London, S. 87-100. Müller-Rommel, Ferdinand und Pieper, Gabriele (1991): Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale, in Aus Politik und Zeitgeschichte. B21/22, S. 3-13. Müller-Rommel, Ferdinand (1988): The Centre of Government in West-Germany, in European Journal of Political Research 16, S. 171-190. Müller Rommel, Ferdinand (2003): Die niedersächsische Landtagswahl vom 2. Februar 2003: "Denkzettel" für Berlin, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 34, S. 689-701. Mulé, Rosa (1997): Explaining the party-policy link. Established approaches and theoretical developments, in Party Politics 3, S. 493-512. Morlino, Leonardo und Tarchi, Marco (1996): The dissatisfied society: the roots of political change in Italy, in European Journal of Political Research 30, S. 41-63.
302
Literatur
Müller, Wolfgang C. (1993): The relevance of the state for the party system change, in Journal of Theoretical Politics 5, S. 419-454. Nadler, Jo-Anne (2000): William Hague. An biography. London. Narr, Wolf-Dieter (1966): CDU-SPD. Programm und Praxis seit 1945. Stuttgart. Naßmacher, Hiltrud (1990): Auf- und Abstieg von Parteien. Ansätze zur vergleichenden Betrachtung von Etablierung und Niedergang von Parteien im Wettbewerb, in Schmitt, Karl (Hg.): Wahlen, Parteieliten, politische Einstellungen. Neuere Forschungsergebnisse. Frankfurt am Main, S. 177210. Naßmacher, Hiltrud (1991): Vergleichende Politikforschung. Eine Einführung in Probleme und Methoden. Opladen. Naßmacher, Karl-Heinz (1993): Comparing Party and Campaign Finance in Western Democracies, in Gunlicks, Arthur (Hg.): Campaign and Party Finance in North America and Western Europe. Boulder, S. 233-267. Naßmacher, Karl-Heinz (1997): Parteienfinanzierung in Deutschland, in Gabriel, Oscar, Niedermayer, Oscar und Stöss, Richard (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Wiesbaden, S. 157-176. Nell-Breuning, Oswald von (1980): Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre. München. Nell-Breuning, Oswald von (1975): Sozialer und politischer Katholizismus, in Stimmen der Zeit 193, S. 147-161. Neumann, Sigmund (1965): Die Parteien der Weimarer Republik. Stuttgart. Niclauß, Karlheinz (2002): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Paderborn. Nick, Rainer (1984): Schwesterparteien. CDU, CSU und Österreichische Volkspartei. Ein Vergleich. Innsbruck. Niedenhoff, Horst-Udo (1977): Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland. Köln. Niedermayer, Oskar (1997): Das gesamtdeutsche Parteiensystem, in Gabriel, Oscar, Niedermayer, Oscar und Stöss, Richard (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Wiesbaden, S.106-130. Nipperdey, Thomas (1961): Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918. Düsseldorf. Nipperdey, Thomas (1973): Grundprobleme der deutschen Parteiengeschichte im 19. Jahrhundert, in Ritter, Gerhard A. (Hg.): Deutsche Parteien vor 1918. Köln, S. 32-55. Nipperdey, Thomas (1986): Christliche Parteien, in Nipperdey, Thomas (Hg.): Nachdenken über die deutsche Geschichte. München, S. 126-139. Nipperdey, Thomas (1988): Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. Nipperdey, Thomas (1993a): Deutsche Geschichte. 1800-1866. München. Nipperdey, Thomas (1993b): Deutsche Geschichte. 1866-1918. Machtstaat vor der Demokratie. München. Nolte, Paul (2000): Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert. München. Oberreuter, Heinrich (1992): Politische Führung in der parlamentarischen Demokratie, in Bracher, Karl-Dieter u.a. (Hg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag. Berlin, S. 159-174. Oberreuter, Heinrich (1988): The CDU and social change, in German Politics and Society 14, S. 3-12. Ockenfels, Wolfgang (1989): Zur sozialen und politischen Rolle der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 49/89, S. 3-13. Oelinger, Josef (1980): Schwerpunkte der innerkatholischen Mitbestimmungsdiskussion 1945-1963, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945 – 1963. Paderborn, S. 153-204. Palmer, Christoph (2002): Der christliche Faktor in Europa, in Stimmen der Zeit 12/02, S. 802-810. Panebianco, Angelo (1988): Political parties: organization and power. Cambridge. Pappi, Franz Urban (1977): Sozialstruktur, Gesellschaftliche Werteorientierung und Wahlabsicht. Ergebnisse eines Zeitvergleichs des deutschen Elektorats 1953 und 1976, in Politische Vierteljahresschrift 18, S. 195-229.
Literatur
303
Paterson, William (1996): The German Christian Democrats, in Gaffney, John (Hg.): Political Parties and the European Union. London, S 53-70. Perger, Werner (1992): Die CDU, in Aus Politik und Zeitgeschichte B5/92, S. 3-9. Pasture, Patrick (1994): Christian Trade Unions in Europe since 1968. Aldershorst. Peacock, Alan und Willgerodt, Hans (1989): German Neo-liberals and the Social Market Economy. London. Pelinka, Anton (2001): Die Christdemokraten als europäische Parteienfamilie, in Gehler, Michael; Kaiser, Wolfram und Wohnout, Helmut (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, S. 537-555. Peters, Guy (1998): Comparative Politics. Theory and Method. New York. Pfeifer, Anton (1993): Das christliche Profil der CDU, Göhner, Reinhard (Hg.): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München, S. 27-36. Pflüger, Friedbert (2000): Ehrenwort. Das System Kohl und der Neubeginn. Stuttgart/München. Poguntke, Thomas (2000): Parteiorganisation im Wandel. Gesellschaftliche Verankerung und organisatorische Anpassung im europäischen Vergleich. Wiesbaden. Poguntke, Thomas (2002a): Party organisational linkage: Parties without firm social roots?, in Luther, Richard und Müller-Rommel, Ferdinand (Hg.): Political parties in the New Europe. Oxford, S. 43-62. Poguntke, Thomas (2002b): Zur empirischen Evidenz der Kartellparteien-These, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 33, S. 790-806. Poduntke, Thomas (2005): Parteien ohne (An)bindung: Verkümmern die organisatorischen Wurzeln der Parteien?, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen, S. 43 - 62. Pombeni, Paolo (2000): The ideology of Christian Democracy, in Journal of Political Ideologies 5, S. 289-300. Power, M Susan (1998): Jacques Maritain (1882-1973): Christian democrat, and the quest for a new commonwealth. Lewiston. Pridham, Geoffrey (1976): Christian Democracy in Italy and West Germany: A comparative analysis, in Kolinskiy, Martin und Paterson, William (Hg.): Social and Political Movements in Western Europe. London, S. 142-177. Pridham, Geoffrey (1977): Christian democracy in Western Germany: the CDU/CSU in Government and Opposition. 1945-1976. London. Przeworski, Adam und Teune, Henry (1970): The Logic of Comparative Social Inquiry. New York. Pütz, Helmuth (1978): Die CDU. Entwicklung, Aufbau und Politik der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Düsseldorf. Pütz, Helmuth (1975): Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone. Dokumente zur Gründungsgeschichte der CDU Deutschlands. Bonn. Pütz, Helmuth (1974): Innerparteiliche Willensbildung. Mainz. Puhle, Hans-Jürgen (1989): Konservatismus und Neo-Konservatismus: deutsche Entwicklungslinien seit 1945, in Eisfeld, Rainer und Müller, Ingo (Hg.): Gegen Barabarie. Essays Robert M.W. Kempner zu Ehren. Frankfurt am Main, S. 399-423. Raab, Heribert (1989): Reich und Kirche in der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Freiburg. Rannacher, Helmut (1970): Das konfessionelle Gleichgewicht als Strukturproblem der Christlich Demokratischen Union. Diss. Univ. Tübingen. Raschke, Joachim (1970): Parteien, Programme und „Entideologisierung“. Zur Analyse von Parteiprogrammen, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 8/70, S. 3.23. Raschke, Joachim (1977): Organisierter Konflikt in westeuropäischen Parteien. Vergleichende Analyse parteiinterner Oppositionsgruppen. Opladen. Raschke, Joachim (1993): Die Grünen. Was sie wurden, was sie sind. Köln. Raschke, Joachim (2002): Politische Strategie. Überlegungen zu einem politischen und politologischen Konzept, in Nullmeier, Frank und Saretzki, Thomas (Hg.): Jenseits des Regierungsalltags. Strategiefähigkeit politischer Parteien. Frankfurt a. Main, S. 207-241.
304
Literatur
Raschke, Joachim (2001): Die Zukunft der Grünen. Frankfurt a. Main. Rattinger, Hans (1994): Parteiidentifikation in Ost- und Westdeutschland nach der Vereinigung, in Niedermayer, Oskar und Beyme, Klaus von (Hg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland. Berlin, S. 105-140. Rattinger, Hans und Maier, Jürgen (1998): Der Einfluss der Wirtschaftslage auf die Wahlentscheidung bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 52/98, S. 45-54. Ratzinger, Joseph (2005): Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen. Freiburg. Raunio, Tapio (1998): Cleavages and alignments in the European Parliament: MEP voting behaviour 1989-1994, in Bell, David und Lord, Christopher (Hg.): Transnational parties in the European Union. London, S. 168-188. Rauscher, Anton (1997): The influence of Christian Democracy on socio-cultural policy in Western Europe, Lamberts, Emil (Hg.) Christian Democracy in the European Union (1945/1995) Proceeding of the Leuven Colloquium 15-18 November 1995. Löwen, S. 439-446. Reichart-Dreyer, Ingrid (1977): Werte-Systeme-Programme, Modell, Praxis und Alternativen politischer Willensbildung entwickelt am Beispiel der CDU. Bonn. Reichart-Dreyer, Ingrid (1996): Grenzen von Mehrheitsbeschluss und Hierarchie, in Hofmann, Werner; Jann, Werner und Wordelmann, Peter (Hg.): Spuren in der Zukunft. Zukunftsorientierte Problemlösung auf dem Prüfstand. Beiträge zum 60. Geburtstag von Carl Böhret. Frankfurt am Main, S. 119-136. Reichart-Dreyer, Ingrid (2000): Macht und Demokratie in der CDU. Dargestellt am Prozeß und Ergebnis der Meinungsbildung zum Grundsatzprogramm 1994. Opladen. Reif, Klaus (1997): Reflections: European Elections as Member State Second Order Elections Revisited, in European Journal of Political Research 31, S. 115-124. Ribhegge, Wilhelm (1989): Konservative Politik in Deutschland. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart. München. Ribhegge, Wilhelm (2003): Nation und Konfession in Deutschland, in Stimmen der Zeit 1/03, S. 925. Rock, Martin (1990): Bewahrung der Schöpfung. Christliche Motive des Umweltschutzes. Aktuelle Informationen des Bistums Mainz. Mainz. Rogosch, Joachim (1999): Wie christlich ist die CDU? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Rokeach, M. (1973): The Nature of Human Values. New York. Rölle, Daniel (2000): Wahlprogramme: Richtschnur parlamentarischen Handelns, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 4, S. 821- 833. Roller, Edeltraud (1992): Einstellungen der Bürger zum Wohlfahrtsstaat der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. Römmele, Andrea (2003): Political parties, party communication and new information and communication technologies, in Party Politics 9, S. 7-20. Rompuy, Herman van (1987): Christian-Democrats and the Economic Crisis, in Libertas 3, S.18-22. Rompuy, Vic Va (1996): L’empreinte social-chretienne sur la politique economiqueen belgique de 1945 a 1994, in Dewachter, Wilfried u.a. (Hg.): Un Parti dans l’Histoire. 1945-1995. 50 ans d’action du Parti Social Chrétiens. Louvain-La-Neuve, S. 393-422. Rohe, Karl (1992): Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland: kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main. Ronge, Volker (1971): Politische Planung in Theorie und Praxis. München. Rose, Richard und McAllister, Jan (1990): The Loyalities of Voters. A Lifetime learning Model. London. Roth, Dieter (1990): Die Republikaner. Schneller Aufstieg und tiefer Fall einer Protestpartei am rechten Rand, in Aus Politik und Zeitgeschichte B37-38/90, S. 27-39. Roth, Dieter (1990): Die Wahlen zur Volkskammer in der DDR. Der Versuch einer Erklärung, in Politische Viertelsjahresschrift 31, S. 369-393.
Literatur
305
Roth, Dieter (2001): Die Bundestagwahl 1998 – eine Schlüsselwahl?, in Derlien, Hans-Ulrich und Murswieck, Axel (Hg.): Regieren nach Wahlen. Opladen, S. 217-230. Rudolph, Karsten (1999): Die sechziger Jahre: Das Jahrzehnt der Volksparteien?, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 30, S. 362-376. Rueckert, George und Crane, Wilder (1962): CDU Deviancy in the German Bundestag, in Journal of Politics 24, S. 477-488. Ruppert, Karsten (1992): Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie. 1923-1930. Düsseldorf. Rutan, Gerard (1997): Christian Democracy in Europe: an idea whose time has passed?, in International Journal of Social Economics 24, S. 1103-1131. Saalfeld, Thomas (1995): Parteisoldaten und Rebellen. Fraktionen im Deutschen Bundestag 19491990. Opladen. Sabatier, Paul (1993): Advocacy-Koalitionen, Policy-Wandel und Policy-Lernen: Eine Alternative zur Phasenheuristik, in Heritier, Adrienne (Hg.): Policy Analyse. Kritik und Neuorientierung. Opladen, S. 116-148. Sani, Giacomo und Sartori, Giovanni (1983): Polarization, Fragmentation and Competition in Western Democracies, in Daalder, Hans und Mair, Peter (Hg.): Western European Party Systems. London, S. 307-340. Sandschneider, Eberhard (1987): Regierungsbildung 1987: Koalitionsverhandlungen und Personalentscheidungen, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 18, S. 203-221. Sarcinelli, Ulrich (1980): Das Grundsatzprogramm der CDU. Selbstverständnis, Aussagen und Parteitagsdiskussion, in Kaack, Heino und Roth, Reinhold (Hg.): Handbuch des deutschen Parteiensystems. Struktur und Politik in der Bundesrepublik zu Beginn der achtziger Jahre. Bd 2. Programmatik und politische Alternativen der Bundestagsparteien. Opladen, S. 57-118. Sartori, Giovanni (1968a): The sociology of parties: a critical review, in Mair, Peter (Hg/ 1990]): The West European Party System. Oxford, S. 150-184. Sartori, Giovanni (1968b): Structuring the party system, in Mair, Peter (Hg./ 1990]): The West European Party System. Oxford, S. 75-77. Sartori, Giovanni (1976): Parties and Party Systems. Cambridge. Sartori, Giovanni (1991): Comparing and miscomparing, in Journal of Theoretical Politics 3, S. 243257. Sasching, Johannes (1991): Der gesellschaftliche Ordnungsgedanken in Rerum novarum und Quadragesimo anno, in Utz, Arthur (Hg.): Die katholische Soziallehre und die Wirtschaftsordnung. Trier, S. 67-84. Sauter, Walter (1985): Waldsterben im Schnittpunkt von Ökologie, Ökonomie und Politik, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/85, S. 14-30. Scammell, Margaret (1999): Political Marketing: Lessons for Political Science, in Political Studies 47, S. 718-739. Scarrow, Susan (1996): Parties and their members. Organizing for Victory in Britain and Germany. Oxford. Scarrow, Susan (2000): Parties without members? Party organisation in a changing electoral environment, in Dalton, Russel und Wattenberg, Martin (Hg.): Parties without partisans. Oxford, S. 79-101. Scarrow, Susan; Webb, Paul und Farell, David (2000): From social integration to electoral contestation: The changing distribution of power within political parties, in Dalton, Russel und Wattenberg, Martin (Hg.): Parties without partisans. Oxford, S. 129-156. Schaefer, Felicitas (1985): Der Führer der “Stahlhelm-Fraktion”. Ein Porträt des CDU-Fraktionschefs Alfred Dregger, in Blätter für deutsche und internationale Politik 30, S. 1356-1366. Scharpf, Fritz (1973): Planung als Politischer Prozess. Aufsätze zur Theorie der planenden Demokratie. Frankfurt am Main. Scharpf, Fritz (1995): The joint-decision trap: lessons from German federalism and European Integration, in Public Administration 66, S. 239-278.
306
Literatur
Scharpf, Fritz (1999): Föderale Politikverflechtung: Was muß man ertragen - was kann man ändern? Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Working paper 99/3. Schedler, Andreas (1996): Anti-Political-establishment parties, in Party Politics 2, S. 291-312. Scheer, Hermann (1977): Die nachgeholte Parteibildung und die politische Säkularisation der CDU, in Narr, Wolf-Dieter (Hg.): Auf dem Weg zum Einparteienstaat. Opladen, S. 149-172. Schlesinger, Joseph (1984): On the theory of Party Organization, in Journal of Politics 46, S. 369-400. Schlitt, Michael (1992): Umweltethik: philosophisch-ethische Reflexionen. Paderborn. Schisser, Jakob (1983): Die Krise der Ökonomie: Die angebotsorientierte Wirtschaftsphilosophie als konservative Strategie in den USA, in Schissler, Jakob (Hg.): Neokonservatismus in den USA. Eine Herausforderung. Opladen, S. 70-88. Schmid, Josef und Tiemann, Heinrich (1989): Postmoderne CDU – Bastelei am christlichen Menschenbild und am politischen Profil der Union, in Frankfurter Hefte 36, S. 62-67. Schmid, Josef (1990a): Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus. Opladen. Schmid, Josef (1990b): Zukunft aus der Provinz? Programmdiskussionen und Einfluß der CDULandesverbände, in Schmid, Josef und Tiemann, Heinrich (Hg.): Aufbrüche. Die Zukunftsdiskussionen in Parteien, Verbänden und Kirchen. Marburg, S. 139-151. Schmid, Josef (1991a): Der Machtwechsel und die Strategie des konservativ-liberalen Bündnisses, in Süß, Werner (Hg.): Die Bundesrepublik in den achtziger Jahren. Innenpolitik, Politische Kultur und Außenpolitik. Opladen 1991, S. 19-34. Schmid, Josef (1991b): Thatcherismus und die Conservative Party. Ambivalenzen und Widersprüche der parteipolitischen Basis eines neokonservativen Modellfalls, in Sturm, Roland (Hg.): Thatcherismus. Eine Bilanz nach 10 Jahren. Bochum, S. 49-65. Schmid, Josef (2000): Wohlfahrtsstaaten im Vergleich: Bestandsaufnahmen und aktuelle Diskussion, in Gegenwartskunde 4, S. 517-536. Schmid, Josef (2004): Müller-Armack, in: Gisela Riescher (Hg.): Politische Theorie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Stuttgart, S. 330-333. Schmid, Josef und Zolleis, Udo (2005): Einleitung: Zwischen Anarchie und Strategie. Der Erfolg von Parteiorganisationen, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen. Wiesbaden, S. 9-21. Schmid, Josef und Zolleis, Udo (2006): Die CDU im Jahr 2005: Der schwierige Weg, die eigene Marke zu profilieren und gleichzeitig auszuweiten, in: Balzer, Axel; Geilich, Marvin und Rafat Shamim (Hrsg.): Politik als Marke. Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung. Münster, S. 185-193. Schmidt, Manfred G. (1980): CDU und SPD an der Regierung. Ein Vergleich ihrer Politik in den Ländern. Frankfurt am Main. Schmidt, Manfred G. (1985): Allerweltsparteien in Westeuropa? Ein Beitrag zu Kirchheimers These vom Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in Leviathan 13, S. 376-397. Schmidt, Manfred G. (1990): Die Politik des mittleren Weges. Besonderheiten der Staatstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in Aus Politik und Zeitgeschichte B9-10/90, S. 23-31. Schmidt, Susanne K. (1991): Taking the Long Road to Liberalization. Telecommunications reform in the Federal Republic of Germany, in Telecommunications Policy 15, S 209-222. Schmidt, Manfred G. (1995): The Parties-Do-Matter Hypothesis and the Case of the Federal Republic of Germany, in German Politics 4, S. 1-21. Schmidt, Manfred G. (1996): When parties matter: A review of the possibilities and limits of partisan influence on Public Policy, in European Journal of Political Research 30, S. 155-183. Schmidt, Manfred G. (1997): Policy-Analyse, in Mohr, Arno (Hg.): Grundzüge der Politikwissenschaft. Berlin, S. 567-604. Schmidt, Ute (1987): Zentrum oder CDU. Politischer Katholizismus zwischen Tradition und Anpassung. Opladen. Schmidt, Ute (1997): Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im Umbruch 1989-1994. Opladen.
Literatur
307
Schmidt, Volker (2005): Strategische Planung für Parteien, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen. Wiesbaden, S. 143157. Schmidtchen, Gerhard (1972): Protestanten und Katholiken. Soziologische Analyse konfessioneller Kultur. Berlin. Schmidtke, Evelyn (2001): Der Bundeskanzler im Spannungsfeld zwischen Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie. Ein Vergleich der Regierungsstile Konrad Adenauers und Helmut Kohls. Marburg. Schmitt, Karl (1989): Konfession und Wahlverhalten in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin. Schmitt, Karl (1997): Sozialstruktur und Wählerverhalten, in Gabriel, Oscar W. (Hg.): Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Berlin, S. 425-448. Schnabel, Claus (1992): Structural adjustment and Privatization of the East German Economy, in Welfens, Paul (Hg.): Economic Aspects of German Unification. National and International Perspectives. Berlin, S. 231-255. Schneider, Michael (1982): Die christlichen Gewerkschaften. 1894-1933. Bonn. Schönbohm, Wulf (1974): Funktion, Entstehung und Sprache von Parteiprogrammen, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 34-35/74, S. 17-37. Schönbohm, Wulf (1979): Das CDU-Grundsatzprogramm: Dokument politischer Erneuerung, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 51-52/79, S. 27-39. Schönbohm, Wulf (1981): Von der Honoratioren- zur Programmpartei. Der Weg zum CDUGrundsatzprogramm, in Schönbohm, Wulf und Braun, Günther (Hg.): CDU-Programmatik. Grundlagen und Herausforderungen. München, S. 131-148. Schönbohm, Wulf (1985): Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950-1980. München. Schröder, Michael (1983): Verbände und Mitbestimmung. Die Einflussnahme der beteiligten Verbände auf die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes von 1976. Eine Fallstudie. Diss. Univ. München. Schröder, Wolfgang (1992): Katholizismus und Einheitsgewerkschaft. Der Streit um den DGB und der Niedergang des Sozialkatholizismus in der Bundesrepublik bis 1960. Bonn. Schröder, Wolfgang (1998): Das katholische Milieu auf dem Rückzug. Der Arbeitnehmerflügel nach der Ära Kohl, in Dürr, Tobias und Soldt, Rüdiger (Hg.): Die CDU nach Kohl. Frankfurt am Main, S. 175-191. Schroen, Michael (2000): Die Christlich-Soziale Volkspartei Luxemburgs (CSV), in Veen, HansJoachim (Hg.): Christlich-demokratische und konservative Parteien in Westeuropa 5. Paderborn, S. 337-406. Schryver, August (1983): De oprichting en leiding van de Christelijke Volkspartij – Parti Social Chretien 1945-1949, in Res Publica 25, S. 553-575. Schulz, Günther (1985): Bürgerliche Sozialreform in der Weimarer Republik, in vom Bruch, Rüdiger (Hg.): Weder Kommunismus noch Kapitalismus. München, S. 181-217. Schumpeter, Joseph (1946): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Bern. Schüttemeyer, Suzanne (1992): Der Bundestag als Fraktionenparlament. Opladen. Schütze, Christian (1990): Die Umweltpolitik der Regierung Kohl, in Appel, Reinhard (Hg.): Helmut Kohl im Spiegel der Macht. Bonn, S. 213-232. Schwarz, Hans-Peter (1989): Adenauers Kanzlerdemokratie und Regierungstechnik, in Aus Politik und Zeitgeschichte. B1/2, S. 15-27. Schwarz, Hans-Peter (1981): Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957. Stuttgart. Schwarz, Hans-Peter (1983): Die Ära Adenauer. Epochenwechsel 1957-1963. Stuttgart. Schwarz, Hans-Peter (1986/1991): Adenauer. 2 Bd. Stuttgart. Schreyer, Bernhard und Schwarzmeier (2000): Grundkurs Politikwissenschaft: Studium der Politischen Systeme. Opladen. Schumpeter, Joseph A. (1975): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. München.
308
Literatur
Seeber, David (1978): Das Verständnis des Menschen und die Politik: Zum Grundsatzprogramm der CDU, in Herder-Korrespondenz 32, S. 602-607. Seeber, David (1995): Die Zukunft der CDU als Volkspartei, in Gellner, Winand und Veen, HansJoachim (Hg.): Umbruch und Wandel in westeuropäischen Parteiensystemen. Frankfurt am Main, S. 135-153. Seelinger, Rolf (1976): Mit der Union ist kein Staat zu machen. Die SPD in der Auseinandersetzung mit der CDU/CSU. München. Seidel, Hanns (1960): Weltanschauung und Politik. Ein Beitrag zum Verständnis der ChristlichSozialen Union in Bayern. München. Seidel, Käthe (1979). Arbeit und Eigentum in der katholischen Soziallehre und in der frühen Programmatik der CDU, in Aus Politik und Zeitgeschichte B39/79, S. 24-46. Seiler, Daniel-Lois (1985): De la classification des partis politiques, in Res Publica 27, S. 59-86. Sickinger, Hubert (2005): Die Finanzierung des Parteienwettbewerbs, in Schmid, Josef und Zolleis, Udo (Hg.): Zwischen Anarchie und Strategie – Der Erfolg von Parteiorganisationen, S.77 - 95. Siegmund, Horst (1988): Parteipolitik und “Sprachenstreit” in Belgien. Frankfurt am Main. Silvestri, Stefano (1982): Introduction: The challenge to the Euro-moderates, in Morgan, Roger und Silvestri, Stefano (Hg.): Moderates and Conservatives in Western Europe. London, S. 1-14. Simon, Klaus (1975): Ansätze politischer Planung in der Opposition: Die Planungsgruppe der CDU/CSU Bundestagsfraktion, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 6, S. 27-37. Sircio, Robert (1993): A teacher who learns. Mater et Magistra (1961), in Weigel, George und Royal, Robert (Hg.): Building the free society. Democracy, Capitalism, and Catholic Social Teaching. Michigan, S. 51-68. Smits, Jozef (1986): Les standen dans les partis sociaux-chrétiens. Brüssel. Smith, Gordon (1976): West Germany and the politics of centrality, in Government and Opposition 11, S. 387-407. Smith, Gordon (1989): Core persistence: Change and the ‘People’s party’, in Mair, Peter und Smith, Gordon (Hg.): Understanding Party System Change. London, S. 157-168. Smith, Gordon (1990): Stages of European Development: Electoral Change and system adaptation, in Urwin, Derek und Paterson, William (Hg.): Politics in Western Europe today. London, S. 251269. Smith, Helmut Walser (1995): German nationalism and religious conflict: culture, ideology, politics 1870-1914. Princeton. Soroka, Stuart (2004): The salience and significance of Economic news. Working paper to the ECPR Joint Sessions Workshop 2004 for the panel on “Political Agenda-setting and the Media”. Uppsala. Spieker, Manfred (1993): Menschenbild und Sozialstaat, in Rauscher, Anton (Hg.): Christliches Menschenbild und soziale Orientierung. Köln, S. 95-120. Stark, Rodney und McCann, James (1993): Market Forces and Catholic Commitment: Exploring the New Paradigm, in Journal of the Scientific Study of Religion 32, S. 111-124. Steiner, Jürgen (1998): European democracies. New York. Stegmann, Dirk (1983): Vom Neokonservatismus als „Überparteilichkeit“. Die Beamten der Reichskanzlei zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik 1900-1933, in Stegmann, Dirk; Wendt, Bernd-Jürgen und Witt, Peter-Christian (Hg.): Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Fritz Fischer. Bonn, S. 199-230. Stegmann, Franz Josef (1969): Geschichte der sozialen Ideen im Deutschen Katholizismus, in Gottschlach, Wilfried; Karrenberg, Friedrich und Stegmann, Franz Josef (Hg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. München, S. 325-560. Stegmann, Franz Josef (1978): Der soziale Katholizismus und die Mitbestimmung in Deutschland. Vom Beginn der Industrialisierung bis zum Jahre 1933. München. Steinruck, Josef (1996): Die Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 und die Entstehung des Deutschkatholizismus, in Aretz, Heinrich (Hg.): Der Heilige Rock zu Trier. Trier, S. 307-324.
Literatur
309
Stolleis, Michael (1986): Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im Verfassungsstaat, in Veröffentlichungen der Vereinigungen der Deutschen Staatsrechtslehrer 44, S. 7-45. Stöss, Richard (1997): Stabilität im Umbruch. Wahlbestände und Parteienwettbewerb im „Superwahljahr“ 1994. Wiesbaden. Strøm, Kaare und Müller, Wolfgang C. (1999): Political Parties and hard choices, in Müller, Wolfgang C. und Strøm, Kaare (Hg.): Policy, Office, or Votes. How political parties in Western Europe make hard decisions. Cambridge, S. 1-35. Strøm, Kaare; Budge, Ian und Laver, Michael (1994): Constraints on Cabinet Formation in Parliamentary Democracies, in American Journal of Political Science 38, S. 303-335. Sturm, Roland (2004): Rückblick auf sechs Jahre Rot-Grün. Die Auswirkungen rot-grüner Regierungsarbeit auf das Parteiensystem, in Zehetmair, Hans (Hg.): Das deutsche Parteiensystem. Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 45-57. Telo, Mario (1996): Italy: The interaction between European Integration and Domestic Politics, in Res Publica 38, S. 461-465. Tetteroo, P.W. (2000): Is de Christen-democratie conservatief?, in Christen-Demokratische Verkenningen 5, S. 36-43. Thelen, Kathleen und Steinmo, Sven (1992): Historical institutionalism in comparative politics, in Steinmo, Sven; Thelen, Steinmo und Longstreth, Frank (Hg.): Structuring politics. Historical institutionalism in comparative politics. Ithaca, S. 1-32. Thum, Horst (1991): Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Von den Anfängen 1916 bis zum Mitbestimmungsgesetz 1976. Köln. Tindemans, Leo (1988): Die philosophischen Grundlagen und kulturellen Wurzel der Gemeinsamkeit neu bedenken, in EVP (Hg.): Tradition und Aktualität der Bemühung um eine ‘Doktrin’. Melle, S. 14-15. Tönnis, Ferdinand (1926): Der Begriff der Gemeinschaft, in ders. (Hg.): Soziologische Studien und Kritiken. Band 2. Jena, S. 266-267. Töpfer, Klaus (1993): Ökologische und Soziale Marktwirtschaft in der Verantwortung für die „Eine Welt“, in Göhner, Reinhard (Hg.): Politik für die Zukunft. Die CDU an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München, S. 248-254. Tsebelis, Georg (1990): Nested Games. Rational Choice in Comparative Politics. Berkeley. Tsebelis, George (1995): Decision Making in Political Systems: veto Players in Presidentialism, Parliamentarism, Multicameralism and Multipartyism, in British Journal of Political Science 25, S. 289-325. Tsebelis, George (2000): Veto Players and Institutional Analysis, in Governance 13, S. 441-474. Uertz, Rudolf (1981): Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Idee in der Union 1945-1949. Stuttgart. Uertz, Rudolf (2002): Die Christliche Demokratie im politischen Ideenspektrum, in HistorischPolitische Mitteilungen 9, S. 31-62. Uertz, Rudolf (2004): Zur Theorie und Programmatik der Christlichen Demokratien, in Buchstab, Günter und Uertz, Rudolf (Hg.): Christliche Demokratie im zusammenwachsenden Europa. Entwicklungen, Programmatik, Perspektiven. Freiburg, S. 32-61. Urwin, Derek (1970): Social Cleavages and Political Parties in Belgium: Problems of Institutionalization, in Political Studies 18, S. 320-340. Utz, Arthur (1991): Der Begriff des Eigentumsrechts in der katholischen Soziallehre und seine Beziehung zur Wirtschaftsordnung, in Utz, Arthur (Hg.): Die Katholische Soziallehre und die Wirtschaftsordnung. Trier, S. 109-162. Utz, Arthur (1983): Christlicher Glaube und das Recht auf Mitbestimmung im Unternehmen, in Trappe, Paul (Hg.): Mitbestimmung in Wirtschaft und Gesellschaft. Wiesbaden, S. 21-28. Veen, Hans-Joachim (1976): Opposition im Bundestag. Ihre Funktionen, institutionellen Handlungsbedingungen und das Verhalten der CDU/CSU- Fraktion in der 6. Wahlperiode 1969-1972. Bonn.
310
Literatur
Veen, Hans-Joachim (1995): Zwischen Rekonzentration und neuer Diversifizierung. Tendenzen der Parteienentwicklung fünf Jahre nach der Einheit, in Gellner, Winand und Veen, Hans-Joachim (Hg.): Umbruch und Wandel in westeuropäischen Parteiensystemen. Frankfurt am Main, S. 117134. Veen, Hans-Joachim (1999): Volksparteien: Die fortschrittlichen Organisationsform politischer Willensbildung, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 30, S. 377-381. Verkade, Willem (1965): Democratic parties in the Low Countries and Germany. Leiden. Viaene, Vincent (2001). Belgium and the Holy See from Gregory XVI to Pius IX. 1831-1859. Catholic revival society and politics in the 19th century. Löwen. Vitzthum, Wolfgang (1978): Parlament und Planung: Zur verfassungsrechtlichen Zuordnung der Funktionen von Bundesregierung und Bundestag bei der politischen Planung. Baden-Baden. Vogel, Bernhard (1990): Das Phänomen: Helmut Kohl im Urteil der Presse: 1960-1990. Stuttgart. Vogt, Martin (1988): Parteien in der Weimarer Republik, in Bracher, Karl Dietrich, Funke, Manfred und Jacobsen, Hans-Adolf (Hg.): Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Bonn, S.134-157. Volkens, Andrea und Klingemann, Hans-Dieter (1992): Die Entwicklung der deutschen Parteien im Prozess der Vereinigung, in Jesse, Eckhard und Mitter, Armin (Hg.): Die Gestaltung der deutschen Einheit. Geschichte – Politik – Gesellschaft. Bonn, S. 189-214. Voss, Rüdiger von (1974): Die Mitbestimmungsentscheidung der CDU, in Gesellschaftspolitische Kommentare 21, S. 13-17. Voss, Rüdiger von (1978): Mitbestimmung in der Wirtschaft, in Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Die europäischen Parteien der Mitte. Analysen und Dokumente zur Programmatik christlichdemokratischer und konservativer Parteien in Westeuropa. Bonn, S. 321-338. Wagner, Falk (1997): Protestantismus und soziale Marktwirtschaft. Theologische und sozialethische Entwicklungslinien, in Loccum 68, S. 39-65. Waller, Michael (1996): Party inheritances and party identities, in Pridham, Geoffrey und Lewis, Paul (Hg.): Stabilising fragile democracies. London, S. 23-43. Wallmann, Walter (1988): Umweltschutz und Marktwirtschaft, in Diehl, Günther und Stolte, Dieter (Hg.): Zwischen Pflicht und Neigung. Mainz, S. 219-225. Walter, Franz (1995): Partei der ewigen 70er: Zur Krise der SPD in der Ära Scharping, in Politische Vierteljahresschrift 36, S. 706-771. Walter, Franz (1998): Die Bonner Parteien auf dem Weg in die Berliner Republik. Politische Kolumnen. Hamburg. Walter, Franz (1999): Katholisches Milieu und politischer Katholizismus in säkularisierten Gesellschaften: Deutschland, Österreich und die Niederlande im Vergleich, in Walter, Franz und Dürr, Tobias (Hg.): Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaften. Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich. Opladen, S. 43-72. Walter, Franz (2002): Die SPD. Vom Proletariat zur Neuen Mitte. Berlin. Walter, Franz und Dürr, Tobias (2000): Die Heimatlosigkeit der Macht. Berlin. Ware, Alan (1996): Political Parties and Party Systems. Oxford. Warner, Carylon (1997): Getting out the vote with Patronage and Threat: The French and Italian Christian Democratic Parties 1944-1958, in The Journal of Interdisciplinary History 28, S. 553582. Waterkamp, Rainer (1978): Handbuch politische Planung. Opladen. Way, Christopher (2000): Central Banks, Partisan Politics, and Macroeconomic Outcomes, in Comparative Political Studies 33, S. 196-224. Weber, Christoph (1991): Ultramontanismus als katholischer Fundamentalismus, in Loth, Wilfried (Hg.): Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Moderne. Stuttgart, S. 20-45. Webber, Douglas (1992): Kohl’s Wendepolitik after a Decade, in German Politics 1, S. 149-180. Wehling, Hans-Georg (1985): Regionale politische Kultur. Stuttgart. Weidner, Helmut (1989a): Die Umweltpolitik der konservativ-liberalen Regierung. Eine vorläufige Bilanz, in Aus Politik und Zeitgeschichte 47/89, S. 16-28.
Literatur
311
Weidner , Helmut (1989b): Die Umweltpolitik der konservativ-liberalen Regierung im Zeitraum 1983-1988: Versuch einer politikwissenschaftlichen Bewertung. Berlin. Weidner, Helmut (1991a): Reagieren statt Agieren: Entwicklungslinien staatlicher Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in Politische Ökologie 23, S. 14-22. Weidner, Helmut (1991b): Umweltpolitik, in Süß, Werner (Hg.): Die Bundesrepublik in den achtziger Jahren: Innenpolitik, politische Kultur, Außenpolitik. Opladen, S. 137-152. Weidner, Helmut und Jänicke, Martin (1998): Vom Aufstieg und Niedergang eines Vorreiters. Eine umweltpolitische Bilanz der Ära Kohl, in Wewer, Göttrik (Hg.): Bilanz der Ära Kohl. Opladen, S. 201-228. Wender, Astrid (1976): Planung als vierte Gewalt? Die Rolle des Parlaments im Prozess der politischen Planung. München. Wenzel, Rolf (1981): Konrad Adenauer und die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung im Nachkriegsdeutschland. Ordnungsvorstellungen und politische Praxis. Flensburg. Wenzel, Rolf (1980): Konrad Adenauer, die Neuordnung der Grundstoffindustrien und die Mitbestimmung als gesellschaftspolitische Frage, in Langner, Albrecht (Hg.): Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945 – 1963. Paderborn, S. 132-152. Wessels, Bernhard (1989): Politik, Industrie und Umweltschutz in der Bundesrepublik: Konsens und Konflikt in einem Politikfeld 1960-1986, in Herzog, Dietrich und Wessels, Bernhard (Hg.): Konfliktpotentiale und Konsensstrategien. Beiträge zur politischen Soziologie der Bundesrepublik. Opladen, S. 269-306. Wessels, Wolfgang (1982): Economic policies, in Morgan, Roger and Silvestri, Stefano (Hg.): Moderates and Conservatives in Western Europe. London, S. 224- 251. Westheide, Eberhard (1984): Zur Einführung bleifreien Benzins und zur Herabsetzung der Schadstoffe in Kraftfahrzeugabgasen. Die Initiativen der Bundesregierung, in Eichholz Brief H.1, S. 61-68. Wiesendahl, Elmar (1984): Wie politisch sind politische Parteien? Zu einigen vernachlässigten Aspekten der Organisationswirklichkeit politischer Parteien, in Falter, Jürgen; Fenner, Christian und Greven, Michel (Hg.): Politische Willensbildung und Interessenvermittlung. Opladen, S. 78-88. Wiesendahl, Elmar (1990): Der Marsch aus den Institutionen, in Aus Politik und Zeitgeschichte, B21/90, S. 3-14. Wiesendahl, Elmar (1996): Parteien als Instanzen der politischen Sozialisation, in Claußen, Bernhard und Geißler, Rainer (Hg.): Politisierung des Menschen: Instanzen der politischen Sozialisation. Ein Handbuch. Leverkusen, S. 401-424. Wiesendahl, Elmar (1998a): Parteien in der Perspektive. Theoretische Ansätze der Organisationswirklichkeit politischer Parteien. Opladen. Wiesendahl, Elmar (1998b): The present state and future propsects of the German Volksparteien, in German Politics 7, S. 151-175. Weidenfeld, Werner (1978): Zentrale Aspekte des Selbstverständnisses der christlich-demokratischen und konservativen Parteien, in Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Die europäischen Parteien der Mitte. Analysen und Dokumente zur Programmatik christlich-demokratischer und konservativer Parteien in Westeuropa. Bonn, S. 1-8. Wildemann, Rudolf (1976): Die soziale Basis der Herrschaft Konrad Adenauers, in Blumenwitz, Dieter u.a. (Hg.): Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Stuttgart, S. 275-284. Wildenmann, Rudolf (1989): Volksparteien – Ratlose Riesen. Baden-Baden. Wilson, Frank Lee (1998): The Center-right at the End of the Century, in Wilson, Frank (Hg.): The European Center-Right at the End of the Twentieth Century. New York, S. 247-270. Windhoff-Heritier, Adrienne (1983): „Policy“ und „Politics“ – Wege und Irrwege einer politikwissenschaftlichen Policy-Theorie, in Politische Vierteljahresschrift 24, S. 347-360. Winkler, Heinrich August (1998): Weimar. 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München. Winter, Thomas von (1989): Die CDU im Interessenkonflikt: Eine Fallstudie zur parteiinternen Auseinandersetzung über den Paragraphen 116 AFG, in Levithian 17, S. 46-84.
312
Literatur
Winter, Thomas von (1990): Die Sozialausschüsse der CDU. Sammelbecken für christdemokratische Arbeitnehmerinteressen oder linker Flügel der Partei, in Leviathan 18, S. 390-416. Winter, Thomas von (1993): Die Christdemokraten als Analyseobjekt oder: Wie modern ist die CDU Forschung?, in Niedermayer und Stöss, Richard (Hg.): Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland. Opladen, S. 57-80. Winter, Thomas von (1996): Wählerverhalten in den östlichen Bundesländern. Wahlsoziologische Erklärungsmodelle auf den Prüfstand, in Zeitschrift für Parlamentsfragen 27, S. 298-316. Whyte, John (1981): Catholics in Western democracies. A study in political behaviour. New York. Wieck, Hans Georg (1953): Die Entstehung der CDU und die Wiederbegründung des Zentrums im Jahre 1945. Düsseldorf. Wimmer, Hannes (1996): Evolution der Politik. Von der Stammesgesellschaft zur modernen Demokratie. Wien. Wimmer, Hannes (2000): Die Modernisierung politischer Systeme. Staat, Parteien, Öffentlichkeit. Wien. Wolf, Werner (1985): Neubeginn und Kampf um die Mehrheit. Die CDU Hessen unter Alfred Dregger. 1967-1982, in Wolf, Werner (Hg.): CDU Hessen. 1945-1985. Politische Mitgestaltung und Kampf um die Mehrheit. Köln, S. 59-98. . Wolf, Werner (1975): Wie man Wahlen gewinnt. Erfahrungssätze aus dem Landtagswahlkampf Hessen 1974, in Politische Meinung 20, S. 83-92. Woyke, Wichard (2000): Christliche Volkspartei - Christliche Soziale Partei in Belgien, in Veen, Hans-Joachim (Hg.): Christlich-demokratische und konservative Parteien in Westeuropa Bd. 5. München, S. 261-324. Wüst, Jürgen (1993): Konservatismus und Ökologiebewegung. Eine Untersuchung im Spannungsfeld von Partei, Bewegung und Ideologie am Beispiel der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Frankfurt am Main. Yeomans, Silke (1995): Das Amt des Generalsekretärs in der Christlich Demokratischen Union auf Bundesebene 1967-1989. Diss. Univ. Augsburg. Zahn, Peter von (1975): Profil der CDU. Hamburg. Zeigler, Harmon (1993): Political Parties in Industrial Democracies Peacock Publishers. Itasca. Ziehmann, Klaus-Dieter (1973): CDU-Gesellschaftspolitik: Vor einer entscheidenden Weichenstellung in der Mitbestimmungsfrage, in Gesellschaftspolitische Kommentare 20 (12), S. 139-142. Zohlnhöfer, Reimut (1999): Institutions, the CDU and Policy Change. Explaining German Economic Policy in the 1980s, in German Politics 8, S. 141-160. Zohlnhöfer, Reimut (2001): Die Wirtschaftspolitik der Ära Kohl. Eine Analyse der Schlüsselentscheidungen in den Politikfelder Finanzen, Arbeit und Entstaatlichung. 1982-1998. Opladen. Zohlnhöfer, Werner (1997): Die ordnungspolitischen Grundlagen der Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft, in Rüther, Günther (Hg.): Ökologische und Soziale Marktwirtschaft. Entstehung – Grundlage – Instrumente. Frankfurt am Main, S. 19-41. Zohlnhöfer, Werner (1999): Die wirtschaftspolitische Willens- und Entscheidungsbildung in der Demokratie. Ansätze einer Theorie. Marburg. Zolleis, Udo (1999): Is Fine Gael a Christian democratic party? The adaptation towards European Christian democracy. Msc.-Thesis. Zolleis, Udo (2003): Die Organisationsentwicklungen in der Parteigeschichte der CDU, in Civis mit Sonde 3-4/03, S. 15-19. Zolleis, Udo (i.E.): La CDU, in Bosco, Elia und Schmid, Josef (Hg.): La Germania dopo le elezioni. Mailand. Zolleis, Udo und Schmid, Josef (2002): Die Entwicklung zur Baden-Württemberg Partei. Die CDU zwischen Heimat und High-Tech, in Schmid, Josef und Griese, Honza (Hg.): Wahlkampf in Baden-Württemberg. Organisationsformen und Ergebnisse der Landtagswahl vom 25. Mai 2001. Opladen, S. 79-97.
Literatur
313
Zolleis, Udo und Weilmann, Dennis (2004): Moderner Themenwahlkampf, in Karp, Markus und Zolleis, Udo (Hg.): Politisches Marketing. Eine Einführung in das Politische Marketing mit aktuellen Bezügen aus Wissenschaft und Politik. Münster, S. 29-50. Zschaber, Christian (1978): Vermögenspolitik, in Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Die europäischen Parteien der Mitte. Analysen und Dokumente zur Programmatik christlich-demokratischer und konservativer Parteien in Westeuropa. Bonn, S. 353-368. Zuckerman, A.S. (1982): New approaches to political cleavage. A theoretical introduction. Comparative Political Studies 15, S. 131-144.