Karl-Heinz Prieß
Der Keeogische Krieg
Science Fiction-Roman
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction ...
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Karl-Heinz Prieß
Der Keeogische Krieg
Science Fiction-Roman
BASTEI-LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Science Fiction Action Band 21 163 © Copyright 1983 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. Bergisch Gladbach All rights reserved
Titelillustration: Theakston Umschlaggestaltung: Quadro-Grafik, Bensberg Druck und Verarbeitung: Elsnerdruck GmbH, Berlin Printed in Western Germany ISBN 3-404-21163-4
Der Planet Keeog ist für eine Besiedelung ideal – wären da nicht die Keeogs, die pelzigen Ureinwohner. Sie sind den Herrschenden der Erde, die Keeog ungestört ausbeuten wollen, ein Dorn im Auge. Sie müssen weg! Also werden die friedlichen Keeogs, die die Menschen in naiver Freundlichkeit aufgenommen hatten, brutal verdrängt und ausgerottet… Bis sie sich zu wehren beginnen. Die Keeogs drängen die technologisch weit überlegenen Menschen zurück und erzwingen eine Pattsituation. Doch ihr Sinn steht ihnen trotz allem nicht nach Rache und Sieg. Noch immer wollen sie nicht glauben, daß die Menschen so schlecht sind, wie man aus ihrem Handeln schließen müßte. Die Keeogs entsenden Burko, einen ihrer Besten, zur Erde, um sich doch noch friedlich zu einigen. Dagegen aber stehen die Interessen der Herrschenden der Erde.
»Sie kommen«, sagte Saltice. Er stand draußen unter dem ausgebleichten blauen Vordach aus Stoff und blickte zu den Hügeln empor, wo sich das blau schimmernde Gras sanft in der heißen Brise aus dem Norden bewegte. Seit sie gelandet war, erschien Rita die gewaltige Grasebene wie ein Ozean. Auf allen Seiten erstreckte sich das Land weit an einen Horizont, der ferner war als auf der Erde; und das weiße und hellblaue Licht der beiden Sonnen errichtete eine unbarmherzige Hitzeglocke über dem Land. Im Westen, nahe über dem Horizont, tanzten die phantastischen Polarlichter, an die sich Rita schon fast gewöhnt hatte. Alpha Centauri und die kleinere blaue Sonne, Komponente B genannt, beeinflußten die dichte Atmosphäre dieses Planeten weitaus mehr, als Sol dies mit der Lufthülle der Erde tat, und so gehörten Erscheinungen wie »Polarlichter« auch in den mittleren Breiten dieser Welt zum normalen Alltag. Der grünlich schimmernde Himmel war mit goldenen Wölkchen übersät, die im Westen durch die tanzenden Lichter in vielfältigen Farben glühten. Darunter sah man die rötlichen Blüten des dunkelblauen, meterhohen Grases, und Rita fühlte sich, schläfrig durch die ungeheure Hitze, mehr und mehr wie in einem verrückten Traum als in der Realität – der Realität eines fremden Planeten. Jetzt folgte Ritas Blick dem des schlanken Franzosen, des Biologen der Forschungsstation. Sie beschattete ihre Augen mit der Hand und sah die Reiter kommen, zuerst einen, dann dahinter zwei nebeneinander, dahinter weitere zwei und so weiter – zehn Mann, die hinter ihrem Anführer über den Hügel geritten kamen. Noch waren sie weit entfernt, aber die fremdartigen Silhouetten der Tiere und ihrer Reiter zeigten
deutlich, daß dort keine Menschen kamen, sondern Wesen, die Menschen bis zu einem gewissen Grad glichen. Intelligente nichtmenschliche Wesen, dachte Rita, und sie erschauderte trotz der Hitze und trotz Pierre Saltice in ihrer Nähe. Sie kamen langsam näher.
»Miss Cunningham«, hatte Walton, der Leiter der anthropologischen Abteilung von Harvard, gesagt, »das ist unsere Chance. Ihre und die von Harvard.« Sie stand am Fenster, den Brief in der Hand, den ihr Walton gezeigt hatte, und blickte über die Stadt hinaus. Cambridge, die alte, ehemals so ehrwürdige Stadt, jetzt ein riesiges Geschwür aus Beton, Glas und schwarzem Dunst, das sich ausbreitete und längst mit Boston eins geworden war. Der Himmel war grau, sie glaubte fast, die Chemikalien in der Luft nicht nur riechen, sondern auch sehen zu können. Sie blickte auf die schimmernden Glastürme, nur wenige Kilometer entfernt, die sich sorgfältig von diesen abgeschirmt über den zerfallenden Slums erhoben. In der Ferne stiegen dicke, dunkle Rauchsäulen in den Himmel; das Industriegebiet arbeitete wieder auf vollen Touren, seit das Schiff vom Alpha Centauri zurückgekommen war. Rita hatte gespürt, daß das Leben in der Stadt vor der Explosion stand, daß die Slums bald ihre Bewohner ausspeien würden, daß die stinkenden Flüsse und die dicht besiedelten Hügel sich in den Wanderweg einer riesigen bunten, tödlichen Masse verwandeln würde, die alles zerstörte, die die Glastürme niederriß und Wolken des Todes über der Stadt emporsteigen ließ. Dann war die Nachricht gekommen, daß der dritte Planet von Alpha Centauri Leben trug, daß die vierte Expedition zu den Sternen nicht mißlungen war, daß irgendwo dort draußen ein
sauberer, unberührter Planet wartete, doppelt so groß wie die Erde. Ein Planet, der Leben und Erneuerung für das im eigenen Dreck erstickende Menschengeschlecht anbot. Das Siedlungsprogramm sollte zwei Jahre nach der Ankunft der Männer von der »Armstrong« auf der Erde, und der Entsendung eines neuen, kleineren Schiffes mit Wissenschaftlern und Militär, anlaufen. »Haben Sie gehört, Miss Cunningham?« fragte Walton ungeduldig. »Man hat uns angeboten, Wissenschaftler unserer Universität mitzunehmen, sie brauchen noch gute Anthropologen, und Sie sind eine der besten. Bislang hat man nur den Planeten auf seine Siedlungsfähigkeit untersucht, jetzt, da diese einwandfrei feststeht, will man die Leute, die dort leben, näher in Augenschein nehmen. Sie haben ja die Unterlage bekommen, die man uns geschickt hat. Ein durchaus humanoides Volk, primitiv und recht friedlich.« Sie drehte sich um und musterte den kleinen, alten Mann nachdenklich. »Die Keeogii, wie sie sich nennen, haben bislang noch niemanden in ihre Städte und die nähere Umgebung gelassen. Sie waren sehr freundlich und entgegenkommend, aber sie wollen unsere Leute nicht in ihren Ansiedlungen, die noch kein Mensch von innen gesehen hat, haben, obwohl inzwischen jedes Kind weiß, wie ein durchschnittlicher Keeo aussieht.« Walton lächelte. »Überreden Sie sie. Ein Biologe vom Smithsonian fliegt mit Ihnen, ein kürzlich Übersiedeiter Franzose. Außerdem etliche andere westliche Wissenschaftler von hohem Rang. So entgegenkommend, wie diese Leute bisher waren, werden sie uns auf die Dauer auch nicht verwehren, ihre Kultur zu studieren.« »Ich bin die einzige von Harvard, nicht wahr?« Walton nickte. »Die einzige Professorin der Anthropologie, die es an der Ostküste gibt. Sie sind noch sehr jung, aber wenn
Sie von dort zurückkommen, Miss Cunningham, brauchen Sie sich über Ihre Zukunft keine Sorgen mehr zu machen. Unsere Regierung wird dankbar sein, die großen Industriekonzerne werden sich um Sie reißen, denn sie werden Menschen wie Sie auf Keeog brauchen. Sie werden zu den berühmtesten Menschen gehören, und Harvard wird mit Ihnen Ruhm erringen, das Institut, aus dem die wenigen Auserwählten unter vielen Millionen kommen.« Sie dachte an ihre Vorlesungen, voll von gelangweilten Studenten der reichsten Familien der USA und Europas. Sie dachte an die Überfälle auf den Straßen, an die Krawalle, die jede Woche ausbrachen, wenn für die Armen ein paar Tage lang die Lebensmittelrationen ausblieben. Der Kampf um das Wasser – sie war vermögend genug, um immer Wasser zu haben, aber manchmal kam es zu Störungen, wie einmal, als die Slumbewohner es satt hatten, ihr Wasser rationiert zu bekommen, und die Leitungen manipulierten. Man hatte zwei Tage gebraucht, um die Zapfstellen zu finden. Dann war das Wasser kurzfristig ganz ausgefallen, und in Cambridge war die Hölle los gewesen. Sie dachte an die Luft, die so schlecht war, daß sie Medikamente einnehmen mußte. Sie war in Texas aufgewachsen, dort, wo die gewaltigen, streng bewachten Farmen und Ranches waren und wo man die Luft noch einigermaßen sauber halten konnte. Sie sehnte sich nach dem frischen Seewind von Galveston. Im Golf unten waren sogar noch Fische, und das Wasser stank nicht, und seit die US Navy den Golf für alle Schiffe, außer denen der Anliegerstaaten, gesperrt hatte, konnte man von dort die Bevölkerung noch einigermaßen ernähren, auch, wenn die mexikanischen Strände dank der früheren Ölbohrexperimente noch immer wie Asphaltsümpfe und Chemiegruben aussahen.
Sie hoffte, daß man es auf Keeog aushalten konnte. Zumindest würde die Luft dort so gut sein wie in Galveston, auch wenn dort fürchterliche Temperaturen herrschen sollten – auf jenem unvorstellbar fernen Planeten, den menschlicher Erfindungsgeist zu erreichen gelernt hatte. »Ich fahre natürlich«, sagte sie. »Das Forschungsprogramm wird nicht lange dauern«, sagte Walton lächelnd. »Ich freue mich sehr, daß Sie sich dazu entschlossen haben, Professor Cunningham.« »Einige Jahre werde ich wohl fort sein«, sagte sie nachdenklich. »Und danach liegen die goldensten und schönsten Jahrzehnte vor Ihnen, Miss Cunningham. Sie werden sich vor Ansehen und Geld nicht mehr retten können.« Die Ankunft auf Keeog nach sechs Monaten Flug mit dem schnellsten Schiff, das es zur Zeit gab, war unwirklich und märchenhaft gewesen. Man hatte die Wissenschaftler, zehn Menschen mit all ihrem Material und Aufzeichnungsgeräten, abgesetzt, zusammen mit den beiden Kompanien Nationalgarde ausgeladen, die hier die neu angekommenen Siedler und die wenigen Dutzend schon auf Keeog befindlichen Menschen schützen sollten. Dann waren die Siedler gekommen, ein gewaltiger Strom von Menschen, fünftausend, aber man wollte größere und schnellere Schiffe bauen und sprach davon, Hunderttausende und Millionen von Siedlern nach Alpha Centauri III zu bringen. Auf dem Flug hatten sie trainiert, denn Keeogs Schwerkraft war wegen der größeren Masse des Planeten fast doppelt so hoch wie die der Erde. Sie hatten Medikamente bekommen, die ihre Anpassung beschleunigen sollten, und man hatte sie instruiert, niemals ohne Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen und sich jeden Morgen mit einem speziellen
Sonnenschutz einzureiben, da die UV-Strahlung schon in den gemäßigten Breiten das Dreifache der auf der Erde betrug. Und jetzt stand sie hier, sechs Tage nach ihrer Ankunft, vor dem weißen Würfel aus Kunststoff, Beton und Glas, in dem die Klimaanlagen summten und weißgekleidete Männer ihrer Arbeit nachgingen, während hier und da die UN-Soldaten mit blauen Helmen oder Nationalgardisten der USA herumstanden und auf Gefahren warteten, die sich noch zeigen mochten. Die Luft war heiß, aber würzig, sie roch nach fremder Erde, fremden Pflanzen – nach reiner Natur. Der Himmel war smaragdgrün und ungetrübt von Chemikaliendämpfen, das hohe Gras, das Rita bis zum Kinn reichen würde, falls sie den geschützten Flecken der Station verließ, war saftig und sauber. Rita mochte diesen Planeten, und sie genoß das berauschende Gefühl, auf einer fernen Welt in einem fernen Sonnensystem zu sein, in einem Land, das noch frisch und unverbraucht – aber auch gefährlich war. Und jetzt stand sie hier, in einer weißen, locker anliegenden Montur mit einem breitrandigen Stetson auf dem Kopf, an dem sie – ein Aufwallen von Nationalstolz – den Lone Star von Texas befestigt hatte. »Sie sind vollkommen harmlos«, sagte ein Mann mit starkem deutschen Akzent hinter ihr, und beinahe zuckte sie zusammen. Sie blickte ihn fragend an. Es war Jürgen Brankowski, ein Soldat aus Deutschland, der es bei den UNTruppen bis zum Major gebracht hatte und hier der Chef der wenigen Wachtruppen in der Forschungsstation war. Er war ein großer, stabiler Mann Anfang fünfzig, und er trug stets die khakifarbene Montur mit seiner Majorsmütze und einen 45er Colt Commander im Halfter am Gürtel. Brankowski schien vollkommen unbeeindruckt von der Umgebung zu sein, höchstens die Hitze schien ihn zu stören. Er deutete auf das Grüppchen Reiter, das in Zweierreihen näherkam. »Das sind ihre Jäger oder Krieger, wild aussehende
Kerle, aber total harmlos. Sie kommen manchmal auf der Jagd hier vorbei, aber meistens sind normale Eingeborene hier, Zivilisten, die uns Lebensmittel bringen, uns bei der Arbeit zusehen wollen oder neugierig unsere Gebäude betrachten. Sie sind nie feindselig, ich glaube, man könnte sie sogar herumschubsen, und sie würden sich noch dafür bedanken.« Rita lächelte unsicher. »Ich weiß, daß sie harmlos sind. Es ist nur… ich habe noch nie einem von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, mit ihm geredet, und ich weiß auch nicht, wie ich sie dazu bringen soll, mich mit in ihre Stadt zu nehmen.« Sie sah Brankowski fragend an. »Den Namen ›Keeog‹ spricht man doch englisch aus, oder? Ich möchte sie nicht beleidigen, wenn ich eine falsche Bemerkung mache.« »Das wird schon alles der Übersetzer erledigen«, sagte Brankowski. »Haben Sie Ihren dabei?« Sie berührte flüchtig das kleine Gerät, das an ihrem Gürtel hing. »Ja. Trotzdem, man wird wohl mehr auf mich als auf das Gerät schauen, wenn ich rede«, murmelte sie. Sie fühlte sich nervös. Sie dachte daran, daß man viele Wochen benötigt hatte, bevor der Bordcomputer des ersten Schiffs überhaupt ein System in die fremdartige Sprache hatte bringen können, eine Sprache, die keine menschliche Zunge nachahmen konnte und die man nur annäherungsweise schriftlich wiedergeben konnte. Sie hatte bereits Bandaufnahmen gehört – es war, als versuche man Tiergeräusche in menschliche Silben zu fassen. Sie fühlte sich schuldbewußt, als sie daran dachte, daß sie die Keeo-Sprache mit Tiergeräuschen verglichen hatte. Sie sind intelligent, sagte sie sich. Denke immer daran! Jetzt kamen die Reiter gemächlich auf den weiten, ausbetonierten Kreis geritten, der ein großes Stück aus der grasbewachsenen Ebene herausschnitt und in dessen Mitte sich die flachen weißen Gebäude der Forschungsstation erhoben. Es
war dennoch eher eine winzige Insel, ein Stück Treibholz in dem blauschwarzen Ozean um sie herum, als wirklich eine Lichtung. Rita betrachtete neugierig und nervös zugleich die Neuankömmlinge. Die Evolution dieses Planeten hatte sie und ihre Reittiere wie die ganze Umgebung geformt, und sie war überrascht, wie nahe die Linien der menschlichen und der keeogischen Evolution doch beieinander lagen. Trotzdem waren sie weit genug voneinander entfernt. Die Männer ritten auf hochbeinigen, merkwürdigen Tieren, die entfernt an Antilopen und Pferde erinnerten. Es waren sehr kräftige Geschöpfe, sie hatten weiche Ballen wie Katzen, und sie bewegten sich anmutig und geschmeidig, mächtige Muskeln spielten unter den glatten schwarzglänzenden Fellen. Sie hatten Mähnen, die eher denen von Löwen als von Pferden ähnelten, und die Köpfe waren klein, antilopenähnlich und mit einem meterlangen, nach oben gekrümmten Horn versehen. Die Ohren der Tiere waren lang, ihre Augen groß und hellbraun schimmernd, und die Schnauzen wirkten, wie die sanft auftretenden Ballen der vier Füße zugleich, weich und widerstandsfähig. In fellbezogenen, sattelartigen Aufsätzen saßen die Reiter, die Keeogs, oder Keeogii, wie die Mehrzahlbildung in ihrer Sprache lautete. Rita betrachtete sie ehrfürchtig und überrascht. Verblüfft bemerkte sie, wie richtig Waltons Ausspruch, sie seien humanoid, war – und wie unzutreffend und absurd zugleich. Die Keeogii waren groß und wirkten trotz der langen, schlanken Arme und Beine und ihrer Hagerkeit kräftig. Ihre Köpfe ähnelten entfernt denen von Gorillas, waren allerdings von sehr langen, dunkelschimmernden Haaren bedeckt, die vom Wind zersaust wurden. Aus den schwarzen Gesichtern mit den vorspringenden affenähnlichen Schnauzen blickten
kühn scharfe, intelligente Augen. Augen, die meist hell waren, von blauer oder – wie im Fall des Anführers – katzenhaft graugrüner Farbe, mit gleichfalls katzenhaften, schmalen, senkrechten Pupillen. »Vermutlich sind sie nachtsichtig«, sagte Pierre Saltice leise an Ritas Seite. Die uniformähnlichen Hemden und Hosen der Eingeborenen waren aus einem sehr groben, weit geschnittenen Stoff von dunklem Purpur, der manchmal bläulich in der Sonne aufschimmerte. Darüber trugen sie lange, geschlossene Westen, Handschuhe mit langen Stulpen und hieroglyphenartigen Verzierungen und Stiefel aus festem, blauschwarz glänzendem Leder. Die meisten hatten einen breiten Stoffgürtel über der Brust hängen, an dem ein breites Messer baumelte, und an einigen Vorsprüngen der Sättel hingen Waffen, die bizarre Armbrüste zu sein schienen. Sie ritten sehr langsam auf den Hof, ein fremdartig und düster wirkender Zug, wild und unheildrohend in ihren dunklen Uniformen aus grobem Stoff und stabilem Leder. Selbst Brankowski schien etwas beeindruckt zu sein, als er die kalten, abtastenden Blicke der hageren, kräftigen Reiter auf sich spürte. Obwohl sie Kleidung trugen und es ungeheuer heiß war, schienen die Keeogii am ganzen Körper dicht behaart zu sein, denn Rita sah aus den geöffneten Kragen über den dicken Lederwesten dichte Fellbüschel quellen. Der erste der Reiter, offenbar der Anführer, schwang sich geschmeidig aus dem Sattel. Er war sehr groß, noch einen Kopf größer als der hochgewachsene Brankowski, und jede Bewegung verriet die natürliche Stärke einer Rasse, die seit Jahrmillionen unter Bedingungen von 1,9 g Schwerkraft lebte. Rita fühlte die durch das lange Stehen hervorgerufene Schwäche ihrer Beine und sehnte sich nach einem der weichen, stabilen Stühle im Innern der Station. Sie sah den Keeo an, der auf sie zukam, mit langen Schritten und ausdruckslosen, kalt
und abschätzend blickenden Katzenaugen. Zum erstenmal nahm Rita auch richtig die spitzen, offenbar beweglichen Ohren wahr, die unter dem dichten Kopffell hervorlugten. Hastig schaltete sie ihr Übersetzungsgerät ein, als sie das Klicken hörte, mit dem Saltice seinen Apparat aktivierte. Der lange Anführer der zehn Keeogii sah Brankowski an, während seine Leute sich lässig aus dem Sattel schwangen, sich auf den heißen Beton setzten oder sich leise unterhielten, während sie sich gegen die mit weißem Fell bezogenen Sättel lehnten. Er sagte etwas, was sich wie »Rej Burko, Vialannon TaveniLekha« anhörte, und die Übersetzungsgeräte machten daraus in ihrem metallisch klingenden Tonfall: »Ich bin Burko, Freier Führer der Truppen von Taveni-Lekha.« Bevor sie etwas antworten konnten, sprach der Keeo weiter, rasch und mit kehliger, tiefer Stimme. Einmal entblößte er weiße, schimmernde Reißzähne, und Rita starrte ihn fasziniert an. Er hatte, wie auch die Keeogii seiner Begleitung, etwas Wildes, Stolzes und Raubtierhaftes an sich, und eine gewisse Arroganz umwehte ihn – ihn fast weniger als die anderen zehn Keeogii, die sich lässig auf dem Betonplatz lümmelten. Schließlich, als Burko verstummte, begann das Übersetzungsgerät mit monotonem Sing-Sang: »Vor einigen Tagen ist ein großes Metallschiff vom Himmel gekommen. Es hat fünftausend Menschen ausgeladen, und ich verlange eine Erklärung, warum dies den Keeogii von Taveni-Lekha, Taveni-Sho und anderen Städten nicht vorher gemeldet wurde. Dies hier ist unser Land, ich hoffe, da gebt ihr uns recht.« »Laß uns doch erstmal hineingehen«, sagte Brandowski. »Drinnen können wir in Ruhe über alles reden.« Der Keeo namens Burko zog die Lippen leicht zurück, seine Zähne schimmerten gefährlich, eine Geste, die Rita für eine Art Lächeln hielt. »Kavon von den Apaghani und Leditius von
den Shields waren bereits hier«, sagte der düstere Anführer der kleinen Gruppe von Eingeborenen. »Sie sind hineingegangen, und man hat ihnen eine Menge erzählt, aber im Grunde wußten sie hinterher genausoviel wie vorher. Aber wir sind Taveni, und wir verlangen eine klare Erklärung, hier draußen, wo die Augen des Himmelsgeistes uns sehen und die Erde uns hören und über Lüge und Wahrheit richten kann. Ich warne euch – wir lassen uns nicht länger mit leeren Versprechungen abspeisen. Wenn es nötig wird, verbieten wir euch, länger auf Keeog zu bleiben.« Brankowskis Augen schimmerten kalt und wütend. Er duckte sich leicht zusammen und setzte zu einer scharfen Antwort an, als Rita sich einmischte. »Ich glaube, Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was vorgeht, Freier Führer.« Den Titel sprach sie mit einigem Unbehagen aus, erinnerte er sie doch an etliche unerfreuliche Dinge, die vor hundert Jahren geschehen waren und von denen man im Geschichtsunterricht eine Menge hören konnte. Der Keeo sah sie an, musterte sie, und sie hatte das Gefühl, bis auf die Haut ausgezogen zu werden. Während der Eingeborene schwieg und sie weiter betrachtete, fuhr sie leicht unsicher und ärgerlich fort: »Diese Leute, die von der Erde kamen, wollen hier nur leben. Es ist doch Platz für alle da, nicht wahr?« Der Keeo zeigte wieder seine spitzen Zähne. »Ist auf eurer eigenen Welt etwa nicht mehr genug Platz?« fragte er spöttisch. »Sagen wir, es wird etwas eng, und die Menschen möchten hier in Freundschaft mit euch leben.« »Alle, die noch kommen?« fragte Burko, und zu spät begriff sie, daß sie in eine Falle getappt war, als sie »Ja, sicher!« sagte. Burko wandte sich von ihr ab und sah wieder Brankowski an. »Es kommen also noch mehr«, stellte er fest.
Brankowski warf Rita einen ärgerlichen Blick zu, und sie sah wütend zu Boden. Dieser Eingeborene hatte sie behandelt wie ein Ding, aus dem man Informationen herausholen konnte, mehr nicht. Zu Brankowski sprach er bedeutend respektvoller, wenn auch sehr kalt und sachlich und in einer Art, die keinen Zweifel daran ließ, daß er gegenüber den Menschen hier die einzige Autorität darstellte, daß Brankowski im Grunde nichts zu sagen hatte. »Hört mir zu, alle«, sagte Burko sehr leise. Er machte eine Pause und zupfte seine ledernen Handschuhe an den langen Stulpen zurecht. »Ich persönlich möchte keinen einzigen von euch hier sehen, und ich möchte euch gerne sagen, daß ihr in euren Metallschiffen bleiben sollt, aber dazu bin ich leider nicht berechtigt. Es könnten jedoch bald andere Zeiten kommen.« Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, und Rita sah erschrocken, daß die Krieger der Keeogii sehr aufrecht, schweigsam und drohend dastanden, einige mit Armbrüsten in den Händen. Ihre dunklen Augen war kalt, ihre spitzen Ohren zurückgelegt. Sie wunderte sich – vorhin hatten sie ausgesprochen helläugig gewirkt. »Ihr solltet mit dem Rat der Städte zusammenarbeiten«, sagte Burko freundlicher. »Wir haben nichts dagegen, daß ihr hier mit uns zusammenlebt, aber ihr müßt uns als Gleichberechtigte achten, versteht ihr? Allein werdet ihr entweder untergehen oder unsere Welt zerstören, und das wollen wir beides nicht.« Er deutete kurz zum Himmel, nicht mit einem Finger, sondern der ganzen Hand, die sechs Finger hatte. »Ihr kennt unsere Welt nicht. Bislang haben wir, die Jäger, euch beschützt. Wir haben achtgegeben, daß nicht allzu viele gefährliche Tiere und Pflanzen sich euren Lagerplätzen und den Landeplätzen eurer Metallzylinder nähern. Wir haben euch bislang immer gewarnt, wenn die Jahreszeit des Thai-Hamal eintritt, und nur wenige von euch wurden hier bislang getötet, weil sie zu
leichtsinnig waren und in Gebiete vordrangen, die sie nicht kannten und wo Bestien lauerten, gegen die sie keine Chance hatten. Das könnte sich ändern. Denkt daran. Wir kennen diese Welt, und wir leben mit ihr. Wir können euch helfen, dasselbe zu tun, aber wir können euch auch ihr überlassen und euch daran hindern, sie zu zerstören. Dann bleibt euch nur noch der Tod.« Er machte eine merkwürdige Geste, die Rita als Hilflosigkeit und Traurigkeit einstufte. »Das wollen wir nicht, wirklich nicht. Wir wollen nur, daß ihr mit uns redet, daß ihr uns sagt, was ihr mit unserer Welt vorhabt. Ist das zuviel verlangt?« Er sah Brankowski, Saltice und Rita der Reihe nach an, und er sah kurz zu den Wissenschaftlern hinüber, die an einem Laborfenster in der Nähe standen und neugierig herüberschauten. »Redet mit euren Oberen, und überlegt es euch in Ruhe, insbesondere du, Brankowski. Ich komme in einigen Tagen wieder.« Er drehte sich um und ging auf sein Reittier zu. Rita wunderte sich. Niemand hatte ihr bislang gesagt, daß die Lage hier so schlimm war, daß ein Konflikt zwischen Keeogii und Menschen drohte. Da fiel ihr ein, was sie tun sollte – sie sollte die Keeogii studieren. Dieser hier schien ein führendes Exemplar zu sein, vielleicht kam sie nie wieder an einen Keeo von Einfluß heran. Sie mußte mehr erfahren über diese merkwürdige Welt, ihre Bewohner, ihre Sozialstruktur, und dieser Burko konnte ihr vermutlich dabei helfen, besser als jeder andere, den sie treffen mochte. »Warten Sie, Burko!« rief sie ihm nach und drehte den Lautstärkeregler des Übersetzungsgerätes hoch. »Einen Moment, bitte!«
Der Keeo drehte sich um, musterte sie, seine spitzen Ohren bewegten sich leicht, zuckten kurz und unruhig, bevor sie sich wieder aufrichteten. Er hatte die rechte Hand bereits um das hohe, geschwungene Horn des merkwürdigen Sattels gelegt und ließ sie jetzt dort. »Ja?« fragte er. Er sah sie an und wunderte sich etwas. Offensichtlich war sie ein weibliches Wesen, und sie schien nach menschlichen Begriffen recht hübsch zu sein. Sie hatte eine gute Figur, ein schmales Gesicht mit hellblauen Augen und rote Haare, die im grellen Sonnenschein wie Kupfer leuchteten. Allerdings mischte sie sich in Dinge ein, die sie nichts angingen, fand Burko. Sie hatte versucht, ihn zu beruhigen und hereinzulegen, und das war etwas, was kein Mädchen tun sollte, ob sie nun Keeo oder Mensch war. Er hatte mit Brankowski geredet, und sie hatte vorlaut dazwischengeplappert. Vermutlich waren die Sitten auf der Erde ziemlich anders als die der Keeogii. »Ich möchte Ihre Zivilisation gerne näher kennenlernen«, sagte der metallene Kasten an ihrem Gürtel, nachdem sie zu Ende geredet hatte. »Sehen Sie, ich beschäftige mich mit derartigen Dingen, und ich denke, es könnte zum beiderseitigen Verständnis beitragen, wenn ich einmal ein paar Wochen in einer Ihrer Siedlungen… in Taveni-Lekha zum Beispiel, leben würde. Sie könnten ja einen Ihrer Leute zu uns schicken.« Burko zog die Augenbrauen hoch. Es gab nichts, was ihm eigentlich verbieten würde, einen Menschen nach TaveniLekha zu bringen, aber er hatte die Ratsherren der Stadt davon überzeugt, daß es besser sei, vorerst die Fremden auf Distanz zu halten, auch wenn viele Keeogii dagegen waren. Allerdings… irgendwann würde einer in die Stadt kommen, und der war vielleicht bewaffnet und nicht so harmlos wie dieses schmale, kleine Geschöpf mit den roten Haaren, das ein
paar Meter von ihm entfernt stand und ihn mit ihren sonderbaren Augen bittend ansah. Wahrscheinlich war es das beste, die Neugier der Menschen durch Isolation nicht weiter zu schüren. Trotzdem zögerte er. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erlauben soll«, erklärte Burko ehrlich. »Sie würden doch allein kommen, oder?« Sie zögerte. An sich hatte sie vorgehabt, Pierre Saltice mitzunehmen und noch ein paar andere Wissenschaftler, mit denen sie reden konnte, aber sie spürte, daß der Keeo vor ihr das Ansinnen dann ablehnen würde. »Ja«, sagte sie. »Ich werde mich an alle Regeln halten, die Sie dort haben, wenn ich nur arbeiten kann und Sie mir rechtzeitig sagen, was ich beachten muß.« »Es geht aber nicht«, sagte Burko. Er wußte zuwenig über die Menschen, um jetzt einen von ihnen in die Stadt zu lassen. Vielleicht hatten sie ziemlich gefährliche Eigenschaften, die sich bislang noch nicht offenbart hatten. »Ich bitte Sie«, sagte Rita, denn sie wußte, daß sie niemals in eine Keeogii-Stadt kommen würde, wenn sie es jetzt dabei beließ. »Hören Sie, ich muß Berichte schreiben, ich bekomme enormen Ärger, wenn ich nicht bald ein paar Ergebnisse melden kann.« Das verstand Burko nicht. Warum sollte sie Ärger bekommen? Sie konnte doch ihrem Oberen erklären, was passiert war, und dann war die Sache erledigt, zumindest nach keeogischem Maßstab. Er begann sich zu fragen, wie die seltsame Gesellschaft funktionierte, die sie auf der Erde hatten. »Es geht nicht, tut mir leid«, sagte er und schwang sich in den Sattel. Er wollte sein Reittier herumziehen, als sie ihm in die Zügel fiel. »Warten Sie doch, ich muß mit Ihnen reden!«
Das war eine Unverschämtheit, aber sie kannte wahrscheinlich die Weise, in der sich keeogische Frauen benahmen, nicht, und außerdem war sie in großer Gefahr, denn die Stange im Maul der Haigila hatte sich bei ihrem Zugriff verschoben und biß in die empfindliche Unterlippe des Tieres. Burko tätschelte beruhigend den Hals des Tieres und hielt es zurück, so weit er konnte, und er wurde nervös, denn die Haigila konnte jeden Moment hochsteigen und das Mädchen mit dem langen weißen Horn aufspießen oder mit den scharfen Krallen, die aus den Ballen gezuckt waren, zerfetzen. »Lassen Sie das Tier los«, sagte Burko leise und dringlich, denn ein lauter Ruf konnte die Haigila zu einem tödlichen Sprung veranlassen. »Es ist wild, und es wird Sie töten, wenn Sie ihm weiter wehtun.« Sie sah ihn an, aber sie lachte nur, denn sie hielt es wohl für einen Trick von ihm. Burko fragte sich, wie jemand so stupide sein konnte, die offensichtlichen Schmerzanzeichen eines Tieres nicht zu erkennen. Waren die Tiere auf der Erde so fremdartig? Oder kannte sie gar keine Tiere? Kalter Schweiß brach ihm aus, trotz des für einen Keeo recht milden Wetters. »Ich habe Ihnen doch schon versprochen, nichts anzustellen. Bitte, ich habe nichts Böses vor. Ich will nur ein paar harmlose Studien aufstellen, und ich erzähle Ihnen soviel von meinem Volk wie Sie von dem Ihren.« Sie lächelte. Die Haigila zitterte, ihre Augen wurden wild und bösartig, und Burko wußte, daß er sie nicht mehr länger halten konnte. Diese blöde, himmelsverfluchte Idiotin von der Erde! »Gut, gut. Sie dürfen mitkommen, aber lassen Sie um das Wohlwollen des Himmelsgeistes willen endlich die Zügel los!« sagte er scharf. Sie ließ sofort los, und die Haigila stieg hoch. Burko fluchte, versuchte sie zu halten, aber der rechte Vorderlauf peitschte
bereits die Luft, und die langen Krallen fuhren nur Zentimeter am Gesicht von Rita Cunningham vorbei, die entsetzt zurückprallte. Burko konnte das Tier unter sich beruhigen, streichelte den Hals mit der Mähne und fluchte lautlos über diese Erdenmenschen, die hier herkamen und sich benahmen, als hätten sie einen Schutzgeist oder so etwas ähnliches. »Ist Ihnen klar, daß die Haigila Sie beinahe getötet hätte?« schrie Burko wütend. Seine Kameraden sahen ihn verwundert an, denn normalerweise war er der Sanfteste von ihnen allen und nicht leicht zu reizen. »Was nicht schade gewesen wäre, denn Sie haben das arme Tier ja genug gequält!« Er zog die Zügel sanft herum und den Kopf mit dem drohenden, gekrümmten Horn von ihr weg. Kannten diese scheußlichen Lebewesen keine Sanftheit? Er sah, daß Rita jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war, und er hatte etwas Mitleid mit ihr. Vielleicht hatte sie dem Tier nicht mit Absicht wehgetan. Nein, wahrscheinlich hatte sie die Haigila nicht quälen wollen, denn sie sah nicht so aus, als ob sie zu einem derartigen Verbrechen fähig sei. »Ich habe Ihnen ja versprochen«, begann er zögernd, und dann sprach er rasch und kalt, »ich habe Ihnen versprochen, daß Sie bei uns arbeiten können, nur, damit ich Ihr Leben retten konnte. Aber ich halte mein Versprechen. Haben Sie etwas, womit Sie uns folgen können? Die Reise wird etliche Phaijang in Anspruch nehmen.« Sie lächelte. »Es tut mir leid, ich habe mich dumm benommen«, sagte sie. »Aber… ich habe wenig Ahnung von Tieren, verstehen Sie? Es tut mir leid, daß ich dem Tier wehgetan habe.« Burko fühlte sich besänftigt, und er ärgerte sich darüber. »Wie ist es nun mit einem Transportmittel?« fragte er scharf.
Sie lächelte in sein düsteres Gesicht, sagte: »Warten Sie einen Moment!« und lief zu einem kleinen Anbau in der Nähe. Sie brauchte nicht lange, um ihre wichtigsten Dinge zusammenzupacken und in den winzigen weißen MethanolJeep zu steigen, den man den Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt hatte. Sie startete ihn und rollte auf den Hof, blieb kurz bei Brankowski stehen, um ihm zu sagen, daß sie ihm den Jeep bald zurückschicken würde, gab dann Gas und rollte auf die Keeogii-Gruppe zu. Sie schienen einen Jeep nicht zum erstenmal zu sehen, aber immer noch recht beeindruckt davon zu sein, und sie lächelte, reckte sich stolz in ihrem harten Kunststoffsitz und ließ ihr Haar im kühlen Fahrtwind flattern. Die Keeogii ritten in lockerer Formation voraus, und sie folgte ihnen durch das zähe Gras, das sich nur unwillig den Rädern des Jeeps beugte, aber den Ballen der Haigilas keinen Widerstand zu bieten schien. Sie sah, daß der Anführer, Burko, einen seiner Leute nur ansah, mehr nicht, aber dieser schien sofort zu begreifen, was er zu tun hatte, und er ritt neben ihr her, nachdem er sein Tier hatte etwas zurückfallen lassen. Das Übersetzungsgerät übertönte mit etwas Mühe das Brummen des Jeeps und das Knarren des Leders des Sattels, in dem der Krieger saß, aber er schien es zu verstehen, was sie ihm zurief: »Sie brauchen nicht auf mich aufzupassen, ich kann mich schon verteidigen.« Und ob, sagte sie sich und dachte an die kleine Pistole in ihrem Handschuhfach, Walther 7.65, ein Modell, das vor über hundert Jahren entworfen worden war, aber mit Explosivgeschossen ungeheure Wirkung entfalten konnte. Der Krieger, ein kräftigerer Bursche als der Anführer, mit geschlitzt wirkenden Augen von einem glänzenden Mattschwarz und braunem Haar, zeigte seine Zähne. Sie begriff inzwischen voll und ganz, daß das ein Lächeln war.
»Ich muß aufpassen«, sagte er laut, »und Sie können sich nicht allein verteidigen!« Seine Stimme klang so hart und endgültig, daß sie sich fügte, wenn auch mit leise aufkeimendem Ärger. Was bildeten diese Kerle sich eigentlich ein? Erst jetzt kam ihr voll zu Bewußtsein, daß sie für unbestimmte Zeit zwischen ihnen leben würde, und eine leichte Beunruhigung breitete sich in ihr aus. Schließlich war das hier ein fremder Planet.
Sie fuhren beziehungsweise ritten gute zwei Stunden, und während Ritas Backen auf dem harten Kunststoffsitz beim Holpern durch die unebene Landschaft bald wund wurden, saßen die Keeogii locker im Sattel, überblickten wachsam das endlose Grasmeer um sie herum und ritten eine sanfte Bodenwelle nach der anderen langsam und lässig hinauf und hinunter. Konnten sie nicht schneller reiten? Sie ärgerte sich über die undefinierbaren Blicke, die ihr Begleiter ihr zusandte, und sie glaubte, Spott in dem dunklen, ungewohnten Gesicht zu erkennen. Dann wieder wunderte sie sich über Burko, der weit voraus ritt und lange und versunken kleine Plättchen betrachtete, als enthielten sie eine Botschaft, die er entziffern wollte und nicht konnte. Schließlich, nachdem er drei dieser Plättchen eingehend betrachtet hatte, eines länger, eines kürzer, das dritte scheinbar endlos, steckte er sie zurück in eine verborgene kleine Tasche an seiner langen Weste. »Fahren Sie da nicht hinüber!« rief der Krieger an ihrer Seite ihr zu, und er deutete auf eine Art Stein, der plötzlich im Grasmeer emporwuchs, mit einem grünlich schimmernden Moos bedeckt, die erste grüne Vegetation, die sie auf Keeog
sah. Zuerst dachte sie, es sei eine Art Termitenbau, aber es gab keine Anzeichen dafür, trotzdem ritten die Keeogii sorgfältig darum herum. Sie folgte ihnen, und als sie zurücksah, wunderte sie sich über den Stein und über das Gras, das hinter den breiten, walzenden Rädern des kleinen Jeeps wieder aufstand, als sei nichts geschehen, ein Vorhang, der sich hinter ihr wieder schloß wie Wasser hinter einem Schwimmer. Und sie begriff, daß sie ohne die Keeogii und ohne ihr Funkgerät würde niemals zur Forschungsstation zurückfinden können. »Das Moos ist giftig!« rief der Krieger ihr zu und bezog sich offensichtlich auf den Stein hinter ihnen. »Berühren Sie es, stößt es winzige Sporen aus, die Sie wie eine Wolke umhüllen und überall in Ihr Fleisch eindringen und Sie töten. Dann werden Sie zu einem neuen Moosträger.« Sie schauderte. Im nächsten Moment, als sie über einen Hügel kamen, lichtete sich das Gras, und am Fuß des Hügels sah sie die Andeutung eines Weges und merkwürdige Bäume, blau oder dunkelgrün, mit breiten, fleischigen Blättern. Als sie unter ihnen entlangfuhr – jetzt mitten unter den Keeogii –, sah sie in der Entfernung an einem Hang einen Obsthain mit aufragenden Bäumen gelblich aufschimmern und fragte sich, wie sie bis an das Obst in den höchsten Zweigen herankamen. Dann fuhren sie zwischen etwas wie Getreidefeldern hindurch. Entweder wuchs unverhältnismäßig viel Unkraut zwischen den Halmen, oder die blauen Stengel zwischen den orangefarbenen gehörten dazu. Während sie langsam weiterfuhr, betrachtete sie die Umgebung: Der Weg fiel über die bepflanzten Hänge eines gewaltigen Tales ab. Einige Bäche plätscherten in der Nähe der ausgefahrenen Straße, die nichts weiter als ein breiter, staubiger Lehmpfad war. Hier und da sah sie auch andere Keeogii in grünen, braunen oder blauen Anzügen aus grobem
Stoff, oft mit Leder besetzt. Manche von ihnen ritten Haigilas, einige gingen zu Fuß, einige fuhren auf Wagen, vor die gedrungene, zottige Tiere mit sechs Beinen gespannt waren. Hier und da sah sie Wachtürme, auf denen mehrere Krieger in ihren purpurschwarzen Uniformen standen. Es waren einfache Gebilde, an die Hochstände früherer Zeiten erinnernd, als es noch Jagd gab. Schließlich erreichten sie die Stadt der Keeogii in dieser Gegend. Taveni-Lekha hatten sie sie genannt, und ihr Aussehen war mindestens so fremdartig wie ihr Name. Rita hielt den Jeep an und blickte auf die Stadt, deren Rand mit wenigen merkwürdigen Häusern vor ihr lag, um dann dichter werdend die Hügel des Tals emporzuwachsen. Die Häuser waren in der Regel um die sechs Meter hoch, und es gab keine einheitliche architektonische Gestaltung. Alles, was Rita sah, war, daß runde, bizarre, surrealistisch anmutende Formen vorherrschten, ohne scharfe Ecken, ohne geometrische Grundstruktur, alles wirkte wie eine Stadt aus Zuckerguß, die zerlaufen war und runde, langgestreckte, von unzähligen Auswüchsen gekennzeichnete Formen angenommen hatte. Hellbraun war die vorherrschende Farbe, aber es gab auch graue und geradezu verrückt bunte Gebäude. Die Fenster, niemals ganz rund oder viereckig, waren verglast und oft bunt, aber stets groß, wie die Türen, die etwas einheitlicher gestaltet waren als der Rest der Stadt, zumeist als Rechtecke, aber es gab auch runde und dreieckige Tore, hölzern und mit Metall beschlagen. Die Straßen waren sehr breit, kaum gepflastert, und überall wucherten Pflanzen am Straßenrand, aus Hausgärten, auf Dächern, auf Inseln in dem Fluß, der die Stadt durchzog und von Brücken gekreuzt wurde. Es schien auch Parks zu geben, und mitten im Fluß erhob sich auf einer Insel ein merkwürdiger Bau, den Salvador Dali hätte entworfen haben können. Es gab nicht nur Brücken über dem Wasser, es
gab auch Brücken in der Luft, die die Gebäude verbanden und oft genug kein Geländer hatten, meist aber sehr breit waren und die ganze Stadt wie ein Spinnennetz durchzogen. Als Rita hinter den Kriegern in die Stadt fuhr, schenkte man ihr nicht viel Beachtung. Man schien zu wissen, daß sie kam, und das wunderte sie. Wie waren sie benachrichtigt worden? Keiner der Krieger war vorangeritten, und sie hatte auch keine Lebewesen bemerkt, die sie hätten als Botschafter benutzen können. Die Häuser und die Straßen waren sehr sauber, obwohl sie recht dicht bevölkert waren. Überall sah man Haigilas, aber es war selten Kot von ihnen zu erblicken. Sie bewegten sich durch ein Labyrinth von breiten, geräumigen Straßen, bis sie in eine Allee von blauen Bäumen am Fluß einbogen und dann über eine der breiten Brücken zur größten Insel im Fluß ritten, auf der sich der bizarrste und größte Bau der ganzen Stadt erhob. Rita blickte in das träge vorbeifließende, blaugrüne Wasser des etwa vierhundert Meter breiten kleinen Stromes, und sie sah die silberglitzernden Körper großer Fische und ganze Schwärme winziger Insekten, die im oder über dem Wasser dahinhuschten. Bunte, fremdartige Vögel durchzuckten die Luft, und dann und wann huschte ein Raubvogel auf die glatte Oberfläche herab und kam meist mit einem Fisch im Schnabel zurück. Zahlreiche riesige Raubvögel, adlerähnliche Tiere mit grünen oder schwarzen Federn und einem meist gelben oder weißen Kopfgefieder saßen auf den Geländern der Brücke, auf den Alleebäumen oder den Gebäuden der Stadt. Rita schätzte, daß der kleinste von ihnen mindestens zwei Meter Spannweite hatte und einen zwanzig Zentimeter langen, scharfen, gekrümmten Schnabel. Burko, der merkte, daß sie die Vögel fasziniert betrachtete, ritt an ihre Seite. Er deutete auf einen der Raubvögel, ein
prächtiges Tier mit schwarzem Körpergefieder und gelbem Kopfgefieder, der majestätisch über sie hinwegschwebte: »Das ist der schwarze Quejan. Es gibt auch weiße und grüne Exemplare, aber der schwarze ist am größten und am häufigsten. Sie werden diese Tiere oft hier finden, denn es gibt Hunderte von gewaltigen Schwärmen aller Vogelarten über der Stadt, und die Quejans schrecken auch nicht davor zurück, Fische aus dem Wasser zu holen.« »Sie lassen diese Tiere einfach überall in der Stadt nisten?« fragte Rita, als sie auf das große Gebäude zurollte, vor dem sich ein breiter Hof erstreckte, natürlich gespickt mit allen Arten von grünen und blauen Pflanzen. Vogelschwärme erhoben sich bei ihrem Nahen von den Ästen, aber nur langsam, denn selbst das ungewohnte Blubbern des Jeepmotors schien sie nicht sonderlich zu schrecken. Sie schienen zu wissen, daß sie von der Stadt nichts zu fürchten hatten. »Warum sollten wir sie daran hindern? Wir bauten unsere Stadt ja in ihr Tal«, sagte Burko. Sie hielten vor dem Hauptportal des bizarren Hauses an, zu dem eine Treppe hochführte, auf der lässig zwei uniformierte Keeogii saßen und Burko zuwinkten. Sie schienen wohl die Aufgabe zu haben, das Tor zu bewachen, schienen sich aber sicher zu sein, daß es kaum jemanden gab, vor dem sie es hätten beschützen müssen. Burko stieg aus dem Sattel, und Rita kletterte aus dem Jeep und ließ den Schlüssel stecken. Schließlich kehrte sie noch einmal um und zog ihn doch ab. »Ein Jeep kann für den Unerfahrenen genauso tödlich sein wie eine Haigila«, sagte sie lächelnd zu Burko, der sie fragend anblickte. Inzwischen fühlte sie sich sicher – das ganze Erscheinungsbild der Stadt, die Leute, die fremdartig aussahen und merkwürdig gekleidet waren, machten ihr keine Angst. Sie wußte, das hier war eine Stadt, in der man sich nicht zu fürchten brauchte.
Sie stiegen die Treppen hoch und durchschritten das geräumige, kühle Innere des großen Gebäudes. Überall waren bizarre, gedrechselt wirkende Treppen zu sehen, Durchgänge, sanfte Pastellfarben schimmerten durch die bunten Glasfenster in den Gängen. Und auch hier waren viele Pflanzen zu sehen, meistens blaue. Sie stiegen etliche Rampen und Treppen empor, durchschritten weitläufige Räume und erreichten schließlich eine geräumige Wohnung ziemlich weit oben, etwa im vierten Stock, wenn man hier überhaupt von so etwas reden konnte. Die Einrichtung erinnerte sie an japanische Häuser – es gab keine Stühle, aber viele weiche Kissen, die Tische waren so niedrig, daß man davor knien konnte, und es gab keine erhöhten Betten, sondern man schlief auf dem Boden, auf merkwürdigen, blauen Matten, die allerdings recht warm aussahen. Die Badezimmereinrichtung und die Toilette waren zweckmäßig und einfach, und sie war überrascht, daß es hier fließendes warmes und kaltes Wasser gab. An das große Zimmer schloß sich ein kleiner Arbeitsraum an, in dem Regale mit Schriftrollen an den Wänden standen und ein niedriger Tisch mit vielen weißen Kissen drumherum. Burko zeigte ihr, wie ein Lesegerät für die Rollen funktionierte, und einige Bücher, die eher nach irdischer Art gebunden waren. Sie fragte Burko, ob ihr jemand das Lesen der Keeogii-Schrift beibringen könne. Als Burko ablehnte und betont rasch zu anderen Themen überging, ihr zum Beispiel zeigte, wie die Lüftungsschlitze über den Fenstern funktionierten, vermutete sie ein Geheimnis, irgendeine verborgene Drohung hinter seiner Weigerung. Und sie wunderte sich, daß man sie nicht begrüßt hatte. Man schien es für selbstverständlich zu halten, daß ein Mensch in diese Stadt kam.
Bevor Burko ging, sagte er ihr, daß man ihr Lebensmittel bringen würde und daß sie sich das, was für sie verträglich sei, heraussuchen solle. An der Tür, die aus einem Material bestand, das wie mehrfach lackiertes Holz aussah, blieb er noch einmal stehen. Es war still in dem kleinen Raum, wenn auch nicht so kühl, wie sie es gern gehabt hätte. Die einfachen Rolläden vor den bizarren Fenstern waren halb heruntergezogen, Zwielicht füllte den Raum, machte die Schatten weich und die Farben sanft. »Wenden Sie sich an mich, wenn Sie etwas brauchen«, sagte Burko. »Ich habe es Ihnen erlaubt, also habe ich die Verantwortung für Sie. Schauen Sie sich an, was Sie wollen, aber erwarten Sie nicht, daß man Sie als etwas Besonderes behandelt. In dieser Stadt und in allen anderen Städten ist ein Gast ein Stammesbruder oder eine Stammesschwester wie alle anderen. Seien Sie höflich, dann wird man es auch zu Ihnen sein. Niemand wird Sie anstarren, was mir passiert ist, als ich an einigen Ihrer Bauwerke vorbeigeritten bin. Und haben Sie niemals Angst, zu fragen.« Er sah sie scharf an. »Halten Sie sich aber zurück, wenn es um Dinge geht, die Sie nicht kennen. Denken Sie an den Zwischenfall mit der Haigila. Fragen Sie lieber zuerst, bevor Sie etwas tun. Und noch etwas: Die Anredeform ›Sie‹ ist hier in der Stadt nicht gebräuchlich. Das ist eine Anredeform, die nur zwischen Feinden üblich ist.« Sie starrte ihn an und hob unwillkürlich die Hand zum Mund. »Zwischen Feinden?« Burko grinste. »Bei euch gilt diese Form als Anredeform des Respekts, ich weiß es. Zuerst waren wir sehr überrascht, als eure Sprechmaschinen diese Form gebrauchten, aber wir wußten, daß ihr keine Feinde seid. Aber bitte, rede niemanden in der Stadt unvermittelt so an, es könnte Leute geben, die sich angegriffen fühlen, besonders, wenn es Ky-Dendda sind.«
»Ky-Dendda?« fragte sie. »Sie leben draußen im Daphoden, in der Großen Wüste, und auch im Uthai-Alshid, dem Felsenkontinent. Sie sind reizbarer und gefährlicher als andere Keeogii-Stämme, und sie sind noch stolzer als wir, die Taveni.« Er hob vage die Hand, wie er es als Abschiedgeste bei den Menschen gesehen hatte. »Bis später.« »Moment, wo kann ich Sie… kann ich dich finden?« rief sie ihm nach. »Ich bin morgen früh wieder da«, sagte Burko. »Geh’ früh schlafen. Ich wohne hier im Haus, jeder hier kann dir sagen, wo.« Sie nickte und sah ihm nach, wie er den Gang hinunterging und eine Treppe hinabschritt.
Sie hatte erwartet, Burko würde sehr früh kommen, und schon um acht Uhr morgens – der keeogische Tag hatte achtundzwanzig Erdstunden – war sie auf den Beinen. Sie hatte ein Bad genommen, frische Kleidung angezogen und auf verschiedene leere Regale an den Wänden ihre Unterlagen und Akten gelegt. Ihre Pistole war unten im Fahrzeug, sie glaubte nicht, daß sie sie hier brauchen würde. Burko tauchte aber nicht auf, und so verließ sie um neun Uhr das Gebäude. Sie war überrascht, so wenige Keeogii auf den Straßen oder bei der Arbeit zu sehen. Und wieder fragte sie sich, wie hier die Gesellschaft funktionierte. Wie lange schliefen diese Wesen? Sie schlenderte über die Brücke und beobachtete die Vögel und Fische und die Reptilien, die sich auf den Ufersteinen sonnten. Sie war froh, daß die Medikamente, die sie einnahm, endlich Wirkung zeigten – die doppelte Schwerkraft machte ihr jetzt nicht mehr so zu schaffen.
Als sie auf die Allee, die am Fluß entlangführte, einbiegen wollte, hörte sie das leise Geräusch einer Haigila, und als sie sich umdrehte, sah sie Burko gemächlich über die Brücke reiten. Er war schon sehr nahe – die weichen Pfoten des Reittieres waren sehr leise. Burko war heute besonders früh aufgestanden, und zu seiner Überraschung hatte er feststellen müssen, daß Rita bereits lange vor ihm das Gebäude verlassen hatte. Er wunderte sich über die Menschen, aber langsam nahm er es als gegeben hin, daß diese merkwürdige Verhaltensweisen hatten. »Ich habe mir gedacht, wir könnten zusammen die Gegend durchstreifen, damit du das Tal kennenlernst«, sagte er zu Rita, als er langsam neben ihr herritt. »Ich könnte dir einiges über die Keeogii erzählen.« Sie nickte und berührte nachdenklich das seidige Fell der Haigila, die ihr mißtrauische Blicke zuwarf. »Ich möchte reiten lernen«, sagte sie. »Auf der Erde gibt es keine Tiere mehr, auf denen man reiten könnte.« Burko betrachtete sie nachdenklich, dann legte er die Ohren kurz zurück, als Zeichen, daß er verstanden hatte, und sagte: »Das läßt sich einrichten. Ich kann dir eine Haigila aus dem Stall der Truppe geben.« Sie lächelte, und er wunderte sich, daß er verstand, was sie ihm sagen wollte. Er fühlte sich ihr auf einmal viel näher, als stamme sie von Keeog und nicht von irgendeiner Welt unvorstellbar weit von hier. »Danke«, sagte sie. »Das wäre wirklich schön, Burko.«
Später fuhr sie neben der Haigila her, zwischen Feldern hindurch, an Wiesen vorbei und über Hügel. Burko zeigte ihr einige Besonderheiten der Gegend und begann schließlich über die Keeogii zu berichten, nachdem Rita von der Erde erzählt
hatte, oberflächlich das Regierungssystem, das Finanzwesen, die Reibereien zwischen den verschiedenen Machtblöcken geschildert hatte. Sie hatten dazu an einem Wäldchen haltgemacht und etwas gegessen. »Vielleicht sollte ich zuerst erklären, wie es sich mit unserer Rasse insgesamt verhält. Es gibt fünf Hauptstämme und eine Menge kleinerer Nebenstämme. Die fünf Hauptstammesverbünde sind die Taveni«, er deutete auf sich und grinste, »die Apaghani, die Shields, die Haveni-Akhars und die Ky-Dendda.« Er sah sie an. »Wir unterscheiden uns ziemlich deutlich voneinander, wenn auch für einen Außenstehenden vielleicht nicht ganz so gut sichtbar. Khadul, der Jäger, den ich gestern zu deinem Schütz abgestellt habe, ist ein Ky-Dendda zum Beispiel.« Sie nickte. Sie konnte sich deutlich an den sehr kräftigen, breitschultrigen Keeo erinnern, der braune statt schwarzer Haare hatte und geschlitzte Augen, die sehr dunkel waren. »Es gibt hier Angehörige aller Stammesarten, sogar von den Haveni-Akhars. Ich werde dich zu gegebener Zeit mit etlichen von ihnen bekannt machen. Früher, vor einigen hundert Jahren, lebte jeder Stamm für sich. Die Taveni in den Blaugrasebenen; die Apaghani in den Waldgebieten, die einige hundert Khaijang im Süden beginnen; ebenso die Shields; die KyDendda waren in den weiten Wüsten und im Felsenkontinent; die Haveni-Akhars lebten in den feuchten Dschungeln und Tausende von Phaijang im Süden.« Rita nickte. Sie wußte, daß »Phaijang« eine Maßeinheit war, die etwa der irdischen Seemeile entsprach, ungefähr zwei Kilometer. »Aber inzwischen bauen wir unsere Städte gemeinsam. Das hier zum Beispiel war früher Taveni-Gebiet, deshalb auch der Stadtname. Im Felsenkontinent und in den Wüsten wirst du dagegen fast nur Städtenamen antreffen, die mit Ky-Dendda
beginnen. Es gibt sogar welche von uns, die in den tiefsten, fast unbesiedelten Süden des Kontinents gehen, zu den Haveni-Akhars in den Dschungelbergen, und es gibt HaveniAkhars, die zu uns kommen. Du kannst die Haveni-Akhars leicht an ihrer hellen Haut und den weißen Haaren erkennen. Viele haben auch rötliche Augen. Unter den Haveni Akhars dort unten im Süden, in den dunklen, feuchten Wäldern, gibt es ungewöhnlich viele Albinos.«
In den nächsten Tagen besuchten sie verschiedene Veranstaltungen in der Stadt, ein Konzert, ein paar kleinere Feiern – schließlich auch noch ein Krankenhaus. Die Gänge waren in hellgrün gehalten, überall gab es Pflanzen und farbenfrohe Bilder. Es war still, und der charakteristische Geruch des Desinfektionsmittels, den Rita von der Erde kannte, ließ ihr die Umgebung fast heimisch erscheinen. Burko hatte gerade zu einer Erklärung angesetzt, als er sich unterbrach – die Nachricht war dringend und die Stimme in seinem Gehirn unverkennbar. Vano, der Oberste Organisator der Stadt, verlangte nach Burkos Kommen. »Ich komme gleich, gedulde dich«, dachte er. Der Druck aus seinem Geist verschwand, und er wandte sich Rita zu, die ihn verwundert anblickte. Er lächelte. »Ich war in Gedanken, Entschuldigung. Mir ist gerade eingefallen, daß ich Vano, dem Organisator, versprochen hatte, ihn zu besuchen. Ich bin in einer Stunde wieder hier.« »In einer keeogischen Stunde?« fragte sie. Er grinste. »Wenn du möchtest, auch in einer irdischen. Ich übergebe dich am besten Phanis, der kann dir hier alles zeigen.« Er deutete auf einen Keeo, der gerade in den Gang
trat, offenbar ein Apaghani, denn er war nur etwas größer als Rita, hatte schmale Schultern, hellbraune Haare und ein glattes Gesicht von derselben Hautfarbe wie Rita. Seine Finger waren lang und schmal, die Augen hellbraun, er trug einen dunkelgrünen Anzug und eine dunkelbraune Jacke, an deren Saum sich ähnliche hieroglyphenartige Verzierungen befanden wie auf den Handschuhen Burkos. »Phanis, ich denke, es würde Rita gefallen, wenn du ihr ein bißchen zeigst, wie wir hier unsere Stammesbrüder behandeln.« In Gedanken fügte er hinzu: »Natürlich nur, wenn du Zeit hast, und vergiß nicht: Erwähne niemals, daß wir uns auch verständigen können, ohne zu reden. Ich möchte nicht herausfinden, wie die Menschen darauf reagieren.« »Geht klar«, sagte Phanis. Rita schätzte ihn recht jung ein, nach Menschenjahren vielleicht dreißig Jahre, ebenso wie Burko. Er berührte Rita leicht am Arm. »Komm hier lang.« Burko wartete, bis sie in einem Seitenkorridor verschwunden waren, dann ging er durch die kühle Vorhalle ins Freie. Es war später Nachmittag und ziemlich heiß, selbst für einen Keeo, aber er war froh, daß er die Uniform und die Lederweste und Handschuhe trug, denn jetzt beendeten die Hos, die winzigen Blutsauger, langsam ihre Ruheperiode, und mit Vorliebe saugten sie sich an Händen fest oder durchstachen auf der Brust das Gewebe der Hemden. Er hatte Rita schon darauf aufmerksam gemacht, aber die Hos schienen nichts von ihrem Blut zu halten. Vielleicht lag es an der nicht unangenehm, aber absonderlich riechenden Salbe, mit der sie sich eingerieben hatte. Er schwang sich auf seine Haigila und ritt zum Verwaltungsgebäude auf der Insel. Er führte seine Haigila in den Stall, füllte neues Wasser in den Trog und ging durch die Seitentür ins Haus. Nach etlichen Treppen und einem
gewundenen Gang blieb er vor Vanos Büro stehen und meldete sich, bevor er eintrat, mit einem ungezielten Gedankenimpuls an. Vano stand am Fenster und sah auf den stillen, in der Sonne schimmernden Fluß. Er gehörte zu den Shields und trug die orangefarbene Lederkleidung, die diese immer noch bevorzugten. Die Shields ähnelten den Apaghani, aber ihre Haut war etwas dunkler, sie hatten ausnahmslos sandfarbenes Haar, und manchmal erschien es Burko, als trügen ihre Gesichtszüge und ihre Augen einen besonders listigen Ausdruck. Auf jeden Fall waren sie meist untersetzt, etwas kräftiger als die Apaghani, aber keinesfalls größer, und neigten zur Dickleibigkeit. Vano drehte sich um, als Burko eintrat und sich auf eines der weichen Kissen vor dem glänzenden Amtstisch setzte. Vano war einer der ältesten, beliebtesten Bürger der Stadt, äußerst intelligent und freundlich – sonst wäre er auch niemals Oberster Organisator geworden. In einem Volk, das die Gedanken seiner Artgenossen lesen konnte, gab es keine Lügen und keine Heimlichkeiten. »Was versprichst du dir davon, diese Person in unserer Stadt herumzuführen?« fragte Vano gedanklich. Burko hatte keine rechte Lust, sich auf gedankliche Kommunikation zu konzentrieren, und sagte so einfach: »Sie ist harmlos, aber die Kerle mit Gewehren und die Kerle mit ihren Ackergeräten draußen beim Segani-Felsen sind es nicht. Ich kann ihr das zeigen, was sie sehen soll, ihr das sagen, was sie hören kann, und ich kann aus ihr eine Menge über diese Leute herausholen, die sich ›Menschen‹ nennen und mit dunklen Metallschiffen vom Himmel fallen.« Vano schüttelte den Kopf. Seine schmalen, hellen und sehr klugen Augen musterten den dunkelhäutigen Taveni nachdenklich.
»Ist das nicht so etwas wie Heimlichtuerei, Burko? Sie sind gedanklich taub, sie können nicht merken, wenn du sie belügst. Ein Keeo spürt augenblicklich das gedankliche Vibrieren einer Lüge oder einer Verdrehung der Tatsachen, aber diese armen Wesen können nicht gedanklich kommunizieren. Sind wir ihnen nicht Ehrlichkeit schuldig?« »Ich belüge sie ja nicht«, sagte Burko und lächelte kalt. »Du weißt, was ich meine«, sagte Vano scharf. Er setzte sich nachdenklich Burko gegenüber, der lässig in der Stellung der Jäger dasaß, mit gekreuzten Beinen, allerdings mit dem Rücken gegen die Seitenwand gelehnt. »Man kann die Wahrheit sagen und sie dabei so ausdrücken, daß es wiederum eine Lüge ist.« »Du glaubst, es wäre unmoralisch, Wesen zu täuschen, die nicht merken, wenn sie getäuscht werden. Aber sie täuschen uns schon die ganze Zeit, und wir haben keine Möglichkeiten, das direkt zu merken. Vor zwei Wochen sind sie einfach hier gelandet und haben fünftausend Menschen ausgeladen, die jetzt draußen in der Grasebene damit anfangen, das Land umzupflügen und ihre kastenförmigen Häuser zu bauen. Und sie wollen uns nicht sagen, ob noch mehr kommen. Ich sage dir, Vano – es kommen noch mehr. Immer mehr, und sie werden die ganze Grasebene zerstören, sie werden hier ihre Metallschiffe bauen, und sie werden sich über ganz Keeog verbreiten. Sie haben merkwürdige Waffen, die ziemlich laut knallen, weiter schießen als eine Armbrust und schlimmer wirken. Warum haben sie unsere Bitte abgelehnt, solche Waffen einmal näher betrachten zu dürfen, Vano? Sie verstecken diese Waffen und die Munition ängstlich, als fürchteten sie, wir könnten sie ihnen wegnehmen und sie damit töten. Ist das das Verhalten, welches du von einem Freund erwartest?«
»Du magst recht haben, Burko, und Sakegi mag recht haben, und all die anderen, die sagen, wir hätten diesen Fremden niemals erlauben sollen, herzukommen. Aber die Mehrzahl unseres Volkes, alle Stämme, stehen ihnen freundschaftlich gegenüber. Wir haben kein Recht, uns über ihre Entscheidungen hinwegzusetzen, Burko.« Er blickte die Wand an, als suche er nach Worten, und fuhr dann langsam fort: »Aber du hast unrecht, wenn du sagst, daß wir nicht spüren, wenn sie lügen. Ich spüre das sehr genau, und wenn ich mich anstrenge, kann ich sogar erraten, was sie vorhaben. Aber jeglicher Versuch, gedanklich mit ihnen zu kommunizieren, mißlingt. Doch sie können unsere Gedanken nicht erraten, und deshalb sind wir ihnen überlegen, und wir sollten uns ernsthaft fragen, ob…« Burkos schmale Augen hatten sich zu Schlitzen zusammengezogen, als Vano weiterredete, und jetzt beugte er sich vor, die Ohren gegen den Kopf zurückgelegt, ein Zeichen für seine Anspannung. »Willst du damit sagen, Vano, du kannst ihre Gedanken lesen?« Er spürte die Bejahung des anderen und seine Verwunderung darüber, daß das Burko überraschte. »Ich kann das nicht. Vano, das müssen wir untersuchen. Frag’ alle, die schon mal mit Menschen zusammen waren, ob sie ihre Gedanken erraten können wie bei einem Keeo. Das ist hochinteressant. Sollte es zwischen einzelnen Stämmen oder sogar zwischen einzelnen Individuen Unterschiede geben?« »Du hast wieder etwas Schlimmes vor, Burko«, sagte Vano mißmutig. »Ich weiß, daß dein Gehirn etwas ausbrütet, was mir nicht gefallen will.« »Bah!« Burko fletschte wütend die Zähne. »Die Einstellung dieser Leute gefällt mir nicht. Sie sind zu technisiert. Sie kennen sich nicht mit Tieren aus, sie wundern sich über unsere
Natur mehr, als es nur jemand tut, der etwas Fremdes sieht, sie wundern sich hauptsächlich darüber, daß bei uns intelligente Wesen und die Natur eins sein können. Sie sagen uns nicht, was sie auf unserer Welt vorhaben. Sie tragen ständig ihre Waffen mit sich herum, als fürchteten sie, von uns aufgefressen zu werden. Und viele von ihnen sind unhöflich. Zum Beispiel dieser Brankowsky. Du kennst ihn auch. Er behandelt uns wie bessere Tiere. Stell’ dir vor, was passiert, wenn wir einmal so viele von diesen Geschöpfen auf Keeog haben, daß sie mehr sind als wir! Ich habe von Rita erfahren, daß ihre eigene Welt übervölkert ist. Sie vermehren sich vollkommen unkontrolliert, sie haben keine natürlichen Feinde außer sich selbst, sie sind also das Musterbeispiel eines aggressiven Parasiten, der alles um sich herum zerstört.« Burko hob die Hände, um sein Unverständnis auszudrücken. »Und du sagst, ich hätte Schlimmes vor. Ich versuche nur herauszufinden, was diese Menschen sind, ob sie uns schaden können. Das ist ganz allein meine Aufgabe, denn ich bin Vialannon der Jäger, und ich muß mit meinen Freunden diese Siedlung beschützen.« »Burko, du weißt, daß man dich nur gewählt hat, weil du dich besser mit Wissenschaftlern auskennst als die anderen Jäger und weil du ganz gut reden kannst. Und, vor allen Dingen, weil keiner rechte Lust hatte, diese Verantwortung auf sich zu laden.« »Ich habe nun mal die Verantwortung, Vano«, sagte Burko. »Und ich werde alles tun, um alle Stämme der Keeogii und insbesondere Taveni-Lekha zu warnen und notfalls auch zu beschützen.« »Sakegi aus Taveni-Sho ist auch deiner Meinung, Burko, und ich muß zugeben, es ist etwas, was man zu einem guten Teil wohl euch beiden überlassen muß. Schließlich seid ihr die Freien Führer dieser Städte.«
Burko beschloß, das Thema auf sich beruhen zu lassen. »Wie geht es mit den Waffen der Menschen?« Er erinnerte sich noch deutlich an den Tag vor etwa sechs Monaten, als Sakegi aus Taveni-Sho ihnen erzählte, daß sie im Wald einen toten Soldaten der Menschen gefunden hätten, halb aufgefressen und mit seinen Waffen. Er war vermutlich auf einem Spähauftrag einem großen Raubtier zum Opfer gefallen. Die Menschen konnten es eben nicht lassen, die Warnungen der Keeogii in den Wind zu schlagen und sich auf eigene Faust auf Keeog umzusehen. Sie hatten die Waffen, einen Maschinenkarabiner, eine schwere Jagdflinte und eine Pistole samt der Munition nach Shield-Kha im Osten des Landes gebracht, eine Stadt, die als Metropole der Wissenschaften bekannt war. Man hatte die Waffen untersucht und ihre Funktion in etwa geklärt. »Sie beschäftigen sich schon eine ganze Weile mit den neuen Modellen, die sie entworfen haben. Aber es wird noch einige Zeit dauern, bis sie einen wirklich zuverlässigen Waffentyp entworfen und gebaut haben werden.« Vano sah Burko mit einem Blick an, der sagte: »Siehst du, das ist wieder eines von diesen Dingen, über die wir beide stundenlang diskutieren könnten und die mir nicht gefallen!« »Sie sollen mich benachrichtigen, sobald sie fertig sind«, meinte Burko. »Ich glaube, ich sollte jetzt langsam zurück zu…« Jemand versuchte, ihn zu erreichen, und er blockte sich nicht ab, sondern ließ ihn durchkommen. Es war Khadul, er erkannte das Muster des Impulses sofort. »Burko, ich glaube, wir brauchen deine Hilfe. Es gibt Ärger mit ein paar dieser stinkigen Kerle, die die Grasebene zerstören.« »Was ist passiert?«
»Zwei von uns, Leute aus der Stadt, sind aus Versehen durch ein frisch gepflügtes Feld geritten und haben die Pflügemaschine durcheinandergebracht. Jetzt verlangt der Farmer, dem das Feld zugewiesen wurde, Schadenersatz. Er tobt und beschimpft uns, und wenn er das noch lange macht, nehme ich mein Messer und schaue mir mal seine Eingeweide an. Ich habe es nicht nötig, mich von so einem flachgesichtigen, geistig verkrüppelten Sternensegler beleidigen zu lassen, und ich…« »Beherrsche dich, Khadul. Denk daran, er ist so intelligent wie ein Keeo, wenn er das vielleicht auch nicht zeigt. Was machst du da überhaupt?« »Die beiden Leute aus der Stadt wollten, daß ich ihnen helfe, und ich war gerade in der Nähe, also…« »Ich komme. Ich bringe Rita mit.« »Bring noch ein paar Kameraden mit, denn da rücken gerade ein paar dieser Figuren mit den blauen Suppentöpfen auf den Köpfen an. Soldaten.« Khadul unterbrach die Verbindung, und Burko stand auf. Er wußte, daß der stolze Ky-Dendda für die Menschen nichts als Verachtung übrig hatte. Jedes Insekt respektierte er weitaus mehr als einen Menschen. Burko holte die Muster von Phanis und von Eflow, einem seiner Jägerkameraden aus der Tasche seiner Weste, konzentrierte sich und benachrichtigte sie. Vano hatte die Botschaft Khaduls mitgehört, und bevor Burko den Raum verlassen konnte, sagte er: »Warte!« Burko blickte ihn an. »Was gibt es?« dachte er. »Beschwöre keinen Ärger herauf, Burko, bitte!« »Wenn ich das wollte, würde ich Khadul gewähren lassen.« Er wandte sich ab und eilte hinaus. Er traf Rita, die von Phanis unauffällig benachrichtigt worden war, vor dem Krankenhaus, rief ihr nur kurz zu, sie solle ihm
folgen, und trieb die Haigila zu einem raschen Galopp an, der sie rasch aus der Stadt herausbrachte. Rita war überrascht, wie schnell das Tier war – sie hatte mit ihrem kleinen Jeep, in dem sie auf der holprigen Straße hin- und hergeschleudert wurde, alle Mühe, ihm zu folgen. Sie bewegten sich nach Westen, in Richtung auf den SeganiFelsen, und als sie das Tal von Taveni-Lekha verließen, stießen aus einem Seitenpfad sechs Jäger zu ihnen, die den Jeep flankierten. Rita wußte, daß Phanis im Krankenhaus eine Meldung erhalten hatte, und sie wußte auch, daß irgendeine Auseinandersetzung bevorstand, im Anbaugebiet um den Segani-Felsen, wo die irdischen Siedler Land zugewiesen bekommen hatten – von den Vereinten Nationen, nicht etwa von den Keeogii, die niemand gefragt hatte. Sie jagten durch die Ebene, und der kleine Jeep, obwohl für 2-g-Bedingungen mit verstärkter Federung und verstärktem Motor versehen, hatte jetzt wirklich Mühe, nachzukommen. Schließlich, nach einigen Minuten schnellster Fahrt, tauchten die ersten gerodeten Gebiete auf, halbfertige Häuser, ausgewalzte Wege, und weiter vorne ragte die bizarre graue Silhouette des Segani-Felsens in den hellgrün schimmernden Himmel. Rita glaubte, kalte Wut in den Augen der Keeogii schimmern zu sehen, als sie die gewaltige graubraune, schmutzig wirkende Fläche betrachteten, die in die Ebene blauen Grases geschnitten worden war. Überall standen halbfertige Gebäude herum, leichte Baumaschinen, und Menschen starrten neugierig den Keeogii nach, die achtlos an ihnen vorbeipreschten, Rita in dem Jeep zwischen ihnen. Weiter vorne, in der Nähe des Felsens, entdeckte sie einen Jeep und eine Ansammlung von Menschen, außerdem drei Haigilas, in deren Sätteln allerdings niemand saß.
Burko lenkte seine Haigila in diese Richtung, und als er Minuten später sein Reittier anhielt, sah er sofort, was los war. Mehrere Menschen standen den drei Keeogii gegenüber, und beide Seiten brüllten aufeinander ein, mit einer Geschwindigkeit, die für die Übersetzungsgeräte viel zu groß war. Niemand verstand den anderen, und ein Sergeant der UN mit zwei Soldaten versuchte, die beiden Seiten davon abzuhalten, aufeinander loszugehen. Burko stieß einen leisen Fluch aus, dann drängte er sein Tier rücksichtslos zwischen den beiden Gruppen hindurch und stieß etliche Menschen und einen Keeo dabei zu Boden. Augenblicklich trat Schweigen ein. Als der Sergeant die Keeogii sah, die hinter Burko auf ihren Haigilas saßen, zog er sich sofort auf die Seite der acht bis zehn Menschen zurück, offenbar Farmer, die sich hier versammelt hatten, um ihren Kameraden zu unterstützen. Burko spürte die Nervosität der Männer, und Sekunden später nahmen sie ihre Gewehre von den Schultern und hielten sie fest in den Händen. »Es langt!« rief Burko. Das Übersetzungsgerät, das ihm Rita gegeben hatte und das an seinem Gürtel hing, übersetzte die Worte sofort. Rita sprang aus ihrem Jeep und lief auf die Ansammlung zu, blieb schließlich unsicher neben Burkos Haigila stehen. Sie fürchtete sich davor, den Anschein zu erwecken, einer von beiden Seiten beistehen zu wollen. Schließlich rief sie dem Sergeant zu: »Hören Sie, Sergeant, sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen diese idiotischen Gewehre weglegen! Burko ist nur gekommen, um diesen dummen Streit zu beenden.« »Was verstehen Sie denn davon, Miss?« fragte einer der Farmer, ein knochiger Mann in einer blauen Arbeitsmontur. Er deutete auf sein Feld, wo eine Art von Traktor mit einem darangehängten Pflug stand. »Diese blöden Kerle haben die
Programmierung der Maschine durcheinandergebracht, und jetzt kann ich von vorne anfangen. Die anderen wollen die Maschine auch noch haben. Sie glauben gar nicht, was für ein Ärger dabei entstanden ist, wie unverschämt diese… diese Viecher reagiert haben!« »Ich lasse mich nicht beleidigen«, sagte Khadul scharf, die Hand um den Griff des langen, breiten Messers an seiner Seite gelegt. »Nicht von denen!« Burko schaltete sein Übersetzungsgerät ab und sagte leise: »Was willst du tun? Ich verstehe, daß er dich beleidigt hat, und das ist eine üble Sache, aber du wirst zugeben müssen, daß sich die beiden Keeogii aus der Stadt auch etwas ungeschickt verhalten haben. Würdest du einen Keeo aufschlitzen wollen, nur weil er dich mal angebrüllt hat?« »Natürlich nicht! Keeogii töten niemals Keeogii. Aber diese Strolche… sie sind keine Keeogii! Die pflügen hier einfach alles um, ohne zu fragen, und wenn wir mal hier vorbeireiten, beleidigen sie uns.« »Du hast vollkommen recht«, sagte Burko. »Töte ihn, wenn du Lust dazu hast.« Er deutete auf die Soldaten, die bleich dastanden, ihre Gewehre fest in den Händen. »Dann schießen die auf dich und auf mich und auf die Kameraden, die ich mitgebracht habe. Und schon schießt jeder Mensch auf jeden Keeo, und jeder Keeo versucht, einen Menschen umzubringen. Glaubst du, das wäre sinnvoll? Denkst du, dein beleidigter Stolz würde sich durch so etwas wiederherstellen lassen…?« »Gut«, sagte Khadul. Er nahm die Hand vom Messer und grinste böse. »Du hast mich überzeugt, Burko. Aber sag’ denen, daß ich so etwas kein zweites Mal über mich ergehen lasse. Das nächste Mal fließt Blut!« »Ich bin froh, daß du vernünftig bist.« Er sah die beiden Keeogii an, wegen denen der ganze Ärger entstanden war. Sie
sahen ebenfalls erleichtert aus. Kämpfen gehörte nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. »Geht doch auf eure Bäume zurück, ihr Affen!« rief einer aus dem Pöbelhaufen gegenüber. Er hatte sein Übersetzungsgerät eingeschaltet, und Rita sah, wie Wut in den Augen des Taveni Burko aufblitzte, wie sich seine Fäuste um die Zügel verkrampften, bevor er sich langsam wieder entspannte. »Seid doch vernünftig!« rief sie den Männern zu. »Diese Wesen sind sehr stolz. Sie haben euch doch erlaubt, hier zu siedeln. Sie hätten euch alle töten können, wenn sie gewollt hätten!« Sie deutete auf die Krieger, die ihre Haigilas in eine Kampflinie gebracht hatten und in deren behandschuhten Händen Armbrüste lagen, nicht gespannt, aber dennoch drohend in den Sonnen blitzend. »Diese Leute haben in den letzten Tagen aufgepaßt, daß sich keine Raubtiere hierher verirren. Sie versuchen, euch zu helfen, und ihr beleidigt sie.« »Wir können uns selber beschützen«, sagte ein Mann brummig, aber besänftigt. Er blickte auf die Schrotflinte in seiner Hand, und er wiederholte: »Verdammt, wir brauchen keinen Schutz von denen.« »Die Keeogii sind keine ›Affen‹«, sagte Rita wütend. »Seid froh, daß sie hier sind. Sergeant, sie hätten diese Versammlung auflösen müssen, anstatt sich mit diesen Leuten gegen die Keeogii zu stellen.« »Sie haben mir keine Befehle zu erteilen«, sagte der Sergeant kalt. Er war wütend, daß dieses Mädchen geschafft hatte, was ihm mißlungen war: die Farmer zerstreuten sich friedlich und gingen davon, bis auf den Besitzer dieses Feldes, an dessen Rand sie standen. »Das sollten Sie sich ernsthaft überlegen«, sagte Rita. »Ich bin Professor Cunningham aus Harvard, und ich gehöre zur Forschungsstation ein paar Meilen weiter. Sie könnten Ärger
kriegen, wenn ich Major Brankowski berichte, was hier vorgefallen ist.« Der Sergeant schien kleiner zu werden. Er zuckte unsicher mit den Schultern und brummte: »Tut mir leid, ich hab’s ja nicht so gemeint.« Er sah die beiden Soldaten hinter sich an und schrie wütend: »Na los, ihr könnt eure Flinten runternehmen! Habt ihr noch nicht gemerkt, daß der Zauber ‘rum ist, ihr Idioten?« Er wandte sich ab und stapfte auf den Jeep zu, der in der Nähe stand, und die beiden Soldaten folgten ihm sofort. »Na ja«, sagte der Farmer, der zurückgeblieben war, gedehnt, »ich denke, ich hab’ einen Fehler gemacht. Tut mir leid. Wirklich.« »Mach’ dir nichts draus«, sagte Khadul zu Ritas Überraschung. »Kommt, wir verschwinden wieder. Und ich denke, die beiden werden auch nicht mehr deine Maschine durcheinanderbringen.« Er grinste den Farmer unsicher an, dann wandte er sich ab und ging mit den beiden Keeogii aus Taveni-Lekha auf die drei Haigilas zu, die sie in der Nähe angebunden hatten. Ob ich mich geirrt habe?, überlegte Burko, als er den Farmer ansah. Sie sind vielleicht ein bißchen merkwürdig, aber uneinsichtig sind sie nicht. Er zog seine Haigila herum und schickte den sechs Taveni, die er mitgenommen hatte, ein kurzes gedankliches Signal, obwohl er sich vorgenommen hatte, das niemals in Gesellschaft eines Menschen zu tun. »Laßt die Armbrüste wieder am Sattel, wir reiten zurück.«
Rita lehnte sich zurück und blickte nachdenklich auf die bunt erleuchtete Stadt hinaus, auf den träge fließenden Strom, in dem sich zahllose Lichter spiegelten.
»Ich bin froh, daß nichts passiert ist, heute nachmittag, meine ich«, sagte sie nachdenklich und sah Burko an, der sich lässig auf einem langen Kissenpolster auf der anderen Seite des Tisches ausgestreckt hatte und etliche Früchte in seinen Mund schob, die Weintrauben ähnelten. »Unsere Heimatwelt ist übervölkert«, sagte Rita leise. »Ich möchte ehrlich mit dir sein, also werde ich wohl sagen müssen, daß unsere Welt zu einem einzigen Dreckloch geworden ist, überbevölkert, voller Kriege, Chemikalien und Hunger. In ein paar Jahren wäre alles zusammengebrochen, wenn wir nicht Keeog entdeckt hätten.« Burko betrachtete sie interessiert und hörte aufmerksam dem eingeschalteten Übersetzungsgerät auf dem Tisch zu. Erzähl nur weiter, dachte er. Ich möchte endlich wissen, woran wir mit euch sind. »Unsere Atmosphäre ist vergiftet, unsere Flüsse auch, die meisten Meere sterben oder sind schon tot. Ich habe dir schon oft von unserem Wirtschaftssystem erzählt. Wachstum um jeden Preis hieß die Parole, Wachstum der Bevölkerung, damit genug Arbeiter da waren, Wachstum der Wirtschaft, damit man ständig neue Fabriken bauen konnte, für die man dann die dazugekommenen Arbeiter benutzen konnte. Je mehr Arbeitslose da sind, desto billiger werden Arbeitskräfte, und das ist einer der Hauptgründe, warum man ständig mehr Leute haben wollte. Andererseits mußte man natürlich auch verschleiern, daß man in der Regierung unsauber gewirtschaftet hatte, und wenn man Renten und Sozialleistungen nicht mehr bezahlen konnte, na, dann waren eben die Geburtenrückgänge daran schuld, und man gaukelte den Leuten vor, daß es die Jungen seien, die den Alten die Rente bezahlen, wo diese doch in Wirklichkeit ihr Leben lang selbst haufenweise Geld in die Finanzkasse geschmissen hatten. Und so stehen wir jetzt da. Sogar das Uran für unsere
Kernkraftwerke und unsere Raumschiffantriebe geht zur Neige, unsere Fusionskraftwerke haben Fehler und werfen mehr schädliche Stoffe ab, als man es sich vor fünfzig Jahren hatte träumen lassen, als man die ersten Versuchsanlagen in Betrieb nahm.« Sie lehnte sich zurück, atmete tief die kühle Abendluft ein und lächelte. »Aber das ist jetzt vorbei. Hier auf Keeog wird die Menschheit einen neuen Anfang finden. Die alten Fehler werden wir nicht mehr machen, das weiß ich. So wahnsinnig sind selbst unsere Politiker nicht. Hier können wir ein Paradies errichten, Burko, zusammen mit euch. Ja, ich denke, ihr könnt uns sehr dabei helfen.« »Der Vorfall heute nachmittag hat das bewiesen«, sagte Burko, ohne erkennen zu lassen, ob er spottete oder es ernst meinte. »Eure Natur«, sagte sie, »ist wundervoll. Aber es scheint hier viele Raubtiere zu geben, viele giftige Pflanzen, ungeheuer viel Unkraut und bösartige Insekten. Warum vernichtet ihr nicht das Unkraut, warum sorgt ihr nicht wenigstens dafür, daß es nicht ganz so gefährlich ist, in die Ebenen hinauszugehen, indem ihr die Raubtiere von euren Städten und euren Feldern fernhaltet?« Burko grinste, und er dachte, aha, jetzt habe ich dich. Soll das euer Paradies werden? Er sah sie an, mit einem undefinierbaren Blick, und meinte: »Wir Keeogii sind nicht mehr sehr religiös, aber wir achten die alten Anschauungen, denn sie sind gut und weise. Nach der Legende schenkte der Himmelsgeist, dessen ungleiche Augen am Himmel über uns leuchten, dem Volk der Keeogii dieses Land mit seinen Ebenen und Wüsten, seinen Dschungelbergen und den felsigen Hochflächen. Aber er gab es zugleich nicht uns, er gab uns dem Land, der Natur preis. Mit ihr müssen wir leben, oder wir werden zugrunde gehen. Wir leben größtenteils von Fleisch, aber wir nehmen auch oft Getreide und Obst zu uns, und das
bauen wir an, ohne der Natur zu schaden und ohne ihr ihr Recht vorzuenthalten. Es kümmert uns nicht, wenn das Wild sich von unserem Getreide ernährt, denn wir ernähren uns auch vom Wild. Wenn die Raubtiere ein paar unserer Haustiere fressen, ist das nicht schlimm, denn wir jagen auch die Raubtiere und benutzen ihr Fell. Aber nichts nimmt überhand, verstehst du? Die Tiere vernichten nicht unsere Ernten und unsere Herden, solange wir auch ihnen nicht schaden. Wenn wir zum Beispiel die Raubtiere des Waldes stark dezimieren würden, würden sich die Beutetiere, die Gras- und Blätterfresser, stark vermehren. Dann hätten sie im Wald nicht mehr genug zu fressen und müßten auf unsere Getreidefelder zurückgreifen, was zur Folge hätte, daß wir auch sie ständig unter Kontrolle halten und dezimieren müßten. Das wäre viel zu viel Arbeit für uns, meinst du nicht auch? Unsere Raubtiere nehmen uns das schon ab.« »Ich verstehe«, sagte Rita. »Ihr bebaut das Land nicht, um damit Gewinne zu erzielen, ihr wollt nur gut leben und sehr viel Freizeit haben, nicht wahr?« »Das ist es. Und das einzige, was diesem Ziel entgegenstehen würde, das Bevölkerungswachstum, haben wir ausgeschaltet. Vor dreihundert Jahren zählten die Taveni an die sechzigtausend Köpfe, vor hundert Jahren waren es achtundvierzigtausend, und jetzt sind es dreiundsechzigtausend. Unsere Bevölkerung schwankt innerhalb gewisser Grenzen, aber sie wird niemals eine bestimmte Höchstzahl überschreiten, bei den Taveni zum Beispiel nicht die Siebzigtausend.« »Ihr kennt kein Geld und keinen Ehrgeiz. Soweit ich bisher erfahren habe, arbeitet bei euch jeder ein bißchen an der Gemeinschaft mit, mit dem, was so gerade zu seinen Neigungen gehört. Und niemand nimmt sich mehr, als ihm zusteht. Es arbeiten alle zusammen am Nutzen eurer
Gemeinschaft, und alle ziehen Nutzen aus dem Erarbeiteten. Aber wie ist es mit den unangenehmeren Arbeiten? Wer reinigt eure Toiletten und Straßen, wer kümmert sich um eure Tiere, wer arbeitet in Bergwerken, falls ihr so etwas kennt?« »Die Besitzer einer Wohnung kümmern sich selbst um alles, was in der Wohnung anfällt, und jeder reinigt in seiner Freizeit sein eigenes Stückchen Straße. Es gibt auch öffentliche Ställe, wo Futter und Wasser bereitliegen und alles, was sonst zur Pflege einer Haigila oder eines Okaito nötig ist. Bergwerksarbeit gibt es im Norden, bei den Ky-Dendda, oder weiter im Süden auch bei den Taveni. Solche Arbeit ist gefährlich, und schädlich, und wir arbeiten langsam und in aller Ruhe, so daß auch diese Arbeit eine gewisse Befriedigung vermitteln kann. Wir brauchen ja nicht viel, weil wir so wenige sind, und wir stören die Natur nicht mehr, als es der Quejan tut, wenn er über uns seine Kreise zieht, jagt oder sein Nest baut.« »Ihr vernichtet niemals irgend etwas in der Natur, um euch davor zu schützen? Ich meine, nicht im größeren Umfang.« Burko nickte. Er griff nach einem Stück Fleisch, das auf einem flachen Teller lag, und riß mit seinen scharfen Zähnen etwas davon heraus. Die Keeogii aßen das meiste Fleisch roh, nur mit etlichen Gewürzen eingerieben, die ein Mensch nicht ohne weiteres vertragen konnte, und sie kannten kaum Eßbesteck. Nach einer Weile sagte er: »Wenn wir nur eine Art von Pflanze oder Tier in der Natur vernichten, und sei es eine unbedeutende Art von Pilzen oder Insekten, woher wollen wir wissen, ob es nicht irgendwo auf unserer Welt andere Tiere gibt, die sich von dieser bestimmten Art ernähren müssen? Wir könnten Kettenreaktionen auslösen und das empfindliche Gleichgewicht der Natur zerstören.«
»Allerdings ist es dann für euch gefährlich, in dieser Natur zu leben, denn ihr könnt ein Opfer werden wie alle anderen Tiere dort. Das nehmt ihr dann wohl in Kauf, oder?« Rita beobachtete den Taveni aufmerksam. Burko riß in aller Ruhe ein weiteres Stück von seinem Fleischbrocken ab, kaute und erwiderte schließlich: »Wir Keeogii haben sehr wache Sinne. Wir leben in der Natur, wir schirmen uns nicht ab, und wir spüren die Gefahr, wenn sie von irgendwelchen natürlichen Geschöpfen ausgeht. Wie alle Tiere in der Natur – aber wir haben unseren entwickelten Verstand, um uns zu wehren, und verhältnismäßig gute Waffen. Du wirst niemanden hier in der Stadt finden, der nicht wüßte, wie man mit einem Knüppel oder dem Messer den Angriff bestimmter Tiere abwehrt – was ohnehin fast nie vorkommt –, und die kleine Schutztruppe, der ich angehöre, ist besonders ausgebildet. Wenn wir mit unseren Armbrüsten schießen müssen, trifft der erste Schuß absolut tödlich. Immer.« Das begriff Rita gut. Wenn man einem wilden Raubtier, das gereizt und gefährlich war, gegenüberstand, konnte man sich nur retten, wenn man mit dem ersten Bolzen traf. Das Nachladen dauerte zu lange. Sie dachte an die Gesellschaftsstruktur der Keeogii und betrachtete die zuckenden Schatten der flackernden Kerzen an den mit roten und grünen Mustern bemalten Wänden. »Wer kontrolliert eigentlich, daß in eurer Gesellschaft alles klappt, daß niemand zuwenig arbeitet und sich zuviel nimmt von dem, was alle gemeinsam herstellen?« Eine gefährliche Frage, dachte Burko, und obwohl er das wußte, mußte er sich überwinden, um ihr nicht die Wahrheit zu sagen, ihr zu sagen: »Bei uns gibt es keine Lügen, weil jeder bis zu einem gewissen Grad die Gedanken des anderen kennt. Wir wissen alle, daß es nur vollkommene, wirklich vollkommene Zusammenarbeit oder absolutes Chaos, Keeo
gegen Keeo, geben kann. Und wir können nur das erste wählen.« Statt dessen sagte er: »Wir wissen, daß unser ganzes Staatswesen zusammenbrechen muß, wenn sich jemand größere Rechte anmaßt als ein anderer, wenn jemand mehr besitzt als sein Stammesbruder. Und daher fängt niemand überhaupt erst damit an.« Er betrachtete nachdenklich seine Hände und dachte an Vanos Ausspruch, daß man die Wahrheit sagen und durch die Art, wie man es tat, lügen konnte. Natürlich, was er ihr gesagt hatte, war ein Teil der Wahrheit, aber nur der kleinere Teil, denn die Keeogii kannten die Gedanken ihrer Artgenossen. Und wenn sie sich auch manchmal nicht verstanden, so begriffen sie doch die Beweggründe, die der andere hatte. Alles war offen, frei und ehrlich. Aber wie konnte er das jemandem begreiflich machen, dessen Gedanken eingeschlossen waren, der nicht wußte, wie es war, sie mit anderen zu teilen, rückhaltlos, ohne Worte…? Schweigen breitete sich im Raum aus, bis auf das leise Gezwitscher der Vögel, das Burko vertraut und für Rita neu und fremdartig war. Selbst wenn da draußen texanische Nachtvögel singen würden, dachte sie bitter, würde es mir neu und fremdartig vorkommen. Auf der Erde gibt es keine Vögel mehr. Sie drückte die Pausentaste des kleinen Recorders, der die Befragungen, die sie durchführte, zur schriftlichen Auswertung aufzeichnete. Sie nippte an ihrem Tee, der noch von der Erde stammte, und Burko goß sich irgendeine alkoholische Flüssigkeit in seinen Becher aus silbrig schimmernden Metall. Schließlich sagte sie: »Als Anthropologin würde mich die Entwicklung der keeogischen Rasse interessieren. Gibt es bei euch irgendein Institut oder einen Wissenszweig, der sich damit beschäftigt?«
»Das müßte zur allgemeinen Naturlehre gehören«, überlegte Burko. »Wir haben da sehr schöne Aufzeichnungen, die dir Vano zeigen könnte, der Oberste Organisator der Stadt. Den größten Teil seiner Zeit verbringt er mit wissenschaftlichen Studien, besonders jetzt, da die Erntezeit noch fern ist und es für ihn nicht sehr viel zu koordinieren gibt.« Er erhob sich und hängte die Handschuhe an einen Haken seines koppelähnlichen Gürtels mit dem breiten, kurzschwertähnlichen Kampfmesser, das in den kräftigen Händen der Keeogii eine entsetzliche Waffe sein mußte. »Morgen werden wir mit dem Unterricht im Reiten beginnen«, erklärte Burko. »Du mußt dich mit den Haigilas vertraut machen. Aber du mußt auch fit sein, denn es wird nicht leicht sein.« Er lächelte kurz, ein kurzes Aufblitzen der raubtierhaften Zähne im Kerzenlicht, und dann hatte er den Raum schon verlassen, und die Tür schloß sich hinter ihm, das Übersetzungsgerät sagte: »Bis morgen also.« Sie seufzte, erhob sich und ging ans Fenster. Sie stand eine Weile dort, dann sah sie Burko das Gebäude verlassen und eine recht kleine, hellhäutige Gestalt umarmen, die eine Art von rockähnlichem Umhang trug. Seine Apaghani-Freundin. Sie wußte, daß die Keeogii nichts von festen Bindungen hielten und Sex als abwechslungsreiches Spiel betrieben, ähnlich wie die Terraner Tennis oder Golf. Die beiden unten auf der Straße schlenderten davon, und Rita sah auf den Fluß hinunter, auf dem Lampen- und Sternenlicht schimmerte. Die Straßen waren leer, von irgendwoher wehte fremdartiges Lachen herüber, und durch die geöffneten Lüftungsschlitze drang ein kühler, frischer Wind, der nach Gras und Erde duftete. Hin und wieder brachte er Insekten mit sich, die die Kerzen umschwirrten, knisternd verbrannten und auf den Boden fielen.
Das störte sie längst nicht mehr, ebensowenig, daß sie, nach keeogischer Angewohnheit, selbst für die Sauberkeit ihrer Räume zu sorgen hatte. Am liebsten wäre sie ewig hiergeblieben. Sie stand lange am Fenster, suchte den Stern am Himmel, der die Sonne war, ohne ihn zu finden. Dann und wann wurde es heller, wenn blaue Lichter mit rosafarbenen und strahlend grünen Auren am Himmel aufflammten, sich drehten, zuckten, die Farben wechselten, bis sie schließlich zusammenfielen. Ein Insekt stach sie durch den Stoff ihrer Bluse in die Schulter, sie fuhr herum, griff nach dem Insektenspray, das sie mitgenommen hatte, aber etwas in ihr wehrte sich dagegen, es hier einzusetzen, den natürlichen Lufthauch zu vergiften, der den Raum durchzog. Sie verengte die Lüftungsschlitze über den Fenstern etwas, räumte rasch auf und schlief unter einem Moskitonetz, statt den Raum mit Chemikalien zu füllen. Ich möchte noch lange hierbleiben, dachte sie, so lange es geht.
Sie lachten, als sie den Hügel herunterpreschten, auf die kleine, einfache Hütte zu, ähnlich denen, die es in den letzten Wäldern von Kentucky gab, in den scharf bewachten Erholungsgebieten der Oberschicht. Rita zügelte ihre Haigila vor der Hütte und sah sich auf der kleinen Lichtung um. Überall langgestreckte, rauhrindige Bäume mit blauen und blaugrünen Blättern, durch die das Licht der Sonne bunte Lichtflecken auf den Boden zauberte, graublaue Schatten mit rosa Rändern. Ein kühler Wind wehte, hinter der Hütte plätscherte ein Bach, und überall waren die Geräusche von Tieren zu hören, in der Luft, in den Ästen, am Boden in Büschen und dem hohen, gelben Waldgras, das an sonnigeren Stellen wuchs.
Wochen waren vergangen seit ihrem letzten Gespräch mit Burko in ihrer Wohnung im Verwaltungsgebäude von TaveniLekha. Sobald sie einigermaßen mit einer Haigila umgehen konnte, hatte Burko vorgeschlagen, ihr die nähere Umgebung dieses Landes zu zeigen, andere Städte, die Natur. Er hatte begriffen, wie neu es für sie in einer natürlichen Umgebung war, und daß sie sich freute, wenn sie mit der keeogischen Natur näher in Berührung kam. Jetzt sah er sich um, glitt aus dem Sattel und betrachtete die Tierspuren im Staub vor der Hütte. An einem hakenähnlichen Vorsprung des fremdartig wirkenden Keeo-Sattels hing ein rehähnliches Tier, das wie die Haigila katzenartige Pfoten und Krallen besaß, allerdings zu den Grasfressern gehörte. Die Hörner, die vom Kopf ausgingen, drei insgesamt, zwei an der Stirn, eines in der Mitte etwas weiter unten, waren lang, schlank und gefährlich spitz. Burko hatte das Tier erlegt, als ihnen der Proviant ausgegangen war, den sie in Taveni-Helkos, der Stadt an der Grenze zwischen Wald und Grasebenen, erhalten hatten. »Es sind keine Tiere in der Nähe, die einen Keeo angreifen würden«, sagte Burko, als er sich aufrichtete und das rehartige Tier vom Sattel nahm. Rita nickte. Sie wußte inzwischen, daß es nur wenige Raubtiere gab, die das wagten. In dieser Welt waren die Keeogii unter den Raubtieren ähnlich geachtet wie der Tiger, den auf der Erde kein anderes in seiner Heimat ansässige Tier angreifen würde, und den es nur noch in einigen wenigen Zoos gab. Nur die wolfsartigen Unt-Horden oder der mächtige Waldvaighen, katzenartige Wesen von der Größe irdischer Pferde, würden es wagen, sich gegen Keeogii zu stellen.
Der Mensch hatte hier jedoch beinahe alle Raubtiere zum Feind. Er war neu auf dieser Welt, und er würde es für die nächsten Jahrtausende bleiben, er war nichts weiter als ein frisch hingeworfenes Stück Fleisch, ein neuer Geruch, eine fremdartige, interessante Beute für die gefährlichen, scharfsinnigen, intelligenten Raubtiere Keeogs, die die Krone dieser Schöpfung achteten, nicht aber die einer fernen, degenerierten Welt. »Wir könnten hier kurz Rast machen und dann nach Osten weiterreiten«, sagte Burko zu Rita, als er die Tür der Hütte öffnete und das erlegte Tier hineintrug. »Etwa dreihundert Phaijang im Osten liegt Apaghani-Sho, die nächste Stadt. Wir werden aber etwas Holz für ein Feuer sammeln müssen.« Er hängte das erlegte Tier an einen Haken in der Ecke der halbdunklen Hütte, über eine Sandfläche, wo man die erlegten Tiere normalerweise ausnahm. Für kalte Tage im Winter gab es auch einen kleinen Ofen, auf dem sie Fleisch braten konnten. Burko wußte immer noch nicht, ob er sich barbarisch vorkommen sollte, weil er und die anderen Keeogii ihr Fleisch roh aßen, oder ob er die Menschen für närrisch halten sollte, weil sie es ansengten. Er hatte schon vor längerer Zeit beschlossen, diese Frage auf sich beruhen zu lassen. Rita stand an der Tür, schlang die Zügel der Haigila um einen rohen Haken an der Vorderseite der Hütte und blickte zu den beiden Sonnen empor. »Es ist herrlich hier«, sagte sie und blickte einem bunten Vogel nach, der über die Lichtung flatterte. »So muß es in den Vereinigten Staaten vor fünfhundert Jahren ausgesehen haben.« »Es war sicher schön«, sagte Burko und zog sein Messer. Er machte sich daran, das Tier zu zerlegen.
»Die Blätter und das Gras bei uns sind… waren grün. Ein frisches, helles Grün.« Sie lächelte, bückte sich und pflückte eine Blume, deren Blütenblätter etwa die Farbe hatten, wie es das Gras in Massachusetts vor vielleicht hundert Jahren gehabt haben mochte. »So etwa«, sagte sie. Burko hielt bei seiner blutigen Arbeit inne und lächelte. »Eine schöne Farbe. Ein wenig seltsam, sich vorzustellen, alles könnte auch bei uns diese Farbe haben.« »Ich habe einen ungeheuren Hunger«, sagte Rita. Sie führte die Tiere zu dem kleinen Bach, an dem die Hütte errichtet worden war, hängte ihnen Futtersäcke um und ließ sie trinken. Dann setzte sie sich neben ihnen ins Gras und vermied die Stellen, wo sie giftige Dornensträucher sah, wie es ihr Burko beigebracht hatte. Sie wußte nicht, wie lange sie schon dagesessen und auf die schimmernden, plätschernden Wellen geschaut hatte, als in der Nähe Vögel hochflatterten. Warnschreie ertönten aus fremdartigen Tierkehlen. Sie stand auf, und dann sah sie den Reiter auch, der in raschem Galopp seine gehörnte Haigila auf die Lichtung lenkte und abrupt vor der Hütte zum Stehen brachte. Das Tier war staubig und erschöpft, aber sie wußte, daß es nicht gehetzt worden war. Für einen Keeo war Tierquälerei eine Abscheulichkeit. Der Reiter in der locker anliegenden grünen Kleidung war ein Angehöriger der Waldstämme, schmächtige Statur, kluge Gesichtszüge, dunkelbraunes Haar und helle Haut verrieten den Apaghani. Er schwang sich behende aus dem Sattel und beachtete Rita kaum – sie wußte inzwischen, daß sich bei den Keeogii die Frauen nicht in Männerangelegenheiten mischten, was ihr zwar mißfiel, aber wohl kaum durch sie zu ändern war. Der Apaghani hob nur kurz die Hand zur Begrüßung und eilte
an ihr vorbei in die Hütte. Sie hörte, wie er rasch mit Burko sprach. »Du sollst sofort nach Taveni-Lekha kommen«, hörte sie aus ihrem Übersetzungsgerät. Burko sah den Neuankömmling fragend an. »Warum?« fragte er, und gedanklich fügte er hinzu: »Warum habt ihr das nicht einfach über die Musterkarten mitgeteilt?« »Wir wollten bei dem Erdenmädchen keinen Verdacht erwecken«, übermittelte ihm der Apaghani, und er sagte wörtlich: »Es gibt einigen Ärger mit den menschlichen Siedlern, besser gesagt, mit einem neuen Siedler.« Rita war ungeduldig, sie wollte eine Frage stellen, aber sie wußte inzwischen, daß sie damit Burko oder den Apaghani beleidigen mochte, also wartete sie ab. »Sind denn neue Siedler eingetroffen?« fragte Burko. Er wischte sein Messer sorgfältig am Fell des erlegten Tieres ab, bevor er es zurück in die Scheide schob. Mit einem Tuch wischte er ein paar Blutspritzer vom glänzenden blauschwarzen Leder seiner Handschuhe. »Nein, aber mit den fünftausend, die schon hier sind, ist einer gekommen, der jetzt ziemlich selbstherrlich und arrogant wird. Es heißt, er zerstört die letzten Wälder bei eurer Stadt.« Rita sah, wie Burkos hartes Gesicht besorgt wurde. Die spitzen Ohren zuckten ein paarmal, ein Zeichen für Unruhe. Khadul, dachte er, wird sich zurückgehalten haben nach dem letzten Streit, er weiß auch nicht, ob diese Menschen gut oder böse sind, und sie wollten ohne mich vermutlich nichts unternehmen. Was sagt wohl Vano dazu? Er fühlte sich versucht, eine Musterkarte herauszunehmen, Vanos Symbolmuster zu suchen und mit ihm in Verbindung zu treten, aber er wußte, daß er damit einen Haufen neuer Fragen von Rita provozieren würde, Fragen, die die Freundschaft
zwischen ihnen stören mochten und die er nicht beantworten wollte, noch nicht. »Danke. Möge der Himmelsgeist immer freundlich über dich wachen«, sagte Burko zu dem Apaghani. »Möge der Himmelsgeist freundlich über dich wachen«, sagte der Apaghani. »Was ist mit eurem Mavin?« Er deutete auf das ausgenommene Tier in der Ecke. »Das kannst du behalten. Wir sind in einer halben Stunde wieder in Taveni-Helkhos.« »Man hat einen Vondak für euch bereitgestellt«, sagte der Apaghani. »Ihr werdet also nicht den ganzen weiten Weg bis nach Taveni-Lekha reiten müssen.« »Was ist ein Vondak?« fragte Rita, als sie zu ihren Haigilas gingen und ihnen die Futtersäcke wieder abnahmen. Sie schwangen sich in die Sättel, Burko überprüfte, ob die Armbrust auch gut am Sattel befestigt war, denn sie würden schnell reiten müssen. »Ein Vondak ist eine Art von großem Vogel, aber er ist nicht wie ein Quejan, er ähnelt mehr einer Eidechse.« »Eine Flugechse?« fragte Rita verblüfft. Sie spürte, wie ihr Herz aufgeregt hämmerte. Und dazu noch eine große? Die letzten Tiere dieser Art waren vor Jahrmillionen, noch bevor der Mensch die Welt betrat, ausgestorben. »Ja, eine Flugechse. Sie sind sehr selten, und sie leben nur noch im tiefen Süden, in den Dschungelbergen. Hier können sie sich auch ganz gut ernähren, und wenn man kleine Exemplare aufzieht, kann man sie zum Tragen von Lasten oder Reitern abrichten. Sie sind aber gefährlich – zu träge oder zu bösartig.« Burko lenkte seine Haigila herum. »Wir sollten uns beeilen. Du könntest, wenn ein neuer Konflikt droht, eine sehr gute Hilfe sein, wie damals, als wir die Farmer beruhigt haben.«
Rita musterte bedauernd die Wälder. Sie hatte gehofft, noch lange hier herumreiten zu können, ihre eigentliche Arbeit vernachlässigen und sich im Betrachten eines paradiesischen Planeten verlieren zu dürfen. Schade. Sie ritten los, in raschem Galopp zwischen den Bäumen hindurch, tief über die Hälse der Haigilas geduckt, so rasten sie einen schmalen Pfad entlang. Und auf eine gewisse Weise war auch dieser wilde Ritt schön.
Am Stadtrand warteten mehrere uniformierte Jäger von Helkhos, größtenteils Taveni und Apaghani, die mit Burko und Rita zu einem gewaltigen Gebäude am Stadtrand ritten, gewaltig für keeogische Verhältnisse, denn auf der Erde wäre es eher ein bescheidener Silo gewesen. Dieses Gebäude war das erste, das einigermaßen geradlinig geometrisch geformt war. Aus runden, geschmolzen scheinenden Seitengebäuden wuchs ein fast regelmäßiger Zylinder empor, ein hoher Turm, der sich nach oben hin leicht verjüngte. Die Dachplattform mußte mindestens fünfzehn Meter Durchmesser haben. Sie schritten eine hölzerne Treppe empor, die sich beängstigend steil an der Außenseite des Zylinders emporzog und immer wieder durch Plattformen unterbrochen wurde, von denen Türen ins Gebäude führten. Sie konnte jedoch zu ihrer Enttäuschung nicht hineinsehen, denn sie waren alle geschlossen. Schließlich kamen sie auf der Plattform an, die auch vom Inneren des Gebäudes her zu erreichen war, und Rita fuhr erschrocken zusammen, als sie das Tier auf dem Dach sah. Es hatte mindestens die Größe eines Pterodactylus der Kreidezeit, wenn es nicht noch etliche Meter mehr an Spannweite hatte.
Der Kopf war kurz und fast stromlinienförmig, nicht lang und spitz wie beim Pterodactylus, die Beine waren kräftig, es stand halb aufrecht auf ihnen und hatte die kurzen, krallenbewehrten Arme angewinkelt. Die weit ausgebreiteten, mächtigen Flügel liefen in schwächliche, winzige Finger aus. Der Vondak hatte eine blaugraue, an manchen Stellen schwarz glänzende Schuppenhaut. Die beiden Augen in dem riesigen Kopf waren klein und starr wie bei einer Schlange, um eines der kräftigen, krallenbewehrten Hinterbeine zog sich eine Kette, die ihn auf dem Dach des Hauses festhielt. Was Rita aber am meisten überraschte, war der Sattel, der auf dem Rücken der Flugechse befestigt war, ein riesiger, gepolsterter, fellbezogener Sattel mit großen Satteltaschen und verschiedenen Halterungen und Haken. »Das ist Ashtit«, sagte der erste der vier Keegoii zu Burko, während Rita das gewaltige Flugtier bestaunte. »Er hört seinen Namen und ist auf die Pfeife trainiert. Allerdings – du brauchtest ein schnelles Tier – ist er recht tückisch. Sei vorsichtig, wenn ihr gelandet seid, und behalte die Lanze bei der Hand.« Burko sah den Apaghani an, der – ungewöhnlich für seine Art – fast so groß wie Burko war, schlank und breitschultrig. Ohne Zweifel verstand er etwas von diesen Geschöpfen, er züchtete sie wohl, denn der Zylinder, auf dem sie standen, mußte mehr als dieses eine Tier beherbergen. Burko nahm den langen, lanzenartigen Stab mit der fünfzig Zentimeter langen Metallspitze, mit dem man sich gegen Raubtiere und notfalls auch gegen das eigene Reittier wehren konnte, und betrachtete nachdenklich den Vondak. Es war erst das zweite Mal, daß er ein solches Tier ritt, und er wußte, daß diese Echsen Fleischfresser und enorm stark waren. »Habt ihr keinen Zweiersattel?« fragte er den Apaghani neben ihm.
»Der hier ist zu klein für einen Zweiersattel, die großen sind vielleicht zu langsam für euch, und sie«, der Apaghani deutete kurz auf Rita, die das gewaltige Tier anblickte, »wird wohl kaum einen zweiten Vondak steuern können.« »Na, der Sattel wird groß genug für uns beide sein«, sagte Burko. Er ging langsam auf den Vondak zu, Rita blieb halb hinter ihm, denn sie wußte nicht, wie die gewaltige Echse reagieren würde. Der Vondak drehte seinen gewaltigen Kopf in Burkos Richtung, schnaubte fauchend und schlug kurz mit den Flügeln. Der Luftstoß fegte Rita fast von den Beinen, aber Burko hatte sich geduckt und stand, seine langen schwarzen Haare wehten im Wind. Als die Echse mit ihrem gewaltigen Maul nach Burko schnappte, Rita sah kurze, keilförmige Zähne aufblitzen, so lang wie ihr Zeigefinger, drehte Burko blitzschnell die Lanze herum und schlug Ashtit mit dem hölzernen Schaft über die Nase. Die Echse knurrte ärgerlich, wich aber zurück und beruhigte sich anscheinend. Burko zeigte ihr die schimmernde Spitze der Lanze, die Flugechse betrachtete sie und ließ es zu, daß er sich ihr näherte, die Hand ausstreckte und die kurze Leiter emporkletterte, die auf den Rücken und in den Sattel des Tieres führte. Er schob die Lanze in die Halterung am Sattel, schnallte die Armbrust fest, die er sich bislang über die Schulter gehängt hatte, und streckte Rita die Hand hin. »Steig auf!« Sie näherte sich ängstlich dem gewaltigen Tier, die Vorderbeine waren ganz in ihrer Nähe, und sie fragte sich, wie es wohl auf ihren fremdartigen Geruch reagierte. Aber Ashtit reagierte gar nicht, er stand nur da, leicht geduckt, die gewaltigen Schwingen ausgebreitet, und wartete auf den Start, auf das Losmachen der Kette. Rita sah die Pfeife, die der Apaghani von vorhin Burko reichte, und sie begriff, daß die
Kette nur da war, um ein plötzliches Losbrechen und Angreifen auf sie, Rita, zu verhindern, falls ihr fremder Geruch das Tier durcheinanderbringen mochte. Sie nahm Burkos Hand und kletterte in den Sattel. Er zeigte ihr einen breiten Lederstreifen, der um die Beine und die Hüften geschlungen und am Sattel sorgfältig festgehakt und verknotet wurde. »Das hier ist der Sicherheitsgurt, falls unser Freund Ashtit mal einen Solto schlagen möchte. Normalerweise ist dieser Sattel nur für einen Roboter, aber bei dir ist ebenfalls etwas wie ein Sicherheitsgurt angebracht worden, er dient an sich für Lasten. Zieh’ ihn gut fest, so, wie ich es tue.« Er achtete sorgfältig darauf, daß sie es richtig tat und so, daß die Polsterung nach innen gedreht war, damit sie sich bei unruhigen Flugbedingungen nicht verletzen konnte. »Du kannst dich an mir festhalten, wenn du möchtest, aber normalerweise genügt der Sicherheitsgurt.« Sie blickte auf die verschiedenen Zügel, die vorne am Sattel zusammenliefen. »Wie lenkt man dieses Tier denn überhaupt?« Er lächelte und deutete auf etliche kleine, blasenähnliche Gegenstände am Kopf des Tieres. »Das hier sind Luftpfeifen, die einen Ton von sich geben, wenn man an einem bestimmten Zügel zieht. Sie bringen einen Ton in einer bestimmten Frequenz hervor, den die Echse als anregend empfindet und auf den sie sich zubewegen möchte. Zieht man am ersten Zügel, wird eine Pfeife an der Oberseite des Kopfes ausgelöst, es steigt in die Luft. Zieht man am zweiten, passiert dasselbe bei einer anderen unter dem Kopf, ebenso geht es beim dritten Zügel, womit man links und rechts durch in diesen Richtungen befindliche Pfeifen regeln kann. Der vierte Zügel ist für schnelle Bewegungen nach oben, es ertönt ein höheres Geräusch, auf das unser Ashtit hier dressiert ist, und er rast
pfeilschnell nach oben. Der fünfte ist für schnelle Sturzflüge, der sechste für rasche Seitwärtsbewegungen.« Er zeigte ihr die verschiedenen Farben der Zügel. »Damit unterscheidet man die verschiedenen Lederriemen besser, damit man nicht unversehens irgendwo landet, wo man gar nicht hinmöchte. Ich starte jetzt, halt’ dich besser fest.« Er rief den Keeogii am Boden noch ein paar Abschiedsworte zu, sie hatten die Kette schon gelöst, und dann zog er am ersten Zügel. Die gewaltige Echse setzte sich in Bewegung, als das leise Pfeifen ertönte, die Hinterbeine dröhnten auf dem Dach des Vondakstalles, und dann sprang sie mit einem kräftigen Satz in die Luft hinaus, über den Rand des Plateaus, auf dem dieses Gebäude und ganz Taveni-Helkhos erbaut waren. Einen Moment lang hatte Burko das entsetzliche Gefühl, zu stürzen, seine Hände verkrampften sich um das Sattelhorn, er hörte Rita hinter sich aufschreien und spürte, wie sie ihn fest umklammerte. Dann streckten sich die gewaltigen, hautbespannten Flügel des Vondak, peitschten die Luft, und sie stiegen langsam empor, Rita blickte nach unten, sah die Felder und die gewaltige blaue Ebene wie ein Meer unter sich, und fern am Horizont einen schmalen gelben Streifen Wüste, als Burko weiter am ersten Zügel zog, die Pfeife ertönte und der Vondak in raschen, eleganten Schleifen emporstieg. Burko lachte, er spürte den kalten Wind in seinem Gesicht, er hatte fast das Gefühl, zu schweben, etwas, was er seit langem fast schon vergessen hatte. Sie flogen einmal um das riesige Plateau, das jetzt weit unter ihnen lag, ein handgroßer blaubrauner Fleck, mehr nicht, und überall dehnte sich das Land um sie, auf der einen Seite Wald, auf der anderen die Ebene und in der Ferne die Wüste.
Burko ließ die Pfeife unablässig ertönen, und sie stiegen immer höher, die Luft wurde kühler und bewegter, traf kalt die Haut, während die mächtigen Muskeln des Vondak zuckten und die Flügel die Luft peitschten. Jetzt konnten sie in der Ferne verschwommen wie eine ferne ovale Insel die Grasländer um Taveni-Lekha sehen, und den Streifen Wüste, der es von den südlichen Ländern trennte. Burko ließ den Vondak in einem gewaltigen Kreis langsam wieder tiefer gehen. »Großartig«, sagte Rita. »Das ist wie… Segelfliegen, ohne durch eine Kanzel von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.« »Man fühlt sich lebendiger«, meinte Burko, und sah ein paarmal nach unten und rasch wieder nach vorn. »Diese dumme Höhenangst, die ich oft kriege, verschwindet auch hier nicht ganz«, fügte er hinzu und grinste kurz. Er ließ ein paarmal eine der Seitwärts-Pfeifen ertönen, der Vondak richtete seine stumpfe Schnauze auf den fernen Flecken Land im Norden und flog mit raschen, kräftigen Flügelschlägen, als Burko die Pfeife verstummen ließ, vorwärts. So flogen sie nach Norden, ihre Haare wehten im Wind, das Blut in ihren Adern pulsierte schneller, und sie vergaßen das, was im Norden auf sie wartete, beinahe.
Sie landeten auf einem flachen, mit Blumen geschmückten Promenadendach des Verwaltungsgebäudes auf der Flußinsel: Als sie aus dem Sattel der Echse stieg, bedauerte Rita, daß der Flug schon zu Ende war. Denn als sie über den Fluß und die Stadt nach Westen blickte, wußte sie, daß Probleme auf sie zukamen. Fast konnte sie die ungesunde Atmosphäre spüren, die von den Neuankömmlingen ausging, aber sie versuchte sich einzureden, daß alles gut werden würde.
Burko landete neben ihr und tätschelte die schuppige, rauhe Haut der Flugechse. »Ein prächtiges Tier«, sagte er. »Schade, daß sie so selten sind.« Er hatte die Armbrust in seiner Hand, ein glänzendes, merkwürdig geformtes Werkzeug, dem die Drohung des Todes anhaftete, wie den Maschinenkarabinern der UN-Soldaten, vor denen Rita sich fürchtete. Ihre kleine Pistole war harmlos gegen ein M-16-Gewehr mit Explosivgeschossen, von denen eins einen Menschen von oben bis unten auseinanderreißen konnte. »Ich habe euch kommen sehen«, sagte Vano, als er auf die Plattform trat, gerade, als sich die Flugechse wieder in die Luft erhob, um auf Nahrungssuche zu gehen und dann zu ihrem Stall zurückzufliegen. »Sei gegrüßt«, sagte Burko. Er sah, wie Vano Rita anblickte und spürte seine Zufriedenheit darüber, daß sie sich verändert hatte, positiv verändert. Ihre Augen glänzten, ihr Haar war zerzaust, und sie strahlte eine Aura des Glücks und der Zufriedenheit aus. »Du kennst den Wald im Norden unseres Tales, nicht wahr, Burko?« fragte Vano. Rita lehnte sich neben Burko an die Steinbrüstung und lauschte aufmerksam auf das, was ihr Übersetzer von sich gab. »Natürlich kenne ich ihn«, sagte Burko. »Ich weiß, was du mir schonend beibringen willst.« »Es sind einige Dutzend Menschen, keine Siedler, aber sie sind mit ihrem großen Metallschiff und den anderen gekommen«, sagte Vano, mehr für Rita als für Burko, der das meiste schon seinen sorgenvollen Gedanken entnommen hatte. »Sie holzen den Wald systematisch ab. Den einzigen Wald, den es hier in der Gegend gibt, so weit im Norden, so nah an der Wüste. Das Wild, das dort lebt, wird über unsere Felder herfallen, wenn die Weichblattbäume nicht mehr da sind. Es
braucht den Wald, und der nächste ist Hunderte von Phaijang im Süden.« Burko nickte. »Und dazwischen liegen fünfzig Phaijang Steinwüste und die Ebene. Ihnen bleiben nur unsere Felder. Außerdem liebe ich diesen Wald, und ich habe keine Lust, dem Treiben dieser Leute zuzusehen. Wie viele sind es?« »Dreißig, vierzig, mehr nicht.« Vano stützte sich auf die Brüstung und blickte über die Stadt nach Norden, als könnte er den Wald sehen, aber die steilen Hänge des Tales verwehrten ihm die Sicht. »Sie haben Maschinen, und sie haben Waffen. Ihr Anführer hat sich ein großes Haus gebaut, am Waldrand, und einen hohen Zaun gezogen, der alles tötet, was ihn berührt.« Ein Elektrozaun, dachte sie. Und Maschinen… Sie versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, wer mit ihnen geflogen war, aber in den Erste-Klasse-Kabinen war sie mit den anderen Wissenschaftlern vom Rest der Leute gut getrennt gewesen. »War Khadul schon dort oben oder ein anderer Jäger?« fragte Burko. »Er war dort, und er hat sie schon dreimal aufgefordert, aufzuhören. Zuerst haben sie zugestimmt, dann haben sie ihn hingehalten, und als er mit dreißig Mann losgeritten ist, um den sofortigen Stopp zu fordern, hat man Warnschüsse auf sie abgegeben und ihnen erklärt, jeden, der sie an ihrer Arbeit hindert, zu erschießen. Khadul hat sich an den Führer der Menschensoldaten gewandt, aber der meinte, er könne nichts tun, diese Leute hätten das Land von ihrer Regierung geschenkt bekommen und dürften nach amerikanischem und UN-Gesetz tun, was sie wollen. Ich weiß nicht, was das für Gesetze sind, aber sie scheinen sich ernsthaft einzubilden, sie hätten hier Gültigkeit.«
Rita spürte, wie Burko zornig wurde, angespannt, wild. Die behandschuhten Hände umklammerten fest den Kolben der Armbrust. »Wieviel Schaden haben sie schon angerichtet?« fragte Burko. »Sie behaupten, sie bräuchten das Holz, es wäre wichtig, daß sie es bekämen. Ein Viertel des Waldes ist schon niedergewalzt worden, sie wollen das Holz zur Erde schaffen. Und nicht nur das, sie schießen alles ab, was sich bewegt weil sie Angst vor Raubtieren haben. Sie jagen sogar in der Ebene. Sie werden alles durcheinanderbringen, Burko.« Burko biß die Zähne fest aufeinander, er blickte auf die Armbrust in seinen Händen und sagte leise und kalt: »Nein, das werden sie nicht, Vano!«
Am nächsten Morgen ritten sie die Hänge des Tales hinauf, schweigend, bewaffnet und drohend. Burko hatte Khadul und vierzig Jäger mitgenommen, zumeist Taveni oder Ky-Dendda, die anderen fünfzig Mann gingen ihren üblichen Aufgaben nach, Raubtiere von den Besitzungen der menschlichen Neuankömmlinge abzuhalten, die schließlich ihre Gäste waren. Am Abend des Tages, an dem sie angekommen waren, waren Burko und Rita zu Major Brankowski gegangen und hatten ihn gebeten, etwas in der Angelegenheit zu tun, zumindest einen Aufschub der Abholzung zu erwirken. Brankowski hatte bedauernd abgelehnt und schließlich Rita unter vier Augen sprechen wollen. Sie hatte eingewilligt und Burko gebeten, zu warten, was er auch getan hatte. Zunächst hatte sich Brankowski verwundert darüber gezeigt, was sie so lange »bei denen« tun würde. Dann war er zur Sache gekommen: »Miss Cunningham, ich kann da nichts tun. Es würde mich meinen Job kosten. Die Leute, die dort oben
Holz gewinnen, sind von der WWC, der World Wood Company. Sie wissen, wie sehr Holz auf der Erde zum Luxus geworden ist. Mehr noch als Leder. Diese Leute haben Einfluß, und sie haben das Monopol auf den Holzschlag der ganzen Erde. Die UN – meine Vorgesetzten also – hat nach hartem Druck durch die Konzerne, insbesondere natürlich der WWC, die Erlaubnis erteilt, sie hier Holz schlagen zu lassen.« »Warum? Warum hat man nicht vorher gefragt? Die WWC könnte doch weiter im Süden Holz gewinnen, wo es nichts schadet?« »Weiter im Süden gibt es kaum Landeplätze für Transportraumschiffe, während wir hier in der Ebene beim Segani-Felsen einen guten planierten Platz besitzen. Das nächste Transportschiff kommt in drei Wochen, und bis dahin will die WWC hier erste Holzernten eingebracht haben und sie zur Erde schaffen. Das wird gewaltig einschlagen und ganze Wirtschaftszweige in Schwung bringen, wenn eine so große Ladung Holz zur Erde gebracht wird. Es kann nur gut für die ganze Erde sein. Warum stemmen Sie sich dagegen? Wollen Sie nicht, daß auch die ärmeren Leute auf der Erde bald wieder Dinge aus Holz besitzen können?« Rita schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie sah in die Nacht hinaus, und das Büro mit seinen merkwürdig hohen Stühlen und Schreibtischen, mit dem kalten, funktionellen Aussehen einer Abstellkammer, kam ihr sehr fremd vor. Draußen flackerten die vertrauten bunten Nordlichter, die ThannoginAchats, am Himmel, warfen zuckende rote und silberne Schlagschatten über die hoch aufgereckten Halme der Ebene. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß es den Keeogii schadet, wenn Sie ihre Wälder abholzen. Das ökologische Gleichgewicht in Taveni-Lekha wird gefährdet, und das werden die Keeogii nicht hinnehmen.«
Brankowski lächelte spöttisch. »Miss Cunningham, sie werden es wohl zulassen müssen, denn wir haben inzwischen tausend gutbewaffnete Männer hier stehen, und mit dem Transportschiff treffen weitere zweitausend Soldaten mit Raketenwerfern und Jeeps ein, die speziell für 2-gBedingungen gebaut wurden. Wenn wir wollen, nehmen wir uns hier alles mit Gewalt, und die UN ist entschlossen, das auch zu tun, wenn die Eingeborenen uns Schwierigkeiten machen. Die Erde erstickt langsam, Miss Cunningham, und wir müssen sie retten.« Rita starrte ihn ungläubig an. Entsetzen flackerte in ihren Augen. Cortez, dachte sie, sie konnte an nichts anderes mehr denken, wir haben uns selbst vergiftet und jetzt werden wir zu Barbaren und kommen wie Cortez vor fünfhundert Jahren als Eroberer, um diesen freundlichen Wesen ihr Land zu stehlen. »Ich habe gedacht, diesmal wäre es anders«, sagte sie leise, und sie spürte, wie ihre Stimme versagte, wie ihre Enttäuschung sie stärker zu Boden drücken wollte, als das 2 g jemals hätten tun können. »Sie wollen es ihnen stehlen«, sagte sie, und sie spie das Wort aus. »Sie wollen ganz Keeog zu einem gottverdammten Chemikalienkessel machen wie die Erde, und ich dachte, die schmalzköpfigen Politiker hätten inzwischen dazugelernt!« »Beruhigen Sie sich«, sagte Brankowski besorgt. »Hören Sie, wir werden die Jungs ja nur einsetzen, wenn es nötig wird. Lucia Turner ist hier, die Generaldirektorin von WWC, und die läßt sich durch nichts davon abbringen, daß hier Holz gewonnen wird, und wenn die Keeogii den Krieg wollen, können sie ihn haben.« Sie hatte sich abgewandt und war einfach hinausgegangen. Und jetzt ritt sie an Burkos Seite. Sie fühlte sich schwach und niedergeschlagen, und das entsetzliche Gefühl, daß bald etwas Furchtbares geschehen würde, lastete schwer auf ihr.
Sie hatte Burko und Vano beschworen, nichts zu unternehmen, sie war noch in derselben Nacht mit ihrem Jeep zu Lucia Turners einfachem Haus am Waldrand gefahren, aber weiter als bis zum Elektrozaun war sie nicht gekommen. Die Leibwächter hatten sie abgewiesen. Mrs. Turner sei müde, und es sei im übrigen nur möglich, sie mit drei Wochen Voranmeldung zu sprechen. Verzögerungstaktik, natürlich, denn in drei Wochen kam das Transportschiff, größer als das letzte, mit zehntausend Siedlern, Hunderten von Tonnen Material – und mit zweitausend Soldaten, Raketenwerfern, Jeeps, Tonnen von Munition. Sie hatte schon von Lucia Turner gehört, der alten, schlauen Chefin und unnachgiebigen Hauptaktionärin von WWC. Die hatte es geschafft, daß die Japaner nachgaben und die Hälfte ihres Holzbestandes der WWC zum Abholzen freigaben. Sie hatte Söldner eingesetzt, um die Dschungelgebiete in Brasilien, die noch standen, von protestierenden Naturschützern zu säubern, um auch dieses Holz »gewinnen« zu können, wie es höhnischerweise hieß. Sie hatte die zweitgrößte Holzgesellschaft der Welt, die schwedische EVC, in den Ruin getrieben, und es hieß, die Söldner der WWC seien maßgeblich daran beteiligt gewesen. Jetzt hatte sie wieder Söldner bei sich, zehn Mann zu ihrem persönlichen Schutz, zehn für die Arbeiter und Maschinen, die in diesem Versuchsprogramm eingesetzt wurden, brutale, harte Burschen, die vor nichts haltmachten. Mit dem Transportschiff würden neue Maschinen und neue Söldner kommen, und wenn das nicht reichte, würde ein Wink genügen, um Brankowskis gesamte Kriegsmaschinerie zu mobilisieren. Lucia Turner würde diesen Wink geben, das war sicher. Rita hatte vor Sorgen kaum schlafen können. Am frühen Morgen, sehr früh, was für einen Keeo acht Uhr nach der Achtundzwanzig-Stunden-Uhr war, hatte sie noch einmal
Burko gebeten, sich gemäßigt zu verhalten, sie hatte ihm rückhaltlos berichtet, was Brankowski ihr erklärt hatte, und was sie über Lucia Turner und die WWC wußte. Sie hatte ihn angefleht, noch etwas zu warten, aber da war der Keeo wirklich zum Vorschein gekommen, er hatte sie mit einem Blick seiner graugrünen, katzenähnlichen Augen gemustert, daß es ihr kalt den Rücken herunterlief. »Sie werden aufhören, unsere Wälder zu zerstören, und sich über uns hinwegzusetzen, jetzt sofort«, hatte er gesagt. »Wenn wir warten, machen wir alles noch schlimmer. Diese Turner hat uns die Eisenfaust gezeigt, und wenn sie es nicht anders will, geben wir sie ihr zurück!« Und jetzt ritt sie an Burkos Seite, müde, sorgenvoll, hinter sich die Krieger, vierzig düstere Gestalten in purpurschwarzen Uniformen. Burko hatte sie gebeten, mitzukommen, sehr sanft, denn ihm war inzwischen klar, wie sehr sie darunter litt, daß es Menschen gab, die ihren brennenden Wunsch nach einer schönen Welt und nach Frieden nicht teilten. Sie war mitgekommen, sie wäre auf jeden Fall mitgekommen, und sie musterte den großen Keeo von der Seite. Eine kalte Wut schien in ihm zu brennen, er hatte die Armbrust quer vor sich im Sattel liegen und die Handschuhe ausgezogen, um besser schießen zu können. Sie betrachtete seine, trotz der sechs Finger, schmalen Hände, kräftig und fast menschenähnlich, mit dunklen, spitzen Nägeln und bis zu den Knöcheln von dunklem Fell bewachsen. Diese Hände konnten töten, und sie hatten es schon oft getan, nur, daß es Tiere gewesen waren; jetzt würden es Menschen sein, falls sie es nicht doch noch verhindern konnte. Sie mußte es verhindern, sonst würde es einen furchtbaren, blutigen Krieg geben.
Sie ließen das Tal hinter sich, die Jäger ritten in lockerer Formation in Dreierreihen. Die Waffen blitzten im Sonnenlicht, die schwarzen Haigilas bewegten sich geschmeidig und kraftvoll, und ihre Pfoten machten kaum ein Geräusch. Vor ihnen tauchte der Wald auf, Spuren von schweren Raupenfahrzeugen und Lastwagen zeichneten den frischen Weg, an dessen Rand Stapel von Baumstämmen lagen, und der, wie mit dem Lineal gezogen, tief nach Norden in das Waldgebiet führte. Bald klang von vorn das Dröhnen von Maschinen, das schwere Brummen der Bulldozer, das laute, rollende Säuseln schwerer Lastwagenmotoren durch den Wald. Die dunklen Schatten mit den rosa Rändern, die das Blattwerk auf den Boden zeichnete, wirkten plötzlich bedrohlich. Als sie die Geräusche deutlich hören und bereits Bewegungen ausmachen konnten, das Blitzen von Metall, während immer wieder das berstende Krachen stürzender Bäume ertönte und Vögel erschreckt schrien, hielten sie kurz an. »Spannt die Armbrüste und ladet sie!« rief Burko. Er zog den Ladehebel zurück, schob einen schlanken Pfeil in die Halterung und stützte den Kolben auf dem Oberschenkel auf, als er langsam weiterritt. Die scharfe Spitze des kurzen Holzpfeils schimmerte auf, wenn die – zwischen den Bäumen schräg einfallenden – Lichtbahnen sie trafen. »Das gefällt mir nicht«, sagte Rita leise. »Burko, du kennst die irdischen Söldner nicht. Töten ist ihr Geschäft, das betreiben sie mit absoluter Akribie. Für die seid ihr gar nichts.« »Deswegen laden wir ja die Armbrüste«, sagte Burko ruhig. Er gab ein Zeichen, streute den Gedankenimpuls: »Kette bilden!« aus, und sie schwärmten aus, in langgeübter
Präzision, bildeten eine weite, lockere Kette wie bei der Treibjagd. Die Geräusche vor ihnen erstarben, langsam ritten sie auf eine weite Lichtung, ins grelle Sonnenlicht. Vor ihnen lagen gefällte Bäume und niedergewalztes Buschwerk wirr durcheinander, dahinter waren säuberlich gestapelte Pyramiden von Baumstämmen zu erkennen. Überall lagen Laub, Rinde und Äste in wirren, gewaltigen Haufen herum, zwischen denen zwei riesige Bulldozer hin- und herfuhren und neue Bäume niederwalzten. Ein schwerer Raupenschlepper beförderte jeweils zehn Stämme zusammen nach hinten, und dort standen mehrere Arbeiter bereit, um sie von den Ästen zu befreien, bevor ein Kran sie entlang der Vormarschstrecke des Abholzungskommandos säuberlich stapelte. Jetzt ruhten die Maschinen, Schweigen herrschte bis auf die fernen Laute der Vögel und anderer Tiere. Burko blickte über das Feld, die Armbrust noch zum Himmel gerichtet, und nahm jede Einzelheit in seinen Verstand auf. Überall Abfall, Buschwerk, aber das war unwichtig. Weiter links lag ein wirrer Stapel verwesender Tiere, meistens Raubtiere, wohl von den Wachleuten, den Söldnern, abgeschossen. Der Gestank verpestete die ganze Lichtung, ebenso die schwarzen Rauchwolken, die die Kräne und Bulldozer und einer der Lastwagen ausstießen, aber auch das war unwichtig. Wichtig waren die Söldner, die lässig Stellung bezogen hatten, genau zehn Mann, in einer breiten Kette, kniend hinter gefallenen Baumstämmen, Abfallhaufen, Bulldozern. Ihre Waffen, Maschinenkarabiner und ein paar Maschinenpistolen, waren auf die Neuankömmlinge gerichtet. Nur der Anführer stand frei, eine Pistole im Gürtel, eine langläufige Schrotflinte im Anschlag. Er war groß, breitschultrig und dunkelhaarig und höchstens fünfunddreißig
Jahre alt. Seine Augen visierten Burko kalt über den Lauf seiner Waffe an, er strahlte totale Selbstsicherheit aus. Alle waren in fleckige Tarndrilliche gekleidet, die sie für menschliche Augen mit der bunten Umgebung verschmelzen ließ, nur der Anführer trug ausgebleichte Jeans, hohe Militärstiefel, ein Militärkoppel mit einer Armeepistole und ein weites, knallrotes Hemd. Auf dem Kopf hatte er einen weißen Schlapphut, und wären die Waffen und die Handgranaten an seinem Koppel nicht gewesen, hätte er wie ein Tourist wirken können. »Wir wollen nur reden, mehr nicht!« rief Rita über den Platz. Sie schwitze, als sie die dunklen Mündungen der Waffen sah und die schimmernden Armbrustspitzen, die auf die Söldner zeigten. Auch die Keeogii hatten ihre Waffen an die Schultern genommen. Obwohl er gegen eine vierfache Übermacht stand, war der Söldnerchef vollkommen entspannt. Was wollten diese verrückten Halbaffen mit ihren albernen Armbrüsten? Sie hatten Handgranaten und Maschinenwaffen, und sie hatten schon gut ausgerüstete Soldaten in demselben Zahlenverhältnis wie jetzt in die Flucht geschlagen. »Wenn ihr reden wollt, redet mit unserer Chefin, wir sind nur die Wache«, rief der Söldner zurück. »Die läßt uns nicht vor!« rief Rita verzweifelt. »Wie heißen Sie? Ich bin Rita Cunningham, Harvard-Professor. Ich möchte vermitteln!« Harvard, dachte sie bitter. Als ob das hier zählt, unter einem grünen Himmel, in der unbarmherzigen Sonne eines fernen Planeten! Der Söldner schien ähnlich zu empfinden, denn er rief zurück: »Ich bin Hank Rossi, aber daß Sie das wissen, nützt Ihnen nichts. Wir beschützen die Arbeiten hier, und wir lassen keine Störung zu. Ihre affengesichtigen Kumpane
verschwinden jetzt besser, sonst könnte es ihnen schlecht gehen.« »Wollen Sie ein Blutbad?« rief Rita zornig. »Ein Blutbad gibt es höchstens unter denen, Schwester, und auf dich nehmen wir auch keine Rücksicht. Sag’ den Kerlen, sie sollen ihre mittelalterlichen Instrumente mitnehmen und verduften, Baby!« »Wer leitet bei Ihnen die Abholzung?« fragte Burko. Der kleine Lautsprecher seines Übersetzers hatte Mühe, die zwanzig Meter zwischen ihm und Rossi zu überbrücken. »Du bist der Chef, eh?« rief Rossi zurück. »Hör’ zu, sag deinen Kameraden, wenn sie nicht den Heldentod sterben wollen, sollen sie die Beine in die Hand nehmen und abhauen! Ich meine es gut mit euch, wir haben schon ganz andere Sachen erledigt.« »Ich habe nach Ihrem Chef gefragt!« rief Burko zornig. Er sah aus den Augenwinkeln, daß Khadul die Kette an den Flanken vorrücken ließ, um die Söldner in einem Halbkreis einzuschließen und in die Zange nehmen zu können, so, wie sie es mit einer Horde Unts tun würden, die sie zurückjagen wollten. Rossi sah es sofort. »Wenn einer von euch Brüdern noch weiter vorgeht, knalle ich ihn von seinem komischen Hirsch ‘runter!« schrie er und richtete seine Waffe auf einen der Jäger an der Flanke, den äußersten Mann rechts. Dieser war jedoch ein Ky-Dendda, und er bekam die Bedeutung des Rufes dank Burkos lautgestelltem Übersetzer und seiner scharfen Ohren mit. »Schieß doch!« schrie der Ky-Dendda, denn er hatte den Stolz seines Stammes geerbt, und die Art, wie Rossi die Jäger anbrüllte, erschien ihm nicht nur höchst unhöflich, sondern geradezu provozierend. Keeogii waren immer freundlich, am
meisten die Ky-Dendda, aber diese Beleidigung konnte er nicht begreifen und verarbeiten. Der Keeogi trieb seine Haigila vorwärts. Er glaubte nicht, daß Rossi schießen würde, das war sein Fehler. Und Rossis Fehler war es, dank seiner umfangreichen Kampferfahrung zu glauben, daß er einfach einen Mann der gegnerischen Streitmacht abschießen und die anderen dadurch zur Vorsicht mahnen konnte. Aber die Keeogii waren keine Menschen. Als der Krieger seine Haigila antrieb, feuerte Rossi auf ihn, neun Buckshotkugeln trafen den Ky-Dendda in Brust und Gesicht und schleuderten ihn seitlich aus dem Sattel. Er fiel noch, als Burko seine Armbrust hochriß. Die Söldner hatten Anweisung, erst zu schießen, wenn Rossi es befahl, und den Schuß auf den Jäger hielten sie für eine blutige Warnung, wie sie es von ihren Einsätzen auf der Erde her kannten. Rossi drehte sich um, sagte: »Das soll euch eine Warnung sein«, und als sein Blick den von Burko traf und der niedergeschossene Jäger zuckend im Gras lag, sein Blut über das blaue Gras spritzte, da drückte Burko ab. Ganz kurz blitzte das Sonnenlicht golden und blau auf dem Geschoß, bevor es Rossis Brust durchschlug und ihn nach hinten warf. Burkos Kameraden feuerten gleichzeitig. Vierzig tödliche Geschosse wurden im gleichen Moment auf die Reise geschickt, als Rossi zurücktorkelte. Ein paar Schüsse krachten, Explosivgeschosse platzten, und Söldner brüllten ihren Schmerz in das Klatschen der Geschosse, in das metallene Scheppern der Armbrustsehnen hinein. Die Jäger kannten ihren Wald, sie wurden durch das Schattenspiel und die Tarnanzüge nicht getäuscht, und ein jeder hatte sein Ziel genau im Visier gehabt, einen Kopf, einen Arm, eine Hand, einen hervorstehenden Fuß, ein Auge. Und
mit der Präzision eines Schützen, der weiß, daß er mit einem Schuß treffen oder sterben muß, trafen sie. Trotzdem lösten sich noch ein paar Schüsse, zwei Haigilas brachen zusammen, Blut und Eingeweide spritzten aus ihren aufgesprengten Leibern, ein Jäger drehte sich in der Luft, stürzte schwer in das Gras, während Blut aus seiner zerrissenen Schulter schoß. »Nein!« schrie Rita. »Nein!« Rossi stand taumelnd. Blut spritzte aus seiner Brust, und er fiel als letzter, während sich seine Männer schreiend im Gras wälzten oder still dalagen, die Waffen noch in den Fäusten. Der Ky-Dendda, den Rossi getroffen hatte, lag still. Der Jäger, der von einem Explosivgeschoß in die Schulter getroffen worden war, brüllte, und Blut schoß aus dem zerschmetterten Gewebe, der rechte Arm war fast völlig abgetrennt worden. »Tötet sie!« schrie Burko, während Rita die Hände vor das Gesicht schlug, und die Krieger preschten vor, und nach drei Sekunden hörte man die Söldner nicht mehr schreien, die Jäger waren gewohnt, ihr Wild rasch und schmerzlos zu töten. Die Arbeiter waren zurückgewichen, jetzt liefen die meisten angesichts des Blutbades davon, und die Krieger ritten ihnen nach. »Bringt sie alle her, aber tötet keinen!« rief Burko. Ein Mann setzte seinen Bulldozer in Betrieb und steuerte ihn auf die heranpreschenden Reiter zu, in der Annahme, sie wollten seine Kameraden töten. Er walzte eine Haigila nieder, fuhr über ihren zuckenden Leib, während der Jäger hastig beiseite sprang. Dann schoß Khadul einen Pfeil ab, der die Scheibe des Bulldozers und den Schädel des Arbeiters zerschmetterte. Der Bulldozer stoppte über den zermalmten Überresten der Haigila.
Burko war bereits aus dem Sattel gesprungen und auf den Jäger zugelaufen, den Rossi niedergeschossen hatte. Mehrere andere Jäger kümmerten sich um den Keeo, dem ein Schuß den Arm abgerissen hatte. Burko beugte sich über den KyDendda, und er spürte, daß der andere tot war. In seiner Nähe lag ein toter Söldner, ein Armbrustpfeil hatte ihn an einem Baumstamm festgenagelt, und Burko packte das Gewehr des Mannes und schleuderte es in hilfloser Wut in den Wald. Rita war taumelnd aus dem Sattel gestiegen und sah sich an, was von den Söldnern und den Haigilas übriggeblieben war, die gefallen waren. Rossi war tot wie die anderen. Burko fand etliche große rote Kanister, und als er sie aufschraubte, fand er eine brennbar riechende Flüssigkeit darin. Er und die anderen leerten die Behälter über die Bulldozer, den stehengebliebenen Schlepper, den Kran und über die aufgestapelten Baumstämme. Dann zündeten sie alles an.
Die Maschinen explodierten krachend, schleuderten glühende Trümmer in alle Richtungen, das Feuer loderte hoch auf den bereits von der Sonne ausgedörrten Stämmen empor, die aufgestapelt lagen, der gesamte Holzvorrat der World Wood Company. Flammen und Hitze schlugen in ihre Gesichter, als sie die verängstigten Arbeiter umringten, die zwischen ihnen standen. Die Jäger hatten die frisch geladenen Armbrüste auf sie gerichtet. Burko sah die Menschen, einen nach dem anderen an, der Flammenschein spiegelte sich auf der Armbrust und in seinen kalt glitzernden Augen. »Hört mir alle zu«, sagte er, während das kleine Gerät an seinem Gürtel übersetzte. »Ihr könnt machen, was ihr wollt, geht zu den Farmern oder sonstwohin, aber ihr werdet hier nicht mehr arbeiten. Habt ihr mich verstanden?«
Sie nickten, voller Todesangst. Erwarteten jeden Moment, abgeschlachtet zu werden. »Ohne unsere Erlaubnis wird hier kein Fingerbreit Boden umgepflügt, kein Grashalm geschweige denn ein Baum umgehauen! Von jetzt ab nicht mehr.« Burko machte mit seinem Messer eine umfassende Bewegung über ihren Köpfen, und sie starrten ängstlich auf die rot im Flammenschein glitzernde Klinge. »Ich kenne euch alle, und meine Leute haben sich eure Gesichter eingeprägt. Wenn ihr euch noch einmal daran beteiligt, den Wald zu zerstören, werdet ihr sterben – jeder von euch, der noch einmal für die WWC arbeitet. Und jetzt verschwindet!« Die Keeogii öffneten ihre Reihen, die Arbeiter stürzten hindurch und rannten davon. Burko stieg aus dem Sattel und betrachtete die emporschlagenden Flammen, den riesigen Scheiterhaufen, mit dem er hoffte, die ehrgeizigen Pläne der WWC zu zerschlagen. Rita weinte erschöpft und voller Hoffnungslosigkeit, er nahm sie in die Arme und sah schweigend über die blutige, flammenzuckende Öde, auf den Toten, der im Sattel seiner Haigila festgebunden worden war. Was sollte nun werden?
»Mrs. Turner«, sagte Jürgen Brankowski, »ich bitte Sie, sich das noch zu überlegen. Sicher, es war ein gnadenloser Massenmord, aber das hier ist auch der Planet dieser Leute. Wir fordern einen Krieg heraus, wenn wir darauf bestehen, Mrs. Turner.« Lucia Ruth Turner-Hemberley starrte ihn kalt an. Sie war eine hagere, weißhaarige Frau Anfang Siebzig, in deren runzligem Gesicht ein Paar harter, blauer Augen brannte. Der
Sessel, in dem sie lehnte, die Hände steif auf den Armlehnen, war speziell für sie angefertigt worden, und der Schreibtisch vor ihr war aus echtem irdischen Mahagoni, ebenso wie die Wandtäfelungen. An der Wand hingen Portraits von ihr, ihrem Mann und ihren Kindern. Neben der Tür standen zwei Söldner, schwere Pistolen am Koppel, Maschinenpistolen über dem Arm, in Tarndrilliche gekleidet, die zu dieser gepflegten Umgebung absolut nicht passen wollten. »Diese Tiere haben uns den Krieg erklärt«, begann sie mit ihrer hohen, beherrschten Stimme, vor der auf der Erde Dutzende von Aufsichtsratsvorsitzenden zitterten. »Sie haben elf Söldner und einen unbewaffneten Arbeiter hinterrücks ermordet, sie haben der Gesellschaft einen Schaden in Milliardenhöhe zugefügt, indem sie wertvolle Geräte und Holz vernichteten, das auf dem Weltmarkt einen Rekordpreis erzielt hätte. Und sie haben zweiundvierzig meiner Arbeiter so eingeschüchtert, daß diese sich weigern, ihre Arbeit fortzusetzen, solange es in der Gegend Eingeborene gibt. Kein Wunder, denn die armen Teufel mußten dem entsetzlichen Massaker zusehen.« »Es gibt genug anderes Holz hier. Verhandeln Sie mit ihnen, Mrs. Turner. Bringen Sie sie dazu, Schadenersatz zu leisten. Sie sollen selbst Bäume fällen und Ihnen schicken. Aber verlangen Sie das nicht, Mrs. Turner! Ich habe keine Lust, hier Krieg gegen die Keeogii zu führen.« »Ich will diesen Burko«, sagte Mrs. Turner scharf. »Er muß wegen Mordes vor ein ordentliches Gericht gestellt werden, wenn wir die anderen Halunken schon nicht identifizieren können. Dieses Tier ist eine Gefahr, wie früher auf der Erde die tollwütigen Füchse. Gottseidank ist diese Gattung ausgerottet. Ein Wesen wie er braucht. Blut, er wird immer wieder weiter Menschen töten, solange, bis er selbst vernichtet wird. Das sind… Raubtiere hier, Major!« Sie beugte sich vor,
ihre Augen glitzerten hart. »Die fressen ihr Fleisch roh, wenn Sie wissen, was ich meine. Sie werden uns alle töten, wenn wir ihnen nicht zuvorkommen. Und diese Miss Cunningham, die mit den Biestern geflohen ist und zweifellos Rossi soweit abgelenkt hat, daß sie ihn ermorden konnten, die muß auch vor ein Gericht gestellt werden. Beihilfe zum Massenmord. Ein Dutzend Menschen ist gestorben, Major. Das werden Sie wohl nicht bestreiten wollten.« Ihre scharfe Stimme füllte den Raum, ihr Blick bohrte sich in Brankowskis Augen. Der Major nickte zögernd und resignierend, wich ihrem Blick aus. »Nein, das kann ich nicht bestreiten. Ich werde dafür sorgen, daß geschieht, was Sie verlangen.« »Sie fliegen ‘raus, wenn Sie nicht alles tun, was in Ihrer Macht steht, um die beiden zu finden!« rief Mrs. Turner. »Sie wissen, was ich bei der UN erreichen kann. Sie werden meinen Leuten, die in zwei Wochen eintreffen, alle Unterstützung geben, haben Sie verstanden?« »Ich habe verstanden!« sagte Brankowski scharf. »Und ich verbitte mir Ihre Unverschämtheiten.« »Sie haben gar nichts zu verbitten«, sagte Mrs. Turner herablassend. »Sie haben zu tun, was ich will. Auch hier, Major. Auch hier.« Sie sah einen der Söldner an der Wand an. »Major Brankowski möchte gehen. Wyler, führen Sie ihn hinaus.«
Für Burko war viel von der Schönheit seiner Welt geschwunden. Er blickte über die herrliche blaue Ebene, die Felder am Fuß des Tafelberges und die silbrigen Bänder der Flüsse. Er wandte sich ab, stützte sich gegen die Steinbrüstung des Vondakzylinders von Taveni-Helkhos, blickte über die leere Plattform und dachte nach.
Die UN-Soldaten waren hinter ihm her. Und so, wie sie vorgingen, benahmen sie sich, als ob sie ein wildes Tier einzufangen hätten. Als Rita erfahren hatte, daß Burko und sie wegen Mordes vor Gericht gestellt werden sollten, hatte sie Burko gewarnt und war mit ihm geflohen, nach TaveniHelkhos, Minuten bevor die ersten Jeeps mit Maschinengewehren, Schnellfeuerkanonen und schwerbewaffneten Soldaten die Straßen von Taveni-Lekha herunterrollten, ungeachtet der Proteste der Ratsherren und der Jäger, die die Jeeps umkreisten und Befehl hatten, auf keinen Fall einen Kampf herauszufordern. Sie waren hierher geflohen, hatten ständig die Haigilas auf ihrer Flucht gewechselt, und jetzt waren sie hier. Herencius, der Apaghani, der ihnen zuerst einen Vondak zur Verfügung gestellt hatte, hielt auch jetzt einen bereit, falls sie rasch aus der Stadt fliehen mußten. Vor zwei Wochen war ein weiteres Metallschiff gelandet, diesmal mit zehntausend Siedlern und zweitausend neuen Soldaten, und mit Söldnern und den Abgesandten von Bergwerksfirmen und Nahrungsmittelkonzernen. Auf dem Verwaltungsgebäude in Taveni-Lekha flatterte die Fahne der UN, und Soldaten bewachten die Stadt und die Siedler. Es war kein Widerstand geleistet worden, Vano hatte eingesehen, daß das sinnlos gewesen wäre. Für die Stämme der Keeogii, für die Taveni, die Apaghani, die Ky-Dendda, die Shields, die Haveni-Akhars im Süden, und für alle die anderen, die erfahren hatten, was geschehen war, war Burko ein Held. Ihm gefiel das nicht, aber jetzt wollten alle jungen Leute der Keeogii zu den Jägern, wollten sich der intensiven Ausbildung unterziehen, die kein Drill, nicht unfreundlich oder etwas Ähnliches, aber trotzdem hart genug war, und alle wollten gegen die Eindringlinge kämpfen. Sie
glaubten, sie könnten sie hinwegfegen, wie es Burko mit den Söldnern getan hatte. Für die Siedler und die Soldaten war Burko ein Feind, ein wildes Tier, und er trug den Beinamen »Bloody«. Die Zeitungen auf der Erde berichteten über nichts anderes als über das »Massaker«, und der Name Bloody Burko war in aller Munde. Und alle fragten sich, warum man die wilde Bestie nicht endlich tötete. So war die Lage, und Burko mußte sich eingestehen, daß er vielleicht einen Fehler begangen hatte. Aber hätte er den Killer Rossi gewähren lassen sollen? Nein, dachte er, ich würde wieder so handeln. Lieber Krieg, lieber Verfolgung, lieber mein Tod, als daß ich zulassen würde, daß wir Keeogii zum Freiwild für schießwütige Söldner werden. In Shield-Sho im Süden, an der Grenze zu den Dschungelbergen war der Rat der achtzig Städte zusammengekommen, alle gewählten Obersten Organisatoren und Freien Führer. Nur Burko fehlte, denn irgendwie hatten die UN-Soldaten erfahren, daß sich etwas tat, und sie hatten vor der Stadt Artillerie aufgefahren und bewachten den Versammlungsort, weil sie glaubten, Burko würde auch dorthin kommen. Die Soldaten behinderten eigentlich niemanden, aber ihre Anwesenheit allein war eine entsetzliche Beleidigung des Rats der achtzig Städte und damit aller Keeogii. Sie mußten zusehen, wie überall in ihren Städten fremde Wesen herumzulaufen begannen, wie man versuchte, sie zu kontrollieren, ja, wie man sie sogar jagte. Täglich trafen Nachrichten aus Shield-Sho ein, vom Rat der Städte, gedanklich übermittelt. Die Taveni und die Ky-Dendda, die als Burkos Vertretung dessen Freund Khadul entsandt hatten, forderten den totalen Krieg gegen die Eindringlinge, die völlige Vernichtung aller Menschen auf Keeog. Für die Taveni war es eine ungeheure Provokation, daß einer ihrer
Stammesbrüder gejagt wurde, nur, weil er sich gewehrt hatte, und die Ky-Dendda sahen in der Tatsache, daß ein Ky-Dendda bei dem Zwischenfall getötet worden war, einen Angriff auf den ganzen Stamm. Für alle Stämme jedoch war es eine Provokation, daß man ihre Gerichtshoheit nicht anerkannte, sondern einfach Jagd auf einen der ihren machte, neuerdings sogar auf zwei, denn der Keeo, der im Gefecht seinen Arm verloren hatte, war ausfindig gemacht worden. Besonders die Apaghani, als idealistisch bekannt, forderten Geduld mit den Eindringlingen, verlangten aber wie die anderen Stämme die Einstellung der Verfolgung Burkos. Auch die Shields forderten Geduld, und die Haveni-Akhars, als stille, verschlossene Charaktere, hielten sich heraus, soweit sie es konnten, verlangten allerdings energisch den Abzug der Soldaten aus dem Ratstriumphtheater und von den Hügeln Shield-Shos. Im Land kochte es. Vierhundertfünfzigtausend Keeogii, die Bevölkerung ganz Keeogs, bereiteten sich auf Widerstand gegen die Eindringlinge vor. Die Uniformdepots der Jägertruppen waren längst geleert, neue Kleidung wurde hergestellt, denn die Jäger erhielten ständig Zulauf, sollten zu Kriegern werden wie Burkos Leute, die Menschen getötet hatten. In Shield-Sho und in Taveni-Lekha ging das wegen der anwesenden Soldaten alles heimlich vonstatten, die Übungen aber wurden überall offen abgehalten, neue Armbrüste wurden ausgeliefert, neue Mitglieder trainiert. Ein Jäger der Keeogii mußte als erstes schießen lernen, so gut, daß er mit einem Pfeil jede Bedrohung von sich abwenden konnte. Er mußte lernen, wie mit verschiedenen Tierarten mit dem Messer zu kämpfen war, wie man mit der Hand und mit der Lanze und gegebenenfalls auch mit den Zähnen kämpfte und tötete. Jede Tierart hatte andere Methoden anzugreifen, und denen mußte
man begegnen. Dann mußten sie klettern können, auch schwimmen, sie mußten eine gewisse Ausdauer mitbringen, und das alles wurde ihnen beigebracht, immer freundschaftlich, stets mit gutem Zuspruch, auch, wenn es an sehr schwierige Dinge ging. Unhöflichkeit war den Keeogii ein Greuel. Burko wandte sich um, als er die Treppe dröhnen hörte, die an der Außenseite des Zylinders hochführte. Er sah hinunter und entdeckte Herencius, den Apaghani, der hier das Züchten der Vondaks leitete. Er hatte ein merkwürdiges, mit Stoff umwickeltes Bündel in der Hand. »Sei gegrüßt«, sagte Burko zu Herencius, als dieser schwer atmend oben ankam. »Wenn es wichtige Nachrichten gibt, hättest du mich auch über die Musterkarte erreichen können.« Der junge Apaghani lachte. »Nein, keine Nachrichten, etwas, über das du dich mehr freuen wirst.« Er öffnete das Bündel, das er trug, und Burko sah einen langen, gefährlich schimmernden Metallgegenstand, eine Pistole, die gewisse Ähnlichkeit mit den Waffen der Menschen hatte, allerdings war der Lauf frei und fast dreißig Zentimeter lang und das Magazin befand sich nicht im Griff, sondern vor dem Abzug, elegant in das schimmernde dunkle Metall integriert und weitaus breiter als die Magazine, die er bei den Menschen gesehen hatte. »Eine hübsche Pistole, Modell achtzehn. Das Endmodell«, sagte Herencius und strahlte. »Soll das heißen, daß die Shields in Shield-Kha ihre Untersuchung beendet haben?« fragte Burko überrascht. »Schon vor einer Woche. Die Schmieden und Feindhandwerksbetriebe auf ganz Keeog arbeiten seitdem nur noch an diesen Pistolen und den Gewehren, von denen ich leider noch keines habe.« »Warum habt ihr mir das nicht früher gesagt?« fragte Burko.
»Überraschung«, sagte Herencius und grinste. »Da, nimm sie doch! Sie ist noch nicht geladen.« Er kramte in seiner Tasche und förderte eine Metallschachtel zutage. »Hier ist die Munition.« Burko nahm die Pistole in die Hand. Sie war schwer, aber sie war gut ausbalanciert und lag angenehm in der Hand. Der Lauf war enorm lang, aber der schwere Griff und das nah vor dem Abzug liegende Magazin glichen das aus. Die Visierung war dieselbe wie bei einer Armbrust. Burko betrachtete das dunkel schimmernde Metall. Diese Pistole atmete Tod, gnadenlose Zerstörung. »Kaliber .30, nach der Skala der Menschen, die wir übernommen haben, denn die haben da wohl mehr Erfahrung. Ihre .45er waren zu groß, um sie an unsere Schwerkraft anzupassen. Aber mit den neuen Treibladungen in den Patronen«, Herencius hob eine hoch, die so lang wie eine UNGewehrpatrone war, »schießen wir ein Drittel weiter als die. Und zielsicherer.« »Leider haben sie keine Explosivspitzen, schade. Geht über unsere handwerklichen Fähigkeiten. Aber hier haben wir ja schon Wunderwerke vollbracht. Wir nehmen Weichbleigeschosse«, er hob eine Patrone hoch, »und arbeiten gerade an solchen mit Stahlmantel.« Burko nahm die Pistole, zog schließlich den Verschluß zurück, hob die Waffe und drückte ab. Es klickte leise, aber irgendwie bedrohlich. »Drück’ hier drauf, dann kommt das Magazin ‘raus.« Burko tat es, und er zählte die Löcher im Magazin, durch die man normalerweise die Patronen erkennen konnte. »Sechs Schuß. Meint ihr, das reicht?« »Aber sicher. Man hat mir alles erklärt. Hier, lad’ sie mal, einfach die Patronen ‘reinschieben.«
»Später. Wo können wir ungestört schießen, ohne daß die UN-Soldaten Wind davon kriegen?« »Unten. Oder auch hier, das ist egal. Hier gibt es keine Menschen außer der armen Rita.« »Es muß fürchterlich für sie sein, von ihren eigenen Leuten gejagt zu werden«, sagte Burko. »Und ich trage einen guten Teil der Schuld daran.«
Sie flogen mit zwei von Herencius’ Flugechsen zum Stadtrand und schossen im Wald. Burko hatte sich nach den ersten Schüssen mit der Waffe vertraut gemacht, er war ein guter Armbrustschütze, und hier störte ihn nur der starke Rückschlag der Patrone. Auch der dröhnende Knall war für seine empfindlichen Ohren unangenehm, aber nach ein paar Dutzend Schüssen begann er sich daran zu gewöhnen. Schließlich reinigte er die Waffe, ölte sie ein und schob sie mit der Munition in die Satteltasche seines Vondaks. Er landete in der Straße vor dem Haus, in dem er und Rita untergebracht waren, das Haus des Obersten Organisators der Stadt. Er trennte sich von Herencius, betrat das Gebäude und ließ den Vondak fliegen. Er fand Rita auf dem Dach des Gebäudes, zwischen den blühenden und duftenden Blumen des Dachgartens. Sie betrachtete nachdenklich eine handgroße blutrote Blume und drehte sich rasch um, als Burko heraufkam. »Ich habe Schüsse gehört«, sagte sie. »Aus dem Osten der Stadt, mindestens drei Dutzend, als ob jemand übte.« Sie wirkte beunruhigt, und Burko lächelte. »Das war ich.« Er zeigte ihr die Pistole, die er mit ins Haus genommen hatte, und sie starrte mit weiten Augen auf die fremdartige und auf bedrohliche Weise wunderschöne Waffe.
»Die Dinge werden vorangetrieben. Wir stellen jetzt unsere eigenen Feuerwaffen her. Rita, schon seit Monaten haben wir geforscht. Wir fanden Waffen bei einem eurer Soldaten, der von einem Raubtier zerrissen wurde.« Er hob die Pistole, betrachtete sie wehmütig. »Wenn eure Leute nicht vernünftig werden, muß das entscheiden, so wie es aussieht. Modell achtzehn. Wir rüsten unsere Leute auch mit Gewehren aus. In zwei Wochen können wir kämpfen.« Rita nickte. Sie wußte, daß in den Manufakturen von Armbrüsten und Uniformen, und jetzt wohl auch bei Schußwaffe und Munition, das Fließbandsystem eingesetzt wurde, denn es mußte schnell gehen, und jeder Keeo wußte, daß in diesen Zeiten mehr zu leisten war. »Was kann ich nur tun, um den Krieg zu verhindern«, fragte sie. »Du hast mehr getan, als du hättest tun sollen, und deswegen jagen sie dich. Ich bin daran schuld.« »Das stimmt nicht«, sagte sie schnell. »Ich wäre euch auch nachgeritten, wenn du mir befohlen hättest wegzubleiben, wenn du mich fortgejagt hättest. Ich mußte es versuchen, und ich bedaure nichts. Dieser Rossi war ein Mörder – du und die anderen, ihr habt keine Schuld daran, daß es so gekommen ist. Niemand kann tatenlos zusehen, wenn vor seinen Augen ein Freund niedergeschossen wird.« »Ich war immer dagegen, Menschen hier siedeln zu lassen«, sagte Burko leise, »aber ich habe mir niemals die Alternative klargemacht – Kampf. Vielleicht sollte der Rat der Städte doch nachgeben und mit den Soldaten und den Firmen kooperieren.« Rita lachte leise und bitter auf. »Burko«, sagte sie, »so hat es auch auf der Erde angefangen. Unsere westliche Zivilisation hat sich durch Feuer und Schwert in den meisten Teilen der
Welt ausgebreitet. Und wo stehen wir jetzt? Vor dem Untergang. Wenn wir nicht Keeog gefunden hätten. In hundert Jahren wird dieser Planet vielleicht so sein wie die Erde, und von deinem Volk wird nur noch ein erbärmlicher Rest existieren. Erinnerst du dich, was ich dir von der Erde erzählt habe, Burko?« Er nickte, eine Geste, die er den Menschen abgeschaut hatte. »Was denkst du, sollen wir tun?« fragte Burko. »Kämpfen?« »Das ist eigentlich der einzige Ausweg. Ihr könnt euch nur so retten – wenn ihr es schafft, die UN zu besiegen, wenn sie Friedensverhandlungen anknüpfen müssen, dann könnte wirklich ein neuer Anfang gemacht werden, und das wäre dann vielleicht die Rettung für beide Völker.« Sie sah auf die Pistole in seiner Hand. »Aber andererseits – wie wollt ihr die UN besiegen? Euer Volk zählt vierhundertfünfzigtausend, unseres fünfzehn Milliarden. Selbst eure neuen Feuerwaffen würden wenig gegen die Raketenwerfer und Haubitzen ausrichten, gegen Wasserstoff- und Neutronenbomben. Die Menschen haben sich seit den frühesten Zeiten die Köpfe eingeschlagen, der Krieg ist für uns eine Wissenschaft, für euch etwas Unbegreifliches, Unvorstellbares. Wenn ihr kämpft, werdet ihr untergehen, das weiß ich.« Burko sah sie hart an. »Vielleicht ist es besser, unterzugehen, als in eurer Welt zu leben.«
In den nächsten Wochen wuchs die Erbitterung der Keeogii. Firmen begannen, gewaltige Flächen im Süden des Landes zu roden, Bäume abzuholzen, riesige Monokulturen aufzubauen. Alles unter dem Schutz der UN-Truppen, die inzwischen einen neuen Kommandanten hatten, einen amerikanischen General namens Harold Brewster, und der Major Brankowski zu
seinem persönlichen Stabschef ernannt hatte. Es hieß, Brewster habe bereits früher mit eigenmächtigen Entscheidungen die Politik bestimmter Konzerne unterstützt, aber das war »natürlich« eine böswillige Verleumdung… Die Explosion kam überraschend. Eines Morgens, als Burko durch die Wälder um TaveniHelkhos ritt, an das sich langsam, aber sicher die Holz-, Landwirtschafts- und Lederverwertungsfirmen heranschoben, wurde er aus Taveni-Sho, einer Stadt weiter im Norden, siebenhundert Kilometer östlich von Taveni-Lekha, benachrichtigt. Rita Cunningham schlenderte gerade durch die Gärten der Stadt auf dem Tafelberg, als Burko herangaloppiert kam. Verwundert bemerkte sie, daß er ziemlich aufgeregt wirkte. Er sprang aus dem Sattel, duckte sich unter etlichen tiefhängenden Ästen hindurch und kam auf sie zu. Um sie herum herrschte kühles, stilles Halbdunkel. »Es gibt Krieg!« rief er ihr zu. Er schien alles andere als froh darüber zu sein. »Was ist denn geschehen?« fragte Rita entsetzt, ein Entsetzen, gegen das sie sich nicht wehren konnte, obwohl sie einmal einen Kampf befürwortet hatte. »Du weißt, daß sie Chevar nach Taveni-Sho gebracht haben. Er hat damals bei der Schießerei mit den Söldnern einen Arm verloren, und inzwischen ist er fast wieder gesund. Der UNGeneral schickte etliche Leute zum Schutz für eine ihrer Lebensmittelfirmen nach Taveni-Sho, und dort sahen sie Chevar zufällig auf einem Ausritt. Von den Arbeitern der WWC wußten sie, daß einer der Jäger im Kampf den Arm verloren hatte, und sie verfolgten ihn sofort. Er entkam ihnen jedoch, und als Brewster davon erfuhr, ließ er sofort eine zwanzigköpfige Abteilung UN-Soldaten und zehn von den WWC-Söldnern nach Taveni-Sho fahren, um Chevar zu
ergreifen. Und Brankowski wurde mit etlichen hundert Mann auf die Reise geschickt, um Taveni-Sho zu ›sichern‹, wie sie es nennen. Die dreißig Häscher haben Chevar aufgestöbert, aber die Bevölkerung hat sich geweigert, ihn auszuliefern. Sakegi kam mit seiner Schutztruppe, um Chevar zu beschützen und einen Kampf zu verhindern. Irgendeiner von den Soldaten drehte aber durch, als etliche Keeogii Steine nach ihnen warfen, und eröffnete das Feuer. Sie schossen wahllos in die Menge, und Sakegi griff sie augenblicklich mit seinen Jägern und etlichen neuen Feuerwaffen an.« »Hat Sakegi nicht als einer der ersten im Rat die Vernichtung der Menschen gefordert?« fragte Rita. »Ja«, sagte Burko. »Sakegis Leute haben alle Söldner und Soldaten in Taveni-Sho niedergekämpft und getötet, mindestens sechzig Keeogii, meistens unbewaffnete Stadtbewohner, sind dabei umgekommen, und die ganze Stadt ist im Aufruhr. Von jedem in der Stadt ansässigen Stamm ist mindestens ein Keeo gefallen, und jetzt wollen sie die Stadt verteidigen.« »Verteidigen?« fragte Rita. »Brankowski rückt auf Brewsters Befehl an. Achthundert Mann, Raketenwerfer und so weiter. Es gibt Gerüchte, daß sie ganz Taveni-Sho zerstören sollen, um den Stämmen der Keeogii eine Lektion zu erteilen. Der Rat der Städte hat das nicht hingenommen und augenblicklich in einer geheimen Sitzung beschlossen, zweitausend Mann, erfahrene Jäger aus allen Städten, nach Taveni-Sho zu schicken, um die Stadt zu schützen. Sie bauen schon Barrikaden, und Waffen und Munition strömen in die Stadt. Ich reite auch dorthin – ich werde mich mit Khadul und sechzig Taveni und Ky-Dendda auf halbem Wege zur Stadt treffen. Wenn wir es schaffen, durch unsere Überzahl Brankowskis Truppe zu erschlagen,
können wir Verstärkungen sammeln und nach Taveni-Lekha marschieren, wo Brewsters Hauptquartier ist. Das nächste Transportschiff kommt erst in drei Monaten, es ist schon von der Erde gestartet und im All, und bis dahin müssen wir den Krieg gewonnen haben.« »Dann hat es also begonnen«, sagte Rita düster. »Aber schließlich muß jemand den UN-Soldaten eine Lektion erteilen. Die Zeiten Cortez’ sind vorbei.«
Als Burko, Khadul und ihre sechzig Kameraden in Taveni-Sho eintrafen, war die Schlacht bereits geschlagen. Sie wurden nicht benachrichtigt, sie sahen es erst, als sie von Süden her vorsichtig die letzten Hügel der Blaugrasebenen überquerten. Rauch hing in dicken, schwarzen Wolken über der Stadt. Die Felder und Obsthaine waren voll von Flüchtlingen aus der Stadt, an die achttausend Keeogii. Überall waren behelfsmäßige Zelte und Hütten errichtet, Hunderte von Kochfeuern brannten unter freiem Himmel und Keeogii aller Stämme bevölkerten die Felder. Schweigend ritten die Krieger auf das Lager zu. Etliche besaßen Feuerwaffen, meistens Pistolen, wie Burko eine hatte. Burko hatte die Schrotflinte, die einmal Rossi gehört hatte, als eine Art von Trophäe mit sich genommen, und sie hing neben der Armbrust am Sattel. Es war langsam mit der Produktion wirklich guter Waffen vorangegangen, und selbst das Heer des Rates der Städte war nur mit knapp tausend Gewehren und Pistolen keeogischer Herstellung ausgerüstet. Doch die hohen Anfangserwartungen hatten sich als trügerisch erwiesen. Es war später Nachmittag, und auf dem letzten Hügel vor den Anbaugebieten hielten sie ihre Haigilas an. Sie spürten die schwirrenden, emotionsgeladenen Gedanken der vielen
tausend Keeogii. Niedergeschlagenheit, grenzenlose Enttäuschung und Angst waren die beherrschenden Gefühle. Die Krieger sahen sich an, Gedanken flogen hin und her, aber niemand sagte etwas. Leise tauchten die Pfoten der Haigilas in den Staub, während sie sich dem Lager näherten. Die Sonne strahlte heiß auf sie herab, und sie rochen das Feuer, das den Horizont im Norden verdunkelte. Man warf ihnen düstere Blicke zu, als sie zwischen den behelfsmäßigen Unterkünften vorbeiritten, ärgerliche und bittere Gedanken streiften sie, umhüllten sie wie eine Wolke. Schließlich erreichten sie das Lager der Truppe, ordentlich aufgestellte violette und schwarze Zelte, Uniformierte, die sich um Feuer scharten, lange Lazarettzelte, aus denen schmerzerfüllte und verzweifelte Gedanken drangen. Sie ritten an den Kriegern vorbei, die mißmutig herumsaßen, ihre Waffen putzten, zornig auf Trockenfleischfetzen ihres Proviants herumkauten oder irgendwo herumstanden und düsteren Gedanken nachhingen. Bevor Burko das Zentrum des Lagers erreichte, hatte er vielen Gedanken entnommen, was geschehen war. Als Brankowskis achthundert Mann angerückt waren, waren ihnen zweitausend berittene Jäger entgegengezogen. Man hatte die Stadt verbarrikadiert, die Straßen versperrt und mit einer recht schwachen Mannschaft zurückgelassen, alle Einwohner, die es wollten, evakuiert. Brankowskis Kriegskunst hatte leichtes Spiel mit den unerfahrenen Jägertruppen. Als sie angriffen, zog er sich zurück, mit leichtem Feuer seiner vorderen Züge. Als die Jäger nachstießen, wich er im Zentrum weiter zurück, ließ aber seine Flanken vorrücken und griff dann forciert von drei Seiten an, diesmal mit vollem Feuer von Granatwerfern, leichten
Raketenwerfern und Maschinengewehren, von den Schnellfeuergewehren der Soldaten gar nicht zu reden. Innerhalb weniger Sekunden verloren die Truppen der Keeogii über hundert Mann, sie ergriffen sofort die Flucht, und nur der Schnelligkeit ihrer Haigilas und der Unebenheit des Geländes hatten sie zu verdanken, daß Brankowskis Männer sie nicht verfolgen und vollkommen aufreiben konnten. Brankowski nutzte seinen Erfolg aus und stieß gegen TaveniSho vor, noch bevor die zersprengten Jägereinheiten sich gesammelt und den Widerstand organisiert hatten. Sie leisteten heftigen Widerstand an den Barrikaden, versuchten Flankenangriffe mit ihrer raschen und beweglichen Haigila-Kavallerie, aber Brankowskis leichte Raketenwerfer und Granatwerfer zerschmetterten die Barrikaden aus der Entfernung, mit Flammenwerfern brachte er die Attacken der Haigila-Reiter zum Stillstand, die Haigilas gingen durch, und seine Soldaten töteten jedes Tier und jeden Keeo, der zurückblieb. Er griff sofort die Stadt an, verwüstete sie aus der Entfernung mit seiner leichten Artillerie, setzte Flammenwerferkommandos ein, die den Truppen vorangingen und die letzten Verteidiger vertrieben oder verbrannten. Er ließ die Anbaugebiete im Norden der Stadt zerstören und schlug sein Lager dort auf, nachdem er ganz Taveni-Sho buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht und jeden Keeo, dessen er habhaft werden konnte, hatte erschießen lassen. Burko stieg vor dem Zelt, in dem er die Gedanken der Freien Führer der verschiedenen Städte und Truppeneinheiten spürte, von seiner Haigila. Er schlug die Zeltklappe beiseite und trat ein. Um den kleinen Tisch in der Mitte saßen die dreizehn Anführer, die die Schlacht überlebt hatten, auf dem nackten Boden. Drei waren getötet, vier schwer verwundet worden. Sakegi saß in der Nähe des Eingangs, er hatte einen Verband
um den linken Arm und sah blaß aus, aber in seinen Augen brannte ein kaltes, wildes, entschlossenes Feuer, und seine Gedanken waren voller Zorn. Als Burko eintrat, stand Sakegi augenblicklich auf. »Du bist da! Endlich!« Burko spähte mit starkem Unbehagen, daß er von ihnen als eine Art Experte in Kriegsangelegenheiten angesehen wurde, weil er als erster einen Sieg ohne nennenswerte Verluste erfochten hatte. Sakegi hatte seinen Sieg in Taveni-Sho mit zwanzig toten Jägern und vierzig toten Zivilisten bezahlen müssen, und die Niederlage gegen Brankowskis Truppen hatte die Freien Führer etliche ihrer Freunde, zweihundertfünfzig Krieger und über vierhundert Zivilisten gekostet. Die Flüchtlingslager waren voll von Verwundeten, und in den Lazaretten der Jäger lagen dreihundertfünfzig Verwundete. Die Heiler kamen kaum mit der Arbeit nach, aber aus anderen Städten wurden mit Vondaks mehr Personal und Medikamente eingeflogen, so daß eine rasche Besserung der traurigen Lage zu erwarten war. Sakegi und die anderen spürten, daß Burko nicht der war, für den sie ihn gehalten hatten. Sie nahmen seine Gedanken voller Traurigkeit, aber mit Freundschaft und voller Verstehen auf. »Was euch noch bleibt, ist der Rückzug«, sagte Burko sofort. »Ihr habt mit zweitausend Mann Brankowskis erstklassig ausgerüsteten Haufen nicht schlagen können, mit vierzehnhundert könnt ihr das noch viel weniger!« »Das ist es ja, was ich die ganze Zeit sage!« rief einer der Freien Führer. »Sie erhalten Verstärkung, das weiß ich!« Burko sah ihn an und überlegte. »Das weißt du?« Plötzlich fiel ihm Vano ein, wie er damals gesagt hatte, er könne mit etlicher Konzentration die Gedanken der Menschen erraten, etwas, was Burko und viele andere Keeogii nicht konnten.
Burkos Herz begann wild zu hämmern. »Beim Himmelsgeist! Verdammt!« Er ließ sich auf eine staubige Decke neben dem Eingang fallen, preßte die Hände gegen die Schläfen und überlegte, blockte seine Gedanken gegen die anderen ab, denn er mußte ruhig überlegen können, in aller Ruhe, ohne von ihnen gestört zu werden, denn vielleicht, vielleicht hatten sie noch eine Chance. Er wußte, daß die anderen Freien Führer kaum mit Menschen zu tun gehabt hatten, auch die Bewohner ihrer Städte nicht, höchstens der von Shield-Sho, wo der Rat stattgefunden hatte. »Was hast du denn?« fragte Sakegi. Burko sah auf. Seine Stimme bebte vor Erregung. »Hört zu! Es gibt Keeogii, die können die Gedanken der Menschen erraten oder lesen, sie können spüren, was diese vorhaben.« Der Freie Führer, der vorhin für den Rückzug plädiert hatte, zuckte mit den Ohren. »Das wissen wir. Und?« »Und!« brüllte Sakegi auf und war mit einem Satz auf den Beinen. »Und! Das fragst du noch, du Narr?« Er schüttelte den Kopf, immer wieder, ein Zeichen für starke Emotionen. »Wir verdammten Narren! Hätten wir das nicht früher merken können?« Die Anführer sahen sich an, und sie begriffen, was Burko gemeint hatte. Begriffen, daß sie vielleicht die Schlacht hatten gewinnen können, wenn sie früher daran gedacht hätten. »Ich war ein Vollidiot!« stieß Burko hervor. »Ich hätte die Sache damals intensiver verfolgen müssen und nicht einfach auf sich beruhen lassen dürfen! Wie viele Keeogii könnten noch leben? Stellt euch vor, ich wäre früher gekommen, und mit euch in die Schlacht geritten, ohne einen Gedanken an andere Methoden zu verschwenden! Ausgerechnet ich, der
einzige, der ständig mit einem menschlichen Wesen zu tun hatte.« »Deine Gedanken sind idiotisch«, fuhr ihn Sakegi an. »Selbstvorwürfe haben noch niemandem etwas gebracht. Du solltest lieber dafür sorgen, daß wir etwas organisieren, daß wir erfahren, was die anderen vorhaben!« Burko erhob sich, halb benommen und innerlich aufgewühlt. »Ihr müßt alle mithelfen, ihr alle! Ich brauche Leute, die in der vorigen Schlacht oder sonstwo die Gedanken von Menschen wirklich gespürt, wirklich erraten haben, die wußten, was im nächsten Moment geschehen würde. Holt sie her, holt sie alle her, sofort!«
Brankowski trug seine frisch gebügelte Khakiuniform und den blauen Kampfhelm wie alle Soldaten, die das Lager bei der zerstörten, eingeebneten Stadt bevölkerten. Er hatte die vernichteten Felder, das erschossene Vieh, die zahlreichen zerfetzten oder verbrannten Leichen von Keeogii und Haigilas auf dem Kampffeld betrachtet. Es machte ihm keinen Spaß, was er tun mußte, aber als Soldat hatte er den Befehl erhalten und würde das Beste daraus machen, mit aller Rücksichtslosigkeit und Härte, die notwendig war. Er betrat das Kommandozelt, wo sich sein Stab bereits versammelt hatte, alle in frischen Uniformen, einer verwundet, aber alle waren erschienen. Sie hatten eine Tafel aufgestellt und Karten des Gebiets daran gehängt. Die Hitze im Inneren des Zeltes war mörderisch. Insekten schwirrten herum, manche waren sogar gegen die irdischen Gifte resistent. Große Schweißflecken zeigten sich auf den Uniformen der Soldaten, die hier schon lange an den Karten gearbeitet und überlegt hatten.
Nach den Begrüßungen und den ersten Vorschlägen übernahm Brankowski das Wort. »Meine Herren«, sagte er und reckte seine mächtige Gestalt neben der Karte an der Tafel, während alle Blicke auf ihn gerichtet waren. »Sie wissen alle, daß diese Eingeborenen diesmal zu weit gegangen sind. Sie haben dreißig Menschen ermordet, und sie haben Widerstand gegen unsere Truppen geleistet. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen. Wir haben zwar einen Sieg errungen, aber der war mehr technischer Natur, in Wirklichkeit sind die feindlichen Streitkräfte uns noch immer im Verhältnis eins zu einskommasiebenfünf überlegen. Die Zerstörung ihrer Stadt reicht außerdem nicht aus, die rebellische Bevölkerung muß exemplarisch bestraft werden, so daß derartige Vorfälle nicht mehr vorkommen können. Ich könnte auf Verstärkung warten, wie Sie vorschlugen, aber das würde bedeuten, daß der Feind seine Truppen sammeln und ebenfalls Verstärkung heranholen kann.« Er deutete auf die Karte, auf eine Stelle südlich von TaveniSho. »Wenn wir jedoch jetzt in diese Richtung vorgehen, müßten wir einen leichten Sieg davontragen können. Wir sind ihnen zwar an Zahl unterlegen, aber was Waffen, Erfahrung, Ausbildung und Taktik betrifft, überlegen. Dort ist das Lager der geflohenen Stadtbevölkerung. Ich schlage Ihnen vor, meine Herren, einen Angriff aus drei Richtungen zu versuchen, aus Norden, Westen und Osten, und zwar mit schwächeren Artillerieeinheiten. Wir bombardieren das Lager mit Granaten und Raketen und setzen dabei etwa zweihundert Mann ein, während sechshundert Soldaten mit Flammenwerfern und leichten Maschinenkanonen hier unten im Süden, nach einer Umgehung des feindlichen Lagers, die fliehenden Gegner abfangen und töten können. Ich wiederhole noch einmal, was
ich bereits in der ersten Einsatzbesprechung sagte: Die abschreckende und heilende Wirkung unserer Aktion wird zerstört, wenn wir Gefangene machen!« Die Offiziere zeigten sich beeindruckt, nur einer wagte einen Einwand: »Wird ein so grausames Vorgehen nicht eher den Widerstand des Feindes verschärfen, Sir?« Brankowski blickte den jungen Captain düster an. »Die Leute verstehen keine Großmut, Captain. Sie verstehen nur die unmittelbare Gewalt, und die werden wir anwenden. Sie müssen wissen, daß wir gewillt sind, alle ihre Stämme auszurotten, wenn sie es noch einmal wagen sollten, gegen uns vorzugehen. Angst ist wirksamer als Liebe, das hat schon Machiavelli gesagt, und genau dieses Prinzip gedenken General Brewster und ich anzuwenden.« »Wann wollen wir angreifen, Sir?« fragte ein Leutnant. »Noch heute nacht. Die Keeogii sind Spätaufsteher, im Morgengrauen dürften sie alle noch schlafen. Nun, wir werden jetzt darangehen, die Truppenteile für die verschiedenen Funktionen einzuteilen und einen allgemeinen Zeitplan aufzustellen.« Er blickte scharf in die Runde. »Wir haben Krieg, und diese Schlacht kann entscheidend sein. Alles muß wie ein Uhrwerk ablaufen. Wie ein Uhrwerk, meine Herren!«
Burko verstand nicht, wie sie das machten. Sie selbst verstanden es vielleicht auch nicht ganz, und sie hatten es als etwas Intuitives beschrieben. Man konzentrierte sich auf den Feind, man blickte in seine Richtung, man versuchte, zu ergründen, was er vorhatte, man versuchte mit aller Kraft, seine Gedanken zu lesen. Es war ungeheuer anstrengend, nicht zu vergleichen mit der einfachen Kommunikation über die Musterkarten oder das Gespräch mit
jemandem, den man sehen konnte, aber einige wenige Krieger schafften es. Und jetzt wußten sie, was der Feind vorhatte. Es war Nacht, und über ihnen leuchtete ein kleines, gelblich flackerndes Thannogin-Achat mit strahlend grünen Rändern. Keeog besaß keine Monde, und wenn es in der Nacht keine »Nordlichter« gab, was meistens der Fall war, war es sehr dunkel. Die Natur auf Keeog war wilder und gefährlicher als auf der Erde, und die Evolution hatte dafür gesorgt, daß sich die Tiere, die oft gefährdet waren, einigermaßen schützen konnten. Krallen, spitze Hörner, Gift, Schnelligkeit, Größe, Beweglichkeit und Nachtsichtigkeit. Für einen Keeo war die gewöhnliche, nach irdischen Begriffen stockdunkle, Nacht so hell wie für einen durchschnittlichen Menschen ein düsterer Regentag. Das gab ihnen allerdings keinen besonderen Vorteil, denn die irdischen Soldaten besaßen Nachtsichtbrillen mit Restlichtverstärkern, die die Nacht fast zum Tage machten. Also blieben die Krieger im hohen Gras sorgfältig in Deckung, als sie die Kolonne kommen sahen. Burko blickte mit schmalen Augen zu ihnen hinüber. Die Menschen hatten alle Lichter ausgeschaltet, und die Lastwagen fuhren langsam, aber das Brummen dröhnte dennoch bis zu den Kriegern. Es war eine nicht sehr lange Kolonne. Vier Lastwagen, an die mehrere leichte Kanonen gehängt waren, ein Jeep, der voranfuhr, mit schußbereitem MG, und ein flaches Raupenfahrzeug, das offensichtlich Munitionskisten sowie Ersatzteile transportierte. Die etwa siebzig, achtzig Mann umfassende Kolonne näherte sich vorsichtig dem Lager in einem weiten Bogen von Westen. Burko hatte seine sechzig Kameraden aus Taveni-Lekha und hundert weitere Krieger bei sich, außerdem Khadul und Had-
Akwhan, einen Haveni-Akhar, der die Absichten der Gegner erraten konnte. »Sie sind nervös und wachsam, aber sie glauben nicht an einen Überfall«, flüsterte Had-Akwhan Burko zu, der die langsam näherkommende Kolonne mißtrauisch betrachtete. »Sie denken, die Nacht und ihr Trick schützt sie, und das wäre auch der Fall gewesen. Wir wären niemals auf die Idee gekommen, daß sie ohne weitere Verstärkungen angreifen würden.« »Wir haben knapp siebzig Gewehre«, erwiderte Burko gedanklich. »Außerdem vierzig Pistolen, ein paar erbeutete Waffen sowie natürlich die Armbrüste. Der Überfall muß also rasch ablaufen.« Er sah die Krieger an, etwa zehn Mann, die sich mit ihm im Gras duckten, und er wußte, daß auch die anderen, die er nicht sehen konnte, lauschten, gedanklich lauschten. Khadul war irgendwo in der Nähe, er spürte seine Aufmerksamkeit und seinen wachen Geist, der sofort auf einen schwachen Punkt in Burkos Plan aufmerksam machen würde. »Sie fahren hintereinander. Wir dürfen ihnen keine Zeit geben, das Maschinengewehr, die Kanonen oder – falls es geht – überhaupt eine Waffe einzusetzen. Also reichen sechzig Schützen nicht aus. Wir lassen sie bis auf zwanzig Meter heran. Khadul, du nimmst unsere sechzig Freunde aus TaveniLekha und postierst dich uns gegenüber. Bewegt euch vorsichtig. Wir lassen sie zwischen den beiden Gruppen hindurchfahren, etwa zwanzig Meter Abstand zu jeder Gruppe, und dann holen wir sie uns. Alles andere ist bereits vorher besprochen worden. Noch Fragen?« »Keine Frage, eine Ergänzung«, das war Khadul. »Wir erledigen natürlich zuerst die Kerle in dem Jeep und konzentrieren dann unser Feuer auf die Lastwagen, deren Planen nicht viel Widerstand bieten dürften. Das da unten, die bauchigen Blasen an der Unterseite der Lastwagen, sind Tanks.
Zerschießt sie mit den Gewehren und feuert mit der Armbrust einen Feuerbolzen hinterher, dann geht alles in Flammen auf.« Burko hatte Befehl gegeben, Armbrustbolzen mit einem schnellwirkenden Nervengift zu verwenden. Außerdem verfügten mehrere Schützen über spezielle Brandsatzbolzen. Im Osten krachten Schüsse, sehr fern und leise, jenseits der Wachfeuer des Flüchtlingslagers, die sie sehen konnten, wenn sie sich aufrichteten, um über das Grasland zu schauen. Die Kolonne geriet sekundenlang ins Stocken, dann ertönten drüben Flüche, Had-Akwhan flüsterte: »Sie sind überrascht, aber sie wollen an der Schlacht teilnehmen und ihren Kameraden helfen.« Dann heulten die Motoren auf, die Fahrzeuge bewegten sich schneller, walzten das Gras nieder, die Kanonen hüpften auf ihren dicken Gummireifen auf und ab. Der Mann, der kerzengerade hinter dem erhöhten MG auf dem Jeep stand, geriet ins Taumeln und klammerte sich an die Waffe. Dann geschah alles sehr schnell. Burko bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Armbrüste und Gewehre an die Schultern gehoben wurden, er hob die Flinte Rossis, und als der Jeep in etwa zehn Meter Entfernung auf gleicher Höhe war, feuerte er eine Ladung ab. Die Projektile rissen den Mann am MG zur Seite, schleuderten ihn über die anderen, und dann erhielt der Konvoi von beiden Seiten mörderisches Feuer. Schüsse krachten salvenweise, zerfetzten die friedliche Stille, Soldaten brüllten, der Jeep wurde im Kreuzfeuer von dreißig Gewehren zersiebt, brach aus, überschlug sich. Soldaten sprangen aus den Lastwagen, ihre Gewehre bellten auf, schickten wahllos Geschosse in die Graswände links und rechts, sie wurden mit einem Hagel von Armbrustpfeilen überschüttet, und viele stürzten und blieben liegen. Burko riß den Vorderschaft zurück und vor, feuerte das Gewehr auf
einen Soldaten ab, der schemenhaft zwischen den Büschen auftauchte, der Soldat fiel, Burko rollte sich zur Seite, Explosivgeschosse detonierten, er sah einen Keeo gekrümmt fallen, Blut und Knochensplitter auf der Kleidung. Einer der Lastwagen explodierte, als die Tanks in Brand geschossen waren, brennende Gestalten taumelten heraus, fielen unter Schüssen der Krieger. Die Soldaten des zweiten Lastwagens wurden niedergemäht, bevor sie ihn ganz verlassen konnten. Burko sah sie fallen und stürzen, er feuerte immer wieder mit der Schrotflinte, bis die Munition verbraucht war. Er warf sie weg und zog die Pistole, schoß damit weiter. Links und rechts von ihm zuckten blaue Mündungsflammen zwischen den Grashalmen hervor, brennende Pfeile zogen ihre Bahn, die Plane des letzten Lastwagens hatte Feuer gefangen, die Scheiben des Raupenfahrzeuges waren zersplittert, die Fahrer hingen tot über ihren Armaturen. Verschiedene Soldaten versuchten, gedeckt durch wildes Feuer ihrer Kameraden, eine Kanone in Stellung zu bringen, ein kleines 20-mm-Schnellfeuermodell. Burko sah es, und er brüllte seinen Leuten zu, weil er sich nicht auf gedankliche Kommunikation konzentrieren konnte: »Dort! Schießt auf die, sie bringen eine Kanone in Stellung!« Er duckte sich hinter einem Erdhügel, zielte und schoß einen der Soldaten nieder, die das Geschütz herumzerrten und einen Ladestreifen einlegen wollten. Augenblicklich feuerten sie auf ihn, und ohne seine spärliche Deckung wäre er verloren gewesen. Etliche Soldaten rannten durch das niedergetrampelte, jetzt Feuer fangende Gras und schossen wild um sich, andere warfen ihre Waffen weg und stürzten davon. Überall Schüsse, Feuer, Schreie, Chaos.
Die 20-mm-Kanone hämmerte los, ziellos in den Grasdschungel hinein, erstickte alles in ihrem wilden Dröhnen. Burko robbte zurück, hinter ihm explodierten Granaten, er zielte auf den Mann an der Kanone, aber da traf diesen bereits ein Brandbolzen in die Schulter, er brüllte, taumelte, ging in Flammen auf. Die anderen zerrten die Kanone unter den dritten Lastwagen, der ziemlich hoch gebaut war und um den sich der letzte Widerstand gruppiert hatte. Das Feuer aus Gewehren und Armbrüsten konzentrierte sich auf den Lastwagen, und bevor die Kanone mehr als ein Dutzend Schüsse abgegeben hatte, detonierten die Tanks des Lastwagens. Einige wenige schafften es, dem Flammenmeer halbwegs unverletzt zu entkommen, sie taumelten, ein paar schossen noch, und dann fielen sie unter dem Hagel von Kugeln und Bolzen, der mörderisch auf sie herniederprasselte. Sekundenlang war es bis auf das Prasseln der Flammen und das Stöhnen der Verwundeten still, dann krachten ein paar Schüsse abseits im Gras, und mehrere Krieger schleppten die Leichen von zwei Soldaten heran, warfen sie achtlos neben die anderen. Das Licht der Flammen spiegelte sich in dem vergossenen Blut, das Pfützen zwischen den Gefallenen bildete. Dann herrschte Schweigen. Burko erhob sich zögernd, die Pistole in seiner Hand, er blickte sich um und sah die anderen kommen, geduckt, Gewehre oder Armbrüste in den behandschuhten Fäusten, der Flammenschein schimmerte in ihren Augen. Er starrte die prasselnden Flammen an, die aus den Lastwagen schlugen und auf das Raupenfahrzeug überzugreifen drohten. »Kümmert euch um die Verwundeten, zählt die Toten!« rief Burko. »Wir müssen die Kanonen retten!«
Aus dem Osten drang noch immer Kampfeslärm, dumpfe Detonationen hallten, das Gefecht schien sich auszuweiten. Offenbar waren sämtliche übrigen Abteilungen des UN-Heeres bereits im Gefecht mit den Kriegern aus den achtzig Städten. Sie sprangen über die am Boden liegenden Leichen hinweg, hier und da lebte noch ein Soldat, und sie töteten ihn nicht, sondern versuchten, ihm zu helfen, so gut es ging. Es war schwierig, an die Kanonen heranzukommen, die noch hinten an den Lastwagen hingen, das Metall war glühend heiß, Flammen prasselten über sie hinweg. Sie schafften es schließlich, die Kanonen beiseite zu zerren, Burko ruinierte seine Handschuhe dabei und versengte seine Haare und sein Hemd, aber das 5-cm-Geschütz, bei dem er mithalf, wurde gerettet. Das Raupenfahrzeug wurde in aller Eile entladen, einer der Lastwagen stand nur wenige Meter davon entfernt in hellen Flammen, und sie schafften die Munition beiseite, so rasch sie konnten. Schließlich war alles erledigt, sie wichen vom Schlachtfeld zurück und gingen zurück mit ihren Haigilas, beladen mit Verwundeten auf improvisierten Bahren, mit erbeuteten Gewehren und Pistolen, sie zerrten Munitionskisten hinter sich her. »Wir haben gewonnen!« rief Khadul. Er grinste Burko wild an. »Wir haben es ihnen gezeigt, wir haben ihnen eine Schlappe beigebracht!« Burko war damit beschäftigt, seine Pistole zu laden. Die Schrotflinte hatte er sich wieder über die Schulter gehängt, er hatte bei den Haigilas noch erbeutete Munitionen für sie. »Wie viele Leute haben wir verloren?« fragte Burko. »Ich weiß es nicht«, sagte Khadul und war plötzlich ernst. »Du hast recht, es ist nicht die Zeit zum Jubeln. Das hier ist kein Spaß.«
»Und Brankowsky hat immer noch über siebenhundert Mann«, bemerkte Burko, der die Leichen gezählt hatte. »Wir müssen den anderen helfen.« Sie ließen die sechzehn Verwundeten und die acht Toten die dieser Überfall gekostet hatte, beim Schlachtfeld zurück, zusammen mit zwanzig Mann, die sich um sie kümmern konnten. Sie hatten vorsorglich Packhaigilas mitgenommen, die sie mit Munitionskisten beluden. Erbeutete Waffen wurden ausgeteilt, Explosivpatronen ausgegeben. Von einem verwundeten UN-Soldaten, den sie zu dessen größter Überraschung nicht getötet, sondern versorgt hatten, erfuhren sie, wie die Kanonen zu bedienen waren. Had-Akwhan, der Haveni-Akhar aus dem tiefsten Süden, las in seinen Gedanken das, was er nicht sagen wollte. Hundertzehn Krieger ritten dann nach Osten, jetzt mit Schußwaffen ausgerüstet, mit einer leichten 20-mmSchnellfeuerkanone vom selben Typ wie die, mit der die Soldaten noch zuletzt auf sie geschossen hatten und die mit dem brennenden Lastwagen zerstört worden war. Sie hatten mehrere Haigilas vor die Kanone gespannt, und das Ding hüpfte auf seinen Gummireifen hinter den galoppierenden Haigilas auf und ab. Burko und der Haveni-Akhar ritten weit voraus, dem langsam abschwellenden Gefechtslärm entgegen, und bald darauf sahen sie Flammenschein aufleuchten, das dumpfe Wummern der Granatwerfer war verstummt und nur noch Maschinenwaffen hämmerten, hier und da blitzte etwas grell auf. Ein Teil der Ebene südlich des Lagers stand in Flammen, und dort war der Kampf am härtesten. Schließlich stießen sie noch auf eine Gruppe UN-Soldaten. Had-Akwhan sagte Burko, wo sie waren und was sie dachten, lange bevor sich beide Parteien sehen konnten.
Sie hielten ihre Haigilas in günstiger Entfernung an. Der ferne Flammenschein war bereits deutlich zu erkennen, die Detonationen der rasenden Waffensysteme laut und drohend. »Sie sind höchstens einen Phaijang vor uns«, sagte HadAkwhan. Sein junges, verschlossenes Gesicht mit den rötlich schimmernden Augen wirkte müde. Er strich sich über die langen, schneeweißen Haare und deutete dann nach vorn. »Dort etwa.« Sie sahen eine lange Flammenzunge aufzucken. »Zwei Flammenwerfer, etwa hundertzwanzig Mann. Sie wollten Sakegis Leuten in die Flanke fallen, aber sie stoßen ins Leere, nur wissen sie das nicht.« Natürlich hatte auch Sakegi in seinen Abteilungen mehrere Keeogii, die die Absichten des Feindes erkennen konnten. »Jetzt sind sie nervös, brennen lieber zuviel nieder als zuwenig, schießen um sich. Sie sind entschlossen, bis zuletzt zu kämpfen, weil sie glauben, umzingelt zu sein. Ihre Führung ist schwach und unfähig, die Verbindung zum Führungsstab ist seit dem letzten Befehl abgebrochen. Die weite Grasebene irritiert sie.« »Wir fallen ihnen in den Rücken, sobald Sakegi zum Gegenstoß ansetzt. Wir müssen zuerst die Flammenwerfer ausschalten.« Sie brauchten nicht lange, um ihre Leute zu formieren. Sie entschlossen sich, auch diesmal zu Fuß vorzugehen, denn die meisten gefährlichen Tiere waren ohnehin durch das Gefecht verjagt worden, und wenn sie im Sattel blieben, ragten sie über das hohe Gras hinaus und waren ein leichtes Ziel für einen am Boden verborgenen Schützen oder Flammenwerfermann. Sie hielten eine enge Kette, und die relativ leichte Schnellfeuerkanone sowie die Munition wurden von mehreren Haigilas gezogen, die Mannschaft, die sich jeden Handgriff so gut eingeprägt hatte, wie es ging, führte die Tiere und lief daneben her.
Als erstes stießen sie auf eine kleine Gruppe von etwa zwanzig Mann, die über einen Flammenwerfer verfügten und ein paar Dutzend Meter von den lautlos vorschleichenden Kriegern entfernt gegen eine Flanke vorstießen, die es längst nicht mehr gab. Sie brachten die Kanone in Stellung, legten den Gurt ein, schalteten das elektronische Zielgerät ein. Khadul duckte sich hinter dem Auslösemechanismus und richtete die Waffe auf den aufleuchtenden Feuerschein des Flammenwerfers höchstens zehn Meter vor ihnen. »Vorwärts!« schrie jemand auf Englisch. »Sie weichen zurück, los weiter, aber immer den Flammenwerfer einsetzen, sonst…« Khadul drückte ab, und das Hämmern der schweren Kanone machte Burko, der in der Nähe stand, fast taub. Explosionen zuckten empor. Gras und Männer wurden emporgerissen, ein Schrei ertönte, und mit einem dumpfen, berstenden Laut breitete sich eine gewaltige Flammenwolke aus, als eine Granate den Tank des Flammenwerferträgers zerriß. Dann ging alles Schlag auf Schlag. In einer lockeren Schützenkette hetzten sie durch das Gras, überall zuckten Mündungsflammen, und ratschende Karabinersalven dröhnten durch die stille Nacht. Burko hatte die Schrotflinte in den Händen, er lief durch das Gras vorwärts wie die anderen, Had-Akwhar neben sich. »Sie setzen gleich den Flammenwerfer ein! Zurück!« brüllte Akwhar, und Burko gab denselben Befehl gedanklich weiter, um alle Krieger rechtzeitig zu warnen. Sie wichen zurück, Burko duckte sich hinter einem halbhohen Busch, und weiter rechts ertönten die wilden Kampfschreie angreifender Infanterie. Der Flammenwerfer brüllte dumpf auf, ein Keeo schrie durchdringend und verstummte, bevor die Maschinenkanone irgendwo hinter ihnen loshämmerte – eine
zweite Flammenwolke zuckte empor und Burko hörte die entsetzlichsten Schreie seines Lebens. Vor Burko sprangen etliche Gestalten durch das Gras, er duckte sich, und Geschosse peitschten über ihm durch die Äste des Busches, hinter dem er kauerte. Er sah die Gesichter der UN-Soldaten aus wenigen Metern Entfernung hinter ihren großen Nachtsichtbrillen, unter den blauen Helmen, in dem Moment, als er mit seiner Schrotflinte und Had-Akwhan mit einer erbeuteten Maschinenpistole zu schießen begannen. Die Kugeln trafen die angreifenden Männer, rissen sie herum und zerstörten ihre Körper. Ekel packte Burko, durchdringender Ekel, aber er schoß auf den letzten, als der die Waffe in ihre Richtung schwenkte, die Ladung traf den Mann ins Gesicht, und dann war es vorbei, zumindest hier. Woanders aber dröhnten noch die Schüsse. Die Maschinenkanone hämmerte unablässig. Handgranaten explodierten. Dann tauchten Reiter auf, riesenhaft fast und plötzlich, galoppierten auf ihren Haigilas durch die Felder und schossen mit erbeuteten Waffen aus dem Sattel auf die Soldaten, die durch das niedergetrampelte Gras hetzten. Burko sah sich um. Hinter ihm peitschte Had-Akwhars Maschinenpistole auf, und kaum zwei Meter von ihm entfernt fiel ein Soldat, die Pistole noch in der Hand. Das Ende des Gefechtes kam plötzlich. Auf einmal krachten keine Schüsse mehr, sekundenlang herrschte Totenstille, bis dann wieder die leisen Schritte der Haigilas aufklangen, das Rascheln des Grases, das leise Säuseln des Windes, ferne Rufe, schmerzerfülltes Schreien und Stöhnen. Flammen prasselten im Gras, aber erloschen recht schnell, denn das blaue Gras war saftig und voller Wasser.
Burko stand zwischen den zerrissenen, blutüberströmten Leichen der Männer, die todesmutig vorwärts gestürmt und in seine und Had-Akwhars Kugeln gelaufen waren. Der bittere Geruch des Pulvers hing schwer in der Luft, vermischte sich mit dem Gestank nach Blut und Tod, nach verbranntem Fleisch. Ihm war schlecht, sein Magen revoltierte, aber dann dachte er daran, daß so auch Keeogii-Krieger und wehrlose Männer, Frauen und Kinder hätten enden können, hingemetzelt, gefallen unter den alles zerfetzenden Explosivgeschossen der UN-Soldaten. Überall waren auf einmal Haigila-Reiter, ihre Uniformen schimmerten schwarz, ihre Augen leuchteten im spärlichen Licht der Sterne, und Burko wußte, daß sie gesiegt hatten. Es war vorbei. »Wir haben sie geschlachtet, als ob sie gefesselt gewesen wären!« rief Sakegi lachend. Er tauchte plötzlich neben Burko auf, groß, wild, von oben bis unten blutbespritzt, aber diesmal war es nicht sein eigenes Blut. Seine Haigila scheute fast bei dem durchdringenden Geruch der Leichen zu Burkos Füßen, aber Sakegi beruhigte sie sanft. »Wir wußten, was sie tun würden, und sie stürmten ins Leere. Sie Schossen mit ihren Granatwerfern, sie ließen Flammen schießen, sie ballerten mit ihren MG’s herum, aber sie trafen nur Luft, weil wir wußten, was sie tun würden, noch bevor die Befehle gegeben waren! Wir haben kaum Leute verloren – ein Glück, daß ihr denen hier in den Rücken gefallen seid, das waren nämlich die letzten, und es hätte gefährlich werden können. Danke, Burko!« Er sah sich um, verzog die Nase und trieb seine Haigila beiseite. Burko folgte ihm, weg von dem Blut und dem Gestank. »Wie ist es bei dir gelaufen?« »Wir haben ein paar Kanonen erbeutet und etwa achtzig von ihnen getötet, ein paar auch gefangengenommen.«
»Soweit ich es übersehen kann, haben wir keine Gefangenen gemacht«, erwiderte Sakegi. »Schließlich sind sie gestern auch unseren Freunden nachgerannt und nachgefahren und haben so viele getötet, wie es nur ging, als wir schon geschlagen waren.« Er lachte und zeigte sein weißes Raubtiergebiß. »Das war eine Schlacht, sage ich dir!«
»Das war’s«, sagte Burko und betrachtete die lange Reihe der Soldaten, die unter der glühenden Sonne, ohne Helme, ohne Koppel und Waffen dastand. Das alles lag ihnen gegenüber auf einem Haufen, neben den Pfoten der Haigilas, neben den Stiefeln der Krieger, die überall herumliefen und sich ansahen, was es im Lager der UN-Soldaten für merkwürdige Dinge gab. Eben hatte der letzte überlebende UN-Soldat nach einer Belagerung von knapp vier Wochen aufgegeben. Nach dem Sieg bei Taveni-Sho, der Brankowski und neunundneunzig Prozent seiner Leute das Leben gekostet hatte und bei dem die Keeogii insgesamt nur etwa dreißig Mann verloren hatten, waren tausend Krieger auf die Garnison zumarschiert, die bei Taveni-Lekha errichtet worden war. Dort befanden sich noch fast achtzehnhundert Soldaten, die Unterstände und Schützengräben gebaut und einige wenige Geschütze in Stellung gebracht hatten – die meisten Kanonen hatte man Brankowski mitgegeben, in dessen Fähigkeiten viel Vertrauen gesetzt worden war. Sobald sie herausgefunden hatten, daß ihnen nur tausend anscheinend nicht allzu gut bewaffnete Kämpfer gegenüberstanden, hatte General Brewster einen Ausfall gemacht, der dank der Fähigkeiten von Sakegis Gedankenlesern zu einer Katastrophe wurde. Jedes Manöver wurde mühelos vorausgesehen, während es noch im Kopf der Offiziere Gestalt annahm, und die Keeogii wichen den
Truppen aus, ließen sie ins Leere stoßen und fielen ihnen dann stets mit vernichtender Brutalität in den Rücken. Khadul machte mit Had-Akwhar einen überraschenden Angriff auf das Kommandozelt Brewsters, zehn Krieger hinter sich, und die Soldaten wurden völlig überrascht – woher wußten die Feinde, wo das Hauptquartier aufgeschlagen worden war, und wie waren sie durch die Reihen der Soldaten gekommen? Brewster und seine Stabsoffiziere starben, sein Heer wurde aufgelöst, und etliche hundert konnten sich davor retten, niedergemacht zu werden, indem sie sich in die Befestigungsanlagen zurückzogen. In wischen waren weitere Waffenlieferungen der Keeogii eingetroffen, und die Gewehre, die viel weiter schossen als die für irdische Verhältnisse gebauten M-16-Karabiner, bedient von Scharfschützen, quälten die Eingeschlossenen Tag und Nacht. Dann kam die Regenzeit, kurz vor dem Thai-Hamal, der Jahreszeit der Stürme und Gewitter; der hartgebackene Boden der Ebene, seines Grases entblößt, wurde in den Verteidigungsstellungen aufgeweicht, die Unterstände füllten sich mit Wasser, und die regelmäßig hereinrauschenden Geschosse von tragbaren erbeuteten Raketenwerfern und Granatwerfern machten das Leben in der Festung zur Hölle. Als die heiße Zeit wiederkam und der Proviant ausging, kapitulierten die Überreste der UN-Armee. Lucia Turner, die wie die anderen Firmenchefs von den Keeogii verhaftet werden sollte, wurde erschossen, als sie und ihre Söldner sich gegen eine Abteilung von Sakegis Kriegern zur Wehr setzten. Verschiedene Manager fürchteten um ihr Leben und flohen in die Wildnis, sobald sich Krieger ihren Filialen näherten, einige wenige ließen sich verhaften und wurden nur vorübergehend festgehalten, bis sämtliches Eigentum der Firmen auf Keeog zerstört oder beschlagnahmt war. Die Keeogii machten keinen
Versuch, die Menschen, die sich vor ihnen in der Wildnis versteckten, einzufangen, sie wußten, daß fast alle diese Leute den verschiedenen Raubtieren ihrer Welt zum Opfer fallen würden. Den Siedlern war erlaubt worden, ihr bereits zugeteiltes Land zu behalten, es wurde aber strikte Neutralität von ihnen verlangt, falls es zu weiteren Kämpfen kommen sollte, und sie hatten sich aus bestimmten keeogischen Gebieten bei Todesstrafe fernzuhalten. Das alles war während der Belagerung des UN-Stützpunktes beschlossen worden, und jetzt, etliche Tage nach der Auflösung sämtlicher Firmenfilialen auf keeogischem Boden, gaben die Soldaten ihre Waffen ab und ergaben sich. Burko betrachtete die abgerissenen Gestalten in schmutzigen Khakiuniformen mit leichtem Mitleid. Im Grunde ging diese Sache sie nichts an, sie kämpften in einem Krieg, den die Firmen angefangen hatten, indem sie Druck auf die Politiker und Militärs ausübten, ihnen auf Keeog praktisch freie Hand zu lassen. »Hältst du es für richtig, sie nur für eine Weile einzusperren und auch noch durchzufüttern?« fragte Sakegi mißmutig. »Wenn die Verstärkung kommt, und sie wird kommen, werden diese Halunken neue Waffen in die Hand gedrückt kriegen und wieder auf uns losgehen.« Burko nickte. Das Dilemma war ihm durchaus bewußt – aber kaltblütiger Mord an Unbewaffneten, die sich in gutem Glauben ergeben hatten, war nicht seine Sache und konnte nicht die Sache irgendeines Keeo sein. »Es wäre unehrenhaft für alle Stämme, die an einem solchen Gemetzel beteiligt waren«, sagte Burko. »Außerdem lenken die Regierungen der Erde vielleicht ein, wenn wir ihnen zeigen, daß wir nicht wahllos alle Menschen abschlachten wollen.« Er sah zum Himmel. »In wenigen Wochen setzt Thai-
Hamal ein, die Zeit, in der unsere Sonnen und Keeog in einer Linie stehen. Wenn wir Glück haben, landet das Versorgungsschiff noch während dieser Zeit. Es wird dann leichter sein, es zu entern.« »Wenn sie nicht gewarnt werden«, brummte Sakegi düster. »Wie sollten sie gewarnt werden? Unsere Gefangenen hier haben die letzte Nachrichtenrakete vor einigen Wochen zur Erde abgeschickt, sie wird jetzt noch nicht dort sein, und das Versorgungsschiff ist schon vor drei Monaten gestartet. In sechs Wochen ist es hier, wenn die Pläne der Soldaten stimmen.« Sakegi sah die Soldaten an, die, bewacht von mehreren Kriegern, zu etlichen Unterkünften in der Nähe abmarschierten. »Und so lange haben wir Zeit, herauszufinden, wie wir die Kerle veranlassen können, ihre Türen zu öffnen, ohne daß ihre Soldaten sich auf uns stürzen. Sechs Wochen. Vielleicht haben sie auch besondere Parolen ausgemacht, Erkennungssignale. Dieses Schiff kann uns gefährlich werden, Burko.« »Du bist dafür, unsere Siedlungen bis in sechs Wochen zu räumen?« »Allerdings.« »Der Rat muß darüber entscheiden«, sagte Burko. »Auf jeden Fall können wir sicher sein, daß dieser Kampf nicht unser letzter war.«
Inmitten der nicht endenden Stürme, Regenfälle und Gewitter des Thai-Hamal war das Versorgungsschiff arglos auf dem behelfsmäßigen Flugplatz der UN-Truppen bei Taveni-Lekha gelandet. Mit Hilfe ihrer Telepathen hatten die Keeogii herausgefunden, wie der Leitstrahlsender und der Leitcomputer bedient werden mußten, um das Schiff zur
Landung zu veranlassen. In der Verwirrung des Ausschiffens der knapp fünfhundert Soldaten und der zehntausend neuen Siedler waren die Soldaten abgefangen und entwaffnet worden, während rasch Krieger ins Schiff vordrangen und den überraschten Besatzungsmitgliedern die Kontrolle über das Versorgungsschiff entrissen. Sie brauchten nicht lange, um zu merken, daß es unmöglich für sie war, das Schiff selbst zu benutzen, und da sie sich bei einem Raumflug mehr oder weniger der Besatzung ausliefern mußten, schied auch das Anwenden von Zwang gegenüber den Piloten aus. Also beschloß man, die im Schiff eingebauten Sprengsätze zu zünden. Als der Zeitzünder die Ladungen explodieren ließ, wurde das gewaltige dunkle Schiff buchstäblich Stück für Stück zerrissen, bis nur noch eine schwarze Rauchwolke und ein zerfetztes, ausgebranntes Gerippe übrig waren. »Wir haben die Ladungen nacheinander gezündet, damit die Druckwelle nicht so stark ist und die in der Nähe liegenden Häuser der Siedler nicht beschädigt wurden«, erklärte Burko, als der letzte ohrenbetäubende Donnerschlag verhallt war und das Schiff als glühendes, zerrissenes Metallgerüst in der Ebene lag. Sie standen auf einem Hügel, etwa zwei Kilometer entfernt, Rita und er, und in etlicher Entfernung zahlreiche Krieger, gewöhnliche Keeogii und menschliche Siedler, die der Sprengung mit höchst unterschiedlichen Gefühlen beigewohnt hatten. »Eure Erfolge sind unheimlich«, sagte Rita. Burko hatte ihr noch immer nicht erzählt, wie die letzten Siege der Keeogii zu erklären waren. Die Verantwortung, die er damit auf sie lud, mochte zu groß für sie sein. Dieses Geheimnis war die einzige Möglichkeit, die sie hatten, um den ansonsten weit überlegenen Gegner überhaupt zu besiegen.
Rita deutete auf das Schiff, auf den Rauch, der langsam zu den Hügeln herübergeweht, durch den dichten Regen aber niedergehalten wurde. Am Himmel zuckten Blitze, so grell wie zu keiner anderen Jahreszeit, Regen und schneidender Wind peitschten die weite Ebene und ließen das Gras mehr denn je wie ein gewaltiges, wellenschlagendes Meer erscheinen. »Ihr habt dieses Schiff im genau richtigen Moment gestürmt, ihr wußtet sogar, wohin ihr euch im Innern wenden mußtet. Ihr habt General Brewster besiegt, als sei er ein lächerlicher Anfänger, als ob ihr jede seiner Bewegungen voraussehen konntet. Wie kommt das?« Burko schwieg. Eine Weile standen sie so, und sie spürte, daß da etwas war, was er nicht sagen wollte, aus irgendwelchen Gründen nicht sagen durfte. Sie zog ihren Regenumhang enger. Vor ihnen schlug ein Blitz in eine der emporragenden nackten, zischenden Metallrippen. »Wir haben von euch gelernt«, murmelte Burko schließlich, und dann fügte er hinzu, um von diesem Thema wegzukommen: »Wir evakuieren jetzt unsere Leute in die Uthai-Alshid. Zum Felsenkontinent. Es gibt dort weite Höhlensysteme, die die zweihundertsechzigtausend nördlichen Keeogii leicht aufnehmen und ernähren können. In spätestens fünf Monaten landen die ersten Kriegsschiffe von der Erde, und als erstes werden sie unsere Städte angreifen oder bombardieren. Wir hätten keine Möglichkeit, sie zu schützen, also müssen sie in die Berge.« »Und die südlichen Keeogii, die südlichen Stämme der Shields, der Apaghani, und nicht zuletzt die Haveni-Akhars? Das sind doch noch einmal fast zweihunderttausend.« Sie sah ihn an und fragte sich, warum er wie die anderen Keeogii keinen Regenschutz über dem Kopf trug. Dieses stürmische, wilde Wetter schien den Keeogii nicht viel auszumachen.
»Sie leben in den Dschungelbergen, einem so sumpfigen, unwirtlichen und gefährlichen Gebiet, daß schon Nord-Keeogii Mühe haben, dort zu überleben. Ich glaube nicht, daß deine Rassegenossen riesige Waldgebiete völlig flachbomben und vernichten werden, wir haben ja gesehen, wie sehr sie hinter unserem Holz her sind.« Rita nickte. »Auf der Erde gibt es kaum noch Wald.« »Und solange sie die Wälder und Sümpfe nicht völlig zerstören, bekommen sie die Süd-Keeogii dort niemals heraus«, erklärte Burko lächelnd. »Sie haben es vermutlich sowieso auf uns, die nördlichen Stämme, abgesehen, denn hier ist der beste Wald und das beste Ackerland; im Süden sind Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt weit unangenehmer.« Zweihundertsechzigtausend nördliche Keeogii, dachte Rita. So viele wie eine kleinere Stadt der Erde an Einwohnern zählte. Es ist leicht, sie in einem Gebiet zu verbergen, das größer als ganz Europa und voller Berge, Felsen und Hitze ist. Da fiel ihr etwas anderes ein. Bislang hatte sie überhaupt nicht daran gedacht, was geschehen sollte, wenn die ersten Invasionsschiffe landeten, sie hatte ihre Gedanken immer nur auf die nächsten Keeo-Aktionen konzentriert, an die Schlacht mit Brewster, an die Schiffsaktion, und niemals war sie sich sicher gewesen, wem sie in ihrem tiefsten Herzen den Sieg wünschte. Jetzt gingen die Keeogii in die Berge. Die Menschen landeten. Zu wem sollte sie gehen? »Du kannst hierbleiben, wenn du möchtest, Rita«, sagte Burko zu ihr, denn er ahnte, was sie beschäftigte, ohne wie manche seiner Gefährten menschliche Gedanken und Gefühle erspüren zu können. »Du hast uns schon viel zu viel geholfen. Wenn du willst, bleib’ hier, sie werden dich bestimmt gerne
wieder bei sich aufnehmen, wenn du ihnen erzählst, was du über uns weißt.« Sie dachte daran, was Walton ihr vor vielen Monaten gesagt hatte, vor einer Ewigkeit, wie ihr schien, in einem anderen Leben. Geld, Ruhm. Aber nach der Auseinandersetzung, die diesen unseligen Krieg begonnen hatte und an der man ihr einen großen Teil der Schuld gab, würde sie wohl kaum mehr geachtet sein, höchstens noch geduldet, ein reuiger Sünder, der seine Verfehlungen erkennt und zu seinen wahren Freunden zurückkriecht. Und sie würde auf der Erde landen, mit der Harvard-Anstellung würde es wohl auch vorbei sein, und der Gedanke, in den Slums zu leben und um das tägliche Wasser und Brot kämpfen zu müssen, war ihr ein Greuel. »Es ist erstaunlich, wie sehr sich Menschen und Keeogii gleichen«, sagte sie leise in das wilde Heulen des Windes und das Rauschen des Regens hinein. »Die Evolution auf beiden Planeten, der Erde und Keeogii, ist nahezu parallel gelaufen. Euer Aussehen ist zwar leicht verschieden von dem unseren, aber ansonsten sind die meisten eurer Verhaltensweisen sehr menschenähnlich, ihr kennt Lachen und Weinen, Stolz und Höflichkeit, und ihr seid uns überlegen, weil ihr euresgleichen niemals tötet. Eigentlich alles Eigenschaften, die beide Rassen zu Freundschaft prädestinieren müßten. Und dabei bricht ein Krieg zwischen uns aus, so brutal, wie es die Kriege der Menschen schon immer waren…« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zum Verzweifeln!« »Du weichst mir aus«, sagte Burko. »Ich bin froh, wenn du hierbleibst, glaub’ mir das. Es wird harte Kämpfe in den Bergen geben, und vielleicht auch Wasser- und Nahrungsmangel, Angst und Unsicherheit, es ist ungeheuer heiß dort, und du wirst eine eurer Atemmasken und einen Schutzanzug brauchen. Hier bist du weniger gefährdet.«
Er lächelte sie an, drehte sich dann um und ging durch den knöchelhohen Schlamm auf dem von Siedlern der Vegetation entblößten Hügel auf seine Haigila zu. Rita blickte schweigend in eine bräunlich schimmernde Pfütze. Burko schwang sich in den Sattel und nahm die Zügel, um das Tier zum Stützpunkt der Krieger hinüberzutreiben, als sich Rita umdrehte. »Burko«, sagte sie, und er wartete, wartete auf ihre Erklärung, denn er wußte, daß sie jetzt versuchen würde, sich zu rechtfertigen, weil sie glaubte, schlecht an ihm zu handeln, und er wollte ihr sagen, daß sie sich nicht zu rechtfertigen brauchte, als sie statt dessen sagte: »Die wirklichen Unannehmlichkeiten erwarten mich mit ziemlicher Sicherheit auf der Erde. Und die Luft in euren Bergen mag zwar heiß sein, aber sie ist sauber!« Burko lächelte, er war verblüfft und froh, und er nahm die Zügel ihrer Haigila und führte sie zu ihr hinüber. Schweigend ritten sie im strömenden Regen unter dem Krachen und Donnern des Gewitters den Hügel hinab.
Burko riß den Verschluß des heißgeschossenen Gewehrs zurück und schob hastig neue Patronen in das klobige Magazin der langen Waffe, die er erst vor kurzem bekommen hatte; der Abzug war im Schloß integriert, der Kolben dick und handlich, und der Schaft aus poliertem schwarzem Zek-Holz sehr lang, so daß nur ein kurzes Stück vom Lauf darüber hinausragte. Es war nach langen Versuchsreihen der Shield-Ingenieure aus einem großkalibrigen Jagdgewehr der Menschen entwickelt worden, hatte aber inzwischen nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Original.
Die Gegner waren vor ihm ausgeschwärmt, knapp zweihundert Meter tiefer am Talboden, und die Berge warfen das unablässige Krachen vieler verschiedener Waffen hundertfach zurück und verwandelten es in ein einziges, unablässiges ohrenbetäubendes Dröhnen. Eine kleine Rakete aus den besenstielähnlichen, leichten Werfern der UN-Truppen explodierte in seiner Nähe und ließ Steine und Staub auf ihn herniederregnen. Er fluchte leise. Sie hatten etliche hundert von ihnen erwischt, aber die anderen waren jetzt nicht mehr überrascht, und sie setzten zum Sturmangriff an. Die Ränder des Canyons waren inzwischen von den Raketen und Granaten zerfranst, ständig stiegen neue, grelle Feuerwolken empor, und die Zahl der Toten und Verwundeten auf der Seite der Keeogii stieg sprunghaft an, trotz der unermüdlich arbeitenden Telepathen, die sich bemühten, die einzelnen Truppenteile vor dem planmäßig angesetzten Granatwerferfeuer zu warnen. Die Gestalten in ihren hellen Tarnanzügen mit Kühleinrichtungen und klobigen schwarzen Atemmasken, die die hier rund sechzig Grad heiße Luft auf eine atembare Temperatur abkühlten, bewegten sich trotz der doppelten Schwerkraft beängstigend behende. Die steilen Wände des Canyons, der weiß schimmernde, blendende Stein unter dem mörderisch strahlenden hellgrünen Himmel waren übersät von Gefallenen, befleckt mit Blut, Knochensplittern und Eingeweiden, aber sie kämpften weiter, sie arbeiteten sich die Felsen hoch, schossen, was sie konnten, und sie schafften es tatsächlich, die Keeogii auf den Rändern des gewundenen Canyons in Verwirrung zu versetzen. Der Krieger neben Burko fiel, und Burko schob den Lauf des Gewehres über den Rand des Felsens, feuerte, und zog sich
zurück, bevor eine Maschinengewehrsalve über ihn hinwegstrich. »Sie versuchen, bei euch durchzubrechen, Burko, Achtung«, ertönte die Stimme eines Telepathen in seinem Gehirn. Burko fluchte. Ausgerechnet bei uns! Kein Wunder, denn hier war die Deckung besonders spärlich. Eine Explosion krachte, schleuderte ihn zurück, und als er zu sich kam, spürte er benommen Blut im Gesicht und am Hals. Er griff nach seinem Gewehr, und im gleichen Moment kamen die ersten Sturmtruppen über den Rand. Die Krieger, die sich weiter vom Rand des Canyons zurückgezogen hatten, streckten sie augenblicklich mit einer Salve nieder, die nur knapp über Burko hinwegging, und Burko zerrte eine Handgranate von seinem Gürtel, riß den Stift heraus und warf sie über den Rand des Canyons. Es donnerte und er kroch Stück für Stück zurück. Ein Kopf tauchte über dem Rand des Canyons auf, Burko schoß, die schwere Kugel zerschmetterte eine Atemmaske, und der blaubehelmte Schädel verschwand. Weitere Handgranaten explodierten, nicht alle von den, Kriegern geworfen, und ein Splitter riß seinen linken Ärmel auf und eine blutige Spur in seine Haut. Burko hatte den zweifelhaften Schutz eines kleinen, kugelförmigen Felsens erreicht, als die nächste Welle über den Rand des Canyons brandete, eine Flut von hellen Kühlanzügen, schwarzen Gesichtsmasken, blauen Helmen und knatternden Karabinern. Er duckte sich, wurde mit einem Hagel von Steinsplittern überschüttet, aber keines der Explosivgeschosse traf ihn hinter dem kleinen Kegel, und mit Hurragebrüll warfen sich die UN-Soldaten auf die Krieger hinter den Deckungen, auch auf Burko. Das war ein Fehler.
Sie mochten zahlenmäßig überlegen sein, aber die keeogischen Krieger waren im Umgang mit Tieren geschult, die dreimal so schnell wie ein Mensch reagierten. Und sie wurden durch die hohe Schwerkraft Keeogs nicht behindert. Burko hatte das lange Gewehr fallengelassen, sobald der erste Soldat über seine Deckung sprang. Eine 45er Pistole, seltsam klein und kurz gegen seine eigene, stieß in seine Richtung, er schlug sie mit der linken Hand beiseite und brach dem Mann mit einem gezielten, mächtigen Schlag der rechten Handkante das Genick. Aus dem Augenwinkel bemerkte er bereits einen zweiten, der ihm offenbar ein Bajonett in die Seite rammen wollte, er wich aus und trat dem Mann in den Magen. Links von ihm krachten Schüsse. Noch während er sich unter dem Schuß eines Soldaten hindurchduckte, riß er sein Messer heraus und stieß zu, der Soldat sackte zusammen, das Messer beschrieb einen Bogen und traf den Unterarm eines Mannes, der auf Burko anlegte. Dann sah er die Uniformen seiner Gefährten, purpur-schwarz, rauchig, blutig, sie fielen den Menschen in die Flanke. Innerhalb von Sekunden waren die eingebrochenen Soldaten zurückgedrängt, unten im Canyon detonierten gewaltige Sprengladungen, und das gegnerische Granatwerferfeuer ließ nach. Die Gegenoffensive setzte ein. Sakegis Leute fielen den vorgerückten Truppen im engen, deckungslosen Canyon in den Rücken, und als sie sich vom Sturm der Canyonseiten abwandten, wurden sie von oben mit einem Feuerhagel überschüttet. Leichte transportable Steinschleudern wirbelten Kisten voller erbeutetem hochexplosivem Sprengstoff mit Aufschlagzündern in die Tiefe, Feuerbälle zuckten empor, überall krachten jetzt Maschinengewehre in hämmerndem Stakkato von den Felsrändern hinunter, und Burko eilte zum Rand des Canyons,
kniete sich neben die Leichen von Kriegern und Soldaten und feuerte mit seinem Gewehr in die Schlucht, bis er vor lauter Feuer und Rauch dort unten nichts mehr erkennen konnte. Nebelgranaten platzten, und in ihrem Schutz versuchten sich die UN-Truppen zurückzuziehen, aber die Telepathen orteten sie, und die Keeogii griffen immer wieder gezielt an. Burko ließ das Gewehr sinken, als dort unten das Feuer nachließ, der Telepathenruf: »Sie ziehen sich zurück und igeln sich ein!« erreichte sein Gehirn, und nach kurzer Zeit schwiegen auch unten im Canyon die Waffen. Haigilas kamen aus dem Nebel, Hunderte von Kriegern, Waffen und blutige Lanzen schwingend, und dann sahen sie in der Entfernung, zwischen sich verziehendem Nebel, die abziehenden, davonrennenden UN-Soldaten. Die Krieger auf den Rändern des Canyons, die noch stehen konnten, erhoben sich und brüllten ihre Freude in die heiße, mörderische Luft, bis die Berge von ihren Rufen hallten wie vorhin unter dem Stakkato tausender Gewehre. Burko jubelte nicht. Er saß müde, blutend und erschöpft am Rande des Canyons, zwischen toten UN-Soldaten, die den Boden bedeckten, zwischen vereinzelten gefallenen Kriegern, und er sah keinen Grund zur Freude. Sie kämpften schon seit drei Wochen überall im Felsengebirge, und jeder tote Keeo war einer zuviel. Unten verzog sich der Nebel, der Rauch flockte auseinander, und in dem riesigen, schlauchartigen Canyon waren die Leichen zu sehen, zerfetzt, zerrissen, brennende Jeeps dazwischen, umgestürzte Kanonen, hier und da der Kadaver einer Haigila und die Leiche eines Kriegers. Sie hatten den Vormarsch des Ersten Expeditionskorps der UN gestoppt, das einzige Korps der UN, das es jetzt so gut wie nicht mehr gab. Von fünftausend Mann mochten gut
zweitausend dort unten tot liegen, und es mochte noch einmal so viele Verwundete geben. Das Korps war zerschlagen worden, nachdem in den letzten Tagen durch Heckenschützen und kleine Überraschungsangriffe bereits Hunderte von UNSoldaten in den ihnen völlig fremden, kahlen Bergen gestorben waren. Aber es gab noch andere Korps. Burko lud sein Gewehr, wischte sein blutbeschmiertes Messer ab und schob es in die Scheide zurück. Die Hitze machte ihm zu schaffen, wie den meisten Taveni, Shields, Apaghani, während die Haveni-Akhars aus dem Süden, die ihnen halfen, eher durch die extreme Trockenheit geplagt wurden. Die Ky-Dendda, untersetzte, breitschultrige Gestalten, mit dunklen, geschlitzten Augen waren hier zu Hause und fühlten sich offenbar wohl. Auch sie hatten ihre Wüstenoasen und ihre wenigen fruchtbaren Hochflächen im Felsenkontinent verlassen, um in die Kav-Uthai zu ziehen, jenes gewaltige Höhlenlabyrinth, das sich für Hunderte von Quadratkilometern weit unter der Oberfläche Keeogs ausdehnte und bis zu hundert Kilometer tief gehen sollte. Burko wischte sich Schweiß, Blut und Staub von der Stirn und bewegte sich langsam in der glühenden Luft, die ihn umspielte wie heißes, zähes Wasser und einem Menschen das Überleben in dieser Landschaft ohne Atemmaske und Kühlanzug unmöglich machte. Nach dem ersten Jubel war viel von dem Enthusiasmus der Keeogii verflogen. Schweigend wanderten sie herum, zählten die Toten, kümmerten sich um die Verwundeten, kletterten in den Canyon hinab und durchstöberten das zurückgelassene Kriegsmaterial nach Brauchbarem, nahmen den gefallenen Soldaten die Handgranaten ab, sammelten Munition und Sprengladungen und selbst die Gewehre und Pistolen ein, aus
denen man im Höhlenlabyrinth von Kav-Uthai Ersatzteile für die Keeo-Konstruktionen machen konnte. Sie hatten nicht viele Leute verloren, denn sie hatten die Nachhut des Korps ablenken können und Hauptteil nebst Vorhut nach einem langen erschöpfenden Tagesmarsch überrascht. Ihre Telepathen hatten meistens verhindern können, daß der Hagel von Raketen und Granaten sein Ziel traf. Trotzdem – sie verloren immer mehr Krieger, während die Menschen laufend neue heranschafften. Sie hatten auf der Erde jedem Freiwilligen ihrer Streitkräfte nach Kriegsende Land auf Keeog versprochen, und nach den Gedanken der Offiziere, die von Telepathen aufgeschnappt worden waren, konnten sich die Expeditionsstreitkräfte kaum vor eifrigen Rekruten retten. Burko half mit, einige Verwundete zu dem Sammelpunkt zu bringen, wo die Wüsten-Haigilas der Truppen abgestellt waren, und andere Krieger folgten ihm, schwer beladen und schweißüberströmt, mit erbeutetem Material. Sie wußten, daß sie sich rasch entfernen mußten. Burko lehnte sich gegen seine Wüsten-Haigila, die aus einer Ky-Dendda-Zucht stammte. Diese Tiere waren ausdauernder und bösartiger als die gewöhnlichen Haigilas, waren langsamer als diese, konnten dafür aber lange ohne Wasser auskommen, hervorragend in den Felsenbergen klettern und waren durch ihr sandfarbenes Fell gut getarnt. Burko tätschelte abwesend das rauhe Fell des Reittieres, griff in die Satteltaschen und verband die tieferen seiner allesamt harmlosen Hautverletzungen, bevor er sich in den Sattel schwang, sein Gewehr in den Sattelschuh an der Seite schob und auf die anderen Krieger seiner Abteilung wartete. Sie hatten eine Menge Verwundete und Tote, dank des Durchbruchversuchs an ihrer Seite, und die Ärzte, die sie mitgenommen hatten, waren vollauf beschäftigt;.
Als alle Krieger beisammen waren, tot oder lebendig, als die Pack-Haigilas mit Beute beladen waren, zog die erste Kolonne los, zweihundert Krieger mit etwa zehn Toten und vierzig Verwundeten auf Travois, die von den Haigilas der anderen vorsichtig gezogen wurden. Sie ritten schweigend und ohne viel zu denken. Die meisten waren zu erschöpft, zu erleichtert, den entsetzlichen Kampf hinter sich zu haben, um noch viel geistige Aktivität entwickeln zu können. Durch gewaltige Täler, an schmalen Kämmen entlang, bewegten sie sich immer tiefer in die Berge. Ein langer, gewaltiger Zug, der sich langsam immer höher bewegte, über kahle, windgepeitschte Hochflächen, über schmale Pfade an Abgründen entlang, bis sie wieder tiefer kamen, in ein dunkles, mit Geröll übersätes Tal, in dem hinter ein paar dürren Wüstensträuchern ein schmaler Spalt in einer weißen Felswand klaffte. Die Landschaft war leer, heiß und karg, aber Burko wußte, daß sie schon lange bemerkt worden waren, zuerst von den Telepathen-Wächtern, dann von gewöhnlichen Kriegern, alles Ky-Dendda, die diese Berge genau kannten und sich dort nahezu unsichtbar machen konnten. Burko stieg vor dem höchstens siebzig Zentimeter breiten Spalt aus dem Sattel, nahm die Haigila am Zügel, bahnte sich einen Weg durch die Dornensträucher und schob sich seitlich in den Felsspalt. Im Innern der winzigen Höhle, die er betreten hatte, war es dunkel und still, er zog die Haigila weiter, duckte sich unter einer niedrigen Öffnung hindurch und kam in einen breiteren Gang, so dunkel, daß selbst seine empfindlichen Augen Schwierigkeiten hatten, Einzelheiten zu erkennen. Hinter sich hörte er die anderen kommen, die hallenden Schritte, das nervöse Schnauben und Knurren von Haigilas, Metallteile, die kurz Wände streiften.
Schließlich kam er in einen breiteren Gang, an dessen Ende – er mußte sich inzwischen vorwärtstasten – er schließlich mehrere dicke Decken beiseite schob. Wie immer blendete ihn das dahinter schimmernde, flackernde Licht, und er schloß einen Moment die Augen. Etliche freigelegte Kristalladern reflektierten das Licht einer kleinen Fackel an der Wand, hüllten den ganzen breiten, von bizarren Tropfsteingebilden durchzogenen feuchten Tunnel in ein gleißendes Licht. Ein paar hundert Meter weiter kam er in eine riesige unterirdische Höhle, wo Fackeln und Petroleumlampen brannten und zahlreiche Kriegerzelte aufgeschlagen waren. Abseits gab es mehrere abgesperrte Höhlen mit Herden von gewöhnlichen und Wüstenhaigilas. Obwohl die Berge kahl waren, enthielten diese Höhlen Nahrung für Hunderttausende. Es war möglich, hier bestimmte eßbare Pilzarten zu züchten, aus unterirdischen Quellen war genug Wasser zu entnehmen, aber vor allem gab es in etlichen Kilometern Tiefe in riesigen Kavernen unterirdische Meere, Überreste eines gewaltigen Ozeans. Obwohl deren Wasser stark salzhaltig war, gab es dennoch vielfältiges Leben darin, bis hin zu großen Fischen, die augenlos und sehr wohlschmeckend waren. Burko sah, daß die Futtertröge der anspruchslosen Haigilas gerade mit einer Mischung aus Fischmehl und verschiedenen Pflanzen gefüllt worden waren, die auf von den Höhlen aus erreichbaren Hochflächen zu finden waren. Die Ernährungslage hier unten war alles andere als rosig, aber man konnte überleben. Die wenigen Petroleumlampen, die in der großen Höhle brannten, bezogen ihren Brennstoff aus Ölquellen, die ebenfalls in den scheinbar unendlichen Tunnelsystemen zu finden waren.
Das einzige, was sie hier unten nur schwer gewinnen konnten, waren chemische Stoffe, aus denen sie Pulver herstellen konnten. Deshalb bedienten sie sich erbeuteter Patronen, die sie zu ihren bedeutend stärkeren Geschossen für ihre selbstgefertigten Pistolen und Gewehre umarbeiteten. Sprengladungen, komplizierte elektrische Zünder und Handgranaten konnten sie nur als Beutestücke erhalten. Sie hatten allerdings bereits mehrere Depots überfallen und ausgeplündert, und die Telepathen berichteten, daß man sich bei der Führung der irdischen Truppen noch immer den Kopf zerbrach, wie die Keeogii die getarnten Anlagen gefunden und die Alarmvorrichtungen umgangen hatten. Burko half mit, die Verwundeten ins Lazarett zu bringen, und schleppte anschließend zusammen mit anderen Kriegern das erbeutete Material in die Lagerräume. Burko bemerkte, daß die Laune der Krieger, von denen sie empfangen wurden, trotz ihres Sieges nicht gut war, denn sie hatten Verluste erlitten, etliche Dutzend Keeogii waren getötet worden. Burko verließ die gewaltige Höhle und schritt durch einen schmalen Seitengang zu einer kleinen, trockenen Höhle, die er sich dürftig eingerichtet hatte. Er trank und aß etwas, zog sich um und ging dann zur Besprechung der Freien Führer, die nach jedem größeren Kampf stattfand.
»Vor etwa vier Wochen sind sie hier gelandet«, sagte Sakegi, der zum Vorsitzenden der Versammlung gewählt worden war. Er deutete auf drei Punkte auf der Karte nahe den Ebenen in der Wüste. »Und von unseren telepathischen Brüdern haben wir erfahren, daß zwei Machtblöcke unabhängig von der UN versuchen, uns in die Knie zu zwingen. Die sogenannten Sowjets haben zwei Schiffe gelandet und dreißigtausend
Mann, drei ihrer Korps, hergebracht. Die ›Vereinigten Staaten‹ und andere Länder die sich ›Westliche Union‹ nennen, landeten vier ihrer Expeditionskorps, zwanzigtausend Mann, mit zwei kleineren Schiffen, und die UN, vertreten durch Truppen aus allen Ländern und der beiden vorgenannten Machtblöcke, hat ihr 1. Expeditionskorps entsandt, das wir heute so gut wie aufgerieben haben.« »Das wissen wir doch alle«, sagte ein Freier Führer ärgerlich. »Du schirmst dich gegen unsere Gedanken ab, also sag’ wenigstens, was du vorhast. Ich weiß, daß du einen neuen Plan hast, denn ganz kann niemand seine Gedanken abschirmen, höchstens ein Mensch.« »Ich will nur eine Zusammenfassung von dem geben, was ist, damit ihr wißt, was euch erwartet!« Sakegi sah in die Runde. »Als sie gemerkt hatten, daß unsere Siedlungen verlassen waren, rückten sie in verschiedenen Richtungen in die Berge vor, denn ihre Artgenossen hier auf Keeog hatten ihnen wohl gesagt, wohin wir verschwunden waren. Wir haben alle angegriffen und ihnen Verluste beigebracht, sie teilweise zur Umkehr veranlaßt, und heute haben wir das Erste Korps der UN vernichtet. Sie werden glauben, sie wären zu nahe an unser Versteck herangekommen und in dieser Richtung ihre Anstrengungen verstärken. Unsere Telepathen bestätigen diese Gedankengänge ihrer Offiziere.« »Ich weiß, was du meinst«, sagte einer der Freien Führer, ein Apaghani namens Th-Avir. »Wir können sie immer weiter in die Berge hineinlocken, aber wie lange?« »Genau das«, stimmte Sakegi kalt lächelnd zu. »Sie erhalten ständig Verstärkungen, und obwohl die Erde alle ihre technischen Reserven ausgeschöpft und nur fünf Großraumschiffe fertiggestellt hat, genügt das, alle neun Monate neue Waffen und neue Menschen nach Keeog zu transportieren. Sie können theoretisch alle neun Monate,
vielleicht bald schon schneller, sechzigtausend Mann herschaffen. Mit Ausrüstung, mit Raketenwerfern, mit Radar, obwohl ihnen das in diesen erzhaltige Funkwellen stark reflektierenden Bergen zum Glück nichts nützt.« Sakegi sah Burko herausfordernd an. »Wie viele Krieger können wir, die nördlichen Stämme, aufbringen?« »Momentan haben wir zehntausend Mann unter Waffen, und wir könnten, bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten, höchstens vierzigtausend Mann einkleiden und bewaffnen, die hätten dann aber größtenteils keine Haigilas.« »Sie bringen alle neun Monate sechzigtausend her! Und sie werden neue Waffen entwickeln! Bald können wir sie nicht mehr aus der Entfernung zusammenschießen, weil ihre Gewehre nicht so weit schießen wie unsere. Sie werden ihre Waffen unserer Schwerkraft anpassen.« Sakegis Augen blitzten. »Wir können sie nur stoppen, wenn wir ihre Schiffe vernichten.« »Selbst unsere Telepathen machen es nicht möglich, einen ihrer Flughäfen rasch genug in die Hand zu bekommen, um die Schiffe am Starten zu hindern.« Burko lächelte kalt. »Sie würden uns heranlassen und von oben bombardieren.« »Das gilt für Dutzende, für Hunderte, für ganze Armeen von Keeogii! Aber unsere Telepathen haben herausgefunden, daß in einem bestimmten Flughafen drei, vier Mann ein Schiff zerstören könnten. Ein Kommandotrupp.« Burko lehnte die Idee Sakegis im ersten Moment ab, dann befaßte er sich näher damit. Verrückt, natürlich, aber es konnte klappen. Es war das Risiko vermutlich wert. Aber wenn es nicht klappte… »Dann sind ein paar Krieger tot, die auch woanders fallen können«, sagte Sakegi, der seine Gedanken erfaßt hatte. »Und ich werde bei dem Kommando natürlich dabeisein!«
»Ihr wollt was tun?« fragte Rita ungläubig und schüttelte entsetzt den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn. Dieser Sakegi weiß nicht, was er tut.« Burko lehnte sich gegen den kalten Fels am Eingang von Ritas Höhlenraum. Keeogii gingen vorbei, ohne sie sonderlich zu beachten. Etliche Keeo-Mädchen schoben einen großen Wagen vor sich her, der bis obenhin mit Uniformen der UN und der sowjetischen Soldaten gefüllt war. Die Stoffvorräte der Keeogii gingen zur Neige, und sie mußten auch hier auf Beutestücke zurückgreifen, die sorgfältig gesäubert und neu zusammengesetzt wurden, nachdem man sie auseinandergetrennt hatte. »Bisher hat er ganz gut gewußt, was er tat. Es ist eine große Chance für uns. Die Telepathen, und auch du, haben ja gesagt, daß die Menschen den Verlust eines Schiffes nicht ausgleichen können. Ihre Industrie hat schon alle Hände voll zu tun, die bestehenden gewaltigen Einheiten in halbwegs betriebsfähigem Zustand zu halten. Wenn wir die Invasoren um ihre Schiffe bringen, haben sie verloren, sie können niemals neue bauen. Dazu haben sie die Erde schon zu sehr ausgebeutet und übervölkert. Und wenn wir eines ihrer Schiffe zerstören, besonders ein sowjetisches Großraumschiff für zwanzigtausend Mann, können sie von da ab entsprechend weniger Leute herschaffen.« »Ich weiß nur, daß eure Guerillataktiken auf die Dauer die Invasion nicht aufhalten können. Die Hauptquartiere der Invasionstruppen befinden sich ja bereits in diesen Bergen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Warum mußt du dein Leben bei so einem Irrsinn riskieren?« »Sakegi hat mich darum gebeten, und ich wollte ihn nicht enttäuschen. Nur die erfahrensten Kämpfer können an diesem Unternehmen teilnehmen, und das scheinen eben Sakegi, HadAkwhar, Khadul und ich zu sein. Mehr Leute könnten das
Kommandounternehmen sogar noch gefährden, natürlich abgesehen von dem Trupp, der uns den Jeep beschafft.« »Kann Khadul überhaupt einen Jeep steuern?« fragte Rita zweifelnd. Burko lachte. »Du hättest ihn sehen sollen, als er auf dem Marsch in die Berge die erbeuteten Fahrzeuge ausprobierte, bevor wir sie in die Luft jagten. Für unser Unternehmen wird es reichen.« Rita seufzte und gab sich geschlagen. »Ich bin nicht überzeugt, aber es liegt bei euch. Wenn du mit Sakegi hinauswillst, kann ich dich nur bitten, vorsichtig zu sein.« »Darum brauchst du mich nicht zu bitten«, sagte Burko grinsend. »Mach’ dir keine Sorgen – es gibt Leute in unserem Trupp, die ganz besondere Fähigkeiten haben.« »Beim letztenmal wärst du fast umgekommen. Und sie haben vom Weltraum aus schon mehrere Neutronenbomben in die Berge geschossen. Willst du vielleicht da draußen sein, wenn sie wieder…« »Sie sind gelandet, und unsere Telepathen sagen, wir kommen an ein Schiff heran. So eine Chance kommt nicht wieder. Es kann den Krieg verkürzen.« »Hoffentlich verlängert es ihn nicht«, murmelte Rita.
»Das ist er«, sagte Chevar grinsend. Er deutete mit dem rechten Arm auf das jeepähnliche Fahrzeug, das in der sandigen Senke stand. Die Medikamente der Arzte hatten den Arm, den er vor fast zwei Jahren irdischer Zeitrechnung verloren hatte, gut nachwachsen lassen. Jetzt ergab sich für ihn die Möglichkeit zu beweisen, daß er wieder voll bei Kräften war. Sie hatten die gegnerischen Stellungen mit Hilfe der Telepathen in zwei Gruppen umgangen. Die erste Gruppe,
sechs Mann unter Chevars Führung, war vorausgeritten und hatte einen Postjeep der Sowjets, der täglich dieselbe Route fuhr, erbeutet. Sakegis Gruppe, er, Burko, der Telepath HadAkwhar aus dem Süden und Burkos Freund Khadul waren Stunden später Chevars Leuten gefolgt. Hier waren sie wieder zusammengetroffen, am hellichten Tag unter den glühenden Sonnen, in der sich nach allen Seiten flach ausdehnenden Sandwüste. Sie gingen auf den Jeep zu, ein geschlossenes, speziell für 2g-Bedingungen konstruiertes Modell. »Es waren zwei Kerle, wir haben sie mit unseren Armbrüsten erledigt, das Funkgerät zerstört und die beiden Soldaten hier vergraben. Umgestrichen ist er auch schon, entsprechend den Informationen, die uns die Telepathen geliefert haben.« Chevar zeigte auf verschiedene frische Zahlen-BuchstabenKombinationen an der Seite des Jeeps. Am linken Kotflügel hing eine ausgebleichte Fahne mit dem Abzeichen der Postabteilung schlaff in der unbewegten, glühenden Luft. Sakegi nahm sie ab und ersetzte sie durch eine ebenso ausgebleichte andere Fahne, die den Jeep jetzt zusammen mit den veränderten Kennummern als persönliches Fahrzeug des Chefs der drei sowjetischen Korps, General Wladenkov, auswies. Die Keeogii hatten diese Fahne teils mit Hilfe der Telepathen, teils aus erbeuteten Ausbildungsbüchern nachgefertigt. Chevar ging einmal um das Fahrzeug herum, überprüfte die neue Bemalung und sah dann Sakegi an. »Na, dann seid ihr dran. Viel Glück.« »Können wir brauchen«, murmelte Sakegi. Er trug, ebenso wie die anderen drei Stoßtruppmitglieder, hellbraune sowjetische Wüstenuniformen mit Kühleinrichtung. Jetzt nahm er einen khakifarbenen Helm vom Sattelhorn seiner WüstenHaigila, setzte ihn auf und kramte dann eine Atemgerät-
Attrappe hervor, die weitaus dünner war als die Originale. Zusammen mit dem Helm verdeckte sie sein Gesicht bis auf die Augen vollkommen. Die Attrappe war so konstruiert, daß die vorspringende, affenähnliche Schnauze den Platz eines Teils des klobigen Atemgerätes einnahm. Widerwillig setzte er schließlich die große Nachtsichtbrille auf, deren Scheibe an der Außenseite schwarz schimmerte und die den letzten Rest seines Gesichts verdeckte. Die langen dunklen Haare hatte er bereits früher in den Kragen der zugeknöpften braunen Uniformjacke gesteckt, die die Abzeichen eines Majors trug. An Burkos Jacke, der sich wie Sakegi ausstaffierte, waren die Abzeichen eines Hauptmanns, Khadul spielte einen zweiten Major, und der kleine Haveni-Akhar in ihrer Begleitung hatte die Rolle des Generals übernommen und seinen Bauch künstlich ausgestopft, denn Wladenkov war als klein und dick bekannt, während seine hochrangigen Beschützer große, starke Burschen waren, die von einem Keeo durchaus oberflächlich nachgeahmt werden konnten, solange er sein Gesicht verdeckte. Schließlich – die Sonne stand schon weit im Westen – bestiegen sie den Jeep. Khadul setzte sich ans Steuer, experimentierte eine Weile herum und brachte den Wagen schließlich in Gang. Getarnt als menschliche Offiziere, von denen sie nur die sechsgliedrigen Hände unterschieden, fuhren sie langsam nach Süden. Staub wirbelte unter den mahlenden Rädern empor, es war glühend heiß im Innern unter ihrer seltsamen Maskerade, aber sie hatten sie sicherheitshalber schon angelegt, um bei eventuellen Zwischenfällen selbst bei Tage aus der Entfernung als Menschen durchgehen zu können. Sie trugen auch die Pistolen von sowjetischen Offizieren und zahlreiche Handgranaten am Koppel. Neben jedem Krieger stand eine erbeutete russische Maschinenpistole, geladen mit
Explosivgeschossen, und griffbereit unter den Sitzen hatten sie Keeo-Pistolen und neuentwickelte Keeo-Maschinenwaffen versteckt. Es war schon Nacht, aber es wurde dank des aufgeheizten Bodens nur langsam kühler, als sie sich dem Hauptraumhafen der Sowjets näherten, auf dessen Landefeld ein gewaltiger Transporter, die »Sovjetskij Sojuz« auf das Fertigmachen zum Start zur Erde wartete. Ihr Schwesterschiff, die »Moskva«, war bereits am Vortag gestartet, nachdem es eine Woche früher angekommen war und zusammen mit der »Sovjetskij Sojuz« fünfzehntausend Soldaten und umfangreiche Vorräte an Munition, Wasserstoff- und Neutronenraketen sowie acht Panzer nach Keeog gebracht hatte. Burko saß neben Sakegi im Fond des geschlossenen Jeeps und betrachtete den gewaltigen Stützpunkt, dem sie sich näherten. Überall schimmerten Lichter, und gewiß wurden sie jetzt schon aus der Ferne beobachtet und tauchten auf Radarschirmen auf. Sie kannten die neue, von Minenfeldern flankierte Straße aus den Karten der Telepathen, die dieses Wissen von den Bauingenieuren hatten. Und sie wußten, daß es fünf Verteidigungsringe gab, die so gut wie nicht zu durchdringen waren, selbst für keeogische Telepathen. Allerdings hatten sie gar nicht die Absicht, mehr als einen zu durchdringen. Sie sahen das Schiff in etlichen Kilometern Entfernung aufragen, ein gewaltiger, schwarzer, länglicher Zylinder, der von riesigen Landestützen aufrecht gehalten wurde. Die Luken waren geschlossen, nur eine Rampe führte in den ungeheuren Bauch des Schiffes, und darauf wimmelten Arbeiter und Entlademaschinen herum. »Sie haben uns bemerkt und über Funk angerufen, aber dann auch festgestellt, daß unser Funkgerät zerstört ist, und jetzt, wo sie die Zahlen und die Fahne vorne am Kotflügel sehen,
glauben sie, daß sie es mit General Wladenkov zu tun haben, der eine überraschende Inspektion macht.« Had-Akwhar sprach, ohne den Kopf zu drehen, und seine Stimme klang wegen der Atemmaskenattrappe dumpf. »Jetzt versuchen sie, ihn zu erreichen, aber zum Glück funktionieren die Störapparaturen, die wir erbeutet haben. Und sein Hauptquartier ist zweihundert Phaijang entfernt, also sollten wir uns keine Sorgen machen.« Sie näherten sich jetzt dem äußeren Verteidigungsring, der aus Schützengräben, aufgehäuften Sandsäcken und zahllosen Maschinengewehrstellungen bestand. Allein diesen Ring mußten sie durchdringen, dahinter lag der zweite Verteidigungsring, der aus weiteren MG-Stellungen und aus drei Achtfach-Raketenwerferstellungen bestand, die die gesamte Umgebung im Umkreis von zweihundert Kilometern beschießen konnten. Bereits einmal hatten sie solch eine auf einem LKW installierte sehr schwere und mit leichten Atomsprengköpfen ausgerüstete Anlage erbeutet und sie erfolgreich gegen die Invasionstruppen eingesetzt. Burko sah die unzähligen Zelte, die Lagerschuppen, die hohen Wachturme, und er sah das Schiff, das zu gewaltiger Höhe aufwuchs, obwohl sie noch immer mehrere Kilometer entfernt waren. Nahe einem breiten, mit MG’s gespickten und mit Stacheldraht gesicherten Schützengraben hielten sie an. Niemand war zu sehen, nur MG’s waren auf sie gerichtet, ein Scheinwerfer blitzte plötzlich auf, grellweiß, dreimal kurz hintereinander, dann flackerte er einmal lang hellgrün, zweimal kurz rot und viermal abwechselnd kurz und lang weiß. Es war die Signalparole für diesen Tag. Die Sowjets wollten die Parole für den ersten Verteidigungsring, die täglich gewechselt wurde, aus der Entfernung haben.
Had-Akwhar nahm eine erbeutete Signallampe und beantwortete das Signal mit zweimal lang rot, einmal kurz grün und fünfmal abwechselnd kurz und lang rot, durch die Vorderscheibe des Fahrzeugs. Die MG’s schwenkten beiseite, ein Steg wurde hastig über den Graben gelegt, Khadul fuhr an und darüber. Burko konnte seine Konzentration auf das Fahren des für ihn fremden Fahrzeugs fast körperlich spüren. Er paßte auf, daß seine Hände unter den hohen Seitenfenstern waren, so daß man sie von draußen nicht sehen konnte – ebenso fuhr Khadul den Jeep, indem er das Lenkrad nur im unteren Teil umklammerte. In dem Moment, in dem jemand von draußen entdeckte, daß die Neuankömmlinge, die hinter den verstaubten Scheiben nur schlecht zu erkennen waren, zwei Daumen besaßen, waren sie verloren. »Sie haben Furcht vor ihrem Vorgesetzten, keiner will auffallen, deshalb halten sie uns nicht an«, signalisierte HadAkwhar. »Sie erinnern sich an ähnliche unangekündigte Besuche.« Burko glaubte, sein Herz hämmern zu hören, als sie den ersten Verteidigungsring hinter sich hatten. Jetzt waren sie unwiderruflich in die Sache verstrickt. Ob sie siegten oder alles schiefging, es war höchst fraglich, ob sie – selbst bei einem Erfolg – lebend aus dieser Festung entkommen konnten. Sie näherten sich einem flachen Stahlbetonbunker mit mehreren Seitengebäuden, die von einem mehrfachen Zaun umgeben waren. Überall ragten aus Öffnungen in der betonierten Umgebung Waffenmündungen oder kleine Raketenspitzen. »Der automatische Abwehrkreis«, dachte Had-Akwhar gezielt. »Alles, was bis auf fünf Meter an den Zaun herankommt, wird vernichtet, wenn nicht von innen abgeschaltet wird. Denkt daran!«
Etwa hundert Meter vor dem weiten Tor im Zaun stoppte der Jeep, als sich ein Scheinwerfer auf ihn richtete. Wieder wurden Farb- und Intervallsignale gegeben, andere, als die des ersten Kreises und Had-Akwhar, der die Antwort den unbewußterwartungsvollen Gedanken des Mannes an der Lampe entnahm, antwortete ebenso unfehlbar richtig mit seinem eigenen Gerät wie zuvor. »Nehmt eure Waffen«, dachte Had-Akwhar intensiv. »Aber laßt sie bloß unten! Sie werden uns hereinlassen und die ganze Mannschaft antreten lassen, fünfzehn Mann, wie üblich, wenn der General kommt. Zwei werden im Raketenkontrollraum bleiben.« Das Tor öffnete sich automatisch, als sie sich näherten, offenbar waren die Verteidigungsanlagen abgeschaltet worden, die die Raketenabschußstation beschützen sollten. Sie rollten auf einen betonierten Hof, auf dem gerade die Soldaten zusammenliefen, unter dem barschen Kommando ihrer Offiziere. Ein Nachzügler rannte aus der Unterkunft und wurde von Khadul beinahe gerammt. Burko packte die Maschinenpistole an seiner Seite, ohne sie zu heben. Der Blick durch die Nachtsichtbrille war immer noch ungewohnt, und er wünschte sich, so kalt und ungerührt wie Sakegi bleiben zu können, der lässig zurückgelehnt dasaß, die MP quer über dem Schoß unterhalb der Fenster. Zur Verblüffung der antretenden Soldaten draußen stoppte der Jeep erst direkt vor dem geöffneten Eingangstor des riesigen braungestrichenen Bunkers. Hinter ihnen hatte sich das Tor bereits geschlossen, die Radarantennen auf dem Dach des Bunkers und die elektronischen Aufspürgeräte für die computergesteuerten Verteidigungswaffen begannen wieder zu arbeiten. »Raus!« kommandierte Sakegi.
Sie hatten in den Bergen lange geübt, und fast gleichzeitig stießen sie alle vier die Seitentüren des Fahrzeugs auf, Maschinenpistolen in den Fäusten. Sie feuerten gezielt und blitzschnell auf jeden Soldaten, den sie auf dem kahlen Platz sehen konnten, drei Sekunden lang jagten sie wilde Feuerstöße in alle Richtungen, und dann war keiner der russischen Soldaten in dieser Stellung mehr am Leben. Had-Akwhar stürmte voran, die Treppe hinunter, die in den Bunker führte, dann rechts, und sie folgten ihm. Die Stahltür vor dem Kontrollraum schloß sich bereits, aber sie stürzten hindurch, ein Soldat schoß mit einer Pistole auf sie, während der andere sich von den Überwachungsbildschirmen und Instrumenten abwandte, um ebenfalls nach seiner Waffe zu greifen. Der Knall in dem kleinen Raum war ohrenbetäubend, Sakegi hatte sich geduckt, und das Explosivgeschoß zerplatzte an der sich schließenden Stahltür hinter ihm. Burko feuerte einen schrägen Feuerstoß aus der Hüfte ab, der die beiden Soldaten von den Beinen riß. Had-Akwhar zerrte eine der Leichen hastig von dem großen Schaltpult an der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes und beugte sich über die Schaltelemente, die einfach genug waren, um von jemand bedient zu werden, der wochenlang die Gedanken der Männer an solchen Raketen studiert und selbst einmal einen erbeuteten Werfer bedient hatte. Sakegi schlug mit der Hand auf den Öffnungsknopf neben der Stahltür, und sie öffnete sich langsam wieder. Von draußen klangen Explosionen und Salven aus Maschinenwaffen herüber, und auf einem Bildschirm sah Burko, daß Soldaten versuchten, in die eroberte Stellung einzudringen, aber von den automatischen Schußanlagen aufgehalten wurden.
Had-Akwhar betätigte einen Schalter, und ein kurzes schrilles Signal heulte auf. Ein Funkgerät an der Wand begann fast gleichzeitig zu schnarren, man verlangte wohl eine Verbindung mit dem Stützpunkt, aber Had-Akwhar, der gerade den leichten atomaren Raketenwerfer aus der Dachkuppel des Bunkers gefahren hatte, war anderweitig beschäftigt. Er betätigte mehrere Schalter, rote Lampen glühten grell auf, das Warnsignal wurde lauter. Ein Bildschirm flammte auf und zeigte die Umgebung. Er schaltete augenblicklich auf »Nahbereich«, während Burko ungeduldig, die MP in den schwitzenden Händen, danebenstand und hoffte, er möge noch schneller arbeiten können. Draußen waren die Kampfgeräusche lauter. Sakegi und Khadul liefen hinaus, um den Bunkereingang notfalls verteidigen zu können. Had-Akwhar blickte auf den Bildschirm und drehte an einem Schalter, bis er einen winzigen, rot leuchtenden Punkt auf den abgebildeten zweiten Bunker mit seiner bereits ausgefahrenen Werferbatterie hatte gleiten lassen. Blitzschnell drückte er mit der Linken einen gelben Knopf, Lampen leuchteten auf, das Zielgebiet für den Nahbereich war im Elektronengehirn der Anlage gespeichert, die die Rakete genau dorthin lenken würde. Der Telepath drückte sofort nach dem gelben den roten Abschußknopf, und durch das dumpf von draußen hereinklingende Krachen vielfältiger Explosionen ertönte ein scharfes Fauchen von oben, als eine der Raketen abhob. Burko fing einige seiner konzentrierten, wilden Gedanken auf, und sie sagten ihm, daß die übrige dritte Station gerade dabei war, ihren Werfer auf diesen Bunker einzurichten. Had-Akwhar drehte fieberhaft an der Verstellung des Bildschirmbereichs.
Auf einem der Bildschirme, die die Umgebung zeigten, platzte die zweite Bunkerstation in einem ungeheuren Feuerball auseinander. Die letzte, dritte Station richtete ihre Raketen aus. Had-Akwhar drückte den gelben und den roten Knopf. Wieder das grelle Fauchen, aber gleichzeitig wuchs drüben eine weißliche Wolke empor, ihre eigene Rakete zuckte darauf zu, die andere Rakete hob ebenso schnell ab, und dann zerbarst der dritte Bunker. Die Erschütterung der Erde durch den sehr leichten Atomsprengsatz, der gerade ausreichte, um etliche Häuserblocks der Erde einzuäschern, war bis hierher zu spüren. Burko starrte auf den Bildschirm, der die zweite Station zeigte. Die abgefeuerte Rakete geriet, da der Leitstrahl erloschen war, ins Trudeln und stürzte irgendwo zwischen dem dritten und vierten Verteidigungsring ab, warf Flammenzungen und eine riesige Sand- und Betonbrockenwolke hoch. Draußen explodierten jetzt Maschinenkanonengranaten und leichte Geschosse, die aus tragbaren Raketenwerfern kamen. Etliche MG’s und Raketenwerfer fielen aus, wie die leuchtenden Lichter an einer Tafel und etliche flackernde Bildschirme anzeigten. »Sie kommen bald durch, wie lange dauert das noch?« kam Sakegis Gedankenimpuls von draußen. Dann, etwas erleichterter: »Ah, sie werden durch Flammenwerfer gestoppt!« Mehrere Bildschirme erloschen jetzt, das Krachen und Dröhnen schwoll an. Had-Akwhar änderte gerade die letzten Einstellungen des Raketenzielgeräts. Burko sah auf seinen Zielbildschirm und bemerkte, daß die Rampe des Raumschiffs schon halb geschlossen war und daß die Aggregate langsam zu arbeiten begannen. Wenn sie es schafften, zu starten, war das Unternehmen verloren. Am Bildrand sah er ein gewaltiges
Stahlungetüm mit einer langen Kanone, doch winzig klein gegen das Raumschiff, aus einer unterirdischen Garage fahren. Had-Akwhar legte den roten Punkt mittschiffs, drückte den gelben und fast gleichzeitig den roten Knopf. Die Rakete hob ab, als glühender Punkt huschte sie davon, und Sekunden später wuchs aus dem Mittelteil des Schiffes eine in der Entfernung und im Verhältnis zum Schiff kleine rote Feuerblume, und Metallteile spritzten in alle Richtungen davon. Schließlich klaffte eine gezackte Öffnung im Rumpf des Schiffes, das dennoch langsam abzuheben begann. HadAkwhar feuerte die nächste Rakete in den unteren Teil des Schiffes, und diesmal begann es sich unter dem Einschlag zu drehen und streifte schließlich den Boden. Die dritte Rakete setzte der Telepath in den Vorderteil, und nach der Detonation geschah sekundenlang nichts, bis plötzlich ein riesiger Feuerpilz aus dem hinteren Teil des Schiffes emporwuchs, größer wurde und das Schiff schließlich vollends zerriß. Der weißrot zuckende Feuerball erweiterte sich und verschlang die näheren Bauten des Flughafens. Zerrissene Trümmer wirbelten in alle Richtungen davon, bevor eine riesige pilzartige Rauchwolke in den Himmel emporstieg und das Feuer zusammensackte. Sekunden später erreichte die Druckwelle den Bunker, die Erde zitterte, weitere Bildschirme fielen aus, Burko sah auf einem, wie angreifende Soldaten von den Beinen gerissen und fortgewirbelt wurden. Der ganze Bunker bebte, und dank der Zerstörung der äußeren Zielanlage fielen jetzt auch die letzten noch intakten Waffensysteme des Bunkercomputers aus. HadAkwhars Zielbildschirm erlosch, er fluchte, hämmerte auf den Knöpfen herum, aber bis auf plötzlich aufflammende rote Lichterreihen und Alarmsirenen brachte ihm das nichts ein. »Das Schiff ist zerstört!« schrie Burko ihm zu. »Los, raus hier!«
Sie rannten durch den Steuerraum, an der Tür drehte sich Burko um und jagte etliche Salven von Explosivgeschossen in die Schaltpulte, um sie vollends unbrauchbar zu machen. Er wechselte im Laufen das Magazin aus und stieß draußen zu Sakegi und Khadul. Had-Akwhar folgte ihm bleich und erschöpft auf den Fersen. Der Computer hatte als letzte Verteidigungsmaßnahme das Gelände in dichten Nebel gehüllt – noch jetzt zerplatzten draußen Nebelkerzen. Ein paar Schüsse krachten, aber ansonsten schien die enorme Druckwelle des explodierenden Riesenschiffs den Angriff der Soldaten zum Stillstand gebracht zu haben. Der Jeep stand noch, leicht verschoben, mit frischem Staub und rußartigen Teilchen bedeckt, mehrere Scheiben waren zersplittert. Burko räumte die Überreste der Windschutzscheibe mit dem Lauf der MP beiseite, während Khadul versuchte, den Wagen wieder in Gang zu bringen. Der dichte Nebel versperrte ihnen die Sicht, aber Sakegi, der irgendwo eine Infrarotbrille gefunden hatte, warf sie Khadul in den Schoß, als der Motor des Jeeps ansprang und sich Burko auf den Beifahrersitz fallen ließ. Khadul schob sich die Brille vors Gesicht, dann ließ er den Jeep mit Vollgas herumfahren, einen Moment glaubten sie, er würde in der engen Kurve umkippen, aber dann rollten sie durch den künstlichen Nebel, irgendwo rechts blitzte es auf, und Burko jagte eine Salve in diese Richtung. Sie rasten über unebenen Boden, hinter ihnen wurde wild geschossen und dann stießen sie aus dem Nebel heraus und fanden sich auf der Straße wieder, ein paar hundert Meter vor dem ersten Verteidigungsring, dem breiten Schützengraben, der fast verlassen war, denn bei der Nachricht vom Sturm des Bunkers waren alle verfügbaren Soldaten sofort zu dessen Zurückeroberung eingesetzt worden. Der brückenartige Steg
fehlte, aber darauf konnten sie keine Rücksicht nehmen, Schüsse krachten bereits in der Nähe, und ein paar Einschläge ließen den Wagen vibrieren. Khadul drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, der Jeep heulte über die unebene, von Panzerketten zerrissene neue Asphaltstraße, schlingerte wild hin und her, während die drei Passagiere in alle Richtungen wild mit den Maschinenpistolen schossen, um ihre Gegner in Deckung zu halten. »Festhalten!« brüllte Khadul, und dann hüpften sie über den schmalen Schützengraben, kamen drüben hart auf, schlingerten, kippten beinahe um, aber sie hatten Glück und fuhren weiter. Ein MG bellte hinter ihnen los, Sakegi schrie hinter Burko auf, aber Burko war gerade damit beschäftigt, mit seiner KeeoMaschinenpistole auf das MG zu schießen, und er brachte es tatsächlich zum Schweigen. »Einer oder zwei Reifen sind hin«, rief Khadul wild, als der Wagen zu schlingern und zu rucken begann. Aber er raste weiter, hüllte den Jeep in eine dichte Sandwolke, und sie jagten in wahnwitzigem Tempo in die Wüste hinein, hüpften über Vertiefungen, rutschten über Geröllflächen und durch Sandverwehungen, und Burko mußte seine MP auf den Wagenboden fallenlassen und sich festhalten, während ihm der Wind ins Gesicht fuhr. Schließlich fuhren sie über einen felsigeren Teil der Ebene, und sie kamen schneller und etwas erschütterungsfreier voran. Burko erinnerte sich an Sakegis Schrei und drehte sich um. Had-Akwhar war gerade dabei, ihn zu verbinden. Zwei MGKugeln hatten das Heck des Jeeps durchschlagen und waren ihm in den Rücken und die linke Schulter gedrungen. Aber er grinste Burko verzerrt an und deutete mit blutiger Hand nach hinten. Burkos Blick folgte der Richtung, und er
sah die gewaltige Rauchwolke hinter ihnen, die dick und dunkel über dem Flughafen hing. »Wir haben es ihnen gezeigt«, sagte Sakegi leise. »Jetzt machen sie Jagd auf uns«, knurrte Khadul. »Und dabei ist es noch verdammt weit bis zu Chevar! Ich möchte endlich eine richtige Haigila und nicht diese miese Schüttelrutsche unter meinem Hintern haben!« »Chevar wird uns entgegenreiten«, sagte Had-Akwhar. »Ich habe ihn benachrichtigt, als wir den Flugplatz hinter uns hatten.« Sakegi lachte wild. »Wir haben es geschafft«, sagte er, »und wir sind noch alle am Leben! Wer hätte das gedacht?« Der Jeep schlingerte weiter, nach Norden.
Burko betrachtete mißmutig seinen rechten Arm. Bei einem Überfall auf ein von den UN-Leuten übernommenes KyDendda-Bergwerk hatten ihn mehrere Granatsplitter getroffen, und er würde mehrere Wochen nicht kämpfen können. Wenigstens war Sakegi auf dem Wege der Besserung – nach dem Überfall vor drei Wochen war es ihm eine ganze Weile sehr schlecht gegangen. Er hatte auf dem anstrengenden Transport viel Blut verloren. Aber dieser Überfall hatte letztlich etwas genützt. Nachdem eine der letzten, inzwischen das Mehrfache an Geschwindigkeit des früheren Wertes erreichende Nachrichtenrakete zur Erde abgegangen und eine andere zurückgekommen war, hatte man ihnen Friedensverhandlungen angeboten. Davor hatte man allerdings die Vorstöße in den Felsenkontinent verstärkt, man hatte hier und da Wasserstoffbomben abgeworfen, bevor die übrigen Schiffe
rasch abgeflogen waren. Man hatte mehrere Kampfflugzeuge, oberflächlich umgebaut, nach Keeog gebracht und feststellen müssen, daß man sie bei 2 g nicht ohne Schäden vom Boden hochbrachte. Und jetzt waren die Angebote zu Friedensgesprächen gekommen. Man wollte einen oder mehrere unbewaffnete Gesandte zur Erde fliegen, damit sie mit der UN verhandeln konnten. Der Rat der Freien Führer, jetzt zuständig für alle die Invasoren betreffenden Entscheidungen, diskutierte schon seit einer guten Stunde eifrig über dieses Angebot. Burko hatte sich bislang kaum beteiligt, er saß etwas im Hintergrund und hörte zu. Vorsitzender für die Zeit bis zu Sakegis Gesundung war Farun, der Freie Führer der Stadt Ky-Dendda-Vekhai. Er war als gefährlicher Kämpfer und als bester Scharfschütze der KyDendda bekannt, ein Telepath, groß, schlank mit sehr breiten Schultern und geschlitzten, eiskalten dunklen Augen in einem Gesicht, das selten irgendwelche Gemütsbewegungen zeigte. Er war etwas älter als Burko und für seine emotionslosen Planungen bekannt. Er haßte die Menschen nicht, er sah es lediglich als interessante und unumgängliche Aufgabe an, sie zu vertreiben. »Ich bin der Meinung«, sagte er gerade, »daß es Dummheit wäre, auf dieses Angebot einzugehen. Ich kenne die Gedanken dieser Leute, der Generäle, die die Order bekommen und ungläubig angestiert haben. Sie nehmen an, daß die Führung auf der Erde uns in einen Scheinfrieden zwingen und dann vernichten will oder zumindest einen Waffenstillstand erreichen möchte, um noch mehr Truppen hierher zu schaffen, und ich denke, damit haben sie recht, denn sie kennen die Politiker auf der Erde gewiß besser als wir.« »Wir müssen den Krieg weiterführen und sie schlagen«, sagte ein anderer. »Daß sie uns das Friedensangebot gemacht haben,
beweist doch, daß sie langsam am Ende sind. Wir haben Tausende getötet und nur wenige hundert verloren, und unsere letzten Unternehmungen, darunter das von Sakegi mit dem Sowjet-Schiff, und das von Burko mit der zerstörten Uranmine, beweisen doch, daß wir mit ihnen praktisch machen können, was wir wollen!« »Einen Moment«, sagte Burko und beugte sich vor. Sein Arm schmerzte, aber er achtete nicht darauf. Jetzt war der Moment, seine Argumente ins Feld zu führen. »Ich möchte euch klar sagen, daß ich dafür bin, zur Erde zu fliegen. Ich habe heute morgen mit Had-Akwhar geredet. Er und seine TelepathenFreunde, die täglich den Feind im geistigen Auge behalten, haben etwas Neues herausgefunden. Die Truppen von der Erde wollen Experimente mit Laser-Waffen unternehmen, weil ihre gewöhnlichen Gewehre hier ziemlich wirkungslos sind. Ich habe mich bei Rita erkundigt, was ein Laser ist – es handelt sich um eine Waffe, die einen dünnen Lichtstrahl aussendet, der aber so energiereich ist, daß er selbst Stahl durchschlagen kann. Wußtest du das schon, Tarun?« Burko spürte die Überraschung des anderen, aber in dem beherrschten dunklen Gesicht tat sich nichts. Tarun sagte nur: »Nein, das habe ich nicht gewußt. Ich lausche nicht jeden Tag dort hinüber.« »Außerdem erwartet man einen Satelliten, der die ganze Oberfläche Keeogs beobachten und notfalls augenblicklich beschießen kann. In weniger als neun irdischen Monaten werden sie hier sein. Sie werden all das, von dem ich geredet habe, mitbringen. Und neue Soldaten, und vielleicht Flugzeuge, die wirklich vom Boden wegkommen.« Er sah den Freien Führer im Hintergrund an, der sich dafür ausgesprochen hatte, auf die Verhandlungen nicht einzugehen und die Invasoren in die Knie zu zwingen. »Du hast von zwei Unternehmen gesprochen, Tiyo. Bei Sakegis
Kommandounternehmen wurde dieser beinahe getötet, und bei meinem Unternehmen verloren wir acht Krieger. Wir siegten, gewiß, aber die Menschen gehen mehr und mehr in die Defensive, und wir machen uns verwundbarer, wenn wir angreifen müssen und sie sich einigeln. Fast zwei keeogische Jahre, achtundzwanzig irdische Monate, tobt dieser Krieg schon, und wir verlieren immer mehr Keeogii. Wir erhalten keinen Ersatz – für jeden Gefallenen der ihren könnten sie tausend herschicken, wenn die Transportmöglichkeiten ausreichen würden. Wir rennen gegen eine Wand an, und mit jedem Ziegel, den wir herausbrechen, wird auf der anderen Seite ein neuer hinzugefügt. Ich habe inzwischen bestimmt fünf Dutzend Einsätze mitgemacht, ich habe sie nicht gezählt, aber ich denke, daß jeder von euch genauso oft ›draußen‹ war, Sakegi und Tarun vielleicht noch viel öfter. Was glaubt ihr, wie lange es dauert, bis es einmal einen von euch erwischt?« Burko sah kalt in die Runde. Schweigen herrschte in dem kleinen, kühlen Saal, der durch etliche flackernde Fackeln an den Wänden nur schwach erhellt war. »Die Hälfte von euch, vielleicht mehr, ist nur Freier Führer, weil die ehemaligen Vialannons gefallen sind. Soll das ewig so weitergehen?« »Was möchtest du tun?« fragte Tarun sanft. »Ich möchte zur Erde fliegen und wenigstens den Versuch machen, unsere Lage darzulegen. Ich möchte Bedingungen aushandeln und verhindern, daß dieser Krieg weitergeht, aber auch, daß wir oder unsere Natur geschädigt werden. Vielleicht müssen wir Kompromisse machen. Aber wir haben bewiesen, daß wir kämpfen und sie besiegen können, und sie lassen sich vielleicht überzeugen, daß es besser ist, einen neuen Anfang nach unseren Bedingungen zu machen.«
»Sie werden dich töten«, sagte Tiyo aus dem Hintergrund. »Du bist ein Taveni wie ich, und ich kann dich nicht an deinem Vorhaben hindern, doch ich bitte dich als Stammesbruder: Bleib’ hier!« Tarun lächelte kühl, seine schwarzen Augen blitzten auf. Er saß sehr aufrecht da, die Beine gekreuzt, die Hände auf den Oberschenkeln. »Wir können dir keine Vollmachten mitgeben, ohne daß alle zustimmen«, sagte er freundlich. »Ich will nichts als die Vollmacht, Bedingungen aushandeln zu dürfen, die unverbindlich sind! Ihr könnt sie ablehnen, wenn ich zurückkomme und berichte, oder sie annehmen!« Burko sah Tarun scharf an, versuchte die Gedanken des anderen zu ergründen, spürte aber, daß dieser sich abblockte. »Ist das zuviel verlangt?« »Nein«, sagte Tarun. »Nur wirst du nicht zurückkommen. Wenn du ihnen versprichst, was sie hören wollen, werden sie dich laufen lassen, um uns zu überzeugen. Wenn du nicht das tust, was sie wollen, werden sie dich töten, um so lieber, wenn sie herausfinden, daß du der ›Bloody Burko‹ bist, dem damals vor zwei Jahren die Söldner der WWC zum Opfer fielen. Du bist ein guter Krieger, Burko, aber ich fürchte, du bist zu idealistisch. Bleib’ hier. Aber ich sage wie Tiyo: Wenn du gehen möchtest, geh’, wir hindern dich nicht. Ich weiß, daß du Rita Cunningham mitnehmen möchtest – auch daran hindert dich keiner.« Er sah Burko traurig an. »Sobald du Keeog verlassen hast, bist du in ihrer Hand. Sie lassen dich nicht frei, sie werden dich wie eine widerspenstige Ho zerquetschen, wenn du nicht tust, was sie wollen.« Burko sah in die Runde, seine spitzen Ohren zuckten. Er wußte, daß sich alle Blicke auf ihn richteten, fühlte die forschenden Gedanken der anderen, wie sie seine fühlten. »Ich kann nicht einfach zusehen, wenn meine Freunde sterben, ohne
zu versuchen, das aufzuhalten, Tarun«, sagte Burko leise. »Ich muß es einfach tun.« »Viel Glück«, sagte Tarun, und einer nach dem anderen sagte es auch. Burko erhob sich langsam, mußte sich dazu zwingen, denn er begriff mit einemmal, daß er etwas vorhatte, das gefährlicher und ganz anders war als alles, was er bisher getan hatte. Aber irgendwo war die Chance zu einem Frieden, hauchdünn, und doch konnte er sie vielleicht fassen, konnte das Sterben auf beiden Seiten beenden. Als er hinausging, dachte er daran, daß er sich von seiner Freundin Dina verabschieden mußte. Ob Rita sich über seinen Entschluß freute?
Etwas wie diese Stadt hatte Burko noch nie gesehen. Er stand auf dem Balkon des Hotels, und er sah den grauen Himmel, die dunkle, stinkende Dunstglocke, die dick und schwer über dem unendlichen Häusermeer lag, das sich nach allen Seiten erstreckte, so weit er sehen konnte. Die winzige einzelne blaßgelb schimmernde Sonne am Himmel versuchte, mit schwächlichen Strahlen Licht und Wärme in diese unerfreuliche, düstere Umgebung zu bringen. In der Ferne, am Horizont, stieg Rauch empor, Lichter zuckten auf fernen Hochbrücken durch die Stadt, und überall waren die geometrisch absolut genau entworfenen Blöcke aus Beton und Glas, die steil in den dunkelgrauen Himmel ragten. In der Ferne, bei den Lichtern und dem Rauch, waren verschwommen verfallende Hochhausruinen zu erkennen. Burko lehnte sich vorsichtig über das Balkongeländer, sah tief unten Autos vorbeihuschen, hörte den dröhnenden, summenden Lärm der Stadt und erkannte winzig klein die blauuniformierten Polizisten, die überall herumstanden. Und die Luft war entsetzlich.
Burko hustete, drehte sich um, ging in die Hotelsuite zurück und verschloß sorgfältig die Türen und Fenster. Im Innern war es dank einer luftreinigenden Klimaanlage angenehm. »New York«, sagte Rita leise und sah ihn mit sehr nachdenklichen blauen Augen an. »Ich hatte schon vergessen, wie es auf der Erde ist, ich hatte nur noch blaues Gras und einen herrlichen klaren grünen Himmel im Gedächtnis, und jetzt das!« Burko setzte sich vorsichtig in einen höchst ungewohnten weichen Ledersessel. Er dachte daran, wie sie sich gefreut hatte, daß er die Friedensmission wagen wollte. Mit einem besonders schnellen, kleinen Kurierschiff hatten sie vor drei Monaten Keeog verlassen. Burko war unter einem Falschnamen gereist, Rita schien niemand mehr nach dem Leben trachten zu wollen. Insgesamt gesehen, waren sie beide, wenn man die Umstände in Betracht zog, nicht unfreundlich behandelt worden. Sie waren ständig überwacht worden, aber diskret, und natürlich hatten sie keine Waffen mitnehmen dürfen und auch keinen Zugang zu Waffen gehabt. Nun hatten sie die Ankunft am Flughafen hinter sich, streng geheimgehalten, waren sie zu diesem Hotel gebracht worden, dem »Hilton«, einem der allerbesten Hotels der Stadt, wie Burko erfuhr. Überall in ihrer Nähe waren Polizisten und Militärpolizisten, aber man hatte ihnen zugesichert, daß Burko seinen Standpunkt in einigen Tagen dem UN-Sicherheitsrat würde schildern können. »Die niedrige Schwerkraft ist angenehm«, sagte Burko zu Rita. »Aber was ist mit der Luft los? Man kann ja da draußen kaum atmen.« »Die Industriebetriebe«, sagte Rita. »Ich habe dir doch von ihnen erzählt.« Sie griff nach der Aktenmappe, die sie auf dem
Tisch neben dem alten Übersetzungsgerät abgelegt hatte, und blätterte abwesend darin herum. »Auf dem Flug hierher haben wir ja lange genug deine und meine Rede entworfen, geprobt und verändert. Während wir im Orbit waren, habe ich Zugang zu etlichen Neuigkeiten von der Erde gehabt, und die wichtigsten, die, die uns nützen könnten, habe ich mir rasch notiert.« Burko musterte sie abwartend, betrachtete den luxuriösen, sehr sauberen, für ihn ungewohnt quadratischen Raum mit den dezenten Tapeten, dem weichen Teppich, den Möbeln, die teilweise aus echtem Holz bestanden und noch aus dem letzten Jahrhundert stammten. Rita sah ihn ernst an. »Es gab etliche Enthaltungen in der Frage des Angriffs auf Keeog, nur zwei Länder haben dagegen gestimmt, die VR China und Israel. Sie haben natürlich beide Gründe, und die müssen wir ausnützen, wenn wir können.« »Was für Gründe?« fragte Burko, der sich in irdischer Politik natürlich nicht auskannte. »Beide Länder haben es noch im letzten Jahrhundert geschafft, der Bevölkerungsexplosion und der ökologischen Katastrophe Herr und damit unabhängig zu werden. China hoffte wohl durch seine Gegenstimme den Zusammenbruch der beiden großen Machtblöcke zu beschleunigen, denn die brauchen Keeog wirklich, China nicht. Und Israel zeigt schon seit langem wenig Lust, Leute umzubringen, die ihm nichts getan haben.« Sie dachte kurz nach, bevor sie weitersprach. »Vielleicht können wir noch andere Länder für eine Einstellung der Feindseligkeiten gewinnen. Wir müssen vor allen Dingen die Situation der Industrie ausnützen. Lange kann man hier diesen Krieg nicht mehr durchhalten. Energien werden auf Keeo gebunden, die früher wenigstens etwas das Volk am Leben erhalten konnten. Die Reparaturen der riesigen Transporter, die jedesmal halb
schrottreif von ihrer neunmonatigen Reise zurückkommen, erfordern ungeheure Mengen an Material und an Spezialisten. Die Politiker hier befinden sich in einem Wettlauf mit dem Zusammenbruch jeglicher Zivilisation.« Sie sah aus dem Fenster, wo man im Licht der sinkenden Sonne schmutzigrote Dunstschwaden über den Dächern hängen sah. »Bald werden sich die Hungernden in aller Welt nicht mehr beruhigen lassen. Dann nehmen sie sich, was sie brauchen, von denen, die noch im Überfluß leben. Und dann gibt es hier ein Gemetzel, wie es diese Welt noch nicht gesehen hat.«
Burko war sich der Fernsehaugen bewußt, die ihn von allen Seiten anblickten. Er spürte auch die Blicke der vielen Menschen vor ihm in dem halbkreisförmigen, riesigen Saal. Er stand auf dem Podium, in seiner martialisch wirkenden purpurschwarzen Uniform, das Lederzeug glänzte im Lampenlicht. Hinter ihm und über ihm hing das riesige, golden schimmernde Wappen der UN. Die beiden Mikrophone vor ihm schienen ihn anzugrinsen, und nur zu gut war er sich der Anwesenheit der schwerbewaffneten Militärpolizisten bewußt, die diskret im Hintergrund standen. Er ließ seinen Blick über die glatten Gesichter vor sich gleiten, fühlte die Stille förmlich, die über dem Raum lag, und in diese Stille hinein begann er zu reden, langsam, kalt und deutlich, und er hörte seine eigene Stimme aus den Lautsprechern dringen, fremdartig in dieser Umgebung die Luft erfüllen, während die Übersetzung in den winzigen Ohrhörern der Männer vor ihm wisperte. »Ich werde hier keine lange Rede halten«, sagte Burko.
»Rita und ich sind hier, um zu verhandeln, und das wollen wir auch tun, aber wir werden keine nichtssagenden Pamphlete loslassen, sondern lediglich eines mit aller Deutlichkeit sagen: Wir waren es nicht, die diesen Krieg begonnen haben! Sie haben sich brutal und rücksichtslos über unsere Rechte hinweggesetzt. Ich will hoffen, daß dies kein weiterer solcher Versuch ist, denn auf etwas Derartiges gehen wir nicht ein! Wir haben dieses Blutvergießen satt, aber wir können weitermachen, hundert Jahre, wenn Sie es so wollen. Und bilden Sie sich bitte nicht ein, daß sich unsere Krieger besser töten lassen, als sie das bisher getan haben. Bislang haben Sie für einen gefallenen Krieger von uns etwa zwanzig Ihrer Leute verloren, das steht in Ihren Militärberichten.« Er bemerkte Gemurmel bei diesen Worten im Saal, denn niemand hatte ihm diese Berichte gegeben. Natürlich stammte die Information von den keeogischen Telepathen, und er flocht sie hier nebenbei ein, um ihnen einen kleinen Hinweis darauf zu geben, inwieweit die Keeogii über die menschliche Seite informiert waren. »Unsere Nachrichtendienste funktionieren etwas anders als die Ihren, aber ich kann Ihnen versichern, daß sie genauso wirkungsvoll sind, wie die vorangegangenen Kämpfe bewiesen haben dürften«, sagte Burko kalt, und es machte ihm besonderes Vergnügen, das nur für Feinde bestimmte keeogische »Sie« zu benutzten. »Dies hier ist ein ehrlicher Versuch, einen guten Frieden zu machen, und ich bin bevollmächtigt, die Bedingungen auszuhandeln, die dann von unserer… Regierung einer letzten Prüfung unterzogen werden.« Er richtete sich auf und blickte scharf in die Augen der Männer, die ihm am nächsten saßen, in dem gewaltigen Saal etliche Meter unter ihm, jenseits des marmornen Pults, vor dem er jetzt stand. »Versuchen Sie bitte nicht, uns hinzuhalten oder übers Ohr zu hauen. Ich hoffe, daß Ihnen am
Leben Ihrer Leute etwas liegt und daß Sie deshalb alles tun werden, um diesen unseligen Konflikt zu beenden.« Er wandte sich ab und ging zu seinem Platz zurück, ziemlich abseits, aber das war ihm nur recht. Das hier war die Vollversammlung der UN, in ein paar Tagen würde er sich mit dem Sicherheitsrat herumschlagen müssen, der das eigentlich entscheidende Gremium war. Das hier war nur ein politisches Vorspiel, ein Geplänkel, bei dem man testen wollte, wer die stärkeren Nerven hatte. Burko war froh, daß er Rita bei sich hatte, die viel von diesen Dingen verstand. Sie lächelte ihn an, als er sich setzte und sich der Saal mit leisem Gemurmel zu füllen begann. »Gut!« sagte sie leise. »Und jetzt fängt das Herumgerede an, vielleicht haben sie sich von deiner Erklärung insoweit beeindrucken lassen, daß sie es etwas kürzer machen.« Burko nickte, versuchte, die Unsicherheit, die er auf dieser merkwürdigen Plattform mit vier Beinen und einer Rückenlehne empfand, beiseite zu schieben und wartete auf die Fragen und Vorschläge, die in Kürze auf ihn niederprasseln würden. Nachdenklich nahm er den Kopfhörer, betrachtete ihn einen Moment und setzte ihn dann entschlossen auf.
»Schaun Sie sich die Schweinerei mal an«, sagte Walter Briggs leise, aber in gefährlichem Ton. »Anders kann man das nicht nennen, was sich seit der Ankunft dieses… Gesandten hier abspielt!« Generalmajor Lucas E. Tarleton musterte den Innenminister mit steinernem Gesicht. Er hatte niemals einen Hehl daraus gemacht, daß er die Aufgabe nicht mochte, die man ihm da zugewiesen hatte: Auf die beiden keeogischen Gesandten
aufzupassen und alles zu erledigen, was irgendwie mit ihrem Besuch hier zusammenhing. Tarleton war ein großer, kräftiger Mann Anfang fünfzig, voller Energie und gelegentlich auch von kompromißloser Härte, aber beliebt bei seinen Untergebenen, seinen Vorgesetzten wegen seines unkonventionellen Verhaltens oft unbequem. »Was spielt sich denn ab?« fragte Tarleton sanft und musterte die spitznasige, drahtige Erscheinung Briggs in seinem tadellosen Maßanzug, mit den flinken Augen und der Halbglatze, mit leiser Verachtung. Briggs starrte Tarleton böse an, dann deutete er auf den großen Fernsehschirm, drei mal vier Meter, an einer Wand des geräumigen Büros. Briggs drückte etliche Knöpfe, und augenblicklich kam Farbe in die weiße Wand, zeigten sich lebendige Figuren. Der Fernsehschirm zeigte eine Szene, wie sie in den letzten Tagen oft zu sehen gewesen war, aufflammende Blitzlichter, gewaltige Horden von Reportern, die gepflegten Säle des Hilton oder einen der dezenten, ruhigen Räume im UN-Gebäude. Ein großer in Lederzeug gekleideter keeogischer Krieger, mit blitzenden hellen Augen, der sich unter dem Einfluß der geringen Schwerkraft voller ungezügelter Kraft und Geschmeidigkeit bewegte. Und die Fragen, die an ihn und an das hübsche rothaarige Mädchen an seiner Seite gerichtet wurden: »Haben Sie Hoffnungen auf einen wirklichen Friedensschluß?« »Ist es wahr, daß der Krieg nur durch die Politik der WWC ausgelöst wurde, die die Rechte der Keeogii ignorierte?« »Was werden Sie tun, wenn diese Verhandlungen scheitern?« »Stimmt es, daß Israel Sie in Ihren Verhandlungen hier unterstützt und daß Ihnen China Waffen angeboten hat?« »Beabsichtigen Sie zu kapitulieren, wenn die Verhandlungen zu keinem Zugeständnis der UN führen sollten?«
Briggs drückte einen Knopf, und das Bild erlosch wieder. »Das spielt sich ab«, sagte Briggs sarkastisch. »Sehen Sie nie fern?« »Was ist schlecht daran?« fragte Tarleton ruhig. »Soll ich die Reporter nicht mehr durchlassen, oder was?« »Die beiden machen hier Propaganda für Keeog. Sie erzählen allen Leuten, wie schrecklich sich die UN auf Keeog benommen hätte, daß die Keeogii schließlich zu den Waffen griffen, wie sehr sie sich nach Frieden sehnten, und so weiter.« Er sah Tarleton scharf an. »Es gibt zum erstenmal seit Ausbruch des Krieges Demonstrationen für eine friedliche Beendigung des Konflikts, Demonstrationen für diese verdammten Eingeborenen. Die chinesische Hetzpolitik beginnt langsam Wirkung zu zeigen, bei uns wie in der Sowjetunion. Sie haben die beiden gesehen, Tarleton. Immer freundlich, manchmal witzig, aber immer ernst und sehr aufrichtig – richtig beeindruckend, nicht wahr? Die öffentliche Meinung kehrt sich langsam gegen uns. Die Leute gehen auf die Straße und brüllen ihre Meinung hinaus. Sie denken, wenn wir den Krieg aufgeben und nachgeben, könnten sie nach Keeog kommen, ohne dafür ins Militär eintreten zu müssen. Sie denken, daß der Krieg sie um ihre Lebensmittelrationen bringt und daß nur die Konzerne daran verdienen, und genau das erzählt ihnen auch dieser elende demagogische Außerirdische, der da dauernd über die Bildschirme flackert. Wir müssen etwas dagegen unternehmen, Tarleton, daß das Volk der ganzen Westlichen Union und insbesondere der Vereinigten Staaten das Vertrauen in seine Führung und in die Gerechtigkeit dieses Krieges verliert.« »Die Reporter können wir nicht aussperren«, sagte Tarleton. »Damit machen wir uns noch unglaubwürdiger.« Und darüber hinaus, dachte er, würde die Verantwortung dafür auf mir
allein lasten, denn mit so etwas kann sich auch der Innenminister der USA nicht befassen. »Denken Sie sich was anderes aus«, murmelte Briggs. Bevor Tarleton darauf etwas sagen konnte, bemerkte Briggs selber: »Ich habe mir allerdings schon so meine eigenen Gedanken über dieses Problem gemacht. Es ist klar, daß es nicht dieser Fremde war, der diese Publicity-Show eingefädelt hat. Politik irdischer Machart ist auf Keeog unbekannt. Deshalb hat er diese Professorin, Rita Cunningham, mitgenommen. Sie kann ihm alles erklären, sie weiß, was unsere Politiker vorhaben, denn Politik war ein Teil ihres Forschungsgebietes in Harvard. Außerdem ist schon allein die Tatsache, daß ein Mensch für die Keeogii Partei ergreift, Publicity genug.« »Wenn wir die beiden trennen, ist der Bursche von der UN hilflos«, sagte Tarleton lächelnd. Er wußte, daß der Fremdling niemals allein die politischen Bluffs, Winkelzüge und Fallen der Menschen durchschauen konnte. »Wir müssen also einen Vorwand finden.« Briggs grinste triumphierend. Er schlug einen der vor ihm liegenden Ordner auf. »Vor etwas mehr als zwei Jahren hat eine gewisse Sache hohe Wellen geschlagen – dieses SöldnerMassaker, der Angriff auf die World Wood Company-Zentrale Keeogs. Damals wurde eben diese Rita Cunningham wegen Beihilfe zu zwölffachem Mord gesucht, weil sie an dem Überfall beteiligt gewesen war. Zusammen mit einem KeeogiiKrieger, der jetzt noch als ›Bloody Burko‹ bekannt ist und auf Keeog anscheinend ständig neues Unheil anrichtet.« Briggs sah auf. Seine Augen waren dunkel und kühl. »Diese Anklage besteht noch, Generalmajor Tarleton.« »Das mag sein«, murmelte Tarleton unbehaglich. »Aber wir haben den Gesandten freies Geleit zugesichert, auch ihr diplomatische Immunität gewissermaßen.«
Briggs lachte. Er schien wirklich amüsiert über soviel Naivität. »Keeog ist kein von den Erdstaaten anerkanntes Land, seine Bewohner sind keine Menschen, also kann es keine diplomatische Immunität geben. Und was unsere Zusicherung angeht: Wie oft wurde Verbrechern etwas versprochen, um sie aus dem Versteck zu locken, was später nie gehalten wurde?« »Lassen Sie sie verhaften, Tarleton. Und starten Sie eine große Gegenkampagne, veranlassen Sie, daß die alten Artikel über das Massaker den Leuten ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Machen Sie sie zu einer Hexe, und niemand wird Mitleid haben, und keiner von uns kriegt Ärger. Okay?« Tarleton nickte. »Okay.« »Und was diesen Fagan, den Keeog-Abgesandten, angeht – Ihre Verantwortlichkeit endet, sobald er die Erde wieder verläßt. Draußen im All können sich dann die Herren vom CIA mit dem Keeo beschäftigen.« Briggs schlug einen Aktendeckel zu. »Vielleicht kriegen wir dann endlich ‘raus, wo sich diese Eingeborenen auf Keeog verkriechen!« »Diese Leute reden stundenlang, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich glaube fast, Tarun hat recht gehabt, als er mich warnte, mich auf Verhandlungen einzulassen.« Burko blickte mißmutig die Decke an, tief in dem weichen Sessel versunken. Er war müde, gereizt und hatte leichte Kopfschmerzen nach der letzten sechsstündigen Sicherheitsrat-Debatte und der darauffolgenden endlosen Pressekonferenz. Er fragte sich, wie Rita das alles durchhielt – aber immerhin brauchte sie ja auch nicht vor Politikern und Reportern zu reden. Rita lächelte ihn an. »Lassen wir sie doch plappern. Sollen sie sich doch den Mund fusslig reden. Die Pressekonferenzen, die Begegnungen mit den Reportern überall, das zählt. Ich habe die letzten Zeitungen gesehen – in den Slums gibt es Unruhen, im ganzen Land gehen Leute für uns und gegen den
Krieg auf die Straße. Noch ein paar Tage, und sie werden das auch in der UN spüren, und sie werden vielleicht schon bald Konzessionen machen müssen. Die Zeit arbeitet für uns, und wir müssen zusehen, daß wir so lange die Verhandlungen mit dem Sicherheitsrat aufrechterhalten können. Unsere Publicity muß uns dabei…« Sie verstummte, als es an der Tür klopfte. Sie erhob sich, um zur Tür zu gehen und zu öffnen, aber da drehte sich bereits ein Schlüssel im Schloß, und Burko sah, wie mehrere Polizisten in dunkelblauen Uniformen den Raum betraten. Vor der Tür standen zwei weitere, in den Raum kamen drei, und diese schlossen die Tür hinter sich sofort. Rita betrachtete die ausdruckslosen Gesichter der drei Männer mit gewisser Sorge. Etwas Drohendes lag in der Luft. Die Riemen, die die Revolver der Männer in den Halftern festhielten, waren geöffnet. Der vorderste, ein breitschultriger Sergeant, blickte Rita wachsam an und sagte: »Miss Cunningham, Polizeichef Dula möchte einmal mit Ihnen sprechen. Wären Sie so freundlich, gleich mitzukommen?« »George Dula?« fragte Rita überrascht. »Ich dachte, General Tarleton wäre für unseren Schutz zuständig?« »Generalmajor Tarleton hat diese Sache an Polizeichef Dula übertragen«, sagte der Sergeant. Er warf aus schmalen, mißtrauischen. Augen ständig Blicke zu Burko hinüber, der sich jetzt langsam erhob und sich sein Übersetzungsgerät an den Gürtel hakte. »Wir haben leider nicht viel Zeit, Miss Cunningham.« »Warten Sie draußen. Miss Cunnigham hat in wenigen Minuten Zeit für Sie«, sagte Burko kalt. Er beobachtete die Polizisten mit ebenso großem Mißtrauen wie sie ihn, und er hatte das Gefühl, daß sie ihn fürchteten, aus einem ganz bestimmten Grund. Weil er ahnte, daß irgend etwas Unangenehmes bevorstand, hatte er dieses eine Mal auch seine
Höflichkeit vergessen und sich menschlichere Manieren zugelegt. »Ich habe Anweisung, Sie sofort zu Mr. Dula zu bringen«, sagte der Sergeant scharf. Ihm entging nicht der rasche Blick zwischen Rita und Burko, und er legte die Hand auf den Griff des Colts in seinem Halfter. »Bitte, es handelt sich nur um eine Routinesache.« Rita nickte. »Das verstehe ich durchaus. Worum handelt es sich denn bei dieser Sache?« fragte sie hartnäckig. »Das darf ich Ihnen nicht verraten. Es ist aber sehr wichtig.« »Ich möchte nur noch schnell etwas anderes anziehen.« Sie warf dem Sergeanten ein bezauberndes Lächeln zu und wollte sich abwenden, um durch die Seitentür in ihr eigenes Zimmer zu gehen, aber einer der Polizisten versperrte ihr jetzt den Weg. »Es dauert nicht lange. Sie sollen sofort kommen«, sagte der Sergeant kalt. Sekundenlang herrschte dumpfes, bedrohliches Schweigen. Von der Straße, dreißig Stockwerke unter ihnen, drang ein ständiges tiefes Rauschen und Dröhnen herauf. Eine Birne an der Decke flackerte ganz kurz. Vor dem Fenster schimmerten Tausende von Lichtern durch die Nacht und den Dunst. Rita sah Burko an, und sie nickte sehr langsam und sehr nachdenklich, bevor sie sich wieder dem Sergeant zuwandte. Noch immer war es sehr still. Die Polizisten hatten die Hände jetzt alle auf den Waffen. »Ich komme mit Ihnen; wenn Sie wollen, daß es unbedingt sofort sein soll, kann ich mich nur wundern, aber ich gehorche.« »Ich komme selbstverständlich auch mit«, sagte Burko freundlich, aber der Sergeant sah die katzenhaften, graugrünen Augen in einem eiskalten Licht flackern. Er spürte Furcht in sich aufsteigen. Ein Killer, dachte er. Der kann töten, das sieht man ihm an. Ein richtiges Raubtier.
»Sie kommen nicht mit«, sagte der Sergeant scharf und heiser. Zu spät begriff er, daß er einen Fehler begangen hatte, er war zu unhöflich, und er wollte den Fehler wieder gutmachen, als er hastig hinzufügte: »Ich meine, es ist keinesfalls nötig, daß Sie sich bemühen…« Er sah es in Burkos Augen kalt aufblitzen, wild und hart, die spitzen, katzenhaften Ohren legten sich an den Kopf. »Oh, es macht mir nicht die geringste Mühe, wirklich nicht«, sagte er voller eisigem Spott, und der Sergeant fühlte sein Herz wild hämmern. Der hat was vor, dachte er, man braucht nur seine Augen zu sehen, er hat die Ohren zurückgelegt, mein Gott, das ist ein Killer… Burko machte einen raschen Schritt vorwärts, um an Ritas Seite zu treten, dank der geringen Schwerkraft fiel dieser Schritt plötzlicher und rascher aus als normalerweise. Burko hatte nichts von der inneren Panik des Sergeanten bemerkt, und als dieser seinen Colt herausriß und auf ihn zielte, war er vollkommen überrascht. »Stehenbleiben!« bellte der Sergeant, der sich angegriffen fühlte, und Burko sah die glitzernde Pistole in seiner Hand nur kurz an, bevor er stehenblieb und plötzlich die Waffe aus der Hand des Polizisten schlug, schnell, sicher und völlig unerwartet. Die anderen beiden Polizisten versuchten, ihre Waffen zu ziehen, aber Burko packte den Sergeanten und schleuderte ihn gegen sie, so daß sie alle drei zu Boden stürzten. Rita schrie leise auf und wich zurück, Burko trat einmal gezielt zu, dann packte er den zweiten Polizisten, riß ihn vom Boden hoch und trieb ihn mit einem harten Schlag quer durch den Raum. Der Mann sackte vor dem künstlichen Kamin zusammen, und als der Sergeant schreien wollte, packte ihn Burko an der Kehle, quetschte ihm ohne Mühe die Luft ab und drückte ihn gegen die Wand. Er stand so, daß er dem Mann die Seite zuwandte
und kaum Angriffsmöglichkeiten bot. Mit der linken Hand hatte er seinen rechten Arm am Handgelenk ergriffen und stark auswärts gedreht, so daß sich das Gesicht des Sergeanten vor Schmerz verzerrte. Burko betrachtete ihn forschend und sagte: »Wenn du versuchst, dich zu wehren, drücke ich einmal zu, und du bist tot. Ich werde jetzt den Druck meiner rechten Hand um deine Kehle etwas lockern, und dann wirst du mir sagen, was du mit Rita tun wolltest. Wenn du etwas anderes tust, töte ich dich.« Rita starrte Burko mit aufgerissenen Augen an. »Was tust du denn da, verdammt noch mal?« Der Taveni beachtete sie gar nicht. Er lockerte den Druck seiner Hand am Hals des Sergeanten, und der zu Tode erschrockene Mann krächzte: »Wir sollten sie zu Dula bringen und festnehmen.« »Warum?« fragte Burko. »Wegen… wegen der Sache damals… au!… Das Massaker an den WWC-Söldnern, verdammt, mein Arm!« Burko schmetterte den Mann an seinen Haaren mit dem Kopf einmal hart gegen die Wand und ließ ihn los. Als der Polizist bewußtlos herabsank, wischte er seine Hand an der Uniformhose ab, als habe er sich beschmutzt, und zog ruhig seine Handschuhe an. Drei bewußtlose Polizisten lagen verkrümmt im Zimmer. »Sie wollen dich einsperren«, sagte Burko. »Und mich wahrscheinlich auch, früher oder später.« Er bückte sich und hob den verchromten 357er Python eines der Polizisten auf. »Vor der Tür stehen noch zwei, und die bleiben da nicht mehr lange.« Er wog die Waffe in der Hand und sah Rita an. »Willst du dich denen ausliefern, oder willst du fliehen?« »Sie würden mich lebenslänglich einsperren…«, murmelte Rita. Niemals mehr nach Keeog, dachte sie, und die Gefängnisse… Was sie da schon gehört hatte, war grauenvoll.
»Aber… warum nur? Es hat doch alles so gut angefangen.« Sie bemühte sich, nicht zu weinen. Es wäre dumm und unnütz, dachte sie, aber das Schluchzen stieg in ihr auf, und sie konnte es kaum noch zurückhalten. »Warum?« »Weil deine Publicity zu gut war«, murmelte Burko. »Sie wollten einen Clown, einen, über den sie sich lustig machen konnten, das habe ich schon am ersten Tag gemerkt. Sie wollen keine Bedingungen, sie wollen Keeog ganz, so, wie es ihnen paßt, ohne daß ihnen jemand dreinredet, ihr Volk oder meins. Du hast mir viel erzählt, Rita, und du hattest recht.« »Ich hab’ einmal nicht nach meinen Grundsätzen gehandelt, sondern gehofft«, murmelte Rita leise und schüttelte den Kopf. »Dumm, zu dumm!« »Die Industrie der Erde will unseren Planeten, niemand sonst. Ihr eigenes Volk wäre auch auf Keeog nur als billiger Arbeitskräftelieferant gut gewesen«, sagte Burko kalt. »Das habe ich schon vor Tagen erkannt. Mit denen kann man nicht reden. Die wollen den Krieg, denn sie brauchen ihn ja nicht selbst zu führen.« An der Tür erklang ein Klopfen, und sie fuhren herum. »Sergeant!« rief eine Stimme. »Sergeant!« »Der Sergeant kommt gleich!« rief Rita. Burko bückte sich und nahm dem Mann, der den Python-Colt getragen hatte, alle Munition ab, die er achtlos in seine Hosentaschen schob. Der schwere Colt lag blitzend und gefährlich in seiner behandschuhten Rechten. »Mach’ die Tür auf und renne hinaus, den Rest erledige ich«, sagte Burko, nachdem er den Revolver kurz weggesteckt hatte und von einem stabilen Holzstuhl ein Bein abbrach. Rita tat, was er sagte, und als die beiden Polizisten sie aufzuhalten versuchte, schlug Burko sie mit dem Stuhlbein nieder und schleifte sie in den Raum zurück. Als einer der zuerst Niedergeschlagenen wieder langsam zu sich kam,
betäubte ihn Burko mit einem eher beiläufigen Fußtritt wieder. Er sammelte die 357-Magnum-Munition ein, die die meisten bei sich hatten, und überlegte sich, ob es nicht besser wäre, sie alle zu töten. »Wir müssen ‘raus hier!« sagte Rita. Sie sah sich verzweifelt um. »Aber wie? Und wohin dann?« »In den Fahrstühlen fahren Polizisten mit, die Treppen sind bewacht, auch die Obergeschosse. Gegenüber sind bestimmt auch welche und passen auf die äußere Feuertreppe auf«, sagte Burko, der sich sehr genau mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht hatte. Er betrachtete nachdenklich die Deckenlampe. »Einen Stromausfall im ganzen Haus können wir nicht verursachen?« »Hier nicht«, sagte Rita. »Es gibt überall Notaggregate.« »Dann müssen wir nach unten. Sie haben uns mit einem Hubschrauber hergebracht, wie all die anderen Leute, die hier wohnen.« »Auf den Straßen ist es den Reichen jetzt zu unsicher«, murmelte Rita. »Na ja, sie bewachen den Landeplatz dort oben am stärksten, die würden auch annehmen, daß wir mit einem kleinen Hubschrauber flüchten würden, aber die kleine Empfangshalle unten wird auch bewacht.« »Im Notfall müssen wir uns freischießen«, sagte Burko. Er hob zwei weitere Waffen, einen Python und die verchromte Pistole des Sergeanten, auf und schob sie unter die lange Lederweste, die er trug. »Etwas anderes gibt es jetzt nicht mehr.« »Wenn ich mich ergeben würde«, sagte Rita leise, »würden sie dich vielleicht gehen lassen. Vielleicht könntest du mir sogar helfen, freizukommen, über die Öffentlichkeit, über den diplomatischen Weg…« »Du machst dir schon wieder törichte Hoffnungen!« sagte Burko wütend. »Die sitzen doch am längeren Hebel, wie euer
irdisches Sprichwort so schön sagt. Wenn sie wissen wollen, wo unser Versteck auf Keeog ist, in den Uthai-Alshid, brauchen sie nichts weiter zu tun, als mich gefangenzunehmen und das Wissen aus mir herauszupressen. Wir gehen jetzt und verstecken uns irgendwo auf diesem trostlosen Planeten, und irgendwann, irgendwie, werden wir eine Gelegenheit finden, nach Keeog zurückzukehren.« »Ich kann nicht schießen«, sagte Rita, »ich hasse Waffen.« Burko grinste böse. Seine kalten, schmalen Augen flackerten wild. »Das Schießen kannst du mir überlassen.« Er öffnete die Tür und ging den stillen, schmalen und sehr luxuriösen Gang hinunter bis zum Fahrstuhl, den verchromten Python-Colt locker in der rechten Hand. Rita hielt sich halb hinter ihm. Als er den Knopf drückte, kam der Fahrstuhl herunter, die Tür ging auf, ein Militärpolizist stand darin, eine MP in den Händen. Als er sie hochriß, schlug ihm Burko den Kolben des Pythons ins Gesicht. Als der Mann zur Seite kippte, traf er ihn ins Genick, und dann richtete er den Lauf auf den fassungslos dabeistehenden Liftboy. »Nach unten«, sagte Rita leise und voller Entsetzen. Sie begriff mit einemmal, daß Burko nicht mehr der höfliche, sanftmütige Jäger von früher war, jetzt war er ein Killer, eiskalt und gnadenlos, und sie fürchtete sich vor ihm und war zugleich glücklich, ihn bei sich zu haben. Burko schob den Revolver in seine Hosentasche, hob die MP auf, entsicherte sie und richtete sie auf die Türen des Lifts, der rasch nach unten fiel. Stockwerk auf Stockwerk huschte vorbei. »Wir müssen nach links in die Tiefgaragen«, sagte Rita. »Dort stehen Taxis, wir können vielleicht eins kapern.« »Ja«, sagte Burko.
»Im dritten Untergeschoß anhalten!« sagte Rita scharf zum Liftboy, der entsetzt den großen Krieger und die Maschinenpistole in seinen Händen anstarrte. Sekunden später stoppte der Lift, unendlich langsam öffneten sich die Türen. Vor dem Lift standen vier Polizisten, ebenfalls mit MP’s bewaffnet. Es war ein kleiner Raum mit einer Tür, die zu den Tiefgaragen abzweigte. »Die Hände hoch!« rief Rita, als Burko aus dem Lift sprang, aber die Polizisten richteten ihre MP’s auf sie, und Burko schoß sie nieder. Sie rannten hinaus in die riesige Halle mit den vielen Taxis und anderen abgestellten Fahrzeugen. Hinter ihnen heulten die ersten Alarmsirenen. Ihre Schritte hallten in der Halle, dann machte Burko im schattigen Hintergrund eine Bewegung aus. Er fuhr herum und gab einen langen, tausendfach widerhallenden Feuerstoß ab, Glas splitterte, jemand rief etwas, Explosivgeschosse warfen Ketten von Funken an den Wänden empor, eine Kugel jaulte irgendwo hinter Burko als Querschläger davon. Die Sirenen heulten. Dann hatte Rita ein Taxi erreicht, dessen Fahrer beim Beginn der Schießerei davongelaufen war, sie ließ sich in den Sitz fallen und stieß die Seitentür auf. Die Polizisten schossen jetzt zurück, aber der Rauch von zwei brennenden Wagen durchzog dick und erstickend die Betonhalle und vernebelte die Sicht, so daß sie kaum noch etwas erkennen konnten. Burko feuerte das Magazin seiner MP leer, während er auf das Taxi zulief. Er warf die MP weg, ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und schlug die Tür zu, während das Taxi anfuhr. Beim Wenden streiften sie heftig einen anderen Wagen, dann jagten sie auf den Ausgang, ein schmales Lichtviereck weit vor ihnen, zu. Schüsse krachten hinter ihnen her, ein paar trafen die rückwärtige Scheibe, das Auto erzitterte, aber die Kugeln
drangen nicht durch, denn Taxis waren für Fahrten im Slumgebiet schon lange mit Panzerglas ausgerüstet. Rita hetzte das große gelbe Fahrzeug auf die Schranke zu, die die Rampe zur Straße versperrte, sie schrie Burko zu: »Festhalten!« und dann brachen sie durch, Glas splitterte, Metall verbog sich kreischend, aber sie fegten den Stahlarm beiseite und jagten mit total demolierter Frontpartie die breite Rampe hoch. Am oberen Ende der Rampe errichtete man eine Sperre, Rita preschte darauf zu, und Burko feuerte aus dem Seitenfenster auf die Polizisten. Kurz sah er die Sperre aus zwei Polizeifahrzeugen, bevor sie Rita dort durchbrach, wo sich die Kühlerhauben der beiden Wagen berührten. Der Ruck warf Burko fast gegen die Vorderscheibe, die Pistole fiel aus seiner Hand, wirbelte davon, Metall kreischte schrill, und die beiden Polizeiautos wurden zur Seite gerissen, als das Taxi an der einzig möglichen Stelle durchbrach. Sie schossen eine breite unterirdische Straße entlang, große Lastwagen brummten vor und hinter ihnen, kamen ihnen mit strahlenden Lichtern entgegen. Burko, der bemerkte, daß er bis auf einen verchromten Python alle Waffen losgeworden war, stieß hastig die Trommel aus dem ungewohnten Revolver, riß die Hülsen heraus und stopfte neue Munition hinein. »Die fangen jetzt erst an, uns zu suchen«, sagte Rita zu Burko. Sie riß das Steuer herum und jagte eine Rampe hinauf, die nach Bronx führen sollte. Die Slums waren ganz in der Nähe. Burko schloß die Trommel und behielt den Colt in der Hand. »Der Wagen ist schon so gut wie hin«, sagte Rita wütend. »Wir verlieren Treibstoff. Ein Wunder, daß das Wrack noch fährt.« Sie hatten die Oberfläche erreicht und jagten eine kaum beleuchtete Straße entlang. Kalte Luft fegte durch das geöffnete Seitenfenster herein, Lärm, grelles Licht huschte
vorbei, und Burko roch den durchdringenden Gestank von Müll, der hier sogar die Fahrbahn bedeckte und das demolierte Taxi fast zum Schlingern brachte. Burkos Ohren stellten sich auf. Er lauschte. Sie jagten mit kreischenden Reifen um eine Kurve, schrammten an einer mit Parolen beschmierten Mauer entlang und fegten in eine Straße, in der es überhaupt kein Licht und keine Straßenlaternen mehr gab. Der linke Scheinwerfer war wie durch ein Wunder heil geblieben, so daß Rita genug sehen konnte, um zu steuern. Von überall war jetzt Sirenengeheul zu hören. Auf einem fernen Highway bewegten sich zuckende rote Lichter. »Wir müssen tiefer in dieses Gebiet hinein!« rief Rita. Plötzlich tauchte eine Straßensperre vor ihnen auf, Polizisten rannten herum, aber Rita bog rechts ab, und eine MP-Salve kam zu spät. Sie durchbrachen eine brüchige Holzmauer und jagten über einen schon lange stillgelegten, löchrigen, mit Müll bedeckten Asphaltweg zwischen den Häusern. Hinter ihnen heulten Sirenen, rote Lichter flackerten auf. Der Wagen wurde langsamer, stotterte, und Rita brachte ihn neben einer dunkel gähnenden Gasse zum Stehen. »Der Tank ist leer, das Methanol ist hinter uns auf der Straße!« Burko fluchte, riß gewaltsam die verklemmte Tür auf und lief auf die Seitengasse zu. Rita folgte ihm vorsichtig. Burko sah zu seiner Überraschung, daß überall in der Gasse Menschen geschlafen hatten, bedeckt mit löchrigen Decken, Zeitungspapier oder irgendwelchem Unrat. Der Nachtwind war eisig kalt, die Menschen erhoben sich träge und vor Kälte zitternd, magere Männer, etliche Frauen, ein paar Kinder. Sie schienen noch benommen vor Kälte und auch vor Hunger, ausgemergelt wie sie aussahen, aber Burko drängte sich durch sie hindurch, die Waffe in der Faust, er packte Rita an ihrer
Hand und zerrte sie hinter sich her, um sie nicht zu verlieren. Er begriff, daß diese Leute im Dunkeln sein Gesicht nicht erkennen konnten, sonst hätten sie anders reagiert. Sie glaubten wohl, er und Rita seien gewöhnliche Slum-Gangster, von der Polizei verfolgt. Burko stieß eine über und über mit Rost bedeckte Tür auf, in der Hoffnung, von diesen Leuten wegzukommen, und fassungslos entdeckte er einen weiten, riesigen Saal, der ehemals eine Fabrik beherbergt haben mußte, von liegenden Menschen überfüllt. Die meisten schliefen, ein paar, nahe der Tür, sprangen jetzt auf Burko zu. »Das ist unser Revier, haut ab!« schrien sie, aber sie verstummten, als sie das Mondlicht auf Burkos silberglänzendem Python glitzern sahen. »Bullen!« rief jemand, und der ganze Saal erwachte zum Leben. Ein paar Männer und Frauen sprangen auf und tasteten sich hastig durch die Dunkelheit davon, überall erklang der Ruf: »Die Bullen sind da, haut ab!« und tatsächlich heulten die Sirenen schon sehr nahe, versetzten die gesuchten Leute unter den zahllosen abgerissenen Gestalten in dieser engen, verdreckten Halle in Panik. Burko kam sich vor wie in einem entsetzlichen Alptraum. Rita riß an seiner Hand, und er folgte ihr, stürzte sich mit ihr in das Gewirr von Menschen, die durcheinanderrannten, einander anschrien, ihre Plätze wütend verteidigten, kreischten und um sich schlugen. Sie kämpften sich hindurch, ein paarmal wurden sie angegriffen, und Burko schlug die entsprechenden Leute mühelos zu Boden. Die gewaltigen Körperkräfte eines Wesens, das unter 1,9 g Schwerkraft aufgewachsen war, existierte trotz des langen Ein-g-Flugs und des Erdaufenthalts noch. Schließlich hatten sie sich durchgekämpft, sie schlüpften durch ein Loch in der Mauer und rannten durch eine Gasse,
vorbei an geweckten, beunruhigten Menschen und über einen fürchterlich stinkenden Müllhaufen. Sie rannten durch einen dunklen Hof, diesmal schliefen die Leute, die überall an den Hauswänden lagen, Schnarchen übertönte die hastigen Schritte der beiden Flüchtlinge. Burko packte seinen Python fester, als er in der Entfernung Stimmen brüllen hörte, autoritär, scharf, dann ein Lautsprecher, ein Schuß, wohl in die Luft. Rita lachte leise. »Wir müssen weiter hier hinein! Die Nacht schützt uns, und in diesem gewaltigen Gewühl findet uns die Polizei nie.« Sie entfernten sich von den Sirenen, hetzten durch dunkle Hausflure, stolperten über fluchende und nach ihnen schlagende Leute, dann überquerten sie eine breite Straße, die Bürgersteige voll mit Obdachlosen, die Fahrbahn mit bis zu zwei Meter hohen Haufen Müll bedeckt. Die Fassaden der Häuser rissig, kaum noch ein heiles Fenster, die meisten Türschlösser gestohlen. Der Mond schimmerte grauweiß durch die erstickenden Dunstschwaden über der Stadt. Sie liefen weiter, Burko verlor schließlich die Orientierung, aber Rita zerrte ihn an der Hand weiter, sie zwängten sich in schmale Gassen, eilten in Häuser, kletterten über Sperrmauern und wateten durch Dreck. Und überall waren Menschen, schlafend, betrunken ein paar, die meisten wachten kaum auf, wenn sie von Burko oder Rita angestoßen wurden, ein paar waren tot, verhungert oder an Hunger und Kälte gestorben. Manche verwesten schon, verpesteten ganze Gassen, und trotzdem schliefen andere Leute unmittelbar in der Nähe der Leichen, apathisch, kaum atmend. Es war das Entsetzlichste, was Burko jemals gesehen hatte, ein Labyrinth des Grauens, durch das ihn Rita unbeeindruckt, mit sicherer Hand führte, wie ein guter Engel in einem ansonsten unbeschreiblich bösen Alptraum.
Irgendwann lehnten sie sich keuchend an eine Wand, neben einem zugenagelten Schaufenster. Der Mond war untergegangen, und Rita spürte, daß das Morgengrauen nahte. Ihr war kalt trotz des langen Laufens. Sie hatte in ihrem Hotelzimmer ihren Mantel vergessen. Der Winter nahte, es war Spätherbst. Burko sah sich um, hustend, die üble Luft brannte auf seinen Schleimhäuten, verengte ihm den Hals, und ohne seine gewaltigen Körperkräfte wäre er schon vorher irgendwo zusammengesackt. Rita war bereits in stark verschmutzter Luft aufgewachsen, zwar im viel saubereren Texas, aber durch ihren Aufenthalt in Cambridge war sie auch einigermaßen an die verpestete Luft der Großstädte gewöhnt. Im Osten dämmerte giftig graugrün ein neuer Tag herauf, beleuchtete die zerfallenden Häuser, die hoffnungslosen Gestalten und einen steil aufragenden, ausgefransten Schornstein in der Ferne. Sechsundzwanzigster November 2049. Der fünfte Jahrestag der Rückkehr der »Armstrong«, des Schiffes, das Keeog entdeckt hatte.
»Hier draußen können wir nicht bleiben«, sagte Rita schwer atmend. »Sobald diese Leute uns richtig sehen können, reißen sie uns in Stücke, nur um an unsere Kleidung zu kommen.« Burko sah, daß sie in der eisigen Morgenluft zitterte, und er legte den Arm um sie. »Diese Luft bringt mich noch um«, krächzte er. »Wir müssen uns den Tag über verstecken, sonst verrät uns jemand.« Rita sah sich besorgt um, ob nicht schon jemand erwacht war. »Dein Gesicht ist unverkennbar, auch diese
Uniform. Selbst in Menschenkleidung würde jeder augenblicklich sehen, daß du kein irdisches Wesen bist.« »Gut, werfen wir ein paar Leute auf die Straße«, sagte Burko. »Das scheint ja hier so Sitte zu sein.« Er deutete auf einen Toten, der unweit von ihnen lag, die Kehle weit offen, ein Auge glasig in den Himmel starrend, das andere zerstört. Sie stiegen eine Kellertreppe hinunter, gingen vorsichtig an ein paar Schlafenden vorbei und kamen durch einen Eingang, der durch eine schloßlose Stahltür versperrt gewesen war. Der Raum dahinter war vollgestopft mit Menschen, aber es war stockfinster im Innern› und Rita mußte sich von Burko führen lassen. In einem unbeschreiblich stinkenden Flur kletterten sie über weitere Schlafende, gingen eine schmale Treppe empor und betraten schließlich im dritten Stock ein kleines Zimmer, wo ein paar Leute herumlagen. Sie schienen betrunken zu sein, es roch bestialisch nach schlechtem Fusel. »Die Tür ist gut«, meinte Rita leise. An dem stabilen, verhältnismäßig neuen Hartplastik gab es kein Schloß, aber ein paar feste Riegel, die die Betrunkenen zuzuschieben vergessen hatten. Es war noch immer sehr finster, das Fenster war wegen der kalten Luft und der fehlenden Scheiben mit Pappe und schäbigen Decken verhängt und verklebt. Burko packte den ersten Betrunkenen und warf ihn hinaus, der Mann wachte nicht einmal auf, und er ließ ihm die anderen folgen. Nur einer leistete Widerstand, war noch genügend bei sich, um so etwas zu tun, und er besaß ein langes, scharfes Stück Glas, um dessen eines Ende er als Griff Stoff gewickelt hatte. Er hieb blindlings im Dunkeln nach Burko, der mühelos zurückwich und ihm den Lauf des Python auf den Kopf schmetterte. Er zerbrach das Glasmesser und schleifte den
Bewußtlosen hinaus, warf ihn neben die anderen. Als letzter folgte der Tote. Es roch ziemlich unangenehm, und Burko riß ein brüchiges Plastikbrett aus einer der zusammensinkenden Liegen im Raum und kehrte damit notdürftig den größten Dreck hinaus. Dann schloß er die Tür, schob sorgfältig die Riegel vor und riß die Pappe vom Fenster, um die gestaute, stinkende Luft abziehen zu lassen. Sie setzten sich in dem kleinen Raum hin, auf eine der besser erhaltenen Liegen, und betrachteten das Licht, das gedämpft und schmutziggrau die beschmierten, brüchigen Wände hochkroch. Eine kleine Tür führte in eine schmutzige, uralte Toilette, in der Mitte des Zimmers stand ein grob aus Plastikholz zusammengezimmerter Tisch, auf dem zerknautschte Karten herumlagen. Das Eigentum der Raumbewohner hatte Burko mit diesen hinausbefördert, es war ohnehin sehr wenig gewesen. »Mein Gott«, sagte Rita leise, als sie sich umsah. »Und dabei haben wir noch Glück, daß wir das hier gefunden haben!« Burkos brennende Lungen beruhigten sich langsam, er atmete mit Absicht flach und ruhig, und er hoffte, daß er nicht irgendwelche Krankheiten durch diesen Pesthauch bekam. Die eiskalte Luft von draußen vertrieb den Geruch nach Schmutz, Fusel und Schweiß. Rita fror und Burko ebenfalls, nachdem er wieder besser atmen konnte, aber das war besser als der kühle, mörderische Mief, der hier geherrscht hatte. Müde streckten sie sich auf den Liegen aus. Vorläufig waren sie in Sicherheit.
Burko erwachte, als etwas krachend gegen die dicke Hartplastiktür prallte. Die Riegel kreischten.
»Wir kommen, ihr Hunde!« brüllte draußen eine wilde Stimme. »Wir lassen uns nicht rausschmeißen, wir nicht!« Draußen erklang Gelächter, Zuschauer waren wohl dabei, machten sich über die Männer lustig, die Burko aus ihrem Zimmer geworfen hatte. Noch einmal krachte etwas gegen die Tür, wohl so etwas wie ein Rammbock. »Wir bringen euch um, ihr Drecksäcke, ihr Schweine!« schrie die heisere Stimme wieder. »Wir haben Knarren!« schrie Rita. »Ich warne euch!« Wieder ein Krach, die Tür erzitterte. Sie benutzten wohl so eine Art von Stahlträger als Rammbock. »Steckt euch die Kanonen in den Arsch!« schrie es draußen. Burko hob den Python und gab einen Schuß ab, der in dem kleinen Raum ohrenbetäubend donnerte und die Tür glatt durchschlug. Draußen brüllte jemand, Angstschreie waren zu hören. Dann klopfte niemand mehr. Burko ließ die Trommel herausgleiten und wechselte ruhig die abgeschossene Patrone aus. An diesem Tag störte sie niemand mehr. Am späten Nachmittag blickte Burko vorsichtig aus dem Fenster. Die Straße unter ihrem Gebäude wimmelte von Menschen. Es war immer noch kalt. »Es gibt bald Schnee«, sagte Rita, als sie das hektische Treiben zwischen den grauen, verfallenden Ruinen betrachtete, die im Tageslicht erst das ganze Ausmaß ihres Elends zeigten. Sie hatte Hunger, und sie wußte, daß es Burko ebenso gehen mußte, also schwieg sie. Sie beobachtete den Keeo mit einer gewissen Unruhe. Er schien sehr ungeduldig und wütend. Schließlich begriff sie, daß es ihm nicht behagte, in einer derart trostlosen Umgebung zwischen Menschen buchstäblich eingekeilt zu sein, wann immer er den Fuß vor die Tür dieser
erbärmlichen Kammer setzen sollte. Und es gab keine Möglichkeit für ihn, diesen Planeten zu verlassen. Das machte ihm wohl am meisten zu schaffen. »Wie kann man so leben?« fragte Burko. Er deutete wütend auf das schmale Fenster, durch das graugelbes Tageslicht hereinsickerte. »Wie konnte man so etwas zulassen? Diesen Leuten dort bleibt doch nur der Tod. Wovon leben sie?« Rita, die auf einer einigermaßen sauberen Liege saß, lehnte sich gegen die Wand. »Sie leben von der Fürsorge, jeder von ihnen kriegt seine Rationen an Essen und an Wasser. Es reicht gerade zum Überleben. Wenn die Rationen einmal ausfallen, was öfters vorkommt, gibt es Unruhen. Sie versuchen dann, die Lagerhäuser zu stürmen, und meistens gibt es eine Menge Tote. Niemand zählt sie, und niemand kümmert sich mehr um die Wohnungsfrage. Man paßt nur auf, daß keiner von ihnen in die besseren Wohnviertel kommt. Die meisten Leute, die es sich leisten können, halten sich Leibwächter. Die Polizei kümmert sich nur noch um die Randgebiete dieser Viertel, wie überall in der Westlichen Union. Wie es bei den Sowjets ist, weiß niemand. Es dringt seit dem letzten ChinesischSowjetischen Krieg nichts mehr nach draußen. Die Chinesen sind die einzigen, die das Problem wirklich im Griff haben, weil sie früh genug damit angefangen haben, es zu lösen. Auch die Israelis kommen ganz gut damit zurecht, sie haben sich schnell umgestellt und schon früh begonnen, ihre Wüsten fruchtbar zu machen.« »Hier scheint das reinste Chaos zu herrschen«, sagte Burko. »Natürlich. Die meisten Kinder schließen sich zu Banden zusammen. Sie versuchen wie die Erwachsenen, aus den Slums auszubrechen und sich zu holen, was ihnen nach ihrer Meinung zusteht. Die stärksten und brutalsten stoßen zu den Motorradbanden der Randbezirke, die die ganze Stadt unsicher machen.«
Burko sah kurz aus dem Fenster auf die frierenden Menschenmassen. Der Himmel war graubraun, der Gestank für Burkos Nase kaum noch erträglich. »Es ballt sich über der Stadt zusammen«, sagte Rita. »Bald kommt es runter. Mit dem Schnee wird die Luft besser. Im Sommer sterben die Leute wie die Fliegen, dann ist es hier höllisch.« »Wir müssen hier heraus!« Burko gab einer wackligen Liege einen Tritt. »Es gibt hier nichts zu essen, es wird immer kälter, und die Leute sind uns so feindlich gesinnt.« Er sah Rita an. »Hast du hier in der Nähe irgendwelche Freunde?« »Nicht in New York«, sagte sie. »Aber in Cambridge und Boston. Die sind aber alle den Behörden längst bekannt und werden vermutlich überwacht. Höchstens…« Sie sah auf und überlegte. Dann lächelte sie plötzlich. »Harry Weeds. Ich war mal sehr eng mit ihm befreundet, aber wir haben es geheimgehalten, weil es seiner beruflichen Position geschadet hätte. Er war damals noch in der Politik, als ich von der Erde nach Keeog abgeflogen bin, hatte er eine Anwaltspraxis in Boston. Wenn ich ihn nur anrufen könnte…« Burko dachte über die Nachrichtensysteme der Erde nach und meinte schließlich: »Wir müssen uns eben ein Telefon suchen.« »Dazu müssen wir aus den Slums heraus. Und die werden bestimmt bewacht. Solange man uns hier drin weiß, ist man zufrieden. Sie wissen, daß wir hier nicht überleben können.« Ein kalter Windhauch fegte durch das offene Fenster, brachte winzige Schneeflöckchen mit. Burko sah auf. »Es beginnt zu schneien«, sagte er. »Bald ist es dunkel. Wenn wir es nicht versuchen, können wir uns ebensogut eine Kugel in den Kopf jagen.« »Heute nacht werden sich viele Banden herumtreiben, meistens Leute, die gesucht werden und denen man natürlich
die Rationen gestrichen hat. Die holen es sich dann von denen, die noch etwas kriegen. Gestern nacht war die Polizei hier, das wird den ganzen Bezirk vorübergehend sicher gemacht haben, aber heute…« »Töten habe ich auf Keeog gelernt«, sagte Burko kalt. Er betrachtete nachdenklich den schweren Revolver in seiner Hand. »Diese Sprache verstehe ich so gut wie die Randalierer.«
Burko fror, als er aus dem Haus trat. Der Schnee lag fünf Zentimeter hoch und hatte eine weiche, graue Kappe über die Müllberge gelegt. Der Tote in ihrer Nähe war verschwunden. »Diesen Schnee kann man nicht essen«, sagte Rita leise zu Burko, für den Fall, daß er Durst haben sollte. »Den Grund kannst du dir bestimmt denken.« Er betrachtete nachdenklich den grauen Schnee. Auf Keeog war er weiß, aber es schneite selten in den Gebieten, wo er gewohnt hatte. Er hielt sich im Schatten der Hauswände, als er rasch die Straße hinunterlief. Die Flocken wehten ihm ins Gesicht und schmolzen an seiner Lederkleidung. Der Stoff seines Hemdes und der Hose begann sich langsam vollzusaugen. Er blieb nahe bei Rita, die in der Dunkelheit von ihm abhängig war. In gewisser Weise war er auch von ihr abhängig, denn nur sie kannte die Stadt einigermaßen und konnte sich in diesem endlosen Betongebirge orientieren. »Am besten versuchen wir es über die Bronx-WhitestoneBrücke«, hatte Rita gesagt und ihm erklärt, daß von dieser Brücke aus die einzige Möglichkeit bestand, von der Südbronx über den East River nach Whitestone zu kommen. Die Brücke bei Throgs Neck sei zu weit und außerdem zu scharf bewacht.
Sie bewegten sich vorsichtig und so schnell wie möglich nach Süden, durch Straßen, die sich auf gespenstische Weise alle glichen. Sie waren halb erfroren, als sie nach etlichen Kilometern den ehemaligen Park vor der Brücke erreichten, der jetzt ein Autofriedhof war. Er war bewohnt, dicht bewohnt. Die Menschen, die nicht in irgendwelchen Häusern unterkriechen konnten, lebten hier in rostenden und zerfallenen Autowracks. Der Schnee, der inzwischen schon knöchelhoch war und immer dichter fiel, milderte die scharfen, bizarren Konturen des übereinander geschichteten Schrotts. Von irgendwoher aus diesem Gewirr erklangen Stimmen, man schien sich zu streiten. Burko und Rita blieben hinter einem zerfallenden Schuppen aus Plastikbrettern stehen und beobachteten die weite, unheimlich schimmernde Fläche, die sich vor ihnen ausbreitete. »Ich habe immer geglaubt, die Banden wären nachts auf der Straße, aber sie sind es natürlich tagsüber«, sagte Rita. »Zumindest hier, weil es hier ja keine Polizei gibt. Wir haben Glück.« »Es scheint eine Art Weg zu geben, der an der Peripherie dieses Metallhaufens vorbeiführt«, sagte Burko und deutete auf einen schmalen Pfad, der einen Bogen um den unregelmäßigen Kreis des Schrotthaufens schlug. Hier und da wuchsen sogar noch Sträucher des ehemaligen Parks, aber sie waren jetzt ohne Blätter, vielleicht waren sie auch ganz abgestorben. Schnee klebte in dichten Schichten an den spinnenhaft in die Luft ragenden dürren Ästen. Rita rieb zitternd ihre steifen Finger. »Gehen wir, sonst frieren wir hier noch fest«, sagte sie mit bebender Stimme.
Burko behielt den Python in der Hand, als er mit Rita langsam hinter dem Schuppen hervorkam und durch den Vorhang des fallenden Schnees auf den Autofriedhof zuging. Sie wandten sich nach links und gingen über den gewundenen, schmalen Asphaltweg, so rasch sie konnten. Inzwischen schimmerte am Himmel ein wenig Licht durch die Wolken, der Mond war aufgegangen, und der hellgraue Schnee begann zu glänzen. Dieses stärker werdende Licht gefiel Burko überhaupt nicht, denn es bedeutete, daß auch Menschen etwas erkennen konnten. Sie gingen leise durch den hohen Schnee. Ringsum war alles still, die Häuserfronten zu ihrer Linken schwiegen, auch auf dem Schrottplatz war jetzt kein Lärm mehr. Zu ihrer Rechten, in der Nähe des Schrottberges, lag eine zugeschneite Leiche. Burko ging geduckt, angespannt. Vor ihnen brüllten Schüsse auf. Burko fuhr zusammen. Das Krachen der Schüsse nahm zu, wurde zu einem wilden Stakkato, das die Nacht zerfetzte. Es war ziemlich nahe. Feuerschein leuchtete urplötzlich empor. Rita begann zu laufen, und er folgte ihr rasch. Sie bogen um eine Kurve, um ein paar aufgetürmte Wracks herum, und dann standen sie kaum hundert Meter vor der Brücke. Das riesige Bauwerk war dunkel, nur am hiesigen Ufer brannte Feuer. Schüsse krachten immer noch, der Flammenschein loderte über die Leichen von Polizisten und etlichen Motorradbanditen. Es waren etwa fünfzig Mann, die härtesten Kerle aus der Südbronx. Sie stahlen ihre Motorräder »draußen«, in der »feinen« City, und wer das schaffte und davonkam, gehörte zu ihnen. Jetzt waren etliche von ihnen damit beschäftigt, den Polizeiposten am jenseitigen Ufer zu erledigen. Auf dieser
Seite des East River brannten die beiden Polizeigebäude schon, und etwa zwölf Tote lagen herum, drei davon in Leder gekleidete, behelmte und abenteuerlich geschmückte Gestalten neben ihren gefallenen Zweirädern. »Ein Überfall!« rief Rita. Einen winzigen Moment lang vergaß sie sogar die Kälte. »Das ist unser Glück. Haben wir ein Glück heute Nacht, Burko. Los, komm, beeil’ dich!« Sie rannte auf die Brücke zu, und Burko eilte ihr widerstrebend nach. Er sah sich um, erkannte, daß auch andere Menschen aus ihren Unterschlupfen kamen, langsam, vorsichtig, und sich der Brücke näherten. Auf der anderen Seite des breiten, stinkenden Flusses schimmerten die Lichter von Whites tone. Schüsse krachten von den dortigen Polizeiposten herüber. Feuer flammte auf und spiegelte sich in den öligen dahinkriechenden Fluten des Flusses. Burko folgte Rita hastig, die versuchte, ein Motorrad aufzurichten. Er bückte sich, nahm der Leiche eines Polizisten den Mantel ab und legte ihn ihr um, bevor er das schwere Fahrzeug mit einem Ruck auf die Räder stellte. Hinter ihnen riefen Menschen durcheinander, man sah wohl im leuchtenden Feuerschein aus den beiden brennenden Gebäuden am Brückenanfang, daß Burko kein Mensch war. »Kannst du damit umgehen?« rief er Rita zu. Auf der anderen Seite wurde noch immer geschossen, eine Sirene begann durchdringend zu heulen. »Ich hab’ es noch nie versucht, aber es muß gehen!« rief sie. »Setz dich hinter mich und halte dich fest.« Sie schaffte es mit einiger Mühe, das schwere Motorrad in Gang zu setzen, dann fuhr sie los und beinahe gegen das Geländer. Nach einem unsicheren Zick-Zack-Kurs über die ersten hundert Meter stabilisierte sich ihre Fahrt, und sie jagte in immer noch verhältnismäßig langsamem Tempo die Brücke entlang. Das Schreien der Leute hinter ihnen verstummte.
Schneeflocken peitschten ihre Gesichter. Der eisige Wind schien ihnen das Fleisch von den Knochen reißen zu wollen. Unter ihnen, auf dem Fluß, leuchteten die Scheinwerfer von Polizeibooten auf, einmal hämmerte kurz ein MG los. Sie erreichten die andere Seiten, fuhren an herumliegenden Leichen vorbei. Die Straße verbreiterte sich, führte an mehreren Lagerhallen vorbei, vor denen ebenfalls Leichen und umgestürzte Fahrzeuge lagen. Schießend und brüllend jagten die Banditen auf ihren schweren Maschinen die Straßen herunter. Sie kamen an einem Laden vorbei, dessen Scheiben eingeschlagen waren und in dem drei Banditen herumtobten. Vor dem Lagerhaus hatten sich die meisten versammelt, mindestens zwei Dutzend, und sie beluden in aller Eile die Gepäckträger ihrer Maschinen mit Pappkartons und Kisten. Man bemerkte Burko und Rita kaum, das Knattern der Maschine, die Rita rasch an ihnen vorbeijagte, genügte ihnen als Indiz, daß da Verbündete fuhren. Sie preschten eine breite Straße hinunter, bogen in eine Seitengasse ein. In der Ferne glühten bereits die rasch näherkommenden Lichter von Polizeifahrzeugen, und zusätzliche Sirenen hatten das wilde Heulen aufgenommen. »Wohin jetzt?« schrie Rita Burko durch das schneidende Pfeifen des Windes zu. Er sah auf die Häuser, viel besser erhalten als in den Slums, aber immer noch ziemlich dürftig.
»Wir brauchen einen Unterschlupf! Und ein Telefon!« schrie Burko zurück. »Wenn auch nur für ein paar Stunden!« Sie nickte, konzentrierte sich verzweifelt auf die glatte, rutschige Straße. »Okay, okay«, murmelte sie. An einem Haus in der Nähe, dessen Fenster erleuchtet waren, entdeckte sie einen äußeren Telefonanschluß und jagte das Motorrad über die Straße und in eine dunkle Einfahrt. Sie hielt es mühsam an,
sie fielen beinahe mit der schweren Maschine um und taumelten auf den nächsten Eingang zu. Sekunden später brauste auf der Straße ein schweres Polizeifahrzeug mit heulender Sirene vorbei. Die Tür war verschlossen, aber Burko trat sie ein. Es war ein Seiteneingang, sie warfen die Tür hinter sich zu, und Burko lief voran durch einen schmalen Gang. Sie stießen eine andere Tür auf, die in eine Portiersloge führte, wo ein Mann, durch ein Panzerglasfenster geschützt, gerade eine Nummer im Telefon wählte. Vermutlich wollte er die Polizei rufen, denn die Schießerei, ein paar Häuserblocks weiter, konnte ihm nicht entgangen sein. Burko stieß ihm den Colt in den Rücken, und Rita drückte hastig die Gabel des Telefons herunter, um die Verbindung zu unterbrechen. Dann, als hätte sie darin schon langjährige Erfahrung, nahm sie ein Schild vom Pult und hängte es vor die Panzerglasscheibe: »Komme gleich zurück!« Burko erspähte eine zweite Tür, die nach rechts führte, und etliche Penner in der Vorhalle, die in dunklen Ecken schliefen. Er öffnete die zweite Tür, schloß die, durch die er hereingekommen war, und stieß den Portier vorwärts. Sie kamen in einen kleinen Raum, ein Bett an der Wand, ein Tisch, ein paar Stühle, ein Schrank. Alles ziemlich ärmlich und eng, aber doch Welten entfernt von den ameisenhaften Massenquartieren der Slums. Rita schaltete das Licht ein, zog die Vorhänge zu, und Burko schob den Riegel an der Tür vor. Er stieß den Portier, der ihm bislang immer den Rücken zugedreht hatte, in einen Sessel mit etlichen Löchern und richtete die Mündung des Colts auf sein Gesicht. Es war angenehm warm im Zimmer, und der Mann starrte Burko entsetzt an, als könne er nicht glauben, was er sah. Rita lehnte sich gegen die Tür und lächelte. Sie massierte ihre Finger, um wieder Leben in sie zu bringen. Der Schnee auf
dem blauen Mantel, der blutbeschmiert war, schmolz, ebenso wie der in ihren Haaren. Der Portier trug eine Art Uniform, hellblau. Er war jung und kräftig. Nur der Revolver in seinem Rücken mußte ihn davon abgehalten haben, sich zur Wehr zu setzen. Burko spähte in die beiden Nebenräume, eine kleine Abstellkammer und das Bad, und er fand niemanden darin. Er behielt jedoch den total konsternierten Portier im Auge und vor der Mündung des Python-Colts. Auch er begann in der Wärme des Raumes langsam aufzutauen. »Wir wollen nichts von ihnen«, sagte Rita zum Portier. Zögernd befreite sie sich von dem schweren, nassen Mantel. »Wir wollen nur telefonieren und vielleicht ein paar Stunden hierbleiben.« Der Mann starrte sie düster an. »Sie sind diese Verräterin«, sagte er kalt. »Die, die im Fernsehen ständig gegen unsere Regierung und für diese Wilden Propaganda gemacht hat!« Er fuhr überrascht herum, als das kleine Übersetzungsgerät, das sich Burko unter die Weste gesteckt hatte, Worte auf keeogisch zu formen begann. Burko nahm den schmalen Apparat heraus, setzte sich auf einen Stuhl und hielt den Revolver weiter auf den Portier gerichtet. Schließlich sagte er: »Sie können uns Schwierigkeiten machen oder auch nicht. Wir haben nichts zu verlieren. Wenn Sie Schwierigkeiten machen, töte ich Sie. Wenn Sie das tun, was wir wollen, dürfen Sie weiterleben. So einfach ist das.« Er zeigte in einem kalten Grinsen seine spitzen Zähne und lehnte sich zurück. »Das habe ich mir doch gleich gedacht«, sagte der Portier wütend und haßerfüllt. »Ich versuche mal, die Leute zu erreichen, die uns helfen können«, sagte Rita mit einem warnenden Blick zum Portier
hinüber. In seiner Gegenwart wollte sie nichts verraten. Sie ging hinaus, Burko hörte gedämpft ihre Stimme durch die Tür, und nach kurzer Zeit kam sie wieder, mit einer abgesägten alten doppelläufigen Jagdflinte unter dem Arm. »Ich habe noch keine Verbindung gekriegt, aber ich versuche es nachher gleich nochmal.« Sie klappte die Läufe der Flinte herunter und stellte fest, daß sie geladen war. »Schau mal, was er da Schönes unter dem Pult hatte!« Etwas anderes fiel ihr ein, und ihr Hunger meldete sich. Sie sah den Portier an. »Haben Sie etwas zu essen?« Kurz nach zwei Uhr morgens gelang es Rita, Harry Weeds zu erreichen. Sie hatten den Portier gefesselt und geknebelt und im Bad festgebunden, so daß sie in der Portiersloge, deren Licht Rita gelöscht hatte, leise miteinander reden konnten. Die Schüsse an der Brücke waren schon lange verstummt, auch die fernen Sirenen, und die Straßen waren still. »Harry kommt«, sagte sie leise zu Burko, nachdem sie das Gespräch beendet hatte. Sie hatten sich auf den Boden gesetzt, nach keeogischer Art, so daß man sie von außen nicht sehen konnte, auch wenn jemand hereinkam und in der Empfangshalle das Licht einschaltete. »Seine Stimme hat ganz so geklungen, als rechne er sich einen gewissen Profit durch uns aus, und er hat versprochen, in einer Stunde hier zu sein.« »Er wird uns doch nicht etwa verraten?« fragte Burko. Sie sah ihn nachdenklich an. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, das wird er nicht tun. So etwa traue ich ihm einfach nicht zu.« »Hoffen wir, daß du recht hast.«
»Er kommt«, sagte Burko. Er hatte draußen in der eiskalten, verschneiten Einfahrt vorsichtig nach Weeds Ausschau
gehalten. Jetzt war ein großer, schwarzer Wagen vorgefahren, ein Luxusfahrzeug, dem ein Mann entstiegen war, der auf der gegenüberliegenden Seite kurz gestanden hatte und dann Anstalten machte, die Straßenseite zu wechseln. Er bewegte sich durch den fallenden Schnee auf die Einfahrt zu, und Burko zog sich sofort zurück. Er traf Rita im winzigen Zimmer des Portiers. Burko verließ den Raum wieder und wartete neben dem Eingang zur Portiersloge. Er hörte, wie sich der Neuankömmling durch den dunklen Kellergang tastete und leise mehrmals Ritas Namen rief. Er hatte beim Anblick des Mannes auf der Straße den Eindruck gewonnen, daß er zu den wenigen privilegierten Leuten dieser Gesellschaft gehörte: Er trug eine Mütze aus imitiertem Pelz und einen elegant geschnittenen Mantel, der vielleicht sogar aus echtem Leder sein mochte. Als er die kleine Kammer betreten wollte, drückte ihm Burko den Revolver in die Seite und sagte leise in das Übersetzungsgerät: »So bleiben! Jetzt drehen Sie sich um und gehen zwei Schritte in den dunklen Gang zurück. Sie machen kein Licht an. Sie bleiben dort stehen und rühren sich nicht. Ich warne sie: ich kann im Dunkeln ausgezeichnet sehen. Los jetzt.« Der Mann nickte zögernd. Sein glattes, junges Gesicht zeigte kaum Anspannung, aber seine Augen glitzerten hart und zugleich etwas furchtsam. Es war klar, daß er noch nie in einer solchen Situation gewesen war. In der Eingangshalle und der Loge war es so dunkel, daß er kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Aber das wenige Licht von draußen genügte Burko. Der Mann befolgte den Befehl, und Burko folgte ihm und lehnte die metallverstärkte Tür hinter sich an. Es vergingen nur wenige Sekunden, dann hörte er leise Schritte, und Rita kam ihnen nach. Sie schaltete das Licht des
Kellergangs an, das flackernd und trübe bemüht war, wenigstens etliche Einzelheiten erkennen zu lassen. »Harry?« fragte Rita. Der Mann drehte sich um und lächelte. Rita atmete auf, und Burko senkte den Python-Colt. Weeds sah Burko forschend und voller nachdenklicher Neugier an, dann lächelte er wieder und umarmte Rita. Nach einer Weile ließ er sie los, betrachtete sie lange im trüben Licht der nackten Birne an der Decke und sagte leise: »Es ist lange her, Rita. Sehr lange.« »Ich bin froh, daß du gekommen bist, Harry«, erwiderte Rita. »Wir sind doch alte Freunde.« Er küßte sie, dann drehte er sich entschlossen um und musterte Burko. »Aber wir haben etwas zu tun. Du hast von einem Mann erzählt…« »Er liegt in seinem Zimmer, gefesselt und geknebelt. Vor morgen früh findet ihn niemand, und er weiß auch nicht von dir. Er hat höchstens mitgekriegt, daß ich jemanden angerufen habe, der mir helfen wird.« Sie deutete auf den Krieger im Hintergrund. »Das ist Burko, du kennst ihn gewiß aus dem Fernsehen. Aber laß und jetzt gehen, bitte.« »Sofort.« Weeds sah Burko an. »Sie können mit dem Ding umgehen?« Er deutete auf die Waffe. »Sonst hätte ich sie nicht.« Burko sah ihn scharf an und fragte sich, ob er diesem Mann vertrauen sollte. Aber es würde ihm wohl nichts anderes übrigbleiben. »Sind Sie allein?« Weeds nickte. »Ich konnte in dieser Angelegenheit niemandem vertrauen. Ich habe sofort in Boston einen Hubschrauber gechartert, bin hergekommen und habe hier einen guten, sicheren Wagen gemietet.« »Gehen wir.« Burko schaltete das Licht aus und ließ Weeds vorangehen, behielt Rita an seiner Seite und den Revolver in der Hand. Sie durchquerten die Einfahrt, beeilten sich, über die Straße zu gehen und stiegen in den Wagen, der tatsächlich leer
war. Burko stieg nach hinten, in den Fond, Rita setzte sich auf den Beifahrersitz. Weeds startete den Wagen und fuhr los. Weeds bog rasch auf einen der großen Highways ein und näherte sich der City, dem Stadtteil Manhattan. Er fuhr ruhig und konzentriert, und er sprach leise. »Die Stadt ist an den Außenbezirken der Slums und der gesamten Stadt abgeriegelt. Man nimmt wohl an, ihr würdet versuchen, ein Auto zu stehlen oder etwas ähnliches. Aber mit meinem Hubschrauber kommen wir gut heraus, mein Name hat auch hier einen guten Klang.« Er warf Rita einen kurzen Blick zu. »Habt ihr überhaupt schon etwas gegessen?« »Ein bißchen«, sagte Rita. »Tangkekse, Ersatznahrung, Vitaminpräparate, das übliche Zeug, was die armen Teufel essen müssen, die sich kein Fleisch leisten können und nur ›Klasse A‹-Rationenscheine besitzen.« »Ich hab’ im Hubschrauber etwas«, sagte Weeds lächelnd. »Mein lieber Mann, ihr habt euch ganz hübsch was geleistet. Fünf Polizisten sind auf der Strecke geblieben, etliche andere sind verletzt worden. Und was war das eigentlich auf Keeog?« Rita legte den Kopf zurück gegen die Kopfstütze und schloß erschöpft die Augen. »Bitte, Harry, laß uns ein andermal darüber reden. Aber du mußt mir glauben – ich wollte nur vermitteln. Ich war nie eine Mörderin oder Intrigantin oder so etwas.« »Ich hätte es mir auch nicht vorstellen können.« Weeds lenkte das Fahrzeug von der Straße und an etlichen bewaffneten Wachposten in den Uniformen eines privaten Wachdienstes vorbei. Normalerweise hätte er einige Male anhalten und eine Legitimation vorzeigen müssen, aber er fuhr einfach durch. »Ich habe denen vorhin schon Bescheid gesagt und ein bißchen Geld verteilt. Die Leute werden heutzutage viel zu sehr unterbezahlt. Auf dem Flugfeld wird auch niemand sein.«
Sie fuhren über eine weite Betonfläche, die fernen Lichter der Kontrolltürme glitzerten zur Linken, zur Rechten war das Ufer des Hudson River zu erkennen. »Was ist das für ein Flughafen?« fragte Rita, als sie in der Nähe eines kleinen blau-weißen Hubschraubers zum Stehen kamen. »Ein Privatplatz für Leute, die nicht den Umweg über die normalen Flughäfen nehmen wollen, wo die Wartezeit doch recht lang ist. Existiert noch nicht lange, aber sie verleihen auch Maschinen.« Weeds erklärte es eher beiläufig. Er sah sich um, aber das Flugfeld ringsum war dunkel. Burko spähte durch die Vorhänge und sagte: »Es wird uns niemand sehen, es sei denn, man beobachtet uns vom Tower aus.« »Wir müssen uns beeilen«, sagte Weeds mißmutig. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch und stieg hastig aus. Rita folgte ihm, und Burko bildete die Nachhut. Weeds öffnete die Seitentür des Hubschraubers, Licht flammte in der kleinen Kanzel auf, in der der Pilot und einer der Fluggäste nebeneinander saßen. Eine große Glaskuppel ermöglichte Rundumsicht. Dahinter, von außen weniger gut sichtbar, konnten zwei weitere Passagiere Platz finden, und Burko setzte sich in einen dieser Sessel. Rita ließ sich neben Weeds nieder, der seinen Mantel auszog, die Mütze abnahm und einen Helm mit integriertem Funkgerät aufsetzte. Er zeigte Rita kurz, wie die Vierpunktgurte zu bedienen waren. Dann checkte er mechanisch die Instrumente durch, startete die Turbinen und versetzte den Rotor über ihnen in Drehung, bevor er den Tower um Starterlaubnis anrief, die ihm auch sofort gewährt wurde. Rita beobachtete ihn neugierig bei allem, was er tat. Schließlich betätigte er etliche Hebel und Knöpfe, das Dröhnen der Turbinen wurde stärker, und der Helikopter erhob sich in
die Luft. Sie schwebten kurz in Richtung auf den hellerleuchteten Tower, bevor Weeds den Hubschrauber schneller steigen ließ, empor in den wolkenbedeckten Himmel, in das Schneegestöber hinein, das ihn wild umwehte. »Das vorhin war ein ziemlich teures Auto, selbst zum Mieten, und das mit dem Hubschrauber wird auch einiges Geld kosten«, sagte Rita. »Ich wußte gar nicht, daß du fliegen kannst. Du scheinst es recht weit gebracht zu haben, seit ich die Erde und dich verlassen habe.« »Ich bin wieder in der Politik«, sagte Weeds lächelnd. »Ein Jahr nach deinem Abflug waren die Wahlen, und ich hatte zufällig auf die richtige Partei gesetzt. Jetzt habe ich einen guten Job, brauche nicht viel zu tun und kassiere jede Menge Geld. Dieser Staat ist ohnehin nicht mehr zu retten, da kann man nur noch herausholen, soviel eben geht, und das tue ich, ebenso wie die anderen Politiker.« »Und Keeog?« fragte Rita. Sie betrachtete die Lichter der Stadt, die unter ihr hinwegglitt, die gewaltigen erleuchteten Glastürme und die dunklen Bezirke, wo die Slums lagen. Nach kurzer Zeit nahm ihr jedoch das Schneegestöber die Sicht. »Keeog«, sagte Weeds abschätzig. »Natürlich, viele machen sich Hoffnungen, aber dieser Krieg geht nicht so schnell zu Ende. Die Sowjets werden nicht die einzigen bleiben, die da unten ein Schiff verlieren. Die Keeogii lassen sich nicht unterkriegen, soviel habe ich durch deine und Burkos Reden vor der UN schon mitgekriegt.« Er sah Burko an, wozu er sich halb umdrehen mußte, und dann Rita. »Ich will euch beiden mal was sagen: Ein paar Monate noch, und dann ist der Krieg aus. Man hat ständig Probleme mit den Reaktorantrieben der Raumschiffe, die AntischwerkraftGeneratoren funktionieren nicht so, wie sie sollten. Und dann sind da noch die Probleme mit dem Hyperraum. Man kennt noch nicht einmal die meisten physikalischen Gesetze, die in
diesem merkwürdigen Medium herrschen und die Maschinen durcheinanderbringen. Neue Schiffe kann man nicht bauen, das dauert zu lange. Außerdem haben sie ständig Angst, daß eines ihrer Schiffe mal nicht mehr aus dem Hyperraum auftaucht. Nach Keeog wird so rasch kein Zivilist kommen, es sei denn, es geschieht irgendein Wunder. Sie wollen jetzt Laser einsetzen, mal sehen, wie sich das bewährt.« Er zuckte mit den Schultern, justierte etliche Instrumente und überflog in großer Höhe einen Highway. »Ich setze auf die Erde. Dieser Krieg wird unsere Leute noch etliche Jahre beschäftigen und vom Aufruhr abhalten, und dann kann ich immer noch nach Keeog gehen oder mir eine hübsche Insel irgendwo im Pazifik suchen, auf die ich niemanden drauflasse. Gleichgesinnte finde ich genug.« »Wohin bringst du uns?« fragte Rita nachdenklich. »Ich kenne einen einflußreichen Typen. Der hat eine Hütte hoch oben in den Bergen. Er braucht sie kaum, und da hat er sie eben mir überlassen. Man kann die Hütte nur mit dem Hubschrauber erreichen, das ist ein nicht unbeträchtlicher Vorteil.« Burko sah hinunter, sah die letzten Außenbezirke der gewaltigen Stadt vorbeigleiten und bereits andere erleuchtete Bezirke, vielleicht von ganz anderen Städten, auftauchen. Sein Mißtrauen schwand allmählich. Trotzdem fühlte er sich nicht gerettet, absolut nicht. Er war immer noch in einer fremden, feindlichen Welt, und noch gab es keinen Hinweis darauf, wie er sie wieder verlassen sollte. »Sie heißen Burko, nicht Fagan, oder habe ich mich da geirrt?« fragte Weeds nach einer Weile. Er hatte das Innenlicht der Kanzel gelöscht, und nur der Infrarotschirm und die Lichter der Instrumentenanzeigen verbreiteten einige Helligkeit.
»Keeogii duzen sich, sie reden nur Feinde mit ›Sie‹ an«, sagte Rita zu Weeds, der sie erstaunt musterte, aber dann grinste und schwieg. »Ja, ich heiße Burko. Fagan war nur ein Deckname; ich bin den UN-Leuten zu bekannt gewesen, als daß ich unter meinem richtigen Namen hätte hierherkommen können.« »›Bloody Burko‹, das war dieser widerliche Spitzname, den man dir gegeben hat, nicht wahr?« fragte Weeds. »Genau«, sagte Burko. Weeds schien beeindruckt. »In den Zeitungen wurde allerlei Blödsinn geschrieben, aber ich habe durch meine eigenen Quellen herausgefunden, daß man eigentlich nur Rita verhaften wollte. Warum bist du mit ihr geflohen?« »Ich konnte sie doch nicht einsperren lassen«, sagte Burko. »Außerdem hatte ich so ein Gefühl, als ob mir ähnliches geblüht hätte.« »Das mag durchaus richtig sein.« Weeds blickte in die Nacht hinaus, und Schweigen trat ein. Der Hubschrauber jagte nach Norden.
»Das sind die Adirondacks da unter uns«, sagte Weeds, als sie über eine Gebirgskette flogen, die sich nach Norden erstreckte. Der Schneesturm hatte zugenommen, und der kleine Hubschrauber wurde von wilden Windstößen häufig hin- und hergeworfen. Weeds kümmerte sich jetzt mehr um seine Instrumente, er flog konzentrierter, und schließlich ließ er den Helikopter auf einem kleinen Hochplateau landen, über das der Schneesturm hinwegfegte. Burko sah als einziger die Hütte, in deren Nähe sie aufgesetzt hatten, aber auch diese war sehr undeutlich und wirkte fern in dem wilden Schneegestöber, das hier, in großer Höhe, weitaus schlimmer war als in der Ebene.
Sie waren etwas länger als eine Stunde unterwegs gewesen und hatten einiges gegessen, durchweg sehr teure Nahrung, auch Fleisch, das auf der Erde sehr knapp war und im allgemeinen künstlich aus Sojabohnen oder ähnlichem »hergestellt« wurde. Echtes Fleisch wurde nur noch auf dem Schwarzmarkt oder in speziellen Delikatessenläden teuer gehandelt. »Ich habe schnell ein paar gute Mäntel besorgt«, meinte Weeds, als er die Turbinen ausschaltete und das Heulen des Sturmes das abschwellende Pfeifen der Aggregate übertönte. »In der Kiste dort neben dir, Burko.« Burko öffnete die Kiste, ein leichtes Plastikding, das am Boden befestigt war, und holte zwei mit künstlichem Pelz besetzte Mäntel heraus. »Vielleicht passen sie euch nicht richtig, aber ihr werdet sie brauchen können«, erklärte Weeds. »Ihr werdet wahrscheinlich länger hier oben bleiben müssen, und es wird sehr kalt.« Er legte seinen Helm ab und setzte seine Mütze auf, während Rita in den kleineren der beiden langen Mäntel und Burko in den anderen schlüpfte. Schließlich verließen sie den Helikopter und stolperten auf die Hütte zu, einen niedrig gebauten, sehr stabilen Würfel aus klobigen Steinen mit einer starken, metallbeschlagenen Tür. Weeds schloß auf, und sie betraten einen dunklen, kalten Raum, den Weeds durch eine Taschenlampe erleuchtete, bis er die Petroleumlampe gefunden hatte, die auf einem Regal stand. »Es gibt keinen Strom so weit oben«, sagte er, als er die Lampe etwas ungeschickt in Brand setzte. »Dieses aus Kohle hergestellte Petroleum ist zwar teuer, aber es ist hier immer noch das Billigste, um die Räume zu erleuchten.« Er nahm die Lampe, drehte den Docht höher und zeigte ihnen die Räume, zwei getrennte Schlafzimmer, in jedem zwei Betten, ein kleiner Wohnraum mit einer Bar, ein Bad und ein großer
Vorratsraum, vollgestopft mit Konserven, Eingemachtem, Kleidung, etlichen Petroleumkanistern und einigen Schachteln Munition für ein Gewehr, das an einem Haken an der Wand hing. »Normalerweise bleibt der Bekannte von mir, dem die Hütte gehört, ein paar Wochen zum Skifahren hier oben – es gibt hübsche Abfahrtsstrecken –, aber in der letzten Zeit ist er nicht mehr so daran interessiert. Ihr braucht hier oben mit keiner Störung zu rechnen.« »Wie lange sollen wir hier bleiben?« fragte Burko. »Ich weiß es nicht«, sagte Weeds. »Auf jeden Fall seid ihr hier oben für die nächsten Wochen sicher. Wir werden uns schon noch etwas einfallen lassen. Telefon habt ihr leider keins, aber wir werden schon zurechtkommen. In ein paar Tagen lande ich mal wieder hier oben.« Er sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Es ist spät. Ich muß bald in Boston zurück sein, sonst schöpft man noch Verdacht. Macht euch keine Sorgen, ich werde alles schon in Ordnung bringen.« Er griff nach der Türklinke, aber Rita berührte seinen Arm. »Du hast Geld ausgegeben für uns«, sagte sie leise, als er sich umdrehte und sie ansah. »Eine Menge Geld. Du hast riskiert, alles zu verlieren, was du jetzt besitzt, und im Gefängnis zu enden. Warum?« Sie spürte, wie Weeds einen winzigen Moment lang unsicher wurde, bevor er sich wieder in die Gewalt bekam. Er grinste breit und fröhlich, aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er etwas vor ihr verbergen wollte. »Das fragst du? Wegen dir, natürlich. Ich kann leider nicht bleiben, aber in ein paar Tagen komme ich wieder vorbei. Mach dir keine Sorgen.« Er öffnete die Tür, ein kalter Windstoß fuhr in den Raum, und dann fiel die Tür hinter ihm zu. Kurze Zeit später begannen die Turbinen des
Hubschraubers mühsam das Heulen des Sturmes zu übertönen, dann entfernte sich das Geräusch. Sie waren allein. Die Petroleumlampe flackerte, tauchte den recht luxuriös, aber betont rustikal eingerichteten Raum in ein behagliches Licht. Rita blickte eine ganze Weile auf die geschlossene Tür, bevor sie sich umdrehte und Burko ansah. »Es ist kalt«, sagte sie. »Machen wir ein Feuer.«
»Es sind Monate, Harry«, sagte Rita scharf. Sie deutete auf die trostlose Landschaft vor den Fenster, die wie schmale Schießscharten in den dicken Steinwänden der Hütte wirkten. In der Ferne ragten verschneite Bergspitzen in den grauen Himmel. »Wir haben hier drei Monate gewartet, und du hast uns ständig versichert, daß es ›läuft‹. Wann ereignet sich denn endlich etwas?« fragte sie scharf. Weeds seufzte. Er legte die Hände auf den Tisch, sah einige Zeit auf sie hinunter und blickte dann wieder hoch. »Ich habe euch damals aus dem Hexenkessel herausgeholt. Aber ich habe niemals versprochen, daß schnell etwas geschieht. Die Leute, mit denen ich zu tun habe, sind sehr vorsichtig. Und ich kann auch nicht zu offen sein. So etwas zieht sich eben hin – das mußt du verstehen, Rita.« »Er hat recht«, sagte Burko, der an der Wand lehnte. In dem dicken Ofen an der Wand prasselte ein Feuer, das den ganzen Raum erwärmte. »Harry hat uns schon weitaus mehr geholfen, als er jemals nötig gehabt hätte. Uns ging es hier gut, wir hatten genug zu essen, und wir waren in Sicherheit. Niemand sucht mehr nach uns. Alle glauben, wir seien irgendwo auf dieser Welt umgekommen. Es gefällt mir ebenso wenig wie dir, zu warten, aber uns bleibt wohl nichts anderes übrig.«
Rita nickte zögernd. Sie wirkte zerknirscht und müde. »Es tut mir leid, Harry. Diese Gegend hier drückt nur auf das Gemüt, diese endlose, eisige Einöde. Nicht einmal an der Luft, die hier besser ist als in dem verdammten New York, kann ich jetzt noch viel Gutes finden. Ich möchte woanders hin. Alles hier macht mich allmählich nervös.« »Ihr werdet ein bißchen warten müssen«, erklärte Weeds. »Aber es läuft, Rita. Die richtigen Leute beschäftigen sich damit, und bald kommt alles richtig in Fluß, dann geht es sehr schnell.« Er trat neben Burko ans Fenster und deutete nach Süden. »Der Paß wird bald wieder begehbar sein. Seid vorsichtig, entfernt euch nicht zu weit von der Hütte. Es könnte sein, daß allerlei gefährliche Leute hier heraufkommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Wahrscheinlich seid ihr hier schon draußen, bevor der Paß gangbar ist. Man hat Interesse gezeigt. Wirklich.« Er lächelte Rita aufmunternd an. »Kopf hoch, Mädchen! Wir schaffen es schon.« Dann ging er hinaus, wollte die Tür hinter sich schließen, aber Burko folgte ihm. Er wirkte fremdartig in dem weißen, langen Pelzmantel, wie etwas, was absolut nicht in diese Gegend und erst recht nicht auf diesen Planeten paßte. Sie stapften durch den Schnee auf den Helikopter zu, den Weeds diesmal etliche hundert Meter entfernt abgestellt hatte, und schließlich sagte Burko: »Wir sind dir wirklich dankbar für das, was du tust, Harry. Ohne dich wären wir schon lange tot gewesen. Rita ist eben enttäuscht, daß unsere Mission fehlgeschlagen ist, und dieser kahle Berg hier bedrückt sie. Sie sehnt sich nach Keeog zurück.« Weeds blieb neben der Kanzel des Hubschraubers stehen. »Und du?« Burko sah ihn nachdenklich an, er schob die Hände in die Taschen des weiten Pelzmantels. Nach einer Weile sagte er:
»Mir geht es wie ihr. Aber ich habe gelernt, Geduld zu haben und mit dem Erreichten zufrieden zu sein. Mit deiner Hilfe schaffen wir es, Harry.« »Paß auf sie auf, ja?« sagte Harry Weeds. Er öffnete die Tür und stieg in den Pilotensitz. Burko blieb stehen, sah ihn lange an und fragte schließlich: »Warum tust du das alles? Doch nicht für Rita.« »Warum nicht?« fragte Weeds verblüfft. Burko machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kenne euch Menschen inzwischen genug, um zu wissen, daß kein Mann so viel für ein Mädchen tun würde, das nach fast drei Jahren zu ihm zurückkommt. Du mußtest damit rechnen, daß sie niemals wieder zurückkehrt. Also, warum steckst du soviel Geld und Zeit in diese Angelegenheit? Du brauchst es mir nicht zu sagen, wenn du nicht möchtest.« Weeds grinste. »Geld«, sagte er. »Es geht um Geld. Ich verknüpfe euren Nutzen mit meinem. Keine Angst, du kommst nach Keeog zurück und Rita auch. Und ich kassiere.« Er hob die Hand zum Abschied, immer noch grinsend, schloß die Tür und begann die Turbinen anzuwerfen. Der Rotor begann sich langsam zu drehen, und Burko duckte sich und eilte aus seinem Bereich. Er blieb stehen, bis der Hubschrauber im Himmel verschwunden war, dann drehte er sich um und ging sehr nachdenklich zur Hütte zurück. Was hatte dieser Weeds eigentlich vor?
»Harry hat gesagt, der Paß ist offen«, meinte Rita. Es war jetzt drei Wochen her, daß sich Weeds das letzte Mal hatte blicken lassen, und als Burko von einem ausgedehnten Spaziergang zurückkam, war Weeds bereits wieder abgeflogen. »Er hat neben den Vorräten auch ein paar Zeitungen gebracht.«
Sie deutete auf einige Exemplare, die zusammengerollt auf dem Tisch lagen. Burko legte das Gewehr, das er bei seinen Spaziergängen immer mitnahm, auf den Tisch und fragte: »Wie entwickeln sich die Dinge mit seinen merkwürdigen Bekannten? Bislang hat er uns nicht sagen wollen, was er eigentlich genau vorhat, außer, uns zu helfen. Hast du etwas Neues erfahren?« »Er hat gesagt, es bestünde eine gute Chance, von hier wegzukommen. Er will morgen wiederkommen und Näheres sagen. Er scheint heute abend eine Konferenz zu haben, außerdem…« Sie sah auf. Burko hatte das Geräusch bereits gehört, während sie noch geredet hatten, das Peitschen der Rotorblätter und das Pfeifen von Turbinen. Er stand auf und ging zum Fenster, und er sah, wie sich Weeds’ blau-weißer Miethubschrauber langsam aus dem Himmel senkte und kaum zwanzig Meter von der Hütte entfernt im Schnee aufsetzte. Die Rotorblätter peitschten Schnee in dichten Wolken gegen die Vorderwand der Hütte, bevor sie langsamer liefen und schließlich stoppten. Fast gleichzeitig sprang die Seitentür auf, und Weeds hastete hinaus und durch den hohen Schnee auf die Hütte zu. Er wirkte ziemlich aufgeregt, und Rita öffnete ihm die Tür, ohne daß er erst anklopfen mußte. Weeds sah aus der Nähe tatsächlich völlig aufgelöst aus. Sein sonst so sorgfältig frisiertes Haar hing ihm wirr um den Kopf, sein Mantel war an der Schulter zerrissen, und als er stehenblieb, klaffte der Mantel auf und zeigte die Pistole, die in seinem Hosenbund steckte. »Was ist denn passiert?« fragte Rita erschrocken, die ihn nie zuvor in einem derartigen Zustand erlebt hatte. Weeds taumelte auf einen Stuhl zu, setzte sich, und Rita holte ihm eine Flasche Whiskey. »Willst du etwas trinken?«
»Eine Stärkung könnte ich gebrauchen«, sagte Weeds mit dumpfer Stimme. Seine sonst kühl und scharf blickenden Augen wirkten stumpf, fast geschockt. »Habt ihr ein Radio hier oben, oder einen Fernseher?« Er schaute sich um und entdeckte tatsächlich ein kleines TV-Gerät in der Ecke, das er bislang nie richtig gesehen hatte. »Ja, sicher. Wieso?« fragte Rita. »Schalte es ein!« sagte Weeds mit mühsam beherrschter Stimme. »Schalte ihn ein.« »Die Batterien sind aber fast leer«, meinte Rita. Sie beobachtete beunruhigt, daß Weeds’ Finger zitterten, als er Whiskey in ein großes Wasserglas schüttete. Ohne auf seine Antwort zu warten, machte sie trotz ihres Einwands den Fernseher an. Das Bild flackerte auf, ein Reporter erschien im Bild, darunter klein die Buchstaben »Sondersendung der CBS«. Im Hintergrund waren brennende Gebäude zu sehen, umgestürzte Fahrzeuge. Der Reporter hatte Mühe, in seiner Ecke nicht von Polizisten umgerannt zu werden, die auf ein unbekanntes Ziel zu an ihm vorbeihasteten. Schüsse waren aus dem Hintergrund zu vernehmen. »… sind hier besonders schlimm. Trotz der Aufforderung der Regierung, Ruhe zu bewahren, und trotz aller Dementis der entsetzlichen Nachricht, die vor wenigen Stunden verbreitet wurde, befindet sich auch dieser Teil New Yorks in totaler Anarchie. Meine Damen und Herren, es erscheint unfaßbar, aber wie auf ein geheimes Kommando hin wurden überall in der Bronx die Lagerhäuser von Menschenmassen gestürmt. Die gefürchteten Banden der Südbronx brachen in die Stadt ein und plünderten. Im Moment hat die Polizei die Lage noch nicht unter Kontrolle…« Die Regie schaltete um, auf einen Sprecher, der eine Reportage aus Washington ankündigte. Es erschien ein Bild
des Reporters, und seine Stimme war etwas gestört zu vernehmen – offenbar berichtete er über eine Telefonverbindung. »Heute morgen, meine Damen und Herren, um acht Uhr dreißig schien hier in Washington alles in bester Ordnung zu sein. Es war ein kalter, frischer Morgen, und obwohl die Versorgungslage in weiten Teilen der Stadt seit Tagen katastrophal war, wie in den ganzen Vereinigten Staaten, behielten die Leute die Nerven und erinnerten sich ständig daran, daß sich unser Land im Krieg befindet. Als die ersten Flugblätter und illegalen Nachrichtensender die bislang unbestätigten Meldungen einer völligen Niederlage der Expeditionsstreitkräfte auf Keeog brachten, muß sich eine grenzenlose Enttäuschung breitgemacht haben. Ich kann es mir nicht erklären, niemand kann das hier, aber wie auf ein einziges Signal hin brach in allen Teilen der Stadt die Ordnung zusammen. Polizeichef Wayne Hunter sprach von kommunistischen Elementen, die diesen unseligen Volksaufruhr seit langem geschürt und die fingierte Meldung von einem Zusammenbruch der westlichen Streitkräfte auf Keeog benutzt hätten, in einer besonders kritischen Situation unseres Landes den Umsturz zu versuchen. Teile der Stadt stehen momentan in Flammen, die Polizeikräfte sind um das Weiße Haus und das Pentagon zusammengezogen worden, und starke Einheiten der Armee werden jeden Moment hier eintreffen. Nachdem Bürgermeister Posey mehrere Aufforderungen an die Bürger ergehen ließ, sich von den kommunistischen Propaganda- und Kampftrupps nicht mitreißen zu lassen, sondern gerade jetzt die Treue zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bewahren, sah es so aus, als würde sich die Lage beruhigen, aber Minuten später brachen erneut Unruhen aus. So, wie es jetzt aussieht, sind die Politiker und die Militärs hier in Washington D. C.
entschlossen, auf keinen Fall den Zusammenbruch unseres Staates zuzulassen, sondern jetzt auch mit Gewalt die Unruhen zu stoppen. Präsident Kingsley wird in wenigen Minuten eine Ansprache an das ganze amerikanische Volk halten, die mit Spannung hier in den belagerten Gebieten erwartet wird – wir hoffen alle, daß es dem Präsidenten gelingen wird, das Volk zu veranlassen, diesen unseligen Selbstzerfleischungsprozeß einzustellen und…« Rita schaltete ab und drehte sich um. Burko war aufgesprungen und sah Weeds an, als wolle er ihn mit Blicken durchbohren. Harry Weeds grinste müde. »Da habt ihr die Antwort. Es bricht zusammen, alles – und wenn wir Pech haben, auch unsere wohlgehüteten und lange gehegten Pläne.« »Was soll das heißen?« fragte Burko wütend. Warum war dieser Weeds auf einmal so kraftlos und voller Resignation? »Was sind das für Nachrichten von Keeog?« Er dachte an Sakegi, an Tarun. Hatten die Freien Führer etwas ausgeheckt? War die Invasion Keeogs wirklich gestoppt, oder hatte dieser Reporter recht, indem er behauptete, die Kommunisten hätten eine Falschmeldung verbreitet? Er mußte es wissen, die Frage brannte in ihm, und er mußte sich zwingen, Weeds nicht zu packen und zu schütteln, um die Antwort aus ihm herauszubringen. Hatte sein Volk gewonnen? »Während ich vor ein paar Stunden hier war, sickerte eine Nachricht vom Kriegsministerium durch. Eine der neuen schnellen Nachrichtensonden von Keeog war angekommen, gestern nacht, und brachte einen niederschmetternden Bericht mit. Der Kerl da eben im Fernsehen hat ihn durchaus richtig zitiert.« Er schenkte sein Glas erneut voll und wollte wieder trinken, aber Rita packte sein Handgelenk und sah ihn flehend an. »Hör’ auf damit, Harry, bitte!«
»Ist der Krieg auf Keeog von den Keeogii gewonnen worden?« fragte Burko. Weeds nickte. »Dieser Bericht war so entsetzlich, daß einer der Offiziere ihn nicht für sich behalten konnte. Er fühlte sich verpflichtet, es der Öffentlichkeit mitzuteilen, dieser Idiot, er glaubte, es sei Unrecht, die Massen zu betrügen, ihnen etwas vorzuspielen. Das haben wir jetzt davon! Scheiße!« Burko preßte die Lippen zusammen. Er konnte es immer noch nicht glauben. Ruhig, sagte er sich, bleib’ ganz ruhig, du bist ein Krieger, du läßt sich nicht so leicht unterkriegen! »Wie?« brach es aus ihm heraus. »Wie ist das geschehen?« Weeds starrte ihn traurig an. Er wirkte, als ob in ihm etwas zerbrochen wäre. »Die Versorgungsschiffe der UN, der Westlichen Union und der Sowjetunion trafen stets gleichzeitig ein. Jeder wollte den anderen im Auge behalten. Aber wegen der Katastrophe mit diesem russischen Schiff, das ihr gesprengt habt, blieben die Schiffe im Orbit, als sie diesmal aus dem Hyperraum kamen. Mit kleinen Raumfähren wollten sie Männer und Material Stück für Stück nach unten schaffen. Diese Fähren arbeiteten vollautomatisch, wie ein Fahrstuhl über Leitstrahl vom Boden und vom Schiff aus. Irgendwie – ich weiß nicht, woher ihr dieses Nachrichtensystem habt, dagegen ist der CIA ein Verein lächerlicher Stümper und Amateure – irgendwie haben die Krieger bei euch das herausgefunden, und mehr als das. Sie müssen genau gewußt haben, wo die Landeplätze lagen, sie haben die Verteidigungsstellen umgangen und sind bei Nacht und Nebel in eine der kleinen automatischen Fähren gekrochen. Damit kamen sie hoch, mit den leeren kleinen Schiffchen, und da außer der Besatzung niemand mehr an Bord war, konnten sie das Schiff wohl übernehmen. So reimt es sich jedenfalls der Oberkommandierende dort zusammen, er steht jetzt vor den Scherben seiner Armee und hat die totale Niederlage vor
Augen. Die Kanonen an Bord der Schiffe und die Raketen, die waren wohl leicht abzufeuern, für einen Menschen jedenfalls. Aber niemand weiß, wie die Krieger sie bedienen konnten. Die Schiffe im Orbit sind vernichtet worden, bevor sie sich absetzen konnten, alle drei, bis auf das Schiff, das die Krieger gekapert hatten. Dann bombardierten sie den Planeten, leerten das Arsenal des Schiffes auf jedes Militärlager und jede von ihnen nicht genehmigte Ansiedlung. Der Oberkommandierende hat einen kurzen Bericht auf Band gesprochen, er stand nach dem Verlust von achtzig Prozent seiner Streitmacht vor der Kapitulation, und er hat mit der neuesten Nachrichtensonde diesen Bericht zur Erde geschickt. Vor knapp drei Wochen sind wir auf Keeog geschlagen worden, endgültig.« Burko lachte. Das sah ganz nach Sakegi aus, ein hervorragendes, eiskalt geplantes Unternehmen unter Berücksichtigung aller durch die telepathischen Helfer erhältlichen Informationen. Menschen wäre so etwas niemals geglückt. Die Telepathen waren ihnen immer ein Stück überlegen. »Das wäre mir an sich egal, diese Niederlage«, knurrte Weeds. »Aber es kam zu schnell an die Öffentlichkeit. Ich habe sofort davon erfahren, als ich zurückkam. Man hatte eine Abschrift des Berichtes von Keeog. Die chinesischen Agitatoren im Land haben natürlich sofort ihre Chancen genutzt und alles aufgefahren, was sie jahrelang versteckt und für den großen Tag vorbereitet hatten. In der ganzen Westlichen Union, gewiß auch drüben bei den Sowjets.« Weeds starrte Rita voller Bitterkeit an. »Sechzig Prozent der Bewohner dieses Landes leben in den Slums. Und diese sechzig Prozent, fast eine Milliarde Menschen, erheben sich jetzt. Sie kehren den Rest von Ordnung unter den Teppich und nehmen sich, was ihnen gefällt. Wenn die Sowjets es schaffen,
bei sich die Ordnung zu gewährleisten, werden sie diese Tage der Unruhe benutzen, um die Westliche Union zu annektieren. Und wenn sie es nicht tun, tun es die Chinesen. Alles bricht zusammen, alles. Und so schnell!« Weeds schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sie haben alle gehofft, nach Keeog zu kommen, jeder Idiot in den Slums, der noch nicht mal die Grenzen seines Bezirks würde überschreiten dürfen. Das hat sie bei der Stange gehalten und hat sie auch Hunger und Tod und was sonst alles vorkam, ertragen lassen. Und jetzt ist keine Hoffnung mehr da; ihnen bleibt nur noch, so weiterzuleben oder es den Reichen und Mächtigen heimzuzahlen. Das tun sie jetzt. Gründlich!« »Was ist mit deinem Freund geschehen, dem die Hütte hier gehört?« fragte Rita. »Keine Ahnung. Ich habe immer geglaubt, der Zusammenbruch käme langsam, ein Aufruhr hier, ein Überfall dort, der allmähliche, über Wochen gehende Auflösungsprozeß des Staates. Ich hätte alles in Sicherheit bringen können, mir hätte es gutgehen können. Und jetzt? Ich habe keine Verbindung mehr zu meinen Bekannten, in Boston sind schon die Telefonverbindungen ausgefallen. Ich hab’ meine alte 45er aus der Armee genommen und alles, was ich an Wertsachen in meinem Büro hatte, und habe versucht, zu meiner Bank zu kommen. Es war unmöglich, ganze Straßen dazwischen wurden von Motorradbanditen und Plünderern beherrscht. Ich habe es mit knapper Not geschafft, dem verdammten Pöbel zu entkommen und mich auf meinen Flugplatz zu retten. Aber der dürfte inzwischen auch schon überlaufen sein. Alles ist kaputt.« Er schüttelte wieder den Kopf und griff erneut nach seinem Glas. »Wo können wir hin?« fragte Burko. Keeog, dachte er, irgendwie muß ich dorthin zurück.
Weeds lachte hysterisch. »Nirgendwohin! Hörst du, nirgendwohin!« Jegliche Überlegenheit und Ruhe, die ihn früher ausgezeichnet hatte, war von ihm abgefallen. »Es gibt keine Hoffnung mehr, für dich ebensowenig wie für mich. Die Welt bricht zusammen.« »Du hast von Bekannten geredet«, sagte Rita verzweifelt. »Von Leuten, die uns helfen könnten. Du hast nie etwas Genaues gesagt. Harry, bitte, wer kann uns jetzt helfen? Uns dreien, Harry! Wir müssen fort von hier.« »Es hat doch keinen Sinn«, sagte Weeds müde und nippte an seinem Whiskey. »Wir haben verloren, es ist zu Ende.« Rita packte seine Schultern. »Harry, bitte, reiß’ dich zusammen! Ich flehe dich an! Wir müssen weg von hier, und nur du kannst den Helikopter steuern! Bitte, Harry!« »Ich hab’s satt!« sagte Harry. Burko stieß Rita beiseite, packte Weeds am Kragen und stellte ihn mit einem Ruck auf die Beine. Der hagere, kräftige Keeo war fast einen Kopf größer als der schlanke, breitschultrige Mensch. Burko hatte begriffen, was los war: Hinter Weeds’ Fassade von Lässigkeit, Überlegenheit und Optimismus verbarg sich ein unsicherer, leicht zu erschütternder Charakter, den diese entsetzliche Katastrophe, die alles in seinem Leben zunichte zu machen drohte, völlig ans der Bahn warf. Zumindest sah es Burko so, und er war entschlossen, es nicht dabei bewenden zu lassen. »Was willst du?« brüllte ihn Burko an, er hatte das Übersetzungsgerät laut gestellt, und der kleine Lautsprecher ließ das Innere des Wohnraumes dröhnen. »Willst du hier sitzen und saufen, bis irgendwelche verrückten Kerle über den Paß kommen und dich abknallen? Wenn du sterben willst, kann ich dir das gleich hier besorgen. Gleich hier, kapierst du das?« Er stieß ihn von sich, Weeds krachte hart gegen die Wand, und Burko nahm das Gewehr vom Tisch, rammte es in
Weeds’ Magen. Weeds krümmte sich und starrte in Burkos Augen, die eiskalt waren, blickte auf den Finger, der sich um den Abzug der Jagdflinte legte. »Na, wie ist es, willst du sterben?« Burkos fremdartige Stimme und das Dröhnen des Übersetzers vermischten sich zu einer wilden Kakophonie. »Hör’ auf!« schrie Weeds. »Nimm die Knarre weg, verdammt, nimm’ das Gewehr weg, bist du wahnsinnig, du Keeo-Nigger?« Burko lachte. Er senkte die Flinte. »Das hört sich schon besser an. Reiß’ dich zusammen, Harry, das hast du doch auch mal zu Rita gesagt, wenn ich mich recht erinnere. Also, jetzt überleg’ mal, wer kann uns jetzt helfen? Was war dein Plan mit uns?« Weeds taumelte, er wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich gegen die Wand, aber jetzt waren seine Augen klar, die Panik des nahenden Todes hatte den Verstand in ihn zurückgepeitscht. »Williamson, nur Williamson«, sagte er heiser. »Einer von der UN, ein hohes Tier. Mit dem und mit seinen Spießgesellen wollte ich das Geschäft machen. Sie hatten Ärger hier auf der Erde, hatten es zu wild getrieben, Korruption und so, und außerdem wollten sie sowieso lieber nach Keeog. Aber sie fürchteten, daß sie von den Kriegern umgelegt werden, bevor sie richtig die Umgebung gesehen hätten, deswegen wollten sie dich, Burko, und auch Rita. Ich hab’ ihnen euren Aufenthaltsort vorerst verschwiegen, auch zu eurer Sicherheit, und ich wollte Geld aus ihnen ‘rausquetschen. Außerdem war ich beim Marineministerium der einzige, der ihnen helfen konnte, wirklich an ein Kurierschiff heranzukommen. Dann hätte ich hier auf der Erde gut leben können, ich hätte mir eine Insel und einige Dutzend Leibwächter gekauft, ich hätte von der Landwirtschaft gelebt,
und alles wäre ganz in Ordnung gewesen. Das ist jetzt alles flöten gegangen, wegen dieses Scheißkerls, der unbedingt ‘rumerzählen mußte, was auf Keeog passiert ist!« »Wo können wir diesen Williamson erreichen?« »Normalerweise in New York, aber da wird er sich bestimmt nicht mehr aufhalten. Ich nehme an, er versucht, an das Kurierschiff heranzukommen, das zur Zeit unten in Cape Kennedy ein wenig ausgebessert wird.« »Wenn wir das Schiff nicht vor ihm erreichen, kommen wir nie wieder hier weg!« rief Rita entsetzt. »Wer weiß, wie viele andere versuchen, an dieses Kurierschiff heranzukommen!« »Du meinst wirklich, wir könnten es noch rechtzeitig erreichen?« fragte Weeds verblüfft. »Das ist doch idiotisch.« »Ist es nicht!« sagte Burko scharf. »Du hast selbst gesagt, das Land ist in Aufruhr. Vielleicht kriegen die meisten Leute, die Interesse an dem Schiff hätten, überhaupt kein Flugzeug mehr. Vielleicht wurden sie ebenso überrascht wie du, und sie konnten nicht weg und wurden getötet. Diese Chance können wir vielleicht nützen. Willst du nach Keeog oder nicht? Das ist bestimmt besser als deine Insel!« Weeds starrte ihn an, sah Rita an, dann grinste er plötzlich. »Okay, versuchen wir es!« Weeds ließ den Hubschrauber nach Süden rasen. Sie flogen in großer Höhe, manchmal sahen sie in der Ferne Jagdbomber und andere Kampfmaschinen, meist in Geschwadern, die nach Westen oder nach Süden flogen. Als sie New York überquerten, sahen sie dichten Rauch über etlichen Stadtbezirken hängen, ganze Viertel schienen in Flammen zu stehen, Flugzeuge und Militärhubschrauber kreisten über der Stadt. Burko saß auf dem Rücksitz neben Rita, und er hatte das Gewehr und den Python-Colt bei sich. Sie hatten noch etwas
Proviant eingeladen und waren sofort losgeflogen, mit größtmöglicher Geschwindigkeit nach Süden. »Mal sehen, was das Radio meint«, murmelte Weeds und drehte an einem Knopf seines Armaturenbretts. Eine Stimme ertönte, sie sprach rasch und voller Triumph: »… haben gesiegt! Die wahre proletarische Revolution findet jetzt statt, unter unseren Augen, Genossinnen und Genossen! Die sowjetischen Linksfaschisten und die kapitalistischen Verbrecher haben achtzig Prozent des Volkes dieser Erde unterdrückt und ausgebeutet! Aber jetzt wird die alte, mörderische Ordnung beseitigt, und ein neues Zeitalter kann von uns geschaffen werden! Deshalb erhebt alle eure Waffen, kämpft gegen die Unterdrücker und nehmt, was euch zusteht! Hier spricht der Sender der Freunde der Demokratischen Volksrepublik China! Unsere Sache hat so gut wie gesiegt! Noch ist der Kampf nicht vorbei, die Soldaten werden euch alle töten wollen, aber ihr seid stärker, denn ihr seid mehr, und ihr habt den Willen, neue, bessere Tage anbrechen zu lassen. Kämpft und denkt an eure Kinder und an euch selbst, die ein gutes Leben, ein reiches Leben wie in den alten Tagen führen können, wenn…« Weeds schaltete ab. »Das war früher NBC. Den haben sie also auch schon.« Er starrte durch die Scheibe nach unten, ging tiefer, und sie brausten über einen kleinen, brennenden Flughafen hinweg. Ein paar Maschinen lagen brennend auf der Rollbahn, ansonsten war nichts zu sehen, bis auf ein paar Plünderer, die herumrannten und zusammenzuckten, als der Hubschrauber hoch über ihnen dahinstrich. »Die Chinesen sind schlau«, sagte Weeds. Er mußte reden, Burko spürte es. Er mußte irgendwie mit dem fertigwerden, was passiert war, was insbesondere ihm passiert war. Das tat er mit oberflächlichen und doch weitgehend richtigen Bemerkungen über die internationale Lage. »Sie wissen, daß
sie niemals so viele Menschen ein Paradies bescheren können, wie jetzt überall den Aufstand machen. Aber sie haben den Stein ins Rollen gebracht, sie haben die Westliche Union und vielleicht auch die Sowjets ins Wanken gebracht, es dauert nicht lange, dann fällt auch der letzte Rest von Ordnung zusammen. Dann gehört den Chinesen die Welt, in dem Moment, da sich die Leute ausgetobt und alles an sich gerissen haben.« Weeds lachte leise und wild. »Der Pöbel wird die Lagerhäuser stürmen, sie werden die sorgfältig rationierten Vorräte in ein paar Tagen auffressen, ebenso wie das, was sie den Reichen abknöpfen. Und dann – dann ist Schluß. Dann verrecken sie erst recht. Ich frage mich, ob die Chinesen da nicht ein Rädlein angestoßen haben, das sie zum Schluß selbst überrollt.« Sie jagten weiter, unter ihnen rollte eine gewaltige, endlose Militärkolonne dahin, die Burko an Keeog erinnerte, an die zahlreichen Gefechte, die er gegen Leute wie die dort unten geführt hatte. Weeds schaltete wieder den »chinesischen« Sender ein, er brauchte wohl Abwechslung, konnte das Schweigen und das ständige Dröhnen der Aggregate allein nicht mehr ertragen. »… Baltimore, Boston, Chikago, San Francisco und andere Großstädte sind in unserer Hand. Der Volksaufstand zerbricht die Unterdrückung, er…« Weeds drehte am Einstellknopf, und schließlich fand er einen einzigen Sender, der außer dem übernommenen NBC-Netz noch arbeitete. »… ist in Gefahr. Die Sowjetunion und die USA haben China gedroht, Atomwaffen einzusetzen, wenn der von China gesteuerte Aufstand nicht sofort gestoppt wird. Präsident Kingsley sagte in seiner Rede vor wenigen Minuten, daß die Leute, die die Völker der Welt in den Untergang führen wollten, selbst mit ihnen untergehen müßten, es sei denn, sie
besännen sich auf Zusammenarbeit und…« Ein wildes Rauschen ertönte, dann nichts mehr. Vermutlich hatten sie den Sendebereich dieses örtlichen Senders verlassen. Sie flogen ab, nachdem alles in dem winzigen Laderaum der Maschine verstaut war. Weeds versuchte wiederholt, Verbindung mit Williamson aufzunehmen, aber außer ein paar Militärsendern antwortete ihm niemand. Burko zog den hellen Pelzmantel und die Jeansjacke, die er darunter trug, aus. Statt dessen zog er wieder die lange ärmellose Lederweste aus bläulich schimmerndem schwarzen Leder und die Handschuhe mit den langen Stulpen an; Hemd und Hose aus grobem dunkelpurpurnen Stoff waren vom Waschen ziemlich ausgebleicht. »Warum tust du das?« fragte Rita. Sie hatte ihn verwundert beobachtet und sich gefragt, wie man in einer Situation wie dieser noch an Kleidungsfragen denken konnte. Burko sah nachdenklich hinunter, auf die Felder und die Städte, die unter ihnen langsam vorbeiglitten. In der Ferne war, blaugrün schimmernd, das Meer zu sehen, die Küste. »Vielleicht sterben wir alle, irgendwo auf diesem Planeten. Ich möchte die Kleidung von Keeog tragen, wenn es soweit ist.« »Das ist South Carolina unter uns«, sagte Weeds. »Ich bin bisher an der Küste entlanggeflogen, bei Charleston geht es aufs Meer hinaus; wir nehmen den direkten und geraden Weg nach Florida hinunter. Also erschreckt euch nicht.« Burko brummte etwas als Zustimmung und begann, sich mit dem Revolver zu beschäftigen, den er vor Monaten einem Polizisten abgenommen hatte. Er hatte sich mit dem Mechanismus der Waffe vertraut gemacht und überprüfte ihn jetzt genau. Als er die Patronen eine nach der anderen bedächtig wieder in die Trommel schob und den Zylinder
einklappte, fragte Weeds: »Glaubst du, es wird Ärger geben, Burko, oder warum überprüfst du das Ding?« »Sicher ist sicher«, sagte Burko nur und schob den Revolver in die Hosentasche, so, daß der Griff herausragte. Etliche Minuten später fiel die Küste hinter ihnen zurück, als dunkle, ferne Zusammenballung von Rauch und Feuer sahen sie Charleston an der feinen Linie des Meeres liegen, weiter im Süden. »Dort also auch«, murmelte Weeds, und er schaltete das Funkgerät ein und versuchte wieder, Verbindung mit Williamson zu bekommen. Diesmal rief er direkt Cape Canaveral an, und nachdem er von einem Nichtzuständigen an den anderen vermittelt worden war, meldete sich schließlich ein Captain Hetherley. »Was wollen Sie denn?« kam seine Stimme aus dem Raumlautsprecher, den Weeds dazugeschaltet hatte. »Wer sind Sie überhaupt?« »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich Weeds heiße, Harry V. Weeds. Untersekretär für Kriegführung im All, verstehen Sie?« »Ein bißchen unpassend für eine Inspektion, finden Sie nicht?« fragte Hetherley höhnisch. »Hören Sie, ich muß sofort Ted Williamson an den Apparat kriegen, verstehen Sie mich?« Weeds schien vor unterdrückter Spannung zu platzen. »Er ist doch bei Ihnen, oder nicht?« »Er war eben noch hier«, sagte Hetherley ärgerlich und ungeduldig. »Wir haben hier andere Sorgen. Das Land ist in Aufruhr, und ich…« »Meinen Sie, das weiß ich nicht?« brüllte Weeds. Die Tatsache, daß seine hohe Stellung plötzlich nicht mehr viel wert war, daß die Autorität, auf die er sich berief, am Zusammenbrechen war, brachte ihn aus der Fassung und in
Wut. »Es geht um Leben und Tod! Ich muß sofort Williamson sprechen.« »Der ist an Bord eines unserer letzten Kurierschiffe. Er wartet noch auf die Einschiffung der letzten Vorräte und der Leute, die den Stützpunkt hier verlassen, und er wird Sie bestimmt nicht sprechen wollen.« »Er wird mich sprechen wollen!« fauchte Weeds, der buchstäblich unter sich den letzten Halt weggleiten fühlte. »Er hat sogar darum gebeten, unbedingt mit mir Verbindung aufnehmen zu können, bevor er die Erde verläßt!« Das letzte war eine Lüge, aber Weeds konnte kaum zu etwas anderem mehr Zuflucht nehmen. »Ich werde mal sehen, was sich machen läßt«, sagte Hetherley. »Sagen Sie ihm, daß Weeds mit ihm reden will, wegen der keeogischen Gesandten!« rief Weeds ins Mikrophon. Minutenlang war nur das Turbinengeräusch und das Peitschen der Rotorblätter zu hören. Das Meer, aus der Nähe betrachtet, rotgelb schimmernd im Glanze verschiedener Chemikalien- und Ölfilme auf dem Wasser, glitt unter ihnen dahin. Die Küste im Westen, die hier einen Bogen machte, fiel mehr und mehr zurück, nur die dunkle Rauchsäule über Charleston war noch verhältnismäßig gut zu erkennen. Aus dem Lautsprecher klangen nur atmosphärische Störungen und dann und wann ein scharfes Knacken. Schließlich eine andere Stimme als die Hetherleys: »Weeds?« Harry Weeds atmete hörbar auf. »Ted?« fragte er. »Zum Teufel, was willst du denn, Harry?« fragte Williamson scharf. »Ich bin beschäftigt, verstehst du? Alles geht drunter und drüber. Die verdammten Nigger aus den Slums in Jacksonville kommen hier ‘runter nach Cape Canaveral, und weit und breit kein Militär, also laß’ dich besser hier nicht blicken.«
»Ted«, sagte Weeds leise, »ich habe Burko und Rita bei mir, verstehst du?« »Was?« tönte es schrill aus dem Lautsprecher. »Das sagst du mir jetzt? Wo bist du? Wie schnell kannst du herkommen? Mit ihnen natürlich!« »Ich bin schon auf dem Weg, südlich von Charleston. Eine knappe Stunde wird es noch dauern, der Hubschrauber hier ist zwar schnell, aber ein Jet wäre mir lieber gewesen.« »Tut mir leid, ich kann nicht warten«, sagte die harte Stimme aus dem Lautsprecher. Gemurmel erklang, dann fuhr sie fort: »Alle Checks an Bord sind fast fertig, und draußen schießt der Pöbel auf den Stützpunkt. Ich kann nicht warten, unmöglich, Harry.« »Schalten Sie mich ‘rein«, sagte Burko. »Schnell.« Weeds drückte mit zitternden Fingern einen Knopf, dann gab er Burko ein Mikrophon, das bisher am Haken gehangen hatte. »Hier ist Burko«, sagte Burko leise und hielt das Übersetzungsgerät an das Mikrophon. »Fliegen Sie ruhig ohne uns los, Williamson, aber auf Keeog haben Sie dann keine Chance. Jetzt ist ein keeogisches Wachschiff über dem Planeten, und wenn Sie uns nicht an Bord haben, wird man Sie einfach abschießen. Also überlegen Sie es sich.« Er ließ den Knopf am Mikrophon los, als der Übersetzer verstummte, und gab Weeds das Gerät zurück. Schweigen herrschte am anderen Ende der Verbindung. »Ich würde ein solches Risiko an Ihrer Stelle nicht eingehen«, sagte Weeds kalt und verzichtete absichtlich auf das vertrauliche »Du«. »Okay, wir warten«, sagte Williamson ärgerlich. »Aber hier sieht es nicht gut aus. Aus Tampa, Orlando und Jacksonville sind ›Slummer‹ hier, ein wilder Pöbel, der es darauf abgesehen hat, an unsere Kurierschiffe heranzukommen oder uns am Start zu hindern. Ich hab’ hier bloß ein paar hundert Mann, und sie
können sich nicht lange halten. Tausende strömen bei uns zusammen, es werden immer mehr. Ich weiß nicht, was die wollen, aber sie haben Maschinengewehre und ein paar Panzerfäuste, und sie schießen auf alles, was zu uns kommen will. Lange halten wir die nicht mehr in Schach.« »Auf welchem Landefeld seid ihr?« »Vier. Außerdem haben wir noch Drei, aber das werden wir nicht mehr lange halten können. Wir bringen gerade die schweren Waffen, die im Depot lagern, in Sicherheit, damit sie nicht anfangen, mit Raketenwerfern auf uns loszugehen. Beeilt euch, verdammt noch mal!« Dann klickte es, die Leitung war unterbrochen. Weeds seufzte. Er drehte sich halb um und warf Burko einen Blick zu. »Es sieht so aus, als ob wir deinen Revolver doch noch brauchen werden, was?« Er versuchte zu grinsen, aber es wurde nicht viel daraus. Er schaltete das Radio wieder ein, und aus dem Lautsprecher ergoß sich das Gefasel der Propagandasender, die den Aufruhr heizten und ohne Zweifel den zukünftigen Siegern gehörten. Sie näherten sich dem Kap vom Meer her. Burko sah die verschiedenen Landefelder, sechs insgesamt, aus der Ferne. Überall ragten gewaltige Versorgungsgebäude und Militärwachtürme empor, der traditionelle Start- und Landeplatz für Raumschiffe hatte sein Gesicht in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Ein paar der fast siebzig Jahre alten nutzlosen Startrampen für die ersten Raketen hatte man stehenlassen, mehr als Andenken, ebenso war das erste NASAGebäude auf dem Festland zum Museum ernannt worden. Jetzt wimmelten die hohen, flachen Dächer der weißen und grauen Gebäude von Menschen, ebenso die meisten Landefelder, und Rauch stieg von der Nordspitze der vorgeschobenen Halbinsel auf.
Weeds lenkte den Helikopter mit Höchstgeschwindigkeit auf ein Landefeld zu, wo bereits mehrere kleinere und größere Raumschiffe standen: Zwei vollautomatische Raumfähren, zwei große Kurierschiffe, ein paar Raumfähren, die reparaturbedürftig waren. Das Landefeld schien aus der Höhe winzig, mußte aber mindestens einige hundert Meter an jeder Seite messen. Weeds begann, den Abstieg des Hubschraubers in den Bordcomputer einzugeben, und sie sanken rasch nach unten. Die Gebäude, die mit Ameisen dicht an dicht besetzt schienen, kamen näher, der Hubschrauber schwankte in der Luft, und plötzlich ertönte ein tiefes metallisches Dröhnen, wie das blitzartige Schlagen eines Hammers auf Blech. Der Hubschrauber taumelte, rote Lichter blinkten auf, und Weeds fluchte, als er nach unten blickte und die Leuchtspurgeschosse sah, die ihre blasse Bahn zuckend durch die Luft zeichneten, leicht gekrümmt, wie suchende Finger, tasteten sie nach dem Hubschrauber. Weeds hieb auf ein paar Tasten, riß den Hebel hoch, und der Hubschrauber stieg wieder auf, während dunkler Rauch an der Unterseite hervorzuquellen begann wie Blut aus dem Bauch eines Fisches, der mit der Harpune verletzt wurde. »Die Hunde haben MG’s auf den Dächern installiert!« schrie Weeds wütend, völlig außer sich. »Wenn sie damit umgehen könnten, wären wir jetzt schon unten und in tausend Fetzen zerrissen!« Er kippte einen Schalter nach unten, der Lautsprecher rauschte leise. »Achtung, ich rufe Landefeld Vier, versteht ihr mich? Weeds, Maschine Drei-Sechs-Eins-Ce, versteht ihr mich, bitte kommen! Achtung, Landefeld Vier…« »Was ist denn, Weeds?« klang abrupt und scharf Williamsons Stimme aus dem Lautsprecher.
»Wir können nicht landen, sie haben uns getroffen. Könnt ihr nicht die MG-Schützen auf den Nachbargebäuden erledigen? Ende.« Das letzte Wort entsprang Weeds Erinnerung an die Funkgepflogenheiten, die ihm ausgerechnet in diesem Moment wieder einfielen. »Hier ist Major Winfield«, sagte eine andere Stimme. »Unmöglich. Wir haben zuwenig Leute. Ich sehe, daß der Hubschrauber getroffen ist. Versucht, so ‘runterzukommen, möglichst schnell. Ende.« »Mein Gott!« ächzte Weeds. Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich bin kein Militärpilot, Major! Der Computer reagiert zu langsam, und ich weiß nicht, ob er überhaupt noch funktioniert…« Es kreischte in der Leitung, dann kam Winfield zu Wort: »Ich mußte Sie unterbrechen. Schalten Sie auf manuelle Bedienung, und bringen Sie das Ding ‘runter, oder bleiben Sie da oben, bis Sie ‘runterfallen! Jeden Moment stürmen die verrückten Kerle die beiden Landefelder, die wir noch haben, wir müssen den Start einleiten, und das geht nicht, solange noch jemand außerhalb unseres Schiffes ist! Ende und aus, Weeds!« »Verflucht«, sagte Weeds leise. »Das kann ich nicht! Ich… ich bin doch nicht für sowas ausgebildet worden.« »Wir sterben hier oben, wenn du es nicht versuchst«, sagte Burko. Er sah, daß die Rauchwolken immer dichter wurden, die aus der Maschine quollen, das Brummen der Turbinen klang mühsam und abgehackt. Der gesamte Helikopter geriet ins Taumeln und drohte abzuschmieren. »Wir können so oder so nicht lange oben bleiben«, sagte Burko. Er sah Rita an, die totenbleich war. »Bring’ sie runter, Harry«, sagte sie sehr leise. »Bitte.« Einen Moment herrschte Schweigen, eine dumpfe Explosion erklang, Flammen schlugen am Glas entlang.
»Na gut«, sagte Harry Weeds mit tonloser Stimme. »Na gut.« Dann brachte er sie herunter.
Der Helicopter stürzte wie ein Adler aus dem Himmel und zog einen langen Rauchschweif hinter sich her. Weeds hielt den Steuerknüppel fest umklammert, hatte die Füße gegen den Boden gestemmt und betete, daß die automatische Lagekontrolle des Helikopters noch funktionierte und er nur den Steuerknüppel zu bedienen hatte. Rasend schnell wuchs ihnen die kleine Insel entgegen, die Gebäude zuckten zu ihnen herauf, der Helikopter taumelte, und Feuer schlug ihm entgegen, Leuchtspurfinger griffen nach ihm. Ein Netz winziger Sprünge raste über das Panzerglas des Bodens, andere Einschläge schüttelten den Hubschrauber regelrecht durch, er brach aus, und kaum zehn Meter über den Köpfen der unzähligen Menschen auf den Dächern taumelte der Hubschrauber davon, weg vom Landefeld Vier, verfolgt von ihrem unerbittlichen Feuer. Sogar Gewehrkugeln wurden ihnen jetzt nachgeschickt, von denen, die bei der Nähe des brennenden Helikopters noch genug Mut hatten. Weeds riß am Steuerhebel, und dann krachte der Hubschrauber auf den Boden, mitten auf dem total kahlen Landefeld Drei, schlitterte über den Beton, als die Landestützen zersplitterten, und krachte auf die Seite, ein mörderischer Schlag ging durch den ganzen Hubschrauber, als ein Rotorblatt den Boden streifte und davonwirbelte. Flammen prasselten hoch, Rauch durchzog erstickend die enge Kabine, und Weeds hing halb betäubt in seinem Sitz. Rita versuchte, sich aus den Gurten zu befreien, aber etwas schien zu klemmen. Burko hieb auf sein Gurtschloß, es sprang auf, und obwohl er von dem mörderischen Aufprall ebenfalls benommen war, hatte seine stabiler gebaute keeogische Statur
die Landung weit besser überstanden als die seiner menschlichen Mitpassagiere. Er stieß die Seitentür auf, Flammen zuckten in die Kabine, und er wollte schon hinausspringen, als er bemerkte, daß Rita immer noch nicht richtig zurechtkam. Er hieb wütend auf das Gurtschloß, diesmal sprang es auf, und er packte sie, riß sie förmlich mit sich, als er hinaus auf den Beton sprang. Weeds taumelte ihnen nach, er war totenbleich, aber er grinste, und er fummelte in seiner Manteltasche herum, um die große Armeepistole in die Hand nehmen zu können. Von einem Gebäude etliche Dutzend Meter zu ihrer Rechten wurde geschossen, Explosionen ertönten auf den Dächern, über die sie hinweggeflogen waren, Schreie waren zu hören, und Burko sah, daß leichte Raketenwerfer, wie sie auf Keeog eingesetzt worden waren, auf die tobenden Menschen abgefeuert wurden, die die Dächer hinter ihnen bevölkerten und auf sie zu schießen versuchten. Die Explosionen, kurze, feurige Schmetterschläge, fegten die Dächer sofort rein und brachten ein Gebäude fast zum Einsturz. Burko zerrte Rita, die noch immer benommen war und taumelte, mit sich, auf das Gebäude zu, von wo aus ihnen Soldaten Feuerschutz gaben. Sie hasteten in einen Saal, der früher wohl eine Werkhalle gewesen war, und in dem sich jetzt Soldaten aufhielten. Eine gewundene Treppe führte auf das Dach, und die Soldaten zeigten mit ihren Gewehren auf die Treppe, stießen Burko und Weeds und Rita darauf zu. »Beeilt euch! Wir müssen durch, versteht ihr?« Sie verstanden natürlich nicht, aber sie hetzten folgsam und so schnell sie konnten die unter ihren Füßen zitternde und dröhnende Stahltreppe empor, die Soldaten direkt hinter sich. Das flache, etwa zehn Meter hohe Dach wurde von etwa einem Dutzend weiterer Soldaten gehalten, Männer in
unpassenden Tarndrillichen, mit grünen Helmen auf den Köpfen und automatischen Karabinern in den Fäusten. An der Vorderfront des Gebäudes hatten sich mehrere Schützen mit den leichten Magazinraketenwerfern postiert, die Burko auf Keeog zur Genüge kennengelernt hatte und die auf der Erde natürlich erst richtig ihre Genauigkeit und Wirksamkeit beweisen konnten: Etwa zolldicke, einen Meter lange Stahlrohre, wie ein Gewehr mit Magazin und Kolben versehen, allerdings so, daß das Rohr in den Himmel gerichtet werden konnte. Ein kleines Zielgerät war darauf befestigt, ein Zielgerät, mit dem die Schützen auf Keeog natürlich den größten Ärger hatten, das hier auf der Erde bei ein g aber sicherlich so funktionierte, wie es sollte. Die kleinen, knapp zwanzig Zentimeter langen Raketen entfalteten auf den Dächern der Gebäude im Süden ein wildes Feuerwerk, trugen Stockwerk für Stockwerk buchstäblich ab und versetzten die Menge, die den Beschuß außerhalb der Gebäude überlebte, in wilde Panik. Ein Mann rannte auf Burko und Weeds zu. Rita taumelte, aber sie stand, und sie schien nur einige Sekunden Ruhe zu benötigen, um wieder zu sich zu kommen. »Captain Harrison«, rief der Mann. Er musterte Burko ohne jede Verwunderung, die war ihm wohl in diesem Kampf abhanden gekommen. »Da haben Sie sich ja einen feinen Landeplatz ausgesucht!« Mit seiner dröhnenden Stimme übertönte er mühelos das Krachen der Detonationen. »Wir sind hier abgeschnitten, wir müssen uns nach Süden zum Landefeld Vier vorkämpfen. Unser Raketenvorrat ist beschränkt. Das nur, damit Sie wissen, was auf Sie zukommt.« Er sah besonders Rita an. »Ich habe wohl keine Wahl«, sagte sie nur.
Harrison grinste, er hatte ein jungenhaftes, sympathisches Grinsen, aber seine Augen waren so hart und kalt wie die Burkos. »Die haben Sie in der Tat nicht«, sagte er und brüllte zu den Raketenwerferschützen hinüber: »Hört auf damit! Aber wenn sich da drüben noch was rührt, schießt es zusammen!« Das Feuer erstarb sofort. »Das wird kein Spaziergang«, sagte Harrison. »Ich hoffe, Ihr Freund kann schießen.« Er sah Burko an. Von Weeds, der seine Pistole noch immer in der Hand hatte, schien er das zu erwarten. »Das ist ›Bloody Burko‹«, sagte Weeds. »Er hat sich aus einem Ihrer bewachten Hotels freigeschossen. Also stellen Sie nicht solche Fragen. Wie kommen wir zu unserem Schiff?« »Dort hinüber, Gentlemen«, sagte Harrison spöttisch. Er deutete auf ein Nebengebäude, zu dem ein schmaler Steg mit einem stählernen Seitengeländer hinüberführte. »Und mir nach.« Er drehte sich um, entsicherte seine Maschinenpistole und rief: »Leute, wir marschieren ab. Ihr wißt ja, was ihr zu tun habt. Schießt lieber zu früh als zu spät! Walters übernimmt die Nachhut mit zwei Mann. Bleibt aber dicht hinter uns, und riskiert nichts!« Harrison trabte los, Burko blieb hinter ihm, Rita versuchte, mit ihm Schritt zu halten, und Weeds folgte, die Pistole in der Hand und sich immer wieder nervös umsehend. Einer der Soldaten drückte ihm wortlos eine MP in die Hand und nahm sich im Vorbeigehen die am Boden liegende Waffe eines Gefallenen. Merkwürdig, dachte Burko, jetzt kämpfe ich zusammen mit Leuten, die ich früher immer bekämpft habe. Der Irrsinn, der hier herrscht, verdreht alles.
Er behielt den Python in der Rechten und folgte Harrison über den Steg auf das Dach des Nebengebäudes. Weit hinter ihnen tönte ein lautes, merkwürdiges Geräusch, und erst nach einer Weile registrierte Burko, daß das Menschen waren, eine ungeheure Masse Menschen, die weit hinter ihnen von Norden nachdrängte. Und im Süden waren auch welche, zwischen ihnen und dem Landefeld Vier mit den kostbaren Kurierschiffen. Das Gebrüll der Menge, das jetzt haßerfüllt und wild, ohrenbetäubend und mörderisch, in der Luft über dem Raumhafen hing, ließ Burko an ein gewaltiges Ungeheuer mit unzähligen Armen und Beinen und Mündern denken. Er packte den Revolver fester. Sie rannten durch ein Labyrinth leerer, steril weißer Gänge, über Treppen und durch kleine Säle. Durch eine unscheinbare Seitentür tauchten sie in einer Gasse wieder auf, die nach Süden führte, zwischen den brennenden, rauchenden, zusammengeschossenen Häusern hindurch auf das rettende Landefeld. Sie rannten. Das Gebrüll der Menge hinter ihnen kam näher, Burko sah sich einmal um und sah die Dächer etliche hundert Meter hinter ihnen bevölkert mit größtenteils unzureichend bewaffneten, fanatisch schreienden Slummers, die rannten, schrien, Waffen schwenkten und manchmal stürzten. Auch durch die Gasse begannen sie zu drängen, Schüsse krachten hinter den Soldaten, und Walters in der Nachhut feuerte mehrere Raketen ab. Das hielt sie vorerst auf Distanz. Die Soldaten eilten zwischen etlichen qualmenden Ruinen hindurch und kletterten über Trümmer. Dicker Rauch nahm ihnen teilweise die Sicht, sie bahnten sich keuchend ihren Weg durch ihn hindurch. Als sich der Qualm lichtete und die Gasse
vor ihnen frei wurde, schlug ihnen MG-Feuer entgegen und mähte mehrere Männer der Vorhut nieder. Gleichzeitig stürmte eine ganze Welle von Slummers auf sie zu, um sie aufzuhalten und das Näherkommen der Verfolger aus dem Norden, hinter ihnen, zu ermöglichen. Sekundenlang ertrank die Welt im Dröhnen der automatischen Karabiner, der MP’s, im Donnern der Raketenwerfer. Sie kämpften sich durch, warfen Handgranaten. Burko blieb bei Rita, hielt den Colt in der Hand und schoß erst, als ein Kerl mit einer Pistole direkt auf sie zurannte. Dann waren sie durch, ein großes Loch gähnte dort, wo vorhin der MG-Posten gewesen war, und das Rattern der automatischen Waffen verstummte. Überall waren Leichen, Harrison schwenkte seine MP und brüllte nach Walters, der schließlich noch zu ihm stieß. Sie hatten fünf Mann verloren, und sie waren dem vierten Landefeld nicht viel nähergekommen. »Es wimmelt hier von denen«, sagte Harrison wütend, als er das Magazin seiner Maschinenpistole wechselte. Burko fand in der Nähe einen Toten, der über und über mit Patronengurten behängt war und eine erbeutete M 16 noch in den Händen hielt. Er nahm die Munition an sich und den Karabiner, lud das Magazin nach und blieb mit Walters und dessen beiden Männern bei der Nachhut. Rita hatte er Weeds überlassen, denn er hatte das Gefühl, daß er ihr mehr beistehen konnte, wenn er ihnen allen half, die Angriffe der Plünderer abzuwehren. Sie hatten auf ihrem Weg zum vierten Landefeld noch mehrere Zusammenstöße, aber sie kämpften sich den Weg frei. Die Masse war kopflos und handelte ziellos. Die hinteren drängten vorwärts, die, die Waffen hatten, schossen wild damit herum. Sie stürmten wie eine riesige unkoordinierte Herde vor
und gerieten in Panik, wenn sie beschossen wurden. Trotzdem schmolz Harrisons Trupp rasch zusammen, Walters wurde direkt neben Burko von einer Kugel in den Hals getroffen, und einer nach dem anderen blieb zurück. Dann eilten sie nach allen Seiten feuernd zwischen mehreren Lagerhallen hindurch. Einige Männer vor ihnen, offenbar unbewaffnet, flohen kopflos, als sie näherkamen. Vor ihnen befand sich das Landefeld, und Harrison befahl seinen Männern, anzuhalten. Sie duckten sich hinter ein paar Kisten am Rand des Landefelds, und Harrison stellte leise fluchend fest, daß nur sechs überlebt hatten. Weeds, Burko und Rita nicht mitgezählt. Rita saß ebenso erschöpft wie die anderen am Boden. Sie waren schnell und weit gerannt, und selbst Burko atmete schwer, seine Hände zitterten leicht. Er vermutete, daß er sich schon zu lange auf der Erde aufhielt, daß seine ursprüngliche Kraft etwas zurückgegangen war. Etliche hundert Meter vor ihnen auf dem Landefeld stand das nächste der Kurierschiffe, die Beladefahrzeuge und Gerüste waren etwas zurückgefahren worden, und die beiden großen Schleusen waren geöffnet, doch nur zu einer führte eine schmale Rampe empor. Die spitze Nase des projektilförmigen Schiffes ragte schräg in den Himmel, Gewehrschützen knieten in den Schleusenöffnungen. »Wenn wir auf den Platz rennen«, sagte Harrison schwer atmend, »nehmen sie uns von den anderen Dächern aus unter Feuer. Wie sieht’s mit unseren Raketenwerfern aus?« »Nur einer ist noch geladen, drei Schuß«, sagte ein Corporal, der an der Hüfte verwundet war. »Sie wollen doch nicht im Ernst da hinausrennen, auf diesen Präsentierteller, Captain?« »Sie werden bald kommen«, sagte Harrison. Er holte sein Funkgerät aus der Tasche. Er sprach rasch und schnell, und nach einer Weile schob er die Teleskopantenne zusammen und das Gerät in die Tasche.
»Sie geben uns Feuerschutz und putzen die Dächer mit ihren Raketenwerfern leer, wenn wir hinauslaufen.« Die letzten Worte wurden fast von einem anschwellenden Dröhnen, Krachen und Brüllen hinter ihnen übertönt. Es war, als stürmte eine riesige Rinderherde durch die Gänge und Wege hinter ihnen, über die Dächer und Treppen, die sie hinter sich gelassen hatten. »Sie stürmen das Schiff, und davor überrennen sie uns«, sagte Weeds keuchend. »Ich kann nicht mehr. Es geht nicht mehr, verstehen Sie?« »Das ist Ihr Problem«, sagte Harrison kalt. Er gab seinen Leuten einen Wink. »Fertig? Dann los!« Burko half Rita auf, als die Soldaten über die Kisten kletterten und auf den Platz hinausrannten. Fast gleichzeitig begannen die Raketenwerfer in den Schleusen des ersten Kurierschiffs zu feuern, und Flammenblumen wuchsen auf den Dächern hinter ihnen empor, Rauch zuckte zum Himmel, Körper, Trümmer und Staub spritzen in alle Richtungen davon. Sie hetzten keuchend auf das fünfhundert Meter entfernte Kurierschiff zu, über eine glatte Fläche, die ohne jede Deckung war. Weiter links, hinter zwei abgestellten, halb auseinandermontierten Raumfähren, ergossen sich plötzlich Menschen auf den Platz, wie eine Wasserwelle, die aus einem umgestürzten Eimer schwappte. Auch aus anderen Gebäuden tauchten sie plötzlich auf, unzählige, dicht beieinander, brüllend und schießend, Steine werfend, eine Flut von haßerfüllten, schmutzigen Gesichtern, aufgerissenen Mündern, trampelnden Füßen, geschwungenen Waffen und wirbelnden Fäusten. Burko begriff, daß sie jetzt das Schiff stürmen wollten, es ging nicht mehr um die zehn Menschen, die auf das Schiff zuhetzten und zutaumelten, es ging ihnen jetzt darum, den
Start der Schiffe zu verhindern, niemand sollte sich retten dürfen. Die Männer an Bord des Kurierschiffes richteten sofort ihre Raketenwerfer in diese Richtungen, Rauchpilze sprossen zwischen den vorrennenden Plünderern hervor, rissen Löcher in ihre ungeordnete vorstürmende Masse, vermochten sie aber nicht aufzuhalten. Ein Kugelhagel richtete sich auf das Schiff, aber die Entfernung war zu groß, die Kugeln strichen über die stählerne Hülle hinweg, die wenigen, die trafen, zerplatzen wirkungslos oder jaulten als Querschläger davon. Burko feuerte aus der Hüfte auf diejenigen, die hinter den reparaturbedürftigen Raumfähren hervorgestürmt kamen, einige Soldaten schossen ebenfalls in diese Richtung, und nach einigen Sekunden geriet die Kolonne ins Stocken, die Karabiner- und MP-Salven schlugen sie in die Flucht. Einige ungezielte Schüsse kamen jetzt in die Richtung der Soldaten, einer fiel direkt neben Burko. Eine Kugel streifte Burkos Arm, der Stoß riß ihn halb herum, und er verlor das automatische Gewehr. Burko rannte weiter, hinter ihnen explodierten die Raketen jetzt dicht an dicht, der Corporal in Harrisons Gruppe steuerte die letzten drei, die er noch hatte, dazu bei, und die vorflutenden Plünderer wichen sekundenlang zurück. Die vordersten wollten dem Feuerhagel ausweichen, die hinteren drängten nach, und so geriet alles kurzzeitig in Unordnung. Sie hatten jetzt drei Viertel des Weges zum Schiff hinter sich, sie taumelten, keuchten, aber sie rannten weiter, auch Weeds, dem Blut aus einer Stirnwunde in die Augen lief. Sie hatten es fast geschafft. Burko biß die Zähne aufeinander und hetzte weiter, seine wachsende Erschöpfung und der Schmerz in seinem linken Arm ließen die Gegend verschwimmen und Tränen in seine Augen steigen.
Hinter den Raumfähren zu ihrer Linken rasten zwischen den Leichen und Verwundeten des letzten Vorstoßes Motorradbanditen hervor. Es waren einige Dutzend, kräftige Kerle in glänzendem dunklen, metallbeschlagenem Lederzeug, die meisten mit Helmen auf den Köpfen, ihre Maschinen in den wildesten Farben bemalt. Sie hatten kurze Pistolen, Molotails, Handgranaten oder abgesägte Flinten in den Fäusten, und sie konnten vom Sattel ihrer Maschinen aus damit hervorragend umgehen. Die meisten griffen die Schleusenverteidiger des Kurierschiffes an, andere wandten sich johlend und schießend und dahinbrausend, wie wahre Teufel, in die Richtung der kleinen Gruppe, kaum hundert Meter vor der rettenden Rampe in die zweite Schleuse. Und diese Männer waren andere Gegner als der fanatische, brüllende Mob. Die Verteidiger der Schleusenluken feuerten, holten etliche Motorradbanditen von ihren dröhnenden Maschinen, aber für die Raketenwerfer war die Entfernung schon zu klein, die Rocker rasten heran, feuerten, der Tod auf Rädern, flammend aus den Mündungen der abgesägten Flinten, der Revolver, grell aufzuckend aus den Kerosinflaschen, die an der Wandung des Schiffes zerplatzten. Die zweite Gruppe, etwa zehn Kerle, preschte auf Harrisons Soldaten und die drei Flüchtlinge aus den Adirondacks zu. Burko sah sie kommen, er sah die Mündungsfeuer aufblitzen. Ein zweiter Soldat fiel unweit von ihm, Schrot durchdrang Burkos Lederweste und schleuderte ihn zurück, er taumelte, während Harrison seine Maschinenpistole schwenkte und mit einer langen Salve fünf Rocker erledigte. Weeds hatte sich flach auf den Boden geworfen, er schoß wild. Burko schoß einen Rocker aus dem Sattel, dann drehte er sich halb, sah einen anderen auf sich zurasen und ließ sich
fallen. Er rollte sich zur Seite, Feuer explodierte, sein rechter Ärmel begann zu brennen, und er rollte sich weiter, sein ganzer Körper war voller Schmerz, und als der Motorradbandit seine Maschine in einem eleganten Bogen herumzog, hob Burko den schweren Revolver und riß den Abzug durch. Als Burko die Flammen an seinem Ärmel gelöscht hatte, richtete er sich taumelnd auf. Die Rocker, die sie angegriffen hatten, lagen weit verstreut neben ihren teils brennenden Maschinen. Die anderen, die das Schiff hatten stürmen wollen, waren entweder tot oder hatten sich zurückgezogen. Doch jetzt stürmten sie zusammen mit dem Mob wieder heran. Burko zwang seine fast gelähmten, vor Schmerz brennenden Arme, ihm zu gehorchen und neue Patronen in den Revolver zu schieben, Rita riß ihm den Revolver aus der Hand, lud ihn nach und gab ihn ihm wieder. Wild nach hinten feuernd, raste ihr Trupp weiter auf das Schiff zu. Die Schleusen des zweiten Schiffes blieben geschlossen, die Triebwerke begannen langsam zu dröhnen, es machte sich bereit zum Start. »Kannst du überhaupt so schießen?« flüsterte Rita verzweifelt, als sie das Blut sah, das seine Arme und seine Brust bedeckte. Sie hob eine abgesägte Flinte auf, die einer der niedergeschossenen Rocker verloren hatte. »Es muß gehen«, murmelte Burko, er spürte, daß seine Zunge ihm Schwierigkeiten machte. Seine Knie waren weich, er mußte sich zusammennehmen, um seinen Blick klar zu halten. Er drehte sich halb um, sah Weeds, der vor Erschöpfung kaum noch gehen konnte und in einer Art Zick-Zack auf das Schiff zutorkelte. Hinter ihnen johlte die heranflutende Menge, der unerbittliche Mob. Erste Schüsse krachten, Kugeln flogen in ihrer Nähe vorbei. Burko umklammerte den Revolver und stolperte auf das Schiff zu, Rita versuchte, in seiner Nähe zu bleiben.
Ein Splitter traf Burko am Kopf, ohne ihn ernsthaft zu verletzen, aber er begann zu taumeln. Er blieb keuchend stehen, eine Leiche lag zu seinen Füßen, aber er sah sie kaum, spürte kaum Ritas Hand an seiner Schulter, hörte kaum das Gebrüll der näherflutenden Plünderer hinter ihnen. Aber er ließ sich von ihr führen, und sie taumelten die Rampe hoch, die Luke war noch einen Spalt geöffnet, für sie, nur für sie, dachte er dumpf. Weeds verschwand hinter dem letzten Soldaten in der Schleuse, und er und Rita folgten ihm. Im Innern ließ er sich erschöpft gegen die Wand sinken, rutschte langsam daran herunter. Er wußte nicht, wie lange er dort so saß, bevor sein Geist wieder klarer wurde, bevor die Erschöpfung etwas abflaute. Er hatte wieder Gefühl in den Händen, er spürte den Schmerz, der in jedem Glied seines Körpers bohrte, aber er merkte auch, daß man dabei war, ihn zu verbinden. Rita saß neben ihm, sie weinte, und ein junger Soldat bemühte sich um sie. Burko sah die geschlossene Schleusentür, die Soldaten, die herumstanden und ihn ungläubig anblickten, und er begriff, daß sie es geschafft hatten. Zusammen. Trotz seiner Schmerzen war plötzlich eine gewaltige Freude in ihm, er dachte an die weiten blauen Ebenen, an den frischen, warmen Wind, der in sein Gesicht schlug, wenn er seine Haigila über die sanft gewellten Hügel trieb. Er dachte an den gewaltigen, klaren Himmel und an die leuchtenden, sich drehenden, in allen Farben flimmernden Thannogin-Achats, die von den Menschen merkwürdigerweise »Nordlichter« genannt wurden. Die Triebwerke brüllten auf, das Schiff erhob sich auf einer Welle aus Feuer über Cape Canaveral, und Burko sah Rita an und war glücklich.
Er würde die Heimat wiedersehen. Und jeder rhythmische, dröhnende Energieausstoß der Triebwerke brachte ihn ihr näher.