DER STÄHLERNE SATAN
JAMES & BETSY HAYNES
Daß Randy Feuer und Flamme für sein neues Auto ist, kann Julie total verstehe...
16 downloads
712 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
DER STÄHLERNE SATAN
JAMES & BETSY HAYNES
Daß Randy Feuer und Flamme für sein neues Auto ist, kann Julie total verstehen. Aber daß er, sobald er in die Nähe des Wagens kommt, Streit mit ihr anfängt und sich immer richtig mies aufführt, findet Julie natürlich überhaupt nicht witzig. Ja, es macht ihr sogar angst. Denn es ist fast so, als sei mit Randy und diesem komischen Auto irgend etwas nicht normal. Als eines morgens Randys Katze Psycho tot aufgefunden wird und Julie dann auch noch jenes verräterische Foto in die Hände fällt, auf dem das Auto – erschreckend verändert – abgebildet ist, erkennt Julie die furchtbare Gefahr, in der ihr Freund Randy schwebt…
C 1988 by James & Betsy Haynes Unter dem Originaltitel: „Demon Wheels“ Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES B.V. Amsterdam C Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYSTERY Band 35 (13). 1988 by CORA VERLAG GmbH. Berlin Übersetzung: Elisabeth Hartmann Foto: THUMSER GMBH C CORA VERLAG
1. KAPITEL Wie schwebende Gespenster stiegen die Hitzeschwaden vom Gehsteig auf, während Julie im Garten bäuchlings auf der Sonnenliege lag. Schweißgebadet und inzwischen ziemlich entnervt, fragte sie sich, warum sie sich ausgerechnet den heißesten Tag des Sommers für ihr Sonnenbad ausgesucht hatte. Grabesstille hing in der Luft, und die Gewitterwolke am westlichen Horizont hatte einen schwefliggelben Schimmer. Irgendwas Bedrohliches braute sich zusammen. Stöhnend erhob sie sich in der drückenden Hitze und drehte sich auf den Rücken. Da bemerkte sie das leise Klingeln des Telefons im Hause. Also mußte sie wohl aufstehen und sich melden. Warum war sie auch allein zu Hause? Warum gab es keinen Zweitanschluß im Garten? Und wer um alles in der Welt mochte die Energie aufbringen, an einem so heißen Tag wie diesem eine Wählscheibe zu drehen? Völlig erschöpft von der Hitze, schlurfte sie wie ein Zombie zum Haus und zählte, wie oft das Telefon klingelte. Drei… vier… fünf… „Hallo“, röchelte sie in den Hörer. „Julie! Ich hab eine Überraschung für dich. Ich hole dich heute nachmittag um halb drei ab.“ Randys Stimme klang eindeutig aufgeregt. „Kann das nicht warten? Es ist so heiß, daß man sich gar nicht bewegen mag.“ „Blödsinn. Du wirst begeistert sein, also stell keine weiteren Fragen. Halt dich um Punkt halb drei bereit.“ Julie legte den Hörer auf und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Im Leben konnte man sich nur auf wenige Dinge wirklich verlassen, aber eines davon war die Tatsache, daß Randy Heathe sie mit mindestens einer halben Stunde Verspätung abholen würde. Das bedeutete, daß ihr noch beinah zwei Stunden blieben, um sich unter der Dusche abzukühlen und zu beleben. Sie wickelte sich eine Strähne ihres sonnengebleichten Haars um den Finger und fragte sich, was für eine Überraschung Randy wohl im Sinn haben könnte. Am Abend zuvor hatten sie, wie jeden Freitag, bei „Mafioso“ eine Pizza gegessen und waren dann ins Kino gegangen. Da hatte er noch nichts von der Überraschung erwähnt. Außerdem konnte er so gut wie niemals etwas Wichtiges vor ihr geheimhalten. Wie denn auch? Sie wohnten schon ihr ganzes Leben Tür an Tür. Bereits im Lauf stall hatten sie zusammen gespielt. Ihre Eltern lachten immer noch darüber, wie Julie ihn dauernd hatte bemuttern wollen, als sie noch klein waren. Als sie größer wurden, änderte sich nicht viel. Randys gutmütige Überschwenglichkeit brachte ihn immer noch in Schwierigkeiten, und sie half ihm nach wie vor aus der Patsche. Hin und wieder waren sie mit anderen gegangen, aber nie für lange Zeit. Auf Feten oder wenn sie mit Leuten zusammen waren, traten sie immer als Pärchen auf. Schließlich fügten sie sich in das Unvermeidliche und hörten auf, was mit anderen anzufangen. Zwischen ihnen bestand eine ganz besondere Beziehung. Julie wußte, daß mindestens die Hälfte der Mädchen in Tory Hill in Connecticut so ziemlich alles darum geben würde, mit ihr zu tauschen. Mit seinen einsachtzig, seinem dunklen gelockten Haar, den nußbraunen Augen und der hervorragenden Figur war Randy der bestaussehende Junge in der Klasse. Außerdem hatte er einen tollen Sinn für Humor und gestand bereitwillig seine kleinen Fehler und Schwächen ein, besonders, was sein ständiges Zuspätkommen betraf. Ändern würde er sich nie im Leben, aber das war schon okay. Sie liebte ihn so, wie er war.
Julie wartete im Schatten auf der vorderen Veranda. Um fünf nach drei lenkte Randy den dunkelgrünen Lieferwagen der Heathes mit der Aufschrift „Heathe Immobilien“ auf beiden Seiten rückwärts aus der Zufahrt der Heathes und bog in ihre Auffahrt ein. Sie grinste, als sie die Tür öffnete und neben ihm in den Sitz glitt. „Ich weiß, du wärst früher hier gewesen, wenn du nicht ausgerechnet heute in einen Verkehrsstau geraten wärst.“ Randy lachte. Er sah wie immer spitzenmäßig aus. Braungebrannt, verblichenes Hemd, ähnlich ausgeblichene abgeschnittene Jeans, knöchelhohe Tennisschuhe. Gesamteindruck: Super. Er fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle Haar, legte den Kopf auf die Seite und warf ihr einen arroganten Blick zu. „Ich würde dir raten, dich etwas vorsichtiger auszudrücken – oder ich laß dich nicht in meinem eigenen neuen Auto fahren!“ „In deinem neuen Auto?“ schrie Julie. „Ich glaub dir kein Wort.“ „Du kannst mir ruhig glauben. Du darfst mir sogar beim Aussuchen helfen. Das werden wir nämlich gleich tun.“ Julie versuchte, die Neuigkeit zu verarbeiten, während Randy auf die Straße zurücksetzte und in Richtung Stadt losfuhr. Kein Wunder, daß er so aufgeregt war, selbst an einem hundsmiserablen Tag wie diesem. Julie blickte zum Himmel auf. Große dunkle Wolken bildeten sich am Horizont und kamen zusehends näher. „Ist das nicht phantastisch?“ Randy strahlte. „Du und ich, wir werden tatsächlich vier Räder unter uns haben, und das bedeutet, wir müssen abends nicht mehr zu Fuß gehen, wenn Dad in seinem Panzer mit einem Kunden zu einer Hausbesichtigung fährt.“ Er streckte den Arm nach ihr aus und zog sie näher an sich heran. „Und das Schönste ist“, fügte er leise hinzu, „wir können allein sein, wann immer wir wollen.“ Julie gab keine Antwort. Statt dessen küßte sie ihn zärtlich auf die Wange. „Wie kommt es, daß deine Eltern plötzlich nachgegeben haben?“ fragte sie. „Es ist eine Art Bestechung. Man nennt es auch pädagogischen Druck. Sie haben gesagt, wenn ich einen guten Wagen für zweitausendfünfhundert Dollar finde, übernehmen sie das, was mir an meinen Ersparnissen noch fehlt, um ihn kaufen zu können. Das einzige, was sie dann noch von mir verlangen, ist, daß ich meine Noten halte, dann kann ich die Wagenschlüssel behalten. Sie wissen genau, daß ich das schaffe. Was bleibt mir denn schon übrig, wenn ich bei den anderen mit meiner Kutsche Eindruck schinden will?“ „Eindruck schinden! Ich dachte, du wünschst dir den Wagen, damit wir allein zusammen sein können!“ Randy grinste. „Ertappt.“ Beide kicherten noch, als Randy in die Zufahrt zu Cappys Gebrauchtwagenhandel einbog. Randy parkte, dann stiegen sie aus und schlenderten zwischen den Reihen gebrauchter Autos umher, die wie riesige vielfarbige Käfer in der heißen Augustsonne dösten. In der Ferne zuckten Blitze. Cappy war am anderen Ende des Platzes in ein Gespräch mit einer Frau vertieft, die die Stirn runzelte und gegen die Reifen eines Kleinwagens neuerer Bauart trat. „Sieh dir diesen roten Chevy Nova an“, rief Julie. Randy schien sie gar nicht zu hören. Er war ganz zum hinteren Ende des Platzes geschlendert, wo Cappy die neuerworbenen Wägen abstellte, bis er sie von Frank Melody zum Verkauf aufmöbeln lassen konnte. Jetzt ging er auf einen älteren hellblauen Thunderbird in der letzten Reihe zu. „Randy!“ rief Julie ungeduldig. „Geh noch nicht da hinten hin! Du mußt dir erst
diesen Chevy Nova anschauen.“ Er drehte sich nicht um, sondern rief zurück: „ Novas sind Autos für ältere Herrschaften. Ich will mir diesen TBird ansehen. Das ist vielleicht ein Auto!“ „Novas für ältere Herrschaften?“ Julie schüttelte den Kopf. „Na gut. Sehen wir uns eben zuerst den TBird an.“ Randy war einen Schritt zurückgetreten und musterte den Wagen eingehend, als Julie näherkam. Seine Begeisterung war seinem Gesicht anzusehen. „Ein 1965er TBird. Das ist mein Traumauto. Die Dingerwerden längst nicht mehr hergestellt, und jetzt sind sie Klassiker. Wenn man einen gut erhaltenen findet, hat man wirklich einen Fang gemacht, und dieser hier sieht großartig aus. Ich kann es kaum erwarten, ihn zu fahren.“ Randy war offensichtlich total begeistert von dem Auto. Zweimal ging er um den Wagen herum und versuchte dann, die Tür an der Fahrerseite zu öffnen. Sie war abgeschlossen, und Randy wurde nervös, weil er nicht gleich einsteigen konnte. Julie fühlte sich zunehmend unbehaglich. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Sonst war er immer so cool, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. „Komm, wir schauen uns noch ein wenig um, solange Cappy mit der Dame redet“, schlug sie vor. „Da in der Nähe der Straße habe ich ein paar ganz hübsche Wagen gesehen.“ Randy tat ihren Vorschlag mit einer unwilligen Handbewegung ab, beschattete die Augen mit der Hand und lugte ins Wageninnere. Dann pfiff er leise. „Er hat Knüppelschaltung, und es sieht so aus, als hätte sogar jemand eine Stereoanlage und einen Kassettenrekorder eingebaut. Klasse. Das ist ein Fund! Wenn er jetzt bloß auch noch den großen V8Motor hat! Wenn man ihn ein bißchen aufmöbelt, sieht er bestimmt toll aus. Bisher hat noch keiner viel daran herumgebastelt, und ich kann praktisch machen, was ich will. So etwas findet man nur einmal im Leben. Was meinst du?“ fragte er, als sei Julies Anwesenheit ihm gerade eingefallen. „Der Wagen ist toll“, gab sie widerstrebend zu. „Ich dachte nur, du würdest vielleicht gern noch ein bißchen umherschauen. Vielleicht nach einem Wagen neuerer Bauart.“ Randy nahm ihre Hand und drückte sie. „Nicht nötig. Einen vergleichbaren Wagen findest du nicht. Ich wußte, daß er dir auch gefällt, wenn du ihn erst einmal gesehen hast.“ „Du kannst eine Probefahrt machen, aber zuerst mußt du die Mütze raten.“ Cappy war hinzugekommen. Er war ein kleiner älterer Mann mit einem runden, rosigen Gesicht und einem immerwährenden Lächeln. Auf dem Kopf trug er die unvermeidliche Baseballmütze. Julie wußte, daß es immer derselbe Ablauf war, wenn man einen Handel mit Cappy abschließen wollte. Zuerst mußte man die Mütze erraten. Seinen Spitznamen hatte er wegen seiner Begeisterung für Baseballmützen bekommen. Er hatte Hunderte davon. Einige gehörten vormals berühmten Spielern wie Stan Musial, Willie Mays, Hank Aaron und Dave Kingman. Doch seine Lieblingsmützen stammten von Jungen aus dem Ort, von denen, die eine großartige Leistung erbracht hatten, zum Beispiel, einen unerreichbaren Ball zu treffen oder sich sonst im Spiel besonders hervorzutun. Er hatte auch eine Mütze von Randy, denn Randy hatte in einem Spiel dreimal den Lauf um alle vier Male geschafft. Es war eine Ehre für jeden Spieler aus Tory Hill, wenn Cappy seine Mütze besaß, fast wie ein Eintrag ins GuinessBuch der Rekorde, und Cappy hütete seine Mützen wie einen Schatz. Stets brachte er ein kleines Zeichen als Hinweis auf den ursprünglichen Besitzer an, und die Leute mußten raten, wem die Mütze auf seinem Kopf früher gehört hatte.
Randy war offensichtlich nicht in der Stimmung für dieses Spiel. Julie unterdrückte ein Kichern, als sie sah, wie er die blauweiße Mütze aus schmalen Augen musterte und wußte, daß er Cappy bei Laune halten mußte, wenn er den TBird haben wollte. „Naja“, sagte er zögernd. „Sie ist hier aus Tory Hill, aber ich habe keine Ahnung, wie alt sie ist. Ah! Da ist ein kleiner Stern angesteckt.“ Cappys Lächeln wurde breiter. „Du hast den Hinweis entdeckt, prima.“ Seine Augen funkelten, als er sah, wie Randy nach weiteren Anhaltspunkten suchte. „Sie muß einem AllStarSpieler gehört haben. Wie hieß noch der Typ, der vor zwei oder drei Jahren in die AllStarLandesmannschaft aufgestiegen ist? War es Clay Buckrum?“ „Gut geraten!“ Cappy lachte und schlug Randy auf die Schulter. „Aber leider falsch. Diese Mütze gehörte dem einzigartigen Bobby Miranda aus der 79er Klasse. Ein Wahnsinnsspieler. Er hätte es bis zu den Majors bringen können, wenn er nicht mit den falschen Leuten zusammengeraten wäre. Es war eine Schande, das mitansehen zu müssen.“ Bei dem Gedanken wurde Cappys Gesicht traurig. „Aber du bist nicht hergekommen, um über Bobby Miranda zu plaudern, oder? Irgendwie habe ich das Gefühl, daß du dir Autos ansehen wolltest. Vielleicht sogar ganz besonders dieses hier.“ „Ja, ganz genau“, sagte Randy in geschäftsmäßigem Ton. „Kann ich den da mal fahren?“ „Ich dachte mir schon, daß du das wolltest“, antwortete Cappy und legte Randy die Schlüssel in die Hand. „Es wird mir langsam lästig, immer die schweren Schlüssel mit mir rumzuschleppen. Bin froh, wenn ich sie loswerde.“ Randy strahlte vor Freude. Rasch schloß er die Tür auf und stieg ein. Ein ehrfurchtsvoller Ausdruck trat aufsein Gesicht, als er sich in den Schalensitz sinken ließ. Julie sah, wie perfekt der Sitz seinem Körperbau angepaßt war. Das ist wirklich ein toller Wagen, dachte sie. Augenscheinlich war er gut gepflegt worden. Sie verstand nicht, warum sie erst so empfindlich gewesen war, als Randy sich weigerte, den Nova anzuschauen. Wahrscheinlich lag es an der Hitze. Das Wetter konnte einen seltsamen Einfluß auf Leute haben. Sie freute sich, daß er so rasch sein Traumauto gefunden hatte. Schon sah sie sich selbst neben ihm auf dem Beifahrersitz, wenn sie mit vollaufgedrehtem Radio über die Main Street fuhren und ihre Freunde in anderen Autos anhupten. Das würde super werden. Der Motor des TBird dröhnte auf und unterbrach sie in ihren Gedanken. Er gab ein weiches, sattes „Wruuuum“ von sich. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen beben von der verhaltenen Kraft des Wagens. Randy strich liebevoll mit der Hand über das lederbezogene Lenkrad, schloß die Augen und gab ein paarmal probehalber Gas. Ein zufriedener Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Julie wandte für einen Moment den Blick ab und schaute Cappy nach, der auf ein eben eingetroffenes älteres Paar zuging. Plötzlich hörte sie die Autotür schlagen und die Reifen kreischen. Sie wirbelte herum und schaute ungläubig dem TBird nach, den Randy vom Platz und auf die Straße hinauslenkte. Sie blieb allein an der Stelle zurück, wo der Wagen eben noch gestanden hatte. Aus dem Nichts erhob sich ein Wind und fegte ihr eine Staubwolke ins Gesicht. Ein Blitz zerriß die Wolken, und gleich darauf krachte das erste Donnern eines heftigen Gewitters.
2. KAPITEL Münzengroße Regentropfen klatschten auf ihr Gesicht und vermischten sich mit Tränen, als Julie zum Lieferwagen von Heathe Immobilien rannte. Die sanfte Warnung ihrer Mutter vor Jungen und ihren Autos kam ihr in den Sinn. „Wundere dich nicht, wenn du für eine Weile die zweite Geige spielen mußt“, hatte sie voller Mitgefühl gesagt. „Zwischen einem Jungen und seinem Auto geht eben etwas ganz Besonderes vor, besonders, wenn es sich um seinen ersten Wagen handelt. Ich schätze, es ist so etwas wie ein Symbol für Freiheit und Macht und all die Dinge, nach denen junge Männer sich sehnen.“ Julie hatte der Warnung ihrer Mutter empört widersprochen. „Heutzutage, Mom, wünschen Mädchen sich wohl dasselbe wie Jungen. Außerdem ist Randy ganz anders. Das weißt du doch. Ein blödes Auto kann sich nicht zwischen uns stellen. Nie im Leben.“ Doch jetzt, als sie sich auf den Beifahrersitz des Lieferwagens setzte, war sie nicht mehr so sicher. Beinah war es so, als ob sie für Randy nicht mehr existierte, seit er den TBird gesehen hatte. Trotz der Augusthitze fröstelte Julie und stellte sich auf eine lange Wartezeit ein. Wahrscheinlich verhielt sie sich lächerlich. Wenn Randy zurückkam, hatte er bestimmt eine Erklärung. Kaum saß sie im Wagen, als das Gewitter auch schon mit aller Gewalt losbrach. Der Regen prasselte in Strömen auf das Wagendach und floß in einem Vorhang aus Wasser über die Scheiben. Über ihr dröhnte wütend der Donner, und gezackte Blitze fuhren in den Boden. Eine halbe Stunde verging, bis der Sturm sich legte und die Sonne wieder hervorkam. Der plötzliche Wolkenbruch hatte die Dame, die gegen die Autoreifen trat, und das ältere Ehepaar fluchtartig zu ihren Wagen getrieben, und Julie blieb nichts anderes zu betrachten als den Minutenzeiger ihrer Uhr, der sich unerträglich langsam vorwärtsbewegte. Endlich bog Randy in dem sportlichen hellblauen Wagen auf den Platz ein und stellte ihn wieder am hinteren Ende des Geländes ab. Er stieg aus in den dampfenden Sonnenschein, überschattete die Augen mit der Hand und überblickte den Platz. „Hey, Julie! Komm her“, rieferund winkte ihr zu. Die Begeisterung in seiner Stimme war ansteckend, und sie schob ihre albernen Befürchtungen beiseite, stieg aus und lief zu ihm. Er lächelte verlegen, als er nach ihrer Hand griff und sie näher an sich zog. „Mensch, Julie. Tut mir leid, daß ich dich allein hier zurückgelassen hab. Das war nicht gerade nett. So ein KlasseModell jüngsten Datums könnte doch in Nullkommanichts aufgegabelt werden. Aber ehrlich, ich weiß nicht, was in mich gefahren war.“ Eine Woge der Zärtlichkeit überkam Julie, und ihr Ärger verflog. Der gute alte Randy. Wieder einmal gestand er reumütig seine Schwäche ein. „Schon okay.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Und jetzt erzähl mir alles über diesen Wagen. Er muß ja wirklich phantastisch sein, wenn du darüber völlig vergißt, daß es mich gibt.“ „Es ist komisch“, begann er, „aber ich hab beinahe das Gefühl, daß der Wagen mich ausgesucht hat, weißt du, daß er mich angesprochen hat oder so. Ich hab’s schon in dem Augenblick gespürt, als wir auf den Platz kamen. Und das ist noch nicht alles.“ Er zögerte. „Nun“, sagte Julie. „Was noch?“ „Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber bevor ich den Motor anließ, wußte ich bereits, wie er klingen würde. Jeder Motor hat seinen eigenen Klang, aber mir
war, als ob ich diesen Motor schon lange gehört hätte, in meinem Kopf, immer
und immer wieder.“
Julie lachte. „Das hört sich wirklich verrückt an. Andererseits sagt Mom immer,
daß Jungen über ihr erstes Auto den Verstand verlieren. Und ich dachte doch
wahrhaftig, du wärst anders.“
„Ausgeschlossen.“ Er zwinkerte ihr zu und schloß die Motorhaube auf. „Nicht
einmal ein 65er TBird kann den alten Randy Heathe um den Verstand bringen.
Mir ist es gleich, ob ich diesen Haufen Blech nehme oder nicht. Aber es ist
seltsam“, fuhr er fort und schüttelte den Kopf. „Ich hätte schwören können, daß
der Motor wie die große V8Maschine reagierte und vielleicht sogar
Benzineinspritzung hätte.“
Randy hatte die Motorhaube gerade wieder geschlossen, als Cappy mit blitzenden
Augen auf sie zukam. „Nun, was meinst du dazu? Kommen wir ins Geschäft?“
„Wie sollen wir ins Geschäft kommen?“ fragte Randy. „Ich weiß ja nicht mal, was
er kosten soll.“
„Der alte Cappy wird dir schon einen vernünftigen Handel vorschlagen. Hör zu.
Ich laß den Wagen erst aufpolieren und von Frank Melody überholen, und dann
kommst du noch mal mit deinem Dad her, und wir besprechen das
Geschäftliche.“
„Aber was soll ich ihm sagen, wenn er nach dem Preis fragt?“
Cappys Augen wurden schmal, und er nickte verschwörerisch. „Sag ihm einfach,
er wäre erschwinglich. Ich werde schon dafür sorgen, daß du deine vier Räder
bekommst. Ich finde es gut, wenn junge Leute ihren eigenen Wagen haben.
Dadurch lernen sie Verantwortungsbewußtsein. Wenn man etwas Wichtiges wie
ein Auto besitzt und es pflegen muß, kann sich das Leben von Grund auf ändern.
Komm am Dienstag mit deinem Dad hierher. Dann ist der Wagen fertig. Ich stelle
ihn für dich zurück.“
Auf dem Heimweg war Randy vollkommen aus dem Häuschen. „Du mußt nach
dem Abendessen unbedingt rüber zu uns kommen und mir den Rücken stärken,
wenn ich Mom und Dad meine Neuigkeiten berichte“, sagte er plötzlich ganz
ernst.
„Ich dachte, sie wären damit einverstanden, daß du dir ein Auto kaufst.“
„Sind sie auch. Aber für sie ist ein Auto nichts weiter als ein Auto. Der TBird ist
mein Traumwagen, und ich darf nichts sagen, was verhindern könnte, daß ich ihn
bekomme.“ Er sah Julie mit seinem treuen Hundeblick an, und sie mußte sich das
Lachen verbeißen.
„Mal sehen…“ – sie tat, als müßte sie überlegen – „wenn für heute abend keine
wichtigen gesellschaftlichen Verpflichtungen in meinem Terminkalender stehen,
dann könnte ich es schaffen.“
Um halb sieben am selben Abend stand sie an der Hintertür der Heathes. „Tag,
Mrs. Heathe, Tag, Mr. Heathe.“
„Hallo, Julie“, sagten beide wie aus einem Munde.
„Du kommst gerade rechtzeitig zum Abwasch“, bemerkte Randy.
„Ausgeschlossen, Kumpel“, erwiderte sie. „Ich gehe doch nicht von Haus zu Haus
und wasche anderer Leute Geschirr ab.“
„Du brauchst ja auch nicht weiter zu gehen. Hier ist deine Endstation.“
„Vergiß es. Ich bin nur gekommen, um für deine Interessen einzutreten.“
„Seine Interessen?“ fragte Mrs. Heathe. „Was für Interessen?“
„Was kümmern euch meine Interessen?“ Randy sah Julie drohend an.
Sie lachte, als er mit dem Geschirrtuch nach ihr schlug und sie nur knapp
verfehlte. Er war wirklich nervös. Sie fand es seltsam, denn die Heathes waren
beide aufgeschlossen und freundlich. Randy wirkte fast wie ein Abziehbild von
seinem Vater, der ebenfalls liebenswürdig und entgegenkommend war, die Sorte
Mensch, von dem man auf den ersten Blick wußte, daß man ihm vertrauen
konnte.
Nach dem Abwasch folgte Julie Randy ins Wohnzimmer, wo er den Fernseher
einschaltete.
„Soll das bedeuten, daß du ihnen noch kein Wort von deinem Auto gesagt hast?“
fragte sie.
„Nein, noch nicht. Solche Dinge müssen mit viel Feingefühl gehandhabt werden.
Dad ist der Meinung, daß ich mir einen Wagen mit ordentlich viel PS kaufen soll,
und Mom will, daß er gebaut ist wie ein Panzer, wegen der Sicherheit. Wenn der
richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich schon die Sprache darauf bringen.“
Kurz darauf kamen Randys Eltern ins Zimmer und setzten sich in ihre
Lieblingssessel. Mugsy, der schwarzweiße Hund der Heathes, lag vor dem Kamin,
und Psycho, der wuschelige, gelbbraune Kater, genauso groß wie Mugsy und um
zwei Pfund schwerer als der Hund, lag auf dem Fernseher und beobachtete
Mugsy wie ein Geier. Es war still im Zimmer, während Randy, Julie und Mrs.
Heathe die Abendnachrichten verfolgten und Mr. Heathe seine Zeitung las.
Darauf folgte eine Wiederholung, und Julie entging nicht, wie ungeduldig Randy
wurde. Sie wußte, daß es ihn drängte, über den TBird zu sprechen, aber er war
unsicher, wie er das Gespräch am besten beginnen sollte.
Er holte tief Luft. „Hab heute ein wirklich tolles Auto gesehen“, warf er in den
Raum, ohne jemanden direkt anzusprechen.
Sein Vater senkte die Zeitung und sah ihn über die Brille hinweg an. „So? Welche
Marke?“
„Ein TBird“, antwortete Randy, bemüht um einen beiläufigen Tonfall. „Ein 65er.“
Sein Vater hob die Zeitung. Es herrschte Stille.
Schließlich ließ sich sein Vater hinter der Zeitung hervor vernehmen: „Reichlich
alt. Ist er im ordentlichen Zustand?“
„In erstklassigem Zustand. Als ob er frisch aus der Fabrik käme.“ Randy beugte
sich vor und ballte die Fäuste.
Wieder herrschte Stille.
Julie rückte näher an Randy heran und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Rippen,
um ihn anzutreiben. Sie fand die Situation eher komisch und zwinkerte ihm zu.
Für Randy war das Ganze offenbar weniger witzig. Er sagte nichts, sah sie aber
beinahe wütend an.
Endlich legte Mr. Heathe die Zeitung zur Seite. „Wem gehört er?“
„Cappy.“
Randy war schon wieder nervös, und Julie konnte sich kaum noch beherrschen.
Sie mußte sich bäuchlings auf den Boden legen und den Kopf in einem Sofakissen
begraben, um sich das Lachen verbeißen zu können. Die Unterhaltung sprang
zwischen Randy und seinem Vater hin und her wie die lahmsten Bälle in einem
sehr lahmen Tennisspiel.
„Wieviel will er dafür haben?“
„Das hat er nicht gesagt.“
„Das hat er nicht gesagt?“ Mr. Heathe schob die Zeitung endgültig zur Seite. „Du
weißt nicht, wieviel der Wagen kosten soll?“
Randy schluckte, und seine Ohren wurden hochrot. „Nein. Er hat noch keinen
Preis festgelegt.“
„Wann will er das tun?“
„Er hat gesagt, wir sollen am Dienstag zu ihm kommen. Dann ist der Wagen
zurück aus Frank Melodys Werkstatt, und wir können darüber reden. Das Auto ist
wirklich Spitze, und ich bin sicher, daß Cappy nicht zuviel dafür verlangt. Er hat
gesagt, er findet es gut, wenn junge Leute einen eigenen Wagen haben. Dadurch lernen sie Verantwortungsbewußtsein.“ Die Röte hatte sich von Randys Ohren aus über sein gesamtes Gesicht ausgebreitet, und Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. „Naja… ich dachte, du willst ihn dir vielleicht mal ansehen.“ Mr. Heathe lächelte und durchbrach damit die angespannte Atmosphäre. „Klar. Warum nicht? Am Dienstag um halb zwei kann ich Pause machen. Dann hole ich dich ab, und wir sehen uns den Wagen an.“ Julie wälzte sich vor Lachen am Boden, als sie Randys erleichtertes Gesicht sah. Doch dann sah sie für den Bruchteil einer Sekunde den Rachedurst in seinem Blick. „Schnapp dir Mugsy, Psycho!“ schrie er. Wie der Blitz sprang die Katze vom Fenster auf den Rücken des schlafenden Hundes. Chaos brach aus in dem zuvor so friedlichen Wohnzimmer, als der Hund versuchte, die Katze von seinem Rücken abzuschütteln, und dann herrschte totaler Krieg zwischen beiden. Sie rollten und taumelten über den Boden, einmal der eine auf dem Rücken des anderen, dann umgekehrt. Pfoten schlugen blitzschnell in alle Himmelsrichtungen. „Randy! Sie sollen aufhören! Aufhören!“ rief Julie. Randy wußte, daß sie nicht mitansehen konnte, wenn die zwei sich balgten, obwohl sie wußte, daß es nur ein Spiel war. Psycho streckte nie die Krallen raus, und Mugsy biß niemals richtig zu. „Randy, du bist ein gemeiner Schuft!“ Mugsy verlor die Schlacht gegen den schwereren Psycho, wie immer. Randy lachte und nahm den Hund auf den Arm, als sie an ihm vorbeitollten. Er hielt ihn fest auf dem Schoß. Die Katze stolzierte an Randy vorbei mit gesträubtem Fell und zuckendem Schwanz und wartete darauf, den Hund erneut überfallen zu können. Randys Eltern schienen nicht gerade erfreut über die Ruhestörung! „Du bist durch und durch gemein, Randy Heathe“, schimpfte Julie. „Komm her, Mugsy. Komm zu jemandem, der dich gern hat.“ „Du bist die letzte Chaotin, albern wie eine Sechsjährige, und du kommst am Dienstag auf gar keinen Fall mit Dad und mir zu Cappy. Das ist mein letztes Wort“, hatte Randy verkündet. Aber bis Dienstag hatte seine Wut sich gelegt, genau wie Julie es erwartet hatte. Sie saß auf dem kurzen Weg zu Cappy zwischen den beiden im Lieferwagen und dachte darüber nach, wie sich Randy verändert hatte, seit er den hellblauen 65erTBird gesehen hatte. Er redete über nichts anderes mehr als über den Wagen. Was war, wenn Cappy inzwischen ein Angebot erhalten hatte, als das Auto noch in Frank Melodys Werkstatt war? Würde er das verkraften können? Wie hätte Cappy ablehnen können, ohne sicher zu sein, daß Randy ihn wirklich kaufte? Was war, wenn der Preis zu hoch war? Und so weiter und so fort. Julie hatte noch nie erlebt, daß Randy so begeistert von einer Sache war. Als sie auf dem Platz ankamen, stand der TBird gut sichtbar in der ersten Reihe. Er war frisch gewaschen und poliert und strahlte geradezu in der Nachmittagssonne. Randy und sein Vater gingen langsam um den Wagen herum und nahmen ihn genau in Augenschein, wie Indianer, die einen Wagenzug auskundschafteten. Sie bückten sich und prüften das Reifenprofil, fuhren mit den Händen über die schnittigen Kotflügel und öffneten schließlich die Motorhaube, um einen Blick ins Innere zu werfen. „Sieh nur, Dad“, rief Randy. „Schau dir diesen Motor an. Die Ventile sind sogar verchromt. Hab ich nicht gesagt, daß es ein toller Wagen ist?“ „Nicht schlecht“, antwortete Mr. Heathe nachdenklich. „Laß dir doch mal die Schlüssel von Cappy geben und starte den Motor.“
Julie runzelte die Stirn, als sie Randy auf Cappy zulaufen sah. Der ältere Mann stand am anderen Ende des Platzes und lobte die Vorzüge eines Kleinbusses vor einem jungen Pärchen mit drei kleinen Kindern. Sie warf einen Blick auf den Motor. Die Ventile des TBirds blitzten in der Sonne. Am Sonnabend hatte Randy sich über das Fehlen von Chromteilen unter der Motorhaube beklagt. Trotzdem schien ihn diese Veränderung nicht zu wundern. Vielleicht gehörte das Verchromen der Ventile zu den kleinen Extraleistungen, die Cappy anbot. Randy kam mit Cappy im Gefolge zurück, der die junge Familie auf eine Probefahrt mit dem Bus geschickt hatte. Als Randy den Motor anließ, klang er satt und stark und sogar noch lauter, als Julie ihn in Erinnerung hatte. Sie konnte Randys Gesicht ansehen, wie begeistert er war. „Laß mich mal probieren“, sagte sein Vater. Er übernahm Randys Platz hinter dem Steuer, legte den Gang ein und gab Gas, ohne den Fuß von der Bremse zu nehmen, um zu prüfen, wie gut die Bremsen hielten. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und wiederholte den Test. Randy war nervös wie ein Angeklagter vor Gericht, der auf den Urteilspruch wartet. Julie nahm seine Hand und drückte sie aufmunternd. Wenn das Urteil lautet, daß es sich nicht lohnte, diesen Wagen zu kaufen, dann wäre Randy am Boden zerstört. „Nun, was sagen Sie, Mr. Heathe?“ Cappy trat einen Schritt vor und schob sich die blauweiße Baseballmütze ins Genick. Wenigstens müssen sie heute nicht die Mütze raten, dachte Julie erleichtert. „Scheint ein hübscher Wagen zu sein, Cappy. Was soll er denn kosten?“ Hinter ihrem Rücken kreuzte Julie die Finger. „Nun… wenn man den Listenpreis eines 65er TBirds bedenkt, dann den Zustand dieses Wagens hinzunimmt und den Preis, den ich dafür bezahlt habe, würde ich sagen, dreitausend, vielleicht dreitauseneinhundert wäre ein angemessener Preis. Der Wagen steigt noch im Preis und ist nächstes Jahr sogar noch mehr wert, wenn er gut gepflegt wird.“ Es versetzte Julie einen Stich, als Randy angesichts des Preises, der höher war, als er gehen durfte, die Arme sinken ließ. „Aber in Anbetracht der Tatsache, daß Cappy immer die besten Verkäufe in der ganzen Stadt tätigt, kann ich ihn wohl für, sagen wir, zweitausendfünfhundert hergeben.“ Randy machte einen Luftsprung, schüttelte Cappys Hand, schüttelte seinem Vater die Hand, hob Julie hoch und wirbelte sie herum. Der Wagen gehörte ihm.
3. KAPITEL Es dauerte knapp eine halbe Stunde, bis der ganze Papierkram erledigt war, doch Randy war kaum noch zu halten, als sein Vater das letzte Formular unterzeichnete. „Dieser TBird ist ein so außergewöhnliches Auto, daß ich ihn sogar fotografiert habe“, erklärte Cappy und zeigte auf die mit Autofotos bedeckte Wand. Auf dem Bild sah der TBird elegant und schnittig aus. Wirklich ein tolles Auto, dachte Julie. Trotzdem war sie erstaunt darüber, wie die Erwartung, bald Besitzer des TBirds zu sein, Randy beeinflußte. Diese Sache mit der Begeisterung eines Jungen für sein erstes Auto war bedeutend schlimmer, als sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte gedacht, ihre Mutter hätte übertrieben, aber jetzt mußte sie zugegen, daß Randy sich doch sehr viel anders verhielt, als sie erwartet hatte. Von seinem üblichen coolen Auftreten war kaum noch etwas zu merken. Er tat ihr fast leid, als er ungeduldig wartete, bis Cappy die provisorische Zulassung an die Heckscheibe geklebt hatte. „Bleibt nur noch eines“, sagte Cappy, als er fertig war. „Du mußt die Mütze raten.“ Randy riß ungläubig Augen und Mund auf. Aus seinen Blicken sprach die Verzweiflung über diese neuerliche Verzögerung. „Ich glaube, ich weiß es“, schaltete Julie sich ein. „Die Mütze ist auch aus Tory Hill, nicht wahr?“ „Stimmt.“ Cappy nickte und wandte sich ihr zu. „Sie ist noch nicht sehr alt, wie?“ „Stimmt auch“, sagte Cappy. „Könnte es die Mütze von einem ziemlich guten Schläger sein?“ Cappy lächelte, und sie wußte, daß sie ins Schwarze getroffen hatte. „Diese Mütze trug der einzigartige Randy Heathe in dem Jahr, als er dreimal den Lauf um alle vier Male in einem Spiel schaffte!“ „Genau!“ Cappy lachte und schlug sich auf die Schenkel. Randy und sein Vater stimmten ein. „Also, Junge, ich denke, du kannst den Wagen haben. Sie hat ja für dich richtig geraten. Ich weiß doch, wie wichtig es für euch beide ist, endlich in euer neues Gefährt einzusteigen und über die Piste zu düsen. Die erste Tankfüllung geht auf Cappys Rechnung. Fahr an die Pumpe heran, dann tanken wir voll.“ „Mensch, danke!“ Randy strahlte übers ganze Gesicht. Kurz darauf war der Tank voll, und sie fuhren auf die Straße hinaus. Zuerst gondelten sie bei weit geöffneten Fenstern und lauter Radiomusik durch das Stadtzentrum. Als sie dort niemanden trafen, fuhren sie zum Stadtrand und klapperten die Parkplätze der Imbißstuben ab, um ihre Freunde zu suchen. Auch hier hatten sie kein Glück, und Randy sah schon ganz niedergeschlagen aus. „Laß uns doch ein bißchen auf die Landstraße fahren“, schlug Julie vor. „Klar. Machen wir.“ Randy faßte wieder neuen Mut und trat aufs Gaspedal. Sie verließen die Stadt und fuhren durch die hügelige Landschaft von Connecticut. Der Duft der immergrünen hohen Nadelgewächse und Tannen wehte durch die offenen Fenster zu ihnen hinein, und die steinernen Mauern an den Straßenseiten waren nur noch graue Farbstreifen. Eine ganze Weile fuhren sie schon über die friedlichen Hügel, als Julie bemerkte, daß Randy schneller als gewöhnlich fuhr. Sie warf einen Blick auf den Tacho. Die Nadel zeigte auf siebzig Meilen und kletterte auf die Achtzigermarke zu, und das war viel zu schnell für die kurvenreiche Strecke. Auf Randys Gesicht lag ein
geradezu verklärtes Lächeln, während er starr geradeaus blickte und die Geschwindigkeit und die Landschaft gar nicht mehr wahrnahm. Die Nadel bewegte sich auf fünfundachtzig Meilen pro Stunde zu, und sie preschten um eine Kurve. Die nächste war noch schlimmer. „Randy! Bitte fahr langsamer!“ Er schüttelte den Kopf und sah sie an, als wäre er überrascht, sie neben sich zu sehen. Dann warf er einen Blick auf den Tachometer, nahm den Fuß vom Gas und die Nadel sank zurück auf achtzig, auf fünfundsiebzig und noch niedriger. „Tut mir leid. Ich war irgendwie weggetreten. Vielleicht sollten wir sowieso lieber zurück zur Stadt fahren. Ich möchte dieses Schmuckstück gern waschen.“ „Waschen? Cappy hat ihn doch gerade erst waschen lassen.“ „Ich weiß. Ich möchte es nur noch einmal gründlich machen. Es schadet dem Wagen nicht.“ „Es ist ja deine Wasserrechnung, du Verschwender.“ „Hör mal zu. Warum hilfst du mir nicht beim Waschen und Polieren, und dann machen wir eine Spritztour und fahren hinaus ins Haverford Reservoir. Jetzt haben wir endlich unsere eigenen vier Räder und können ernsthaft was für die Liebe tun!“ Als sie auf der Zufahrt der Heathes geparkt hatten, suchte Randy einen Eimer Wasser, Flüssigseife und Schwämme zusammen, und Julie lief nach Hause, um ihren Fotoapparat zu holen. „Stell dich mal hübsch in Pose“, sagte sie zu Randy, der neben dem Wagen stand. Sie blickte durch den Sucher und sah, wie er den Saum seiner abgeschnittenen Jeans hochschob, in einer Haltung, die einem weiblichen Fotomodell nachempfunden war. Sie lachte und schoß Fotos aus allen möglichen Blickwinkeln, wie ein professioneller Fotograf. „Zeig ein bißchen mehr, Kleiner“, befahl sie und kam näher heran. Er riß sein Hemd auf, zeigte eine nackte Schulter und zwinkerte ihr zu. Der Anblick seiner behaarten Brust und seine Versuche, ein sexy Fotomodell zu spielen, waren zuviel für sie. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. Randy ließ sich anstecken und krümmte sich vor Lachen. Schließlich hielten sie sich aneinander fest und stützten sich, während ihnen vor Lachen die Tränen in die Augen stiegen. Julie legte den Kopf an Randys Brust, schlang die Arme um seine Hüften und versuchte, sich zu beruhigen. Sie fühlte sich rundherum gut. Dieser große, gutaussehende Junge gehörte zu ihr und würde immer zu ihr gehören. Sie liebte ihn so sehr, und sie wußte, daß er sie ebenfalls liebte. Sie waren zweifellos füreinander geschaffen. Sie paßten ausgezeichnet zusammen und waren sogar praktisch Tür an Tür zur Welt gekommen. Sie schlug die Augen auf und sah den TBird, der darauf wartete, gewaschen zu werden. Vielleicht bin ich sogar ein bißchen eifersüchtig auf das Auto, überlegte sie. Aber wie konnte ein Mensch eifersüchtig auf so ein mechanisches Ding sein? Das war doch Unsinn. Es war völlig normal für einen Jungen wie Randy, wenn er in Begeisterungsstürme über sein erstes eigenes Auto ausbrach. Sie mußte es ja auch gar nicht vollkommen verstehen. Die Hauptsache war, daß sie es akzeptierte. Wenn der Wagen den Reiz des Neuen verloren hatte, würde Randy sich schon wieder beruhigen. Dann würde zwischen ihnen alles wie früher sein. Es war ein schöner Wagen, genau richtig für sie beide, und nun konnten sie sich für alle Mitfahrgelegenheiten zum Strand und sonstwohin erkenntlich zeigen, die Freunde ihnen geboten hatten. Aber nicht ständig. Randy hatte gesagt, daß der Wagen ihnen beiden gehörte und daß er ihnen mehr Freiheit bot, als sie je gehabt hatten. Sie freute sich darauf, jetzt öfter mit ihm Zusammensein zu
können. „Ich hab was für dich.“ Er reichte ihr eine kleine, flache Schachtel. „Das ist ein Spiegel ganz für dich allein, sogar mit Beleuchtung. Man kann ihn an der Sonnenblende anbringen, und er hat Batterien, damit du auch im Dunkeln deine Kriegsbemalung auffrischen kannst.“ Julie öffnete die Schachtel und nahm den Kosmetikspiegel heraus. „Danke, Randy. Den finde ich ehrlich toll.“ Er hatte trotz allem doch an sie gedacht. Er half ihr, ihn an der Sonnenblende auf der Beifahrerseite zu befestigen, und sie lächelte ihr Spiegelbild an. Dann zog sie ein Papiertaschentuch aus der Tasche und polierte das Glas, bis es nur so blitzte. Das Geschenk gefiel ihr. „Laß uns anfangen, Weib. Du kannst doch nicht den ganzen Tag vor dem Spiegel verplempern.“ Julie und Randy rieben den TBird gerade trocken, als Danny Churchill und Mike Stewart in Dannys Cougar auf die Zufahrt einbogen. „Hey! Du hast einen Wagen“, rief Danny beim Aussteigen. „Hab ihn gerade heute abgeholt“, erwiderte Randy. Er war eng mit Danny befreundet, und beide spielten in der Footballmannschaft von Tory Hill. Im letzten Jahr waren die zwei in die AllStarsLandesmannschaft gewählt worden. Danny war im Gegensatz zu Randy klein und untersetzt. Sein Haar hatte eine rötlichbraune Farbe, und sein freundliches, sommersprossenübersätes Gesicht mit dem ewigen Lächeln wirkte sehr sanftmütig. Doch er war alles andere als das. Die Spieler gegnerischer Mannschaften mußten erfahren, daß Danny genausowenig wie der weit größere Randy ein Typ war, dem man gern in die Quere kam. Die zwei standen in freundschaftlichem Wettbewerb um die meisten Punkte und Tore im Football, und die feindlichen Mannschaften hatten unter ihrer Begeisterung zu leiden, besonders wenn beide gleichzeitig zum Angriff übergingen. „Sieht gut aus“, sagte Mike, nachdem er um den Wagen herumgegangen war. „Wo hast du einen 65er in so gutem Zustand aufgabeln können?“ „Bei Cappy.“ Randys Gesicht verriet seinen Besitzerstolz. „Knüppelschaltung oder Automatik?“ wollte Danny wissen und öffnete die Tür. „Knüppel.“ „Was für eine Maschine?“ fragte Mike. „Nichts Besonderes. Die kleine V8. Aber der Wagen ist gut erhalten, und wenn ich ein bißchen daran herumbastle, läßt sich schon was draus machen.“ „Wahrscheinlich will er uns reinlegen“, sagte Danny, entsicherte das Schloß der Motorhaube und stieg aus dem Wagen. Mike öffnete die Motorhaube. „Oha! Und du tust so unschuldig. Wenn das da die einfache V8Maschine ist, dann bin ich James Dean. Nimm dich in acht; der Wagen hat Pferdchen unter der Haube.“ Danny kam herüber und warf ebenfalls einen Blick auf den Motor. „Er ist wirklich in gutem Zustand, und das da ist der große V8Motor, so wahr ich hier stehe. Und einen VierZylinderVergaser hat er noch dazu. Hast du ein Glück gehabt, so ein Auto zu finden.“ Julie sah zu, wie sich die drei über den Motor des TBirds beugten und seine Innereien untersuchten wie ein Ärzteteam einen Patienten. Randy war überglücklich über das Interesse, das seine Freunde an der Maschine zeigten. Sie wußte ja, wie lange er sich schon wünschte, endlich Fachgespräche über Autos mit ihnen führen zu können. Danny und einige andere Jungen aus seinem Freundeskreis waren ein paar Monate älter als Randy und besaßen schon länger ein eigenes Auto. Dannys Cougar hatte wunderschöne, an den Seiten ineinander überfließende
Grünschattierungen. Wegen der breiten Rennreifen mit weißer Aufschrift war das Heck ein wenig hochgezogen, und es hatte einen Spoiler. Es war eines der schönsten Autos in Tory Hill, und jeder bewunderte Danny deswegen, insbesondere Randy. „Bau andere Zündkerzen ein, und stell die Zündung anders ein, dann ist er schneller“, schlug Danny vor. „Meinst du?“ „Denkst du, ein alter Kumpel schwindelt dich an? Die Zündkerzen kannst du bei Frank Melody kaufen, und er läßt dich sogar sein Werkzeug benutzen, damit du sie selbst einbauen kannst.“ „Prima Idee. Julie, hast du Lust, mit zu Frank Melody zu fahren und neue Zündkerzen zu kaufen?“ „Klar.“ „Toll. Dann also los. Wir sehen uns später, Jungs.“ „Wahrscheinlich bei Frank“, meinte Mike. „Wir waren sowieso auf dem Weg zu ihm.“ Im Auto fragte Julie: „Warum hast du nichts davon gesagt, daß der TBird die große V8Maschine hat? Ich dachte, er hätte nur die kleine.“ Randy blickte starr geradeaus, während er fuhr. „Hab nicht dran gedacht“, sagte er gleichmütig. Sie fragte sich, wieso er auch nichts von dem VierZylinderVergaser erwähnt hatte. Er hatte den Motor ihr gegenüber runtergespielt. Warum? Frank Melody galt als der beste Automechaniker in ganz Tory Hill. Erfuhr einen knallroten 1987er Corvette mit allen Extras. Jeder Junge in der Stadt beneidete ihn darum. Frank hatte vor einiger Zeit eine verlassene Tankstelle gekauft und sie zu einer Werkstatt umgebaut. Abgesehen davon, daß er für Leute wie Cappy arbeitete, ließ er dort auch die Jungen an ihren Autos basteln und stellte ihnen seine Werkzeuge zur Verfügung, wenn sie sie nur reinigten und wieder an Ort und Stelle zurücklegten. Die Werkstatt war der Tip für alle jungen Autobesitzer. Frank war gut gebaut, hatte schwarzes Haar und blitzende Augen und konnte beinah selbst noch für einen Teenager gehalten werden. Julie hatte schon viel von seiner Freundlichkeit und Großzügigkeit den Jungen gegenüber gehört, die bei ihm ein und ausgingen. Unwillkürlich schauderte sie, als sie auf die breite Zufahrt einbogen, wo früher die Zapfsäulen gestanden hatten. Sie parkten neben Marty Stechmans Drachenwagen, einem schwarzen Lieferwagen mit feurigen Drachen auf beiden Seiten. Frank Melodys Corvette stand auf dem Ehrenplatz, wo er von jederman bewundert werden konnte. Daneben parkte Kip Toneys silberner Camera. Angeblich brachte er hundertvierzig Meilen pro Stunde auf gerader Strecke. Außerdem waren noch ein paar andere eindrucksvolle Wagen da, die Julie nicht erkannte. Danny und Mike waren vor ihnen bei Frank angekommen, und Dannys Cougar stand neben Toneys Camera. Julie sah Randy an und bemerkte das Funkeln in seinen Augen. Doch es war mehr als nur Begeisterung. Irgend etwas in seinem Gesicht beunruhigte sie. „Vielleicht sollten wir lieber noch mal herkommen, wenn nicht so viel Betrieb ist“, schlug sie vor. „Frank ist nicht überlastet“, entgegnete Randy ungeduldig. „Es ist doch wie immer. Er ist nun mal sehr beliebt. Die Jungs kommen von überall her, um mit Frank zu reden. Er versteht eben was von Autos. Warte hier. Ich sehe nach, ob er die Zündkerzen hat und ob ich das Werkzeug zum Einbauen ausleihen kann.“ Julie sank zurück in ihren Schalensitz, und Randy machte sich auf die Suche nach Frank. Schmieröl und Auspuffgase ließen sie einfach kalt. Je schneller sie wieder
aus der Garage heraus waren, desto zufriedener würde sie sein. Randy blieb eine halbe Ewigkeit weg. Dann entdeckte sie ihn durch eine der geöffneten Türen inmitten einer Schar von Jungen. Sie umstanden einen dunkelhaarigen Mann. Das mußte Frank Melody sein. Frank ruderte mit den Armen, als ob er etwas erklärte. Er wirkte ein bißchen wie ein König, der Hof hielt. Die Jungen hörten ihm verzückt zu. Dieser Anblick ließ Julies Unbehagen noch wachsen. Bald darauf war Randy zurück. „Frank hat nicht nur die Zündkerzen, die ich brauche, sondern er erlaubt mir auch, sie jetzt gleich selbst einzubauen. Eine Bucht ist frei, und ich darf sein Werkzeug benutzen, wenn ich es hinterher wieder saubermache und zurücklege. Ist das nicht toll?“ Julie seufzte. „Großartig“, sagte sie niedergeschlagen. Randy startete den TBird und lenkte ihn in die Bucht ganz an der linken Seite. Julie zog die Nase kraus. Es stank nach Dingen, die sie hoffentlich nie näher kennenlernen mußte. Der Boden war mit grauen Kügelchen von Ölbindemittel und mit Benzinkanistern bedeckt, und überall lag Werkzeug herum. Riemen und Schläuche verschiedener Größen hingen an Haken an den Wänden. Julie blickte auf ihre weißen Hosen und war froh, im Auto bleiben zu können. Außerdem war sie das einzige Mädchen weit und breit, und aus den Blicken, die man ihr bei ihrer Ankunft zugeworfen hatte, war deutlich zu entnehmen, daß sie eine Außenseiterin war. „Wie lange dauert es wohl?“ fragte sie, bemüht, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. „Nicht lange. Warum?“ Randys Tonfall wirkte genervt, und Julie versuchte, ihre Frage leichthin abzutun, so, als wäre es ihr völlig gleichgültig. Er zuckte die Schultern, stieg aus dem Wagen und öffnete die Motorhaube. Sie konnte nicht sehen, was er tat, aber bald hatten sich fast alle anderen Jungen und sogar Frank Melody bei ihm eingefunden, um den Wagen zu begutachten und Randys Arbeit zu überwachen. Die Zeit verging langsam. Es dauerte weit länger, die Zündkerzen auszuwechseln, als Julie angenommen hatte. Über die Unterhaltung der Jungen vor dem Wagen hinweg hörte sie den Lärm eines Baseballspiels im Radio. Sie seufzte. Sie hatte nicht einmal die Möglichkeit, wenigstens gute Musik zu hören. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf eine geöffnete Seitentür. Daneben stand ein Getränkeautomat. Vielleicht konnte etwas Kaltes zu trinken ihre Stimmung ein bißchen auffrischen. „Wie wär’s mit einer Cola?“ fragte sie, als sie aus dem Auto stieg und einem ölbeschmierten Werkzeugwagen ausweichen mußte. Randy knurrte irgend etwas, das Julie für eine Zustimmung hielt, und dann drehte er sich um und rief über seine Schulter hinweg: „Hey, Stechman. Komm mal her und schau dir diesen Vergaser an.“ Julie biß sich auf die Lippen und mußte sich zusammenreißen, um nicht zu sagen, daß sie doch eigentlich gekommen waren, um die Zündkerzen auszuwechseln, und nicht, um über Vergaser zu reden. Statt dessen schritt sie grimmig auf den Getränkeautomaten zu. Sie warf die Münzen ein und ließ ihren Blick über die Straße schweifen, während der Automat summte und dann mit lautem Klappern die Coladose ausspie. Sie hatte gar nicht daran gedacht, daß ganz in der Nähe zwei ihrer Lieblingsgeschäfte lagen. Benos Sportgeschäft und Fontanes Boutique waren nur einen Block entfernt. Soll Randy im Schmieröl wühlen, solange er will, dachte sie. Ich hab was Besseres zu tun, zumal in ein paar Tagen die Schule wieder anfängt. Es geschieht ihm nur recht, wenn ich mit meinem Schaufensterbummel noch nicht fertig bin, wenn er nach Hause will.
Sie beschloß, auf ihre Limonade zu verzichten, zog die Lasche an der Büchse in ihrer Hand und ging zurück zu Randy. „Pssst, Randy“, flüsterte sie und zupfte an seinem Ärmel. Er schien ganz vergessen zu haben, daß sie auch noch da war, während er mit einem anderen Jungen redete. Sie sprach lauter. „Randy. Ich geh zu Benos und Fontanes. Bist du noch eine Weile hier?“ Wieder erhielt sie keine Antwort. „Hast du gehört, Randy?“ Verärgerung schwang in ihrer Stimme mit. Er blickte sie an und zog die Stirn kraus. „Ja, ich hab gehört.“ Julie spürte, wie sie rot wurde. Er könnte doch wenigstens höflich sein. Sie stellte die Coladose auf den Kotflügel des TBirds und ging. Innerlich kochte sie, als sie die Straße zu den Geschäften überquerte. Sie würde es ihm schon zeigen. Beim Durchstöbern der Läden wollte sie sich alle Zeit der Welt lassen. Sollte er doch kommen und sie suchen. So sehr sie sich auch anstrengte, in Benos Laden fand sie nichts, was sie so interessierte, daß sie es hätte anprobieren mögen. Entweder stimmte die Farbe nicht, oder die Tops und die Röcke und Hosen, die ihr gefielen, paßten nicht zusammen. Sie war heute eben nicht in der richtigen Stimmung. Als sie Benos Laden verließ, um zu Fontanes Boutique zu gehen, warf sie einen Blick in die Richtung von Frank Melodys Werkstatt. Die meisten anderen Wagen waren fort, aber den TBird sah sie noch immer mit geöffneter Motorhaube in der Bucht stehen. Randy arbeitete nach wie vor wie besessen. Gut, dachte sie, sie würde sich Zeit lassen. Sie konnte genauso eigensinnig sein wie er. In Fontanes Boutique hielt sie sich bedeutend länger auf und probierte so gut wie jedes Kleid, jedes Top, jeden Rock und jede Hose in ihrer Größe an. Als sie alles gesehen hatte, schaute sie auf die Uhr und stellte fest, daß sie mehr als eineinhalb Stunden in der Boutique verbracht hatte. Bald war Abendbrotzeit, und sie und Randy sollten sich schleunigst auf den Heimweg machen. Der Gedanke, daß er sie nicht abgeholt hatte, ärgerte sie, aber sie mußte nach Hause, ob er nun wollte oder nicht. Zurück in Frank Melodys Werkstatt, fand sie Randy immer noch in den Motor des TBirds vertieft. Die unberührte Cola stand auf dem Kotflügel, wo sie sie abgestellt hatte, und Randys Arme waren schmutzig von Staub und Öl. Bei dem Anblick stieg Wut in ihr hoch. „Randy! Bist du denn immer noch nicht fertig?“ Erfuhr ruckartig hoch und stieß sich den Kopf an der Motorhaube. „Julie!“ Sie erkannte, daß er um seine Selbstbeherrschung kämpfte. „Ich sag dir schon Bescheid, wenn ich fertig bin!“ Verdutzt öffnete sie den Mund zu einer Antwort, schloß ihn aber wieder, als ihr nichts einfiel. Die Tränen stiegen ihr in die Augen und ließen alles vor ihr verschwimmen, als Randy sich wieder unter die Haube duckte. Sprachlos blieb sie einen Augenblick stehen und sah ihn an. Er beachtete sie nicht. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte aus der Werkstatt hinaus, vorbei an Frank Melody, der eben zu den Arbeitsbuchten hinüberkam. Mit zusammengepreßten Lippen und tränennassen Wangen ging sie die paar Blocks zu Fuß nach Hause.
4. KAPITEL Es regnete den ganzen nächsten Tag über, und Julie verbrachte den größten Teil des Vormittags oben in ihrem Zimmer und versuchte zu lesen. Dann und wann klappte sie das Buch zu und ging zum Fenster, um das Haus der Heathes und den auf der Zufahrt geparkten TBird zu betrachten. Das Wetter ist so schlecht, da3 er nicht an seinem blöden Auto basteln oder es waschen oder noch einmal polieren oder die dämlichen Zündkerzen wechseln kann, dachte sie. Und wahrscheinlich will er auch nicht fahren, aus Angst, der Wagen könnte Schlammspritzer abbekommen. Was war überhaupt los mit Randy? Warum rief er nicht an oder kam rüber zu ihr? Er schuldete ihr immerhin eine Erklärung für sein unmögliches Benehmen in Melodys Werkstatt am Tag zuvor. Er war richtiggehend eklig gewesen. Der Kauf des Autos hatte ihn doch irgendwie verändert. Sie hoffte nur, daß er bald wieder normal würde. Natürlich konnte sie ihn anrufen. Aber dann würde er glauben, sie liefe ihm nach. Ratlos schlug sie mit der Faust aufs Bett. Er würde denken, sie hätte überhaupt keinen Stolz. Er war doch schuld, nicht sie. Er hatte sich verändert. Dann sollte er sich auch gefälligst zuerst melden. Wie auf ein Stichwort klingelte das Telefon unten in der Küche, und nach wenigen Sekunden rief ihre Mutter nach ihr. „Julie! Ein Anruf für dich!“ Triumphierend sprang sie, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab, stürzte an ihrer Mutter vorbei und griff nach dem Hörer. Einen Moment lang hielt sie ihn ein wenig von sich ab, um Randy warten zu lassen und selbst erst einmal wieder zu Atem zu kommen. „Hallo?“ meldete sie sich zuckersüß. „Tag, Julie. Ich bin’s, Nancy.“ „Oh… Hallo, Nancy.“ Julie bemerkte selbst den enttäuschten Unterton in ihrer Stimme und verzog das Gesicht. „Was gibt’s?“ fuhr sie so munter fort, wie sie nur konnte. Nach Randy kam gleich ihre Freundschaft mit Nancy. Außerdem war es nicht nötig, daß noch jemand sauer auf sie wurde. „Eigentlich nicht viel. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, rüberzukommen und bei uns im Keller für die Cheerleadergruppe zu trainieren. Nächste Woche fängt die Schule an, und das heißt, auch das Training. Wenn wir unsere Texte können, ist Mrs. Lynn vielleicht beeindruckt.“ Julie wußte das, aber über ihre Besorgnis um Randy und sein verändertes Benehmen hatte sie es vollkommen vergessen. Von den acht Cheerleadern ihrer Stufe im vergangenen Schuljahr waren Nancy und sie die einzigen, die in die Uniauswahl im Herbst gekommen waren, und den ganzen Sommer über hatten sie nervös der ersten Übungsstunde mit Mrs. Lynn und den Mädchen von der Uni entgegengefiebert. „Gute Idee, Nancy! Es ist prima, Freundinnen wie dich zu haben, die am Ball bleiben. Hast du die Textliste, oder muß ich meine erst suchen?“ „Nicht nötig. Ich hab sie. Du mußt nur rüberkommen.“ Julies Laune hatte sich erheblich gebessert. Sie legte den Hörer auf und rief ihrer Mutter zu, daß sie zu Nancy ging. In ihrem Zimmer zog sie grüne JoggingShorts und ein weißes Top an. Sie nahm ein grünes Sweatshirt mit Kapuze gegen den Regen mit und stürmte zur Tür hinaus. Während sie am Haus der Heathes vorbeilief, vermied sie es absichtlich, einen Blick hinüberzuwerfen. Sollte Randy sie doch von seinem Zimmerfenster aus sehen und sich fragen, wohin sie wohl gehen mochte. Wenn er es wissen wollte, müßte er schon nach draußen kommen
und sie fragen. Es regnete heftig, und aus den alten Ahornbäumen, die die Straße überwölbten, tropfte es unablässig. Plötzlich entdeckte sie aus dem Augenwinkel etwas Gelbes, Wuscheliges und hörte ein klagendes „Miau“. „Psycho?“ Julie blieb stehen. Sie war verwundert, die Katze draußen im strömenden Regen zu sehen. Psycho und Mugsy waren Randys Haustiere, und gewöhnlich verhätschelte er sie geradezu. Es paßte gar nicht zu ihm, die Katze in einem derartigen Wolkenbruch draußen zu lassen. „Läßt dich denn keiner ins Haus? Du Ärmster!“ Psycho miaute wieder, doch diesmal klang es tiefer, kehliger, und Julie erschrak. Vielleicht war das Tier krank, weil es zu lange im Regen herumgelaufen war. „Komm, Psycho. Komm schon, mein Kleiner. Ich mach dir die Tür auf.“ Mit gerunzelter Stirn ging Julie den Weg zur Haustür hinauf. Das sollte sie eigentlich nicht tun. Wenn Randy sie nun sah, würde er glauben, sie hätte die ganze Angelegenheit extra so eingefädelt, um mit ihm reden zu können. Na gut, falls er zur Tür kommen sollte, um ihr dafür zu danken, daß sie Psycho davor bewahrt hatte, sich in dem Wolkenbruch den Tod zu holen, dann würde sie ihm schon klarmachen, daß es ihr einzig und allein um den Kater ging. Psycho beachtete sie gar nicht und machte auch keine Anstalten, ihr zu folgen. Sie blieb stehen und drehte sich um. Psycho führte sich wirklich sonderbar auf. Der Kater hatte sich eng an den Boden geschmiegt; das Fell auf seinem Rücken war gesträubt und seine Schwanzspitze zuckte nervös. Langsam kroch er auf den TBird zu. Er schleicht sich an, dachte Julie. Wahrscheinlich hat er eine unglückselige Maus entdeckt, die sich hinter einem der Reifen versteckt. Offenbar ohne auch nur Luft zu holen, schob Psycho vorsichtig eine Pfote vor die andere. Seine Augen waren vor Konzentration zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. Der leise Schrei aus seiner Kehle klang wild und gespenstisch, während er sich seiner unsichtbaren Beute näherte. Julie schauderte beim Zusehen. Irgend etwas stimmte nicht. Sie hatte Psycho schon oft bei der Jagd beobachtet, aber das hier war etwas anderes. Sie spürte die Gegenwart von irgend etwas Bedrohlichem, hatte aber keine Ahnung, was es sein mochte. So verrückt es war, sie schaute doch um sich, um die Ursache für ihr Gefühl zu entdecken. Außer Psycho und dem Auto war nichts zu sehen. Der Kater bewegte sich weiter vorwärts. Ein tiefes Knurren kam aus seiner Kehle. Julie sah verwundert zu. Sie verstand das nicht. Der Kater knurrte. Katzen auf der Jagd knurrten gewöhnlich nicht. Dadurch würden sie sich verraten. Niemals warnten sie ihr Opfer. Aber sie knurrten, wenn sie sich zum Kampf bereitmachten. Psycho war nicht auf Beutefang, aber sein schriller Kriegsschrei verursachte ihr eine Gänsehaut. Julie stand wie erstarrt und ballte die Fäuste. Plötzlich sprang der Kater hoch in die Luft und gab ein unirdisches Heulen von sich, drehte sich dann um und schlüpfte um die Hausecke herum in den Garten. Sein gespenstischer Schrei hing noch in der Luft, lange nachdem er verschwunden war und Julie allein im Regen stehen gelassen hatte. Voller Schrecken und mit einem Gefühl der Erschöpfung stand Julie reglos da und starrte auf die Stelle, wo er verschwunden war. Die Regentropfen sammelten sich auf ihrer Kapuze und rannen über ihr Gesicht. Sie rieb sich die Gänsehaut von den Armen. Was war geschehen? Was war der Grund dafür, daß Psycho sich so sonderbar aufgeführt hatte? Seine Schreie hatten die Luft zerrissen, und doch war niemand aus dem Haus gekommen, um nachzusehen, woher dieser Lärm kam. Wie war es möglich, daß keiner die Schreie gehört hatte? Es kam ihr fast so vor,
als wäre sie die einzige Zeugin dieser Szene gewesen, als hätte sie allein das Böse gespürt. Es war, als wären sie und der Kater und der Wagen für einen Augenblick in einer Welt für sich eingeschlossen gewesen. Sonst hatte sie nichts gesehen. Es war total verrückt. Als nächstes würde sie glauben, der Kater hätte sich an den Wagen herangepirscht. An einen ganz gewöhnlichen Wagen. Julie wich rasch zurück und schlug den Weg nach Hause ein. Sie würde Nancy anrufen und ihr sagen, daß sie das Training auf den nächsten Tag verschieben mußten. Sie war zu betroffen, um jetzt die Texte einzustudieren. Sie brauchte Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Sie rief Nancy an und entschuldigte sich für die Vertagung des Trainings. Dann ging sie in ihr Zimmer. Dort schritt sie rastlos auf und ab. War es nur ein Zufall, daß all die seltsamen Dinge, die in letzter Zeit passierten, immer irgendwie mit Randys Auto in Zusammenhang standen? Erst war da Randys Verhalten und nun auch noch Psychos, und dann die sonderbare Szene, deren Zeugin sie eben geworden war. Fragen schlichen sich in Julies Bewußtsein und drehten sich im Kreise, verlangten nach Antwort, fanden aber keine. Schließlich beschloß sie, Randy anzurufen. Es mußte sein. Hier handelte es sich nicht um einen ganz gewöhnlichen Streit. Es ging um mehr. Aber sie wußte nicht, um was. Das Auto würde sie nicht erwähnen. Sie wollte sich nur vergewissern, daß alles in Ordnung war. Gleich nach dem ersten Klingeln knackte es in der Leitung. Randy meldete sich. „Hallo.“ „Tag. Ich hab mich gerade eben gefragt, was du an einem so schauderhaften Tag wie heute wohl treibst.“ Julie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. Sie hörte Randy gähnen. „Naja, zunächst einmal hab ich lange geschlafen. Aber sehr viel länger kann ich nicht mehr. Und was machst du?“ Julie atmete erleichtert auf. Seine Stimme hörte sich an wie immer, so als wäre am Tag zuvor nicht das geringste zwischen ihnen vorgefallen. „Ach, ich hab auch nicht viel getan. Ich wollte zu Nancy rübergehen und fürs Cheerleadertraining üben, aber dann war mir doch nicht so recht danach.“ „Dabei fällt mir etwas ein“, sagte er. „Tolle Neuigkeiten. Ich hab mit einem Typ aus der Mannschaft gesprochen, und er sagte mir, daß am Sonnabend eine große Fete am HammonassetStrand stattfindet. Es soll so etwas wie eine Abschiedsfeier von den Ferien sein, bevor die Schule und Football Freds Zapfenstreich wieder einsetzen. Ich hab gesagt, wir kommen. Bist du einverstanden?“ „Klar. Find ich klasse.“ Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten über Belangloses und legten dann auf. Randy erwähnte den Vorfall in Frank Melodys Werkstatt mit keinem Wort. Das war seltsam. Er hatte sich nicht entschuldigt. Na ja, was auch immer am Vortag zwischen ihnen nicht gestimmt haben mochte, war heute offensichtlich vergessen. Es war, als wäre es nie geschehen. Sie kam sich albern vor wegen ihrer Sorgen. Randy war Randy, und nichts würde ihn jemals wirklich ändern. Das wußte sie. Für den Rest der Woche sahen Julie und Randy sich nicht oft. Der Trainer hatte für morgens um sechs Gymnastik angeordnet, und jeden Nachmittag fand ein volles Trainingsprogramm statt. Das Cheerleadertraining für die Uniauswahl begann ebenfalls, und Julie und Nancy hatten in Gegenwart der Mädchen von der Uni das Gefühl, plötzlich drei linke Füße zu haben. Julie wünschte sich verzweifelt, sich im Sommer besser auf das Training vorbereitet zu haben. Als schließlich der Sonnabend kam, freute sie sich mehr denn je auf die Strandfete.
Statt mehr Zeit füreinander zu haben, seit Randy das Auto gekauft hatte, verbrachten sie jetzt den Großteil ihrer Freizeit getrennt, und Julie konnte es kaum erwarten, einen ganzen Abend lang mit ihm zusammen zu sein. In der Dämmerung kamen sie am HammonassetStrand an. Julie lächelte vor sich hin, als Randy die Eintrittsgebühr beim Parkwächter bezahlte. Abends war sie am liebsten am Strand. Sie fragte sich, warum so viele Menschen in der Tageshitze hierher hinauskamen, um sich die Füße auf dem übervölkerten Sandstreifen zu verbrennen, wenn sie doch genausogut bei Sonnenuntergang und einer kühlen Brise herkommen konnten. Zu dieser Tageszeit klang das Rauschen der Wellen auf ganz besondere Weise gedämpft, und über den Sand breitete sich eine herrlich friedliche Stimmung aus. Besonders gern fuhr sie mit Randy zu Sutter’s Cove. Das war eine kleine einsame Bucht, in der sie manchmal in dem Boot der Heathes segelten, wenn sie allein sein wollten. Inzwischen betrachteten sie diese Stelle fast als ihr Eigentum. Im Sommer verbrachten sie viel Zeit dort ganz für sich allein. Sie nahmen eine Kühltasche mit Limonade und Sandwiches mit, legten sich auf eine Decke, schauten zu den Sternen hinauf und redeten. Bei diesen Gelegenheiten fühlte sie sich Randy näher als je zuvor. Wenn sie über die Zukunft sprachen, ging es immer darum, was sie einmal gemeinsam machen würden. Beide wußten, daß sie zusammenbleiben würden. Randy blieb an einer Gabelung des Sandweges stehen. Der linke Weg führte zum öffentlichen Campingplatz und einem etwas abgelegeneren Stückchen Strand. Rechts ging es zu einem riesigen Freiluftpavillion. Randy entschied sich für die linke Abzweigung, und sie fuhren zum entlegensten Teil des Strandes, wo sich die Footballmannschaft von Tor Hill und ihre Freundinnen treffen wollten. Ein Lagerfeuer flackerte wie ein Leuchtturm vom öffentlichen Parkplatz herüber, und Julie sah, wie sich am Himmel Sterne zeigten, wie Funken, die von den Flammen aufgestoben waren. Der Strand war leer, abgesehen von den jungen Leuten, die bereits eingetroffen waren. Randy fuhr an den Reihen von Autos entlang und parkte den TBird schließlich dicht neben einem gelben Dooge am Rande des Schotterplatzes, direkt gegenüber dem Feuer. Er nahm Julie die Kühltasche ab, und sie gingen den Weg entlang zu den anderen. Nach wenigen Schritten blieb Randy mitten auf dem Weg stehen und blickte über die Schulter zurück. Julie drehte sich um, um zu sehen, was ihn abgelenkt hatte, und riß überrascht die Augen auf. Das Mondlicht spiegelte sich in den Autos auf dem Parkplatz, aber der TBird war besonders auffällig. Er schien von innen heraus zu glühen, mit einem ganz langsam pulsierenden Licht. Unwillkürlich schauderte sie und spürte dieselbe bedrohliche Atmosphäre wie neulich, als sie im Regen gestanden und Psycho bei seinem seltsamen Gebaren beobachtet hatte. Was war los mit dem Auto, daß es solche Gefühle in ihr verursachen konnte? Es war doch nichts weiter als ein Auto. Ein TBird, wie ihn tausend andere Leute auch besaßen. Daran war nichts Böses. „Hey, Randy! Zeig den Leuten dein neues Auto“, rief Danny Churchill ihm zu und kam ihnen entgegen. „Gehört der TBird dir?“ „Menschenskind!“ „Seit wann hast du ihn?“ Die Stimmen von Danny und drei weiteren Mitgliedern aus Randys Mannschaft rissen sie auseinander und brachen den Zauber. Sie kamen die Straße entlang auf sie zu, redeten alle zur gleichen Zeit und stellten Fragen. Stolzgeschwellt führte Randy sie zurück zum Wagen, beantwortete Fragen und ließ Julie stehen. Julie schüttelte das seltsame Gefühl ab und sah Randy nach. In Gegenwart seiner
Freunde war er sofort gutgelaunt und locker. So liebte sie ihn. Ganz bestimmt würden die Veränderungen, die sie an ihm festgestellt hatte, nicht lange anhalten. Sie nahm die Kühltasche, die er abgestellt hatte, und ging auf das Feuer zu, wo die zeitweilig alleingelassenen Mädchen zusammenhockten und redeten. Sie ließ sich neben Nancy, die mit Joe Stoner befreundet war, auf die Decke nieder. „Wie gefällt es dir, einen motorisierten Freund zu haben?“ fragte Nancy. „Joes Eltern erlauben nicht, daß er sich einen Wagen kauft. Er soll erst ein bißchen älter werden, und mit ihrem eigenen Auto stellen sie sich furchtbar geizig an.“ „Na ja…“ Julie zögerte. Beinahe hätte sie zugegeben, daß Randy mehr Zeit mit seinem Auto verbrachte als mit ihr, aber im letzten Moment beherrschte sie sich. „Toll“, sagte sie rasch und versuchte, fröhlich zu klingen. „Es ist herrlich, so viel Freiheit zu haben.“ „Du hast’s gut“, bemerkte Pat Graves. Sie war in der Klasse über Julie und ging schon lange mit Danny Churchill. „Als Danny seinen Cougar bekam, hab ich ihn einen ganzen Monat nicht zu sehen bekommen. Junge, das war eine schwere Zeit.“ „Na, ihr wißt doch, wie Jungs sind, wenn es um Autos geht“, bemerkte Trina Gresham. Julie blickte hinter sich auf den TBird, um den sich die Jungen versammelt hatten. Die Motorhaube war geöffnet, und sie begutachteten den Motor. Sie fragte sich, ob sie in dem blassen Mondlicht überhaupt etwas erkennen konnten. Pats und Trinas Worte hatten sie erleichtert. Randy verhielt sich offenbar kein bißchen anders als jeder andere Junge mit einem neuen Auto. Sie hatte sich nur verrückt machen lassen und sich Dinge eingebildet. Die Jungen kamen kurz darauf zurück zum Feuer, und immer mehr Pärchen kamen hinzu, breiteten ihre Decken im Sand aus und setzten sich zu ihren Freunden. Eine weiche Brise kräuselte das Wasser in der Long IslandBucht ganz leicht, und das sanfte Rauschen der einlaufenden Flut war über dem Lärm der Transistorradios, die alle auf ihren Lieblingssender geschaltet waren, kaum zu hören. Vor dem mondhellen Himmel zeichnete sich die Silhouette eines Mädchens und eines Jungen ab, die Hand in Hand am Wasser entlang wanderten. Aus den Gruppen von jungen Leuten erhob sich Gelächter, während sie schwatzten und sich gegenseitig aufzogen. Alle wußten, daß sie zum letztenmal zusammen am Strand sein konnten, bevor die Schule wieder begann, und die Gespräche drehten sich um ihre jeweiligen Unternehmungen während des Sommers. Auf die Bitte von irgend jemandem holte Danny seine Gitarre aus dem Wagen und begann zu spielen, während die übrigen leise mitsummten. Julie und Randy tranken ihre Limonade aus, saßen da und warfen Muscheln ins Feuer und hörten zu. Schließlich beugte Randy sich zu ihr, tippte ihr leicht auf die Schulter und sagte: „Komm, laß uns schwimmen gehen.“ Sie wandte sich ihm zu und sah ihn an. Seine Nähe ließ ein warmes Gefühl für ihn durch ihren Körper strömen. Sie stand auf, schlüpfte aus den Turnschuhen, zog Hemd und Shorts aus und stand dann im Badeanzug da. Randy nahm ihre Hand, und zusammen gingen sie zum Wasser hinunter. Sie legte den Arm um seine Hüften und schmiegte sich an ihn, als sie ins warme Wasser der Bucht hineinwateten. Parallel zum Strand, fort von der Fete, schlenderten sie durchs Wasser, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich brach Randy das Schweigen. „Es tut mir leid, Julie. Ich weiß, in der letzten Zeit bin ich dir gegenüber ziemlich rücksichtslos gewesen. Ich kann mich nur damit entschuldigen, daß der Autokauf mir sehr viel bedeutet hat. Ich
glaube, ich hab mich einfach zu sehr davon hinreißen lassen.“ „Und ich fürchte, ich war ein bißchen eifersüchtig“, gab Julie zu. „Ich will dich einfach nicht mit dem Wagen oder mit irgend jemandem oder irgend etwas sonst teilen.“ Er blieb stehen, drehte sie zu sich um, zog sie eng an seine Brust und legte die Arme um ihren Körper. Er sah ihr in die Augen und beugte sich zu ihr herab, um sanft ihre Lippen mit seinem Mund zu berühren. Sie kam ihm entgegen. Es war ein langer Kuß, und als sich ihre Lippen wieder trennten, fuhr er fort, ihr viele kleine Küsse zu geben, auf die Augenlider, die Stirn, den Hals, mit flüchtiger, zärtlicher Berührung. „Du bist meine Freundin, Julie. Es ist mir ernst mit dir, und ich kann es nicht ertragen, wenn wir Probleme haben.“ Sie zog seinen Kopf zu sich herab und küßte ihn fest. „Idiot. Merkst du denn nicht, wenn ein Mädchen dich aufrichtig liebt? Ich glaube, ohne dich kann ich nicht leben.“ Wieder küßten sie sich und lagen sich lange in den Armen, bevor sie sich umdrehten und weiter Arm in Arm den Strand entlangwanderten. Den Fetenlärm hatten sie schon lange hinter sich gelassen. Nach einer Weile wateten sie zum Strand zurück und setzten sich in den Sand. Sie schwiegen beide, lauschten auf das Rauschen der Brandung und küßten sich hin und wieder. Julie war völlig von ihrer Liebe zu Randy ausgefüllt; alle Zweifel waren verflogen. Seine Nähe hüllte sie vollkommen ein. Das war alles, was sie brauchte. Die Schule, das Cheerleadertraining, selbst das dunkle Fetengetümmel weiter unten am Strand – das alles war in einer anderen Welt. Der TBird, der Streit in Frank Melodys Werkstatt, die Szene mit Psycho, alles war gegenstandslos geworden. Julies Welt war in Ordnung. Randy liebte sie, und sie liebte ihn, und daran sollte sich niemals etwas ändern.
5. KAPITEL Julie stürmte die Treppe hinunter. Es war Montag morgen, der erste Schultag, und sie mußte sich beeilen. Der Sonnabend am Strand war wunderschön gewesen, und Nancy und Danny hatten sie und Randy am Sonntag zum Tennisspielen abgeholt. Das ganze Wochenende war ihr wie eine einzige Fete erschienen. „Hallo, Mom“, sagte sie, riß die Kühlschranktür auf und nahm eine Litertüte Milch hinaus. „Du mußt etwas essen, bevor du gehst“, ermahnte ihre Mutter sie und sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Ich habe keine Zeit.“ Julie füllte ein Glas mit Milch und trank es in einem Zuge aus. „Womöglich ist Randy ausnahmsweise mal früher beim Wagen, wenn ich mich nicht beeile.“ Sie nahm ihre Tasche und war im nächsten Augenblick zur Tür hinaus. Auf der Veranda blieb sie erschrocken stehen. Blitzend stand der TBird auf der Zufahrt der Heathes. Der Anblick beunruhigte sie. Der Wagen sah irgendwie aus, als ob er auf etwas wartete. Sie schüttelte ihr unbehagliches Gefühl ab, ging quer über den Rasen und blieb erneut stehen. Sie konnte sich selbst den Grund nicht erklären, aber Randy war noch nicht da, und allein wollte sie nicht ins Auto steigen. Die Vorstellung des Katers, der sich an den Wagen heranpirschte, schoß ihr durch den Kopf, und sie fröstelte trotz der milden Septemberluft. Sie sah sich im Garten um und war froh, daß niemand dort war, der ihr Zögern, sich dem Wagen zu nähern, bemerkt haben könnte. Für jeden anderen mußte ihr Verhalten idiotisch wirken. Jetzt werde ich schon wieder albern, dachte sie. Außerdem wird Randy sagen, er wäre vor mir dagewesen, wenn ich nicht einsteige, bevor er aus dem Haus kommt. Sie nahm allen Mut zusammen, schritt auf den TBird zu und ließ sich in den Beifahrersitz gleiten. Da saß sie nun, und die Minuten verstrichen, ohne daß Randy auftauchte. Nervös klappte Julie die Sonnenblende über der Windschutzscheibe heraus, um ihr Makeup in dem Schminkspiegel zu überprüfen, den Randy ihr geschenkt hatte. Sie sah recht gut aus, hatte aber den Lidschatten über ihrem rechten Auge nicht gleichmäßig aufgetragen. Sie öffnete ihre Tasche, nahm ihre Schminksachen heraus und schaute wieder in den Spiegel, um den Fehler zu beheben. Sie erstarrte. In der oberen Ecke des Spiegels erschien ein Sprung und setzte sich langsam bis zum unteren Rand fort, wie ein dünnes Rinnsal von Wasser. Entsetzt sah sie zu, wie weitere Sprünge auftauchten, sich zickzackartig über den Spiegel ausbreiteten und ihn mit einem Spinnennetz von Sprüngen überzogen. Ihr Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte, verzerrte sich in Tausenden von Glassplittern, bis es wie das Gesicht eines unmenschlichen Mutanten aussah, der sie mit häßlichem, stummen Lachen anblickte, wie eine Leiche aus dem Grab heraus. Sie unterdrückte einen Schrei, griff nach dem Steuerrad und hupte laut und anhaltend. „Ich komme! Ich komm ja schon!“ rief Randy, stürzte aus der Haustür und schlug sie lautstark hinter sich zu. „Wieso hast du’s überhaupt so eilig?“ „Der Spiegel. Er… Sieh doch!“ Julie zitterte am ganzen Leib. „Was ist denn so schlimm an einem zerbrochenen Spiegel? Wie ist er eigentlich kaputtgegangen?“ fragte er und schaute sie an. „Ich… ich weiß nicht. Er ging einfach entzwei.“ „Das ist doch Unsinn.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hab noch nie gehört, daß ein
Spiegel einfach so mir nichts dir nichts zerbricht. Es muß doch einen Grund geben. Hey, guck nicht so erschrocken. Wir kaufen dir einen neuen.“ Julie war sprachlos, sie wußte nichts mehr zu sagen. Ein Spiegel ging nicht einfach so entzwei. Dieser war auch nicht richtig zersplittert. Wenn ein Spiegel zerbrach, dann ging das gewöhnlich nicht so langsam und geradezu absichtsvoll vor sich wie in diesem Fall. Es hatte beinahe so ausgesehen, als sollte ihr Gesicht im Spiegel mit voller Absicht langsam zerstört und in etwas Häßliches, Schreckliches verwandelt werden. Doch wie konnte sie Randy das erklären? Sie begriff es ja selbst nicht. Er ließ den Motor an und fuhr rasch auf die Straße hinaus. Die Reifen kreischten, und Julies Kopf flog ruckartig zurück an die Kopfstütze, als er den ersten Gang einlegte und in Richtung Schule davonraste. Den nicht gerade kurzen Weg zur Tory Hill High School legte Randy in zehn Minuten zurück. Für Julie konnte es gar nicht schnell genug gehen, denn sie wollte nur raus aus dem Auto. Irgendwie hatte es wirklich etwas Sonderbares an sich. Was es war, konnte sie nicht sagen, nicht erklären, aber es war da. Und es war etwas Böses. Sie spürte es in allen Gliedern, wenngleich Randy nichts zu bemerken schien. Es war mehr als der Einfluß eines Autos auf einen Jungen. Sie war in der Lage, seine Wirkung zu erkennen, während Randy nichts davon bemerkte. Noch immer unter dem Eindruck ihres Schreckens, lief sie ins Schulgebäude und lehnte sich gegen die Wand. Wochenlang hatte sie sich darauf gefreut, ihre Freunde wiederzusehen, die in Urlaub waren oder außerhalb von Tory Hill in Ferienlagern und in anderen Jobs gearbeitet hatten. Jetzt trugen die fröhlichen Begrüßungen und das Geplapper der Leute über ihre Stundenpläne und Sommererlebnisse nur wenig dazu bei, ihre Stimmung aufzuheitern. Der Vorfall mit dem Spiegel ging ihr den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf, und die Vorstellung des häßlichen, zersplitterten Gesichts stieg immer wieder vor ihren Augen auf. Es fiel ihr schwer, den Lehrern aufmerksam zuzuhören, und mehrmals verpaßte sie Informationen über die Bücher, die sie anschaffen mußte, oder über Hausaufgaben und Referate. Als sie in der Mittagspause mit Nancy und Pat zusammensaß, gelang es ihr nicht, sich am Gespräch zu beteiligen. Erst nach dem Mittagessen sah sie Randy wieder, und er schien den zerbrochenen Spiegel und die Fahrt zur Schule vollkommen vergessen zu haben. Sie versprach ihm, nach dem Cheerleadertraining zum Stadion zu kommen und mit ihm nach Hause zu fahren. Seine Stimmungsumschwünge wurden wirklich langsam komisch. Während der Fahrt im Auto war er gereizt gewesen, aber jetzt, da der TBird nicht in der Nähe war, zeigte er wieder sein freundliches Lächeln. Es mußte etwas mit dem Wagen zu tun haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Julie ging mit Pat und Nancy zum Stadion, und die drei suchten sich Plätze zwischen den verstreuten Zuschauern, größtenteils Freundinnen der Spieler. Der Trainer hatte die Spieler in Angriffs und Verteidigungsgruppen aufgeteilt und ließ sie Geschicklichkeitsübungen machen, als die drei Mädchen ankamen. Julie erkannte Randy an seinem roten Trainingsdreß und merkte sich die Nummer sechsundfünfzig auf seinem Rücken. Sie wußte, daß es im Grunde nicht notwendig war. Randy war immer der Spieler mit dem schmutzigsten und zerrissensten Trikot auf dem Platz. Das lag an seinem Stil. Er spielte Football mit einer Begeisterung, wie sie sie noch bei keinem anderen Spieler in seiner Mannschaft gesehen hatte, nicht einmal bei Danny. Schon oft hatte sie ihm zugesehen, doch sie hatte dabei immer noch Angst, daß er verletzt werden könnte, wenn das auch erstaunlicherweise noch nie geschehen war.
„Heathe! Wach auf!“ Trainer Gibson, oder Football Fred, wie er von den Schülern genannt wurde, schrie Randy an. „Was machst du da? Schläfst du schon wieder?“ Julie war schockiert über den Angriff. Der Trainer hatte Randy nie zuvor wegen eines Fehlers zur Ordnung rufen müssen. Er war ein perfekter Footballspieler. Julie verfolgte die Vorgänge auf dem Spielfeld, während Nancy und Pat sich neben ihr unterhielten. Das Angriffsteam löste sich aus dem Gedränge und bezog Aufstellung. Randy und Danny hockten sich, die Hände auf den Knien, hinter die Verteidigungslinie und warteten auf den Spielbeginn, während Joe Stoner die Lage sondierte, bevor er seine Position als Quarterback einnahm. Dann richtete sich Randy auf und kehrte seinem Team den Rücken zu. Erstaunt folgte Julie seiner Blickrichtung, um zu sehen, was ihn abgelenkt hatte, während Joe seine Kommandos rief. Da, in der ersten Reihe auf dem Parkplatz, mit der Schnauze an der Begrenzungskette, stand der TBird. Irgendwie wirkte er größer als der beinah zierliche Wagen, den Randy gekauft hatte. Die schnittigen Linien sahen schwerfälliger aus, gröber, und er hob sich von den Autos in seiner Umgebung ab, als ob die Luft um ihn herum klarer und heller wäre. Julie hatte den erschreckenden Eindruck, als ob der Wagen vorwärts gegen die Kette drängte, die ihn vom Spielfeld und von Randy trennte. „Los! Los!“ schrie Joe. Julie hörte verschwommen das Krachen der Schutzpolster, als die Spieler aufeinandertrafen. Ihre Aufmerksamkeit, wie auch Randys, galt einzig und allein dem TBird. „Heathe! Das ist das letzte Mal! Dreh erst einmal zehn Runden! Waverly, du nimmst Heathes Platz ein!“ Trainer Gibsons scharfe Befehle fuhren ihr in die Glieder und lenkten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spielfeld, wo die Spieler nach dem Angriff am Boden oder übereinander lagen. Randy stand als einziger unberührt aufrecht. Er hatte nicht einmal den kleinen Finger bewegt und wurde jetzt aus dem Training gezogen. Er riß sich den Helm vom Kopf und sah den Trainer wütend an, als wollte er ihm eine Beleidigung an den Kopf schleudern. Doch statt dessen warf er seinen Helm zu Boden und begann, seine zehn Runden zu laufen. Julies Blick folgten der einsamen Gestalt, die das Spielfeld umrundete, und Nancy und Pat hörten auf zu reden und schauten verlegen zu. Julie saß da und konnte es nicht fassen. Sie warf einen Blick zurück auf den TBird, und er erschien ihr noch größer, noch stolzer. Jedesmal, wenn Randy im Verlauf seiner zehn Runden in seine Nähe kam, zögerte er. Sie spürte mehr als sie sah, wie der TBird sich vorwärts bewegte, sich gegen die Begrenzungskette drängte, als wollte er Randy berühren. Das ist doch verrückt, sagte sie sich. Kein Auto kann so etwas. Wie war es möglich, daß sie so eifersüchtig auf den Wagen war, daß sie ihm Gedanken und Handlungen wie einem menschlichen Wesen zutraute? Die restliche Zeit des Trainings erschien Julie wie eine Ewigkeit. Randy, der immer sein Bestes für seine Mannschaft gegeben hatte, wurde wegen mangelnder Einsatzbereitschaft aus dem Training gezogen. Sie fühlte sich so hilflos. Immer war es ihr gelungen, ihm aus der Patsche zu helfen, wenn seine Gutmütigkeit ihn mal wieder in Schwierigkeiten gebracht hatte, oder ihn aufzumuntern, wenn nicht alles nach seiner Vorstellung lief. Doch das hier war etwas anderes. Der TBird ging ihr nicht aus dem Kopf. Er hatte Einfluß auf Randy, auf eine Art und Weise, die sie nicht begriff, und gegen die sie nichts ausrichten konnte. Was geschah mit ihrem Freund? Er war nicht mehr der Randy, den sie kannte und liebte. Warum brachte der Trainer nicht mehr Verständnis für ihn auf, der sonst immer so viel für die Mannschaft getan hatte? Sah denn niemand, daß hier etwas nicht stimmte?
Fiel es niemandem auf? Natürlich nicht. Sie wußte ja selbst nicht, was schiefgegangen war. Konnte ein Auto boshaft sein? Konnte es einen Jungen veranlassen, Dinge zu tun, die er selbst nicht wollte? So etwas war ausgeschlossen. Es handelte sich natürlich bloß um eine Kette von blöden Zufällen. Wenn die erste Begeisterung für das neue Auto verflogen war, würde alles wieder seinen normalen Lauf nehmen. Dessen war sie sicher. Und sie mußte Randy hilfreich zur Seite stehen. Sie wollte nicht mehr eifersüchtig sein auf diese Maschine, der im Augenblick Randys ungeteiltes Interesse galt. Voller Entschlossenheit richtete sie sich hoch auf und streckte das Kinn vor. „Also gut, ab unter die Dusche mit euch!“ schrie Football Fred und beendete damit die Trainingsstunde. Mit aller Kraft riß Julie sich zusammen und verabschiedete sich hastig von Pat und Nancy. Sie ging zum Eingangstor des Spielfelds, um auf Randy zu warten. Er kam als erster hinaus und zog eine Grimasse. „Er hatte kein Recht, mich wegen ein paar blöder Fehler aus dem Training zu nehmen. Ich mache bedeutend weniger Fehler als alle anderen“, knurrte er. Julie nahm seinen Arm und drückte ihn ermutigend. „Mach dir keine Gedanken darüber. Jeder hat hin und wieder einen schlechten Tag.“ „Ich hatte keinen schlechten Tag“, fuhr er sie an. Dann trat so unvermittelt ein Lächeln auf sein Gesicht, daß Julie erneut über den plötzlichen Wechsel seiner Laune staunen mußte. „Hey, weißt du was? Ein paar von den Jungs haben davon gesprochen, daß sie sich heute abend zu einem Beschleunigungsrennen auf der alten verlassenen Startbahn treffen wollen. Frank Melody soll den Schiedsrichter für sie machen. Hast du Lust, mitzukommen? Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, was man aus meiner alten Kiste rausholen kann.“ Sie waren beim TBird angekommen, und Randy öffnete den Kofferraum und warf seine Footballausrüstung hinein. „Ein Rennen? Und dabei willst du wirklich mitmachen? Warum gehen wir nicht lieber an den Strand oder segeln? Ich möchte, daß auch für mich noch ein bißchen Zeit übrigbleibt.“ Julie ärgerte sich über ihren eigenen Tonfall. Sie wollte nicht jammern oder nörgeln, aber diese Autobesessenheit konnte sie nicht teilen, und sie wünschte sich sehnsüchtig ein wenig Zeit mit Randy allein. Beide segelten für ihr Leben gern in der Abenddämmerung, und das hatten sie schon so lange nicht mehr getan. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, um zu Sutter’s Cove zu segeln. Bald stecken wir über beide Ohren in Hausaufgaben, und dann wird es auch schon kalt.“ Randy machte ein verärgertes Gesicht. Er gab ihr keine Antwort, sondern ging zur Fahrerseite des Wagens und stieg ein. Julie wurde plötzlich wütend. „Dann geh doch!“ schrie sie ihn an. „Anscheinend bist du lieber mit diesem blöden Auto zusammen als mit mir.“ Sie stapfte zur Beifahrertür und riß am Türgriff. Er ließ sich nicht drücken, und Randy beachtete sie nicht, sondern schaute aus dem Fenster den anderen Wagen nach, die langsam vom Parkplatz fuhren. Abgeschlossen, dachte sie und griff durch das offene Fenster, um den Knopf zu ziehen. Doch die Tür war nicht verriegelt. „Steig ein“, knurrte Randy sie durch das Fenster an. „Ich kann nicht“, antwortete sie. „Die Tür läßt sich nicht öffnen.“ Randy rückte näher an die Beifahrertür heran und sah sie an. Ein Ausdruck von Verachtung lag auf seinem Gesicht. Sie erschrak. So hatte er sie noch nie zuvor angesehen. „Was soll das? Spielst du das zarte, hilflose Frauchen? Mit der Tür ist alles in Ordnung.“
Tränen traten in Julies Augen, und sie riß und zerrte mit aller Kraft an der Tür, doch sie ließ sich nicht öffnen. Heiße Tränen liefen über ihr Gesicht. Zuerst der Spiegel, und nun dies. Was war los? „Gut. Ich hab schon verstanden“, sagte Randy. Er beugte sich herüber und drückte den Türgriff. Ohne jede Anstrengung ließ sich die Tür öffnen. Langsam stieg Julie ein. Sie zitierte, als sie die Tür hinter sich zuschlug. Es lag doch an dem Auto. Der TBird hatte nicht gewollt, daß sie einstieg.
6. KAPITEL „Ich weiß, daß du wegen des Cheerleadertrainings auf dein Gewicht achten mußt, aber etwas essen solltest du trotzdem“, mahnte Julies Mutter beim Abendbrot. Julie stocherte in dem Brokkoli auf ihrem Teller herum und spießte ein kleines Stückchen auf, um ihre Mutter zufriedenzustellen. Sie mußte über so vieles nachdenken, daß sie nicht essen konnte. Als sie zu Hause angekommen waren, hatte sie zu Randy gesagt, daß sie gar nicht daran dächte, mit ihm zu so einem blöden Rennen zu fahren, und jetzt tat es ihr leid. Sie erreichte nichts dadurch, daß sie noch länger sauer auf ihn war. Allmählich begann sie zu glauben, daß er seine eigene Handlungsweise nicht mehr unter Kontrolle hatte. Irgendwie übte dieses entsetzliche Auto einen Einfluß auf ihn aus, der ihn Dinge tun ließ, die ihm sonst nie in den Sinn gekommen wären. So wie heute war er noch nie aus der Haut gefahren. Sie dachte wieder an die Strandfete und die Zeit, die sie für sich allein verbracht hatten. Das Gefühl, das sie hatte, wenn sie in seinen Armen lag, war noch immer Wirklichkeit, und sie erinnerte sich an seinen warmen Atem an ihrem Hals. Wenn es doch nur immer so sein könnte! Wenn sie zu Sutter’s Cove segeln und wie früher allein mit sich sein könnten! Durch den TBird sollten sie angeblich mehr Freiheit haben, mehr Zeit für sich. Aber es war ganz anders gekommen. Der TBird trieb einen Keil zwischen sie, als wäre eine andere Frau in Randys Leben getreten. Randy verbrachte jede freie Minute bei seinem Wagen. Sogar in der Schule sprach er ständig mit Marty Stechman und Kip Toney und den anderen Autofanatikern. Seit er das Auto gekauft hatte, hatten Randy und Julie nicht ein einziges Mal zusammen zu Mittag gegessen. Nun, es nützte nichts zu jammern. Sie mußte nachdenken, einen Plan entwerfen, wie sie Randy wieder zur Vernunft bringen konnte. „Julie, wie deine Mutter schon sagte, du mußt etwas essen. Schmeckt es dir nicht?“ Ihr Vater unterbrach sie in ihren Gedanken. „Tut mir leid, Dad. Ich hab nur den Kopf so voll mit anderen Dingen. Es schmeckt prima, Mom.“ „Können wir dir irgendwie helfen?“ erkundigte ihr Vater sich besorgt. „Nein. Nein, wirklich nicht. Es geht nur um die Schule und so.“ Julie fragte sich, wie sie ihnen die verrückten Sachen erklären könnte, die ihr im Kopf herumgingen. Aber es war unmöglich, darüber zu reden, solange sie keine Beweise für ihre Vermutungen hatte. „Wißt ihr, Randys Auto ist ein Monster und verändert sich ganz von selbst.“ Sehr glaubwürdig. Und der zerbrochene Spiegel mit dem Gesicht darin? Kein Mensch würde ihr das glauben. Rasch beendete sie ihre Mahlzeit und half ihren Eltern beim Abräumen. „Kann ich später abwaschen?“ bat sie. „Ich möchte Pat Graves anrufen und fragen, ob sie mit mir zusammen die Hausaufgaben macht.“ „Wenn du für die Schule arbeiten mußt, brauchst du nicht abzuwaschen, Schatz“, sagte ihre Mutter. „Dein Vater und ich erledigen das schon.“ „Danke.“ Es war eine kleine Notlüge. Sie wußte, daß Pat, die sechzehn war und den Führerschein hatte, wahrscheinlich mit dem Auto ihrer Eltern zur verlassenen Startbahn fahren würde, um beim Rennen zuzusehen, und sie wollte gern mit ihr fahren. Julie hatte noch keinen festen Plan, aber es war vielleicht gut, Randy und den TBird mal aus einiger Entfernung zu beobachten. Womöglich kamen ihr dann ein paar brauchbare Ideen. Pat sagte, daß sie fahren und sich über Julies Gesellschaft freuen würde. Auf der Fahrt zur Stadt hinaus redete sie fröhlich über alles mögliche. Julie blieb nichts
anderes übrig, als mitzumachen, wenn Pat keinen Verdacht schöpfen und Fragen stellen sollte. Sie war erleichtert, als die Startbahn in Sicht kam. Eine Anzahl von Zuschauern hockte auf den Dächern der Wagen, die parallel zur Startbahn parkten, während andere auf Decken zwischen den Wagen und dem Zementstreifen lagerten. Frank Melodys roter Corvette leuchtete vom anderen Ende herüber, wo die Rennfahrer zusammenstanden. Einige Motorhauben waren geöffnet, und die jeweiligen Autobesitzer nahmen noch letzte Reparaturen vor. Frank ging von Wagen zu Wagen, sprach mit den Fahrern und machte sich Notizen in seinen Block. Offensichtlich stellte er den Rennplan auf. Julie sah Randy und den TBird neben Dannys Cougar. Der Motor gab ein Geräusch von sich wie fernes Donnergrollen, wenn Randy ihn immer mal wieder anließ. Sie schaute den Wagen starr an. Er hatte sich ganz eindeutig verändert. Seine Größe übertraf die des grünen Cougars an seiner Seite, und seine hinteren Kotflügel waren verbreitert. Sein Aussehen hatte etwas Brutales an sich und erinnerte ganz und gar nicht mehr an den schnittigen hellblauen Wagen, den sie und Randy auf Cappys Platz gefunden hatten. « Täuschten sie ihre Augen? Oder war er wirklich gewachsen? Wann hatte Randy die Zeit gefunden, die Kotflügel zu verbreitern? Sie fuhr zusammen, als der Motor des TBirds aufheulte. Es klang trotzig und verächtlich. Der weiche, kehlige Ton des Schalldämpfers, den sie in Cappys Gebrauchtwagenhandel gehört hatte, war nicht mehr vorhanden. Er war einem Brüllen gewichen, das über die gesamte Startbahn hallte. Der Wagen hockte da wie ein knurrender Hund, der von der Leine gelassen werden will. Sie spürte einen heftigen Widerwillen gegen das Auto. Frank Melody zeigte auf Marty Stechman, der seinen Drachenwagen zur Aufstellung brachte, winkte ihn nach vorn und machte dann dem Fahrer eines blauen Chevy ein Zeichen. Langsam nahmen beide ihre Startposition am Ende der Piste ein und ließen die Motoren aufheulen. Am anderen Ende der Bahn standen zwei Jungen mit Stoppuhren. Sie winkten Frank zu, um anzuzeigen, daß sie bereit waren. Frank brachte den Drachenwagen und den Chevy Stoßstange an Stoßstange in Position. Die Motoren brummten und fauchten und warteten auf den Start. Frank senkte den Arm, Reifen kreisch ten, und die Luft füllte sich mit schwarzem Rauch von verbranntem Gummi. Der erste Antrieb riß die Schnauze des Drachenwagens einen halben Meter in die Höhe, dann raste er davon und übernahm die Führung. Die beiden Wagen schossen wie Pfeile von Farbe und Lärm an Julie und Pat vorbei. Sekundenschnell war alles vorüber. Marty fuhr seinen Wagen triumphierend zurück und winkte den Zuschauern zu. Allmählich färbte sich der graue Zement schwarz vom abgefahrenen Gummiprofil der Reifen, nachdem immer wieder paarweise Wagen an den Start gingen und dann wie aus der Pistole geschossen die Bahn hinabrasten. Ein blauer Dunst von Auspuffgasen hing in der Luft, und der brüllende Motorenlärm machte die Zuschauer beinah taub. Der scharfe Geruch brannte in Julies Nase. Das Publikum jubelte seinen Favoriten zu, und die Aufregung wuchs, als die schwächeren Autos ausschieden und das eigentliche Rennen begann. Kip Toneys Camero fuhr seinem Herausforderer im wahrsten Sinne des Wortes davon und ging fünf Längen vor ihm durchs Ziel. Als Randy an der Reihe war, wurde Danny ihm als Gegner zugewiesen. Die zwei gingen am Ende der Piste in Aufstellung. Der schwere Motor des TBirds übertönte den des Cougars und ließ ihn dünn und schwach erscheinen. Eine unsichtbare Kette in Franks Hand schien die beiden Wagen auf ihrem Platz zu halten. Seine Hand sank herab, und wie von einem Katapult geschossen schnellten beide
davon. Ihre Reifen hinterließen blauen Rauch. Als sie an den Zuschauern vorüberdonnerten, ging der TBird in Führung. Julie erhaschte einen Blick auf Randys in verbissener Entschlossenheit verzerrtes Gesicht, als er vorbeistob. Er ging mit einer Wagenlänge Vorsprung ins Ziel. Julie sprang auf und klatschte wie die übrigen Zuschauer, als Randy an ihr vorbeifuhr und zum Startplatz zurückkehrte. Er sah starr geradeaus, ohne die Leute am Rand der Piste und ihre Jubelrufe wahrzunehmen. „Das ist ja wohl das Letzte!“ sagte Pat in gespieltem Ärger, weil er Danny geschlagen hatte. „Was hat Randy eigentlich mit diesem Wagen angestellt?“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte Julie und sah Randy immer noch hinterher, als er jetzt den Wagen einparkte. „Nun, was immer er auch gemacht hat, es war schon das Richtige.“ Die Bemerkung kam von Mike, der hinter ihnen saß. „Ich hätte nicht gedacht, daß irgendwer außer Kip Danny schlagen könnte. Vielleicht hat Randy sogar die Chance zu erfahren, wie es ist, von Toney abgehängt zu werden, falls seine Zeit gut genug ist.“ „Wie meinst du das?“ fragte Julie. „Die zwei Fahrer mit den besten Zeiten kämpfen um den ersten Platz. Das ist allerdings nie ein richtiges Rennen. Kip Toney gewinnt immer.“ Die Gedanken jagten sich in Julies Kopf. Wie hatte Randy es geschafft zu gewinnen? Klar, er hatte viel Zeit damit verbracht, an seinem Auto zu basteln, aber er hatte nicht das nötige Geld, um sich viele Extras dafür zu kaufen. War es überhaupt möglich, einen Wagen so umzubauen und in seiner Leistungsfähigkeit zu verändern, wie es bei dem TBird der Fall war? Das ergab keinen Sinn. Wenn es möglich wäre, hätten alle anderen Jungen ihre Autos auch so frisiert. Der T Bird hatte sich verändert. Sie wußte es genau. Sogar in seiner äußeren Erscheinung. Aber keiner hatte ein Wort über die verbreiterten Kotflügel gesagt. Das hätte komplizierte handwerkliche Arbeit und viel Zeit erfordert. Randy hätte Tage dafür gebraucht. Wie hatte er es schaffen können, ohne daß jemand davon wußte? „Mike, was hältst du von den Veränderungen, die Randy an dem Wagen vorgenommen hat? Gefällt dir das?“ fragte sie. „Was hat er denn gemacht?“ fragte Mike und sah sich den TBird genauer an. „Nun, guck doch zum Beispiel die hinteren Kotflügel an. Findest du das gut?“ Sie beobachtete Mike eingehend, um seine Reaktion zu sehen. „Hm. Für mich sehen sie unverändert aus.“ Er verlor das Interesse, drehte sich um und rief einem Jungen etwas zu, der gerade eine Limonadendose öffnete. „Hey, Troy! Hast du noch eine übrig?“ Mike waren keine Veränderungen an dem TBird aufgefallen! Bestand das alles nur in ihrer Einbildung? Hatte sie einfach nicht genau hingesehen? Sie betrachtete den Wagen erneut. Er sah so anders aus, daß sie nicht verstehen konnte, warum niemand etwas dazu gesagt hatte. Gewöhnlich fiel ihnen doch die kleinste Veränderung an den Autos der anderen auf. Warum war sie die einzige, die die Verwandlung des TBirds bemerkte? War das dieselbe Geschichte wie mit der Türverriegelung? Wollte der TBird, daß nur sie allein seine Veränderungen bemerkte? Allmählich begann sie zu glauben, daß der Wagen tatsächlich von einem Dämon besessen war, daß er die Macht hatte, Randy wie ein feuriger Liebhaber fest in seine Arme zu schließen. Jetzt spielte der Dämon mit ihr, forderte sie heraus, denn er wußte, daß sie nichts dagegen unternehmen konnte. Sie konnte niemanden um Hilfe bitten, denn nur Randy und sie sahen den Wagen so, wie er war. Und Psycho. Das alles klang so lächerlich, aber sie hatte keine andere Erklärung.
„Hey, schau doch!“ schrie Pat. „Randy tritt gegen Kip an.“ Kips Camera fuhr auf die Startlinie zu, und Randy lenkte den TBird an seine Seite. Frank redete kurz auf Randy und Kip ein, dann wich er zurück auf seinen Platz als Schiedsrichter. Das Publikum verstummte, und die Leute in den hinteren Reihen drängten nach vorn, um besser sehen zu können. Franks Arm war hoch erhoben. Auf Julie wirkte es wie ein unbewegliches Bild. Eine Ewigkeit lang war es still. Und dann senkte Frank den Arm. Nicht schnell, wie Julie zu sehen meinte, sondern in einer langsamen, fließenden Bewegung. Es sah aus, als dauerte es minutenlang, bis er den Arm gesenkt hatte. Die Wagen lösten sich aus ihrer Wartestellung und machten einen Satz nach vorn, im Kampf verbunden, und das Dröhnen der Motoren löschte jedes andere Geräusch in einer dicken Lärmwolke aus. Im nächsten Augenblick waren sie als ein einziger Klumpen aus Weiß, Hellblau und Silber auf ihrer Höhe. Ein Paar Pfeile, die im Flug schwirrten. Kein Raum war zwischen ihnen. Keiner lag vorn. Die Gesichter der Fahrer waren blasse Flecken in ihren fliegenden Geschossen. Kaum hatte das Rennen begonnen, war es auch schon entschieden. Frank Melody trabte zur Ziellinie und rief die Zeitabnehmer zu sich. Die Besprechung dauerte mehrere Minuten, und immer wieder überprüfte Frank die Stoppuhren. Dann drehte er sich um und zeigte auf den TBird. Randy hatte gewonnen. Nein, dachte Julie, der TBird hat gewonnen.
7. KAPITEL Er hatte gewonnen. Der TBird hatte gewonnen. Dieser Gedanke verfolgte Julie noch bis tief in ihre schlaflose Nacht hinein. Der Wagen hatte sich verändert, sie wußte es genau. Warum bemerkte es niemand außer ihr? Der TBird war größer und größer und immer machtvoller geworden, bis der Dämon, der in ihm hauste, stark genug war, um Randy unter seine Kontrolle zu bringen. Und jetzt verlor sie ihn. Vielleicht hatte sie ihn schon längst verloren. Die Digitaluhr auf ihrem Nachttischchen blinkte wie ein blutunterlaufenes Auge. Die roten Leuchtziffern zeigten halb drei Uhr morgens an. Es war sinnlos, noch an Schlaf zu denken. Seit Stunden hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt, ohne sich auch nur ein bißchen müde zu fühlen. Es gab zu viel, worüber sie nachdenken mußte. Die Gedanken an den TBird, an das entsetzliche Gesicht im Spiegel und an den Vorfall auf dem Fußballfeld, als Randy wegen seiner Besessenheit von dem Auto aus dem Training gezogen wurde, wirbelten wild in ihrem Kopf durcheinander. Dann wieder sah sie Psycho vor sich, wie er sich an den Wagen heranpirschte, als sei er ein Feind. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, Randy klarzumachen, was das Auto ihm und ihrer Beziehung antat. Ein Leben lang waren sie Freunde gewesen, und sie hatten immer alles Wichtige miteinander besprechen können. Doch nie zuvor hatte es etwas so Wichtiges gegeben wie diese Angelegenheit. Sie konnte den Vorgängen nicht kampflos zusehen. Sie durfte ihn nicht an diese fürchterliche Maschine verlieren. Aber was konnte sie tun, damit er die Dinge erkannte, die niemand außer ihr selbst wahrnahm? Plötzlich hatte sie eine Idee. Warum war ihr das nicht schon früher eingefallen? Er mußte es sehen. Jeder andere ebenfalls. Sie sprang aus dem Bett, schaltete ihre Schreibtischlampe an und kramte in den Papieren auf der Schreibtischplatte. Die Fotos, die sie an dem Tag aufgenommen hatte, als sie den Wagen abgeholt hatten! Sie mußte sie finden. Darauf war zu erkennen, wie das Auto damals ausgesehen hatte. Dann lag einwandfrei auf der Hand, daß es sich verändert hatte. Die Fotos wollte sie Randy zeigen. Wenn es nötig war, würde sie sie auch seinem Vater und seiner Mutter vorlegen. Aber sie waren nicht auf dem Schreibtisch. Julie zog die Schubladen heraus und durchwühlte sie. Wo mochten sie sein? Sie waren ihr Beweismittel. Niemand konnte dann noch abstreiten, daß der Wagen sich verändert hatte, und daß Randy nicht für diese Veränderung verantwortlich war. Er hatte weder Zeit noch Geld dafür. Dann wäre er ein für allemal überzeugt davon, daß irgendetwas Fürchterliches im Gange war. Der Umschlag mit den Fotos war nicht zu finden. Julie wußte noch, daß sie die Bilder betrachtet hatte, als sie sie aus dem Fotogeschäft abholte. Verzweifelt blätterte sie noch einmal die Papiere auf ihrem Schreibtisch durch, hob den Stapel auf und legte die Blätter einzeln zurück. Sie waren nicht da. Julie schaute sich in ihrem Zimmer um. Wo konnte sie sie hingelegt haben? Sie waren ihre letzte Chance. Blitzschnell überdachte sie alle Möglichkeiten. Hatte sie sie in der Schule liegengelassen? Hatte sie sie verloren? Nein. Wo hätte sie sie unter normalen Umständen hingelegt? Sie erinnerte sich genau, daß sie sie in ihr Zimmer mitgenommen hatte… Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie holte das Fotoalbum aus dem obersten Regalfach, schlug es auf, fand den Umschlag, nahm die Fotos heraus und breitete sie auf ihrem Bett aus. Da war Randy und sah aus wie immer, machte Faxen, grinste und zog in alberner Pose sein Hosenbein hoch. Unwillkürlich lächelte sie das Foto an. Das war ihr Randy, der Junge, den sie um nichts in der Welt verlieren wollte. Sie betrachtete
eingehend die Ansichten von dem Auto. Es wirkte sportlich und schnittig, genauso wie an dem Tag, als sie es entdeckt hatten. Seine Größe und sein Aussehen hatten nichts Bedrohliches an sich. Die Kotflügel waren nicht verbreitert. Es war schlicht und einfach ein ganz normaler 1965er TBird, und sie wußte, daß Randy keine Veränderungen vorgenommen haben konnte. Erleichtert, weil sie die Fotos gefunden hatte, schlüpfte Julie zurück ins Bett. Da sie jetzt endlich einen Plan gefaßt hatte, würde sie auch einschlafen können. Das Bett war weich und einladend, vor Erschöpfung überkam sie ein schläfriges Gefühl, und schließlich kündigte sich der Schlaf an. Da riß sie die Augen auf. Was war das? Hatte sie etwas gehört? Irgend etwas hatte sie geweckt. Julie setzte sich auf und hüllte sich in die Decke. Da war es wieder. Ein dünnes, schabendes Geräusch vor ihrem Fenster. Das sind nur Zweige, die am Fenster scharren, sagte sie sich. Doch sie wußte, daß keiner der Bäume oder Büsche auf dem Rasen unter ihrem Fenster so dicht am Haus wuchsen, daß ihre Zweige die Mauern berühren könnten. Sie fröstelte, zog die Decke fester um sich und lauschte. Das Geräusch erinnerte an das Knistern von brennenden Zweigen. Doch da war noch mehr. Ein Rhythmus, eine Melodie, als ob jemand mit leiser, abgehackter Stimme sprechen würde, so daß sie kaum etwas hören konnte. Es klang, als ob jemand heiser in die Nacht hinein flüsterte. Mit weit geöffneten Augen blickte sie durch das dunkle Zimmer. Ihr Rücken kribbelte, als ob Tausende von Spinnen darauf tanzten. Nichts regte sich. Zweifellos spiegelte ihre Einbildung ihr etwas vor. Dann hörte sie es wieder. Dieses Mal glaubte sie beinahe, einzelne Wörter unterscheiden zu können. Jemand sprach. Aber wer? Sie stieg aus dem Bett, ging leise zum Fenster und teilte die Vorhänge. Aus der Richtung der Zufahrt vor dem Haus der Heathes kam ein gespenstisches Leuchten. Instinktiv wußte sie, daß es keine Haustürlampe und auch nicht der Mond war. Es war der TBird, und das Licht, das von ihm ausging, wurde stärker und stärker, bis es den gesamten Garten erhellte. Julie wollte schreien, doch der Ton blieb ihr bei diesem im Halse stecken. Waren die Worte, die sie gehört, aber nicht verstanden hatte, an sie gerichtet gewesen? Sie kämpfte gegen die heillose Angst an, die sie gefangenhielt, und wich langsam vom Fenster zurück. Und dennoch gelang es ihr nicht, den Blick von dem verhaßten Auto zu wenden. Plötzlich öffnete sich die Hintertür zum Haus der Heathes, und eine Gestalt trat hinaus ins Licht. Es war Randy. Er war noch genauso angezogen wie vorhin beim Rennen. Er schloß die Haustür und eilte zu seinem Auto. Wie gebannt sah sie zu, wie er mit der Hand zärtlich über den Kotflügel strich. Er umrundete den Wagen und ließ seine Hand liebevoll über die Seiten und das Dach gleiten. Vor dem Wagen blieb er stehen und stützte beide Hände auf die Motorhaube. Es sah fast so aus, als ob er sich mit dem Wagen unterhielt. Der unheimliche Glanz des Autos verstärkte sich als Antwort auf Randys Berührung. In diesem Augenblick kamen Randy und der TBird Julie wie ein verliebtes Paar vor. Sie lehnte sich gegen den Fensterrahmen, ein Gefühl der Übelkeit stieg in ihr auf. Jetzt ergab sich endlich ein Sinn. Alle Stückchen des Puzzles paßten nun zusammen. Der Spiegel war nicht von selbst zerbrochen. Die Tür war weder abgeschlossen noch hatte sie geklemmt. Und es war tatsächlich der Wagen gewesen, der sie in dieser Nacht gerufen hatte. Der Dämon wollte, daß sie die Szene mit ansah. Er wollte, daß sie den T Bird und Randy sah und erkannte, wie sehr er Randy in der Hand hatte. Er fesselte Randy wie eine Geliebte aus der Unterwelt mit seiner bedrohlichen
Macht. Die Fronten waren geklärt, und am nächsten Morgen zog Julie sich mit dem festen Entschluß an, den Dämon im TBird zu bekämpfen und Randy aus seinen grauenhaften Klauen zu befreien. Sie fühlte sich beinahe unbeschwert, als sie ihre Schulsachen einpackte und dann über den Rasen zum Wagen ging. Randy saß bereits hinter dem Steuer, als sie näherkam. Er blickte starr geradeaus, als wäre er mit seinen Gedanken Lichtjahre entfernt. Es würde nichts nützen, wenn sie ihm die Fotos zeigte, das wußte sie jetzt. Sie hatte eine andere Taktik entworfen. Sie öffnete die Wagentür, glitt neben ihn in den Sitz und kämpfte gegen den Widerwillen an, in diesem Monsterauto eingeschlossen – oder gefangen – zu sein. Obwohl sie mit Randy allein war, hatte sie das Gefühl, daß irgend etwas, irgendein fremdes Bewußtsein, bei ihnen war. Sie rückte näher an Randy heran und gab ihm einen herzhaften Kuß auf die Wange. „Guten Morgen“, sagte sie fröhlich. Er sah sie unwillig an. „Wofür war das denn?“ fragte er leicht genervt. Julie spürte, wie sie rot wurde. Er ist nicht mehr er selbst, erinnerte sie sich nachdrücklich. Er kann nicht kontrollieren, was er tut und was er sagt, wenn er in der Nähe des Autos ist. Sie lehnte sich in ihrem Schalensitz zurück und nahm all ihren Mut zusammen. „Das war nur meine Art, mich für mein Verhalten gestern zu entschuldigen, als du mich gefragt hast, ob ich mit dir zum Rennen komme. Ich war furchtbar egoistisch, und du hattest jedes Recht, sauer zu sein.“ Randy zuckte die Schultern und startete den Wagen. Das dumpfe Brummen des Motors machte ihr Angst, und nur mit Mühe konnte sie verhindern, daß ihre Stimme zitterte, als sie weiterredete. „Ich hab’s mir kurz danach auch noch anders überlegt, aber da war es schon zu spät, um mit dir zu fahren. Du warst bereits weg. Ich hab dann Pat Graves angerufen und bin mit ihr gefahren. Ich hab gesehen, wie du gewonnen hast. Das ist vielleicht ein Auto!“ Sie hatten sich schon in den Straßenverkehr eingefädelt, und Randy löste den Blick gerade lange genug von der Straße vor sich, um ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen. „Meinst du das wirklich?“ Er wirkte verwundert, aber auch erfreut über ihre Äußerung. „Natürlich meine ich das, du Dummkopf“, antwortete sie lächelnd. „Wenn wir uns öfter sehen würden, hättest du das längst gemerkt.“ Randy war ein Weilchen still, und Julie wartete mit angehaltenem Atem auf seine ‘Antwort. Sie mußte vorsichtig sein, sich genau überlegen, was sie sagte, wenn ihr Plan funktionieren sollte. Endlich huschte ein kleines Lächeln über seine Züge. „Wie wär’s mit heute abend?“ „Prima. Wir können ein bißchen herumgondeln und vielleicht zur Startbahn fahren. Dann kannst du mir zeigen, was in diesem tollen Wagen drinsteckt.“ „Klasse. Ich hole dich gleich nach dem Abendessen ab.“ Jetzt strahlte er wirklich, und Julie atmete erleichtert auf. Teil eins ihres Plans war ausgeführt. Es war schon fast dunkel, als Randy in die Zufahrt einbog, und die Scheinwerfer des TBirds durchdrangen die Schatten wie ein glühendes Augenpaar. Julie schauderte unwillkürlich, als sie die Stufen vor der Haustür hinuntersprang und in den Wagen einstieg, aber Randys beruhigendes Lächeln gab ihr wieder Mut. So weit, so gut. „Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe“, entschuldigte er sich, als sie aus der
Stadt herausfuhren. „Ich hatte angefangen, etwas darüber zu lesen, wie man diesen Motor aufmöbeln kann, und darüber hab ich ganz die Zeit vergessen.“ Julie lächelte. Er war immer noch genauso unpünktlich wie früher. Wenigstens ein paar seiner typischen Verhaltensweisen hatten sich nicht verändert, doch der Gedanke machte ihr nur umso deutlicher klar, wie dringend ihre Pläne waren. Sie mußte etwas unternehmen, bevor die Macht des Dämons zu groß für sie wurde, so daß sie sie nicht mehr bekämpfen konnte und Randy sich in einen völlig fremden Menschen verwandelte. „Weißt du, ich finde es wirklich toll, was du aus diesem Wagen gemacht hast“, sagte sie und fuhr mit den Fingern über das Armaturenbrett, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Dann hob sie den Blick und starrte plötzlich schreckerfüllt auf das grauenhafte Gesicht, das ihr aus dem zersplitterten Spiegel an der Sonnenblende entgegengrinste. Woher kam es? Die Sonnenblende war hochgeklappt, als sie ins Auto stieg, und sie hatte sie nicht angerührt. Sie wollte zurückweichen, aber sie war in ihrem Sitz gefangen. Das zerrissene Gesicht blickte sie mit schwarzen, wahnsinnigen Augen an und ließ sie nicht los. Es war nicht ihr Gesicht, das konnte es nicht sein. Es war zu häßlich, um überhaupt das Spiegelbild irgendeines Lebewesens sein zu können. War es das Gesicht des bösen Geistes, des Dämons, der den TBird besessen hielt? Wehrte er sich gegen ihre Versuche, ihn in Sicherheit zu wiegen? Wußte er, daß sie versuchte, ihn auszutricksen? „Was ist eigentlich mit dir los? Du machst ein Gesicht, als hättest du einen Geist gesehen“, sagte Randy. Er streckte den Arm aus und klappte die Sonnenblende hoch. Das schreckliche Gesicht war nicht mehr zu sehen. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine lockere Sonnenblende und ein kaputter Spiegel dir solch einen Schrecken einjagen“, fuhr er verächtlich fort. „Aber ich schraub sie noch heute abend fest, wenn dich das beruhigt.“ „Danke“, erwiderte sie leise. Sie lehnte den Kopf an die Kopfstütze und ließ die kühle Brise aus dem offenen Fenster über ihr Gesicht streichen. Als sie ihre Fassung zurückgewann, stellte sich auch die Entschlossenheit wieder ein. Du hast mich noch lange nicht kleingekriegt, du häßliches Monstrum, dachte sie. Ich habe noch gar nicht angefangen zu kämpfen. Ruckartig beugte sie sich nach vorn, klappte die Sonnenblende herab, riß den Spiegel ab und schleuderte ihn aus dem Fenster. Sie wagte nicht, ihm nachzuschauen, um zu erfahren, wo er landete. Na also! dachte sie. Ich mach dich doch noch fertig. Als sie Randy einen Blick zuwarf, war sie überrascht, denn er konzentrierte sich ganz auf den Verkehr und hatte offenbar nicht bemerkt, daß sie den Spiegel weggeworfen hatte. Um so besser. Er hätte sich sonst vielleicht aufgeregt. Doch sie fühlte sich unerklärlicherweise sehr viel wohler, jetzt, da der Spiegel weg war. Klang der Motor des Wagens nicht ruhiger? Konnte es möglich sein, daß sie den TBird von seinem Dämon befreit hatte, indem sie den Spiegel fortwarf? Entspannt schaltete sie das Radio ein und freute sich, ihre LieblingsRockgruppe mit ihrem neuesten Titel zu hören. Beinah hatte sie mit einem Trauermarsch oder der Titelmusik aus einem Horrorfilm gerechnet. Es war Zeit, mit der Ausführung ihres Plans fortzufahren. „Ich hab eine Idee“, sagte sie so begeistert, wie sie konnte. „Statt die ganze Strecke bis zur Startbahn rauszubrettern, könnten wir doch auch zum Haverford Naturschutzgebiet fahren. Dann setz ich mich ans Steuer. Weißt du, du hast mir noch nie angeboten, mal das Steuer zu übernehmen, und dabei bin ich ganz versessen darauf, es auszuprobieren.“ Randys Gesicht verfinsterte sich. „Nein“, sagte er barsch. „Ich will nicht, daß du
meinen Wagen fährst. Ich will nicht, daß ihn überhaupt irgend jemand außer mir fährt“, fuhr er aufgebracht fort. „Er ist nicht wie andere Autos. Man muß ihn anders behandeln.“ Er streichelte das Steuerrad, wie er früher Julie gestreichelt hatte. Julie biß sich auf die Unterlippe und bekämpfte den beinah übermächtigen Wunsch aufzugeben, wenigstens für diesen Abend. Vielleicht konnte sie sich damit zufriedengeben, daß sie den häßlichen Spiegel losgeworden war, und es am nächsten Tag noch einmal versuchen. Doch Randys Tonfall erinnerte sie daran, daß er in diesem Augenblick völlig im Bann des Dämons stand. Er verhielt sich gemein, war gar nicht er selbst. Sie durfte keine Zeit verschwenden, denn der Dämon des TBirds wurde von Tag zu Tag mächtiger. Sie durfte nicht länger warten. Vielleicht war es bereits zu spät. Sie mußte den TBird fahren, um ihn in ihre Gewalt zu bringen. Nur dann war sie wirklich in der Lage, die Macht des Dämons zu bekämpfen. Wenn sie ihn fahren konnte, wußte sie, daß er nichts weiter als ein ganz normaler Wagen war. Ein Gegenstand, von Menschen zum täglichen Gebrauch geschaffen, bis er abgenutzt war, zum Schrottplatz gebracht und auseinandergenommen wurde. „Ach bitte, Randy“, beharrte sie. „Ich weiß, ich hab noch keinen Führerschein, aber ich kann doch schon mal üben, und du sagst ja selbst, daß ich gut fahren kann. Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich einen Unfall baue, oder?“ „Bist du schwerhörig? Ich hab nein gesagt“, fuhr er sie an. „Ich habe einiges an dem Wagen gebastelt, und er ist mehr ein Rennwagen, nicht ein gewöhnliches Auto für den Straßenverkehr. Er ist ungeheuer stark. Du könntest die Kontrolle verlieren.“ Stark. Sie schauderte, als sie das Wort hörte. Er war sehr stark, das stimmte, und gerade deswegen mußte sie ihn ja fahren. „Schau mal“, bettelte sie. „Ich fahre ganz langsam und halte an, wenn du es sagst. Ich fahre ganz genauso, wie du es verlangst. Bitte, laß es mich versuchen. Du kannst mir vertrauen. Das weißt du doch.“ Irgend etwas rührte sich in ihrem Bewußtsein. Es war ein unangenehmes Gefühl, aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Randy stand kurz vor der Entscheidung. Er blieb eine Weile still und dachte nach. Schließlich seufzte er und gab nach. „Gut“, sagte er widerstrebend. „Aber du mußt dich genau an meine Anweisungen halten. Ich meinte es ernst, als ich gesagt habe, daß er anders ist als andere Wagen.“ „Ich weiß.“ Und wie ich das weiß, dachte sie. Randy lenkte den TBird auf eine Seitenstraße und schlug den Weg zum HaverfordNaturschutzgebiet ein. Während sie die von Bäumen und einer steinernen Mauer gesäumte Straße schweigend entlangfuhren und die dunkle Landschaft an ihnen vorbeiflog, bekämpfte Julie die Angst, die in ihr aufstieg. Etwas, dieses Etwas, das sie schon vorher gespürt hatte, pochte an ihr Bewußtsein. Sie hatte geglaubt, daß es die Ahnung von etwas wäre, über das sie nachdenken mußte, aber es war doch anders. Es war fast so, als ob jemand ihr Gehirn berührte. Sie schüttelte den Kopf. Der Gedanke war lächerlich. Sie erreichten das Naturschutzgebiet. Wie Julie erwartet hatte, herrschte kein Verkehr auf der mondbeschienenen Straße. Hinter dem Eingangstorfuhr Randy noch etwa eine Meile weiter, dann lenkte der den Wagen an den Straßenrand und hielt an. Mit düsterer Miene stieg er aus, ging um den Wagen herum zur Beifahrerseite und öffnete die Tür. Julie vermied es, ihn anzusehen, nahm seinen Platz ein und umklammerte das lederbezogene Steuerrad, damit ihre Hände nicht so zitterten. „Denk dran“, mahnte Randy. „Du mußt die Kupplung ganz, ganz langsam
kommen lassen. Viel langsamer als bei jedem anderen Wagen.“ Julie nickte und drehte den Schlüssel herum. Das fauchende Motorengeräusch ließ sie zusammenzucken. Ganz ruhig, ermahnte sie sich, übernimm die Kontrolle. Du kannst es. Es ist nur ein Auto wie jedes andere auch. Das wirst du wissen, wenn du es fahren kannst, und dann wird alles schon viel besser. Sie spürte Randys Anspannung, hörte ihn atmen, als sie ganz langsam und vorsichtig den ersten Gang einlegte und behutsam die Kupplung kommen ließ. Der Wagen rührte sich nicht von der Stelle. Julie ließ die Kupplung noch ein wenig weiter kommen und verstärkte den Druck auf dem Gaspedal. Urplötzlich hatte sie das schwindelerregende Gefühl, daß die Straße von einer riesigen Hand unter ihr weggezogen wurde. Die Reifen kreischten, und der Wagen raste rückwärts davon. „Die Bremse! Die Bremse!“ schrie Randy. Instinktiv trat sie auf das Bremspedal. Der Wagen hielt rutschend an, der Motor stotterte und ging dann aus. „Was ist denn mit dir los?“ rief Randy aufgebracht. „Bist du verrückt geworden? Du hast den Rückwärtsgang eingelegt!“ „Hab ich nicht! Ich hab in den ersten Gang geschaltet. Schau doch selbst!“ Julie schloß die Augen, um die Tränen zurückzudrängen, und wartete auf Randys Antwort. Wie konnte er ihr eine solche Dummheit vorwerfen? Glaubte er, sie könnte nicht Auto fahren? Nach einem Weilchen schlug sie die Augen auf und sah ihn an. Warum sagte er nichts? Sie wußte es im nächsten Moment. Er stützte sich auf dem Armaturenbrett auf, und auf seinem Gesicht lag ein boshaftes Lächeln. Sie schaute nicht nach der Gangschaltung. Das war nicht nötig, sein Gesicht sagte ihr alles. Sie wußte, daß der Rückwärtsgang eingelegt war. Nun gut, noch gab sie sich nicht geschlagen. Es bedurfte mehr als dieses Vorfalls, um sie zum Aufgeben zu zwingen. Bevor Randy sich rühren oder sie zurückhalten konnte, ließ sie den Motor erneut an und schaltete in den ersten Gang. Wieder kreischten die Reifen auf, und der Wagen schoß nach vorn. Julie umklammerte das Steuerrad mit aller Kraft. Sie würde den Wagen unter Kontrolle bekommen. Sie würde ihn fahren, koste es, was es wolle. Der Wagen fuhr jetzt zügig und reagierte auf ihre Hände wie ein Zuchtpferd auf der Parade. Sie lächelte verbissen in sich hinein, hielt das Lenkrad mit schweißnassen Händen und legte den zweiten Gang ein. Mit rasender Geschwindigkeit näherten sie sich einer Kurve, und sie riß das Steuer scharf nach rechts, um die Biegung zu nehmen. Der TBird reagierte nicht. Er beschleunigte und raste geradeaus direkt auf die steinerne Begrenzungsmauer am Straßenrand zu. Sie riß das Lenkrad noch härter nach rechts, als die Kurve vor ihr auftauchte* doch der TBird ließ sich nicht lenken. „Randy, hilf mir! Die Lenkung reagiert nicht!“ schrie sie. Seine Hand schoß vor und packte das Steuer, während sie auf die Bremse trat. Das Kreischen der Reifen dauerte eine Ewigkeit, der Wagen schoß wie verrückt die Straße entlang und kam schließlich wenige Zentimeter vor der Mauer zum Stehen. Julie sank im Gefühl ihrer Niederlage in sich zusammen. Sie verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte. Sie hatte verloren. Gegen den Wagen verloren, Randy verloren. Sie konnte den TBird nicht fahren oder irgendwie die Kontrolle über ihn gewinnen. Der Dämon in dem Wagen war schon zu mächtig geworden. Wieder spürte sie das Stöbern in ihrem Bewußtsein, ein fremdartiges Gefühl in ihrem Gehirn. Es suchte und pochte, aber dieses Mal war das Tasten stärker. Es war anders als zuvor. Ein erschreckendes Hochgefühl erfüllte sie. Das Hochgefühl eines anderen – irgendeiner fremden Macht.
8. KAPITEL Abgesehen vom Summen des Motors herrschte Totenstille auf der Heimfahrt. Randy bog in die Zufahrt ein, stieg aus und schlug die Tür hinter sich zu. „Randy!“ Flehend streckte Julie die Hand nach ihm aus, aber er ging zum Haus, ohne sich noch einmal umzuwenden. Verzweifelt ließ sie sich einen Moment in ihren Sitz zurücksinken, und dann, als ihr einfiel, daß sie allein in dem verhaßten Wagen war, stieg sie rasch aus. Auf den Stufen zu ihrer Haustür hielt sie inne und blickte sich um. Der TBird stand lauernd vor dem Hause der Heathes. Schaudernd wirbelte Julie herum und lief ins Haus. Warum fielen anderen Leuten die Veränderungen an dem Wagen nicht auf? Warum sah sie sie als einzige? Wollte der Dämon sie mit Absicht reizen, um ihr zu zeigen, daß er mit Randy machen konnte, was er wollte, und daß sie nichts unternehmen konnte um das zu verhindern? Haßte er sie, weil sie sich mit Randy so gut verstand? Er wollte ihn ihr fortnehmen – hatte ihn ihr schon fortgenommen. Der Dämon in dem TBird wollte ihn für sich allein, wie eine eifersüchtige Geliebte, und sie stand im Weg. Konnte sie denn überhaupt nichts tun? War es bereits zu spät? Der Dämon schien ihre Gedanken zu spüren. Dieses Gefühl in ihrem Bewußtsein, als ob jemand einzudringen versuchte, rührt es von dem Dämon her? Hatte er gewußt, daß sie am Vorabend aus dem Fenster sah, als er Randy aus dem Haus lockte? Kannte er ihren Plan, heute abend die Kontrolle über ihn zu gewinnen, und lachte nun über ihren schwachen Versuch? Es überlief sie kalt bei dem Gedanken an das Ausmaß seiner Macht und seine Fähigkeit, Gewalt über ihrer beider Leben zu bekommen. Er konnte mit ihnen spielen, und kein Mensch ahnte etwas davon. Niedergeschlagen ging sie in ihr Zimmer, warf sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf. Randy, Randy, Randy – sie liebte ihn so, und sie hätte ihm so gern geholfen. Was konnte sie gegen die Macht des Dämons ausrichten? Er richtete ihn zugrunde. Wo sollte das alles enden? Sie stand auf und ging zum Schreibtisch. Die Fotos von Randy und dem TBird lagen noch da, wo sie sie hingelegt hatte. Sie breitete sie aus, betrachtete sie und hielt den Atem an. Die Fotos hatten sich verändert! Sie zeigten nun den T Bird mit verbreiterten Kotflügeln. Das Auto auf den Fotos sah genauso grobschlächtig aus wie das wirkliche. Die Macht des Dämons wurde immer größer. Sie erreichte sie sogar in ihrem Haus, in ihrem Zimmer, und konnte Dinge verändern und ihr nachspionieren. Mit einer raschen Handbewegung fegte sie die Fotos von ihrem Schreibtisch und fiel schluchzend auf die Knie. Dann sammelte sie die Bilder auf, zerknüllte sie zu einer Papierkugel und lief die Treppe hinab zur Küche. Dort warf sie das Knäuel in den Ausguß und warf eine Kanne um, als sie nach den Streichhölzern griff, die ihre Mutter in einem kleinen, aus Rohr geflochtenen Körbchen aufbewahrte. Kaffee ergoß sich über die gesamte Länge der Arbeitsplatte. Nach mehreren Versuchen entzündete sie ein Streichholz und sengte die Fotos an. Von den brennenden Fotos im Ausguß schlugen die Flammen empor, verloschen dann und hinterließen nichts als Asche. Sie konnte sie niemandem mehr zeigen. Jetzt bewiesen sie gar nichts mehr. Der Dämon des TBirds hatte sie verändert, so daß sie den TBird nun zeigten, wie er wirklich aussah. Jeder, der sich womöglich daran erinnerte, wie der Wagen anfangs ausgesehen hatte, würde höchstens verwundert den Kopf schütteln und sich sagen, daß er sich getäuscht hatte. Sie schob die Asche in den Abfluß, drehte das Wasser an und spülte sie
fort. Von ganzem Herzen wünschte sie sich, daß es ebenso leicht wäre, den wirklichen Wagen loszuwerden. Am nächsten Morgen rief Julie Randy an und sagte ihm, daß sie früher zur Schule müßte, weil sie noch Hausaufgaben zu erledigen hätte, und deshalb nicht mit ihm fahren könnte. Er brummte etwas und legte wortlos auf. Mit einem tiefen Seufzer legte sie den Hörer auf die Gabel zurück. Ihr Bett war zerwühlt, weil sie sich im Schlaf umhergewälzt hatte, als zerrissene Gesichter und wahnsinniges Gelächter sie in ihren Träumen verfolgten. So durfte Randy sie nicht sehen, mit schwarzen Schatten unter den von Müdigkeit geröteten Augen. Sie mußte zunächst ihre Fassung wiedergewinnen und noch mehr nachdenken. Wenn der Dämon des TBirds spürte, was sie dachte, dann mußte sie Randy von dem Auto weglocken, um mit ihm zu sprechen. Das war ein Teil des Problems, bisher waren sie immer in der Nähe des Wagens zusammengewesen, und sie hatte nicht gewußt, daß der Dämon ihre Gedanken lesen konnte. Als sie in Hammonasset allein gewesen waren und der Wagen weit fort geparkt war, war Randy liebevoll und freundlich gewesen wie früher. Da war es dem Dämon nicht gelungen, in ihre Gemeinschaft einzudringen. Es war nach dem Training gewesen, daß Randy sauer auf sie wurde und sie sich gestritten hatten, weil sich die Wagentür nicht öffnen ließ. Wenn sie sich stritten, war es stets in der Nähe des Wagens gewesen, wie zum Beispiel damals in Frank Melodys Werkstatt. Und sogar auf Cappys Platz, als sie den TBird entdeckt hatten. Wenn sie am Telefon miteinander redeten, wirkte er immer viel natürlicher und schien den Streit vergessen zu haben. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, Randy lange genug von seinem Wagen fernzuhalten, damit sie mit ihm reden konnte. Dann würde er sie anhören. Er mußte es einfach. Es war ihre letzte Chance. Am nächsten Tag war Freitag, und dann fand das erste Footballspiel der Saison statt. Zudem war Elternabend, und alle Spieler wurden vor dem Spiel mit ihrem Vater und ihrer Mutter vorgestellt. Die Cheerleader würden sich unter einem der Tore aufstellen und dann mit den Spielern und ihren Eltern zur Mitte des Spielfelds gehen, wo ihre Namen über den Lautsprecher aufgerufen wurden. Dann war der TBird nicht in Randys Nähe, und sie hatte Gelegenheit, mit ihm zu reden. Zumindest bestand die Möglichkeit, daß es ihr gelang, Randy zu einem Treffen ohne den Wagen zu überreden. Sie mußte es versuchen. Sie konnte auch noch etwas anderes versuchen. Sie ging die Treppe hinab und holte das Telefonbuch von Tory Hill hervor. Nach einer Weile fand sie die Adresse von Cappys Gebrauchtwagenhandel und rief ihn an. „Hallo“, meldete sich Cappy. „Tag, Cappy. Hier spricht Julie O’Dell.“ „Oh, Tag, junge Frau. Wie geht es Randy und dir mit dem TBird, den ich euch verkauft habe? Läuft er gut?“ „Er läuft prima, Cappy, aber ich hätte gern gewußt, ob du das Foto noch hast, das du vor dem Verkauf an Randy von dem Wagen aufgenommen hast.“ Nach einer kurzen Pause antwortete er: „Klar doch. Ich hab’s gerade in der Hand.“ „Ein Glück. Cappy, kannst du mir beschreiben, wie der TBird auf dem Foto aussieht?“ „Nichts leichter als das. Er sieht aus wie ein 65er TBird. So einen habt ihr doch gekauft, und genauso sieht er aus.“ „Hat er verbreiterte Kotflügel?“ „Nein. Die hatte er auch nicht, als ihr ihn gekauft habt. Wohnt ihr zwei nicht Haus an Haus? Randy hat ihn doch nicht etwa wieder verkauft? Als ich ihm so einen
guten Preis gemacht habe, dachte ich, er wollte ihn behalten.“
„Nein, nein, er hat ihn nicht verkauft. Ich wollte eben nur wissen, wie der Wagen
beim Kauf aussah.“
„Ihr zwei habt wohl gezankt, und jetzt läßt er dich den Wagen nicht mehr
sehen?“
Julie kam sich albern vor, ihr fiel keine Erklärung ein. „Ich… na ja, ich wollte doch
bloß wissen, wie er damals aussah. Jetzt hat er sich verändert, das ist alles. Tut
mir leid, daß ich gestört habe.“
„Anders? Was meinst du damit?“
„Ach, entschuldige die Störung. Bitte, behalte das Foto. Wirf es nicht weg.
Bewahr es an einem sicheren Ort auf.“
An Cappys Ende der Leitung herrschte ein Weilchen Stille. „Si* eher, ich behalte
es. Ganz wie du willst.“
„Danke, Cappy. Vielen Dank.“
Am nächsten Abend zog Julie sich an, um zu dem Spiel zu gehen. Sie knotete
sich die Ärmel ihres Pullovers mit der blauen Aufschrift um den Hals und strich
ihren kurzen weißen Plisseerock glatt. Es war zu warm, den Pullover anzuziehen.
Julie blickte in den Spiegel und vergewisserte sich, daß die Schatten der
Übermüdung unter ihren Augen nicht auffielen. Cappy hatte das Foto vom TBird
noch, und auf dem Bild hatte er sich nicht verändert. Es gab ihr Zuversicht zu
wissen, daß die Macht des Dämons noch nicht so weit reichte.
Sie lief die Treppe hinab, um mit den Heathes zusammen zum Spiel zu fahren.
Julie und die Heathes mußten früher im Stadion sein als ihre Eltern, weil sie sich
für die Zeremonie aufstellen mußten. Randy war schon gegangen, um sich für
das Spiel umzuziehen.
„Tag, Julie. Meine Güte, siehst du hübsch aus.“ Mr. Heathe wandte sich zu Julie
um, als sie auf dem Rücksitz des Kombis der Heathes kletterte.
„Danke, Mr. Heathe. Tag, Mrs. Heathe.“
„Hallo, Julie. Freust du dich auf deinen ersten Auftritt mit der Unimannschaft?“
„Ich glaub schon. Aber ein bißchen nervös bin ich doch.“
„Du wirst deine Sache schon gut machen, Kleine“, erwiderte Mrs. Heathe.
„Du kommst in letzter Zeit nicht mehr so oft zu uns, Julie. Nimmt dich die Arbeit
für die Schule so in Anspruch?“
„Ja, ganz schön.“ Dann streckte Julie ihre Fühler aus, um zu erfahren, wie
Randys Eltern die Sache mit dem Auto sahen. „Randy will im Moment lieber mehr
Zeit mit seinem Wagen als mit mir verbringen.“
„Nun, du weißt doch, was man über junge Männer und ihren ersten eigenen
Wagen sagt“, meinte Mr. Heathe und lachte leise.
„Um Randy brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Liebes“, fügte Mrs. Heathe
hinzu. „Du weißt doch, wie gern er dich hat.“
„Er hat den Wagen aber ganz schön ausstaffiert, finden Sie nicht?“ Sie achtete
genau auf die Reaktion von Randys Eltern.
Mr. Heathe warf ihr einen Blick über die Schulter hinweg zu. „Eigentlich hat er
gar nicht viel daran gebastelt. Als ich so alt war wie er und einen Wagen hatte,
hab ich mein ganzes Geld hineingesteckt. Seit Randy das Auto hat, verdient er
sich nicht mehr so viel Geld mit Rasenmähen wie früher. Wenn jetzt der Herbst
kommt, fürchte ich sogar, daß er arbeitslos wird. Und trotzdem kommt er
offenbar ganz gut zurecht.“
Kalte Angst schnürte Julie die Kehle zu, und sie sank in ihren Sitz zurück. Es
mußte einen Grund dafür geben, daß der Dämon sie den TBird sehen ließ, wie er
wirklich war, aber sonst niemanden. Forderte er sie heraus? Lachte er über sie?
Wollte er sie auf seine boshafte Weise wissen lassen, daß sie Randy verloren
hatte, daß er selbst der Sieger war? Daß sie der Spielball seiner Wünsche war und sich nicht dagegen wehren konnte? Tief im Innern fragte sie sich, ob Randy sein einziges Opfer war. „Schrecklich, die Sache mit Cappy, nicht wahr?“ unterbrach Mr. Heathe sie in ihren Gedanken. Julie erschrak. „Was ist mit Cappy?“ Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. „Ach, hast du nicht die Abendzeitung gelesen? Es war ein Unfall mit Fahrerflucht auf seinem eigenen Platz. Offenbar wollte Cappy abends abschließen. Aus irgendeinem Grunde ging er ziemlich spät los, und so ein Idiot fuhr direkt über seinen Platz und überrollte ihn. Hat nicht einmal angehalten.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand aus Tory Hill so etwas getan haben könnte“, fügte Mrs. Heathe hinzu. „Es wird jemand von außerhalb gewesen sein.“ „Möglicherweise schnappen sie den Kerl“, fuhr Mr. Heathe fort. „Der Täter hat einen Wagen auf dem Platz angefahren und Spuren von hellblauer Farbe hinterlassen. Die Polizei sucht nach einem hellblauen Wagen mit eingebeultem Kotflügel. Wenn es den in Tory Hill oder in der näheren Umgebung gibt, werden sie ihn finden. Diese Stadt ist zu klein, um solche Dinge verbergen zu können. Außerdem kann der Täter seinen Wagen in keiner Werkstatt hier in der Nähe reparieren lassen.“ „Der arme Cappy“, meinte Mrs. Heathe. „Er war so ein feiner Kerl.“ Julie saß da wie vom Donner gerührt. Cappy war tot, von einem Auto überfahren. Von einem hellblauen Auto. Tief im Herzen war sie sicher, um welches Auto es sich handelte. Die Polizei konnte es nie herausfinden, denn dieses Auto würde keinen eingebeulten Kotflügel haben, wenn sie es fanden. Genausowenig, wie sie ein Foto in Cappys Büro finden würde. Oder wenn doch, wäre es nicht das, was er auf ihre Bitte hin aufgehoben hatte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie war die Ursache für Cappys Tod. Sie hatte ihn angerufen und mit ihm über das Foto gesprochen, und der Dämon wußte es. Mit Cappy war ihre letzte Hoffnung gestorben.
9. KAPITEL Das Stadion füllte sich rasch. Die Eltern hatten sich in alphabetischer Ordnung hinter dem Torpfosten aufgestellt und warteten darauf, zur Spielfeldmitte geführt zu werden. Die Söhne standen in ihrer Footballuniform jeweils zwischen Mutter und Vater. Julie war als Eskorte für Mr. und Mrs. Heathe vorgesehen. Randy war noch nicht eingetroffen, und in wenigen Minuten sollte die Zeremonie beginnen. Julie behielt unruhig den Spielereingang im Auge und hoffte, ihn aus dem Tor herauslaufen zu sehen, den Helm in der Hand. Er würde die Zeremonie doch nicht versäumen. Das konnte er nicht tun. Nicht am Elternabend. Er würde nicht zulassen, daß seine Mutter und sein Vater ohne ihn aufs Feld hinausgeführt und vorgestellt wurden. Wenn sie und Randy Schwierigkeiten hatten, war das ihre eigene Sache. Aber seine Eltern würde er nie im Leben enttäuschen. Sie hatte ein elendes Gefühl im Magen. So sehr hatte sie sich gewünscht, auf dem Spielfeld, weit fort vom TBird Gelegenheit zu finden, mit Randy zu reden. Sie brauchte ja nur ein paar Minuten. Das hätte gereicht, aber sie verstrichen mitsamt ihrer Hoffnung. Wußte der Dämon Bescheid über ihre Absicht, so wie er über ihren Anruf bei Cappy Bescheid gewußt hatte? Der Gedanke an Cappys Tod erfüllte sie mit Schmerz. Er hatte noch nicht einmal gewußt, warum er starb. Seit sie im Stadion angekommen waren, hatte sie das Tasten in ihrem Gehirn nicht mehr gespürt. Mittlerweile verstand sie dieses Tasten als Warnung, daß der Dämon da war und in ihrem Bewußtsein forschte, ihre Gedanken durchsuchte nach Dingen, die ihm gegen den Strich gingen. Wußte er alles und hielt er Randy auf, um ihren Plan zu durchkreuzen? Die Band ließ ihre laute blecherne Musik ertönen und spielte die amerikanische Nationalhymne. Alle Menschen im Stadion wandten sich der entgegengesetzten Seite des Spielfelds zu, wo der Ehrenvorsitzende langsam die Fahne hißte. Julie wünschte, sie könnte das Hissen der Flagge hinauszögern, damit Randy mehr Zeit blieb. Sie blickte zum Eingang hinüber und bildete sich beinah ein, ihn kommen zu sehen, aber das Tor blieb leer. Er kam erst nach dem Anstoß, nachdem schon einige Spiele gelaufen waren. Er trabte durch das Tor, setzte seinen Helm auf und schloß sich den Spielern von Tory Hill an der Seitenlinie an. Als Trainer Gibson Randy bemerkte, redete er heftig gestikulierend auf ihn ein. Julie konnte sich denken, daß Randy eine scharfe Rüge erhielt. Dann deutete der Trainer auf die Bank, und dort verbrachte Randy die gesamte Spielzeit. Tory Hill verlor ein Spiel, dessen Sieg ihnen eigentlich sicher gewesen war, um sieben Punkte, und zwei Stunden später verließ eine äußerst niedergeschlagene Mannschaft das Feld. Julie wartete am Ausgang auf Randy. Er war der erste Spieler, der gegangen war, und er lief sehr schnell. „Randy“, rief Julie. Sie mußte sich beeilen, um ihn einzuholen. „Was ist passiert? Wo warst du so lange?“ „Du stellst mir dieselben Fragen wie der Trainer!“ antwortete er wütend. „Wem liegt überhaupt was an dem Spiel? Ich hab was Besseres zu tun als alberne Kinderspielchen zu treiben.“ „Randy, kann ich mit dir reden?“ Ihre Stimme zitterte, als sie sich dem Parkplatz näherten. „Nicht hier. Es dauert nur ein paar Minuten.“ Irgendwo zwischen den Autos auf dem Platz neben dem Stadion stand auch der TBird. Sie mußte fort aus seiner Nähe, oder es würde ihr nie gelingen, mit Randy zu sprechen. „Okay, dann rede doch!“ Er strebte weiter dem Parkplatz zu, ohne seinen Schritt zu verlangsamen.
„Nicht im Wagen“, bat Julie und blieb stehen. „Laß uns hier reden.“ Unbeeindruckt stapfte er weiter zum Parkplatz und würdigte sie nicht einmal einer Antwort. Julie lief ihm nach und griff nach seinem Arm, um ihn zurückzuhalten, aber er schüttelte sie ab. „Randy, bitte.“ Er blieb stehen und fuhr wütend herum. „Hör mal zu. Ich muß nicht alles tun, was du willst, bloß weil du irgendwas gegen mein Auto hast. Wenn du mit mir reden willst, erwarte nicht, daß ich mich auf deine Albernheiten einlasse. Die Zeit für Sandkastenspiele liegt schon lange hinter uns. Wenn du mir was zu sagen hast, dann sag’s jetzt.“ Er drehte sich um und ging weiter. Julie blieb stehen, wo sie war, sah ihn gehen, und mit jedem seiner Schritte nahm ihre Panik zu. Sie mußte irgendwie an ihn herankommen, koste es, was es wolle. Es mußte einfach sein. Es ging um mehr als um verletzten Stolz oder gekränkte Gefühle. Sie liebte ihn, und sie konnte nicht zulassen, daß der Dämon des TBirds ihn zerstörte. So viele Jahre hindurch hatten sie einander so viel bedeutet. Die Träume, die sie zusammen geträumt, die Zukunft, die sie sich zusammen ausgemalt hatten – all das stand auf dem Spiel. Mit jedem Schritt zu dem verhaßten Wagen dort draußen auf dem Parkplatz rückte die Zerstörung näher. Sie nahm all ihren Mut zusammen und lief hinter ihm her. „Warte! Randy, warte!“ rief sie. „Randy, ich möchte mit dir nach Hause fahren. Bitte!“ Über das Dach des TBirds hinweg sah er sie böse an. „Wie du willst. Mir ist es völlig egal, was du machst.“ Wie sie erwartet hatte, wies der Wagen nicht die kleinste Beule auf, zumindest nicht auf der Beifahrerseite. Doch sie wußte, daß auch an der anderen Seite nichts zu sehen sein würde. Sie griff nach der Türklinke und rechnete damit, daß sie sich nicht drücken ließ. Zu ihrer Überraschung sprang die Tür fast von selbst auf. Sie ließ sich vorsichtig in den Beifahrersitz gleiten und fürchtete beinahe, daß etwas Unerwartetes passieren würde. Randy ließ den Motor an, und der Wagen verließ zügig den Parkplatz. Keiner von ihnen redete während der gesamten Heimfahrt auch nur ein Wort. Julie hatte Angst davor. Sie hatte sogar Angst davor zu denken. Sie wollte den Dämon nicht wissen lassen, worüber sie mit Randy gern gesprochen hätte. So versuchte sie, an andere Dinge zu denken… an das Spiel, an die Wohngegenden, die sie durchfuhren, an alles mögliche, nur nicht an das, was sie wirklich beschäftigte. Zunächst spürte sie wieder das Tasten in ihrem Bewußtsein, doch dann hörte es auf. Offenbar war der Dämon beruhigt über das, was er dort vorfand. Randy bog in die Zufahrt der Heathes ein, lenkte den Wagen, ohne das Tempo zu drosseln, in die Doppelgarage und trat auf die Bremse. Julie stellte fest, daß der Kombi der Heathes noch nicht vom Spiel zurückgekommen war. Randy blieb noch einen Augenblick sitzen und knetete mit den Händen das lederbezogene Lenkrad. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Dann wandte er sich langsam zu Julie um und sah sie an. Sein kalter, grausamer Augenausdruck machte Julie angst. Es waren die Augen eines Fremden, eines Menschen, den sie nie zuvor gesehen hatte. Es waren die Augen, die sie im Spiegel gesehen hatte. Sie wich vor Randy zurück und drängte sich gegen die Tür. „Ich dachte, du wolltest mit mir reden.“ Seine Stimme klang tief und rauh und scharrend, wie das Geräusch, das sie vor ihrem Fenster gehört hatte.
Julie schlang die Arme um den Oberkörper, um sich vor der Kälte zu schützen, die von ihm ausstrahlte. Was sollte sie sagen? Im Wagen konnte sie nicht mit ihm reden. War das überhaupt Randy, der da neben ihr saß und sie mit haßerfüllten Augen ansah? Der Dämon hatte vollkommen die Kontrolle übernommen. Er hatte Randy endgültig in seiner Gewalt. Julie hatte das Gefühl, daß er mit ihr spielte. Warum sonst hatte sich die Tür so leicht öffnen lassen? Der Dämon hatte gewollt, daß sie einstieg. Jetzt saß sie sprachlos da und wußte nicht, was sie sagen sollte. „Wenn du schmollen willst, glaub bloß nicht, daß ich den Babysitter für dich spiele.“ Randy stieg aus, schlug die Tür zu und ging hinaus aus der Garage. Julie fühlte sich elend. Sie beugte sich vor, und wieder kamen ihr die Tränen. Es war zwecklos. Sie hatte verloren. Der Dämon des TBirds war Sieger. Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus, um auszusteigen. Hinter dem Wagen schloß sich langsam das Garagentor. Sie zerrte am Türgriff, doch er rührte sich nicht. Sie stieß mit der Schulter gegen die Tür, aber auch so ließ sie sich nicht öffnen. Mit aller Kraft drückte sie die Klinke. Sie gab nicht nach. Dann schloß sich das Fenster langsam wie von Geisterhand. Sie versuchte, die Scheibe herabzudrücken, konnte es jedoch nicht, und sie hob sich langsam wie eine umgekehrte Guillotine. Sie mußte loslassen, wenn sie sich nicht die Finger abquetschen wollte. Das Licht, das von draußen in die Garage drang, wurde trüber, und dann wurde alles schwarz, als das Garagentor wie ein Sargdeckel endgültig zuschlug und sie mitsamt dem Wagen einschloß. Julie warf sich quer über den Sitz und packte den anderen Türgriff. Er ließ sich ebensowenig öffnen. Angst überfiel sie, als ihr bewußt wurde, daß sie die Gefangene des Dämons war. Panisch blickte sie um sich. Es mußte doch einen Ausweg geben. Sie mußte dem Ungeheuer entkommen. Dann blieb ihr Blick am Spiegel haften. Er befand sich wieder an der Sonnenblende. Als sie ins Auto gestiegen war, war er noch nicht dagewesen. Vor Tagen hatte sie das häßliche Ding aus dem Wagen geworfen, und es war fort gewesen! Ganz und gar verschwunden! Aber nun war der Spiegel wieder da, wo er immer gewesen war, und auch das wahnsinnige Gesicht starrte sie wieder an. Es glühte in der Dunkelheit der Garage und grinste sie höhnisch an. Julie versuchte zurückzuweichen, preßte sich rückwärts in den Sitz, der ihr Widerstand leistete und sie dem stummen Gelächter des grinsenden Monsters entgegenschob. Todesangst ergriff sie. Sie hatte das Gefühl, in einem Sarg zu liegen und von der muffigen Luft um sie herum erstickt zu werden. Erst jetzt bemerkte sie, daß der Motor lief, leise schnurrte wie eine zufriedene Katze. Sie hatte nicht gehört, daß sich der Zündschlüssel drehte, doch der Motor lief. Er brummte mit einer mühelosen Kraft, die mit jeder Sekunde stärker wurde. Julie erstarrte, als ihr plötzlich klar wurde, was der Dämon plante. Innerhalb weniger Minuten würde tödliches Kohlenmonoxyd die Garage füllen. Tausend Spiegel mit grotesk grinsenden Gesichtern wirbelten in der Dunkelheit um Julie herum. Das Summen des Motors schwoll zu einem fürchterlichen Dröhnen an. Dazwischen war das keckernde Gelächter des Dämons zu hören. Auf Julies Stirn und Handflächen bildete sich eiskalter Schweiß, und der Wirbel von Spiegeln vollführte immer raschere, engere Kreise um sie herum, während das Gelächter anschwoll. Andere Gesichter tauchten in den Spiegeln auf. Gesichter, die nicht dem Dämon gehörten. Gesichter junger Männer in Randys Alter. Ihre Münder bewegten sich lautlos, wie im stummen Flehen um Hilfe. Hohle Augen sahen sie bittend an, doch sie verstand nicht, was sie von ihr verlangten. Die Gesichter wirbelten und flehten mit den Augen inmitten der Spiegel mit dem keckernden, lachenden Monstrum.
„Er gehört mir, mir, mir…“ Die Worte, zuerst kaum hörbar, wurden mit dem Anschwellen des irren Gelächters und des Motorengeräusches immer lauter. Julie preßte die Hände mit aller Kraft an die Ohren, um den auf sie eindringenden Lärm auszuschließen, und sie kauerte sich in dem kalten Vinylsitz zusammen, während die grauenhaften Fratzen sie bedrängten und die flehenden Jungengesichter wortlos um Hilfe baten. Ohne zu denken, ohne zu wissen, was sie tat, schrie sie aus Leibeskräften und drückte auf die Hupe. Das durchdringende Dröhnen der Hupe erfüllte die Garage und mischte sich mit dem Gelächter und dem Brummen des Motors. Dann hörte es auf. Immer und immer wieder drückte sie auf die Hupe, doch sie gab kein Geräusch mehr von sich. Mit einem letzten Schrei, der in ein zitterndes Schluchzen überging, sank Julie in sich zusammen und fiel quer über die Sitze. Und da, plötzlich, verebbten die Stimmen und das Gelächter. Verschwommen nahm sie wahr, daß das Garagentor sich öffnete. Stimmen drangen an ihr Ohr. Menschliche Stimmen vor der Garage. „Julie!“ Der Motor des TBirds lief nicht mehr. „Julie! Bist du da drinnen?“ Es war Mr. Heathe, der die Wagentür aufriß und sie schluchzend auf den Sitzen liegen sah. „Julie! Was um Himmels willen ist denn los?“ Er beugte sich zu ihr herab, richtete sie auf und zog sie an sich. „Was machst du denn hier?“ „Ist alles in Ordnung mit ihr?“ fragte Mrs. Heathe hinter ihm. „Sieht so aus. Wir sind allerdings keine Minute zu früh vom Spiel zurückgekommen.“ Julie bemerkte Psycho kaum, der in der Nähe der Garage kauerte, als die Heathes ihr nach Hause halfen, und sie nahm weder seinen Schwanz noch sein wildes Fauchen wahr. In dieser Nacht waren Julies Träume von wirbelnden Spiegeln und irrem Gelächter und den traurigen, flehenden Gesichtern erfüllt. Zweimal kamen ihre Eltern in ihr Zimmer gestürzt, als sie von ihrem eigenen Schreien aufwachte. Schließlich, als der Tag anbrach, verscheuchte die graue Morgendämmerung die Gesichter. Julie lag erschöpft und schweißgebadet in ihrem Bett. Die Bettdecke war zerwühlt und verrutscht von ihrem Umherwälzen. Sie blickte starr an die Decke. Der Dämon des TBirds hatte versucht, sie umzubringen, genauso, wie er zweifellos die Schuld an Cappys Tod trug. Und er hätte sie umgebracht, wenn die Heathes nicht gerade noch rechtzeitig nach Haus gekommen wären. Die Türen, die sich auf dem Parkplatz beim Stadion so einfach hatten öffnen lassen, waren eine Einladung zum Sterben gewesen. Der Dämon hatte gewollt, daß sie einstieg. Er wollte sie. Wie sollte sie jemals erfolgreich gegen ihn kämpfen? Er kannte jeden einzelnen ihrer Gedanken und war geradezu allmächtig. Er hatte Randy fest in seiner Hand. Randy hatte nicht einmal so getan, als ob er ihr zuhörte. Der Junge im Auto war nicht Randy gewesen. Sicher, es war sein Körper, doch der Dämon hatte von ihm Besitz ergriffen, und es war der Dämon, der zu ihr sprach. Sie hatte keine Chance, vernünftig mit ihm zu reden. Jeder weitere Versuch wäre sinnlos. Sie hatte den Jungen, den sie liebte, bereits verloren. Würde sie gezwungen sein zuzusehen, wie er immer stärker und stärker in die Gewalt des Dämons geriet? War das die Hölle, die auf sie wartete? Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte sechs Uhr morgens. Wie ein Zombie stieg Julie aus dem Bett und kleidete sich an. Sie mußte ihren Körper zu jeder
Bewegung zwingen. Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war blaß und müde. Dunkle Ringe umschatteten ihre Augenhöhlen. Sie brauchte dringend Ruhe, aber sie mußte aufstehen. Zwar wußte sie nicht, was sie tun sollte, doch sie konnte nicht einfach liegen bleiben. Als sie mit der Bürste über ihr Haar fuhr, hörte sie einen Hund jaulen. Es klang wie Mugsys Wimmern, wenn er ins Haus der Heathes eingelassen werden wollte. Sie achtete nicht darauf und fuhr fort, ihr Haar zu bürsten. Das Jaulen ertönte wieder und klang so eindringlich, daß sie zum Fenster ging, um nachzusehen. Mugsy lag auf dem Boden neben einem Hügel von gelblichbraunem Fell, offenbar Psycho. Mugsy jaulte erneut auf und stieß den Kater mit der Schnauze an, anscheinend, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Trotz ihrer abgrundtiefen Niedergeschlagenheit mußte Julie lächeln. Es sah aus, als wollte Mugsy seinen Freund zum Spielen überreden. Dann fiel ihr auf, daß Psycho sich überhaupt nicht rührte. Er lag absolut still da. Nicht ein einziges Mal hob er den Kopf oder zuckte mit der Schwanzspitze. Julies Hand hielt mitten in einem Bürstenstrich inne. Mugsy wollte nicht mit Psycho spielen, er wollte lediglich, daß der Kater sich bewegte. Wieder heulte der Hund und rannte dann zur Haustür der Heathes und bellte, als ob er Hilfe rufen wollte, bevor er wieder zu dem Kater zurückkehrte. Julie ließ die Bürste fallen, lief die Treppe hinab und nach draußen zu den Tieren. Sie hielt Psychos leblosen Körper in den Armen, als Randy, noch in seiner Pyjamahose, aus dem Haus kam. „Was soll dieser Lärm so früh am Morgen?“ fragte er. Sein Gesicht wirkte hager, so, als hätte auch er keinen Schlaf gefunden. Julie sagte kein Wort. Sie hob Psycho hoch und zeigte ihn Randy. Ein Ausdruck der Ungläubigkeit trat auf sein Gesicht. Er streckte die Hand aus und berührte den leblosen Körper in ihren Armen. Dann nahm er ihn ihr ab. Er wiegte den Kater und streichelte sein gelbes Fell, als wäre er noch lebendig. Julie konnte seinen schmerzlichen Gesichtsausdruck kaum ertragen. „Wie ist das passiert?“ fragte er mit Tränen in den Augen. „Ich weiß es nicht.“ Sie spürte tastende Fühler in ihrem Bewußtsein. Eine Träne lief an Randys Wange hinab, während er den toten Körper seines Katers streichelte. Julie mußte verhindern, daß der Dämon erfuhr, was ihr in den Sinn kam. Sie nahm Randys Hand und führte ihn zu ihrem Haus hinüber, fort vom TBird. Die kalte, forschende Berührung in ihrem Gehirn war dort weniger deutlich zu spüren. Doch sie wußte, daß der Dämon trotzdem auf der Lauer lag. Sie setzten sich stumm. Randy hielt noch immer Psycho in den Armen. Mugsy lag zu ihren Füßen und wimmerte hin und wieder. Nach einer Weile stand Julie auf, holte eine Schachtel und arrangierte ein feierliches Begräbnis für Psycho. Randy schwieg die ganze Zeit, während sie das Grab gruben und später die weiche Erde darüber festklopften. Verständnislosigkeit und Verwirrung zeigten sich auf seinem Gesicht. Der Schock über den Tod seines Katers hatte ihn gelähmt. Er war so traurig, wie Julie ihn noch nie gesehen hatte. Sie nahm seine Hand und hockte sich neben ihn. „Randy?“ Sie spürte das Tasten des Dämons nur ganz schwach. Er wandte den Kopf und sah sie an. „Randy, ich muß mit dir reden. Können wir irgendwohin gehen, wo wir allein sind? Wir könnten doch zu Sutter’s Cove hinaussegeln. Ich muß über Cappy und Psycho und viele andere schreckliche Dinge mit dir reden.“ Voller Angst, der
Dämon könnte sich erneut einmischen und ihr die Chance nehmen, Randy zu einem Ausflug an einen Ort zu überreden, wo sie mit ihm sprechen könnte und wo er ihr zuhören würde, wartete sie auf seine Antwort. Sutter’s Cove wäre der beste Platz dafür, wenn sie es nur schafften, dorthin zu gelangen. „Klar“, sagte er und zwang ein schwaches Lächeln auf seine Lippen, das aber sofort wieder verschwand, als er auf Mugsy herabblickte. Der Hund war unbemerkt an das Grag gekommen, hatte sich niedergelegt, und seine Pfoten berührten das Grab seines Freundes. Sie sind beide verzweifelt, dachte Julie.
10. KAPITEL Rasch zog Julie ihren blauen Badeanzug und darüber Shorts und Top an. Als sie schon zur Tür hinausgehen wollte, blieb sie noch einmal stehen und trat zurück in ihr Zimmer. Sie öffnete ihr Schmuckkästchen, nahm ein goldenes Kreuz an einem Kettchen heraus und steckte es in die Tasche. Sie war nicht so sicher, daß sie in den TBird einsteigen konnte, aber sie wollte es auf jeden Fall versuchen. Vor allen Dingen mußte sie verhindern, daß der Dämon ihre Gedanken las und von ihrem Plan erfuhr. Ob sie das schaffte, wußte sie nicht, doch sie mußte sich Mühe geben. Sie würde einfach an etwas anderes denken. An etwas, woran er keinen Anstoß nehmen konnte, wie zum Beispiel die Texte für das CheerleaderTraining. Das war die Idee. Sie würde sich die Texte still immer und immer wieder aufsagen. Falls der Dämon sich einschaltete, konnte er sich dadurch nicht angegriffen fühlen. Vielleicht klappte es nicht, aber versuchen wollte sie es wenigstens. Je näher sie dem Wagen kam, desto stärker spürte sie die Anwesenheit des Dämons. Sie ließ sich neben Randy in den Sitz gleiten, saß ganz still, preßte die Lippen zusammen und sagte im Kopf die CheerleaderTexte auf. Ein rascher Blick zeigte ihr, daß die Sonnenblende hochgeklappt und der Spiegel nicht zu sehen war. Im Augenblick zumindest nicht. Als der Motor ansprang, überkam sie erneut kalte Angst. Die Erinnerung an den Vorabend ließ sie schaudern. Sie umklammerte mit festem Griff das goldene Kreuz in ihrer Hand und dachte angestrengt an ihre Texte. Stumm sagte sie einen nach dem anderen immer wieder herunter und baute ein Bollwerk aus Worten gegen den Eindringling auf. Dann spürte sie, wie das Tasten in ihrem Hirn nachließ und schließlich ganz aufhörte. Offenbar war der Dämon fürs erste beruhigt. Die Fahrt nach Hammonassett und zum Jachthafen verlief ohne Zwischenfall. Der Motor des TBirds schnurrte gleichmäßig und zufrieden. Randy schien tief in Gedanken versunken und sah immer noch sehr traurig aus. Julie wußte, wie liebevoll und besorgt er seinen Haustieren gegenüber war, wie sehr er an Psycho und Mugsy hing, aber daß es ihn so hart treffen würde, hatte sie nicht gedacht. Sie hätte gern die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn gestreichelt, um ihm ihre Liebe zu beweisen, aber sie wagte es nicht. Statt dessen konzentrierte sie sich ganz auf ihre CheerleaderTexte. Sie stellte sich ihre Truppe vor, Nancy und die anderen, und ging im Geist mit ihnen zusammen die Übungen durch. Das Segelboot der Heathes lag an seinem üblichen Ankerplatz, und nach wenigen Minuten hatten sie es startklar. Die Segel blähten sich, und Randy lenkte das Boot geschickt aus dem Jachthafen hinaus und in die Bucht hinein. Julie warf einen Blick zurück auf den TBird, und das Gefühl der Bedrohung fiel von ihr ab, je größer die Wasserfläche zwischen dem Boot und dem Land wurde. Sie glitten über das Wasser, und die Morgensonne wärmte sie. Wie mit einem Zauberfaden gezogen, strich das Boot an der Küste entlang, und das beruhigende Plätschern der kleinen Wellen an seinen Seiten erhöhte noch die friedliche Stimmung. Randy bewegte leicht das Ruder, und das Boot vollführte eine Wendung, glitt über die glasklare Wasseroberfläche und umrundete ein kleines Kap. Gleich dahinter lag die Lagune, die schwer zu entdecken war, bevor man sie nicht fast erreicht hatte. Das war der Einlaß zu Sutter’s Cove. Sie zogen das Boot auf den weichen, feuchten Sand. Die Sonne hatte fast ihren Höchststand erreicht, als sie ihre Decke ausbreiteten. Randy streckte Julie die Hand entgegen, und sie folgte ihm ans Wasser. Zusammen wateten sie durch die
seichten Wellen und sammelten Muscheln, die unter der Wasseroberfläche glitzerten. Tausende von winzigen rosa Seesternen bedeckten den Boden in einem nassen Muster. „Randy?“ Als sie sprach, hatte sie Angst, daß der Klang ihrer Stimme den friedlichen Augenblick zerstören würde. „Ja.“ „Randy, ich liebe dich.“ Sie beobachtete ihn genau, als er sich ihr zuwandte, um sie anzusehen, und fürchtete, wieder den Ärger in seinem Gesicht zu lesen. Doch so war es nicht. Statt dessen sah sie die frühere Zärtlichkeit, die ihr so vertraut war. Er lächelte und sagte: „Ich liebe dich auch.“ Nach dem Abend zuvor, nach allem, was Randy unter dem Einfluß des Dämons gesagt hatte, konnte sie es kaum fassen, daß er jetzt wieder genauso war wie früher. „Komm bitte ein bißchen näher zu mir“, bat sie. Er beugte sich zu ihr herunter, und sie legte ihm das Goldkettchen, das sie fest in der Hand gehalten hatte, um den Hals. Das kleine gelbliche Kreuz lag auf seiner braunen Brust und blitzte in der Sonne. „Randy, in den letzten Wochen hast du dich immer weiter von mir entfernt. Das will ich nicht zulassen. Ich glaube, ohne dich könnte ich nicht leben.“ Sein Gesicht wurde wieder traurig. „Mir geht es doch genauso mit dir“, erwiderte er und nahm sie in die Arme. „Wenn du wütend auf mich bist, wie in letzter Zeit so oft, bringt es mich fast zur Verzweiflung.“ Er zögerte. „Julie, ich muß dir etwas sagen.“ Seine Stimme zitterte. „Ich kann mich kaum daran erinnern, wütend auf dich gewesen zu sein. Und ich weiß auch nicht, warum ich sauer war.“ „Wie bitte?“ „Doch, so ist es. In letzter Zeit kam mir alles vor wie ein Traum. Ich hab mich selbst Dinge sagen hören, die ich sonst nicht mal in meinen wildesten Phantasien ausgesprochen hätte. Ich bin irgendwie völlig ausgerastet. Das wollte ich dir schon lange sagen, aber dann konnte ich es nicht. Und so hab ich immer wieder Gemeinheiten zu dir gesagt, dich immer wieder verletzt, und ich konnte nicht aufhören damit. Ich kann mir auch nicht erklären, was in mich gefahren ist.“ Sein Geständnis trieb ihr die Tränen in die Augen. Er hatte sich wirklich selbst nicht unter Kontrolle. Der Dämon des TBirds hatte ihn in seiner Gewalt. Sie konnte sich vorstellen, welche Qualen Randy ausgestanden hatte, weil er nicht wußte, was mit ihm vorging, wer ihn kontrollierte. Es mußte ein furchtbar verlorenes, einsames Gefühl gewesen sein, um seine Identität zu kämpfen und doch zu wissen, daß sie einem genommen wurde. „Zum Beispiel am Elternabend. Als ich zu spät kam. Ich weiß nicht, wo ich gewesen bin. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin in den Wagen gestiegen, um zum Stadion zu fahren, und das nächste, was ich weiß, war, daß ich durch den Eingang kam. Es war ein Gefühl, als hätte ich Drogen genommen und wäre ausgeflippt, aber das war’s nicht. Ich hatte Angst, du würdest das glauben, aber du weißt ja, daß ich so etwas nicht tue. Ich hab so cool getan, als ob mir das alles nichts ausmachte. Aber es hat mir was ausgemacht. Es hat mir sogar sehr viel ausgemacht, doch ich konnte es nicht sagen. Ich konnte meinen Eltern nicht einmal sagen, wie leid es mir tat. Warum, Julie? Warum konnte ich das nicht aussprechen? Und dann, als ich dich gestern abend in der Garage zurückgelassen habe. Irgendwie wußte ich, daß etwas Schreckliches passieren würde. Ich spürte es tief im Inneren. Ich wollte zurückkommen und dich da rausholen, aber das konnte ich auch nicht. Und jetzt ist Psycho tot. Ich weiß nicht, wie es geschehn
konnte, aber das alles hängt irgendwie zusammen. Da ist etwas Böses.“ Randy sah sie verzweifelt an. Julie umarmte ihn und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Tränen liefen über ihre Wangen. „Randy, es liegt an dem Auto.“ „Was ist mit dem Auto?“ „Es ist der Grund dafür, daß all diese Dinge geschehen. Nichts dergleichen ist je passiert, bevor du den TBird hattest. Ich weiß, es klingt albern und verrückt, aber in dem Augenblick, als du den TBird zum erstenmal gesehen hast, fing deine Veränderung an. Weißt du noch, wie du einfach weggefahren bist und mich auf Cappys Platz stehengelassen hast? An dem Tag, als wir den Wagen gefunden hatten? Zuerst hab ich gedacht, du wärst einfach nur so begeistert von dem T Bird. Alle hatten gesagt, daß es so kommen würde und daß es ganz natürlich wäre, wenn ein Junge sein erstes Auto besitzt, und ich hab’s geglaubt. Doch dann passierten andere Dinge, die überhaupt nicht natürlich waren. Der zerbrochene Spiegel. Randy, ich hab zugesehen, wie er ganz von selbst zerbrach. Ich hab ihn wirklich nicht angerührt. Es gab keinen Grund für sein Zerbrechen. Und es ging ganz langsam, als ob ihn jemand zusammenpreßte. Im Glas hab ich ein grauenhaftes Gesicht gesehen, das mich auslachte. Auf unserem Weg zum HaverfordNaturschutzgebiet hab ich den Spiegel weggeworfen, weißt du noch, an dem Abend, als du mich fahren lassen wolltest. Ich hab den Spiegel aus dem Wagen geschleudert. Doch dann, in der Garage, war er wieder an der Sonnenblende, und ich konnte nicht aussteigen. Die Türen ließen sich nicht öffnen, und die Fenster schlossen sich selbständig, und dann sprang der Motor an. Ich dachte, ich müßte an Abgasvergiftung sterben. Dann sah ich in der Dunkelheit den Spiegel mit dem monströsen Gesicht, hundertfach, und hörte dieses entsetzliche Lachen. Und da waren noch andere Spiegel mit Gesichtern von Jungen – Jungen wie du – sie baten, flehten mich an, ihnen zu helfen. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, aber ich wußte es totzdem. Sie wollten befreit werden von dem Dämon, der in diesem Auto steckt!“ Julie schauderte und konnte nur mit Mühe fortfahren. „Randy. Ich glaube, er hat auch Cappy umgebracht.“ Er sah sie entsetzt an. „Doch, wirklich, Randy. Hör mir zu. Erinnerst du dich an die Fotos, die wir am Tag, als wir den TBird abgeholt haben, bei euch zu Hause aufgenommen haben?“ „Ja.“ „Ich hab mir diese Bilder am Tag, nachdem du das Rennen gewonnen hattest, noch einmal angeschaut. Sie zeigten den TBird so, wie er war, als du ihn gekauft hast. Er hatte keine verbreiterten Kotflügel, sah einfach schnittig aus wie jeder 65er TBird. Ich war so froh, daß ich nicht verrückt war, daß der Wagen wirklich so ausgesehen hatte. Dann, später, als ich die Fotos noch einmal sah, hatten sie sich verändert. Der TBird sah häßlich aus. Es war überhaupt nicht mehr derselbe Wagen. Da fiel mir das Bild ein, daß Cappy an dem Tag, als du den TBird gekauft hast, von dem Wagen aufgenommen hatte. Ich habe ihn angerufen und ihn gefragt, ob er es noch hätte. Er sagte ja. Ich hab ihn gebeten, es an einem sicheren Ort aufzubewahren, und er hat’s mir versprochen.“ Julie holte tief Luft und nahm alle Kraft zusammen, bevor sie weiterreden konnte. „In derselben Nacht wurde Cappy getötet. Die Polizei sagte, er wurde von einem hellblauen Wagen überfahren. Kein menschliches Wesen wäre einfach auf seinen Platz gefahren, um Cappy umzubringen. Alle mochten ihn gern.“ Sie brach in Tränen aus, und Randy drückte sie fest an sich. Sein Körper war starr vor
Entsetzen. „Er hätte Cappy nicht töten können.“ Es war nur ein Flüstern. „Doch nicht Cappy.“ „Randy, er hat es aber getan. Ich weiß es genau. Das alles ist wirklich geschehen! Es sind Tatsachen. Genauso, wie du nicht weißt, wo du warst. Ich erfinde das alles doch nicht. Dieses Auto ist ein Ungeheuer. Ich weiß es schon eine ganze Weile, aber ich hatte keine Ahnung, was ich dagegen tun konnte. Klar, es ist schwer zu begreifen, auch für mich fast unmöglich, aber irgendwie ist der Wagen von der Macht besessen, Menschen in seine Gewalt zu bekommen.“ Randy drückte sie ein Weilchen fest an sich, bevor er antwortete. „Julie, das ist doch verrückt. So etwas gibt es einfach nicht. Diese angebliche Besessenheit läßt sich durch nichts begründen.“ Er hielt inne und ließ die Schultern hängen. „Wenn ich allein im TBird bin, habe ich immer das Gefühl, daß jemand neben mir sitzt, jemand, den ich nicht sehen kann. Und ich kann mich an vieles nicht erinnern. Plötzlich finde ich mich irgendwo wieder und weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Aber das ergibt doch keinen Sinn. Wie kann ein Auto besessen sein?“ „Doch, ja, besessen.“ Julie schloß die Augen, ermüdet von der Anstrengung, ihn zu überreden. „Es gibt keine andere Erklärung. Der Dämon bringt uns in seine Gewalt. Er hat Cappy und Psycho umgebracht und versucht, mich zu töten.“ Sie erinnerte sich an die flehenden Jungengesichter im Spiegel. „Womöglich hat er auch schon andere Menschen auf dem Gewissen.“ Sie schluchzte auf. „Randy, verkauf ihn! Wenn du ihn verkaufst, und all diese seltsamen Vorgänge hören auf, dann wissen wir, daß es am Wagen lag, daß er wirklich besessen ist. Wenn nicht, dann gibt es einen anderen Grund, aber geschadet haben wir damit niemandem. Du kannst dir einen anderen Wagen kaufen, aber wie auch immer, verkaufen mußt du ihn. Das ist unsere einzige Möglichkeit.“ „Wenn ich ihn verkaufe und jemand anders ihn übernimmt, was dann? Du hast gesagt, du hättest die Gesichter von jungen Männern im Spiegel gesehen. Wer waren sie? Wenn der Wagen wirklich all diese Dinge tut, würde es dann nicht bedeuten, daß ich den Dämon nur an jemand anderen weiterreiche, wenn ich ihn verkaufe? Wenn er besessen ist, ist dasselbe dann nicht schon früher geschehen? Sind die Jungen, die du gesehen hast, vielleicht die früheren Besitzer?“ Julie nickte. „Du hast recht. Wir müssen ihn loswerden. Das heißt aber, daß wir ihn zerstören müssen. Dann kann er keinen Schaden mehr anrichten.“ Ein Gefühl unendlicher Erleichterung überkam Julie wie ein sanfter, warmer Regen. Sie war mit Randy an ihrem geheimen Ort. In Sutter’s Cove konnte der T Bird ihnen nichts anhaben. Er konnte sich nicht in ihr Leben einmischen, und Randy war wieder ganz er selbst. Randy gehörte ihr, nicht dem Dämon. Sie würden den verhaßten Wagen zerstören, und dann waren ihre Sorgen vergessen. Ihr Leben würde wieder so verlaufen wie vorher, und sie würden einander lieben und ohne Ängste zusammen sein. Julie schöpfte wieder Hoffnung. Den Rest des Nachmittags verbrachten Randy und Julie in friedlicher Idylle. Zeitweise lagen sie nebeneinander auf der Decke und hielten sich in den Armen. Dann wieder schlenderten sie Hand in Hand am Wasser entlang und sammelten Muscheln und Seesterne, die aussahen wie Orden. Über ihnen folgte die Sonne langsam ihrem Tageslauf und schien mit warmen sanften Strahlen auf sie nieder. Julie war ganz erfüllt von dem Glück, mit Randy zusammenzusein und ihn zu lieben. Einen so tiefen Frieden hatte sie lange, lange Zeit nicht mehr gespürt. Sie wünschte, daß dieser Tag nie vergehen würde, doch allmählich neigte er sich dem Ende zu. Die Sonne sank hinter dem Kap, und der Himmel wurde dunkler,
als die Abenddämmerung einsetzte. Randy wurde unruhig, und Julie fühlte Unbehagen in sich aufsteigen. „Julie, wir müssen langsam zurück zum Jachthafen. Wenn es dunkel wird, dürfen wir nicht mehr mit dem Boot auf dem Wasser sein. Es hat keine Beleuchtung und könnte von einem Motorboot gerammt werden.“ „Ich weiß“, stimmte sie ihm kleinlaut zu. „Vielleicht ist irgendein Bekannter von uns im Jachthafen. Wir könnten sagen, der TBird springt nicht an, und fragen, ob er uns nach Hause bringt. Morgen können wir den Wagen dann abschleppen lassen.“ „Vielleicht. Aber ich würde mich nicht darauf verlassen. Zu dieser Jahreszeit bleibt kein Mensch so lange draußen auf dem Wasser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dein Plan gelingt.“ „Ich hab eine Idee für den Fall, daß niemand uns nach Hause bringt. Der Dämon des TBirds kann Gedanken lesen, aber ich selbst wußte damals in der Garage nicht, daß ich die Hupe drücken würde, und der Dämon wußte es auch erst, als es schon zu spät war, mich daran zu hindern. Als wir heute zum Jachthafen rausgefahren sind, habe ich mit aller Kraft an das CheerleaderTraining gedacht und daran, wie es ist, wenn man im Stadion vor der Zuschauermenge steht. Ich glaube, wenn wir uns beide voll und ganz auf irgend etwas anderes in unserem Leben konzentrieren, dann kann der Dämon unsere Pläne nicht ergründen.“ „Aber woran soll ich denken?“ „An irgendwas. Solange es nicht etwas ist, wodurch er sich bedroht fühlen könnte. Denk an Football. Denk an alle Spiele mit deiner Mannschaft und an deine Strategien. Denk an Danny und daran, wie du während des Spiels mit ihm zusammenarbeitest. Wenn du dir das deutlich vorstellen kannst und nicht davon abläßt, schöpft der Dämon keinen Verdacht.“ „Ich weiß nicht, Julie. Glaubst du wirklich, daß das klappt?“ „Es muß klappen. Bei mir hat’s geklappt. Ich wüßte nicht, wie wir ihn sonst hinters Licht führen könnten. Ich denke an alle CheerleaderTexte, die mir einfallen. Das wirkt völlig natürlich. Du denkst an deine Spiele, und das ist ebenfalls ganz natürlich. Aber denk dran, deine Konzentration darf nicht eine Sekunde lang nachlassen, sonst weiß er Bescheid.“ „Ich will’s versuchen.“ Es klang zweifelnd, und Julie merkte, daß er nicht so ganz vom Gelingen ihres Plans überzeugt war. Die Silhouette des Jachthafens tauchte am Horizont auf. Als sie so nah herangekommen waren, daß sie die schwarzen Masten der Segelboote vor dem dunklen Himmel erkennen konnten, wuchs die Angst in Julie. Würde es ihnen gelingen, den Dämon des TBirds zu täuschen? Sie mußte sich den Anschein geben, als ob sie fest daran glaubte. Sie mußte Randy helfen, daran glauben zu können. Das war ihre einzige Hoffnung. Dann sahen sie es. Das langsame, hell leuchtende Pulsieren des TBirds, der wie ein urtümliches Ungeheuer aus lang vergangenen Zeiten allein am Ufer stand und auf sie wartete.
11. KAPITEL Das Boot stieß gegen das Dock, und Julie fuhr zusammen. Dann kam sie sich albern vor. Der Dämon wußte ohnehin, daß sie da waren. Ihre Anwesenheit ließ sich nicht vor ihm verbergen, auch wenn sie noch so leise waren. Sie spürte seine Nähe bereits, die kalten Finger, die wie ein Wurm in der Erde in ihrem Bewußtsein wühlten. In der Dunkelheit warf sie einen Blick auf Randy. Sein überschattetes Gesicht zeigte höchste Konzentration, während er das Boot an einem Poller festtäute. Sie hielt ihn zurück, als er zum Wagen gehen wollte. „Zum letztenmal, bevor wir zu Hause sind: Ich liebe dich. Und jetzt denk nur noch an die Spiele.“ Er lächelte sie an. „Trainer Gibson könnte stolz auf mich sein.“ Julie richtete ihre Gedanken auf die CheerleaderTexte. Während sie hinaus auf die Straße nach Tory Hill fuhren, nahm sie sich jeden Vers einzeln vor und bildete sich ein, sie stünde in ihrer Uniform vor dem Station und heizte das Publikum an. Das Brüllen der Menge erfüllte das Stadion. „Tory Hill! Tory Hill! Tory Hill!“ Immer und immer wieder rief sie im Geiste ihre Texte, Wort für Wort, und sie näherten sich der Stadt. Die ganze Zeit über spürte sie das Tasten in den Falten ihres Gehirns, das jede noch so verborgene Stelle nach unbekannten Bedeutungen absuchte, in die kleinen Schluchten und Ritzen eindrang, von deren Vorhandensein sie selbst nichts wußte: Es tastete, spürte durch ihr Hirn, als könnte es durch das Absuchen der grauen Masse etwas Besonderes erfahren. „Vorwärts! Vorwärts! Tory Hill, vorwärts!“ Während sie sich mit aller Macht auf die Anfeuerungsrufe konzentrierte, formten ihre Lippen lautlos die Worte. Sie ballte die Hände zu harten Fäusten, widerwillig, irgend etwas in dem grauenhaften Auto zu berühren. Weiter und weiter ging die Fahrt, während sie auf jede nur erdenkliche Art eine Zuschauermenge anfeuerte, die immer wirklicher vor ihrem inneren Auge stand. Allmählich, nach vielen Kilometern Fahrt, ließ das Tasten nach. Es hatte nichts Bedrohliches aufspüren können in den Anfeuerungsrufen für die Mannschaft von Tory Hill. Randy beschleunigte, und mit rasender Geschwindigkeit nahm der Wagen die Kurven. Julie warf Randy einen raschen Blick zu, gleichzeitig bemüht, ihre Konzentration nicht zu unterbrechen. Sein Gesicht jagte ihr einen Schrecken ein. Es war zu einer Grimasse der Todesangst verzerrt. Er hatte die Zähne fest aufeinandergepreßt, so daß seine Wangenmuskeln im gespenstischen Licht vom Armaturenbrett seltsam hervortraten. Seine Hände umklammerten das Steuerrad wie ein Schraubstock. Der Dämon versuchte, ihn in seine Gewalt zu bekommen, und Randy lag in einem Kampf auf Leben und Tod mit ihm. Der Dämon ahnte, daß etwas nicht stimmte, und ließ sie unbeachtet, während er versuchte, seinen Sklaven zurückzuerobern. Randys Lippen entblößten die zusammengebissenen Zähne, und sein Gesicht glänzte von Schweiß. Der Anblick seines einsamen Kampfes ließ Julie ihre Texte vergessen, und das Keckem von tausend Stimmen drang in ihr Bewußtsein. „Er gehört mir, mir, mir…“ brüllten sie, wirbelten durch ihren Kopf und nahmen ihr jede Möglichkeit, ihre Konzentration wieder aufzubauen. Sie hielt sich die Ohren zu, um die Stimmen auszuschließen, und schrie: „Vorwärts, Tory Hill, vorwärts!“ Doch es war zwecklos, die Stimmen kreisten und wirbelten in ihrem Bewußtsein durcheinander und mischten ihr Gelächter unter ihre Anfeuerungsrufe.
Randy saß in der Falle, und sie konnte ihre Angst um ihn nicht unterdrücken. Sie mußte nachdenken, die Texte vergessen und versuchen, ihm zu helfen, und die ganze Zeit über wußte der Dämon, was sie dachte. Sie würde nicht verhindern können, daß er sie ebenfalls angriff. Die Tachonadel rückte auf siebzig Meilen vor, dann auf achtzig, neunzig. Der Motor brüllte in die Nacht hinaus wie ein wildes Tier, während sie die Straße entlangrasten und durch Kurven schleuderten. „Randy!“ schrie Julie. „Randy, du mußt kämpfen!“ Seine Schultern waren über das Lenkrad gebeugt. Die Muskeln seiner Arme spannten sich an, als er seine gesamte Körperkraft für den Kampf gegen den Dämon mobilisierte. Sein Gesicht war eine zähnefletschende Grimasse furchtbarer Angst. Julie hatte keine Vorstellung von den ungeheuren Qualen, die er durchlebte. Wenn sie ihm doch nur helfen könnte. Vielleicht gelang es ihr ja. Vielleicht konnte sie den Dämon von ihm ablenken und seine Wut auf sich selbst richten. Sie versuchte, ihm ihr Bewußtsein zu öffnen. Sie forderte ihn heraus, schleuderte ihm ihren Haß entgegen und dachte daran, wie sehr sie Randy liebte und wie groß Randys Liebe für sie war. „Ich hasse dich, du unnützer Haufen Schrott!“ schrie sie. „Geh doch endlich zum Schrottplatz, wo du hingehörst!“ Sie zerrte an der Vinylbespannung des Armaturenbretts, fand eine lose Ecke und riß daran. Sie trat und hämmerte auf das Wageninnere ein. „Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ rief sie. Das Gelächter in ihrem Kopf wurde laut und schrill. Der Dämon nahm den Köder, zog sich aber gleich wieder zurück. Er wollte nicht sie. Um sie würde er sich später kümmern, wenn er Randy wieder in seinen Klauen hatte. Irgendwie ahnte sie, daß er sie nicht als Bedrohung empfand. Er wußte, daß sie seiner Macht hilflos gegenüberstand. Der Gedanke flammte grell wie ein Theaterplakat in ihrem Bewußtsein auf. Julie griff nach der Sonnenblende, riß sie herab und blickte in den Spiegel. Da waren die Gesichter und grinsten sie mit aufgerissenen Mäulern an. Das Geschrei füllte den Wagen. Sie riß den Spiegel von der Sonnenblende und warf ihn aus dem Fenster. Häßliches Gelächter brüllte um sie herum. Schreckerfüllt richteten sich ihre Augen erneut auf die Sonnenblende, wo der Spiegel immer noch befestigt war. Wieder riß sie ihn ab und warf ihn hinaus. Er war noch immer da. Sie war die Gefangene eines Alptraums und konnte nicht entfliehen. Wie konnte es sein, daß sie all das erlebte? Wie kam es, daß Randy und sie in diesem Teufelsauto in der Falle saßen? Warum war die Wahl des Dämons ausgerechnet auf sie gefallen? Sollten sie zusammen sterben? Verzweifelt stöhnte sie auf. Der Wagen drehte sich und bog auf die Straße zum HaverfordNaturschutzgebiet ein. Schotter spritzte auf und rasselte unter dem Boden des Wagens. Das Prasseln und eine Vielzahl anderer Geräusche kamen zu dem Höllenlärm hinzu, der in Julies Ohren toste. Die Scheinwerfer des Wagens tanzten zwischen den Bäumen, die zu beiden Seiten der Straße an ihnen vorbeirasten. Immer tiefer gerieten sie in den Wald hinein. Randy kämpfte verbissen mit dem Lenkrad. Er zitterte am ganzen Körper. Julie wußte, daß er zweifellos von unvorstellbaren Schmerzen zerrissen wurde. „Julie.“ Seine Stimme klang klagend und war in dem Lärm um sie herum kaum zu hören. „Randy“, antwortete sie auf seinen Hilferuf. Sie wollte ihm so gern helfen, ihn aus den Klauen des Dämons befreien. Sie war gern bereit, ihr Leben zulassen, wenn
er dadurch gerettet würde. Sie ertrug es nicht, seine Qualen mitansehen zu müssen. Und sie wußte, daß er gegen das Monstrum verlor. Sie sah es an seinen kraftlos hängenden Schultern. Allmählich wich der Ausdruck der Todesangst auf seinem Gesicht dem Ausdruck von Ruhe und Beherrschung. Das konnte nur heißen, daß der Dämon im Begriff war zu gewinnen. Randys Bewußtsein unterwarf sich ihm. Wenn er wollte, würde er sie beide bezwingen. Julie reagierte plötzlich eiskalt. Sie streckte die Hand aus, riß Randys Hemd auf und holte das goldene Kreuz hervor, das dort versteckt gelegen hatte. Sie preßte es ihm an die Stirn. Der TBird begann zu zittern, sein Motor stotterte, er schleuderte von einer Seite zur anderen. Er machte einen Satz vorwärts und rutschte dann wie irrsinnig über die Straße. Ein Schrei erfüllte die Luft, als der Wagen sich schüttelte wie ein wildgewordenes Tier, das einen Angreifer loszuwerden sucht. Julie ließ nicht locker, preßte das goldene Kreuz immer heftiger an Randys Stirn. Der TBird schien zu keuchen und krachte frontal gegen einen Baum. Das letzte, woran Julie sich erinnerte, bevor sie das Bewußtsein verlor, war ein krachender Aufprall und ein lähmender Schlag, als ihr Körper gegen das Armaturenbrett geschleudert wurde. Und dann überkam sie Dunkelheit.
12. KAPITEL Als ob sie an die Oberfläche eines tiefen Teiches aufstieg, kam Julie allmählich wieder zu Bewußtsein. Langsam begann sie ihre Umgebung wahrzunehmen und fragte sich, wo sie war, warum sie in der Dunkelheit auf diesem weichen Lager aus Blättern ruhte. Dann kam die Erinnerung an die wilde Fahrt durch den Wald und das Ende durch den gewaltsamen Unfall zurück, zunächst bruchstückhaft, aber dann immer deutlicher. Sie holte tief Luft und setzte sich rasch auf. Ein Schmerz wie von einem Messerstich schoß durch ihren Kopf. Sie schaute sich um. Sie war weit aus dem TBird hinausgeschleudert worden. Wie ein gestrandeter Wal lag er in der Nähe auf der Seite. Rauch stieg aus der offenen Motorhaube auf. Randy! War ihm etwas passiert? Wo war er? Julie suchte Halt an den Steinen der Mauer neben sich, zog sich hoch und stolperte auf den verhaßten Wagen zu. Das Geschrei der Stimmen war verklungen. In ihrem Kopf herrschte Stille. War der TBird endlich zerstört? Sie machte ein paar Schritte vorwärts und blieb dann stehen. Randy lag in einer Pfütze von Mondlicht neben einem Vorderrad des Wagens, Arme und Beine von sich gestreckt, die Augen geschlossen. Das goldene Kreuz glitzerte neben seinem Gesicht auf dem Boden. „Randy!“ schrie sie. „Bist du verletzt?“ Sie lief zu ihm und kniete neben ihm nieder. Hastig griff sie nach seinem Handgelenk und suchte seinen Puls. Nichts. Sie versuchte es ein zweites Mal, preßte ihre Fingerfest aufsein Handgelenk. Spürte sie etwas? Sie hielt den Atem an und drückte noch heftiger zu. Da war etwas. Zwar nur ganz schwach, doch immerhin spürbar. „Du darfst nicht sterben. Du darfst nicht sterben. Du darfst nicht sterben“, beschwor sie seinen bewußtlosen Körper. Er konnte doch nicht sterben. Nicht Randy, der Junge, den sie liebte. Ihre Entschlossenheit half ihr auf die Füße. Sie würde ihn bequem und warm hinlegen und dann in Tory Hill Hilfe holen. Randy brauchte sie. Sie durfte jetzt nicht in Panik geraten. Im Kofferraum lagen Badehandtücher, mit denen sie ihn zudecken konnte. Womöglich waren sie noch feucht, aber sie mußten reichen. Eine andere Möglichkeit bot sich nicht. Sie drehte sich um und schaute den TBird erst jetzt richtig an. Er lag halb auf der Seite im Graben. Der Kühlergrill war beim Zusammenprall mit dem Baum abgerissen und hinterließ ein klaffendes Maul, die leeren Fenster sahen aus wie stumpfe, leere Augen. Die Kotflügel waren eingebeult und zerrissen, und der rechte Vorderreifen hatte sich aus der Halterung gelöst. Aus der Heizung sickerte ein dünnes Wasserrinnsal und tröpfelte auf den Boden. Die Motorhaube war eingedrückt, und Rauch stieg aus den Ritzen auf. Die Schlüssel. Sie mußte den Schlüssel aus der Zündung ziehen, damit sie den Kofferraum öffnen konnte. Sie nahm all ihren Mut zusammen, um sich dem Wagen zu nähern, und jetzt erst bemerkte sie, wie steif sie war und wie ihr alle Glieder schmerzten. Ihr Kopf schien platzen zu wollen, und ihr Körper fühlte sich zerschunden an. Doch das zählte jetzt nicht. Das einzig Wichtige war, Hilfe für Randy zu holen. Sie mußte Hilfe finden, bevor sein schwacher Puls aufgab. Sie zuckte zusammen, als sie den Türgriff berührte, als fürchtete sie, er könnte ihre Hand packen. Sie hatte Angst, daß der Dämon sich in dem Haufen verbeulten Metalls vor ihren Augen zeigen könnte. Bevor sie die Nerven verlor, zog sie die Tür auf, ohne das kreischende, knarrende Geräusch dabei zu beachten. Glasscherben von den zerbrochenen Fenstern lagen
auf dem Fahrersitz und blitzten im Mondschein. Julie hielt den Atem an, griff durch die Speichen des Lenkrads hindurch und zog den Schlüssel aus der Zündung. Der Kofferraum ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen, und Julie tastete in der Dunkelheit nach dem Stapel von Handtüchern. Sie waren fast trocken, und Julie kämpfte mit den Tränen, als sie sie über Randy deckte. Seit sie ihn gefunden hatte, hatte er sich nicht gerührt. Wieder fühlte sie seinen Puls. Er war noch da, aber kaum spürbar. Randy durfte nicht sterben. Das konnte einfach nicht sein. Sie brachte seine Arme in eine bequemere Stellung. Mehr konnte sie im Augenblick nicht für ihn tun. Sie mußte Hilfe holen. Er war weit genug von der Straße entfernt, um nicht durch den Verkehr in Gefahr zu geraten, falls zufällig ein Auto vorbeikommen sollte. Sie stand auf und bemerkte jetzt erst, daß sie sich den Knöchel verstaucht hatte. Mühsam humpelte sie die Straße nach Tory Hill entlang. Der dichte Wald ließ kaum Mondlicht durch, und eine gespenstische Stille hatte sich über die gesamte Umgebung gelegt. Selbst die Nachtvögel sangen nicht mehr. So schnell sie konnte, eilte Julie die Straße hinab. Wie viele Kilometer mußte sie laufen, um Hilfe zu finden? Vier? Fünf? Zehn? Und wenn sie jemanden fand, würden sie rechtzeitig zurückkommen, um Randy retten zu könnten? Da hörte sie ein Geräusch. Zuerst wußte sie nicht, was es sein könnte. Als es lauter wurde, erkannte sie das Brummen eines startenden Automotors. Es kam aus der Richtung hinter ihr, von dort, wo Randy dem Tode nahe war. Oder war er bereits tot? Julie blieb stehen und lauschte. Es war wohl nur ihre Einbildung. Der TBird konnte doch nicht einfach anspringen. Sie horchte erneut. Es war nicht zu überhören. Und jetzt kamen andere Töne zu dem Motorengeräusch hinzu. Das Scharren von Metall gegen Metall. Das Brechen von Zweigen und das Knirschen von Schotter, als ob ein Riese mühsam auf die Füße zu kommen versuchte. Randy! Er hatte das Bewußtsein wiedererlangt. Er hatte den Wagen angelassen und kam ihr nach. Vor Freude sprang sie hoch und spürte einen stechenden Schmerz in ihrem verletzten Knöchel. Schon öffnete sie den Mund, um Randys Namen zu rufen, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie die schweren Schlüssel auf ihrer Brust spürte. Sie hatte sie in die Brusttasche gesteckt, nachdem sie den Kofferraum geöffnet hatte. Randy konnte es also nicht sein. Er hatte ja keinen Schlüssel. Langsam wich Julie an den Straßenrand zurück und stieß gegen eine niedrige Steinmauer. Sie hatte geglaubt, der TBird wäre besiegt, seine Macht wäre zerstört, sie und Randy wären von ihm befreit. Doch nun war klar, daß sie sich getäuscht hatte. Schnell kletterte sie über die rauhe Steinmauer und duckte sich in ihren Schatten. Die Straße, der sie gefolgt war, verlief schnurgerade, und sie blickte zurück. Obwohl sie panische Angst hatte, mußte sie wissen, ob der TBird sie verfolgte. Das scharrende Knattern kam näher, und durch die tiefen Schatten hindurch sah sie den fahrerlosen Wagen unendlich langsam vorwärtskriechen, ein gespenstischer Umriß vor der Dunkelheit hinter ihm. Er kam langsam voran, schleppte sich wie ein verkrüppelter Bluthund, der eine Spur aufgenommen hat, zentimeterweise die verlassene Straße entlang. Es war ihre Spur, der erfolgte. Er suchte sie. Sie duckte sich noch tiefer und schloß die Augen, horchte auf das entsetzliche Ding, das durch die Nacht hindurch auf sie zukroch. Es kam näher, und dann setzte das Geräusch aus. Sie wartete keuchend darauf, daß es wieder zum Leben erwachte. Die Zeit verging, und nichts rührte sich, kein Laut war zu hören.
Verzweifelte Hoffnung erwachte in ihrem Herzen. Der TBird hätte niemals die Straße hinabkommen können. Er war zu stark beschädigt, beinah völlig zerstört. Sie stand noch unter dem Schock des Unfalls, ihre Augen und Ohren täuschten ihr Dinge vor, die es nicht gab. So unglaublich echt es auch ausgesehen hatte, als der Wagen die Straße entlang gekrochen kam, es war doch nur eine wilde Vorspiegelung ihres überstrapazierten Gehirns gewesen. Doch dann dröhnte der Motor wieder auf, als der TBird sein Versteck zwischen den Bäumen verließ, wo er gestanden und gelauert hatte. Der Mondschein spiegelte sich auf der hellblauen Karrosserie wie eine blinkende Neonreklame. Es war keine Vorspiegelung ihrer Einbildung gewesen. Sie hatte den Dämon so in Wut versetzt, als sie seine Macht über Randy zu brechen versuchte, daß er alles daransetzte, sie beide umzubringen, selbst, wenn der Wagen dabei zerstört wurde. Mit Absicht hatte er ihn gegen den Baum gelenkt. Wahrscheinlich war es ihm gelungen, Randy umzubringen, und nun war er hinter ihr her. Oder hatte er sich entschieden, zuerst ihre Flucht zu verhindern und sie zu töten, damit er danach umkehren und sich Randy vornehmen konnte? Julie wagte kaum zu atmen, als sie den TBird von ihrem Versteck aus beobachtete. Sie bemühte sich, an nichts zu denken und völlige Leere in ihrem Bewußtsein zu schaffen. Wußte der Dämon, daß sie hier hockte? Konnte er sie über eine so große Entfernung hinweg spüren? Der TBird war jetzt fast auf gleicher Höhe mit ihr. Er würde doch bestimmt vorbeifahren. Niemals konnte der Dämon ahnen, wo sie sich versteckt hielt. Wahrscheinlich nahm er an, daß sie versuchen würde, so schnell und so weit wie möglich fortzukommen. Der Dämon folgte lediglich der Spur, die er für die wahrscheinlichste hielt. Julies Herz setzte einen Schlag aus. Warum… warum kroch der Wagen dann so langsam näher? Über den Wald breitete sich Totenstille aus, als der Motor klappernd und ächzend aussetzte. Es war, als hätten sich die Nachtvögel und Waldtiere tiefer in den Wald in Sicherheit gebracht, als wagte nicht einmal der Wind, sich zu rühren. Julie klammerte sich an den kühlen Steinen fest und blickte mit offenem Mund auf den Wagen. Er wendete, ganz langsam, und richtete sein monströses, weit aufgerissenes Maul direkt auf ihr Versteck. Ein Schwächegefühl überkam sie, sie lehnte sich gegen die Steinmauer und starrte entsetzt auf den Wagen. Plötzlich flammten seine Scheinwerfer auf und trafen sie wie die Strahlen von zwei Stablampen. Dann ging das Radio an und spielte dröhnende Rockmusik. Julie sprang auf die Füße und rannte los. Blindlings lief sie vorwärts, spürte nichts außer dem Klatschen von Zweigen in ihrem Gesicht und das Kratzen von Dornen und Ranken an ihren Beinen. Sie lief, bis ihre Lungen brannten und sie keuchend nach Luft schnappen mußte. Dann stolperte sie, stürzte vorwärts und schlug schmerzhaft auf dem Boden auf. Sie blieb liegen, wo sie gefallen war, keuchte und lauschte auf den Wagen. Wieder umgab sie Totenstille. Nach einer Weile rappelte sie sich hoch und setzte sich aufrecht hin. Zwar war sie ein ganzes Stück gelaufen, doch sie befand sich noch immer in der Nähe der Straße. Durch die Bäume hindurch konnte sie den Asphalt sehen. Der TBird war nicht da. War sie ihm entkommen? Hatte sie einen so großen Vorsprung gewonnen, daß der Dämon keinen Zugriff mehr auf ihr Bewußtsein hatte und nun nicht wußte, wo sie steckte? Als sie in Sutter’s Cove waren, hatte er ebenfalls keine Möglichkeit gehabt, sich einzumischen. Der Gedanke entzündete ein Fünkchen Hoffnung in ihr. Wenn es wirklich so war, konnte sie sich ein wenig verschnaufen und dann zur Stadt laufen, während der Dämon im TBird die dunklen Straßen des HaverfordNaturschutzgebietes nach ihr absuchte. Julie traute sich nicht aufzustehen. Womöglich bemerkte der Dämon die
Bewegung. Statt dessen kroch sie am Boden entlang und tastete sich zwischen Bäumen und Gestrüpp hindurch. Jedesmal, wenn ein Zweig knackte oder Blätter unter ihren Händen und Knien raschelten, erstarrte sie. Immer wieder hielt sie inne, um zu lauschen, doch das dunkle Waldgebiet war still wie eine Mondlandschaft. Dann hörte sie ein Geräusch in der Ferne, das rasch näherkam. Es hörte sich an wie die Stimmen und das Lachen junger Leute. Das konnte nicht vom TBird herrühren. Nicht diese fröhlichen, lauten Stimmen und das Plärren des Radios. Jemand kam! Hilfe näherte sich aus Richtung Tory Hill. Vielleicht kannte sie die Leute sogar! Sie würde sie anhalten, und dann war sie in Sicherheit. Mit ihnen konnte sie zurück zu Randy fahren und ihn zu einem Arzt bringen. In dem Augenblick, als die Scheinwerfer die Dunkelheit durchschnitten und auf sie zukamen, hatte sie die Steinmauer erreicht. Sie war gerettet! Als sie über die Mauer stieg, sah sie ihn. Erlag nur wenige Meter von ihr entfernt im Graben. Wie in Trance bewegte Julie sich ganz langsam vorwärts, um den T Bird zu betrachten, der wie ein vergessenes Autowrack am Straßenrand lag. Wie von weither hörte sie den Wagen voller junger Leute näherkommen, abbremsen und über die lärmende Musik hinweg Bemerkungen über den verbeulten Wagen rufen. Dann beschleunigte der Fahrer wieder, und sie blieb im Schatten zusammengekauert zurück, allein mit dem Teufel. Der Dämon hatte gewußt, wo sie sich verbarg. Lautlos war er ihr gefolgt und hatte sie in dem Glauben gelassen, daß sie ihm entkommen konnte. Doch er hatte die Jagd nicht aufgegeben und würde sie auch niemals abbrechen. Er warfest entschlossen, sie einzuholen und umzubringen, und sie hatte die letzte Hoffnung auf ihr Entkommen verloren. Sie war müde, so entsetzlich müde. Ihre Füße fühlten sich an, als wären sie aus Zement, ihr Kopf war schwer wie ein großer Stein. Sie war erschöpft, zerkratzt von Zweigen, ihre Beine waren naß vom Blut aus den Wunden, die die Dornen gerissen hatten. Ihr Körper verlangte nach einer Ruhepause, nur für ganz kurze Zeit. Sie kämpfte verzweifelt gegen ihre Schmerzen und ihre Niedergeschlagenheit an. Jetzt fühlte sie das bösartige Wesen des Dämons nach ihr greifen, an ihrem Bewußtsein zerren, ihre Willenskraft in Stücke reißen. Sie durfte nicht aufgeben. Sie mußte stark bleiben. Für Randy. Und dann erhob sich ein Klageton in die Luft. Er begann wie das mitleiderregende Heulen eines gequälten Tieres und brach dann in eine Million irrsinniger Stimmen aus, die sie ankreischten, plapperten, lachten und in ihren Ohren widerhallten. Von einem Schwindelgefühl erfaßt, wandte sie sich von dem Wagen weg und stolperte die Straße in Richtung Tory Hill hinab. ENDE