Ken Conagher
Der Revolvermarshal Ronco Band Nr. 220/25
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1...
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Ken Conagher
Der Revolvermarshal Ronco Band Nr. 220/25
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Verflucht alle Sternträger und findet dennoch einen, der sein Freund wird und ihm den Quick-Draw-Schuß beibringt. Jack Corbett – Marshal von Salmon Fall, genannt »Deadhand« Corbett, ein Mann aus Eisen, der das Verbrechen haßt wie die Pest. Will Ralston – Halsabschneider, Mörder und Schänder, der eine blutige Spur hinter sich zurückläßt. Phil Ralston – Sein Bruder vom gleichen Kaliber, nur irre und versessen darauf, Geige zu spielen. Drury Cash – Mietstallbesitzer in Salmon Falls, gibt Ronco gute Ratschläge und will sich um keinen Ärger kümmern, tut aber das Gegenteil.
Der Revolvermarshal 24. April 1880 Eine harte Zeit liegt hinter uns. Lobo ist bei mir. Wir befinden uns im Südwesten New Mexicos. Ich bin nicht mehr weit von meinem Ziel entfernt. In meinen Satteltaschen habe ich die Beweise für meine Unschuld. Sie sind hieb- und stichfest. Niemand wird sie widerlegen können. Wie gut diese Beweise sind – wie gefährlich für Andrew Hilton –, habe ich bereits erfahren müssen. Hiltons Jäger sind hinter mir und den Papieren her wie die Teufel nach der armen Seele – bisher ergebnislos. Hier im Südwesten New Mexicos leben nicht nur meine größten Feinde, sondern auch meine besten Freunde. Einer von ihnen ist Jerome Braddock, ein Großrancher. Er gehört nicht zu den geld- und machtgierigen, skrupellosen Rinderbaronen. Er ist einer der anständigen und sauberen Männer. Einmal konnte ich ihm helfen, ihm und Senator Vaud F. Wilson, der ebenso ein Mann ohne Fehl und Tadel ist. Auf Vaud F. Wilson ist Verlaß. Er ist einflußreicher als irgendein Richter in einer Stadt oder einem Country. Ihm werde ich meine Beweise übergeben, und er wird sie den richtigen Stellen übergeben – jenen Stellen, die Hiltons Einfluß nicht mehr erreicht. Nur noch vierzig Meilen, dann sind Lobo und ich in Sicherheit. Seit Tagen reitet kein Jäger mehr auf unserer Spur. Wir haben sie alle abgeschüttelt. Niemand weiß, wo wir uns aufhalten, und ich denke, daß ich meinen Gegnern eine böse Überraschung bereiten werde. Während ich dies schreibe, sitzen wir an einem Feuer in einer Bodensenke nördlich von Cow Spring, der Stadt Senator Wilsons. Es wird Abend, und ich will die Zeit, bevor es dunkel wird, nutzen und meine Geschichte weiter aufschreiben. Es war heute ein heißer Tag. Unsere Pferde sind ziemlich erschöpft. Obwohl der Sommer noch nicht begonnen hat, herrscht hier unten im Süden tagsüber bereits die Hölle.
Auch damals, vor fast zwanzig Jahren, erlebte ich einen heißen Sommer. Das war 1861. Seit fast einem halben Jahr tobte der Bürgerkrieg. Die Schlacht am Bull Run war geschlagen. Im fernen Westen spürte man nichts davon. Ab und zu berichtete eine Zeitung vom Kriegsgeschehen – sofern eine solche Zeitung überhaupt in den Westen gelangte. Hier und da gab es Familien, deren Söhne freiwillig in den Krieg gezogen waren und Post nach Hause schickten. Es war fast so, als sei der Bürgerkrieg etwas, das in eine andere Welt gehöre. Über die Sklavenfrage zerbrach sich niemand den Kopf. Hier draußen gab es andere Probleme. Hier ging es um das Überleben in der Wildnis. Ich befand mich in Idaho, einem Territorium, das zu jener Zeit kaum besiedelt war. Die Ranch des Nachbarn war soweit entfernt wie der Mond. Nur wenige Overlandstraßen zogen sich durch das Land und von einer Stadt zur anderen. Stadt? Das war eine großzügige Bezeichnung für ein mieses Nest, das man nur in tagelangen Ritten erreichte. Ich war ohne Ziel unterwegs und suchte irgendwo eine Arbeit oder einen Platz, an dem ich bleiben konnte. Irgendwo wollte ich Fuß fassen und vielleicht eine neue Heimat finden. Idaho war ein jungfräuliches Land – vielleicht bot es mir die Chance für einen neuen Anfang …
1. Die Überlandstation lag an den nördlichen Ausläufern der Cedar Mountains. Ich hatte sie gegen Mittag erreicht, müde, ausgepumpt und bereit, einen Ochsen aufzufressen. Jetzt löffelte ich nur eine Suppe und hörte mir mit halbem Ohr das Theater in der Schankstube an. Ich hatte gelernt, zu bestimmten Gelegenheiten meine Ohren auf Durchzug zu stellen. Außerdem enthielt die Suppe Fleischbrocken und obenauf schwammen Fettaugen, die ich nicht zu zählen brauchte. Es waren mehr als zwei. Die Suppe war gut. Für Shita war auch gesorgt. Er lag unter meinem Stuhl und
knackte einen Knochen, den ihm der Wirt spendiert hatte. Mein Brauner befand sich nebenan im Stall und war ebenfalls versorgt. Wir alle drei hätten eigentlich restlos glücklich sein sollen. Wir waren es nicht – der Braune vielleicht schon, nur Shita und ich nicht. Bei Shita hörte ich bereits jenes tiefinnere Knurren, das auf Sturm deutete. Die Geige klang wie das Jammern eines liebestollen Katers, dem die Geliebte mit der Konkurrenz über die Dächer auf und davon gegangen ist. Es zerbrach mir das Herz. Der Geiger war ein dürrer Bursche mit wirrem Haar und irren Augen, der drauflos fiedelte, als gelte es, einen Rekord im Schnellgeigen zu unterbieten. Er schrammte den Fiedelbogen kreuz und quer über die Saiten, daß er nur so rauchte. Sein spitzes Kinn ruhte auf der Schale am Klangkörper, als sei dort der Angelpunkt der Welt. Seine linke Hand zitterte auf den Saiten auf und nieder, während seine Rechte den Bogen nach unten stieß – Baßtöne – und wieder nach oben zog – Sirenentöne. Ich löffelte meine Suppe und hatte ein schmerzhaftes Vibrieren im Zahnfleisch. Außer dem Wirt, der schon seit langem Zahnschmerzen hatte, war noch jemand in der Schankstube. Neben dem Fiedler hockte ein bulliger, rauhbeiniger Typ und lauschte verzückt dem Geigengejammere. Er hatte genauso irre Augen wie der Fiedler und schlug mit seiner rechten Pranke so etwas wie einen Takt auf die Tischplatte. Bei jedem Schlag hüpften zwei Biergläser hoch. Die Hälfte ihres Inhalts war bereits vertan und tropfte von der Tischkante. Das Theater begann damit, daß der Wirt auf die Theke klopfte und schrill verkündete, er halte es nicht mehr aus. Und blitzschnell hatte der Bullige einen Colt in der Faust und richtete ihn auf den Wirt. Der Fiedler geigte noch einen Moll-Ton und ließ die Geige sinken. Der Bullige sagte: »Mein Bruder ist ein großer Künstler.« Der Dürre sagte: »Jawohl!« Schrumm! Der Fiedelbogen kratzte schrill über die Saiten. Der Wirt hielt sich die Ohren zu.
Der Bullige sagte: »Gefällt Ihnen die Musik nicht?« Der Wirt starrte in die Coltmündung, hatte zittrige Lippen und stotterte : »D-doch – sehr.« Der Colt schwenkte herum, und jetzt war ich dran. Ich löffelte hastig weiter, aber nicht mal das war mehr drin. »Und du?« pfiff mich der Bullige an. »Wie findest du die Musik meines Bruders?« Unter mir wurde Shitas Knurren leiser. Und das war gefährlich. Jetzt hockte er auf dem Sprung, bereit, dem Bulligen – oder dem Fiedler – an die Gurgel zu fahren. Ich sagte: »Also wissen Sie, Mister, ich habe den Eindruck, daß Ihr Bruder jede Nachtigall schlägt. Echt! Ich hab als Kind mal auf die Trommel gehauen, aber die ging kaputt. Als Trommler wäre ich nie so gut geworden wie Ihr Bruder als Geiger. Er ist wirklich ein Geiger von Weltklasse. Sie sollten ihn nicht nur hier, sondern in New York geigen lassen, bestimmt. In der ganzen Welt müßte er geigen – als die Nachtigall von Idaho!« Der Bullige starrte mich an, als hätte ich einen Klaps. Vielleicht hatte ich auch die verkehrte Stimmlage gewählt. Er kniff die Augen zusammen. »Willst du mich verschaukeln, du Rotznase?« Er sah so tückisch wie eine Klapperschlange aus. Shitas Knurren verstummte endgültig – der Ärger konnte losgehen. Ich tunkte hastig den Löffel in die Suppe, als sei das ein probates Mittel, das Leben zu verlängern. Meinen Colt hatte ich im Hosenbund. An den kam ich nicht mehr heran. Ich schielte zu dem Wirt hinüber. Der hielt sich am Schanktisch fest und schien Mühe zu haben, sein Frühstück im Magen zu behalten. Er sah grün aus. Ich seufzte und dachte, daß diese lausige Überlandstation wirklich zum Kotzen sei. Hier wegen eines irren Geigers eine Kugel einzufangen, war direkt absurd. Ich schob den Suppenteller von mir fort und sagte zu dem Bulligen: »Ihr Fiedelbruder geigt wie eine gesengte Sau. Ich hab Zahnschmerzen und möchte meine Suppe essen. Also lassen Sie mich zufrieden. Und wenn nicht, dann sage ich meinem Hund hier unter meinem Stuhl, er soll Ihrem Bruder ein Ohr abbeißen. Und
bevor Sie geschossen haben, fehlt Ihrem Bruder ein Ohr. Wetten?« Der Geiger kicherte irre, und der Bullige kriegte einen Kopf wie ein Ballon kurz vor dem Platzen. Bevor er wirklich platzte, flog krachend die Tür auf. Ein hagerer, grauäugiger, unrasierter Mann stand auf der Türschwelle, geduckt, schmallippig und so hart wirkend wie Granit. Die Hutkrempe beschattete ein eisiges Gesicht. – Der Bullige und der Fiedler fuhren hoch, als säßen sie auf Dynamitfässern, zu denen die Lunte bereits brennt. Der Bullige griff zum Colt. Noch bevor seine Hand ihn packen konnte, erschien eine Flamme an der Hüfte des grauäugigen Mannes, brüllend entlud sich der Schuß, und ich zog hastig den Kopf ein. Links von mir segelte etwas durch die Gegend – das Holster des Bulligen. Der Grauäugige hatte es ihm von Waffengurt geschossen. Ich blinzelte. Das war glattweg Teufelswerk. Der Grauäugige wirbelte seinen Colt um den Zeigefinger – und weg war der Colt. Ich stieß den Kopf vor. Der Colt steckte wieder im Leder. Einfach so. Ich schloß die Augen und riß sie wieder auf. Der Grauäugige stand leicht geduckt und wie aus Stein gehauen immer noch in der Tür. Der Bullige stierte hinunter auf seinen rechten Schenkel, aber da hing nichts mehr. Das Holster lag mitsamt Colt am Fuß des Tresens. Mein Blick erhaschte den Wirt, der den Mund weit aufgerissen hatte. Der sah vielleicht blöd aus. Aber wahrscheinlich nicht blöder als ich. Lästig war nur das Kichern des Fiedlers. Der mußte wirklich irre sein. Der freute sich darüber, daß ein Mann in der Tür stand, mit dem Colt zauberte und Holster abschoß. Ich zwinkerte, schluckte und zwinkerte wieder. Wenn ich den Wirt und mich ausklammerte, waren zur Zeit hier im Schankraum einer Überlandstation nur Verrückte versammelt. Ich stand abrupt auf, nahm meinen Teller Suppe samt Löffel und verzog mich aus möglichen Schußlinien und Freikampfarena. Ich tat gut daran. Denn der Bullige ging zum Nahkampf über. Er fegte einen Tisch, der ihm im Weg stand, beiseite und stampfte auf den Grauäugigen
zu. Der Fiedler schrie: »Mach ihn tot, Will, schlag ihm die Nase ein! Stopf sie ihm in den Kopf, dem Kleinen! Hau drauf, schlitz ihm den Bauch auf!« Er kicherte schrill und wieder total irre und griff auf seiner Geige Akorde, die einen Hund jammern konnten. Shita an meiner Seite – ich stand jetzt weit hinten im Schankraum – jaulte auf und heulte zum Gotterbarmen. Ich schaute mich nach dem nächsten Fenster um. Ich war soweit, die Flucht zu ergreifen. Aber das Tollhaus war bereits im Gange. Jetzt war ich doch fasziniert. Brutalität hatte ich einige Male erlebt, aber das hier war ein Schlachtfest von erbarmungsloser Härte. Der Grauäugige nahm einen Magenhieb des Bulligen, ohne sich überhaupt um ein Haar zusammenzukrümmen. Die Faust des Bulligen prallte weg, als habe er sie auf eine straff gespannte Trommel geschlagen. Aber dann! Die Rechte des Grauäugigen zuckte hoch – mitten auf den Adamsapfel des Bulligen. Der fraß sich fast selbst auf, weil er Luft brauchte, aber wahrscheinlich war seine Luftröhre jetzt schief. Er taumelte zurück und hatte Augen, die zu Pflaumengröße aufquollen. Der Grauäugige setzte nach und drosch drauflos. Das waren Schläge, die ich selbst spürte. Ich hörte, wie sie auf Fleisch trafen – mit jenem fürchterlichen Laut, der verkündet, daß da etwas zerstört wird. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Der Grauäugige trieb den Bulligen quer durch den Schankraum. Links und rechts kippten Stühle und Tische um. Der Bullige prallte gegen die Wand des Schankraums, über ihm löste sich das glasumrundete Bild einer molligen Lady, deren Korsett von Miller & Co. aus New York als das Korsett aller Korsetts angepriesen wurde. Das Glas zerplatzte auf dem Schädel des Bulligen. Der Rahmen rutschte über seine Ohren, das Korsett der molligen Lady – wie ich das sah – umkränzte seine Nase. Im übrigen war der Bullige blind. Ich wußte nicht, was er jetzt sah. Vielleicht feurige Sterne und explosionsartige Zündungen. Ich sah nur, wie der Grauäugige an ihn
heranging und seine Fäuste in den Bulligen hineinhämmerte. Die Suppe schmeckte mir bestimmt nicht mehr. Der Bullige rutschte mit weichen Knien an der Wand nach unten. Das Reklamebild von Miller & Co. aus New York versprach nichts mehr, kein Korsett und nichts mehr darunter, nur Fetzen. Die Lady wurde blutig gefärbt. Aber die störte das ja nicht weiter. Der Grauäugige holte sich den Bulligen wieder maßgerecht hoch und drosch weiter auf ihn los; er glich einer Kampfmaschine. Allmählich spürte ich, wie sich mein Magen umdrehte. Der Bullige konnte nichts mehr sehen, so verschwollen waren Augen- und Gesichtspartie. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie einen Menschen gesehen, der so lange und so erbarmungslos auf einen anderen einschlagen konnte. Das hörte auch nicht auf, als der dürre Fiedler von hinten an den Grauäugigen heranschlich und ihm die Geige auf den Hut drosch. Die Geige zerbrach in zwei Teile. Der liebestolle Kater würde nie wieder jammern. Die Saiten waren zerfetzt. Der Dürre starrte auf seine zerbrochene Geige, die noch an zwei Saiten zusammenhing, und sah aus, als würde er gleich losheulen. Der Grauäugige hatte sich zu ihm umgedreht. Er rückte seinen Hut gerade, der ihm auf die Nase gerutscht war, holte mit der Rechten aus und feuerte dem Fiedler ein Ding unter das Kinn, das den aus den Stiefeln hob und gegen den Tresen katapultierte. Der Wirt tauchte blitzartig weg. Der Fiedler klatschte gegen die Vorderwand, prallte auf das untere Stützgeländer und rutschte drüber weg auf den Holzboden. Dort blieb er liegen. Die zweigeteilte Geige hielt er immer noch fest. Aus seinem Mundwinkel sickerte Blut, und ich hatte den Eindruck, daß er sich ein Stück von der Zunge abgebissen hatte, als ihn der Schlag des Grauäugigen traf. Ich hustete, weil mir gar nicht wohl war. Shita knurrte anhaltend. Ihm war sicherlich auch nicht wohl. Der Grauäugige wirbelte herum und starrte mich wild an. Ich versuchte ein freundliches Lächeln, das bestimmt mißlang, und hob leicht beide Hände – rechts mit dem Suppenlöffel.
»Kann ich meine Suppe weiteressen?« fragte ich. »Gehörst du zu den Ralston-Brüdern?« fauchte mich der Grauäugige an. »Bitte? Zu wem?« Wie durch Zauberei war plötzlich der Colt wieder in der Faust des Grauäugigen. Ich starrte in die Laufmündung, die mich seelenlos anglotzte. »Wie heißt du?« Die Stimme des Grauäugigen war so kalt wie Gletschereis. »Ronco.« »Ronco was?« »Ronco nichts.« Ich kriegte die Wut. »Ronco gar nichts, Sie wildgewordener Totschläger! Hat Ihnen dieser dürre Geiger etwas getan? Oder der andere? Der eine hat gegeigt, und der andere fand das schön. Und Sie? Sie fallen über die beiden her und schlagen sie zusammen.« »Junge«, sagte der Grauäugige, »Junge, halt an dich, oder du bist auch reif. Weißt du denn, wer die beiden Kerle sind?« »Ich weiß ja noch nicht mal, wer Sie sind!« brüllte ich den Grauäugigen an. »Ich weiß nur, daß Sie hier verrückt spielen!« »Jetzt halt mal deine gottverdammte Schnauze, du Lümmel«, sagte der Grauäugige grimmig, »diese beiden Vögel da sind steckbrieflich gesuchte Verbrecher von der übelsten Sorte – ich bin Jack Corbett, der Marshal von Salmon Falls. Und wenn du noch weiter das Maul aufreißt, muß ich annehmen, daß du zu den Kerlen gehörst, und dann werde ich dich auch gleich kassieren.« Meine Suppe war kalt, ich hatte schlechte Laune, und dieser Marshal stank mir ganz gewaltig. Für mich war er ein brutaler Schläger. Auch als Marshal hatte er nicht das Recht, derart roh zwei Kerle zusammenzudreschen, die angeblich Verbrecher sein sollten. So ging das ja nun auch nicht. »Mich kassieren?« sagte ich pampig. »Nur weil Sie was annehmen? Von mir gibt's keinen Steckbrief. Und was Ihren Job als Marshal betrifft – Salmon Falls liegt etwa hundert Meilen von hier entfernt. Das heißt, daß Sie gar nicht das Recht haben, sich hier als Marshal aufzuspielen.«
»Halt's Maul, du Grünschnabel«, sagte der Marshal. »Red nicht über Sachen, von denen du nichts verstehst.« »Haha«, sagte ich höhnisch. Das ärgerte den Marshal, und er war drauf und dran, mich jetzt zu Kleinholz zu verarbeiten, aber da war einmal Shita, dessen Knurren ihn irritierte, und zum anderen begann sich der dürre Fiedler zu rühren. Der Marshal fuhr herum, gab der Geige einen Fußtritt, so daß sie sich aus der Hand des Dürren löste und quer durch den Schankraum segelte, griff rasch in die Tasche und legte dem Dürren Handschellen an. Hinter dem Tresen tauchte der Wirt wieder auf und sah fasziniert zu. »Sind Sie wirklich Jack Corbett, Marshal?« fragte er. »Jener Mann, der als ›Deadhand‹ Corbett bekannt ist?« »Ja«, brummte der Marshal und ließ die Handschellen zuklicken. Der Wirt erstarb in Ehrfurcht und verbeugte sich hinter dem Tresen. Fast hätte er seine Glatze in das Spülbecken getunkt, aber das merkte er noch rechtzeitig. Dann blickte er zu mir herüber. »Das ist ›Deadhand‹ Corbett«, sagte er wichtig. »Ich hab's gehört«, sagte ich. »Von mir aus kann er auch Großmaul Corbett heißen, es interessiert mich nicht. Meine Suppe ist kalt. Und warum ist sie kalt? Wegen dieses Theaters hier, verdammt.« Der Wirt rang die Hände und warf mir beschwörende Blicke zu. »Junge, du redest dich um Kopf und Kragen. Das ist ›Deadhand‹…« »Ja, ja«, unterbrach ich ihn, »der Schläger von Salmon Falls, wo er jeden Tag zwei Kinder zum Frühstück verspeist und den ganzen Tag Blut rührt.« Der Marshal hatte inzwischen auch dem Bulligen Handschellen angelegt und steckte sich jetzt den Marshalstern ans Hemd. Besser sah er deswegen auch nicht aus. »Ich soll dir wohl was aufs Maul geben, he?« sagte er zu mir. »Nur zu«, sagte ich, »aller guten Dinge sind drei, nicht wahr? Zwei halbe Leichen pro Tag reichen Ihnen wohl nicht. Aber ich warne Sie. Mein Hund ist so abgerichtet, Kerlen wie Ihnen an die Gurgel zu springen – dann können Sie Ihr eigenes Blut saufen, Sie
Schlagetot!« Er hatte mir, als er mit dem Bulligen beschäftigt war, zulange den Rücken zugedreht. Ich hatte mich an der Wand an einen Tisch gesetzt und meinen Navy-Colt aus dem Hosenbund geangelt. Er konnte ihn nicht sehen, weil meine Rechte unter der Tischplatte war. So konnte ich ihn aufs Kreuz legen. Es kam, wie ich's mir gedacht hatte. Wieder hatte er mit dieser verdammt schnellen Bewegung den Colt in der Faust und richtete ihn auf Shita. »Ich soll deinem Köter wohl ein Loch in den Kopf pusten, wie?« Ich grinste ihn an und spannte den Hammer unter dem Tisch. Es knackte so richtig laut. Er zuckte zusammen. »Und wohin soll ich das Loch für Sie pusten?« fragte ich. »Mögen Sie's lieber im Bauch oder in der Kniescheibe haben?« Shita stand einen Schritt links von mir, geduckt, den Kopf etwas gesenkt, knurrend, das Nackenhaar gesträubt, den Fang etwas gefletscht. Er sah prächtig aus. Sicher, der Marshal konnte jetzt schießen. Auf Shita. Aber gleichzeitig mit seinem Schuß würde er meine Kugel in den Wanst kriegen. Das Spiel stand unentschieden, aber dennoch war ich in Vorderhand. »Du willst auf einen Gesetzesbeamten schießen?« fuhr mich der Marshal an. »Wie bitte?« sagte ich kalt. »Gesetzesbeamter? Hier ist nicht Salmon Falls, Corbett. Hier ist eine lausige Überlandstation mit kalten Suppen und zwei lazarettreifen Krüppeln. Und wenn Sie meinen Hund erschießen, sind Sie dran. Verschwinden Sie mit Ihren beiden Kerlen, und lassen Sie harmlose Reisende zufrieden. In Ihrer verdammten Stadt können Sie sich aufblasen, hier nicht, verstanden?« Der Marshal war weiß vor Wut. Er knirschte mit den Zähnen. Es klang, als habe er Glassplitter im Mund. Wahrscheinlich erwog er, ob er eine Chance habe, außer Shita auch mich abzuschießen. Indessen sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich der Bullige rechts von mir an der Wand hochquälte.
»Ihr einer Vogel wird munter«, sagte ich zu dem Marshal. »Tun Sie Ihre Pflicht, Sie billiger Sternträger. Schlagen Sie ihn noch einmal zusammen. Besser wäre es, wenn Sie sich verzupfen würden – natürlich mit Ihren beiden Krüppeln. Vergessen Sie auch nicht, Ihre Prämie zu kassieren. Wieviel Kopfgeld ist denn ausgesetzt, Mister Marshal?« Ich spielte hoch. Aber ich konnte nicht anders. Ich war scharf darauf, diesen Marshal bis zur Weißglut zu reizen. Ich mochte diese Art von Männern nicht. Mit ihrem Stern an der Brust hielten sie sich für Halbgötter. Und dieser Halbgott war noch versessen darauf, seine Opfer brutal zusammenzuschlagen, bevor er sie dem Gericht auslieferte. In meinen Augen war er nicht besser als diese beiden Kerle, die er als Verbrecher bezeichnet hatte. Der Dürre, sowieso nur eine halbe Portion, lehnte inzwischen am Tresen, hatte ein verquollenes Kinn, aber dennoch die Kraft, nach seiner Geige zu jammern. Aber die war zum Teufel. Die würde kein Geigenbauer je wieder hinkriegen. Ob sie kostbar gewesen war, konnte ich nicht beurteilen. Jetzt reichte ihr Holz höchstens noch dafür aus, es anzuzünden und ein Spiegelei darüber zu braten. Ich mußte bei dem Gedanken grinsen. Der harte Marshal sah dieses Grinsen. Vielleicht dachte er, ein »Lümmel«, der so grinst, sei verrückt. Und bei Verrückten müsse man vorsichtig sein. Jedenfalls halfterte er seinen Colt – wieder so unheimlich schnell – und brüllte den Dürren an: »'raus mit dir!« Der Dürre latschte zur Tür. Fast automatisch löste sich der Bullige von der Wand und torkelte hinter ihm her. Er war blutüberströmt, und ich fragte mich, woher er überhaupt die Kraft nahm, noch aufrecht gehen zu können. Der Marshal starrte mich an. »Hör zu, du Laus!« sagte er. Seine Stimme klang wie ein Reibeisen, das zu lange im Regen gelegen hatte und rostig geworden war. »Für dich ist es besser, zum Nordpol zu reiten. Falls wir uns noch einmal begegnen sollten, notier dir vorher, wo deine Knochen gesessen haben. Danach mußt du sie nämlich einsammeln, stückweise, aber bestimmt nicht mehr in einem Stück.« Ich schoß.
Die Kugel riß ihm den linken Absatz weg. Es war ein reiner Zufallstreffer – ich hatte vor seinen linken Stiefel gezielt, falls man das Zielen, blind durch eine Tischplatte, überhaupt so nennen kann. Er mußte über eiserne Nerven verfügen. Er knickte links nur etwas ein und sagte: »Kunstschütze, wie?« »Ich ging bei Mister Samuel Colt persönlich in die Lehre«, sagte ich pampig. »Wie? In Hartford?« Jetzt war der Marshal echt geschafft. »Wo denn sonst? Samuel ist mein Patenonkel. Schon als ich am Schnuller lutschte, zeigte er mir, wo man der Katze Pulver auf den Schwanz streut. Als ich drei Jahre alt war, erschoß ich meine Oma, weil sie meinen Haferbrei zu heiß gekocht hatte. Und mit fünf legte ich meinen Neffen um, weil er zu mir ›Lümmel‹ gesagt hatte und …« Der Marshal ergriff die Flucht. Dabei hätte ich ihm zu gerne noch erzählt, welche Leichen es in meiner Kindheit noch gegeben hatte. Oder hätte ich ihm erzählen sollen, daß ich weder Vater noch Mutter kannte, von Mönchen erzogen und von Apachen geraubt worden war? Und Leichen? Ich war fünfzehn Jahre alt und hatte mehr gesehen, als Jungen in meinem Alter sehen durften – Tote mit und ohne Kopfhaut, verbrannt, zerschossen, zerfetzt, verstümmelt. Ich spuckte hinter ihm her und grinste höhnisch, weil er mit seinem fehlenden Absatz wie ein Kriegsinvalide aus der Überlandstation humpelte. Durch die Fenster sah ich, wie sie davonritten. Der Bullige lag fast auf dem Sattel. Der Dürre hing schief auf dem Pferd, und es sah so aus, als würde er bald wegrutschen und unsere gute Mutter Erde küssen. Der Marshal saß im Sattel, als sei er drauf und ran, in den Himmel zu reiten. Der fraß Eisen und verdaute Schwarzpulver, um noch schärfer zu werden. Der war einer von jener Sorte, die man hundertmal totschlagen mußte. Der Wirt seufzte abgrundtief. »›Deadhand‹ Corbett«, sagte er hingerissen, »der Mann, der die wildesten Städte gezähmt hat.« Sein Glatzkopf wandte sich mir zu. »Weißt du überhaupt, was ›Deadhand‹ Corbett für ein Mann ist?« »Ich weiß nur, daß meine Suppe kalt ist«, sagte ich. »Und jetzt möchte ich eine heiße Suppe, oder Bratkartoffeln mit Spiegelei, oder
ein Steak mit Bohnen.« Ich versuchte so irre zu kichern wie der dürre Fiedler, und es gelang mir. Wenn hier alle Welt irre spielte, konnte ich das auch. Außerdem zog ich jetzt den Colt unter der Tischplatte hervor und stützte die Rechte auf den Tisch. Ich zielte nicht auf den Wirt, jedenfalls nicht direkt, nur so in die Gegend rechts von ihm. Der Wirt kriegte dicke Augen und wurde kurzatmig. »Am liebsten wäre mir ein Steak«, sagte ich »nicht ganz durchgebraten. Mit Ihrer kalten Suppe können Sie sich Ihre Glatze massieren.« »Sehr wohl, Sir«, sagte der Wirt und hatte Schweißperlen auf der Glatze. »Beeilung!«, sagte ich. Der Wirt sauste in die Küche. Zehn Minuten später vertilgte ich ein erstklassiges Steak mit Bohnen und Bratkartoffeln. Und Shita kriegte noch einen Knochen. Immerhin war Samuel Colt ja mein Patenonkel, und ich hatte »Deadhand« Corbett mal so eben einen Absatz weggeschossen. Mit Genugtuung stellte ich fest, daß der Wirt nur noch am Zittern war. Ich brauchte nichts zu bezahlen. Todsicher weiß ich, daß der glatzköpfige Wirt drei Kreuze schlug, als ich nach draußen trat, meinen Braunen sattelte und nach Westen ritt. Etwas anderes wußte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht. Daß nämlich die beiden Ralston-Brüder, der Bullige und der dürre Fiedler, zu einer von ihrem dritten Bruder geführten Bande gehörten, die vor Corbetts Ernennung zum Marshal von Salmon Falls die Stadt terrorisiert hatte. Besonders der verrückte Phil Ralston, der dürre Fiedler, hatte sich dabei als Sadist und skrupelloser Killer hervorgetan. Corbett hatte die beiden gejagt, weil sie in Salmon Falls eine Witwe und ihr Kind umgebracht hatten. Ein Bürgergericht hatte daraufhin Phil und Will Ralston in Abwesenheit zum Tode verurteilt – Legitimation genug für Jack Corbett, die beiden gnadenlos zu jagen – und als er sie dann in der Überlandstation zu fassen kriegte, zunächst einmal brutal zusammenzuschlagen. Als ich die Station verließ, war ich zwar rundum satt, aber richtig wohl war mir nun auch wieder nicht. Denn mein Ziel in diesem
gottverlassenen Land war Salmon Falls, wo ich hoffte, Arbeit zu finden. Eigentlich hatte ich keine Lust, dem Marshal wieder zu begegnen. Ich hätte nach Osten reiten sollen. Aber ich ritt stur westwärts. Ich wollte nach Salmon Falls und ignorierte mein anderes Ich, das mich warnte.
2. Jack Corbett hielt sich links hinter den beiden Ralston-Brüdern. Bis auf ein paar Stunden Schlaf hatte er seit drei Tagen und Nächten im Sattel gesessen. Er war überdreht und gleichzeitig zum Umfallen müde. Er wußte, daß dieser Zustand gefährlich war. Seine Reflexe würden jetzt das Tempo einer Schnecke haben. Er rieb sich Tabak in die Augen und heulte Rotz und Tränen. Der Schmerz hielt ihn wach. Will Ralston, der Bullige, hockte zusammengesunken im Sattel und brütete dumpf vor sich hin. Einmal nur war so etwas wie Wut in ihm hochgeflammt, und er hatte Jack Corbett wild verflucht. »Lange hast du nicht mehr zu leben, du Hurensohn«, hatte er den Marshal angeknurrt. »Larry wird dich fertigmachen, verlaß dich drauf. Der gräbt dich bis zum Hals in Sand ein und stülpt dir einen Käfig über den Kopf – mit 'ner hungrigen Ratte drin. Was meinst du wohl, woran die Ratte zuerst knabbert? Ha! Und Larry wird zusehen! Larry wird die Ratte ein bißchen pieken, damit sie zuerst deine Augen zerbeißt …« »Halt's Maul, Ralston«, sagte der Marshal und gähnte. »Dein Bruder Larry soll sich was Besseres ausdenken. Ratten – pfhh! Ihr seid doch selbst Ratten. Die schlag ich bereits seit über zehn Jahren tot – ihr beiden seid die nächsten!« Daraufhin hatte Will Ralston den Kopf eingezogen und weitergebrütet. Dann hatte Phil Ralston lamentiert. Er trauerte seiner zerbrochenen Geige nach, die unter Experten höchstens dreißig Cents wert gewesen war. Daß er selbst die Geige auf dem Kopf des
Marshals zertrümmert hatte, war ihm in seinem kranken Hirn wohl entfallen. Er greinte und sagte: »Meine Geige, du Arschloch. Du hast sie kaputt gemacht. Du bist ein Kaputtmacher. Dir schlitz ich den Bauch auf und dreh mir aus deinen Gedärmen neue Saiten. Auf denen spiel ich dann ›Lobet den Herrn‹. Und die Gemeinde wird dazu ihr ›Halleluja‹ singen, weil's die Gedärme von Jack Corbett sind, dem Arschloch. Ah, ich spür's schon, wie meine Finger über die Saiten streichen und sie zum Jauchzen bringen.« Er turnte auf seinem Pferd herum, hob die gefesselten Hände und begann zu geigen. Da er sie wegen der Handschellen nicht auseinanderkriegte, was das ein mißlungener Versuch. Ohne Geige sowieso. Seine Hände sanken auf das Sattelhorn, das keine Geige war, und umklammerten es. Über die Schulter warf er dem Marshal einen giftigen Blick zu. Der lächelte kalt und sagte: »Deinen Hals, Phil Ralston, werden die Bürger von Salmon Falls so langziehen, daß daraus eine erstklassige Baßsaite wird. Es bleibt abzuwarten, für wen die Gemeinde dann ihr ›Halleluja‹ singt. Ich schätze, es wird eher ein Dankgesang, daß zwei Ratten zur Hölle gefahren sind.« Der irre Phil Ralston kicherte zusammenhanglos, sagte dann: »Gottverdammt!« schwieg eine halbe Stunde lang und schrie plötzlich: »Wo ist meine Geige?« »In der Überlandstation«, sagte der Marshal lakonisch, »und zwar in zwei Teilen, weil mein Kopf härter als deine Jaulfiedel war.« »Jaulfiedel?« Phil Ralston wurde tückisch. »Hast du Jaulfiedel gesagt, du Arschloch?« »Hab ich«, erwiderte der Marshal, »und falls du mich noch einmal ›Arschloch‹ nennst, spuckst du Zähne. Das ist ein Versprechen.« »Arschloch«, sagte der dürre Fiedler. Der Marshal reagierte jäh und zupackend. Er gab seinem Pferd die Hacken, preschte vor und schlug Will Ralston den Coltgriff ins Genick. Noch während der Bullige aus dem Sattel rutschte und zu Boden krachte, zog er sein Pferd herum, ritt zurück, sprang aus dem Sattel und riß den kichernden Irren vom Pferd.
Der rutschte zwischen die gespreizten Beine des Marshals. Jack Corbett zog ihn wieder hoch, stellte ihn maßgerecht vor sich hin und hieb ihm die rechte Faust zwischen die Zähne – einmal, zweimal, dreimal. Es war ihm gleichgültig, daß dabei seine Handknöchel zerplatzten. Er schlug erbarmungslos zu, ein kaltes Lächeln auf seinem harten Gesicht. Phil Ralston heulte. Als Jack Corbett ihn losließ, stand er wackelnd drei, vier Sekunden mit weichen Knien da und kippte dann vornüber in den Sand. Zu dieser Zeit taumelte der Bucklige bereits wieder auf einknickenden Beinen herum, ruderte mit den gefesselten Armen und schien die Orientierung verloren zu haben, denn er torkelte mit glasigen Augen an dem Marshal vorbei den Weg zurück. Der Marshal hakte seinen Stiefel hinter Will Ralstons linken Fuß, der Bullige geriet ins Stolpern und schlug lang hin. Eine Weile blieb er liegen. Jack Corbett holte seine Wasserflasche, die am Sattel hing, und trank ein paar Schlucke. Etwas Wasser goß er sich ins Genick. Aus schmalen Augen beobachtete er die beiden Banditen. Der dürre Phil Ralston war nicht so hart im Nehmen wie sein bulliger Bruder, aber dennoch gefährlich, weil er unberechenbar war. Auf den zähen Will Ralston mußte er genauso scharf aufpassen. Der erholte sich schneller, als dem Marshal lieb war. Wahrscheinlich würde er die beiden abwechselnd niederschlagen müssen – so alle vier bis fünf Stunden, um zu verhindern, daß sie sich erholten. Jack Corbett gab sich keinen Illusionen hin. Seine schwächste Stelle war seine Müdigkeit. Irgendwann würde er ein paar Stunden schlafen müssen. In dieser Zeit mußte er die beiden getrennt voneinander hinlegen und wie Pakete verschnüren. Sicherheitshalber würde er ihnen auch noch einen Schlag mit dem Coltgriff verpassen. Er nahm den beiden ihre Gürtel und Hosenträger ab und verstaute sie in seinen Satteltaschen. Ihre Gewehre, Revolver und Messer hatte er bereits vereinnahmt – ein Waffenarsenal. Dann entschloß er sich, ihnen auch noch die Stiefel auszuziehen. Er band sie zusammen und hängte sie über seinen Sattelkopf. Angewidert betrachtete Jack Corbett die Strümpfe der Ralston-
Brüder. Ein Netzwerk von Löchern, nach Schweiß stinkende Fetzen. Die Zehen, die aus den Löchern ragten, sahen entsprechend aus. Die schwarzen Fußnägel waren lang oder verwachsen. Zur sauberen Art gehörten die beiden Kerle bestimmt nicht. Das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen. Wie erwartet richtete sich der bullige Ralston zuerst wieder auf. Er setzte sich hin und starrte auf seine Lochstrümpfe. Von dort wanderte sein Blick zu dem Pferd des Marshals, wo die Stiefel hingen. Dann dämmerte es bei ihm, und er sprang auf. Jetzt rutschte seine Hose und legte löchrige, rostrote Unterhosen frei. Hastig holte er den Bund hoch und hielt ihn fest. Jack Corbett grinste kalt. »Du verdammter Hund«, stieß Will Ralston hervor. Sein verschwollenes Gesicht mit den Platzwunden verfärbte sich dunkelrot vor Wut. »Halt sie schön fest, Ralston«, sagte der Marshal, »dann bist du beschäftigt, wenn du jetzt mal eine Weile marschierst.« Will Ralston duckte sich zusammen. »Wie? Ich soll marschieren? Ohne Stiefel? Keinen Schritt tu ich, keinen Schritt, du krummer Hund!« Er setzte sich wieder hin. Jack Corbett ging an ihm vorbei, griff Phil Ralston ins Genick, schleppte ihn zu seinem Pferd, hievte ihn in den Sattel und band ihn fest, so daß er nicht vom Pferd kippen konnte. Dann nahm er sein Lasso, ließ es wirbelnd fliegen, und Sekunden später zog sich die Schlinge um Will Ralstons Hals zusammen. Dessen Pferd führte er am Zügel mit, als er aufsaß und anritt. Wollte Will Ralston nicht erdrosselt werden, mußte er wohl oder übel aufstehen und sich in Bewegung setzen. Sich die Schlinge vom Kopf zu streifen, ging nicht, weil er seine Hose festhalten mußte. So einfach war das. Der bullige Ralston trottete also hinterher, auf Strümpfen, die nach den ersten zwei Meilen nun endgültig zum Teufel gingen. Da seine Füße keine Hornhautsohlen hatten, wurde der weitere Marsch von Meile zu Meile schmerzhafter und qualvoller. Nach zwei Stunden ließ ihn Jack Corbett wieder reiten. Dafür mußte dann der dürre Phil Ralston am Lasso hinterhermarschieren.
Der fluchte sich eine halbe Stunde lang heiser – trotz fehlender Zähne –, dann sang er eine Weile zotige Lieder und bewies letztlich, daß er zu Fuß besser als sein bulliger Bruder war. * Im Laufe des nächsten Vormittags – der Marshal hatte in der Nacht zwei Stunden geschlafen – erreichten sie die Volcanic Beds, eine mit erkalteter Vulkanasche und Lava bedeckte Fläche von etwa dreißig Meilen Durchmesser. Wasser gab es hier nicht. Lebewesen konnten nicht existieren. Diese Gegend hatte der Teufel geschaffen. Bevor sie die Volcanic Beds überquerten, rastete Jack Corbett noch einmal – es war sein Fehler. Beide Brüder hockten apathisch auf dem heißen Gestein, so brauchten sie wenigstens ihre Hosen nicht festzuhalten. Sie stierten vor sich hin, aber das alles täuschte. Lauernd, unter gesenkten Lidern, beobachteten sie jede Bewegung und jeden Schritt des verhaßten Marshals. Jack Corbett hatte entzündete Augen. Sein hageres Gesicht wirkte grau und eingefallen. Es war von tiefen Furchen gekerbt. Als er bei seinem Pferd stand, um die Wasserflasche abzuschnallen, schlief er für Sekunden ein. Als ihm die Beine wegrutschten, wachte er wieder auf und konnte sich gerade noch am Sattel festhalten. Über den Sattel warf er einen hastigen Blick auf die beiden Banditen. Hatten sie ihn beobachtet? Die beiden glotzten auf das Gestein und saßen wie Salzsäulen. Schlag ihnen den Colt ins Genick! sagte eine innere Stimme im Gehirn des Marshals. »Tu ich«, sagte der Marshal laut und hatte es nach drei Sekunden wieder vergessen. Er trank, warf dann eine Wasserflasche, die Phil Ralston gehörte, den beiden zu und setzte sich vier Schritte abseits von ihnen auf einen Felsbrocken. Noch während er sich eine Zigarette drehte, schlief er ein. Zigarettenpapier und Tabak fielen zu Boden. Das Zigarettenpapier
wehte zu Will Ralston hinüber und blieb an seinem linken Fuß hängen. Er griff danach, ließ es wieder fallen und stand lautlos auf. Er hatte ja keine Stiefel an. Mit der linken Hand hielt er seine Hose fest. In der Rechten hatte er einen mehr als faustgroßen Stein. Auch Phil Ralston stand auf, genauso lautlos wie sein Bruder. In seinen Augen glitzerten irre Lichter, über sein Gesicht huschte ein Grinsen, vor dem selbst der Teufel ausgerissen wäre. Der bullige Will Ralston schlich um das Pferd des Marshals herum und glitt unhörbar hinter den Marshal, dessen Kopf auf die Brust gesunken war. Er ließ seine Hose los, packte den Stein mit beiden Händen, wobei die kurze Kette zwischen den Handschellen etwas klirrte – und noch bevor der Marshal hochruckte, drosch er ihm mit aller Kraft den Stein auf den Schädel. Noch zweimal schlug er zu. Jack Corbett rutschte von dem Felsbrocken, blutüberströmt. Bewegungslos blieb er liegen. Kichernd fragte der dürre Phil Ralston: »Ist er hin?« »Wo ich hinschlage, wächst kein Gras mehr«, sagte Will Ralston und warf den Stein gegen einen Felsen, wo er regelrecht zerplatzte. Die rutschende Hose störte ihn nicht mehr, er beugte sich über den Marshal und suchte dessen Taschen mit fliegenden Fingern ab. Der Schlüssel zu ihren Handschellen steckte in der linken Brusttasche des Marshals. Er zog ihn heraus, gab ihn seinem Bruder und ließ sich von ihm die Handschellen aufschließen. Dann befreite ihn Phil Ralston von den stählernen Fesseln. Sie holten sich Waffen, Hosenträger, Gürtel und Stiefel vom Pferd des Marshals. Als Phil Ralston seine Stiefel wieder an den Füßen hatte, sprang er auf und trat den leblos daliegenden Jack Corbett. »Arschloch!« schrie er. »Arschloch!« Er tanzte um den Marshal herum, und es hätte nicht viel gefehlt, das zu vollziehen, was er dem Marshal angedroht hatte: ihm den Bauch aufzuschlitzen und die Gedärme herauszuzerren. Das Messer hatte er bereits gezückt. Der bullige Bruder stoppte ihn. »Witzlos, Phil. Ich hab ihm die
Birne zerknackt, der spürt nichts mehr – leider. Ich hätt ihn gern am Spieß geröstet, aber bei 'ner Leiche macht das keinen Spaß, 'ne Leiche ist tot, verstehst du? Die kannst du piesacken und aufschlitzen und in einzelne Stücke schneiden, die merkt nichts.« »Aber ich will ihn zerstückeln«, sagte der irre Phil Ralston, »ich will ihm was abschneiden.« »Ich will zu Larry«, sagte Ralston fast wütend. »Und weißt du, was ich dann will?« »Na?« Der bullige Will Ralston grinste und sah so freundlich wie ein Wolf aus, dessen Zunge über den Fang schleckt, bevor er in das Gehege einer Schafkoppel einbricht. »Ich will Salmon Falls zur Brust nehmen«, sagte er. »Ich will, daß mir die Scheißbürger die Stiefel ablecken. Ich will, das sie mir ihre Weiber vorführen, damit ich mir eine aussuchen kann. Ich will ihnen zeigen, wer die Ralston-Brüder sind. Sie sollen heulen und jammern und vor mir auf dem Bauch kriechen, das will ich.« Der irre Phil klatschte sich auf die Schenkel. »Das will ich auch!« schrie er. Er kicherte und schnappte fast über. Will Ralston knallte dem leblosen Marshal den Stiefel in die Seite und sagte: »Laß dich von den Geiern fressen, ›Deadhand‹ Corbett!« Dann ging er zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. »Vorwärts, Bruderherz!« rief er dem Dürren zu. Sie ritten in die Volcanic Beds. Larry Ralston, ihr Bruder, der sich mit seiner Bande in den Bergen westlich des Wood River verbarg, würde einen Lachkrampf kriegen, wenn er erfuhr, daß »Deadhand« Corbett in die Hölle marschiert und Salmon Falls ohne Marshal war. Sie würde der Bande wie eine reife Pflaume in den Schoß fallen. Es würde wieder sein wie früher, als der Marshal noch nicht mit eisernem Besen gekehrt hatte. Sie würden die Puppen tanzen lassen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Allerdings – zu dieser Zeit hatte Salmon Falls noch keine Kirche. Die wurde erst zehn Jahre später gebaut. Und da lebten in dieser Stadt tatsächlich ein paar tapfere Männer mehr als im Jahr 1861. Wir werden sehen.
3. Ich hatte Zeit – die Zeit eines Fünfzehnjährigen, der zwar Not und Schmerz schon kannte, aber dennoch unverdrossen das Leben für etwas hielt, das mit kräftigem Zugriff erobert und genossen werden wollte. Dazu fühlte ich mich stark genug. Die Welt war für mich kein Jammertal. Ich bejahte mein Leben, das mir unbekannte Eltern geschenkt hatten – auch wenn ich ohne Heimat und Ziel war. Ich hatte einen Hund, der zubiß, wenn es mir an den Kragen ging, und ich ritt ein Pferd, einen braunen, stämmigen Hengst mit kurzem Kopf und Rammsnase, auf den ich mich verlassen konnte. Die Überlandstation lag weit hinter mir. Ich ritt westwärts, dem Trail nach, der nach Salmon Falls führte. Am Abend schoß ich ein Kaninchen, schlug es aus dem Fell und briet es am Stock über meinem Feuer. Shita zerknackte die Knochen und fraß das, was ich übriggelassen hatte. Um uns war nichts als Stille und Einsamkeit und später ein Nachthimmel voller Sterne. Wenn ich jemals glücklich war, dann in diesen Stunden. Die Einsamkeit bedrückte mich nicht. Sie war ja ein Teil von mir. Am nächsten Morgen ritt ich weiter. Als ich den ersten Fetzen grauer Wolle entdeckte, stieg ich aus dem Sattel und hob ihn auf. Ich führte ihn an die Nase und roch daran. Er stank nach Fußschweiß. Ich warf ihn weg und ging zurück. Die Spuren, die ich fand, erzählten mir eine Geschichte. Hier war ein Mann über die Erde gestolpert, etwas rechts von Hufspuren. Es waren die Hufspuren von drei Pferden. Das eine Pferd hatte schwächere Spuren hinterlassen. Hatte es keinen Reiter gehabt? War sein Reiter jener, der rechts von den Hufspuren mehr getorkelt als gelaufen war? Ich zählte zwei und zwei zusammen und gelangte zu dem Schluß, daß der Eisenfresser von Marshal einen seiner beiden Gefangenen zu Fuß hatte gehen lassen. Später bestätigte sich diese Überlegung. Da hatte aufgrund der Spuren ein Wechsel stattgefunden. Die Fußspuren waren jetzt etwas kleiner als bisher, aber keineswegs mehr so torkelnd. Sie wirkten
kräftiger. Und jetzt waren die Trittsiegel des einen Pferdes, das bisher einen Reiter getragen hatte, plötzlich nicht mehr so tief eingedrückt. Der Marshal ließ seine beiden Gefangenen abwechselnd zu Fuß laufen! Ein gerissener Hund. Er hatte ihnen die Stiefel ausgezogen. Der Fiedler und der Bullige liefen sich die Füße blutig. Die Spuren waren so eindeutig wie die Buchstaben eines Buches. Ohne es zu wollen, verspürte ich Respekt für den Marshal. Der ging kein Risiko ein. Der sorgte dafür, daß sich immer einer von den Galgenvögeln die Sohlen kaputtlief. Eine feine Methode. Ich begriff aus dem Bild der Fußspuren auch, daß der Marshal den jeweiligen Marschierer am Lasso gehabt hatte. Ab und zu erkannte ich die Schleifspuren des Seils, wenn es durchgehangen hatte. Na schön, das alles paßte zu dem Bild, das ich von dem Marshal hatte. Der war hartgekocht wie sonstwas, prügelte gern und zog sein Eisen schneller, als ich es jemals gesehen hatte. Dieses Blechabzeichen an seiner Brust, das ihm gewisse Rechte verlieh, war auch so ein Ding, dem ich zutiefst mißtraute. Einige diesbezügliche Erfahrungen hatte ich bereits sammeln können – keine guten. Marshal hin, Marshal her. Dieser Corbett mit der tödlichen Hand war keiner von der zimperlichen Sorte. Gegen Mittag, die Sonne hatte bereits den Zenit überstiegen, sah ich die beiden Bussarde vor mir, das heißt in westlicher Richtung. Sie zogen hoch oben in dem endlosen, wolkenfreien Himmel weite Kreise. Auf dem Mittelpunkt dieser Kreise, dessen Senkrechte ich mir nach unten verlängerte, ritt ich genau zu. Ich angelte meinen Sharps-Karabiner, Modell 1848, aus dem Scabbard, überprüfte ihn und legte ihn quer vor mich auf den Sattel. Das Bussardpaar beobachtete ich weiter. Es sah mich und strich ab. Shita streunte vor mir durchs Gelände. Für eine halbe Stunde verschwand er, kehrte zurück und blaffte mich erregt an. »Was ist los, Alter?« Shita warf sich herum und lief vor mir her. Ich sollte ihm folgen. Er hatte etwas entdeckt. Ich nahm den Karabiner hoch und trieb den Braunen an. Das Pferd sah ich zuerst. Es stand mit hängendem Kopf in der
prallen Sonne. Shita bellte wie verrückt und umkreiste weit vor mir einen Felsbrocken links von dem Pferd. Ich ritt näher, glitt aus dem Sattel, ließ den Braunen stehen und ging vorsichtig auf den Felsbrocken zu, den Karabiner schußfertig unter dem Arm. Ich brauchte den Karabiner nicht. Hinter dem Felsbrocken lag der Marshal Jack Corbett. Und er lag da wie ein Toter. Das Blut hatte unter seinem Kopf eine Pfütze gebildet, die aber bereits getrocknet war. Ein Schwarm von Fliegen stieg hoch, als ich nähertrat. Jack Corbett hatte das Ende seines Trails erreicht, wie mir schien. Sie hatten ihm offensichtlich den Kopf eingeschlagen. Shita kläffte mich an, und ich sagte mürrisch: »Halt's Maul, Hund. Hier liegt ein Toter, und der wird auch nicht wieder wach, wenn du hier Krach schlägst.« Shita setzte sich auf die Hinterpfoten und hechelte. Ich blickte mich um. Ein paar Schritte links von dem Marshal lag ein Schlüssel, und dicht daneben, wie weggeworfen, befanden sich zwei Paar Handschellen. Na ja. Sie hatten ihm was auf den Kopf gehauen und waren getürmt. Dieser bullige Kerl und der dürre Fiedler waren wohl doch ein paar Nummern zu groß für den Marshal gewesen. Ich starrte auf die Lavafelsen westlich von mir und fluchte. Ich dachte an das Bussardpaar. Hier gab's keine Erde, um den Marshal zu begraben. Ich mußte Steine zusammenholen, um ihn »unter die Erde« zu kriegen. Notier dir vorher deine Knochen, hatte der Marshal zu mir gesagt, falls wir uns noch einmal begegnen sollten. Jetzt waren wir uns begegnet, und ich mußte die Knochen des Marshals davor bewahren, daß an ihnen Raubvögel oder Kojoten nagten. Ich spuckte auf den Lavaboden, ging zurück zu meinem Braunen und schob den Karabiner in den Scabbard. Shita schnüffelte an dem toten Marshal, knurrte, sprang zurück, knurrte wieder und schien nicht übel Lust zu haben, den Marshal ins Bein zu beißen.
Ich schaute zu ihm hin und hatte das Gefühl, daß sich meine Nackenhaare aufstellten. Tote interessierten Shita einen Dreck. Aber diesem Toten wollte mein Hund ans Leder. »Hast du 'n Vogel?« fragte ich Shita. Er wackelte mit dem Schwanz, fletschte den Fang und knurrte geduckt den Marshal an. Sein Hinterteil wetzte nach rechts und nach links. Ich war mit einem Satz beim Marshal und beugte mich hinunter. Ich riß sein Hemd auf und legte meinen Kopf auf seine Brust. Ganz schwach hörte ich Herztöne – ein kaum wahrnehmbares, unstetes Wummern. O verdammt! Ich blickte mich hastig um. Vor mir waren ein paar Felsen, die höher aus dem Boden ragten und Schatten boten. Vorsichtig zog ich den Marshal an die Felsen heran, hastete zu meinem Braunen, holte meine Schlafrolle und schob sie dem Marshal unter den Kopf. Shita saß auf den Hinterpfoten, und es sah so aus, als grinse er mich an. Ich holte meine Wasserflasche und begann, den Kopf des Marshals zu säubern. Auf der Schädeldecke hatte er ein paar böse Platzwunden. Ich säbelte ihm die Haare weg und legte einen Verband an, denn noch immer sickerte Blut aus den Wunden. Um den Kopf wickelte ich ihm mein Halstuch, das ich mit Wasser aus meiner Flasche angefeuchtet hatte. Später entsattelte ich das Pferd des Marshals, benutzte das Wasser aus seiner Flasche und bettete ihn auf seiner Satteldecke. Es wurde Abend, und es wurde Nacht. Ich wachte bei dem Marshal, und wenn ich mich recht erinnere, fluchte ich immer dann, wenn ich wieder Wasser verbrauchte, um des Marshals Kopf zu kühlen. Wasser war in dieser verdammten Gegend Mangelware. Aber das waren fast meine geringsten Sorgen. Ich hatte diesen Eisenfresser am Hals und wußte noch nicht mal, ob ich ihn durchkriegen würde. Sie mußten einen Stein benutzt haben, den sie ihm auf den Schädel gedonnert hatten. Die Platzwunden waren fürchterlich. Vielleicht hatte der Marshal jetzt 'ne
Schraube locker, wenn er wider Erwarten doch noch aufwachen sollte. Und dann war ich dran. Ich fischte den Colt aus seinem Holster. Es war ein Army-Modell 1860, Kaliber .44, eine ganze neue Waffe, aber schon arg verschrammt. Jetzt hatten wir Juli 1861. Die Waffe war verdammt neu, sah aber aus, als hätte er damit schon hundert Schlachten geschlagen. Ich verstaute die Kanone in seiner Satteltasche. Jetzt konnte er mich wenigstens nicht gleich erschießen, wenn er aufwachte. Wenn er aufwachte! Ich hatte da so meine Zweifel. Ab und zu horchte ich seine Herztöne ab. Die waren mal schwächer, dann wieder stärker. Er sah aus wie der lebendige Tod. Sein Gesicht war sowieso hager, aber jetzt hatte ich fast Angst, daß seine Wangenknochen durch die Haut stoßen würden. »Mister Corbett«, sagte ich laut, »Sie sind ein gottverdammter Hund, und ich bin kein Krankenpfleger. Wachen Sie auf, oder gehn Sie zum Teufel! Ich verplempere hier Wasser für Ihren gottverdammten Quadratschädel und würde mir lieber einen Kaffee kochen.« Shita gab seinen Kommentar, hob das linke Hinterbein und benäßte einen Felsen. Dann ging er um den Felsen herum und spülte die Gegenseite ab. Er rannte noch schnüffelnd dreimal um den Felsen und setzte sich abschließend vor mich hin. Die Zunge hing ihm hechelnd aus dem Fang. Er schaute zu mir hoch. So etwas schief. »Mann, geh schlafen«, blaffte ich ihn an, »oder beiß diesem gottverdammten Marshal ein gottverdammtes Ohr ab!« Er kläffte, wetzte davon und brachte mir eine Viertelstunde später eine Klapperschlange, der er hinter dem Kopf alles Mögliche abgebissen hatte. Der Kopf baumelte nur noch an ein paar Sehnen. Das Vieh legte er dicht ans Feuer, das ich inzwischen mühsam mit ein paar mickrigen Ästen unterhielt. Wenn er der Ansicht war, ich sollte das Reptil braten, dann hatte er sich getäuscht. Ich war ungerecht, klar. Ich nahm die Klapperschlange mit spitzen Fingern und schleuderte sie zwischen die Felsen. Shita schielte mich schief an, trottete zu dem Felsen, den er benäßt
hatte, und rollte sich zusammen. Wie das Hunde so tun. Er brauchte dazu bestimmt fünf Minuten. Keine Schlaflage paßte ihm. Erst lag er mit dem Hintern am Felsen, dann mit dem Kopf und schließlich an ihn geschmiegt. Jetzt war er eins mit dem Felsen. Ich äugte zu ihm hinüber und vermochte ihn kaum von dem grauen Felsen zu unterscheiden. Der pennt, dachte ich. Der pennt einfach, und ich sitze hier mit dem lausigen Marshal, der eigentlich mausetot sein müßte, sich aber einen Jux daraus macht, mich in Betrieb zu halten. Oh, was war ich sauer! Die Nacht verstrich, ich wachte, ich versorgte den Marshal, ich fluchte, ich fror, ich kaute Trockenfleisch, ich verwünschte Shita, ich haderte mit meinem Leben. Die letzte Nacht war schöner gewesen. Als der Morgen graute, nickte ich ein, wachte aber wieder auf – vielleicht eine halbe Stunde später –, weil mich Shita abschleckte. Dieser Hund hatte kein Erbarmen mit mir. Er wünschte nicht, daß ich schlief. Bitte sehr. Er wünschte, daß ich mich gefälligst bewegte und etwas tat. Was sollte ich denn tun? Ich gähnte meinen Hund an und sagte ihm, er sei ein Miststück und solle mich zufrieden lassen. Eine halbe Stunde später, ich war wieder eingeschlafen, knurrte er meine Stiefelabsätze drohend an und deponierte dort ein Kaninchen. Das war Shita. Wir fraßen beide das Kaninchen auf – gebraten, versteht sich. Ich hatte das Feuer wieder entfacht, am Rande der Volcanic Beds nach mickrigen Ästen gesucht und Shitas Beute über dem Feuer gegart. Der Marshal lebte immer noch. Der war so zäh wie Leder. Ich horchte sein Herz ab, und das wummerte jetzt im gleichmäßigen Rhythmus. Während Shita die letzten Kaninchenknochen zerknackte, schlief ich wieder ein. *
Von einem anderen Knacken wachte ich auf. Der Marshal, hohläugig, bleich wie eine Kalkwand, stand krumm und knickebeinig bei seinem Pferd, in der rechten Faust den .44er Colt. Und der zeigte genau auf meinen Magen. Shita war verschwunden. Wahrscheinlich suchte er nach einem zweiten Kaninchen. Ich verfluchte Shita, ich verfluchte mich, ich verfluchte alle Kaninchen dieser Welt und setzte mich auf. Der Colt in der Faust des Marshals wackelte nicht einen Deut. Dieser Hurensohn war aus Granit, auch wenn er krumm dastand und aussah wie vergammelte Hafergrütze. »Wo sind die beiden Kerle?« pfiff er mich an. Ich stand sehr langsam auf und hakte meinen Daumen in den Gürtel. »Weg«, sagte ich, »auf und davon, nachdem sie Ihnen, Mister Marshal, einen übergebraten haben. Ich hatte das Vergnügen, Sie gestern gegen Mittag zu finden. Halbtot!« »Und?« »Nichts und. Die beiden waren weg, und nur ein Bussardpaar kreiste über Ihnen und war scharf darauf, den Marshal von Salmon Falls zu zerhaken. Bussarde müssen ja schließlich auch zusehen, daß sie satt werden. Können Sie nicht mal Ihren verdammten Colt wegstecken? Ich tu Ihnen nichts. Wenn ich einer von den Ralstons wäre, hätte ich Ihnen ja den Rest geben können. Aber ich habe Ihren verdammten Schädel bandagiert und mein und Ihr Wasser verplempert, um Ihre Nuß zu kühlen.« »Lümmel!« fauchte mich der Marshal an. »Große Schnauze und nichts dahinter wie bei allen Grünschnäbeln.« Ich ging auf den Marshal zu, kochend vor Wut. »Sie Halbleiche, Sie gehirngeschädigter Sternträger!« schrie ich ihn an. »Ich habe die ganze verdammte Nacht neben Ihnen gesessen und Händchen gehalten, damit Ihnen nichts passiert.« Und jetzt brüllte ich. »Weg mit dem Colt, oder ich schlage Ihnen die Zähne in den Hals!« Der Marshal schnappte nach Luft. »Und noch etwas!« schrie ich ihn an. »Das Ding, das Ihnen die
Ralston-Brüder verpaßt haben, geht auf Ihre Rechnung. Sie hätten die beiden ja anständiger behandeln können, aber nein, Ihr verdammter Blechstern gibt Ihnen ja das Recht, Menschen das Kreuz zu brechen.« Ich spuckte ihm vor die Füße. »Rutschen Sie mir doch den Buckel 'runter. Sehen Sie zu, wer Ihnen weiterhilft. Von mir aus bleiben Sie, wo der Pfeffer wächst. Einen Dachschaden haben Sie, jawohl!« »Du – du …« japste der Marshal, schwankte und setzte sich glattweg unter sein Pferd. »Mahlzeit«, sagte ich, holte meinen Sattel und warf ihn über den Braunen. Während ich die Sattelgurte anzog, erschien Shita wieder und schleppte tatsächlich noch ein Kaninchen heran. Er legte es vor mich hin und wackelte mit dem Hintern. »Bring's dem Idioten da«, sagte ich zu Shita und deutete auf den Marshai, »damit er nicht verhungert.« Shita gehorchte, obwohl er mich beleidigt anstarrte. Und der Marshal, dieser Hundesohn, sagte: »Ich will dein Kaninchen nicht, ich kann mir selbst was schießen.« »Haha«, sagte ich so höhnisch wie möglich, »Sie würden jetzt noch nicht mal 'n Büffel auf drei Schritte Entfernung treffen.« »Dir stopf ich noch mal die Schnauze, du Rotznase«, knurrte der Marshal erbittert. Ich zog mich in den Sattel. »Armleuchter«, sagte ich nur und ritt an. Ich trieb den Braunen in die Volcanic Beds und geriet in den Vorhof der Hölle. Die Sonne stand im Zenit, über, unter und neben mir kochte die Luft und trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Dabei fiel mir ein, daß ich mein Halstuch um den gottverdammten Schädel des Marshals gewickelt hatte und es jetzt quitt war. Ich fluchte ausgiebig. Es geschah mir recht. Ich hatte ja unbedingt den barmherzigen Samariter spielen müssen, ich Narr. Lavastaubwölkchen pufften unter den Hufen meines Braunen hoch. Ich ritt stur westwärts, ignorierte die Backofenhitze und wurde ziemlich apathisch. Mein Brauner und Shita hielten sich besser. Der Hengst war überhaupt ein zähes Tier. Schönheit zeichnete ihn nicht aus mit dem kurzen Kopf und der Rammsnase. Aber er war kräftig
und unermüdlich. Die Volcanic Beds waren so trostlos, daß es einen jammern konnte. Wenn ich jedoch gedacht hatte, ich sei allein, dann war das glatter Selbstbetrug. Es war Shita, der plötzlich stoppte und einen Blafflaut ausstieß, der mich warnen sollte. Ich ruckte im Sattel hoch, und da sah ich sie. Indianer. Sie ritten in einer langen Reihe schräg von Westen auf mich zu. Es waren Shoshonen, bewaffnet und noch etwa drei Meilen entfernt. Ich gab Fersengeld und ritt auf meiner Spur wieder zurück. Fast automatisch hatte ich den Braunen herumgezogen. Ich wollte zu dem verdammten Marshal zurück. Ob er mir sympathisch war oder nicht – wenn sich hier Indianer herumtrieben, saß er ganz dick im Schlamassel. Er konnte sich noch nicht richtig verteidigen, dazu war er viel zu schwach. Ich grinste schwach. Erst Samariter, jetzt Beschützer. Ich war komplett verrückt, aber ich konnte nicht anders. Nein, sie sollten ihn nicht abschlachten, das ging mir gegen den Strich. Erst in diesem Moment begriff ich, daß ich bei aller Abneigung dennoch Respekt vor dem Marshal hatte, vor seiner Härte und seinem Stolz, Hilfe abzulehnen. Jack Corbett würde die Augen aufreißen, wenn die »Rotznase« wieder da war! Ich schaute über die Schulter. Die Krieger ritten in der gleichen Richtung weiter. Sie mußten mich gesehen haben, aber sie verfolgten mich nicht. Der Teufel mochte wissen, was sie vorhatten. Ich hatte recht gehabt. Der Eisenfresser saß dick im Schlamassel. Die Schüsse hörte ich bereits. Ich hatte für den Weg zurück etwa drei Stunden gebraucht. Mir kochte der Hintern, meine Klamotten waren schweißdurchtränkt, und ich hätte ein Bierfaß austrinken können. Meinen Sharps-Karabiner hatte ich schußfertig in der rechten Armbeuge. Den Braunen lenkte ich mit den Schenkeln. Er ging jetzt Schritt – ich hatte etwas dagegen, wie ein Besessener heranzurasen. Shita stöberte den ersten Shoshonen auf. Das mochte etwa achtzig Yards vor dem Rastplatz Jack Corbetts sein. Shita war vorausgestromert und hatte den Indianer regelrecht hochgescheucht.
Mein Hund mußte eine besondere Art haben, Menschen zu erschrecken. Der Krieger war jedenfalls aufgesprungen, hatte sich, mit dem Rücken zu mir, vor Shita zurückgezogen und war gerade dabei, meinem knurrenden und nachsetzenden Hund den Kriegsbogen um die Ohren zu hauen. Shita wich natürlich aus und kläffte jetzt wie verrückt. Er trieb mir den Krieger zu, sprang hin und her und schnappte mit dem Fang nach dem Bogen. Der Krieger war so mit Shita beschäftigt, daß er mich überhörte. Ich ritt von hinten an ihn heran und drosch ihm den Kolben meiner Sharps auf den Kopf. Ohne einen Laut von sich zu geben, kippte er vornüber zu Boden. Dafür zischte ein Pfeil über mich weg. Ich schoß aus der Hüfte. Der Indianer war links vor mir hinter einem Felsen aufgetaucht. Ich erwischte ihn voll. Das Geschoß riß ihm fast den Kopf weg. Erst jetzt gab ich dem Braunen die Hacken und jagte los. Ein Krieger sprang mir mit ausgebreiteten Armen in den Weg – als habe er die Absicht, den Braunen zu umarmen. Der Hengst stieg hoch und donnerte dem Shoshonen, einem halbnackten, untersetzten Kerl, die Vorderhufe vor die Brust. Der Krieger wurde wie ein Geschoß gegen einen Lavafelsen katapultiert, und ich weiß, das ich das Brechen von Knochen hörte. Rechts von mir sah ich einen Indianer fliehen, den Shita verfolgte. »Zurück, Shita!« brüllte ich und jagte auf die zwei Felsen zu, zwischen denen der Marshal lag und sein Pferd stand. Mit einem Satz war ich aus dem Sattel und warf mich neben dem Marshal zu Boden. Noch fast im Sturz schoß ich auf den Indianer, der zwanzig Schritte vor mir zwischen den Felsen aufgetaucht war und verständnislos hinter dem anderen, hinter dem Shita hergewesen war, herstarrte. Er empfing meine Kugel in der Schulter, wurde herumgerissen und tauchte weg. Das war's wohl. Der Marshal sah aus wie Braunbier mit Spucke und wischte sich kalten Schweiß von der Stirn. »Verdammt«, sagte er, und seine Stimme rasselte wie eine rostige
Kette. Er räusperte sich, sah mich von der Seite an, räusperte sich wieder, und jetzt klang fast so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme. »Du frißt wohl Indianer zum Frühstück, wie?« Ich grinste. »Ich war selbst mal einer«, sagte ich. Er starrte mich an. »Wie bitte?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich mag nicht darüber sprechen. Na ja, ich war ein weißer Apache, ziemlich lange. Ich bin mit den Kriegern gegen die Weißen geritten. Wenn Sie mich fragen, halte ich die Roten für besser und anständiger als uns.« Er war ziemlich erschüttert. Ich hörte verklingenden Hufschlag und stand auf. Shita saß auf dem Hintern und kratzte sich mit dem rechten Hinterlauf das Fell. Das war beruhigend. Dennoch ging ich mit gezogenem Colt auf den Felsen zu, hinter dem der letzte Krieger verschwunden war. Shita blieb sitzen und gähnte. Der Indianer war weg. Ein paar dunkle Flecken im Lavaboden zeigten, daß er ziemlich viel Blut verloren hatte. Ich drehte mich um und ging zurück. »Sie sind abgehauen«, sagte ich. Der Marshal setzte sich auf und lehnte den Rücken gegen den Felsen. Ich blickte mich um und sah das Kaninchen, das Shita und ich bei ihm zurückgelassen hatten. Es war zur Hälfte aus der Decke geschlagen. Ich lächelte. Die Shoshonen hatten ihn wohl überrascht, als er sich das Kaninchen zubereiten wollte. Ich schlug es ganz aus der Decke, suchte wieder Holz und entfachte ein Feuer. Etwa eine Stunde später aßen wir. Der Marshal hatte mir die ganze Zeit schweigend zugeschaut. Erst als Shita an den letzten Knochen nagte, sagte er: »Warum bist zu zurückgekehrt?« »Ich begegnete Shoshonen«, erwiderte ich, »und dachte an Ihren Skalp, Mister Corbett.« »Du kannst Jack zu mir sagen.« Der Marshal seufzte, dann grinste er schief. »Ich saß vorhin ganz schön in der Klemme. Danke, mein Junge.« »Wie geht's deinem Kopf, Marshal?«
»Schon besser.« Ich stocherte in der Glut. »Hau dich aufs Ohr, Jack.« »Und du?« Ich grinste ihn an. »Ich verscheuch die Shoshonen, wenn sie an deinen Skalp wollen.« Der Marshal nickte. »Das schaffst du glatt. Wie alt bist du eigentlich?« Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn die Mönche nicht ein paar Jahre unterschlagen haben, bin ich jetzt fünfzehn.« »Mönche?« Ich spuckte in die Glut. »Mönche vom Orden der Jünger Jesu. Sie fanden mich als einzigen Überlebenden eines Trecks unweit des Llano Estacado. Apachen hatten den Treck überfallen. Ich blieb übrig. Die Mönche nahmen mich mit und zogen mich auf, unten am Pease River. Die Mönche waren schwer in Ordnung, aber nicht dieser mistige Armeescout, der mich eines Tages schnappte und an die Apachen verschacherte.« Ich spuckte wieder in die Glut. »Weißt du, was er sagte, bevor er mich den Apachen übergab? Er sagte: Die Roten zahlen mit purem Gold für kleine Weiße, aus denen man brauchbare Indianer machen kann. Er sagte: Du wirst ein perfekter Indianer werden, Söhnchen, ein besserer Apache als alle echten! Genau das sagte er, der Schweinehund. Er kassierte für mich drei Goldnuggets so groß wie ein Daumennagel. Wer ist besser? Die Roten oder die Weißen?« Der Marshal starrte in die verglimmende Glut. Sein hartes, graues Gesicht wirkte plötzlich weich. Er strich sich über die Stirn, als müsse er einen Gedanken vertreiben. Leise sagte er: »Du hast es schwer gehabt, nicht wahr?« »Ich lebe«, sagte ich. Shita kroch zu mir heran und kringelte sich neben mir zusammen. Ich kraulte seinen Nacken. »Ich habe einen Hund«, sagte ich, »und ein Pferd. Brauche ich mehr?« Der Marshal erhob sich mühsam, ging um die Glut herum, blieb kurz bei mir stehen, berührte mit seiner Rechten meine Schulter – ganz sanft nur – und ließ sich auf seiner Satteldecke nieder.
»Schlaf gut, Marshal«, sagte ich. »Danke, mein Junge«, erwiderte er. Und dann sagte er noch etwas. Er sagte: »Ich glaube, du bist eine gute Axt. Sieh zu, daß sie nicht schartig wird.« Er streckte sich und wickelte sich in seine Decke ein. Ich saß an dem glosenden Feuer und starrte in die Glut. Du bist eine gute Axt, sieh zu, daß sie nicht schartig wird! Dieser Satz ging mir durch den Kopf. Ich nickte. Die Schneide sollte scharf bleiben, hell, sauber, immer scharfgeschliffen. Darauf kannst du dich verlassen, Marshal, dachte ich. * Die Shoshonen hatten sich verzogen. Die Nacht war wieder so friedlich, wie sie nur sein konnte. Der Marshal schnarchte ein bißchen. Shita auch. Mein Brauner und das Pferd des Marshals standen Kopf an Kopf und dösten. Ich hatte mir meine Decke über die Schultern gelegt und döste ab und zu auch ein wenig. Als der Morgen heraufdämmerte, strich Shita ab und kehrte wiederum mit einem Kaninchen zurück. Der mußte irgendwo eine ganze Familie entdeckt haben, die er ausplünderte. Dieses Mal mußte er eine fette Mutter erwischt haben. Sie war gut im Fleisch und zischte über dem Feuer besser als die letzten. Das Fett zerplatzte nur so. Die eine Hälfte stopfte der Marshal in sich hinein. Shita und ich teilten uns die andere Hälfte. Der Marshal hatte wieder Dampf drauf. »Die Ralston-Brüder«, sagte er und sattelte sein Pferd. Die beiden Kerle hatte ich glattweg vergessen. Ich zertrat die Glut und gähnte Jack Corbett an. »Was denn«, sagte ich, »bist du auf die immer noch scharf?« Der Marshal hatte wieder sein Granitgesicht. »Dein Armeescout, von dem du gestern abend erzählt hast, war ein Schweinehund, nicht wahr?« Ich nickte. »Die Ralston-Brüder, die ich in der Überlandstation festnahm, sind
schlimmer. Sie sind Bestien. Am schlimmsten ist Phil Ralston, der Fiedler. Er mordet und quält, weil er daran Spaß hat. In Salmon Falls hat er zusammen mit seinem Bruder Will eine Witwe und ihr Kind auf viehische Weise umgebracht.« Er zurrte den Sattelgurt fest und starrte mich über den Pferderücken an. »Du sollst noch etwas wissen, mein Junge. Ich habe einen guten Grund, Verbrecher zu jagen. Ich tue es nicht, um Macht auszuüben. Ist das klar?« »Glaub schon«, sagte ich. »Willst du mir helfen, die Kerle wieder einzufangen?« »Ich wollte eigentlich nach Salmon Falls«, erwiderte ich. »Da reiten wir so oder so hin – wenn wir die Kerle erwischt haben.« »Gut«, sagte ich und sattelte meinen Braunen. Ich beobachtete, wie sich der Marshal in den Sattel zog. Er hatte den Mund fest zusammengepreßt, verzog aber sonst keine Miene, obwohl sein Kopf zerplatzen mußte. Dieser Mann gab nicht auf. Er war unheimlich hart. »Die Volcanic Beds sind die Hölle«, sagte ich. »Außerdem brauchen wir Wasser.« »Hinter den Lavafeldern liegt der Wood River«, sagte Jack Corbett, »der führt mehr Wasser, als wir saufen können. Wie gut bist du im Spurenlesen?« »So gut wie ein Apache«, sagte ich. Ich schwang mich in den Sattel, ritt einen Kreis und entdeckte die Spuren der beiden Ralston-Brüder. Sie führten mitten hinein in die Volcanic Beds, und zwar in westlicher Richtung. Wir folgten den Spuren.
4. Etwa um diese Zeit hatten die Ralston-Brüder den Wood River erreicht und ließen ihre Pferde saufen. Nebelschwaden zogen über den Fluß. Es war noch kühl, und der dürre Phil Ralston fröstelte. Sie hatten beide Hunger und schlechte Laune. Phil Ralston, weil er sich ständig die Zunge an einem abgesplitterten Zahn wundstieß, und Will, weil ihm die zerdroschene Nase wehtat und er schlecht Luft
holen konnte. Im übrigen schmerzte sein ganzer Körper. Sie ritten am Fluß entlang weiter und stießen unvermutet auf eine Farm, deren Anblick auf sie wie ein Rauschmittel wirkte. Mit glitzernden Augen hockten sie in den Sätteln und beobachteten das Anwesen eine Weile. Ein junger, breitschultriger Mann trat aus dem Farmhaus, reckte sich und ging zu dem Ziehbrunnen. Er holte einen Eimer mit Wasser hoch, zog sein Hemd aus und begann sich zu waschen. Er war unbewaffnet. Will Ralston nickte seinem dürren Bruder zu und ritt an. Die abgesägte Parker mit den beiden Läufen hatte er vor sich im Sattel. Als Phil Ralstons Pferd schnaubte, zuckte der junge Mann zusammen und fuhr herum. Der dürre Phil kicherte leise und irre. Er ritt weiter und zügelte sein Pferd seitlich des Farmhauses. Will Ralston ritt indessen weiter auf den jungen Mann zu und hielt sechs Schritte vor ihm. Der Mann wischte sich mit seinem Hemd das Wasser vom Gesicht und blickte zu Will Ralston hoch. Sein Gesicht wirkte überrascht, aber nicht ängstlich. »Hallo, Kleiner«, sagte Will Ralston. »Du bist doch nicht allein hier, oder?« »Was wollen Sie?« »Hier stell ich die Fragen«, erwiderte der bullige Ralston. »Also?« »Verschwindet! Hier gibt's nichts zu holen. Wir mögen keine Galgenvögel.« Will Ralston hob die Parker. »Du sagtest ›wir‹. Dein Alter und deine Alte, wie? Sonst noch Geschwister?« »Das geht Sie einen Dreck an«, stieß der junge Mann hervor. Er hieß Ed Duell und lebte hier mit seinem Vater Chet Duell, seiner Mutter Ella und seiner achtzehnjährigen Schwester Cilla. Die Farm hatten sie vor acht Jahren aufgebaut und hart geschuftet. Jetzt waren sie aus dem Gröbsten heraus, trotz einiger Mißernten. Sie hatten den Shoshonen getrotzt und sich behauptet. Ed Duell verfluchte sich, daß er unbewaffnet das Farmhaus verlassen hatte. Er war erst zwanzig Jahre alt und hatte wenig Menschenerfahrung. Aber die Visagen der beiden Kerle versprachen
nichts Gutes. »So? Das geht mich einen Dreck an?« sagte Will Ralston höhnisch; »Dann will ich dir mal zeigen, was mich einen Dreck angeht, du Rübenhacker!« »Pa!« schrie der junge Mann. »Pa! Vorsicht …« Die Parker brüllte auf und erstickte das, was er noch rufen wollte. Die Schrotladung traf ihn voll. Er prallte zurück, stieß gegen den Brunnenrand und kippte rücklings in die Tiefe. Sein Körper klatschte im Brunnenschacht ins Wasser. Will Ralston lachte lauthals, zerrte sein Pferd herum, gab ihm die Hacken und jagte es über den Hof, die Veranda hoch und gegen die Tür des Farmhauses. Es brach durch die Türfüllung wie ein riesiges Geschoß, Holz splitterte und krachte, eine Kommode stürzte um, das Pferd keilte vorn und hinten aus, Will Ralston lachte sich halbtot und feuerte die zweite Schrotladung auf den grauhaarigen Mann im Nachthemd ab, der in einer offenen Tür stand und die Augen entsetzt aufgerissen hatte. Der Mann flog zurück in den Nebenraum. Eine Frau schrie gellend. Will Ralston glitt aus dem Sattel und jagte sein Pferd wieder nach draußen. Er zog den Colt und schlich an der Wand entlang durch die breiträumige Diele zu dem Nebenraum. Hinter ihm betrat Phil Ralston das Farmhaus, ein irres Grinsen auf dem Gesicht. Die Frau schrie immer noch in ihrer Angst, von Schauern geschüttelt. Will Ralston sprang vor in den Nebenraum. Die Frau kniete bei dem Mann und war wie von Sinnen. Will Ralston schlug ihr den Coltlauf auf den Kopf. Sie brach über dem Mann zusammen. Der Mann zuckte noch, dann streckte er sich. In einer Kammer quietschte ein Fensterflügel. Will Ralston wirbelte herum. Aber sein dürrer Bruder war bereits an der Kammertür und sprengte sie mit einem Fußtritt auf. Das Mädchen sprang gerade aus dem Fenster. Es trug ebenfalls ein Nachthemd und hatte langes, blondes Haar. Das Nachthemd verhakte sich am Fensterriegel. Das Mädchen zerrte wütend, und der Stoff
zerriß. Phil Ralston keuchte und flog im Hechtsprung durch das Fenster. Er begrub das Mädchen im Sturz unter sich. Cilla Duell wälzte sich unter ihm weg, sprang auf und hetzte über den Hof. Phil Ralston wurde rasend vor Gier und jagte ihr nach. Vor einem Schuppen erreichte er sie und riß sie zu Boden. Ein irrer Schrei ließ ihn herumfahren. Ella Duell war aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht. Sie stand gebückt über ihrem Mann, blutbesudelt, die Handflächen entsetzt am Gesicht, keuchend, zitternd, schneeweiß. »Halt's Maul, Alte«, sagte Will Ralston, der neben ihr stand. Sie schrie wieder, gellend und wie ein Tier in höchster Todesnot. Scheußliche Szenen spielten sich ab, die mit dem Tod der Frauen endeten. Dann durchsuchten die Verbrecher das Farmhaus, durchwühlten Truhen, Kommoden und Schränke und fanden in einer Kassette an die fünfhundert Dollar sowie Schmuck, ein paar Ringe, eine Silberkette und ein Goldamulett. Sie schliefen bis zum Nachmittag, und es störte sie nicht, daß drei Leichen in ihrer unmittelbaren Nähe lagen. Dann ritten sie weiter, um sich zu ihrem älteren Bruder Larry durchzuschlagen, der sich mit seiner Bande in die Berge westlich des Wood River zurückgezogen hatte.
5. Der Marshal und ich stießen zwischen Spätnachmittag und Abend auf den Wood River – der Marshal mehr tot als lebendig. Aber er hatte nicht geklagt. Er hatte zäh durchgehalten. Daß ich unterwegs wieder Shoshonen gesehen hatte, die aber in respektvoller Entfernung geblieben waren, hatte ich ihm verschwiegen. Wasser! Dort, wo die Ralston-Brüder ihre Pferde getränkt hatten, glitt ich aus dem Sattel, zog mich splitternackt aus und hechtete ins Wasser. Shita und ich veranstalteten eine Badeorgie. Jack Corbett sah uns zu, nachdem er getrunken hatte. Später erneuerte ich seinen Kopfverband. Die Platzwunden waren
verschorft und sahen zufriedenstellend aus. Natürlich war er schlapp, aber er hatte eine Natur aus Eisen. Eine halbe Stunde später saßen wir wieder im Sattel und folgten den Spuren der beiden Banditen. Als die Farm vor uns auftauchte, begann Shita zu knurren. Ich zog meinen Sharps-Karabiner aus dem Scabbard und bedeutete dem Marshal, zu halten. Shita strich über den Hof, schnüffelte und umrundete den Ziehbrunnen auf dem Hof. Ich beobachtete ihn. »Was ist?« flüsterte der Marshal. Ich deutete mit dem Kopf zum Brunnen. »Er hat dort etwas entdeckt.« Dann sah ich die zersplitterte Tür beim Farmhaus. Der Marshal folgte meinem Blick, und sein hageres Gesicht verhärtete sich. »Verdammt«, murmelte er leise. Ich ritt zu dem Brunnen, den Shita anknurrte, und glitt aus dem Sattel. Als ich mich über die Umrandung beugte, sah ich ihn. Das Wasser war rötlich. Von dem Kopf des Mannes fehlte ziemlich viel. Schrot, dachte ich. Hinter mir knirschte der Sand. Dann beugte sich der Marshal über den Brunnenrand. Er starrte aus schmalen Augen auf die schwimmende Leiche und sagte leise: »Will Ralston hatte eine abgesägte Parker – ich hätte die Waffe zerstören müssen. Alle ihre Waffen hätte ich zerstören müssen, ich blutiger Narr. Dann wäre das hier nicht passiert.« Shita lief zu einem Schuppen, schnüffelte dort, drehte sich wieder um und verfolgte eine Schleifspur, die quer über den Hof zu der zerborstenen Tür führte. Er verschwand in dem Farmhaus – und dann bellte er wie verrückt. »Mein Gott«, murmelte der Marshal. Ich ging über den Hof und stieg auf die Veranda und betrat das Farmhaus. Ich spürte, wie sich kalter Schweiß auf meiner Stirn sammelte und ein eisiger Schauer über meinen Rücken strich. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Die Leichen boten einen entsetzlichen Anblick. Mir drehte sich der Magen um. Ich würgte die Übelkeit herunter
und ging nach draußen. Der Marshal stand immer noch am Brunnen. Als er mein Gesicht sah, wußte er alles. »Drei Tote«, sagte ich. »Ein Mann, eine Frau und ein junges Mädchen. Das Mädchen haben sie geschändet.« Der Marshal nickte. »Ich hätte sie in der Überlandstation wie tollwütige Hunde abschießen sollen«, sagte er. Seine Stimme klang brüchig. Er schwankte etwas, straffte sich aber wieder und ging mit hölzern wirkenden Schritten über den Hof und in das Haus, in das der Tod eingekehrt war. Ich führte die beiden Pferde in einen Stall, in dem vier schwere Farmpferde standen, entsattelte meinen Braunen und das Pferd des Marshals und versorgte alle sechs Pferde. Es tat mir gut, etwas anzupacken, Futter in die Traufen zu schütten und dabei nicht nachdenken zu müssen. Ja, es tat mir gut, mich abzulenken, und dennoch wußte ich, daß die grausige Szenerie unauslöschlich in meinem Gedächtnis bleiben würde. Plötzlich auch verstand ich Jack Corbett, den ich für brutal gehalten hatte. So etwas wie atavistische Rachegedanken stiegen in mir hoch. Ich kannte die Leute von der Farm nicht, aber was die Ralstons mit ihnen getan hatten, schrie nach Vergeltung, nach blutiger Vergeltung. Ich hätte die beiden Schweinehunde eigenhändig erwürgen können. Der Marshal betrat den Stall, als ich gerade sein Pferd abrieb. Seine grauen Augen waren stumpf. Er sah aus, als habe er Schüttelfrost. »Wir müssen sie beerdigen«, sagte er. Ich nickte. »Das erledige ich. Du mußt mir nur helfen, den toten Mann aus dem Brunnen zu ziehen.« Mit zwei Lassos und einer langen Harke schafften wir es. Die Harke hakte ich unter seine linke Achsel, um das Lasso über seinen Arm zu kriegen. Mit dem anderen Lasso verfuhren wir genauso. Es war eine Arbeit, bei der einem übel werden konnte. Wir zerrten ihn hoch und schleppten ihn hinter das Farmhaus. Dann holten wir die drei anderen Toten. Ich schaufelte eine große Grube, in die wir die vier Toten betteten.
Während ich die Grube wieder zuschüttete, ging der Marshal ins Haus zurück. Später überquerte er den Hof mit einem Kistendeckel und betrat einen Schuppen, aus dem kurz darauf Hammerschläge ertönten. Ich klopfte die Erde über dem Grab fest. Der Marshal erschien wieder. Unter dem Arm trug er den Kistendeckel, an den er einen Pfosten genagelt hatte. Den Pfosten rammte er am Kopfende der Grube in die Erde. Auf dem Kistendeckel stand, mit einem glühenden Eisen eingebrannt: Hier ruhen Chet Duell, Edwin Duell, Ella Duell und Cilla Duell – ermordet von Will Ralston und Phil Ralston am 26. Juli 1861. Der Marshal stand mit gesenktem Kopf an dem Grabhügel und sagte leise: »Ich hab darin Übung. Vor zehn Jahren brannte ich den Namen meiner Frau, meiner Tochter und meines Sohnes in solch einen Kistendeckel. Die drei Mörder jagte ich durch halb Kansas. Ein Vierteljahr später kriegten sie auch ihren Kistendeckel mit den eingebrannten Namen.« Er schaute auf und blickte mich an. »Mein Junge wäre jetzt so alt wie du gewesen, Ronco.« Er schwieg eine Weile und fuhr dann noch leiser fort: »Seitdem jage ich Verbrecher. Irgendwann entstand der Name ›Deadhand‹ Corbett. In den wilden Städten brauchten sie mich. Wenn ich überleben wollte, mußte ich noch härter als die Desperados sein. Ich lernte meine Lektion und begriff, daß es Fairneß gegenüber Mördern und Gewaltverbrechern nicht geben konnte, nur gnadenlose Härte. So wurde ich der, der ich heute bin, Jack Corbett, die tödliche Hand. Irgendwann werden sie mich von hinten abknallen.« Er drehte sich um und ging mit schleppenden Schritten zu dem Stall. Ich folgte ihm nach einer Weile. Wir mieden das Farmhaus und bereiteten unser Lager in einer leeren Stallbox – vielleicht war das unsere Rettung. Es mußte etwa eine Stunde nach Mitternacht sein, als ich aufwachte. Shita hatte mir seine feuchte Schnauze ins Gesicht gestoßen und leise geknurrt.
Ich schnappte mir meinen Navy-Colt und schlich zu dem Stallfenster, das zum Hof hinausging. Zwei Shoshonen saßen auf ihren Pferden, die am Brunnen standen. Zwei andere Pferde waren ohne Reiter. Im Farmhaus flackerte Licht. Ich hörte die Geräusche von Schubladen, die geöffnet und wieder zugeschoben wurden. Indianische Stimmen palaverten im Farmhaus. Die beiden Shoshonen am Brunnen stiegen aus ihren Holzsätteln, ließen ihre Pferde stehen und gingen ebenfalls in das Farmhaus. Eins der Indianerpferde äugte zu mir herüber, verhielt sich aber ruhig. Plötzlich stand der Marshal neben mir. Ich hatte ihn nicht gehört. Ich legte einen Finger auf die Lippen und deutete nach draußen. Jetzt brannten zwei, drei Ölfunzeln im Haus. Die vier Krieger veranstalteten einen ziemlichen Lärm. Einer erschien wieder auf der Veranda, in der Rechten eine Flasche. Er schlug ihr den Hals ab, setzte sich auf die Verandastufe und trank. Er trank ziemlich lange. Als er sie absetzte und auf den Kopf drehte, floß nichts mehr heraus. Er rülpste laut und warf die Flasche im hohen Bogen aufs Farmdach hinter sich. Die Flasche kollerte wieder herunter und zerschellte an einer Regentonne. Der Indianer stand auf und torkelte etwas. Ein zweiter erschien in der zersplitterten Tür, einen Zylinder auf dem Kopf und ebenfalls eine Flasche in der Hand. Außerdem trug er über seinem nackten Oberkörper den Gehrock des Farmers. Der dritte tauchte auf, mit einer Schürze vor dem Bauch und einem Blümchenhut auf dem schwarzhaarigen Schädel. Er kicherte albern und deutete nach drinnen. Der vierte zeigte sich, und ich hielt die Luft an. Dieser Bursche hatte sich eine Nachthaube über den Kopf gezogen, in ein Korsett gezwängt und war in jene weiblichen Unterbeinhosen gestiegen, die am Knie zusammengebunden werden und dort mit Rüschen versehen sind. Die vier veranstalteten einen ziemlichen Zirkus auf der Veranda. Der Zylinder-Krieger köpfte die Flasche, soff und reichte sie reihum. Dann schleppten sie, was nicht niet- und nagelfest war, aus dem Haus und stapelten es auf verschiedenen Decken, deren vier Enden
sie zusammenknoteten. Mit den Bündeln beluden sie ihre Pferde. Es klirrte und schepperte. Sie sammelten Töpfe, Pfannen und Bestecke, Kleider, Blusen, Anzüge, Schuhe, Strümpfe, Schals. Sie nahmen das ganze Farmhaus auseinander. Skeptisch sah ich zu, wie der Nachthaubenindianer mit einer Schrotflinte hantierte und schließlich beide Läufe zugleich abfeuerte. Die Schrotladung prasselte in das Vordach, dem Krieger flogen zerfetzte Dachschindeln um die Ohren. Er schaute verdutzt nach oben. Daß er sich fast selbst das Gesicht weggeschossen hatte, schien er nicht zu kapieren. Im Haus zerbarst eine Ölfunzel, dann noch eine. Flammenschein flackerte auf. Sie setzten das Farmhaus in Brand. »Vorsicht«, flüsterte ich dem Marshal zu, »gleich sind die Stallungen dran. Sie werden sich die Farmpferde holen.« Der Marshal nickte und glitt zur Stalltür. Leise entriegelte er sie. Shita blieb bei mir. Ich blickte wieder hinüber zum Haus. Das Feuer fraß sich schnell weiter. Fensterscheiben zerplatzten, die Flammen stießen durchs Dach, eine Feuerlohe schoß in den Himmel. Jetzt war der Hof hell erleuchtet, unsere Pferde wurden unruhig. Die vier Indianerpferde führte der Bursche mit dem Zylinder vom Hof. Er konnte kaum noch gerade gehen. Der Kerl mit der Nachthaube und der Schrotflinte steuerte im Zickzack auf unseren Stall zu. Ich warnte den Marshal durch einen leisen Zuruf. Die beiden anderen Krieger – total betrunken – amüsierten sich über das brennende Farmhaus und führten einen Affentanz auf. Der mit Nachthaube, Korsett und Unterbeinhosen ausstaffierte Krieger erreichte die Stalltür und trat sie auf. Er rülpste und schlingerte in die Stallgasse. Der Marshal glitt hinter ihn und hämmerte ihm den Coltgriff auf die Nachthaube. Der Krieger ging lautlos zu Boden. Zum Glück riß er nicht einen Abzug der Schrotflinte durch. Jack Corbett entwand ihm die Waffe, die er im Sturz festgehalten hatte, und gab ihm noch einen Schlag über den Schädel. Dann zog er ihn hinter eine
Boxwand. Die beiden Indianer beim Farmhaus grölten und stimmten einen Gesang an, den ich nicht verstand. Jack Corbett stand wieder hinter der Stalltür. Shita knurrte verhalten. Der Zylinder-Krieger kehrte zurück, ebenfalls grölend und sehr fröhlich. Ich winkte dem Marshal zu, und er zeigte klar. Da erschien auch schon der Schatten des Zylinder-Kriegers in der offenen Stalltür. Er prallte gegen den linken Türrahmen, fluchte und segelte in den Stall, voll wie eine Strandhaubitze. Vier Sekunden später trieb ihm der Marshal mit einem wüsten Coltschlag den Zylinder über die Nase. Der Krieger ächzte, wackelte noch ein paar Schritte weiter und empfing den zweiten Jagdhieb, der ihn hinter einen Strohballen beförderte. Dort blieb er liegen. Jetzt hatten wir es nur noch mit den beiden letzten Kriegern zu tun, und die waren ebenso voll wie die zwei anderen. Irrtum! Noch drei Shoshonen ritten auf den Hof, und die waren stocknüchtern. Ob sie sich darüber ärgerten, daß ihre vier Stammesbrüder geplündert und gesoffen hatten, weiß ich nicht. Jedenfalls waren sie stinkwütend und gerieten sich mit den beiden anderen fast in die Haare. Sie deuteten auf den Schuppen und die Stallungen, die noch nicht geplündert und angezündet worden waren. Jetzt wurde es ernst. Die drei Indianer glitten aus den Sätteln. Einer ging zum Schuppen, die beiden anderen marschierten auf unseren Stall zu. Die beiden betrunkenen Krieger lästerten hinter ihnen her und schüttelten die Fäuste. Das Farmhaus brannte wie eine Fackel. »Jetzt!« schrie der Marshal und sprang in die Tür, die Schrotflinte im Hüftanschlag. Fast gleichzeitig mit den beiden Schüssen des Marshals feuerte ich meinen Colt ab. Der Indianer links, auf den ich geschossen hatte, warf beide Arme hoch, stieß gegen den anderen, dessen Brust zerfetzt war, riß ihn um und brach über ihm zusammen. Jack Corbett ließ die Schrotflinte fallen, der Colt flog in seine Rechte.
Die beiden betrunkenen Indianer glotzten den Marshal an, als sei er der Leibhaftige. Der Shoshone, der zum Schuppen gegangen war, warf sich herum und stürmte auf den Marshal zu. »Deadhand« Corbett schoß aus der Hüfte. Die Kugel stoppte den muskulösen Krieger, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Er stieg auf die Zehenspitzen, vollführte eine Drehung und schlug lang hin. Über der Nasenwurzel hatte er ein Loch. Ich stand bereits neben dem Marshal, den Colt in der Faust. Shita war nicht mehr zu halten. Er raste wie ein Geschoß quer über den Hof und dem Krieger mit dem Blümchenhut an die Schürze. Der vergaß das Glotzen. Die Schürze zerriß mit einem kreischenden Laut. Shita schüttelte wild die Fetzen, die ihm im Fang hingen. »Haut ab, ihr verrückten Halbaffen!« schrie der Marshal und schwenkte den Revolver herum. Sie torkelten los und hatten Gesichter, als verstünden sie die Welt nicht mehr. Ich jagte ihnen die drei Indianerpferde hinterher – die brauchten keinen Reiter mehr. Shita sprang dem einen Shoshonen, der sich nicht kostümiert hatte, noch an den Hintern und biß kräftig hinein. Der rannte wie sicherlich noch nie in seinem Leben. Als das Dach einbrach und ein Funkenregen in den Himmel stieg, kehrte Shita zurück. Ein Schürzenfetzen hing noch zwischen seinem kräftigen Gebiß. Es sah aus, als trage er einen Sichelbart. Ich fummelte ihm die Fetzen heraus, und er grinste mich an. »Braver Hund«, sagte ich. Die Hitze auf dem Hof war unerträglich. Die drei toten Krieger ließen wir liegen. Die beiden, die der Marshal betäubt hatte, würden sich um sie kümmern. Ich holte die vier Farmpferde aus dem Stall und jagte sie weg, ebenfalls die Hühner aus dem Hühnerstall, der abgeriegelt war. Shita schnappte sich eins und fraß es auf. Ich hatte nichts dagegen. Warum auch? Der Marshal zerschmetterte die Schrotflinte und warf sie in die Flammen. Wir sattelten unsere Pferde und verließen die brennende Farm. Drei Meilen weiter westwärts campierten wir am Wood River, um noch den Rest der Nacht zu schlafen. Hier verlief auch die Spur der
beiden Mörder weiter nach Westen.
6. Die Pferdewechselstation lag an der Overlandstraße, die auch nach Salmon Falls führte. Der Stationer, ein knorriger Mann mit schlohweißem Haar, hatte vergessen, wie alt er war. Er hieß Ted Simpson, war seit zwanzig Jahren Witwer und zäh wie Leder. Sein Gehilfe, ein ebenso harter Brocken wie Ted Simpson und auch so bemoost, mochte vielleicht ein paar Jährchen jünger sein – und das war wohl auch der Grund, warum sie sich ständig in den Haaren lagen. Für Ted Simpson war Mac O'Brien ein »Hosentrompeter und noch grün hinter den Ohren«, und für Mac O'Brien war Ted Simpson ein alter »Knacker«, »Urgroßvater« und »Methusalem«, den der Teufel vergessen hatte, abzuholen. Beide hielten sich mit ihren hitzigen Debatten jung, soweit die Eigenschaft »jung« für diese beiden uralten Eichen überhaupt zutreffend war. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, und keiner gestand dem anderen ein, daß er ja doch eigentlich ein prächtiger, alter Bursche sei. Zweimal in der Woche hielt hier die Postkutsche, und die Pferde wurden ausgewechselt. So sollte es auch an diesem Tage sein, aber die Postkutsche – wie üblich in dieser Zeit – hatte mal wieder Verspätung. Statt dessen tauchten auf der Overlandstraße zwei Reiter auf – die beiden Ralston-Brüder. Sie waren nach ihrer Orgie auf der Duell-Farm ausgelaugt, hatten sich weiter am Whisky festgehalten, waren unrasiert, ungewaschen und – wie meist nach solchen Exzessen – schlechter Laune. »Was sind denn das für Vögel?« sagte Mac O'Brien, der mit Ted Simpson auf der langgestreckten Holzveranda der Station stand und auf einer Zigarre kaute. »Schräge Vögel«, sagte Ted Simpson mit zusammengekniffenen Augen. »Nimm sie in Empfang, Söhnchen. Ich halt dir den Rücken frei.« Er verschwand in der Station.
»Der Teufel ist dein Söhnchen, du Greis«, knurrte Mac O'Brien hinter ihm her und zog seine Hosen hoch. Durch den Zigarrenqualm beobachtete er die beiden Reiter, die auf die Station zuhielten. Die Pferde latschten buchstäblich auf den Vorplatz vor der Station. Wie die Pferde, so die Reiter, dachte Max O'Brien. Die beiden Pferde sahen aus, als seien sie einem Hundefänger entwischt, der ihre Knochen an eine Seifenfabrik verhökert hätte. Ihr Fell war fast farblos, wenn grau eine Farbe ist, aber das war Staub und Dreck. Ihre Knochen stachen spitz unter dem Fell hervor. Die beiden Pferde wirkten tückisch und verludert. Die beiden Männer zügelten ihre Pferde vor der Veranda und starrten Mac O'Brien an. »Tag«, sagte Will Ralston. »Tag«, sagte Mac O'Brien und spuckte gekonnt zwischen einer Zahnlücke und der Zigarre einen Strahl vor die Hufe von Will Ralstons Pferd. Will Ralston musterte die Spucke vor den Hufen seines Pferdes und warf Mac O'Brien einen schiefen Blick zu. Der dürre Phil Ralston kicherte schon wieder. »Hast du 'ne Geige?« fragte er Mac O'Brien. Der lupfte seine Hosenträger und sagte trocken: »Nee, aber 'ne Kiste mit Sargnägeln.« Schweigen. Links hinter Mac O'Brien knarrte ein Fenster, und die Läufe einer abgesägten Schrotflinte erschienen. Das hier war etwas anderes als die Duell-Farm. »Gibt's bei euch was zu essen?« fragte Will Ralston. »Wer zahlt, kriegt was«, erwiderte Mac O'Brien. »Wer nicht zahlt, kann wieder abhauen. Es gibt Spiegeleier mit Speck und Kaffee. Macht pro Mann fünf Dollar.« »Das ist Wucher«, sagte Will Ralston. »Dann hau ab, Mann. Wir brauchen hier keine Vogelscheuchen.« »Gib ihm die verdammten zehn Dollar, Phil«, sagte Will Ralston wütend. »Ich hab Kohldampf.« Der Dürre zog einen Packen Banknoten aus seiner Weste, pflückte einen Zehn-Dollarschein heraus und warf ihn vor die Veranda.
Mac O'Brien rührte sich nicht. Zwischen den Zähnen sagte er: »Heb's auf, Mann. Vor Stinktieren wie euch bück ich mich nicht.« In Phil Ralstons irrem Gesicht begann es zu zucken. »Heb's auf, Phil«, sagte Will Ralston. »Verdammt, ich hab Kohldampf. Scheiß auf die zehn Dollar.« Phil Ralston kletterte aus dem Sattel, hob den Zehn-Dollarschein auf und gab ihn mit spitzen Fingern Mac O'Brien. Der deutete mit dem Schein nach rechts. »Dort ist ein Brunnen. Wascht euch, bevor ihr unsere Gabeln beschmutzt. Eure Pferde könnt ihr selbst versorgen. Wenn ihr fertig seid, stehen auch die Spiegeleier mit dem Speck und dem Kaffee auf dem Tisch.« Will Ralston warf einen Blick auf die Schrotflinte und stieg ebenfalls vom Pferd. Die Pferde kümmerten beide einen Dreck. Sie marschierten zum Brunnen und begannen sich zu waschen – was sie waschen nannten. Mac O'Brien schüttelte sich und ging in die Küche. Ted Simpson blieb hinter dem Fenster und beobachtete die beiden. Er hatte ein ungutes Gefühl. »Mac?« rief er über die Schulter. »Ja?« »Das sind gottverdammte Desperados! Wir sollten sie zum Teufel jagen!« Max hantierte mit der Pfanne und schlug sechs Eier hinein. »Sie haben bezahlt, Opa, und damit basta.« »Der Teufel ist dein Opa, du Grünschnabel!« fauchte Ted Simpson. Mac O'Brien grinste vor sich hin und setzte das Kaffeewasser auf. Zehn Dollar waren zehn Dollar und außerdem Wucher. Schneller waren zehn Dollar gar nicht zu verdienen. Er flötete falsch und schüttelte die Eierpfanne mit dem Speck über dem Feuer hin und her. Dann holte er Teller, Bestecke und Tassen aus einem Schrank. Indessen gurgelte Phil Ralston mit Wasser und spülte sein lädiertes Gebiß. »Den murks ich ab«, sagte er zwischen zwei Schlucken. »Hier wird nichts abgemurkst, verstanden?« sagte Will Ralston.
»Wir wollen zu Larry und haben keine Zeit mehr, Leute abzumurksen. Außerdem sind die beiden Kerle hier mächtig scharf.« »Ich will aber 'ne Geige«, quengelte der Dürre. Will Ralston wischte sich vorsichtig seine zerdroschene Nase trocken. »Wo's keine Geige gibt, gibt's keine«, sagte er. »In Salmon Falls kriegst du deine Geige.« »Au fein.« Phil Ralston kicherte. »Da geig ich den Weibern was, wie?« »Klar«, sagte Will Ralston und erging sich in zotigen Bemerkungen. Sie lachten scheppernd. Ihr wüstes Lachen dröhnte über die Station und Ted Simpson war nahezu bereit, seine abgesägte Schrotflinte abzufeuern. »Fertig!« rief Mac dröhnend aus der Küche. »Verdammt, verdammt«, murmelte Ted Simpson und zog sich mit seiner Schrotflinte hinter den Tresen zurück. Dort packte er sie unter die Tresenplatte. Mac O'Brien kurvte mit einem Tablett durch die Küchentür, durchquerte den Raum und stellte es auf einem Ecktisch rechts vom Tresen ab. Dann deckte er in Windeseile den Tisch. »Zehn Dollar«, sagte er und flötete laut und falsch. »Scheiße«, sagte Ted Simpson. »Hätte ich zwanzig Dollar nehmen sollen, du vergreister Hirschriese?« fauchte ihn Mac an. »Gar nichts hättest du nehmen sollen, du Hosenkacker!« fauchte Ted Simpson zurück. »Das sind ganz verdammte Galgenvögel, die man nicht mit der Kneifzange anfaßt. Aber um das wirklich zu kapieren, bis du ja noch zu jung, du Säuglingsfurz!« Mac O'Brien stemmte die Fäuste in die Hüften und lief rot an. »Säuglingsfurz?« Bevor der Disput hitzig wurde, marschierten die Ralston-Brüder in den Aufenthaltsraum – mit Mienen wie fromme Pilger. Mac grinste Ted Simpson an und sagte: »Na bitte!« Der zerbiß einen Fluch und beobachtete, wie sich die beiden Kerle hinsetzten und zu schaufeln begannen. Zwischendurch griff Will
Ralston nach der Kaffeekanne und schenkte ein. Mac O'Brien verzog sich hinter den Tresen und baute sich neben Ted Simpson auf. »Möchte wissen, wann die verdammte Postkutsche kommt«, sagte er. Will Ralston horchte auf, wandte den Kopf und starrte ihn an. »Postkutsche? Was für 'ne Postkutsche?« »Die heut fällig ist«, sagte Mac O'Brien. Er und Ted Simpson sahen nicht, wie Will Ralston seinem Bruder auf die Stiefel trat. Der trank gerade und verschüttete fast seinen Kaffee. Er setzte seine Tasse ab und sagte: »Fein, wie?« »Sehr fein«, sagte Will Ralston und kniff ein Auge zu. Auch das sahen Mac O'Brien und Ted Simpson nicht. Sie wunderten sich nur, was »sehr fein« sein sollte. »Ich muß mal raus«, sagte Will Ralston etwas gepreßt. Phil Ralston kicherte und sagte zum Tresen hin: »Wenn er Kaffee trinkt, kriegt er immer 'ne schwache Blase, der alte Wallach.« Mac O'Brien und Ted Simpson staunten nicht schlecht. Mit schwachen Blasen hatten sie noch nichts zu tun, und sie gingen über die Siebzig, hart, trocken und knorrig. Mac stieß Ted mit dem Ellenbogen an und sagte: »So'n richtiger kleiner Pisser, wie?« Will Ralston war bereits aufgestanden und marschierte am Tresen vorbei. Ungesehen holte er seinen Colt rechts aus dem Hosenbund, spannte den Hahn, wirbelte herum und richtete die Waffe auf Ted Simpson. Fast gleichzeitig hatte Phil Ralston seine Waffe aus dem Holster und schlug sie auf Mac O'Brien an. »Also doch Scheiße«, sagte Ted Simpson ungerührt. »Die Vögel haben uns ganz schön aufs Kreuz gelegt, Söhnchen.« Das »Söhnchen« fluchte und überlegte, ob der dürre Irre treffen würde, wenn er, Mac O'Brien, unter den Tresen wegtauchen würde. Er riskierte es und spielte das Gegenteil vom Stehaufmännchen. In Bruchteilen von Sekunden verschwand er unter dem Tresen. Der Schuß pfiff über ihn weg und krachte in das Gläserregal. Glassplitter
regneten zu Boden. Auch Will Ralston schoß und erwischte Ted Simpson in der rechten Schulter. Der Stationer prallte gegen das Gläserregal. Unter ihm flutschte Mac O'Brien wie ein Hecht weg, erreichte die Küche, knallte die Tür zu und sprang durch ein Fenster. Auf dem Hof hinter der Küche prallte er zu Boden und brauchte zu lange, um wieder auf die Füße zu kommen. Phil Ralston schoß ihm kichernd eine Kugel in die Hüfte, stieg aus dem zerborstenen Fenster und schlug ihm den Colt über den Schädel. Indessen fesselte und knebelte Will Ralston den Stationer und legte ihn unter den Tresen. Ted Simpson war bewußtlos. Dann führte der bullige Bandit die beiden Pferde hinter die Station und band sie dort an einen Querbalken. Er warf einen flüchtigen Blick auf Mac O'Brien. »Ist er hin?« »Ich muß ihm noch was abschneiden«, sagte Phil Ralston und kicherte wieder irre. »Was abschneiden!« fauchte Will Ralston. »Laß es dran, der krepiert auch ohne. Die Postkutsche ist fällig, und die wird ausgenommen, damit wir Larry was zu bieten haben. Ist das klar?« »Ich will aber 'ne Geige«, sagte Phil Ralston völlig unmotiviert. Sein bulliger Bruder verdrehte die Augen. »Mann, jetzt hör doch endlich mal mit der Geige auf. Ich hab gesagt, daß du eine in Salmon Falls kriegst. Kapier das doch mal.« »Ist gut«, sagte Phil Ralston und trottete hinter seinem Bruder her in die Station. Dort setzten sie sich ans Fenster, um die Overlandstraße im Auge zu behalten. Natürlich bedienten sie sich von den Alkoholvorräten der Station. Um Mac O'Brien kümmerten sie sich nicht mehr – erklärlich, weil sie nicht mit normalen Maßstäben zu messen waren. Ein planvolles Handeln kannten sie nicht, nur brutale Gewalt, die immer wieder vulkanartig aus ihnen hervorbrach. Mit dem, was sie auf der Duell-Farm erbeutet hatten, hätten sie abziehen und auch ihrem Bruder Larry etwas »bieten« können. Aber jetzt hatten sie sich in den Kopf gesetzt, die Postkutsche auszurauben, und da hatten natürlich zuerst die beiden alten Männer auf der Station ausgeschaltet werden müssen.
Unter der Theke stöhnte Ted Simpson. »Gib ihm was auf die Rübe«, sagte Will Ralston. Phil Ralston besorgte es, und Ted Simpson verstummte. Will Ralston trank aus der Whiskyflasche und wischte sich über den unrasierten Mund. Der Dürre setzte sich wieder und knackte mit den Fingern. Er zog sie einzeln in die Länge, und jedes Mal ertönte ein Geräusch, als zerbreche ein Knochen. »Hör auf, verdammt!« fuhr ihn Will Ralston an. »Warum denn?« Der Dürre wurde renitent. »Es macht mir aber Spaß.« Er zog weiter an seinen dünnen Fingern, und es knackte wieder. Will Ralston stand auf, trat zu seinem Bruder und hielt ihm die Faust unter die Nase. »Aufhören!« »Nichts darf man«, maulte Phil Ralston. »Wenn ich keine Geige hab, muß ich mit den Fingern knacken. Das geht nicht anders.« »Halt die Pfoten still, du Idiot!« knurrte Will Ralston. »Oder ich schmier dir eine.« Phil Ralston verschränkte die Hände und ließ die Daumen umeinander kreisen. Aus tückischen Augen stierte er zu seinem massigen Bruder hoch. »Laß das!« sagte Will Ralston. »Was?« »Dieses dämliche Daumengedrehe, verdammt!« »Du kannst mich mal«, sagte Phil Ralston. Die Daumen kreisten weiter. Will Ralstons geballte Rechte schoß vor und fegte den Dürren vom Stuhl. Mit dem Däumchendrehen war's für eine Weile vorbei. Der Stuhl war auch umgekippt. Das linke Bein des Dürren hing über dem hinteren rechten Stuhlbein. Phil Ralston lag nicht sehr bequem, aber das merkte er ja nicht. Will Ralston schenkte sich Kaffee ein und goß Whisky dazu. Dann setzte er sich wieder und beobachtete die Overlandstraße. Nichts war in Sicht, weder von Osten noch von Westen her. Über die Fensterscheibe lief emsig eine Fliege. Will Ralston gähnte, fing die Fliege und zerdrückte sie. Ihre Reste
strich er an seiner Hose ab. Nach zehn Minuten rappelte sich der Dürre wieder hoch und fuhr sich über das Kinn. Dann starrte er seinen Bruder an. »Du hast mich gehauen, du Arschloch«, sagte er. »Kusch dich.« Phil Ralston kuschte nicht. Unvermittelt packte er den umgestürzten Stuhl, riß ihn hoch und schlug ihn seinem bulligen Bruder über den Schädel. Will Ralston wackelte mit dem Kopf und war etwas benommen. Der Dürre kicherte und tanzte um ihn herum. »Soll ich dir mal was abschneiden? Soll ich dir mal was abschneiden?« sang er. »Fidelbumm, fidelbumm, fidelbumm …« Will Ralston fuhr vom Stuhl hoch, wirbelte herum, schnappte sich den Dürren und verpaßte ihm einen krachenden Haken. Der Tisch, an dem sie gesessen hatten, riß ihn um und blieb in einem Rest von Spiegeleier mit Speck liegen. Will Ralston grunzte, trank Kaffee mit Whisky und setzte sich wieder. Auf der Overlandstraße zeigte sich noch immer keine Kutsche. * Mac O'Brien rutschte über den Hof und zog eine blutige Spur hinter sich her. Er hatte versucht, aufzustehen, schaffte es aber nicht. Sein linkes Bein war völlig taub und gefühllos. Eins der beiden Banditenpferde äugte aus tückischen Augen zu ihm hinüber und schnaubte. Mac O'Brien fluchte, verbiß sich die hämmernden Schmerzen in der Hüfte und im Kopf und rutschte zäh und verbissen durch den Staub und Dreck zu den Stallungen, in denen die Gespannpferde standen. Er wußte nicht, ob Ted, der alte Hurensohn, noch lebte. Er wußte nur eins: Er mußte die Postkutsche warnen, bevor sie die Station erreichte. Und dazu brauchte er ein Pferd. Aus der Station hörte er die Stimmen der beiden Galgenvögel. Sie schienen sich zu streiten. Später vernahm er die Stimme des Dürren, der irgend etwas zu singen schien.
Zu diesem Zeitpunkt befand er sich vor der einen Stalltür und versuchte, sich aufzurichten, um sie zu öffnen. Als er halb hoch war, wurde es ihm schwarz vor Augen, und er kippte um. Als sich der schwarze Vorhang wieder lichtete, begriff er, daß er es nie schaffen würde, in den Stall zu gelangen, geschweige denn ein Pferd zu satteln und sich in den Sattel zu ziehen. Er weinte vor Wut und Erbitterung. Dann kroch er weiter, um die Stallungen herum, hinter ihnen entlang und dann in einem weiten Bogen – um von der Station aus nicht gesehen zu werden – auf die Overlandstraße zu. Er schob sich über Gras, durch Gestrüpp und Gräben, über felsiges Gestein, Abhänge hoch und wieder hinunter. Sein gefühlloses Bein schleppte er hinter sich her, es war zu nichts nutze, und er verfluchte das Bein. Das rechte Bein zog er immer bis dicht unter den Leib, bohrte den Stiefel in den Untergrund und schob sich zollweise vor. Er entwickelte eine richtige Technik. Seine Hände griffen dabei voraus, krallten sich irgendwo fest und zogen den Körper vor. Ganz schlimm war immer nur jene Periode, in der er das rechte Bein anzog. Da mußte er sich etwas auf die linke Seite legen – auf den Einschuß in der linken Hüfte. Er redete sich jedes Mal gut zu, der alte Mac O'Brien. Er sagte: »Nimm den Arsch hoch, du verlauster Grünschnabel, immer hoch mit der alten Furzkanone, ja, so ist das richtig – oh – oh, du schaffst das schon, mein Alter, reiß dich am Riemen, noch dieses kleine Stückchen bis dort zu dem Grasbüschel, da feiern wir Halbzeit, o verdammt, Mac O'Brien, du Schlappschwanz, wenn du jetzt aufgibst, trete ich dir in den Hintern …« Manchmal merkte er, daß er lange Pausen einlegte, und dann weinte er wieder, weil er so schwach war und so lange brauchte, sich ein paar Zoll weiterzuschieben. Er war halb bewußtlos, aber jemand befahl ihm, weiterzukriechen, um die Overlandstraße zu erreichen. Die Overlandstraße! Sie wurde zum Fixpunkt seiner Gedanken. An ihr krallte er sich fest, zäh, verbissen und mit der ganzen restlichen Kraft, die noch in
seinem alten Körper steckte. Zweihundert Yards vor ihm rollte die Postkutsche vorbei, gezogen von sechs Pferden. Er sah sie, er hörte das Trappeln der Hufe. Er hob den Kopf und winkte. Er zerrte sich an dem Felsbrocken hoch, der vor ihm lag, brach sich die Fingernägel ab, wollte schreien, brachte nur ein Krächzen heraus – und schlug aufs Gesicht. Ein lautloses Schluchzen schüttelte seinen Körper, dann wurde es um ihn wieder schwarz. Die Postkutsche rollte auf die Station zu.
7. Wir ritten einen Graben hoch und sahen gerade noch, wie die Postkutsche vor der Station verschwand. »Die Overlandstraße«, sagte Jack Corbett und beschattete die Augen. Ich nickte und wunderte mich über Shita, der wie ein Pfeil plötzlich losraste, auf einen Felsbrocken zu, der etwa fünfzig Yards vor uns zwischen Gras und anderen Brocken lag. Und da sah ich den Mann. Er lag verkrümmt, mit dem Gesicht nach unten, neben dem Felsen. Ich gab meinem Braunen die Hacken und galoppierte auf den Felsen zu. Ich hörte, wie mir der Marshal folgte. Shita saß bei dem Mann und blickte mir entgegen. Ich sprang aus dem Sattel, lief zu dem Mann und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken. Er atmete schwach. An seiner linken Hüfte entdeckte ich ein Einschußloch in der blutdurchtränkten Hose. Dann sah ich die Kriechspur. Sie verlief in einem weiten Bogen zu der Station. Der Marshal kniete neben mir nieder. »Mac, Mac O'Brien«, sagte er leise, »o verdammt.« Er blickte auf und starrte zu der Station hinüber. Ich verstand gar nichts. Zwischen zusammengebissenen Zähnen sagte der Marshal: »Die beiden Schweine haben die Station besetzt – und eben ist die
Postkutsche dort vorgefahren. Kümmere dich um den alten Mac, mein Junge. Ich heb die Brüder aus!« Mit einem Sprung war er im Sattel und trieb sein Pferd von hinten an die Station heran. Ich seufzte, holte die Wasserflasche vom Sattel meines Braunen und goß dem alten Mann Wasser über das Gesicht. Er stöhnte, klapperte mit den Lidern und schlug die Augen auf. Ich grinste ihn an. »Na?« Er fuhr hoch, und ich drückte ihn wieder sanft nach unten. »Sie – sie haben die Station besetzt – die Postkutsche – warnen …« »Schon gut, Mister O'Brien. Marshal Corbett kümmert sich um die Schweinehunde.« »Deadhand …« »Genau. Wir sind schon 'ne ganze Weile hinter den beiden her. Vor etwa einer Stunde hatte ich ihre Spur verloren. Aber nun haben wir die Brüder ja.« »Wer bist du?« »Ronco. Hier, trinken Sie.« Ich setzte ihm die Feldflasche an den Mund. Dann besah ich mir seine Wunde. * Der Kutscher fluchte, weil sich weder Ted Simpson noch Mac O'Brien zeigte, stieg vom Bock und betrat als erster die Station. Phil Ralston schlug ihm einen Schemel über den Kopf und schleifte ihn zu Ted Simpson hinter die Theke. Als nächster erschien ein dicker, schwitzender Mann im PrinceAlbert-Rock. Über seinem Bauch spannte sich eine goldene Uhrkette. Er kriegte Froschaugen, als er in die grinsenden Gesichter der Ralston-Brüder schaute und wollte umkehren. Will Ralston stieß ihm den Coltlauf in die Rippen, befahl ihm, sich umzudrehen, und schlug ihm den Griff über den Kopf. Gleichzeitig trat er ihm ins Kreuz. Der Dicke schoß voraus und war schon bewußtlos, bevor er zu Boden prallte.
»Was sind Sie denn für ein Lümmel!« sagte eine schrille Stimme hinter Will Ralston. Der Bullige drehte sich um, während Phil Ralston kicherte und ein junges Mädchen an die Wand drückte, das nach der dürren Frau, die Will Ralston mit »Lümmel« tituliert hatte, in die Station getreten war. Die Dürre bedrohte den Bulligen mit einem Regenschirm und sagte: »Ich werde Sie bei den Behörden anzeigen, Sie Wüstling!« Will Ralston schnappte nach Luft. »Was sagst du da, du alte Hexe? Mich anzeigen? Du spinnst wohl …« Ein vierschrötiger Farmer erschien in der Tür und riß die Augen auf. Will Ralston sprang vor, fegte die Dürre mit einem wüsten Schlag zur Seite – und schoß. Der Farmer griff sich an den rechten Oberschenkel, ächzte, krümmte sich zusammen und fiel vornüber. Phil Ralston ging auf das Mädchen los. Er war schon wieder wild vor Gier. Das Mädchen schrie und trommelte mit ihren kleinen Fäusten gegen die Brust des Dürren. Die dürre Frau war wieder aufgesprungen, schwang den Regenschirm und schlug die Krücke Phil Ralston auf den Kopf. »Lassen Sie meine Nichte los!« schrie sie. Marshal Jack Corbett prellte die Küchentür mit einem Fußtritt auf, den Colt in der Faust. Der dürre Phil Ralston reagierte wie eine Klapperschlange. Mit einem Satz war er bei der Stationstür und stieß das Mädchen gleichzeitig vor Jack Corbetts Waffe. Der hatte den Finger schon gekrümmt. Es fehlten noch weniger als Bruchteile von Sekunden, und er hätte das Mädchen erschossen. Fast entsetzt, als sei der Abzug glühend, löste er mit einer Reflexbewegung den Finger von dem stählernen Bügel, der den todbringenden Mechanismus in Gang gesetzt hätte. Die Kugel blieb in der Kammer. Gleichzeitig hatte der Anprall des Mädchens den Marshal zurückgeworfen. Phil Ralston hatte Zeit genug, über den sich am
Boden wälzenden Farmer wegzuspringen und die Veranda zu erreichen. Er raste um die Station. Will Ralstons Colt brüllte auf. Mit einem gellenden Schrei brach das Mädchen zusammen. Der Marshal hatte freies Schußfeld. Er feuerte aus der Hüfte – gezielt, und zerschoß Will Ralston das rechte Handgelenk. Ralstons Colt klirrte zu Boden. Er stierte auf seine Rechte. Die Hand hing kraftlos nach unten, Blut schoß aus der Wunde. Dann warf er den Kopf in den Nacken und brüllte, brüllte wie ein Stier, den der Metzger nicht tödlich getroffen hat. Die ganze Station erzitterte. Mit zwei Sätzen war Jack Corbett bei ihm und schlug ihm den Coltgriff ins Genick. Der Bulle wurde gefällt. Er brach in die Knie und stürzte dann vornüber auf die Holzbretter. Der Marshal setzte über ihn weg und raste nach draußen. * Ich hörte die Schüsse, richtete mich auf, lief zu meinem Braunen und holte den Sharps-Karabiner aus dem Scabbard. Als ich ihn schußfertig hatte, sah ich, daß ein Mann um die eine Ecke der Station hetzte – der dürre Fiedler. Er warf sich auf eins der beiden Pferde hinter der Station, riß es herum, drosch ihm die Hacken in die Seiten und jagte auf mich zu. Ich hob den Sharps-Karabiner hoch, preßte ihn an die Schulter und visierte. Als ich durchzog, zerrte Phil Ralston – als hätte er den Schuß geahnt – sein Pferd nach rechts, und meine Kugel pfiff in den Himmel. Phil Ralston verschwand mit seinem Pferd hinter einem Hügel. Ich fluchte. Sollte ich ihn verfolgen? Ich blieb bei dem alten Mac O'Brien. An der Ecke der Station tauchte der Marshal auf und winkte mir zu. Also hatte er zumindest Will Ralston geschafft. »Mann, o Mann«, sagte Mac O'Brien. Ich drehte mich zu ihm um. »Hier ist was los, wie?« sagte er. Erst jetzt registrierte ich, daß er hellblaue, funkelnde Augen hatte.
Er sah nicht schlecht aus, der alte Bursche mit den hundert Fältchen in dem kantigen Gesicht. Ich nickte. »Den einen scheint der Marshal erwischt zu haben.« Ich legte den Kopf schief. »Ob wir's schaffen, Sie in den Sattel zu kriegen, Mister O'Brien?« »Klar«, sagte der Alte und stützte sich auf. »Hilf mir mal.« Ich packte zu und zog ihn hoch. Er legte den rechten Arm über meine Schulter, stützte sich links auf meinen Sharps-Karabiner, und so wackelten wir zu meinem Braunen. Ich hievte ihn in den Sattel und sah, daß er ganz verdammte Schmerzen hatte. Aber er biß die Zähne zusammen und muckste nicht. Männer wie Mac O'Brien waren das Salz dieser Erde. Ich nahm die Zügel und führte den Braunen zur Station, um sie herum und zu der Veranda. Gerade trug der Marshal ein Mädchen nach draußen. Der Kopf des Mädchens pendelte haltlos hin und her. Eine dürre Frau erschien. Sie schluchzte leise vor sich hin und zerknüllte ein Taschentuch, das sie sich vors Gesicht hielt. Das Mädchen war tot. Der Marshal bettete es auf der Veranda links vom Eingang. Die Frau kniete sich neben das Mädchen und strich ihm immer wieder über das Gesicht. Der Marshal blickte mich mit seinen pulvergrauen Augen an. Schmerz, Erbitterung, Wut las ich in seinen Augen. »Sie hat mir das Leben gerettet«, sagte er. Seine Stimme klirrte. »Sie stand vor mir, als Will Ralston schoß.« »Hast du ihn erwischt?« »Ich hab ihm die rechte Hand zerschossen. Er wird nie wieder eine Waffe ziehen.« »Und wenn er links übt?« Jack Corbett schaute mich an. »Du hättest ihm eine Kugel in den Kopf jagen sollen«, sagte ich. »Das sagst du?« »Das sage ich.« Der Marshal schüttelte den Kopf. »Der Galgen wartet bereits auf
ihn. Er wird keine Gelegenheit mehr haben, links zu üben. Ich bin nicht sein Henker.« »Na gut«, sagte ich. »Hilf mir mal, Mister O'Brien vom Pferd zu holen.« Gemeinsam trugen wir Mac O'Brien in die Station und in seine Kammer. Ted Simpson, der eine verbundene Schulter hatte, kümmerte sich um ihn. In dem Aufenthaltsraum sah es aus wie nach einer Saalschlacht. Der Kutscher trug einen Kopfverband. Den Oberschenkel des Farmers zierte eine Mullbinde. Der Dicke mit der Goldkette saß vor einem Tisch mit einer Waschschüssel und kühlte sich den Schädel mit einem nassen Lappen, den er immer wieder in die Waschschüssel tunkte. In einer Ecke hockte Will Ralston mit verbundener Hand, darüber die Handschellen. Er stierte mit blutunterlaufenen Augen zu mir hoch. Ich trat langsam auf ihn und blickte ihm starr in die Augen. »Du Schwein«, sagte ich, »du gottverdammtes Schwein. Die vier Toten auf der Farm waren noch nicht genug, wie? Ihr schlachtet Frauen ab, ihr Gesindel. Man sollte euch die Haut in Streifen und stückweise vom Leib schneiden, ihr Scheißkerle!« Er spuckte mir vor die Füße. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Mein Stiefel zuckte hoch und krachte unter sein Kinn. Seine Augen wurden glasig, sein Kopf fiel nach vorn. »Ronco!« sagte Jack Corbett scharf. Ich drehte mich um. »Ja?« »Bist du verrückt geworden?« »Ich dachte nur gerade an Cilla Duell«, sagte ich, »und ich werde noch oft an sie denken, solange dieses Vieh von einem Mann in meiner Nähe ist. Und jedesmal werde ich den Wunsch haben, dieses Vieh totzutreten.« Der Marshal wollte etwas erwidern, aber Ted Simpson trat aus der Kammer, ziemlich wütend. »Könnt ihr mir mal helfen?« »Was ist denn, Ted?« fragte der Marshal. Ted Simpson deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Dieser
Ochse will nicht, daß ich ihm das Stück Blei aus der Hüfte pule. Du kriegst 'n Bleivergiftung, hab ich ihm gesagt, das Ding muß raus, verdammt noch mal.« Der Marshal griff sich eine Whiskyflasche, blinzelte mir zu, und wir marschierten zu dritt zu Mac O'Briens Kammer. »Nimm mal einen zur Brust, Mac«, sagte der Marshal und reichte ihm die Flasche. »Ihr wollt mich wohl besoffen machen und dann an mir herumschnippeln, wie?« »Ich kann auch noch was anderes, Mac«, sagte der Marshal und zog den Colt. »Nämlich dir mit diesem Ding einen überbraten. Such's dir aus.« »Ha! Der alte Knacker hat dich aufgehetzt, wie?« »Du Rotznase!« fauchte Ted Simpson und trat vor. Jack Corbett hob den Colt. Er hatte ihn beim Lauf gepackt. Er winkte mit der Waffe. »Flasche oder Kopfnuß?« »Flasche«, sagte Mac O'Brien. Und dann trank er. Ted Simpson grinste und holte heißes Wasser, saubere Leinentücher und ein schmales Messer, das scharf wie ein Skalpell war. Indessen trank Mac O'Brien die Flasche aus und kriegte noch eine. Ich lernte eine Menge neuer Ausdrücke, mit denen er Ted Simpson beschimpfte. Als er nur noch lallte und überkreuz schielte, holte ihm Jack Corbett die Kugel aus der Hüfte. Mac O'Brien war derartig betrunken, daß er dabei kicherte. Dann war er mit einem Schlag weg und schnarchte. Der Marshal versorgte die Wunde und legte einen Hüftverband an. Dann blickte er zu Ted Simpson hoch. »Wie alt ist Mac eigentlich?« fragte er. Ted Simpson schnaufte verächtlich. »Der? Dem muß ich doch noch 'n Schnuller geben.« Ich sah, wie der Marshal ein Lächeln unterdrückte. Er lächelte selten, der Marshal. »Und wie alt bist du, Ted?« Ted Simpson kratzte sich hinter dem Ohr. »Jedenfalls älter als dieser Bettnässer hier!«
»Aha«, sagte der Marshal und stand auf. Ich grinste und kapierte, was diese beiden knorrigen Alten für prächtige Kerle waren. Ich sagte: »Mister O'Brien ist mit der Schußwunde über den Hof zu den Stallungen gekrochen und von dort in einem großen Bogen über Stock und Stein in die Nähe der Overlandstraße. Er wollte die Kutsche warnen.« »Das wollte ich diesem Flohhüpfer auch geraten haben«, sagte Ted Simpson. Dann lächelte er. »Morgen back ich ihm sein Leibgericht.« »Und das wäre?« fragte der Marshal. »Napfkuchen«, sagte Ted Simpson. »Mit viel Rosinen.« * Wir verfrachteten die Passagiere wieder in die Postkutsche, nachdem ich die Pferde gewechselt hatte. Das tote Mädchen hatten wir in eine Plane gehüllt. Sie lag fest verzurrt auf dem Kutschdach. Die Kutsche verschwand ostwärts. Der Marshal und ich ritten nach Westen. Zwischen uns hockte Will Ralston auf seinem Pferd. Wir hatten auch seine Füße unter dem Pferdeleib festgebunden. Sein Colt und die Parker mit den abgesägten Läufen blieben bei Ted Simpson.
8. Salmon Falls war meiner Meinung nach ein Drecknest. Ich hatte mir mehr versprochen als windschiefe Bretterbuden, wacklige Hütten und Straßen ohne Gehsteig. Immerhin hatte dieses Kaff einen Generalstore und zwei Saloons sowie einen Mietstall. Jack Corbetts Office mit dem Jail hingegen wirkte recht solide. Später erfuhr ich, daß »Deadhand« Corbett selbst zusammen mit dem Tischler Office und Jail auf Vordermann gebracht hatte. Wir brauchten zwei Tage bis Salmon Falls, und als wir einzogen spielten die Bürger verrückt. Sie stürzten aus ihren Buden und Hütten, schrien und lachten, Hüte flogen hoch, Frauen winkten, und
ein paar Idioten ballerten mit irgendwelchen Waffen in die Luft und zerschossen den Himmel. Jack Corbett war der Held des Tages. Ich wunderte mich über ihn. Er saß steif im Sattel. Sein hageres Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. Nur seine Mundwinkel waren etwas gekrümmt, verächtlich, wie mir schien. Du bist gut, Jack Corbett, dachte ich. Die Bürger jubeln dir zu, und du ziehst ein Gesicht, als hättest du in eine Zitrone gebissen. Wir ritten auf die Plaza zu. Dort stand ein halbfertiger Galgen. Ich blickte Will Ralston an, den wir zwischen uns hatten. Er ritt mit gesenktem Kopf, die Hände mit den Handschellen vor sich auf dem Sattelhorn. Plötzlich hob er den Kopf, sah das Galgengerüst mit der Plattform, zuckte zusammen und versuchte reflexartig, seinem Pferd die Schenkel zu geben. Als das Pferd ansprang, warf ich mich aus dem Sattel, kriegte ihn zu fassen, aber das half mir nichts. Das Pferd ging durch. Ich hing an Ralston dran und umklammerte ihn. Er konnte nicht aus dem Sattel fallen, weil wir ihm die Füße zusammengebunden hatten. Er brüllte wie ein Verrückter und versuchte, mich loszuwerden. Sein Pferd raste mit uns über die Straße. Die Bürger links und rechts spritzten zur Seite. Meine Füße schleiften über den harten Boden. Ich schaffte es, mich hinter dem bulligen Ralston auf den Pferderücken zu schwingen und schlug ihm die verschränkten Hände ins Genick. Der Marshal preschte neben uns her, beugte sich im Sattel vor, griff nach den schleifenden Zügeln und holte sie hart durch. Ralston tobte, und ich brauchte drei Schläge, um ihn mattzusetzen. Er sackte nach vorn. Das Pferd verlangsamte seinen rasenden Lauf und blieb stehen. Ich rutschte von dem Pferderücken und hatte weiche Knie. »Du hast schnell reagiert«, sagte Jack Corbett. »Ich schaute ihn gerade an, als er lostobte«, erwiderte ich. »Geschnappt hätten wir ihn so oder so.« »Das weiß man nie.«
»Du hättest ihn mit einem Schuß erwischt.« Der Marshal schaute zu mir herunter und schüttelte den Kopf. »Ich schieße keinem Mann in den Rücken.« »O Jack Corbett«, sagte ich, nahm meinen Braunen am Zügel und marschierte hinter dem Marshal und Will Ralston her zum Jail. Die Leute links und rechts an der Straße schwiegen und hatten betretene Gesichter. Daß Ralston zu türmen versuchte, hatten sie wohl nicht erwartet. Reagiert hatte auch niemand. Vor dem Office stieg der Marshal aus dem Sattel und band sein Pferd an den Haltebalken. Ich leinte meinen Braunen daneben an. Shita blieb neben dem Braunen sitzen. Aus einer Gruppe löste sich ein Mann und ging quer über die Straße auf uns zu. »Der Bürgermeister«, sagte der Marshal leise zu mir. Der Mann war recht gewichtig, hatte ein Ferkelgesicht, einen Specknacken, wässerige Augen, ein dünnes Bärtchen auf der Oberlippe und eine Glatze, die rötlich schimmerte. Die Hose über seinem dicken Bauch wurde von Hosenträgern gehalten. Er trug ein Unterhemd mit aufgerollten Ärmeln und Schweißrändern unter den Achseln. »Hallo, Marshal!« sagte er. Dann schaute er mich an. »Das ist Ronco«, sagte der Marshal. »Er hat mir geholfen. Das ist Mister Plummer, mein Junge.« »Hallo, Mister Plummer«, sagte ich. Mister Plummer nickte mir gnädig zu und blickte wieder den Marshal an. »Ich vermisse Phil Ralston, Marshal.« »Der ist mir entwischt«, sagte Jack Corbett. Seine Stimme klang kühl. Er deutete zur Plaza hinüber. »Wann ist der Galgen fertig?« »Übermorgen«, erwiderte Mister Plummer und hakte die Daumen unter seine Hosenträger, spannte sie und ließ sie zurückklatschen. »Das Richtfest wird gleichzeitig 'ne Hängeparty.« Zur Bekräftigung ließ er die Hosenträger zweimal katschen. Shita begann leise zu knurren. Mister Plummer warf ihm einen schiefen Blick zu. Seiner Miene konnte ich entnehmen, daß er keine Hunde mochte. Der Marshal sagte: »Die Ralstons haben die Duell-Familie
umgebracht.« »Verdammt«, sagte Mister Plummer. »Chet Duell schuldet mir noch dreißig Dollar für ein Pferd.« Der Marshal lächelte kalt, sagte aber nichts. Mister Plummer war Viehhändler, wie mir Jack Corbett später erzählte. Ich hätte nicht behaupten können, daß mir Mister Plummer sympathisch gewesen wäre. Er dachte an dreißig Dollar, nicht an die vier Toten. Jack Corbetts Kopfverletzung übersah er großzügig. Das war mal ein feiner Bürgermeister. Er bedachte mich mit einem herablassenden Blick seiner wässrigen Augen. »Was ist mit dem Jungen? Soll der hierbleiben ?« Jack Corbett kniff die Augen zusammen. »Drury Cash suchte eine Hilfe im Mietstall. Hat er schon jemanden?« Mister Plummer drehte sich um. »Cash?« Ein kleiner, lederhäutiger Mann mit einem grauen Sichelbart und grauen Augen löste sich aus den Zuschauern und ging säbelbeinig auf uns zu. »Ja?« sagte er. »Kannst du den Bengel gebrauchen?« fragte Mister Plummer. Ich richtete mich auf und trat vor. »Sagten Sie eben ›Bengel‹, Mister Plummer?« »Das sagte ich.« »Dann hören Sie mir gut zu, was ich jetzt sage«, erklärte ich scharf. »Ich halte Sie für einen aufgeblasenen Fettsack, der nicht das Recht hat, mich ›Bengel‹ zu titulieren. Außerdem kann ich Mister Cash selbst fragen, ob er mich gebrauchen kann.« »Wie sprichst du denn mit mir!« sagte Mister Plummer entrüstet. »Du bist wohl scharf auf eine Tracht Prügel, du Flegel?« »Nur zu, Plummer«, sagte ich, und jetzt kochte ich. »Nur zu! Versuchen Sie's mal. Aber fragen Sie lieber vorher Marshal Corbett, wie viele Shoshonen ich in den Volcanic Beds auf die große Reise geschickt habe. Das waren Krieger, Plummer, keine großmäuligen Fettsäcke! Na? Wie ist es mit der Tracht Prügel?« Neben mir stand Shita – wieder in seiner geduckten Haltung und mit gefletschtem Fang, ein dumpfes, gefährliches Knurren in der Brust.
Mister Plummer wich drei Schritte zurück. Marshal Corbett sagte eisig: »Ronco hat mir zweimal das Leben gerettet. Beim zweiten Mal hat er allein einen Angriff einer Horde von Shoshonen abgewehrt, weil ich kampfunfähig war. Er ist ein Mann, Mister Plummer, kein ›Bengel‹. Auch ich spreche Ihnen das Recht ab, ihn so zu nennen.« Hochrot im Ferkelgesicht drehte sich Mister Plummer abrupt um und stapfte davon. Der kleine, säbelbeinige Drury Cash grinste breit und stiefelte auf mich zu. »Kannst du mit Pferden umgehen, Ronco?« »Ich war eine Zeitlang bei der Russell, Majors und Waddell Postkutschengesellschaft im Stall- und Überlanddienst und dann Pony-Expreßreiter.« »Mann, Pony-Expreßreiter?« Er schnalzte. »Perfekt! Dreißig Dollar im Monat, dazu freie Unterkunft und Verpflegung, einverstanden?« »Einverstanden«, sagte ich. Wir schüttelten uns die Hände. Sein Händedruck war aus Eisen. Ich sah, wie Jack Corbett endlich wieder einmal lächelte. Er nickte mir zu. »Alles klar, Ronco?« »Alles klar, Jack. Vielen Dank.« »Wer dankt hier wem«, sagte der Marshal. »Nimmst du mein Pferd gleich mit und versorgst es?« »In Ordnung.« Jack Corbett löste die Fußfesseln Will Ralstons, der wieder munter war, zerrte ihn vom Pferd und stieß ihn in das Office. Ich nahm meinen Braunen und das Pferd des Marshals und ging hinter Drury Cash her zum Mietstall. Eine Viertelstunde später hatte ich beide Pferde versorgt. Drury Cash hatte auf einer Futterkiste gesessen und mir zugesehen. Dann zeigte er mir eine kleine Kammer über dem Stall, die ich mit Shita beziehen durfte. »Hör zu«, sagte er. »Salmon Falls ist ein lausiges Kaff und Mister Plummer ein Stinktier. Ich mag ihn genausowenig wie du. Verhalte dich so wie ich: kümmere dich nicht um ihn. Hier gibt's noch mehr Stinktiere. Auch um die kümmere dich nicht. Als die Ralstons hier
noch das Zepter schwangen, haben sie alle gekuscht und den Schwanz eingezogen, Plummer allen voran.« Ich war frech und sagte: »Und Sie, Mister Cash?« »Gute Frage«, sagte er trocken. »Ich blieb meinem Vorsatz, mich um nichts zu kümmern, untreu und wurde bisher sechsmal von der Bande zusammengeschlagen, daß ich in keinen Stiefel mehr paßte.« Ich glaube, ich wurde etwas rot. »Verzeihung, Mister Cash.« »Schon gut, mein Junge. Ich glaube, wir werden uns prächtig vertragen.« Das dachte ich auch. Einige Tage später war alles ganz anders. * Am nächsten Tag brachte ich den Mietstall auf Vordermann, fegte die Boxen aus, füllte die Futterkisten auf, reparierte eine defekte Stelle im Stalldach, striegelte die Pferde, nahm mir anschließend den Hof vor, räumte einen Vorratsschuppen auf – und Drury Cash strahlte. Am frühen Nachmittag sagte er, für heute sei Feierabend. Ich sattelte meinen Braunen, pfiff Shita und verließ Salmon Falls, um mich ein bißchen in der Gegend umzusehen. Ich war noch keine halbe Stunde unterwegs, als ich die Schüsse hörte. Revolverschüsse. Phil Ralston fiel mir ein, und ich gab meinem Braunen die Hacken. Wir fegten durch ein Wäldchen, überquerten einen Creek, und jetzt klangen die Schüsse überlaut, etwa dreißig Yards rechts von mir. Ihre Regelmäßigkeit ließ mich stutzen. Ich glitt aus dem Sattel, band den Braunen an einen Baum und schlich rechts den Hügel hoch. Shita blieb bei mir. Als ich die Kuppe erreichte, blieb ich verblüfft stehen. Unten in der Senke stand »Deadhand« Corbett, etwas geduckt und mit gespreizten Beinen, und feuerte mit seinem Vierundvierziger auf leere Blechbüchsen. Gerade hatte er eine beim Wickel, es war ein richtiges Spiel. Er ballerte drauf – Entfernung etwa zehn Schritte –, und Büchse flog hoch, und noch bevor sie zu Boden fiel, erhielt sie ihren zweiten Treffer, kreiselte weiter, der dritte Schuß saß, trieb sie nach links, sie hüpfte über einen Steinbrocken, kriegte den vierten Schuß verpaßt,
wirbelte hoch, erhielt ihren fünften Treffer im Scheitelpunkt ihres Fluges und gleich darauf knallte die letzte Kugel in das Blech. Der Marshal ließ den Colt sinken und lud nach. Ich stand schräg rechts hinter ihm, und er hatte mich noch nicht gesehen. Ich weiß, daß ich dastand wie bestellt und nicht abgeholt – mit einem Mund offen wie ein Scheunentor und Glotzaugen so groß wie Spiegeleier. Keiner der sechs Schüsse daneben! O Jesus. Und alle auf ein sich bewegendes Ziel gefeuert, von dem man nicht wußte, wohin es sich bewegen würde. Das entschied sich erst in den Sekundenbruchteilen des Treffers. Ich schluckte und kriegte feuchte Handflächen. Dann fummelte ich meinen Colt aus dem Hosenbund, peilte auf die verdammte Blechbüchse und schoß. Treffer! Das Ding segelte davon, und ich jagte die zweite Kugel aus dem Lauf. Sie streifte einen Stein und jaulte in den Himmel. Die Büchse war noch nicht auf den Boden gefallen, da hämmerten ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Schüsse los und beförderten die Büchse irgendwo ins Jenseits. »Junge«, sagte der Marshal wütend, »bei deinem Ersten Schuß, der rechts hinter mir fiel, hätte ich dich fast erschossen. Tu das nie wieder, verdammt noch mal.« Ich stieg mit steifen Beinen den Hang hinunter, den Colt gesenkt in der Rechten. »Entschuldige bitte«, sagte ich lahm. Ich starrte auf seinen Colt, aus dem Rauch hochkräuselte. »Mann, kannst du zaubern?« Ich war völlig verrückt und verdreht und fasziniert. Ich weiß, daß mich eine unheimliche Erregung gepackt hatte. Ich glaube sogar, daß ich am ganzen Körper zitterte. Ganz sicher weiß ich, daß ich meine Rechte mindestens hundertmal an meiner Hose abwischte, nachdem ich den Colt in die Linke genommen hatte. Der Marshal hatte ernste Augen und lächelte dennoch. Ich sagte: »Du haust die Schüsse einfach aus der Hüfte heraus, zielst überhaupt nicht – und triffst.« Der Marshal halfterte den Colt mit einer huschenden Bewegung. »Ganz einfach«, sagte er und stieß den Zeigefinger seiner Rechten vor.
Ich starrte auf seinen Zeigefinger. Er war genau auf meine Gürtelschnalle gerichtet. »Du zeigst auf etwas«, sagte der Marshal, »und zwar direkt. Die Kuppe deines Zeigefingers richtet sich genau, weil du sie mit den Augen kontrollierst, auf den Gegenstand. Der Lauf deiner Waffe ist die Verlängerung deines Zeigefingers. Anders ausgedrückt: der Lauf ist dein Zeigefinger. Du stößt ihn ins Ziel.« Ich steckte meinen Colt in den Hosenbund, streckte den Zeigefinger und richtete ihn auf Shita. Mein Hund warf mir einen verächtlichen Blick zu und streunte nach rechts weg. Mein Zeigefinger folgte ihm. Das war's also. Nein, das war's nicht – oder nur ein Teil, aber ein wichtiger. Der Marshal sagte: »Neun von zehn Revolverkämpfen werden mit dem ersten Schuß entschieden. Den ersten Schuß feuert derjenige ab, der seine Waffe schneller zieht als sein Gegner.« Er grinste mich an. »Zieh!« Ich hatte meinen Colt gerade am Griff gepackt – im Hosenbund –, da starrte ich bereits in Jack Corbetts Coltmündung. »Jetzt bist du tot, mein Junge«, sagte der Marshal. »Was ich hier exerziere, ist das Quick-Draw-Schießen oder der Schnappschuß. Dafür brauchst du ein eisernes Training. Das schnelle Ziehen und Schießen aus der Hüfte – und natürlich das Treffen –, dazu brauchst du Monate, Jahre, wenn nicht länger. Natürlich gibt's noch eine Möglichkeit. Auch sie hat Vorteile. Du bringst deine Waffe in aller Ruhe ins Ziel und feuerst gezielt über Kimme und Korn. Dann bist du ein Anschlagsschütze. Der Quick-Draw-Schütze kann seinen Schuß verreißen oder ungenau feuern – er wirft ja seinen Schuß ins Ziel. Wenn es so ist, hat der Anschlagschütze Zeit genug, sein Ziel zu finden – und bei einiger Übung wird er todsicher treffen.« Mir rauchte zwar der Kopf, aber fast spontan stieß ich hervor: »Bring mir den Quick-Draw-Schuß bei.« In diesen Minuten entschied sich mein weiteres Leben, denn ich wurde kein Anschlagschütze, den sichere Quick-Draw-Schützen in Bruchteilen von Sekunden von den Füßen schießen konnten. Jack Corbett, »Deadhand« Corbett, rettete mir in nicht mehr zählbaren
Situationen das Leben. Er wurde mein Lehrmeister. An diesem Nachmittag in der Senke unweit von Salmon Falls lernte ich meine erste Lektion. Andere Jungen in meinem Alter, die ein Zuhause hatten, lernten Lesen, Schreiben, Rechnen. Ihnen wurden Manieren beigebracht, sie gingen in die Kirche – ordentlich gekämmt, gewaschen und in Sonntagskleidung mit geputzten Schuhen, sie sagten »danke« und »bitte« und durften nur sprechen, wenn sie etwas gefragt wurden, sie sollten das Alter ehren und aßen bei Tisch manierlich mit Messer und Gabel, und wenn sie frech wurden, kriegten sie eine gelangt. Und ich? Ich stand schwitzend und mit hochrotem Kopf in der Senke und stieß meinen Zeigefinger immer wieder auf feste Ziele. Dann übte ich das mit meinem Navy-Colt, zunächst ohne zu schießen. Dann wurde es ernst. Als wir am frühen Abend aufhörten, setzte ich von zehn Schüssen sieben ins Ziel. Ich war völlig fertig und dennoch erregt wie selten in meinem bisherigen Leben. Denn Jack Corbett sagte: »So was wie dich hab ich noch nicht erlebt. Ich habe Monate gebraucht, um deine heutige Leistung zu schaffen, ich habe geübt und geübt und geübt. Und du? Du legst nach ein paar Stunden Trefferserien hin, die ich in meiner ersten Zeit nie erreicht habe.« Er schüttelte den Kopf. »Unfaßbar, aber du scheinst eins jener seltenen Naturtalente zu sein.« Er überlegte und sagte dann: »Gut, morgen zeige ich dir, wie man schnell zielt. Du brauchst ein Holster.« Er legte die Rechte auf meine Schulter und sah mich ernst an. »In den wilden Städten gibt es Männer, die ihre schnelle Hand verkaufen, mein Junge. Revolvermänner. Sie töten für Geld. Versprich mir, nie so einer zu werden.« »Ich verspreche es.« Ich hatte einen Kloß im Hals.
9. Am nächsten Tag ging ich nach meiner Arbeit in den Generalstore und suchte mir für meinen Navy-Colt ein Holster mit passendem Waffengurt aus. Ich kaufte ein gebrauchtes Stück aus geschmeidigem Leder. Kein Prunkstück mit Firlefanz und eingestanzten
Verzierungen. Das Holster hatte einen Riemen, mit dem es am Oberschenkel festgebunden wurde, so daß es beim Zielen der Waffe nicht verrutschen konnte. Die Waffe an meinem Oberschenkel war ungewohnt, als ich über die Straße zum Office ging, um den Marshal abzuholen. Ausgerechnet Mister Plummer mußte mir über den Weg laufen. Er hatte auf der Plaza den Bau des Galgens inspiziert, der fast fertig war. Als er mich sah, blieb er stehen. Sein Ferkelgesicht wirkte plötzlich gereizt. »Was soll das denn?« fuhr er mich an. »Was?« fragte ich ruhig, obwohl ich wußte, was er meinte. »Das da!« Er deutete auf mein Holster mit der Waffe. »Seit wann tragen Ben … äh – Jungen in deinem Alter Schießeisen mit sich herum, he?« »Wie alt bin ich denn?« »Pff – doch wohl höchstens siebzehn.« »Na und?« »In meiner Stadt ist das Tragen von Waffen für Jungen in deinem Alter verboten, verstanden?« »Nein«, sagte ich. »Nicht verstanden. Erstens bin ich achtzehn, zweitens hat der Marshal nichts dagegen, und drittens gibt es in diesem Land kein Gesetz, das Achtzehnjährigen das Tragen von Waffen verbietet. Im übrigen sollten Sie vor Ihrer eigenen Tür kehren. Ihr Sohn, den ich auf vierzehn schätze, hat heute vormittag hinter Mister Cashs Mietstall mit einer Schrotflinte nach Tauben geschossen, die Tauben aber mit dem Mietstall verwechselt. Die Ladung prasselte ins Dach. Als ich ihn wegscheuchte, wurde er frech, und da hab ich ihm den Arsch versohlt.« »Du warst das also!« sagte er wütend. »Ja, ich war das. Die Pferde spielten nämlich verrückt. Wollen Sie sonst noch was von mir?« Er kriegte tückische Augen. »Ich glaub nicht, daß du lange in meiner Stadt bleibst.« Ich musterte ihn verächtlich. »Ihrer Stadt? Gehört sie Ihnen? War es auch Ihre Stadt, als die Ralston-Bande Salmon Falls
tyrannisierten? Da war es eine Ralston-Stadt, und Sie hatten den Schwanz eingezogen, nicht wahr? Oder bin ich da falsch informiert, Mister Bürgermeister?« Mister Plummer wurde krebsrot und ballte die Hände. Er erwog wohl, zum Angriff überzugehen. Und das tat er tatsächlich. Er stampfte auf mich zu. Zum ersten Male erlebte ich etwas, das mir plötzlich Macht verlieh. Ich legte meine Rechte um den Coltgriff und blickte Mister Plummer fest in die wässrigen Augen. Er stoppte, als sei er gegen eine Mauer gerannt, und stierte mit hervorquellenden Augen auf meine Rechte. Ich grinste ihn an. Er hatte Angst vor mir. Nein, vor meiner Waffe. Ich würde nie auf ihn schießen, weil er unbewaffnet war. Aber das konnte er nicht wissen. Er ging ein paar Schritte zurück, kochend vor Wut, aber auch ängstlich. »Willst du den Bürgermeister dieser Stadt mit der Waffe bedrohen?« fauchte er. »Ich hatte eher den Eindruck, daß Sie mich bedrohen«, sagte ich. »Und meine Waffe halte ich nur fest. Ich weiß nicht, was daran bedrohlich sein soll.« Ich schaffte ihn. Er war nicht nur feige und aufgeblasen, er war auch noch beschränkt. »Na warte, na warte«, stieß er hervor, »der Krug geht solange zu Wasser, bis er bricht.« »Ja, ja«, sagte ich. »Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.« Er ergriff die Flucht, der dicke Mister Plummer, Viehhändler und Bürgermeister in Salmon Falls. Ich grinste hinter ihm her und hätte ihm am liebsten die Zunge rausgestreckt, aber ich war ja »achtzehn«, da tut man so was nicht mehr. Merkwürdig, mit fünfzehn will man immer älter sein, als man ist, und irgendwann, wenn man älter geworden ist, will man wieder jünger sein. Ich ging über die Plaza und zum Office. Als ich es betrat, war es
leer. Im hinteren Trakt, wo das Jail lag, hörte ich Stimmen. Ich lauschte. Es war Will Ralstons Stimme. Die Tür zu dem Flur mit den Zellen stand offen. Ich ging hindurch. Jack Corbett befand sich vor Ralstons Zelle. Er hatte ihm das Essen gebracht. »Larry wird dir das Genick brechen, verlaß dich darauf«, sagte Ralston. »Er wird mich hier herausholen.« Dann sah mich Ralston. »Und dich wird er am Spieß braten, du Rotznase.« Der Marshal lächelte mir zu und nickte unmerklich, als er mein Holster entdeckte. »Hallo, Ronco. Wollen wir wieder?« »Ich wollte dich abholen.« »Kleinen Moment noch.« »Ihr Schweine«, sagte Will Ralston. »Verrecken sollt ihr. Larry wird euch vierteilen. Mich kriegt keiner an den Galgen, mich nicht, verdammt.« Er starrte uns wild durch die Gitterstäbe an. »Sonst noch Wünsche?« fragte der Marshal ruhig. »Leck mich oder fahr zur Hölle.« »Keines von beiden«, sagte der Marshal. »Morgen oder übermorgen trittst du deinen letzten Gang an, Ralston. Du solltest dich darauf vorbereiten. Stirb wenigstens wie ein Mann.« Will Ralston stieß ein greuliches Gelächter aus. »Jack Corbett, der Prediger!« schrie er. »Ich lach mich tot!« Der Marshal wandte sich ab, und wir verließen den Trakt. Der Marshal verschloß sorgfältig die dicke Bohlentür und steckte den Schlüssel ein. »Hast du keinen Deputy?« fragte ich. Jack Corbett schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Den Jail knackt keiner auf, höchstens mit einer Sprengladung, und da würde Ralston mit in die Luft fliegen.« Wir holten unsere Pferde und ritten zu unserem Schießplatz in der Senke. Ich erhielt meine zweite Lektion, dieses Mal im Schnellziehen. Der Marshal zeigte es mir. »Du ziehst den Griff nicht mit der ganzen Hand«, sagte er,
»sondern nur mit Mittelfinger, Ringfinger und dem kleinen Finger. Gleichzeitig, noch während des Ziehens, spannt der Daumen den Hammer. Dein Zeigefinger liegt ausgestreckt neben dem Abzugsbügel, bis die Waffe das Holster verlassen hat, klar?« »Warum das denn?« Der Marshal grinste. »Damit du dir beim Ziehen nicht versehentlich einen Zeh abschießt. Das ist alles schon passiert.« Das leuchtete mir ein. »Während die Waffe hochschwingt«, fuhr der Marshal fort, »muß der Hammer einrasten, und in diesem Moment soll sich der Finger um den Abzug krümmen. Während dieses ganzen Vorgangs mußt du dein Ziel ganz fest und konzentriert im Auge behalten. Instinktiv wird deine Faust mit der Waffe deiner Blicklinie folgen – wie wir es gestern mit dem Zeigefinger geübt haben. Das ist alles.« Das ist alles, sagte er. Es war viel zuviel. Ich hatte schon wieder feuchte Hände und war vor lauter Nervosität ganz kribbelig. »Immer mit der Ruhe«, sagte der Marshal. »Ich zeig's dir noch mal ganz langsam.« Er demonstrierte mir jede einzelne Phase des Ziehens, wieder und wieder. Dann ließ er mich »trocken« üben, ohne Ladungen in der Trommel. Ich griff daneben, mein Daumen rutschte am Hammer ab, ich »schoß« mir in die Zehen, mein Zeigefinger war zu früh am Abzug – oder zu spät –, ich schwitzte, ich fluchte, ich biß die Zähne zusammen, schrammte mir den Daumen wund, verstauchte mir fast den Zeigefinger, aber ich gab nicht auf. Ich gab verdammt nicht auf. Ich wollte es wissen. Der Marshal beobachtete, korrigierte, tadelte, lobte, grinste und sagte nach zwei Stunden, ich sei ein genialer Dickschädel. Er befahl mir zehn Minuten Pause und goß mir Wasser aus der Feldflasche über die zitternde Rechte. Ich zappelte vor Ungeduld. Ich war wild darauf, jetzt scharf zu schießen. Der Marshal ließ mich zappeln und dozierte. »Das Ziehen muß ein Reflex werden. Es muß dir in Fleisch und Blut übergehen, ohne daß du noch lange über die einzelnen Phasen nachdenkst. Sie müssen
ineinander verfließen in einer einzigen geschmeidigen Bewegung. Du mußt dich auf jedes Ziel einstellen. Es kann vor dir, neben dir, hinter dir. sein. Du mußt im Herumwirbeln blitzschnell ziehen und ebenso, wenn du dich hinwirfst. Keine Situation ist gleich, denke daran. Kritische Situationen besteht nur derjenige, der die Nerven behält. Du bist, wie ich, Rechtshänder. Was ist, wenn dein Gegner links von dir auftaucht?« Er warf die Zigarette, die er halb aufgeraucht hatte, zu Boden, trat sie aus und sagte: »Paß auf.« Er stellte sich seitlich von mir hin, mit der linken Seite. Plötzlich knickte er etwas in den Knien ein, drehte sich blitzschnell in der Hüfte, wobei sein linker Arm angewinkelt hochflog, und gleichzeitig hatte er bereits den Colt aus dem Leder und im Anschlag auf mich. Die Stellung seiner Füße war unverändert geblieben. Er zielte unter seinem angewinkelten linken Arm durch, die Waffe hatte er in Hüfthöhe. Ich probierte es auch. Es klappte sogar. »Sehr gut«, sagte der Marshal. »Du bist schon wieder mal besser als ich in meinen Anfängen. So, und jetzt möchte ich Blechdosen fliegen sehen.« Er hatte einen ganzen Sack voll mitgebracht – und Munition. Plötzlich war meine Nervosität wie weggewischt. Meine Hand war ruhig und trocken. Und dann ging's rund. Bereits bei meinen ersten sechs Schüssen hatte ich das Gefühl, als würden meine Kugeln von der Blechdose magnetisch angezogen. Jeder Schuß saß. Wir trieben die Dose im abwechselnden Schuß durch die Senke, bis sie restlos zersiebt war. Dann folgte die nächste, und die dritte, vierte, fünfte. Ich war pulververschmiert, und mein Navy-Colt wurde heiß, glühend heiß. Bei der einundzwanzigsten Dose ließ der Marshal den Colt sinken und sagte: »Mein lieber Mann.« Ein Ton von Bewunderung schwang in seiner Stimme mit. »Ich kann dir nichts mehr beibringen. Du bist einfach perfekt. Fast könnte man Angst vor dir kriegen. Ich hab dich beobachtet. Du ballerst mit einer Kaltschnäuzigkeit auf die Dinger, als tätest du seit zwanzig Jahren nichts anderes. Sag mal, schaust du
überhaupt hin?« »Natürlich. Wie du es mir erklärst und gezeigt hast.« Kopfschüttelnd sagte der Marshal: »Nicht zu fassen. Du kannst als Kunstschütze im Zirkus auftreten.« »Ich werd mal Marshal«, sagte ich. »Auch das noch.« Der Marshal verdrehte die Augen. »Laß das bloß sein, Junge.« »Du bist es doch auch.« »Ja, aber dabei bin ich ein einsamer Wolf geworden.« Er blickte dorthin, wo Salmon Falls lag. »Die meisten Städte taugen nichts. Die Bürger brauchen dich, weil sie selbst zu feige sind, für Recht und Ordnung zu kämpfen. Aber du wirst nie einer von ihnen, du bleibst ein Außenseiter. Manchmal haben sie Achtung vor dir. Aber Städte mit solchen Bürgern kannst du an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Nimm zum Beispiel Salmon Falls. Heute jubeln sie dir zu, aber das kann schon morgen anders sein. Hat Plummer irgend etwas am Tod der Duell-Familie interessiert? Nichts! Nur daß ihm Chet Duell noch Geld schuldete, das war ihm wichtig.« »Daran habe ich auch gerade gedacht«, sagte ich. »Er begegnete mir, als ich zu dir ging und pumpte sich darüber auf, daß ich eine Waffe trage. Das sei für Jungen in meinem Alter verboten, sagte er.« »Quatsch«, sagte der Marshal kurz und bündig. Wir ritten zurück nach Salmon Falls. * Am nächsten Vormittag holte ich in dem einen Saloon für Drury Cash ein paar Flaschen Bier. Der Salooner, ein feister Mastochse, holte sie aus dem Keller und schob sie über den Tresen. Ich bezahlte, und er strich das Geld mit einer huschenden Bewegung ein. Er hatte kleine, dunkle Augen, die ständig alles Mögliche fixierten, aber nie jemanden fest ansahen. »Du hast doch Will Ralston mit eingebracht, nicht wahr?« sagte er. Ich nickte nur und packte die Flaschen in einen Korb. »Mit dem Marshal, nicht wahr?«
Ich nickte wieder. Der Kerl, er hieß Samuel Biggs, stierte auf die Theke, nach links, nach rechts, an die Decke, über meine Schulter, zur Schwingtür, in die Spüle. »Und Phil Ralston ist euch entwischt, nicht wahr?« »Ja«, sagte ich. »Schöne Scheiße«, sagte Samuel Biggs. »Wieso?« »Weil er seinen Bruder Larry erreicht haben soll. Und Larry Ralston soll bereits verkündet haben, daß er seinen Bruder Will noch vor der Hinrichtung aus dem Jail befreien wird.« »Wer sagt das denn?« fragte ich verblüfft. »Hab ich gehört.« Samuel Biggs polierte ein Glas und sah hindurch. Das Auge, mit dem er hindurchpeilte, war auf einmal riesengroß und verzerrt. »Sie hören wohl auch die Flöhe husten, wie?« fragte ich spitz. Er ließ das Glas sinken, und sein Auge war wieder normal. Dieses Mal sah er mich an. »Werd nicht frech, Kleiner.« Ich starrte ihm fest in die Augen, und schon huschte sein Blick wieder weg. »Ich hab den Eindruck, daß Ihre Hose flattert, Mister«, sagte ich. »Aber hier ist kein Wind. Nur Ihre Knie zittern, stimmt's?« »Dich und den Marshal legen sie zuerst um«, sagte er gehässig. Ein anderer Mann, der am Tresen stand und an einem Bier nuckelte, nickte wichtig und sagte: »Genau. Ihr werdet zuerst umgelegt. Und wenn ihr auf dem Stiefelhügel liegt, haben wir hier wieder Ruhe.« »Vorgestern habt ihr alle Hurra geschrien«, sagte ich, »und der Marshal war euer Held. Was seid ihr bloß für dreckige Heuchler!« Der Mann, der am Tresen stand, stieß sich ab und winkelte die Arme an. Er war ziemlich stämmig gebaut. Samuel Biggs beugte sich über den Tresen und sagte: »Ja, Tinker, geb ihm was auf die Schnauze, aber richtig. Besorg's dieser Kröte. Larry Ralston honoriert uns das bestimmt.« Der Stämmige, den der Salooner Tinker genannt hatte, rückte auf mich zu. Es war wieder soweit.
Ich stellte den Korb mit den Flaschen ab, und als ich mich wieder aufrichtete, hatte ich den Navy-Colt in der Faust. Er war mir wie von selbst in die Hand gerutscht. Tinker prallte zurück und hob abwehrend die Hände. Seine Augen flatterten. »Nicht – nicht … Ich wollte dir doch gar nichts tun, ich – ich wollte gerade nach draußen gehen«, stieß er hastig hervor. Ich winkte mit dem Colt. »Dort ist die Tür.« Tinker schoß aus dem Saloon, als sei der Teufel hinter ihm her. Der Salooner fummelte unter der Theke herum. »Lassen Sie das«, sagte ich scharf. »Pfoten auf die Platte!« Er riß die Hände hoch und legte sie auf den Tresen. Seine dunklen Wieselaugen zitterten. »Ich wußte gar nicht, daß Feigheit honoriert wird«, sagte ich verächtlich. »Aber eins weiß ich ganz bestimmt. Sollte die RalstonBande hier jemals auftauchen, nimmt sie Ihre Bruchbude zuerst auseinander, Mister, und das Honorar, das Sie erwarten, werden keine Dollarnoten, sondern Bleikugeln sein.« Er senkte den Kopf und stierte auf die Tresenplatte. Ich halfterte den Colt und nahm den Korb auf. An einem Tisch saßen zwei Männer und starrten mich mit offenen Mündern an. Die sahen vielleicht blöd aus. Auf dem Weg zur Schwingtür blieb ich bei ihnen stehen und sagte: »Maul zu, es zieht!« Wie auf Befehl klappten ihre Münder zu. Es schnappte richtig. Aber blöd sahen sie immer noch aus. Idioten, dachte ich und verließ den Saloon. Die Angst schlich durch die Stadt. Ich merkte es auf Schritt und Tritt, als ich zum Mietstall zurückging. Keiner sah mich direkt an. Wo ich vorbeischritt, verstummte das Gespräch. Ich begegnete scheuen Blicken und eingezogenen Köpfen. Das Gerücht über Larry Ralston hatte bereits die Runde gemacht. Ich berichtete Drury Cash, was ich im Saloon erlebt hatte. »Tinker und Samuel Biggs?« sagte er. »Scheißkerle. Die gehören zu den lautesten Schreiern und sind diejenigen, die am schnellsten den Schwanz einziehen, zusammen mit dem Stinktier von
Bürgermeister. Das kann ja mal wieder heiter werden.« Leider behielt er recht.
10. Gegen Mittag ging ich zum Marshal-Office. Der Galgen auf der Plaza war verwaist. Immerhin war er fertig. Drury Cash hatte mir erzählt, er sei auf Wunsch und Beschluß der Bürger errichtet worden, bevor Marshal Corbett losgeritten war, um die Ralston-Brüder zu jagen. Man hätte die Galgenvögel auch draußen vor der Stadt an einem Baum aufknüpfen können, aber nein, die Bürger hätten darauf bestanden, mitten in Salmon Falls, auf der Plaza, den Galgen zu errichten – zur Abschreckung und um nachfolgenden Galgenvögeln zu demonstrieren, daß in Salmon Falls Gesetz und Ordnung herrschte. Als ich an dem Galgen vorbeiging, dachte ich an Drury Cashs Worte. Wenn Larry Ralston das gleiche Kaliber wie seine beiden Brüder hatte, würde ihn der Galgen bestimmt nicht abschrecken. Im Gegenteil, er würde ihn als Herausforderung betrachten. Immerhin aber war da noch »Deadhand« Corbett, der Revolvermarshal von Salmon Falls. Er saß an seinem Schreibtisch, auf dem er ein Tuch ausgebreitet hatte, und reinigte seinen Army-Colt. »Na?« sagte er aufblickend. »Hast du schon gehört, Jack? Larry Ralston …« Er winkte ab, völlig unbeeindruckt. »Na und? Hoffentlich kreuzt er auf, zusammen mit seinem irren Bruder. Dann brauche ich nicht tagelang hinter den Kerlen herzureiten.« Ich wollte etwas sagen, aber unser verehrter Bürgermeister betrat schnaufend das Office, blickte mich pikiert an, wandte sich dann dem Marshal zu, stützte seine Wurstarme auf den Schreibtisch und sagte: »Haben Sie schon gehört, Marshal? Larry Ralston …« Ich mußte grinsen. Das gleiche hatte ich auch gesagt, und das gleiche erwiderte der Marshal jetzt auch Mister Plummer. Ich schob dem Dicken einen Stuhl in die Kniekehlen, und er ließ sich ächzend nieder.
»Das wird furchtbar«, sagte er, »einfach furchtbar. Wir müssen die Hinrichtung verschieben, Marshal.« »Nein«, sagte Jack Corbett hart. »Aber …« begann Mister Plummer. »Kein Aber«, unterbrach ihn der Marshal und polierte mit dem rechten Jackenärmel seinen Stern auf der Brust. »Die Stadt wird sich endlich einmal besinnen müssen, ob sie auch bereit ist, Recht und Ordnung notfalls selbst mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Das erwarte ich. Nichts anderes. Ralston wird morgen gehenkt, wie es beschlossen wurde. Dieser Mann ist ein mehrfacher Mörder, Mister Plummer. Haben Sie das vergessen?« »Na-natürlich nicht. Sie haben völlig recht, Marshal. Nur, na ja, wie soll ich mich ausdrücken, ich meine, man könnte ihn ja laufenlassen, nicht wahr? Dann sind wir ihn los, und die Bande wird uns dann bestimmt nicht mehr belästigen, weil Sie ja hier sind, nicht wahr? Und wir hätten dann auch nie wieder Ärger mit den Ralstons. Im Gegenteil. Sie werden uns dankbar sein, daß wir uns von der menschlichen Seite gezeigt haben. Sie werden, ich glaube, das darf ich sagen, sich woanders hinwenden – in eine andere Stadt.« Er lachte wie über einen guten Witz. Weder Jack Corbett noch ich lachten mit. Jack Corbett lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte gar nichts. Nur seine grauen Augen blickten den dicken Plummer unverwandt an. Plummers Lachen brach jäh ab. Er fummelte ein rotkariertes Schnupftuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Schweiß vom Specknacken. Am Fenster summte ein Brummer und raste immer wieder mit dem Kopf gegen die Scheibe, rutschte an ihr herunter und wieder hinauf, beharrlich und unverdrossen. Plummer wurde unruhig. »Sie sagen ja gar nichts, Marshal.« Er räusperte sich. »Finden Sie meinen Vorschlag nicht gut?« »Ich bewundere Ihren Scharfsinn, Plummer«, sagte der Marshal eisig. »Ich finde Ihren Vorschlag nicht gut. Ich finde ihn erbärmlich und unwürdig und vor allem dumm. Am dümmsten war Ihr Satz, die Ralstons würden uns dankbar sein, weil wir uns von der menschlichen Seite gezeigt hätten. Was Sie mit menschlich
bezeichnen, Plummer, ist nichts anderes als Feigheit. Jetzt hat Ihr Satz allerdings einen Sinn. Für die Feigheit der Bürger von Salmon Falls werden die Ralstons dankbar sein – so dankbar, daß sie der Stadt die Hölle bereiten werden.« »Aber – aber was sollen wir denn tun?« sagte der dicke Plummer weinerlich. »Kämpfen«, sagte Jack Corbett, »und nicht kapitulieren, schon gar nicht vor Verbrechern, Mördern und Totschlägern.« Jetzt wurde der dicke Plummer plötzlich giftig. »Mit Ihrer sturen Haltung gefährden Sie die ganze Stadt, Corbett, ich werde …« Der Marshal hob die Hand. »Ich weiß schon, was Sie werden, Plummer. Sie werden den Bürgerrat einberufen, und anschließend darf ich meinen Hut nehmen und gehen.« Er tippte auf den Stern an seiner Brust. »Dieses Ding in dieser Stadt ist sowieso schmutzig. Ich lege es gern ab wenn ich gehe. Aber ich gehe erst, wenn das Todesurteil vollstreckt ist, und wenn es meine letzte Amtshandlung ist. Ralston wird hängen – und jetzt raus. Bestellen Sie dem Bürgerrat meine besten Empfehlungen und sagen sie ihm, daß ein Jack Corbett seinen Stern erst dann ablegt, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat.« Er beugte sich wieder vor, nahm einen Lappen, tränkte ihn mit Öl und begann die Abzugsfeder zu reinigen. Plummer war für ihn Luft. Ich ging zur Tür und öffnete sie. Plummer stand ächzend auf und verließ das Office. Er ging nicht sehr gerade, der krumme Hund. Als er draußen war, wollte ich die Tür wieder schließen. »Laß sie noch etwas auf«, sagte der Marshal, »hier stinkt's zu sehr nach Angst.« »In der ganzen Stadt stinkt's nach Angst«, sagte ich. »Wir werden sehen.« »Wie ich die Lage einschätze, hast du nur einen Mann, der auf deiner Seite steht«, sagte ich. »Und wer ist das?« »Ich.« Er blickte auf und sagte: »Du hältst dich da raus, verstanden?« Ich stellte eine Gegenfrage. »Wie geht's deinem Kopf, Jack?«
»Gut. Was soll das?« »Ich dachte, vielleicht fühlst du dich noch wacklig. In den Volcanic Beds hast du meine Hilfe auch nicht abgelehnt.« »Hier ist Salmon Falls, und die Stadt hat genug Bürger, die mir helfen werden. Man muß sie nur aufrütteln.« »Dann rüttel mal«, sagte ich. »Aber spar dir gleich die Zeit bei einem Mann namens Tinker und bei dem Salooner Samuel Biggs. Die haben jetzt schon die Hosen voll.« Und damit verließ ich ihn. * Am Nachmittag beobachtete ich, wie der Marshal durch die Stadt ging. Aus den beiden Saloons drang Stimmengewirr. Den ersten Saloon verließ Jack Corbett nach einer halben Stunde, dann marschierte er in den Saftladen von Samuel Biggs. Drury Cash lag auf dem Sofa im Mietstalloffice und schnarchte seinen Nachmittagsschlaf. Er sägte einen Wald ab. Ich pirschte mich auf leisen Sohlen davon, lief über die Straße zu dem Saloon von Samuel Biggs und huschte unbemerkt hinein – unbemerkt, weil der Saloon gerammelt voll war und alle zum Tresen starrten, wo der Marshal stand. Er sagte in diesem Moment gerade: »Ich erwarte, daß ihr euch nicht mehr von den Ralstons auf der Nase herumtanzen laßt. Denkt an Maggy Field und ihren Sohn. Für diese Tat hattet ihr beschlossen, über die beiden Ralstons das Todesurteil zu verhängen.« »Über beide, ja«, sagte einer. »Aber Phil Ralston fehlt, und das ist eine völlig neue Situation. Jetzt hat er sich mit seinem Bruder Larry und dessen Bande zusammengetan, und sie wollen Will Ralston herausholen.« »Na und?« sagte der Marshal. »Na und?« äffte ihn der Mann nach. »Sind wir Marshal oder so was? Sie kassieren doch Ihr Gehalt für den Job, also tun Sie auch was dafür. Halten Sie die Bande von der Stadt fern, das ist alles.« »Jawohl!« schrie einer, und sofort brüllten die anderen Beifall. Als der Lärm verstummt war, sagte der Marshal: »Schön, eine gute Idee, die Bande vor der Stadt abzufangen. Ich werde mich also
in die Hügel stellen und um mich schießen, bis ich selbst eine Leiche bin. Und dann? Dann wird eure Stadt aufgerollt. Nein, Männer, so geht das nicht. Gegen zwei Kerle wie die Ralstons kann ich kämpfen, aber nicht gegen eine ganze Bande. Ich schlage vor, daß sich Freiwillige für ein Aufgebot melden. Dann stellen wir sie draußen in den Hügeln und machen reinen Tisch. Wer ist dabei?« Niemand war dabei. Der Marshal blickte sich um. Schweigen, gesenkte Köpfe. Es war glattwegs zum Kotzen. Da waren an die vierzig Männer versammelt, und nicht einer befand sich unter ihnen, der bereit war, zu kämpfen. Mein Freund Tinker war auch unter ihnen. Er sagte: »Ich kann nicht reiten.« Und ein anderer sagte: »Meine Frau hat heute große Wäsche, da muß ich ihr mit den schweren Bottichen helfen.« Und ein dritter sagte gar: »Ich hab's heute so im Kreuz, ich glaub, das Wetter schlägt um.« Sie bröckelten auseinander und verließen den Saloon. Bevor der Marshal mich sah, verschwand ich und lief zum Mietstall zurück. Drury Cash saß auf seinem Sofa und gähnte, als ich das Office betrat. »Na, mein Junge?« Er stutzte und sah mich an. »Was ist dir denn für 'ne Laus über die Leber gelaufen?« »Die Laus heißt Salmon Falls«, erwiderte ich. »Der Marshal steht völlig allein da. Keiner ist bereit, mit ihm gegen die Ralston-Bande zu kämpfen. Der dicke Plummer hat sogar vorgeschlagen, Will Ralston freizulassen. Er meint, dann würden Larry Ralston und seine Bande sich zufriedengeben und die Stadt in Ruhe lassen.« »Haha«, sagte Drury Cash freudlos. »Die Stadt in Ruhe lassen, so ein Quatsch, aber typisch Plummer.« Er stand auf, ging zu einem Schrank in der Ecke und schloß ihn auf. Er holte heraus: eine abgesägte Parker, eine Sharps, ein EnfieldGewehr und einen Navy-Colt wie meinen. Ich riß die Augen auf. »Meine Artillerie«, sagte der kleine Mann mit den grauen Augen und dem grauen Sichelbart.
»Bedeutet das, daß Sie Ihrem Vorsatz, sich um nichts zu kümmern, mal wieder untreu werden, Mister Cash?« fragte ich und grinste ihn an. »Halt's Maul, du freche Rübe«, sagte Drury Cash wütend. »Hilf mir mal, die Artillerie rüberzubringen.« »Wohin?« »Zum Marshaloffice, wohin denn sonst, du Kaffer!« Ich hätte ihn umarmen können. Jack Corbett sagte nichts mehr, als wir anrückten. * Wir wachten abwechselnd in der Nacht. Es geschah nichts. In den beiden Saloons redeten sie sich die Köpfe heiß. Um Mitternacht wurde es still in Salmon Falls. Am Morgen erschien eine Abordnung des Bürgerrats und forderte den Marshal auf, entweder Will Ralston freizulassen oder sein Amt niederzulegen und aus der Stadt zu verschwinden. Jack Corbett warf die ehrenwerten Gentlemen des Bürgerrats aus dem Office. Gegen zehn Uhr ritten sie in die Stadt – Larry Ralston, Phil Ralston und eine Horde von zwölf Halsabschneidern. Die Stadt gehörte ihnen bereits. Sie ritten auf die Plaza und rissen den Galgen nieder. Phil Ralston hatte wieder eine Geige. Er saß auf seiner Schindmähre und fiedelte drauflos. Ich schaute aus dem einen schmalen Fenster und hatte ihn im Visier meines Sharps-Karabiners. »Ich könnte ihm jetzt den Kopf abschießen«, sagte ich über die Schulter zu Jack Corbett, der mit Drury Cash an dem größeren Fenster stand. Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Ronco. Ich möchte, daß die Bürger ihre Lektion lernen.« Er sagte es ziemlich verbissen. »Und wenn's dabei Tote gibt?« fragte Drury Cash. Ich blickte zum Marshal hinüber. Sein Gesicht war hart und kantig.
Er sagte: »Das könnte der Funke zum Pulverfaß sein. Ich habe es schon einmal erlebt, daß sich eine Stadt besinnt und dann kämpft.« Drury Cash schwieg, und ich schwieg auch. Ich dachte wieder an Cilla Duell. Der Marshal kalkulierte brutal. Aber vielleicht mußten Unschuldige sterben, um den Kampfgeist der Bürger aufzurütteln. Vielleicht. Ich wußte es nicht. Sie tobten draußen herum und feuerten in die Häuser und Buden. Aus sicherer Deckung brüllte Larry Ralston: »He, Corbett! Gib Will heraus, oder wir nehmen die Stadt auseinander!« Der Marshal schwieg. Ich sah, daß kleine Schweißperlchen auf seiner Stirn glänzten. Er hatte den Mund fest zusammengebissen. Larry Ralston lachte höhnisch und brüllte: »Los, Jungs, sauft euch in den Saloons erst mal einen an! Dann geht's rund!« Grölend zogen sie ab. Dazwischen jaulte das Gefiedel der Geige. Der Teufel mochte wissen, wo der irre Phil die kassiert hatte. Im Jail hörten wir das drohende Gelächter Will Ralstons. Eine halbe Stunde später tauchte der Bürgermeister auf der Straße auf. Sie hatten ihm die Augen fast dicht geschlagen, und er blutete aus mehreren Platzwunden im Gesicht. Larry Ralston schob ihn vor sich hin – als Deckungsschild. Zwanzig Schritte vor dem Office blieben sie stehen. Larry Ralston hatte dem Bürgermeister den Colt ins Kreuz gestoßen. »Sag deinen Spruch auf, Plummer«, befahl Larry Ralston. Plummer wimmerte. Mit schwacher Stimme rief er: »Corbett! Sie sind entlassen. Damit sind Sie nicht mehr für den Gefangenen verantwortlich. Der Bürgerrat hat verfügt, daß Mister Ralston sofort freizulassen ist.« »Ralston wird nicht freigelassen!« rief der Marshal zurück. »Und wenn die Verbrecher das Jail zu stürmen versuchen, werde ich Ralston eigenhändig richten, wie es von den Bürgern beschlossen worden ist.« Larry Ralston lachte. »Corbett! Haben Sie Mut? Dann kommen Sie raus aus ihrem Bau und stellen sich mir. Ist das ein Vorschlag?« »Das ist eine Falle, Marshal«, zischte Drury Cash. Der Marshal schüttelte den Kopf. »Nein, glaube ich nicht. Larry Ralston rechnet sich eine Chance aus. Er ist wild auf
Revolverzweikämpfe. Er will der Größte sein. Wenn ich ihn erschieße, fliegt der ganze Spuk auseinander.« »Sie sind verrückt!« fauchte Drury Cash. Der Marshal nahm seinen Stern ab und legte ihn auf den Schreibtisch. »Was ist, Corbett?« schrie Larry Ralston. »Haben Sie die Hosen voll?« »Treten Sie bis zu dem zerstörten Galgen zurück, Ralston!« rief der Marshal. »Und geben Sie Mister Plummer frei. Dann komme ich.« »In Ordnung!« Larry Ralston lachte scheppernd und zog sich zur Plaza zurück. Der Bürgermeister hastete, in eine Nebenstraße und verschwand. Irgendwo in der Stadt jaulte die Geige. Der Marshal prüfte seine Waffe, nickte uns zu, riegelte die Officetür auf und trat nach draußen. »Los, hinten raus, Ronco«, flüsterte Drury Cash. »Wir müssen ihm Deckung geben.« Wir liefen durch den Hinterhof, Drury Cash nach rechts, ich nach links. Ich erreichte eine Hintergasse, raste rechts um eine Ecke und lief vor. Die zweite Gasse mündete auf der Plaza. Hinter einer Regentonne blieb ich geduckt stehen. Vor mir lag die Plaza. Ich konnte keinen Heckenschützen entdecken. Der Marshal ging auf Larry Ralston zu. Seine Arme schwangen locker im Schritt mit. Die Hutkrempe beschattete seine Augen. Sein hageres Gesicht war wie aus Stein. Zehn Schritte vor Larry Ralston blieb er stehen und spreizte etwas die Beine. »Jetzt bist du dran, Corbett«, sagte Larry Ralston und lachte. Und noch während er lachte, griff er zur Waffe. Jack Corbett zog noch schneller. Als Ralstons Waffe hochkippte, hatte er bereits ein Loch über der Nasenwurzel. Er lachte immer noch, nur verzerrter. Noch ein Schuß krachte, und der Marshal zuckte zusammen. Aber er stand noch, als Larry Ralston vornüber in den Staub kippte. Der andere Schuß war drüben hinter dem zerstörten Galgengerüst
gefallen. Ich hetzte los, den Punkt, wo ich den Mündungsblitz gesehen hatte, genau im Auge. Ein Mann trat aus einer Türnische und grinste dreckig. Ich warf mich hinter die Plattform des Galgens und feuerte. Der Mann sprang hoch, ließ seinen rauchenden Colt fallen und brach zusammen. Überall krachten Schüsse. Ich sah, wie Drury Cash zum Marshaloffice stürmte. Dort erschien Will Ralston, neben ihm tauchte noch einer der Banditen auf. Sie hatten den Mörder ziemlich schnell befreit, alle Achtung. Noch im Laufen feuerte Drury Cash, erhielt selbst einen Treffer, krümmte sich zusammen, aber schoß weiter. Er pumpte Will Ralston und den anderen Kerl voll Blei, bis seine Trommel leer war. Die beiden taumelten und fielen um. Drury Cash hockte sich hin und hielt sich die Schulter. Hinter mir ertönten Schritte. Ich wirbelte herum und sprang auf. Der irre Phil Ralston stürmte auf mich zu. Sein Colt spuckte Feuer. Ich warf mich zur Seite und schoß noch während des Sprungs. Meine Kugel schlug in den aufgerissenen Mund des Irren. Er krachte wie ein gefällter Baum zu Boden. Hinten beim Saloon sprangen ein paar Männer auf ihre Pferde. Aus einen Fenster ragte plötzlich ein Gewehr, und ein Feuerstrahl raste heraus. Einer der Ralston-Leute kippte aus dem Sattel. Sie ergriffen die Flucht. Ich lief zu Jack Corbett und kniete bei ihm nieder. Er lächelte mich an, die Härte in seinem Gesicht war völlig verschwunden. Leise sagte er: »Etwas hab ich bei deiner Lektion noch vergessen, mein Junge. Wenn du kämpfen mußt, sieh immer zu, mit dem Rücken an der Wand zu stehen, klar?« Ich nickte und würgte ein Schluchzen herunter. Aber dann liefen mir doch die Tränen über die Wangen. »Na, na«, flüsterte der Marshal, »du bist doch eine gute Axt …« Der Glanz in seinen pulvergrauen Augen erlosch, und er streckte sich. Ich senkte meinen Kopf ganz tief, und meine Tränen netzten sein Gesicht. Der Mörder hatte meinen Freund Jack Corbett von hinten erschossen.
Ich drückte seine Augen zu und stand auf. Drury Cash humpelte auf mich zu. Er war an der Schulter und am linken Bein verletzt. Er sah mich wortlos an. Ich sagte: »Leben Sie wohl, Mister Cash. Ich mag diese Stadt nicht.« Er nickte. Ich wandte mich ab, holte meinen Braunen aus dem Mietstall, sattelte ihn und ritt aus dem Hof. Shita bellte vergnügt. Eine Gruppe von Bürgern stand auf der Plaza um den toten Marshal herum. Als ich an ihnen vorbeiritt, nahm ich den Hut ab. Sie starrten mich schweigend an. Mister Plummer trat vor und wollte etwas zu mir sagen. Ich spuckte ihm vor die Füße und ritt an ihm vorbei …
ENDE
Vorschau Ronco sah das Aufblitzen in den Augen des Revolvermanns. Er schaltete sofort, und Cogburn hatte seinen Colt noch nicht aus dem Leder, als er schon in die Mündung des Peacemakers starrte. Erschrocken ließ er seine Waffe los, als hätte er gerade eine Klapperschlange am Schwanz gepackt. Lobo hatte die Schüssel mit den heißen Bohnen noch in der Hand, trat zu Cogburn und sah ihn tadelnd an. »Du kannst einem das ganze Essen vermiesen«, sagte er und stülpte dem Mann blitzschnell die Schüssel mit den heißen Bohnen über den Kopf. Cogburn riß den Mund auf, als ihm der kochendheiße Saft über Gesicht und Nacken lief. Dann folgten die Bohnen und rutschten ihm in das offene Hemd. Er beugte sich schnell vor, um sie herauszuschütteln. Darauf hatte Ronco gewartet. Sein Knie zuckte hoch … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 221 dieser großen deutschen WesternSerie:
Der tödliche Grande