Terra Astra Band 443
E. C. Tubb
Der Menschenjäger Ein neues Abenteuer mit Earl Dumarest, dem kosmischen Vagabunden
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Terra Astra Band 443
E. C. Tubb
Der Menschenjäger Ein neues Abenteuer mit Earl Dumarest, dem kosmischen Vagabunden
Die Hauptpersonen des Romans:
Earl Dumarest — Der kosmische Vagabund auf der Flucht vor dem Tod. Leo Bochner — Ein Menschenjäger. Caradoc — Ein Kyber 1 Varn Egulus — Kapitän der ENTIL Dilys — Maschinistin der ENTIL
1.
Die Blumen auf der breiten Fensterbank paßten nicht zur spartanischen, unpersönlichen Einrichtung des Raumes, noch weniger zu der Trostlosigkeit der Welt draußen. Ein Planet wie viele andere in der Galaxis - ausgebeutet und zerstört. Wo einmal Grün die Hänge überzogen hatte, war nichts als kaltes, ausgewaschenes Gestein und trockener Sand. Giftiger Regen hatte sich in den Tümpeln zwischen Ruinen und Fabriken gesammelt. „Caradocs Idee", sagte eine Stimme hinter Kyber Irae. „Er meinte, es könnte helfen." „Die Blumen?" Irae drehte sich um. „Wem?" Yoka trat näher, ein wandelndes Skelett mit pergamentener Haut. Kein Kyber war dick, denn überflüssiges Fettgewebe beeinträchtigte die Leistungsfähigkeit der Maschine, die sein Körper war. Doch selbst unter ihnen bildete Yoka eine Ausnahme. Sein Körper unter der scharlachroten Robe war Haut und Knochen, der glattrasierte Schädel der eines Toten. Die tief in ihren Höhlen liegenden Augen leuchteten, brannten mit der Flamme trainierter und gerichteter Intelligenz. „Nicht uns, Kyber Irae. Sie sind für jene da, die in diesem Raum zu warten haben, und Sie sollten wissen, warum." Irae wußte es. Draußen die abstoßende, erschreckende Einöde von Titanus - hier im Gebäude ein wohliger Kontrast, eine Atmosphäre der Geborgenheit, die nur der Ky-Clan zu geben in der Lage war. Geborgenheit in der Macht des Clans, Symbole für all die Vorteile und den Reichtum, den die Organisation jenen geben konnte, die ihre Hilfe in Anspruch nahmen. Ein Kontrast zu subtil, um von Besuchern sofort bewußt wahrgenommen zu werden, doch er tat seine Wirkung in ihrem Unterbewusstsein.
„Caradoc beweist Weitblick und Intelligenz. Ein Schüler?" „Nicht mehr." Yoka hob eine Hand und berührte die Brust, machte eine Geste, die zeigte, daß der Schüler die letzten Prüfungen bestanden hatte und nun einer der ihren war. Zwischen den dünnen Fingern glühte das Symbol des Ky-Clans im einfallenden Licht. „Ein junger Mann, der viel verspricht. Er kann uns gute Dienste leisten und viel erreichen." Falls er nicht den einen unverzeihlichen Fehler beging - das Verbrechen des Scheiterns. Irae betrachtete wieder die Blumen auf der Fensterbank und in den Ecken des Raumes und dachte an andere, die vielversprechend begonnen und dann doch für ihr Scheitern mit dem Tod bezahlt hatten. Er hatte nicht die Absicht, eines Tages zu ihnen zu gehören. „Sie sind sicher, daß sich Dumarest nicht auf dieser Welt befindet?" „Völlig sicher", antwortete Yoka. „Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß er auf Titanus zu finden sei, betrug 73 Prozent." „Das ist nicht viel." „Nein, und offensichtlich wurden nicht alle Faktoren berücksichtigt und Entwicklungen nicht vorhergesehen. Dennoch sind wir nahe." So nahe, wie sie ihm schon so oft gewesen waren. Die Gefangennahme hatte jedesmal kurz bevorgestanden, doch ein unerklärliches Glück schien Dumarest von Planet zu Planet zu folgen. Jenes Glück, dessen Spur die Leichen von Kybern waren, die Dumarest getötet hatte, um zu entkommen. Der Verlust von geschulten Intelligenzen, die einmal Teil der Zentralintelligenz werden sollten, wie es jedem Kyber bestimmt war, der seinen Wert bewiesen hatte. „Es widerspricht jeder Logik", sagte Yoka. „Wie kann ein Mann sich der Gefangennahme für so lange entziehen?"
Mehr als Glück. Der Instinkt, der sich meldete, wenn eine Gefahr sich näherte. Die Wachsamkeit, die die kleinsten Zeichen zu deuten wußte. Der siebte Sinn eines Mannes, dessen Leben Flucht war. Und doch konnte Dumarest den Clan nicht abschütteln. Die Kyber saßen ihm auf den Fersen, nahmen eine Handvoll Fakten und extrapolierten, konnten den Weg bestimmen, den er als nächsten nehmen würde, unter Dutzenden von möglichen Fluchtwelten jene ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit dafür aufwies, daß Dumarest sich tatsächlich dorthin begab. Immer wieder hatten sie ihn aufgespürt, und immer waren sie für Stunden, manchmal Minuten zu spät gekommen. „Wir wissen, daß Dumarest sich irgendwo in der Rinne befindet", sagte Irae. „Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 99 Prozent. Wir kennen die Route von jedem Schiff, das die relevanten Welten in den letzten Wochen verlassen hat, und haben unsere Agenten auf jedem Raumhafen." Und doch war Dumarest noch frei. „Ihre Folgerungen?" „Die Rinne", sagte Yoka. „Ein guter Ort, um sich zu verstecken. Zu gut. Ein Sektor des Weltraums, in dem die Sonnen nahe beieinander standen und die Welten nicht zu zählen waren. Ein Sektor, in dem gegensätzliche Energien in gefährlichen Wirbeln aufeinander trafen und Materie zu existieren aufhörte. Ein Sektor, in dem Planeten hinter dichten Schleiern aus kosmischem Staub verborgen waren und wie leuchtende Fackeln in einem Netz aus zerstörerischen Kräften hingen. Ein Heuhaufen, in dem eine Nadel für immer verloren sein konnte. Irae wandte sich von den Blumen ab. Wie eine scharlachrote Flamme stand er vor dem respektvoll wartenden Yoka. „Ausgehend von allen zur Verfügung stehenden Informationen, beträgt die Wahrscheinlichkeit, Dumarest zu entdecken, 53 Prozent. Erst wenn er lokalisiert ist, kann eine optimistischere Voraussage gemacht werden."
„53 Prozent für eine Gefangennahme", korrigierte Irae. „87 Prozent für die Lokalisierung. Selbst falls er im Raum ist, wird er früher oder später landen müssen, wo ihn unsere Agenten erwarten." „Es gibt zu viele Welten in der Rinne", widersprach Yoka. „Falsch, Kyber Yoka. Wir wissen, wo sich Dumarest zuletzt aufhielt und kennen die Routen der Schiffe, die von dort starteten. Er kann nur ein Ziel haben - den Quillian-Sektor. Doch ihn dort zu finden, wird schwer sein." „Für einen Kyber?" „Für jeden, der nicht ein Experte im Jagen von Menschen ist. Ich habe einen Jäger gefunden." * Leo Bochner sah nicht nach einem Menschenjäger aus. Groß, schlank, fast von femininer Gestalt und Haltung, mit sanftem Gesicht, sanften Händen und sanfter Stimme. Er stand abwartend vor den beiden Kybern und erkannte instinktiv, wer von ihnen die größere Autorität besaß. Irae registrierte es wie die Kleidung des Mannes: gut, doch nicht zu auffallend. Geschmackvoll und zu Bochners Erscheinung passend. Ein Fehlgriff? Irae hatte gelernt, hinter die Kulissen zu blicken. Er entdeckte die feinen, stahlharten Muskelstränge im Gesicht Bochners, den Blick des Jägers, die hintergründige Entschlossenheit in seinen Worten und Gesten. Die Augen straften seine Erscheinung Lügen. Es waren die eines Wolfes, eines Tigers, eines erbarmungslosen Killers, und doch sanft für den, der nicht den geschulten Blick eines Kybers besaß. „Erzählen Sie mir über sich", sagte Irae. „Sagen wir, ich habe eine Affinität zu allem Wilden", begann Bochner. In seiner Stimme lag kein Stolz. Sie war ein Instrument zum Vermitteln von Botschaften, sonst nichts.
„Menschliches Wild. Ich weiß, wie es fühlt und denkt, kann mich in es hineinversetzen und weiß so, was es tun wird." Mit der gleichen gefühllosen Stimme fügte er hinzu: „Wahrscheinlich bin ich der beste Jäger, der je auf Pontia geboren wurde, und auf dieser Welt jagt oder stirbt man. Doch wozu die Fragen? Sie haben genug Informationen über mich einzie hen lassen, und wären sie nicht zu Ihrer Zufriedenheit, wäre ich nicht hier." Ein bezahlter Mörder, und ein guter. Doch der Ky-Clan hatte ihn nicht kommen lassen, um zu morden. „Ich verstehe", sagte Bochner, als Irae dies noch einmal betont hatte. „Ich soll Dumarest finden und ihn unter Anwendung der gerade nötigen Gewalt so lange festhalten, bis Ihre Agenten da sind, um ihn in Empfang zu nehmen. Nun, Sie werden ihn bekommen. Und ich ..." „Sie werden gut bezahlt werden", sagte Yoka. „Der Ky-Clan bricht nicht sein Wort. Sie werden mit Macht und Reichtum belohnt, falls Sie Erfolg haben, mit etwas weniger Erfreulichem, sollten Sie scheitern." „Ich werde nicht scheitern." „Sie kennen den Quillian-Sektor?" erkundigte sich Irae. „So gut es einem Menschen möglich ist - einige Stellen gut, andere weniger gut oder gar nicht. Doch solche Stellen kennt niemand - die Welten, die angeblich hinter dichten Wolken aus Staub und mörderischen Energien versteckt liegen. Nichts als Gerüchte." „Verschwundene Expeditionen und wieder aufgegebene Forschungsprojekte. Das interessiert uns nicht. Uns geht es um Dumarest." „Bringen Sie mich zu einer Welt, und wenn er sich dort aufhält, finde ich ihn. Geben sie mir ein Dutzend Planeten, und ich sage Ihnen, auf welchem von ihnen er steckt. Sie denken, ich bluffe?" Der Jäger schüttelte den Kopf. „Ich spreche aus Erfahrung." „Andere machten die gleichen Versprechungen. Sie sind tot."
„Von Dumarest getötet?" Bochner betrachtete seine Hände. „Ich kann sehr gut auf mich achtgeben." Auch dies hatten andere von sich geglaubt. Irae fragte: „Abgesehen von der Belohnung, Bochner - was ist der andere Grund, aus dem Sie Dumarest jagen wollen?" „Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was Sie mir über ihn erzählten, ist er das gefährlichste, unberechenbarste und interessanteste Wild in der Galaxis." * Das Schiff war klein und namenlos. Seine Besatzung bestand aus gehorsamen Dienern des Ky-Clans. Allein in seiner Kabine, machte er gerade einige Kunststücke mit einem spitzen, kurzen Messer. Er sah den Kyber und lächelte. „Eine Pistole ist einfacher zu handhaben und für manchen sicherer. Doch sie gibt einem Mann nicht das Gefühl, das ein Messer in der Hand vermitteln kann. Es ist ein Teil von ihm, tödlich und lautlos. Dumarest kämpft mit einem Messer?" „Sie haben die Berichte gelesen." „Worte auf Papier. Was sagen Sie mir über den Mann? Ich muß wissen, wie er aussieht, wie er sich bewegt, wie er atmet. Sie glauben, ich scherze? Wie ist Dumarest wirklich?" „Ich habe ihn nie gesehen." „Er trägt grau, kämpft mit dem Messer, reist. OberdeckPassage, wenn er das Geld dazu hat, Unterdeck, wenn nicht. Es gibt viele solche Männer. Was macht ihn so besonders?" Bochner deutete auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich und trinken Sie ein Glas Wein mit mir." „Nein." Natürlich. Caradoc war ein Kyber, eine lebende Maschine. Nahrung, egal in welcher Form, erfüllte nur den Zweck, den Körper kräftig zu halten - Öl für die Maschine. Er kannte, wie alle anderen Kyber, keine körperlichen Freuden. Alles, was er
empfinden konnte, war das Glück geistiger Erfüllung. Bochner nahm die große Korbflasche und trank in langen Zügen. Niemals würde er mit einem Kyber tauschen wollen. „Warum tun Sie das?" fragte Caradoc. „Warum schütten Sie Gift in Ihren Körper?" „Ja, warum tun wir das? Vielleicht, um vor uns selbst zu fliehen, vielleicht, um eine Traumwelt zu finden. Manche brauchen den Alkohol, um zu leben. Ich gehöre nicht zu ihnen, meine scharlachroter Freund. Eine dunkle Kneipe. Es gibt sie überall, wo man auf sein Opfer lauert. Manchmal muß ich Stunden an einem Tisch sitzen und trinken, um nicht aufzufallen. Ich muß daran gewöhnt sein und bleiben, um meine Sinne nicht vernebeln zu lassen, meine Reflexe nicht es verlieren, wenn es ernst wird." Er trank wieder. „Testen Sie mich jetzt, und ich werde so nüchtern sein wie Sie. Doch der Alkohol hat noch einen Vorteil. Er hilft über die Langeweile hinweg, über die Zeit des Wartens." Es gab ein besseres Mittel, um die Zeit an Bord eines Schiffes zu verkürzen. Der Steward brachte es eine Stunde später, als das Schiff auf Kurs war. Schnellzeit, die Droge, die den Metabolismus eines Menschen so stark verlangsamte, daß Tage für den damit Versehenen zu Minuten wurden. Der Steward nickte Caradoc zu und setzte die Injektionspistole an Bochners Hals und drückte ab, ehe der Jäger überhaupt sein Eintreten bemerkt hatte. Bochner fiel bewußtlos von seinem Stuhl. „Minimale Dosis, wie befohlen", sagte der Steward. „Das reicht. Sie haben das Nötige? Gut. Treten Sie zur Seite." Caradoc drehte den Bewusstlosen auf den Rücken. Der Steward reichte ihm ein dünnes Instrument und eine Kapsel, dann ein Anästhesiespray mit einer feinen Düse. Caradoc führte das Instrument in Bochners rechtes Nasenloch und sterilisierte die inneren Membranen, dann die Nebenhöhle. Er zog das Instrument heraus und befestigte die Kapsel an seinem Ende,
führte es durch das Nasenloch wieder in die Nebenhöhle, wo sich die Substanz der Kapsel zum Teil auflöste und schnell festsetzte. Nur der feste Kernteil von ihr blieb, wie er war. Caradoc desinfizierte noch einmal und gab die Sachen an den Steward zurück. „Nun heben Sie die Wirkung der Droge auf", befahl er. Eine Gegeninjektion, ein Schock, doch Bochner war gesund und konnte ihn ertragen. Und was machte es, wenn sich später einmal Nachwirkungen zeigen sollten? Er war nichts als ein Werkzeug für den Ky-Clan. Die kleine Kapsel in seiner Stirn war ein empfindliches Instrument, das beim Empfang eines Signals sofort beginnen würde, kodierte Impulse auszustrahlen. Ganz egal, wo der Mann sich befand oder später einmal zu verstecken versuchte - die Agenten des Ky-Clans würden ihn überall finden. Darüber hinaus konnte die Kapsel durch entsprechende Impulse zur Explosion gebracht werden. Kein Lebender hatte den Ky-Clan jemals betrogen, und Bochner würde nicht der erste sein. Der Steward verschwand. Bochner begann sich zu bewegen, zunächst langsam, dann normal. Caradoc stand vor ihm, als ob nichts geschehen wäre, und tatsächlich gab es für den Jäger keinen Riss in seiner Erinnerung. Er hatte den Steward nicht gesehen. Er saß so wie zuvor. Der Jäger fühlte sich unwohl in der Gesellschaft des Kybers. Er wollte allein sein. Doch noch gab es Dinge zu besprechen. „Woher wollen Sie wissen, daß Dumarest sich im QuillianSektor befindet?" fragte er. Caradoc registrierte zufrieden, daß die Bewußtlosigkeit für sein Gegenüber nichts weiter als ein Augenzwinkern gewesen war. Er sagte: „Logik. Das Ergebnis einer Extrapolation aller Fakten." „Und doch sind Sie nicht ganz sicher. Sie wissen ungefähr, wo er sich aufhält."
„Völlige Sicherheit kann es niemals geben. Es bleibt immer ein Unsicherheitsfaktor, den es zu eliminieren gilt." „Der Quillian-Sektor", murmelte Bochner. „Wo der Weltraum verrückt spielt, die Sonnen sich gegenseitig verbrennen und ihre Energien in den Raum schleudern, unheimliche Formen von Energie, so daß Männer gegen Schatten zu kämpfen und Frauen zu schreien beginnen, wenn sie Phantome im grellen Lic ht um sich herum sehen. Ealius, Cham, Ninik..." „Swenna", fügte der Kyber hinzu. „Vult und Pontia." Er machte eine Pause, sah den Jäger an und wiederholte gedehnt: „Pontia ..." „Die Welt, auf der ich geboren wurde", sagte Bochner, und seine Stimme paßte nun völlig zur sanften Häßlichkeit seines Gesichts. „Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich mein Jagdgelände kenne."
2.
Dumarest hörte den Schrei, blickte auf und sah den Tod vom Himmel fallen. Der Greifer des Baggers war über ihm, die Zähne der riesigen Backen rissen auseinander. Tonnen von Schlamm und Geröll stürzten herunter, nicht auf die Ladefläche des Lastwagens, sondern direkt auf ihn, um ihn zu zerschmettern. Kein Unglücksfall. Der Wagen war näher am Bagger, als er selbst. Doch es blieb keine Zeit zum Denken. Noch bevor der Warnschrei erstarb, war Dumarest in Bewegung. Er warf sich zur Seite, fühlte, wie seine Stiefel auf dem glitschigen Untergrund rutschten, verlor das Gleichgewicht und stürzte, als die Tonnenlast herunterkam. Er hatte Glück. Eine Sekunde Zögern, und er wäre erschlagen und begraben worden. So wurde nur seine linke Schulter getroffen, und die Wucht des herunterkommenden Erdreichs
schleuderte ihn weiter in die Richtung seines Falles, auf einen Abhang zu. Er konnte sich nicht halten, rollte, versuchte, auf die Beine zu kommen, stürzte wieder, bis er den Abhang herab war und am Rand des mit Wasser vollgelaufenen, ausgehobenen Grabens lag. Die Schlammlawine folgte ihm, erreichte ihn, wälzte sich über ihn hinweg und drückte sein Gesicht ins Wasser. Er konnte sich nicht bewegen. Wie die Faust eines Titanen lastete das Erdreich auf ihm, die Faust, die ihm die Seele aus dem Leib preßte und ihn töten würde, wenn er nicht auf den Rücken kam, um zu atmen. Er legte alle Kraft in die Muskeln seiner Arme und Beine. Blut hämmerte in seinen Ohren. Der Schmerz drohte ihm die Sinne zu rauben. Langsam, ganz langsam bewegte er sich, kam er in die Höhe, gelang es ihm, den Kopf zu drehen, bis die Nase über dem Wasser war. Luft! Er konnte atmen, doch das war alles. Der geringe Freiraum, den er sich hatte schaffen können, reichte nicht aus, um seinen Körper aus dem Schlamm zu ziehen. Er mußte warten. Allein war er verloren. Warten auf eine Hilfe, die nie zu kommen brauchte. Auf Ealius gab man nicht viel für ein Menschenleben. Nur die ausgebildeten Techniker besaßen einigen Wert, der Rest war verzichtbar und schnell wieder zu beschaffen. Diejenigen, die hier das Sagen hatten, konnten entscheiden, daß er eine Rettungsaktion nicht wert war. Besser ließe man ihn, wo er war, begraben, vergessen. Was zählte, war allein der Weiterbau des Tunnels. Nach Stunden fühlte und hörte Dumarest das Arbeiten von Greifern. Man mußte den Dreck, unter dem er begraben lag, wegschaffen und nahm keine Rücksicht darauf, daß ein verwundbarer Mensch darunter liegen könnte. Die stählernen Zähne fielen herab, gruben sich in den Schlamm und schlössen sich, schafften ihn beiseite und kehrten zurück. Nur die Sorge, die Wände des Kanals nicht zu beschädigen, ließen den
Baggerführer dort, wo Dumarest lag, etwas vorsichtiger operieren. Erneut fiel der Greifer. Die Erde um Dumarest herum wurde erschüttert, und er spürte etwas Hartes an seinem Bein. Dann strichen die Zähne über seine Hüfte. Wieder hatte er Glück. Ein paar Zentimeter tiefer, und die Zähne des Greifers hätten seinen Körper zerfetzt. Doch seine Beine waren fast frei. Dumarest hielt den Atem an und stemmte sich mit allerletzter Kraft gegen das Gewicht in seinem Rücken. Er arbeitete sich zurück, nach dort, wo der Greifer das Gewicht von seinen Beinen genommen hatte, und als die stählernen Klauen wieder erschienen, war er bereit. Als sich die Zähne direkt neben ihm in die Tiefe bohrten, wälzte er sich mit dem Schlamm in den Greifer. Er wurde in die Höhe gerissen. Der Arm des Baggers schwenkte herum, und als er seine Last über einem Wagen entlud, war Dumarest frei. Er fiel und landete zwischen Geröllbrocken und Schlamm auf der Ladefläche. Jemand stieß einen Schrei aus. „Es ist Earl! Verdammt, es ist Earl!" Carl Devoy, dem die Stimme gehörte, kam über den Rand der Ladefläche geklettert und blieb keuchend vor Dumarest stehen. Sein Gesicht war verschmiert. „Mein Gott! Er lebt noch! Geben Sie mir die Hand, Earl! Schnell!" Zwei andere Männer kamen und halfen mit, Dumarest aus dem Schlamm zu ziehen. Ein dritter brachte einen Eimer mit Wasser und schüttete ihn über Earl aus, als er neben dem Fahrzeug am Boden lag. „Earl?" „Ich bin in Ordnung." Dumarest streckte sich, atmete schwer, fühlte kaum, wie das Wasser von seinem Gesicht herab und in seinen Arbeitsoverall lief. Als er die Hände abwischte, fragte er: „Wer führt den Bagger?"
„Menser." Devoy blickte zu dem Mann hinüber, der in der Kabine der riesigen Maschine saß. „Ich sah, wie der Greifer plötzlich sprang und brüllte, aber es war scho n zu spät." „Nein", sagte Earl. „Hätten Sie nicht geschrien, wäre ich jetzt tot. Und dann?" „Sie meinen, was wir taten, nachdem das Zeug auf Sie herunterkam? Sie nahmen an, daß Sie tot seien und hätten sich nicht weiter um Sie gekümmert, aber Strick wollte, daß der Kanal gesäubert werden sollte." Dumarest sah zum orangeroten Himmel auf, dann hinüber zum Bagger, versuchte, das Gesicht des Mannes in der Kabine zu erkennen. Als ein Pfeifton schrillte, kletterte der Baggerführer heraus - ein Riese weit über zwei Meter groß und mit mächtigen, breiten Schultern. Ein schwarzer Gigant mit massiven Händen und Beinen wie Bäume. Er kam jetzt auf die wartende Gruppe zu, blieb vor Dumarest stehen, grinste und spuckte auf den Boden. „Sie hatten Glück, Mister." „Nein", knurrte der Terraner. „Sie waren achtlos." „Der Unfall?" „Wenn's einer war." „He, Mann, bezweifeln Sie es? Ein Kabel klemmte, und ich müßte es Freischütteln. Darum schwenkte ich den Greifer vom Wagen weg. Kommt schon mal vor, daß einem dabei die Ladung verloren geht." „Über mir?" „Ich habe Sie nicht gesehen." Menser spuckte erneut. „Ich hatte andere Dinge im Kopf." Lüge oder Wahrheit. Man würde Menser schwer etwas nachweisen können. Dumarest studierte den Mann, sah die Augen mit den weißen Ringen in der Iris und den rotunterlaufenen Winkeln. Zeichen für die Droge, die er kaute, Zeichen wie die rote Spucke auf dem Boden. Das Gift, das fast alle hier auf Ealius zu sich nahmen, um zu vergessen und für
Stunden ihr zweifelhaftes Glück, ihren ganz privaten Himmel zu finden. Als der Pfeifton zum zweitenmal erklang, sagte Devoy: „Kommen Sie, Earl. Lassen Sie uns von hier verschwinden. Die nächste Schicht ist im Anmarsch." * Die Unterkünfte der Arbeiter waren menschenunwürdig: unsauber, spartanisch eingerichtet und klein. Gegessen wurde in einer schmutzigen Baracke, geschlafen in Gemeinschaftsräumen und auf verfilzten Decken. Zum Waschen gab es ein langes, flaches Gebäude mit einem langen Becken und zu beiden Seiten von eiskalt bis siedend heiß verstellbare Duschen. Der ganze Raum war voller Dampf, aus dem die Stimmen der Männer drangen, deren Schicht zu Ende war. Dumarest stand neben Devoy unter einer Dusche und ließ sich vom heißen Wasser den Schmutz und den Schweiß vom Körper spülen. Devoy gab ihm ein Stück Seife. „Die Mädchen in der Stadt haben es gern, wenn ihre Kunden gut riechen", sagte er augenzwinkernd. Dumarest hatte anderes im Kopf. Menser. Er kannte diesen Typ Mann. Während Devoy kopfschüttelnd seine Wunden und Narben betrachtete, während einige der anderen Arbeiter durch die Zähne pfiffen, als sie daran erkannten, daß sie einen Kämpfer vor sich hatten, einen Mann, der sich sein Geld in den Arenen verdiente, dachte er an ihn, an das „Unglück" und an das, was Menser als nächstes versuchen würde. Im Gegensatz zu Dumarest, der jedes Aufsehen vermeiden mußte und sich bisher, so gut es ging, abseits gehalten hatte, suchte Menser den Streit. Er gehörte zu jenen, die überall auf Welten wie Ealius versuchten, durch Gewalt und Intrigen ganz nach oben zu kommen, zu überleben, sich zu profilieren, um eines Tages die Schaufel gegen ein Gewehr in der Armee irgendeines machthungrigen Diktators eintauschen zu können.
Er sah, wie der Hüne, gefolgt von einigen Männern, die ein Spektakel witterten, den Waschraum betrat. Dumarest tat so, als hätte er ihn nicht bemerkt. Menser konnte ihm egal sein, solange er ihn in Ruhe ließ, doch die Art und Weise, wie der Baggerführer näher kam, zeigte, daß er sein Ziel bereits erfaßt hatte. Ein Kämpfer wie Dumarest, ein Rivale, ein Mann, dessen Leiche ihm auf mehr als eine Art nützlich sein würde. „Er ist berauscht", warnte Devoy. „Voll gestopft mit dem Zeug, das ihn blutgierig macht. Lassen Sie uns von hier verschwinden." Guter Rat, doch Dumarest winkte ab. Menser würde einen Weg finden, ihn herauszufordern, wenn nicht hier und jetzt, dann später an einem vielleicht ungünstigeren Ort. Dumarest stand breitbeinig unter der Dusche, die Seife in der Hand, und ließ ihn kommen. Menser schwang die Fäuste wie ein Schattenboxer in den dichten Dampfschwaden. Seine Absicht war klar. Zufällig würden seine Fäuste auf Dumarest landen, ihm die Knochen brechen, und dann würde er erklären, er hätte durch den Dampf hindurch nichts sehen können. Die Männer neben ihm beeilten sich, Menser aus dem Weg zu kommen. Dumarest blieb stehen und wartete mit zusammengekniffenen Augen. Mensers Muskelpakete spielten unter der glänzenden, schwarzen Haut. Er blieb stehen, grinste Dumarest an und spuckte ihm vor die Füße. „Wartest du auf mich, Freund? Nett vo n dir und schade, daß du einen zweiten Unfall haben wirst." Er lachte irr. „Einen schlimmen Unfall." Dumarest schleuderte die Seife ins Gesicht des Hünen, direkt unter die Braue, und mit solcher Wucht, daß der Augapfel herausgedrückt wurde. Bevor Menser sich von dem Schlag erholen konnte, sprang er vor, riß den Fuß hoch und trat mit voller Wucht gegen das Kinn des Gegners. Genauso gut hätte er gegen eine Mauer treten können. Menser schrie auf. Eine Hand fuhr zu seinem ruinierten Auge, fiel herab,
als Dumarest zum zweitenmal trat. Verletzt war er nun noch gefährlicher. Der Schmerz machte ihn rasend, steigerte seinen Hass ins Unermessliche. Wie eine Maschine ging er auf Dumarest los. Eine Maschine, die Dumarest zerstören mußte, bevor sie ihn töten konnte. Dumarest sprang zurück und hörte Menser schreien. „Du Bastard!" Der Hüne machte einen Satz auf ihn zu. „Ich wollte dir nur ein paar Knochen brechen. Jetzt wirst du bezahlen! Du wirst sterben, doch vorher wirst du darum beten, nie geboren worden zu sein!" Dumarest hörte nicht hin. Er kannte diesen alten Trick, den Gegner für einen Augenblick abzulenken, ihn zu verunsichern, um plötzlich und unerwartet zuzuschlagen. Er sah, wie sich Mensers Muskeln spannten und unterlief den Schlag, ließ sich fallen, drehte sich dabei so, daß er seine Handkante in die rechte Kniehöhle des Hünen schlagen konnte. Menser schrie wieder und trat nach .ihm. Dann war er auf den Füßen, tänzelte, um sich im Rücken des Hünen zu halten. Menser fuhr herum und schlug. Die gewaltige Faust streifte Dumarest nur am Kopf. Earl packte den mächtigen Arm und versuchte, Menser aus dem Gleichgewicht zu hebeln, doch schon war dieser wieder herum. Dumarest fühlte, wie sich die Finger seiner anderen Hand in seine Schulter bohrten. Menser lachte grölend. „Jetzt!" schrie er. „Jetzt!" Sein Knie fuhr in die Höhe. Dumarest wich aus und trat mit voller Wucht wieder gegen das linke Knie. Jetzt sah es so aus, als schwankte Menser leicht, aber er fing sich. Dumarest schoß vorwärts und rammte seinen Schädel gegen Mensers Nase. Doch Menser schlug zurück. Seine Faust traf Dumarests Brust und warf ihn ein Stück nach hinten. Immer noch waren die Finger des Giganten in seine Schultern eingegraben und hielten ihn. Dumarest wand sich unter ihnen und mußte zwei weitere Schläge einstecken. Grelle Punkte tanzten vor seinen Augen. Der dritte Schlag!
Doch Dumarest holte Schwung, drehte sich um die eigene Achse, kam frei, blockte den nächsten Schlag ab und bohrte seine Finger in die leere Augenhöhle. Menser brüllte, sprang zurück, riß die Hände vor die Augen, als Dumarest zum vierten Mal gegen sein linkes Knie trat. Und diesmal splitterten Knochen. Die Kniescheibe des Giganten war zerstört und machte ihn unbeweglich. „Elender Feigling!" schrie Menser, der immer noch seine Arme und Fäuste hatte und die Balance halten konnte. „Komm und kämpfe wie ein Mann!" Dumarest fintierte, sprang schnell zurück, wieder vor und drosch die Handkanten in die Kehle des Riesen, duckte sich, als sich die mächtigen Arme um ihn schließen wollten, und schlug erneut. Menser fiel wie ein Baum. Dann lag er still. „Nicht bewegen", sagte die Frau ruhig. Das wird wehtun Dumarest lag flach auf dem Bauch und hörte das Klirren von metallenen Instrumenten. Dann berührte etwas seine Schultern, und gleich darauf glaubte er, bei lebendigem Leib verbrennen zu müssen. „Sie hätten in ein Hospital gehen sollen", sagte die Frau, als er stöhnte. „Sie sind keine Krankenschwester?" „Ich war eine." Bitterkeit lag in der Stimme. „Doch das ist lange her. Jetzt lebe ich davon, euch Dumm- " köpfe zu behandeln, die nichts Besseres zu tun haben, als sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Es gibt Gesetze hier auf Ealius, und die Strafe für das, was Sie getan haben, ist hart, mein Freund. Und nun liegen Sie still." Wieder das furchtbare Brennen, als die Säure die tödlichen Bakterien wegbrannte, die Menser unter den Fingernägeln gehabt hatte. „So, das sollte genügen. Sie hatten mehr als Glück."
Vorsicht, nicht Glück, dachte Dumarest. Er hatte die unter Mensers Fingernägeln vorquellende Paste bemerkt und gewußt, daß er so schnell wie möglich in Behandlung mußte. Die gleiche Vorsicht war es, die ihn davon abgehalten hatte, ein Hospital aufzusuchen, offizielle Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich so Mensers Freunden auszuliefern -und anderen, deren Agenten vielleicht hier auf der Lauer lagen. Jetzt drehte er sich auf die Seite und betrachtete die Frau neben der Couch. Den gläsernen Stab, mit dem sie die Säure aufgetragen hatte, hielt sie noch in einer Hand. „Das war alles?" „Messen Sie Ihre Temperatur. Sollte sie steigen, brauchen Sie Antibiotika und ärztliche Hilfe. Die Wunde selbst ist sauber und mit einem Film versehen, der sich von selbst abschält, wenn sie verheilt ist." Sie legte ihre Instrumente weg. „Noch etwas, das ich für Sie tun kann?" „Ich brauche ein Schiff. Ich muß an Bord kommen, ohne Aufsehen zu erregen. Kennen Sie eine Möglichkeit?" „Der Raumhafen ist bewacht. Jeder Abreisende wird durchsucht. Die Baugesellschaft möchte nicht, daß jemand mit etwas durchbrennt, das ihr gehört, Sie verstehen? Viele schulden ihr Geld und versuchen ... Haben Sie einen Kontrakt gebrochen?" „Nein. Aber wenn es so wäre?" Sie zuckte die Schultern. „Wenn nicht, können Sie ungehindert passieren, und wenn ja, gibt es auch Möglichkeiten, wenn Sie Geld haben. Es gibt Männer, die Sie an Bord irgendeines Schiffes schmuggeln, solange Sie nicht danach fragen, wohin die Reise geht. Ich würde mich nicht darauf einlassen." „Sondern?" fragte Dumarest. „Wenn Sie sich's leisten können, können Sie sich als Besatzungsmitglied kaufen und an Bord eines Raumers bringen lassen."
„Und das wäre sicherer?" Dumarest stand von der Couch auf. Der Schmerz in der Schulter hatte nachgelassen. „Ich kann mir kein Aufsehen leisten. Ich hatte Ärger mit...", er winkte ab. „Aber das tut nichts zur Sache." Er zog sich vorsichtig an und bemerkte ihre Blicke, als er das Messer in den Stiefel steckte und die langärmelige Tunika mit den eingearbeiteten Metallplättchen anlegte. Strapazierfähiges, graues Plastikma terial, leicht zu säubern und die Standardkleidung für jeden Reisenden. Als er Geld aus der Tasche holte, sagte sie: „Sie bezahlten mich schon im voraus." „Für die Behandlung." „Den Ratschlag gab ich Ihnen umsonst." „Und Ihr Schweigen?" Er warf Münze n auf die Couch, als sie nicht antwortete. „Dafür, daß Sie mich nie gesehen haben. Und dies", er warf noch einige Münzen dazu, „dafür, daß Sie so sind, wie Sie sind." Dafür, daß sie keine Fragen gestellt, sich um ihn gekümmert hatte, ohne daß sie ihn kannte - für ihre Freundlichkeit. „Danke", sagte sie leise, ohne Anstalten zu machen, das Geld zu nehmen. „Es gibt eine Schenke an der Ecke des nördlichen und inneren Bezirks. Einige Kapitäne sitzen bisweilen im Hinterzimmer. Fragen Sie nach Varn Egulus." Dumarest fand die Spelunke nach einigem Suchen. Sie glich all denen in der Nähe von Raumhäfen auf allen Planeten. Ein Ort, an dem Männer, die zwischen den Sternen zu Hause waren, all das fanden, was sie an Bord ihrer Schiffe entbehren mußten. Varn Egulus war ein großer Mann in der Blüte seiner Jahre, mit einem langen, ernsten Gesicht, gebogener Nase und tief in die Stirn gezogener Haarwelle. Seine Lippen waren dünn, die Kiefer vorstehend, die Wangen eingefallen. Unter dünnen Brauen saßen wachsame und berechnende Augen.
„Sieht so aus, als hätten wir einen gemeinsamen Freund", sagte er. „Setzen Sie sich und bestellen Sie Wein - guten Wein. Ich fühle mich von Ihnen eingeladen." Dumarest gehorchte, beobachtete, wie der Mann trank, nippte kaum am eigenen Glas. Egulus mußte von der Frau schon über ihn informiert worden sein, so daß er gleich zur Sache kommen konnte. „Wirklich guter Wein", murmelte Egulus, betrachtete wie in Gedanken versunken das Spiel der Farben im Glas und fragte übergangslos: „Warum haben Sie Menser umgebracht?" „Tat ich das?" „Vielleicht nicht, doch die Beschreibung des Mannes passt auf Sie. Mein Informant gab sehr detaillierte Auskünfte und war beeindruckt von Ihrer Schnelligkeit. Wie ein Blitz, drückte er sich aus." Egulus trank wieder, leerte das Glas, tat so, als wollte er es absetzen und schleuderte es nach Dumarests Gesicht. Er lächelte, als es auf dem Fußboden zerschellte. „Klug", lobte er. „Sie fingen es nicht auf, wie andere es getan hätten. Sie wehrten es nicht einmal ab und riskierten dabei, sich Hände und Gesicht zu zerschneiden. Sie wichen, einfach aus, so geschickt, daß wir kein Aufsehen erregten. Nun, dann zum Geschäftlichen. Ich kommandiere die Entil, einen Frachter. Einer meiner Grundsätze ist es, niemals etwas ohne Gegenleistung zu tun - das heißt: einer unserer Grundsätze. Meine Besatzung und ich sind ein Team. Wir arbeiten zusammen, teilen das Risiko, befördern jede Fracht, die wir bekommen können, und fliegen jede Welt an, auf der etwas zu gewinnen ist." Egulus sah, wie das Gesicht seines Gegenübers sich verfinsterte und lachte. „Ich weiß, was Sie denken. Ein unterbesetztes, halbes Wrack, das mit Mühe und Not den nächsten Planeten in der Rinne erreicht, nur, weil wir zu geizig sind, um Geld für die Instandhaltung auszugeben. Sie werden überrascht sein, Mister. Ich hänge am Leben, und allein darum sehe ich zu, daß die Entil in bestem Zustand ist und bleibt. Aber
offensichtlich haben Sie einige Erfahrungen auf diesem Gebiet. Als was? Steward? Lademeister?" „Beides. Und ich verstehe ein wenig von Maschinen, ein wenig mehr von Fracht, und ich kann einen Spieltisch bedienen, sollte es erwünscht sein." „Ein Spieler also?" Egulus schürzte die Lippen, als Dumarest nickte. „Und einer, der auf sich aufpassen kann. Gut. Nun die Bedingungen. Sie bezahlen das Doppelte einer OberdeckPassage und arbeiten als Mitglied der Crew. Wenn Sie sich entschließen, uns zu verlassen, errechne ich Ihren Anteil am Gewinn und zahle Sie aus. Fair?" „Wenn ich am Spieltisch Geld gewinne? Kann ic h's behalten?" „Es geht in die gemeinsame Kasse. Wenn Sie verlieren, bezahlen Sie allein." Der Kapitän war offen. „Sie können bezahlen, wenn Sie an Bord sind. Ich hoffe für Sie, Sie haben das Geld. Wenn nicht, gehen Sie in den Weltraum - ohne Raumanzug." Egulus meinte, was er sagte. Doch Dumarest hatte das Geld. „Wir bleiben bis heute Mittag hier", sagte Egulus. „Eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung werden wir die Absperrungen am Hafen passieren. Die Wachen werden dann schlafe n. Ich beschaffe Ihnen eine Uniform, bevor wir aufbrechen, und werde Sie als neues Mitglied der Crew den anderen vorstellen. Richten Sie sich danach." 3.
Tatsächlich war die Entil eine freudige Überraschung. Trotz der Worte des Kapitäns hatte Dumarest den gewöhnlichen Schmutz im Schiff und eine Besatzung aus Eigenbrötlern erwartet, von denen sich einer nicht um den anderen kümmerte, wenn es nicht unbedingt nötig war. Egulus führte ihn an Bord herum, nachdem Earl den Preis für seine Aufnahme entrichtet hatte. Die
Korridore waren sauber und hell erleuchtet, ebenso die offenstehenden Kabinen. Die Messe war geschmackvoll eingerichtet, der Boden geputzt, der Spieltisch eine Pracht. An den Getränkespendern gab es nicht nur Wasser, sondern verschiedene Säfte und alkoholische Getränke. Ein Luxus für ein Schiff wie die Entil. Egulus mußte in die Zentrale, und ein Mann namens Allain kümmerte sich um Dumarest. Er war der Steward, etwas älter, als Egulus, ein Zyniker, der sich sein eigenes Bild vom Universum geschaffen hatte. Allain deutete auf den Spieltisch. „Wer das Zeug dazu hat, kann hier eine Menge Geld machen", sagte er. „Sehen Sie zu, daß die Passagiere genug zu trinken haben, und gehen Sie langsam in die Höhe. Lassen Sie sie auf den Geschmack kommen, und dann ..." Allain grinste vielsagend. „Sie müssen Jumoke kennen lernen." Der Navigator. Er war jünger als Allain, hatte tiefblaue Augen und einen Mund, der tiefe Sensibilität verriet. Er stand auf, als Dumarest seine Kabine betrat, streckte ihm die Hand entge gen und senkte sie, als der Terraner seine Finger berührte, feine und gepflegte Finger. „Sie kennen die alten Gebräuche?" fragte er erstaunt. „Von einer fernen Welt her, ja." „Die Berührung der Finger", erklärte Jumoke dem Steward. „Eine Geste, die ausdrücken soll, daß man keine feindlichen Absichten hegt. Woher kennen Sie sie, Dumarest? Naud, Hagor vielleicht?" „Nein." „Fiander? Vielleicht sogar Grett? All diese Welten kennen diese Geste. Ich stamme von Vult. Kennen Sie den Planeten?" „Wo jeder Mann ein Mörder, jede Frau eine Hure ist", sagte Allain, bevor Dumarest antworten konnte. „Wo sogar die Kinder noch im Mutterschoß zu lügen und zu betrügen lernen. Eine Welt des Wahnsinns."
„Und unser erstes Ziel", brummte Jumoke und sah dem Steward verärgert nach, als dieser ging, um die Vorräte noch einmal zu kontrollieren. „Woher kommen Sie, Earl?" „Von der Erde." „Was?" „Von der Erde", wiederholte Dumarest. Jumoke mußte als Navigator im Universum herumgekommen sein. Möglicherweise hatte er etwas gehört, das ihm bei seiner Suche weiterhalf. Eine Hoffnung, die mit Jumokes Lachen erstarb. „Die Erde! Sie wissen ebenso gut wie ich, daß, sie ein Mythos ist, genauso wie El Dorado, Bonanza, Ava lon. Die Liste ist lang. Wunschträume von Männern, die ein Paradies suchen." „Sie existiert." „Natürlich", sagte Jumoke beschwichtigend, nicht sicher, ob Dumarest nicht nur scherzte. „Warum sollten' wir uns streiten? Vielleicht reden wir später weiter darüber. Jetzt muß ich die Instrumente testen." Er wollte gehen, blieb aber noch einmal stehen und drehte sich um. „Ein guter Rat. Der Kapitän hat nicht viel für Scherze übrig. Wenn er Sie also nach Ihrer Heimatwelt fragt, sagen Sie ihm einfach, Sie kämen von Ottery oder von Heeg." Als Jumoke sich auf den Weg zur Zentrale machte, nahm Dumarest die andere Richtung. Lademeister, hatte Egulus gesagt. Als Lademeister hatte er die Fracht zu überprüfen und dafür zu sorgen, daß die Kisten im Frachtraum in gutem Zustand waren. In ihnen wurden Tiere und nicht selten Menschen transportiert, die kein Geld für eine Oberdeck-Passage aufbringen konnten. Arme Teufel, eingefroren und zu neunzig Prozent tot. Die Chance, daß sie lebend an ihr Ziel kamen, lag bei fünfzehn Prozent Wahrscheinlichkeit. Die Behälter, mehr Käfige als Kisten, waren leer und die Fracht, eine Menge Kisten und Ballen, bereits ordentlich verstaut. Weitere Fracht würde vor dem Start kaum noch an Bord kommen. Egulus hatte erklärt, daß die Entil in erster Linie
Passagiere beförderte. Dumarest untersuchte die Käfige, öffnete und schloß sie, kontrollierte die Schlösser und beobachtete die Kontrollen, die das Absinken der Temperatur in ihnen aufzeigten. Als er den Deckel des letzten nach unten klappte, sah er die Frau in der offenen Schleuse stehen, die zum Maschinenraum führte. Sie war groß. Schimmerndes, blondes Haar umrahmte ihr breites, ausdrucksvolles Gesicht. Ovale blaue Augen, eine feine Nase über einem vollen Mund. Kräftiges Kinn und starke Schultern. „Zufrieden?" Ihre Stimme hatte einen dunklen, vollen Klang. „Nummer zwei braucht neue Angeln, Nummer vier ist schmutzig." „Sie haben selbst in solchen Käfigen gesteckt?" „Viel zu oft." „Und überlebt." Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu und streckte Dumarest die Hand entgegen, genau wie Jumoke. Er berührte sie. Sie war sanft und stark zugleich. Ihre ganze Erscheinung: ungemein weiblich und doch voller Entschlossenheit. „Sie sind also der Neue. Nett, Sie bei uns zu haben. Ich bin Dilys Edhessa und kümmere mich um die Maschinen. Sie tragen Greshams Uniform. Sie ist an den Schultern zu eng und an den Hüften zu weit. Ich kann Sie Ihnen ändern." „Gresham?" „Ihr Vorgänger. Er wurde beim Falschspielen erwischt. Bergleute von Cham. Einer von ihnen erschoß ihn von unter dem Tisch. Etwas, worauf Sie achten sollten: Sehen Sie zu, daß Ihre Mitspieler die Hände immer da haben, wo Sie sie sehen können. Manchmal haben wir rauhe Gesellen an Bord." Sie sah, wie er an ihr vorbei in den Maschinenraum blickte. „Sie verstehen etwas von Maschinen?" „Ein wenig." „Fein, dann können Sie mir nachher beim Durchtesten helfen." Sie sahen sich einige Augenblicke lang an. Sie war eine
Amazone, fast so breit wie Dumarest, doch in allem eine Frau, eine begehrenswerte Frau. Und sie blickte ihn mit der gleichen Neugier an wie so viele Frauen zuvor, die Dumarest ein Stück seines Weges begleitet hatten. Er mußte einen klaren Kopf behalten. „Die Käfige", sagte sie. „Sie werden nicht oft benutzt. Dann und wann eine Unterdeck-Passage - warum sollten wir auf zusätzlichen Verdienst verzichten? Wir reparieren sie später zusammen. Warum sind Sie Ihnen so wichtig?" „Der arme Teufel, der als nächster in sie steigen muß, könnte ein Mann wie ich sein." * Caradoc beobachtete Leo Bochner, wie er trank, hörte ihm zu, als er von früheren Jagden erzählte und dabei den Eindruck erweckte, daß er leicht berauscht war. Vielleicht war es so. Vielleicht wollte Bochner mit seinen stupiden Fragen auch nur an Informationen gelangen, die nicht für ihn bestimmt waren. Für beides konnte der Kyber nur Verachtung empfinden. Bochner bemerkte Caradocs Blick. „Stört es Sie immer noch, daß ich trinke?" „Daß Sie trinken, nein. Daß Sie dadurch scheitern könnten, ja. Muß ich Sie nochmals daran erinnern, daß der Ky-Clan keine Gnade für jene kennt, die scheitern? Daß Sie Verpflichtungen eingingen, als Sie Ihren Auftrag annahmen? Es wäre gut, wenn Sie immer daran dächten." „Keine Predigten, Kyber!" Für einen Augenblick wich die Sanftheit aus Bochners Blick und machte dem der Bestie Platz, die danach lechzte, zu töten. „Der Ky-Clan heuerte mich wegen meiner Fähigkeiten an, das ist alles." Bochner hielt das Glas hoch, und der Kyber registrierte, daß seine Hand kein bißchen zitterte. „Und diesmal ist Dumarest an der Reihe, ganz egal, wie schlau er sein mag.
Für ihn gelten die gleichen Regeln wie für ein Tier. Ich kenne sie, weiß, wie er sich verhalten wird, und spüre ihn auf, treibe ihn in die Enge. Er braucht Geld, um seine notwendigen Bedürfnisse zu befriedigen. Betteln wird er nicht, stehlen ebensowenig. Es könnte ihn zu leicht verraten. Also Arbeit. Wo bekommt ein Reisender ohne besondere Fähigkeiten im Quillian-Sektor Arbeit? Ja, Kyber, wo wird er sie suchen? Eine Arbeit, die genug Geld für seine Bedürfnisse bringt? Wo fühlt er sich sicher? Nur unter seinesgleichen! Unter Männern, die wie er nichts haben und schnell zu Geld kommen müssen, dort, wo niemand viele Fragen stellt. Eine Grube vielleicht. Großangelegte Bauprojekte - Straßen, Kanäle, Städte. Aber wo, Kyber? Auf welchem Planeten?" „Ealius. Wir sind morgen dort." Sie landeten bei Sonnenaufgang. Bochner ließ sich zum Kommandanten der Wache führen, während Caradoc schon in die Stadt ging. Ein paar Geldstücke lockerten die Zunge des Mannes. „Wir kümmern uns nicht um die, die kommen, Und untersuchen nur die Abreisenden. Sie kommen an den Detektor und sagen uns ihren Namen. Wenn sie lügen, halten wir sie zurück. Das gleiche gilt für die, die auf der Liste der Kontraktbrecher stehen oder eines Verbrechens beschuldigt werden. Dumarest?" Er zuckte die Schultern. „Nein, kein Mann mit diesem Namen passierte die Absperrungen." „Sind Sie sicher? Sind Sie immer auf Wache?" „Nicht immer, aber ich kontrolliere die Listen und lese die Berichte. Aber warten Sie. Dumarest... Der Name kommt mir bekannt vor. Warten Sie einen Augenblick. Der Kommandant drehte sich zu einem Mann an einem Computer - Terminal um. „Haben wir etwas über einen Dumarest?" „Auf der Liste", antwortete der Mann nach Sekunden. „Soll aufgehalten werden, weil er ..."
„Das genügt." Der Kommandant nickte Bochner zu. „Zufrieden?" Bochner berichtete Caradoc in einem Zimmer des besten Hotels der Stadt. „Ihre Folgerungen?" fragte der Kyber. „Dumarest muß für eine der hier ansässigen Baugesellschaften arbeiten. Vie lleicht für die Fydale oder die Arbroth. Beide stellen massenweise Arbeiter ein." „Oder die Lenchief-Gesellschaft", sagte der Kyber. „Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch." Caradoc winkte energisch ab. „Wenn Sie Ihren Lohn erhalten wollen, sollten Sie keine weitere Zeit verlieren. Finden Sie Dumarest, und benachrichtigen Sie mich sofort. Dann werden Sie weitere Instruktionen erhalten." Bochner fühlte Ärger in sich aufsteigen, Zorn auf den Kyber, der alles, was er ihm berichtet hatte, wie selbstverständlich zur Kenntnis nahm, kein Wort des Lobes gab. Er hätte den Kommandanten der Wache nicht zu befragen brauchen Caradoc hatte längst Bescheid gewußt. Bochner fühlte .sich übergangen. Er mußte sich zusammenreißen. „Sie haben den Namen der Gesellschaft und können erfragen, wo sie augenblicklich arbeitet. Begeben Sie sich dorthin, und berichten Sie mir, was Sie erfahren haben." „Sie kommen nicht mit?" „Dazu besteht keine Notwendigkeit. Im Gegenteil, meine Gegenwart wäre eher von Nachteil. Außerdem habe ich anderes zu erledigen." Caradocs Blicke folgten dem Jäger, als dieser ging. Der hatte seine Rage schnell unter Kontrolle gebracht, und das sprach für ihn. Gegen ihn sprach, daß es keinen logischen Grund für ihn gab, sich überhaupt aufzuregen. Eine weitere Demonstration der Schädlichkeit von Gefühlen, die die Logik und den Intellekt lahmen konnten. Hatte Bochner die Voraussicht des Ky-Clans tatsächlich so sehr unterschätzt, daß er es für nötig gehalten hatte, den Kommandanten der Hafenwache zu befragen? Hatte
er immer noch keine Vorstellung von der Macht derjenigen, die seine Dienste in Anspruch nahmen? Caradoc drückte auf einen Knopf, und ein Mann trat ein. Ein Schüler, Anwärter auf die scharlachrote Robe. „Meister!" Der Schüler verbeugte sich. Er war einer von zweien, die auf verschiedenen Schiffen von anderen Welten hierhergekommen waren. Bochner konnte sich nicht gegen etwas wappnen, von dem er nichts wußte. „Ihre Befehle?" „Ich möchte nicht gestört werden, bis Bochner sich meldet", wies Caradoc seinen Schüler an. *
Leo Bochner stand im Leichenschauhaus vor dem toten schwarzen Riesen na mens Menser. Er untersuchte die Wunden, die leere Augenhöhle, die zerschmetterte Gurgel und das ruinierte Knie. Ein fairer Kampf, hatten die Männer in der Baracke gesagt, die er nach Dumarest ausge fragt hatte. Nun gewann der Jäger eine Vorstellung davon, wie Dumarest kämpfte, eine Vorstellung von der Schnelligkeit und Gerissenheit eines Mannes, der es gegen die mächtigen langen Arme und die Muskeln dieses Riesen aufzunehmen gehabt hatte. Menser war ein Tier gewesen, und ein gefährliches. Wieviel gefährlicher war dann der, der ihn besiegt hatte? Bochner verließ das Leichenschauhaus, als ein neuer Tag anbrach. Dumarest mußte ebenfalls schwer verletzt gewesen sein. Wohin hatte er sich gewandt? Das Hospital? Kaum. Andere, verschwiegenere Hilfe? Wieder stellte Bochner Fragen, gab vor, einen Freund zu haben, der unbedingt verarztet werden mußte, aber nicht riskieren konnte, offizielle Hilfe in Anspruch zu nehmen, und erhielt eine Adresse.
Es war Nachmittag, als Bochner die Frau gefunden hatte. Und sie war nicht bereit, auf seine Fragen zu antworten. Als er ihr Haus verließ, ließ er eine Tote zurück und hatte einen Namen. „Sie sind sicher?" fragte Caradoc. „Völlig sicher, was das angeht, was ich erfahren habe. Aber wie Sie selbst sagen, gibt es niemals eine völlige Sicherheit." Der Jäger genoß seinen Triumph. „Ich bin seiner Spur gefolgt, bis ich wußte, wo er Hilfe bekam und nun weiß, wo er weitere Hilfe suchte." „So einfach?" „Er hatte es eilig und kaum Zeit, seine Spuren zu verwischen. Ein Kampf, und er hatte einen Mann getötet. Er mußte fliehen." Bochner lachte, „genau hierher, Kyber. In diese Stadt. Zu einer Spelunke beim Hafen. Eine Woche, und wir hätten ihn verloren. Ich habe ihn gefunden, Kyber! Ich!" Der Stolz und die Genugtuung ließen dem Jäger keine Ruhe. Er begann im Raum auf und ab zu gehen, lachte still in sich hinein, bis Caradoc fragte: „Sie haben ihn also aufgespürt und seine Spur verfolgt. Sie wissen, wo Dumarest sich befindet, so daß wir nur zuzugreifen und ihn uns zu holen brauchen. Korrekt?" „Nicht ganz." „Dann erklären Sie!" Caradoc ließ den Mann reden. „Die Belzdek?" fragte er dann. „Woher wollen Sie das so genau wissen?" „Die Frau gab mir den Namen des Kapitäns, Jarge Krell. Die Belzdek ist sein Schiff." „Also nehmen Sie an, daß Dumarest sich auf diesem Schiff befindet?" Bochner nickte. „Davon ausgehend, daß Dumarest Menser tötete", fuhr Caradoc fort, „können wir einen Zeitplan aufstellen und extrapolieren. Wenn er die Baustelle direkt verließ, war er bei Sonnenaufgang in der Stadt. Er wurde verarztet und nahm Kontakt auf. Krell oder ein anderer Kapitän." Caradoc nahm eine Folie von seinem Tisch. „Fünf Schiffe verließen Ealius zwischen Mensers Tod
und unserer Ankunft. Die Belzdek, die Frome, die Entil, die Wilke und die Ychale. Le tzteres Schiff ist ein Erzfrachter, der regelmäßig zwischen Ealius und Cham pendelt. Die Wilke ist ein Passagierschiff, das nacheinander Ninik, Pontia, Vult und Swenna anfliegt. Die anderen sind Frachter, deren Route sich nach ihrer Fracht oder den Wünsche n der Passagiere richtet. Nun?" „Dumarest passierte nicht die Absperrungen", sagte Bochner nachdenklich. „Er kam nicht an den Lügendetektor", korrigierte der Kyber. „Er konnte sieh also entweder durch die Absperrungen schmuggeln oder sie überwinden. Da kein Alarm ausgelöst wurde, kann als sicher gelten, daß er sich durch die Absperrungen schmuggelte oder geschmuggelt wurde. Sollte er sich tatsächlich an Bord der Belzdek begeben haben, so ist er auf dem Weg nach Gorion. Die Entil brach gestern Mittag nach Vult auf, die Frome einige Stunden früher nach Pontia. Fünf Schiffe, und Dumarest könnte auf jedem von ihnen sein." Der Kyber sah Bochner herausfordernd an. „Nun sagen Sie mir, wie Sie Ihr Wild fangen wollen, Jäger." „Fallen. Funksprüche an alle in Betracht kommenden Welten und ..." Bochner begann zu fluchen. „Nein, verdammt. Es ist nicht so einfach. Wir sind in der Rinne. Im Quillian-Sektor. Zum Teufel damit!"
4.
Vult war so, wie Allain den Planeten beschrieben hatte: eine Welt des Wahnsinns. Am Himmel brannte eine riesige, orangerote Sonne und schickte ihre furchtbaren Eruptionen weit ins All hinaus, und nachts glitzerten die nahen Sterne wie
Hunderte von hungrigen Augen. Sterne, deren Strahlungen Nervenbahnen des Gehirns angriffen, die Menschen zu Bestien machten, keinen Spielraum zwischen Gedanke und Tat mehr ließen. Vult - eine wilde Welt, auf der nur der Stärkste eine Überlebenschance hatte. „Zu allem Überfluss haben wir uns eine schlechte Zeit ausgesucht", sagte Jumoke, der mit Dumarest und Dilys am oberen Ende der Rampe stand. „Die Sonne zaubert ein elektronisches Feuerwerk. Sie ist unruhig. In der Stadt wird gemordet und geraubt. Seht zu, daß ihr nicht die Opfer seid." „Earl wird auf uns beide aufpassen." Dilys legte eine Hand auf Dumarests Arm. „Nicht wahr, Earl?" Jumoke zeigte nicht, daß er die Geste sah, doch Dumarest wußte, daß er sie im Gedächtnis behalten würde. Er wandte sich ab und sah hinab auf die Menschenmenge, die von der Landung des Schiffes angelockt worden war. „Dort ist Inas", rief Dilys. „Ich bin gespannt, was er diesmal für uns hat." Inas war der hiesige Handelsagent, ein Husai, dessen dunkles Gesicht, hinter seinem Bart fast ganz verschwand. Er berührte Jumokes Stirn, nickte der Frau zu, musterte Dumarest. „Unser Nachfo lger für Gresham", erklärte Dilys. „Neuigkeiten?" „Bei dieser Sonne?" Inas zog die Brauen in die Höhe. „Wir können nichts tun als warten, bis die Aktivität erlischt, und selbst dann müssen alle Funksprüche dekodiert werden. Und ihr?" „Immer das gleiche", sagte Jumoke und folgte dem Agenten ins Schiff. „Irgend etwas für uns?" „Ein paar Leute, die nach Ellge wollen. Sie warten in der Stadt." „Wenn sie bezahlen können und wir nichts Besseres finden", meinte der Navigator schulterzuckend. „Das letzte Wort hat der Kapitän. Der sitzt in der Messe. Warten Sie einen Augenblick.
Ich bringe Sie hin." Jumoke drehte sich zu Dilys und Dumarest um. „Denkt daran, seid vorsichtig." Eine Warnung, die Dumarest beherzigen würde. Selbst jetzt, wo er mit Dilys über das Landefeld ging, spürte er die unsichtbaren Energien, die trotz der Schutzschicht in seiner grauen Plastikkleidung in seine Haut drangen. Er hatte bewußt auf seine neue Uniform verzichtet. Die Plastikkleidung war bequemer, und das Messer in seinem Stiefel eine Warnung an die Adresse aller, die Streit suchten. Dilys stellte Fragen, wollte wissen, wo er überall gelebt, welche Frauen er geliebt hatte, doch er gab nur knappe Antworten. Es war offensichtlich, daß Jumoke in sie verliebt war, obwohl er krampfhaft darum bemüht war, diese Liebe nicht zu zeigen. Vielleicht hatte er Angst davor, Dilys zu verlieren, wenn er die Initiative ergriff. Eine Schwäche, vielleicht, aber viele Männer waren wie er, fürchteten, alles zu verlieren, wenn sie zuviel verlangten. Jedenfalls konnte Dumarest es sich nicht leisten, zusätzlichen Ärger zu riskieren, indem er auf Dilys' recht eindeutigen Anspielungen einging. „Mister!" Ein junger Mann, fast noch ein Kind, kam auf Earl zugelaufen. „Sie sind der Lademeister des Schiffes? Können Sie mir eine Passage geben? Bitte, Mister, kann ich mit Ihnen fliegen?" „Wohin?" „Ganz egal, wohin, nur weg von hier! Nichts kann schlimmer sein als Vult!" „Wir können dich mitnehmen, wenn du bezahlen kannst", sagte Dilys. Sie schüttelte den Kopf, als er zeigte, was er hatte. „Nicht genug. Aber wenn du im Unterdeck ..." „Nein!" sagte Dumarest scharf. „Nein!" „Warum nicht?" „Sie haben gehört, was ich sagte." Dumarest packte sie fest am Arm und führte sie fort von dem Jüngling, in eine Spelunke, wo er etwas zu trinken bestellte.
„Warum nicht, Earl?" fragte sie wieder. „Nehmen Sie den Jungen an Bord, und Sie haben bei der Landung eine Leiche im Käfig. Er hat nicht genug Fett, um überleben zu können, er ist nicht kräftig genug." „Aber das weiß er und will das Risiko eingehen", beharrte sie. „Sind Sie jemals unter Deck gereist? Nein. Haben Sie jemals einen der Käfige geöffnet und eine Leiche herausholen müssen? Nein? Das dachte ich mir. Sonst würden Sie ihn nicht in seinen Sarg stecken wollen. Glauben Sie mir, ich will nichts anderes als sein Leben retten." Sie sah ihn mit forschenden Augen an. Dann nickte sie. „Sie erkennen sich selbst in ihm wieder, ist es so? Sie selbst sind als Junge wie er gewesen, abenteuerlustig vielleicht, oder verzweifelt. Rettete Sie jemand? Versuchen Sie, eine alte Schuld zu begleichen?" Er sagte grimmig: „Ich hatte Glück." Das gleiche Glück, das ihm immer noch anhaftete. Keine Nachricht konnte von Ealius nach Vult gelangt sein. Falls der Ky-Clan seine Spur gefunden hatte, hatte er immer noch einen Vorsprung - einen Vorsprung, den er zu vergrößern hoffte. * Sie waren in der Stadt, um einzukaufen. Allains Aufgabe, doch er hatte sich geweigert, einen Fuß auf diese Welt zu setzen, die er haßte wie keine andere. Dilys war freiwillig für ihn gegangen, um einige Luxusgüter zu beschaffen und die Vorräte zu ergänzen. Dumarest folgte ihr von der Spelunke zum Handelszentrum der Stadt, wo dicke Dächer aus lichtdurchlässigem Kristall die Strahlung der Sonne filterten. Die Promenaden, Häuserfronten und Tischgruppen, an denen Menschen mit wachen, ewig misstrauischen Augen saßen, waren in schillernde Farben getaucht. Ebenso farbenfroh war die Kleidung der Leute, phantasievoll wie die von Zirkusclowns.
Doch eines war ihnen allen geme in. Sie trugen Rüstungen, manchmal grotesk wirkende Helme mit herunterklappbaren Visieren, und Waffen. Jeder Mann und jede Frau auf Vult war zum Kämpfen eingerichtet und bereit. Jede Minute. Mißtrauen und Haß schlugen Dumarest und Dilys entgegen. Die Frau hielt sich eng an Earls Seite. Dilys erledigte ihre Einkäufe, und als sie schließlich alles beisammen hatte, trugen sie und Earl ein schweres Paket. Dumarest befestigte Riemen daran und hing es sich über die Schultern. Er war froh, als Dilys sich endlich vom letzten Händler verabschiedet hatte. Die Sonne stand bereits tief. Pas Licht auf den Promenaden war spärlicher, die Schatten waren länger und drohender geworden. Schatten, die zu gespenstischem Leben erwachten. „Earl!" „Geh weiter", zischte Dumarest Dilys zu. Er hatte sie auch bemerkt. Fünf Männer, die neben ihnen hergingen. Stechende Augen unter den Helmen, Hände an Gürteln und Waffen. Junge Burschen mit harten Gesichtern. Münder zu wölfischem Grinsen verzogen. Beutejäger mit durch die ständige Strahlung pervertierten Gehirnen. Sklaven einer unbändigen Lust nach Tod, Mord, Qualen und Ekstase. Zwei von ihnen beschleunigten ihre Schritte, bis sie zwei Dutzend Meter vor den Raumfahrern stehenblieben und sich umdrehten. Zwei weitere marschierten links und rechts von ihnen. Der fünfte blieb in ihrem Rücken. Die beiden Wartenden verstellten den Weg, musterten Dilys, als sie mit unsicheren Schritten weiterging, sprangen vor, als Dilys stehenblieb. Behandschuhte Hände griffen nach ihr. „Gutes Fleisch, was, Felix?" sagte einer. „Gute Beine", sagte der andere. „Stimmt's, Val?" „Du sagst es", kam es von dem, der rechts neben Earl und Dilys ging. „Groß, eine Menge Frau. Ich glaube nicht, daß ich schon mal solch eine Frau hatte. Die dürfte für uns alle reichen. Was, Cia?"
Der Mann hinter Dumarest brummte: „Wir verschwenden Zeit. Laßt uns sehen, was unter der Verpackung steckt." Stoff zerriss, als der Mann vor Dilys ihre Bluse packte. Für einen Moment starrten alle fünf gleichzeitig auf die Frau. Ein kurzer Auge nblick nur der Moment, auf den Dumarest gewartet hatte. Er duckte sich, holte Schwung, fuhr herum und schlug dem Mann hinter ihm mit der Handkante gegen die Kehle. Als der Gegner nach Luft ringend zusammenbrach, krachte Dumarests Stiefelabsatz bereits gege n den Kiefer desjenigen, der an seiner Seite stand, schleuderte ihn zurück und um die eigene Achse, bis er schwer zu Boden ging. „Felix!" Drei Gegner. Dumarest sah, wie der Bursche, der neben Dilys gestanden hatte, zurücksprang und mit einer kleinen Axt in jeder Hand lauerte. Die beiden anderen waren mit einem Dolch beziehungsweise einem schweren Entermesser bewaffnet. Langsam kamen sie näher. „Du Bastard!" rief der mit dem Dolch. „Wir kriegen dich!" Dumarest sprang zurück, als er den Dolch auf sich zuzucken sah. Von der Seite kam der Mann mit den Äxten. Dilys schrie, als ihre Haut von einer messerscharfen Klinge geritzt wurde. Dumarest ließ das Paket von seinen Schultern gleiten, packte die Gurte und schleuderte es auf seinen Gegner. Es krachte gegen den Helm des Axtträgers und riß ihn von den Beinen. Dilys schrie auf und bückte sich schnell nach einer der beiden Äxte, riß sie ihm aus der Hand und schmetterte sie gegen den am Boden Liegenden. Es war das Falscheste, was sie hätte tun können. Sie merkte es, als Felix schrie. Sie hätte wegrennen und sich in Sicherheit bringen sollen. Nun stürzten sie sich gleichzeitig auf sie und Dumarest. Zwei Gegner. Dumarest konnte nicht mit beiden zur gleichen Zeit fertig werden. Der Mann mit dem Entermesser stürmte auf Dilys zu, holte aus - und starb mit einem Messer in der Kehle.
Dilys fuhr herum und sah Dumarest schutzlos dem Ansturm des letzten der fünf ausgeliefert. Er hatte sein Messer geschleudert und war nun waffenlos. Sein Gegner war zu nahe heran, als daß er noch hätte ausweichen können. Der Dolch blitzte auf, als der Rasende ihn in Earls Magen hieb. Wieder schrie Dilys. Sie schlug die Hände vor die Augen, wollte nicht sehen, wie Dumarest blutend zusammenbrach. Doch statt seines Schreies hörte sie nur, wie Metall hart gegen Metall schlug. Sie riß die Augen auf und sah den Dolch über Earls Oberkörper nach oben gleiten, sah, wie Dumarest den Arm des Gegners packte, ihn drehte und den Mann somit in die Knie zwang. Dumarest legte die andere Hand auf den Hals seines Gegners und drückte zu. Dann ließ er den schlaffen Körper fallen und sah sich nach Dilys um. Sie stand neben der Leiche des Mannes mit dem Entermesser. „Tiere!" preßte sie hervor. „Bestien! Sie hätten dich getötet, und dann..." „Möglich, daß sie Freunde in der Nähe haben", sagte Dumarest. Er kniete nieder, zog sein Messer aus dem Hals des Toten, und steckte es zurück in den Stiefel. Dann nahm er das Paket und schwang es sich wieder über die Schulter. „Weg hier!" * Die Passagiere nach Ellge kamen bei Anbruch der Dämmerung an Bord und brachten das mit, was sie auf Vult gefunden hatten. - Steine und aus Eisenerz gefertigte Artefakte, die ihre Theorie untermauern sollten, daß es auf Vult einmal eine halbintelligente Rasse gegeben haben mußte, lange bevor die jetzigen Bewohner sich auf dieser Welt ausbreiteten. Die gesamte Gruppe bestand ausschließlich aus Archäologen.
Während des Fluges versuchte Dumarest vergeblich, den einen oder anderen an den Spieltisch zu locken. Sie fachsimpelten und zeigten kaum Interesse für anderes als ihre Funde. Es würde diesmal nichts zu holen sein, dachte Earl, als er später in seiner Kabine lag. Eine Stunde lag er gedankenverloren auf seinem Bett. Dann wurde die Tür leise geöffnet. Dilys trat ein. „Ärger mit den Passagieren?" fragte Dumarest. „Nein." Sie schloß die Kabinentür hinter sich. In der Dunkelheit waren nur die Umrisse ihres Körpers zu sehen. „Ich wollte dir danken, Earl, für das, was du getan hast." „Vergiß es." „Das kann ich nicht." „Warum nicht? Wir sind Partner, oder? Wir helfen einander. Du hättest das gleiche für mich getan." „Nein, Earl. Ich hätte es nicht gekonnt. Wie du dich bewegt hast, das Messer ... Wenn du nicht gewesen wärst, hätten diese Kerle mich ..." „Vergiß es! Es ist vorüber. Du schuldest mir nichts." „O doch!" Sie kam näher, setzte sich auf die Bettkante, legte eine Hand auf seinen Arm. Etwas Nasses traf sein Gesicht. Dumarest fand den Lichtschalter. Als es hell wurde, sah er, daß sie weinte. „Ich... ich kann nichts dafür, Earl", sagte sie. „Warum willst du nicht verstehen? Ich liebe dich!" „Und Jumoke?" „Er glaubt, ich gehöre ihm. Ja, wir hatten etwas miteinander, aber darum bin ich noch lange nicht sein Eigentum. Niemand kann mich besitzen, jetzt nicht und in Zukunft nicht. Nicht einmal du, Earl, obwohl ich auf nackten Füßen über glühende Kohlen gehen würde, nur, um an deiner Seite sein zu können." Sie sagte es zu heftig, wies etwas zurück, das er ihr nicht einmal angeboten hatte, ging in die Defensive, wo kein Anlass dafür bestand. Vielleicht war sie zu sensibel. Vielleicht hatte eine grausame Jugend sie geprägt, sie dazu getrieben, sich auf ein
Schiff zu flüchten und unter Männern ebenso hart wie alle anderen zu arbeiten, um dadurch frei zu sein. Vielleicht suchte sie Schutz, weil sie allein, das Leben nicht meistern konnte. „Earl?" „Ich denke nach." „Über uns?" Über Jumoke, über den Ausdruck in seinen Augen, als sie das Schiff wieder betreten hatten. Über die Blicke, die er Dilys nachgeworfen hatte. Über den Schmerz in seinen Augen, als sie ihn einfach stehenließ und jedem begeistert von Dumarests Kampf berichtete. „Es ist völlig normal", sagte sie. „Ich meine ein Schiffsverhältnis. Jeder bleibt so lange bei dem anderen, wie es ihm Spaß macht. Keine Verpflichtungen." „Ich weiß", sagte er. „Ich hatte solche Verhältnisse. Oft genug. Aber nun nicht mehr, Dilys. Nicht mit dir." „Bin ich so abstoßend?" „Nein." Wie sollte er es ihr erklären? „Hör zu und versuche, mich zu verstehen. Du bist eine sehr schöne und intelligente Frau, zu intelligent, um wie ein Kind zu heulen, wenn du deinen Willen nicht bekommst. Und ich habe dich zu gern, um dich zu belügen. Ich mag dich, ja, aber ich will dich nicht heiraten. Nicht einmal eine Schiffsliaison. Ich ..." Ihre Finger legten sich auf seine Lippen und brachten ihn zum Schweigen. Ein Hauch von Parfüm schlug ihm entgegen, als sie sich über ihn beugte. „Nein", flüsterte sie. „Sage jetzt nichts mehr. Ich verstehe dich. Du versuchst mir Kummer zu ersparen, doch wann gab es jemals Freude und Glück ohne Schmerz? Du bist ehrlich und offen, Earl. Und du sorgst dich um mich, Liebling. Nur das zählt."
5.
Auf Ellge stieg eine Tänzerin zu, eine Frau, die ihre besten Jahre längst schon hinter sich hatte und nun eine Welt suchte, wo die Konkurrenz nicht so groß war und sie auf ihre alten Tage, das Gesicht hinter einer dicken Maske aus Schminke verborgen, noch ihren Lebensunterhalt verdienen konnte und vielleicht den Mann fand, der sich für den Rest ihres Lebens um sie kümmerte. Auf Vhenga kam ein Mann an Bord, der vielleicht schon das war, wonach sie suchte: dick, gemütlich, immer einen charmanten Spruch auf den Lippen. Bald waren beide so gut wie unzertrennlich. Auf Cheen nahm die" Entil zwei wortkarge Ingenieure an Bord, einen Angestellten einer Baugesellscha ft und einen Historiker. Auf Varge schließlich schloß sich ihnen ein Waffenhändler an, groß, schlank und mit dem Gesicht eines Spielers. Shan Threnond war Geschäftsmann vom Scheitel bis zur Sohle und begann sogleich, den Besatzungsmitgliedern und Passagieren seine verschiedenen Mord- und Verteidigungsinstrumente schmackhaft zu machen. Die alte Tänzerin zeigte Interesse an einigen Ringen, die ätzende Säure oder tödliche Bakterien versprühen konnten, wenn ihr Träger nur drei Fingermuskeln bewegte. Ansonsten hatte er wenig Erfolg.
„Warum kauft eine Frau wie sie so etwas, Earl?" fragte Dilys, als sie neben Dumarest in dessen dunkler Kabine lag und nur das monotone Stampfen des Erhaft-Antriebs zu hören war. „Sie hat Angst.". „Und bewaffnet sich deshalb? Wogegen?" Gegen die Ängste in ihrem Kopf, die schlimmer waren als alles, was die Realität für sie bereithalten mochte. „Immerhin ist sie bereit, zu kämpfen", murmelte Dilys. „Glaubst du, daß ich ein Feigling bin, Earl?" „Nein." „Ich hasse die Gewalt", flüsterte sie. „Mehr als alles andere auf der Welt. Wenn ich ihr begegne, werde ich unsicher und weiß nicht mehr, was ich tun muß. O ja, ich bin groß und etwas kräftiger als andere Frauen, und allein darum denkt man, ich müsse stark sein, stark und aggressiv. Aber ich bin nicht so. Ich bin feige." „Nein", sagte Dumarest. „Wegrennen, wenn man weiß, daß man den kürzeren ziehen wird, hat nichts mit Feigheit zu tun." „Musstest du jemals davonlaufen, Earl?" „Ja." „Von zu Hause?" Sie wiederholte die Frage, wollte mehr über den Mann erfahren, neben dem sie lag. „Um Abenteuer zu suchen?" „Um nicht zu verhungern", murmelte er. „Ich war fast noch ein Kind, ein Junge, der sich an Bord eines Schiffes schlich. Und ich hatte Glück, daß mich der Kapitän nicht ins Vakuum beförderte, als er mich entdeckte. Er ließ mich meine, Passage abarbeiten. Aber das ist lange her, sehr lange." Lange genug, um immer tiefer in die Galaxis vorzustoßen, wo die Sonnen heiß brannten und eng beieinander standen, wo es von Schiffen und bewohnten Welten wimmelte. Wo man über den Namen seiner Heimatwelt lachte und witzelte. Ein vergessener Planet aber ein Planet, den er finden mußte finden würde,
„Zu Hause", sagte Dilys verträumt. „So ist also die Erde dein Zuhause, und du willst zu ihr zurück. Warum, Earl? Sie hatte dir nichts zu geben, als du von ihr fortgingst. Was erwartest du jetzt von ihr?" „Nichts." „Aber..." „Du hast es selbst gesagt, Dilys -Heimat, Zuhause. Ein Mann kann nur ein Zuhause haben." Dilys spürte die starke Ausstrahlung, die von Earl ausging, stärker als je zuvor. Sie schmiegte sich an ihn, genoß die Wärme, die er ihr gab, die Sicherheit und die Geborgenheit in den Armen eines Mannes, nachdem eine jede Frau sich sehnte. Sie empfand Stolz auf ihn, wenn sie ihn am Spieltisch sitzen sah, die Augen starr und kühl, das Gesicht eine Maske. Konnte er die Einsamkeit in ihr spüren, die Verzweiflung einer Frau, die immer nur eine Fremde unter Fremden war, verdammt dazu, jede Liebe, die sie fand, eines Tages zu verlieren? „Earl", flüsterte sie. „Wirst du denn niemals müde und wünschst dir, deine Suche aufzugeben und dich irgendwo niederzulassen?" Als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort: „Ich habe ein kleines Anwesen auf Swenna. Es ist nicht viel. Eine Farm und genug Land, um davon leben zu können. Ein Fluß, herrliche Berge und klare Nächte. Solltest du jemals müde werden, Earl, dann gehört es dir. Ich bin da, wenn du es wünschst, und ich schwöre dir, du würdest nichts bereuen, niemals." Ihre Hand strich über seine Brust, seine Schultern, sein Gesicht. „Denke darüber nach, Liebling. Mehr verlange ich nicht.“ * Etwas bewegte sich in der Dunkelheit. Ein Klicken. Dann erhellte sich ein Teil des Raumes. Die Holographie zeigte plastisch einen Teil des Weltraums.
„Die Rinne', sagte der Techniker. „Wie Sie befahlen, Meister." „Ich bat um eine detaillierte Wiedergabe des Quillian-Sektors", sagte Caradoc tadelnd. „Ich bitte um Entschuldigung. Ein Fehler. Er wird sofort korrigiert werden." Und niemals wiederholt. Ein Wort von Caradoc, und der Techniker würde für immer als unzuverlässige Hilfskraft gebrandmarkt sein. Nun wechselte die Darstellung. Der Kyber nickte und gab zu verstehen, daß er allein sein wollte. Dann trat er auf die Wiedergabe des Quillian-Sektors zu - in allen Farben strahlende Wolken und Punkte vor tiefer Schwärze als Hintergrund. Flammende Sonnen und rasende Energien, die jeden Funkverkehr unmöglich machten. Und doch wußte Caradoc, daß Dumarest sich irgendwo dort befand. Der Kreis um ihn zog sich enger. Nun dauerte es nicht mehr lange, bis er in der Hand des Ky-Clans war, bis die lange Jagd vorbei war und Dumarest das Geheimnis preisgeben mußte, das er dem Clan gestohlen hatte. Blaue und grüne Lichtpunkte wanderten über die scharlachrote Robe, als Caradoc sich bewegte. Die rubinroten Punkte in der Darstellung waren Planeten, auf denen menschliches Leben unmöglich war, die anderen stellten Sonnen und Planeten in je nach Farbe verschiedenen Zuständen ihrer Entwicklung und Aktivität dar. „Meister." Ein Schüler hatte den Raum leise betreten. „Eine Botschaft von Edhal. Dumarest ist nicht an Bord der Belzdek." Die Frau hatte also gelogen. Caradoc war nicht überrascht. Er hatte nichts anderes erwartet. Bochner konnte getäuscht worden sein, oder aber er spielte ein eigenes Spiel. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß er die Organisation betrügen wollte, war gering, doch diese Möglichkeit mußte in Caradocs Kalkül miteinbezogen werden wie jede scheinbar belanglose Kleinigkeit.
Wieder betrachtete der Kyber die Darstellung des QuillianSektors, ging in Gedanken alle nur denkbaren Möglichkeiten durch, die Dumarest zur Verfügung gestanden hatten, wägte Wahrscheinlichkeiten gegeneinander ab und stellte Berechnungen an. Dann zog er sich in das Zimmer zurück, das nur ihm allein zur Verfügung stand. „Ich will nicht gestört werden", wies er den Schüler an. „Unter keinen Umständen." „Meister." Der Anwärter auf die scharlachrote Robe verbeugte sich und schloß die Tür von außen, wo er blieb, um Wache zu halten. In der Kabine berührte Caradoc das breite Armband an seinem linken Handgelenk. Unsichtbare Energien gingen davon aus und schufen ein Feld um den Kyber, durch das kein Licht und kein Schall dringen konnte. Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme. Niemand durfte Zeuge dessen sein, was nun geschah.
Caradoc begab sich auf seine schmale Liege, schloß die Augen und konzentrierte sich auf die Samatcha zi-Formel. Allmählich erloschen seine Sinne vollständig. Alle äußeren Wahrnehmungen verschwanden, und der Geist des Kybers wurde zum totalen Intellekt. Nur so konnten die HomochonElemente aktiviert werden, die Caradoc gestatteten, eine neue Dimension des Lebens anzunehmen. Er mußte berichten, versank in einem Universum aus Licht und dem strahlenden Glanz der reinen Logik, verschmolz als geistige Einheit mit anderen Einheiten, wurde Teil eines gigantischen Ganzen - des Herzens des Ky-Clans, irgendwo tief unter, der Oberfläche eines Planeten. Caradocs Bewusstseinsinhalt ergoß
sich in die Zentralintelligenz. Nur ein kurzer Augenblick, dann war alles vorüber. Was blieb, war pure Euphorie, die Folge des allmählichen Absinkens der Homochon-Elemente in Caradocs Bewußtsein, als die Funktionen seines Körpers wiedererwachten und er sich aus dem Zustand der völligen Starre löste. Caradoc schwebte in einem Universum aus Eindrücken, die er nie selbst erfahren hatte. Sie kamen direkt von der Zentralintelligenz, jener gigantischen Vereinigung Tausender von Gehirnen in einem kybernetischen Komplex. Eines Tages würde Caradoc selbst Teil der Zentralintelligenz sein - als unsterbliches Gehirn in einer Nährlösung, Teil des Ganzen, Teil der Macht, die niemals aufhören würde, am einzigen Ziel des Ky-Clans weiterzuarbeiten: der Lösung jedes erdenklichen Problems durch die Macht des reinen Intellekts und die Macht über die Galaxis. Dies war die Belohnung für jeden Kyber, der nicht den Fehler machte, zu scheitern. Caradoc öffnete die Augen und starrte zur Decke hinauf, bis alle Körperfunktionen wiederhergestellt waren. Er berührte das Armband und desaktivierte das ihn umgebende Feld. Der Schüler verbeugte sich, als er die Kabine verließ, um sich erneut zur Holographie zu begeben. „Meister?" „Die Nachricht von der Belzdek wurde bestätigt", sagte Caradoc, „Dumarest befindet sich nicht an Bord. Die Wilke und die Ychale scheiden ebenfalls aus." Berichte von anderen Kybern, die zur Zentralintelligenz und von dort aus direkt zu Caradoc gelangt waren, ebenso wie eine weitere Information, mit der er sich später auseinanderzusetzen hatte. „Dann bleiben die Entil und die Frome, Meister." „Beides Frachter und beide im Quillian-Sektor." Caradoc sah den Schüler auffordernd an. Es war nie zu früh, die Fähigkeiten eines Anwärters zu testen. „Deine Folgerungen?" Der Schüler zögerte einen Moment und nickte dann. „Die Entil."
Ein pure Vermutung? Falls ja, mußte diese Gewohnheit schnellstens ausgemerzt werden. Falls nein, war es interessant, zu hören, wie er zu dem Schluß gekommen war. „Erkläre!" Und der Schüler legte auseinander, weshalb es für die Frome von Vorteil wäre, von Pontia, wohin sie jetzt flog, weiter nach Ninik, dann nach Swenna zu fliegen, danach schließlich aus dem Quillian-Sektor heraus. Die Überlegungen waren logisch und stellten Caradoc zufrieden. Natürlich blieb - wie immer - der „wilde" Faktor, der eine hundertprozentige Voraussage unmöglich machte. Doch auch Caradoc war davon überzeugt, daß Dumarest sich an Bord der Entil befand, immer noch - bis das Schiff sein nächstes Ziel erreichte. Dort würde Leo Bochner warten. * Der Jäger stand unter einem kastanienbraunen Himmel, dessen Farbspiele eine Augenweide waren. Wolken aus Millionen von Staubpartikeln reflektierten das Licht der aufgehenden Sonne und glitzerten in allen Farben des Regenbogens. Sie würden im Laufe des Tages verschwinden, wenn der Wind sich legte, und die Abenddämmerung zu einem weiteren unvergesslichen Erlebnis machen. Bochner ging auf Gale Andrel zu, die Aufnahmen mit einer Kamera machte. Die Kamera war ihre Welt, ihr ganzer Stolz, ihr Leben. Eine junge attraktive Frau, die sich den Schönheiten, die der Kosmos selb st an den unwirtlichsten Orten hervorbrachte, verschrieben hatte. Sie war auf ihre Art ebenso besessen wie Bochner.
„Erfolg gehabt, Gale?"
„Leo!" Sie lächelte, als sie ihn sah. Bochner wußte, wie schwer es war, den Zauber dieses Himmels in all seinen Nuancen einzufangen. „Ich glaube schon. Es war großartig. Von diesen Aufnahmen kann ich mindestens hundert allein auf Eltania verkaufen." „Sie sitzen jetzt die ganze Nacht hier und haben nichts gegessen. Ich habe mir erlaubt, ein Frühstück für uns beide zu bestellen. Es wartet auf uns. Kommen Sie?" Sie zögerte, suchte den Himmel ab, nickte schließlich. „Sie haben recht, Leo. Bis Sonnenuntergang versäume ich nichts. Gehen wir." Sie lehnte dankend ab, als er ihr anbot, einen Teil ihrer Ausrüstung zu tragen. Sie ist stolz, dachte er, als sie sich auf den Weg zum Hotel machten. Und stark. Die Apparate ihrer Fotoausrüstung waren alles andere als leicht. Aber würde er jemanden seine Waffen tragen lassen? Sie glich ihm in vielem. Sie wartete stunden-, oft tagelang auf ein Motiv, so wie er auf den Augenblick wartete, in dem er zuschlagen, den tödlichen Schuss auf sein Opfer abgeben konnte, wie er beobachtete und sein Wild einzuschätzen versuchte. Sie zum Beispiel. „Träumen Sie?" fragte Gale, als sie seinen Blick bemerkte. Wie zufällig warf sie den Kopf in den Nacken, ließ ihre langen Haare über die Schultern fallen. War sie darauf aus, ihn zu provozieren? Wusste sie nicht, daß er sie längst ins Visier genommen hatte, sie, die sich so überlegen gab, die er dafür zu hassen begann. Ja, er würde sie jagen und erlegen, aber anders als seine anderen Opfer. Er konnte sich kein Aufsehen leisten. Sie war eine Frau, die wie er auf ein Schiff wartete und die er im Hotel kennengelernt hatte. Nicht mehr. „Ich war in Gedanken", sagte er. „Das Warten macht mich krank."
„Es läßt sich ertragen, wenn man arbeitet." Ein Seitenhieb auf seine Art von Arbeit. Er hatte ihr nicht verheimlicht, was er war, und die Art, wie sie über die Jagd auf Menschen redete, steigerte seine Entschlossenheit noch. „Jeder Dummkopf kann töten." Sie hätte es niemals sagen sollen. Auch ihre Entschuldigung, ihr Lächeln und ihre scheinbare Unbeschwertheit ihm gegenüber machten die Worte nicht vergessen. Sie frühstückten im Hotel. Wieder kam sie auf das Jagen und Töten zu sprechen, und wieder legte er ihr seine Lebensphilosophie dar. Fressen und gefressen werden. Das Gesetz des Dschungels. Töten, um zu überleben. Wenn sie ihn verachtete, so zeigte sie es nicht. Sie unterhielten sich sachlich, und doch knisterte die Luft zwischen ihnen förmlich vor Spannung. Sie hatte keine Angst vor ihm. Manchmal dachte Bochner an einen Mann, der ebenfalls von einem Jäger wie ihm verfolgt worden war. Es war auf Rhius gewesen. Zu spät hatte der Jäger gemerkt, daß sein Opfer der Jäger und er zum Gejagten geworden war. Spielte sie mit ihm? War sie wie dieser Gejagte? Am Nachmittag, dachte er. Sie würde müde vorn Entwickeln ihrer Aufnahmen und bereit sein, sich einer neuen Erfahrung hinzugeben. In ihrer Kabine. Sex als Ersatz für das Töten. Wenn er sie nahm, würde es symbolisch für den Todesschuss sein. Doch bevor sie zu Ende gefrühstückt hatten, erfüllte das Donnern der landenden Entil die Luft. Kumetat - eine der vielen Welten im Quillian-Sektor. Jene Welt, auf die Bochner von Caradoc geschickt worden war, um auf Dumarest zu warten.
6.
Die Tänzerin und ihr neuer Begleiter befanden sich ebenso noch an Bord wie der Waffenhändler. Die Ingenieure und der Bergbau-Angestellte hatten die Entil verlassen. An ihrer Stelle war ein narbengesichtiger Söldner an Bord gekommen. Charl Zeda war ein Mann, der einen hart erarbeiteten Anteil an einer Mine verloren hatte und nun unterwegs zu reicheren Welten war, deren Herrscher sich den Luxus eines Krieges leisten konnten. , Er saß neben dem Historiker und studierte seine Karten. Das Spiel hieß Poker, und er spielte es nicht gut. „Zwei", sagte er. „Nein, ich nehme drei." Ein Paar also, dachte Dumarest, der die Karten ausgab. Er beobachtete, wie Zeda sie aufnahm, die Augen, die Hände. Das Gesicht war eine Maske, die Augen wirkten wie schale Fenster, doch die Hände verrieten ihn. „Und Sie?" Der Historiker nahm eine, die Tänzerin zwei. Der Waffenhändler hatte schon gepasst, ebenso wie Feie Roster, Gale Andrel spielte nicht mit. „Keine", sagte Leo Bochner, der zusammen mit Gale Andrel zuletzt an Bord gekommen war. Ein Bluff? Es hätte zum Eindruck gepasst, den Dumarest von dem Mann gewonnen hatte. Er hatte nicht eröffnet, doch das sollte nichts sagen. Ein Mann mit einer guten Karte konnte warten. Er hatte seinen Einsatz vor dem Austeilen der neuen Karten gegeben und konnte erhöhen, wenn sein Blatt es zuließ. Sein sanftes Gesicht war ohne jeden Ausdruck. Nur die Augen
blitzten manchmal amüsiert auf, so wie die eines Erwachsenen, der Kindern beim Lernen zusah. Er war ein Mann, der seine Zeit totschlagen wollte, dem es egal war, ob er gewann oder verlor. Dennoch ein Mann, der dieses Spiel gewinnen könnte. Dumarest warf einen Blick auf die Einsätze, dann auf die Karten in seiner Hand. Seine drei Könige sollten genügen, wenn er die anderen richtig eingeschätzt hatte. Die Karte, die der Historiker genommen hatte, konnte bedeuten, daß er entweder zwei Paare hatte oder einen Flush oder einen Straight zu komplettieren versuchte. Seine Reaktion zeigte, daß er kein Glück gehabt hatte. Die Tänzerin bekam allmählich Geschmack am Spiel und ging immer größere Risiken ein, in der Hoffnung, einmal die richtigen Karten zu ziehen. Sie konnte höchstens gleiche Farben bekommen haben. Der unbekannte Faktor war Bochner. Dumarest beobachtete ihn, während er so tat, als studierte er seine eigenen Karten. Ein Jäger, unterwegs zu Welten außerhalb des Quillian-Sektors. Er hatte nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können. Seine Erscheinung sprach für sich. Augen, deren Blick zu direkt war, die nie müde wurden. Die Augen eines Mannes, der die Herausforderung in Person war, der dem Blick eines anderen so lange begegnete, bis dieser wegsah. Und dann? Dumarest hatte Männer dieses Schlages kennengelernt: Kämpfer, die in den Arenen ihr Leben riskierten, um an Geld zu kommen, die alle möglichen Tricks kannten, um zu überleben, die ihrem Gegenüber so lange ins Auge sahen, bis dieser wegschaute - und dann zustachen. Doch Bochner war ein Jäger, vermutlich der Geliebte von Gale Andrel, die mit ihm zugestiegen war. Es war ganz natürlich, daß ein Jäger solche Augen hatte. Und natürlich, daß er auf Kumetat gewartet hatte? Der Söldner hatte eröffnet. Er schob Geld auf die Tischmitte. „Zehn!"
Der Historiker zögerte, paßte dann. Die Tänzerin ging mit und verdoppelte. Bochner sah Dumarest an. „Ohne Limit?" „Kein Limit." „Dann erhöhe ich auf hundert." „Sie Bastard!" Wütend warf die Tänzerin ihre Karten fort. „Spieler wie Sie ruinieren das ganze Spiel!" Bochner ignorierte sowohl sie als auch den Söldner, der ebenfalls die Karten weggelegt hatte. „Nun, Earl?" Dumarest spürte, daß die Herausforderung mehr war als nur die Frage, ob er mitgehen und seinerseits erhöhen würde. Zwei Männer saßen sich gegenüber, die sich maßen, abtasteten. Sollte er halten oder sehen lassen? Dem Feind Paroli bieten oder fortlaufen? Selbst die Initiative ergreifen und Bochner in die Defensive zwingen? Ein Risiko eingehen oder auf Sicherheit spielen? Konnte er sich eine Niederlage leisten? Dumarest betrachtete die Einsätze. Wenn er gewann, bekäme er mehr als das Fünffache seines Einsatzes zurück. „Ich erhöhe um weitere hundert", sagte er kühl. Eine Chance, um Zeit zu gewinnen. Er mußte dahinter kommen, wie Bochner spielte. „Hundert?" Der Jäger schürzte die Lippen. Seine freie Hand spielte mit den Münzen. Ein alter Trick, um den Gegner abzulenken oder für einen Moment die Kontrolle über sich verlieren zu lassen. Dumarest tat ihm den Gefallen nicht. „Hundert", murmelte Bochner wieder. Dann legte er seine Karten fort. „In diesem Fall kassieren Sie." „Sie steigen aus?" Die Tänzerin griff nach seinen Karten. „Was hatten Sie?" Blitzschnell war Bochners Hand auf der ihren, drehte das Gelenk herum, so daß die beringten Finger gegen die Tischplatte gepreßt wurden. „Niemand sieht meine Karten", sagte er. „Meine Hand! Sie tun mir weh!"
Sie rieb sich das gerötete Gelenk, als Bochner sie losließ. Feie Roster, ihr Begleiter, folgte ihr, als sie wütend aus dem Raum stürmte. „Warum haben Sie das getan?" fragte der Waffenhändler. „Ich sah, wie Sie ihr die Hand herumdrehten. Die Ringe?" „Ich habe solche Ringe schon mehr als einmal gesehen", brummte Bochner. „Und ich weiß, wie giftig eine solche Frau sein kann. Es gibt Leute, deren Gesichter durch Frauen wie sie verätzt sind. Meines möchte ich gerne so lassen, wie es ist." Threnond witterte sogleich wieder ein neues Geschäft, doch Bochner winkte ab. „Spielen wir noch?" „Ich nicht." Charl Zeda lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ein kluger Mann weiß, wann das Glück ihn verlassen hat." * Das Musikstück war zu Ende. Es war jetzt vollkommen still im Raum. Nur der Rauch blieb. Jumoke sog ihn gierig und tief in die Lungen, gab sich ganz der Euphorie hin, die er schenkte, und dem Vergessen. Und doch wollten einige Dinge nicht aus seinem Denken verschwinden. Die Berührung einer Hand, ein Lächeln, warme, begehrenswerte Haut. Ein geflüstertes Wort, ein unausgesprochenes Versprechen, eine Sehnsucht schlimmer als jeder körperliche Schmerz. Sie trieb ihm die Tränen in die Augen, schrie in ihm, erfüllte das Universum. Dilys! Ich liebe dich! Ich liebe dich doch! Und er würde nie aufhören, sie zu lieben, sie zu begehren. Seine Frau sein Leben. Der Rauch umrahmte Jumokes Gesicht, stieg in die Höhe, bildete Gesichter. Jumoke ließ sich treiben, hinein in eine rosarote Traumwelt. Völlige Stille und für Momente völliger Friede. Dann das Stampfen, Schritte, eine Stimme, die inmitten der roten Schleier explodierte, als Allain die Kabine betrat.
„Jumoke! Bist du verrückt geworden? Der Alte würde dich umbringen, wenn er dich so sähe!" Der Alte? Welcher Alte? Wer redete da und warum? Jumoke fühlte sich unsanft in die Höhe gerissen, als der Steward ihn packte und seinen Kopf unter einen Wasserhahn hielt. Der eiskalte Strahl brachte den Navigator zur Besinnung. Allain gab ihm zwei Ohrfeigen. „Das reicht!" „Noch lange nicht, du verdammter Bastard! Es ist auch mein Leben, das du aufs Spiel setzt! Ich hätte gute Lust, dich ..." „Ich sagte, das reicht!" Jumoke riß sich los. Das Wasser rann ihm übers Gesicht und den Oberkörper. Allain reichte ihm ein Handtuch. „Du hast Dienst!" sagte Allain scharf. „Jetzt schon?" „Du solltest vor zehn Minuten in der Zentrale erschienen sein. Varn schickte mich, um dich zu holen." Allain warf einen Blick auf die kleine Kanne mit der Flüssigkeit, die sich beim öffnen in den roten Rauch verwandelte. „Ich werde ihm sagen, daß du verschlafen hast, falls er mich fragt. Aber wenn du noch einmal so etwas machst, breche ich dir alle Knochen, das schwöre ic h." Allain trat auf Jumoke zu und legte einen Arm um dessen Schulter. „Nimm dich zusammen, Mann. Du kannst dir in der Rinne keine schönen Träume erlauben, und das weißt du. Und noch viel weniger im Quillian-Sektor. Wenn du unbedingt Selbstmord begehen willst, dann warte, bis wir gelandet sind." „Du vergisst dich", knurrte Jumoke. „Ich bin der Navigator und du nichts als ein lausiger Steward." „Ich bin dein Partner, und selbst, wenn ich's nicht wäre, würde ich einen Freund nicht solch einen Unfug mit sich anstellen lassen. Was ist los mit dir? Kannst du sie nicht vergessen?" Allain wußte natürlich Bescheid, so wie Gresham es gewußt hatte und Egulus es wissen mußte. Wie konnte jemand ihn und Dilys übersehen haben, als sie noch zusammen glücklich waren?
Das war vorbei. Nein, er würde sie nicht vergessen können. Nicht diesen Verlust, den Schmerz, diese furchtbare Sehnsucht nach ihr. Zum Teufel mit ihr! Zum Teufel mit Dumarest! Egulus betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen, als er die Zentrale betrat. Der Kapitän sah müde aus. Die Strapazen, das Schiff durch den Quillian-Sektor zu manövrieren, machten sich bemerkbar. „Ich habe verschlafen, Varn", sagte Jumoke. Egulus wußte es besser. Er kannte den Blick eines Mannes, der unter dem Einfluss des Rauschgifts stand. Doch er akzeptierte die Lüge. Mehr denn je brauchte er jetzt seinen Navigator. „Wir bekommen eine Menge Arbeit", brummte der Kapitän. „Diese Sonnen vor uns blähen sich auf, und der Weltraum spielt verrückt. Wir verkürzen am besten die Schic hten, um wach zu bleiben, Allain wird etwas bringen, um uns aufzumuntern." Drogen, die die Müdigkeit wegwischten und die Raumfahrer aufputschten. Nichts Ungewöhnliches in Situationen. wie dieser. „Mach dir um mich keine Sorgen, Varn." Jumoke nickte dem Kapitän zu. „Geh und schlafe ein paar Stunden." „Ich glaube, du hast recht", murmelte Egulus. „Es kann nicht schaden, wenn wir ausgeruht sind." Als er allein war, überprüfte Jumoke die Instrumente und machte sich ein Bild von den Verhältnissen draußen zwischen den Sonnen. Solange das Schiff sich durch das vom Erhaft-Feld erzeugte Universum bewegte, bestand keine unmittelbare Gefahr. Solange das Feld hielt... Solange Jumokes Aufmerksamkeit keinen Augenblick nachließ. Jede von den Instrumenten angezeigte Veränderung der Konstanten mußte » korrigiert werden. Die Hände des Navigators huschten ununterbrochen über die Kontrollen, seine Augen hafteten an den Bildschirmen mit ihren Digitalanzeigen.
Doch dann war Dilys wieder da. Es war, als stünde sie neben ihm, raubte ihm den Atem, die Fähigkeit des klaren Denkens. Die Liebe, die unbändige Sehnsucht, der ... Haß! Warum liebte sie Dumarest? Warum konnte sie ihn nicht so lieben wie diesen Rastlosen? Warum hatte sie ihn nicht angehört, als er sie danach fragte, ihr sogar anbot, Dumarest neben sich zu akzeptieren? Dilys Gesicht vor Jumokes geistigem Auge verschwand, versank in einer Hölle aus Schmerz, Wahnsinn und Leidenschaft - in seiner Hölle. Nie wieder würde er sie besitzen, nie wieder so stolz und glücklich sein können. Sie hatte ihm alles genommen und dem anderen gegeben. Dumarest! Jumoke hob seine Hände, ballte sie zu Fäusten und betrachtete sie grimmig. Dumarest, Dumarest und Dilys - er wünschte, beide wären tot. * Leo Bochner verließ leise und unauffällig die Messe, in der Gale Andrel den anderen Passagieren gerade die Gärten von Emdale zeigte - eine von vielen holographischen Projektionen, die einen Eindruck von ihren Fähigkeiten als Fotografin gaben. Die alte Tänzerin war begeistert. Auch Bochner konnte sich der Faszination der fast vollkommenen Wiedergabe nicht entziehen. Er konnte die Vögel in den Ästen der blühenden Bäume fast singen hören und den Duft der bunten Blüten riechen. Doch er hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Bochner ging bis zu Dumarests Kabine. Er hatte keine große Mühe mit dem Schloss. Die Tür schwang auf, und Bochner trat ein. Das, was Dumarest besaß und was ihn so wertvoll für den KyClan machte - war es hier?
Bochner suchte das Innere der Kabine mit den Augen ab, doch er sah nichts außer der gewöhnlichen Einrichtung: das Bett, der Wandschrank, die Waschecke. Ein Stuhl neben einem kleinen, würfelförmigen Schrank am unteren Ende des Bettes. Er besaß, eine Tür, die Bochner ohne Mühe öffnete. Er fand säuberlich gefaltete graue Plastikkleidung, hohe Stiefel und ein Messer. Bochner nahm es und richtete sich auf, als er die Waffe untersuchte. Er fuhr bewundernd mit dem Finger die scharfe geschwungene Klinge entlang, bis zur Spitze, die im spärlichen Licht der Kabine glitzerte. Er balancierte das Messer in seiner Hand. Es war eine beeindruckende Waffe - und eine, die von ihrem Besitzer benutzt wurde. „Sie!" Die Stimme der Frau war schneidend. „Was tun Sie hier?" Er fuhr herum, das Messer noch in der Hand. Dilys deutete darauf. „Es gehört nicht Ihnen. Was tun Sie damit?" „Ich war neugierig." „So neugierig, daß Sie in die Kabinen anderer Leute einbrechen?" „Die Tür stand auf", log er. „Im Vorbeigehen sah ich das Messer. Ich bin Jäger und habe ein natürliches Interesse an Waffen jeder Art. Es tut mir leid, daß mich die Neugier übermannte. Ich konnte einfach nicht daran vorübergehen. Earls Messer?" „Ja." „Dachte ich mir. Dumarest ist der Typ von Mann, der weiß, wie man es benutzt. Ein Mann, wie ich ihn brauchen könnte." Er sah das kurze Aufleuchten ihrer Augen, das Interesse verriet. Er legte das Messer zurück in den Behälter und schloß die Tür. Nun- mußte er Dilys ohne Aufsehen mit sich aus der Kabine bringen, die Tür verschließen und die Frau so einlullen, daß sie vergessen würde, Dumarest von dem Vorfall zu erzählen. „Nach Ihnen, meine Liebe."
Sie ließ sich auf den Korridor hinausdrängen und sah zu, wie er die Kabinentür zudrückte. Sie besaß ein Springschloss. Bochner. atmete auf. Doch er mußte sichergehen können, daß die Frau schwieg. „Was meinten Sie, als Sie sagten, Sie könnten einen Mann wie Earl gebrauchen?" fragte sie. Sie hatte den ausgeworfenen Köder genommen. Vorsichtig zog er nun die Leine ein. „Bei meiner Arbeit", sagte er. „Wie Sie vielleicht wissen, gehöre ich einem Konsortium von Spekulanten an, das auf andere Gebiete expandieren will. Wir brauchen Männer, die gerne und gut jagen, die sowohl das nötige Wissen als auch Praxis mitbringen, um Expeditionen und Safaris zu führen. Dumarest wäre ideal dafür. Er strahlt Zuversicht aus und scheint einen angeborenen Sinn dafür zu haben, was unter welchen Umständen zu tun ist. Ein perfekter Jäger, Führer, Beschützer und Lehrer. Auf Persing könnte er... aber wozu erzähle ich Ihnen das ...?" „Auf Persing?" „Eine Welt, die wir gerade erschließen wollen. Es gibt dort herrliche Berge, ideal für viele Arten von Wild und wie geschaffen für Jagdgesellschaften. Wir brauchen jemanden, der die Arbeiter beaufsichtigen kann, die Jagden einteilt und dafür sorgt, daß die Tiere nicht wahllos erlegt werden. Ihm stünde ein Haus mit dreißig Zimmern zur Verfügung, dazu ein Gleiter und Diener. Die Bezahlung ist mehr als großzügig, ganz abgesehen von den Geschenken, die zufriedene Kunden machen. Und es gibt viele Möglichkeiten zum Aufstieg innerhalb des Konsortiums." Bochner schüttelte den Kopf. „Aber natürlich müßte Dumarest erst verheiratet sein, bevor er eingestellt werden kann. Die Gesellschaft besteht darauf. Ein verheirateter Mann ist erfahrungsgemäß verlässlicher als ein Ungebundener." Bochner tat so, als käme ihm erst jetzt der Gedanke: „Sie stehen sich nahe? Wie sehr?"
„Wir sind ... enge Freunde, ja." „Ein glücklicher Mann. Gehen wir nun zu den anderen?" Sie nickte. Bevor sie die Messe erreichten, sagte Bochner; „Noch eines, meine Liebe. Mir wäre es lieber... wenn Earl nicht erführe, wie sehr ich mir wünschte, daß er für uns arbeiten könnte. Eine rein geschäftliche Vorsichtsmaßnahme, Sie verstehen? Es wäre am besten, wenn er von alledem, was ich Ihnen sagte, gar nichts wüßte." Dann fragte er beiläufig: „Hat er jemals davon gesprochen, daß er die Entil verlassen will?" „Nein." „Aber er wird doch nicht für immer an Bord bleiben wollen?" „Ich ... ich weiß es nicht." Er bemerkte den zweifelnden Unterton und las die Sorge aus ihrem Gesicht. Innerlich amüsierte er sich. Wie leicht die meisten Menschen doch zu durchschauen waren. „Hat er denn nie von einer Welt gesprochen, auf der er sich niederlassen oder die er besuchen will?" „Nein", sagte sie, etwas zu schnell. „Er redete nur von der Erde." „Von der Erde?" „Er scherzte natürlich." „Natürlich." Bochner stellte keine Fragen mehr. Als sie die Messe erreichten, kam ihnen ein leichenblasser Allain entgegen. Er nahm Dilys beim Arm und fragte leise: „Hast du Jumoke gesehen?" „Nein", sagte sie verwundert. „Stimmt etwas nicht mit ihm?" „Varn sucht ihn. Alle Instrumente spielen plötzlich verrückt. Der Alte tobt und ... na ja, Jumoke war allein in der Zentrale." „Jumoke soll Sabotage begangen haben? Unmöglich!" „Bis vor kurzem dachte ich das auc h, doch jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Er hat inhaliert und möglicherweise noch ganz andere Sachen genommen. Er ist halb verrückt und, kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich versuchte, ihn zu decken,
aber jetzt ist er zu weit gegangen. Hast du ihn wirklich nicht gesehen? In der Messe ist er nicht. In seiner Kabine?" „Vielleicht. Ich sehe nach. Mir wird er öffnen." Jumoke war nicht in der Kabine. Es roch ätzend, und auf dem Boden lagen einige zerbrochene Kapseln, „Das verdammte Zeug", sagte Allain. „Er muß noch etwas versteckt gehabt haben. Ich dachte, ich hätte ihm alles fortgenommen." „Die Instrumente", sagte sie. „Was war mit ihnen los?" „Ich sagte doch, daß sie verrückt spielen. Varn versucht sein Bestes, aber Jumoke ist der Navigator. Wir sind vom Kurs abgekommen, und der Weltraum um uns herum tobt. Wir verlieren Tage, wenn nicht mehr. Wenn's ganz schlimm kommt..." Er brauchte den Satz nicht zu vollenden. Der Boden erzitterte unter ihren Füßen, dann hörten sie ein Kreischen, als schöbe sich das Schiff ohne Schutz an einem Asteroiden vorbei. Wieder das Beben und Geräusche wie von berstendem Metall. Varn Egulus fuhr in seinem Sessel herum und starrte ungläubig auf die noch intakten Anzeigen. Gale Andrel spürte das Beben und schürzte die Lippen, als ihre Holographie erzitterte. Bochner spürte es und erahnte die Ursache. Dumarest wußte Bescheid. Jemand schrie schrill: „Das Schiff! Mein Gott, das Schiff! Das Feld steht nicht mehr!"
7.
Jumoke lag dort, wo er gestorben war - eine geschrumpfte, schwarze, verkohlte Leiche vor dem Generator, den er zerstört
hatte. Ein Gesicht, noch im Tode von den Qualen verzerrt, die ihn in den Wahnsinn getrieben hatten. „Dieser Bastard!" entfuhr es Allain. „Wenn er unbedingt sterben wollte, warum mußte er uns dann mitnehmen?" „Er war von Sinnen", sagte Dilys. „Du hast selbst gesagt, daß ..." „Und wer trieb ihn in diesen Zustand?" Der Steward war der Panik nahe. „Du hättest ihm nachgeben können. Verdammt, ein einziger Kuß könnte ihn und uns alle gerettet haben!" „Das reicht", sagte Dumarest scharf. „Dilys trifft keine Schuld. Wenn jemand verantwortlich zu machen ist, dann sind Sie es. Sie wußten, daß er unter Drogeneinfluss stand." „Ich versuchte, ihn zur Besinnung zu bringen." „Und du siehst, mit welchem Erfolg!" schrie Dilys Allain an. „Warum hast du Varn nichts gesagt? Warum hast du nicht dafür gesorgt, daß er so etwas nicht machen konnte?" Sie zeigte hilflos auf den verkohlten Leichnam und den Generator. „Warum nicht, du verdammter ...?" Dumarest fing ihre erhobene Hand, bevor sie Allain ins Gesicht schlagen konnte. Sie zappelte und trat nach ihm, war Augenblicke lang blind vor Verzweiflung und Zorn. Dann warf sie sich an seine- Brust und begann zu weinen. * Er drückte sie fest an sich. Als sie sich einigermaßen gefangen hatte, fragte er: „Wie groß ist der Schaden? Kann er behoben werden?" „Ich weiß nicht. Erst muß ich mir den Generator ansehen." „Dann beeile dich damit." Dumarest zog die Leiche von den Maschinen fort. „Allain, Sie gehen besser zu den Passagieren zurück. Geben Sie ihnen Beruhigungsmittel, falls nötig. Lügen Sie ihnen etwas Vor, wenn es hilft. Sagen Sie, daß wir einen vorübergehenden Zusammenbruch am Generator hatten und
eine Weile brauchen, um ihn zu reparieren, nichts Ernstes. Versorgen Sie sie mit allem, was sie brauchen, Wein und meinetwegen Drogen. Diese Frau mit ihren Bildern soll mit ihrer Vorführung weitermachen." „Sie sind keine Idioten, Earl. Sie wissen, was es bedeutet, wenn das Feld einmal nicht mehr steht." Sie alle wußten es. Ohne das Erhaft-Feld konnte das Schiff sich nur unterhalb der Lichtgeschwindigkeit bewegen, war verwundbar und den tobenden Energien hilflos ausgeliefert. Ein einziger Meteorit genügte, um die Hülle zu zerschlagen. Die kosmische Strahlung durchdrang den Stahl und griff die Menschen über kurz oder lang an. „Dilys?" „Ich arbeite, so schnell ich kann, Earl." Sie kniete vor dem Generator, Hände und Gesicht verschwitzt, eine Reihe von Werkzeugen neben ihr ausgebreitet. „Er hat die Abdeckplatten abgenommen und etwas dahinter versteckt. Ein Draht. Er wollte den Generator nicht völlig zerstören, sondern nur meine Aufmerksamkeit erregen." „Er wollte sterben, und das weißt du. Er wollte uns in den Tod mitnehmen. Warum versuchst du jetzt noch, dir etwas vorzumachen." Sie tat ihm leid, aber sie würde mit der Wahrheit zu leben haben. „Kann ich dir irgendwie helfen?" Sie schüttelte nur den Kopf. Dumarest wußte, was in ihr vorging. Allain hatte recht gehabt. Ein Kuß hätte das Unheil verhindern können, ein einziger Kuß und etwas weniger Unaufmerksamkeit ihrerseits. Sie hätte im Maschinenraum bleiben müssen, anstatt sich mit Bochner zu unterhalten, sich von den Aussichten, die er ihr bot, faszinieren zu lassen. Gedanken, die Dilys im Kopf herumspukten, während sie wie besessen arbeitete. War Dumarest wirklich der Mann, der sie heiraten würde, um die Stellung antreten zu können? War er käuflich?
Fragen, die jetzt ohne Bedeutung waren. Der Schaden am Generator war schwerer, als sie zunächst angenommen hatte. Wenn sie Zeit genug hatte, konnte sie die Maschine vielleicht reparieren. Es hing alles davon ab, wie viele der winzigen Bausteine unbrauchbar geworden waren und ob sie sie ersetzen konnte. Unzählige Tests würden dazu erforderlich sein Zeit, ihre ganzen Fähigkeiten und eine gehörige Portion Glück, um jeden Baustein wieder an die richtige Stelle zu bringen, ins Gesamtgefüge einzupassen und zum Funktionieren zu bringen. Zeit! Egulus schüttelte den Kopf, als Dumarest ihm berichtete. „Wir haben die Zeit nicht, Earl. Der Bastard hat ganze Arbeit geleistet. Bevor er sich an den Generator machte, nahm er sich unsere Instrumente vor. Er wollte ganz sichergehen, daß wir mit ihm zur Hölle fahren." „Der Funk?" „Hoffnungslos. Nicht nur, daß wir im Quillian-Sektor auf ihn verzichten müssen - er ist total ruiniert. Der Wahnsinnige scheint allein die Bildschirme vergessen zu haben." Ein kleiner Hoffnungsschimmer, doch was nun auf den Schirmen zu sehen war, war eher dazu angetan, den Raumfahrern das Blut in den Adern erstarren zu lassen. Mitten in den chaotischen Energiewirbeln eine Sonne mit einer hässlichen Korona. Ihre Protuberanzen schössen weit in den Raum hinaus und vermittelten den Betrachtern den Eindruck, ein lebendes Monstrum vor sich zu haben. „Wir fliegen genau darauf zu", sagte Egulus, „und ohne Energie hinein. Jumokes letztes Geschenk an seine Partner. Ich hätte bei ihm bleiben sollen, als ich den Rauch roch, der noch an seiner Kleidung haftete. Aber konnte ich wissen, daß dieser Idiot...?" Egulus schüttelte den Kopf. „Hätten wir nur nicht Kumetat angeflogen. Ich wollte diese Welt diesmal auslassen, doch ich hatte Fracht für Kumetat an Bord genommen. Gutes Geld, Sie verstehen?"
Eine seltsame Fracht für eine Wüstenwelt, dachte Dumarest. Aber das war nicht seine Sache. Dennoch,.. „Wenn wir diese Fracht nicht aufgenommen hätten?" „Wären wir jetzt auf Tullon. Eine gute Welt, zwar noch in der Rinne, aber am Rand des Quillian-Sektors. Wir hätten ein oder zwei Tage dort bleiben können." Der Kapitän lachte rauh. „Nun sieht's so aus, als könnten wir für ewig in der Hölle braten." * „Die Passagiere werden unruhig, Earl", sagte Allain. „Ich habe ihnen Alkohol und Drogen gegeben, aber sie wissen, daß es so gut wie keine Hoffnung gibt." Dilys arbeitete wie ein Roboter, nahm ständig Drogen, die die Müdigkeit und den Körper überlisteten, der nach Schlaf schrie. Dumarest brachte ihr eine weitere Tasse mit stärkender, nahrhafter Flüssigkeit. Dilys hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Hände zitterten leicht. Sie betrachtete sie, spreizte die Finger und fragte: „Wie lange schon, Earl? Fünf Tage?" „Sieben." Eine ganze Woche, während der sie keine Stunde geschlafen und kaum etwas Ordentliches gegessen hatte. „Hier", sagte Dumarest und reichte ihr ein Glas. „Der beste Brandy des Hauses, wie Allain versichert. Von seinem privaten Vorrat. Er hat noch eine weitere Flasche verwahrt - eine mit Gift." Ein Gift, von dem er nicht trinken würde. Dumarest wollte dem Tod ins Auge sehen, gegen ihn kämpfen, wie er sein Leben lang gekämpft hatte, hoffen bis zuletzt, auch wenn die Chancen noch so gering waren. Dilys trank und arbeitete weiter. Der Alkohol tat seine belebende und stimulierende Wirkung, wenn diese auch nur von kurzer Dauer sein konnte. Dilys überprüfte noch einmal alles, was sie getan hatte, kontrollierte Verbindungen, Schaltkreise und den Sitz verschiedener Teile. Sie stand auf und sah
Dumarest unsicher an. Hatte sie alles berücksichtigt? Es gab nur einen Weg, dies herauszufinden. Die Schalter und Knöpfe. Dilys sah sie an, nachdem sie die Abdeckplatte wieder angebracht und die Werkzeuge beiseite geräumt hatte, und schüttelte den Kopf. „Tu du es, Earl. Ich habe nicht mehr die Kraft dazu. Die Schalter dort." Sie zeigte ihm, welche er umzulegen, welche Knöpfe er zu drücken hatte und beobachtete atemlos, wie er langsam die Hand danach ausstreckte. Der Generator begann zu summen. Dilys konnte es nicht fassen. Sie hatte es geschafft! Sie machte ihrem Triumph in lautem, hysterischem Gelächter Luft. Doch das Lachen erstarb, als das Summen leiser wurde, wieder anschwoll, wieder leiser wurde ... „Nein!" schrie sie. „Es ist nicht wahr! Ich habe versagt. Dieser verfluchte Generator bringt uns nirgendwohin!" * Dumarest überzeugte sich davon, daß Dilys sich nicht im Schlaf herumwälzen oder gar zu früh erwachen konnte. Er hatte sie zu gut zugedeckt. Lange betrachtete er sie - eine Frau, die ihr Letztes gegeben und erlebt hatte, daß es nicht genug gewesen war. Als er ihre Kabine verließ, sah er Allain aus einer anderen Kabine kommen. Flüche folgten ihm. Die alternde Tänzerin erschien im Eingang und spuckte hinter ihm aus. „Betrunken", erklärte Allain, „aber noch nicht genug. Mein Gott, was für eine Hexe!" „Die anderen?" „Warten und zittern. Glauben Sie, daß wir's schaffen?" Allain beherrschte sich immer noch mustergültig, doch die Todesangst stand in seinem Gesicht geschrieben. Sein Blick war flehend. „Wenn der Generator noch eine Weile hält, ja."
„Und wenn nicht? Wir werden verbrennen, verhungern, wahnsinnig. Wenn wir Glück haben, sterben wir schnell." „Oder wir überleben", sagte Dumarest. „Es gibt mehrere Arten von Glück." Allain verschwand in seiner eigenen Kabine. Dumarest ging zur Zentrale. Egulus sah ihn fragend an. „Dilys?" „Schläft noch." „Die anderen?" Der Kapitän fluchte, als Dumarest berichtete, was er vom Steward gehört hatte. „Passagiere! Ich kann mich nicht auch noch um sie kümmern! Ich muß zusehen, was aus der Entil wird!" Ein „halbes" Schiff. Dumarest konnte auf einem der Schirme sehen, daß es jetzt auf einen Planeten zuflog - ein verschwommener Ball aus Grün und Ocker mit weißen Wolkenstreifen und dunklen Flächen. „Es muß Hyrcanus sein", brummte Egulus. „Jedenfalls die einzige Chance, die wir haben. Entweder schaffen wir die Landung oder wir werden geröstet. Wenn nur der Generator lange genug hält..." Vorläufig arbeitete er. Der Planet wurde auf den Schirmen größer. Instrumente klickten, als sie erste Detailinformationen lieferten. Der Planet war zum Greifen nahe, als der Generator den Geist aufgab. Egulus wurde bleich. Dumarest war klar, was es bedeutete, ohne das Erhaft-Feld in die dichte Atmosphäre hineinrasen zu müssen, und Egulus sah sich vor der schwersten Aufgabe seines Lebens. Die Steuerdüsen funktionierten noch. Die bevorstehende Notlandung forderte alles von dem Raumfahrer. Um nicht beim Eintauchen zu verglühen und die Geschwindigkeit zu vermindern, mußte er in einen Orbit mit konstanter Höhe gehen. Das Schiff würde auf die Atmosphäre aufprallen, in den Raum geschleudert werden, wieder absinken und wieder hochgeschleudert werden. Die Hülle glühte rot, als es soweit war. Metall kreischte. Alarmglocken schrillten und mischten sich in das infernalische Kreischen. Dumarest
schwitzte, als er die Sirenen abstellte. Die Entil glühte wie eine vom Himmel fallende Fackel. Die Reibungshitze drang durch die Hülle ins Innere. „Höher!" schrie Dumarest. „Rauf mit dem Kasten! Schnell!" Egulus schlug auf die Kontrollen, gab zusätzliche Kraft auf die Düsen, doch das Schiff fiel wie ein Stein. Dumarest sah auf den Schirmen, wie die Oberfläche viel zu schnell näher kam. Sie brauchten eine weite freie Fläche zur Notlandung, Sand, Schnee oder Eis. Doch weit und breit war nur Gebirge zu sehen. „Nichts!" schrie Egulus. „Der ganze Planet ist ein einziger Alptraum!" „Wir müssen ein Meer finden", rief Dumarest. „Oder einen See. Wasser!" Wenig später erschien die Mündung eines Flusses auf den Schirmen, dann das Meer. „Herunter!" schrie Dumarest. „Schnell!" In der Ferne tauchten bereits wieder Berge auf. Sie waren zu schnell. Egulus gab sämtliche Energie in den Gegenschub. Sekundenlang hatte es den Anschein, als würde die Entil auseinander gerissen, dann schoß sie wie ein Flammenball in das Wasser. Gewaltige Dampffontänen stiegen in die Höhe. Die Entil wurde erneut zum Spielball der Naturgewalten, drohte auseinanderzubrechen, sank schließlich weiter. Dumarest lief Blut aus Ohren und Nase. Nur mit Mühe konnte er die Augen offen halten. Immer noch war das Schiff in Dampf gehüllt. Die glühendheiße Hülle hatte sich noch la nge nicht abgekühlt. Dann schlug das Schiff auf Grund auf, wurde noch einmal etwas in die Höhe geschleudert, berührte wieder Grund und blieb diesmal liegen. Nach einer halben Ewigkeit sagte Egulus: „Kein Wasser dringt ein. Die Hülle hat gehalten." Er schien es nicht fassen zu können. „Glück", sagte Dumarest.
„Für uns, vielleicht." Der Kapitän wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und betrachtete das Blut. „Für die anderen?"
8.
Allain, der Historiker und die Tänzerin waren tot. Die anderen waren mit Ausnahme von Charl Zeda wie durch ein Wunder zwar reichlich durchgeschüttelt, aber unverletzt geblieben. Zeda biß die Zähne zusammen und rollte mit den Augen, als Dumarest seine ausgekugelte Schulter wieder einrenkte. „Danke", preßte der Söldne r hervor. „So ist's besser. Ich war unvorsichtig und bewegte mich zur falschen Zeit am falschen Ort. Was ist mit dem Schiff?" Er wurde bleich, als er die Antwort hörte. „Auf dem Meeresgrund, ohne Generator und Energie, um aufzutauchen? Wie sollen wir hier herauskommen?" Eine Frage, die auch Gale Andrel stellte, als sich die Überlebenden in der Messe versammelt hatten. „Wir können die Schleuse des Frachtraums benutzen", sagte Dumarest. „Aber das ist nicht das einzige Problem." ': „Sondern, was wir anfangen, wenn wir an der Oberfläche sind", kam es von Leo Bochner, der neben Gale saß und deren Hand hielt. „Wir wissen nicht, wie weit die Küste entfernt ist und können ohne Navigationsinstrumente nicht einmal sagen, in welcher Richtung sie liegt. Captain?" Egulus schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Ich hatte bei der Landung auf andere Dinge zu achten." „Wie tief sind wir?" wollte Feie Roster wissen. „Vielleicht 150 Meter."
„Zu tief, um ohne Hilfsmittel an die Oberfläche aufzutauchen", sagte Bochner. „Und ohne Waffen." Shan Threnond blickte auf seine beringten Finger. „Wenn wir wirklich auf Hyrcanus sind, haben wir nichts zu lachen. Ich hörte zwar nur Gerüchte über diese Welt, aber wenn auch nur ein Teil davon wahr ist. haben wir kaum eine Chance, lebend an die Oberfläche oder gar an Land zu gelangen. Keine Chance gegen das, was im Wasser auf uns lauert." „Der Generator wird nie wieder arbeiten können", sagte Dilys leise. „Unsere Energie reicht aus, um das Lebenserhaltungssystem zu versorgen, bis wir verhungert sind. Luft und Wasser haben wir genug, aber kaum Lebensmittel." „Haben wir Atemmasken an Bord?" fragte Dumarest. „Sauerstoffgeräte, Taucheranzüge?" „Sauerstoffgeräte", sagte Dilys. „Masken können wir anfertigen, und natürlich haben wir die Überlebenskapseln." Das letzte Mittel, die letzte Zuflucht, wenn ein Schiff im Weltraum zerstört wurde, doch nur die hoffnungslosen Optimisten benutzten sie. Transparente Kapseln mit Luft und anderen Notvorräten für ein paar Tage, die mit den Verzweifelten in ihnen wie Seifenblasen in den Raum trieben und kaum einmal von anderen Schiffen aufgefischt wurden. Wer klug war, wartete an Bord des Wracks auf den Tod. „Die Überlebenskapseln!" entfuhr es dem Söldner. „Die Peilzeichengeber! Haben Sie einen im Schiff?" Jumoke hatte das Signa lgerät übersehen, das automatisch in Aktion trat, wenn das Schiff manövrierunfähig war. Sowohl der Kapitän als auch Dumarest hatten nicht an das Gerät gedacht, weil sie annehmen mußten, daß Jumoke ihnen auch diese Rettungsmöglichkeit genommen hatte. Dilys hielt den Atem an, als sie es zum Vorschein brachte - ein kleines Stück Elektronik, das nur dann zum Leben erwachte, wenn der Generator ausfiel und das Erhaft-Feld zusammenbrach. Es sendete einen kodierten elektronischen „Ruf", der selbst in der Rinne von einem in der
Nähe befindlichen Schiff oder auf einem nahegelegenen Planeten gehört werden konnte. Sogar im Quillian-Sektor. Und das Gerät hatte das Signal bereits zweimal abgestrahlt. „Wenn irgendjemand beide Signale empfangen hat", sagte Dilys, „kann er eine Linie ziehen, sie verlängern und so unseren Standort bestimmen." „Niemand wird uns sehen können", gab Egulus zu bedenken. „Sie könnten uns suchen und genau über uns wegziehen." Doch sie würden weitersuchen. Ein in Not ge ratenes Schiff war für jedes andere ein Glücksfall. Neben der Belohnung für die Rettung der Überlebenden winkte die Aussicht darauf, die Geschäfte zu machen, die das Wrack nicht mehr abwickeln konnte, die Aussicht, sämtliche an Bord befindliche Fracht so gut wie geschenkt übernehmen zu können. Und weitersuchen, dachte Dumarest, würden auch andere jene, die ihm auf den Fersen waren. „Wir können also warten", sagte Bochner. „Abwarten, bis jemand kommt und uns hilft. Wir haben noch genügend Nahrung. Wir haben Wein und andere Möglichkeiten zur Zerstreuung. Warum also sollen wir ein Risiko eingehen, wenn draußen der Tod lauern kann?" Der Tod, der in diesem Augenblick nach der Entil griff. „Was ist das?" schrie jemand. „Was um Himmels willen geschieht mit uns?" Das Schiff hatte sich bewegt. * Es rollte ein wenig( richtete sich auf, fiel wieder zu Boden. Ein grässliches Geräusch drang durch die Hülle, gerade so, als schleife etwas Hartes über das Metall. Als das Geräusch erstarb, fragte Gale mit leichenblassem Gesicht: „Mein Gott, was war das?"
Die Schirme gaben die Antwort, als die Menschen in die Zentrale stürmten. Riesige, mit Saugnäpfen bewehrte Tentakel peitschten durch das Wasser, so groß, daß ihre Enden nicht zu erkennen waren. Riesige Münder mit mehreren Reihen langer und spitzer Zähne. Sie gehörten alle zu einer einzigen Kreatur, die durch die Erschütterung herbeigelockt worden war, die der Aufprall des Schiffes ausgelöst hatte, und die nun dabei war, das zu untersuchen, was in ihr Reich eingedrungen war. Es war ein lebender Berg aus Fleisch, Muskeln und Zähnen. Die Entil wurde in die Höhe gerissen und fallen ge lassen, so daß ihr Heck hart gegen Fels schlug und die Menschen unter den dumpfen Schlägen, die sich durch das ganze Schiff fortpflanzten, erbebten. „Die Hülle!" Threnond hatte seine Stimme kaum noch unter Kontrolle. „Wie dick ist sie?" „Das weiß der Himmel", brummte Egulus. „Viel Metall ist beim Absturz in der Atmosphäre verglüht. Ich schätze, sie wird halten." Dumarest teilte diese Hoffnung nicht. Das Monstrum konnte die Entil wie ein Spielzeug in die Höhe reißen und so lange gegen die Felsen des Meeresbodens schleudern, bis sie auseinanderbrach. „Earl?" fragte Dilys flehend. „Was können wir tun?" Dumarest antwortete nicht. Er ging von der Zentrale in den Salon und versuchte, sich ein genaues Bild vom Innern des Schiffes zu machen. Es war nicht als Unterseeboot konstruiert worden. Im Weltraum brauchte es keinen besonderen Schutz gegen übermäßige Druckverhältnisse von außen. Außerdem hatte es das Erhaft-Feld. Wie stark waren die Metallplatten der Hülle? Wann würde das Wasser hereinbrechen und die Menschen an Bord hinwegspülen oder sofort ertränken? „Wir könnten warten, bis das Biest müde wird und die Lust an uns verliert", sagte er schließlich. „Aber ich würde mich auf dieses Spiel nicht einlassen. Wir reden, bewegen uns und
verursachen Lärm. Die Erschütterungen setzen sich bis zur Hülle fort, und das Monstrum weiß längst, daß wir leben - daß das Schiff lebt. Und es wird seine vermeintliche Beute nicht so schnell aufgeben. Wir könnten versuchen, auszusteigen, in der Hoffnung, daß das Ding sich nicht um uns kümmert, weil wir ihm zu klein sind und das Schiff selbst mehr verspricht." „Mit Sicherheit ist das Monstrum nicht allein", warf Bochner ein. „Wir müssen damit rechnen, daß Beutejäger zwischen seinen Tentakeln lauern. Ihnen sind wir nicht zu klein." „Wir können nicht im Schiff bleiben und nicht heraus!" schrie Gale Andrel hysterisch. „Wir sind verloren! Verloren!" „Es gibt noch eine Möglichkeit", sagte Bochner. „Wir müssen das Schiff leichter machen, alles aus den Schleusen werfen, das wir entbehren können. Dadurch werden wir leichter, und sobald das Biest seinen Griff lockert, schießen wir wie eine Luftblase an die Oberfläche." „Wie einfach!" Gale lachte wahnsinnig. „Wie furchtbar einfach das alles ist. Und wie bringen Sie dieses Ding da draußen dazu, uns loszulassen?" * Im Schiff stank es nach verbranntem Material. Überall waren Schweißstellen zu sehen, an denen überflüssige Teile von der Hülle und den Decken gebrannt worden waren. Die Entil war nicht viel mehr als eine hohle Kugel. Dumarest stand in der Zentrale, die keine Zentrale mehr war. Stühle, Instrumentenbänke, alles, was jetzt nicht mehr gebraucht wurde, war herausgeschafft worden. Nur die Schirme funktionierten noch - und die Verbindung zum Maschinenraum. „Nun, Earl?" fragte Egulus. „Augenblick." Er sprach in den Interkom: „Dilys, Bochner soll das letzte Material durch Schleuse Vier nach draußen schießen. Halte du dich bereit."
„Sie glauben, daß es klappen könnte?" fragte der Kapitän. „Kann ein solches Wesen überhaupt Furcht und Schmerz empfinden?" „Es hat Nervenstränge wie wir. Und es verfügt, wie alle Lebewesen, über einen Überlebenstrieb." Wieder sprach er zu Dilys: „Wieviel Energie hast du? Optimum? Gut. Warte, bis ich den Befehl gebe." Zum Kapitän sagte er: „Überzeugen Sie sich davon, daß jeder isoliert ist. Kein Kontakt zu metallenen Gegenständen oder der Hülle." Egulus brauchte weniger als eine Minute dazu. In einem leeren Schiff war es einfach, festzustellen, wo wer sich befand. „Alles bereit, Earl." Dumarest nickte, überzeugte sich selbst davon, daß er auf einer dicken Isolierschicht stand und sagte: „Jetzt, Dilys. Sobald Bochner die Ladung nach draußen geschossen hat, schaltest du ein!" Die Toten befanden sich unter dem Ballast in der Schleuse Fleisch, das das Monstrum anlocken und veranlassen würde, all seine Tentakel nach der Entil auszustrecken. Dumarest fühlte die leichte Erschütterung, als Bochner die Ladung aus dem Schiff schoß." Sogleich erschienen die Tentakel, legten sich ganz um die Hülle - und zuckten zurück, als Dilys' Hand auf den Schalter fiel. Starkstrom von den Maschinen fuhr in die Hülle, ließ Blitze ins Wasser und durch das Schiff zucken. Wo die Tentakel das Schiff berührt hatten, zischte es, und dichte Dampfschwaden stiegen auf. Die Menschen in der Entil spürten den Strom selbst auf den Isoliermatten. Die Entil stieg auf, doch schon nach Sekunden schlugen die gewaltigen Fangarme wieder nach ihr und wollten sie zurückreißen. Die Saugnäpfe verbrannten. Das Monstrum mußte in Raserei geraten sein.
„Dilys!" schrie Dumarest. „Maximum! Gib alles in die Hülle, was du noch an Strom zur Verfügung hast, und wenn das Schiff auseinander reißt!" Er wußte, welches Risiko sie eingingen. Der Stromfluss hatte sein Optimum schon erreicht. Eine Platte platzte von der Hülle ab, schoß quer durch das leere Schiff, dann eine zweite. Wasser strömte herein, noch ein einzelner Strahl. Wasser, das als Leiter für den Strom fungierte. Metall schmolz, wo der Strahl auftraf. „Earl!" Egulus nahm seinen Arm. „Wir schaffen es nicht!" Gale Andrels Schrei schien die Bestätigung zu sein, als Feie Roster das Gleichgewicht verlor und gegen das aufgeladene Metall der Hülle fiel. Er schien das Opfer zu sein, das das Schicksal von den Menschen verlangte, denn noch als er schreiend verging, kam die Entil wieder los und schoß nach oben, erreichte die Oberfläche, hing einen Moment in der Luft und fiel auf das Wasser zurück.
* „Wir müssen raus!" rief Charl Zeda. „Es kommt immer mehr Wasser herein!" Nicht genug, um die Menschen sofort zu ertränken, aber es stieg schnell. Dilys watete durch einen kleinen See, als sie zur Zentrale kam. Die Stromzufuhr zur Hülle war längst unterbrochen. Das Schiff war fast dunkel. Nur wenige Lampen der Notbeleuchtung sorgten für spärliches Licht. „Jeder holt die Notvorräte und was er an Kleidung hat. Ich kümmere mich mit Bochner um die Käfige. Halten Sie die Leute zusammen, Varn!" Bochner wartete an der Hauptschleuse. Wie Dumarest, hatte er sich umgezogen und trug nun dicke Kleidung mit eingearbeiteten Metallplättchen. „Zuerst die Kisten?"
Sie glitten durch die Schleuse ins Wasser und schaukelten auf den Wellen. Sie glichen tatsächlich mehr Särgen als Käfigen, dachte Dumarest bei dem Anblick. Sie waren rundherum dicht und alle verschlossen. Wind kam auf und trieb sie so weit auseinander, wie die zwischen ihnen gespannten Seile es zuließen. Er peitschte die Wellen gegen die Schiffshülle. Die Bündel mit den Vorräten folgten den Kisten, dann die Überlebenden, als erster Varn Egulus. Er tauchte, kam an die Oberfläche und stieg auf eine der Kisten. Mit zusätzlichen Seilen holte er die Käfige näher aneinander, bis sie eine Art Floß bildeten. Threnond und der Söldner. Letzterer hatte Mühe, zu schwimmen. Seine verletzte Schulter behinderte ihn. Neben ihm brach etwas aus dem Wasser. Ein länglicher Schatten. Dilys sah ihn zuerst, aber ihr Warnschrei rettete den Söldner nicht mehr. Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte Threnond, der sich auf die Kisten gerettet hatte, wie der Raubfisch Charl Zeda in die Tiefe zog. Dilys erschauerte und krampfte ihre Finger in Dumarests Arm. „Wir brauchen noch ein langes Seil", rief Dumarest. Nach kurzem Suchen hatte er es. Ein Ende band er sich um die Hüfte, das andere warf er Bochner zu. „Halten Sie. Ziehen Sie erst, wenn ich's am Floß befestigt habe." Bevor Dilys begriff, was er vorhatte, und aufschrie, war er im Wasser. Er hatte die Hälfte der Strecke zu den Kisten zurückgelegt, als der Schatten zurückkehrte. Er hörte Bochners Schrei und tauchte. Das Messer in der Hand, drehte er sich um die eigene Achse, sah den langen, schlanken Körper auf sich zuschießen und stach zu. Die tödlichen Kiefer verfehlten ihn nur um Zentimeter, doch sein Messer saß bis zum Schaft im Magen des Räubers. Dumarest wich einem Schlag der Schwanzflosse aus und zog die Waffe so aus dem Fischleib, daß er die halbe Unterseite aufschlitzte. Das Wasser färbte sich rot. Dumarest nahm das Messer zwischen die Zähne und erreichte mit wenigen
Schwimmzügen die nächste Kiste, stemmte sich über den Rand und wurde von Egulus aus dem Wasser gezogen, als ein weiterer Raubfisch nach ihm schnappen wollte. „Das Seil!" brachte er atemlos hervor. „Befestigen Sie's und ziehen Sie! Beeilen Sie sich!" Wenige Minuten später war das Floß so nahe am Schiff, daß die dort Wartenden springen konnten. Bochner landete als letzter auf einer der Kisten, löste das Seil und half mit, das Floß so schnell wie möglich vo n dem sinkenden Schiff wegzubringen. Sie waren gerade weit genug, als Luftblasen mit der Wucht einer Explosion an die Wasseroberfläche brachen und die Entil wie ein Stein versank. „Noch ein paar Minuten, und die Fische hätten ihren Fraß gehabt", sagte Bochner. „Nun, Earl, was jetzt?" Dumarest nahm es hin, daß jeder sich wie selbstverständlich an ihn wandte. „Wir binden alles, was wir haben, fest, setzen ein Segel und lassen uns vom Wind treiben." Er blickte zum Himmel und sah die dunkle Wolkenwand, die sich langsam vor die Sonne schob. Erste Blitze zuckten herab. „Und wir sehen besser zu, daß wir damit fertig werden, ehe der Sturm losbricht."
9.
Bei Anbruch der Dämmerung war das Unwetter da. Die Menschen lagen in ihren Käfigen, die Deckel nur einen Fingerbreit geöffnet, damit sie nicht erstickten. Die meterhohen Wellen fuhren über das Floß hinweg, zerrten daran, schüttelten die in den Kisten Liegenden hart durch, ließen ihnen keine Hoffnung auf ein Überleben. Doch wieder geschah das Wunder.
Der Sturm zog vorüber, und das Meer beruhigte sich. Nacheinander wurden die Deckel der Kisten aufgeklappt. Dilys hielt Dumarest fest, als er neben ihr aufstehen wollte. Es war Nacht, und die Sterne funkelten am Himmel. „Bleib, Earl. Bleib bei mir. Du kannst nic hts tun." Earl strich ihr über das nasse Haar und richtete sich auf, bis er das Floß übersehen konnte. Die Vorräte waren noch da, das Segel war noch ganz und blähte sich im Wind. „Es ist kalt, Earl, so furchtbar kalt." Dumarest legte sich wieder neben sie. Sie hatte recht. Bis zum Anbruch des neuen Tages konnten sie nichts tun, und dann mußten sie ausgeruht sein. Sie alle brauchten Schlaf. „Habe ich dir erzählt, daß ich in einer Gemeinschaft von Farmern aufgewachsen bin, Earl?" fragte Dilys. Er sah sie an. Es war offensichtlich, daß sie reden mußte, um wenigstens für einige Minuten ihre aussichtslose Lage zu vergessen. „Eine Gemeinschaft, die nach den Gesetzen der Erneuerten Wahrheit lebte. Wir benutzten keinerlei Maschinen. Wir wollten mit der Natur leben, von nichts abhängig sein, das nicht aus der Natur selbst kam. Keine künstlichen Energien, nur Sonne, Wind und Wetter, Wasserräder, Windmühlen und ..." Sie nickte fast verträumt, riß dann die Augen auf und schmiegte sich an Dumarest. „Sie töteten einen von uns. Sie steinigten ihn zu Tode, weil er mit ein paar Spiegeln die Strahlen der Sonne bündelte, so daß sie das Wasser in einem großen Bottich verdampften. Mit diesem Dampf setzte der Mann ein mit Kristallen besetztes Rad in Bewegung - ein Spielzeug für die Kinder, Earl! Sie steinigten ihn, weil er ein Spielzeug konstruierte, nicht einmal eine richtige Maschine!" „Und die Windmühle? Das Wasserrad?" „Sie durften nach den Gesetzen der Erneuerten Wahrheit betrieben werden. Der Wind blies von selbst, und das Wasser floß von selbst. Aber die Sonne brachte nicht von selbst das Wasser zum Verdampfen. Sie dazu zwingen, hieß für die
Gemeinschaft, den ersten Schritt zu jener Entwicklung hin tun, die die Menschheit schon einmal ins Chaos gestürzt hatte." Ins Chaos. Damit war nichts anderes gemeint als die Zersplitterung der Menschheit auf unzählige Welten und in unzählige Rassen, die kaum mehr etwas gemeinsam hatten. Er kannte diese Thesen. Die Glaubensgemeinschaft, in der sie aufgewachsen war, aus Angehörigen dieser Sekte, deren „Erneuerte Wahrheit" nichts anderes besagte, als daß alle Menschen einen gemeinsamen Ursprung auf einer einzigen, vergessenen Welt hatten? Auf der Erde? Wenn Dilys unter solchen Leuten aufgewachsen war - warum hatte sie dann ausgerechnet die Laufbahn einer Maschinistin eingeschlagen? „Der Mann, den sie steinigten, war mein Bruder", antwortete sie auf die entsprechende Frage. „Ich mußte ihn rächen." Indem sie seinen Weg fortsetzte, seine Mörder damit bestrafte, daß sie das größte Verbrechen beging, das in ihren Augen möglich war. Sie wurde zur Sklavin der Maschinen.
„Du mußt jetzt schlafen", sagte Dumarest. „Bleibst du bei mir? Bitte, Earl..." „Ja." Er betrachtete lange ihr Gesicht im fahlen Licht der Sterne. Sie war hilflos, allein und anlehnungsbedürftiger als alle Frauen, die er kennengelernt hatte. Er lag auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Andere Gesichter erschienen. Kalin ... Die Frau, von der er das Geheimnis der Affinitäts- Zwillinge erfahren hatte, jenes Geheimnis, das sie dem Ky-Clan gestohlen hatte und für das er durch die halbe Galaxis gejagt wurde. Die in den geheimen Labors der Organisation entwickelte Formel, das Wissen um die Abfolge der fünfzehn Molekulareinheiten, die den Affinitäts-Zwilling schufen. Das Wissen, das den Schlüssel zur absoluten Macht über die Galaxis darstellte. Einmal wieder
in Händen des Ky-Clans, konnte dadurch jede einflussreiche Persönlichkeit in der Galaxis von einem Kyber übernommen werden. Das aber bedeutete die totale Kontrolle der Galaxis durch den Ky-Clan. Dieses Wissen war in Dumarests Gehirn eingebrannt. Und der Ky-Clan würde nicht eher ruhen, bis es wieder in seinem Besitz war. So lange würden die Männer in der scharlachroten Robe Dumarest jagen. * Dumarest war über diesen Gedanken eingeschlafen und wachte auf, als Bochner ihn rief. Einer der vier Käfige, die das Floß gebildet hatten, war vom wieder aufgeflauten Sturm abgerissen und davongetrieben worden. Es war jene Kiste, in der sich das Trinkwasser und die Nahrungsmittel befunden hatten. „Ein paar Tage können wir ohne Nahrung aushalten", sagte Leo Bochner. „Hunger schärft die Sinne und reinigt den Körper. Natürlich werden einige besser damit fertig als andere." „Womit du mich meinst, wie?" schnappte Gale Andrel, die mittlerweile zum Hauptsorgenkind der Gruppe geworden war. Sie wurde immer aggressiver und steigerte sich allmählich in Hysterie hinein. „Ja, ich habe verdammten Hunger! Könnt ihr nicht von etwas anderem reden als vom Essen?" „Wir werden verdursten", sagte Bochner trocken. „Lange bevor wir wirklichen Hunger verspüren." Die Männer verbrachten den Tag damit, ein primitives Destilliergerät anzufertigen, um aus dem Meerwasser Trinkwasser zu gewinnen, das in kleine Plastikbeutel gefüllt wurde. Immer wieder waren es Bochner und Dumarest, die den anderen Mut zusprachen oder ihren Lebenswillen durch bewusstes Provozieren wach hielten, wenn dieser zu erlöschen und alle Hoffnung zu schwinden drohte. Nur die Hoffnung gab
die Kraft zum Überleben. Es konnte Wochen dauern, bis Land in Sicht kam. Vor allem die beiden Frauen mußten beschäftigt werden. Und doch war alles Zureden, war alle Wachsamkeit umsonst gewesen, als Gale Andrel ins Wasser sprang. Bochner sah es und schrie, Dumarest sprang hinter ihr her, das Messer schon in der Hand, als er die Schatten neben ihr auftauchen sah, die dem Floß seit dem Untergang der Entil gefolgt waren. Er konnte den ersten Angreifer töten, aber für die Verzweifelte kam jede Rettung zu spät. Und auch Dumarest wäre das Opfer der Raubfische geworden, hätte Bochner ihm nicht nachgesetzt und ihn schnell wieder auf das Floß gebracht. Seine Hüfte blutete. Die Kleidung war zerrissen. „Sie verdammter Narr!" schrie der Jäger ihn an, als sie in Sicherheit waren. „Sahen Sie nicht, daß sie sterben wollte? Um ein Haar wären auch Sie ..." Er fluchte. „Ich wußte, daß sie nicht mehr bei Sinnen war und so etwas tun würde. Es ist das beste für sie." „Du bist verletzt, Earl!" rief Dilys. Dumarest hörte sie nicht. Er starrte Bochner wütend an. „Sie hätten sie daran hindern müssen!" „Wie denn?" Bochner. lachte rauh. „Sie war viel zu schnell im Wasser. Was sollte ich tun?" „Was Earl tat", fuhr Dilys ihn an. „Ihr Nachspringen." „Damit ich von den Bestien zerrissen würde, wie's ihm fast ergangen wäre?" Bochner deutete auf Earls Hüftwunde. „Wenn ich ihm nicht nachgesprungen wäre, wäre er nicht nur angekratzt worden. Sein Bein wäre abgerissen. Er wäre jetzt tot, wenn ich nicht gewesen wäre!" Dumarest konnte es nicht abstreiten, aber er fragte sich, warum Bochner ihm nachgesprungen war und nicht dem Mädchen, an dem er an Bord der Entil immerhin reges Interesse gezeigt hatte.
„Genug jetzt!" sagte Dumarest. Er sah, wie Egulus den Himmel absuchte. Der Wind wurde wieder heftiger und blies in das Segel. In der Nacht fanden die Überlebenden kaum Schlaf. Bochner zerbrach sich wieder den Kopf darüber, was Dumarest so Wertvolles besaß, daß der mächtige Ky-Clan ihn mit solcher Verbissenheit jagte. Etwas, aus dem er Kapital schlagen konnte, wenn er es an sich bringen konnte? Am Morgen des nächsten Tages sahen sie Land.
10.
Ein hoher Gipfel, umringt von flacheren Hügeln, die alle zum Strand hin abfielen. Ein Strand aus schwarzem, vulkanischem Sand und Felsen, gegen die das Wasser anrannte und in hohen Fontänen mit schä umenden Kronen in die Luft spritzte. In einigen Tümpeln fanden die Überlebenden kleine Fische und Krebse, die den Hunger fürs erste stillten. Landeinwärts zog sich ein dichter Gürtel undurchdringbar erscheinender Vegetation die Küste entlang. Eine grüne Mauer aus rankigem Unterholz und Blättern, deren Ränder scharf wie Messer waren. „Wir müssen durch", sagte Dumarest. „Wir brauchen ordentliche Nahrung, Wasser und Schutz. An der Küste finden wir dies nicht." „Aber die Blätter werden uns zerschneiden", protestierte Dilys. Dumarest winkte ab. „Wir können uns schützen. Auf dem Floß befindet sich außer weiterer Kleidung genug Material, mit dem wir uns panzern können. An die Arbeit. Ziehen Sie sich alles
über, was wir haben, und achten Sie darauf, daß die Hände und die Gesichter geschützt sind." Er selbst und Bochner brauchten keine zusätzliche Kleidung. Sie zogen sich nur unförmige Handschuhe an und stülpten sich aus metallenen Behältern gefertigte „Helme" mit schmalen Sichtschlitzen über den Kopf. Dann übernahmen sie die Führung. „Weiter landeinwärts müßte die Vegetation spärlicher werden", sagte Dumarest. „Wir wechseln uns an der Spitze ab. Ein schmaler Pfad muß genügen, bis wir eine Lichtung erreichen." Sie fanden sie nach drei Stunden. Schweißnass und total erschöpft ließen sie sich ins Gras fallen. Dilys, Egulus und Threnond hatten während der letzten halben Stunde kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen können. Das Blut hämmerte in ihren Ohren, als sie schwer atmend auf dem Rücken lagen und auf das undurchdringliche Laubdach hoch über ihren Köpfen starrten. „Nahrung, Wasser und Schutz", sagte Egulus bitter. „Wir haben den Schutz eines Grabes gefunden. Wir könnten hier sterben, und nie würde uns jemand finden." „Vorausgesetzt, daß man uns sucht", kam es von Bochner. „Noch kein Glück mit dem Funkgerät?" Er deutete auf den Apparat, den Threnond auf dem Floß zusammengebastelt hatte. „Ich habe ununterbrochen ein Notsignal gesendet. Wenn uns jemand gehört hat, meldet er sich nicht." „Oder Sie konnten seine Antwort nicht empfangen." Egulus schüttelte den Kopf. „Hier würde uns sowieso niemand finden." „Nicht hier", stimmte Dumarest zu. „Aber auf dem Gipfel des Berges, den wir vom Meer aus gesehen haben." „Der Gipfel?" entfuhr es Dilys. „Dahin kommen wir nie! Wir schaffen es nicht, Earl. Wir ..." „Wir schaffen es!" Dumarest sprang auf. Dilys erschrak, als sie seinen Blick sah. „Wir schaffen es, wenn wir den Willen dazu
haben und uns nicht selbst bejammern. Auf die Beine und weiter!"
Die Sonne erreichte ihren Zenit und ging am Horizont unter, als sie an einen kleinen Fluß kamen, badeten und tranken. Dumarest sorgte dafür, daß immer zwei von ihnen Wache hielten. Bochner registrierte es und fragte sich, wie viele andere an diesem so harmlos erscheinenden Ort dermaßen vorsichtig gewesen wären. Es paßte zum Charakter des Mannes, der immer noch sein Wild war. Die Jagd ging weiter, wenn auch anders als sonst. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er und Dumarest durch die gegebenen Umstände Schicksalsgefährten waren. Es machte die Jagd nur interessanter. Bochner fieberte danach, Dumarest zur Strecke bringen zu können, wenn die Zeit gekommen war. Es war längst nicht mehr nur der Auftrag des Ky-Clans. Dieser unberechenbare Kämpfer war eine Herausforderung, wie Bochner sie noch nie gekannt hatte - ein Wild, mit dem er sich messen konnte. Dumarest war ihm ebenbürtig. „Wir könnten uns allein auf den Weg zum Gipfel machen", schlug er vor, als er mit Earl allein war. „Was nützen uns die anderen? Ein alter Mann, ein Kapitän ohne Schiff - eine Frau? Sie behindern uns nur." „Es sind Menschen", antwortete Dumarest barsch. Sie stellten Fallen auf und fingen einige kleine Nager, die sie sich über dem die ganze Nacht hindurch brennenden Feuer rösteten. Am Morgen brachen sie wieder auf. Das Gelände stieg an. Gegen Abend kamen sie leichter voran. Das Dickicht war hohen Bäumen gewichen, deren Laubkronen ineinanderwuchsen und nur wenig Licht durchließen. Dumarest fiel auf, daß es hier keine Kleintiere mehr gab, obwohl pflanzliche Nahrung in Hülle und Fülle vorhanden war. Insekten schwirrten durch die Luft. Sie schienen das einzige tierische Leben zu sein. Und doch
mußte es Tiere geben, die sie fraßen und ihren Bestand konstant hielten. Wo waren sie geblieben? Dumarest und Bochner, der die gleichen Gedanken zu haben schien, waren stehengeblieben. Threnond nutzte die Pause, um einem natürlichen körperlichen Bedürfnis nachzukommen. Dumarest wollte ihn zurückhalten, doch Bochner hielt ihn am Arm fest. „Lassen Sie ihn gehe n, Earl. Die Gefahr lauert überall." Und wir haben genug mit uns selbst zu tun. Überleben ist immer eine Sache des Glücks, und wenn er Pech hat - nun, so haben wir eine Sorge weniger. Bochner sprach es nicht aus, doch Dumarest wußte, was der Jäger dachte. Er hatte seine Blicke gesehen, den Unterton seiner Worte registriert. Es war ein Teil seiner Lebensphilosophie. Jeder ist sich selbst der nächste, und je weniger er sich um andere zu kümmern hat, desto größer sind seine eigenen Chancen. Und dennoch war er ins Wasser gesprungen, um ihn vor den Fischen zu retten. „Threnond?" rief Dumarest nach einer Weile und versuchte, im Halbdunkel zwischen den Bäumen etwas zu sehen. „Shan, wo sind Sie?" Keine Antwort. Die Stille wirkte plötzlich unheimlich. „Shan?" „Er kann nicht weit sein", flüsterte Dilys. Dumarest fühlte jenes Prickeln, das schon so oft unmittelbare Gefahr angekündigt hatte. Etwas stimmte nicht. „Bleibt zusammen. Bochner, Sie zünden ein Feuer an. Schnell." Dumarest fand einige Sämlinge zwischen den Bäumen, schnitt sie ab und spitzte ihre Enden. Als er die primitiven Speere verteilte, fragte Dilys: „Wozu das, Earl? Gibt es Ärger? Ist...?" Sie verstummte, als er eine Hand hob und lauschte. Irgendetwas fiel von oben herab, durch die Blätter, wand sich über Äste und fiel wenige Meter vor den Füßen der Menschen zu Boden.
„Ein Gürtel", entfuhr es Egulus. „Mein Gott, Threnonds Gürtel!" Dann begann der Alptraum. Die Riesenspinne war über Egulus, ehe dieser begriff, was mit ihm geschah. Dilys schrie auf und wollte sich an Dumarest klammern, doch dieser schoß wie ein Blitz auf das Untier zu, den Speer in beiden Händen. Im Schein des Feuers sah er die mächtigen Kiefer und rammte die primitive Waffe tief in den Hals des Monstrums. Nur um Zentimeter entging er den zuschnappenden Kiefern. Über ihm pulsierten die Spinndrüsen und produzierten klebrige Fäden, die sich schnell auf seine Arme und Beine legten. Mit aller Kraft riß er sich los und zerrte Egulus unter dem Körper der sterbenden Spinne hervor. „Earl!" brüllte Bochner im Laufen. „Über Ihnen!" Eine schattenhafte Bewegung im Laubdach, und ein zweites Monstrum landete direkt neben Duma rest. Der Terraner trat instinktiv nach den Kiefern, rutschte aus und starrte in die glitzernden Augen des Tieres, wälzte sich herum und sprang auf, als Bochner heran war und seinen Speer tief in den Hals des Monstrums trieb. „Weg von hier! Es können noch mehr kommen! Weg, Earl!" schrie er. „Das Mädchen!" Dumarest half Egulus, sich aufzurichten. „Verdammt, Mann! Kümmern Sie sich um Dilys!" Bochner gehorchte. Von oben, von allen Seiten kam ein Rascheln, als sich schwere Körper durch das Laubdach bewegten. Egulus atmete heftig. „Es hätte mich fast erwischt", brachte er hervor. „Wären Sie nicht gewesen, Earl..." Dumarest winkte ab. „Das Feuer!" schrie er. „Wir müssen Holz sammeln. Es ist unsere einzige Chance. Wir müssen alles bis auf das Nötigste ausziehen. Der giftige Rauch der Kleidung wird sie zumindest für eine Weile abhalten." „Und dann?" Dilys schrie hysterisch. „Wir haben keine Chance. Sie werden wiederkommen und uns fressen. Wir ..."
„Wir werden uns bewegen und die Augen offenhalten. Kein Schlaf. Irgend etwas muß uns einfallen. Zieht euch aus und schürt das Feuer. Die Flammen müssen bis zum Laubdach schlagen! Schnell!" Bald darauf machten die Flammen die Nacht zum Tag. Dichter, schwarzer Rauch stieg in die Baumwipfel. „Threnond", murmelte Egulus. „Er hatte nicht einmal Zeit, zu schreien. Was geschah mit ihm, Earl? Haben sie ihn in eines ihrer Netze geschleppt? Eingewebt wie eine Fliege? Er trug den Gürtel unter der Kleidung." „Was bedeutet, daß er ausgezogen wurde", sagte Dumarest, immer wieder um sich und in die Höhe blickend. Die Blätter schimmerten wie Hunderte von Augen, die sie schweigend beobachteten. „Es ist möglich, daß er noch lebt." „Ich will weg von hier!" schrie Dilys. „Zurück zur Küste." „Sobald wir uns vom Feuer entfernen, haben sie uns. Wir sitzen in der Falle. Sie haben ihre Reviere. Unser Pech ist es, daß wir uns anscheinend genau zwischen zweien solcher Reviere befinden. Ihre Herren haben wir getötet. Vermutlich wird über uns jetzt um den Besitz dieser Reviere gekämpft, und wenn die Sieger feststehen, greifen sie an." „Was dann?" Dilys Gesicht war tränenüberströmt. Sie zitterte am ganzen Körper. „Was dann, Earl?" „Wir werden kämpfen. Wir töten sie." „Und dann können wir gehen?" „Wenn ich Threnond gefunden habe." Bochner wußte, was Dumarest vorhatte und daß jeder Versuch, ihn davon abzuhalten, scheitern würde. Noch saß Dumarest am Feuer, hielt Wache, damit das Mädchen und Egulus wenigstens ein oder zwei Stunden schlafen konnten. Bochner schlief nicht. Er beobachtete sein Wild. Inzwischen wußte er, warum der Ky-Clan immer wieder an ihm gescheitert war. Nichts, was Dumarest tat, war vorauszusehe n.
Weshalb jagte der Ky-Clan ihn so unbarmherzig? Immer wieder stellte Bochner sich diese Frage. Und immer wieder witterte er eine größere Beute als allein den Triumph über Dumarest, eine größere Belohnung als das, was der Clan ihm versprochen hatte. Es war seine Jagd, und er wollte sie total machen. Den Mann und sein Geheimnis - beides wollte er haben, auf allen Gebieten siegen. Töten konnte jeder Dummkopf, wie Gale Andrel es formuliert hatte. Dumarest nur wehrlos machen und dem Clan ausliefern? Das war etwas, mit dem er sich nie zufriedengeben würde. Wo war Caradoc jetzt? Er hatte die Entil auf Mucianus erwartet, auf die ausgelegten Fallen, die Fracht vertrauend, die er hatte an Bord bringen lassen und die das Schiff nach Mucianus führen sollte. Er hatte darauf vertraut, daß Bochner dafür sorgte, daß Dumarest sich bei der Landung auch wirklich noch an Bord befand. Ein guter Plan, den ein Wahnsinniger zunichte gemacht hatte. Wie lange würde der Kyber auf Mucianus warten? Mit etwas Glück konnte er die Notsignale der Entil aufgefangen und die Welt bestimmt haben, auf der sie abgestürzt war. Befand er sich schon auf Hyrcanus? Es war Bochners Jagd. Er gegen Dumarest - List gegen List, Kraft gegen Kraft. Zwei gleichwertige Gegner. Er aber mußte gewinnen. Der Sieg würde sein größter Triumph sein. Dumarest stand auf. Als er die restlichen Kleidungsstücke ins Feuer warf und eine neue giftige Wolke ins Laubdach schickte, wußte Bochner, daß der Mann jetzt gehen würde. Der Jäger blieb liegen und hörte, wie das Mädchen und der Kapitän Fragen stellten, erschraken, versuchten, Dumarest an seinem selbstmörderischen Vorhaben zu hindern. Es war zwecklos. Irgendwo oben in den Netzen der Spinnen hing Threnond, und Dumarest würde nicht eher ruhen, bis er davon überzeugt war, daß dem Waffenhändler nicht mehr zu helfen war.
„Und wenn er noch lebt", schrie Dilys jetzt, „gibt es nichts, was wir für ihn tun können. Sei vernünftig, Earl! Wenn sie ihn vergiftet haben, besitzen wir kein Gegengift." Es war Egulus, der ahnen mochte, was Dumarest trieb, und nun nickte. „Ich verstehe nicht, warum Sie Ihr Leben riskieren, Earl. Aber im Weltraum ist es selbstverständlich, daß einer dem anderen hilft. Threnond war kein Raumfahrer, aber er bezahlte für die Passage, und ich fühle mich für ihn verantwortlich. Ich gehe mit Ihnen." „Sie bleiben hier", wehrte Dumarest entschieden ab. „Halten Sie die Augen auf. Schreien Sie, falls Sie angegriffen werden. Dilys, du sorgst dafür, daß der Rauch nicht abreißt." Er deutete auf die letzten Kleider. Eine giftige Wolke, Dämpfe, die unter anderem verhindern sollten, daß die Spinnenfäden an seinem Körper festklebten. Bevor Dilys ihn zurückhalten konnte, hatte Dumarest sich ein Taschentuch vors Gesicht gebunden und war am Baumstamm. Threnonds Gürtel benutze nd, kletterte er schnell daran hoch und verschwand im schwarzen Rauch. Bochner erhob sich. Insgeheim mußte er diesen Mann bewundern. Mehr noch als Dilys und der Kapitän hatte er Angst davor, daß Dumarest nicht zurückkehren würde. Earl kam zurück, nach furchtbaren Minuten der Ungewissheit, die den Wartenden wie eine Ewigkeit vorkamen. Das Messer steckte im Stiefel, doch Bochner sah das Blut an seiner Hüfte, an der er die Klinge abgewischt hatte. Threnond hatte also noch gelebt. „Sie haben ihn gefunden", sagte der Jäger, „und ihm den Gnadenstoß gegeben." „Wofür Ihnen niemals genug gedankt werden kann", sagte Egulus zu Dumarest, der hustend und kraftlos zu Boden gesunken war. „Ich ahnte es, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Einige Spinnenarten betäuben ihre Opfer und spinnen sie ein,
um sie später zu verzehren. Andere... woher wußten Sie, daß diese ...?" „Ich wußte es nicht", brachte der Terraner keuchend hervor. „Ich wußte nur, daß es diese Möglichkeit gab." Threnonds Augen, weit geöffnete Augen in einem völlig eingesponnenen Körper. Blinde Augen eines lebenden Leichnams, in dem die Eier der Spinnen steckten, aus denen die Jungtiere geschlüpft wären und ihn bei lebendigem Leib von innen heraus aufgefressen hätten. Threnond hätte bis zu seinem Tode tausend Höllen durchmachen müssen. „Er hatte Glück", sagte Bochner. „Glück?" entfuhr es Dilys. „Er ist tot!" „Das meinte ich." Der Jäger blickte Dumarest an, „Manchmal braucht man das Glück, einen Freund zu haben, der im rechten Moment weiß, was zu tun ist. Und er hatte einen der besten Freunde, die ein Mensch haben kann."
11.
Dilys hatte Angst. An einen Felsen gelehnt, wenige Meter neben dem Feuer, über dem ein abgehäutetes Tier schmorte, blickte sie auf das Meer hinab, das jetzt tief unter ihnen lag. Sie hatten die Wildnis hinter sich, und sie lebten. Wie lange noch? Ihr ganzes Leben lang war sie beschützt gewesen. Zuerst in der Gemeinschaft der Farmer, dann als Mitglied der EntilBesatzung. Immer hatte sie Geborgenheit in einer Gruppe gefunden und schützende Mauern um sich herum gehabt. Immer hatte ihr jemand gesagt, was sie zu tun hatte. Und nun, in dieser Wildnis, in der Verlorenheit, zitterte sie vor Angst.
Dumarest kümmerte sich um die junge Frau, versuchte, sie aufzumuntern und ihr Mut zu geben. Wie an Land geworfene Fische saßen sie hier - hilflos und zum Warten auf ein Wunder verurteilt. Und sie war müde, so müde... Sie hatten den sicheren Pfad ins Gebirge gefunden, als die grüne Hölle endlich hinter ihnen lag, waren mehrere Meilen mehr bergauf gestolpert als marschiert, hatten kurze Pausen eingelegt, um zu trinken oder zu essen, wenn sie Nahrung fanden. Tage und Nächte. Dilys hatte aufgehört, sie zu zählen. „Es dauert nicht mehr lange", sagte Dumarest und nickte ihr aufmunternd zu. „Morgen sind wir auf dem Gipfel und können über den Berg sehen." Im stillen fluchte Dumarest darüber, daß sie so langsam vorankamen. Nur auf dem Gipfel oder auf der anderen Seite des Berges hatten sie eine Chance, gesehen zu werden "oder größeres Wild zu jagen. Egulus und Bochner saßen beieinander und arbeiteten am Funkgerät. „Ich versuche, die Sendestärke zu vergrößern", erklärte der Kapitän. „Threnond baute zwar ein funktionsfähiges Gerät zusammen, aber viel Ahnung von Elektronik hatte er nicht. Die Energiezelle reicht noch für einige Zeit. Ich werde die Frequenz verändern. Unter normalen Umständen hätte ich keine Sorge, daß wir gehört werden, doch wir befinden uns immer noch im Quillian-Sektor." „Wir wollen keine anderen Welten erreichen", sagte Bochner. „Es gibt einen Raumhafen hier, oder nicht? Eine Stadt! Menschen!" Egulus blickte skeptisch in die Sonne. „Sie stört zu stark. Wenn der Hafen sich in der Nähe befindet, haben wir Glück. Sollte er auf der entgegengesetzten Seite des Planeten liegen ..." Der Raumfahrer zuckte die Schultern. „Herrliche Aussichten!" entfuhr es Bochner. „Wenn man uns nicht hört oder hört und ignoriert, können wir uns für immer hier in der Wildnis einrichten. Ganz von vorn beginnen, Earl. Jagen und Fallen stellen. Vielleicht nicht einmal das Schlechteste. Wir
haben Waffen und können uns anpassen. Und wir haben eine Frau." „Wilde!" Egulus sah nicht vom Funkgerät auf. „Ich hörte einmal von einer Expedition, die nach den Überlebenden eines abgestürzten Schiffes suchte. Sie fand sie - Kannibalen, die kein Wort mehr sprechen oder schreiben konnten, die grunzten und sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Nur fünfzig Jahre waren seit dem Absturz vergangen - fünfzig Jahre, um in die Steinzeit zurückzufallen." Sie erreichten den Gipfel bei Sonnenuntergang. Niemand brachte ein Wort hervor. Zu erschöpft waren sie, und zu groß war die Enttäuschung. Sie sahen nichts als Savanne, dazwischen Baumgruppen und einen Fluß. In der Ferne ragten die schneebedeckten Gipfel hoher Berge in den Himmel. Wildspuren. Dumarest erkannte sie im Halbdunkel. Plätze, die Schutz vor Raubtieren und Unwettern bieten sollten; Holz, um eine Hütte zu bauen, vielleicht sogar ein stabiles Floß, mit dem man den Fluß hinaufsegeln konnte. „Nichts", flüsterte Dilys dagegen tonlos. „Keine Straßen, keine Tiere. Nur Wildnis, diese verdammte Wildnis!" „Ruhig." Dumarest nahm ihren Arm. „Ganz ruhig. Wir werden ein neues Feuer entfachen. Holt Holz und Steine, und achtet dabei auf Schlangen. Es könnte windig werden, so daß wir eine gute Feuerstelle brauchen. Gib die Hoffnung nicht auf, Dilys. Wir werden weiterfunken, und das Feuer kann viele Meilen weit gesehen werden." Egulus hatte inzwischen das Funkgerät so umgebaut, daß es, wenn auch nur für kurze Zeit, mit einer Kapazität senden konnte, die überall auf dieser Seite des Planeten gehört werden mußte. Dumarest wußte, daß dies ihre einzige Chance war. Ein letzter verzweifelter Aufschrei, dem nur noch Stille folgen würde. Wenn ihre Signale jetzt nicht aufgefangen wurden, dann niemals me hr. Sie hatten nur die eine Energiezelle.
„Sobald es dunkel ist, Varn", sagte er. „Wir wollen nicht mehr gegen die Sonne zu kämpfen haben, als unbedingt nötig ist. Drei Signale noch? Dann senden Sie das zweite um Mitternacht und das letzte bei Sonnenaufga ng." Mit der Dunkelheit kam der Wind und schickte lange Flammenspeere in den Himmel. Irgendwo unten in der Savanne schrie ein Tier in Todesangst. Dumarest fuhr herum, als er Schritte hinter sich hörte. Bochner lächelte dünn und betrachtete das Messer in seiner Hand. „Ich hätte Sie jetzt töten können, Earl, wenn ich gewollt hätte." „Mag sein." „Sie zweifeln daran, eh? Ich wäre über Ihnen gewesen, bevor Sie's gemerkt hätten." Der Jäger steckte das Messer weg. „Mein Freund, wir sind beide praktisch denkende Menschen. Was tun wir, falls keine Rettung kommt?" Immer wieder die gleiche Frage. Dumarest sagte: „Wir werden leben." „Natürlich. Aber wie? Ich meine auf welche Art? Drei Männer und nur eine Frau. Sie erkennen das Problem? Den Kapitän können wir vergessen. Aber dann sind immer noch wir beide übrig." Dumarest blickte in das Gesicht des Jägers. In der Dunkelheit war außer Schatten und den Augen nicht viel zu erkennen, aber Dumarest wußte, daß Bochner bald die Maske fallenlassen würde. Sein Lächeln war Fassade, hinter der sich das Ra ubtier verbarg. Der Blick. Bochners Worte, seine kindische Spielerei mit dem Messer hinter seinem Rücken - Warnung oder Ankündigung des Kampfes bis zum letzten? „Sie verstehen?" fragte der Jäger. „Ja. Ich verstehe Sie." „Und die Frau?" „Sie wird ihre Wahl treffen." „Das glaube ich nicht."
Dumarest starrte in Bochners Augen, die das Licht der Sterne reflektierten. „Also?" „Ich denke, daß Sie die Wache übernehmen können, wo Sie ja so wachsam sind. Später reden wir über die Angelegenheit." Trocken fügte er hinzu: „Und keine Sorge, ich schleiche mich nicht in der Dunkelheit an." „Warum schlagen wir unser Lager nicht weiter unten auf?" fragte Dilys, wieder einigermaßen bei Kräften, am Morgen. „Wir könnten uns im Fluß waschen und trinken." „Weil das Feuer auf dem Gipfel brennen muß. Unten würde der Rauch sich gegen die Hügel drücken. Nur hier kann er hoch genug in den Himmel steigen, um gesehen zu werden." Das Offensichtliche, das sie übersehen hatte. Sie nickte und begann wieder, neues Holz zu sammeln. Dumarest und Bochner stiegen ein Stück den Berg hinunter und jagten. Bochner schleuderte sein Messer und tötete ein Kaninchen. Die Zufriedenheit auf seinem Gesicht erstarb, als er sah, wie Dumarest einen der Nager auf die doppelte Entfernung traf. „Er ist gefährlich", sagte Egulus später, als sie das Feuer betrachteten, zu Dumarest. Die vom Morgennebel feuchten Sämlinge und Äste sorgten dafür, daß eine dunkle Rauchwolke hoch in den Himmel stieg. „Ich sah sein Gesicht, als er erkannte, daß Sie besser waren als er. Er gehört zu den Männern, die es nicht vertragen können, unterlegen zu sein, egal, in welcher Beziehung. Sie wollen immer die Nummer Eins sein. Ich kenne diese Menschen." „Was wissen Sie über ihn?" „Leo Bochner?" Der Kapitän zuckte die Schultern. „Gar nichts. Er wollte eine Passage und konnte bezahlen. Mehr hatte mich nicht zu interessieren. Sie müßten doch mittlerweile mehr über ihn wissen als ich." Ja, dachte Dumarest. Ein Mann, der mit teurer Ausrüstung, mit Waffen und Jagdtrophäen an Bord kam, angeblich als
Repräsentant eines einflussreichen Firmenkonsortiums. Seltsam genug war, daß er seiner wertvollen Ausrüstung keine Träne nachgeweint hatte, als sie mit der Entil versank. „Was macht der Funk?" fragte Dumarest. Egulus nahm das Gerät und tippte auf einen Schalter. „Nichts. , Etwas Energie habe ich noch aufsparen können. Der Funk steht jetzt auf Empfang und ..." Er verstummte, sah den Terraner ungläubig an, als er den Ton hörte. „Das ist... mein Gott, ein Signal!" Dumarest lauschte auf die schnell aufeinanderfolgenden hellen Töne. Einen Augenblick Stille. Dann wieder die Signale. „Die Richtung?" fragte er. „Schwer zu sagen. Von landeinwärts. Irgendwo dort über der Savanne." Egulus zeigte in Richtung der hohen Berge, über die Köpfe von Bochner und Dilys hinweg, die am Abhang nach Beeren suchten. Als sein Blick auf die Frau fiel, schüttelte er traurig den Kopf. „Jumoke war solch ein Dummkopf, Earl. Er hatte keine Geduld. Ich sagte ihm, daß Ihr Verhältnis mit Dilys nicht von Dauer sein könne, aber er wollte nicht hören." Egulus ballte die Hände zu Fäusten. „Dieser verdammte Bastard! Die Arbeit eines Lebens ist zerstört, nur weil dieser Narr verrückt vor Eifersucht war!" Dumarest verstand den Ärger des Kapitäns nur zu gut. „Es ist vorbei", sagte er. „Vorbei und vergessen, wenn Sie klug sind." „Ja, Earl, aber Dilys bleibt immer noch unser Problem. Werden Sie sie mit Bochner ziehen lassen, wenn sie sich für ihn entscheidet?" „Ich besitze sie nicht." „Vielleicht wünscht sie, daß es so wäre. Vielleicht wartet sie darauf, daß Sie um sie kämpfen." Egulus' Stimme klang verbittert. „Sie und Bochner - ich zähle nicht." „Das stimmt nicht, Varn. Sie beide haben mehr gemeinsam, als Sie denken. Sie gehören in die gleiche Welt. Sie hatten ein Verhältnis mit ihr?"
„Bevor Jumoke kam, ja. Sie wandte sich ihm zu. Sie wissen, wie's im Weltraum ist, Earl. Jeder ist sein eigener Herr. Ich mußte ihre Entscheidung respektieren. Wir waren Partner und ... Verdammt, warum verschwenden wir unsere Zeit mit diesen alten Geschichten!" „Kümmern Sie sich um das Funkgerät", sagte Dumarest. „Versuc hen Sie, weitere Signale einzufangen." Er legte mehr Holz auf das Feuer, als der Kapitän nickte, Äste mit feuchten Blättern, um wieder eine dunkle Wolke in den Himmel zu schicken. Dann versuchte er wieder, in der Savanne oder bei den Bergen etwas zu erkennen. Vielleicht gab es dort Minen, und ein paar Bergleute hatten das Notsignal gehört. Eine Stunde später sahen sie alle den Gleiter.
12.
Dilys' Erleichterung war unbeschreiblich. Nun würde sie bald wieder Häuser sehen und Menschen um sich haben - die warme Geborgenheit vertrauter Dinge. „Sie kommen!" rief sie immer wieder. „Sie holen uns!" Egulus war nicht ganz so optimistisch. Wer immer dort kam, mußte nicht unbedingt ihre Rettung im Sinn haben. Dumarest teilte die Vorsicht des Kapitäns. Auch Rettung hatte ihren Preis, und sie hatten nicht viel anzubieten. „Ausschwärmen", sagte Dumarest. „Bochner, Sie gehen nach links. Ich nehme die rechte Seite. Wenn sie angreifen, zögern Sie nicht." Der Jäger gehorchte, ohne zu protestieren. Er nahm seine Position ein, warf den Kopf in den Nacken und betrachtete aus zusammengekniffenen Augen den sich nähernden Gleiter.
„Klein", sagte er. „Er könnte einem Jäger oder einem Prospektor gehören." „Sie haben uns gesehen!" rief Dilys dazwischen. Worte, die nur ihrer eigenen Beruhigung dienten. Es war von Anfang an offensichtlich gewesen, daß der Gleiter auf den Gipfel zusteuerte. Dumarest schwieg. Klein, Bochner hatte recht gehabt. Eine hohle Schale mit Kontrollen an einem Ende, einer Schiene um sie herum und Landestützen. Wenn es eine Schutzkuppel gab, so war sie eingefahren. Jetzt konnte Earl zwei Männer erkennen. „Zwei", sagte auch Bochner. „Andere könnten flach auf dem Boden der Schale liegen. Dann sähe es ganz nach Ärger aus." „Was meint er damit, Earl?" wollte Dilys wissen. „Nichts. Winke und rufe sie an." Der Gleiter senkte sich herab, verlangsamte, flog über die vier hinweg, zog eine weite Schleife, kehrte zurück und landete sanft am Rand des Gipfels. Nur zwei Männer, einer an den Kontrollen, der andere auf einem Sitz in der Mitte der Maschine. Ein großer Mann in dunkler Kleidung und mit einer in die Stirn gezogenen Kappe. Bochner erkannte ihn trotz der Verkleidung. Caradoc. Der Jäger war nicht überrascht. Der Kyber sah ihn kurz an, dann die anderen. „Schwierigkeiten?" „Ja." Dumarest machte ein paar Schritte auf das Fahrzeug zu. „Unser Schiff stürzte ab, und wir überlebten als einzige. Können Sie uns in Sicherheit bringen?" „Natürlich." Der Mann sprach ohne Zögern, ohne jede erkennbare Gefühlsregung. „Weitere Überlebende gibt es also nicht?" „Nein." Dumarest musterte den anderen hinter den Kontrollen. Er war jung, das Gesicht eine Maske, die Hände la gen auf den Knien. Schlanke Hände mit gepflegten Fingern. Er trug einen weiten, braunen Umhang, der an der Hüfte durch einen Gürtel zusammengehalten wurde. „Woher wußten Sie, daß wir hier
sind? Unser Notruf?" „Ja", antwortete Caradoc. „Sie hatten Glück. Wir brauchten zwölf Stunden bis hierher." Tausend Meilen bei der Normalgeschwindigkeit eines Gleiters. Sie mußten aufgebrochen sein, bevor Egulus vom Gipfel aus zu funken begann. Eine lange Strecke und eine ungewöhnliche Mühe, nur um einigen in Not geratenen Unbekannten zu Hilfe zu kommen. Dumarest sah den Kasten im Gleiter. „Sie haben Überlebensausrüstung bei sich", stellte er fest. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme", sagte Caradoc. „Es scheint Sie zu verwirren, daß wir kamen. Wieso?" Bochner hätte es ihm sagen können. Er stand immer noch abseits und verfluchte im Stillen den Kyber. Jeder Dummkopf wußte, daß Männer nichts ohne Hoffnung auf Belohnung taten, nicht auf einer Welt wie Hyrcanus. Wenn Caradoc wenigstens sofort danach gefragt hätte, ob die vier für eine Rettung bezahlen konnten. Caradocs Verhalten hatte längst Dumarests Verdacht erregt! „Wir sind glücklich darüber, Sie zu sehen, mehr, als Sie es sich vielleicht vorstellen können", sagte Earl dennoch freundlich. Er hatte die Hände von sich gestreckt und geöffnet, wie um zu zeigen, daß er unbewaffnet war. Unbewaffnet wie die beiden Männer im Gleiter auf den ersten Blick. Doch unter der weiten Robe des Piloten konnte sich mehr verbergen als nur dessen Arme und Handgelenke. „Können Sie uns alle an Bord nehmen?" „Leider nein. Wir entdeckten einen Schaden, der unsere Ladefähigkeit verringert. Wir können einen von Ihnen jetzt mitnehmen und dafür sorgen, daß der Rest so schnell wie möglich abgeholt wird." Caradoc deutete auf Dumarest. „Sie fliegen mit uns." „Nein!" Bochner trat vor, mühsam um seine Kontrolle ringend. Dumarest gehörte ihm und war, wie er jetzt erkannte, seine einzige Lebensversicherung. Wenn der Kyber ihn einmal hatte,
brauchte er seinen Jäger nicht mehr. „Nehmen Sie mich mit", stieß er hervor. „Werfen Sie die Überlebensausrüstung über Bord, dann haben Sie Platz für ihn und mich." Eine deutliche Warnung an die Adresse des Kybers. Bochners Muskeln spannten sich. Er war bereit, sich auf Caradoc und seinen Schüler zu stürzen und sie zu töten, falls es nötig wurde. Dumarest gehörte ihm! Wenn Caradoc ihn zu betrügen versuchte, mußte er sterben. Der Clan würde einen sehr hohen Preis für Dumarest zu bezahlen haben. „Das wäre unlogisch", sagte Caradoc. „Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ist gering, aber sie besteht. Ohne die Überlebensausrüstung würden wir..." „Bochner!" schrie Dumarest. „Auf ihn! Jetzt!" Er war beim Gleiter, bevor der Jäger sich bewegen konnte, erstarrte, als der Pilot einen Laser aus dem Umhang riß und ein Energiestrahl seinen Kopf um Zentimeter verfehlte, ein weiterer vor Bochners Füßen in den Boden fuhr und ein dritter die Haare des Jägers versengte. „Yvan!" schrie Caradoc. „Starten!" Der Gleiter schoß in die Höhe und stand dann zwei Meter über den Köpfen der Männer in der Luft. Caradoc beugte sich über den Rand. Dort stand Dumarest, zum Greifen na he. Wenn Bochner sich nicht eingemischt hätte, wäre er jetzt hilflos, betäubt von der Injektionspistole unter der Schiene, über die er ins Innere des Gleiters steigen mußte. Doch er hatte schon vorher Verdacht geschöpft. Was hatte Caradoc falsch gemacht? Bochner hätte ihm die Antwort geben können, doch nun stand er an Dumarests Seite. „Sie haben auf uns geschossen, Earl!" sagte er. „Warum, um alles in der Welt?" „Der Große ist ein Kyber, der Pilot sein Schüler. Er schoß nicht, um mich zu töten. Er will mich lebend." „Sind Sie sicher?" fragte Bochner. „Ein Kyber?" Bochner sah seine Felle fortschwimmen, wußte, daß ein Wort von Caradoc genügte, um ihn bloßzustellen, falls Dumarest nicht bereits Verdacht geschöpft hatte. „Was nun?" Der Jäger sah zum
Gleiter auf Und versuchte, seine Chancen abzuschätzen. Er könnte das Fahrzeug mit einem Sprung erreichen, doch der Schüler würde keinen Augenblick zögern ihn mit dem nun offen in der Hand getragenen Laser zu erschießen. „Er wird uns umbringen, Earl, alle!" Alle außer Dumarest. Sie konnten ihm Arme und Beine zerschießen, um ihn unschädlich zu machen, aber sein Gehirn mit dem Geheimnis, hinter dem der Clan her war, mußte funktionsfähig bleiben. „Ich garantiere für die Sicherheit Ihrer Freunde, wenn Sie freiwillig mit uns kommen, Dumarest!" rief Caradoc. Dumarest mußte Zeit gewinnen. Im Augenblick hatte er keine Chance, die beiden zu überwältigen. „Ich scheine keine andere Wahl zu haben", rief er zurück. „Sie ergeben sich also?" Dumarest zuckte die Schultern und heuchelte Resignation. „Vorher will ich wissen, wie Sie mich fanden, nachdem die Entil Schiffbruch erlitt. Bis dahin war es Ihnen leicht möglich, meiner Spur zu folgen. Aber danach?" Dumarest wußte, daß es seine einzige Chance war, den Kyber zum Reden zu bringen. Caradoc war jung und hatte schon einmal eine gewisse Sorglosigkeit gezeigt. Jetzt mußte er die einzige Befriedigung empfinden, deren ein Kyber fähig war. Wenn er sic h angesichts seines scheinbaren Triumphs noch einmal dazu verleiten ließ, seine Vorsicht zu vergessen - und sein Schüler mit ihm... Und Caradoc erklärte, wie die Notrufe empfangen wurden und er durch Kombinieren aller Fakten auf Hyrcanus geschlossen hatte. Der Stolz war jetzt aus seiner Stimme herauszuhören, und Dumarest wußte, daß er jetzt gehen mußte. Er nickte, gab sich den Anschein eines Mannes, der wußte, daß er verloren hatte und sich ins Unabwendbare fügte, und sagte: „Also gut. Ich komme an Bord."
„Nein!" Bochner riß sein Messer heraus, sprang auf Dumarest zu und drückte es an dessen Kehle. „Sie nehmen uns beide mit, Kyber, oder ich töte ihn vor Ihren Augen!" „Yvan!" Dumarest stieß Bochner zur Seite, als der Pilot den Laser hob. Seine Hand fuhr zum Stiefel. Bevor irgendjemand begriff, was geschah, traf es die Brust des Schülers. Yvan schrie auf und gab einen unkontrollierten Schuss ab. Der Gleiter neigte sich zur Seite, als Yvan auf die Kontrollen fiel. Caradoc taumelte und hing über der Schiene. Blut quoll aus der Schusswunde in seiner Hüfte. Tot oder durch den Schuss des Schülers nur verletzt Caradoc war hilflos und konnte nichts tun, um den Gleiter unter Kontrolle zu bringen. Dumarest sprang, fand an der Schiene Halt und versuchte, sich über den Rand der Schale zu ziehen, als die Maschine in den Himmel schoß. Er sah den Gipfel und die Menschen unter sich immer kleiner werden. Heftiger Wind vom Meer wehte ihm die Haare ins Gesicht, zerrte an seinem Körper, der kraftlos an der Schiene hing. Endlich gelang es ihm, ein Bein auf die Schiene zu bringen. Es rutschte ab. Dumarest spürte seine Hände nicht mehr, fühlte, wie die letzten Kräfte aus seinem Körper zu schwinden begannen, biß die Zähne aufeinander, kämpfte gegen den Schmerz. Blut schoß ihm in den Kopf, hämmerte in Schläfen und Ohren. Ein letzter verzweifelter Versuch. Earl schob einen Ellbogen über die Schiene, schwang sein Bein erneut in die Höhe, fand Halt. Ein kurzes Atemholen, dann war er im Innern des schalenförmigen Fahrzeugs. Er ließ sich fallen, atmete schwer, war unfähig, sich zu rühren. Er zitterte und schwitzte, wartete verzweifelt darauf, daß seine Kräfte zurückkehrten. Als er sich endlich aufzurichten in der Lage war, sah er den Gipfel und die Rauchwolke weit entfernt. Er schleppte sich an die Kontrollen des Gleiters. Yvan war tot. Dumarest zog das Messer aus der Brust des Mannes, und warf ihn aus dem Gleiter. Sofort wurde die
Maschine schneller. Dumarest sorgte dafür, daß der Flug sich stabilisierte und steuerte wieder den Gipfel an. Caradoc lebte noch. Die Blutung war zum Stillstand gekommen, Dumarest hatte die Injektionspistole an der Schiene entdeckt und setzte sie nun an den Hals des Kybers. Zweimal drückte er ab. Das sollte genügen, um zu verhindern, daß Caradoc zu früh aufwachte. Dilys stürmte auf ihn zu, als Earl den Gleiter landete und heraussprang. Egulus nickte anerkennend und blickte fragend auf den Kyber. „Töten Sie ihn, Earl!" forderte Bochner, als er erfuhr, daß Caradoc nur betäubt war. „Zur Hölle mit dem kaltblütigen Burschen! Schaffen Sie ihn sich vom Hals, damit er Sie nie mehr jagen kann!" Dumarest sah Bochner kalt an. „Nehmen Sie ihn", sagte er. „Legen Sie ihn neben das Feuer, und decken Sie ihn mit etwas zu." Er holte den Kasten mit der Überlebensausrüstung aus dem Gleiter und warf ihn dem Jäger vor die Füße. „Hier sind genug Decken darin." „Sind Sie verrückt geworden? Bin ich eine Krankenschwester?" „Sie sind doch der beste Mann von uns allen, oder? Beweisen Sie's jetzt. Sie bleiben bei Ihrem Freund, bis wir Hilfe schicken." „Verrückt!" Bochner machte einen Schritt auf Dumarest zu. „Was soll das heißen - mein .Freund'? Wollen Sie behaupten, daß ich zu ihm gehöre?" Noch während er sprach, riß Bochner das Messer heraus und stürzte auf Dumarest zu. Zu spät erkannte er, daß die Schwäche des Terraners nur vorgetäuscht war. Ein kurzes Handgemenge, dann hatte er Dumarests Klinge am Hals. „Na los!" flüsterte er. „Tun Sie's! Tun Sie's doch!" „Nein!" Dilys hatte wieder Tränen in den Augen. „Tu’s nicht, Earl! Er hat dir das Leben gerettet!" Und Caradoc brauchte jemand, der bei ihm wachte. Dumarest stieß Bochner von sich fort.
„Bastard!" Der Jäger schrie wie ein verwundetes Tier. „Feiger Bastard! Sie haben nicht einmal den Mut, mich zu töten!" „Das wird der Ky-Clan besorgen, wenn Sie Caradoc sterben lassen." „Ich soll ihn hier oben allein am Leben erhalten, während Sie sich mit dem Gleiter aus dem Staub machen?" „Ich schicke Hilfe." „Vielleicht." Bochner betrachtete seine zitternden Hände. Dumarest hatte ihn gedemütigt - vor einer Frau! Er hatte ihn wie einen blutigen Anfänger hingestellt, wie einen Narren. „Also gut, Earl. Diese Runde geht an Sie. Sie hätten mich töten sollen, als Sie noch die Chance hatten. Ich werde Sie nicht vergessen. Ich schwöre es. Ich vergesse Sie nicht!" * Hyrcanus war eine kleine Stadt, die einzige auf dem Planeten, nach dem sie benannt worden war. Der Raumhafen war schmutzig. Die Absperrungen hätten kein Kind abschrecken können. Doch auf dem Landefeld standen Schiffe, die darauf warteten, beladen zu werden und Passagiere an Bord zu nehmen. „Die Shalarius fliegt nach Mucianus", sagte Dilys in der Taverne, durch deren Fenster sie die Schiffe sehen konnten. „Die Zloth nimmt Kurs auf Egremond." Dumarest nickte. Zwischen beiden Schiffen stand ein drittes, versiegelt, ohne Kontakt mit der Außenwelt. Caradocs Schiff. Dumarest fragte sich, wie lange die an Bord Befindlichen warten würden, bis sie nach dem Kyber und seinem Schüler suchen ließen. Sicher nicht mehr lange, und wenn sie ihn fanden, mußte er, Dumarest, von Hyrcanus verschwunden sein. „Warum hast du den Kyber nicht getötet, wenn das stimmt, was Bochner sagte - daß Männer wie er dich jagen? Weil er uns den Gleiter brachte? Weil er unsere Leben rettete?"
„Wenn auch unfreiwillig - ja. Deswegen und weil er verletzt und hilflos war." „Du bist ein seltsamer Mann, Earl. So hart und so stark, dann wieder so selbstlos. Earl, muß es zu Ende sein?" Sie las die Antwort in seinen Augen. „Ich wußte es von Anfang an", murmelte sie. „Aber es tut weh. Armer Jumoke. Es tut so weh ..." Nicht für lange, dachte Dumarest. Sie würde nicht lange allein bleiben. Egulus betrat die Taverne. Er setzte sich und goß sich vom auf dem Tisch stehenden Wein ein. „Die Shalarius kann uns alle mitnehmen, wenn wir beza hlen. Nur Oberdeck-Passagen. Auf Mucianus habe ich einen Freund, der ein altes Schiff aufgekauft hat und es überholen läßt. Ich denke, er könnte einen Ex-Kapitän wie mich gebrauchen." „Und eine Maschinistin?" „Bestimmt." Egulus sah zuerst sie, dann Dumarest überrascht an. „Aber ich dachte ..." „Ich gehöre zu dir, Varn. Wir leben in der gleichen Welt." Ihre Hand fiel auf seine Schulter, und sie lächelte ihn an. „Wir werden es schaffen, Varn." Egulus lachte humorlos. „Ohne Geld?" „Wir haben Geld." Dumarest griff in seine Tasche und legte eine Handvoll wertvoller Steine auf den Tisch, die er in Threnonds Gürtel gefunden hatte. „Dafür solltet ihr genug bekommen, um für eure Passagen bezahlen zu können." „Unsere? Sie kommen nicht mit uns?" Dumarest schüttelte den Kopf. „Nein, Varn. Ich muß meinen eigenen Weg gehen." „Mit der Zloth? Wieder in die Rinne?" Zurück dorthin, wo die Sonnen sich fast berührten und der Weltraum ein Labyrinth aus tobenden Energien war. Wo ein Schiff sich verstecken und ein Mann verschwinden konnte.
Wo er die lange Suche wiederaufnehmen konnte - die lange Suche nach der Erde.
ENDE