James Blish
Der Psi-Mann
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 175
© Copyright 1952 by Greenberg ...
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James Blish
Der Psi-Mann
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 175
© Copyright 1952 by Greenberg All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1984 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Jack of Eagles Ins Deutsche übertragen von Bernd Müller und Fredy Köpsell Titelillustration: D. B. Mattingly Umschlaggestaltung: Quadro-Grafik, Bensberg Druck und Verarbeitung: Eisnerdruck GmbH, Berlin Printed in Western Germany gescannt von Brrazo 07/2004 ISBN 3-404-21175-8 Auch erschienen unter dem Titel: „Terras letzte Chance“ Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
I Ein Raunen in der Erde Danny Caiden war sich einigermaßen sicher, daß mit ihm alles in Ordnung war. Er verfügte über ein durchschnittliches Einkommen und genügend Bildung, um mit dem den Verpackungsmethoden gewidmeten Teil eines Fachblattes der Nahrungsmittelindustrie fertig zu werden; sogar genügend, um nebenbei ein, zwei Gedichte zu schreiben. Dannys Poesie war sicherlich noch nicht sehr gut, trotz des Interesses, das der Büroästhet an ihnen zeigte, aber sie war Ausdruck dessen, wie er sich an guten und an schlechten Tagen fühlte. Er war etwas kleiner als einsachtzig, grobknochig, hatte strohblondes Haar und ein freundliches Gesicht mit einer Nase, die eine Idee zu groß war; und er hatte keinerlei Verpflichtungen, es sei denn sich selbst gegenüber. Er war wie viele Leute der Welt, in der er lebte, und er mochte sowohl die Leute als auch die Welt. An jenen seltenen Tagen, wenn er es leid war, begeistert über die neueste Methode zu schreiben, wie man etwas im Grunde nicht Eßbares so verpackt, daß die Leute es essen, wurden seine Geschichten ein klein wenig ätzender, als Henry Mall, der dienstälteste Redakteur, es bei Geschichten außer seinen eigenen zuließ, und er trank ein Bier, bevor er sich in seine anderthalb Zimmer an der 13. Straße zurückzog. An den Abenden, an denen er alle gern hatte und sich auf den Samstag oder den Sonntag freuen konnte, trank er viele Biere und schlief bis zum Mittag des folgenden Tages. Ein ganz normaler Typ, dachte Danny. Er lag auf seinem Bett und wackelte mit seinen bestrumpften Zehen im gelben Licht der Lampe. Er hatte keine Sorgen, keine Probleme mit Frauen, keine zwanghaften politischen Überzeugungen. Es war ihm egal, wer
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dieses Jahr oder in irgendeinem anderen Jahr gewählt wurde, und er hatte nicht einmal einen Schnupfen. Und doch lag er um drei Uhr morgens an einem Werktag wach im Bett und fragte sich, warum er Visionen hatte. Er betrachtete das Wort mehrmals von allen Seiten. Es hatte mit seinem Denkvokabular so wenig zu tun, daß es für ihn vermutlich in keinerlei Zusammenhang richtig geklungen hätte, aber es war das einzige Wort, das ihm einen Anhaltspunkt für das gab, was mit ihm passiert war. In Wirklichkeit waren es natürlich Stimmen, die er unlängst gehabt hatte – sah man einmal davon ab, daß man Stimmen nicht »hat«, und übrigens waren es gar keine Stimmen. Es waren nur Geräusche. Geräusche, die er zweimal gehört hatte, einmal in seinem Kopf und einmal draußen. Wie Doppeltsehen. Doppelthören? Es konnte sein, daß es einen derartigen Begriff gab, aber auch er klang nicht richtig. Er wackelte mit den Zehen und ging mindestens das achte Mal den Tag durch und versuchte zu erkennen, was er bisher übersehen hatte, das es gestattete, dieses Erlebnis mit vertrauten Ausdrücken zu beschreiben. Also: Er war nach dem Mittagessen bei Childs mit einem gewissen Völlegefühl gegangen und hatte sich angeschickt, um die Straßenecke zu biegen, um zurück ins Büro zu gelangen. Er erinnerte sich daran, daß er dabeigewesen war, einen Schritt zu machen; erinnerte sich daran, daß er sich gewünscht hatte, sein anderer Anzug wäre schon aus der Reinigung zurück; erinnerte sich daran, daß er sich gewünscht hatte, der Stunde Mittagspause möge eine weitere Stunde für ein Nickerchen folgen. Er erinnerte sich daran, daß er sich gefragt hatte, ob der Mann von der Orangenpflanzergenossenschaft wohl die idiotische Meldung bestätigen würde, die der Korrespondent des »Nahrungsmittelchronisten« in Florida durchgegeben hatte; und ob Mall wohl Dannys Bildunterschrift für die Brotkonsum-Kampagne durchgehen lassen würde. Schließlich war es nicht fair zuzulassen, daß die Backwarenindustrie damit prahlte, dem Brot 8
die Hälfte der Nährstoffe, die sie ihm zunächst entzogen hatte, wieder hinzuzufügen, ohne zumindest eine kleine böse Anmerkung … Gleich hinter der Straßenecke hatte jemand geschrien. Es hatte ein scharfes Quietschen von Bremsen und Gummi gegeben. Dann war etwas Metallisches auf etwas anderes getroffen. Der Aufprall war plötzlich erfolgt und schnell vorbei, gerade so, als habe man einen Lastwagen voller Messingbarren von einem hohen Gebäude gekippt. Dann waren weitere Schreie aufgeklungen, ein dumpfer Knall und … weitere Schreie, rund und voll und unerträglich. Leute kamen gerannt. Danny war nicht gerannt. Er war abrupt stehengeblieben und hatte sich mit dem Rücken gegen die kühle Betonwand des Gebäudes gelehnt. Vor einem Monat – so ungefähr – war er um dieselbe Ecke gekommen und hatte dieselben Geräusche gehört. Damals war er gerannt. Aber er hatte hinter der Straßenecke nichts anderes vorgefunden als die üblichen unruhigen Ströme von Menschen, die sich mühsam von der Mittagspause zurückschleppten. Kein Unfall – keine entsetzte Menge –, nichts. Und deshalb hatte er sich dieses Mal davor gefürchtet, um die Ecke zu biegen. Die ursprüngliche Illusion war in seiner Erinnerung nach und nach verblaßt, aber die Realität brachte sie wieder. Die Punkt für Punkt exakte Übereinstimmung der Geräuschabfolge machte ihm Angst. Es war kein dejä vu gewesen, jenes kurzfristige »Wiedererkennen« eines Ortes oder einer Begebenheit, die man in Wirklichkeit noch nie zuvor gesehen hatte; Danny hatte so etwas genauso oft erlebt wie die meisten normalen Menschen und wußte, daß es nur deshalb so beunruhigend war, weil man die falsche Erinnerung einfach nicht auf ein wirkliches Erlebnis zurückfuhren konnte. Aber das hier – in Dannys Bewußtsein gab es echte Erinnerungen an all die schockierenden Geräusche, Erinnerungen, die er mit Ort und Datum versehen konnte. 9
Das war der Grund, warum er sich fürchtete, die Straßenecke zu umrunden; denn er hatte bisher keinerlei Beweis dafür, daß das zweite Erlebnis realer war als das erste. So schwer es auch fiel, zu glauben, daß sein stabiles, im Grunde sorgloses Gemüt in der Lage sein sollte, ihm die erste Illusion zu vermitteln, zwei davon hätten ausgereicht, selbst den phlegmatischsten aller Männer aus der Fassung zu bringen. Nach wie vor rannten Leute an Danny vorbei. Er konnte sich weder damals noch jetzt erinnern, das erstemal jemanden rennen gesehen zu haben; nur daran, das Geräusch hastiger Schritte gehört zu haben. Also war wirklich etwas passiert. Die Escalopes zogen sich in seinem Magen zu einem Klumpen zusammen, als er um die Ecke bog. Es hatte tatsächlich ein Unfall stattgefunden. Ein Taxi hatte beim Versuch, eine Verkehrsampel zu überlisten, einen querenden Bus gerammt, und der Tank eines der beiden Fahrzeuge – von welchem ließ sich schwer sagen – war explodiert. Die Kreuzung glich einem Scheiterhaufen. Verkohlte Leiber zuckten schwach; einige schafften es noch, ab und an zu schreien. Der Pöbel war mit einem faszinierten Murmeln näher gerückt, wurde jedoch von der Hitze zurückgehalten. Hundeelend hatte Danny einen Umweg gemacht und war zu seinem Fahrstuhl gestolpert. Er stieg im falschen Stockwerk aus und war für den Rest des Nachmittags nicht zu gebrauchen. Es war schon schlimm genug, die Geräusche dieser Kollision im Kopf zu haben – aber für Danny hatte jedes einzelne dieser Geräusche ein Echo. Er hatte sie allesamt einen Monat, bevor sie tatsächlich aufgetreten waren, gehört. Er wurde zweimal von Mall angeschrien, weil er die Verdienste der freien Marktwirtschaft sarkastisch abgehandelt hatte, und er hatte kläglich dabei versagt, auf den Eröffnungszug der rothaarigen Neuen vom Schreibsaal einzugehen. Er verließ das Büro zehn Minuten zu früh und tankte anschließend mehr als genug Bier, um sich wieder in einen fröhlichen und unkritischen Zustand zu versetzen. 10
Und doch, um 3 Uhr morgens war Danny nüchtern und wach und wackelte nachdenklich mit den Zehen. Für ihn war diese Kollision zweimal geschehen. Etwas hatte ihn sie hören lassen, bevor sie tatsächlich passiert war. Wenn er so darüber nachdachte, dann hatte ihm sein Verstand schon früher gelegentlich Streiche gespielt – falls es Streiche waren. Zumindest eine seltsame Gabe, die bisher in seinem Universum unwichtig gewesen war, fiel ihm ein, eine Gabe, die er sich nicht erklären konnte und die eine Art Vorhersage einschloß: Das, was er immer den »Findetrick« genannt hatte. Er war wegen des Findetricks aufgezogen worden, solange er zurückdenken konnte, aber er funktionierte. Das tat er immer noch, oder zumindest hatte er es das letztemal getan, als er ihn angewandt hatte, Mitte des gerade vergangenen Winters. Bill Emers hatte, betrunkener als ein Silen, von Banff aus ein Ferngespräch mit ihm geführt und wissen wollen, wohin er wohl sein Skiwachs verlegt haben konnte. Ohne lange nachzudenken hatte Danny gesagt: »Du hast es auf die rechte Ecke vom Kaminsims gelegt, aber es ist irgendwie runtergestoßen worden. Vermutlich ist es im Kohlenkasten bei den Kaminwerkzeugen?« Wo es dann auch war. Danny konnte Emers mit seinen Freunden immer noch vernehmlich kichern hören, als er auflegte, aber ihn selbst langweilte der Findetrick, und er empfand es mehr als nur langweilig, jedesmal, wenn irgendein Bekannter eine Party in Schwung bringen wollte, beweisen zu müssen, daß er ihn beherrschte. Er war nie in Banff gewesen, von der Hütte ganz zu schweigen, in der Emers damals gewohnt hatte; außerdem wußte er über das Skilaufen nicht mehr, als daß es eine Sportart für Leute war, die kaltes Wetter im Gegensatz zu Danny nicht haßten. Er hatte einfach einem Impuls folgend gesprochen, wie er es immer tat, wenn Leute ihn darum baten, Dinge wiederzufinden, die sie verloren hatten. Und er hatte immer recht gehabt – jedesmal.
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Da war es also. Er hatte für das Übernatürliche nichts übrig; er war nicht einmal geneigt, Götter für notwendig zu halten, geschweige denn Gespenster. Aber es war zu spät, die Tatsache zu ignorieren, daß etwas an ihm sonderbar war. Prophetische Geräusche und weitreichende Sensitivität dafür, wo Gegenstände sich befanden … War es das also? Sensitivität – eine besondere Fähigkeit, zukünftige Ereignisse wahrzunehmen, beispielsweise ein Unglück auf der Straße oder den Verlust eines Gegenstandes wie einer Dose Skiwachs? Sie schien ohne Nutzen, wenn sie das war, aber es bedeutete wenigstens einen Anfang auf dem Weg zum Verständnis. Die Tageszeitungen druckten häufig, besonders in der hochsommerlichen Saure-Gurken-Zeit, wenn echte Neuigkeiten unter einer Flaute litten, naive Geschichten über Leute, die Tricks beherrschten, zu denen andere Leute nicht fähig waren – Frauen, die im Dunkeln leuchteten, Mädchen, die bewußtlos aus ihren Schlafzimmerfenstern schwebten, kleine Jungen, die Wasser- oder Ölgüsse auf sich zogen oder sogar »Schauer« geheimnisvoller Sterne. Als Zeitungsmensch von ziemlich niedrigem Rang hatte Danny eine ganze Reihe solcher Berichte gesehen; die großen Presseagenturen hatten ganz eigenartige Vorstellungen davon, was eine Zeitung, die mit Nahrungsmittelverarbeitung und -verpackung zu tun hatte, gerne drucken würde. Danny stützte sich auf die Ellenbogen und angelte nach einer Zigarette. Vielleicht war wirklich etwas Wahres dran. Möglicherweise war das dumm, aber er konnte nicht länger zulassen, daß ihm diese Dinge einfach passierten. Das war zuviel für seine Nerven. Und außerdem war es durchaus möglich, daß die besondere Fähigkeit zur richtigen Vorhersage – nicht nur, wo bestimmte Dinge waren, sondern auch wann sie dort sein würden – unter Kontrolle gebracht und nach Belieben eingesetzt werden konnte. Danny brauchte nicht allzuviel Phantasie, um sich Möglichkeiten für die Nutzung eines prophetischen Sinnes auszumalen.
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Die Zeit war gekommen, herauszufinden, was er da besaß und warum er es besaß. Wenn er es nicht bald herausfand, würde von seiner Zurechnungsfähigkeit nicht mehr viel übrigbleiben. Wieder fragte er sich, ob er wohl schon leicht verdreht war – ob die merkwürdigen Geräusche nur das erste Anzeichen des Zusammenbruchs waren und mit Ereignissen der Außenwelt nichts zu tun hatten, es sei denn durch Vermittlung fehlerhafter Erinnerungen oder einer gestörten Phantasie … Hatte er sich denn Bill Emers Skiwachs nur eingebildet, wie es sich dort im Kohlenkasten zwischen den Kaminwerkzeugen versteckt hatte, oder Bills fröhliches Krähen, als er es gefunden hatte? Das erschien nicht wahrscheinlich. Nein, er würde von der Annahme ausgehen müssen, daß er noch bei Verstand war – ein paar von den Leuten mit den seltsamen Begabungen ausfindig machen – mit ihnen reden – alles heraussuchen, was je über sie geschrieben worden war, in Zeitungen oder sonstwo. Er konnte in der Bibliothek anfangen. Irgendwo mußte es eine Spur geben. Entspannt durch diesen Entschluß drückte er die Zigarette aus und begann, seine Krawatte zu lockern. Im gleichen Augenblick während er immer noch auf die Ellenbogen gestützt das Kinn zur Decke emporreckte, hörte er zum erstenmal Stimmen. Er wußte sofort, ohne zu wissen, woher er das wußte, daß es sich nicht um die Stimmen von Passanten drunten auf der Straße handelte. Sie waren lautlos; sie waren in seinem Kopf. Und dennoch kamen sie gleichzeitig von unten – ein unterirdisches Raunen, als hätte das Fundament der Stadt selbst eine Möglichkeit gefunden, sich zu äußern. »Es wurde eine Entscheidung getroffen.« »Ja. Ich habe die Anspannung gestannt.« »Ich auch. Die Schwelle ist überschritten.« Lautlose Stimmen, die einander zuflüstern, bedeutungslose Dinge. Danny fühlte, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach. Die leeren Worte ließen eine kalte Bedrohung 13
anklingen. Und – sie galten ihm. Auf die verrückte Art und Weise, wie er neuerdings Dinge wußte, konnte er das erkennen. »So viele Pfade – dürfen wir denn niemals eingreifen?« »Nein, mein Bruder. Alle führen zum gleichen Ziel.« »Mag der Sucher sich in acht nehmen.« »]a, mag er sich in acht nehmen. Laß uns warten.« »Wir müssen warten, denn der Weg ist lang.« Hierauf folgte eine lange, innere Stille, Danny brauchte eine Weile, um zu erkennen, daß nichts mehr nachkommen würde. Es war, als habe er nur deshalb soviel gehört, weil es um ihn gegangen war – als würden die Flüsternden nun über unverständliche und abwegige Dinge palavern. Die Worte wurden immer noch gewechselt, aber sie waren nicht für ihn bestimmt. Danny hatte das nicht beweisbare Gefühl, daß er selbst dann nichts gehört hätte, wenn die Flüsternden auf dem Bett neben seinem Kissen Platz genommen hätten. Ihre Lippen würden sich ohne Bedeutung für ihn bewegen, wie in einem alten Stummfilm. Besaßen die Flüsternden überhaupt Lippen – oder Gesichter? Er tat die Frage ab. Die Stimmen waren, trotz ihrer seltsamen Lautlosigkeit, menschlich gewesen. Ihre Sprache war Englisch, bis auf das eine merkwürdige Wort gestannt, wo bei ihrer Unterhaltung es sich um ein Wort gehandelt haben mochte, das die Natur bezeichnete. Danny war nicht bereit, an Gespenster zu glauben – noch nicht. Plötzlich bemerkte er, daß er völlig erschöpft war. Über die Müdigkeit hinaus, die das nächtliche Wachliegen mit sich gebracht hatte, fühlte er sich ausgelaugt, halbtot, als sei der bloße Akt des Zuhörens bei jener lautlosen Unterredung schon eine Meisterleistung in punkto Durchhaltevermögen gewesen. Sein Herz klopfte in langsamem, bleiernem Rhythmus. Zitternd sank er zurück. Eins war gewiß – es gab da etwas draußen in der Welt, von dem normale Leute wie Danny Caiden nie eine Ahnung gehabt hatten. Etwas, das Danny Caiden zu 14
finden gezwungen war, blind, widerwillig, getrieben vom unkontrollierbaren Ausbruch wilder Begabungen. Etwas Riesiges – Unglaubliches. Mag der Sucher sich in acht nehmen …
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II Die Verpflichtung Von einer schwindelerregenden Müdigkeit einmal abgesehen, einer irgendwie giftigen Nachwirkung jenes ausgelaugten Gefühls der vergangenen Nacht, ging es Danny am folgenden Nachmittag wesentlich besser. Es war schließlich eine Sache, in einem dunklen Zimmer allein zu sein, bereits ermüdet und beunruhigt, leichte Beute für alle möglichen Träume und Wahnvorstellungen – und eine völlig andere, sich vierunddreißig Stockwerke weit oben in frischer Luft und hellem Sonnenschein aufzuhalten, in einem der modernsten Bürogebäude der Stadt. Prophetische Geräusche, flüsternde Stimmen – das Klappern von AI Randalls Schreibmaschine in seinem Rücken bekam ihnen gar nicht. Jeder geräuschvolle Anschlag von Tastatur gegen Walze schob sich weiter hinein in den Nebel des Unwirklichen. Ich werde wohl anfangen müssen, früher ins Bett zu gehen, dachte Danny. Ich bin kein Junge auf der Hochschule mehr. Wenn es erst soweit kommt, daß mich ein schlichter Verkehrsunfall fast aus der Bahn wirft, dann ist es Zeit, Schritte einzuleiten. Verdammt, ich habe Schlimmeres unter schlimmeren Bedingungen in der Armee mitbekommen, ohne mich hinterher als behördlich anerkannter Irrer wiederzufinden. Trotzdem sollte man solche Dinge nicht soweit kommen lassen, daß sie einen beeinflußten. Joan Keyes, das Hauptfaktotum des dienstältesten Redakteurs, lehnte sich ihm über die Schulter und warf ein Bündel Zeitungsausschnitte und Veröffentlichungen von Werbeagenturen auf seinen Schreibtisch. »Sieht nach einer schlechten Woche aus«, sagte sie resigniert. »Nichts da bis jetzt außer Schund, und davon nicht mal viel. Hier
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ist ein Nachfolgeartikel drin zu Ihrer WürstchenverpackungsStory.« »Ach ja? Sie sollten mir solche großen Neuigkeiten in kleinen Dosen verabreichen. Mein Herz ist nicht mehr das, was es mal war.« Joan nahm ihre Schmetterlingsbrille ab und sah Danny kritisch an. »Dabei fällt mir auf«, sagte sie, »Sie sehen heute in der Tat ein bißchen zerrupft aus, Danny. Haben Sie ein neues Mädchen? Oder macht das Nahrungsmittelgewerbe Sie fertig?« »Sean würde es den Tantalus-Komplex nennen«, sagte AI fröhlich, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und setzte eine besonders ernsthafte Miene auf. AI stammte aus einer reisenden Schauspielerfamilie, und seine Imitation Sean Hennessys, des Nachrichtenredaktionsassistenten, war so exakt, daß einen Moment lang selbst sein buschiger, brauner Schnurrbart dünner und dunkler wirkte. »Den ganzen Tag schreiben wir über Eßbares, und im Büro gibt es nichts zu kauen als die Radiergummis an den Bleifstiften.« Jetzt grinste sogar Sean, Danny war ein berüchtigter Bleistiftzerbeißer. »Ich hab' letzte Nacht nicht viel Schlaf gehabt«, sagte Danny. Es machte ihn unsicher, darüber sprechen zu müssen, als ob darüber sprechen die Sache wieder ein wenig realer machen würde. »Dieser Unfall gestern hat mich nervös gemacht, und dann hatte ich so komische Träume.« »Träume?« sagte Sean und spitze die Ohren. Wie AI bereits angedeutet hatte, war Sean eine Art Salonfreudianer und neigte bei jedem, dem er begegnete, zu Sofortanalysen; einmal hatte er Pat Rickey, den großen Boß, zu einer »oralen Persönlichkeit« erklärt. »Was für Träume?« »Er hat geträumt, er ist der berühmte Journalist Drew Pearson«, schnappte eine verärgerte Stimme von der Tür her. Mit einem stacheligen Kloß im Hals sah Danny über die Schulter. 17
Die Stimme gehörte zu Rickey, welcher zusätzlich dazu, daß er offiziell der Herausgeber aller acht Fachblätter war, die die DeltaPressegesellschaft veröffentlichte, einer der wenigen Besitzer der Firma war. Er hatte das Redaktionskämmerlein des Nahrungsmittelchronisten gerade zum zweitenmal betreten, seit Danny dort arbeitete. In einer Hand schwenkte er ein zu einer ungefähren Röhre zusammengeknülltes Exemplar des Chronisten. Danny konnte nicht erkennen, um welche Ausgabe es sich handelte. Rickey sagte: »Wo ist Mall?« »Er redet mit Mr. Masciarelli aus der Buchhaltung«, sagte Joan. »Stimmt was nicht, Mr. Rickey?« »Stimmt was nicht! Ich hab' da einen Anzeigenkunden mit einem Vierundzwanzig-EOM-Inserat in der Leitung, weißglühend und fest entschlossen, zu stornieren; das ist alles.« Rickey riß Joans Apparat aus seiner Halterung und knurrte hinein. Joan sah Danny fragend an. Er hatte nichts anzubieten als ein unglückliches Achselzucken. Beinahe bevor Rickey den Hörer aufgelegt hatte, war Mall, der dienstälteste Redakteur, auch schon im Büro, sah dabei leicht grünlich aus und stotterte ein wenig vor Aufregung. Mall hatte seine ursprüngliche Angst, entlassen zu werden, nie ganz überwunden, obwohl er seit achtzehn Jahren in der Firma war und Zehntausend im Jahr verdiente, zuzüglich Profitanteil. »Nun wollen wir mal der Sache auf den Grund gehen«, sagte Rickey grimmig. »Diese Geschichte trägt ihr Namenszeichen, Caiden. Ihnen zufolge soll Weizen International angeblich diese Woche wegen ihrer Preisabsprachen auffliegen. Die International will ihren Vertrag mit uns auflösen. Sie könnte uns sogar wegen Verleumdung vor Gericht bringen, kein Wunder. Mall, wie konnte Ihnen das durchgehen?« Mall wurde eine Nuance grünlicher. »Ist das die Ausgabe, die letzte Woche herausgekommen ist?« sagte er. »Ich war die m-meiste Zeit auf dem Kongreß der 18
Konservenhersteller, als sie z-zusammengestellt wurde. Joan hatte die Aufsicht.« Joan sah den Herausgeber an, wobei ihr Blick über den Rand ihrer Brille vorschoß wie bei einer Lehrerin, die einen ungezogenen Bengel fixiert. »Das stimmt«, sagte sie förmlich. »Ich hab' die Geschichte gesehen und den Hinweis durchgehen lassen. Warum auch nicht? Danny hatte keinerlei Grund, so etwas zu erfinden.« »Ich weiß nicht«, sagte Mall. »Er ist wie die m-meisten von euch – glaubt, der Tag sei vergeudet, wenn er nicht wenigstens einmal der Großindustrie gegenüber Sarkasmus an den Tag legen kann. Ich hätte z-zu gerne mal jemanden hier, der nicht denkt, das Nahrungsmittelgewerbe müsse auf der Ebene der Vereinten Nation verwaltet werden.« Joan sah mehr als je zuvor wie eine Lehrerin aus. »Mach dich nicht lächerlich, Henry«, sagte sie. »Man könnte meinen, daß Preisabsprachen Dannys ureigene Erfindung sind, wenn man dich so reden hört. Es hat aber ungefähr eine Anklage pro Woche wegen dieses Delikts gegeben, seit damals das Urteil zur Wettbewerbsvielfalt gefällt wurde.« »Was mich daran zu Tode ärgert«, sagte Rickex, »ist, daß keinerlei Veranlassung gegeben war, es in einem Artikel über Verpackungen zur Sprache zu bringen – wenn es nämlich wirklich stimmt, dann gehört es in einen fünf Spalten breiten Leitartikel auf Seite eins. Statt dessen wird es hier drin einfach so erwähnt, als wenn es allgemein bekannt wäre. Hört mal: ›Ein mögliches Ergebnis der generellen Anwendung der neuen Maschinen liegt in der gesteigerten Haltbarkeit amerikanischägyptischen Weizens, bei dem mit einer Verknappung zu rechnen ist, sobald gegen die Firma Weizen International Anklage wegen Preisabsprachen erhoben ist. Letzten Meldungen zufolge ist die Anklageerhebung nach wie vor für den 2. September geplant.‹ Mit anderen Worten diesen Freitag!« »Das ist Unsinn«, sagte Mall. 19
»Natürlich ist es Unsinn. Meine einzige Chance, die Weizenanzeigen weiterhin für uns zu verbuchen, besteht darin, daß ich die Agentur davon überzeuge, daß jeder, der diesen versteckten Hinweis zufällig entdeckt, ihn automatisch als Gewäsch abtun wird. Verdammt, ich habe sogar einen Anruf der Wirtschaftsbehörde erhalten, wo man wissen wollte, wer hier drüben für so einen Unsinn verantwortlich ist!« »Warum holen wir nicht das Quellenmaterial aus dem Archiv?« Der praktische Vorschlag kam von AI. »Wenn daraus hervorgeht, daß International eine Klage ins Haus steht, hatte Danny das Recht, darüber zu berichten. Das Nahrungsmittelgewerbe ist ein großer Industriezweig – ich stoße immer wieder auf Sachen die mir die Haare zu Berge stehen lassen und sie sich dann als allgemein bekannt herausstellen. Beispielsweise werde ich nie meine erste Begegnung mit dem Danville-Urteil vergessen.« »Im juristischen Sinn wäre es nicht weniger verleumdend, wenn es die Wahrheit wäre«, brummte Rickey; aber er schien wirklich bereit zu sein, sich die Beweise anzusehen. Danny versuchte sich zu erinnern, was aus dem Quellenmaterial für den Artikel geworden war. Das »Archiv«, von dem AI gesprochen hatte, war nichts anderes als eine Reihe von Kästen, in die tote Meldungen, Zeitungsausschnitte und Berichte von Fachkorrespondenten geworfen wurden, nachdem man eine Ausgabe fertiggestellt hatte, in Packpapierumschläge gestopft, die das Datum der betreffenden Ausgabe trugen. Sobald ein Kasten sechs Monate lang tot war, wurde sein Inhalt gebündelt und zum Zwecke der Wiederaufbereitung verkauft. Soweit Danny sich erinnern konnte, war das Original der Story – eine Meldung des Instituts für Verpackungsmaschinen einschließlich Bildern, von denen Danny eines verwendet hatte – nicht in den Kasten gewandert. Er hatte sie in die unterste Schublade seines Schreibtischs gelegt, zusammen mit einer Kopie seines Artikels, um einen möglichen Drei-EM-Zusatz abzuwarten – einen Absatz, der in letzter Minute dem Bericht des Chronisten 20
mit einem Drei-EM-Gedankenstrich davor beigefügt werden würde, falls die Anklageerhebung früher erfolgte als erwartet. Während er die Papiere in seiner Schublade durchblätterte, überfiel ihn die unangenehme Gewißheit, daß die Meldung ihn nicht entlasten würde. Er hatte den Teil des Artikels, der Rickey so verärgert hatte, nicht aus ehrlichem Holz gezimmert, sondern aus der absoluten Gewißheit heraus – jener Art Gewißheit, die Rickey treffend als Gefühl des »allgemeinen Bekanntseins« bezeichnet hatte. Was, wenn sich diese »Gewißheit« als ein weiteres wildes, unkontrollierbares Hirngespinst herausstellte, durch nichts aus dem Quellenarchiv belegbar? Wenn Mall von der Anklage nichts wußte, dann war es gut möglich, daß davon nichts allgemein bekannt war, nicht einmal unter Experten. »Hier ist es«, sagte er unsicher. Er hatte Angst, es anzusehen. Er überreichte es Sean, der ihm am nächsten stand. Sean begann sofort, mit schamloser Neugier darin zu lesen, aber Rickey riß es ihm aus der Hand. Rickey verschlang die vervielfältigten Blätter langsam Zeile für Zeile, Wort für Wort mit gierig vorquellenden Augen, und murmelte die entscheidenden Sätze leise vor sich hin. Danny fing an, besser zu verstehen, was Sean mit »oraler« Persönlichkeit meinte. Rickey fraß diese total unwichtige Meldung in sich hinein, als wäre er ein Kannibale und sie ein fetter Missionar. Zum Abschluß gab er einen Seufzer tiefster Sättigung von sich. »Kein Wort«, sagte er. »Kein einziges, verdammtes Wort. Irgendwas zu sagen, Caiden?« Danny schluckte. »Die Woche ist noch nicht um«, sagte er. »Man wird ihnen am Freitag oder davor das Handwerk legen – mit neun Anklagepunkten, wovon einer auf Preisabsprachen lautet, alle auf der Basis der Bestimmungen gegen unlautere Verkaufspraktiken des Robinson-Patman-Gesetzes.«
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Es war Joan, die die tödliche Frage stellte, aber es hätte ebensogut einer der anderen Anwesenden in dem kleinen, spannungsgeladenen Büro sein können. Sie sagte: »Danny, woher weißt du das?« Alle fünf sahen ihn an: Joan, AI und Sean hoffnungsvoll, Mall gleichgültig, Rickey mit einer Art moralischer Entrüstung. Dannys erschöpftes Gehirn arbeitete wie rasend, aber irgendwie war die Kupplung nicht eingerastet. Er wußte, daß er es wußte. Weizen International würde morgen oder am Freitag seine Anklage zugestellt bekommen. Das war sonnenklar. Aber er wußte nicht, woher er es wußte. Die Stille rann dahin wie Sand. Rickey sagte: »Also gut, Caiden. Holen Sie sich Ihren Scheck, ehe Sie gehen.«
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III Auftritt Dr. Freud Es herrschte absolute Stille, während Danny seine Sachen packte, notwendigerweise, denn Rickey blieb im Raum, um dafür zu sorgen, daß er das Büro sofort verließ. Joan und AI spielten sinnlos mit Bleistiften herum und waren nicht bereit, sich gegenseitig oder gar Danny anzusehen. Sean zerrte den langen gelben Bogen Kopierpapier aus seiner Schreibmaschine, versenkte die Maschine im Schreibtisch und glotzte Mall kampflustig an. Mall stand angesichts Seans echt irischer Empörung einen Augenblick auf, setzte sich dann an seinen eigenen Schreibtisch, zog sein Schreibmaschinengestell zwischen sich und den Rest des Büros und begann, ostentativ zu tippen. Seine Maschine war »gedämpft«, aber sie wirkte unangemessen laut. Danny nahm einen braunen Umschlag aus dem Vorratsregal und stopfte seine Papiere und sein 25-Cent-Lexikon hinein. Langsam wurde er wütend. In der mittleren Schublade seines ehemaligen Schreibtischs entdeckte er ein Pica-Lineal und die Reste einer Schachtel mit weichen, blauen Bleistiften, alles eindeutig aus den Beständen der Delta-Pressegesellschaft, und ließ sie ebenfalls in den Umschlag fallen. Rickey sagte nichts. Er wartete, bis Danny die Lasche des Umschlags geschlossen, die Metallklammer umgebogen und begonnen hatte, seinen Überzieher von dem Fleischerhaken zu nehmen, der über die Oberkante der offenstehenden Bürotür geklemmt war. Dann ging er, umgeben von einem schwachen Aroma der Genugtuung leitender Positionen. Mall tippte weiter. Sean stand auf. »Gehst du in die gleiche Richtung, Danny?« fragte er.
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Mall hörte abrupt auf, zu tippen. »Haben Sie die KaffeekontorStory, Hennessy?« sagte er. Seine Augen waren auf einen Punkt etwa sechzig Zentimeter über Seans linker Schulter gerichtet. »Ja«, sagte Sean. »Die hab' ich. Ich habe sogar einen Platz dafür, wenn es Sie interessiert. Bohne für Bohne sozusagen.« Danny zupfte an Seans Ärmel. »Nicht«, sagte er. »Es ist ohnehin vorbei. Es ist nicht dein Kampf, Sean. Da steckt mehr dahinter, als du sehen kannst.« »Das ist mir verdammt egal. Ich hab' es satt, zu versuchen, diensteifrig zu sein, besonders bei meinem Gehalt. Mall ekelt mich plötzlich an. Er ist zu feige, sein eigenes Personal zu verteidigen. Was schreibst du da, Ekel Mall? Einen Leitartikel?« »Ich …«, sagte Mall. »Voll mit wohlklingenden Klischees – heiße Töne, kalte Töne, nix aussagen, wie?« sagte Sean. Sein junges Gesicht, dunkel und bartlos wie das eines Spaniers, war voller Vergnügen. »Was ist es denn diesmal – die Rede zum Thema Freie Marktwirtschaft? Um Essen kann es nicht gehen. Sie verstehen nichts vom Essen. Sie ernähren sich von Mörtel, wie ein Silberfischchen – aber natürlich hübsch verpackt.« »Sie sind entlassen«, sagte Mall und wandte sich wieder seiner Schreibmaschine zu. »Raus hier. Alle beide.« Sean kicherte. Er lächelte Danny an. »Ist er nicht flink?« sagte er. »Man muß nur viermal auf ihn einschlagen, und schon fragt er sich, ob er sich unbehaglich fühlt. Natürlich weiß er nicht, daß ihm unbehaglich ist, bis Rickey ihm sagt, daß es so ist. Laß uns was trinken gehen.« Es war schwer, von Seans fröhlicher Unterstützung nicht begeistert zu sein. Aber Sean hatte offenbar sein ganzes Leben in der windigen, sonnenbeschienenen Luft vierunddreißig Stockwerke über dem Erdboden verbracht. Er hätte seine Arbeit wohl ebenso leichtfertig hingeworfen, um den Wahnsinn zu verteidigen.
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Sean verhielt sich still im Aufzug und blieb es auch, bis die zwei ehemaligen Redakteure in der nächstgelegenen Bar in einer Nische Platz genommen hatten. Aber die ganze Zeit sah er ganz fröhlich aus. Er ließ sich auf den Polstern nieder und winkte einem Kellner. »Wollte ich eigentlich schon seit drei Jahren tun«, sagte er plötzlich. »Bin ganz froh, daß du mir einen Vorwand geliefert hast – zwei Bier, junger Mann –, sonst hätte ich's vielleicht nie getan. Irgendwie glaube ich, ich hatte Angst, es allein zu tun. So – das wär's.« »Das wär's allerdings«, stimmte Danny feierlich zu. »Ich hab' noch nie was Geweseneres zu Gesicht bekommen. Was wirst du machen, Sean? Irgendwelche Pläne?« »In mir wimmelt es von Plänen. Was für Tagträume hätte ich denn auch sonst haben sollen? Mein Problem besteht darin, daß es mir schwerfällt, mich für einen von ihnen zu entscheiden. Vielleicht könnte ich jetzt anfangen, tagsüber zur Schule zu gehen und meine Abende für was Sinnvolles zu nutzen, beispielsweise das Anlegen eines kleinen Vorrats an Blondinen. Es könnte sogar sein, daß ich meinen Abschluß schaffe, bevor der Krieg ausbricht – nicht, daß ich dann was davon hätte. Würde mir aber nichts ausmachen, nehme ich an. Weißt du, Danny, daß mir das Kämpfen Spaß gemacht hat? 's erste Mal in meinem Leben, daß ich mir wie ein Mensch vorkam. Worin besteht eigentlich dein Problem, Danny?« Die Frage wurde so unerwartet ausgesprochen und war inmitten von Seans Geplauder so wenig betont, daß Danny sich dabei ertappte, daß er ohne vorheriges Nachdenken darauf antwortete. Vielleicht sollte Sean wirklich Psychoanalytiker werden, dachte Danny, während er zuhörte, wie seine eigene einfältige Antwort sich aus ihm herauswand. Offenbar besaß er die Gabe, Leute dazu zu bringen, daß sie das in der Theorie Unaussprechliche sagten. Da er es nun aber schon vom Stapel gelassen hatte, konnte Danny keinen Grund entdecken, warum er Sean nicht seine 25
Geschichte erzählen sollte. Sean steckte jetzt in der Klemme und hatte es eigentlich verdient, etwas über den idiotischen Fall zu erfahren, für den er sich eingesetzt hatte. Das Bier erwies sich als hilfreich. Zögernd kam alles heraus – die Geräusche, der Findetrick, der Anfall von Gewißheit wegen dem sie beide entlassen worden waren. Allerdings wußte er irgendwie, daß es bedeutsam war, die Stimmen nicht zu erwähnen. Zum Teil war es deshalb wichtig, weil es Sean beunruhigen, ihn vielleicht glauben machen würde, bei Danny sei unverkennbar und nachweislich eine Schraube locker. Dies war ein Nachweis, dem sich Danny nicht gerne stellen mochte – jetzt noch nicht. Und zum Teil deswegen, weil, nun ja, weil er wußte, daß die Stimmen wichtig waren – es mit ebenso großer Überzeugung wußte, wie er wußte, daß Weizen International morgen oder am Freitag unter Anklage gestellt werden würde. »Ich glaube, es gibt da noch mehr Beispiele, aber ich kann mich nicht an alle erinnern«, schloß er. »Es gibt noch eine Menge Zeug im Hintergrund, das nicht im mindesten definitiv ist; für mich selbst kann ich daraus einen Fall aufbauen, aber jemand anderes könnte es bestimmt nicht als Beweis für irgend etwas akzeptieren.« »Du mit deinen Eingebungen«, sagte Sean. »Ist das, was du mir bisher erzählt hast, nicht schon verwirrend genug? Raus damit.« »Naja, man hat mich halt einen ›begabten Rater‹ genannt, als ich klein war. Und – das war mir noch gar nicht aufgefallen, aber es scheint zu passen – die paarmal, wenn ich ins Kino ging zu der Zeit, als es dort noch Bingo gegeben hat, oder wenn ich Lose für eine Tombola oder eine Lotterie gekauft habe, hab' ich immer etwas gewonnen. Nicht immer den ersten Preis, das meine ich nicht, aber ich kam immer mit dem einen oder anderen Trödel heim.
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Einmal bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in einem Theater, als ich neun Jahre alt war, habe ich eine Kaffeekanne gewonnen. Der Kerl auf der Bühne machte irgendwelche Witze über Pfadfinder und Campingausflüge, weil ich Khakishorts anhatte und ein Khakihemd. Heutzutage würde ich mich in Shorts ums Verrecken nicht mehr sehen lassen, das kann ich dir sagen. Und einmal habe ich ein Schwein gewonnen. Ein wahrhaftiges lebendiges Schwein, bei einer Lotterie zum Erntedankfest. Ich wollte es als Haustier behalten. Das Theater hatte es draußen im Foyer in einem kleinen Pferch untergebracht, es war sauber und ziemlich klein, ungefähr so groß wie eine Promenadenmischung oder vielleicht etwas kleiner. Aber meine Eltern haben es mir nicht erlaubt. Sie ließen es schlachten, und wir aßen es zum Erntedankfest. Meinen Eltern schmeckte es nicht – sagten, es wäre zu jung um schmackhaft zu sein –, und es machte mich wütend, daß sie hingegangen waren und es hatten schlachten lassen, und sich dann hinterher beklagten.« Sean grinste und wischte sich Bierschaum von seinem schmalen, gepflegten Schnurrbart. »Aber du hast auch davon gegessen, ohne Gewissensbisse, nicht wahr, Danny?« sagte er. »Du wolltest das Schwein haben, so oder so. Du bist die perfekte anale Persönlichkeit – besitzergreifend, zupackend. Mein Gott, bist du normal.« »Was ich dir erzählt habe ist also normal?« sagte Danny ein wenig irritiert. »Nun ja, zumindest ist es denkbar. Als erstes wollen wir mal über deine Theorie von den ›verrückten Begabungen‹ sprechen. Es wird dich nicht überraschen, wenn ich dir sage, daß ich davon nicht viel halte, Danny. Sie ist geistreich, aber sie hält nicht stand. Welche nur denkbare Begabung, verrückt oder nicht, könnte die richtige Zahl aus einem Hut ziehen, ohne sie zu sehen – und gleichzeitig die Zahlen, die alle anderen aus dem Hut holen, so nachhaltig beeinflussen, daß die erste Zahl unumstößlich zum Sieger wird? Jeder, der den Zufall soweit kontrollieren kann,
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wäre in der Lage, Pferde langsamer laufen zu lassen oder die Börse durcheinanderzubringen, ohne auch nur darüber nachzudenken.« »Hmm«, sagte Danny. »Ja. Daran hatte ich nicht gedacht.« »Was mich interessiert«, sagte Sean, »ist eine enorme, gewaltige Lücke in deiner Geschichte darüber, wie du Dinge findest. Was ist beispielsweise aus diesem Kerl Bill Emers geworden?« Danny runzelte die Stirn. »Also, den hab' ich nie wiedergesehen«, sagte er. »Er ist in diesem Winter in Banff umgekommen. Ist Hals über Kopf von einer Sprungschanze gefallen und hat sich an zwei Stellen das Rückgrat gebrochen. Ich nehme an, er war betrunken – er war die meiste Zeit betrunken.« »Aha!« fiel Sean über diese Antwort her. »Aber du hattest davon keinerlei Vorahnung? Bekamst keine ahnungsvollen Geräusche oder andere Empfindungen, die du so interpretieren könntest, daß sie seinen Tod ankündigten?« »Nee-i-in. So was ist mir nicht so häufig passiert, jedenfalls nicht bis vor kurzem, wie ich schon sagte.« »Natürlich nicht. Du bist bis jetzt nicht einmal bewußt darauf gekommen, daß Bill Emers zweifelsohne am gleichen Tag gestorben ist, an dem du das Skiwachs für ihn aufgetrieben hast!« »Das ist bloß eine Vermutung.« »Ist es, verdammt noch mal, nicht. Dein Verstand würde sich nicht so anstellen, wenn er nicht wüßte, daß es so ist. Ich fordere dich hiermit auf, das Datum zu überprüfen, Danny. Oder nein, ich tu's nicht; es hätte keine therapeutische Wirkung, es sei denn unter Überwachung durch einen Analytiker. Aber dein Unterbewußtsein hat schlichtweg diesen Verdacht – und gibt sich selbst die Schuld! Durch Zufall hast du in Sachen Skiwachs logisch richtig geraten – ich denke, ich hätte unter diesen Umständen auf etwas ganz Ähnliches getippt. Aber die Konsequenzen …
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Als du von Bills Tod erfahren hast, fühltest du dich schuldig. Natürlich. Du hast das Skiwachs für ihn aufgetrieben: Er ist zum Skilaufen gegangen: Er ist gestorben. Da dein Verstand dir gesagt hat, daß du nicht daran schuld bist, und dein Unterbewußtsein dir gesagt hat, daß du es bist, hast du angefangen, kompensatorische Symptome zu zeigen. Dein Verstand hat versucht, ein Dilemma zu lösen. Und nachdem die Symptome allzu störend geworden waren, hast du dir diese Theorie von den ›verrückten Begabungen‹ ausgedacht, um sie zu erklären. Die wirkliche Erklärung war viel zu tief vergraben und viel zu beunruhigend, als daß du selbst hättest daraufkommen können.« Sean schob sein leeres Glas an den Rand des Tisches und klopfte zweimal dagegen. »Danny, um es geradeheraus zu sagen, du wußtest – im Unterbewußtsein –, daß Bill Emers, wenn du nicht sein Skiwachs gefunden hättest, vermutlich nicht versucht hätte, im betrunkenen Zustand zu springen. Jedenfalls nicht an diesem Tag. Seither hast du dich dafür verantwortlich gefühlt. Du bist aber nicht verantwortlich dafür. Du hast ihn nicht betrunken gemacht; es war nicht deine Schuld, daß er so gerne trank; und du hättest ihn nicht davon abhalten können, sich irgendwann selbst umzubringen. Sobald du das einsiehst, Danny, werden deine Probleme glaub' ich, so gut wie vorbei sein.« Der Kellner nahm die schaumverschmierten Gläser fort, füllte sie wieder auf und brachte sie zurück, während Danny darüber nachdachte. Sean sah so wachsam konzentriert aus wie eine Katze, die gerade eine große Motte gefangen hat – das Opfer zappelt noch verzweifelt, kann aber jederzeit nach Gutdünken getötet werden. Schließlich sagte Danny: »Das ist nicht schlecht, Sean. Ich wollte, ich könnte es schlucken. Es klingt vernünftiger als meine Theorie. Aber was mich daran stört ist, warum ich mir Sorgen um Bill Emers machen sollte. Ich habe ihn kaum gekannt. Er hat mich nur aus Jux angerufen – er hatte Gerüchte gehört über meinen Findetrick.« 29
»Verärgerung«, sagte Sean. »Niemand ist gern die Zielscheibe für einen Witz. Als du gehört hast, er sei umgekommen, ist dir deine Verärgerung wie ein brauchbares Motiv für einen Mord vorgekommen.« »Um den verblichenen Henry Mal zu zitieren: Das ist lächerlich …« »Wieso? Glaub mir, Danny, das Unterbewußtsein ist nicht rational, es hat keinen Humor – und es vergißt nie etwas. Es kann dich dazu bringen, dich für alle möglichen phantastischen Dinge verantwortlich zu fühlen – Dinge, bei denen dir an der Oberfläche deines Bewußtseins nicht einmal einfallen würde, sie zu tun.« »Okay«, sagte Danny. »Aber das erklärt immer noch nicht, wie ich ursprünglich zu meinem Ruf bezüglich des Findetricks gekommen bin. Jedermann, den ich auf der Hochschule kannte, ist zu mir gekommen, um mich zu bitten, Sachen zu finden – angefangen von einem verlegten Rechenschieber bis hin zu einer Brieftasche mit achtundfünfzig Eiern drin. Ich hab' ihnen gesagt, wo sie nachsehen sollten, und ich hatte immer recht. Sonst hätten sie aufgehört, zu mir zu kommen.« Sean wirkte nicht im mindesten beunruhigt. »Zufall«, sagte er und tauchte genießerisch die Nase in sein Bier. »Die Leute haben einen absurden Glauben an die eingeschränkten Prinzipien des Zufalls. Mathematisch betrachtet ist es durchaus möglich, daß Zufälle in Folge auftreten.« »Aber sie tun es trotzdem nicht.« »Aber ja doch«, sagte Sean. Er deutete mit einem langen, schlanken Finger auf Danny. »So was kommt dauernd vor. Warum auch nicht? Innerhalb eines unendlichen Zeitraums kann alles passieren, ohne Rücksicht auf seine offenkundige Absurdität. Wasser kann unter Feuereinfluß gefrieren, Licht kann sich auf seine Quelle zubewegen, statt von ihr weg, Gegenstände können nach oben fallen – so was kann wiederholt passieren, und zur Hölle damit, ob das dem Zufall zuwiderläuft oder nicht. Das ›Gesetz‹ des Zufalls ist nur eine beschränkte Orientierungshilfe.
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Es gibt eine ganze Schule von gelehrten Einfaltspinseln bei uns, die Tabellen über wiederholte Zufälle führen – mit Spielkarten und Würfeln und ›Prophezeiungen‹ und was sonst noch so vorkommt unter der Sonne.« »Du mußt die Parapsychologen an der Universität meinen. Man hat mich mal gebeten, Versuchskaninchen für sie zu spielen.« »Ja, die. Wenn sie es schaffen, genügend Zufallstreffer zu notieren – sagen wir mal beim Würfeln –, behaupten sie, daß der Mann, der die Würfel bedient, irgendwelchen übersinnlichen Einfluß auf sie ausübt! Ein Würfelspiel auf einer Unterlage aus Mystik. Es handelt sich dabei nur um die professorale Version deiner Theorie von den ›verrückten Begabungen‹, außer, daß diese Vögel es eigentlich besser wissen müßten. Danny, du bist lediglich das Opfer eines Riesenzufalls. Du befindest dich in einer bösen psychologischen Situation wegen deiner Schuldgefühle gegenüber deinem betrunkenen Skifahrer. Wie es sich trifft, bist du gleichzeitig in etwas verstrickt, was ein Mathematiker eine Zufallskette nennen würde, einer Kette von Unwahrscheinlichkeiten, die trotz alledem real sind, und das verschafft dir, oberflächlich gesehen, Möglichkeiten, deine Probleme zu rationalisieren.« Das klang vernünftig, wenn es auch schwer zu verstehen war, wo ein kleiner Sachblatt-Redakteur wie Sean all diese hochgeistigen Informationen aufgelesen hatte. Danny sagte: »Ich glaube, du hast recht, Sean. Irgendwelche Empfehlungen?« »Ich bin kein Analytiker«, sagte Sean. »Wenn du die Knete hast, dann such einen guten auf. Aber versuch mal, in der Zwischenzeit zu erkennen, daß du dich bloß an Bills Tod schuldig fühlst, und daß du, realistisch betrachtet, nicht dafür verantwortlich bist. Wenn es dir nicht gelingt, dich selbst davon zu überzeugen – nun, dann wird dich die Zufallskette früher oder später im Stich lassen und du wirst dir eine andere Rationalisierung ausdenken müssen, um die Wahrheit wegzuerklären. Dein nächster Rationalisierungsversuch wird mit 31
Sicherheit doppelt so übergeschnappt ausfallen wie dein jetziger. Das ist immer so.« »Ich hatte bei dieser Sache schon irgendwie geglaubt, ich würde tatsächlich überschnappen«, sagte Danny. Er stand auf. Er hatte Sean lediglich zwei Runden bestellen sehen, aber irgendwie war er beinahe sternhagelvoll. O jemineh – die Sache macht mich wirklich ganz schön fertig. Caiden von den zwei Bieren. Wie hat Bill Emers eigentlich ausgesehen? Nicht einmal daran kann ich mich erinnern. »Wiedersehen«, sagte er. »Danke, Sean.« Er ging mit vorsichtigen Schritten hinaus.
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IV Die getrübte Kristallkugel Jener goldene Vorhang vor dem Ausgang der Bar war nur Sonnenlicht, aber er fürchtete sich beinahe davor, hindurchzugehen. Die Normalität erschien ihm äußerst wacklig. Aber die Welt draußen war die gleiche Welt, die er nach seiner Entlassung betreten hatte. Der Verkehr schleppte sich über den Asphalt. Fußgänger drängten sich mit leicht gesenkten Köpfen und ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt an ihm vorbei. Hoch über den Dächern der Gebäude kreuzte ein einsames Wasserflugzeug und überwachte den Hafen im Auftrag der Hafenbehörde. Es war alles sehr normal. Wie normal kann man denn werden? Sean hatte gesagt: »Mein Gott, bist du aber normal.« Doch er hatte gemeint: Mein Gott, bist du neurotisch. In Seans Welt war kein anderer Zustand »normal«. Hier endlich hatte Danny einen Maßstab für seine plötzlich in Verdacht geratene Normalität. Er war als Auszubildender nach dem Soldatengesetz zur Delta-Pressegesellschaft gekommen. Die Tests, die ihm die Veteranenverwaltung vorgelegt hatte, um seine Eignung festzustellen, waren unglaublich und wie ihm schien unnötig ermüdend gewesen, und darunter hatte sich eine ganze Serie psychologischer Tests befunden – Sanford-Binet, der Minnesota Multiphasentest, alle drei California-Tests, AllportVernon, Wechsler-Belvue, Pinter, Bernreuter, Otis, Rorschach, Szondi – die ganze Ladung. Viele davon hatten offensichtlich derart wenig mit dem zu tun, was die Redaktion der Verpackungsseite einer Nahrungsmittelzeitung ihm abverlangen dürfte, daß er sich fragte, warum man nicht gleich von ihm verlangt hatte, sich einer Sicherheitsprüfung zu unterziehen.
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Auch über die Ergebnisse war er gar nicht sehr glücklich. »Sie sind normal«, hatte der Interviewer zu ihm gesagt. »Oh, es gibt wohl eine leichte Tendenz zu Hypochondrie, aber die hält sich in sicheren Grenzen, ich hätte sie nicht einmal erwähnt, wenn ihr Profil nicht in sämtlichen anderen Elementen so nahe am Durchschnitt kleben würde. Schauen Sie nicht so unbehaglich drein, Mr. Caiden; Sie sollten sich gratulieren. Leute, deren IQs so hoch sind wie der Ihre, haben normalerweise psychologische Profile, die gezackt sind wie die Klinge einer rostigen Schrotsäge. Ich weiß, es ist in Mode, neurotisch zu sein, aber Sie werden es nie soweit bringen, Mr. Caiden. Sie sind abnorm normal, wenn Sie mir das Oxymoron verzeihen wollen.« Das war vor zwei Jahren gewesen. Heute war er, wenn er Sean glauben durfte, tief gesunken, nicht nur ein Neurotiker, sondern gefährlich nahe dran, ein echter Psychopath zu sein. Es konnte einfach nicht so schnell gegangen sein. Außerdem war Danny keineswegs völlig unwissend, was Freud anbetraf; wenig Hochschulabsolventen sind es. Auch ohne Seans eingehendes Interesse am Freudianismus erinnerte sich Danny an Freud grundlegende Aussage: Keine Neurose ist denkbar ohne ein abnormes Sexualleben. Danny brauchte sich nicht auf Kinsey zu berufen, um sich sagen zu lassen, daß er auch in diesem Punkt immer noch – normal war; ganz erfreulich, langweilig normal. Er lächelte sein normales Ich freudlos an. Na gut, Caiden, dann mußt du wohl ein Prophet sein. Überwinde deinen Schock; du hast dir selbst Versprechungen gemacht, was du tun würdest, wenn sich herausstellt, daß du eine echte prophetische Gabe hast. Wie sich herausstellt, hast du kaum etwas anderes. Bist du bereit, es durchzuziehen? Die Frage war natürlich rhetorisch. Danny wußte von keinem anderen Weg, sich über Wasser zu halten. Er besaß kein Talent zum Romaneschreiben – ungeachtet dessen, daß Pat Rickey vielleicht gerade das Gegenteil behauptete –, und Jobs als Redakteur, die einzigen, für die er das Rüstzeug besaß, waren 34
dieses Jahr noch seltener als je zuvor. Seine einzige Chance bestand darin, seine paar Cent in ein Hirngespinst zu investieren. Achselzuckend überquerte er die Straße. Er hatte bestimmt nicht vorgehabt, in die Nähe des Wolkenkratzers zu geraten, der die Delta-Presse beherbergte, es sei denn durch Zufall. Natürlich, seine Bank befand sich im Erdgeschoß des Gebäudes – Delta wickelte seine Lohnangelegenheiten über sie ab, und so hatte es ihm lästige Umwege und die Mühe, sich und seine Gehaltsschecks auszuweisen, erspart, daß er seine geringen Ersparnisse Seite an Seite mit den Schätzen seiner ehemaligen Bosse aufbewahrte – aber weil es nur ein Sparkonto war, hatte er vorgehabt, es einfach unangetastet zu lassen, bis es ihm schlecht ging. Naja, jetzt ging es ihm schlecht, wenn auch in einem unerwarteten Sinn des Wortes. Er ging zu einem der glasbedeckten Schreibpulte, die jede der Säulen im Inneren der Bank umgaben, und holte sein Kontobuch aus der Brieftasche. Es überraschte ihn, festzustellen, daß er annähernd zweitausend Dollar auf dem Konto hatte; er hätte auf weniger als die Hälfte getippt. Also, das dürfte gewiß genügen. Es hatte eben viel für sich, Junggeselle zu sein. Doch die Höhe des Betrages versetzte seine Gedanken wieder in rasenden Wirbel, während er noch dabei war, den Auszahlungsbeleg auszufüllen. Derart reichliche Ersparnisse konnten ein ganz unerwartetes Polster für die Arbeitssuche darstellen … Nein, das ging nicht. Ersparte Dollars, die man heutzutage fürs tägliche Brot ausgab, waren zu etwa 64 Prozent verschwendet, da die Preise so stark unter der Inflation litten. Ein Dollar hatte Geld zu verdienen, um seinen eigenen, immer geringeren Wert auszugleichen. Ihn damit zu vergeuden, daß man praktisch nicht existenten Jobs als Fachblattredakteur nachjagte, wäre dumm, solange die Möglichkeit bestand, ihn in einem Unternehmen mit hohen Erträgen zu investieren.
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Danny hatte das Gefühl, als gebe es keine Investition mit höherem Ertrag als die Präkognition – wenn sie sich überhaupt bezahlt machte. Er ließ sich das Geld trotz der offensichtlichen, förmlichen Mißbilligung des Kassierers auszahlen – was hatte der denn dabei zu verlieren – und verließ aufs neue das Gebäude, wie er hoffte für immer. Eine U-Bahn brachte ihn zum Finanzdistrikt der Stadt, und ein Aufzug brachte ihn zu einer Börsenmaklerfirma, welche das Objekt einer Feldstudie in Dannys Wirtschaftskundeklasse während des letzten Jahres an der Hochschule gewesen war. Der Juniorpartner der Firma, darauf trainiert, sich sogar die unauffälligsten Gesichter und Namen zu merken, für den Fall, daß sich vielleicht dereinst Geld damit verbinden könnte, empfing ihn mit offensichtlichem Vergnügen. »Ich möchte einige kleinere Transaktionen versuchen«, sagte Danny ruhig. »Sudienhalber, Sie verstehen. Ich habe etwas Geld übrig, und ich denke, es in den Markt einzubringen, wäre eine wertvolle Lernerfahrung für mich.« »Möglicherweise sogar eine profitable«, sagte der Makler. »Uns liegt heutzutage ganz besonders an den kleinen Anlegern, denn Kapital wird ziemlich dringend gebraucht. So viel wird von der Verteidigungsindustrie aufgesogen. Lassen Sie mich sehen – wie ich mich erinnere, interessieren Sie sich für das Nahrungsmittelgewerbe; ich kann Ihnen einige Aktien des Gefrierproduktezweiges einer der größeren Firmen anbieten – recht solide und mit der Aussicht, fast unbegrenzt zu steigen.« »Nein, an so was bin ich nicht interessiert; bei einer langfristigen Investition würde ich mich ohnehin an Schuldverschreibungen oder einen Spar- und Darlehens-Plan halten. Das würde mir auf die Dauer Geld einbringen, aber ich würde dabei nichts lernen, was ich nicht schon weiß. Ich dagegen will spekulieren.« Der Makler lächelte kläglich. »Spekulieren?« sagte er. 36
»Wo leben Sie eigentlich? Der Markt trokelt diese Woche daher wie ein betrunkener Idiot. Sie hätten sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Ich persönlich, Mr. Caiden, würde Ihnen eher raten, Ihr Geld hinten von einem Lastwagen zu werfen. Das ist einfacher, mit weniger Denkanstrengung verbunden.« »Ich habe keinerlei persönliches Interesse an dem Geld«, betonte Danny. »Gewinn oder Verlust, ich möchte sehen, was passiert und wie es passiert.« »Na gut, wir werden unser Bestes geben. Was können wir für Sie tun?« »Ist es schon zu spät, Weizen ohne Deckung zu verkaufen?« Der Makler lehnte sich mit einem väterlichen Lächeln in seinem Stuhl zurück. »Ohne Deckung verkaufen! Mein Gott, Mann, Sie werden noch Ihre Hosen verlieren. Die Weizenkurse steigen wie eine Rakete, dank der Kriegsangst. Oder wollen Sie sich etwa auf Termingeschäfte einlassen? Wenn ja, sind Sie hier an der falschen Adresse; wir befassen uns nicht mit Gebrauchsgütern, nur mit Aktien.« »Nein, ich meine Firmen-Aktien von Weizen International. Ich habe kein Interesse an Termingeschäften. Verschaffen Sie mir eine Option auf zehn Anteile zu 16. Sie dürften genügend Abnehmer dafür finden. Schließen Sie mit dem erstbesten ab und verkaufen Sie, sobald der Kurs auf 16 fällt.« »Ich nehme an, Sie wissen, daß 16 eintausendsechshundert Dollar bedeutet – soweit ist er noch nicht mal gestiegen. Oh, erinnern Sie mich nicht noch mal daran, daß Ihr Vorhaben rein wissenschaftlich ist. Ich bin es nicht gewöhnt, derart objektiv zu sein. Irgendein besonderer Termin zu beachten?« Danny wußte, daß der Makler ihn insgeheim für einen Idioten hielt, aber er behielt die Geduld. Schließlich hatte der Makler möglicherweise recht. »Freitag, würde ich sagen, aber er könnte auch morgen schon bröckeln.«
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»In Ordnung«, sagte der Makler. »Normalerweise müßte ich Sie um Sicherheiten bitten, wie Ihnen sicher bekannt ist, aber ich halte es für unwahrscheinlich, daß die Wirtschaftsbehörde etwas gegen ein derartiges Geschäft einzuwenden hätte. Sollte es funktionieren, wäre das natürlich ein gelungener Scherz, aber ich sage Ihnen ganz offen, es funktioniert nicht. Wie auch immer, ich richte mich nach Ihnen.« »Wie hoch wäre der Verlustausgleich?« »Also, 10 Prozent – sechzehnhundert, das, was Sie für eine Aktie zahlen müßten, wenn Sie sie wirklich kaufen würden. Sie sollten aber besser auf Zweitausend aufrunden, weil Sie etwas Spielraum brauchen, falls wir Sie gegen Kaution rausholen müssen.« »Das werden Sie nicht tun müssen«, sagte Danny. Er reichte einen beglaubigten Scheck über genau 1600 Dollar über den Schreibtisch. Der Makler legte ihn in seine mittlere Schreibtischschublade, ohne ihn anzusehen, zuckte die Achseln und schrieb Danny eine Quittung über den gleichen Betrag aus. »Wissen Sie, was passiert, wenn es tatsächlich so kommt, wie Sie es vorhersagen?« Danny schüttelte den Kopf. »Beten Sie, daß Sie es nicht erfahren«, sagte der Makler. »Wenn sie recht haben, werden Sie feststellen, daß es Schlimmeres gibt, als seine Hosen zu verlieren. Spekulation ist nicht mehr das, was sie einmal war, bevor die Regierungsbestimmungen in Kraft getreten sind; plötzlicher Reichtum wirkt heutzutage eher … äh, hinderlich.« Er sah auf seinen Notizblock. »Gut, wenn das für den Augenblick alles ist…« »Das«, sagte Danny, »ist nur der Anfang.« Was es dann auch war. Sean hatte ihn zum erstenmal auf die Idee gebracht, an der Börse herumzuspielen; und Sean hatte auch Pferde erwähnt.
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Solange sein Mut und sein Geld noch vorhielten, suchte sich Danny ein Wettbüro. Theoretisch waren sie in der Stadt verboten, und obendrein selten geworden seit der Blütezeit der KefauverKampagne gegen das organisierte Verbrechen; in Wirklichkeit wurden sie jedoch immer noch selten belästigt und waren leicht zu finden. War man sich im Zweifel, konnte man jederzeit einen Taxifahrer fragen. Behaglich ließ Danny sich in einer Ecknische mit einem Bier und einem Exemplar der Tages-Renntabelle nieder. Etwas an ihm – vermutlich war es das einigermaßen saubere Hemd – verriet ihn gegenüber der Stammkundschaft. Innerhalb von fünf Minuten wurde er von ebenso vielen Schleppern angesprochen, alle mit Tips, die gegen eine sehr geringe Gebühr direkt aus dem Hafersack kamen. Danny winkte ab. Diese Operation sollte, wie die Weizenspekulation, ganz nach Gefühl ablaufen, ohne jegliche Beachtung anerkannter Autoritäten, ehrbare oder nicht ehrbare. Er akzeptiert keinerlei Information, ganz egal, wie gut sie zu sein schien, die nicht aus seinem eigenen Kopf bei ihm ankam. Er plazierte seine Wetten und wartete. Es dauerte nur zwei Stunden, bis seine Nerven so zerrüttet und sein Hemd so zerknittert waren wie bei den ältesten Stammkunden. Zuerst war er jedesmal halb aus seiner Nische geschossen, wenn das Telefon in der Bar läutete. Jetzt zuckte er nur noch leicht und biß die Zähne zusammen. Es hätte weniger qualvoll sein können, wäre das Radio in der Bar auf den ekelhaften New-Jersey-Sender eingestellt gewesen, der nur dazu diente, die Rennen zu verfolgen, aber Kefauvers Günstlinge hatten den Sender wieder zu harmlosen Schlagern und Makkaroni-Werbung genötigt. Nach einem Augenblick Telefongemurmel stellte ein Kellner in einer dreckigen Schürze, ein weiteres Bier, größtenteils Schaum, vor Danny ab.
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»Sie ham aber gar keine gute Hand heute, Kleiner«, sagte er freundlich. »Warum lassen Sie's nicht und gehen wieder nach Hause? Joe wird's Ihnen verzeihen.« Danny lächelte kläglich. »Ich habe wohl wieder eine Niete gezogen, wie? Gut, wir wollen es noch einmal versuchen. Wie wäre mit – äh – zehn auf Sieg für High Heart im nächsten Rennen.« »Ihre Beerdigung. Ich sag es Joe.« Der Kellner entfernte sich. Danny widmete sich dem Bier, das ganz warm war, und tastete nach den Scheinen in seiner Jackentasche. Es war immer noch ein ansehnliches Bündel gewesen, etwa 300 Dollar, als er das Maklerbüro verlassen hatte. Jetzt waren es drei Scheine und eine Handvoll Kleingeld. Die präkognitive Gabe hatte eindeutig ihren Dienst eingestellt. Oder aber sie hatte sich auf eine ganz andere Rennbahn davongestohlen. Danny fragte sich plötzlich, ob sie für immer weg war. Er stellte fest, daß sein Kopf weh tat, sogar heftig. Das Telefon läutete. Dannys Kopf läutete mit. »High Heart gewinnt«, sagte der Kellner, als er aus dem Nichts mit einem vollen Glas Bier auftauchte, beschlagen vor Kühle und ohne die Coney-Island-Schaumkrone. »Drei zu eins. V'lleicht hat sich Ihr Glück gewendet.« »Sag Joe, er soll den ganzen Packen auf Double Trouble und Platz setzen.« »Warum nehm S' nich' einfach Ihr'n Gewinn?« sagte der Kellner. »Joe nimmt's Ihn' nich übel. Der is' ehrlich, wenn er 'n guten Tag hat, also meistens.« »Double Trouble auf Platz«, knurrte Danny. Die Kopfschmerzen fingen an, schlimmer zu werden. »Schon gut, schon gut.« Der Kellner schlurfte auf verdrießlichen Füßen zurück zur Theke. Danny ließ das Bier stehen und beschäftigte sich statt dessen mit seinem Kopf. Der Schmerz
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war jetzt lokalisierbar, ein winziger, weißglühender Faden tief im Innern seines Schädels. Er begann, grelle Feuerräder zu sehen. »Double Trouble plaziert«, sagte der Kellner. Danny hatte das Telefon nicht läuten hören. Er blinzelte, seine Augen tränten. »Ich halte lieber meine große Schnauze, Mister. Was darf's sein?« Danny sah die Tabelle an. Es fiel ihm schwer, die Buchstaben zu sehen, geschweige denn zu entziffern, was sie bedeuteten. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Abrupt vergingen seine Kopfschmerzen. Das plötzliche Aufhören des Schmerzes war beinahe so schwindelerregend wie der Schmerz selbst. »Ahh«, sagte er unwillkürlich. »Häh?« »Tut mir leid – mein Kopf tut weh –, hat weh getan. Ich nehme Pally, auf Sieg.« Der Kellner machte den Mund auf, schien sich an sein Versprechen zu erinnern und machte ihn wieder zu. Danny sah das Bier an, schob es dann beiseite. Die Nachwirkungen der Kopfschmerzen machten ihn immer noch ein wenig seekrank. Er erinnerte sich an die Empfindung tödlicher Erschöpfung, die ihn gegen Ende der vergangenen Nacht überfallen hatte, nachdem er das seltsame Flüstern belauscht – gestannt? – hatte. Offenbar waren viele Wachstumsschmerzen mit der Entwicklung dieser verrückten Begabungen verbunden. Das Telefon klingelte, und Danny fühlte, wie er sich versteifte. Wenn es diesmal gutging, sagte er sich, würde er nach Hause gehen und sich etwas Ruhe gönnen. Es kam ihm vor, als seien schon zwei Jahre vergangen seit letzter Nacht. Der Kellner stand schweigend am Tisch, die Hände unter der Schürze vor dem Bauch verschränkt. »Nun?« »Künstlerpech«, sagte der Kellner. »Joe sagt, er will, daß Sie aufhören. Das wär'n dann zehn Piepen für das Bier.« 41
»Zehn Piepen!« »Wie ich schon sagte, Mister.« Bei reiflicher Überlegung war das nicht überraschend. Der Schuppen war immerhin illegal. Der Bierpreis deckte vermutlich gerade die Unkosten – das, was es kostete, die Polizei zum Wegsehen zu veranlassen. Alles war heutzutage überteuert, sogar Kopfschmerzen. Er warf seinen letzten Zehner auf den Tisch und stolperte hinaus. Der Präkognition war eine Sicherung durchgebrannt.
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V Das Medium und das Telefon Das schreckliche Ende des abenteuerlichen Verlaufs der Dinge, ließ Danny im schlimmsten Gewirr von Ratlosigkeit umhertaumeln, dessen er sich entsinnen konnte. Es gab für ihn jetzt nichts weiter zu tun, als darauf zu warten, daß es Freitag wurde. Wenn die Sache mit Weizen International allerdings so ausging wie die Spielerei mit den Pferden, wäre es Danny lieber gewesen, daß der Freitag sich Zeit ließ. Das Sonnenlicht ergoß sich beinahe waagerecht zwischen die dicht gedrängten, mächtigen Gebäude des Finanzdistriks. Anonyme Hemdkragen bewegten sich im Zickzackkurs in einem Wirrwarr von Homburgs heimwärts. Der Arbeitstag war vorbei. Danny fragte sich, wie viele der schwingenden Aktenkoffer wie sein eigener wohl noch nie etwas anderes enthalten hatten als das jeweilige Mittagessen. Drunten am Fluß und an den Frachtkais wurden die Prachtbauten weniger zahlreich – gerade genug, um eine Trasse der abbruchreifen Hochbahn zuzulassen, ein paar Bars und Eisdielen, einige winzige Geschäfte. Danny spazierte dahin, sich treiben lassend, in seinem ganz persönlichen Nebel der Verwirrung, den kein Sonnenlicht durchdringen konnte. Es bereitete ihm ein trauriges Vergnügen, zwei schmale, gleichgroße Fenster an der Straße unter der Hochbahn zu entdecken, vollgestopft mit schmierigen Traumbüchern, alten Astrologiezeitschriften und Pamphleten über Schädelkunde. Der kleine Laden war früher eine Filiale der Ladenkette A & P gewesen, wie das große rotgoldene Schild darüber bekundete; doch während er auf einen neuen Inhaber wartete, hatte er offenbar einer Zigeunerfamilie Zuflucht gewährt.
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Ganz zum Schluß entdeckte er jedoch, daß er unrecht hatte. Das Innere des Ladens war nicht mit den grellfarbigen Nesselbehängen und -vorhängen dekoriert, welche die Zigeuner nonnalerweise in einem derartigen Etablissement anbringen. Und an der Tür entdeckte er ein sauberes Schild: MADAME ZAZA OKKULTISTIN & MEDIUM Und dann wußte er ganz plötzlich, daß er hineingehen und mit dem Medium sprechen würde. Nun ja – warum nicht? Sie war vermutlich – ganz bestimmt sogar – eine Schwindlerin; doch er war nicht weniger ein an die Grenzen geistiger Gesundheit Ausgestoßener wie sie. Es könnte sein, daß ihre Talente ebenso echt – und ebenso unzuverlässig – waren wie die seinen. Diese Unzuverlässigkeit würde einige der Unklarheiten bezüglich des gesellschaftlichen Status von Medien beseitigen. Verfügte man über eine prophetische Gabe in einem rudimentären oder stark unterentwickelten Zustand, konnte es leicht passieren, daß man die Ergebnisse falsch interpretierte, und am leichtesten sie unter den Bedingungen des traditionell verstandenen Übernatürlichen falsch zu interpretieren. Und andererseits, wenn es so war, dann konnte ein wirklich erfahrenes Medium sehr wohl einige Antworten für Danny bereithalten. Er ging hinein. Es gab im vorderen Raum nichts als zwei Stühle und einen Tisch, und ein Fenster mit dreckigen, geblümten Chintzvorhängen, das Ausblick auf einen Lüftungsschacht gewährte. Der Stil des Tisches konnte früher einmal kolonialamerikanisch gemeint gewesen sein, aber wenn es so war, hatte jemand jedenfalls versucht, das mit einem stumpfen Taschenmesser in chinesischmodern umzuwandeln. Er war leer, genau wie der Fußboden. Die Luft war muffig vom Geruch verdorbenen Gemüses. Die Tür im Hintergrund, die dereinst zum Lagerraum
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von A & P geführt hatte, war mit einer mottenzerfressenen Webdecke behangen. Einen Moment, nachdem Danny die Vordertür geschlossen hatte wurde die Decke beiseite geschoben, und eine junge Frau kam heraus. Sie war klein und dunkel und hatte – immerhin – einen Hauch von Zigeunerin oder zumindest Slawin in ihrem Stammbaum. Sie war konventionell gekleidet – ein dunkles Schneiderkostüm, dessen Strenge, zugeschnitten nach den Vorstellungen eines billigen Schneiders von klassischer Einfachheit, ganz absurd schulmeisterlich wirkte über der Fülle von Kurven, aus denen sie sich zusammensetzte. Etwas ging von dem Mädchen aus, das sich durch ihre Kleidung hindurch tief in ihm einbrannte. Sie war vielleicht nicht besonders hübsch, und es war offensichtlich, daß sie, wenn sie erst die 25 hinter sich hatte und nicht aufpaßte, so in die Breite gegangen sein würde, daß sie einem Modell eines U-Bahn-Kiosks glich. Doch Danny war das egal. Sein erstes Mädchen war eine Polin gewesen, und er hatte diesen Typ immer für den Inbegriff des Exquisiten gehalten. Für den Augenblick hatte er seine Verrücktheit völlig vergessen, genau wie die Dinge, die sie bedeutsam machten. Er stand nur da und starrte. Die junge Frau starrte zurück. Ihre Augen brannten düster, und ihr Mund trug einen Ausdruck der Verachtung, der Danny unangenehm unpassend auf einem so jungen Gesicht hätte vorkommen müssen. Für einen anderen Betrachter hätte das Mädchen außerdem ausgesprochen billig ausgesehen. All dies bemerkte Danny, doch ohne sich dafür zu interessieren. Die polierte, geradlinige, dezente Aufmachung von Joan Keyes und einigen anderen gepuderten Leichnamen, die er in Pressebüros und Werbeagenturen getroffen hatte, hatten ihn empfänglich gemacht für jemand Düsteren und Liederlichen und nicht Gesellschaftsfähigen. »Was kann ich für Sie tun?« Die Stimme war heiser, fast bis zum Rande der Rauheit, nicht von Natur aus tief, sondern undeutlich, als werde sie direkt im 45
Anschluß an eine heftige Auseinandersetzung gezwungen zu reden. Danny sagte: »Sind ahm. Sind Sie Madame Zaza?« Die junge Frau lächelte verärgert. Wenn sie lächelte, wirkte sie auf plötzliche und heftige Weise schön. »Nein«, sagte sie. Sie betrachtete Danny freimütig vom Scheitel bis zur Sohle. Dann zuckte sie die Achseln und wandte sich ab. »Ich hole sie.« Sie begab sich wieder nach hinten. Danny versuchte seine Gedanken zu ordnen, aber sie schwammen in einer Flut von Emotionen, wie er sie seit Jahren nicht erlebt hatte. Als er entdeckte, daß ihm dicke Schweißperlen auf der Stirn standen, auf dem Schädel unter seinen Haaren, und daß sie ihm an den Ohren vorbei über die Wangen liefen, fiel ihm nicht ein, die Schuld dafür bei verrückten Begabungen zu suchen oder bei deren Erschöpfung. Nach einer Weile wurde wieder der Vorhang beiseite geschoben, und eine 45jährige Ausgabe des Mädchens kam hervor – stämmig, schlampig, runzlig, behängt mit aufdringlich ungeeigneten Stoffen in jeder denkbaren unpassenden Farbzusammenstellung, und schnurrbärtig und außerdem eindeutig ungewaschen. Eine echte Zigeunerin im letzten Stadium der Zivilisation. »Madame Zaza?« »Ja«, sagte sie. »Bitte kommen Sie herein.« Hinter der Decke befand sich ein großer Raum mit dunkelroten Wandbehängen, und in seiner Mitte ein Spieltisch mit einer Glaskugel darauf. Das Mädchen stand im Hintergrund des Zimmers, ohne Danny anzusehen. Ein Ding wie ein blecherner Fischfortsatz hing an der Decke, zwischen Danny und dem Mädchen über dem Tisch befestigt an zwei deutlich sichtbaren, schwarzen Schnüren. »Sie wünschen die Zukunft zu erfahren?« sagte das Medium mit kehliger Stimme. »Setzen Sie sich dorthin.«
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»Eigentlich nicht. Was ich, glaube ich, brauche, ist fachmännischer Rat. Ich stecke in Schwierigkeiten.« »Meine Hilfe gilt allen Verlorenen«, intonierte die Frau glattzüngig. »Lasset die Mächte des Seins eure Bürde übernehmen. Setzen Sie sich hierhin. Worin bestehen Ihre Schwierigkeiten?« »Nun ja, ich habe kürzlich einiges erlebt, das mich auf den Gedanken gebracht hat, ich hätte vielleicht – ich muß es, glaube ich, übersinnliche Fähigkeiten nennen.« Die junge Frau zog hörbar die Nase hoch. Das Medium warf ihr einen Blick zu, der aus reinstem Gift zu bestehen schien. Das Mädchen zuckte die Achseln und entfernte sich durch das, was Danny für die Tür zur Toilette gehalten hatte. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte das Medium. »Danke. Ihr Problem ist nicht so geheim oder so ungewöhnlich, wie sie vielleicht denken, sagt man mir. Alle streben nach Weisheit, aber nicht alle finden sie.« »Ja, ich weiß – das ist so«, konnte Danny nicht umhin, einzuwerfen. Die angeblich uralte Weisheit des Mediums schien die Operettenkomponisten Gilbert und Sullivan jedenfalls nicht mit einzuschließen. »Da gibt es die, deren Karma die echte Weisheit sucht und sie findet. Auch gibt es die, deren Wille zum Nirwana sich im Weltenrad verfangen hat. Für diese Gefangenen ist ein Guru vonnöten – so sehr vonnöten wie das Verlangen zum Streben.« »Ich kann Ihnen offenbar nicht ganz folgen«, sagte Danny. »Höre zu und verstehe«, sagte Madame Zaza. Sie strich über die Kristallkugel, als versuche sie, ein Ruderboot herumzudrehen. Sofort wirbelte Rauch im Innern der Kugel auf. »Die, deren Gabe es ist«, sagte sie, »ein wenig mit der Großen Weite zu plaudern, wissen, daß der Mensch neun Seelen besitzt, wie schon vor langer Zeit unter den ägyptischen Magiern geraunt wurde. Von diesen ist die am wenigsten bedeutende der Schatten. Die bedeutendste ist das Ka, das jenseits des Leibes auf der 47
anderen Seite der Zeit lebt. Wenn die Sterne günstig stehen, ist es möglich, das Ka zu beschwören …« Die Trompete gab ein warnendes Quietschen von sich, als wolle sie sich räuspern. »Hören Sie«, sagte Danny einigermaßen verzweifelt. »Würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich die Fragen stelle? Ich habe kein Interesse, mit irgend jemandes Ka zu sprechen. Ich kann selbst ein wenig in die Zukunft sehen und manchmal noch ein paar andere Dinge, die ich nicht verstehe. Ich möchte wissen, wie ich das kontrollieren kann, und auch alles andere, zu dem ich vielleicht befähigt bin. Wäre das nicht am einfachsten?« Gespannt hob die Frau die Augen. »Es ist ein großes Geschehen das Gesicht zu besitzen«, sagte sie. »Es macht einen sehr bescheiden. Aber es erfordert viel Übung, ein Adept zu werden.« »Das bezweifle ich ja gar nicht. Was für eine Art Übung? Geistiges Training? Wie …« »Nicht geistiges Training, junger Mann. Meiden Sie den kalten Intellekt, mit dem der materialistische Westen sich rüstet.« (Danny war sich einigermaßen sicher, daß sie »brüstet« meinte, aber es war der erste Ausrutscher dieser Art, bei dem er sie ertappt hatte. Wo sie auch immer ihre erstaunlichen Phrasen herhatte, sie hatte sie mit großer Sorgfalt perfektioniert.) »Worauf es ankommt ist seelisches Training, die Seele, oder vielmehr die Überseele – das Ka. Es muß aus dem Leib heraus in die Große Weite geschickt werden, um dort zu erfahren, was immer es erfahren kann. Wenn die Geister willig sind, wird es mit großen Reichtümern zurückkehren.« »Geschickt? In Trance versetzt?« »Das ist ein Weg. Es gibt noch andere. Dies ist nicht etwas, das man an einem Abend lernt. Es wird Monate dauern, vielleicht Jahre.«
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»In Ordnung«, sagte Danny. »Angenommen, ich bin einigermaßen sicher, daß die Investition das Risiko lohnt. Worin besteht das grundlegende Prinzip?« Das derbe Gesicht der Frau verklärte sich zu einem Ausdruck, den Danny nur als dümmlich beschreiben konnte. »Liebe«, sagte sie. Im gleichen Augenblick erschien das Wort flimmernd im Innern der Kristallkugel, hingeworfen in einer Art altenglischer Schrifttypen oder solchen für Heiratskunden. Ein leises Quietschen begleitete es, wie das Geräusch eines Nähmaschinenpedals, das dringend Öl brauchte. »Oh«, sagte Danny. »Also, darin habe ich einen Vorsprung. Ich habe gerade einen kurzen Auffrischungskurs über das Thema besucht, und es schien auch nicht Monate zu dauern. Wie ist die Vorgehensweise?« »Sie müssen zweimal die Woche wiederkommen. Wir werden damit beginnen, den Rat Derer, Die Gegangen Sind, zu suchen. Später werden wir Gegenstände herbeizaubern, und wenn wir Glück haben, wird es uns gestattet sein, die Handhabung des Ektoplasmas zu studieren. Wenn alles gutgeht, werden wir schließlich auf ganzer Linie Kontakt herstellen.« »Ich kann für mich allein schnellere Fortschritte machen als das, fürchte ich«, sagte Danny. »Danke fürs Zuhören, aber ich werde doch bei meinen eigenen Methoden bleiben müssen. Wenn auch nur ungern.« Der Blick der Frau gefror abrupt. »Na gut«, brummte sie. »Das macht dann fünf Dollar, junger Mann.« Danny sah weg von der bestialischen Reflektion des Gesichts der Frau auf der Oberfläche der raucherfüllten Kugel, einem Vorgeschmack auf den Schweingegott der Leidenschaft, der jene Mythen regierte, für die sie warb, und blickte sich im Raum um. Das Mädchen war abwesend, immer noch.
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Er kramte in seiner Brieftasche und stellte mit leisem Erstaunen fest, daß er immer noch eine Fünf-Dollar-Note besaß. Nach kurzem Zögern steckte er sie wieder ein und nahm zwei einzelne Scheine heraus. »Für geleistete Dienste«, sagte er spöttischer, als er vorgehabt hatte. Madame Zaza warf ihm einen durchbohrenden Blick zu, und ihre Lippen zuckten einen Augenblick. Dann nahm sie das angebotene Geld, wobei die Muskeln an ihrem Kiefergelenk hervorstanden. Es war ganz offensichtlich, daß Danny alles andere als ihre übliche Art Kundschaft war. Sie drehte ihm den Rücken zu und verschwand hinter dem scharlachroten Wandbehang. Die junge Frau befand sich im leeren Vorderzimmer, als Danny hinausging, saß auf der Tischkante und ließ lässig eins ihrer ungeheuer femininen Beine herunterbaumeln, das aus dem puritanischen Rock hervorkam wie die Ketzerei, die ein Zeitalter beendet. Sie hob eine Augenbraue. »War es Ihr Geld wert?« fragte sie. Die Worte kamen in abgehackten Stößen heraus, als hätte sie nicht die Absicht gehabt, etwas zu sagen, und sei verärgert, daß sie es trotzdem tat. Danny lächelte vorsichtig. »Jedenfalls habe ich bekommen, was ich verdient habe«, sagte er. Sie zuckte die Achseln. »Sie haben einigermaßen vernünftig ausgesehen. Nicht der übliche Spießer. Ich habe mich schon gefragt, ob sie sich wohl von dem ganzen Unsinn einwickeln lassen.« Danny mußte unwillkürlich lachen. Der Gesichtsausdruck des Mädchens wurde noch ärgerlicher. »Das ist für den Lehrling eines Mediums eine komische Art, sich auszudrücken.« »Ich bin kein Lehrling. Ich bin lediglich das Requisitenmädchen. Ich blase Zigarettenrauch in das gläserne Ei und lasse 50
die Trompete sprechen und all so was. Meine Tante sorgt für das Geplapper.« Sie sah ihn direkt an, während sie redete, aber ihr Blick war nicht zu deuten. Danny konnte nicht sagen, ob es seine Brieftasche, sein Schädel oder seine Kleider waren, durch die sie hindurchsah. »Sie haben mir nicht geantwortet«, sagte sie. »Was hat Sie hierhergeführt? Oder – gehören Sie zu den Bullen?« »Nein, das tue ich nicht. Was ich Ihrer Tante gesagt habe, war die reine Wahrheit. Irgendwie habe ich mir ein paar außergewöhnliche Talente zugelegt, die ich nicht verstehe, und ich bin deswegen bereits in die Klemme geraten – genaugenommen zwei Klemmen, und eine dritte ist möglicherweise im Anmarsch. Unter diesen Umständen bin ich bereit, mir Informationen zu holen, wo ich sie kriegen kann.« »Von einem Medium werden sie sie nicht bekommen«, sagte das Mädchen. »Sie haben wohl Alpträume.« »Nein, habe ich nicht«, beteuerte Danny und wurde dabei ein wenig gereizt. Er fragte sich, ob das Mädchen ihm wohl auch sagen würde, er solle einen Psychoanalytiker aufsuchen. Ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit war ihm äußerst unbehaglich, und das lässig schwingende Bein, dessen Abbild in metronomhaftem, beinahe hypnotischem Rhythmus auf seinen Sehnerv traf, versetzte seine Fähigkeit, ein vernünftiges Gespräch (oder überhaupt ein Gespräch) zu führen, in eine Art tiefen Schlaf. Ein direkter Blick auf das Bein hätten es in seinen tatsächlichen Proportionen ins Universum zurückgeholt, es auf seiner Netzhaut in richtiger Relation zum Rest der Welt plaziert, aber Danny konnte sich nicht überwinden, seine Augen vom Gesicht der jungen Frau abzuwenden, während sie ihn mit dieser verwirrenden, unbestimmbaren Intensität beobachtete. »Woher wissen Sie das?« »Vor allem deshalb, weil mir, nun ja, vieles am hellichten Tag passiert ist, das ist alles.«
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»Alpträume können wochenlang anhalten. Sie können das ganze Leben lang dauern. Fragen Sie irgendeinen regelmäßigen Kunden der Bellevue-Heilanstalten.« »Ich weiß das. Aber ich besitze eine hübsche Sammlung brauchbarer Indizien, objektiver Indizien. Und ich erwarte, bis Freitag den positiven Beweis für einen Teil davon in Händen zu haben.« »Denken Sie dran, was man über die Pflastersteine der Hölle berichtet«, sagte das Mädchen. »Sie hatten einfach Unsinn im Kopf, das ist alles. Sonst wären Sie nicht hier. Sie hätten alles, was Sie über Medien wissen wollen, in der öffentlichen Bibliothek finden können; Houdinis Buch kennt jeder.« Unter dem rauchigen, düsteren Spott in ihrer Stimme lag eine Andeutung von etwas anderem – war es Enttäuschung? Danny wußte es nicht. Er sagte vorsichtig: »Ich glaube nicht, daß es Unsinn ist; ich wußte nicht, daß Houdini etwas über Medien geschrieben hat, und obendrein hat mich niemand hereingelegt. Sie und Ihre Tante haben es versucht; es hat nicht funktioniert.« Wieder gab es eine winzige Veränderung im Gesichtsausdruck des Mädchens, aber wieder konnte Danny sie nicht deuten. Er kam zum Schluß: »Es könnte natürlich sein, daß ich verrückt bin. Jedenfalls ist das die Annahme, von der ich vorsichtshalber ausgehe. Aber ich bin kein Dummkopf.« »Warum hören Sie dann nicht auf, sich wie einer zu benehmen?« sagte sie und stand auf. Es war eine Bewegung wie bei einer schleichenden Katze. Dannys arg mitgenommene gute Laune fiel bei dem Anblick in sich zusammen. Ohne jede Vorwarnung schoß ein blendender, bohrender Schmerz durch seinen Kopf. Im Vordergrund seines Schädels wurden ihm lebhaft, verrückt machend Milliarden winziger Dinge bewußt, die in einem ungeheuren Schimmer von Bewegung um und um wirbelten. Regenbogen drehten sich vor ihm mit der Rasanz und Helligkeit von Blitzen.
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Einen Augenblick lang war er blind. Er trat einen schwerfälligen Schritt zurück. Der Schmerz verstärkte sich, das Wirbeln wurde heftiger. Die junge Frau stand da, eine Komposition schwarz auf Schwarz harmonischer Kurven; dann, hinter ihr, eine gerade Linie, es konnte sich nur um die Tischplatte handeln, die ihre Schenkel durchschnitt. Die gerade Linie verdichtete sich, als sei das Mädchen im Begriff, zu schmelzen … Der Tisch kippte und schoß nach oben. Er versetzte der Zimmerdecke einen heftigen Stoß. Putz regnete auf seine Schultern und seinen Kopf herab. Jetzt konnte er wieder sehen, aber der wirbelnde Schmerz hielt an. Der Tisch glitt, immer noch an die Decke gepreßt, zur Seite wie eine enorme Spinne. Eine Sekunde darauf balancierte einer der Stühle zögernd auf einem Bein und hüpfte dann hinterher. Die junge Frau schrie und preßte sich rückwärts an die Wand, wodurch seine Aufmerksamkeit von ihr abgelenkt wurde bis auf das Bewußtsein einer beunruhigenden Masse irgendwo in der Nähe. Dann stand er da, erstarrt bis ins Zwerchfell, und das Wirbeln der Milliarden winziger Dinge umhüllte sein rasendes Gehirn mit Qual. Madame Zaza riß den Vorhang beiseite. »Was, zum Teufel? He, Sie, was geht hier vor?« Es erfolgte ein Blitz farblosen Feuers, und alles war vorbei. Der Stuhl und der Tisch fielen senkrecht herab. Der Tisch traf in der Nähe einer Zimmerecke auf, und ein Bein splitterte und brach mitten entzwei. Freigekommen taumelte Danny, um sich zu fangen. »Machen Sie, daß Sie rauskommen!« sagte Madame Zaza mit konzentrierter Bösartigkeit. »Gehen Sie, oder ich hole die Bullen. Ich bin eine ehrbare Frau, und ich besitze eine Lizenz. Ich lasse es nicht zu, daß ungeschickte Kerle mir meinen Laden ruinieren. Raus, verdammt noch mal, raus hier …« Offensichtlich hatte die Frau mit dem starken Haarwuchs nur etwas Normales oder zumindest Erklärliches erblickt, obwohl sie 53
direkt und mit verblüffter Wut hingesehen hatte, als die Möbelstücke an der Decke entlanghüpften. Danny brachte eine spöttische Verbeugung zustande; die Tilt-Lampe an einem Flipperautomaten hätte es kaum zum Aufleuchten gebracht, aber ihm war es eine Genugtuung. »Nur eine kleine Demonstration«, murmelte er ungewollt undeutlich. Er ging vorsichtig zur Tür und hinaus. Das Mädchen beobachtete seinen Abgang, eine Hand auf den Mund gepreßt, mit aufgerissenen Augen. Bei einem anderen Mädchen hätte dieser Gesichtsausdruck Furcht bedeutet. Was er auf dem Gesicht dieses Mädchens bedeutete, konnte er nicht sagen, und ihm lag daran, es auch nicht zu erfahren. Er grinste ihr durch das verschmutzte Fenster zu, winkte ein Taxi heran und beobachtete, wie es aus seinem Blickfeld schrumpfte, bis nicht einmal mehr der Laden zu erkennen war. Dann war es hinter einer Straßenecke verschwunden. Danny sank in die Polster des Taxis und war ganz erfüllt von den Rückständen seiner Enttäuschung und dem Bewußtsein einer neuen, verrückten Begabung. Wenn es davon noch verrücktere gab, dann wäre es nett, nie etwas über sie erfahren zu müssen. Er war kaum in seinem Apartment angekommen, als auch schon das Telefon nervenzerrüttende Laute von sich gab. Fluchend durchquerte Danny den Raum und nahm den Hörer ab. »Hall-o«, knurrte er. »Hallo, Danny, wo, zum Teufel, bist du gewesen? Ist alles in Ordnung mit dir?« »Wer will denn das – ach, du bist es, Sean. Ja, es ist alles in Ordnung mit mir, nehme ich an. Ich war den ganzen Nachmittag in der Stadt.« »Wozu denn?« »Am Börsenmarkt rumschnüffeln.«
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»Tatsächlich?« Sean klang ungläubig; er schien die Fähigkeit zu besitzen, die Ausdünstungen von Halbwahrheiten zu entdecken, wie schwach sie auch waren. Dennoch, welches Recht besaß er, eine vollständige Erklärung zu erwarten? Danny begann wieder ärgerlich zu werden. »Du hast mich zu Tode erschreckt«, sagte Sean gerade. »Ich dachte, vielleicht bist du in der U-Bahn ohnmächtig geworden oder so was – ich war schon beinahe soweit, die Bullen auf dich anzusetzen, Krankenhäuser anzurufen und so. Sollte ich je heiraten, werde ich einen feierlichen Eid gegen die Vaterschaft ablegen, ich würde dabei verrückt werden, den Blagen auf der Spur zu bleiben. Danny, warum bleibst du nicht einen Tag oder so zu Hause und ruhst dich aus? Du hast es nötig.« Danny war hin und her gerissen zwischen Lachen und einem Ausbruch reinsten, unverdünnten Hohns. »Wieso hab' ich es nötig?« sagte er vorsichtig. »Also, das liegt doch auf der Hand. Du hast Gott weiß wie lange bei Delta gearbeitet; Delta gesteht seinen Redakteuren nur eine Woche Urlaub am Stück zu; du hast deine erste Woche vor fünf Monaten bekommen. Warum nimmst du dir nicht die zweite? Gott weiß, du hast sie verdient, auch wenn Delta sie dir nicht bezahlt hat.« »Sieh mal, Sean«, sagte Danny. »Du mußt dir mir zuliebe nicht die ganze Welt auf die Schultern laden. Einerseits weiß ich es zu schätzen, aber ich fühle mich dadurch auch ein wenig bedrängt. Deine Kinder brauchen nicht den Gehsteig hinauf und hinunter bewacht zu werden.« »Aha, also ein Rückzugsgefecht. Aber was soll ich davon halten, Danny? Du hast mich in deine Probleme eingeweiht, also muß ich Bescheid wissen.« »Ich nehme an, das mußt du wohl … Also, ich hab' da was Komisches beim Schwanz gepackt, das ist alles. Und ich habe nicht die Absicht, es loszulassen. Aber ich bin überzeugt, daß ich bei Verstand bin und außerdem gesund. Das ist alles.«
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»Na gut«, sagte Sean zweifelnd. »Laß es mich wissen, wenn du irgendwelche Hilfe von mir brauchst.« »Klar. Du kannst gleich damit anfangen. Erinnerst du dich an den Namen von dem Schriftsteller, der den ganzen Mist über verrückte Begabungen gesammelt hat? Die Presseverbände haben ihn während der Saure-Gurken-Zeit etwa zweimal in der Woche erwähnt!« Sean schnaubte. »Die Saure-Gurken-Zeit! Bist du etwa darauf aus, die zum nationalen Heiligtum zu machen? Aber ich kenne den Mann, den du meinst. Er heißt Fort, Charles Fort. Es gibt eine Gruppe von Fort-Verehrern hier in der Stadt. Willst du mit ihnen reden?« »Könnte sein«, sagte Danny. »Meiner Meinung nach bin ich inzwischen nicht weniger unglaubwürdig als eine Fliegende Untertasse. Oh, und noch was – weißt du zufällig, ob es hier eine Zweigstelle der Gesellschaft für psyhische Forschung gibt?« »Ich bin sicher, daß es die gibt; sie müßten im Telefonbuch stehen. Willst du dir eine Sammlung gleichgesinnter Irrer zulegen, Danny? Wenn ja, könntest du auch noch zur Universität hinausfahren und mit den Parapsychologie-Knaben dort Würfel spielen.« »Gut – das werde ich tun«, sagte Danny. »Das ist prima, Sean. Noch andere Vorschläge?« »Meinen anderen hast du gehört«, sagte Sean gleichmütig. Er klang, dachte Danny, ein wenig verärgert, auch wenn er sich dessen nicht ganz sicher war. »Einen Analytiker aufsuchen, wie?« »So ist es.« Es entstand ein verlegenes Schweigen. Danny sagte: »Okay, Sean, ich werde darüber nachdenken. Mach dir keine Sorgen, und vielen Dank. Ich besuch' dich, wenn ich kann.« »Bis dann«, sagte Sean. 56
Einen Moment lang, nachdem er aufgelegt hatte, saß Danny auf seinem Stuhl und runzelte ins Leere hinein die Stirn. Sean verwirrte ihn: großherzig, immer fröhlich, auf absurde Weise freigebig, schnell bei der Hand, wenn es galt, sich über Ungerechtigkeiten aufzuregen, die ihn persönlich kaum oder gar nicht betrafen – und dennoch irgendwie labil, unberechenbar, flüchtig wie Quecksilber. Seine tragende Stimme am Telefon, unbeschreiblich besorgt und doch ruhig und zuversichtlich wie das Summen einer Zikade im Spätsommer, war ein Klang, den Danny schwerer verstehen konnte als jeden seiner eigenen Ringkämpfe mit dem Irrationalen. Er ließ sich mit nichts vergleichen, am wenigsten mit den allzu leichten Begründungen, zu denen Advokat Sean sich aufgeschwungen zu haben schien. Aber wenigstens hatte Sean den Eindruck gemacht, als wäre er ein wenig beleidigt über Dannys sture Weigerung, eine schlichte Psychose als Erklärung gelten zu lassen. Und er hatte Hilfe angeboten und einen Anflug von Verständnis gezeigt; und offenbar war ihm daran gelegen, an Dannys nächsten Schritten teilzuhaben. Er hatte wegen Danny seinen Job aufgegeben; er hatte, wie er schon geltend gemacht hatte, Anspruch darauf, Bescheid zu wissen. Danny überlegte, ob er ihn zurückrufen und ihm die Sache mit dem Börsengeschäft anvertrauen sollte. Doch dann besann er sich eines Besseren. Sean hatte keinerlei Interesse daran bekundet. Er hatte kaum geschafft, es zu glauben. Auch hatte Sean sehr wenig eigenes Geld – als er bei Delta angefangen hatte, hatte er sich ein Einzelzimmer mit Kaltwasseranschluß in der Orchard Street (»Zwei Häuserblocks entfernt«, hatte er gesagt, »von New Yorks größtem Tauschmarkt für Westentaschen-Pornographie«) mit einem theatralischen, gutaussehenden schwarzen Pazifisten geteilt, der den größten Teil seiner Zeit mit nutzlosen Rundreisen nach Indien und noch entlegeneren Orten auf Kosten irgendeiner verwegenen, multikonfessionellen, erstaunlich christlichen Gruppierung verbrachte, und das Zimmer unbewohnt zurückließ, bis auf Sean und den Tee, den dieser über seine Cornflakes 57
schüttete, weil er sich keine Milch leisten konnte – und es hätte keinen Sinn, ihn mit einer Gelegenheit zu locken, die er nicht wahrnehmen konnte, selbst wenn er geneigt gewesen wäre, daran zu glauben. Danny holte seine Brieftasche heraus und untersuchte sie. Er stellte fest, daß unter den mutmaßlichen drei EinDollar-Scheinen, die er dem Taxifahrer gegeben hatte, statt dessen der eine letzte Fünfer gewesen war, den er besessen hatte. Er hatte noch zwei Dollar und das Kleingeld, das er in seinen wenigen heilen Taschen finden konnte. Kein Wunder, daß der Taxifahrer so höflich gewesen war, dort am Ende der sehr langen Fahrt. Es war jetzt fast dunkel. Danny schloß die Pappjalousien und schaltete die Schreibtischlampe an. Dort am Schreibtisch, im Anschluß an eine Suchaktion nach einem Stift, schrieb er sich selber einen Brief, in welchem er peinlich genau eine Reihe von Vorgängen beschrieb, die noch nicht passiert waren, und ausführte, wann sie passieren würden. Er adressierte ihn an sich selbst. Nach allem, was er bisher wußte, konnte der Brief genausogut überflüssige Arbeit sein. Obwohl er sich dessen nie ganz sicher sein konnte, glaubte er, für sich allein keine Beweise zu benötigen. Aber er würde vielleicht Hilfe brauchen – und der Poststempel auf diesem Brief mochte ihm vielleicht später als Indiz dienen. Oder vielleicht auch nicht. Er verschloß jedenfalls den Brief mit großer Sorgfalt und frankierte ihn und legte ihn auf den einfachen Stuhl neben der Tür, wo er sicher sein konnte, da er ihn sehen würde, wenn er morgen hinausging. Dann blieb ihm nichts zu tun, als sich auszuziehen, was sich als ziemlich schwieriges Unterfangen erwies. Von Einschlafen konnte keine Rede sein. Beispielsweise das mit den Pferden war ganz schön seltsam. Es war doch bestimmt wesentlich einfacher, den Ausgang eines Pferderennens vorherzusagen, als im voraus zu wissen, wie eine komplizierte Ansammlung von Faktoren wie der Börsenmarkt sich verhalten würde. Immerhin, er hatte bei den Pferden zweimal 58
richtig getippt. Das könnte ein bloßer Zufall gewesen sein, aber andererseits … Den Trick, das Mobiliar des Mediums in der Gegend herumzuwerfen, versuchte er erst gar nicht zu erklären. Wenn er nur daran dachte, begannen sofort Phantomschmerzen unter seiner Stirn zu brennen. Er würgte ein Aspirin hinunter, wenn auch ohne große Hoffnung. Er hatte bereits Schluckauf vor lauter Nervosität, und seine Hände zitterten. Mit bebenden Fingern stellte er den Wecker auf die Zeit ein zu der er hätte aufwachen müssen, um rechtzeitig an seinen verlorenen Arbeitsplatz zu kommen. Die Rückseite seiner Beine tat unendlich weh. Er war müde. Er schaffte es noch, sich zu fragen, ob er wohl etwas Wichtiges übersehen hatte, aber er war viel zu erschöpft, die Frage zu verstehen, nachdem er sie der abgestandenen Luft seiner Jungesellenwohnung gestellt hatte. Er sank, ohne seinen zweiten Strumpf ganz ausgezogen zu haben, mit einem Seufzer der Ermattung auf die Pritsche; und eine Zeitlang bildete er sich mühevoll ein, zu schlafen. Dann raunten … undeutlich … in der heißen, schwülen Luft lautlose Stimmen einander zu: »Die Spannung steigt. Jetzt ist es real.« »Gefahr. Ich erstaune reale Gefahr.« »]a, aber wir sind gerüstet. Laßt uns warten.« »Ja, warten.« Danny, der sich immer noch einbildete, zu schlafen, regte sich. Schweiß tropfte ihm vom Körper auf das klamme Laken. Die unheimliche Versammlung tief drunten im Erdboden nahm ihren Lauf. »Der Wanderer kommt näher, mein Bruder; sehr nahe.« »Dann mag er sich in acht nehmen.« »Aber die Gefahr …«
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»… Caveat inventor. So lautet das Gesetz. Mag der Sucher sich in acht nehmen.« Die Stimmen setzten ihre Diskussionen fort über Dinge, die sein Begreifen überstiegen, jenseits allen Lauschens. Eisiger Tau zerfloß auf Dannys Stirn. Irgendwo in der schwarzen Nacht gab es einen brodelnden Schmerz und einen Wirbel von Milliarden winziger Dinge. Er fühlte sich leicht und benommen. Er spürte, wie er sich langsam um sich selbst drehte. Im Traum hatte er das Gefühl, die Augen zu öffnen und ohne Überraschung hinab auf eine menschenleere, laternenbeschienene Straße zehn Stockwerke unter ihm zu blicken. Das Prickeln, der Schmerz, der Wirbel steigerten sich wie eine alte Geschichte, die man einfach nicht vergessen kann. Ein Mann ging drunten vorbei, seine Beine wechselten einander geradezu lächerlich ab unter seinen Schultern. Danny schwebte. Nach einer Weile verspürte er leichte Besorgnis, so etwas auch nur im Traum zu erleben. Er zwang sich, sich zu bewegen. Sanft begann er zu treiben. Die Straße drehte sich bedächtig aus seinem Gesichtskreis; jetzt sah er Sterne, und die sich jäh verjüngende Seite des Gebäudes, die im Sternbild des Fuhrmanns endete, einem winterlichen Sechsergestirn, das nur deshalb im Sommer erschien, weil er selbst selig und verflucht in der feuchten Sommerluft im Nichts und auf dem Nichts schwamm. Zutiefst erschrocken versetzte er sich in Bewegung. Mit den Fersen voran kehrte er in sein Zimmer zurück, gleitend, ein wenig hüpfend, auf dem Rücken liegend. Der Abgrund unter ihm verblaßte. Das Fenster verschluckte ihn. Dann war er wieder in seinem Bett, auf dem Rücken liegend, in Schweiß gebadet. Der Traum war vorbei. Wenn es ein Traum gewesen war.
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VI Erziehung eines Novizen Danny stand auf, als Dr. Todd aus seinem Büro kam. Der Parapsychologe war ein kleiner, kahlköpfiger und ausgesprochen anziehender Mann, voller Schwung, ohne jede Ähnlichkeit mit irgendeinem Professor, den Danny je zu Gesicht bekommen hatte – und ganz gewiß ohne jede Ähnlichkeit mit dem Mann mit der Zwangsvorstellung, auf den Sean ihn vorbereitet hatte. Todd war mehr als nur hilfreich gewesen, obwohl er im Recht gewesen wäre, Dannys Verlangen abzulehnen, außerhalb des normalen Zeitplans des Laboratoriums getestet zu werden. »Also, Mr. Caiden«, sagte der Parapsychologe, »ich weiß wirklich nicht, was Sie glauben gemacht hat, Sie seien parapsychologisch besonders begabt. Wir haben gerade einen Großteil der Ergebnisse codiert, aber ich kann mit Sicherheit sagen, daß Ihr PSI-Quotient – das ist unsere Kennziffer für die parapsychologischen Kräfte eines Individuums – durch und durch der eines Minderbegabten ist.« Er setzte sich und polierte feierlich seine Brille. Danny runzelte die Stirn. »Überhaupt keine Anzeichen?« »Nichts, was als Anzeichen gedeutet werden könnte. Natürlich können wir nichts Endgültiges sagen, bis wir Sie über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg getestet haben – lieber noch über mehrere Jahre, was wahrscheinlich unmöglich ist, da Sie kein Student der Universität sind wie die meisten unserer regelmäßigen Testpersonen. Aber die Vortests haben keine überdurchschnittlichen Zufallsergebnisse erbracht, weder bei den Karten noch bei den Würfeln.« »Oh«, sagte Danny grinsend. »Dann kann ich jedenfalls kein Minderbegabter sein, sonst wäre meine Punktzahl unter dem Zufallsdurchschnitt.« 61
»Glauben Sie das bloß nicht«, sagte Todd. »Bei dieser Art Arbeit ist eine Punktzahl, die ständig unter dem Durchschnitt liegt, genausowenig mit den Wahrscheinlichkeitsgesetzen erklärbar wie eine Punktzahl, die ständig darüberliegt. Wir besitzen ganze Koffer voller Daten die starke negative Einwirkungen auf die Zufallshäufigkeit zeigen, geliefert von Leuten mit hohen PSI-Quotienten, die bezüglich ihres Abschneidens nervös, beunruhigt, ängstlich waren und so weiter. Man muß solche Leute beruhigen und sie noch einmal unter guten Bedingungen arbeiten lassen, dann steigen ihre Punktzahlen wie die Raketen.« »Ich fange an, zu begreifen. Zieht man meinen emotionalen Zustand in Betracht, meine Betroffenheit und andere Faktoren, dann hätte ich eigentlich einen Negativeffekt bewirken müssen.« »Nun ja, das hätte ich zumindest erwartet, wenn Sie irgendwelche Begabungen in unserem Sinn gezeigt hätten«, sagte der Parapsychologe fröhlich. »Aber bis jetzt haben Sie das nicht, mein Junge. Das heißt, Sie sind nicht gut mit Karten oder Würfeln. Vergessen sie nicht, unsere Versuchstechniken erforschen nur die rudimentärste Form der Anwendung von PSIKräften. Es könnte sein, daß Sie sich in der Position eines Meisterkochs befinden, der gebeten wird, einen wohlgelungenen Sandkuchen herzustellen. Sie könnten dazu in der Lage sein, aber andererseits …« »Sie wollen mich wohl schonen«, sagte Danny. »Aber Sie könnten genausogut recht haben. Gibt es noch etwas?« »Oh, natürlich. Dies ist nur die Einleitung. Wir haben noch andere Ergebnisse. Ich wollte Sie lediglich auf die Tatsache vorbereiten, daß wir sie uns nicht erklären können, und Sie wissen lassen, daß wir mit unseren üblichen Tests Nieten gezogen haben. Nehmen wir zum Beispiel Ihr Elektroenzephalogramm. Wissen Sie, wie der Apparat funktioniert?« »Ja, ich glaube schon, Dr. Todd. Das Gehirn soll eine geringe Menge elektrischer Energie erzeugen, während es arbeitet, und
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der Enzephalograph empfängt sozusagen den Ausstoß und schreibt ihn in Form einer Kurve nieder.« »Sehr gut«, sagte Todd und sah dabei erfreut und ein wenig überrascht aus. »Also, Ihr Alphawellen-Muster – die normale Wellenausstrahlung Ihres Gehirns, während Sie sich im Ruhezustand befinden – ist absolut außergewöhnlich. Es folgt im großen und ganzen der Kurve, der auch das Alphamuster des gewöhnlichen Individuums folgt, aber es gibt da eine systematische Reihe sekundärer Überlagerungen, die mir völlig neu sind.« »Aber Sie wissen nicht, was das bedeutet?« »Im Lichte dessen, was Sie mir über sich erzählt haben, kann ich zumindest eine Vermutung anstellen«, sagte Todd vorsichtig. »Denken Sie daran, daß das Alphamuster die Gehirnaktivität im Ruhezustand darstellt. Eine Art Generalüberholungs- und Instandsetzungsfunktion. Bewußte Denkprozesse spiegeln sich in der Gammawelle, mit der wir uns gar nicht erst beschäftigen, weil wir einfach noch nie eine Testperson gefunden haben, die ihre PSI-Kräfte soweit unter Kontrolle hatte, daß sie als Gammawellenaktivität aufgetreten ist. Versuchsweise könnte man sagen, daß wenigstens noch ein anderer Teil Ihres Gehirns, den niemand sonst benutzt – nicht einmal beim Denken – bei Ihnen ständig in Betrieb ist. Es handelt sich nicht um eine Aktivität Ihrer Hirnrinde, Ihrer ›grauen Zellen‹. Es ist eine Art innerer Vierundzwanzig-Stunden-Betrieb, der Ihnen nicht bewußter ist als das Absterben und die Erneuerung verbrauchter Zellen. Um die Vermutung noch weiterzutreiben, könnten wir sagen, daß diese neuartige Funktion in den vier Fünfteln Ihres Gehirns angesiedelt ist, für die man gegenwärtig noch keine Funktion kennt; mit Sicherheit stimmt sie mit keinem sensorischen Wellenverhalten überein, von dem wir wissen. Es könnte sein, daß sich das bestätigt, wenn die Röntgenbilder etwas geworden sind; ich hoffe es jedenfalls. Wir besitzen ein paar unzureichende Methoden, subkortikale ESPAktivität zu erkennen, auch wenn wir sie nur selten finden.« 63
»ESP?« »Extrasensorische Perzeption. Dr. Rhine hat den PSI-Kräften diesen Oberbegriff verliehen, nachdem sich herausstellte, daß sie ganz anders als die übrigen etwa zwei Dutzend Sinne arbeiten. »Zwei Dutzend – Moment mal, Dr. Todd. Ich dachte, es gibt nur fünf, aber wenn es zwei Dutzend sind, glaube ich Ihnen das aufs Wort. Ich würde aber gerne bei meinen eigenen Schwierigkeiten bleiben. Sie verwirren mich auch so schon genug.« Er rieb sich kläglich den Kopf. »Eins weiß ich aus eigener Erfahrung. Es tut weh, wenn es in Betrieb ist, das garantiere ich.« »Aber natürlich. Sie setzen neue Synapsen in Betrieb, neue Impulskanäle von Nervenzelle zu Nervenzelle. Viele sind noch nie benutzt worden und könnten, soweit wir wissen, durchaus noch in einem hochgradig primitiven Zustand sein. Eins, was wir herauszufinden versuchen, ist die Frage, ob ESP etwas ist, das der Mensch einmal besessen und nach und nach verloren hat, oder ob es etwas Funkelnagelneues ist, das sich gerade bei ihm entwickelt. In beiden Fällen müßte es aber, jedesmal wenn Sie die neuen Kanäle benutzen, leichter werden, so, wie man eine Angewohnheit oder einen Trainigsablauf verfestigt. Aber das ist im Grunde nicht das, worauf wir aus sind. Die einzelnen Synapsen sind nur die Bausteine für zwei sehr umfassende Gehirnfunktionen. ESP ist die bekannteste, aber PK, Psychokinese, ist ebenso wichtig. ESP hilft dabei, Dinge zu entdecken – Gegenstände Ereignisse, Gedanken. PK befähigt dazu, auf sie einzuwirken – wie zum Beispiel, wenn unsere begabteren Versuchspersonen Einfluß auf die Art und Weise nehmen, wie die Würfel fallen. Sämtliche Nebeneffekte wie Präkognition und Telepathie sind lediglich unterschiedliche Erscheinungsformen dieser beiden elementaren Funktionen, genau wie die Farben nur unterschiedliche Erscheinungsformen des Lichts sind.« »Oder Licht und Radiostrahlung innerhalb des gesamten elektromagnetischen Spektrums?« 64
»Bravo«, sagte Todd und sah wieder überrascht aus. »Ich muß sagen, ich wollte, ein Jahr Physik an der Hochschule würde bei allen Studenten so gut ›greifen‹ wie bei Ihnen.« Er brach ab, als ein Assistent leise das Zimmer betrat, einen kleinen Stapel Aufnahmen in der Hand. »Ah«, sagte Todd. »Nun wollen wir es uns mal ansehen.« Danny sah es sich über Todds Schulter hinweg an. »Die hier sehen den Röntgenbildern aber gar nicht ähnlich, die ich bisher gesehen habe«, sagte er. Todd lachte in sich hinein. »Das sind sie auch nicht«, sagte er. »Aber wir nennen sie der Bequemlichkeit halber Röntgenbilder, weil dieses Verfahren noch keinen eigenen gebräuchlichen Namen hat. Es handelt sich übrigens um eine Weiterentwicklung der Radiochemie. Wir haben entdeckt, daß das Element Ekazäsium eine Affinität zu den subkortikalen Golgikörpern besitzt, genau wie Jod eine Affinität zu den Zellen der Schilddrüse hat. Also haben wir Ihnen ein wenig künstlich radioaktives Ekazäsium verabreicht – Sie erinnern sich an die Spritze, die wir Ihnen gegeben haben –, und nach einer Weile haben wir Röntgenplatten an Ihren Kopf gehalten und abgewartet, was passieren würde. Die zweite Spritze, deren Ergebnisse auf diesen drei Platten unten im Stapel zu sehen sind, enthielt radioaktives Silber; das wirkt ausschließlich kortikal, setzt sich in ihren grauen Zellen fest. Wir hatten das Gefühl, daß wir es uns nicht leisten konnten, etwas Wichtiges zu übersehen?« Er hielt die Platten gegen den Sichtschirm, eine nach der anderen. Danny sah gespannt zu. »Hier, da ist eine Konzentration«, murmelte Todd. »Mehr, als ich je gesehen habe, das steht schon mal fest. Schwer zu sagen, wie sie aufgebaut ist. Aber wir werden's noch rauskriegen. Wie wäre es, wenn Sie morgen wiederkommen, Danny? Ich habe ein paar Schreibarbeiten zu erledigen; Sie haben mich mit einer Situation konfrontiert, von der ich nicht einmal angenommen hatte, meine Enkelkinder müßten damit fertig werden. Danach gehen wir erneut zum Angriff über.« 65
Danny konnte seine Enttäuschung nicht zügeln. »Glauben Sie, es besteht noch Hoffnung?« »Hoffnung?« explodierte der Parapsychologe. »Heiliger Strohsack, Mann, Sie verschaffen mir die erste Gelegenheit, die wir je hatten, dieses Ding, das wir PSI-Kräfte nennen, direkt zu beobachten, und Sie fragen mich, ob es noch Hoffnung gibt! Verschwinden Sie, bevor ich Ihnen auf den Kopf haue und das Versuchsobjekt verderbe.« Beim Weggehen fühlte Danny sich ein wenig besser und hatte immer noch den Kopf voll von den Quadraten, Sternen, Kreuzen, Wellenlinien und Kreisen auf Dr. Todds Testkarten. Die Resultate waren aufregend und doch auf entmutigende Weise nicht aufschlußreich; auf Danny, der sofort Bescheid wissen mußte, wirkte die unerbittliche Sorgfalt wissenschaftlicher Methoden fast verhängnisvoll langwierig. Naja, das war zu erwarten gewesen. Es war schwer vorstellbar, daß irgendeine normale Einrichtung des täglichen Lebens, selbst eine so unorthodoxe wie die Parapsychologie-Labors, mit dem fremdartigen Unbekannten fertig werden sollte, das dabei war, über Dannys Kopf herzufallen. Er hatte Glück, daß Dr. Todd überhaupt so weit gekommen war. Die Zuversicht des Mannes war immerhin ansteckend genug, daß Danny sich etwas weniger verzweifelt fühlte. Die Forteaner erwiesen sich als noch weniger hilfreich, wenn auch freundlich. Die örtliche Zweigstelle der Forteanischen Gesellschaft besaß nur eine Postfachadresse. Als er sie schließlich fand, geschah das mit Hilfe des Who's Who. Es stellte sich heraus, daß ihr örtlicher Anführer Cartier Taylor war, ein populärer Autor, ein Mann, der so viele farbenfreudige und gelegentlich scharfsinnige Thriller geschrieben hatte, daß selbst Danny von ihm gehört hatte. In der Tat schien es in der Forteanergruppe nur so zu wimmeln von Schriftstellern verschiedenen Kalibers von denen die meisten vom brillianten Schreibstil ihres Meisters mehr beeindruckt waren als von seinen wirren metaphysischen Theorien. 66
Taylor, ein auf glatte Weise gutaussehender Mann jenseits der mittleren Jahre und auf bestem Wege, nachlässig zu werden, doch mit einem Talent zu brillant bissigem Geplauder, das Danny bis zu völliger Sprachlosigkeit beeindruckte, war nur zu gern bereit, diesen mit einem halben Hundert Berichten über ungewöhnliche Begabungen jeder nur denkbaren Art zu überhäufen. Er besaß sie kistenweise, gesammelt von emsigen Forteanern in der ganzen Welt und eingeordnet unter Stichworten wie »Feuererscheinungen«, »Poltergeister« und »Fröscheregen«. Aber keine der sogenannten Theorien, die er anzubieten hatte, um solche Berichte zu erklären, schienen über das Idiotische hinauszugehen. Überhaupt hatte er offenbar eine besondere Neigung zum Idiotischen und war darauf aus, Danny zu jedem nur möglichen Zugeständnis zu überlisten, daß die »orthodoxen« Theorien von der Beschaffenheit des Universums Unsinn waren. Er betrachtete die Wissenschaftler in ihrer Gesamtheit als eine Art Priesterschaft und wissenschaftliche Methodik als neue Erscheinungsform eines Beschwörungskults. Diese verzerrte Sichtweise machte ihn empfänglich für Astrologie, Hohlwelttheorie, Lemuria, Pyramidologie, Schädelkunde, Wedanta, Schwarze Magie, Geisterbeschwörung, Theosophie, Rosenkreuzlertum, kristalline Atome, Mondanbau, Atlantis und eine lange Liste ähnlicher Schwachsinnigkeiten – je schwachsinniger, desto besser. Letztlich stellte sich jedoch heraus, daß jede einzelne dieser Überzeugungen (falls Taylor überhaupt von ihnen überzeugt war; Danny hätte nicht sagen können, ob er sich jeder beliebigen Doktrin verschrieb, weil sie ihm gefiel, oder nur, weil es ihm gefiel, sich gegen alles aufzulehnen, was allgemein akzeptiert wurde) auf einer Art Theorie vom Teufel in Menschengestalt beruhte: Die Weltpresse war darauf aus, Berichte über unorthodoxe Vorfälle zu unterdrücken, Astronomen hatten sich verschworen, Geld für überflüssige Instrumente herauszuschlagen, Physiker planten insgeheim den Ankauf von Teilchenbeschleunigern durch die höheren Schulen zu betreiben, die katholische Kirche war 67
dabei, überall in den Yereinigten Staaten unabhängiges Denken lahmzulegen, Ärzte förderten nutzlose oder gefährliche Drogen, nur weil sie teuer waren – alles Theorien mit einer überaus glatten, plausiblen Außenseite, alle miteinander so verrückt wie die verrückteste, anstaltsverwahrte fixe Idee persönlichen Verfolgtwerdens. Danny war nicht im mindesten überrascht, daß Taylor auch noch entschlossen und brillant versuchte, ihm Hubbards Dianetik zu verkaufen, während sich Danny rückwärts durch die Tür davonmachte. Dessenungeachtet lieferte Fort selbst spannende Lektüre, wie Danny direkt anschließend in der öffentlichen Bibliothek feststellte. Er sah ein, warum Schriftsteller den Mann liebten. Er schrieb unter ständiger und höchst poetischer Entfaltung verbalen Feuerwerks, hervorragend beherrscht, raffiniert ausgeglichen, geistreich und aufwühlend zugleich. Seine Haltung gegenüber seiner Umwelt schien die einer Art umfassender Aufgeblasenheit zu sein, etwa auf halbem Wege zwischen der Ironie Heinescher Epigramme, an die Danny sich noch gut erinnerte, und den Slapstickkomödien der Ritz Brothers, die er allzugern vergessen hätte. Aber wie bei Taylor waren auch seine Erklärungen für die Dinge, die er beobachtet, aus zweiter Hand gesammelt oder einfach nur zusammengestellt hatte, bewußt schockierend. Hin und wieder fand Danny in dem einen oder anderen von Forts vier Büchern eine schimmernde Fährte hin zu etwas Nützlichem – und jedesmal nahm Fort die entstehende Einsicht und stellte sie auf den Kopf oder, schlimmer noch, verdrehte sie zu völliger Kinderei. Ein Wissenschaftler mit Humor und mehr als nur der üblichen Geduld mit unsauberem Denken hätte möglicherweise etwas mit Forts Ungewöhnlichen Begabungen anfangen können, dem einzigen Buch unter den vieren, das unmittelbar auf Dannys Schwierigkeiten einging. Doch für Danny, der keine wissenschaftliche Ausbildung hatte und das verzweifelte Bedürfnis, jetzt zu erfahren was an alledem dran war, gab es nichts zu entdecken 68
als die Bestätigung, daß sich schon eine Menge anderer Leute in seiner mißlichen Lage befunden hatten, oder zumindest in einer ähnlichen. Andere Bücher erregten seine Aufmerksamkeit, auch wenn er keine Möglichkeit hatte planmäßig daranzugehen, herauszufinden, wonach er suchen sollte und wie er danach suchen sollte. Es war ganz einfach, die Bücher von Dr. Rhine zu finden, und die Nichte des Mediums hatte ein Buch von Houdini erwähnt, das, wie sich herausstellte, Ein Magier inmitten von Geistern hieß – nicht gerade, dachte Danny, ein besonders vielversprechender Titel. Hiernach wurde es schwieriger. Littletons Unser transzendentales Bewußtsein fand sich erst nach anstrengender Suche, und Tyrrells Naturwissenschaft und psychische Phänomene hätte er völlig übersehen, wenn er sich nicht daran erinnert hätte, die Katalogkarte gesehen zu haben, als er das Houdini-Buch suchte. Danach mußte er es auf gut Glück versuchen, schmerzlich jener möglicherweise entscheidenden Werke bewußt, die er dabei sicher übersehen würde. Er kam nur durch einen hauchdünnen Zufall auf Dunns Ein Experiment mit der Zeit: Er hatte eine Erwähnung Dunns in Priestleys populärem Werk Mitternacht in der Wüste gesehen, und der Name des Autors war ihm aufgefallen, als er in den Karten nach dem Begriff »Wünschelrute« suchte. Das letzte Buch, das er sich auslieh, war von Ouspenskij – das Tertium Organum. Auch darauf war er auf Umwegen und ganz und gar unmethodisch gekommen. In einer Buchbesprechung von T. S. Eliots Vier Quartetten wurde das Buch Ein neues Modell des Universums von eben diesem Autor erwähnt, und die Neugier hatte ihn bewogen, es zu kaufen, obwohl er es bisher nicht hatte lesen können; von dem zuerst genannten Buch hatte er noch nie etwas gehört, aber es in den Karten zu finden hatte ihm genügt. Bevor er die Bibliothek verließ, faßte er noch de Camps Abenteuer im Okkulten ins Auge, aber kurzes Durchblättern überzeugte ihn, daß es ihm im wesentlichen um Entlarvung ging – recht vernünftig und stichhaltig, ohne Frage, aber die Kehrseite der forteanischen Medaille, darauf 69
aus, alle Unorthodoxien von vornherein abzutun; folglich höchstwahrscheinlich keine große Hilfe für einen Mann in den Schlingen des offensichtlich Unhaltbaren. Und damit blieb ihm nur die Gesellschaft für psychische Forschungen. Danny hatte keinerlei Vorstellung davon, was er dort zu finden erwartet hatte: Eine Gruppe von Medien vielleicht, die sich abmühten, ihr Gewerbe respektabel zu machen – eine quasireligiöse Organisation, die hoffte, den Beweis für ein Leben nach dem Tod zu erbringen – etwas Dubioseres und Nutzloseres jedenfalls als alles, was seine vorangegangene Suche ergeben hatte. Er war völlig unvorbereitet darauf, Sir Lewis Carter zu treffen. Er erkannte den international anerkannten Astronomen und Verfasser populärwissenschaftlicher Werke sofort. Seine Hose und die Jacke, die nicht zueinander paßten, seine Kürbispfeife mit dem Meerschaumkopf waren fast zu Markenzeichen geworden. Der Wissenschaftler stand im Foyer des alten Sandsteingebäudes, das die GSF beherbergte, aber er drehte sich um, als Danny die schwere Tür aufstieß, und das Licht von draußen fiel voll auf ihn. Danny war einen Moment lang zu überrascht, um zu sprechen. Dann sagte er: »Sie sind doch nicht etwa der Boß von diesem Laden, Sir?« Sir Lewis neigte den eisengrauen Kopf. »Mehr oder weniger, junger Freund. Was haben Sie denn für ein Problem? Aber kommen Sie doch in das Büro; unnötig, den Schirmständer an unserer Unterredung teilhaben zu lassen.« Drinnen verschaffte Danny ihm einen kurzen Überblick, wobei er die eindeutig unglaubhaften Teile wegließ. Es war im Grunde die gleiche Geschichte, die er Sean erzählt hatte. Sir Lewis gab keine Stellungnahme ab, bis er geendet hatte. Dann sagte er. »Haben Sie noch jemand anderen deswegen aufgesucht?« »Praktisch jeden«, sagte Danny. »Sogar die Forteaner und die ESP-Leute an der Universität.« 70
Sir Lewis tat die Jünger Dr. Rhines mit einem Schwenk seines Pfeifenstiels ab. »Dieser Haufen bringt Ihnen nichts ein, das versichere ich Ihnen. Die scheinen einfach nicht zu bemerken, daß man so heikle Dinge wie psychische Manifestationen nicht behandeln kann, als seien sie abgerichtete Hunde. Diese Phänomene haben ihre eigenen, besonderen Gesetzmäßigkeiten, und sie sind recht hartnäckig in bezug darauf, sich nicht zu zeigen, es sei denn unter besonderen Bedingungen.« Danny fühlte sich unbehaglich. Sogar Fort hatte dieses uralte Argument durchschaut. Frisch von seinen Nachforschungen kommend erinnerte er sich an Forts erdrückende Beobachtung, daß echte Teleportationen und andere paranormale Ereignisse immer offen auftraten. Diese Unterlagen dürften es spiritistischen Medien und ihrem Verlangen nach besonderen oder abgeschlossenen Bedingungen schwermachen … Niemand in diesem Haus saß in einem Schrank … »Wie könnte man beispielsweise«, sagte Herr Niemand, »eine Fotografie entwickeln, außer unter den besonderen Bedingungen der Dunkelheit oder des Halbdunkels?« Und darauf war die satirische Beschreibung eines Chemikers erfolgt, der tatsächlich gezwungen war, unter ähnlichen Bedingungen zu arbeiten, im Dunkeln zu sitzen und dabei mit Nichtfachleuten Händchen zu halten und zu fragen, ob es unter den Anwesenden einen gebe, der besondere Beziehungen zu einer Chemikalie namens Wasserstoff habe. Und Fort war als Wissenschaftler eine Null gewesen; was hatte Sir Lewis im Sinn, daß er mit dieser alten Geschichte ankam? Danny beschloß, nicht danach zu fragen. Es war schwer, nicht ehrfürchtig zu werden im Angesicht von so viel Fleisch gewordenem Ruhm. Statt dessen sagte er: »Das klingt vernünftig. Was ich in der Hauptsache wissen will, ist, wie ich diese – nun ja, diese Kräfte kontrollieren kann. Die Art, wie sie immer wieder hochschießen, ist verdammt unbequem. Sie haben mich meine Arbeit gekostet, und ich hab' den Verdacht, daß es nicht mehr lange hin ist, bis ich noch ärger in der Klemme sitze.«
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Und diese Aussage, fügte er im Geiste hinzu, müßte eigentlich den diesjährigen Orden für Untertreibung gewinnen. »Das tut mir aber leid«, sagte Sir Lewis ernsthaft. »Was ich Ihnen vorschlage, wäre, daß Sie zur Beobachtung bei uns bleiben, bis wir das Wesen der Kräfte, die in Ihnen entstehen, fest im Griff haben. Wir können es Ihnen recht bequem machen, und dann haben wir reichlich Gelegenheit, diese Manifestationen zu beobachten, wenn sie auftreten. Wir besitzen die Mittel für einen derartigen Zweck, Sie brauchen sich also zunächst keine Sorgen wegen eines Jobs zu machen; und Sie werden – sozusagen – von der Straße sein und damit außerhalb jeder ernsten Gefahr.« »Das ist sehr großzügig von Ihnen«, sagte Danny. »Doch unglücklicherweise habe ich so vieles, über das ich auf dem laufenden bleiben muß, daß ich es mir im Moment nicht leisten kann. Ich habe nicht übertrieben, als ich sagte, ich stecke in der Klemme. Wäre Ihnen später recht?« »Sehr recht; wie es Ihnen beliebt«, sagte Sir Lewis. »Mal sehen, Ihre Adresse habe ich. Ich schicke Ihnen etwas zu Lesen; vielleicht finden Sie etwas Brauchbares dabei.« »Danke«, sagte Danny. »Ich danke Ihnen, Mr. Caiden. Bitte rufen Sie mich an, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann. Ich glaube, Sie werden binnen Kürze Ihre Situation als äußerst schwierig empfinden.« »Das glaube ich Ihnen gern«, sagte Danny gleichmütig.
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VII Nachfragen und Antworten In der U-Bahn, auf dem Weg zurück zu seinem Apartment, überflog Danny die Spätausgabe einer Zeitung. Er widmete sich als erstes dem Wirtschaftsteil, nur um zu entdecken, daß die dortige Schlagzeile über Weizen International über einem »Sprung« saß – der Fortsetzung von einer anderen Seite, die sich als die Titelseite der Zeitung herausstellte. Weizen hatte seine Anklage bekommen, und der Kurs war bereits um drei Punkte gefallen. Wirtschaftsexperten fingen bereits an, sich gelehrt Sorgen zu machen über »Einbrüche« – ein Unterschreiten des früheren niedrigsten Kurses, das üblicherweise ein generelles Sinken und eine Flaute auf dem Markt ankündigte; vielleicht sogar, wenn es noch weiterging, eine echte Baisse. Der Beweis! Danny war froh, daß er diesen Brief aufgegeben hatte. Seltsamerweise war ihm bei seinen Nachforschungen viel weniger Skepsis begegnet, als er erwartet hatte – weniger, als ihm lieb war, wenn er jetzt so darüber nachdachte. Er würde den Brief nicht brauchen, um bei anderen Gehör zu finden, wie er gedacht hatte. Aber er wirkte Wunder bei seiner quälenden Selbstbefragung. Es war viel zu spät am Tag, um seinen Spekulationsgewinn abzuholen, aber er würde am Montag auch noch verfügbar sein, und es würde nur allzu gelegen kommen, ihn zu haben. Er mußte eigentlich in der Lage sein, mehrere Wochen damit auszukommen. Aber warum hatte dieser Sinn für Vorhersagen beim Rennen nicht genausogut funktioniert? Konnte man diesen abscheulichen Sinn für die Zukunft denn nicht unter Kontrolle bringen? Kein einmaliger Zufallserfolg, egal wie erfreulich, konnte dieses grundlegende und verhängnisvolle Problem lösen. Er hatte einen Triumph erlebt, aber keinen ungetrübten.
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Eine kleine Gruppe von Leuten, zum größten Teil Frauen, hatte sich in der Empfangshalle des Apartmenthauses versammelt, als Danny eintraf. Einer, ein stattlicher, wohlgekleideter Mann, den Danny nach kurzem Zögern als seinen Vermieter erkannte, löste sich aus der Gruppe, sobald Danny durch die Außentür kam. Die Frauen wichen zurück und flüsterten heiser. »Mr. Caiden, dürfte ich Sie einen Augenblick sprechen, vertraulich?« »Sicher«, sagte Danny. Sie gingen durch die Innentür und ließen die Frauen summend wie Telefonfreizeichen in der Halle zurück. »Ich fürchte, ich muß sie bitten, das Gebäude zu verlassen«, sagte der Hausbesitzer, sobald sie weit, genug im Treppenhaus waren. »Ich halte mich für einen toleranten Mann, Mr. Caiden, aber die meisten meiner Mieter kommen aus dem Mittelstand und sind recht engstirnig und halten die Unterbringung junger Frauen in Junggesellenwohnungen nicht für eine Bereicherung der Allgemeinheit.« Danny brauchte einen Moment, um diesen hochtrabenden Satz zu entwirren; er hatte nicht besonders gut aufgepaßt. »Junge Frauen?« wiederholte er zögernd. »Vielleicht hätte ich in der Einzahl sprechen sollen; aber ich greife mir selber vor. Ich wurde hierhergerufen von Mrs. Tafuri von Acht-A bezüglich einer Störung, die sich auf Ihr Apartment konzentriert hat«, intonierte der Hausbesitzer. »Wie ich die Geschichte verstehe und unter Auslassung einander widersprechender Punkte der verschiedenen Versionen, die andere Mieter beigesteuert haben, hat Mrs. Tafuri eine junge Dame dabei beobachtet, wie sie vor diesem Haus einem Taxi entstieg und dann hineinging. Mrs. Emerson aus der Sechs-F berichtet, sie habe Ihre Türglocke läuten hören, woraufhin man – einige Minuten später – die junge Dame hörte, wie sie die Treppe hinaufging und sich mit
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einem Nachschlüssel Zugang zu Ihrem Apartment verschaffte.« Er holte tief Luft und stürzte sich in einen weiteren Satz. »Später meldete der Hausverwalter, ein Mann von, ich möchte sagen, erwiesener und tadelloser Unbescholtenheit, den man telefonisch abberufen hatte, um eine undichte Stelle in der Installation zu reparieren – eine nicht existierende undichte Stelle, möchte ich hinzufügen – das Fehlen eines Nachschlüssels, wobei es sich um einen Nachschlüssel von dem Haken handelte, der die Nummer Ihres Apartments trägt; und zur gleichen Zeit hörte Mrs. Schoenbrun, die im Apartment unter Ihnen wohnt, Schritte an ihrer Zimmerdecke, und da sie eine fast taube alte Dame mit einer Vorliebe für Gespenster ist, meldete sie die Angelegenheit dem Grundstücksbüro in der Überzeugung, es spuke bei ihr, einer Überzeugung, die wir zu mißbilligen geneigt sind; der Hausmeister stellte in der Zwischenzeit Nachforschungen über den Zweitschlüssel an und wurde von Mrs. Flores aus der Zwei-B darüber in Kenntnis gesetzt, daß …« Danny hatte schon lange genug gehört. Er sprang die Treppe hoch und ließ den Hausbesitzer in einem Gewirr abhängiger Satzteile zappelnd zurück. Auf unerklärliche Weise zitterten seine Hände an seinem eigenen Türknopf und ließen die Bartspitze seines Schlüssels gegen das aufgebrochene Schloß klappern. Die junge Frau war tatsächlich da; sie beobachtete ihn beim Eintreten mit der schwelenden Verdrießlichkeit, die er kannte, ohne sich einen Zentimeter von der Stelle zu rühren, an der sie saß, sah sie ihn an. Danny knallte die Tür zu, verschloß und verriegelte sie. Einen Moment darauf hämmerte der stattliche, pompöse Esel draußen bereits an das dünne Türblatt. »Vierundzwanzig Stunden!« schrie er, seine Syntax über seinem Zorn vergessend, daß er zunächst stehengelassen und dann ausgesperrt worden war. »Räumungsklage! Ehrbares Haus! Lasse es nicht zu! Ruhe und Ordnung! Ist das klar?« »Jeah«, sagte Danny. »Ich ziehe aus. Hauen Sie ab. Sie wecken mir meine Spinnen.«
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Durch die geschlossene Tür war ein erstickter Atemzug zu hören. Danny drehte ihr den Rücken zu und starrte das Mädchen an. Sie saß in seinem Lieblingssessel und rauchte eine der überlangen Zigaretten, die er bevorzugte, wenn er allein war. Das Glasröhrchen, in dem sie gesteckt hatte, lag neben ihr auf dem Telefon tisch. Sie beäugte Danny mit kühler Belustigung. »Was machen Sie hier?« knurrte er. »Auf Sie warten«, sagte sie. »Und für den Fall, daß Sie sich fragen, woher ich gewußt habe, wo Sie wohnen: Ich habe gehört, wie Sie dem Taxifahrer Ihre Adresse gegeben haben, als Sie den Laden meiner Tante verlassen haben.« »Sie haben nicht so ausgesehen, als hätten Sie noch genug Geistesgegenwart, einen Fliegeralarm zu hören.« »Ich habe mich darauf spezialisiert, zu hören, was ich hören will, und zu bekommen, was ich haben will. Im ersteren Fall Ihre Adresse; im zweiten Ihre Geheimnisse. Übrigens heiße ich Maria.« »Ich bin Danny Caiden«, sagte er automatisch. Dann: »Was Sie nicht sagen! Ich werde meine Geheimnisse für mich behalten, danke. Was wollen Sie eigentlich überhaupt von mir? Ihretwegen habe ich mein Apartment verloren, und ich habe ohnehin genug Schwierigkeiten.« »Bei Ihrer Begabung«, sagte sie mit gefährlicher Liebenswürdigkeit, »müßte es Ihnen eigentlich gelingen, ein anderes aus dem Nichts hervorzuzaubern. Und ich werde auch dabeisein, um zuzusehen, wie es gemacht wird.« »Das werden Sie, verdammt noch mal, nicht. Sie werden machen, daß Sie hier rauskommen, und zwar schnell, oder ich werfe Sie raus, direkt aufs Hinterteil, das Sie mir entgegenstrecken.« »Nein, das werden Sie nicht«, sagte Maria. »Ich schreie. Sie werden ins Gefängnis kommen. Das wäre gar nicht nett.«
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Er starrte sie an. »Was ist das hier – ein Erpressungsversuch? Ich habe kein Geld, und im Moment würde ich keine zwei Cent für eine Anklage wegen Vergewaltigung hergeben. Sie könnten sie nicht stichhaltig machen, und meinen Nachbarn gegenüber haben Sie mir schon auf jede denkbare Weise geschadet.« »Ich will Ihr Geld nicht. Was Sie besitzen, ist für mich mehr wert als Geld. Und ich will auch nicht ihre persönlichen Geheimnisse – nur Ihre fachlichen. Mach Maria doch nichts vor, Danny; sie ist ein aufgewecktes Mädchen. Sie wissen genausogut wie ich, was ein professioneller Zauberer unter einem ›Geheimnis‹ versteht – Sie sind ein Profi, und zwar einer der besten. Der Drastik Ihrer Leistung nach zu urteilen, würde ich sagen, Sie waren ein Schüler von Thurston, obwohl Sie eine Idee zu jung dafür aussehen.« »Blödsinn. Ich habe Thurston ein einziges Mal gesehen als ich sieben Jahre alt war. Er hat mir einen Stapel Karten in den Mund gestopft und die Ecken, ich meine die meines Mundes, an etwa neunzehn Stellen zerschnitten. Ich war einer aus einer Horde von etwa dreißig Kindern auf der Bühne. Was wollen Sie?« »Ich möchte wissen, wie Sie Ihren Trick da abgezogen haben, wie Sie den Tisch und den Stuhl herumgeschleudert haben. Sie haben es ohne vorhergehende Vorbereitung gemacht, und an einem Ort, den Sie meines Wissens noch nie zuvor gesehen hatten. Kein Geheimnis in den Verzeichnissen kann es damit aufnehmen. Es wird die Spießer in Scharen umwerfen. Was können sie noch?« »Wenn ich auf besondere Weise die Zunge herausstrecke«, sagte Danny spöttisch, »kann ich ein Geräusch wie eine Turteltaube machen.« Er wollte es gerade vorführen, als ihm einfiel, daß er, damit der Trick funktionierte, nicht nur die Zunge herausstrecken, sondern sie auch der Länge nach rollen mußte wie ein Zigarrenblatt. Obwohl er das mit Vergnügen schon für mehr Mädchen getan hatte, als er im Moment zusammenzählen konnte, entschied er sich plötzlich, es angesichts der uneingeschränkten Aufmerksamkeit hier nicht zu tun. »Was das 77
Durcheinanderwerfen Ihres Mobiliars angeht, zermartere ich mir selbst den Kopf bei dem Versuch, herauszufinden, wie ich es mache. Es ist ein ebenso großes Geheimnis für mich wie für Sie. Wenn ich es tatsächlich herausfinde, werde ich im Training bleiben, indem ich Ihren Reißverschluß auf und zu ziehe und doppelte Knoten in Ihre Schnürsenkel mache. Gehen Sie jetzt endlich?« »Nee. Ich bleibe, bis ich herausgefunden habe, wie es gemacht wird. Sie sind ein sehr guter Lügner, Danny, aber ich habe Dunninger gesehen – und ich glaube nicht an Gespenster.« Danny warf sich in den Schaukelstuhl, den er nicht leiden konnte, und dann warf er sich hastig wieder heraus; die Menge Nylonstrümpfe, die, wie sich zeigte, vom Schaukelstuhl aus zu sehen war, hätte es ihm völlig unmöglich gemacht, klar zu denken. Er ging zum Waschbecken hinüber und wusch sich die Hände. »Was ist mit Ihrer Tante?« fragte er verzweifelt. »Diese alte Vettel?« lachte Maria verächtlich. Es entstand ein Rascheln hinter ihm, so als bewege sie sich in ihrem Sessel. »Die wird nie weiterkommen, als sie bis jetzt gekommen ist. Sie benutzt einfach die gleichen, alten Abläufe und will nichts dazulernen. Maria ist da anders. Sie ist hinter den schlauen Einfaltspinseln her – Einfaltspinseln, die sich nicht von Tricks täuschen lassen, die Houdini zu Tode gelangweilt haben. Ich erkenne eine neue Masche, wenn ich eine sehe, und ich habe nicht vor, die Finger davon zu lassen.« Das Rascheln wiederholte sich. Sie fügte hinzu: »Selbst wenn ich Sie heiraten muß.« »Ich verstehe«, sagte Danny und schrubbte sich. »Ich hatte mich schon gefragt, wann Sie wohl darauf zu sprechen kommen. Ich will Ihnen ja nicht den Abend verderben, Maria, aber Sie werden es sich aus dem Kopf schlagen müssen, daß ich, verdammt noch mal, etwas zu verkaufen hätte, nicht einmal zu diesem Preis.«
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Aus irgendeinem Grund tat ihm der Brustkasten weh; er mußte einen Moment lang innehalten. »Andernfalls könnten Sie vermutlich einen Abschluß verbuchen, wenn Sie das irgendwie tröstet.« »Nein, das würde ich nicht«, sagte die Stimme des Mädchens, jedes Wort wurde entschieden und gleichmäßig betont, »ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen zu schlafen. Wenn es so wäre, hätte ich es gesagt. Sollte ich mich später entscheiden, daß ich es will, werde ich es tun, und wenn Sie mir anschließend ein Geheimnis oder das Tadj Mahal oder fünfundzwanzig Cent anbieten, zerlege ich Sie wie eine angeschimmelte Mandarine. Ich sprach gerade davon, Sie zu heiraten, bevor Sie das Thema gewechselt haben.« »Sie schlafen nicht mit Ihren Ehemännern, natürlich. Sie fressen Sie nur.« »Sie sind widerlich wie alle Amerikaner. Ich schlafe, wo ich will, bis ich einen Vertrag habe. Wenn ich einen Vertrag mit Ihnen unterschreiben muß, tue ich es. Sie werden auch unterschreiben müssen. Gott steh Ihnen bei, wenn Sie ihn nicht einhalten – und in der Zwischenzeit behalten Sie Ihr Bett. Ich möchte wetten, Sie haben es seit Wochen nicht frisch bezogen.« Gerade wollte Danny sagen, er habe es erst vor fünf Tagen bezogen, als jemand heftig an die Tür klopfte. Die Seife glitt aus Dannys inzwischen runzligen und blitzsauberen Fingern. »Gehn' Se weg«, knirschte Danny. »Ich hab' Ihnen gesagt, ich zieh' aus. Haun Sie ab.« Es entstand ein kurzes, verwundertes Schweigen. Dann wiederholte sich das Klopfen. Offensichtlich handelte es sich diesmal nicht um den Hausbesitzer. Vorsichtig schloß Danny auf, schob den Riegel zurück und spähte nach draußen durch einen Spalt, der kaum breiter war als eine Haarnadel. Der Anklopfer trug einen grauen Geschäftsanzug und einen grauen Filzhut und sah aus wie ein erfolgloser Privatdetektiv. Er sagte: »Mr. Caiden?« 79
»Der bin ich.« »FBI«, sagte der Anklopfer und klappte seine Brieftasche unter Dannys Nase auf. Die Karte in der Brieftasche besagte das gleiche. Wortlos trat Danny einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen. »Danke. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Ich denke, Sie stecken in Schwierigkeiten, Mr. Caiden.« »Für die Geschichte reserviere ich eine fünfspaltige Schlagzeile auf der Titelseite. Was ist denn nun wieder los? Sie wollen doch nicht etwa behaupten, der Hausbesitzer hat beschlossen, den öffentlichen Notstand auszurufen.« Marias Gesichtsausdruck wurde eiskalt. Sie sah ostentativ aus dem Fenster in den einbrechenden Abend. »Nein, Mr. Caiden, wir interessieren uns nicht für Ihr Privatleben. Ich bin im Auftrag der Wertpapier-Handelskommission hier und außerdem des FBI. Ich nehme an, Sie waren zu jung, um den 29er Börsenkrach mitbekommen zu haben, aber uns ist sehr daran gelegen, daß so etwas nicht wieder passiert. Skrupellose Spekulaten, die darauf aus sind, es wieder passieren zu lassen – oder die so spekulieren, als würde es ihnen nichts ausmachen, wenn es passiert –, bekommen unsere Tiefkühlkur verabreicht, und zwar schnell.« »Wie bin ich in die Kategorie geraten?« fragte Danny vorsichtig. »Das Ding, das Sie heute gedreht haben, weist, vorsichtig ausgedrückt in diese Richtung«, sagte der FBI-Mann. Er setzte sich ruhig in den Schaukelstuhl und schlug die Beine übereinander. Er machte sich nicht die Mühe, seinen Hut abzunehmen; es sah aus, als sei er angewachsen. Der Mann genehmigte sich einen ausführlichen Blick auf Marias Knie, bevor er fortfuhr, ganz so, als gehöre ihm bereits alles, was ihm auf der Welt begegnete. »Ihre ehemaligen Arbeitgeber benennen Sie als den Mann, der die geheime Anklageschrift des Generalstaatsanwalts gegen 80
Weizen International verraten hat, nicht nur vor dem Datum der Bekanntmachung, sondern sogar bevor die Bekanntmachung überhaupt vervielfältigt war. Heute erfahren wir, daß Sie, abgesehen von ein paar Laien, die jedem Tip Folge leisten würden, selbst der allerabwegigsten Astrologie, der einzige Anleger an der Börse sind, der die ungünstige Lage der WI ausgenutzt hat, als der Kursabfall als Folge der Anklageerhebung eingetreten ist – und Sie waren der einzige, der voll zugeschlagen hat. Zusammengezählt ergibt das gar keinen so üblen Schachzug, selbst für einen erfahrenen Spekulanten – und wir besitzen keinerlei Unterlagen über Sie als Beteiligten an irgendeiner anderen Transaktion. Sogar Ihr Börsenmakler hat zugegeben, daß er noch nie was von Ihnen gehört hat, außer als Junge an der Hochschule.« Er bewegte sich im Schaukelstuhl, um besser sehen zu können. Auch Maria änderte unmerklich ihre Position; Danny wußte nicht, wie das Ergebnis der zwei Bewegungen aussehen würde, dennoch hätte er schwören mögen, daß der FBI-Mann sich nicht voll auf seine Aufgabe konzentrierte – und daß die Lageveränderung dem Agenten nicht einen Quadratmillimeter mehr zu sehen eingebracht hatte, als Maria für notwendig hielt. Er war auf unerklärliche Weise erfreut. »Das ist ja das Abwegigste, was ich je gehört habe«, sagte er. »Wenn ich ein Verbrechen begangen habe, dann sagen Sie es bitte. Sonst habe ich noch andere Dinge zu erledigen.« Der FBI-Mann lachte gelassen und machte sich immer noch nicht die Mühe, Danny anzusehen. »Skrupellose Spekulanten begehen nur selten eindeutige Verbrechen«, sagte er. »Manchmal müssen wir sie sogar wegen Verletzung von Shermans Antitrustgesetz verfolgen. Wenn wir das nicht können, laden wir sie als Kronzeugen vor.« »Zeugen wofür?« »Na ja, Verletzung des Sherman-Gesetzes oder des RobinsonPatman-Gesetzes zur Wettbewerbsregulierung, wenn wir ein übriges tun müssen. Haben Sie mir überhaupt zugehört?« »Ungefähr so sehr, wie Sie hingesehen haben.« 81
»Tja. Tut mir leid, Mr. Caiden. Ihre junge Freundin hier ist recht attraktiv; Sie sollten sich geschmeichelt fühlen.« Danny behielt mit Mühe die Hände unten. Das ironische Geschwätz des unaufmerksamen Agenten hatte begonnen, einen Sinn zu ergeben, und er mußte so genau wie möglich erfahren, woran er war. Sicher war die Tatsache, daß das Büro des Generalstaatsanwalts vorgehabt hatte, die Anklageerhebung bis zur offiziellen Bekanntgabe geheimzuhalten, das ausschlaggebende; ohne Dannys vorzeitige Enthüllung auf den Seiten des Chronisten hätte die Anklageerhebung keinen so frühzeitigen Effekt auf den Markt gehabt. Die zusätzliche Tatsache, daß sich anläßlich der Talfahrt des Kurses der WI-Aktien nur ein einziger Anleger – er selber – gefunden hatte, der die Firma bereits auf dem exakten Niveau ihrer Kursentwertung unterbot, mußte dem Rest der Wall Street verdächtig vorkommen und der Regierung wie eine absichtlich herbeigeführte Panik im Auftrag von WI selbst. Eine ähnliche Taktik hatte man bei den Zaharoff- und Insull-Skandalen angewandt. Doch Danny war, anders als Samuel Insull, kein alter und reumütiger Exilbürger und durfte nicht damit rechnen, die Sentimentalität der Verbraucherzeitungen – oder, wie Taylor sie gerne betitelte, der »Klageweiber« – zu erwecken. Sollte es sich erweisen, daß Weizen International tatsächlich vorgehabt hatte, im Gegenzug zu der Anklage die Börse zu manipulieren, von deren Bevorstehen die Firma sicherlich gewußt hatte, dann wäre Danny der Geleimte und für WI wäre es eine ebenso große Überraschung wie für Danny selbst. Die Marktkontrollwölfe würden ihn bei lebendigem Leibe zerfleischen. Es sah ganz so aus, als sei der Präkognition eine weitere Sicherung durchgebrannt. »Nehmen Sie mich in Haft?« fragte er entmutigt. »Nun ja, vorübergehend. Sie sind vor ein Geschworenengericht geladen, das dem Verdacht auf Preisabsprachen, der Verletzung
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binnen- und außenwirtschaftlicher Verordnungen und der möglichen Verletzung der novellierten Sherman- und RobinsonPatman-Gesetze nachgeht. Im juristischen Sinn sind Sie noch keines Verbrechens angeklagt; sie möchten nur mehr über Sie erfahren, und wir sorgen dafür, daß wir es erfahren. Also werden Sie im eigentlichen Sinn nicht verhaftet. Sie werden lediglich zum Zwecke der Befragung in Gewahrsam genommen.« »Wie ein Nichtseßhafter unter Anklage wegen Landstreicherei.« »Na, wenn Sie so wollen. Sie werden allerdings einen Anwalt brauchen; besorgen Sie sich besser einen. Wir sind wesentlich stärker an Ihnen interessiert, als wir es an einem Landstreicher wären.« Der FBI-Mann verrückte den Schaukelstuhl ein wenig. Es schien ihm nicht viel zu nützen. »Was heißt das in bezug darauf, was ich tun kann und was nicht?« »Es heißt, daß das Geschworenengericht wünscht, daß Sie unter dieser Adresse zu erreichen sind. Das ist alles. Es wird von Ihnen erwartet, daß Sie sich einen Rechtsberater zulegen und hier wohnen bleiben, bis man Sie vorlädt. Man wird Sie in den nächsten paar Tagen vorladen, nehme ich an, um sicherzugehen, daß Sie das Haus nicht ohne vorherige Ankündigung verlassen. Ich würde es überhaupt nicht verlassen, wenn ich Sie wäre, Mr. Caiden. Sollten Sie es tun, könnten Sie in einer Gefängniszelle landen. Oh, und übrigens: Wir haben bereits Schritte unternommen, Ihre heutigen Einnahmen als Kaution einzutreiben.« »Ich kann mein Geld nicht abholen?« »Wir sind gar nicht einmal sicher, daß es Ihnen zusteht. Es könnte einer ganzen Reihe kleiner Anleger gehören, die davon ausgegangen sind, daß ihre Kohle ehrlich angelegt wird.« Ohne Vorwarnung und ohne den FBI-Mann anzusehen oder sich sonstwie zu bewegen, sagte Maria: »Was für eine Diebsbande!«
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Der FBI-Mann starrte bedauernd auf ihre erstarrten, bewegungslosen Schenkel und stand auf. »Tut mir leid, Miß«, sagte er mit einer Stimme, die darauf hindeutete, daß er möglicherweise mit einem menschlichen Wesen redete. »Ich muß die Arbeit machen, die ich zu tun bekommen habe.« Maria antwortete nicht. Danny war sprachlos. Der FBI-Mann sah ihn schließlich an, nicht unfreundlich aber auch nicht sehr interessiert; die Augen des Agenten waren stumpf und ausdruckslos. »Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, Sie als schuldig oder unschuldig zu bezeichnen, Mr. Caiden«, sagte er. »Sie machen einen anständigen Eindruck. Wenn Sie es auch sind, ist es für Sie das beste, sich nicht von der Stelle zu rühren. Wenn Sie die Übereinkunft brechen, wird das Hohe Gericht das als Beweis für Ihre Schuld ansehen. Bleiben Sie da und fechten Sie es aus. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie es überstehen. Das FBI gibt Ihnen Rechtshilfe, wenn Sie es sich selbst nicht leisten können.« Er wirbelte plötzlich herum und lächelte Maria an, aber sie schaute immer noch aus dem dunklen Fenster. »Offen gestanden bin ich nicht überzeugt, daß ein Mann Ihres Alters der böse Genius sein soll, für den die Wirtschaftsbehörde Sie hält – Sie können einfach noch nicht genügend Erfahrung gesammelt haben. Halten Sie daran fest wie eine Klette, und man wird Sie freisprechen.« »Danke«, sagte Danny wie betäubt. Er hatte sich in letzter Zeit für die unterschiedlichsten Gefälligkeiten bedankt. »Keine Ursache.« Der Agent sah sich nach Maria um, zuckte die Achseln und ging. Die Tür schlug zu. Jetzt bewegte Maria sich; sie stand auf und ging zum Fenster hinüber, aus dem sie die ganze Zeit geschaut hatte. Danny machte sich keine Mühe, die Veränderung zu analysieren. Dankbar erhob er von neuem Anspruch auf den großen Sessel und stützte den Kopf in die Hände.
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Er hatte allmählich das Gefühl, als habe er sein ganzes Leben in den Sessel gekauert zugebracht und sich gefragt, was er als nächstes tun sollte. Im Augenblick lief der Winkel zwischen Armen, Rücken und Polstern auf eine Sackgasse hinaus. Er konnte nicht weg, und er konnte nicht bleiben. Möglicherweise konnte man den Hausbesitzer dazu überreden, zu glauben, daß seine Gründe, deretwegen er wollte, daß Danny auszog, sich dem Beharren des FBI zu beugen hatten, daß Danny dazubleiben hatte; aber auch wenn die Erfolgsaussichten recht hoch waren, schlug Danny sich den Gedanken aus dem Kopf. Diese Methode führte zu noch mehr Geflüster unter den Nachbarn. Haben Sie schon gehört? Daß Mr. Caiden aus der Fünf-D eine Frau in seinem Apartment hatte, und jetzt ist das FBI hinter ihm her. Es heißt, er darf das Haus nicht verlassen. In seinem Zimmer eingeschlossen, habe ich jedenfalls gehört. Ich war aber schon immer der Ansicht, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Er liest viel, das tut gar nicht gut, man wird davon sehr bald wunderlich. Und das mit all den Kindern im Haus. Mrs. Schoenbrun sagt, er hält sich Spinnen. Ich würde es ihm schon zutrauen. Er ist Kommunist, wenn Sie mich fragen. Warum würde sonst das FBI? Ein Mann, der ununterbrochen die Nase in ein Buch steckt, ist mit Sicherheit eine Art Umstürzler. Es bringt einen auf dumme Gedanken. Und das bei einem so nett aussehenden Mann. Danny fragte sich zerstreut, wie wohl diese letzte, einigermaßen positive Beurteilung sich in das Gespräch eingeschlichen haben mochte, das er sich bildhaft vorgestellt hatte. Sein Unterbewußtsein klammerte sich an Strohhalme. Aber sein Unterbewußtsein hatte nichts damit zu tun. Das Gespräch setzte sich fort, nachdem er seine Gedanken bereits dem Hauptproblem zugewandt hatte. David, schließ unbedingt die Tür ab. Er kommt manchmal früh nach Hause und …
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Danny konnte sich vorstellen, wo das hergekommen war: Von der Klatschtante von gegenüber. Er faßte sich verzweifelt an den Kopf. Was für ein schlechter Zeitpunkt, telepathische Fähigkeiten zu entwickeln! Aber es bewies ihm, daß es bereits zu spät war. Das Haus wußte über das FBI Bescheid; Gerüchte breiten sich schneller aus als das Licht. Wenn es auf dem Mars Hausfrauen gäbe, würden sie jetzt gerade über ihn reden; und solches Gerede hatte die Eigenschaft, Zeitungsleute anzulocken – vor allem würde jede undichte Stelle im FBI eine ganze Horde Pressemenschen über ihn herfallen lassen. Diese Schmach mochte er nicht ertragen, er konnte nicht auf sie warten. Und morgen mußte er Todd besuchen. Aber er konnte auch nicht weg. Das Hohe Gericht hatte es untersagt. Und die Wirtschaftsbehörde hatte seine Einnahmen beschlagnahmt … Er kam sich vor wie eine Ratte im Labyrinth, bis an den Rand der Verzweiflung belastet, erschüttert vom Versagen, herauszufinden, wohin man von ihm zu gehen erwartete, an der Schwelle zu einem heftigen und vollständigen Nervenzusammenbruch. Die Stimmen waren jetzt nicht mehr da, aber sein Kopf tat entsetzlich weh. Die Anstrengung, mit dem Übernatürlichen und seinen nicht vorherzusehenden Auswirkungen fertig zu werden, entzog ihm unbarmherzig seine Lebenskraft, und sie würde nicht aufhören. Die PSI-Kräfte wuchsen in ihm, wuchsen wie jedes andere geförderte Talent mit der Übung. Insofern hatte sogar Madame Zaza recht gehabt. Aber Danny entsann sich der barschen Bemerkung seines Geigenlehrers, der ihn zwanzig Jahre zuvor ärgerlich aufgegeben hatte. »Übung macht den Meister«, hatte der Lehrer gesagt. »Aber sie kann dich auch den Kopf kosten.« Der Geigenlehrer hatte instinktiv gewußt, wozu der Sprachphilosoph Korzybski Jahre gebraucht hatte: Daß alle Sprichtwörter banal logisch sind und nichts Brauchbares
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aussagen ohne einen einschränkenden Nachsatz. Selbst jetzt, nach zwanzig Jahren, kam er Danny zugute. Es hatte keinen Sinn, diese ungewöhnlichen Begabungen zu trainieren, wenn Übung nicht im Endeffekt zu besserer Kontrolle über sie führte. Wenn Übung statt dessen nur auf eine beständige Kette von Katastrophen hinauslief, mußte Danny sie ebenso endgültig aufgeben, wie er gezwungen gewesen war, die Geige aufzugeben. Allerdings wußte er nicht, wie er selbst diese Kleinigkeit schaffen sollte. Maria dreht sich um und sah ihn an, und in ihren Augen lag etwas eigenartig Sanftes. »Du steckst tatsächlich in der Tinte, wie?« sagte sie. »Es sieht ganz so aus, als hätte Maria auf das falsche Pferd gesetzt.« »Der Wettschalter ist noch geöffnet«, sagte Danny gleichgültig. »Holen Sie sich Ihren Einsatz wieder und gehen Sie nach Hause.« Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt wirst du mich nicht mehr los Danny. Ich bleibe. Erzähl mir die Geschichte.« »Oh, um Christi willen …« »Nein, nur damit der Druck nachläßt. Ich verspreche, ich glaube kein einziges Wort von dem, was du sagst, aber du wirst es ausspucken müssen, oder dir geht eine Dichtung verloren.« Resigniert erzählte Danny die allzu vertraute Geschichte noch einmal, wobei er den Anfang ganz kurz machte, zum Teil aus Langeweile und zum Teil aus Verachtung, daß etwas derart Mieses sich den Namen Geschichte anmaßte, aus mehr praktischen Erwägungen deshalb, weil es, seit die Geschichte das letztemal erzählt worden war, einen Zusatz über drei Disaster gab, der ihren Schluß bilden mußte. »Als ich auf der höheren Schule war«, sagte er plötzlich, »sind meine Alten auf eine Modetorheit namens Fünffarben-Bridge verfallen. Zeitweise hatte sie das ganze Land erfaßt, obwohl im Vergleich zu Canasta man sie überhaupt nicht wahrgenommen
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hätte. Sie bestand aus dem üblichen Herz, Kreuz, Karo und Pik, und die fünfte Farbe nannte man ›Adler‹.« »Kronen«, sagte das Mädchen. »Ich kenne das Spiel; ich habe einmal eins gekauft. Ich dachte, die fünfte Farbe wäre ganz geeignet für Kartentricks, wenn es mir gelingen würde, mir welche auszudenken, bei denen ich sie benutzen konnte, aber ich bin nie soweit gekommen. Man nannte es ›Kronen‹.« »Vielleicht. Unter welchem Namen auch immer, es war eine Mißgeburt von einem Spiel, und es hielt sich auch nicht. Ich persönlich dachte, es hätte sich besser für Poker geeignet, nicht das einfache Pokerspiel, sondern die komplizierten Versionen, zu denen man letztendlich greift, wenn Frauen mitspielen.« (Ausgenommen die hier, dachte er. Er konnte auf den ersten Blick erkennen, daß sie keinerlei Ader für Varianten wie BubenZweier-Joker und Höchste-und-niedrigste-Hand-teilen-den-Topf hatte.) »Und das bist du«, sagte sie. »Da kannst du Gift drauf nehmen, daß ich das bin«, sagte Danny. »Ein niedriger Wert, ein Joker in einem irregulären Farbensatz. Der Adler-Bube in Person, der allen Menschen alles bedeutet und nichts sich selbst.« »Mir gefällt Kronen immer noch besser«, sagte Maria. »Ich bin froh, daß du es mir gesagt hast. Jetzt habe ich, nachdem ich sehe, daß du wirklich in einer schwierigen Lage bist, sogar einen guten moralischen Grund, zu bleiben, falls ich einen brauche. Ich mag hohe Wettquoten. Wenn sie sich bezahlt machen, machen sie sich ordentlich bezahlt.« »Aachh«, sagte Danny. »Zur Hölle mit dem Pferdemist. Ich habe meine …« Er klappte hörbar den Mund zu und stand absolut still da, überwältigt. »Moment mal«, sagte er schließlich. »Moment mal. Ich habe gesagt, ›ich bin bereit, Geld darauf zu wetten.‹ Hab' ich aber nicht. Ich habe auf Pferde gewettet.« »Gibt es da einen Unterschied?« 88
»Einen großen Unterschied. In Rhines Buch, dem letzten, steht, daß die ESP-Kräfte desto größere Genauigkeit erkennen lassen, je größer die Zahl der Objekte ist, mit denen sie sich befassen.« »Das ist ja ungeheuer. Ich versteh's nicht.« »Mußt du auch nicht. Bist du immer noch entschlossen zu bleiben? In Ordnung, du kannst dich nützlich machen. Wieviel Geld hast du?« Sie erstarrte in gespielter Bestürzung. »Moment mal, Kleiner. Du redest jetzt mit Maria. Sie ist ein schlaues Mädel, erinnerst du dich? Keine Pferdchen – daß das klar ist.« Er hörte sie kaum. »Eine große Zahl identischer Objekte, das ist die Lösung. Nicht Pferde – das sind alles Einzelwesen, alles einmalige Kombinationen. Dagegen Eindollarscheine – fast identisch, meistens in Paaren auftretend, und wir beschäftigen uns nicht mit den anderen Geldsorten. Wir kümmern uns nicht um den tatsächlichen Ausgang der Pferderennen – das ist ein schwieriges mathematisches Problem, und ich möchte wetten, man kann es parapsychologisch genausowenig bewältigen wie auf normalem Wege. Wir können uns aber auf den Zustrom des Geldes, der Dollarscheine allein, durch die Wettschalter beschränken.« »Du redest unsinniges Zeug.« »Tue ich das?« Er grinste sie ironisch an. »Du wolltest erfahren, wie ich arbeite, oder etwa nicht? Also, hier hast du deine Chance.« Er kramte einen seiner verbliebenen Scheine hervor und gab ihn ihr. »Steck den hier in deine Tasche, wenn du eine hast. Leg dazu, soviel du hast. Die Renntabellen oder die Namen der einzelnen Pferde brauchen wir für dieses Kunststück nicht. Laß mal sehen …« Er stand auf und ging zum Fenster, starrte blindlings durch die Scheibe und rief sich das Wirbeln der Milliarden Winzigkeiten über die Oberfläche seines Bewußtseins ins Gedächtnis. Eine Sekunde darauf war die Erinnerung mit der Realität verschmolzen, und sein Kopf summte vor Schmerzen. 89
Es machte ihm nichts aus. Er tastete nach einem Stift, traf statt dessen das Waschbecken, und seine Finger schlossen sich um ein Stück Seife. Mit einer ihrer Kanten schmierte er Zahlen auf das Fensterglas. »Hurra. Es ist Hexensabbat.« »Halt den Mund und paß auf. Du plazierst deine Einsätze in dieser Reihenfolge auf alle Pferde, die Wettvorgaben in dieser anderen Reihenfolge aufweisen; kapiert? Sobald du einen Gewinn von achtzehn zu eins auf die vierte Wette kassierst hast – das wirst du nämlich –, wiederholst du die sechste Wette zweimal. Dann wiederholst du die erste Wette, dann wartest du auf einen Zwei-zu-eins-Gewinn aus der neunten Wette, so, und …« Die junge Frau hatte den Bleistift gefunden, die Spitze angefeuchtet und begonnen, die Zahlenreihen auf dem Fenster in den Stoff ihres Taschentuches zu kritzeln. »Ich bin doch nicht schwachsinnig. Ich kann mich nach den Zahlen richten. Wenn du weiterplapperst, werde ich beim Abschreiben noch einen Fehler machen.« »In Ordnung.« Sie warf den Bleistift auf den Telefontisch. »So. Ich weiß nicht, warum ich das tue, verstehst du, aber es ist sonnenklar, daß es nicht aus Liebe geschieht.« Sie stopfte Dannys Geld beiläufig in ihre Tasche und schlüpfte zur Tür hinaus. Flüchtig überlegte Danny, ob er sie je wieder zu Gesicht bekommen würde, doch mit der sofortigen und ruhigen positiven Gewißheit, die nichts mit der Tatsache zu tun hatte, daß die gegenwärtige Ausbeute zu gering ausfallen würde, um sie zufriedenzustellen. Dann vergaß er sie sofort, eine Entgleisung, die ihn befremdet hätte, wäre er sich ihrer bewußt gewesen. Ganz plötzlich blätterte er in rasendem Tempo die Bibliotheksbücher durch, die er mit nach Hause gebracht hatte, wobei er die Seiten entweder mit einer Geschwindigkeit umschlug, die es praktisch unmöglich 90
machte, zu sehen, was darauf stand, oder plötzlich innehielt, um einen Absatz oder vier Seiten hintereinander oder eine einzelne Zeile zu lesen, ohne eine Reihenfolge und ohne erkennbares Ziel. Die winzigen Objekte flossen immer noch wie Feuer durch die Windungen seines Gehirns, und er betrachtete sie als Beweis für eine Art Steuerung. Unter der Peitsche des unbarmherzigen, übersinnlichen Bibliothekars legte er Tyrrells Buch sofort beiseite, obwohl der rationale Teil seines Bewußtseins dagegen protestierte. Das Werk war vollgestopft mit wichtigen Informationen, aber wenige davon paßten zu dem augenblicklichen Problem. Er wußte nicht, woher er das wußte, aber er wußte es. Das neue Buch von Rhine hatte er bereits gelesen, und außerdem konnte er sich darauf verlassen, daß Todd sich um diesen Teil der Angelegenheit kümmern würde. Littleton verschaffte ihm eine Fallbeschreibung, die er mit fanatischer Gründlichkeit durchlas – ohne sich dessen bewußt zu sein, daß er dazu lediglich sein Umblättern auf ungefähr eine Seite alle zwei Sekunden verlangsamte, bis er über den Abschnitt hinaus war und mehrere andere, die ganz am Rande das berührten, was er suchte. Das Houdini-Buch war, wie er erwartet hatte, wertlos. Es war Ein Experiment mit der Zeit, das ihn schließlich auf die richtige Spur brachte. Er stand in plötzlichem Entsetzen auf, als er auf das entscheidende Kapitel stieß und ihm einfiel, wie nahe er daran gewesen war, Dünnes Buch gänzlich zu übersehen, dann mußte er sich vor lauter Benommenheit wieder setzen. Als nächstes kamen die zwei Ouspenskij-Werke dran, beide schwergewichtig, beide überladen mit unglaublich naivem Okkultismus, beide – besonders das spätere, das er, ohne es anzurühren, über ein Jahr in seiner eigenen kleinen Bibliothek gehabt hatte – ausgesprochen ergiebig. Jeder, der Danny jetzt beim Umblättern zugesehen hätte, wäre zu dem Schluß gekommen, daß er wie ein Insekt oder ein Sperling, in einem Tempo lebte, aus dessen Sicht Menschen fast bewegungslos erschienen wären. 91
Er riß den Telefonhörer hoch und brüllte der Vermittlung Dr. Todds private Nummer zu. Nach einer Weile antwortete sehr verschlafen Dr. Todds Stimme. Danny redete drauflos, holte nur dann Luft, wenn er mußte, und ohne Rücksicht auf irgendwelche sinnvolle Zeichensetzung. Er war etwa zwei Minuten bei der Sache, als auch Todds Stimme zu knistern begann wie brutzelnder Speck. »Moment mal, Danny, ich komme nicht mehr mit. Sie haben all diese Bücher in der letzten Stunde gelesen?« »Nein, nicht alle, nur ein paar davon, andere habe ich in der Bibliothek gelesen, und ich habe sie ohnehin nicht ganz durchgelesen, nur auf Brauchbares hin durchgesehen, aber ich bin sicher, ich habe es.« »Ich auch. Ich kenne all diese Bücher gut. Der Anteil von Ausschuß zu verläßlicher Information ist fürchterlich hoch. Wenn Sie in einer oder von mir aus in fünf Stunden so viel daraus entnommen haben, müssen Sie sie so gründlich ›durchgesehen‹ haben, wie ein Tausend-Volt-Röntgenapparat. Tut Ihr Kopf weh?« »Wieso – ja. Ziemlich schlimm, jetzt, da Sie es erwähnen.« Todd lachte mitleidslos. »Das dachte ich mir. Noch ein subkortikales Gebiet, das in Gang gekommen ist. Sie haben diese Bücher gar nicht gelesen – Sie haben sich ihren Inhalt mit Hilfe von ESP eingeprägt und nicht einmal gewußt, daß Sie es tun. In Ordnung, Danny, ich komme sofort. Haben Sie einen Stift zur Hand?« Danny machte sich sofort auf die Suche in seinen Taschen, sah den Bleistift neben dem Telefon liegen und entdeckte, daß die Spitze abgebrochen war. Er nahm das Telefon mit hinüber zu dem dunklen Fenster, wischte die Zahlen darauf mit dem Ärmel weg und zückte das Stück Seife. »Schießen Sie los.« Rasch diktierte Todd ihm eine Liste von Ausrüstungsgegenständen. Danny kritzelte sie auf die Fensterscheiben. »Das ist 92
alles in Otto Meiners Spezialgeschäft zu haben, bis auf den Enzephalographen. Dafür rufen Sie BA 7-8333 an, und sagen Sie denen unbedingt, wer danach verlangt. Ihr Pferdetrick dürfte Ihnen Geld einbringen, Danny, und das verwenden wir als Kapital. Sollte das nicht der Fall sein, rufen Sie mich noch mal an und – nein, bis dahin bin ich längst da. Also, in dem Fall lasse ich das Zeug von der Universität herüberschaffen. Aber wenn wir eine neue Ausrüstung kaufen können, hilft uns das.« »Das Heisenberg-Prinzip?« »Genau das. In der Physik beeinflussen die Geräte die Ergebnisse. In der Paraphysik beeinflußt außerdem der Experimentator die Geräte. Aber lassen Sie uns keine Zeit damit vergeuden, daß wir am Telefon darüber reden, Danny. Es könnte sein, daß wir noch vor morgen die ganze Lösung kennen.« »Richtig«, sagte Danny. Er legte den Hörer zurück auf die Gabel und durchkämmte seinen Schreibtisch nach einem zweiten Bleistift. Es sah so aus, als wenn keiner da war, aber er fand einen 27-Cent-Kugelschreiber, der, wie er vor kurzem entschieden hatte, ausschließlich unter Wasser schreiben würde, irgendwie brachte er ihn zum Funktionieren. Er war gerade damit fertig, die Liste von den Fensterscheiben abzuschreiben, als jemand der Tür drei heftige, gebieterische Stöße versetzte. Mit zusammengebissenen Zähnen riß er die Tür auf und starrte unversehens auf eine enorme Farbfläche, auf die er sich zunächst gar keinen Reim machen konnte. Erst als er höher hinaufsah, nahm die Masse überhaupt Gestalt an. Der Mann an der Tür war ungefähr Einsfünfundneunzig groß und das einzige vollkommen ovale menschliche Wesen, das Danny je gesehen hatte. Er besaß riesige, breite Hüften, und Schenkel wie die eines Elefanten, welche sich so gleichmäßig und in einem so steilen Winkel zu zwei ziemlich kleinen – oder zumindest normal großen Füßen hin verjüngten, daß es aussah wie eine optische Täuschung. Auch der Rumpf war am umfangreichsten in der Nähe des Bauches, die Brust lediglich normal groß und die Schultern schmal, allerdings mit 93
Unterarmen, die vor Muskeln oder Fett oder beidem nur so strotzten. Der Leib trug eine verwaschene rote Gürtelschärpe, in die eine schmutzige, schillernd lilafarbene Bluse gestopft war und hoch droben wackelte ein dunkelhäutiger Kopf von lächerlich unzureichendem Umfang auf ihn herab, umschlungen von einem hinten geknoteten, blauen und roten Kopftuch. Die Erscheinung glotzte ihn an, dann dröhnte sie plötzlich mit undeutlicher Stimme: »Wo ist Schwester mein?« Oh, Gott, dachte Danny, was für eine Familie. »Sie ist nicht da«, sagte er. »Schreien Sie nicht, Sie wecken ja die Nachbarn.« Der riesige Mann stolzierte ins Zimmer, wobei er Danny mit der unbeholfenen Mühelosigkeit eines Elefanten aus dem Weg stieß, der den Ast eines Baumes übersieht. »Wohl sie da ist«, brüllte er. Danny machte die Tür zu. »Von Mama Zaza habe ich es, die niesen, bevor sie es sagt, zu Beweis, wie es ist wahr. Hat keine Lüge gegeben in Familie unsere seit tausend Jahren. Wo?« »Sie ist nicht hier, ich sag's Ihnen doch. Sie war tatsächlich da, aber sie ist gegangen.« »Sie weh tun, ich breche«, sagte der Riese eine Idee weniger laut. »Sie hergekommen, sie vielleicht wiederkommen. Ich warte.« Was für eine Bande geborener Hausbesetzer! Danny kratzte sich den Kopf. Es fiel schwer, diese Figur aus einer komischen Oper ernst zu nehmen, dennoch war der Mann offenbar physisch stark und mochte durchaus trotz seiner unmöglichen Aufmachung die direkteste Bedrohung darstellen, der Danny bisher begegnet war. Wie sollte er es bloß anstellen, ihn loszuwerden? »Ich glaube nicht, daß sie zurückkommen wird«, sagte er vorsichtig. »Ich wollte sie von Anfang an nicht hierhaben. Sie ist aus freien Stücken gekommen.« »Ich warte«, sagte der Riese schwerfällig und als hätte er nicht zugehört. Er gab eine säuerliche Ausdünstung aus Knoblauch und billigem Wein von sich. 94
»In Ordnung«, sagte Danny. »Wenn Sie warten, dann warten Sie. Könnten Sie denn etwas zu Trinken gebrauchen, um sich die Zeit zu verkürzen?« »Hähh?« »Ich sagte, wollen Sie was trinken? Sie sehen aus, als hätten Sie schon lange keinen mehr gehabt, und vielleicht braucht sie länger.« »Ich trinke. Bring her.« »Ich kann nichts bringen. Ich habe nichts Alkoholisches im Haus.« Danny hoffte, daß der Engel mit dem Goldenen Buch gerade schlief. »Ich hab' eine Idee. Sie holen für uns beide etwas. Um die Ecke gibt es eine gute Bar …« »Sie gehen, bringen her. Ich warte.« »Ich kann nicht. Ich muß ans Telefon gehen. Hier.« Er durchstöberte wieder seine Taschen und erinnerte sich schließlich, daß immer noch ein Schein in seiner Hemdentasche war. Er sah ihn nicht an, in der Gewißheit, daß es viel zuwenig war, und setzte auf eine Verzögerung dieser Entdeckung auf Seiten des Riesen, bis es zu spät war. »Nehmen Sie den hier in die Bar mit und holen Sie uns ein paar Flaschen guten Wein. Sie können das Apartment die ganze Zeit im Auge behalten, solange Sie dort sind, falls Sie Angst haben, ich könnte Ihnen davonlaufen, oder damit Sie Maria zurückkommen sehen können, falls sie es tut. Wie wär's damit?« Der Riese suchte ungeschickt nach Worten, zwinkerte und nahm das Geld an sich. »Sie bleiben«, sagte er drohend. »Klar. Ich bleibe da. Los jetzt, ich habe Durst.« Der Riese ging hinaus. Danny schloß die Tür, wartete, bis die Kreatur außer Hörweite war, und ließ den Riegel zuschnappen. Das Schloß würde natürlich nicht viel nützen, denn der Riese konnte endgültig die Hölle losbrechen lassen, indem er sich schlicht den Zutritt ertrommelte; aber Danny rechnete damit, daß der Mann, bis er in der Bar war, nicht entdecken würde, daß das Geld, das man ihm gegeben hatte, kaum genug war für einen, 95
geschweige denn zwei – und daß seine Schläue ihn veranlassen würde, es zu vertrinken, bevor er zurückkam. In Anbetracht der Mengen, die der Riese augenscheinlich bereits geladen hatte, mußte das eigentlich ausreichen; aber es war ein Risiko. Marias Bruder hatte eine Menge Fleisch auf den Rippen, und es würde eine Menge Alkohol erfordern, es zu tränken. An der Tür gab es ein berstendes Geräusch, als habe jemand dagegengetreten, nicht aus Bosheit, sondern nur in der Absicht, sie aufzustoßen. Danny seufzte und öffnete wieder den Riegel. »Die nächste Katastrophe«, sagte er liebenswürdig, »wird in zehn Minuten auf Gleis vier eintreffen.«
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VIII Geld Es war Maria. Ihre Handtasche war ausgebeult, und die Taschen ihres Kleides übersäten sie mit lauter Höckern. Ihr Gesichtsausdruck war der unbändiger heiterer Freude. »Ich bin überzeugt«, sagte sie. »Junge, was bin ich überzeugt. Und das ohne eine offene Rennbahn in diesem Teil des Landes. Ich habe einfach das Geld eingesetzt und habe mich nach deinen Zahlen gerichtet, und jetzt bin ich eine reiche Frau. Jetzt kaufe ich mir alle Zauberkunststücke, die je erfunden worden sind, bis hin zu und einschließlich des indischen Seiltricks.« »Den Teufel wirst du. Übrigens habe ich gerade einen Verwandten von dir kennengelernt.« »Was? Meine Tante? Ist sie hergekommen?« »Nein, dein Bruder. Er hat dich gesucht. Er ist deswegen ganz schön gewalttätig geworden.« »O Gott, der. Das ist nicht mein Bruder. Das ist Zazas Sohn. Es handelt sich um eine Schröpfaktion, die sie jedesmal abzuziehen versuchen, wenn es ihnen gelingt, rauszukriegen, wo sie den Mann aufstöbern können, mit dem ich mich gerade treffe. Das ist einer der Gründe, warum ich bei Zaza abgehauen bin. Hat er irgendwelches Geld aus dir rausgeleiert?« »Wie könnte er? Ich hatte Glück, daß ich ihm noch einen Dollar geben konnte, damit er sich davon besäuft.« Sie grinste gehässig. »Das war schlau. Er tut es bestimmt. Naja, falls er zurückkommt, kümmere ich mich um den Halunken.« »Dazu wirst du keine Gelegenheit haben. Ich habe noch eine Aufgabe für dich. Nimm den Zaster wieder mit zu Otto Meiner.« »Wer ist das?«
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»Das ist ein Laden für wissenschaftlichen Bedarf an der Ecke Edgerton und Fünfte Straße auf der anderen Flußseite. Die werden natürlich geschlossen haben, aber sie haben eine Notdienstglocke. Sag ihnen, Dr. Todd von der Universität hat dich geschickt. Sein Sekretariat wird das bestätigen. Sobald sie dich reinlassen, kaufst du alles auf dieser Liste ein und kommst in ihrem Lieferwagen damit hierher zurück.« Maria starrte ihn an, wobei ihre Brust die strenge Kostümjacke starken Belastungen aussetzte. »Soll das heißen, du schickst mich zu dieser späten Stunde auf die andere Flußseite?« verlangte sie zu wissen. »Weißt du denn nicht, daß jetzt nur eine Fähre verkehrt?« »Selbstverständlich weiß ich das«, fuhr Danny auf. »Ich hab' dich schließlich nicht hierhergebeten. Wenn du was von mir lernen willst, wirst du es dir verdienen. Oh – und laß mir ungefähr die Hälfte von diesem Stapel Banknoten da. Mehr wirst du nicht brauchen.« »Geizkragen! Na gut – da. Wenn ich mir bei der Kälte den Tod hole, komme ich bei dir spuken.« Sie ging wieder hinaus. Danny hob den Hörer ab und wählte die Nummer an, die Todd ihm gegeben hatte. Eine sanfte Stimme, die eines Mannes, in dessen Blut Kultiviertheit ebenso lebensnotwendig und natürlich vorhanden war wie Hämoglobin, müde aber freundlich, meldete sich sofort. »Ich rufe im Auftrag von Dr. Todd an.« »Ich dachte es mir«, sagte die Stimme. »Niemand außer Toddy würde es einfallen, daß ich so spät noch hier bin. Womit kann ich Ihnen behilflich sein?« »Ich soll einen Enzephalographen besorgen, Modell EU, sechs Kanäle, als Notfallbestellung.« »Dies ist der Ort, wo Sie das können. Soll ich Todd, der Universität oder Ihnen die Rechnung schicken?«
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»Schicken Sie sie mir; Sie können das Gerät per Nachnahme liefern«, sagte Danny. Er gab der Stimme die Adresse. »Was kostet es?« »Das ist ein Problem. Wir haben Ende des Monats unsere Preise erhöht, aber ich mache Ihnen besser den alten Preis, schließlich ist es für den guten Doktor. Sagen wir 5400 Dollar.« Danny hätte beinahe den Hörer fallen gelassen. Er zählte das Geld, das er hatte. »Würde es genügen«, fragte er schließlich, »wenn ich die eine Hälfte jetzt bezahle und die andere später?« »Das genügt vollkommen. Ich schicke es Ihnen in einer halben Stunde vorbei – und wie ich Todd kenne, hat er bis zwei Uhr morgens die eine Hälfte auseinandergenommen und die andere Hälfte dazu gebracht, daß sie Eier brät. Noch etwas?« »Nein, das wär's«, sagte Danny grinsend. »Und danke.« »Oh, keine Ursache; froh um jeden Auftrag, wissen Sie. Gute Nacht.« Irgendwie verwirrt hängte Danny auf. Dies war seit Jahren seine erste Begegnung mit jener seltensten aller Gattungen gewesen, dem von Natur aus höflichen menschlichen Wesen. Wenn allein Todds Name einen derart großen Einfluß ausübte, wie es anscheinend beim Besitzer der Stimme der Fall war, dann war Todd ein noch bemerkenswerterer Mann, als Danny vermutet hatte. Jetzt blieb Danny nichts weiter zu tun, als dazusitzen und die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Seine Nachforschungen in den Büchern hatten, obwohl die Ergebnisse in gewisser Hinsicht spektakulär waren, die Grenzen dieses Wissensgebiets erreicht. Jetzt war es an Todd, sie nutzbringend anzuwenden. Die lange Wartezeit gab ihm reichlich Gelegenheit, sich zu erinnern, daß er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Die Drugstores waren alle seit einer halben Stunde geschlossen, aber nach fünf Telefonaten hatte er ein billiges Lokal gefunden, das die ganze Nacht offen hatte und bereit war, ein Tablett Leberwurst auf Roggenbrot vorbeizuschicken. Dann setzte er sich 99
wieder in den großen Sessel und kaute zerstreut an dem störrischen Kugelschreiber. Nach exakt einer halben Stunde traf der Enzephalograph ein. Er bestand größtenteils aus einem länglichen, hüfthohen Schrank auf Rädern, mit zwei verschiedenen Seitenflächen voller Bedienungsinstrumente, und Aufzeichnungseinheiten auf der Oberseite. Der Schrank selbst schien aus Stahl zu bestehen, mit einer grünen Krakelee-Glasur. Danny untersuchte ihn mit äußerster Neugier und gab sich Mühe, die Bedienungsleitung zu lesen, aber seine Kenntnisse der Elektronik waren viel zu gering, um damit fertig zu werden. Todd, die übrige Gerätschaft und die belegten Brote trafen alle gleichzeitig ein. Die Geräte kamen in einem Zweieinhalbtonner, auf dessen hinterer Ladefläche Maria hockte und die aufreizenden Beine über die Transportklappe baumeln ließ. Todd beobachtete sie vom seifenbeschmierten Fenster aus, während Danny dem Botenjungen aus dem Lokal sein Kleingeld hinzählte. »Und hier sind noch zwei Dollar«, sagte Danny. »Einer ist für dich. Der andere ist für einen großen Kerl mit einem Kopftuch und einer roten Schärpe, der sich gerade in der Bar auf der anderen Straßenseite besäuft. Wenn du ihm die Dollarnote gegeben hast, kommst du hierher zurück und sagst mir, in welcher Verfassung er ist, und ich gebe dir noch einen.« »Ja, Sir«, sagte der Junge. »Ist das Ihr Mädchen, Danny? Sie ist ein hübsches Ding.« Todd sah interessiert aus. »Ich habe sie vor dem heutigen Tag noch nie gesehen«, sagte Danny eifrig kauend. »Aber ich kann mit Sicherheit sagen, daß sie sich an mich gehängt hat. Sie denkt, ich bin ein Scharlatan, und will rauskriegen, wie ich es mache, damit sie selbst einer werden kann.« Todd lächelte. »Naja, mit ein wenig Glück wird sie es rauskriegen – vorausgesetzt, sie kann es verstehen. Wie ich sehe, hat Henry Ihnen den Elektroenzephalographen geliefert.« 100
»Sie meinen dieses Ding? Ja. Wer ist er übrigens?« »Er ist der Präsident der Firma Rahm; ein brillanter Physiker und einer der am härtesten arbeitenden Männer, denen ich in meinem Leben begegnet bin.« »Er muß wohl hart arbeiten, wenn er so spät noch dabei ist«, sagte Danny. »Wissenschaftlern gelingt es nicht besonders oft, Firmendirektor zu werden, nehme ich an.« »Nein, aber Henry ist nicht die übliche Sorte Wissenschaftler, auch sonst ist er nicht von der üblichen Sorte. Hallo, hier kommt die nächste Lieferung.« Der Fahrer stand geduldig da, während Todd die Aufschrift auf der Kiste las. »Das ist der Resonator. Stellen Sie den besser aufs Bett. Ich möchte ihn in mehreren Schritten zusammensetzen, und auf dem Tisch wird nicht genügend Platz sein.« Maria kam mit einem kleineren Paket herein, schwer atmend und mit blutiger Mordlust gegenüber Danny in den Augen. »Was soll ich mit dem hier machen?« »Stell es einen Augenblick auf den Schreibtisch«, sagte Danny. »Maria, das ist Dr. Todd von der Universität. Ruh dich aus und nimm dir ein Sandwich. Wir werden die ganze Nacht aufbleiben.« »Damit habe ich mich bereits abgefunden«, seufzte die junge Frau. Sie sah interessiert zu, während Danny und Todd auspackten. Ein kleiner Transformator wurde an eine Steckdose in der Wand angeschlossen, und von ihm aus verlegte Todd rasch ein verwirrendes Netzwerk aus Niederstromkabeln. Der letzte Gegenstand aus dem Lastwagen war der größte – ein Behandlungsstuhl, wie ihn die Chirurgen benutzen, wenn sie am Gehirn arbeiten. Er sah einem Zahnarztstuhl sehr ähnlich, zumindest so lange, bis Todd den Elektrodenkasten des Enzephalographen darauf montiert hatte. Den EEG-Schrank selbst rollte er an die gegenüberliegende Wand, im rechten Winkel zu dem Stuhl und unter äußerster Straffung des Energiekabels des Instruments. 101
»Dieses Ding besitzt zwar Drosselkreise gegen 60-HertzInterferenzen, aber ich glaube, ich decke den Transformator besser trotzdem ab«, murmelte Todd. »Immerhin müssen wir wenigstens nicht den Patienten abschirmen. Das sind Sie, Danny.« Den Standard-Lügendetektor neu zu verkabeln dauerte länger, und kein Polizeitechniker hätte ihn wiedererkannt, nachdem Todd mit ihm fertig war. »Das reicht wohl für den Anfang«, sagte Todd schließlich. »Weitere Veränderungen nehmen wir vor, sobald sich die Notwendigkeit ergibt.« »In Ordnung, Dr. Todd, einen Augenblick noch«, sagte Danny. Der Junge aus dem Lokal war wieder an der Tür. »Hast du den Kerl aufgetrieben.« »Nein, Sir«, sagte der Junge. »Der Barkeeper hat gesagt, er war da und ist in eine Rauferei mit einem Kerl geraten, und man hat ihn rausgeworfen. Er sagt, er war sternhagelvoll.« »Oh, oh«, sagte Danny. »Das hört sich gar nicht gut an. Okay mein Freund, du kriegst den Dollar, der für ihn gedacht war, und danke.« »Prima – danke, Mister.« »Er wird bald wiederkommen«, sagte Maria düster. »Das kann ich nicht ändern, Maria. Was kommt als erstes, Dr. Todd?« »Also, lassen Sie uns zunächst einmal ordnen, was über dieses Telekinese-Kunststück bekannt ist«, sagte Todd. »Erzählen Sie mir einfach, was das für ein Gefühl war.« Danny beschrieb, so gut er konnte, die wirbelnde Empfindung und den Schmerz, der damit einherging. Als er auf das Schweben des Tisches im Empfangsraum des Mediums zu sprechen kam, funkelten Todds Augen. »Das ist der Blackett-Effekt«, sagte er. »Sie haben das Gravitationsfeld jedes einzelnen Atoms in diesem Tisch 102
ausgeschaltet. Die bloße Zentrifugalkraft der Erdrotation hat den Tisch angehoben, und Coriolis-Kräfte aus der gleichen Quelle haben ihn an der Decke entlangkriechen lassen. Eine wunderbare Demonstration dessen, was bisher nur Spekulation gewesen ist.« »Atome? Dann sind die wirbelnden Objekte …« »Elektronen, natürlich. Ich denke, wir müssen kein einziges von diesen Geräten einsetzen, um Ihnen die vollständige, bewußte Kontrolle zumindest über das PK zu verschaffen. Alles, was wir tun müssen, ist, Ihnen vollständiges, bewußtes Verständnis der physikalischen Prozesse in Ihrem Großhirn zu vermitteln, dann wird die letzte Verbindung hergestellt sein. Zunächst mal gehe ich davon aus, daß Sie wissen, was Zentrifugalkraft ist. Wie steht es mit Coriolis-Kraft?« »Die gleicht der Zentrifugalkraft, außer, daß sie ein sich drehendes Objekt seitwärts statt nach außen gleiten läßt.« »Genau das. Die Kraft, die in Mr. Newtons rotierendem Eimer das Wasser spritzen ließ. Als nächstes …« Er zog einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche, kritzelte rasch etwas darauf und hielt Danny das Ergebnis unter die Nase. »Hier, sehen Sie sich das an.« Danny las: »Ich spüre keinerlei Veränderung«, gestand er. »Wissen Sie, was das magnetische Moment ist?« Danny versuchte, seine Highschoolphysik hervorzukramen. »Mal sehen – handelt es, äh, sich um das Produkt aus der Polstärke des Magneten und der Entfernung zwischen den Polen?« »Richtig. Sie haben ein Gehirn wie eine stählerne Falle, Danny; Sie haben Ihre Kapazitäten im Journalismus brachliegen lassen. Schauen Sie jetzt wieder die Gleichung an. Es ist das magnetische Moment, wofür P steht. U bedeutet Richtmoment, G ist die allgemeine Gravitationskonstante, und C ist die unveränderliche Lichtgeschwindigkeit. Was ich vorhabe, Ihnen zu zeigen, ist, daß ein Magnetfeld das Produkt der Rotation um 103
eine Achse ist, und daß die Schwerkraft eine Funktion davon ist. Wenn Sie sich jetzt daran erinnern, daß jedes Elektron ein winziger Elektromagnet ist und B als Unsicherheitkoeffizient von bis zu null Punkt fünfundzwanzig einsetzen …« Danny strengte sich an, die Faktoren zusammenzusetzen, mit einem Kopf, der seit langem mit dieser Art streng geordnetem Umgang mit Symbolen vertraut war, die schon bei einfachen Algebraaufgaben erforderlich waren. Todd beobachtete ihn mit zusammengekniffenen, ungeduldigen Augen. Popp. Plötzlich, einfach so, sah er es. Auf die Symbole kam es nicht an. Ihre Beziehung zueinander war es, die zählte. Er blinzelte unwillkürlich vor Staunen. Todds Antwortlächeln war beinahe lauernd. »Setzen Sie was in Bewegung«, schlug er vor. Das Stück Seife, das in den vergangenen drei Stunden ein bemerkenswert abenteuerliches Dasein geführt hatte, schoß vom Fensterbrett herunter in einer flachen Flugbahn quer durchs Zimmer, schmetterte gegen die gegenüberliegende Wand und fiel hinab in die Eingeweide des Resonators. Teilweise blieb es an der Tapete kleben. Todd begab sich hinüber und fischte das gelöste Stück aus der Apparatur auf dem Bett. »Nicht so hastig«, sagte er kichernd. »Mit wachsender Übung kriegen Sie die Kontrolle. Setzen Sie in der Zwischenzeit ein bißchen weniger Kraft dahinter, als Sie für notwendig halten. Dieses Mal hatten Sie die Energiezufuhr genügend aufgedreht, um mit einem Bleibarren zu werfen.« »Was ich immer noch nicht verstehe«, sagte Danny, »ist, wo der Saft herkommt. Den Vorgang zu verstehen kann einfach nicht genügen – es ist echter Energieaufwand nötig, ein Stück Seife in Bewegung zu versetzen, ob man nun Psychokinese anwendet oder es einfach mit der Hand aufhebt und ihm das altmodische Hauruckverfahren angedeihen läßt.« 104
»Sie wenden ja Energie auf, Danny«, sagte Todd ruhig. »Und zwar eine ganze Menge. Wie es scheint, ist PK eine der höchstentwickelten Formen menschlicher Gehirnaktivität, und sie werden merken, daß sie extrem ermüdend ist, wenn Sie über längere Zeit damit weitermachen. Die Elektronen, die Sie zunächst beeinflussen, sind Ihre eigenen in den Zellen Ihres eigenen Gehirns. Sie projizieren das dabei entstehende Feld auf das Objekt, das sie in Bewegung versetzen wollen, da Sie schließlich nicht das Innere Ihres Schädels teleportieren wollen. Folge: Levitation.« »Dann müßten Sie auch in der Lage sein, es zu tun, Dr. Todd.« »Ich habe es in den vergangenen zwei Stunden versucht«, sagte Todd mit stillem Bedauern. »Ich kann die auslösende Empfindung nicht aufbringen, die Bewegung der Elektronen im Inneren meines Kopfes. Nichts passiert, das ist alles; ich fürchte, mir fehlt die Begabung.« Danny fühlte sich auf unerklärliche Weise schuldig. Welches Recht hatte er, nach so kurzem Studium Gewalt über diese Kraft zu erlangen, wenn sie gleichzeitig einem Mann mit dem zehnfachen seiner Intelligenz und Jahren sorgfältiger Studien versagt blieb? »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Todd, ganz so, als sei er Telepath. »Ich bin Lehrer, nicht Handelnder, und ich weiß es. Lassen Sie uns weitermachen; wir haben ja gerade erst angefangen.« Danny wandte plötzlich den Kopf und sah Maria an. Sie stand mit dem Rücken an der Tür da und beobachtete ihn mit aufgerissenen Augen. Sie hatte sich eine ihrer Fäuste in den Mund gestopft. »Was ist los, Maria? Ist es nicht das, was du sehen wolltest. Erschreckt es dich?« Sie entfernte mit Mühe die Faust; offenbar kostete es sie Überwindung, sich überhaupt zu bewegen.
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»Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte sie. »Ich bin gerade draufgekommen, daß du vielleicht wirklich nicht geblufft hast. Ich meine, als du sagtest, du hättest die Angelegenheit nicht fingiert. Wenn ja, dann gefällt mir das, verflucht noch mal, gar nicht. Es ist nicht normal.« »Natürlich ist es normal«, spottete Todd. »Leute, die es nie geschafft haben, weiter als bis eine Meile von ihrem Ego entfernt zu denken, empfinden ähnlich in bezug auf Lichtjahre, Maria, aber das macht interstellare Entfernungen nicht weniger normal. Es macht sie nur ungewohnt. Nun, Danny, klettern Sie in den Stuhl und lassen Sie uns mit ESP anfangen. Ich warne Sie, daß es schwerer sein wird, an sie ranzukommen, weil wir guten Grund haben, anzunehmen, daß sie zum Teil nichtphysikalisch funktioniert.« Er zog eine Spritze aus einer Ampulle mit Gummipfropfen auf und richtete die Nadel auf Dannys Unterarm. »Krempeln Sie den Ärmel hoch, und wir lassen den Leuchtspurprozeß anlaufen, während wir arbeiten.« »Was werden Sie jetzt tun?« fragte Maria vorsichtig an. »Einer Idee von Danny nachgehen«, sagte Todd und wischte dabei Dannys Stirn mit einem in Azeton getränkten Wattebausch ab. Danny setzte sich in den Chirurgenstuhl, und Todd begann, eine klebrige graue Masse – SS-Elektrodengelee – auf die Stellen auf Dannys Kopfhaut aufzutragen, die er gerade gesäubert hatte, wobei er mit flinken Strichen einen Zungenspatel benutzte. »Danny hat mich darauf hingewiesen, daß die Wirkung der PSITechnik als Ganzes möglicherweise auf einer unendlichen sich überlappenden Anzahl von Fourier-Funktionen beruht, wobei die Nervenimpulse die Rolle dynamischer Variablen übernehmen.« »He, langsam. Sagen Sie's mir in normalen Worten.« Danny lächelte. »So ausgedrückt erkenne ich es auch nicht wieder. Alles, was ich angeregt habe, war, daß der unbenutzte Teil des menschlichen Gehirns vielleicht gar nicht die eingleisige Auffassung von der Zeit teilt, derer sich die grauen Zellen befleißigen. Der sogenannte ›Strahl der Zeit‹, der ausschließlich nach vorn gerichtet ist, ist eine Art Mythos, mit dem wir 106
aufwachsen; die Leute haben nicht immer so über die Zeit gedacht. Die Griechen zum Beispiel glaubten von sich, sie würden die Zeit rückwärts durchlaufen, wobei neue Ereignisse in der Gegenwart so ins Blickfeld gerieten, wie Objekte von hinten her in Sicht kommen, wenn man mit dem Zug rückwärts fährt. Einige amerikanische Indiandersippen oder -stämme denken überhaupt nicht in Form von Vergangenheit und Zukunft an die Zeit, sondern nur in Form einer Art unaufhörlich sich verändernden Gegenwart, die für unser Bewußtsein schwer begreifbar ist – einfach, weil wir nicht mit dieser Überzeugungshaltung aufgewachsen sind. Konntest du mir folgen?« »Ich denke schon. Aber ich verstehe nicht, was das mit hellseherischer Veranlagung zu tun hat.« »Alles mögliche hat es damit zu tun. Meiner Auffassung nach ist keine dieser Methoden, die Zeit zu betrachten, eine vollständige Methode, eine realistische Methode. In Wirklichkeit existieren alle Ereignisse – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – nebeneinander. Sie entstehen nicht einfach blitzartig in irgendeiner mythischen Gegenwart und scheiden dann ebenso blitzartig wieder dahin, wenn die Gegenwart auf magische Weise zur Vergangenheit wird. Sie erwecken nur diesen Eindruck, weil das Bewußtsein des Betrachters sich zwischen ihnen bewegt und nur vereinzelt auf sie trifft. Was ich Dr. Todd gegenüber angeregt habe, war folgendes: Der PSI-Mechanismus des Gehirns kann dies alles wahrnehmen und reagiert unmittelbar darauf; während die grauen Zellen, die Kortex des Gehirns, von der vorwissenschaftlichen Art und Weise verblendet sind, die Dinge zu betrachten. Dr. Todds vor einem Moment gebrauchte Formulierung ist ein mathematischer Weg, diese Idee darzustellen, den ich genausowenig verstehe wie du – und ich sehe nicht ein, warum wir das müssen. Dafür ist er zuständig.« Die junge Frau dachte darüber nach. »Wenn ich das alles recht verstehe«, sagte sie schließlich, »dann sagst du, daß alle
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Ereignisse festgelegt sind und sich so zutragen müssen, wie sie sich zutragen. Vorherbestimmtheit.« »Das ist die kortikale Betrachtungsweise«, sagte Dr. Todd, knipste dabei die Elektroden des Enzephalographen in die graue Masse und bestrich ihre oberen Ränder mit geschickten Schwüngen seines Spatels. »Wenn Sie weiter darauf bestehen, in solchen Begriffen zu denken, dann müssen Sie es, nehme ich an, Vorherbestimmtheit nennen. Es handelt sich aber nicht um eine starre, lineare Serie, bei der die Ereignisse 1-2-3-4 wie Perlen auf einer Schnur auftreten. Dünne beispielsweise stellt sich eine unendliche Reihe einander überlappender Ereignisniveaus vor, von denen jedes an einer Art Entscheidungspunkt festgemacht ist. Genügend Raum für den Einsatz des freien Willens, verstehen Sie, falls Sie der Tröstung durch einen derartigen im wesentlichen metaphysischen Gedankengang bedürfen.« »Autsch!« sagte Maria kläglich. »Ich kann doch nichts dafür, daß ich Laie bin, Dr. Todd. Ist es Ihnen recht, wenn ich es mir als einen großen Haufen Kinofilme vorstelle, die alle der Länge nach aufeinandergestapelt sind? Alle haben fast genau das gleiche Szenenbild, aber die Bildausschnitte überschneiden sich ein kleines bißchen, und dem Hauptdarsteller ist es freigestellt, von Streifen zu Streifen zu wechseln, wenn er möchte. Wenigstens entnehme ich das aus dem, was Sie sagen.« »Das ist eine sehr gute Art, es sich vorzustellen«, sagte Todd ernsthaft. Er schloß die Elektroden an den Elektrodenkasten an, durchquerte den Raum und fing an, den Enzephalographen zu eichen. »Ich bin mir Ihres Poisson-Potentials ohnehin nicht ganz sicher, Danny. Ich glaube, wir gehen besser davon aus, daß Ihre Impulssätze Heisenbergs ›Wahrscheinlichkeitsquantum‹ entsprechen. Auch Marias Analogie würde dann besser passen.« »Wie Sie wollen; Sie sind der Boß, was das ernsthafte Denken angeht«, sagte Danny und veränderte seine Position auf dem Stuhl, der alles andere als bequem war. »Natürlich ist es genau das was wir rauskriegen müssen. Was Dr. Todd vorhat, Maria, 108
ist, diese Idee zu überprüfen und festzustellen, ob sie der tatsächlichen Funktionsweise der ESP auch nur annähernd gerecht wird. Dann, wenn sich herausstellt, daß es die richtige Spur ist, muß er die PSI-Zentren in meinem Gehirn lokalisieren und sie meiner bewußten Kontrolle zuführen. Dazu sind diese ganzen Apparaturen da.« »Fertig, Danny.« Der Enzephalograph summte beinahe unhörbar. Auf einem langsam ablaufenden hitzeempfindlichen Papierstreifen zeichneten sechs Nadeln mit Glühspitzen komplizierte Spuren. Todd beobachtete kritisch ihre Bewegungen. »Was machen Sie denn, versuchen Sie, ein Limerick zu verfassen?« fragte er. »Entspannen Sie sich, Danny, so kann ich nichts erkennen.« »Kann die Maschine Ihnen denn sagen, was er denkt?« fragte Maria ungläubig. »Nein, natürlich nicht. Still jetzt, Mädchen. Danny, entspannen Sie sich. Verhalten Sie sich wie ein Schwachsinniger. Ich möchte als erstes fundamentale Muster haben, nicht etwas, wofür ich, um es zu lesen, einen Kryptographen herbestellen müßte.« Danny schloß die Augen und versuchte, an gar nichts zu denken. Da er bei Bewußtsein war, konnte ihm das natürlich nicht vollkommen gelingen. Aber er schaffte es, seine Gedanken von allem freizumachen, bis auf flüchtige Eindrücke und Wellen verblaßter nicht einzuordnender Gefühlsregungen, über die er keine Kontrolle hatte. »So ist es recht«, sagte Todd. »Halten Sie das einfach eine Minute durch. Ruhig jetzt… In Ordnung. Jetzt werde ich in einem Moment wieder still sein, und wenn Sie sich dann vollkommen entspannt haben, heben Sie wieder das Stück Seife hoch – nein, nein, Danny, stellen Sie es sich nicht bildlich vor. Ich möchte nicht, daß mir die Aufzeichnung von suboptischer Aktivität verdorben wird. Heben Sie einfach die Seife hoch, wenn ich ›jetzt‹ sage.« 109
»Wie kann ich das, ohne es mir vorzustellen?« »Sie müssen es sich nicht vorstellen. Ihr PSI-Mechanismus steht in direktem physikalischem Kontakt damit. Entspannen Sie sich jetzt wieder … Gut … Hochziehen!« Danny zog. Todd grunzte vor Zufriedenheit, und Dannys Augen sprangen unwillkürlich auf. Die Seife fiel aus einer Position hoch über dem Schreibtisch geradewegs nach unten. Todd hielt eine Röntgenplatte ganz dicht über seine Stirn, mit Händen so unerschütterlich wie Felsbrocken. »Seien Sie nicht ungeduldig. Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Ich will noch mehr hiervon, und dann eine Serie von Plattenaufnahmen von der Seite, von hinten und von Ihrer Schädeldecke aus. Machen Sie die Augen zu.« Danny machte die Augen zu. Todd wiederholte die Prozedur; dann noch mal, und noch mal, und noch mal. Danny entdeckte, daß er dabei war, einzuschlafen. »Gut, sehr gut. Machen Sie eine Pause, Danny.« Danny riß die Augen auf. Todd ließ gerade die Platten ins Waschbecken gleiten und deckte sie mit Dannys Tagesdecke zu. »Sie haben gar keine Flüssigkeit in Ihrem Entwicklerbad«, sagte Marias müde Stimme. »Ich brauche keine Flüssigkeit. Dort drin befindet sich ein mit Ammoniak getränkter Schwamm. Das sind Xerogramme – Trockenplatten.« Der Wissenschaftler begann, Dannys Handgelenke an die Armlehnen des Stuhls zu fesseln und rollte den umgebauten Lügendetektor in Stellung. »Also, Maria, lassen Sie uns eine Stunde oder so völlig still sein. Jedes Wort, das Sie sagen, schlägt sich bei Danny nieder und verwackelt mir meine Kymographien. Solche Daten können wir nicht gebrauchen. Dies ist die kritische Phase. Also, Kinder, sachte, sachte. Ruhig.« Danny schloß die Augen. Die Stille wurde absolut. Er träumte, er sei … 110
Nein. Das war unabänderlich. Nein. Aber es war bereits zu spät. Er hatte es aus Neugier getan, und es war zu spät, um noch daraus zu lernen. Es war zu spät. Nein, nein, nein, nein … Er keuchte und versuchte, sich aufzusetzen, aber seine Handgelenke waren angegurtet. Schwaches Licht kam durch die Fenster herein; Morgengrauen. »In Ordnung, Danny«, sagte Todds Stimme gedämpft, »wir sind jetzt fast durch.« Danny blickte sich unter verklebten Augenlidern um. Maria schlief freimütig und offen im Lehnsessel. Der Wissenschaftler, ein bloßer Schatten, studierte gerade die letzte seiner endlosen Reihe von Platten, seine Bewegungen waren absichtlich gleichförmig. Während Todd die neue Platte vor die Lampe hielt, sah Danny daran ein Muster, das aussah wie die Explosion einer Himmelsrakete. Es schien Todd zutiefst zufriedenzustellen. Eine Aura unerbittlich unterdrückter Erregung umgab ihn. »Danny, wachen Sie auf.« »Mhhm.« Das Licht im Zimmer verschwand. Offenbar wurde es noch nicht morgen; das Licht war eine Illusion gewesen, entstanden aus Dannys Flucht vor seinem Alptraum. (Nein, nein … aber es war vorbei; es war wirklich vorbei.) »Wie spät ist es?« »Ungefähr fünf. Sind Sie wach?« »Einigermaßen. Haben Sie was?« »Ja. Die Fourier-Idee war tatsächlich richtig. Es kommt mir so vor, als ob jetzt das gesamte ESP-Zentrum in Betrieb ist; aber es gibt immer noch keine Impulsspuren hinüber zu Ihrem Großhirn. Ich möchte, daß Sie feststellen, wieviel Sie von einer Ereignisreihe in, sagen wir, fünf Minuten von jetzt an aufschnappen können. Irgendwas. Meine Bewegungen im Zimmer oder etwas, das vielleicht auf der Straße passiert.« »In Or…« Danny kämpfte gegen den Halbschlaf an, wobei er den Spuren des Alptraums auswich. Todds Blick schoß hinüber zu dem Papierstreifen, der gleichmäßig über die Oberfläche des Enzephalographen lief. 111
»Nicht«, sagte er heiser. »Entspannen Sie sich wieder, Danny. Schlafen Sie wieder ein, wenn Sie können. Ich möchte Ihr Großhirn nahezu ausgeschaltet wissen. Sachte jetzt …« Danny sank gehorsam in den Folterstuhl zurück. Dünne Wahrnehmungsströme durchflössen ihn; seine Gedanken glitten über einen Abgrund, den er wiederzuerkennen glaubte. Nach einer Weile überlagerten undeutliche Umrisse die vertraute Geographie des Zimmers. Er bewegte sich protestierend. »Danny?« »Mhhm. Empfange was. Aber keine Bewegung.« »Vermutlich nur ein ›Bildausschnitt‹, um Marias Analogie zu benutzten. Sehen Sie zu, ob Sie die Bezugspunkte erweitern können. Er war sich nicht bewußt, daß er es versuchte; er war gar nicht einmal sicher, daß er begriff, was man von ihm verlangte. Doch ohne sein Zutun begannen die schwachen Umrisse, die er wahrgenommen hatte, sich zu bewegen. Gleichzeitig wurde ein Abschnitt der Straße draußen, einschließlich eines frontalen Schnitts durch die Apartments unter seinem, direkt erkennbar. Es war eine seltsame und schwindelerregende Empfindung, die mit Worten nicht zu beschreiben war. Er verspürte eine Art vager Beunruhigung, weniger grauenvoll als der Alptraum, aber viel realer. »Ich stanne …«, murmelte er. »Was tun Sie? Ich kann Sie nicht recht hören.« »Das wollte ich nicht. Dr. Todd, etwas gefällt mir hier gar nicht. Was nicht in Ordnung. Mehr Leute im Zimmer, als ich mir erklären kann. Da sind Maria und Sie, und da bin ich auf dem Stuhl, aber es gibt noch eine andere Gestalt am Fenster – und er bewegt sich jetzt, und da ist noch ein Kerl, der hinzufallen scheint, und – und unten ist außerdem ein Auto mit noch zwei Leuten drin. Eine Art Aufruhr. Es – es riecht komisch, anders kann ich es nicht beschreiben.«
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Todd beobachtete den umgebauten Lügendetektor wie ein bebrillter Habicht; die kleinen Stifte kritzelten eifrig drauflos und hinterließen Spuren, die nur er lesen könne. »Weiter.« »Ich habe es verloren«, sagte Danny. »Nein, warten Sie – ein paar von diesen Vögeln haben Schußwaffen. Jetzt gibt es eine Balgerei. Und – nein, jetzt verschwindet es wieder.« Er öffnete die Augen und lehnte sich im Stuhl vor, jetzt vollständig wach. »Was halten Sie davon?« Todd begann, ihm die Gurte abzunehmen. »Nichts Gutes«, sagte er grimmig. »Irgendeine Möglichkeit, die Zeit festzustellen?« »Maria wird noch da sein, und Sie ebenfalls. Wenigstens glaube ich das. Aber ich konnte es nicht klar erkennen. Die Identitäten haben sich immer wieder vermischt. Himmel. Was für ein Traum.« »Vor etwa einer Stunde habe ich Ihre Polarität umgelenkt; vermutlich war das dafür verantwortlich. War es schlimm? Ich hatte ein bißchen Angst davor.« »Wenn Sie das wirklich verursacht haben«, sagte Danny offen, »könnte es sein, daß ich beschließe, Sie auf der Stelle zu erwürgen. Aber ich komme langsam drüber weg.« Unten hielt ein Auto schnurrend am Straßenrand. Mit einer raschen, schwungvollen Handbewegung riß Todd die Lampenschnur aus der Steckdose und tauchte das Zimmer in Dunkelheit. Wäre das Morgengrauen im Anzug gewesen, hätte es sich jetzt gezeigt; doch das Fenster war immer noch eine glatte, tintendüstere Fläche. Danny zerrte sich die Elektroden vom Kopf und ging zu ihm hinüber. »Jetzt schon«, murmelte er. »Sehen Sie – der erste Vogel da hat eine Maschinenpistole. Etwas sagt mir, daß meine Manipulationen die endgültige Hauptsicherung haben durchbrennen lassen. Ich wünschte, ich hätte eine Art Waffe.« Todd rüttelte Maria.
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»Steh auf, Mädchen. Schnell, Danny, zeigen Sie ihr, wo Ihr Schrank ist, und bringen Sie sie dazu, sich darin zu verstecken.« »Was 'n los?« sagte die junge Frau verschlafen. »Unannehmlichkeiten«, sagte Danny. »Komm hier herüber, Maria, und steig rein. Kein Mucks von dir, egal, was du hörst.« Die Türglocke läutete, und das schrille Geräusch ließ sie alle hochfahren. Danny schloß hinter Maria die Schranktür. »Lassen Sie sie ruhig von allein reinkommen«, sagte Danny grimmig. »Ich denke nicht, daß ich zu Hause bin. Sollten wir nicht besser einen Teil dieser Geräte sicherstellen?« »Zu spät und auch nicht nötig«, faßte Todd kurz und bündig zusammen. »Verdammt. Noch fünf Minuten, und wir hätten die ganze Geschichte zu Protokoll gehabt. Naja, sollen sie ruhig über die Apparate stolpern und sich in den Spaghettikabeln verfangen.« Es entstanden tastende Geräusche. Beim schwachen Glanz der Straßenlaterne auf der Decke konnte Danny sehen, wie der Wissenschaftler den kleinen Transformator aufhob. Ein Schlag mit einer seiner Ecken konnte den härtesten Schädel knacken. Danny grinste, nahm sich einen einfachen Stuhl und stellte sich hinter der Tür auf. »Caiden?« sagte eine ruhige, barsche Stimme. Danny antwortete nicht. »Wir wissen, daß Sie da drin sind. Wir meinen es ernst. Machen Sie auf, oder wir beharken das Zimmer.« Danny zögerte. Er hatte keine Ahnung, was die Männer dort draußen von ihm wollten; aber er wußte, daß er kein Risiko einzugehen wagte. Maschinenpistolengeschosse würden mit Sicherheit auch durch die Schranktür schlagen – sie war direkt in der Schußlinie. »Na gut«, sagte er. »Moment.« Er setzte den Stuhl ab, entriegelte die Tür und schwang sie auf. Ein starker Lichtstrahl aus seiner Taschenlampe durchflutete den Raum und erwischte Todd in flagranti. 114
»Hallo, Großpapa. Laß das Ding fallen. Mach mal Licht hier und beweg dich gefälligst.« Widerstrebend steckte Todd die Lampenschnur wieder ein. Drei Männer kamen herein, zwei von ihnen stießen Danny zurück und nahmen dort Aufstellung, wo sie das gesamte Zimmer übersehen konnten. Einer von ihnen war der Kellner, den Danny im Wettlokal gesehen hatte. »Sieh mal einer an«, sagte der Kellner. »Der Kerl hier war gestern in Joes Schuppen, Boß. Nein, vorgestern. Bestimmt hat er uns ausgekundschaftet.« »Wo ist das Mädchen?« fragte der Mann mit der Taschenlampe. »Was für ein Mädchen?« »Ihre Kassiererin. Wir haben sie im Anschluß an die Schweinerei, die sie heute abend in den Totalisatoren angerichtet hat, bis hierher verfolgt.« »Sie ist heimgegangen«, sagte Danny. »Sie ist nur ein Kurier.« »Eddie, du solltest doch diesen Laden nicht aus den Augen lassen, bis die Jungs auftauchen.« »Der hat 'ne Hintertür, Boß«, sagte der Kellner. »Bin doch nich' zwei Kerle auf einmal.« Der Mann mit der Taschenlampe dachte darüber nach, und seine Blicke wanderten über die ringsum verstreute Gerätschaft. Einen Moment später beugte er sich neugierig über die Röntgenplatten auf dem Tisch. Im gleichen Augenblick warf Todd den Trafo, den er unauffällig die ganze Zeit festgehalten hatte, von sich und ließ sich flach auf den Boden fallen. Eine Maschinenpistole polterte auf die Dielen, und ihr Besitzer kippte um wie ein gefällter Baum. Danny trat geschickt und mit großer Wucht nach dem Mann mit der Taschenlampe und warf sich im Sturmangriff auf den übriggebliebenen Revolvermann. 115
Es erfolgte ein gedämpftes Klirren von Glas, als der Ganovenhäuptling wild um sich schlagend über den Enzephalographen stürzte, der unter ihm wegrollte und gegen das Waschbecken knallte. Danny hatte keine Gelegenheit, ihn weiter zu verfolgen. Der Mann, den er angegriffen hatte, schlug anscheinend nicht bereit, zu schießen, mit dem Kolben seiner Pistole wild auf ihn ein. Danny keuchte und brachte ihn zu Fall. Hinter ihm klangen schwere Schritte auf, und dann packten ihn mehrere Paar Hände an den Armen und warfen ihn beiseite. Mindestens drei weitere Männer waren hereingekommen, offenbar von Posten vor der Tür kommend. Danny brachte etwas verspätet die gerade erst bewältigte PK in Gang und ließ die zu Boden gefallene Maschinenpistole geradewegs auf den Nächststehenden zusausen. Dem Mann klappte der Mund auf. Er war zu ungläubig, um sich zu ducken. Todd wand sich im Griff eines Gorillas, der mindestens zweimal so groß war wie er selbst und trat ihm heftig gegen die Schienbeine. Der Mann zuckte zusammen, hielt ihn aber fluchend fest. Noch einen Augenblick, und zwei von der Sorte knieten auf Danny. Der versetzte sein Wasserglas und ein schweres Lexikon in Aktion. Ein Pistolenlauf bohrte sich ihm ins Kreuz. »Hör auf, mit dem Zeug zu schmeißen«, keuchte die barsche Stimme. »Mir wurscht, wie du es fertigbringst, aber noch ein Ding, das von allein losfliegt, und ich blase dich in Stücke.« Der Satz war verdreht, aber seine Bedeutung war nur allzu klar. Danny ließ gehorsam los, und das Sortiment von Gegenständen, die er im Zimmer hatte herumschwirren lassen, fiel leblos zu Boden. »Was fangen wir mit dem alten Knacker an, Boß?« »Schnür ihn zusammen und steck ihn in den Schrank. Der Typ hier ist der Spaßvogel, der für die Störung verantwortlich war. Nimm was von dem Draht da.«
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Der Gorilla umwickelte Todd mit Draht, bis er wie eine Mumie des Elektronikzeitalters aussah. Als er die Schranktür aufmachte, traf ihn Dannys Regenschirm auf den Kopf. »Holla, noch jemand! Greif sie dir, Tooey. Bist also doch nicht heimgegangen, Schwester? Verdrahte sie, Tooey.« Auf dem Flur sagte jemand: »Was, zum Teufel …«, und es erscholl ein dumpfes Klatschen. Ein weiterer Revolvermann taumelte rückwärts ins Zimmer. Hinter ihm her rollte ein heftig bebender Berg. »Sie haben Schwester mein! Ich breche Sie alle …« Mit der perfekten, hirnlosen Präzision einer Maschine schwenkte Tooeys tonnenförmiger Rumpf dort, wo er neben Maria kauerte, herum, die Automatik glitt aus seiner Jacke und bellte los. Danny konnte beide Einschläge der Kugel deutlich hören – einmal in der Brust des Riesen, ein zweites Mal in der Wand des Treppenhauses hinter ihm. Der besoffene Zigeuner fiel rückwärts um, sein Gesicht blickte verständnislos und wütend drein, ganz und gar nicht der Tatsache bewußt, daß er tot war. »Jesus. Was sind wir, 'ne Gang oder die UNO-Vollversammlung? Also, verschwinden wir. Schütt ein bißchen Wasser über die zwei Schaufensterpuppen da und weck sie auf. Leute, die in solchen Schuppen wohnen, sind furchtbar neugierig, einer von denen hat inzwischen sicher die Bullen gerufen.« Gefesselt und geknebelt wurden Todd und Maria in entgegengesetzte Schrankecken gestellt und bekamen die Tür vor der Nase zugeschlagen. Danny versuchte, eine Art Zuversicht auszustrahlen, aber was er möglicherweise an telepathischen Fähigkeiten besaß, weigerte sich hartnäckig, zu funktionieren. Doch da weder Todd noch Maria Telepathen waren, und da die Zuversicht ohnehin nur vorgetäuscht war, wußte er, daß er nichts anderes hatte erwarten können. Er wurde auf die Füße gerissen, und etwas bohrte sich in seine Rippen. 117
»Marsch.«
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IX In der Sackgasse Die ersten zwanzig Minuten konzentrierte sich Danny voll darauf, sich den Kurs zu merken, den der schwere Wagen durch den frühen Morgen nahm. Die bruchstückhafte Konversation seiner Entführer war nur geeignet, seinen ersten Eindruck von ihnen zu bestätigen. Die meisten waren bezahlte Schläger, die von unbedeutenden Unterführern eines großen Syndikats befehligt wurden. Es hatte keinen Zweck, sich zu bemühen, dieses Fußvolk auseinanderzuhalten. Die Identität des Mannes, zu dem er gebracht wurde, mochte da von größerer Bedeutung sein. Der Wagen hatte gerade den oberen Abschnitt der Kingsway Bridge erreicht, als Danny klar wurde, daß der Fahrer keine Anstrengung unternahm, ihn zu verwirren. Bisher konnte er ihren Kurs so leicht verfolgen, als hätten sie eine Kreidelinie zurückgelassen. Sie waren der kürzesten und direktesten Route aus der Stadt gefolgt, derselben, die das Verkehrsbüro Touristen empfahl. Die Schlußfolgerung war klar. Sie rechneten nicht damit, daß Danny zurückkam. Fünf Minuten nach der Brücke, außerhalb der Stadt, raste der Wagen einen langen, gewundenen Kiesweg entlang und bremste dann. Ihr Ziel war ein langgestrecktes, niedriges Haus und konnte alles sein, von einem schlecht beleumundeten Rasthaus bis zu einem verlassenen Landsitz. Danny wurde eilends zur Hintertür geschleppt, ohne daß er die Chance bekam, den Haupteingang zu sehen. »Da ist er, Chef«, sagte der Mann mit der Taschenlampe. Danny wurde rauh in einen kleinen Raum mit einem dicken 119
Teppich gestoßen, der zum größten Teil von einem schweren Schreibtisch mit Glasoberfläche eingenommen wurde. Der Mann hinter dem Tisch war teuer aber geschmacklos gekleidet und zeigte die kleine Statur und das Terriergesicht eines unterernährt wirkenden Iren. Danny hatte ihn noch nie gesehen. »Schließ die Tür, Tooey.« »Sie sind also Danny Caiden, Ihre Mutter muß zu oft ins Kino gegangen sein.«* * Anspielung auf den amerikanischen Filmkomiker Danny Kaye. Anm. d. Übers.
»Der Name ist die Verballhornung eines Ausdrucks aus New Orleans, den eigentlich jeder kennen müßte, der mehr als eine Gehirnzelle hat«, erklärte Danny ruhig. »Wie heißen Sie?« »Ich stelle hier die Fragen«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Murph, bist du sicher, daß das der Bursche ist?« »Ja, wir haben das Mädchen, das mit dem Geld verschwunden ist, versteckt in einem Schrank gefunden. Und er und ein alter Knacker und so 'n großer Bursche haben versucht, uns aufs Kreuz zu legen.« »So wie ihr wahrscheinlich auf sie losgegangen seid, beweist das gar nichts.« »Eddie sagt, daß der Bursche gestern bei Joe war und geschnüffelt hat«, erwiderte Murph verstimmt. »Das ist der Kerl, ganz klar.« »Also gut, alle raus, bis auf Tooey.« »Hören Sie«, sagte Danny. »Ich bin ein gesetzestreuer Bürger, oder ich war es zumindest, bis ihre Gorillas mich entführt haben. Jetzt verstoße ich schon gegen meinen Hausarrest. Ich weiß nicht, welchen Grund Sie haben, wütend auf mich zu sein – ich habe bei Joe nichts getan, außer mein ganzes Geld zu verlieren.« »Nein? Nun, vielleicht. Aber was Sie letzte Nacht geleistet haben, war ein hübscher Trick. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie 120
sich dumm stellen, Caiden. Nur jemand, der bis auf den letzten Dollar wußte, wie wir alles geregelt hatten, konnte uns so ausnehmen, wie Sie. Hölle, ich weiß genau, wie jedes unserer Rennen heute laufen soll, aber auch damit könnte ich die Quoten nicht so ruinieren wie Sie. Ich schätze, Sie haben das Syndikat fünfzigtausend gekostet.« Er verschränkte die Arme über der Glasplatte und beugte sich vor. »Und ich weiß auch, was Ihr Gewinn war. Kümmerliche Neuntausend, das ist alles. Weniger als ein Fünftel von dem, was Sie verdienen könnten, wenn Sie mit statt gegen uns arbeiten. Das heißt, wir haben neue Konkurrenz. Für wen arbeiten Sie?« »Mich selbst«, antwortete Danny. »Komm mir nicht damit. Keiner, der weiß, wie die Kohle zu holen ist, wird sich mit einem Fünftel vom Kuchen zufriedengeben. Und kein einzelner Mann kann die Gewinnchancen so weit beeinflussen, ganz gleich, was er weiß. Er muß Beobachter bei den Rennen und Tippgeber und Spione haben, nicht nur ein Mädchen, einen alten Mann und einen Gorilla. Wer bezahlt dich, damit du uns das Geschäft versaust? Wer ist dein Boß?« Danny zuckte die Achseln. »Ich habe keinen Boß. Ob Sie's nun glauben oder nicht.« Der Blick des Mannes wurde härter. »Wenn du willst, daß ich das schlucken soll, mußt du's beweisen. Wenn du das alles allein gemacht hast, mußt du ein System haben.« »So könnte man es nennen.« Der Gangster lächelte sanft. »Erkläre es mir«, sagte er. Einen Moment lang sahen sich die Männer an. Dann lächelte Danny zurück. »Gut«, sagte er. »Es ist nicht schwer – wenn man weiß, wie. Betrachtet man das Massenverhalten irgendeiner unendlich großen Zahl gleichartiger Objekte – wie Elektronen oder Dollarscheine –, treffen die alten Hamiltonschen Gesetze kanonischer Bewegung nicht mehr zu. Das heißt, die Variablen folgen nicht mehr dem Gesetz der wechselseitigen Multiplikation. 121
Auf Rennen bezogen, wenn man die Pferde beiseite läßt und sich auf das Geld konzentriert, kann man dessen Bewegung über die Wettschalter als ein Problem der Matrixmechanik beschreiben – nicht als trigonometrische Serie, wie ein Statistiker es tun würde.« Danny war froh, daß Todd nicht da war und zuhörte. Soweit er es beurteilen konnte, zitierte er ihn nur, aber er war sich ziemlich sicher, daß er es irgendwo verdreht hatte. »Es ist unmöglich, einem individuellen Dollar zu folgen, aber man kann sagen, daß seine Position im Ordnungssystem der Wetten sich an jedem Punkt als eine Tabelle von Integraldifferenzen zwischen Wertausdrücken beschreiben läßt und …« »Tooey«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Ein betäubender Schlag traf Danny genau hinter der linken Schläfe. Er fiel auf ein Knie, ein qualvolles Vibrieren lief durch seinen Schädel. »Jetzt verstehen wir uns vielleicht«, sagte der Mann hinter dem Tisch. »Ich kenne alle Arten von faulen Ausreden, die es gibt, Caiden. Es hat schon einmal einer versucht, mir ein statistisches System zu verkaufen. Sag mir jetzt, für wen du arbeitest, bevor ich beschließe, daß sich Höflichkeit nicht auszahlt.« Danny schüttelte den Kopf. Das schrille, peinigende Vibrieren blieb. Die Stimme des Mannes hinter dem Tisch schien sich irgendwie verdoppelt zu haben; der zweite Teil traf immer kurz nach dem ersten ein. Während seiner bisherigen Sätze hatte der zweite Teil gesagt: Das ist was Neues, Und auch noch ein Klugscheißer. Vielleicht Joes – nein, der hat nicht den Nerv. Der Bursche selbst ist der Boß? Zu schön, um wahr zu sein. Wir müssen es aus ihm rauskitzeln, bevor … Danny hob den Blick und sah den Mann hinter dem Schreibtisch durch einen Nebel von Schmerz an. Der wunderliche, sprunghafte Monolog ging weiter, obwohl der Mund des Mannes geschlossen war. Da erkannte Danny den Schmerz wieder, und ihm wurde schwach vor Hoffnung. Konnte etwas so 122
Einfaches wie ein Schlag auf den Kopf den endgültigen Ausschlag gegeben haben? Die Psi-Zentren durch Todds Injektion in einem Zustand abnormer Erregung, hatte der Schlag offensichtlich das vollendet, wozu Todd keine Zeit mehr geblieben war. Vorsichtig griff Danny nach Tooeys Verstand. Man konnte kaum sagen, daß Tooey einen Verstand besaß. Er verfügte über einen verwickelten, empfindlich ausgewogenen Komplex von Drüsenaktivitäten, die in der Lage waren, bei der leichtesten thalamischen Störung entlang einer begrenzten Zahl von Kanälen auszulösen, aber die kortikalen Gedanken, die er hatte, waren von der Qualität von Sprechblasen in Comic-Strips. Der Bewußtseinsstrom des Mannes hinter dem Schreibtisch war von vergleichsweise höherer Ordnung, hatte aber seine eigenen Instabilitäten. In jedem Impuls lag die Furcht, abgesetzt zu werden. »Machs Maul auf. Ich will mein Frühstück nicht verpassen. Ich habe zu tun. Wer ist dein Boß?« »Joe«, sagte Danny gepreßt, während er sich mühsam aufrichtete. »Ich wollte Ihnen nicht schaden. Ehrlich.« Der Mann hinter dem Schreibtisch griff nach dem Telefonhörer. »Murph? Schnapp dir Eddie und leg ihn auf Eis, bis ich dazukomme, mit ihm zu reden. Und schickt einen Wagen nach Joe.« Er legte auf und sah wieder Danny an. »So, wer gibt dir die Zahlen?« Danny dachte rasch nach. »Ich krieg' sie mit der Post«, sagte er. »Ich muß dann zu Joes Bar, um sie zu überprüfen, wenn ich sie setze, um sicherzugehen, daß es keinen Fehler gibt. Ich sehe ihn nicht. Ich setze nur, wie alle anderen auch, und er gibt mir dann Nachricht.« »Wie?« »Durch meine Gewinne und Verluste. Wenn sie sich ausgleichen, ist alles okay, und ich mache weiter und …« »In Ordnung. Tooey, bring ihn raus und erledige ihn.«
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Die Hand des Gorillas griff nach Dannys Schulter. Das Telefon auf dem Tisch schrillte. Danny konnte fühlen, wie die Adrenalinwoge des Erschreckens durch die engen Gänge von Tooeys Gehirn spülte und spürte gleichzeitig die blitzschnelle und prompte Anpassung des anderen Mannes an die Situation. Tooeys Reaktion war die für einen dummen Menschen übliche auf jedes moderne Nachrichten übermittelnde System. Nachrichten waren immer schlecht für ein solches Denken, denn sie waren immer neu und folglich immer eine unerwartete Änderung. Für den Mann hinter dem Tisch bedeutete jede Änderung die Möglichkeit einer Verbesserung. Keine der beiden Einstellungen war gesund, aber die von Tooeys Boß war zumindest menschlich. »Ja?« Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung erreichte Danny etwas verspätet, wiederholt und weitergeleitet durch die filternden Reflexe des dazwischengeschalteten Bewußtseins. Boß, da sind 'n paar schwere Wagen auf der Straße. Keine Bullen, sieht aber irgendwie nach 'nem Überfall aus. Vielleicht das FBI.« »Wenn es die Bullen wären, hätte Impy uns gewarnt. Laßt die Läden runter und macht euch bereit.« Aber Boß, es sind noch fünf Jungs draußen und die Wachen … »Die Läden runter, habe ich gesagt. Sie haben sich als Wachen gemeldet, weil das der leichteste Job ist. Sollen sie jetzt merken, daß das anders ist.« Er legte auf. »Gut, Tooey. Kümmer dich um ihn – worauf wartest du noch? Die G-Men sind da.« »Mist!« sagte Tooey. Er zerrte Danny herum und trieb ihn durch die Tür. Einen Augenblick danach lief ein metallisches Bräng durch das niedrige Haus. Die Läden, vermutete Danny, waren aus Panzerstahl. Der Korridor, durch den Danny gestoßen wurde, war leer und nicht besonders gut beleuchtet. Danny fühlte, wie die wirbelnden Elektronenwellen in die Windungen seines Vorderhirns 124
übergingen; die Empfindung war nicht länger schmerzhaft, sondern eher verwirrend und leicht störend, etwa wie das krampfartige, nicht unangenehme Schaudern einer Gänsehaut. Durch sie hindurch konnte er undeutlich die Umrisse der Objekte wahrnehmen, mit denen er Kontakt hatte; er vermutete, daß sich mit einiger Übung die wirbelnden Wellen völlig auflösen und einen klar definierten Objektsinn zurücklassen würden, der nicht mehr durch indifferente Empfindungen vernebelt wurde. In einer Sekunde fand das umherschweifende PK-Feld die Enden von Tooeys Krawatte, riß sie über die Schultern des Gorillas nach hinten und strangulierte ihn so hastig, daß der Kopf zwischen die Schulterblätter gezogen wurde, bevor der Körper den Boden berührte. Falls das Haus tatsächlich überfallen wurde, wollte Danny dort nicht gefunden werden. Selbst, wenn er in dem Getümmel nicht erschossen wurde, würde es ihm schwerfallen, sein Hiersein befriedigend zu erklären. Das FBI würde ihn sofort hopsnehmen, und wenn es die normale Polizei war, würde deren Bericht auch bald auf den FBI-Schreibtischen landen. Falls er aber andererseits innerhalb der nächsten Stunde hier rauskam, gab es eine Chance, eine sehr kleine, aber echte Chance, in sein Apartment zurückzukehren, bevor … Nein, das war nicht gut. Sein Apartment war Schauplatz eines Mordes geworden. Trotzdem hatte er aber nicht die Absicht, einen Augenblick länger in dem Landhaus zu bleiben, als nötig war. Im Erdgeschoß gab es keinen Weg nach draußen. Je näher Danny den Ausgängen kam, desto öfter kreuzte er den Weg gebückter Schatten, die Waffen zu vorbereiteten Stellungen trugen, und desto größer wurde die Möglichkeit, entdeckt zu werden. Die heruntergelassenen Stahlläden an den Ausgängen würden Danny genausowenig hinaus- wie die Angreifer hineinlassen; Gedanken lesen und kleine Gegenstände bewegen, das konnte Danny – aber durch Wände gehen, das konnte er nicht.
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Er fand eine Treppe und stieg nach oben. Der Schmerz kam zurück, und es war kein Schmerz, an den er sich erinnerte, weder die wirbelnden Wellen der PK noch der echte schrille Kopfschmerz der ESP, sondern eine übelkeiterregende Verwirrung, eine umfassende Gleichgewichtsstörung, die es schwierig machte, zu sehen. Er verstand es nicht, aber es war ernst genug, um ihm Angst zu machen; es fiel ihm schwer, die Füße richtig auf die Stufen zu setzen. Im zweiten Stock – eigentlich nur ein ausgebauter Dachboden – kauerten bereits angespannte Gestalten in den feuerbereiten Maschinengewehrnestern der Dachfenster. Am anderen Ende war ein Teil abgetrennt, durch eine offene Tür konnte Danny für einen Sekundenbruchteil einen Blick auf eine elektronische Apparatur phantastischen Ausmaßes werfen, die in einem Wetthai-Versteck so fehl am Platze war, daß sein Verstand sich weigerte, es zu akzeptieren; dann schloß sich die Tür, glitt sanft seitwärts, wie die eines Fahrstuhls. Auch hier gab es keinen Weg nach draußen. Keinen Weg, keinen Ausweg, keinen Ausweg. »He du – komm her und mach dich nützlich!« Kein Ausweg, kein Ausweg, kein Ausweg. Sein Kopf dröhnte wie eine zesprungene Glocke. Einen verrückten Moment lang fragte er sich, ob der radioaktive Stoff, den Todd ihm gegeben hatte, sein Gehirn zerstörte. »He, was zum Teufel … der Kerl gehört nicht…« Eine drohende Gestalt schwang zu ihm herum. Der halbdunkle Dachboden schwankte und schnellte fort, schwand in Entfernung und Bedeutungslosigkeit dahin, wie ein Zitronenkern, der zwischen Daumen und Zeigefinger weggedrückt wird. Dann war alles sehr grau und kalt.
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X Ländliche Idylle Lange Zeit blieb Danny liegen, wo er war, die Dornen durchbohrten seine Kleidung und zerkratzten ihm Gesicht und Kopf, während er nach Atem rang. Nicht nur sein Kopf, sein ganzer Körper schmerzte fürchterlich und war an einer Seite triefend naß. Das Schließen einer Hand belohnte ihn mit dem Gefühl von kaltem Schlamm, der durch seine Finger quoll. Der Geruch zerfallender Blätter drang ihm in die Nase, und graues und helles Licht flackerte abwechselnd durch seine Lider. Entfernt lag Gewehrfeuer in der naßkalten Luft. Schließlich war er wieder soweit bei Bewußtsein, daß er sich fragte, wo er war. Er öffnete die Augen und sah einen bedeckten durch Zweige und Äste gemusterten Morgenhimmel. Er richtete sich auf, und sein Kopf hämmerte bei jeder Bewegung. Er blieb auf einen Ellbogen gestützt liegen, bis die kalte Nässe unerträglich wurde, dann stand er schwankend auf. Alles um ihn herum, auch die blattlosen Bäume, schwankten mit ihm. Ohne zu wissen, warum, begann er von dem Kampflärm fortzutaumeln. Hinter seinen Augen murmelte eine Unzahl von Stimmen Dinge, die keinen Sinn ergaben. Er griff nach Maria – aber das machte das kalaidoskopische Murmeln nur lauter und gleichzeitig undeutlicher. Er wußte, daß er das Murmeln völlig ausschließen konnte, wenn er wollte, aber der Gedanke erschreckte ihn, und er vergaß ihn prompt. Auch die Bäume flüsterten. Das kleine Wäldchen war tot, tot bis zum Frühling, und doch war Bewegung in ihm, und es sprach und in toten, umgestürzten Baumstämmen und unter der Decke abgefallener Blätter gab es kleine, ganz und gar wilde, tierische Gedanken, Hunderte von ihnen, winzig und nur aufs Töten
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gerichtet. Die ganze Welt war ein Wirrwarr aus Geflüster und Schatten. Er fing an zu laufen. Einmal stolperte er über einen Baumstumpf, aber er raffte sich auf und zwang die schmerzenden Muskeln weiterzuarbeiten. Zweige schlugen nach ihm, Baumstämme sprangen ihm in den Weg, rammten ihm die Luft aus den Lungen, Rinde zerschrammte ihm Gesicht und Arme, aber er rannte weiter. Der Anblick der fernen Stadt half ihm ein wenig, sich an das zu erinnern, was er jetzt wissen mußte. Er blieb am Rande des Wäldchens stehen und blickte über den Abhang eines niedrigen Hügels auf ausgedehnte Vorstädte. Der Fluß dahinter war nun ein Dunststrich am Horizont; über dem farblose und schemenhafte Phantombilder von Wolkenkratzern in der Luft schwebten. Der Kampflärm links hinter ihm flaute ab. Ich bin rausgekommen. Es gab keinen Weg nach draußen, keinen Ausweg, aber ich bin rausgekommen. Und jetzt bin ich weiter von der Stadt weg als vorher. Und dann: Es war wie mein Traum vom Schweben. Ich bin rausgekommen, aber ich weiß nicht wie – es ging ganz plötzlich, auf einen Schlag. Er stolperte weiter den Hang hinunter, auf die nahe gelegene Landstraße zu, die ihn durch die Vorstädte in die City bringen sollte. Dabei fragte er sich nicht, wie seine Chancen standen, durch den gepflegten, begrünten Republikanismus zu gelangen, der sich zwischen ihm und Maria befand. Eine zerschundene, verschmutzte Gestalt mit einem Gesicht, das an Stirn und Schläfen durch getrocknete Elektrodenmasse entstellt war, ganz offensichtlich krank, möglicherweise betrunken und auf keinen Fall vertrauenerweckend. Sein Denken war tot, von allem entleert, bis auf den Grundimpuls, weiterzuleben und dahin zu gehen, wo Leben war.
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Die Psi-Fähigkeiten, halb verstanden und unzuverlässig, waren ausgebrannt. Danny erinnerte sich nur undeutlich an Todds Warnung vor schneller Erschöpfung – und nichts, was er in den Büchern gefunden oder was er von Todd gehört hatte, konnte erklären, warum oder wie er dort herausgekommen war – herausgeschleudert wie ein Kiesel aus einem Katapult, geschleudert aus angespannter Konzentration in den Morast der Trance. Das Wort Teleportation fiel ihm ein, aber es war nur ein Wort. Wenn es für ihn irgendeine Bedeutung hatte, dann nur die, daß jetzt nicht nur sein Kopf, sondern der ganze Körper schmerzte. Todd selbst war jetzt hilflos, entweder mit seinem eigenen Kabel gefesselt in einem stickigen Schrank oder in Haft als Tatzeuge für einen Mord, in letzterem Fall mit ruiniertem Ruf und auch für die Universität eine Last, ganz gleich wie lange er ihr Studenten, Geld und Ruhm eingebracht hatte; vielleicht erstickt, falls er noch im Schrank war, und auf jeden Fall hatten seine Studien und seine Selbstlosigkeit nichts eingebracht, nicht das geringste. Die Psi-Kräfte waren verschwunden; bis auf dieses unbestimmte verrückt machende Gemurmel hatten sie sich in kalten Nebel aufgelöst. Der Alptraum aber blieb zurück. Es gab jetzt keine Zuflucht mehr für Danny, es sei denn … Halt! Da war immer noch das Sandsteinhaus. Sir Lewis Carter. Wenn es auf der Welt einen Mann gab, dem die Wahrheit weder gefährlich noch unglaublich erscheinen würde, dann war dieser Mann Sir Lewis Carter. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens mit der Erforschung von Bereichen der Erfahrung verbracht, über die die meisten Wissenschaftler, bestenfalls die Achseln zuckten und hatte ihr Gelächter und ihr Mitleid mit Gelassenheit und beträchtlicher Selbstsicherheit überstanden. Er hatte eine erhebliche Reputation, nicht nur wegen astronomischer Entdeckungen, sondern auch für die Einführung einer neuen Art relativistischer Mathematik, die nicht-avariabel
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genannt und keineswegs weniger bewundert wurde, weil weder Sir Lewis noch irgend jemand anders bisher in der Lage gewesen war, einen Weg zu ihrer Operationellen Überprüfung zu finden; kein Mensch hielt weniger von Sir Lewis oder NichtAvariabilität, weil er zufällig auch an Geister glaubte, obwohl man seine Ausflüge auf diesem Gebiet allenthalben tief bedauerte. Er hatte den Spott der Presse und die seltenen Attacken von phantasieloseren und weniger geistvollen Kollegen mit Zielstrebigkeit, ja mit Gleichmut und guter Laune überstanden. Für Danny gab es zumindest einen Unterschlupf bei der Gesellschaft für psychische Forschungen. Sir Lewis konnte ihn verstecken – zumindest so lange, bis er sich erholt hatte. Danach … Danach war alles offen. Ohne Zweifel drohte etwas Katastrophales, aber es war verborgen. Danny machte sich über das Stoppelfeld auf zur Landstraße – und ins Ungewisse.
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XI Die Adepten Als Danny erwachte, fühlte er sich beinahe erholt, obwohl sein ganzer Körper verkrampft war. Das Licht eines späten Nachmittags fiel durch ein kleines vergittertes Fenster auf ihn. Es war von der Art, wie sie im Erdgeschoß von Sandsteingebäuden üblich war, obwohl dieses Fenster anscheinend höher lag. Das Chromstahlgitter, das in Dannys Zimmer als Tür diente, war mit Sicherheit nicht üblich in Sandsteinhäusern oder in irgendwelchen anderen Gebäuden, mit Ausnahme von Gefängnissen. Danny setzte sich auf und starrte es an, während er sich den Schlaf aus den Augen rieb. Aber je deutlicher die schimmernden Stäbe wurden, desto weniger Sinn ergaben sie. War er auf der Straße ohnmächtig und von der Polizei – oder gar vom FBI – aufgelesen worden? Aber er konnte sich deutlich erinnern, wie er die Stufen zum Büro der GPF hinaufgestolpert war. Genausogut konnte er sich an das undeutliche Gefühl von Überraschung erinnern, als sich die Tür öffnete, während er noch nach der Klingel suchte; und er sah noch deutlich das Bild von Sir Lewis Carter vor sich, wie der Astrophysiker mit tiefer, freundlicher Stimme sagte: »Kommen Sie herein, mein Junge. Wir haben gerade von Ihnen gesprochen.« Irgendwann danach mußte er umgekippt sein, vielleicht sogar sofort. Er konnte sich jetzt nicht daran erinnern. Sir Lewis und zwei andere Männer, die Roben in dunklem Karmesin trugen, wie er sie von Mönchen kannte, hatten sich über irgend etwas unterhalten und dann … und dann … Er konnte sich nicht erinnern. Es schien aber immer noch wahrscheinlich, daß er das Gebäude nicht verlassen hatte.
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Waren die Gitterstäbe dann also dazu da, ihn einzusperren – oder jemand auszusperren? Da war sein Traum vom Schweben – war das wirklich der Traum, der er schien, oder war er tatsächlich aus seinem Apartment geschwebt, wie ein grotesker Ballon? Vielleicht dienten die Stäbe seinem Schutz, während er schlief. Als Erklärung war das alles andere als befriedigend, aber es war das einzige, was ihm einfiel. Einmal mehr wurde er sich des undeutlichen, mannigfaltigen Murmelns in seinem Schädel bewußt. Es erfreute genauso, wie es ihn irritierte. Es bedeutete, daß sein sich entwickelnder telephatischer Sinn nicht für immer ausgebrannt war und daß er möglicherweise das Stadium hinter sich gelassen hatte, wo die Telepathie sich spontan mit den Schaltkreisen seines Geistes verband, ohne daß er irgendeinen Einfluß darauf hatte. Er war endgültig Telepath, er würde es bleiben. Noch immer aber war er außerstande, einen einzelnen Bewußtseinsstrom aus dem Wirrwarr von »Stimmen« herauszulösen. Er hätte gern nach Todd oder Maria gesucht, aber bereits der erste zaghafte Versuch, sie einfach nur ausfindig zu machen, machte das Gemurmel nur lauter und verwirrender. Zwischen Danny und den beiden befanden sich Millionen anderer Bewußtseine, die nur auf kurze Entfernung voneinander zu unterscheiden waren. Telepathie, wie Dr. Rhine schon vor Jahren an der DukeUniversität gezeigt hatte, war keinesfalls mit Rundfunk vergleichbar – die Leute waren nicht säuberlich über die Wellenbänder verteilt, wie Rundfunkstationen – jeder mit der eigenen, ihm zugewiesenen Frequenz. Die Gehirne der Menschen bewegten sich mit ihren Besitzern, und genauso war es mit den Gedanken, die in diesen Gehirnen abliefen, sie waren wirr und strukturlos in sich dauernd verändernden Positionen über die Erde verteilt.
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Auch gab es in der Telepathie kein »Senden« und »Empfangen«, obwohl sich die Parapsychologen der Begriffe aus Gründen der Bequemlichkeit bedienten. Telepathie war statt dessen vielmehr nur ein Aspekt von ESP, sie war eine Wahrnehmung, keine Tätigkeit und gleichsam so passiv wie das Hören eines Geräusches oder das Fühlen eines Schlages. Der Telepath empfing den Gedanken, wie er jedes andere Ereignis in der Raum-Zeit empfangen würde. Das Bewußtsein, in dem der Gedanke entstand, mußte ihn nicht »senden«, und wenn es das Bewußtsein eines Nicht-telepathen war, würde es nie irgend etwas »empfangen«, das nicht über die üblichen Sinneskanäle zu ihm gelangte. Trotzdem aber mußte es irgendeine Methode geben, mit der die telepathische Aufmerksamkeit auf den gewünschten Gedanken zu konzentrieren war, durch die das Bewußtsein, das »gelesen« werden sollte, sich aus allen anderen selektieren ließ. Die Aussagen in Rhines Arbeiten hatten Danny gelehrt, daß Entfernung keine Beschränkung für Gedankenempfänger war. Aber er wußte nicht, wie er es anpacken sollte. Jenseits der Gittertür regte sich etwas. Danny blickte auf. Es waren Sir Lewis und die beiden massigen anonymen Männer in den Roben, an die er sich erinnert hatte. »Guten Tag, mein Junge«, sagte Sir Lewis. »Ich hoffe, Sie sind ausgeruht.« »Ausgeruht, aber verwirrt«, sagte Danny. »Ich scheine mich hinter Gittern zu befinden. Können Sie mir sagen, wofür die da sind?« »Die Gitter? Nun, um den Status quo zu bewahren, während eine Entscheidung gefällt wird. Das ist der gebräuchlichste Zweck für Gitter.« Sir Lewis lächelte, als habe er damit alles erklärt. Während er lächelte, ertönte ein lautes Summen, und das Gitter in der Türöffnung glitt beiseite. »Unser Rat hält soeben eine Sitzung ab. Ich nehme an, wir werden in etwa einer Stunde alles wissen.«
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»Was werden wir wissen?« »Was wir mit Ihrem Fall anfangen sollen. Ich fürchte, Sie haben sich bei der Bruderschaft ziemlich unbeliebt gemacht, aber wir werden sehen, was wir tun können. Sie haben selbstverständlich Gelegenheit, Ihre Sache selbst zu vertreten, und wenn Sie während der Prozedur an irgendeinem Punkt in Schwierigkeiten geraten sollten, dann denken Sie immer daran, daß ich auf Ihrer Seite bin. Und wie ich sicher weiß, gilt das für zumindest ein weiteres Ratsmitglied.« »Verzeihen Sie, Sir Lewis, aber was Sie mir da erzählen, ergibt nicht den geringsten Sinn für mich. Vielmehr komme ich langsam zu der Überzeugung, daß ich mich an die falsche Stelle gewandt habe. Darf ich bitte nach Hause gehen?« »Nein«, erwiderte Sir Lewis ausgesprochen freundlich. »Lassen Sie mich sehen, haben Sie ein Wasserglas hier? Ah, ja. Füllen Sie es bitte und schlucken Sie das hier.« »Das hier« war eine graue Pille, von der Größe und Form eines Drosseleis. Danny starrte sie ungläubig an. »Um das runterzukriegen, müßte ich ein Pferd sein. Was ist es überhaupt?« »Etwas Notwendiges«, sagte Sir Lewis ruhig. »Nehmen Sie es bitte.« »Unmöglich.« Und nicht nur unmöglich – furchteinflößend. Irgend etwas mit dem kleinen Ei, daß, wie Danny jetzt sehen konnte, aus Metall war, stimmte nicht. Er wollte nichts damit zu tun haben, jetzt nicht und später nicht; er wollte es nicht einmal berühren. »Sind Sie ganz sicher?« »Nehmen Sie es weg. Ich kann es schon jetzt nicht mehr sehen.« Sir Lewis bewegte leicht den Kopf. Die Männer in den scharlachroten Roben traten mit der jähen Grazie von Raubkatzen vor und zogen Danny die Arme auf den Rücken.
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»Was zum …« Sir Lewis stopfte Danny die gewaltige Pille in den Mund, leerte das Glas hinterher und hielt ihm die Nase zu. Danny keuchte und würgte, aber der Astronom ließ sich nicht entmutigen, drückte das Metallei tief zurück und hielt Danny den Mund zu. Einen Augenblick lang stierte ihn Danny wild und wuterfüllt an und atmete an dem Ei vorbei zwischen den Zähnen ein und aus. »Es hat keinen Zweck, Mr. Caiden«, sagte der Astronom unbewegt. »Selbstverständlich kann ich Ihnen den Mund auch ganz zuhalten, und selbst wenn Sie blau anlaufen wie ein Kind in einem Wutanfall, werden Sie schließlich schlucken müssen. Tun Sie es also jetzt und sparen Sie sich den Kampf.« Danny versuchte nach ihm zu treten, aber Sir Lewis entging dem nach oben schwingenden Fuß mit einem verblüffendem Minimum an Bewegung. »Außerdem«, sagte er, »bin ich natürlich Telepath, so daß Ihre Chancen, etwas zu unternehmen, das ich nicht im selben Moment bemerke, in dem es Ihnen einfällt, gleich Null sind. Schlucken!« Danny schluckte. Sir Lewis ließ ihn los, aber die beiden anderen hielten ihn weiter fest. Der Schmerz beim Hinuntergleiten des »Eis« machte eine Unterstützung auch nötig. Er spürte, wie das Ding seine Speiseröhre hinunterrutschte, es fühlte sich an, als habe er einen Korbball verschluckt. Nach einem Moment fühlte er noch etwas anderes, und erkannte, weshalb er Angst vor dem Metallei gehabt hatte. Das Murmeln in seinem Kopf war weg, an seiner Stelle gab es ein schreckliches verwirrendes Gefühl totaler Konfusion, nicht nur seiner telepathischen Eindrücke, sondern sogar seiner eigenen Gedanken. Er war unfähig, einen Gedanken zu vollenden, ohne eine wirbelnde Benommenheit zu empfinden, die den ganzen Raum auszulöschen drohte. Es war ein wenig so, als sei er fast
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völlig betrunken, aber selbst dieser Vergleich kam lange nicht an die Wirklichkeit heran. Sir Lewis beobachtete ihn einen Augenblick, und nickte dann. »Ein Resonator«, sagte er. »Er induziert Wirbelströme aus jedem Sinneseindruck; sehr verwirrend für den Verstand, wie Sie bemerken.« »Warum?« keuchte Danny. »Die Bruderschaft will keine Risiken eingehen, Mr. Caiden. Es wäre uns sehr unangenehm, wenn Sie jemanden hypnotisierten, ein Feuer entfachten, sich aus dem Gebäude teleportierten – offengestanden, wissen wir nicht, wie weit Ihre Fähigkeiten reichen. Wir können uns aber darauf verlassen, daß dieser kleine Apparat … nun, äh, bei Ihnen bleibt, bis wir irgendeine Entscheidung getroffen haben.« »Was für eine Bruderschaft? Was soll das hier eigentlich alles?« Die Anstrengung, die Fragen zu formulieren, machte ihn abermals schwindlig. Anscheinend ließ ihm der Resonator nur so viel kortikale Energie, daß er gerade eine Art von Denken zu einer Zeit vollführen konnte. Wollte er sprechen, so mußte er damit rechnen, während der Zeit nicht sehen zu können – oder vielleicht nichts zu hören. Es war eine Vergewaltigung klaren Denkens. Es zeugte außerdem von einem Wissen um Psi-Kräfte und eine Technik ihrer Behandlung, gegen die Dannys sich entwickelnde Fähigkeiten erschienen wie die rudimentären Gedanken der Insekten, die er im Wald empfangen hatte. »Die Bruderschaft«, sagte Sir Lewis soeben, »ist die Bruderschaft in Psi‹, deren Hegemon zu sein ich die Ehre habe. Wir waren entschieden überrascht, als Sie unsere Treppe herauf stolperten. Denn im selben Moment hatte unser Rat sich zu einer ernsten Sitzung zusammengefunden, um zu beraten, ob Sie als Bruder aufgenommen oder beseitigt werden sollten. Ihre Ankunft veranlaßte die meisten, gegen Sie zu stimmen; die Mehrheitsmeinung geht dahin, daß unsere Beratungen Sie hierhergeführt
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haben, obwohl unser Sitzungsraum für gedankensicher gehalten wird. Die Brüder halten eine derartige Sensitivität für abnormal und gefährlich.« »Gedankensicher?« echote Danny. »So etwas gibt es nicht, Sir Lewis.« »Sie kennen einige unserer Ratsmitglieder noch nicht.« Der Astronom wandte sich jäh ab. »Kommen Sie mit, bitte!« Danny blieb keine Wahl. Die zwei Muskelmänner rechts und links von ihm zwangen ihn, einen Gang entlangzugehen und einen kleinen Aufzug zu betreten. Das künstliche Chaos in seinem Geist hielt weiter an. Die Ratsmitglieder trugen Roben und Kapuzen wie die beiden GPF-Mitglieder, die Danny herauf gebracht hatten. Unbeweglich saßen sie um einen rautenförmigen Tisch, bis Sir Lewis sich selbst gesetzt hatte, dann wandten sie sich alle gleichzeitig Danny zu, im Schatten der Kapuzen wirkten ihre undeutlichen Gesichter blaß und kränklich. »Ist das der Kandidat?« »Zur Hölle, nein«, sagte Danny. »Wenn ihr mich wollt, solltet ihr mich gefälligst fragen, ob ich euch will!« Als die Dunkelheit wich, blickten alle neun Kapuzengesichter Sir Lewis an. »Bruder Hegemon, wir glaubten, der Kandidat stehe unter Resonanz«, sagte einer. »Das steht er auch, wie ich euch versichern kann«, sagte Sir Lewis. »Der Rat möge bitte bedenken, daß Mr. Caiden ein ungewöhnlich begabter Kandidat ist – so etwas wie ein Alleskönner auf unserem Gebiet, und uns allen potentiell überlegen. Andernfalls wäre dieses Treffen nicht nötig gewesen.« Unter den Delegierten entstand Unruhe. Das gefiel ihnen nicht, diesen Männern in ihren Roben. »Bist du sicher, daß jede parapsychische Aktivität ausgeschaltet ist?«
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»Absolut, Bruder Histor, wie du selbst herausfinden kannst. Dennoch können wir damit rechnen, daß Mr. Caiden sich mehr von seinem Mutterwitz bewahrt hat, als die meisten von euch unter gleichen Umständen. Verhaltet euch also entsprechend.« Neue Unruhen. »Würdest du bitte bedenken, Bruder Hegemon, daß in Abwesenheit des Prytanis der Epiprytanis die Verantwortung hat? Wir haben diese Ämter nicht zum Spaß.« »Vielleicht nicht«, sagte Sir Lewis. »Ich möchte euch alle trotzdem nur warnen, daß der Mann, über den ihr zu urteilen habt, ein gefährlicher Mann ist. Für jede Dummheit, die wir heute begehen, werden wir alle teuer bezahlen müssen. Und da es meine Aufgabe ist, für Ordnung zu sorgen, mache ich alle darauf aufmerksam, daß ich persönlich gegen jeden Bruder vorgehen werde, der den Kandidaten nicht so behandelt, als sei er aus reinem Nitroglyzerin.« Niemand antwortete. Sir Lewis faßte die Bruderschaft hart an. Trotzdem gab es keinen Hinweis darauf, was sie von Danny wollten, oder was sie taten, wenn sie sich gerade nicht wie die Personen in einem historischen Schauspiel benehmen. »Fahren wir also fort«, sagte derjenige, der sich Epiprytanis nannte. »So sei es«, sagte Sir Lewis. »Mr. Caiden.« »So heiße ich.« »Versuchen sie, ohne Vorurteile zu denken«, sagte Sir Lewis. »Ihre Einstellung uns gegenüber ist unfreundlich, und Sie haben Ihre Gründe dafür. Ich versichere Ihnen aber, daß unsere Maßnahmen nicht drastischer waren als unbedingt nötig – und daß der Preis den Aufwand lohnt. Jeder der Männer, den Sie jetzt hier vor sich sehen, ist ein Adept der Kontrolle bestimmter psychischer Kräfte. Einige sind, wie ich selbst, Telepathen, andere Hypnotiseure, wieder andere Teleporter, Hellseher, Pyrotiker oder Telekineten. Es kommt nur sehr selten vor, daß ein Mensch mit einer dieser Begabungen geboren wird. Der Durchschnittsmensch hat nie 138
erwogen, welche Kräfte im Geist verborgen liegen, oder, falls doch, nur in der Weise, daß er sich darüber lustig gemacht oder einen Aberglauben daraus entwickelt hat. Es erfordert Denkleistung, das psychische Kontinuum zu erforschen, und die meisten Leute ziehen die Astrologie vor. Sie sind hier, weil Sie über Ihre Gaben nachgedacht und etwas aus ihnen gemacht haben. Ihre Gaben sind real, und schon bei Ihrem ersten Besuch hier kamen Sie automatisch für die Bruderschaft in Betracht.« »Also gut«, sagte Danny. »Ich komme also in Betracht. Vielleicht sollte ich ihre Rekrutierungsmethoden ignorieren und ohne Vorurteile denken, aber wie soll ich das, mit diesem Basiliskenei im Bauch – aah, verflucht!« Als sich die Dunkelheit lichtete, warteten sie weiter auf ihn. Wenn in der Zwischenzeit irgend etwas gesagt worden war, würde er es nie erfahren. »Also gut, was hätte ich davon?« »Mehr, als Sie sich vorstellen können«, erklärte Lewis sehr ernsthaft. »Jene seltenen und auserwählten Menschen, die vom psychischen Kontinuum wissen und es manipulieren können, sind die Hoffnung ihrer Gattung. Ungeachtet der demokratischen Vorurteile, die sie vielleicht hegen mögen, sind diese Leute wichtiger für die Menschheit als Staatsmänner, Militärs oder Könige. Das, Mr. Caiden, ist die Quintessenz des Problems. Was Sie aber wissen müssen, ist, daß in dem psychischen Kontinuum, in dem der Geist lebt und existiert, die bekannten Gesetze von Raum und Zeit keine Gültigkeit haben. Ein Mann, der das weiß, und diese Information nutzt, kann so reich sein, wie es ihm gefällt, oder so mächtig. Das ist zwar völlig nebensächlich für den Großen Plan, aber es ist real und greifbar, falls es das ist, was Sie suchen.« Der Resonator machte es beinahe unmöglich, zusammenhängend zu denken, aber Danny brauchte keine tiefschürfende
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Analyse, um die Fehler in Sir Lewis »Großem Plan« zu entdecken. »Menschen, die wirklich Macht ausüben«, sagte er, verzweifelt darum bemüht, seine abschweifenden Gedanken unter Kontrolle zu halten, »verstecken sich nicht hinter identischen Roben und synthetischem Mystizismus. Männer mit wirklicher Macht wenden diese auch an. Sie versuchen nicht, zu überzeugen, sie erzwingen Gehorsam.« »Von welcher Art Macht sprechen Sie?« fragte Sir Lewis. »Sicher, wir haben keine politische Macht, das verbieten uns die Regeln unseres Ordens. Ein Charakteristikum des wahren PsiMenschen ist, daß er weiß, wie unwirksam seine Gaben in den meisten weltlichen Angelegenheiten sind. Der Osten entdeckte schon vor langer Zeit, daß die psychischen Kräfte nicht zum Raum-Zeit-Kontinuum gehören und durch Machtstreben entweiht werden.« »Wollen Sie mir jetzt etwa erzählen, daß Ihnen all dieser Quatsch ursprünglich von einem uralten tibetanischen Kloster enthüllt wurde?« »Nein, das will ich nicht«, sagte Sir Lewis und wurde unter der Haube rot. »Ich kann Ihnen aber versichern, daß es dort weithin bekannt ist.« »So hört es sich auch an. Was mich betrifft, so läßt sich das gesamte uralte Wissen Tibets in der Tatsache zusammenfassen, daß die Häufigkeit von Syphilis unter der Bevölkerung bei neunzig Prozent liegt. Wann fangen wir an, uns vernünftig zu unterhalten?« »Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, warum Sie das, was ich sagte, für unvernünftig halten.« Danny lachte. »Weil es erstens überhaupt kein psychisches Kontinuum‹ gibt. Zweitens, weil das, was Sie psychische Gaben nennen, nur Nebeneffekte von zwei grundlegenden parapsychologischen Wirkungen sind, die tatsächlich in unserem physikalischen Universum existieren. Sie beeinflussen Dinge in der Raum140
Zeit und werden ihrerseits beeinflußt. Sie sind daher genauso nützlich beim Streben nach Macht wie jede andere Fähigkeit, und Sie benutzen sie! Die Anwendung von Gewalt und Täuschung sind die entscheidenden Merkmale politischer Macht, und Sie wenden beide an.« Durch die pulsierende Schwärze, die ihn in dem Moment eingehüllt hatte, als er mit seiner langen Rede begann, entging ihm ein wesentlicher Teil von Sir Lewis' Erwiderung. Er nutzte den Vorteil der zeitweisen Trennung von seiner Umgebung, um in verzweifelter Hast nachzudenken, solange die Möglichkeit dazu bestand. Diese Leute mit ihrem Gefasel vom »psychischen Kontinuum« hatten offensichtlich keine Vorstellung von der unendlichen Reihe einander überlappender Raum-Zeit-Gefüge, die, falls die Theorie zutraf, die Danny und Todd auf der Grundlage von Danne et al. erarbeitet hatten, allen Phänomen zugrunde lagen, die durch den griechischen Buchstaben Psi symbolisiert wurden. Dieser Schluß war unvermeidlich; und doch sprach die Anwendung des Resonators zur Störung von Dannys PsiFähigkeiten für das genaue Gegenteil. Wer narrte hier wen? Oder konnte man die Bruderschaft mit der sowjetischen Wissenschaft vergleichen, wo rituelles Dogma und praktische Forschung streng getrennt gehalten wurden? Das schien die bestmögliche Antwort zu sein. Hierdurch erschien die Bruderschaft in Psi noch weniger anziehend. Die Trennung zwischen den beiden Bereichen war nicht absolut, und das Dogma hatte die unangenehme Eigenschaft, sich in die Praxis einzumischen, gewöhnlich zum Unbehagen oder gar zum Verderben des Wissenschaftlers. »… unberücksichtigt zu bleiben«, sagte Sir Lewis, als Danny die Umgebung langsam wieder wahrnahm. »Leider sind wir nicht in der Lage, die Angelegenheit von gleicher Warte aus zu sehen. Wir können es nicht zulassen, daß irgend jemand, ganz gleich, wie tiefgehend seine Differenzen zu uns auch sein mögen, der Bruderschaft fernbleibt, wenn er von ihrer Existenz weiß. Offen 141
gesagt, habe ich erwartet, daß Sie beitreten würden, sonst wären Sie nicht so weit eingeweiht worden, zumindest so lange, bis Sie uns von selbst entdeckt hätten. Bedenken Sie also, Mr. Caiden, daß Ihre Mitgliedschaft zu Ihrer Selbsterhaltung notwendig ist. Natürlich können wir eine Vereinbarung, die nur auf dieser Basis zustande kommt, nicht akzeptieren, sie wäre unaufrichtig. Deshalb gebe ich mir solche Mühe, Sie von der Rechtmäßigkeit unseres Standpunktes zu überzeugen.« Danny kämpfte darum, seine wandernden, zerstückelten Gedanken auf den strittigen Punkt zu konzentrieren. »Ich mache nicht mit«, sagte er. »Ich halte nichts von der Auserwähltheit der Psi-Menschen. Die Psi-Fähigkeiten liegen ungeweckt im Geist jedes Menschen. Wenn Sie die Spezialisten sind, die Sie sein wollen, und wenn Sie wirklich Wert darauf legen, die Psi-Kräfte für die gesamte Gattung zu erhalten – dann sollten Sie Ihre Kenntnisse verbreiten, anstatt sie zu verheimlichen.« »Nicht jeder vermag ein solches Wissen aufzunehmen und zu verarbeiten«, sagte Sir Lewis. »Nicht jeder hat die Chromosomen dafür.« »Das ist auf dieselbe begrenzte Weise wahr, wie es wahr ist, daß nicht jeder zwei Augen und fünf Finger hat. Es gibt so etwas wie vererbte Blindheit, und es gibt so etwas wie Mehrfingrigkeit. Beide sind sehr selten. Eure Vereinigung beruht auf dem Prinzip, daß ein Mensch mit zwei Augen und fünf Fingern demjenigen überlegen ist, der sich noch nicht die Mühe gemacht hat, nachzuzählen, wie es bei ihm ist. Tatsächlich sind eure noblen Vorwände bloßes Geschwätz. Ihr haltet eure Kräfte geheim, weil sie euch einen gewaltigen Vorteil gegenüber denen verschaffen, die nichts davon wissen. Es gibt keinen anderen Grund dafür, und es ist auch keiner nötig. Ihr habt euch eine Theorie über eine Herrenrasse zusammengebaut, um euch vor euch selbst zu rechtfertigen, weil jeder von euch eine einzelne begrenzte Psi-Begabung hat – aber alle
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Psi-Fähigkeiten bei guter Ausbildung allen zugänglich sind. Ich bin der lebende Beweis dafür, es gab keinen gewöhnlicheren Menschen als mich, bis ich gelehrte und kompetente Unterstützung fand. Jetzt bin ich darin so weit fortgeschritten, daß ihr euch alle in die Hosen macht, dabei bin ich noch immer in der Entwicklung begriffen. Ihr nennt euch Experten, könnt aber Psi-Vorgänge noch nicht einmal von nicht parapsychischen Funktionen unterscheiden. Zum Teufel, ihr glaubt sogar noch, Hypnose gehöre auch dazu! Jeder billige Bühnenzauberer weiß es besser.« Er hätte etwas darum gegeben, die Reaktionen der verhüllten Gestalten beobachten zu können. Aber wiederum umgab ihn die dröhnende Dunkelheit und wollte sich nicht vertreiben lassen. Eines schien ihm sicher: Er hatte sich eben um Kopf und Kragen geredet, falls kein neues Wunder geschah. Irgendwie war es ihm gleichgültig. In letzter Zeit hatte er diverse Wunder erlebt; das Vergnügen, selbst ein paar Schläge auszuteilen, war nach so vielen Tagen und Nächten ununterbrochener Quälerei eine so große Befriedigung gewesen, daß er jetzt verstehen konnte, wieso aufsässige kleine Kinder gerade im Angesicht sicherer Strafe nur noch aufsässiger werden. Als er schließlich wieder klar sehen konnte, war die Bruderschaft reglos und stumm. Schließlich sagte Sir Lewis: »Hat die Versammlung noch Fragen?« Niemand sagte etwas. »Ich beantrage abzustimmen«, sagte der Mann, der Epiprytanis genannt wurde. Eine nach der anderen erhoben sich die Gestalten und verließen den Raum. Schließlich waren nur noch Sir Lewis und ein anderer Mann bei Danny. »Ich stimme dafür, die Kandidatur weiterbestehen zu lassen«, sagte der Unbekannte. »Seine Denkweise ist selten und wertvoll. Ich bin der Ansicht, wir sollten langsam mit der Maskerade 143
aufhören und unsere Aufmerksamkeit darauf richten, wirklich nach Macht zu streben – ein Vorhaben, bei dem Mr. Caiden für uns unschätzbar sein könnte. Es ist offensichtlich, daß er über ein Wissen verfügt, das wir nicht besitzen. Wir brauchen ihn.« Sir Lewis breitete die Hände aus. »Sie haben ja gesehen, wie die Abstimmung ausging.« »Ignorieren Sie sie.« »Unmöglich.« Der Unbekannte sagte: »Dann ist die Bruderschaft überholt. Die anderen hatten die ganze Zeit recht. Ich werde Sie verlassen, Sir Lewis.« Statt dessen sprang der Dissident plötzlich mit einem furchtbaren Schrei vom Tisch und zerrte an seiner Kleidung, während eine Qualmwolke von ihm aufstieg. Wieder schrie er auf – und dann war er ein Schatten in einer hohen weißleuchtenden Flammensäule. Die Flamme strahlte keine Hitze aus, und außerhalb von ihr wurde nichts verbrannt. Nach ungefähr vier Sekunden verschwand sie, und ein verkohltes, schwarzes Ding wie die Mumie eines Zwergs fiel auf den Teppich. Danny war übel. »Sie hatten einen Pyrotiker auf ihn angesetzt«, sagte er. »Ja«, entgegnete Sir Lewis. »Wir verwenden nur psychische Waffen – auch das ist eine unserer Regeln, die Ihnen so verrückt vorkommen.« »In diesem Fall nicht im geringsten. Sie werden die Leiche in das Bett des Ermordeten teleportieren lassen, so daß die Fortianer wieder einmal zu einem neuen Fall kommen, sobald die Polizei den Körper entdeckt. Es gibt keine Spuren, keine Möglichkeit der Erklärung – also ist auch keine Aufklärung des Falles möglich. Eine schlaue Regel.« Als er wieder sehen konnte, war der Körper verschwunden, und Sir Lewis beobachtete ihn. »Tut mir leid, Danny. Ich mag Sie – und habe mein Bestes getan.«
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»Was soll's. Wann komme ich in den Genuß der HitzeBehandlung?« Sir Lewis zuckte die Schultern. »Sobald meine Möglichkeiten sie aufzuschieben von der Ungeduld der anderen übertroffen werden. Ich fürchte, sie haben Angst vor Ihnen. Ganz besonders gilt das für unseren Prytanis, er hat sich sogar geweigert, bei der Sitzung selbst anwesend zu sein, was seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist. Und Sie, Danny, haben sich auch nicht gerade Mühe gegeben, mit uns zusammenzuarbeiten.« Ein langes Schweigen setzte ein. Schließlich sagte Sir Lewis: »Kennen Sie den Mann, der verbrannt wurde?« »Nein«, sagte Danny. »Und er klang mir auch nicht wie jemand, den ich gern kennengelernt hätte. Sie haben hier eine schöne Sammlung fauler Eier.« Wieder mußte er gegen das Schwindelgefühl ankämpfen. »Wie steht es mit Ihnen? Sie haben sich als Freund dargestellt oder zumindest als Beistand.« »Ich? Auch ich bin an die Ordensregeln gebunden. Ich habe meine persönlichen Einschätzungen und Vorlieben schon lange untergeordnet. Wie schon gesagt, ich werde Ihre Exekution so lange wie möglich aufschieben, in der Hoffnung, daß etwas geschehen wird, das die Entscheidung rückgängig macht. Wenn aber die Frist verstrichen ist, ist der Fall für mich erledigt. Das Wohl meines Ordens bedeutet mir mehr als Ihr Leben, schon allein deshalb, Danny, weil es mir auch mehr bedeutet als mein eigenes.«
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XII Blitz und Donner Für eine Zelle war der Raum einigermaßen bequem. Seine Grundfläche betrug ungefähr vier Meter im Quadrat, und da es sich um ein Eckzimmer handelte, hatte es sogar zwei Fenster. Keines davon war groß genug, um einen erwachsenen Mann durchzulassen, selbst wenn sie nicht vergittert gewesen wären. Die Gittertür war von dem Typ, die elektrisch kontrolliert zur Seite glitten und in modernen Gefängnissen benutzt wurden. Sie wurde von irgendeinem Büro aus geschlossen und geöffnet, so daß es keine Möglichkeit gab, einem unaufmerksamen Wächter die Schlüssel wegzunehmen. Die Leitung kurzzuschließen, würde auch nur kurze Freiheit bedeuten, weil die Tür mit einem extrem lauten Summer ausgestattet war, wie Danny beim Besuch von Sir Lewis hatte feststellen können. Dieser Summer trat sofort in Aktion, wenn der Kontakt zwischen Tür und Rahmen unterbrochen wurde – und er hatte mit Sicherheit eine separate Stromversorgung. Trotzdem war die Zelle gar nicht so übel. Sie war sauber und trocken, und das Nordfenster bot einen Blick auf ein belebtes Marktviertel, wo riesige Lastwagen während der ganzen Nacht im Schein von Quecksilberdampflampen ihre Ladungen von frischen Früchten und Gemüsen abluden, die dann tagsüber von kleineren Fahrzeugen zu Warenhäusern und Gemüseläden gebracht wurden. Keine sehr erholsame Nachbarschaft, vielleicht aber für einen ehemaligen Nahrungsmittel-Redakteur durchaus interessant. Das Fenster in der anderen Wand war winzig und bot nur einen Blick auf einen senkrechten Mauereinschnitt, in dessen Rückwand man ein weiteres Fenster erkennen konnte, das von Brettern verschlossen war. Davor war noch ein weiteres Brett seitlich angenagelt, auf dem Danny weiße Buchstaben erkannte, 146
aus denen er beim genauen Hinsehen und einiger Raterei das Wort Transportschacht zu erkennen glaubte. Was die Inneneinrichtung betraf, so war die Pritsche überraschend weich und die sanitären Einrichtungen modern, aber entschieden zu öffentlich. Das Waschbecken hatte einen Kaltwasserhahn, neben dem der Plastikbecher stand, den er in so schlechter Erinnerung hatte, außerdem gab es noch ein Stück Kernseife. Wände, Boden und Decke bestanden aus Backsteinen – und das war es. Danny untersuchte alles minutiös, fand aber nichts, das ihn ermutigte. Er hätte wetten mögen, daß auch ein erfahrener Alcatraz-Knastologe keinen Fluchtweg gefunden hätte – zumal er der einzige Gefangene hier zu sein schien und dies die einzige Zelle war. Nach der Inspektion begann er auf und ab zu gehen, wobei er die Pritsche an ihrem Haken an der Wand hochgeklappt ließ. Er mußte einfach auf und ab gehen, nur ein Schaf würde dasitzen und warten, bis es geschlachtet wurde; und das unablässige Klingen in seinem Kopf trug seinen Teil zu seiner ziellosen Unrast bei. Als er erkannte, wie sehr sein Verhalten dem eines Strafgefangenen glich, zwang er sich, seine Wanderung zu unterbrechen, ließ die Pritsche herunter und setzte sich schweigend hin. Laufen war kein Ersatz für Denken, und ganz gleich, wie sehr es ihn danach drängte, sich körperlich zu betätigen, und wie sehr ihn dieser Drang ablenkte, er mußte nachdenken. Gelang ihm das nur teilweise, dann mußte eben auch das genügen, aber denken mußte er. Doch das erste, was er dachte, war, daß er sich verzweifelt wünschte, den Resonator los zu sein. Soweit er sich an den normalen Verdauungsprozeß erinnern konnte, war nicht damit zu rechnen, daß er sich innerhalb der nächsten achtunddreißig Stunden von dem höllischen Klumpen verabschieden würde. Er war momentan wahrscheinlich immer noch in seinem Magen. Er mußte einfach eine Methode ausarbeiten, um damit zurechtzukommen, eine Aussicht, die ihm nicht mehr so hoffnungslos 147
erschien, wie er gedacht hatte, als er gezwungen worden war, die Maschine zu schlucken – er war in der Lage gewesen, die Phasen der Dunkelheit zu verkürzen und die Gedankengänge zu verlängern, indem er erstens die Konfusion seiner neuen und noch nicht sehr ausgeprägten Psi-Fähigkeiten ignorierte und zweitens seine kortikalen Gedankenketten so anlegte, daß kein Einzelgedanke so kompliziert war, daß er ihn mit einer langen Unterbrechung bestrafte. Das unterschwellige Geflackere von Assoziationen und Erinnerungen, von denen kohärentes, formales Denken abhängig war, hatte der Resonator von Anfang an nicht beeinflußt, er schien nur dazu konstruiert, Psi-Aktivitäten zu verhindern und logisches Denken auf einer vergleichsweise hohen Stufenleiter. Er konnte nichts gegen die Psi-Interferrenz tun, aber er konnte schon mit einigem Geschick um das Gerät »herumdenken«. In dem lautlos flirrenden Chaos in seinem Schädel führten all diese Ideen zu nicht mehr als dem Versprechen, daß er zumindest so gut würde denken können wie ein Verpackungsredakteur, selbst wenn der Resonator noch in seinen Eingeweiden war. Als sich dann jedoch die lange aufgehaltene und gestörte Idee bildete, begann er vor Aufregung zu zittern. Er hatte den Resonator. Er war sein ganz intimer und persönlicher Besitz, und ein mächtiges Werkzeug, falls er vollen Zugang dazu fand. Falls das vergleichsweise winzige Ding im Prinzip so arbeitete, wie Todds Resonator, dann bewirkte es einen dauernden Wechsel der Nervenimpulse zwischen drei oder vier »Bildern« oder Poisson-Zustände des seriellen Universums – zwischen dem, das er normalerweise in der Raum-Zeit besetzte und dem in Vergangenheit und Zukunft unmittelbar anschließenden. Kein anderer Vorgang konnte die geistigen Wirbelströme verursachen, von denen Sir Lewis gesagt hatte, der Resonator erzeugte sie im Hirn seines Opfers. Es war kurz gesagt ein Verstärker – ein Verstärker der PsiFähigkeiten. Jetzt war er darauf eingestellt, die Fähigkeiten zu verwirren und zu zerstreuen, ähnlich wie Wechselstrom ein 148
ständiges Hin und Her zwischen den Universen zu bewirken, um eine genaue psychische Orientierung zu blockieren. Handelte es sich aber nicht gerade um ein ganz einseitig spezialisiertes Gerät, dann mußte es möglich sein, es umzujustieren. Und Danny hatte es sicher in seinem Magen. Er ging zum Waschbecken hinüber, nahm das Stück gelbe Seife und begann, es Stück für Stück zu essen. Trotz des kurzen Schlafes war er immer noch stark übermüdet, und er hatte lange Zeit nichts mehr zu Essen gehabt. Die alkalischen Fettsäuresalze begannen fast sofort zu wirken. Es war schmerzhaft – das, was er zurückholen wollte, war groß –, aber er ließ nicht locker. Nach einer halben Stunde, benommen vor Übelkeit und Triumph, hielt er das Metallei in der Hand. Er säuberte es und sah es sich genau an. Die zwei Gehäuseteile waren leicht aneinandergelötet, offensichtlich war vorgesehen, daß es für Reparaturen geöffnet werden konnte, obwohl niemand von der Bruderschaft das jemals getan hatte. Danny grinste schwach, Dogma: Etwas Fertiges perfekt. Sie blieben sich selbst treu – sie hatten der Maschine ihren Zweck zugewiesen, und damit war sie für sie für immer verschlossen, auch wenn der ausführende Techniker es besser gewußt hatte. Die Bruderschaft hatte ihm sein Taschenmesser abgenommen, aber etwas viel Nützlicheres belassen, einen kleinen PrüfSchraubenzieher. Teil des Werkzeugsatzes, den Todd vor nun schon so langer Zeit mitgebracht hatte; jetzt hing er mit einer Klemme an Dannys Hemdtasche. Da die Klappe des alten Armee-Hemdes zugeknöpft war, hatte die Tasche leer gewirkt. Das war der zweite Schnitzer der Bruderschaft, der erste und der bedeutendere war gewesen, ihm die Seife zu überlassen. Ohne den Schraubenzieher hätte er zurechtkommen können, aber er erleichterte die Arbeit. Ohne ihn hätte er seinen Daumennagel benutzt, aber ohne Seife wäre er hilflos gewesen. Er entfernte das Lötzinn, das sehr weich war, und hob eine Hälfte der Hülle ab. Der kleine Mechanismus im Innern war ein 149
Wunder an technischem Können. Er bestand nur aus einem Röhrchen, einem Ding von etwa Pfefferkorngröße, und der größte Teil der Schaltungen war auf die Innenfläche von einem Stück Schichtluzit gedruckt. Todds Reihe von Schritten war hier in einem einzelnen Transformer zusammengefaßt, in dessen Außenhülle zwei winzige Stellschrauben eingelassen waren. Vielleicht hatte man den Zusammenbau unter einem Mikroskop vorgenommen. Der größte Teil der Innereien war verborgen, aber Danny hatte auch nicht damit gerechnet, alles auf einen Blick zu verstehen. Alles, was er jetzt wissen mußte, wurde durch die zwei Stellschrauben verkörpert. Der Resonator war justierbar. Er schliff den Schraubenzieher so lange auf der steinernen Fensterbank, bis er in die Schlitze der Schrauben paßte, dann drehte er vorsichtig an der ersten. Friede senkte sich über ihn wie eine warme Wolke. Das unkontrollierbare Flirren seiner kortikalen Impulse hatte aufgehört. Nach einem Augenblick stellte er fest, daß auch das telepathische Murmeln verstummt war. Das war schlecht; er würde alle Psi-Kraft brauchen, die er aufbringen konnte. Er drehte also etwas weiter. Das Gefühl der Verwirrung kam zurück, hastig drehte er die Schraube wieder in die alte Stellung. Offensichtlich konnte der Resonator die Nervenimpulse weiter in beide Zeitrichtungen »ausbreiten«, als das Gehirn sie ohne Unterstützung treiben konnte; oder aber er konnte sie rigide auf ein einzelnes der Filmbilder begrenzen, die normale Situation des Geistes ohne Psi-Kräfte. Das letztere bedeutete zwar, daß die willentliche Kontrolle nicht zerlief und zerfaserte, aber es bedeutete auch, daß es keine Möglichkeit zum Einsatz der PsiFähigkeiten gab. Hingen sie doch vom vollen, offenen Kontakt mit den alternativen Bildern des seriellen Universums ab.
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Falls er auch nur die geringste Chance haben wollte, hier herauszukommen, bevor die Bruderschaft einen Pyrotiker auf ihn ansetzte oder ihn in irgendeiner Versenkung verschwinden ließ, mußte er herausfinden, wie er die psychische Spannweite zurückgewinnen konnte, ohne die kortikale Kontrolle zu opfern. Er erwog, den Resonator einfach neutral einzustellen und dann wegzuwerfen, um dann von seinen natürlichen psychischen Fähigkeiten abzuhängen, aber das war, ganz abgesehen von dem darin liegenden Risiko, völlig ausgeschlossen: im negativsten Fall war die Vorrichtung immer noch für Todd von unschätzbarem Wert, und im positivsten, nämlich voll begriffen, konnte es dazu gebracht werden, für Danny zu arbeiten. Es gab zwei Stellschrauben. Mathematisch betrachtet, repräsentierte jede eine Variable in der grundlegenden PsiGleichung, die Todd zu finden versucht hatte. Die PK-Gleichung hatte sich als die bereits gut bekannte Blackett-Dirac-Formel erwiesen, und auch die ESP-Gleichung hatte sich als etwas Todd sehr Vertrautes, für Danny allerdings Neues herausgestellt. Todd hatte dann die Hauptgleichung gesucht, von der die beiden anderen entweder Funktionen oder Ableitungen waren – wahrscheinlich, hatte er gesagt, das erstere. Er hatte es als Problem der Matrizenrechnung angegangen, das Heisenbergs »Wahrscheinlichkeitspakete« mit einschloß und dicht vor der Lösung gestanden, als die Gangster sich eingemischt hatten. Jetzt mußte Danny, der keinerlei mathematische Fähigkeiten und erst recht keine Kenntnisse hatte, versuchen, es selbst herauszufinden. Er hatte dazu nichts in der Hand, außer der Wahrscheinlichkeit, daß die Hauptgleichung ebenfalls etwas sehr Vertrautes und Bekanntes war; und außerdem den Umstand, daß er im Verlauf seiner fieberhaften Forschungen auf eine ganze Menge solcher Gleichungen gestoßen war – besonders im Anhang von Graf Korzybskis Wissenschaß und Vernunft. Er kramte in der unglaublichen Rumpelkammer aus TatSachen, Verdrehungen, Phantastereien und Lügen, die seine Lektüre – oder vielmehr sein ESP-Memorieren – zufällig in seinem Kopf 151
abgeladen hatte, und versuchte, die originale Heisenbergsche Unschärferelation. Da war sie, zusammen mit einigen Seiten Text und Erklärungen über ihre Bedeutung. Sie lautete:
Die (1) allerdings gehörte nicht dazu, wie sich herausstellte, sie bedeutete nur »Formel Nr. 1« in Korzybskis Ausführungen. Danny überflog die Seiten vor seinem inneren Auge. Das q stand für den Ort, soweit Danny Korzybskis Erklärungen dazu folgen konnte, hatte es nichts mit seinem gegenwärtigen Problem zu tun. Das p war der physikalische Impuls und h die Plancksche Konstante, eine Größe, die aus der Thermodynamik in die Gleichung übernommen worden war, eine Wissenschaft, über die er noch weniger wußte als über Mathematik. Es sah hoffnungslos aus, wie er sich von vornherein hätte denken können. Wenn Todd die ganze Nacht gebraucht hatte, um die ersten Grundlagen zu erarbeiten … Aber Todd war kein Wissenschaftler, der sich zu eiligen Schlüssen verleiten ließ, solange nicht alle Beweise vorlagen, selbst wenn er den Hauptschlüssel, den Resonator, in Händen hielt. Danny aber war gezwungen, genau das zu tun, und zwar schnell. Impuls zumindest verstand er – auf die Psi-Kräfte bezogen würde dieser Begriff der Übertragungsgeschwindigkeit der Nervensignale entsprechen, die, soweit Danny sich erinnern konnte, in der Nähe von 20 Meter pro Sekunde lagen. Änderte man diese Geschwindigkeit, änderte sich auch die Leistung der damit arbeitenden Maschine des Gehirns – und damit auch die Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit des Gehirns. Das erklärte die erste Stellschraube – aber er hatte ja bereits praktisch erfahren, wie diese funktionierte. Die Gleichung schien jedoch nichts zu enthalten, was die zweite Schraube erklärte. Plancks Konstante war eine Konstante, und damit hatte sich’s; nebenbei war sie ein unglaublich kleiner Betrag – 6,625 1027 Erg-Sekunden, nach dem Text, den er sich
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eingeprägt hatte, war sie nicht wahrnehmbar, nur im Mikroteilchenbereich. Es war ein Quantenwert … Der innerhalb einer unendlichen Serie von Überlappungen variierte! Da war es und sah ihm direkt ins Gesicht. Notwendigerweise mußte h sich von Bild zu Bild in einer konstanten Rate im Wert ändern, ja, es war der Unterschied, der die Bilder voneinander trennte. Das Abstimmungsprinzip, die Einstellmöglichkeit! Irgend jemand in der Bruderschaft mußte seinen Kopf aus dem Sumpf des »psychischen Kontinuums« gesteckt haben, das war offensichtlich. Mit zitternden Fingern steckte Danny den Schraubenzieher in den zweiten Schlitz und drehte die Schraube um ein winziges und öffnete dann weit die zweite Schraube. Das erste, was er hörte, war ein einzelnes Wort einer völlig klaren und unverständlichen neutralen Stimme: »Bravo!« Die Stimme gehörte – Sean Hennessy. Das zweite, was er hörte, war ein langgezogenes gedämpftes Grollen, tiefer als das Brummen der schweren Lastzüge. Vorsichtig verschloß er den Resonator und trat zum Nordfenster. Der erkennbare Teil des Nachthimmels war von tief dahintreibenden Wolken bedeckt. Aufzuckendes Wetterleuchten löschte sie aus; dann kamen sie zurück, der Kunstlichtglanz der Stadt kontruierte ihre Unterseiten. Ein Sturm kam auf. Danny zählte die Sekunden zwischen Blitz und Donner: einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig … Bei dreißig hörte er ihn – weniger als zwölf Kilometer und rasch näher kommend. Augenblick änderte er seine Pläne. Jetzt, da der Resonator zur Verfügung stand, statt wie ein Krebsgeschwür in seinem Innern zu stecken, wäre es möglich, sich aus dem Gebäude zu 153
teleportieren, wie aus dem Schlupfwinkel des Wettsyndikats, aber er hatte das Gefühl, daß das nicht klug war – und in letzter Zeit vertraute er auf sein Gefühl. Sich einfach aus dem Staub machen, war jetzt keine Lösung. Es gab zuviel Unbekanntes und zu viele Verbindungen, die nicht bekannt werden durften. Er mußte versuchen, den Aufenthalt von Todd und Maria herauszufinden und sie aus dem herausholen, was sich inzwischen zu einem wahren Bündel an Problemen summiert haben mußte. Auch sich selbst mußte er aus dem Netz von Indizien zu befreien versuchen, das das FBI um ihn gelegt hatte, ebenso wie aus der Gewalt des Hausarrests, unter dem er bereits stand. Vor allen Dingen aber mußte er aus der Reichweite der Bruderschaft verschwinden und verschwunden bleiben, ohne seine Psi-Kräfte so intensiv einzusetzen, daß sie ihn dadurch wieder orten konnten, oder vermuteten, er sei noch am Leben. Um der GPF zu entgehen, mußte er überzeugend seinen Tod vortäuschen. Wieder grollte der Donner, als Danny das Fenster verließ. Die GPF war noch immer bis zu einem gewissen Grad eine unbekannte Größe, aber es stand fest, daß sie Ärger bedeutete. Und zwar eine höchst sensitive und aufmerksame Art von Ärger, der sich auf seine Spur setzen konnte, wie ein jagender Gepard. Danny lächelte reuevoll, als er sich an seinen ersten Besuch hier erinnerte. Er hatte seinen Kopf im wahrsten Sinne des Wortes in den Rachen des Löwen gesteckt, und der Löwe hatte nur gegähnt – aber seine Augen offengehalten. Danny konnte die Männer der Bruderschaft wahrnehmen, wie sie sich durch das Haus bewegten und ihren unbekannten Zielen und Aufgaben nachgingen. Einer davon war zweifellos geistig vor Dannys Zelle postiert – ein Adept, der sofort Alarm schlagen würde, wenn die Zelle plötzlich nicht mehr belegt war. Dann würde eine konzentrierte Suche in der ganzen Umgebung folgen, bei der jede Psi-Fähigkeit, die der Bruderschaft zur Verfügung stand, eingesetzt würde – und dann würde ein Pyrotiker, von Telepathen und PK-Sensitiven auf Danny gelenkt, einen Kokon
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aus Feuer um ihn aufbauen, der nur ihn verzehren würde, wo immer er auch war … Er dürfte die Zelle nicht verlassen, ohne seine Spuren zu verwischen. Ein plötzlich aufzuckender Blitzstrahl warf gezackte Muster durch das Fenster auf den Boden. Unwillkürlich zuckte Danny zusammen. Der Ausbruch elektrischer Energie war zu nahe gewesen, um gemütlich zu wirken. Drei Sekunden später folgte ein wilder, ohrenbetäubender Donnerschlag. Das Gewitter stand fast über ihm. Würde das Gebäude zum Beispiel vom Blitz getroffen werden … Ja, warum eigentlich nicht? Die Beziehungen zwischen Himmel und Erde, die Voraussetzung für die Entstehung von Blitzen waren, kannte man seit nunmehr über zweihundert Jahren, es handelte sich lediglich um eine Form statischer Elektrizität. Selbst Grundschullehrbücher beschrieben, wie sich der Ladungsunterschied zwischen Boden und Wolkendecke vergrößerte, den einleitenden Aufwärtsblitz und die Hauptentladung, die die beiden Potentiale zeitweilig wieder ausglich. Wenn ein Mann imstande war, mit Hilfe von PK eine so komplizierte Zusammenballung von Ladungseinheiten wie ein Möbelstück zu bewegen, warum sollte es ihm nicht möglich sein, genügend freie Elektrizität zu bewegen, um einen Blitz anzuziehen? Es mußte aber schnell geschehen, denn schon zog das Gewitter über seinem Kopf vorbei, und auch der Wille seiner Gegner, ihn zu töten, ließ ihm nicht mehr viel Zeit. Den Resonator wieder öffnend, postierte er sich in der Südwestecke der Zelle und drehte beide Einstellungen bis zum Anschlag und brachte damit die Verstärkung auf das Höchstmaß und die Reichweite auf »lokal«. Dann richtete er jedes Erg seiner verstärkten Psi-Kräfte in die gegenüberliegende Ecke. Bewußt verdrängte er dabei jede Erinnerung an Maria, Todd, die GPF 155
oder sich selbst und konzentrierte sich darauf, jedes freie Elektron aus der Hausecke zu vertreiben. Er stieß dabei auf beträchtlichen Widerstand. Die Atomstruktur im Mauerwerk war nicht so regelmäßig wie das bei Metall der Fall gewesen wäre, so daß die freien Ladungen dazu neigten, sich bei der nächsten Gelegenheit zu binden; im Grunde versuchte Danny, einen nahezu perfekten Isolator elektrisch leitend zu machen. Die Oberflächenladung ließ sich verhältnismäßig einfach vertreiben, aber die Innenladung hielt sich hartnäckig. Indem er die freien Protonen gleichzeitig nach innen lenkte, veränderte er langsam das Gleichgewicht … Im Gang hallten Schritte auf, und im Hintergrund seines Geistes fühlte er einen Druck, als senke sich ein ungeheuer schwerer Stein auf ihn. Er wußte nicht, was es war, und er kümmerte sich auch nicht darum. Ihm blieben nur noch wenige Sekunden – war die Ladung stark genug? Auch das Gegenteil konnte gefährlich werden – wenn sie zu hoch war, würde er mit Sicherheit von einem tödlichen Schlag getroffen werden. Er verstärkte seinen Griff um den wieder geschlossenen Resonator und drängte und stieß die flüchtenden Elektronen weiter weg. Draußen vor dem Gitter blieb jemand stehen und sah herein. Jetzt! Mit einem letzten geistigen Stoß schuf er einen Ausgang für die zusammengeballten Protonen, die in unsichtbarem Strahl zum Himmel strebten. Vor dem Fenster erstand ein blendendes Gewirr von Blitzstrahlen. Der krachende Donnerschlag war schlimmer als alles, was Danny je gehört hatte, er traf ihn wie eine Stahltür. Die ganze Welt brach in Flammen aus, und sank dann lärmend in tiefe Finsternis. Mit ihr fiel Danny, jeder Muskel in galvanischem Starrkrampf, verknotet, blind, taub, gelähmt, zuckend, hilflos.
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XIII Trumpf-König Die Blase der Raumzeit dehnte sich in die Unendlichkeit; die Sterne verdüsterten sich und starben; die Entropie-Kurve senkte sich, und alle Bewegung endete. Das Universum war seinen endgültigen unausweichlichen Hitze-Tod gestorben. Fünfzig Milliarden Jahre. Dann begann es zu kollabieren, in sich selbst zusammenzufallen. Die gleichmäßig verteilten Moleküle kalten Gases näherten sich einander. Plötzlich brodelte die Raumzeit vor hüllenlosen Atomen, und dann mit dem primordialen Fluß der Neutronen kam der Urstoff; und dann hatte sich die ganze gewaltige Masse zu einem einzigen mathematischen Punkt konzentriert, dem primordialen, uranfänglichen Atom. Fünfzig Milliarden Jahre. Die Schöpfung begann. In der blendendweißen, wirbelnden Einförmigkeit war es nicht möglich zu erkennen, wann die Erde geboren wurde, aber sie war bereits drei Milliarden Jahre alt, als die peinigendere Steifheit aus Dannys verkrampftem Körper zu weichen begann. Ein noch weit qualvolleres Prickeln lief durch seine Arme und Beine, als seien seine Muskeln »eingeschlafen« gewesen und das Blut kehre nun wieder zurück. Nach und nach drang das Brüllen und das Spiel der Blitze in sein Bewußtsein und verringerte sich wieder. Er bewegte sich wieder. Jemand, von dem er langsam als »ich« zu denken begann, stöhnte leise. Etwas bohrte sich scharf in seinen Rücken. Jetzt prickelten seine Zehen. Er versuchte die Augen zu öffnen und war überrascht, daß er mit ihnen sehen konnte, obwohl es unmöglich war zu begreifen, was er sah: flirrende Schwärze, in der sich graue Flächen und dunkle Linien erstreckten. 157
Probehalber versuchte er sich aufzusetzen. Ein jäher Schmerz zuckte ihm durch Hüften und Rücken. Aber nach einiger Zeit gelang es ihm, sich auf einen Ellenbogen zu stützen. Er schien auf einem steil abfallenden Hügel aus Backsteinen, Mörtel und anderem Schutt zu liegen. Sechs Meter über ihm ragte eine Toilette an ihrer zweifach verbogenen Wasserleitung wie eine obszöne Lilie aus der zerstörten Wand eines Hauses und versprühte einen Schauer sterilen Nektars auf die durcheinandergewürfelten Trümmer. Eine Wolke von Trümmerstaub stieg noch immer empor, und im Himmel darüber kollidierten lärmend die Wolken. Am Fuß des Hügels lag ein Sattelschlepper auf der Seite. Die eingestürzte Mauer hatte den Anhänger fast ganz verschüttet, die Zugmaschine stand mit laufendem Motor gefährlich schief, war aber frei von Schutt. Danny merkte plötzlich, daß seine rechte Hand vor Erschöpfung zitterte, so heftig, als habe er stundenlang daran gehangen. Neugierig öffnete er sie. Auf seiner Handfläche lag der Resonator. Er brachte es fertig zu grinsen. Wenn er bisher noch nicht gewußt hatte, was es hieß, sich in Todesangst an etwas zu klammern, jetzt wußte er es. Er steckte den winzigen unschätzbar wertvollen Mechanismus sorgfältig in seine Hemdtasche und schloß die Klappe. Dann taumelte er schmerzgepeinigt auf die Füße und suchte sich vorsichtig rückwärts einen Weg nach unten bis zu dem Anhänger und ließ sich über dessen Seite auf den festen Boden gleiten. Er stürzte dabei, konnte aber sofort wieder aufstehen und unsicher zur Zugmaschine laufen. Es würde gehen. Er kletterte auf den geneigten Kotflügel und zog mühsam die Tür auf. Im Führerhaus unter dem Steuer an der nach unten liegenden Seite lag ein Körper, steif durch den elektrischen Tod. Der Gestank verbrannten Fleisches mischte sich
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auf widerwärtige unbeschreibliche Weise mit dem Duft von frischem Sellerie, der dem umgefallenen Anhänger entstieg. Danny schob den Körper durch die Tür, zwang sich eisern nicht darauf zu achten, was er berührte und ließ ihn hinausfallen. Er schlug die Tür zu und setzte sich auf die schräge Polsterbank ans Lenkrad. Der Motor lief immer noch wie ein schnurrender Tiger. Auf dem Markt brannte irgend etwas, Leute schrien und riefen. Es wurde Zeit, daß er wegkam. Nach kurzem Suchen auf dem Armaturenbrett fand Danny das Druckluftventil, mit dem die Zugmaschine vom Anhänger gelöst werden konnte, and öffnete es. Mit einem seufzenden Zischen senkte sich das Fahrzeug wieder auf den ebenen Boden. »Cascelli? Cascelli! Mach, daß du aus dem Truck kommst, bei Trewater brennt es, hilf uns!« Danny trat aufs Gas. Die Antriebsräder griffen auf dem Pflaster und schoben den Sattelschlepper vorwärts. Hinter sich hörte Danny das Poltern zusammenstürzenden Mauerwerks, als der Anhänger sich ganz zur Seite neigte und begraben wurde. Dann verging das Geräusch im Donner. Und was jetzt? Es war ihm gelungen, das Universum entstehen zu lassen und auf den jetzigen Stand zu bringen, obwohl er sicher war, daß er es nicht noch einmal durchmachen wollte. Er war auch aus dem GPF-Gebäude entkommen. Er hatte einen Truck, der ihn zu einem noch unbekannten Schlupfloch bringen konnte. Für den Augenblick war er vor der Polizei so ziemlich sicher, und was das FBI anging, so konnten die auch nicht überall zugleich sein. Ihnen entgingen hin und wieder sogar Kommunisten. Aber er hatte jetzt nirgendwo einen Zufluchtsort. Seine Wohnung kam nicht in Frage – die würde man beobachten, vielleicht sogar besetzt halten. Sicher galt dasselbe für seine alte Arbeitsstelle bei Delta Publishing. Die GPF 159
verkörperte ein Ziel – in einer verzerrten, verderbten Form, aber sie hatte sich zu seinem Feind erklärt. Weder Fortianer noch parapsychologisches Institut waren in den Bereichen der Supraanormalität weit genug fortgeschritten, um von einem vor dem Gesetz Flüchtenden um Obdach gebeten zu werden. Außerdem war er, wie ihm plötzlich klar wurde, ein Mörder und Brandstifter, oder war er berechtigt, die laufende geistige Schlacht als eine Form des Krieges zu betrachten? Der Gedanke beunruhigte ihn nicht lange. Sein eigenes Leben war in Gefahr gewesen, und er hatte mit so viel Sorgfalt zurückgeschlagen, wie die Umstände zuließen, das klärte das Problem. Im Augenblick jedenfalls war er sein eigener Herr. Er war nur ein Trucker unter vielen, der sich durch die verkehrsreichen Straßen einer sturmgepeitschten Stadt bewegte. Sir Lewis wußte nicht mehr, wo er war, hielt ihn vielleicht sogar für tot, was auch für das FBI galt. Und da in der Zugmaschine kein Telefon war, konnte nicht einmal Sean ihn erreichen. Die Verkehrsampel vor ihm wechselte die Farbe, und Danny lenkte sein Kohlenmonoxyd atmendes Mastodon in eine Seitenstraße. Es hatte keinen Sinn, durch unvorsichtiges Fahren die Polizei auf sich aufmerksam zu machen. Solange er sich an die Verkehrsregeln hielt und nicht auffiel, war er nur eine weitere Zugmaschine auf dem Weg zu ihrem Anhänger. Inzwischen … Inzwischen mußte er sich ganz einfach an Sean halten. Offensichtlich hatte Sean gehört werden wollen, als er seine EinWort-Gratulation zur Lösung des Resonator-Problems äußerte. Genauso klar war es auch, daß Sean irgendwie in diese ganze Sache verwickelt war, trotz all seiner rein verbalen Skepsis. Danny dachte an jenes eine Wort zurück, und achtete besonders auf dessen Natur, auf den »Klang«. Der war irgendwie fern und fremdartig gewesen, ganz anders, als die Gedanken Tooeys und seines Chefs, fast so, als käme er über einen speziellen Kanal, der für ganz besondere Mitteilungen reserviert war, beinahe hätte er »offiziell« gedacht. Da es bei der Telepathie
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aber keine Kanäle gab, mußte Sean dem Wort ganz bewußt diese Färbung gegeben haben … ein Code, ein Erkennungszeichen … Gelang es Danny, diese Färbung zu deuten, dann konnte er auch den Code lesen. Da war eine Eigenschaft gewesen, die nicht zu einem normalen Gedanken gehörte, es hatte so geklungen wie … Unterirdisch! Sean war eine der Stimmen gewesen, die Danny in jener ersten Nacht gehört hatte. Diejenige, die gesagt hatte: »Möge sich der Entdecker in acht nehmen.« Die psychiatrischen Ratschläge, die dazugehörigen statistischen Argumente, all das war nichts als Tarnung gewesen – aber eine Tarnung wofür? Spielte denn hier jeder mit falschen Karten? Es wurde Zeit, daß er das herausfand. Wenigstens schien festzustehen, daß es Sean ganz gleich war, ob sich das FBI für Danny interessierte oder nicht. Sehr wahrscheinlich würde er die Vorstellung aufregend finden – als Nietzsche gesagt hatte: »Lebe gefährlich«, hatte er zu Sean Hennessy gesprochen. Seans Wohnung lag ein gutes Stück entfernt in der 125. Straße. Danny wandte sein Ungetüm in Richtung West Side, wo er eine Durchgangsstraße finden würde. Auf halbem Wege stellte er fest, daß er Hunger hatte. Er konnte sich nicht entsinnen, nach den Leberwurst-SchwarzbrotSchnitten noch etwas gegessen zu haben, wenn er den Resonator und die Seife nicht mitrechnete. Er verließ also die Durchgangsstraße wieder und fand einen Schnellimbiß. Er bestellte Eier mit Schinken, sah verspätet nach, ob ihm die GPF nicht auch das Geld gestohlen hatte, und nahm sich eine Zeitung von einem schlafenden Gast am Nebentisch. Auf Seite drei fand er eine Schlagzeile:
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ZEUGE DER BÖRSENSCHWINDEL-UNTERSUCHUNG ENTFÜHRT Geheimnisvolles Mädchen in FBI-Gewahrsam Verschwundener Wissenschaftler hatte Verbindung zu ermordetem Zigeuner Die Story war unglaublich entstellt – aber einige Fakten konnten herausgelesen werden. Todd war verschwunden, bevor die Polizisten, angelockt durch die Schüsse, auf der Bildfläche erschienen waren, Maria hatte, anscheinend, ohne vorher zu überlegen, so viel über die Entführung erzählt, daß die Polizei die ganze Erklärung als unglaubhaft abtat; die Zeitung betrachtete sie als Lockvogel von Weizen International. Was Danny nicht begreifen konnte, war, wie die Gangster, denen es offenbar irgendwie gelungen war, die Schlacht zu überleben, es fertiggebracht hatten, rechtzeitig zurückzukommen, um Todd der Polizei vor der Nase wegzuschnappen; aber bei dieser Frage wurde der Bericht völlig konfus. Der alte Mann vertrug bestimmt keine sehr rauhe Behandlung; Danny konnte nur hoffen, daß er sofort die Wahrheit sagte. Die Tatsache, daß beide Männer dieselbe Art von »faulen Ausreden« vorbrachten, gab dem Boß des Syndikats vielleicht so viel zum Nachdenken, daß er eine Zeitlang mit brutaleren Methoden wartete. Maria war keineswegs besser dran. Sie saß im Knast, wo sich die GPF in Ruhe mit ihr befassen konnte, sobald sie so viel Einblick in die Hintergründe gewonnen hatten, um sie mit Danny in Verbindung zu bringen. Bis jetzt hatten sie noch nichts von ihr gehört, aber diese Art von Publicity würde völlig ausreichen, um ihr Interesse zu wecken. Wenn Sir Lewis nicht durch die Blitze umgekommen war, würde er sicher jede Möglichkeit überprüfen;
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er war viel zu raffiniert, um Dannys »Tod« ohne weiteres für bare Münze zu nehmen. Plötzlich fühlte Danny erneut jenes ruhelose Drängen. Er goß den Kaffee hinunter und warf ein paar Dollar auf die Theke. Es kam jetzt darauf an, daß er so schnell wie möglich zu Sean kam, um einen Weg zu planen, Todd und Maria zu erreichen, bevor der nächste Sturm losbrach. Er startete den Truck und lenkte ihn wieder in den Verkehrsstrom. Es war eine schwere Aufgabe für einen Ex-Journalisten, dessen einzige Hoffnung es war, sich im Apartment eines Freundes zu verstecken, bis ihn die Polizei schließlich doch erwischte, und dessen einziges Talent darin bestand, holprige Verse zu schmieden. Wie schwer diese Aufgabe für jemand mit einem voll aktionsfähigen Psi-Zentrum war, das mochte eine andere Frage sein. Der Motor des Lastwagens brummte laut. Danny, der nur an das Flüstern von Motoren in Personenwagen gewöhnt war, fragte sich schon, ob der Motor einen Lagerschaden hatte – aber er lief gleichmäßig und hatte von Anfang an so laut geklungen. Nach einiger Zeit bog die Straße zum Fluß hin ab und führte durch einen ruhigen, dämmrigen Park. Hier teilte sie sich so oft und beschrieb so viele Kurven, daß Danny fast augenblicklich die Orientierung verlor. Da die Halbstarken dieser Gegend offenbar Straßenlaternen als Zielscheiben für ihre Steine bevorzugten, war ein Drittel aller Lampen zertrümmert – und eine entsprechende Zahl aller Straßenschilder nicht zu erkennen. Schließlich geriet der Lastwagen in falscher Richtung auf eine Einbahnstraße, der Danny folgen mußte, bis er zehn Straßen weiter in ursprünglicher Fahrtrichtung weitersuchen konnte. Erst beim zweiten Versuch stieß er auf die Einbahnstraße nach Norden und mußte feststellen, daß die Hausnummern bereits die Hundert erreicht hatten. Erstaunlicherweise stellte sich Seans Straße als Einbahnstraße nach Osten heraus, wohin Danny tatsächlich mußte. Hier standen zu beiden Seiten nur riesige teure Apartmentblocks, und Danny hatte den starken Verdacht, daß er 163
in dieser Gegend mit seinem lärmenden Monster nichts zu suchen hatte; daran ließ sich jedoch nichts ändern. Dann sah er endlich Seans Hausnummer. Mit einem Seufzen fuhr er an den Straßenrand, wo Parken für eine Stunde erlaubt war, und stellte den Motor ab. Nach der guten Stunde, die er in dem Wagen verbracht hatte, war die plötzliche Stille irgendwie leicht beunruhigend. Sean trug einen kaffeefarbenen Morgenmantel und rote Fellpantoffeln, so struppig, daß seine Füße den Eindruck machten, sie seien einer frevelhafterweise gefärbten Löwin gestohlen worden. Wenn es ihm unangenehm war, ohne Arbeit zu sein, so zeigte er es nicht. Er wirkte völlig ruhig und wie immer, leicht belustigt. »Hallo, Danny«, sagte er. »Steckst du hinter dem Lärm auf der Straße? Du mußt in einem Vierzigtonnen-Panzer gekommen sein.« »Beinahe«, stimmte Danny zu. »Hör zu, Sean, ich sitze tiefer in der Tinte als je zuvor. Kannst du mich aufnehmen? Vorher muß ich dir aber sagen, daß das FBI hinter mir her ist, und daß es auch dir an den Kragen geht, wenn man mich hier findet.« »Sprich nicht so hastig, alter Junge, du schnappst ja schon jetzt nach Luft«, sagte Sean. »Selbstverständlich, komm nur herein. Ich habe mir schon immer gewünscht, ein Flüchtling zu sein, wenn ich das missen muß, kann ich wenigstens einem Obdach gewähren.« Dankbar folgte ihm Danny und ließ sich in einen tiefen Sessel fallen. Das Apartment war überraschend luxuriös, selbst für diese Wohngegend, es mußte ziemlich viel Miete kosten. Sean fing Dannys verwunderten Blick auf. »Ja, es ist ein bißchen zu gut für einen ehemaligen Redakteur«, sagte er. »Aber jetzt, wo ich den Job los bin, brauche ich mir nicht mehr den Anschein zu geben.« »Oh. Du hast also immer genug Geld gehabt und dich nur als normaler Angestellter ausgegeben?« 164
»Ja, so ungefähr. Du siehst also, daß es mich gar nicht so viel gekostet hat, zusammen mit dir aufzuhören. Du hast mich beschämt, als du mich gelobt hast.« Sean lächelte leicht, setzte sich auf eine Couch und streckte einen exotischen Pantoffel in die Höhe. »Ich muß sowieso bald meine ganze Zeit meiner wirklichen Arbeit widmen.« »Und die wäre?« »Meinst du nicht, daß du zuerst mir eine oder zwei Beichten schuldig bist?« Danny fühlte, wie er errötete. Das Verlangen war völlig berechtigt, und da er sich nun sozusagen Seans Gnade ausgeliefert hatte, glaubte er kein Recht mehr dazu zu haben, zu widersprechen. »Ich habe mir schon gedacht, daß du weißt, daß ich dir nicht die ganze Geschichte erzählt habe«, sagte er matt. »Hier hast du also den Rest.« Er redete beinahe zwei Stunden in dem sanften gleichmäßigen Lampenlicht. Während des Berichts änderte Sean weder seinen Gesichtsausdruck noch seine Körperhaltung auch nur im geringsten. Er schien zu Stein erstarrt zu sein, einen Arm im Schoß, ein Bein von sich gestreckt und das Kinn auf eine Hand gestützt. Die Haltung erinnerte Danny an eine Dore-Skizze des Satans, und Seans immer auf ziemlich diabolische Weise gutes Aussehen verstärkte den Eindruck. Er dachte auch daran, daß man eine derartig vollständige und unnatürliche Unbeweglichkeit innerhalb der Yoga-Disziplinen kultivierte, wo geistige Aktivität in umgekehrtem Verhältnis zur körperlichen Unbeweglichkeit stand. »So ist das also«, sagte Sean schließlich. »Frei und offen gesprochen, und ohne kleine Säcke voller Vorbehalte im geistigen Keller zu verstecken. Danke, Danny.«
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»Oh, gern geschehen, Sean. Du verstehst, warum ich dir bei unserem ersten Gespräch nicht alles beichten wollte. Natürlich ist vieles erst später geschehen.« »Ja«, sagte Sean. »Trotzdem wäre dir viel erspart geblieben, wenn du mir gleich alles erzählt hättest.« Er stand auf und steckte beide Hände tief in die Taschen seines Morgenmantels. »Siehst du, Danny«, sagte er, »es war mir ebenso unmöglich, dir gegenüber offen zu sein, solange du es mir gegenüber nicht warst. Solange du mir nicht aus freiem Willen erzählt hast, wie es um dich stand, konnte ich dir nicht helfen; außerdem mußte ich einige Tests durchführen, die unvermeidlicherweise Zeit in Anspruch nahmen. Darf ich bitte den Resonator sehen?« Schweigend reichte ihm Danny das Gerät. Fachmännisch öffnete Sean die Hülle, indem er leicht auf die Seite drückte, und inspizierte das Innere. »Es ist derselbe. Das Feld fühlt sich allerdings irgendwie komisch an. Wie hast du ihn eingestellt?« Danny zeigte ihm den Schraubenzieher, Sean schüttelte den Kopf. »Das ist schlecht, man muß einen antimagnetischen Schraubenzieher dazu benutzen. Komm mit in die Werkstatt, damit ich ihn neu justieren kann, ich möchte nicht, daß dieses verzerrte Feld weiterhin in die ganze Schöpfung ausgestrahlt wird. Das ist so auffällig wie eine Sirene.« Die »Werkstatt« war eigentlich als zusätzliches Schlafzimmer vorgesehen gewesen, aber Sean hatte sie als elektronisches Labor ausgestattet, das teuerste und exklusivste in Dannys begrenzter Erfahrung. Das meiste der Ausrüstung war ihm unbekannt, den Kathodenstrahl-Oszillographen, an den Sean den Resonator anschloß, kannte er allerdings, da Todd so einen in seinem Universitätslabor hatte. Nach wenigen Augenblicken tauchten leuchtendgrüne, verzogene Striche auf der Sichtfläche auf. Sean pfiff vor sich hin. 166
»Schau dir das an – es ist fast diskontinuierlich«, sagte er. »Das ist nur teilweise auf den Schraubenzieher zurückzuführen, der ganze Saft von dem Blitz muß ihn noch weiter aus der Bahn geworfen haben. Wenn der Apparat sich schon so benommen hätte, solange du in der Zelle warst, wärst du nie herausgekommen.« Er beugte sich über das Gerät. Die verzerrten Wellenlinien auf dem Sichtschirm nahmen langsam andere Formen an. Schließlich war Sean zufrieden. »So, jetzt ist er wieder so, wie er sein soll. Ich gebe dir den Schraubenzieher von meiner Nähmaschine, der ist nicht magnetisch.« Er grinste Danny an. »Sieh mich nicht so ungläubig an, ich bin auch Junggeselle. Ich koche, nähe, mache mein Bett und halte mein Konto selbst in Ordnung.« Er schloß den Resonator und gab ihn Danny zurück. »Sei vorsichtig damit, das Ding ist sehr empfindlich. Ich bin sehr stolz darauf.« »Du hast es konstruiert?« »Ja, natürlich – diese Knallköpfe in der GPF stecken zu tief in ihrem Mystizismus, um mit einer so grundlegenden Sache wie serieller Resonanz fertig zu werden.« Sean ging voraus ins Wohnzimmer. »Ich gebe zu, daß ich mir Sorgen darüber gemacht habe, welchen Gebrauch sie davon machen würden. Taylor und ich erstannten …« »Taylor? Der Fortianer? Sag nur, er …« »Ja. Wir erstannten, daß man ihn wahrscheinlich bei dir anwenden würde, und du konntest ihn dann dazu gebrauchen, dich bei der GPF aus dem Staub zu machen. Ohne hättest du kaum eine Chance gehabt, aber es gibt immer ein Element der Unsicherheit bei der Präkognition, und wir wußten nicht, ob wir der GPF vielleicht etwas gaben, mit dem sie irreparablen Schaden anrichten konnten. Wir hätten uns nicht zu sorgen brauchen, sie verwendeten den Resonator nur zu dem Zweck, den wir angegeben haben, und kamen gar nicht auf die Idee, er könnte 167
verstellbar sein. Sie sind völlig unfähig, wissenschaftlich zu denken, ich muß immer wieder lachen, wenn ich an den Quatsch denke, den sie in ihrem Labor angehäuft haben.« »Wer«, fragte Danny, »ist wir? Ich habe dir meine Geschichte erzählt, jetzt bist du dran.« »Mit Vergnügen«, sagte Sean. »Die wirklichen Psi-Menschen – nicht diese Mummenschanz-Kriminellen in der GPF – sind auf der ganzen Welt locker organisiert. Unser Hauptzweck ist Forschung; es gibt noch eine Menge über das serielle Universum, das wir nicht wissen, wie ich dir versichern kann. In zweiter Linie halten wir ein wachsames Auge auf Leute wie die GPFMitglieder, Leute, die den einen oder anderen kleinen Teilbereich des parapsychologischen Spektrums entwickeln und ihn mißbrauchen. Die Bruderschaft zum Beispiel hat an der Börse spekuliert: sie waren es, die an der gegenwärtigen Lage von Weizen International schuld sind, und es waren auch ihre Machenschaften, die in deinem Geist den ersten Anstoß dazu gaben, daß sich deine Begabung entwickelte, wehn sie sich dessen auch nicht bewußt sind. Sie kontrollieren außerdem vollständig das Wettsyndikat und eine Reihe anderer Banden. Sie besitzen die Aktienmehrheit einer der größten Schweizer Waffenkonzerne, und viele gescheiterte politische Konferenzen lassen sich auf sie zurückführen. Ihren ganzen zeremoniellen Ritus haben sie zu ihrem eigenen Schutz entwickelt, weil sie jede Konkurrenz auf ihrem Gebiet fürchten.« »Wissen sie von eurer Gruppe?« »Ja, und sie fürchten uns, betreiben uns gegenüber aber eine Hände-weg-Politik, einerseits aus Angst und andererseits, weil wir meistens keine Gefahr für ihre Vorhaben darstellen. Wir greifen nur ein, wenn Menschenleben in Gefahr sind, und das wissen sie genau. Ihre Adepten können feststellen, wenn jemand Psi-Kräfte entwickelt; wenn möglich suchen sie den Betreffenden und werben ihn an – oder, in den seltenen Fällen, in denen der Neue Skrupel zeigt, töten sie ihn. 168
Meist sind wir in der Lage, diese Morde zu verhindern, aber wir dürfen erst dann eingreifen, wenn ein solcher Mensch im Vollbesitz seiner parapsychischen Fähigkeiten ist, sie also aus eigener Kraft entwickelt hat. Braucht er dann noch Hilfe – was normalerweise nicht der Fall ist –, dann greifen wir ein, aber nicht eher.« »Eine harte Regel, Sean. Es sind die hilflosen Opfer, die Unterstützung brauchen.« Sean nickte. »Das stimmt schon. Einer der Gründe, weshalb sie von uns nicht gewährt wird, ist der, daß wir nicht genügend Leute haben, um die GPF Tag und Nacht zu beobachten – und daß wir, wenn wir uns einmischen, meist die Mithilfe des Opfers brauchen. Ist es dazu nicht in der Lage, sind uns die Hände gebunden, es bleibt uns nichts anderes übrig, als hart zu bleiben und solche Leute aufzugeben. Dazu kommt noch, ob du es glaubst oder nicht, daß Überlebende der GPF-Methoden so ziemlich unseren gesamten Nachwuchs stellen; nur auf sie können wir uns ganz verlassen. Alle anderen müssen wir ausführlich testen, das aber dauert viele Jahre. Kannst du dich noch erinnern, wie ich dir einzureden versuchte, daß all das Seltsame, was dir geschehen war, mit reinem Zufall erklärt werden kann? Das war einer dieser Tests. Die Argumentation ist lächerlich, aber sie klingt logisch. Wer das nicht durchschaut, wird niemals ein guter Psi-Mann. Dazu gehört Intelligenz, und zwar eine ganze Menge, außerdem geistige Unabhängigkeit, weil er dauernd das Wissen mit sich herumzutragen hat, daß er sich von den meisten seiner Mitmenschen unterscheidet; dieses Wissen darf ihn nicht stören, aber gleichzeitig darf es ihn nicht hochnäsig werden lassen. Du erinnerst dich, daß ich darauf beharrte, daß Verstöße gegen das Gesetz des Zufalls dauernd vorkommen – krasse Verstöße. Durch Beobachtung des täglichen Lebens wirst du feststellen, daß das nicht stimmt, aber ich behaupte es mit dem Brustton der Überzeugung; Hättest du mir geglaubt…«
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»Hast du mir deshalb auch geraten, zu einem Analytiker zu gehen?« sagte Danny. »Das schien dir aber ernst zu sein.« »Das war es auch, Danny. Nicht alle derartigen Erlebnisse deuten auf das Vorhandensein von Psi-Kräften hin. Manchmal entwickeln Leute, die in ernsthaften seelischen Schwierigkeiten stecken, die Idee, daß sie spiritistisch, telepathisch oder sonst irgend etwas werden. Hier, ich werde dir ein drastisches Beispiel zeigen. Kennst du Marc Lyons?« Der Name war Danny vage vertraut. »Schreibt der nicht Detektiv-Geschichten?« sagte er schließlich. »Ja, das ist er, aber er ist auch Science-Fiction-Autor. Vor ein paar Jahren schrieb er einen Kurzroman, bei dem es sich auch um ESP drehte – nebenbei reichlich falsch, er ist nämlich kein PsiMann, und ich sehe auch keine Anzeichen dafür, daß er je einer wird. Die Geschichte aber war nicht übel, und er verkaufte sie an eins der SF-Magazine. Zehn Tage, nachdem sie gedruckt war, bekam er einen Leserbrief, den er mir zeigte, obwohl er keine Ahnung hat, daß ich ein Psi-Mann bin, oder daß es so etwas gibt. Er dachte nur, es würde mich amüsieren. Tatsächlich finde ich es tragisch, aber es ist ein Beispiel für das, was ich meine. Hier ist der Brief.« Sean reichte Danny ein Stück blauliniertes Notizpapier, auf welchem er las: Mr. M. Lions, Ny City, Ny. Lieber Herr, Betr.: – Die Wanderer auf dem Weg – Ihr Artikel in der Dezembernummer von »Frappierende Geschichten« hat mich ziemlich beeindruckt, da die Erfahrungen meinen entsprechen. Seit ungefähr 15 Jahren bin ich Spiritueller Berater, habe 3 Söhne allein aufgezogen unter qualvoll-unerträglichen Migränen etc. etc. gelitten – mit nur 3 Tagen Ruhe im Jahr. Alle entsprechenden, adäquaten Begleitphänomene Ihrer Monographie 170
habe ich mehr oder weniger auch erfahren. Jedoch glauben Sie mir, ich bin völlig ehrlich über meine psychischen Fähigkeiten gewesen – habe psychiatrische Sitzungen gehabt –, dachte, ich würde verrückt – etc. –, habe nur 2 oder 3 informierte Leute getroffen, die mich wirklich verstehen. Ich kann es nicht mehr aufhalten oder kontrollieren, als ich laufen kann – es ist immer gegenwärtig, und ich lebe in einer anderen Welt und sehe Ereignisse anders. Hier war eine Randbemerkung: »Ich laufe eine Straße runter, bin jedoch irgendwo über ihr, erklären Sie, daß …« Habe eine Regierungsform, über 15 Jahre alt – bin aber gegenwärtig gegen meinen Willen untätig. Eine Frau [hier folgte ein Name und eine Adresse] kann bestätigen, wie extrem sensitiv ich bin, wogegen ich nichts tun kann. Es befriedigt mich, das die Wissenschaft langsam bemerkt, daß es diese Dinge gibt, weil ich so mißverstanden wurde, ohne Schuld daranzuhaben. Ich werde am 10. April 54 und sehe 10 Jahre jünger aus – ohne künstliche Hilfe. Diese Gabe habe ich seit ich geboren wurde, und ich weiß die Antwort auf eine Frage bevor sie ganz gestellt wurde – ich muß mich manchmal in meinen Äußerungen kontrollieren objektiv denkend »es kann nicht so sein« aber es ist unabänderlich so … Bitte schreiben Sie mir welchen Büchern ich die Fakten entnehmen kann – ich habe versucht welche zu bekommen, kann es aber scheinbar nicht finden. Wenn Sie mich erleuchten könnten, mich selbst weitergehender wissenschaftlich zu verstehen, würde ich das sehr begrüßen. Ich habe Freunde in Wanumalers Philadelphia – die Ihnen von meinen Aktivitäten berichten könnten. Frau [hier folgte ein weiterer Name] Einkäuferin, die mich wegen Ratschlägen anruft.
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Mit Dank dafür, daß Sie so einen Artikel geschrieben haben und in der Hoffnung auf viele weitere verbleibe ich – Hochachtungsvoll (Unterschrift) PS. Eine andere Sache, ich will etwas Bestimmtes sagen und »etwas Fremdes« kommt heraus – ich meine anders, als ich wollte – was ist das –, wer war das? Danny gab den Brief zurück. »Ich verstehe, was du meinst.« »Es gibt noch mehr Tests«, fuhr Sean fort. »Wir müssen zum Beispiel über die Trinkgewohnheiten Bescheid wissen, da der Gebrauch von Psi-Kräften eine schreckliche Präzision des Geistes erfordert, was als erstes unter Alkoholeinfluß leidet. Diesen Test können wir sehr leicht ausführen; wenn ein Mann nach wenig Alkohol schon angeheitert ist, können wir ihn als brauchbar ansehen. Und so weiter. Ich war meiner Sache mit dir ziemlich sicher, aber bis zum letzten Augenblick besteht noch immer die Möglichkeit, daß jemand aufhört, sich weiterzuentwickeln und einseitig bleibt wie die GPF. Ich habe mich sehr früh mit Taylor in Verbindung gesetzt – er ist das älteste Mitglied unserer Gruppe und Spezialist dafür, eine in einem potentiellen Rekruten verborgene Paranoia zu entdecken –, und wir beschlossen, daß ein anderes Mitglied von uns, das du nicht kennst, sich in die Bruderschaft aufnehmen lassen sollte, um dir den Resonator zuzuspielen.« »Sean, sie haben ihn verbrannt«, sagte Danny. »Ich weiß«, sagte Sean ruhig. »Ich … habe gehört, wie es geschah. Es war von Anbeginn sehr stark damit zu rechnen. Wir hielten dieses Risiko für vertretbar. Solltest du in der Lage sein, den Resonator voll auszunutzen, so stimmten wir überein, solltest du alle Hilfe erhalten, die die Gruppe dir bieten konnte – aber nicht eher. Ich argumentierte, daß die Schwelle zu hoch angesetzt sei, und daß es genügen solle, wenn du bemerkst, daß der Resonator verstellbar ist und ihn mit einer anderen als der ursprünglichen 172
Einstellung verwendest. Schließlich habe ich mich durchgesetzt. Wir waren eine ganz schöne Strecke voneinander entfernt, als der Beschluß gefaßt wurde, und unsere Unterhaltung mußte sehr vage bleiben. Taylor und ich stellten sehr früh fest, daß du mithören konntest, wenn wir über dich sprechen. Aber – bis auf den Tod Cy Nevers – kam alles so, wie wir gehofft hatten.« »Ihr wart also die ›unterirdischen‹ Stimmen, die ich hörte. Dich habe ich schließlich erkannt, aber ich wäre in fünfzig Millionen Jahren nicht auf den Gedanken gekommen, der andere sei Taylor … Mein Gott, Sean, zum erstenmal seit Wochen fühle ich mich wieder geistig in Ordnung. Ich könnte dir die Kehle durchschneiden, weil du mich so hast zappeln lassen, und dich dafür küssen, was du jetzt für mich getan hast.« Sean duckte sich kichernd. »Aber ernsthaft, Sean: wie ist das mit Dr. Todd? Er arbeitet seit Jahren wie wild an diesem Problem und hat überdies eine Menge Antworten gefunden – er hat sie sich schwer erarbeiten müssen, weil er nicht die Spur einer parapsychologischen Begabung besitzt. Ohne ihn wäre ich nicht weitergekommen. Er verdient es, daß ihr Psi-Leute euch ein wenig um ihn kümmert, auch wenn er nie zu euch gehören wird.« »Auch er hat die Fähigkeit«, sagte Sean. »Jeder Mensch ist ein individuelles Problem, Danny. Wir alle haben unsere Kräfte auf unsere eigene, ganz besondere Art entwickelt; Todds Art ist nicht deine oder meine, und man kann ihn nicht behandeln, als ob das der Fall wäre. Übrigens bin ich erstaunt, daß gerade du einen solchen Vorschlag machst, Danny. Gerade du solltest erstannen können, was bei Todds Arbeit herauskommt.« »Ich möchte es nicht versuchen«, sagte Danny. »Ich habe keinerlei Psi-Fähigkeit verwendet, seit ich die GPF verließ. Ich fürchtete, sie könnten es bemerken.« »Natürlich würden sie das. Wo habe ich nur meinen Kopf? Ich verachte sie so, daß ich manchmal vergesse, daß sie reale und 173
gefährliche Fähigkeiten haben. Überdies sind sie jetzt auch soweit, daß wir uns mehr als nur ein wenig mit ihnen beschäftigen müssen, und zwar schnell und gründlich und sauber. Wir lassen am besten das Gerede sein und machen uns auf den Weg.« »Wohin?« »In den Schlupfwinkel auf der anderen Flußseite, wohin das Wett-Syndikat dich gebracht hat. Wir müssen deine Sache zu Ende bringen. Wenn wir Erfolg haben, werden wir sicher auch Dr. Todd retten, aber das wird nicht leicht sein. Dein Track ist draußen geparkt?« »Ja, hat aber keinen Sprit mehr.« »Das laß mich nur machen«, sagte Sean und zog den Mantel aus. »Ich habe es noch nie probiert, aber es sollte möglich sein, eine Verbrennungsmaschine ohne Treibstoff anzutreiben, indem man alternierend die Gravitation der Kolben ausblendet. Keeler hat seine ›mysteriöse Maschine‹ so betrieben, sagte Taylor, obwohl ich sicher bin, daß Keeler selbst es nicht wußte.« »Beobachtet euch denn die GPF nicht dauernd, Sean?« »Soweit wie möglich, nehme ich an. Allerdings werden sie wohl kaum vermuten, daß du bei mir bist – und selbst wenn sie es wüßten, hätten sie zuviel Angst vor mir, um sich ohne Not einzumischen. Ich rechne damit, daß sie mein Vorhaben nicht erkennen, bevor es zu spät ist; deshalb sage ich dir jetzt auch noch nicht alles.« Er löschte das Licht und öffnete die Tür. »Wir müssen uns beeilen – gerade hat wieder eine neue Wahrscheinlichkeits-Sequenz begonnen, und wenn wir die deine nicht richtig zu Ende bringen, wird die neue an ihre Stelle treten.« »Wäre das schlimm?« »Sehr schlimm«, sagte Sean. »Die neue startet eine Kette, in der die GPF schließlich totale Kontrolle erlangt. Um deinen Vergleich mit dem Kartenspiel anzuwenden, Danny, du bist im Augenblick Trumpf. Wenn wir dich nicht jetzt ausspielen, haben wir nie mehr die Möglichkeit dazu.« 174
XIV Trumpf-As Die Zugmaschine schnurrte durch die Dunkelheit, Danny am Steuer, Sean anscheinend untätig neben ihm. Da kein Treibstoff in den Zylindern explodierte, machte der Motor praktisch kein Geräusch; sonst aber schien er genau wie früher zu arbeiten, obwohl er vielleicht ein wenig sanfter und glatter lief, als eine LKW-Maschine eigentlich sollte. Die Lichter entgegenkommender Wagen betonten Seans scharfes Profil. Er lächelte noch immer, aber es lag kein Spott mehr in dem Lächeln. Es schien ihm wirklich Freude zu machen, sich der kleinen Aufgabe zu widmen, den treibstofflosen Motor in Gang zu halten, als sei die intime Beziehung zu den hin- und herlaufenden Kolben etwas, das er schon immer hatte erfahren wollen. Danny, den die Mächte immer bedrängt hatten, die er durch die wahllosen Versuche mit seinen Psi-Fähigkeiten wachgerufen hatte, sah zum erstenmal etwas von der Freude, die diese Kräfte bereiten konnten. »Und du kannst mir nicht sagen, was uns bevorsteht?« »Sehr wenig«, sagte Sean. »Seit langer Zeit beschäftigen wir uns mit zwei Problemen, die beide ziemlich wichtig sind. Eines davon ist wohl das älteste und schwerste Problem, das die Menschheit seit Anbeginn kennt, und so ist es auch dasjenige, wo die Lösung noch in weiter Ferne zu liegen scheint. Es hat nichts mit unserer gegenwärtigen Situation zu tun, aber du wirst später eine Menge darüber hören, entweder von Taylor oder von mir.« »Und das andere?« »Mit dem müssen wir uns möglicherweise heute befassen. Wir suchen nach einer psychischen Entsprechung zur Kernenergie. Seit langem wissen wir, daß sich im Verhalten der Elektronen eine Art Denken offenbart, womit ich nicht sagen will, daß Elektronen intelligent sind, sondern nur, daß sie sich verhalten, 175
als könnten sie. denken. Alle Arbeiten Heisenbergs, Diracs und ihrer Kollegen über Elektronenbewegung und -position zeigen etwas, das wir, in Ermangelung einer besseren Bezeichnung, denken nennen. Unsere Erfahrungen mit den Psi-Prinzipien zeigen uns, daß das Bohrsche Wellen-Atom in der Praxis seine eigene Psychologie hat. Und schon vor drei Jahrhunderten finden wir in den ersten Studien über das Verhalten von großen Menschengruppen den ersten Hinweis darauf, daß diese Elektronen-Psychologie sich im menschlichen Verhalten widerspiegelt. Danny lenkte den Truck über die komplizierten, graziösen Auffahrten zur Kingsway-Bridge und bezahlte die Gebühr. »Welche Art von menschlichem Verhalten!« »Massenverhalten, in erster Linie – und schizoides in zweiter. Wir sind inzwischen der Ansicht, daß die meisten Formen von Schizophrenie mit einer Spaltung der Persönlichkeit in Psi- und Nicht-Psi-Gruppen zu erklären sind, manchmal Dutzende davon im selben Gehirn. Die Psi-Gruppen werden dabei völlig von jeder kortikalen Aktivität getrennt und leben nur noch in den PsiZentren, während die kortikalen Gruppen eine unabhängige Aktivität entwickeln, die von keiner Psi-Kontrolle modifiziert wird. Theoretisch kann diese Art von Trennung weitergehen, bis von der Persönlichkeit nichts mehr übrig ist, was allerdings die Konsequenzen für einen Menschen mit voll aktivierten PsiZentren – einen Psi-Menschen – wären, ist schwer vorstellbar. Jedenfalls suchen wir nach einer Möglichkeit, diese Art von Spaltung künstlich hervorzurufen, und erwarten, sie sehr bald zu finden. Nebenbei wäre das auch eine furchtbare Waffe.« »Meine Güte, Sean, jemand hat euer Geheimnis vorhergesehen. In einem Buch von Franz Werfel ist eine Kriegsszene, in der neurales Bombardement benutzt wird.« »Warum nicht?« sagte Sean. »Man kann kein ernsthafter Romancier sein, ohne diese Dinge wenigstens zum Teil zu verstehen. Wir haben nicht das geringste gegen solche
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Schilderungen, sie enthalten oft sogar Hinweise, die uns weiterhelfen.« Er wandte plötzlich den Kopf. »Aufpassen, Danny, die Einfahrt ist nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Am besten machst du die Lichter aus, und wir gehen den Rest der Strecke zu Fuß. Was auch geschehen mag, verliere den Resonator nicht; Noch einen Tip will ich dir geben: Gib Todd viel Bewegungsfreiheit. Verstehst du?« »Mehr oder weniger, ich will daran denken.« »Gut, ich stelle jetzt den Motor ab. Bist du bereit?« »Sicher.« Der Motor spuckte Luft und blieb stehen, Sean öffnete die Tür und stieg, von Danny gefolgt, aus. Die herrschende Stille wurde durch ein paar zirpende Grillen unterstrichen, und Tausende von Sternen standen am Himmel. »Wie konnten sie nur nach dem Gefecht wieder hierher zurückkommen?« flüsterte Danny. »Du brauchst nicht zu flüstern, sie wissen zumindest von mir, daß ich komme. Was die Polizei angeht, so ist sie im Glauben, sie hätte gesiegt und den Laden ausgeräumt. Sie haben acht oder neun Gefangene gemacht und wissen nicht, daß ihre Auffassung über die Ereignisse nicht von ihnen selbst stammt.« »Hast du …?« »Nein, ich nicht. Jetzt ist die PRS hier, Danny. Sie haben deine Bewegungen verfolgt, seit sie dich kennenlernten. Als du dich aus dem Bau hier herausteleportierst hast, bekamen sie fast hysterische Anfälle. Sie schalteten sich sofort ein, beeinflußten die Polizei, so daß sie erst nach ihnen in deiner Wohnung war und schickten ein paar kleine Chargen los, um Todd zu holen und hierherzubringen. Auch die Polizisten hier mußten eine leichte mentale Behandlung über sich ergehen lassen, bevor sie heimgeschickt wurden. Ich weiß nicht, was mit dem Boß der Spieler passiert ist; ich nehme an, er ist davongekommen, denn obwohl er dich ernsthaft unterschätzt hat, ist er immer noch von einem 177
gewissen Wert für sie; wie dem auch sei, er zählt nicht mehr, da die GPF die Sache jetzt selbst in die Hand genommen hat.« Danny pfiff vor sich hin. »Es geht ja ganz schön rund, wenn sie sich anstrengen«, sagte er. »Ja, da hast du recht. Sie wissen nicht genau, ob du noch lebst, aber für den Fall, daß, benutzten sie Todd als Köder in ihrer Falle. Sie wollen, daß du glaubst, du hättest es noch immer mit dem Wert-Syndikat zu tun, das dabei ist, den alten Mann ins Jenseits zu befördern, und sie wollen, daß du versuchst, ihn herauszuholen.« »Wenn du nicht wärst, hätten sie sogar recht.« Sean verließ die Straße, überquerte den Graben, und stieg über den Zaun auf ein Lieschgras-Feld und winkte Danny, ihm zu folgen. »Ich überdecke dich im Moment und hoffe, sie glauben ich sei allein. Wenn sie versuchen mich zu bluffen, haben wir um so mehr Zeit. Ich glaube, sie werden es versuchen.« Danny fühlte eine leichte Wärme in seiner Hemdtasche und tastete nach dem Resonator. Das kleine Metallei war die Hitzequelle. »Der Resonator wird warm«, meldete er. »Bleib stehen.« Nach einem Augenblick sagte Sean: »Wie ist es jetzt?« »Ich glaube, er kühlt ab, ja, richtig.« »Am besten stellst du ihn neutral ein, anscheinend strahlen sie ein Dämpfungsfeld aus. Wir wollen nicht, daß der Apparat durchschmort, du wirst ihn noch brauchen.« Danny öffnete die Metallhülse, suchte im Sternenlicht nach den Schrauben und drehte sie mit dem Schraubenzieher, den ihm Sean gegeben hatte, worauf sich die vielfältigen Horizonte des seriellen Universums um ihn zusammenzogen. Das Gefühl war seltsam unangenehm, obwohl es ihm noch vor einer Woche ganz normal erschienen wäre, auf ein »Bild« beschränkt zu sein.
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»So ist es gut«, erklärte Sean. »Das verdeckt dich doppelt so gut, wie ich es auf diese Entfernung fertigbringe, außerdem vermeiden wir so, daß sie mich dabei ertappen.« »Mir gefällt es gar nicht«, beklagte sich Danny. »Das glaube ich, aber wir werden es nicht lange brauchen.« Ganz plötzlich tauchte das Haus langgestreckt, niedrig und ohne Beleuchtung gegen den Himmel auf. »Ich gehe direkt hinein«, murmelte Sean. »Ich werde eine ganz große Schau aufziehen und versuchen, herauszubekommen, wo sie Todd versteckt haben. Das ist das Geheimnis beim Umgang mit Sir Lewis: man muß ganz groß angeben. Du läßt mir etwas Vorsprung, dann schleichst du dich zu dem Fenster gleich rechts vom Schornstein – wenn du näher kommst, siehst du es schon. Mach dir keine Sorgen, man könnte dich fangen. Sie haben Hellseher damit beauftragt, die ganze Gegend zu kontrollieren, also werden sie sich nicht die Mühe machen, auch noch die Augen zu gebrauchen, die Gott ihnen gegeben hat. Solange der Resonator auf neutral steht, bist du von keinem ESP-Sinn wahrzunehmen.« Seine Zähne blitzten im Nachtdunkel. »Komisch, ich kann dich sehen, aber ich bin so an das erstannen gewöhnt, daß ich kaum selbst daran glaube, daß du da bist. Du bist etwas ganz Neues, Danny – du bist geistig unsichtbar!« Er wandte sich wieder dem Haus zu. »Viel Glück, Danny«, sagte er. »Wenn du etwas tust, so tue es mit Selbstvertrauen; du bist der Trumpf-Bube, der noch ausgespielt werden muß. Wenn etwas passiert, dann denke daran, daß du Taylor um Hilfe bitten kannst.« Ohne Danny Zeit zu einer Antwort zu lassen, ging er auf das Haus zu, Danny verlor ihn schnell aus den Augen. Danny blieb geduldig in dem süß riechenden Lieschgras stehen. Er vermißte seine Psi-Fähigkeiten, obwohl sie ihm bisher nur Ärger bereitet hatten. Die Empfindung in direkter Verbindung mit den Grundstrukturen des seriellen Universums, 179
den vielfachen Schichtungen der Raum-Zeit zu stehen, hatte ihm Sicherheit gegeben, eine neue Art der Wirklichkeit. Es war aber auch nicht schlecht, wie sich Sean ausgedrückt hatte, geistig unsichtbar zu sein. Danny begann zu begreifen, welches Risiko es gewesen war, der GPF den Resonator zu überlassen. Seans Präkognition der Folgen hatte jedoch darauf hingewiesen, daß die GPF nicht in der Lage sein würde, das kleine Gerät zu nutzen. Danny wünschte sich sehnlichst, nur für einen Sekundenbruchteil den möglichen Ausgang dieser Ereignissequenz erstannen zu können – Sean war in dieser Hinsicht sehr vage geblieben. Es war lächerlich, nach all seinen Bemühungen um die volle Beherrschung seiner Psi-Kräfte jetzt in einer Situation zu sein, die ihm verbot, sie zu benutzen. Im Schatten des Gebäudes öffnete sich ein helles Rechteck, gegen das sich Seans schlanke Gestalt und eine untersetzte abzeichneten. Undeutliches Gemurmel war zu hören, der stämmige Mann im Eingang gestikulierte, dann trat er beiseite, und Sean ging hinein. Dann wurde das Licht wieder abgeschnitten. Danny rannte zu dem Punkt, den Sean ihm gezeigt hatte. Als er näher kam, sah er, warum er das Fenster nicht hatte erkennen können: es wurde von einem stählernen Rollladen verdeckt. Es waren jedoch ausreichend große Ritzen vorhanden, um hindurchsehen zu können. Danny erkannte denselben Raum, in dem er schon gewesen war und in dem der Obergangster und Tooey ihn befragt hatten. An dem großen Tisch saß diesmal nicht der Spielerchef, sondern ein kleiner Mann, mit einem Kranz spärlicher roter Haare, die eine kahle Stelle umgaben. Dieser Schädel sah sehr bekannt aus, aber der Mann wandte Danny den Rücken zu. Es war nicht die dichte weiße Mähne von Sir Lewis – und alle anderen GPF-Mitglieder, die Danny gesehen hatte, hatten eine Kapuze getragen. Wieder jemand, der seine Karten bisher nicht aufgedeckt hatte.
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Die Tür auf der anderen Zimmerseite öffnete sich, und Sean kam herein. Der stämmige Mann war bei ihm, aber er schien heilfroh, seine Begleitung loszuwerden. Der Mann am Tisch blickte auf. Sean lächelte. Seine Lippen bewegten sich. Danny preßte seine Stirn fest gegen das lackierte Metall und wurde mit gerade verständlichem Gemurmel belohnt. »Das ist eine erfreuliche Überraschung«, sagte Sean gerade. »Die Bruderschaft scheint verzweifelt zu sein.« »Die Bruderschaft weiß, was sie tut«, sagte der andere Mann. »Sprechen Sie, Hennessy, meine Z-Zeit ist kostbar.« »Nicht für mich«, erwiderte Sean. »Ihr haltet Dr. Todd hier fest. Wir wollen, daß er freigelassen wird.« »Wir w-wissen nichts über Ihren Dr. T-Todd. Sie wissen genausogut wie ich, d-daß wir n-nichts mit P-P-P-Parapsychologen zu tun haben. Wir haben schon vor langer Zeit entschieden, d-daß ein P-P-Programm gegen sie sie schn-n-nell ddavon überzeugen würde, d-daß sie auf der r-richti-gen Spur sind.« Das Stottern war unverkennbar. Danny sah sich im Zimmer nach dem dazugehörigen, unglaublich zerknüllten Hut um, jenem Hut, der seit Menschengedenken den Büro-Witzchen bei DeltaPublishing dient. Ja, da war er, an einem Kleiderständer neben der Tür. »Alle Ereignisse sind einmalig«, sagte Sean. »Todd ist hier. Glaubt ihr, ihr könntet das vor mir verbergen?« Der andere schwieg einen Augenblick. »Nein«, sagte er endlich. »Angenommen, T-Todd ist hier. Wollen Sie vorgeben, daß Sie ihn f-finden können?« »Nein«, erwiderte Sean überraschenderweise. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier anzutreffen. Das letzte, was ich von Ihnen hörte, war, daß Sie sich unter dem Bett versteckten, bis Sie sicher waren, daß Caiden nicht mehr ihm Spiel war. Ich erwartete, es mit Sir Lewis zu tun zu haben, der Todd in 181
irgendein leicht zu findendes Versteckt gebracht hätte. Ich zweifle nicht daran, daß sie den alten Mann in irgendeiner Serie verborgen haben, die ich erst in einer Million Jahre lokalisieren könnte. Ich denke nicht daran, meine Jugend damit zu verschwenden, daß ich mich durch die Kreuzzüge kämpfe oder neben Dschingis Khan reite, in der Hoffnung, Todd zu sehen.« »Das habe ich auch nicht angenommen«, sagte der Mann am Tisch sardonisch. »Sie w-werden ihn übrigens auch weder bei der Belagerung von Trebizond oder beim Anschlag von S-Sarajewo antreffen. Wollen Sie w-weiter-raten?« »Ich sagte, ich würde es nicht versuchen«, sagte Sean. »Schaffen Sie ihn her.« »Fall t-tot um.« Einen Augenblick lang glaubte Danny, Sean habe genau das getan. Er krümmte sich abrupt zusammen, fiel mit geschlossenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht seitlich um und verschwand hinter dem Tisch. Sein Widersacher stand triumphierend auf, aber er hatte sich erst halb erhoben, als der Tisch mit ihm hochkam und in der Luft hängenblieb. Darunter konnte Danny wieder Sean sehen. Er lag auf dem Teppich und drückte sich mit beiden Armen hoch. Den Kopf hielt er mit offensichtlicher Anstrengung aufrecht, als sei er plötzlich zu Blei geworden; die Sehnen im Nacken sprangen wie Kabel hervor. Seine Augen aber leuchteten und brannten, und ihr Blick schien sich direkt in den anderen Mann zu bohren. Der Tisch stieg höher, machte einen plötzlichen unvollendeten Schwank auf den Rotschopf zu, und drehte sich dann um die Längsachse, wodurch das Tintenfaß im Schoß des Rotschopfes landete. Der Rotschopf fluchte. Sean grinste, aber er schwitzte heftig. »Nana, Mall«, sagte er, »wenn Ihre gottesfürchtigen Verleger Sie jetzt hören könnten …« Der Tisch schwankte und begann sich langsam und schwerfällig auf Sean zuzubewegen. Der Rotschopf schlängelte sich dahinter heraus, es war wirklich Mall. Die Tinte hatte einen 182
großen Fleck auf seinem Hosenbein zurückgelassen, auch er schwitzte, aber es gab keinen Zweifel daran, daß er wußte, er würde gewinnen. Fieberhaft öffnete Danny den Resonator und baute dabei ein Elektronenfeld auf. Solange ESP völlig ausgeschaltet war, war es ihm unmöglich zu sagen, wie stark ein Feld sein mußte, mit dem man den Tisch beherrschen konnte. Übertrieb er es, so würde Mall sofort merken, daß Sean Hilfe hatte. Danny mußte sich ganz auf sein Glück verlassen. Sobald das Feld aktionsbereit war, drehte er eine Schraube, gerade weit genug, um eine telekinetische Projektion durchzulassen. Nichts schien zu geschehen. Noch immer standen sich die beiden Männer gegenüber und rangen um die Herrschaft über den schweren Tisch. Danny konnte sich nicht vorstellen, daß das Möbelstück so massiv war; er konnte die Masse nicht wahrnehmen, da das ihn umgebende Feld seine ESP-Kräfte genauso sicher blockierte wie die eines anderen, der nach ihm suchte, aber das von ihm erzeugte PK-Feld hätte ausgereicht, jedes normale Möbelstück mit größter Behendigkeit zu bewegen. Es gab nur eine Erklärung: Malls PK war riesig – größer als die Seans und Dannys zusammen. Nein, nicht ganz. Langsam bewegte sich der schwankende Tisch wieder auf Mall zu. Diesmal fiel die Lampe herunter, ihr Schirm löste sich, als sie auf den Teppich knallte, und rollte davon. Im grellen Lichtschein der nackten Glühbirne wirkten Sean und Mall wie aus Granit gehauen. Der Tisch trieb unerbittlich auf Mall zu und zwang ihn, zum Fenster zurückzuweichen. Wenn er gepackt werden konnte, sobald sein Rücken die Scheibe berührte … Danny zerrte vergebens an den Streben des Rolladens, die sich nicht rührten. »Ich wende nicht gern Gewalt an«, ächzte Sean. »Aber es war ein schwerer Fehler, zu versuchen, mich umzubringen, Mall. Beinahe so schwer wie der, Todd in einer Sigma-Folge 183
auszusetzen. Er ist in einer Sigma-Folge, Mall, denn nicht einmal Sie können ihn in die Vergangenheit zwingen, in irgendeine historische Serie. Sie haben ihn in irgendeiner möglichen Zukunft versteckt – und sie werden es bereuen – falls Sie am Leben bleiben …« »Beweisen Sie es«, keuchte Mall. »Gleich. Sie sind ein Witz von einem Psi-Mann, Mall. Als Sie Todd in eine Sigma-Folge brachten, haben Sie sich Ihr eigenes Grab geschaufelt. Wußten Sie nicht, daß er nahe daran ist, die Psi-Kräfte beherrschen zu lernen? Wußten Sie nicht, daß er nur so viel brauchte, wie Sie ihm gegeben haben, als Sie ihn aus seiner eigenen alltäglichen Serie herausnahmen? Wußten Sie nicht, daß Sie sterben müssen?« »Carter!« schrie Mall. »Aubrey! Elliott! Schaum! Carter!« Der Tisch schob sich weiter. Dannys blutende Finger glitten über das kalte Metall, aber diesmal gab der Rolladen nach. Malls Blicke schossen durch den Raum. Als er die heruntergefallene Lampe sah, schrie er heiser vor Triumph auf, gleichzeitig schoß der Tisch wie ein geometrisches Mastodon auf ihn zu. Er achtete nicht darauf – er blickte auf die Lampe. Die Glühbirne platzte. Ein dünner Keil elektrischer Energie zuckte durch die plötzliche Dunkelheit. Sean schrie auf. Mit dumpfem Knall fiel der Tisch zu Boden. Etwas strich an Danny vorbei, ganz leise, etwas, das er kannte und von dem er wußte, daß er ihm nie wieder begegnen würde. Dann war es fort, und Danny spürte, wie ihm Tränen über das Gesicht liefen. Sean … Sean … Plötzlich schob sich der Laden kreischend ein Stück nach oben; im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und der massige Schatten von Sir Lewis fiel zusammen mit dem Licht vom Gang in den Raum. Danny hob einen Fuß und trat die Scheibe ein. »Was, zur Hölle? Mall? Hast du ihn erwischt?«
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»Ich – ich g-glaube. Aber er lebt noch. Sein Feld ist noch immer im Tisch, und ich habe gehört, wie etwas d-durchs FFenster ging.« Danny knirschte mit den Zähnen und stellte den Resonator auf neutral zurück. »Ich bemerke kein PK-Feld.« »Jetzt ist es w-weg, vielleicht w-war es ein Rückstand. Paß aber auf. Er ist stark – mein Gott, ist er stark!« »Diese idealistischen Idioten verlassen sich zuviel auf sich selbst.« Selbst wenn er neunmal stärker gewesen wäre als du, wäre es doch idiotisch gewesen, es allein mit uns aufzunehmen.« Sir Lewis suchte mit dem Fuß im Dunkeln herum, bis er Sean traf. »Hier ist er. Kein einziger Gedanke in seinem Kopf. Er ist tot, Mall.« »Ich will ihn gar nicht tot; v-vielleicht ist er d-doch nur ohnmächtig. Ich habe ihm eine Nervenblockade verpaßt. Sieh zu, daß ihn einer der T-Teleporter hier heraus und ins Dämpfungsfeld schafft, dann sorge dafür, daß sich jemand um ihn kümmert. Wenn er stirbt, werden sich Taylor und der Rest dieser Bande auf uns stürzen.« »Und Caiden natürlich.« »Caiden ist t-tot. Wegen ihm brauchst du d-dir d-den Kopf nicht zerbrechen.« »Ich wäre mir da nicht so sicher«, sagte Lewis. »Vielleicht ist er gar nicht zu Hennessy gegangen.« »Wenn er überlebt hat, ist er zu Hennessy gegangen«, sagte Mall kühl. »Die Sequenz läßt n-nichts anderes zu. Und offensichtlich ist er nicht b-bei Hennessy. Das nächstemal, wwenn ihr eine Krise habt, v-verlaßt ihr euch auf m-meine VVoraussagen und bewältigt sie selbst.« »Ich bin noch nicht beruhigt«, murrte Sir Lewis. »Aber du bist der Prytanis hier. Wenn du sagst, Caiden ist tot, muß er wohl tot sein.« 185
Die beiden gingen hinaus. Danny wartete und wagte kaum zu atmen. Während des ganzen Gesprächs hatte sein Fuß durch die Scheibe geschaut, aber weder Sir Lewis noch Mall hatten zum Fenster geblickt. Bald darauf streckte ein langer, dürrer Schatten den Kopf durch die Tür. Seans Körper erhob sich, der Schatten verschwand, und Sean schwebte hinterher. Der Raum war verlassen. Vorsichtig zog Danny den Fuß zurück und klinkte das Fenster auf. Ein Stück Glas klirrte, und er erstarrte. Aber nichts rührte sich. Er kletterte ins Zimmer. Mall und Carter hatten gedacht, Sean lebe noch, weil sie Dannys Feld im Tisch spürten, aber auch wegen des Klirrens vom zerbrochenen Fenster; sie hatten sich aber nicht die Mühe gemacht, nachzusehen, ob Sean wirklich etwas hineinteleportiert hatte. Danny aber wußte Bescheid. Der Strom aus der geplatzten Birne hatte Sean getötet. Danny hatte das deutlich gespürt. Es war schnell gegangen. Er fragte sich, wie es für Sean gewesen sein mußte, Cy Nevers Tod zu spüren, der viel langsamer gewesen war … Plötzlich, während er im Dunkel stand, erkannte Danny, daß Sean mit diesem Ausgang gerechnet, ihn zumindest für möglich gehalten hatte; seine Abschiedsworte über den Trumpf, der noch ausgespielt werden mußte, konnten keinen anderen Sinn haben. Von dem Augenblick an, wo er sich anstatt Sir Lewis Mall gegenübersah, dessen unglaubliche PK-Kraft er wie jetzt auch Danny kannte, war ihm klargeworden, daß er selbst mit Dannys verspäteter Hilfe unterliegen mußte. Außerdem hatte er gewußt, daß Mall eine der Hauptfiguren der GPF war. Trotzdem war er in die ihm gestellte Falle gegangen, mit dem Wissen, daß er dem Mann unterliegen konnte, den er fast drei Jahre im gemeinsamen Redaktionsbüro verachtet – und beobachtet – hatte. 186
Wenn Sean tot war, dann war er in der Erwartung gestorben, daß Danny in der Lage war, Mall und die GPF aus eigener Kraft zu schlagen. Er hatte ihn als die entscheidende Trumpfkarte bezeichnet. Sollte er aber nicht tot sein – obwohl Danny wußte, daß er es war –, dann würde er erwarten, daß Danny Todd suchte, und keine Zeit damit verschwendete, zu versuchen, Sean aus einer Situation zu befreien, die er selbst gewählt hatte. Am wichtigsten aber war, daß er Danny mit den Mitteln ausgerüstet hatte, mit seiner Aufgabe fertig zu werden – wenn er diese Mittel richtig einsetzte. Bisher war der Resonator meist dazu verwandt worden, PsiKräfte zu unterdrücken, aber es war keine Frage, daß er sie auch gewaltig verstärken konnte – und dazu würde er gebraucht werden, bevor diese Nacht um war. Vorläufig aber würde Danny das Gerät auf die Weise nutzen, die ihm am vertrautesten war. Gerade in diesem Haus war es von allergrößtem Vorteil, geistig unsichtbar zu sein. Er spähte in den Flur, der leer war, obwohl hinter der gegenüberliegenden geschlossenen Tür Gemurmel hervordrang. Danny ging leise durch den Korridor und suchte nach der Treppe zur Dachkammer. Wo der Gang einen Bogen machte, stieß er auf die Stufen, genauso, wie er sie im Gedächtnis hatte. Nur, daß es viel zu viele Stufen waren. Sie waren verzerrt, als sehe man sie durch die Oberfläche einer Kugel, und schienen voneinander in allen Richtungen auseinanderzustreben. Von jeder Stufe führten Phantomtreppen spiralig ins Nichts, weiter oben gab es nur einen statischen, verschwommenen Dunst, in dem sich undeutlich zahllose Schatten und gewundene Flächen abzeichneten. Dort oben ging etwas Sonderbares vor; es sah nicht so aus, als könne man diese Stufen betreten und erwarten, oben anzukommen.
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Todd war dort oben. Die Frage war nur: Was war »dort oben«? Hier endlich war ein Gebiet, wo Erfahrung zählte: die Bruderschaft wußte genug über die Psi-Kräfte, um technische Tricks mit ihnen abzuziehen, während Danny, wie groß seine natürlichen Fähigkeiten auch sein mochten, immer noch ein Neuling war – und, da ihm das grundlegende technische Wissen eines Todd fehlte, weder über das Werkzeug noch über Anhaltspunkte zur Enträtselung des Geheimnisses verfügte. Aber halt, er konnte zumindest versuchen, sich Todds Verstand auszuleihen. Der Parapsychologe hatte herausgefunden, daß die der PK zugrunde liegende Gleichung mit einer in der Schulphysik längst bekannten Formel identisch war, mit der sogenannten Blackett-Gleichung, die Danny völlig unbekannt war, für die Wissenschaftler aber nicht im geringsten esoterisch. Und gegen Ende der Untersuchung hatte er dann nach einer Hauptformel geforscht, die sowohl PK als auch ESP abedecken sollte … Und die Blackett-Gleichung hatte einen Unsicherheitskoeffizienten enthalten … Unsicherheit – Unbestimmtheit – Unschärfe! Hastig kramte Danny in der Gerümpelkammer seiner Erinnerungen nach dem entsprechenden Material, von dem er sicher war, das es unter »Heisenberg-Unschärferelation« vorhanden war. Nach einer Sekunde hatte er es wieder zusammen mit der ganzen Seite aus Korzybskis Wissenschaft und Vernunft. Die Hauptformel lautete:
»wobei«, wie der eingeprägte Text erläuterte, »h für die Plancksche Konstante, q für den Ort und p für den Impuls steht, 1 bezeichnet die Matrixeinheit, π und i haben die übliche Bedeutung.« Das war ja großartig. Es schien mit Sicherheit nicht das geringste mit dem multiplen Treppenhaus vor Danny zu tun zu haben, aber so unverständlich es auch scheinen mochte, er hatte
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kein anderes Rüstzeug. Todd hatte ihm einmal gesagt, er habe einen guten Zugang zur Elementarphysik – jetzt war es an Danny, es zu beweisen; Entschlossen machte er sich ans Werk, und seine Gedanken kamen mühelos auf die Geschwindigkeit, die er zum erstenmal vor so langer Zeit in seiner Wohnung bemerkt hatte. Die linke Hälfte der Gleichung konnte er also außer acht lassen, da nur die rechte Seite wichtig war – die Formel war nicht umkehrbar. Das Symbol i stand für die Quadratwurzel aus minus eins, einen definierten numerischen Wert und also keine wirkliche Variable, dasselbe galt für π. Blieb also nur noch h, und dabei handelte es sich um eine Konstante – dort, auf der eingeprägten Buchseite, stand es genauso. Aber es war keine! Die Plancksche Konstante, so hatte er während seiner CollegeZeit gelernt, war das unveränderliche Element eines Quants, jenes einzelnen unteilbaren »Energiepakets«, mit dem das Universum zu funktionieren schien. In unserem Universum war es ein winziger Betrag, nur 0,000000000000000000000000000655 ErgSekunden, aber andererseits würde sich, falls diese grundlegende Konstante verändert wurde, das Energieniveau des gesamten Kosmos mit ihr ändern. Das also war der Zweck der zweiten Stellschraube des Resonators: sie konnte auf verschiedene Werte für h justiert werden. Im größerem Maßstab ergab das auch die Erklärung dafür, was die Bruderschaft mit der Treppe gemacht hatte. Sie hatte Variationen von h als Mittel benutzt um die Sequenzen des seriellen Universums zu trennen, deren Totalität die Hauptlinie ergab. Da die GPFler an den meisten Zwischensequenzen nicht interessiert waren, konnten sie die herausselektieren, in denen ihre Sache, ihre Rolle im Drehbuch des von Maria postulierten endlosen Films der Zeit besonders begünstigt war – und die begünstigste Sequenz würde das beste Versteck für Todd sein. Die Unterschiede im Quantenniveau zwischen diesen Universen
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würden bestimmt ziemlich groß sein, sicher groß genug, um von empfindlichen Instrumenten erfaßt werden zu können. Eine der Stimmen hinter der geschlossenen Tür wurde lauter und dringlicher. Danny konnte die Worte nicht verstehen, aber der Rhythmus der stockenden Silben identifizierte Mall. Plötzlich brüllte eine andere Stimme los, und ein Stuhl wurde gerückt. Allem Anschein nach hatte es eine Auseinandersetzung gegeben, die jetzt beendet wurde … Verzweiflung trieb ihn plötzlich über den Rand der unterdrückten Hysterie in eine Art Schock, in dem seine Gedanken schneller arbeiteten als je zuvor – mit einem unmenschlichen Mangel an Emotion allerdings, der kalt und erschreckend war. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf wie Buchstaben auf einer Magnetaufzeichnung, und nicht nur schnell, sondern unverhüllt, ungetrübt und rein. Ihm war völlig klar, daß der intuitive mathematische Sprung, den er eben vollzogen hatte, für einen Menschen ohne Übung eine intellektuelle Leistung hohen Grades war. Die Erkenntnis machte ihn nicht stolz oder froh – er war momentan unfähig, Stolz oder Freude zu empfinden. Er akzeptierte den Gedanken einfach nur. Auf die gleiche Weise wußte er kalt, daß er es nicht wagen durfte, die Treppe zu betreten, solange er nur das mathematische Konzept verstand. Ihm war völlig einsichtig, daß das Verständnis eines einzelnen mathematischen Konzepts nicht automatisch die Fähigkeit, es zu benutzen, nach sich zog. Es war zum Beispiel sehr einfach zu sagen, daß jede der vor ihm liegenden Stufen zu einem neuen Niveau des seriellen Universums führte, zu einem wo der Wert der Planckschen Konstante höher war als in dem Niveau, das ihm unmittelbar vorausging – aber er war nicht Wissenschaftler genug, um die praktischen Konsequenzen des Wechsels einschätzen oder vorhersagen zu können; genausowenig wie er die Konsequenzen, die er dort vorfand, wie immer sie auch aussehen mochten, würde richtig interpretieren können, um zu wissen, wie er nach der Ankunft vorgehen und wohin er sich wenden sollte. 190
Kurz gesagt, wenn er sich auf seine Eingebung verließ, würde er sich verirren. Und wenn er dort hinaufging und sich von einer falschen oder unvollständigen Analogie leiten ließ, würde er sich noch schneller verirren. Es wäre zum Beispiel ein Fehler, sich die Niveaus des seriellen Universums weiter als unabhängige, Parallelexistenzen vorzustellen; das war ein philosophischer Hirnverbrenner mit langer Tradition, und zwar einer, von dem Danny wußte, daß er keine Rechtfertigung in der physikalischen Realität hatte. Doch das Konzept von »Paralleluniversen« ähnelte in so vielen Punkten den tatsächlichen Umständen, daß es schwer war, sich nicht von ihm irreführen zu lassen. Es gab nur die eine Möglichkeit, sich so eng wie möglich an Marias Kinofilm-Analogie zu halten. Todd hatte sie ausdrücklich als »eine sehr gute Art«, sich das serielle Universum vorzustellen, bezeichnet, was so gewertet werden konnte, daß die Analogie den Tatsachen im wesentlichen nicht widersprach. Die einzig verbleibende Gefahr war die, daß sie unvollständig war. Sie mußte also vervollständigt werden – insoweit eine Analogie in Richtung auf die Wirklichkeit, für die sie stehen soll, vervollständigt werden kann. Man stelle sich den Zeitstrom in eine unbestimmte Zahl gleicher Segmente vor, wie ein Bandwurm – oder eben ein Filmstreifen. In nur einem solchen Streifen würden die Darsteller und Interieurs in jedem Einzelbild zweidimensional sein und nicht sehr real wirken. Jetzt lege man einen zweiten Streifen, der in dieselbe Richtung läuft, direkt auf den ersten. Darsteller und Interieurs in dem zweiten Streifen sind fast dieselben wie die in dem ersten, aber nicht völlig identisch. Auch sie sind zweidimensional und ziemlich unrealistisch. Jetzt wird ein dritter Streifen auf den Stapel gelegt, vom zweiten nur geringfügig, vom ersten schon deutlicher verschieden, gefolgt von einem vierten, einem fünften, sechsten … Jetzt blickt man gegen Licht durch die übereinanderliegenden Streifen auf ein Einzelbild einen einzigen Augenblick des 191
Zeitstroms, wie er in jedem Niveau des seriellen Universums existiert. Man erkennt kein einzelnes Bild, sondern eine Komposition. Die leicht verschiedenen, im einzelnen unwirklich und flach wirkenden Objekte und Darsteller ergänzen sich zu dreidimensionalen Eindrücken, die im dreidimensionalen Raum stehen, begrenzt durch die Ränder des Stapels von Filmstreifen. Die Kompositionen haben an den Charakteristika aller individuellen Bilder teil. Diese scheinbar solide Komposition repräsentierte die »wirkliche« Welt, den additiven Effekt aller Niveaus des seriellen Universums – die Sache, die Sean zur Unterscheidung von den mitwirkenden individuellen »Sequenzen« die »Hauptlinie« genannt hatte. Aber »Sequenz« oder Folge legt die Vorstellung von Zeit nahe, Zeit und Bewegung. In den aufgehäuften Filmstreifen gab es einen Fortschritt und einen Wechsel von Bild zu Bild. Hier lag das wirkliche Geheimnis, der eigentliche Kernpunkt des seriellen Universums – der Unterschied in der Zeit. Man drücke eine Hand ziemlich kräftig auf den Filmstapel. Dann bewege man die Hand einen Zentimeter vorwärts. Der oberste Streifen gleitet den vollen Zentimeter mit, der nächste etwas weniger und so weiter und so weiter. Der unterste Streifen bewegt sich vielleicht überhaupt nicht – aber wenn man wieder durch die aufeinandergelegten Streifen blickt, sieht man, daß die Diskrepanz zwischen den Bildern im obersten Streifen und denen im untersten bedeutend ist. Der Augenblick, der »jetzt« auf dem untersten Streifen gewesen ist, hat sich in dem obersten eine beträchtliche Strecke in der Zeit vorwärts bewegt. (Zu seiner großen Verärgerung unterbrach an diesem Punkt eine weitere aufblitzende Intuition Dannys Analogisieren. Vor zwei Jahren war er zufällig auf einen völlig unverständlichen Artikel des britischen Physikers J. B. S. Haidane gestoßen, der sich mit einer Theorie Nicht-Einsteinscher Relativität befaßte, die eine permanente Zunahme des Energie-Niveaus des gesamten Universums postulierte. Danny hatte sich kaum das Verschieben 192
der aufeinandergelegten Filmstreifen vorgestellt, als ihm Haldanes vorher so dunkles, schwer verständliches Konzept – er erinnerte sich nicht, daß Haidane in Wirklichkeit die Idee eines anderen erklärte, was ihm auch egal gewesen wäre – einfiel und als das natürlichste und unumstößlichste aller Naturgesetze erschien.) Was nun hatte die Bruderschaft getan? Sie hatte die Filmstreifen voneinander getrennt. Auf jener schimmernden Treppe gab es keine »Hauptlinie«, keine Anhäufung von Filmstreifen, die sich zu einer zusammengesetzten Wirklichkeit ergänzten. Statt dessen hatte jeder Streifen seine eigene unabhängige Existenz, wobei alle geringfügigen Unterschiede sich unabhängig behaupteten, so als wäre jeder Streifen seine eigene »Hauptlinie«. Jedesmal, wenn Danny eine neue Stufe betrat, würde er auch eine neue Welt betreten, die nicht unwirklich, aber auch nicht wirklich war, sondern einfach eine fast fiktive Welt, die nur durch die Verbindung mit ihren halbwahren Geschwistern wahr werden konnte. Und … er würde sich in der Zeit vorwärts bewegen. Jede neue Halb-Weit würde sich etwas weiter in der Zukunft befinden, als die vorangegangene. Wieviel dieses »etwas« sein mochte – Sekunden oder Jahrhunderte –, davon hatte er keine Vorstellung, aber größere Sprünge schienen wahrscheinlicher. In der normalen Raum-Zeit sind eine Sekunde und 299792 Kilometer äquivalente Distanzen, und es gab keinen Grund zu der Annahme, daß »leichte« Veränderungen in einem so grundlegenden Faktor wie dem Energieniveau eines Kosmos in weniger spektakulären Größenordnungen ablaufen würden. So verhielt es sich also damit, aber das zu wissen, ließ das Erklimmen jener Stufen noch undenkbarer, noch gefährlicher erscheinen. Alle die Sequenzen, in denen die GPF einen Vorteil hatte, bargen offensichtliche Gefahren – aber bedeutender war noch, daß je höher man sich von Sequenz zu Sequenz begab, desto weiter entfernte man sich von der Hauptlinie der Wahrscheinlichkeit; je näher Danny also seinem Ziel kam, desto 193
möglicher wurde es, daß er sich bei dem ersten falschen Schritt in irgendeiner Welt des »Wenn« abgeschnitten fand, die er nie mehr verlassen konnte … Und doch, der Resonator müßte helfen können. Falls er die erste Stellschraube in neutraler Position beließ und seinen Verstand damit auf ein einzelnes »Bild« begrenzte, würde die Möglichkeit, daß er beim Schritt von Sequenz zu Sequenz in die Irre ging, auf ein Minimum reduziert, und diese Einstellung würde dazu beitragen, die in der Nähe liegenden Sequenzen auszublenden, die nur Übergänge zwischen denjenigen waren, in denen Todd versteckt sein konnte. Eine vorsichtige Justierung der zweiten Schraube sollte seinen Geist weit genug entlang der Planck-Achse ausdehnen, um ihm den Kurs von Niveau zu Niveau zu zeigen … Eine Tür öffnete sich hinter ihm. Die Stimmen kamen aus dem Raum, lauter jetzt, aber immer noch verzerrt. Danny zog eine Grimasse. Er hatte keine Wahl. Er nahm den Resonator heraus und drehte die zweite Schraube. Die Treppe schien sich zu kräuseln. »Oh, Gott … Carter, Carter! Komm raus da, hierher – es ist Caiden, und er wird die Sigma-Sequenz angehen …
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XV Sechsmal die Zukunft Danny hörte etwas, achtete aber nicht darauf. Seine Konzentration war ganz auf den Resonator gerichtet. Langsam, fast unmerklich drehte er die zweite Stellschraube. Mehr als die Hälfte der Phantomtreppen waren bereits zu bloßen Spuren ihrer selbst verdunstet. Von den sichtbar verbliebenen waren sechs fest und verlangten danach, betreten zu werden. Er drehte die Stellschraube ein kleines bißchen, ein sehr kleines bißchen weiter. »Schlag ihm das Ding aus der Hand …« »Kann ich nicht, es rührt sich nicht. Irgendwie ist es an ein Niveaubild fixiert. Carter, du unglaublicher Narr, du hast ihm den Apparat gegeben …« »Auf deinen Befehl. Verbrennen wir ihn also, schnell … wo zum Teufel steckt Schaum …« Das war schlecht – jetzt hatte er um die zwanzig Treppen. Er drehte die Stellschraube zurück, jetzt waren es wieder sechs Treppen. Dann waren es also sechs. Eine von ihnen führte zu Todd. »Keine Zeit mehr … auf ihn …« Danny machte den ersten Schritt.
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Eins Die Stufen verschwanden. Ebenso das Haus und mit ihm die Dunkelheit des Korridors. Danny stand allein auf der Wiese. Aber selbst die Wiese hatte sich verändert. Dort wuchs kein Lieschgras mehr. Das Gelände war uneben und übersäht von Stoppeln. Es war eisig kalt, und bis auf einige monströse im Wind wehende Halme, von solch immensem Wuchs, daß es schwer war zu glauben, sie seien jemals Gras gewesen, war die Gegend kahl. Einige wenige um Danny verstreute Steine zeigten ihm, wo das Haus sein sollte – oder wo es gestanden hatte, bevor irgend etwas mit ihm geschehen war. Es lag immer noch der Geruch von Lieschgras in der Luft, aber er war viel zu stark – der beißende Gestank verrotteter Pflanzen. Hinter den Ruinen des Hauses erhob sich ein kahler Wald toter Bäume, deren Rinde sich skrofulös von den abgestorbenen Stämmen pellte. Viele von ihnen waren umgestürzt und faulten, obwohl es keinen sichtbaren Grund gab, warum so junge Bäume umstürzen sollten, auch nicht im Winter. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Im Norden, wo die Stadt hätte sein sollen, war nur wirbelnder Nebel. Ein schwarzer Vogel, einer Krähe ähnlich, aber viel größer, zog Kreis um Kreis in dem eisigen, naßkalten Wind. Er sah Danny und schrie laut, durchdringend. Das Echo hallte über dem Moor wieder. Kraah … Kraah. Kein anderer Laut. Keine raschelnden Blätter, kein Summen von Insekten, nichts, überhaupt nichts, bis auf den Schrei des Vogels und ab und zu ein Knarren von Ästen. Verwirrt wandte Danny sich wieder zum Haus um. Ein Teil der Treppe stand noch und fast der ganze Schornstein. Der Rest der 197
Steine lag verstreut in den toten Stoppeln, als sei das Haus von innen heraus vor Jahren explodiert und seitdem nie mehr besucht worden. Kraah … Kraah. Probeweise versuchte Danny, ein telepathisches Indiz dafür zu finden, daß hier noch irgend etwas lebte. Es kam nichts durch. Das Fehlen von Insektengeräuschen war real. Die Landschaft war tot, zerstört. Er griff nach dem Vogel … Viele lange Augenblicke später wurde ihm klar, daß er nichts mehr im Magen hatte, das er herausbefördern konnte, aber er würgte immer noch. Er schüttelte sich vor Entsetzen. Er wußte, daß der Vogel tiefer und tiefer kreiste, seine Schwäche beobachtete und in Erwartung seiner Augen probeweise mit dem Schnabel kaute; aber Danny war unfähig, die Erinnerungen an diesen kurzen Kontakt zu verbannen. Der Vogel war intelligent, fast so intelligent wie ein Hund. Er war hungrig. Er hatte seit Tagen nicht gefressen und seit Monaten keinen Menschen mehr zerfleischt … Danny hustete und richtete sich auf. Wachsam, aber nicht im geringsten beunruhigt, kreiste der schwarze Vogel wieder in den Himmel, um zu warten. Kraah … Kraah. Hier gab es kein Leben außer Danny und dem heiseren, schwarzen Vogel. Selbst der Vogel wußte das. Das hereingebrochene Verhängnis hatte nicht nur das Haus, sondern die ganze Welt getroffen. Ob es eine Seuche oder ein Krieg gewesen war, wußte Danny nicht und auch der Vogel nicht. Aber den kümmerte es auch nicht, er wollte Dannys Augen. Es war lange her, daß der Vogel eine Kreatur gefunden hatte, die dumm genug war, in den Himmel zu blicken, wenn er rief … Danny blickte schluckend nach unten. Er war überall von Stoppeln umgeben, obwohl er immer noch in dem stand, was die Eingangshalle des Hauses sein sollte. Die zerbröckelnden Stufen
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lagen immer noch vor ihm, obwohl er bereits eine betreten hatte – in der Sequenz, in die er gehörte. Natürlich. Die war nur eine in der unendlichen Zahl einander überlappender Sequenzen, deren Totalität die wirkliche Welt bildete. Sie war weder unreal noch mehr als nur teilweise real. Jeden Bruchteil eines Augenblicks begannen neue Sequenzen. Eine von ihnen, so hatte Sean gesagt, erlaubte der GPF die volle Kontrolle über die Zukunft, falls man hinnahm, daß sie wahr wurde – falls man hinnahm, daß sie sich der Hauptlinie näherte. Diese Sequenz würde es sein, in der Todd versteckt war, denn die GPF würde hoffen, daß Seans Mitstreiter gezwungen sein würden, diese Sequenz Wirklichkeit werden zu lassen, um Todd zurückzubekommen – und natürlich war die Sequenz, die die GPF total unter Kontrolle hatte, der sicherste Platz für einen Gefangenen. Danny hatte die Stufen in die erste der für die GPF günstigen Sequenzen betreten. Aus diesem Grund schien die Treppe vor ihm unbetreten zu sein; die erste Stufe, auf die er gestiegen war, existiert hier nicht, weil er sie bereits hinter sich gelassen hatte; sie gehörte nicht zu dieser Sequenz, sondern zu der, die Danny bereits hinter sich gelassen hatte. Kraah … Kraah … Danny blickte sich grimmig um. Das also war das wahrscheinlichste Ergebnis der GPF-Manipulationen! Eine verwüstete Welt, verbrannt und gemordet, bis auf einen heiseren schwarzen Vogel, den letzten seiner Art … eine Welt, in der nicht einmal ein einziges menschliches Wesen für einen Augenblick verborgen werden konnte, ganz zu schweigen von Todd. Das war kein gutes Omen. Kraah … Danny blickte auf, um zu sehen, wo die zerfallene Treppe abbrach. Dahinter lag nur der graue Himmel; aber sie war selbst ein Hinweis darauf, daß er noch nicht weit genug gegangen war… 199
Kraah, kraah! Das gewaltige schwarze Ding, bösartig, mit angelegten Flügeln und nadelscharfer Spitze stürzte auf sein Gesicht zu, sein kleiner Verstand schrie vor triumphierender Verschlagenheit. Danny schlug den Arm vor die Augen und stolperte ekelerfüllt auf die nächste Stufe …
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Zwei Einen Augenblick lang glaubte er, er sei ins Leere getreten. Der graue Himmel existierte immer noch und wirbelte um ihn herum. Er tastete wild nach einem Halt und fand nichts; er fiel und … Eine starke Hand ergriff seinen Unterarm, und eine andere legte seine eigene fest auf etwas Rundes, metallisch Kaltes. »Langsam, Alter. Der Wind ist schlimm hier oben – du mußt dich am Geländer festhalten, oder du wirst runtergeweht.« Die Stimme klang beruhigend und freundlich. Nach und nach gelang es Danny, sich von seinem Schwindel zu befreien. Selbst so war es schwer, etwas in Sichtweite zu finden, das ihm sicheren Halt gab. Er begann mit dem Geländer, das einfach nur eine schimmernde Röhre war, die zu beiden Seiten in einem Bogen davonstrebte und einen Kreis beschrieb, der kaum groß genug schien, drei Männer zu beherbergen. Es selbst wiederum umgab eine winzige Metallplattform, die in siebzig Meter Höhe auf einem einzelnen Rohr aus Metall hin und her schwankte. Als er sah, wo der Boden war, und als ihm klar wurde wie klein das Ziel seines zweiten Schritts gewesen war, wurde ihm wieder ganz schwindlig, und er ließ fast den Resonator fallen, als er wieder nach einem festen Griff am Plattformgeländer suchte. »Nur festhalten. Man gewöhnt sich dran.« Der Mann neben ihm ließ ihn vorsichtig los. Danny drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Es war Sean. Oder nein, es war nur teilweise Sean, eine gröbere Version des Trumpf-Königs, die nichts von den vielfältigen Verzweigungen des Universums wußte, die Seans Lebensinhalt gewesen waren. Aber die Ähnlichkeit war zu deutlich, um übersehen zu werden. Unter ihnen befand sich ein Feldlager, das sich kilometerweit in alle Richtungen ausbreitete; winzige Männer hasteten hin und 202
her. Die Hälfte des Waldes – der sehr viel größer und höher wirkte – war zum Bau primitiver Baracken abgeholzt worden. Im Norden war immer noch die Stadt erkennbar, obwohl ihre Silhouette irgendwie nicht stimmte; es befanden sich mehrere hohe Gebäude darunter, die in Dannys Welt nicht dazugehörten. Eine gelichtete Fläche im Süden war noch auffälliger: dort lagen zehn identische Projektile wie schimmernde Metallfische auf einem Gewirr von Trägern, ein elftes stand, von einem Portalkran gestützt, auf seinen Schwanzflossen. Die Plattform schwankte im Wind wie eine Tulpe. Der Mann, der wie Sean aussah, nahm sein Gewehr auf die andere Schulter. »Alles klar, jetzt?« fragte er. Danny nickte benommen. »Ich habe dich nicht kommen sehen, sonst wäre ich auf dich vorbereitet gewesen. Diese Teleporter kümmert es verdammt wenig, wie einem Mann zumute ist, den sie siebzig Meter in die Luft schleudern. Plötzlich warst du einfach da.« »Danke«, sagte Danny. »Mir war schwindlig.« »Klar. Das haut einen immer so um beim ersten Mal. Ich bleib noch 'ne Weile da, bis du dich daran gewöhnt hast.« Danny sah den Soldaten fragend an. »Ich bin deine Ablösung, oder?« »Klar, aber ich habe es nicht eilig. Ich weiß, wie es ist, wenn man das erste Mal zur Wache abkommandiert wird. Ist noch gar nicht so lange her, da ging es mir genauso. Mach dir keine Gedanken um mich, ich schrei nach einem Teleporter, wenn ich es will. Wo ist dein Gewehr?« »Ich weiß nicht. Ich muß es wohl fallen gelassen haben.« »Das ist unmöglich. Sie müssen vergessen haben, es mit dir raufzuschicken. Sie werden mit jedem Tag nachlässiger. Ich bin Sean Hennessy, wie heißt du?« »Danny Caiden.«
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»Hmm. Kommt mir vor, als … nein, ich glaube nicht.« Der Soldat lehnte sich an das Geländer, blickte nach unten auf die Lichtung und rückte sein Gewehr zurecht. »Sieh sie dir an«, sagte er. »Was für ein nett verpacktes Höllenzeug. Carrick sagt, daß sie heute abend fünf davon abschießen werden, aber ich glaube, daß ist nur wieder eine Latrinenparole. Hast du was gehört?« »Nein, gar nichts«, antwortete Danny wahrheitsgemäß. »Ich auch nicht. Verdammt, ist es kalt hier oben.« »Ich bin jetzt in Ordnung. Warum läßt du dich nicht…« Irgend etwas raste mit der Lärmentfaltung millionenfach verstärkter Trillerpfeifen durch den grauen Himmel. Es bewegte sich zu schnell, um erkennbar zu sein, aber aus dem Geräusch schloß Danny, daß es bereits lange verschwunden war, bevor er es gehört hatte. »Die da ist nicht für uns«, sagte der Mann, der wie Sean aussah, beiläufig. Weißt du, Danny, manchmal wünsche ich mir doch, ich wäre bei den Teletruppen. Zumindest, habe ich gehört, werden sie dort nie zur Wache abkommandiert.« »Ich glaube nicht, daß es mir gefallen würde«, sagte Danny. »Vielleicht nicht. Trotzdem muß ich immer wieder lachen, wenn ich daran denke, wie sehr sich die Experten mal wieder geirrt haben. Durch Atombomben und das ganze andere Zeug war die Infanterie angeblich überholt. Dann kam diese Teleportationssache und peng! Die Infanterie steht wieder an der Spitze und wird wie die Telegramme in der Welt rumgeschickt.« Plötzlich wurde alles klar. Auf der Hauptlinie war die GPF ein wesentlicher Faktor im Waffengeschäft. In einer Sequenz, wo sie die Teleportation nicht mehr geheimhalten konnte, würde die GPF noch entschiedener daran arbeiten, die Welt in einem permanenten Kriegs- oder Fast-Kriegszustand zu halten, soweit es in der Macht der Bruderschaft lag. Diese Sequenz lag eindeutig näher an der von der GPF bevorzugten, diejenige, in der Todd versteckt war. Aber sie war immer noch weit davon entfernt, denn es war absolut sicher, daß 204
in dieser bevorzugten Sequenz die breite Öffentlichkeit nichts über die Psi-Kräfte wissen würde. Damit war die Sache klar. Er mußte weiter. Vorsichtig – die Erinnerung an den heiseren schwarzen Vogel war immer noch schrecklich lebendig – sah er nach oben. Wie bestieg man leere Luft? Er war bereits so hoch wie er konnte. Nein, nicht ganz. Da war immer noch das Geländer. »Oh, oh«, sagte der Mann, der wie Sean aussah. »Da ist irgendwas los. Hoffentlich nicht das, was ich vermute. Sieh sie dir an.« Ein Schwarm winziger Männer war aus den Baracken gedrungen und verschwand eilig im Wald, während Danny zusah. Auf der Lichtung flohen andere winzige Männer wild von den schimmernden Torpedos. Es war, als habe das gesamte Camp plötzlich den Befehl zur Demonstration einer organisierten Panik erhalten. In der Ferne heulte eine Sirene. »Höllen-Bombe«, sagte der wie Sean aussehende Mann völlig ruhig. »Weiß gar nicht, warum die noch rennen. Die ESP-Wache hat bisher noch nie falschen Alarm gegeben. Mach's gut, Danny.« Verzweifelt setzte Danny einen Fuß auf das Geländer. »He!« rief der Mann, der wie Sean aussah. »Du verrückter Kerl, du bist doch sowieso gleich …« Danny warf sich nach oben und trat in die leere Luft.
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Drei Die Stimme des Soldaten schwieg abrupt. Summendes Halbdunkel hüllte Danny ein. Sein nächster Schritt traf sofort auf eine feste Oberfläche, und nach nur zwei oder drei weiteren Schritten hatte er sein Gleichgewicht wiedergefunden. Das Lager war verschwunden – sowohl aus Dannys Umgebung als jetzt auch aus seiner eigenen Sequenz, ausgelöscht zusammen mit allem anderen in einem Umkreis von sechzig Kilometern. Der Umstand, daß es nur teilweise real war, hielt Danny nicht davon ab, einen ganz und gar realen Haß für die GPF zu empfinden. Diese Männer waren für sich selbst real gewesen und nicht begieriger darauf, en masse durch eine Wasserstoffbombe zu sterben, als irgendein Mann auf der Hauptlinie. Alles, wobei die GPF ihre Hand im Spiel hatte, bedeutete Leid. Das war eine Tatsache, die ihn ab jetzt begleiten würde und an die er denken würde, wenn er wieder auf die GPF stieß. Er sah sich um. Hoch über seinem Kopf erhob sich ein gewölbtes Dach auf sanft geschwungenen, graziösen Pfeilern aus dunklem Metall. Die Kuppel überdachte etwas Gewaltiges, Dunkles und vor Kraft Pulsierendes – eine große rätselhafte Masse, die etwa fünfzig Meter entfernt auf dem Boden ruhte. Das Gebäude selbst schien so groß zu sein wie ein Zeppelin-Hangar und war auch ähnlich konstruiert; die schwarze Masse aber war kein Zeppelin und auch nichts anderes, das ihm irgendwie vertraut schien. Die gewölbten Seitenwände des Hangars wurden in regelmäßigen Abständen von hohen, schmalen Fenstern unterbrochen. Durch sie sah Danny Sonnenlicht und die nadelscharfen Spitzen der entfernten Stadt, wieder vertraut und gleichzeitig verändert – hier waren sie sowohl anmutiger als auch graziler. Auf dem Boden, der wirklich nur aus Erde und nichts anderem zu bestehen
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schien, erstreckten sich lange, unterbrochene Spuren wie die von Raupenfahrzeugen. Was sie, wie Danny sofort entdeckte, tatsächlich waren. Menschen befanden sich keine in dem Hangar. Die pulsierende schwarze Maschine wurde von anderen Maschinen gewartet, die schweren LKW ohne Fahrerhäuser, Kotflügel, Stoßstangen oder Scheinwerfer glichen, dafür aber mit gewandten und komplizierten Metallarmen ausgestattet waren, die, wenn sie nicht gebraucht wurden, heuschreckengleich gekreuzt vor einem kühlerähnlichen Gebilde gehalten wurden. Sie waren fast nicht zu hören und bewegten sich zielbewußt und mit offensichtlicher Intelligenz. Sie waren die bei weitem faszinierendsten Mechanismen, die Danny je gesehen hatte – und sie ähnelten natürlich den Hollywood-Versionen von Robotern nicht im geringsten. Eine von ihnen glitt lautlos hinter Danny nach vorn und wollte an ihm vorbei. Er beobachtete sie und fragte sich, ob er Angst haben sollte. Die Maschine schien unter einer vergleichbaren Unentschlossenheit zu leiden. Sie hielt an, wies in Dannys Richtung, der vielgliedrige Aufbau aber weiter in die ursprüngliche Richtung, als könne sie sich nicht entschließen, ob sie sich umwenden oder weiterfahren,sollte. Dann bewegten sich die Raupen langsam rückwärts, der Roboter wich in neuer Richtung zurück, und fuhr dann wieder vorwärts. Sein Vorderteil »sah« immer noch nicht direkt auf Danny, als er anhielt, und Danny wurde klar, daß es für die Maschine keinen Grund gab, mit dem Vorderteil zu sehen. Sie hatte sich einfach nur in eine Position gebracht, die es ihr erlaubte, sich mit einem Minimum an Energieaufwand in jede Richtung zu bewegen. »Du bist hier in Gefahr«, sagte der Roboter. Seine Stimme war weder blechern noch ausdruckslos; einfach nur nüchtern. »Es ist Menschen verboten, das Werk zu betreten. Die Strahlung ist schädlich.«
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»Tut mir leid«, sagte Danny. »Das wußte ich nicht.« »Du solltest umkehren, falls du ein Mensch bist«, fuhr der Roboter fort. »Du scheinst jedoch keiner zu sein. Dein Gehirn ist ein neuer Typ für mich. Haben die Gehirnbauer beschlossen, die Psi-Mechanismen wegzulassen? Eine solche Entscheidung ist in der Matrix-Maschine nicht gespeichert.« »Nein«, sagte Danny. »Ich bin ein Mensch. Ich bin abgeschirmt, das ist alles. Offensichtlich hast auch du hier Zugang zu Psi-Informationen.« »Selbstverständlich, seit Jahren, das weiß jeder. Ich selbst habe keine zehn Tage nach meiner Fertigstellung mit dem größten Parapsychologen von allen gesprochen. Das ist eine Quelle tiefer Befriedigung – nicht jeder Roboter kann sagen, daß er mit Todd gesprochen hat.« Danny zuckte zusammen. Todd hier? Halt, einen Moment – hier war irgend etwas eindeutig falsch. Diese Sequenz war meilenweit von dem entfernt, was die GPF in Gang setzen würde. Erstens einmal schien sie sowohl friedlich, wohlhabend und blühend, und zweitens waren Psi-Kräfte Gemeineigentum. »Ja, das habe ich wirklich«, sagte die Maschine mit einem Hauch argwöhnischer Verdrießlichkeit in der Stimme. »Wirklich und wahrhaftig. Ich war direkt mit seinem Schrein in der MatrixMaschine verbunden, und er hat mich selbst instruiert. Natürlich war das nicht seine eigene Entscheidung, aber ich fühlte mich geehrt, Kontakt mit ihm gehabt zu haben; es ist sehr selten, daß es einer Entität erlaubt wird, mit den Schreinen in Kontakt zu treten.« »Ich verstehe«, sagte Danny und fürchtete, daß dem so war. Es gab immer wieder Überlagerungen zwischen den Sequenzen. In dieser gab es einen Todd, genau wie es in der vorherigen einen Sean gegeben hatte – oder eine Art Sean. Wahrscheinlich gab es auch eine Art Danny Caiden in ihr. »Könnte ich mit Todd reden?«
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»Nein«, erwiderte die Maschine. Sie klang brüskiert. »Außer den Brüdern darf kein Mensch mit Todd oder einem anderen der Parapsychologen reden. Nur den Maschinen ist es erlaubt, die Schreine zu kontaktieren – und dann auch nur zur Instruktion.« Ein wohltätiger Despotismus also – genau das, was die GPF ins Leben rufen würde, wenn sie eine große Bevölkerung davon überzeugen mußte, daß ihre Motive lauter waren. Aus GPF-Sicht aber immer noch nicht das Optimale, denn es beinhaltete eine Menge von Kompromissen mit den Vorstellungen anderer Leute über das, was Wohltätigkeit und Gemeinnutz ausmachte – die Maschine vor ihm zum Beispiel zeigte offensichtlich ein Verhalten toleranter Sorge um das Wohlergehen menschlicher Wesen; nur daß Parapsychologen und andere gefährliche Menschen lebendig begraben und als hilflose und normalerweise wahrscheinlich bewußtseinslose Komponenten in Computern als Bestandteile eines zentralen Informationssystems integriert wurden, zeigte eindeutig die unverfälschte Handschrift der Bruderschaft. Aber die GPF würde es vorziehen, keine Kompromisse schließen zu müssen, genauso wie sie diese Art von scheinbarem Gemeinnutz einer völlig verwüsteten Welt vorziehen würde – oder einer Welt, die von Augenblick zu Augenblick Gefahr lief, verwüstet zu werden, und vor allem anderen würde sie jedem Arrangement gegenüber, das anderen als den Brüdern, PsiWissen zugestand, die völlige Anonymität vorziehen. Danny empfand ein eigenartiges schmerzliches Bedauern. Selbst unter der GPF hatte diese Sequenz ihre positiven Seiten. Zu der fein differenzierenden und moralischen Intelligenz des Roboters gab es unter den verständnislos destruktiven NichtPersönlichkeiten selbst der fortgeschrittensten Maschinen der Hauptlinie nichts Vergleichbares; er bedauerte ein wenig, daß, falls es ihm gelingen sollte, den höchsten Punkt dieser höllischen Kletterpartie zu erreichen, so eine Maschine kaum in der wirklichen Zukunft auftauchen würde.
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Und doch – es konnte sein. Keine der Sequenzen war völlig unwirklich, und diese lag vergleichsweise nahe an der Hauptlinie. Der Roboter hatte eine Überlebensschance in der immer-nochmöglichen Zukunft, selbst wenn die GPF mit Stumpf und Stiel vernichtet wurde. »Also«, sagte Danny, »ich muß jetzt weiter. Vielen Dank für deine Liebenswürdigkeit. Ich muß auf eine Stufe treten, macht es dir was aus, wenn ich auf deine Raupe steige?« »Bewegst du dich in einer Sigma-Sequenz?« fragte die Maschine. »Das erklärt deine Anwesenheit hier; ich war nicht in der Lage, sie mit meinen anderen Daten in Einklang zu bringen. Es tut mir leid, das zu hören – einige von uns haben angenommen, daß wir keinen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad haben, aber es war immer noch möglich, daran zu zweifeln.« »Es ist immer noch möglich«, sagte Danny warm. »Ich bin von der Hauptlinie, und ihr seid ziemlich nahe. Soviel ich gesehen habe, werdet ihr in der wirklichen Zukunft überleben. Das heißt, solange ich nicht irgendwo entlang der Linie aufgehalten werde, dann gebe ich euch keine große Chance.« »Das weiß ich«, sagte die Maschine gelassen. »Ich habe Befehl, jeden zu vernichten, der in Verfolgung einer SigmaSequenz hier auftaucht. Ich habe das hinausgezögert, weil mir scheint, daß das, was du über unser Überleben gesagt hast, zutrifft. Ich werde es weiter hinauszögern, bis du entkommen bist; aber ich gebe dir den Rat, das nächste Quantenniveau nicht zu betreten. Es gibt dort keine Erde.« »Keine Erde!« »Keine«, sagte die Maschine. »Sie wird verdampft sein. Eine vorzeitige Explosion einer Kohlenstoff-Zyklus-Bombe, die von den Brüdern getestet wurde – oder getestet wird –, um einer anwachsenden Untergrundbewegung von Psi-Menschen zu begegnen, die den weltweiten Kerker bedroht, den sie dort errichtet haben. Es gibt dort auch kein Sonnensystem mehr, da die Schockwelle der Erdexplosion die Sonne zur Nova werden
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ließ. Es gibt dort nichts außer einer sich ausdehnenden Wolke kochenden Gases, ähnlich dem Crab-Nebel.« »Mein Gott«, sagte Danny, ihm war wieder schlecht. »Was kann ich jetzt tun? Ich muß wieder zurück – und jetzt, wo ich denke, weiß ich nicht einmal, wie ich das machen soll? Kannst du mir nicht helfen?« »Nein«, sagte die Maschine. »Ich verletzte bereits meine Befehle, indem ich es unterlasse, dich zu töten. Aber es ist nicht nötig, von Sequenz zu Sequenz körperlich einen Schritt nach oben zu machen. Falls du das tust, wirst du in der Nebel-Sequenz materialisieren. Kannst du dich nicht selbst über die Lücke teleportieren?« »Kann ich nicht riskieren«, sagte Danny und rieb sich erregt die Stirn. »Man würde mich entdecken.« Schweigend und bewegungslos stand die Maschine in der summenden Halle. Wenn sie nicht sprach, fiel es Danny schwer, an ihre Intelligenz zu glauben. Schließlich sagte sie: »Es ist mir auch verboten, Psi-Funktionen außer zur Bedienung der Matrix-Maschine zu benutzen. Du allerdings bist außerhalb der Matrix-Serie definiert, die hier herrscht, und kannst daher nur ein Störfaktor sein. Ich werde dich daher entfernen. Ich erstanne, daß sie mich dafür verschrotten werden, denn die Begründung ist sehr lückenhaft, aber um unserer Teilhabe an der Zukunft wegen, wie klein sie auch sein mag …« Danny blieb keine Zeit mehr, den Vorschlag des Roboters zu analysieren, und schon gar nicht, ob er entfernt werden sollte oder nicht. Obwohl der Roboter sich nicht bewegte, verschwand der große Hangar.
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Vier
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Fünf Zehn Zentimeter vor seiner Nase hing ein glitzerndes Gespinst. Mehr konnte er nicht erkennen. Er versuchte sich zu bewegen, aber das Geflecht wallte nur sanft, gab ein wenig nach und hielt ihn insgesamt genau dort, wo er war. Es erlaubte ihm, nach unten zu sehen, aber nur so weit, um zu erkennen, daß das leuchtende Netz seinen ganzen Körper wie ein feuriger Kokon umgab. Es gab soweit nach, daß er atmen konnte – und das war alles. Eine rauhe Stimme sagte: »Hab' ich dich!« Danny zappelte, aber es nützte nichts. Der Besitzer der Stimme wartete ziemlich lange, bis er sich dessen sicher war. Dann, ganz langsam, wurde das glühende immaterielle Geflecht etwas blasser. Danny rührte sich nicht. Schließlich schien der Besitzer der Stimme zufrieden. Das Leuchten wurde zunehmend schwächer, das Geflecht zerfloß und schien zu verdunsten. Am Ende war es spurlos verschwunden. Ein hochgewachsener Mann mit Hakennase und einem Schopf wirrer schwarzblauer Haare lehnte sich auf einen Tisch, der Danny an der anderen Seite eines kleinen niedrigen Raumes gegenüberstand. Er hielt ein pistolenähnliches Objekt in der Hand, auf das ein kleiner quadratischer Spiegel mit einem Fadenkreuz montiert war. In dem Spiegel konnte Danny seinen eigenen Nasenrücken entdecken. Der Schnittpunkt des Fadenkreuzes lag genau zwischen den Augen seines Spiegelbildes. Aber der große Mann schien nicht erfreut zu sein. Der Triumph auf seinem Gesicht machte langsam erschreckter Verblüffung Platz. Schließlich sagte er: »Du … du bist nicht Berentz! Raus damit, oder ich verseng' dich!« »Tz, tz«, sagte Danny. »Habe noch nie von ihm gehört.« Er sah sich um, der kleine Raum konnte ein Laboratorium sein oder vielleicht eine Nachrichtenzentrale oder eine Art von 214
Kontrollraum, es war schwer zu sagen, da keiner der Apparate ihm auch nur annähernd bekannt vorkam. Er bezweifelte, daß selbst Todd fähig gewesen wäre, den Zweck der meisten zu ergründen. »Ich bin nur ein Durchreisender. Zeig mit dem Ding woanders hin, ja?« Der hochgewachsene Mann senkte unentschlossen seine Waffe – nicht weit, nur soviel, um Danny die Befriedigung zu geben, anstelle seiner Nase seine Gürtelschnalle in dem Spiegel zu sehen. »Ist das irgendein Trick?« fragte der Mann heiser. »Keiner außer Berentz hatte eine Translationsgenehmigung. Wir haben gedankenversiegelte Garantien von Kinetetronen auf vier Planeten und außerdem eine vorteilhafte Vorhersage. Und anstelle von Berentz erwischen wir dich! Wenn du einen illegalen Durchgang machst …« »Wenn das, mas ich mache, ein Durchgang ist, dann ist er todsicher illegal«, sagte Danny. »Aber zum Glück weiß ich nicht, worüber, zum Teufel, du überhaupt redest. Wer ist dieser Berentz?« »Er ist Verkörperungs-Bibliothekar bei den Gerontizisten, oder er war es vielmehr, bis die Bruderschaft ihn bestochen hat. Jetzt wird er wegen Großdiebstahls von Substitut-Identitäten und Schmuggel gesucht.« »Hm, das klingt wirklich ziemlich schlimm«, meinte Danny. »Es ist schlimm, glaube mir«, sagte der große Mann. »Mit all den Austausch-Persönlichkeiten zur freien Verfügung, können die Brüder uns ganz nach belieben infiltrieren, ohne daß wir es überhaupt bemerken – und seit der Ophe-Affäre ist dies sowieso die letzte Ecke der Galaxis, die der Bruderschaft nicht gehört«, fügte er erbittert hinzu. »Wer bist – wer sind Sie, wenn ich fragen darf?« Danny kratzte sich den Kopf. Jede Antwort, die er gab, mochte sich als fast so unverständlich für sein Gegenüber herausstellen, wie dessen Erklärungen für Danny. Andererseits, in einer 215
Sequenz, die so von der Bruderschaft beherrscht wurde, wie der Mann es von dieser angedeutet hatte, bestand hier zum erstenmal die Möglichkeit, daß sie auch das Gefängnis von Todd war, so daß ein Verbündeter von unschätzbarem Wert sein konnte. »Ich komme aus einer anderen Sequenz-Gruppe«, sagte er vorsichtig. »Oh, warum haben Sie das nicht gleich gesagt. Ihr Romantiker, immer auf der Suche nach der letzten Wirklichkeit. Wenn Zeitreisen möglich wären, würdet ihr die auch machen? Wann werdet ihr lernen, daß keine Sequenz stabil ist?« Er begann hin und her zu gehen. »Aber Sie haben mir meine Berechnungen über den Haufen geworfen, und Berentz ist jetzt wahrscheinlich außer Reichweite. Und es gibt keine Hoffnung auf Hilfe von Ophe – der Tyrannosaurus, den er dort losgelassen hat, wird inzwischen den ganzen Sternhaufen abgeblockt haben.« Danny war gegen seinen Willen neugierig. »Tyrannosaurus? Aber die sind schon vor Jahrmillionen ausgestorben. Sie haben doch gesagt, Zeitreise sei unmöglich.« »Ist sie auch. Es gibt da eine Sequenz, einige Energie-Niveaus unter dieser, wo die Dinosaurier nie ausgestorben sind, das ist alles – eine sehr unwahrscheinliche Sequenz, aber das hat Berentz nicht daran gehindert, sie zu plündern.« »Aber sie sollen dumm gewesen sein – Gehirne von Walnußgröße und so.« »Waren sie auch«, sagte der große Mann melancholisch. »Aber das war vor Äonen, als die Zeitrate die physiochemischen Prozesse nicht zuließ, die schnell genug sind, um intelligentes Leben zu ermöglichen. Nehmen Sie einen Mann mit der Intelligenz eines Caiden …« »Wie?« »Entschuldigung, ich vergaß. Eine solche Person gibt es natürlich in ihrer Sequenz nicht. Er ist topologischer Parapsychologe, eine sehr schwierige Disziplin. Aber bringen Sie ihn zurück ins Karbon, und er würde nicht besser denken können 216
als ein Dinosaurier. Das Energieniveau der Raumgesamtheit hätte es zu der Zeit nicht erlaubt. Aber auf entsprechende Weise haben die Dinosaurier in der Sequenz, in der sie überlebten, eine ansehnliche Intelligenz entwickelt, trotz des Umstands, daß ihr Echsenkreislauf ihre Gehirne nicht mit genug sauerstoffhaltigem Blut versorgt, um sehr schnell zu denken; und Berentz' Dinosaurier entpuppt sich als sehr geriebener Kerl. Oh, Berentz wußte, was er tat. Kein Wunder, er war schließlich unser bester Mann, bis die Bruderschaft ihn korrumpiert hat.« »Das tut mir leid«, sagte Danny. »Nicht, daß es Ihnen irgendwie helfen würde, aber ich habe Ihre Falle nicht absichtlich durcheinandergebracht. Dieses Netz, das sie um mich gelegt hatten, kann es einen teleportierten Menschen abfangen, bevor er sein Ziel erreicht?« »Ja«, sagte der Mann. »Falls sich der Detektor genau zwischen Ausgangs- und Zielort befindet. Wir haben monatelang gerechnet, bevor wir in der Lage waren, dieses Schiff hier zu plazieren, und ich will gar nicht wissen, wieviel Nullen die Zahl hat, die die Wahrscheinlichkeit ausdrückt, daß Sie zur selben Zeit auf exakt derselben Linie gereist sind. Wie dem auch sei, ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Es ist nicht Ihre Schuld.« Der große Mann seufzte. Danny entschied, daß er ihm sympathisch war. »Haben Sie in dieser Sequenz je von einem Mann namens Todd gehört?« »Todd? Hmm, Todd, Todd. Das ist ein ziemlich gebräuchlicher Name, aber trotzdem …« »Ein Parapsychologe? Wenn es hier einen Caiden gibt, könnte es irgendeine Verbindung zwischen den beiden geben.« »Ja, ich wollte gerade sagen, daß ich die zwei miteinander assoziere. Wollen mal sehen, da …« Zu Dannys Linken gab es ein scharfes Puffen. Überrascht drehte er sich um. Dort stand ein zweiter Mann in der niedrigen Kabine. Er war ein exaktes Duplikat des großen schwarzhaarigen Mannes, nur 217
daß er nicht im geringsten niedergeschlagen wirkte. Und ein Duplikat der Waffe des anderen hatte er auch. Er warf Danny nur einen Blick zu und wandte sich dann ab. »Hallo, Zed!« sagte er. Der erste Mann sah ihn mit einer so eisigen Verachtung von oben bis unten an, daß Danny froh war, nicht ihr Gegenstand zu sein. »Du hast also auch mein Substitut gestohlen, Berentz? Du kannst dir gratulieren, denn jetzt können wir dir nie den Prozeß machen.« »Ich weiß«, sagte Zeds Doppelgänger höhnisch grinsend. »Das Gesetz über Doppelgefährdung. Schade, daß ich dich nicht erschießen kann, Zed, das würde vieles erleichtern, aber ich kann auch so eine Menge Schaden anrichten. Vielleicht können wir uns arrangieren.« »Genausowenig wie das letztemal«, sagte Zed. »Sieh lieber zu, daß du wegkommst, solange du noch kannst.« »Um dir in dein Netz zu stolpern? Kaum. Übrigens, Zed, die Brüder haben mich im Leitstrahl und werden deinen Kasten in einer halben Stunde genau geortet haben. Vielleicht denkst du doch noch einmal über ein Arrangement nach.« Berentz sah sich nach Danny um. »Komische Freunde hast du, Zed. Ich mag keine Zeugen.« Er richtete seine Waffe auf Danny und drückte ab. Die Einstellung des Resonators hinderte Danny daran, den Strahl irgendwie aufzuhalten oder ihm auch nur schnell genug auszuweichen. Er hatte nur die Zeit, einen Teil der Ladung abzublocken und in die vorhergehende Sequenz abströmen zu lassen, dorthin, wo es keine Erde gab. Da diese Sequenz ein niedrigeres Energieniveau als die von Berentz oder Zed hatte, war er sich später ziemlich sicher, daß Berentz augenblicklich von seiner eigenen Waffe in dieses glühende Chaos gerissen worden war, aber zu so geordneten Gedanken hatte er in diesem Moment keine Zeit.
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Ein Teil der Ladung hatte ihn bereits getroffen – und in die nächste Sequenz katapultiert.
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Sechs Dort war Nichts. Es gab nicht einmal Schwärze, obwohl es auch kein Licht gab. Da war einfach überhaupt nichts, nicht einmal Zeit. Es hatte nicht mehr Bedeutung oder Wirklichkeit als die Erinnerungen an Stunden traumlosen Schlafs. Es war leer, auf eine Weise, zu deren Beschreibung es nie eine Sprache gegeben hatte. Selbst ein Mann, der wie Zed zwischen den Sternen gewesen war, wäre nicht in der Lage gewesen, so eine Leere zu beschreiben – denn die Raum-Zeit war ein Kontinuum, etwas Angefülltes, überflutet vom ständigen Puls elektromagnetischer Felder, gekrümmt um Materie, eng begrenzt und sich doch mit dem Druck seiner Füllung ausdehnend wie ein Ballen. Hier gab es nur leeren Raum. Lange Zeit war in Dannys Denken nichts außer absoluter Verlassenheit, soweit jenseits von Einsamkeit, daß sie nicht mehr in den Bereich normaler menschlicher Empfindungen passen wollte. Wenn er überhaupt einen geordneten Gedanken hatte, dann war es der, daß Berentz ihn getötet hatte, oder – es mochten Tage, Jahre, Äonen verstrichen sein, als ihm dieser Gedanke kam –, daß die Ladung aus der Pistole ihn völlig aus der SigmaSequenz geworfen hatte, in irgendeine andere, in der das gesamte Universum nicht mehr war als eine ferne Unmöglichkeit. Es lief beides auf dasselbe hinaus. Er drehte sich hilflos in der Leere. Schließlich begann er sich hoffnungslos zu fragen, wie er wissen konnte, daß er sich drehte. Es gab keine Bezugspunkte, aus denen er auf seine Bewegung schließen konnte. Aber er drehte sich. Er empfang sogar einen leichten Schwindel.
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Schwindel – dann waren selbst hier nicht alle seine Sinne nutzlos. Die Halbkreiskanäle seines Innenohrs registrierten Verlagerungen der Flüssigkeit, die sie enthielten. Sein Gleichgewichtssinn arbeitete noch. Ein versuchsweises Bewegen eines Arms zeigte ihm, daß die Kinästhesie, der Sinn für Lageveränderungen der Körperteile und Muskelbewegungen, auch immer noch funktionierte, genauso wie die Geschmacksempfindungen und die anderen »inneren« Sinne. Nur seine äußeren Sinne, die berühmten fünf, die die meisten Menschen für ihre einzigen halten, nahmen nichts wahr. Er lebte. Das war zumindest ein Ausgangspunkt. Außerdem, einer seiner inneren Sinne, der des Gleichgewichts, war in der Lage, ihm etwas außerordentlich Wichtiges über das Nichts, das ihn umgab, zu sagen. Ihm war schwindlig – sein Gleichgewichtssinn sagte ihm, daß er sich drehte; und er würde keine derartige Empfindung haben, wenn nicht die Flüssigkeit seines Innenohrs immer noch Zentrifugal- oder Corioliskräften ausgesetzt war. In dem metrischen Feld der Raum-Zeit waren diese Kräfte nicht relativ, sondern absolut – nichts konnte sie je aufheben oder verdecken. Ergo: er befand sich immer noch innerhalb der RaumZeit … Und die scheinbare Leere war eine Illusion. Die geräuschlose, bewegungslose, ausdruckslose Schwärze war keine typische Eigentümlichkeit, sondern Täuschung. Es gab keinen Zweifel für Danny, wer dafür verantwortlich war. Hier war sein Ziel. Das Nichts schrie jedem, der es verstehen konnte, den Namen der Bruderschaft zu – wenn auch nur ins Innenohr. Dies war die absolute Verwirklichung der GPF-Vorstellungen: eine Sequenz, anscheinend jeder Bedeutung entleert, anscheinend sogar des eigentlichen Gewebes der Raum-Zeit. Ohne dieses Gewebe, diese Grund-Matrix waren die Psi-Kräfte hilflos. Die GPF, die allein wußte, wie dieser Zustand erzeugt wurde, konnte begünstigten Menschen den Zugang zu anderen,
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lebenswerteren Sequenzen gestatten, oder sie konnte den Zugang ganz nach ihrem Willen verwehren. Vor allem aber konnte sie Psi-Kräfte kontrollieren. Vielleicht war diese Sequenz ein Endprodukt, nicht das, was sich in der zukünftigen GPF-Sequenz durchsetzen würde, falls Danny versagte, sondern das, was die GPF am Ende einer langen Reihe von Sequenzen verwirklichen würde. Und in ihr waren Danny und Todd gleichermaßen gefangen … Trotzdem gab es noch ein wenig Hoffnung. Der Resonator tat noch immer seine Arbeit, fixierte Danny immer noch auf ein einzelnes »Bild« dieser Sequenz, genauso, wie er es in allen anderen getan hatte, und er hielt immer noch die Ausdehnung entlang der Planck-Achse aufrecht, die es Danny erlauben würde, in dem Moment von dieser Sequenz in eine andere zu springen, in dem die GPF es ihm erlaubte zu sehen, wohin er gehen mußte. Die Bruderschaft konnte ihn natürlich einfach hierlassen, das wäre endgültig und das Ende. Aber Danny war sich sicher, daß sie nicht genug Vertrauen in ihre Methoden hatten, um auf die Natur zu vertrauen. Sie würden sich einmischen. Er wartete – vielleicht wieder Jahrhunderte – um den Beweis dafür zu sehen. Warten, mehr konnte er nicht tun. Aber am Ende entstand ein winziger Leuchtpunkt in der lautlosen Leere. Er wuchs. Er wurde zu einem leuchtenden menschlichen Gesicht. Malls Gesicht.
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XVI Todd Die riesigen Lippen öffneten sich, und eine lautlose Stimme sagte: »Dein Tod hat sich etwas verzögert, Danny.« »Noch bin ich nicht tot«, sagte Danny verbissen. Das leuchtende Gesicht lächelte. »Doch, das bist du«, sagte es. »Meine Vorhersagen haben dich zweimal tot gesehen, einmal, als du nicht mit Hennessy gekommen bist, und einmal, als du die Sigma-Sequenz betreten hast. Meine dritte Vorhersage zeigt, daß du von hier nicht entkommen kannst. Du bist tot, Danny.« »Deine Vorhersagen sind Quatsch, und ich gebe dir zwei Dollar und einen kleinen Apparat, den ich zufällig bei mir habe, wenn du das gleich noch einmal laut wiederholst.« Das Gesicht kam näher, die schmalen Augen glühten wutentbrannt. »Spotte nur, wenn du willst. Ein Sprachdefekt ist noch lange kein geistiger Defekt. Dein Freund Hennessy hat das auf die harte Weise lernen müssen. Und was meine Vorhersagen angeht – das ist keine Kunst, die man im Vakuum ausüben kann. Wer will, daß seine Vorhersagen eintreffen, muß dafür etwas tun. Du hast zwei von meinen widerlegt – ich möchte den beiden mit einem deutlichen Erfolg der dritten Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Oder möchtest du lieber, daß ich dich hierlasse?« »Versuch es.« Mall gab keine Antwort. Sein Gesicht war jetzt alles, was Danny sehen konnte. Irgend etwas Tödliches sammelte sich in den Augen. Aber Danny erinnerte sich. Selbst hier waren ihm Verlassenheit und Schrecken einer Welt gegenwärtig, in der es keine Menschen gab, und die einsame Wildheit eines Aasvogels, der sein letztes Opfer sucht. Ein Soldat auf einem hohen Turm sagte: »Du verrückter Kerl, du bist doch sowieso gleich …«, und seine 224
Stimme brach ab und wurde durch die eines heuschreckenähnlichen Dings auf Raupenketten ersetzt, das murmelte: »Außerhalb der Matrix definiert… Störfaktor… entfernen… mich dafür verschrotten …« In einer Lücke, erfüllt von roher Energie, trieb das Wallen der Bethe-Reaktion, derselben Wasserstoffbomben-Reaktion, die den Soldaten ausgelöscht hatte, ein dünnes Gas auseinander, das einmal das Sonnensystem gewesen war; und ein hakennasiger, schwarzhaariger Mann erinnerte Danny daran, daß keine Sequenz völlig stabil war. Das alles summierte sich. Mußte sich summieren – es wurde durch den Resonator alles in einem einzigen Bild konzentriert. Das Ergebnis war das gewaltigste psychische Potential, das je von einem einzelnen menschlichen Wesen akkumuliert worden war. Und bisher hatte ihm nur das Ziel gefehlt. Dannys Haß auf alles, wofür die GPF stand, und das riesige Gesicht Malls, das durch die künstliche Schwärze starrte, gaben ihm sein Ziel. Er zog den Blitz zusammen und schleuderte ihn. Die leere Sequenz erbebte. Das leuchtende Gesicht verzerrte sich vor Qual. Fast augenblicklich zog es sich zu einem winzigen Lichtpunkt zusammen. »Danny! Danny! Halte ihn fest! In einer Minute bin ich zu dir durch!« Todds Stimme. Aber der leuchtende Nadelpunkt weigerte sich zu verlöschen. Danny konnte Malls Gegenwart spüren, der sich zu irgendeinem unvorstellbaren Gegenschlag sammelte. Mall war schon einmal fähig gewesen, Sean und Danny gemeinsam zu schlagen, er war noch am Leben, irgendwo. Und er kam zurück. Die Dunkelheit begann zu wanken. Um den entfernten NichtStern und um Danny schien ein elementarer Sturm zu wüten, als ob die metrische Struktur des Raumes selbst gemartert wurde, ihr Gefüge verzog sich wie ein mürber Waschlappen. Wie diese
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fürchterlichen Spannungen und Belastungen hervorgerufen wurden und woher, war unmöglich festzustellen. In dem unsichtbaren Aufruhr wurde Malls Gesicht wieder größer. Diesmal rief er nicht nach Sir Lewis, Schaum und den anderen. Um mit Danny allein fertig zu werden, brauchte er keine Hilfe. In seinen Augen brannte die Vernichtung – er war die einzige Lichtquelle im Universum, und er strahlte den Tod aus. Und dann, abrupt, war er es nicht mehr. Ein Kreischen wie von zerreißendem Metall klang hinter dem anschwellenden Kopf auf. Eine gezackte Linie aus Licht, wie ein gefrorener Blitz, spaltete die Schwärze. Davor wirkte Malls Kopf – und nicht nur der, sondern auch die Schultern und der Brustkorb – nicht mehr hell, sondern dunkel, was ihn erheblich weniger gigantisch scheinen ließ. Der Spalt erweiterte sich rapide und zeichnete jetzt Malls ganze Figur ab. Dann wurden die zerschnittenen Seiten des finsteren Vorhangs ganz zur Seite gerissen, und Licht und Realität strömten herein. Sie waren auf dem Dachboden. Mall stand keine fünf Meter von Danny entfernt und blickte gebannt und mit wütender Verblüffung über die Schulter. Hinter ihm, vor der offenen Tür des geräteüberfüllten Raums, den Danny schon einmal gesehen hatte, saß Todd auf einer massiven und unbeschreiblichen Maschine. Das Gerät war halb Suchscheinwerfer und halb mittelalterliches Belagerungsgeschütz, und Todd saß in einem Metallsattel obenauf, die Füße in so etwas wie Fahrradpedalen. Die ganze Apparatur wirkte, als sei sie mit der verzweifeisten Hast zusammengebaut worden, die ein fanatisch sorgfältiger Techniker aufbieten konnte. »Danny! Halt ihn fest!« Der Resonator in Dannys Hand war heiß. Irgendwie schaffte er es, den Deckel herunterzubekommen und die Kontrollen auf höchste Verstärkung zu stellen. Der letzte Rest der Schwärze schwand aus den Dingen, und der Dachboden wurde stabil und 226
fest. Die Sequenzen, die er besucht hatte, nahmen in seinem Denken den ihnen gemäßen Platz gebrochener Realität ein. Diese Realität war partiell – aber sie war real. »Halt ihn fest!« Der sechsfache Impuls, unterstützt von der ganzen Kraft des Resonators, schlug in Malls sich verspannenden Körper. Er wurde blaß unter seinem roten Haar, schwankte, stolperte und kämpfte auf den Bodendielen der Dachkammer um einen festen Halt. Aber der Schlag hatte nicht gereicht. Mall kam auf Danny zu, einen schmerzhaften Schritt nach dem anderen. Ein Gegendruck schlug von ihm auf Danny zurück, unglaublich stark und voller Mordlust. Todd kämpfte mit seiner Maschine. Dann sagte er: »Ah.« Das Gerät ruckte, schwenkte herum und zeigte auf Mall. Aus seiner Mündung oder Linse – was immer es war – ergoß sich eine Fontäne tanzender Lichter, ein Wirbel kleiner Flammen. Einen kurzen Augenblick lang wurde Mall in dieser unmöglichen Fontäne gebadet. Dann verschwamm seine Gestalt, als stände dort ein zweiter Mall, der den ersten durchdrang wie dieser ihn. Dann waren da vier einander durchdringende Gestalten, alle irgendwie mit weniger Substanz als der ursprüngliche Mall, dann acht, sechzehn, zweiunddreißig … Malls erstarrter Körper verströmte zu Hunderten und Tausenden Schattengestalten, die sich in den natürlichen Schatten des Dachbodens verflüchtigten. Nach einer Weile war nichts mehr von Mall übrig. Todd schaltete die Maschine ab. Danny stellte den Resonator neu ein und steckte ihn mit heftig zitternden Händen in die Tasche zurück. »Wunderbar, Danny«, sagte Todd. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie du hierhergekommen bist, und ich werde wohl nie erfahren, was du gemacht hast, um ihn festzuhalten. Aber du hast es geschafft.« 227
»Aber was, um Gottes willen, haben Sie getan? Wo ist Mall?« »Verstreut«, sagte Todd gelassen und stieg ungeschickt, aber mit Würde von seiner Maschine. »Er hat jetzt ein Integral in jeder Sequenz, aber keine Konzentration auf der Hauptlinie oder sonst irgendwo. Er ist jetzt nur noch eine Ausdehnung von Charakteristiken – eine Matrix in der Wahrscheinlichkeit. Er kann nie mehr zusammengefügt werden.« Danny sah sich auf dem Dachboden um. Bis auf Todd und die Maschine war er leer. »Wir müssen Sean finden«, sagte er schließlich. »Aber wo haben sie Sie festgehalten, Dr. Todd? Als ich Ihre Stimme hörte, hätte ich geschworen, daß Sie in dieser Leere waren.« »Das war ich«, sagte Todd, »aber nicht so wie du, Danny. Ich glaube, du warst am Ende der Sequenz, ich war am Anfang, als das Löschfeld, das die Dunkelheit bewirkte, noch nicht überall aufgebaut war. Die Bruderschaft war unglaublich dumm, Danny. Sie hatten sich gedacht, ich sei nicht fähig, direkt mit dem seriellen Universum zu arbeiten – ich habe kein Talent dazu, wie es scheint –, aber sie haben vergessen, daß ich einen Mechanismus zusammenbauen könnte, der für mich handelt, genau wie sie es mit ihrer Falle in der Treppe getan haben. Also verbargen sie mich in ihren eigenen Laboratorien, zu Beginn ihrer Sequenz, die sie als ›ihre‹ ausgewählt haben, weil jeder Faktor darin zu ihrem Vorteil zu sein scheint. Es war das Dümmste, was sie tun konnten. Ich werde nie ein Psi-Mann sein, aber du wärst erstaunt, wie ich mit den Psi-Funktionen umspringe, wenn ich die entsprechende Ausrüstung habe!« »Mich überrascht nichts«, sagte Danny. »Nicht mehr. Sie sind der Mann, der das Lob verdient hat, Dr. Todd. Sie haben das Problem der psychischen Spaltung gelöst, an dem Seans Gruppe anscheinend seit Jahren arbeitet.« »Oh?« Der Parapsychologe schien erfreut und gleichzeitig enttäuscht. »Ich wollte es den Todd-Effekt nennen. Nun, 228
vielleicht sollte man das Ganze besser vergessen. Ich möchte nicht mit ansehen, wenn eine wirklich perfektionierte Maschine dieser Art mit niedriger Energie eine Menschenmenge bestreicht. Es würde zu geistigen Störungen und beispiellosen Gewalttaten kommen.« »Das war auch Seans Folgerung.« Todd sah die Maschine bedauernd an. »Vielleicht sollte sie in den Händen der Psi-Menschen verbleiben – oder sogar zerstört werden, damit sie in einem weiseren Zeitalter wiederentdeckt werden kann. Durch die Verstreuung von Mall sind die Innereien sowieso zum größten Teil durchgebrannt… Hmm. Wollen wir sie vergessen, Danny?« »Vorläufig«, meinte Danny. »Ich möchte es Sean entscheiden lassen, falls er noch lebt. Wir müssen ihn finden. Und wir müssen immer noch die Sequenz, die Sean wollte, zur Hauptlinie machen.« »Das haben wir gerade getan«, sagte Todd. »Das hier ist sie.« Einen Moment lang stand Danny wie völlig verblüfft da. »Sind Sie sicher?« fragte er schließlich. »Sind Sie sicher, daß wir uns im Augenblick überhaupt auf der Hauptlinie befinden?« »Ja – in beiden Fällen«, sagte Todd. »Die Vernichtung Malls reduziert die GPF-Linie auf ein sehr niedriges Wahrscheinlichkeitsniveau. Er war ihr Schlüssel-Mann. Ich gebe zu, daß ich nicht die Hoffnung hatte, daß du so weit kommst, oder daß du Mall so für mich festhalten könntest, wie du es getan hast. Mein ganzer Kampf um das Verständnis des T … der psychischen Spaltung waren bloße Spekulation, in der Hoffnung, mir eine Waffe zu verschaffen. Mall in ihrer Reichweite anzutreffen, lag weit jenseits meiner kühnsten Hoffnungen. Und die Energie, die ich aufwandte, um ihn zu verstreuen, plus der Energie, die zu ihrer Konstruktion in ihrer ursprünglichen Sequenz und zum Nachdenken über sie aufgewandt wurde – wirkliche Energie, jedes Erg davon der GPF-Grundsubstanz 229
entzogen –, hat die Sequenz, für die dein Freund gekämpft hat, fest auf der Hauptlinie etabliert.« Der Wissenschaftler tätschelte die jetzt nutzlose Maschine liebevoll. »Das Ding war eigentlich nur als Erinnerungs-Zapfer gedacht, um mir das, was ich erfahren und erforscht hatte, zu entreißen – eine Art verbesserte Version von deinem ›Friseurstuhl-Enzephalographen‹. Ich bin sicher, sie haben nicht erwartet, daß du so weit kommst, oder sie hätten mich keine Sekunde damit allein gelassen.« »Ich weiß nicht«, meinte Danny nachdenklich. »Sie neigen dazu, die Dinge nur unter dem Aspekt zu sehen, zu dem sie konstruiert wurden und nicht unter dem, zu dem sie umfunktioniert werden könnten. Das war die Art wie sie gedacht haben, und ich glaube, ich weiß auch warum. Wenn man sich an eine Sequenz klammert, in der alle Wünsche schon verwirklicht sind, ist man nicht mehr in der Lage, die tatsächlichen Resultate und Folgen vorherzusehen, nicht einmal mit den Psi-Kräften. Kein Wunder, das Malls ›Vorhersagen‹ nicht eintrafen. Sie waren keine wirklichen Vorhersagen – nur projizierte Wünsche.« Danny wandte sich um. Vor ihm lag die Treppe im Erdgeschoß. Es war einfach nur eine Treppe, an der nichts mehr darauf hinwies, daß sie noch vor wenigen Minuten ein Quell der Verwirrung gewesen war. Der Geruch von verbrannter Isolation und heißem Ozon drang herauf. Danny begann zu lachen. »Was immer dieses Feld verursacht hat, ist völlig ausgebrannt«, sagte er. »Kommen Sie, Dr. Todd – wir haben immer noch eine Rechnung mit Sir Lewis zu begleichen.« Sie gingen die Treppe hinunter. Danny nahm die ersten Stufen vorsichtig und ein wenig unsicher, obwohl er sich ziemlich sicher war, daß es jetzt nur noch einfache Stufen waren. Als sie unten anlangten, hatte er sich schon fast wieder daran gewöhnt, Treppen zu benutzen. Sir Lewis aber war nicht zu finden, genausowenig wie sonst irgend jemand. Die Räume im Erdgeschoß waren verlassen.
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Danny durchsuchte sie nacheinander. Obwohl es eine Menge Hinweise darauf gab, daß die GPF-Männer in extremer Hast aufgebrochen waren, fand er nicht, was er suchte. In dem größten der Räume war der Teppichboden an mehreren Stellen in gleichmäßigen Rechtecken niedergedrückt, die von erheblich hellerer Farbe waren als der Rest des Gewebes. Danny stocherte mit der Schuhspitze in einem der Flecken herum. »Das war es, was ich wirklich haben wollte«, sagte er trübselig. »Ihre Akten. Sean hat mir erzählt, daß sie den Markt manipulieren und für den Weizen-Skandal verantwortlich sind. Aber ich bin derjenige, der dem FBI das beweisen muß – und die Akten sind verschwunden.« Todd nickte mitfühlend. »Das ist schlimm, Danny. Aber vielleicht können wir sie ja doch noch finden. Ich versuche es im Keller.« Danny blieb schweigend dort stehen, wo er war. Er war sicher, daß die Akten nicht mehr da waren, Todds Mitgefühl aber tat ihm gut. Danny. Er zuckte zusammen. Der verdeckte »Untergrund«-Ton der geistigen Stimme sagte ihm sofort, daß irgendein Psi-Begabter ihm einen abgeschirmten Gedanken übermittelte; zu seiner tiefen Enttäuschung jedoch war es nicht Sean. Sind Sie das, Mr. Taylor? Cartier Taylor, ja. Wenn Sie Zeit haben, müssen wir mal ein Bier zusammen trinken. Jetzt aber sollten Sie Ihre ESP auf Ihr Problem anwenden. Bedenken Sie, daß Materie auch aus Elektronen besteht und daß Elektronen denken – ich nehme es nicht so übergenau mit der Terminologie wie Sean. Aber versuchen Sie es. Die Elektronen müßten sich an das erinnern können, was Sie wissen wollen. Danke, das werde ich. Wo ist Sean? Lebt er? Sean ist da, wo Sie sind. Genauer kann ich es nicht feststellen, aber er lebt, sonst könnte ich ihn nicht wahrnehmen. Gehen Sie 231
schnell zu ihm. Sein Zustand verschlechtert sich. Und meine Gratulation, Danny, an Sie und Todd. Die Stimme brach ab. Danny versuchte, Kontakt zu den Elektronen des Teppichs und der nahen Wand aufzunehmen. Zuerst war es ein totaler Fehlschlag; er war nur daran gewöhnt, Elektronen durch PK zu beeinflussen, und das war hier offensichtlich sinnlos. Das ganze Konzept ESP auf der elektronischen Ebene anzuwenden, war schwer zu erfassen. Unerwarteterweise half der Resonator. Ein Bild begann sich abzuzeichnen. Die Aktenschränke hatten hier gestanden, wie er bereits durch die Abdrücke auf dem Teppich wußte, die elektronischen »Erinnerungen« zeigten ihm ihre schattenhaften Eindrücke aus verschiedenen Teilbildern seiner Sequenz. Dann, verschwommen zuerst, kam dasselbe Erinnerungsmuster aus einem anderen Raum zu ihm durch, der irgendwo ziemlich weit weg war. Ein anderer und sehr vertrauter elektronischer Komplex oder Bereich registrierte die Anwesenheit der Schränke und hielt sie für jeden bereit, der die PSI-Sinne dazu besaß, sie wahrzunehmen. Taylor hätte die Antwort zweifellos augenblicklich gefunden, für Danny aber war es genauso quälend wie ein Wort, das einem auf der Zunge lag, an das man sich aber nicht ganz erinnern konnte. Er erkannte den neuen Standort, konnte das Bild aber nicht vollständig einordnen … »Danny, ich muß dich eine Minute stören.« »Hmm?« »Komm mal hier rüber und sieh dir das an.« Todd stand an der geöffneten Kellertür. Mit einem aufwallenden ahnungsvollen Schauer folgte Danny ihm die Stufen hinunter. »Ist das der Mann, den du Sean nennst?« Danny antwortete nicht. Er konnte nicht sprechen, er konnte nicht einmal nicken. Sean lag auf einer Klapppritsche an der hinteren Zementwand in der Nähe des Olbrenners. Sein Gesicht wirkte sanft und freundlich und nicht mehr sardonisch. 232
Danny schluckte hart, und Todd nahm ihn am Arm. »Es tut mir leid, Danny. Du hast ihn sehr gern gehabt, nicht?« »Er … war ein großer Mann, Dr. Todd. Oder er wäre einer geworden, wenn sie ihn am Leben gelassen hätten.« Er verzog schmerzlich den Mund. »Ich bin überrascht, daß sie die Leiche nicht mitgenommen haben. Ich werde Sir Lewis wegen Beihilfe vor Gericht bringen.« »Wie willst du das machen? Ich nehme an, du warst Zeuge, aber einer genügt nicht. Und so wie die Wunde aussieht, müssen sie ihn mit einer Waffe umgebracht haben, die du vor Gericht nie erklären kannst.« »Es könnte sehr gut ein glühender Schürhaken gewesen sein«, sagte Danny wild. »Sie hätten ihn mitgenommen, wenn sie gekonnt hätten. Sie werden bereuen, daß sie es nicht getan haben.« Todd beugte sich über die Leiche und wollte sie hochheben, sanft zuerst und dann mit aller Kraft. Obwohl seine dünnen Arme sehnig und stark waren, bewegte Sean sich nicht. Todd richtete sich heftig atmend auf. »Da hast du deinen Grund«, sagte er und rieb sich die Schultermuskeln. »Er kann nicht gehoben werden. Er muß irgendwas mit seiner Masse gemacht haben, bevor er starb – er hat eine Trägheit von zehn Tonnen, schätze ich.« Er schüttelte den Kopf. »Ich würde viel darum geben, zu wissen, wie er zusätzliche Massenträgheit bekommen hat, ohne sein Gewicht zu ändern.« Danny versuchte es selbst. Der Körper bewegte sich nicht, nicht einmal den Bruchteil eines Millimeters, selbst Seans Lider zu schließen, war so schwer, als würde man die Zähne eines Kamms umbiegen. Taylor hatte gesagt, daß Sean nicht tot sei, sein Zustand sich aber verschlechterte – soweit Taylor das von dort, wo er war, beurteilen konnte. Und doch war Sean offensichtlich tot. Plötzlich erriet Danny die Wahrheit. Vorsichtig erforschte er den Geist des toten Mannes. 233
Der Schlüssel war tief verborgen, fast verdeckt von der sich beschleunigenden und bereits weit fortgeschrittenen Auflösung der Gehirnzellen. Aber als er erst einmal auf sie gestoßen war, war die kompakte Zusammenballung von PK-Energie unverwechselbar. Sie war ausschließlich auf Danny justiert. Den Moment, als er auf sie stieß, löste sie sich auf, und Danny fühlte einmal mehr, obwohl weit schwächer, die vorüberziehende Welle von Identität von einer Person, die zu einer Unperson wurde und Teil des allgemeinen Wellen-Musters des Universums, die er bei Seans Tod gefühlt hatte. »Dr. Todd …« Todd verstärkte seinen Griff um Dannys Arm und wartete. »Danke. Versuchen Sie es jetzt bitte, ja? Ich … möchte lieber nicht.« »Natürlich.« Versuchsweise bewegte Todd Seans Arm. »Ja, jetzt geht es. Was hast du gemacht. Hat er sich hier für dich verankert?« »Ja.« »Wie?« »Das weiß ich nicht. Vielleicht finden wir das später heraus. Sie haben eins seiner Probleme, den Effekt der psychischen Spaltung selbst gelöst, und das hatte er auch von ihnen erwartet. Vielleicht erwartet er, daß Sie auch das andere Problem lösen. Auf jeden Fall werden wir von jetzt an daran arbeiten, jetzt, wo wir wissen, was es gewesen sein muß.« »Welches?« fragte Todd leise. »Der Tod«, antwortete Danny. »Ja, das muß es sein«, sagte Todd nach einer Weile. »Danny, wir müssen eine Menge lernen.« Danny wandte seine Aufmerksamkeit wieder den rechteckigen leeren Flecken im Erdgeschoß zu, sein Geist griff wieder nach dem elektrischen Komplex der Aktenschränke. War es das GPFHaus? Eine logische Vermutung, aber nach nur wenigen 234
Sekunden wußte er, daß sie falsch war. Warum kam ihm der neue Standort so wahnsinnig vertraut vor? Und dann hatte er es. Die Akten befanden sich in seinem eigenen Apartment. Die GPF hatte mit ihrem Verschwinden nichts zu tun, Sean mußte sie in dem Moment gestohlen und in Dannys Räume teleportiert haben, als er den Schlupfwinkel betrat. Sean hatte vorhergesehen, was kommen würde und entsprechend gehandelt. Kein Wunder, daß die Bruderschaft Hals über Kopf geflüchtet war, als Mall verstreut worden war und Todd und Danny aus der letzten aller GPF-Fallen entkommen waren. »Dr. Todd, ich denke, wir werden eine kleine LKW-Tour unternehmen, wenn ich mich mit dem Motor einigen kann. Helfen Sie mir, Sean nach oben zu tragen.« »Ich werde nichts dergleichen tun«, erklärte Todd. »Ich bin zwar noch gut in Schuß, aber nicht mehr der Jüngste. Du aber bist ein Psi-Mann mit voll funktionsfähigem PK-Zentrum, und ich überlege, ob ich dich nicht für alle meine Schwertransporte anheuern soll.« »Tut mir leid, hatte ich vergessen. Das ist alles noch immer ziemlich neu. Also dann, gehen wir.«
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XVII Maria Der Empfang, der den beiden Männern in Dannys Apartment bereitet wurde, war fast königlich. Es war voll von FBI-Leuten, und die FBI-Leute hatten die Hände voller Papiere. Die FBIMänner hatten auch einen Sekretär dabei, der eifrig Listen anfertigte. Der Agent, der Danny besucht hatte, lächelte von einem großen Stuhl zu ihm auf. »Ein netter Trick«, sagte er und zeigte auf die Schränke. »Wie haben Sie das gemacht?« »Ich hatte Hilfe«, antwortete Danny. »Darf ich davon ausgehen, daß ich nicht mehr unter Arrest stehe?« »Rein technisch, rein technisch«, sagte der FBI-Mann und tat das Problem mit einer Handbewegung ab. »Sie haben gegen Ihre Auflagen verstoßen, was Sie erklären werden müssen. In diesem Fall sind es jedoch die Ergebnisse, die zählen; dieses Material wird den Staatsanwalt für lange, lange Zeit beschäftigen, und Onkel Sam hat auch einiges Interessantes entdeckt. Ich glaube, die amerikanischen Besitztümer einer Schweizer Rüstungsfirma sind reif für eine rasche Beschlagnahme.« »Was, noch eine Panik auf dem Markt?« »Die hatten wir schon«, sagte der Agent ein wenig grimmig. »Eine große. Das ist ein Teil unseres Falles: Wie konnten Auflösung und Zerfall eines schwachsinnigen Kults den Waffenmarkt beeinflussen? Das ist offensichtlich gar nicht möglich, aber es ist passiert. Oh, ja, es ist spannend und pikant, und alles, worüber Onkel Sam sich Sorgen macht, ist die Auswahl der Geschworenen, vor denen es verhandelt werden kann. Wir werden den aufgeschlossensten Richter aller Zeiten brauchen.«
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Dannys Augen weiteten sich. »Sie meinen, daß Sie den ESPAspekt an die Öffentlichkeit bringen werden?« »Natürlich werden wir das. Augenscheinlich ist Ihnen noch nicht aufgefallen, Mr. Caiden, daß die militärische Sicherheit dieses Landes keine fünf Cent wert ist, wenn es uns nicht gelingt, für diese neuen psychischen Kräfte sofort so etwas wie ein Manhattan-Projekt auf die Beine zu stellen. Unglücklicherweise ist es zu spät, sie unter völlige Geheimhaltung zu stellen – wir sind zum extremen Gegenteil, alles publik zu machen, gezwungen, zum Teil, weil das Zeug so phantastisch ist, daß wir keine Bewilligung für ein geheimes Projekt bekommen konnten, und zum Teil wegen dieser organisierten internationalen Vereinigung.« »Puuh«, sagte Danny. »Und ich dachte, ich müßte das Blaue vom Himmel lügen, damit ihr mich nicht für verrückt haltet. Was hat euch so schnell überzeugt?« »Ich war hier«, sagte der Agent unglücklich, »als diese Aktenschränke plötzlich direkt aus der dünnen Luft da waren. Ich muß glauben, was ich sehe, besonders wenn ich einen gebrochenen Zeh mit mir herumschleppen muß, der mich daran erinnert. Ich hoffe, Sie sind nicht mehr wütend auf mich – und falls doch, kann ich nur hoffen, daß Sie nicht besser zielen gelernt haben.« »Ich habe die Schränke nicht geschickt«, erklärte Danny. »Der Mann, der das getan hat, war ein Freund von mir, der von einem GPFler ermordet wurde. Ich habe den Leichnam unten in einem Truck, den ich gestohlen habe. Kann ich Sir Lewis wegen Beihilfe anzeigen?« Der FBI-Mann stöhnte. »Ich bereue den Tag, an dem ich diesen Fall übernahm – so ein kleiner problemloser AntiTrust-Fall … Mr. Caiden, ich weiß es einfach nicht. Ich nehme an, daß Sie es können, wenn Sie die Falten aus Ihrem eigenen Leben ausgebügelt haben. Erzählen Sie mir jetzt nicht, wie Sie diesen Wagen gestohlen haben, das wäre zuviel für mich. Wissen Sie, wo wir Sir Lewis erwischen können?« 237
»Nein«, sagte Danny. »Und Sie könnten ihn keine Sekunde im Gefängnis halten, wenn Sie ihn haben.« »Nach den Aufzeichnungen der Gesellschaft ist er kein Teleporter«, sagte der Agent. »Nur ein Telepath.« »Aber er hat Freunde. Einige von ihnen sind Teleporter.« Danny erinnerte sich an den Resonator. Er nahm ihn aus der Tasche und übergab ihn. »Das Ding brauche ich vorläufig nicht«, setzte er hinzu. »Von Dr. Todd können Sie erfahren, wie man mehr davon baut. Danach hätte ich ihn gern zurück. Er hat schon einen Sir Lewis weit überlegenen Mann festgehalten.« »Du gibst an«, sagte Todd, der gerade von einer Besichtigung des Apartments zurückkam. »Aber du hast recht, Danny. Etwas stimmt hier nicht. Wo man sich ganz offiziell so über deine Ankunft freut, sollte man annehmen, sie hätten auch deine junge Freundin herbeigeschafft. Ich nehme an, dem amtlichen Denken sind menschliche Gefühle, wie wir sie kennen, sowieso fremd.« »Sie ist hier«, sagte Danny grinsend. »Sie hat sich im Schrank versteckt und wartet darauf, daß ich frage, wo sie ist. Momentan ist sie schrecklich wütend, weil schon zehn Minuten um sind, ohne daß ich sie ein einziges Mal erwähnt habe …« Die Schranktür wurde aufgerissen. Maria trat heraus, die Hände in die Hüften gestemmt, die Augen blitzend. »Du und deine verdammten Tricks!« fauchte sie. »Wie kann eine Frau vor so einem Mann irgendwelche Geheimnisse haben?« »Eine Frau mit schlechtem Gewissen sollte sich nicht mit einem Telepathen einlassen«, sagte Danny. »Auch nicht im Streben nach Wissen. Er erfährt dabei wahrscheinlich mehr als sie. Im Augenblick zum Beispiel, wäre es mir sehr angenehm, du würdest noch etwas wütender, denn was da wirklich in deinem Kopf ist, zerstört mir alle Illusionen. « »Danny Caiden, meinetwegen geh doch zum … geh …« Ihr schien nichts einzufallen, was Danny wirklich schaden konnte. Statt dessen stampfte sie aus dem Zimmer. Danny folgte
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ihr, und schloß die Tür hinter sich. Am Treppenabsatz hielt sie unschlüssig inne, und Danny griff ihren Ellbogen. »Es tut mir leid, Maria, wirklich. Ich wollte dich nur necken.« »Beweis es«, sagte sie. »Wie? Soll ich wieder reingehen und mit Möbeln werfen?« »Nein, verdammt noch mal«, sagte sie. »Tu etwas, das ein Mädchen ausnahmsweise verstehen kann, anstatt sie zu Tode zu erschrecken.« Danny formte mit der Zunge eine Röhre und gurrte wie eine Turteltaube. Als Dreingabe nahm er die Glasröhre einer seiner Riesenzigaretten aus ihrer Jacke und ahmte damit die Sirene eines Dampfboots nach. Marias Blick wurde nur noch drohender. »Na gut«, sagte Danny. »Jetzt fällt mir noch ein Mittel ein.« Er packte sie fest an den Schultern und zog sie an sich. Prompt stieß sie ihn mit aller Kraft vor die Brust. Mit einem ärgerlichen Schrei ließ er los. »Du, du Intellektueller«, sagte sie. »Was hattest du vor? Mir einen Kuß auf die Stirn geben wie ein Bruder?« Sie legte die Arme um seinen Hals, und ihre Schenkel preßten sich gegen seine. Ihr Mund war heiß und süß. Einige Augenblicke später löste sie energisch seine Arme und trat an die Wand zurück. »So war es besser«, sagte sie. »Aber du mußt einsehen, Danny, daß es mir mit dieser Psi-Geschichte todernst ist. Das muß aufhören. Ich habe genausoviel schlimme Gedanken wie jede andere Frau, und ich will sie für mich behalten.« »Ich laufe nicht rum, Maria, und lese die Gedanken von anderen Leuten, ausgenommen in Notfällen natürlich«, erklärte Danny. »Ich hätte dich da in dem Wandschrank gar nicht wahrgenommen, wenn ich mir nicht so verdammt viel Sorgen darum gemacht hätte, wo du gesteckt hast und warum du nicht da warst. Was ich über deine Gedanken gesagt habe, nachdem du 239
aus dem Schrank gekommen warst, war, wie ich schon sagte, bloße Neckerei und nicht mehr.« »Das reicht nicht – begreifst du das nicht? Ich werde es nie wissen. Ich habe Angst davor. Wenn ich gehört werden will, spreche ich laut. Mit dir zu leben, würde mir jede Möglichkeit nehmen, einfach zu schweigen, mögen deine Absichten auch noch so gut sein. Ich weiß, daß ich der Versuchung nicht widerstehen könnte, hin und wieder eine Stichprobe zu machen, wenn ich die Möglichkeit hätte. Ich bestreite, daß überhaupt irgend jemand einer so großen Versuchung widerstehen könnte.« »Warum ihr widerstehen?« sagte Danny eifrig. »Maria, da ist nichts Abnormales an den Psi-Fähigkeiten. Jeder hat sie bis zu einem bestimmten Grad, und ich glaube, du hast eine große Menge. Ich kann dir zeigen, wie du sie benutzen kannst, und Todd kann dir auch helfen. Dann sind wir gleichgestellt; es wäre dann eine private Übereinkunft zwischen uns. Wir haben beide die Möglichkeit, aber was immer wir auch über den anderen wissen möchten, wir erfahren es nur unter den Bedingungen, die dieser festgelegt hat. Verheiratete spionieren sich ja schließlich auch nicht durch Schlüssellöcher nach.« »Nein!« sagte Maria. »Ich will nichts davon, gar nichts. Wenn du wirklich willst, daß ich dich heirate, mußt du es aufgeben, Danny. Ich will nicht die Unbelehrbare spielen, aber ich komme nicht dagegen an. Es macht mir einfach zuviel Angst.« »Wie gibt man eine Fähigkeit auf?« fragte Danny. »Das wäre so, als würde ich mich bereit erklären, nicht mehr zu sehen, ohne meine Augen aufzugeben. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, daß es machbar ist. Eine Operation wäre die einzige Möglichkeit, und selbst da würde es vielleicht einen Idioten aus mir machen, jetzt, wo die kortikalen Verbindungen alle voll aufgebaut sind. Und der Chirurg müßte die Stelle in meinem Gehirn finden, wo die Hauptfunktion sitzt und sie entfernen; er könnte dabei alles mögliche in meinem Kopf zerfleischen, aber wenn er sie nicht trifft, bin ich immer noch ein Psi-Mann.«
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Maria sagte nichts, und Danny setzte zweifelnd hinzu: »Du siehst, wie es steht. Aber wir könnten diese Übereinkunft treffen. Ich würde keine Möbel herumwerfen oder irgend etwas teleportieren oder den Müll anders als mit der Hand nach draußen tragen – kein Gebrauch von Psychokinese oder ESP in deiner Umgebung, das wäre die Regel. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich nie wieder die Möglichkeit haben werde, eine SigmaSequenz zu …« Maria stampfte mit dem Fuß auf und drehte ihm den Rücken zu. Danny stand einen Augenblick lang trocken schluckend im grauen Nebel der Verlassenheit. Er wollte sich gerade abwenden, als ihm ein Gedanke kam, eine so verzweifelte Idee, daß er wankte und zu zittern begann. Nichts, was er je hatte tun müssen, nichts, was er je erlebt oder erlitten hatte, keine jemals empfundene Angst, keine Furcht, hatte ihn so viel gekostet wie dies; aber es war das einzige, was noch zu tun blieb. Gründlich, mit äußerster Präzision und mit äußerster Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber, konstruierte er in seinem Gehirn ein Phantomgehirn, einen elektrischen Komplex, der alles duplizierte: jede Vorstellung, jede Erinnerung, jede Anschauung, jede Empfindung, jeden Impuls und jeden Plan, selbst jeden Reflex und jeden sublimierten, im Unterbewußtsein vergrabenen Trieb. Er ließ nichts aus: die Sitzungen auf der Toilette mit dem Buch, die Börse, die er der Besucherin seiner Mutter gestohlen hatte, der Nadelstich in den Lieblingsballon des fetten Jungen, der angebundene Hund, der versuchte, den Diabolos zu entkommen, die aus dem nahe gelegenen Fenster auf ihn abgeschossen wurden. Jeder noch so kleine Gedanke, den er jemals über Maria gehabt hatte, jede Lüge, jede Schande, jede Niederlage. Alles. Und als er das Phantomkonstrukt fertig hatte, verpflanzte er es behutsam aus seinem Gehirn in Marias.
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Im selben Moment, als es sie erreichte, schien sie zurückzuschaudern. »Ich bring' dich um«, sagte sie tonlos. »Ich bring' dich um, wenn du noch mal … Oh! Oh, Gott, ich werde verrückt.« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Und damit war alles umsonst gewesen. Es hieß, daß Vertrautheit Geringschätzung erzeugt. Dannys Versuch, Liebe aus ihr zu erzeugen, war gescheitert; und er wußte, daß er nichts anderes hatte erwarten dürfen. Als er das Phantombild von sich aufgebaut hatte, war auch sein Abscheu vor sich selbst gewachsen, bis er fast bereit war, sich zu fragen, ob er es überhaupt wert war, zu leben. Warum hatte er erwartet, daß Maria das Bild irgendwie attraktiver finden würde! Er hatte nur eine weitere Dummheit begangen. Maria schien zu weinen. Er zögerte einen Moment länger und ging dann zurück ins Apartment. Der FBI-Agent sah ihn strahlend an. »Spielt sich nichts ab?« fragte er. »Das ist hart. Diese kleine Frau hat ihren eigenen Kopf, wenn ich mich recht erinnere.« »Halten Sie die Klappe!« Der FBI-Mann hielt die Klappe, aber er rückte auf seinem Stuhl hin und her und begann sich mit einer gewissen Unaufmerksamkeit mit seinen Papieren zu beschäftigen. Es war für Danny schmerzhaft deutlich, daß er am liebsten nach draußen auf den Gang gehen und noch einmal sein Glück versuchen wollte. Dann hörte Danny durch die Tür, wie sie mit leiser Stimme rief. »Danny. Danny.« »Ich bin hier«, sagte er. »Danny, sieh mich an.« Der FBI-Agent warf Danny einen freundlich-verschwörerischen Seitenblick zu. Danny beachtete ihn nicht. Sein ESP-
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Zentrum hatte Maria augenblicklich erfaßt – und das enorme Geschenk entdeckt. Das Geschenk des Vertrauens. Ihr Bild von sich selbst war undeutlich und unvollständig, da ihr die Übung fehlte, aber es war schrecklich offen. Einiges war schwer zu ertragen – es kämpfte wütend mit den Vorurteilen und Konventionen, die Danny von Geburt an akzeptiert und in sich aufgenommen hatte. Aber es war alles da, soweit es in Marias Kräften lag. Sie hatte ihm dasselbe Geschenk gemacht, das er ihr angeboten hatte. Kein Wunder, daß sie geweint und sich mit aller Kraft gesträubt hatte, als Danny ihr sein Vertrauen aufgezwungen hatte, aber jetzt gab sie es zurück. »Maria …«, schrie er auf. Danny warte … nur eine Minute. Komm nach draußen und küß mich noch mal. Aber … Ihre Gedanken verschwammen; es fiel ihr sehr schwer, den Strom von Konzepten und Ideen zu kontrollieren, ein Strom, von dem sie nie zuvor als Form der Kommunikation gedacht hatte. Aber schließlich fand sie, was sie sagen wollte. Aber mach diesmal bitte die Tür auf, bevor du durchgehst.
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