»Der Prokaskische Krieg« Band 2 von 3 von W.W. Shols
• Experiment mit der Ewigkeit • • Warnung aus dem Hyperraum •
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»Der Prokaskische Krieg« Band 2 von 3 von W.W. Shols
• Experiment mit der Ewigkeit • • Warnung aus dem Hyperraum •
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Vorwort der zweibändigen Taschenbuchausgabe W.W. Shols, bürgerlich Winfried Scholz, gehörte bis weit in die 1960er hinein zu den SFAutoren, die regelmäßig mit neuen Romanen hauptsächlich auf dem Leihbuchsektor vertreten waren. Auf Grund seiner Routine und Beliebtheit bei den Lesern wurde er 1961 in das ›Perry Rhodan‹ Autorenteam aufgenommen und schrieb bis Band 31 drei Folgen, bevor er aus eigenem Wunsch ausschied. Der Grund war im privaten Umfeld zu sehen. Scholz war Prokurist einer Bielefelder Werbefirma und sein Engagement in dieser Position vertrug sich nicht mit der relativ engen Terminplanung für eine regelmäßig erscheinende Serie wie z.B. Perry Rhodan. 1962 stieg er entgegen besseren Wissens noch einmal bei ›Mark Powers‹ ein und schrieb bei der ersten Konkurrenzserie zum ›Erben des Universums‹ insgesamt sechs Romane verteilt über dreieinhalb Jahre. Seine terminlich unabhängigen Einzelromane, die regelmäßig erschienen, wurden zu dieser Zeit bereits in der Utopia- und/oder Terra-Reihe als Nachdruck erneut auf dem Markt gebracht. Wie schon im Vorwort von ›Der Prokaskische Krieg 1‹ erwähnt, waren die Veröffentlichungen in den Reihen ›Terra‹ und ›Utopia‹ weder zusammenhängend noch in der richtigen Reihenfolge und auch für den Leser größtenteils nicht als Zyklus erkennbar. 1962 erschien beim Bewin Verlag »Warnung aus dem Hyperraum«, der vierte Band aus der Reihe. Der Nachdruck als Terra 276 im Jahre 1963 suggerierte dem Leser, dies sei der dritte und letzte Band des Zyklus‹. Die beiden abschließenden Bände »Ballett der Roboter« und »Das Trojanische Pferd« erschienen 1963 bei Bewin, bevor sie in falscher Reihenfolge in der Utopia-Reihe als die Bände 457 und 441 im Jahre 1965 nachgedruckt wurden. Damit war dieser Zyklus beendet – vielleicht etwas überraschend, genügend Material für weitere Abenteuer bot sich durchaus an –, aber der Autor hatte inzwischen die 13-bändige Reihe »Uto-Spion« begonnen, die innerhalb von »Utopische Welten« auch neu aufgelegt werden wird. In dieser Ausgabe erscheinen die Romane des Prokaskischen Krieges erstmalig in chronologischer Reihenfolge und komplett unter dem Serientitel zusammengefaßt. Der eingeführte Namen des Zyklus wurde übernommen, auch wenn er vielleicht unpassend ist, sind die Romane doch eher die Schilderung der Ereignisse, die zur Beendigung dieses Krieges führen. Heinz Mohlberg
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»Experiment mit der Ewigkeit«
Perry Barnett hatte dreimal ein Geräusch gehört, aber nichts Verdächtiges entdecken können. Beim vierten Male wußte er, daß es hinter der hohen Mauer des Gartens verursacht worden war. Unwillig verließ er den bequemen Liegestuhl und den kühlenden Schatten der dichten Ziersträucher, um der Störung auf den Grund zu gehen. Die Mauer war vom Garten aus mannshoch. Auch Barnett konnte nicht hinübersehen. Er sah nur zwei zierliche weiße Hände, die sich in den rauhen Stein verkrampft hatten. »Warum kommen Sie nicht durchs Tor?« rief er. Die Hände zuckten etwas, blieben aber auf der Mauer liegen. »Das Tor ist bewacht«, kam die Antwort. Die Stimme gehörte keinem weiblichen Wesen, wie er zuerst vermutet hatte. »Okay«, erklärte Barnett. »Warte! Ich hole dich herüber!« Er arbeitete sich ohne Rücksicht auf seinen Anzug auf die Mauer hinauf und half dem Jungen. Als beide glücklich im Garten standen, grinsten sie. »Komisch, was?« sagte der Mann. Der Junge nickte nur. »Komm in die Laube. Dort ist auch Platz für zwei.« Der Empfang war sehr unkonventionell. Der Junge hatte offenbar größere Schwierigkeiten, vor allem aber mehr Fragen erwartet. Aber der Mann schwieg hartnäckig. Wenigstens für eine Weile, während der er den seltsamen Besucher ungeniert musterte. »Du bist vierzehn Jahre alt.« »Genau. Woher wissen Sie das?« »Ich habe es erraten. Du bist außerdem das Kind eines Sol-Sirius-Delegierten ...« »Jawohl, Sir. Sie kennen mich?« »Nein, natürlich nicht. Aber welcher Mensch könnte wohl auf diesem Planeten wohnen, wenn er nicht irgendwie zur Delegation gehörte? Du heißt Barth, stimmt's?« Der Junge rutschte ungemütlich in seinem Stuhl hin und her. »Sie kennen mich also doch.« »Keineswegs. Ich kenne nur deinen Vater. Du siehst ihm sehr ähnlich.« »Fatal! Jetzt wissen Sie alles über mich.« »Alles?« Barnett lachte. »Dann wärest du ein sehr langweiliger Mensch. Und das kannst du nicht sein, wenn du nach deinem Vater schlägst.« »Daddy ist wahrhaftig nicht langweilig. Aber Sie sind es auch nicht.« »Wie hast du das so schnell herausbekommen?« »Ich weiß, daß Sie Barnett sind ... Verzeihung, daß Sie Mister Barnett sind.« »Laß den Mister weg. Auf welcher altmodischen Schule hast du diese Anrede gelernt?« »Auf Sohle fünfzig, Terra-Town eins.« »Tatsächlich, ich hätte es mir denken können. Aber ich kann mir deinen Vornamen nicht denken. Mit der Telepathie hapert es bei mir immer noch etwas, obwohl die Prokas mir das ganze Haus mit Gedankenrelais vollgestellt haben.« »Ich heiße Kurt. – Kurt Barth.« »Okay, Kurt. Und jetzt brauchst du ein Autogramm.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein Sir, eigentlich nicht ...« »Dann möchte ich wissen, weshalb du dir die Hände an der Mauer zerschunden hast.« »Ich wollte Sie etwas fragen.« »Konnte dir das kein anderer beantworten?« »Die Leute reden viel. Aber das verträgt sich alles nicht miteinander. Sie sagen, Sie wären früher ein Verbrecher gewesen.«
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»So, sagen sie das?« »Ja. Emmy Warner erklärte gestern noch, es könne gar nicht gutgehen, was die Menschen hier auf Poldini II machen. Sie wären ein Deserteur. Und nun soll Ihnen die Welt plötzlich den Frieden verdanken. Sie sagte, nun wären wir schon ein Vierteljahr bei den Prokas. Die Kugelwesen wollten uns aber nur hinhalten. Eines Tages würde der ganze Waffenstillstand platzen, und die Prokas schlügen dann endgültig zu, um die Menschen zu vernichten. Und Sie trügen die Schuld. Weil Sie ein Verbrecher sind. Für uns Jungen sind Sie ein Held, Sir. Wenn wir Menschen und Prokas spielen, dann ist es eine Ehre für den, der Barnett sein darf. Ich möchte eigentlich nur wissen, wie es wirklich war. Denn ich weiß ja, daß man Sie vor Monaten noch durch die Regierung hat suchen lassen. Aber irgend etwas kann da doch nicht stimmen. Wenn Sie ein Verbrecher wären, dann würden Sie jetzt auf Sohle hundertdreizehn im Zwangsarbeitslager sein.« »Verbrecher hat mich bis heute noch keiner meiner Vorgesetzten genannt. Da kannst du ganz beruhigt sein. Trotzdem stimmt es aber, daß ich keine völlig reine Weste habe. Weißt du, in einem Krieg, der beinahe tausend Jahre gedauert hat, ist es schwer, eine reine Weste zu behalten. Ich war ein Rebell und Deserteur. Und das noch nicht einmal aus freiem Willen. Das Gehirn hat mich dazu gezwungen. Das Gehirn wollte es so.« Kurt sah den Weltraumfahrer verständnislos an. »Wenn es so kompliziert ist, brauchen Sie nicht darüber verwundert zu sein, was die Leute von Ihnen erzählen.« »Ich wundere mich auch nicht. Ich begreife es selbst kaum. Auch heute noch erscheint mir alles wie eine Hexerei.« »Bitte, Barnett, erzählen Sie.« »Ja, weißt du, es ist schwer, den Anfang zu finden. Hast du schon einmal die Plakate auf Terra mit den wirklichen Prokas verglichen?« »Die Plakate waren falsch. Daddy sagte, das hätte man wegen der Propaganda gemacht. Es wußte ja keiner so recht, wie die Prokas aussahen.« »Siehst du. Und Propaganda hat viel mit Psychologie zu tun. Die Prokas sind beinahe rund wie eine Kugel. Doch eine Kugel wirkt nicht abschreckend. Zur Stärkung der Kampfkraft aber gehört der Haß gegen die Feinde. Darum hat man sie menschenähnlich dargestellt und verzerrt. Man hat aus den Gegnern Teufel gemacht. Und umgekehrt die Prokas. Der Haß war mit dem Krieg in eine Sackgasse gerannt. Das Gehirn hatte eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgestellt, nach der der Krieg noch etwa achthundert Jahre dauern würde. An seinem Ende hätte die totale Vernichtung beider Rassen gestanden. Der Krieg konnte nur durch einen Rebellen beendet werden.« »Das verstehe ich nicht.« »Paß auf! Beide Zivilisationen lebten in der Gewißheit, daß der Gegner zu keinem Kompromiß bereit sei. Jeder sah in dem anderen die Rasse, die nach der absoluten Vernichtung des Feindes trachtete. Es gab nur rein theoretisch die Möglichkeit, daß die anderen zu Friedensverhandlungen bereit seien. Und um das festzustellen, drängte das Gehirn einige hundert ausgewählte Leute in die Rebellion. Es waren Männer, die völlig aus eigener Initiative heraus die Verbindung mit dem Gegner suchten. Zunächst, um ihn zu vernichten. Doch das Gehirn sah in einem solchen persönlichen Kontakt zwischen den Individuen die Möglichkeit, daß sie sich eines Tages nicht mehr töten würden, daß ein Gespräch zustande käme. Bei mir hat es schließlich geklappt. Ich war ein besonderer Rebell, ich hatte den Gedanken an Frieden in meinem Gehirn aktiviert. Du weißt, daß die Prokas eine starke telepathische Veranlagung haben. Ich hatte nur den Wunsch nach Frieden. Für einen Augenblick, weißt du. Und diese Sekunden entschieden das Schicksal der Galaxis. Die Prokas, denen ich begegnete, waren Wissenschaftler und keine Militärs. Sie verstanden es, uns beizubringen, daß auch sie den Frieden wollten ...«
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»Demnach hat nie ein Mensch zuvor an den Frieden gedacht, wenn er einem Proka gegenübertrat.« »Meistens war die Zeit zu kurz. Aus Prinzip wurde zuerst geschossen und dann gefragt. Ich kannte jemanden von unserer Besatzung, der schon für längere Zeit bei den Prokas gewesen war. Auch solche Leute muß es vereinzelt gegeben haben. Doch die waren in der Regel eingefleischte Krieger ohne Objektivität. Oder sie dachten nur an ihre Geschäfte. Die meisten hatten Angst. Und aus der menschlichen Angst hat noch kein Proka unsere Sehnsucht nach Frieden abgelesen.« »Dann sind Sie also doch ein Held«, stellte Kurt fest. Barnett lächelte. »Sie hatten keine Angst. Sie dachten an den Frieden.« »Ich hatte wenig Anlaß, mich zu fürchten, mein Junge. Weißt du, die Prokas waren meine Gefangenen. Wir hatten in einem Duell ihr Schiff vernichtet und Iks-Wol-Esak und NamLegak gerettet. Auf diese Weise kam ein längeres Gespräch zustande. Es muß damals vor einem guten Vierteljahr wohl das längste Gespräch gewesen sein, das jemals zwischen Prokas und Menschen geführt worden war.« »Bis damals, Sir. Heute dauern die Debatten tage- und wochenlang.« »Es geht um den Frieden, Kurt. Wir haben einen totalen Waffenstillstand. Damit ist schon viel erreicht. Man tötet sich nicht mehr gegenseitig. Jetzt müssen wir Geduld haben.« Der Junge sah Barnett glücklich an. »Ich bin froh, daß Sie kein Verbrecher sind, Sir. Ein Rebell ist etwas ganz anderes ...« Er hatte plötzlich ein kleines Buch in der Hand und hielt es dem Helden seiner Jugend hin. »Also doch ein Autogramm.« »Als Quittung, Sir. Die anderen glauben sonst nicht, daß Sie mir ein Interview gegeben haben.« Barnett aber schrieb mehr als seinen Namen. Er schrieb: ›Meinem Freunde Kurt Barth. Perry Barnett, Rebell des Weltraums.‹ Und das Datum mit der Jahreszahl 13 267. Das Glücksgefühl hatte sich auf den erwachsenen Mann übertragen. Er konnte nicht anders, als Kurt seinen Freund nennen. Die Begegnung war schöner als jede andere in seinem bisherigen Leben. Er dachte daran, wie er zum ersten Male Cora sah, wie zum ersten Male ein rundes Prokawesen auf ihn zukam. Das war alles anders gewesen. Der Junge ahnte nichts von den Gedanken des Mannes, der plötzlich nicht mehr jung war, der sekundenlang Rückschau auf sein bisheriges Leben hielt. Sie hätten sich jetzt eigentlich die Hände reichen und auf Wiedersehen sagen müssen. Das Interview war beendet, und im Rat der Prokas begann in wenigen Minuten eine neue Sitzung. Die einhundertvierundzwanzigste seit Beginn der Friedensverhandlungen. Doch es kam anders. Kurt spürte es plötzlich hinter sich. Etwas Fremdes, das er als Drohung auffaßte, weil er es nicht kannte. Barnett riß den erschrockenen Jungen an seine Seite. »Keine Angst, Kurt. Nam-Legak ist unser Freund.« Trotzdem fiel es einem Uneingeweihten schwer, keine Angst zu verspüren. Denn die Annäherung des Kugelwesens war beinahe irreal. Im Garten stand nur ein Bild, während das Wesen selbst irgendwo anders weilte. Sie hatten die Energieglocke vor sich, die Barnett von seiner ersten Begegnung mit einem Proka in Erinnerung hatte. Sie traten in das transparente Bild, und Nam-Legaks Körper mischte sich mit ihren Beinen. »Wenn du mich an den Beginn der Sitzung erinnern willst, Nam, dann bedenke, daß ich selber einen genaugehenden Wecker besitze. Oder wolltest du unserem jungen Freunde hier eure prokaskischen Tricks zeigen?« »Unsere Tricks gehen euch Menschen in der Regel auf die Nerven, solange ihr sie nicht kennt. Wenn ich dich auf diese Weise besuche, dann also nur, weil es eilig ist. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen, Perry, und möchte, daß du den Jungen wegschickst.«
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»Ich verschwinde schon«, beeilte sich Kurt zu sagen. Barnett gab dem Jungen einen Klaps auf die Wange. »Komm morgen wieder!« Nam-Legak wartete, bis Kurt hinter der Mauer untergetaucht war. »Du mußt sofort aus deinem Haus verschwinden, Perry! Nimm aber nicht die Flugkuppel.« »Verdammt! Willst du das nicht etwas genauer erklären? Ich muß jetzt zur Sitzung und nehme den Flitzer. Zu Fuß dürfte ich kaum vor Ende der Debatte eintreffen.« »Du tust nichts dergleichen«, widersprach Nam-Legak energisch. »Die Sitzung fällt für dich aus. Und wenn du nicht umgehend dein Haus verläßt und dich nicht unauffällig zu mir begibst, dann ist deine Freiheit keinen Solar mehr wert.« »Was ist denn passiert?« »Ein Mord.« * Nam-Legaks Energiefeld löste sich auf. Obgleich Barnett die Forderung des Prokas völlig absurd vorkam, handelte er dennoch danach. Er kannte das Gefühl, Verfolger hinter sich zu wissen. Deshalb ging er auch nicht mehr ins Haus, wo er bereits dem ersten Ordnungshüter in die Arme laufen konnte. Er nahm den Weg, den Kurt gegangen war. Den Sprung über die Gartenmauer. Jenseits der Mauer lag ein städtischer Park mit dichtem Baumbestand. Das Unterholz bot genügend Deckung, und Barnett hastete im Dauerlauf in die Richtung von Nam-Legaks augenblicklicher Dienstwohnung davon. Es war von Vorteil, daß jeder Teilnehmer an den großen Friedensverhandlungen ein eigenes Haus zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Der Friede für ein ganzes Milchstraßensystem rechtfertigte den Aufwand. Und diese Sachlage machte es möglich, daß Barnett unerkannt zu Nam-Legak hineinschlich und dort ohne Zeugen mit dem Proka sprechen konnte. Nam-Legak war allein. Er zerrte den Menschen mit seinen langen Armen aufgeregt durch die Tür und ließ sie sofort wieder zurollen. Der Kugelmann hüpfte voraus in einen größeren Salon. Er war auf Menschenbesuch nicht eingerichtet, doch die dicken, weich gepolsterten Stand- und Ruhekissen eigneten sich recht gut, daß sich ein Mensch darauf setzte. Er mußte nur die Knie ein wenig anziehen. Erst als Barnett bequem saß, spürte er etwas von der Aufregung des Prokas auf sich übergreifen. »Für einen Scherz, Nam, bist du nicht der richtige Mann. Du sprichst von einem Mord, und du bringst mich offenbar damit in Verbindung. Denn sonst wären deine Befürchtungen um meine Sicherheit doch sinnlos.« »Im Augenblick ist kein Mensch sicher.« »Man sagt – kein Mensch. Meinst du auch die Prokas damit?« »Ich meine nur die Menschen. Denn ein Mensch ist der Mörder. Sogar einer, der dir sehr teuer ist.« »Einer von der Besatzung?« Nam-Legak bejahte, indem er zustimmend mit seinen drei Armen schlug. »Praxlomza«, erklärte er. Perry Barnett wollte aufspringen, besann sich aber rechtzeitig, bevor sein Kopf gegen die Decke stoßen konnte. »Das glaube ich nicht eher, als bis es mir bewiesen wird. Bei der CORA-Besatzung gibt es keinen, der weniger für einen Mord in Frage kommt als ausgerechnet Praxlomza. Wen soll er umgebracht haben?« »Einen Proka. Man hat die Leiche noch nicht identifizieren können. Papiere hatte der Tote nicht bei sich.«
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»Wo ist es passiert?« fragte Barnett. »In Praxlomzas Haus.« »Dann muß der Fremde sein Gast gewesen sein. Und jeder Proka, der Prax kennt, ist auch in der Delegation der Person nach bekannt.« »In diesem Falle nicht«, stellte Nam-Legak unwillig fest. »Ich gebe dir den guten rat, Perry, kümmere dich nicht um die Identität des Toten. Es geht um deine Sicherheit.« »Das ist Unsinn«, widersprach der Mensch in Unkenntnis der prokaskischen Gesetze. »Wenn der Tote nicht hierhergehörte, dann war er auch für Prax ein Fremder. Ich schätze, es handelt sich um einen Fall von Notwehr oder Hausfriedensbruch. Und der Tote wäre damit gleichzeitig der Schuldige.« »Deine Schlußfolgerungen sind scheinheilig, Perry. Ich weiß nicht, ob ihr Menschen alle so denkt. Aber es ist doch Wahnsinn, dem Ermordeten die Schuld für die Tat des Mörders zuschreiben zu wollen!« »Nach dem menschlichen Rechtsgefühl gibt es auch Totschlag und Unglücksfälle. Es ist durchaus möglich, daß Praxlomza unter Bedrohung seines Lebens provoziert wurde.« Nam-Legaks vibrierender Körper verriet seine Erregung. »Es ist unmöglich, daß wir uns ausgerechnet jetzt über die Unterschiede menschlicher und prokaskischer Rechtsauffassung streiten. Der Mord geschah hier auf Poldini. Und du mußt dich damit abfinden, daß unsere Polizei und die Richter den Fall so sehen, wie sie es gewohnt sind.« »Und wie sind sie es gewohnt?« »Sie werden auch Praxlomza töten, sobald sie ihn gefaßt haben.« »Sobald sie ihn gefaßt haben? Ist er geflohen?« »Ja. Und damit hat er auch seine Schuld eingestanden ...« »Natürlich, bei der Primitivität eurer Beweisführung liegt das auf der Hand. Verdammt, Nam, ich habe dich und deinen Freund als Wissenschaftler kennengelernt, deren geistiges Niveau uns Menschen oft zu Halbwilden degradierte. Aber im Augenblick scheinen mir die Rollen vertauscht zu sein.« »Ich rate dir, dich an die Tatsachen zu halten.« »Nun gut, weiß jemand, wohin sich Praxlomza gewandt hat?« »Natürlich nicht. Sonst wäre seine Festnahme nur eine Frage der Zeit.« Perry Barnett atmete hörbar auf. »Prax ist also verschwunden. Eure Polizei ist nicht auf dem Posten, muß ich sagen. Aber, bitte, mir kann es nur recht sein. Ich habe nämlich kein Interesse daran, daß man ihn erwischt.« Nam-Legak teilte diese Zufriedenheit nicht. Seinen Körper durchrieselte noch immer das leichte Zittern, mit dem jeder Proka seine Erregung verrät. »Warum kannst du nicht einmal einen Augenblick an dich denken?« »Wieso an mich? Du hast verlangt, daß ich hierherkomme. Ich bin da. Und du siehst, daß ich dir vertraue, obgleich ich ein Mensch bin, dessen Artgenosse einen Proka getötet hat. Über eure Bräuche bin ich schließlich soweit orientiert, daß man mich mit Gewalt nicht einmal durch einen Haftbefehl aus deinem Haus holen kann.« »Die Wohnung ist tabu. Sie ist unantastbar.« »Die Wohnung eines Prokas«, entgegnete Barnett nicht ohne Zynismus. »Bei euren menschlichen Gästen nehmt ihr dieses Gesetz offenbar nicht so genau.« »Wie soll ich das verstehen?« »Du kannst dich dumm stellen, mein Guter. Warum sollte ich so eilig mein Grundstück verlassen?« »Nun, ja! Wahrscheinlich bist du dort tatsächlich nicht so sicher. Doch auch das Tabu meiner Wohnung ist nur eine scheinbare Geborgenheit.«
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»Ich verstehe«, nickte Barnett. »Ich kann mir denken, daß es für dich unangenehm werden könnte, wenn sie herausbekommen, daß ich hier bin.« »So ist es.« Für eine Weile herrschte Stille, und die beiden artfremden Wesen versuchten gegenseitig in den Gedanken zu lesen. Ohne Telepathierelais wollte das heute jedoch nicht so recht gelingen, denn die Gedanken waren ungeordnet und hektisch. Sie überlagerten und störten sich, daß ohne akustische Hilfe kein Gespräch möglich war. Barnett brach schließlich das Schweigen. »Ich wäre ein Schweinehund, wenn ich dich auf diese Weise in Schwierigkeiten brächte, Nam-Legak. Aber mir will es nicht in den Schädel, weshalb man mich haben will, wenn man genau weiß, daß Praxlomza der Täter ist. Sucht man ein Ersatzopfer, weil man ihn nicht erwischt hat?« »Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, daß man hinter dir her ist. Ich habe bei der Ordnungseinheit, die die Bewachung des Konferenzpalastes durchführt, gehört, daß man dich sucht.« »Und zu welchem Zweck?« »Wenn Selam-Yak die Aufgabe erhält, nach dir zu forschen, dann hängt eine Verhaftung dahinter. Das hat mir vollkommen genügt, um nach Hause zu gehen.« »Wer ist Selam-Yak?« »Der erste Ordnungsoffizier der Einheit.« »Hör zu, Nam. Wie könnte man herauskriegen, daß ich hier bin? Du darfst dabei voraussetzen, daß mich niemand gesehen hat, als ich hierherkam.« »Der dümmste Polizist wird nach weniger als drei Fehlschlägen auf mich kommen. Zwischen Iks-Wol-Esak und uns beiden fand die Begegnung statt, die zu den Friedensverhandlungen geführt hat. Man weiß, daß wir Freunde sind ...« »Na schön, aber du sagtest, sie dürften nicht herein, wenn du ihnen den Zutritt verweigerst. Dein Haus ist tabu.« »Natürlich, sie können uns unmittelbar nicht fassen. Als Prokabürger habe ich jedoch die Pflicht, dich auszuliefern.« »Und warum tust du es nicht?« »Weil ich offiziell noch nichts davon weiß, daß man dich sucht.« »Hm, und wenn sie es dir mitteilen, wenn sie es verbreiten, daß es jeder Bürger wissen muß?« »Ich weiß nicht, dann ...« »Was würde geschehen, wenn du leugnest, mich hier zu verstecken?« »In dieser Mordsache wäre mir das Todesurteil sicher.« »Verdammt, eure Kugelzivilisation wird mir allmählich unheimlich. Man kann doch meiner Person nicht eine solche Bedeutung beimessen, wenn Prax der Täter ist. Irgend etwas stimmt doch da nicht ...« Barnett zuckte zusammen. Diese letzte Antwort war nicht von Nam-Legak gekommen. Sie war klar gewesen. Aber ohne jede akustische Unterstützung. Er sah den Proka an. »Wer ist das?« »Ich glaube, ich gehe an die Tür.« Barnett empfand plötzlich Angst. »Warte, Nam! Laß mich verschwinden, wenn es die Polizei ist. Ich stelle mich draußen. Aber dich soll man in diese Sache nicht hineinziehen.« Merkwürdigerweise war der Proka ruhiger geworden. Er rollte unbeirrt zur Tür. »Vor dem Haus steht Iks-Wol-Esak. Ich werde ihn hereinlassen ...« »Der Philosoph und der Terra-Kapitän!« war Iks-Wol-Esaks erste entrüstete Bemerkung. »Ihr unterhaltet euch hier mit einer Intensität, die einfach unglaublich ist. Wer ein schlechtes Gewissen hat, der sollte seine Gehirnwellen auf die schwächste Berieselung einstellen, die nur möglich ist.«
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»Woher weißt du, daß wir ein schlechtes Gewissen haben?« wollte Nam wissen. »Ich habe zwei Minuten vor dem Haus gestanden und euer unsinniges Gespräch verfolgt. Wenn euer persönliches Schicksal tatsächlich so sehr in Gefahr wäre, wie ihr glaubt, dann hättet ihr längst das Interesse von etlichen Denunzianten erregt.« »Willst du vielleicht behaupten, Barnett würde nicht verfolgt?« »Er wird gesucht, weiter nichts.« »Weiter nichts? Selam-Yak sucht ihn. Was das bedeutet, brauche ich dir wohl nicht erst zu erklären.« »Du kannst es nicht erklären, weil du es nicht weißt. Es ist wohl besser, daß ich das übernehme.« »Was weißt du, Iks?« forschte Barnett. »Ich weiß einiges, das euch zur Beruhigung gereichen wird. Anderes wieder ist sehr bedenklich. Praxlomza hat den Unbekannten bereits in dieser Nacht getötet. Er wäre niemals entkommen, wenn man die Leiche früher entdeckt hätte.« »Ist er denn entkommen?« »Allerdings. Denn sonst hätte man ihn längst gefaßt. Die Ordnungskräfte haben jeden Quadratmeter dieses Planeten unter Kontrolle.« »Demnach ist Prax in den Raum entwischt?« »Wahrscheinlich. Im Laufe der Nacht sind fünf Privatschiffe mit Sondervollmacht gestartet. Ihr wißt, daß Praxlomza als Angehöriger der Delegation eine solche Vollmacht besitzt. Er hatte keine Schwierigkeiten mit dem Flugplatzpersonal.« »Aber er besitzt kein Schiff und keine Mannschaft.« »Er hat die CORA mitgenommen.« Barnett sprang auf. »Prax ist nichts als eine gute Hilfskraft auf einem Raumschiff. Der bekommt eine Maschine der Beteigeuze-Klasse nicht zehn Zentimeter vom Boden weg.« »Man vermißt außer ihm Lisman und Lavista. Und Lisman ist inzwischen ein vollwertiger Pilot.« »Also Lisman hat ihm geholfen.« Barnett knirschte mit den Zähnen. »Ich hätte es mir denken können.« »Deine Gedanken sind sehr durcheinander«, mischte sich Nam-Legak ein. »Du solltest dich freuen, daß den dreien die Flucht geglückt ist. Statt dessen bist du wütend, daß sie dein Schiff entführt haben.« »Es war nicht einmal mein Schiff. Du weißt genau, daß ich es lediglich nach Cox' Tod übernahm.« »Eure Gerichte werden es Cora als Erbe zuschreiben. Und du wirst sie heiraten ...« Der Logiker trat dem Philosophen leicht auf das Ende des rechten Armes. »Ich schlage vor, wir brechen die Party hier ab. Wenn auch die heutige Sitzung der Friedensdelegation ausfällt, so ist im Palast trotzdem der Teufel los. Du solltest mitkommen, bevor Selam-Yaks Leute dich hier aufstöbern.« »Was will man von mir?« fragte Barnett. »Man will, daß du dabei bist. Selam-Yak hat natürlich sofort die Zentralregierung informiert. In etwa einer Prokastunde wird unser Oberhaupt Que-Talak auf Poldini II erwartet.« Perry Barnett überlegte kurz. »Wenn Selam-Yak mich rufen läßt, so überschreitet er damit seine Kompetenzen. Ich unterstehe einzig und allein dem Befehl meines Ministers.« »Nam wird nichts dagegen haben, daß du Skeen anrufst. Es ist sogar besser, wenn du dich vorher mit ihm verständigst.« »Wie soll ich das machen? Ich habe kein Funkgerät bei mir. Und mit euren Telegrafen
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können Menschen nichts anfangen. Hast du ein Fahrzeug da? Ich möchte meine Wohnung aufsuchen. Von dort aus kann ich Skeen per Telefon anrufen.« Kaum hatte die Maschine im Garten aufgesetzt, so rannte der Mensch schon ins Haus und stürzte ans Telefon. Er wählte Skeens Nummer, erhielt von dem Roboter aber lediglich die Antwort, daß der Marinepsychologe und Minister zur Sitzung geflogen war. Sie flogen also weiter zum Palast. Auf dem weiten Vorplatz wimmelte es von Prokas. Es handelte sich zweifellos um eine Massendemonstration, die eine Landung auf dem Feld unmöglich machte. Nam-Legak wählte deshalb das Dach zum Aufsetzen. Auch hier war das Gedränge größer, als es die Verkehrsvorschrift zuließ. Doch Nam-Legak erhielt sofort Landeerlaubnis, als er bekanntgab, daß Perry Barnett an Bord sei. Auf dem Dach hielten sich außer den Parkwächtern mehrere Leute der prokaskischen Ordnungsorgane auf. Eine recht stattliche Kugel machte sich sofort an die drei Ankömmlinge heran. Aus seinem Gehirn sprudelte ein Hagel von Gedanken, so daß Barnett auch mit Unterstützung seines Telepathierelais Mühe hatte, den Wortlaut zu verstehen. Immerhin begriff er den Sinn und wartete gar nicht erst ab, daß einer seiner Begleiter sich als Dolmetscher einschaltete. »Ich habe volles Verständnis für Selam-Yaks Wunsch, mich zu sprechen. Ich verlange jedoch, daß man mir vorerst Gelegenheit gibt, Skeen zu sehen. Alle Menschen auf Poldini II unterstehen keinem anderen als ihm.« »Ihre Delegation steht geschlossen unter dem prokaskischen Strafrecht, sobald es sich um Mord handelt. Ich denke, Sie sind orientiert über den Vorfall.« »Noch nicht ausreichend. Und eben deshalb verlange ich, meinen Minister zu sprechen. Wahrscheinlich bin ich Ihnen der Person nach bekannt. Infolgedessen werden Sie mir glauben, daß ich über sämtliche Bestimmungen orientiert bin, die die rechtliche Position der Menschen auf Poldini II regeln. Sie haben keine Handhabe, mich zu irgend etwas zu zwingen, zu dem ich nicht freiwillig bereit bin.« Der dicke Proka stand genau vor ihm und versperrte den Zugang zum Fahrstuhl. »Praxlomzas Verbrechen ist ein Sonderfall, der in den Abmachungen nicht berücksichtigt war.« »Das ist Ihr Pech.« Perry Barnett sagte es so selbstbewußt wie möglich. Auf dem Dach wimmelte es von Prokas. Und kein einziger Mensch befand sich zwischen ihnen – bis auf Barnett. Es war nicht einmal sicher, ob Nam und Iks seine Partei ergreifen würden, wenn er es auf eine Kraftprobe ankommen ließe. Also verzichtete Barnett auf die Kraftprobe. »Ich weiche der Gewalt, betone aber ausdrücklich, daß ich das unter Protest tue, indem ich mich auf die Immunität berufe, die mir das Gesetz über die Friedensverhandlungen zubilligt und die auch Paragraph sieben des Waffenstillstandsvertrages garantiert.« Der Polizeimann ging auf Barnetts Rede nicht ein. Er befahl nur: »Folgen Sie mir!« Niemand hatte etwas dagegen, daß Nam und Iks sich anschlossen. Sie betraten einen Lift mit Kabinen. Barnett stellte mit Verwunderung fest, daß er zwischen der oberen, der 70., und der 35. Etage nicht einen Menschen hatte entdecken können. Wenn er bedachte, daß die Delegation der Sol-Sirius-Union aus zweihundertfünfundsechzig Leuten bestand, die täglich alle einmal in diesem Gebäude zu tun hatten, dann war diese Feststellung beängstigend. Sein Verdacht, daß man sie möglicherweise alle schon verhaftet hatte, machte sich so breit in seinem Gehirn, daß die Prokas ihn bequem ablesen konnten. Doch ihm machte das nichts mehr aus. Er wunderte sich kaum noch über die Pedanterie, mit der die Prokas wegen eines Mordfalles anscheinend den Frieden der ganzen Galaxis in Frage stellten. Er ahnte einen Sinn
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hinter der Farce und dachte sogar an Verrat. An eine Falle, die die Kugelwesen der gesamten Menschheit mit ihrer Bereitschaft zu Friedensverhandlungen gestellt hatten. Der Mensch spürte plötzlich einen leichten Druck auf den Füßen. Er sah an sich hinunter und erkannte, daß Iks-Wol-Esak auf seinen Schuhen stand. Die Warnung kam jedoch zu spät. Der Polizeimann erklärte mit Genugtuung: »Ihre Gedanken, Barnett, zeigen nicht die Falschheit der Prokas, sondern Ihre eigene schmutzige Phantasie.« Perry Barnett zuckte mit den Schultern. »Es wird sich noch herausstellen, ob Sie das Recht haben, den Moralprediger zu spielen.« »Dann empfehle ich Ihnen Geduld. Ich meine, für den Fall, daß Sie das Gegenteil erhoffen ...« In diesem Augenblick hielt die Kabine im dritten Stockwerk an. Hier befanden sich die Zugänge zum oberen Rang des Sitzungssaales und die Büros der Delegationsprominenz beider Rassen. Die fünf unteren Etagen des Palastes wiesen eine Deckenhöhe von 2,50 Meter auf. Hier allein war es möglich gewesen, den Menschen annähernd die Größenverhältnisse zu bieten, die sie aufgrund ihrer Körpermaße brauchten. Barnett kannte das Stockwerk wie seine Westentasche. Obgleich er kein Politiker war, gehörte er dennoch zur Prominenz der Sol-Sirius-Abordnung. Denn er allein hatte den ersten Kontakt zwischen den Gegnern hergestellt. Er war der Kapitän des Rebellenschiffes CORA. Am Ende des Ganges lag Selam-Yaks Büro. Dort ging in diesem Augenblick die Tür auf, und ein Mensch erschien. »Hallo, Herter!« rief Barnett und blieb stehen. »Sie laufen noch frei herum?« Der Staatssekretär hielt ebenfalls den Schritt an. Er hatte ein ernstes Gesicht. Doch jetzt mischte sich ein Ausdruck der Verwunderung mit hinein. »Weshalb sollte ich nicht frei sein?« »Weil mir die Prokas seit einer halben Stunde nicht mehr gefallen.« »Das beruht auf Gegenseitigkeit, mein Lieber. Ich habe das Gefühl, wir gefallen den Prokas im Augenblick auch nicht.« »Kommen Sie weiter«, drängte der Ordnungsbeamte und ließ die Erlaubnis durchblicken, daß Nam-Legak und Iks-Wol-Esak ebenfalls eintreten durften. Das Zentralbüro Selam-Yaks wimmelte von Intelligenzlern. Es waren mindestens ebenso viele Menschen wie Prokas anwesend. Das Gemurmel verstummte etwas, und man ließ die sechs höflich durch. Sie mußten noch zwei Vorzimmer passieren, ehe sie im Arbeitszimmer des Ordnungsoffiziers standen. Hier sorgten schalldichte Türen und Wände für absolute Stille. Barnett spürte eine Erleichterung beim Anblick von Skeen. Außerdem entdeckte er seinen Freund Bannister und Selam-Yak mit seinem Adjutanten. Der dritte Proka war Que-Talak, das Staatsoberhaupt aller Prokas. »Sie haben ein Relais bei sich«, erklärte Skeen. »Denken Sie an unsere Bedingungen, Selam-Yak!« Das Telepathierelais wurde sofort entfernt. Skeen hatte offenbar schon ein Gefecht gewonnen, denn durch ein Relais wäre es den Prokas natürlich ein leichtes gewesen, jeden Gedanken der Menschen aufzufangen. Und umgekehrt standen die Chancen wesentlich schlechter. Trotz technischer Hilfsmittel blieben die Menschen immer noch stümperhafte Gedankenleser und ließen sich durch gewisse Gehirntricks hinters Licht führen. »Man hat mich mit Gewalt hierhergebracht«, erklärte Barnett. »Ich möchte zunächst Sie sprechen, Skeen.« »Sie irren, wenn Sie sich als Gefangenen betrachten«, sagte Selam-Yak schnell. Skeen nickte. »Es ist nicht notwendig, Barnett, daß wir unter vier Augen sprechen«, ergänzte Skeen. »Ich habe inzwischen mit Que-Talak und den Ordnungsoffizier die Verhandlungssituation
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klären können. Die ursprünglichen Abmachungen haben nach wie vor für beide Delegationen und für alle Prokas hier Gültigkeit. Auch der angebliche Mordfall kann daran nichts ändern. Ich darf Ihnen außerdem versichern, daß Que-Talak für das Mißliche unserer Situation Verständnis hat. Wie weit sind Sie orientiert?« »Ich weiß, daß Praxlomza einen bisher nicht identifizierbaren Proka getötet haben soll. Prax befindet sich anscheinend außerhalb dieses Sonnensystems. Er hat die CORA zur Flucht benutzt und wahrscheinlich Lisman und Lavista mit an Bord. Was mir unser Freund NamLegak außerdem in dieser kurzen Zeit an Kenntnissen über die prokaskische Ethik und Rechtsauffassung beigebracht hat, erscheint mir, vorsichtig ausgedrückt, sehr sonderbar.« »Wir kommen trotzdem nicht umhin, diese Auffassung als Tatsache vorauszusetzen. SelamYak hat mir soeben die Resolution von fünf hiesigen Organisationen vorgelesen, mit denen der sofortige Abbruch der Friedensverhandlungen gefordert wird. Ich denke, Sie haben die Demonstration der Massen draußen beobachtet. Unsere Schwierigkeit ist, daß wir nicht begreifen können, daß das Schicksal eines Individuums plötzlich entscheidend für das Schicksal ganzer Welten sein soll. Die Schwierigkeit unserer Partner ist, daß sie neben ihrer arteigenen Einstellung unerwartet unter einem äußerst starken Druck der öffentlichen Meinung stehen.« In diesem Augenblick trat Que-Talak in die Mitte des Raumes und zog die Aufmerksamkeit auf sich. »Sie werfen uns Prokas vor, Perry Barnett, daß wir wegen eines Toten den Krieg erneut entfachen wollen. Das stimmt nicht. Sie sollten die Demonstration des Volkes zu verstehen versuchen. Dieser Mord hat Ihrer Rasse den Kredit genommen. Wenn die Massen spontan reagieren, dann liegt das an ihrer unkomplizierten Schlußfolgerung. Ein Mensch hat getötet, also werden die Menschen weiter töten. Diese Logik ist Ihnen unangenehm, aber Sie können sie nicht aus der Welt schaffen. Ich, als das Staatsoberhaupt aller Prokas, versichere Ihnen auch trotzdem, daß wir gewillt sind, die Friedensverhandlungen fortzusetzen, wenn Sie uns den nötigen Vertrauensbeweis geben.« »Wie kann ich Ihnen das beweisen?« »Durch die Tat.« »Ich verstehe Sie nicht.« »Bringen Sie Praxlomza zurück!« Barnett verzog das Gesicht. Er starrte hilfesuchend zu Skeen hinüber. Und Skeen nickte. »Ein Rebell hat es nicht leicht, Perry. Glauben Sie niemals, daß Sie aus der Weltgeschichte entlassen sind. Nur wenn Praxlomza hier einem ordentlichen Gericht vorgeführt wird, ist es möglich, daß das alte Vertrauensverhältnis zwischen den Delegationen wiederhergestellt wird. Nur so ist der Frieden zu retten.« »Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich meinen Freund verrate!« »Auch nicht, wenn andernfalls die Galaxis darüber zum Teufel geht?« »Sie wollen mich mit meinen eigenen Argumenten schlagen.« »Man hat es bereits getan. Wenn Sie den Prokas vorwerfen, daß sie die schicksalhafte Entscheidung der Geschichte von einem lächerlichen Totschlag abhängig machen, dann trifft Sie der Vorwurf, daß Sie den Frieden der Milchstraße für ein unbedeutendes Individuum opfern.« »Aber, meine Herren, die Konsequenzen sind doch völlig überstürzt. Hat die Polizei überhaupt schon genügend Material gesammelt, um Praxlomza des Mordes zu überführen?« »Ihr Schiffsjunge hat den Proka im Handgemenge getötet. Ihm wurde der mittlere Arm ausgerissen. Daraufhin trat sofort die Besinnungslosigkeit ein, und der Verwundete verblutete. Außerdem fanden wir ein Geschoß in seinem Körper. Also eine doppelte Todesursache. Das alles geschah in Praxlomzas Wohnung zu Beginn der Nacht. Seine Flucht bestätigt nur die Feststellung der Polizei. Im übrigen haben Sie die Garantie, daß der Mann
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nicht ohne Gerichtsverhandlung abgeurteilt werden kann.« »Und wie lautet das Urteil bei schuldig?« »Tod!« stellte Que-Talak fest. »Ich bin kein Verräter!« stöhnte Barnett. »Das ist Ihr Dilemma, Captain«, sagte Skeen mitfühlend. »Sie sind in jedem Falle ein Verräter. Sie müssen sich nur entscheiden, wen Sie verraten. Praxlomza oder die übrige Menschheit.« Barnett blickte einmal im Kreis herum. »Okay! Ich verrate den Freund.« * »Sie haben keine vollständige Mannschaft«, bemerkte Skeen mit einem Ton, der durchblicken ließ, daß er bereits wieder zur Tagesordnung übergegangen war. »Ich habe nicht einmal ein Schiff.« »Es gibt bessere als die CORA.« »Aber kein schöneres.« »Geht es vielleicht um Schönheit?« »Selbstverständlich nicht, Skeen. Perkins und Bannister möchte ich auf jeden Fall wieder mitnehmen.« »Perkins ist ein Bandit.« »Mit diesem Banditen habe ich die CORA geflogen, Herr Minister.« »Schon gut. Sie sollen ihn haben. Ich besorge Ihnen noch sechs weitere Leute.« »Drei bitte nur.« »Wieso?« »Für den Rest nehme ich Cora, Nam und Iks mit.« »Eine Frau und zwei Prokas. Ich glaube, Sie sind doch eher ein Pirat als ein Soldat.« »Die Frau ist meine Verlobte. Und bei den Prokas handelt es sich um Wissenschaftler.« »Okay! Sie müssen es selbst wissen, welche Besatzung Sie nehmen. Kommen Sie mit in die Bereitschaft. Ich werde Ihnen ein paar Leute zeigen, unter denen Sie sich drei aussuchen können.« Nachdem man sich noch über einige technische Einzelheiten geeinigt hatte, verließen Skeen, Barnett, Bannister, Nam-Legak und Iks-Wol-Esak das Büro Selam-Yaks und fuhren mit dem Lift zum Dachlandeplatz hinauf. Ein Polizist lud sie ein, in einem kleinen Flugbus Platz zu nehmen, mit dem er sie ohne Zwischenfälle auf dem Militärflughafen absetzte. Auf dem Startfeld standen zur Zeit vier raumtüchtige Maschinen. Eine davon war ein Schiff der Beteigeuze-Klasse. »Die muß ich haben«, sagte Barnett sofort, ohne daran zu denken, daß der Eigentümer vielleicht etwas dagegen haben konnte. Glücklicherweise nickte der Marineminister mit dem selbstverständlichsten Gesicht von der Welt. »Wenn Sie nach der Besichtigung noch Wert darauf legen ...« »Taugt sie nichts?« fragte Barnett. »Ich bin nicht Fachmann genug. Wenn Sie nach der Tradition gehen, können Sie sich kein besseres Schiff wünschen. Es hat mehr als dreißig Raumschlachten und Gefechte überstanden. Und es hat Narben.« »KAPELLA steht am Bug!« rief Bannister. »Der Name bürgt tatsächlich für Qualität.« In der Unterkunft der Marine stellte Skeen ihnen Captain Wilson vor. Der Mann zuckte mit keiner Miene, als er erfuhr, daß er sein Schiff abgeben mußte. Er nahm die Gründe zur Kenntnis, obgleich man sie ihm sehr knapp und unvollständig darlegte. Und er gab schließlich noch einen guten Rat, indem er zur Auffrischung von Barnetts Mannschaft drei seiner Leute
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vorschlug. »Sie kennen die KAPELLA, Barnett. Das kann Ihnen unter Umständen sehr nützlich sein.« Skeen und Barnett sprachen dann mit der Mannschaft. Nach einer halbstündigen Diskussion sagte Perry, daß er sich entschieden habe. »Ich möchte King, Dr. Norton und Weingärtner.« Damit war die Sache abgemacht. Der Dürrste von allen war Ernest King, der Navigator. Dr. Ing. Norton sah aus wie ein typischer Intellektueller, und Jo Weingärtner, den Wilson einen zuverlässigen Alleskönner nannte, wirkte durch seine Figur sehr beruhigend. Aber natürlich nur dann, wenn man ihn auf seiner Seite wußte. Danach wurde das Schiff besichtigt. Seine Außenhaut zeigte überall Flicknähte und nachträglich aufgeschweißte Platten. Man konnte zu diesem Eindruck stehen wie man wollte, im Innern gab es jedenfalls nichts zu beanstanden. Der Start wurde für den späten Nachmittag angesetzt. Das war eine Frist von etwa sieben Terrastunden. In dieser Zeit mußte das Bodenpersonal das Schiff startklar haben. Die alte CORA-Besatzung flog noch einmal in die Stadt zurück, um sich für eine Reise vorzubereiten, von der keiner wußte, wohin sie führen und wie lange sie dauern würde. Für Barnett waren die sieben Stunden eine Qual. Nicht, daß er in dieser knappen Zeit nicht alles hätte schaffen können. Die anderen hatten ihn alleingelassen, weil jeder in sein Haus gehen mußte, um die gleichen Vorbereitungen zu treffen wie er. Und das Alleinsein ließ ihn zum ersten Male seit der Besprechung mit QueTalak bewußt werden, in was für eine Sache er sich da eingelassen hatte. Gegen sein Gewissen stand das Ultimatum der Prokas. Es hieß: Praxlomza oder die Menschheit. Selam-Yak hatte gesagt, außer Barnett wäre kein Mensch geeignet, Praxlomza unter Umständen auch mit falschen Versprechungen zur Umkehr nach Poldini II zu bewegen. Man verlangte nicht nur den Verrat der Freundschaft, man verlangte ein konsequent falsches und heuchlerisches Spiel zwischen Barnett und Prax. Barnett merkte plötzlich, daß er laut redete, obwohl er allein war. »Ich denke zuviel an mich. Erst muß ich fliegen. Dann kommt das Universum, das Sonnen verschlucken kann. Niemand wird Prax finden, wenn er gescheit ist. Und wenn ich ihn finde, kann ich ihn laufenlassen. Ich kann mich immer noch entscheiden. So oder so. Ich kann Prax retten und die Galaxis in einen zweiten Akt des Krieges stürzen, der Prokas und Menschen endgültig vernichten wird. In tausend Jahren ist es dann aus. Man kann sich immer noch entscheiden. Für das kleine Leid und für das große Leid. Der mit dem kleinen Leid wird nichts spüren, wenn es ihm erspart bleibt ...« »Was redest du für einen Unsinn?« Barnett erschrak nicht, als er Coras Worte hörte. Er war noch viel zu weit weg, um ihre plötzliche Gegenwart sofort ganz zu erfassen. Dann drehte er sich um und sah sie in der Tür zum Garten stehen. »Ich rede völlig normal für einen Verrückten.« Sie kam langsam näher und blieb dicht vor ihm stehen. »Was wirst du tun, Perry?« »In sechs Stunden starten. Alles andere weiß ich noch nicht.« »Wirst du auch an uns denken, wenn du vor der Entscheidung stehst?« »Ich hoffe, daß ich stark genug bin, es nicht zu tun. Wir haben kein Recht, an uns zu denken.« »Jeder normale Mensch denkt an sich. Und wenn er liebt, dann denkt er auch an den anderen.« »Der andere ist Praxlomza.«
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»Perry! Werde doch wach! Der andere bin ich. Nicht wahr, du läßt uns nicht im Stich. Du weißt genau, daß du die Welt retten mußt. Und nicht den einen.« »In Wahrheit meinst du doch, daß ich dich retten soll.« Sie sah ihn verwirrt an. »Ist es eine Schande, wenn ich das wirklich wünschte? Perry, was ist mit dir? Ich bin eine Frau, die leben will. Genau wie jeder andere Mensch. Und ... ich liebe dich.« »Cora!« Barnett schrie ihren Namen. »Warum sprichst du so? Warum sprichst du ausgerechnet jetzt so?« »Ist dieser Augenblick ungeeignet?« »Allerdings! Ich muß packen und so schnell wie möglich zum Flughafen zurück. Wenn wir in sechs Stunden starten wollen, ist jede Sekunde zu kostbar für solche Gespräche.« Er sah den inneren Kampf in ihrer Haltung. Sie hatte ein sehr wichtiges Problem, aber sie verriet es nicht. Sie sah ihn nur an mit ihren schwarzen, tiefen Augen. Und die sagten genug. »Ich bin ein Narr«, kam seine prompte Reaktion. »Cora, du solltest schnellstens Telepath werden, damit du meine Gedanken erraten kannst. Bei meiner chronischen Zerstreutheit wird es sonst dauernd Mißverständnisse in unserer Ehe geben, weil ich immer vergessen werde, dir das Wichtigste zu sagen.« »Was hast du denn vergessen, mir zu sagen?« »Daß du mitfährst!« Sie kamen auf den klugen Einfall, daß Cora beim Packen helfen konnte. Dadurch ging es tatsächlich schneller. Schließlich blieb auch noch Zeit, in Coras Haus zu gehen, um den Auszug vorzubereiten. Zwei Stunden später landete eine Flugkabine mit Skeen im Garten. »Hallo, Barnett! Fertig?« »Dachten Sie, ich wäre nicht pünktlich? Aber nichts für ungut. Es stört mich nicht, daß Sie mich besuchen.« »Das ist nett von Ihnen! Ich hatte noch einen Tanz mit Selam-Yak.« »Macht er Schwierigkeiten?« »Nicht wegen Ihres Starts. Er betrachtet Sie als Pfadfinder. Eine Zwölfer-Kugelstaffel ist bereits in Alarmzustand und wird Ihnen folgen. Ich habe gegen diese Anordnung entschieden protestiert.« »Verdammt!« stöhnte Barnett. »Mit einer solchen Eskorte hatte ich allerdings nicht gerechnet. Das widerspricht meinem Gefühl für Freiheit.« »... und außerdem der psychologischen Anlage unseres Plans.« »Hm, schon recht«, gab der Captain zu bedenken. »Aber wie wollen Sie den Prokas verbieten, mit ihren Schiffen Patrouillen durchzuführen?« »Die sollen fliegen, wohin sie wollen. Nur nicht im Kielstaub der KAPELLA. Und wenn sie das versuchen, müssen Sie es verhindern, Barnett! Sie müssen sich absetzen. Die können nichts bessern, höchstens alles verderben.« »Was können sie verderben?« »Mein Gott, Barnett! Ihr Kontakt mit Praxlomza ist weltbedeutend. Nur Sie können es schaffen, ihn zur Rückkehr nach Poldini zu bewegen.« »Vorausgesetzt, daß ich ihn finde. Sind Sie sich im klaren darüber Skeen, daß es noch nie in der menschlichen Geschichte ein aussichtsloseres Problem gegeben hat?« »Wir haben es bedacht, Barnett. Die Prokas gilt es abzuhängen, das ist klar. Aber nutzen Sie jede Kontaktmöglichkeit mit Unionsschiffen. Wir werden mit Tausenden von Schiffen die erforschte Galaxis durchkämmen. Sobald wir auf Praxlomzas Spur sind, bekommen Sie von mir Bescheid. Der Rest ist dann Ihre Sache.« Auf der Wiese stand eine Kabine für sechs Personen.
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Barnett wollte als letzter einsteigen, als er ein Geräusch hinter sich vernahm. Kurt Barth war über die Mauer gekommen. »Hallo, Sir! Ich komme wohl ungelegen?« »Es sieht so aus, mein Junge. Ich hatte dich für morgen erwartet.« »Natürlich. Aber die Sache mit Praxlomza hat mich so aufgeregt. Ich kann es gar nicht glauben und dachte, Sie würden mir mehr erzählen können.« »Die Sache mit Prax verstehst du nicht. Die versteht nicht einmal ein Erwachsener. Hast du Lust, einen Flughafen zu besichtigen?« Kurts Augen leuchteten. Er hatte Praxlomza im Nu vergessen und sprang ohne weitere Diskussion in den Flugwagen. Im Raumhafen angekommen, stellte Barnett fest, daß es unklug gewesen war, Kurt mitzunehmen. Kurt war stark minderjährig, stand in seiner kindlichen Neugierde überall im Wege und brauchte ein Kindermädchen. Schließlich kam Jo Weingärtner mit seinem Handgepäck über die Grasnarbe gekeucht, um seine Siebensachen an Bord zu bringen. Er bekam den Auftrag, sich um Kurt zu kümmern. Und Barnett war den Jungen los. * Es blieben noch fünf Stunden bis zum Start. Das Gepäck der Leute war in kurzer Zeit an Bord untergebracht. Auch die Auffüllung der Schiffsvorräte war kein Problem. Es war alles okay. Nur eins störte Barnett: Die beiden Prokas fehlten. * Später ergab es sich, daß Barnett allein in der Kommandozentrale stand. Diesen Augenblick wartete Iks-Wol-Esak ab. Er betrat den Raum aus einer Richtung, in der sich kein Eingang befand. »Hallo, Captain!« Das Summen eines Relais, das Schnarren eines Prokaorgans, das sich mit sehr wenig Erfolg mühte, den Klang der menschlichen Stimme zu formen – und ein Gedankenstrom. Barnett fuhr herum und wurde mißtrauisch. »Seit wann bist du hier, Iks?« »Seit zehn Sekunden.« Jetzt erst merkte Perry, daß Iks-Wol-Esak als Projektion gekommen war. Er sah die glasklare Glocke und den unwirklichen Schein in der Gestalt des Kugelwesens. »Was willst du hier? Warum kommst du nicht selber? Habt ihr vergessen, daß wir in einer guten Stunde starten müssen?« »Du überforderst mich mit so vielen Fragen auf einmal! Aber damit du beruhigt bist, wir werden pünktlich sein. Obgleich wir einiges mehr zu bedenken haben als ihr mit euren drei Koffern.« »Und das wäre?« »Ich möchte mein Labor mitnehmen.« »So«, meinte Barnett. »Daß das ein sehr seltsamer Plan ist, hast du wohl noch nicht festgestellt?« »Wir werden unter Umständen sehr lange unterwegs sein«, gab Iks-Wol-Esak unerschüttert zu bedenken. »Ich kann es mir nicht leisten, daß meine Arbeit hier jahrelang liegenbleibt. Und an Bord wird es genug Langeweile geben. Du wirst noch sehr oft froh sein, wenn du mich in mein Labor schicken kannst, damit ich den anderen nicht auf die Nerven falle.« »Du solltest dir aber etwas einfallen lassen, was sich leichter realisieren läßt.«
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»Du fürchtest Schwierigkeiten?« »Zum Donnerwetter! Halte mich nicht zum Narren! Ich begreife nicht, wie ihr überklugen Intelligenzler manchmal so naiv sein könnt.« »Du redest, ohne zu wissen, wovon. Mein Labor hat Platz auf der KAPELLA. Ich habe es schon taxiert.« »So, und was willst du im einzelnen an Bord bringen?« »Einige tausend Kleinigkeiten. Die größten Gegenstände sind ein Reaktor und ein Zyklotron.« Barnett wollte ohne Antwort den Raum verlassen. Er hielt eine Diskussion in dieser Form für sinnlos. Doch bevor er sich umdrehen konnte, behexte Iks-Wol-Esak ihn mit seiner Zauberei. »Moment, Perry! Sieh einmal her!« Der Captain gehorchte automatisch. Und er wurde starr vor Ungläubigkeit. Denn der Proka nahm reale Gestalt an. Die schimmernde Glocke verging im Nichts. »Damit du es glaubst, fasse mich an!« Barnett zögerte. Doch dann überwand er die Hemmung und griff nach Iks-Wol-Esaks rechtem Arm. Sobald er die Tatsache erkannte, verlor sie den Schrecken für ihn. Nur das Wundern blieb. »Es ist unbegreiflich, Iks.« »Ich bin sehr stolz darauf«, plapperte der Proka. »Das hat noch keiner vor mir geschafft. Die Generalprobe hatte ich schon gestern. Dies war sozusagen die Uraufführung. Stell dir vor, nicht einmal Nam weiß etwas davon.« »Nicht einmal Nam? Das klingt so, als wärest du mit dieser Neuigkeit auch noch nicht bei eurer Regierung gewesen.« »Es klingt so, wie es ist. Und du hast es erraten. Patentämter wie bei euch kennen die Prokas nicht. Deshalb hielt ich es nicht für geraten, jetzt schon Propaganda damit zu machen. Ich muß erst ganz fertig sein. Verstehst du? Ich brauche noch einige Monate ungestörter Arbeit. Und deshalb wirst du gestatten, daß mein Labor an Bord kommt.« »Mit Zyklotron und Reaktor«, ergänzte Barnett ironisch. Schließlich gab er zu bedenken, daß die Zeit bis zum Start nur noch kurz bemessen war. »Im Einvernehmen mit eurer Regierungsspitze wurde der Abflug genau festgelegt. Eine Verzögerung nehme ich auf keinen Fall in Kauf. Bei aller Freundschaft mußt du das zur Kenntnis nehmen.« Iks-Wol-Esak machte die Körperbewegung, die mit dem menschlichen Lachen identisch ist. »Bist du noch stark für eine weitere Überraschung?« »Wieso?« »Dann solltest du jetzt mit mir ins Schiffslabor gehen ...« * Das Labor der KAPELLA war in den letzten Stunden dreimal inspiziert worden. Die räumliche Aufteilung war die gleiche wie auf der CORA. Auch die Einrichtung glich annähernd der von dort vertrauten. Barnett erinnerte sich sehr genau an die Zustände in diesem Raum, wie sie gewesen waren, als er sich vor kurzem hier aufgehalten hatte. Die Enge und der Platzmangel, die man auf einem Raumschiff als notwendiges Übel wie selbstverständlich hinnimmt, wirkten plötzlich wie ein Vakuum gegenüber dem jetzigen Zustand. Der Captain ließ das Kinn nach unten fallen. Den schmalen Gang zwischen der Ausrüstung an den Wänden gab es nicht mehr. Ein Verrückter hatte jeden freien Kubikzentimeter des Raumes ausgenutzt, um hier ein undefinierbares Gerümpel abzustellen.
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»Der Verrückte bin ich«, erklärte Iks-Wol-Esak, nachdem er diesen verwirrten Gedanken des Captains aufgefangen hatte. »Teleportation sagen wir bei uns dazu«, äußerte sich Barnett. »Nur, daß das bisher ein rein theoretischer Begriff für uns war. Man hat dieses Phänomen gern in das Gebiet der Parapsychologie eingeordnet und jahrhundertelang erfolglos daran herumexperimentiert. Die Menschen sind eben immer noch Menschen geblieben. Es hat noch keine Mutation zu einem solchen Ergebnis geführt.« »Wahrscheinlich haben sich die Menschen da ein bißchen viel vorgenommen. Nicht einmal wir als halbwegs gute Telepathen waren so optimistisch, den Weg über die biologischen Sinne einzuschlagen. Wofür haben wir denn unsere Technik? Wofür haben wir die Vernunft, die uns in die Geheimnisse der Naturwissenschaft eindringen läßt?« »Man macht es also mit einer Maschine?« »Du kannst es so nennen.« Der Proka rollte ein Stück vor, bis ihm das Durcheinander seiner Geräte Halt gebot. »Es sieht noch etwas verwirrend aus, Captain. In meinem Haus hatte ich alles sehr ordentlich aufgebaut. Doch du mußt bedenken, daß dies meine erste größere Aktion war. Ich bin froh, daß ich wenigstens das Ziel traf.« Barnetts kritischer Blick galt für einen Moment der schiffseigenen Ausrüstung. »Offenbar hast du nichts von unseren Sachen beschädigt ...« Iks-Wol-Esak hob sofort beschwörend alle drei Arme. »Mach dir bloß darum keine Sorgen. Die Materialisation geht langsam vor sich. So etwa in einer zweitausendstel Sekunde. Sollte ich also mein Ziel um einige Zentimeter verfehlt haben, dann hätte ich trotzdem niemals einen anderen Gegenstand treffen und beschädigen können. Die sich neu formende Materie weicht selbstverständlich jeder anderen aus, die sich schon an dem betreffenden Ort befinden sollte.« Barnett grinste plötzlich. »Natürlich, das leuchtet mir ein. Und das erklärt auch das Durcheinander.« Iks-Wol-Esak bestätigte diese Annahme, ohne etwas von seiner Würde zu verlieren. »Zweifellos war es noch kein Meisterstück. Denn sonst wäre meine gesamte Einrichtung in tadelloser Ordnung hier angekommen.« Barnetts Grinsen war noch breiter geworden. »Und bis wann hast du diese Bude reif zur Besichtigung?« »Das wird sehr lange dauern. Ich muß alles mit der Hand machen.« »Du hast eine mehr als die Menschen.« »Trotzdem. Es sind über tausend Einzelteile.« »Dann werden die Leute helfen.« »Höchstens Nam und Forry. Die anderen könnten zuviel verderben.« »Wie du willst. Nach dem Start werden wir ohnehin viel Zeit haben.« * Barnett und der Proka hatten sich gegenseitig das Versprechen abgenommen, vor dem Abflug niemandem etwas von dem geglückten Teleportationsversuch mitzuteilen. Das geschah in beiderseitigem Interesse. Iks hatte seine Gründe wegen des schon erwähnten Mangels an Patentämtern. Für Perry Barnett hätte es bedeutet, daß die Prokaregierung ihm wahrscheinlich das Mitnehmen der beiden Kugelwissenschaftler verweigern würde. Als der Captain am Außenschott erschien, machte er den Eindruck, als wäre er lediglich im Schiff gewesen, um sich Feuer für die Zigarette zu holen, die er langweilig genießend in den Mundwinkel geschoben hatte. Er war sogar versucht, die dreißig Meter bis zum Boden hinunterzuspucken, nur um etwas zu tun, was ihn von der Erregung ob des bedeutungsvollen
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Geheimnisses ablenken konnte. Schließlich beugte er sich noch ein Stück hinaus und sah den Navigator unten stehen. »Hallo, King!« Der dürre Mensch reckte sein Gesicht nach oben und rief gehorsam den Dienstgrad seines Vorgesetzten. »Wenn ich mich nicht irre, stehen Sie auf einer Antigravplatte. Jagen Sie das Ding einmal hoch, damit ich meine Beine an die Erde kriege.« »Aye, aye, Sir!« Die Platte kam, und Barnett fuhr gleich wieder damit hinunter. »Ich habe mich vorhin falsch ausgedrückt, King. Ist Ihnen das aufgefallen?« »Sie haben von der Erde gesprochen. Und dies hier ist Poldini II.« »Okay. Aber auch Sie haben sich falsch ausgedrückt.« »Ich wüßte nicht, Sir.« »Sie können es nicht wissen. Aye, aye, Sir gibt es nicht bei uns. Das heißt okay, Captain.« »Ich verstehe nicht, Captain.« »Nun, dieses Schiff ist zwar die KAPELLA. Aber die Mannschaft stammt von der CORA. Wir können da schlecht neue Bräuche einführen. Sie wissen, was es mit den Leuten von der CORA auf sich hat?« »Man sagt, die Besatzung gehöre nicht zur regulären Truppe ...« »Sie brauchen sich nicht so vorsichtig auszudrücken. Die CORA-Leute waren ursprünglich Schwarzhändler und Schmuggler. Sie sind aber trotzdem sehr brauchbar.« »Ich bin stolz, mit Ihnen fliegen zu können, Captain. Die ganze Welt weiß, wer Sie sind.« »Weiß sie auch, was ich seit heute bin?« »Sie meinen die neue Aufgabe ...?« »Ganz recht!« »Captain, Sie opfern Ihren Freund für den Frieden der Galaxis.« »Ist das Ihr Ernst?« Der Navigator zögerte. »Würden Sie Ihren Freund verraten? Ganz gleich wofür?« bohrte Barnett weiter. »Muß ich das sagen, Captain?« »Sie brauchen es nicht, King. Ich weiß es selbst nicht. Aber wenn Ihnen die Patentlösung einmal einfallen sollte, dann vergessen Sie nicht, mich davon in Kenntnis zu setzen.« »Okay, Captain!« »Okay, kommen Sie mit! Wir müssen uns beim Stabe verabschieden ...« * Jeder Mensch auf Poldini II, also jeder Zweibeiner, der zur Delegation oder zur militärischen Wachtruppe gehörte, trug zwei Uhren bei sich. Eine für die Sol-Sirius-Zeit – die hatte in diesen Monaten kaum eine Bedeutung. Eine andere für die hier gültige Planetenzeit, die auch überall im prokaskischen Hoheitsgebiet galt. Auf dieser Uhr stellte Barnett fest, daß er in fünfunddreißig Minuten, gleich achtundvierzig Terra-Minuten, starten mußte. Er ging mit King in die Offiziersmesse. Es waren außer den Besatzungsangehörigen nur noch Skeen und der beurlaubte Kommandant Wilson anwesend. »Wie war die Inspektion?« erkundigte sich Skeen. »Alles okay! Wenn die Leute ihr Privatgepäck an Bord haben, können wir starten.« »Sie haben noch etwas Zeit.« »Natürlich. Und die werden wir bis zur letzten Sekunde ausnützen.« »Ich muß Ihnen etwas sagen, Barnett.« Der Captain sah Skeen erwartungsvoll an.
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»Bitte!« sagte er knapp. »Que-Talak hat mich vor ein paar Minuten angesprochen ...« »War er hier?« Skeen nickte. »Wie es bei den Prokas üblich ist. Es war ein Scheinbesuch.« »Was hat er gesagt?« »Man setzt uns einen Termin.« »Ach nein!« »Sie müssen es als Ultimatum auffassen, Barnett. Que-Talak hat mir zugesichert, für ein Poldini-Jahr die Ruhe zu garantieren. Er hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die ihm bevorstünden, wenn er länger als ein Jahr versuchen wollte, die öffentliche Meinung bei den Prokas zu lenken.« »Ich kann heute nicht zusagen, daß ich in einem Jahr Praxlomza gefunden habe. Das wissen Sie, Skeen.« »Und Sie kennen die Lage, Barnett. Sie kennen auch unsere Verabredungen. Wenn wir wüßten, wohin Praxlomza sich gewandt hat, wäre alles eine Bagatelle. So aber sind Sie gezwungen, sich jeden Tag das Ultimatum der Prokas vor Augen zu halten. Sie müssen es schaffen, Barnett. Etwas anderes kommt nicht in Betracht.« »Hm, und unsere Regierung hat sich ohne Widerspruch mit diesem Ultimatum abgefunden?« »Im Augenblick gibt es keine andere Möglichkeit, Barnett. Wir werden selbstverständlich alles versuchen, Que-Talak umzustimmen, wenn es sich ergibt, daß das Jahr nicht ausreicht. Sie sind nicht allein bei dieser Aufgabe. Die Menschheit wird ihre Flotten ausschicken und jeden nur möglichen Winkel der Galaxis durchstöbern. Außerdem sollten Sie nicht vergessen, daß wir das Gehirn haben. Sie kennen den Funkplan. Solange Sie den einhalten, stehen wir in gesicherter regelmäßiger Verbindung miteinander.« »Okay, Skeen! Sie können sich auf uns verlassen. Wird das Gehirn einen Plan für unsere Aktion ausarbeiten?« »Ich habe die notwendigen Auskünfte von Terra angefordert. Sie werden in jedem Falle unmittelbar durch unser Hauptquartier auf Poldini II unterrichtet. Also, machen Sie sich in dieser Beziehung keine Sorgen!« »Ich bin überzeugt, daß das unnötig ist. Meine Sorgen sind auch tatsächlich anderer Art.« »Mit denen müssen Sie allein fertigwerden.« »Ich weiß, Sir. Nach unserer Uhr ist es an der Zeit, daß wir an Bord gehen. Kommen Sie noch mit?« »Nein, danke. Ich möchte mich hier von Ihnen verabschieden ...« Der Minister gab jedem die Hand. Dann sprangen sie auf einen Transportwagen, der sie zum Schiff rollte. Barnett kam dabei neben Jo Weingärtner zu stehen und erinnerte sich plötzlich an Kurt Barth. »Haben Sie dem Jungen alles gezeigt, Jo?« »Was er sehen wollte.« »Okay! Haben Sie ihm ein Taxi verschafft? Sie wissen, wir sind hier auf einem fremden Planeten. Die Prokas fressen zwar keine Menschen. Das schließt aber nicht aus, daß es hier für unbeaufsichtigte Kinder gefährlich ist.« »Jawohl, Captain! Ich habe ihm einen Kreditschein gegeben. Und er versprach mir, mit dem nächsten Flugtaxi nach Hause zu rutschen. Er ist ein aufgeweckter Kerl.« »Ja, das ist er. Nur komisch, daß er sich nicht mehr von mir verabschiedet hat. Er weiß schließlich, daß die KAPELLA auf eine sehr lange Reise geht.« »Sie waren nicht in der Nähe, Captain. Ich soll Ihnen aber noch einen Gruß ausrichten.« »Sieh einmal an. Wenn ich Sie nicht gefragt hätte, hätten Sie das vergessen.«
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* Die KAPELLA startete, ohne daß sich an Bord auch nur einer über die Zuschauermenge klar war. Das Fernsehen der Prokas und der Menschen sandte dieses Ereignis über mehrere Milliarden Bildschirme. Wesentlich nüchterner sah man die Dinge in Barnetts unmittelbarer Umgebung. Das Startmanöver war eine Sache der vertrauten Gewohnheit. Jenseits des Poldini-Systems aber stellte sich jeder die Frage, welche Richtung der Captain nun einschlagen würde. Sie erfuhren es schließlich durch den Mund des neuen Navigators. »Sie übernehmen die erste Wache, King! Bleiben Sie auf Automatik, und lassen Sie den Kurs anliegen. In etwa zwei Stunden gehen wir auf Hyperrace.« »Okay, Captain! Kurs bleibt Beteigeuze.« »Wie haben Sie das so schnell herausbekommen?« »Ich hatte damit gerechnet. Jetzt ist das Besteck übrigens auch keine Kunst. Sie haben die Zieldaten ja noch nicht gelöscht. »Tatsächlich«, grinste Barnett. »Aber gerechnet haben Sie wohl doch nicht damit. Schließlich sind Sie kein Telepath.« »Ich kenne Ihre Biographie, Captain. Sie lernten Praxlomza auf Tremik kennen.« »Hm, das stimmt. Was halten Sie also von unserem Kurs?« »Solange keine neuen Daten vorliegen, ist er zweifellos richtig. Wenn Praxlomza nach dem Gefühl gehandelt hat, wird er sich nach Tremik gewandt haben.« »Ich fürchte, er hat sich mehr nach dem Verstand gerichtet. Aber Sie haben recht. Es gibt im Augenblick keine andere Möglichkeit, als nach Tremik zu fliegen. Ich bitte die Freiwachen, in die Kabinen zu gehen. Du, Nam, kommst mit ins Labor! Hast du Lust?« »Iks ruft uns schon seit einiger Zeit. Ich komme mit.« Barnett erkannte das Laboratorium kaum wieder. Iks-Wol-Esak hatte seine Geräte so untergebracht, daß sie kaum störten. Sogar der Gang war wieder frei. Sobald das Schott sich hinter ihnen geschlossen hatte, vergaß Barnett Tremik und Praxlomza. Er mußte wieder an das Wunder der Teleportation denken, denn hier standen sie zweifellos vor der größten Erfindung, die jemals ein Intelligenzwesen in der Galaxis gemacht hatte. Iks-Wol-Esak griff den Gedanken des Menschen auf und erklärte ihm: »Es wird die größte Erfindung sein, Captain. Doch sie ist noch längst keine Tatsache. Vielleicht ist das Streben aller Intelligenzen dazu verurteilt, immer nur Stückwerk zu bleiben. Doch man sollte wenigstens versuchen, so viele der Rätsel zu lösen, wie man nur eben kann.« »Auch das Fragment kann etwas Vollkommenes sein«, philosophierte Nam-Legak. Iks-WolEsak empfand das richtig. »Jawohl. Stellt euch vor, ich kann erklären, welche Formen jegliche Existenz besitzt. Das wäre schon etwas Vollkommenes ...« »Du denkst an die Dinge, die wir weder als Energie noch als Materie definieren können.« »So ist es. Erinnere dich an den unfreiwilligen Ausflug zu den Etanern. Wir haben bis heute keine Erklärung dafür, was contra-temporisierte Mesonen sind.« »Sie sind das Gegenteil von temporisierten. Wir wissen, daß ihr Kontakt zum Zeitablauf denkbar gering ist. Wir wissen, daß sie sich von der Kausalität lösen, die das Schema der Dimensionen sinnvoll verbindet.« »Das ist alles herzlich wenig«, entgegnete der Kugelmann. »Du kannst nicht das Gegenteil einer Sache durch die Sache selbst erklären.« »Warum nicht? Das Gegenteil von Null ist alles. Das Gegenteil von Materie ist ...« »Nun, was ist es?«
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»Energie.« »Und was ist Anti-Materie?« »Auch das Gegenteil. Natürlich, ich kann mir denken, was du meinst. Meine Definition stimmt natürlich nicht genau.« »Abgesehen davon, daß es keine Definition ist«, meinte der Logiker Iks, »werden wir es immer schwer haben, Definitionen zu geben, solange wir nicht das System kennen, das alle Existenzformen zusammenhält. Wir wissen seit langem, daß Energie und Materie nicht die allein herrschenden Kontrapunkte sind. Schon die Anti-Energie ist eine Abweichung. Die contra-temporisierten Strahlen sind ein weiterer Beweis für noch unbekannte Erscheinungsformen. Und dann denke an die prokaskische Erfindung der Existenzpost. Wir schicken über weite Entfernungen die Existenz eines Lebewesens. Wir können uns auf diese Weise gegenseitig besuchen, ohne unsere eigene Wohnung zu verlassen. Sogar der telepathische Gedankenaustausch wird durch diese Sekundärform nicht beeinträchtigt.« »Und Menschen können sprechen, die auf diese Weise versetzt werden. Ich habe das alles selbst erlebt. Ich kann auch niemanden töten, der als Sekundärform zu mir kommt. Es findet kein körperlicher Kontakt statt, und trotzdem funktionieren mechanische Dinge wie das Sprechen. Was außer Materie kann Schallwellen erzeugen? Du hast mir bis heute nicht auf diese Fragen antworten können. Aber plötzlich hast du die Teleportation verwirklicht. Du hast bewiesen, daß du die Naturkräfte in einer Weise regierst, wie niemand sonst in dieser Galaxis. Willst du mir einreden, das wäre aufgrund eines Zufalls geschehen?« »Natürlich nicht. Ohne die Kräfte genau zu kennen, hatte ich immerhin eine Vorstellung von ihrer Wirkungsweise. Das Paradoxon bei unserer ersten Erfindung, mit der man die sogenannten Sekundärformen erhielt, war, daß das Ergebnis weder als Materie noch als Energie anzusprechen war. Die Eigenschaften gingen anscheinend unkontrolliert ineinander über und führten zu Widersprüchen. Was blieb also anderes übrig, als die unbekannte Form die Zwischenenergie zu nennen? Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist das natürlich absurd. Und da hatte ich vor Wochen schon die Idee. Zunächst ist das natürlich ein rein theoretisches Gebäude ...« »Du solltest es trotzdem erklären!« »Nun ja, Energie und Materie kannst du in ein Koordinatensystem bringen und senkrecht zueinander stellen. Damit kam ich aber nicht weiter. Ich legte also beide an die Endpunkte, so daß sie im Diagramm einen Winkel von hundertachtzig Grad bilden. Senkrecht davon stellte ich die Sekundärform.« »Wie sieht das praktisch aus?« »Die Sekundärform existiert nicht zwischen Energie und Materie, sondern daneben. Wenn sie ein natürlicher Übergang wäre, hätte man sie wesentlich früher erkannt. Und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei den Menschen.« »Und wodurch bist du zur Verwirklichung der Teleportation gekommen?« »Durch Mut. Es war der Mut zu meiner Theorie. Seit wir Prokas die Sekundärform herstellen können, liebäugeln wir mit der Steigerung des Experiments. Bis heute hat das niemand gewagt. Denn es galt die Hypothese, daß wir uns immer mehr der reinen Energieform nähern. Es ist dir bekannt, daß die transportierte Materie – meistens waren es Lebewesen – auch am Sendeort im Existenzfaktor nachläßt. Wenn ich also in einer Entfernung von zwei Kilometern dein Bild bringe, dann nimmst du hier ab. Und zwar in Richtung Energie, wie man bis heute fälschlicherweise glaubte. Man fürchtete also, daß eine Steigerung des Verfahrens das Lebewesen in reine Energie umwandeln würde. Und damit wäre es nach unserer Auffassung tot.« »Warum habt ihr keine Tierversuche gemacht?« »Wir haben es. Geheim in der Rüstungsindustrie, denn Vivisektion widerspricht unserer Ethik. Aber gerade dadurch wurde man noch zaghafter. Wir haben die Experimente so weit
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getrieben, daß beim Sender die Existenz aufgehoben war. Das Empfangsbild starb kurz darauf ab, und die lebende Materie konnte nie in den Anfangszustand zurückgeführt werden.« »Das heißt also, die Versuchstiere verschwanden im Nichts.« »So ist es.« »Hm, und wie hast du es gemacht?« »Ich ging davon aus, daß nach dem Absterben des Senders der Empfänger noch eine Weile existiert. Und zwar in sehr klarer Form. Sobald der Sender verschwindet, ist er nicht mehr aktionsfähig. Also mußte den das Sekundärbild übernehmen. Ich schickte daher nicht nur mich selbst auf die Reise, sondern nahm ein zweites Sendegerät mit. Ich brauchte es nur im richtigen Augenblick einzuschalten ...« »Moment! Das begreife ich nicht ganz. Wir haben vorhin festgestellt, daß die gesendete Sekundärform zwar denken und sprechen kann, daß sie darüber hinaus aber keine mechanische Wirkung hat. Wie funktioniert also die von dir mitgenommene Maschine?« »Sehr gut, Perry. Was wir vom Sprechen sagten, gilt ja nur für den Kontakt mit der rein materiellen Umwelt. Die Sekundärform in sich hat jede Möglichkeit, sich selbst zu beeinflussen. Wenn der Apparat in meiner Tasche also genauso sekundär ist wie ich, dann habe ich den denkbar günstigsten Kontakt mit ihm.« »Und aufgrund dieser vagen Überlegung hast du das Experiment gewagt?« »Ich bin Logiker«, hielt Iks-Wol-Esak dagegen. »Es mußte stimmen. Nimm ein ganz einfaches Bild! Wir stehen beide an einem langen Tisch. Jeder dem anderen gegenüber. Jetzt schiebst du mir einen Gegenstand zu. Du reichst aber nicht weit genug. Auf der Mitte bleibt das Ding liegen. Was werden Intelligenzwesen jetzt machen?« »Du holst dir den Gegenstand mit eigener Kraft heran.« »Okay! Der eine schiebt, der andere zieht. Unsere Wissenschaftler haben bisher nur ans Schieben gedacht und das Ziehen vergessen.« »Sie glaubten aber auch an die Auflösung in reine Energie.« »Nun ja, auch das stimmt nicht mehr. Denn der Sender, den ich mitnehme, arbeitet ja nicht mehr auf der Linie Materieenergie. Er wirkt senkrecht zu diesem Verhältnis und führt schließlich zur Materialisierung am neuen Ort.« »Womit bewiesen wäre, wie einfach doch eigentlich das Prinzip der Teleportation mit Hilfe von Maschinen ist.« * Barnett und Nam-Legak gingen wenig später wieder in die Zentrale zurück. »Hallo, King! Was haben Sie denn da auf dem Bildschirm?« rief Barnett. »Drei Prokaskugeln, Captain! Sie halten immer denselben Abstand.« »Diese ›Banditen‹! Sie verfolgen uns also doch! Na, wir werden sehen, was beim nächsten Raumsprung davon übrigbleibt. Ist sonst alles klar, King?« »Okay, Captain.« »Na, dann ist's gut. Ich habe vor, ein paar Stunden zu schlafen. Ich löse Sie dann ab. Kurs lassen Sie anliegen.« »Wir könnten in zwei Stunden auf Raumsprung gehen ...« »Dann tun Sie's, sobald Sie es für richtig halten.« Der Captain ging allein hinaus, da Nam-Legak auf der Brücke bleiben wollte. Barnett hatte wirklich vor, etwas zu ruhen. Er ging jedoch noch einmal an seiner Kabine vorbei, um nach Cora zu sehen. Doch Coras Raum war leer. Vielleicht war sie im Gemeinschaftsraum. Er ging also noch drei Schotts weiter, fand sie aber auch hier nicht. Enttäuscht ging Barnett zurück. Gewiß hatte das Mädchen seine Neugierde nicht mehr bezähmen können und war zu einem Entdeckungsgang aufgebrochen.
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Als Barnett vor seiner Tür stand, hörte er Schritte. Er erkannte sofort Coras Gang und wartete. Sie kam aus dem Unterdeck und zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, sobald sie Perry über die obere Stufe hinweg erblickte. »Hallo! Willst du unseren Treibstoff oder die Torpedovorräte kontrollieren?« Sie hielt seinen Blick nicht aus und senkte die Augenlider. Das irritierte ihn. Cora hatte jahrelang auf einem Raumschiff gelebt und gelernt, sich zu beherrschen. Jetzt sah sie aus wie ein Kind, das man bei einem Streich erwischt hatte. »Du hast ja sogar das Bluffen verlernt«, sagte Barnett. »Bei dir habe ich es noch nie so richtig gekonnt. Ich glaube, das schaffe ich nur bei Männern, die mir gleichgültig sind.« »Wenn du denkst, mich mit diesem Kompliment ablenken zu können, dann kennst du mich noch nicht. Du hast ein Geheimnis vor mir. Und das solltest du nicht.« »Natürlich, Perry. Ich muß es dir sagen. Auch wenn ich dadurch mein Wort breche. Wir haben einen blinden Passagier an Bord.« Barnetts Kopf fuhr herum. »Wer ist es?« »Kurt Barth.« Perry fluchte und stieß eine Verwünschung gegen Jo Weingärtner aus. »Dieser unzuverlässige Alleskönner. Warte, den nehme ich mir vor.« »Was hat das mit Jo zu tun?« »Eine ganze Menge. Er sollte auf Kurt aufpassen und war dafür verantwortlich, daß er heil zu seinen Eltern zurückkam. Dabei hat er nicht einmal dafür gesorgt, daß der Junge den Flughafen verließ. Wo steckt der Junge jetzt?« »Komm mit! Ich zeig's dir.« Kurt Barth hockte wie ein Häufchen Elend zwischen zwei Raumtorpedos. Der Captain erkannte nichts mehr von der zu Hause im Garten festgestellten Unbekümmertheit des Jungen. Und das stimmte ihn unwillkürlich milde. »He, junger Freund! Ist das vielleicht die Art eines freien Unionsbürgers, sich eine Passage durch die Milchstraße zu verschaffen?« »Verraten Sie es nicht meinem Vater, Barnett!« »Hm, auf Poldini hattest du einen gesünderen Menschenverstand. Begreifst du eigentlich nicht, wie sehr sich deine Eltern um dich sorgen?« »Doch, Barnett. Aber dieses Schiff! Ich mußte einfach einsteigen.« »Ob du mußtest, das werden wir später feststellen. Jetzt kommst du erst einmal mit nach oben und sprichst mit deinem Vater.« »Mein Vater ist hier?« »Dein Vater ist auf Poldini II. Du wirst mit ihm über Funk sprechen. Schließlich muß er wissen, wo du steckst.« »Können Sie mich nicht irgendwo absetzen, damit ich unbemerkt nach Hause komme?« »Das geht leider nicht. Ich kann deinetwegen nicht ein paar Millionen Kilometer Umweg machen. Du bleibst an Bord, bis unser Auftrag erfüllt ist. Und das kann sehr lange dauern.« Kurt sprang Barnett plötzlich begeistert um den Hals. »Ich darf bleiben, Captain?« »Du mußt es. Also, komm.« * Perry hatte knapp zwei Stunden geschlafen, als ihn Kings Ruf weckte. Er ging sofort auf die Brücke. »Ich wollte gerade Hyperrace vorbereiten, als der Anruf von Skeen kam.« »Okay, und wo ist er?« »Er hat bereits wieder abgeschaltet. Die Nachricht war nur kurz.«
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»Dann spielen Sie sie vor!« King ließ die Aufzeichnung ablaufen, und aus dem Lautsprecher kam Skeens Stimme. »Skeen an Captain Barnett, Raumschiff KAPELLA. Bestätigen Sie Empfang.« »Empfang klar«, kam Kings Stimme. »Wir nehmen auf.« »Ziel Tremik bleibt. Die CORA wurde im Hyperraum mit gleichem Kurs gesichtet. Die Behörden auf Tremik werden angewiesen, Praxlomza ungehindert passieren zu lassen, dabei jedoch jede seiner Bewegungen zu verfolgen, damit Sie sofort nach der Landung Verbindung mit Praxlomza aufnehmen können. Ich weise darauf hin, daß das Gehirn unseren Plan gutgeheißen hat und daß nur Captain Barnett für die Kontaktaufnahme in Frage kommt. Die Unionsregierung wünscht der KAPELLA gute Fahrt und baldigen Erfolg zum Wohle aller Intelligenzen der Galaxis.« »Danke!« sagte Barnett. Den nächsten Gedanken behielt er für sich, nämlich, daß der letzte Satz aus Skeens Nachricht überflüssig war. Was hatte Praxlomza eigentlich getan? Über den genauen Hergang war weder im Büro von Selam-Yak noch in der Öffentlichkeit ein erklärendes Wort gefallen. Bisher stand fest, daß man einen unbekannten Proka getötet hatte und daß ein bekannter Mensch geflohen war. Und die Flucht bewies die Schuld. Bewies sie sie wirklich? Oder bewies sie nur Praxlomzas Furcht? Barnett hatte vergessen, daß Nam-Legak in der Nähe weilte. Es machte ihn nervös, als er plötzlich Gedanken spürte, die eine Antwort auf die seinen waren. Was konnte man tun, um sich gegen diese indiskreten Einmischungen der Telepathie zu schützen? Auf die Dauer war das kein Zustand, der ein friedliches Zusammenleben der Menschen mit den Prokas ermöglichte. »Man wird etwas erfinden müssen«, erklärte Nam-Legak, nachdem er sein Relais eingeschaltet hatte. Die Unterhaltung nahm auf diese Weise an Deutlichkeit zu. »Ihr Menschen seid nun einmal Leute, die gern ihre Geheimnisse haben. Jeder vernünftige Proka wird diese Eigenart akzeptieren, wenn sie nicht zum Schaden unserer Rasse genutzt wird. Das ist schon ein ethisches Problem.« »Ein ethisches und ein praktisches. Mich interessiert zunächst das praktische. Deiner Erklärung nach bestehen da kaum Schwierigkeiten. Kannst du mir das näher erläutern?« »Die erste Möglichkeit wäre, daß ihr Menschen euch darin übt, eure Gedanken zu sperren.« »Wie stellst du dir das vor?« »Es ist reine Willenssache. Manche Prokas können es.« »Du kannst die Prokas nicht mit Menschen vergleichen. Unser biologischer Ursprung ist völlig verschieden voneinander.« »Nun ja, es ist eine Theorie. Man müßte es probieren. Die technische Methode wird schneller zum Ziel führen.« »Du redest, als hättet ihr bereits solche Apparate.« »In kleinen Mengen hat man ihn für die Regierung produziert. Im Kriege kann ein solches Gerät sehr wichtig sein. Für Spione und für Männer, die mit einem Wissen herumlaufen, das nicht für jeden bestimmt ist.« »Demnach besteht auch bei euch die Notwendigkeit, gewisse Dinge geheimzuhalten. Das sollte euer Verständnis für unsere Mentalität nur fördern. Siehst du einen Weg, solche Apparate zu besorgen?« »Wir müßten sie bauen. Iks-Wol-Esak könnte es schaffen. Du kannst ja mit ihm reden. Im Prinzip ist es nichts anderes als die Umkehrung dieses Relais. Man kann die Gedankenwellen damit freilich nicht restlos ausschalten. Doch es genügt, sie zu verwirren, so daß der Empfänger keinen Sinn erkennt.« »Okay! Dieser Plan ist so gescheit, daß man ihn heute noch Iks-Wol-Esak vortragen sollte.« Nam-Legaks Gedanken waren undeutlich.
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»Was hältst du davon?« fragte Barnett deshalb. »Er ist gefährlich für die Prokas. Aber er kann gut sein für den Frieden.« »Wie meinst du das?« »Ich denke daran, was sich nach Praxlomzas Verhaftung abspielen wird.« »Du meinst die Verhöre durch euer Gericht. Wahrhaftig! An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht. Du willst etwas konstruieren, was nicht unbedingt der Wahrheit entspricht.« »Keineswegs. Solange wir nicht wissen, was sich in der vergangenen Nacht tatsächlich abgespielt hat, ist es verfrüht, einen Plan zu entwerfen. Allerdings habe ich bei allen Überlegungen den Frieden im Sinn. Jede andere Sache kann nur dieser großen Aufgabe untergeordnet sein.« »Auch wenn es auf Kosten der Wahrheit geht?« »Wir Prokas kennen den Begriff Lüge nicht. Er ist unter Telepathen undenkbar. Aber ich weiß, daß er für Menschen ein moralischer Faktor ist. Demnach wäre Lüge ein Unrecht.« Barnett fühlte sich in die Enge getrieben und suchte nach einem Ausweg. »Selbst unter Menschen herrscht hierüber keine einstimmige Meinung. Freilich, allgemeinhin bezeichnet man die Lüge als etwas Unrechtes. Es gibt jedoch viele Fälle in unserer Geschichte, in denen die Unwahrheit von höchster Stelle gebilligt und sogar angewandt wurde. Ich denke, es ist zu einfach und auch nicht objektiv, wenn ich dir einen gefärbten Vortrag über die menschliche Moral halte. In bezug auf die Lüge bist du als Proka ein völlig unvoreingenommenes Wesen. Was hältst du davon, wenn du dir selbst ein Urteil bildest? Laß uns abwarten, was die Zukunft bringt. Höre dir Praxlomza an, falls wir ihn erwischen. Vielleicht kannst du mir dann sogar einen Rat geben. Denn ich werde ihn nötig haben ...« Kings Meldung, daß er bereit zum Raumsprung sei, unterbrach das Gespräch. Barnett gab seine Einwilligung und erklärte dem Navigator, er solle so tun, als ob er, der Captain, gar nicht anwesend wäre. Das Manöver klappte auch wie am Schnürchen, und die drei verfolgenden Prokaschiffe verschwanden erwartungsgemäß vom Heckbildschirm. Sie warteten noch zehn Minuten, weil damit zu rechnen war, daß die anderen das gleiche Manöver versuchten. Doch die Verfolgung in den Hyperraum ist immer eine Sache des Zufalls und kann nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit nur einmal in tausend Fällen gelingen. Denn um zu wissen, wo sich der andere befindet, muß man auch die Energie kennen, mit der er »springt«. Da kann also nur eine Verabredung etwas nützen. Und die lag in diesem Falle zwischen Barnett und den drei Kugelschiffen nicht vor. »Ich habe noch drei Stunden Schlaf zu beanspruchen«, erklärte Barnett schließlich und verließ die Brücke. Als er zur Wache zurückkehrte, hatte er noch fünf Minuten Zeit. Leutnant King machte eine Meldung zur Ablösung. Barnett hatte sich zwei Assistenten eingeteilt, nämlich Dr. Norton und Jo Weingärtner. Letzterer erschien keine Sekunde zu früh. Sein heiterer Gesichtsausdruck zeigte, daß er seit dem Start von Poldini II sämtliche Ereignisse verschlafen hatte. Als Barnett ihm einen Gruß von Kurt Barth bestellte, wechselte er das Mienenspiel. Sein offenstehender Mund verriet Erstaunen. »Ich denke, Sie haben den Jungen nicht mehr gesehen?« »Ich sah ihn vor vier Stunden, so gut haben Sie auf ihn achtgegeben. Was meinen Sie, welche Szene Ihnen noch bevorsteht, wenn wir nach der Rückkehr dem alten Barth unter die Augen kommen?« »Entschuldigen Sie, Captain! Ich verstehe das nicht. Vor vier Stunden waren wir bereits gestartet.« »Erfreulich, daß Sie die Sache wenigstens soweit begriffen haben.« »Ich schätze, der Junge befindet sich an Bord«, mischte sich Dr. Norton ein, der ebenfalls
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pünktlich eingetroffen war. »Sie glauben doch nicht, Captain, daß ich ihn eingeschmuggelt habe«, stotterte Jo. »Eine solche Frechheit würde ich Ihnen nicht zutrauen. Ich weiß aber, daß ich Sie nie wieder als Kindermädchen engagieren werde. Wie steht es übrigens mit Ihren anderen Fertigkeiten? Man hat Sie mir als Alleskönner empfohlen.« »Er versteht von allem die Hälfte«, gab Dr. Norton ungefragt Auskunft. »Aber in keiner Disziplin reicht es soweit, daß etwas Brauchbares dabei herauskommt.« »Sie sind Spezialist, nicht wahr, Doktor?« »So ziemlich, Captain. Ich hielt es nicht für angebracht, mich zum Einsatz zu melden, bevor ich in meinem Fach perfekt war.« »Und jetzt sind Sie es?« »Ich glaube ja, Captain.« »Das freut mich. Es ist immer beruhigend, wenn man weiß, daß wenigstens einer an Bord unfehlbar ist. Ich habe da etwas mit dem Elektronenatlas vor. Sie sind doch Elektroniker?« »Jawohl, Captain.« »Okay! Können Sie sich vorstellen, daß man den Atlas zum Schachspielen umbaut?« »Das ist theoretisch möglich ...« »Wieso theoretisch?« »Der Umbau des Elektronenatlas ist nicht gestattet.« »Da sind Sie im Irrtum.« »Ich bitte Sie, Sir!« »Sie müssen Captain sagen. Im übrigen galt dieses Verbot nur so lange, wie Sie unter Wilson fuhren. Solange ich an Bord bin, befinden Sie sich im Sondereinsatz. Ich bin der Kommandant. Und was ich sage, gilt. Es gilt auch, wenn es irgendeiner Dienstvorschrift widerspricht.« »Sagen Sie, was mit dem Atlas geschehen soll, Captain!« »Ich brauche einen Ratgeber.« »Also eine Konkurrenz zum großen Gehirn auf Terra?« »Sie wissen selbst, daß das bei unserer geringen Kapazität nicht möglich ist. Es wird immer ein kleines Gehirn bleiben.« »Ich werde es versuchen, Captain.« »Versuchen? Ich denke, Sie beherrschen Ihr Fach?« »Selbstverständlich. Wann soll ich anfangen?« »Sofort, Doktor.« * Drei Tage später ging die KAPELLA in den Normalraum zurück, um sich für weitere Nachrichten des Marineministeriums bereitzuhalten. Der Anruf kam in dem vereinbarten Zeitabschnitt. »Guten Tag, Barnett!« »Guten Tag, Skeen! An Bord KAPELLA keine besonderen Vorfälle. Kurs unverändert. Keine anderen Schiffe im Meßbereich.« »Wie geht es Kurt Barth? Lassen Sie ihn in drei Tagen an den Bildschirm! Sein Vater möchte ihn sehen.« »Okay, Sir.« »Die Anordnung des Gehirns bleibt unverändert«, fuhr Skeen fort. »Letzte Sichtung der CORA vor zwei Tagen auf altem Kurs. Den Prokas wurde heute ein Memorandum überreicht, in dem wir noch einmal auf unsere Hoheitsrechte im Beteigeuze-System hinweisen. Der Aufenthalt fremder Schiffe ist dort nach den Waffenstillstandsbedingungen nicht erlaubt.«
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»Und wie sollen wir uns verhalten, wenn trotzdem Kugelschiffe auftauchen?« »Auf jeden Fall friedlich. Es genügt eine Meldung an die Zentrale.« »Vielen Dank! Wir werden uns also auf die Wirkung unserer Protestnoten verlassen. Und wenn der Gegner das Feuer eröffnet, lassen wir uns zusammenschießen. War es so gemeint?« »Ohne Zeugen werden Sie kaum beweisen können, daß der andere zuerst schoß. Verlassen Sie sich also auf den Raumwechsel. Außerdem haben Sie mindestens zwei Navigatoren an Bord.« »Ich danke für den Trost. Sonst noch etwas?« »Nein, Barnett. Wir sehen uns in drei Tagen.« * Die nächste Verständigung fand bei Anwesenheit von Barths Sohn und Eltern statt. Der Ministerialrat fand freundliche Worte für Kurt, und die Mutter stammelte weinend ein paar Ermahnungen. Gewiß wollte sie noch mehr sagen, aber ihre Erregung ließ es nicht zu. Kurt selbst verstand sie zu trösten, indem er versicherte, daß Perry Barnett ein guter Captain und Cora eine sehr freundliche Tante sei. Eine kurze dienstliche Meldung beendete das Gespräch. * Nach fünfzehn Tagen hatte die KAPELLA Tremik erreicht. Barnett bat um Landeerlaubnis für den Raumhafen von Tremik-Town-17, da dies die Stadt war, in der er Praxlomzas Bekanntschaft gemacht hatte. Die Regierung hatte zwar ihren Sitz in Town-1. Barnett hielt es jedoch nicht für erforderlich, dort einen Besuch zu machen. Noch vor der Landung wurde vereinbart, daß lediglich Mr. Thorsson, ein höherer Offizier der Ordnungspolizei, am Flughafen zum Empfang bereitstand. Jedes Aufsehen sollte vermieden werden. Das Raumschiff KAPELLA trug wie jedes Kriegsfahrzeug eine Nummer am Rumpf, die Barnett vorsichtshalber noch hatte ändern lassen. Er durfte den Boden von Tremik-Town-17 in der Gewißheit betreten, daß nicht mehr als drei oder vier Menschen auf diesem Planeten wußten, welche Mission das soeben gelandete Schiff zu erfüllen hatte. Schließlich war der Typ Beteigeuze mehr als sechstausendmal in der Unionsflotte vertreten. Mit der Antigravplatte fuhren Barnett, Bannister und Perkins nach unten. Bevor die Kontrollbeamten sich ihnen nähern konnten, hatte Thorsson die Formalität schon erledigt. Nach einer kurzen Begrüßung lud er sie in einen bereitstehenden Wagen ein, den er selbst steuerte. Erst auf der Straße außerhalb des Hafens begann er ein Gespräch. »Sie müssen die Art des Empfangs entschuldigen, meine Herren. Der Minister empfahl mir diese altmodische Maschine, damit ich ja nicht in die Versuchung komme, zu fliegen. Wenn die Presseleute trotz aller Geheimhaltungsmaßnahmen doch Wind von der Sache bekommen sollten, dann werden sie uns jedenfalls nicht in diesem Vehikel suchen. Wir fahren jetzt in die City, werden dort ein Gästehaus besuchen und bei der Gelegenheit etwas essen können. Ich möchte Ihnen dort einen Mann zeigen. Wenn Sie mir sagen können, wer er ist, sind wir schon ein Stück weiter.« Thorsson bremste den Wagen ab und hielt am Parkstreifen eines Hotels. »Hier ist es. Kommen Sie bitte mit herein. Wir können drinnen weitersprechen.« Thorsson machte reichlich Spesen. Die Männer von der KAPELLA bestellten lediglich etwas zu trinken. »Sehen Sie, Barnett«, sagte der Polizeioffizier kauend, »es sind gestern fünf Schiffe auf
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nicht zugelassenen Plätzen gelandet. Das ist bei uns an der Tagesordnung und durchaus normaler Durchschnitt. Drei davon sind vom Typ Beteigeuze. Aber keine trägt den Namen CORA. Die Dinger tragen überhaupt keine Namen. Also kamen sie alle drei in Frage.« »Wissen Sie, wo die Leute stecken?« »Wir haben sie verfolgt. Einer davon wohnt in diesem Hotel ...« »Ist es Praxlomza? Sie müssen es doch feststellen können. Die Steckbriefe wurden Ihnen durchgegeben. Sogar die von Lisman und Lavista.« »Von den dreien ist es überhaupt keiner.« »Das verstehe ich nicht. Wie können Sie dann behaupten, daß Praxlomza auf Tremik ist?« »Weil man die Schiffe bereits vom Raum aus beobachtet hat. Mir scheint die Sache einen anderen Haken zu haben.« »Und zwar?« »Die Meldung von der Besatzungsstärke ist falsch. Außer Praxlomza, Lisman und Lavista müssen noch mehrere Leute an Bord gewesen sein, die wir nicht kennen.« »Woher sollen die kommen? Dann hätte man bei der Delegation auf Poldini II Menschen vermissen müssen.« »Man braucht sie nicht unbedingt von Poldini mitgenommen zu haben. Es genügt ein kleines Privatschiff, das man im freien Raum entert. Solche Leute lassen sich erpressen.« »Womit?« »Ein Ehepaar beispielsweise. Den Mann schicken sie hinaus, die Frau behalten sie als Geisel.« »Hm, eine räuberische Phantasie, Thorsson. In diesem Falle nützt aber keine Gegenüberstellung. Solche Leute kennen wir auch nicht.« »Es war nur so eine Idee. Ich rechnete mit der Möglichkeit, daß der Unbekannte bereits von Poldini mitflog. Sehen Sie sich ihn trotzdem an! Er sitzt im Hinterzimmer am rechten Ecktisch. Sie können dabei zur Toilette gehen.« Barnett tat es. Ohne Erfolg. »Die Methode ist schlecht. Wir vergeuden Zeit, Thorsson. Ich schlage vor, wir suchen die drei Schiffe auf, und ich sage Ihnen, welches die CORA ist. Nachdem ich eingetroffen bin, steht einer Durchsuchung nichts mehr im Wege.« »Wie Sie wünschen, Captain. Ich bestelle sofort eine Flugkabine, denn mit dem Wagen sind die Schiffe nicht zu erreichen.« Mit Hilfe des Taschengerätes setzte Thorsson sich mit seiner Zentrale in Verbindung und forderte das Flugzeug an. Außer dem Piloten hatte es zwei bewaffnete Beamte an Bord, die genau wie Thorsson Zivil trugen. Das erste illegal gelandete Schiff befand sich noch im Distrikt Tremik-Town-17. Sie erreichten es bereits nach wenigen Minuten und setzten dicht daneben auf. »Zu diesem gehört der Fremde, den ich Ihnen im Hotel zeigte«, bemerkte Thorsson. »Kommen Sie mit?« »Vorerst noch nicht«, erklärte Barnett. »Solange wir nicht wissen, ob Leute an Bord sind, die mich kennen, möchte ich mich im Hintergrund halten. Sie können so lange ihr Erscheinen als Patrouille erklären, die sich lediglich wegen der illegalen Landung um das Schiff kümmert.« »Aber Sie sagten doch vorhin, daß das hier auf keinen Fall die CORA ist.« »Trotzdem. Es wird nichts schaden, wenn Sie zunächst allein gehen.« »Wie Sie meinen ...« Thorssons unverständlicher Gesichtsausdruck verriet, daß er in diesem Augenblick geringe Zweifel an Barnetts persönlichem Mut hegte. Als die drei Polizisten das Flugzeug verließen, tauchten an der unteren Schleuse des Raumschiffes zwei Männer auf. Barnett betrachtete sie durch ein Fernrohr, das er sofort an Bannister weiterreichte.
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»Fehlanzeige, schätze ich.« Auch Perkins sah die beiden an. »Völlig fremde Herrschaften. Die beiden hier und der Mann im Hotel – das sind drei Unbekannte. Ich schätze, wir tun am besten daran, unverzüglich weiterzufliegen.« Die Annahme bestätigte sich. Das zweite Schiff stand auf einer Halbinsel etwa zweitausend Kilometer entfernt. »Wenn wir unbemerkt herankommen wollen, müssen wir diesseits der Bergkette landen und den Rest zu Fuß zurücklegen.« »Ist der Wald passierbar? Gibt es wilde Tiere?« »Die Vegetation ist nicht allzu dicht. Man kann ohne technische Hilfsmittel vorwärtskommen. Und Raubtiere sind selten. Notfalls genügen unsere Handwaffen zur Abwehr. Der Nachteil ist nur der Zeitverlust. Für den Abzug ins Tal werden wir günstigstenfalls vier bis fünf Stunden benötigen.« »Das müssen wir in Kauf nehmen. Die Prokas verlangen Praxlomza innerhalb eines Jahres. Wenn wir ihn hier vor uns haben, dürfen wir auch mehrere Tagesmärsche riskieren.« Thorssons Vorschlag wurde also angenommen. Der Pilot setzte das Flugzeug an einer Stelle ab, die dicht unter dem Gebirgskamm und in der Luftlinie dem gesuchten Schiff am nächsten lag. Barnett bestimmte die Leute, die mitkommen sollten. Das waren Thorsson, Perkins und die beiden Beamten. Bannister blieb mit dem Piloten in der Maschine zurück. Funkverkehr wurde nur für den äußersten Notfall vereinbart, da sonst die Gefahr bestand, vom Raumschiff aus angepeilt zu werden. Der Polizeioffizier holte eine Karte hervor und erklärte die Lage. Als sie nach wenigen Minuten den Kamm erreichten, war es nicht schwer, das Schiff auszumachen. Es ragte zur Hälfte aus dem Wald heraus. »Beteigeuze-Klasse«, bestätigte Barnett nach einem Blick durchs Glas. »Mehr läßt sich aber beim besten Willen nicht sagen.« »Sie wissen also nicht, ob es die CORA ist?« »Der Dunst ist zu stark. Solche Feinheiten lassen sich rein optisch auf diese Entfernung nicht bestimmen.« Ab jetzt mußten sie sich nach dem Kreiselkompaß richten, denn die Spitze des Schiffes entschwand ihren Blicken, sobald sie in den Wald eindrangen. Etwa in der vorausgeschätzten Zeit erreichten sie ihr Ziel ohne Zwischenfall. Barnett und Thorsson, die vorn gingen, entdeckten gleichzeitig den aufragenden Schiffsrumpf zwischen den lichter gewordenen Bäumen. Nach wenigen hundert Metern befanden sie sich kurz vor der Lichtung und hielten sich in Deckung des letzten Unterholzes. Ein kurzes Spähen ließ keinen Menschen erkennen. Barnett zog den Kopf zurück und erklärte: »Ich schlage vor, es gehen nicht mehr als zwei Mann.« Er blickte dabei fragend zu Thorsson hinüber. Der nickte. »Sie und ich, Captain. Die anderen sollen sich hier am Waldrand etwas auseinanderziehen und in Deckung bleiben. Zur Sicherung unseres Rückzuges, falls es notwendig werden sollte.« »Einverstanden.« Die beiden Polizisten und Perkins postierten sich in einer Kette und hielten etwa fünfzig Meter Abstand voneinander. Barnett und der Offizier drangen vorsichtig weiter vor, wobei sie das hohe Gras gut zur Deckung ausnutzen konnten. Etappenweise blieben sie hinter einer Bodenschwelle liegen und beobachteten den Schiffsleib durch die Gräser. Barnett suchte ungeduldig nach einem individuellen Kennzeichen, das ihm die CORA verraten mußte. Er studierte jeden Quadratmeter der Oberfläche und neigte immer mehr zu der Auffassung, daß es ein fremdes Schiff sein müsse. »Sie können etwas verändert haben«, sagte er achselzuckend. »Dann wäre sie es doch.
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Steuerbord hat CORA einen unverkennbaren Flicken, der von einem Meteoreinschlag herrührt. Leider kommen wir von Backbord.« »Wir könnten einen Bogen von zwei Kilometern schlagen ...«, murmelte Thorsson. »Ist das Ihr Ernst?« »Natürlich nicht. Mir wäre es lieber, Sie fänden ein anderes Kennzeichen. Wieso konnten eigentlich Patrouillenschiffe auf eine Entfernung von mehreren Lichtwochen eine exakte Zielansprache vornehmen?« Barnett spürte den versteckten Vorwurf hinter der Frage. Er ging aber nicht darauf ein. »Auf einem Raumschiff haben sie erstens ganz andere technische Möglichkeiten und sind nicht auf die Unzulänglichkeit der rein optischen Beobachtungen angewiesen. Außerdem hatten sie von Anfang an den Kurs der CORA abgesteckt. Sie konnten im voraus berechnen, wo sie sie von Tag zu Tag auffinden würden, falls sie ununterbrochen im Hyperraum blieb und keine Kursänderung vornahm.« »Damit geben Sie zu, daß sich die Patrouillen auch irren konnten, sobald wir einkalkulieren, daß die CORA etwas komplizierter geflogen wurde, als wir es jetzt voraussetzen.« »Wie meinen Sie das?« »Nun, wir haben drei Schiffe vom Beteigeuze-Typ bei einer illegalen Landung ausgemacht. Wir wissen aber nicht, welches die CORA ist. Wir wissen nicht einmal, ob die CORA überhaupt dabei ist.« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand! Kommen Sie weiter! Wir haben noch knapp fünfhundert Meter.« Hundert Meter vor dem Schiff erklärte Barnett, daß es mit Bestimmtheit nicht die CORA wäre. »Auf die Pleite habe ich gewartet«, stöhnte Thorsson. »Zu Fuß gehe ich aber nicht zurück. Darauf können Sie sich verlassen.« »Sondern?« »Wir werden die Leute bitten, uns mit dem Beiboot zurückzubringen. Unter den Umständen würde ich ihnen sogar das Strafmandat erlassen.« »Sie sind großzügig. Dabei halte ich dieses Schiff trotz allem für eine sehr verdächtige Sache. Wer sich hier versteckt, hat bestimmt kein reines Gewissen.« »Das werden wir feststellen. Ich darf Ihnen aber ehrlich sagen, daß mir der Fall CORA genügt. Ich möchte mich nicht noch mit kleineren Gaunern herumschlagen ...« Mit diesen Worten stand der Offizier einfach auf, als sei die Lage völlig geklärt und ungefährlich geworden. Barnett spürte instinktiv, daß das ein Fehler war, und blieb in Deckung. »Sind Sie verrückt, Thorsson! Bleiben Sie unten!« In seine Warnung fiel ein Schuß, der Thorssons Leben auslöschte. Barnett starrte auf die Energie werdende Gestalt und drückte sich noch tiefer an den Boden. Er wußte, daß sie, anstatt die CORA zu finden, unter Mörder geraten waren. Es war nicht einmal klar, aus welcher Richtung der Unbekannte geschossen hatte. Aber die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß er sich im Schiff befand. Unter dem Schiff war demnach der sicherste Platz, denn für die verschiedenen Schleusen lag dieser Ort im toten Winkel. Barnett kroch also vorwärts. Er begnügte sich mit Zentimetern, nach denen er Pausen einlegte. Die Pausen sorgten für völlige Bewegungslosigkeit, die für ihn die beste Tarnung war. Nicht die Ungeduld war es, die ihn seinen Plan nach einer halben Stunde ändern ließ. Obgleich er sich längst ernsthafte Gedanken darüber machte, wie er auf diese Weise jemals das Schiff erreichen wollte. Es würde mindestens eine Tremikumdrehung in Anspruch nehmen. Und eine solche Ausdauer konnte er weder von dem Schützen noch von den eigenen
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drei Leuten erwarten, die hinter ihm am Waldrand lagen. Der Schuß auf Thorsson mußte sie bereits in Alarmzustand versetzt haben. Vielleicht wußten sie nicht, daß der Offizier tot war. Aber sie hatten den Schuß gehört. Thorsson war aufgestanden und hatte sich in völliger Sorglosigkeit als nahezu ruhendes Ziel in die Landschaft gestellt. Barnett würde es anders machen. Da hörte er den zweiten Schuß. Der hatte nicht ihm gegolten. Das wußte er sofort, denn nichts reagierte in seiner Umgebung. Der Lärm entstand hinter ihm – Stimmen, die sich auf die Entfernung nicht erkennen ließen. Und noch zwei, drei Schüsse aus verschiedenen Richtungen. Ein Gefecht am Waldrand! Er wandte den Kopf zurück. Doch das hohe Gras verwehrte ihm die Sicht. Barnett hetzte aus dem Tiefstart über die Steppe. Er lief Zickzack. Man würde ihn nicht treffen. Man schoß nicht einmal. Man sperrte den Mund auf. Denn keiner von beiden war auf die Bewegung vorbereitet. Unter dem Schiff stand Lisman. Mit einem Gewehr im Anschlag, mit dem Finger am Abzug – und zitternd und mit großen Augen, vor Staunen weit aufgerissen. Es war die Schrecksekunde, in der jeder Mensch wehrlos ist. Wer sie ausnutzen kann, ist dem anderen überlegen. Barnett konnte sie nicht ausnutzen. Auch er hatte seine Schrecksekunde. Und sein theoretischer Vorteil bestand nur darin, daß er Lismans Vorgesetzter war. Zwischen ihrem Dienstverhältnis aber lagen ein Mord, ein Raumsprung und unerklärliche Entschlüsse, die sie auf getrennte Wege geführt hatten. Schon daß Lisman das Gewehr nicht sinken ließ, war kein Zeichen für seine Solidarität. Der Schreck war eine Konzession an gemeinsame Erlebnisse, die einmal Freunde aus ihnen gemacht hatten. Seltsam! Barnett brachte es fertig, in diesem Augenblick sehr weit abzuschweifen und den Zufall als ein Kuriosum des Schicksals zu bewundern. Ausgerechnet auf diesem Planeten in Tremik-Town-17 hatte ihre Freundschaft begonnen. Und zwar anläßlich einer zünftigen Schlägerei in der Kneipe, wo Praxlomza das erste Mal aufgetaucht war. Selbstverständlich brachte gerade diese Erinnerung Barnett wieder in Nachteil. Seine Pistole steckte tief in der Kombination. Und Lisman forderte ihn auf, sie dort sitzen zu lassen. Die Stimme Lismans half ihm aber. Sie vertrieb jede Illusion und erinnerte an Zeiten der Rivalität. Barnett schwieg noch immer. Doch er ging auf Lisman zu, ohne zu beachten, daß der Gewehrlauf auf seine Brust zeigte. »Bleib stehen!« Barnett gehorchte, ohne damit auf eine gewisse Initiative zu verzichten. »Hast du Thorsson erschossen?« »Wer ist Thorsson?« »Der Offizier, der bei mir war.« »Nein. Das war Kalow oder Lavista. Sie haben einen Posten am Waldrand.« Der Captain pfiff durch die Zähne. »Sieh an! Ihr habt euch einen richtigen Kriegsplan zurechtgelegt. Das läßt darauf schließen, daß ihr eure Sache ernst meint.« »Welche Sache meinst du?« Barnett wurde unterbrochen. Im Walde waren wieder Schüsse gefallen. Er verzog das Gesicht. »Weißt du, dieser Zustand gefällt mir gar nicht. Kann man das nicht abstellen?« »Ich wüßte nicht, wie.« »Verdammt. Lavista und der andere knallen doch meine ganze Truppe ab. Ihr habt doch wohl nicht die Absicht, euch noch tiefer in diese Sache hineinzureiten?« »Wir haben die Absicht, konsequent zu sein. Etwas anderes könnte unserem Leben schaden.«
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»Also habt ihr erkannt, daß ihr auf der Flucht seid. Auf einer ewigen Flucht, die niemals enden wird, solange ihr lebt.« »Und du bist der Jäger.« Lisman sagte das so geringschätzig und feindlich, daß es Barnett wehtat. »Wir sind Freunde, Lis. Weißt du das nicht mehr?« »Prax war dein bester Freund. Aber laß die Vergangenheit in der Kiste, Captain. Die CORALeute haben keine Zeit mehr, sentimental zu sein. Du hast es uns abgewöhnt.« »Was weißt du schon von mir?« »Daß du den Bedingungen der Prokas nachgegeben hast. Daß du Praxlomza jagen wirst – bis ans Ende des Universums. Jeder in der Galaxis, der einen Empfänger hat, weiß das. Du hast dich für die Menschheit und gegen deinen Freund entschieden. Das kann ich dir nicht einmal übelnehmen. Aber die Gejagten ziehen ihre Konsequenzen daraus. – Tritt jetzt bitte auf die Antigravplatte dort drüben und fahre ins Dreißig-Meter-Schott. Ich komme nach.« »Moment! Soll das ein Befehl sein?« »Allerdings. Du bist mein Gefangener.« * Nein, auf keinen Fall war das die CORA. Barnett wußte es längst. Und doch nutzte er jede Kleinigkeit, die er als fremd erkannte, um sich das vor Augen zu halten. Denn Lisman und Lavista waren auf dem Schiff, obwohl die ganze Welt behauptete, sie wären mit der CORA geflohen. Lisman ging vor ihm her und dirigierte die Richtung. Vor einer Kabine mußte er stehenbleiben, bis der Roboter öffnete. »Gib mir deine Waffen.« Barnett gehorchte. Da Lisman ihn allein ließ, legte er sich aufs Bett. Er wollte nicht schlafen. Das hätte er wahrscheinlich auch bei größter Müdigkeit nicht fertigbekommen. Er wollte nachdenken. »Wie heißt dieses Schiff, Robby?« fragte er laut in den Raum. Er bekam keine Antwort. »Hallo, Robby! Bist du stumm? Du hast mir doch gerade noch die Tür geöffnet.« Barnett inspizierte den Roboter. Er erkannte sofort, daß Lisman einen Kontakt gelöst hatte. Sobald der Schaden behoben war, gab der Automat Antwort auf seine Fragen. »Dieses Schiff ist die DENEB.« »Wie heißt der Kommandant?« »Captain Kalow.« »Kennst du einen Mann mit Namen Praxlomza?« »Nein, Sir.« »Ich heiße Barnett.« »Jawohl, Barnett.« »Ist dir etwas über die letzten Stationen bekannt, die ihr angeflogen habt?« »Seit einem halben Jahr steht diese Kabine leer, Barnett. Ich besitze keine Informationen jüngeren Datums.« »Seit wann ist Lisman an Bord?« »Wer ist Lisman?« »Der Mensch, der mich vorhin hierherbrachte.« »Lisman ist seit vierundfünfzig Terrastunden an Bord.« »Zuzüglich der Zeit, in der du abgeschaltet warst. Wie oft ist das geschehen?« »Einmal.« »Hm, das geht noch. Aber woher hast du die Instruktion? Seit einem halben Jahr war diese Kabine unbelegt, sagtest du.«
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»Trotzdem schaut dann und wann jemand herein. Vor vierundfünfzig Stunden kam der Captain mit zwei Fremden. Aus ihrem Reden ging hervor, daß sie gerade an Bord gekommen waren und sich das Schiff zeigen ließen.« »Zwei Fremde sagtest du? Waren es nicht drei?« »Nein, Barnett.« Der Captain legte sich aufs Bett zurück. Er bekam nichts Brauchbares mehr aus dem Roboter heraus. Lisman und Lavista mußten irgendwie auf dieses Schiff gekommen sein, das sich DENEB nannte. Entweder hatte Praxlomza an dem erwähnten Rundgang durchs Schiff nicht teilgenommen, so daß der Roboter von seiner Anwesenheit keine Kenntnis hatte, oder Prax war tatsächlich nicht an Bord. Dafür war er, Barnett, hier. Und zwar unter wenig günstigen Bedingungen. Er dachte an die Schießerei, an der Perkins und die beiden Polizisten beteiligt gewesen sein mußten. Wahrscheinlich hatte es noch einmal Tote gegeben, denn der Schuß auf Thorsson bewies, daß die anderen mit der Waffe umzugehen verstanden. Barnett sah im Geiste Perkins' Gesicht. »Wenn ihr ihm ein Haar gekrümmt habt, dann sollt ...« »Dann?« Die Frage Lismans kam aus dem Lautsprecher. »Läuft dein Spion schon lange?« »Ich habe eure Unterhaltung abgehört. Du wirst hoffentlich nichts dagegen einwenden.« Barnett starrte zur Decke hinauf, wo irgendwo Lismans Stimme war. »Wer Perkins ein Haar krümmt, der sollte sich klar darüber sein, daß ich sein Kapitän bin.« »Das klingt wie eine Drohung.« »Oder es beweist, wie sehr du Grund hast, es als eine Drohung aufzufassen.« »So, meinst du?« »Ich meine etwas ganz anderes. Etwas, was du anscheinend vergessen hast. Ich habe dich unter Eid genommen. Auch du gehörst zur Besatzung der CORA.« Sekundenlang fehlte die Antwort. Doch sie kam. »Genau wie Praxlomza. Wo ist dein Entschluß, ihn zu schützen? Wer die Nachrichten hört, weiß, was Praxlomza von dir zu erwarten hat.« »So, du weißt es also. Und zwar aus den Nachrichten. Aus der Volksaufklärung. Ich dachte immer, du hättest die staatliche Propagandamaschine schon lange vor mir als ein Mittel zum Zweck durchschaut. Und heute stellst du die Nachrichten der Union als eine Offenbarung hin.« »Willst du vielleicht behaupten, daß sie lügen?« »Ich will nichts behaupten. Denn dazu bin ich heute noch gar nicht in der Lage. Auf jeden Fall solltest du aber die Nachrichten nicht mit meinem Gewissen verwechseln.« Lärm im Lautsprecher unterbrach Barnett. Man hörte Stimmen und polternde Männer. Es schien, als ob Lavista dabei wäre. Barnett hörte Lismans unterdrücktes Flüstern. »Schluß jetzt! Ich komme später zu dir.« Das Summen des Lautsprechers verstummte. Barnett blieb liegen und wartete. Er wartete, ohne zu wissen, wie lange. Erst als die Gedanken in die Kabine zurückkehrten und eine Frage für die Gegenwart wurden, glaubte er, eine Veränderung festzustellen. Barnett wußte, daß die DENEB flog. Die Lichtung, die Halbinsel und der Planet Tremik waren entrückt. Dann trat Lisman ein. Er blieb am Schott stehen, das er sorgfältig hinter sich zuzog. »Wir müssen darüber reden, Perry. Ich will wissen, woran wir sind.« »Wer ist wir?« »Du, ich, Praxlomza. Verdammt! Wir alle!« »Wir alle sind mehr. Die ganze Menschheit und die Prokas. Verstehst du jetzt vielleicht, daß
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unser Problem etwas komplizierter ist, als es deine Frage vermuten läßt?« »Ich will es aber wissen! In meiner Situation muß ich handeln. Jeder Augenblick kann neue Notwendigkeiten bringen. Ein gehetzter Mensch kann es sich nicht leisten, wochenlang das Für und Wider gegeneinander abzuwägen.« »Im Gegenteil! Wir haben ein ganzes Jahr Zeit. Auch das dürfte dir aus den Nachrichten bekannt sein. Also, wo ist Praxlomza?« »Ich könnte es dir unbesorgt sagen, da du in meiner Gewalt bist. Aber ich weiß es nicht. Wir haben nur eine sehr unbestimmte Verabredung getroffen.« »Dann bestehen gewiß auch keine Bedenken, mir zu sagen, was sich ereignet hat.« »Das ist schnell geschehen. Die Verfolgung durch die Unionsschiffe hat eurerseits immer gut geklappt. Allerdings übersah man, daß wir eine Begegnung hatten. Kalow ist ein alter Bekannter von mir. Aus meiner zweifelhaften Vergangenheit, weißt du. Wir gingen längsseits und machten den Handel fit.« »Was für einen Handel?« »Er belieferte uns mit Treibstoff, so daß die CORA sich das Wahnsinnsunternehmen, auf Tremik zu landen, vom Halse halten konnte. Prax ist gar nicht auf diesem Planeten gewesen.« »Und die DENEB? Hat sie aufgefüllt? Konnte sie sich diesen Start leisten?« »Allerdings. Der Talkessel auf der Halbinsel birgt ein gutgetarntes Nachschublager. In Kalows Gewerbe ist das unbedingt notwendig. Wir haben Kraft für eine Menge Lichtjahre an Bord.« »Ich verstehe trotzdem nicht, weshalb du dann die CORA verlassen hast.« »Um dich zu fangen.« »Bei Gott! Der Plan war gut. Der Erfolg hat es bewiesen.« Lisman brachte ein selbstgefälliges Lächeln zustande. Aber es war schwach. Barnett fragte weiter. »Hat Kalow von seinen Leuten welche abgegeben?« »Drei Mann sind auf der CORA.« »Das beruhigt mich. Und ich denke, ihr habt euch sehr genau verabredet. Oder will Kalow für die Zukunft auf seine Männer verzichten?« »Du kannst denken, was du willst. Jedenfalls revidiere ich meine Auskunft nicht.« »Okay! Wie geht es Perkins und den Polizisten?« »Perkins ist an Bord. Er hat eine ähnliche Kabine wie du.« »Und?« »Die anderen beiden? Ich weiß nicht. Lavista meint, er hätte einen erschossen. Doch sie können ebensogut in den Wald entkommen sein.« »Wer hat Thorsson getötet?« »Soviel ich weiß – Kalow.« Barnett holte Zigaretten hervor. »Willst du?« Lisman griff zu und bedankte sich. Nach dem ersten Zug nahm der gefangene Captain das Gespräch wieder auf. »Ich möchte mit dir als Freund reden, James. Ist das möglich?« »Natürlich ist das möglich. Auch mir liegt daran, daß zwischen uns Klarheit herrscht.« »Nun gut! Moment, würdest du die Bordsprechanlage ausschalten? Ich möchte offen mit dir reden, was nur ohne Zeugen möglich ist.« Lisman kam dem Wunsch nach und setzte sich wieder. »Schieß los, Captain. Aber mach keine endlose Debatte daraus.« »Das wird nicht nötig sein. Unser Hauptproblem ist schnell umrissen. Du weißt, daß ich die Aufgabe habe, Praxlomza nach Poldini II zurückzubringen. Du weißt auch, warum.« Lisman nickte. »Okay! Weil du dich mit Lavista Prax angeschlossen hast, fürchtet ihr natürlich, daß ihr
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beide ebenfalls auf der Anklagebank sitzen werdet, wenn ich euch alle drei zurückbringen sollte.« Der Maschinist nahm eine Haltung an, die nach Empörung aussah. »Wenn du darauf anspielst, daß ich Prax verrate, um meine eigene Haut zu retten, dann bist du auf dem Holzweg.« »Langsam, James! Ich möchte vorerst jeden moralischen Gesichtspunkt unbeachtet lassen. Wir wollen nur von der praktischen Seite reden. Ich könnte euch zwei laufen lassen. Die Prokas haben lediglich nach Praxlomza verlangt.« »Verdammt!« stöhnte Lisman, »so kannst du nicht mit mir reden!« »Warum nicht? Deine ganze Empörung gegen mich wird zusammenstürzen, wenn du mir glaubst, daß ich bis zur Stunde überhaupt noch keinen endgültigen Entschluß gefaßt habe.« »Soll das heißen, du würdest Prax gar nicht ausliefern? Das ist eine ganz plumpe Falle. Und du glaubst, wir tappen hinein, weil wir sentimental werden und uns an unsere frühere Freundschaft erinnern.« »Für mich gilt diese Freundschaft auch heute noch. Im stillen war ich dir und Lavista dankbar, daß ihr Praxlomza bei der Flucht geholfen habt. Sonst hätten sie ihn gewiß schon liquidiert.« Lisman zögerte. Er steckte voller Mißtrauen. »Ich finde, was du tust und was du sagst, paßt nicht zusammen.« »Wieso?« »Du kämpfst für den Frieden. Du warst ein Fanatiker, seit ich dich kenne. Und jetzt mußt du den Freund verraten, um der Milchstraße den Frieden zu bringen. Ich will dir nicht unterschieben, daß du es leichtfertig tust. Prax war immer dein persönlicher Schützling. Aber jetzt mußt du ihn opfern für etwas unendlich Größeres.« »So sieht die einfache Rechnung aus, gewiß. Und deinen Worten entnehme ich, daß du dich an meiner Stelle schon längst zu dieser Lösung entschlossen hättest. Ich sagte dir aber schon, daß ich es noch nicht getan habe. Wenn dieses Schiff die CORA wäre und wenn du Praxlomza wärst, dann wüßte ich noch immer nicht, was ich täte.« »Weil es dir schwerfällt. Am Ende würdest du tun, was die Vernunft und die Prokas verlangen. Da gebe ich mich gar keinen Illusionen hin.« »Vielleicht hast du recht. Aber nun einmal zu Kalow. Wer ist er?« »Ich sagte es schon. Ein alter Bekannter.« »Hat er ein persönliches Interesse an Prax?« »Nein, natürlich nicht.« »Hat er ein Interesse daran, daß der Krieg weitergeht? Ich meine, wenn er einer von den modernen Piraten und Schmugglern ist, wäre das immerhin möglich.« »Unsinn! Er ist Privatunternehmer. Ob Krieg oder kein Krieg, seine Fracht hat er.« »Dann bewundere ich deine Vertrauensseligkeit.« »Hast du vielleicht etwas gegen Kalow? Du kennst ihn gar nicht.« »Für mich ist er eine Figur in diesem Spiel. Ich versuche, mir seine Motive vorzustellen.« »Was für Motive, zum Donnerwetter?« »Nun, euch zu helfen. Er muß doch einen Vorteil davon haben, daß er Praxlomza der prokaskischen Gerichtsbarkeit entzieht.« »Hat er nicht. Er tut es aus Freundschaft.« »Zu wem? Zu dir? Du hast nicht gesagt, daß ihr Freunde seid. Du hast nur von einer Bekanntschaft gesprochen. Was ist es nun?« »Zum Teufel, Perry! Worauf willst du hinaus?« Wieder kam Barnett mit einer Gegenfrage. »Wer kam eigentlich auf die Idee, drei Mann der DENEB-Besatzung auf die CORA zu schicken und euch beide hier einzuquartieren?«
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Lisman sah den Captain unsicher an. »Ja, wer wohl? Das ergab sich im Gespräch.« »War es nicht Kalow? Stammt nicht von ihm der Plan, mich auf Tremik in die Falle zu locken? Schließlich merke ich an den ganzen Verhältnissen hier, an dem geheimen Treibstofflager auf der Halbinsel, daß er sehr gut orientiert ist.« »Nun ja, er war es wohl. Aber was ändert das an den Tatsachen?« »Es läßt die Möglichkeit zu, daß die CORA in der Gewalt seiner drei Leute Poldini II ansteuert, Praxlomza den Prokas ausliefert und für Kalow einen gewissen Ruhm erwirbt, der ihm in Zukunft zu großem Nutzen verhelfen kann.« Lisman war aufgesprungen. »Perry! Du bist verrückt! Du willst mir eine Falle stellen.« »Rede keinen Unsinn und setz dich wieder. Ich habe lediglich eine Theorie aufgestellt, die für euch bereits ein sehr sicherer Verdacht ist. Du bist selbst intelligent genug, um entscheiden zu können, ob meine Idee verrückt oder sehr naheliegend ist.« »Wenn du recht hast, bist du tatsächlich zu beneiden. Praxlomza wird festgenommen, ohne daß du dein armes freundschaftliches Gewissen noch strapazieren mußt.« »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Hast du nicht vielleicht den Wunsch, etwas gegen diese Eventualitäten zu unternehmen?« »Ich verstehe dich nicht, Perry. Wäre das etwa dein Wunsch?« Die Frage blieb unbeantwortet. Denn durch das Raumschiff heulte plötzlich die Alarmsirene. Beide Männer sprangen gleichzeitig auf und stürzten zur Tür. Sie rannten den Gang hinunter zur Zentrale. Als sie das Schott zur Kommandozentrale aufrissen, bot sich ihnen ein sehr seltsamer Anblick. Fünf Männer standen im Raum, deren Gesichter ausnahmslos vom Schrecken gezeichnet waren. Und auf dem Boden lagen teilweise demolierte Gegenstände. »Lisman!« rief ein Mann mit dem Abzeichen eines Handelskapitäns. »Haben Sie das Ding gesehen?« »Was für ein Ding, Kalow?« Barnetts Anwesenheit wurde in der Aufregung kaum zur Kenntnis genommen. Lavista drückte sich in einer Ecke herum und grinste etwas unglücklich, als ihn der Blick seines Captains von der CORA traf. Einer der Leute schrie mit einem unerklärlichen Entsetzen in den Augen: »Es war ein Proka, sage ich euch. Es war ganz einwandfrei ein Proka.« Ein anderer brüllte mit gleicher Lautstärke dagegen und versicherte, der Gedanke an Prokas sei völlig idiotisch. Woher solle auf der DENEB ein Proka kommen? »Aber er sah genauso aus!« schaltete sich erregt ein anderes Besatzungsmitglied ein. »Wir haben auf ihn geschossen und mit gewichtigen Gegenständen nach ihm geworfen. Nichts davon hat ihm etwas ausgemacht. Man hat uns genarrt!« »Unsinn, Bill!« stellte Kalow fest. »Jeder hat das Ding gesehen. Das ist ja wohl der beste Beweis für seine wirkliche Existenz.« »Man kann fünf Menschen gleichzeitig hypnotisieren, daß sie alle dasselbe zu sehen glauben ...« »Ich denke, es liegt kein Grund zur Beunruhigung vor«, sagte Barnett. Im Verhältnis zu den anderen klangen seine Worte sehr leise und besonnen. »Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.« »Das ist Captain Barnett«, beeilte sich Lisman zu erklären. Der berühmte Name und die Art, wie der Fremde dastand, wirkten beruhigend auf die Gemüter. »Hallo, Barnett!« sagte Kalow. »Weiß der Teufel, was hier los ist. Meine Leute sind völlig durcheinander.«
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»Solange der Kommandant einen klaren Kopf behält«, grinste Barnett zweideutig, »ist noch alles in Ordnung.« »Sie kennen die Prokas«, überging Kalow diese Spitze. »Haben Sie jemals davon gehört, daß diese Biester durch die Weite des Raumes massenhypnotische Wirkungen erzielen können?« »Nein, das ist mir nicht bekannt.« »Aber wir haben ein Kugelwesen gesehen. Es war hier in der Zentrale. Es kam durch keine Tür und ging durch keine Tür. Es war da und verschwand, ohne während seiner Anwesenheit den Platz zu verlassen.« »Und Sie haben versucht, es zu töten?« »Haben Sie vielleicht etwas dagegen? Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn plötzlich unangemeldet ein solcher Spuk vor Ihnen auftaucht?« »O ja, ich kann es. Ich habe es am eigenen Leibe erlebt. Doch ich möchte Sei alle beruhigen. Der Proka war gar nicht da.« »Sie wissen offenbar mehr als wir«, sagte Kapitän Kalow. »Erklären Sie uns die Sache bitte.« Barnett tat es und traf auf eine Menge Unglauben. Schließlich blieb den anderen nichts anderes übrig, als das Phantastische zu akzeptieren, denn ihr eigenes Erlebnis widersprach ihrem Mißtrauen. »Der Proka schickte also sein Bild«, rekapitulierte Kalow. »Was bezweckte er damit?« »Wahrscheinlich suchte er jemanden.« »Wen?« »Wer weiß das? Vielleicht mich, vielleicht Sie – oder auch Praxlomza. Sie wissen ja, daß man hinter ihm her ist. Ich möchte jedoch eher annehmen, sie suchten nach mir.« »Stehen Sie unter prokaskischer Bewachung?« Barnett mußte lächeln. »Indirekt, Kalow, nur indirekt. Es wird einer meiner Freunde gewesen sein, der sich um meine Sicherheit sorgt. Er hat wahrscheinlich kein Verständnis dafür, daß ich Ihr Gefangener bin.« »Ich bitte Sie, Barnett! Wie kommen Sie darauf? Sie sind mein Gast.« »Lisman behauptete vorhin das Gegenteil. Er hat sich offenbar geirrt. Vielen Dank also für Ihre Freundlichkeit, Kalow. Und – wie gesagt – wenn Sie Fragen über die Prokas haben ... Ich bin da Experte.« »Ich habe noch eine Frage.« »Bitte.« »Ist das Bild des Prokas wieder endgültig verschwunden? Ich meine, beobachtet er uns jetzt nicht?« »Er ist nicht zu sehen. Also ist er weg. Aber er scheint in der Nähe zu sein.« Barnett sagte das mit einem Blick auf den Bildschirm. »Sie meinen das Raumschiff?« Kalow winkte wegwerfend mit der Hand. »Das steht schon lange hinter uns. Es ist aber weder eine Prokakugel noch die CORA. Uninteressant für uns.« »Es ist die KAPELLA«, versicherte Barnett. »Und mit der KAPELLA fliegen Nam-Legak und Iks-Wol-Esak. Sie kennen die Namen, nicht wahr?« Kalow beherrschte sich gut, denn die Nachricht konnte ihn schon beunruhigen. »Hm, wenn Sie es sagen, muß es stimmen. Würden Sie vielleicht so freundlich sein und jetzt Ihre Kabine aufsuchen? Wir können uns später noch unterhalten.« »Okay, Kalow! Viel Glück beim Manöver!« Lisman ging mit hinaus. Vor Barnetts Tür blieben sie stehen. »Wo wohnt Perkins?« »Da drüben.«
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»Du hast nichts dagegen, daß ich zu ihm gehe?« »Hör bloß auf mit dem Theater. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich auch mitkomme.« Lisman fühlte Barnetts Hand auf der Schulter. Beide sahen sich sekundenlang schweigend an. Und dieser Blick stellte automatisch das alte Verhältnis wieder her. Besser als jedes gesprochene Wort. Perkins hielt den Finger vor den Mund, als sie beide eintraten. Nun, sie hätten sich trotz der Überraschung auch so in der Gewalt gehabt, um nicht in verräterische Rufe auszubrechen. Sogar Lisman, der sich leider nur mit einigen erklärenden Sätzen begnügen mußte. Er mußte sich damit abfinden, daß Iks-Wol-Esak bei Perkins in der Kabine hockte. Nicht als Bild, sondern körperlich. »Hallo, Iks! Hast du die Besatzung da vorn so durcheinandergebracht?« »Ich mußte euch suchen. Da habe ich in der Zentrale angefangen.« »Weshalb hast du uns gesucht? Und vor allem, wie hast du uns gefunden?« »Bannister hat uns von der Halbinsel aus gefunkt, was geschehen war. Dann haben wir ihn abgeholt, die Polizei mit dem Flitzer nach Hause geschickt und sind euch gefolgt. Kompliziert war das gerade nicht. Ich fürchte aber, es wird kompliziert.« »Wegen Prax?« »Ja, Perkins erzählte mir schon, daß er nicht an Bord ist. Andererseits befinden sich aber Lisman und Lavista hier. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken.« »Siehst du, James!« rief Barnett. »Ihm ist auch nicht wohl. Ich bin gespannt, weshalb.« »Wenn die CORA mit Leuten von dieser Schmugglerbande besetzt ist, dann zählt das soviel wie ein Prisenkommando. Prax ist verraten und verkauft und trifft in spätestens drei Wochen auf Poldini II ein. Es ist mir völlig klar, daß man ihn ausliefern wird.« Barnett sah wieder zu Lisman hinüber, dem er dieselbe Theorie auseinandergesetzt hatte. »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als auch daran zu glauben«, sagte der Maschinist achselzuckend. »Aber Iks, ich muß dich etwas fragen. Ist es da nicht vollkommen gleichgültig, wer ihn bringt?« »Absolut nicht. Barnett hat die Aufgabe, und kein anderer. Er muß entscheiden, was mit Prax geschieht.« »Ich begreife das alles nicht. Natürlich bin ich der letzte, der Prax eine freundschaftliche Hilfe verweigert. Aber wie die Dinge nun einmal liegen, verlangt doch der gesunde Menschenverstand, daß ein Proka alles für Prax' Auslieferung dransetzt.« »Ich habe keinen Menschenverstand«, erwiderte der Proka. »Natürlich nicht. Doch der Captain denkt genauso. Entweder seid ihr sehr sonderbare Heilige, oder ihr habt eine Patentlösung auf Lager.« »Leider nicht, wie du selber weißt«, sagte Barnett mit resignierendem Unterton. »Vielleicht doch«, erklärte Iks-Wol-Esak, blockierte aber sofort wieder sein Gehirn. Das Telepathierelais stand zwischen ihnen. Trotzdem aber spürten die drei Menschen keinen Kontakt mit seinen Gedanken, so sehr sie auch mit ihren Fragen bohrten. »Bemüht euch nicht«, kam plötzlich der Gedanke des Proka. »Ich habe dieses Relais umgebaut. Eine Schaltung genügt, und es arbeitet entgegengesetzt.« »Du hast es geschafft?« fragte Barnett begeistert, obwohl das gar nicht zu ihrem Problem gehörte. »Nam-Legak sprach davon. Meinen Glückwunsch, Iks!« »Danke! Es war nur ein Anfang. Wir müssen noch viel Geduld haben, bis Praxlomza gerettet ist.« Die Menschen begriffen den Zusammenhang nicht. »Es ist doch völlig klar«, inspirierte sie Iks-Wol-Esak. »Der Idealfall für unser Dilemma wäre doch, daß wir Praxlomzas Unschuld beweisen. Da er aber offenbar nicht unschuldig ist, muß eine Möglichkeit gefunden werden, eine Lüge glaubhaft zu machen.« »Dafür gibst du dich her?«
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»Natürlich. Denn ich bin mir im klaren darüber, daß im Interesse des galaktischen Friedens jede Lüge ein Segen ist. Wenn sie nur etwas taugt.« »Also gut. Was hat das mit der Erfindung zu tun?« »Das Verhör vor Gericht muß akustisch erfolgen. Da ein Mensch angeklagt ist, kann man das verlangen. Einen Präzedenzfall gibt es nicht dafür. Prokas aber können Gedanken lesen. Praxlomza bekäme keine Lüge durch ohne dieses Gerät.« »Kannst du das nicht vielleicht deutlicher erklären? Du bist sehr geheimnisvoll heute«, sagte Perkins. »Ich sollte überhaupt nichts erklären. Es wird vielmehr Zeit, daß wir auf die KAPELLA zurückkehren. Du kommst doch mit, James?« »So ohne Flitzer und ohne Benutzung der Luftschleuse?« »Allerdings! Und zwar ist es ratsam, die Teleportation vorzunehmen, bevor Kalow in den Hyperraum geht. Für solche Fälle bin ich nämlich noch nicht eingerichtet. Ihr faßt mich an. Die körperliche Berührung genügt.« »Okay!« nickten die Menschen voller Vertrauen zu ihrem prokaskischen Genie. * Barnett fand die Begrüßung auf der KAPELLA etwas übertrieben. Nur die Begegnung mit Cora hatte er sich nicht freudiger vorstellen können. Sie kam sogar mit auf die Brücke und verlangte, daß man sie dort während der gesamten Flugwache Barnetts würde dulden müssen. Barnett flog im Kielstaub der DENEB, bis sie im Hyperraum verschwand. Kurz darauf wollte er nachsetzen, ohne daß er hoffte, sie wiederzufinden. Es ging ihm weniger um die DENEB als um die CORA. Vielleicht mußte man die DENEB verfolgen, um die CORA zu finden. Wer konnte das sagen? Ebenso sicher war, daß man die CORA auf Kurs Poldini II suchen mußte. In Gedanken bereitete er den Hyperrace vor. Kurz bevor er hineinging, erreichte ihn ein starker Impuls aus dem Labor. Er drückte sofort das Telepathierelais an sich und spürte eine ungewohnte Erregung in Iks-Wol-Esaks Gehirn. »Was ist los, Iks?« »Eine Menge! Warte noch mit dem Sprung! Ich habe Kontakt mit der DENEB.« »Unsinn, mein Lieber. Sie ist vor fünf Minuten in den Hyperraum gegangen.« »Eben darum ist es wichtig. Meine Uhr läuft seitdem. Ich habe alles genau verfolgt ...« »Vom Labor aus?« »Frage jetzt nicht, sondern tu, was ich dir sage. Ändere Sprungenergie auf 694,4 – ohne Richtungskorrektur. Schalte auf mein Zeitkommando! Noch fünfunddreißig Sekunden. Ich zähle.« Die Zahlen von fünfzehn bis null kamen telepathisch wie das vorangegangene Gespräch. Barnett schaltete, wie der Proka es von ihm verlangte. Und das Wunder geschah. Im Bildschirm tauchte die DENEB auf. Sie hing vor ihnen wie im Normalraum. Barnett schaltete sofort auf Autopilot und rannte nach hinten ins Labor, wo Iks-Wol-Esak nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch sein Nachtlager aufgeschlagen zu haben schien. Der Kugelmann hantierte mit der Behendigkeit eines terranischen Kaninchens und ließ sich auch durch die Ankunft des Captains nicht stören. »Hallo! Iks! Jetzt verrate mir endlich, wie du das gemacht hast!« »Dimensionswechsel.« »Was für ein Ding?« »Dimensionswechsel! Willst du es schriftlich haben?« »Ich fürchte, das hilft auch nichts. Allerdings möchte ich wissen, welchem Universalgenie du die Pläne gestohlen hast.«
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»Sie sind von mir«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Das nimmt dir keiner ab. Du kannst innerhalb weniger Wochen oder gar Tage keine Serie von Erfindungen aus dem Boden stampfen, zu denen für ganze Rassen ein paar Generationen notwendig sind.« »Im Grunde ist es ja auch nur eine Erfindung.« »Eine?« »Denke einmal an die Etaner! Sie sind der Fingerzeig auf das Fundament des Naturgesetzes. Ihre Zeitsprünge in die Zukunft und in die Vergangenheit sind für uns Galaxier verrückte Paradoxa. Ich habe in den letzten Wochen eine Menge Publikationen über unsere Erlebnisse bei den Etanern herausgebracht. Aber die Fachwelt lächelte darüber. Aber du weißt, daß alles wahr gewesen ist. Ich habe das System der Existenzformen gefunden. Ich habe einen Kreis gezeichnet. Dieser Kreis umschließt Energie, Materie und alles, was nicht Energie und Materie ist. Die Teleportations-Existenz paßt hinein, die contra-temporisierten Formen passen hinein, und alles, was wir noch nicht kennen. Ich kann die Eigenschaften aller Existenzformen definieren, ohne sie jetzt schon kennen zu müssen. Wer sie findet, kann sie nachträglich in mein System einbauen. Verstehst du jetzt, daß das Finden dadurch sehr erleichtert wurde? Ein bereits rein definiertes Ding ist schon nicht mehr ganz fremd, selbst wenn man es noch nicht kennt.« »Ich weiß, was du meinst. Man kann etwas durch Zufall finden. Die Wahrscheinlichkeit des Findens ist aber wesentlich größer, wenn ich weiß, wo etwas versteckt liegt und wie es aussehen muß. Wie wär's, wenn du jetzt ...« Barnett wurde durch ein hölzernes Klappern unterbrochen, das irgendwo zwischen den Apparaten Iks-Wol-Esaks seinen Ursprung haben mußte. Der Proka zeigte plötzlich eine ungewöhnlich starke Erregung und drückte sich hastig durch den schmalen Gang. Der Mensch folgte ihm. Sekunden später erreichten sie das Gerät, das das seltsame hölzerne Geräusch entwickelte. Barnett begann eine verzweifelte Frage. Doch der Proka drückte mit drei Fingern Barnetts Arm und verlangte telepathisch nach Ruhe. In das Schweigen hämmerte weiter das hölzerne Stakkato. Als es plötzlich abbrach, wurde die Ungewißheit nur noch unerträglicher. »Verdammt, Iks! Sage jetzt endlich, was los ist!« »Etwas sehr Unangenehmes. Sie haben Praxlomza erwischt.« »Wer?« »Meine Leute, die Prokas. Was du soeben gehört hast, war nichts anderes als die Erfolgsmeldung des Kugelschiffes 73 468 an die Regierung auf Poldini II. Praxlomza wird dorthin zurückgebracht.« »Wie konnte das geschehen?« »Ganz einfach. Sie begegneten der CORA und schickten das Energiebild eines ihrer Leute hinüber. Da ein solches Bild sehen kann wie das dazugehörige Primärwesen, war es nicht schwer, Praxlomza zu entdecken.« »Aber wie sind sie hineingekommen? Die Abmachungen zwischen unseren Delegationen verlangen, daß auch für die Verfolgung Praxlomzas die Vorschriften des Waffenstillstands gelten. Jede Gewaltanwendung ist entschieden untersagt. Und mir kann keiner einreden, daß Prax sich widerstandslos ergeben hat.« »Prax war ein einsamer Junge auf der CORA. Die drei Männer aus Kalows Crew hatten nicht das geringste Interesse daran, sich den Forderungen der Prokas zu widersetzen. Meine Rassebrüder haben natürlich gedroht. Sie hatten ein vollarmiertes Kriegsschiff. Unter einem solchen Zwang vollzog sich die Auslieferung Praxlomzas beinahe friedlich. Er wurde leicht betäubt und wachte inzwischen auf dem Kugelschiff auf. Die drei Kalow-Leute sind mit der
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CORA unbehelligt weitergeflogen. Du kennst die Gesetze, wie sie die Menschen bei herrenlosen Schiffen anwenden.« »Du meinst, die CORA gehört jetzt Kalows Mannschaft?« »Einwandfrei. Nach dem Gesetz.« »Einen kleinen Unterschied gibt es schon. Sie haben die CORA nicht herrenlos gefunden, sondern den Vertreter des Eigentümers aufgrund höherer Gewalt entfernt. Im übrigen ist diese Frage im Augenblick zweitrangig. Die CORA kriegen wir wieder. So oder so. Dafür habe ich viel zu gute Beziehungen zur Regierung. Aber war machen wir mit Prax? Können wir überhaupt etwas machen?« »Du bist der Captain«, erklärte Iks-Wol-Esak und enthob sich damit einer Entscheidung, die er wahrscheinlich nicht verantworten konnte. »Ich bin der Captain«, murmelte Barnett. »Aber ich bin ein hilfloser Mensch. Ich bin machtlos gegen ein Schiff, das ich aus mehreren Gründen nicht einfach vernichten darf. Praxlomza ist an Bord, der Vertrag verbietet Gewaltanwendung, und ich weiß nicht einmal, wo das Kugelschiff zu suchen ist. Du könntest mir helfen, Iks.« »Du bist der Captain«, machte der Proka wieder. Um Barnetts Mund spielte ein entschlossenes Zucken. »Wo ist die Kugel?« »Im Normalraum.« »Wirst du sie orten können? Von hier aus dem Hyperraum?« »Ich beherrsche sozusagen die Dimensionsverschiebungen. Mit dem Teleporter-Leitstrahl geht es. Sonst hätte ich ja niemals die Meldung auffangen können. Gib deine Befehle, Perry!« »Einen Moment noch. Du bist dir im klaren darüber, daß unser Plan gegen die Abmachungen unserer Delegationen und Regierungen verstößt. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß Prax der Justiz ausgeliefert wird.« »Du bist Untertan der Union. Und der Befehl Skeens verlangt, daß du persönlich Prax nach Poldini II bringst. Alle anderen Schiffe haben die Pflicht, Prax an dich auszuliefern, wenn du es verlangst.« »Alle Unionsschiffe. Die Befehlsgewalt meiner Regierung erstreckt sich nicht auf eure Rasse.« »Das stimmt. Deshalb sollst auch du allein entscheiden. Der Bruch von Abmachungen ist zwar etwas ausgesprochen Illegales. Am Ende entscheidet aber der Erfolg, ob einer recht gehabt hat. Ich meine, wenn es jemals einen erfolgreichen Rebellen in der Galaxis gegeben hat, so bist du es.« »Du willst mir Mut machen, Iks.« »Du bist der Captain.« »Okay! Komm mit. Wir werden das Gehirn fragen.« * Barnett meinte nicht das große Gehirn auf Terra. Er dachte an den Kartenrobot, den Dr. Norton hatte umbauen sollen. Sie gingen in die Zentrale. Dort saß King im Pilotensitz. »Man hat mich geholt, Captain, als Sie ins Labor gingen. Der Doktor meinte, es wäre sicherer, wenn einer den Autopiloten überwacht, wo wir die DENEB vor uns haben ...« »Schon gut, Norton. Ich wüßte nicht, daß ich Sie getadelt hätte.« »Okay, Captain!« »Sie gehen also auf Nummer – Sicher, Doktor. Demnach wäre der Kartenrobot jetzt in Ordnung?« »Ich habe ihn nach Ihren Angaben umgebaut, Sir.« »Dann übernehmen Sie bitte die Bedienung.«
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»Okay, Captain.« »Komm mit, Iks. Ich gebe die Daten, aber du überwachst sie. Ich möchte, daß meine Angaben absolut logisch sind.« Barnett machte seine Angaben, wie sie der Lage entsprachen, die er mit Iks-Wol-Esak kurz vorher im Labor besprochen hatte. Dr. Norton drückte die Knöpfe des angeschlossenen Schaltbrettes. »Das ist alles«, sagte der Captain. »Du kennst das Ergebnis im voraus, Iks.« »Es kommt auf deine Fragestellung an.« »Nun, sie heißt: Ist es ratsam, das Prokaschiff anzugreifen und Praxlomza zu befreien? Zufrieden?« »Noch nicht. Du mußt sagen, was du anschließend mit Prax machen wirst. Wirst du ihn selbst ausliefern?« »Nehmen wir zunächst an, ich tue es nicht. Haben Sie das, Doktor?« »Jawohl, Captain.« »Die Auskunft wird negativ sein«, erklärte der Proka. »Darüber sind wir uns einig. Doch zunächst möchte ich die Zuverlässigkeit des Elektronengehirns überprüfen.« Das Gehirn arbeitete drei Sekunden und warf ein Band aus. Der Text lautete: »Von einer Befreiung Praxlomzas ist abzuraten.« »Dieselben Daten«, sagte Barnett. »Berücksichtigen Sie folgende Tatsache, Doktor: Wir haben die Möglichkeit, bei der Verhandlung Praxlomzas Gehirn gegen telepathische Einflüsse abzuschirmen. Die Richter werden also nicht unbedingt auf die reine Wahrheit, sondern nur auf das angewiesen sein, was der Angeklagte zuzugeben bereit ist.« »Wie steht es mit Zeugen, Captain?« »Zeugen gibt es nicht. Die Grundsituation bleibt also.« »Okay! Und wie lautet die Fragestellung?« »Ist es ratsam, Praxlomza in seiner Lage zu lassen, damit er dem Gericht ausgeliefert wird?« Die Antwort lautete: »Nein!« »Also ran!« rief Perkins aus dem Hintergrund. »Moment! Das Antirelais allein kann nicht diese Wirkung verursachen. Nehmen Sie mit denselben Daten noch einmal die erste Fragestellung.« Die Antwort lautete: »Von einer Befreiung Praxlomzas ist abzuraten.« Perkins lachte laut und häßlich. »Ich gratuliere zu Ihrer Montage, Doktor.« »Das Gehirn ist völlig in Ordnung«, sagte Norton steif. »Es liegt an den Umständen.« »Was meinst du, Iks?« fragte Barnett. »Der Doktor hat recht. Warum sollten die Antworten nicht in Ordnung sein? Unser Fragenkomplex selbst steckt eben so voller Widersprüche, daß unsere ganze bisherige Konzeption nichts taugt. Das Dilemma liegt doch darin, daß Praxlomza einmal vor Gericht muß, weil wir den Frieden retten wollen, daß er andererseits keinen Schaden erleiden darf, weil es den menschlichen Grundsätzen der Moral widerspricht. Wir erwarten von dem Gehirn eine Patentlösung, die uns jeglicher Schuld enthebt und die beiden Forderungen gerecht wird. Unsere augenblicklichen Möglichkeiten sind aber nun einmal keine Grundlage dafür.« »Dann mußt du uns eben mehr bieten«, sagte Barnett. »Du hast den Kreis aller Existenzformen entdeckt. Du hast vorhin Andeutungen darüber gemacht, wie man eventuell die natürlichen Kräfte der Etaner technisch imitieren kann. Ich persönlich habe am eigenen Leibe erlebt, daß sich im Prinzip jedes Paradoxon in Logik umkehren läßt. Können wir weitermachen, Iks?« »Leider nur theoretisch.« »Was heißt das?« »Wir können dem Gehirn Daten geben, über die wir praktisch noch nicht verfügen.«
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»Werden wir eines Tages darüber verfügen?« »Ich hoffe, ja.« »Du hoffst. Ich brauche Gewißheit. Welche Daten kannst du mir noch für das Gehirn geben?« »Mehrere. Aber sie sind kompliziert. Die Formulierung muß unbedingt genau sein.« »Sag sie dem Doktor. Ich denke, sein Intelligenzquotient dürfte ausreichen.« Norton stand ungefragt von seinem Platz auf und sagte: »Lassen Sie Iks-Wol-Esak das machen, Captain. Dadurch schalten wir Fehlerquellen aus. Außerdem gebe ich zu, daß mir die prokaskische Denkweise noch zu ungewohnt ist.« »Hallo, Doktor! Trauen Sie ihm denn die Bedienung zu?« »Ohne weiteres. Schließlich hat er mir beim Umbau wesentlich geholfen.« Barnett stieß einen verwunderten Pfiff aus, gab aber sonst keinen Kommentar. Schließlich verdiente Nortons Offenheit immerhin Anerkennung. Inzwischen war der Proka auf den Stuhl geklettert und erklomm den oberen Rand der Rückenlehne. Mit dem mittleren Greifarm klammerte er sich am Stuhlsockel fest, wodurch er das Gleichgewicht hielt. Die äußeren Arme hatte er frei zur Bedienung des Elektronengehirns. Die erste Antwort kam nach drei Sekunden. Sie lautete kurz. »Nein.« Die zweite hieß »Ja«, und fünf weitere kamen wieder mit »Nein«. Die Menschen wußten nichts damit anzufangen, da sie die Fragestellung nicht kannten. Sie sahen nur zu und bemühten sich, mit ihrer Spannung fertigzuwerden. Die beiden letzten Antworten hießen wieder »Ja«. Ihre sachliche Kürze und Klarheit waren gleichzeitig ein Beweis dafür, wie exakt Iks-Wol-Esaks Fragestellung gewesen sein mußte. Der Proka ließ sich vom Stuhl gleiten und erklärte: »Die Erreichung unseres Zieles ist denkbar, aber auch kompliziert.« »Was macht das? Hauptsache, es klappt schließlich.« »Und die Sache ist gefährlich. Also, wie ist es, Perry?« »Ich mache alles, was du vorschlägst.« * Die erste Etappe in Iks-Wol-Esaks Plan wurde sofort in Angriff genommen. Barnett übernahm das Kommando und arbeitete die KAPELLA mit zwei Raumsprüngen an die Prokakugel heran, die laut Iks-Wol-Esaks Auskunft Praxlomza an Bord hatte. Das Relais stand zwischen dem Captain und dem Proka. Sie besprachen das nächste Unternehmen telepathisch. Dann stand Barnett auf und gab das Kommando an King ab. »Bleiben Sie in dieser Position hinter der Kugel. Falls der Proka den Kurs wechselt oder den Hyperraum verläßt, warten Sie, bis ich komme. Iks und ich beobachten gleichzeitig vom Labor aus durch Leitstrahlverbindung.« »Okay, Captain!« Die Vorbereitungen im Labor nahmen eine halbe Stunde in Anspruch. Barnett ging noch einmal allein auf die Brücke und setzte die Besatzung von seinem Vorhaben so weit in Kenntnis, wie er es für notwendig hielt. »Das Kommando haben Sie, Leutnant King, solange ich abwesend bin. Meine Anordnung bleibt bestehen. Verfolgung der Prokakugel, deren voraussichtliches Ziel Poldini II ist. Sie müssen unter allen Umständen mit eigenen Mitteln versuchen, die televisionäre Lichtverbindung zu halten. Sollte die Verbindung jedoch durch einen Raumwechsel nur für Sekunden unterbrochen sein, so warten Sie nicht auf unsere Rückkehr, sondern fliegen unverzüglich nach Poldini II zurück und machen Meldung über alle Vorfälle.« »Okay, Captain«, sagte Ernest King wenig überzeugt. Er wie alle anderen begriffen nicht, wieso Barnett mit Iks-Wol-Esak im freien Raum das Schiff verlassen wollte.
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Der Captain sah die ratlosen Gesichter. »Ich möchte Ihnen allen noch eine kurze Erklärung geben«, sagte er auffallend ernst und mied dabei Coras Blick. »Durch Iks-Wol-Esak steht uns eine Teleportationsmaschine zur Verfügung. Die einzige, die in unserer Galaxis existiert. Iks und ich werden also durch Teleportation in die Prokakugel dort vor uns eindringen, um Praxlomza zu befreien. Ich allein könnte es machen, wenn es lediglich auf Gewaltanwendung ankäme. Wir müssen jedoch berücksichtigen, daß die Besatzung der Kugel ihre Ankunft mit dem Gefangenen bereits nach Poldini II gemeldet hat. Es bedarf daher einiger anderer Manipulationen, damit kein Verdacht von seiten des prokaskischen Gerichts entsteht. Dazu brauche ich Iks-Wol-Esak. Er kann also den Leitstrahl nicht von hier bedienen. Es kann leider auch kein anderer. Falls also die Verbindung durch den Sprung eines der beiden Schiffe abreißt, können wir sie nicht wiederherstellen.« »Okay«, sagte King. »Wenn die Verbindung abreißt, treffen wir uns auf Poldini II wieder. Bis dahin schaffe ich es zur Not allein. Machen Sie sich keine Sorgen, Captain.« * Barnett und der Kugelmann gingen nach hinten ins Labor. Der Teleporter stand schon aktionsbereit. Daneben hatte Iks-Wol-Esak beinahe die Hälfte seiner Einrichtung aufgebaut. »Willst du das alles etwa mitnehmen?« Iks wedelte zustimmend mit den Tentakeln. Barnett hob die Schultern. »Na schön, wie soll's nun weitergehen?« »Zuerst schicke ich dein Bild hinüber. Ich selbst würde es tun, wenn du den Teleporter bedienen könntest. Denke also nicht, daß ich mich vor der Gefahr drücken will.« »Das klingt, als wäre die Sache für mich gefährlich.« »Das ist sie«, gab Iks unbekümmert zu. »Deshalb ist Eile geboten. Du mußt mir sofort sagen, ob du richtig angekommen bist, das heißt, ob du einen Platz gefunden hast, an dem wir unbemerkt materialisieren können. Eine Entdeckung dürfen wir erst in Kauf nehmen, wenn wir mit allen Geräten drüben sind.« »Und wonach kann ich die Zuverlässigkeit eines Ortes beurteilen? Du weißt, daß ich mein Leben lang noch nicht die Möglichkeit hatte, eine Prokakugel von innen zu sehen. Nach meinen Erfahrungen mit euch bleibt mir nichts als die Befürchtung, daß ich dort sehr enge Raumverhältnisse antreffen werde.« »Ich will dich im Maschinensektor absetzen. Dort sind zunächst die bequemsten Verhältnisse für deine Körpergröße, außerdem halten sich dort wahrscheinlich keine Leute von der Besatzung auf, weil beim Normalflug alles automatisch abläuft, und schließlich sind wir dort unserem Operationsgebiet am nächsten. – Damit du beruhigt bist, ich arbeite zuerst mit kleinster Leistung. Dein Bild wird dadurch sehr schwach sein und wahrscheinlich selbst dann nicht sofort entdeckt werden, wenn ein Proka direkt neben dir steht. Du mußt allerdings deine Sehnerven sehr stark strapazieren, denn die Kraft deiner Augen wird minimal sein.« Barnett ließ mit Geduld die Ratschläge über sich ergehen und wartete auf den Augenblick, den noch nie ein Mensch zuvor erlebt hatte. Iks-Wol-Esak gab einen letzten Warngedanken und begann mit der Schaltung. Barnett spürte zuerst ein Rieseln, als hätte man sechs Volt Stromspannung an seinen Körper gelegt. Dann entstand schemenhaft eine neue Umgebung für ihn. Nicht, daß er plötzlich woanders war. Er stand immer noch im Labor der KAPELLA, neben Iks-Wol-Esak und seinem Teleporter. Der andere Ort war nur ein Schimmer, eine fremde Architektur, die sich wie ein gläserner Traum in seine wahre Existenz drängte und die gleichzeitig die Materie seiner wirklichen Umgebung durchdrang. »Siehst du Prokas?« fragte Iks-Wol-Esak intensiv.
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»Nein, ich glaube nicht. Ich sehe überhaupt sehr wenig. Es ist alles fremd und kommt gegen die Klarheit des Labors hier nicht an.« »Ich werde intensiver«, sagte Iks-Wol-Esak. »Du mußt jetzt ganz konzentriert beobachten, dabei aber möglichst nicht sprechen. Dein Bild drüben hat ebenfalls akustische Wirkung.« »Und wie steht es mit dem Denken?« »Ich habe das Antirelais eingeschaltet. Das schirmt dich auch in der Kugel ab. Gib mir also Handzeichen. Bei Gefahr hebst du den Arm. Wenn alles in Ordnung ist, läßt du ihn unten.« »Okay! Fang an!« Das Prickeln in Barnetts Körper wurde stärker. Das Bild gewann an Deutlichkeit. Er hatte das Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, nur fehlte ihm noch der materielle Kontakt zu dem Maschinenraum des prokaskischen Kugelschiffes. Doch das Bild war so intensiv, daß er Furcht spürte. Er dachte an Iks-Wol-Esaks Erklärung, nach der die Sache gefährlich war. Er glaubte die Gefahr zu ahnen und zu erkennen. Wenn die Materialisation nach drüben begann, mußten beide Schiffe im selben kosmischen Raum sein. Wenn eins einen Sprung machte, würde die Existenz des teleportierten Individuums auseinandergerissen. Und das wäre der Tod für ihn. Iks-Wol-Esaks Frage riß ihn in die Wirklichkeit zurück. Außerdem war das Glück auf seiner Seite. Er sah keinen Proka. Er sah nur Maschinen, wie sie von Menschen niemals erdacht sein konnten. Und die Maschinen summten das monotone Lied ihrer Automatenarbeit. Barnett hielt die Hand demonstrativ nach unten. »Wenn niemand in der Nähe ist, kannst du sprechen. Hast du Platz an der Stelle, die du jetzt siehst?« »Ich muß mich etwas klein machen. Aber es wird gehen.« »Gut. Ich schalte jetzt auf Materieportation. Du wirst etwas benommen sein, wenn du drüben ankommst. Doch du mußt dich sofort auf diese Umgebung konzentrieren. Ich schicke zuerst meine Apparate nach. Dann folge ich selbst.« Barnett hatte durchaus nicht das Gefühl, eine weite Reise zu machen, obgleich zwischen beiden Schiffen eine Entfernung von mindestens zwei Millionen Kilometern lag. Vielmehr schien es, als wechselte lediglich seine Umgebung. Er stand da, ohne einen Schritt zu tun. Das Labor der KAPELLA versank immer mehr in Unsichtbarkeit, und das Innere des Kugelschiffes gewann stetig an Realität für ihn. Es war Realität. Ganz plötzlich wurde ihm bewußt, daß er weit weg war von der KAPELLA, daß er die feuchte Luft von künstlicher prokaskischer Atmosphäre atmete. Indirektes blasses Licht lag über den schwarzen Wänden, die ihm Halt in diesem Universum gaben. Trotzdem beschlich ihn das Gefühl des Verlassenseins. Ein leises Geräusch unterbrach seine Gedanken. Das erste Gerät aus Iks-Wol-Esaks technischer Ausrüstung materialisierte neben ihm. Er sah die Energiebilder der anderen Dinge, die ebenfalls ständig an Realität gewannen und plötzlich da waren. Sobald er sie greifen konnte, half er Ordnung schaffen. Barnett fand mehr und mehr Freude an der Arbeit. Lediglich einmal hatte er kein Glück. Ein Gegenstand leuchtete an der Wand auf. Es konnte nur ein Teil des Gegenstandes sein, und die andere Hälfte mußte sich jenseits der Wand befinden. Je mehr er materialisierte, um so mehr wanderte er auch nach außen ab. Barnett wollte zufassen, doch das Ding erreichte ihn nicht. Als der Proka nachkam, zählte er sofort die Gegenstände. »Der Gegenpol fehlt. Wo hast du ihn?« Barnett berichtete, was passiert war, und Iks-Wol-Esak machte eine unwillige Armbewegung. »Ohne Gegenpol können wir den Teleporter auf der KAPELLA nicht anzapfen. Gute Nacht, Leitstrahl.« »Bedeutet das, daß wir nicht mehr zurück können?«
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»Ganz recht. Jedenfalls nicht auf diesem Wege.« »Du hast doch gesagt, daß das sowieso nicht ginge.« »Im selben Raum schon. Kommt aber ein Sprung, so kann ich mit dem Teleporter nur etwas anfangen, wenn ich ihn direkt bediene. Na, es läßt sich nicht mehr ändern. Ich hoffe nur, der Besatzung fällt es nicht auf, daß draußen ein unbekannter Gegenstand mitfliegt. Wahrscheinlich treibt er auch schnell ab. Würdest du jetzt mit anfassen helfen?« Iks-Wol-Esak, der die Verhältnisse auf diesem Schiff gut beurteilen konnte, weil es eine ganz gewöhnliche Serienkugel war, orientierte sich in einer Richtung, wo es von undefinierbaren Armaturen und Rohrleitungen wimmelte, und wo es vor allen Dingen dunkel war. Er selbst hatte eine Lampe zwischen seinen Utensilien, die jetzt gute Dienste leistete. Sie schleppten die teleportierten Sachen in einen düsteren, engen Winkel. »Ein besseres Versteck gibt es nicht für uns«, erklärte Iks-Wol-Esak undeutlich. Barnett mußte die schwache Ausdrucksweise des Telepathen in Kauf nehmen, da andernfalls die Gefahr bestand, daß die Besatzung in der Nachbarschaft die verräterischen Gedanken registrierte und Verdacht schöpfte. Er versuchte, die schwache Gedankenenergie des Proka durch völliges Aufdrehen seines Telepathierelais auszugleichen. Doch auch in dieser Beziehung war der Kugelmann für eine Einschränkung. »Sei vorsichtig, Perry! Das Relais verstärkt auch deine Gedanken. Und du kannst dich nicht darauf verlassen, daß meine Genossen dich mit Praxlomza verwechseln. Wenn man uns hier in der nächsten halben Stunde aufstöbert, geht unser ganzer Plan zum Teufel.« Iks-Wol-Esak hatte während der Unterhaltung zwei seiner Geräte mit dem Leitungssystem des Kugelschiffes verbunden. »Erinnere dich an unsere Experimente mit der Frank'schen Röhre ... Moment! Nicht so intensiv. Deine Aufregung sprengt mir ja das Gehirn. Also, faß lieber zu und erinnere dich an gar nichts. Sonst haben wir gleich die Besatzung auf dem Hals.« Sie konnten beinahe eine halbe Stunde lang ungestört arbeiten. Erst als der letzte Handgriff getan war, gab Iks den Gedankenaustausch wieder frei. »So, jetzt können wir getrost in die Zentrale gehen und die aufgeregten Herrschaften beruhigen. Wenn sie klug sind, werden sie uns für unsere Ratschläge dankbar sein.« »Du hältst mir zu viele Gedanken zurück«, beschwerte sich Barnett. »Weshalb sollte sich die Besatzung aufregen?« Die Antwort auf diese Frage war ein ohrenbetäubendes Geräusch, das plötzlich in das Schweigen platzte. Barnett riß den Mund auf, um sein Trommelfell zu entlasten. »Sie geben Alarm«, erklärte der Proka. »Wenn wir jetzt in die Zentrale gehen, werden wir die ganze Mannschaft versammelt finden. Komm, Perry!« »Bist du verrückt? Weshalb jetzt dieser Leichtsinn?« »Man wird uns nicht als Feinde behandeln, sondern sich für unsere Hilfe bedanken. Anscheinend hast du noch immer nicht begriffen, was sich abgespielt hat.« »Dein Gehirn erzählt mir etwas von contra-temporisierten Mesonen. Ich weiß aber nicht, ob es sich um einen Plan oder um Tatsachen handelt.« »Es ist eine Tatsache. Verstehst du jetzt, daß dieses Schiff ohne unsere Hilfe niemals mehr zurückfindet?« »Okay«, sagte Barnett ohne jede Begeisterung. »Geh du voran! Aber bitte langsam. Für mich ist das hier nichts als ein hinterhältiger Dschungel.« * Barnett stieß zweimal mit dem Kopf an einen Gegenstand, der härter als sein Schädel war. Es gab zwei Beulen an der Stirn. Dann standen sie in der Kommandozentrale.
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In dem kreisförmigen Raum hockten neun Prokas – kleine gallertartige Kugeln, die ihrer Bestürzung durch unverständliches Zirpen und heftige Bewegungen ihrer schlangenartigen Arme Ausdruck verliehen. Der Lärm brach jedoch sofort ab, als die beiden unverhofften Eindringlinge im Schott auftauchten. Obgleich Iks-Wol-Esak und der Kommandant Ko-To-Prak sich nie im Leben begegnet waren, konnten sie sich sofort identifizieren. Die Eigenart der prokaskischen Verständigung ließ kaum ein Geheimnis zu. Ihr Dialog dauerte nur Minuten. Und in dieser Zeit hatten sie Auskünfte gewechselt, die man sich unter Menschen nicht in einer stundenlangen Debatte hätte geben können. Allerdings führte Iks den Kommandanten trotz allem noch gehörig hinter das Licht. Er arbeitete nämlich mit dem Antirelais und behielt auf diese Weise noch eine Menge für sich. Zu Barnetts größter Erleichterung nahm die Debatte nach einer anfangs durchaus drohenden Haltung der Prokas jedoch einen beinahe objektiven Charakter an. »Du, Iks, hast Sabotage betrieben«, war der Vorwurf des Kommandanten. »Ich tat es nur, um mich und Captain Barnett unentbehrlich bei euch zu machen. Wir haben nämlich kein Verlangen danach, in einer eurer Arrestzellen zu landen.« »Weshalb kamt ihr her? Wie kamt ihr her? Praxlomza wird so oder so der Gerechtigkeit ausgeliefert.« »Wir kamen her, um uns nach Praxlomzas Wohlergehen zu erkundigen. Wie wir es taten, ist unser ... Geheimnis.« Die Ratlosigkeit Ko-To-Praks wirkte erheiternd auf den Menschen. Auch Iks hatte gezögert, als er den Begriff ›Geheimnis‹ anwenden mußte. Es war etwas durchaus Ungewöhnliches für die Prokas, die das Verbergen irgendwelcher Gedanken von Natur aus nicht kannten. »Ein Geheimnis ist eine Sperre in meinem Gehirn. Ich denke mir etwas, ohne daß ein anderer es erfährt. Begreifst du mich jetzt?« Die Antwort kam prompt. Denn Ko-To-Prak konnte seine Gedanken nicht abschirmen. Einige Besatzungsmitglieder überfiel wieder die erregte Körpervibration. Sie hatten unverkennbar Angst, denn ein Wesen, das Geheimnisse haben konnte, war nach ihrer Auffassung nicht besser als ein Ungeheuer. Barnett erkannte aber auch die Gefahr für sich und Iks-Wol-Esak. Es leuchtet jedem ein, daß ein verängstigtes, sich bedroht fühlendes Wesen den instinktiven Wunsch hat, das vermeintliche Ungeheuer zu vernichten. Ein kleiner Proka im Hintergrund reagierte mit der Schnelligkeit seiner Rasse. Ein Proka, der töten will, muß es sofort im Augenblick des Entschlusses tun. Sonst ist der andere gewarnt. Der Schuß war trotz der Hast gut gezielt. Er hätte genau Iks-Wol-Esaks Zentralorganismus getroffen, wenn nicht ein Hindernis in der Flugbahn gewesen wäre. Ein Flackern im Nichts, ein Klirren im Raum – und das Schweigen des Entsetzens für den Bruchteil einer Sekunde. Im nächsten Augenblick war der Attentäter entwaffnet und von neun Tentakeln seiner Brüder gefesselt. Ko-To-Prak brauchte den Befehl nur zu denken, und das armselige Häufchen Verzweiflung nahm seinen Weg in die Arrestkabine. Die anderen acht verfielen noch mehr einer passiven Haltung. Sie hatten deutlich erkannt, daß Iks-Wol-Esak von einem unsichtbaren Panzer umgeben war, der ihre Unterlegenheit perfekt machte. »Du hast einen Energieschirm entwickelt?« fragte der Kommandant. »Wenn wir diese Waffe früher gehabt hätten, wären die Prokas bereits Sieger in diesem Krieg.« »Es geht nicht um den Sieg, sondern um den Frieden«, erklärte Iks mit seiner sprichwörtlichen Sachlichkeit. »Das wäre die moralische Belehrung. Außerdem handelt es sich um keinen Energieschirm, sondern um eine Existenzform abseits der Dualität Materieenergie. Das wäre die physikalische Belehrung. Du wirst dich nach dem Friedensschluß noch eingehend mit diesen naturwissenschaftlichen Problemen befassen
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können.« »Du redest vom Frieden, Iks-Wol-Esak. Weshalb versuchst du mich also in der Ausübung meiner Pflicht zu hindern?« »Ich habe nicht die Absicht.« »Seltsam. Vorerst sehe ich euer Erscheinen als einen Eingriff in meinen Befehlsbereich an. Ich habe Praxlomza an Bord und werde ihn auf Poldini II der Gerechtigkeit übergeben. Praxlomzas Aburteilung ist die Voraussetzung für den Fortgang der Friedensverhandlungen.« »Diese Formel ist sehr primitiv. Sie garantiert zwar die Weiterführung der Verhandlungen, aber keineswegs die persönliche Sicherheit des Angeklagten. Ihr wollt Prax vor unser Gericht stellen. Nach menschlichem Ermessen gehört er jedoch vor ein Unionsgericht.« »Die Menschen haben längst unsere Bedingungen anerkannt und sich bereit erklärt, Prax auszuliefern, sobald sie selbst seiner habhaft werden.« »Ganz recht! Sie haben unsere Bedingungen anerkannt! Glaubst du aber, daß Bedingungen in diesem Falle gut sind? Die Menschen haben sich erpressen lassen und von zwei Übeln das kleinere gewählt. Aufgrund unserer Bedingungen müssen sie einen Mann opfern, um den Frieden für ihre Rasse zu retten.« »Es ist kein guter Vergleich zwischen einem Menschen und allen anderen«, dozierte Ko-ToPrak. »Praxlomza könnte ein Märtyrer werden«, gab Iks zu bedenken. »Das ist nicht gut für unsere Sache.« »Praxlomza ist ein Mörder. Jeder Mensch, der sich für ihn einsetzt, erscheint mir unzuverlässig in seinen Friedensbeteuerungen.« »Nach unserem Recht ist jeder schuldig, der einen anderen tötet. Die Menschen kennen da Unterschiede. Es gibt Totschlag im Affekt und in Notwehr. Es gibt Unglücksfälle.« »Das ist eine heuchlerische Rechtsprechung. Das sind nichts als Hintertüren für die Schuldigen. Und es entsetzt mich, daß du als Proka zu solchen Gedanken fähig bist.« »Im Gegenteil! Der Heuchler bist du! Die Heuchler sind unsere Führer und Völker. Wenn wir unsere Ethik in diesem Kriege hätten gelten lassen, dann wäre es niemals zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Menschen gekommen.« »Sie hätten uns vernichtet.« »Vielleicht. Aber das ändert nichts an der Gültigkeit deiner Grundsätze. Ein guter Proka darf sich nicht wehren, wenn man ihn tötet. Er darf bestenfalls weglaufen, aber nicht wiedertöten.« »Worauf willst du hinaus?« fragte Ko-To-Prak. »Ich will sagen, was du im Begriff bist zu tun, dient vielleicht der prokaskischen Gerechtigkeit, aber niemals der galaktischen. Und wenn in Zukunft Friede herrschen soll, dann geht es nur mit einer galaktischen Gerechtigkeit.« »Das ist nichts als Philosophie«, wehrte sich der Kommandant. »Die Praxis läßt uns keine andere Wahl, als daß wir uns nach den Abmachungen mit der menschlichen Regierung und nach unseren Befehlen richten. Wir können die Welt nicht ändern. Auch du nicht.« »Die Welt ist, wie sie ist«, erklärte Iks-Wol-Esak, indem er sich ein Stück näher an den Kommandanten heranrollte. »Aber weil sie in Wirklichkeit anders ist, als es sich beide Intelligenzen unseres Sternensystems vorstellen, kann ich sie doch ändern. Ich ändere sie, indem ich das wahre Weltbild zeige.« »Offenbar fühlst du dich im Besitz einer verrückten Mission«, erklärte Ko-To-Prak ironisch. »Das wäre nicht meine geringste Aufgabe«, antwortete Iks-Wol-Esak. »Doch im Augenblick fühle ich mich vor allem im Besitz von Kenntnissen, die mir Überlegenheit verleihen. Ich wäre sonst tot, wie du weißt.« »Sage mir klipp und klar, was du hier willst«, forderte Ko-To-Prak. »Euch helfen. Seitdem die Alarmanlage euch hier zusammengescheucht hat, seid ihr auf meine Hilfe angewiesen.«
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Der Kommandant bewies, daß Prokas sehr spöttisch sein konnten. »Offenbar glaubst du, es wäre niemand von uns in der Lage, die Sichtanlage zu reparieren.« »Deine Sichtanlage ist in Ordnung«, sagte Iks. »Das wäre also meine erste Hilfe.« Die anderen Prokas drängten sich näher heran. Die Gedanken wurden intensiver, und im Nu herrschte ein telepathisches Durcheinander. »Seit wann springt die Bordwarnanlage beim Ausfall der Bildschirme an? Ich schätze, ihr habt den Alarm über unserem Erscheinen vergessen«, fuhr Iks-Wol-Esak fort. »Der Grund des Alarms ist uninteressant, seit jeder weiß, daß dem Schiff nichts zugestoßen ist.« Es war anstrengend für Barnett, die Gespräche zu verfolgen. Die Erregung über den Alarm hatte einem Staunen und Raten über den plötzlichen Besuch der beiden Platz gemacht. Es war offenbar, daß die Leute, vom Kommandanten bis zum letzten Proka, glaubten, der Alarm sei wegen des Auftauchens von Barnett und Iks-Wol-Esak ausgelöst worden. Die Tatsache, daß alle Bildschirme ausgefallen waren, schob man einem Defekt zu, der rein zufällig im selben Augenblick aufgetreten war. Aber da war Iks-Wol-Esaks Behauptung, die Sichtanlage sei in Ordnung. Ko-To-Prak nahm diesen Gedanken wieder auf und zeigte Mißtrauen. Mißtrauen, das sich nach einer genauen Untersuchung des Fernbeobachtungssystems in Entsetzen verwandelte. Den Kommandanten überfiel das Zittern der inneren Erregung. »Was ist geschehen? Die Sichtanlage ist in Ordnung. Und trotzdem sind die Sterne draußen verschwunden. Ich verlange eine Erklärung.« »Du sollst sie haben. Denn du hast sie nötig, um deine Situation zu begreifen. Dieses Kugelschiff befindet sich mit allem, was in ihm ist, in einer kontaktlosen Existenz zum bekannten Raum-Zeit-Kontinuum. Draußen ist also weder die Milchstraße noch die Gegenwart unserer Generation vorhanden!« »Das ist heller Wahnsinn!« Ko-To-Prak stöhnte. »Unser Schiff ist in Ordnung. Der Antrieb läuft ohne Unterbrechung ...« »Der Antrieb wurde nicht unterbrochen. Aber seine Treibkraft wurde von uns verändert. Es war unsere Absicht, Kommandant.« »Welche Absicht, Iks-Wol-Esak? Was haben deine verrückten Experimente mit der Gerechtigkeit zu tun, um die es im Augenblick geht?« »Alles, Kommandant. Und mehr, als ich zu hoffen wagte. Die wahren Zusammenhänge erkannte ich erst, als ich dein Schiff ins Zeitlose abdrängte. Mein Plan war logisch. Du weißt, daß ich Logiker bin und als solcher lange auf unseren Kriegsschiffen fuhr. Die Logik hilft sich selbst. Durch Ursache und Wirkung, verstehst du?« »Nein, ich verstehe nicht.« »Es ist kein Zufall, daß ihr Mes-Repak an Bord habt. Und es ist auch kein Zufall, daß ausgerechnet euer Schiff Praxlomza gefangennahm.« Die Erregung der Prokas kannte keine Grenzen mehr. Barnett zog sich instinktiv bis an die Grenzen der Kommandozentrale zurück und versuchte vergeblich einen klärenden Gedanken aufzufangen. Es dauerte Minuten, bis er wieder Bruchstücke verstand. Man wollte Mes-Repak holen. Zwei Prokas bekamen den Befehl dazu. Sie brachten das tobende Etwas von einem Kugelwesen, das sich mit seiner ganzen Kraft wehrte und energisch nach einer Verurteilung Praxlomzas verlangte. Als Ko-To-Prak ihm garantierte, daß der Mensch von einem ordentlichen prokaskischen Gericht abgeurteilt werden würde, beruhigte sich das Wesen etwas. Doch zunächst ging es um die Disziplin auf dem Kugelschiff, und der Kommandant leitete eine Untersuchung ein, deren Hintergründe er selbst nur zum Teil kannte, die für Barnett jedoch völlig unverständlich waren. Es gab nur einen an Bord, der die scheinbar paradoxen Zusammenhänge ahnte, sie jedoch
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mit aller Entschlossenheit in seinem Gehirn verbarg, indem er das Anti-Telepathierelais auf höchster Stufe eingeschaltet ließ. »Wir haben ihn in der Kabine des Gefangenen entdeckt«, erklärte einer der Soldaten, die Mes-Repak geholt hatten. Der Mensch Praxlomza ist außer sich. Die Einrichtung seiner Arrestzelle wurde bereits halb zerstört.« »Hat er sie zerstört, oder waren beide daran beteiligt?« fragte der Kommandant. »Wahrscheinlich beide. Sie haben miteinander gerungen, als ob es auf Tod oder Leben ginge. Aber der Mensch war stärker. Es wurde höchste Zeit, daß wir Mes-Repak aus den zehn Fingern dieses Ungeheuers befreiten. Er hätte ihn getötet.« »Ich erklärte bereits, daß Praxlomza der Gerechtigkeit zugeführt werden wird. Mich als Kommandanten interessiert im Augenblick die Schuld meines Besatzungsmitgliedes. Antworte auf meine Frage, Mes-Repak.« »Ich werde mich bemühen, Kommandant.« Die Gedanken Mes-Repaks kamen abgehackt und zerfahren. Iks-Wol-Esak, der einen Augenblick seine Abschirmung öffnete, ließ Barnett wissen, daß man Mes-Repak der Desertion anklagen und daß der Kommandant sein blaues Wunder erleben würde. Er hatte nämlich absolut nicht die Möglichkeit, die Situation in ihren letzten Zusammenhängen zu erfassen. »Wo hast du dich seit deinem Verschwinden aufgehalten?« war Ko-To-Praks erste Frage. »Ich weiß es nicht«, gab Mes-Repak Bescheid. »Höre, Soldat! Deine Verurteilung wird sich nach dem Grad deiner Verstocktheit richten. Ich mache dich darauf aufmerksam, daß wir dich nach dem letzten Patrouillenflug kurz vor der Landung auf Poldini II als vermißt gemeldet haben. Du hattest die Aufgabe, Arbeiten außenbords durchzuführen. Du hast sie nicht beendet, sondern wurdest offenbar durch falsch Richtschüsse weit vom Schiff abgetrieben. Bis dahin ist alles einleuchtend. Die fehlerhafte Handhabung der Geräte ist zwar etwas sehr Tölpelhaftes für einen altgedienten Raumsoldaten, man kann ihm diese Dummheit aber auch verzeihen. Was man nicht verzeihen kann, ist die Desertion.« »Ich bin nicht desertiert«, widersprach Mes-Repak. »Schweig, Soldat! Ich gab sofort Kommando, dich einzuholen. Du weißt, wie schwierig auf engem Raum ein Wendemanöver ist. Aber ich fühle mich verantwortlich für das Leben jedes meiner Männer. Wir haben deinen Raumanzug eingeholt, verstehst du? Wir haben ihn an Bord gebracht. Du selbst bist dir am ehesten klar darüber, daß der Anzug leer war.« »Das ist nicht wahr!« wehrte sich Mes-Repak gequält und protestierte heftig mit seinen Armen. »Es ist ungewöhnlich für einen Proka, feststehende Tatsachen als unwahr hinzustellen«, fuhr der Kommandant fort. »Alle Besatzungsmitglieder sind Zeuge für mich.« Er drehte sich einmal um seine Achse, und dann musterte er die Soldaten. Ihre Gehirne bestätigten seine Worte. Doch gleichzeitig tauchte überall die Frage auf, wieso Mes-Repak den Sachverhalt mit Erfolg abstreiten konnte. Wenn er mehr gewußt hätte, wäre es sofort als telepathische Mitteilung an alle Anwesenden weitergegangen. Aufgrund seiner biologischen Eigenart hatte er keine Möglichkeit, sein Wissen zu verbergen. Es sei denn, er verfügte über ein Sperrgerät wie Iks-Wol-Esak. »Er hat kein Sperrgerät«, warf Iks sofort in die Untersuchung. »Er weiß nicht mehr, als er zugibt. Nicht wahr, Soldat?« Mes-Repak klammerte sich an die Hoffnung auf Iks-Wol-Esaks Hilfe. Bei ihm schien er Verständnis zu finden. »Es ist, wie du sagst. Man kann meinen Anzug nicht gefunden haben, denn er liegt in Praxlomzas Kabine.« »Ich werde ihn bitten, das Ding durch den Abfallschacht hinauszuwerfen.«
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»Du stehst in Verbindung mit Praxlomza?« »Nur für Sekunden. Mein Richtgerät ist noch nicht ausgereift. Es bereitet mir immer noch Schwierigkeiten, die eine Seite abzuschirmen und die andere zu verstärken.« »Du bist unheimlich!« Diese Feststellung trafen mehrere Prokas zugleich. »Ich bin Wissenschaftler und Techniker. Sonst nichts. Darf ich vorschlagen, den Deserteur jetzt einzusperren? Ich möchte inzwischen nach dem Antrieb sehen und das Schiff in die Zeit zurückbringen. Sicherlich ist das auch euer Wunsch.« »Unser Wunsch ist, zu erfahren, welche Dinge du auf unserem Schiff treibst. Wenn wir dir Glauben schenken dürfen, dann hast du dein Experiment mit dem Antrieb nicht hier auf der Brücke durchgeführt, sondern im Maschinenraum.« »Allerdings. Trotzdem möchte ich dabei ohne Zeugen sein. Ihr habt Gelegenheit, die Rückkehr in die Galaxis auf dem Bildschirm zu verfolgen.« »Du garantierst uns also, daß die Sterne wieder sichtbar werden?« »Ich will es versuchen. Wenn es nicht gelingt, sind wir verloren ...« * Barnett und Iks-Wol-Esak durften ungehindert den Kommandoraum verlassen. Sie begaben sich sofort in den Teil des Schiffes, in dem sie die Geräte zurückgelassen hatten. Der Proka hantierte wieder an der Verbindung zu den Rohrleitungen und nahm an zwei kleineren Metallkästen wiederholt Schaltungen vor. »Du mußt dich jetzt um das Gedankenrelais kümmern und Praxlomza zu erreichen versuchen«, wandte er sich an Barnett. »Wie soll ich das machen?« »Nimm es schon! Ihr seid beide Menschen und habt den Vorteil, daß ihr in derselben Sprache denkt. Der Kontakt muß klappen, wenn mein Gerät keine Fehlkonstruktion ist.« Barnett hockte sich gehorsam in eine Ecke und rief nach seinem Freund Praxlomza. Die Verbindung war klarer, als er es zu hoffen gewagt hatte. In Prax tobte ein freudiges Erschrecken. »Perry! Wo bist du?« kam die vorsichtige Frage. »Auf diesem Schiff. Ganz in deiner Nähe. Kopf hoch, Junge! Es wird alles gut gehen ...« Schon wieder mischte sich der Proka ein. »Frage ihn nach dem Raumanzug des Soldaten Mes-Repak. Wenn er ihn gefunden hat, soll er den Abfallschacht öffnen und das Ding durch die Außenschleuse jagen. Er braucht nur die drei Knöpfe rechts vom Trichter nacheinander zu drücken. Erst den gelben, dann den roten, und zuletzt den grünen. Aber erst auf mein Kommando.« Es dauerte seine Zeit, bis die komplizierte Nachrichtenübermittlung Erfolg hatte. Schließlich gab Prax seine Klarmeldung, und der leere Raumanzug verließ in dem Augenblick das Kugelschiff, als es aus der Zeitlosigkeit kommend in das Raumzeitkontinuum eindrang. Und zwar ziemlich genau an der Stelle, wo das Kugelschiff 73 468 seinen Deserteur verloren hatte. Iks-Wol-Esaks Arbeit war ebenfalls getan. Das bewies seine zufriedene, passive Haltung. Er hockte sich auf einen der Kästen und strich mit den Fingern lobend über Barnetts Arm. »Das hast du gut gemacht. Ich meine die Sache mit Prax und dem Anzug. Ich hoffe, meine Arbeit hat ebenso geklappt. Gib acht! Spürst du die Freude auf der Brücke?« »Ich spüre Erregung bei ihnen. Aber nichts ist deutlich.« »Sie sehen die Sterne wieder und freuen sich, daß Poldini II so nah ist. Der Kommandant wird in wenigen Minuten auf Normalflug gehen müssen.« »Ich kann mir manches zusammenreimen«, sagte Barnett unfreundlich. »Aber das Theater mit dem Raumanzug läßt sich in meinen Kombinationen nicht unterbringen.« »Oh, das ist sehr wichtig. Wir haben soeben Zeit und Ort passiert, wo dieses Schiff den
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unfreiwilligen Deserteur Mes-Repak verlor. Da sie aber den leeren Anzug wieder auffingen, mußte Prax ihn natürlich wieder hinausschleusen.« »Ist das nicht ein wenig verrückt? Ein und dasselbe Schiff müßte demnach den Anzug abstoßen und wieder auffischen. Diese Kugel müßte also zweimal existieren.« »Das tut sie auch.« »Unmöglich! Das ist paradox. So etwas haben wir nicht einmal auf Eta erlebt.« »Doch, doch! Wir haben es. Wenn du die Widersprüche durch mein periodisches System der verschiedenen Existenzformen betrachtest, wird alles sehr logisch. Ein Gegenstand, der in der Zeit rückläufig wird, verändert seine Existenzform. Er ist nicht mehr ganz Materie, sondern bewegt sich auf einer Kreislinie dem Zustand der reinen Energie zu. Zum Zeitpunkt der Umschaltung eines temporisierten Mesonenantriebs können dabei Formen erreicht werden, die ich als nahezu entmaterialisiert bezeichnen möchte.« »Das klingt sehr geistreich, aber unverständlich. Ich werde später deine Bücher lesen, um es zu begreifen. Vorerst ist es wohl wichtiger, daß wir zu Praxlomza gehen.« »Ich wollte dir nur die Zusammenhänge mit dem Raumanzug und dem Deserteur erklären«, verteidigte sich Iks-Wol-Esak. »Schließlich ist Mes-Repak neben Prax die wichtigste Person in diesem Drama.« Barnett starrte ihn verständnislos an. »Willst du mir das nicht genauer erklären?« »Ich muß wohl. Mes-Repak ist der Unbekannte, den Praxlomza getötet haben soll.« * Ko-To-Prak spürte eine Anwandlung eigener Macht, als er die Sterne wieder sah und eine recht günstige Position zum System Poldini errechnete. Er war plötzlich geneigt, die beiden Eindringlinge als Gefangene zu behandeln, denn im Arrest konnten sie ihm am wenigsten schaden und ihn nicht mehr an der Auslieferung Praxlomzas hindern. Unmittelbar darauf fing er jedoch Nachrichtensendungen auf, die ihm zu denken gaben. Und sofort wußte er, daß er Iks-Wol-Esaks Wissen noch immer brauchte. Der Logiker gestattete sich entgegen seiner gewohnten Art einen bissigen Kommentar und stellte mit Genugtuung fest, daß auch mit der neuen Überraschung keiner gerechnet hatte. Dann fand er schnell wieder zu seinem sachlichen Ernst zurück. »Es wird dein Tod sein, Kommandant, wenn du nicht endgültig deinen schäbigen Ehrgeiz unterdrückst.« »Was sollen diese verrückten Radiomeldungen. Sind die vielleicht auch dein Werk?« »Du weißt genau, daß sie vom dreiundzwanzigsten Fartek stammen, also von dem Tage, als Praxlomza nach unserem Gesetz zum Mörder wurde. Und diese Vergangenheit ist tödlich, wenn du sie nicht überwindest.« »Warum sind wir nicht in unserer Gegenwart gelandet?« »Weil ich ein Experiment vorhabe, das die Schuld des Ermordeten beweisen soll.« »Schon gut, es ist begreiflich, wenn man deine persönlichen Beziehungen zu den Menschen berücksichtigt. Ich sehe jedoch keine Ursache, die tödlich für uns sein könnte.« »Sie steckt in deiner Doppelexistenz. Dein Körper vor mir ist nicht ganz dein Körper. Denn dein natürliches Original befindet sich zur Zeit im Kriegshafen Poldini II. Du weißt es. Dein aus der Zukunft geholtes Doppel ist ein Paradoxon für die ursprüngliche Raum-Zeit-Linie. Sobald du den Widerspruch in die rein materielle Grundexistenz hineinträgst, ist es aus mit uns. Denn beide Existenzebenen vertragen sich nicht miteinander. Eine wird weichen müssen. Entweder das Weltall mit der Galaxis und allen Prokas und Menschen oder – wir. Wir als die größenmäßig Schwächeren würden also wahrscheinlich den kürzeren ziehen. Bist du nun bereit, dem Naturgesetz deine Eitelkeit zu opfern?«
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Ko-To-Prak war völlig in die Defensive gedrängt. Die Gedanken seiner Besatzung bewiesen, daß er allein stand. Iks-Wol-Esaks Experimente waren überzeugender gewesen als die in der Dienstordnung verankerte Befehlsgewalt. »Und was sind wir dem Naturgesetz schuldig?« »Daß wir den Ablauf geschehener Dinge nicht zu beeinflussen versuchen. Wo wir uns ihm in den Weg stellen, lauert der Tod auf uns, auf uns alle, Kommandant. Es bleibt uns nur die passive Beobachtung. Und auch dazu gehört einiges Geschick. Bist du bereit, danach zu handeln?« »Ich werde nichts ohne deinen Rat tun, solange wir nicht in Sicherheit sind. Nenne uns deinen Plan!« »Das ist schnell geschehen. Du führst eine Landung auf dem Flughafen Poldini – achthundertsechsunddreißig durch.« »Das ist ein Privatplatz.« »Allerdings. Aber es ist notwendig zur Vermeidung von Komplikationen mit der Regierung. Nach der Landung bleibt alles an Bord bis auf Barnett, dich und mich. Wir nehmen eine Filmausrüstung mit. Dürfen Barnett und ich jetzt zu Praxlomza?« »Aber selbstverständlich ...« * Praxlomza hatte nach dem ersten telepathischen Kontakt vor einigen Minuten Zeit gehabt, sich auf diese Begegnung vorzubereiten. Sie war nicht leicht für ihn. Denn genau wie die ganze Weltöffentlichkeit kannte er Barnetts Aufgabe, die ihm Skeen im Namen der Unionsregierung gestellt hatte. Von den Prokas zu Barnett, das hieß nichts anderes als vom Regen in die Traufe. Als die Besucher eintraten, ereignete sich daher zunächst nichts, was man als Wiedersehen unter Freunden hätte bezeichnen können. Praxlomza hockte auf einem dünnen Brett und sah die beiden schweigend an. »Hast du den Anzug hinausgeworfen, Prax?« Das »Ja«, kam nur telepathisch. Barnett vernahm es nicht. »Wir möchten dir helfen, Junge. Gib mir die Hand!« »Ach nein.« Jetzt erst kam Bewegung in den Gefangenen. Er nahm die Hände demonstrativ hinter den Rücken. »Als Lockvogel wirkst du reichlich lächerlich, Barnett.« »Du hast schon einmal Perry zu mir gesagt.« »So? Das muß schon lange her sein.« »Nicht lange. Einen Tag genau.« »Du bist irre. Geht mir aus den Augen. Ich mag euer Moralgewäsch nicht. Mir kann der beste Freund nicht weismachen, daß man eine Galaxis für ein Menschenleben opfert. Ich habe also keine Freunde.« »Ich sagte, noch gestern hättest du Perry zu mir gesagt. Begreifst du das nicht?« Prax schwieg und sah sie nur an. Nicht ängstlich, nicht wütend. – Gleichgültig. »Du hast mit einem Leben abgeschlossen, das noch vor dir liegt«, schaltete sich der Proka ein. »Heute ist der dreiundzwanzigste Fartek. Sagt dir das nichts?« »Ich halte nichts von Geisterbeschwörung. Am dreiundzwanzigsten Fartek starb der Proka in meiner Wohnung. Jetzt soll ich wohl sehr beeindruckt sein, was?« »Denke einmal an die Etaner, an die Zufallsewigkeiten! Glaubst du, Naturgesetze, die auf Eta gelten, wären hier etwas anderes?« Wieder zögerte Praxlomza. Iks-Wol-Esak erklärte: »Wir haben bis zur Landung noch ein paar Stunden Zeit. Ist es dir recht, wenn ich dir inzwischen etwas von meiner Forschungsarbeit erzähle?«
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»Ja, danke. Immerhin besser als jede Moralphilosophie.« Der Proka und Barnett erzählten abwechselnd. Sie erzählten alles, was sich seit dem dreiundzwanzigsten Fartek ereignet hatte. Dann sahen sie eine Träne bei Praxlomza. Der Junge hatte einen unbändigen Zorn. Und nur auf sich selbst. »Perry! Es ist zum Verrücktwerden. Ich konnte es nicht glauben, als Mes-Repak plötzlich in meiner Zelle auftauchte. Ich habe ihn sofort erkannt und geprügelt. Als man ihn dann wegholte, war alles wie ein Traum. Ich zweifelte an meinem Verstand. Denn wo Tote lebendig werden, da kann es sich nur um Irrsinn handeln.« »... oder um bisher unbekannte Naturgesetze.« »Wirst du mir helfen, Perry?« »Nur, wenn ich kann. Du bist über alles orientiert. Soll ich dir leere Versprechungen machen?« »Nein, natürlich nicht. Aber kann man Mes-Repak nicht daran hindern, von Bord zu gehen? Für diesen Planeten besitzt er keine Doppelexistenz. Er trieb von der Kugel weg und landete auf derselben Kugel. Er kam in einer versetzten Existenzform durch diese Wand, durchdrang sie wie ein Energiebild ... Mein Gott! Ich glaube es noch immer nicht.« Er spürte Barnetts Hand auf der Schulter. »Beruhige dich, Prax! Wir werden tun, was möglich ist. Aber Mes-Repak muß sterben. Es geht nicht anders. Mes-Repak ist die einzige Originalexistenz auf diesem Schiff. Jede neue Sekunde ist noch nicht erlebte Zukunft für ihn. Aber wenn der Augenblick seines Todes kommt und er trotzdem nicht stirbt, haben wir den Widerspruch geschaffen.« »Nun gut. Der Widerspruch darf nicht sein. Aber was würde geschehen, wenn er trotzdem einträte?« Barnett überließ die Antwort dem Proka. »Der gesamte Raum, der an dem Widerspruch beteiligt ist, würde zusammenbrechen. Es gäbe Chaos und Vernichtung von Poldini bis Beteigeuze. Und der Rest der Galaxis würde in einen Krieg stürzen, wie wir ihn seit tausend Jahren kennen.« Sie schwiegen lange. Dann sagte Praxlomza: »Eigentlich sollte es nicht schwerfallen, für eine solche Sache sein Leben zu opfern. Wenn ich bedenke, daß einer genügt ...« »Wenn einer genügt, dann wird es Mes-Repak sein. Du stehst nur auf der Reserveliste ...« »Da ist noch etwas«, sagte Iks-Wol-Esak. »Wir brauchen einen dringenden Anlaß für Mes-Repak. Er muß das Schiff auf eigene Faust verlassen. Wir müssen die Garantie haben, daß er den originalen Praxlomza in seiner Wohnung aufsucht. Aber es darf keine Mitwisser geben. Sie könnten den Plan gefährden ...« * Es gab keine Mitwisser. Die drei machten es untereinander aus. Und der Schlachtplan stammte von Iks-Wol-Esak. Zwanzig Minuten vor der Landung verschaffte sich der Logiker Zutritt zu Mes-Repaks Kabine. Proka gegen Proka. Telepath gegen Telepath. Und doch war es eine ungleiche Diskussion. Denn den einen schützte die Gedankensperre. Prokas unter sich ›sprechen‹ sehr kurz, nüchtern und ohne Umschweife. »Dich hat ein Mensch verletzt.« »Es war ein gemeiner Mensch. Er schlug mich ohne jedes Motiv.« »Du solltest ihn strafen. Hier ist eine Waffe.« »Willst du mich zum Mord verleiten?« »Was tun wir, seit der große Krieg herrscht? Wir töten Menschen. Nur Menschen.« »Trotzdem ist es gefährlich hier im Schiff. Der Kommandant will mich verurteilen.«
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»Du kannst warten, bis wir gelandet sind. Der Kommandant wird von Bord gehen. Und auch der Mensch, der dich unwürdig behandelte. Er gehört zur Delegation der Menschen.« Mit Genugtuung stellte Iks-Wol-Esak fest, daß der Soldat Geschmack an der Sache bekam. »Versuche herauszubekommen, wo er wohnt!« »Das will ich tun. Ich werde eine Zeichnung anfertigen und sie dir zuschieben, sobald wir gelandet sind. Vorher solltest du an andere Dinge denken, damit niemand von deinem Plan erfährt. Es ist gefährlich, solche Gedanken zu haben.« »Auch du hast sie. Wirst du mich nicht verraten?« »Mein Interesse am Tode des Menschen ist gering. Ich bin Wissenschaftler.« »Trotzdem wäre es sicherer für mich, auch dich zu töten.« »Mich? Hier an Bord? Hüte dich vor solchem Leichtsinn! Außerdem brauchst du die Zeichnung. Ich schlage vor, du läßt mich solange ungeschoren.« »Ich brauche eine Garantie für ein Schweigen. Wenige Prokas können sich zwingen, an etwas Bestimmtes nicht zu denken.« »Ich kann es. Prüfe mich!« Iks-Wol-Esak schirmte seine Gedanken vollends ab. »Du bist ein großer Geist«, stellte der Soldat zufrieden fest. »Ich bewundere deine Kunst.« »Du bist ein guter Soldat, Mes-Repak. Man kann das Schweigen erlernen. Ich werde es dir beibringen, wenn du zurückkommst.« Wenn Mes-Repak geahnt hätte, daß ein Proka auch das Lügen erlernen kann, wäre er nicht so vertrauensvoll gewesen. Er faßte sich in Geduld. Spürte plötzlich die holprige Bewegung im Schiff, die ihm verriet, daß man gelandet war. Schließlich erschien Iks-Wol-Esak mit der Zeichnung. »Der Kommandant ist von Bord. Auch der Mensch.« Die Lüge blieb unerkannt. Aber der Soldat drängte. »Wenn ich jetzt hinausgehe, kann ich dem Menschen folgen.« »Auf keinen Fall! Willst du dich selbst verraten? Es gibt nichts Sichereres als diese Zeichnung für dich. Begib dich in das angekreuzte Haus. Dort wirst du ihn finden.« * So sah der Abend des dreiundzwanzigsten Fartek aus: Ein Proka-Kriegsschiff landete auf einem Privathafen. Daran war nichts Auffälliges und Ungewöhnliches. Was tatsächlich ungewöhnlich an diesem Schiff war, bemerkte niemand. Denn keiner kannte die von Iks-Wol-Esak entdeckte Existenzverschiebung. Eine Sache, die wie Materie aussieht, geht auch für Materie durch. Und so ganz unrecht hatte keiner der Spaziergänger hinter der Flugfeldumzäunung. Die Kugel war Materie. Wenigstens zum weitaus größten Teil. Das andere Etwas, das Charakteristische für die Doppelexistenz, änderte nichts an dem Bild. Es war höchstens für spezialisierte Wissenschaftler interessant. Und von dieser Kategorie gab es in der Nähe nur einen. Iks-Wol-Esak, Barnett und Ko-To-Prak flogen mit einem Luftflitzer davon. Etwas später rollte ein einzelner Proka am Portiersautomaten vorbei. Er benahm sich wie ein Spaziergänger, der die Abendluft genießen will. Nur in seinen Gedanken herrschte der Wunsch vor, Menschen zu töten. Er mußte ein guter Soldat sein. Schade für ihn, daß der Krieg zu Ende gehen sollte. Spät nach Mitternacht kam der Luftflitzer zurück. Ihm entstiegen dieselben drei Leute. Zwei Prokas und ein Mensch. Sie gingen an Bord des Kugelschiffes, das kurz darauf in den Himmel schoß. Der Spaziergänger kam nicht zurück. Aber ein Automat machte sich keine Gedanken darüber. Er registrierte nur, wer kam und ging.
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* Nachdem Leutnant King an Skeen die Meldung durchgegeben hattet, daß die Verbindung zur Prokakugel 73 468 verlorengegangen sei, erhielt er den Befehl zur Rückkehr. Skeen dachte vor allem an Kurt Barth, den er so schnell wie möglich einen Eltern übergeben wollte. Außerdem galt sein größeres Interesse der Kugel, weil dort Praxlomza und Barnett weilten. Skeen war um ständigen Kontakt mit der prokaskischen Behörde bemüht. Er hielt sich häufig in Selam-Yaks Büro auf und verfolgte die Meldungen. Das Verschwinden der Kugel 73 468 traf alle wie ein Schlag. Die Nachforschungen im Normal- und Hyperraum blieben lange erfolglos. Bis schließlich die unerwartete Nachricht kam, daß das Schiff in dreiundsiebzig Millionen Kilometern gesichtet worden war. Es war zur selben Stunde, als die KAPELLA um Landeerlaubnis nachfragte. Skeen und Selam-Yak begaben sich mit einer Polizeieskorte zum prokaskischen Teil des Raumflughafens, der sofort abgesperrt wurde. Selam-Yaks Büro sorgte sofort für eine allgemeine Verbreitung der Neuigkeit, und in weniger als einer Stunde war die Nachbarschaft des Flughafens von Prokas überschwemmt. Der Mörder Praxlomza wurde eingeholt. Die Demonstration der Massen war wieder da. Sühne für den Toten! hieß die Parole. Ohne Sühne keine weiteren Friedensverhandlungen! Man hätte Praxlomza gelyncht, wäre er nicht vom Schiff aus gleich in den Delegationspalast gebracht worden. Die Landung der KAPELLA erfolgte auf dem Unionsteil des Platzes ohne besonderes Aufsehen. Als Skeen hinübereilte, waren die meisten bereits mit dem Lufttaxi zum Tagungsgebäude abgeflogen. Im Kasino fand er noch King mit der alten Besatzung und Kurt Barth mit seinen Eltern vor. Die erste Erregung der Wiedersehensfreude war bereits abgeebbt. Frau Barth fuhr hin und wieder noch mit einem Taschentuch über die Augen. Aber sie konnte schon wieder lachen und für Jo Weingärtner ein gutes Wort einlegen. Der Ministerialrat brachte das Thema wieder auf dienstliche Belange. »Ist Barnett an Bord der Kugel gewesen, Skeen?« »Jawohl! Er befindet sich bereits auf dem Wege zum Palast!« »Dann sollten wir uns beeilen ...« »Sie bringen zunächst Ihren Jungen nach Hause, Barth, verstanden? Und dann lassen Sie sich auf der Dienststelle sehen. Man wird Praxlomza gewiß nicht heute schon vor Gericht stellen.« Skeen sah Cora abseits stehen, als die Barths gegangen waren. »Mädchen! Was machen Sie denn noch hier?« »Ich habe mir Kurts Mutter angesehen. Ich weiß, es ist albern, so etwas heimlich zu tun.« »Sie hatten Kurt gern?« Sie lachte leise. Verlegenheit war für Skeen etwas ganz Neues an ihr. »Wissen Sie, manchmal habe ich geglaubt, er sei mein Junge. Und dabei habe ich so wenig von dem, was eine Mutter besitzen muß.« »Höchstens den Vater nicht«, tröstete Skeen mit erhobenem Finger. »Aber den haben Sie, wenn mich nicht alles täuscht, auch schon gefunden. Barnett ist im Delegationspalast. Kommen Sie mit?« * Während der ersten Sondersitzung erhielt sehr bald Captain Barnett das Wort. Nach der Begrüßung der Delegation kam er schnell auf den Kern der Sache zu sprechen. »... wird es voraussichtlich über die juristische Beurteilung unseres Falles noch ausführliche
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Diskussionen geben, zumal wir hier zu Beginn unserer friedlichen Zusammenarbeit ein eindringliches Beispiel dafür haben, wie notwendig es ist, eine gemeinsame Basis für jegliche Rechtsprechung in der Galaxis zu finden. Der Anklage gegen den Menschen Praxlomza glaube ich jedoch schon heute ein anderes Gesicht geben zu können, indem ich zur Voruntersuchung einen Filmbeitrag liefere, der die Unschuld Praxlomzas in jeder Hinsicht beweist. Zeugen während der Filmarbeit waren die Prokas Iks-Wol-Esak und Kommandant Ko-To-Prak.« »Was wollen Sie mit dem Film beweisen? Die Unschuld des Mörders? Demnach sind Sie auch Zeuge der Tat und haben versäumt, einzugreifen«, erklärte Selam-Yak aggressiv. »Ihre Behauptung ist sehr verfrüht«, widersprach Barnett, ohne seine Intensität in Gedanken und Sprache zu steigern. »Der Logiker Iks-Wol-Esak wird noch im Laufe der Voruntersuchung beweisen, daß die fotografische Aufnahme bereits geschehener Ereignisse technisch möglich ist. Ich betone, die Aufnahme der Ereignisse. Es wird jedoch kein Intelligenzwesen der Galaxis von einem solchen Fotografen verlangen, daß er die Ereignisse selbst beeinflußt. Denn das hieße die Vergangenheit revidieren. Ein Toter ist tot, meine Herren. Darin läßt sich solange nichts ändern, als bis unser Ärzte und Biologen einen Ausweg gefunden haben. Darf ich jetzt mit der Vorführung des Films beginnen?« »Bitte!« winkte Selam-Yak zuvorkommend. Der Panoramafilm versetzte einen jeden Zuschauer mitten an den Handlungsort: Praxlomzas Wohnung. Sie lag im Halbdunkel, bis der Besitzer das Zimmer betrat. Automatisch wurde das Licht heller. Praxlomza zeigte keinerlei Nervosität oder gar Erregung, die auf den Vorsatz hindeuten konnten, daß er einen Mord plane. Dieser Original-Praxlomza war völlig sorglos. Etwas abgespannt vom Tageslauf, und trotzdem ausgeglichen wie ein gesunder, kräftiger junger Mann. Er schaltete Television ein und rauchte eine Zigarette. Er stand auf, ging in den Schlafraum hinüber und holte sich bequeme Hausschuhe. In der Bar schnüffelte er nach etwas Trinkbarem. Das Etikett auf einer Flasche reizte ihn sogar zum Lächeln. »Das Lächeln des kaltblütig planenden Mörders!« rief ein Abgeordneter der Union und erntete einen kurzen Heiterkeitserfolg seiner Mitmenschen. Dann stand plötzlich der Proka im Raum, und die Zuschauer hielten unwillkürlich den Atem an. Die Musik aus Praxlomzas Fernsehschrank war das einzige Geräusch. Sie übertönte den gedämpften Knall von MesRepaks Schußwaffe. Der Mensch wurde nur durch einen Zufall gerettet. Er wechselte den Arm, den er als Stützte für seinen Kopf benutzte, wodurch sein Oberkörper sich zur Seite lehnte. Der Schuß traf den Bildschirm. Praxlomza ließ sich hinter den Sessel fallen und wartete auf den nächsten Angriff. MesRepak kam nicht mehr dazu. Er hatte den mittleren Arm zu weit vorgestreckt, daß der Mensch ihn greifen und daran reißen konnte. Der Proka verlor den Halt und fing sich erst wieder, als er im Bereich der beiden kurzen Menschenarme war. In diesem Handgemenge fiel ein zweiter Schuß, der ihn selbst tötete! * Am nächsten Tage lag schon früh die Sonne über Poldini II. Die Unruhe der Menschen hatte sie alle nicht lange schlafen lassen. Mit der Dämmerung kroch Barnett aus dem Bett und rief Cora an. »... wir haben noch zwei Stunden Zeit bis zur nächsten Sitzung. Darf ich dich zu einem Morgenspaziergang abholen?« »Auf keinen Fall!« »Na, hör mal!« protestierte Barnett. »Zieh dich an! Bevor der Kleidungsrobby dir den letzten Reißverschluß zugemacht hat, bin
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ich bei dir.« Cora kam mit einer ausgesprochenen Rekordzeit. Doch leider nicht allein. Sie traf vor dem Haus mit Lisman, Bannister, Perkins, Iks und Nam zusammen, die anscheinend eine Verschwörung planten. »Was habt ihr vor?« rief Barnett entsetzt. »Wir möchten frühstücken«, bekannte Lisman. »Dann bitte im Garten. Der Salon ist nicht mit so vielen Sitzplätzen ausgestattet.« »Die Prokas können hocken.« »Auch dann reicht's nicht.« Während des Kaffees sagte Cora, daß sie die ganze Nacht an Praxlomza hätte denken müssen. Es ging ihr wie vielen. Doch die etwas getrübte Stimmung hielt sich nicht lange. Der nächste Besucher war der Marineminister Skeen. Er landete mit einem Luftflitzer zwischen zwei Blumenbeeten und lud Praxlomza aus. »Prax!« rief Barnett. Die anderen wiederholten den Namen als ein staunendes Echo. »Machen Sie den Mund zu, meine Herren. Die Prokas haben beschlossen, keine Anklage zu erheben. Der Film gestern hat sie doch sehr vorsichtig gemacht.« »So, und wie wollen sie ihre protestierenden Massen beeinflussen?« »Durch Aufklärung.« »Verdammt, Nam-Legak, hast du gehört? Deine Genossen sollen aufgeklärt werden.« Lisman begleitete seine aggressiven Worte mit einem Lachen, dann riß er Praxlomza in seine Arme und sagte: »Prax! Denkst du noch an die Schlägerei in Tremik-Town-Siebzehn? Da bist du mir eigentlich zum ersten Male angenehm aufgefallen.« »Ich glaube, das war überhaupt das erste Mal, daß wir uns trafen.« »Oh, länger ist das noch nicht her?« Cora stellte den neuen Gästen eine Tasse Kaffee hin. »Trink jetzt, Prax! Und höre nicht auf James!« »James sollte überhaupt mit dem Reden aufhören, solange er den Mund voll hat«, sagte Perkins, der daraufhin sofort einen zurechtweisenden Tip mit dem Knie erhielt. An Coras Blick merkte er, daß sie es gewesen war. Schließlich hatten sie einen Minister am Tisch. »Sie haben uns einer schweren Verantwortung enthoben, Praxlomza«, nahm Skeen nach einer Pause das Gespräch wieder auf. »Bei der Rechtsauffassung der Prokas ist es für uns ein großes Glück, daß Sie tatsächlich nicht geschossen haben.« Praxlomza nickte etwas verlegen. Perkins nahm keine Rücksicht darauf und fragte geradeheraus: »Warum seid ihr überhaupt mit der CORA geflohen? Mit einer so reinen West hätte ich mich neben den Toten gesetzt und auf die Polizei gewartet.« »Was du wohl hättest!« protestierte Lisman. »Wer dich kennt, ist Gott sei Dank darüber orientiert, daß du erst hinterher alles besser weißt.« Iks-Wol-Esak meldete sich mit einem diskreten Zirpen. »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß es gar keine andere Möglichkeit gab als zu fliehen. Denn erst auf der Flucht entstand durch den Zeitsprung in die Vergangenheit die Ursache für die tödliche Auseinandersetzung in Praxlomzas Wohnung.« Die Gäste sahen den Logiker erstaunt an. »Damit setzen Sie die Wirkung vor die Ursache. Ist Ihnen das klar?« bemerkte Skeen. »Es stimmt trotzdem. Erst Praxlomzas Flucht brachte die Begegnung mit Mes-Repak auf dem Kugelschiff zustande. Praxlomza, dem in diesem Augenblick bereits die Zukunft bekannt war, reagierte durchaus menschlich auf Mes-Repaks Erscheinen, und dadurch entstand die Feindschaft.« »Verrückt!« überlegte Lisman. »Dann müßte man sich Ursache und Wirkung als einen Kreis vorstellen, bei dem es keinen Anfang und keine Ende gibt.« »Vieles ist ein Kreis. Der Kreis ist die Macht, die das Universum zusammenhält«, erklärte
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Iks-Wol-Esak, der dabei an sein periodisches System dachte. »In der zeitlichen Reihenfolge bleibt natürlich die Ursache stets vor der Wirkung. So ganz paradox ist die Sache also auch nach den althergebrachten Vorstellungen nicht.« Der Logiker erntete ein bescheidenes Nicken. »Was ich nicht ganz verstehe«, sagte Cora, »wieso behaupten die prokaskischen Behörden, der Tote sei eine Unbekannter? Haben sie einen so schlechten Fahndungsdienst?« »Mes-Repak stand zur Zeit seines Todes bereits auf der Verlustliste. Sie erinnern sich, daß er im Raum verlorenging. Es kam natürlich kein Proka auf die Idee, seine Identität anhand der Gefallenen- und Vermißtenliste herauszufinden.« »Natürlich«, nickte Cora. »Es ist ja auch unwichtig.« »Eben. Wichtiger ist, daß wir bald unsere große CORA wieder unter die Füße kriegen«, sagte Barnett. »Weiß man noch immer nicht, wo sie steckt, Skeen?« »Man wird es bald herausfinden. Es sind da aber noch einige Formalitäten zu erledigen. Über den Eigentümer des Schiffes scheint keine rechte Klarheit zu herrschen.« »Sie meinen, weil Kalows Leute von der DENEB jetzt draufsitzen?« »Das wäre nicht das Schlimmste. Als Strandgut werden die Burschen die CORA niemals durchkriegen, denn es läßt sich ja nachweisen, daß Ko-To-Prak Praxlomza gewaltsam vom Schiff geholt hat. Nein, ich denke an Cox. Cox ist der Eigentümer. Oder vielmehr Cox' Erben ...« »Wissen Sie, wer das ist?« »Ich habe auf Terra nachgefragt. Das Schiff gehört Ihrer Verlobten. Cox hat ein Testament gemacht.« »Oh«, sagte Cora. »Ist das wahr, Sir?« Skeen nickte lachend. »Sie brauchen nur zu heiraten. Dann bleibt das Schiff in der Familie.«
ENDE
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»Warnung aus dem Hyperraum«
Auszug aus den Annalen des ›Keth-Darg‹: Das entscheidendste Ereignis der Barnettschen Ära war zweifellos der Galaktische Krieg zwischen den Menschen und den kugelförmigen Prokas. Er dauerte 920 Jahre nach tellurischer Zeitrechnung, und zwar von 12 348 bis 13 268. Das Zeitalter wurde nach dem Menschen ›Perry Barnett‹ benannt, dessen Vermittlung es allein zu verdanken war, daß im Jahre 13 267 Friedensverhandlungen zwischen den Prokas und den Menschen aufgenommen werden konnten. Der Friede von Poldini II wurde 13268 unterzeichnet und trat mit sofortiger Wirkung in Kraft. Doch die Milchstraße war zu groß, als daß überall die Waffen sofort geschwiegen hätten. Insbesondere die Hilfsvölker der Prokas, die über viele Generationen hinweg nichts als den Krieg kannten, hatten Mühe, sich in die neue, friedliche Ordnung einzufügen. Einer der markantesten Rechtsbrüche war der Überfall der Tesdronen auf das System ›Mistral‹. * Im Jahre 13 271 hatte die Erde die erste Etappe eines geradezu hektischen Wiederaufbaus hinter sich. Die meisten Menschen wohnten zwar noch immer in den unterirdischen Höhlensystemen, doch an der Oberfläche war inzwischen wieder eine gesunde Atmosphäre entstanden, und die Vegetation hatte weite grüne Landstriche geboren. Etwa zweihundert neue Städte waren im Bau, und vor allem: Die Raumfahrtstationen mit ihren Startfeldern, Radarstationen und Schiffshangars brauchten sich nicht mehr tief in der Erde zu verstecken. Es war Frieden! – Marshall Skeen stand versonnen am Fenster seines Dienstraumes, von dem aus er einen weiten Blick über die Ebene hatte. Im Vordergrund erstreckte sich das glatte Betonfeld mit mehr als einem Dutzend Startrampen für die Raumschiffe. Doch schon nach zwei Kilometern begann der junge Grünstreifen, der sich erst in den fernen Hügeln verlor. Skeen sah auf die Uhr. Captain Barnett hatte seine Ankunft für 12 Uhr 30 gemeldet. Bis dahin waren noch zehn Minuten Zeit. Drei Stockwerke tiefer nahm ein Funker im selben Augenblick einen weiteren Spruch auf und bestätigte die Landeerlaubnis für das Raumschiff CORA. Kurz darauf senkte sich ein feuriger Strahl aus den Wolken herab. Im Büro Skeens meldete sich ein Lautsprecher: »Die CORA ist gelandet, Sir!« »Danke!« sagte der Marshall. Er zog sich vom Fenster zurück und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Barnett brauchte nicht zu sehen, daß er bereits mit ungebührlicher Nervosität erwartet worden war. »Guten Tag, Sir! Ich melde mich mit voller Besatzung zur Stelle.« »Guten Tag, Captain!« Skeen drückte die Stoptaste seines Diktierroboters und hob den Kopf. Dann reichte er seinem Gast die Hand und gönnte ihm ein kurzes, privates Lächeln. »Die Flitterwochen gut überstanden, Barnett?« »Seit einem Jahr, Sir! Es war bereits mein zweiter Urlaub mit Cora.« »Ach ja. Ich erinnere mich ...« Skeens Blick fiel auf ein Bildtelegramm von der Venus, das Barnett und Cora ihm vor vier Wochen als Urlaubsgruß geschickt hatten und das jetzt einen Ehrenplatz an der Wand einnahm. »War es schön?« Barnett folgte einem stummen Wink und setzte sich.
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»Das typische Venuswetter, Marshall. Und es war so schön, daß meine Frau meinte, wir hätten noch eine Woche länger bleiben sollen.« »Schieben Sie nicht Ihre Frau vor!« drohte Skeen mit einem Gesicht, dem man nicht ansah, ob er diese Bemerkung im Scherz meinte. »Ich denke, Sie führen Buch über die Ihnen zustehende Freizeit und werden mir noch früh genug vorrechnen, daß Sie noch eine Woche gut haben. Es ist keine Schikane, wenn ich Sie vorzeitig zurückrief ...« »Es brennt wieder irgendwo?« Skeen zuckte mit der Schulter. »Wir wissen noch nichts. Zur Zeit bin ich nur besorgt. Dr. Preem meldet sich nicht mehr.« »Wer ist Dr. Preem?« »Dr. Preem ist beauftragt, Handelsgespräche auf Mistral zu führen. Sie wissen, daß das System ziemlich abseits vom großen Krieg gelegen hat und sich Generationen hindurch verlustlos halten konnte. Die friedliche Entwicklung muß dort etwas hervorgebracht haben, das für unseren Wiederaufbau von Nutzen sein kann. Die Expedition hatte den Auftrag, alle drei Tage per Hyperraumspruch Bericht zu erstatten. Seit mehr als einer Woche aber hat sich Preem nicht mehr gemeldet. Heute ist der dritte Bericht fällig. Wenn der nicht erfolgt, wird jemand nachsehen müssen.« »Jemand?« »Um es genauer zu sagen, Captain Perry Barnett. Das System Mistral liegt im Sektor sieben H-c. Entfernung von Sol etwa zweitausenddreihundert Lichtjahre. Sie können gleich einmal mitkommen, Captain, damit ich Ihnen das neue Raumschiff zeige.« »Was für ein neues Raumschiff, Sir? Wollen Sie mir etwa die CORA wegnehmen?« »Bin ich ein Bandit? Die CORA ist Ihr Eigentum. Solange Sie aber in staatlichem Auftrag fliegen, stehen Ihnen auch staatliche Raumer zur Verfügung.« »Verzeihung, Marshall! Läßt sich da keine Ausnahme machen? Sie wissen, daß ich auf die Beteigeuze-Klasse schwöre. Und ich bin mit der CORA verwachsen ...« »Die CORA ist ein lahmer Schlitten gegen die neue SKY-MASTER-Klasse.« »Ich will Ihnen nicht widersprechen, gebe aber zu bedenken, daß es ein Wagnis ist, mit einem neuen Typ, auf den man nicht eingeflogen ist, sofort zu einer größeren Expedition zu starten.« »Ich habe Sie selten so bescheiden erlebt, Captain. Wollen Sie Ihre Qualitäten in Frage stellen? Und meinen Sie nicht, daß Sie sich auf einer solchen Strecke recht schnell an die SKY-MASTER-Klasse gewöhnen würden?« Perry Barnett sah zum Fenster hinaus und zögerte mit der Antwort. Schließlich sagte er: »Ich bitte um Ihre Befehle, Marshall!« Diese plötzliche Subordination kam für Skeen zu überraschend, als daß er sie für Barnetts ehrliche Meinung halten konnte. Er schwankte einen Augenblick, ob er von seiner dienstlichen Gewalt Gebrauch machen sollte oder nicht. »Sie sind ein Dickkopf«, brummte Skeen schließlich. »Aber wenn ich Sie mit der CORA fliegen lasse, sind Sie zum Erfolg verpflichtet, ganz gleich, ob die Aufgabe lösbar ist oder nicht.« Barnett kümmerte sich nicht um Skeens Redensart, mit der er sozusagen die Verrichtung von Wundern verlangte. Ihm kam es darauf an, sein eigenes Schiff zu benutzen, das keineswegs so veraltet war, wie der Marshall es darzustellen beliebte. Und außerdem ging er kein finanzielles Risiko dabei ein. Er bekam alle Auslagen und Unkosten ersetzt, jede Art notwendiger Energie gratis und war schließlich derart versichert, daß er sich bei einem eventuellen Verlust des Schiffes ohne jeden Kreditanspruch ein neues würde kaufen können. »Darf ich jetzt um Einzelheiten bitten, Sir?« fragte Barnett kurz. Skeen nahm einen Stapel Akten, Tonträger und gedruckte Broschüren aus seinem Schreibtisch.
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»Nehmen Sie dies mit, Captain! Sie haben genügend Zeit, den Inhalt dieser Unterlagen zu studieren. Hier sind die Angaben über das System Mistral. Dieser Datenträger enthält Aufnahmen unserer letzten Konferenzen mit Dr. Preem. Die Akten enthalten ausführliche Angaben über das Thema sowie die letzten Funksprüche, die wir mit der Expedition ausgetauscht haben.« »Okay! Das erspart uns eine lange Konferenz.« »Eben!« nickte Skeen. »Sie müssen alles vorbereiten. Wir warten bis achtzehn Uhr. Wenn bis zu dem Zeitpunkt keine Nachricht aus 7 H-c vorliegt, müssen Sie sofort startklar sein! Grüßen Sie Cora von mir! Sie soll mir nicht böse sein, wenn sie für ein paar Wochen getrennten Haushalt führen muß ...« »Getrennten Haushalt ...?« * Perry Barnett hatte nicht darauf bestanden, auf die letzte Frage eine Antwort zu erhalten. Seit er Cora geheiratet hatte und der Große Galaktische Krieg beendet war, hatte sich manches geändert. Für Augenblicke schweifte seine Erinnerung zurück. Damals in dem letzten Kriegsjahr hatte er gleich zwei Coras als Begleiter gehabt. Einmal die Frau, die er liebte – und das Schiff, das ihren Namen trug. Es war eine aufregende Zeit gewesen. In jeder Hinsicht. Dann war der Friede von Poldini II gekommen. Die Menschen und die seltsamen, kugelförmig gebauten Prokas – eine Rasse von hoher Intelligenz – hatten nach 920 Jahren plötzlich Gelegenheit bekommen, über die Sinnlosigkeit ihrer gegenseitigen Vernichtung nachzudenken und zu verhandeln. Und bald darauf hatte die Vernunft gesiegt. Es war Frieden in der Galaxis. Er war etwas vollkommen Neues, an das man sich erst gewöhnen mußte. Es war gegen achtzehn Uhr, als Barnett mit derartigen Gedanken die Offiziersmesse seines Raumschiffes betrat. »Du bist nicht der einzige, der sich nur langsam an den Frieden gewöhnen kann«, sagte IksWol-Esak, der auf einem Hocker saß und in einer terranischen Illustrierten blätterte. Der kugelförmige Proka besaß telepathische Fähigkeiten. Die Menschen auf der CORA hatten sich inzwischen an diesen etwas indiskreten Sinn der einstmals gegnerischen Rasse gewöhnt. »Hast du vielleicht auch Schwierigkeiten?« fragte Barnett. Der prokaskische Wissenschaftler schüttelte den mittleren seiner drei Arme. »Absolut nicht, Perry. Ich bin intelligent genug, um auch im Frieden meine Beschäftigung zu finden. Ich denke mehr an die Primitiven. Es wäre nicht unwahrscheinlich, daß Preem mit seiner Expedition irgendeiner wilden Armee in die Finger gefallen ist.« »Unsinn! Die Bewohner von Mistral sind Menschen, auch wenn sie mehrere Jahrhunderte lang fast isoliert gelebt haben ...« »Es müssen nicht unbedingt die Mistralesen gewesen sein, die Preem in den Weg kamen. Auf einer Strecke von über zweitausend Lichtjahren kann sich manche Begegnung ereignen.« Wieder schüttelte Barnett den Kopf. »Da du inzwischen Zeitung liest, nehme ich an, daß du die Unterlagen von Skeen bereits durchgearbeitet hast. Demnach solltest du wissen, daß Dr. Preems Schiff bereits aus dem Hyperraum heraus war, als er seine letzte Meldung absetzte.« »Was bedeutet das schon? Hatte er das System Mistral bereits ausgemacht? – Nein. Er verließ den Hyperraum, gut. Doch bevor er seine Position neu festlegen konnte, riß die Verbindung mit der Erde endgültig ab. Wir haben keine Beweise dafür, daß er sein Ziel ordnungsgemäß erreichte.« »Du bist ein typischer Pessimist, Iks. Noch hat Skeen den Startbefehl nicht erteilt ...«
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»Natürlich«, erklärte der Proka unwillig. »Du denkst immer noch, daß Dr. Preem sich im letzten Augenblick melden könnte.« »Wir wollen uns nicht streiten«, wehrte Barnett ab und warf einen Blick auf die Uhr. »In zwei Minuten ist die Frist verstrichen.« Da schaltete sich aufgrund eines Sendeimpulses der Empfänger des Visifons ein. Auf dem Bildschirm tauchte Skeens Kopf auf. »Keine Meldung von Dr. Preem, Barnett. Sie starten, wie vereinbart, in zehn Minuten. Maschinen und Besatzung klar?« »Alles klar, Sir!« »Hals- und Beinbruch, Captain. Ich erwarte Sie in vier Wochen zurück. Ende!« Die Bildverbindung brach ab. Es war alles vorbereitet. In Barnetts Bewegungen lag keinerlei Hast. »Komm, Iks!« sagte er und verließ mit seinen langen, ausgreifenden Schritten die Offiziersmesse. Er ging wie ein Mann, für den alles klar war. Aber der Telepath spürte einen besorgten Gedanken an die Frau Cora, die Barnett zurücklassen mußte. – Nur sprach er nicht davon. In der Kommandozentrale war die Mannschaft versammelt. Sie war eine Gemeinschaft, die der Große Galaktische Krieg selbst geschmiedet hatte. Barnett brauchte fünf Sekunden, um die Gesichter dieser Männer zu streifen und zu erkennen, daß sie so waren, wie er sie sich wünschte. Lisman, der Erste Offizier; Praxlomza, der Kopilot; Perkins, der Maschinist; Lavista, sein Assistent und vielleicht der schwierigste Charakter an Bord; Dr. Forry Bannister, Bordarzt und Funker. Und nicht zuletzt Iks-Wol-Esak und Nam-Legak, die beiden prokaskischen Wissenschaftler, die noch vor vier Jahren erbitterte Gegner der Menschen waren, heute aber zu Perry Barnetts zuverlässigsten Freunden zählten. Die Körperform der Prokas war am besten und knappsten mit dem Ausdruck ›rund‹ zu beschreiben. Sobald sie ihre drei langen, viergelenkigen Arme eng anlegten, wirkten sie wie eine Kugel, denn der Träger ihrer Seh-, Geruchs- und Hörorgane war lediglich eine kräftige Ausbuchtung oberhalb des Körpers, nicht aber als Kopf im Sinne unserer Vorstellung zu bezeichnen. Gehirn und Mund lagen etwas tiefer. Etwa dort, wo man den Hals vermuten müßte, wenn sie einen besäßen. Die Prokas waren klein, aber trotz ihrer scheinbar plumpen Form äußerst beweglich. Und das, obwohl sie keine Beine besaßen. Zum Laufen und Springen benutzten sie einfach ihre Arme, indem sie sie senkrecht nach unten richteten. – »Wir starten wie vorbereitet«, sagte Barnett. »Hat noch jemand eine Frage?« »Die gleichen, die du hast«, erklärte Lisman trocken und nahm dann schweigend den Platz des Ersten Offiziers ein, den er im Dienst immer nur dann verließ, wenn er selbst das Kommando innehatte. Diesmal aber flog Barnett persönlich. Die Besatzung war auf voller Kriegswache, bis sie im Hyperraum verschwand und für die zurückbleibende Erde unsichtbar wurde. * Acht Tage danach. Das Raumschiff CORA kehrte aus dem Hyperraum zurück. »Robotbesteck!« rief Barnett laut. Praxlomza hatte die Hand jedoch schon Sekunden früher erhoben, um den Kartografenteil des Elektronengehirns anlaufen zu lassen. Es hatte ja kein anderer Befehl kommen können. Sobald ein Raumschiff aus dem Hyperraum zurückkehrt, war es immer am wichtigsten zu erfahren, ob der vorberechnete Transitionspunkt auch gewiß erreicht wurde. Und heute bewegte diese Frage die Männer besonders stark. Denn die
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Gerüchte und Gedanken um das Schicksal der Preem-Expedition begannen ja mit dem Verdacht, daß das andere Schiff an dieser Stelle wahrscheinlich Schwierigkeiten gehabt hatte. Noch bevor der Elektronenrobot die gewünschten Daten auswarf, wußte plötzlich jeder im Schiff, daß ihre Befürchtungen durchaus begründet gewesen waren. Die automatische Alarmanlage setzte unmittelbar nach Barnetts Kommando mit allen ihr zur Verfügung stehenden Reaktionen ein. Die Materiewarnanlage registrierte in der nahen Umgebung sechzehn kleine Körper. Im ersten Augenblick hatte es den Anschein, als sei die CORA zwischen den Trümmern eines gesprengten Planeten rematerialisiert. Oder im Kernstück eines Asteroidenringes. Doch an diesem galaktischen Ort gab es laut Karte weder Kleinplaneten noch große, die irgend jemand hätte zerschießen können ... Es sei denn, die Transition hatte nicht ordnungsgemäß an dem Punkt stattgefunden, für den man sie berechnet hatte. Alle Mitglieder der Besatzung waren derart geschult und erfahren, daß sich solche Gedankengänge automatisch jedem aufzwangen. Irgend etwas stimmte nicht, und sofort prüfte man routinemäßig alle Möglichkeiten, die zu einer Erklärung dieses Widerspruches geeignet waren. Schulung und Erfahrung sorgten aber gleichzeitig dafür, daß man trotz aller theoretischen Verdachtsmomente die Warngeräte aufmerksam im Auge behielt. Die Technik war in solchen Augenblicken der Unsicherheit das zuverlässigste Mittel. Die erste vernünftige Zielansprache gab Iks-Wol-Esak. »Es sind Raumschiffe! Die Transition dürfte fehlerlos gewesen sein. Genau wie bei der Preem-Expedition. Wir müssen uns jetzt nur anders verhalten, als es Dr. Preem tat.« »Dann verraten Sie uns bitte, wie sich Preem verhielt«, sagte Lisman herausfordernd. »Bisher konnte uns das nämlich noch niemand sagen.« »Er verhielt sich falsch und wurde offenbar vernichtet oder gekapert.« »Sechzehn Raumschiffe sind durch ihre bloße Existenz kein Beweis dafür, daß sie uns vernichten wollen«, gab Dr. Bannister zu bedenken. »Man schießt nicht auf uns, und man greift uns auch nicht an ...« »Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, Doc!« warnte der Proka. »Wir befinden uns seit kaum einer Viertelminute in diesem Raumsektor. So schnell reagiert nicht einmal der intelligenteste Feind ... Man braucht ... Hallo, bitte! Was sagen Sie jetzt? Die sinnlose Anordnung formiert sich. Gib acht, Captain!« Barnett hatte bereits geschaltet. Mit einem Knopfdruck brachte er die akustischen Warner zum Schweigen. Es genügten jetzt die optischen Anlagen der Radaranlage. Das dreidimensionale Bild hatte die Position aller sechzehn Schiffe erfaßt. Die Endstufe des EGehirns warf laufend die genauen Meßergebnisse über Entfernung, Größe und Bewegungsrichtung der unbekannten Flotte aus. Sekunden später folgte das erste Ausweichmanöver. Es genügten drei Worte an Lisman und Praxlomza, um die Schubkräfte und den Antigravitator darauf vorzubereiten. Dann machte die CORA einen ›Satz‹ innerhalb des Normalraumes, beschleunigte etwa mit 150 Gravos und machte dadurch eine erneute Zielbestimmung für den Gegner notwendig. »Warum versuchst du eigentlich nicht, dich mit den Burschen zu verständigen?« fragte Forry Bannister, der für seine sinnvollen Kompromisse bekannt war. »Weil ich ihnen von vornherein nicht trauen kann. An dieser Stelle ist Dr. Preem verschwunden. Ich möchte kein Risiko eingehen. Wenn wir mit denen da verhandeln, werden sie uns wahrscheinlich ihre unverbrüchliche Freundschaft anbieten. Aber davon halte ich nicht viel, solange ich nicht weiß, wer sie sind.« »Dann laufe ihnen nicht weg, sondern lasse sie so nahe herankommen, bis wir die Bauart ihrer Schiffe erkennen können.« Barnett wandte sich achselzuckend dem Bordrobot zu und wechselte das Thema.
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»Bitte, Iks, sieh dir die Koordinaten an!« »Schon gut«, machte dieser mit seiner schabenden Pseudostimme. »Ich weiß längst, daß unser Hyperraumsprung fehlerlos war. Der Fixstern im Bugbildschirm ist Mistral, und seine Entfernung beträgt zehn Lichttage. Wenn die Schiffe eine mistralesische Besatzung haben, so müßten es Menschen sein ...« »Also rätst auch du dazu, mit ihnen in Verbindung zu treten?« fragte Captain Barnett. »Du ignorierst das Schicksal der Preem-Expedition?« »Wie kann ich etwas ignorieren, das ich nicht kenne? Unter Umständen hat man der SKYMASTER-Besatzung nicht ein Haar gekrümmt.« »An deinen Optimismus glaubst du doch selber nicht«, sagte Barnett ungehalten. »Auf Terra hält man die Menschen auf Mistral für friedfertige Kaufleute und Techniker. Aber vergiß nicht, daß sie ihr ganzes System jahrhundertelang aus dem Kriege heraushalten konnten. Es hat in letzter Zeit so gut wie keine Verbindung zwischen ihnen und uns gegeben. Wenn mir ein tellurischer Experte erklärt, die Mistralesen seien harmlose und humane Leute, so brauche ich das längst nicht als eine Offenbarung zu nehmen. Für uns gilt allein die Tatsache, daß Dr. Preem verschollen ist. Und das gibt mir Anlaß, zunächst das Schlimmste zu befürchten. So, und jetzt geht wieder auf eure Plätze! In zehn Sekunden folgt das nächste Ausweichmanöver.« Barnett gab neue Befehle an Lisman und Praxlomza. Es war inzwischen dringend notwendig geworden, denn die Formation der unbekannten Schiffe wurde immer unmißverständlicher. Sie standen jetzt genau zehn Strich Backbord voraus in Keilform und näherten sich mit einem Viertel Lichtgeschwindigkeit. Und dann eröffnete das Flaggschiff der Fremden das Feuer. Bevor sich die Energiestrahlen mit Lichtgeschwindigkeit an das Ziel heranfressen konnten, hatte die CORA das geplante Ausweichmanöver ausgeführt. »Dieses Kesseltreiben halten wir nicht lange durch«, stöhnte Lisman. »Mach den Sender klar, Forry!« befahl Barnett plötzlich. »Erst Vorspruch, dann Abstrahlung zur Frequenzstreuung ...« »Laß das«, sagte Iks-Wol-Esak und hob beschwörend seine drei Arme. Barnett unterbrach sofort seine Anordnung an Dr. Bannister und wandte sich dem Kugelmann zu. »Rede, Iks! Was willst du?« »Gib dich nicht zu erkennen, bevor du nicht weißt, wer die anderen sind. Mach doch einen dreidimensionalen Sprung und überlasse das andere mir ...!« »Weshalb sollen wir unsere Identität verheimlichen? An der feindlichen Haltung der anderen ist sowieso nichts zu ändern. Und daß wir ein paar verrückt gewordene Mistralesen vor uns haben, dürfte kaum zu bezweifeln sein.« »Du nimmst also ohne den geringsten Verdacht die Tatsache hin, daß man dich auf Terra über die hiesigen Verhältnisse falsch informiert hat?« Barnett konnte seine Ungeduld nicht verbergen. »Keine Diskussionen jetzt, Iks! Ich richte mich nur nach den Tatsachen. Es kommt nur darauf an, daß jetzt richtig gehandelt wird ...« »Eben! Aber handelst du richtig?« »Zum Teufel, schweig!« »Hältst du es für vorteilhaft, wenn du jetzt deine Nerven verlierst? Ich wollte dir einen Vorschlag machen: Wir sollten meinen Teleporter nicht vergessen!« »Bevor du einen Mann von uns auf eines der gegnerischen Schiffe teleportieren kannst, brauchst du allein das Doppelte an Zeit für die Einrichtung«, widersprach Barnett. »Und dann ist mir die Entfernung zu riskant. Ich denke in der jetzigen ungünstigen Lage überhaupt nicht an einen Gegenangriff!« »Dann werden wir eben nur mit der ersten Stufe arbeiten«, blieb der Proka hartnäckig. »Das
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genügt für eine Aufklärung, und wir wissen dann wenigstens, mit wem wir es zu tun haben.« Perry Barnett zögerte kurz. »Du glaubst also nicht an die Mistralesen, Iks?« »Ich glaube so lange nicht, wie mir die Anhaltspunkte fehlen. Gib mir einen Mann mit! Am besten Nam-Legak.« »Okay! Verschwindet! Aber ihr habt nicht mehr Zeit als fünf Minuten. Und wenn es die Lage erfordert, werde ich ohne Rücksicht auf eure Beobachtung manövrieren. Kommt also nicht auf die Idee, wirklich zu teleportieren! Ich verweigere euch jede Garantie für eine Rückkehrmöglichkeit.« Die beiden Prokas verschwanden nach achtern. Der von Iks-Wol-Esak erwähnte Teleporter war das Ergebnis seiner eigenen Weiterentwicklung aus verschiedenen prokaskischen Forschungen und Erkenntnissen. Obgleich er nur den Schlußpunkt unter eine geniale Entwicklung gesetzt hatte, galt er als der Erfinder des Teleporters. Es gab kurz nach dem Galaktischen Krieg kaum ein halbes Dutzend davon. Doch ein Gerät gehörte selbstverständlich zur Ausrüstung der CORA, solange sich die beiden prokaskischen Wissenschaftler an Bord befanden. Um Iks-Wol-Esaks Plan, nur die erste Stufe arbeiten zu lassen, verstehen zu können, muß man sich kurz die prinzipielle Arbeitsweise des Teleporters vergegenwärtigen. Die ›Erste Stufe‹ war das, was es bereits vor Iks-Wol-Esaks genialer Erfindung gab. Man konnte bei den Prokas schon seit langem energetische Bilder eines beliebigen Gegenstandes oder auch Menschen in eine angemessene Entfernung schicken und dort naturgetreu wiedererstehen lassen. Die betroffene Person existierte während des Teleportationsvorganges zweimal, nämlich am Start und am Ziel. Am Start nahm sie an Existenz immer mehr ab, am Ziel immer mehr zu. Bis sie schließlich mit Beendigung des Vorganges nur noch am Ziel in voller konkreter Form vorhanden war. Das Phänomen der doppelten Existenz während des Teleportationsvorganges hatte es möglich gemacht, das Gerät auch für Aufklärungszwecke einzusetzen. Denn der doppelt existente Mensch oder Proka fühlte sich in dieser Zeit natürlich an beiden Orten anwesend. Man konnte also, wenn man sich auf die erste Stufe beschränkte, ungefährdet am Startort bleiben und dennoch den Zielort mit eigenen Augen erkennen. Im ersten Stadium war die Sicht freilich noch sehr behindert, weil noch die notwendige Klarheit fehlte. Dennoch half in vielen Fällen auch schon die vage Erkennbarkeit der Dinge und ließ entscheidende Schlüsse zu. Barnett konzentrierte sich ganz auf seine Geräte in der Kommandozentrale. Die Meldung aus dem Mittelschiff notierte er daher nur am Rande. »Teleporter läuft, Captain!« »Danke, Iks! Laßt euch von den Kugelmännern nicht ablenken. Hier liegt die Gefahr.« Den letzten Satz hatte er leise gesprochen und mit der ganzen Faust auf den Heckbildschirm gezeigt, wo der Keil von sechzehn nicht endgültig definierbaren Punkten Stück um Stück näherrückte. Was war denn an diesen Punkten undefinierbar? – Alles, außer der Tatsache, daß es sich um Raumschiffe handelte. »Sie schwenken auf unseren Kurs ein!« stöhnte Praxlomza. »Jetzt keine Kursänderung!« kam Iks-Wol-Esaks Stimme aus dem Mittelschiff. »Ich bin visuell am Gegner! Es handelt sich um Kugelschiffe nach prokaskischem Vorbild. Sie sind aber nicht von unserer Rasse erbaut worden. Ich korrigiere um ein paar Meter und versuche den Kommandoraum des Flaggschiffes zu erreichen. Warte noch ein paar Sekunden, Barnett ...!« Ein paar Sekunden? Jeder auf der Brücke wußte, daß diese Galgenfrist das Ende bedeuten konnte. Der lichtschnelle Beschuß des Gegners ließ für ein dreidimensionales Springmanöver so gut wie keine Reaktionsspanne.
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»Vorbereitung zum Hypersprung!« befahl Perry Barnett in diesem Augenblick. Das würde etwas länger als eine Minute dauern, wenn jeder seine Handgriffe fehlerfrei und ohne Zögern ausführte. In der Endstufen-Skala des E-Gehirns leuchtete seit dem ersten Angriff automatisch eine Distanzangabe, die für weitere Aktionen als Erfahrungswert gelten konnte. Barnett konnte sich an fünf Fingern abzählen, daß er höchstens noch hundert Sekunden Zeit hatte. Dann würde der rapide beschleunigende Gegner wieder in Schußposition sein. Dann würde nur noch ein Sprung in den Hyperraum Rettung erhoffen lassen. Die Koordinaten wählte er selbst. Er entschied sich für die kürzeste Entfernung, die möglich war, ohne durch gravitatorische Verschiebungen das benachbarte Sonnensystem Mistral zu gefährden. »Alles klar?« »Alles klar, Captain!« nickten Lisman und Praxlomza. Alle Augen ruhten auf dem Entfernungsmesser. Die Distanzmarke rückte immer näher an den roten Warnstrich des E-Gehirns. Die Generatoren pumpten die letzten Reserven in die Brennkammern. Die Maximalbeschleunigung für Normalflug war erreicht. Und immer noch kroch die Distanzmarke auf den entscheidenden roten Strich zu. Noch zwanzig Sekunden, dann würden sie sich decken. Und diese zwanzig Sekunden hatten auch nur dann Gültigkeit, wenn der Gegner nicht noch eine weitertragende Waffe einsetzte als beim ersten Angriff. »Er hat die Brücke des Gegners erreicht!« kam eine triumphierende Stimme aus dem Mittelschiff. »Jetzt Kommando für Energiefeuer!« Aus Nam-Legaks Triumph wurde eine Warnung in Todesnot. Und Perry Barnett schaltete auf Raumkrümmung. Die Struktur des vierdimensionalen Weltalls erfuhr in unmittelbarer Nähe der CORA eine künstliche Verzerrung. Der Schrei Nam-Legaks fiel mit dem Kommando des feindlichen Geschwaderchefs zusammen. Gleichzeitig aber nahm Barnett die entscheidende Schaltung vor, die das terranische Raumschiff rettete und zudem an einen Punkt brachte, an dem es für die nächsten Stunden vor jeder Entdeckung absolut sicher war. * Der Captain wandte sich seinem Ersten Offizier und dem Kopiloten zu. »Hast du das neue Besteck, Prax?« Praxlomza justierte noch ein wenig an der Bildeinstellung. Dann wurden außer den Sternen auch Schriftzeichen sichtbar. »Wir haben praktisch das Mistralsystem durchsprungen und befinden uns jenseits desselben. Entfernung: vierzig Lichtstunden vom Zentralgestirn.« »Okay! Das ist gut«, nickte Barnett. »Hier werden sie uns so schnell nicht finden. Wir sollten uns einmal in Ruhe überlegen, wie wir dieser unbotmäßigen Flotte das Handwerk legen. Ich bin überzeugt, es handelt sich um Banditen.« »Mit sechzehn Schiffen?« fragte Lisman erstaunt und belehrend zugleich. »Fragen wir Iks-Wol-Esak«, schlug Barnett vor. »Der scheint die Herrschaften besser zu kennen ... Hallo, Iks! Ihr solltet zurückkommen. Auf den Teleporter können wir vorerst verzichten.« Aus dem Mittelschiff kam keine Antwort. »Seid ihr eingeschlafen? Iks! – Nam! Kommt her!« Der Lautsprecher blieb stumm. Statt dessen ging die Tür auf, und Nam-Legak trat ein. Ein Proka hat kein Gesicht im menschlichen Sinne. Er trägt daher seine Gemütsbewegungen auch nicht offen zur Schau. Wenn er einer starken Schockwirkung unterliegt, kann es
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höchstens vorkommen, daß sein runder Körper in ein leichtes Vibrieren verfällt. »Er zittert«, konstatierte Lisman. »Wo ist Iks?« fragte Barnett geradeheraus. »Beim Gegner«, erklärte Nam-Legak. Er sprach es halb und teilte es halb telepathisch mit. Barnett unterdrückte einen Fluch. »Hm, beim Gegner! Er kann das Spazierengehen nicht lassen, nicht wahr? Was glaubt ihr, weshalb ich meine Anweisungen gebe, Nam? Genügt es nicht, daß wir uns um Dr. Preem und seine Leute kümmern müssen? Jetzt können wir auch noch einen weiteren Mann suchen – wenn er noch lebt ...« »Ich teile dein Mißfallen durchaus, Perry«, sagte Nam-Legak scheinbar völlig unpersönlich. »Doch welchen Sinn hat die Aufregung über geschehene Dinge? Ich habe dich bereits unterrichtet, daß die Bauart der sechzehn Schiffe an prokaskische Vorbilder erinnert.« »Das scheint mir sehr diplomatisch ausgedrückt zu sein.« »Es ist die Wahrheit. Wenn du glaubst, es handele sich um Proka-Originale, dann irrst du dich. Meine Rasse lebt in Frieden mit den Menschen. Und kein Proka wird auf ein tellurisches Schiff schießen.« »Und wieso war es notwendig, daß Iks sich nicht mit der ersten Stufe begnügte? Ihr solltet aufklären, aber nicht versuchen, Gefangene zu machen.« »Die Sicht bei der ersten Stufe war ungenügend. Wenn Iks das sagt, dann gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln. Wenn es sich um Original-Prokas gehandelt hätte, wäre alles klar gewesen. Doch so hatten wir keinerlei Sicherheit. Iks mußte springen.« »Er wußte, daß er ins Verderben sprang. Je länger er seine Beobachtung ausdehnte, um so mehr mußte er damit rechnen, daß wir uns nur durch ein Ausweichen in den Hyperraum retten konnten.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Perry.« »Das war auch nicht meine Absicht«, erwiderte der Captain immer noch gereizt. »Was hat nun das Ganze für einen Sinn gehabt?« »Iks landete zuerst in einem Vorratsraum, der zum Teil prokaskische Ausrüstungsgegenstände enthielt. Diese Entdeckung verstärkte natürlich unseren Verdacht und unsere Befürchtungen zugleich. Wir mußten mehr erfahren. Und vor allem brauchten wir Sicherheit. Deshalb entschloß sich Iks zum körperlichen Sprung. Er landete genau an einer Trennwand, konnte aber die feindliche Kommandostelle genau erkennen und die Gespräche verstehen. Er teilte mir mit, daß die Besatzung aus sogenannten Knollen-Prokas bestand. Mehr Zeit blieb ihm jedoch nicht, denn der Gegner hatte schon auf die CORA gezielt und den Abschuß vorbereitet. Er konnte mir nur noch eine Warnung zukommen lassen, die dich rechtzeitig den Raumsprung ausführen ließ ...« Nam-Legak schwieg. »Und du hast dann ganz die Verbindung abreißen lassen.« »Ich mußte es, um Iks nicht zu gefährden. Für eine Rückkehr nach hier war es zu spät. Er hätte nicht mehr die CORA, sondern nur noch eine Energiewolke erreicht.« »Er hat sich geopfert«, sagte Praxlomza leise und nachdenklich. »Ich hoffe immer noch, daß er lebt«, erwiderte der Proka. »Vielleicht ist er bei der totalen Materialisation in einen Nebenraum abgedrängt worden. Er stand an der Wand, als er ankam. Außerdem ist er ein guter Diplomat. Wenn die Tesdronen ihn entdeckt haben, besteht die Möglichkeit, daß er mit ihnen verhandelt und eine glaubhafte Geschichte erzählt.« »Tesdronen heißen sie? Und man kann sie belügen?« »Sie sind keine Telepathen. Sie waren eines unserer Hilfsvölker im Galaktischen Krieg. Kulturell nicht sehr anspruchsvoll, aber um so bessere Soldaten.« »Die sich auch jetzt an den Frieden nicht gewöhnen können.« »So wird es sein«, bestätigte der Proka. »Ab sofort also volle Kriegswache für die ganze Besatzung«, befahl Barnett. »Unsere
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Position zu Mistral ist günstig. Wir werden den fünften Planeten anfliegen und den Tesdronen zuvorkommen. Eine Verständigung mit den Mistralesen wird vielleicht schon das Rätsel klären ...« »Wenn es noch Mistralesen gibt«, gab Lisman in düsteren Ahnungen zu bedenken. * Die CORA hatte Kurs auf Mistral gesetzt. Da die unmittelbare Gefahr vorüber war, ließ die Erregung etwas nach. Barnett wandte sich Dr. Bannister zu. »Ich wünsche, daß du den Raum nach jedem erreichbaren Funkverkehr abhörst, Forry. Wir haben einen Flug von etwas mehr als drei Tagen bei dreiviertel Lichtgeschwindigkeit vor uns. Während dieser Zeit müssen wir Augen und Ohren offenhalten. Ich denke, bevor wir auf Mistral fünf landen, werden wir etwas klüger sein als jetzt.« Perry Barnett sollte recht behalten. Doch nicht auf die Art, wie er dachte. Barnett ließ Lisman, Perkins und Praxlomza abtreten, damit sie sich schlafen legen konnten. Nach vier Stunden mußten sie Bannister, Nam-Legak und den Captain ablösen. Auf diese Weise ging es zweimal reihum – ohne besondere Ereignisse. Die Spannung wuchs automatisch, als man sich der Bahn des äußersten sechzehnten Planeten näherte. Dieser stand zur Zeit allerdings in Konjunktion zum Zentralgestirn, also jenseits der Sonne Mistral. Ähnlich verhielt es sich mit dem fünfzehnten Planeten. Doch schon den vierzehnten würden sie mit einem Abstand von höchstens 23 Millionen Kilometern passieren müssen. Barnett ließ sich allgemeine Informationen vom E-Gehirn geben, das vor der Abreise von Terra mit allen erdenklichen Daten über das System Mistral gefüttert worden war. Das Ergebnis: Eiswelt. Temperaturen zwischen Nacht und Tag bei 214 bis 135 Grad minus. Aber selbst am ›heißesten‹ Mittag würde hier eine eventuell vorhandene Atmosphäre nicht auftauen. Sie passierten Nummer 14, ohne daß sich etwas ereignete. Erst nach einer weiteren Stunde schlug die Alarmanlage an. Sie meldete nicht vorherberechnete Materie. Also mußten zwischen den Planeten Körper existieren, die weder der Sternatlas noch der Ephemeridenkalender für Mistral auswies. Barnett schaltete sofort die Sirene ab und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Bannister mußte sich um die Skala kümmern, die mittels eines sechsfachen Diagramms die wichtigsten Kurven zeigte, die das E-Gehirn nach dem Empfang durch die verschiedenen Spezialmeßgeräte für das menschliche Auge interpretierte. Bannister schimpfte. »Wir waren schon einmal in Versuchung, einen Planetoidenring zu vermuten, den es gar nicht geben durfte. Und dann waren es Raumschiffe.« »Jetzt aber ist es tatsächlich ein Planetoidenring«, kommentierte Barnett. »Bitte, überzeugt euch! Der zwölfte Planet existiert nicht mehr. Abgesehen von Tausenden von Trümmerstücken.« »Aber das ist doch Irrsinn! Wo steht etwas in den Unterlagen darüber? Und warum verschweigt es das Elektronengehirn?« »Weil sie es nicht wissen. Betrachte bitte die einzelnen Bewegungskurven noch etwas länger ...« Barnett unterbrach sich und hantierte am Rechner. Als in Sekundenschnelle mehrere Ergebnisse vorlagen, fuhr er fort: »Du wirst stundenlang überlegen, ob du tatsächlich etwas erkennst, Forry. Hier, sieh dir die konkreten Zahlen an. Dann hast du Sicherheit ohne jede Sinnestäuschung.« Inzwischen hatte sich auch der kleine Nam-Legak an einem Sessel emporgezogen, um die
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Geräte der Menschen besser ablesen zu können. »Es besteht kein Zweifel«, bestätigte er. »Diese Trümmer haben äußerst exzentrische Bahnen. Vor allem scheinen sie noch keinen gemeinsamen Schwerpunkt gefunden zu haben.« »Noch nicht gefunden zu haben?« fragte Bannister. »Das klingt, als sei der Asteroidenring vor einer halben Stunde entstanden.« »Nicht vor einer halben Stunde. Aber vielleicht vor ein paar Tagen oder Wochen. Vielleicht, als Dr. Preem mit seiner Expedition hier auftauchte.« »Du denkst also an eine kriegerische Auseinandersetzung, Nam?« »Die Haltung der sechzehn Schiffe läßt sowieso keinen Zweifel darüber offen. Es handelt sich um Tesdronen, die in diesem Sektor von Rechts wegen absolut nichts zu suchen haben. Ihr Heimatgestirn befindet sich im C-Arm der Galaxis, also etwa dreizehntausend Lichtjahre von hier entfernt. Was steht also der Annahme im Wege, daß man hier kürzlich einen ganzen Planeten gesprengt hat? Ich kann mir nicht denken, daß die Menschen von Mistral sich ohne weiteres mit dem Eindringen der Fremdlinge abgefunden haben.« »Wenn jemand in friedlicher Absicht kommt, so kann man auch vernünftig mit ihm reden. Es muß nicht gleich geschossen und getötet werden.« »Wem sagst du das? Wir sind freilich klüger geworden. Aber auch das hat bei den Menschen und Prokas mehr als achthundert Jahre gedauert.« »Du bist nicht umsonst Philosoph«, stellte Perry Barnett fest. »Und du kennst die Tesdronen besser als wir. Wir dürfen demnach als ziemlich sicher annehmen, daß euer früheres Hilfsvolk die Mistralesen überfallen hat, daß es ferner den zwölften Planeten sprengte und vielleicht auch die Expedition des Dr. Preem auf dem Gewissen hat.« »Es spricht alles dafür«, bestätigte der Proka. »Jedenfalls müssen wir darauf gefaßt sein, daß wir jeden Augenblick von neuem angegriffen werden. Spätestens bei Annäherung an den fünften Planeten müssen wir auf Beschuß gefaßt sein.« Die CORA flog auf den Asteroidenring zu, der einmal der zwölfte Planet der Sonne Mistral gewesen war. Sie flog nicht genau in seiner Bahnebene, sondern passierte ihn – gemessen am Zentralgestirn – in einem Winkel von zwölf Grad, was sich in dieser Entfernung zu einem beruhigenden Abstand von einigen Millionen Kilometern summierte. Es bestand also keine Gefahr, daß das Schiff mit Trümmerstücken kollidierte. Bannister arbeitete unermüdlich am Funkempfänger. Er suchte das gesamte ihm zur Verfügung stehende elektromagnetische Spektrum ab, und Nam-Legak assistierte ihm, indem er alle gespeicherten Funkmeldungen noch einmal abhörte. Nach drei Stunden dieser nervenaufreibenden Tätigkeit fragte Barnett mit einem nachsichtigen Lächeln: »Glaubst du immer noch, daß die Herrschaften einmal das Verschlüsseln vergessen werden?« »Wer nichts weiß, setzt sein Vertrauen in die Hoffnung ...« »Moment!« rief da Bannister. Die beiden Freunde glaubten schon, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht hätte. Doch es stellte sich sofort heraus, daß ihm nur eine Idee gekommen war. »Warum wenden wir nicht unsere eigenen Schlüssel an?« »Weil die Tesdronen mit Sicherheit nicht danach arbeiten werden. Sie funken auf jeden Fall nach eigener Methode.« »Wer sagt dir denn, daß nur die Tesdronen funken? Es steht immerhin fest, daß auch Dr. Preem sich in diesem Bereich aufhält. Ich halte es absolut nicht für richtig, ihn von vornherein auf die Verlustliste zu setzen.« »Dein Optimismus ist wohltuend, Forry«, nickte der Captain. »Suche dir also eine zusätzliche Beschäftigung, wenn dir die eine nicht genügt!« »Du bist ein verteufelter Ignorant, Perry! Hole lieber die Freiwache aus den Kojen, damit die Männer uns unterstützen. Eine einzige verpaßte Gelegenheit kann den Fehlschlag unserer
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Expedition zur Folge haben!« »Okay! Holt sie nur aus den Kojen. Bevor sie heraufkommen, sollen sie Energietabletten nehmen. Es kann sein, daß wir einen langen Dienst vor uns haben«, befahl Barnett. * Als sie die Bahn des elften Planeten überquert hatten, meldete sich die Warnanlage erneut. Diesmal zeigte das Radarbild Materie in einer Bewegungsrichtung, die niemals den natürlichen Schwerkraftsverhältnissen im Mistralsystem entsprechen konnte. Die georteten Gebilde waren zweifellos Körper mit eigenem Antrieb. Also Raumschiffe. »Ich zähle fünf«, sagte Lisman. »Und sie kommen auf uns zu.« Nachdem sie den genauen Standort der Objekte geortet hatten, war es klar, daß sie vom fünften Planeten gestartet waren. Und der fünfte Planet war die Zentralwelt der mistralesischen Zivilisation. »Ich brauche die linke Endstufe vom E-Gehirn«, sagte Barnett. Damit war Praxlomza gemeint, der sich hier soeben für seine Entschlüsselungsversuche breit gemacht hatte. Er gab brummend die Anschlußbuchsen frei. Der Captain stieß Lisman in die Seite. »Los, versuche einmal herauszubekommen, was das für Schiffe sind! Wenn unsere bisherigen Prognosen zu phantastisch waren, bleibt noch die Hoffnung, daß es sich um Mistralesen handelt.« »Du Optimist! Und wenn es wieder Tesdronen sind? Wenn sie wieder auf uns schießen?« »Dafür liegen bereits Hyperraumsprungkoordinaten an ... Perkins, sind zwei Raumtorpedos klar?« »Jawohl, Captain! Beide Bugrohre sind feuerbereit!« »Okay! Weitere Kommandos abwarten!« »Kugelschiffe!« kam es plötzlich aus drei Mündern gleichzeitig. Und damit war klar, daß höchste Gefahr bestand. Das erste Gefecht hatte bewiesen, daß der Gegner in seiner Armierung weit überlegen war. Seine lichtschnellen Strahlgeschosse konnten immer erst erkannt werden, wenn sie Sekundenbruchteile vor der Detonation standen. Die tellurischen Raumtorpedos dagegen waren langsam kriechende Materiegeschosse mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit. Wenn man sie auf größere Entfernungen abschoß, konnten sie von den tesdronischen Strahlen mühelos zerstört werden. Captain Barnett wußte, daß er alles auf eine Karte setzte, als er sich zum Weiterflug entschloß. »Lis! Antischwerkraftkontrolle! Energiereserven klarmachen für vierdimensionalen Sprung auf eine Million Kilometer!« Lisman machte zwei routinemäßige Handgriffe. »Reserve liegt an!« »Danke! Nach Durchführung jedes Manövers selbständig und unverzüglich nachladen! Aus diesem Kessel kommen wir nur heraus, wenn wir laufend Haken schlagen.« Die CORA sprang mit einer minimalen Kurskorrektur. Wenn es die Absicht des Gegners gewesen war, in den nächsten Sekunden zu schießen, so mußte er jetzt für mehrere Minuten eine Pause einlegen, um seine Strahlgeschütze einzurichten. Und es war die Absicht der Tesdronen gewesen! Sie schossen in dem Augenblick, als es zu spät war. Ihr Energiestrahl ging zweitausend Kilometer an der CORA vorbei. Barnett schüttelte den Kopf. »Warum schießen sie ausgerechnet jetzt nach unserem Manöver? Können sie nicht beurteilen, daß für den Moment ihre Gelegenheit verpaßt ist?« »Es war eine Reflexbewegung des Schützen«, erklärte Nam-Legak. »Sie standen zweifellos kurz vor dem gezielten Abschuß.«
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»Reflexbewegung?« fragte Barnett mit einem verächtlichen Unterton. »Man kann auch sagen, Mangel an Disziplin, nicht wahr? Wäre das nicht ein Punkt, an dem wir unsere Überlegenheit ausprobieren sollten?« »Das wäre zweifellos eine Chance«, gab Nam-Legak überraschenderweise zu. »Die Tesdronen besitzen eine hochgezüchtete Kriegstechnik. Das Kulturelle blieb bei ihnen dafür um so mehr zurück. Sie sind im Grunde stark animalische Wesen geblieben, die in erster Linie nach Instinkt und Reflexen handeln. Sobald sie auf einen Gegner mit großen Gehirnkapazitäten treffen, zeigen sich ihre Schwächen.« »Du scheinst diese Burschen tatsächlich gut zu kennen.« »Ich sagte schon, daß sie im letzten Kriege unsere Verbündeten waren. Die Tesdronen waren für ihre militärischen Erfolge ebenso bekannt wie für ihre regelmäßigen hohen Verluste. Sie machten alles mit Masse, verstehst du?« »Hm, das klingt absolut tröstlich. Eine Übermacht von fünf Schiffen wäre demnach weniger gefährlich. Aber irgendwie klingt deine Behauptung paradox. Allein mit Intelligenz wage ich unsere waffentechnische Unterlegenheit nicht auszugleichen.« »Und trotzdem bist du im Begriff, es zu tun.« »Ich habe gleichzeitig einen Hyperraumsprung vorbereitet, kann also wahrscheinlich noch ausweichen, wenn der Gegner allzu sehr drängt. Los, James! Es wird Zeit für das nächste Manöver!« »Energiereserve liegt an!« Die CORA arbeitete sich mit vier Sprüngen bis auf zwanzig Millionen Kilometer an die tesdronische Patrouille heran. Das heißt, sie selbst konnte innerhalb der wenigen Stunden, in denen diese Manöver ausgeführt wurden, eine derartige Entfernung nicht überwinden. Aber der Gegner kam ihr auf halbem Wege entgegen. In Höhe der achten Planetenbahn kam die CORA in Schußposition. Perkins wartete auf Barnetts Befehle. Die starren Bugrohre zeigten auf einen Sektor, den die tesdronische Patrouille in etwa zwölf Minuten erreichen würde, wenn sie auf Barnetts Kriegslist hereinfiel. Der neue Ausweichwinkel war bereits vom E-Gehirn errechnet. Perry Barnett gab den Feuerbefehl. Perkins drückte zwei Schalter und entließ damit die beiden Torpedos im Abstand von zehn Sekunden. Im selben Augenblick arbeiteten die Triebwerke der CORA auf Bremsbeschleunigung. Die Torpedos bekamen dadurch sehr schnell einen großen Vorsprung. Doch mehr noch! Sie erhielten vom Schiff aus neue Steuerimpulse, so daß sie einen scheinbar völlig falschen Kurs einschlugen. Die CORA fiel schnell zurück, behielt die Torpedos aber durch Fernsteuerung noch immer in der Gewalt. Ihr scheinbar falscher Kurs war die einzige Garantie dafür, daß der Gegner sie nicht entdeckte. Denn die tesdronische Beobachtung war zweifellos genau auf das tellurische Schiff konzentriert. Die abseits verlaufende Parabel der gefährlichen Geschosse blieb unerkannt. – Zwei Minuten später! Barnett schaltete die Bremsbeschleunigung ab und gab wieder Energie auf die Hecktriebwerke. Der bereits anliegende Ausfallwinkel war der Maßstab für das nächste Steuermanöver. Ähnliche Hakentricks wandte Barnett noch dreimal an. Damit schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens wich er damit einem gezielten Strahlbeschuß aus, und zweitens führte er die Tesdronen damit auf einen Kurs, der sie in die Falle führen sollte. Während die CORA ihren zuletzt gesetzten Kurs verließ, hatte der feindliche Schütze bereits den tödlichen Energiestrahl ausgelöst. Er verfehlte sein Ziel um höchstens zwei Kilometer. Und das ist nach kosmischen Maßstäben gerechnet so gut wie Stecknadelbreite. Die Gefahr, der sie entgangen waren, demonstrierte der Bildschirm mit einem weißviolett aufblitzenden Licht. Es war, als zuckte vor ihren Augen eine Nova auf.
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Die beiden Torpedos trieben jetzt etwa drei Millionen Kilometer backbord vom tesdronischen Flaggschiff aus gesehen. Die Möglichkeit der Entdeckung war nun in höchstem Maße akut. Die CORA brach also gleich nach dem dritten Kurswechsel scharf nach rechts aus und demonstrierte eine Wendung um hundertachtzig Grad. Mit dem Heckrohr mußte Perkins einen weiteren Torpedo abfeuern, der lediglich den Zweck verfolgte, daß er möglichst bald entdeckt und vernichtet werden würde. Der Trick gelang. Die Tesdronen stürzten sich auf das an sich völlig harmlose Geschoß, schlugen dabei aber einen Kurs ein, der sie genau in die abseits lauernden scharfen Torpedos hineintrieb. Als sie die beiden todbringenden Körper endlich entdeckten, war es für viele von ihnen zu spät. »Feuer!« rief Barnett mit zusammengepreßten Zähnen. Perkins drückte den Fernauslöser. Im selben Augenblick standen zwischen den tesdronischen Schiffen zwei Miniatursonnen. Die Kraft der Kobaltbomben griff spontan um sich und machte auf drei feindlichen Booten jede Reaktion sinnlos. Die beiden letzten Schiffe drehten sofort ab und suchten ihr Heil in der Flucht. »Sieg!« brüllte Perkins. »Sieg«, rezitierte auch Nam-Legak. Es klang jedoch wesentlich maßvoller und gar nicht so überzeugend. »Ich hoffe nur, daß nicht Iks auf einem dieser drei Schiffe gewesen ist.« * Sie studierten erneut ihre Unterlagen über das System Mistral. Der Angriff der Tesdronen hatte bewiesen, daß sie auf Mistral fünf Fuß gefaßt hatten. Ob es ihnen gelungen war, den ganzen Planeten zu erobern, war freilich nicht sicher. Trotzdem hielt Barnett es nicht für geraten, dort zu landen. »Die Mistralesen besitzen eine starke Kolonie auf Nummer sieben«, stellte Nam-Legak fest. »Es hätte für sie nahegelegen, zunächst den sechsten Planeten zu besiedeln, doch der ist eine unwirtschaftliche Methanwelt, auf der es sich ohne kostspieligen technischen Aufwand nicht leben läßt.« »Okay!« sagte Barnett. »Versuchen wir dort unser Glück.« Sie setzten einen neuen Kurs. Bannister und Praxlomza nahmen wieder ihre Entschlüsselungsversuche auf. Im Empfänger machte sich ein stärkerer Funkverkehr bemerkbar. Es handelte sich wahrscheinlich um Meldungen, die das soeben stattgefundene Gefecht betrafen. Alle erschraken, als sie plötzlich aus dem Lautsprecher Iks-Wol-Esaks deutliche Stimme hörten. Am blassesten war Praxlomza, der verwirrt an seinem Aufnahmegerät hockte und nicht glauben wollte, daß eines seiner Zerhackersysteme haargenau paßte. »Das Ganze noch einmal von vorn«, verlangte Captain Barnett. Praxlomza gehorchte. Dann hörten sie die vollständige Nachricht Iks-Wol-Esaks. »Gruß von Iks, Freunde! Es geht mir gut. Ich bin unentdeckt, da meine endgültige Materialisation in einem Nebenraum der Kommandozentrale erfolgte. Der Typ des Schiffes ist mir gut bekannt. Seine feinmechanische elektronische Ausrüstung stammt ausschließlich aus der prokaskischen Industrie. Gebt bitte Antwort, damit wir in Verbindung bleiben. Um die Gefahr, angepeilt zu werden, möglichst gering zu halten, schlage ich Sendeplan alle fünfzig Minuten vor. Ich erwarte eure Nachricht um zwölf Uhr vierzig. Wenn sie ausbleibt, gehe ich im entsprechenden Rhythmus auf Empfang. Meldet euch schnellstens. Ende.« Er lebt! war der erste Gedanke gewesen. Niemand hatte ihn jedoch auszusprechen gewagt, weil das die Stimme im Lautsprecher unterbrochen hätte. Dann kam die Uhrzeitangabe. Praxlomza bestätigte es. »Ganz recht, Leute. Diese Nachricht ist eine der ersten, die Doc Forry aufnahm. Die
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Nachricht ist ein paar Stunden alt und nicht einmal Garantie dafür, daß Iks noch lebt.« »Wir brauchen jetzt keine Philosophie über Garantien, sondern müssen arbeiten«, erklärte Barnett kurz. »Es ist gleich sechzehn Uhr fünfunddreißig. Um sechzehn Uhr fünfzig müßte nach Iks' Plan unsere nächste Antwort erfolgen. Wir werden sie also pünktlich geben und bis dahin abwarten. Inzwischen nehmt ihr alle weiteren Aufnahmen vor und überprüft sie mit diesem Kode.« Die nächste Viertelstunde brachte die Spannung bis zum Zerreißen. Praxlomza überprüfte nun alle Aufnahmen, fand aber keine Nachricht mehr. Um sechzehn Uhr achtundvierzig erklärte Barnett: »Hör auf, Junge! Laß den Empfänger weiterlaufen, Forry, aber gehe gleichzeitig auf Sendung. Schalte den leichten Schlüssel ein und gib mir das Mikrophon!« Sechzehn Uhr fünfzig! »Hier Captain Barnett, Raumschiff CORA! Hörst du uns, Iks?« Die überlichtschnellen Trägerwellen brachten die Worte simultan zu jedem Empfänger innerhalb eines Umkreises von einem Parsec. »Beim Allgeist! Ihr versteht es, einen nervös zu machen ...« »Er ist es!« schrie Perkins. »Ruhe!« donnerte Barnett. »Hallo, Iks! Du nimmst uns einen Stein vom Herzen. Wir konnten erst vor zwanzig Minuten deine Meldung von zwölf Uhr vierzig entziffern. Bist du vollständig in Sicherheit?« »Noch immer an Bord des Schiffes. Patrouille an der Peripherie des Mistralsystems. Ich habe eine Vorratskammer gefunden, in der man mich so schnell nicht entdecken wird. Aber wir müssen uns kurz fassen, sonst finden die Burschen noch heraus, daß sie einen illegalen Sender an Bord haben. Kümmert euch vorerst gar nicht um mich ...« »Wir könnten dich mit dem Teleporter zurückholen«, rief Nam-Legak aus dem Hintergrund ins Mikrophon. »Unsinn! Seit wann kannst du damit umgehen? Die alte Einstellung stimmt nicht mehr. Also, laßt mir meine privaten Sorgen. Für euch habe ich Wichtigeres ... Ich brauche noch eine kurze Information. Geht in fünfzig Minuten wieder auf Empfang! Ende.« Die letzten Sätze hinterließen auf der CORA einige Verwirrung. Um so mehr, als Iks-WolEsak nach einer rätselhaften Andeutung abgeschaltet hatte. * Sie hatten wieder den Kurs geändert und eine Satellitenbahn um die Sonne Mistral eingeschlagen. Barnett wollte seine bisherigen Pläne, auf einem der zivilisierten Planeten in Sonnennähe zu landen, zurückstellen, bis er weitere Informationen von Iks-Wol-Esak erhielt. Eine dritte Begegnung mit feindlichen Schiffen wollte er vorerst vermeiden. Trotzdem mußte er gerade jetzt besonders aufmerksam sein. Die Niederlage konnte den Tesdronen Anlaß geben, sofort eine Vergeltungsexpedition zu starten. Aus diesem Grund waren auch für den Notfall Koordinaten für einen Hyperraumsprung ständig vorbereitet. Die Tesdronen kamen aber nicht. Gegen siebzehn Uhr vierzig verstummte jedes Gespräch. Jeder konzentrierte sich auf den Empfänger. Iks-Wol-Esak meldete sich pünktlich. »Hallo, Barnett! Hört ihr mich?« »Sehr gut! Gib deine Meldung, Iks!« »Planet zwölf wurde vor mehr als einem Monat gesprengt. Ihr werdet es bereits herausgefunden haben.« »Das haben wir.« »Auf einem der größeren Trümmerstücke von der erkalteten Außenschicht haben die Tesdronen einen Stützpunkt errichtet. Dort sollen Mistralesen gefangengehalten werden. Ihr
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müßt diesen Brocken finden und Verbindung mit den Menschen aufnehmen. Auf diese Weise könnt ihr euch am schnellsten die notwendigen Informationen über die neuen Verhältnisse beschaffen. Eine Landung auf Planet fünf oder sieben halte ich für zu gefährlich. Der Planet hat fast symmetrische Pyramidenform. Seine größte Längskante mißt etwa einhundertzweiunddreißig Kilometer. – Habt ihr mich verstanden?« »Alles klar, Iks! Wir starten sofort. Sonst noch etwas?« »Im Augenblick nicht.« »Okay! Melde dich, sobald du in Gefahr bist. Wir bleiben jetzt ohne Unterbrechung auf Empfang.« »Danke, Perry! Ende.« – Kaum war Iks-Wol-Esaks Stimme verklungen, als Barnett schon die neuen Kommandos gab. Das E-Gehirn warf die Koordinaten für den gesuchten Kurs aus. Die CORA verließ ihre Satellitenbahn und steuerte mit eigener Kraft auf den fernen Asteroidenring zu, in dem irgendwo eine Pyramide mit hundertzweiunddreißig Kilometern Kantenlänge treiben mußte. Der nächste Informationsaustausch mit Iks-Wol-Esak war nur kurz. Barnett meldete, daß er die Pyramide noch nicht entdeckt habe. Er fragte auch, ob Iks nichts über Dr. Preem habe in Erfahrung bringen können. Der Proka verneinte und versicherte, daß es ihm, Iks, gutgehe. Kurz nach diesem Gespräch kam das linsenförmige Gebilde des zerstörten zwölften Planeten so klar in Sicht, daß der radioskopische Bildempfänger klare Details über die größeren Körper erkennen ließ. Die schwersten Brocken besaßen einen Durchmesser bis zu fünfhundert Kilometern. Doch das waren nur wenige. Barnett stoppte die Beschleunigung, schaltete die Schwerkraftgeneratoren ein und ließ die CORA im freien Fall auf das Ziel zutreiben. Er wollte die Pyramide herausfinden, solange er die Linse noch als Ganzes vor sich hatte. Sie entdeckten mehrere dreieckig geformte Körper gleichzeitig. Die elektronische Messung sortierte sofort diejenigen aus, die aufgrund ihrer Größe nicht in Frage kamen. Schließlich blieb nur noch einer übrig, der eine Kantenlänge von hundertundzweiunddreißig Kilometern aufwies. »Kein Zweifel! Das ist er!« stellte Captain Barnett fest. »Schon die fehlende Rotation beweist es ...« Freilich rotierte auch diese Pyramide, aber so gering, daß man es nur mit empfindlichen Meßgeräten feststellen konnte. Andere Trümmerstücke dagegen wirbelten geradeaus durch den Raum und waren schon wegen der dadurch entstehenden Fliehkraft nicht geeignet, als Stützpunkt zu dienen. Kurskorrektur! Neue Beschleunigung – dann Bremsmanöver zur Angleichung der Geschwindigkeit an die des Asteroiden. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der sechs Männer gehörte den Beobachtungsgeräten. Wenn die Tesdronen eine Wache postiert hatten, dann mußten sie sich bald bemerkbar machen. Oder lockten sie die CORA in eine Falle? Lisman sprach den Verdacht aus und erhöhte damit sogleich wieder die ohnehin vorhandene Unruhe. »Was ist deine Meinung?« fragte Barnett den Proka. »Nachdem wir mit zwei Torpedos drei tesdronische Raumschiffe zerstört haben, wird der Gegner kein Risiko eingehen. Er kennt auch die Überlegenheit seiner Feuerkraft und weiß, daß sie mit geringer werdender Entfernung immer mehr nachläßt. Ich möchte also sagen, er hätte bereits geschossen, wenn er wüßte, daß wir hier sind.« »Das ist ein Trost, den wir brauchen ...«
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* Die CORA näherte sich rasch der Pyramide. In einer Entfernung von hundert Kilometern ging die CORA auf gleichen Kurs wie der Asteroid. Lisman übernahm das Kommando. Barnett und Praxlomza bestiegen eines der beiden Beiboote und begaben sich damit in unmittelbare Nähe des Körpers. Sie umkreisten ihn dreimal und entdeckten dann plötzlich ein kreisrundes Gebilde, das sofort seine künstliche Herkunft verriet. »Eine Plexiglas-Kuppel. Das Ding scheint nicht größer als eine Sardinendose zu sein«, stellte Praxlomza fest. In gewissem Sinne hatte er recht. Barnett stellte sofort Messungen an. Die Kuppel hatte einen Durchmesser von zwölf Metern. Darin hatte unter Umständen eine ganze Raumschiffsbesatzung Platz. Sehr bald fanden sie jedoch heraus, daß sich nur ein Mann in der Kuppel befand. Und der wirkte durchaus menschlich. »Beim Weltall! Das ist einer von Dr. Preems Besatzung!« behauptete Prax. »Du vergißt, daß auch die Mistralesen Menschen sind. Und Iks sprach von einem Mistralesen.« Sie machten das Beiboot mit Magnettrossen fest. Barnett schloß den bereits vor dem Start angelegten Raumanzug und stieg aus. Mit Hilfe der Navigationspistole schoß er sich vollends an die Pyramide heran, die aufgrund ihrer geringen Masse praktisch keine wirksame Schwerkraft besaß. Der Mann in der Kuppel schwebte frei. Er trug keinen Raumanzug. Barnett sah, daß er mit den Armen winkte. Also hatte er ihn bereits als ein Wesen erkannt, das Hoffnung für ihn bedeutete. Doch damit begannen auch die Schwierigkeiten. Eine direkte Verständigungsmöglichkeit war nicht gegeben. Der Gefangene verfügte über kein Funkgerät. Die Kuppel war doppelwandig und isoliert und leitete auch keine Klopfzeichen. Als einzige Hoffnung blieb die Zeichensprache ohne vereinbarte Symbole. Der Fremde beschrieb einen Kreis um sich. Barnett ahnte, was er wollte. Er hangelte sich am Fuße der Kuppel herum und fand schließlich auch eine Schleuse, die sich mit einem Handrad öffnen ließ. »Ich hab's geschafft, Prax! In ein paar Minuten bin ich bei ihm. Mache einen weiteren Raumanzug klar und lasse ihn an einer Leine heraus! Ich hole ihn dann herüber!« Als Barnett sich abstieß und zu dem Beiboot herüberschwebte, wurden die Bewegungen des Fremden wild und verzweifelt. Doch darauf konnte der Captain jetzt keine Rücksicht nehmen. Noch ehe er das kleine Fahrzeug erreichte, ergab sich vielmehr eine neue Komplikation. »Hallo, Perry!« rief Praxlomza. »Von Forry kommt soeben die Meldung, daß sechs Kugelschiffe unseren Sektor anfliegen. Beeile dich! Wir können den Fremden später holen.« »Wie weit entfernt steht der Gegner?« »Bereits vor der achten Planetenbahn.« »Hm, dann wird es Zeit. Aber den Mann nehmen wir mit. Wo ist der Raumanzug? Bringe ihn sofort heraus!« Praxlomza schleuste den Schutzanzug heraus. Barnett faßte ihn und schoß sich nach der Kuppel zurück. »Gib mir sofort jede neue Lagemeldung von der CORA durch, Prax!« »Die Tesdronen nehmen einwandfrei Kurs auf uns. Sie werden in wenigen Minuten die uns bekannte Schußentfernung erreicht haben.« »Sage James, daß er neue Koordinaten für Hyperraumsprung vorbereiten soll! Ende!« Barnett öffnete die Schleuse und zwängte sich in den engen Isolierraum der Kuppel. Der Fremde wartete schon auf ihn, als er das Innenschott aufstieß. Die Art, wie er mit dem Raumanzug umging, verriet, daß er mit solchen Konstruktionen vertraut war. Er kannte sich sogar mit dem Helmradio aus und bedankte sich sofort in nicht ganz akzentfreiem Tellurisch.
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»Sie haben mich gerettet, Sir! Ich bin Ihr Diener ...« »Okay, Fremder! Kommen Sie jetzt. Wir haben keine Minute zu verlieren. Die Tesdronen sind bereits im Anflug.« Der Mann nickte und benutzte sogleich die Leine seines Anzuges, um sich an das Beiboot heranzuziehen. Praxlomza gab eine aufgeregte Meldung durch. »Ihr seid schon acht Minuten draußen, Perry! Beeilt euch! James hat die Koordinaten vorbereitet. Aber er dreht durch, wenn wir nicht sofort starten ...« Sie zwängten sich in die enge Kabine und lösten die Helmverschlüsse. Barnett startete. »Schleusen öffnen!« gab er an Lisman durch. Die hundert Kilometer bis zur CORA waren eine Sache von Minuten. Das Einflugmanöver nahm mehr Zeit in Anspruch als die ganze Strecke. Kaum stand das Boot im Hangar still, so stürzten sie hinaus, sprangen in den Lift und jagten zur Kommandozentrale herauf. Barnett streifte die Radarbildschirme mit einem kurzen Blick und wußte, daß es um Sekunden gehen konnte. Das E-Gehirn hatte bereits alle erforderlichen Daten ausgeworfen. Fünf Hebel drückte der Captain bis zum Anschlag durch, dann war die CORA vor den Augen der Tesdronen verschwunden und hinterließ einen Wirbel scheinbar sinnlos durcheinander tanzender Kleinplaneten. * Jenseits der äußeren Planetenbahn kehrten sie in den Normalflug zurück. Der Fremde hatte negroiden Einschlag. Die Vorfahren der Mistralesen stammten aus dem ehemaligen Afrika. Sie waren von großer Gestalt und überragten den Durchschnitt der tellurischen Rasse um nahezu einen Kopf. Barnett stellte seine Mannschaft vor. »Ich heiße Daxas, Captain. Ich war Kommandant einer mistralesischen Raumpatrouille. Sie haben mir das Leben gerettet ...« »Das war auch unsere Absicht«, lächelte Barnett. »Es war aber nicht beabsichtigt, daß wir Ihren einseitigen Dank entgegennehmen. Wir brauchen Ihre Hilfe ...« Perry Barnett berichtete ausführlich von der Preem-Expedition und von der Suchaktion der CORA. Er schilderte auch Iks-Wol-Esaks Erlebnisse und den Sieg über die TesdronenPatrouille. Daxas musterte Barnett lange und ungeniert. Dann reichte er ihm noch einmal die Hand. »Sie müssen mir das Danken gestatten, solange ich es für richtig halte, Sir! Die Ehre ist zu groß für mich ...« Barnett spürte, daß er seine Worte vorsichtig wählen mußte. Von einem überspitzten Ehrenkodex der Mistralesen hatte er zwar nichts gehört. Wie aber paßten die überschwenglichen Worte Daxas' dazu? »Welche Ehre sollte zu groß für Sie sein?« »Sie sind der Mann, der der Galaxis den Frieden gebracht hat. Ihr Name ist der berühmteste in der ganzen Milchstraße. Sie waren der ›Rebell des Weltraums‹, Captain ... Ich habe jetzt Hoffnung, daß Sie uns helfen werden ...« Daxas berichtete sehr ausführlich und ging präzise auf die Zwischenfragen Barnetts ein. Nach der Zeitrechnung der Terraner war es genau sechs Wochen her, daß die Tesdronen ohne jeden begründeten Anlaß in den Sektor sieben H-c einfielen. Sie waren mit vierunddreißig Schiffen gekommen und hatten das Mistralsystem ohne nennenswerte Gegenwehr besetzt. Der Präsident von Mistral hatte mit seinen engsten Mitarbeitern nach dem siebenten Planeten fliehen können, wo es weitläufige Naturhöhlen gab, die nach Daxas' Wissen bisher noch nicht vom Gegner entdeckt worden waren. Sonst aber gab es keinen
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Planeten und keinen Mond mehr, der nicht von den Tesdronen besetzt oder wenigstens kontrolliert wurde. Schon bald hatten sich ganz klar die Absichten der Invasoren abgezeichnet. Sie gingen kompromißlos auf eine totale Unterdrückung und Versklavung der Mistralesen hinaus. Sie hatten ebenso wie die Tellurier den wirtschaftlichen Wert und Reichtum Mistrals erkannt. Nur in der Art, sich diese nutzbar zu machen, hatten sie weniger humane Wege beschritten. Daxas war gegen Ende der so ungleichen Kampfhandlungen in Gefangenschaft geraten. Er hatte mit einem einzelnen Schiff fliehen wollen, kam aber nicht weit. Sein Fahrzeug wurde geentert, die fünfköpfige Besatzung vor seinen Augen getötet. Nur er war aus bestimmten Gründen geschont worden. »Kennen Sie diese Gründe?« wollte Barnett wissen. »Man hat mich intensiv ausgefragt. Nach allem, was interessieren konnte. Doch ich blieb standhaft.« »Sie haben also dem Gegner nichts von Bedeutung verraten?« fragte Barnett weiter. »Sie wissen, daß ich zeitweise zum Wachbataillon der Regierung abkommandiert war. Sie haben mich sogar geschult und sich auch sonst sehr viel Mühe gegeben. Doch verraten habe ich nichts ... bis auf Kleinigkeiten ohne Belang.« »In welcher Hinsicht hat man Sie geschult?« »Sie erteilten mir eine Art Hypnounterricht für ihre Sprache. Ich konnte mich schließlich recht gut mit ihnen verständigen.« »Hypnounterricht? – Nam, ich stelle mir vor, daß dazu recht fortschrittliche Geräte gehören.« Der Proka verneinte. »Sie brauchen überhaupt keine Geräte dazu. Es handelt sich vielmehr um eine natürliche Kraft dieser Rasse. Die Tatsache ist mir bekannt ...« Schließlich kam das Gespräch wieder auf Dr. Preem. Daxas hatte jedoch noch nie von ihm gehört. Es war ihm auch nicht bekannt, daß eine terranische Abordnung zum Zwecke von Handelsgesprächen erwartet worden war. »Eines steht fest, Sir. Dr. Preem hat Mistral fünf nie erreicht.« »Natürlich«, nickte Barnett. »Als er hierherkam, hatten die Tesdronen ja schon das ganze System unter Kontrolle. Wir müssen uns wohl damit abfinden, daß die SKY-MASTER unmittelbar nach ihrer Ankunft vernichtet wurde.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »In drei Minuten ist Sendezeit für Iks. Vielleicht kann er uns sagen, wie es weitergeht ...« Iks-Wol-Esak beglückwünschte Barnett zu seinem Meisterstück und hatte außerdem eine Nachricht, wie sie sich die CORA-Besatzung nicht besser wünschen konnte. »Das Flaggschiff, auf dem ich mich befinde, hat seinen Verband zur Durchführung eines Sonderauftrages verlassen. Ich habe mir inzwischen erlaubt, im Labor ein tückisches Zusatzmittel für die Hydroponik zu brauen ...« »Sag mal, Iks, wollten wir uns aus bestimmten Gründen nicht kürzer fassen? Manchmal habe ich den Eindruck, du fühlst dich in deiner jetzigen Lage ausgesprochen wohl.« »Das tue ich auch, Perry. Laß mich also ausreden. Das tückische Zusatzmittel hat nämlich schon zu wirken begonnen. Ich befinde mich zur Zeit in der Kommandozentrale des Tesdronenkreuzers zwischen lauter besinnungslosen Wurstwesen und habe meine Mühe mit der Navigation. Ich gebe jetzt Peilzeichen auf derselben Welle und hoffe, daß ihr in spätestens zwei Stunden bei mir aufkreuzt, um die Tesdronen vollends unschädlich zu machen. Ende.« Das Peilzeichen wurde klar empfangen. Der erbeutete Kugelraumer stand der CORA näher, als man es hätte vermuten können. Andererseits war sein Einsatzgebiet die äußere Sektion des Mistralsystems, das Lisman beim letzten Raumsprung als Ziel genommen hatte. Zufall war nur, daß auch die Richtung stimmte. Sehr schnell bekam Barnett das Kugelschiff auf den Bildschirm. Er gab Lichtzeichen, die
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Iks-Wol-Esak sofort beantwortete. »Er ist es!« rief Perkins begeistert. – Als sie längsseits gingen, empfahl der Proka jedem, der an Bord kam, einen Raumanzug anzulegen. »Die Luft ist immer noch stark verseucht. Ich wollte nicht eher regenerieren, als bis die Tesdronen sicher aufgehoben sind.« Barnett nahm Perkins und Praxlomza mit. Sie fanden Iks-Wol-Esak in einem Schutzanzug, der alles andere als bequem für ihn sein mußte, denn er stammte natürlich aus dem Arsenal der Tesdronen, die auf prokaskische Kugelformen nicht eingerichtet waren. Nach einer kurzen Begrüßung machten sich die drei Männer an die Arbeit und fesselten dreiunddreißig der sechsbeinigen Wesen. Sie besaßen einen länglichen Kopf mit zwei tiefliegenden Augen und einem spitzen, zahnbewehrten Mund. Gelbe Uniformen hüllten nur den Rumpf ein und ließen die sechs Beine und den Kopf frei. Es war eine mühselige und zeitraubende Arbeit, die Gefangenen auf die CORA hinüberzubringen. Doch Barnett wollte sie unter keinen Umständen auf dem erbeuteten Kugelschiff lassen. Im Laderaum wurden sie noch einmal an schwere Gewichte gebunden. Außerdem schaltete man den hier installierten Beobachtungsbildschirm ein, dessen Empfänger in der Zentrale lag. Auf diese Weise konnte auch eine Notbesatzung von vier Mann die Tesdronen immer im Auge behalten. Nam-Legak und Praxlomza stiegen in das erbeutete Kugelschiff über, um Iks-Wol-Esak so gut es ging zu assistieren. Kurz darauf schossen beide Schiffe in den Raum hinaus. * »Bremsbeschleunigung!« befahl Barnett. Die Sonne Mistral war nur noch ein irrlichternder Punkt im Meer der Sterne. »Entfernung: fünfhundert Astronomische Einheiten.« »Okay! Das genügt. Hier findet uns kein Tesdrone. Und wenn er Radaraugen hat.« Das dunkle Kugelschiff lag neben der CORA. Die Männer hatten beschlossen, es FREEDOM zu nennen. Iks-Wol-Esak kam an Bord der CORA. »Gott sei Dank! Die Luft drüben ist wieder in Ordnung.« Mit diesen Worten legte er ein halbes Dutzend Folien auf den Tisch. »Was ist das?« fragte Lisman. »Lagepläne! Ihr werdet unschwer die Darstellungen eines Sonnensystems erkennen. Dies hier ist die Gesamtübersicht. Ihr seht die farbigen Markierungen. Grün scheint zu bedeuten, daß es sich um Gefangenenlager handelt. Hier das Beispiel der Pyramide, wo ihr Daxas gefunden habt.« »Ist das eine Vermutung?« »Eine sehr begründete Vermutung, denke ich. Sehr her! Hier, hier und hier! Und hier noch einmal. Das sind vier verschiedene Stationen. Eine ist doppelt gekennzeichnet. Wir sollten uns darum kümmern.« »Es ist der fünfzehnte Planet«, sagte Barnett. »Wir nennen ihn Kerila. Nicht viel los dort«, erklärte Daxas. »Bis auf ein paar unterirdische Kasernen, in denen gut und gerne eine ganze Raumschiff-Flotte Platz findet.« »Hm, immerhin. Die Aspekte sind reizvoll. Wenn wir nur die Garantie hätten, daß wir auf keine nennenswerte Gegenwehr stoßen. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß wir unsere lahmen Torpedos gegen lichtschnelle Energiestrahlen einsetzen sollen.« »Wir haben die FREEDOM!« sagte Iks zuversichtlich. »Die besitzt alle Vorteile tesdronischer und prokaskischer Technik. Die Spezialgeräte sind Nam und mir durchaus vertraut. Bist du einverstanden, Perry, daß wir einen Sprung wagen?«
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»So oder so müssen wir etwas unternehmen. Ich wüßte nichts Besseres.« »Also gut! Wenn wir es wagen, dann muß es sofort sein. Schließlich hat die FREEDOM einen Auftrag zu erfüllen. Wenn sie das nicht pünktlich tut, wird man im Hauptquartier der Tesdronen Verdacht schöpfen. Bis dahin muß unser Unternehmen abgeschlossen sein.« Die CORA blieb zurück. Barnett und Daxas waren mit den beiden Prokas an Bord der FREEDOM gegangen und sofort zu einem Hyperraumsprung gestartet. Genau in Höhe der Kerila-Bahn kehrten sie ins vierdimensionale Kontinuum zurück. Der eisige Planet lag zwei Millionen Kilometer vor ihnen. Radar und Spionstrahl arbeiteten gleichzeitig. Das Ergebnis war ein klares optisches Bild auf der Mattscheibe. »Hat Kerila einen Mond?« fragte Barnett plötzlich. »Er hat nie einen besessen«, gab Daxas Auskunft. »Dann verraten Sie mir, was dieser Punkt zu bedeuten hat!« »Es ist der tesdronische Posten, denke ich«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Was machen wir mit ihm?« »Abschießen! Aber erst, wenn wir ganz nahe heran sind. Ich möchte zunächst die Gewißheit haben, daß nicht irgendwo noch Verstärkungen versteckt liegen.« In rasender Fahrt schoß die FREEDOM auf Kerila zu. Nam-Legak peilte sofort den verstärkten Funkverkehr an. »Sie rufen uns! Was machen wir?« »Nur keine Aufregung! Der Tageskode ist eingeschaltet. Wir können getrost Klartext sprechen. Wie ist es, Daxas? Trauen Sie sich das zu?« »Ich werde mich mit meinem Akzent verraten.« »Unsinn! Sprechen Sie gepreßt! Sagen Sie, daß Sie unter Atemnot leiden. Erzählen Sie den Burschen etwas von Saboteuren ...« Der plötzliche Einfall des Proka änderte den ganzen Plan. »Man muß aus der Not eine Tugend machen«, lachte er in einer schlechten Imitation menschlicher Gewohnheiten. Daxas vollendete das Meisterstück. Er unterhielt sich mit dem Kommandanten des tesdronischen Patrouillenschiffes, als sei er ein hoher Offizier der Wurstwesen. Er sprach krächzend und wie nach Luft ringend, einmal bittend und dann wieder befehlend. »Bringen Sie sofort ein Sonderkommando von mindestens vier Mann herüber. Vor allem Fachleute für Hydroponik. Wir ersticken hier in wenigen Minuten. Die Hälfte der Besatzung ist schon besinnungslos.« Daxas schaltete ab. »Wird es gelingen?« »Wir wollen es hoffen ...« Die FREEDOM stoppte. Das kleinere Kugelschiff kam längsseits. »Warten Sie! Wir öffnen«, sprach Daxas einen letzten Satz ins Mikrophon. Dann eilte er mit Barnett und Praxlomza zur Schleuse, wo sie mit schußbereiten Waffen auf die vier Tesdronen warteten. Als das Außenschott dicht war, gab es für den Gegner kein Entrinnen mehr. Mit vorgehaltenen Strahlern wurden sie gezwungen, ihre Raumanzüge abzulegen. Ihre zitternden Körper verrieten Erregung. »Wer ist Ihr Führer?« Der erste Tesdrone trat vor. »Ich, Premo.« Die anderen drei wurden gefesselt. Premo mußte mit auf die Brücke kommen, wo er über die Situation auf Kerila Auskunft geben mußte. Das Verhör gestaltete sich äußerst schwierig. Nicht nur wegen der notwendigen Verdolmetschung durch Daxas, sondern auch wegen der Widersetzlichkeit Premos.
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Barnett vermutete eine Verzögerungstaktik. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken. »Machen Sie diesem Manne klar, Daxas, daß er jeden Befehl sofort befolgen muß. Das geringste Zögern bedeutet Tod für einen seiner Leute. Wir sind im eigenen Interesse nicht in der Lage, den geringsten Kompromiß einzugehen.« Der Mistralese versuchte es erneut. Premo stieß ein paar unverständliche Worte hervor. Er ging ans Mikrophon und berichtete seinem Kommandanten eine fingierte Tatsache, wie sie Iks-Wol-Esaks Plan entsprach. »... wir haben hier für längere Zeit zu tun. Melden uns wieder, wenn die Luft regeneriert ist. Kapitän meldet unbekanntes feindliches Schiff in Torpedoform. Ich rate, Patrouillenflug weiter fortzusetzen ...« Es folgte eine kurze, heftige Antwort, die Nam-Legak zur späteren Überprüfung konservierte. »Okay! Hat Premo irgendein verdächtiges Wort gesagt?« »Nein, Sir!« Sie warteten auf das Manöver der kleinen Tesdronenkugel, die plötzlich mit erheblicher Beschleunigung davonschoß. Das Verhör ging weiter. Premo berichtete zögernd von unterirdischen Lagern auf Kerila. Nachdem Barnett ein zweites Mal gedroht hatte, einen Tesdronen zu töten, wurden die Auskünfte des Wesens wieder flüssiger. Schließlich sagte Daxas, in Schweiß gebadet: »Ich glaube, wir haben einen guten Fang gemacht. Der Mann spricht von einem Torpedoschiff im Innern von Kerila. Es kann sich also nur um ein tellurisches Fahrzeug handeln.« »Das ist die SKY-MASTER des Dr. Preem!« »Vielleicht«, bremste Barnett Praxlomzas Optimismus. »Wir werden sehen.« * Es war nicht notwendig, den Optimismus zu bremsen. Gigantische Höhlenöffnungen luden zu einem Labyrinth ein, das Schiffe bis zu einem Durchmesser von fünfzig Metern bequem aufnehmen konnte. In der dritten Kaverne lag ein Fahrzeug der SKY-MASTER-Klasse. Am Bug stand die Nummer 14 333. »Preems Schiff!« sagte Barnett. Preems Schiff und sonst nichts. Keine anderen Fahrzeuge, keine tesdronischen Posten. Sie drangen ein. Die 14 333 war leer. Hatte man die Besatzung getötet? Die Prokas hielten es für wahrscheinlich. Trotzdem gaben sie sich die Mühe, weiterzusuchen. Sie arbeiteten mit Funk und Echosignalen, erhielten aber keine Antwort. Für Premo begann damit das zweite peinliche Verhör. Er gab das letzte Geheimnis preis. Die gesamte Preem-Expedition lebte und wurde in einer weit entfernten Höhle gefangengehalten. Die Befreiung dauerte länger als eine Stunde, während der Barnett und seine Leute vor Angst schwitzten, denn jeden Augenblick konnte das tesdronische Patrouillenschiff zurückkehren. Daxas und Premo mußten schnellstens an Bord zurück, um gegebenenfalls Funkgespräche der Tesdronen zu beantworten. Dr. Preem und seine vierzehn Männer waren völlig kraftlos. Barnett hatte den Eindruck, daß sie kaum begriffen, was um sie herum vorging. Trotzdem verzichtete er nicht darauf, auch die SKY-MASTER, die noch völlig intakt war, mitzunehmen. Es mußte genügen, wenn jeweils zwei vollwertige Piloten die beiden Schiffe navigierten. Kurz vor dem Start tauchte das tesdronische Patrouillenschiff wieder auf. Die Menschen verzichteten auf eine Beantwortung seines Funkspruches. Sie verschwanden im Hyperraum, bevor der Gegner aus ihrem verdächtigen Benehmen die notwendigen Konsequenzen ziehen
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konnte. * Die CORA, die FREEDOM und die 14 333 lagen weit draußen im All. Nur ein blinder Zufall konnte zu ihrer Entdeckung führen. »Eine stattliche Flotte, Captain!« sagte Dr. Preem bewundernd. Er und seine Leute hatten drei Tage Zeit gehabt, sich von den Strapazen zu erholen. Doc Bannister hatte ihnen die beste Pflege zukommen lassen. »Jawohl, eine stattliche Flotte, Doc. Doch immer noch sehr klein gegenüber der feindlichen. Trotzdem ist unser Optimismus stark gestiegen. Wie fühlen Sie sich jetzt?« »Alles in Ordnung, Captain. Wir hatten jede Hoffnung aufgegeben.« »Genau wie wir. Aber Perkins behauptete immer, wo ich dabei bin, könne nichts schiefgehen. Ich hoffe, Sie teilen seinen Optimismus. Denn bevor Sie nun tatsächlich Ihre Wirtschaftsverhandlungen führen können, scheint mir, müssen wir noch erhebliche Schwierigkeiten aus dem Wege räumen.« Dr. Preem musterte Perry Barnett auffällig lange, ehe er antwortete. »Ich verstehe nicht ganz, Captain. Sie meinen offenbar militärische Schwierigkeiten.« Barnett spürte den ernstlichen Widerstand seines Partners. Er entschloß sich trotzdem zu einem freundlichen Gesicht bei seiner Antwort. »Hm, halten Sie die militärischen – oder sagen wir lieber strategischen – Schwierigkeiten nicht für gegeben?« »Durchaus, Captain. Ich möchte nur herausstellen, daß meine Expedition für militärische Unternehmungen weder ausgerüstet noch kompetent ist. Als wir Terra mit unserem Spezialauftrag verließen, geschah das unter völlig anderen Voraussetzungen, als wir diese hier in Sektor sieben H-c schließlich antrafen. Der in Aussicht genommene Handelspartner existiert ja praktisch nicht mehr. Ich sehe daher keine andere Möglichkeit, als unverzüglich die Rückreise anzutreten. Und ich möchte auch Ihnen den guten Rat geben, Sir, unverzüglich nach Terra zurückzufliegen ... Wie Sie mir sagten, war es lediglich Ihre Aufgabe, nach dem Verbleib meiner Expedition zu forschen. Sie haben Ihre Pflicht erfüllt ...« »Sie vergessen, daß die Weltgeschichte weitergeht, Doktor. Wir hatten drei Tage Zeit, reiflich über alles nachzudenken. Wir hatten sogar Zeit, Nachrichten mit unseren Auftraggebern auszutauschen. Marshall Skeen hat unter diesen Umständen den Befehl erteilt, daß wir das Mistralsystem nicht verlassen, sondern vielmehr jede geeignete Maßnahme ergreifen, die im Interesse der Sicherheit des galaktischen Friedens notwendig erscheint.« »Gilt das auch für mich, Sir?« »Allerdings, Doktor. Die Zentralregierung hat den Ausnahmezustand über den Sektor sieben H-c verhängt und mich zum Statthalter ernannt.« Preem wurde blaß. »Captain Barnett! Halten Sie sich für kompetent, Maßnahmen zu ergreifen, die den Frieden der ganzen Milchstraße betreffen?« »Er ist es, Doc!« schnarrte Perkins. »Captain Barnett ist seit drei Jahren für den von Ihnen erwähnten Zweck kompetent. Denn wenn er nicht gewesen wäre, steckten Sie noch mitten im Galaktischen Krieg.« »Schaffen Sie mir diesen Mann vom Hals, Captain«, verlangte Preem. »Tut mir leid, Doc. Perkins gehört zur Mannschaft. Er ist mein Freund und hat den Vorzug, sich auch in komplizierten Fällen klar auszudrücken.« »Dann darf ich wohl Ihr Schiff verlassen ...« »Ich kann Sie nicht daran hindern, mache Sie aber darauf aufmerksam, daß Sie sich während des Ausnahmezustandes zu meiner Verfügung zu halten haben.«
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»Wollen Sie mir Befehle erteilen, Captain?« »Nicht direkt, Doktor. Meinem militärischen Befehl untersteht Captain Maine, der Kommandant Ihres Schiffes. Es liegt mir fern, in Ihre wissenschaftlichen und politischen Kompetenzen einzugreifen ... Vielleicht sind Sie so freundlich und lassen den Captain wissen, daß ich ihn unverzüglich zu einer Lagebesprechung brauche.« * Captain Maine war ein korpulenter, jovialer Typ. »Hallo Barnett! Ich höre Schlimmes. Wissen Sie nicht, daß Preem eine Mimose ist? – Haben Sie endlich Nachricht von der Erde?« »Die Situation im Mistralsystem wird – wie zu erwarten war – auf Terra als äußerst unangenehm empfunden. Ich habe sofort Verstärkungen angefordert. Glauben Sie aber nicht, daß wir mit einer imponierenden Flotte rechnen dürfen. Wenn es hoch kommt, erhalten wir eine offiziöse Feuerwehr ...« »Was heißt hier offiziös? Haben die Burschen das Kämpfen verlernt?« »Der Fall liegt schwieriger, Maine. Sehen Sie, die Aggressoren sind Tesdronen. Die Tesdronen wiederum sind ein ehemaliges Hilfsvolk der Prokas. Als solche unterstehen sie auch der Gerichtsbarkeit der Prokas. Die Prokas haben im Namen der Tesdronen den Friedensvertrag unterzeichnet und sind daher auch allein für deren Handlungsweise verantwortlich. Wenn wir dagegen die Tesdronen angreifen, könnte das als tellurische Aggression auf einen prokaskischen Verbündeten ausgelegt werden.« »Daran glauben Sie doch selber nicht.« »Natürlich glaube ich daran, denn es ist so – diplomatisch gesehen.« Maine kratzte sich am Kopf. »Okay! Sie haben das Kommando, Barnett. Was werden wir jetzt machen?« »Abwarten und arbeiten. Die Zentralregierung wird inzwischen neue Verhandlungen mit den Prokas aufnehmen. Bevor nicht neue Befehle vorliegen, müssen wir uns jeder Angriffshandlung enthalten.« »Halten Sie die Befreiung der Mistralesen für einen Angriff?« »Es kommt darauf an, wie eine solche Handlungsweise von intergalaktischer Warte aus gesehen wird. Nicht, wie ich Sie sehe.« »Das wird böses Blut geben.« »Wieso?« »Denken Sie an Daxas! Sie haben ihm Hoffnungen gemacht. Er rechnet damit, daß wir sofort losschlagen und die Tesdronen aus dem Mistralsystem verjagen.« »Er wird vernünftig genug sein, die Schwierigkeiten zuzugeben. Ich bin an Befehle gebunden ...« Ein ähnliches Gespräch ergab sich wenig später zwischen Barnett und Daxas. Der Captain brachte die gleichen Argumente vor. Als der Mistralese ihn verließ, hatte er jedoch keineswegs die Gewißheit, auf Verständnis gestoßen zu sein. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Die Arbeit half ihm dabei. Iks-Wol-Esak hatte die stärkste Unruhe unter die Leute gebracht, als er sich eingehend in dem eroberten Tesdronen-Schiff umgesehen hatte. Man hatte sechs Beiboote entdeckt, die aufgrund ihrer Bewaffnung und ihrer Schnelligkeit gut als Raumjäger eingesetzt werden konnten. Die beiden Beiboote der CORA erhielten aus den Ersatzmagazinen der FREEDOM kleine Strahlkanonen eingebaut. Das alles verlangte jeden gesunden Arm. Auf diese Weise verging eine terranische Woche, in der es außer der tariflichen Freizeit keine ruhige Minute gab. Iks-Wol-Esak erklärte, noch etwa zwei Tage zu benötigen, um den Umbau der CORA-Beiboote zu beenden. Barnett dagegen betrachtete die Kurzausbildung
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seiner sechs Piloten, zu denen außer Praxlomza und Lisman vier Männer von Maines Besatzung gehörten, als abgeschlossen. Beim derartigen Stand der Dinge trafen zwei Nachrichten fast gleichzeitig ein. Leutnant Joswick von der 14 333 hatte einen ausgedehnten Patrouillenflug mit einem der tesdronischen Kugeljäger unternommen. Er war dabei bis weit über die sechzehnte Planetenbahn vorgestoßen und hatte eine feindliche Maschine entdeckt, die einen für die Terraner gefährlichen Kurs steuerte. »Sie wird uns entdecken«, meldete er über Funk. »Sie hat uns entdeckt«, war das Fazit nach seiner Landung. »Es besteht kein Zweifel, Sir! Sie drehte plötzlich ab und verschwand in Richtung Zentralgestirn.« »Ich glaube es Ihnen, Leutnant. Wir haben es selbst beobachtet«, sagte Barnett nachdenklich. Stunden später meldete Praxlomza den neuesten Funkspruch aus Skeens Hauptquartier. Es war eine lakonische Meldung darüber, daß eine tellurische Abordnung nach Poldini II, dem Regierungssitz der Prokas, gestartet sei, um die notwendigen Verhandlungen über den Zwischenfall im Sektor sieben H-c einzuleiten. Außerdem war von einer Patrouille die Rede, die in Stärke von drei kleinen Raumkreuzern nach Mistral unterwegs war. Am nächsten Morgen rückte der Gegner mit einer Flotte von neun Schiffen an. »Wir werden kämpfen«, entschied Barnett. Vielleicht hätte er die drei Schiffe durch einen Raumsprung retten können. Doch auf die Dauer war das keine Lösung. »Was ist mit den Beibooten, Iks?« fragte er. »Nicht einsatzbereit. Ich brauche mindestens noch einen Tag.« »Okay! Sie scheiden aus. Wir nehmen also die sechs Kugeljäger ...« Prax, Lisman, Joswick und drei weitere Piloten erhielten den Befehl, sofort zu starten. Weitere Anweisungen würden unterwegs erfolgen. Captain Maine flog die 14 333, sein erster Ingenieur Haberland kam als Kopilot für Barnett auf die CORA. Die beiden Prokas mußten die FREEDOM steuern. Das waren in jedem Falle reine Notbesatzungen. Doch bei der Knappheit an ausgebildeten Männern gab es keine andere Wahl. Wie Perlen an einer unsichtbaren Schnur zogen die kleinen gefährlichen Kugeln davon. »Wir müssen angreifen, bevor der Gegner ebenfalls auf die Idee kommt, die Jäger ausschwärmen zu lassen.« Barnetts Plan für einen feindlichen Angriff stand bereits seit Tagen fest. Die drei großen Schiffe trennten sich. Die 14 333 unter Captain Maine blieb etwas zurück. Während die sechs Jäger nach Steuerbord ausfielen, hielten sich die CORA und die FREEDOM gestaffelt nach Backbord. Auch sie flogen mit geringer Beschleunigung, um den Jägern einen bestimmten Vorsprung zu lassen. Dann meldete Leutnant Joswick über Superfunk, daß sich die Spitze des Verbandes bis in den Aktionsbereich der Strahlgeschütze vorgearbeitet hatte. Barnett gab Feuererlaubnis und unmittelbar danach für die drei Großraumschiffe das Kommando zur höchsten Beschleunigung. Voran schoß die FREEDOM, von Iks-Wol-Esak gelenkt. Ein aufblitzendes Feuerwerk verriet den Beginn der Schlacht. Nur noch mit Mühe waren die sechs Jäger auf dem Radarschirm wiederzufinden. »Treffer!« meldete Lisman. »Prax hat einen erwischt, Perry!« Kurz darauf folgte eine gleiche Meldung von Joswick. Er hatte das Flaggschiff erledigt. Zwei aufblitzende Energiewolken bestätigten die Richtigkeit der Durchsagen. Die sieben feindlichen Einheiten hatten mit verschiedenen Wendemanövern reagiert. Ihr Verband fiel auseinander. Aber nichts deutete darauf hin, daß sich daraus eine Flucht entwickeln würde. Sie blieben in Angriffsposition, und jetzt hieß es für die Menschen, sich
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auf jedes tesdronische Schiff einzeln zu konzentrieren. »Ihr bleibt auf dem rechten Flügel«, kam Barnetts Befehl an Lisman und die anderen Jäger. Dann waren auch für ihn die ersten beiden Gegner in Schußweite. Die beiden Prokas lagen mit der erbeuteten Kugel vorn. Iks-Wol-Esak vernichtete ein drittes Schiff, mußte aber sofort zum Ausweichmanöver übergehen, da er sonst dem folgenden Gegner ins Feuer gerannt wäre. Im Feuern kam Barnett der Gegner zuvor. Der Energiestrahl peitschte weniger als einen Kilometer entfernt an der CORA vorbei. Aber auch Barnetts Schüsse trafen nicht. Beide Schiffe hatten bereits zu einem Ausweichmanöver ansetzen müssen, so daß sie nicht gewissenhaft zielen konnten. Während die CORA ausscherte, kam die 14 333 unter Captain Maine heran. Auch Maine hatte keinen Erfolg, da er zu früh schoß. Erst später stellte sich heraus, daß er den aufs Korn genommenen Tesdronen doch wenigstens kampfunfähig gemacht hatte. Vom rechten Flügel kam eine weniger gute Nachricht. Der Jäger unter Sergeant Brown war im feindlichen Feuer vernichtet worden. Kurz darauf meldete Praxlomza, daß Leutnant Joswick gefallen sei. Doch Barnett konnte weder helfen, noch hatte er die Möglichkeit, zum Rückzug aufzurufen. Die beiden Verbände hatten sich inzwischen soweit einander genähert, daß die Anwendung der soliden tellurischen Raumtorpedos alle Vorteile in sich barg. Noch bevor Barnett zum neuen Anflug angesetzt hatte, machte er ein lohnendes Objekt aus. Es war ein Wettlauf mit der Zeit, ein Kampf um Minuten, denn es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch die Tesdronen auf die Idee kamen, ihre Jäger starten zu lassen. Das lohnende Objekt waren zwei feindliche Großraumkugeln, die höchstens drei Kilometer auseinander standen. Auf sie setzte er einen dreifachen Fächerschuß an, der erst später durch Fernlenkung in die richtige Bahn gebracht wurde. Die gleichzeitige Detonation der drei Kobaltbomben vernichtete beide Schiffe total. Zwischenbilanz: Zwei eigene Jäger waren verloren. Der Gegner verfügte noch über vier Schiffe. Dann kam das Duell zwischen Maine und einem Tesdronen. Es war der Anlaß für Captain Barnett, den Angriff abzubrechen. Denn obgleich Maine die Tesdronenkugel zu einem Trümmerhaufen schoß, wurde auch die 14 333 sehr stark beschädigt. Maine meldete drei Tote. Er mußte einen Teil des Schiffes durch Sektionsschotten schließen, da im Vorderschiff ein Leck gähnte. »Rückzug auf vereinbarte Position! Jäger gehen an Bord der FREEDOM!« Die Einheiten formierten sich. Sehr bald schienen die Tesdronen zu ahnen, was das zu bedeuten hatte. Sie faßten neuen Mut und drängten schneller nach, als es den Menschen lieb war. In diesem Augenblick geschah etwas, an das auf keiner Seite jemand gedacht hatte. Aus dem Hyperraum fielen drei tellurische Kreuzer der SKY-MASTER-Klasse. Sekunden später der Funkspruch: »Hier Colonel McPhee, Tellus! Ich suche Captain Perry Barnett, Kommandant der CORA!« Es folgte ein kurzes Verständigungsgespräch. Barnett erklärte die Lage, und Colonel McPhee griff sofort in die Schlacht ein. Er fiel mit seiner gesamten Mannschaft. Die beiden anderen Kreuzer aber brachten die endgültige Wendung. Sie vernichteten je ein tesdronisches Schiff. Die beiden letzten machten Anstalten zur Flucht, doch Barnetts sofortige Gegenreaktion bereitete auch ihnen ein Ende. *
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Die tellurische Streitmacht zog sich wieder weit in den Raum zurück. Barnett ging Dr. Preem so gut wie möglich aus dem Wege, denn die Beschädigung der 14 333 war kein angenehmes Gesprächsthema. Das Notwendigste besprach er mit Captain Maine. Captain Helmer, der Vertreter des gefallenen McPhee, machte einen Besuch bei Barnett und stellte sich unter dessen Kommando. Daxas war am häufigsten bei Barnett zu finden. Drei Tage später brachte Forry Bannister einen seltsamen Funkspruch ins Offizierskasino. »Er scheint mir nur halb verschlüsselt zu sein. Ich finde Anklänge an unsere Sprache. Und doch werde ich nicht schlau daraus.« »Zeigen Sie her!« sagte Daxas und konnte sofort eine Antwort geben. »Diese Nachricht stammt von unserem Präsidenten Broos. Sie ist lediglich mit einem Kurzkode verschlüsselt, der es jedem Offizier von uns sofort ermöglicht, den Text zu lesen.« »Dann lesen Sie!« verlangte Barnett. »Mit dem größten Vergnügen. Es handelt sich um den Sieg Mistrals über die Tesdronen. Der genaue Wortlaut: An alle freien Mistralesen. Ich, Broos, Präsident unseres Reiches, gebe bekannt, daß die tesdronischen Unterdrücker in der letzten Nacht alle Stützpunkte geräumt haben. Ich konnte mein Exil auf Planet sieben ungehindert verlassen und befinde mich auf der Fahrt nach Mistral fünf, um dort heute noch die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Ich begrüße unsere befreite Nation.« Als Daxas geendet hatte, entstand eine kurze Pause. »Höchst erfreulich«, kommentierte Lisman schließlich die Nachricht. »Ich würde nur vorsichtig mit der Definition ›Sieg‹ sein, Mr. Daxas. Sie hörten selbst, daß die Tesdronen heimlich und über Nacht verschwanden. Wenn sie das unter einem gewissen Druck taten, so dürfte es sich wohl mehr um den Sieg handeln, den wir vor drei Tagen hier über ihre Flotte errangen.« »Du bist ungerecht, James«, wies ihn Barnett zurecht. »Auch ich halte unseren Sieg für maßgebend für den tesdronischen Rückzug. Du solltest aber nicht vergessen, daß nur Mr. Daxas dafür sorgte, daß wir mit der FREEDOM die unbedingt notwendige Verstärkung erhielten. Mit deinen Gehässigkeiten bist du kein guter Bundesgenosse.« »Na schön, wenn du meinst. Ich bin vielleicht etwas angespannt und nervös. Nichts für ungut, Mr. Daxas.« »Schon in Ordnung«, lächelte dieser. »Sie sollten mich aber nicht Mister nennen. Diese Bezeichnung gibt es schon seit Jahrhunderten nicht mehr bei uns.« * Daxas nahm Verbindung mit der mistralesischen Regierung auf. Als Broos die genaueren Zusammenhänge erfuhr, lud er Barnett und seine Mannschaft sofort ein, nach dem fünften Planeten zu kommen und an den Feierlichkeiten für die Befreiung teilzunehmen. Sie warteten noch einen Tag, bis auch die 14 333 wieder voll manövrierfertig war, und starteten dann. Unterwegs entledigte man sich der tesdronischen Gefangenen, indem man sie in den Kavernen des Planeten Kerila unterbrachte. Sie wurden für mehrere Wochen mit Luft und Nahrung versorgt, so daß ihnen eine durchaus humane Behandlung widerfuhr. In Höhe des achten Planeten tauchten die ersten mistralesischen Schiffe auf, die Präsident Broos zum Empfang der Befreier ausgeschickt hatte. Es wurde ein wahrer Triumphzug für Captain Barnett und seine kleine Flotte. Denn inzwischen wußte man auf Mistral fünf selbst in der kleinsten Ansiedlung, daß die Menschen von Terra und zwei prokaskische Wissenschaftler den verhaßten Feind vertrieben hatten. Präsident Broos empfing die Männer auf dem sternförmigen grünen Platz vor seinem
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Regierungspalast. Die weite Fläche stand voller Menschen. Nachdem sich in stundenlangen Sympathiekundgebungen die erste Begeisterung etwas gelegt hatte und die Gespräche im Innern des Palastes weitergeführt werden konnten, machte Barnett den Präsidenten auf die besondere Rolle des Ökonomen Dr. Preem aufmerksam. Darauf nahm das Gespräch schnell wirtschaftliche Formen an, und man konnte bereits für die nächsten Tage feste Verabredungen treffen. Sechs Wochen unter tesdronischer Besatzung hatten genügt, um die Mistralesen zu einem wirtschaftlich hilfsbedürftigen Volk zu machen. Allerdings fiel bald ein Tropfen Wermut in den Becher der Freude. Von der Raumpatrouille kam die Meldung, daß in der Nähe von Planet neun ein tesdronisches Schiff gesichtet worden war. * Mistral hielt noch einmal den Atem an. Das tesdronische Schiff war kein verirrter Einzelgänger gewesen. Man vermutete noch zwanzig kriegstüchtige Einheiten im Sonnensystem. Diese kreuzten etwa in Höhe der sechzehnten Planetenbahn. Andere Meldungen ließen mit Sicherheit darauf schließen, daß die Tesdronen den äußeren Trabanten zu einem Stützpunkt ausbauten. Es fanden weitere Besprechungen mit Präsident Broos statt. Barnett wies auf die achtunddreißig Gefangenen hin, die man in den Höhlen von Kerila zurückgelassen hatte. »... ich könnte mir vorstellen, daß diese Leute äußerst wichtig für Sie sind, Herr Präsident. Und nachdem wir uns mehr auf die inneren Planeten zurückgezogen haben, sollte man einen Weg finden, die Gefangenen hierher zu holen. Ich wäre bereit, sie in Ihre Obhut zu geben.« Das Angebot war dem Präsidenten willkommen. Es schmeichelte auch seinem Ehrgefühl. »Ich bin selbstverständlich einverstanden, Captain Barnett, und stelle auch gern eines unserer Schiffe für den Transport zur Verfügung. Allerdings wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie uns einen angemessenen Geleitschutz mitgeben könnten.« »Wir stellen Ihnen zwei Jäger zur Verfügung, Herr Präsident.« Broos warf noch die Frage nach einem geeigneten Führer der Expedition auf. Doch auch darauf hatte Barnett eine Antwort. »Daxas ist der geeignete Mann. Er gehört Ihrem Stab an, ist ein guter Pilot und kennt außerdem die Verhältnisse auf Kerila besser als jeder andere Mistralese. Er war dabei, als wir die Gefangenen absetzten.« Die terranische Delegation unter Perry Barnett verließ einen zufriedenen Präsidenten. Die tellurischen Schiffe – einschließlich des erbeuteten Kugelkreuzers – lagen etwa fünfzig Kilometer weit draußen vor der Hauptstadt Leeruna. Broos hatte Barnett ein zehn Quadratkilometer großes Gebiet zur Verfügung gestellt, das als vorläufige tellurische Hoheitszone galt. Barnett lud Daxas noch zu einer kurzen Besprechung wegen des Gefangenentransportes ein und gab ihm Praxlomza und Sergeant Brown für den Jagdgeleit mit. Noch vor Einbruch der Dunkelheit starteten die drei Maschinen. Der Captain beobachtete sie lange auf dem Bildschirm. Dann überließ er Lisman die weitere Kontrolle und begab sich zu einer Verabredung mit Iks-Wol-Esak. »Komm her! Ich will dir etwas zeigen«, empfing ihn dieser. »Vor ein paar Tagen hast du in einer Laune gesagt, es müßte einen Funkkode geben, der sicher arbeitet und trotzdem sofort von dem bestimmten Empfänger verstanden wird, ohne daß eine umständliche Entschlüsselung notwendig wird.« »Der Zerhacker ...« »Du wolltest etwas Zuverlässigeres als den Zerhacker.«
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»Ach ja, ich entsinne mich.« »Dein System, eine Sendung mit laufendem Frequenzwechsel auszustrahlen, ist technisch durchaus durchführbar.« »Das habe ich nicht bezweifelt. Doch bei willkürlichen Intervallen, die keiner vorherigen Absprache unterliegen, kann man niemals den notwendigen Empfänger dafür bauen.« »Ich kann es«, sagte Iks-Wol-Esak mit der ihm angeborenen Zurückhaltung. »Der Empfänger ist das menschliche Gehirn ... oder auch das prokaskische.« Barnett ging einen Schritt zurück und suchte nach einem Stuhl. »Du gestattest, daß ich mich setze, ja?« »Bitte! Doch nun laß mich erklären. Man nimmt dieses Gerät. Verwechsle es nicht mit einem Stirnreif, der zum Schmuck dienen soll. Es ist noch etwas primitiv. Doch es funktioniert schon. Diese spitzen Kontakte drücken etwas. Man gewöhnt sich aber daran.« »Was ist das Ganze?« »Es ist das Hilfsgerät, das aus deinem Gehirn einen Funkempfänger macht. Es macht dich aufnahmebereit für alle Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums, die sonst nur dem Funk vorbehalten sind ...« Sie stellten mehrere Versuche an. Es dauerte die ganze Nacht. Perry Barnett war fasziniert, aber er war müde geworden und meinte: »Weißt du, ich denke, du wirst deine Versuche mit Perkins fortsetzen.« Damit verabschiedete er sich von dem Proka, um sich noch ein paar Stunden hinzulegen. * Premo hatte Geräusche gehört. Als dann das grelle Licht aufblitzte und ihn blendete, entschloß er sich, auf das Schlimmste gefaßt zu sein. Er schloß die Augen. Das Wesen hinter dem grellen Leuchten konnte er sowieso nicht erkennen. Die Stimme genügte ihm, und sie bedeutete keine Überraschung. Er, der Tesdrone, war der Gefangene. Daxas, der Mistralese, war der Kerkermeister. Wer anders als ein Todfeind konnte diesen Raum betreten? Das Licht wurde erträglicher, als Daxas die Lampe auf den Tisch stellte, sie ausschaltete und die Kabinenbeleuchtung aufflammen ließ. Daxas trug eine Waffe, doch nicht so, als ob er gleich damit schießen wollte. Die Ungewißheit würde weitergehen, wenn Premo sich nicht einer Frage unterwarf. Er mußte seinen Stolz überwinden und vergessen, daß er als Tesdrone einem Mistralesen überlegen war. »Sie haben vergessen, mich zu töten, Daxas.« »Keineswegs! Eine Hinrichtung ist immerhin wichtig genug, als daß sie durch Unachtsamkeit versäumt werden könnte. Wir sind vielmehr sehr genau in der Verwaltung. Auf diesem Schiff befinden sich nach wie vor siebenunddreißig Gefangene ... Sie wissen, einer mußte getötet werden, weil er sich widersetzte.« »Es waren neununddreißig.« »Der neununddreißigste sind Sie. Die anderen befinden sich geschlossen im Laderaum.« »Demnach haben Sie mir eine besondere Rolle zugedacht. Oder eine besondere Bestrafung. Reden Sie endlich, Daxas! Freiheit oder Tod – ich bin auf alles gefaßt. Nur halte ich es für unbillig, mir die Bestimmung über mein Schicksal zu verheimlichen.« »Es quält Sie, nicht wahr? Die Ungewißheit ist das Schlimmste, das man einem Lebewesen antun kann. Wir sollten uns demnach danach richten. Denn es geht um die härteste Bestrafung. Die Invasion Ihrer Rasse, die Vernichtung, die Sie über uns gebracht haben, sind das größte Unglück, das uns in unserer Geschichte widerfuhr. Der Sieger wird richten. Und der Sieger sind wir, die Mistralesen ... die rechtmäßigen Besitzer dieses Sonnensystems.« »Sieger?« Premo schoß dieses Wort wie einen Energiestrahl ab. Er schien sein persönliches
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Schicksal für einen Augenblick vergessen zu haben. »Wer sind die Sieger, Daxas? Die Mistralesen, die auf ihrem Schiff zufällig achtunddreißig Tesdronen gefangenhalten?« »Sieger ist, wer das Schlachtfeld als letzter verläßt. Unsere Planeten sind frei, Premo. Wir fliegen nach Leeruna, wo der Präsident das Fest des Sieges feiern wird. Sie haben in der Gefangenschaft manches versäumt. Überrascht es Sie, daß die Reste der tesdronischen Streitmacht geflohen sind?« Der Tesdrone zögerte mit der Antwort. »Ich gebe zu«, sagte er dann, »daß mir für die letzten Ereignisse die Informationen fehlen. Ich gebe auch zu, daß unsere Schiffe dann und wann einen Rückzug antreten, wenn es die Lage als geraten erscheinen läßt. Aber ein mistralesischer Sieg? Daß ich nicht lache!« »Sie leben in einem verderblichen Wahn, Premo. Es war der Fehler der Tesdronen, daß sie sich für unüberwindlich hielten. Aber sie hatten vergessen, daß die Menschheit größer ist als das System. Sie vergaßen die Macht von Tellus.« Premo unterbrach ihn zähneknirschend. »Der Begriff ›Tellus‹ ist heute identisch mit ›Degeneration‹. Genau wie bei den Prokas. Die Rassen haben Frieden geschlossen, weil sie beide am Ende sind. Wir Tesdronen werden alles vernichten, was sich uns in den Weg stellt. Von Tesdron kommt der junge Geist der Stärke, der allein imstande ist, eine Galaxis zu regieren.« »Schweigen Sie, Premo! Es geht hier nicht um Ihre verkrampfte und primitive Staatsphilosophie, sondern um Ihren Hals! Wären Sie an einem Vorschlag interessiert, der Ihren Hals retten könnte?« Premo sagte nichts. »Hier mein Vorschlag«, fuhr der Mistralese fort. »Sobald wir in Leeruna gelandet sind, werden siebenunddreißig Gefangene und die Besatzung das Schiff verlassen. Sie dagegen sollen sich ruhig verhalten. Ich gebe Ihnen für drei Tage Verpflegung. Mein Schiff ist im Zentralhangar der Hauptstadt abgestellt. Solange Sie sich nicht mutwillig bemerkbar machen, wird Sie hier niemand finden, so daß also Ihre Sicherheit garantiert ist. Nach drei Tagen hole ich Sie ab. Bis dahin wird die Aufmerksamkeit der Leute nachgelassen haben, und ich werde Sie ungesehen in mein Haus bringen können.« »Das klingt nach einer Verschwörung. Soll ich Ihnen glauben, daß ausgerechnet ein Tesdrone und ein Mistralese für ein solches Komplott geeignet sind?« »Ihr Glaube ist Nebensache. Sie sind Gefangener und haben nicht die geringsten Rechte zu beanspruchen. Es bleibt Ihnen nur die eine Vergünstigung, daß ich Sie zwischen zwei Wegen wählen lasse. Die erste Möglichkeit wäre mein Angebot. Der andere Weg wäre, Sie schließen sich Ihren siebenunddreißig Mitgefangenen an. Ich könnte es noch einrichten. Sie würden dann sofort nach Landung das Schiff verlassen und in das vorbereitete Lager gebracht werden. Für morgen hat der Präsident eine Siegesfeier angesetzt, bei der sämtliche Gefangenen mitgeführt werden ...« Premo schwieg lang. Dann sagte er: »Ich bleibe im Schiff. Geben Sie mir Verpflegung für drei Tage.« * Perry Barnett warf noch einen Blick in den Spiegel, um den Sitz seines Anzuges zu überprüfen. Zufrieden wandte er sich nach der Tür um, als diese plötzlich dicht vor ihm und unangemeldet aufgerissen wurde. Im Rahmen stand James Lisman und stutzte. Sein jagender Atem verriet, daß er sehr in Eile war. »Ich habe eine Verabredung mit Präsident Broos«, wehrte Barnett von vornherein ab. »Morgen findet die offizielle Siegesfeier der Mistralesen statt. Da gibt es noch ein paar
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wichtige Punkte zu besprechen ...« »Seit wann interessierst du dich für die Triumphzüge der Mistralesen? Der Feind hat das Sonnensystem noch nicht geräumt. Ich halte daher jede Art von Siegesfeiern für verfrüht.« »Die Feste auf Mistral bestimmst nun einmal nicht du, James. Außerdem gehe ich nicht gerade zum Feiern hin. Wichtiger sind mir die Beziehungen zu unseren Gastgebern. Es deuten sich bereits Kompetenzstreitigkeiten an. Und ich möchte nicht, daß aus lächerlichen Prestigefragen Probleme gemacht werden, die irgendwie unsere Einheit stören. Einigkeit brauchen wir aber, solange Tesdronen im Mistralsystem sind und solange unsere Regierung an Wirtschaftsverträgen mit Mistral interessiert ist.« »Das hört sich sehr vernünftig an. Aber Verträge sind zweiseitig. Auch du mußt dem Präsidenten etwas bieten. Und wenn du in dieser Stunde zu ihm gehst, wirst du ein Mann ohne Vertrauen sein ...« Barnett hob kurz die Augenbrauen. Dann aber nahm er Lisman die Klinke aus der Hand uns schloß die Tür. »Nimm Platz und rede«, sagte Captain Barnett. Lisman mißachtete die Aufforderung. »Wir haben kaum Zeit, es uns gemütlich zu machen. Du mußt etwas gegen Dr. Preem unternehmen ...« »Ich werde mich hüten! Der Mann ist empfindlich wie eine Mimose. Ich möchte so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben und betrachte ihn vorläufig als nicht vorhanden.« »Wenn du das tust, wirst du eine schlimme Enttäuschung erleben. Er ist nun einmal vorhanden. Und zwar mehr, als dir lieb sein dürfte.« »Moment! Jetzt sei bitte so freundlich und drücke dich konkret aus!« »Aber gern. Dr. Preem spielt verrückt. Da seine wirtschaftliche Aufgabe augenblicklich wohl kaum aktuell ist, mischt er sich in Dinge, die ihn nichts angehen.« »Inwiefern?« »Er übt sich als Pilot – ohne Lehrer, ohne Instrukteur.« »Wo?« »Auf der 14 333. Wir hatten es erst als eine Spielerei betrachtet. Aber dann schien es sogar Captain Maine zuviel zu werden. Er wies ihn zurecht ...« »Warum wird mir das erst jetzt gemeldet?« »Hm, Maine betrachtet sich als Kommandanten der 14 333 und denkt wohl, sich allein gegen Preem durchsetzen zu können. Außerdem wäre es eine Unkameradschaftlichkeit von ihm, die Sache gleich bei dir zu melden. Aber ich habe das Gefühl, Maine kommt mit Preem nicht klar.« »Okay! Dann werden wir mal nachsehen!« Sie gingen auf die 14 333 hinüber. Auf der Kommandobrücke waren außer Maine und Dr. Preem Professor Harnisch, Dr. Fermi und Dipl.-Ing. Haberland anwesend. Alles Leute aus Maines Besatzung beziehungsweise aus Dr. Preems Wirtschaftsabordnung. »Was geht hier vor?« »Man tritt unsere primitivsten Rechte mit Füßen!« schimpfte Preem. »Schon gut«, wehrte Barnett ab. »Ich möchte zunächst den Kommandanten dieses Schiffes hören.« »Dr. Preem, Sir, hat sich an den Pilotarmaturen zu schaffen gemacht. Es hat den Eindruck, als wolle er die Maschine bei passender Gelegenheit starten und zur Erde zurückfliegen. Ich mache jedoch darauf aufmerksam, daß Dr. Preem nicht im geringsten dazu geeignet ist, ein Raumschiff zu navigieren.« »Stimmt dieser Vorwurf, Doktor?« »Er stimmt insofern, als ich Wert darauf lege, nach Terra zurückzufliegen. Mein Verlangen dürfte Ihnen nicht neu sein, meine Herren.«
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»Ihr Verlangen steht hier nicht zur Debatte, Doktor! Ihnen sind die Befehle von Terra bekannt. Wer sich nicht danach richtet, hat mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen. Auch Sie, Doktor Preem! Wie kamen Sie eigentlich auf die seltsame Idee, sich an den Pilotarmaturen der 14 333 zu versuchen? Glauben Sie, ein Raumschiff sei ähnlich zu steuern wie ein Kraftwagen mit Automatik? Oder haben Sie uns bisher verheimlicht, daß Sie einen Astrogatorenschein besitzen?« »Ich besitze keinen.« »Dann möchte ich wissen, wer Sie in die Grundbegriffe eingeweiht hat.« »Niemand.« Barnett sah sich im Kreise um. »Nun, meine Herren! Hat von Ihnen vielleicht jemand ein schlechtes Gewissen?« Keiner meldete sich. »Also war es jemand anders«, behauptete Barnett, wieder an Preem gewandt. Der zuckte mit der Schulter. »Von einem Unterricht kann keine Rede sein, Captain. Ich habe mich lediglich ausführlich mit Daxas unterhalten, der mir einige Tips geben konnte ...« * Der kleine schnelle Mistralesenkreuzer unter dem Kommando von Daxas setzte über Leeruna zur Landung an. Auf dem weiten Flugfeld waren Tausende von Mistralesen versammelt, um das Schiff zu begrüßen. Die meisten Neugierigen fühlten sich betrogen. Militär hatte eine weite Sperrkette um das Schiff gelegt, so daß niemand nahe genug herankam. Außerdem stand ein Transportfahrzeug in der Nähe, in das die gefangenen Tesdronen einsteigen sollten. Am Ausstieg standen mehrere Beamte. Die meisten von ihnen trugen Schußwaffen im Anschlag, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Zwei weitere verglichen eine Liste, in der die protokollierten Merkmale der Gefangenen eingetragen waren. »Siebenunddreißig!« wurde schließlich gemeldet. »Neununddreißig minus zwei gestorbene sind siebenunddreißig«, bestätigte Daxas nickend und unterschrieb einen ihm gereichten Vordruck in mehrfacher Ausfertigung. Eine Kopie davon erhielt er als Quittung. Siebenunddreißig war eine Zahl, die ihn in Sicherheit wiegte. Niemand fragte nach dem achtunddreißigsten, der an Bord des Kreuzers zurückgeblieben war und sich für weitere drei Tage bei ausreichender Verpflegung in der absoluten Dunkelheit seiner Zelle aufhalten würde. Niemand würde nach Premo suchen. Denn wer nicht in den Akten stand, existierte auch nicht. * Trotz der Verspätung, die durch die unvorhergesehene Auseinandersetzung mit Dr. Preem eingetreten war, hatte die Besprechung mit dem Präsidenten doch noch stattfinden können. Barnett hatte Preem einfach stehenlassen. Er nahm nur Bannister und Iks-Wol-Esak mit. Zudem würden heute rein wirtschaftliche Fragen auch kaum interessieren. Beide Seiten hatten aktuellere Sorgen. Man verschob in gegenseitigem Einvernehmen die Handelsbesprechungen auf einen Zeitpunkt nach der Siegesfeier. Der Präsident, der mit Barnett, Bannister und Iks-Wol-Esak allein verhandelte, wurde immer wieder durch Anrufe und Meldungen seiner Sekretäre gestört. Die Nervosität über der Stadt
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und dem Palast drang bis in das Arbeitszimmer des Regenten, so daß man sich schnell einigte. »Ich hoffe, Captain Barnett, Sie haben Verständnis für meine heutige Eile. Das Fest morgen nimmt doch alle sehr in Anspruch, und es ist nun einmal Sache eines Präsidenten, dem Volke zu geben, was des Volkes ist.« »Sie bedürfen durchaus keiner Rechtfertigung, Broos. Vielmehr habe ich zu danken, daß Sie mich trotz meiner Verspätung noch empfangen haben.« Barnett erhob sich. »Noch eins, Captain Barnett. Es würde mir und meinem Volke zur Ehre gereichen, wenn Sie an den offiziellen Feierlichkeiten morgen teilnähmen. Ich habe mir erlaubt, Ihnen und Ihren Mitarbeitern zwanzig Plätze auf der Tribüne des Hohen Rates zu reservieren. Die Parade beginnt morgen um zehn Uhr. Es genügt, wenn Sie eine halbe Stunde vorher eintreffen.« »Ich danke Ihnen, Präsident. Und wir wissen die Ehre zu schätzen. Wir werden zur angegebenen Zeit hier sein.« »Sie sind sehr gütig, Captain, und ich verspreche Ihnen ein eindrucksvolles Erlebnis. Meine Leute haben als Glanzstück der Parade siebenunddreißig tesdronische Gefangene aufgeboten, die aus dem Lager stammen, das Sie meinen Truppen auf Kerila übergaben ...« »Was geschieht mit den Gefangenen nach der Parade?« fragte Barnett kurz. »Sie werden unmittelbar danach mit einem Wagen an einen Ort gefahren, den sie nicht mehr lebend verlassen werden.« Nach einer Pause erklärte Barnett: »Sie werden mit Rücksicht auf Ihre Gäste darauf verzichten, die Gefangenen zu töten, Broos. Das ist die Bitte Ihres Verbündeten.« »Das ist unmöglich, Captain! Sie wissen nicht, was Sie verlangen. Ich habe ein Volk zu regieren, dem gewisse Rechte zustehen, die seit Jahrtausenden existieren. Ich kann ihm nicht zumuten, daß es seine Gefangenen geschont sieht.« »Niemand wird sie sehen. Ich nehme an, daß sie an einen völlig abgeschlossenen Ort gebracht werden.« »Der Kontrollbeamte wird sie sehen.« »Diesmal nicht. Finden Sie einen Vorwand! Erteilen Sie ihm entsprechende Befehle! Es ist mir gleich, wie Sie es machen, Broos. Aber sagen Sie mir bis morgen um neun, wo ich nach der Parade die Gefangenen abholen kann.« »Sie pochen auf meine Macht, Captain. Doch einen uralten Brauch zu brechen, bedeutet Unheil.« »Zwanzig Plätze auf der Ehrentribüne werden frei sein, Broos, wenn Sie unserem Wunsche zuwiderhandeln. Auch wir haben unsere Gesetze. Tellus steht in Verhandlungen mit Proka. Wir können es uns nicht leisten, wehrlose Tesdronen töten zu lassen, die nach dem Gesetz einer uns befreundeten Rasse unterstehen ...« Endlich gab Broos nach. »Ihre Hartnäckigkeit beweist mir, wie entscheidend dieser Punkt für Sie ist. Ich werde entsprechende Befehle geben.« »Okay! Vergessen Sie nicht ... morgen um neun erwarte ich Ihre Nachricht über einen geeigneten Treffpunkt, wo wir siebenunddreißig gefangene Tesdronen übernehmen können.« »Ich werde Sie benachrichtigen, Captain. Sie können sich auf mich verlassen.« * Daxas war pünktlich. Niemand wunderte sich darüber, daß der mistralesische Offizier im Stützpunkt von Tellus ein- und ausgehen durfte. Es war von Anfang an sein Privileg gewesen. Und die Männer um Perry Barnett erklärten es sich damit, daß dieser einen Narren an Daxas gefressen hatte. Barnett bat seinen Gast in sein Privatlabor, das unmittelbar hinter seinem Arbeitsraum lag. Während er an einem kaum fingergroßen Miniatursender hantierte, sprach er von alltäglichen
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Dingen. »So, Daxas, jetzt ist es fertig. Sie sind mir nicht böse, wenn ich die heutige Audienz etwas kurz halte. Mein Besuch beim Präsidenten hat leider etwas länger gedauert, als es geplant war.« »Es macht nichts, Sir. Sie hatten mir den Sender versprochen, und ich denke, das ist er. Man kann ihn bequem im Ärmel oder unter dem Gürtel tragen.« »Ich hoffe, Sie kommen damit klar. Die mistralesische Technik bietet Ihnen freilich weitaus kleinere Geräte. Doch darauf kommt es in diesem Falle nicht so sehr an. – Achten Sie auf den Frequenzgleiter hier. Er läuft automatisch in zehn Geschwindigkeitsstufen, die Sie selbst einstellen können.« »Ich verstehe. Die Wellenlänge meines Senders ändert sich also laufend. Ich brauche keinerlei Verschlüsselung der Nachricht vorzunehmen und kann alles im Klartext sprechen.« »Die Verschlüsselung ist durch den Frequenzwechsel gegeben. Sie werden mir glauben, daß es keinen Empfänger gibt, der auf irgendeine Weise dieses Spiel verfolgen kann. Wenn Sie also innerhalb des Mistralsystems – ganz gleich, auf welchem Planeten – eine Botschaft für mich haben, bedienen Sie sich bedenkenlos dieses Apparates.« Daxas sah das Gerät bewundernd und skeptisch zugleich an. Er wog es in der Hand, drehte es nach allen Seiten und steckte es schließlich in die Tasche. »Sie sagten, es gäbe keinen Empfänger dafür. Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Welchen Sinn hat dann aber meine Sendung?« Barnett gönnte seinem Gast ein merkwürdiges Lächeln. »Natürlich gibt es auch einen Empfänger dafür. Einen einzigen. Und den besitze ich.« Barnetts Blick auf die Uhr war das Zeichen dafür, daß er die Audienz für beendet hielt. »Ich danke Ihnen, Captain. Sie haben mir ein Geschenk gemacht, das ich zu würdigen wissen werde.« »Aber das ist doch eine Selbstverständlichkeit! Unter Waffenbrüdern wie wir ... Wir werden uns wiedersehen, Daxas. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Zeit bis dahin.« Daxas ging. Verborgene Augen der Schiffswache verfolgten ihn, bis er die CORA verlassen hatte. Augen von Posten und Wachrobotern. Und die Augen von James Lisman. Die letzteren zogen sich zu zwei engen Schlitzen zusammen und drückten Unbehagen aus. Lisman nahm sich vor, mit Barnett zu sprechen. Das gelang ihm während des gemeinsamen Abendessens. Er kam wie zufällig auf das Thema. »Daxas solltest du häufiger telepathisch überprüfen lassen. Wofür sind die Prokas unsere Freunde?« »Das klingt, als mißtraust du ihm. Er ist ein guter Mann, wie er oft genug bewiesen hat.« »Ein guter Mistralese, wenn ich dein Prädikat auf ein gesundes Maß einschränken darf. Wir aber brauchen einen guten Galakter! Was macht er täglich auf unserem Schiff? Er geht hier ein und aus, als sei er bei uns zu Hause. Ich kann mir nicht denken, daß du das aus lauter Sentimentalität zuläßt.« »Er ist nicht gerade ein kleiner Mann und hat Beziehungen zum Hofe des Präsidenten. Beziehungen soll man nie vernachlässigen.« »Man sollte aber auch ihre Qualität prüfen, bevor man sich auf sie verläßt.« »Du bist sehr hartnäckig heute, James. Kannst du mir triftige Gründe nennen? Was hast du gegen ihn?« »Nichts Konkretes«, schnaufte Lisman böse. »Immerhin hat er versucht, Dr. Preem die Bedienung eines Raumschiffes zu erklären.« »Muß er Preems Hintergedanken dabei gekannt haben? Du siehst Gespenster, mein Guter. Du verläßt dich wieder einmal allein auf dein Gefühl.« »Ich erinnere dich daran, daß mein Gefühl dir schon manchen Tip gegeben hat.«
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Sie aßen schweigend weiter. Ohne handfeste Argumente und Beweise konnte man Perry Barnett schlecht überzeugen, und deshalb verschonte ihn Lisman vorläufig mit seinen Ahnungen. »Wir haben weit Aktuelleres zu besprechen«, fuhr Barnett schließlich fort. »Komme nach dem Essen noch kurz zu mir, damit ich dir erkläre, was für die Siegesfeier zu beachten ist.« * Ein neuer Tag war für Leeruna angebrochen. Kurz vor neun kam der Anruf aus dem Palast des Präsidenten. Einer der vielen Staatssekretäre gab den Plan bekannt, wie man sich die unauffällige Übergabe der siebenunddreißig Gefangenen dachte. »Zur Beruhigung der Massen ist es wichtig, Sir, den Transport bis zum Krematorium gelangen zu lassen. Die Mistralesen dürfen keinen Verdacht schöpfen, da sie wohl kaum das nötige Verständnis für unsere Abmachungen aufbringen werden. Wir werden die Nacht dazu benutzen, die Übergabe der Tesdronen vorzunehmen.« Barnett nickte zufrieden. »Richten Sie bitte dem Präsidenten aus, daß wir die Ehre seiner Einladung zu schätzen wissen und in einer halben Stunde auf dem grünen Platz eintreffen werden.« »Danke, Sir! Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.« Barnett hatte neunzehn Leute für die Delegation ausgesucht. Auch Dr. Preem gehörte dazu. Der Präsident hielt eine Rede an sein Volk. Er lobte die Tapferkeit der Mistralesen, würdigte ihre Opfer, ihre Geduld zum Ausharren und ihre Zähigkeit und Entschlossenheit beim Gegenschlag. Er vergaß nicht, die Gäste des tellurischen Reiches mit Dank zu überschütten und ihre Hilfe im Kampf gegen die Invasoren ins rechte Licht zu rücken. Und schließlich der Triumphzug! Abordnungen aller Waffengattungen zogen mit ihrem Gerät an der Tribüne des Präsidenten Broos vorbei. Über den Himmel donnerten Staffeln flinker Raumjäger und schneller Kreuzer. Dann eine Weile beeindruckten Schweigens, dem kurz darauf ein um so stärkeres Geschrei folgte. Der Wagen mit den gefangenen Tesdronen glitt vorbei. Offene Gitter gestatteten den Blick ins Innere. Die aufrechte Haltung des Vorderkörpers täuschte nicht darüber hinweg, daß die Gefangenen einer absolut nichtmenschlichen Rasse angehörten. Der Wagen befand sich genau vor der Tribüne des Präsidenten, als die Bombe fiel. Kaum jemand hatte gesehen, woher sie geflogen kam. Ein kleiner, huschender Schatten, dann die Detonation genau auf dem Wagen der Gefangenen. Sekundenlang herrschte Todesstille. Dann eine erste Bewegung. Vom Straßenrand stürzte ein Mistralese vor die Tribüne und hob drohend die Hand gegen die Männer auf. »Dort sitzen die Verräter unseres Sieges!« Niemand konnte genau sagen, ob der Mann auf Mistralesen oder auf die terranischen Gäste zeigte. »Die Tesdronen sollen geschont werden! Wir haben den Beweis dafür, daß den Terranern das Leben der Gefangenen geschenkt werden soll! Doch die Sechsbeiner gehören uns! Uns ganz allein auf Mistral!« Die Bombe hatte genau den Wagen getroffen. Der aufgewirbelte Staub war noch nicht verflogen, als die Aufmerksamkeit der Mistralesen wieder den Tesdronen galt. Viele von ihnen waren tot. Die meisten von ihnen waren mehr oder weniger verletzt worden, und nur wenige konnten ganz schadlos davongekommen sein.
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Da fuhr der schreiende Demagoge fort: »Bürger von Leeruna! Tötet sie! Tötet sie, wenn sie nicht eines Tages wieder eure Frauen und Kinder töten sollen ...« Und der Mann zeigte ein Beispiel. Plötzlich hatte er eine Strahlwaffe in der Hand und schoß wild in das von der Bombe verursachte Chaos. Zwei, drei andere Schützen beteiligten sich spontan an der Schießerei. Die Revolte wirkte zu improvisiert, als daß ihr der Erfolg eines gut vorbereiteten Planes beschieden sein konnte. Als die noch lebenden Tesdronen ihre hoffnungslose Lage erkannten, stand für sie fest, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten. Sie waren waffenlos und besaßen nur die Kraft ihrer Körper und die Verzweiflung der todgeweihten Kreatur. Und so sprangen sie vor und stürzten sich auf die Phalanx der gedrängten mistralesischen Zuschauer. Das Chaos war vollendet. Während die ersten Würdenträger auf der nicht unmittelbar bedrohten Tribüne nach hinten drängten, um die schützende Mauer des Grünen Palastes zu erreichen, warf Barnett einen kurzen forschenden Blick auf Broos. Dieser stand wie angewurzelt und rührte sich nicht von der Stelle. Den Fliehenden war er dadurch Vorbild, doch das allein reichte nicht aus, um die Situation zu retten. Wo blieb die geringste Spur seiner Macht? Nur einer wußte es genau. Und der sagte es: »Broos ist hilflos wie alle anderen, Perry. Er hat Angst, auch wenn er sie nicht zeigt.« Es war Iks-Wol-Esak, der Telepath. Die endgültige Hilfe kam von anderer Seite, ohne daß es äußerlich erkennbar wurde. Sie kam von den beiden Prokas, die ihre Telepathie-Relais mitgebracht hatten. Normalerweise dienen diese Geräte dazu, die rein gedankliche Unterhaltung mit den Menschen zu ermöglichen, die von Natur aus keine Telepathen sind. Schon vor Jahren hatte Iks-Wol-Esak dieses Gerät weiterentwickelt, so daß es auch als Hypnosestrahler angewendet werden konnte. In der Deckung der Tribüne taten die beiden Geräte ihre Wirkung. Der Lärm ließ plötzlich nach. Die hektische Bewegung erstarrte. Einer nach dem anderen ließ von seinem Gegner ab, richtete sich auf und wandte sein Gesicht gehorsam der Tribüne zu. Was mochte in Broos vorgehen? Das Wundern und Staunen hatte den Vorrang, wie die telepathischen Prokas erkannten. Der Präsident suchte nach einer Erklärung für das Phänomen. Doch alle anderen Mistralesen waren sich darüber einig, daß allein die Persönlichkeit des Herrschers das Wunder vollbracht hatte. Und der Präsident war intelligent genug, den augenblicklichen Vorteil zu erkennen. Sein Gesicht ließ die Frage nach dem Wieso fallen. In wenigen Augenblicken konnte die Gelegenheit verpaßt sein. »Männer und Frauen von Mistral! Formiert euch! Geht an eure Plätze zurück und zeigt Disziplin! Dieser Zwischenfall war eine Prüfung für uns alle. Einige mußten mit ihrem Tod dafür bezahlen. – Meros!« Dieser Ruf galt einem nahe stehenden Offizier, der sofort vortrat und sich vor Broos verbeugte. »Ihre Befehle, Präsident!« »Sorgen Sie dafür, daß alle Verwundeten sofort in das staatliche Hospital gebracht werden. Machen Sie keinen Unterschied zwischen Mistralesen und Tesdronen ...« Die Anweisung des Präsidenten kam kurz und präzise. Er rief weitere Offiziere zu sich und erteilte ihnen Aufträge. Er erklärte die Siegesfeier für beendet. Er verlangte die letzten drei noch gesunden Tesdronen zu sehen und ließ sie zu sich heraufkommen. Als Dolmetscher fungierte Daxas, der aus dem Hintergrund herbeigerufen wurde. »Ein falscher Patriotismus brachte Unglück über euch und uns. Ich versichere euch, daß ihr als Gefangene in Zukunft sicheren Schutz genießen werdet, und daß euch nach Beendigung
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der Feindseligkeiten die ungehinderte Rückkehr in eure Heimat garantiert ist ... Eure Toten werden begraben werden, eure Verwundeten erhalten jede Pflege, die ein mistralesisches Hospital bieten kann. Vertraut euch Meros an, der euch ein sicheres Quartier zuweisen wird.« Welche Unruhe diese Rede des Präsidenten in nächster Zeit unter der Bevölkerung hervorrufen sollte, das ahnte er in diesem Augenblick nicht. Er stand unter dem Eindruck der Telepathie-Relais und redete Worte, die mehr der tellurischen als der mistralesischen Auffassung entsprachen. Auch die Menge im weiten Umkreis hielt die Handlungsweise des Präsidenten für durchaus richtig, denn sie stand unter demselben Einfluß. Anders sah es bei den Millionen aus, die das Zeremoniell zu Hause an den Bildschirmen verfolgten. In ihnen lebte ohne jede Beeinflussung ihr ureigenster Geist, und niemand auf dem Grünen Platz wußte, wie empört das Volk überall auf dem fünften Planeten reagierte. Das Fest endete in einer beeindruckenden Monotonie. Langsam begannen die Mistralesen abzuwandern. Die Würdenträger zogen sich in den Grünen Palast zurück. Broos machte eine hilflose Geste zu Barnett hin, dem er sich in der Aufregung der letzten Minuten kaum hatte widmen können. »Dieses Ende konnte niemand voraussehen, Captain. Mein Volk hat Ihnen ein schlechtes Beispiel gegeben ...« »Die wenigen Demagogen sind nicht Ihr Volk, Broos. Ich bin überzeugt, daß Sie nicht die geringste Schuld an den Vorgängen trifft.« »Ich konnte mein Abkommen nicht einhalten. Ich hatte Ihnen siebenunddreißig Gefangene versprochen ...« Barnett hob abwehrend die Hand. »Es sind noch drei. Ich habe gehört, welches Versprechen Sie ihnen gegeben haben. Wir legen keinen Wert mehr darauf, sie zu übernehmen ... Ich möchte mich jetzt mit meiner Delegation verabschieden. Sie werden jetzt kaum Zeit haben, sich um uns zu kümmern.« Barnett informierte seine Begleiter und wandte sich den Fahrzeugen zu, die sie zum Flugboot bringen sollten. In diesem Moment hielt Lisman ihn am Arm fest. »Sieh mal dort nach rechts! Meros verhandelt mit Daxas. Und die drei Tesdronen sind bei ihnen. Es sieht ganz so aus, als solle Daxas sie in seine Obhut nehmen.« »Hast du etwas dagegen?« »Sehr viel! Du weißt, was ich von Daxas halte. Und du weißt auch, daß du einen Fehler machtest, als du Broos die letzten drei Tesdronen überlassen hast. In meinen Händen zum Beispiel wären sie endgültig sicher gewesen. So aber weiß ich nicht, welches Unheil sie noch in ihrer Verbitterung anrichten werden.« »Ich war dem Präsidenten eine Geste schuldig. Schon in unserem eigenen Interesse.« Sie gingen, und James Lisman machte ein so auffällig unfreundliches Gesicht, daß es Barnett geradezu störte. »O weh, es scheint sehr tief bei dir zu sitzen!« »Das Mißtrauen? Ganz recht! Ich traue nicht einmal dem Präsidenten.« »Das solltest du aber«, mischte sich Iks-Wol-Esak ins Gespräch. »Ich habe ihn telepathisch überwacht. Er hatte die besten Absichten und alles wie besprochen vorbereitet. Mit den Attentätern hatte er nichts zu tun.« »Okay! Wenn du Broos schon überwachst, warum kontrollierst du dann nicht auch gleich Daxas?« »Ich tat es. Aber ohne Erfolg. Der Mann muß einen Gedankenschirm tragen.« »Hast du das gehört, Perry? Ist dir dieser Bursche jetzt wohl endlich verdächtig genug?« *
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Perry Barnett hatte eine Menge Sorgen. Seine größte galt den Tesdronen, die sich wieder am Rande des Mistralsystems festgesetzt hatten. Die Vorfälle des Vormittags bewiesen ihm jedoch, daß es noch näherliegende Probleme gab. Dann kam Iks-Wol-Esaks Anruf, der wieder zu neuen Gesichtspunkten führen sollte. »Ich muß dich sprechen, Perry!« »Wenn es dringend ist, bitte! Komm herunter!« »Nein! Du mußt zu mir kommen«, erklärte Iks. »Ich bin in der Zentrale. Was ich dir zu zeigen habe, gibt es nur hier zu sehen.« Der Captain nickte dem Bildschirm zu und ging. »Bitte, betrachte einmal genau das Lichttelegramm des Strukturselektors!« Barnett gehorchte und wußte sofort, was Iks meinte. »Das sind deutliche Strukturverschiebungen. Das Gefüge der vierdimensionalen Raumkrümmung ist gestört. Beim Weltall, Iks, du denkst an eine neue Invasion?« »Liegt dieser Verdacht nicht nahe? Der mistralesischen Raumfahrt ist die Ausnutzung der fünften Dimension unbekannt. Wir befinden uns in Ruhestellung, und Skeen hat auch keine Verstärkungen angekündigt ...« »Natürlich, ich weiß, was du meinst. Tesdronen, nicht wahr?« »Das ist die einzige Erklärung für mich. Übrigens hier, erklärt das nicht alles?« Der Proka hatte den Bildschirm für vierdimensionale Beobachtung hinzugeschaltet. Ein Vergleich zwischen vier- und fünfdimensionaler Beobachtung ist freilich rein optisch kaum lösbar. Nur einem intensiv geschulten Gehirn ist es möglich, zwei Koordinatensysteme, die auf völlig verschiedenen Voraussetzungen beruhen, gedanklich zu assoziieren. Barnett und Iks-Wol-Esak gehörten zu den wenigen, die diese Kunst beherrschten. Allein ein Blick auf die parallel geschalteten Tafeln genügte nicht. Im ersten Moment wirkte das Bild sinnlos, eben weil man vier- und fünfdimensionale Vorgänge auf einem dreidimensionalen Schirm optisch nicht sichtbar machen konnte. Die Auswertung bis zur klaren Erkenntnis mußte im Gehirn fortgesetzt werden. Der Beobachter war also gezwungen, seine reine Phantasie und Vorstellungskraft zu Hilfe zu nehmen. Barnett nickte. »Das Schwergewicht der Ortung liegt auf einer durchaus erkennbaren Linie. Der Nahpunkt ihres Beginns weist auf die Region des sechzehnten Mistral-Planeten hin.« »Der sechzehnte hat vier Monde.« »Und irgendwo auf diesen vier Monden haben sich die Tesdronen festgesetzt!« »Verfolge einmal die Linie«, forderte Iks den Captain auf. »Sie führt zwar beinahe radial von uns weg, ist aber auch an ihrem anderen Ende noch recht gut bestimmbar.« »Moment«, sagte Barnett. »Hier muß erst vor wenigen Minuten ein Übergang stattgefunden haben. Spiralarm C. Zehn- bis fünfzehntausend Lichtjahre ...« »Tesdron liegt in C. Entfernung dreizehntausend Lichtjahre. Genügt dir dieser Beweis?« »Bei der Intensität der Strukturverschiebungen ist das Maß sogar mehr als voll. Es handelt sich hier zweifellos um neue Versorgungsexpeditionen. Wenn die alle den sechzehnten Planeten ansteuern, dann bauen die Tesdronen innerhalb von zwölf Wochen eine ganze Raumfestung aus.« Der Proka nickte ernst. »Hör zu, Iks«, fuhr Barnett fort. »Wir müssen mit dem Teleporter arbeiten. Einer von uns wird sich auf den sechzehnten Planeten begeben und die Lage erkunden. Ich habe zwar mehrere Eisen im Feuer. Aber dieser Weg scheint mir der sicherste zu sein. Ich wußte nicht, daß wir so schnell vor neue Probleme gestellt werden.« »Ich erwarte deine Befehle. Wann starten wir?« »Starten? Überhaupt nicht. Du sollst von hier aus teleportieren.« »Das wird schwierig sein. Die Bahnebenen der Mistral-Planeten sind kaum zueinander
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geneigt. Ihre Materie liegt also auf der direkten Strecke und ist für jede denkbare Störung gut.« »Sechzehn Planeten sind so gut wie nichts im Raum ...« »Du vergißt, daß es inzwischen die Andeutung eines Planetoidenrings gibt. Diese Insel steht ausgerechnet im Wege. Wir müssen also schon von außen heranfliegen.« Barnett zögerte. Nach kurzer Überlegung meinte er: »In der kriegerischen Auseinandersetzung sind mir deine Teleportationen ein zu großes Wagnis. Wenn wir wieder in den Hyperraum ausweichen müssen ... Nein, Iks, ich möchte nicht noch einmal nach dir suchen.« »Dann mußte du dir etwas anderes einfallen lassen.« »Das werde ich tun.« Captain Barnett erledigte in den nächsten Stunden mehrere Dinge auf einmal. Mit den Piloten der Kugeljäger und Beiboote besprach er Einzelheiten über Patrouillenflüge, die sofort in verstärktem Umfange wieder aufgenommen werden mußten. Dann übergab er Doc Bannister einen Text für Skeen, der sofort auf Hyperwelle nach Terra abgesetzt wurde. Schließlich verständigte er Broos von den neuen Beobachtungen, der sofort die Unterstützung durch die Reste seiner Flotte zusagte. Nachdem das alles erledigt war, begab Barnett sich ins Wohndeck und suchte Perkins auf. »Hallo, Perky! Es gibt bald Arbeit für dich. Hast du inzwischen gut mit deinem Stirnband trainiert?« »Gut schon, aber nicht sehr oft. Dieser Heiligenschein ist eine seelische und körperliche Strapaze.« »Aber du hast unsere Gespräche auf der Brücke mitgehört. Wie ging es?« »Mit Einschränkungen brauchbar.« Barnett nickte. * Premo lag noch immer in völliger Dunkelheit und haderte mit seinem Schicksal. Die Passivität, zu der er verurteilt war, gab ihm zuviel Gelegenheit zum Grübeln. Wenn es ihm für Momente gelang, sein eigenes Schicksal zu vergessen, dachte er an die siebenunddreißig anderen. Lebten sie noch? Waren sie schon geopfert? War das Fest der Mistralesen schon vorüber? Als Daxas endlich kam, wußte Premo nicht, ob es Tag oder Nacht war. Daxas trug wieder seine Lampe. »Es ist soweit, Premo!« »Zum Sterben?« »Ich habe Ihnen versprochen, Sie zu retten. Zweifeln Sie an meinem Wort?« »Sie ließen mir zwei Wege offen ... Habe ich meine Leute inzwischen überlebt?« »Ich wollte eigentlich in meinem Haus mit Ihnen darüber sprechen.« »Ich verlasse nicht eher diesen Raum, als bis ich Ihre Antwort gehört habe. Was ist mit den übrigen Gefangenen geschehen?« »Sie sind tot ... bis auf drei, die ich retten konnte.« Premo antwortete nicht sofort. Der fremdartige Gesichtsausdruck war dem Mistralesen nicht vertraut genug, als daß er die Reaktion irgendwelcher Gefühlsregungen darin hätte entdecken können. »Sie haben sie also töten lassen ...« »Um es genau zu sagen, nicht wir, sondern die Tellurier.« Premo ließ ein krächzendes Geräusch hören. »Sie legen die Tötung der Gefangenen den Telluriern zur Last. Zuletzt ließen Sie jedoch
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durchblicken, daß die Mistralesen die Hinrichtung vornehmen würden.« »Bei unserer ersten Untersuchung hatte ich wohl kaum die Muße, Sie erschöpfend über die Lage zu informieren. Mein Volk tobte tagelang vor Begeisterung für Captain Barnett. Er hat uns nun einmal vor dem Untergang bewahrt. Barnett aber überspannte den Bogen. Er verlangte den Triumphzug und die Tötung der Gefangenen. Seitdem ist der Präsident wesentlich zurückhaltender geworden. Doch offen kann er zur Zeit natürlich nichts gegen die Tellurier unternehmen. Er gab sogar Barnetts Verlangen nach und bereitete die Hinrichtung der Tesdronen vor ... als Konzession an die Befreier.« »Sie geben es also zu ...« Daxas hatte plötzlich eine Strahlwaffe in der Hand, damit der Tesdrone sich bei der Unterredung nicht allzusehr als Gleichberechtigter fühlte. »Der Mord an den Gefangenen war ein durchaus bedeutungsvoller Paragraph in unseren Verträgen. Er war auch eine Gewissensbelastung für die maßgebenden Männer unseres Volkes. Broos hat sich deshalb auch noch gestern abend entschlossen, die Zusage an Barnett zurückzuziehen. Der Präsident hatte Barnett und zwanzig seiner Vertrauten für das Fest des Sieges eingeladen. Während der Parade standen sie auf der Tribüne des Herrschers. Niemand wußte, was sie im Schilde führten.« »Und was führten sie im Schilde?« fragte Premo. »Über Nacht muß er alles vorbereitet haben. Denn als der Wagen mit den Gefangenen die Ehrentribüne passierte, sprang ein gedungener Mistralese hervor und hetzte das Volk gegen den Präsidenten und die Tesdronen auf. Mit Hilfe einiger Komplizen gelang es ihm, durch einen plötzlichen Überfall die meisten Gefangenen zu töten.« »Wenn Ihre Schilderung der Wahrheit entspricht, Daxas, müßte ich Ihre Haltung anders als bisher beurteilen. Nur ... wer garantiert mir für Ihre Aufrichtigkeit? Mit der mir beschriebenen Szene ist noch immer nicht die Schuld der Tellurier bewiesen.« Daxas hantierte an seiner Uniform und brachte eine Tonkonserve zum Vorschein. Das kleine, kaum handgroße Kästchen stellte er auf den Tisch. »Auch ich war dabei, Premo. Aufgrund meiner Dienststellung hatte ich einen Platz auf der Tribüne. Hier ist die ganze Reportage der Ereignisse, die ich heimlich aufgenommen habe. Niemand außer uns beiden weiß davon. Die Simultanübersetzung in Tesdron läuft für Sie parallel.« »Lassen Sie hören!« krächzte der Tesdrone. Daxas spielte alle Partien, die ihm als geeignet erschienen. Er brachte die markantesten ersten Sätze des ersten Attentäters: »Dort sitzen die Verräter unseres Sieges allein auf Mistral! Tötet sie!« »... die Sechsbeinigen gehören uns! Uns ganz allein auf Mistral! Tötet sie!« Dann kam die Stimme des Präsidenten. »Sorgen Sie dafür, daß alle Verwundeten sofort in das staatliche Hospital gebracht werden ... Machen Sie keinen Unterschied zwischen Tesdronen und Mistralesen ... Ein falscher Patriotismus brachte Unglück über euch und uns. Ich versichere euch, daß ihr in Zukunft als Gefangene sicheren Schutz genießen werdet ...« Daxas drückte die Stoptaste. Er wartete Premos Reaktion ab. Nach einer Pause erklärte der Tesdrone: »Das alles spricht für den Präsidenten. Ich gebe es zu. Aber niemand hat etwas gegen die Tellurier gesagt. Wo bleibt der Beweis gegen Barnett?« »Barnett und seine Männer standen neben uns. Sie waren mit den raffiniertesten Waffen und Geräten ausgerüstet, die die tellurische Technik je entwickelt hat. Glauben Sie, daß einer von uns auf den Gedanken kam, Barnetts Leute öffentlich zu beschuldigen? Nein, Premo! Der wahre Geist eines Verdächtigen zeigt sich erst, wenn man ihn heimlich belauscht, wenn er sich unbeobachtet glaubt. – Ich habe mich zeitweise dicht an die Tellurier heranschieben können und einige Aufnahmen gemacht.«
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»Dann spielen Sie sie doch. Ich brenne darauf, zu erfahren, daß Barnett unser gemeinsamer Gegner ist.« »Bitte, hier ist von Ihren Gefangenen die Rede. Der Sprecher ist James Lisman, der Erste Offizier der CORA ... ›Es sieht so aus, als solle Daxas sie in seine Obhut nehmen‹ – Barnetts Antwort: ›Hast du etwas dagegen?‹ – ›Sehr viel. Du weißt, was ich von Daxas halte. Und du weißt auch, daß du einen Fehler gemacht hast. In meinen Händen zum Beispiel wären sie endgültig sicher gewesen. So aber weiß ich nicht, welches Unheil sie noch in ihrer Verbitterung anrichten werden. – Und jetzt Barnetts Antwort: ›Ich war Broos eine Geste schuldig. Also, laß es, wie es ist.‹ So, wenn Ihnen das nicht reicht, müssen wir noch einmal von vorn anfangen.« »Was soll ich tun?« fragte Premo nach einer langen Pause. »Wir werden zusammen in mein Landhaus fahren. Wir haben dort Gelegenheit, in angenehmerer Umgebung weiter zu verhandeln.« »Noch eins! Drei aus meinem Volke sollen überlebt haben. Wo sind sie denn jetzt?« »Außer Gefahr und in meiner Obhut. Jedenfalls für den Augenblick. Allerdings bin ich dem Präsidenten gegenüber für sie verantwortlich.« »Werden Sie mich mit ihnen zusammenbringen?« »Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Vergessen Sie nicht den Unterschied, Premo. Die drei sind legale Gefangene. Sie aber muß ich verstecken, da Sie offiziell bei uns nicht existieren.« * James Lisman hatte den Verdacht gefaßt. Und nur deshalb wurde er sofort wieder mißtrauisch, als er Daxas plötzlich innerhalb des Hoheitsbereiches der Terraner entdeckte. Er wählte sofort Barnetts Nummer. »Hallo, Perry! Hast du Daxas herbestellt?« »Nein.« »Er kommt aber. Ich sehe ihn in meinem Außenbildschirm über den Platz wandern. Er hat vor einer Minute ein seltsames Mistralesen-Vehikel verlassen und dürfte jetzt bereits an der Fahrstuhlsohle angekommen sein.« »Okay! Dann wird er wohl etwas von mir wollen.« »Ich erinnere dich daran, daß wir seit zwei Stunden den Ausnahmezustand haben. Jeder von uns sitzt hier wie auf heißen Kohlen und zerbricht sich den Kopf darüber, was gegen die Tesdronen auf den vier Monden zu unternehmen ist, und du empfängst Privatbesuche. Noch dazu solche, die ich für gefährlich halte.« »Zum Teufel, James, was gehen dich meine Privatangelegenheiten an? Deine Verdächtigungen gegen Daxas rühren von einem Alptraum her. Wenn du so weitermachst, schicke ich dir Forry aufs Zimmer, daß er dich einmal gründlich untersucht.« Der Captain brach die Verbindung ab und ließ einen wütenden James Lisman in seiner Kabine sitzen. Der massive, breitschultrige Draufgänger saß minutenlang da und hielt den Kopf in beide Fäuste gestützt. Dann kam ihm eine Idee. Er stand auf und rief Iks-Wol-Esak an. Auf dem Bildschirm tauchte das runde Gesicht des Kugelmannes auf. »Hast du einen Augenblick Zeit für mich, Iks? Es dauert nur eine Minute.« »Dann schieß los!« »Du weißt, was mit Daxas los ist ...« »Ich weiß, daß du die unmöglichsten Behauptungen über ihn aufstellst.« »Na gut, wir wollen uns nicht streiten. Ich werde heute noch beweisen, daß ich recht habe. Aber du mußt mir dabei helfen. Du mußt mich mit deiner ›Existenzpost‹ hinterherschicken. In
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zehn Minuten verläßt er das Schiff und geht zu Broos. Ich möchte ihn auf diesem Gang verfolgen.« »Gut, ich werde dir helfen. Gib mir Bescheid, wenn es soweit ist«, sagte der Proka. »Okay! Du bist ein Prachtkerl, Iks.« Er unterbrach die Verbindung. Nach Ablauf der halben Stunde sah er Daxas das Schiff verlassen. Sofort rief er Barnett an. »Ah, James! Zwei Seelen und ein Gedanke. Ich wollte dich gerade haben. Hast du Lust, ein wenig zu spionieren?« »Du brauchst dich nicht mehr zu bemühen. Ich habe mich bereits mit Iks verabredet. Er läßt mich per Existenzpost folgen.« »Okay! Dann beeil dich. Daxas hat bereits unser Gebiet verlassen.« »Er wird unterwegs zum Grünen Palast sein. Da erwische ich ihn wieder. Also, bis dann!« »Einen Augenblick noch!« rief Barnett. »Was soll denn das Waffenarsenal auf deinem Tisch?« »Das ist meine Ausrüstung.« »Aber nicht für heute, mein Junge! Die Mistralesen sind unsere Verbündeten, und auf diesem Planeten herrscht Frieden. Ich möchte nicht, daß du unangenehm auffällst. Also, entweder eine stille Aufklärung oder gar keine. Solange du Daxas mit der Existenzpost folgst, gehst du kein persönliches Risiko ein. Da brauchst du dich also auch nicht zu verteidigen. Hals- und Beinbruch, James!« Lisman warf einen schiefen Blick auf seine diversen Handwaffen und trug sie schließlich wieder in seine hintere Kammer zurück. Dann begab er sich ins Mittelschiff, wo der Proka sein Labor hatte. »Es kann losgehen, Iks! Allerdings mußt du damit rechnen, daß es ein paar Stunden dauert.« Der Proka zeigte wortlos auf einen seiner Bildschirme. Lisman erkannte einen niedrig fliegenden mistralesischen Gleiter, in dem sich Daxas befand. »Komm her, und setz dich auf diesen Stuhl, James!« Lisman gehorchte. Das Gerät war ein Teil des prokaskischen Teleporters. Lisman würde jetzt genauso auf die Reise gehen wie Iks-Wol-Esak vor ein paar Tagen selbst. Nur, daß es sich hier um eine wesentlich kürzere Strecke handelte, auf der man schon mit äußerster Präzision ›navigieren‹ konnte. Beim Einschalten der Apparate machte sich ein leichtes Rieseln im Körper bemerkbar, das jedoch nicht schmerzhaft war. Lisman fühlte plötzlich seine unmittelbare Umgebung undeutlicher werden. Gleichzeitig glaubte er sich an einem anderen Ort zu befinden, nämlich direkt neben Daxas. Die Doppelexistenz war vorläufig noch sehr schwach. Es kam nur darauf an, mit dem Mistralesen Kontakt zu halten. Erst wenn der Verfolgte in ein Haus oder einen geschlossenen Raum irgendeiner Art gehen würde, mußte man die Zweitexistenz verstärken. Wenn diese einen Wert von über 50 Prozent erhielt, so würde sich Lisman an Ort und Stelle mit Daxas unterhalten können. Er würde außerdem so echt wirken, daß der andere ihn bei flüchtigem Hinsehen für tatsächlich anwesend halten würde. Vor allem bei der jetzt anbrechenden Dunkelheit. Bei einer Zweitexistenz von über 60 Prozent verlor die Erstexistenz entsprechend. Doch Iks-Wol-Esak saß am Steuer. Er war der einzige bei der CORA-Besatzung, der das Gerät fehlerfrei bedienen konnte. Lisman spürte keine Angst. Ihm stand nur der Sinn danach, endlich zu beweisen, daß Daxas ein Verräter war. Der Mistralese landete an der Peripherie der Stadt und fuhr den Rest der Strecke auf der Straße. Er hielt vor dem Grünen Palast und stieg aus. Lisman folgte ihm bis in eine Nische, von der aus er den Eingang ungestört beobachten konnte. In den Palast selbst wollte er nicht hineingehen, da hier noch zuviel Betrieb war und jederzeit die Gefahr einer Entdeckung
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bestand. Lisman machte ein Zeichen mit der rechten Hand. Der Proka nahm daraufhin 20 Prozent Energie zurück. »So ist es gut«, sagte Lisman. »Mein Bild draußen ist jetzt derart schwach, daß es in der dunklen Ecke niemand entdecken wird. Außerdem können wir uns jetzt bequemer unterhalten.« »Unterhalten werden wir uns überhaupt nicht«, stellte Iks kategorisch fest. »Selbst wenn deine Zweitexistenz jetzt nur sehr schwach ist, könnte man dein Reden draußen immer noch als ein Flüstern wahrnehmen. Und am Grünen Platz gehen jetzt Hunderte von Leuten aus und ein ... Du kennst unsere verabredeten Zeichen.« Lisman erklärte sein Einverständnis, indem er den rechten Daumen senkrecht nach oben stellte. Bald darauf tauchte Daxas wieder auf und fuhr nach dem Flughafen von Leeruna hinaus. Sein Wagen hielt unter einem mistralesischen Kreuzer. James Lisman wartete. Da die Dunkelheit intensiver geworden war, konnte er sich auch mit seiner Zweitexistenz mehr vorwagen. Er hob den Zeigefinger. Vorsichtig huschte Lisman in Deckung hinter einem Zubringerfahrzeug. Der Proka ließ die teleportative Steuerung gleichzeitig etwas lockerer, damit Lismans noch schwach vorhandene Erstexistenz im Schiff nicht gegen die Wände des Labors rannte. Sie warteten lange. Als Daxas endlich wieder aus dem Kreuzer kam, befand er sich in Begleitung eines Tesdronen. Als Lisman näher hinsah, bestätigte sich sein Verdacht immer mehr. Der Tesdrone trug die Uniform eines sehr hohen Offiziers. Es konnte sich bei ihm also unmöglich um einen der drei Gefangenen handeln. Es war – Premo, der Mann, den man nach dem Gefangenentransport als tot gemeldet hatte. * »Dort steht mein Wagen. Kommen Sie bitte.« Daxas hielt die Tür auf und ließ Premo einsteigen. Dann startete er. Sie fuhren durch die nächtlichen Straßen von Leeruna. »Ist es weit von hier?« wollte Premo wissen. »Ziemlich. Ich wohne draußen vor der Stadt.« »Sie haben sehr viel Einfluß, nicht wahr?« »Weshalb?« »Ihr Landhaus wird eine Art Burg oder Schloß sein.« »Sie können sich ja überraschen lassen.« »Warum spielen Sie noch immer den Geheimnisvollen? Reden Sie weiter! Nachdem das Vertrauen zwischen Ihnen und den Telluriern nicht mehr besteht, werden Sie ganz bestimmte Pläne haben.« »Es wäre zu einfach, prinzipiell von verlorenem Vertrauen zu sprechen. Durch ihre beispiellose Hilfe genießen die Tellurier noch immer sehr viel Sympathie in unserem Volke. Allerdings sind die höheren Beamten zum größten Teil kritisch genug, um die Gefahr zu erkennen, die allein durch Captain Barnetts Anwesenheit gegeben ist. Als ob es selbstverständlich wäre, haben die Tellurier bereits auf unserem Planeten ein Gebiet annektiert, das wir als ihren Hoheitsbereich anzuerkennen haben. Zur Zeit handelt es sich freilich nur um einen Flugplatz.« »Warum lassen Sie sich das gefallen? Ich verstehe das nicht.« »Kennen Sie die tellurische Überlegenheit? Wenn nicht, dann denken Sie daran, daß auch Ihre Flotte durch Captain Barnett und seine Truppe vertrieben wurde.«
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»Sie sprachen vorhin von Ihren persönlichen guten Beziehungen zu Captain Barnett. Können Sie sich dadurch keinen Vorteil verschaffen?« »Ich finde, Sie werden schon wieder reichlich indiskret, Premo. Aber daß ich mir Vorteile zu verschaffen weiß, werden Sie bald merken. Welches Individuum wäre schließlich nicht auf seinen Vorteil bedacht? Auch Sie machen keine Ausnahme. Oder möchten Sie das Abkommen mit mir rückgängig machen?« »Sie verwirren mich, Daxas. Versprechen Sie sich etwas von der Taktik, mir abwechselnd zu drohen und den Hof zu machen? – Ihre Regierung bedauert also zum größten Teil die Zusammenarbeit mit den Telluriern. Was soll ich als Tesdrone dabei?« »Spielen Sie nicht den Naiven, Premo! Wir brauchen Ihre Unterstützung. Wir allein sind zu schwach, um uns von der Unterjochung frei zu machen. Sie aber sind auch allein zu schwach, um sich gegen die Tellurier halten zu können. Broos wäre bereit, einen Pakt mit Ihnen zu schließen. Und Sie, Premo, sollen der Parlamentär sein.« »Ihr Angebot steckt voller Widersprüche, Daxas. Ihr Volk betrachtet doch uns Tesdronen als Feind. Wieso hat der Präsident plötzlich nichts mehr gegen unsere Anwesenheit?« »Er hat noch immer etwas dagegen. Verlassen Sie sich darauf. Doch zwischen zwei Übeln zu wählen heißt, sich für das kleinere zu entscheiden. – Die Tellurier machen sich auf Mistral fünf breit. Das stört uns erheblich. Die Tesdronen sitzen auf den vier Monden des sechzehnten Planeten fest. Das ist schon eher zu ertragen. Unser Vorschlag lautet: Sie verpflichten sich, sich auf Ihre gegenwärtige Position im Mistralsystem zu beschränken. Der sechzehnte Planet wird schnell als Ihr Hoheitsgebiet anerkannt. Alle anderen Welten des Systems bleiben uns vorbehalten. Ist das ein Angebot?« »Ich bin ein kleiner Offizier. Was soll ich dazu sagen?« »Nichts weiter, als daß Sie bereit sind, mich unter den genannten Perspektiven bei Ihrem Kommando einzuführen. Ich allein werde dann im Auftrage des Präsidenten mit ihm verhandeln. Und ich denke, Ihr Chef müßte auf den Kopf gefallen sein, wenn er unser Angebot nicht annähme.« Das Gespräch verstummte für eine Weile. »Sind wir bald da?« fragte Premo. »Ja, bald«, nickte der andere. James Lisman – erstexistent in der CORA und zweitexistent im Fond des Wagens – machte ein Zeichen mit dem Mittelfinger. Die Erstexistenz stieg sofort auf 98 Prozent. »Hier ist die Aufzeichnung des Gesprächs, Iks! Lege sie sofort in den Simultanübersetzer. Ich habe kein Wort von der Unterhaltung verstanden.« Mit zwei Prozent Zweitexistenz hatte Lisman Mühe, die Dunkelheit der Vorstadt auch nur einigermaßen zu erkennen. Außerdem mußte er sich auf den Text der Übersetzungsmaschine konzentrieren. Und der war durchaus alarmierend. »Hörst du's, Iks?« triumphierte Lisman endlich. »Jetzt haben wir den Verräter erwischt. Los, bring mich sofort wieder hinüber! Mindestens fünfundsiebzig Prozent brauche ich in Daxas' Wagen. Ich werde die Bande schon auseinandertreiben!« – * »Hände hoch!« forderte plötzlich eine Stimme aus dem Fond des Wagens. Und da niemand auf eine derartige Überraschung vorbereitet war, wurden die nächsten Sekunden äußerst kritisch. Daxas trat auf die Bremse, so daß das Fahrzeug gefährlich ins Schleudern geriet. »Arme hoch!« donnerte Lisman noch einmal, und die beiden anderen gehorchten. »Steigen Sie aus!« folgte der nächste Befehl. »Sie irren sich, Lisman. Alles, was ich diesem Tesdronen hier erzählt habe, war natürlich
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nur ein Scherz ...« »Steigen Sie aus, Daxas! Und überlassen Sie ab jetzt mir die Regie. Ihre Scherze waren derart eindeutig, daß sie kaum eines Kommentars bedürfen. Barnett wird sich brennend dafür interessieren ... Beeilung!« Daxas öffnete den Riegel seiner Tür und stieß den Tesdronen gleichzeitig in die Seite. Dazu machte er eine bezeichnende Kopfbewegung. Das hieß: mitmachen, solange der Bursche hinter uns im Vorteil ist. Und Premo war ein gehorsamer Schüler. Drei Sekunden später standen sie draußen, wo Lisman schon auf sie wartete. »Umdrehen! Die Hände bleiben oben. Und nun los! Sie wissen ja, wo Ihre Wohnung ist.« Der Mistralese setzte sich in Bewegung. Premo blieb gehorsam an seiner Seite. Nach etwa vierzig Schritten warf er sich auch genauso zu Boden wie Daxas. Daxas imitierte das Stolpern jedoch besser und tat so, als müsse er sich mühsam abfangen. Dann aber lag er doch der Länge nach auf dem Boden und machte einen hilflosen Eindruck. Das Aufstehen schien ihm nur mühsam zu gelingen. Er stöhnte laut. Doch dann – noch bevor er richtig gerade stand – fuhr er herum und streckte die bewaffnete Hand vor. Ein Energieblitz erhellte die Nacht und traf weißglühend auf einen Baumstamm. Der Tesdrone starrte gebannt auf die teuflische Erscheinung, denn der vermeintliche Tellurier sah in der zuckend erhellten Nacht gespenstisch aus. Doch der nächste Eindruck ging dem Tesdronen noch mehr an die Nerven. James Lismans Bild verblaßte. Dann war er völlig verschwunden. »Los! Folgen Sie mir!« schrie Daxas und sprang auf. Er lief im Zickzack und schoß dabei immer noch wild hinter sich. Fünfzig Schritte weiter war ein Tor. Premo fühlte sich hineingeschoben und vernahm kurz darauf ein leises Summen. Dabei glitt eine Metallplatte vor ihm aus dem Boden und schloß die Lücke in der Mauer. »Weiter!« keuchte Daxas und stieß den Gefangenen in die Seite. In der Dunkelheit tauchte der Schatten eines ovalen Landhauses auf. Kurz darauf waren sie in Sicherheit. »Warten Sie, Premo. Ich habe noch zwei Minuten zu tun. Dann müssen wir sofort weiter.« »Wo wollen Sie hin?« Premo steckte voller Mißtrauen. »Ich habe mit dem Präsidenten zu sprechen. Und da er Sie auf dem Bildschirm keinesfalls sehen darf, bleiben Sie hier in diesem Raum. Ich lehne die Tür an, damit Sie mithören können.« Daxas ging nach nebenan und aktivierte sein Visifon. Der Mann, der kurz darauf die Mattscheibe ausfüllte, war alles andere als Broos. Doch er ließ sich als dieser anreden, ohne mit dem geringsten Laut sein Erstaunen zu verraten. Premo lauschte aus dem Nebenzimmer, verstand aber nicht sehr viel von dem Gespräch, da ihm die menschliche Sprache nicht ganz geläufig war. Immerhin mußte Daxas damit rechnen, daß der andere ein paar Vokabeln begriff. »Ich wurde soeben vor meinem Haus von James Lisman überfallen, Broos. Barnett muß hinter unsere Pläne gekommen sein. Ich bin nicht mehr lange sicher in meinem Haus und werde in genau fünf Minuten verschwinden. Die Sondermaschine ist vorbereitet. Darf ich Sie jetzt noch einmal um den ehrenvollen Auftrag bitten? Ich fürchte, wenn wir jetzt nicht sofort handeln, wird es zu spät sein.« »Sie haben mir nicht in allem reinen Wein eingeschenkt, Daxas! Sie sind sehr verschwiegen über Ihre Beziehungen.« »Ich brauche Ihr Vertrauen, Präsident. Und Ihren Auftrag. Glauben Sie mir, daß jetzt keine Zeit mehr für lange Erklärungen gegeben ist. Wenn Barnett eintrifft, bevor ich das Haus
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verlassen habe, ist unsere Chance verspielt.« »Gut, Daxas! Mein Vertrauen haben Sie immer besessen. Hiermit haben Sie auch meinen Auftrag. Sie kennen unsere Absichten. Sie wissen, was Sie zu verlangen haben und was Sie zugestehen können. Vertreten Sie unsere Interessen, wie ich es selbst tun würde. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug, Erfolg und eine gesunde Rückkehr.« »Danke, Präsident. Ich bin Ihr ergebener Diener!« Daxas griff nach einem Gepäckstück, das er für diesen Augenblick bereits vorbereitet hatte. »Sie sind sich im klaren darüber, Premo, daß ich mich jetzt in Ihre Hände gebe! Ich entlasse Sie hiermit aus der mistralesischen Gefangenschaft. Wir sind in diesem Augenblick Verbündete.« »Ich werde für Sie sprechen, Daxas.« »Danke! Kommen Sie jetzt!« Der Weg führte durch dichten Wald. An einer Lichtung stießen sie auf einen mistralesischen Zerstörer. Ein kleines, fast lichtschnelles Raumboot für höchstens acht Mann Besatzung. »Damit werden wir es schaffen ... Hallo, sehen Sie dort!« Er zeigte zum Himmel. Im Licht der nahen Großstadt wurde ein riesiger Schatten sichtbar. »Das ist ein tellurisches Beiboot«, ächzte Premo. »Es landet genau auf Ihrem Grundstück.« »Wie recht Sie haben«, erklärte Daxas zufrieden. »In zwei Minuten stecken die meisten Tellurier in meiner Wohnung. Das ist genau der Augenblick, in dem wir starten werden.« * James Lisman griff wütend nach dem Visifon. »Hallo, Perry! – Ja, natürlich. – Ganz klar, wie ich sagte. Der Vogel ist ausgeflogen. Das hast du davon, wenn du deinem Kunstschützen verbietest, Waffen zu tragen. Dieser doppelte Weg wäre nicht nötig gewesen. Und jetzt hat Daxas natürlich einen Vorsprung ...« »Der Vorsprung wird größer, je länger du redest. Rufe deine Leute zurück und fliege den Stützpunkt an!« »Zum Teufel! Was soll ich noch im Stützpunkt? Wir werden die Verfolgung aufnehmen, ohne eine Sekunde zu verlieren.« »Irrtum! Du tust genau das, was ich sage. Die Verfolgung nimmt ein anderer auf, der ein vollwertiges Raumschiff zur Verfügung hat.« Lisman drehte sich wütend auf dem Absatz herum. Damit stand er genau vor Praxlomza. »Jetzt dämmert's ihm endlich. Tagelang erzähle ich ihm, was mit Daxas los ist, und er behauptet, ich höre das Gras wachsen.« »Reg dich nicht auf! Wenn Perry merkt, daß er einen Fehler gemacht hat, dann ist er offen genug, es zuzugeben. Und vor allem, er wetzt die Scharte aus. Er hat es noch immer getan. Wahrscheinlich hat Maine schon entsprechende Befehle erhalten. Die 14 333 ist schnell genug, um einen mistralesischen Zerstörer zu fassen ...« Doch auch Praxlomza sollte sich getäuscht haben. Captain Maine startete zwar sofort mit der 14 333 – und man besaß dabei sogar die Stirn, über Dr. Preems Kopf hinweg zu entscheiden. Doch Daxas legte ihn durch ein geschicktes Manöver herein. Er flog nicht in Richtung Mistral 16, sondern einen um fast hundert Grad abweichenden Kurs. Dadurch war das Ziel völlig ungewiß für die Verfolger, und sie wagten auch keinen Hyperraumsprung. Als der Mistralese dann schließlich auf die Monde des sechzehnten Planeten einschwenkte, kam Maine nicht mehr zum gezielten Schuß. Genau in seinen Angriff platzte eine Flottille von vier Tesdronen-Schiffen, und die 14 333 mußte abdrehen, wenn sie sich nicht selbst in Gefahr bringen wollte.
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* An Skeen auf Terra war längst ein neuer Lagebericht abgesetzt worden. ›Tesdronen bringen neue Verstärkungen heran. Wenn uns die Hände länger gebunden sind, wird unsere Lage in 7 H-c unhaltbar. Erbitten neue Vollmachten. Captain Barnett.‹ Die Antwort hatte gelautet: ›Tun Sie, was Sie für richtig halten. Ich werde Sie so gut wie möglich decken. Skeen.‹ »Die Warnung aus dem Hyperraum hat Wunder gewirkt. Skeen überläßt uns alle Entscheidungen«, kommentierte Barnett die neue Lage, als er auf einen kurzen Sprung zu IksWol-Esak ins Labor kam. »Er überläßt sie dir«, verbesserte der Proka den Menschen. »Das ist ein Unterschied.« »Hm, soll das heißen, daß du dich vor der Verantwortung drückst, wenn es brenzlig wird?« »Es ist bereits brenzlig. Du hast praktisch keine Zeit zu verlieren, wenn du nicht innerhalb kürzester Zeit einem unüberwindlichen Gegner gegenüberstehen willst.« »Die Zeit, die ich versäume, versäumt ihr alle«, konterte Perry Barnett. »Meinst du nicht, daß wir alle in einem Boot sitzen?« »Wir sitzen in fünf Booten«, korrigierte Iks mit einem Hinweis auf die gegenwärtige Flottenstärke der tellurischen Streitmacht. Die Bemerkung war absolut nicht ironisch gemeint, sondern entsprang der unbeschreiblichen Pedanterie des Kugelmannes. Barnett wechselte das Thema. »Du kennst mich, Iks. Du weißt, daß ich jetzt angreifen werde. Sollte es dadurch diplomatische Verwicklungen mit deinem Volke geben, werde ich dafür sorgen, daß unsere Propaganda deine und Nam-Legaks Anwesenheit herausstellt.« »Du willst also erklären, daß es sich bei deinem Unternehmen um eine gemischte Expedition aus Menschen und Prokas handelt, daß man die Aktion gegen die Tesdronen also nicht als einseitige Willkürmaßnahme der Menschen hinstellen kann.« »Hast du etwas dagegen?« »Durchaus nicht. Es ist dein gutes Recht.« »Danke, Iks! Mehr wollte ich nicht wissen.« »Ich bin Telepath und weiß daher, daß du doch noch eine Auskunft brauchst ... Der Energieschirm ist fertig. Ich habe mich beeilt. Laß mich während des Fluges hier im Labor. Ich habe mir bereits einige Anschlüsse aus dem Reaktor gesichert. Du mußt von der Brücke aus nur in ständiger Verbindung mit mir bleiben. Dann klappt die Sache.« »Ohne jeden Test?« fragte Barnett mißtrauisch. »Ich habe getestet. Verlaß dich darauf.« »Okay! Kannst du mir sagen, wie die Sache funktioniert?« »Ich zapfe Energie aus den eigenen Generatoren ab und lenke sie nach draußen. Durch eine geeignete Kettenreaktion entsteht auf diese Weise ein Schirm in unmittelbarer Nähe des Schiffskörpers. Jede physikalische Existenzform, die von außen auf uns eindringen will, wird dadurch abgewiesen. Wenn die anderen Schiffe nicht weiter als zehntausend Kilometer von uns entfernt sind, werde ich auch sie von hier aus noch schützen können.« Perry Barnett nickte und legte seine Hand auf Iks-Wol-Esaks runzligen Kugelkörper. »Ich danke dir, Iks! Mach's gut! Ich verschwinde jetzt.« Er ging in die Kommandozelle, wo die Besatzung bereits auf ihn wartete. Seit Daxas' Flucht herrschte Alarmzustand, und je länger der Captain zögerte, um so nervöser wurden die Menschen auf den fünf Schiffen und in den Jagdbeibooten. Barnetts Befehle waren wie eine Erlösung. »Gefechtsalarm und Start neun Uhr fünfundzwanzig. Erwarte Klarmeldungen.« Im Abstand von wenigen Sekunden gingen die Klarmeldungen ein. Barnett dankte nur nachlässig und beschäftigte sich mit der Sicht-Sprechverbindung zu den einzelnen Jägern, die
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inzwischen alle mit tesdronischen Strahlgeschützen ausgerüstet waren. In zwölf kurzen Sätzen hatte er ihnen einen ausführlichen Gefechtsplan dargelegt. »Countdown!« Praxlomza zählte den Start aus. 9 Uhr 25. Die CORA stieg auf, und mit ihr die FREEDOM, die 14 333 und die beiden Kreuzer unter dem Kommando von Captain Helmer. Mit 500 g Beschleunigung schossen sie in den Weltraum. Barnett gab eine kurze Erklärung ab. »Unser Ziel ist der sechzehnte Planet mit seinen vier Monden, die nachweislich alle mehr oder weniger von Tesdronen besetzt sind. Auf dem Planeten selbst befindet sich das Hauptquartier des Gegners. Die Monde sind schwächer besetzt. Teilweise nur mit kleinen Stationen, die der Forderung, dem Nachrichtenwesen und als Materiallager für den Nachschub dienen. Es liegt mir auch jetzt noch nicht daran, die tesdronische Expeditionsarmee zu vernichten. Es genügt, wenn wir sie zum endgültigen Rückzug zwingen können. Doch zu diesem Zweck muß ein Exempel statuiert werden. Der dritte Mond ist der kleinste. Wir werden ihn vernichten ...« Barnett wandte sich wieder den Armaturen zu. Die Leute hatten sich bereits während seiner Rede darüber gewundert, daß er mit keinem Wort die Flucht Daxas' erwähnt hatte. Jetzt wunderten sie sich noch mehr, denn die Fahrt der CORA war für alle, die etwas davon verstanden, beängstigend langsam. Nach zwei Stunden passierten sie glücklich die Bahn des neunten Planeten. Die Auslotung des Raumes hatte nichts Besonderes ergeben. Der Strukturtaster meldete nach wie vor rege Bewegungen im Hyperraum, doch das konnte unmittelbar nichts für Körper und Bewegungen innerhalb des Mistralsystems bedeuten. Per Bildsprech fanden einige Verkehrsgespräche mit den ausgeschwärmten Jägern statt, die unter dem Kommando von Oberleutnant Miller standen, der aus Captain Helmers Mannschaft stammte. »Miller! Fliegen Sie einen Probeangriff auf unsere Flotte! Ich möchte etwas ausprobieren!« »Jawohl, Sir!« Vier tesdronische Beutekugeln und sechs tellurische Jäger formierten sich zum Keilflug. Bei einer Kurve von 180 Grad betrug der beschriebene Radius etwas mehr als hunderttausend Kilometer. Trotzdem dauerte es nur Minuten, bis die Staffel im Anflug war. Auf den Bildschirmen sah es gefährlich aus. Doch es sollte noch gefährlicher werden. »Zielen Sie nur auf die CORA, Oberleutnant! Und vergessen Sie nicht, scharf zu schießen! – Hallo, Iks, erkennst du die Bewegungen der Jäger?« »Alles klar!« »Haben Sie mitgehört, Miller?« »Jawohl, Captain! Aber ich kann doch nicht ...« »Folgen Sie meinem Befehl, Miller! Alles andere geht Sie nichts an!« »Jawohl, Sir!« Die Bestätigung des Oberleutnants entbehrte jeder Überzeugung. Niemand glaubte daran, daß er Barnetts Befehl ausführen würde, obgleich es keine andere Möglichkeit gab. Die meisten warteten einfach, ohne den unheimlichen Gedanken konsequent bis zum Ende zu verfolgen. Niemand hatte je erlebt, daß ein Raumschiffskommandant sein eigenes Schiff angreifen ließ. Oberleutnant Miller rettete sich in einen Kompromiß. Er schoß zwar, aber mit Absicht daneben. »Zum Teufel!« donnerte Barnett sofort. »Können Sie nicht besser zielen, Oberleutnant? Ich habe gesagt, Sie sollen die CORA angreifen!« Miller korrigierte den Energiestrahl, indem er seine ganze Maschine um einige Grad
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schwenkte. Noch immer schoß er vorbei. Doch diesmal so nahe, daß sein Schuß Iks-WolEsaks Schirm ankratzte. Die Reaktion war ein Feuerwerk, auf das niemand vorbereitet gewesen war. Bis auf Barnett und Iks-Wol-Esak natürlich. Barnett ließ sich endlich herbei, die Sache zu erklären. »... und nun keine Manschetten, Miller! Halten Sie genau drauf! Wenn wir uns den Tesdronen vor die Flinte wagen, müssen wir wissen, was wir unserem Schutzschirm zumuten können.« Der Staffelkapitän war schon nahe heran. Der Angriff wurde von den hinteren Booten fortgesetzt, die nun ohne Hemmung genau ins Ziel hielten. Und der Energieschirm hielt stand. Die Nervosität der Männer löste sich in einem befreiten Jubelschrei, und Iks-Wol-Esak erhielt eine besondere Gratulation ins Labor zugesprochen. Bevor es über den erfolgreichen Test zu einer Diskussion kommen konnte, fiel der lange Perkins plötzlich durch eine völlig verkrampfte Haltung auf. Er lehnte sich nach vorn, als sei er ohnmächtig und müsse sich stützen. Lisman und Bannister wollten ihm zu Hilfe eilen, doch Barnetts energische Armbewegung hielt sie zurück. »Ruhe, zum Teufel! Kein Wort jetzt!« Der Chef schien sich selbst für Perkins zu interessieren, blieb aber so passiv, wie er es von den anderen verlangt hatte. Er sah den Langen nur gespannt an. Dann begann dieser plötzlich zu reden, ohne den leeren, starren Blick von den Armaturen zu nehmen, durch die er hindurchzusehen schien. »Angriff durch Tesdronen erkannt – Gegenangriff durch zweiundzwanzig Schiffe der Hauptflotte – bereits verstärkt durch Nachschub – drei Großraum-Schlachtschiffe – sieben leichte Kreuzer – drei Zerstörer – neun Drei-Mann-Jäger – alles tesdronische Bauart – tesdronischer Gesamtbestand im Mistralsystem zur Stunde etwa vierzig Einheiten – bleiben Sie auf Empfang – Ende.« Erschöpft sank Perkins in seinen Sessel zurück und entspannte sich. Wieder wollten einige zu ihm. Barnett ließ aber nur Bannister gewähren. »Du kannst ihn ein bißchen massieren, Forry. Du weißt schon ...« Der Doc wußte es, weil er Arzt war. Und ein Schiffsarzt ist in der Regel gleichzeitig der Masseur. Noch nie aber hatte er Perkins in einem derartigen Zustand gesehen. Ob es etwas mit dem seltsamen Stirnreif zu tun hatte? Barnetts neue Kommandos erstickten die nächsten Fragen. Die kleine Flotte beschleunigte mit achthundert g. Die Jäger fielen etwas zurück, folgten aber, so schnell sie konnten. Kurz darauf zeigten die Beobachtungsbildschirme und das Vierdimensions-Radar den angekündigten Feind. Jeder, der den Mattscheiben nahe genug saß, zählte unwillkürlich mit. »Eins, zwei, drei, – sieben – fünfzehn – zweiundzwanzig.« Voraus jagten die kleinsten Einheiten. Die drei Schlachtschiffe hielten sich in der Mitte. Bis sie auf etwa zwanzig Millionen Kilometer heran waren. Dann strebten sie fächerförmig auseinander, so daß sich ihre Formation wie zu einem Trichter öffnete, in den sie die CORA und ihre Begleiter hineinlocken wollten. Es schien wie eine Laune von Perry Barnett, daß er das Feuer nicht längst eröffnet hatte. Ebenso war das Zögern des Gegners unverständlich; die Überraschung, daß die Tellurier plötzlich über einen Energieschirm verfügten, stand ihnen ja noch bevor. Es war, als wolle der eine den anderen zu einer unüberlegten Aktion reizen. Denn längst befanden sich die Flotten im gegenseitigen Feuerbereich. Als die Tesdronen-Jäger dann ihren spitzen, gebündelten Strahl abschossen, waren derartige Überlegungen mit einem Schlage vergessen.
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* Kretos Augen glitten flink über das Dokument. Seine schmalen Lippen waren zu einem Kegel geformt, und auf dem kahlen Schädel glänzten die bläulichen Schuppen seiner Haut. Hier und da zuckten sie unter einem nervlichen Reiz. Doch Daxas kannte die tesdronische Rasse nicht genug, um mit Sicherheit sagen zu können, daß der Raumadmiral der gegnerischen Invasionstruppen tatsächlich nervös geworden war. Sein langes Schweigen und die Tatsache, daß er die Schriftstücke immer wieder miteinander verglich und von neuem durchlas, waren nicht unbedingt ein Beweis dafür, daß er eine unglaubliche Nachricht vor sich hatte. Schließlich wandte sich der Tesdronen-Chef zu Daxas um. »Die Wünsche des Präsidenten Broos sind verständlich. Man wehrt sich immer gegen den Unterdrücker, der einem am nächsten sitzt. Deshalb bin ich geneigt, eurer Botschaft zu glauben und eure Ehrlichkeit anzuerkennen. Aber Neigung ist eine Sache ohne Beweis. Beweise wären mir lieber.« »Dort haben Sie die Beweise!« sagte Daxas fest. »Sie können jede beliebige Information überprüfen lassen. Schon durch einige Proben werden Sie eine gewisse Sicherheit gewinnen ... Und vergessen Sie nicht, daß auch wir unsere Forderungen stellen. Die Welt von Mistral will Garantien haben, bevor sie sich offen auf Ihre Seite stellt.« Das Schnauben Kretos wirkte bedrohlich. »Was reden Sie von Garantien, Daxas? Die Pläne Ihres Präsidenten sind im Augenblick keinen Heller wert.« Demonstrativ hob der Tesdrone die Unterlagen hoch und schleuderte sie auf den Tisch zurück. »Was Sie uns anbieten, sind nichts als langwierige Verhandlungen. Nach Ihrer Disposition müssen wir erst einen Verhandlungsort ausmachen und Delegationen austauschen. Was aber geschieht seit einer Stunde? Die Tellurier haben die Flucht Premos entdeckt und Sie verfolgt. Sie greifen an.« »Ihr Vorwurf trifft nicht ganz zu, Kreto. Die Flucht eines tesdronischen Gefangenen dürfte Barnett kaum interessieren. Es geht ihm einzig und allein um meine Person. Denn ich habe es im Laufe der letzten Wochen verstanden, mich in das Vertrauen der Tellurier zu schleichen. Premo hat Ihnen bestätigt, daß der Vize-Chef der Tellurier beinahe in letzter Minute noch unsere Flucht verhindert hätte. Aber wir hatten Glück ...« »Sie sind entkommen. Doch für wichtiger halte ich, daß man Ihren Verrat erkannt hat. Sie haben unsere Position dadurch in Gefahr gebracht.« »Was reden Sie von Gefahr angesichts solcher Dokumente!« »Die Gefahr ist akut, Ihre Dokumente sind vielleicht wertvoll auf lange Sicht. Die mistralesische Flotte, die wir jetzt gebrauchen könnten, ist jedenfalls nicht zur Stelle. Sie allein sind hier. Und Ihnen gilt die Verfolgung.« »Ihre Anklage widerspricht Ihren Befehlen, Kreto. Wenn die tellurische Flotte meinetwegen die vier Monde und den sechzehnten Planeten anfliegt, warum setzen Sie dann vorzeitig zum Gegenangriff an? Erst dadurch fordern Sie den Feind zur offenen Kampfhandlung heraus.« »Wollen Sie mich kritisieren, Daxas? Dazu sind Sie nicht befugt. Noch gibt es keinen Pakt, der mich Ihnen gegenüber zu einem bestimmten Verhalten zwingt. Ich brauche nicht die geringste Rücksicht auf Ihre Person zu nehmen ...« Daxas verriet mit keiner Miene die Furcht, die ihn beschlich. »Sie haben die Macht, mich gefangenzusetzen, Kreto. Das gebe ich zu. Ich halte Sie aber für klug genug, nicht mich für Ihre Fehldispositionen zu strafen.« Kreto richtete seinen Vorderkörper steil auf und tat einen Schritt auf Daxas zu. »Verlangen Sie vielleicht, daß ich tatenlos zusehe, wie sich eine tellurische Flotte unserem
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Bereich nähert? Entweder sind Sie dumm oder gegen mich, Daxas.« »Weder das eine noch das andere. Eher möchte ich annehmen, daß Sie nicht die Gunst des Augenblicks erkennen. Ich habe Sie in den Besitz wertvollster Informationen gebracht. Mehr Beweise für meine Vertrauenswürdigkeit können Sie nicht von mir verlangen. Wenn Sie also unsere Partnerschaft ausschlagen, so entlassen Sie mich. Ich kann nur noch das eine für Sie tun und versuchen, Barnett auf meine Spur zu locken, damit er von Ihnen abläßt.« »Das klingt zu naiv, Daxas. Sie waren so leichtsinnig, Ihren Ehrgeiz zuzugeben. Männer Ihres Typs melden sich nicht freiwillig zum Märtyrer.« Premo hatte bisher abseits gesessen und geschwiegen. Jetzt winkte ihn Kreto heran. »Mich quält die Frage, ob dieser Mann vertrauenswürdig ist.« »Auch ich war lange kritisch«, sagte Premo. »Sein Verhalten bei dem Überfall durch den tellurischen Offizier Lisman hat mir jedoch bewiesen, daß wir ihm vertrauen können. Und vor allem ... sein Ehrgeiz ist echt. Ich erinnere an die Koordinaten, die er uns für die Sonne Kthosis gab. Dort soll sich also das nahezu unbewachte Nachschublager der tellurischen Polizeipatrouillen befinden, die sich immer noch für kompetent halten, um in der ganzen Galaxis für Nachschub zu sorgen. Wir sollten uns dieses Wissen zunutze machen.« Kreto brauchte eine kurze Pause zum Nachdenken. Dann nickte er. »Gut, nutzen wir seine gute Nachricht! Das schließt aber nicht aus, daß wir ihn hierbehalten. Um Barnett auf andere Gedanken zu bringen, ist es inzwischen zu spät. Über Daxas' Rückkehr werden wir uns unterhalten, wenn die Schlacht überstanden ist. Wir werden inzwischen die erhaltenen Angaben über das System Kthosis im Rechengehirn überprüfen. Wenn sich keine Widersprüche zu den aus der Forschung bekannten Daten ergeben, dürfen wir annehmen, daß auch die anderen Angaben stimmen, die für uns neu sind ... Premo! Du hast dich bisher gut gehalten. Du wirst auch diese Arbeit übernehmen. Um deinen Freund Daxas kümmere ich mich inzwischen ...« »Das ist Freiheitsberaubung«, intervenierte Daxas. Er blieb jedoch rein sachlich dabei, als wolle er ein juristisches Faktum zur Kenntnis bringen. Es war ihm klar, daß er gegen den Entschluß des Tesdronen nichts ausrichten konnte. »Sie werden eine angemessene Unterkunft erhalten«, entgegnete der Chef der TesdronenFlotte höflich. »Es soll Ihnen an keiner Bequemlichkeit fehlen.« Als Kreto ihn zur Tür geleiten wollte, wurde diese plötzlich von einem anderen Sechsbeiner aufgerissen. »Unsere Flotte hat angegriffen! Sie schlägt von allen Seiten zugleich zu. In einer Stunde wird alles vorbei sein. Unsere Übermacht ist unüberwindlich.« Kreto lächelte. »Sehen Sie, Daxas! Wir schaffen es auch so. Haben Sie also noch etwas Geduld. Sobald die Gefahr völlig beseitigt ist, können wir an ernsthafte Verhandlungen denken.« * Anfangs sah es tatsächlich so aus, als sei der gleichzeitige Angriff von allen Seiten bereits das Todesurteil für die kleine tellurische Flotte. Wenn zweiundzwanzig Einheiten verschiedener Größen ihre Feuerkraft genau konzentrieren, muß jeder gesunde Verstand einen Erfolg erwarten. Doch der Energieschirm war eine Überraschung, die der Zuversicht der Tesdronen einen harten Schlag versetzte. Ein Angreifer, der im Schwung seines Angriffs erkennen muß, daß er eine wesentliche Tatsache nicht einkalkuliert hat, läuft Gefahr, in Panik zu geraten. Diesen psychologisch schwachen Punkt überwanden die Sechsbeiner jedoch schneller, als Barnett es ihnen zugetraut hatte. Sie griffen mit reinen Gammastrahlen, mit Atomtorpedos und Wasserstoffbomben an. Auf
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der Energiehülle der CORA tanzte ein buntes Feuerwerk, das in seiner Schönheit fasziniert hätte, wenn nicht die absolut tödliche Bedeutung dabei gewesen wäre. Der Schirm hatte eine Ausbreitung von annähernd fünfzigtausend Kilometern, und seine praktische Wirkung reichte immerhin bis zu zehntausend Kilometern in den Raum hinaus. Er war ein Schild, hinter dem sich die anderen Schiffe verbergen konnten. Allerdings bestand dieser Schutz nicht mehr, wenn der Gegner den Rücken der tellurischen Flotte gewann. Barnetts Zögern ging daher den Besatzungen an die Nerven. Als er endlich den Feuerbefehl gab, ging es wie ein Aufatmen durch die Kommandozentralen. Der Energieschirm der CORA war polarisiert. Das heißt, er sperrte nur nach vorn, während er Wirkungen jeder Art von innen her durchließ. Barnett befahl den anderen Schiffen, zurückzubleiben. Die zu einem Trichter geformte Angriffsformation der Tesdronen schoß heran. Barnett ließ drei Feuerüberfälle über die tellurischen Einheiten ergehen, ohne einen einzigen Schuß abzugeben. Für ihn kam es darauf an, daß der Gegenschlag ein voller Erfolg wurde. Und zu diesem Zweck gehörte der Bluff. Er mußte den Feind in Sicherheit wiegen. Er mußte ihn trotz des Energieschirmes zum Leichtsinn herausfordern. Er mußte nicht nur die Flotte von zweiundzwanzig Schiffen vernichten, sondern auch im Hauptquartier der Tesdronen einen derartigen Eindruck hinterlassen, daß diesen von vornherein die Lust zu einem zweiten Angriffsversuch verging. Alle Feuerleitstellen – auch die auf dem erbeuteten Kugelschiff FREEDOM – waren auf den elektronischen Zähler der CORA eingestellt. Die Elektronik wiederum reagierte auf Barnetts Knopfdruck. Sobald sie aktiviert war, handelte sie selbständig nach den Angriffsimpulsen von außen. Die Verzögerung einer menschlichen Reaktion war also vollkommen ausgeschaltet. Das biologische Nervensystem hatte keine Vermittlerrolle mehr zu spielen. Barnetts Knopfdruck bedeutete nichts anderes als eine Vorwarnung und Aktivierung der elektronischen Logik. Als die vierte Feuerwelle der Tesdronen ausgelöst wurde und in zornigem Vernichtungswillen auf die CORA zusprang, öffneten sich die Schleusen der kleinen tellurischen Flotte. Innerhalb weniger Augenblicke verließen in drei- und vierfachen Fächern mehr als sechzig Raumtorpedos ihre Rohre. Die erbeutete Tesdronenkugel, die sich scheinbar schüchtern im Hintergrund gehalten hatte, war ebenfalls in die Sammelschaltung einbezogen gewesen. Das hatte zur Folge gehabt, daß die durch Barnett ausgelöste Elektronik auch ihre Strahlwaffen exakt einsetzte. Die gegnerische Flotte war inzwischen bis auf knapp zweihunderttausend Kilometer herangekommen. Ihre sorgfältig aufmarschierte Formation war von einem Augenblick zum anderen in ein Nichts verwandelt. Schauder, Ehrfurcht, Genugtuung und die Frage nach dem Sinn dieser Vernichtung wollten die Menschen überwältigen. Doch Barnett kam ihnen zuvor. Für Gefühle war jetzt keine Zeit. »Wir fliegen weiter!« Sein Entschluß klang wie ein Befehl. »Neue Koordination! Mond Nummer drei, Planet sechzehn! – Kanoniere, Energienachschub und Schußbereitschaft melden!« In kurzer Reihenfolge gingen die Bestätigungen ein. Noch bevor die kleine Flotte, die das erste Gefecht ohne Verluste überstanden hatte, in neuer Angriffsposition war, standen die Waffen bereits wieder fertig zum Schuß. Die kleine tellurische Flotte strebte mit erneuter Beschleunigung ihrem nächsten Ziel zu. Der dritte Mond lag in den Visierbildschirmen. »Wir werden ein Exempel statuieren!« Barnett sagte es mehr zu sich selbst. Er hatte zwölf Kobaltbomben vorbereiten lassen.
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Barnett gab den Befehl zum Abschuß. Zwölf Torpedos griffen aus Winkeln, deren größter mehr als fünfundvierzig Grad besaß, an und sprangen mit perfekter Präzision ins Ziel. Die Folgen ihrer Wirkung boten ein infernalisches Schauspiel. Lisman schloß die Augen. Obgleich der Mond Nr. 3 innerhalb weniger Sekunden zu einem kosmischen Monstrum wurde, obgleich er kurz darauf im scheinbaren Nichts verschwand, spiegelte sich kein Triumph auf den Gesichtern der Männer. Barnett spürte die Stimmung, die sich ihm selbst mitteilen wollte. Doch so sehr sie vom ethischen Standpunkt aus berechtigt war, so wenig paßte sie zu den praktischen Notwendigkeiten des Augenblicks. »Nur keine Sentimentalitäten, meine Herren! Wir haben einen Mond zerschossen, sonst gar nichts! Und jetzt kommt der nächste an die Reihe.« Das neue Manöver nahm etwas Zeit in Anspruch. Lisman schien sich inzwischen von seiner Schwäche erholt zu haben und war plötzlich der erste, der sich für diesen Plan begeisterte. »Jawohl! Wir müssen die tesdronischen Monde aus dem Universum herausfeuern!« »Ich muß dich enttäuschen«, sagte Barnett knapp. »Mein Plan war eine Demonstration. Und die haben wir gegeben. Seit heute wissen die Tesdronen, daß wir ihnen überlegen sind, und sie werden die Konsequenzen daraus ziehen ...« »Willst du vielleicht Rücksicht auf diese Burschen nehmen?« Barnett gab keine Antwort. Er war bereits wieder mit dem nächsten Angriff beschäftigt. Für den zweiten Mond hatte er sich allerdings eine weniger drastische Lösung ausgedacht. * Der zweite Mond wurde mit Aufschlagzündern angegriffen. Das genügte, um seine ohnehin eisig öde Oberfläche total zu verwüsten. Noch vor Beendigung der Aktion setzte sich eine Staffel von vier Tesdronen-Schiffen ab und floh in Richtung des sechzehnten Planeten. »Sie ziehen sich bereits aufs Hauptquartier zurück. Was wirst du jetzt tun?« »Warten.« Nicht nur Lisman sah den Captain verständnislos an. Barnett wiederum ignorierte diese Blicke und fixierte den langen Perkins, der noch immer schweigsam zu seiner Linken saß, wo bisher niemals sein Platz gewesen war. »Hörst du nichts, Perky?« Der Lange zuckte die Achseln. »Vielleicht hat er keine Gelegenheit zu senden ...« »Wer ist er?« fragte Lisman. »Unser Spion«, sagte Perry Barnett mit hintergründigem Grinsen. »Du hast Daxas als Verräter auf unserer Seite erkannt. Traust du mir nicht zu, daß ich umgekehrt auch Verräter auf der anderen Seite gefunden habe? Der Krieg im Verborgenen ist zu wichtig, als daß ich auf diese Art seiner Führung verzichten konnte.« »Du hast Geheimnisse.« »Über Spione soll man nicht plaudern, bevor sie ihre Schuldigkeit getan haben.« »Wenn du hier nicht reden willst, behauptest du praktisch, daß du an Bord unzuverlässige Leute hast.« »Ich möchte, daß du mitdenkst«, sagte Barnett, ohne sein Gesicht zu verziehen. Dafür grinsten aber Perkins und Praxlomza. »Nun«, stöhnte James Lisman, »ich bin immerhin gescheit genug, um festzustellen, daß Perky vorhin eine Botschaft mit seinem seltsamen Heiligenschein aufnahm, die direkt aus dem tesdronischen Hauptquartier zu kommen schien.« »Stimmt.«
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»Nun, wenn dieser komische Ring so eine Art Antenne mit Radio ist, dann verstehe ich nicht, daß dein Agent Meldungen abstrahlt, die jeder sofort entziffern kann.« »Die Meldung war verschlüsselt. Deshalb der ... Heiligenschein.« Lisman zögerte. Aber sein Gesicht verriet, daß er nicht aufgab. Er wollte es jetzt genau wissen. »Gut! Meinetwegen war sie verschlüsselt. Mir ist jedoch neu, daß Perkins die tesdronische Sprache erlernt hat.« »Du bist auf der falschen Fährte, James«, sagte Barnett mit einer aufreizenden Miene. »Mein Agent ist kein Tesdrone, sondern ein Mistralese.« Das Erstaunen lag nicht nur bei Lisman. Auch Bannister verhehlte nicht, daß er die Zusammenhänge nicht mehr begriff. »Ich kenne nur einen Mistralesen auf dem sechzehnten Planeten. Und das ist der Verräter Daxas ...« Lisman wurde unterbrochen. Perkins hob die Arme und gebot Ruhe. Wieder kam die verkrampfte Haltung über ihn, ohne die er sich anscheinend nicht konzentrieren konnte. Dann begann er in abgehackten Sätzen zu reden. »Kreto ist überzeugt, daß falsche Koordinaten richtig – tellurischer Angriff beschleunigte seine Entschlüsse – er erkennt seine unhaltbare Position im Mistralsystem – Fluchtgedanken werden genährt durch Hoffnung auf erfolgreichen Angriff ihres angeblichen Stützpunktes Kthosis – Kreto läßt Flaggschiff startklar machen – Reste der Tesdronen-Flotte sollen Planet sechzehn bis zum letzten Blutstropfen verteidigen – also weiterhin Vorsicht geboten – meine Position ist nicht sehr günstig – Scheinangebote von Broos sind inzwischen nicht mehr interessant für Kreto.« Barnett mußte energisch nach Ruhe verlangen, als Perkins geendet hatte. Er konnte jetzt keine langen Diskussionen zulassen. Nach der Information des Agenten würde sich Kreto zwar absetzen. Gleichzeitig aber würden die letzten tesdronischen Einheiten zum verzweifelten Widerstand rüsten. Und bei der tesdronischen Mentalität würde das kein Spaziergang für die Menschen werden. Die Sechsbeiner mochten äußerlich so unmenschlich wie nur etwas sein; ihre hochgradige Intelligenz und ihr Fanatismus durften nicht unterschätzt werden. Captain Barnett drückte eine Taste. »Hallo, Iks! Ich habe noch mehr Arbeit für dich. Wirst du es schaffen, gleichzeitig die Existenzpost und den Schutzschirm zu bedienen?« »Ich habe drei Hände. Wenn es nicht klappt, liegt es also nicht an mir, sondern allein am Energiemangel.« »Mit Energie für den Schutzschirm dürfen wir auf keinen Fall sparen. Wie weit könnten die Reserven reichen, wenn wir zwei Männer teleportieren?« »Zwei Männer? – Was verlangst du von mir? Eine Doppelteleportation kann ich höchstens über dreißigtausend Kilometer garantieren.« »Okay! Das genügt. – James und Prax, geht zu Iks-Wol-Esak und laßt euch verpacken. Ihr müßt das tesdronische Flaggschiff erreicht haben, bevor es im Hyperraum verschwunden ist. Möglichst noch bevor es den Planeten sechzehn überhaupt verlassen hat ...« * Daxas' Quartier hatte absolut nichts mit einem Hotelzimmer gemein, wie es einem verbündeten Gast zugestanden hätte. Man konnte den Tesdronen auch nicht zugutehalten, daß sie sich im Kriegszustand befanden, denn ihre eigenen Unterkünfte waren komfortabel wie in den sattesten Zeiten. Der Nachschub aus der Heimatwelt war in den letzten Wochen gleichmäßig eingetroffen, und der Ausbau der festen Station hatte gute Fortschritte gemacht.
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Daxas fand also begründeten Anlaß, sich als Gefangenen zu betrachten. Vor etwa zwei Stunden hatte er seine letzte Meldung an Barnett abgesetzt und fragte sich, ob er damit genug für den tellurischen Freund getan hatte. Und schließlich dachte er an sein eigenes Schicksal. Kreto würde sich kaum noch um ihn kümmern, denn an den neuen tesdronischen Sorgen gab es kaum noch einen Zweifel. Furcht und Ehrgeiz zugleich würden ihn von hier vertreiben. Und dennoch mußte es auch für Daxas irgendwie weitergehen. Er sollte darüber nicht lange im Ungewissen bleiben. Kurz darauf trat Premo ein. »Folgen Sie mir, Daxas!« Der Tesdrone war kurzangebunden. Daxas hatte in den letzten Tagen zu hoffen gewagt, daß er sich endgültig in das Vertrauen dieses Mannes würde einschleichen können. Doch hier stand der Offizier der Sechsbeinigen wieder zu sehr unter dem Einfluß seines Kommandanten. Er gab nicht einmal Antwort, als Daxas ihn nach dem Stand der Dinge und den weiteren Plänen fragte. Auf dem Gang standen zwei Posten, die sich ihnen anschlossen. Bewachung also! Es ging durch ein Labyrinth von Räumen und Gängen. Auf dem Flughafen kamen sie ans Tageslicht. Ihr Ziel war eines der großen Schiffe. Man führte Daxas auf das Schiff und in einen der unteren Räume bei den Maschinenanlagen. Die Zelle war eng und dunkel. Und sie war leer. Daxas erinnerte sich an das Verlies, in das er vor Tagen Premo eingesperrt hatte. »Wollen Sie sich revanchieren nach alledem, was ich für Sie und Ihre Rasse getan habe? Sie haben mir in Ihrer Sprache auch die Vokabel ›Dankbarkeit‹ beigebracht. War das vielleicht eine Finte?« »Man ist Freunden dankbar – und solchen, die einem einen Dienst erweisen. Ihr Angebot im Auftrage des Präsidenten Broos ist jedoch inzwischen völlig sinnlos ... dank Ihrer Genialität, uns die Tellurier auf den Hals zu hetzen.« »Sie wissen, daß ich daran schuldlos bin.« »Schuldlos ist niemand. Vor allem kein Verräter wie Sie. Kreto hat sich Bedenkzeit genommen, bevor er Ihr Todesurteil unterschreibt. Sie werden also wenigstens noch einmal Gelegenheit haben, unsere Reise nach Kthosis mitzumachen. Es interessiert Sie doch, Barnetts Nachschublager einmal aus der Nähe kennenzulernen?« Daxas schwieg. Und der Tesdrone ließ ihn in völliger Dunkelheit zurück. Kaum war der Mistralese jedoch allein, so entwickelte er eine Aktivität, an die niemand seiner Kerkermeister dachte. Sie hatten es von Anfang an versäumt, ihn intensiv genug zu untersuchen. Ihr Mißtrauen und Ihre Feindschaft gegen ihn waren nichts Konkretes. Die Angaben der falschen Koordinaten zum Beispiel hatten sie ihm vertrauensvoll abgenommen. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen verrückten Idealisten, dem die ehrgeizigen Pläne nun danebengegangen waren. Wahrscheinlich ließen sie ihn vorerst am Leben – in der Hoffnung, daß er ihnen vielleicht doch noch unvorhergesehene Dienste leisten konnte. Der Mistralese unterbrach seinen Gedankengang. Diese Rechnung konnte nicht aufgehen! Nicht für die Tesdronen und nicht für ihn. Barnett hatte auch ihm gegenüber nie ausführlich über seine Pläne gesprochen. Aber einmal war ihm eine Bemerkung entschlüpft. »Geben Sie ihnen diese Koordinaten, und sie werden sich wundern ... falls sie noch Zeit und Gelegenheit dazu haben werden ...« Daxas spürte plötzlich, daß Kthosis keine Reise für ihn wert war. Barnett würde niemandem den wahren Ort seiner Nachschublager mitteilen ... Daraufhin nahm Daxas den kleinen Sender und schickte eine dritte Nachricht. Diesmal war es ein Hilferuf.
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* »Entfernung?« »Vierzigtausend.« Wo waren die Tesdronenschiffe? Legten sie eine Falle? Waren sie auf einen der beiden verbliebenen Monde ausgewichen? »Entfernung?« »Fünfunddreißigtausend.« »Danke! Noch warten!« »Entfernung?« »Dreißigtausend!« »Seid ihr fertig, Prax?« »Jawohl, Perry! Wir können jetzt springen.« »Neunundzwanzigtausend ...« »Achtung! Daxas ruft!« schrie Perkins plötzlich. Niemand wagte ein Wort zu sagen. »Rede schon, Perky!« drängte Barnett. »Kreto hat mich gefangengenommen – ich befinde mich an Bord des Flaggschiffes – Start nach Kthosis kann jede Minute erfolgen – ich weiß, daß Sie mir nicht helfen können, wenn Ihr Aktionsplan andere Maßnahmen vorsieht – Viel Glück, Captain Barnett! Grüßen Sie Broos von mir!« Perkins schwieg. »Entfernung?« »Sechsundzwanzigtausend Kilometer!« »Teufel, jetzt wird es Zeit! Iks, liegt das Ziel für Teleportation genau an?« »Absolut, Perry! Die Rechenzentrale des Flaggschiffes und die Maschinenräume. Ich nehme doch richtig an, daß die beiden den Mistralesen mit zurückbringen sollen?« »Du hast es erfaßt, Iks. Und jetzt laß deine beiden Assistenten endlich verschwinden! Sonst machen wir noch eine harte Landung!« rief Barnett ins Mikrophon. In seinen Augen stand ein optimistisches Lachen. * Da sich eine Teleportation nicht im vierdimensionalen Kontinuum abspielt, konnte die Aktion vom Gegner nicht festgestellt werden. Um so mehr sah es nach einem Wunder aus, als die Tesdronen im selben Augenblick angriffen. Den Menschen blieb jedoch keine Zeit, sich über diese Frage den Kopf zu zerbrechen. Sie waren auf die Auseinandersetzung vorbereitet und reagierten sofort. An dem Angriff waren noch mehr als dreißig Schiffe aller Klassen beteiligt. Sie hetzten in einer verzweifelten Jagd der CORA nach, die soeben abgedreht hatte und möglichst einen größeren Abstand vom sechzehnten Planeten gewinnen wollte. Sie stoppte aber sofort wieder und ließ die 14 333 und die FREEDOM herankommen, um beide mit den kleinen Raumjägern unter ihren Schutzschirm zu nehmen. In dieser Formation bot die tellurische Flotte ein verführerisches Ziel. Diese Überlegung mochte den Tesdronen auch ihren verzweifelten Mut erleichtern. Sie brauchten einen taktischen Trost, der ihnen über die Tatsache hinweghalf, daß die Flotte unter Barnetts Kommando über einen Energieschirm verfügte. Ihre Chance war, mit konzentriertem Feuer einen einzigen Punkt anzugreifen, um so zu versuchen, den Schutzschirm zum Schwanken zu bringen. Sie taten es ausgerechnet an der falschen Stelle, nämlich dort, wo der Schirm am stabilsten war – bei der CORA.
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Die Jäger fanden Zeit, die Fittiche ihres Flaggschiffes zu verlassen. Sie starteten zu kurzen Vorstößen, bei denen sie nur einen einzigen Feuerstoß abgaben. Ehe sich die Tesdronen auf derartige Überraschungsangriffe einschießen konnten, waren die kleinen Maschinen bereits wieder in die Sicherheit ihres Flottenverbandes zurückgekehrt. Die Jäger hatten elf tesdronische Einheiten vernichtet, als die CORA, die 14 333 und die FREEDOM selbst aktiv in die Auseinandersetzung eingriffen. Mit diesem Moment war die Schlacht entschieden. Keines der tesdronischen Schiffe entging der Vernichtung. * Der Ausgang der Schlacht hatte auf dem Flaggschiff Kretos Entsetzen ausgelöst. Die Befehle des Flottenchefs überschlugen sich, und die ohnehin an strengen Gehorsam gewöhnten Tesdronen taten alles, um diesen Anordnungen nachzukommen. Der eigene Selbsterhaltungstrieb diktierte es ihnen. Das Flaggschiff war die letzte Einheit der Tesdronen im Mistralsystem. Für sie gab es nichts anderes als die Flucht. Die einzige Hoffnung blieb, daß es eine Flucht nach vorn sein würde. Aber die Tesdronen wußten nicht, daß bereits ein neuer Anschlag auf sie erfolgt war. Die teleportierten Menschen erschienen in Räumen, die zur Zeit nicht überwacht wurden. Praxlomza landete in der Sektion der Maschinenräume und machte sich sofort auf die Suche nach Daxas. James Lisman stand in der Rechenzentrale und studierte die unbekannten Armaturen. Er trat an das Schaltbrett. Monotones Summen und Dröhnen aus der nächsten Nachbarschaft begünstigten seine Arbeit. Bereits vorher hatte er erkannt, daß die Armaturen eine große Ähnlichkeit mit denen auf dem erbeuteten Kugelschiff hatten. Lisman fand den grünen Knopf, auf den die Grundeinstellung in der ersten Basis reagierte. Seine Funktion beruhte auf einer Drehung. James Lisman drehte also. Auf einer Meßskala wanderten sofort einige Gradstriche nach links weiter. Zehn, zwölf, fünfzehn – das mußte genügen. Dann kamen noch ein roter und ein blauer Knopf an die Reihe. Der Mensch wußte freilich nicht, was er nun einstellte. Doch das war auch nicht so wichtig. Es kam einzig und allein darauf an, daß eine sogenannte ›unmögliche‹ Einstellung erreicht wurde. Den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach würde sie das Flaggschiff Kretos irgendwohin bringen. Und irgendwo gibt es millionenfach in der Galaxis. Die Einstellung der Sprungkoordinaten war so gut wie ein Todesurteil für Kreto und seine Mannschaft. Dann spürte Lisman das Vibrieren. Das Flaggschiff war gestartet, und er hob nervös die Hand zum Zeichen für Iks-Wol-Esak, den er zwar selbst nicht mehr sehen konnte, der ihn aber drüben auf der CORA immer noch genau im Auge hatte. In diesem Moment griff das Vibrieren auf Lismans Körper über. Das hatte nun nichts mehr mit dem Raumschiff der Tesdronen zu tun, sondern war die Ankündigung des Prokas, der ihn jetzt mit seinem geheimnisvollen Gerät zurückholte. Als Lisman sich im Labor auf der CORA die Augen rieb, fragte er besorgt nach Praxlomza. »Der ist längst zurück und bereits auf dem Wege zur Brücke.« »Allein?« »Natürlich nicht. Er hat Daxas mitgebracht, wie es dem Befehl des Captains entsprach.« *
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»Beim Weltall!« donnerte Perry Barnett. »Gib ihm endlich die Hand!« Damit war Lisman gemeint, der sich der allgemeinen herzlichen Begrüßung des Mistralesen bisher nicht angeschlossen hatte. »Ich begrüße Sie, Daxas!« brummte Lisman schließlich. »Das klang nicht echt. Du hast allen Grund, dich bei unserem Freund zu entschuldigen.« »Eine Entschuldigung, Daxas, hören Sie erst von mir, wenn Sie selbst gebeichtet haben. Oder wollen Sie abstreiten, daß Sie mich absichtlich hinters Licht führten?« »Ja und nein. Es galt, alle hinters Licht zu führen. Wenn Sie glauben, es sei nur eine Bosheit Ihnen gegenüber gewesen, so sind Sie im Irrtum.« Barnett ergriff wieder das Wort. »Daxas und ich hatten einen Plan. Und der wurde konsequent durchgeführt. Du weißt inzwischen, daß ich einen Agenten brauchte.« »Erzähle schon!« drängte Lisman. »Du bist wohl allen eine Erklärung schuldig.« »Gut! Die Eigenschaft der Agententätigkeit ist vor allem, daß sie im geheimen erfolgt. Wir sind diesmal kein Risiko eingegangen, denn wer konnte uns dafür garantieren, daß nicht auch in unserer Nähe Spione der Tesdronen saßen? Wir hatten in den letzten Tagen häufig Kontakt mit den Mistralesen ... Ich machte die Sache also mit Daxas allein. Du weißt, daß er damals als Gefangener auf Kerila einen Speziallehrgang in Tesdron machen durfte. Kannst du mir vielleicht einen besseren Mann empfehlen?« »Jetzt, wo die Sache geklappt hat, ist das wohl kaum notwendig.« Barnett fuhr grinsend fort: »Die Übergabe der Gefangenen gehörte ebenfalls zu diesem Plan. Daxas brachte Premo auf die Seite und meldete ihn als tot. Premo war einflußreich genug, um uns den Weg in das feindliche Lager zu ebnen. Es war natürlich nicht leicht, das Vertrauen dieses Mannes zu gewinnen. Aus diesem Grunde spielten wir ihm ein glaubwürdiges Theater vor. Was meinst du, wer für solche Rollen besonders geeignet ist?« »Schauspieler natürlich.« »Es gibt bessere Leute. Solche wie du.« James Lisman sog die Luft ein. »Wieso?« »Die beste Vorstellung gibt das Leben selbst. Du warst ein genialer Akteur, weil du ohne Verstellung spieltest. Als ich deine Eifersucht auf Daxas begriff, war ich gescheit genug, sie ebenfalls noch mit in unseren Plan einzubauen. Du entsinnst dich der letzten Unterredung, die ich in Leeruna mit Daxas hatte.« Lisman nickte. »Ich wollte dich anrufen und auf die Verfolgung gehen. Im selben Augenblick machtest du mir den gleichen Vorschlag.« »Jawohl! Ich wollte, daß du feststellst, was ich längst wußte. Was ich sogar besser wußte. Aber das wäre für dich natürlich schon wieder zuviel gewesen.« »Jetzt weiß ich auch, weshalb ich gestern keine Schußwaffe mitnehmen durfte«, stöhnte Lisman. »Ich sollte Premo lediglich die Entzweiung zwischen uns und Broos glaubwürdig machen. Ich hätte nie geglaubt, daß ich darauf hereingefallen wäre.« »Alle sind hereingefallen. Vor allem der Gegner. Und darauf kam es an. Deine Rolle war keineswegs lächerlich, sondern äußerst wertvoll für uns.« Lisman ging auf Daxas zu und reichte ihm noch einmal die Hand. »Kommen Sie her, Freund! Jetzt entschuldige ich mich sogar freiwillig bei Ihnen. Wissen Sie, was mich zum Schluß noch am meisten in Harnisch gebracht hat?« »Sie waren mir böse, daß ich Ihnen mit dem Tesdronen von meinem Landhaus entwischt bin.« »Ganz genau«, nickte Lisman. »Aber jetzt Hand aufs Herz! Sie wußten, daß ich unbewaffnet war und nur ein hochprozentiges Scheinwesen aus der prokaskischen Existenzpost. Und nur deshalb besaßen Sie den Mut, mir davonzulaufen.« »Genauso war es«, nickte Daxas. Die kleine tellurische Flotte nahm Kurs auf Mistral fünf. Barnett setzte einen ausführlichen Funkspruch an Skeen auf Terra ab, der alle notwendigen
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Einzelheiten über die letzten Ereignisse enthielt. Der Schluß lautete: »... bis auf ein Schiff wurde die tesdronische Flotte vernichtet. Das entkommene Flaggschiff ist durch falsche Sprungkoordinaten in unbekannte, hyperdimensionale Beziehungen geraten und kann nur durch einen unwahrscheinlichen Zufall wieder in unsere Raum-Zeit-Region zurückkehren. Das System Mistral ist frei. Wir bitten um weitere Befehle und um laufende Orientierung über die Besprechungen mit der prokaskischen Regierung.« Nun, die Besprechungen mit den Prokas waren praktisch illusorisch geworden, nachdem Barnett inzwischen klare Verhältnisse geschaffen hatte. Die Stunden vergingen. Als über Leeruna die Nacht hereinbrach, setzte die CORA zur Landung an. Die Männer gingen bereits von der Brücke, da kam Skeens Antwort von Terra. Bannister schaltete den Lautsprecher ein, so daß alle mithören konnten. »Hier Marshall Skeen. Ich rufe Captain Barnett vom Raumschiff CORA: – Soeben trifft Bescheid von Poldini II ein. Unsere Delegation hat die Verhandlungen mit der prokaskischen Regierung in vollstem Einvernehmen zu Ende geführt. Ihre Handlungsweise, Captain, wird akzeptiert. Man bittet lediglich der Form halber, einen der prokaskischen Zeugen, Nam-Legak oder Iks-Wol-Esak, zur abschließenden Berichterstattung zur Zentralregierung. Ihr Auftrag ist beendet! – Einen Gruß von Ihrer Frau, Barnett, und Sie sollen stehenden Fußes nach Terra zurückkehren. Das ist ein Befehl! – Ende.« Die Männer lachten. »Beim All! Die vorsichtigen Prokas brauchen Zeugen! Was hältst du davon, Iks, wenn wir alle nach Poldini II fahren, um euch dort beim Regierungschef abzuliefern?« »Sehr viel! Ich möchte nämlich wieder einmal Urlaub machen.« Nam-Legak teilte mit ihnen das Reisefieber. »Jawohl, einmal wieder nach Poldini II!« * Eine Stunde später hob Perry Barnett offiziell den Ausnahmezustand auf. Die Kapitäne erhielten wieder die alleinige Befehlsgewalt über ihre Schiffe zurück. Maine mit der 14 333 mußte noch bleiben, solange Dr. Preem mit den Mistralesen verhandelte. Captain Helmer flog mit den beiden Kreuzern und der erbeuteten Tesdronenkugel direkt nach Terra zurück, und Barnett rüstete zum Flug nach Poldini II. Der Präsident gab noch im Grünen Palast ein Essen, an dem auch Barnett und seine Besatzung teilnehmen mußten. Es war alles sehr feierlich, herzlich und auch voller aufrichtiger Dankbarkeit den Telluriern gegenüber, die das Mistralsystem vor Schlimmerem bewahrt hatten. Alle amüsierten sich und kamen auf ihre Kosten – bis auf einen. Es war gegen Mitternacht, als Barnett ihn abseits und allein antraf. »Nun, Daxas, bekommt Ihnen das Feiern nicht? Sind Sie ein Kostverächter?« »Absolut nicht, Sir. Ich muß nur daran denken, daß Sie morgen starten. Es war eine schöne Zeit mit Ihnen, die ich nie vergessen werde. Ich beneide Sie, Sir. Sie sind in der ganzen Galaxis zu Hause. Sie haben Freunde an Bord, die einmal Ihre Feinde waren. Für einen, der zurückbleiben muß, ist das ein guter Grund, sentimental zu werden.« »Sie müssen ja nicht zurückbleiben, Daxas. Ich bin der alleinige Herr auf meinem Schiff. Und Männer wie Sie brauche ich immer.« »Soll das heißen, Captain ... soll das heißen, daß Sie mich mitnehmen würden?« Das Gesicht des Mistralesen glühte vor Erregung. »Ja, das würde ich«, sagte Barnett und hob drohend den Finger. »Unter der Bedingung, daß Sie meinem Freunde Lisman niemals wieder verdächtig werden.« ENDE
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Der Prokaskische Krieg erscheint bei story2go Verlag Thomas Knip, Pestalozzistr. 57A, 10627 Berlin. © Copyright 2009 bei Shols Erben und Mohlberg Verlag. © Copyright 2009 der eBook-Ausgabe bei story2go. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Dieser Band kann beim Mohlberg Verlag (www.mohlberg-verlag.de) als gedruckte Ausgabe bezogen werden. Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
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