Nr. 440
Der Schwarzschock Das Böse im Land der Magier von Marianne Sydow
Nachdem der Dimensionsfahrstuhl Atlantis-Pth...
10 downloads
298 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 440
Der Schwarzschock Das Böse im Land der Magier von Marianne Sydow
Nachdem der Dimensionsfahrstuhl Atlantis-Pthor im Randgebiet der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen war, hatte Atlan, wie erinnerlich, die Flucht nach vorn ergriffen. Zusammen mit Thalia, der Odinstochter, flog er ins Marantroner-Re vier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wurde. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, bestanden Atlan und seine Gefährtin so manche tödliche Gefahr ge meinsam – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Nun, nach einer wahrhaft kosmisch anmutenden Odyssee, ist der Arkonide zusam men mit seinen Freunden Razamon und Axton/Kennon wieder nach Pthor zurückge kehrt. Die drei Männer sind Gefangene von Duuhl Larx, dem Herrscher des Rghul-Re viers, dessen Truppen, vom Land der Magier abgesehen, ganz Pthor besetzt halten. Auf Geheiß des Duuhl Larx dringt Atlan nun in die Barriere von Oth ein. Er soll die Magier dazu bewegen, ihren Widerstand gegen die Invasoren aufzugeben. Niemand ahnt, daß im Land der Magier inzwischen das Böse regiert. Schuld daran ist DER SCHWARZSCHOCK …
Der Schwarzschock
3
Die Hautpersonen des Romans:
Chirmor Flog - Er bringt das Böse ins Land der Magier.
Copasallior, Koratzo, Glyndiszorn, Islar und Parlzassel - Die einzigen Magier, die immun gegen
den Schwarzschock sind.
Kolphyr, Koy und Fenrir - Gäste innerhalb der Großen Barriere von Oth.
1. Eine bleigraue Dämmerung lag über Pthor und verschluckte alle Farben. Das Land nördlich der Barriere von Oth wirkte in die ser Beleuchtung leblos und kalt. Noch vor kurzem hatte es hier sanfte Hügel gegeben, die mit blühenden Büschen und kurzem Gras bewachsen waren. Dazwischen erho ben sich kleine Wälder, deren Bäume alt und knorrig waren. Wild hatte man um so häufi ger gefunden, je näher man den mächtigen Bergriesen von Oth kam. Seit dem Angriff der Scuddamoren war von all dem nur noch Asche geblieben, die der Wind über den ver brannten Boden trieb und in den tiefen Kra tern und Furchen, die die Strahlen der Ener giegeschütze hinterlassen hatten, zu kleinen Bergen häufte. Am Fuß der Barriere, direkt am Rand des magischen Schutzschirms, glich das Land einem frisch umgegrabenem Feld, das von einem Riesen angelegt worden war. In einem der zahllosen Krater erschie nen wie aus dem Nichts drei Gestalten. Sie paßten in dieses furchterregende Bild der Zerstörung, denn die eine erwies sich bei nä herem Hinsehen als der Torso eines mon strösen Wesens, das von einem rechteckigen Gerüst umgeben und gestützt wurde, wäh rend die beiden anderen sich als düstere ova le Schemen zeigten. Einer der Schemen eilte die steile Wand des Kraters hinauf, wobei Geröll und Sand unter ihm wegrutschten. Die beiden Zurück bleibenden waren gezwungen, dieser Minia turlawine auszuweichen. Dabei zeigte sich, daß der Torso in der seltsamen Prothese nicht nur hilflos aussah, sondern es auch war. Mit seinen vielen verschiedenen Geh werkzeugen versuchte er unbeholfen einen Schritt zu machen, gab es dann aber auf und
sah apathisch zu, wie die Steine um seine künstlichen Füße rollten. Der Schemen auf dem Kraterrand sah sich anscheinend die Umgebung an, denn er drehte und wandte sich unruhig nach allen Seiten. Und plötz lich erlosch das dunkle Glimmen, und dar unter kam ein Mensch zum Vorschein, ein Mann, blond, mit blauen Augen, hochge wachsen und schlank, nach terranischem Maßstab um die fünfundzwanzig Jahre alt. Er drehte sich um, winkte dem zweiten Schemen und dem Torso zu und schien et was hinunterzurufen, denn er bewegte die Lippen. Aber man hätte selbst dann keinen Ton gehört, wäre es in diesem Augenblick möglich gewesen, ihm ein Mikrophon vor den Mund zu halten. Anstelle des zweiten Schemens erschien ebenfalls ein Mann, aber ihn hätte niemand für einen Menschen gehalten. Aus den Fal ten seines wallenden, düsteren Gewands rag ten nämlich sechs Arme, und in seinem Kopf saßen Augen, die riesengroß waren und aussahen, als hätte man sie aus gebro chenem Basalt geformt. »Komm herunter, Koratzo!« rief der Sechsarmige dem Mann oben auf dem Kra terrand zu. »Aber mach nicht so viel Staub wie beim Aufstieg.« Der Torso sagte nichts und rührte sich auch nicht. Koratzo, der Stimmenmagier, stieg vor sichtig in den Krater hinab. Vor dem ent stellten Fremden blieb er stehen. »Bald sind wir am Ziel«, sagte er sanft. »Sobald wir uns unter dem Schirm befinden, wirst du dich besser fühlen, Chirmor Flog.« Dem Neffen des Dunklen Oheims, der teilnahmslos in seiner vielgliedrigen Prothe se hing, war nicht anzusehen, ob dieses Ver sprechen ihn in irgendeiner Weise beein druckte. Seine riesigen Augen waren starr
4 und blicklos. Längst war Chirmor Flog nicht mehr fä hig, seine jeweils drei Pupillen pro Auge auf ein gemeinsames Ziel zu richten. Am linken hatte sich die rotrunde selbständig gemacht und starrte zum Himmel hinauf, der grau und leer war. Auf dem rechten Auge war es die gelbdreieckige Pupille, die aus dem Rah men tanzte und beharrlich dahin starrte, wo die Nase des Neffen sich hätte befinden müssen, wäre ihm von der Natur eine solche zugedacht gewesen. Die schwarzviereckigen Pupillen beider Augen schienen Koratzo an zusehen, aber als der Stimmenmagier wei terging, reagierten sie nicht einmal mit ei nem kurzen Zucken auf diese Bewegung in nächster Nähe. »Du hättest ihm helfen sollen, Copasalli or«, sagte Koratzo mit einem vorwurfsvollen Blick auf das Geröll, in dem die künstlichen Beine des Neffen steckten. Der Sechsarmige lächelte verächtlich, deutete mit einem Finger auf Chirmor Flog und zog diesen mittels angewandter Magie aus dem Geröll. Der Neffe schien sich für den Bruchteil einer Sekunde aufzulösen, um gleich darauf einige Meter entfernt von neu em zu entstehen. »Ich fürchte, wir begehen einen Fehler«, sagte Copasallior und senkte die Hand wie der. »Dieses Monstrum in die Barriere zu bringen, dürfte nicht ganz ungefährlich sein.« »Er ist so gut wie tot«, gab Koratzo zu be denken. »Wir Magier haben trotzdem die Möglichkeit, ihn noch zu heilen.« »Wozu heilen?« fragte der Weltenmagier sarkastisch. »Ich hätte eher Lust, dem natür lichen Vorgang ein wenig nachzuhelfen und ihn gleich jetzt ins Jenseits zu befördern.« »Das wäre nicht im Sinn der positiven Magie.« Copasallior starrte den Stimmenmagier an. Koratzo hielt den Blicken stand. »Na gut«, sagte Copasallior schließlich. »Wir werden ihn heilen und ihn über die Schwarze Galaxis befragen. Wenn das erle digt ist, erlauben wir ihm, in die FESTUNG
Marianne Sydow zurückzukehren – und zwar zu Fuß. Ich bin gespannt, wie weit er kommt, ehe ihm die Pthorer den Schädel einschlagen. Koratzo, ist dir klar, was dieses Monstrum darstellt? Wieviel Blut an seinen Händen klebt? Ein Neffe des Dunklen Oheims, ein Herrscher über Hunderte von Welten, und keine einzi ge davon kann man als eine Stätte des Glücks bezeichnen! Dort draußen gibt es nichts als Elend und Unterdrückung. Sämtli che Völker des Marantroner-Reviers werden uns zujubeln, wenn wir ihnen diesen bestia lischen Burschen vom Halse schaffen!« »Und was käme danach?« fragte Koratzo nüchtern. »Das weiß niemand«, sagte Copasallior fatalistisch. »Wahrscheinlich wird der Dunkle Oheim einen neuen Neffen schicken. Aber für kurze Zeit wird dieses Revier der Schwarzen Galaxis frei sein. Ist das in dei nen Augen nichts wert?« »Wir werden mehr erreichen als eine sol che Galgenfrist. Chirmor Flog wird zu sei nen Untertanen zurückkehren, und diese werden erkennen, daß er gar nicht so schlimm ist.« »Du willst ihn bekehren?« Copasallior hätte beinahe laut gelacht, und das hörte man seiner Stimme an. Korat zo nahm es gelassen hin. »Nicht bekehren«, sagte er ernst. »Er ist uns etwas schuldig, wenn er erst wieder klar denken kann.« »Oh ja«, murmelte Copasallior grimmig. »Und ich kann mir lebhaft vorstellen, wie er seine Schulden bezahlen wird: Mit einer ganzen Flotte von Organschiffen, die über Pthor herfallen und jedes einzelne Lebewe sen davonschaffen, das man für die Ziele des Neffen verwenden kann. Sieh ihn dir an. Glaubst du wirklich, daß diese Kreatur fähig ist, Dankbarkeit zu empfinden?« Koratzo blickte zu dem Neffen hinüber, von dessen eigenem Körper praktisch nur noch der Kopf und ein Gewirr von wurzel ähnlichen Organsträngen übrig war. Diese Stränge verloren sich in dem Gestell, das dem Neffen den verlorengegangenen Körper
Der Schwarzschock ersetzte. Stellte dieses Stützgerüst eine Kopie des früheren Chirmor Flog dar? Hatte er diese vielen Gliedmaßen wirklich besessen? Ko ratzo konnte sich ein Wesen, das von der Natur so ausgestattet war, beim besten Wil len nicht vorstellen. Aber die äußere Erscheinung des Neffen war nicht ausschlaggebend. Koratzo hatte in seinem nach Jahrtausenden zählenden Leben schon weitaus häßlichere Lebensformen zu Gesicht bekommen. Was ihn an Chirmor Flog störte, das war dessen deutlich spürbare Bösartigkeit. »Er wird bezahlen«, sagte er leise. »Wenn er aus freiem Willen heraus nicht dazu bereit ist, werden wir ihn zwingen.« »Wo bleibt deine Begeisterung für die po sitive Magie?« fragte Copasallior spöttisch. Der Stimmenmagier wandte sich abrupt ab. Ungeduldig blickte er in die Richtung, in der über dem Kraterrand ein Teil des magi schen Schirmes zu sehen war, der die Große Barriere von Oth umschloß. Warum schuf Glyndiszorn nicht etwas schneller den Durchgang zum Reich der Ma gier? Hatte er einen besonderen Grund, die beiden warten zu lassen? Unwillkürlich wanderten seine Gedanken abermals zu Chirmor Flog hinüber, und wie immer zuckte er zurück, als er die ungeheuer starke Ballung negativer Kräfte berührte, die der Neffe in sich trug. Nie zuvor war er ei nem Wesen begegnet, das ausschließlich schlecht war. Chirmor Flog glich einem Ge fäß, das bis obenhin mit Gift gefüllt war. Ein Tropfen reichte, und es lief über. Koratzo wagte es nicht, sich vorzustellen, was dann geschah. Aber gerade in der Barriere von Oth konnte man am ehesten verhindern, daß Chirmor Flogs negative Kräfte wuchsen. Dort gab es keine negativen Kräfte mehr, denn auch der letzte Überlebende aus Jar synthias Bande, der Rauchmagier Lunnater, hatte mittlerweile das Zeitliche gesegnet – er hatte seinem Leben mit eigener Hand ein Ende gesetzt.
5 Wenn Chirmor Flog irgendwo sicher un tergebracht war, dann also in Oth, denn dort war er auch von den vielfältigen Einflüssen abgeschirmt, die das Leben in der Schwar zen Galaxis bestimmten. Trotzdem machte Koratzo sich Sorgen. Nicht alle Magier waren nach der Verban nung Jarsynthias begeisterte Verfechter der positiven Magie geworden. Selbst Copasalli or war oft genug bereit, Ausnahmen zu ma chen. Schon gab es hier und da in der Bar riere Anzeichen dafür, daß die alten Eifer süchteleien neue Nahrung bekamen. Wenn jetzt dieser vor Bosheit geradezu triefende Neffe des Dunklen Oheims in die Berge ge langte, mochte wer weiß was geschehen. Er spähte abermals zu dem Schirm hinauf. In der Dämmerung wirkte die äußere Wand des Großen Knotens wie die Oberfläche mancher Perlen: Man meinte, sich darin spiegeln und gleichzeitig hineinsehen zu können. In Wahrheit gelang weder das eine noch das andere. Aber gerade in diesem Au genblick ging ein farbiger Schauer über jene Stelle, die man vom Krater aus sehen konn te. Es waren unwirkliche, fremde Farben, die in der Sprache von Pthor keine Namen trugen. »Es ist soweit!« rief Koratzo dem Welten magier zu. Copasallior, der auf der anderen Seite des Kraters stand und nach Kristallen suchte, versetzte sich über die kurze Strecke hin weg, ergriff Koratzos Hand und wollte eben nach Chirmor Flog fassen, als Koratzo sich völlig überraschend von ihm löste. »Was ist mit dir los?« fragte Copasallior unwillig. »Traust du mir plötzlich nicht mehr zu, daß ich dich bis zum Eingang schaffe?« »Das ist es nicht«, versicherte Koratzo ha stig. »Es geht um den Neffen, beziehungs weise um dieses Gerüst, in dem er hängt. Wir sollten es nicht mitnehmen. Der Neffe allein ist schlimm genug, aber das Gerüst ist ein Erzeugnis der Antimagie.« »Seit wann hast ausgerechnet du etwas gegen Antimagie einzuwenden?« erkundigte
6 der Weltenmagier sich spöttisch. »Die Fer tigkeiten, in denen sich Islar im Schutz der Tronx-Kette übt …« »Wir haben keine Zeit für solche Diskus sionen«, schnitt Koratzo ihm drängend das Wort ab. »Schick dieses Ding zur FE STUNG zurück. Ich bitte dich darum.« Copasallior betrachtete Koratzo prüfend. »Wie du meinst«, murmelte er. »Wohin damit?« »In die Nähe jener Stelle, an der wir ihn getroffen haben.« Copasallior hob schweigend seine dürren Hände, und mittels seiner Transmitterfähig keiten löste er den Neffen aus dem Gerüst heraus. Chirmor Flog sah ohne dieses Ding noch schlimmer aus, aber Copasallior ließ sich nicht beirren. Er griff mit seinen eigen artigen Sinnen nach der Prothese und schleuderte sie durch den Raum jenseits der Wirklichkeit zurück an jenen Ort, an dem sie Chirmor Flog entführt hatten. »Zufrieden?« fragte er den Stimmenma gier. Koratzo nickte nur. Schweigend sah er auf Chirmor Flog hinab, der hilflos am Bo den lag. Jetzt, ohne seinen umfangreichen Apparat, glich der Neffe einer seltsamen Pflanze: Er bestand nur aus einem Kopf, an dem ein Gewirr von schlaffen, wurzelähnli chen Strängen hing. »Er hat nichts, was wir als Körper be zeichnen würden«, bemerkte Copasallior nüchtern. »Ich fürchte, deine Entscheidung bedeutet seinen Tod.« »Er wurde von dem Gerät versorgt«, mur melte Koratzo bedrückt. »Wir werden etwas erschaffen, was dieses Gerüst ersetzt. Ver stehst du denn nicht, Copasallior? Wir durf ten dieses Ding nicht in die Barriere bringen. Ich traue dem Dunklen Oheim alles zu. Viel leicht ist dies alles nur eine Falle, und in die sem antimagischen Apparat war eine Waffe versteckt. Von außen kann niemand den Schirm zerstören. Aber wenn es in der Nähe des Gnorden starke Erschütterungen gibt, kann dies das Ende bedeuten.« »Da hast du recht«, sagte Copasallior
Marianne Sydow nachdenklich. »An eine solche List hatte ich nicht gedacht. Aber wenn nun der Neffe selbst die Waffe ist?« Sie sahen sich betroffen an. »Es ist unmöglich«, meinte Koratzo schließlich. Er winkte zu dem seltsamen Wesen hinüber, das blicklos in die Gegend starrte. »Was sollte er uns schon anhaben können? Beeilen wir uns lieber. Die Zeit wird knapp.« Es war eine Eigenart von Glyndiszorns Großem Knoten, daß er selbst für Copasalli or, für den es sonst praktisch keine Hinder nisse gab, undurchdringlich blieb. So war er gezwungen, zu Fuß hindurchzugehen, wie jeder andere Magier auch. Das war ein Punkt, über den der Sechsarmige sich jedes mal von neuem ärgerte. Er brachte Koratzo und den Neffen bis zu jener Stelle, an der der Tunnel begann. »Was ist dir lieber?« fragte der Stimmen magier und deutete auf Chirmor Flog. Copasallior bückte sich schweigend und hob den Kopf des Neffen an. Koratzo griff in das Gewirr der Körperstränge hinein, und so trugen sie Chirmor Flog, der innerhalb des Marantroner-Reviers die absolute Macht verkörperte, durch den Tunnel in die Barrie re. Noch war Leben in diesem Körper. Man fühlte es, ohne genaue Untersuchungen dazu anstellen zu müssen. Trotz der starken magi schen Sperren, mit denen die Magier sich zum Schutz gegen Beeinflussung umgaben, drang etwas von der wilden, bösen Kraft, die den Neffen am Leben erhielt, zu ihnen durch. Einmal glaubte Koratzo sogar einen Gedanken des Neffen zu hören. »Geh nach Pthor, und dir wird geholfen«, sagte eine verzerrte Stimme, und dieser Be fehl war verbunden mit dem Bild eines ka stenförmigen Apparats, der Achtpforg hieß. Aber diese Vision verblaßte, ehe Koratzo mehr herauszufinden vermochte. »Träumst du von deiner Sprache des Frie dens, Stimmenmagier?« rief Copasallior ihm zu, und Koratzo erschrak, denn er war der Wand des Tunnels zu nahe gekommen. Zum
Der Schwarzschock Glück verhinderten die magischen Sperren, daß er sich verletzte. Aber ein Ausläufer des Neffen streifte die Wand und fiel ab. »Wir haben es gleich geschafft«, murmel te Koratzo beruhigend, als er spürte, wie es in den schlaffen Strängen zuckte. »Es wird dir nichts geschehen.« Von da an konzentrierte er sich aus schließlich auf den Weg, den er zu gehen hatte, und falls der Neffe weitere Eindrücke aus seiner Vergangenheit preisgab, so ver paßte Koratzo sie – ein Umstand, den er noch bitter bereuen sollte. Der Tunnel ende te abrupt. Eben noch hatten sie sich zwi schen den leuchtenden, wabernden Wänden befunden, und im nächsten Augenblick stan den sie in taufeuchtem Gras. Erleichtert lie ßen sie Chirmor Flog zu Boden gleiten. Sie standen am Fuß des Gnorden, der sich fünf tausend Meter hoch vor ihnen auftürmte. Weit oben, in der Nähe der Gipfelregion, lebte Glyndiszorn, der gerade jetzt den ma gischen Tunnel schloß. Das Luftschiff des Knotenmagiers, die ORSAPAYA, bildete das magische Zentrum des schützenden Schirmes. Zur Zeit war kein Magier so wert voll wie Glyndiszorn, denn nur er beherrsch te die schwere Kunst, mit Raum und Zeit verspannungen umzugehen. Es war daher für die beiden Magier selbstverständlich, daß sie Glyndiszorn nicht stören und schon gar nicht mit Chirmor Flog konfrontieren würden. »Ich bringe ihn zur TronxKette«, ent schied Copasallior. »Nimm mich mit«, bat Koratzo. Copasallior nickte, und wieder taten sie gemeinsam den Schritt durch das Nichts. »Warum hast du ihn nicht zu mir ge bracht?« fragte Koratzo überrascht, als sie in einem der engen Täler im östlichen Teil der TronxKette herauskamen. »Weil dieses Ding da gefährlich ist!« sag te Copasallior grimmig. »Nimm ihn bei dir auf, wenn dir unbedingt danach ist. Ich möchte nur nicht derjenige sein, der ihn in deine Wohnhalle transportiert hat.« Er hatte kaum ausgesprochen, da regte
7 sich die schreckliche Kreatur im Gras. Die Magier starrten fassungslos den Torso an, der zuckte und sich wand, als spüre er schreckliche Schmerzen. Der winzige Mund Chirmor Flogs bewegte sich, als versuche der Neffe zu sprechen. »Was sagt er?« fragte Copasallior, der ei ne seltsame Furcht in sich wachsen fühlte. »Es war eine Falle«, erwiderte Koratzo tonlos. Copasalliors Hände schnellten aus den Falten des düsteren Gewands hervor und streckten sich nach dem Neffen aus. Koratzo erfaßte instinktiv den Plan des Weltenma giers. Es war für Copasallior leicht, Chirmor Flog zu vernichten. Er brauchte ihn nur in das Nichts zu schleudern und ihn dort fallen zu lassen – niemand würde Chirmor Flog je mals finden. Aber Koratzo wußte auch, daß dies kein Ausweg mehr war. Er versetzte dem Weltenmagier einen hef tigen Stoß. Copasallior taumelte zur Seite und wandte sich wütend um. »Es ist zu spät!« sagte Koratzo eindring lich. »Sieh dir den Neffen an. Fällt dir gar nichts an ihm auf?« Copasallior wandte sich dem Torso zu. »Er ist tot!« rief er überrascht. Koratzo schüttelte den Kopf. »Noch nicht ganz«, korrigierte er. »Aber er wird bald sterben. Er liegt im Koma.« »So plötzlich?« fragte Copasallior miß trauisch. »Hast du es nicht gespürt? Diesen kurzen, schwarzen Blitz, der über uns hinwegging?« Copasallior drehte sich langsam zu Korat zo um. »Diese negative Energie in ihm ist ver schwunden«, stellte er fest. »Jetzt verstehe ich die Zusammenhänge. Die ganze bösarti ge Kraft, die in diesem Monstrum steckte, hat sich auf einen Schlag entladen. Was ge schieht nun?« Koratzo wich den Blicken des Weltenma giers aus. »Ich höre Stimmen, die nach Rache schreien«, sagte er leise. »Und ich höre krie gerisches Geschrei. Es kommt von überall
8 her, Copasallior.« Der Weltenmagier brauchte ein paar Se kunden, um die Bedeutung dieser Worte zu erkennen. Dann aber ließ er sich auf einen Stein sinken und starrte finster auf Chirmor Flog. Der Neffe lag da, als wäre er bereits tot. Copasallior fühlte tief in sich den nagenden Wunsch nach Rache. Warum sollte er Chirmor Flog nicht den letzten Stoß verset zen? Aber da war Koratzo, dieser Narr, der verhindern würde, daß Copasallior seine Ra che vollzog. Der Gedanke lag nahe, und der nächste Schritt ließ sich viel zu leicht voll ziehen: Dann mußte eben auch Koratzo ster ben. Es würde nicht leicht sein, ihn zu erwi schen, denn der Stimmenmagier war klug und mächtig … Copasallior fühlte eine Hand auf seiner Schulter, und er schrak auf. Als er aufblick te, sah er direkt in die Augen des Stimmen magiers. Es war im langen Leben des Wel tenmagiers nicht sehr oft vorgekommen, daß er einen Grund hatte, sich zu schämen. Dies mal aber traf es ihn voll. »Du darfst deine Sperren nicht vernach lässigen«, mahnte Koratzo leise. »Sonst er wischt es dich.« »Ich weiß«, murmelte Copasallior. Er riß sich zusammen und schaffte es tatsächlich, sich von dem Stein zu erheben. »Eben habe ich ernsthaft darüber nachge dacht, wie ich dich wohl am leichtesten um bringen könnte«, bemerkte er bitter. »An derartige Ideen werden wir uns ge wöhnen müssen«, nickte Koratzo. »Mir ging es ähnlich. Von jetzt an müssen wir uns ge genseitig im Auge behalten. Und wenn wir müde werden, dürfen wir niemals beide zur gleichen Zeit schlafen. Wir könnten im Traum die Sperren lockern.« »Was meinst du, wie lange dieses Theater andauern wird?« fragte Copasallior mit ge spieltem Gleichmut. Koratzo zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist es in ein paar Stunden vorbei. Aber es kann auch sein, daß wir für immer damit leben
Marianne Sydow müssen.« Copasallior starrte ihn aus seinen steiner nen Augen an. »Die Sprache ist dein Gebiet«, sagte er langsam. »Du kennst meine Gedanken. Klei de sie in Worte – vielleicht finde ich dann heraus, wie wir aus dieser Falle herauskom men!« »Ich fürchte, ich muß dich enttäuschen. Chirmor Flog wurde eigens zu dem Zweck präpariert, den Schirm um die Barriere von innen her aufzuknacken. Möglicherweise stammt dieser Plan vom Dunklen Oheim selbst. Während wir im Tunnel waren, emp fing ich von Chirmor Flog einen Blick auf ein kastenähnliches Gerät namens Acht pforg, und ich hörte dazu eine Stimme. Sie befahl dem Neffen, nach Pthor zu gehen. Copasallior, ich fürchte, diesmal hat man uns gründlich hereingelegt. Chirmor Flog war nur ein Transportmittel für die böse Kraft, die wir in ihm spürten. Wer immer auch den Neffen aufgeladen hat – er dürfte für einige Zeit einen ziemlich erschöpften Eindruck machen. Aber das ist nebensäch lich. Tatsache ist, daß wir diese Kraft in die Barriere geholt haben, wo sie sich denn auch befreite und blitzartig in sämtliche Magier fuhr. Aber der, der Chirmor Flog in dieser Art benutzte, konnte nicht wissen, was in zwischen mit Jarsynthia und den anderen Negativen geschah. Die Kraft, die er in den Neffen hineinpreßte, war für vierhundert undfünfzig Magier berechnet. Wir aber sind nur etwas über zweihundert. Wäre Glyndis zorns Großer Knoten nicht, so könnte die überschüssige Kraft sich über ganz Pthor ausbreiten. So aber wird sie in der Barriere bleiben und uns bedrohen, bis wir ein Mittel finden, sie zu bannen.« Copasallior blickte zu Chirmor Flog hin. »Und ich hätte ihn doch umbringen sol len!« sagte er voller Haß, aber er fing sich sofort wieder. »Ich nehme an, wir blieben bis jetzt verschont, weil wir uns wegen die ses Monstrums abgeschirmt hatten. Aber vielleicht hatten auch andere Magier zum kritischen Zeitpunkt Gründe, die sie dazu
Der Schwarzschock
9
brachten, extrem starke Sperren aufzubauen. Sie könnten davongekommen sein. Laß uns nach ihnen suchen, Koratzo!«
2. Es war in der Tat eine List des Dunklen Oheims, der die Magier zum Opfer gefallen waren. Indem er den todkranken Chirmor Flog über den Gersa-Predogg Achtpforg vollpumpte mit dieser speziellen negativen Kraft, hielt er ihn einerseits noch so lange am Leben, daß der Neffe nach Pthor und in die Barriere von Oth gelangen konnte, und verwandelte ihn andererseits in eine lebende Bombe. Der Gersa-Predogg erschöpfte sich in diesem Vorgang so sehr, daß Atlan wenig später zwar die böse Aura dieses Roboters deutlich spürte, sie aber zu ertragen ver mochte. Wie stark dagegen die Ausstrahlung eines voll aktiven Gersa-Predogg war, hatte Raza mon erfahren, als er im Palast des Neffen Duuhl Larx auf Zwalltorg traf – den Berser ker hatte es im wahrsten Sinne des Wortes umgeworfen. Chirmor Flog – oder das, was er in die Barriere brachte – war jedoch keine Waffe, die von tödlicher Wirkung war. Die Magier sollten keineswegs sterben, sondern sich lediglich wieder zu jenen Ansichten be kehren, die man im Zentrum der Schwarzen Galaxis für gut und richtig hielt. Es war be kannt, daß es in Oth zwei ungefähr gleich starke Parteien gab. Die in Chirmor Flog ge speicherte Energie sollte in erster Linie der negativen Fraktion den Rücken stärken und die positiven Magier für die vom Gegner propagierten Ziele empfänglich machen. Al les andere würde sich von selbst ergeben. Als Copasallior und Koratzo die vom Pla neten Järglinz stammenden ScuddamorenSchilde anlegten und sich zur FESTUNG begaben, da taten sie dies in der Absicht, zu nächst nur Beobachtungen anzustellen und keinesfalls in das Geschehen einzugreifen, welche Greuel ihnen auch immer begegnen mochten. Aber dann landete die PARZIER mit Chirmor Flog an Bord, und die Magier
erfuhren, wie es um den Neffen stand und warum man ihn nach Pthor gebracht hatte. Nach all dem Elend, dem sie rund um die FESTUNG begegnet waren, trugen sie den überaus starken Wunsch in sich, endlich et was für die geplagten Pthorer tun zu können. Und so beschlossen sie spontan, sich des Neffen anzunehmen. Nicht einmal Koratzo kam dabei ernsthaft auf die Idee, dies in der Form zu tun, daß man den Neffen kurierte und auf seine der Genesung folgende Dankbarkeit hoffte. Die Kenntnisse, die man durch Chirmor Flog über die Schwarze Galaxis gewinnen konn te, würden aber dazu beitragen, daß man ir gendwann einen wirkungsvollen Schlag ge gen Kreaturen wie den Neffen und die hinter ihnen stehende Macht zu führen vermochte. Die Entführung selbst war für die Magier ein Kinderspiel. Da der Neffe fast immer einsam in seinen Räumen hockte, konnte Koratzo ihn ohne jedes Risiko aus der Ferne beeinflussen und dazu bringen, daß er die PARZIER verließ. Chirmor Flog lief seinen Entführern ganz von selbst in die Arme. Die Magier vertrauten darauf daß Atzbäll, der Kommandant der Scuddamoren auf Pthor, eine so unglaubliche Tat wie die Entführung des Neffen keiner anderen Gruppe von Tä tern als allein den Magiern zutrauen würde. Es war nicht anzunehmen, daß man die ge fangenen Pthorer für das Eingreifen derer von Oth würde büßen lassen. Atzbäll mußte wohl oder übel die Möglichkeit einkalkulie ren, daß die Magier in Chirmor Flogs Sinn handelten und vielleicht sogar die ausdrück liche Zustimmung des Neffen gefunden hat ten. Sollte Atzbäll aber doch auf dumme Ge danken kommen, so mußte sein Zorn sich gegen die Bewohner von Oth richten, und diese hatten keinen Grund, sich vor dem Kommandanten zu fürchten: An Glyndis zorns magischem Knoten hatten Atzbäll und seine Truppen sich bereits versucht, und sie waren gescheitert. Nun aber stellte es sich heraus, daß die Magier sich zu sehr auf den Neffen und die Scuddamoren konzentriert und dabei die
10
Marianne Sydow
lenkende Kraft im Hintergrund nahezu ver gessen hatten. Die Schwarze Galaxis war groß, und der Dunkle Oheim mußte ein äu ßerst vielbeschäftigtes Wesen sein. Wie hät te man da annehmen können, daß er sich die Zeit nahm, persönlich in die Geschicke der Magier einzugreifen? Jetzt war das Unglück geschehen, und wie die Folgen aussahen, das erfuhren Koratzo und Copasallior in den nächsten Stunden.
* Da sie sich gerade in der Tronx-Kette be fanden, kamen sie überein, zunächst nach den hier lebenden Magiern zu sehen, die al lesamt zu Koratzos »Rebellen« gehörten und seit eh und je ihr Ziel darin sahen, der positi ven Magie zu dienen. Vor allem aber waren diese Magier daran gewöhnt, gemeinschaft lich zu arbeiten und ihre individuellen Fä higkeiten miteinander zu verbinden. Dabei hatten einige von ihnen so beachtliche Fä higkeiten entwickelt, daß man sie mit Fug und Recht zu den Mächtigen zählen konnte. Es war daher zu hoffen, daß man gerade in der Tronx-Kette den einen oder anderen fand, der den Schwarzschock wie Copasalli or den Ausbruch negativer Energie spontan taufte, unbeschadet überstanden hatte. Sie ließen Chirmor Flog da liegen, wo er nach ihrer Ankunft zu Boden geglitten war. Etwas weiter oberhalb führte eine der in der TronxKette üblichen magischen Straßen am Hang entlang, auf den ersten Blick nichts als ein steiniger Pfad, der sich schnurgerade durch das zerklüftete Gelände zog, ohne Rücksicht auf Steigungen und Gefälle. Aber besondere Kristalle, die man in den Weg eingefügt hat te, erzeugten über dem Pfad eine Zone, in der man sich mit großer Geschwindigkeit fortbewegen konnte. Die Anziehungskraft, die das Weltenbruchstück Pthor ausübte, war im Bereich dieser »Straßen« weitgehend aufgehoben. Mit rasender Geschwindigkeit glitten die beiden Magier durch die Tronx-Kette. Rein äußerlich hatte sich nichts geändert. Die
Tronx-Kette war noch immer ein blühender Garten voller Sternblumen und herb duftender Kräuter. Die Luft war frisch und kühl und roch nach dem Schnee, der die hohen Gipfel der Berge in unwirklichen Farben leuchten ließ, sobald wieder einmal ein Schauer zitternder Punkte und sich ver ästelnder Linien über die Innenwand des schützenden Knotens lief. Die erste Behausung, an der sie vorbeika men, gehörte dem Lichtmagier Querllo. Sie hielten an, und Koratzo stellte binnen Se kunden fest, daß sein Freund nicht in den schimmernden Lichtgewölben steckte. »Das muß nicht gleich heißen, daß es ihn erwischt hat«, sagte Copasallior tröstend, denn er spürte, wie beunruhigt Koratzo war. Schweigend wandte der Stimmenmagier sich ab und trat wieder auf die Straße. Ein kurzes Stück weiter erblickten sie einen schimmernden Zaun, der aus unzähli gen dünnen Lichtpfeilen bestand und mit großer Geschwindigkeit nach Norden hin wuchs. »Das ist doch …«, stieß Koratzo hervor und trat von der Straße herab. Copasallior folgte hastig, bereit, sofort einzugreifen, denn er sah Schwierigkeiten voraus. Obwohl seit dem Eintritt des Schwarz schocks kaum mehr als eine Stunde vergan gen war, reichte der Zaun schon mehr als dreihundert Meter den Hang hinauf. Deut lich konnte man jetzt vor der schimmernden Fläche eine zwergenhafte, grotesk wirkende Gestalt ausmachen. Koratzo eilte auf den Lichtmagier zu. »Was tust du da?« fragte er ärgerlich. Querllo fuhr fort, Lichtpfeile aus dem Bo den wachsen zu lassen. »Ich kennzeichne die Grenze meines Re viers«, erklärte er gelassen. »Wozu brauchst du ein Revier? Was soll dieser Unsinn?« »Erwartest du wirklich, daß ich dir auf ei ne so dumme Frage antworte?« erkundigte Querllo sich höhnisch. »Schwarzschock«, stellte Copasallior lei se fest. »Es hat keinen Sinn, Koratzo. Laß
Der Schwarzschock uns weitersuchen.« Aber Koratzo war nicht bereit, es so schnell aufzugeben. Querllo war der beste und älteste Freund, den der Stimmenmagier hatte. »Du mußt dagegen ankämpfen, Querllo!« bat er drängend. »Was dich jetzt antreibt, das sind nur die Auswirkungen des Schwarzschocks. Wenn du dich anstrengst, müßte es dir gelingen, diesen negativen Ein fluß abzustreifen.« »Laß mich in Ruhe!« forderte der Licht magier grob. »Versuche es wenigstens!« flehte Korat zo. Querllo senkte die Hände und unterbrach für einen Augenblick seine Arbeit an dem Zaun aus Licht. »Paß auf, Stimmenmagier«, sagte er dro hend. »Ich lasse mich nicht gerne stören, schon gar nicht von einem, der nur Unsinn daher redet. Du befindest dich in meinem Revier. Ich rate dir, dich schleunigst zu ent fernen, oder du wirst feststellen, daß meine Magie ausreichend stark ist, um dir einigen Ärger zu bereiten.« »Daran zweifle ich nicht«, murmelte Ko ratzo erschüttert. »Das ist gut für dich.« Querllo wandte sich erneut seinem Zaun zu. Koratzo drehte sich resignierend nach Copasallior um. Der Weltenmagier zuckte die Schultern. »Komm«, sagte er. »Sonst wird er wirk lich wütend. Oder bist du darauf aus, mit ihm zu kämpfen?« Das gab den Ausschlag. Während sie auf der magischen Straße weitereilten, wuchs hinter ihnen Querllos Grenzmarkierung. »Er beansprucht immerhin ein recht klei nes Revier«, meinte Copasallior. »Das läßt mich hoffen, daß er nicht ganz und gar durchgedreht ist.« »Da bin ich mir nicht so sicher«, murmel te Koratzo bedrückt. »Was wir sehen, ist erst der Anfang einer Entwicklung, die unwei gerlich zum Ende der positiven Magie füh
11 ren muß.« »Noch sind wir beide bei Sinnen«, tröste te Copasallior. »Sobald wir uns einen Über blick verschafft haben, werden wir sehen, was wir unternehmen können. Sicher gibt es eine Möglichkeit, die anderen von dem Schwarzschock zu heilen.« Koratzo lächelte traurig. »Du meinst es gut«, sagte er leise. »Aber es ist besser, der Wahrheit ins Auge zu se hen, als sich mit vagen Träumen abzugeben. Da vorne steht Antharias Wohnbaum. Kannst du schon etwas von einer Grenzmar kierung erkennen?« »Nein«, murmelte der Weltenmagier. »Vielleicht ist die Pflanzenmagierin sogar noch normal.« Der Wohnbaum war ein gigantisches, knorriges Gebilde, dessen dicker Stamm An tharias Werkstätten barg, während die dicht belaubten Äste zahllose Räume und Kam mern bildeten. Die beiden Magier blieben am Fuß der gewundenen Treppe, die in die Krone hinaufführte, stehen, wie es sich ge hörte. Unter normalen Verhältnissen hätte Koratzo jetzt seine Stimme ausgesandt, und Antharia hätte ihm mitgeteilt, wo sie gerade zu finden sei. Aber so, wie die Dinge jetzt lagen, mußte der Stimmenmagier damit rechnen, daß Antharia ihm eine solche Ver traulichkeit übel anrechnen würde. Wie berechtigt diese Sorge war, zeigte sich, als nach mehreren Minuten endlich ei ne Öffnung in der dicken Rinde des Stam mes erschien. Mißtrauisch blickte die kleine, schwarzhäutige Magierin ihre Besucher an. In ihren gelben Katzenaugen funkelte es feindselig. »Was wollt ihr hier?« erkundigte sie sich. »Wir statten dir einen Besuch ab«, ant wortete Koratzo bedächtig. »Sind wir will kommen?« »Nein!« »Möchtest du, daß wir zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen?« »Schert euch weg. Ich habe andere Dinge zu tun, als mich mit euch zu unterhalten. Wie kommt ihr überhaupt auf die unver
12 schämte Idee, ohne Anmeldung bis zu mei nem Heim vorzudringen?« »Wir sind auf dem Weg zu Estrala«, er klärte Koratzo mit wohlberechnetem Gleich mut. »Ich dachte, du legtest vielleicht Wert darauf, uns zu begleiten.« Estrala bemühte sich schon seit langem, den Stimmenmagier zu ihrem Gefährten zu machen, und Antharia, die Koratzo abgöt tisch verehrte, haßte nichts mehr als die Vor stellung, Estralas Wünsche könnten sich er füllen. Nie und nimmer hätte sie daher unter normalen Umständen darauf verzichtet, den Stimmenmagier bei dem angeblich geplan ten Besuch zu begleiten. »Estrala!« rief Antharia statt dessen voller Hohn. »Was geht mich Estrala an? Geh zu ihr, Stimmenmagier, und du wirst sehen, wie deine Macht und deine Kraft Tag um Tag geringer werden. Dann ist der Tag nicht mehr fern, an dem ich dich besiegen werde. Schon seit langem ist mir das Getue um dei ne Magie zuwider! Stimmen! Was ist das schon? Ich dagegen beherrsche alles pflanz liche Leben, das es in Pthor und anderen Welten gibt. Willst du wissen, was ge schieht, wenn du mit deiner Stimmenmagie gegen mich ankämpfen mußt?« »Koratzo!« rief Copasallior erschrocken. »Zurück!« Der Boden um den Wohnbaum war mit dichtem Gras bewachsen. Koratzo hatte nie zuvor bemerkt, daß sich in diesem Teppich Schlinggewächse verbargen. Ohne jede Vor warnung schlangen sie sich blitzschnell um seine Knöchel, dann um die Knie, schnellten sich bis zu seinen Hüften hinauf. Sie beweg ten sich flink und geschmeidig wie Schlan gen. Oft genug hatte Koratzo beobachten können, wie Antharias Magie wirkte, denn die Pflanzenmagierin hatte ihm in zahllosen Auseinandersetzungen treu zur Seite gestan den. Nie hätte er sich träumen lassen, daß sie eines Tages ihre Künste gegen ihn verwen den könnte. Es war also nur der Schock, der ihn lähmte. Koratzo war weit mächtiger als die kleine Pflanzenmagierin, und mit einem einzigen Laut hätte er sie töten können, auch
Marianne Sydow wenn sie sich mit den stärksten Sperren um gab, die sie zu schaffen vermochte. Statt dessen hob er behutsam die Hände und ver suchte, die Pflanzen wegzubiegen, ohne sie dabei zu verletzen. »Narr!« schrie Antharia schrill, und ihre Augen leuchteten unheimlich. »Zeigt es ihm, meine kleinen Lieblinge. Bringt ihn um!« »Das reicht!« sagte Copasallior eisig. Ehe Koratzo noch ein Wort sagen konnte, spürte er die Kraft, die an seinem Körper zu ziehen begann. Instinktiv sperrte er sich gegen Co pasalliors Zugriff, aber als die Schlingpflan zen an ihm hochschnellten und zwei finger dicke Ranken sich um den Hals des Stim menmagiers legten, begriff er, daß Antharia es ernst meinte. Aber es war müßig, sich in diesem Augenblick über die kleine, katzen hafte Magierin den Kopf zu zerbrechen. Er mußte etwas unternehmen. Aber er konnte in diesem Augenblick nichts weiter tun, als die Laute der Vernichtung auf Antharia zu richten – oder sich dem Weltenmagier anzu vertrauen. Koratzo ließ seine Sperren fallen und stand einen Herzschlag später neben Copa sallior. »Er wird nicht immer bei dir sein«, zisch te Antharia wütend. »Eines Tages werde ich dich erwischen, wenn du alleine bist, und dann werden wir sehen, wer der Stärkere ist. Und jetzt geht, oder es wird ungemütlich für euch!« Wie ein schwarzer Blitz raste sie am Stamm des Wohnbaums empor. Die Zweige, die die Wand des tiefsten Raumes bildeten, glitten so schnell auseinander, daß ein Teil der Blätter abgerissen wurde. Trotzdem war der Baum ein wenig zu langsam, und Antha ria streifte die Zweige des Baumes. Wütend schlug sie im vollen Lauf gegen einen dün nen Ast. Binnen Sekunden wurden dessen Blätter braun, dann stürzte der Ast herab, ein totes, schwarzbraunes Gebilde. »Sie hat ihn immer liebevoll behandelt«, sagte Koratzo leise. Er deutete auf den Baum. »Nie hat er ein böses Wort von ihr
Der Schwarzschock gehört!« Copasallior nickte nur, nahm Koratzo beim Arm und zog ihn von dem Wohnbaum weg, der magischen Straße entgegen. »Wenn wir auf diese Weise weitersu chen«, sagte er, »dann brauchen wir Tage dazu. Wir sollten uns überlegen, wer uns in dieser Situation von Nutzen sein könnte.« »Da wüßte ich viele«, murmelte Koratzo. »Opkul mit seinem Fernblick, Kolviss, der die Träume beherrscht und mit seinen magi schen Bildern eine andere Wirklichkeit zu erzeugen vermag. Auf Querllo hatte ich große Hoffnungen gesetzt, denn die heilen den Kräfte, die er in sich trägt, hätten viel leicht auch den Schwarzschock besiegen können.« »Es ist nicht gesagt, daß das nicht auch jetzt noch der Fall ist!« meinte Copasallior bedächtig. »Aber Querllo muß diese Kräfte bewußt und mit freiem Willen einsetzen wollen. Wir werden ihn kaum zu einem sol chen Versuch überreden können. An einen hast du nicht gedacht, Koratzo. Was ist mit Glyndiszorn? Wenn er dem Schwarzschock erlegen ist …« Sie sahen sich schweigend an. Glyndiszorn hielt den Großen Knoten um die Barriere aufrecht. Und niemand wußte, wie der Schwarzschock sich auf die Präzisi on, mit der ein Magier arbeitete, auszuwir ken vermochte. Eines war sicher: War auch Glyndiszorn zur negativen Magie umge schwenkt, dann würde er den Schirm späte stens in einigen Tagen auflösen. »Es sind die alten Symptome«, stellte Co pasallior nüchtern fest. »Sie leiden an Selbstüberschätzung, Größenwahn und der Zwangsvorstellung, daß jeder andere ihr Feind ist. Sie sind zu wirklich negativen Ma giern geworden, und sie stecken bis oben hin voll Neid und Prahlsucht. Glyndiszorn litt seit eh und je unter der Tatsache, daß seine Magie sich den Sterblichen nicht in ihrer ganzen Kraft und Schönheit präsentieren läßt. Er hat es aufgegeben, großartige De monstrationen zu versuchen, aber wer weiß – vielleicht kommt er jetzt auf den Ge
13 schmack.« »Er weiß«, setzte Koratzo die Überlegun gen des Weltenmagiers fort, »daß wir ihn und seine Magie achten. Aber nachdem of fenbar die meisten Magier zur negativen Ge sinnung umgekehrt sind, wird er woanders nach Bestätigung suchen. Er wird den Schirm erlöschen lassen, den Großen Kno ten entflechten. Solange er dies mit der ge botenen Vorsicht tut, droht uns lediglich ei ne Invasion durch die Scuddamoren.« Copasallior warf dem Stimmenmagier einen spöttischen Blick zu, und Koratzo zuckte die Schultern. »Ich weiß, wie schlimm das wäre«, sagte er bedrückt. »Sie kämen in die Barriere als Eroberer, und dementsprechend würden sie sich benehmen. Ihre Chancen, jemals lebend in die FESTUNG zurückzukehren, sind denkbar gering, wenigstens für die, die zu den ersten Kommandos gehören. Sie werden unseren Freunden so sehr auf die Nerven ge hen, daß selbst Leute wie Querllo auf uralte Waffen zurückgreifen werden. Und was dann geschieht … Aber das ist immer noch harmlos gegen die Folgen, die ein zu schnel les oder zu langsames Entflechten des Kno tens hätte. Wenn Glyndiszorn auch nur den kleinsten Fehler begeht, kann ganz Pthor un tergehen.« »Du sagst es«, murmelte Copasallior und sah zum Himmel auf. Direkt über der TronxKette tauchte ein perlweißer Lichtfleck auf, der sich langsam ausdehnte und dabei an Leuchtkraft verlor, um nach einigen Sekun den in Myriaden von saphirblauen Funken zu zerspringen. »Komm!« flüsterte Copasallior. »Wir ge hen zum Gnorden.«
3. Die Höhle lag noch im Bannkreis der Tronx-Kette, ohne jedoch von irgendeinem Magier beansprucht zu werden. Als sie sich darin einrichteten, taten sie es in dem Be wußtsein, daß sie hier unter Koratzos Schutz, sicher aufgehoben waren und alle
14 Freiheiten genossen. Es waren drei sehr verschiedene Wesen, die die Höhle bewohnten. Der größte – nicht nur in körperlicher Hinsicht – war Kolphyr, der Forscher aus dem Volk der Bera, der ei nem aus Antimaterie bestehenden Univer sum entstammte und daher nicht imstande gewesen wäre, im Lande Pthor zu existieren, hätte er nicht den Velst-Schleier getragen. Der zweite hieß Koy und trug den Beinamen »Trommler«. Der Abstammung nach war er ein Dello, denn seine Eltern Kergho und Dagrissa hatten zu dem Heer jener Wesen gehört, die von den Kelotten in der Stadt Aghmonth im Auftrag der FESTUNG her gestellt wurden. Da aber Androiden dieser Art normalerweise keinen Nachwuchs hatten und daher auch niemand zu sagen wußte, wie ein von einem Dello gezeugtes und ei nem weiblichen Dello geborenes Kind sich entwickelte, wußte Koy im Grunde selbst nicht, was er eigentlich darstellte. Der dritte Höhlenbewohner schließlich war Fenrir, der Wolf, ein mächtiges Tier, das so klug und verständig war, daß man ihm unwillkürlich ein gerüttelt Maß an Intelligenz zutraute. Eben dieser Fenrir aber benahm sich im Augenblick gerade so, als hätte er den Ver stand verloren. Draußen graute gerade der Morgen, als Kolphyr vom mordlüsternen Knurren und Heulen des Wolfes geweckt wurde, und als seine Augen sich an das spär liche Licht gewöhnt hatten, sah er den Wolf. Fenrir hatte Koy, der gerade von der Jagd heimkehrte, angefallen und zu Boden ge worfen. Der Trommler wagte es nicht, seine Broins einzusetzen, denn er kannte den Wert des Wolfes zu genau. Die Broins, die dem Androidenabkömmling wie Fühler auf der Stirn saßen, waren eine tödliche Waffe, ge gen die es keine Abwehrmöglichkeit gab, schon gar nicht für den Wolf, der sich einzig auf Zähne und Krallen verließ. Normaler weise gingen Fenrir und Koy sich aus dem Wege, und daß der Trommler noch am Le ben war, lag wohl nur daran, daß Fenrir vor dem zerstörerischen Dröhnen der Broins ge waltigen Respekt hatte.
Marianne Sydow »Zurück, Fenrir!« befahl Kolphyr mit sei ner viel zu hohen Stimme. Der Wolf rührte sich nicht. »Er ist toll geworden«, würgte Koy her vor. Sofort senkten Fenrirs gewaltige Fänge sich auf den kurzen Hals des Trommlers herab. Es war ein schreckliches Bild, denn Fenrirs riesiges Gebiß umfaßte den Hals des kleinen Jägers so gründlich, daß der Wolf Gurgel und Genick zu gleicher Zeit hätte zerbeißen können. »Was ist mit dir?« fragte Kolphyr ent setzt. »Fenrir, das ist doch nur Koy. Warum greifst du ihn an? Laß ihn in Ruhe. Komm her, ich streichle dich!« Damit berührte er Fenrirs einzigen wun den Punkt. Der Wolf liebte es mitunter, sich stundenlang streicheln und kraulen zu las sen, und der Bera hatte andererseits ein schier unstillbares Bedürfnis, sich anderen Lebewesen gegenüber zärtlich zu zeigen. Seit sie sich bei den Magiern von Oth auf hielten, hatte sich zwischen Fenrir und Kol phyr ein Zweckbündnis entwickelt. Aber diesmal war der Wolf nicht dazu aufgelegt, sich mit dem Bera zu befassen. Statt dessen hob er kurz den Kopf, zog die Lefzen zurück und stieß ein Knurren aus. Dieses Knurren drang tief aus der mächtigen Brust des grau en Räubers und war unmißverständlich ernst gemeint. »Er ist tatsächlich toll«, sagte der Bera zu sich selbst. »Etwas hat ihm den Verstand ge raubt. Ich kann ihn nicht dazu überreden, daß er Koy in Ruhe läßt. Aber wenn ich nichts unternehme, und der Wolf verliert die Nerven, wird Koy mit seiner schrecklichen Trommelei beginnen. Also …« Kolphyr nahm die Waffe, die hinter dem Rand seines Lagers den Blicken des Grauen entzogen war, hob den Lauf und drückte ab, ohne sich lange mit dem Zielen aufzuhalten. »Das war knapp«, keuchte Koy, als Kol phyr endlich den schweren Wolf vom Kör per des kleinen Jägers heruntergehievt hatte. »Was hast du mit ihm gemacht?« fragte Kolphyr grob, denn es schmerzte ihn, daß er
Der Schwarzschock den Wolf hatte betäuben müssen. »Nichts, ich schwöre es«, beteuerte der Trommler ratlos. »Die ganze Nacht hindurch habe ich in der Schlucht gejagt. Als ich zur Höhle zurückkehrte, stürzte Fenrir sich auf mich, riß mir die Beute weg und fiel mich an. Das ist alles!« Der Dimensionsforscher starrte ratlos den Wolf an, der mit brettsteifen Muskeln, die Läufe von sich gestreckt, auf dem felsigen Boden der Höhle lag. »Das paßt nicht zu Fenrir!« sagte er schließlich. »Es muß etwas geschehen sein. Denke noch einmal darüber nach, Koy, viel leicht fällt dir dann etwas ein.« Aber so lange sich auch der Trommler das Gehirn zermarterte – er kam nicht auf die Lösung des Rätsels. Dafür fiel ihm etwas an deres ein. »Der gerade Weg von der Schlucht herauf ist versperrt«, berichtete er. »Versperrt?« wiederholte Kolphyr über rascht. »Womit?« »Ich weiß es nicht. Es fühlt sich an wie weiches Glas. Ich nehme an, daß es sich um eine magische Sperre handelt.« »Ich bin diesen Weg gestern noch gegan gen!« »Die Sperre kann erst in dieser Nacht ent standen sein«, stimmte Koy zu. »Als ich vorhin zur Schlucht ging, war der Weg noch frei.« »Nun«, sagte Kolphyr. »Dann dürfte der Zusammenhang klar sein. Einer von den Magiern, die es in der Umgebung gibt, hat eine neue Grenze gezogen, und Fenrir ist hineingelaufen. Nun ist er plötzlich unfähig, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Von den Magiern, die in Betracht kommen, ist uns der Luftmagier Haswahu am nächsten. Ich werde hingehen und mir den Burschen vornehmen. Er muß Fenrir von diesem Bann befreien.« Bevor Koy etwas tun oder sagen konnte, was den Forscher zurückgehalten hätte, war Kolphyr bereits aus der Höhle hinaus. Draußen blieb der Bera stehen. Trotz des Velst-Schleiers spürte er, daß etwas in der
15 Luft lag, eine fast greifbare Spannung, und er sah sich unruhig nach allen Seiten um. Aber es war still und friedlich an diesem Hang, an dessen Ende die Schlucht der glä sernen Felsen begann. Es war mittlerweile hell genug, um Kolphyr den Zwillingsgipfel des Skatha-Hir erkennen zu lassen. Hoch oben, scheinbar direkt unter der inneren Wand des Großen Knotens, kreiste ein gi gantischer Raubvogel. Kolphyr senkte den Blick, konzentrierte sich auf den steinigen Pfad, dessen magische Vorteile er nicht zu nutzen vermochte, und marschierte den Hang hinauf. Um zum Heim des Luftmagiers zu gelangen, brauchte er ungefähr eine Stunde, denn er mußte noch eine Geröllhalde überqueren und über eine schmale, schwankende Brücke gehen, die sich einem Spinnwebfaden gleich über eine Schlucht spannte. Kolphyr wußte das und rechnete sich aus, daß er – wenn er mit Has wahu vernünftig reden konnte – zurück war, ehe Fenrir aus der Betäubung erwachte. Er mußte dafür sorgen, daß der Luftmagier bei der Sache blieb und keine abschweifenden Geschichten erzählte, denn wenn Fenrir zu sich kam, würde er sich vermutlich erneut auf den Trommler stürzen. Koy war ein ge waltiger Jäger, tollkühn und verwegen, wenn es galt, ein Wild zu stellen. Aber vor dem Wolf fürchtete er sich ein wenig. Er würde kurzen Prozeß machen, sobald ihm bewußt wurde, daß der Bera noch nicht in den ungleichen Kampf einzugreifen ver mochte. So stapfte der Bera den Hang hin auf. Er war mit seinen Gedanken so beschäf tigt, daß er den Vogel erst bemerkte, als das Tier ihn bereits mit den Schwingen streifte. Abrupt blieb Kolphyr stehen. »Geh weg«, sagte er zu dem Vogel. »Such dir ein anderes Opfer. Du kannst mich ja doch nicht fressen.« Das Tier warf sich geschickt in der Luft herum, legte die Flügel an und wäre genau gegen Kolphyrs Kopf geprallt, hätte der Be ra sich nicht im letzten Augenblick gebückt. Kolphyr wartete, bis der Vogel neben einem purpurfarbenen Felsen die nächste Wendung
16 vollführte, dann trat er blitzschnell zur Seite. Diesmal schoß der Vogel an ihm vorbei. »Da siehst du es!« rief er Bera dem Tier zu. »Du bist mir unterlegen. Gib es auf!« Der Vogel dachte nicht daran, Kolphyrs Rat zu befolgen. Er ließ sich über die rechte Schwinge abkippen, beschrieb in geradezu wahnsinnigem Tempo eine enge Kurve und kam schon wieder auf Kolphyr zu. Der Bera war das friedfertigste Geschöpf, das man sich denken konnte, aber in diesem Augenblick rastete etwas in ihm aus. Plötz lich dachte er gar nicht mehr daran, auszu weichen, oder gar zu versuchen, diesen le bensmüden Vogel zur Vernunft zu bringen. Der Vogel ahnte nichts von der Überra schung, die ihn erwartete. Er jagte wie ein Geschoß auf den Bera zu, breitete einige Meter vor dem vermeintlich sicheren Opfer die Schwingen aus, um den rasenden Flug zu bremsen, streckte gleichzeitig die Klauen vor und öffnete den Schnabel zu einem hei seren Schrei – und im nächsten Augenblick lag das Tier als blutendes, zuckendes Bündel auf dem steinigen Pfad. Kolphyr starrte sekundenlang in den Him mel hinauf, als warte er auf weitere Angriffe dieser Art. Dann erst wurde ihm bewußt, daß der Vogel noch am Leben war und er bärmlich schrie. Er bückte sich und tötete das Tier mit einem schnellen Schlag, den er mit der bloßen Hand führte. In derselben Sekunde, in der der Vogel starb, begriff Kolphyr, daß etwas faul im Lande Pthor war. Er hatte getötet. Er, der Dimensionsfor scher! Erschüttert setzte er sich auf einen Stein. Schon früher, als er gemeinsam mit Atlan gegen die FESTUNG marschierte und in den Unternehmungen, die dem Sieg über die Herren folgten, hatte der Bera Leben ver nichtet, aber es hatte sich stets um Notwehr gehandelt. Niemals hatte er sich von einem Zorn dazu hinreißen lassen, einer Kreatur ein derart schreckliches Ende zu bereiten, wie es in diesem Fall geschehen war. Er zwang sich, den Vogel anzusehen.
Marianne Sydow Warum hatte er dieses Tier getötet? Was war da in ihn gefahren? Und – was mindestens genauso unerklär lich war – was hatte dieses Tier dazu be wegt, sich ausgerechnet an dem knapp zwei einhalb Meter großen Bera zu vergreifen? Es war zwar ein sehr großer Vogel, mit einer Spannweite um die zwölf Meter, aber dieses Tier war dennoch nicht imstande, mit einer so gewichtigen Beute fertig zu werden. Indem er grübelte und einen höchst uner freulichen Verdacht entwickelte, blickte er über die Hänge hinweg, die die Grenze der Tronx-Kette bildeten und allesamt abrupt an der Schlucht der gläsernen Felsen endeten. Und dabei entdeckte er abermals Vögel. Es waren mehrere, und sie kreisten unent wegt über einem bestimmten Punkt des Ge ländes. Kolphyr lebte mittlerweile lange ge nug im Lande Pthor, um dieses Zeichen deu ten zu können. Er fühlte sich schuldig, weil er den Vogel getötet hatte, der ihn gar nicht hätte verletzen können. Und er dachte daran, daß irgendwo dort drüben ein Wesen liegen mochte, das seiner Hilfe bedurfte. Kurz entschlossen trug er den Vogel vom Weg weg und bedeckte das tote Tier mit ei nem großen, flachen Stein. Dann wandte er sich nach Westen, marschierte mit großem Tempo über alle Unebenheiten hinweg und erreichte schließlich ein kleines, freundlich grünes Tal. Ein Bach plätscherte mitten hin durch, und die Talsohle war mit weichem Gras und bunten Blumen bewachsen. Aber all das sah Kolphyr nicht. Er starrte wie be täubt auf den fremdartigen, reglos daliegen den Körper in der oberen Hälfte des Tales. Nie zuvor hatte er etwas gesehen, was sich mit diesem Wesen vergleichen ließ. Da lag ein Kopf, an dem ein Wurzelgeflecht hing, und dieses Geflecht war von bleicher, blaurosa Farbe, einer Tönung, die auch Kol phyr als widerwärtig empfand. Noch ehe er nach oben sah, um die Vögel zu beobachten, wußte er instinktiv, daß die Tiere wegen die ses Körpers hier waren. War es ein Magier, der einem Unfall zum Opfer gefallen war? Oder ein Opfer der Ver
Der Schwarzschock bundmagierin Srika, das wie durch ein Wun der die lange Zeit seit dem Krieg am SkathaHir überlebt hatte? Kolphyr dachte an den Vogel, den er ge tötet hatte. Noch immer war der Wunsch nach Sühne in ihm. Trotzdem mußte er sich zu jedem Schritt überwinden, als er hinab stieg, um diesen Fremden zu untersuchen. Mit seinen sechsfingrigen Händen tastete er den Fremden ab. Wenn er sich darauf be schränkte, das Wesen anzusehen, konnte er sich der Überzeugung hingeben, daß es tot sei. Aber sobald er es berührte, spürte er die schwache Kraft des Lebens in diesem Kör per, der seine Form nur einem gräßlichen Unfall oder ähnlichen Umständen zu ver danken haben konnte. Niemals würde die Natur es zulassen, daß ein solches Wesen überlebte. Es ging nicht nur um die Form des Körpers. Es ging um das, was tief drin nen saß und trotz des todesnahen Zustands dieses Fremden auch für den Bera deutlich fühlbar war: Diese Kreatur war abgrundtief böse. Benommen zog Kolphyr sich schließlich zurück. Er setzte sich ins Gras, starrte ab wechselnd die kreisenden Vögel und das fremde Etwas an und zerbrach sich den Kopf darüber, was er nun tun sollte. Er spür te in sich einen starken Ekel vor diesem We sen, und das verstand er nicht. Er legte sonst überhaupt keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Schließlich war er selbst nach den in Pthor allgemein geltenden Regeln keine Schön heit. Zuerst hatte er den Vogel getötet. Und jetzt war er drauf und dran, einem hilflosen Fremden jede Hilfe zu versagen, nur weil ir gendwelche vagen Gefühle ihn befielen. Gab es da einen Zusammenhang? Schließlich stand er auf und lud sich den seltsam leichten Körper auf die Schultern. Auf dem ganzen Weg zurück zu der Höhle, in der Koy auf ihn wartete, kämpfte er im mer wieder gegen den Wunsch an, seine Last abzuwerfen und davonzugehen. Und immer, wenn es soweit war, blickte er zum Himmel hinauf und sah die Vögel, die un
17 ablässig über ihm kreisten. Das Verhalten der Aasfresser gab den Ausschlag. Daß Kolphyr den Neffen Chirm or Flog schließlich tatsächlich in Sicherheit brachte, war weniger seiner Hilfsbereitschaft als vielmehr seinem Trotz den allzu siegessi cheren Vögeln gegenüber zuzuschreiben. Als er endlich die Höhle erreichte, war Fenrir längst erwacht. Und natürlich hatte der Graue es nicht lassen können, sofort dem Trommler an die Kehle zu fahren. Ebenso selbstverständlich hatte Koy zu »trommeln« begonnen, woraufhin Fenrir den Schwanz einzog und sich in den hintersten Winkel der Höhle flüchtete. Koy floh in die entgegenge setzte Ecke, und so fand der Bera sie, beide im höchsten Maße zornig und ängstlich zu gleich. Als sie die seltsame Last auf den Schultern des Dimensionsforschers sahen, vergaßen sie für einen Augenblick ihre Feindschaft gegeneinander. Fenrir trabte herbei, streckte witternd den Kopf vor und raste im nächsten Augenblick jaulend in sei ne Ecke zurück. Koy dagegen schien nichts als Verwunderung zu empfinden. »Was ist das?« fragte er. »Ich weiß es nicht«, entgegnete Kolphyr und bettete den Fremden auf ein Bündel Fel le, ohne sich um Koys mißbilligende Blicke zu kümmern. »Ich habe ihn draußen gefun den. Er braucht Hilfe. Ich werde versuchen, selbst etwas für ihn zu tun oder die Magier zu benachrichtigen.« Koy zuckte die breiten Schultern, zerrte ein Fell unter dem häßlichen Körper hervor und hängte es demonstrativ über den Haken, der ihm als Garderobenständer diente. »Helfen«, murmelte er. »Dem da? Aber wie denn?« »Du weißt, daß ich einiges hierherge schafft habe«, murmelte Kolphyr und deute te vage in den Hintergrund der Höhle. Koy verzog das faltenreiche Gesicht. Ta ge und Tage waren sie in verlassenen magi schen Revieren herumgezogen und hatten nach Geräten gesucht, von denen Kolphyr glaubte, daß er sie brauchen könnte. Der Be ra hoffte, etwas zusammensetzen zu können,
18 was als Waffe gegen die Scuddamoren taug te. Koy war überzeugt davon, daß Kolphyr in Wirklichkeit nur seine Langeweile betäu ben wollte. Sie hätten es sich wesentlich leichter ma chen können. Koratzo hatte ihnen angebo ten, daß sie bei ihm wohnen und seine Gäste sein könnten, aber sie hatten abgelehnt. Sie wollten frei und unabhängig sein. Verbin dungen zu den Magiern zu unterhalten war nicht schwer, und sie nutzten diese Chance und achteten darauf, daß sie stets über die letzten Ereignisse in Pthor informiert waren. Nur von der Ankunft Chirmor Flogs hatten sie noch keine Kenntnis. »Ich werde ein Lebensgerät für ihn bau en«, kündigte Kolphyr an. Koy lächelte mitleidig. »Du?« fragte er ungläubig. »Ein Überle bensgerät für diese fremde Kreatur?« »Hast du etwas dagegen einzuwenden?« fragte Kolphyr zurück, und ein häßlicher Unterton schwang in seiner hellen Stimme mit. Koy erschrak und wich einen Schritt zu rück. »Du wirst es schon schaffen«, murmelte er. Der Bera starrte ihn minutenlang drohend an. Aber da der Trommler sich zu keiner weiteren Bemerkung hinreißen ließ, stand er schließlich auf und verschwand zwischen all dem Gerümpel, das er aufgehäuft hatte. Gleich darauf kam er zurück. »Es tut mir leid«, sagte er zerknirscht. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich bin reizbar und ungeduldig. Ich wollte dich nicht kränken.« Koy sah ihn an und lachte plötzlich laut auf. »Beruhige dich«, murmelte er. »Mir ging es genauso.« Er stockte und fuhr dann fort: »Etwas ist mit diesem Land geschehen, Kolphyr. Und ich habe das sehr bestimmte Gefühl, daß alles mit diesem Fremden zu sammenhängt. Ich wäre heilfroh, wenn ich ihn am entgegengesetzten Ende von Pthor
Marianne Sydow wüßte.«
4. Die ORSAPAYA stand regungslos über dem schwarzen See unterhalb der Gipfelre gion des Gnorden. In den Trossen, die das Luftschiff hielten, sang der Wind. Die ge borstenen Kristallsäulen lagen noch immer am Ufer – obwohl seit dem Kampf mit den Seelenlosen viel Zeit verstrichen war, hatte Glyndiszorn noch nicht für Ersatz sorgen müsse. Kaum ein Magier war seither so stark beschäftigt gewesen wie er. Um das Luftschiff herum flimmerte die Luft, und Glyndiszorns Wahrzeichen, die endlose Schleife, die seine Magie symboli sierte, war nur verschwommen zu erkennen. Das war ein gutes Zeichen. Um den Großen Knoten halten und kontrollieren zu können, hatte Glyndiszorn ein ungeheuer starkes magisches Kraftzentrum aufbauen müssen. Es war so mächtig, daß es sich nicht auf den Raum in der zehn Meter langen Gondel konzentrieren ließ. Teile von ihm drangen nach außen und führten zu abson derlichen optischen Erscheinungen. Die Transportröhre schwirrte leise, als Glyndiszorn aus der Gondel herabkam. Er trat ins Freie und starrte Copasallior und den Stimmenmagier mißtrauisch an. »Was wollt ihr?« fragte er mit einer schrillen, unangenehm klingenden Fistel stimme. Seine Haut war blutrot, und sein strähniges, schwarzes Haar klebte ihm am Schädel. Glyndiszorn hatte infolge der vie len Arbeit abgenommen, aber er wirkte noch immer ungeheuer dick. Glyndiszorn war de mentsprechend empfindlich gegenüber Äu ßerungen, die sich auf sein Aussehen bezo gen. »Du hast deine Grenzen noch nicht neu gesteckt, Knotenmagier«, sagte Copasallior mit steinerner Miene. Glyndiszorn stutzte. Unsicher blickte er von einem zum anderen. »Seid ihr nicht mehr bei Sinnen?« erkundig te er sich. »Ich dachte schon daran, diese al bernen Markierungen zu entfernen – es hält
Der Schwarzschock sich ja in der letzten Zeit sowieso niemand mehr daran!« Copasallior fühlte sich so er leichtert, daß ihm die Knie weich wurden. Er ließ sich auf das Bruchstück einer Säule sinken. »Hast du gar nichts gemerkt?« fragte er heiser. »Ich habe keine Zeit, eure Rate spiele mitzumachen«, grollte Glyndiszorn und wandte sich zum Gehen. »Warte!« bat Copasallior hastig. »Wir werden es dir er klären.« Während sie abwechselnd berichte ten, was geschehen war, blickte Glyndiszorn immer häufiger unruhig zu der hinter flim mernden Schlieren verschwimmenden ORS APAYA hinauf. »Schwarzschock!« sagte er schließlich. »Das ist nicht mehr als ein Name. Was kann man dagegen tun?« »Wir wissen es nicht«, antwortete Copa sallior leise. »Aber eines steht fest: Du wirst Besuch bekommen, schon bald. Sie werden nach draußen wollen. Hier in der Barriere können sie niemals die Erfolge erzielen, die sie sich in ihrem jetzigen Zustand erhoffen.« »Wenn sie kommen, werde ich sie hinaus lassen«, rief Glyndiszorn ungeduldig. »Das ist auf jeden Fall das kleinere Übel. Sollen sie doch hingehen und die Sterblichen er schrecken! Die Pthorer sind an einiges ge wöhnt.« »Es geht nicht um die Pthorer«, wandte Koratzo ein. »Zur Zeit hält sich kein einzi ger Magier außerhalb des Knotens auf. So bald sich die ersten draußen blicken lassen, werden Atzbäll und seine Leute wissen, daß der Schirm Löcher bekommen hat. Von da an werden sie uns keine ruhige Minute mehr gönnen.« »Na und?« fragte Glyndiszorn herausfor dernd. »Sollen sie doch angreifen. Unsere Barriere ist unter meinem Großen Knoten si cher aufgehoben.« »Glaubst du das wirklich?« fragte der Stimmenmagier sanft. »Um unsere beein flußten Freunde ein und auszulassen, wirst du Tunnel schaffen müssen, nicht nur einen, sondern mehrere. Und jeder Tunnel bietet den Scuddamoren einen Angriffspunkt. Und weißt du, was sie noch tun werden? Sie wer
19 den jeden Magier, den sie außerhalb der Barriere erwischen, gefangennehmen. Und dann werden sie uns erpressen. Sobald sie mehr als fünfzig von uns in ihrer Gewalt ha ben, müssen wir auf jede ihrer Bedingungen eingehen. Du weißt warum. Wir sind nur noch etwas über zweihundert Magier. Für vierhundertfünfzig sind diese Berge be stimmt. Die Speicher am Skatha-Hir können nicht alles ausgleichen. Wir sind verletzli cher als je zuvor.« Glyndiszorn schwieg lange Zeit. »Gut«, sagte er schließlich. »Wir werden also dafür sorgen müssen, daß diese Narren in der Barriere bleiben. Das wird ihnen gar nicht gefallen. Sie werden versuchen, den Schirm mit Gewalt aufzubrechen.« »Wie können sie dieses Ziel am leichte sten erreichen?« fragte Copasallior. Glyndiszorn lachte schrill. »Indem sie die Trossen durchtrennen!« rief er. »Die ORSAPAYA würde sofort ab treiben und den Knoten hinter sich her schleppen. Er ist mit bestimmten Erz und Gesteinsadern verbunden – es gäbe hinterher keine Barriere von Oth mehr. Das ganze Ge biet würde zerbrechen.« »Und danach?« fragte Koratzo beklom men. »Es käme darauf an, aus welcher Rich tung der Wind weht. Meistens geht er von der Barriere aus nach Norden. Das heißt, daß auch die ORSAPAYA diesen Weg neh men würde. Einige der Adern, an denen der Große Knoten hängt, reichen bis zur ehema ligen Eisküste hinauf, andere bis tief in die alten Anlagen hinein. Unter ungünstigen Umständen bedeutet eine Loslösung der ORSAPAYA unweigerlich das Ende von Pthor!« Minutenlang blieb es still. »Soll ich sie nicht besser doch hinauslas sen?« fragte Glyndiszorn, und plötzlich klang seine Stimme gar nicht mehr so schrill. »Nein«, antwortete Copasallior hart. »Jedenfalls nicht von vornherein. Wir drei sind offenbar immun gegen den Schwarz
20 schock. Wir werden andere finden, die ihm ebenfalls widerstanden haben. Und jeder einzelne von uns wird keine wichtigere Auf gabe kennen, als dein Luftschiff zu schüt zen. Wenn die Situation allerdings hoff nungslos ist, und wenn wir alle nicht mehr imstande sind, die anderen abzuwehren, dann wirst du den Knoten entflechten.« »Bis jetzt sind wir drei gegen mehr als zweihundert«, stellte Glyndiszorn nüchtern fest. Copasallior lächelte. »Du vergißt etwas«, sagte er sanft. »Unsere Freunde richten sich jetzt nach den Gesetzen der negativen Magie. Jarsynthia, Wortz und die anderen hätten uns mühelos ausschalten können, wären sie bereit gewe sen, auch nur einmal ihre individuellen Sperren aufzugeben und miteinander zu ar beiten. Sie haben es nicht getan, und auch unsere heutigen Gegner werden gar nicht erst auf den Gedanken kommen. Wir drei, Glyndiszorn, sind die mächtigsten und stärk sten Magier von Oth. Wenn wir unsere Kräf te vereinen, dann können wir hundert Ma gier von Breckonzorpfs oder Parlzassels Art zurückschlagen.« »Nanntest du meinen Namen?« Sie fuhren herum. Parlzassel, der auf einer großen, graugelben Katze ritt, war kaum noch fünf Meter von ihnen entfernt. »Wieder einer, der es nicht für nötig hält, sich anzumelden, ehe er den Schattenkreis der ORSAPAYA betritt!« keifte Glyndis zorn ärgerlich. Parlzassel stieg von der Raubkatze und rückte sich den Gürtel zurecht. Die Katze schmiegte sich an ihn, betrachtete den Kno tenmagier und fauchte vernehmlich, als sie begriff, daß dessen Zorn ihrem Herrn galt. »Ruhig, mein Kleines!« mahnte der Tier magier und legte beruhigend seine gewaltige Hand auf den Kopf der Katze. »Ich habe mich angemeldet«, wandte Par lzassel sich dann an Glyndiszorn. »Nicht bei dir, aber bei anderen. Breckonzorpf zum Beispiel schmetterte mir ein Dutzend Blitze quer über den Weg und erschreckte dieses
Marianne Sydow Tier so sehr, daß es beinahe den Verstand verloren hätte. Seitdem ziehe ich es vor, mich zuerst auf eigene Faust umzusehen. Mir scheint, du bist normal geblieben.« »Womit hattest du denn gerechnet? Meine Magie ist stärker als deine. Ich bin nicht so leicht zu beeinflussen.« Parlzassel kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schräg und musterte Glyndis zorn schweigend. »Du bist ein witziger Bursche, Glyndis zorn«, behauptete er. »Glaubst du wirklich, daß es jetzt auf solche Kleinigkeiten an kommt? Gut, du beherrschst eine Magie, von der die wenigsten etwas verstehen, und im Vergleich zu deinen Werken mag meine Kunst gering erscheinen. Ich könnte dich jetzt zu einem Wettstreit herausfordern, aber ich denke, es ist besser, wenn wir statt des sen überlegen, was wir für die ORSAPAYA tun können. Mir scheint, es sind schon eini ge Narren unterwegs, die keinen sehnliche ren Wunsch kennen, als sich von dir durch den Schirm schaffen zu lassen.« »Du pochst also nicht auf einen Kampf?« fragte Glyndiszorn ungerührt. »Merke dir eines, Knotenmagier!« grollte Parlzassel. »Wenn ich etwas sage, dann mei ne ich das meistens auch.« »Schon gut«, murmelte Glyndiszorn und verzog sein feistes Gesicht zu einem Lä cheln. »Ich denke, wir können dir trauen.« Koratzo sah den Knotenmagier überrascht an. Glyndiszorn zuckte verlegen die Schul tern. »Ich verlasse mich nun einmal lieber auf meine eigenen Methoden«, brummte er. »Den Wettermagier hat es also erwischt? Ich frage mich, wie es bei den anderen Mächti gen aussieht.« Er brauchte nicht zu erklären wie er das meinte. Die Magier wußten ohnehin, wovon er sprach, und Parlzassel verzog das Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. Einst hatte es unter den Magiern eine ge nau festgelegte Rangfolge gegeben, nach der man sich in allen Belangen richtete. Mit dem Untergang der negativen Magier hatten sich
Der Schwarzschock die Sitten gelockert – zum Beispiel trug Par lzassel zur Zeit keine Maske. Früher hätte er sich niemals mit unbedecktem Gesicht aus seinem Revier entfernt. Aber noch immer wußte jeder einzelne, welchen Platz er in der Rangfolge einnahm. Glyndiszorn stand knapp unter dem Weltenmagier, der als der mächtigste Magier in Oth galt. Nach Glyn diszorn kamen Kolviss und Breckonzorpf – wenigstens war dies so, seit es Jarsynthia und Wortz nicht mehr gab. Dann erst folgte Parlzassel. Koratzo nahm keinen Platz in dieser Aufstellung ein, denn er verfocht die Theorie, daß jede, auch die niedrigste Ma gie, ihren eigenen Wert hatte und nicht mit anderen Gebieten verglichen werden sollte. Darum hatte er sich so gut wie nie in die be treffenden Auseinandersetzungen eingelas sen. Aber im Lauf der Zeit hatte er so viele Kämpfe ausgefochten, daß man seine Positi on trotzdem recht genau bestimmen konnte. Er war dem Weltenmagier ebenbürtig, und einige der Bewohner der Barriere waren fest davon überzeugt, daß Koratzo mächtiger als jeder andere war. Der Stimmenmagier al lerdings hatte für solche Mutmaßungen stets nur ein Lächeln übrig. Die Vermutung lag nahe, daß die stärkeren Magier, die sich stets auch besser abzuschirmen verstanden als ih re weniger mächtigen Kollegen, am ehesten mit den Auswirkungen des Schwarzschocks fertig werden können. Wenn aber Breckon zorpf, der Wettermagier, diesem Einfluß er legen war, warum blieb dann Parlzassel un behelligt? »Was seid ihr doch für Narren!« hallte plötzlich eine seltsame Stimme durch ihre Gedanken. »Ihr seht das Problem von der verkehrten Seite! Die neue Kraft bedeutet einen Zuwachs an Macht. Nur Dummköpfe werden sich rühmen, nicht empfänglich für dieses Geschenk zu sein.« »Kolviss!« rief Copasallior wütend. »Soll das heißen, daß du uns jetzt als deine Geg ner betrachtest?« »Gegner?« Die Gedankenstimme des Traummagiers kicherte schrill. »Welch hochtrabendes Wort. Ich werde euch so
21 schnell aus dem Weg räumen, daß ihr gar nicht begreift, wie es um unsere Gegner schaft steht.« »Ich hätte dich für widerstandsfähiger ge halten«, sagte Copasallior gelassen. »Was hat das damit zu tun?« fragte Kol viss nüchtern. »Glaubst du, es sei ein Zei chen besonderer Stärke, wenn man sich so wie du gegen den Schwarzschock wehrt? Ich hätte das auch gekonnt und könnte es immer noch. Aber ich bin klüger als du und die drei anderen Narren. Ich habe gesehen, wo für mich die Vorteile liegen. So, und jetzt solltet ihr anfangen, eure lächerlichen Waffen zu sammenzusuchen, denn schon in wenigen Minuten werde ich euch nahe genug sein, um den Kampf zu eröffnen.« Unwillkürlich blickte Koratzo zu dem Weltenmagier hinüber, und er sah, wie Co pasallior die Arme hob. Mit einem schnellen Schritt war Koratzo bei dem Sechsarmigen. »Halt«, flüsterte er. »Warte noch. Wir wissen nicht, wieviel Kraft er dazugewon nen hat. Wenn wir beide ihn uns vornehmen, haben wir eher eine Chance.« Copasallior ließ die Arme sinken. »Wir warten, bis er die Grenze zum Gnor den überschreitet«, entschied er. Sein Ge sicht verriet nichts von den Gefühlen, die ihn bewegten. Gerade Kolviss hatte sich selbst zu jener Zeit, da die Herren der FE STUNG über Pthor herrschten, gelegentlich auffallend stark für Koratzos Ziele einge setzt. Wenn trotzdem auch der Traummagier nun dem Dunklen Oheim auf den Leim ge gangen war, dann gab es kaum noch eine Hoffnung für Pthor. Copasallior drehte sich abrupt um. »Parlzassel«, sagte er rauh. »Du solltest deine Familie zum Gnorden rufen. Erstens sind die Tiere im Tal der Käfer nicht mehr sicher, und zweitens können wir jede Unter stützung gebrauchen.« »Von welcher Familie sprichst du?« er kundigte sich Parlzassel grimmig. »Ich habe keine mehr!« »Soll das heißen …« Es gab nur eine einzige logische Schluß
22
Marianne Sydow
folgerung. Copasallior empfand die Erkennt nis als einen Schock. »Die Tiere sind ebenfalls davon betrof fen«, bestätigte Parlzassel düster. »Grauauge ist die einzige, die ich davor schützen konn te.« Beklommen beobachteten die Magier die graugelbe Katze, die sich zu Parlzassels Fü ßen räkelte. Nur allmählich begriffen sie, was da auf sie zukam. Nicht nur die negativ gewordenen Magier bildeten eine Gefahr – von nun an würden sie auf Schritt und Tritt vor bösartig gewor denen Tieren auf der Hut sein müssen.
* Einige Minuten später kreuzte Kolviss über dem Gnorden auf. Der Traummagier hatte es sehr geschickt angefangen und sich hoch in die Luft hinaufgeschwungen, um die Gruppe um die ORSAPAYA herum aus der Luft angreifen zu können. Zum Glück wußte er aber noch nichts von der Veränderung, die in den Tieren der Barriere vorgegangen war. Kolviss, der wie eine große, hellblaue Qualle durch die Luft »schwamm«, war dar an gewöhnt, daß ihm Tiere und Magier aus dem Weg gingen. Die großen Raubschwal ben aber, die schon seit vielen Jahrhunderten in den nördlichen Gipfelzinnen des Gnorden nisteten und Glyndiszorn mehr als einmal vor nahenden Gefahren gewarnt hatten, rea gierten diesmal mit offenem Haß auf die Annäherung des Traummagiers. Jede einzelne Schwalbe war so groß, daß sie Vögel bis zur Größe eines Raben mühe los verschlucken konnte und dies auch tat, wenn der Rabe unvorsichtig genug war, sich einem hungrigen Mitglied dieses Schwarmes zu nähern. Es war nur ein Glück, daß die Raubschwalben derart genügsam waren, daß sie unter normalen Umständen regelmäßig zwei Drittel des Jahres über fasteten. Da sie ihre Beute stets unzerteilt hinunterschlan gen, sahen sie in Kolviss wohl kaum eine Bereicherung ihres Speiseplans, sondern le diglich einen Störenfried.
Sie stürzten sich auf den Traummagier, und ihre langgezogenen, schrillen Schreie waren bis zum Ufer des schwarzen Sees hin ab zu hören. »Brave Tiere!« flüsterte Parlzassel und blickte gebannt zu den Schwalben auf, die dem Traummagier erfolgreich das Konzept verdarben. Ihre Schnäbel waren stumpf und breit und vermochten nicht einmal, die dün ne Haut um Kolviss' glockenförmigen Kör per zu ritzen. Aber die Schwalben besaßen große Füße mit eisenharten Krallen daran, mit denen sie sich während der langen Ru heperioden im Fels zu verankern pflegten. Und mit ebendiesen Krallen fuhren sie nun auf den Traummagier los. Kolviss versuchte sich zu retten, indem er seine Magie zu Hilfe nahm. Er gaukelte den Schwalben vor, selbst nur ein fallender Stein zu sein, während ein paar hundert Meter ent fernt scheinbar die herrlichsten Leckerbissen herumflogen. Die Schwalben aber fielen auf diesen Trick nicht herein. Sie besaßen eine beschei dene Intelligenz und begriffen daher auf An hieb, daß ein Stein so hoch oben nichts zu suchen hatte – der Zusammenstoß fand statt, als der Traummagier noch etwa fünfzig Me ter über dem höchsten Punkt der Nordzinne schwebte. Daraufhin griff Kolviss zu massiveren Mitteln. Parlzassel schrie gequält auf, als zwei, drei Schwalben plötzlich taumelnd ab stürzten und mit schlagenden Flügeln in den Schluchten der Nordflanke verschwanden. »Tut doch endlich etwas!« rief er empört. »Oder muß ich erst selbst eingreifen?« Copasallior und Koratzo standen bereits nebeneinander, da griff der Stimmenmagier zur Seite und packte Parlzassel beim Arm. »Sage ihnen, was sie zu tun haben!« be fahl er heiser. »Mach schon – du beherrschst ihre Sprache doch!« Parlzassel war im ersten Augenblick be nommen von der Vielfalt der Eindrücke, die auf ihn einströmten. Koratzo hatte ihn in den magischen Verbund hineingezogen, ohne ihn vorher lange zu warnen, und Parlzassel
Der Schwarzschock hatte nie zuvor mit einem anderen Magier ein solches Bündnis praktiziert. Er hörte die Stimmen der Raubschwalben so nahe und deutlich, als kreisten sie um seinen Kopf, und er »sah« über die hastigen, verwischten Gedanken der Tiere den Traummagier, der heftig pulsierend seine Vision aufbaute. Er spürte auch, daß Copasallior nur darauf war tete, Kolviss abzufangen und zum KoFo math zurückzuschleudern. Er spürte endlich auch, daß beide, Koratzo und Copasallior, ungeduldig darauf warteten, daß er in das Geschehen eingriff. »Sie können mich ja doch nicht hören!« murmelte Parlzassel verwirrt. »Das laß meine Sorge sein«, empfahl Ko ratzo, und da endlich begriff der Tiermagier. Hastig konzentrierte er sich auf die Spra che der großen Vögel, und er begann, An weisungen zu murmeln, und Koratzo über trug die fremden Laute auf ein Stimmenzen trum, das er in der Nähe der Tiere erschaffen hatte. Die Vögel zögerten keine Sekunde lang. Bedenkenlos nahmen sie Parlzassels Ratschläge an. Von nun an erfüllten Kolviss' Traumbil der höchstens noch dadurch einen Zweck, daß sie dem Traummagier das Alibi liefer ten, den Versuch der Gegenwehr unternom men zu haben. Sobald er eine Vision aufbau te, durchschauten Koratzo und Parlzassel das System und ließen die Vögel entspre chend reagieren. Kolviss hing zuckend in ei nem Schwarm von Vögeln, die ihre scharfen Krallen in seine Haut bohrten und ihm Schmerzen zufügten. Schmerzen aber waren etwas, was der Traummagier in seinem lan gen Leben so gut wie nie gespürt hatte. Pa nik überkam das medusenhafte Wesen. Es gab den Kampf gegen die Schwerkraft auf und stürzte wie ein Stein in die Tiefe – und genau in Copasalliors Transmitterfeld hin ein. Kolviss verschwand wie durch Zauber hand, und Parlzassel hatte einige Mühe, die aufgebrachten Raubschwalben zu beruhigen. Erst als die Vögel zu ihren Sitzplätzen im steilen Fels zurückkehrten, schüttelte Parlz
23 assel die Hand des Stimmenmagiers ab. Er schrocken trat er ein paar Schritte zurück. Erst jetzt wurde ihm bewußt, was geschehen war. Ihre magischen Sinne hatten sich mitein ander verknüpft und eine Einheit gebildet, die beider Fähigkeiten umfaßte und ein Viel faches an Kraft von dem ergab, was bei ei ner einfachen Addition herausgekommen wäre. Sie hatten aber auch ihre Sperren ge geneinander aufgehoben, und Parlzassel spürte eine Gänsehaut auf seinem Rücken bei dem bloßen Gedanken daran, welche Geheimnisse Koratzo in dieser Zeitspanne aus seinem Bewußtsein gesogen haben mochte. »Hab dich nicht so!« sagte Copasallior grob, der aus eigener Erfahrung wußte, wie es dem Tiermagier jetzt erging. »Alleine hättest du es nicht geschafft. Keiner von uns hätte die Vögel und die spezielle Lage des Traummagiers in dieser Weise ausnützen können. Für dich, Parlzassel, waren die Tie re zu weit entfernt – deine Stimme reichte nicht weit genug. Koratzo konnte zwar zu ihnen sprechen, beherrschte aber ihre Spra che nicht. Und ich konnte Kolviss nicht zum Ko-Fomath schleudern, solange er die Traumbilder um sich herum aufbaute.« In einer unwilligen Geste hob der Welten magier seine sechs Arme, und sein düsteres Gewand blähte sich im Wind. »Wenn wir uns zusammenschließen, sind wir stark genug, um die ORSAPAYA zu be schützen!« rief er laut. In seinen steinernen Augen glomm ein seltsames Licht. »Schön und gut«, sagte Glyndiszorn nüchtern. »Aber Kolviss war nur der erste in einer langen Reihe von Angreifern. Die an deren werden bald kommen. Unsere Kräfte sind nicht unerschöpflich.« Copasallior maß den Knotenmagier mit ärgerlichen Blicken. »Wir werden weiter nach Verbündeten suchen«, verkündete er. »Ich wüßte einen, den ich gebrauchen könnte«, murmelte Parlzassel, der sich all mählich von seiner Erschütterung erholte.
24
Marianne Sydow
»Fenrir den Grauen. Wo mag er stecken?« »Er ist bei Koy dem Trommler und Kol phyr geblieben«, berichtete Koratzo. »Die drei haben sich eine Höhle gesucht, im östli chen Teil der Tronx-Kette, dicht an der Schlucht der gläsernen Felsen.« »Habt ihr dort keine besseren Quartiere für Gäste? Müßt ihr sie zwingen, in Höhlen zu hausen?« fragte Glyndiszorn spöttisch. »Ich bat sie, bei mir zu bleiben«, sagte Koratzo gelassen. »Aber sie lehnten ab. Sie lieben ihre Freiheit. Der Bera wollte in den verlassenen Revieren auf die Suche nach Geräten gehen und fürchtete wohl, ich könn te gegen seine Beutestücke gewisse Antipa thien entwickeln. Koy dagegen braucht die Jagd – im Umkreis meiner Wohnhalle gibt es aber nur Tiere, zu denen ich besondere Beziehungen unterhalte. Und Fenrir – nun, den kennst du selbst gut genug, Glyndiszorn. Er läßt sich nicht festhalten.« »Er hat sein Herz an diese Leute gehängt, wie?« fragte Parlzassel skeptisch. »Ich will dem Grauen das nicht ausreden. Er soll nur ein wenig an meiner Seite kämpfen.« »Gut«, murmelte Copasallior. »Beschreibe mir den Ort, Koratzo. Ich wer de sehen, wie es um den Wolf steht. Ist er dem Schwarzschock verfallen, dann mußt du deine Hoffnungen begraben, Parlzassel.« Der Tiermagier zuckte die Schultern. »Ein Versuch kann nicht schaden«, mein te er.
5. Fenrir wurde immer gefährlicher. Das Schlimme daran war, daß der Wolf auch im mer schneller aus der Betäubung erwachte. Ein Schuß aus der Waggu hätte den Wolf für die Dauer eines halben Tages lähmen sollen, wäre er von normaler Statur gewesen. Trotz dem wachte Fenrir schon unter den sonst auf Pthor gewöhnlichen Bedingungen nach etwa drei Stunden auf. Nun jedoch, seit diese Be sessenheit von ihm Besitz ergriffen hatte, sprang er bisweilen schon nach weniger als dreißig Minuten wieder auf die Beine und
griff sofort an. Niemals nahm er sich Kolphyr zum Ziel seiner Wut. Dieser grüne Riese konnte of fenbar den Appetit des Grauen nicht wecken. Aber Koy war seines Lebens nicht mehr sicher. Nervös und mit zitternden Fin gern hielt er die Geräte und Materialien, die der Bera ihm in die Hand drückte, und war dem Forscher schon bald eher eine Last als eine Hilfe. »Paß auf ihn auf!« befahl Kolphyr schließlich resignierend, drückte dem Trommler die Waggu in die Hand und zog sich in den hinteren Teil der Höhle zurück, um aus der Schußlinie zu kommen. In unre gelmäßigen Abständen hörte er von da an das Summen der Waggu, und er hegte den Verdacht, daß Koy oft schon schoß, bevor überhaupt klar war, daß Fenrir am Erwachen war. Unterdessen wuchs unter Kolphyrs großen, erstaunlich geschickten Händen ein Apparat, der seinesgleichen suchte. Kolphyr hatte Unmengen von Material zusammengetragen. Es gab genug Yassels am Rand der Schlucht, die bereitwillig große Lasten trugen, und er hatte ganze Karawa nen von diesen Tieren in Gebieten wie die Dunklen Täler, zum Hang der Töpfer schnecke oder in das Tal der Nebel geführt. Dort lebten jetzt keine Magier. Die früheren Bewohner waren fast ausnahmslos in die Verbannung gegangen, und die, die sich zur positiven Magie bekannt hatten, zogen es vor, vorerst nicht mit der beschämenden Vergangenheit konfrontiert zu werden: Sie hausten in Höhlen und notdürftig errichteten Unterkünften am Rand der Reviere der heu tigen Mächtigen. Kolphyrs Suche führte da her gewissermaßen in jungfräuliches Gebiet – niemand hatte vor ihm diese Reviere durchsucht, und dementsprechend umfang reich war die Beute. Koratzo hatte ihn gewarnt. »Die dort lebten«, hatte er gesagt, »hatten nichts Gutes im Sinn. Nimm dich in acht vor dem, was du in ihren Revieren findest. Jedes Werkzeug, ja, jeder Kristall, jede Blume, je
Der Schwarzschock des harmlose Tier kann sich unversehens in etwas verwandeln, was dir den Tod bringt.« Und Kolphyr sah den Magier lange an und gedachte der Zeit, in der er ein Dimensi onsforscher gewesen war, einer der kühnsten sogar, weswegen er schließlich auch nach Pthor gelangt, beziehungsweise dorthin ver schlagen worden war. Die Technik, die Wis senschaft und die Philosophie der Bera glich in vielen Punkten denen der Magier. Vor al lem hatten beide eines miteinander gemein sam: Den in vielen Universen und auf un zähligen Planeten existierenden Sterblichen blieben die Gesetze, nach denen die Bera – und die Magier – sich bei ihren wissen schaftlichen Versuchen und Aktionen richte ten, völlig unverständlich. Der Bera führte eine lange Unterhaltung mit Koratzo, und am Ende dieses Gesprächs reichte der Magier dem Antimateriewesen die Hand. »Ich wünsche dir Glück«, sagte Koratzo ernst. »Und ich habe nur eine Bitte an dich: Wenn du dein Ziel erreichen solltest, dann gib mir ein Zeichen, gleich welcher Art. Und wenn du Hilfe brauchst und meinst, daß ich sie dir gewähren kann, dann nimm die sen Kristall und sprich hinein – ich werde dich hören, auch wenn ganz Pthor zwischen uns liegen sollte.« Mehr als einmal dachte Kolphyr an diesen Kristall, während er an seiner Maschine ar beitete. Er besaß Kristalle aller Art, Brocken der unterschiedlichsten Minerale, darunter solche, die man in Pthor gar nicht finden konnte – sie mußten von irgendeiner der vie len Welten stammen, die der Dimensions fahrstuhl heimgesucht hatte. Er verfügte über Drähte aus Metallen, die so kostbar wa ren, daß man ihren Preis nicht nennen konn te. In einem seltsamen Turm in den Dunklen Tälern hatte er Flaschen und Kolben und Röhren gefunden, dazu Chemikalien von solcher Reinheit, wie es sie nicht einmal in Aghmonth, der Stadt der Kelotten, geben mochte. All das sortierte er nun auseinander und verband dann Stück für Stück miteinan der zu einem Gerät, das groß und chaotisch
25 aussah, ein Ding von solcher Farbenpracht, daß man es für ein exotisches Kunstwerk hätte halten können, wäre es nur ein wenig harmonischer in seinem ganzen Aufbau ge wesen. Unter Kolphyrs sechsfingrigen Hän den begann das Ganze alsbald zu summen und zu klopfen. Seltsame Geräusche erfüll ten die Höhle. Wenig später kam das bunte Glimmen verschiedener Kristalle hinzu, und diese Effekte wurden so zahlreich, daß Koy für einige Minuten sogar den Wolf vergaß und herüberkam, um dem Bera zuzusehen. »Was soll das eigentlich werden?« fragte er nach geraumer Zeit, in der er das Gebilde angestarrt hatte. Kolphyr hob überrascht den Kopf. »Hatte ich dir das nicht schon gesagt?« fragte er mit seiner eigentümlich hellen Stimme, die so gar nicht zu dem massigen Körper des Bera paßte. »Du willst diese … Kreatur dort am Le ben erhalten«, murmelte Koy unwillig und deutete mit einer Geste, die all seinen Ab scheu ausdrückte, zu Chirmor Flog hinüber. »Meinst du daß du mit einer solchen Ma schine dein Ziel erreichen wirst?« »Ich glaube es nicht nur«, erwiderte Kol phyr ernsthaft, »ich bin sogar fest davon überzeugt.« Koy sah, daß Kolphyr sich bereits wieder in seine Arbeit versenkte. Mißmutig kehrte er an seinen Platz zurück. Ihm gegenüber, durch die in der Höhle größtmögliche Ent fernung von ihm getrennt, lag der Wolf, alle viere steif von sich gestreckt, während die Lider schon wieder zu zucken begannen. Vorsichtshalber schoß Koy seine Waggu ab und lehnte sich dann gegen den rauhen Fels. Vor seinem inneren Auge sah er das fremde Wesen, wie es in Kolphyrs Maschine lag und langsam zu erwachen begann. Die Vor stellung war so schrecklich, daß er unwill kürlich die Waggu hob. »Mir scheint, du legst keinen Wert auf ei ne neue Vegla«, sagte eine vertraute Stim me, und mitten in der Höhle, genau zwi schen dem Trommler und dem dreiviertel toten Neffen des Dunklen Oheims, stand eine
26 hagere, sechsarmige, von einem düsteren Gewand umwehte Gestalt. »Copasallior!« rief Koy überrascht aus. »Wie kommst du hierher?« Es schien, als erwäge der Weltenmagier allen Ernstes, dem Trommler die Art seiner Fortbewegungsweise durch das Nichts zu er klären, aber dann hob er doch eine seiner sechs Hände und winkte ab. Er drehte sich um und betrachtete Chirmor Flog. Schau dernd sah Koy zu, wie der Weltenmagier sich über den mißgestalteten Körper beugte und den Fremden untersuchte. »Er ist schwächer geworden«, murmelte Copasallior, und als er sich aufrichtete, war sein Gesicht noch ausdrucksloser als sonst. »Ich wollte, er wäre schon vor langer Zeit gestorben!« Der Bera richtete sich hinter seiner Ma schine auf. »Wenn ich meine Arbeit beenden kann, ehe der letzte Funke Leben in ihm erlischt«, sagte er ruhig, »dann wird er ewig leben.« Copasallior fuhr überrascht herum. »Du willst ihn wecken?« stieß er hervor. »Das wird nicht möglich sein«, murmelte Kolphyr und klopfte nachdenklich mit ei nem Stab aus dunkelrotem Metall gegen ein Röhrchen, das aus einem grünlichen, durch sichtigen Material bestand. Das Röhrchen gab ein helles Klingen von sich. Kolphyr er höhte die Frequenz seiner Schläge, und das Singen wurde zu einem nervenzerreißenden Gesang. Koy und der Magier hoben fast gleichzeitig die Hände an die Ohren. »Hör auf damit!« befahl Copasallior scharf. Kolphyr klopfte ein letztesmal gegen das Röhrchen, dann trat wohltuende Stille ein. »Um ihn zu wecken«, sagte der Bera langsam, »müßte man ihm jene Kraft zu rückgeben, die ihm vor nicht allzu langer Zeit künstlich entzogen wurde.« »Ich wollte, das wäre möglich«, stieß Co pasallior hervor. »Ja, beim Geist der FE STUNG, es wäre die Lösung für unsere Pro bleme. Zurückstopfen müßte man es kön nen!«
Marianne Sydow Koy hatte einige Begegnungen mit Magi ern hinter sich, aber noch nie hatte er eines dieser Wesen so erregt gesehen. Das gab ihm ein wenig von seinem Selbstvertrauen zurück. Ja, er hatte den sehr bestimmten Eindruck, daß auch Copasallior sich vor die sem Fremden fürchtete. »Du weißt etwas über dieses Wesen?« fragte Kolphyr begierig und kam um seine Maschine herum. »Erzähle!« Das Gerät, das der Bera gebaut hatte, mochte es offenbar nicht, wenn sein Schöp fer sich zu weit entfernte. Einige Kristalle begannen pulsierend zu leuchten, und das Stimmen und Klopfen und Winseln bekam einen hektischen Unterton. Kolphyr wandte sich kurz um. »Ruhe!« befahl er. Die Maschine ver stummte. Das überraschte den Trommler so sehr, daß er die Waggu aus der Hand legte. »Ein seltsames Gerät«, bemerkte Copasal lior nachdenklich. »Es scheint, als berge es Elemente der Magie und der Antimagie in sich.« Sicher erwartete er eine Antwort, aber Kolphyr beschränkte sich darauf, sich auf ei nem flachen Felsen niederzulassen und den Weltenmagier erwartungsvoll anzusehen. »Nun gut«, seufzte Copasallior. »Du sollst die Geschichte hören.« Und er berichtete von dem Neffen Chirm or Flog und der Entführung, dem Weg, auf dem dieses Wesen in die Barriere gelangt war, und der Überraschung, die der Dunkle Oheim – denn kein anderer konnte diesen Plan ausgeheckt haben – den Magiern berei tet hatte. »Schwarzschock also«, sagte Kolphyr, als Copasallior schließlich schwieg. Der Bera warf einen bezeichnenden Blick auf Fenrir. »Und du bist sicher, daß es die ganze Barrie re erfaßt hat?« Copasallior nickte nur. »Warum bist du zu uns gekommen?« fragte Kolphyr. »Dachtest du daran, daß wir immun sein könnten?« Koy, der still auf seinem Platz saß, dachte an jene Zeit, in der er den Bera noch in ei
Der Schwarzschock nem schier unverdaulichen Kauderwelsch hatte reden hören, und er mußte lächeln. Kolphyr hatte Fortschritte gemacht, das ließ sich nicht bestreiten. »Nein«, gab Copasallior unumwunden zu. »Nachdem es sogar einige der mächtigsten Magier erwischt hat, konnten wir wohl kaum damit rechnen, daß ausgerechnet ihr davon verschont bleiben würdet.« Das klang ein wenig bitter, und Kolphyrs ewig glänzendes Froschmaul zog sich noch mehr in die Breite. »Wir hatten auch unsere Schwierigkei ten«, versicherte er. »Ich kam, um nach Fenrir zu sehen«, murmelte Copasallior. »Wir hätten Verwen dung für den Wolf.« Kolphyr deutete in die Nische, in der der Graue zur Zeit lag, ein graues, großes Fell bündel mit brettsteifen Muskeln. »Er ist bösartig geworden«, erklärte der Bera. »Mich läßt er in Ruhe, aber Koy ist seines Lebens nicht mehr sicher, sobald der Graue nur die Augen öffnet. Du kannst ihn mitnehmen, wenn du möchtest.« Copasallior, der auch über die Probleme der Magier und die Gefahr, die möglicher weise für ganz Pthor heraufzog, gesprochen hatte, erhob sich seufzend. »Wir können uns schlecht mit einem toll wütigen Wolf belasten«, murmelte er. »Was werdet ihr nun tun?« »Wir werden ihn weiter betäuben«, versi cherte Kolphyr. »Ich meine nicht den Wolf«, sagte der Weltenmagier ungeduldig. »Ihr befindet euch in der Großen Barriere, und um euch herum leben Magier. Bis auf drei Ausnah men sind sie alle negativ geworden. Es könnte leicht sein, daß ihr einen Fehler be geht, ohne es überhaupt zu bemerken. Dann werden sie euch nach dem Leben trachten!« »Jenseits der Barriere lauern noch ganz andere Gefahren auf uns«, erwiderte Kol phyr ruhig. »Abgesehen davon wird Glyn diszorn jetzt wohl anderes zu tun haben, als Tunnel in die Außenwelt zu öffnen. Stimmt das?«
27 Copasallior nickte. »Siehst du? Was bleibt uns anderes übrig, als in der Barriere zu bleiben? Du sagtest, daß dies einer von den legendären Neffen ist. Das bedeutet, daß Chirmor Flog einiges über die Schwarze Galaxis wissen muß. At lan ist in der Welt jenseits des Wölbmantels verschollen. Vielleicht bietet sich uns hier eine Gelegenheit, dem Arkoniden zu hel fen.« »Ich wüßte nicht, wie«, murmelte Copa sallior ratlos. »Der Neffe muß am Leben bleiben«, ver kündete Kolphyr mit einer Strenge, die nicht zu seiner hellen Stimme paßte. »Das ist die Voraussetzung. Wir müssen einen Weg fin den, um die Kraft, die den Schwarzschock ausgelöst hat, in seinen Körper zurückzulei ten. Auf diese Weise wird er das Bewußtsein wiedererlangen. Wenn wir ihn dann befra gen, werden wir alles erfahren, was wir wis sen müssen.« »Oder auch nicht«, bemerkte Copasallior skeptisch. »Abgesehen davon – du jagst ei nem Traum nach, Kolphyr. Der Schwarz schock läßt sich nicht einfach rückgängig machen. Worauf wir allenfalls hoffen dür fen, ist eine Behandlung, die einen Magier nach dem anderen wieder normal werden läßt!« »Wir werden sehen, wer recht behält«, sagte der Bera. Copasallior erhob sich wortlos und voll führte eine seltsame Bewegung mit seinen sechs Armen. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Kolphyr ging zu dem Wolf und legte sei ne breiten Hände auf den starren Körper. »Du solltest die Waggu in der nächsten Stunde ungenutzt lassen«, riet er dem Trommler. »Ich will nicht, daß er Schaden nimmt. Er kann nichts dafür, daß der Schwarzschock ihn getroffen hat.« »Aber er will mir ans Leben!« beschwerte Koy sich. »Weil er verwirrt ist«, sagte Kolphyr lei se, und seine Stimme weckte ein Echo in der seltsamen Maschine, die erneut zu summen
28
Marianne Sydow
und zu singen begann. »Kannst du nachzäh len, wie oft er seine Beute mit dir geteilt hat?« Koy der Trommler schwieg betroffen. Eine Stunde später schob Kolphyr den Neffen Chirmor Flog in das Innere seiner Maschine. Für Sekunden gerieten die leuch tenden, pulsierenden Kristalle aus ihrem Takt. Dann erschien inmitten der glimmen den Punkte je ein dunkler Kern. »Da stimmt etwas nicht«, bemerkte Koy beunruhigt. Zwar lag ihm nicht viel daran, daß der Neffe überlebte, aber er hatte Kol phyr bei der Arbeit gesehen und wünschte dem Bera alles andere, aber keinen Mißer folg. »Es ist alles in Ordnung«, behauptete Kolphyr unbewegt. »Er wird am Leben blei ben, solange diese Maschine arbeitet – und sie wird sehr lange arbeiten. Bevor ich mich der Aufgabe widme, die Schwarzschock-Ener gie in diesen Körper zurückzuleiten, brauche ich eine Phase der Erholung.« Und Kolphyr, der Forscher aus dem Volk der Bera, der es fertigbrachte, die Wissen schaft der Magier zu verstehen und eine Ma schine zu bauen, bei deren Anblick selbst der Weltenmagier Copasallior überrascht war, breitete die Arme aus und verzog den Mund zu einem so breiten Lächeln, daß – Koy hätte es beschwören mögen – seine Oh ren nach hinten wichen, um den Mundwin keln Platz zu machen. »Komm her«, rief Kolphyr mit seiner hel len Stimme. »Kolphyr dich viel lieb haben und drücken viel, viel lange!« Koy verließ fluchtartig die Höhle. Wäh rend er zur Schlucht hinunterlief, hörte er Kolphyrs helles Lachen, das sich zwischen den Felsen brach und in zahlreichen Echos zurückkehrte. Keuchend ließ Koy sich auf den von kurzem Gras bedeckten Wegrand sinken. Er fragte sich, ob es ihm je gelingen würde, diesen Dimensionsforscher zu durch schauen.
6.
Copasallior, der sich nicht ganz schlüssig war, wie er Kolphyr einzuordnen hatte, hielt sich an eine altbewährte Regel der Magier von Oth: Solange du nicht ganz sicher bist, daß ein Wesen, dem du begegnest, dir unter legen ist – sei höflich zu ihm. Darum hatte er Kolphyr auch nicht mitgeteilt, für wie aussichtslos er dessen Versuche in Wahrheit hielt. »Kinderei!« murmelte er noch nach seiner Rückkehr des öfteren vor sich hin. »Völliger Schwachsinn!« Koratzo, der als einziger wußte, wem die se Bemerkungen galten, verbarg seine Ge danken und gestattete sich nur dann ein Lä cheln, wenn er sich wirklich unbeobachtet wußte. Viel Zeit, ihren Gedanken oder privaten Gefühlen nachzuhängen, hatten sie ohnehin nicht. Denn die anderen Magier begriffen schnell, woran es lag, daß sie ihre angeblich dazugewonnene Macht nicht so deutlich zei gen konnten, wie es ihnen recht gewesen wäre. Schon nach kaum vierundzwanzig Stunden setzte der Sturm auf den Gnorden ein. Zuerst kamen die Gegner einzeln und ungeordnet, und es war leicht, ihre Angriffe abzuwehren. Dann starteten die NeuNegativen die ersten organisierten Angriffe, und die, die die ORSAPAYA und damit die ganze Barriere verteidigten, hatten ihre liebe Not, sich zur Wehr zu setzen und das Schlimmste zu verhindern. Und dann gesch ah etwas, das die Pläne der Eroberer erschüt terte und den Magiern unterhalb des Luft schiffs eine Atempause verschaffte. Ein Knirschen ging durch das Land und pflanzte sich von einem Tal ins andere fort. Ein mit großer Heftigkeit vorgetragener An griff geriet ins Stocken. Die Magier, eben noch damit beschäftigt, sich gegenseitig nach allen Regeln ihrer speziellen Künste die Hölle heiß zu machen, hielten inne, lie ßen die magischen Waffen ruhen und warte ten gebannt auf das nächste Zeichen. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Statt der sonst üblichen zehn bis zwanzig Minuten vergingen diesmal fast
Der Schwarzschock
29
ebenso viele Stunden, und mancher meinte schon, es müsse sich um einen blinden Alarm gehandelt haben. Dann aber tauchte das blaßblaue Licht über den Gipfeln der Barriere auf, und der Boden erzitterte leicht. Pthor hatte sich wieder einmal in Bewe gung gesetzt und ging auf eine Reise, deren Ziel – wie üblich – niemand kannte.
* In einer prächtig ausstaffierten Hütte, die genau an der Grenze des Gnorden auf der östlichen Seite des Massivs errichtet worden war, residierte zu dieser Zeit Opkul, der Au genmagier. Er beherrschte eine Magie, die in diesen Tagen eine derart hohe Bedeutung er langte, daß Opkul sich insgeheim bereits darauf vorbereitete, eines Tages das Amt des Weltenmagiers zu übernehmen. Opkul beherrschte den Blick in die Ferne. Er konnte zu jedem beliebigen Zeitpunkt jeden Ort in ganz Pthor genau betrachten, oh ne sich zu diesem Zweck auch nur von sei nem Lager erheben zu müssen. Er war es, der den Magiern sagen konnte, was um Glyndiszorns Luftschiff herum geschah, und er nutzte seinen Vorteil konsequent aus. Noch vor wenigen Tagen hatte Opkul zu Koratzos engsten Vertrauten gehört. In der ganzen Tronx-Kette schätzte man ihn wegen seines freundlichen Wesens, seiner unauf dringlichen Hilfsbereitschaft und der uner schütterlichen Toleranz, mit der er allem, was sich in der Barriere an Absonderlichem bot, begegnete. Jedem hatte er seine Kunst zur Verfügung gestellt, ohne jemals einen Lohn dafür zu erwarten. Er war sehr darauf bedacht, seinen unsterblichen, jugendlich wirkenden Körper leistungsfähig zu erhalten und kletterte zu diesem Zweck oft tagelang in den gefährlichsten Steilwänden herum, die man im Reich der sieben Gipfel finden konnte. Von all dem war seit dem Schwarzschock nichts mehr zu spüren. Schon am ersten Tag waren einige Magier gekommen und hatten Opkul darum gebe
ten, daß er ihnen die Positionen ihrer jewei ligen Gegner verriet. Zum erstenmal begriff Opkul, wie wertvoll seine Fähigkeiten für den Rest der Magier waren. Er ließ sich sei ne Dienste bezahlen. Den anderen blieb nichts anders übrig, als zähneknirschend den Forderungen des Augenmagiers nachzukom men. Sie konnten es sich nicht erlauben, die se Informationsquelle versiegen zu lassen. Von da an wurde Opkul immer unver schämter. Die ihm sonst eigene Freundlich keit schlug in einen schier unerträglichen Zynismus um. Die Hilfsbereitschaft ersetzte er durch eine wahre Sucht nach Macht und Reichtum. Vor allem aber wurde er träge. Den ganzen Tag hindurch ruhte er auf sei nem Lager und ließ nur seine magischen Blicke schweifen. Schon jetzt begann er Fett anzusetzen. Als nun Pthor Anstalten traf, seinen Standort im MarantronerRevier zu verlas sen, stürmte Querllo, der Lichtmagier, auf geregt in Opkuls provisorisches Quartier. »Was geht in der FESTUNG vor?« schrie der zwergige Magier mit der rindenartigen Haut aufgeregt. »Rede schon, ich muß es wissen!« »Reden wir zuerst über den Preis«, schlug Opkul gelassen vor und sah zur Decke hin auf. »Du wirst Buchstaben aus magischem Feuer anfertigen, und zwar sollen es Schrift zeichen aus der Vergangenheit sein, die mei nen Namen bilden. »Bist du verrückt geworden?« stieß Querllo überrascht hervor. »Erstens bin ich für Feuer nicht zuständig …« »Dann sind es eben Buchstaben aus Licht«, warf Opkul gleichmütig ein. »Das dürfte nicht viel ausmachen. Aber sorge da für, daß es kalt und blau ist.« »Ob kalt und blau oder heiß und rot«, knirschte Querllo zornig. »Du wirst weder das eine, noch das andere bekommen! Es würde mich Stunden kosten, einen solchen Schriftzug herzustellen!« »Na und?« murmelte Opkul und schloß demonstrativ die Augen. »Was kümmert mich das?«
30 »Du verdammter Narr …« Querllo stand eben im Begriff, sich auf den gelangweilten Augenmagier zu stürzen, da spürte er Hitze um sich herum aufsteigen. Er stutzte, drehte sich um und entdeckte den Feuermagier Howath, der an der Tür stand und lächelnd seine Arme hob. »Wenn du nicht liefern kannst«, sagte Ho wath herablassend, »dann ist das deine An gelegenheit. Aber du wirst Opkul in Ruhe lassen, oder ich schmore dich bei lebendi gem Leib. Scher dich weg!« Mit einem wütenden Schrei schnellte sich Querllo aus der erhitzten Zone. Howath lachte höhnisch, als er den Lichtmagier an sich vorbeieilen sah. Querllo blieb an der neutralen Straße stehen, knetete seine dürren Hände und starrte haßerfüllt zu dem Feuer magier hinüber. Howath kümmerte sich nicht mehr um Querllo. Erwartungsvoll wandte er sich Op kul zu. »Kannst du die Schrift für mich erzeu gen?« fragte der Augenmagier, ohne sich zu rühren. »Selbstverständlich!« prahlte Howath. »Gut«, sagte Opkul. »Fang an.« »Es wird ein bißchen länger dauern«, wich Howath vorsichtig aus. »Wie lange?« »Nun – eine Stunde, denke ich. Erzähle einstweilen schon immer, was sich in der FESTUNG ereignet.« Opkul wandte den Kopf und sah den Feu ermagier abschätzend an. Howath wich ha stig einen Schritt zurück. Opkul hatte seltsa me, violette Augen. Howath wäre diesen Blicken gerne ausgewichen, aber damit hätte er sich eine Blöße gegeben. Also harrte er aus, bis Opkul tief aufseufzte. »Geh, Howath!« sagte der Augenmagier sanft. »Aus diesem Handel wird nichts.« »Na warte!« murmelte Howath, als er draußen war, und er drehte sich um und be trachtete Opkuls Hütte voller Haß. Der Reichtum des Augenmagiers wuchs von Tag zu Tag, und man sah es seiner Be hausung an. Als Opkul einzog, hatte dieses
Marianne Sydow Gebäude alt und ziemlich ärmlich ausgese hen. Jetzt aber strahlten Dach und Wände von den darin eingelassenen Juwelen, von denen die meisten nicht etwa einfache Schmuckstücke waren, sondern magische Kräfte in sich bargen. Anstatt sich aber mit dem zufrieden zu geben, was er erreicht hat te, trieb Opkul es immer schlimmer. Howath duckte sich instinktiv, als er ein Donnern hinter sich hörte, und es zeigte sich, daß seine Vorsicht angebracht war. Der da herangerast kam, war kein anderer als Breckonzorpf, der Wettermagier. Er stand in seinem Donnerwagen, hielt die vier zügel ähnlichen Leitschnüre lässig in der linken Hand und streichelte während des Fluges ei ne der vier schwarzen Großkatzen, die ihn auf allen seinen Fahrten begleiteten. In ei nem haarsträubenden Tempo raste der Wa gen heran, und da Breckonzorpf sich dicht über dem Erdboden hielt und Howath genau in der Flugbahn stand, verdankte es Howath nur seinem Glück und seinem sicheren In stinkt, daß er mit dem Leben davonkam. Sobald er aber den Schrecken über diesen Zwischenfall überwunden hatte, begann der Feuermagier erwartungsvoll zu lächeln. Ge nau so etwas hatte er Opkul gewünscht. Der Donnerwagen war längst zum Still stand gekommen, so nahe an der Tür zur Hütte, daß Breckonzorpf sich nur über Bord zu schwingen brauchte, um mit einem Schritt in Opkuls Residenz zu stehen. »He!« hörte Howath den Wettermagier mit mächtiger Stimme rufen. »Wach auf, Träumer!« Howath erhob sich auf den Zehenspitzen und schob die Maske über den kahlen Schä del hinauf, um besser sehen zu können. Breckonzorpf stand in dem schmalen Licht streifen, der durch die Tür in Opkuls Höhle fiel. Sein wallendes, goldenes Haar fiel fun kelnd und glänzend bis auf die ebenholz schwarzen Schultern herab. Der Wetterma gier trug seinen Blitzspeer in der Hand, Zei chen seiner Macht und Waffe zugleich. Im Vergleich zu Opkul, der schlank und nur et was über mittelgroß war, wirkte Breckon
Der Schwarzschock zorpf wie ein Riese, und daß er nicht nur mit dem magischen Speer, sondern auch mit sei nen Fäusten umzugehen wußte, hatte der Wettermagier oft genug bewiesen. Howath fand, daß Opkul gut daran täte, sich nicht mit diesem Hünen anzulegen. Opkul aber blieb liegen. »Ich träume nicht«, hörte Howath den Augenmagier sagen, »sondern ich sehe. Oh, was ich alles sehe. Ich sehe Schiffe, Organ raumschiffe, die startbereit in der Ebene Kalmlech stehen. Und ich sehe Scuddamo ren, die wie durchgebrannte Yassels laufen.« »Was siehst du noch?« fragte Breckon zorpf unwillkürlich. »Ich sehe einen Mann«, fuhr Opkul mit entrückter Stimme fort. »Einen großen, sehr starken Mann. Er trägt eine Lederrüstung und einen Speer.« Howath hielt den Atem an. Sollte dieser junge Narr es tatsächlich wagen … »Er sieht aus wie ein Held«, fuhr Opkul fort. Im nächsten Augenblick klang seine Stimme nicht mehr träumerisch und ent rückt, sondern scharf und zornig. »Aber er ist kein Held, sondern nur ein dummer Kerl ohne Manieren, der unangemeldet in das Haus eines Mannes platzt, von dem er sich eigentlich Hilfe erwartet. So wirst du dein Ziel nicht erreichen, Breckonzorpf!« Der Wettermagier stieß einen wütenden Schrei aus und riß den Blitzspeer hoch. Ho wath schloß unwillkürlich die Augen, und obwohl er Opkul zu hassen glaubte, stieg ei siger Schrecken in ihm auf. Für ein oder zwei Sekunden erwachte in ihm die Erinne rung an eine andere Zeit. Damals hatte er des öfteren mit Opkul am Rand der Brücke gesessen, die über die Schlucht der schwar zen Nebel führte, und sie hatten gemeinsam versucht, jeder auf seine Weise, Steine mit bestimmten Formen auf dem Grund der Schlucht zu erkennen. Opkul war kaum zwölf Jahre alt gewesen, und es waren die Jahre, nach denen die Sterblichen rechneten. Eines Tages hatte Opkul nicht nur die Stei ne, sondern auch die Tiere gesehen, die in diesem Abgrund hausten.
31 Ein schrilles Kichern unterbrach den Fluß der Erinnerungen, und Howath fand sich un versehens in eine rauhe Wirklichkeit ver setzt. Opkul war nicht länger sein Freund und Schützling. Für einen winzigen Augen blick erfaßte Howath den Irrsinn dieser Si tuation, und er erwischte einen Zipfel der Wahrheit. Dann siegte die Kraft, die der Schwarzschock in ihm hinterlassen hatte, und er vergaß das, was einmal gewesen war. Neugierig spähte er in die Hütte. Breckonzorpf stand noch immer in der Nähe des Eingangs, aber er schwankte, und sein Körper wurde von hektischen blauen Flammen umtanzt. »Das hast du nicht erwartet«, stellte Op kul nüchtern fest. »Ich bin nicht so wehrlos, wie du es dir vorgestellt hast, Wetterma gier.« Breckonzorpf, der wie gelähmt inmitten der Flammen gestanden hatte, stöhnte laut auf und hob mit einer Bewegung, die ihn all seine Kraft zu kosten schien, den Blitzspeer. »Fort!« keuchte er, und er fügte einige Wörter aus der uralten Sprache der Magier hinzu, die noch aus der Zeit stammte, in der die heutigen Herren von Oth auf einem wirklichen Planeten gelebt hatten. Die blauen Flammen ballten sich zusam men und krochen in den Speer hinein. Breckonzorpf hatte offensichtlich Mühe, sich auf den Beinen zu halten, und sein mus kulöser Körper verkrampfte sich vor An spannung. »Dafür wirst du mir büßen, du Wurm!« stieß er hervor. Opkul lachte spöttisch auf. »Willst du es noch einmal versuchen?« erkundigte er sich neugierig. In jähem Zorn hob Breckonzorpf den Speer, besann sich aber dann eines Besseren. »Also gut«, sagte er beinahe sanft. »Du bist damals aus dem Revier der Sterblichen direkt in die TronxKette gegangen, und da du dich niemals auf einen Kampf eingelas sen hast, kannten wir deine Macht nicht. Es scheint, als hätten wir dich unterschätzt. Wie viele von euch Rebellen sind noch am Le
32 ben?« »Der Kampf am Skatha-Hir hat uns kein einziges Opfer abgefordert«, sagte Opkul ru hig. »Drei von uns haben vorher ihr Leben gelassen, Koratzo gibt sich endgültig als Narr zu erkennen. Wir sind also noch sechs undzwanzig.« »Du hast jemanden vergessen«, bemerkte Breckonzorpf. »Was ist mit Islar? Sie lebt doch bei euch.« »Ich weiß nicht, zu welcher Seite sie hält. Ich habe sie nicht gesehen, seit die Macht über uns kam.« »Die meisten von euch sind mächtiger, als uns jemals lieb sein konnte«, überlegte Breckonzorpf. »Natürlich nicht so stark wie zum Beispiel Kolviss und ich, aber immer hin … Wäret ihr bereit, ein Bündnis mit uns einzugehen?« »Das käme auf die Bedingungen an, die ihr stellt«, erwiderte Opkul prompt, und Ho wath, der noch immer auf seinem Posten ausharrte, fragte sich verblüfft, woher dieser Junge die Unverschämtheit nahm, hier nicht nur für sich selbst, sondern gleich für eine ganze Gruppe von Magiern zu sprechen. »Was gibt es da groß zu reden«, wehrte Breckonzorpf ärgerlich ab. »Jedem muß wohl klar sein, wo unser Ziel liegt: Wir müssen die Grenzen, die der Knoten um die Barriere legt, aufreißen.« »Müssen wir?« fragte Opkul spöttisch. »Wir brauchen die Freiheit, die dieses Land uns bietet«, fuhr Breckonzorpf fort. »Brauchen wir sie wirklich?« »Was willst du damit sagen?« »Oh – sieh mal, Wettermagier, ich sehe ein, daß für dich und alle anderen die Lage ziemlich schlecht ist. Hier, in der Barriere, könnt ihr schlecht eure Macht beweisen. Aber mir geht es anders. Ich genieße im Schutz des Knotens mehr Ansehen, als wenn ich mich da draußen mit den Sterblichen herumärgern müßte. Darum liegt mir nichts daran, daß ihr Glyndiszorn besiegt.« Breckonzorpf schien wie erstarrt vor Staunen, und dem Feuermagier ging es nicht anders. Am liebsten wäre Howath aufge-
Marianne Sydow sprungen und hätte sich auf Opkul gestürzt, um ihm mit den bloßen Händen an die Kehle zu fahren, aber er beherrschte sich. »Wir könnten dich zwingen, die Wahrheit zu sagen und uns zu berichten, was sich in der FESTUNG abspielt«, sagte Breckonzor pf nach einer langen Pause zögernd. »Nein«, antwortete Opkul prompt. »Genau das könnt ihr nicht.« »Kolviss!« sagte Breckonzorpf mit seltsa mer Betonung. Opkul begriff nicht sofort, und das war sein Verhängnis. Howath dagegen ahnte recht gut, was geschehen sollte. Da er den Eindruck hatte, daß weder Breckonzorpf noch Opkul in diesem Augenblick auf ihn achten würden, schob er sich unter der Bord wand des Donnerwagens bis zur Wand der Hütte vor. Er kroch auf dem Bauch über das rauhe Gestein des Fundaments und konnte endlich in den Raum hineinsehen. Da aber war es bereits geschehen. Opkul sank zur Seite und blieb still liegen. Minde stens zehn Sekunden lang hatte er sich erbit tert gegen den mächtigen Traummagier ge wehrt, und das allein war bemerkenswert ge nug. Aber auf die Dauer waren nur wenige Bewohner von Oth dem Medusenwesen ge wachsen. »Nun«, sagte Breckonzorpf sanft. »Berichte, Opkul. Was geschieht in der FE STUNG?« Opkuls Stimme war so leise, daß Howath Mühe hatte, etwas zu verstehen. »Die Schiffe der Scuddamoren-Flotte lan den auf Pthor«, sagte er. »Atzbäll sammelt seine Leute. Aber es scheint nicht so, als wä ren die Scuddamoren erschrocken oder ver ängstigt. Sie handeln ruhig und umsichtig.« »Wohin wird Pthor diesmal reisen?« »Das weiß ich nicht. Ich kann nur in die Ferne sehen, nicht aber hören.« In Howath rastete etwas aus. Er glaubte plötzlich, genau zu wissen, was diesem Land bevorstand. Und er sah die Magier von Pthor an einem Scheideweg stehen. Verschwommen hielt er sich in ihm das Wissen, daß sie es sich nicht leisten konn
Der Schwarzschock ten, gegeneinander zu kämpfen. Sie würden sich selbst vernichten, auch wenn sie nur ei nige von der jeweiligen Gegenseite um brachten. Die Große Barriere von Oth war mehr als nur irgendein Gebirge. Die Magier waren mit diesen Bergen verbunden auf Ge deih und Verderb. Es hatte Zeiten gegeben, in denen zu viele Magier hier lebten, und die ganze Barriere hatte geglüht und diese über zähligen Bewohner von sich geschleudert, in Räume und Zeiten hinein, aus denen es kei ne Rückkehr gab. Jetzt waren sie zu wenig. Anstatt die magischen Speicher in diesen Bergen zu überladen, wie es damals gesche hen war, holten sie zu viel Kraft aus ihnen heraus. Noch konnten die Speicher am Ska tha-Hir das Mißverhältnis ausgleichen, aber die geringste zusätzliche Störung dieses empfindlichen Gleichgewichts mußte in die Katastrophe führen. Etwas drängte sich zwi schen Howath und diese Überlegungen und brachte ihn zurück auf jenen Weg, der direkt ins Verhängnis führen mußte. Er glaubte zu wissen, was jetzt zu tun war und auf welche Weise er – ganz nebenbei – seine eigene Macht ein wenig vergrößern konnte. Er sch lich sich von der Hütte weg, wobei er sich keineswegs übermäßig vorsichtig verhielt. Er wähnte sich sicher. Breckonzorpf bemüh te sich immer noch, Informationen aus dem in tiefer Trance munter plaudernden Opkul herauszuholen, und was er zu hören bekam, interessierte ihn viel zu sehr, als daß er auch noch die Umgebung der Hütte hätte überwa chen mögen. Und Kolviss hatte auch genug zu tun, denn Opkul setzte sich unbewußt noch immer gegen die Macht des Traumma giers zur Wehr und mußte streng unter Kon trolle gehalten werden. Howath überquerte die neutrale Straße und nahm Kurs auf eine Baumgruppe. Dort wollte er sich niedersetzen und alles in Ruhe überdenken. Aber als er kaum zwanzig Me ter von der Straße entfernt war, schlangen sich unsichtbare Bänder um seinen Körper und drückten ihn zu Boden. Ein Band legte sich über den Mund des Feuermagiers, ehe dieser empört aufzuschreien vermochte.
33 Erschrocken sah er sich um. Derjenige, der ihn eingefangen hatte, ließ sich vorerst nicht blicken. Dafür sah Howath Breckonzorpf aus der Hütte kommen. Da der Wettermagier eine Maske trug, konnte man sein Gesicht nicht erkennen, aber aus der Art wie Breckonzorpf sich in den Don nerwagen schwang, grob die Zügel hochriß und nicht einmal den großen Katzen eine freundliche Geste schenkte, glaubte Howath erkennen zu können, daß Breckonzorpfs Laune nicht die beste war. So gesehen, muß te er seinem unsichtbaren Gegner dankbar sein. Breckonzorpf brauste mit seinem Donner wagen davon, ohne den Feuermagier zu be merken. Gleich darauf lockerten sich die magi schen Bänder. Howath richtete sich hastig auf und überzeugte sich davon, daß seine Maske sein Gesicht wieder vollständig be deckte. Übrigens trugen die Magier diese Masken nicht nur aus rein magischen Be weggründen heraus, sondern auch, weil sie sonst außerhalb der Reviere ihren Gefühlen überhaupt keinen Lauf mehr hätten lassen dürfen. Der Ehrenkodex gerade der negati ven Magier war so streng, daß schon ein Lä cheln zum falschen Zeitpunkt Anlaß zu ei nem Duell sein konnte. Ohne Masken hätte diese Sorte Magier sich daher längst ausge rottet gehabt. Da sich noch immer niemand zeigte, be gab sich Howath verdrossen wieder auf den Weg zu der vorher gewählten Baumgruppe, und als er dort ankam, entdeckte er Torla, die mit ihren Augen Blitze zu schleudern vermochte. Es waren Blitze, die man nicht sah, sehr wohl aber spürte, wenn man von ihnen getroffen wurde. Torla konnte ihre Opfer lähmen, bewußtlos machen oder aber auch töten, es lag ganz bei ihr. »Du solltest Rischa dankbar sein«, sagte sie zu Howath. »Warum hat sie mich zu Boden gewor fen?« wollte Howath ungnädig wissen. »Weil Breckonzorpf dich nicht sehen soll te. Was hast du erfahren?«
34 »Wenn du etwas von Opkul wissen willst, geh hin und frage ihn selbst!« »Du bist ein Narr, Howath!« sagte Torla leidenschaftslos. Der Feuermagier hob wütend die Arme. Hinter den Augenschlitzen der grauen Me tallmaske, hinter der die Blickmagierin ihr Gesicht verbarg, leuchtete es in drohendem Grün auf, und Howath zuckte erschrocken zurück. »Was willst du von mir?« rief er wütend. »Setz dich hin und höre mir zu!« befahl Torla so sanft, daß dem Feuermagier eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief. Wenn Torla auf diese Weise sprach, wurde es ge fährlich. Er setzte sich also auf einen Stein, fest entschlossen, sich durch nichts heraus fordern zu lassen. Aber schon die erste Frage, die Torla an ihn richtete, ließ ihn alle guten Vorsätze ver gessen. »Wie gut erinnerst du dich an die Zeit in der Tronx-Kette?« Er sprang auf und streckte der Blickma gierin abwehrend die Hände hin. »Rede nicht davon!« stieß er hervor. »Laß dieses Theater!« befahl Torla grob. »Wir haben dort alle zusammen in einem großen Revier gelebt, und wir haben es über eine lange Zeit hinweg getan. Kannst du dich noch darauf besinnen, warum es so war?« Howath sank auf den Stein zurück und schlug trotz der Maske die Hände vor die Augen. »Wir haben uns von diesem Narren, die sem Stimmenmagier, einwickeln lassen«, stöhnte er. »Nur daran kann es gelegen ha ben!« »Das ist das eine«, bestätigte Torla gelas sen. »Aber da war noch etwas, Howath. Reiß dich gefälligst zusammen – ich gebe dir keine zweite Chance!« »Ich habe dich auch um die erste nicht ge beten«, fuhr der Feuermagier auf, aber er hatte nicht mehr die Kraft, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen. Er dachte über das Problem nach. Das war
Marianne Sydow gar nicht so einfach. Sich zu erinnern, das hieß, die Gedanken auf eine schier endlose Kette von Dummheiten zu richten, die man begangen hatte. Sie hatten miteinander gear beitet. Sie waren Freunde gewesen. Sie hat ten für die positive Magie gekämpft. Sie hat ten alle guten Traditionen mit Füßen getre ten. Sie hatten nicht einmal Masken getra gen. Sie hatten … Er unterbrach mit einer gewaltigen Wil lensanstrengung den Fluß seiner Gedanken. »Es ist sinnlos«, sagte er zu Torla. »Was immer du von mir hören willst, ich kann dir die Antwort nicht geben. Ich habe keine Ah nung, worauf du überhaupt hinauswillst.« »Hm«, machte Torla. »Die Feuermagie ist kein besonders seltenes Fach, aber niemand beherrscht sie so gut wie du. Es könnte sein, daß wir dich brauchen werden. Ich möchte nicht gerne gerade auf dich verzichten.« Howath starrte sie an, und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Ja«, murmelte er. »Ich bin der größte Feuermagier von Oth, du bist die größte Blickmagierin. Viele richten ihre Blicke auch auf Dinge, die sich in anderen Teilen Pthors abspielen, aber was sie dann aussa gen können, das gleicht einem Rätsel. Nie mand ist in dieser Beziehung so zuverlässig wie Opkul. Und das gilt für alle, die in der Tronx-Kette gelebt haben. Haswahu und Antharia, Querllo und Estrala …« Ihm fiel plötzlich ein, weshalb er sich von Opkuls Hütte weggestohlen hatte. »Ich war übrigens auf der Suche nach Estrala«, sagte er hastig. »Ich wollte sie bit ten, mir einen kleinen Gefallen …« »Erzähle mir das in ein oder zwei Minu ten«, fiel Torla ihm ins Wort. »Du warst eben dabei, meine Frage zufriedenstellend zu beantworten. Also: Woran erinnerst du dich, wenn du an die Tronx-Kette denkst?« Diesmal brauchte Howath nicht lange zu überlegen. »Wir hatten Macht«, antwortete er. »Sehr große Macht sogar. Nur haben wir sie nie mals ausgespielt – und das lag an Koratzo.« »Ja«, sagte Torla, und in ihrer Stimme
Der Schwarzschock schwang eine Spur von Haß mit. »Aber wie kamen wir zu der Macht?« Howath stutzte. »Wir sind eben gute Magier«, murmelte er verwirrt. »Das steht außer Zweifel. Trotzdem – es war noch etwas anderes im Spiel.« Howath musterte sie mißtrauisch. Er ahn te allmählich, worauf die Magierin hinaus wollte, und es gefiel ihm gar nicht. Anderer seits … Die anderen, die nicht bei den Rebellen gewesen waren, machten einfach da weiter, wo sie unmittelbar vor der Entscheidung am SkathaHir aufgehört hatten. Zwar dachten und handelten sie jetzt anders, als es damals der Fall gewesen war, aber sie kannten im merhin ihre Positionen. Vor langer Zeit hat ten sie miteinander gekämpft, jeder gegen jeden, und auf diese Weise festgelegt, wer sich wem unterzuordnen hatte. Schon jetzt war völlig klar, daß Breckonzorpf und Kol viss führende Rollen übernehmen würden. Schon bald mußte die endgültige Entschei dung fallen. Sie würden noch einmal gegen einander antreten, Kolviss und der Wetter magier, und die Gewißheit darüber, wie die ser Kampf ausgehen mochte, konnte sehr wohl an Breckonzorpfs schlechter Laune schuld sein. Der Wettermagier hatte gegen Kolviss gar keine Chance, davon war Ho wath überzeugt. Die Rebellen aber ließen sich bis jetzt noch nicht einordnen, sie waren die unbekannten Faktoren in einem sonst überschaubaren Spiel. Jeder einzelne von ih nen konnte einen Platz nahe dem oberen En de der Rangleiter beanspruchen, das stand fest. Mächtiger als Kolviss waren sie dage gen nicht. Oder doch? »Zusammen«, sagte Howath gedehnt, »wären wir jetzt vielleicht sogar imstande, die Macht in der Tronx-Kette an uns zu rei ßen!« Torla stieß zischend die Luft aus. »Endlich!« sagte sie leise. »Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr dar auf kommen.« »Das war es also!« murmelte Howath be
35 nommen. Dann kam ihm zu Bewußtsein, was unweigerlich als nächstes geschehen mußte, und er richtete sich hastig auf. »Mit mir nicht. Ich werde meinen eigenen Weg gehen, genau wie Opkul es macht.« Torla lachte laut auf. »Opkul«, sagte sie spöttisch, »war der er ste, der diese Zusammenhänge durchschau te. Was meinst du, woher er die Kraft nahm, sogar dem Traummagier zu widerstehen?« »Er hat ihm nicht widerstanden«, prote stierte Howath. »Ich habe selbst gehört, wie er …« »Er hat das gesagt, was wir vorher ge meinsam besprochen haben!« sagte Torla hart. »Wer ist ›wir‹?« fragte der Feuermagier verwirrt. »Du warst der letzte aus der Gruppe, den wir einzuweihen gedachten«, verkündete Torla gelassen. »Wir trauen dir nicht. Du warst Koratzo immer treu ergeben.« »Das stimmt nicht!« »Und ob das stimmt.« »Wenn es so ist – warum habt ihr eure Meinung geändert?« »Weil wir dich brauchen. Wir sind nur sechsundzwanzig.« Das sind sechsundzwanzig zu viel, wenn man nach den Gesetzen geht, dachte Howath sarkastisch, dann stutzte er. »Sechsundzwanzig?« wiederholte er ver blüfft. »Wollt ihr Islar ausschließen?« »Du siehst das falsch«, behauptete Torla. »Islar schließt sich selbst aus. Sie weigert sich, mit irgend jemandem zu sprechen. Vielleicht braucht sie nur Zeit, sich an die Umstellung zu gewöhnen, aber solange sie unentschlossen bleibt, können wir sie nicht gebrauchen. Sie würde nur unsere Pläne durcheinanderbringen.« »Was für Pläne sind das?« fragte Howath neugierig. »Kannst du dir das nicht denken? Wir werden die Macht in Pthor an uns reißen. Gemeinsam werden wir über jeden siegen, der sich uns in den Weg stellt. Die Vorberei tungen sind fast abgeschlossen. Was Opkul
36 angeblich verriet, wird die anderen dazu treiben, die ORSAPAYA noch heftiger an zugreifen. Aber dabei wird jeder für sich al leine kämpfen. Es steht jetzt schon fest, daß die vier, die sich oben am Gnorden versam melt haben, in einem solchen Kampf siegen müssen, denn sie werden im Verbund arbei ten und dadurch ein Vielfaches an Macht ge winnen. Darum werden Kolviss und Breckonzorpf und all die anderen bis hinun ter zu Gofruun und seinem Alterenkel Nie derlagen erleiden und am Ende so ge schwächt sein, daß wir sie mit einem Schlag aus dem Wege räumen können.« »Wir dürfen sie auf keinen Fall töten!« mahnte Howath entsetzt. Torla winkte ab. »Niemand von uns hat Lust, über eine tote Barriere zu herrschen«, sagte sie zynisch. »Was sollen wir ohne die, die uns unterlegen sind? Es macht wenig Freude, den Sterbli chen unsere Macht zu beweisen. Selbst der geringste unter uns kann diese Wesen beein drucken. Aber ein wirkliches Urteil können sich nur die Magier erlauben. Und sie wer den lernen, uns zu bewundern!« Howath nahm das zur Kenntnis. Im Au genblick ging das Ganze etwas über seinen Horizont. Er hatte nie daran gezweifelt, daß seine Magie die größte, schönste und mäch tigste im Lande Oth war, aber er hatte klu gerweise alle harten Konfrontationen ver mieden. Selbst die Zeit, die er in der TronxKette verbracht hatte, stufte er in dieser Weise ein: Er hatte sich nur deshalb mit Ko ratzos verderblichen Ideen arrangiert, weil er es nicht auf eine Auseinandersetzung an kommen lassen wollte. Denn daß Koratzo mächtiger war als er selbst, das gab Howath sogar jetzt noch, wenn auch widerwillig, zu. »Du kannst mitmachen, du kannst es aber auch bleiben lassen«, sagte Torla drängend. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.« »Warum nicht? Pthor will sich in Bewe gung setzen. Aber niemand weiß, wohin wir fliegen.« Torla lachte leise auf. »Glaubst du das wirklich?« fragte sie
Marianne Sydow spöttisch. »Man muß die ganze Sache doch nur logisch betrachten. Seit der letzten regu lären Landung ging alles schief. Die Herren der FESTUNG starben, die FESTUNG selbst fiel diesem Atlan in die Hände, der sich zum König von Pthor ausrufen ließ und dabei genauso närrische Ziele verfolgte, wie wir es von Koratzo gewöhnt sind. Und was kam dann? Zuerst erwachte der VONTHA RA.« »Das war, bevor Atlan zum König er nannt wurde!« »Laß doch die Haarspaltereien. Jedenfalls waren die Aktionen des Wächters eine deut liche Warnung, die der Dunkle Oheim uns zukommen ließ. Kreaturen wie Atlan und Koratzo scherten sich natürlich nicht darum. Und wieder warnte man uns: Pthor setzte sich in Richtung auf die Schwarze Galaxis in Bewegung. Haben wir uns da auf unsere Aufgabe besonnen? Nein, wir folgten weiter diesen Narren, denn wir waren verblendet von dem, was sie sagten. Unsere Ankunft im Marantroner-Revier hätte uns zeigen müs sen, auf welch gefährlichem Weg wir uns befanden. Statt dessen beauftragten wir Glyndiszorn damit, einen Großen Knoten zu flechten. Ohne diese Ding hätten wir den Ruf des Dunklen Oheims sicher vernom men. Dann aber kam Chirmor Flog und gab uns die Macht. Er büßte mit seinem Leben für unsere Fehler.« »Niemand weiß, ob er wirklich tot ist«, wagte Howath einzuwenden. »Doch! Opkul sagt es, und er hat keinen Grund zu lügen. Er kann es ganz deutlich se hen. Die beiden Fremden, Koy und dieser grünhäutige Riese, haben den Neffen bei sich. Der mit der grünen Haut hat Chirmor Flog in einen Apparat gesteckt, der ihn am Leben erhalten soll. Aber du weißt, was da von zu halten ist, wenn Sterbliche solche Dinge tun.« »Wir Magier könnten versuchen, Chirmor Flog zu retten«, schlug Howath vor. »Der Dunkle Oheim würde es uns hoch anrech nen.« »Chirmor Flog ist tot!« entgegnete Torla
Der Schwarzschock
37
energisch. »Sein Körper funktioniert noch – teilweise. Aber alle Kraft ist aus ihm gewi chen. Wenn Querllo sagt, daß es hoffnungs los ist, sollten wir ihm glauben.« Howath nickte nur. »Nachdem der Oheim«, fuhr Torla fort, »mit seinem Neffen einen engen Verwand ten verlor – unseretwegen! – bleibt ihm nur noch eines, was er tun kann.« »Er holt Pthor zu sich«, sagte Howath be nommen. »Und dann bricht ein Strafgericht über dieses Land herein, gegen das sich selbst die grausamsten Sagen wie harmlose Kindermärchen ausnehmen werden!« »So ist es!« sagte Torla. »Dann ist sowieso alles verloren«, meinte Howath mutlos. »Nein«, antwortete die Blickmagierin. »Es gibt noch eine Chance, wenigstens für uns Magier. Wir müssen dem Dunklen Oheim beweisen, daß wir ihm treu sind, auch wenn wir uns gelegentlich in die Irre führen ließen. Wir werden den Schirm ver nichten und jene Narren ausschalten, die uns in diese Situation gebracht haben. Wir müs sen auch Kolviss, Breckonzorpf und all die anderen zu unseren Gegnern zählen, denn sie sind offensichtlich nicht imstande, dem Dunklen Oheim aus vollem Herzen zu die nen. Wenn der Schirm erlischt, werden wir hinausgehen und Pthor in Besitz nehmen. Wir werden dem Dunklen Oheim dieses Land zum Geschenk machen, und er wird uns reich belohnen!« Howath dachte lange über jedes einzelne Wort der Blickmagierin nach. »Ja«, sagte er schließlich. Er blickte auf und sah Torla geradewegs in die Augen. »Genau so soll es sein.«
7. Islar war durchaus nicht zufällig in der Tronx-Kette hängengeblieben. Sie begriff ziemlich schnell, was die anderen Magier von ihrer speziellen Magie hielten. Islar hat te es sich nicht ausgesucht. Sie war spontan darauf gestoßen, daß ihre größte Begabung
darin bestand, technische Elemente der Ma gie und der Antimagie miteinander zu ver binden und zu einer Einheit zu gestalten, die an Wirksamkeit alles, was es vorher auf dem betreffenden Gebiet gegeben hatte, übertraf. Da die Antimagie in Oth aber als äußerst an rüchig galt, schalt man Islar eine Halbma gierin – ein schlimmeres Schimpfwort gab es kaum. Nur in der Tronx-Kette bot man ihr die Möglichkeit, sich frei in ihren Fähigkei ten zu entfalten, ja, man erkannte sie dort so gar an. So bezog die junge Magierin ein Quartier, das zu jenen Gebäuden gehörte, in denen die Höhlenmagierin Wa einst gelebt hatte. Sie richtete sich häuslich ein und be gann zu arbeiten – an sich und an ihren Ge räten. Als der Neffe in der Barriere eintraf, un ternahm Islar gerade ein interessantes Expe riment. Sie kombinierte die ehemals in der Barriere allgemein gebräuchlichen Spionkri stalle mit antimagischen Antischwerkrafter zeugern. Diesen Dingern war sie auf die Spur gekommen, als sie die ScuddamorenSchilde untersuchte, die sie und einige ande re vom Planeten Järglinz mitgebracht hatten. Mit geradezu märchenhafter Sicherheit fand Islar heraus, nach welchem Prinzip man dort die Schwerkraft manipulierte, und sie sah auch sogleich, was an diesen Geräten ver besserungsbedürftig war. Islar begab sich an die Arbeit. Als der Schwarzschock über die Barriere hereinbrach, waren bereits um die zwanzig Sonden unterwegs. Islar hatte nie daran ge dacht, damit die privaten Gespräch anderer Magier zu belauschen. Aber sie konnte es nicht vermeiden, daß sie hier und da Zeugin höchst unerfreulicher Szenen wurde. Da sie selbst vom Schwarzschock nicht betroffen war, dauerte es einige Zeit, bis sie die richti gen Schlüsse zu ziehen vermochte. Dann aber setzte sie ihre winzigen Spione bedenkenlos so ein, wie sie es im Interesse der positiven Magie für nötig hielt. Die Eigenart der Spionkristalle bestand darin, daß sie magisch nicht zu orten waren, sobald sie an ihrem Platz saßen. In der Be
38 wegung konnte man sie dagegen leicht aus machen. Antimagischen Geräten erging es genau umgekehrt. Wenn sie so winzig waren wie die, die Islar benutzte, so mußten sie schon einige Stunden in einem Revier ver weilen, ehe der betreffende Magier auf sie aufmerksam wurde. Im Fall der Sonden war das Gleichgewicht so sorgfältig abgestimmt, daß beide Faktoren sich gegenseitig aufho ben. Mit anderen Worten: Islar konnte ihre winzigen Spione an jeden beliebigen Ort schicken, ohne daß irgend jemand etwas da von merkte. Sie erfuhr so gut wie alles, was in diesen Tagen in der Barriere geschah. Sie sah, wie Kolphyr seine Maschine baute, und sie litt Höllenqualen angesichts der Ungenauigkei ten, die dem Bera wegen des verwendeten magischen Materials zwangsläufig unterlie gen. Sie war genau über die Vorgänge am Gnorden informiert. Bald merkte sie auch, daß Opkuls provisorische Unterkunft an der Grenze zum Gnorden sich zu einem neural gischen Punkt auswuchs, den es im Auge zu halten galt. Und schließlich belauschte sie ein sehr aufschlußreiches Gespräch zwi schen Torla und Howath. Sie kannte diese beiden und mochte sie besonders gerne, und darum schmerzte es sie sehr, sie auf der Seite des Gegners zu wissen. Aber noch weit schlimmer litt Islar unter der Tatsache, daß sie Koratzo vor dem heraufziehenden Unheil nicht warnen konn te. Der Stimmenmagier und die anderen Im munen bereiteten sich auf einen harten Kampf vor. Sie unterschätzten also keines wegs die Gefahr. Aber sie ahnten nicht, wie viel schlimmer es dadurch werden mußte, daß die früheren Rebellen aus der Tronx-Ket te sich, obwohl negativ geworden, zu einem Verbund zusammenschließen wollten. Das bedeutete, daß die Macht jedes einzelnen schlagartig vervielfacht wurde. Diese sechs undzwanzig Magier würden, wenn sie kon sequent arbeiteten, imstande sein, buchstäb lich die Barriere aus den Angeln zu heben. Negative Magier, die im Verbund arbeiteten – so etwas hatte er nie zuvor gegeben, und
Marianne Sydow der Geist des Kir Ban mochte wissen, was dabei alles herauskommen mochte! Aber Islars Spione funktionierten nur ein seitig. Die Kristalle nahmen jedes Geräusch auf, das in ihrer Umgebung entstand, aber sie vermochten selbst keinen Laut zu erzeu gen. Islar zermarterte sich den Kopf, um einen Ausweg aus ihrem Dilemma zu fin den. Zwischen dem Gnorden und der TronxKette lagen rund einhundertsechzig Kilome ter – Luftlinie! – wildes Bergland, das von negativ gewordenen Magiern kontrolliert wurde. Das schnellste Verkehrsmittel, das der jungen Magierin zur Verfügung stand, war ein äußerst ausdauerndes Yassel. Bis zur Grenze der Tronx-Kette hätte sie binnen einer halben Stunde gelangen können, denn die Straßen bestanden noch. Aber sobald sie die Brücke betrat, die über die Schlucht der schwarzen Nebel führte, wäre sie allein auf das Yassel angewiesen gewesen, und wenn dieses auch noch so schnell und ausdauernd sein mochte, so konnte es doch nicht mehr rechtzeitig zum Gnorden vordringen. Und selbst wenn die Frist größer gewesen wäre – jetzt dort hinauszureiten war glatter Selbst mord, jedenfalls für Islar. Unterdessen sammelten sich die Magier am Fuß des Gnorden. Sie kamen durch die tieferen Schluchten, wo sie für Koratzo und die anderen nicht so leicht aufzuspüren wa ren, und sie schämten sich nicht, die ver wahrlosten Hütten der Seelenlosen zu beset zen. Auf den ehemaligen Versammlungs plätzen der stummen Diener hielten nun die Magier ihre Beratungen ab. Bald waren alle anwesend, die es zu dieser Zeit in der Bar riere gab: Breckonzorpf und Kolviss, die Bewohner der Tronx-Kette, die kleinen, dunklen Männer am Rand, soweit sie sich am Skatha-Hir für die positive Magie ent schieden hatten, die Bewohner der engen Reviere zwischen dem Crallion und dem Tal der Schneeblume, die Nichtmenschlichen, die in den Tälern zwischen Lichterfang, KoFomath und Crallion lebten. Aus den Bergen westlich vom Tal der Schneeblume kamen die, die man die Nutzlosen nannte, denn in
Der Schwarzschock ihren kleinen Revieren, die vor Blüten über quollen, lebten sie unbekümmert in den Tag hinein, fröhlich und faul, immer zu allerlei Späßen aufgelegt – diesmal aber war davon nicht viel zu spüren. Islar hatte niemals so viele Magier an einem Ort versammelt gese hen, und das farbenprächtige Bild, das sie über ihre Spione empfing, gab ihr einen Be griff davon, wie es gewesen sein mochte, als die Magier im Tal der Schneeblume die Ent scheidung für oder gegen die Herren der FE STUNG gefällt hatten. Sogar Heix war an wesend, obwohl er nicht einmal ein Halbma gier, sondern nur ein Medium war. Und sie alle stürzten sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen zu der großen Schlacht. Wenn man bedachte, daß dieser Schar nur vier Gegner gegenüberstanden, konnte einem wirklich angst und bange wer den. Trotzdem hätten diese vier eine Chance gehabt, wären die Rebellen aus der TronxKette nicht gewesen. Man hielt sich nicht lange mit Beratungen auf. Die Magier waren ungeduldig, sie konn ten es nicht erwarten, endlich den Schirm zu beseitigen, damit sie frei waren und nach Pthor hinausgehen konnten, um dort Angst und Schrecken zu verbreiten. Schon bald brachen sie auf, stiegen über die Pfade, die die Seelenlosen in die zerklüf teten, steilen Wände der Schlucht geschla gen hatten, zum Gnorden hinauf und an des sen südlicher Flanke empor. Einige waren flink wie die winzigen roten Salamander, die in der Schlucht der gläsernen Felsen lebten, andere schwerfällig wie die dicken Onyxkä fer vom Lichterfang, aber doppelt so beharr lich und dreimal so zielbewußt wie diese. Kolviss hing pulsierend über ihnen und schi en wohlgefällig diese Armee zu betrachten, während Breckonzorpf mit seinem Donner wagen die ganze Schar umkreiste wie ein nervöser Hund seine Herde. Er griff ein, wo immer es nötig war. Islar starrte wie gebannt auf diese Bilder und war unfähig, den Kontakt zu den Kri stallen zu unterbrechen, obwohl sie es gerne getan hätte – für sie, die ja erst seit ganz kur
39 zer Zeit zu den Magiern zählte und gehofft hatte, einmal zu denen zu gehören, deren Wort und Magie Gewicht hatten, war es schlimm, dies alles mitanzusehen. Denn was sich da vorbereitete, war das Ende der Ma gier von Oth. Plötzlich aber zuckte ein Gedanke durch ihr Gehirn, der so überraschend war, daß sie sich spontan den Bildern zuwendete, die ein anderer Kristall ihr lieferte. Sie sah in die Höhle hinein, in der Kolphyr und Koy hau sten. Dort stand die Maschine, die der Bera gebaut hatte. Es war ein plumpes, unvoll kommenes Gerät. Der Anblick schmerzte Is lar geradezu. Vieles saß an der falschen Stel le, Verbindungen beschrieben nutzlose Um wege … Und doch, wenn man dieses Ding nur ein wenig hätte verändern können, wäre es vielleicht möglich gewesen, das Unglück aufzuhalten. Islar sah die Stellen, an denen sie Umbauten vornehmen mußte, ganz deut lich. Nur wenige Handgriffe waren erforder lich. Und sie brauchte ein Teil, das Kolphyr nicht in seiner Sammlung hatte. Sie sprang so heftig auf, daß einige Ver bindungen zu den Spionen zerbrachen, aber sie achtete nicht darauf. Sie rannte durch ihr Heim und suchte verzweifelt nach dem, was an der Maschine fehlte. Sie fand dieses Teil, das wie ein roher Brocken aus Lava und grauem Eisen aussah, und verließ ihre Be hausung. Über die magischen Straßen raste sie, so schnell sie konnte, durch die jetzt menschen leere Tronx-Kette.
* Die Straße führte nicht direkt zu der Höh le der beiden Fremden. Islar sprang von dem unsichtbaren Band und rollte, da sie sich nicht die Zeit genommen hatte, ihre Ge schwindigkeit wesentlich zu verringern, einen kurzen, grasigen Hang hinunter. So fort war sie wieder auf den Beinen. Der Pfad, der nach unten, zum Rand der Schlucht, führte, war schmal, steil und stei nig, aber Islar hatte ihr bisheriges Leben im
40 Revier der Sterblichen zugebracht, in dem die Berge niedriger, dafür aber noch zerklüf teter waren als in der eigentlichen Barriere. Wie ein wildes Ortny stürmte sie bergab und hielt erst inne, als sie die Höhle bereits er kennen konnte. Sie sah, daß die beiden Fremden vor dem Eingang standen. Beide schienen sehr aufge regt zu sein. Kolphyr redete auf den Tromm ler ein und vollführte dabei heftige Gesten. Koy deutete immer wieder auf die Höhle, streckte dem Bera abwehrend die Hände ent gegen und schüttelte so heftig den Kopf, daß die Broins auf seiner Stirn schwankten. Islar hielt es für besser, sich diesen Frem den vorsichtig zu nähern, denn sie wußte, welch verheerende Kräfte in dem Trommler steckten. Sie durfte Koy nicht erschrecken und ihn damit vielleicht zu einem spontanen Angriff verleiten. Sie zwang sich, das letzte Stück langsam hinabzugehen. »Ich komme in Frieden!« rief sie, als sie meinte, nahe genug heran zu sein. Die beiden ungleichen Wesen fuhren her um. »Wer bist du?« fragte Kolphyr mißtrau isch. Islar tat noch ein paar Schritte, blieb dann stehen und hob langsam die Hände, damit der Bera sehen konnte, daß sie keine Waffen bei sich trug. Sie war sich dabei der Tatsa che bewußt, daß dies den Forscher nicht sonderlich beruhigen würde, denn ein Ma gier mit leeren Händen mochte zehnmal so gefährlich sein wie zwei bewaffnete Scudda moren. »Islar, die Gerätemagierin«, sagte sie. »Ich habe dich beobachtet, als du deine Ma schine bautest. Das Gerät ist unvollkommen. Erlaube mir, daß ich es fertigstelle.« »Du hast uns beobachtet?« fragte Koy mißtrauisch. »Wir haben niemanden be merkt.« Islar fand, daß der Augenblick nicht ge eignet sei, dem Trommler die Arbeitsweise der Spionkristalle zu erklären. »Ich habe meine Magie angewandt«, sag-
Marianne Sydow te sie darum nur, und sie stellte erleichtert fest, daß Koy sich mit dieser Erklärung zu frieden gab. Sie wandte sich wieder dem Be ra zu. »Jeden Augenblick kann die Schlacht der Magier beginnen«, erklärte sie drängend. »Koratzo und die drei anderen wissen nicht, daß die Gefahr noch viel größer ist, als sie bisher angenommen haben. Sie werden in diesem Kampf unterliegen, und die ehemali gen Rebellen der Tronx-Kette werden den Schirm niederreißen. Aber es ist keiner unter ihnen, der die Knotenmagie gut genug be herrscht. Du bist Dimensionsforscher, und darum wirst du sicher genauer als viele an dere erkennen können, welche Folgen es für uns und ganz Pthor haben muß, wenn der Schirm gewaltsam aufgebrochen wird. Das Gerät, das du gebaut hast, könnte uns hel fen.« »Es ist nur eine Überlebensmaschine«, gab Kolphyr zu bedenken. Islar hob ungeduldig die Hände. »Es ist viel mehr!« rief sie. »Ich werde nicht viel Zeit brauchen. Und ich werde auch Chirmor Flog nichts tun, das schwöre ich dir. Bitte, erlaube mir, dieses Teil in das Gerät zu setzen und ein paar Verbindungen zu verändern.« Kolphyr warf einen Blick auf den formlo sen Klumpen in Islars Hand. »Ich habe nichts dagegen«, murmelte er. Die Magierin brauchte ein paar Sekunden, um ihrer Überraschung Herr zu werden. Sie hatte damit gerechnet, daß Kolphyr seine Maschine verteidigen würde. »Gut«, sagte sie schließlich. »Ich danke dir, Kolphyr. Du rettest so viel, daß es eine angemessene Belohnung gar nicht geben kann.« »Freue dich nicht zu früh«, warnte der Bera, und in seiner hellen Stimme lag etwas, was Islar nicht zu deuten wußte. »Um die Maschine zu verändern, mußt du in die Höh le gelangen.« »Was sollte daran so schwierig sein?« fragte Islar verblüfft. »Oder willst du mir den Weg nicht freigeben?«
Der Schwarzschock In einem plötzlichen Verdacht sah sie zu Koy hinüber. Der Trommler zitterte am gan zen Körper vor Furcht. »Koy!« rief sie beschwörend. »Ich muß dort hinein!« »Ich habe nichts dagegen einzuwenden«, behauptete der Trommler. »Aber dann …« »Er wird dich nicht zu der Maschine las sen!« fiel Kolphyr der Magiern ins Wort und deutete dabei auf den düsteren Eingang. Als Antwort auf diese plötzliche, heftige Geste des Bera erklang ein dumpfes, grollendes Knurren. Da erst begriff Islar, wie die Dinge wirk lich lagen. »Ihr hattet Fenrir doch betäubt«, sagte sie ratlos. »Was ist geschehen?« »Ich nahm ein paar Verbesserungen an der Maschine vor«, berichtete Kolphyr be trübt. »Damit war ich so sehr beschäftigt, daß ich nicht auf Koy und Fenrir achten konnte. Der Trommler schlief ein. Er hat so lange über den Wolf gewacht, daß seine Kräfte ihn verließen. Er konnte mich nicht einmal mehr warnen, bevor der Schlaf ihn übermannte.« »Und Fenrir erwachte«, vermutete Islar. »Ja. Es ging so schnell, daß ich so gut wie nichts mehr tun konnte. Die Waggu lag ne ben dem Trommler, ich hätte die Waffe nicht mehr auf den Wolf richten können. Genauso sinnlos wäre der Versuch gewesen, Fenrir zu stoppen, denn Koy befand sich zwischen uns. So blieb mir nur eines: Ich sprang auf Koy zu und riß ihn gerade noch rechtzeitig an mich. Fenrir versuchte trotz dem, an den Trommler heranzukommen. Al so rannte ich aus der Höhle hinaus. Ich kam nicht einmal mehr dazu, die Waggu mitzu nehmen. Fenrir blieb in der Höhle, aber er läßt niemanden hinein.« »Glaubst du, daß er dich verletzen könn te?« Kolphyr zuckte nach menschlicher Ma nier die Schultern. »Er hat es nie zuvor versucht«, sagte er ratlos. »Aber jetzt hat er alle Hemmungen
41 verloren, und er ist so wütend, daß er es so fort probieren würde. Wenn es ihm gelingen sollte, den Velst-Schleier aufzureißen – nun, ich denke, die Gefahr, die diesem Land durch die Magier und den Großen Knoten droht, ist groß genug.« Islar nickte schaudernd. Sie wußte, was geschehen würde, wenn Kolphyrs Körper mit der Normalmaterie von Pthor in Berüh rung kam. Es hätte hinterher keine Barriere von Oth mehr gegeben, und auch keine Ma gier, die den Schirm gefährden konnten. Vermutlich wäre überhaupt nicht mehr viel von Pthor übriggeblieben. »Aber du könntest deine Broins gebrau chen«, wandte sie sich an Koy, und als sie den Ausdruck auf seinem faltigen Gesicht sah, fügte sie hastig hinzu: »Ich weiß, daß Fenrir lange Zeit hindurch euer Kampfge nosse war, und ich würde alles tun, um den Wolf zu retten. Du sollst ihn auch gar nicht töten. Du kannst aufhören zu trommeln, be vor es zum Schlimmsten kommt. Aber Fenr ir wird für kurze Zeit hilflos sein. Dann kön nen wir an ihm vorbeischlüpfen und ihn mit der Waggu betäuben.« »Daran haben wir bereits gedacht«, sagte Koy unglücklich. »Es ist nur so – ich muß Fenrir sehen, damit ich die Broinskraft auf ihn richten kann. Fenrir weiß das. Er zeigt sich nicht im Eingang der Höhle.« »Und wenn wir ihn reizen?« »Auch das haben wir versucht«, mischte der Bera sich ein. »Es hat nichts genützt. Der Wolf ist viel zu schlau, um auf so einen Trick hereinzufallen.« Ratlos sah Islar die beiden Fremden an. Plötzlich wurde es sehr hell um sie herum. Ein greller Blitz zuckte aus der Innenwand des Großen Knotens hervor. Der nachfol gende Donner ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern. In der Schlucht der gläser nen Felsen waberte es dunkelrot auf, und drüben, am SkathaHir, löste sich donnernd eine Steinlawine. Entsetzt schlugen sie die Hände vor die Augen, geblendet von uner träglicher Helligkeit. Von nun an kam der Schirm nicht mehr
42
Marianne Sydow
zur Ruhe. Der Himmel über Oth war ange füllt von flackerndem Licht, und die Berge zitterten. Der Große Knoten riß an seinen Verankerungen. Die Schlacht um die ORS APAYA war in vollem Gang.
8. In der Geschichte der Großen Barriere von Oth gab es viele Dinge Tage, an die die Magier sich nur ungerne und voller Scham erinnerten. Aber dieser eine Tag war der schlimmste von allen. Schon der erste Angriff hätte um ein Haar das Ende herbeigeführt. Ein von Querllo ge schleuderter Lichtfunke durchbrach alle vor sorglich errichteten Sperren und riß ein Loch in die Hülle des Flugkörpers, an dem die Gondel der ORSAPAYA mit dem magi schen Zentrum hing. Zum Glück war es nur ein kleines Loch. Copasallior versetzte einen der für solche Zwecke vorbereiteten Pech fladen auf die innere Hülle des Flugkörpers und dichtete das Leck auf diese Weise pro visorisch. Aber für einige Sekunden strömte Gas aus und ließ das ganze Schiff schwan ken, daß die Ankertrossen knarrten und krachten. Gewaltige Blitze zuckten aus der inneren Wand des Großen Knotens, und die Barriere bebte. Geröll polterte über die Hän ge des Gnorden. Ein Magier stürzte ab, zwei andere wurden von Felsbrocken überrollt. Aber wenn die Verteidiger des Knotens gehofft hatten, daß diese Ereignisse den an deren einen heilsamen Schrecken einjagen würden, so hatten sie sich getäuscht. Kaum war wieder Ruhe eingetreten, da rückten sie erneut vor. Sie kämpften mit al lem, was ihnen zur Verfügung stand. Breckonzorpf schwang seinen Speer, Kol viss baute Traumbilder und Illusionen auf. Querllos Lichtfunken stoben auf die ORSA PAYA zu, und glühende Wolken ballten sich da, wo die gemeinsamen Sperren der vier positiven Magier endeten. Die Luft war erfüllt vom Knistern unsichtbarer Blitze, die Torla versendete. Die Gewichtmagierin On tra ließ Felsbrocken schwerelos werden,
hoch hinaufschweben und auf die ORSAPA YA herabstürzen. Als das keinen Erfolg ein brachte, weil sie zu weit unten am Hang stand und nicht genau genug zu zielen ver mochte, verlegte sie sich darauf, systema tisch den Rand des Hochtals abzubrechen, womit sie allerdings auch bald wieder auf hören mußte, weil sie ihre eigenen Leute in Gefahr brachte. Und es gab noch viele magi sche Waffen. Aber auch die Gegenwehr wurde erbittert geführt. Koratzo schickte seine Stimme aus, betäubte, führte irre, störte die Verständi gung zwischen den angreifenden Magiern. Wo immer eines seiner Opfer bewußtlos zu sammenbrach, griff Copasallior mit seinen Transmitterkräften zu und schickte die hand lungsunfähigen Magier in eine weit entfern te Schlucht – sie würden Tage brauchen, um wieder zum Gnorden zu gelangen. Angrei fern, die bis dicht an den Rand des Tales ge langten, geschah es meistens unerwartet, daß sie sich von einem Augenblick zum anderen auf den höchsten Spitzen der drei Eiszinnen wiederfanden, die nördlich der Dunklen Tä ler aufragten. Und Parlzassel stand dicht neben Koratzo und lauerte auf jene Momente, in denen der Stimmenmagier neben einem potentiellen Opfer für seine abwehrenden Laute auch ein Yassel oder ein anderes Reittier mit seinen magischen Sinnen berührte. Dann schickte zuerst Koratzo den Reiter in den Schlaf, und anschließend gab Parlzassel dem Tier be stimmte Befehle. Die Zahl der Verletzun gen, die durch Tritte, Schläge, Bisse und Prankenhiebe herbeigeführt wurden, über stieg diejenige derer, die von magischen Waffen herrührten. Nur Glyndiszorn konnte nicht mehr tun, als seinen Beitrag zur Ver stärkung der Sperren beizusteuern. Er saß im Zentrum des Knotens und bemühte sich nach besten Kräften, dieses gigantische Ge bilde ruhig zu halten. Stundenlang wogte die Schlacht hin und her. Indem sie nacheinan der die schwächeren Magier, die sich gegen die Kräfte der Stimmenmagie und den Zu griff der Transmitterkraft nicht stark genug
Der Schwarzschock abschirmen konnten, vom Gnorden entfern ten, schraubten Copasallior und Koratzo die Zahl der Einzelangriffe unablässig herab, schufen aber auch zusätzlichen Aktionsraum für jene Angreifer, die über die stärkeren Waffen verfügten, so daß der Vorteil nicht allzu groß war. »Wenn sie sich nichts Neues einfallen las sen«, sagte Parlzassel einmal in einer kurzen Atempause, »dann können wir gewinnen, wenn wir nur lange genug durchhalten.« Koratzo warf ihm einen seltsamen Blick zu, spürte dann etwas, das aus der Tiefe der Schlucht heraufdrang und konzentrierte sich hastig auf den Punkt, von dem das für ihn nicht deutlich erkennbare Geschoß kam. »Schon wieder Ontra!« sagte er wütend, legte die Hand auf Copasalliors Schulter und zeigte dem Weltenmagier, wo er ansetzen mußte. Im nächsten Augenblick griff er mit seinen seltsamen Kräften schon wieder in die Schlucht hinab. Aber als er Ontra mit ei nem dieser besonderen Laute zu betäuben versuchte, stieß er auf Widerstand. Er tastete sich daran entlang – dann zog er sich hastig zurück. »Was war in dem Ding?« fragte Copasal lior. »Ein giftiges Gas«, murmelte Koratzo nachdenklich. »Hör zu, Copasallior, ich ha be eine schlechte Nachricht für dich. Wir können uns höchstens noch zwei Stunden lang halten.« »Bist du übergeschnappt?« erkundigte sich der Weltenmagier, hob kurz die Arme und schleuderte wieder einmal einen allzu mutigen Magier vom Gnorden weg. »Es sind noch höchstens fünfzig Leute übrig, mit denen werden wir auch noch fertig.« »Zu diesen fünfzig gehören meine ehema ligen Freunde aus der TronxKette«, erklärte Koratzo tonlos. »Ontra hat sich ihnen ange schlossen. Sie waren es, die uns die Kapsel schickten. Sie arbeiten im Verbund.« »Das tun wir auch!« »Aber wir sind nur zu viert – sie dagegen sind siebenundzwanzig Magier.« »Wir sind mächtiger als sie.«
43 Koratzo brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Wenn man jeden einzeln nimmt – ja. Aber einige von ihnen sind auch dann stark genug, daß wir uns in einem Zweikampf mit ihnen ganz schön anstrengen müßten. Alle zusammen … Copasallior, wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen! Wenn sie zu schlagen, dann können wir sie vielleicht noch für eine Stunde von der ORSAPAYA fernhalten. Danach werden wir so erschöpft sein, daß sie uns auf einen Schlag wegfegen können.« »Na gut«, murmelte Copasallior. »Sage Glyndiszorn Bescheid.« Für einen Augenblick trat eine Pause ein. Offenbar wurden viele Magier allmählich müde. Sie kämpften nicht nur gegen magi sche Einflüsse, sondern auch mit dem nicht gerade ebenen Untergrund, auf dem sie sich ständig bewegten. Koratzo nahm Verbindung mit Glyndis zorn auf, aber als er die Hektik spürte, die in dem Großen Knoten herrschte, ahnte er be reits, daß auch hier nicht alles so war, wie es sein sollte. »Copasallior bittet dich, den Großen Kno ten zu entflechten«, teilte er dem Knotenma gier mit, der oben in der Gondel saß und ge gen etwas kämpfte, was Koratzo nicht deut lich erkennen konnte. Glyndiszorn lachte schrill auf. Es war ein verzweifeltes Lachen, aus dem beginnende Panik klang. »Diese Narren haben den Knoten zu stark erschüttert!« keuchte er. »Es hat Einbrüche gegeben. Der Io-Parth ist um gute dreihun dert Meter niedriger geworden, am Hang der Töpferschnecke gibt es eine neue Schlucht. Ich muß den Knoten neu verankern, oder es fliegt uns innerhalb einer Stunde die ganze Barriere um die Ohren. Auflösen? Ich woll te, ich hätte das verdammte Ding längst erlö schen lassen.« Koratzo war für die Dauer einiger Herz schläge wie gelähmt vor Entsetzen. Dann riß er sich mühsam zusammen. »Du wirst es schaffen«, sagte er leise.
44 »Du wirst den Knoten halten, Glyndiszorn!« »Dein Vertrauen ehrt mich«, erwiderte der Knotenmagier sarkastisch. »Aber ich weiß nicht, ob es jetzt noch berechtigt ist.« »So darfst du nicht reden«, sagte Koratzo streng. »Kümmere dich um den Knoten – wir werden uns dieser Narren annehmen. Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht auch diesmal schaffen würden!« Als er sich zurückzog, spürte er gerade noch, daß Glyndiszorn neuen Mut geschöpft hatte. Voller Bitterkeit dachte er an seine früheren Freunde, die sich so sehr verändert hatten. Er hätte in diesem Augenblick selbst jemanden gebrauchen können, der ihm Mut zusprach … Er stutzte. Für einen Moment waren seine Gedanken von der Schlacht ab gewichen, und prompt stieß er auf etwas, das er bis dahin vernachlässigt hatte. Als er den Schirm abtastete, hinter dem Ontra sich vor ihm schützte, da hatte er ge spürt, daß siebenundzwanzig Magier an die sem Werk beteiligt waren. Siebenundzwan zig – aber wären alle seine Freunde aus der Tronx-Kette an der Verschwörung beteiligt gewesen, so hätten es mit Ontra achtund zwanzig sein müssen! Jemand fehlte, und Koratzo glaubte auf Anhieb zu wissen, um wen es sich handelte. Für eine Sekunde widmete er seine Auf merksamkeit dem Geschehen rund um die ORSAPAYA. Er kam zu dem Schluß, daß er es riskieren konnte. Er sandte seine Stimme aus und rief nach Islar. Zuerst versuchte er es in ihrer Behau sung, aber dort hielt sie sich nicht auf. Das war fatal. Um ein Stimmzentrum zu erzeu gen, das für die ganze Tronx-Kette reichte, hätte er viel zu viel Kraft verbraucht. Er konnte es sich jetzt nicht leisten, so etwas zu tun, aber er durfte sich auch nicht auf eine lange Suche einlassen. Aber das Glück blieb ihm hold. Er erin nerte sich an Kolphyr und den Trommler. Und er dachte daran, daß Islar eine wahre Leidenschaft für fremde Geräte entwickelte. Wenn sie nun herausbekommen hatte, woran der Bera sich versuchte …
Marianne Sydow »Beim Geist der FESTUNG«, murmelte Koratzo vor sich hin. »Wenn ich jetzt recht behalte, sollen Querllo und die anderen sich in acht nehmen!« Für seine magischen Kräfte gab es keine Entfernungen. Seine Stimme reiste gedan kenschnell von einem Ort zum anderen. Er fand die Höhle, fand auch Islar und spürte die Verzweiflung, von der die junge Magie rin beherrscht wurde. Als er die Situation er faßte, verschlug es ihm fast die Sprache. Die Rettung war so nahe, seit vielen Stun den schon, und sie hatten es nicht gewußt! »Ich schicke euch Hilfe!« sagte er zu Is lar. »Haltet nur noch ein paar Minuten aus!« Dann zog er sich zurück, und das Wissen darum, daß dieser schreckliche Kampf schon bald ein Ende finden würde, verlieh ihm noch einmal die Kraft, einen gewaltigen Schlag zu führen. Er schickte seine Stimme aus und verlieh ihr eine so ungeheure Stärke, daß der Schrei, der aus dem Großen Knoten selbst zu kommen schien, den Gnorden er zittern ließ. Die Magier, die eben den näch sten Angriff unternehmen wollten, ließen sich für einen Augenblick irritieren. Viele erschraken so sehr, daß sie ihre Sperren ver nachlässigten. Koratzo sandte seine betäu benden Laute aus und erwischte mit ihnen vierzehn Magier auf einen Schlag. »Laß sie liegen!« sagte er hastig zu Copa sallior. »Du mußt zur Tronx-Kette.« »Was …«, hob der Weltenmagier an, aber Koratzo fiel ihm ins Wort. »Geh zu der Höhle, in der der Neffe liegt«, bat er beschwörend. »Islar ist dort. Sie weiß, wie man Kolphyrs Maschine ver ändern muß. Copasallior, der Plan des Bera war besser, als wir uns träumen ließen! Islar ist sich sicher, daß sie die Schwarzschock-Ener gie in den Neffen zurückleiten kann. Aber sie kommt nicht an die Maschine heran. Fenrir ist im Wege.« Copasallior zögerte etwa eine Sekunde lang, dann drehte er sich plötzlich um und nahm Parlzassel beim Arm. »Wehr dich nicht!« befahl er grob – und war samt dem Tiermagier verschwunden.
Der Schwarzschock Koratzo blieb zurück und bemühte sich nach besten Kräften, die Magier von ORSA PAYA fernzuhalten. Die, die jetzt noch kampffähig waren, stellten die Elite der Ma gier von Oth dar. Aber Koratzos mächtigste Gegner stammten aus dem Reich der Sieben Gipfel. Ihre Macht beruhte nicht zuletzt auf der Tatsache, daß der Stimmenmagier sich ihnen gegenüber besonders schwer ent schließen konnte, von seinen letzten, tödli chen Waffen Gebrauch zu machen. Er wuß te, daß er es tun mußte, wenn Islar versagte. Aber er zweifelte daran, daß er es tun konnte. Auch wenn es jetzt nicht mehr um eine Auseinandersetzung um die Macht im Lande Oth ging, sondern um das Leben aller Bewohner von Pthor. Der Himmel über der Barriere schien zu brennen. Lange Tropfen flüssigen Feuers regneten hier und da auf die Berge herab, und wo sie niederfielen, löste alles organi sche Leben sich in Nichts auf. Am Rand beulte der Schirm sich ein, und ein Teil der Reviere, in denen die kleinen dunklen Män ner hausten, verschwand, als hätte es dort niemals Land gegeben. Am Lichterfang brach der Boden auf, und eine Schlucht ent stand, die bis in den KoFomath hineinreich te. Die Heimstatt des Traummagiers versank in einem tiefschwarzen Abgrund. In all diesem Chaos stand Koratzo und führte den schwersten Kampf seines Lebens. Islar hatte bis zur Erschöpfung versucht, den Wolf ins Freie zu locken, um ihn dann endlich ausschalten zu können, und die Tat sache, daß ihr auch der kleinste Erfolg ver sagt blieb, trieb sie langsam aber sicher in einen Zustand stumpfer Verzweiflung. Sie wußte, daß sie schon bald nicht mehr die Kraft haben würde, sich gegen das Schicksal zu stellen. Sie wäre bereit gewesen, sich selbst zu opfern, sich dem Wolf auszulie fern, wenn sie damit die Barriere hätte retten können. Aber mit einer solchen Tat wäre nichts gewonnen gewesen, denn niemand außer Islar wußte, wie die Maschine verän dert werden mußte. Sie hatte auch keine Zeit mehr, es dem Bera genau genug zu erklären.
45 Inzwischen war Koy bei einem der hefti gen Beben, die immer häufiger diesen Teil der Tronx-Kette erschütterten, so unglück lich gestürzt, daß er bewußtlos liegen blieb. Seit Stunden schon lag er am Boden. Sie hatten ihn untersucht, aber keine Verletzung gefunden. Dennoch blieben alle Bemühun gen, den Trommler zu wecken, ohne Erfolg. Fenrir schien zu wissen, daß zumindest dieser Gegner nicht mehr aktuell war. Seit Koys Sturz wagte der Wolf sich wieder an den Eingang der Höhle heran. Aber er kam nicht weit genug heraus, daß sie an ihm vor bei hätten hineinschlüpfen und die Waffe holen können. Islar versuchte mehrmals, Fenrir mit Hilfe von Steinen, die sie nach ihm warf, unschädlich zu machen, aber der Wolf wich stets im richtigen Augenblick aus. In diese Situation hinein platzte Koratzos Ankündigung, daß Hilfe unterwegs sei. Mit der Erleichterung kam auch die Schwäche. Islar taumelte und wäre gestürzt, wenn Kol phyr sie nicht geistesgegenwärtig aufgefan gen hätte. Der riesige Bera wiegte das Mäd chen in den Armen und murmelte allerlei zärtlichen Unsinn, bis Copasallior und Parlz assel plötzlich vor ihm standen. »Dein Gebiet!« sagte Copasallior knapp und deutete auf die Höhle, und Parlzassel ging furchtlos auf den Wolf zu. »Alles in Ordnung?« fragte der Welten magier, und Islar konnte nur nicken, wäh rend sie auf den Wolf starrte, der sich böse knurrend im Höhleneingang duckte. Fenrir hatte die Ohren angelegt, und seine gewalti gen Zähne blitzten. Mit glühenden Augen starrte er Parlzassel an, der sich ihm Schritt für Schritt näherte. »Er wird ihn umbringen«, flüsterte sie schaudernd. »Unsinn«, antwortete Copasallior nüch tern. »Er wird ihn beruhigen.« Islar konnte über das Mißverständnis nicht lachen, wohl aber Kolphyr, und sie wurde in den Armen des Bera durchgeschüt telt, als der grüne Riese vor Vergnügen von einem Bein aufs andere sprang.
46 »Ruhe!« befahl Copasallior beunruhigt. »Parlzassel muß sich konzentrieren kön nen.« Der Bera kam endlich zur Besinnung, setzte die junge Magierin ab und rieb sich verlegen mit der Hand über die Augen. »Was macht er mit dem Wolf?« fragte er leise. »Will er ihn hypnotisieren?« »So ähnlich«, antwortete Copasallior knapp. »Da, er redet mit ihm.« Es war keine Sprache, die für wirklich in telligente Wesen bestimmt war. Es waren vielmehr besänftigende Laute allgemeiner Art, die der Tiermagier von sich gab. Trotz der Dinge, die Kolphyr mittlerweile über die Magier erfahren hatte, hielt er es für un wahrscheinlich, daß der wütende Fenrir sich auf so leichte Weise würde beeindrucken lassen. Entweder waren noch andere Einflüsse im Spiel, oder Parlzassel beherrschte diese Sprache besser, als Kolphyr es sich hatte träumen lassen. Jedenfalls richtete Fenrir schon nach kurzer Zeit die Ohren ein wenig auf. Er wirkte immer noch drohend, aber er hörte auf zu knurren. Darauf hatte Parlzassel offenbar nur ge wartet, denn nun blieb er stehen, und dann sprach er mit dem Wolf. Er benutzte eine Mischung aus Pthora und Lauten, wie der Wolf selbst sie gebrauchte. Schon nach kaum einer Minute gab der Wolf es auf, dem Tiermagier unausgesetzt die Zähne zu zeigen. Und nach insgesamt fünf Minuten trabte er zögernd auf Parlzas sel zu, wurde dann immer langsamer und legte sich schließlich hin, kaum zwei Meter von dem Magier entfernt. Er wirkte äußerst schuldbewußt. »Komm, Grauer«, sagte Parlzassel sanft. »Es ist vorbei. Du brauchst dich nicht zu schämen. Du konntest nichts dafür.« Er ging zu dem Wolf, beugte sich zu ihm hinab und klopfte ihm die Flanken, während Fenrir leise winselte. Es war kaum zu glau ben, daß dies dieselbe wilde Bestie war, die bis vor wenigen Minuten den Eingang zur Höhle bewacht hatte.
Marianne Sydow Parlzassel drehte sich um, in einer wei chen, behutsamen Bewegung. Sofort stand Fenrir auf und rieb den Kopf an der Hüfte des Tiermagiers. »Ganz ruhig, alter Freund«, murmelte Parlzassel. Er legte einen Arm um den Hals des Wolfes und strich mit den Fingern beru higend durch die lange, dichte Mähne. »Islar! Du kannst jetzt dort hineingehen. Aber bewege dich nicht zu schnell, hörst du?« Islar hätte es auch ohne die Warnung nicht gewagt, zu rennen oder dem Wolf auch nur auf fünf Meter nahezukommen. Lang sam schlug sie einen Bogen um ihn und den Magier, erreichte dann die Höhle und ver schwand darin. Copasallior warf einen kurzen Blick auf den flammenden, flackernden Himmel, sah dann zum SkathaHir hinüber und zuckte zu sammen, als er die Verwüstungen entdeckte, die auf dieser Seite des Berges entstanden waren. »Die magischen Speicher!« stieß er her vor. »Dieser Irrsinn muß endlich ein Ende haben.« Er fuhr herum. »Können wir es wagen?« fragte er und deutete auf Fenrir. Parlzassel nickte. »Es saß offenbar gar nicht so tief bei ihm«, antwortete er. Copasallior eilte auf ihn zu und packte den Tiermagier am Arm. »Sag Islar, sie soll sich beeilen!« rief er Kolphyr noch zu, ehe er mit Parlzassel und dem Wolf zum Gnorden zurückkehrte. Kolphyr blieb sekundenlang stehen. Auch wenn er auf Grund eigener Kenntnisse eini ge magische Techniken recht gut verstand, so hatte er doch das Gefühl, daß die Magier selbst ihm auch noch in hundert Jahren un lösbare Rätsel aufgeben würden. Er ging langsam in die Höhle, blieb in der Nähe des Eingangs stehen und beobachtete Islar, die fieberhaft an der Maschine hantier te. Das Summen und Klopfen veränderte sich ein wenig, und die dunklen Kerne, die
Der Schwarzschock in einigen Kristallen sichtbar waren, schwol len auf das Doppelte ihres bisherigen Um fangs an. Sonst geschah nichts. Oder war das eine Täuschung? Kolphyr sah genauer hin. Nein, an dem Gerät hatte sich kaum etwas verändert. Chirmor Flog lag immer noch darin, und das Gewirr von Kristallen, Metallteilen, Dräh ten, Röhren und allem möglichen anderen Kram sah noch genauso aus, wie der Bera es in Erinnerung hatte. Nur an einer Stelle schi en es, als wären Drähte verkürzt und neu an geschlossen worden, und etwas weiter unten hing dieser graue Klumpen in einem Ring von goldenen Kugeln. Er entsann sich, daß Islar diese Kugeln bewegt hatte, als er die Höhle betrat. Jetzt aber stand sie ganz ruhig und entspannt neben der Maschine. Kolphyr fühlte sich plötzlich unbehaglich. Dieses Ding arbeitete, und er fühlte das, aber er fragte sich, was um alles in der Welt dabei herauskommen sollte. Und dann sah er Chirmor Flog an. Unwillkürlich taumelte er zurück. Er hielt sich an einem Felszacken fest, der aus der Höhlenwand hervorragte, und starrte fassungslos auf die Augen des Neffen. Die Pupillen bewegten sich. Sie ord neten sich zu gleichschenkligen Dreiecken, starrten kurze Zeit in das Gewirr von Dräh ten, wanderten weiter. Dann drehte sich der Kopf zur Seite. Mit Mühe unterdrückte Kol phyr die in ihm aufkeimende Hysterie. Er kannte solche Gefühlsaufwallungen von sich gar nicht. Aber diesmal packte ihn eine krea türliche Furcht. Die unsagbar fremdartigen Augen fixierten den Bera. Nach geraumer Zeit bewegte sich Chirmor Flogs winziger Mund. Kolphyr verstand die aus dieser Ent fernung unhörbare Aufforderung, aber er wandte hastig die Blicke ab und ignorierte den Wunsch des Neffen. Sein Blick fiel auf einen Kristall. Eben noch hatte dieser Stein nur einen schwarzen Kern besessen – jetzt war der Kristall völlig mit etwas Dunklem ausgefüllt. Aber wäh rend Kolphyr hinsah, floß dieses schwarze Etwas aus dem Kristall in eine gläserne Röhre und von dort weiter in den Körper des
47 Neffen. Und während dieses Vorgangs wur de Chirmor Flog zusehends stärker. Die »Wurzeln« hingen nicht länger schlaff her ab, sondern bewegten sich, anfangs zögernd, dann immer heftiger. Als in dem Kristall kein Rest Dunkelheit mehr vorhanden war, seufzte Islar tief auf. Sie hatte sich die ganze Zeit über nicht ge rührt. Kolphyr fragte sich, wie lange das al les gedauert haben mochte. Er wußte, daß er ein völlig anderes Zeitgefühl als die Bewoh ner von Pthor halte, und so traute er seinen eigenen Eindrücken in dieser Beziehung nicht. Später erhielt er von den Magiern die Bestätigung, daß die Rückführung der Schwarzschock-Energie kaum mehr als zwei Sekunden in Anspruch genommen hatte. Aber vorerst war er sich nicht sicher, ob Islars Maschine ihren Zweck wirklich erfüllt hatte. »Was für ein herrlicher Tag!« sagte Islar lächelnd. »Hast du es geschafft?« erkundigte Kol phyr sich vorsichtig. »Oh ja!« antwortete Islar träumerisch. »Das Böse in der Barriere von Oth ist ge bannt. Alle negativen Kräfte sind in den Neffen übergegangen. Ist das nicht wunder voll?« Kolphyr stimmte zu, aber obwohl er beru higt hätte sein sollen, überkam ihn die Ah nung einer neuen, möglicherweise noch grö ßeren Gefahr, die hier, in dieser Höhle, ent standen war. »Was werden die Magier jetzt tun?« frag te er beklommen. »Sie werden diesen Tag feiern«, sagte Is lar sanft. »Ich muß mich beeilen. Ich möchte bei ihnen sein und mit ihnen gemeinsam den neuen Frieden begrüßen. Willst du nicht mitkommen? Schließlich ist es auch deine Maschine.« »Ich muß hierbleiben und auf Chirmor Flog aufpassen«, wehrte Kolphyr ab. »Glaubst du, daß die anderen ihre Angriffe auf die ORSAPAYA eingestellt haben?« »Aber ja«, versicherte Islar lachend. Sie schien sich ihres Erfolgs tatsächlich absolut
48 sicher zu sein. Sie ging an Kolphyr vorbei und verließ die Höhle. Er folgte ihr hastig. Um den Neffen konnte er sich später noch kümmern, diese Ausrede war ihm spontan eingefallen, weil er im Augenblick kein Ver langen danach hatte, an einer magischen Feier teilzunehmen. Er hatte das Gefühl, ge nug Magie mitbekommen zu haben, daß er für die nächsten Jahre keinen Bedarf an neuen Eindrücken dieser Art haben würde. Draußen erblickte er Koy. Der Trommler lag immer noch besinnungslos am Boden. »Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein!« stieß der Bera hervor. »Ihn hier liegen zu lassen! Er hat mir erst neulich erzählt, daß er in der Schlucht einem großen Raubtier be gegnet ist.« »Warum regst du dich auf?« fragte Islar gleichmütig. »Selbst wenn ein Tier hierher gekommen wäre – es hätte dem Trommler nichts getan.« »Hat einer von euch einen magischen Schutzschirm um Koy gelegt?« fragte Kol phyr verblüfft. Islar sah ihn an und runzelte die Stirn. »Ich hätte dich wirklich für klüger gehal ten«, murmelte sie. »Oder begreifst du es nur deshalb nicht so schnell, weil du eben doch nicht zu uns gehörst?« »Was begreife ich nicht?« rief Kolphyr ungeduldig, und seine Stimme klang schrill. »Daß die barbarischen Zeiten in der Bar riere vorbei sind«, erklärte Islar streng. »Ein für allemal.« Abrupt wandte sie sich um und rannte den Pfad hinauf. »Warte!« schrie der Bera und setzte ihr nach. Aber die Magierin war viel zu flink für ihn. Ratlos kehrte er zu Koy zurück. Er wisch te das Gesicht des Trommlers mit einem feuchten Tuch ab, und Koy schien nur auf eine solche Gelegenheit gewartet zu haben, denn er wachte sofort auf. »Wie geht es dir?« fragte Kolphyr. »Ich bin hungrig«, murmelte Koy ver wirrt. Er warf einen Blick zum Himmel hin auf. »Ist die Schlacht vorbei?«
Marianne Sydow Kolphyr stellte fest, daß er dieses Problem über dem Rätsel, das Islar ihm aufgegeben hatte, schon fast vergessen hatte. Er sah ebenfalls nach oben. Die Innenwand des Knotens schimmerte weiß wie die Haut ei ner kostbaren Perle. »Es scheint so«, murmelte er. »Deine Vorräte sind aufgebraucht. Ich werde für dich jagen gehen. Du mußt dich noch scho nen.« »Jagen?« Koy richtete sich mit einem hef tigen Ruck auf. »Bist du von Sinnen? Wie kannst du nur davon sprechen!« »Aber du brauchst doch Fleisch«, sagte der Bera verständnislos. »Von alleine wird das Wildbret sich nicht übers Feuer hän gen.« Koy sah aus, als müsse er sich jeden Mo ment übergeben. »Wenn du mir einen Gefallen tun willst«, sagte er schließlich, »dann geh und grabe ein paar Wurzeln für mich aus.« »Wurzeln«, wiederholte Kolphyr. »Wie du willst. Ich gehe und grabe danach. Aber beschwere dich nicht hinterher bei mir über den faden Geschmack!« Koy antwortete nicht, und so machte sich der Bera auf den Weg. In einer Mulde etwas weiter oben wuchsen Wurzeln, die für Koy eßbar waren. Koratzo hatte sie ihnen ge zeigt, als sie sich für diese Höhle entschie den. Aber als Kolphyr die Hälfte des Weges hinter sich hatte, sah er vor sich ein etwa ha sengroßes Tier sitzen. Überrascht blieb er stehen. Das war das Fleisch, das dem Trommler wieder auf die Beine helfen wür de. Koy wollte offenbar nicht, daß der Bera auf die Jagd ging, aber er konnte wohl kaum etwas dagegen einzuwenden haben, wenn Kolphyr eine Beute mitnahm, die sich ihm regelrecht anbot. Diese Beute aber tat noch mehr: Das Tier hüpfte auf den Bera zu und schnupperte ver trauensselig an seinen Beinen. Kolphyr bückte sich, legte die Hände auf den warmen Körper – und richtete sich wieder auf. Er brachte es nicht fertig. Ein so zutrauliches
Der Schwarzschock Tier zu töten, das kam ihm wie Mord vor. Für einen Augenblick dachte er sogar, daß es sich bei dem Tier um ein von den Magi ern kontrolliertes Wesen handelte. Dann aber wurde ihm bewußt, daß Koy ihn beob achten konnte und er drehte sich hastig um und sah ins Tal hinab. Ihm stockte der Atem. Ein Raubtier, dessen Schulterhöhe sicher um die zwei Meter betrug, schlich auf Koy zu. Und der Trommler saß da, die Waggu in Reichweite, ohne aber nach der Waffe zu greifen. Er schien wie hypnotisiert vor Furcht. Das war jedenfalls die einzige Erklä rung, die Kolphyr für das Verhalten des Trommlers finden konnte. Das Raubtier war dem Trommler schon so nahe, daß es ihn mit zwei Sätzen erreichen konnte. Es hatte also keinen Sinn, nach un ten zu laufen und zu versuchen, den Pthorer zu retten. Sollte er schreien? Das schien zwar auch nicht gerade das optimale Mittel, aber er versuchte es. Koy zuckte zusammen. Aber statt nach der Waffe zu greifen, drehte er sich um und starrte zu Kolphyr hinauf. Auch das Tier sah ihn an und machte dann eine Bewegung, als wolle es zu Kolphyr hinauflaufen. Aber da griff Koy ein. Er stand auf und fuhr mit bei den Händen in die struppige Mähne. Kolphyr stand wie erstarrt. Der gewaltige Räuber bog den Kopf herum, und der Bera dachte, daß dies das Ende für Koy den Trommler war. Statt dessen leckte eine brei te, nasse Zunge über Koys Gesicht. Kolphyr setzte sich rücklings ins Gras. Er glaubte, Is lars Stimme zu hören. »Das Böse in der Barriere ist gebannt. Al le negativen Kräfte sind in den Neffen über gegangen.« Alle negativen Kräfte! »Nein«, sagte Kolphyr zu dem kleinen Tier, das noch immer um seine Beine hüpf te. »Das darf nicht wahr sein!« Unter ihm, im Tal, tollte Koy lachend mit einem Raubtier herum, dem er sich noch bis vor wenigen Minuten selbst bewaffnet nicht weiter als bis auf zwanzig Meter genähert
49 hätte. Nicht weil Koy feige war – ganz im Gegenteil: Er kannte lediglich die Überra schungen, die solche Bestien für einen Jäger bereithielten. »Es ist wahr!« murmelte Kolphyr erschüt tert. »Beim Geist der FESTUNG – wie soll das enden?«
* Nie zuvor hatte eine Schlacht ein so ab ruptes und überraschendes Ende gefunden. Als Islars Maschine zu arbeiten begann, war die Lage verworren. Koratzo hatte sich zwar tapfer gewehrt und auch die angreifen den Magier von der ORSAPAYA ferngehal ten, aber auch die Kräfte des Stimmenma giers waren nicht unerschöpflich. Die ande ren wußten das und lauerten auf den Augen blick, in dem Koratzo die Übersicht verlie ren würde. Einige hatten sich weit vorge wagt und hockten hinter den Felsen am Rand des Tales, durch einen kaum fußbrei ten Sims vom Abgrund getrennt. Plötzlich aber erschütterte abermals ein Beben den Gnorden, und diesmal war es schlimmer als vorher. Zwei Trossen rissen. Es hörte sich an, als knallte eine Riesenpeit sche. Gleichzeitig drang aus dem Abgrund ein rotes Glühen, und die Magier, die sich zu diesem Zeitpunkt dort aufhielten, drängten in panischer Angst über die Felsen hinweg in das Tal hinein. Koratzo brachte es nicht fertig, sie zu rückzuschmettern. Vielleicht war das Glü hen nur eine harmlose Lichterscheinung, aber es war keine Zeit, das jetzt nachzuprü fen. Plötzlich waren auf diese Weise ungefähr zehn negative Magier um Koratzo herum. Sie waren selbst viel zu überrascht ange sichts dieser Ereignisse, aber zweifellos würden sie sich schnell erholen und angrei fen. Da kamen Copasallior und Parlzassel mit Fenrir aus der Tronx-Kette zurück. Fenrir stürzte sich auf die negativen Magier, ohne einen Befehl des Tiermagiers abzuwarten.
50
Marianne Sydow
Parlzassel schlug selbst mit zu, während Co pasallior dem Stimmenmagier half, die Sper ren wieder in Ordnung zu bringen. Nur für die gerissenen Trossen konnten sie nichts tun. Das Glühen übrigens, das vorher so be drohlich erschienen war, sank wieder in sich zusammen. Plötzlich empfing Koratzo einen dringen den Ruf von Glyndiszorn. »Ihr müßt die Trossen halten. Die ORSA PAYA beginnt sich ein wenig zu drehen. Wenn das nicht innerhalb der nächsten Mi nute aufhört, ist es aus.« Koratzo öffnete den Mund, um Copasalli or von dieser Entwicklung zu unterrichten … … und etwa zwei Sekunden später rief er statt dessen nach Rischa, der Feldermagie rin, und jeder vernahm diesen Ruf und er fuhr, worum es ging. Es vergingen noch et-
wa fünf Sekunden, bis Rischa neben Korat zo stand, und kaum zehn, bis sie die ORSA PAYA nach Glyndiszorns Anweisungen in die richtige Position über dem schwarzen See gebracht hatte. Inzwischen hatte Breckonzorpf bereits die Enden der Trossen gepackt, und viele andere halfen ihm, das Luftschiff neu zu verankern. Der Große Knoten kam wenig später zur Ruhe. Die Magier blieben noch viele Stun den in Glyndiszorns Tal, um den Frieden zu feiern. Aber es war ein seltsam stilles Fest. Eigentlich saßen sie alle nur da und lächel ten sich an. »Von jetzt an«, sagte Copasallior irgendwann, »werden wir nur noch dem Frieden dienen.«
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 441 von König von Atlantis mit: Die Träumer von Oth von Marianne Sydow