E.R. GREULICH
Der Tot Spieler
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr 303 (305 96*54)
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E.R. GREULICH
Der Tot Spieler
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr 303 (305 96*54)
Umschlagzeichnung: Fritz Ahlers. prieros’Mark
Gestaltung und Typographie Kollektiv Neues Leben
DrucK: Karl-Marx-Werk, Pößneck, V 15/30
Sein Spiel ist einfach toll“, sagte Gitta. Ihre Augen glänzten und verfolgten aufmerksam den Ball. „Wen meinst du? Gert Breuer oder den Neuen?“ Das Mädchen sah den Fragenden ärgerlich an, dann wandte sie das Gesicht rasch wieder dem Spiel zu. „Na türlich den Neuen. Übrigens heißt er Siegfried Killing, das weißt du so gut wie ich.“ Diese Zurechtweisung saß. Ernst Prenn bekam eine Falte über der Nase und preßte die Lippen zusammen. „Junge, Junge – dreiundzwanzig zu vierundzwanzig!“ raunte ein pausbäckiger Mechanikerlehrling vom Nach wuchs. Dann hing wieder Spannung in dem weißgetünch ten Raum, nur das rhythmische Ping der kleinen Bälle aus Zelluloid war zu hören. „Vierundzwanzig zu vierundzwanzig! – Bravo Gert, reiß dich zusammen!“ Lautes Lachen folgte dem Sympathieausbruch Jutta Göttls, Laborantin und Kollegin Gittas, die sich er schrocken umsah, als suche sie die, die gerufen hatte. Bei 26:26 legten die Spieler von den anderen Tischten nisplatten leise ihre Kellen hin und mischten sich unter die Zuschauenden. Menschen und Dinge waren plötzlich wie verzaubert. Im weißen Licht der Deckenstrahler schien es zu knistern, Hälse reckten sich, alle Augen folgten gebannt dem Hin und Her der Bälle. Das Spiel stand 28:27 für Killing. „Jetzt gewinnt er’s“, flüsterte Gitta. Sie hielt den Kopf vorgestreckt, ihre Nasenflügel bebten. Ernst Prenn hätte
sie schütteln mögen für diese Begeisterung über den Neu en. Dann fiel die Entscheidung. „Neunundzwanzig zu siebenundzwanzig! – Killing hat gesiegt!“ rief der Pausbäckige, es wirkte wie eine Entzau berung. Die Gesichter entspannten sich, der Raum hallte wider vom allgemeinen Geräusch, das zusammenfloß aus Sprechen, Rufen, Lachen und Plaudern, Gitta war aufgesprungen. Mit schnellen Schrillen ging sie zur Platte, neben der beide Spieler noch standen. Sie ergriff Killings Hand und beglückwünschte ihn. Ernst Prenn war ihr langsam nachgegangen. Er sah, wie sich Killing geschmeichelt fühlte und Gittas Hand länger in der seinen behielt als unbedingt nötig gewesen wäre. Der Trainer Maklert trat zu der Gruppe, Jovial legte er Killing den Arm auf die Schulter und fragte das Mädchen: „Na? Kann er was?’’ Gitta nickte bereitwillig, und die Lachfältchen um die Augen des Trainers bewegten sich. Er stieß den Besiegten freundschaftlich in die Seite und sagte: „Gert, halt dich dran. Spiel den neuen Stil, sei nicht so dickköpfig wie Ernst, dann wird es dem Sigi bald schwerfallen, dich aus zuknocken.“ Killing machte ein hochmütiges Gesicht. Sr glaubte, daß ihn in dieser Betriebssportgemeinschaft niemand überflü geln könne. Aber er schwieg, denn er wußte, wie gern Maklert prahlte, ganz besonders vor hübschen Mädchen wie Gitta. Er, Killing, hatte gesiegt und konnte es sich erlauben, andern das große Wort zu überlassen. Der Trainingssaal leerte sich. Ernst Prenn stand auf der
anderen Seite der Platte und spielte gedankenverloren mit dem Zelluloidball. Kein Wort der Unterhaltung entging ihm. „Wie ist’s“, fragte Maklert und sprach mehr Gitta als Killing an, „gehen wir noch auf einen Plausch in die ‘Quelle’?“ „Nicht unflott“, versuchte Killing Stimmung für den Vorschlag Maklerts zu machen, „heute abend haben sie bestimmt Eis mit Sahne, Gitta!“ „Großartig!“ Gitta lachte. „Aber Sahne macht dick.“ „Als ob Sie davor Angst zu haben brauchten“, sagte Maklert. „Außerdem muß es nicht unbedingt Eis mit Sah ne sein. Ein eisgekühlter Cordial Medoc ist auch ganz nett.“ „Nein, wirklich, ich kann und möchte heute nicht. Auf Wiedersehen bis übermorgen.“ Freundlich reichte sie den beiden die Hand. Sie zogen enttäuscht ab, sich umzuzie hen. Gitta verließ die Halle mit eiligen Schritten. Draußen stand Ernst und wartete. Stumm liefen sie ne beneinander her. „Du hast dich ja benommen…“ Gittas zierlicher Mund war wieder lest verschlossen, als wäre das Wort aus der Luft gefallen. „Ich?“ „Allerdings. Läufst mir nach und bleibst auf der andern Seite der Platte stehen wie – wie ein Lauscher.“ „Da haben wir uns beide nichts vorzuwerfen. Du rennst einfach los und fällst diesem – diesem Brechmittel beinah um den Hals.“ „Er hat dich bis jetzt meistens geschlagen. Deswegen Brechmittel?“ „Zugegeben, höflich ist es nicht.“
„Endlich findest du dich zu deiner berühmten Sachlich keit zurück.“ Ernst Prenn lachte. Sein Unmut war verflogen. Jetzt, ge nau in diesem Augenblick, wußte er, warum er Brigitte so gern hatte. „Apropos, Sachlichkeit“, er ließ etwas von seinem La chen in den Worten mitklingen, „Killing war heute das drittemal da. Von den drei bisher gespielten Partien hat er die zwei letzten gewonnen, ich die erste.“ „Das weiß ich, Ernst.“ „Du willst aber nicht wahrhaben, warum er gerade die letzten gewonnen hat.“ „Nein, ich finde diese Ausrede billig.“ „Gitta, du kennst mich doch. Habe ich es mir jemals bil lig gemacht?“ „Wenn jemand in seinem Sportehrgeiz getroffen wird, kennt man ihn manchmal nicht wieder. Du warst der Be ste unserer Tischtennisabteilung. Nun kommt jemand, der besser ist als du, da kannst du ihn natürlich nicht leiden.“ „Er ist nicht besser als ich.“ „Aber die Ergebnisse beweisen…“ „Die Ergebnisse beweisen, daß Maklert ein schlechter Trainer ist.“ „Nun hat schon wieder ein anderer schuld.“ „Maklert versucht mir Killings Stil aufzuzwingen.“ „Und was hast du gegen den Stil?“ „Er liegt mir nicht. Ich bin Qffensiv-Spieler, kein – kein Totspieler, wie sich Maklert mit Killing brüstet.“ „Ich finde Penholder-Griff eleganter und zweckmäßi ger.“ „Möglich. Für den, der daran glaubt.“
„Und dann finde ich es sehr aufregend, wie Killing mit dem Gegner Katze und Maus spielt. Da kommen die Zu schauer auf ihre Kosten.“ „Er ist ein guter Schauspieler; ich bin Tischtennisspie ler.“ „Er ist ein Könner.“ „Er ist ein blasierter Affe.“ „Weil er dich besiegt hat und sehr höflich zu mir ist?“ „Aber nein, Gitta.“ Ernst hielt sie bei den Armen, und sie ließ es widerwillig geschehen. „Sieh ihn dir einmal richtig an! Man muß doch blind sein, wenn – wenn… Ich könnte schwören, ihn bei einer dunklen Angelegenheit gesehen zu haben. Da stimmt… bei dem stimmt manches nicht“ Abweisend fragte sie: „Hast du Beweise?“ Verlegen ließ er sie los. „Nein, leider nicht, doch ich möchte schwören…“ „Aber, Ernst!“ Sie sagte es so enttäuscht, daß er plötz lich fürchtete, sie könnte ihn nicht mehr gern haben. Er setzte schnell hinzu: „Und ich bin bestimmt nicht schwä cher als er, glaube mir. Mich hat Maklert unsicher ge macht. Anstatt meine starken Seiten herauszuarbeiten, will er einen ganz anderen aus mir machen. Das geht nicht. Lies mal Biographien von sowjetischen Meistern des Sports. Immer haben da gute Trainer auf vorhandene Anlagen aufgebaut.“ Sie waren vor Gittas Haustür ange kommen. Das Mädchen stand einen halben Schritt höher als er, packte ihn bei den Armen und sagte: „Ernst, laß dich nicht zu Verdächtigungen hinreißen, die du nicht verantworten kannst.“ Dann küßte sie ihn flüchtig auf die Wange und war im Dunkel des Hauseingangs verschwun
den. Wie benommen strebte Ernst Prenn seiner Wohnung zu. Das war eben, als wenn eine weise, besorgte Mutter ihren Guckindie-welt von Sohn warnen wollte; aber so sprach keine verständnisvolle Freundin, die mit einem durch dick und dünn gehen sollte. Nein, Gitta hatte nicht recht. Die brillante Technik des Neuen konnte seinen miserablen Charakter nicht verdecken. Es war stets etwas Unfaires an seiner Art, ohne daß man es ihm beweisen konnte. – Konnte man es ihm wirklich nicht beweisen? Ernst Prenn lag wach und grübelte. Wie war Maklert ei gentlich Trainer ihrer Tischtennisabteilung geworden? Hatte ihn nicht die ganze Abteilungsleitung viel zu leicht sinnig akzeptiert? Anstatt aufmerksam zu sein, war man überschwenglich gewesen, vor Freude, eine „Kanone“ gewonnen zu haben, die aus Westberlin kam. Woher wußte man denn, daß diese Kanone es ehrlich meinte? Und war es nicht auffällig, daß Maklert, kaum, daß er Killing in der Abteilung eingeführt hatte, sich bereits eif rig für seinen Schützling um eine Stellung im Werk be warb? Diese und ähnliche Fragen hämmerten wie Klöppel schläge und raubten Ernst Prenn den Schlaf Daß mit Gitta darüber nicht zu sprechen war! Unwillkürlich mußte er an Walfried Kobler denken, den Jugendfreund. Und er schämte sich etwas, daß es jetzt geschah, wo er sich un glücklich fühlte. Zu dumm, daß der „drüben.“ wohnte. Mit „Simson“, wie sein Spitzname lautete, konnte man sich immer prächtig aussprechen. Die Gedanken an den blonden Riesen machten ihn ruhiger, und er begann ein zuschlafen. Beim Hinüberdämmern war er sich über fol
gendes klar: Er mußte Gitta und der ganzen Abteilung zeigen, daß er trotz allem der bessere Spieler war; er muß te beweisen, daß des Trainers und seines Protektionskin des Methoden nicht sauber waren, und gerade deshalb mußte er herausbekommen, wann und bei welcher Gele genheit er Killing gesehen hatte. Gitta war in Eile. Ihr Gesicht rötete sich, die Locken wehten. Sie kam mindestens zehn Minuten zu spät. Ei gentlich kam sie eine dreiviertel Stunde zu früh, aber Kil ling hatte versprochen, eine Stunde vor dem üblichen Be ginn mit ihr zu trainieren. Das war gestern nachmittag gewesen. Sie war allein vom Werk fortgegangen, weil sie wußte, daß Ernst noch einer Buchbesprechung in der Werkbibliothek beiwohnte. Da war Siegfried Killing plötzlich neben ihr gewesen und hatte sie höflich begrüßt. In ihrer schlagfertigen Art versuchte sie, ihn verlegen zu machen. Es war ihr nicht gelungen. Er hatte nicht herumgestottert, sondern sofort bekannt, daß er nur gekommen sei, um mit ihr zu plau dern. Er hatte sie dann in die „Quelle“ eingeladen, und sie hatte wieder abgelehnt, sich aber’ trotzdem geschmeichelt gefühlt, Achtzehn Jahre war sie alt, doch bisher hatte sich noch keiner derart um sie bemüht. Sie kannte Ernst jetzt über ein Jahr, und ihre Freundschaft wurde im Werk und in der Betriebssportgemeinschaft respektiert, wie die jun gen Männer Gittas selbstbewußte Haltung respektierten. Manchmal ein bißchen zu sehr. Und jetzt war einer ge kommen, der sie abholte und dreist und gottesfürchtig einlud. Dabei tat er, als erwiese sie ihm eine Gnade, wenn sie die Einladung annahm. Ernst behandelte derartige Dinge immer zu selbstverständlich.
Mit diesen Gedanken kam sie vor der Halle an. Killing erwartete sie schon und begrüßte sie erfreut. Mit keinem Wort erwähnte er ihre Verspätung. Ernst hätte bestimmt gebrummt, dachte Gitta. Sie schlüpfte schnell in ihr Trai ningszeug, und dann widmete sich Killing ernsthaft der Verbesserung ihrer Technik. Gitta fand zwar, bei der Erklärung dieses Schlags, jener Arm haltung und Beinstellung hätte er ihr nicht gar so nahe kommen müssen; aber er tat es in charmanter Art. Damit mußte man sich abfinden, wenn man von seinem techni schen Können lernen wollte. Ernst kam kurz nach dem offiziellen Trainingsbeginn. Innere Unruhe hatte ihn seine Pflichten schnell, ja fast hastig erledigen lassen. Mit einem Blick übersah er alles. Und er glaubte, es in einem üblen Traum bereits erlebt zu haben. Der galante Trainingspartner Siegfried Killing mit der dankbaren Schülerin Brigitte Thomsen. Sie lachte und kicherte und war eine Gitta, wie er sie nicht kannte. Am liebsten wäre er hingegangen und hätte Killing zur Rede gestellt. Dann beherrschte er sich und versuchte, jene Ru he und Sicherheit wiederzugewinnen, von der er nach Gittas Meinung zuviel besaß. Es nutzte nichts, den eifer süchtigen Gockel zu spielen. Man mußte beweisen. Es ging nicht nur um Gitta und Ernst, sondern auch um die Betriebssportgemeinschaft, die Ernst mit aufgebaut hatte. Mit Herzblut, Schweiß und Tränen, pflegte er manchmal scherzhaft zu sagen, aber die Eingeweihten wußten, daß es nicht nur Scherz war. Nachdem er sich umgezogen hatte, trat er lächelnd an die Spielplatte der beiden, begrüßte sie freundschaftlich und wunderte sich selbst, wie ihm das gelang. Dagegen
fühlten sich die beiden Trainingspartner überrascht. Ernst tat, als bemerke er es nicht. „Wie ist es mit einem Revan chekampf?“ fragte er freundlich „Nur noch diesen Satz“, beeilte sich Killing zu betonen und führte das Spiel mit seiner Partnerin zu Ende, als hätte er nie mit ihr schar mutziert. Kaum begannen Ernst und Killing die Partie, da ging es wie ein Raunen durch die Trainingshalle, und im Nu gab es so viele Zuschauer wie bei keinem anderen Spiel. Ganz knapp gewann Ernst Prenn den ersten Satz mit 21:19. Er hatte sich auf seine Schlagkraft besonnen und spielte im alten, ihm eigenen Stil. Seine Aufgabebälle kamen flach, scharf und derart unvermittelt über das Netz, daß selbst Killing, der ausgesprochen weit hinten abnahm, die meisten nicht zu stoppen vermochte. Oder er gab sie so schwach zurück, daß der Rückschlag von Prenn ein unhaltbarer Schmetterball wurde. Zugunsten der Offensi ve verschenkte Ernst manche Chance, aber sie war so stürmisch, daß sein Gegner in eine Defensive gedrängt wurde, die er gewöhnlich nur vortäuschte, um den über rumpelten Partner dann mit der Wucht einiger Schluß satzbälle mattzulegen. Wie immer, kam Maklert eine halbe Stunde nach Trai ningsbeginn, als Prenn und Killing eben ihre Plätze wech selten. Als er das Ergebnis des ersten Satzes erfuhr, verlor sich für einen Moment das Lächeln in der Miene des Trainers, und ein scharfer Beobachter hätte den Eindruck gewonnen, daß ihn etwas beunruhigte. Ernst Prenn verstärkte seine Bemühung, durch pausenlo sen Angriff die Überlegenheit des andern zu zertrüm mern. Es stand 9:6 für ihn, als Killing den Aufschlag be
kam. Beim Angeben schlug er nicht im Penholdergriff. Er holte weit aus, der Partner trat unwillkürlich einen Schritt zurück, weil er mit einem rasanten Schmetterball rechne te. Aber dann fiel die kleine Zelluloidkugel dicht hinter dem Netz mit einer unwahrscheinlichen Kenterdrehung auf die Platte. Zwar bekam sie der überraschte Gegner noch, aber ihre Eigendrehung war so intensiv, daß sie die Richtung bestimmte und der Ball meistens im Aus lande te. Diese Art des Aufgebens war keine Erfindung Kil lings. Ernst beherrschte sie selbst bis zu einem gewissen Grade, und so mancher Gegner hatte damit schon sein Heil gegen ihn versucht. Aber Killing meisterte diese Technik bis zur Virtuosität. Ernst wußte genau, daß gegen diese Angaben nur ein Kraut gewachsen war: den Ball zu erwischen, kaum daß er wieder absprang von der Platte. Dann hatte er seine Konterdrehung noch nicht zur absur den Eigenbewegung entwickelt, und man durfte erwarten, ihm noch die gewünschte Richtung geben zu können. Killing knirschte heimlich mit den Zähnen. Prenn verstand es, sich auf seine gefährlichen Angaben einzu stellen. Je weiter er beim Aufgeben ausholte, desto uner schütterter faßten dessen Augen den Raum dicht hinter dem Netz. Und unwahrscheinlich schnell war seine rechte Hand mit der Kelle da, wischte den Ball wie ein harm loses Steinchen übers Netz, daß Killing noch die Auswir kungen seiner eigenen Konterei zu spüren bekam. Es stand 11:9 für Ernst, als sie wiederum den Aufschlag wechselten. Maklert hatte schon mehrere Male halblaut dazwischengeknurrt. An Prenns Spiel schien alles falsch zu sein, während es bei Killing nichts zu bemängeln gab. „Es sieht ja recht überzeugend aus, lieber Ernst, aber in
Wirklichkeit steckt nicht viel dahinter.“ Ernst Prenn biß die Zähne zusammen und spielte er grimmt weiter. Er ärgerte sich, daß ihn die Mäkelei des Trainers einen wertvollen Punkt kostete. Dann ärgerte er sich über das hämische Gesicht Killings, mit dem er den Punkt für sich verbuchte. Und außerdem ärgerte er sich, daß er sich überhaupt ärgerte und fand, daß seine Nerven schlechter geworden sein mußten, und da hatte er schon wieder einen Punkt verloren. Jetzt stand es 11:11. Ernst riß sich zusammen. Wie konnte er sich nur von diesem Backpfeifengesicht nervös machen lassen? Warte, dachte er, ich werde auch noch herausbekommen, wie du eigentlich Trainer geworden bist. Und über die Stellung im Werk für deinen Günstling Sigi ist auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln in Ernst Prenns Gesicht, und die alte An griffslust war wieder in ihm. Beim Wechsel 13:12 führte er mit einem Punkt. Killing war am Geben. Wie üblich holte er weit aus, schlug dann aber nach der Art Ernsts, und der fiel beinahe darauf herein. Doch mit außerge wöhnlicher Behendigkeit brachte er den Ball noch von weit hinten ans Netz. Er kam senkrecht auf das weiße Band des Netzsaumes und rutschte dann in Killings Feld. „Wer auf solche Bälle baut, kann nie Meisterklasse wer den“, räsonierte Maklert. „Aber es freut einen trotzdem!“ rief Ernst und bemühte sich nicht, seine Schadenfreude zu verbergen. „Mach nur weiter so“, entgegnete Maklert und vergaß sein Lächeln, „dann kannst du in der Nachwuchsabteilung Murmeln spielen gehen.“ Einige der jüngeren Zuschauer lachten. Ernst mußte sich
beherrschen, sie nicht zurechtzuweisen. Da hatte er auch schon einen Punkt verloren. Nun kicherten sie erst recht. Für sie war es beglückend, die Besten einmal nicht über legen spielen zu sehen. Denn alle spürten, daß sich beide mehr anstrengten, als es in einem Trainingsspiel üblich war. Wieder verlor Ernst einen Punkt, weil er nervös wurde; die Schadenfreude um ihn herum wuchs. Im Augenblick hätte er alle hassen mögen. Sahen die denn nicht, daß es hier um mehr ging als um ein Trainingsspiel? War er etwa der einzige, der den Neuen nicht möchte? Hatte man ihn nicht schon mehrmals gefragt, wo Maklert seinen Schütz ling aufgegabelt habe, den er vor kurzem prahlend, des Lobes voll, eingeführt und sich für ihn in jeder Form ver bürgt hatte? Dann dachte er an Gitta, und das wirkte be sänftigend. Er suchte sie mit den Augen, und sofort bereu te er, es getan zu haben. Sie lachte nicht nur dem anderen zu, sondern in ihren Blicken sah er jene Bewunderung für Killings Spiel, die ihn gestern schon gekränkt hatte. Das war Gift für ihn. Ihm war zumute wie einem Traber, den man auf halber Strecke durch einen eiskalten Kühlraum führt und dann verlangt, er solle in alter Form weitertraben. Ernst Prenn verlor den zweiten Satz 21:18 – und auch den dritten. Mit einem breiten Lachen kam Maklert auf ihn zu. „Na, siehst du, Ernst, das Küken soll nicht klüger sein wollen als die Henne. Ich…“ Erstaunt hielt er inne. Ernst hatte mit beiden Händen abgewinkt und sich brüsk zum Gehen gewandt. Dann drehte er sich unvermittelt um und schrie dem Trainer zu: „Den ersten Satz hatte ich ge wonnen, aber da waren Sie noch nicht hier!“
„Wie ist es mit dem Rückspiel?“ fragte Killing. Um sei ne Lippen spielte der Spott eines Snobs. Er tat, als hätte er den Ausbruch Ernst Prenns nicht wahrgenommen. „Einen Augenblick“, rief der Gefragte, „ich gehe nur mal Wasser trinken!“ Ernst Prenn hatte keinen Durst. Er steckte den Kopf un ter den kalten Strahl, ließ dann die fließende Kühle über die Pulse rinnen. Es machte ihn merklich ruhiger. Tief im Unterbewußtsein hockte die Hoffnung, Gitta würde kommen und freundliche Worte für ihn finden. Warum kam nicht wenigstens einer der andern zu ihm und machte ihm Mut? Hatte er denn keine Freunde mehr? Wieder war plötzlich das helle Gesicht Walfried Koblers vor ihm, und die Sehnsucht nach dem Freund überfiel ihn fast wie ein körperlicher Schmerz. Sie mußten sich wieder einmal sehen. Ernst Prenn wußte plötzlich, daß er diesen Vorsatz sehr bald ausführen würde. Seine Gedanken wandten sich wieder der Gegenwart zu. Ihm wurde klar: Die andern, ja selbst Gitta, sahen nur das Sportliche. Wie konnte er verlangen, daß sie mit ihm fühlten, wenn sie von seinen Gedanken nichts ahnten? Sie sahen nur einen aufregenden Tischtennismatch, in dem sich endlich ein mal der Abteilungsmeister anstrengen mußte, um seine Stellung zu behaupten. Die Freude darüber, das Feixen und Kichern sollte er übelnehmen? Dann wäre er selbst ein schlechter Sportler und mit seinen vierundzwanzig Jahren ein Greis. Nach dieser Überlegung war ihm so wohl, als hätte er ein Bad genommen. Ausgeglichener ging er zur Platte zurück. Killing stand und bemühte sich, mit Gitta zu flir ten. „Spielen wir?“ fragte Ernst Prenn.
Killing antwortete nicht, ging aber in Positur. Maklert hob den Kopf. Er stand an einer anderen Platte, brach sei ne Erklärung ab und kam zu den beiden. „Ah, sieh da, der Ernst aus der Schmollecke zurück?“ Ernst Prenn jonglierte mit seiner Kelle und sagte schein bar leichthin: „Ich möchte dieses Spiel einmal ganz ohne Ihre Nebenbemerkungen spielen. Was Sie auszusetzen haben, sagen Sie bitte nachher, Sportfreund Maklert.“ Der Trainer verzog unangenehm berührt den Mund, und sein Gesicht bekam das Aussehen eines beleidigten See pferdes. „Das ist ja interessant, Sportsfreund Prenn. Wer ist denn hier Trainer?“ „Sie natürlich.“ „Ach, und da habe ich nicht das Recht…“ „… in ein und demselben Spiel immer nur den einen Spieler zu berichtigen? Und die Fehler des andern nicht zu sehen?“ „Sie denken, weil Sie in der Abteilungsleitung sitzen, können Sie überall dazwischenreden?“ „Wenn’s not tut, ja.“ „Wozu haben Sie dann einen Trainer angestellt?“ „Erstens habe ich Sie nicht angestellt, zweitens ist der Trainer vor allem dazu da, die Spieler der Abteilungen für die bevorstehenden Turniere und Wettkämpfe fit zu ma chen.“ „Und das tue ich nicht?“ „Bei mir nicht. Sobald Sie auftauchen, sinkt meine Lei stung.“ „Sie – Sie werden mit Ihrer Superklugheit noch Wasser saufen gehen!“ „Danke! Das habe ich eben getan!“ rief Ernst dem Da
vonstürmenden nach. Er freute sich, daß er in diesem Wortwechsel die Oberhand behalten hatte und damit die Bevormundung Maklerts losgeworden war. Sie begannen das neue Spiel. Schnell war die Platte wie der von Zuschauenden umlagert. Ernst empfand das Tu scheln, Wispern und Lachen nicht mehr als feindlich. Es gehörte zur Atmosphäre und machte einem die Sporthalle heimisch. Er spielte besser als im ersten Spiel. Das bla sierte, blasse Gesicht Killings verlor seine Reserve und verzerrte sich des öfteren unmerklich. Er wollte diesmal gewinnen, denn er mußte gewinnen. Und er würde ge winnen. Er war doch nicht zum Spaß von Maklert in diese Sportgemeinschaft geholt worden. Außerdem saß dort ein Mädchen, und schon deshalb lohnte es sich zu gewinnen. Man mußte sie dem Prenn fortgewinnen. Die war für den viel zu schade, für diesen sauren Drops. Es ging auf den Schluß des ersten Satzes. Ernst führte mit 18:16 und wollte diesen Vorsprung halten. Plötzlich stand es 17:18, und Killing hatte den Aufschlag. Kurz darauf hielt er mit 20:18 die Führung, und in Ernsts Kopf war ein großes Wundern. Er hatte das Gefühl, ein Un sichtbarer halte ihm den Arm fest. Gewaltsam riß er sich zusammen und machte den neunzehnten Punkt. Aber dann holte sich Killing den einundzwanzigsten und hatte damit diesen Satz gewonnen. Jetzt ging es um die Entscheidung. Ernst biß die Zähne zusammen, daß ihn die Wangen muskeln schmerzten. Er vergaß die Halle, das Flüstern und wollte nicht an Gitta denken. Da war die Platte, der Ball und ein Gegner, der rätselhafte Kniffe beherrschte.
Ernst spielte hart und gefährlich. Sein Tempo preßte den anderen. Dessen Kraft sank wie die Flüssigkeit eines Thermometers, das man in den Frost gehängt hat. Es stand 15:10, kurz darauf 16:10, und Ernst wußte, daß er diesen Satz gewinnen würde. Plötzlich war da wieder etwas, das er sich nicht erklären konnte. Der Tisch, das Netz, der Ball, alles war dasselbe wie vorher, und es war doch nicht dasselbe. Hatte er eine schwerere Kelle in der Hand? Er hatte doch nicht getrun ken. Aber warum spielte er jetzt schlechter und der andere besser? Dieses erschrockene Wundern in seinem Kopf machte ihn unsicher, gab dem Gegner noch eine Chance mehr. Killing holte auf. In seinen Augen war tückisches Glänzen. Dieses Gesicht…. dieses Gesicht…. dachte Ernst, wo habe ich es schon einmal gesehen? Er hätte die Kelle wegwerfen und wie ein Kind weinen mögen. Er wußte, daß der andere betrog, aber er konnte es nicht be weisen, denn er selbst war sich nicht einmal darüber klar, was es war, das ihn plötzlich schwächer und den andern stärker machte. „Donnerwetter, Ernst Prenn verliert 18:21 gegen Sieg fried Killing!“ Fast ungläubig hatte es Gert Breuer geru fen. Dann war jener Tumult um die beiden Spieler, der nach spannenden Kämpfen üblich ist. Killing wurde be glückwünscht, Ernst gutmütig-spöttelnd getröstet. Mit starrem Gesichtsausdruck legte er die Kelle hin und ging langsam zum Umkleideraum. Ihm war, als hätte er das letzte halbe Spiel mit Lochbrille spielen müssen. Hät te er etwas gegessen gehabt, so würde ihn der Verdacht nicht mehr loslassen, man habe ihm ein Lähmungsmittel eingegeben. Doch warum und wozu sollte Killing unlau
tere Mittel anwenden? Konnte Eifersucht einen Sportler soweit treiben? Oder ging es dem Killing um etwas anderes? Die Zei tungen berichteten öfter darüber. Bis auf einige große und erschreckende Fälle hatte Ernst Prenn diese Berichte nie sehr wichtig genommen. Je länger er darüber nachdachte, um so stärker wurde ein Verdacht gegen Killing. Die Ge schichte wurde immer ernster. Er mußte etwas tun. Aber was? Wenn er sich nun irrte und alles nur Hirngespinste seiner Eifersucht waren, wie es Gitta glaubte? Aber dieses Gesicht – bohrte es in ihm. Ernst hätte sei nen Kopf dafür verpfändet, daß er Killing schon einmal begegnet war. Resolut schnürte er das Schuhband zu, zog noch einmal den Kamm durch die Haare und verließ die Sporträume. Das war eine Idee. Er mußte unbedingt mit Harry Willert, dem Kulturleiter des Werkes, sprechen. Auf der Bank in der kleinen Anlage vor dem Kulturge bäude saß Gitta. Sie schien zu warten. Ernst stutzte. Dann sah er wieder ihr schadenfrohes Gesicht und das Blitzen ihrer Augen, wenn Killing einen guten Schlag geführt hatte. Darüber war er mehr traurig als zornig gewesen. Aber das durfte man nicht zeigen. Man mußte Wut haben, einen pfundigen Ärger, selbst wenn es schwerfiel. „Wartest du auf deinen Sigi?“ fragte er das Mädchen und bemühte sich um ein häßliches Lachen. Gitta hatte sich etwas erhoben, war aber, als sie Ernsts Gesicht sah, unwillkürlich sitzengeblieben. Bei seinen Worten stieg unbeherrschter Trotz in ihr hoch. „Jawohl“, rief sie, „und außerdem kann ich tun und las sen, was ich will, ich bin mit niemandem verheiratet.“
Hastig stand sie auf und ging zurück zur Trainingshalle. Es schoß ihr warm in die Augen, und verstohlen wischte sie die kleinen salzigen Perlen fort. Niemand durfte sie, die stolze selbstbewußte Gitta, so sehen. Ernst Prenn ging müde zum Werk. Er hoffte, Harry Wil lert noch anzutreffen. Jetzt brauchte er einen vernünftigen Menschen. Es war zuviel. Daß sich Gitta einmal auf sol che Art von ihm trennen würde – undenkbar! Er hatte sie damals gesehen und sofort gefühlt, daß er mit diesem Mädchen bis ans Lebensende zusammen sein würde. Im mer war ihm, als hätte er das gewußt, solange er denken konnte. Sie hatten noch nie über Heirat gesprochen; aber das war alles selbstverständlich. Sie konnten sich Zeit lassen, Gitta war jung. Sollte sie erst einmal als Laboran tin ausgelernt haben, dann würde sich alles einrichten. Inzwischen konnte er sein Fernstudium beenden, und der technische Zeichner wurde Ingenieur. Und nun das. Er wollte es nicht begreifen. Immer wieder murmelten seine Lippen: „Es ist aus! – Es ist aus!“ Gitta umwanderte die Halle, sie mußte sich beruhigen. Das Leben war plötzlich schwarz und verzwickt. Um sich zu entschuldigen und Ernst zu sagen, daß er wahrschein lich recht habe, hatte sie auf ihn gewartet. Und dann hatte er sie so behandelt. Gerade jetzt brauchte sie ihn, seine sachliche, vernünftige Art; denn sie wußte nichts, sie ahn te nur. Diese Ahnung war bedrückend. Was tat der Kil ling? Sie hatte gehört, wie er halblaut zu Maklert gesagt hatte, als sie sich unbeobachtet glaubten: „Der Bursche spielt toll. Ich mußte meinen Trick anwenden, sonst hätte er mich geschlagen.“ Wenn Ernst das gewußt hätte! Alles wäre gut gewesen.
Gitta war traurig. Auf Umwegen ging sie nach Hause, bemüht, von niemandem gesehen und angesprochen zu werden. „Und nun meinst du, die beiden stecken unter einer Dek ke und spielen sich die Bälle zu?“ fragte Harry Willert. Ernst Prenn saß ihm gegenüber und nickte. „Jawohl, ge nau das.“ „Hm.“ Der Vierziger mit den grauen Schläfen zog nach denklich an seiner Pfeife und paffte winzige Ringe in die blaue Luft des Zimmers. Ernst Prenn rückte auf dem Stuhl hin und her. Da war er zum Bersten voll herge kommen, und der Harry blieb die Ruhe selbst. Jetzt end lich räusperte er sich und sagte: „Das Dumme ist, du hast Vermutungen ausgesprochen, leider keinen überzeugen den Beweis.“ „Man sollte aber trotzdem…“ „Zum Beispiel gibst du zu, daß du dich beim besten Wil len nicht entsinnen kannst, bei welcher üblen Angelegen heit du dem Killing begegnet bist.“ „Leider, aber…“ Willert hob beschwichtigend die Hand. „Sei nicht so aufgeregt! Ich freue mich doch, daß du hergekommen bist. Aber auf reinen Verdacht hin kann man nicht los wirtschaften wie der Elefant im Porzellanladen.“ Ernst war unzufrieden. Ein Zug leiser Resignation schlich sich in sein Gesicht, als er sagte: „Wenn man im mer gleich mit klaren Beweisen kommen müßte, dann genügte der Staatsanwalt, und die Polizei wäre überflüs sig.“ Lächelnd schüttelte Harry Willert den Kopf. „Wenn bei
dir eingebrochen wurde, ist das beschädigte Schloß da, und es finden sich eine Reihe anderer Spuren der Täter. Das ist der Anfang des Fadens, den die Polizei aufnimmt, verstehst du, Ernst? Das fehlt uns.“ „So können wir nichts machen?“ „Das habe ich nicht gesagt. Wir können beobachten und zusammentragen. Dabei werden uns alle zuverlässigen Sportfreunde helfen. Wir müssen sie informieren. Schon das wird nicht leicht sein. So mancher wird denken, der Ernst ist eifersüchtig und sieht Gespenster. Die Meister stellung Ernsts in der Tischtennisabteilung wackelt, und da versucht er es auf die Tour.“ „Du meinst, daß mir das jemand zutraut?“ „Kein Mensch ist ein Engel, und den andern hält er meist noch für ein bißchen schlechter.“ Ernst stand auf. „Ich sehe, es hat keinen Zweck.“ Freundschaftlich drückte ihn Willert wieder auf den Stuhl. „Sei mal ein bißchen klug. Denkst du, die Gitta würde die Fisimatenten machen, wenn du sie vernünftig behan delt hättest?“ Dieser Hinweis verfehlte nicht seine Wirkung. Ernst be kam ein Büßergesicht und fragte: „Was schlägst du vor?“ Willert stieß mehrmals Rauch aus wie eine Güterzuglo komotive vor der Abfahrt. „Mach dir ein klares Konzept von den Verstößen, die sich Maklert zuschulden kommen läßt. Ich bin schon der Meinung, häufige Gelage mit Sportfreunden, undurchsichtige Verhältnisse mit Nach wuchsspielerinnen, einseitige Trainingsbevorzugung ein zelner Mitglieder sind keine Lappalien. Nur muß man sie fundiert vorbringen und mit Tatsachen aufwarten.“
„Wenn es uns nicht gelingt, Maklert und Killing beim Kanthaken zu kriegen, dann machen sie unsere Tischten nisabteilung kaputt. Ich möchte schwören, daß die vor allem unser gutes Verhältnis zu den Westberliner Sport lern stören sollen.“ „Darum mußt du anfangen, planmäßig vorzugehen. Ver suche dich vor allem zu erinnern, wo dir Killing begegnet ist. Das wäre der Anfang des Fadens.“ Ernst Prenn ging hin und her und rieb sich vor Erregung die Faust. „Wenn das bloß nicht alles zu lange dauert. Unsere Verhandlungen mit der Tischtennisgemeinschaft Lenglen stehen gut. Es kommt bestimmt zu einem Freundschaftsturnier. Wir bemühen uns schon um die Sporthalle in der Stalinallee.“ „Ausgezeichnet. Und was sollte dem entgegenstehen?“ „Daß Maklert und Killing Anweisungen haben, die Veranstaltung zu torpedieren.“ „Da heißt es also doppelt aufmerksam sein. Ich werde auf jeden Fall mit Tetzlaff, Bröselt und Ragner sprechen. Rufe du deine Freunde aus der Leitung zusammen! Mach sie nicht argwöhnisch, sondern bringe sie dazu, dir zu helfen!“ Ernst seufzte. Das lastete nun alles auf ihm, und er muß te damit ohne Gitta fertig werden. Gitta, die trotz ihrer Kratzbürstigkeit klug, mitfühlend und hilfsbereit sein konnte. Die gleiche Gitta stand jetzt auf Seiten jenes Menschen, von dem Ernst überzeugt war, daß sein Eintritt in ihre Sportgemeinschaft von dunklen Absichten geleitet wurde. Harry Willert ahnte die Gedanken des Jüngeren. Er knuffte ihn in die Seite. „Nicht elegisch werden! Ist das
keine interessante Aufgabe, ein solches Individuum zu entschleiern?“ Ernst Prenn brummte. Halb Zustimmung, halb Ableh nung war in ihm. „Mein Fernstudium kommt dabei ins Humpeln. Und die klugen Rauschebärte sprechen dann vom mangelnden Qualifizierungswillen der Jugend.“ Willert schmunzelte. „Wer so schlau daherreden kann, der schafft beides.“ „Du hast gut spotten“, sagte Ernst und erhob sich. Willert protestierte und bewies, daß er eigentlich noch bis in die Nacht hier sitzen müßte. „Aber für heute bin ich satt“, erklärte er dann, klappte einige Hefter zu und ver schloß sie in einem Schrank. Gemeinsam verließen beide das Werk. Als Ernst Prenn die S-Bahn bestieg, erschien ihm noch vieles unklar, und er war mit sich selbst unzufrieden. Ihn trieb einfach das Verlangen, Hilfe zu bekommen. Wäh rend der Fahrt war Zeit genug, nachzudenken. Je länger er an Walfried Kobler dachte, desto leichter wurde ihm zu mute. Als er in Charlottenburg den Zug verließ, war er schon beinahe davon überzeugt, daß ihm Walfried würde helfen können. In der Kindheit, später auf der Oberschule, waren sie unzertrennlich gewesen. Daß einen das Leben so hetzte und man zu den besten Menschen den Kontakt verlieren mußte! Der vierschrötige Walfried Kobler wirkte wie ein Ofen mit Kopf. Er hatte Maurerpranken und schrieb Gedichte. Als Mittelpunkt seiner Jugendgruppe war er bei den Freunden berühmt und bei den Gegnern berüchtigt. Sim son studierte an der Humboldt-Universität. Als sie sich in seiner Bude gegenüberstanden, hieben sie
sich vor Wiedersehensfreude auf die Schultern, daß es krachte, und schüttelten sich unter Hallo und Lachen die Hände. Heimlich knetete Ernst danach seine Finger, um ihnen ihre alte Form zurückzugeben. In beredten Worten schüttete er sein Herz aus. Simson wühlte sich im blonden Haarwust. „Setz dich erst mal hin“, sagte er dann und räumte einen Stapel Bü cher von einem Stuhl. Die Bude atmete genialische Un ordnung. Trotzdem wußte Simson alle Aschenbecher zwi schen Kakteen, auf Bücherborden und in Couchecken zu finden. In einigen versteckten sich noch Stummel vergan gener Tage und Debatten, Er entkleidete sie bedachtsam ihres Papiers und stopfte sie in eine mächtige Pfeife. Ernst wartete geduldig. Durch nichts konnte man den Freund wilder machen als durch unüberlegte Hast. Während er mit einem langen Draht in dem gebogenen Pfeifenrohr stocherte, sagte Simson: „Also, den Killing, dieset komische Jenie, kenne ick leider nich.“ „Schade“, entrang es sich der Kehle Ernst Prenns. „Aber ick kann ihn kennenlernen.“ „Und dann?“ „Denn werden wir schon sehen, wat det for’ne Nippfijur is.“ „Hm. Bloß vergehen derweile Wochen.“ „Wieso? Ob wir hier rumklöhnen, oder wir jehn gleich mal ‘n bißken kieken.“ Simson stand auf, zog sich sein blaues Hemd aus und streifte ein gelbes Nickihemd über. „Die Adresse haste?“ „Selbstverständlich“, betonte Ernst. „Dann komm!“ Er verstaute die Pfeife und schob den Rest der Stummel uneingewickelt in die Tasche. Sie stie
gen die Treppen hinab, und Ernst sagte: „Du bist doch immer noch der alte, Simson.“ „Entschuldije, ick bin noch nich mal janz vierundzwan zich.“ Nach etwa zehn Minuten befanden sie sich in der Wohngegend Killings. Simson instruierte: „Paß uff, Ern ste! Du jehst da an den Kiosk und studierst ‘n bißken un sern Blätterwald. Inzwischen werde ick sehn, det ick ihn ‘n paar Würmer aus de Neese ziehe.“ Ernst hatte damit gerechnet, geraume Zeit warten zu müssen, da stand Sim son schon wieder vor ihm. Der hatte in Killings Treppen haus geschickt seinen Kamm gebraucht und eine AmiTolle aus seinem Haarschopf gezaubert. Ernst fragte ge spannt: „Was ist?“ „Schwein gehabt, er war nich da.“ „Das nennst du Schwein?“ „Ehmd. – Eine füllije Dame war über meine Kompli mente leicht geschmeichelt und hat mir denn jenau er zählt, wo der Jute is. Nach der Auskunft dieser, scheint mir, teils Jeliebten und teils Wirtin des Bürstenkopps, jibt er heute einen großen Abend im Jugend-Klub.“ „Was für einen großen Abend?“ „Siehste, so dämlich konnte ick ja nu nich fragen, denn hättese doch jemerkt, det ick den Sigi nich kenne.“ „Das stimmt leider.“ „Aber dafor weeß ick, wo der Klub is. Und wenn wir uns een bißken beeilen, können wir den großen Abend miterleben.“ Sie machten sich auf den Weg und standen bald darauf vor einem villenartigen Gebäude, dessen Vorgartentür zum Torbogen vergrößert worden war. Es mußte wohl bald beginnen, denn die Jugendlichen hatten es alle eilig.
Wahrscheinlich wollten sie sich nichts von dem entgehen lassen, was das Plakat auf einer Werbestaffelei in bunter, schreiender Kinoschrift ankündigte: Heute: Großer Abend mit unserem
Sigi Cillinger!!! Er zaubert, jongliert und erfreut
wie immer!
Wer fröhlich sein will, komme! Eintritt frei!
Sie lasen das Plakat, und Simson sagte: „Eintritt frei is jut, sonst hätte ick beschummeln müssen.“ Dann ging er hinein, um die Lage zu peilen. Ernst wartete und beobachtete die jungen Menschen, die sich eilig dem Gebäude näherten. Alle Jünglinge gaben sich betont salopp, auf den Gesichtern lag das Selbstbe wußtsein ihrer privaten Freiheit und der Abscheu gegen jede Uniform. Die meisten trugen Nickihemden mit Cow boybildern. Etwa die Hälfte kam mit Buschhemden, die über die Hose hingen und wild bedruckt waren. Andere hatten knallrote oder giftgrüne Lumberjacks aus Manche stersamt an. Aber Ernst sah keinen ohne amerikanischen Haarschnitt. War das nicht Höhepunkt der Uniformie rung? Simson kam und winkte. „Komm, die sind schon mit tenmang.“ Sie durchquerten den gepflegten Vorgarten und befan den sich darauf in einem Haus, dessen geschmackvolle Raumgestaltung einen sympathischen Eindruck machte. Vor einer breiten Doppeltür stand ein Tischchen mit ei nem Karteikasten, Block und Bleistift. Der Junge, in den auf halblang hochgekrempelten blauen Köperhosen mu
sterte sie mit mißtrauischen Augen, „Neue, was?“ „Ick nich, aber mein Freund.“ Simson lächelte den Fra genden freundlich an. „Komm, trage dich ein.“ Der Türhüter schob Ernst Liste und Bleistift hin. Simson beugte sich nieder und legte dem Jüngeren väter lich seine Pranke auf die Schulter. „In Ordnung. Sowie die Vorstellung zu Ende is. Jetzt laß uns mal zukieken.“ Er öffnete schon leise die Tür, und der Köperboy ließ sie unwilligen Gesichts passieren. In dem kleinen Saal war es finster. Scheinwerferlicht be strahlte das zur Miniaturbühne hergerichtete Podium. Um ihre Augen an das Dunkel zu gewöhnen, blieben sie erst an der Tür stehen. Im Augenblick herrschte Totenstille. Ein junger Mensch jonglierte vorn mit Keulen und zeigte Tricks, die sich sehen lassen konnten. Dann war die Nummer beendet. Er wandte sein Gesicht voll dem Saal zu und verneigte sich mehrmals, während Beifall auf ihn einprasselte. Ernst Prenn starrte und vergaß alles ringsum. Ihm war, als müsse er sich über die Augen wischen, um besser se hen zu können. Der Umjubelte auf der Bühne war Sieg fried Killing. Es war Killing und doch ein völlig anderer Killing. Ernst kannte ihn nur mit blasiertem, beinahe ver kniffenem Gesicht. Jetzt strahlte es und konnte den täu schen, der die verlebte Augenpartie übersah. Das Pfeifen und Klatschen verebbte, Killing ging einen Augenblick hinter die Kulisse. Er kam zurück, stellte sich vorn an die Rampe und hob beide Hände gegen den Saal. Die offenen Handflächen waren leer. Dann schloß er sie
mit eigenartigen Fingerbewegungen. Es sah aus, als knete er Luft. Im nächsten Augenblick befand sich in jeder Hand ein Tischtennisball. Killing warf den einen zu Bo den, gleich darauf den andern. Die präparierten Bälle er zeugten beim Aufprall jeder einen anderen Ton. „Ping pong“, klang es, und bei der Wiederholung „ping-pong!“ Dafür erntete der Jongleur mitten in der Szene Applaus. Diese beiden Bälle verschwanden genau so geheimnis voll, wie sie gekommen waren. Killing zauberte sich zwei andere Tischtennisbälle aus der Luft. Den einen ließ er fallen, und mit einer geschickten Wendung der Hüfte fing er den hochspringenden Ball in der Jackentasche ein. Das gleiche wiederholte er mit dem andern. Ohne in die Taschen zu greifen, hielt er kurz darauf die Bälle wieder in der Hand, wenig später noch vier derselben Art. Jetzt brillierte er mit einer Kaskade verblüffender Tricks. Die sechs Bälle wirbelten durch die Luft, dann waren es fünf, vier, drei, zwei, einer und gleich darauf keiner mehr, ohne daß der Magier auf der Bühne aufhörte, die gleichen Armbewegungen zu machen. Derart verstand er, Komik in seine Vorstellung zu bringen. Nachdem er ein Weil chen mit eingebildeten Bällen jongliert hatte, fanden sie sich plötzlich wieder aus der Luft ein. Erst einer, dann zwei, bis alle sechs wiederum neuen Tricks dienen muß ten. Die jungen Menschen starrten auf das geschickte Treiben, und Ernst Prenn begriff jetzt die Anziehungs kraft, die dem Plakat mit den grellen Buchstaben inne wohnte. Ein einziges Mal unterlief Killing ein Fehler. Er ließ eine der leichten, weißen Kugeln von der rechten Handspitze den Arm hinunterlaufen, über den Nacken und dann wie
der den linken Arm entlang, bis zur linken Handspitze. Das war weit schwieriger als mit einer ungleich schwere ren Billardkugel. Es wurde vom Auditorium begriffen und mit lautem Beifall belohnt. Kühn geworden, wollte Killing den Ball zurückwandern lassen. Durch eine win zige falsche Bewegung mit den Schulterblättern fiel die kleine Kugel zur Erde. Nur den Bruchteil einer Sekunde vergaß sich Killing. Sein Gesicht verzerrte sich in maßlo ser Wut, dann faßte er sich, hob den Ball auf und be schimpfte ihn stumm mit entsprechenden komischen Ge sten, als sei er eine ungehorsame weiße Maus. Der Saal dröhnte wider von Beifall. Als Ernst Prenn das wutver zerrte Gesicht im Scheinwerferlicht sah, wußte er plötz lich, wo ihm Killing einmal begegnet war. Ihm widerfuhr, wovon der Volksmund so treffend sagt, „es fiel ihm wie Schuppen von den Augen“. Innerliche Aufregung packte ihn, und er befürchtete, alle müßten es ihm trotz der Dun kelheit anmerken. Er zupfte Simson am Ärmel und flü sterte: „Komm!“ Das wurde so bestimmt und mit verhaltener Erregung hervorgestoßen, daß der Freund nur noch einmal bedau ernd zur Bühne schaute und sich dann zur Tür wandte. Der am Tisch vor dem Eingang hatte Verstärkung be kommen. Neben ihm saß ein Jüngling, um dessen schmächtigen Oberkörper ein Hemd schlotterte, das mit Abbildungen ganz und halbnackter Südseeinsulanerinnen übersät war wie sein käsiges Gesicht mit Pickeln. Sehr weite, dreiviertellange Hosen ließen nicht nur wild gemusterte Socken sehen, sondern auch unwahrscheinlich dürre Waden. Der dicke Krepp an den knallgelben Schu hen wirkte wie Klumpfuß an mißlungenen Drahtskulptu
ren überkandidelter Bildhauer. Aus der Art seines Tones ging hervor, daß er mehr zu sagen hatte als der Köperboy und daß er die beiden sofort als neue Gäste erkannt hatte. „Schon eingetragen?“ „Noch nicht“, meldete sein Partner pflichtschuldig. Sim son stützte sich auf das Tischchen und fragte jovial die beiden Sitzenden: „Sagt mal, Freunde, wenn der Sigi in unsere Gruppe kommt, wat würde det kosten?“ Die Lippen des Bikiniheinis kräuselten sich vor Stolz. „Sigi nimmt doch nichts von den Gruppen. Das regelt er schon mit denen oben.“ Simson kratzte sich den Kopf, als sei er unangenehm be rührt. „Wenn det jar nischt kostet, denn sind sone Leute immer am schwersten zu kriejen.“ „Das kann sein. Aber du mußt das schon selbst mit Sigi ausmachen. Bitte schreibt euch ein.“ Simson tat, als habe er das letzte nicht gehört. „Heute muß ick leider wech. Wann kann man denn den Sigi sonst sprechen? Der is doch stark beschäfticht, wat?“ Der Gefragte zuckte unwirsch die Schultern und schob Simson die Liste noch näher. „Hier deine Eintragung.“ „Mann, bist du nervös.“ Der vierschrötige Student sah den andern ärgerlich an, aus seinen Augen flammte ehrli cher Vorwurf. „Möglich. – Ich bin nervös, und du bist aufdringlich.“ „Ick? – Weil ick mal ‘ne Auskunft haben will? Quatsch doch nich so’n jehäkelten Rhabarber.“ Der Käseweiße stand auf, seine Wangen bekamen rote Flecke. „Wenn ihr euch hier ungebührlich betragt, be kommt ihr Hausverbot.“
„Wat? Von dir? Jungeken, dir is woll eener mit Torfbee ne übert Pinksneh jeloofen, wat?“ „Verlaßt sofort dieses Haus!“ Trotz der Vorstellung drinnen waren diese Worte schon nicht mehr ganz leise gesprochen. Simson war immer noch die Ruhe selbst. Ernst ärgerte sich, mit welchem Vergnügen der Freund den andern wü tend machte. Er hatte ihn mehrmals heimlich geknufft und stand schon an der Tür zur Eingangshalle, während der Student jetzt erst richtig warm zu werden schien. „Ick wollte sowieso jehn. Aber wenn et mir paßt, kieke ick mir die Vorstellung weiter an.“ „Raus jetzt!“ Der mit den Drahtbeinen stand vor Simson und fuchtelte ihm mit dem Zeigefinger drohend vor der Nase herum. Er mußte sich gleichsam auf die Zehenspitzen stellen, so winzig wirkte er gegen den Bedrohten. Der hielt ihm einfach die fuchtelnde Hand fest und sag te: „Spiel dir nich als lieber Jott uff. Dir wuchert doch’n Furunkel uff de Denkdrüse!“ Der so Belehrte zappelte eine Weile vergeblich in der Schraubstockhand Simsons, dann stieß er ihm mit Wucht den Krepptreter gegen das Schienbein, wobei er zischte: „Charli, hol die andern!“ Zum erstenmal schwand das Lächeln aus dem Gesicht Simsons. Mit einer Hand hielt er den Jüngling weit von sich ab, mit der anderen gab er ihm links und rechts eine Maulschelle, daß es zweimal laut klatschte. Das alarmierte den Köperboy Charli. Anstatt Verstär kung zu holen, sprang er Simson wie eine Tigerkatze von hinten ins Genick. Simson machte eine blitzschnelle Be
wegung, die man dem Bedächtigen nie zugetraut hätte, und plötzlich hielt er Charli vor sich und ohrfeigte ihn auf dieselbe Weise wie seinen Boß. Der begann sich von ei ner halben Ohnmacht zu erholen und wollte eben Alarm geschrei erheben. Deshalb packte ihn Simson vorsichts halber und bumste beide mit den Köpfen zusammen. „Schlaft jut, ihr Kanaljen!“ verabschiedete sich Simson, und nicht ganz ohne Hast verließen sie die Stätte dieses unplanmäßigen Intermezzos. Glücklicherweise war es draußen inzwischen dunkel geworden. Simson war be strebt, eine Reihe kleiner Querstraßen hinter sich zu brin gen. Erst als keine Verfolger mehr zu befürchten waren, gingen sie gemächlicher und verschnauften. „Das hätte schiefgehen können“, tadelte Ernst, „außer dem kann man Menschen mit Schlägen nicht überzeu gen.“ „Stimmt.“ Simson blieb einen Augenblick stehen, um die Pfeife in Brand zu setzen. „Bloß, dat an die beeden nischt mehr zu überzeujen is.“ „Du kennst sie?“ „Bei ihren Überfällen is der Käsije immer een janz raffi nierter Hetzer, und der Charli is’n bißken dußlich und macht allet mit. Haste nicht jelesen, wie se unsre drei Gruppen letztet Mal am Bahnhof Wannsee fertichmachen wollten?“ „Und dann sollten sie dich nicht kennen?“ „Doch. – Aber durch mein Nickihemde und die Ami bürschte waren se unsicher. Weil der Käsije irjend wat jerochen haben muß, hat er doch so uff det Einschreiben jepocht.“ „Trotzdem war es nicht klug, sie zusammenzuhauen.“
„Klug war et nich, aber jerecht, und et hat mir wohlje tan.“ „Wenn die uns gekriegt hätten, sie hätten uns totge schlagen.“ „Deswejen habe ick det gleich so besorcht, det se uns nich kriejen konnten.“ Eine Weile war Schweigen zwischen ihnen. Ernst blieb besorgt. „Die werden dir auflauern.“ „Erstens habe ick Oogen in’ Kopp, zweetens bin ick nich janz schwächlich und drittens habe ick schon ‘ne neue Bude. In der alten wurde et sowieso zu heiß, werde also schon morgen ziehn. Die Gruppe muß die Klamotten ho len.“ Dann fragte er unvermittelt: „Warum wollteste denn mit eenmal raus?“ „Ich wußte plötzlich, wo ich Killing gesehen hatte.“ „Junge! – Det is – det is ja prima!“ Simson hieb Ernst vor Freude auf die Schulter, daß der in den Knien ein knickte. „Erzähle.“ „Ich komme von meinem Studienkumpel Erhard Rieger und will mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Erhard wohnt dicht an der Sektorengrenze. Als ich an der Halte stelle warte, merke ich schon, daß etwas in der Luft liegt. Kurz darauf geht das Gejohle los, Steine fliegen, und eine Meute Bürstenköpfe versucht einen Zeitungskiosk umzu kippen. Das gelingt aber nicht recht, dafür verprügeln sie den Zeitungshändler. Andere schmeißen brennende Phos phorampullen in das Häuschen. Da sie das damals mehr fach an den Stellen wiederholt hatten, war ziemlich schnell FDJ da. Gemeinsam mit einer Streife der Volks polizei haben wir sie über die Grenze gedroschen. Einer bekam einen Stein ins Kreuz. Er preßte die Hand auf die
Stelle, drehte sich einen Moment mit verzerrtem Gesicht um und drohte in ohnmächtiger Wut.“ „Und det war Killing?“ „Eben. Als er vorhin auf der Bühne das gleiche wutver zerrte Gesicht hatte, stand mir die Szene wieder vor Au gen, als wäre es gestern gewesen.“ „Ick freu’ mir, Ernste, det ihr nu eenen tüchtijen Schritt weiter seid.“ Sie waren vor dem Eingang des S-Bahnhofes angekom men. Die Freunde verabschiedeten sich und schworen, künftig öfter zusammenzukommen. Simson bat Ernst, ihm das Datum des Freundschaftsturniers zu übermitteln, er werde bestimmt dabeisein. Ernst stieg die Stufen hinauf und wandte sich noch ein mal um. Lachend winkte unten der junge Riese und ging. Ernst Prenn war in verzweifelter Stimmung. Außer sei ner Westberliner Expedition war alles andere schiefge gangen. Durch den Auftritt mit Maklert hatte er in der Tischtennisabteilung an Boden verloren. Selbst die mei sten Leitungsmitglieder fanden, Maklert sei im Recht. Da Ernst zu wenig Beweise für seine Vermutungen hatte, mußte er sie derart vorsichtig und gewunden vorbringen, daß sie keinerlei Überzeugungskraft besaßen und nur ge gen ihn schlugen. Um so mehr, als in der Abteilung das Gerücht ging, Gitta habe sich Killings wegen von Ernst getrennt. Man schätzte Ernst als fairen Sportler, glaubte aber, in diesem Fall habe er die klare Einsicht verloren und verbohre sich in subjektiven Haß gegen Killing und auch Maklert, dem außer Ernst niemand übelnahm, daß er Killing besonders protegierte. Der Abteilungspatriotismus
hatte die meisten gepackt. Sie sahen die Aufstiegschan cen, die ihnen der neue Mann ins Haus gebracht hatte, und waren dafür bereit, ein weites Gewissen aufzubrin gen. Maklerts Affären und Saufereien wurden bagatelli siert, man leugnete, daß es die Sportmoral untergraben sollte. Der Trainer war klug genug, besonders ausgiebig und zuvorkommend mit den Leitungsmitgliedern und ihren Freunden zu trainieren, und so galt er bei ihnen als das Muster eines tüchtigen Trainers. Ernst saß auf demselben Stuhl wie vor zwei Wochen im Zimmer Harry Willerts und schloß seinen Bericht über die Situation mit einem tiefen Seufzer. Die Falten auf Willerts durchfurchter Stirn vertieften sich. „Ich kann raten und helfen. Direkte Einflußnahme auf unsere Sport abteilungen würde nur das Gegenteil erreichen. Tetzlaff, Bröselt und Ragner sagen, sie haben den Kopf voll genug, der Sport muß mit sich allein fertig werden.“ Ernst wurde erregt. „Verfluchte Kurzsichtigkeit. Letzten Endes geht es doch um den gesamtdeutschen Sport Näch ste Woche ist das Freundschaftsspiel, und ich möchte wetten, daß die beiden die Gelegenheit nicht vorüberge hen lassen, uns eins auszuwischen.“ Willert nickte beeindruckt. „Ich glaube es auch.“ Ernst sann vor sich hin. Dann fragte er plötzlich: „Ob das Material, das ich jetzt gegen Killing habe, reichen würde, ihn auf Nummer Sicher zu bringen?“ Willert verzog das Gesicht, als habe er in einen sauren Apfel gebissen. „Du weißt, wie gern man solche Dinge benutzt, um über Terror zu schreien.“ „Aber Terror hat er doch ausgeübt bei dem Überfall auf den Kiosk.“
„Nach deiner Aussage. Glaubst du, er würde es zugeben?“ „Simson ist Zeuge, daß Killing in Ami-Jugendklubs im Westen ist.“ „Ist das strafbar?“ „Nach unserer Auffassung ist jede Arbeit gegen den Frieden strafbar.“ „Ist Killing Bürger der Deutschen Demokratischen Re publik, oder sind wir nicht vielmehr erfreut, daß er als Westberliner zu uns spielen kommt?“ „Aber nicht, wenn er unsere Abteilung zertrümmert!“ „Kannst du das beweisen?“ Eine Weile war Schweigen im Raum. Ernst wußte, daß Willerts Argumente stärker waren, und das machte ihn nervös, Willert stand auf, ging einige Male hin und her und blieb dann vor Ernst stehen. „Auf frischer Tat, wie es so schön heißt, in flagranti ertappen, lieber Ernst, war noch immer der beste Beweis.“ „Schön gesprochen.“ In Ernsts Stimme war ein Unterton von Bitterkeit. „Ich stehe ganz allein gegen die beiden Ganoven, während die meisten sie hätscheln und tät scheln.“ Willert lachte. „Die Jugend gefällt sich immer in Über treibungen. Stehe ich etwa nicht zu dir?“ „Natürlich. Aber du sagtest, direkt kannst du nicht…“ „Allerdings. Aber am Tag des Freundschaftsspiels unter steht mir die gesamte Übertragungsanlage. Sowie ihr et was merkt, können wir korrigierend durch den Lautspre cher eingreifen.“ Ernst hob den Kopf. Seine düstere Miene hellte sich auf. „Du, das ist nicht zu unterschätzen. Einige stehen zu mir.
Außerdem hat Simson fest versprochen, zu kommen.“ „Und dann ist da noch jemand, der auf unserer Seite steht, mit dem du überhaupt nicht rechnest, Ernst.“ „Du machst mich gespannt.“ Willert schmunzelte. „Ich muß mich erst ganz genau vergewissern. Vorher wird nichts verraten.“ Ernst drang nicht weiter in den Kulturleiter und verab schiedete sich. Mit dem Optimismus der Jugend sah er neue Möglichkeiten. Die Stimmung in der Abteilung war im Augenblick zwar gegen ihn. Aber er würde einige we nige Verläßliche genau einweihen, sie würden die Augen sehr offen halten, und so mußte es gelingen, allen An schlägen zu begegnen, Maklert und Killing waren durch ihren Scheinsieg übermütig geworden und würden um so leichter in eine Falle tappen. Ernst freute sich, wie überle gen er in Wahrheit war, weil er viel mehr wußte, als sie ahnten. Der ereignisreiche Samstagabend war da. Die große Hal le hatte man mit Fahnen, Blumen und Grün geschmückt. Schon lange vor Beginn strömten Angehörige, Freunde und Bekannte der mehrere Tausend Menschen zählenden Belegschaft des Werkes zur Stalinallee. Die Schächte der U-Bahn spien Massen sportbegeisterter Berliner aus, un ter denen viele Westberliner Anhänger, der Tisch tennisgemeinschaft Lenglen waren. Bis auf den letzten Sportler aus Betriebssportgemeinschaft und Tischtennis abteilung war alles auf den Beinen. Simson hatte Wort gehalten und war frühzeitig erschie nen. Auf Vereinbarung wich er Ernst nicht von der Seite. Der hatte den Auftrag, die Westberliner Mannschaft offi
ziell zu empfangen. Als er erfuhr, daß sie angekommen war, ging er mit Simson in die Garderoben der Turnier gegner. Ein Sportfreund führte sie und sagte zu einem Mann, der sich eben die Sportschuhe anzog: „Dieter, du wirst verlangt!“ Der Angesprochene hob den Kopf, dann zeigte sein Ge sicht freudiges Erkennen, und im nächsten Moment gab es eine herzliche Begrüßung zwischen Simson und ihm. Ernst stand wartend daneben und dachte, wer mit Sim son ist, mit dem ist das Glück. Simson stellte beide vor und erklärte Ernst, daß Dieter Nühring der Bruder des Mannes seiner Schwester sei. Die Halbschwager sähen sich zwar selten, verständen sich aber immer gut. Dicht an Ernst Ohr raunte er noch: „Nu is mir ooch klar, warum euer Freundschaftsturnier ausje rechnet mit dieser Jemeinschaft zustandejekommen is.“ Ernst besprach die organisatorischen Dinge mit dem Mannschaftsleiter und fand, daß Simson bei der Charakte risierung Nührings nicht geprahlt hatte. Er war ein intelli genter, umsichtiger Mann. Ernst bat Simson, Nühring ihre Befürchtungen mitzuteilen. Er entschuldigte sich dann, um Harry Willert den erfreulichen Umstand zu berichten. In dem gewaltigen Raum war ein Summen wie von tau send Bienenvölkern. Reihe an Reihe war dicht besetzt, so mancher hatte keinen Einlaß mehr bekommen. Die Zeiger der Uhren zeigten den Zeitpunkt des offiziellem Beginns. Scheinwerfer flammten auf und sandten ihre strahlende Helle in das tiefe Rund. Von beiden Seiten kamen die Mannschaften hereinmarschiert, standen sich dann gegen über. Händeklatschen setzte ein und schwoll an zum Geräusch
eines Gewitterregens. Dann trat Ernst vor und begrüßte die Sportfreunde von drüben in kurzen, zu Herzen gehenden Worten. Dieter Nühring antwortete in kameradschaftlichem Ton, der die Tausende erneut zu Beifallsstürmen hinriß. Die Mannschaften verließen das Rund, das Turnier begann. Siegfried Killing war von der Abteilung als Spitzenspie ler nominiert worden, Ernst als zweiter, Gert Breuer als dritter. Es gab sogar Stimmen, die Breuer für spielstärker als Ernst Prenn hielten. Ganz wenige aber bezweifelten Killings Spitzenstärke. Über die Lautsprecher kam Durchsage auf Durchsage. Programme raschelten, Bleistifte kritzelten, Reporter huschten, Blitzlichter flammten. Das Haus fieberte dem Kampf der „Kanonen“ entgegen. Dann war es soweit. Erwartungsvolle Stille wisperte, als die nunmehr einzige Platte in die Mitte unter den großen Tiefstrahler gerückt wurde und die Schiedsrichter ihre Plätze einnahmen. Dieter Nühring trat zur Platte. Mit gemessenen Schritten kam Killing. Ein Raunen lief durch den Raum. „Der Totspieler…!“ Killing hatte sich anscheinend mühelos durch die Vor runden gekämpft, und Maklert war es inzwischen gelun gen, das Wort vom Totspieler zu popularisieren. Jetzt zwinkerte er seinem Schützling Selbstvertrauen zu. Doch schien das kaum nötig zu sein. Killing machte ein hochmütiges Gesicht und war seiner Sache sehr sicher. Nühring wirkte leicht nervös, dennoch verrieten seine Bewegungen Kraft und Sicherheit. Der Schiedsrichter trat zurück, das Spiel begann. Killing
hatte den Aufschlag und servierte hintereinander mehrere seiner virtuosen Konterbälle. Nühring war ihnen nicht gewachsen. Beim ersten Wechsel stand es 4:1 für Killing. Worte der Mißbilligung raunten, die Mehrheit befürchtete einen uninteressanten Kampf, und mindestens 70 Prozent der Zuschauer wären bereit gewesen, zu wetten, daß der Totspieler haushoch gewinnen würde. Der zweite Wech sel stand immer noch im Zeichen des Vorteils von Killing mit 6:4. Dann lag er wieder vorn mit 9:6, und jetzt gab es kaum noch zehn Prozent der Zuschauer, die mit einem Sieg Nührings rechneten. Doch 11:9 für Killing sah schon nicht mehr so katastro phal für Nühring aus, und nicht wenige begannen sich etwas zu revidieren, um dann aber beim nächsten Resultat 14:11 für Killing diesem wieder insgeheim Abbitte zu leisten. Mit kleinen Schwankungen verstand er es, seinen knappen Vorsprung bis zum Schluß zu halten, und als sie die Plätze wechselten, hatte er schließlich den ersten Satz 21:18 gewonnen. Zu den wenigen, die von Killings Sieg nicht so über zeugt waren, gehörte Ernst Prenn. Wäre sich der Totspie ler so sicher gewesen, wie es aussah, so hätte er bestimmt eines seiner beliebten Schauspiele gegeben, um den Geg ner erst in den hohen zwanziger Punkten zu erledigen. Die Bestätigung dieses Gedankengangs war Maklert vom Gesicht abzulesen. Er tat hocherfreut über das Resultat, aber hinter seinem stereotypen Lächeln lauerte Unruhe. Als Verlierer hatte Nühring den Anfangsaufschlag zum zweiten Satz. Beim ersten Wechsel stand es wiederum 4:1, aber diesmal für Nühring. Einen Satz hatte er zum Studium seines Gegners gebraucht und war dann zu den
gleichen Erkenntnissen gekommen wie vor ihm Ernst Prenn. Killing war durch pausenlosen Angriff zu zermür ben. Erst recht, wenn man es verstand, seine Konterbälle so frühzeitig fortzuheben, ,daß sie ihm selbst gefährlich wurden. In der Riesenhalle erhob sich Tuscheln, Raunen und Wispern. Dieses Spiel wurde eine Sensation. Der Totspie ler war nicht unverwundbar, Er lieferte zwar meist einma lige Bälle, doch die harte Kraft und Schnelligkeit Nüh rings zwang ihm das Tempo auf, und das machte ihn ner vös. Es wurde offensichtlich und drückte sich in den Re sultaten aus. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, ein 21:18 im zweiten Satz zu erkämpfen. Doch diesmal als Unterlegener. Er stand genau pari mit Nüh ring. Das weitere Spiel mußte erweisen, wer der Bessere war. Eine kurze Pause wurde angesagt, die beiden Rivalen waren in ihren „Ställen“ verschwunden. Wie eine aufge regte Glucke auf ihr Küken hatte sich Maklert auf sein Wunderkind gestürzt und ließ keinen anderen heran. Ernst beobachtete sie unauffällig. Sie sprachen ausgiebig, aber leise, es war nichts aufzufangen. Desto beredter waren ihre Mienen. So ungünstig die sportliche Position Killings im Augenblick war, so günstig stand es jetzt für seinen Auftrag. Als Verlierender konnte er für jede Unfairneß die Ausrede gebrauchen, daß ihm die Nerven durchge gangen seien. Ernst Prenn war sich dessen bewußt und instruierte seine Verbündeten. Inmitten der allgemeinen sportlichen Erre gung gab es ein Dutzend Menschen, deren Nerven vi brierten wie vor einem Überfall, deren Sinne hellhörig
waren wie hochempfindliche Alarmgeräte. Die Pause war zu Ende. Nühring und Killing gingen zur Platte, gaben sich wieder die Hand. Stille trat ein. Killing hatte den Anfangsaufschlag, und beim ersten Wechsel stand es trotzdem nur 3:2 für ihn. Schon der nächste Wechsel brachte ein 7:3 für Nühring. Ungeheure Erre gung durchzitterte die gewaltige Halle. Die Menschen lehnten sich weit über die Brüstungen, wünschten sich Stilaugen. War das nicht toll? Dieser gefährliche Mann, der Totspieler, hatte seinen Meister gefunden! Kurz nach dem dritten Wechsel geschah etwas, das selbst Ernst Prenn überraschte. Killing hatte weit nach hinten ausgeholt, der Ball pfiff von dem harten Schlag ins Netz, aber die Kelle flog dem Spieler aus der Hand und Nühring vor die Brust. Einen Augenblick war atemlose Stille, dann ertönten einzelne Protestpfiffe, die sich zusehends verstärkten. Ernsts Schrecksekunde war am kürzesten. Mit schnellen Sätzen war er bei Dieter Nühring, ergriff dessen Hand, schüttelte sie herzlich und deutete durch betonte Gesten an, daß er sich als Mannschaftsführer für das Versehen seines Abteilungskameraden entschuldige. Nühring hatte sich inzwischen von dem Schreck erholt. Er ging großartig auf das schnelle Reagieren Ernst Prenns ein. Freundschaftlich packte er ihn bei den Schultern und lief dann zu Killing, der immer noch ohne die Spur einer Entschuldigung dastand, als könne er am wenigsten be greifen, was geschehen war. Als ihm dann der Gegner die Hand schüttelte, mußte er wohl oder übel erfreut lächeln, denn im Hause hatte sich orkanartiger Beifall für die ka meradschaftliche Haltung Dieter Nührings erhoben.
Nachdem sich alles beruhigt hatte, wurde das Spiel fort gesetzt. Dieser Wechsel endete mit 9:6 für Nühring. Und dann erlebten die Zuschauer die nächste Sensation dieses Abends. Wie durch Zauber wurde Nühring plötzlich schwächer und Killing stärker. Beim abermaligen Wech sel stand es bereits 10:10, und diesen Satz gewann Killing mit 21:17. Ernst sah das ratlose Gesicht Nührings, als sie die Plätze wechselten. Das beseitigte jeden Zweifel in ihm. Killing hatte den gleichen Trick angewendet wie neulich gegen ihn. Das Freundschaftstreffen zu stören, war bis jetzt miß lungen. Jetzt würde er sein Katze-und-Maus-Spiel begin nen, den Gegner zur Verzweiflung treiben und so die ge wünschte Mißstimmung erzeugen. Unbemerkt von den anderen holte Ernst die Freunde zu sammen. Erregt flüsternd wiesen einige auf die Hoch stimmung in der eigenen Sportgemeinschaft hin. Was würde denen geschehen, die es wagen sollten, das Spiel zu unterbrechen? Da fragte Simson, ob sie sich nicht längst für Fairneß und Sauberkeit im Sport entschieden hätten? Das ruhige Fragen des Westberliner Kameraden gab den Ausschlag. Jeder ging entschlossen an seinen Platz. Im folgenden Satz vollzog sich das gleiche. Beim Wech sel 13:12 für Mühring war ihm plötzlich wieder, als habe man ihm Blei in die Glieder gefüllt. Das war kein Ball mehr, sondern schien ein weißes Lehmklümpchen. Man verrechnete sich dauernd, während der andere geradezu hinreißend spielte. Ernst sah die erschrockenen Augen Nührings und sein ratloses Schulterzucken. Da hielt er die Zeit für gekom
men. Er verständigte Simson und verschwand zur Ansa gekabine. Temperamentvoll öffnete er die Tür und prallte erschrocken zurück. Neben Harry Willert stand Gitta. Beide lachten, als hätten sie auf ihn gewartet. „Du – du – hier?“ stotterte Ernst und sah an Gitta vorbei. Das frohe Lachen Harry Willerts verstärkte sich. „Ich habe dir doch gesagt, es steht noch jemand auf unserer Seite, mit dem du nicht rechnest.“ Ernst schüttelte den Kopf. „Das – das verstehe ein ande rer.“ Dann entsann er sich der Situation und er drängte: „Alles klar? -Jetzt passiert’s!“ Willert gab dem Techniker Bescheid. Ernst stellte sich vor das Mikrophon, und seine Stimme ertönte aus allen Lautsprechern: „Achtung, Achtung! Das Spiel wird für einen Augenblick unterbrochen!“ Ungeheure Aufregung brandete hoch. Ehe es sich Kil ling versah, war er umringt, und die Schraubstockhände Simsons hielten seine Arme in festem Gewahrsam. Aus seinen Hosentaschen holten die Freunde mehrere Bälle. Für alle sichtbar, ließ man zwei Bälle nebeneinander aus gleicher Höhe auf die Platte fallen. Einen offiziellen Tur nierball und einen aus Killings Tasche, Killings Ball sprang nur etwa halb so hoch wie der andere. Die Erre gung der Tausende stieg noch an, als Ernst Prenns Erklä rung aus dem Lautsprecher kam: „Der Totspieler hat mit präparierten Bällen gearbeitet. Er ist Taschenspieler und Jongleur. Er wurde ausgeschickt, unsere Sportgemeinschaft kaputtzumachen und unser gu tes Einvernehmen mit den Westberliner Sportfreunden zu zerstören!“ Hochroten Gesichts, zitternd vor Aufregung, stand
Maklert vor den Sportlern, die seinen Schützling wie eine Mauer umgaben. Er überschrie sich, und seine Stimme wirkte lächerlich dünn in dem riesigen Raum: „Irrtum! Das kann alles richtiggestellt werden!“ Das Summen schwoll an, unnatürliche Spannung lastete auf dem weiten Rund. Gitta packte Ernst beim Arm, zog ihn etwas beiseite und stellte sich selbst an das Mikro phon. Ihre helle Stimme erzwang sich wieder Ruhe. „Sportfreunde, hier spricht Gitta Thomsen! Maklert ist der Hauptschuldige! Er hat Killing in unsere Abteilung geholt, um sie zugrunde zu richten! Ich habe ein Gespräch zwischen ihnen gehört, als sie sich unbeobachtet glaub ten!“ Auf diese Worte erhob sich ein Summen in der Halle wie von aufgeregten Hornissenschwärmen. Maklerts Ge sicht war nach Gittas Ansage weiß geworden. Ein höfli cher Volkspolizist kam auf ihn zu und machte eine ein deutige Fingerbewegung. Der Trainer trat den gleichen Weg an, den eben vor ihm sein Komplice gegangen war. Gitta stand noch immer vor dem Mikrophon. Sie sah ih ren Ernst an, und er sah Gitta an. Harry Willert und der Techniker wandten sich diskret um. Dann nahm Ernst Gitta sanft vom Mikrophon weg und gab in Stichworten Aufklärung über Killing und Maklert. Er bat die Westberliner Sportfreunde, nun erst recht zu sammenzuhalten und schloß: „Ich bitte dich, Sportfreund Nühring, das Spiel mit mir als Zweitem unserer Abteilung zu wiederholen!“ Dieter Nühring legte die Hände an den Mund und rief: „Einverstanden!“ Unbeschreiblicher Jubel brach los, der sich erst legte, als
die beiden ein mitreißendes, faires Spiel begannen, das mit einem knappen Sieg Ernst Prenns endete die beiden ein mitreißendes, faires Spiel begannen, das mit einem knappen Sieg Ernst Prenns endete.die beiden ein mitrei ßendes, faires Spiel begannen, das mit einem knappen Sieg Ernst Prenns endete die beiden ein mitreißendes, faires Spiel begannen, das mit einem knappen Sieg Ernst Prenns endete.