Seewölfe 353 1
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Seewölfe 353 1
John Curtis 1.
Ben Brighton wischte sich den Schweiß von der Stirn und stieß einen ellenlangen Fluch aus. Das war bei ihm reichlich ungewöhnlich und trug ihm auch sofort einen erstaunten Blick des Seewolfs ein. „He, Ben, was ist denn in dich gefahren?“ fragte Hasard seinen sonst so ruhigen, beherrschten Ersten Offizier. Wieder wischte sich Ben Brighton über die Stirn. Es herrschte eine geradezu bestialische Hitze hier unten am Südzipfel Floridas. Daran änderte auch die handige Brise nichts, die die Segel der „Isabella IX.“ füllte. „Wir waren am Kap der Stürme und im Reich der Mitte, wir haben die heulenden eisigen Stürme des Nordens erlebt und die ausweglose Hitze im Sargassomeer, als wir im Tang festsaßen. Aber das hier ist die Hölle. Riechst du nicht diesen verdammten Pesthauch, den uns der Wind aus den Sümpfen herüberweht?“ fragte er und fuhr sich mit der Hand zum dritten Mal über die Stirn, auf der der Schweiß in dicken Tropfen stand. Der Seewolf schwieg. Er blickte nach Steuerbord, wo eben Shark Point aus dem Dunst auftauchte, der über der See lag und die Konturen verschwimmen ließ. Dann nickte er, denn Ben Brighton hatte recht. Es war ein ganz eigentümlicher Geruch, den der ablandige Wind zur „Isabella“ hinübertrug. Es roch nach Moder und Fäulnis, nach Fieber und Tod. Irgendetwas in seinem Innern signalisierte dem Seewolf Gefahr und riet ihm davon ab, in die Ponce de Leon Bay einzulaufen. Diese verdammte Quelle, von der Little Ross berichtet hatte, war das wahrscheinlich gar nicht wert Gesundbrunnen hin, ewige Jugend her. Wenn Old O'Flynn an diesen haarsträubenden Unsinn glaubte, dann war das seine Sache. Er, der Seewolf, hielt das alles für eine Legende, bestenfalls. Und der Teufel mochte wissen, was sie an Land noch alles erwartete. Florida war ein gefährliches Fleckchen Erde.
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Aber da war auch die Tatsache, daß die Wasservorräte der „Isabella“ zur Neige gingen und diese verdammte Quelle Abhilfe schaffen konnte. Nein, schaffen mußte! Hasard wurde in seinen Gedanken unterbrochen. „Es ist sinnlos, Sir“, hörte er Ben Brighton sagen, „bei diesem ablandigen Wind den Versuch zu unternehmen, in die Bucht zu segeln. Das schaffen wir wegen der vielen Inseln nicht. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als irgendwo hier vorn in der Bucht zu ankern.“ Der Seewolf riß sich aus seinen Gedanken. „Stimmt, Ben, segeln können wir nicht. Nicht bei diesem Wind, denn zum Kreuzen bleibt nicht genügend Raum. Aber hier vorn, von See her ohne weiteres zu sehen, können wir ebenfalls nicht liegen bleiben. Wir werden noch ein Stück weitersegeln und mit dem nächsten Schlag dann so weit wie möglich in die Bucht eindringen. Mit unseren Booten schleppen wir die ,Isabella' dann hinter eine Insel, die uns zumindest Deckung nach außen gibt.“ Ben starrte den Seewolf an. Dann überzog plötzlich ein Grinsen sein Gesicht, das die Sonne stark gebräunt hatte. „Na, das wird für die Jungs aber ein reines Vergnügen werden. Sicher hast du vor, ihnen diese Hiobsbotschaft selbst zu überbringen, oder?“ Der Seewolf nickte. „Werde ich, Ben“, sagte er nur und fixierte gleichzeitig die Küste um Shark Point, die sich mehr und mehr aus dem Dunst schälte, aber den gleichen trostlosen Anblick bot wie alles andere, was sie hier sahen. Natürlich wußte der Seewolf, daß er bei seinen Männern keine Begeisterungsstürme ernten würde, denn das Schleppen der „Isabella“ mit den Booten war bei dieser wahnsinnigen Hitze eine Knochenarbeit. Aber das half alles nichts, sie mußten vorsichtig sein nach allem, was geschehen war. Hasard trat an die Schmuckbalustrade, die das Achterdeck abgrenzte. Auch ihm lief der Schweiß nur so am Körper herunter,
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und wieder hüllte eine Wolke von Modergeruch und Fäulnisgestank die „Isabella“ ein. Er warf einen Blick auf die Segel, dann einen weiteren in die Bucht und zur Küste. „Klar zum Halsen!“ befahl er dann. Sofort ertönte vom Deck Carberrys Donnerstimme. „Klar zum Halsen!“ brüllte er. „O ihr lahmärschigen Takelläuse, ihr geteerten und gefederten Bilgenratten, ihr quergestreiften Affenärsche, bewegt euch! Hurtig, hurtig, oder ich werde euch Beine machen!“ Das Gebrüll Carberrys gehörte zum Bordleben der „Isabella“, und schon lange dachte keiner der Seewölfe mehr daran, das ernst zu nehmen. Aber es war wie das Salz in der Suppe – ohne Carberry und seine nie versiegenden Sprücheklopfereien hätte auf der „Isabella“ alles nur halb so gut funktioniert. Die Männer stürzten an Brassen und Schoten, während Pete Ballie, der Rudergänger, in die Speichen des Ruderrades griff. Die Oberkörper der Männer waren nackt und ebenfalls schweißüberströmt. Die „Isabella“ schwang herum, ging auf Südostkurs und gewann so die Einfahrt in die Ponce de Leon Bay. * Drei Tage zuvor, aber in einer Entfernung von etwas mehr als dreihundert Meilen, ereignete sich um dieselbe Tageszeit etwas, was für die „Isabella“ und die Seewölfe noch Folgen haben sollte. Der Ort des Geschehens war die Ponce de Inlet, etwa zwölf Meilen südlich von Daytona. Um Mardengo, den Piraten, scharrte sich nur noch ein kleines Häuflein seiner einstigen Schnapphähne. Es waren diejenigen, die die Niederlage gegen die Spanier mehr oder minder unbeschadet überlebt hatten. Die anderen hatten entweder den Tod gefunden oder waren in Gefangenschaft geraten. Letzteren drohte ein schlimmes Schicksal, denn auf sie wartete entweder die Folter, oder man
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schickte sie als Arbeitssklaven in die Kupfer- beziehungsweise Silberminen der südamerikanischen Besitzungen der Spanier. Und auch dort war ihnen dann keine lange Lebensspanne mehr beschieden, sondern ein qualvolles, grauenhaftes Ende. Mardengo wußte das alles, und wenn ihm das Schicksal seiner Spießgesellen auch ziemlich gleichgültig war, so doch nicht die Tatsache, daß seine einst so bedrohliche Streitmacht nunmehr fast zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft war. In Mardengo tobte der Zorn. Denn dies alles hatte er den Spaniern, vor allem aber jenem schwarzhaarigen Bastard zu verdanken, der allmählich zu einem Alptraum für ihn zu werden begann. Doch Mardengo war nicht der Mann, der schnell aufgab. Sein Haß trieb ihn weiter. Er wollte Rache, er wollte den Seewolf, und er hatte seinen Plan nicht aufgegeben, sich zum Herrscher Floridas aufzuschwingen und die dortigen Indianerstämme als seine Sklaven einzusetzen. „Wir brauchen ein Boot, Gato!“ stieß Mardengo hervor und sah seinen Unterführer an, der ebenfalls wie durch ein Wunder überlebt hatte. „Wir müssen fort von hier, ich will diesem verfluchten schwarzhaarigen Bastard folgen. Das Kanu, das wir gefunden haben, stammt von den Timucuas. Offenbar hat er welche von diesen Indianern an Bord. Das Krankenlager, das wir gefunden haben, deutet jedenfalls darauf hin. Vielleicht will er zu den Timucuas wenn das aber so ist, dann weiß ich auch, wo ich ihn zu suchen habe.“ Gato, Kreole wie Mardengo, blickte seinen Anführer an. Seine dunklen, wilden Augen loderten vor Haß. Trotzdem beherrschte er sich. „Gut“, sagte er, „vielleicht finden wir diesen Bastard wirklich. Aber was dann? Willst du ihn etwa mit diesem traurigen Haufen angreifen?“ Gato vollführte eine Handbewegung, die die restlichen Überlebenden der einstigen Streitmacht der Piraten einschloß. Das Häuflein lagerte
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unweit von den beiden Anführern und harrte mürrisch der Dinge, die kommen würden. Mardengo funkelte seinen Unterführer an. Er war größer als Gato und ihm geistig auch überlegen, wenngleich Gato keineswegs dumm war. „Laß das meine Sorge sein. Ich habe schon andere Situationen gemeistert. Wo Stärke fehlt, hilft List, das solltest du eigentlich wissen, denn du kennst mich lange genug. Wir brauchen ein Boot, das Kanu ist hinüber und für uns alle zu klein. Wir sollten versuchen, ob wir nicht eins unserer Beiboote finden und wieder flottmachen können. Vorwärts, hoch mit den Kerlen dahinten! Ich habe gesehen, daß eins der Boote unserer ,Grinthian` abgetrieben ist, bevor die ,Grinthian' sank. Wenn die Spanier es nicht mitgenommen haben, dann steckt es hier noch irgendwo in der Bucht. Wir müssen es finden, denn die Dons haben sich garantiert nicht um ein treibendes Boot gekümmert.“ Gato sprang auf. „Verdammt“, sagte er, „du hast recht. Auch ich erinnere mich daran. Ich meine aber, daß das Boot beschädigt war - wir werden sehen!“ Er scheuchte die träge herumliegenden Piraten, die immer wieder nach den Moskitos schlugen, hoch. „Los, ausschwärmen. Sucht das Boot, das sich beim Untergang der ,Grinthian` vom Schiff gelöst hat. Ich habe gesehen, daß es durch die Bucht getrieben ist. Wenn mich nicht alles täuscht, dann liegt es irgendwo da drüben!“ Er deutete über die Bucht. „Vorwärts, bewegt euch!“ Gato trieb die Männer an, und einen, der sich nicht schnell genug aufrappelte, trat er in den Hintern, was der Pirat mit einem wilden Fluch quittierte. Aber Gato kümmerte das nicht, Mardengo und er teilten das Häuflein in zwei Gruppen, dann rückten sie ab. Mardengo nahm sich das Westufer der Bucht vor, während sich Gato und seine Männer mühsam den Weg zum wesentlich weiter entfernten Ostufer der Bucht bahnten, wo
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nur noch eine schmale Landzunge die Ponce de Leon Inlet vom offenen Meer trennte. Gato und seine Männer entdeckten das Boot zwei Stunden später. Es steckte zwischen den Schlingpflanzen des Ufers. und sogar Riemen nebst dem Mast für das Segel und sogar das Segel selbst befanden sich an Bord. Gato sprang ins Boot. Er konnte nicht glauben, was er sah. Warum befanden sich Riemen, Mast und Segel im Boot? Und wie war es nahezu unbeschädigt vorn sinkenden Schiff freigekommen? Gato stand im Boot und rührte sich nicht. Erst nach und nach begriff er, daß wahrscheinlich eine Gruppe von Piraten versucht hatte, sich mit diesem Boot von der „Grinthian“ abzusetzen, als klar wurde, daß die totale Niederlage unabwendbar war. Gato spürte, wie der Zorn in ihm aufwallte. Aber wieder beherrschte er sich. „Gut“, sagte er schließlich leise. „Hoffentlich haben die Spanier diese feigen Hunde erwischt oder getötet. Das spart mir die Arbeit. Und das Boot, bei allen Teufeln der Hölle, das können wir brauchen. Mardengo wird die Augen aufreißen!“ Er drehte sich seinen Männern zu. „Steht nicht so dämlich rum. An Bord mit euch, hoch mit dem Segel und dann an die Riemen. Wir haben e ne Zeit zu verlieren!“ Auch die Piraten brachen jetzt in wildes Gebrüll aus. Sie wateten durch das Wasser zum Boot hinüber d sprangen an Bord. Nur wenig später stand der Mast, dann wurde das Segel gesetzt. Der Wind, der über die schmale Landzunge in die Bucht einfiel, füllte es im Nu. Das Boot nahm Fahrt auf, und die Piraten beschleunigten sie noch, indem sie sich kräftig in die Riemen legten. Alle Müdigkeit und aller Mißmut waren von ihnen abgefallen. Sie hatten ein seetüchtiges Boot, sie konnten diese verfluchte Bucht verlassen. Für alles andere würde Mardengo sorgen. Zumindest konnten sie aber mit diesem Boot zu ihrem Versteck an der Westküste
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Floridas gelangen, das zu Fuß wegen der ausgedehnten Sümpfe nur unter allergrößten Strapazen zu erreichen gewesen wäre. Mardengo erging es nicht anders als Gato zuvor. Auch er starrte das Boot zunächst sprachlos an, aber dann begriff er, welchem Umstand er das Vorhandensein dieses nahezu unbeschädigten und komplett ausgerüsteten Boots zu verdanken hatte. Sein Gesicht lief vor Zorn knallrot an, seine Augen funkelten. „Diese Hunde!“ stieß er hervor. „Dieses Pack! Feige fliehen wollten sie. Sollte noch einer von diesen Bastarden leben und ich ihn erwischen, dann wird er einen Tod sterben, wie ihn noch nie zuvor jemand gestorben ist, so wahr ich Mardengo bin!“ Er atmete schwer. Doch nach und nach beruhigte er sich. „Wir haben ein Boot, Gato. Nur das zählt in diesem Moment. Warte, du schwarzhaariger Bastard, Mardengo wird dich finden! Dann werden wir sehen ob du auch weiterhin soviel Glück haben wirst!“ Mardengo watete an Bord, denn wegen der Lianen und Schlingpflanzen konnten sie das Boot nicht bis ans Ufer pullen. Die anderen Männer seiner Gruppe folgten ihm. Gleich darauf begannen die Männer wieder zu pullen, während Mardengo auf der Achterducht neben Gato Platz genommen hatte, der die Ruderpinne bediente. Mit Hilfe des Segels würden sie schneller und bequemer vorwärts gelangen. Mardengo ahnte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, daß sich die Dinge für ihn auf völlig unerwartete Weise zum Besseren wen- den sollten. * Der Wind blieb ihnen den ganzen Tag über günstig. Zwar plagten Mardengo und seine Leute sowohl der Durst als auch der Hunger, aber der Pirat steuerte das Land nicht an. Er wollte so schnell wie möglich den Südzipfel Floridas erreichen und
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umrunden, um zur Westküste der riesigen Halbinsel zu gelangen. Jedes Murren erstickte er im Keim, und als einer der Männer aufsässig zu werden begann, schlug er ihn auf der Ducht zusammen. „Den nächsten“, sagte er und hielt sein Entermesser in der Faust, „schlitze ich auf. Wann wir an Land pullen, bestimme ich, sonst niemand, klar?“ Die anderen duckten sich. Anschließend packte Mardengo den Bewußtlosen, hob ihn hoch, umklammerte eins seiner Fußgelenke und hängte ihn außenbords in die See. Der Mann kam rasch wieder zu sich, und Mardengo warf ihn ins Boot. „Noch einen Laut oder ein Wort, du Mistkerl“, sagte er, „und ich werfe deinen Kadaver den Haien vor!“ Er deutete nach hinten, wo seit wenigen Augenblicken eine Dreiecksflosse hinter dem Boot herschnitt. Der Pirat, dem das Wasser noch aus den Haaren lief, zuckte zusammen. Dann duckte er sich und griff wieder zu seinem Riemen. Mardengo fixierte ihn noch einen Moment, dann setzte er sich wieder neben seinen Unterführer Gato. Den ganzen Tag über wurde an Bord kaum ein Wort gesprochen. Mal pullten die Männer zusätzlich zum prall vom Wind gefüllten Segel, dann wieder ließ Mardengo sie ausruhen, um ihre Kräfte zu schonen. So wurde es Abend. Die Sonne versank hinter der flachen Küstenlinie Floridas. Plötzlich erstarrten die Männer mitten in ihrer Bewegung. Das war, als bereits erste Schleier der Dämmerung die herannahende Nacht ankündigten und der Mond schon als deutlich sichtbare Scheibe am Himmel stand. Sie hatten gerade eine kleine Bucht erreicht - und dort, am hinteren Ende dieser Bucht, nahe dem Ufer, lag stark nach Backbord gekrängt eine schmucke, wenn auch nicht sehr große Galeone. Ein Dreimaster, dem Mardengo auf den ersten Blick ansah, daß er sehr gute
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Segeleigenschaften haben mußte und auch recht ordentlich armiert war. Das bewiesen die gerade noch zu erkennenden Stückpforten in seinem Rumpf. „Weg mit dem Segel, hart Backbord, schnell!“ Diesmal begriffen die Männer sofort. Noch während Gato die Ruderpinne herumdrückte, holten andere das Segel ein, und die restlichen Piraten begannen zu pullen, als ginge es um ihr Leben. Mardengo beobachtete unterdessen die fremde Galeone. „Die haben ein Leck unter der Wasserlinie“, sagte er dann zu Gato. „Deshalb haben sie das Schiff mittels über Taljen laufenden Tauen, die irgendwo am Ufer verankert wurden, gekrängt. Diese Galeone holen wir uns! Wäre ja gelacht, wenn wir das nicht schaffen würden!“ Gato blickte ebenfalls zu der fremden Galeone hinüber. Mardengo hatte recht. Das war ihre Chance, so schnell würde sich ihnen eine ähnliche nicht mehr bieten. Aber sie mußten sich von Land her der Galeone nähern, denn die Kerle durften sie nicht bemerken. Sie mußten sie überraschen. „Das wird einer der Dons sein, dem wir eine verpaßt haben“, sagte Gato. „Aber wo sind die anderen? Die Galeone hat bestimmt zum spanischen Geschwader gehört.“ Genau das war die Frage, die Mardengo ebenfalls beschäftigte. In der Bucht befand sich kein weiteres Schiff. Mardengo kannte die Küste aber gut genug und wußte, daß es in der Nähe keine weitere Bucht gab, in der das spanische Geschwader hätte ankern können. Auf See draußen hatten sie jedoch ebenfalls keine einzige Mastspitze entdeckt. Nach einigem Überlegen sagte Mardengo: „Die haben den Kahn hier zurückgelassen, weil er mit seinem Leck nicht weitersegeln konnte. Wahrscheinlich soll er seine Schäden beheben und dann dem Verband folgen. Ich glaube, die Dons sind schon südwärts gesegelt, denn auch sie sind hinter dem schwarzhaarigen Bastard her, der Fort St. Augustine ausgeplündert hat.
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So und nicht anders wird es sein. Es bleibt dabei - wir holen uns diese Galeone.“ Das Boot hatte sich der Küste inzwischen so weit genähert, daß es von der Galeone aus nicht mehr gesehen werden konnte. „:Und wenn die Kerle uns vorhin merkt haben?“ fragte Gato. „Dann denken sie allenfalls an einen Fischer, der sich beim Anblick ihrer Galeone vor Angst eiligst in Sicherheit gebracht hat. Sie können gar nicht auf den Gedanken verfallen, daß ihnen von uns Gefahr droht. Ihre Galeone ist voll bemannt, und die Kerle sind bewaffnet. Vor was, zum Teufel, sollten sie sich also fürchten? Mich halten sie bestimmt für tot.“ Mardengo lachte, aber das Lachen klang rauh und böse. Ihm ging nämlich gleichzeitig durch den Kopf, wie er mit dieser spanischen Übermacht fertig werden sollte. Zu erklären, sie würden sich diese Galeone holen, war die eine Sache. Das dann aber auch zu vollbringen, die andere. Mardengo war Realist genug, um sich in dieser Hinsicht keinen Illusionen hinzugeben. Aber ihm würde schon noch einfallen, was zu tun war. 2. Die Piraten verbargen das Boot am Ufer sehr sorgfältig. Sie tarnten es unter den tief herabhängenden Lianen und Schlingpflanzen, so daß es auch von einem Vorüberkommenden nur durch Zufall entdeckt werden konnte. Das alles nahm einige Zeit in Anspruch, denn Mardengo achtete darauf, daß seine Männer ihre Arbeit sehr genau nach seinen Anweisungen erledigten. Und wo ihm etwas nicht gefiel, legte er selber mit Gato Hand an. Schließlich war das Boot verstaut. Mardengo versammelte sein Häuflein um sich. „Herhören!“ sagte er. „Wir werden uns jetzt zu der Galeone hinüberschleichen. Es wird unterwegs dorthin kein Wort gesprochen. Ihr versteckt euch im Uferdickicht, während Gato und ich
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auskundschaften, was an Bord der Galeone los ist. Nur auf meinen ausdrücklichen Befehl greift ihr ein. Wer sich nicht daran hält, der hat sein Leben verwirkt, und damit ist es mir ernst.“ Mardengo gab das Zeichen zum Aufbruch. Er unterdrückte die Verwünschungen und Flüche, die ihm über die Lippen wollten, wenn er daran dachte, daß keiner von ihnen eine Pistole oder Muskete hatte und sie lediglich auf ihre Fäuste und Entermesser angewiesen waren. Die Piraten hatten insofern einen Vorteil, als die Küste an dieser Stelle nicht sumpfig war. Zwar mußten sie sich den Weg durch dichte Vegetation bahnen - und auch dabei verfuhren sie so leise wie möglich -, aber sie versanken jedenfalls nicht bei jedem Schritt im Morast oder in den trügerischen Swamps, in denen schon so mancher auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Die Dunkelheit legte sich über See und Land, und Mardengo war das recht. Die Richtung, in der sie sich bewegen mußten, um zu jener Galeone zu gelangen, kannte er. Mardengo verfügte über ein ausgezeichnetes Orientierungsvermögen, es geschah nur sehr selten, daß er in die Irre ging. Es dunkelte rasch. Noch bevor der letzte Rest vorn Tageslicht erlosch, hörten sie plötzlich die lauten Stimmen der Spanier an Bord der Galeone. Mardengo gab mit der Hand das Zeichen zum Halten. Einen Moment lauschten sie den Stimmen, die durch das Uferdickicht zu ihnen drangen. Dann ging Mardengo vorsichtig weiter. Seine Männer folgten ihm. Wieder hatten die Piraten Glück. Eine Art Pfad führte zur Bucht. Wahrscheinlich wurde er von Eingeborenen benutzt, die dort möglicherweise fischen gingen. Sie folgten dem Pfad nur wenige Minuten, dann tauchten plötzlich die Umrisse der Galeone vor ihnen auf, zwar nur wie eine dunkle Silhouette, aber doch deutlich erkennbar. Mardengo blieb stehen und wies seine Männer an, sich im Vegetationsgürtel, der die Bucht umschloß, zu verstecken. Von
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den Mangroven stieg ein fauliger, unangenehmer Geruch auf. Mardengo dachte voller Sorge an die gefräßigen Alligatoren, die sich gern zwischen den Wurzeln der Mangroven versteckten und dort auf Beute lauerten. Denn daß er und Gato mindestens ein kurzes Stück schwimmen mußten, um zur Galeone zu gelangen, das stand fest. Wieder drangen die Stimmen der Spanier zu Mardengo und Gato hinüber. Irgendetwas an Bord des Schiffes stimmte nicht. Die Stimmen wirkten erregt, die Spanier debattierten lautstark und ohne Hemmungen. Mardengo und Gato konnten davon, ausgehen, daß die Dons mit keinerlei Feinden im weiten Umkreis rechneten. Das bezog sich natürlich auch auf die Eingeborenen. „Vorwärts, ich will wissen, was da an Bord los ist. Hast du ein Zeichen mit den Männern verabredet?“ fragte Mardengo. Gato nickte, und gleich darauf glitten die beiden Männer ins Wasser der Bucht. Sie brauchten nicht weit zu schwimmen. Nach knapp hundert Yards befanden sie sich bereits bei der so dicht wie möglich ans Ufer verholten Galeone. Sie hielten sich am Ruder fest und schöpften erst einmal Atem. Mardengo zog sich anschließend am Ruder hoch, nachdem er den Stimmen an Bord noch einmal gelauscht hatte. Aber .er hatte nichts verstehen können, weil sich das Palaver auf dem Hauptdeck abspielte. Sorgfältig prüfte er die weiteren Aufstiegsmöglichkeiten. Dann erstarrte er plötzlich mitten in der Bewegung und bedeutete dem hinter ihm befindlichen Gato, sich ebenfalls still zu verhalten. „Holt diese verfluchten Gefangenen!“ vernahm er eine spanische Stimme. „Die Kerle sollen reden, oder sie werden ihr blaues Wunder erleben. Holt den Profos und den Foltermeister, mit diesem Piratenpack .wird kurzer Prozeß gemacht!“ Piratenpack! Mardengo klang das wie Musik in den Ohren. Ausgerechnet diese Galeone hatte einige seiner Männer als Gefangene an Bord!
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Mardengo beugte sich zu Gato hinunter. „Hast du das gehört?“ fragte er im Flüsterton. „Die haben von uns welche an Bord, eine andere Möglichkeit gibt es nicht, denn den schwarzhaarigen Bastard können sie noch nicht eingeholt haben.“ Gato nickte. „Das trifft sich gut“, flüsterte er zurück. „Ich weiß zwar nicht, was diese Dreckskerle aus den Unserer, herauspressen wollen, aber das ist ja auch ...“ Wieder vernahmen sie die spanische Stimme. „Es ist doch ganz klar, daß diese Kerle irgendwie mit diesem schwarzhaarigen Teufel gemeinsame Sache betrieben haben. Der Kerl ist getürmt, und die wissen auch genau, wohin.“ „Senor Capitan, wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben“, sagte ein anderer Spanier. „Ja, Senor Ortega, was gibt es?“ „Ich habe gesehen, daß die Piraten und jenes andere Schiff aufeinander geschossen haben, und kann mir nicht vorstellen, daß sie gemeinsame Sache machen ...“ „Ach was! Das scheint mir gar nicht so sicher. Denken Sie mal daran was in Fort St. Augustine geschehen ist. Ich habe lange darüber nachgedacht. Die Kerle haben uns an der Nase herumgeführt, wir werden das aber jetzt sofort klären.“ „Senor Capitan, ich ...“ „Zum Teufel, was ist denn noch, Senor Ortega?“ Die Stimme des Capitans klang sehr ungnädig. „Ich meine, wir sind erst sehr spät zum Verband gestoßen. Wir haben den Kampf um Fort St. Augustine weder miterlebt, noch waren wir Augenzeuge von irgendeinem Gefecht, das damit in Zusammenhang steht, ausgenommen das Gefecht in der Ponce de Leon Inlet. Ich neige eher zu der Ansicht, daß dieser schwarzhaarige Teufel mit der großen, schnellen Galeone und die Piraten Feinde sind, daß sie ...“ „Das wäre mir auch egal. Ich will das herausfinden, um Gewißheit zu haben. Außerdem will ich wissen, wo sich der
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Schlupfwinkel der Piraten befindet. Solche Piratennester werden ausgeräuchert, und das werde ich unter Umständen persönlich tun. Unser Schiff ist nicht sehr groß, aber dafür schnell, wendig und außerordentlich gut bewaffnet. Kein Wort jetzt mehr, Senor Ortega. Für überflüssiges Gerede ist keine Zeit, denn morgen werden wir die Reparatur an unserem Leck abschließen, dann segeln wir.“ Mardengo und Gato hielten den Atem an. Also stimmte ihre Annahme. Da waren sie ja gerade noch zur rechten Zeit angelangt, um die Folterungen zu verhindern. Erfuhren die Spanier die Lage ihres geheimen Verstecks dann war es um sie noch schlechter bestellt als ohnehin. „Gato, hol die anderen! Aber seid leise, verdammt noch mal. Wir werden uns diesen Senor Capitan und diesen Ortega, der sicher einer seiner Offiziere ist, schnappen. Dann sehen wir weiter, aber der Augenblick ist mehr als günstig. Wenn die Folterungen beginnen, werden auch die Wachen nicht mehr sehr aufmerksam sein. Ich sage dir, diese Galeone gehört uns!“ Gato sah das Funkeln in den Augen Mardengos selbst durch die herrschende Dunkelheit. Und er gab Mardengo recht.Günstiger hätten sie es gar nicht treffen können. Die Überraschung lag auf ihrer Seite, das mußten sie ausnutzen. Gato hatte schon eine Menge Folterungen und derartige Verhöre erlebt. Er wußte, daß dann alles dorthin starren würde und im Geschrei der Gefolterten alle anderen Geräusche, die sie hätten verraten können, untergehen würden. „Beeile dich, Gato, ich werde hier auf euch warten.“ Gato hörte diese Worte Mardengos noch, bevor er wieder ins Wasser der Bucht glitt und sofort tauchte. Er wollte auch eine rein zufällige Entdeckung vermeiden. * Geschrei, Gefluche und Gepolter an Deck verrieten dem im Dunkeln lauernden Mardengo, daß die Spanier wirklich keine Zeit verloren. Einmal, als einer der Piraten
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wild zu fluchen begann, erkannte er sogar die Stimme des Mannes. „Das war El Fuego“, murmelte er und sah diesen riesigen Kerl vor sich, der nahezu jeden mit der bloßen Faust zu erschlagen vermochte. Gut, daß El Fuego noch lebt, solche Männer kann ich brauchen, dachte Mardengo. Er erkannte noch einige der Stimmen, dann rief Gato ihn leise an, und seine Worte gingen in dem Lärm, der jetzt an Bord der Galeone herrschte, unter. Aber Mardengo hörte sie. Er gab Gato ein Zeichen, zu ihm heraufzuklettern, und wenige Augenblicke später befand sich sein Unterführer bei ihm. Er' hatte sich ein Tau um die Schultern geschlungen. „Das wird es uns erleichtern, an Bord zu gelangen“, sagte er, und ein böses Grinsen huschte über seine harten Züge. Mardengo nickte. Gato dachte immer an alles. Er war ein Mann, auf den er sich in jeder Lage verlassen konnte. „Gib her, Gato. Ich klettere jetzt bis zur Heckgalerie hoch. Dort befestige ich das Tau, ihr folgt dann nach. Aber kein Geräusch, ist das klar?“ „Klar, Mardengo!“ Gato glitt wieder zu den Männern zurück, die sich alle unter dem Heck der Galeone versammelt hatten und am Ruderblatt wie eine Traube von Menschenleibern hingen. Auch von der Heckgalerie waren sie dort nicht zu sehen, selbst wenn es einer Wache einfallen sollte, von dort einen Blick ins Wasser hinunter zu werfen. Denn das Heck hing oben viel zu weit über. Mardengo hatte nur wenig Mühe, sich am Ruderschaft hochzuziehen. Er erreichte die Heckgalerie, stieg über die Reling und verharrte einen Moment völlig bewegungslos. Aber nichts rührte sich. Vom Hauptdeck drangen jetzt wüstes Gefluche und lautes Geschrei zu ihm herüber. Die Spanier schienen tatsächlich nicht lange zu fackeln. Mardengo befestigte das Tau, prüfte noch einmal den festen Sitz, dann gab er Gato, der ihn gegen den Nachthimmel sehr gut zu sehen vermochte, ein Zeichen.
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Gato enterte, als erster auf, die Männer folgten ihm. Jeder klomm geräuschlos wie eine Schlange an dem Seil hoch, bis sich alle auf der Heckgalerie befanden, die Entermesser oder Schiffshauer in den harten Fäusten. Sie gingen unter den Fenstern des Achterkastells in die Hocke, so daß man sie auch von drinnen nicht zufällig erblicken konnte. „Los, Gato, wir sehen uns jetzt die Kapitänskammer an. Wenn dort niemand ist, schauen wir weiter. Wir müssen uns diesen Senor Capitan schnappen, dann haben wir gewonnen. Ist die Kapitänskammer leer, steigen auch die Männer ein, und wir bemächtigen uns der Pulverkammer. Damit befindet sich das Schiff in unserer Gewalt, und wir können die Bedingungen diktieren.“ Gato nickte grinsend. Ja, das war Mardengo. Der schreckte vor nichts zurück, und fast immer entwickelte er sagenhaftes Glück. Mardengo versuchte, die Tür, die auf die Heckgalerie hinausführte, aufzuziehen, aber sie war verschlossen. Einen Moment überlegte er, dann huschte er zu einem der Fenster, und diesmal hatte er Glück. Es war nur zugezogen worden, aber nicht verriegelt. Mardengo drückte es auf und stieg ein. In der Kapitänskammer war es stockdunkel, Mardengo mußte sich seinen Weg ertasten, denn er durfte nichts umstoßen. Das Gepolter konnte ihn verraten. Gleich darauf schlüpfte auch Gato in die Kammer. Die beiden Männer lauschten. „Niemand hier“, flüsterte Mardengo schließlich. Er tastete sich im Finstern weiter, bis er zu der Tür gelangte, die auf die Heckgalerie führte. Behutsam schob er den schweren Riegel zurück und zog sie dann ganz langsam auf. Ein leichtes Knarren der Scharniere ließ ihn noch langsamer vorgehen. Dann winkte er seine Spießgesellen in die Kapitänskammer. Im Licht der mondhellen Nacht konnten sich die Piraten jetzt besser orientieren.
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„Ihr wartet hier. Gato und ich sehen uns draußen im Achterkastell um. Wahrscheinlich befindet sich dort niemand, weil alle an Deck sind. Wir besetzen, wenn es irgend geht, die Pulverkammer, dann haben die Dons verspielt“, flüsterte er. Gleich darauf verließen Mardengo und Gato die Kapitänskammer. Wieder hatten sie Glück. Auch im Gang, der von der Kapitänskammer zum Hauptdeck oder zum Quarterdeck hinausführte, befand sich keine Menschenseele. Wohl aber wurde der Gang vom spärlichen Licht einer Schiffslaterne erhellt. „Dort entlang“, flüsterte Mardengo. Sie huschten durch den Gang, blieben aber plötzlich wie angewurzelt stehen, denn vor der dicken Bohlentür die zur Pulverkammer führte, sahen sie einen spanischen Seesoldaten, der dort mit geladener Muskete Wache hielt. Mardengo verbiß sich einen Fluch und drückte sich noch tiefer in den Schatten, um von dem Seesoldaten nicht bemerkt zu werden. Gato handelte jedoch schneller, als sein Anführer die neue Situation zu überdenken vermochte. Eine blitzschnelle Bewegung seines rechten Arms und sein Entermesser flog auf den Soldaten zu. Es funkelte nur einmal im Licht der Schiffslaterne auf, dann bohrte es sich genau ins Herz des Seesoldaten. Der Mann stand einen Moment wie starr, dann brach er in die Knie. Seine Lippen öffneten sich, ein kurzes Röcheln drang aus seinem Mund, aber da war Gato auch schon über ihm und hielt die Muskete fest, um zu verhindern, daß sich beim Aufschlag auf den Boden vielleicht noch ein Schuß löste. Mardengo war ebenfalls zur Stelle. „Gut gemacht, Gato“, flüsterte er anerkennend. „Mal sehen, ob der Kerl auch den Schlüssel zur Pulverkammer bei sich hat.“ Er durchsuchte den Soldaten - und richtig, er fand den schweren Eisenschlüssel nach
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wenigen Augenblicken. Er war mit einer Kette am Gürtel des Seesoldaten befestigt. „Diese Narren!“ sagte Mardengo. „Noch leichter konnten sie uns das alles nicht machen. Los, hol jetzt zwei Mann her, die anderen sollen sich im Gang verbergen hinter der Biegung, wohin das Licht der Laterne nicht reicht.“ Gato huschte fort, während Mardengo die Pulverkammer aufschloß und die Tür öffnete. Ein Grinsen huschte über seine Züge, als er sah, daß sie fast bis zur Decke mit Pulver, Kanonenkugeln und Musketen gefüllt war. Rasch hatte er eine Anzahl von Musketen ergriffen und in den Gang geschafft, dazu Pulverhörner, Musketenkugeln und alles, was sonst noch dazugehörte. Er winkte seinen Männern zu, gab die Waffen aus und grinste Gato an. „Ich habe dir gesagt, daß die Galeone uns gehört, und ich hatte recht ...“ In diesem Moment drang ein gedämpfter, aber dennoch entsetzlicher Schrei zu ihnen durch. Nicht einmal das schwere, seefeste Schott, das das Achterkastell zum Deck hin sicherte, vermochte diesen Schrei zu ersticken. „Diese Hunde, sie haben damit begonnen, unsere Kameraden zu foltern!“ stieß Mardengo hervor. „Das werden sie mir büßen. Es wird kein Pardon gegeben. Zwei Mann in die Pulverkammer, die anderen mir nach!“ Mardengo hatte sich seinen Plan zurechtgelegt, und er wußte, daß er Erfolg haben würde. Sein Angriff würde zu überraschend über die Spanier hereinbrechen, und seine Männer, Gato und er eingeschlossen, waren hervorragend bewaffnet. Denn die Pulverkammer der Galeone stellte zugleich auch das Waffenarsenal dar, wie auf kleineren Schiffen üblich. Die Männer folgten Mardengo und Gato, die bereits durch den Gang in Richtung Achterdeck stürmten. Ihre Gesichter hatten sich vor Haß ver-. zerrt, denn eben drang wieder einer dieser entsetzlichen Schreie bis zu ihnen ins Achterkastell.
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Don Helder Avarez stand breitbeinig an der Schmuckbalustrade, die das Achterdeck zum Hauptdeck hin abgrenzte. Auf dem Hauptdeck waren Seesoldaten aufmarschiert, die Gewehr bei Fuß einen Halbkreis um eine Gruppe gefangener Piraten bildeten. Alle Piraten waren gefesselt, und ihre Gesichter waren gezeichnet. Man sah ihnen an, daß die Spanier sie verdammt hart angefaßt hatten. Einer der Piraten, ein riesiger Kerl mit Muskeln aus Eisen, war auf eine Gräting geschnallt worden. Vor ihm standen die drei Folterknechte, die eben ihre Folterwerkzeuge herrichteten: Daumenschrauben, spanische Schuhe, glühende Eisen, die in einem Feuer steckten, das, von Holzkohle genährt, in einer kupfernen Pfanne loderte. Außerdem waren da etliche Zangen, Peitschen und auch ein Streckbett, das eben von einigen Spaniern herangeschleppt wurde. Don Helder Avarez, der Kapitän Seiner spanischen Majestät Kriegsgaleone „San Carmelo“, deutete auf das Streckbett. „Ich rate dir, endlich zu reden, Kerl!“ sagte er. „Mit dem Streckbett haben wir bisher noch jeden zum Sprechen gebracht. Sieh es dir an, du Piratenhund! Wenn wir deine Arme und Beine in die Seile hängen und dich über die Seiltrommeln in die Länge ziehen, wirst du jaulen und brüllen, daß sogar die Alligatoren vor Schreck ersaufen. Aber dann ist es zu spät. Also zum letzten Male: Wer ist dieser schwarzhaarige Bastard mit der schnellen großen Galeone? Wo befindet sich euer Schlupfwinkel?“ Senor Ortega, der Erste Offizier der „San Carmelo“, schloß die Augen. Er konnte diese Menschenquälereien nicht mit ansehen, ihm wurde immer speiübel dabei. Seinem Kapitän hingegen schien das Foltern besonderes Vergnügen zu bereiten. Der riesige Pirat, kein anderer als der von Mardengo bereits erwähnte El Fuego, schwieg. Sein Körper war schweißbedeckt. Auf der Brust trug er zwei große Brandmale, die die glühenden Eisen hinterlassen hatten, welche die
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Folterknechte ihm auf Geheiß des spanischen Kapitäns auf die Haut gedrückt hatten. El Fuego schwieg, kein Laut drang über seine Lippen, und das ließ Don Helder Avarez rasend werden. Mit ein paar Schritten eilte er den Steuerbordniedergang hinunter, stürzte sich auf El Fuego und schlug ihm die Fäuste ins Gesicht, was eigentlich eher lächerlich wirkte, denn Capitan Don Helder Avarez wirkte gegen den riesigen El Fuego wie ein Zwerg. El Fuego spie ihm ins Gesicht. Das brachte das ohnehin bereits randvolle Faß endgültig zum Überlaufen. Weil die „San Carmelo“ beim Gefecht in der Ponce de Leon Inlet gegen Mardengos Einmaster einen Treffer unter der Wasserlinie erhalten hatte und aus dem Verband des Don Augusto Medina Lorca ausscheren müssen, um in dieser Bucht das Leck abzudichten, war die Laune ohnehin schon zum Teufel. Denn jetzt war es ihm unmöglich, an der Jagd auf den schwarzhaarigen Bastard teilzunehmen. Er konnte sich im Kampf gegen diesen unheimlichen Feind also nicht auszeichnen, wie das seine Absicht gewesen war. Sein Schiff, das schnellste des Verbandes, hatte nämlich als Fühlungshalter dienen sollen. Das war der Grund, warum der Capitan jetzt sein Mütchen an den Piraten kühlte. Er musste sich abreagieren, und die Gefangenen boten sich dazu an. Don Helder Avarez erstarrte, als ihn der Speichel El Fuegos mitten ins Gesicht traf. Er rang nach Atem, denn das war ein so unerhörter Vorgang, wie er ihn noch nie in seinem bisherigen Dasein erlebt hatte. Dann überschwemmte ihn eine Woge blutroten Zorns. „Auf das Streckbett mit ihm!“ kreischte er wie von Sinnen. „Er soll spüren, was es bedeutet, Don Helder Avarez ins Gesicht zu spucken! Packt ihn!“ Die Folterknechte stürzten herbei. Im Nu hatten sie den riesigen El Fuego losgebunden und wollten ihn aufs Streckbett werfen, aber sie waren zu unvorsichtig.
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El Fuego, der ohnehin wusste, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, entwickelte geradezu barbarische Kräfte. Die drei Folterknechte flogen nach allen Seiten auseinander. Einer prallte auf die gefesselten Piraten, der andere krachte gegen den Hauptmast und sank dort an Deck, der dritte raste dem Schanzkleid entgegen und verschwand mit einem geradezu tierischen Schrei im Wasser der Bucht. El Fuego registrierte das .alles nicht. Er warf sich herum. Für ihn existierte nur ein einziger Gegner: Don Helder Avarez, sein Peiniger. Mit einem Satz war er bei dem zu Tode erschrockenen Capitan. Ein furchtbarer Hieb, ausgeführt mit beiden Fäusten zugleich, schmetterte den Capitan auf die Planken. El Fuego bückte sich, packte den Capitan und schleuderte ihn in hohem Bogen mitten zwischen die Seesoldaten, die eben aus ihrer Schreckensstarre erwachten und die Musketen hochreißen wollten. El Fuego ließ ihnen keine Zeit, er warf sich mit einem wahren Panthersatz auf sie, entriß einem die Muskete, richtete sie auf den nahezu bewußtlosen Capitan und drückte ab. Donnernd löste sich der Schuß. Er löschte das Leben des Don Helder Avarez auf der Stelle aus. Aber der Schuß hatte noch weitere Folgen. Die Seesoldaten, denen El Fuego jetzt den Kolben der schweren Muskete um die Ohren hieb, wichen entsetzt zurück. Sie trauten ihren Augen nicht mehr, als sich in diesem Moment das Schott zum Achterdeck öffnete und eine wilde Horde gut bewaffneter Männer an Deck stürzte, die unter fürchterlichem Gebrüll zu feuern begann und dann auf die Besatzung der „San Carmelo“ mit Musketen, Entermessern und Schiffshauern einschlug. El Fuego begriff die Situation augenblicklich. „Mardengo!“ brüllte er. „Es ist Mardengo!“ Er bückte sich, entriß einem Bewußtlosen das Entermesser, durchtrennte dem ihm am
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nächsten stehenden Piraten die Fesseln, warf ihm das Entermesser zu und stürzte sich von neuem ins Kampfgetümmel. Es dauerte nur Minuten, bis alle Piraten frei waren. Dann begann ein blutiges Gemetzel an Bord der „San Carmelo”. Senor Ortega, der aus seiner Pistole auf die Piraten feuerte, starb Sekunden später, durchbohrt vom Entermesser Gatos, der den Niedergang hinaufgestürmt war. Er starb fast gleichzeitig mit den anderen Offizieren, die nicht rasch genug reagierten und von denen zwei sogar so nachlässig gewesen waren, nicht einmal eine Waffe bei sich zu führen. Der Kampf tobte weiter. Die Piraten drängten die zahlenmäßig immer noch überlegene Besatzung der „San Carmelo“ bis zum Vorkastell zurück. Sie verloren dabei ihre Bewegungsfähigkeit, weil die Piraten Mardengos sie dichter und dichter zusammentrieben, fast wie eine Schafherde, die zur Schlachtbank geführt wird. Die Seeleute und Seesoldaten bemerkten nicht, daß sich an Backbord längst ein Trupp von Piraten an ihnen vorbei aufs Vorkastell geschlichen hatte. Diese Männer fielen ihnen jetzt in den Rücken. Musketen knatterten, Flüche und Gebrüll ertönten und vermischten sich mit den Todesschreien von Seesoldaten, Seeleuten und Piraten. Die sonst so stille Bucht, in der die „San Carmelo“ stark nach Backbord gekrängt lag, hallte wider vom Geschrei der Kämpfenden und Sterbenden. Wer sich ergeben wollte, starb trotzdem. Mardengo, Gato und El Fuego hausten an Bord der „San Carmelo“ wie reißende Bestien - und dann war alles vorbei. Plötzlich herrschte wieder Ruhe auf dem Schiff. Mardengo, noch immer das Entermesser in der Faust, richtete sich aus seiner geduckten Haltung auf. Seine Augen funkelten, als er auf El Fuego zutrat und ihm auf die Schulter hieb. „Ich weiß nicht, ob wir es ohne dich geschafft hätten, El Fuego. Aber jetzt gehört diese Galeone uns. Vorwärts, werft die Toten über Bord. Anschließend gehen
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wir an die Arbeit. Das Leck wird noch heute nacht abgedichtet, morgen früh ist das Schiff segelfertig. Wie wir die Spanier geschlagen und uns an ihnen gerächt haben, so soll es auch dem schwarzhaarigen Bastard ergehen, der uns unsere schon gewonnenen Schätze wieder geraubt hat. Dieser verfluchte feige Hund hat uns mit den Spaniern in Fort St. Augustine erst kämpfen lassen, dann uns hinterhältig überfallen und uns um alles betrogen, was wir mit Blut und vielen Toten bereits errungen hatten. Er soll zur Hölle fahren, so wahr ich Mardengo heiße!“ Gebrüll brandete über die Decks der „San Carmelo“. Die Piraten schwangen im Schein der reichlich an Deck vorhandenen Schiffslaternen ihre Waffen und tanzten vor Begeisterung auf den blutigen Planken herum. Es war wie eine Szene aus der Hölle. Mardengo verschaffte sich wieder mit einer Handbewegung Ruhe. „Gato wird für jeden jetzt ein Quart Rum ausgeben. Mehr geht nicht, wir haben noch viel Arbeit. Auf uns warten die Schätze und die Rache an dem schwarzhaarigen Bastard. Auf uns wartet sein großes, schnelles Schiff, mit dem wir für alle Zeiten unbesiegbar und die Herren der Meere sein werden. Aber wir werden anschließend eine Siegesfeier veranstalten, wie sie noch nie zuvor gefeiert wurde. Ich verspreche euch Weiber, Rum und Bier, soviel ihr wollt, die Feier wird drei Tage und drei Nächte dauern. Den schwarzen Bastard aber und seine Kerle werden wir langsam zu Tode foltern, das verspreche ich euch, ich, Mardengo. Jeder, der in unsere Hände fällt, wird sein Leben winseln, aber es wird nichts helfen!“ Wieder brandete wildes Gebrüll über die Decks der Galeone. Dann packten die Piraten zu, und die Toten flogen über Bord. Da spielte es keine Rolle, ob es sich um getötete Spanier oder um ihre eigenen Toten handelte. Danach begann ein hektischer Betrieb an Bord der „San Carmelo“. Der Schiffszimmermann der „Grinthian“ fand alles, was er zum Abdichten des schon gut
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vorbereiteten Lecks brauchte. Am nächsten Morgen, eine Stunde nach Sonnenaufgang, verließ die „San Carmelo` mit ihrer neuen Besatzung von Piraten, Schnapphähnen und Halsabschneidern die Bucht. Mardengo ließ Kurs Süd steuern. Er würde die Südspitze Floridas auf dem kürzesten Wege runden. Er kannte sich aus, der schwarzhaarige Bastard nicht, das wußte er. Und so würde er Zeit gewinnen, der Vorsprung des verhaßten Feindes würde mehr und mehr zusammenschrumpfen die Stunde der Abrechnung nicht mehr fern. 3. Als der Anker der „Isabella“ endlich fiel und die Ankertrosse ausrauschte, sackten die Seewölfe in den beiden Booten, mit denen sie die große Galeone tiefer und tiefer in die Ponce de Leon Bay geschleppt hatten, über ihren Riemen zusammen. Ihre Körper waren schweißbedeckt, ihre Herzen jagten, und die gepeinigten Lungen pumpten Luft. Es war die schlimmste Arbeit gewesen, die sie je verrichtet hatten, denn die „Isabella“ hatte gegen eine harte Strömung geschleppt werden müssen. Hinzu gesellten sich diese verfluchte, feuchte Schwüle und die Myriaden von Moskitos, die die schweißtriefenden Seewölfe dabei umschwirrten. Der Seewolf wußte, was seine Männer geleistet hatten. Keiner hatte sich ausgeschlossen. Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Old Shane, Batuti, die beiden O'Flynns und etliche andere hatten sogar zwei Schichten hintereinander gepullt, um anderen die Gelegenheit zu geben, ein bißchen zu verschnaufen. Und sie alle waren von der Anstrengung gezeichnet bis auf eine Ausnahme: Ed Carberry. Diesem Monstrum von Mann schien nichts, absolut gar nichts etwas anhaben zu können. Selbst Hasard begriff das nicht mehr. Es war geradezu unheimlich, welche Kraftreserven in diesem klotzigen Kerl steckten.
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Jetzt richtete er sich gerade auf und wandte sich zur „Isabella“ um. Seine Blicke glitten über das Schiff. „He, Kutscher, Mac, ihr lausigen Kombüsenkakerlaken, ihr rußgeschwängerten Kaminwanzen, wollt ihr eure verdammten Stelzen nicht endlich in Bewegung setzen und dafür sorgen, daß die Kerls was zu trinken kriegen? Hurtig, hurtig - oder der alte Carberry nimmt eure stinkende Kombüse auseinander, daß der Rauch aufgeht!“ Hasard hörte das - und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn er heute daran dachte, wie er diesen Klotz von einem Profos kennen gelernt hatte, wie sie sich beide die Kinnladen verrenkt und fast die Schädel eingeschlagen hatten, dann konnte er das kaum noch begreifen. Das war damals gewesen, als Kapitän Drake ihn, den noch jungen Mann, von einer Preßgang auf sein Schiff hatte schaffen lassen. Mein Gott, wie lange war das eigentlich schon her, und was alles war inzwischen geschehen? Der Seewolf wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn ein zorniger Kutscher und ein ebenso aufgebraßter Mac Pellew erschienen am Schanzkleid. Sie schleppten ein großes Faß mit sich und stellten es an Deck ab. Dann stemmte der Kutscher die Arme in die Seiten und warf Carberry ein derartig mißbilligenden Blick zu, daß es sogar dem Seewolf die Sprache verschlug. „Mister Carberry“, sagte der Kutscher, „wem es an der nötigen Bildung gebricht, der ergeht sich leicht in vulgären Platitüden. Aber ich sag dir, daß bei dir selbst Doc Freemont machtlos wäre, denn deinem Gehirn fehlen eben ein paar Windungen, die auch durch die größte ärztliche Kunst nicht in deinen Schädel hineinzupraktizieren sind!“ Natürlich hatten sich die anderen Seewölfe längst wieder aufgerichtet und lauschten dem ergötzlichen Disput zwischen dem Kutscher und dem Profos, bei dem Carberry fast regelmäßig den kürzeren zog. Carberry starrte den Kutscher an. Seine Brauen hatten sich drohend zusammengeschoben.
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„Plati ... was, zum Teufel, sind das, in denen ich mich ergehe? Du elender Kombüsenstint, du lausiger Knochenflicker, dir klopfe ich deine Vornehmheit auch noch mal aus den Kleidern, wenn du nicht bald ...“ Carberry unterbrach seine Strafpredigt überrascht, denn der Kutscher hatte ihn mit einem Stimmaufwand, den man ihm nie zugetraut hätte; einfach unterbrochen. „Also gut, damit du mich besser verstehst, Mister Carberry: Wenn du was zu saufen haben willst, dann bewege deinen dicken Hintern endlich an Bord, statt wie eine plattgeklopfte Qualle im Boot herumzuhocken und dummes Zeug zu reden. Oder glaubst du, Mac und ich hieven euch das Faß erst noch ins Boot?“ Der Kutscher winkte Mac Pellew, der Carberry ebenfalls vorwurfsvoll angestarrt hatte. Mac drehte sich um und folgte dem durchaus würdevollen und unnachahmlichen Abgang des Kutschers von der Bühne. . Der Seewolf konnte nicht anders, er lachte lauthals los. Diese beiden Kampfhähne waren wirklich unvergleichlich. Neben ihm tauchten die beiden Zwillinge auf, und auch sie bogen sich vor Lachen. „Plattgeklopfte Qualle!“ gluckste Philip und provozierte damit, daß der Profos ihm seine Aufmerksamkeit zuwandte. „Aha, dir kommt das alles sehr spaßig vor, was, wie?“ fragte er sauer. „Dem können wir abhelfen! Ihr beiden werdet die Boote reinigen, bis sie blitzblank sind, ist das klar? Und wenn das nicht hinhaut, dann habt ihr beide hinterher plattgeklopfte Hintern, ist das auch klar?“ Die Zwillinge verschwanden wie der Blitz. Irgendwo kreischte Sir John, der Bordpapagei der „Isabella“, in der Takelage, und auch Arwenack, der Schimpanse, begann zu keckern. Sofort stimmte Plymmie, die Bordhündin, in das allgemeine Konzert ein. Carberry brummelte etwas vor sich hin. Dann fuhr er die Seewölfe an, die sich in seinem Boot befanden. „Ho, ihr verdammten Lahmärsche, pullt endlich bei der ‚Isabella` längsseits! Eine
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ägyptische Königsmumie ist gegen mich ein nasser Sack, so ausgetrocknet ist meine Kehle. Also - wie wär's, wenn ihr euch ein wenig Bewegung verschafft, was, wie?“ Carberrys Stimme grollte über das Wasser der Bucht, und sie war gleichzeitig auch das Signal für das andere Boot, das Ferris Tucker kommandiert hatte. Kurze Zeit später wurden die beiden Boote an Steuerbord der „Isabella“ vertäut, und die Seewölfe enterten an Deck. Gierig stürzten sie sich auf das erfrischende Getränk, das der Kutscher aus Wasser und Apfelessig, vermischt mit Fruchtsäften, für sie zubereitet hatte. Der Seewolf hatte den Ankerplatz der „Isabella“ gut gewählt. Sie lag schräg hinter einer Insel, deren Vegetation genügend Deckung gegen Sicht von See her bot. Gleichzeitig schlug die Strömung, die aus dem Innern der Bucht in die See hinausdrückte, einen Bogen um die Insel. Wahrscheinlich gab es weiter hinten einen Fluß, der seine Wasser in die Ponce de Leon Bay ergoß. Das hatte zur Folge, daß sich die „Isabella“ leicht wieder ins offene Wasser dirigieren lassen würde, sobald man den Anker lichtete. Jedenfalls ging der Seewolf von dieser Annahme aus, aber er übersah dabei, dass er die Tücken der Ponce de Leon Bay doch nicht richtig einschätzte. Er sollte das jedoch noch zu einem Zeitpunkt erfahren, wie er ungünstiger für die Seewölfe gar nicht sein konnte. An diesem Abend jedenfalls war Crew der „Isabella“ so erschöpft, dass Hasard und Ben Brighton die ersten beiden Wachen übernahmen und die Männer schon bald in tiefen Schlaf versanken. Für den nächsten Morgen hatte der Seewolf die Expedition zu der geheimnisvollen Quelle angesetzt, und an diesem Plan wollte er festhalten. Über der Ponce de Leon Bay stand ein silberner Mond und warf sein Licht auf das dunkle Wasser der Bucht. Der Seewolf blickte nachdenklich zu der dichten Vegetation hinüber, die die „Isabella“ überall dort, wo die Bucht endete, umgab. Gegen Mitternacht erschienen Tamao und
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Asiaga, die beiden Timucua, an Deck. Dem Mädchen ging es schon wieder wesentlich besser, und es erholte sich rasch. Der Seewolf winkte die beiden zu sich heran. Tamao zögerte, aber dann faßte er Asiaga bei der Hand und zog sie kurzerhand hinter sich her, als er zum Achterdeck aufenterte. Die beiden Timucua-Indianer blickten den Seewolf und Ben Brighton fragend, wenn auch ein wenig scheu an. Der Seewolf lächelte ihnen zu und setzte sich, um der Begegnung etwas von der Strenge zu nehmen, auf eine Taurolle, die sauber aufgeschossen neben der Steuerbordnagelbank an Deck lag. „Es ist gut, Tamao, daß ihr beide noch einmal an Deck geentert seid. Ihr wißt, daß ich morgen nach der Quelle suchen will, von der Little Ross uns berichtet hat.“ Little Ross, das war in Wirklichkeit ein wahrer Bulle von Mann, den der Seewolf als einzigen Überlebenden vom Wrack der „Atlantic Rose“, einer großen dreimastigen Galeone, gerettet und an Bord der „Isabella“ genommen hatte. Little Ross war der Bootsmann dieses Schiffes gewesen. Wenn sie auch an Bord zunächst geglaubt hatten, daß er zwar wahre Schauergeschichten zu erzählen verstand, es aber mit der Wahrheit nicht so genau nahm, dann hatte sich dieses Bild inzwischen sehr zu seinen Gunsten gewandelt - ganz davon abgesehen, daß er sich als hervorragender Seemann erwiesen hatte, der sich gut ins Bordleben der „Isabella“-Crew einzupassen verstand. Der Seewolf lächelte den beiden erneut zu, und er bemerkte zu seiner Freude, wie auch Asiaga, das hübsche TimucuaMädchen, die Braut Tamaos, die Scheu allmählich verlor. „Ich möchte mit euch gern noch einmal über jene Quelle sprechen und dich, Tamao, bitten, uns morgen zu begleiten. Du kennst von uns allen das Land hier am besten. Ich könnte mir vorstellen, daß es gar nicht so ungefährlich ist, weiter in die Bucht zu rudern und dann zu Fuß an Land vorzudringen. Wie seht ihr beide das?“
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Tamao blickte den Seewolf an. Er sprach und verstand leidlich Spanisch, denn sein Stamm hatte oft genug, zum Leidwesen der Timucua-Indianer, mit Spaniern zu tun gehabt. „Nein, ist nicht ungefährlich. In diesem Gebiet leben die Seminolen“, erwiderte er nach einigem Nachdenken. „Aber nicht nur hier - sie ziehen herum. Niemand weiß jemals genau, wo sie sind. Aber sie sind sehr kriegerisch und auch sehr mutig. Sie hassen die Weißen, weil sie von ihnen betrogen worden sind, besonders von den Spaniern. Wenn wir an Land gehen, werden wir sehr vorsichtig sein müssen.“ Asiaga nickte, und sie sah Tamao angstvoll an, aber der Junge zog sie an sich und streichelte sie, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Asiaga war an und für sich gar nicht ängstlich, aber die eben erst überstandene Krankheit, die sie an den Rand des Todes gebracht hatte, hatte sie sehr geschwächt. „Glaubst du wirklich, Tamao, daß diese Quelle, von der Little Ross erzählte und deren Lage er den Aufzeichnungen seines Kapitäns entnommen haben will, wirklich existiert?“ Tamao nickte. „Auch die Alten meines Volkes haben oft von dieser Quelle gesprochen. Und auch sie behaupten, daß sie über geheime Heilkräfte verfüge. Aber schon damals war es gefährlich, diese Quelle aufzusuchen, denn die Seminolen sahen das nicht gern, auch wenn sie sich gegen meinen Stamm nie direkt feindselig verhalten haben. Erst als die Spanier in dieses Land eindrangen und auch diese Gegend mit Krieg und Tod überzogen, ließen die Seminolen überhaupt keinen Fremden mehr in ihr Land.“ Der Seewolf sah Ben Brighton an. „Ben“, sagte er, „das klingt nicht gut. Aber wir brauchen diese Quelle, denn unsere Wasserfässer sind leer. Wäre das nicht, dann würde ich die ganze Sache jetzt noch abblasen. Was denkst du?“ Ben Brightons Wort hatte an Bord der „Isabella“ Gewicht. Er sprach nie viel, wenn er aber seine Meinung äußerte, dann hörte ihm jedermann aufmerksam zu, auch der Seewolf, der ja Ben Brighton mit am
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längsten überhaupt kannte und in ihm einen Freund hatte, wie er treuer und aufopferungsfähiger gar nicht sein konnte. Das hatte Ben Brighton oft genug unter Beweis gestellt. „Ich denke über die Sache genau wie du“, erwiderte Ben Brighton. „Aber wir können nicht mehr zurück. Nur sollten wir uns gut bewaffnen und nicht mit zu vielen Männern an Land gehen. Nur so viele, wie wir brauchen, um uns verteidigen zu können. Wir nehmen sofort Wasserfässer mit, Ferris soll die erforderlichen Tragegestelle zusammenzimmern. Wir wissen nicht genau, ob wir eine zweite Möglichkeit erhalten werden, denn es kann immerhin passieren, daß wir feindlich gesinnten Indianern begegnen.“ Der Seewolf nickte. „Wir werden es so machen. Du begleitest uns. Diesmal möchte ich dich dabeihaben. Old Shane übernimmt das Kommando an Bord. Außerdem begleiten uns Ed, Ferris, und Batuti, denn er kennt sich in solchen Urwäldern und Sumpfgebieten am besten aus, dann Dan, Smoky und Matt. Außerdem Tamao und Little Ross. Wir nehmen das große Boot. Aber wir fahren erst bei Sonnenaufgang. Einverstanden?“ „In Ordnung. Aber nimm statt Matt, der durch seine Prothese bei mancherlei Verrichtungen behindert ist, lieber meinen Bruder Roger mit. Er hat lange in diesen Breiten gelebt. Ich habe mich neulich mit unterhalten, er scheint sich hier recht gut auszukennen. Er läßt zwar nie richtig raus, wo er sich überall herumgetrieben hat, aber du kennst ihn ja.“ „Geht klar“, sagte der Seewolf. „Matt bleibt an Bord, dein Bruder kommt mit. So, da naht unsere Ablösung. Legen wir uns auch noch etwas aufs Ohr. Morgen steht uns ein harter Tag bevor. „Ed Carberry und Ferris Tucker enterten zum Achterdeck auf. Smoky und Luke Morgan übernahmen die Wache auf dem Hauptdeck; Stenmark und Blacky die Wache auf dem Vorschiff. „An Bord alles wohl, Ed“, sagte der Seewolf, „keine besonderen Vorkommisse.
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Ihr beiden seid morgen früh bei der Expedition zur Quelle dabei.“ Zusammen mit Ben Brighton verließ der Seewolf das Achterdeck. Tamao und Asiaga, denen er noch einen freundlichen Blick zugeworfen hatte, blieben dort. Sie schmiegten sich in die Taurolle und waren schon wenige Augenblicke später fest eingeschlafen. Carberry blieb vor den beiden stehen. Für einen Moment stiegen Jugenderinnerungen in ihm auf. Das Schiff seines Vaters - die Taurolle auf dem Hauptdeck, in der er so oft geschlafen hatte... Etwas recht Ungewöhnliches geschah. Der wuchtige Edwin Carberry beugte sich zu den beiden hinunter und fuhr erst dem Mädchen, dann Tamao mit seiner riesigen Pranke übers Haar. Ferris Tucker, der das zufällig bemerkte, traute seinen Augen nicht. Aber er sagte nichts. Er wußte längst, ein wie weiches Herz der bärbeißige Carberry unter seiner rauhen Schale verbarg. 4. Die erste Morgendämmerung fand die „Isabella IX.“ in hektischer Betriebsamkeit vor. Das große Beiboot wurde klargemacht, der kleine Trupp, der die Expedition zur Quelle durchführen sollte, überprüfte die Waffen. Der Seewolf erschien an Deck. Er trug in seinem Gürtel zwei zweischüssige Radschloßpistolen, kostbare Waffen, wie die reichen Verzierungen der Läufe und Kolben auswiesen. Auf seinen Degen hatte Hasard verzichtet, er würde ihm in dem unübersichtlichen Gelände nur hinderlich sein. Stattdessen trug er aber ein langes, schweres Entermesser an der rechten Seite wie die übrigen Männer auch. Batuti, der riesige Schwarze aus Gambia, grinste ihn an. „Nix schlimmes Urwald, kleines Fisch“, radebrechte er. Obwohl er die englische Sprache inzwischen gut beherrschte, stand er mit der Grammatik immer noch auf dem Kriegsfuß, und alle an Bord hatten sich
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längst an seine bisweilen skurrilen Sätze gewöhnt. Der Seewolf blieb vor ihm stehen. „Wie meinst du das, Batuti?“ fragte er. Wieder grinste der Schwarze, der seinen großen schweren Bogen und einen Köcher mit Pfeilen bei sich trug. Mit dieser Waffe wußte er meisterhaft umzugehen. Sie hatte obendrein noch den Vorteil, daß sie fast lautlos arbeitete. „Einfach, sehr einfach“, antwortete er. „Zu Hause, in Batutis Heimat, Urwald dicht. Nix Schritt vorwärts, ohne Messer. Dschungel überall. Hier nix so, Sumpf, Moskitos - ja. Sonst nix viel. Batuti denkt, schnell bei Quelle sein, alle!“ Der Seewolf wiegte den Kopf. Ganz so einfach sah er die Sache nicht. Ihm ging durch den Kopf, was Tamao über die Seminolen gesagt hatte. Gut, sie hatten bisher noch keinen dieser Indianer bemerkt, aber was besagte das schon. Die würden sich hüten und sich der schwer bewaffneten „Isabella“ zeigen. Die Seminolen kannten garantiert die Stärke und die Wirkung von Schiffsgeschützen. Schließlich befanden sich die Spanier lange genug im Land. Aber an Land - da kannten sie sich bestens aus, wie leicht konnte es geschehen, daß sie ihm und seinem kleinen Trupp einen Hinterhalt legten... Weiter konnte Hasard seine Gedanken nicht ausspinnen, denn Carberrys Stimme schreckte ihn auf. „He, du aufgetakelter Meergeist, was, zum Teufel, soll diese verdammte Maskerade bedeuten?“ Hasard fuhr herum. Merkwürdig, er war heute morgen ziemlich nervös, ein Zustand, den er sonst gar nicht kannte. Der Geier mochte wissen, woran das lag. Old O'Flynn stelzte auf seinem Holzbein heran. Aber gütiger Gott im Himmel - wie sah er denn aus? Auf seinem Schädel saß ein geradezu fürchterlicher Schlapphut, Hasard hatte diesen Hut bei ihm noch nie gesehen. Quer über den Rücken geschnallt trug er eine Muskete, an seinem Gürtel zwei Entermesser, zusätzlich noch eine
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Pistole. Ein Pulverhorn und Kugelbeutel vervollständigten das Bild. Carberry starrte ihn mit offenem Mund an, und auch Hasard traute seinen Augen nicht. Der Alte wurde in letzter Zeit manchmal wirklich ein bißchen wunderlich. Carberrys Rechte fuhr hoch. Er hielt sie dem alten O'Flynn vor die Brust und stoppte ihn damit abrupt. Mit einem wilden Fluch blieb Old O'Flynn stehen und funkelte Carberry an. „Laß mich auf der Stelle durch, du abgewracktes Walroß!“ fauchte er. „Oder du lernst mich kennen!“ Die anderen der Gruppe brachen in wildes Gelächter aus, sie schoben sich dichter heran, und auch Hasard folgte ihnen, immer noch ein .wenig ratlos und konsterniert wegen der Kostümierung des Alten. „Walroß? Abgewracktes Walroß, was, wie?“ fragte Carberry und zog die Brauen drohend zusammen. „Du wirst mir jetzt auf der Stelle erklären, was dieser verdammte Mummenschanz zu bedeuten hat, oder ich dreh dir deinen Schlapphut zusammen, daß du hinterher wie ein indischer Nabob aussiehst, den man durch die Reuse gezogen hat!“ Wieder dröhnte Gelächter an Bord der „Isabella“ auf. Inzwischen hatten sich auch die Seewölfe eingefunden, die sowieso an Bord zurückbleiben sollten. Old O'Flynn stieß einen Wutschrei aus, denn Carberry hatte wirklich zugelangt, um ihm den Schlapphut vom Kopf zu reißen, aber Old O'Flynn war trotz seines Holzbeins blitzschnell zurückgewichen. Zu schnell allerdings, ohne darauf zu achten, daß sich genau hinter ihm die Pforte im Schanzkleid befand. Er trat ins Leere, ruderte wild mit den Armen in der Luft herum, und schon war er verschwunden. Ein wilder Fluch war an Deck zu hören, dann das Aufklatschen seines Körpers und gleich darauf nur noch ein lautes Gurgeln. Die Männer standen einen Moment wie erstarrt. Ferris Tucker begriff die Situation als erster.
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„Verdammt, der Alte säuft mitsamt seiner Muskete, den Pistolen und dem übrigen kram wie eine Katze ab. Der Kerl ist doch schwerer wie Blei….“ Ferris Tucker sprang, und fast im selben Moment warf ihm Batuti ein Tau hinterher. Auch der riesige Schiffszimmermann verschwand im Wasser der Bucht, während die anderen Seewölfe jetzt zum Schanzkleid stürzten. Das Schauspiel wollte sich keiner entgehen lassen. Es dauerte nur einen Augenblick, dann tauchte Ferris Tucker wieder auf. Den Alten hielt er am Genick wie eine Katze, in der anderen, mit der er die Schwimmbewegungen ausführte, hatte er den entsetzlichen Schlapphut. Blitzschnell wand er dem wild um sich schlagenden Old O’Flynn das Tau unter den Armen durch und verknotete es. „Aufhieven!“ befahl er, und Old O’Flynn wurde nahezu ruckartig hochgehievt. Ziemlich unsanft landete er auf dem Deck. Sofort bildete sich eine Wasserlache unter ihm. Das Wasser troff ihm nur so aus der Kleidung und lief auch aus dem Lauf der Muskete, die immer noch unverändert auf seinem Rücken hing. Old O’Flynn rappelte sich hoch. Ed Carberry half ihm dabei. „Ich sagte es doch, Alter: wie ein durch die Reuse gezogener indischer Nahob…“ Der Rest ging im dröhnenden Gelächter der anderen unter. Old O’Flynn spie einen Schwall Wasser aus. Dann warf er giftige Blicke um sich und humpelte auf seinem Holzbein wortlos davon. Sogar den gewaltigen Schlapphut, den Ferris Tucker über das Schanzkleid geworfen hatte, ließ er liegen. Carberry wollte eben nach diesem ihm völlig unbekannten Monstrum greifen, da sauste aus den Wanten ein Schatten nach unten. Wie der Blitz stürzte sich ein dunkles Etwas auf den Schlapphut, grabschte danach und war auch schon wieder verschwunden. Fast gleichzeitig erhob sich ein wildes Geschrei in der Takelage, und Sir John, der Bordpapagei, ließ einige seiner wildesten
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Flüche los, während er sich flatternd vorn Großmast auf den Besan verzog. In dieses Konzert fiel Plymmie, die Schäferhündin, ein. Es war zusammen mit dem Gekecker Arwenacks, des Schimpansen, der sich den riesigen Schlapphut jetzt über den Schädel gestülpt hatte und damit zum Fürchten aussah, ein ziemliches Höllenkonzert, das an Bord der „Isabella“ von einem Moment zum anderen ausbrach. Hinzu kam noch das Gelächter der Seewölfe. Die Zwillinge flitzten heran und griffen sich Plymmie. Carberry hingegen griff sich die Zwillinge. Er erwischte Philip und zupfte ihm das rechte Ohr lang, bis der Junge das Gesicht schmerzhaft verzog. „Stellt sofort das Gekläffe von Plymmie ab!“ brüllte er. „Und du, Arwenack, hörst mit deinem blöden Gekecker auf. Los, her mit dem Schlapphut!“ Zwar verstummte Arwenack, aber er zog sich lediglich zähnefletschend weiter nach oben in den Großmast zurück, umflattert von Sir John, der seinen ersten Schreck überwunden hatte und wieder in den Großmast zurückgeflogen war. Allmählich kehrte wieder Ruhe auf dem Schiff ein, und endlich gelang es dem Seewolf, sich Gehör zu verschaffen. Er schüttelte den Kopf. Irgendetwas ging nicht mit rechten Dingen zu an diesem Morgen. Auch das völlig wortlose Verschwinden des Alten von Bord paßte nicht in das übliche Konzept. Himmel, was hatte der Alte überhaupt gewollt? Offensichtlich hatte er an der Expedition zur „Wunderquelle“ teilnehmen wollen. Der Seewolf wußte, wie eifrig sich gerade der Alte immer wieder mit Little Ross über diese Quelle unterhalten hatte und über ihre legendären Wirkungen auf diejenigen, die von ihrem Wasser tranken oder gar in ihr badeten. Zwar glaubte der Seewolf von alledem kein Wort, denn er war alles andere als wundergläubig, aber bei Old O'Flynn war das anders, völlig anders sogar. Trotzdem er kannte den Alten. Der war jetzt eingeschnappt und nicht ansprechbar. Zu
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irgendwelchen Diskussionen blieb keine Zeit, denn sie mußten endlich aufbrechen, wenn sie die allergrößte Tageshitze vermeiden wollten. Der Seewolf entschloß sich schnell. „Vorwärts!“ befahl er. „Ins Boot. Du, Shane, kümmerst dich um Old O'Flynn. Wenn er nicht wieder stocksauer abgezogen wäre, hätte ich ihn mitgenommen. Sag ihm das. Aber du liebe Güte - in diesem entsetzlichen Aufzug habe ich den Alten noch nie gesehen. Vielleicht wollte er die Seminolen allein schon durch seinen Anblick vertreiben, weiß der Satan, was dem in den Kopf gefahren ist!“ Der Seewolf grinste jetzt ebenfalls und warf Dan O'Flynn einen raschen Blick zu, und der grinste auch. Sogar ein wenig zu impertinent, wie der Seewolf dachte. Dann gab er das Zeichen zum Ablegen, und die Seewölfe begannen zu pullen. Little Ross stand im Bug zusammen mit Tamao. Am Schanzkleid erschien Asiaga und blickte ihnen nach. Auch sie hatte mitgewollt, aber Tamao hatte es ihr abgeschlagen. Sanft, aber bestimmt, denn Asiaga war zwar wieder gesund, aber noch nicht kräftig genug für eine solche Strapaze. * Der Zwischenfall mit Old O'Flynn hatte aber recht unerfreuliche Folgen für die Seewölfe. Als das alles an Bord der „Isabella“ geschah, wurde die Galeone der Seewölfe aus acht Augenpaaren scharf beobachtet. Die Augen gehörten zu einem Trupp von Seminolen, der sich auf einem Pfad am Rande der Bucht auf dem Weg zum Lager befunden hatte. Von dem Lärm an Bord der „Isabella“ angelockt, hatten die Seminolen ihre Jagdbeute unter Bewachung eines Kriegers zurückgelassen und waren zum Ufer der Bucht geschlichen. Dort erblickten sie die vor Anker liegende „Isabella“, und sofort verfinsterten sich ihre dunklen Gesichter.
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Sie hatten mit weißen Männern schon eine Menge höchst übler Erfahrungen hinter sich und waren nicht gesonnen, überhaupt irgendeinen Weißen in ihrem Gebiet zu dulden. Der Anführer des Jagdtrupps bedeutete seinen Kriegern durch ein Handzeichen, sich weiterhin ruhig zu verhalten. Gleich darauf huschte er davon. Er hatte das Boot beobachtet, wie es von der „Isabella“ ablegte und dem Ufer zugepullt wurde. Er mußte unbedingt in Erfahrung bringen, wohin es wollte. Das aber konnte er von seiner gegenwärtigen Position aus nicht sehen, denn sowohl eine kleine, aber recht bucklige Insel als auch eine mit Bäumen und Büschen bestandene Landzunge versperrten ihm die Sicht. Wakantoo, der Bruder des mächtigen Seminolenhäuptlings Wakulla, bewegte sich rasch. Wakantoo, das bedeutete soviel wie „Der den Tod bringt“, wusste genau, wohin er sich wenden musste, um die die Fremden beobachten zu können, ohne selbst gesehen zu werden. Er hatte schon eine menge Weiße erlebt, mit ihnen gekämpft und auch etliche getötet, aber er unterschätzte ihre Feuerrohre nicht. Er wusste, dass sie den Tod über weite Entfernungen zu senden vermochten und jeder Waffe der Seminolen weit überlegen waren. Genauso wusste er, dass diese große Schiffe der Fremden den Tod brachten. Nein, Wakantoo würde nicht das geringste Risiko eingehen, bevor seine Stunde gekommen war. Jetzt war nur eins wichtig – sich über die Absichten der Fremden zu informieren und seinem Bruder, dem großen und unbesiegbaren Wakulla, Meldung zu erstatten. Wakantoo huschte weiter. Er bewegte sich wesentlich schneller als das Boot der Seewölfe. Nach wenigen Minuten erreichte er einen hohen von Lianen umwucherten Baum. Diesen Baum kannte er, er hatte schon oft dazu gedient, Fremde, die die Bucht mit ihren todbringenden Schiffen anliefen, zu beobachten. Diese Fremden waren sehr töricht, dachte Wakantoo nicht ohne Schadenfreude. Sie
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hätten sich nur still zu verhalten brauchen, und auch er hätte ihr Schiff nicht entdeckt. Wakantoo erkletterte den Baum. Er bewegte sich dabei so lautlos und so geschickt, dass von seinem dunkelhäutigen, muskulösen Körper nicht das geringste zu sehen war. Er achtete in jedem Augenblick seines Emporkletterns darauf, dass er sich stets bezogen auf die Position der Fremden, in Deckung befand. Dann hatte er jenen Ast erreicht, auf dem Lianen genügend Deckung boten, von dem aus er aber gleichzeitig trotzdem einen hervorragenden Überblick über die Bucht hatte. Wakantoo kauerte sich nieder und beobachtete aufmerksam, was die Fremden taten. Er brauchte nicht lange zu warten. Little Ross zeigte auf eine Stelle des Ufers, von der sich ein Pfad landeinwärts schlängelte. „Wenn die Unterlagen von Kapitän Fogg stimmen, dann ist das der Pfad, den wir gehen müssen, um zur Quelle zu gelangen. Sie liegt etwa eine halbe Meile landeinwärts.“ Hasard, der die Ruderpinne selber bediente, legte das Ruder nach Backbord. Dabei entfernte sich das Boot zwar von Wakantoo, aber das war dem Seminolen gerade recht. Die Seewölfe brauchten nur wenige Minuten, bis sie das Ufer erreicht hatten. Dann knirschte der Kiel auch schon auf den Strand, der sich in einem schmalen Streifen rechts und links des Pfades ein Stück an der Bucht entlangzog. Wakantoo beobachtete das alles aus scharfen Augen. Der Seewolf sprang an Land, dann wies er die Männer durch ein paar Worte an, auch gleich die mitgenommenen Wasserfässer aus dem Boot zu heben. Carberry und Ferris Tucker hoben die Fässer über den Dollbord, als wären sie Spielzeuge. Wakantoo sah das. Schon beim Anblick dieser beiden Riesen und des Seewolfs hatten seine Augen zu funkeln begonnen. Selten hatte er so große weiße Männer gesehen, denn die Spanier, mit denen
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Wakulla und seine Seminolen zumeist gekämpft hatten, waren von kleinerer Statur. Carberry und Tucker reichten jetzt auch die Tragegestelle aus dem Boot. Dann formierte sich der Trupp. Nur zwei Männer blieben als Wachen beim Boot zurück. Es waren Smoky und Roger Brighton. So hatte das Los entschieden. Sofort reifte in Wakantoo der Plan, sich diese beiden Männer zu holen. Aber er verwarf den Plan wieder. Zunächst mußte er Wakulla benachrichtigen. „Sie wollen zur Quelle“, sagte er. „Beim großen Manitou, ich muß mich beeilen. An der Quelle werden wir über sie herfallen!“ Wakantoo verließ den Baum, als Hasard mit seinem Trupp im Unterholz der Bucht verschwunden war. Behende glitt er über den großen Ast zurück, der weit in die Bucht ragte, und dann am Stamm hinunter. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis er seine wartenden Krieger erreicht hatte. Er informierte sie mit ein paar kurzen Sätzen. Dann warf er einen Blick zur ankernden „Isabella“ hinüber, aber dort war an Bord alles ruhig. Nur die Wachen, die über Deck patrouillierten, waren zu sehen. Wakantoo und seine Krieger brachen auf. Smoky und Roger Brighton ahnten nicht, wie knapp sie dem Tode entgangen waren und daß sie dies auch nur dem Umstand verdankten, daß Wakantoo trotz seiner Wildheit diszipliniert genug war, nicht eigenmächtig und ohne Zustimmung seines mächtigen Bruders zu handeln. Schließlich wußte Wakantoo, wie gefährlich so ein großes Schiff der Weißen sein konnte und wie gefährliche Gegner diese Männer waren. Er hatte sie genau beobachtet. Allerdings war ihm auch noch etwas aufgefallen: Sie benutzten eine andere Sprache als die verhaßten Spanier. Auch darüber wollte Wakantoo mit seinem Häuptlingsbruder erst sprechen. Die Seminolen beeilten sich. Ihre Jagdbeute hatten sie mitgenommen. Aber sie bewegten sich rasch und sicher durch die dichte Vegetation. Sie kannten jeden
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Pfad in der Umgebung der Ponce de Leon Bay. * Auch der Seewolf trieb seine Männer zur Eile an. Ihm war das Ganze nicht geheuer. Noch immer ging ihm nicht aus dem Kopf, was ihm Tamao über die Seminolen erzählt hatte. Der Seewolf war auch nicht der Mann, der sich Illusionen hingab. Sie brauchten dringend Trinkwasser, das stand fest. Dan O'Flynn, der neben ihm ging, der Pfad war an dieser Stelle breit genug und ließ das zu, blieb plötzlich stehen. Das Unterholz wich vor ihnen zurück, sie gerieten auf eine Art Lichtung, deren Boden aber mit dickem. hohem Sumpfgras bedeckt war. Weiter hinten stieg das Gelände an, bis sich der Pfad zu einer kegelförmigen Anhöhe hochschlängelte, über deren Kuppe ein nebelartiger Dunst hing. Dans scharfe Augen musterten das Unterholz, das sich bogenförmig um die große Lichtung herumzog, deren andere Seite aber von der Stelle, an der sie sich befanden, nicht zu sehen war. Er musterte die Kuppe, das Sumpfgras und dann wieder niedrige Büsche, die dort begannen, wo sich die kegelförmige Anhöhe aus dem Boden erhob. „Wenn es hier irgendwo Indianer gibt“, sagte er nach einer Weile, „die auf uns lauern, dann ist das hier der richtige Ort. Dort oben befindet sich die Quelle. Der neblige Dunst, der über der Kuppe des Kegels schwebt, verrät, daß es sich sogar um eine warme oder heiße Quelle handeln muß. Nicht gerade günstig, um die Wasserfässer damit zu füllen, denn solches Wasser ist zumeist schwefelhaltig.“ Ed Carberry drängte sich an Ferris Ticker vorbei, und er schob dabei auch Batuti zur Seite. „Dan hat recht, Sir“, sagte er. „Wir sollten auf der Hut sein, mir ist das zu still hier. Kein Vogel, auch sonst kein Tier, nichts. Und wir sollten uns beeilen, zu dieser verdammten Quelle zu marschieren, denn
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das Herumstehen hier bringt absolut nichts. Wenn die Kerle uns wirklich überfallen wollen, dann werden sie das tun.“ Hasard stimmt ihm zu. Little Ross starrte wie .hypnotisiert zu der nebligen Kuppe der kegelförmigen Erhebung und murmelte: „Die Aufzeichnungen des Kapitäns stimmen! Vielleicht stimmt dann auch alles andere!“ Er biß sich vor Erregung auf die Lippen und malte sich schon aus, wie es sein würde, wenn er in den Quellsee sprang und danach total verjüngt das Wasser wieder verließ. „Schade, daß der alte O'Flynn nicht dabei ist. Ich glaube, er war der einzige an Bord, der mir alles geglaubt hat!“ „Also los, vorwärts!“ befahl der Seewolf. Er zog eine seiner Radschloßpistolen aus dem Gürtel und spannte den Hahn. Auch die anderen Männer packten ihre Musketen fester, spannten ebenfalls die Hähne und hielten sie feuerbereit in Hüfthöhe. Dann setzte sich der kleine Trupp, der aus sechs Seewölfen, Tamao und Little Ross bestand, wieder in Bewegung. Ben Brighton bildete den Schluß des Zuges, er hatte die Aufgäbe übernommen, den anderen den Rücken freizuhalten. Tamao befand sich jetzt neben dem Seewolf. Zusammen mit Dan O'Flynn musterte er unablässig die Umgebung und achtete auf die geringste Bewegung in ihrem Umfeld. Dennoch bemerkte er sowenig etwas von der drohenden Gefahr wie Dan, obwohl dieser wahre Adleraugen hatte, die weit schärfer waren als die jedes anderen Menschen. * Wakantoo hatte keine Zeit verloren. Im Indianertrab waren sie zum Lager geeilt, das sich unweit der Bucht auf einer künstlich angelegten Lichtung befand. Die Jagdbeute übergaben sie den Frauen und Mädchen. Wakantoo eilte sofort zum Zelt seines Bruders, des großen Seminolenhäuptlings Wakulla. Der Häuptling war ein Hüne. Seinen muskulösen Oberkörper bedeckten eine
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Reihe von Tätowierungen. Sein blauschwarzes, langes Haar, das bis weit auf den Rücken hinunterfiel, verzierten die drei Federn eines Adlers, den er mit bloßen Händen am Horst besiegt hatte. So erforderten es die Sitten der Seminolen, und jeder Seminole wußte, wie stark, klug und tapfer ein Mann sein mußte, um einen Adler mit bloßen Händen in seinem eigenen Horst hoch oben in den Felsen der in weiter Ferne gelegenen Gebirgsmassive anzugreifen. Hinzu kam noch die Gefahr, die das Durchqueren der Gebiete fremder und oft auch feindlicher Stämme mit sich brachte. Aber Wakulla hatte alles das getan und auch überlebt - sein Volk respektierte und achtete ihn. Schweigend, nur durch eine Handbewegung, bot Wakulla seinem jüngeren und in noch vielerlei Hinsicht sehr ungestümen Bruder Platz an. Wakantoo ließ sich sofort nieder, indem er die Beine nach Indianerart übereinander schlug. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden Männern, denn Wakantoo mußte darauf warten, daß sein Bruder die erste Frage stellte. Wakulla ließ einige Minuten verstreichen. Ihm entging die Unruhe nicht, die Wakantoo erfüllte. Schließlich sah er ihn aus seinen dunklen Augen an. „Welche Botschaft bringt mein Bruder Wakantoo dem Häuptling der Seminolen?“ fragte er. Wakantoo verlor keine Sekunde. „Ein großes Schiff der Weißen ankert in der Bucht. Ein Trupp von ihnen ist an Land gegangen und befindet sich auf dem Weg zur heiligen Quelle, zwei Weiße bewachen das Boot. Ich wollte sie töten, aber dann hielt ich es für richtiger, erst mit dem Häuptling der Seminolen darüber zu sprechen.“ Wakullas Gesichtszüge hatten sich unmerklich gespannt. „Ein großes Schiff der weißen Männer?“ fragte er. „Ein solches mit vielen Kanonen? Konntest du jene Luken
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erkennen, hinter denen sie ihre Kanonen verbergen?“ Wakulla nannte die Geschütze eines Schiffes nicht mehr „Feuerspeier, die mit Blitz und Donner den Tod bringen“, sondern er kannte ihren richtigen Namen. Wakantoo nickte eifrig. „Ja, viele Kanonen. Wenn wir es angreifen, wird das viele Tote fordern.“ Wakulla dachte nach. Dann legte er seinem Bruder die Rechte schwer auf die Schulter. „Du tatest recht daran, die beiden Weißen, die das Boot bewachen, nicht zu töten. Wakulla, der Häuptling der Seminolen, wird die Fremden, die ungebeten in sein Land eindrangen, vertreiben oder vernichten. Aber das wird zu einem Zeitpunkt geschehen, zu dem sie nicht damit rechnen. Wir werden jetzt mit unseren Kriegern zu jener Quelle eilen. Die beiden Wächter am Boot bleiben vorerst am Leben. Dadurch jedoch wird der Untergang der anderen umso schneller erfolgen. Beschreibe mir jetzt genau, was du gesehen hast, Wakantoo. Genau, jede Einzelheit will ich wissen, dann werde ich dir sagen, was Wakulla plant.“ Wakantoo gab einen genauen Bericht. Er beschrieb die Ankerposition der „Isabella“ so genau, wie es besser keiner der Seewölfe gekonnt hätte. Er beschrieb auch die Stelle, an der das Beiboot mit den Seewölfen, Tamao und Little Ross gelandet war. Danach herrschte eine Weile Stille. „Hast du den Weißen auch Späher hinterhergeschickt, Wakantoo, damit sie uns über alle ihre Bewegungen unterrichten können?“ fragte Wakulla dann. „Zwei“, erwiderte Wakantoo. „Die besten Männer meines Trupps. ,Die Schlange' und ‚Adlerauge'. Sie werden die weißen Männer nicht aus den Augen lassen.“ „Sehr gut. Mein jüngerer Bruder hat sehr viel Umsicht bewiesen, Wakulla ist stolz auf ihn. Es ist gut, sein Ungestüm zu bezwingen und erst zu beraten, bevor man handelt. „Wieder versank Wakulla in tiefes Nachdenken, aber dann unterbrach
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Wakantoo seine Gedanken, denn ihm fiel eine Beobachtung und Wahrnehmung ein. „Mein älterer Bruder möge entschuldigen, daß Wakantoo seine Gedanken stört. Aber da ist noch etwas, was Wakulla, der Häuptling der Seminolen, wissen sollte.“ Wakulla hob den Kopf. „Sprich, Wakantoo, alles ist wichtig. Diese Fremden verfügen über Waffen, denen wir nicht viel entgegenzusetzen haben. Wir müssen die Stärke ihrer Waffen durch List und Tapferkeit ausgleichen. Daher ist es wichtig, alles zu wissen.“ Wakantoo nickte. „Bei den Fremden befand sich ein junger Indianer, ein Timucua. Und noch ein Mann, der offenbar nicht zu den Fremden gehörte, aber die Lage unserer Quelle kannte. Und die Fremden benutzten nicht die Sprache der Spanier, dieser Hunde, die unser Land überfielen, sondern eine andere, deren Laute Wakantoo weder verstanden noch jemals gehört hat. Auch das bunte Tuch am Schiff, das die Weißen Fahne nennen, war ein anderes als bei den Spaniern.“ Wakantoo schwieg, denn mehr wußte er nicht darüber. Wakulla sagte: „Das war wichtig, Wakantoo. Der Häuptling der Seminolen hat folgendes beschlossen ...“ Wakulla erklärte dem Bruder seinen Plan, und die Augen Wakantoos begannen zu funkeln. „Das ist gut, Wakulla“, sagte er. schließlich. „Das alles wird die Fremden verwirren und ihnen die klare Überlegung rauben. Dann, in der nächsten Nacht, werden wir das tun, was du soeben Wakantoo erklärt hast. Erlaube, daß Wakantoo diese Aufgabe übernimmt!“ Wakulla blickte den jüngeren Bruder lange an. „Eigentlich wollte ich selbst das tun, aber gut, Wakantoo, du hast Umsicht bewiesen, du wirst tun, wie ich gesagt habe.“ Wieder leuchteten die Augen des Jüngeren auf, doch Wakulla dämpfte seinen Eifer. „Du wirst sehr vorsichtig sein müssen. Diese Fremden sind keine unerfahrenen Krieger. Von einem, den wir gefangen
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nahmen, hörte ich, daß sie mit ihren Schiffen aus fernen Ländern kommen und auf dem großen Wasser, das der weise Manitou zwischen uns und ihre Länder legte, viele und schreckliche Gefahren zu bestehen haben. Und vergiß nicht, was vom Gelingen deines Einsatzes alles abhängt.“ Wakantoo nickte, und wieder blitzten seine Augen. „Der Häuptling der Seminolen kann sich auf Wakantoo verlassen. Die Fremden sind verloren, Wakantoo kennt die Bucht genau.“ Wakulla hatte sich erhoben und sagte: „Rufe unsere Krieger zusammen, wir brechen sofort zur heiligen Quelle auf!“ 5. Die Seewölfe hatten unterdessen den Fuß des Kegels erreicht. Sie reckten ihre Nasen in die Luft und schnupperten. Batuti brach das Schweigen auf seine drastische Weise. „Nix Pestilenz und Höllengestank“, sagte er, und damit meinte der Schwarze den Geruch nach Schwefel, von dem Dan gesprochen hatte. „Stimmt, Batuti. Schwefelhaltig ist diese Quelle nicht“, sagte der Seewolf, und irgendwie war er verwundert darüber. Denn heiße Quellen, das wußte er aus Erfahrung, beförderten fast immer auch Schwefel und andere Mineralien an die Oberfläche der Erde. „Vielleicht hat das alles doch seine Richtigkeit mit den besonderen Eigenschaften dieser Quelle“, meinte Ferris Tucker. „Wir hätten den alten O'Flynn mitnehmen sollen“, fügte er dann hinzu. „Der hätte spätestens jetzt alles ganz genau gewußt!“ Alle lachten, und sie dachten wieder an den urkomischen Aufzug des Alten. „Himmel“, murmeltet Carberry, „woher der bloß diesen entsetzlichen Schlapphut hatte!“ Ferris Tucker grinste den Profos an. „Ein Relikt von der ,Empress of Sea`, ganz bestimmt“, erwiderte er. „Wahrscheinlich
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wollte er ihn benutzen, um sich die erste Pütz von diesem Jungbrunnen zu schöpfen und einzuverleiben. Stell dir das bloß vor, Ed, wenn der Alte mit seinem Holzbein wieder wie ein Zwanzigjähriger an Deck herumhüpft und auch nur mit dem Verstand eines solchen ...“ Wieder lachten alle dröhnend, auch Dan, der Sproß des alten Donegal. „Ich weiß auch nicht, was mit ihm in der letzten Zeit los ist“, sagte er. „Mal will er eine Kneipe auf der Schlangen-Insel eröffnen, dann läßt er sich diesen Bären vom Jungbrunnen aufbinden. Und, verdammt noch mal, mit beidem ist es ihm ernst. Der redet für die nächsten Tage kein Wort mehr mit uns, so hast du ihn beleidigt, Ed!“ Carberry schluckte. Das waren wirklich nette Aussichten. Er kannte den Alten lange genug und wußte, daß der in der Lage war, die gesamte Stimmung an Bord zu vermiesen, wenn er das wollte. Erlebt hatte Carberry das schließlich oft genug. Daß der Alte sich aber nur mit giftigen Blicken, die selbst einen Walfisch töten konnten, zurückgezogen hatte. ohne weiter etwas zu sagen oder in eine seiner üblichen Schimpfkanonaden auszubrechen, das war wirklich ein schlimmes Zeichen. Carberrys Vermutungen sollten sich noch bestätigen, aber auf andere Weise, als er dachte. „Weiter, halten wir uns nicht unnötig auf!“ beendete die Stimme des Seewolfs die Diskussion. Die Männer warfen dem Seewolf einen Blick zu. Hasard war an diesem Tage anders als sonst. Ständig drängte er zur Eile, und in seinen eisblauen Augen lag ein Ausdruck, der ihnen nicht recht gefallen wollte. Aber sie hatten keine Zeit, sich mit derartigen Gedanken weiter zu beschäftigen, denn der Seewolf war bereits dabei, den Pfad, der zur Kuppe des Kegels und damit auch zur Quelle führte, zu ersteigen. Neben ihm befanden sich nunmehr Tamao und Little Ross, der es eilig hatte, die Wunderquelle in Augenschein zu nehmen.
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Der Pfad erwies sich als steiler und die Kuppe als höher, als es zunächst zu erkennen gewesen war. Carberry stieß manchen Fluch aus, und das nicht nur wegen der Hitze, die sich mehr und mehr wie eine Glocke über das gesamte Land legte, sondern auch wegen der verdammten Moskitos, die sie nunmehr in immer größerer Zahl zu umschwirren und zu piesacken begannen. Aber dann hatten sie die Quelle erreicht. Als erster blieb der Seewolf ruckartig stehen. Carberry, Ben Brighton, Ferris Tucker, Dan O'Flynn und Batuti schoben sich neben ihn. Auch Tamao und Little Ross starrten stumm in den zu einem kleinem Krater erweiterten Höllenschlund des Kegels. Dort unten sprudelte kein Wasser, sondern da wogte nur weißer Dampf. Sonst nichts. „Bei allen Meergeistern, Taifunen und Hurrikanen!“ fluchte Carberry. „Da sind wir diesem alten Kapitän aber ganz schön auf den Leim gegangen! Ja verdammt, der alte Donegal sollte jetzt hier sein, dann könnte er selber sehen, was für ein quergestreifter alter Affenarsch und Dummschwätzer er ist. Und du“, er wandte sich wutschnaubend an Little Ross, nachdem er das Tragegestell für das Wasserfaß einfach hatte fallen lassen, „bist genauso ein Esel. Hölle und Teufel, mir ist euer verfluchtes Gefasel an Bord schon die ganze Zeit auf den Nerv gegangen, ein paar aufs Maul hätte ich euch geben sollen, jawohl!“ Der Seewolf wandte sich zu Carberry um, seine eisblauen Augen blickten ihn zwingend an. „Jetzt halt mal die Klappe, Mister Carberry! Bei deinem Gebrüll kann ja kein Mensch einen vernünftigen Gedanken fassen. Fest steht, daß es eine Quelle in dieser Gegend gibt, das hat Tamao bestätigt; und sein Volk kennt die Gegend hier so gut wie die Seminolen auch. Vielleicht haben wir sie nur verfehlt, und dieser Kegel ist gar nicht die Quelle, wir ...“
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Tamao beugte sich in diesem Moment weit vor, dann zupfte er den Seewolf plötzlich am Hemd. „Da, das Wasser, die Erdgeister sind euch gut gesinnt, sie lassen das Wasser wieder steigen!“ Carberry glaubte, nicht richtig zu hören. „He, Tamao, was sagst du da?“ fragte er und beugte sich gleichzeitig weit vor, um besser sehen zu können. Und da passierte es. Er verlor das Gleichgewicht. Da alle wie gebannt in das dunkle, kraterähnliche Loch des Kegels starrten, bemerkten sie viel zu spät, was mit dem Profos der „Isabella“ passierte. Als er endlich seinen ersten wilden Fluch ausstieß, kippte er bereits abwärts, wie wild mit Armen und Beinen um sich schlagend. Gleich darauf war er verschwunden, und noch einmal drang sein schauerliches Gebrüll aus der Höhlung in dem tuffsteinartigen Fels, aus dem die Kuppe des Kegels bestand. Nur den Aufschlag seines schweren Körpers, ein lautes Klatschen, vernahmen die Seewölfe noch. Und anschließend wieder das Gebrüll, das aber plötzlich abbrach, weil es von einem unterirdischen Grollen verdrängt und überlagert wurde, das in diesem Augenblick eingesetzt hatte. „Ed, verdammt, Ed, melde dich!“ brüllte der Seewolf, der sich als erster fing, aber auch zugleich die ganze entsetzliche Gefahr begriff, in der Carberry schwebte. Sie hatten nicht einmal Taue bei sich, die sie in den Höllenschlund hätten abfieren können. „Nein, verdammt, das kann nicht sein!“ stieß Ferris Tucker mit vor Erregung heiserer Stimme hervor. Nein, es war unmöglich, daß Carberry, dieser Kerl aus Eisen, so sang- und klanglos einfach von der Bildfläche verschwand. So konnte der Profos der „Isabella“ doch nicht enden! Doch nicht in dieser stinkigen Bucht und nicht in diesem Höllenloch! Ferris Tucker beugte sich weit vor und brüllte Carberrys Namen aus Leibeskräften, bis ihm fast die Stimme
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versagte und er beinahe selbst das Gleichgewicht verlor. Nur das blitzschnelle Zupacken des Seewolfs bewahrte ihn davor, ebenfalls in den Krater zu stürzen. Das Grollen wurde stärker, und erst jetzt bemerkten die Seewölfe, die Vertiefungen, die sich rings um die Quelle wie kleine Becken gruppierten, ausgenommen lediglich die Seite, an der der Pfad zum Kegel hochführte. Die Seewölfe waren leichenblaß. Dann begannen sie mit vereinten Kräften zu rufen, immer wieder brüllten sie nach Carberry, aber der meldete sich nicht. Außer dem lauter und lauter werdenden Grollen, dem stoßweise aus dem Krater entweichender Dampf folgte, war nichts zu hören, absolut nichts. Carberry schien wie vom Boden verschluckt. Der Seewolf war ebenfalls leichenblaß, so blaß, wie ihn seine Männer in all den Jahren, die sie jetzt schon mit ihm segelten und Abenteuer um Abenteuer bestanden, noch nie gesehen hatten. Wie sie starrte er in die dunkle Öffnung - und dann geschah es. Von einer Sekunde zur anderen. Ben Brighton, der bisher geschwiegen hatte, trat neben den Seewolf und legte ihm die Hand auf die Schulter. Das unterirdische Grollen verstärkte sich. Tamao hatte sich zu Boden geworfen, Little Ross war zurückgewichen. Der Boden erbebte, anschließend schoß ein Schwall Wasser aus dem Krater, dann noch einer. Schließlich brach eine riesige Fontäne donnernd aus dem Höllenschlund hervor - mit einer solchen Urgewalt, daß sie die Seewölfe von den Füßen riß und gleich darauf auch die um den Kegel verteilten kleinen Becken füllte. Aber noch etwas geschah. Etwas Massiges, Großes wurde von dem Krater ausgespien. Ein lautes Gurgeln war zu vernehmen, dann ein wüstes Gebrüll. „Bei allen Affenärschen der sieben Weltmeere, das ist doch die mieseste. verlauste Quelle, die ich je gesehen habe. Hölle und Teufel, ah - oh ...“ Den wilden Flüchen folgte ein schwerer Aufprall und dem wiederum neues Gebrüll, das aber nur aus unartikulierten Lauten bestand.
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Der Seewolf sprang auf. Mit ihm Batuti, Ferris Tucker und Dan O'Flynn. Sie liefen dorthin, wo Carberry, alle viere von sich gestreckt, in einem der Becken lag. Als letzter erschien Ben Brighton, und er starrte stumm auf den Profos. Nur in seinem Gesicht arbeitete es mächtig. Hasard und Batuti packten zu und rissen den Profos aus dem Becken, in das eben wieder ein Schwall des warmen Wassers aus der Quelle niederklatschte. Der Profos, noch völlig benommen, blinzelte die vier Seewölfe an. „O ihr verlausten, geteerten und kalfaterten Rübenschweine“, sagte er und rappelte sich hoch. „Mann, ich dachte schon, der Satan hätte mich persönlich in die Hölle geholt. Schot- und Mastbruch, ist das ein Teufelsloch da unten!“ Carberry spie einen Schwall Wasser aus. Dann schüttelte er sich, während die anderen ihm auf die Schulter klopften. Ferris Tucker hatte verdächtig feuchte Augen, was aber jeder im stillen und aus Respekt vor dem rothaarigen Hünen dem aus der Quelle in Schüben und Fontänen hervorschießenden Wasser anlastete. Auch Carberry sah das. Er fixierte seinen alten Freund aus schmalen Augen. „Hm, Ferris, du alte Kielschweinkakerlake“, sagte er, „ziemlich naß, dieses verdammte Wasser, was, wie?“ Er brachte das so besorgt und so trocken heraus, daß sich die Beklemmung der Seewölfe in einem befreienden und brüllenden Gelächter löste. Hasard krümmte sich ebenfalls vor Lachen, aber das war mehr eine Reaktion auf den gewaltigen Schreck, den ihm der Sturz Carberrys eingejagt hatte. Dann sah er den tropfnassen Carberry an und hieb ihm eine auf die Schulter, daß das Wasser nur so spritzte. „Ja, ziemlich naß“, sagte .er nur, „man sieht's an dir, Ed!“ Wieder dröhnte brüllendes Gelächter über die Kuppe und vermischte sich mit den donnernder Eruptionen der Quelle. Und wieder war es ein Lachen unendlicher Erleichterung. Denn was, bei allen Riffen und Meerjungfrauen, wäre ihre „Isabella“
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ohne den Profos Edwin Carberry und sein ständiges Gebrüll gewesen? Ed Carberry klopfte sich das Wasser aus der Kleidung und grinste der- Seewolf an. „Du siehst, Sir, ich bin sogar für den Teufel ein Brocken, den er nick: verdaut. Darum hat dieser gehörnte Halunke mich wieder ausgespien wie weiland der Wal einen gewisser Jonas. Die Bibel hat eben doch recht, Sir, und wahrscheinlich war Jonas geradeso ein unverdaulicher Brocken und Höllenfurz in der Suppe des Teufels wie ich.“ Ferris Tucker schüttelte sich abermals vor Lachen, aber dann forderte der Seewolf durch eine energische Handbewegung endlich wieder Ruhe. „Los, Männer, Wasser in die Fässer Ed weiß inzwischen bestimmt, daß es sehr wohlschmeckend und überhaupt nicht schwefelig ist, was, wie? kopierte er Carberry. Der Profos hob die Schultern. „Wenn dies ein Jungbrunnen ist. dann lebe ich noch lange. Aber wenn dieses verdammte Satansloch voll Rum gewesen wäre, würde ich mich erheblich besser fühlen!“ Und wieder spie er einen Schwall Wasser in die Gegend. „Los, ihr angebraßten Affen, ihr gelabsalbten Pardunenläuse, füll: endlich die Wasserfässer, verfluch: noch mal. Oder soll ich euch eure verdammten Affenärsche erst in Streifen ...“ Der Rest ging unter im wüsten Gelächter. Jawohl, Ed Carberry, der Profos der „Isabella“, weilte wieder :er den Lebenden. Und wie! * An diesem denkwürdigen Vormittag geschah noch einiges, womit niemand gerechnet hatte. Die Seewölfe nicht und Wakullas Seminolenkrieger ebenfalls nicht. Auf Befehl Wakullas hatte Wakantoo mit einer Kriegerschar eine Art Vorhut des heranrückenden Gros der Krieger gebildet, die lediglich die Aufgabe hatte, zu beobachten die Fremden taten.
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Wakantoo nahm seine Aufgabe sehr genau. Zusammen mit einer kleinen Kriegerschar pirschte er sich in der Deckung der Büsche, mit denen die Kuppe fast bis zur Spitze bestanden war, an die Seewölfe heran. Wakantoo kannte die Quelle und auch ihren Rhythmus genau, mit dem sie das kostbare Wasser in Form von heftigen Eruptionen in die umliegenden Becken spie. So hörte er bereits am ersten, leisen Grollen im Innern der Erde, daß die Erdgeister erwachten, um ihr Werk zu beginnen. Wakantoo und seine Krieger verharrten. Für einen kurzen Moment neigten sie sich und preßten ihre Stirnen gegen den Boden, um den mächtigen Geistern in den Tiefen der Erde Erde ihren Respekt zu bezeigen und sie versöhnlich zu stimmen. Denn eins jedenfalls wußten die Indianer aus Erfahrung: Diese Wasser hatte heilende Wirkung bei vielen Krankheiten. Daß das auf die aus mineralische Zusammensetzung des Wassers zurückzuführen war, das wußten sie nicht. Stattdessen schrieben die Wirkung den ihnen seit langem vertrauten und mit höchsten Respekt behandelten Geistern des Erdreichs zu. Wakantoo und seine Krieger wussten aber auch, daß es nicht gut war, sich oben am Mund der heiligen Quelle zu befinden, wenn die Geister ihre Stimme erhoben. Denn niemand vermochte vorauszusagen, wie sie sprechen würden. Freundlich oder zornig. Und es war schon des öfteren passiert, daß sich der Fels gespalten und Frevler verschlungen hatte. Wakantoo und seine Krieger sahen die Seewölfe, Tamao und Little Ross oben an der Quelle stehen, und sie sahen auch, wie der Dampf aus dem Erdinneren immer schneller hervorquoll. Ein Zeichen der Geister, daß sie sprechen würden. Dann vernahmen sie das Grollen und sahen plötzlich Carberry in den Mund der Quelle stürzen. Wakantoo und seine Krieger erstarrten vor Furcht, obwohl sie sonst kaum Furcht kannten. Das war noch nie dagewesen, daß die mächtigen Geister einen Frevler direkt
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durch den Mund der heiligen Quelle in die Verdammnis gezogen hatten. Die Seminolen hörten das Gebrüll der Seewölfe und erlebten in ihrer Deckung mit - unsichtbar und auch völlig unbeachtet von den entsetzten Seewölfen -, was weiter geschah. So sahen sie, wie die heilige Quelle Carberry wieder ausspie und irgendwo zwischen die Felsen schleuderte. Das aber war der Moment, in dem sie die Flucht ergriffen, denn die Geister zürnten, und sie wollten keine Zeugen. Oder aber, wenn die Fremden überlebten, dann waren sie so mächtige Feinde, wie sie Wakantoo und Wakulla noch nie begegnet waren. Wakantoo zog sich zurück, und seine Krieger folgten ihm. Nur wenig später erreichte er Wakulla, der gerade dabei war, die Falle, in die die Fremden laufen sollten, zu schließen. Wakantoo erstattete dem Häuptling Bericht, und seine Krieger bestätigten das alles. Zum ersten Mal erlebte Wakantoo, wie sich auch das Gesicht Wakullas und das des Medizinmannes verfärbten. Fragend blickte Wakulla seinen Medizinmann an, aber der hatte sich bereits auf den Boden gehockt und seinen Kopf unter einer bunten Decke vergraben, die er sonst um die Schultern trug. Ehrfurchtsvoll schwiegen Wakulla und auch Wakantoo. Die Seminolen bildeten einen Kreis um Hauahokassa, um „Den, der mit den Göttern spricht“. Schließlich erhob sich Hauahokassa. „Du, Häuptling der Seminolen, sollst deine Pläne durchführen, aber du sollst jene Fremden, die jetzt von der Quelle zurückkehren, nicht töten, sondern zu ihrem Schiff zurückkehren lassen. Das Wasser der heiligen Quelle jedoch, das sie mit sich führen, sollen sie nicht behalten, es ist große Medizin.“ Wakulla hob die Hände in Brusthöhe. „Hugh, es soll geschehen nach dem Ratschluß der Götter“, sagte er. Der Medizinmann unterbrach ihn mit einem Handzeichen. „Die Götter werden uns wissen lassen, was weiterhin zu geschehen hat, aber es werden noch schlimme Dinge geschehen, Wakulla.
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Krieg und Kampf stehen bevor, deshalb der Zorn der Erdgeister, die in ihrer erhabenen Ruhe gestört wurden.“ Im nächsten Moment erfüllte wüstes Geschrei die Luft. Eine Stimme, deren Laute keiner der Seminolen verstand, zeterte und drohte. „Loslassen, sage ich! O ihr verdammten braunhäutigen Kombüsenkakerlaken, ihr dreimal verfluchten und kielgeholten Urwaldaffen! Ich lasse euch alle Spießruten laufen. Ihr lausigen Bilgenratten, hat denn hier niemand vor dem Alter den nötigen Respekt, ich werde euch Indianerlümmel lehren, Donegal Daniel O'Flynn ans Holzbein zu treten!“ Der Alte erschien auf der Bildfläche und hieb in geradezu furchterregender Weise mit seiner Muskete um sich. Die Schläge führte er mit solcher Wucht aus, daß er mehrmals fast das Gleichgewicht verlor, aber seine Hiebe warfen zwei der Seminolen in die Büsche, einen weiteren fegte ein dritter Hieb von den Beinen, und der Krieger blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Wutgeheul brandete auf, aber Wakulla verschaffte sich mit einer einzigen Handbewegung Ruhe. Dann sprang er dem Alten entgegen. Ein fürchterlicher Hieb mit dem Tomahawk gegen das Holzbein Old O'Flynns besiegelte dessen Schicksal. Er verlor den Halt und krachte zu Boden. Dabei verschob sich der überdimensionale Schlapphut und nahm ihm die Sicht, weil er ihm über die Augen rutschte. Im nächsten Moment warfen sich drei Seminolenkrieger über ihn, und im Handumdrehen war er gebunden. Wakulla betrachtete den Alten aus funkelnden Augen. Er begriff sofort. daß auch dies ein Mann von dem großen Schiff war und er ebenfalls zur heiligen Quelle gewollt hatte. Denn neben ihm, nur wenige Schritte weit über den Boden gerollt, lag ein kleines Wasserfäßchen, das der Alte hatte auffüllen wollen. Old O'Flynn stöhnte, dann begann er abermals mit seiner wilden Schimpfkanonade, aber Wakulla fackelte
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nicht lange. Er setzte dem Alten kurzerhand ein Messer auf die Kehle. Und beim nächsten Ton, den der Alte krächzend hervorbrachte. drückte er ein wenig zu. Nicht viel. aber eben doch so, um Old O'Flynn begreifen zu lassen, daß dieser Wilde es ernst meinte und ihn umbringen würde, falls er nicht augenblicklich Mund hielt. Empört wandte er sich ab. Wakulla gab zwei Kriegern ein Zeichen. „Schafft ihn weg“, sagte er. „Dieser Fremde wird gegen das Wasser der heiligen Quelle eingetauscht, so können wir den Willen der Götter befolgen und jedes Blutvergießen vermeiden. Denn er gehört zu jenen den, die oben an der Quelle waren.“ Die Seminolen packten Old O'Flynn, der sich wieder wild in seinen Fesseln aufbäumte und alles versuchte, um sich zu befreien. Aber ein derber Hieb in die Rippen, der ihm fast die Luft nahm, und die blitzende Klinge eines Messers belehrte ihn abermals darüber, daß den „Wilden“ die Geduld so langsam ausging Die Seminolen fesselten ihn vorerst an einen Baum und vergaßen auch nicht, ihn gründlich zu knebeln. Auf der „Isabella“ war unterdessen Teufel los. Natürlich hatte man dort - allerdings zu spät bemerkt, dass das kleine Boot verschwunden und mit ihm der alte Donegal. Es war Old Shane, der die Verantwortung für alles hatte, was in Abwesenheit des Seewolfs auf der „Isabella“ geschah. Für alle war es ein Rätsel wie der Alte das geschafft hatte. Das konnte nur geschehen sein, als plötzlich jene Nebelbank durch die Bucht gezogen war, die für eine Stunde alles eingehüllt hatte, so daß man vom Achterdeck kaum noch den Großmast hatte erkennen können. Die Seewölfe, allen voran die Zwillinge drängten darauf, Old O'Flynn zu suchen. „Plymmie wird seine Spur finden, haben wir ihn schnell“, argumentieren sie; aber Big Old Shane zornig ab. „Nein“, sagte er. „Bevor der Kapitän nicht zurück ist, verläßt keiner das Schiff. Wenn
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sich dieser störrische Alte in Gefahr begibt und jetzt vielleicht darin umkommt, dann hat er sich das selbst zuzuschreiben!“ Jeder sah Big Old Shane an, daß er das nicht so meinte, aber verdammt, was sollte er denn tun? Wenn es wirklich Seminolen irgendwo gab, dann wäre es unverantwortlich gewesen, noch einen Trupp an Land zu setzen und die „Isabella“ in ihrer Kampfkraft weiter zu schwächen. Außerdem - wer sagte denn eigentlich, daß der Seewolf nicht selber der Hilfe bedurfte? Auch er und sein Trupp konnten auf Seminolen stoßen. Für den Fall, daß er nicht bis spätestens vier Stunden vor Sonnenuntergang zurück war, hatte Big Old Shane vom Seewolf persönlich genaue Anweisungen erhalten. Big Old Shane starrte wütend über das Schanzkleid. Noch immer trieben Dunstschwaden über die Bucht, aber man konnte mittlerweile das Ufer wieder erkennen. Sofort begann er damit, das Ufer abzusuchen, er benutzte dazu das Spektiv des Seewolfs, ein erstklassiges Instrument. Und dann hatte er es entdeckt. Wortlos reichte er Will Thorne, dem weißhaarigen Segelmacher, das Spektiv. „Da, Will! Dieser verdammte Narr ist wahrhaftig an Land gepullt, und eins der kleinen Wasserfäßchen hat er auch mitgenommen. Der verdammte Narr will sich eine Extraration vom Wunderwasser dieser merkwürdigen Quelle holen. O Mann, ich habe diesen Little Ross und den Alten ja oft genug zusammen tuscheln sehen, das mußte ja eine Katastrophe geben! Du kennst doch Old Donegal, so in Ordnung er sonst auch ist!“ Will Thorne schaute durch das Glas. Er war ein bedächtiger Mann, aber dann sah er plötzlich etwas, was ihm die Haare zu Berge stehen ließ. „He, Shane - sieh mal, da!“ Aber statt Big Old Shane das Spektiv zu reichen, blickte er selber noch mal hindurch. „Da treibt das große Boot, Shane, mit dem Hasard und die anderen an Land gepullt sind. Aber sie haben das Boot doch bestimmt nicht ohne Wachen zurückgelassen! Da ist an Land irgendwo der Teufel los!“
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Inzwischen hatten sich auch die anderen Seewölfe um Old Shane und den alten Segelmacher geschart. Aufgeregt redeten sie durcheinander. Aber es stimmte, daran war nicht zu rütteln: Das große Boot trieb in der Bucht, und es war leer. „Los, Boot drei aussetzen!“ befahl Shane. „Wir pullen zum großen Boot und holen es her. Außerdem sehen wir nach, ob es Spuren eines Kampfes trägt. Ich weiß, daß Hasard Smoky und Roger als Wachen eingeteilt hatte. Das Los hatte so entschieden. Beide sind keine Kerle, die sich mal so eben überwältigen lassen.“ Das Boot wurde zu Wasser gelassen. Auf der „Isabella“ herrschte ab sofort erhöhte Gefechtsbereitschaft. Die Stücke an Backbord und an Steuerbord sowie alle Drehbassen waren geladen und feuerbereit. Shane und seine Männer erreichten das Boot. Doch, ein Kampf hatte stattgefunden, das sah man überdeutlich, aber Blutspuren fanden sich keine. Nur alle Waffen fehlten. Die Seewölfe stießen wilde Verwünschungen aus. „Seminolen!“ stieß einer von ihnen hervor. Es war der hitzige Luke Morgan. „Tamao hatte recht, sie hausen also hier. Shane, wir müssen etwas unternehmen, oder wir sehen Hasard- und die anderen nicht wieder. Und wenn dieser verdammte Donegal nicht schon so alt wäre, würde ich dem das Fell vergerben, daß er für die nächsten Wochen nur noch im Stehen Backen und Banken kann!“ Luke Morgan sprach damit so ungefähr das aus, was alle empfanden, die mit Big Old Shane in die Bucht hinausgerudert waren. „Was wird mit der kleinen Jolle?“ wollte einer wissen. „Bleibt, wo sie ist“, erwiderte Old Shane. „Oder willst du jetzt ans Ufer pullen, und dort lauern dann diese Seminolen? Wir kriegen von denen vermutlich sowieso noch mehr zu sehen, als uns lieb sein kann! Nein, wir pullen zurück. Dann werden wir erst mal miteinander beraten, und zwar gründlich, was zu geschehen hat. Voreilige und übereilte Beschlüsse würden jetzt alles nur noch verschlimmern.“
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Niedergeschlagen kehrten sie zur „Isabella“ zurück. Als sie sich wieder an Bord befanden, berief Big Old Shane sofort die Seewölfe zur Beratung aufs Hauptdeck. Außerdem ließ er die Ausgucks verdoppeln. Auch Bill, der einstige Moses der „Isabella“, inzwischen längst zum Mann geworden, sowie die beiden Zwillinge Hasard und Philip gehörten dazu. Sie hatten scharfe Augen, denen so leicht nichts entging. 6. Über die unerwartete Rettung Edwin Carberrys befanden sich die Seewölfe in einer Art Hochstimmung. Die Wasserfässer waren gefüllt, der Seewolf gab das Zeichen zum Abrücken. Alle waren bester Stimmung, denn jetzt konnten sie diese verdammte Ponce de Leon Bay mit der „Isabella wieder verlassen, zu den Timucuas segeln und sich damit der eigentlichen Aufgabe ihrer ganzen Reise widmen: nämlich einen Indianerstamm zu finden, der bereit war, nach Coral Island, der Plantageninsel der Seewölfe, zu übersiedeln. Nur Tamao wirkte unruhig, und der Seewolf bemerkte das. „Was hast du, Tamao?“ fragte er und blickte in das besorgte Gesicht des Indianerjungen. „Sie sind hier, irgendwo“, sagte Tamao. „Ich spüre es, die Seminolen sind hier, sie werden uns den Rückweg verlegen!“ Hasard musterte den Jungen aufmerksam. Nein, der hing keinen Hirngespinsten nach. Zu oft hatte der Seewolf auf seinen weiten und langen Reisen erlebt, wie fein die Instinkte jener sogenannten Wilden waren und wie oft diese Menschen recht behielten. Er war daher weit entfernt davon, die Warnung Tamaos in den Wind zu schlagen. Gerade wollte er etwas sagen, als Tamao sich plötzlich bückte. Sofort blieb der Seewolf stehen - und da sah er es selber. Spuren, unübersehbare Spuren von Menschen, die noch vor ganz kurzer Zeit
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hier gelegen hatten und sie beobachtet haben mußten. „Seminolen“, sagte Tamao. „Acht oder zehn. Hier, hier ...“ Er wies auf die einzelnen Stellen, wo die Spuren überdeutlich zu erkennen waren, und er verstand nicht, wie so erfahrene Krieger wie die Seminolen versäumt haben konnten, ihre Spuren wieder sorgfältig zu verwischen, wenn sie wirklich nur Kundschafter gewesen waren. Er sagte das auch dem Seewolf. Der erwiderte: „Sie hätten uns also mit Leichtigkeit überfallen können, Tamao. Von uns wären die meisten tot gewesen, noch ehe wir überhaupt begriffen hätten, daß der Feind da ist. Warum haben sie es nicht getan?“ Tamao überlegte. „Die Quelle“, sagte er dann. „Heiliges Gebiet. Sie erzürnen die Geister, wenn sie dort kämpfen!“ Er sagte das sehr überlegt, und Hasard stimmte ihm zu. So und nicht anders mußte es gewesen sein. Dann waren sie fortgeeilt, um Hilfe von ihrem Stamm zu holen. Sie hatten also noch eine Chance s sie mußten vor den Seminolen an der Bucht und wieder an Bord der „Isabella“ sein, bevor sich die Krieger zum Angriff formierten. An Bord der „Isabella“ hatten sie erheblich mehr Möglichkeiten, sich mit Erfolg ihrer Haut zu wehren. Hasard informierte die anderen. „Los, Beeilung. Laufschritt! Wir müssen fort sein, bevor die Seminolen hier sind!“ Die Seewölfe begannen zu laufen. Aber es war zu spät, viel zu spät, denn längst wurden sie vom Gros der Seminolen erwartet. * Die Seewölfe hatten die kleine Lichtung, die zwischen dem Vegetationsgürtel, der sich um die Bucht herumzog, und der Quelle lag, fast durchquert. Der Laufschritt, den der Seewolf befohlen hatte, war eine schweißtreibende Angelegenheit, besonders für diejenigen, die dabei auch noch die beiden
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Tragegestelle für die Wasserfässer schleppten. Aber das waren Kerle aus Eisen, und keiner machte schlapp. Auch nicht Tamao und Little Ross. Den Ernst der Situation hatten sie alle begriffen. Sicherheit gab es für sie nur an Bord der „Isabella“. Immer näher rückten die von Lianen überwucherten Bäume, und der Atem der Männer ging schwer. Eine schier unerträgliche, feuchte Schwüle lag über der Landschaft, und mit jedem Grad, den die Sonne am Himmel höher kletterte, wurde es heißer. Selbst Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, der auch eins der Wasserfässer zusammen mit Ferris Tucker schleppte, war schweißgebadet. Er stöhnte, und hin und wieder stieß er einen Fluch aus. Little Ross, der das andere Wasserfall zusammen mit Carberry trug, erging es nicht anders. Die Fässer waren groß und schwer. Nur Carberry schien auch dieses Klima nichts anhaben zu können. Mehr als einmal fragte sich der Seewolf, woher sein Profos diese urige Kraft nahm, denn nichts schien ihn ermüden zu können, absolut nichts. Dann geschah es. Sie waren auf etwa hundert Yards an den Vegetatisonsgürtel heran, da baute sich plötzlich vor ihnen, wie aus dem Nichts gezaubert, eine Phalanx von Seminolenkriegern auf. Sie hielten ihre Waffen - Bogen und Pfeile, Lanzen, Tomahawks und lange Messer - in den Händen. Sie brüllten nicht, sie standen stumm und schweigsam da, eine drohende Mauer von Kriegern, die entschlossen waren, zu töten und zu kämpfen, sobald ihr Häuptling das Zeichen dazu geben würde. Es waren Hunderte von roten Kriegern, und die Seewölfe stoppten ihren Lauf, als wären sie plötzlich auf ein unüberwindliches Hindernis geprallt. Carberry ließ das Gestell. auf dem das Wasserfall lag, einfach fallen. Little Ross sprang mit einem lauten Fluch zur Seite, damit ihm das schwere Faß nicht die Füße zerquetschte. Ferris Tucker und Batuti folgten Carberrys Beispiel, und auch
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Tamao stand stocksteif da und blickte zu den Seminolen hinüber. Batutis Rechte zuckte zum Köcher, blitzschnell hatte er einen Pfeil auf der Sehne. Ferris Tucker riß die Muskete hoch, und auch Carberry hielt plötzlich, zu allem entschlossen, sein Entermesser in der Faust. Seine Muskete war bei dem Sturz in die Quelle verloren gegangen. Der Seewolf überblickte die Situation am schnellsten. Wenn die Seminolen uns hätten töten wollen, dann lebte schon jetzt keiner mehr von uns allen, schoß es ihm durch den Kopf. Sie haben es aber nicht getan, also wollen sie irgendetwas anderes von uns. Das war wie ein Gedanke, wie eine Erkenntnis, die blitzschnell sein Gehirn durchzuckte. Der Seewolf stoppte die Bewegung, mit der auch er nach seinen beiden doppelläufigen Pistolen hatte greifen wollen. „Halt!“ sagte er leise, aber so, daß es jeder seiner Männer hörte. „Hände weg von den Waffen, oder keiner von uns überlebt die nächsten Augenblicke!“ Die Seewölfe waren daran gewöhnt, den Befehlen ihres Kapitäns bedingungslos zu gehorchen, jedenfalls in Situationen wie dieser. Hier gab es keine Diskussion und auch kein eigenmächtiges Handeln. Die Fäuste, die die Waffen hielten, sanken nach unten und mit ihnen auch die Waffen der Seminolen, die ebenso schnell hochgerissen worden waren. „Und jetzt?“ fragte Carberry, und in seinen riesigen Fäusten zuckte es. „Bevor ich mich hier von diesen Kerlen abschlachten lasse, werden mich auf meiner letzten Reise noch einige dieser Rübenschweine begleiten. Also, was passiert jetzt?“ fragte er noch einmal, und in seiner Stimme schwang die ganze aufgestaute Wut mit, die der Anblick der Seminolen in ihm ausgelöst hatte. Auch Carberry hatte begriffen, daß sie der „Isabella“ zwar schon verdammt nahe waren, daß sie aber im Moment für sie alle mindestens so unerreichbar war wie der Mond.
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„Reiß dich zusammen, Mister Carberry“, sagte Hasard scharf. „Es geht um unsere Haut. Wenn die uns hätten töten wollen, wären wir längst alle im Seemannshimmel gelandet. „Warten wir also ab, was sie von uns „ wollen. Kämpfen und sterben läßt es sich auch noch später. Ist das klar?“ Es war selten, daß der Seewolf in solchem Ton zu seinen Männern sprach, aber sie alle kapierten, daß das, was er dem Profos soeben verpaßt hatte, für sie alle galt. „Da, Wakulla!“ Tamao zupfte den Seewolf am Ärmel seines Hemdes. „Wakulla?“ fragte Hasard und blickte zu dem hünenhaften Seminolen hinüber, der eben aus der Phalanx seiner Krieger hervortrat und furchtlos auf den Seewolf zuschritt. In seinem rabenschwarzen Haar streckten drei große Adlerfedern, und daran erkannte Hasard sofort, daß er den Häuptling der Seminolen vor sich hatte. Wakulla schritt unbeirrt weiter. Hasard musterte die mächtigen Muskeln, die unter seiner Haut bei der Bewegung spielten. Er blickte gradewegs in die pechschwarzen Augen, deren Blicke ihn zu durchbohren schienen, und der Seewolf begriff, daß er es hier mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun hatte, der auch mit der „Isabella“ nicht so leicht zu besiegen sein würde. Die Erinnerung an andere Begegnungen mit Indianern der Neuen Welt schoß ihm durch den Kopf - dann war Wakulla heran. Er starrte Hasard an, dann Tamao, der wie gelähmt neben dem Seewolf stand. Zwar hatte er bei seinem Volk von diesem gefürchteten Häuptling der Seminolen gehört, auch wußte er, noch nie ein Gegner Wakulla besiegt hatte, aber ihn gesehen, ihm leibhaftig gegenübergestanden hatte noch nicht. Wakulla wandte seinen Blick vom Seewolf ab und blickte Tamao an. „Du bist ein Timucua“, sagte er, und der Ton, in dem er es sagte, ließ erkennen, daß das eine Feststellung und keine Frage war. Tamao zuckte zusammen, denn Wakulla hatte ihn in der Sprache der TimucuaIndianer angeredet.
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„Ja, ich bin ein Timucua“, entgegnete er, und in diesem Augenblick hatte er seine Furcht überwunden. Es war keine Schande, von der Hand Wakullas den Tod zu empfangen. Der Seminole sah ihn an, lange und prüfend. Der Seewolf spürte das Kribbeln, das seine Glieder durchzog. Er spürte, daß dort etwas vorging und in diesem Moment die Entscheidung über Leben und Tod fiel, aber verstehen konnte er kein Wort, und sich einmischen wollte er auch nicht, denn das wäre ihm von Wakulla als Feigheit ausgelegt worden. „Warum hast du dich mit diesen weißen Männern verbündet?“ fragte Wakulla, und diese Frage klang drohend. „Weißt du nicht, daß jeder Indianer, wie uns die Weißen nennen, Verrat begeht, wenn er mit diesen Fremden einen Pakt schließt? Das sind jene Fremden, die unser Land stehlen und unsere Männer töten, die alles mit Krieg überziehen und deren Zungen gespalten sind wie die der Schlangen! Antworte, Timucua!“ Die dunklen Augen des Häuptlings blitzten zornig, aber Tamao duckte sich nicht. Er sah Wakulla gerade und furchtlos in die Augen, und dann berichtete er, was seinem Volk widerfahren und wie er von den Seewölfen gerettet worden war. Er und Asiaga. Wakulla hörte ihm zu und überlegte. Wieder schienen seine Blicke Tamao zu durchbohren. „Gut“, sagte er. „Vielleicht hast du die Wahrheit gesprochen, vielleicht auch nicht. Ich werde darüber nachdenken. Ihr habt jedoch Glück, denn jener Krieger dort“, er wies auf den narbengesichtigen Carberry, „wurde von den Erdgeistern am Leben gelassen, obwohl sie ihn in ihr Reich gezogen hatten. Wir wissen nicht, warum, aber wir dürfen ihn jetzt noch nicht töten. Nicht, bevor uns die Erdgeister ihren Willen kundgetan haben. Sage deinen Freunden dies: Sie können diesmal abziehen, wir werden sie nicht daran hindern. Aber sie müssen die beiden. Fässer zurücklassen, denn das Wasser ist große Medizin. Wir tauschen es ein gegen
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drei Gefangene, die wir wieder freigeben. Sage ihnen jedoch, daß sie beim ersten Versuch, die Bucht zu verlassen, bevor die Geister entschieden haben, sterben werden. Auch ihr großes Schiff wird ihnen mit seinen vielen Kanonen gegen uns keinen Schutz gewähren. Ich, Wakulla, der Häuptling der Seminolen, habe gesprochen.“ Wakulla sah den Seewolf abermals an, und wieder bohrten sich die Blicke der beiden Männer ineinander. Dann ging der Häuptling, und auf ein Handzeichen von ihm wurden plötzlich drei Männer durch die Phalanx der Seminolen auf die Lichtung gestoßen. Die Seewölfe glaubten ihren Augen nicht zu trauen - denn auf der Lichtung standen Roger Brighton, Smoky und - Old O'Flynn. Selbst dem Seewolf stockte der Atem. Roger und Smoky - das verstand er noch. Die waren von den Seminolen am Boot überwältigt worden. Die Spuren, die der Kampf an ihrem Körper und an ihrer Kleidung hinterlassen hatte, waren deutlich genug. Aber der alte O'Flynn - wie, in drei Teufels Namen, war der hierher geraten? Carberry, der zusammen mit Ben Brighton unmittelbar hinter dem Seewolf stand, räusperte sich drohend. Aber ein scharfer Blick des Seewolfs ließ ihn sofort wieder verstummen. Der Seewolf wandte sich an Tamao, der ebenso überrascht wie alle anderen auf den geradezu fürchterlich aussehenden alten O'Flynn starrte. „Was ist los, Tamao?“ fragte er. „Was hat Wakulla zu dir gesagt?“ Tamao erwachte wie aus einer Erstarrung, aber dann informierte er den Seewolf, so rasch er konnte. Hasard brauchte eine Weile, um das alles zu begreifen. Also dem Sturz Carberrys in die Quelle und dem Umstand, daß die Quelle ihn im wahrsten Sinne des Wortes einfach wieder ausgespuckt hatte, verdankten sie ihr Leben. Der Seewolf verlor keine Zeit. Er informierte seine Männer, dann, ohne einen Kommentar abzuwarten, wandte er sich an Ferris Tucker und Carberry.
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„Rollt die Fässer auf die Lichtung hinaus, rasch, bevor sich die Seminolen das anders überlegen. Es sieht mir verdammt nicht danach aus, als ob die Krieger Wakullas mit der Entscheidung wirklich einverstanden sind. Die Blicke, die sie uns zuwerfen, sind deutlich genug!“ Carberry und Ferris Tucker verloren ebenfalls keine Zeit. Sie packten die beiden großen Wasserfässer und rollten sie auf die Lichtung. Gleich darauf erhielten Roger Brighton, Smoky und Old O'Flynn wieder einen kräftigen Stoß in den Rücken, der sie fast zum Stolpern brachte. Old O'Flynn stieß wilde Verwünschungen gegen die Seminolen aus, während er alle Anstrengungen unternahm, trotz seines Holzbeines die Balance wiederzufinden. Aber es gelang ihm schließlich. Wakantoo beobachtete das alles. In seinem Gesicht zuckte es ein paarmal. Mochten diese Fremden jetzt ihr Leben behalten - die Nacht würde sie den Seminolen ans Messer liefern. Denn er, Wakantoo, würde die Aufgabe, die ihm Wakulla, der große Häuptling, gestellt hatte, erfüllen. Old O'Flynn und seine beiden Gefährten erreichten die Seewölfe. Als sich Carberry abermals außerordentlich drohend räusperte, was ihm sofort einen wütenden Blick des Alten eintrug, fuhr der Seewolf herum. „Kein Palaver jetzt, verflucht noch mal. Wir sollten schleunigst unsere Baut retten. Über alles andere werden wir an Bord sprechen!“ Und er warf dem Alten einen Blick zu, der weit tiefer drang als nur eben unter die Haut. „Los, mal sehen, oh die Seminolen Wort halten!“ Der Seewolf setzte sich in Bewegung. Er ging geradewegs auf die Phalanx der roten Krieger zu, genau dorthin, wo Wakulla stand. Die Reihe der Seminolen öffnete sich. Sie ließen die Seewölfe durch, aber sie warfen ihnen finstere Blicke zu. Blicke, die den Seewölfen trotz der Hitze, die über der Lichtung brütete, eisige Schauer über die Rücken jagten.
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Der Seewolf und seine Männer erreichten die Bucht, und es dauerte nicht lange, bis man sie von der „Isabella“ aus erspäht hatte. Sofort pullten die Seewölfe heran, das zweite Boot im Schlepp. Sie wurden mit lautem Hallo empfangen. Als sie jedoch vernahmen, was sich ereignet hatte, dämpften sie ihre Stimmen. „Das ist noch nicht ausgestanden, Sir“, sagte Ben Brighton in die Stille hinein. „Der richtige Tanz beginnt erst noch. Ich weiß nicht, warum uns Wakulla diese Galgenfrist gewährt hat. Aber ich bin sicher, daß die Geister unseren Tod beschließen werden, dafür wird schon der Medizinmann sorgen. Oder hast du die Blicke der Seminolen nicht gesehen?“ Es war selten, daß Ben Brighton es war, der Pessimismus verbreitete, aber im stillen gaben sie ihm recht. Carberry staunte nicht schlecht, als er vom Seewolf erfuhr, daß eigentlich er es war, dem sie das Leben verdankten. Er starrte den Seewolf verbiestert an. Aber dann konnte er nicht mehr an sich halten. Er schlug seine schwere Faust gegen die Bordwand des Bootes, in dem er sich befand. „Diese Kerle sollen sich nur in acht nehmen, daß ich nicht zum Schluß der große Geist bin, der ihnen zwischen die Beine fährt! So wahr ich Carberry heiße und der Profos der ,Isabella` bin - diesen Kerlchen spiele ich persönlich zum Tanz auf, wenn sie das haben wollen, und hinterher hänge ich ihre rothäutigen Affenärsche zum Trocknen an die Großrah!“ Der Profos wandte sich Old O'Flynn zu. „Und du, Mister O'Flynn, du verdammter Schlapphutspinner, du solltest dir eine astreine Geschichte einfallen lassen, wie du an die Seminolen geraten bist. Oder ich haue dir dein wurmstichiges Holzbein so lange um die Ohren, bis dir eine Geschichte dazu einfällt. Darauf kannst du jetzt schon einen Furz lassen!“ Carberry verzurrte die kleine Jolle, mit der sich Old O'Flynn von Bord gestohlen hatte, mit einem wilden Ruck. Sie würden das
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kleine Boot im Schlepp mit zur „Isabella“ nehmen. Auf das Gezeter des alten O'Flynn hörte er nicht, sondern legte sich dann so gewaltig in den Riemen, daß er sich durchbog und beinah brach. Denn in Carberry stieg in diesem Moment eine solche Wut hoch, daß er sich kaum zu beherrschen wußte. Da hatten sie sich mit den verdammten Wasserfässern abgeschunden wie die letzten Kulis, er selbst war in diese höllische Quelle gestürzt und wäre fast ersoffen wie eine Ratte, und dann tauchten diese rothäutigen Halunken auf, und die ganz Schufterei war völlig umsonst. Im Gegenteil - sie mußten noch dankbar sein, daß man sie, die Seewölfe, aller gnädigst am Leben gelassen hatte. Das alles paßte dem eisen harten Profos der „Isabella“ überhaupt nicht, auch wenn er einsah, daß sie ein ganz verdammtes Glück gehabt hatten und der Seewolf das einzig Richtige getan hatte, was ihnen noch geblieben war. Aber wenn dieser verdammte Donegal Daniel O'Flynn auch nur einen Hauch von Schuld daran trug, daß die Seminolen ihnen aufgelauert hatten dann sollte er ihn, Carberry, kennenlernen. Scheiß drauf, daß er der Schwiegervater des Seewolfs war! Carberry kannte ja die Zusammenhänge und die Gründe, die zu alledem geführt hatten, sowenig wie die anderen. Und zum Glück fand weder er noch irgendeiner der Seewölfe sie je heraus. So langten sie an der „Isabella“ an und enterten auf. Sie wurden stürmisch begrüßt, aber Hasard beendete die Begrüßung sehr schnell, den sie hatten anderes zu tun und durften keinerlei Zeit mit überflüssigen Palaver verlieren. Der Seewolf war fest entschlossen die Ponce de Leon Bay trotz der nur verhohlenen Drohung Wakullas im Laufe der Nacht zu verlassen, und dafür waren noch vor Einbruch der Dunkelheit alle notwendigen Vorbereitungen in aller Stille zu treffen. Wenn sie ankerauf gingen, dar mußte alles Weitere verdammt schnell und wie am Schnürchen klappen. Dieser Wakulla war
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ganz bestimmt ein sehr ernst zu nehmender Gegner, daran bestand für den Seewolf nicht der geringste Zweifel. Und er war auch kein Mann, der leere Drohungen ausstieß. Trotzdem wurden alle Pläne des Seewolfs vereitelt. Denn während der Nacht und in den ersten Morgenstunden des neuen Tages geschah etwas, was die „Isabella“ und ihre Crew in eine Lage brachte, wie sie schlimmer nicht sein konnte. 7. Mardengo war mit der erbeuteten spanischen Kriegsgaleone „San Carmelo“ sehr gut vorangelangt. Der Wind war ihm günstig gewesen. Da er die Gewässer an Floridas Küsten sehr genau kannte, wählte er mit der „San Carmelo“ den kürzesten Weg. Er segelte nicht außen an Key West vorbei, sondern mitten durch die vielen kleinen Inseln der Florida Bay hindurch. Meisterhaft verstand er es, auch den zahlreichen Untiefen auszuweichen, auf denen schon manches Schiff der Spanier sein Dasein beendet hatte. Mardengo stand zusammen mit Gato, seinem Unterführer, auf dem Achterdeck. Wir passieren bald die Ponce de Leon Bay“, sagte er, und Gato nickte. „Wir werden auf jeden Fall die Ponce de Leon Bay anlaufen“, fuhr er nach einer Weile angestrengten Nachdenkens fort. „Ich bin fast sicher, dass sich dieser schwarzhaarige Bastard mit seiner Galeone dorthin verkrochen hat, damit ihn die Spanier, die auch noch hinter ihm und uns her sind, nicht aufspüren. Denn dieser Hundesohn weiß bestimmt, daß sich das spanische Geschwader irgendwo in diesem Seegebiet befindet und auf ihn lauert. Die Dons vergessen sowenig wie ich, wie er sie zur Kasse gebeten hat.“ Mardengos Gesicht verfinsterte sich, als die zurückliegenden Ereignisse erneut vor seiner Erinnerung abliefen. Nein, eine wirklich rühmliche Rolle hatte er dabei keineswegs gespielt, und das' sollte ihm dieser schwarzhaarige Kerl büßen!
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Sowenig wie Gato wußte Mardengo, daß Don Augusto zu dieser Zeit mit seinem Flaggschiff „Santa Veronica“ und den sechs anderen Galeonen seines Verbandes inmitten der Marquesas Keys ankerte, um von dort aus nach dem Verbleib seiner Feinde zu forschen. Denn schließlich konnten sie sich in jeder beliebigen Felsenbucht verborgen haben, und er, Don Augusto, war fest entschlossen, sie aufzuspüren und zu vernichten. Daß dies für beide, den Seewolf und Mardengo, ein glücklicher Umstand war, weil sich Don Augusto damit viel zu weit vom Schauplatz der künftigen Geschehnisse entfernt befand, um überhaupt etwas von ihnen zu bemerken, ahnten weder der Seewolf noch Mardengo und seine Spießgesellen. Als die Dämmerung der Nacht wich und die Dunkelheit sich über das Meer senkte, befand sich die „San Carmelo“ nur noch wenige Meilen von der Ponce de Leon Bay entfernt. Obwohl es gefährlich war, in diesen Gewässern auch bei Dunkelheit noch weiterzusegeln, warf Mardengo erst eine volle Stunde später an einer geschützten Stelle, unweit der Küste in einer kleinen Bucht nahe der Mündung der Ponce de Leon Bay, Anker. Bei Tagesanbruch wollte er in die große Bucht segeln. Dann würde sich schon zeigen, ob er mit seiner Vermutung, daß sie den Engländer dort aufspürten, seine Richtigkeit hatte oder nicht. Mardengo teilte die Wachen ein, dann legte er sich in der Kapitänskammer für ein paar Stunden hin, um später Gato abzulösen. Die „San Carmelo“ wiegte sich in einer leichten Dünung, die aus dem Golf von Mexiko gegen die Westküste Floridas rollte. Leise knarrte die Takelage, wenn sich das Schiff langsam hob und senkte. Und so verstrichen die ersten Stunden der Nacht. * An Bord der „Isabella“ hatte es einigen Zustand gegeben. Besonders dem alten
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O'Flynn hatten die Seewölfe hart zugesetzt, denn was er getan hatte, widersprach allen Regeln der Borddisziplin. Sosehr sich der Alte auch zunächst auf seine rauhe Art verteidigte, nach und nach kriegten ihn die Seewölfe, allen voran Ed Carberry und Ferris Tucker, doch so weit, daß er das Donnerwetter des Profos' über sich ergehen ließ und irgendwie auch akzeptierte. Nur einmal, zum Schluß der Auseinandersetzung, in die der Seewolf ganz bewußt nicht mehr eingriff, weil das nicht nötig war, muckte er noch einmal auf. „Zum Teufel, ist denn das überhaupt noch eine Landschaft, in der sich ordentliche Christenmenschen aufhalten sollten? Es stinkt zum Gotterbarmen, ein Pesthauch hüllt die ,Isabella` ständig ein, Modergeruch und Tod erfüllen die Luft, und das Fieber kriecht aus den Sümpfen an Bord. Da kann einer schon mal durchdrehen, wenn er hört, daß es in diesem verrückten Land eine Quelle geben soll, die wie ein Jungbrunnen wirkt, die Krankheiten heilt und wahre Wunder vollbringt. Und jetzt, was ist jetzt?“ fragte er und warf Carberry einen anzüglichen Blick zu, der dem sofort das Blut in den Schädel trieb. „Da stürzt dieses Monstrum von Profos geradewegs in die Quelle. Statt ihre Wunder an ihm zu vollbringen und ihn zu läutern, spuckt sie ihn wieder aus. Und nichts ist geschehen. Dieser Kerl ist, wie er immer war. Bei allen Meergeistern und Meerjungfrauen, das wäre mir nie passiert. Und wißt ihr, warum nicht? Weil ich an die Wunder dieser Quelle glaube, immer noch. Denn es gibt Wunder auf dieser Welt, das laßt euch von mir sagen. Als ihr noch in die Hosen geschissen habt, ihr alle, ohne jede Ausnahme, da durchkreuzte ich bereits die Meere dieser Welt mit der unvergleichlichen ,Empress of Sea`! Merkt euch das, und denkt in Zukunft darüber nach, bevor ihr einem alten Mann androht, ihm sein angeblich wurmstichiges Holzbein um die Ohren zu schlagen. Du, Ferris Tucker, solltest dir solche Beleidigungen schon gar nicht gefallen lassen, das geht schließlich gegen deine
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Berufsehre, denn du hast dieses Holzbein angefertigt. Und wenn du wurmstichiges Holz genommen hättest, dann hätte ich es dir längst persönlich über den Schädel geschlagen. So, das mußte einmal gesagt werden!“ Der alte O'Flynn erhob sich würdevoll und schritt von dannen. In diesem Augenblick hatte er so viel Ähnlichkeit mit einem ganz gerissenen Schmierenkomödianten, daß ihm die Seewölfe verbiestert hinterher starrten. Was, zum Teufel, war das denn nun wieder für eine Manier, die reinste Strafpredigt vom Stapel zu lassen, statt hübsch brav mit dem ganzen Sündenregister, das er vorzuweisen hatte, zu Kreuze zu kriechen? Ed Carberry schnaufte vernehmlich. „Hast du das gehört, Ferris? Dieses alte Rübenschwein hat den Spieß einfach umgedreht. Und dann haut diese Galionskakerlake einfach ab und lässt uns hier sitzen, als wenn er uns einen Anschiß verpasst hätte und nicht wir ihm.“ Ed Carberry schüttelte den Kopf und stand ebenfalls auf. Es musste tatsächlich an dieser mörderische Hitze liegen, die sich einem aufs Gehirn und auf die Lungen legte, denn sonst wäre er jetzt spätestens endgültig aus der Haut gefahren. Aber vielleicht war der Alte inzwischen wirklich zu alt, um sich noch zu ändern. Verdammt, sollte er doch auf der Schlangeninsel seine Kneipe eröffnen! Wenn dann der Weil oder Rum nichts taugte, dann würde es keine faulen Ausreden mehr geben, sondern dann würde man Wein, Rum und Wirt so lange zurechtschütteln und – beuteln, bis alle drei die gewünschte Qualität hatten. Wie einst in der Bloody Mary beim guten fetten Plymson! Carberry leckte sich unwillkürlich die Lippen, aber dann wurde er übergangslos wieder ernst, als der Seewolf auf ihn zutrat. „In einer knappen Stunde haben wir Flut, Ed, dann laufen wir aus. Ich habe keine Lust, mich hier noch mit ein paar hundert Seminolen herumzuprügeln, dabei holen wir uns verdammt blutige Köpfe. Bring jetzt die Männer auf Trab, aber ohne Gebrüll, kapiert? Bewegt euch alle so
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lautlos wie möglich. Alle Kanonen werden überprüft, auch die Drehbassen. Jeder an Bord soll sich so bewaffnen, dass er sich seiner Haut wehren kann, falls die Seminolen mit ihren Kanus draußen in der Bucht auflauern und zu entern versuchen. Und beeilt euch, Vollzugsmeldung an Ben oder mich, klar?“ „Klar, ich werden den Jungens Beine ma…“ Carberry war gerade im Begriff, seine Donnerstimme ertönen zu lassen, aber der Seewolf stoppte ihn. „Ohne Gebrüll, habe ich gesagt! Und das meine ich auch. Sonst können wir gleich einpacken, geht das in deinen Schädel rein?“ Carberry zuckte zusammen. „Himmelarsch und Seebeben“, sagte er kleinlaut. „Ich glaube, hier an Bord stehen im Moment alle Masten ziemlich schief, was, wie? Ich werde verdammt froh sein, wenn wir endlich wieder ein paar ehrliche Faden Meerwasser unter dem Kiel und an Deck eine frische Brise haben. Das hier ist ja nicht zum Aushalten, Sir!“ Carberry verschwand, und der Seewolf blickte ihm grinsend hinterher. Aber so ganz unrecht hatte sein Profos gar nicht auch er, Philip Hasard Killigrew, war von einer merkwürdigen und nahezu unerklärlichen Nervosität befallen. Etwas, was er sonst nicht kannte. Langsam wandte er sich um und kehrte zum Achterdeck zurück, wo Ben Brighton bereits auf ihn wartete. * Wie an Bord der „Isabella“, so vollzog sich auch am Ufer gegenüber ihrem Ankerplatz ein lautloser Aufmarsch von Hunderten von Seminolenkriegern - teils an Land, teils zu Wasser in ihren langen, schnellen Kanus. Zwar hatte Wakulla keinen Befehl gegeben, das Schiff der Fremden anzugreifen, aber er wollte auf jeden Fall einem möglichen Fluchtversuch der fremden Weißen vorbeugen. Was mit ihnen letztlich zu geschehen hatte, darüber
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würden der große Manitou und die erzürnten Geister entscheiden, die im Innern der Erde wohnten. Wakulla trat auf Wakantoo, seinen Bruder, zu. „Es ist an der Zeit, Wakantoo“, sagte er. „Du wirst sehr vorsichtig sein müssen, denn die Fremden dort drüben versuchen uns zu täuschen. Sie sind zwar sehr leise, aber nicht leise genug für Wakullas scharfe Ohren. Auf ihrem großen Schiff geht etwas vor. Sie werden also sehr wachsam sein, weil sie unseren Angriff fürchten. Also gib acht, Wakantoo. Ich habe dem Anführer und noch einigen Unterhäuptlingen dieser Fremden gegenübergestanden. Wakulla hat ihre Augen gesehen, und er weiß, daß sie stark, mutig und gefährlich sind!“ „Wakantoo wird vorsichtig sein. Mein Bruder möge sich keine Sorgen um Wakantoo machen. Noch bevor der Mond hinter den Wipfeln der Bäume versunken ist, werden die Fremden wissen, daß sie verloren sind.“ Wakantoo legte seine Kleidung bis auf einen kleinen Lendenschurz ab. Dann griff er nach seinem breiten Messer und klemmte sich die scharfe Klinge zwischen die Zähne. Gleich darauf glitt er völlig lautlos ins Wasser der Bucht. Sein dunkler Körper verschmolz augenblicklich mit der Nacht. Wakantoo tauchte. Seine Sinne waren angespannt. Er wußte, daß es nicht nur die Fremden gab, auf die er achten mußte, sondern auch die gefräßigen Alligatoren, die in den Wurzeln der Mangroven auf Beute lauerten. Wakantoo tauchte nur dann auf, wenn er Atem schöpfen mußte, und verschwand dann sofort wieder unter der Wasseroberfläche. Die Silhouette der „Isabella“ wuchs immer höher vor ihm auf, je mehr er sich dem Schiff der Seewölfe näherte. Dann hatte er es erreicht. Behutsam tauchte er unmittelbar unter dem schräg nach unten abfallenden Bug auf und hielt sich für einen Moment am hölzernen Rumpf der Galeone fest. Er spürte die starke Strömung, die trotz der Flut an ihm
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zerrte, und er wußte, daß sie von dem Fluß herrührte, der um diese Jahreszeit seine Wassermassen in die Ponce de Leon Bay mit großer Gewalt ergoß. Das aber war es, auf das er baute. Trotzdem bewegte er sich langsam vom Bug zum Heck. Er wollte es genau¬ überprüfen, dazu aber mußte er noch einmal vom Heck der Galeone aus die Insel in Augenschein nehmen, vor der sie ankerte. Der Bug der „Isabella“ war in die Bucht gerichtet, sie hatte sich in die Strömung gedreht. Hinter ihr, etwas seitlich versetzt von der Insel, die der Seewolf zur Seeseite hin als Deckung benutzte, befand sich eine Untiefe, das wußte Wakantoo. Sie war auch bei Höchstwasserstand für ein Schiff wie dieses nicht zu passieren. Dennoch tauchte er vorsichtshalber noch einmal hinunter bis zum Kiel der „Isabella“, und als er ihn abtastete, verzog ein Lächeln der Befriedigung seine Züge. Wakulla wird zufrieden sein mit Wakantoo, dachte er und tauchte wieder auf. Einen Moment schöpfte er Atem, dann bewegte er sich langsam an der im Dunkel liegenden Backbord-Bordwand der „Isabella“ entlang bis zum Bug. Über sich vernahm er die leisen, flüsternden Stimmen der Fremden, deren Worte er aber nicht verstand. Wakulla hatte recht, diese Fremden führten etwas im Schilde, denn an Bord des großen Schiffes herrschte emsige Geschäftigkeit. Wakantoo verlor keine Zeit mehr. Innere Unruhe trieb ihn zur Eile an. Er schwamm langsam, ohne das geringste Geräusch zu verursachen, zur Ankertrosse hinüber, die durch den Zug der Strömung straff gespannt war. Eine Weile lauschte er aufmerksam, aber niemand an Bord des Schiffes hatte ihn bemerkt. Wieder überzog ein zufriedenes Grinsen seine ebenmäßigen Gesichtszüge. Das wäre keinem seiner Krieger passiert - diese Fremden waren merkwürdige Wesen. Klug, gefährlich und stark, aber ihre Ohren und Augen waren verschlossen. Sie
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mussten blind und taub sein wie alte Weiber! Wakantoo nahm das scharfe, große Messer in die Rechte, mit der Linken klammerte er sich an die Ankertrosse. Gleichzeitig schloß er seine Beine um die Trosse, als beabsichtige er, daran hochzuklettern. Das verlieh ihn festen Halt, und auf diese Weise vermochte er das Messer fest anzusetzen und starken Druck auf die scharfe Klinge auszuüben. Wakantoo arbeitete schnell und konzentriert. Aber die Trosse war steif und dick, und die Feuchtigkeit der fest gedrehten Hanffasern tat ein übriges. Wakantoo brauchte lange, aber dann spürte er, wie es in der fast durchtrennten Trosse zu arbeiten begann. Sie hielt dem starken Zug, den das schwere Schiff auf sie durch die Strömung ausübte, nicht mehr stand. Noch ein paar „Schnitte“ brachte Wakantoo an, dann ließ er die Trosse fahren und tauchte schleunigst ab. Den Knall, mit dem die Trosse brach, hörte er noch tief unter Wasser. und das wütende Gebrüll der Seewölfe, als er auftauchte, um rasch Luft zu schöpfen, war in seinen Ohren wie der Gesang der Mädchen und Frauen beim großen Fest zu Ehren Manitous. Er sah, wie die „Isabella“ von der Strömung erfaßt wurde und genau auf jene Stelle der Bucht zutrieb, wo sich die Untiefe befand. Der Mond, der schon tief zwischen den Bäumen stand, beleuchtete diese Szene auf fast gespenstische Weise. Dann lief die „Isabella“ auf. Ein gewaltiger Ruck ging durch das schwere Schiff, und immer weiter zerrte und zog die Strömung die „Isabella“ auf die Untiefe hinauf. Die Fremden stießen wilde Verwünschungen aus, eine mächtige Stimme, die wie Donner über das Wasser der Bucht rollte, dröhnte auf. Wakantoo wandte sich ab. Seine Aufgabe war erfüllt. Es würde den Fremden nicht mehr gelingen, die Ponce de Leon Bay gegen den Willen Wakullas zu verlassen. Der feine Sand, der die Untiefe bedeckte, würde das schwere Schiff der Fremden unbarmherzig festhalten, und damit
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wurden sie zur wehrlosen Beute, wenn Manitou es so wollte. Wakantoo schwamm jetzt rasch. Er tauchte zwar auch jetzt immer wieder weg, weil er wußte, wie gefährlich die Feuerrohre dieser Fremden waren, aber er beeilte sich auch, weil er wußte, daß der Lärm und das Gebrüll der Fremden die Alligatoren aufstören würden. Sie würden zum Schiff der Weißen hinüberschwimmen, und er wollte ihnen bei Nacht im Wasser der Bucht nicht begegnen. Wakantoo hatte das Ufer fast erreicht, als ein gewaltiger Blitz die Bucht erhellte. Wakantoo warf sich herum und sah, wie lange Feuerzungen aus dem Schiff der Fremden hervorstachen. Dann heulte es über ihn .hinweg mit furchtbarer Gewalt. Gleich darauf erschütterte ein Donnerschlag die Bucht, wie Wakantoo ihn noch nie vernommen hatte. Vor Schreck warf er sich abermals herum und verschwand unter der Wasseroberfläche. Aber das verhinderte nicht, daß er vernahm, wie die Breitseite, die der Seewolf hatte abfeuern lassen, am Ufer der Bucht einschlug. Bäume zersplitterten, Äste und Zweige wirbelten durch die Luft, die Schreie getroffener Seminolen hallten schauerlich durch die Nacht und verkündeten, daß der Tod dabei war, sein blutiges Handwerk auszuüben. Wakantoo erreichte das Ufer. Er stürzte auf Wakulla zu, als er das Ausmaß der Verwüstung erkannte, das diese einzige Breitseite der Fremden angerichtet hatte. Doch Wakulla ließ ihm keine Zeit. „Fort, rasch, Wakantoo! Die Fremden laden jetzt ihre Kanonen, und dann schicken sie wieder Tod und Verderben zu uns herüber ...“ Seine letzten Worte gingen im Dröhnen der Drehbassen unter, die der Seewolf abfeuern ließ. Wieder stachen grelle Mündungsblitze vom Vorund Achterkastell der „Isabella“ durch die Nacht. Dann, viel früher und viel schneller, als Wakulla angenommen hatte, entluden sich abermals die schweren Kanonen der „Isabella“ und schickten ihre tödliche Ladung zum Ufer hinüber.
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Die Hölle brach los. Das gehackte Blei und ein Hagel aus Eisen prasselten in die Bäume, dann heulten Stangenkugeln und schwere Kaliber der drei 25pfünder auf dem Quarterdeck heran. Wakulla konnte nicht wissen, daß der Seewolf nicht alle Kanonen zugleich hatte abfeuern lassen. In der Bucht schien ein Inferno ausgebrochen zu sein. Blitze zuckten, Donner rollte über das Wasser. Die Seminolen, von diesem Feuerüberfall überrascht, stürzten in wilder Flucht davon. Kanus, deren Insassen unter Todesverachtung versuchten, an die „Isabella“ heranzupaddeln, wurden im wilden Feuer der Drehbassen wieder abgedreht oder versanken, von Blei und Eisen zerschlagen, im Wasser der Bucht. Wakulla war ein mutiger Mann, er kannte so leicht keine Furcht, aber einen so furchtbaren Feuerüberfall hatte er noch nicht erlebt. Dabei hatte er angenommen, seine Feinde würden - ratlos und unfähig zu jeder Gegenreaktion - verzweifelt versuchen, ihr Schiff wieder von der Sandbank zu ziehen. Auch Wakulla befiel in diesem Moment so etwas wie Panik, denn er spürte die ungeheure Wut, mit der diese Fremden jetzt zu kämpfen begannen. Wakulla packte Wakantoo am Arm und zog ihn mit sich fort. Er tat das gerade noch rechtzeitig, denn dort, wo er und Wakantoo eben noch gestanden hatten, schlugen prasselnd die Ladungen zweier Drehbassen ein. Äste wurden vom glühendheißen Blei zerschmettert und herumgewirbelt, scharfkantige Eisenstücke zerfetzten die Stämme von Bäumen und rissen Lianen herunter. Ein Kanu, von den Kriegern in wilder Flucht ans Ufer gepaddelt und dort zurückgelassen, zerplatzte unter der Wucht gleich darauf einschlagender 17pfünder. Aber das alles sahen Wakulla und Wakantoo nicht mehr. Sie stießen in diesem Moment auf einen Trupp zwar entnervter, aber von wildem Zorn erfaßter Krieger, der sich soeben in sicherer Entfernung von der Bucht wieder zu sammeln begann.
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Wakulla blieb stehen, dann rief er einige kurze Kommandos in der kehligen Sprache der Seminolen, und die Krieger setzten sich sofort in Bewegung. Sie schwärmten aus und begannen nach Toten oder Verwundeten zu suchen. Andere besetzten die Anhöhe rings um die Bucht, um die Feinde aus sicherer Entfernung im Auge behalten zu können. Hinunter zur Bucht traute sich in diesem Moment auch der mutigste Krieger nicht, außerdem hatte ihr Häuptling das strikt verboten. Allmählich kehrte dann Ruhe ein. Die Kanonen und Drehbassen der „Isabella“ verstummten, die Bucht lag wieder ruhig und scheinbar friedlich im Mondschein da. Aber jeder, Seminolen wie Seewölfe, wußte, daß dieser Eindruck täuschte. 8. Nur wenige Meilen von der „Isabella“ entfernt, hatte der Donner der Breitseiten noch jemanden alarmiert. Mardengo war an Deck der „San Carmelo“ gestürzt, und auch Gato stand lauschend auf dem Achterdeck. Sie vernahmen das dumpfe Wummern der schweren Kanonen r „Isabella“ genauso wie die harten, scharfen Entladungen der Drehbassen. „Da ist er, dieser schwarzhaarige Bastard!“ sagte Mardengo, als die Kanonen schließlich wieder verstummt waren. „Ich habe sie schon mal vernommen, er hat schwere Kaliber auf seinem Schiff. Aber auf wen, zum Teufel, schießt er jetzt, mitten in der Nacht?“ Ja, das war wirklich die Frage. Die Spanier, dieser dreimal verfluchte Don Augusto mit seinen Galeonen, konnten es nicht sein, denn die hätten das Feuer erwidert, und das wiederum wäre zu hören gewesen, auch wie sie die Kanonen des schwarzhaarigen Bastards gehört hatten. Indianer kamen auch nicht in Frage. Mardengo glaubte sie gut genug zu kennen, um zu wissen, daß sie niemals nachts angriffen, nicht einmal die gefürchteten Seminolen. Das hing mit ihrem Glauben zusammen, mit ihrer Furcht vor Dämonen und Geistern, die während
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der Nacht ihr Unwesen trieben und die man nur allzu leicht erzürnte. Mardengo und Gato überlegten angestrengt, und auch die Piraten unter ihnen auf dem Hauptdeck diskutierten heftig durcheinander schnatternd diesen Vorfall, der sie von ihren Schlafplätzen an Deck getrieben hatte. Auch sie fanden keine Erklärung - weil sie Wakulla zu wenig kannten und ihn nicht einzuschätzen vermochten. „Wir segeln mit dem ersten Tageslicht“, sagte Mardengo. „Ich will sehen, was dort geschehen ist. Mein Gespür sagt mir, daß dieser schwarzhaarige Bastard in Schwierigkeiten steckt. Und wir, Gato, werden dafür sorgen, daß seine Schwierigkeiten noch viel größer werden.“ Die Augen Mardengos funkelten vor Kampfeslust. Ja, jetzt endlich war es soweit - die Stunde der Rache nahte! * An Bord der „Isabella“ war der Teufel los. Die unbeschreibliche Wut, die die Seewölfe erfüllte, hatte sich nicht einmal im Dröhnen der Kanonen gemindert. Nein, sie wußten genau, daß ihnen irgend so ein roter Halunke heimtückisch die Ankertrosse gekappt hatte. Jetzt saßen sie fest, und wie! Nichts von alledem, was sie sofort versucht hatten, hatte geholfen, alles war viel zu schnell gegangen. „Diese Hunde haben genau gewußt, wohin uns die Strömung treiben würde!“ tobte Luke Morgan. „Die haben uns auflaufen lassen, weil sie über uns herfallen wollen. Paßt auf, sobald der Morgen graut, greifen sie an. Und wir werden keine Möglichkeit haben, die ,Isabella` wieder flottzukriegen. Mir war das sowieso schon unheimlich, daß sie euch einfach durchgelassen und nur die Wasserfässer verlangt haben. Große Medizin - daß ich nicht lache! Ja, da haben wir die große Medizin, aber die Rothäute sollen noch an Luke Morgan denken, denn sie werden ¬ihre große Medizin selber auslöffeln müssen und dabei merken, wie bitter sie schmeckt, diese Hundesöhne!“
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Luke Morgan war wild, und er sagte, was er dachte. Und so, wie seine Stimmung war, war auch die der anderen. Auch Hasard und Ben Brighton spürten den kalten Zorn über diesen heimtückischen Angriff mehr und mehr in sich hochsteigen. Gleichzeitig aber auch die Sorge um ihr Schiff Und die Sorge um ihr weiteres Schicksal. Denn ihre Lage war alles andere als rosig. Ferris Tucker brach als erster das Schweigen auf dem Achterdeck, und die beiden Zwillinge starrten ihn aus großen Augen an, denn auch seine Stimme klang heiser vor Zorn. „Ich werde. jetzt erst mal außenbords nachsehen, wie fest die ,Isabella' sitzt. Wehe uns, wenn sie so festsitzen sollte, daß wir sie auch mit dem Warpanker nicht wieder flottkriegen. Aber ich will das wissen: Denn jetzt haben wir noch Flut, wenn das Wasser erst fällt, sieht alles noch viel beschissener aus.“ „Du hast recht, Ferris. Dabei stört uns die Dunkelheit nicht - im Gegenteil, sie schützt uns davor, daß die Seminolen erkennen, was wir vorhaben, und uns auf irgendeine Weise daran hindern. Ich werde dich begleiten, Dan ebenfalls, denn er ist von uns allen der beste Taucher und Schwimmer. Wir müssen genau ertasten, wie weit sich die ,Isabella` auf die Untiefe geschoben hat, vor allem aber auch, ob sie durch die Strömung noch weiter hinaufgeschoben wird. Es gilt, so rasch wie möglich wieder flott zu werden, denn die Seminolen haben sich für den Moment zwar zurückgezogen, weil unsere Breitseiten sie wahrscheinlich aus purem Zufall ziemlich hart erwischt haben. Aber dieser Wakulla gibt nicht auf. Wenn er uns wirklich vernichten will, dann wird er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das zu tun. Dieser Wakulla ist einer von der ganz harten Sorte, er ist aus demselben Holz wie wir. Trotzdem - ich verstehe das Ganze nicht. Wozu diese verfluchte Heimtücke, wenn er uns vorher laufen ließ, als er uns mit Leichtigkeit hätte töten können?“
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Auch der Seewolf kochte. Trotzdem gingen Ferris Tucker, Dan und er unverzüglich daran, sich für die Tauchexkursion vorzubereiten. Carberry, Ben Brighton, Big Old Shane und alle die anderen lauerten in der Dunkelheit hinter den Kanonen oder den Drehbassen, oder sie hockten hinter den Schanzkleidern und auch – wie Batuti beispielsweise – in den Toppen, um jedes sich heranpirschende Kanu der Indianer sofort aufs Korn zu nehmen. „Ed - ein paar Mann aufs Achterkastell und auf die Achtergalerie. Gebt uns Feuerschutz, falls Seminolen in der Nähe der ,Isabella` auftauchen. Feuert sofort! Wir werden uns beeilen.“ Carberry nickte nur, dann ließen sich Tucker, Dan und der Seewolf von der Heckgalerie ins Wasser der Bucht hinunter. Ferris Tucker tauchte als erster, dann Dan, darauf der Seewolf. Immer befanden sich zwei an der Wasseroberfläche, die die Umgebung der „Isabella“ scharf im Auge behielten. Was sie vorfanden, entsprach ihren schlimmsten Erwartungen. Die „Isabella“ hatte sich weit auf die Untiefe geschoben. Zwar würde man sie mittels eines Warpankers wieder herum ziehen können, aber das würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die ihnen Wakulla und seine Seminolen bestimmt nicht ließen. So jedenfalls dachten in diesem Moment Hasard, Ferris Tucker und Dan O'Flynn. Aber sie irrten sich genauso, wie Wakulla und seine Seminolen von den Ereignissen am frühen Morgen des neuen Tages überrascht wurden. Beide Lager gerieten in ziemliche Unordnung, und beide Seiten wußten zunächst überhaupt nicht mehr, wer denn nun eigentlich Feind und wer Freund war. Mardengo hatte den Anker gelichtet, als der erste Silberstreif im Osten das Herannahen des neuen Tages verkündete. Der Pirat war ungeduldig, er brannte darauf, mit seinem alten Feind endlich abzurechnen. Er wollte die große schnelle Galeone des schwarzhaarigen Bastards unter allen
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Umständen erbeuten, denn nur mit ihr konnte es ihm gelingen, seine Macht an den Küsten Floridas neu zu begründen. Ganz zu schweigen von den Schätzen, die sich in den Laderäumen jener Galeone befinden mußten. Mardengo kannte sich in den Gewässern um die Ponce de Leon Bay hervorragend aus. Er selbst hatte das Ruder der „San Carmelo“ übernommen, und Gato war damit beschäftigt, das Laden der Kanonen und Drehbassen zu überwachen. Viele Männer standen Mardengo nicht zur Verfügung, aber es war nicht das erste Mal, daß er gegen einen zahlenmäßig stark überlegenen Feind ins Gefecht ging. Die „San Carmelo“ lief gute Fahrt. Sie erreichte die Einfahrt in die Ponde Leon Bay, als die Sonne den Himmel im Osten bereits mehr und mehr aufzuhellen begann; so daß die Sicht schon bedeutend besser wurde. Zu sehen war der Sonnenball noch nicht, er wurde noch von dem dichten Vegetationsgürtel und den hohen Bäumen verdeckt, die das Hinterland der großen Bucht abschirmten. Mardengo hatte nicht umsonst dem Kanonendonner so aufmerksam gelauscht. Seine genauen Kenntnisse über die Bucht halfen ihm, sich vorzustellen, wo sich die Galeone des Feindes ungefähr versteckt haben mußte. Denn daß der schwarzhaarige Bastard die Bucht nur deshalb angelaufen hatte, um sich vor dem Geschwader Don Augustos zu verbergen, das bezweifelte Mardengo keinen Moment. Er hätte sich nicht anders verhalten - die Spanier kannten nämlich die Gefährlichkeit dieser Buchten an der Westküste Floridas sehr gut und hüteten sich meistens, zu weit in sie hineinzusegeln. Dabei dachten sie beileibe nicht nur an die Untiefen, denen schon so manche stolze Galeone zum Opfer gefallen war, sondern vor allem auch an die kriegerischen Seminolen unter ihrem gefürchteten Häuptling Wakulla, der ihnen schon hohe Verluste beigebracht hatte. Aber was, zum Teufel, war dann in der Bucht geschehen? Warum hatte der schwarzhaarige Engländer seine Kanonen
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abfeuern lassen, und wem, zum Henker, hatten die Breitseiten gegolten? Mardengo überlegte das immer wieder, aber er gelangte zu keinem befriedigenden Ergebnis. Der Pirat richtete sich auf. „Gato!“ brüllte er. Sein Unterführer reagierte sofort. Mit ein paar Sätzen war er heran und enterte zum Achterdeck auf. „Gato, du gehst selbst in den Großtopp. Ich brauche dort einen verläßlichen Mann, der gute Augen hat. Wenn du das Schiff dieses Hundesohns siehst, greifen wir sofort an, und zwar möglichst aus der Deckung einer Insel heraus. Wenn diese Ratten uns entdecken, ist es für sie zu spät. Aber paßt auf, daß ihr die Galeone nicht in Stücke schießt, die brauchen wir noch. Ladet vor allem die Drehbassen mit Eisen und gehacktem Blei, nehmt Musketen und Tromblons und putzt die Kerle damit von den Decks. Ich bleibe am Ruder und werde darauf achten, daß wir nicht in die Schußlinie seiner Geschütze geraten. Der Kerl liegt bestimmt vor Anker und ist gegen uns völlig unbeweglich. Bevor er den Anker oben und die Segel gesetzt hat, haben wir gesiegt!“ Mardengo schnupperte in den Wind. „Der Wind hat gedreht, er weht jetzt fast aus Südwest, besser könnte er für uns gar nicht sein. Wir haben alle Vorteile auf unserer Seite, denn dieser verfluchte Teufel rechnet nicht damit, daß wir plötzlich in der Bucht erscheinen.“ Gato wiegte den Kopf. Im großen und ganzen gab er Mardengo recht, aber da war ein Punkt, der ihm nicht gefiel. „So könnte es sein, Mardengo, und vielleicht ist uns wirklich ein schneller Sieg beschieden. Aber eins sollten wir bedenken: Der Bastard hat heute nacht gegen irgendeinen Gegner gekämpft. Er hat seine Kanonen abgefeuert, dazu mußte er sein Schiff aber erst in die richtige Position bringen. Zumindest könnte sich das so abgespielt haben. Es kann also durchaus sein, daß er die Segel vielleicht nur ins Gei gehängt hat und gefechtsbereit ist. Er verfügt über eine zahlenmäßig viel
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stärkere Besatzung als wir. Sei darum deiner Sache nicht zu sicher, sonst könnte es für uns eine böse Überraschung geben.“ Mardengo nickte, dann lief ein hartes Grinsen über seine Züge. „So könnte es sein, ich wette aber fast mit dir, daß es nicht so ist. Als seine Galeone angegriffen oder überfallen wurde, war Nacht. Er hat also bestimmt in der Bucht vor Anker gelegen und auch aus dieser Position gefeuert. Der Wind steht zu ungünstig für ihn, als daß er wagen könnte, die Bucht noch bei Nacht zu verlassen. Du weißt, wie viele Untiefen es gibt und wie viele kleine Inseln das Fahrwasser versperren. Nein, dieser Bastard hat den Angriff zurückgeschlagen, und vielleicht will er am Morgen die Bucht wieder verlassen. Aber wir werden schneller sein!“ Gato nickte nur kurz. Warum sollten sie weiterdiskutieren? Sie würden ja sehen. Er verließ das Achterdeck und enterte in den Großtopp auf, nachdem er den Männern nochmals alle notwendigen Anweisungen gegeben hatte. Das war der Moment, in dem die „San Carmelo“ die Flußmündung an Backbord passierte, und Shark Point längst hinter der Galeone im Nebel, der in Schwaden über die Wasseroberfläche zog. versunken war. * Für die Seewölfe standen die Dinge schlecht. Die „Isabella“ saß fest. Der Versuch, ein Boot zu Wasser zu lassen, um an einer Trosse den Warpanker auszubringen, war von den Seminolen mit wütendem Geheul und einem Pfeilhagel beantwortet worden, der die Seewölfe zum sofortigen Rückzug und zur Aufgabe ihres Vorhabens gezwungen hatte. Auch die schweren Kanonen nutzten Hasard und seinen Männern nichts, denn die Seminolen hatten ihre Lektion längst gelernt. Sie befanden sich genau dort, wohin die Kanonen durch ihre Stückpforten nicht zu zielen vermochten. Carberry und die anderen fluchten erbittert.
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„Das ist doch eine der lausigsten und beschissensten Lagen, in der wir uns je befunden haben!“ sagte der Profos, und seine Stimme rollte wie der Donner eines herannahenden Gewitters über Deck. Er hatte recht - denn für den Moment wußte nicht einmal der Seewolf mehr weiter. Hunderte von Seminolen lauerten am Ufer der Bucht. Eine große Anzahl von Kanus, allesamt mit gut bewaffneten Kriegern besetzt, lagen in der Bucht. Sie riegelten die „Isabella“ sowohl zur Bucht als auch zum Land hin ab. Und durch diese Sperre zu schlüpfen war unmöglich. Ja. es war eine schlimme Lage, in der sie sich befanden. Völlig manövrierunfähig, standen sie einer derartige Übermacht gegenüber, daß sie absolut keine Chancen mehr hatten, wenn die Seminolen loslegten und die „Isabella“ von allen Seiten zugleich angriffen. Sicher, es würde Tote geben, Wakullas Krieger würden so hohe Verluste hinnehmen müssen wie vielleicht noch nie zuvor - aber letztlich würden sie die Sieger bleiben. Das war dem Seewolf und auch allen anderen an Bord völlig klar. Die Männer kauerten hinter den Schanzkleidern, standen an den Drehbassen, aber nichts geschah. Hasard und Ben Brighton befanden sich auf dem Achterdeck. Unablässig beobachteten sie die feindlichen Krieger. Wenn es wirklich zum letzten Kampf kommen sollte, dann waren sie entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Aus diesem Grunde hatte der Seewolf seine beiden Söhne zu sich aufs Achtereck befohlen. Er wollte, daß sie in seiner Nähe waren, denn den Seminolen, das stand für Hasard fest, würden die beiden nicht in die Hände fallen. Tamao und Asiaga kauerten auf dem Hauptdeck, unweit von Carberry, Ferris Tucker und Matt Davies, dessen Hakenprothese hin und wieder im ersten Licht der höher und höher steigenden Morgensonne blitzte. Plymmie, Arwenack und Sir John verhielten sich still. Arwenack kauerte auf der Großrah, Sir John hatte sich zum
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Kutscher in die Kombüse verkrochen, wo der Kutscher gerade damit beschäftigt war, ein Faß Rum anzuschlagen. An jeden Seewolf, auch an Little Ross, sollte ein Quart ausgegeben werden. Mac Pellew, dessen Gesicht an diesem Morgen noch sauertöpfischer wirkte als sonst, half ihm dabei. Der Kutscher und Mac Pellew hatten gerade damit begonnen, die Becher der Männer mit Rum zu füllen, da geschah es. Die Seminolen schienen einen Moment zu erstarren, aber dann begannen sie plötzlich in ihren langen Kanus wie die Irren zu paddeln. Ihre muskulösen Körper schwangen im Takt hin und her, immer schneller tauchten ihre Paddel ein. Vom Land her ertönte ein infernalisches Geheul, das den Männern auf der „Isabella“ durch Mark und Bein ging. „Achtung!“ Carberry war es, der diese Warnung mit Donnerstimme über die Decks brüllte. „Sie greifen an, die Halunken wollen es jetzt wissen, gebt es ihnen, drauf, Mä ...“ Verblüfft brach Carberry ab. Genau wie Hasard, Ben Brighton und die beiden Zwillinge, die aufgesprungen waren und nun neben ihrem Vater standen, starrte er auf die Szene, die sich in diesem Moment ihren Augen darbot. Um die Insel herum segelte eine Galeone heran. Sie geriet so schnell ins Blickfeld der Seewölfe, daß keiner mehr Zeit hatte, den Vorgang überhaupt richtig zu begreifen. Fest' stand aber, daß von diesem Moment an die „Isabella“ für die Seminolen nicht mehr existierte, denn der Ring der Kanus, der sie eben noch eingeschlossen hatte, öffnete sich, und die Kanus schossen der heransegelnden Galeone entgegen. Little Ross sprang plötzlich aus seiner Deckung hervor und zeigte auf den Mann, der auf dem Achterdeck der heransegelnden Galeone stand. Seine Stimme übertönte das entsetzliche Geheul der Seminolen. „Mardengo!“ schrie er. „Das ist dieser verfluchte Hund von einem Piraten, das ist Mardengo!“
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„Feuer frei!“ Hasards Stimme scheuchte die Seewölfe aus ihren Deckungen. Ein Teil von ihnen stürzte an die schweren Kaliber auf dem Quarterdeck, die anderen liefen zu den Siebzehnpfündern, und auch die Männer an den Drehbassen auf dem Vor- und Achterkastell visierten die heranrauschende Galeone Mardengos an. „Wartet, bis sie sich in Schußposition befindet. Wenn die Kerle diesen Kurs halten, laufen sie uns genau vor die Rohre!“ Aber auch Mardengo erkannte das. Ein kurzer Befehl an den Rudergänger, und die „San Carmelo“ schwang herum. „Der schwarzhaarige Bastard liegt fest, er sitzt auf einer Untiefe, wir haben ihn!“ brüllte er. Aber sein Schiff reagierte zu langsam. Die Strömung, die aus der Bucht drängte, versetzte es. Mardengo hatte zu wenige Männer, um die Segel schnell genug anzubrassen. Der Pirat erkannte das, und er tanzte vor Wut auf dem Achterdeck herum wie ein Besessener. „Feuer!“ schrie er, und auf der „San Carmelo“ blitzte es aus vielen Rohren zugleich auf. Zufall oder nicht - die Breitseite lag gut. Der Seewolf spürte, wie die „Isabella“ von den Einschlägen der Kanonenkugeln durchgeschüttelt wurde. Vier oder fünf Treffer, dachte 'er kalt und verlor für keinen Moment die Übersicht. Dann schnitt seine Stimme über Deck. „Feuer!“ Auch die Kanonen der „Isabella“ entluden sich donnernd. Teile des Rumpfes der „San Carmelo“ zersplitterten. Das Achterkastell erhielt ein paar schwere Treffer. El Fuego, der Riese, der jeden Feind mühelos mit der bloßen Faust erschlug, starb im Bleihagel der Drehbassen. Mardengo sah El Fuego fallen und auch, was die Breitseite auf der „San Carmelo“ angerichtet hatte, denn noch zwei seiner Männer wälzten sich in ihrem Blut an Deck - und das gab den Ausschlag, zumal die Seminolen jetzt ebenfalls begannen, einen Ring um die „San Carmelo“ zu
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ziehen und dann unter wütendem Geheul auf die Galeone Mardengos zuzupaddeln. Eine zweite Ladung von gehacktem Blei und Eisenstücken fegte über das Deck der „San Carmelo“, fetzte in die Segel und schlug prasselnd in die Schanzkleider, die stellenweise regelrecht zersplitterten. Dann aber war die „San Carmelo“ herum. Mardengo und seine Männer schafften es, aus dem Schußfeld der „Isabella“ herauszusegeln, noch bevor der Seewolf abermals abfeuern lassen konnte. Dafür mußte sich Mardengo jetzt aber die heulenden, zu allem entschlossenen Seminolen mit seinen Drehbassen vom Leib halten. Wieder und wieder ließ Mardengo feuern, und auch die Kanonen spien ihre tödlichen Ladungen zwischen die Angreifer, bis diese endlich zurückwichen und ihre Absicht, die „San Carmelo“ zu entern, aufgaben. Mardengo benutzte diese Atempause. Mit großem Können segelte er die „San Carmelo“ wieder in die Mündung der Ponce de Leon Bay zurück, aber er drehte sich noch einmal nach dorthin um, wo er den Seewolf seine Männer wußte. „Du hast heute Glück gehabt, du Bastard, daß die Seminolen da waren. Aber das schwöre ich beim Leben Oka Mamas wenn sie dich und deine anderen Hundesöhne heute nicht auslöschen, dann sehen wir uns wieder, und dann hat deine Stunde geschlagen. Dann wirst du sterben, du schwarzhaariger Bastard, langsam und qualvoll, und Mardengo wird wieder der Herr über Floridas Küsten sein!“ 9.
Die Seewölfe standen an Deck. Diesmal zeigte sogar der Profos Ed Carberry Wirkung. Er stierte zu den Seminolen hinüber, die den Ring um die „Isabella“ nicht wieder schlossen, sondern, eilig ans Ufer paddelten, Verwundete und Tote in ihren Booten mit sich führend. Carberry schüttelte wie benommen den Kopf.
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„Mann, Hasard, Sir - verstehst du ? Was war da eigentlich eben los? Die Kerle, diese rothäutigen Halunken brauchten doch nur zuzusehen, wir von diesem Mardengo mit seinen Kanonen zusammengeschossen werden. Wie hätten wir uns denn wehren sollen, wenn dieser Kerl nicht so dämlich gewesen wäre, uns geradewegs vor die Rohre zu segeln? No, Sir, da wäre für uns gar nichts mehr drin gewesen, der hätte uns rasiert, bis kein Mast und keine Rah mehr an Bord gewesen wären. Denn unsere Lady, die sitzt fest. Sir, begreifst du, warum die Seminolen diesen Mardengo angegriffen und ihn damit daran gehindert haben, zunächst einmal uns zu erledigen, ohne daß sie auch nur einen lausigen Pfeil abzuschießen oder eine Lanze zu werfen brauchten?“ Der Seewolf nickte, und dem Profos sackte das Rammkinn nach unten. „Wie, was, du begreifst das?“ „Mardengo ist Wakullas erbitterter Feind. Es entspricht nicht dem Wesen Wakullas, auch nur indirekt oder nur auf Zeit mit einem Schnapphahn wie diesem Mardengo zu paktieren. Nicht einmal dann, wenn er damit ohne eigenes Risiko einen Feind zur Hölle schicken lassen kann. Dieser Wakulla ist stolz, viel zu stolz, um sich auf solche miesen Tricks einzulassen. Er würde die Achtung seiner Krieger verlieren, wenn er so etwas in seinem Gebiet duldet.“ Carberry wiegte den Kopf. Er konnte das alles nicht so recht glauben, aber Hasard wandte sich an Ben Brighton. „Ben, wie denkst du darüber?“ fragte er. Ben zögerte nicht mit der Antwort. „Ich glaube, die Dinge stehen jetzt gar nicht mehr so schlecht für uns. Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir diesen stolzen Seminolenhäuptling schon bald an Bord begrüßen. Das ist meine Meinung.“ * Ben Brighton behielt recht. Die Sonne stand über der Bucht, und wieder breitete sich eine fast unerträgliche Hitze auf den Decks der „Isabella“ aus, als sich den
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Seewölfen ein Kanu näherte, in dem nur ein einziger roter Krieger saß: Wakulla, der Häuptling der Seminolen. Er hielt auf die „Isabella“ zu und schwang sich dann kurzerhand an Bord, nachdem einer der Seewölfe ihm auf Befehl des Seewolfs ein Tau zugeworfen hatte. Einen Moment verharrte er an Deck und sah sich um. Seine dunklen Augen musterten das Schiff, wanderten hinauf zu den hohen Masten und verweilten dann auf den Kanonen. Dann blickte er nach achtern und sah dem Seewolf entgegen, der gerade vom Achterdeck abenterte und auf Wakulla zuging. Die beiden Männer blieben voreinander stehen. Die dunklen Augen Wakullas schienen den Seewolf zu durchbohren, aber der hielt dem Blick des Häuptlings stand. „Wakulla schenkt dir und deinen Männern die Freiheit“, sagte er in leidlichem Spanisch. „Ihr könnt die Bucht verlassen, wann ihr wollt. Ihr seid nicht die Feinde Wakullas und auch nicht Feinde des großen Volkes der Seminolen. Aber ihr könnt auch nicht Wakullas Freunde sein, obwohl ihr tapfere Krieger seid, denn kein weißer Mann wird jemals zu den Freunden der Seminolen zählen.“ Wakulla schwieg, und wieder bohrten sich die Blicke des Häuptlings in die Augen des Seewolfs. „Einige meiner Krieger werden euch die beiden Fässer mit dem Wasser, das ihr aus unserer heiligen Quelle raubtet, bringen. So hat es der große Manitou und so haben es die Geister, die im Innern der Quelle wohnen, beschlossen. Ich habe gesprochen, hugh.“ Der Häuptling wandte sich um und enterte ohne ein weiteres Wort von Bord. Gleich darauf paddelte er in seinem Kanu zum Ufer zurück. Die Seewölfe starrten ihm nach - jeder von ihnen war auf eine Weise von diesem Seminolenhäuptling beeindruckt, daß kein lautes, befreiendes Gebrüll aufbrandete, sondern sich bei allen nur ein Gefühl der Bewunderung für den Seminolenhäuptling einstellte.
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Carberry senkte seinen massigen Schädel, dann sah er den Seewolf an. „Nein, Sir, ich habe mich gründlich geirrt: Diese Seminolen sind keine rothäutigen Halunken, sondern freie Menschen, so frei und so stolz wie wir, die Seewölfe!“ Es geschah sehr selten, daß sich Carberry zu solchen Äußerungen, die aber aus seinem tiefsten Innern hervorbrachen, verstieg - und so starrten die Seewölfe ihn nur an, und sie wußten, wie recht ihr Profos hatte. Dennoch, um an Bord der „Isabella“ nun endlich alles wieder ins Lot zu bringen, stieß Carberry plötzlich sein Rammkinn energisch vor. „Und wenn ich eine andere Meinung darüber höre, egal von wem, ihr lausigen Hüpfer, dann ziehe ich dem Kerl persönlich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch. Ist das klar?“ Was Carberry mit seinem Lieblingsspruch bezweckt hatte, bewirkte er auch. Gelächter brandete auf und schwoll zu einem befreienden Gebrüll der Seewölfe
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an. Dann brachten sie ein Hoch auf Wakulla, den Häuptling der Seminolen, und seine tapferen Krieger aus. * Später, nachdem die Schäden, die Mardengo der „Isabella“ mit seiner Breitseite zugefügt hatte, von Ferris Tucker und seinen Gehilfen beseitigt worden waren und die Lady, wie die Seewölfe ihr neues Schiff zärtlich und liebevoll nannten, wieder tipptopp in Ordnung war, segelte sie unter vollem Zeug aus der Ponce de Leon Bay ins offene Meer hinaus. Als sie den Anker hievten und die Segel setzten, standen die Krieger Wakullas am Ufer und blickten aus ihren kohlschwarzen Augen zu dem großen Schiff der weißen Männer hinüber. Aber sie verhielten sich schweigend. Wakulla war der einzige von ihnen, der noch einmal wie zum Abschied die Rechte hob...
ENDE