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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Der harte Jim Sein Bruder wurde in Wager City kaltblütig ermordet. Aber die Stadt beherbergte nicht nur einen heimtückischen Mörder, sondern eine ganze Bande skrupelloser Höllenhunde…
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G. F. UNGER IM TASCHENBUCH-PROGRAMM: 43 358 Vier Kugeln 43 359 Rauchige Zeiten 43 360 Alamo Loke 43 361 Texanerwort 43 362 Zozo Valley 43 363 Ohne Revolverarm 43 364 Cincaid 43 365 Zwei reiten mit Johnny 43 366 Hölle im Leib 43 367 Der letzte Wolf 43 368 Sattelgefährten 43 369 Ritt um Recht 43 370 Slades Colt 43 371 Kriegsfeuer 43 372 Gekaufte Treue 43 373 Das Todesspiel 43 374 Kansas City 43 375 Der Reitboss 43 376 Gold Creek Canyon 43 377 Der Weg nach Bozeman 43 378 Kein Glück in Mesa City 43 379 Der Vormann 43 380 Bitteres Erbe 43 381 Das Million-Cliffs-Land 43 382 Wer keine Gnade kennt 43 383 Der Wolf von Golden City 43 384 Stunde des Stolzes 43 385 Yellowstone John 43 386 Die Schattenhaften 43 387 Seine Spuren verwehen
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43 388 Wer den Stern nimmt 43 389 Kendall Canes Weg 43 390 Die Sage-Valley-Fehde 43 391 Wilde Camps 43 392 Jede Fährte endet 43 393 Einer kommt wieder 43 394 Sterne über der Weide
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G. F. UNGER
Der harte Jim
Western-Roman
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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 395 1. Auflage: Oktober 2003 Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved ©2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Prieto/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43395-5 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
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Frage an G. F. Unger: Die Hauptperson aller Western ist und bleibt stets der Cowboy. Warum ist das so?
Antwort: Nur der Cowboy verkörpert heute noch die Idee der Ehre in ihrer schlichtesten Form, die vor allem das unverdorbene Gemüt sofort verspürt. Und so wird der Cowboy zum Ritter ohne Furcht und Tadel und zum Vorbild für alle Western-Heldengestalten. Nur wenn sie dem Cowboy-Typ ähnlich sind, können sie vor dem Leser bestehen. G. F. Unger
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1 Noch vor der Stadt springt Jim Hardin aus dem leeren Viehwagon, und er springt wie ein Schwimmer ins Leere, denn so hat ein alter, erfahrener Tramp es ihm einmal beigebracht. Er landet wie eine Katze, rollt schnell den Abhang hinunter und springt unten geschmeidig auf die Füße. Grinsend blickt er dem scheppernden und klirrenden Zuge nach, der wieder einmal eine neue, hungrige Schlange leerer Viehwagons nach Wager bringt. Der Verladebahnhof liegt nur dreihundert Yards von Jim entfernt. Dort drüben drängen sich einige Tausend Rinder in den Verladecorrals, brüllende Rinder, die mit Flüchen in die leeren Wagons getrieben wurden, um bald darauf die Fahrt nach dem Osten anzutreten. Irgendwo werden sie dann geschlachtet. Jim Hardin holt seinen Hut und schlägt sich damit den Staub aus der Kleidung. Seine Bewegungen sind schnell, lässig und sicher. Er ist etwas über Mittelgröße. Seine breiten Schultern verraten Kraft, und an der schlanken Taille und den leicht gekrümmten Beinen erkennt man den Reiter. Er trägt 8
Weidekleidung, die abgenutzt ist, zerschlissen und geflickt. Seine linke Stiefelsohle ist mit Bindfaden an den Cowboystiefel angebunden. Als er sich in Bewegung setzt, reißt der Bindfaden, weil er unter der Sohle durchgelaufen ist. Jim kniet nieder, holt einen neuen Bindfaden aus der Tasche und bindet die Sohle wieder fest. Dabei grinst er wieder auf eine seltsame Art. So grinst ein Mann, der in ein Abenteuer zieht und sich schon jetzt auf die ihm noch unbekannten Dinge freut. Als er sich aufrichtet und den Holzbauten der Stadt nähert, geht er jedoch nicht auf die unbeholfene Art der Reiter – nein, er scheint so geschmeidig und leicht wie eine Katze über den Boden zu gleiten. Er trägt keine Waffe, aber an seiner abgenutzten Hose sind deutlich jene abgeschabten Stellen erkennbar, die ein Waffengurt mit tief an der Seite hängendem Holster hinterlässt. Es ist ein Spätnachmittag, und man schreibt den 23. August 1878. An diesem Tag also kommt Jim Hardin nach Wager in Wyoming, und es weiß noch niemand, dass er bald zum Held einiger Legenden werden wird, die ihn eines Tages überleben werden. Wager ist eine Treibherdenstadt, mit all den schlimmen Eigenschaften einer solchen. Hier ist der Verladebahnhof für halbwilde, brüllende 9
Rinderherden, die von rauen Treibern hergetrieben wurden. Die brüllenden Longhorns in den Hürden haben reißende Ströme durchschwommen. Sie haben Gebirge überquert und sind auf endlosen Ebenen getrottet. Sie überstanden Hitze, Staub, Durst, Sturm, Unwetter und überwanden tausend Hindernisse und Nöte. Und ihre Treiber sind von einer besonderen Sorte. Aber hier sind sie ans Ziel gekommen. Hier ist das Ende ihres Trails. Hier vergessen sie Tausende Meilen Treibherdenweg, der hart war. Und hier in Wager geben sie den größten Teil ihres Lohnes aus. Denn zu den Verladecorrals beim Bahnhof gehören die Amüsierlokale in der Stadt. Wager ist vorläufig nichts anderes als eine einzige Amüsierhölle mit all den Leidenschaften, Lastern, Schwächen. Vielleicht ist die Stadt nichts anderes als ein Untier, das am Ende der sieben Höllen Treibherdenweg auf die Überlebenden wartet, um den einen oder anderen Mann doch noch zu erwischen. Es hat schon viele solcher Treibherdenstädte gegeben. Alle waren sie wild und höllisch. Manche starben bald – aber andere überstanden ihre Kinderkrankheiten und die höllische Zeit und
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wurden gute Städte – wie zum Beispiel Abilene und Dodge City. Was aus Wager werden wird, ist noch unklar. Der Tramp Jim Hardin kommt bescheiden und unauffällig in die Stadt. Seine scharfen, blaugrauen Augen sehen jedoch alles – die vielen Sattelpferde an den Haltebalken, die vielen Wagen. Er sieht alles und sucht sich seinen Weg auf den belebten Gehsteigen. Hier spazieren Treibherdenleute, Rancher, Viehaufkäufer, Spieler, Revolvermänner, Farmer, Siedler, Rowdys, Geschäftsleute, Frachtfuhrleute, zahme Indianer und viele andere Sorten herum. Die Saloons, Tanzhallen, Spielhöllen, Restaurants, Hotels, Stores und Imbissbuden reihen sich aneinander. Jim Hardin bleibt vor einem Store stehen und klimpert mit zwei Zwanzigdollarstücken in der Hosentasche. Sie sind sein einziger Besitz, und er will sie auf seine Art in das große Spiel werfen, das für ihn nun beginnt. Weil er wieder an dieses große Spiel denkt, grinst er auch wieder auf seine seltsame Art. In seinen Augen erscheint ein hartes und verwegenes Leuchten – und sein Grinsen wird scharf und kampflustig. Dann tritt er in den Store ein. 11
Zwei Bürgersfrauen suchen sich Stoffe aus. Ein alter Mann probiert steife Hüte. Und ein Cowboy kauft sich Patronen und ein rotes Halstuch. Jim Hardin tritt an die gefüllten Regale heran und beginnt darin herumzusuchen. Als der Storehalter seine anderen Kunden abgefertigt hat und zu Jim Hardin tritt, hat dieser sich Hose, Hemd, Jacke und Stiefel ausgesucht. Er sieht den Storehalter lächelnd an, und er sieht einen mageren, scharfgesichtigen Mann, der glatzköpfig ist und in dessen Augen man jenen wachen Geschäftssinn erkennen kann, der stets und immer auf Verdienst aus ist. »Was kostet das alles?«, fragt Jim Hardin höflich. Der Händler bringt die Sachen zum Ladentisch hinüber, geht um ihn herum und stellt sich auf der anderen Seite auf. Dann rechnet er zusammen und sagt: »Genau neunzehn Dollar!« Jim Hardins Lächeln wird geradezu herzlich. Er greift in die Tasche und legt seine vierzig Dollar auf den Tisch. »Das ist gut das Doppelte, nicht wahr? Wollen wir also wetten?« Der Storehalter starrt ihn an, und er weiß sofort, was dieser Tramp will. Es kommt immer wieder in solchen Treibherdenstädten vor, dass ein Spieler auf diese Art seine Einkäufe umsonst machen will. Wenn 12
der Storehalter verliert, so darf er keine Bezahlung nehmen. Verliert aber sein Kunde, so muss er den doppelten Preis zahlen. Der Storehalter betrachtet also seinen Kunden aufmerksam. Dann erwidert er Jim Hardins Lächeln mit einem Grinsen. »Mister«, sagt er, »es kommen immer wieder Burschen herein, die es auf diese Art versuchen. Sie wollen billig einkaufen – aber bei mir hat es noch keiner geschafft. Sie mussten alle doppelt zahlen.« Er bringt unter dem Ladentisch einen Würfelbecher hervor und stellt ihn vor Jim Hardin hin. Indes dieser die Würfel untersucht, kommen zwei Männer herein, die etwas kaufen wollen. Auch sie begreifen sofort, was da vorgeht, und einer sagt: »Aaah, Fremder – da haben Sie sich aber einen schlechten Mann ausgesucht. Dieser Storehalter gewinnt immer. Die gerissensten Burschen haben es schon hier versucht, denn es hat sich in ganz Wager herumgesprochen, dass Pat Saunder nicht zu schlagen ist. Sie werden den doppelten Preis zahlen müssen, Fremder.« »Ich habe heute Geburtstag.« Jim Hardin lächelt sorglos und wirft die drei Würfel nacheinander in den Lederbecher. Er schüttelt ihn und sagt dabei: »Ich sage drei Zweier an!«
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Dann stülpt er ihn auf den Tisch und nimmt ihn weg. Und die Männer sehen drei Zweier. Sie atmen scharf ein und sagen nichts. Der Storehalter prüft die Würfel noch einmal, denn er hat seine Erfahrungen längst gesammelt, und es sind auch schon Burschen hereingekommen, die geschickt die Würfel vertauschten. Aber es sind wirklich noch die alten Würfel. Er grinst und knurrt: »Ich werde Sie schlagen, Mister! Ich sage drei Sechser an!« Und er schüttelt den Becher. Aber als er ihn auf den Tisch stülpt und wegnimmt, liegen dort nur zwei Sechser und ein Dreier. »Falsch angesagt!« Jim Hardin grinst und nimmt seine zwei Zwanzigdollarstücke vom Tisch. Er will auch die nun kostenlos erstandenen Kleidungsstücke nehmen, aber der Storehalter knurrt: »Machen wir es noch mal. Ich setze vierzig Dollar gegen Ihre vierzig Böcke, Fremder!« »Setzen Sie sechzig gegen meine Einkäufe und mein Geld«, verlangt Jim und lächelt ihn freundlich an. »Das tue ich auch«, grollt der Storemann. Und weil er verloren hat, schüttelt er auch schon den Becher und knurrt: 14
»Drei Vierer habe ich!« Und es sind auch drei Vierer. »Mister, Sie haben verloren«, sagt einer der beiden Zuschauer zu Jim. Aber der schüttelt den Kopf und wiederholt wieder: »Ich habe heute Geburtstag, nicht wahr? Ich bin gar nicht zu schlagen. Voriges Jahr habe ich an meinem Geburtstag eine Ranch gewonnen – und vor zwei Jahren einen Saloon. Passen Sie auf, Gentlemen. Ich sage zwei Sechser und einen Dreier an!« Und er stülpt den Becher auf den Tisch, lässt ihn jedoch stehen. Der Storehalter nimmt ihn weg – und beginnt zu fluchen. »Richtig angesagt.« Jim grinst. »Zwei Sechser und ein Dreier gibt fünfzehn Augen. Wo bleiben Sie da mit Ihren dreimal vier Punkten?« Der Storehalter knurrt. Er greift in seine Ladenkasse und legt drei Zwanzigdollarstücke auf den Tisch. »Ich bin kein Narr«, brummt er. »Ich weiß, dass es Männer gibt, die einfach nicht zu schlagen sind. Fremder, Sie sollten einmal mit Reb Jordan spielen.« Jim Hardins Augen schließen sich etwas, als er den Namen hört. Dann lächelt er schon wieder und fragt: »Reb Jordan? Wer ist das?«
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»Er kam ohne einen Pfennig hier an und spielte um sein Pferd mit einem Narren. Und jetzt gehört ihm die halbe Stadt«, brummt der Storehalter mürrisch. Jim Hardin nickt. »Ein Spieler also? Nun, ich besitze jetzt hundert Dollar. Ich möchte einen Colt und einen Waffengürtel kaufen.« »Ich habe einen guten, alten und eingeschossenen Colt«, murmelt der Storehalter. »Er gehörte einem Revolverhelden, und es sind sieben Kerben in seinem Holzgriff. Ich bekam ihn vom Marshal, weil dieser Revolverheld bei mir Schulden hatte. Ich gebe Ihnen diese Waffe für dreißig Dollar, wenn es Ihnen nicht viel ausmacht, dass Korn und Abzugsbügel daran abgefeilt sind.« »Die Kerben stören mich mehr«, sagt Jim Hardin und lächelt auf seine jungenhafte Art. »Aber lassen Sie sehen. Vielleicht können wir auch dann wieder ein Spielchen machen, wenn mir die Kanone gefallen sollte?« »Mit Ihnen wette ich nicht mehr. Und hier ist das Ding«, grollt der Storehalter und langt unter den Ladentisch. Er bringt einen Waffengürtel hervor, in dessen Holster ein alter, abgegriffener Colt steckt. Waffengürtel und Holster sind aus geschmeidigem Leder. Das Holster ist tief ausgeschnitten. Gelbe 16
Messingpatronen glänzen in den Schlaufen des schwarzen Gürtels. Jim Hardin nimmt die Waffe in die Hand, und die drei Männer beobachten ihn sorgfältig. Sie wollen mehr über ihn wissen, und sie wollen es zum Teil an der Art erkennen, wie er eine Waffe in die Hand nimmt. Jim Hardins Hände sind lang, schmal und sehr geschmeidig. Es sind trainierte Hände, das sieht man ihnen sofort an. Die langen Finger sind bei aller geschmeidigen Beweglichkeit kräftig. Sicherlich haben sie fast die Kraft von Stahlklammern. Seine Handgelenke sind breit, fast so breit wie die Handrücken. Er nimmt den alten Colt mit einer leichten Handbewegung in die Hand und starrt darauf nieder. Seine Augen sind geschlossen, und sein leichtes Lächeln ist wie eingefroren. Keiner der drei Männer weiß, dass Jim Hardin diese Waffe sofort erkannt hat. Es ist die Waffe seines Bruders. Und er kennt die Kerben in ihrem Griff. Sein eingefrorenes Lächeln löst sich wieder. Er wirft die Waffe in die Luft, lässt sie Saltos schlagen und fängt sie wieder auf. Dann nickt er dem Storehalter zu.
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»Die ist gut ausgewogen. Wenn sie so gut schießt, wie sie in der Hand liegt, so würde ich sie gerne haben wollen. Wem gehörte sie?« »Einem Revolverhelden – ich sagte es doch schon«, brummt der Storehalter fast widerwillig. »Er nannte sich Reck Hard und arbeitete für Reb Jordan. Er war schlimm. Aber eines Tages fand man ihn tot in einer Gasse. Jemand hatte ihm eine Schrotladung in den Rücken geschossen. Er war immer knapp bei Kasse, weil er ständig spielte und meist verlor. Der Marshal hat das Eigentum dieses Mannes unter dessen Gläubigern verteilt. Ich bekam den Colt. Ich wäre ihn gerne los. Wollen Sie ihn also haben, Fremder?« Jim Hardins Lächeln wirkt scharf. »Die Waffe eines Revolvermannes, den man mit Schrot von hinten erledigte«, murmelt er. »Aber mir wird diese Waffe Glück bringen. Ich will sie nur eben mal ausprobieren.« Er sieht nach, ob die Trommel gefüllt ist, und es sind auch fünf Patronen enthalten. Nur die sechste Kammer, auf der der Hammer ruht, ist leer. Jim Hardin tritt aus der Tür auf den Gehsteig hinaus. Die drei Männer folgen ihm neugierig. Als er sich nach einem Ziel umsieht, sagt einer der beiden Kunden:
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»Da drüben das große O auf dem Hotelschild vielleicht, Mister?« Jim Hardin wirft einen kurzen Blick hinüber. Dann schüttelt er den Kopf. »Das könnte ich mit einem Stein treffen. Ein Colt, den ich kaufe, der muss genau schießen, nicht wahr?« Die Männer betrachten ihn nochmals aufmerksam. In ihren Augen zeigt sich plötzlich der Ausdruck von Vorsicht und Zurückhaltung. Der Storehalter stoßt plötzlich ein seltsames Knurren aus. »Nun gut, Mister, wenn Sie uns eine Vorstellung geben wollen, so versuchen Sie es doch mit den Ösen, an denen das Schild aufgehängt ist. Aber die werden Sie nicht treffen.« »Und wenn ich sie treffe?« »Oooh, ich wollte nicht mehr mit Ihnen wetten, Mister. Aber gut, wenn Sie das Schild herunterschießen mit den fünf Kugeln, so gehört Ihnen der Colt. Schaffen Sie es nicht, so zahlen Sie den doppelten Preis. Ha, jetzt will ich doch mal sehen, ob…« Weiter spricht der Storehalter nicht, denn die Waffe in Jim Hardins Hand beginnt zu krachen. Nach dem zweiten Schuss löst sich die linke Öse, und das Schild fällt links herunter, um dann senkrecht hängen zu bleiben. Die Entfernung beträgt 19
fast dreißig Yards, denn die ganze Breite der Fahrbahn liegt dazwischen. Jim Hardin schießt weiter. Und nach zwei weiteren Schüssen fällt das Schild dicht vor dem jenseitigen Gehsteiggeländer in den Staub. Die Passanten auf der Straße haben schon beim ersten Schuss angehalten. Mehr als ein Dutzend Leute sahen zu. Und nun kommen noch mehr hinzu, obwohl Schüsse in einer solch wilden Treibherdenstadt wie Wager keine Seltenheit sind. Immer wieder kommen brüllende Reiter in den Ort geritten und feuern zum Jux ihre Colts ab. Oder Betrunkene veranstalten ein Schützenfest. Es gibt auch Revolverkämpfe in Wager. Diese Stadt hat fast jede Woche einen Toten. Aber jetzt ist es etwas vollkommen Neues, was die Leute zu sehen bekommen. Ein unwahrscheinlich guter Schütze hat auf eine fast unmöglich weite Entfernung mit vier Schüssen die Halteösen des Hotelschildes herausgeschossen. Die Leute in Wager sind fast alle Fachleute auf diesem Gebiet. Und sie haben begriffen, dass wieder einmal ein Revolvermann nach Wager gekommen ist – ein besonders gefährlicher Revolvermann. Jim Hardin grinst wieder auf seine verwegene und etwas leichtsinnig wirkende Art. Er wendet sich an den Storehalter: »Nun?« 20
»Sie haben wieder mal gewonnen«, brummt dieser. »Aber lassen Sie sich das nur nicht zu sehr in den Kopf steigen. Ich bin nur Pat Saunder, ein friedlicher Storehalter. Und ich kann vertragen, dass ein anderer Mann gewinnt.« Er wendet sich ab und verschwindet im Store. Jim Hardin folgt ihm und holt sich seine Einkäufe. Die beiden anderen Männer folgen, und hinter ihnen drängen sich noch einige Neugierige herein. Jim Hardin legt sich den Waffengurt um, ersetzt die leeren Patronenhülsen und nimmt sein Bündel unter den Arm. Alle Anwesenden beobachten ihn zurückhaltend und doch sehr sorgfältig. Als er sich zur Tür wendet, fragt eine Stimme: »Mister, es soll keine aufdringliche Frage sein – aber gedenken Sie längere Zeit in unserer Stadt zu bleiben?« »Das weiß ich noch nicht.« Jim grinst über die Schulter und geht hinaus. Vor dem Hotel steht eine Männergruppe bei dem heruntergefallenen Schild. Ein fleischiger Mann tritt Jim Hardin entgegen. Der Mann sieht wie ein ehemaliger Preisboxer aus, und er trägt einen Marshalstern auf der fleckigen Weste. »Hallo«, sagt er grollend, »solche Scherze liebe ich nicht, Mister. Das kostet zehn Dollar Ordnungsstrafe.« 21
Jim Hardin ist stehen geblieben. Er grinst den Marshal an und starrt ihm dabei in die Augen. Der Mann ist ein fleischiges Schwergewicht, aber unter den Fleischpolstern befinden sich gewiss auch mächtige Muskeln. Er hat einen runden Kopf, und in seinem Bullenbeißergesicht sind die Zeichen vieler Kämpfe zu erkennen. Er hat Blumenkohlohren, und dies allein schon verrät ihn als einen ehemaligen Preiskämpfer, der durch viele Ringschlachten ging. Da man in dieser Zeit noch keine Boxhandschuhe kannte und die Faustkämpfe mit bloßen Fäusten ausgetragen wurden, sind diese Zeichen natürlich besonders stark im Gesicht des Mannes. Jim Hardin starrt also grinsend in die Augen des Marshals. Und als der Mann nach wenigen Sekunden den Blick senkt, sagt er zu ihm: »Marshal, ich will keinen Ärger mit Ihnen. Ich werde im Hotel wohnen und die Reparatur bezahlen. Das ist fair, denke ich. Aber versuchen Sie nicht nochmals, mir eine Geldstrafe abzunehmen. Haben Sie mich verstanden?« Er geht bei seinen Worten vorwärts und genau auf den Marshal zu. Einen Moment sieht es so aus, als wollte der schwere Mann sich ihm entgegenwerfen, doch da klatscht Jim Hardins Rechte hörbar gegen den Coltkolben. 22
Und kurz bevor er gegen den Marshal prallen würde, weicht dieser zur Seite, wendet sich ab und geht schwerfällig davon. Er hält den Kopf gesenkt, und einige der Zuschauer hören sogar sein bitteres Seufzen. Jim Hardin aber geht durch die sich bildende Gasse hindurch und ins Hotel hinein. Und hier erlebt er die erste wirkliche Überraschung, denn hinter dem Pult in der Halle steht ein Mädchen und sieht ihn fest und verächtlich an. Wenn ein Mann im hohen Norden mitten in Eis und Schnee plötzlich eine blühende Rose zu sehen bekommt, so ist das ein Wunder. Dieser Mann würde dann vor Staunen still und regungslos verharren und sich fast verzweifelt fragen, ob er nicht vielleicht doch mit offenen Augen träumt. Und wenn ein Mann plötzlich das Mädchen seiner Träume in Fleisch und Blut vor sich sieht, so ergeht es ihm ungefähr so wie jenem Mann in Eis und Schnee beim Anblick einer blühenden Rose. Er kann das, was er sieht, gar nicht glauben. Er hält es für ein Wunder, für einen Traum. So ergeht es jetzt Jim Hardin. Er hält an, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Er starrt das Mädchen an und wischt sich irgendwie hilflos über die Augen. 23
Und dann sieht er sie wieder an – und erkennt immer klarer, dass dies tatsächlich das Mädchen ist, das er sich in langen Nächten, an einsamen Campfeuern, auf langen Ritten oder in schönen Träumen erdachte. Jeder Mann schleppt irgendwo in sich verborgen das Bild eines Mädchens mit sich herum. Es ist entstanden aus Vergleichen und Wünschen. Und jeder Mann ist sich auch vollkommen darüber klar, dass er diesem Wunschbild niemals in seinem Leben begegnen wird, weil nichts vollkommen ist. Wenn ein Mann jedoch einmal ganz ungewöhnlich großes Glück hat, trifft er eines Tages wirklich auf ein Mädchen, das seinem Wunschbild ähnlich ist. Aber dann ist es immer noch fraglich, ob dieses Mädchen für ihn überhaupt erreichbar ist. Jim Hardin sieht also die zu Fleisch und Blut gewordene Wunschgestalt jenes Mädchens vor sich, das er sich erträumte. Aber ihre spröde, herbe und verächtliche Stimme bringt ihn schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie sagt nämlich zu ihm: »Sie Revolvermann! Sie eitler, eingebildeter Narr! Sie sind wohl mächtig stolz darauf, dass Sie unser Hotelschild herunterschossen und dieser wilden Stadt dadurch Ihre Schießkunst demonstrierten? Jeder soll wohl wissen, dass ein großer Revolverheld eingetroffen ist? Und jeder soll 24
Sie wohl gleich von Anfang an fürchten und Ihnen Respekt erweisen? Und jetzt kommen Sie auch noch hier herein. Hinaus mit Ihnen!« Die Worte lösen ihn aus seinem erstarrten Staunen. Er bewegt sich weiter und tritt an das Pult. Er legt sein Bündel ab und lüftet den alten Hut. »Yeah«, sagt er, »es war ein schlechter Scherz. Aber das Schild wird natürlich auf meine Kosten wieder angebracht. Und ich möchte wirklich hier wohnen. Vielleicht bin ich gar kein Revolvermann, sondern nur ein leichtsinniger Bursche, der einen schlechten Scherz machen wollte. Ich würde es jedenfalls als eine wirkliche Gnade empfinden, wenn Sie mir verzeihen könnten, Lady.« Er sieht sie nun aus der Nähe an. Ihre rauchgrauen Augen stehen ziemlich weit auseinander. Die Brauen haben einen besonderen Schwung und geben ihr zusammen mit den hohen Wangenknochen ein rassiges Aussehen. Ihre Nase ist klein und gerade, vielleicht etwas zu klein. Vielleicht sind ihre Lippen etwas zu voll – es ist ein Mund, wie ihn sich ein Mann bei einer Frau wünscht. Ihr kleines Kinn ist energisch. Diese Einzelheiten sind vielleicht nicht besonders, aber zusammen ergeben sie ein regelmäßiges und dennoch eigenwilliges Gesicht. Es ist sauber, klar 25
und rein geformt. Ihr Hals wächst makellos aus der weißen Hemdbluse. Sie trägt den Kopf auf jene stolze Art auf ihren geraden Schultern, die natürlich ist. Der Stolz ist nicht gewollt oder künstlich zur Schau gestellt. Das Mädchen ist mittelgroß, und, wenn Jim sich nicht sehr täuscht, ist an ihr alles richtig und vollkommen, was das Äußere betrifft. Sie ist noch ein Mädchen, aber sie besitzt bei aller Schlankheit und Geschmeidigkeit die weichen Formen einer Frau. Ihr kupferrotes Haar ist im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er sieht es, als sie den Kopf wendet und zur Tür blickt. Aber hinter ihm tritt niemand ein. Sie sind allein in der Hotelhalle. Ihr Profil ist vollkommen. Jim Hardin seufzt fast schmerzvoll, aber sie reagiert nicht darauf, sondern betrachtet ihn offen und geradezu. Er lächelt sie an, und obwohl er weiß, dass er auf eine sehr männliche und verwegene Art hübsch ist, weiß er sofort, dass Äußerlichkeiten bei diesem Mädchen unwichtig sind. Solche Frauen hat er schon dann und wann an der Seite hässlicher Männer gesehen. Und diese Männer waren stets wirkliche Männer. »Wer sind Sie, Mister?«, fragt sie nach dieser Pause des Abschätzens geradezu. 26
Er lächelt wieder – aber diesmal wirkt sein Lächeln ernst, und in seinen Augen erscheint das harte Licht, das schon in ihnen aufkam, als er im Store den Colt des Bruders erkannte. Er gibt ihr keine Antwort, nimmt jedoch das Gästebuch, dreht es herum und ergreift den Federhalter. Er schreibt hinein: Jim Hardin, Texas Als er wieder in ihre Augen sieht, weiß er, dass sie seinen Namen auch verkehrt herum lesen konnte. Ihre Augen sind groß und weit geworden. »Sie sind Jennifer Northern, und Ihr Vater ist ein Krüppel«, sagt er sanft. Er greift in die Brusttasche seines alten Hemdes und holt einen zusammengefalteten Briefumschlag hervor. Das Papier ist schon sehr mitgenommen. Der Brief muss oft auseinander gefaltet, gelesen und wieder sorgfältig verwahrt worden sein. »Heben Sie diesen Brief für mich auf«, sagt er sanft. »Er ist das letzte Andenken an meinen Bruder. Darin steht geschrieben, dass Reck sein bisheriges Leben beenden und neu beginnen wollte. Er wollte neu beginnen, weil es ein Mädchen gab, das an ihn glaubte. Aber dann schoss man ihm die Ladung einer Schrotflinte in den Rücken. Das schrieben Sie mir, Jennifer. Diesen Brief habe ich allerdings vernichtet.« 27
»Sie sind Jim – sein Bruder Jim, den man Smiling Jim, lächelnder Jim, nennt. Und Sie sind hergekommen, um…« Er unterbricht sie sanft – aber seine Sanftheit ist von einer geradezu tödlichen Geschmeidigkeit. »Mein Bruder wollte ein anderer Mann werden. Er wollte endlich einmal für eine gute Sache kämpfen und damit einige alte Schulden gegenüber den guten Menschen etwas ausgleichen. Er wollte etwas in dieser Stadt tun, was ihn hätte erleichtern können. Aber jemand in dieser Stadt hat ihn um diese Chance gebracht. Und deshalb bin ich hier. Ich wäre nicht gekommen, wenn mein Bruder noch der alte Revolverheld gewesen wäre. Aber das war er nicht mehr. In diesem Brief steht es. Er wollte durch Taten seine Schuld begleichen. Und man ließ ihm keine Chance. Jeder Mensch sollte eine letzte Chance bekommen, von einem schlechten Weg herunterreiten zu können. Nun, ich werde die Stelle meines Bruders einnehmen. Und dann werde ich genau das tun, was er schon tun wollte. Und mir wird keiner mit einer Schrotflinte in den Rücken schießen können. Welches Zimmer habe ich, Jennifer?« Er lächelt schon wieder sorglos und auf eine leichtsinnige Art.
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Das Mädchen starrt ihn an, und sie kann kaum glauben, dass dieser scheinbar so leichtsinnig und wild wirkende Bursche solch ernste Worte geredet hat. Er wirkt wie ein heruntergekommener Cowboy, und er ist unrasiert, schmutzig und ungepflegt. Aber sie weiß, dass er von Texas heraufgereist kommt. Das ist ein langer Weg. Das sind Tausende von Meilen. Dieser Mann ist sicherlich von Texas her den alten Chisholm Trail heraufgekommen. Dann ist er von Dodge City nach Kansas City gezogen. Und von da aus war es immer noch ein weiter Weg bis nach Wyoming. Kein Wunder, dass dieser Mann jetzt wie ein Satteltramp aussieht. Bevor das Mädchen etwas sagen kann, kommen einige Männer von der Straße herein. Sie langt einen Schlüssel vom Brett und sagt: »Zimmer fünf ist es. Das Bad liegt gegenüber. Ich werde dem Hausneger sagen, dass er ein heißes Bad…« »Meinen herzlichen Dank, Lady«, sagt er schnell und geht mit seinem Bündel nach oben. Er blickt nicht zurück. Die hereingekommenen Männer treten zu dem Mädchen. »Wer ist das?«, fragt einer und schielt auf das Gästebuch. »Jim Hardin, Texas«, liest er halblaut und zuckt dann mit den Schultern. »Kenne ich nicht. Entweder 29
ist das nur ein wilder Junge, der Glück hat und tüchtig blufft – oder er hat noch einen anderen Namen, der besser bekannt ist.« Der Mann geht hinaus, und die anderen, deren Neugierde immer noch nicht ganz befriedigt ist, schlendern hinterher. Es kommt nicht jeden Tag ein Fremder nach Wager, der auf mehr als dreißig Yards einem Schild die Aufhängeösen, die nicht größer als ein Dollarstück sind, abschießen kann. Man beginnt sich in Wager Gedanken über den Fremden zu machen. Und Glück im Spiel scheint er auch zu haben. Den Storehalter Pat Saunder konnte bisher noch keiner schlagen.
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2 Als das Mädchen allein ist, holt sie den Brief hervor, den sie unter dem Pult vor den Blicken der Männer verborgen hatte. Sie faltet den Umschlag auseinander und holt das Blatt Papier heraus. Dann setzt sie sich auf den Stuhl in der Ecke und liest: Lieber Bruder! Obwohl wir schon einige Jahre getrennt unsere Fährten ziehen und du mir damals sagtest, dass ich für dich gestorben wäre, weiß ich doch, dass du gewiss immer wieder an mich denkst und dir Gedanken machst, was aus mir geworden ist. Nun, als ich damals auf den schlechten und rauchigen Weg eines Revolvermannes geriet, der seinen Colt für Geld vermietet, legte ich mir bald einen anderen Namen zu. Ich nannte mich Reck Hard, und unter diesem Namen bin ich auch hier nach Wager gekommen. Wie schon so oft vermietete ich hier meinen Colt und meine Schießkunst an einen Mann. Wager ist eine ziemlich raue Stadt, und mein Boss, Reb Jordan, möchte sie sich in die Hosentasche stecken. Das hat er mit meiner Hilfe zu einem gewissen Teil auch schon geschafft.
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Aber nun mache ich nicht mehr mit. Ich habe hier in Wager nämlich ein prächtiges Mädchen kennen und lieben gelernt. Es ist ein Mädchen von jener Sorte, die ein Mann sich sein ganzes Leben lang wünscht und erträumt, aber niemals bekommt. Nun, auch ich werde sie wahrscheinlich nicht bekommen. Ich will nämlich nicht länger meinen Colt für eine schlechte Sache vermieten, sondern auf rechtliche Art für eine gute Sache kämpfen. Was kann ein Mann anderes tun, wenn ein gutes Mädchen ziemlich viel von ihm hält und ihm vertraut und an ihn glaubt? Er muss sich also würdig erweisen! Ich will nun hier in Wager für eine gute Sache kämpfen. Der Brief würde zu lang werden, wenn ich dir dies hier auseinander setzen wollte. Du sollst jedenfalls wissen, dass dein Bruder, wenn dich eine Todesnachricht erreichen sollte, nicht für eine schlechte Sache gestorben ist. Du sollst wissen, dass ich zuletzt doch wieder auf einen guten und sauberen Weg gekommen bin. Ich denke, das wird dich wieder etwas mit mir versöhnen. Das Mädchen, dem ich mich für würdig erweisen will, heißt Jennifer Northern. Ich habe ihr inzwischen meinen ganzen Lebensweg gebeichtet, und sie weiß, dass ich in Wirklichkeit Reck Hardin heiße und dich zum Bruder habe. Ich habe ihr von dir erzählt. Wenn ich es hier also nicht schaffen sollte, so wirst du wahrscheinlich von ihr einen Brief bekommen.
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Denke dann daran, dass ich meine Schuld auf meine Art begleichen wollte. Sie ist stolz auf mich, und sie ist der Auffassung, dass jeder gute Mann zu jeder Zeit und an jedem Ort immer für eine gute Sache eintreten sollte. Das ist jetzt auch meine Auffassung. Ich wünsche dir auf deiner kleinen Pferderanch viel Glück. Ich erlebe es hier, denn zum ersten Mal in meinem Leben vertraut mir ein gutes Mädchen und glaubt an mich. Dein Bruder Reck. Diesen Brief liest Jennifer mehrmals. Und dann kommen ihr die heißen Tränen. Sie verlässt die Hotelhalle und flüchtet in ihr Zimmer. Sie wirft sich aufs Bett und weint in die Kissen. Inzwischen sitzt Jim Hardin in der Badewanne, die eigentlich nichts anderes als ein großer Holzbottich ist. Er hat sich schon rasiert und genießt jetzt das warme Bad. Der Schaum reicht ihm bis zum Kinn, und der weiße Schaum lässt sein dunkles Gesicht mit dem rabenschwarzen Haar noch dunkler erscheinen. Er denkt angestrengt nach, und immer wieder fällt ihm das Mädchen ein. Erst als das Wasser langsam kälter wird, klettert er aus dem Bottich und beginnt sich abzutrocknen. Sein Körper ist makellos 33
gewachsen und gut proportioniert. Er ist kein massiger Mann, aber unter seinen geschmeidigen Muskeln befindet sich ein fester und starker Knochenbau. Ohne Schuhe dürfte er ungefähr einsachtundsiebzig messen, und für jeden Zentimeter seiner Größe bringt er ein Pfund an Gewicht auf die Waage. Das Spiel seiner Muskeln und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen erinnern an einen Panter. Hoch an seiner linken Schulter und quer über der linken Rippenseite sind zwei Narben zu erkennen. Er ist nicht älter als dreißig Jahre. Seine alten Sachen wirft er in die Abfallkiste in der Ecke und zieht dann die neuen Sachen an. Er bürstet sein glänzendes Haar, legt seinen Waffengurt um und geht hinaus. Die Halle unten ist leer. Ein Durchgang bringt ihn in den Speisesaal des Restaurants. Die Dämmerung ist angebrochen. Lampen sind angezündet. An einigen Tischen warten hungrige Männer auf das Abendessen, und es kommen immer noch weitere Gäste in Gruppen und auch einzeln herein. Jim Hardin nimmt sein Essen zwischen einem dicken Whiskyreisenden und einem Treibherdencowboy ein. Er bemerkt, dass ihn einige Männer von ihren Plätzen aus unauffällig beobachten und studieren. Er grinst unmerklich. Es war sein Plan, sich hier in Wager als leichtsinniger 34
Bursche und Revolverheld einzuführen. Er will damit jene Leute auf sich aufmerksam machen, zu denen sein Bruder gehörte, bevor er sich von ihnen trennte, um sich auf die andere Seite zu schlagen. Er zahlt seine Zeche, erhebt sich und tritt auf die Straße hinaus. Er weiß, dass er noch eine Menge Dinge tun muss, um für gewisse Leute richtig interessant zu werden. Längs der Main Street, also der Hauptstraße, zieht sich eine unregelmäßige Girlande brennender Lampen und Laternen. Teerfässer brennen vor verschiedenen großen Saloons und verbreiten roten Feuerschein. Aus Fenstern und Türen fallen die gelben Lichtbahnen über Gehsteige und Fahrbahn. Sie verwandeln den grauen Staub, den Reiter und Fahrzeuge aufwirbeln, in gelben Goldpuder. Jim Hardin stellt sich in eine dunkle Hausnische und betrachtet das Leben und Treiben auf dieser Whisky- und Amüsierstraße. Er war schon in solchen Städten, und er kennt ihre unterirdischen Strömungen und Machtkämpfe. Er kennt ihren Pulsschlag und ihren Atem, ihren Rhythmus und ihre Zeichen. Indes er so steht und sich mit dem Rhythmus der wilden Stadt vertraut macht, denkt er an seinen Bruder. Reck gehörte hier also am Anfang zu jener 35
Gruppe, die die Stadt beherrschen möchte. Es muss also auch eine Gruppe geben, die mit dieser Stadt andere Pläne hat. Aber wer gehört zu dieser zweiten Gruppe? Das ist die große Frage. Für wen ist Reck Hardin eingetreten und deshalb hinterrücks ermordet worden? Die Ziele beider Gruppen sind klar und einfach. In jeder wilden Treibherdenstadt gab es solche Machtkämpfe, und alles verlief nach einem alten Schema. Eine Gruppe war immer da, die eine möglichst wilde Stadt haben wollte, eine Stadt ohne Gesetz, in der sich mühelos und mit Hilfe vieler schmutzige Tricks Geld verdienen ließ. Und es gab in jeder Treibherdenstadt immer noch eine zweite Gruppe, die an die Zukunft dachte und eine rechtliche, ehrliche, saubere und friedliche Stadt haben wollte. Aber solch eine Stadt ist schlecht für Saloonwirte, Spieler, Revolverhelden und ihren Anhang. Jim Hardin weiß das. Sein Bruder Reck wollte also für die redlichen Männer dieser Stadt kämpfen, weil ein Mädchen ihn davon überzeugt hatte, dass ein guter Mann zu jeder Zeit und an jedem Ort immer für eine gute Sache einstehen sollte.
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Aber wer sind die rechtlichen Männer in dieser Stadt? Sind nicht vielleicht welche unter ihnen, die sozusagen eine Maske tragen? Gibt es Verräter unter ihnen? Warum ist Reck sonst so schnell abgeschossen worden? Das sind die Fragen, um die sich Jim Hardins Gedanken drehen. Und deshalb will er sich erst einmal auf die wilde Seite dieser Stadt schlagen. Er ist der Meinung, dass er auf diese Art den Mörder seines Bruders und dessen Auftraggeber am leichtesten ausfindig machen kann. Er kennt dieses gefährliche Spiel, denn als er sich vor Jahren von seinem Bruder Reck trennte, verlief sein Lebensweg einige Jahre lang durchaus nicht ruhig. Jim Hardin trug den Stern als Hilfsmarshal in Dodge City – und danach als Marshal in anderen wilden Städten. Erst später baute er sich eine kleine Pferderanch auf. Und drunten im Süden ist er unter dem Namen Smiling Jim bekannt. Er war die rechte Hand des bekannten US Marshals Jack Donovan. Er war früher ein Kämpfer für Recht und Gesetz. Er tritt aus der Nische heraus, überquert die Straße und bleibt vor der breiten Schwingtür eines Saloons stehen. Auf dem großen Schild steht geschrieben: 37
TRAILMEN-PARADISE Tanz – Spielräume – Freiimbiss Inh. Reb Jordan Er grinst sein altes, scharfes Grinsen und tritt zwischen zwei Gruppen lärmender Cowboys ein. Der Raum ist groß. Alle Tische sind eng besetzt. An der achtzig Fuß langen Bar stehen die trinkenden Männer drei Glieder tief, und ein volles Dutzend Barkeeper hat alle Hände voll damit zu tun, sie zu bedienen. Auf einem Podium spielt eine Kapelle. Auf einer Bühne tanzen Mädchen und singen dazu. Wenn man dem Text des Liedes glauben soll, dann sind sie in diesem Moment die Engel des Paradieses, denn sie singen: »Wir sind die Engel des Paradies', und wir sind süß! Wir sind nett und adrett! Wir kamen zu diesem Paradies auf Erden. weil alle Boys uns sehr begehren!« Jim Hardin grinst nachsichtig zu diesem Text, aber er weiß, dass die Männer ihn gar nicht beachten, sondern sich nur die Beine der Mädels besehen. Er drängt sich durch die Tische und erreicht bald darauf den Durchgang zu den Spielräumen. Er 38
schiebt sich durch den dicken Vorhang und tritt damit in eine völlig andere Atmosphäre. Hier klirren Roulettekugeln. Und die Stimmen der Croupiers tönen lässig durch den Raum. Hier sitzen Pokerrunden beisammen. Hier wird Faro und BlackJack gespielt. Jim Hardin tritt an einen Würfeltisch. Als er an die Reihe kommt, sagt er fünfzehn Augen an und wirft zwei Sechser und einen Dreier. Er streicht dreißig Dollar ein und spielt einige Runden Faro. Er gewinnt hierbei fünfzig Dollar und schlendert weiter. An einem Pokertisch wird gerade ein Stuhl frei. Er setzt sich und legt hundert Dollar auf den Tisch. Der schlanke, scharfgesichtige Berufsspieler, dem dieser Tisch hier gehört, weil er dem Haus die Hälfte seiner Spielgewinne abgibt, sieht ihn forschend an. Dann nickt er ihm zu und teilt aus. Sie sind mit fünf Männern in diesem Spiel. Jim Hardin sieht gleichgültig in seine Karten. Obwohl er ein schlechtes Blatt hat, macht er seinen Einsatz und kauft zwei weitere Karten hinzu. Nun hat er drei Damen, und diese Karte ist nicht schlecht. Als er seine hundert Dollar nach und nach eingesetzt hat, fordert einer der anderen Spieler, aber Jim Hardins drei Damen sind die höchste Karte in diesem Spiel. Er streicht den Pott ein, und er fragt sich, wie lange seine Glückssträhne noch anhalten wird. 39
Seine nächsten Karten taugen gar nichts, aber er zeigt den Mitspielern sein verwegenes Grinsen und bietet mit. Als er seinen letzten Dollar eingesetzt hat, sind nur noch er und der Berufsspieler in dieser Runde. Der Mann starrt ihn forschend an, aber Jim Hardins Grinsen ist siegesgewiss. Er lächelt auf eine Art, die dem hartgesottenen Spieler den Nerv nimmt. Er erkennt den Zweifel im Hintergrund der kalten Augen des Kartenhais. Und er macht eine Bewegung nach seiner Tasche, als wollte er noch mehr Geld herausholen, obwohl er nicht einen einzigen Dollar mehr in der Tasche hat. Aber diese Bewegung gibt den Ausschlag. Der Berufsspieler wirft seine Karten hin und sagt höflich: »Ich passe.« »Sie haben nicht viel Schneid, Mister.« Jim grinst und streicht den dicken Pott ein. Er stopft das Geld in seine Taschen und erhebt sich. Er hat nun mehr als zweitausend Dollar gewonnen. Der Spieler dreht Jims Karten um. Es sind zwei Neuner. Ärger und Wut erscheinen in den Augen des Spielers. »Sie haben mich tüchtig geblufft, Mister«, sagt er scharf. »Mein Blatt war bedeutend besser. Ich hatte drei Buben – hier!« 40
»Sicher – aber Sie haben gepasst und damit aufgegeben, nicht wahr? Warum lassen Sie sich bluffen?« Jim grinst verlegen und will sich abwenden. Aber der Berufsspieler macht eine schnelle Armbewegung. Ein kleiner Derringer erscheint in seiner Hand. »Sie werden nicht aufhören, sondern mir erst einmal Revanche geben«, sagt er mit tödlicher Höflichkeit. Jim Hardin tritt langsam an den Tisch zurück. Er setzt sich langsam, und sein verwegenes Grinsen ist immer noch da. »Mister«, sagt er sanft, »ich kann aufhören, wann ich will. Dies ist ein freies Pokerspiel. Es gibt kein Gesetz, das mich zum Weiterspielen zwingen kann.« »Doch! Ein Gewinner muss dem Verlierer immer und stets Revanche geben«, erwidert der Spieler geschmeidig. »Sie verdammter Bluffer kommen mit dieser Art nicht bei mir durch. Sie haben geblufft und wissen genau, dass Sie mit einem zweiten Bluff nicht mehr bei mir durchkommen. Und deshalb wollen Sie aufhören. Aber das gibt es hier nicht! Vorwärts, machen Sie weiter!« Jim Hardin seufzt. Er blickt sich um. Die anderen Mitspieler waren schon aufgesprungen, um sich in Deckung zu bringen, als
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der kleine Revolver in der Hand des Spielers erschien. Aber jetzt nehmen sie wieder Platz. Ein dicker Viehaufkäufer knurrt mürrisch: »Sicher, er soll uns Revanche geben. Das ist fair. Ich habe schon zu viel verloren, als dass ich zusehen könnte, wie er sich nach einem dicken Pott einfach davonmacht.« Jim Hardin seufzt. Er nimmt die Karten und beginnt zu mischen. Indes bildet sich ein dichter Kreis von Zuschauern um den Tisch. Im ganzen Raum ist man auf den kleinen Streit aufmerksam geworden. Der Kartenhai legt seine kleine Derringer-Pistole neben sich auf den Tisch. Er starrt dabei auf Jim Hardins mischende Hände, und Jim mischt langsam und bedächtig. Er weiß, dass der Kartenhai nur auf einen geringfügigen Anlass wartet. In dieser wilden Stadt und in diesem wilden Saloon ist es sehr gefährlich, nach einem hohen Spielgewinn aufhören zu wollen. Jim Hardin spürt auch hinter sich Bewegung. Er braucht sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass sich jetzt zumindest einer der hier angestellten Revolvermänner durch den Kreis der Zuschauer hinter ihn geschoben hat, um dem Spieler notfalls beizustehen. Jim Hardin kann jetzt nicht weg! 42
Aber all diese Dinge sind ihm bekannt. Diese Regeln ändern sich nie. Alles läuft nach demselben alten Schema ab. Er teilt aus, und weil er zumindest einen Revolvermann des Hauses hinter sich weiß, sieht er sich seine Karten gar nicht an. Er muss damit rechnen, dass der Revolverschwinger hinter ihm in seine Karten sieht und dem Spieler vielleicht ein Zeichen gibt. Jim Hardin verlässt sich jetzt ganz und gar auf seinen feinen Instinkt. Er vertraut diesem Instinkt. Er lauscht in sich hinein, und als in ihm alles ruhig bleibt, vertraut er darauf, dass er gute Karten hat. Der Spieler muss jetzt eröffnen. Er tut es mit hundert Dollar. Alle anderen Mitspieler gehen mit. Der Pott wird nun Runde um Runde höher getrieben. Die Mitspieler steigen nacheinander aus und fluchen leise und grimmig dabei. Aber der Spieler fordert immer noch nicht. Er bietet weiter und erhöht jedes Mal ums Doppelte. Jim hält mit. Erst jetzt wendet er langsam den Kopf und blickt hinter sich. Genau hinter seinem Stuhl steht ein kleiner, rothaariger Bursche und grinst auf ihn nieder. Der Mann hat helle, kalte Augen und zehntausend Sommersprossen im Gesicht.
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»Warum siehst du nicht in deine Karten hinein, Mister?«, fragt er ärgerlich. »Die sind bestimmt gut, Kleiner – und ich will sie dir nicht zeigen«, sagt Jim höflich. Er sieht die Lichter einer kalten Wut in den Augen des Kleinen tanzen. Er wendet sich wieder zurück und grinst den Kartenhai an. »Jetzt wollen Sie mich wohl aus dem Spiel bluffen, nicht wahr?« »Warum haben Sie Ihre Karten überhaupt noch nicht angesehen?«, fragt der Kartenhai ärgerlich. »Ich habe ein gutes Gefühl in mir.« Jim grinst ihn an, und er kann wieder erkennen, wie sehr dieser Mann unsicher wird und sich in ihm zugleich auch eine tiefe Neugierde regt. Er kann das Wachsen dieser Neugierde deutlich in den Augen des Kartenhais erkennen. Er beschließt nun, alles auf seine Karten zu setzen, die er gar nicht kennt. In solchen Momenten muss ein Mann auf sein Glück vertrauen. Alles ist ungewiss. Es ist wie bei einem Kugelwechsel oder wie beim Durchschwimmen eines reißenden Stromes – oder wie bei der Überquerung eines Sees, dessen Eisschicht nur dünn ist. Auch dann muss ein Mann auf sein Glück vertrauen.
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Jim holt sein letztes Geld hervor. Er legt es auf den Tisch. »Ich habe kein Geld mehr – aber ich passe immer noch nicht. Sie können mich nicht aus diesem Spiel bluffen, weil ich nicht passe.« Der Spieler grinst ihn nun seltsam an. Jim spürt in seinem Nacken den Atem des kleinen Revolvermannes, der hinter seinem Stuhl steht. Er nimmt seine fünf Karten und deckt sie auf. Es sind sehr verschiedene Karten, aber sie sind von einer Farbe. Und als er sie geordnet hat, ergeben sie einen Flush bis zum König, eine Folge von Karten einer Farbe also. Im Kreis der Zuschauer ist alles still. Es scharren keine Füße, und die Männer scheinen sogar den Atem angehalten zu haben. Aber dann sagt eine Stimme fast zitternd: »Du lieber Gott im Himmel!« Dann ist es wieder still. Alle Augen richten sich auf den Berufsspieler. Der zögert. Seine Augen sind halb geschlossen, aber seine Gesichtsmuskeln zucken kurz und verkrampfen sich einen Moment. Seine Hand legt sich auf die kleine Waffe. »Sie haben verloren, Mister«, sagt er hart. Jims Grinsen verschwindet wie der Sonnenschein, wenn der Schatten einer segelnden Wolke über das Land jagt. Sein Gesicht wird hart und ausdruckslos. 45
Er nickt langsam. Der Kreis der Zuschauer spritzt auseinander. Der Hauch von Gewalttat und Gefahr weht mit einem Mal durch den Raum. Jim erhebt sich langsam. Er dreht dem Spieler am Tisch den Rücken zu. Der kleine Revolvermann steht immer noch hinter seinem Stuhl. Der Bursche grinst ihn an und sagt: »Pech für Sie, Cowboy, nicht wahr? Sie waren so schön im Zuge!« »Yeah«, seufzt Jim. Er sieht sich noch einmal um. Die Mitspieler und die Zuschauer haben sich überall im Raum in Deckung gebracht. Sie stehen in den Nischen des Raumes oder kauern hinter den Tischen. Sie verharren halb geduckt längs der Wände. Niemand befindet sich in den voraussichtlichen Schusslinien. Jim Hardin kennt das alles. Er weiß, dass die meisten Leute nicht damit rechnen, dass er sich einfach geschlagen gibt. Sie glauben nicht daran, dass er aufgibt, ohne den Versuch zu machen, die Karten des Spielers zu sehen. Die liegen immer noch unaufgedeckt auf dem Tisch. Aber daneben liegt die Hand des Spielers, und in dieser Hand befindet sich der Colt Derringer. »Sie haben verloren, Cowboy. Scheren Sie sich zum Teufel.« Das sagt der Spieler kalt. 46
Jim nickt. »Well, wir sprechen noch mal über diese Sache. Sie Hundesohn, warum decken Sie Ihre Karten nicht auf?« Der Spieler starrt auf seine Karten. Dann starrt er auf das viele Geld in der Tischmitte. Und dieser Haufen Geld – es sind mehr als sechstausend Dollar, da am Anfang auch die anderen Mitspieler mitgeboten hatten – gibt den Ausschlag. Der Kartenhai will nicht auf dieses Geld verzichten. Lieber nimmt er es in Kauf, einen schlechten Ruf zu bekommen und auch dem Ruf dieses Saloons zu schaden. Seine Stimmte klirrt, als er sagt: »Sie haben verloren, Cowboy. Ich sage das. Zweifeln Sie an meinem Wort?« Jim gibt ihm keine Antwort. Er seufzt wieder, und weil der kleine Revolvermann ihm den Weg versperrt, geht er um ihn herum. Er dreht ihm den Rücken und geht langsam zur Tür. Es ist immer noch still im Raum. Aber dann ist es wieder die Stimme von vorhin, die heiser sagt: »Heiliger Rauch – er trägt doch einen Colt!« »Er hat verloren«, sagt die Stimme des Spielers. Jim Hardin hat nun den dicken Vorhang erreicht, hinter dem sich die Tür befindet.
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Er weiß, dass der Revolvermann und der Spieler ihn beobachten. Und dennoch wagt er es jetzt. Für den kleinen Colt Derringer des Spielers ist die Entfernung nun ziemlich weit. Der kurze Lauf dieser Waffe lässt auf diese Entfernung kein genaues Zielen mehr zu. Er hat jetzt eine Chance, dass die Kugeln des Spielers ihn nicht treffen. Er braucht jetzt nur mit dem Revolvermann zu rechnen. Er wirbelt herum, duckt sich leicht und zieht den Colt. Und dieses Ziehen ist für die Zuschauer wie eine Zauberei. Herumwirbeln und Ziehen ist eine einzige, gleitende Bewegung. Dann kracht der Schuss. Und weil der kleine Revolvermann des Saloons immer noch hinter dem jetzt leeren Stuhl steht und seine Stellung nicht veränderte, schießt Jim Hardin besonders schnell, denn er braucht den Mann nicht erst zu suchen. Seine Kugel stößt den Burschen an der Schulter zurück. Der schon gezogene Colt poltert zu Boden. Aber das sieht Jim Hardin nicht. Er sah inzwischen schon in das doppelte Mündungsfeuer des Spielers, der die kleine, doppelläufige Waffe sofort abdrückte.
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Eine Kugel zupfte an Jims Schulterspitze – und die zweite streifte leicht seine Wange. Er hat sich also wirklich nicht verrechnet. Auf diese Entfernung bis zur Tür schießt der kleine Derringer nicht genau genug. Aber es war dennoch gefährlich für ihn. Nun, er vertraute auf sein Glück. Der Spieler stößt einen heiseren Schrei aus, lässt die abgeschossene Waffe fallen und hebt die Hände. Der kleine Revolvermann sitzt schief auf dem Stuhl und presst sich die Linke gegen die blutende Schulter. Er ist käsig im Gesicht, seufzt schwer und verliert die Besinnung. Er fällt vom Stuhl. Jim Hardin gleitet an der Wand entlang. Sein rauchender Colt beherrscht den Raum. Er sieht den Spieler an, der mit erhobenen Händen noch am Tisch steht. »Beweg dich nur nicht, Freund! Und wenn jetzt einige deiner Freunde hereinkommen, so sage ihnen gleich, dass du tot bist, wenn sie zu schießen beginnen.« Seine Stimme klingt hart und scharf. Es kommen jetzt auch einige Männer vom Saloon in den Raum. Trotz des Lärms und der Musik hat man anscheinend die Schüsse gehört. Die hereingekommenen Männer sind zwei Rauswerfer und zwei typische Revolvermänner.
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Hinter ihnen drängen sich Neugierige in der Tür, deren Vorhang jetzt zur Seite geschoben ist. Der Spieler ruft schrill: »Passt auf, er hat mich vor seinem Colt! Macht nur keinen Blödsinn! Er hat Shorty schon erwischt und mich vor dem Colt!« Die vier Männer verhalten vor der Tür. Jim grinst wieder scharf. Er blickt sich schnell um. Überall befinden sich auch noch andere Berufsspieler unter den in Deckung gegangenen Gästen. Aber er sieht nichts Bedrohliches. Er hat dieser Meute gezeigt, wie schnell er schießen kann. Und vor allen Dingen kennen sie nun seine Furchtlosigkeit. Sie können sich ausrechnen, was er mit seinem Colt alles noch anstellen könnte – selbst dann noch, wenn er getroffen würde. Sie haben ihn als einen Mann von der harten und höllischen Sorte erkannt. Und sie wissen, dass diese Sorte es fertig bringt, auch sterbend noch eine Hölle loszulassen. Es ist still. Nur durch die offene Tür dringen vom Saloon Musik und Lärm herein. Jim Hardins Stimme klingt scharf, als er sagt: »He, Junge! Du da mit dem roten Halstuch! Geh an den Tisch und sieh dir die Karten des Burschen an!« Ein junger Cowboy bewegt sich langsam. Er hütet sich sorgfältig davor, in die Schusslinie zu geraten. Er tritt von der Seite her an den Tisch und nimmt die
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Karten des Spielers auf. Er blickt hinein und hält sie dann in die Höhe. »Das sind zwei Zehner und zwei Neuner!«, ruft er, und jeder kann es sehen. Gemurmel wird laut. Es gibt genügend Männer unter den Gästen, die nun wütend werden. Ein Treibherdencowboy stößt seine beiden Kameraden an und ruft: »Zum Teufel mit dieser Bude hier, Leute!« Er verstummt, denn in der Ecke neben ihm öffnet sich eine Seitentür. Ein großer Mann tritt herein. Es ist ein Mann, der etwas zu fleischig geworden ist, weil er zu wenig Bewegung hat. Sein Haar ist so gelb wie reifer Weizen. Er trägt einen teuren Maßanzug aus bestem Tuch. Sein Gesicht ist grob, festgefügt, aber regelmäßig und klug. Nur sein breites Kinn und der harte Mund verraten eine Menge Unduldsamkeit und mitleidlose Härte. »Was geht hier vor?«, fragt der Mann scharf. Er sieht sich um, und sein harter Blick bleibt auf Jim Hardin haften. »Wieder ein Cowboy, der nicht verlieren kann?«, fragt er ärgerlich. Jim Hardin lächelt sein wildes Lächeln. »Ich habe einen Flush – und er hatte nur zwei armselige Paare«, sagt er ruhig. »Und weil der kleine Revolverschwinger hinter mir stand, wollte er mir 51
einreden, ich hätte verloren. Mister, ich habe in Texas pokern gelernt, aber die Spielregeln sind doch wohl auch in Wyoming dieselben. Oder sind Sie auch der Meinung, Mann, dass zwei jämmerliche Paare höher als ein Flush sind?« »Nein«, sagt der große Mann sofort und sieht den Spieler an. »Du bist hier fertig, Morrel. Pack dich! In meinen Saloons gelten die üblichen Regeln. Pack dich! In dieser Stadt bekommst du nirgendwo einen anderen Spieltisch.« Der Spieler nimmt die Arme herunter. Er wendet sich um und schleicht hinaus. Jim tritt an den Spieltisch und beginnt damit, sich die Taschen voll Geld zu stopfen. Die Spannung im Raum löst sich. Der große Mann tritt neben ihn und sieht ihm einige Sekunden lang zu. Er betrachtet Jim aufmerksam von der Seite und fragt dann: »Sind Sie vielleicht jener Fremde, der Pat Saunders im Würfeln schlagen konnte – und der dann das Hotelschild herunterschoss?« »Der bin ich«, sagt Jim Hardin trocken und stopft immer noch Geld in seine Taschen. »Ich bin Reb Jordan«, sagt der große Mann höflich. Er wendet sich halb zur Seite und blickt auf den bewusstlosen Revolvermann. 52
»Bringt ihn zum Doc«, sagt er zu zwei Rauswerfern und wendet sich wieder Jim zu. »Sie scheinen viel Glück zu haben, Freund. Kommen Sie mit mir. Ich möchte mit Ihnen in meinem Privatzimmer einen Whisky trinken. Ich unterhalte mich gerne mit Glückspilzen.« Er geht davon und wartet erst gar nicht auf Jims Antwort. Jim überlegt nur eine Sekunde. Er hat nicht erwartet, dass sich Reb Jordan so schnell für ihn interessieren würde. Er hat damit gerechnet, dass er die Aufmerksamkeit dieses Mannes erst nach einigen weiteren tollen Stücken erringen würde. Aber der bewusstlose Revolvermann, der jetzt von zwei Männern hinausgetragen wird, scheint zu genügen. Jim geht hinter Reb Jordan her. Als er die kleine Seitentür hinter sich zuzieht, schwillt das Stimmengemurmel der Gäste wieder an. Reb Jordan steht an einem Tisch und füllt zwei kostbare Gläser mit Whisky. »Das ist echter Whisky aus Schottland«, sagt er. »Trinken wir auf Ihr Glück, Jim Hardin.« »Sie kennen meinen Namen schon, Mister Jordan?«, fragt Jim lächelnd und greift nach dem Glas. Sämtliche Taschen seiner Kleidung sind dick mit Geld gefüllt. Als sie trinken, sieht er in die braungelben Augen des Mannes. Aber sie sind 53
ausdruckslos und verraten nichts von den Dingen in dessen Innern. »Sie haben Pat Saunders im Würfelspiel geschlagen und dann mit Reck Hards Colt das Hotelschild heruntergeschossen«, sagt Reb Jordan sanft. »Das waren zwei wichtige Gründe, dass meine Leute sich für Sie interessierten und sich nach Ihrem Namen erkundigten. Ist es Ihr wirklicher Name?« »Vielleicht.« Jim grinst. Er setzt das Glas ab. »Was wollen Sie von mir?«
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3 »Shorty war mein bester Revolverschütze«, murmelt Reb Jordan bedächtig. »Er war langsam«, sagt Jim. »Sonst hätte ich es mir nicht erlauben können, ihn nur zu verwunden. Wenn er eine Idee schneller gewesen wäre, hätte ich schneller schießen müssen.« »Und das wäre sein Tod gewesen, weil Sie dann nicht so genau auf seine Schulter hätten zielen können.« Reb Jordan nickt. Er deutet auf einen Sessel, setzt sich in den anderen und betrachtet Jim nochmals sorgfältig. »Sie sind also schnell und gefährlich. Ich weiß, Shorty war nur guter Durchschnitt, und meine anderen Boys sind noch schlechter. Ich habe mal einen guten Kämpfer in meinen Diensten gehabt. Es war der Mann, dessen Colt Sie von Pat Saunders gewonnen haben. Es war Reck Hard. Wir waren fast Freunde. Aber jemand hat ihn mit Schrot abgeknallt. Ich habe Feinde in dieser Stadt, obwohl ich…« »Nun sagen Sie mir nicht noch, dass Sie fair und ehrenwert sind.« Jim grinst erneut. »Wenn nicht so viele Zuschauer im Spielsaal gewesen wären, hätten Sie Ihren Kartenhai nicht zum Teufel gejagt, sondern 55
Ihre Leute auf mich gehetzt. Sie hätten nicht auf sechstausend Dollar verzichtet, die ich jetzt in meinen Taschen habe. Ich denke, Sie sind der Mann, der sich diese Stadt in die Hosentasche gesteckt hat oder noch dabei ist, es zu tun. Und Sie sind rau, mitleidlos und ohne Gnade. Sie gehen über Leichen und trampeln jeden Widerstand rücksichtslos in den Boden. Sie zerquetschen jeden Gegner wie einen Käfer und bedienen sich dabei williger Handlanger. Sie können mir nichts vormachen, Jordan. Ich war in einigen wilden Städten und vermietete meinen Colt schon an Männer wie Sie. Und Sie wollen mir jetzt bestimmt das Angebot machen, in Ihre Dienste zu treten. Sparen Sie sich diesen Versuch. Ich habe mehr als sechstausend Dollar in der Tasche und werde damit etwas Vernünftiges anfangen. Eines Tages muss man mit dem wilden Leben aufhören. Vielleicht werde ich mir eine Ranch aufbauen und Rinder züchten. Das wollte ich schon immer.« »Ich weiß«, nickt Reb Jordan. »Jeder Mann hat Wünsche und Pläne. Aber Sie werden für mich arbeiten, Jim Hardin.« »Warum werde ich das?« Reb Jordan sieht ihn nachdenklich an. »Sie sind ein Revolvermann – und ein Spieler zugleich«, murmelt er dann nachdenklich. »Sie sind in diese Stadt gekommen – abgerissen und 56
abgebrannt. Und Sie haben sofort mit dem Storehalter ein Spiel angefangen. Was hätten Sie getan, wenn Sie verloren hätten?« »Vielleicht hätte ich die Bank beraubt und wäre weitergeritten«, erwidert Jim ungerührt. Jordan wiegt zweifelnd den Kopf. Dann langt er hinter sich und holt mit raschem Griff ein noch versiegeltes Kartenpaket von einem Stapel. Er legt es auf den Tisch und murmelt: »Ich brauche einen tüchtigen Mann. Einen Mann wie Reck Hard. Hardin, ich möchte mit Ihnen spielen.« »Um mich?« »Sie sind doch Spieler, Hardin! Ich setze sechstausend Dollar gegen Ihren Spielgewinn. Wenn Sie verlieren, dann setze ich zwölftausend Dollar gegen Ihr Versprechen, ein ganzes Jahr für mich zu arbeiten. Wie gefällt Ihnen dieser Vorschlag?« »Er gefällt mir nicht besonders«, murmelt Jim Hardin sanft. Er starrt auf die Spielkarten, und er gibt sich dabei den Anschein, als müsste er mit der Versuchung kämpfen. Aber innerlich triumphiert er. So wollte er es haben. Mit diesem Plan kam er nach Wager. Er wollte sich den Ruf eines wilden, leichtsinnigen und gefährlichen Burschen verschaffen, sodass Reb Jordan auf ihn aufmerksam wird und ihn als Revolvermann in seine Dienste nimmt. Jim wollte auf 57
diese Art der Nachfolger seines Bruders werden. Auf diese Weise hofft er, den Mörder leichter ausfindig machen zu können. Er will denselben Weg gehen, den der Bruder ging. Und deshalb wird der Mörder wahrscheinlich auch ihn auf diese Art erledigen wollen. »Der Vorschlag gefällt mir nicht besonders«, wiederholt er zweifelnd und lächelt dann verwegen. Reb Jordan lächelt zurück, beugt sich vor und sagt: »Aber Sie haben jetzt die Chance, Mann, Ihren Spielgewinn verdoppeln zu können. Mit zwölftausend Dollar kann man sich eine sehr große Ranch kaufen, nicht wahr? Und bis jetzt haben Sie mächtig großes Glück im Spiel gehabt.« »Deshalb wundere ich mich auch über Ihren Vorschlag, Jordan. Entweder müssen Sie sehr sicher sein, mich schlagen zu können – oder Ihnen steht das Wasser bis zum Hals.« Reb Jordans Lächeln ist bitter – und doch hart. »Mir gefällt Ihr verwegener Stil, Hardin. Mir gefällt Ihr Mut, der nicht nach dem Ausgang einer Sache fragt. Wenn ich nicht in den Spielraum gekommen wäre, wären Sie verloren gewesen. Sie wären nicht lebendig hinausgekommen. Sicher, Sie hätten einige Burschen erwischt, aber viele Hunde werden auch mit einem Wolf fertig. Und Sie wussten das genau. Und trotzdem waren Sie zum Kampf 58
bereit. Ihr Stil gefällt mir also. Ich brauche einen Kämpfer, der auch denken und selbstständig handeln kann. Wenn Sie sich als Mann von solcher Sonderklasse erweisen, brauchen Sie nur noch mein volles Vertrauen zu gewinnen, um nach mir der zweite Mann in dieser Stadt zu sein. Und das wieder würde Ihnen tausend Dollar im Monat einbringen. Ich zahle Ihnen nach einer einmonatigen Bewährungsfrist tausend Dollar im Monat oder entlasse Sie. Für tausend Dollar muss ein Spitzencowboy oder Vormann zwei Jahre arbeiten. Spielen wir, Jim Hardin!« Er nimmt das Kartenpäckchen und reißt die Hülle auf. Mit einer schnellen Bewegung breitet er die Karten fächermäßig auf dem Tisch aus. »Jeder deckt eine Karte auf!«, fordert er drängend. Jim Hardin starrt auf die neuen Karten. Dass sie eben noch in einer versiegelten Schutzhülle waren, bedeutet nichts für ihn. Dort im Regal liegen noch mehr als hundert solcher versiegelter Päckchen. Er würde den Colt seines Bruders gegen einen Hosenknopf wetten, dass diese Kartenpäckchen sämtlich präpariert sind. Aber er will ja verlieren. Er will ja Reb Jordans Mann werden. Und es ist ihm nur willkommen, wenn diese Karten irgendwie gezinkt sind oder in 59
einer bestimmten Reihenfolge liegen. Reb Jordan hat sie nicht gemischt, sondern sofort fächerförmig ausgebreitet. Wenn Jordan mit Hilfe eines Kartentricks gewinnt, so braucht Jim Hardin auch sein gegebenes Wort nicht zu halten. Er seufzt, als wäre er der Versuchung unterlegen. Er beugt sich vor und nimmt eine Karte. Er deckt sie auf, und es ist der Herzkönig. Dann greift Reb Jordan zu. Er deckt die Kreuzzehn auf. »Sie haben verloren, Hardin.« Er lächelt kalt. Mit einer leichten Bewegung nimmt er das Kartenspiel auf und wirft es in den Papierkorb. Er holt ein neues vom Regal herüber, reißt die Hülle auf und fächert es auf den Tisch. »Jetzt setze ich zwölftausend Dollar gegen Ihr Wort, Jim Hardin. Wenn ich gewinne, sind Sie mein Mann. Gilt es?« »Yeah«, sagt Jim Hardin heiser. Und dann deckt er das Karo-Ass auf. Aber Jordan lächelt siegesgewiss, greift zu und wirft das Kreuz-Ass auf Jims Karte. »Sie sind mein Mann, Jim Hardin«, sagt er. »Ich bekomme noch das Geld aus Ihren Taschen. Aber obwohl ich es gewonnen habe – und Sie dazu –, will ich das Geld nicht. Ich werde es für Sie aufheben. Eines Tages bekommen Sie es zurück, sozusagen als 60
Sonderprämie. Ich habe Ihr Wort und Ihre sechstausend Dollar zum Pfand, nicht wahr?« Jim Hardin leert seine Taschen aus. Er legt die vielen Geldscheine und das Hartgeld auf den Tisch. Er beobachtet, wie Reb Jordan alles auf ein Zählbrett streicht und damit zum großen Geldschrank in der Ecke geht. Als er ihn öffnet, sieht Jim viele Geldscheinbündel und gefüllte Leinensäckchen. In diesem Geldschrank befinden sich sicherlich mehr als vierzigtausend Dollar. »Eine Menge Geld ist da im Kasten«, sagt er zu Jordan hinüber. »Warum geben Sie es nicht zur Bank?« »Hier ist es sicherer – und der Bankier ist nicht mein Freund«, erwidert Reb Jordan. Er kommt zurück, schenkt die Gläser noch einmal voll, und dann trinken sie stehend und sehen sich in die Augen. Dann nimmt Reb Jordan die Lampe vom Tisch und führt Jim zu einem Stadtplan, der in der Ecke an der Wand hängt. »Das ist Wager«, sagt er. Jim betrachtet den Plan. Er erkennt bald, dass der Plan sehr genau sein muss, denn selbst die kleinen Stallgebäude sind aufgezeichnet. Viele Vierecke sind rot ausgemalt – andere sind rot schraffiert, und einige sind schwarz ausgemalt. 61
Reb Jordan lächelt seltsam. »Alles was rot ist, gehört mir. Was schraffiert ist, wird von mir kontrolliert und zahlt an mich Prozente. Was schwarz ist, gehört meinen Gegnern.« Jim sieht sich die schwarzen Vierecke genauer an. Und er erkennt schnell, dass es sich um den Verladebahnhof, die Bank, den Mietstall, Pat Saunders′ Store, die Schmiede und einige andere Geschäfte handelt, darunter auch das Northern Hotel. Er sieht Reb Jordan fragend an. Der hebt die geballte Faust und stößt sie gegen die Karte. »Die Sache ist ganz einfach«, sagt er. »Mir gehören alle Saloons und Amüsierbetriebe oder werden von mir kontrolliert. Berufsspieler und Tanzmädchen zahlen mir Prozente. Und wir alle wollen, dass diese Stadt wild und zügellos bleibt. Wir wollen keine Stadtgesetze oder sonstige Beschränkungen. Wir wollen, dass Wager eine offene Stadt bleibt, in der sich jeder Bursche nach Herzenslust austoben kann. Den Marshal habe ich in der Hosentasche. Bill Sullivan deckt uns. Er beschützt meine Leute, wenn sie rau werden und meine Interessen schützen. Die Gegenpartei wird von Bankier Steward Brown geführt. Diese Leute wollen eine ordentliche Stadt mit scharfen Gesetzen, Polizeistunde und dem 62
Verbot, Waffen zu tragen. Diese Leute wollen Wager zu einem Mittelpunkt des Handels machen. Das Land wird immer mehr von Siedlern, Farmern und kleinen Ranchern besiedelt. Von diesen Leuten versprechen sich meine Gegner auf die Dauer mehr Gewinn. Aber das kann ich nicht zulassen. Ich lebe von den Treibherdenleuten. Die wollen sich austoben. Wenn sie das nicht können, so reiten sie nach Benson hinüber. Benson liegt nur zwanzig Meilen weiter nördlich – und es ist wild und für jeden offen, der sein Geld dort verjubeln möchte. Nein, ich muss die wilden Jungs, die hier den Lohn vieler Monate ausgeben, in der Stadt halten können. Und dann ist noch etwas. Tom Drake besitzt die Generalkonzession der Viehverladung. Meine Geschäfte gingen noch sehr viel besser, wenn ich diese Konzession bekäme. In zwei oder drei Jahren ist hier ohnehin alles vorbei. Dann entsteht irgendwo eine neue Treibherdenstadt, die günstiger liegt. Es werden immer mehr Bahnlinien gebaut. Eines Tages ist das große Geschäft hier vorbei, und Wager ist nur noch als Verladebahnhof für die nähere Umgebung interessant. Bis dahin will ich meine Taschen gefüllt haben. Aber über all diese Dinge können wir morgen reden. Willst du im Northern Hotel wohnen oder hier bei mir?«
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»Das will ich mir morgen überlegen, Jordan. Ich bin ziemlich müde. Ich habe mein Pferd und meine Ausrüstung im Treibsand eines Creeks verloren. Dann habe ich mit knapper Not die Bahnlinie erreicht. Mir genügt es erst einmal für heute.« Reb Jordan nickt ihm zu. »Well, ruh dich aus. Hier sind zweihundert Dollar Taschengeld, aber in meinen Saloons bekommst du alles umsonst. Vielleicht willst du dir noch einen besseren Anzug kaufen. Und pass auf! Die Stadt weiß jetzt schon, dass wir unter vier Augen geredet haben. Sie kennt dich inzwischen schon als einen verwegenen Burschen. Man wird sich denken, dass du wahrscheinlich für mich arbeitest, wenn du ungehindert aus diesem Saloon kommst. Auch meine Gegner beschäftigen einige schlimme Burschen. Tom Drake ist gefährlich. Er weiß, dass ich nur auf eine Gelegenheit warte, um ihn auszubooten. Er hat zwei schlimme Tiger zur Verfügung, vor denen meine Jungs Respekt haben. Nun, es wird deine erste Aufgabe sein, diese beiden Burschen zurechtzustutzen, sodass Tom Drake wieder einmal allein ist. Und dann werde ich ihn reinlegen. Pass nur auf dich auf, Jim.« »Das habe ich gelernt, Reb«, murmelt Jim und geht zur Tür. Als er von dort noch einmal über die
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Schulter blickt, sieht er in Reb Jordans forschenden, abschätzenden und lauernden Blick hinein. Er grinst auf seine Art, die ihm den Spitznamen einbrachte, unter dem er im Süden so sehr bekannt ist. Dann tritt er in den Spielsaloon. Dort richten sich alle Blicke auf ihn. Die vielen Männer bemerken sicherlich auch, dass seine vorhin so gefüllten Taschen jetzt leer sind. Zwei bullige Rauswerfer, deren Gesichter die Zeichen von vielen Saloonkämpfen aufweisen, stehen rechts und links neben der Tür. Sie sehen ihn forschend an. Einer murmelt: »Nun, Bruder, hat dir der Boss das viele Geld wieder abgenommen?« »Er verwahrt es für mich – und er ist jetzt auch mein Boss.« Jim grinst und geht davon. Er kommt in den Saloon. Hier tanzen jetzt eine Menge Paare auf der freien Fläche. Jim Hardin sieht ein Schild an der Wand, auf dem geschrieben steht: Achtundzwanzig Mädels! Jeder Tanz einen Dollar!
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Er drängt sich durch die Tischreihen. Er fühlt die Blicke einiger Männer auf sich ruhen. Ja, die Stadt spricht jetzt immer mehr über ihn. Langsam tritt er auf den Gehsteig hinaus, gleitet schnell aus den Lichtbahnen, die aus Fenstern und Türen fallen, und verharrt dicht an der Hauswand im tiefen Schatten. Seine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, und er lauscht wieder auf den Pulsschlag der Stadt. Die Stadt summt ständig. Ja, sie ist eine einzige Amüsierhölle. Sie summt und rauscht, tönt und klingt. Aber alles ist rau und wild. Aus der Wyoming Hall kommen einige betrunkene Cowboys und klettern auf ihre Pferde. Lärmend reitet die Crew aus der Stadt und feuert dabei ihre Colts ab. Die Postkutsche aus dem Hinterland kommt hereingerasselt und hält mit kreischenden Bremsen vor der Posthalterei an. Überall stehen Sattelpferde an den Haltestangen. Wagen aller Art sind abgestellt. Männer bewegen sich von einem Lokal ins andere. Von irgendwoher erklingt das kreischende Lachen einer betrunkenen Frau. Der bullige Marshal kommt den Gehsteig entlang und verschwindet in einer dunklen Gasse. Heulend kommt eine neue Mannschaft von draußen hereingeritten und quetscht sich johlend und wild durch die Schwingtür der Crazy Bull Bar. 66
Weiter oberhalb der Straße entsteht eine Prügelei zwischen zwei Cowboy-Mannschaften. Schüsse krachen. Jetzt weiß Jim Hardin auch, warum der Marshal so plötzlich in eine Gasse verschwand. Jim geht langsam weiter. Er kommt am Mietstall vorbei und denkt daran, dass er am nächsten Tag ein Pferd kaufen will. Er denkt auch an sein Spiel mit Reb Jordan – und er ist sich darin sicher, dass der ihn betrogen hat. Er nimmt sich vor, sich die Kartenpäckchen einmal genauer anzusehen. In einer Hausnische bleibt er noch einmal stehen. Er hört jetzt ganz deutlich das Brüllen vieler Rinder. Die Verladecorrals sind also schon wieder gefüllt. Als er mit dem Zug in die Nähe der Stadt kam, sah er einige Treiberherden oder deren lange Staubfahnen. Eine Lok sendet ihren schrillen Pfiff durch die Nacht. Sicherlich wird am Bahnhof auch bei Nacht noch verladen. Jim Hardin seufzt. Er denkt an seine Aufgabe – seine sich selbst gestellte Aufgabe. Aber er denkt auch daran, was sein wird, wenn Jordan von ihm etwas verlangt, was er, Jim Hardin einfach nicht tun wird. Was dann? Mit einer Plötzlichkeit, die heiß in ihm aufsteigt, kommt ihm das Mädchen Jennifer Northern im Hotel in den Sinn. 67
Ja, als Reck Hard tot war, schrieb sie ihm einen Brief. Es war die Todesnachricht. Er hatte sie in einem Anfall von Wut zusammengeknüllt und in ein Feuer geworfen. Jetzt wünscht er sich, er hätte den Brief noch. Aber soviel er sich erinnert, stand kein Wort davon drinnen, dass Jennifer Northern Reck liebte. Das stand nur in Recks Brief. Jim Hardin sieht nach dem Hotel hinüber. Er seufzt, überquert die Straße und tritt in die Halle.
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4 Als er den alten Mann hinter dem Pult sitzen sieht, wird er sich darüber klar, wie sehr er gehofft hat, das Mädchen zu sehen. Der alte, verwitterte Mann jedoch kann nur ihr Vater, Stag Northern, sein. Der Mann ist groß und schwer, aber nicht kernig, sondern schwammig und schlaff. Vielleicht war er früher ein harter Mann. Aber jetzt ist er nur eine Ruine. Sein graues Haar ist lang. Sein Schnurrbart ist ungepflegt. Als er aufsteht und zum Schlüsselbrett tritt, hört man das Stapfen eines Holzbeines. Das erklärt alles. »Sie sind Jim Hardin, nicht wahr?«, murmelt der Mann. Als Jim nickt, murmelt der Alte bitter: »Ich bin Stag Northern. Früher war ich mal ein Tiger wie Sie, mein Junge. Aber das ist schon lange her. Sie kommen aus Texas. Kannten Sie vielleicht einen Reck Hard?« Jim sieht den Alten eine Weile stumm an, und er wird sich darüber klar, dass Jennifer ihrem Vater nicht gesagt hat, dass er Recks Bruder ist. Der Alte scheint auch nicht zu wissen, dass Reck Hard in Wirklichkeit Reck Hardin hieß.
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Jim schüttelt den Kopf. »Texas ist verdammt groß. Nein, einen Reck Hard kannte ich nicht.« Er nimmt den Schlüssel und geht zur Treppe. Der Alte fragt hinter ihm her: »Arbeiten Sie jetzt für Reb Jordan? Ich habe eben gehört, dass er Sie mit in sein Privatzimmer genommen hat.« Jim blickt über die Schulter. Er erkennt einen lauernden Ausdruck in Stag Northerns Augen. »Nachrichten verbreiten sich wohl sehr schnell in dieser Stadt?«, fragt er sanft. »Sehr schnell, Mister. Diese Stadt ist wie ein feinnerviges Tier. Ihr entgeht nichts – gar nichts. Sie weiß jedes geringfügige Zeichen zu deuten. Aber auch Reb Jordan hat Feinde, Texasmann. Passen Sie gut auf sich auf, hihi-hihi! Nur vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben! Ich bin nur noch eine Ruine von einem Mann. Ich werde nur gefährlich, wenn ich keinen Whisky mehr bekomme.« Stag Northern greift unter die Pultplatte und holt eine noch halb volle Flasche hervor. Er trinkt schmatzend. Jim geht drei Stufen hinauf, hält an und fragt über die Schulter: »Wo ist Ihre Tochter?« Der Mann setzt die Flasche ab. Sie ist jetzt leer. Seine Augen funkeln seltsam, aber daran ist wohl der scharfe Whisky schuld.
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»Mrs Webster bekommt ein Kind, und Jennifer hilft dem Doc«, sagt er zu Jim hinauf. »Eine schlimme Stadt für eine Frau, die ein Kind zur Welt bringt. Hier ist kein guter Ort für Kinder. Hier gibt es noch nicht mal eine Schule. Hier gibt es nur Laster, Leidenschaften und Gewalttaten. Diese Stadt ist nicht gut für gute Menschen. Diese Stadt ist so schlecht wie Reb Jordan – oder wie ich, hihihihi! Ich muss mir eine neue Flasche holen.« Er stapft unsicher davon und verschwindet im Durchgang zum Restaurant. Jim geht weiter. Er sperrt die Tür auf, tritt ein, schließt sie und erstarrt. Sein Warninstinkt meldete sich zu spät. Er war in Gedanken noch zu sehr bei diesem alten Säufer dort unten, der der Vater eines äußerlich prächtigen Mädchens ist. Als Jim Hardin nämlich die Tür hinter sich geschlossen hat und sich umwendet, um nach der Lampe auf dem Tisch zu tasten, da riecht er, dass hier schon eine Lampe brennt. Und im selben Moment nimmt jemand eine Decke von einer Stalllaterne. Es wird plötzlich hell im Zimmer. Eine präzise Stimme sagt mit tödlicher Sanftheit: »Nur ruhig, Mister. Auf diese Entfernung
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treffe ich Ihren Bauchnabel genau. Nehmen Sie die Hände hoch. Nimm ihm den Colt weg. Buster!« Jim Hardin zögert einige Sekunden lang. Die Laterne steht auf dem Fußboden. Daneben liegt die Decke. Dahinter steht ein untersetzter, aber sehr breiter und kantiger Mann. Die breite Hutkrempe beschattet ein Gesicht, das nur aus Kanten und festen Winkeln besteht. Zwei kleine Augen glänzen seltsam. Jim wirft einen kurzen Blick auf den Colt in der Hand des Mannes. Schon an der lässigen Art, wie der viereckige Mann die Waffe hält, erkennt Jim dessen Gefährlichkeit. Nur ein Mann, der sich eines schnellen Schusses sehr sicher ist und der schon oft auf diese Art einen Mann vor seinem Colt stehen hatte und deshalb überhaupt nicht nervös ist, hält eine Waffe so lässig und scheinbar sorglos – scheinbar! Jim wendet den Kopf. Und da sieht er eine vergrößerte Ausgabe des viereckigen Revolvermannes. Er sieht ein breites Ungetüm, groß, breit, schwer und massig. Der Bursche hat sture Augen und einen kleinen, runden Kopf. Er grinst auf eine Art, die keinerlei Gefühl verrät und den stumpfen und leeren Ausdruck noch verstärkt.
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Dieser Bulle ist animalisch, und sicherlich wird er von dem anderen Mann so sehr beherrscht, dass er nicht denkt, sondern einfach nur immer tut, was ihm gesagt wird. »Kleiner«, sagt der Bulle nun mit einer fast weinerlichen Kinderstimme. »Kleiner, er hat dir doch gesagt, dass du die Hände hoch nehmen sollst, nicht wahr? Du musst tun, was er dir sagt. Ich achte immer darauf, dass man Leslys Wünsche schnell erfüllt. Sieh mich an. Und dann denke schnell darüber nach, wie weit du mit deinem Stolz kommen würdest. Ich bin Buster Hull, und ich habe vierzig Runden mit dem berühmten John L. Sullivan gekämpft – und ihn geschlagen. Los, Kleiner!« Jim Hardin gehorcht langsam. Ja, auch er hat schon vom dem berühmten Preiskämpfer John L. Sullivan gehört. Man spricht jetzt auch davon, dass es bald so genannte Weltmeisterschaften im Boxen geben soll, und man hält diesen John L. Sullivan für den Mann mit den meisten Chancen auf diesen Titel. Er hebt also die Hände. Der Riese tritt an ihn heran und nimmt ihm den Colt weg. Als er die Waffe in seiner Hand wiegt und dabei verächtlich schnauft, als verachtete er ein solches Spielzeug, da sagt sein Partner lässig: »Bring ihm gleich bei, dass wir es ernst meinen und auch rau werden können.« 73
Der Riese stößt einen dumpfen Ton aus. Er tritt einen halben Schritt zurück und schießt seine Linke ab. Aber da kommt die größte Überraschung seines Lebens für ihn. Jim Hardin lässt sich nämlich von dem drohenden Colt in der Hand des anderen Mannes nicht einschüchtern. Obwohl er dicht an der geschlossenen Tür steht, duckt er den Schlag des Preisboxers ab. Die Faust radiert nur über seinen Hinterkopf. Jim aber rammt seinen Kopf in die Magenpartie des Riesen und stößt sich mit einem Fuß kräftig von der Wand ab. Da der schwere Mann ins Schwanken gerät, kann ihn Jim quer durch das kleine Zimmer bis zur Fensterbank stoßen. Diese Fensterbank ist niedrig. Sie stößt in die Kniekehlen des Schwergewichtes. Er setzt sich unsanft – und sein mächtiger Rücken drückt die Scheibe mitsamt dem Fensterkreuz ein. Jim Hardin reißt sich los. Dabei geht seine Kleidung in Fetzen. Dicht hinter sich hört er den anderen Mann fluchen. Er fällt in die Hocke, und der niedersausende Coltlauf rutscht an seinem Ohr vorbei und trifft nur die Schulter. Jim umschlingt die Beine des Riesen, der sich erheben will. Er schnellt auf, reißt die Beine des
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Mannes hoch und wirft ihn rücklings aus dem Fenster. Dann trifft ihn der andere Mann mit dem zweiten Schlag besser. Jim verspürt einen höllischen Schmerz im Kopf. Es ist ihm, als explodierte etwas darinnen. Er schwankt zur Seite, taumelt gegen die Wand und fällt seufzend auf die Knie. Einen Moment glaubt er, dass er die Besinnung verliert. Aber es wird schnell besser, obwohl es in seinem Kopf schmerzvoll dröhnt und hämmert. Er schüttelt unwillig den Kopf, will sich schon aufrichten, aber da kommen die Füße des Mannes in seinen Gesichtskreis. Der Bursche hält ihn schon für geschlagen und will nun dicht an ihn herantreten. Da wirft sich Jim aus seiner kauernden Stellung gegen die Beine des anderen. Er hört den Fluch des Gegners, als dieser über ihn stürzt, sich aber an der Wand fängt. Als sich der Mann herumwirft, springt ihn Jim von unten herauf an. Er erwischt die Revolverhand, umfasst sie mit beiden Händen am Handgelenk, dreht sich blitzschnell und bringt einen Schulterzug an, der den Gegner durch das Zimmer und aufs Bett wirft. Der Colt poltert zu Boden. Jim geht hinüber. Er ergreift dabei den einzigen Stuhl des Zimmers. Er schwingt ihn hoch und wuchtet ihn auf den Mann nieder, der ihn vom Bett 75
anspringen will. Der Stuhl geht in Trümmer – und der Mann stolpert. Er schlingt seine Arme um Jims Oberschenkel, aber dieser reißt sein Knie hoch. Er trifft hart und richtig. Der Mann wird zurückgestoßen. Er setzt sich auf den Hosenboden und kracht mit dem Hinterkopf gegen die Bettkante. Seine Augen werden glasig, aber er quält sich noch einmal auf die Beine. Jim Hardin tritt schnell heran und schmettert zwei Schwinger rechts und links gegen die Kinnwinkel des Mannes. Dann fällt dieser quer übers Bett. Jim holt sich seine Waffe, die der Riese vor dem Sturz aus dem Fenster fallen ließ. Er schiebt sie ins Holster und nimmt den Revolver des anderen Mannes auf. Dann beugt er sich aus dem Fenster. Es führt auf die Hauptstraße hinaus. Etwas Großes und Schweres kriecht dort durch den Staub der Fahrbahn und richtet sich an einem Pfosten des Gehsteiggeländers auf. Einige Reiter und einige Männer zu Fuß haben unten einen Halbkreis gebildet und sehen zu. Es ist ziemlich still auf der Straße. Eine Stimme ruft zu Jim hinauf: »He, Mister! Ist der aus dem Fenster gefallen? Er hat eine richtige
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Mulde in den Boden gewuchtet. War der betrunken?« Es sind Treibherdenmänner. Jim lacht grimmig zu ihnen hinunter. »Sicher, er ist aus dem Fenster gefallen. Aber er lebt doch wohl noch, nicht wahr?« Bevor einer der Zuschauer etwas sagen kann, löst Buster Hull sich von dem Pfosten, an dem er Halt fand. Er macht einige schwankende Schritte und dreht sich dann um die eigene Achse, als hätte er vollkommen den Richtungssinn verloren. Dann schwankt er schräg auf einen Tränktrog zu und fällt mit dem Oberkörper darüber. Jim wendet sich grinsend ins Zimmer zurück. Der andere Mann richtet sich gerade auf, bleibt aber auf dem Bettrand sitzen. Er wischt sich übers Gesicht und betastet seine Kinnbacken. Dann sieht er Jim Hardin an und sagt schwer: »Du bist eine mächtig harte Nummer, mein Junge. Du hast eine tüchtige Menge Glück gehabt gegen uns – aber der große Fehler liegt bei mir. Ich habe dich unterschätzt. Das werde ich nicht wieder tun.« Er erhebt sich mühsam und taumelt zur Tür. »Noch einen Moment, Freund«, sagt Jim Hardin sanft. Der Mann wendet sich ihm zu und lehnt sich schwer gegen die Tür. »Sicher, du leitest ja jetzt diese Vorstellung«, seufzt er. »Was soll's denn sein?« 77
»Was wolltet ihr von mir?«, fragt Jim Hardin ihn und nähert sich ihm bis auf zwei Schritte. Er behält seinen Colt schussbereit in der Hand, denn er ist sich darüber klar, dass er vorhin wirklich eine Menge Glück hatte. Der Mann dort ist gefährlich. Er sieht, wie in den Augen des Gegenübers ein verwunderter Ausdruck erscheint. Dann hört er ihn sagen: »Stell dich doch nicht so dumm, Freundchen. Dich hat Reb Jordan angeworben. Er wirbt jeden wilden Tiger an, der in diese Stadt kommt. Und wenn sich diese Tiger erst einmal bewährt haben, so gibt er ihnen den Auftrag, es mit Tom Drake zu versuchen. So war es bis jetzt immer. Tom Drake hat uns angeworben, damit wir ihn vor Jordans Killern schützen. Und wir haben uns gedacht, dass wir dich lieber gleich heute zurechtstutzen sollten. Wir wollten dir die Lust austreiben, hier in Wager zu bleiben und für Reb Jordan zu arbeiten. Wir fürchten uns nicht vor seiner lausigen Bande. Wir passen nur auf, dass er keinen guten Mann behält. Nun, heute hast du Glück gehabt. Aber an Tom Drake kommst du nicht heran. Du wirst schon noch deinen Spaß mit uns bekommen.« Er wendet sich schwerfällig um, öffnet die Tür und geht hinaus. Jim folgt ihm bis zum Gang und beobachtet, wie er mühsam die Treppe hinunterhumpelt. 78
Unten in der Halle stehen einige Männer und starren empor. Sie wenden sich aber ab, als sie ihn oben am Geländer erkennen. Stag Northern kommt in diesem Moment mit einer Flasche aus dem Verbindungsgang zum Restaurant heraus. Er bleibt stehen, stiert Jims schwankenden Gegner an und blickt dann zu Jim empor. »Hatten Sie Besuch?«, fragt er. Jim gibt keine Antwort. Er geht in sein Zimmer zurück, riegelt die Tür ab, löscht die Laterne und stellt sich ans Fenster. Er sieht den viereckigen Mann aus dem Hotel kommen und zu der Gruppe gehen, die bei der regungslosen Gestalt Buster Hulls steht. Auch der Marshal erscheint plötzlich von irgendwoher. Er starrt einmal kurz zu Jims Fenster hoch und drängt sich durch die Gruppe. Aber Jims kleinerer Gegner stößt ihn zur Seite, hilft dem größeren Kameraden auf die Beine und bewegt sich mit ihm davon. Die Männergruppe löst sich auf. Nur der Marshal bleibt zurück. Wieder blickt er zu Jims Fenster hoch. Dann geht er langsam davon. Jim zieht den Vorhang vor. Das fehlende Fenster stört ihn nicht weiter, denn die Nacht ist warm. Er zündet die Lampe an und tritt vor den Spiegel. Obwohl ihm Kopf und Gesicht schmerzen, erschrickt er etwas. Die beiden Kerle haben ihn doch mit ihren 79
Schlägen an vielen Stellen getroffen, was er jetzt erst schmerzvoll spürt. Er wäscht sich und tupft seine Hautabschürfungen und Schwellungen mit dem nassen Handtuch ab. Dann taucht er das Handtuch nochmals ins Wasser, legt es auf die Beule am Kopf und tritt ans Bett. Er legt sich hin, streckt sich aus und seufzt bitter. In seinem Kopf hämmert und dröhnt es noch schmerzvoll. Aber er beginnt schon wieder nachzudenken. Zwei Dinge beschäftigen ihn. Da ist zum Beispiel dieser Stag Northern. Der Mann wirkt wie eine Ruine und liebt den Whisky. Und doch ist in Jim Hardin die feste Überzeugung, dass der Hotelbesitzer genau gewusst hat, dass zwei schlimme Burschen auf ihn, Jim Hardin, im Zimmer warteten. Und dann regt sich in Jim Hardin eine grimmige Neugierde auf Tom Drake, dem der wichtige Verladebahnhof mit seinen Corrals, Laderampen, Futterscheunen und die Generalkonzession gehört. Dieser Tom Drake, den er noch nicht kennt, hat ihm also zwei schlimme Burschen auf den Hals geschickt. Die Annahme, er, Jim Hardin, würde nun für Reb Jordan arbeiten, hat genügt. Was ist Tom Drake für ein Mann? Das fragt sich Jim immer wieder. Ist Tom Drake hart und rau und ein vollwertiger Gegner für Reb 80
Jordan? Oder handelt Tom Drake ganz einfach aus Angst? Fühlt Drake sich so sehr bedroht, dass er sich nicht mehr anders zu helfen weiß und seine Killer auf jeden Mann hetzt, den er für einen besonders schlimmen Tiger in Reb Jordans Diensten hält? Ist also Tom Drake ein rauer Bursche, oder ist er eine Maus, die sich vor lauter Angst zu verzweifelten Aktionen hinreißen lässt? Jim seufzt wieder. Das alles bringt ihn nicht weiter. Er ist hergekommen, um den Mörder seines Bruders zu finden. Es kommen aber sehr viele Männer dafür in Frage. Reb Jordan kann dahinter stecken, weil Reck nicht mehr sein Handlanger sein wollte. Aber auch Tom Drakes Leute könnten es gewesen sein. Jim will sich auf die andere Seite drehen, als es leise an seine Tür klopft. Er richtet sich langsam auf und nimmt den Colt in die Hand. Er gleitet zur Tür und fragt: »Wer ist dort?« Die gepresste Stimme eines Mädchens antwortet: »Ich bin es. Schnell, Jim, machen Sie auf!« Er öffnet. Es ist Jennifer Northern. Er lässt sie eintreten, späht dabei scharf den Gang entlang. Aber es ist niemand zu sehen. Auch die Türen der anderen Hotelzimmer sind geschlossen.
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Er tritt ins Zimmer zurück, schließt die Tür und schiebt den Riegel vor. Er sieht das Mädchen an und erkennt die nervöse Erregung in ihrem Gesicht. Diese Erregung zaubert rote Flecken auf ihre Wangen. Sonst ist ihr Gesicht unter der gebräunten Haut unnatürlich bleich. In ihren graugrünen Augen erkennt er Angst und Furcht. Sie steht bewegungslos vor ihm. Ihre Arme hängen schlaff nieder, aber ihre Finger zucken. »Ich kann Ihnen leider keinen Stuhl anbieten, Jennifer«, murmelt er und deutet auf die Trümmer am Boden. Sie sieht sich um. Dann bewegt sie sich. Anscheinend werden ihr die Knie weich, und sie möchte sich setzen. Sie tritt ans Bett und lässt sich auf den Rand nieder. Sie legt ihre verkrampften Hände in den Schoß und sieht zu ihm auf. »Jim«, sagt sie gepresst, »ich habe dem Doc bei einer Entbindung geholfen. Als wir dann auf dem Heimweg waren, trafen wir einige Bürger dieser Stadt. Sie berichteten dem Doc, dass Lesly Quarter und Buster Hull auf dich losgegangen wären. Und du hättest den mächtigen Buster Hull aus dem Fenster geworfen und Lesly Quarter schlimm zurechtgestutzt.« »Ich hatte Glück«, murmelt er, und er lächelt sein altes, verwegenes Lächeln. Zugleich wird er sich 82
bewusst, dass sie ihn duzt. Das geschah sicherlich ganz impulsiv. Sie sieht ihn angstvoll an. »Yeah, sicher, du hast Glück gehabt. Aber du wirst jetzt auf Tom Drake losgehen wollen, weil du annehmen musst, dass er dir die beiden schlimmen Burschen auf den Hals schickte. Du wirst…« »Hat er das vielleicht nicht getan?«, fragt er sanft. Das Mädchen senkt den Kopf und zuckt mutlos mit den Schultern. »Tom Drake fühlt sich ständig bedroht. Er ist kein Feigling, aber selbst der härteste Mann bricht eines Tages zusammen, wenn er ständig befürchten muss, von gedungenen Mördern getötet zu werden. Drake weiß zu gut, dass Reb Jordan ihn töten lassen will, um auch die Kontrolle über das Verladegeschäft zu bekommen. Tom Drake will am Leben bleiben. Ihm ist jetzt jedes Mittel gut genug. Jemand wird ihm gesagt haben, dass du in Reb Jordans Dienste getreten bist. Da konnte er sich ausrechnen, dass Jordan wieder einmal einen schlimmen Tiger auf ihn hetzen würde. Und er wollte ihm zuvorkommen. Deshalb schickte er seine beiden Leibwächter aus. Du kannst einen Mann, der sein Leben erhalten will und der in ständiger Todesgefahr ist, nicht verurteilen, Jim.«
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»Vielleicht kann ich das nicht«, murmelt er und setzt sich auf den Tisch. Er schlenkert mit den Beinen, beobachtet das Mädchen eine Weile schweigend und sagt dann trocken: »Du hast Angst um Tom Drake, Jenny. Liebst du ihn?« Sie sieht ihn offen und gerade an. In ihren Augen erscheint ein feuchter Glanz. Aber sie unterdrückt die Tränen, schluckt mühsam und nickt langsam. »Vor langer Zeit glaubte ich, dass ich ihn liebte – aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.« »Und was war zwischen dir und meinem Bruder Reck?« Sie senkt wieder den Kopf. Nun tropfen wirklich Tränen auf die ineinander verkrampften Hände in ihrem Schoß. »Reck habe ich belogen«, flüstert sie. »Reck liebte ich nie. Ich machte ihm etwas vor, was gar nicht in mir war. Er war Reb Jordans Revolvermann, und er lauerte nur auf eine Chance, Tom Drake irgendwo in der Stadt begegnen und herausfordern zu können. Er hatte von Reb Jordan den Auftrag, Tom Drake zu einem Zweikampf zu zwingen. Aber Tom Drake verließ während dieser Zeit sein Büro am Bahnhof nicht. Er ließ sich nicht blicken. Aber ich wusste, dass er es auf diese Art nicht lange aushalten würde. Tom Drake ist stolz. Eines Tages wäre er in die Stadt 84
gekommen und hätte Reck vor die Füße gespuckt. Und dann hätten sie gekämpft. Ich habe Tom Drake während dieser Zeit mehrmals besucht, und ich konnte immer mehr erkennen, dass er es nicht mehr lange ertragen würde, sich vor einem Revolverhelden verstecken zu müssen. Ich konnte mir ausrechnen, wann es geschehen würde. Da kam ich auf die Idee, deinen Bruder in mich verrückt zu machen. Ich kämpfte mit den Waffen einer Frau für Tom Drake. Ich wirkte auf Reck ein. Ich machte ihm klar, dass er mich niemals bekommen könnte, solange er ein angeworbener Revolvermann wäre. Ich gab ihm deutlich zu verstehen, dass…« »Ich weiß schon Bescheid«, unterbricht Jim sie ruhig. »Reck war in dich verliebt – und es hatte ihn sicherlich mächtig gepackt. Er wollte ein Mann nach deinem Herzen werden. Er wollte ein Held werden, der furchtlos gegen Unrecht, Gewalt und Terror ankämpfte. Und wahrscheinlich rechnete er gar nicht damit, dass er gewinnen könnte. Aber er wollte deine Achtung. Well, du hast ihn also umgewandelt. Um Tom Drake zu retten, hast du Reck schöne Augen gemacht und ihm Zuneigung geheuchelt. Du musst es sehr geschickt gemacht haben. Und du musst Tom Drake sehr geliebt haben, um das alles fertig zu bringen. Was war dann?«
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»Reck hatte mit Reb Jordan eine Auseinandersetzung. Er kündigte Jordan den Dienst. Dann wollte er zu Tom Drake. Er wollte Tom Drake seine Hilfe anbieten. Er kam vorher zu mir und sagte mir das unten in der Halle. Dann ging er hinaus. Wenig später hörte man draußen auf der Straße eine Schrotflinte zweimal krachen. Reck war sofort tot.« Sie verstummt schluchzend. Jim erhebt sich von der Tischecke und wandert im Zimmer umher. Dann bleibt er vor dem Mädchen stehen und starrt auf ihren geneigten Kopf nieder. Ihr Haar leuchtet und glänzt im Lampenlicht wie poliertes Kupfer. Sie sieht plötzlich zu ihm auf. Ihr Gesicht ist tränennass. »Jim, bitte verzeih mir, dass ich deinen Bruder so betrog«, flüstert sie tonlos. »Ich war gemein. Ich heuchelte ihm Liebe, damit…« »Schon gut, jeder Mann ist sein eigener Hüter«, unterbricht er sie ruhig. »Auf jeden Fall wollte Reck für eine Sache kämpfen, die er für gut hielt. Er wollte kein gedungener Revolvermann mehr sein, sondern einem in die Ecke gedrängten Manne helfen. Nun, Jenny, was hättest du getan, wenn er es geschafft hätte? Was wäre aus Reck und dir geworden, wenn er die Stadt gesäubert hätte?« Sie erhebt sich langsam und sieht ihn fest an. 86
»Er hätte mich bekommen«, sagt sie fest. »Ich hätte ihn nicht um den Lohn betrogen, den er erwartete. Ich wäre ihm eine gute Frau geworden, und vielleicht hätte ich ihn eines Tages wirklich geliebt – denn er war furchtlos. Er war kein Feigling. Das ist schon sehr viel. Es lag nur bei ihm, sich auch weiterhin meine Achtung zu erhalten. Daraus hätte Liebe werden können.« Jim atmet langsam aus. Er legt die Hände auf die Schulter des Mädchens. Seine Finger spüren, wie sehr sie zittert und bebt. »Immerhin konntest du ihn vorerst einmal wandeln«, murmelt er. Dann lässt er sie los und wandert durchs Zimmer. »Und was ist jetzt mit Tom Drake und dir?« »Nichts mehr. Er hasst mich jetzt, weil er natürlich damals erfahren hat, dass ich Reck in mich verliebt machte. Er glaubt, dass ich mich für den stärkeren und kämpferischeren Mann entschieden hätte. Aber vielleicht ahnt er auch, dass ich mich opfern wollte, damit Reck ihn nicht abschießen würde. Er hasst mich – oder schämt sich. Auf jeden Fall ist er mit mir fertig. Er sieht mich nicht mehr an und lässt mich stehen, wenn ich ihn anspreche. Nachdem Reck tot war und Reb Jordan andere Revolverhelden auf ihn hetzte, warb er sich diesen Lesly Quarter und den mächtigen Buster Hull an. Er bezahlt sie gut, und sie 87
beschützen ihn. Jim, was wird nun werden? Wenn es stimmt, dass du jetzt in Reb Jordans Dienste getreten bist, so wird er dir sehr bald den Befehl geben, Tom Drake zu erledigen. Was machst du dann?« Jim überlegt. Dann murmelt er: »Das hängt ganz von Tom Drake ab. Aber etwas will mir nicht in den Kopf. Warum glaubt Reb Jordan, dass er nach Drakes Ausschaltung den Verladebahnhof übernehmen kann?« »Das hat Reck mir erklärt«, sagt das Mädchen schnell. »Als damals die Bahnlinie erbaut wurde, gründete der Bankier Steward Brown diese Stadt. Er kaufte das Land ringsherum, machte in allen großen Zeitungen Reklame und interessierte viele Siedler und Farmer. Er verkaufte das billig erworbene Land zu guten Preisen und gab den ärmeren Siedlern und Farmern langfristige Kredite. Tom Drake jedoch bekam zur Zeit der Stadtgründung von der Bahngesellschaft die Generalkonzession für alle Viehtransporte. Tom Drake besaß keinen Cent, und diese Konzession war sein einziger Trumpf. Irgendwie hatte er es verstanden, die Eisenbahngesellschaft für sich einzunehmen. Nun, er ging mit der Konzession zu Steward Brown. Der gab ihm Geld. Mit diesem Geld baute Tom Drake die Corrals, Futterscheunen und Laderampen. Er hat in 88
der Zwischenzeit natürlich gut verdient, aber bei den hohen Zinsen, die Brown von ihm nimmt, wird er bis heute kaum die Hälfte des geliehenen Kapitals zurückgezahlt haben. Wenn er also stirbt, kann die Bank sofort den Verladebahnhof übernehmen.« »Aber Reb Jordan und der Bankier sind doch keine Partner«, sagt Jim überrascht und erinnert sich daran, dass Reb Jordan ihm sagte, dass er mit dem Bankier so wenig befreundet wäre, dass er nicht einmal sein Bargeld zur Bank brächte, sondern in einem eigenen Geldschrank verwahrt. Das Mädchen nickt. »Reck sagte mir«, erklärt sie, »dass Reb Jordan irgendeinen Trumpf im Ärmel hätte, mit dem er den Bankier dazu zwingen könnte, ihm die Rechte auf den Verladebahnhof zu überlassen. Ich weiß nicht, um was es sich handelt, aber Reb Jordan muss sich sehr sicher sein, dass er den ganzen Verladebetrieb leicht und schnell in seine Hand bekommt, sobald Tom Drake ausgeschaltet ist. Mehr weiß ich nicht. Jim, ich habe dir nun alles gebeichtet. Ich war offen und ehrlich. Bitte verzeih mir den Betrug an deinem Bruder.« »Du hast ihn gewandelt – wie, das ist unwichtig. Wichtig ist für mich, dass du dein Versprechen ihm gegenüber gehalten hättest. Und vielleicht hätte es dann nur noch an ihm gelegen, ob du ihn nicht eines
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Tages doch geliebt hättest. Ich werfe dir nichts vor, Jenny.« »Aber ich werfe mir viel vor«, murmelt sie bitter und geht zur Tür. Sie hält dort inne und sieht ihn über die Schulter hinweg angstvoll an. »Vielleicht würde Reck noch leben, wenn…« »Er ist nicht im Dienst eines Schurken gestorben – sondern für eine Sache, zu der er sich aus eigenem Willen entschlossen hatte. Er ist gestorben, weil er wieder auf einen guten Weg kommen wollte. Eines Tages wäre er bei einem Unrecht im Revolverfeuer gefallen. Er hätte erkennen müssen, dass sein Leben nutzlos vertan war. Nun, dieses leere Gefühl wird er durch dich nicht mehr gehabt haben. Er wird mit dem Bewusstsein gestorben sein, wenigstens versucht zu haben, auf einen besseren Weg zu kommen.« »Ich danke dir«, sagt sie leise und öffnet die Tür. Draußen steht Stag Northern. Er ist sichtlich erschrocken und überrascht. Er riecht nach Whisky, aber er wirkt durchaus nicht betrunken. Seine Augen brennen seltsam. Ein schlimmes Feuer ist in ihnen. »Tochter«, knurrt er und sieht dabei über sie hinweg in Jim Hardins Augen, »Tochter, wenn ich dich nochmals im Zimmer eines fremden Mannes erwische, jage ich dich auf die Straße.« Dann wendet er sich um und stapft davon. 90
Jim und das Mädchen hören das harte Aufstoßen seines Holzbeines, und beide fragen sich, wie Stag Northern so lautlos vor diese Tür gekommen sein mag. Obwohl sie beide sehr mit ihren Problemen beschäftigt waren, hätten sie seinen schweren, unbeholfenen Schritt doch hören müssen. Das Mädchen wendet sich um und sieht Jim an. Er erkennt die Angst in ihren Augen. Sie tritt dicht an ihn heran und verkrampft ihre Hände in seine Jacke. Sie flüstert tonlos: »Er hat uns belauscht. Damals hat er auch gelauscht, als Reck zu mir kam und sagte, dass er sich von Reb Jordan getrennt hätte und nun Tom Drake helfen wolle, sich zu behaupten. Damals hatte er uns genauso belauscht. Jim, er ist nicht mein wirklicher Vater. Er ist mein Stiefvater. Ich habe Angst, Jim! Als ich ins Hotel kam, saß er schnarchend in einem Sessel und machte den Eindruck eines Betrunkenen. Jim, pass auf dich auf!« »Keine Sorge«, murmelt er. Plötzlich beugt er sich nieder und küsst sie auf die Augen. »Mach dir nur keine Sorgen.« Sie geht langsam davon und verschwindet um die Treppenbiegung. Er tritt zurück, schließt die Tür, legt sich aufs Bett und denkt wieder gründlich nach. Und er hat über sehr viel nachzudenken.
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5 Am nächsten Morgen regnet es in Strömen. Jim Hardin rasiert sich mürrisch. Er ist spät eingeschlafen, und je länger er nachdachte, umso mehr verwirrte sich alles. Indes er sich vorsichtig sein zerschlagenes und gezeichnetes Gesicht rasiert, überdenkt er nochmals alles: Stag Northern ist ein anderer Mann, als es äußerlich den Anschein hat. Irgendwie ist er an den Machtkämpfen hier in Wager beteiligt. Dann: Tom Drake fühlte sich von Reck Hardin bedroht und war auf ihn eifersüchtig. Er muss Reck Hardin gehasst haben. Vielleicht war er es, der ihn mit einer Schrotflinte tötete. Und: Reb Jordan musste Reck Hardin bestimmt ebenso stark gehasst haben, weil dieser sich von ihm trennte. Vielleicht ist Reb Jordan der Mörder oder zumindest der Auftraggeber. Außerdem: Wodurch glaubt Reb Jordan, sich den Bankier gefügig machen zu können? Das sind die wichtigsten Fragen, die Jim Hardin unablässig beschäftigen.
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Jim kleidet sich schnell an. Sein Hemd und die kurze Jacke sind beim Kampf in der vergangenen Nacht zerrissen worden. Er legt sich den Waffengurt um und geht hinunter. Ein Neger fegt die Hotelhalle aus und grüßt höflich. Jim geht zum Store hinüber. Der Laden ist leer, aber Pat Saunder kommt aus seinem Büro und knurrt sofort: »Mister, wenn Sie etwas kaufen wollen, so sage ich Ihnen gleich, dass ich mit Ihnen nicht mehr wette.« Jim grinst nur, sucht sich aus dem Regal ein neues Hemd und eine Wildlederjacke aus und zahlt sofort. »Kann ich mich in Ihrem Büro umziehen?«, fragt er den Storehalter. Der nickt schweigend und folgt ihm. Er lehnt sich gegen den Türpfosten des Büros und sieht zu, wie Jim sich umzieht. Dann fragt er plötzlich: »Und jetzt arbeiten Sie also für Reb Jordan, Mister?« »Es sieht so aus, nicht wahr?« Jim grinst. Er sieht auf Pat Saunders Schreibtisch. Dort liegt eine kleine Derringer-Pistole. Jim geht hin und nimmt sie in die Hand. Sie ist geladen. »Was wollen Sie?«, fragt der Storehalter. »Ist es jetzt so weit, dass Reb Jordan wieder einmal einen Revolverschwinger herschickt, der mir klar machen soll, dass ich meinen Store für ein Butterbrot an Jordan verkaufen soll?« Jim sieht den hageren Mann an. 93
»Hat man das schon versucht?« »Yeah! Sie wissen das jetzt doch auch! Reb Jordan will sich die ganze Stadt in die Hosentasche stecken. Aber meinen Laden bekommt er nicht. Ich habe vor seinen Revolverschwingern keine Angst.« Jim nickt. In den Augen des Storehalters erkennt er eine verzweifelte Entschlossenheit. »Los, fangen Sie doch schon an mit Ihren Drohungen, Texasmann«, sagt Saunder bitter. Jim schüttelt den Kopf. »Ich möchte Sie nur darum bitten«, sagt er, »mir diesen Derringer für einige Stunden zu leihen.« Er kommt zur Tür und hält dicht vor dem Storehalter inne. Er schiebt die kleine Waffe in die Tasche und murmelt: »Ihr seid alle feige – ihr Kaufleute und Bürger in dieser Stadt. Warum jagt ihr den Marshal nicht zum Teufel und holt euch einen Mann, der euch beschützt? Oder wartet ihr auf ein Wunder oder einen Helden, der für euch kämpft?« Er geht hinaus und lässt den Storehalter staunend zurück. Der wischt sich übers Gesicht und murmelt: »Das muss ich Pete Shamrock, dem Schmied, erzählen! Verdammt, warum hat sich dieser Tiger meinen Derringer ausgeliehen?« Er durcheilt den Store und tritt auf den Gehsteig. Er sieht Jim Hardin den Fahrdamm überqueren und 94
durch die Schwingtür des Trailmen's Paradise Saloons verschwinden. »Er geht zu Reb Jordan«, murmelt er. »Und er hat sich meinen Derringer ausgeborgt. Was hat das zu bedeuten?« Indes tritt Jim Hardin an den Schanktisch. Der Barmann stellt ihm wortlos einen Whisky hin, aber Jim winkt ab und sagt: »Ich habe noch kein Frühstück im Bauch. Wo ist der Boss?« Der Barmann deutet mit dem Daumen auf eine Tür. Jim geht hin und betritt einen Raum. Es ist der Essraum der Angestellten dieses Saloons. Die Tische sind schon gedeckt, aber scheinbar wird hier nach der anstrengenden Nacht lange geschlafen. Außer Reb Jordan, der in der Ecke an einem besonderen Tisch beim Frühstück sitzt, ist niemand da. Jordan nickt kauend und deutet auf einen Stuhl neben sich. »Ich habe es schon gehört«, sagt er. »Tom Drake hat Angst bekommen und seine beiden Büffel auf dich gehetzt. Und du hast sie fein zurechtgestutzt. Ich hätte aber erwartet, dass du es härter machst. Du hast sie am Leben gelassen. Zum Teufel, jetzt werden sie es noch mal versuchen! Warum schießt du solche Kerle, die dich in deinem Zimmer überfallen, nicht einfach ab?« 95
Jim setzt sich langsam. »Du hast damit gerechnet, dass ich noch in dieser Nacht Verdruss bekommen würde?« »Sicher! Tom Drake und seine beiden Büffel sind nicht besonders einfallsreich.« »Und du hast mich nicht vor ihnen gewarnt?« »Warum auch? Wenn sie dich hätten fertig machen können, wärst du nicht der Mann, den ich brauche. Ich wollte dein Format besser erkennen. Du bist ein tüchtiger Bursche. Jetzt weiß ich, dass du für mich der richtige Mann bist. Iss erst einmal. Das Frühstück ist gut. Hier sind Eier, Wurst, Schinken und Butter. Wenn wir fertig sind, werde ich dir sagen, was du zu tun hast.« Jim Hardin verspürt Hunger. Er bedient sich. Indes er isst, kommen einige Männer herein. Es sind Revolverschwinger, Rauswerfer und Berufsspieler. Sie starren ihn an, setzen sich und beginnen zu essen. Reb Jordan steckt sich eine Zigarre an, wartet, bis Jim fertig ist, und erhebt sich dann. »Gehen wir in mein Arbeitszimmer hinüber«, brummt er. Jim folgt ihm. Sie trinken stehend einen Whisky. Dann sagt Reb Jordan trocken: »Also, es ist ganz einfach. Die ganze Stadt weiß, dass Tom Drake seine Leute auf dich gehetzt hat. Niemand kann dir verübeln, dass du 96
jetzt zu Drake gehst und ihn dir vornimmst. Ich gebe dir einige Burschen mit, die dir den Rücken decken werden. Fordere ihn heraus, bis er seinen Colt zieht. Dann erschieße ihn. Du hast es außer ihm nur mit seinen beiden Bullen zu tun. Die Verlademannschaft wird sich nicht einmischen, weil Tom Drakes Vormann Jorge Wells schon seit einiger Zeit auf meiner Lohnliste steht. Erledige Tom Drake. Du hast nichts zu befürchten. Der Marshal deckt uns, und es wird genügend Zeugen geben, die bekunden, dass Drake zuerst zum Colt gegriffen hat. Also, deine Arbeit beginnt jetzt!« Er starrt Jim an, und diesem entgeht der lauernde Ausdruck im Hintergrund von Jordans Augen nicht. Er hat mit einem Mal das Gefühl, als machte sich Jordan lustig über ihn. Und er muss plötzlich an Stag Northern denken, der vielleicht doch etwas an der Tür erlauscht haben konnte. Ist es möglich, dass Stag Northern zu Reb Jordan gehört? Weiß Northern schon, dass er Reck Hardins Bruder ist? Und hat er es Reb Jordan schon gesagt? Jim Hardins Instinkt sendet Warnsignale aus. Aber er selbst grinst auf seine verwegene Art und nickt. »Sicher, ich werde mit der Arbeit anfangen.« »Geh nur!« Jordan grinst. »Ich schicke dir einige Jungs nach, die dir den Rücken decken.« 97
In seinen Augen leuchtet für einen Sekundenbruchteil Hohn. Er wendet sich schnell ab und tritt ans Fenster. Jim geht hinaus. Am Schanktisch stehen einige Männer. Einer tritt ihm in den Weg und sagt: »Der Boss will, dass wir mit dir gehen. Hast du irgendwelche Befehle für uns?« »Keine! Ihr seht nur zu! Wo finde ich Tom Drake?« »In seinem Büro wohl. Er sieht stark und gesund aus – so wie ein junger Bulle. Sollen wir wirklich nur zusehen?« »Du hast es doch gehört, Freund«, sagt Jim und sieht den Mann noch einmal aufmerksam an. Dieser Bursche hat einiges Format. Das ist kein drittklassiger Revolverschwinger, so wie die anderen am Schanktisch. Dieser lange, sehnige Mann erinnert an einen gefährlichen Wüstenwolf. Er hält auch den scharfen Blick aus und lächelt nur hart. »Wie heißt du?«, fragt Jim. »Joe Scott. Und bevor du hier auftauchtest, stand ich an erster Stelle auf Jordans Lohnliste. Jetzt stehst du vor mir. Er traut dir mehr zu, aber vielleicht bist du gar nicht so groß, wie es den Anschein hat. Nun, wir werden ja sehen, wie du diese Nuss knacken wirst.« 98
Jim nickt. Er schenkt den anderen Männern einen kurzen Blick. Es sind drittklassige Revolverhelden und Raufbolde. Aber als Rudel sind sie gefährlich. Er geht hinaus. Als er auf die Straße tritt, sieht er kleine Menschengruppen auf den Gehsteigen. Die Stadt ist erwacht. Man beobachtet ihn aufmerksam. Er weiß, was die Stadt von ihm erwartet. Er ist in Jordans Dienste getreten. Tom Drakes Männer wollten ihn in Stücke schlagen und schlimm zurechtstutzen. Das haben sie nicht geschafft. Und nun ist er unterwegs, um von Tom Drake Genugtuung zu fordern. Es ist alles rund und glatt. Die Stadt hat es so kommen sehen und nicht anders erwartet. Als er unter einem Fenster vorbeigeht, hört er die Stimme einer Frau rufen: »Matt, da ist er! Komm ans Fenster. Er geht zum Bahnhof. Dieser Killer wird…« Mehr hört er nicht, aber er weiß jetzt ganz genau, was die Stadt über ihn denkt. Drüben beim Frachtbahnhof und der Futtermittelhandlung stehen einige Farmer, Siedler und Drei-Kühe-Rancher beisammen. Auch sie beobachten ihn. Ein Mann in einem Prinz-Albert-Rock tritt aus dem Bankhaus. Er ist dick, alt und wirkt einfältig. Er 99
tritt Jim in den Weg, und als Jim in die Augen des Mannes sieht, erkennt er darin eine Menge Fuchsschläue und auch Härte. »Einen Moment, mein Sohn«, sagt der Mann und hebt die Hände wie ein Indianer, der seine Freundschaft zeigen will. Jim bleibt stehen. Er ahnt, dass es der Bankier Steward Brown ist, der Gründer dieser Stadt und Geldgeber für viele Leute. Er hört es auch sofort, denn der dicke, alte, schlaue Mann sagt: »Ich bin nur der Bankier – und ich bin ein alter Mann, der weise geworden ist durch die Schlechtigkeit dieser Welt. Junge, du willst für Reb Jordan eine schmutzige Arbeit verrichten. Du willst einen Mann töten, der schon längst vor lauter Angst zum Feigling geworden ist und sich in ein Mauseloch verkriechen würde, wenn er es könnte. Tu's nicht, mein Junge! Der Teufel hat dich in den Klauen! Du willst Blut vergießen. Wenn du ein gutes Werk tun möchtest, dann kehre um und schieße diesem Reb Jordan eine Kugel in den Bauch. Ich würde dir tausend Dollar geben.« »Sie sind mir ja ein netter Zeitgenosse«, sagt Jim nur und geht um den Bankier herum. Der ruft ihm nach: »Der Teufel wird dich fressen! Er hat schon viele von deiner Sorte gefressen!«
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Jim geht weiter. Als er sich einmal umsieht, flüchtet der Bankier vor einem Rudel Männer in seine Bank. Das Rudel Männer stand vorhin am Schanktisch. Joe Scott führt es an. Jim Hardin sieht, wie die Gruppen der Bürger und Geschäftsleute eilig in ihren Häusern verschwinden. Nun sieht er die Macht Reb Jordans. Einige Treibherdencowboys und Satteltramps sehen schweigend zu und mischen sich nicht ein. Sie halten sich streng an das ungeschriebene Gesetz der Treibherdenstädte: Misch dich in keinen Verdruss ein, der nur die Stadt angeht. Jim kommt an eine Gassenmündung. Hier tritt ihm der Marshal in den Weg. Bill Sullivans Preiskämpfergesicht ist mürrisch. Als er den Mund öffnet, riecht es nach billigem Whisky. Er sagt heiser: »Als Marshal habe ich die Pflicht, Sie vor einem…« »Kommen Sie mit, Marshal«, unterbricht ihn Jim hart. »Nein«, sagt der Mann schnell und weicht zurück. »Sie kommen mit, Marshal«, wiederholt Jim rau. »Muss ich Sie vor mir herprügeln? Vorwärts!« Seine Hand klatscht gegen den Coltkolben. Der Marshal holt tief Atem. Es sieht einen Moment so aus, als wäre noch ein letzter Rest von
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Mut in ihm. Ja, es sieht so aus, als hielte er es nicht länger aus, ein Feigling zu sein. »Sie Narr, Sie verdammte Flasche«, sagt Jim bitter und hart. »Sie tragen hier in dieser Stadt den Stern. Sie sind so feige wie alle anderen auch. Sie kommen mit. Und wenn ich fertig bin, dann werden Sie vor einer Entscheidung stehen. Los, vorwärts!« Der Marshal seufzt. Er setzt sich in Bewegung und bleibt an Jims Seite. Nach einigen Schritten sagt er krächzend: »Sie sind ein Narr, Jim Hardin. Reb Jordan wird Sie dafür zurechtstutzen. Sie können keinen Marshal mitnehmen, wenn Sie einen Mann umbringen wollen. Auf diese Art verliere auch ich mein Gesicht. Gehen Sie doch allein. Ich komme später und vernehme die Zeugen.« »Sie werden mit dabei sein«, verlangt Jim und grinst. Wortlos gehen sie nebeneinander weiter, erreichen das Ende der Straße und biegen zum Verladebahnhof ab. Staub wirbelt über den Corrals, und das Gebrüll halbwilder Rinder kling wie ein ständiges Brausen, Viehwagons stehen an der Laderampe. Eingezäunte Gassen führen von den Corrals zur Rampe hin. Auf den Corralstangen hocken fluchende, brüllende Männer. Mit Peitschen und Stangen jagen sie die Rinder weiter. 102
In der Ferne kündigen neue Staubwolken das Nahen neuer Herden an. Der Verladebahnhof ist eine andere Hölle. Dies hier ist keine Amüsierhölle wie die Stadt. Hier wird harte Arbeit geleistet. Hier ist Gebrüll, Staub, Hitze, denn der Regen hat inzwischen aufgehört. Die Sonne sticht heiß hernieder. Hier fluchen Männer, zählen, treiben die Rinder weiter, schlagen zu – und dann drückt die Lok die lange Schlange brüllender Wagons wieder ein Stück weiter. Neben dem Stationsgebäude steht ein langes, ebenerdiges Haus. Zum Hauptteil ist es das Schlafhaus der Verlademannschaft. Diese Männer werden von den Herdentreibern etwas spöttisch »Hürdenknechte« genannt, aber die meisten waren früher selbst Cowboys. Das letzte Drittel dieses langen Hauses hat einen besonderen Eingang. Über der Tür ist ein Schild angebracht. Darauf steht: VERLADE-BÜRO Jim Hardin steuert darauf zu. Der Marshal an seiner Seite seufzt wieder schwer und verhält etwas seinen Schritt. Aber Jim Hardin sieht ihn über die Schulter hinweg an und knurrt scharf: »Mitkommen!« Da schließt der Marshal wieder auf. 103
Sie erreichen die Tür des Büros. Sie steht offen. Jim Hardin bleibt einen Moment stehen und späht den Weg zurück, den sie kamen. Dort nähert sich das Rudel der Revolverschwinger aus dem Saloon. »Sie Narr«, schnaubt der Marshal neben Jim. »Sie blutiger Narr!« Jim gibt ihm keine Antwort. Er packt ihn an der Schulter und stößt ihn durch die offene Tür ins Haus hinein. Der Marshal stolpert, weil er darauf nicht gefasst war. Und er ruft mit heiserer, misstöniger Stimme: »Schießt nicht! Quarter, schieß nicht! Dieser Narr benutzt mich als Schutzschild! Aber ich trage den Stern und bin das Gesetz! Schießt nicht auf den Marshal von Wager!« Jim Hardin stößt ihn weiter, und er verspürt eine grimmige Verachtung für den Mann. In Bill Sullivans massigem Körper scheint keine Kraft zu sein. Der Mann stolpert vorwärts wie ein Betrunkener. So betreten sie das Büro. Mit dem Fuß schleudert Jim Hardin hinter sich die Tür zu und steht dann immer noch halbrechts hinter dem keuchenden Marshal, dem Schweißtropfen von den Schläfen an den Kinnwinkeln niederlaufen. Der Marshal starrt auf den Mann, der hinter einem Schreibtisch hockt.
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»Tom«, keucht er, »dieser Tiger hat mich gezwungen, mitzugehen. Ich wollte gar nicht. Ich will mit dieser Sache nichts zu tun haben. Tom, du weißt ja, dass ich nichts tauge und ein Feigling bin. Aber dieser Tiger da hinter mir ist ein Narr. Tom, sag deinen Männern, dass sie nicht schießen sollen.« Während Bill Sullivan diese Worte keucht, irrt sein unsteter Blick immer wieder zu Lesly Quarter, der mit gezogenem Colt in der Ecke hinter dem Mann am Schreibtisch steht. Und der riesige Buster Hull steht in der anderen Ecke und hält ebenfalls einen Colt in der Hand. Er grinst auf seine leere Art. Jim Hardin aber tritt schnell neben den Marshal und sagt: »Tom Drake, ich will mit Ihnen vernünftig reden. Und ich habe den Marshal nur mitgebracht, damit er als Gesetzesbeamter einen Vertrag als Zeuge unterschreibt. Schicken Sie Ihre beiden Bullen hinaus, Tom Drake. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich nicht hergekommen bin, um für Reb Jordan eine schmutzige Arbeit zu verrichten.« Er sieht den Mann am Schreibtisch an und beachtet Lesly Quarter und Buster Hull gar nicht, obwohl sie mit ihren Colts auf ihn zielen. Was Jim macht, ist gefährlich, sehr gefährlich, aber man sieht ihm die ungeheure Nervenbelastung nicht 105
an. Er lächelt sogar sorglos und selbstsicher. Und doch weiß er ganz genau, dass die beiden Bullen ihn schon beim Eintreten abgeknallt hätten, wenn – ja, wenn der feige Marshal nicht dabei gewesen wäre. Dass Jim den Marshal mitgebracht hat, irritiert sie. Sie haben soeben auch gehört, dass der Marshal als Zeuge irgendeinen Vertrag unterschreiben soll. Darüber denken sie noch nach. Sie wundern sich, versuchen, den Trick zu durchschauen oder die sonstigen Hintergründe zu erkennen. Sie sehen sich einer veränderten Lage gegenüber und sehen noch nicht klar, was Jim Hardin überhaupt will. Sie zögern. Jim Hardin sieht den Mann am Schreibtisch zwingend an – und er erkennt, dass Tom Drake vielleicht früher einmal ein energischer und zielstrebiger Mann war. Aber jetzt ist er ein Nervenbündel. Er sitzt geduckt hinter dem Schreibtisch. Seine Hände liegen zu Fäusten geballt auf der Tischplatte. Er ist breit in den Schultern und hat ein rundes Gesicht. Es ist ein gesundes, blühendes Gesicht – aber jetzt zuckt es nervös. Sein Blick ist flackernd und unruhig. Er ist ein Mann, der in sich eine höllische Angst verspürt. »Drake, ich will mit Ihnen vernünftig reden«, sagt Jim Hardin zwingend. »Schicken Sie Ihre beiden 106
Bullen hinaus. Der Marshal bietet Ihnen die Gewähr, dass…« »Der Marshal ist Reb Jordans Hund – genauso, wie Sie es sind«, keucht Tom Drake bitter. Er sieht zu Lesly Quarter und dann zu Buster Hull hinüber. Dann wischt er sich bitter übers Gesicht und atmet schwer aus. Als seine Hände wieder auf dem Tisch liegen, zittern und zucken sie ständig. Er senkt den Kopf und murmelt tonlos: »Lesly, ich bin zu feige, um dir zu sagen, dass du ihn erschießen sollst. Ich bin zu feige, um euch den Befehl zu geben, ihn zu töten. Er hat den Marshal mitgebracht. Bill ist genauso feige wie ich. Er müsste, wenn es jetzt zu einer Schießerei kommt, mit darunter leiden. Und ich weiß sehr gut, wie sehr ein feiger Mann an seinem jämmerlichen Leben hängt. Ich spüre es jeden Tag am eigenen Leib. Oh, Jim Hardin, ich weiß genau, dass Sie einen schmutzigen Trick anwenden wollen. Aber ich kann jetzt nicht einfach den Befehl geben, dass…« »Ich brauche keinen Befehl«, grollt Lesly Quarters Stimme dazwischen. Der Mann tritt langsam aus der Ecke heraus und nähert sich mit vorgestrecktem Colt den beiden Besuchern. »Du kannst jetzt verschwinden, Marshal. Dieser Narr kann dich jetzt nicht mehr zwingen, bei ihm zu bleiben. Vorwärts, Bill!« 107
Der Marshal schielt zur Seite auf Jim Hardin. Dann bewegt er sich rückwärts zur Tür. Aber Tom Drake springt auf und ruft schrill: »Sullivan, du bleibst hier! Nein, ich will keinen Mord! Jim Hardin, wenn ich nur wüsste…« Er verstummt, denn er sieht, wie sich Jim Hardins Hand langsam zur Schnalle seines Waffengurtes bewegt. Er öffnet sie, und der schwere Gurt poltert zu Boden. »Schicken Sie Ihre Bullen hinaus, Drake«, wiederholt Jim scharf. »Was wollen Sie noch? Sie haben doch sicherlich auch einen Colt! Also…« Lesly Quarters raues Lachen unterbricht ihn. Quarter tritt dicht an ihn heran und stößt mit dem Fuß den Waffengürtel am Boden in eine Ecke. Dann tritt er wieder zurück. »Buster«, knurrt er, »du nimmst Jim Hardins Colt.« »Yeah, sicher«, sagt der Riese fast weinerlich und holt sich die Waffe. Er schiebt seine eigene in den Hosenbund und wiegt die andere in der Hand. »Und was soll ich jetzt tun, Les?« »Damit erschießt du Tom Drake!« »Nein, ihr Hunde!«, brüllt dieser kreischend und springt auf.
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Lesly Quarter aber, der bis an seine Seite zurückgewichen ist, schlägt ihm mit einem Rückhandschlag den Handrücken ins Gesicht. Stöhnend sinkt Tom Drake auf seinen Stuhl nieder. »Ihr Hunde! Ihr Bastarde!«, keucht er. »Ich habe euch gut bezahlt. Aber immer habe ich befürchtet, dass ihr euch eines Tages auf Reb Jordans Lohnliste schreiben lasst. Und jetzt ist es wohl so weit?« »Seit einigen Stunden arbeiten wir für Reb Jordan.« Lesly Quarter grinst. »Es ist alles ganz einfach«, fährt er fort und zielt mit seinem Colt auf Jim Hardin. Indes geht Buster Bull hinter ihm vorbei und stellt sich hinter Tom Drake auf. Der Marshal stößt einen seltsamen Ton aus und weicht in eine Ecke zurück. »Auch ich arbeite ja im Grunde genommen für Reb Jordan«, keucht er. »Ihr werdet mir doch nichts antun?« »Nein, dir nicht! Du wirst bezeugen, dass Hardin Tom Drake erschossen hat – und ich dann Hardin tötete, weil dieser ja zuerst zu schießen begann. Buster, du Dummkopf, du musst dich vor Drake aufstellen. Es muss doch so aussehen, als hätte Hardin ihn von vorn erledigt.«
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»Yeah, yeah, sicher, so muss es aussehen«, sagt Buster Hull weinerlich und geht um den Tisch herum. Lesly Quarter grinst breit. »Es ist alles ganz einfach«, wiederholt er gedehnt. »Reb Jordan hat in dieser Nacht herausbekommen, dass Jim Hardin sein eigenes Spiel zu machen gedenkt. Hardin will gar nicht für Reb Jordan arbeiten. Hardin ist aus einem ganz bestimmten Grund hier. Und Reb Jordan passt dieser Grund nicht. Und er hat sich noch vor Tagesanbruch mit uns in Verbindung gesetzt. Er hat uns eine Menge Geld geboten, wenn wir Hardin und Drake erledigen. Bis jetzt waren wir Drake treu. Aber er ist ein Feigling und wird den Kampf um seinen Bahnhof verlieren. Zu der Überzeugung sind wir gelangt. Und wir haben uns schon immer rechtzeitig auf die Seite des Siegers geschlagen. Wir arbeiten mit den Colts, um möglichst viel Geld zu verdienen. Reb Jordan ist auf die Dauer gesehen der Mann mit dem längeren Atem. Deshalb wechseln wir jetzt den Boss. Das fällt uns umso leichter, weil wir Hardin noch etwas schuldig sind. Und um dich, Tom Drake, ist es nicht schade. Du bist immer mehr zu einer feigen Maus geworden. Du bist kein Boss mehr für uns. Wir haben nur auf solch eine Gelegenheit gewartet, uns
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unserem neuen Boss teuer verkaufen und nützlich erweisen zu können.« Er starrt auf Tom Drake nieder. Der liegt mit dem Oberkörper über dem Schreibtisch und hat den Kopf auf die Arme gelegt. Er schluchzt. Er ist ein Mann, der nun endgültig zusammengebrochen ist. Der Marshal steht zitternd und schnaufend an der Wand. Jim Hardin grinst. Er nickt Lesly Quarter zu und greift langsam in die Hemdtasche. Er holt sein Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. Dabei achtet er jedoch nicht auf seine arbeitenden Finger, sondern sieht Quarter an. »So habe ich dich eingeschätzt«, murmelt er. »Reb Jordan wollte euch zwei Burschen zuerst billig bekommen. Und ihr wart Tom Drake nur deshalb treu, um den Preis noch in die Höhe treiben zu können. Weil ich nach Wager kam und Reb Jordan herausbekommen konnte, dass ich ihn nur bluffte, um besser ins eigene Spiel kommen zu können, steckte Reb Jordan plötzlich sehr in Not. Und da endlich bot er euch einen guten Preis. Vielleicht sind es die sechstausend Dollar, die ich an ihn verloren habe?« »Genau! Und außerdem gut bezahlte Stellungen für uns«, sagt Lesly Quarter grinsend. Er winkt mit 111
dem Colt. »Rauch schnell, mein Junge. Einige Züge werde ich dir erlauben. Buster, wenn ich auf Hardin schieße, so erledigst du Tom Drake, nicht wahr?« »Ich tue doch immer alles, was du mir sagst«, sagt Buster Hull mit seiner weinerlichen Kinderstimme, die so gar nicht zu seinem Äußeren passt. Jim Hardin sucht in seinen Hemdtaschen nach Streichhölzern. Dann greift er in die Hosentasche – und dann in die andere, in der der kleine Colt Derringer des Storehalters steckt. Er umfasst die Waffe in der Tasche. Sie ist so klein, dass sie in seiner Hand vollkommen verschwindet. Aber er zieht die Hand gar nicht heraus. Er schießt durch den Stoff der Hose auf Quarter, wirbelt sofort herum und drückt ein zweites Mal ab. Diese Kugel trifft Buster Hull in die Seite. Jim springt den schwankenden Mann an und entreißt ihm den Colt. Er wendet sich schnell zu Lesly Quarter um. Der ist schwer getroffen. Er hält sich am Schreibtisch fest und hebt den Colt noch einmal. Aber Tom Drake ist aufgesprungen und stößt mit dem Bowiemesser zu, das ihm als Brieföffner dient. Lesly Quarter stürzt. Tom Drake stößt einen seltsamen Schrei aus. Der Marshal flucht heiser. 112
Jim Hardin sieht Buster Hull an. Der Riese kniet am Boden und presst eine Hand auf seine Wunde. Ein Colt Derringer ist zwar lächerlich klein als Waffe. Sein kurzer Lauf macht ihn auch nur auf kurze Entfernung gefährlich – aber da ist er dann richtig gefährlich und hat die Wirkung eines Reitercolts. Buster Hulls riesiger Körper erzittert. Er stöhnt und sagt gepresst einige unverständliche Worte. Schließlich keucht er verständlicher: »Ich habe – mich – doch immer – nach Lesly gerichtet und dachte, er würde niemals etwas falsch machen. Oh, Lesly, er hat uns reingelegt!« Dann fällt er aufs Gesicht und streckt sich. Auch Lesly Quarter ist tot. Es ist still. Der Atem des Marshals tönt zitternd durch den Raum. Tom Drake steht mit dem blutigen Messer keuchend an der Wand. Jim Hardin sieht ihn fest an. »Drake, haben Sie einen Reck Hard gekannt?«, fragt er ruhig. Und er sieht, wie Drake zusammenzuckt und ihn staunend anstarrt. Bevor Drake etwas sagen kann, spricht Jim Hardin weiter: »Ich bin Reck Hards Bruder. Er hieß in Wirklichkeit Reck Hardin. Er wollte Ihnen damals 113
schon helfen. Nun, jetzt nehme ich Recks Stelle ein. Drake, Sie werden mir sofort den ganzen Verladebahnhof und die Generalkonzession verpachten. Ich bekomme zehn Prozent vom Reingewinn. Und wenn Sie den Pachtvertrag unterschrieben haben, dann werden Sie mit dem nächsten Zug nach Osten fahren. Sie können zurückkommen, sobald Ihre zerrütteten Nerven wieder in Ordnung sind und Sie sich zutrauen, wieder wie ein Mann kämpfen zu können. Der Marshal wird als Zeuge den Pachtvertrag unterschreiben. Haben Sie mich verstanden, Tom Drake?« »Yeah«, keucht dieser und wischt sich übers Gesicht. »Ich bin fertig und erledigt«, murmelt er bitter. »Und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in diese verdammte Stadt zurückkehren werde. Man hat mich hier einfach fertig gemacht. Seit Monaten habe ich Angst davor, umgelegt zu werden. Ich konnte nicht schlafen und bin vollkommen zerbrochen. Oh, früher hielt ich mich mal für einen harten Burschen, aber jetzt bin ich ein Kaninchen. Ich verpachte Ihnen alles, Jim Hardin. Ich will weg. Der Zug fährt in zwanzig Minuten ab.«
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6 Als Jim Hardin, der Marshal und Tom Drake aus dem Büro kommen, stehen zwei Männergruppen vor dem Haus. Die eine Gruppe wird von Joe Scott und den Revolverschwingern aus den Saloons gebildet. Die Verlademannschaft mit ihrem Vormann ist die zweite Gruppe. Einige Treibherdenleute zu Fuß und im Sattel halten sich in der Nähe auf und beobachten. Auch unter den Herdenleuten hat es sich also schon herumgesprochen, dass gekämpft wurde und wichtige Dinge vorgehen. Aber sie mischen sich nicht ein. Ein großer, rothaariger und ledergesichtiger Mann trennt sich von der Verlademannschaft und kommt zu Tom Drake, der von Jim Hardin und dem Marshal flankiert wird. »Boss«, beginnt der Mann, »Boss, was ist geschehen? Es soll geschossen worden sein – aber wir hörten es nicht, weil die Rinder…« »Schon gut, Jorge«, unterbricht ihn Tom Drake nervös. »Ich gebe hier auf. Ich habe den ganzen Verladebetrieb an Jim Hardin verpachtet. Er ist jetzt euer Boss. Ich fahre mit dem Zug.« 115
Er starrt zu der langen Schlange der Viehwagons hinüber. Dort brüllt und muht und blökt es ständig. »Ich darf den Zug nicht verpassen!«, ruft Tom Drake, als die Lok jetzt einen schrillen Pfiff ausstößt. Er wendet sich um und beginnt zu laufen. Er stolpert über das Ausweichgleis und erreicht einen der Wagen, als sich der Zug in Bewegung setzt. Er schwingt sich auf die Treppe des Bremserhäuschens und fährt davon. Jim Hardin und der Vormann Jorge Wells sehen sich an. »He, das passt mir nicht«, knurrt der Vormann tückisch. Er ist schwer und knochig, hässlich und hart. Rote Haarbüschel wachsen aus Ohren- und Nasenlöchern, und er wirkt unduldsam und mürrisch. Er sieht den Marshal an. »Bill, stimmt das auch? Hat Drake diesem Burschen alles verpachtet? Und was ist mit Lesly Quarter und Buster Hull?« »Die sind tot«, sagt der Marshal heiser. »Sie hatten Jim Hardin vor ihren Colts und sind trotzdem tot. Und Jim Hardin ist jetzt der Boss auf diesem Bahnhof, das stimmt.« In den Augen des Vormanns erscheint ein unsicherer Ausdruck. Er bewegt zweifelnd seine knochigen Schultern. 116
»Wir werden ja sehen«, knurrt er und will sich abwenden. »Moment«, sagt Jim Hardin lässig. Der Mann bleibt stehen und blickt ihn mürrisch und missmutig an. »Was ist?« »Jemand soll die beiden Toten auf einen Wagen laden und zum Leichenbestatter fahren. Und wenn Sie von Reb Jordan zurückkommen, Mann, dann will ich Sie im Büro sprechen.« Der Vormann sagt kein Wort der Erwiderung. Er geht zu seiner Mannschaft hinüber, spricht dort einige Worte und geht dann in Richtung Stadt davon. Das ist deutlich genug. Er steht also wirklich auf Reb Jordans Lohnliste und will sich jetzt Informationen und Instruktionen holen. Obwohl er Tim Hardin vorläufig noch für eine Art Kollegen in Jordans Diensten halten muss, ist er misstrauisch. Die Verlademannschaft verschwindet in ihrem Schlafhaus. Nur zwei Männer gehen zu einem Schuppen hinüber, in dem einige Wagen stehen und neben dem sich ein Corral mit einigen Pferden befindet. Jetzt löst sich Joe Scott von der Gruppe der Revolvermänner und kommt zu Jim. »Was ist das?«, fragt er. Jim Hardins Lächeln ist hart. 117
»Es ist alles erledigt, mein Freund«, sagt er zu dem Mann. »Geht nur wieder in euren Saloon zurück und trinkt einen Whisky. Drakes Vormann ist doch schon unterwegs zu Reb Jordan. Und Jordan wird euch schon früh genug sagen, was ihr zu tun habt.« Der Mann starrt ihn seltsam an. Dann zuckt er mit den Schultern und entfernt sich. Jim Hardin und der Marshal sind jetzt allein. Sie werden nur aus einiger Entfernung von Herdentreibern beobachtet. Die beiden Männer der Verlademannschaft haben inzwischen ein Pferd vor einen Wagen gespannt und kommen vor das Büro gefahren. Jim Hardin und der Marshal beobachten wortlos, wie Lesly Quarter und Buster Hull nacheinander hinausgetragen und abgefahren werden. Das Gesicht des Marshals ist voller Schweiß. Er holt ein rotes Taschentuch hervor und wischt sich übers Gesicht. Dann sagt er heiser: »Hardin, Sie haben mich in eine höllische Sache hineingezogen. Warum bin ich Narr nicht mit Tom Drake auf diesen Zug gesprungen?« Jim blickt nach Osten. Dort arbeitet sich der Viehzug zu einem kleinen Pass hinauf. Er ist schon sehr weit entfernt und wirkt sehr klein und winzig. »Ich habe als Zeuge den Pachtvertrag unterschrieben«, seufzt der Marshal. »Sie haben 118
Jordan hereingelegt, Hardin, und er wird jetzt vielleicht denken, ich stehe auf Ihrer Seite. Wenn er Sie erledigt, wird er auch mich erledigen.« »Gehen wir ins Haus, ich will mit Ihnen reden, Marshal«, sagt Jim Hardin scharf. Der Mann folgt ihm seufzend. Vielleicht hat er Furcht, allein in die Stadt zu gehen. Sie treten ein. Es riecht noch nach Pulverrauch. Jemand hat Sand auf die Blutspuren am Boden gestreut. Der Marshal erschauert. Jim Hardin setzt sich hinter den Schreibtisch und wischt sich mit einer müden Bewegung übers Gesicht. Er wirkt erschöpft und ausgebrannt, verbittert, freudlos und müde. Der Marshal sieht es nicht, denn er durchsucht einen Wandschrank nach Whisky und findet eine noch halb volle Flasche. Er trinkt hörbar und wendet sich langsam um. »Wollen Sie auch, Hardin? Aaah, Sie haben mich in eine schlimme Lage gebracht. Ich bin ein verdammt trauriger Hund. Ich bin in den letzten Jahren von einer Pechsträhne in die andere geraten. Aber so schlimm im Dreck wie jetzt saß ich noch nie.« Jim nimmt die Flasche, betrachtet sie und zögert. Dann nimmt er einen kleinen Schluck, als müsste er einen bitteren Geschmack im Mund loswerden.
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Er strafft sich etwas und sieht zu, wie sich der Marshal schlaff in einen Holzsessel sinken lässt. »Bill«, fragt er, »warst du eigentlich schon immer ein Feigling? Oder warst du früher einmal ein Mann, der nicht nur hart aussah, sondern es auch war?« Der Marshal wischt sich zitternd übers Gesicht. Dann trinkt er wieder aus der Flasche und murmelt leise: »Ich war einmal ein tüchtiger Bursche – früher. Aber eines Tages zerbrach mich ein Mann. Es war in der Wildnis. Ich war früher mal ein guter Preisboxer. Oklahoma-Bill nannte man mich. Oh, ich war schon ein harter Brocken. Einmal stand ich gegen Silvertip-Frank in Frisco achtundfünfzig Runden im Ring und schlug ihn fast in Stücke. Silvertip-Frank war wirklich fast so gefährlich wie ein Grizzly, kann ich dir sagen. Für diesen Kampf bekam ich tausend Dollar. Dann ging es weiter – immer wieder neue Kämpfe, Siege – und manchmal auch Niederlagen. Aber ich hatte nie Angst. Eines Tages zerschlug ich mir an Kilrain den Mittelhandknochen. Das war ein harter Bursche, dieser Kilrain. Ich kämpfte mit der gebrochenen Hand noch einige Runden gegen ihn – bis er mich zusammenschlug. Und dann vergingen Monate, bis meine Faust wieder in Ordnung war. Aber beim nächsten Gegner brach der Knochen abermals. Der Doc sagte mir dann, dass ich nicht mehr mit der 120
Faust kämpfen könnte. Ich gehörte also zu den vielen ausgedienten Preiskämpfern. Man trifft sie ja überall in den Saloons als Rauswerfer. Und wenn sie diese Arbeit nicht mehr verrichten können, werden sie Saloonausfeger, Spucknapfreiniger oder Stallburschen. Das ist der Weg der meisten ehemaligen Preiskämpfer. Nur wenige schaffen es, oben zu bleiben und ihr Geld gut anzulegen.« Bill Sullivan seufzt bitter. Es tut ihm an scheinend gut, einmal jemandem sein Herz ausschütten zu können. Er trinkt die Flasche leer, behält sie aber in den Händen. Er sieht in Jim Hardins Augen hinein – und mit einem Mal wird er sich darüber klar, dass dieser Mann mit ihm fühlt. Es liegt keine Verachtung in Jim Hardins Blick – sondern ein guter, warmer Ausdruck. Der Marshal seufzt. »Ich hatte noch einige Ersparnisse«, fährt er fort. »Nun, ich wollte sie gut anlegen. Ich kaufte mir eine Ausrüstung und ging auf Goldsuche. Ich brauchte ein halbes Jahr, dann fand ich in einem Creekbett eine Goldtasche – und wenig später in einer Höhle eine Goldader. Nun, ich war der glücklichste Mensch auf der Welt und träumte schon von einer Obstfarm in Kalifornien. Meine Vorräte waren aufgebraucht. Es wurde auch Winter. Ich zog zur nächsten Stadt, 121
um meinen Claim anzumelden. Ich hatte für dreitausend Dollar Gold bei mir und wollte im kommenden Frühjahr nach der Schneeschmelze wieder in die Berge, um meinen Schatz endgültig zu heben. Der Weg zur Stadt war weit. Am dritten Tag kam ein Mann an mein Campfeuer. Der Bursche aß meinen letzten Proviant. Als ich in der Nacht aufwachte, erwischte ich ihn, wie er mein Gepäck durchstöberte. Wir kämpften miteinander – und ich brach mir zum dritten Mal die Hand. Der Hundesohn war mächtig stark. Und als er erst merkte, dass ich nicht mehr richtig kämpfen konnte, ging er ran. Er schlug mich fast in Stücke. Und dann schlug er mich drei Tage und Nächte lang, bis ich ihm die Lage meines Claims verraten hatte. Ich war nur noch ein heulendes Bündel. Ich bettelte um mein Leben. Ich weinte und küsste seine Füße. Er hatte alles aus mir herausgeprügelt, was ich an Stolz, Mut und Selbstvertrauen besaß. Aber er war wohl doch zu feige, mich zu töten. Er ließ mich liegen. Ich konnte nur kriechen. Ich kroch wie ein krankes Tier ins Unterholz. Dann kam ein Schneesturm – aber es kamen auch einige Frachtwagen, die vor dem Schneesturm im Wald Schutz suchten. Sie machten ein Feuer an, und ihre Holzsucher fanden mich. Ich war viele Wochen lang krank und konnte mich an nichts erinnern. Ich winselte immer nur, dass man 122
mich nicht schlagen solle. In einer Indianermission pflegte man mich gesund. Äußerlich war ich wieder ein harter Bursche, und die vielen Narben im Gesicht stempelten mich zu einem Kämpfer. Jeder hielt mich für einen wilden Burschen, der durch hundert wilde Kämpfe gegangen ist und dabei so richtig hart gebrannt wurde. Aber innerlich war ich immer noch zerbrochen und krank. Ich hatte keinen Nerv mehr. Ich fürchtete mich vor Schlägen. Ich war innerlich nicht mutiger als eine Maus. Aber das wussten die Leute ja nicht. Sie beurteilten mich immer nur nach meinem hart wirkenden Äußeren. So zog ich im Land herum und bluffte. Ich war Rauswerfer in wilden Saloons. Am Anfang ging es immer gut. Aber zuletzt stieß ich immer auf einen Mann, der sich von meinem harten Aussehen nicht bluffen ließ, sondern ganz genau wissen wollte, was die Butter kostete. Und dann merkten sie sofort alle, dass ich ein Feigling war, nur bluffte und davonschlich, wenn jemand es darauf ankommen ließ. Dann zog ich wieder weiter. Schließlich kam ich in diese Stadt, als man gerade einen Marshal suchte. Der Bankier hielt mich für den richtigen Mann. Ich bekam den Stern. Eine Weile ging es gut. Aber dann merkte man auch hier sehr bald, dass ich keinen Nerv zum Kämpfen hatte. Und 123
nun bin ich sozusagen nur eine Attrappe von einem Marshal. Wenn ich Reb Jordan nicht so bequem und willig wäre, würde man mich schon längst davongejagt haben. So ist das mit mir, Jim Hardin. Reb Jordan wird mich jetzt auch zum Teufel jagen lassen. Er wird einem seiner Burschen den Auftrag geben, mich durch den Dreck kriechen zu lassen. Und wahrscheinlich werde ich es auch tun. Ich bin ein alter Gaul, den man zu oft zerbrochen und gezähmt hat, sodass er nur noch aus Angst und Furcht besteht. Pass nur gut auf dich auf, Jim Hardin. Du stehst jetzt erst einmal allein gegen Reb Jordan und dessen Bande. Von der anderen Seite bekommst du keine Hilfe. Die sind alle so feige wie ich. Die riskieren nichts. Die wissen, dass sie, wenn du erledigt bist, dafür bestraft werden, wenn sie für dich Partei ergreifen. Um dich tut es mir noch mehr Leid als um mich. Aaah, ich will doch mal sehen, ob hier nicht irgendwo noch eine Flasche steht. Tom Drake war ja auch ein Feigling. Ihn hat die Angst zerbrochen – und irgendetwas anderes, das ich nicht kenne. Aber auch er hat viel Whisky getrunken. Whisky ist der letzte Trost für Feiglinge. Im Rausch fühlt man sich wieder mächtig groß und stark – bis dann der verdammte Katzenjammer kommt und man zu heulen beginnt.«
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Er erhebt sich müde und beginnt im Raum umherzusuchen. Jim Hardin beobachtet ihn schweigend. Dann sagt er: »Bill, du solltest es noch ein einziges Mal versuchen, gegen eine raue Sache anzugehen. Wenn du nur einen einzigen, kleinen Kampf gewinnst, so wird dein Selbstvertrauen wieder wachsen. Und du musst die Furcht vor Schlägen oder gar vor dem Tod verlieren. Was ist denn an einem Hundeleben schon wichtig und wertvoll?« »Man lebt – und man kann atmen – und man kann trinken und essen«, murmelt der Marshal und gibt die ergebnislose Suche nach Whisky auf. Er setzt sich wieder und holt einen Zigarrenstummel aus der Westentasche. »Ich habe Angst. Ich gehe nicht mehr in die Stadt zurück. Ich warte auf den nächsten Zug. Man wird dich töten, Jim Hardin, dir den Pachtvertrag abnehmen und – ja, dann übernimmt Reb Jordan den Bahnhof. Dann kann sein Freund Emmet Skullman ohne Schwierigkeiten die gestohlenen Herden verladen.« »Was?«, fragt Jim überrascht. Der Marshal winkt ab. »Im Westen wird viel Vieh gestohlen«, murmelt er. »Dort ist ein gutes Land für Viehdiebe. Früher gab es dort einige kleine Banden, die den Ranchern das Leben schwer machten. Aber 125
jetzt gibt es nur noch eine Bande dort. Emmet Skullman führt sie. Er kam mit seinem Rudel von Arizona herauf. Dort fand ja im vergangenen Jahr der große Krieg zwischen Ranchern und Rustlern statt. Die Rustler verloren und wanderten aus. Jetzt haben wir Emmet Skullman und seine Bande in diesem Rinderland. Er ist mit Reb Jordan befreundet. Und wenn Reb Jordan eine Stadt beherrschen und einen Verladebahnhof kontrollieren will, dann nicht zuletzt auch deshalb, weil er mit den Viehdieben Geschäfte machen möchte. Die Rancher im Westen haben schon schwer geblutet. Sie werden von ihren eigenen Mannschaften bestohlen. Emmet Skullman wird diesen Rinderkrieg gewinnen und vielleicht bald in der Lage sein, einige zigtausend Rinder herzubringen. Wenn diese Stadt Reb Jordan gehört, so kann er hier mühelos verladen. Und wenn er an Jordan für jede verladene Kuh nur drei oder vier Dollar zahlt, kann Jordan im Laufe eines Jahres mehr als hunderttausend Dollar verdienen. Denn die Rancher verlieren diesen Krieg, da Emmet Skullman die meisten Cowboys auf seiner Seite hat und keine neuen Männer in diesem Rinderland hier duldet. So ist das!« »Das habe ich noch nicht gewusst«, murmelt Jim Hardin nachdenklich.
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»Du bist ja auch noch nicht lange genug in der Stadt und hörst nicht so viel wie ich.« Bill Sullivan grinst bitter. Jim erhebt sich, geht um den Schreibtisch herum und hält neben Sullivans Sessel an. Er legt dem Mann die Hand auf die massige Schulter und sagt: »Bill, hilf mir.« »Ich? Wie kann ich dir helfen?« »Du brauchst nur nach Recht und Gesetz zu handeln.« »Dazu gehört Mut.« »Dann habe Mut und frage nicht danach, wie es ausgehen kann! Halte gegen jede Sache stand und versuch es noch einmal, ohne Furcht zu sein und zu kämpfen. Bill, ich weiß, was du die ganze Zeit notwendig hattest.« »Was?« »Einen Freund – einen Gefährten – einen Menschen, an dem du Halt findest, der an dich glaubt und der dir hilft. Und ich will dir helfen. Wenn du das Recht hast, einen Hilfsmarshal ernennen zu können, dann gib mir den Stern. Und dann werden wir zusammen…« Jim kommt nicht weiter, denn die Tür wird aufgestoßen, und Reb Jordan kommt herein. Ihm folgt Joe Scott, und er macht die Tür hinter sich zu und lehnt sich dagegen. 127
Reb Jordan grinst seltsam. »Das hast du gut gemacht, Jim! Du besitzt also jetzt den Pachtvertrag für das Verladegeschäft. Und Tom Drake ist weg. Nun, jetzt kannst du den Pachtvertrag an mich weitergeben – und alles ist in Ordnung, nicht wahr?« Er grinst kalt, und in seinen Augen glitzert Hohn. Jim Hardin erwidert das kalte Grinsen auf gleiche Art. Er schüttelt sanft den Kopf und sagt: »Jordan, ich habe die Idee, dass dieser Stag Northern dein Hund ist und dir schon gesagt hat, dass ich Reck Hards Bruder bin. Und Reck ist getötet worden, weil er Tom Drake helfen wollte. Nun, jetzt helfe ich Tom Drake! Ich leite jetzt seinen Laden! Und wenn jemand auf mich losgeht, so dürfte wohl derselbe Hundesohn dahinter stecken, der meinen Bruder Reck auf dem Gewissen hat. Hast du mich verstanden, Jordan?« »Gut«, sagt dieser, »sehr gut. Aber ich habe mit dem Tod deines Bruders nichts zu tun – gar nichts! Das schwöre ich dir!« »Ich weiß nicht, wie viel ein Schwur aus deinem Mund wert ist«, sagt Jim Hardin hart. »Ich will lieber auf die Burschen warten, die nun auf mich losgehen werden.«
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»Verdammt, wenn du das Verladegeschäft leiten willst, so werden eine Menge Burschen aus sehr verschiedenen Gründen auf dich losgehen!« »Sicher – aber ich tue jetzt, was mein Bruder Reck tun wollte. Ich helfe Tom Drake und warte auf die Dinge, die da kommen werden. Und wenn es vielleicht auch zwei oder drei Interessengruppen sein werden, die auf mich losgehen werden – einer ist darunter, der Reck auf dem Gewissen hat. Jordan, ich werde warten, aushalten und kämpfen. Und wenn ich euch vorher Mann für Mann in Stücke schlagen muss – eines Tages finde ich dabei den richtigen Burschen.« Er erhebt sich plötzlich und tritt an Reb Jordan heran. »Und da ist noch etwas, Mister! Ich sollte hier in eine Falle geraten und umgebracht werden. Lesly Quarter und Buster Hull sollten mich hier mit Tom Drake erledigen. Du hast wohl nicht damit gerechnet, dass sie mich schon so sehr in der Zange hatten, dass sie es offen zugaben? Du denkst, ich hätte sie abgeschossen, bevor sie für dich etwas tun konnten! Nun, sie hatten mich schon fest. Und sie sagten mir großspurig und selbstzufrieden, dass du ihr neuer Boss wärst. Und dafür bin ich dir etwas schuldig!«
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Reb Jordan springt knurrend zurück, aber Jims Linke erwischt ihn noch unterm Kinn. Jim springt hinter ihm her und jagt ihm die Rechte dicht über dem Gürtel in den Magen. Reb Jordan prallt mit seinem Rücken schwer gegen Joe Scott, der an der Tür lehnt. Er wirft sich zur Seite, sodass Joe Scott wieder frei steht. Scott gleitet knurrend zur Seite und schnappt nach dem Colt. Aber da ruft Marshal Bill Sullivan: »Ich schieße dich ab, Junge, wenn du dich bewegst! In die Ecke mit dir! Mach den Gürtel los und lass ihn fallen! Dann stoß ihn zu mir herüber!« Indes lehnt Reb Jordan neben der Tür an der Wand und verdaut die Schläge. Er hört die Stimme des Marshals und die Flüche seines Revolvermannes, der schon halb gezogen hatte und nun erstarrt ist. »Lass nur, Joe«, knurrt er und sieht Jim Hardin dabei an. »Misch dich nicht ein! Erst will ich mal diesen Hardin zerbrechen. Dann wird auch Bill Sullivan nicht mehr so mutig sein.« Er tritt einen Schritt vor und zieht sich seine Jacke aus. Er lässt sie hinter sich zu Boden fallen. Jim Hardin lässt ihn gewähren. Indes sagt Bill Sullivan zu Joe Scott:
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»Hast du nicht gehört? Ich will deinen Waffengürtel!« Der Revolvermann gehorcht. Er löst die Schnalle und tritt den Gürtel über den Fußboden zu Bill Sullivan hinüber. Dabei sagt er wütend: »Bill, du bist mutig geworden, nicht wahr? Aber du bist nur ein fettes Kaninchen. Jim Hardin hat dir etwas Mut eingehaucht, und du möchtest mal wieder ein richtiger Mann sein. Nun, wenn Reb Jordan diesen Hardin in Stücke geschlagen hat, werde ich kommen, Bill, und dir beide Blumenkohlohren abreißen. Pass nur auf!« Bill Sullivan stößt einen seltsamen Laut aus – es ist ein Seufzen und Knurren zugleich. Er nimmt die Waffe des Revolvermannes und schiebt sie in seinen Hosenbund. Den eigenen Colt behält er in der Hand. Indes ist Reb Jordan fertig. Er hat Jacke und Weste abgelegt. Unter dem blütenweißen Hemd spielen die Muskeln seines mächtigen Oberkörpers. Gewiss, Reb Jordan hat in letzter Zeit bequem gelebt und ist deshalb etwas fleischig geworden. Aber er ist immer noch ein harter, starker und massiger Mann. Seine Muskeln sind noch vorhanden, und in seinen Augen erscheint der Ausdruck eines kalten und mitleidlosen Vernichtungswillens.
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Auch Jim Hardin hat seinen Colt abgelegt. Er wartet auf Reb Jordan. Aber der tritt an die Tür und stößt sie auf. Er zeigt hinaus und sagt: »Hier ist es zu eng, mein Junge. Wir brauchen Bewegungsfreiheit, nicht wahr? Ich möchte diese Einrichtung nicht zerschlagen. Und ich will den Leuten dort draußen endlich einmal zeigen, wie ich mit einem Tiger umspringe. Komm raus, Jim Hardin!« Er dreht Jim den Rücken zu und geht hinaus. Jim Hardin folgt ihm. Draußen wartet die Verlademannschaft. Auch der Vormann Jorge Wells ist wieder dabei. Er muss wohl mit Reb Jordan und Joe Scott aus der Stadt zurückgekommen sein. Hinter Jim treibt der Marshal Joe Scott hinaus. Er lässt es zu, dass sich Scott unter den Halbkreis der Verlademannschaft mischt. Er bleibt neben der Tür stehen, lehnt sich an die Hauswand und behält den Colt in der Hand. »Ich passe auf!«, ruft er fest, und er wirkt jetzt nicht mehr unsicher, sondern durchaus wie ein Mann, der nicht kneifen, sondern eine Sache, mag sie noch so rau und hart werden, durchstehen wird. Von den Verladecorrals kommen noch andere Männer herbeigelaufen. Es kommen auch Reiter und Fußgänger von der Stadt herüber. Es sind viele 132
Treibherden-Cowboys, Rancher, Viehaufkäufer und jene fragwürdigen Gestalten dabei, die es in jeder Treibherdenstadt gibt. Die Kunde von diesem Kampf schlägt Wellen, kreisförmige Wellen wie ein Stein, den man in einen See wirft. Und die Durchmesser dieser Wellenkreise werden mit jeder Sekunde größer. Sie werden bald nicht nur den Verladebahnhof einschließen, sondern auch die Stadt dort drüben. Jim Hardin geht dem wartenden Reb Jordan entgegen und bleibt etwa zwei Schritte vor ihm stehen. »Nun komm, Mister«, sagt er sanft. Eine wilde Freude springt aus seinen Augen. Ja, er freut sich, dass es ihm geglückt ist, Reb Jordan herauszufordern. Er hat ihm im Haus zwei harte Schläge verpasst. Und diese Schläge haben Reb Jordan fast um den Verstand gebracht. Obwohl Jordan immer noch kalt und beherrscht wirkt, ist er vor Hass und Wut wie von Sinnen. Und deshalb will er hier vor allen Blicken kämpfen und Jim Hardin zusammenschlagen. Er denkt nicht daran, dass er damit zum ersten Mal der Stadt offen seine Absichten zeigt. Es ist ihm gleich, dass nun allen Leuten klar wird, was bis jetzt nicht zu beweisen war. Reb Jordan wollte immer den Verladebahnhof in die Hand bekommen. Bei Tom 133
Drake hat er es nicht schaffen können, weil dieser rechtzeitig von Jim Hardin abgelöst wurde. Und nun muss er gegen Hardin offen kämpfen. Hardin hat ihn um seine kühle Berechnung und kalte Überlegung gebracht. Jordan will jetzt selbst gegen seinen neuen Gegner kämpfen und sich nicht auf seine Handlanger verlassen. Und deshalb liegt das ganze Spiel mit aufgedeckten Karten auf dem Tisch. Reb Jordan wurde dazu gebracht, nicht mehr aus dem Hinterhalt zu kämpfen – nein, jetzt muss er Farbe bekennen und der ganzen Stadt seine Absichten zeigen. Er senkt den Kopf und knurrt: »Ich schlage dich in Stücke, Hardin. Und dann bist du hier eine Null. Mit Bill Sullivan zusammen wirst du…« Seine weiteren Worte sind nicht mehr verständlich, denn er stürmt nun vorwärts. Sein Angriff ist schnell und voller massiger Wucht. Jim Hardin wirft sich ihm entgegen – aber Reb Jordans Ansturm bringt ihn ins Wanken. Jordan rammt ihm den Kopf unters Kinn und treibt die Fäuste in seinen Leib. Er hämmert kurze, aber harte Schläge auf Jim Hardins Rippen – und dann weicht er plötzlich von Hardin zurück und schlägt einen Aufwärtshaken. Er trifft Jim richtig. Jim fällt auf den Rücken und überschlägt sich. Er hat das Gefühl, als wäre ihm der 134
Kopf von den Schultern geschlagen worden. Aber das kann nicht stimmen, denn die dumpfe und bleierne Müdigkeit strömt ja von seinem Kopf aus in seinen Körper und lähmt ihn. Er fühlt sich müde, und er möchte sich am Boden ausstrecken und einschlafen. Er möchte liegen bleiben und nicht mehr kämpfen müssen. Dann verschwindet diese dumpfe, lähmende Betäubung und macht einem Hämmern und Dröhnen Platz. Das ist in seinem Kopf. Und durch dieses Dröhnen sendet der Selbsterhaltungstrieb plötzlich schrille Warnsignale. Ohne es bewusst zu tun, rollt sich Jim Hardin am Boden zur Seite, und er rollt sich dadurch mit viel Glück unter Reb Jordans zutretendem Fuß hindurch und gegen Jordans Standbein. Der Mann stürzt über ihn hinweg. Jim rollt sich weiter, kommt aus der Gefahrenzone von Jordans ausschlagenden Füßen. Er quält sich auf Hände und Knie, schüttelt den Kopf – und kann plötzlich wieder klar denken. Er springt auf. Reb Jordan kommt schon wieder angestürmt. Jim taucht unter einem Schwinger weg und gleitet zur Seite. Er dreht wie ein erfahrener Boxer nach rechts ab und lässt den Gegner ins Leere stürmen.
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Und als sich Reb Jordan herumwirft, da trifft er ihn über der Gürtelschnalle. Jordans Magenpartie ist nicht besonders hart. Er ist in letzter Zeit zu wenig geritten. Jim spürt, wie sich seine Faust in zuckendes Fleisch und nachgebende Muskelstränge bohrt. Er reißt die Rechte zurück und holt seinen Aufwärtshaken von den Kniekehlen herauf. Er kann sich dabei Zeit lassen, denn Reb Jordan verdaut noch den Magenhaken und beugt sich dabei vor. Jim schmettert ihm die Faust auf Nase und Mund. Und dann trifft er ihn mit der Linken aufs Ohr. Jordan taumelt nach der Seite und stößt dabei einen seltsamen Laut aus. Es ist kein menschlicher Laut. Er schwankt und taumelt in Jim Hardins Aufwärtshaken hinein. Er nimmt ihn grunzend hin, wirft sich vor und schlingt seine langen, starken Arme um Jims Hüften. Er fällt auf die Knie, stößt seinen Kopf in Jims Bauch und wirft sich zur Seite. Sie fallen beide, wälzen sich, rollen sich, schlagen, stoßen, kämpfen knurrend und lassen sich nicht mehr los. Sie wirbeln den Staub so sehr auf, dass sie in der sich bildenden Staubwolke für die Zuschauer nur noch undeutlich erkennbar sind. Es ist ein primitiver Kampf, bei dem keinerlei Regeln mehr beachtet werden. Es ist, als hätten die beiden Kämpfer alles abgeworfen, was sie bisher von ihren Vorfahren der Steinzeit unterschied. Dies ist 136
jetzt ein Kampf ums nackte Leben – um Sein oder Nichtsein. Der Kreis der Zuschauer verharrt bewegungslos. Sie sind in Bann geschlagen. Denn das ist kein Kampf, bei dem es nur darum geht, bestehende Meinungsstreitigkeiten auszutragen. Dies ist ein Kampf zweier Männer, die wahrscheinlich schon am Tag ihrer Geburt dazu bestimmt wurden, eines Tages hier in Wyoming auf einander zu prallen und es auszukämpfen. Etwa so, wie Tag und Nacht kämpfen oder wie Feuer und Wasser – oder wie Recht und Unrecht. Aber wer wird gewinnen? Auch Marshal Bill Sullivan beobachtet den Kampf mit ständig wachsender Besorgnis. Obwohl er zumeist auf die Zuschauer achtet, weil sich unter diesen inzwischen eine ganze Menge von Reb Jordans Anhängern und Handlangern befinden, wirft er immer wieder einen schnellen Blick auf die Kämpfer. Und insgeheim betet er regelrecht für Jim Hardin. Er weiß, dass er selbst zumindest übel zurechtgestutzt werden wird, wenn Hardin geschlagen am Boden bleibt. Reb Jordans ganze Wut wird dann ihn treffen. Und indes Bill Sullivan also aufpasst, hofft und wünscht, da wundert er sich über sich selbst. Er weiß 137
einfach nicht, was ihn dazu gebracht hat, einzugreifen und sich einzumischen. Es kam alles impulsiv von innen heraus. Als Jim Hardin im Büro auf Reb Jordan losging und Joe Scott sich einmischen wollte, da handelte Bill Sullivan ganz impulsiv und hielt diesen Burschen Jim Hardin vom Halse. Und als es dann noch rauer und höllischer wurde, blieb Bill Sullivan dabei und wurde nicht feige. Er kniff nicht, sondern blieb im Spiel. Jetzt passt er auf, dass der Kampf nur unter diesen zwei Männern ausgetragen wird. Er hat immer noch Angst – aber es ist eine andere Angst als vorher. Er hat jetzt mehr Angst um Jim Hardin als um sich selbst. Ein kleiner Funken von Stolz beginnt in ihm zu glimmen. Verdammt, denkt er, ich werde diesmal durchhalten. Jim Hardin macht es mir vor. Zum Teufel, ich will es noch ein letztes Mal versuchen. Und dann sieht er, wie der Staub von einem leichten Windstoß fortgetrieben wird. Die Kämpfer werden wieder sichtbar. Und er sieht, was alle anderen Zuschauer sehen. Reb Jordan liegt am Boden – und Jim Hardin steht schwankend neben ihm und wartet mit geballten Fäusten und leicht vorgeneigt, dass Jordan sich erheben möge.
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Jordan schafft es erst beim dritten Versuch, und er bekommt die Fäuste nur mühsam zur Deckung hoch. Jim Hardin schlägt sie ihm zur Seite und hämmert in ihn hinein. Er treibt ihn vor sich her, und Reb Jordan würde wieder zu Boden gehen, wenn er nicht an der Wand des Hauses Halt finden würde. Er lehnt dort mit hängendem Kopf. Jim Hardins Stimme keucht krächzend. »Jordan, hörst du mich? Ich frage dich jetzt etwas! Jordan, hör gut zu! Wer hat meinen Bruder damals mit Schrot getötet? Jordan, wer ist es gewesen? Jordan, wer tötete meinen Bruder?« Reb Jordan stößt einen wimmernden Ton aus. Er ist vollkommen erschöpft und ausgebrannt. Es ist keine Kraft mehr in ihm. Er ist geschlagen. Und er schüttelt mühsam den hängenden Kopf und sagt etwas – aber es ist unverständlich. Jim Hardin stößt ihm die flache Hand ins Gesicht, sodass Jordans Hinterkopf gegen die Hauswand knallt. »Jordan, wer tötete meinen Bruder? Sag es mir, dann lasse ich dich in Frieden! Los, vorwärts! Wer hat es getan?« »Ich – weiß – es – nicht, wirklich – nicht«, keucht Jordan mühsam und fällt mit einem wimmernden Laut auf die Knie.
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Jim Hardin will wieder zuschlagen – aber da ruft eine gedehnte Stimme aus dem Kreis der Zuschauer: »Smiling Jim! He, Smiling Jim! Das war noch nie dein Stil! Komm zu dir, Jim!« Wie aus weiter Ferne dringt die Stimme in Jim Hardins Bewusstsein. Und sie weckt eine alte Erinnerung in ihm. Ja, er erinnert sich an diese schleppende, lässige Stimme, die nur einem Texaner gehören kann. Er erwacht wie aus einem Rausch. Er starrt Reb Jordan an, der jetzt vollkommen zusammenbricht. Er wendet sich langsam um und wischt sich Blut, Schweiß und schmierigen Staub aus dem Gesicht. Wie durch einen Nebel sieht er den bewegungslosen Kreis der Zuschauer. Und dann erkennt er den Sprecher. Es ist ein langer, sehniger, lederner, weißblonder Mann in abgenutzter Weidekleidung, mit abgewetzten Lederchaps, einem Colt an der Seite und einem großen Hut, der weit aus der Stirn geschoben ist. Es ist Dave Rimrock aus Texas. »Danke, Dave«, keucht Jim und schnappt dann wieder gierig nach Luft. Er wendet sich nach Reb Jordan um. Der liegt jetzt etwas verkrümmt auf dem Rücken und hat die Besinnung verloren. 140
Jim wischt sich wieder übers Gesicht. Er bekommt kaum noch Luft. Vor seinen Augen sind plötzlich blaue Nebelschleier. Er verspürt überall Schmerzen und eine Erschöpfung, als wäre Blei in seine Glieder geströmt. Aber dann kann er wieder sehen. Er sieht den Kreis der Zuschauer an, die immer noch wie gebannt verharren und ihn staunend anstarren. Sein Blick findet Joe Scott und Jorge Wells. Er setzt sich in Bewegung und hält vor ihnen inne. »Bringt ihn weg«, knurrt er keuchend. »Schafft euren Boss weg! Yeah, Wells, er ist auch dein Boss! Und deshalb bist du auch nicht mehr der Vormann hier auf dem Bahnhof. Du bist entlassen!« Jorge Wells starrt ihn an, und seine Hand tastet nach dem Colt. Aber Bill Sullivan taucht neben Jim auf und murmelt: »Ihr habt es gehört, nicht wahr?« Sullivan hält den Colt in der Hand und zielt auf Jorge Wells' Gürtelschnalle. Da zuckt der Vormann mit den Schultern. »Wenn ich gehe, so geht auch die Verlademannschaft. Komm, Joe, wir wollen Reb Jordan wegbringen.« Sie gehen um Jim und den Marshal herum und treten zu Jordan, der sich etwas zu bewegen beginnt. Sie stellen ihn auf die Beine, legen sich Jordans Arme um Nacken und über die Schultern und bringen ihn 141
wie einen Betrunkenen, dessen Beine nicht mehr gehorchen, weg. Jim Hardin spürt, dass er sich setzen muss. Er hat große Furcht, plötzlich zusammenzubrechen. Er wendet sich ab, nimmt seine ganze Energie zusammen und schafft es bis zur Tür. Er bringt auch die Schwelle hinter sich, ohne zu stolpern. Mit letzter Kraft erreicht er den Sessel hinter dem Schreibtisch. Sein Oberkörper fällt vornüber. Sein Gesicht ruht in den verschränkten Armen. Er seufzt, und er verspürt erst jetzt, wie sehr er erledigt ist von diesem Kampf. Er hört Bill Sullivans schweren Schritt hereinkommen und hört Ihn dann fragen: »Was wollen Sie, Mister? Sie können jetzt nicht herein. Das Büro ist vorläufig geschlossen« »Doch, ich kann herein«, erwidert die lässige Texanerstimme Dave Rimrocks. »Ich bin nämlich ein alter Sattelgefährte dieses wilden Tigers. Smiling Jim und ich, wir haben an vielen Orten unseren Spaß gehabt. Und es sieht mir ganz so aus, als steckte er etwas in der Klemme.« Jim hebt mühsam den Kopf. Sein Schädel dröhnt wie eine Pauke. Er versucht sein altes Grinsen und krächzt: »Lass diesen Gentleman herein, Bill. Der hat mir vor langer Zeit mal das Pokern beigebracht und mich bis aufs Hemd ausgeplündert. Der ist schon all right, wenn er nicht gerade pokert.« 142
Dave Rimrock kommt grinsend herein, wirft die Tür zu, hängt seinen Hut an den Haken und setzt sich in einen Sessel. »Junge«, sagt er lässig, »brauchst du Hilfe aus Texas?« Jim Hardin gibt keine Antwort. Er hat den Kopf wieder in die Arme gelegt und versucht, seine Erschöpfung zu überwinden. Bill Sullivan geht in die Ecke zu einem Waschständer. Er gießt aus dem Krug Wasser in die Schüssel und macht ein Handtuch nass. Als er beides zum Schreibtisch bringt, sagt er bitter: »Hilfe? Aaah, natürlich braucht er Hilfe. Er braucht jeden Freund. Denn er ist hier in einen schlimmen Kampf geraten und dabei ganz einsam und allein. Ich… ich tauge nicht viel. Ich bin ihm keine Hilfe. Ich bin nur ein Bluffer, der sofort aufgibt, wenn es richtig hart und rau wird. Und es wird mächtig rau werden, bevor alles zu Ende ist. Leg dich zurück, Jim. Ich will dir dieses nasse Handtuch aufs Gesicht legen.« Jim setzt sich auf und lehnt sich weit zurück. Bevor ihm Bill Sullivan das Handtuch auf das Gesicht legen kann, sagt er warm: »Bill, du bist in Ordnung. Du bist kein Feigling. Du hast durchgehalten. Du hast mir Joe Scott vom Leib gehalten. Joe Scott hätte mich abgeschossen, als ich auf Jordan losging. Ohne dich wäre ich jetzt tot, Bill. 143
Und weil Scott nichts machen konnte, wurde Reb Jordan dazu gezwungen, selbst zu kämpfen. Und ich konnte ihn schlagen. Hast du gesehen, Bill, wie groß er ist?« »Mächtig groß – viel zu groß für mich, wenn du tot bist«, murmelt der Marshal bitter. »Ich weiß nicht«, fährt er fort, »warum ich Feigling mich dazu aufraffen konnte, mal einer harten Sache die Stirn zu bieten. Und ich hatte eine höllische Angst. Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht.« Er wendet sich um und beginnt wieder in den Schränken und Regalen zu suchen. »Ist denn wirklich kein Whisky hier?«, krächzt er bitter. »Ich brauchte dringend einen Schluck scharfe Pumaspucke.« Er stößt plötzlich einen Laut der Freude aus, denn er findet nun wirklich eine Flasche. Er öffnet sie und will trinken, aber da steht Dave Rimrock neben ihm und nimmt ihm die Flasche weg. »Bruder«, sagt Dave Rimrock gedehnt, »du bekommst keinen Whisky mehr. Was ich draußen bei dir sah, sah nicht nach Feigheit aus. Du hast Jim den Rücken gedeckt – und jeder konnte dir ansehen, dass du mit deiner Kanone schießen würdest, wenn sich jemand in den Kampf eingemischt hätte. Aber Whisky ist Gift für dich. Überdies brauchen wir ihn 144
für einen wichtigeren Zweck. Ist dort im Nebenzimmer vielleicht ein Bett?« »Yeah«, brummt Bill Sullivan ergeben. »Da wohnte bis jetzt Tom Drake.« »Well«, unterbricht ihn Dave Rimrock und tritt zu Jim. Er legt ihm die Hand auf die Schulter und sagt sanft: »Steh auf, Jim, leg dich auf das Bett. Wir werden dich ausziehen und mit diesem Whisky einbalsamieren. Und dann werden wir dich durchkneten, damit dich der Muskelkater für drei lange Tage nicht zu einem gichtkranken Opa macht. Komm nur, mein Junge. Wenn du dann schläfst, wird Bill mir alles berichten. Ich bin mit einer Treibherde nach Wager gekommen. Meine Mannschaft besteht aus vierundzwanzig wilden Jungs, und fast alle sind Texaner. Was willst du denn noch? Einige der Boys haben mit dir schon Herden nach Dodge City getrieben. Du wirst alte Bekannte treffen. Und wenn es sein muss, so reißen wir für dich diese ganze Stadt dort drüben in Stücke.« »Das hört sich gut an«, brummt Bill Sullivan. Jim Hardin aber erhebt sich und murmelt: »Danke, Dave. Ich brauche tatsächlich Hilfe. Ich leite diesen Verladebahnhof. Und du hast ja gehört, dass ich den Vormann der Verlademannschaft entließ. Wahrscheinlich geht die ganze Mannschaft mit ihm, weil sie von Reb Jordan bezahlt wird. Dave, wenn du 145
etwas für mich tun willst, so halte mit deinen Jungs den Verladebetrieb in Gang, bis ich selbst wieder eine Mannschaft habe.« »Wir werden noch viel mehr tun«, sagt Dave Rimrock gedehnt, und in seinen wasserhellen Augen erscheint ein hartes Leuchten. »Jim, du hast mir einmal beigestanden, als mich die Hackberry-Brüder vor ihren Colts hatten, weil ich vorher ihren Jüngsten beim Falschspiel erwischt und verprügelt hatte. Das war in Dodge City, als wir zu einer Mannschaft gehörten, die mit sechstausend Longhorns den Chisholm Trail heraufkam. Damals standest du mir bei. Ich habe immer gehofft, dass ich mich mal revanchieren könnte. Leg dich hin, mein Junge.« Indes haben sie Jim ins Nebenzimmer ans Bett gebracht. Jim streckt sich aus. Sein ganzer Körper schmerzt. Er kann nur ganz flach atmen. Sie ziehen ihn aus, reiben ihn mit dem scharfen Whisky ein und beginnen ihn zu kneten und zu massieren, dass er bald zu fluchen beginnt und sie verdammte Folterknechte nennt. Aber nach einer Weile wird es besser. Die Schmerzen schwinden. Eine wohlige Müdigkeit breitet sich aus. »Danke«, murmelt er und schläft ein. Aber er hört Dave Rimrock noch aus weiter Ferne zu Bill Sullivan sagen: »Bleib bei ihm, Bill. Ich reite 146
zu meinem Herdencamp hinüber. Ich übernehme mit der Hälfte meiner Mannschaft diesen Bahnhof. Und ich werde auch mit den anderen Herdenbossen zu einer Einigung kommen.«
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7 Als Jim Hardin erwacht, ist es später Nachmittag. Durch das Fenster kann er die tief stehende Sonne sehen. Er hört ein leises Geräusch neben sich und wendet den Kopf. Bill Sullivan sitzt an seinem Bett und kaut an einem alten Zigarrenstummel. Sie blicken sich lange und schweigend an. Dann murmelt Sullivan: »Du hast Recht, Jim. Ich sollte es noch einmal versuchen. Und ich habe an dir einen Halt. Du hast mir gezeigt, dass man seine Furcht bezwingen und kämpfen soll. Du hast mir Gelegenheit zu einem Versuch gegeben. Und jetzt möchte ich es tatsächlich noch mal versuchen.« »Wie?«, fragt Jim langsam. Bill Sullivan grinst, und er wirkt tatsächlich straffer und selbstbewusster als sonst. »Ich bin der Marshal«, sagt er. »Als ich dieses Amt übernahm, gab mir die Bürgerschaftsvertretung weitgehende Handlungsfreiheit und Vollmachten. Leider habe ich nie verstanden, etwas daraus zu machen, weil mir der Mut fehlte. Aber wenn du an meiner Seite bist, habe ich Mut. Jim, ich habe einen 148
Vertrag mit dieser Stadt. Er wurde geschlossen, bevor Reb Jordan nach Wager kam, und er besitzt immer noch Gültigkeit. Dieser Vertrag gibt mir das Recht, Gehilfen zu ernennen, Strafen zu verhängen, Lokale zu schließen und unwillkommenen Burschen die Stadt zu verbieten. Es ist ein guter Vertrag mit vielen Rechten und Vollmachten. Ein harter Mann kann damit viel anfangen. Und du bist ein harter Mann, Jim Hardin. Dave Rimrock erzählte mir, dass man dich im Süden Smiling Jim nennt. Nun, hier in Wyoming wird man dich vielleicht eines Tages ›Harter Jim‹ nennen. Well, ich gebe dir den Stern eines Hilfsmarshals. Aber selbstverständlich bist du der Boss und nicht ich. Wenn du also diese Stadt auf die raue Art zur Ruhe bringen willst, will ich versuchen, dir zu helfen. Ich will es noch einmal versuchen, so zu kämpfen wie früher. Aber allein würde ich versagen.« Nach dieser langen Erklärung schnauft Bill Sullivan erleichtert. Jim gibt nicht gleich eine Antwort. Er liegt still da und überdenkt alles nochmals. Von draußen hört er viele Geräusche. Eine Lok pfeift. In den Corrals brüllt und muht es. Auf der Laderampe wird gearbeitet. Die Viehverladung ist also wieder voll im Gange. Irgendwann am Mittag muss ein leerer Wagenzug angekommen sein, der jetzt mit brüllenden Rindern gefüllt wird. 149
Das bedeutet für Jim, dass Dave Rimrock sein Versprechen gehalten hat und mit seiner Mannschaft an der Arbeit ist. Indes Jim also das alles hört und zur Kenntnis nimmt, überdenkt er die wichtigeren Probleme. Er ist in diese Stadt gekommen, um den Mörder seines Bruders zu finden. Aber inzwischen sind noch andere Dinge hinzugekommen. Wenn er sich hier behaupten will, muss er Reb Jordan erledigen. Solange Reb Jordan einen Druck auf die Stadt ausüben kann, wird es immer wieder neue Gewalttaten und Verbrechen geben. Jordan will den Bahnhof kontrollieren. Er wird diesen Plan erst aufgeben, wenn er richtig verloren hat und endgültig geschlagen worden ist. Das bedeutet Kampf. Jim wird sich darüber klar, dass er seine Position besser stärken kann, wenn er sich einen Stern ansteckt und die Stadt zu einer rechtlichen Stadt macht. Und überdies ist ein sicheres Gefühl in ihm, dass Reb Jordan nicht gelogen hatte, als er beschwor, mit dem Tode Reck Hardins nichts zu hin zu haben. Aber wer tat es dann? Wer gab dann einem Mörder den Auftrag? Wenn Reb Jordan also nicht gelogen hat, so muss es noch einen anderen Mann im Hintergrund geben. Jim Hardin denkt plötzlich an Stag Northern. Und er verspürt einen kalten Zorn in sich anwachsen. 150
Zugleich denkt er aber auch an Jennifer Northern – und ein bitteres Bedauern wächst in ihm und wird stärker als sein Zorn. Bill Sullivan brummt etwas, aber es ist nicht verständlich. Jim wird sich wieder bewusst, dass der Mann auf eine Antwort wartet. Er erhebt sich vorsichtig. Er fühlt sich steif und zerschlagen. Seine Muskeln schmerzen. Aber es geht doch besser, als er dachte. Da er noch völlig nackt ist, hängt er sich die Decke um, bewegt sich im Raum umher und verliert eine Menge von seiner schmerzenden Steifheit. Wenn die beiden Männer ihn nicht mit dem brennenden Whisky eingerieben und so mitleidlos durchgeknetet hätten, so könnte er sich jetzt gewiss überhaupt nicht bewegen. Er tritt vor den Spiegel in der Ecke über dem Waschständer. Er blickt hinein und erschrickt. Lesly Quarter und Buster Hull hatten ihm schon im Hotel einige Zeichen aufgedrückt – aber jetzt sieht sein Gesicht einfach schlimm aus. Er knurrt und grinst sich im Spiegel an. Dann wendet er sich um und sieht in Bill Sullivans erwartungsvolle Augen hinein. »Bill«, sagt er, »gib mir den Stern. Und dann wollen wir in der Stadt Ordnung schaffen. Wir jagen die ganze Bande zum Teufel.«
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Er tritt zu seinen Kleidungsstücken, die sorgfältig gesäubert und sogar geflickt und gefaltet auf einem Stuhl liegen. Er stutzt und fragt: »Wer hat meine Kleidung in Ordnung gebracht?« Bill Sullivan räuspert sich und rutscht unruhig auf dem Stuhl herum. »Jennifer Northern war hier. Sie hatte von deinem Kampf mit Reb Jordan gehört. Du warst gerade eingeschlafen, als sie voller Sorge und Angst angelaufen kam. Und sie hat mir mächtig zugesetzt. Ich musste ihr alles erzählen. Vor allen Dingen wollte sie genau wissen, warum du Quarter und Hull töten musstest. Sie war ganz verstört.« Jim Hardin stößt einen unwilligen Ton aus. Indes er sich ankleidet, denkt er nach. Und er kommt zu der Erkenntnis, dass Jennifer nun das weiß, was auch ihm schon klar wurde: Stag Northern hatte alles gehört, als er vor der Tür lauschte. Nur von Stag Northern konnte Reb Jordan erfahren haben, dass Jim Hardin der Bruder Reck Hards ist. Und weil er es erfuhr, änderte Reb Jordan sehr schnell seine Pläne. Er ging auf Jim Hardins Spiel noch ein – aber er hatte inzwischen Lesly Quarter und Buster Hull auf seine Seite gebracht und eine Falle aufgestellt, die Jim Hardin und Tom Drake mit einem Schlag erledigen sollte. 152
Reb Jordan hätte diesen Plan niemals gemacht, wenn er nicht gewarnt worden wäre. Stag Northern steckt also in dem rauen Spiel um den Bahnhof mit drin. Dem Mädchen muss dieses klar geworden sein. Jim kann sich vorstellen, wie sehr sie innerlich in Not ist. Er hat sich fertig angekleidet. Bill Sullivan tritt zu ihm, greift in die Tasche und hält ihm einen Stern hin. »Da ist er, Jim! Steck ihn dir an! Und dann wollen wir in die Stadt gehen und die Vertreter der Bürgerschaft damit vertraut machen.« Jim nickt. Er wiegt den vernickelten Blechstern in der offenen Hand. »Ich will ihn zum Wohle der Stadt tragen – das schwöre ich«, sagt er langsam und steckt ihn sich dann an. Als er sich den Waffengurt umlegt, erklingen schnelle Schritte. Die Tür geht auf, und Dave Rimrock kommt herein. Er schwitzt und ist staubig. Er bleibt stehen, wippt auf den Sohlen und stützt die Hände in die Seiten. Er sieht Jim an und grinst. »Mister Hilfsmarshal«, sagt er, »ich wollte dir nur melden, dass die Verladung klappt. Der Bahnagent ist in Ordnung. Wir bekommen Viehwagons so viel 153
wir nur brauchen. Außer meiner Herde sind noch drei andere, kleinere Herden da. Wir verladen sie alle gemeinsam. Viele der Herdentreiber wurden nur für das Treiben angeworben und sind arbeitslos, wenn die Herden verladen sind. Ich werde dir eine Mannschaft zusammenstellen, Jim.« »Und du, Dave?«, fragt dieser. »Ich bleibe auch. Ich wollte ohnehin keine Herden mehr treiben, sondern mich hier in Wyoming nach einem Stück Land umsehen. Doch das kann noch warten. Du brauchst dich um die Dinge hier auf dem Bahnhof nicht mehr zu kümmern. Du kannst dich um die Stadt kümmern. Wenn du Hilfe brauchst, so hören wir mit der Arbeit auf und kommen in die Stadt. Jage die schlimmen Burschen alle zum Teufel, Jim. Dann kommst du nicht mehr in Not. Bill Sullivan hat mir erzählt, dass Reb Jordan die Stadt unter Druck hält und mit Hilfe von Gewalt und Terror der große Mann geworden ist. Jag ihn zum Teufel! Tu es sofort, solange er die erhaltenen Prügel noch nicht verdaut hat. Ich hole mir einige hartbeinige Jungs und komme mit!« Er will zur Tür hinaus, aber Jims Stimme hält ihn zurück. »Nein, Dave! Das geht euch nichts an! Bill und ich, wir sind das Gesetz. Wir müssen es allein schaffen. Reb Jordan und seine Revolverschwinger müssen 154
dem Gesetz weichen – und nicht der Gewalt. Wenn wir Hilfe brauchen in der Stadt, so muss sie uns von den rechtlichen Bürgern gegeben werden. Nur so geht es zu machen. Diese feige Stadt muss sich aus eigener Kraft freimachen von Reb Jordan. Sonst wird sie nie stolz und mutig. Sie muss jetzt Farbe bekennen und für eine bessere Zeit kämpfen. Ihr seid für den Bahnhof da, Dave. Aber die Stadt muss für sich selbst eintreten – oder sie verdient es nicht, endlich eine saubere Stadt zu werden. Komm, Bill! Wir fangen an damit!« Er geht an Dave Rimrock vorbei und schlägt ihm leicht gegen die Schulter. Rimrock nickt widerwillig. »Sicher«, brummt er, »es war in allen wilden Städten so. Sie mussten sich selbst befreien. Die Bürger mussten ihren Mut und ihren Willen beweisen und selbst gegen jede Gewalttat und jeden Terror angehen. Dann blieb solch eine wilde Stadt für alle Zeit gut und sauber. Du hast schon die richtige Idee, Jim, aber ich bin in Sorge. Ich werde einen Jungen in die Stadt schicken, der alles beobachtet und uns sofort benachrichtigt, wenn ihr in Not seid. Viel Glück!« Er tritt hinter Jim und Bill aus dem Haus und schaut ihnen nach. Dann geht er zur Verladerampe und schwingt sich neben einen Mann auf die oberste Corralstange. Er 155
nimmt diesem Manne das Zählbuch aus der Hand und knurrt: »Ich löse dich ab, Curly! Geh in die Stadt und halte die Augen offen. Wenn Jim Hardin in Not kommt, so holst du uns verdammt schnell. Nimm dir ein Pferd mit, damit du schneller bist als auf deinen eigenen krummen Hundebeinen.« Curly Lemate aus Texas grinst grimmig. Er springt zu Boden und spuckt einen Priem aus. »Meine Beine sind schon in Ordnung, Dave. Die sind nicht so krumm wie die des Mädels, mit dem du in Valley City dauernd getanzt hast. Hahaha, du hast sie herumgeschwenkt, dass ihre langen Röcke flogen und wir alle sehen konnten, wie krumm ihre Beine waren. Das war vor fünf Wochen in Valley City, als wir unsere Herde rasten ließen und uns amüsieren gingen.« Er watschelt nach diesen Worten davon. Dave Rimrock starrt ihm ziemlich wütend nach. Dann kratzt er sich den Stoppelbart und brummt: »Das Mädel hatte aber sonst allerhand Vorzüge, und ich habe mir die Beine so genau auch nicht angesehen.« Er muss nun wieder zu zählen beginnen, denn es werden wieder Rinder vom Corral her durch die Gasse getrieben.
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Bei jedem zehnten Rind macht Dave Rimrock einen Strich in sein Buch. Auf der anderen Seite sitzt der Viehaufkäufer der Fleischfabrik und zählt ebenfalls mit. Die Sonne ist schon zu zwei Dritteln hinter den Wild Hills im Westen verschwunden, als Jim und Bill in die Stadt kommen. Vor seiner Futtermittelhandlung steht Pat Leeman und blickt verblüfft auf Jim Hardins Stern. Bill Sullivan zieht Jim herüber. Sie bleiben vor Pat Leeman stehen, und dann sagt Bill Sullivan trocken: »Pat, ich habe einen Hilfsmarshal. Du gehörst zur Bürgerschaftsvertretung. Was sagst du zu meinem Partner?« Pat Leeman ist ein grauhaariger Mann mit einem sichelförmigen Bart. Er sieht Jim Hardin schweigend an und nickt dann. »Ich habe schon gehört, wie ihr Reb Jordan zurechtgestutzt habt. Vielleicht hat dir nur solch ein Partner gefehlt, Bill. Ich muss zehn Prozent meiner Einnahmen an Reb Jordan abführen. ›Schutzgebühr‹, so nennt er das! Nun, drüben in der Alten Welt, da gab es ja früher mal Raubritter. Und genau das ist Reb Jordan. Ich wäre froh, wenn ich ihm nicht einen Teil meiner Einkünfte abtreten müsste.«
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Pat Leeman verstummt und sieht Jim forschend an. »Halten Sie mich nur nicht für einen Feigling, Jim Hardin. Wenn Sie wahrhaftig helfen wollen, diese Stadt sauber und frei zu machen, so werde…« »Versprechen Sie nur nicht zu viel, Leeman«, unterbricht ihn Jim trocken und geht weiter. Bill folgt ihm, und der Mann starrt hinter ihnen her und spuckt bitter aus. »Er hält diese verdammte Stadt wahrhaftig für feige«, murmelt er. Und nach einer Weile des Nachdenkens fügt er hinzu: »Und wir waren auch alle feige – weil unser Marshal feige war. Aber vielleicht ändert sich das bald.« Jim und Bill kommen zur Schmiede. Pete Shamrock wirft gerade ein fertiges Hufeisen in den Wasserbottich. Es zischt scharf. Er wischt den Hammerschlag vom Amboss und setzt sich darauf. Und dann wiederholt sich alles wie eben bei Pat Leeman. Der Schmied vertritt fast die gleiche Ansicht wie der Futtermittelhändler. Abschließend sagt er: »Wenn die Bürger dieser Stadt erst begreifen, dass ihr etwas für uns tun wollt, so werdet ihr auch Unterstützung bekommen. Passt nur auf, wie schnell dann die Hölle losbricht. Uns fehlt nur ein Vorbild – ein Anführer, der sich nicht fürchtet.« Jim nickt ihm zu und geht mit Bill weiter. Sie überqueren die Straße und kommen zu Pat Saunders 158
Generalstore. Sie treten ein. Pat Saunder steht hinter dem Ladentisch und legt gerade eine Auswahl von Zigarrenkistchen vor. Der Zigarrenkäufer ist Steward Brown, der Bankier und Gründer dieser Stadt. Die beiden Männer blicken eine Weile stumm auf den Stern an Jims Hemd. Dann sehen sie Bill Sullivan an und sagen zweistimmig: »Bill, das ist eine gute Idee!« Sie verstummen überrascht, weil sie doch so gleichmäßig die gleichen Worte gesprochen haben, als hätten sie es auswendig gelernt. Der Bankier schnauft hörbar und sieht Jim Hardin vorsichtig und doch sehr abschätzend an. »Jetzt wollen Sie Reb Jordan richtig erledigen, nicht wahr?« »Ich leite das Verladegeschäft«, erwidert Jim trocken. »Und ich möchte nicht denselben Kummer erleben wie Tom Drake. Ich will auch keine Abgaben an Reb Jordan zahlen, so wie es die ganze Stadt tut. Und ich will nicht noch einmal zwei Männer töten müssen, weil diese mich im Auftrag von Reb Jordan erledigen sollen. Ich sitze nicht herum und warte auf seinen nächsten Angriff. Ich ducke mich auch nicht vor ihm wie ihr alle in dieser Stadt.« »Wir sind nicht feige«, mischt sich Pat Saunder ein. »Aber wir können uns nicht gegen Revolverhelden und Rowdys wehren!« 159
»Doch, das könnt ihr! Wenn ihr alle zusammenhaltet und nicht auf ein Wunder wartet. Gegen Revolverhelden sind Schrotflinten eine ausgezeichnete Medizin. Und der Wille muss da sein, es wirklich bis in die Hölle hinein austragen zu wollen!« »Ihr Bruder wurde ja auch von einer Schrotflinte in Stücke geschossen«, mischt sich der Bankier sanft ein. »Passen Sie nur auf, Mister, dass Sie nicht auch auf dieselbe Art bestraft werden. Sie haben Reb Jordan tüchtig geblufft und dann überdies auch noch verprügelt. Sie können ihn jetzt vielleicht zurechtstutzen. Vielleicht können Sie ihn sogar mitsamt seinem Rudel für wenige Tage zum Teufel jagen, wenn die anständigen Bürger dieser Stadt Ihnen helfen. Aber dann würde er mit Emmet Skullman und dessen Rustlerbande zurückkommen. Sie würden sich diese Stadt zurückerobern, Emmet Skullman, der mit seiner Bande das Rinderland im Westen beherrscht und kontrolliert, lässt es nicht zu, dass Reb Jordan die Stadt verliert. Jordan ist Skullmans Statthalter. Jordan soll dafür sorgen, dass Skullman hier seine Rinder verladen kann. Das weiß jeder Mensch im Land. Die Rancher im Westen haben den Krieg gegen die Viehdiebe verloren. Alle Rinder dort hinter den Wild Hills gehören jetzt Emmet Skullman. Und er wird sie bald herbringen. 160
Dann will er keine Schwierigkeiten mit der Verladung haben und…« »Sie sind gut informiert, Mister Brown«, unterbricht ihn Jim gedehnt. Der dicke Mann sieht ihn bitter an. »Sicher, ich bin bestens informiert. Denn ich Narr habe doch den Ranchern im Westen Kredite gegeben, damit sie sich eine Rinderzucht aufbauen konnten. Als ich diese Stadt gründete, wollte ich ihr ein gesundes und blühendes Land verschaffen, von dem sie leben kann, wenn einmal keine Treibherden mehr hier verladen werden. Und jetzt sind die Rancher ohne Mannschaften, weil diese zu den Viehdieben übergelaufen sind. Jetzt machen die Rancher alle Pleite. Und ich verliere mein Geld. Jim Hardin, wenn Sie Reb Jordan nicht richtig abschießen, sondern nur davonjagen, so kommt er mit der ganzen SkullmanBande zurück und nimmt die Stadt wieder in Besitz. Das wollte ich Ihnen nur sagen.« Er will zur Tür, aber Jim hält ihn mit einer Handbewegung auf. »Brown«, sagt er, »wenn es wirklich geschehen soll, dass Reb Jordan mit Hilfe einer Rustlerbande wieder die Herrschaft über diese Stadt antreten möchte, so muss diese Stadt eben kämpfen. Verstehen Sie? Jeder Bürger muss für seine Stadt und seine eigene Freiheit kämpfen! Ich kann Reb Jordan 161
nicht abschießen, es sei denn, er tritt mir mit der Waffe entgegen. Aber das wird er jetzt nicht wagen. Ich kann ihn auch nicht vor ein Gericht bringen, weil wir hier keines haben. Sie sind doch hier der Bürgermeister und Stadtgründer! Warum habt ihr euch noch keinen Friedensrichter gewählt? Warum wird hier nicht…« »Was nützt ein Gericht, wenn die Polizeiorgane der Stadt nichts taugen«, unterbricht ihn Steward Brown bitter und sieht Bill Sullivan, der beschämt zu Boden blickt, mürrisch an. »Ein Gericht in dieser Stadt kann nur Recht sprechen, wenn es von den Bürgern und dem Marshal Unterstützung bekommt. Und bis jetzt war die ganze Stadt viel zu feige dazu!« »Das kann sich ändern«, sagt Pat Saunder scharf und schlägt seine Faust auf den Ladentisch. Brown wendet sich ihm zu. »Well, würdest du das Amt eines Richters annehmen, Pat?« Saunder zögert, aber dann spürt er Jim Hardins festen Blick auf sich. Er sieht in Jim Hardins, Augen hinein, als er nickt und sagt: »Yeah, ich würde das Amt eines Richters annehmen!« Steward Brown starrt ihn verwundert an. Dann wendet er sich zu Jim und Bill um.
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»Nun gut! Jagt Reb Jordan aus der Stadt! Dann wird sie nicht zu feige sein, sich einen Richter zu wählen. Und dann können wir ja weitersehen, nicht wahr?« Er geht schwerfällig hinaus. Jim Hardin nickt dem Storehalter zu. Er holt den geliehenen Derringer aus der Tasche und will ihn zurückgeben. Aber Saunder wehrt ab. »Behalten Sie ihn, Jim Hardin. Ich habe schon gehört, dass er Ihnen das Leben rettete. Ich werde auf meine Freunde und Bekannten einwirken, dass Sie Unterstützung bekommen.« »Sie haben begriffen, wie eine Stadt sich frei machen kann«, grinst Jim grimmig und geht mit Bill Sullivan hinaus. Vor der Tür prallt er fast auf Jennifer Northern. Sie trägt zwei Lederkoffer in der Hand, als wollte sie verreisen. »Jenny!«, ruft Jim erschrocken. »Du willst doch wohl nicht…« »Ich will in den Store«, sagt sie mit einem ernsten Lächeln und sieht erst auf seinen Stern und dann zu ihm auf und in seine Augen. Er lässt sie in den Store und folgt ihr. Bill Sullivan bleibt jedoch auf dem Gehsteig.
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Im Store setzt das Mädchen ihre Koffer ab. Sie deutet auf Pat Saunder. »Mister Saunder hat mich als Verkäuferin angestellt. Ich werde auch in seinem Haus wohnen und mit seiner Wirtschafterin ein Zimmer teilen. Jim, ich bin weg von meinem Vater. Ich weiß jetzt, dass er zu Reb Jordan gehört und diesem verraten hat, was er erlauschen konnte. Bill Sullivan hat mir von den Geschehnissen erzählt. Mein Stiefvater hat an Jordan verraten, dass du Reck Hards Bruder bist. Und daraufhin hat Jordan Tom Drakes Leibwächter auf seine Seite gezogen und sie beauftragt, dich und Tom Drake zu töten. Ich weiß ganz genau, wie alles war. Bill Sullivan hat es mir genau erzählt. Jim, du hast Tom Drake gerettet und bist an seine Stelle getreten. Aber ich habe jetzt große Angst um dich. Und ich will mit Stag Northern nicht mehr unter einem Dach wohnen. Jim, ich habe große Furcht, aber ich bin stolz auf dich, weil du den Stern trägst. Du wirst dieser Stadt helfen!« Sie tritt dicht an ihn und legt ihre Hände gegen die Brust. »Du bist hergekommen, um den Mörder deines Bruders zu finden, Jim. Aber ich denke, das ist dir jetzt gar nicht mehr so wichtig. Du hast jetzt eine andere, größere und wichtigere Aufgabe erkannt. Du willst für eine feige Stadt kämpfen, bis auch sie 164
endlich Mut bekommt und für ihre Sache eintritt. Jim, für diese Wandlung bin ich dir ja so…« »Sei still, Jenny«, unterbricht er sie. »Die Sache ist ganz einfach gewachsen, und ich bin noch im Spiel geblieben. Ich kann gar nichts dafür, und…« »Du tust es aus innerer Verantwortung und Rechtlichkeit heraus. Ich bin stolz auf dich! Wenn du es auch noch nicht zugeben willst – du kämpfst nicht mehr, um Rache zu nehmen und den Mörder zu finden. Du willst dieser Stadt helfen – so wie du Bill Sullivan geholfen hast, wieder ein Mann zu werden. Du bist stark, groß und hart. An dir finden sie alle einen festen Halt. Viel Glück, Jim!« Sie stellt sich schnell auf die Zehenspitzen und küsst ihn. Dann macht sie sich von ihm los, hebt ihre Koffer auf und geht nach hinten. Jim wischt sich verstört über die Augen. Als er sich umwendet, sagt Pat Saunder zu ihm: »Sie hat es in Worten ausgedrückt, Jim. Sie sind ein Mann, der immer, zu jeder Zeit und an jedem Ort für die Schwachen eintritt und den Feiglingen eine Chance gibt, wieder mutig werden zu können.« »Aaah, ich kämpfe ganz einfach nur gegen Reb Jordan, weil er ein Hundesohn ist – und weil es in dieser Stadt noch einen anderen Schuft gibt, der
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meinen Bruder abgeschossen hat«, murmelt Jim Hardin fast ärgerlich und geht hinaus.
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8 Draußen ist es jetzt Nacht. Lampen, Laternen und Pechfässer erhellen die Straße. Die Stadt wird mit jeder Minute lebendiger und bewegter. Und doch ist eine gewisse Spannung überall fast körperlich spürbar. Es sind hundert Einzelheiten, viele kleine Dinge, die darauf hinweisen, dass die Stadt auf etwas wartet. Sie ist leiser als sonst. Die Reiter, die aus der Nacht hereingetrieben kommen, sind wachsam und vorsichtig, als möchten sie nicht unversehens in einen Verdruss hineingeraten. Die Gestalten auf den Gehsteigen bewegen sich langsamer. Auch der Lärm aus den Saloons und den Tanzhallen ist nicht so wild und ausgelassen wie sonst. Es gibt keine Betrunkenen, keine grölenden Männertrupps, keine wilden Cowboys, die gen Himmel schießen und die Straße zu einer Rennbahn machen. Und es gibt viele Beobachter in den Schatten. Der Hauch von Gefahr liegt über der Stadt. Es riecht nicht nur nach warmem Staub, nach Rindern, Pferden und Weideland. Es liegt noch ein anderer Atem über der Stadt. 167
Es hat sich herumgesprochen, dass jener Mann, der es vermochte, Reb Jordan zu verprügeln, nun den Stern eines Marshals trägt. Und nun wartet die Stadt auf die zweite Runde. Als Jim Hardin zu Bill Sullivan tritt, sagt er zu ihm: »Du bist ein Schwätzer, Bill. Das Mädel und die halbe Stadt halten mich für einen Helden – für eine Art Retter. Zum Teufel, Bill, du hast, glaube ich, stark übertrieben.« »Yeah, ich bin ein Schwätzer«, erwidert Bill Sullivan und grinst. Sie gehen weiter. Als sie in Höhe des Hotels kommen, hält Jim inne. Er überlegt kurz und geht dann hinüber. Bill Sullivan folgt ihm in einigem Abstand, und er hält dabei die Hand am Kolben des Colts. Er sieht, wie Jim eintritt, folgt ihm jedoch nicht, sondern bleibt draußen. Er stellt sich in eine Hausnische und wird in ihrem Schatten fast unsichtbar. Er beobachtet wachsam die Dinge auf der Straße. Indes betritt Jim die Halle. Hinter dem Pult steht Stag Northern. Er hält eine Schrotflinte unter dem Arm. Läufe und Kolben sind abgesägt. Es ist auf kurze Entfernung eine gefährliche Waffe.
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Jim bleibt stehen und blickt sekundenlang in die Doppelmündung. Dann sieht er Stag Northern an und fragt: »Warum haben Sie Jenny und mich belauscht? Und warum haben Sie Reb Jordan verraten, dass ich Reck Hards Bruder bin? Warum taten Sie das?« Stag Northerns Augen sind rot unterlaufen. Auch sein Gesicht ist gerötet, als hätte er zu viel Whisky getrunken. Seine Stimme ist heiser. Er sagt: »Reb Jordan bezahlt mich für gute Informationen. Und ich mag nicht, wenn sich meine Tochter in den Zimmern fremder Männer herumtreibt.« Er verstummt schroff. Jim Hardin beobachtet ihn aufmerksam, und er bekommt immer mehr den Eindruck, dass dieser Mann vielleicht nur äußerlich eine Ruine ist. Er murmelt sanft: »Northern, vielleicht gibt es noch andere Gründe. Vielleicht wollten Sie nicht, dass ich Tom Drake helfe. Und vielleicht ist es sehr in Ihrem Interesse, wenn Reb Jordan hier der starke Mann bleibt. Vielleicht wollten Sie nicht, dass ich ihn noch eine Weile hätte bluffen können und er mich für einen neuen Handlanger halten musste. Vielleicht wollten Sie verhindern, dass er mich in sein Spiel noch mehr einweihte!« »Vielleicht, Mister Hardin.« Stag Northern grinst. Er macht eine Bewegung mit der Waffe. 169
»Verschwinden Sie! Well, ich habe Reb Jordan mitgeteilt, wer Sie sind. Und ich habe ihm gesagt, was Sie hier wollen. Stimmt! Aber vielleicht tat ich es nur aus Angst, damit mich nicht Reb Jordans Rache trifft. Ich will nicht dafür büßen müssen, wenn sich meine Tochter wieder einmal einen Mann angelt, ihn verrückt macht und ihn dazu bringt, sich auf Tom Drakes Seite zu stellen. Wenn jemand Ihren Bruder auf dem Gewissen hat, so ist es Jenny…« »Schweigen Sie!«, zischt Jim. Er wendet sich ab und geht hinaus. Die Stimme Stag Northerns folgt ihm. »Kommen Sie nicht wieder in mein Hotel! Ziehen Sie mich nicht in Ihren verrückten Kampf mit hinein. Ich werde immer zu Reb Jordan halten, weil er hier der starke Mann ist!« Jim hört die letzten Worte nicht mehr. Er tritt auf die Straße und geht schnell aus der Lichtbahn des Hotels. Bill Sullivan spricht ihn aus der dunklen Nische an. »Nun?« Jim tritt zu ihm und fragt, indes er die Straße beobachtet: »Steht Stag Northern mit Reb Jordan in Verbindung?« »Er ist der einzige Geschäftsmann dieser Stadt, der niemals Schwierigkeiten mit Reb Jordan oder dessen Leuten hatte«, murmelt der Marshal trocken. 170
»Das hat schon viele Leute gewundert, aber man schreibt es dem Umstand zu, dass Reb Jordan jede Gelegenheit wahrnimmt, um Jennifer Northern den Hof zu machen. Sie hat ihn schon oft stehen lassen. Er ist Luft für sie. Aber wenn er ihr begegnet, versucht er es immer wieder. Was tun wir jetzt, Jim?« Jim hebt in der Dunkelheit die Rechte. Er bewegt prüfend seine Finger. Die Knöchel sind sämtlich aufgeschlagen. Er hat sich beide Hände ziemlich übel zugerichtet, als er mit Reb Jordan kämpfte. Seine Revolverhand ist nicht ganz so beweglich und geschmeidig wie sonst. Aber er muss die Zeit nutzen. Er starrt quer über die Straße zum Mietstall hinüber. »Bill«, fragt er, »hat Reb Jordan dort einen Wagen stehen? Oder benutzt er nur ein Pferd?« »Beides«, erwidert Bill Sullivan. »Er besitzt einen prächtigen, gefederten Zweisitzer und ein schnelles Rappengespann. Manchmal fährt er mit einem seiner Saloonmädels aus. Wenn er allein einen Ausflug macht, so reitet er. Aber das ist selten.« »Komm«, murmelt Jim Hardin und setzt sich in Bewegung. Als sie den Mietstall erreichen, tritt ihnen dort Chip Duane entgegen. »Pat Leeman hat mir schon alles erzählt«, brummt er. »Ich muss in meinem Mietstall die Pferde von 171
Jordans Bande umsonst betreuen. Diese Burschen verlangen das Beste vom Besten. Und wenn ich etwas bezahlt haben möchte, so bieten sie mir Schläge an oder fragen mich, wie schnell mein Stall wohl abbrennen würde, wenn jemand unvorsichtig mit einem Zündholz umginge. Diese Bande…« »Wir spannen Reb Jordans Wagen an«, unterbricht ihn Jim Hardin. »Und Sie machen inzwischen eine Rechnung fertig.« »Was für eine Rechnung?« Der Mann staunt ihn an. Jim betrachtet ihn sorgfältig. Chip Duane war ganz bestimmt einmal Cowboy. Er ist klein, krummbeinig und grauhaarig. Aber er wirkt älter, als er ist. Die harten Jahre auf vielen Weiden haben ihm ihre Zeichen eingebrannt. Wind und Wetter haben an ihm genagt. Er ist ein Veteran. Jeder Cowboy über fünfundvierzig ist ein Veteran und wirkt meist wie ein sechzigjähriger Mann. Chip Duane wirkt so krumm und schief, dass man sofort erkennen kann, wie sehr ihn das Rheuma plagt. Aber er ist besser dran als so manch anderer Oldtimer der Weide, den das so genannte freie und frische Leben in Wetter, Wind, Sonne und Natur frühzeitig zu einem Greis machte. Chip Duane besitzt den Mietstall. Das ist viel für einen Excowboy,
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der sein ganzes Leben lang nur höchstens vierzig Dollar im Monat verdiente. Er fragt nochmals: »Was für eine Rechnung, Mister?« Jim grinst bitter. »Sie haben doch eben gesagt, dass Reb Jordan und seine Leute für die Unterbringung und Pflege ihrer Pferde niemals etwas bezahlt haben. Nun, dann stellen Sie eine Rechnung für alles aus. Ich werde zusehen, dass Reb Jordan sie begleicht.« Der kleine Mann starrt ihn an. »Das wollen Sie versuchen? Das…« »Noch mehr, mein Freund! Reb Jordan wird heute noch in seinem Wagen diese Stadt verlassen. Komm, Bill, wir spannen an und bringen den Wagen vor den Trailmen's Paradise Saloon.« Er geht davon. Bill Sullivan folgt ihm. Chip Duane aber stürzt in sein kleines Büro. Er stellt wirklich eine Rechnung aus. Aber indes er schreibt, murmelt er: »Oha, dieser Neue will für meine Rechte eintreten. Well, ich werde mir nachher sicherheitshalber meine gute Lizzy nehmen und…« Er verstummt und grinst grimmig. Er wirft einen schnellen Blick in die Ecke des kleinen Raumes. Dort steht eine alte Schrotflinte. Und sie heißt »Lizzy«.
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Indes hat Stag Northern eilig sein Hotel durch den Hintereingang verlassen. Er hatte nur auf die Dunkelheit gewartet, um ungesehen den Weg durch die Hinterhöfe und Gärten machen zu können. Und die ganze Zeit vorher hat er in Angst und Sorge verbracht. Ja, er hat auf Jim Hardin gewartet. Er hatte seine Schrotflinte ständig in Griffnähe und hat jene Angst verspürt, die eigentlich immer in jenen Männern wohnt, die aus dem Hintergrund arbeiten, schmutzige Pläne schmieden und auf Grund ihrer Hinterhältigkeit sehr gefährlich sind. Er hat auch mit seiner Stieftochter Jennifer eine scharfe Auseinandersetzung gehabt, aber das Mädchen hat ihm ihre Verachtung so scharf ins Gesicht geschleudert, dass er einen Moment richtig erschrocken war. Und nun sucht er sich einen Weg durch die Dunkelheit. Er bewegt sich schneller und leichter als sonst. Er ist geschickt, trotz seines Holzbeines. Er ist ein gleitender Schatten, und niemand würde auch nur auf den Gedanken kommen, dass dieser gleitende Schatten Stag Northern ist. Er erreicht die Hintertür des Trailmen's Paradise Saloon. Er betritt einen Gang und klopft an eine Tür. Er muss einige Sekunden warten, dann wird auf der anderen Seite ein Riegel zurückgeschoben. Die Tür öffnet sich, und Joe Scott wird sichtbar. 174
»He«, sagt er überrascht bei Stag Northerns Anblick. »Ich muss zu Reb Jordan«, sagt dieser drängend. »Der ist jetzt für niemanden zu sprechen«, brummt Joe Scott und drückt Stag Northern, der ins Zimmer will, die flache Hand gegen die Brust. »Sie kommen hier nicht herein, Northern!« »Zum Teufel, mein Junge«, schnappt dieser. »Wenn du nicht willst, dass Reb Jordan dich zur Hölle feuert, so geh zu ihm und sag ihm, dass ich ihn sprechen will. Hast du verstanden?« Joe Scott will wütend werden. Er ballt sogar schon seine Faust. Aber da sieht er in Stag Northerns Augen hinein – und in diesem Moment begreift er, dass dieser Mann sich verändert hat und ganz anders wirkt als sonst. Das ist nicht mehr der kranke, alte, verbraucht wirkende und den Whisky liebende Krüppel. Das ist nicht mehr das Bild eines ausgebrannten Mannes. Joe Scott hat früher einmal einen dreibeinigen Wolf gesehen. Es war ein alter, magerer, narbiger Bursche. Aber er war noch gefährlich und ungeheuer schlau. An diesen alten Wüstenwolf, dem ein halbes Vorderbein fehlte, muss Joe Scott denken, als er in Stag Northerns Augen starrt. Und er nickt. Er lässt Northern ins Zimmer und schließt hinter ihm die Tür. Er geht zu einer anderen 175
Tür, öffnet sie, steckt den Kopf ins andere Zimmer und sagt: »Boss, da ist Stag Northern. Er will dich sprechen.« »Lass ihn zu mir!«, tönt es gepresst und heiser zurück. Northern geht an Joe Scott vorbei. Der folgt ihm. Sie sehen Reb Jordan auf einem Sofa liegen. Jordan ist in blaues Unterzeug gekleidet. Sein Gesicht sieht schlimm aus. Ein großes Pflaster über seiner Nase beweist, dass der Doc ihm das gebrochene Nasenbein richten musste. Als er die zerschlagenen Lippen bewegt, sieht man eine große Zahnlücke. »Joe«, sagt er bitter, »Joe, du lässt uns jetzt allein. Geh in den Saloon.« »Yeah, er soll aufpassen und deine Jungens zusammenholen. Reb, dieser Jim Hardin ist in der Stadt. Bill Sullivan hat ihn zum Gehilfen gemacht. Joe Scott soll aufpassen.« Reb Jordan stößt einen wütenden Fluch aus. Dann knurrt er: »Du hast es gehört, Joe. Wenn Jim Hardin zu mir will, so erwarte ich von dir und Jorge Wells, dass ihr ihn aufhaltet. Aaah, ich muss jetzt wohl doch aufstehen und mich anziehen. Verdammt, wie kann dieser Hardin schon wieder herumlaufen, wenn ich noch vollkommen steif und zerschlagen bin? Hölle, ist er denn so viel härter als ich? Ich habe ihn doch auch mächtig hart getroffen und…« 176
Er verstummt seufzend und quält sich in eine sitzende Stellung hoch. So bleibt er sitzen, als fürchtete er sich, aufzustehen. Er hält sich eine Hand gegen die Seite gepresst. Vielleicht sind seine Rippen angebrochen, jedenfalls atmet er flach und vorsichtig. Er starrt Northern an, der ihm gegenüber in einem Sessel Platz nimmt. »Was ist, Stag?«, fragt er mürrisch. »Du verdammter Narr«, sagt Northern kalt. »Wenn ich dich so da sitzen sehe und stöhnen höre, frage ich mich, warum sich diese Stadt vor dir überhaupt in den Staub duckte. Du Narr, warum hast du dich verprügeln lassen? Alle Trümpfe spielte ich dir in die Hand. Und was hast du daraus gemacht? Nichts! Wir hatten Tom Drake zermürbt. Er war nur noch ein angstvolles Nervenbündel. Er traute sich überhaupt nicht mehr aus seinem Büro heraus. Er war vollkommen fertig. Es hätte nicht mehr lange gedauert, und er hätte aufgegeben und uns den Bahnhof überlassen. Und wenn du nicht so geizig gewesen wärst und seinen beiden Leibwächtern schon früher einen noblen Preis angeboten hättest, wäre Tom Drake schon weg gewesen, bevor Jim Hardin nach Wager kam. Oh, dieser Hardin hat dich prächtig geblufft! Du hieltest ihn für einen Revolvermann, den du dir für deine Zwecke dienstbar machen konntest. Und wenn ich 177
dich nicht gewarnt hätte, sodass du endlich wusstest, wer er in Wirklichkeit war, wärst du ihm noch mehr auf den Leim gekrochen. Oh, du verdammter Narr! Und trotzdem hattest du immer noch alle Trümpfe in der Hand und…« »Sei still«, unterbricht ihn Reb Jordan knurrend. »Es hätte alles wunderbar geklappt, wenn der bisher so feige Marshal nicht plötzlich etwas getan hätte, was ich nicht ahnen konnte! Wer hätte denn auch nur im Traum daran gedacht, dass Bill Sullivan sich auf Jim Hardins Seite stellen würde? Und woher konnten Lesly Quarter und Buster Hull wissen, dass Hardin einen Derringer in der Tasche hatte und einfach durch die Hose schoss?« »Damit müssen angeworbene Revolvermänner immer rechnen«, sagt Northern scharf. »Du hattest die Leitung, Reb! Du erteiltest die Befehle! Es war deine Sache, die geeigneten Leute zu finden und sie richtig einzusetzen. Du hast immer wieder versagt. Und wir hätten diesen Verdruss schon früher mit Reck Hard gehabt, wenn ihn nicht jemand erledigt hätte.« »Du hast ihn erledigt«, knurrt Reb Jordan. »Nur du kannst es gewesen sein!« »Das kann mir niemand beweisen, Mister.« Northern grinst. »Und jetzt musst du endlich etwas tun«, fährt er fort. »Wenn du auch nur noch eine 178
einzige Stunde vertrödelst, wird Jim Hardin dir zuvorkommen. Pass nur auf, du Narr. Hör zu, was ich dir jetzt sage: Noch in dieser Nacht muss Jim Hardin erledigt werden. Und ich gehe jetzt zum Bankier und lasse mir von ihm Tom Drakes Schuldscheine überschreiben. Er wird es tun müssen, denn ich habe ihn genauso in der Hand wie dich. Und wenn du deine sämtlichen Leute einsetzen musst, Jordan! Jim Hardin muss auf der Stelle erledigt werden. Steh auf, zieh dich an und bring eine Jagd in Gang. Sonst jagt dich Hardin davon, bevor du deinen Leuten sagen kannst, dass sie kämpfen sollen. Ich gehe! Und denke daran, dass ein guter Freund von mir einen Brief nach Arizona absendet, wenn mir etwas zustoßen sollte. Denke immer daran, dass ich dein Farmer bin, den du nicht ausbooten kannst. Denn wenn mir etwas zustößt, so wird man in Arizona bald wissen, wo der Mann sitzt, der vor fünf Jahren einen US Marshal erschossen hat. Reiß dich zusammen, Jordan, und kämpfe um deine Stadt. Oder Jim Hardin jagt dich binnen einer Stunde zum Teufel.« Stag Northern erhebt sich nach diesen harten Worten und verlässt den Raum. Reb Jordan aber quält sich auf die Beine und hinkt schief und krumm im Raum umher. Als er zu seinen
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Kleidern treten will, um sich anzuziehen, hört er einige Coltschüsse im Saloon krachen.
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9 Jim Hardin und Bill Sullivan fahren mit Reb Jordans Wagen aus dem Hof des Mietstalles und bis vor die Schwingtür des Trailmen's Paradise Saloon. Unter dem vorgebauten Obergeschoss stehen einige Männer auf dem Plankengehsteig. Einer der Männer will eilig im Saloon verschwinden, aber Jim Hardins Stimme tönt scharf und hält ihn auf. »Halt, mein Freund!« Er springt aus dem Wagen. Bill Sullivan folgt ihm schnaufend. Sie erreichen den Mann, der in den Saloon laufen wollte. Aber Jim Hardin hält gar nicht an. Im Vorbeigehen sagt er hart zu dem Burschen: »Verschwinde, Freundchen – oder es tut dir noch mächtig Leid.« Dann stößt er die Schwingtür auf und tritt ein. Der große Raum ist ziemlich gefüllt. Alle Sorten von Männern sitzen an den Tischen. Die Mädchen haben zu tun. Sie sind überall und ermuntern die Gäste zum Trinken kostspieliger Getränke. Die Musikkapelle macht gerade eine Pause. Dafür steht ein Zauberkünstler auf der Bühne und zeigt seine Kunststücke. Am langen Mahagonischanktisch drängen sich die Zecher. Aber fast alle haben dem 181
Schanktisch den Rücken zugewandt und sehen sich die Kunststücke des Artisten an. Joe Scott und Jorge Wells stehen am Fuß der Treppe, die hinauf zur Galerie und zu den Logen und oberen Räumlichkeiten führt. Jorge Wells trägt jetzt einen dunklen Tuchanzug. Er hat seine Stellung als Vormann der Verlademannschaft also mit einem Posten hier im Hause vertauscht. Als Jim Hardin und Bill Sullivan in den Saloon kommen, erblickt Joe Scott sie sofort. Er stößt Jorge Wells an und deutet mit dem vorgeschobenen Kinn auf die beiden Eintretenden. Jorge Wells zuckt leicht zusammen. Aber dann öffnet er seine Jacke, sodass sein tief geschnallter Colt besser sichtbar wird, und folgt Joe Scott, der den beiden Marshals entgegengeht. Sie treffen sich auf dem freien Raum vor dem Schanktisch. Die Männer dort weichen zur Seite. Der Schanktisch ist plötzlich frei. Nur die acht Barmänner stehen auf der anderen Seite und beobachten aufmerksam. Es wird still im Raum. Ein grölender Cowboy wird von seinen Kameraden zur Ruhe gebracht. Der Zauberkünstler bricht eilig seine Nummer ab und verschwindet von der Bühne. Ein Mädchen kreischt.
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Stuhle werden gerückt. Tische wanken. Überall erheben sich Gäste und bewegen sich eilig aus der Gefahrenzone. Ja, darauf hat diese Stadt gewartet. Joe Scott hebt die Linke und deutet auf Jim Hardins Stern. »Das ist doch kein Witz?« »Du wirst es schnell herausfinden«, sagt Jim Hardin. »Hör gut zu, mein Bester!« »Ich höre«, erwidert Joe Scott, legt den Kopf schief und sieht Jim an. Seine Augen sind schiefergrau. Sie sind leer und ausdruckslos. Nur einen kurzen Moment lang erschien ein kaltes Leuchten in ihnen. Jorge Wells knurrt verbissen: »Ich kann ihn einfach nicht mehr ertragen, Joe. Ich kann's einfach nicht mehr ertragen, ihn so großspurig auftreten zu sehen!« »Warte doch erst einmal ab, Bruder, was er uns sagen wird«, meint Joe Scott und wirft einen schnellen Blick zu den Barmännern hinüber. Dieser Blick ist ein Signal. Es kommen nun auch einige andere Männer aus dem Hintergrund des Raumes. Auch aus dem Spielraum kommen sie herbei. Es sind Rauswerfer, Revolverhelden und Berufsspieler. Ein unsichtbares und unhörbares Warnund Alarmsignal scheint sie alle herbeigerufen zu haben.
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Sie bilden hinter Joe Scott und Jorge Wells eine schweigende und drohende Gruppe. Jim Hardin sieht das alles – und er hört Bill Sullivan neben sich schnaufen. Er sieht Joe Scott fest an und sagt kalt: »Du bist hier fertig, Scott. Du bist nicht tragbar für eine gute Stadt. Du hast zehn Minuten Zeit, um zu verschwinden. Hast du gehört?« »Ich höre einen Tiger brüllen«, höhnt Joe Scott. Er klatscht gegen seinen Coltkolben. »Pass auf, ich wollte immer schon herausfinden, wie gut du damit bist. Dass du das Hotelschild herunterschießen konntest, bedeutet für mich nichts. Und dein Blechstern bedeutet auch nichts – gar nichts! Nur Reb Jordans Wort bedeutet etwas in dieser Stadt!« Er starrt auf Bill Sullivan und schnappt: »Sag's ihm! Sag es ihm, du Narr! Bill, du warst bis jetzt ein vernünftiger Bursche, der uns keinen Kummer machte. Bist du denn plötzlich närrisch geworden? Geh zum Teufel, Bill! Verschwinde! Oder willst du mit diesem Mister Großspur auf derselben Rutschbahn in der Hölle landen? Raus hier!« Bill Sullivan schnauft schwer. Aber er bleibt. »Wir sind das Gesetz«, sagt er etwas heiser. »Und heute Vormittag musste ich dich daran hindern, deinen Colt gegen Jim Hardin zu ziehen. Und du 184
hast mir gedroht, mein Junge. Yeah, du wirst diese Stadt verlassen. Wir dulden solche Burschen wie dich nicht mehr in Wager. Und mit dir werden noch viele andere verschwinden. Vorwärts! Aus dem Weg!« Jawohl, Bill Sullivan setzt sich in Bewegung. Vielleicht geht er so forsch vor, um seine Furcht zu besiegen. Vielleicht glaubt er, dass er die Nerven verliert, wenn der Wortwechsel noch länger andauert. Er geht also vorwärts und genau auf Joe Scott zu. Das kommt nicht nur für diesen, sondern auch für Jim Hardin sehr überraschend. Und er sieht, wie Joe Scott fluchend zurückspringt und dabei den Colt zieht. Jim zieht ebenfalls. Und er sieht auch Jorge Wells ziehen. Doch Bill Sullivans Faust ist am schnellsten. Wie zu alten Zeiten, wo er als Preiskämpfer einen Namen hatte, schießt sie vor und trifft genau den Punkt, also Joe Scotts Kinnspitze, und sie stößt Joe Scott fast den Kopf von den Schultern. Indes haben Jorge Wells und Jim Hardin ihre Colts gezogen. Sie stehen sich nur drei kurze Schritte gegenüber. Als Jim Hardin seinen Colt frei bekommen hat und die Mündung auf Jorge Wells richtet, hat er nur noch eine Zehntelsekunde Zeit. Der ehemalige Vormann der Verlademannschaft ist 185
schnell mit dem Colt. Er ist ein gefährlicher Revolvermann, dem auch ein Kämpfer wie Jim Hardin keine Chance einräumen darf, weil es sonst keine Chance für ihn selbst gibt. Er drückt also ab, und seine Kugel trifft Jorge Wells hoch an der rechten Schulter. Sie stößt den großen Mann halb herum. Wells' Colt kracht genau in diesem Moment, aber die Kugel geht schräg nach oben und bohrt sich oben irgendwo in das Geländer der Galerie. Jorge Wells schwankt. Sein Revolverarm fällt herunter, als wäre ihm die Waffe plötzlich zu schwer. Er knurrt etwas und will die Waffe mit der Linken aus der kraftlosen Rechten nehmen. Indes springt Jim Hardin auf ihn zu und schlägt ihm den Coltlauf schräg von oben über die Stirn. Jorge Wells fällt über den schon am Boden liegenden Joe Scott. Bill Sullivan hält den Barmännern seinen Colt unter die Nase. Und Jim Hardin richtet seine Waffe auf das Rudel der Männer, die sich hinter Scott und Wells angesammelt hatten. Einige Burschen haben schon halb gezogen. Auch drei Barmänner haben ihre Hände unter dem Schanktisch verborgen. Sicherlich haben sie irgendwelche Waffen, die dort griffbereit liegen, schon in den Händen, doch sie hüten sich, sich
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irgendwie zu bewegen. Bill Sullivan war schneller als sie. Er knurrt sie an: »Macht nur weiter, ihr Narren! Bringt eure Knallbüchsen nur zum Vorschein!« Und Jim Hardin sieht das andere Rudel an. Er lässt es in seine Coltmündung sehen und grinst. Da sein Gesicht sehr zerschlagen ist, wirkt sein Grinsen einfach höllisch. »Jungs«, sagt er rau, »ihr könnt es bekommen! Los, Jungs, macht nur so weiter!« Aber sie zögern. Sie sind ein führerloses Rudel. Bisher haben sie immer nur das getan, was ihnen Joe Scott sagte oder sie in Reb Jordans Auftrag tun ließ. Es sind auch einige Burschen der früheren Verlademannschaft dabei, und die taten bisher nur, was ihnen Jorge Wells befahl. Und nun liegen diese beiden Männer vor ihren Füßen am Boden. Das Rudel ist unsicher. Es fehlt ihm der Leitwolf. So ist es. Und dann passiert noch etwas. Die Schwingtür fliegt auf, und von der Straße kommen einige Männer herein. Sie haben Schrotflinten in den Händen. Chip Duane, der Mietstallbesitzer, führt sie an.
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Es sind außer ihm noch Pete Shamrock, der Schmied, Pat Saunder, der Storehalter und Pat Leeman, der Futtermittelhändler. Sie kommen grimmig und entschlossen herein. Chip Duane ruft: »Marshal, hier ist Unterstützung! Und wir haben vier Schrotflinten! Gleich kommen noch einige Männer. Der Junge des Schmieds holt sie zusammen. Machen Sie nur weiter, Marshal!« Damit ist Jim Hardin gemeint. Der sieht sich kurz um. »Bill«, sagt er dann ruhig, »du schließt diesen Saloon. Alle diese Burschen – und auch die Barmänner – werden aus der Stadt gewiesen. Nehmt ihnen die Waffen ab, ladet sie auf einen Wagen und jagt sie zum Teufel. Fangt an!« Nach diesen Worten geht er mit schussbereitem Colt um die Gruppe der Revolverschwinger und Rauswerfer herum. Er erreicht die Tür zu Reb Jordans Privaträumen und tritt sie mit einem kräftigen Tritt auf. Er hört einen schmerzvollen Fluch, gleitet in den Raum – und sieht Reb Jordan, der sich beide Hände vors Gesicht hält und vor Schmerz schwankt. Ein Colt ist zu Boden gepoltert. Jim Hardin begreift sofort alles. Reb Jordan hatte geduckt hinter der Tür gestanden und gelauscht. Er 188
hatte den Colt schussbereit in der Hand gehalten und wahrscheinlich durch das Schlüsselloch gespäht. Als Jim dann so kräftig die Tür auftrat, bekam Reb Jordan den kugelförmigen Messingknopf auf seine gebrochene Nase. Der Schmerz muss ziemlich schlimm sein, denn der Mann ist vollkommen kampfunfähig. Jim bückt sich nach dem Colt, hebt ihn auf und schiebt ihn sich in den Hosenbund. Er lehnt sich neben der Tür gegen die Wand und beobachtet eine Weile. Reb Jordan hinkt schwankend zu einem Sessel und lässt sich nieder. Er keucht schmerzvoll. Erst nach einer Weile nimmt er die Hände vom Gesicht und sieht Jim Hardin an. Seine Augen sind zwar stark zugeschwollen, aber man kann in ihnen dennoch den heißen Hass erkennen. Wut, Hass und Schmerz sind in Reb Jordan und machen ihn fast verrückt. Er keucht krächzend: »Hardin! Hardin, eines Tages wirst du tot vor meinen Füßen liegen. Und dann werde…« »Du bist fertig hier, Jordan!«, unterbricht ihn Jim hart. »Du bist fertig in dieser Stadt. Draußen steht dein Wagen. Ich gebe dir fünf Minuten Zeit, um einige Habseligkeiten zusammensuchen zu können. Dann wirst du die Stadt verlassen. Hast du gehört? Du bist fertig hier. Wir jagen dich zum Teufel. Und 189
du kommst noch sehr gut dabei weg. Los, du hast nur noch fünf Minuten!« Reb Jordan wird starr. Was er hört, ist für ihn so ungeheuerlich, dass er es gar nicht glauben kann. Und er keucht: »Das kannst du nicht tun, Hardin. So mächtig groß bist du gar nicht! Diese Stadt gehört immer noch mir. Hier kann man mich nicht einfach vertreiben. Und wenn es jetzt auch einige Dummköpfe gibt, die sämtliche Chips auf dich setzen, so werden dich diese Narren doch sehr bald wieder allein lassen. Oha, Hardin, ich habe noch genügend Möglichkeiten, um die Stadt auf die Knie zu zwingen. Ich habe Besitz hier! Mir gehören die meisten Saloons! Ich bin der mächtigste Mann in dieser Stadt. Mir gehören Grundstücke, Geschäfte und…« »Du bist fertig hier«, unterbricht ihn Hardin schärfer als vorher. »Ich gebe dir keine Chance mehr, noch einmal deine Macht auszuspielen. Ich will der Stadt zeigen, wie einfach es ist, dich davonzujagen. Ja, ich weiß, dass sie alle wieder Angst und Furcht bekommen werden, wenn ich dich jetzt nicht vertreiben kann. Und deshalb werde ich es tun. Wenn du fort bist, wird diese Stadt noch mutiger werden. Wir werden schon morgen einen Richter wählen. Und alle Leute, die du mit Hilfe von Gewalt und Terror unterdrücken konntest, werden morgen 190
Anzeigen gegen dich erstatten. Du wirst angeklagt werden wegen Erpressung, Nötigung, Gewaltanwendung – und wegen Anstiftung zum Mord. Es werden viele Dinge ans Tageslicht gebracht werden. Es wird zur Sprache kommen, auf welche Art du dir deinen Besitz hier in der Stadt erworben hast. Es werden sich Leute finden, die ohne Angst und Furcht aussagen werden, wie du vorgegangen bist, um alles in deine Hand zu bekommen. Aaah, ich weiß schon jetzt, dass viele Menschen dir ihren Grundbesitz oder Geschäfte oder Saloons nur deshalb für einen Spottpreis überlassen haben, weil sie sonst um Leib und Leben hätten fürchten müssen. Und du hast alle noch standhaften und freien Geschäftsleute erpresst. Sie mussten dir Abgaben zahlen. Ich habe eine Rechnung des Mietstalles in der Tasche. Es werden in den nächsten Tagen noch viele Rechnungen geschrieben werden. Du und dein verdammtes Rudel, ihr habt hier kostenlos gelebt und die Stadt ausgesaugt. Ihr habt genommen, was ihr wolltet. Die Stadt hasst euch – aber sie hatte Angst. Wenn du gleich zum Teufel gejagt wirst, wird sie mutig werden. Und dann…« »Wenn ich gehen muss, dann wird es schlimm für die Stadt, wenn ich zurückkomme«, keucht Reb Jordan. »Und ich werde zurückkommen!«
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In Jim Hardins Augen springt ein kalter Funke auf. Sein Gesicht verhärtet sich. »Vielleicht sollte ich dich nicht aus der Stadt jagen, sondern einsperren, Jordan«, murmelt er. Aber da grinst Jordan, so schwer es ihm auch fällt. »Dann sperre mich doch ein! Sperr mich ein! Und du wirst sehen, dass ich auch noch im Gefängnis ein mächtiger Mann bin!« »Eben«, nickt Jim bitter. »Ich muss diese Stadt erst von dir befreien, damit sie mutig wird. Solange du in der Stadt bist – und sei es auch in einer Zelle – werden sich die Ängstlichen, die Furchtsamen und Feigen nicht aus ihren Löchern wagen. Deshalb musst du erst einmal gehen. Jordan, du wirst dir wahrscheinlich Emmet Skullman zu Hilfe holen. Aber das ist eine schlechte Sache. Ihr werdet herausfinden, dass diese Stadt dann kämpfen wird. Und ich werde dich töten oder wegen Anstiftung zum Mord vor unser Gericht bringen. Wir haben dann hier ein Gericht, eine unbestechliche Jury. Komm nicht zurück, Jordan. Wenn wir uns erst einen Richter gewählt haben, kann dieser eine Abteilung Staatenkavallerie anfordern, falls diese Stadt von einer Banditenhorde bedroht wird. Nun, wir werden sehen! Los, jetzt ist deine Zeit um!« Reb Jordan erhebt sich. Er keucht. Er will in die Ecke zu seinem Geldschrank. Aber Jim Hardin sagt: 192
»Halt! Du nimmst nichts mit! Die Stadt nimmt alles in Beschlag. Es ist noch nicht abzusehen, wie viele Menschen durch dich geschädigt wurden. Die Jury wird Treuhänder einsetzen. Du hast die Möglichkeit, dich an…« »Du Hundesohn willst mir alles rauben!« »Du kannst später deine Ansprüche geltend machen. Du kannst dir einen Anwalt nehmen – oder sogar selbst herkommen und dich dem Gericht stellen. Aber du wirst allein kommen müssen. Ohne eine Banditenhorde! Du wirst nachweisen müssen, wie und auf welche Art du alles erworben hast. Und du wirst für alle Dinge, die hier auf deine Veranlassung und Verantwortung geschahen, einstehen müssen. Bill Sullivan und ich, wir werden Anklage gegen dich erheben, denn du hast zwei angeworbene Revolvermänner zum Mord angestiftet. Tom Drake wird in diesem Fall alles bezeugen können, denn er sollte ja ebenfalls ermordet werden. Jordan, ich will dir zusammenfassend sagen: Du bist so oder so erledigt. Wenn du dich hier noch einmal blicken lässt, wird es auf jeden Fall schlimm für dich. Ich jage dich wie einen Hund davon. Vielleicht ist das sogar ungesetzlich. Aber du sollst keinen Gewinn aus…« »Du Hundesohn, ich…«
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»Du bist als Wolf nach Wager gekommen und hast dir eine Menge zusammenrauben können. Und jetzt wirst du wie ein Wolf verjagt und musst alles zurücklassen. So ist es richtig! Vielleicht sollte ich dich nicht laufen lassen. Aber ich denke, dass du vielleicht doch zur Vernunft kommen wirst und einsiehst, dass du verloren hast. Wenn du nämlich nicht aufgibst und weitermachen möchtest, so wirst du herausfinden, dass du auch die letzte Chance, nämlich dich selbst zu retten, verloren hast. Vorwärts jetzt! Dein Wagen steht vor der Tür! Muss ich dich aus dieser Stadt prügeln?« Jim Hardin tritt auf ihn zu. Jordan starrt in seine Augen. Und er erkennt darin die mitleidlose Härte. Er zögert aber immer noch. »Hardin«, keucht er, »ich habe mit dem Tod deines Bruders nichts zu tun. Du hasst mich ja nur so sehr und gibst mir keine Chance, weil du glaubst, dass ich am Tod deines Bruder schuld bin. Du trägst einen Stern, aber was du mit mir tust, ist ungesetzlich. Hardin, ich kann dir den Mörder deines Bruders nennen! Du bist doch nur hergekommen, um diesen Bruder zu rächen. Ich liefere dir den Mörder aus. Dafür verpflichtest du dich, nichts mehr gegen mich zu unternehmen. Wenn du nämlich aufhörst, bricht alles zusammen. Nur du bist der Mann, der diese Stadt aus ihrer 194
Feigheit reißen kann. Wenn du sofort den Tod deines Bruders rächen kannst und verschwindest, bekomme ich noch in dieser Nacht diese Stadt wieder in meine Hand. Jim Hardin, wir machen ein Geschäft – einen Tausch. Den Mörder deines Bruders gegen das Versprechen, sofort jede Aktion gegen mich einzustellen und dich um die Dinge hier in Wager nicht mehr zu kümmern. Los, Hardin!« Jim Hardin sieht den Mann nachdenklich an und atmet tief ein. Nun muss er sich entscheiden. Ja, er ist hergekommen, um den Mörder seines Bruders zu finden. Vor wenigen Stunden noch hätte ihn das Schicksal dieser Stadt überhaupt nicht interessiert. Er wollte den Mörder finden und wieder verschwinden. Aber er denkt nur drei Sekunden über Reb Jordans Angebot nach – und verwirft es. Er spürt tief in seinem Innern, dass die Rache ihm gar nicht mehr so dringend und wichtig ist. Natürlich möchte er den Mörder finden – aber diese Angelegenheit rangiert nicht mehr an erster Stelle. Die Stadt ist ihm mit einem Mal wichtiger. Er denkt an Bill Sullivan, der wieder ein Mann geworden ist. Er denkt an die Bürger, die soeben mit den Schrotflinten in den Saloon kamen, um ihm beizustehen. Diese Männer vertrauen ihm. Er ist ihnen ein Vorbild. An ihm haben sie sich aufgerichtet und Mut gefunden. Er hat 195
ihnen gezeigt, dass man für eine Sache kämpfen muss und nicht feige aufgeben darf. Und deshalb kann Jim Hardin jetzt keinen Handel machen. Er schüttelt den Kopf. »Jordan, ich will von dir den Namen des Mörders nicht wissen. Ich mache keinen Handel mit dir. Die Stadt ist mir wichtiger geworden als Rache. Vorwärts!« Er packt ihn an der Schulter. Einen Moment sieht es so aus, als würde Jordan kämpfen wollen. Aber er fühlt sich körperlich wohl doch zu sehr außer Form. Er wagt es nicht, und dabei erkennt er, dass er jetzt fühlt, was die Menschen in dieser Stadt bisher fühlten, nämlich die Unterlegenheit und die Gewissheit, geschlagen zu werden. Er verspürt Furcht in sich, aber deshalb bleiben sein Hass, seine Wut und seine Mordlust dennoch bestehen. Er stößt einen seltsamen Laut aus und setzt sich langsam in Bewegung. Jordan ist nur notdürftig bekleidet. Sie kommen in den Saloon. Hier sind nur noch die Gäste anwesend. Chip Duane steht grinsend mit seiner Schrotflinte am Ende des langen Schanktisches und passt auf. Die Barkeeper, Revolverhelden, Berufsspieler – und überhaupt das ganze Rudel, einschließlich Joe Scott und Jorge Wells sind verschwunden. 196
Als Jim Hardin mit Reb Jordan in Chip Duanes Nähe kommt, sagt dieser sanft: »Wir haben die ganze Bande auf die Straße geschafft. Wir räumen jetzt gründlich auf, nicht wahr? Jordan, wie gefällt dir das? Du bist als Satteltramp in diese Stadt gekommen. Und jetzt verlässt du sie ohne jeden Gewinn. Komm nie wieder zurück. Du solltest uns dankbar sein, dass wir dich nur zum Teufel jagen und nicht aufhängen.« Reb Jordan sieht ihn kurz an und geht weiter. Vor Jim Hardin tritt er auf die Straße, erkennt seinen Wagen und klettert mühsam hinein. Hinter Reb Jordans Wagen wartet schon ein großer Leiterwagen. Dieser Wagen ist mit entwaffneten Männern gefüllt. Bürger mit Schrotflinten passen auf. Es sind nun mehr als ein Dutzend. Sogar der alte Flickschuster ist mit einem schweren Büffelgewehr dabei. Als Reb Jordan die Zügel in die Hand nimmt, kommt eines der Saloonmädchen herausgelaufen. Sie trägt eine Reisetasche, läuft an Jordans Wagen und ruft: »Reb, wie konntest du mich vergessen? Ich gehöre doch zu dir! Ich fahre mit dir! Und ich weiß, dass du bald wieder in dieser Stadt der große Mann sein wirst. Diese Hunde hier werden…« Weiter kommt das Mädchen nicht. Während ihrer Worte wollte sie zu Jordan in den Wagen klettern.
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Aber dieser stößt sie hart zurück und krächzt ein schlimmes Wort. »Geh zum Teufel«, sagt er dann. »Ich brauche nicht die Treue und das Mitleid eines billigen Saloonflittchens. Was bildest du dir ein, Kitty? Such dir einen anderen Gönner!« Er fährt davon. Der lange Leiterwagen mit seinem ganzen Anhang folgt ihm. Und die Bewaffneten begleiten diesen Abzug mit schussbereiten Waffen bis zur Stadtgrenze. Jim Hardin steht immer noch neben dem Mädchen auf dem Plankengehsteig. Alle Gäste sind herausgekommen und keilen sie ein. Auch aus den anderen Saloons sind die Gäste auf die Straße geströmt. Sie alle beobachten Reb Jordans Abzug. Es sind nicht alle seine Handlanger und Angestellten auf dem Leiterwagen. Einige haben sich rechtzeitig verdrückt, obwohl man nach ihnen suchte. Jim Hardin sieht auf das Mädchen nieder. Er hört sie flüstern: »Oh, ich dachte, er meint es ehrlich mit mir. Und ich wollte ihm treu sein. Aber auch ich war ihm nicht mehr als alle meine anderen Vorgängerinnen. Er will keine Treue von einer…« Jim Hardin legt ihr die Hand auf die Schulter.
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»Sei froh, Mädel«, murmelt er. »Reb Jordan ist zu schlecht für dich.« Sie sieht zu ihm auf. Sie ist noch jung und hübsch. Aber in ihren Augen erscheint der Ausdruck von Hass. »Zum Teufel mit Ihnen«, sagt sie, schüttelt seine Hand ab und wendet sich um. Sie geht in den Saloon zurück. Bill Sullivan und einige Bürger kommen zu Jim. Die Zuschauer weichen zurück. Ein Treibherdencowboy ruft unwillig: »Passt auf, jetzt schließen sie die Saloons, und wir führen hier ein trostloses Leben ohne Spaß und Freuden!« Jim sieht den Mann an und sagt laut genug, sodass es die meisten der Umherstehenden hören können: »Sicher, Freund, wir schließen heute Reb Jordans Betriebe. Aber morgen wählen wir einen Richter. Und unsere Jury wird Treuhänder und Verwalter einsetzen, die im Auftrag der Stadt arbeiten. Die Saloons sind morgen wieder geöffnet. Aber ab morgen werden auch alle Stadtgesetze beachtet. Ab morgen haben die Saloons um Mitternacht geschlossen. Es werden in Wager keine Waffen mehr getragen. Für die Gäste wird noch genügend Spaß in dieser Stadt vorhanden sein – aber etwas ruhiger und 199
friedlicher wird es doch werden. Wir wissen, dass wir den Treibherdenleuten etwas bieten müssen. Aber es braucht ja auch nicht gleich immer über die Stränge geschlagen zu werden. Leute, ich kann euch versprechen, dass Wager eine faire Stadt sein wird. Es wird niemand mehr betrogen oder gar getötet werden, wie es bis jetzt immer wieder der Fall war.« Er wendet sich an Bill Sullivan. »Nun gut, machen wir weiter. Die Nacht ist noch lang.«
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10 Indes ist Stag Northern zum Haus des Bankiers gegangen. Auch hier wählt er den Weg durch die Hinterhöfe und Gärten. Er klopft an die Hintertür. Dann öffnet sich über der Tür ein kleines Fenster, und die Stimme Steward Browns fragt: »Wer ist da?« »Ich bin es, Stag Northern. Und ich will mit dir sprechen. Steward Rourke«, erwidert Stag Northern. Er hört einen Laut der Überraschung, und dann fragt die Stimme des Bankiers heiser: »Rourke? Mein Name ist Brown.« »Lass mich nur zu dir, mein Bester«, zischt Stag Northern, starrt zum Fenster hoch und erkennt undeutlich den Kopf des Mannes im Viereck. »Lass mich nur herein«, wiederholt er, und es liegt ein böser Triumph in seiner Stimme, »dann werde ich dein Gedächtnis schon auffrischen.« Das Fenster klappt zu. Eine Weile später öffnet sich die Hintertür. Die Umrisse von Steward Browns massiger Gestalt werden sichtbar. Stag Northern sagt kalt und scharf: »Rourke, wenn du eine schlechte Idee in deinem Schädel hast, so vergiss sie schnell. Wenn ich
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nämlich nicht gesund und munter wieder aus diesem Hause komme, so…« »Schon gut«, unterbricht ihn der Bankier. »Komm herein!« Stag Northern knurrt zufrieden. Er tritt ein. Der Bankier schließt die Tür und legt den Riegel vor. Dann zündet er ein Zündholz an und geht zu einer Tür. Als er sie öffnet, fällt Licht heraus. Stag Northern bewegt sich. Seine Augen glitzern seltsam. Er tritt an Brown vorbei in dessen Arbeitszimmer und sucht sich den bequemsten Sessel aus. Er wartet, bis der Bankier hinter dem Schreibtisch sitzt, und starrt dann auf die beiden Fenster, die zur Straße führen. Aber dort sind die Fensterläden geschlossen. Man kann es durch die Gardinen sehen. Beruhigt und zufrieden beugt sich Northern vor und fischt sich eine Zigarre aus der Kiste, die auf dem Schreibtisch steht. Er beißt die Spitze ab, spuckt sie auf den Teppich und setzt die Zigarre mit einer Umständlichkeit in Brand, die an Steward Browns Nerven zehrt. Browns dickes Gesicht ist gerötet. Auf seiner niedrigen Stirn glänzen feine Schweißperlen im Lampenschein. Er sitzt sehr unruhig auf seinem Platz. Und obwohl er ein Schweinsgesicht hat, wirkt er dennoch wie ein in die Enge getriebener Fuchs. »Was wollen Sie?«, fragt er heiser. 202
Stag Northern grinst ihn an. »Eine Gefälligkeit, Rourke. Halten Sie den Mund, Rourke! Für mich sind Sie nicht Brown, sondern Rourke. Hören Sie gut zu. Sie haben damals diesem Tom Drake eine Menge Geld geliehen. Er konnte mit diesem Geld den Verladebahnhof errichten. Tom Drake hat dann gut verdient – aber ich denke, dass er hohe Zinsen zahlen musste. Und deshalb dürfte er das Darlehn noch nicht zur Hälfte zu rückgezahlt haben. Ich bitte Sie nun um die Gefälligkeit, Rourke, mir Tom Drakes Schuldscheine zu überschreiben, sodass nicht mehr die Bank, sondern ich, Stag Northern, der Gläubiger des Verladebahnhofs bin. Hast du mich verstanden, du Fettwanst?« Steward Brown-Rourke zuckt bei dem letzten Wort zusammen. Er atmet seufzend aus und beugt sich so sehr nach vorn, dass die Tischkante gegen seinen Bauch drückt, als wäre er mit Luft gefüllt. »Yeah, ich habe dich verstanden, du Bastard«, murmelt er schwer. »Aber ich bin noch nicht sicher, ob ich mich von dir erpressen lassen werde.« Er lehnt sich zurück und greift in die offene Schreibtischschublade. Er bringt einen Derringer zum Vorschein und richtet ihn auf Stag Northern, der sich nicht bewegt sondern nur grinsend an der Zigarre kaut.
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»Ich könnte dich jetzt erledigen«, sagt er zu Northern. Der schüttelt den Kopf. »Das wäre schlecht für dich, Dicker. Dann müsstest du bald damit rechnen, dass dir die US Marshals auf der Fährte säßen. Ein guter Freund von mir passt auf. Wenn mir etwas zustößt, schickt er einen Brief ab. Dann weiß der US Marshal in Frisco bald Bescheid. Du heißt in Wirklichkeit Steward Rourke. Du hast in Frisco eine Bank besessen, die du durch gewagte Spekulationen an den Rand des Ruins brachtest. Und als du dann erkanntest, dass es dir nicht gelingen würde, den verfahrenen Karren aus dem Dreck zu ziehen, packtest du alles noch vorhandene Bargeld ein und gingst auf eine lange Reise. Du hattest nur das Pech, dass dich dein Kassierer bei dem Raub überraschte und du ihn erschießen musstest. Ein bedauerlicher Todesfall war das damals – für dich, mein lieber Dicker.« Northern verstummt grinsend. Brown-Rourke fragt heiser: »Woher weißt du das alles? Ich habe doch damals meine Fährten gut verwischt – und es liegt so viele Jahre zurück. Ich…« »Pech hat auch der schlaueste Fuchs einmal«, sagt Northern sanft. »Als ich in diese Stadt kam, begegnete mir das Glück auf der Straße. Ich war ja früher mal selbst ein wilder Bursche, aber ich habe 204
alle meine Strafen abgesessen. Einmal saß ich mit einem Mister in einer Zelle, der einen US Marshal abgeschossen hatte. Nun, dieser Mann konnte einige Tage später flüchten, weil einige Freunde ihm dazu verhalfen. Für mich lohnte sich die Flucht nicht mehr, weil ich nur noch wenige Tage absitzen musste. Und dann vergingen Jahre. Ich war ein verdammter Pechvogel damals. Ich konnte nicht wieder auf die Beine kommen. Ich verlor auch durch ein Unglück mein halbes Bein. Und meine gute Frau starb auch. Sie war prächtig. Sie hatte mir immer verzeihen können, wenn ich wieder einmal aus dem Gefängnis kam. Und sie hatte immer wieder Vertrauen zu mir. Und als sie starb, musste ich ihr schwören, dass ich für ihre Tochter, die sie in die Ehe mitgebracht hatte, gut sorgen würde. Ich habe es geschworen. Jenny war damals noch ein halbes. Kind. Ich verkaufte den kleinen Store, den meine Frau geführt hatte, und suchte wieder einmal nach einer Chance. So kam ich nach Wager. Und hier begegnete mir das Glück. Ich traf den Mann hier, der damals wegen Mord an einem US Marshal mit mir in einer Zelle saß. Oh, Reb Jordan war schon ziemlich mächtig hier! Er musste mir Geld geben, sodass ich mir ein schönes Haus bauen konnte. Siehst du, ich habe sogar den mächtigen Reb Jordan in der Hand! Aber jetzt zu dir, Dicker. Ich ließ mir damals für 205
mein Hotel und das Restaurant eine Menge Geschirr schicken. Es kam auf langen Frachtwegen von Frisco herüber. Und jedes einzelne Stück war in alte Zeitungen eingewickelt und in Holzwolle verpackt. Es war natürlich Zufall, dass ich ausgerechnet eine alte Zeitung mit auf ein Örtchen nahm, in der von jenem schuftigen Bankier Rourke berichtet wurde, der das Geld seiner Bankkunden verspekuliert und dann…« »Schon gut«, seufzt Steward Brown-Rourke. »Aber warum soll ich denn dieser Mann sein?« Northern grinst hohnvoll und beugt sich vor. »Weil du dich von unserem Barbier jede Woche einmal massieren lässt. Und weil dieser Barbier mir genau die Frau beschrieb, die du auf deine jetzt so fette Brust tätowiert mit dir herumschleppst. Diese Frau wurde dir von einem Tätowierer eingestochen, der noch heute in Frisco sein Handwerk betreibt. Und als man dich damals suchte, gab dieser prächtige Künstler der Polizei genau an, wie die Frau aussieht. Der Mann sagte, dass er sie dir nach einem Bild habe stechen müssen. Du warst ja damals noch nicht so verfettet wie heute. Aber an dieser Tätowierung würde man dich erkennen. Ich bekam also diese Zeitung, in der das alles stand, einen Tag später in die Hand, als der Barbier mir von deinem Brustschmuck erzählt hatte. Und du wirst dich 206
vielleicht daran erinnern, dass ich vor einiger Zeit mal zufällig in den Baderaum des Barbiersalons kam, als du gerade aus der Wanne stiegst. Und da hatte ich dich, mein Dicker! Oh, ich sagte nichts und ließ mir nichts anmerken. Aber ich wusste immer, dass meine Zeit noch kommen würde. Ich war plötzlich ein Glückspilz geworden und hatte die beiden mächtigsten Männer dieser Stadt in der Hand. Aaah, mein ganzes Leben lang war ich ein kleiner Bursche, der herumgestoßen wurde und dem nichts gelang. Ich wollte immer ein großer Mister werden. Nun bin ich auf dem besten Weg dazu. Du wirst mir Tom Drakes Schuldscheine übergeben, Dicker. Reb Jordan ist gerade dabei, diesen Jim Hardin endgültig zu erledigen. Und weil Tom Drake nicht mehr in Wager weilt, wird sich ja jemand um das Verladegeschäft kümmern müssen. Das werde ich sein, weil ich Tom Drakes Schuldscheine besitzen werde, nicht wahr? Du wirst sie mir doch geben, Dicker?« Er verstummt und sieht den Bankier mitleidlos an. Auch Brown-Rourke schweigt. Und weil es plötzlich im Raum so still ist, hören sie draußen einen Mann vorbeilaufen und rufen: »Shorty, ruf die Jungs zusammen! Im Trailmen's Paradise wird gekämpft! Jim Hardin will absolut in die Hölle sausen!«
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Diesen Ruf hören die beiden Männer also, und sie wissen, dass der Rufer einer von Reb Jordans Handlangern sein muss, der seine Kollegen in der Stadt alarmiert. »Siehst du«, grinst Northern, »jetzt wird Jim Hardin erledigt, und der Verladebahnhof verwaist. Überschreib mir schnell die Schuldscheine, damit ich endlich ans Ziel komme. Du brauchst nicht zu befürchten, dass ich dich noch mehr auspressen werde. Der Verladebahnhof genügt mir vollkommen. Deine Bank ist ohnehin ziemlich am Ende, weil die Rancher im Westen alle Pleite machen und du deshalb dein investiertes Geld verlierst. Los, Rourke! Vorwärts jetzt! Oder du wirst wieder ein Flüchtling!« Auf der Straße wird es lebhaft. Ganz schwach hören die beiden Männer Schüsse. Da die Häuser der Stadt alle aus Holz errichtet sind, kann man selbst hier, wenn auch sehr schwach, die Schüsse im Saloon hören. Steward Brown-Rourke senkt den Kopf und seufzt. Mit dem Verladebahnhof hatte er selbst allerhand vor, und er hätte Tom Drake schon längst das Darlehen gekündigt, wenn nicht Reb Jordan selbst so sehr hinter dem Bahnhof hergewesen wäre. Er erhebt sich und starrt müde auf Northern.
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»Du Hundesohn! Jeder Erpresser ist ein besonderer Hundesohn!« »Ich muss an mich und meine Stieftochter denken, denn ich habe meiner seligen Frau am Sterbebett versprochen, gut für Jenny zu sorgen.« Northern grinst voller Hohn. Brown-Rourke wendet sich langsam ab und geht in die Ecke des Zimmers. Dort steht sein Privatgeldschrank. Er stellt am Zahlenschloss herum und findet schnell die richtige Kombination. Er öffnet die Stahltür und sucht dann in einem Fach herum. Schließlich kommt er mit einer Urkunde zurück. »Also gut«, knurrt er, »ich gebe sie an dich weiter, du Bastard.« »Mach einen Vermerk, dass ich sie dir zum vollen Preis abgekauft habe«, sagt Northern gierig. Er erhebt sich und beugt sich über den Tisch, dreht den Schuldschein herum und liest. Er kann daraus ersehen, dass Tom Drake sich damals zwanzigtausend Dollar geliehen hatte. Und die Verzinsung ist nichts anderes als Halsabschneiderei. Bis zur Begleichung des letzten Dollars müssen die ganzen zwanzigtausend Dollar mit fünfundzwanzig Prozent verzinst werden. Das bedeutet also, dass Tom Drake auch dann noch für die volle Summe Zinsen zahlen muss, wenn seine Schuld nur noch hundert Dollar beträgt. 209
An den Eintragungen erkennt Stag Northern, dass Tom Drake erst sechstausend Dollar des geliehenen Kapitals zurückgezahlt hat. Er grinst den Bankier hohnvoll an. »Du hast mich vorhin einen Erpresser genannt, Fettwanst. Aber dieses hier ist nichts anderes. Das ist Halsabschneiderei. Und obwohl ich selbst ein schlimmer Hundesohn bin, freut es mich mächtig, dass ich dich in der Klemme habe. Los jetzt! Überschreibe mir diesen Schuldschein! Und als Datum setzt du einem früheren Zeitpunkt ein. Sagen wir – genau vor zwei Monaten! Heute vor zwei Monaten habe ich diesen Schuldschein von dir gekauft! Vorwärts, Dicker! Jetzt musst du bluten, so wie du andere Leute bluten ließest!« Er tritt zu seinem Sessel zurück, setzt sich, dreht die Daumen umeinander und wartet grinsend. Er starrt dabei Steward Brown-Rourke mitleidlos an, kalt und hohnvoll. Der zögert. Er sucht wie ein fetter Fuchs verzweifelt nach einem Ausweg. Aber er erkennt keine Chance. Obwohl sein kleiner Colt Derringer griffbereit auf dem Tisch liegt, nützt er ihm nichts. Brown-Rourke starrt einen Moment auf die kleine Waffe, und er fragt sich dabei immer intensiver, ob Stag Northern nicht vielleicht blufft. Er fragt sich in diesen knappen Sekunden, die schnell verrinnen, ob 210
Stag Northern wirklich irgendwo einen zuverlässigen Freund oder Helfer sitzen hat, der, wenn Northern etwas zustoßen sollte, einige besondere und schon vorbereitete Briefe abschickt. Steward Brown-Rourke starrt in Northerns Augen. Und weil er es noch einmal versuchen möchte, nimmt er mit schnellem Griff die Waffe wieder zur Hand und knurrt: »Ich werde dich lieber erschießen, du Bastard. Ich werde lieber darauf vertrauen, dass du nur bluffst – und dass es gar keinen Mann gibt, der nach deinem Tod die Polizeibehörden in Frisco benachrichtigt. Northern, ich könnte ja auch rechtzeitig verschwinden.« Northern bewegt sich nicht. Er grinst selbstsicher und sagt fast mitleidig: »Rourke, mein Bester, du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich ein Narr bin, der sich nicht doppelt und dreifach abgesichert hat, bevor er solch eine Sache anfängt? Reb Jordan ist mein Partner. Er weiß, dass ich jetzt bei dir bin. Entweder würde dich Reb Jordan erledigen oder jener Brief, den ein guter Freund für mich absenden würde. Du sitzt in der Klemme, Dicker. Du musst kuschen. Und jetzt ist meine Geduld erschöpft, hast du gehört?« Der Widerstand des Bankiers zerbricht. Es war ein letzter Versuch. Jetzt ergibt er sich. Er legt die kleine 211
Waffe wieder auf den Tisch, ergreift den Federhalter und beginnt seufzend zu schreiben. Und als er fertig ist, wird es draußen auf der Straße wieder lauter und lebendiger. Menschen laufen auf dem Plankengehsteig vor den Fenstern des Zimmers vorbei. Die ganze Stadt scheint in große Erregung geraten zu sein. Die beiden Männer starren sich schweigend an. Northern sagt zufrieden: »Hörst du es, mein Bester? Jetzt…« Er kommt nicht weiter, denn jemand ruft vor den Fenstern zu irgendwelchen anderen Leuten über die Straße: »Seht euch das an! He, Leute, seht euch an, wie Reb Jordan aus der Stadt gejagt wird! Mit seinem ganzen Rudel muss er abziehen! Er wird zum Teufel gejagt!« Das ruft eine schrille, frohlockende Stimme. Der Bankier sieht Stag Northern an – und er sieht, wie Northern zusammenzuckt und wie in seinen Augen der Ausdruck von Furcht und Bestürzung erscheint. Dann springt Northern mit einen Plötzlichkeit auf, die man ihm nicht zugetraut hätte. Er beugt sich über den Tisch und will die Urkunde an sich nehmen. Aber der Bankier ist noch schneller. Mit der Linken wischt er das Blatt vom Tisch. Und mit der Rechten schnappt er nach der Waffe. 212
Er hat nun keine Furcht mehr, weil er die Furcht in Northerns Augen erkannte. Er weiß jetzt, dass Northern ihn geblufft hat und nur Reb Jordans gewesene Macht hinter sich hatte. Northern wirft sich über den Tisch und bekommt das Handgelenk des Bankiers zu fassen, bevor dieser die Waffe auf ihn richten kann. Northern umklammert mit beiden Händen das Handgelenk. Die Männer beginnen zu kämpfen. Dabei fällt Northern vom Tisch und zieht den Bankier über sich. Sie rollen keuchend über den Boden, und Northern biegt den Arm des Bankiers herum. Der lässt die Waffe fallen, um sie mit der linken Hand aufnehmen zu können. Aber Northern ist schneller. Die Schüsse krachen im Raum. Northern drückt beide Läufe des Derringers zu gleicher Zeit ab. Dann erhebt er sich keuchend und bückt sich hastig nach der Urkunde. Er steckt sie unter die Jacke und hastet aus dem Zimmer. Er verlässt das Haus durch die Hintertür.
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11 Am frühen Morgen, die Stadt ist ruhig und friedlich, finden sich die Bürger von Wager zu einer Versammlung ein. Der Trailmen's Paradise Saloon ist der Versammlungsort. Und sie kommen alle. Jim Hardin und Bill Sullivan stehen neben dem Eingang, und fast jeder der Bürger sagt anerkennende Worte zu ihnen. Und dann kommt Stag Northern aus seinem Hotel und nähert sich schwerfällig. Die beiden Marshals blicken ihm stumm entgegen. Pat Saunder kommt aus dem Saloon und brummt beim Anblick Northerns grimmig. Dann ist Northern bei ihnen und hält an. »Ich habe gehört, dass nun endlich ein Friedensrichter gewählt werden soll«, sagt er ruhig. »Und da Bill Sullivan plötzlich mutig geworden ist, weil er einen Revolvermann zum Gehilfen hat, ist es sogar möglich, dass unser zukünftiger Richter wahrhaftig Recht sprechen kann. Wer ist denn alles aufgestellt worden? Ich meine, wie viel Kandidaten gibt es denn für dieses ehrenwerte Amt?« »Das wird noch geklärt werden«, brummt Bill Sullivan und sieht zur Bank hinüber. 214
»Jetzt sind sie alle da – nur der Bankier fehlt noch«, brummt er. »Dann hole ihn«, sagt Jim Hardin trocken. Er wendet sich Northern zu. »Sie haben doch wohl schon gehört, dass wir Reb Jordan mitsamt seinem Anhang aus der Stadt gejagt haben, nicht wahr?« »Das habe ich gehört«, brummt Northern. »Was soll die Frage?« »Northern, ich weiß, dass Sie Reb Jordan zumindest einen Dienst erwiesen. Sie haben ihm gesagt, wer ich bin. Und als Jordan das wusste, warb er zwei Burschen an, die mich und Tom Drake umbringen sollten. Sie sind ein guter Freund von Reb Jordan. Wollen Sie nicht lieber aus der Stadt ziehen?« »Ich denke nicht daran!« Northern grinst. »Reb Jordan hat noch eine ganze Menge andere Freunde in dieser Stadt. Aber lassen wir das, Jim Hardin. Ich bin hier Bürger. Und ich kann meine Stimme abgeben in solch einer wichtigen Wahl. Und wenn Sie gegen mich etwas vorzubringen haben, so müssen Sie Beweise haben, verstanden? Hören Sie nur auf, ständig auf mir herumzuhacken!« Er wendet sich ab und stapft in den Saloon hinein. Pat Saunder sieht Jim Hardin scharf an, aber der beobachtet Bill Sullivan, der inzwischen zur Bank hinübergegangen ist und dort den eisernen 215
Türklopfer betätigt. Aber erfolglos. Bill Sullivan bewegt sich um das Haus herum und verschwindet um die Ecke. Pat Saunder seufzt und murmelt: »Das ist seltsam. Mir fällt auch jetzt erst auf, dass Steward Brown auch in der Nacht nicht zu sehen war. Er und Reb Jordan hassten sich stark – aber als man Jordan aus der Stadt jagte, war Brown nicht zu sehen! Er hat doch die Stadt gegründet. Und er muss doch gehört haben, dass wir jetzt endlich einen Richter wählen wollen, damit in Zukunft Recht und Ordnung herrschen. Warum nimmt er keinen Anteil an den Dingen?« Jim Hardin zuckt mit den Schultern. Er fühlt sich müde und erschöpft. Er war die ganze Nacht auf den Beinen und hatte sogar kämpfen müssen. Da er aber die Nachwirkungen von seinem Kampf mit Reb Jordan noch längst nicht überwunden hat, ist seine Energie ziemlich verbraucht. Er sehnt sich nach einem Bett und einigen Stunden Schlaf. Sein ganzer Körper ist müde. Überall schmerzt es. Er murmelt: »Vielleicht ist der Bankier krank – oder…« Pat Saunder seufzt wieder. Dann wendet er sich zur Tür. »Ich muss hinein. Chip Duane will zwar diese Versammlung leiten, aber er wird meine Unterstützung brauchen. Seltsam! Steward Brown 216
fragte mich, ob ich das Richteramt annehmen würde. Und jetzt fehlt er als einziger Bürger der Stadt. Jim, ich möchte, dass auch Sie einige Worte an die Versammlung richten.« »Das werde ich tun, sobald ich weiß, warum Steward Brown nicht kommt«, murmelt Jim fast abwesend und setzt sich in Bewegung, um ebenfalls zur Bank hinüberzugehen. Als er die Tür erreicht, öffnet sich diese. Bill Sullivan kommt heraus. Sein Gesicht hat einen bestürzten und bekümmerten Ausdruck. »Er ist tot«, sagt er bitter. »Jemand hat mit ihm gekämpft und ihn mit einem Derringer getötet. Jim, was hat das zu bedeuten?« Jim Hardin starrt ins Leere. Viele Gedanken schießen durch seinen Kopf. Aber dann erinnert er sich an etwas, was Jennifer Northern ihm sagte und was sie von seinem Bruder Reck wusste. Er erinnert sich wieder ganz klar an ihre Worte. Jennifer sagte damals im Hotelzimmer zu ihm: »Reck sagte mir, dass Reb Jordan irgendeinen Trumpf im Ärmel hätte, mit dem er den Bankier dazu zwingen könnte, ihm die Rechte auf den Verladebahnhof zu überlassen!« An diese Worte denkt Jim jetzt. Sollte also Reb Jordan etwas mit diesem Mord zu tun haben? Aber das ist doch nicht möglich. Reb Jordan wurde aus der 217
Stadt gejagt, und vorher war er bestimmt damit beschäftigt, die von Jim erhaltenen Prügel zu verdauen und körperlich zu überwinden. Jim Hardin denkt auch wieder daran, dass Jordan immer wieder beteuert hat, dass er nichts mit dem Tod Reck Hardins zu tun hätte. Aus diesen Gedankengängen heraus sagt Jim Hardin langsam: »Bill, Reb Jordan ist fort. Aber es gibt immer noch einen Hundesohn in dieser Stadt, der sich bis jetzt unter einer Maske verbergen konnte. Nun, ich will mir den Toten einmal genauer ansehen.« Sie gehen hinein. Als Jim und Bill nach einer knappen Stunde den Saloon betreten, werden von den Bürgern gerade zusammengefaltete Zettel in einen Hut geworfen. Jim und Bill lehnen sich neben der Schwingtür an die Wand und beobachten schweigend. Sie sehen mit den anderen Männern zu, wie Chip Duane dann die Zettel aus dem Hut holt und auseinander faltet. Und immer wieder ruft er Pat Saunders Namen, genau einundvierzig Mal. Nur einmal öffnet er einen Zettel, auf dem der Name des Bankiers steht. Chip Duane hebt dann die Hand. Und er sagt: »Die Bürger dieser Stadt haben also mit 218
einundvierzig gegen eins Pat Saunder zum Friedensrichter gewählt. Jetzt gelten die Stadtgesetze wirklich!« Jim Hardin setzt sich plötzlich in Bewegung. Er geht bis zu dem freien Platz vor dem Schanktisch, wendet sich den Versammelten zu und wartet, bis sie ihn alle ansehen. Dann sagt er trocken: »Well, ihr habt jetzt einen Richter. Und ihr habt zwei Polizisten. Wir haben auch den schlimmsten Burschen aus der Stadt gejagt. Aber die ganze Sache ist noch nicht vorbei, Leute. Reb Jordan wird zurückkommen und sich eine Banditenbande mitbringen. Er wird sich diese Stadt wieder erobern wollen. Wenn er es schafft, so wird er schlimmer mit euch umspringen als bisher. Nun, Bill Sullivan und ich, wir tragen den Stern. Wir werden unsere Pflicht tun. Aber wir werden Reb Jordan und dessen Bande nicht aufhalten können, wenn uns nicht die ganze Stadt dabei hilft. Ihr werdet nur für alle Zeiten frei und stolz sein können, wenn ihr für eure Stadt wirklich kämpfen könnt. Ihr müsst sofort eine Bürgerwehr bilden, die beim Ertönen eines bestimmten Signals mit den Waffen für diese Stadt kämpft. Sonst werdet ihr bald wieder von einem Burschen wie Reb Jordan beherrscht. Alle kleinen und wilden Treibherdenstädte mussten sich erst 219
freikämpfen. Auch ein Revolvermarshal kann den Stadtgesetzen keine Geltung verschaffen, wenn nicht die Mehrzahl der Bürger hinter ihm steht. Das wollte ich euch zu dieser Sache sagen. Und jetzt kommt noch eine andere Sache! Unter uns lebt noch ein Hundesohn. Denn der Bankier Steward Brown wurde gestern ermordet. Es muss kurz vor Mitternacht gewesen sein. Aber das wird ja der Doc feststellen können. Reb Jordan kann es nicht gewesen sein, denn dieser und seine Leute hatten Kummer genug. Es muss ein anderer Mann sein – vielleicht jener Bursche, der auch meinen Bruder Reck auf dem Gewissen hat. Aber ich werde ihn finden. Ich habe eine sichere Spur. Und ich weiß auch, warum Steward Brown getötet wurde. Ich habe in Steward Browns Geldschrank einen Hinweis gefunden. Er hatte eine Liste über alle Wertpapiere, die sich im Geldschrank befanden. Aber ein Papier fehlt. Es ist auf der Liste nicht ausgetragen. Leute, ich könnte euch sagen, um was es sich handelt. Aber ich will den Mörder herausfordern. Ich bin der einzige Mann, der diese Sache klar erkannt hat. Bill Sullivan tappt noch im Dunkeln. Der Mörder braucht also nur mich umzulegen. Er soll diese Chance haben, damit er es riskiert und den Versuch macht. Oh, ich denke, dass er aus seinem Mauseloch herauskommen wird. Ich werde ihm auch Gelegenheit geben, mich erwischen 220
zu können. Ich werde diese Nacht ständig in der Stadt umherspazieren. Er kann ja irgendwo im Dunkeln auf mich lauern und versuchen, mich abzuschießen. Aber auch ich werde aufpassen. Und morgen um diese Zeit läuft meine Herausforderung ab. Dann werde ich euch meinen Verdacht mitteilen. Und dann könnt ihr euch den Burschen vornehmen.« Nach diesen Worten geht Jim Hardin hinaus. Er geht die leere Straße hinunter und betritt das Marshal's Office. Er legt sich auf Bill Sullivans Bett. Bevor er einschläft, hört er noch die fernen Geräusche vom Verladebahnhof. Und er denkt noch einmal an das Mädchen Jennifer. Stag Northern ist der einzige Mann, der vorzeitig die Versammlung verlässt. Viele der Versammelten blicken ihm schweigend nach. Aber niemand sagt etwas. Er stapft den Gehsteig entlang und kommt zu Pat Saunders Generalstore. Hier hält er inne, überlegt kurz und tritt ein. Jennifer steht hinter dem Ladentisch und verkauft zwei Treibherden-Cowboys neue Halstücher und Hüte. Wahrscheinlich hätten die beiden Cowboys, um ihr den Hof machen zu können, noch mehr eingekauft, aber als Stag Northern hereingestapft 221
kommt und grimmig knurrt: »Tochter, ich habe mit dir zu reden«, da zahlen die beiden noch jungen Burschen eilig und verschwinden. Jennifer sieht ihren Stiefvater kühl an. »Meine Mutter hatte eine Schwäche für dich«, sagt sie herb. »Sie konnte dir immer wieder verzeihen. Aber sie sah dich vielleicht mit anderen Augen und konnte dich deshalb nie richtig beurteilen. Ich habe ihr sogar versprochen, bei dir zu bleiben und dafür zu sorgen, dass du auf geraden Wegen wandelst. Ich habe das auch ehrlich versucht und mich bemüht. Aber das ist jetzt vorbei, Stag Northern. Du bist Reb Jordans Mann, und vielleicht bist du sogar noch viel mehr als nur sein Spitzel und Handlanger. Ich hege einen furchtbaren Verdacht gegen dich. Aber gut, ich will gar nicht forschen und nach Beweisen suchen. Für mich genügt es schon, dass du uns an Jim Hardins Tür belauscht hast und mit deinem erlauschten Wissen zu Reb Jordan gingst. Ich verachte dich. Fast wärest du daran schuldig geworden, dass Jim Hardin und Tom Drake ermordet worden wären. Mir ist alles so klar, wie es auch Jim Hardin klar ist. Wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen, Stag Northern. Geh! Wir sind nicht blutsverwandt. Und ich will vergessen, dass meine Mutter dich zum Mann nahm. Ich werde
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auch wieder den Mädchennamen meiner Mutter annehmen.« Er grinst und nickt grimmig. »Deine Mutter war ein Saloonflittchen mit einem unehelichen Kind! Sie war mächtig froh, dass ich sie aus dem Saloon holte und ihrem unehelichen Balg einen Namen gab. Sei nur nicht so stolz, Jenny. Aber deshalb bin ich nicht hergekommen. Ich will dir nur einen guten Rat geben. Wenn du dich in Jim Hardin verliebt haben solltest und ihm das Leben retten möchtest, so bring ihn dazu, dass er und mit dir das Land verlässt. Schmeiß dich ihm an den Hals und verspreche ihm den Himmel auf Erden! Du bist verdammt hübsch und begehrenswert, du hast schon seinem Bruder den Kopf verdrehen können und wirst es wohl auch bei ihm schaffen. Wenn er diese Nacht noch in der Stadt bleiben und mit seinem Blechstern herumstolzieren sollte, so ist er tot, bevor die Sonne aufgeht. Hast du mich verstanden? Er ist tot, bevor es morgen Tag wird. Es liegt also an dir, ihn zu retten. Geh mit ihm fort. Das ist für uns alle das Beste.« Nach diesen harten und kalten Worten dreht sich Stag Northern um, geht hinaus und lässt das Mädchen in einer starren Angst zurück. Auch er geht sofort in sein Zimmer und legt sich auf sein Bett. 223
Die Führung des Hotels überlässt er seinem Hausneger und den beiden Frauen im Restaurant. Er will sich ausruhen, um nächste Nacht in Form zu sein. Und er verspürt eine dumpfe Furcht in sich, die er nur mühsam unterdrückt. Er wiederholt in Gedanken nochmals Jim Hardins Worte. Er ist sich der Herausforderung genau bewusst. Und er weiß, warum Hardin ihn auf diese Art herausgefordert hat. »Er will doch seinen Bruder rächen, dieser Narr«, murmelt er und schließt die Augen. Ungefähr um diese Tageszeit, also nach fast zehn Stunden rascher Fahrt, erreicht Reb Jordan sein Ziel. Es die Box S Ranch, und sie gehört Emmet Skullman. Sie liegt tief in den Wild Hills, und sie hat eine wirklich gute Lage für Emmet Skullmans Zwecke. Die Gebäude dieser Ranch sind jedoch sehr kümmerlich und primitiv, aber dennoch ist Emmet Skullman ein sehr mächtiger Mann im Rinderland. Er und sein Vormann Tip Bannister kommen gerade aus dem Haupthaus und wollen in die Sättel steigen, als sie Reb Jordan heranfahren sehen. Sie treten sofort von ihren prächtigen Pferden weg, setzen sich auf die Bank neben der Tür und warten. 224
Emmet Skullman ist bestimmt schon fast fünfzig Jahre. Ja, er ist ein eisgrauer Wolf. Er ist nur mittelgroß und wirkt auf den ersten Blick schmächtig. Aber er ist sehnig, hart und so zäh wie Büffelleder. Er ist so schnell wie ein Wolf und so kalt wie eine Schlange. Sein Vormann gehört ebenfalls zu der kühlen, hageren, sehnigen, scharfen und blitzschnellen Sorte. Sie arbeiten schon sehr lange zusammen, kennen sich wie zwei erfahrene Wölfe und wissen, was sie wollen. Vor wenigen Monaten kamen sie mit einem knappen Dutzend Reitern in dieses aufblühende Rinderland, wie still dahinziehende Wölfe in ein reiches Jagdrevier. Jetzt gehört es ihnen. Sie haben die kleinen Mannschaften der Ranches auf ihrer Seite, denn sie zahlen einen guten Preis für jedes Kalb und jedes umgebrannte Rind. Natürlich gab es heiße Kämpfe mit den Ranchern und deren wenigen treu gebliebenen Reitern. Es gab einen Krieg zwischen Viehzüchtern und Viehdieben. Und die Viehdiebe gewannen den Krieg. Die beiden Männer beobachten, wie Reb Jordan den Wagen anhält und mühsam herausklettert. Sie sehen, dass er nur spärlich bekleidet ist und
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erkennen auch die vielen Zeichen eines schlimmen Kampfes in seinem Gesicht. Reb Jordan hinkt erst zum Brunnen und trinkt dort aus der Schöpfkelle. Dann kommt er zur Bank gehinkt und lässt sich seufzend neben den beiden Männern nieder. Fast eine Minute vergeht, bevor Emmet Skullman das Schweigen bricht und lässig fragt: »Ist ein großer Mann gekommen, der dich zum Teufel jagte, Reb? Du siehst ganz so aus, als wärst du einem starken Burschen unter die Fäuste gekommen. Oder machst du in diesem dürftigen Aufzug nur einen freundschaftlichen Besuch?« Reb Jordan schweigt noch und starrt brütend ins Leere. Aber Tip Bannister spuckt bitter aus und murmelt kalt: »Emmet, ich habe dir immer gesagt, dass er nicht groß genug ist, um unser Partner sein zu können. Sieh ihn dir an! Er war der große Löwe in einer Stadt und wollte dafür sorgen, dass sie für uns immer offen ist. Aber sieh ihn dir jetzt an. So sieht kein stolzer Löwe aus. Das ist ein kranker Hund, den man zum Teufel jagte.« Nach diesen Worten spuckt Tip Bannister wieder aus und starrt Reb Jordan herausfordernd an.
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Aber Jordan ist nicht mehr streitsüchtig, wenn es sich um einen Mann wie Tip Bannister handelt. Außerdem will er Hilfe. Er knurrt: »Ihr habt gut reden! Es ist ein Mann nach Wager gekommen, mit dem jeder von euch allein auch nicht fertig werden könnte. Dieser Mann hat es fertig gebracht…« »Wie heißt er?«, fragt Emmet Skullman scharf. »Hardin – Jim Hardin. Er ist in Wirklichkeit Reck Hards Bruder. Er konnte mich bluffen und hatte dann eine Menge Glück. Jetzt ist er Marshal in Wager und hat auch Bill Sullivan gewandelt. Die ganze Stadt hat er umgewandelt. Yeah, man hat mich und meine Leute zum Teufel gejagt. Mein ganzer Anhang wird in ein oder zwei Stunden auf einem Leiterwagen hier eintreffen. Ich bin schneller gefahren. Oh, man hat meine Jungens einfach überrumpelt, entwaffnet und wie Schafe auf den Wagen getrieben. Aber ich werde mir die Stadt wieder erobern!« Emmet Skullman fragt trocken: »Und wie willst du das anstellen?« »Du wirst mir helfen müssen, denn du brauchst eine Verlademöglichkeit für deine Rinder. Du kannst keine ordentlichen Herdenpapiere vorzeigen, und du besitzt kein eingetragenes Brandzeichen. Du brauchst einen offenen Bahnhof. Und ohne Kampf kannst du 227
ihn nicht bekommen. Dieser Jim Hardin leitet nämlich jetzt auch den Verladebahnhof. Tom Drake hat ihm alles übergeben – verpachtet! – und ist ausgerissen. Emmet, du musst deine Reiter zusammenholen, mit mir in die Stadt reiten und mir dort wieder zu meiner alten Macht verhelfen.« »Dadurch bekomme ich noch lange nicht den Bahnhof. Und wenn der Verladeboss nicht mit mir zusammenarbeitet, so wird die Bahngesellschaft auch nicht meine Rinder transportieren. Dann muss ich weit unter dem Preis verkaufen und alles in kleine Herden aufteilen und endlose Meilen weit treiben. Jordan, sage mir verbindlich, wie ich den Bahnhof bekommen kann, und ich werde dir helfen, wieder in Wager ein großer Bursche zu werden.« Emmet Skullman beugt sich vor und starrt Reb Jordan mitleidlos ins Gesicht. »Du taugst halb so viel, wie ich dachte«, brummt er. »Du versuchst dein Glück am Bahnhof schon sehr lange.« »Wenn Hardin tot ist, fällt der Bahnhof an die Bank, weil die dort noch eine Menge Geld stehen hat. Und von der Bank bekomme ich den Bahnhof. Stag Northern ist mein Mann, und er wollte noch in der vergangenen Nacht zum Bankier gehen und sich den Bahnhof überschreiben lassen. Wenn Jim Hardin tot ist, können wir den Bahnhof übernehmen, weil wir 228
dann den Schuldschein besitzen und vorläufig niemand da ist, der ihn begleichen könnte. Tom Drake ist weg.« Reb Jordan atmet seufzend aus und lehnt sich mit dem Rücken an die Hauswand. Er ist sicher, dass Emmet Skullman ihm helfen wird. Skullman besitzt wirklich kein eingetragenes Brandzeichen und kann deshalb auch nie ordentliche Herdenpapiere bekommen. Und auf jedem Verladebahnhof müssen solche Herdenpapiere vorgelegt werden. Skullman kann seinen geraubten Rindersegen nur dann verladen, wenn der Verladeboss mit ihm gemeinsame Sache macht, Viehwagons anfordert und das Risiko auf seine Kappe nimmt. Wenn Skullman in Wager nicht verladen kann, muss er die Herden auf einen langen Trail schicken, sie in weiter entfernten Verladebahnhöfen verladen oder durch Mittelsmänner verkaufen lassen. Dabei büßt er mehr als die Hälfte des Normalpreises ein. Emmet Skullman schweigt eine Weile und überdenkt die ganze Sache. Als er den Kopf wieder hebt und Jordan ansieht, ist in seinen Augen ein kaltes Leuchten. Diese Augen sind so hell und klar wie Gletschereis. »Gut«, sagt er, »ich verlasse mich noch einmal darauf, dass du nicht noch weitere Fehler gemacht hast, Reb. Ich verlasse mich darauf, dass du durch 229
diesen Stag Northern den Verladebahnhof in die Hand bekommen kannst, wenn dieser Jim Hardin tot oder verschwunden ist und du selbst wieder der große, starke Bursche in der Stadt bist. Ich will dir helfen, weil es in meinem eigenen Interesse liegt.« Reb Jordan stößt einen zufriedenen Laut aus. Er ist vollkommen erschöpft. Die lange Fahrt hat seinen körperlichen Zustand noch verschlechtert. Er hat unterwegs höllische Schmerzen verspürt, die im Rhythmus des Pulsschlages durch seinen zerschlagenen Körper jagten. Und sein Hass auf Jim Hardin ist auf dieser Fahrt noch weiter angewachsen, falls dies überhaupt noch möglich war. Aber als er jetzt hört, dass Emmet Skullman ihm helfen wird, verspürt er ein heißes Frohlocken. »Ich will ihn tot am Boden liegen sehen«, krächzt er. »Du wirst deine ganze Mannschaft in die Sättel bringen, nicht wahr, Emmet? Und du wirst meinen Leuten Waffen und Pferde geben, nicht wahr? Dann sind wir mehr als fünf Dutzend Reiter. Und wir werden die Stadt erobern und sie beherrschen.« Skullman schüttelt den eisgrauen Kopf. »Warum denn einen großen Krieg anfangen?«, murmelt er. »So wie ich das ganze Problem ansehe, dreht es sich nur darum, dass ein wirklicher Mann nach Wager gekommen ist, dem du nicht gewachsen warst, Reb. Dieser Jim Hardin muss schon 230
wahrhaftige Klasse sein. Er hat der Stadt gezeigt, wie groß du in Wirklichkeit bist – und die Leute dort sahen nicht viel Größe an dir. Das machte sie mutig. Nun, es wird nur darauf ankommen, Jim Hardin zu erledigen. Wenn die Stadt erst sieht, dass sein Glück nicht von Dauer und auch er nicht unbezwingbar ist, wird sie wieder feige und furchtsam werden. Dann ist es schon ausgekämpft und gewonnen. Wir können nicht einfach mit sechzig Reitern die Stadt besetzen. Das ist richtiger Krieg, und die Armee in Fort Laramie würde sich dafür interessieren. Nein, wir machen es anders. Wir bringen erst einmal eine große Herde in die Nähe von Wager. Wenn das getan ist, werde ich mit einigen harten Burschen in die Stadt kommen. Wir werden einzeln einsickern, sodass es dort keinen Alarm gibt. Und bevor die Bürger von Wager überhaupt richtig wach werden, wird alles erledigt sein. Wir werden uns diesen Jim Hardin kaufen und ihn schon richtig bedienen. Wenn er tot auf der Straße liegt, wird ganz Wager vor Furcht krank sein. So wird es gemacht! Es wird nur einen einzigen, kurzen Revolverkampf geben.«
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12 Jim Hardin schläft bis zum Anbruch der Nacht. Er erhebt sich, wäscht und rasiert sich und macht sich in Bill Sullivans Küche ein Abendbrot aus Eiern und Speck. Er wischt den Teller gerade mit einem Stück Brot sauber, als Bill Sullivan hereinkommt. Der bullige Mann wirkt müde und erschöpft. Er war die ganze Nacht und den ganzen Tag auf den Beinen. Seine Augen sind gerötet, und er blinzelt gegen das Lampenlicht an. »Alles läuft gut, Jim. Sogar die Saloons sind wieder geöffnet. Die Bürgerschaftsvertretung hat Geschäftsführer eingesetzt. Wir werden in den nächsten Tagen natürlich noch viel Spreu vom Weizen aussondern müssen. Und es sind auch eine Menge Anzeigen gegen Reb Jordan erstattet worden. Alle Leute, die bisher vor lauter Angst geschwiegen und alles erduldet haben, fühlen nun keine Furcht mehr. Alle Anzeigen beinhalten Nötigung, Erpressung, Gewaltanwendung, Terror und Raub. Wenn wir Reb Jordan noch mal erwischen sollten, muss er für all diese Dinge einstehen. Jim, auch ich war eine furchtsame Wanze, die zu nichts taugte. Ich 232
war wie alle Leute in der Stadt, doch bei mir war es noch schlimmer, weil ich einen Stern trug. Ich konnte mich schon nicht mehr im Spiegel sehen, und ich trank jeden Tag eine Menge Whisky, weil ich mich dann nicht mehr ganz so sehr als Feigling fühlte. Du hast mich richtig angepackt, Jim. Du hast wieder einen Mann aus mir gemacht. Und dass die Bürgerschaft mir trotz meiner bisherigen Amtsführung noch vertraut, habe ich dir zu verdanken. Du hast uns alle umgewandelt. Aber deine Idee, dass du als lebendiger Köder für den Mörder herumlaufen willst, finde ich schlecht. Und ich bin so müde und wäre dir im Moment keine Hilfe! Ich habe Schilder aufstellen lassen, die das Tragen von Waffen in der Stadt verbieten. Ich habe auch überall dafür gesorgt, dass man dieses Verbot beachtet. Aber jetzt fallen mir einfach die Augen zu. Jim, versprich mir, dass du nicht auf die Straße gehst, bevor ich wieder wach bin. Ich brauche nur zwei Stunden Ruhe. Dann kann ich wieder aufpassen, dass dir keiner in den Rücken fällt. Jim, warte, bis ich wieder wach bin.« Er erhebt sich müde und starrt Jim Hardin an. Er kann die Augen kaum noch offen halten. »Versprich es mir«, sagt er. »Schlaf dich nur aus, Bill. Vor Mitternacht wird bestimmt nichts passieren. Wenn der Mörder meine 233
Herausforderung annehmen sollte, so wird er es versuchen, wenn die Stadt gegen Morgengrauen ruhiger wird. Ruh dich aus, Bill!« Er klopft dem Partner auf die massige Schulter und erhebt sich. Er hört Bill seufzen und in den Schlafraum gehen. Er selbst nimmt seinen Hut, und obwohl er den Colt im Holster trägt, nimmt er sich noch eine zweite Waffe aus dem Schrank und schiebt sie unter die Jacke. Er schiebt den Coltlauf in den Hosenbund und zwar so, dass er den Kolben leicht mit der linken Hand ergreifen kann. Dann tritt er hinaus, verlässt den Lichtstreifen des Office und verhält in einer Hausnische. Er lauscht auf die Geräusche der Stadt. Er prüft ihren Rhythmus. Er spürt wieder einmal ihren Atem. Er hört die Rinder in den Verladecorrals brüllen, den Pfiff einer Lok. Er sieht die Reiter, die in die Stadt kommen – oder in die Nacht hinausreiten. Er sieht die Wagen, und er beobachtet die Fußgänger. Die Postkutsche aus dem Hinterland kommt hereingefahren. Zwei verspätete Frachtwagen rollen schwankend und knarrend vorbei. Eine Siedlerfamilie fährt hinaus. Die Kinder lutschen Kandisstangen. Er sieht es deutlich, als der Wagen durch den Lichtstreifen fährt. Männer kommen aus den Saloons und verschwinden in anderen. Die Restaurants haben 234
noch Hochbetrieb, denn es wird überall noch Abendbrot gegessen. Die Stadt summt und klingt. Jim Hardin tritt aus der Nische und versperrt vier Cowboys den Weg. »Boys«, sagt er freundlich, »ihr tragt noch eure Waffen. Aber das ist in Wager verboten. Hängt eure Waffengürtel an die Sattelhörner oder gebt sie im Mietstall ab. Habt ihr mich verstanden?« Die vier hartbeinigen Burschen sehen ihn an – und er zeigt ihnen sein freundliches und doch so wildes Grinsen. Sie sehen seinen Stern und erkennen auch, wie hart dieser Marshal werden könnte. Aber sie zögern noch, denn sie sind von jener stolzen Sorte, die sich nur ungern Vorschriften machen lässt. Da sagt er nochmals freundlich: »Ihr könnt euch auch ohne Colts hier amüsieren, nicht wahr? Macht mir also keinen Kummer, Freunde.« Einer der vier langbeinigen Burschen sagt: »Er hat uns gar nicht gedroht, nicht wahr? Und das gefällt mir. Wenn ich nur wüsste, warum er so freundlich ist?« Der Cowboy murmelt es zweifelnd. Aber sein Nachbar sagt: »Wer mächtig und stark ist, der braucht keinen Wind zu machen. Brüder, wir werden lieber keinen Verdruss mit ihm anfangen. All right, Marshal. Dort drüben stehen unsere Pferde.
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Wir hängen unsere Gürtel an die Sattelhörner. Zufrieden?« Jim Hardin grinst. »Boys, wenn ich euch später in einem Saloon begegne, so möchte ich einen Whisky mit euch trinken.« »Sie sind ein wahrhaftiger Gentleman, Marshal«, sagt der Sprecher, und dann tritt Jim wieder in die Nische zurück und beobachtet die Straße. Nach einer Weile schlendert er weiter. Er sucht sich eine dunkle Stelle gegenüber dem Generalstore aus. Von seinem Standort aus kann er durch das Schaufenster in den Store blicken und Jennifer Northern beobachten, die gerade einige Kunden bedient. Von Pat Saunder ist nichts zu sehen, denn der ist nach den anstrengenden Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden genau so müde wie Bill Sullivan und eine Menge anderer Männer, die in dieser Stadt alles wieder in Ordnung gebracht haben. Nach einer Weile geht Jim Hardin zum NorthernHotel hinüber und tritt ein. Der Hausneger sitzt hinter dem Anmeldepult und starrt in eine alte Zeitung. Er erhebt sich jedoch freundlich und erwidert auf Jims Frage: »Nein, Mister Northern habe ich seit Stunden nicht gesehen. Er liegt sicherlich im Bett.« »Welches Zimmer?«, fragt Jim, und der Neger führt ihn zu einer Tür. Jim beugt sich zum 236
Schlüsselloch nieder. Obwohl es im Zimmer dunkel ist und er auch nichts hören kann, kann er erkennen, dass von innen ein Schlüssel im Schloss steckt. »Hat dieses Zimmer noch einen anderen Ausgang?«, fragt er den Neger. »Yeah, zum Hof hinaus, Sir«, sagt der Schwarze und zeigt grinsend sein blitzendes Gebiss. Jim nickt. Er verlässt die Hotelhalle zur Hintertür hinaus, kommt auf den Hof und findet die Tür von Stag Northerns Zimmer. Er versucht sie zu öffnen, aber sie ist verschlossen. Er zündet ein Streichholz an und beleuchtet das Schlüsselloch. Aber hier steckt kein Schlüssel drinnen. Er tritt ans Fenster und pocht dagegen. Nichts rührt sich. Da nimmt er den Colt und schlägt eine der kleinen Scheiben ein. Es klirrt hörbar – aber noch immer rührt sich nichts. »Northern!«, ruft er. Und als sich im Zimmer immer noch nichts bewegt, wagt es Jim. Er greift durch das Loch hinein, riegelt das Fenster von innen auf und beugt dann den Oberkörper ins Zimmer hinein. Er zündet ein Streichholz auf der Fensterbank an und sieht im schwachen Licht des Flämmchens, dass das Bett leer ist. Stag Northern ist nicht in seinem Zimmer. 237
Das wollte Jim Hardin wissen. Als er den Hof des Hotels verlässt und sich durch eine dunkle Gasse den Weg zur Hauptstraße sucht, ist er so vorsichtig und lautlos wie ein Wolf. Er bleibt in der dunklen Gassenmündung dicht an der Hauswand stehen. Von seinem Standort aus kann er wieder die Hauptstraße übersehen. Vor dem Horseshoe Saloon gibt es eine Prügelei, aber Jim verlässt seinen Standort nicht. Er beobachtet, wie sich die beiden betrunkenen Raufer gegenseitig zu Boden ziehen und eine Weilte umherrollen. Dann erheben sie sich und schwanken in entgegengesetzte Richtungen davon. Die nächsten Stunden passiert nicht viel. Die Stadt summt und lärmt. Alles amüsiert sich. Es herrscht Hochbetrieb – aber es ist dennoch ruhiger als sonst, weil in den Saloons darauf geachtet wird, dass alles in gewissen Grenzen bleibt. Jim wendet sich ab und geht tiefer in die Gasse hinein, bis er zu einem Pfad kommt, der um die Stadt führt. Er folgt dem schmalen Weg und erreicht den Ortseingang. Hier überquert er in der Dunkelheit die Straße und gelangt wieder hinter die Häuser. Er stößt auf eine Gasse und folgt ihr bis zu ihrer Mündung in die Hauptstraße. Nun steht er dem Generalstore gegenüber.
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Es ist inzwischen schon spät geworden. Es gibt mehr Betrunkene auf der Straße. Und das ständige Summen ist lauter und erregter geworden. Nur vom Bahnhof her klingen die tausend Stimmen der eingesperrten Herde nicht mehr ganz so laut. Jim Hardin beobachtet Jennifer. Sie hat keine Kundschaft mehr zu bedienen und steht in der Tür. Sie späht die Straße entlang, und es sieht so aus, als wartete sie oder suchte jemanden. Aber dann kommen einige betrunkene Cowboys den Gehsteig entlang. Das Mädchen wendet sich schnell um, zieht die Tür hinter sich zu und schließt ab. Mit einer schnellen Bewegung zieht sie den Vorhang vor. Die Gruppe der betrunkenen Cowboys bleibt vor der Tür stehen. Einer klopft gegen die Scheibe. Aber die Tür bleibt zu. Im Store verlöscht sogar das Licht. Die Schaufensterscheibe wird zu einem dunklen Viereck. Überall verlöschen jetzt die Lampen in den Geschäften und Restaurants. Nur die Saloons und Amüsierbetriebe sind noch geöffnet. Dort ist noch Betrieb. Aus der Wyoming Hall, die schräg gegenüber liegt, kommt ein kleiner, krummbeiniger Cowboy getorkelt. Jim Hardin kann die Flüche hören, die er ausstößt. Der Cowboy kommt schräg über die Straße 239
und tritt an ein Pferd, das nur zehn Schritte von Jim entfernt an der Haltestange bei anderen Pferden steht. Jim kann erkennen, dass der Cowboy den Revolvergurt vom Sattelhorn nimmt und ihn sich umschnallt. Er sieht, wie der betrunkene Mann den Colt zieht, nach der Ladung sieht und sich dann fluchend in Bewegung setzt. Er will in den Saloon zurück. Und deshalb muss Jim jetzt als Marshal seine Pflicht tun. Er muss seinen guten Platz verlassen und sich den Blicken etwa vorhandener und ihn suchender Beobachter aussetzen. Er tritt vor und ruft: »He, Cowboy!« Der krummbeinige Reiter ist noch keine zwanzig Schritte entfernt. Er bezieht auch den Anruf sofort auf sich und wirbelt herum. »Bin ich gemeint?« »Sicher, mein Freund!«, ruft Jim zurück und geht schnell auf ihn zu. Der Cowboy erkennt jetzt auch den Marshalstern, zuckt leicht zusammen und richtet die Waffe mit einem Fluch auf Jim. »Marshal, bleiben Sie stehen!«, kreischt er. »Bleiben Sie stehen! Oha, ich bin nur der kleine Chico aus Alamba, aber ich lasse mir nicht von einem langbeinigen Hundesohn aus Nebraska mein Mädel wegnehmen! Ich werde diesem grinsenden Affen 240
zwei Löcher in die Segelohren machen, und Sie werden mich nicht daran hindern, Marshal!« Er kreischt es heraus, und er zittert vor Wut. Er ist ein kleiner, wilder, betrunkener Bursche, der sich vor Wut nicht anders zu helfen weiß. Er will eine kleine Hölle loslassen, und er will sich von diesem Spaß nicht durch einen Marshal aufhalten lassen. Jim ist bis auf acht Schritte herangekommen. Er bleibt nun stehen. Und er sagt ruhig: »Mein Junge, lass es sein. Steck die Kanone weg und sei friedlich. Es hat keinen Sinn, du könntest heute schlecht in Form sein und dem langen Burschen aus Nebraska etwas verpassen, was er nicht verdauen kann. Es lohnt sich nicht, mein Junge. Komm, gib mir die Kanone.« Er setzt sich wieder in Bewegung, aber die Waffe des Cowboys spuckt plötzlich einen Feuerstrahl aus, und die Kugel spritzt vor Jims Füßen den Straßenstaub hoch. »Ich bin nur der kleine Chico aus Alamba!«, kreischt der Mann wieder. »Und ich will dem Mädchenräuber aus Nebraska mein Monogramm in die verdammten Eselsohren schießen! Verschwinden Sie, Marshal!« Jim Hardin hat wieder angehalten. Er ist nur noch sechs Schritte von dem Mann entfernt. 241
Er wartet, bis dieser verstummt, und sagt dann trocken und ruhig: »All right, Bill! Schlag ihm was auf den Kürbis!« Der Kleine wirbelt sofort fluchend herum. Er ist betrunken genug, um auf Jims Trick hereinzufallen, und vermutet einen zweiten Mann hinter sich. Jim springt ihn mit zwei langen Sätzen an. Als der Kleine herumwirbelt und wütend aufbrüllt, ist er bei ihm. Sein Fuß fährt hoch und trifft das Handgelenk der Revolverhand. Die Waffe fällt zu Boden. Und dann haut Jim dem Kleinen rechts und links zwei mächtige Ohrfeigen herunter, die den Mann arg durcheinander schütteln. Er reißt ihn an der Schulter herum und packt ihn hinten am Jackenkragen und Hosengurt. Der Schuss hat eine Menge Leute aufmerksam gemacht. Sie alle beobachten, wie der Marshal seinen Gefangenen abführt. Als Jim mit ihm das Office betritt, prallen sie fast auf Bill Sullivan, der nur halb angekleidet auf die Straße will. »Sperr dieses verrückte Eichhörnchen ein«, sagt Jim grimmig zu Bill und übergibt ihm den Gefangenen. Er geht sofort wieder hinaus und schlendert langsam die Straße entlang. Er besucht nacheinander verschiedene Saloons, sieht nach dem Rechten und macht seine Runde durch die Stadt. 242
Aber immer, wenn er an den dunklen Gassenmündungen, Hausnischen und Häuserlücken vorbeikommt, spürt er ein Prickeln bis in die Haarwurzeln. Doch es passiert immer noch nichts. Wenn der Mörder des Bankiers die Herausforderung wirklich angenommen hat, so lässt er sich Zeit. Und das Warten kann auch einen Mann wie Jim Hardin zermürben. Jim erreicht die Schmiede, biegt um die Ecke, kommt in eine Gasse und durchläuft sie schnell. Er kommt dann in den Hof des Mietstalles und… Ja, da hört er den Feuerruf. Und er sieht nur wenige Sekunden später den roten Flammenschein am anderen Stadtende gen Himmel zucken. Dort brennt eine große Scheune. Jemand tutet mit einem großen Büffelhorn. Und dann wird die ganze Stadt lebendig. Jim steht immer noch zwischen den Wagen im Hof des Mietstalls. Er zögert noch eine Weile, aber dann tritt er auf die Straße. Sie ist an diesem Stadtende vollkommen leer. Alle Leute sind zum Brandherd gelaufen. Jim folgt langsam. Und da hört er, als er an einer Gassenmündung vorbei will, die heisere Stimme Stag Northerns sagen: »Bleib stehen, mein Junge!« 243
Jim hält an. Er wendet sich der Gassenmündung zu und erkennt dort im tiefen Schatten ganz undeutlich die Gestalt des Mannes. »Also bist du doch der große Hundesohn in dieser Stadt, Northern?«, fragt er ruhig. »Ich habe deinen Bruder erledigt, denn ich wollte nicht, dass er Tom Drake hilft. Und ich habe auch den Bankier töten müssen, weil dieser mich angriff. Aber wenn du tot bist, Jim Hardin, werde ich den Verladebahnhof übernehmen. Und Reb Jordan wird bald wieder in die Stadt kommen und sie mühelos übernehmen. Denn du bist tot, Jim Hardin. Ich habe eine Schrotflinte auf dich gerichtet. Du bist schon ein prächtiger Bursche und hättest es bald geschafft. Aber ich wusste, dass dich das Feuer auf die Straße locken und vor meine Flinte bringen würde. Jetzt…« Hinter Stag Northern erklingt in der dunklen Gasse plötzlich eine andere Stimme. »Northern, ich bin dir gefolgt, weil ich dich zufällig an mir vorüberschleichen sah. Northern, ich habe dich vor meinem Colt! Lass die Waffe fallen, Northern!« Es ist Bill Sullivans Stumme. Er musste irgendwo in einem dunklen Winkel gestanden haben. Jim Hardin lässt sich fallen. Er hört das Krachen der Schrotflinte, sieht in das Mündungsfeuer und fühlt an verschiedenen Stellen seines Körpers scharfe 244
Stiche. Er hört auch noch das Krachen von Bill Sullivans Colt und verliert die Besinnung.
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13 Als er erwacht, liegt er in einem Bett. Im Zimmer brennt eine Lampe. Und er sieht Jennifer Northern, die Doc William Traft zur Tür begleitet hat und nun hinter ihm die Tür schließt. Das Mädchen kommt an Jims Bett zurück, und sie lächelt glücklich, als sie sieht, dass er schon wieder bei Besinnung ist. Sie setzt sich auf den Bettrand. Ihr Gesicht ist blass. »Jim«, sagt sie leise, »es war also mein Stiefvater. Bill Sullivan hat dir das Leben gerettet und dir zu einer Chance verhelfen. Du hast nur einen geringen Teil der Schrotladung abbekommen. Eine Schrotkugel hat deine Schläfe gestreift. Oh, Jim!« Er setzt sich langsam auf. Daher erkennt er, dass sein Oberkörper nackt ist und sich einige Pflaster auf seiner Brust und Schulter befinden. Auch sein Kopf ist verbunden. Er verspürt Schmerzen und fühlt sich ziemlich schwach. Aber er ist nicht schlimm verwundet worden. »Jenny«, sagt er, »ändert sich durch den Tod deines Stiefvaters etwas zwischen uns?«
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»Nichts, Jim. Ich hatte mich vorher schon von ihm getrennt, weil ich einen furchtbaren Verdacht hatte. Und als ich dich dann auf der Straße liegen sah, hatte ich eine furchtbare Angst in mir. Jim, an Bill Sullivans Stelle hätte ich auch auf ihn geschossen, um dich zu retten. Stag Northern war mir zuletzt so fremd wie irgendein anderer Verbrecher. Jim, ich möchte jedoch von hier fort. Bitte, gib deinen Posten auf. Ich will dir überall hin folgen, wenn du mich haben willst.« »Ich bin froh«, murmelt er dann. »Yeah, Jenny, ich bin bald hier für immer fertig. Und ich habe in Texas eine kleine Ranch. Es wird dir dort gefallen. Habe nur etwas Geduld. Ich muss dieser Stadt nur noch helfen, sich ein letztes Mal zu bewähren. Denn wenn sie es mit meiner Hilfe noch ein einziges Mal schaffen kann, sich gegen Gewalt und Terror zu behaupten, wird sie es immer wieder können und eine gute und freie Stadt bleiben, in der es nur stolze Bürger gibt, die immer wieder für ihre Stadt eintreten und kämpfen werden. Diese letzte Aufgabe muss ich noch erfüllen, Jenny. Dann beginnt mein wirkliches Glück. Jenny, als ich dich zum ersten Mal sah, da…« Sie bringt ihn mit einem Kuss zum Schweigen und sagt sanft: »Der Doc sagte, dass du zwei Tage liegen müsstest. Und ich werde dafür sorgen, dass du es auch tust. Ich freue mich schon auf deine Ranch. Jim, 247
ich habe Angst um dich, aber dennoch bin ich sehr glücklich.« Drei Tage später ist Emmet Skullmans große Herde nur noch acht Meilen von der Stadt entfernt. Skullman sitzt mit Reb Jordan und Tip Bannister am Feuer und wartet. Er hat einen Mann nach Wager geschickt, der sich in der Stadt umhören und nach Neuigkeiten forschen soll. An zwei anderen Feuern lagert die starke Mannschaft. Es sind Skullmans Viehdiebe und Reb Jordans Leute. Es ist lange nach Mitternacht, als der Spion ins Camp zurückgeritten kommt. Er reitet bis dicht ans Feuer heran, rutscht aus dem Sattel und sagt zu Emmet Skullman: »Boss, vor drei Tagen wurde ein gewisser Stag Northern erschossen, weil er seine Schrotflinte auf Jim Hardin abfeuern wollte. Diese Stadt da vor uns ist in Bereitschaft. Man hat ihr auch schon unsere Herde gemeldet. Und auf dem Verladebahnhof arbeitet eine harte Mannschaft, die diesem Jim Hardin gehört. Ich glaube nicht, dass es leicht sein wird, diese Stadt und ihren Verladebahnhof in die Hand zu bekommen. Reb Jordan ist ein Narr, Boss.« Und Reb Jordan springt fluchend auf und zieht den Colt. 248
»Nenne mich nicht einen Narr!«, brüllt er. Aber Emmet Skullman sagt: »Du bist einer! Du hast immer wieder versagt! Und du hast mir immer wieder Hoffnungen gemacht, dass du es schaffen könntest. Aber jetzt ist auch dieser Northern tot. Und nach allem, was du mir sagtest, sehe ich keine Möglichkeit mehr, den Verladebahnhof in die Hand zu bekommen. Du bist ein wirklicher Narr. Jim Hardin hat dich geschlagen. Dein letzter Trumpf, dieser Northern, ist nicht mehr im Spiel. Reb, ich treibe die Herde um die Stadt herum und suche mir einen anderen Absatzmarkt. Ich bin kein Narr, der sich an einer verlorenen Sache versucht. Reb, wir sind hiermit fertig mit einander.« Emmet Skullman sagt es kalt und mitleidlos. Und Reb Jordan erschauert und richtet seinen Colt auf ihn. »Du Feigling«, keucht er. »Ich will meine Stadt zurückhaben. Wager ist meine Stadt, Wager gehört mir! Nur dieser Jim Hardin steht uns im Weg. Emmet, du wirst mir helfen! Du musst es tun!« »Ich weiß genau, Reb, was gut oder schlecht für meine Sache ist«, sagt Skullman scharf. »Dein letzter Trumpf, dieser Stag Northern, der uns den Bahnhof in die Hand spielen sollte, ist nicht mehr am Leben. Wenn wir jetzt wirklich in die Stadt ritten, um uns Jim Hardin vorzuknöpfen, würde ich nichts dabei 249
gewinnen. Ich wollte eine Verlademöglichkeit. Und zum Teufel mit deiner Stadt. Man hat dich wie einen Köter weggejagt. Wir sind fertig, Jordan!« Reb Jordans Daumen legt den Hammer des Colts zurück. »Skullman, du wirst dein Versprechen halten, oder ich töte dich hier auf der Stelle!« Er hat kaum ausgesprochen, als Emmet Skullman sich zur Seite wirft und über den Boden rollt. Jordan drückt in wilder Wut ab und fehlt. Dann bekommt er eine Kugel aus Tip Bannisters Colt in die Seite, denn Skullmans Vormann griff sofort ein. Reb Jordan fällt auf die Knie und schießt nochmals auf Skullman. Er trifft ihn, bekommt jetzt jedoch auch von Skullman eine Kugel in den Leib. Aber Jordan hält sich immer noch in kniender Stellung aufrecht. Er schwankt unter dem Einschlag einer dritten Kugel, die Tip Bannister fluchend in ihn hineinschickt. Und er richtet seinen Colt auf Bannister. Die Waffe schwankt und zittert in seiner Hand. Aber er drückt ab und trifft Bannister im selben Moment, als dieser nochmals den Colt abfeuert. Und dann ist es still im Camp. Der Mann, der aus Wager gekommen ist, beugt sich nieder und untersucht Jordan. Dann geht er zu Emmet Skullman und endlich zu Tip Bannister. 250
Und als er sich dem Kreis der erstarrten Männer zuwendet, sagt er spröde: »Sie sind alle tot – alle drei. Das ist wohl nun das Ende dieser Sache, nicht wahr? He, Pat! Mike! Wir nehmen uns eine kleine Herde von dreihundert Tieren und machen uns selbstständig. Dieser Jim Hardin und diese Stadt Wager sind in einer Glückssträhne. Leute, der große Job bei Emmet Skullman ist verdammt klein geworden.« Die Nachrichten kommen einen Tag später nach Wager – denn in diesem Land bleibt nichts verborgen. Im Herdencamp der großen Rustlerherde ist zu viel geschehen, als dass es hätte verborgen bleiben können. Und es waren zu viele Männer dabei, die die Herde unter sich aufteilten und in verschiedene Richtungen abtrieben. Nur Reb Jordans Leute gingen leer aus. Und weil auch sie das Land verließen, unterwegs einkehrten und um Essen baten, oder Bekannte trafen, sprach es sich im Laufe eines Tages herum. Jim Hardin und Bill Sullivan hören es in ihrem Office von einem Siedler, der einige Männer zum Mittagessen bewirtete und von diesen alles hörte – sozusagen als Dank für das Essen. Als der Siedler das Office verlässt, sehen sich Jim und Bill an. 251
Dann erhebt sich Jim, tritt zu Bill und legt ihm die Hand auf die Schulter. »Bill«, sagt er, »ich gehe jetzt zu Jenny und sage ihr, dass wir schon morgen nach Texas reisen. Ich bin fertig hier. Du kannst dich mit Tom Drake in Verbindung setzen und ihm mitteilen, dass er zurückkommen kann. Es hat sich alles geklärt und ist ausgekämpft. Und du wirst dieser Stadt ein guter Marshal sein. Du bist wieder ein richtiger Mann geworden. Ich mag dich verdammt gern, Bill. Dave Rimrock wird den Verladebahnhof leiten, bis Tom Drake von sich hören lässt. Und ihr werdet überhaupt alles in Ordnung bringen, nicht wahr?« »Yeah«, murmelt Bill Sullivan und erhebt sich. »Musst du mit Jenny wirklich unbedingt nach Texas zurück?« »Ich habe dort eine kleine Pferderanch mit vielen Fohlen.« Jim grinst und geht zur Tür. »Fohlen sind wie Kinder. Und ich wünsche mir auch Kinder. In Texas wird Jenny alles vergessen. Dort ist es gut für uns. Besuche uns mal, Bill!« Er geht hinaus und mit langen Schritten den Gehsteig entlang. Als er in den Store tritt, sortiert Jennifer gerade Knöpfe. Er lächelt sie an und sagt: »Morgen fahren wir nach Texas, Mädel.« 252
Ihr ernstes Gesicht verändert sich. Es beginnt sich zu verändern wie ein grauer Tag, wenn plötzlich die Sonne aus den Wolken kommt. »Und wo heiratest du mich, Jim?«, fragt sie. Der deutet mit dem Daumen auf Pat Saunder, der aus dem Büroraum tritt. »Da ist der Richter. Er wird uns heute noch trauen. Und den Segen lassen wir uns in Fort Laramie vom Pater geben. Ist es so richtig?« »Ja«, sagt sie und kommt um den Ladentisch herum. »Ja, nimm mich mit nach Texas, Jim Hardin.« ENDE
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