KLEINE JUGENDREIHE
Nils Holmberg
Der Dschungelkämpfer Teil II
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1958
9. Jahrgan...
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KLEINE JUGENDREIHE
Nils Holmberg
Der Dschungelkämpfer Teil II
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1958
9. Jahrgang; 2. Septemberheft Schwedischer Originaltitel: Djungel-Fightern Ins Deutsche übertragen von Klaus Möllmann Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin W 8, Taubenstraße 10 Lizenz Nr. 3 – 285/43/53 Alle Rechte vorbehalten Umschlag und Illustrationen: Karl Fischer Satz und Druck: VEB Landesdruckerei Sachsen, Dresden III-9-5 185
Inhalt des ersten Teils unserer Erzählung Der aussichtsreiche Schwergewichtsboxer Pat Maloney fordert den Weltmeister Toni Rigoretti zu einem, Titelkampf heraus, doch dieser lehnt ab mit den Worten: „Erledige erst den Urwaldaffen. Dann kannst du wiederkommen.“ Der junge Boxer, auf den Rigoretti verweist und der dann über Pat einen K.-o.-Sieg erringt, ist in der Sportwelt unter dem Namen „Dschungel-Dave“ bekannt. Er kommt aus der afrikanischen Wildnis, und Zeitungen behaupten, er sei ein Affenmensch oder ein weißer Neger. Doch in Wahrheit ist seine rätsel-umwobene Herkunft anderer Art. Nach einem Sturm findet ein Neger an der afrikanischen Westküste einen kleinen weißen Jungen in einer Schwimmweste und verkauft ihn an den jungen Bateken Ukumbwe, der ihn an Sohnes Statt annimmt. Nkenge, die schwarze Mutter, gibt dem Jungen den Namen „Ngolo“, das heißt „der Starke“. Wohlbehütet und geliebt von seinen neuen Eltern, wächst Ngolo im Dschungel heran, ohne zu ahnen, daß er ein Weißer ist. Die Kinder der Wildnis sind auf Schritt und Tritt der Lebensgefahr ausgesetzt, und Ngolo erlebt in seiner Kindheil viel Aufregendes. Einmal rettet er seine Mutter Nkenge vor dem blutgierigen Leoparden, ein andermal überlistet er zusammen mit seinem Freund einen wütenden Elefanten. Während einer Dürreperiode bricht in dem Negerdorf die Hungersnot aus. Die Männer und die älteren Jungen, darunter auch Ngolo, unternehmen einen gemeinsamen Jagdzug in die Tiefe des Urwaldes. Dort schlagen sie ein Lager auf. Den Jungen ist untersagt, allein in den Wald zu gehen. Trotzdem verschwindet Ngolo eines Tages. Voller Sorge macht sich Ukumbwe auf die Suche nach seinem Sohn und entdeckt ihn zu seinem großen Entsetzen – inmitten einer Gorillafamilie.
Der kleine Gorilla Wahrend des Vormittags war für kurze Zeit eine Horde von. Pavianen an der Südseite des Lagerplatzes aufgetaucht. Die Jungen zeigten großes Interesse für sie, Ngolo vielleicht am meisten. Er hatte Ukumbwe die wunderlichsten Dinge über die zahmen Paviane erzählen hören, die dieser auf seinen alljährlich zum Salzholen unternommenen Kanufahrten zur Küste gesehen hatte. Deshalb beschloß Ngolo nun, ein Pavianjunges zu fangen. Er hatte ja keine Ahnung, wie tödlich gefährlich die alten Pavianmännchen werden können, wenn sie ihre Herde verteidigen. Er paßte eine günstige Gelegenheit ab, und als keiner von den anderen Knaben es bemerkte, schlich er sich aus dem Lager. Die Paviane waren zu der Zeit schon weitergezogen, doch Ngolo glaubte, daß er sie wiederfinden würde, wenn er die Richtung einschlüge, in der sie verschwunden waren. Er ging ein Stück, doch von der Pavianherde war nichts zu sehen und zu hören. Trotzdem entschloß er sich, seine Wanderung fortzusetzen, und entfernte sich immer weiter vom Lager. Schließlich schien es, als sollte seine Mühe belohnt werden. Er vernahm schwache grunzende und schmatzende Laute. Sollten das nicht die Paviane sein? Einige wenige Schritte führten ihn zu einer Lichtung. Wie es die Vorsicht gebot, blieb er zwischen den letzten Bäumen stehen, um sich einen Überblick über den Platz zu verschaffen. Dabei machte er nacheinander zwei unverhoffte Entdekkungen: Draußen im Grase trottete auf kurzen, krummen Beinen ein großer dunkelbrauner Affe umher, der sich mit den Handknöcheln auf die Erde stützte. Es war kein Schimpanse – das erkannte man sofort. Er hatte stärkeres Fell, eine dunklere
Gesichtsfarbe und einen wesentlich kräftigeren Körper als ein Schimpanse. Außerdem handelte es sich offensichtlich nur um ein junges Tier. Das runzlige Gesicht und die ungeschickte, tolpatschige Art, in der dieser Affe im Grase umherstöberte, verrieten, daß er noch viel Zeit hatte, bis er erwachsen sein würde... Es gab nur einen einzigen Affen, der so große Junge haben konnte: den Gorilla, den Schrecken des Urwaldes. Dieser Gedanke trieb Ngolo kalte Schauer über den Rükken. Er hatte schreckliche Geschichten über die großen Affen gehört. Hier ist es das beste, zu verschwinden! dachte er. Aber er blieb dennoch stehen. Das Gorillakind war ja allein und sah durchaus nicht gefährlich aus. Außerdem war ee so drollig. Jetzt entdeckte es gerade im Gras einen ungewöhnlich großen Käfer, nahm ihn zwischen die Fingerspitzen und sah verwundert zu, wie er mit seinen vielen Beinen zappelte. Dann führte der neugierige Affe den Käfer an seine platte Nase, um festzustellen, wie er wohl riechen möge. Der Käfer nahm die Gelegenheit wahr und biß sich mit seinen langen, zangenartigen Kiefern in dem einen Nasenflügel des Affenkindes fest, das den Plagegeist sofort von seinem Halteplatz wegriß und weit von sich schleuderte. Dann rieb es sich jammernd mit den Händen das Gesicht. Kleine Mißgeschicke die anderen zustoßen, lösen immer Heiterkeit aus. Ngolo warf den Kopf zurück, um dem Gelächter, das in seinem Hals emporbrodelte, freien Laut zu lassen. Dabei machte er seine zweite Entdeckung, und die nahm ihm mit einemmal alle Lust zum Lachen: Auf einem langen, dicken Baumast, der zwischen ihm selbst und dem Gorillajungen in die Lichtung hinausragte, lag ein ausgewachsenes Exemplar von einem Nkoi, dem
Erbfeind, und bereitete sich zu einem mörderischen Sprung vor. Nicht Ngolo, sondern den kleinen Gorilla hatte sich der Leopard zum Mittagsmahl ausersehen. Von Ngolos Gegenwart wußte er noch nichts. Er sollte jedoch sogleich besser unterrichtet werden. Blitzschnell riß Ngolo seinen Wurfstock hoch und schleuderte ihn mit einem so mächtigen Schwung, daß er die Luft pfeifend durchschnitt. Er traf den Nkoi am Hinterkopf. Der Wurfstock war klein und leicht – ein Spielzeug im Vergleich zu denen, die die Erwachsenen benutzten. Aber er war aus hartem Holz gefertigt, und es lag Wucht in dem Wurf. Der heftige Schlag im Genick ließ den Nkoi Sterne sehen. Die Luft in der Lichtung erzitterte von seinem wütenden Gebrüll. Das Gorillajunge blickte erschrocken auf, gewahrte den Leoparden und ergriff purzelnd und jämmerlich schreiend die Flucht. Da schnellte der Nkoi in einem mächtigen Satz von dem Ast. - Doch zu spät! Er verfehlte sein Opfer. Das Gorillakind war bereits mehrere Meter von der Stelle entfernt, wo der Nkoi niederfuhr. Es hatte Ngolo erblickt, der unerschrocken in die Lichtung hinausgetreten war, bereit, mit seinem Speer den Kampf gegen die Riesenkatze aufzunehmen, und suchte nun, immerfort schreiend, Schutz bei ihm. Verblüfft und rasend vor Wut, wälzte sich der Leopard auf der Stelle, wo er aufgetroffen war, schlug mit dem Schwanz um sich und brüllte. Unterdessen kletterte das zu Tode erschrockene Gorillababy an Ngolo hinauf. Der protestierte wild und versuchte vergebens, das Tier mit seiner freien Hand von sich abzuschütteln. Das Affenkind klammerte sich an ihm fast und bohrte wimmernd seinen großen zottigen Kopf unter das Kinn des Jungen. Ngolo war verzweifelt und verwünschte im stillen das Go-
rillakind und dessen ganzes Geschlecht. Der Nkoi schickte sich gerade zu einem neuen Sprung an, und Ngolo hatte jetzt, da ihn der dumme Affe niederdrückte und in seiner Bewegungsfreiheit behinderte, keinerlei Aussicht, dem Angriff erfolgreich zu begegnen. Plötzlich aber zog etwas anderes die Aufmerksamkeit des Leoparden auf sich. Aus dem Gehölz jenseits der Lichtung hörte man ein Krachen, Dröhnen und Brüllen, und im nächsten Augenblick brach durch das Urwaldgestrüpp ein Geschöpf von schreckenerregendem Aussehen hervor. Der Nkoi drehte sich jählings um und verschwand mit einigen langen Sätzen seitwärts. Das mächtige Tier war ein großer Gorilla, ein Koloß, der allein schon durch die gewaltige Breite und Wucht seines muskelstrotzenden Körpers furchteinflößend und erdrückend wirkte. Mit Hilfe seiner langen Arme bewegte er sich in Riesensätzen vorwärts, und aus seinem unheimlichen, weit geöffneten roten Maul stieg dumpfes, donnerähnliches Grollen. Ngolo geriet vor Schreck aus der Fassung und wäre unverzüglich dem Beispiel des Nkois gefolgt, sein Heil in der Flucht zu suchen, wenn er nur gekonnt hätte. Als der Gorilla den Jungen mit dem Affenkind erblickte, verlangsamte er seinen Lauf, erhob sich auf die Hinterbeine und ging mit ungelenken, schaukelnden Schritten auf die beiden zu. Dabei schlug er sich mit seinen großen, keulenartigen Fäusten gegen die mächtige, fast nackte Brust. Es dröhnte wie das Fell der größten Tanztrommel daheim im Dorf, und zu dieser Musik ließ der Gorilla einen unheilverkündenden Gesang von kurzen, zornigen Grunzlauten hören. Ngolo glaubte, sein letztes Stündlein sei gekommen. Er ließ den Speer los, und es gelang ihm, die Hand unter den Kopf des Gorillababys hindurchzuschieben, so daß er den kleinen,
von Nkenge angefertigten Medizinbeutel fassen konnte, der nach wie vor um seinen Hals hing. Noch einmal erhielt er einen Beweis für die große Kraft des Nkisis, die dem Beutel innewohnte. Kaum hatte er diesen berührt, da gab ihn der kleine Affe frei, ließ sich ins Gras nieder plumpsen und trottete schwadronierend und grunzend dem schrecklichen Gorilla entgegen. Das setzte Ngolo derart in Erstaunen, daß er gar nicht dazu kam, die Gelegenheit zur Flucht auszunutzen. „Er sagte seinem Vater, er solle sich beruhigen, und erzählte, daß ich ihn vor dem Nkoi bewahrt hatte“, behauptete Ngolo später. Wie es auch gewesen sein mag, jedenfalls änderte eich das Verhalten des alten Gorillas wie durch Zauberschlag. Er legte sein kriegerisches Gebaren ab, ließ sich auf alle viere nieder und untersuchte und beschnupperte das Junge. Dann kam er in Begleitung des Affenkindes langsam und unter offenbar freundschaftlichem Grunzen auf Ngolo zu. „Er machte es wie die alten Männer zu Hause im Dorf“, erzählte Ngolo. „Er legte mir die Hand auf den Kopf und sagte dann irgend etwas. Sein Maul bewegte sich so…“ Und Ngolo schnitt schreckliche Grimassen, um zu veranschaulichen, wie es aussah, als der Gorilla sprach. Nachdem der alte Affe auf solche Weise seine freundschaftliche Einstellung bekundet hatte, drehte er sich auf der Stelle um und hüpfte davon. Doch sogleich kehrte er, gefolgt von vier Weibchen, zurück. Das Junge hatte es eilig, zu einer dieser Äffinnen zu kommen, die allem Anschein nach seine Mutter war. Der alte Gorilla übernahm nun die Wache bei den drei anderen Weibchen, die angefangen hatten, Triebe von den jungen Bäumen zu pflücken und zu verzehren. Das Junge kam
mit seiner Mutter zu Ngolo. Sie beugte den Kopf zu dem Knaben nieder, musterte ihn kurzsichtig und beschnupperte erst sein Gesicht und dann seinen Körper. Ngolo hoffte inständig, daß sie seinen Geruch besser fände als er den ihren. Nach Beendigung der Inspektion gab sie einige gedämpfte, tief gestimmte Grunzlaute von sich. Ngolo erwiderte die Artigkeiten, indem er einige Lianenschößlinge brach und ihr reichte. Die Äffin nahm sie dankbar entgegen und zog sich zu einem umgefallenen Baumstamm zurück, auf dem sie sich niederließ und zu schmausen begann. Das Gorillakind verspürte indessen keinen Hunger. Es hüpfte vor Ngolo auf und nieder und schlug mit den Handrücken auf den Boden. Offensichtlich wollte es spielen. Ngolo hockte sich hin und fragte lächelnd: „Wie heißt du?“ Zur Antwort empfing er ein paar Laute, die in seinen Ohren wie „bon-go, bon-go“ klangen. „Ah, Bongo! Na, komm doch her, Bongo!“ rief Ngolo und schlug ebenso wie das Affenkind mit den Händen auf die Erde. Das Gorillajunge tapste sogleich heran und schlang seine langen Arme um ihn, worauf sie beide in einem freundschaftlichen Ringkampf im Grase umherrollten. Bongo war wesentlich stärker als Ngolo, aber er verstand weniger vom Ringen. Die Jungen im Batekendorf machten oft Ringkämpfe, und Ngolo hatte sich im Laufe der Jahre verschiedene Künste und Kniffe angeeignet. Die wandte er jetzt an, mit dem Ergebnis, daß Bongo trotz seiner Stärke ein ums andere Mal flach auf dem Rücken zu liegen kam. Dann gab er jedesmal einen schluchzenden Laut von sich, der Ngolo ein wenig erschreckte, bis er dahinterkam, daß dies
Bongos Art zu lachen war. Selber lachend, versuchte er Bongo beizubringen, wie er sich beim Ringen zu verhalten habe. „Du stellst dich so dumm an, Bongo! Sieh her, so mußt du es machen!“ „Ug! Mum! Ug!“ grunzte Bongo und schluchzte erneut. Ngolo fand solchen Gefallen an seinem neuen Freund, daß er den Wunsch verspürte, ihm etwas besonders Liebes anzutun. „Bongo“, fragte er daher während einer kleinen Atempause, „soll ich dir einen Armreif schenken?“ Bongo zögerte mit der Antwort, doch Ngolo legte das als Zustimmung aus. Er streifte sich eine Messingspirale ab und schob sie dem Gorilla auf den zottigen rechten Unterarm. Im ersten Augenblick schien Bongo von dem ein wenig, unbehaglichen Geschenk nicht sehr begeistert, doch dann setzten sie ihren Ringkampf fort, und der Reif war vergessen. Als es gerade am allerlustigsten war, ertönte plötzlich Ukumbwes Stimme, die nach Ngolo rief. Der Knabe antwortete sofort, in dem unbehaglichen Bewußtsein, daß er sich auf verbotenem Gebiet befand. Aber der alte Gorilla wollte auch ein Wörtchen mitreden. Er ließ ein zorniges Brüllen hören. Bongos Mutter fuhr von dem Baumstamm hoch, riß ihr Junges an sich und eilte über die Lichtung zu dem Affenvater. Die drei anderen Weibchen flüchteten bereits mit Gekrach und Getöse in den Wald. Sobald sich Bongos Mutter mit dem Jungen ihnen angeschlossen hatte, folgte der alte Gorilla nach und deckte ihre Flucht vor dem gefährlichsten aller Tiere der Erde: dem erwachsenen Menschen, der soeben seine gefürchtete Stimme hatte hören lassen. Ngolo fand sich plötzlich allein. All das Vergnügen war zu Ende, und nun nahten die Folgen. Er wußte ja sehr wohl, daß
er die Bestätigung für ein von den Erwachsenen oft gebrauchtes Sprichwort geliefert hatte: Kolama i fu kiabana – Ungehorsam ist eine Sitte bei Kindern. Es war ihm etwas unbehaglich zumute. Die Bateken pflegen, ebenso wie andere Naturvölker, ihre Kinder nicht zu schlagen. Aber Vorwürfe können gleichfalls schmerzen, besonders wenn man weiß, daß man sie verdient hat. Der Speer und der Wurfstock lagen irgendwo in der Lichtung. Ngolo wollte beide Waffen suchen, besann sich jedoch eines anderen und warf sich flach auf den Bauch ins Gras, um sich zu verstecken. Jemand kam durch das Dickicht des Waldes auf die Lichtung zugestürmt. Es war Ukumbwe. Bereit zum Kampf auf Leben und Tod, stürzte er zwischen den Bäumen hervor und erblickte Ngolas aus dem Gras lugenden Kopf. „Ngolo! Was ist mit dir?“ „Ach, nichts“, erwiderte der Knabe und erhob sich langsam, „obgleich du mir fast das Leben aus dem Leib gescheucht hast! Und meine Freunde hast du auch verjagt!“ „Oho!“ Ukumbwe warf sich auf den Boden und begann aus vollem Halse zu lachen. „Deine Freunde! Beim Herzen in meiner Brust, das ist das Närrischste, was ich je gehört habe! Weißt du nicht, daß du Gorillas in die Hände geraten warst? Die hätten dich aufgefressen!“ Der Knabe schüttelte ungläubig dea Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich half dem Kleinen, als der Nkoi ihn töten wollte, und dann spielten wir zusammen. Gorillas sind nette Menschen.“ „Wapi – dummes Zeug!“ brummte Ukumbwe. „Sei froh, daß ich kam, ehe sie dir etwas zuleide tun konnten, und daß sie Angst kriegten und das Weite suchten… Aber sag mir jetzt, Ngolo, warum bist du aus dem Lager weggelaufen,
obgleich es dir verboten war?“ Ngolo blickte zu Boden und stocherte mit dem einen Fuß im Gras herum. „Ich wollte nicht so weit gehen“, sagte er zu seiner Entschuldigung. „Ich wollte nur ein kleines Stück gehen und ein Pavianjunges fangen, das wir hätten zähmen können.“ „Ka bwa ko – so etwas darf man nicht tun“, ermahnte ihn Ukumbwe streng. „Mach das nie wieder!“ Damit, meinte er, sei genug über die Sache geredet, und er erhob sich, um zum Lager zurückzukehren. Ngolo seufzte erleichtert über die Wortkargheit des Vaters und folgte ihm. Auf dem Rückweg begann der Knabe von seinen Erlebnissen zu berichten, wobei er sich nach Kräften bemühte, Ukumbwe davon zu überzeugen, daß die Gorillas ihren schlechten Ruf durchaus nicht rechtfertigten. Sie seien friedfertige und freundliche Geschöpfe, behauptete er. Darin hatte er tatsächlich recht. Der Gorilla ist seiner Natur nach ausgesprochen friedlich und greift weder Mensch noch Tier an, außer zu seiner Selbstverteidigung. Viele Jäger behaupten unter Hinweis auf ihre Erfahrungen das Gegenteil. Sie bedenken wahrscheinlich nie, wie sie selber reagieren würden, wenn plötzlich eine Jagdgesellschaft über sie herfiele, ohne Zögern Mitglieder ihrer Familie tötete und sie selber vielleicht verwundete. Ukumbwe beharrte jedoch unerschütterlich auf seiner Meinung. Es ist nicht leicht, mit einemmal Vorurteile und falsche Vorstellungen über Bord zu werfen, die sich von Generation zu Generation weitervererbt haben und nach und nach zu, Glaubenssätzen geworden sind. „Aber ich möchte Bongo auf jeden Fall wiedersehen!“ Ngolo bestand auf seinem Kopf. „Setze dein Leben nicht unnötig aufs Spiel“, riet Ukumb-
we. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß der Junge dem gefährlichen Affen nie wieder begegnen würde. Er konnte ja nicht ahnen, daß sich Ngolo und Bongo noch einmal treffen würden und daß diese Begegnung für Ngolos ganzes ferneres Leben entscheidend werden sollte. Der fremde Nganga Niemals zuvor waren die Jäger des einsamen Batekendorfs daheim mit ihrer Beute so willkommen gewesen wie Ukumbwe und seine Gefährten. Die Frauen, die sie begrüßten, als sie nach fast dreiwöchiger Abwesenheit zurückkehrten, waren ausgehungert und abgemagert wie Stockfische. Die Kinder mit ihren dicken, runden Bäuchen sahen besser aus. Jeder wußte aber, daß der Schein trog und daß die aufgequollenen Bäuche nicht von reichlichem und gutem Eisen, sondern von unzureichender und minderwertiger Nahrung herrührten. Selbst der Medizinmann Nkyudi, der immer mehr zu essen hatte als die anderen, glich einem Skelett. Es sah fast aus, als schlenkere seine schlaffe Haut um ihn herum, während er umherhüpfte und einen Teil der Ehre, die den Jägern zuteil wurde, für sich beanspruchte, indem er damit prahlte, wie er ihnen durch sein treffliches Zaubern zu gutem Jagdglück verholfen habe. Zwischen den Happen von getrocknetem Fleisch berichtete Nkenge ihrem Mann und ihrem Sohn, wie schwer das Leben im Dorf gewesen war: „Wir haben alles gegessen, welkes Gras, trockenes Laub und Baumrinde. Hätten wir Erdwölfe ergattert, wären wir auch davor nicht zurückgeschreckt,“ Ngolo schüttelte sich vor Unbehagen. Die scheue, häßliche Maulwurfsgrille, die einen so widerwärtigen Gestank um sich verbreitete! Ehe er solch ein stinkendes Tier verzehrte,
würde er gewiß lieber verhungern. „Du würdest sie wohl essen, wenn du nur richtig hungrig wärest!“ sagte Nkenge. „Im übrigen ißt man ja nicht den Geruch“, fügte sie mit echt weiblichem Argumentiervermögen hinzu. „Manche wären sicherlich vor Hunger gestorben“, erzählte Nkenge weiter, „wenn wir nicht das Glück gehabt hätten, ein paar Erdschweine zu erhaschen. Das Fleisch dieser Tiere ist unter die verteilt worden, die am schwächsten und ausgehungertsten waren.“ Die Erdschweine leben hauptsächlich von den weißen Ameisen, den Termiten. Diese lassen sich nie durch Dürre vertreiben, denn von ihren gewaltigen, zementharten Höhlen führen stets Gänge bis zum Grundwasser hinab, auch wenn es sich in eine Tiefe von dreißig bis vierzig Metern zurückgezogen hat. Und da ja die Termiten an Ort und Stelle bleiben, tun die Erdschweine es auch. Aber sie lassen sich nur sehr schwer greifen. Sobald Gefahr droht, graben sie sich in die Erde ein. Mit ihren mächtigen Wühlkrallen schaufeln sie so phantastisch flink, daß sie in weniger als einer halben Minute unerreichbar sind. Einige Tage später kehrte aus den Bergen die andere Jägergruppe zurück. Auch sie kam mit großen Lasten Trockenfleisch beladen, von dem einige wenige leichte Streifen ebensoviel Nahrung enthielten wie ein großer, schwerer Braten. Die Frauen und Kinder hatten schon fast ihre normale Figur wiedererlangt, und am Abend wurde zur Feier der glücklichen Heimkehr sämtlicher Jäger und der erfreulichen Tatsache, daß das Dorf nun bis zur nächsten Regenzeit genug zu essen haben würde, ein großer Tanz veranstaltet. Die Regenzeit kam dann mit mvula mingi-mingt das heißt viel, viel Regen. Die ganze Natur lebte wieder auf und fand zu ihrem alten, üppigen Selbst zurück. Die Savannen füllten
sich wieder mit den vieltausendköpfigen Herden der wilden Klauen- und Huftiere, unter denen die Bateken, ebenso wie die Löwen, gute Jagd hielten. Auf Feldern und in Gärten wuchs es, daß es knackte. Die Männer begaben sich in ihren Kanus auf Handelsfahrt und schafften durch Tausch, an Stelle der verzehrten, neue Ziegen und Hühner an… Einige gute und glückliche Jahre vergingen. Ngolo wuchs heran und lernte eine Menge hinzu. Er bekam eine andere, kräftigere Stimme, und die Muskeln unter seiner geschmeidigen und tief sonnengebräunten Haut begannen zu schwellen. Eines Abends erschien ein Nganga im Dorf, der von weit her kam. Er pflegte sich jedes Jahr einmal einzustellen, und wenn er wieder seines Weges zog, begleiteten ihn stets die größten Jungen. Sie blieben viele Monate fort, und wenn sie dann zurückkamen, waren Männer aus ihnen geworden. Ngolo hatte sehr unklare Vorstellungen darüber, wo der fremde Nganga zu Hause war und was er mit den Jungen machte. Sooft er auch fragte – niemals erhielt er eine richtige Antwort. „Er kommt von der ,Gesellschaft’“, antworteten Nkenge und Ukumbwe. Eine andere Auskunft wollten sie nicht geben. Wenn Ngolo wissen wollte, was die „Gesellschaft“ darstellte und was die Jungen dort machten, bekam er nur zu hören, daß er das noch früh genug erfahren würde. Nun war es soweit. Kurz vor Sonnenuntergang nahm Ukumbwe Ngolo mit zum Dorfplatz. Dort saß der fremde Nganga zusammen mit Nkyudi und dem Dorfältesten auf der Erde. Um sie herum hatten sich bereits die meisten von Ngolos Altersgenossen in Begleitung ihrer Väter oder Oheime versammelt. Weitere
kamen bald hinzu, unter ihnen Tokuta, Ngolos bester Freund. Die Jungen wurden einer nach dem andern vor den fremden Nganga geführt, wobei ihr Name und der der Mutter angegeben wurde. Die scharfen, klugen Augen des Fremden musterten jeden einzelnen, als wolle er sieh jeden Gesichtszug einprägen, und allen stellte er die gleiche Frage: „Bist du bereit, dein Dorf zu verlassen und mir zu folgen, um die Weisheit deines Volkes zu erlernen?“ Die meisten vermochten als Antwort nur zu nicken: Scheu und Spannung lähmten ihre Zungen. Auf Ngolo verweilten die Augen des Ngangas lange. Es hatte den Anschein, als sei er unschlüssig. Dann aber sah er Ukumbwe an und begegnete dessen bekräftigenden Blicken; und da nickte er und sprach einige Worte. Ngolo verstand deren Sinn nicht richtig, aber sie ätzten sich tief in sein Unterbewußtsein ein und sollten nach vielen Jahren von da wieder auftauchen: „Na ja, er ist unter uns aufgewachsen, und dadurch ist er geworden wie wir.“ Darauf bekam Ngolo dieselbe Frage wie die anderen Jungen, und er antwortete mit einem Kopfnicken und einem kaum hörbaren Ja. Am nächsten Morgen in aller Frühe zog er mit Tokuta und seinen übrigen Altersgenossen in einer langen Reihe hinter dem fremden Nganga zum Dorf hinaus nach Norden, einem unbekannten Ziel entgegen. Es gibt Leute, die glauben, daß die Kinder von Naturvölkern nicht in die Schule gehen. Das ist ein großer Irrtum. Die Schule hat dort lediglich eine andere Form als bei uns. Die Verwandten, vor allem die Eltern, erteilen täglich und stündlich Unterricht, in dem den Kindern alles beigebracht wird,
was sie wissen und können müssen – von der Kunst, zwischen Eßbarem, Ungenießbarem und Gefährlich-Giftigem zu unterscheiden, bis zu der Fertigkeit, eine Hütte zu bauen oder eine einfache Brücke zu schlagen. Aber dabei bleibt es nicht. Neben dem praktischen Unterricht gibt es auch einen theoretischen. Der bezieht sich auf die religiösen Vorstellungen, die Überlieferungen, die Sitten und die niemals aufgezeichnete, doch durch mündliche Berichte von Generation zu Generation weiterbewährte und ständig erweiterte Geschichte des eigenen Volkes. Viele Naturvölker begnügen sich jedoch damit noch nicht. Sie haben sowohl für Knaben als auch für Mädchen besondere Ausbildungskurse oder Schulen eingerichtet, die alle durchlaufen müssen, bevor man sie in den Kreis der Erwachsenen aufnehmen kann. In Afrika werden diese Schulen in der Regel von den geheimen Gesellschaften geleitet. Diese Gesellschaften haben nichts mit solchen Banditensekten wie zum Beispiel den Aniyotas – den Leopardenmännern – gemein, die sich noch heute hin und wieder in Erinnerung bringen und leider oftmals mit den geheimen Gesellschaften verwechselt werden. Die geheimen Gesellschaften sind große Verbindungen, die oft mehrere verwandte Stämme umfassen. Sie sind vermutlich während der finsteren Jahrhunderte der großen Sklavenjagden und der ersten Kolonisierung entstanden. Ihr Zweck ist nämlich stets gewesen, den betreffenden Stamm oder die Stämme, die sie umschlossen, zu schützen und zu stärken, deren Traditionen zu wahren und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl lebendig zu erhalten. Zwar stimmt es, daß sich die Gesellschaften mit, einer gewissen Mystik umgeben und ein ganz Teil Hokuspokus treiben; aber sie glaubten, sich nur auf diese Weise das Ansehen verschaffen zu können, das zur Befolgung ihrer
Gebote notwendig ist. Auf eine solche Schule, die von der alle Bateken umspannenden Geheimgesellschaft betrieben wurde und im Urwald lag, kamen Ngolo und seine Kameraden. Der ganze Unterricht fand im Freien statt, und Hütten, in denen sie wohnen konnten, mußten sie sich selber bauen. Ältere Männer von der Gesellschaft prüften ihre Kenntnisse und achteten darauf, daß die Lücken in ihrem Wissen ausgefüllt wurden. In gleichmäßigen Abständen wurden die Jungen harten physischen Belastungen, ausgewetzt, die dazu dienten, ihren Mut und ihre Nervenkraft zu stärken. Gegen Ende des Kurses mußten sie an einigen sehr schaurigen nächtlichen Magiesitzungen teilnehmen, bei denen von den Alten gräßliche Gespenster und böse Geister beschworen wurden. Das hatte den Sinn, ihnen die Macht der Gesellschaft vor Augen zu führen und ihnen eine solche Achtung vor ihr einzuflößen, daß sie es niemals wagten, gegen deren Regeln zu verstoßen. Schließlich mußten sie auch Losungsworte und Zeichen lernen, die ihnen, soweit der Einfluß der Gesellschaft reichte, Schutz und Hilfe zusicherten, wo sie derer bedurften. Gegen Ende der Trockenperiode kehrten sie heim ins Dorf. Aber nun waren sie keine Knaben mehr, sondern Männer – obwohl sie bei uns noch weit davon entfernt gewesen wären. Ein paar Tage nach der Heimkehr ging Ngolo mit Tokuta und einigen anderen der frischgebackenen jungen Männer hinaus, um in der Savanne zu jagen. Ohne Beute aber und atemlos kamen sie ins Dorf zurückgelaufen. Eine erschrekkende Neuigkeit brachten sie mit: Zwei große knurrende Ungetüme, von derengleichen kein Mensch je etwas gehört, geschweige denn gesehen hatte, kamen mit unglaublicher Geschwindigkeit von Süden her über die Savanne herangekrochen.
Die knurrenden Ungetüme Das Gesicht des Großwildjägers Max Brounter war von der Sonne vieler Länder gebräunt. Er hatte in Indien und auf Malakka Tiger gefangen; ebenso im nördlichsten Teil der Mandschurei, wo der prächtige, langhaarige sibirische Tiger, der sich in Schnee und Kälte wohler fühlt als im Grünen und in der Sonne, häufig Besuche abstattet. Auf Celebes und Borneo hatte er wilde Wasserbüffel und Orang-Utangs gejagt. Und in Australien fing er sowohl die kleinen Wallabys als auch die gewaltigen Riesenkänguruhs. Die entgegenkommende portugiesische Regierung erteilte ihm zum dritten Male die Genehmigung, zwölf Monate lang so viele Tiere zu fangen und auszuführen, wie er ergattern und wegschaffen konnte. Dennoch benutzte er dieses gelobte Land diesmal nur als Ausgangspunkt für eine heimliche, ohne Genehmigung unternommene Expedition über die Grenze nach Nordosten. Die Neger, die ihm bei den früheren Expeditionen als Jagdhelfer gedient, hatten ihm erzählt, daß sich irgendwo dort oben jungfräuliches Land ohne Dörfer, Polizisten und Distriktskommissare befinde. Und das lockte ihn ungemein. Er träumte nämlich davon, irgendwo ein bis dahin unbekanntes Tier zu entdecken, von dem jedes gefangene Exemplar schwindelerregende Summen einbringen würde. Und wo sollten solche Tiere zu finden sein, wenn nicht eben in Gebieten, die von Menschen unberührt waren? Der Gedanke war gar nicht so abwegig. Das Okapi war der ganzen weißen Welt bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts völlig unbekannt. Die Schilderungen der Neger über dessen Aussehen wurden von den Wissenschaftlern nicht geglaubt. Solche Tiere gab es einfach nicht. Sie liefen den Naturgesetzen zuwider. Als die Existenz das Okapis sich nicht mehr
leugnen ließ, dauerte es dennoch mehr als zwanzig Jahre, bis man die ersten lebenden Exemplare einfing, und die Zoologischen Gärten wogen sie nahezu mit Gold auf. Das war der Grund, weshalb Max Brounter, ohne eine Obrigkeit um Erlaubnis zu fragen, seine kleine Karawane von sechs geländegängigen Autos über die Nordostgrenze Portugiesisch-Westafrikas rollen ließ. In dem Batekendorf entstand eine gewaltige Aufregung, als Ngolo und die anderen jungen Männer nach Hause gelaufen kamen und von den zwei knurrenden Ungetümen berichteten, die da über die Savanne herankrochen. Der Dorfälteste ließ mit den Trommeln Alarm schlagen, und die Männer versammelten sich auf dem Dorfplatz, bis an die Zähne bewaffnet, aber im übrigen wie immer splitternackt. Allgemeiner Beifall begrüßte den Vorschlag des Dorfältesten, gemeinsam auszuziehen und die beiden Ungeheuer auf einen Schlag zu vernichten. „Sonst überfallen sie vielleicht eines Nachts unser Dorf; denn es müssen ja Raubtiere sein, wenn sie so knurren. Aber auch wenn sie das Dorf in Frieden lassen, können sie uns zu schaffen machen. Stellt euch vor, sie blieben da und vermehrten sich in der Savanne! Sie würden alle anderen Tiere verscheuchen. Und wo sollten wir dann Fleisch herbekommen?“ Grimmig und entschlossen zogen die Männer aus. Ngolo und Tokuta gingen an der Spitze, denn sie wußten ja, aus welcher Richtung die Ungeheuer heranrückten. Aber Wegführer erwiesen sich bald als überflüssig. Hinler einem mächtigen Hügel hervor drang bereits das Knurren und Brummen der Untiere. Der Dorfälteste schrie seinen Gefolgsleuten zu, im Grase Deckung zu nehmen und sich nicht sehen zu lassen, bis er
das Zeichen zum Angriff gäbe. Sie gehorchten unverzüglich, und der eine oder andere wünschte wohl, daß er sich noch besser hätte verstecken können. Das ununterbrochene Knurren der den Blicken noch immer verborgenen Untiere ließ tatsächlich das Blut in den Adern erstarren. Es dauerte nicht lange, da kam auf dem Gipfel des Hügels erst das eine und unmittelbar darauf das andere Ungeheuer zum Vorschein; sie grunzten auf und krochen den Hang herunter, wobei sie knurrten, daß es in den Ohren der versteckt liegenden Bateken nur so dröhnte. Der Dorfälteste spürte, wie sich, Kälteschauern gleich, Furcht über seinen Körper ausbreitete. Grauenhaftere Tiere als diese hatte er in seinem ganzen Leben nicht gesehen. Sie waren groß wie Elefanten, aber kurzbeinig wie Dachse. Ihre riesigen, gräßlichen Glotzaugen lagen weit auseinander, und die Schnauzen glänzten wie polierter Messerstahl in der Sonne. Und wie schnell sie sich bewegten! Hier galt es wahrhaftig, rasch zu handeln, wenn man verhindern wollte, daß die Ungeheuer entwischten und sich vermehrten. „Vorwärts, tötet sie!“ schrie er und sprang aus dem Grase auf. Den Speer wurfbereit in der Hand und den Kriegsschild erhoben, so daß Hals und Oberkörper bedeckt waren, stürmte er unter lautem Kampfgeschrei an der Spitze seiner Schar gegen die beiden knurrenden Ungeheuer vor. Am Lenkrad des ersten Autos saß der Großwildjäger Max Brounter. Den anderen Wagen steuerte seine Frau Jane, eine Blondine mit kalten grünen Augen und einem energischen Mund. Beide traten heftig auf das Bremspedal, als sie sahen, wie plötzlich ein Haufen nackter und heulender Schwarzer aus dem Gras in die Höhe schnellte und in offenbar feindlicher Absicht vorwärts stürzte. Sie griffen nach ihren Magazingewehren, die sie neben sich auf den Führersitzen liegen
hatten, Brounter fluchte, während er das Gewehr entsicherte. „Gott verdamm mich! Hier sollte nicht ein einziger Mensch zu finden sein, und jetzt fährt man mitten in einen Haufen von über hundert blutgierigen Niggern hinein!“ Er legte die linke Hand auf den Signalknopf und ließ die Hupe ertönen, um die übrigen in der Karawane davon zu benachrichtigen, daß er auf unerwartete Hindernisse gestoßen war. Im selben Augenblick machten die anstürmenden Bateken plötzlich halt und stürzten mit einstimmigem Geheul des Entsetzens davon. Brounter irrte sich, wenn er glaubte, daß der Laut der Autohupe sie erschreckt habe. Die übrigen Wagen befanden sich näher, als er geahnt hatte. Sie waren gerade, nebeneinander fahrend, auf dem Gipfel des Hügels erschienen, und dieser Umstand war es, der die Bateken in die Flucht trieb. Sechs Ungeheuer statt zwei waren etwas zuviel für sie. Als aber die Untiere keine Miene machten, sie zu verfolgen, gewannen sie schnell die Fassung zurück, hielten im Laufen inne und warfen sich wieder ins Gras, um zu beratschlagen und zu beobachten. Alle sechs Autos standen still: die Motoren waren ausgeschaltet. „Beim Geist meiner Mutter!“ entfuhr es Ukumbwe, der bei seinen alljährlichen Handelsfahrten zu den Küstenstämmen eine ganze Menge gesehen hatte. „Das sind bestimmt keine Tiere, sondern Wagen! Aber ich verstehe nicht, wo die Ochsen gehen, die sie ziehen.“ „Es sitzen Menschen auf einigen von ihnen“, bemerkte Kulaumi mit hindeutender Handbewegung, als sei er der einzige, der die Schwarzen sah, die zusammengekauert auf den Ladungen oder dicht gedrängt auf den Führersitzen der vier zuletzt angelangten Autos saßen. „Da sind auch drei Mindele“, fügte der Dorfälteste hinzu.
„Womöglich soll jene Sitte mit Abgaben und Arbeit auch hier eingeführt werden!“ „Sieht nicht so aus“, sagte ein Mann namens Mbitidi. „Unter ihnen ist eine Mundele nkento – eine weiße Frau – , und sie nehmen wohl keine Frauen mit, wenn sie ihr Unwesen treiben wollen.“ Max Brounter saß da, das Gewehr auf dem Schoß, und wußte nicht recht, was er tun sollte. Der Anführer seiner schwarzen Helfer, ein hochgewachsener Mann, der die Missionsschule besucht hatte und sich Josefo nannte, nahm ihm die Initiative ab. Er wand sich von seinem Platz hinter dem Lenkrad eines der Autos nach draußen und schritt kühn auf das Versteck der Bateken zu. Um zu bekunden, daß er ohne Waffen und in friedlicher Absicht kam, hielt er die Hände in Kopfhöhe gespreizt. Als er so nahe heran war, daß er ein paar schwarze Köpfe durch das Gras schimmern sah, blieb er stehen und rief ihnen auf Ewe, der in Portugiesisch – Westafrika am meisten verbreiteten Sprache, einen Gruß zu. Er erhielt sofort Antwort, doch in der Kikongo-Mundart: „Nkumbu aku – was bist du für einer? Sprich so, daß man dich verstehen kann.“ Josefo war so etwas wie ein Sprachgelehrter; er beherrschte außer seiner eigenen Sprache Portugiesisch und Pidgin – Englisch und kannte sich in den Kikongo-Dialekten Bawenda und Balanga aus. Er sagte, wer er sei, und erklärte, daß er und alle die, die in den Autos saßen, nicht als Feinde kämen. Ihr Anliegen sei nur, in den Savannen einige Tiere zu fangen. „Gibt es bei euch daheim keine Tiere, die ihr fangen könnt?“ fragte der Dorfälteste, ohne sich zu zeigen. „Doch, natürlich, aber der Weiße wollte unbedingt sehen, ob es hier irgendwelche Tierarten gibt, die er vorher nicht
gefangen hat.“ „Der Weiße, ja – das ist wohl so einer, der sagt, daß man Steuern zahlen muß? Und daß man für ihn arbeiten muß, um das tun zu können?“ Josefo beteuerte, das sei nicht dar Fall. „Aha. Ja, es hat auch keinen Zweck, einen solchen Versuch zu machen. Wir wollen unser Leben unbehelligt von solchen Dummheiten leben“, erwiderte der Dorfälteste und erhob sich. Jetzt sah er keinen Grund mehr, sich noch länger versteckt zu halten. Die Männer folgten seinem Beispiel, und Jane Brounter rang auf ihrem Platz schockiert nach Atem: All die Bateken waren ja splitternackt, sofern man ihre Hals- und Armbänder nicht als Kleidungsstücke gelten ließ. Nicht einmal ein einziger kleiner Schurz verdeckte ihre Blöße. Aber sie waren sich dieser Bedürftigkeit beneidenswert unbewußt. Das Gespräch wurde fortgesetzt. „Warum hattet ihr die Absicht, uns anzugreifen?“ wollte Josefo wissen. Der Dorfälteste wand sich etwas, ehe er antwortete. Er versuchte seine Erklärung sowenig beschämend wie möglich vorzubringen. „Wir haben noch nie solche – Autos nanntest du sie ja wohl – gesehen; daher glaubten wir, es seien irgendwelche Raubtiere, und hielten es für das beste, sie zu töten, bevor sie uns Schaden zufügen könnten.“ Josefo brach in ein schallendes Gelächter aus. Der Dorfälteste und alle Bateken stimmten mit ein. Sie lachten aus vollem Halse und schlugen sich auf die Knie. Die Schwarzen haben einen ausgeprägten Sinn für Humor und scheuen sich durchaus nicht, über sich selber und ihre eigenen Fehler zu lachen.
Als Brounter sah, wie friedlich sich die Ereignisse entwikkelten, legte er das Gewehr aus der Hand. Er stieg aus dem Auto und gesellte sich, die Bateken mit einem Kopfnicken grüßend, zu Josefo. Der erklärte ihm die Situation mit wenigen Worten. „Vielleicht können wir von diesen Negern Auskünfte und auch Leute bekommen, wenn wir welche brauchen“, meinte Brounter. „Sage ihnen, daß ich in ein paar Tagen zu Besuch in ihr Dorf kommen und dem Häuptling Geschenke überreichen werde.“ Josefo übersetzte es in sinnvollen Abschnitten, und der Dorfälteste antwortete, der Weiße könne kommen, er solle aber seine Frau mitbringen. Kurz darauf fuhr Brounters Autokarawane weiter. Am Fluß bog sie ab und folgte seinem Lauf in östlicher Richtung. Die Bateken hielten sich die Ohren zu; sie fanden an dem Motorenlärm keinen Gefallen und blickten den davonbrausenden Autos ohne Bedauern nach. Dann zogen sie in ungeordnetem Haufen heimwärts, lachend und scherzend, weil sie die Autos für gefährliche Tiere gehalten hatten. Der schwarze Tod Max Brounter schlug sein Lager zwanzig Kilometer östlich von dem Dorf der Bateken auf. Die ersten Tage benutzte er dazu, Gehege für die Tiere herzurichten, die er zu fangen hoffte. Dann begab er sich zu Besuch in das Batekendorf. Zusammen mit seiner Frau fuhr er in einem der kleinsten Autos hin und nahm Josefo als Dolmetscher mit. Das Auto und die weiße Frau erregten großes Aufsehen und wurden sehr bestaunt; doch im übrigen konnte man nicht behaupten, daß der Besuch erfolgreich verlief. Der Dorfälteste war höflich, aber reserviert. Brounter hatte
sich, wie die meisten Weißen, niemals bemüht, die einfache, aber sehr demokratische Ordnung in den vom Einfluß der Weißen unberührten Negergemeinwesen kennenzulernen, und beharrte dabei, den Ältesten als unumschränkten Häuptling zu betrachten. Er wurde von ihm aber sehr enttäuscht. Der Alte nahm die Geschenke entgegen und überreichte Eier, Früchte und Büffelfleisch als Gegengabe. Aber er hatte keinerlei Auskünfte über ungewöhnliche Tiere zu geben und stellte sich taub, sobald die Rede auf Arbeitskräfte kam. Wenn sich der Weiße mit etlichen Männern, die ihm zu helfen bereit wären, einigen könne, so habe er nichts dagegen. Aber es sei ausgeschlossen, jemanden gegen seinen Willen zu einer Dienstleistung für Weiße zu zwingen. Hier wohnten freie Menschen. Brounter und seine Frau verabschiedeten sich ziemlich bald, um in ihr Lager zurückzukehren. Sie hatten das Auto vor dem Dorf stehen lassen. Gerade als sie sich hineinsetzen und abfahren wollten, erblickten sie etwas, was sie zögern ließ. Von der Savanne her kam in vollem Lauf ein großer, stattlicher Elenantilopenstier auf das Dorf zu. Das Tier lief nicht aus freiem Willen in dieser Richtung, sondern wurde von einem kräftigen hellbraunen Jüngling gejagt, der dicht hinter ihm her rannte und die wiederholten Versuche der Antilope, in die Savanne zu entkommen, schnell und geschickt zu vereiteln wußte. Es war Ngolo. Er dachte noch nicht daran, sich eine Frau zu nehmen. Er hatte sich nicht einmal damit befaßt, aus der Schar der Mädchen des Dorfes eines auszusuchen, das ihm am besten gefiel. Aber er wußte, daß früher oder später einmal der Tag käme, an dem er wie die anderen Männer eine Frau begehren würde. Und dann wollte er imstande sein, mit Ehren die
Probe zu bestehen, die seit undenklichen Zeiten jeder Freier ablegen mußte, um anerkannt zu werden. Deshalb übte er sich jetzt in der Kunst, einen Elenantilopenstier an einen beliebigen Ort zu treiben, bevor er ihn niederstreckte. Außerdem machte es ihm Vergnügen, auf diese Weise zu jagen. Es verlieh ein herrliches Gefühl von Kraft und Überlegenheit, wenn man mit dem verfolgten Tier gleiche Geschwindigkeit halten konnte und es zu zwingen vermochte, genau dorthin zu laufen, wohin man es haben wollte. „Sieh, Jane!“ rief Brounter und packte seine Frau am Arm. „Hast du je einen Kerl gesehen, der so laufen kann?“ Seine Augen leuchteten vor aufrichtiger Bewunderung. Physische Stärke und Gewandtheit hatte er stets außerordentlich geschätzt. Die Frau hatte auch für anderes einen Blick. „Nein. Aber hast du jemals einen solchen Neger gesehen? Sein Haar ist ja völlig blond!“ Brounter konnte dieser merkwürdigen Tatsache jetzt keine Aufmerksamkeit schenken. Er war allzusehr damit beschäftigt, den Elenantilopenstier und dessen Jäger zu beobachten. Sie kamen näher und näher. Der Stier machte verzweifelte Versuche, das Dorf zu meiden. Er warf sich bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, wurde aber stets dadurch zurückgezwungen, daß der junge Jäger pfeilschnell vorpreschte und vor dem Kopf des Tieres mit den Armen in die Luft schlug. Einige Frauen und Kinder, die sich auf der Straße befanden, die zum Dorfplatz hinaufführte, flüchteten lachend und schreiend in die Hütten. Von da guckten sie dann durch die Türöffnungen hinaus. Sie erwarteten augenscheinlich, daß Ngolo den Stier ins Dorf treiben würde, bevor er ihn niederstreckte. Aber das Tier war noch ein kleines Stück von der
Dorfstraße ab, als Ngolo plötzlich an seine linke Seite vorlief und ihm seinen Speer mit Wucht ins Herz rannte. Der Stier sank im Sprung zusammen, und sobald er auf dem Boden lag, setzte ihm Ngolo seinen Fuß in den Nacken und stieß den Triumphruf des Batekenjägers aus. Die Frauen und Kinder stürzten aus den Hütten und jubelten ihm zu. Max Brounter war drauf und dran, mit einzustimmen. Nicht ein Schweißtropfen war an dem völlig nackten Körper des Jünglings zu entdecken, und sein Atem ging so ruhig, als sei er gemächlich über die Savanne spaziert. Ein paar Schritte brachten Brounter vor das Auto, auf dessen Führersitz seine Frau bereits Platz genommen hatte. Er rief Josefo und bat ihn, dem schnellfüßigen jungen Jäger seine Komplimente auszurichten. „Der weiße Mann sagt, daß er nie einen so schnellen und geschickten Jäger wie dich gesehen hat“, bestellte Josefo, selber von Bewunderung erfüllt über das, was er Ngolo hatte vollbringen sehen. Ngolo zuckte mit den Achseln und begann langes, zähes Gras auszureißen und ineinanderzuflechten, um die Beine der Elenantilope damit zusammenzubinden. „Da hat er nicht viel gesehen. Ukumbwe, mein Vater, war in seinen jüngeren Tagen viel schneller. Und hier im Dorf gibt es mehr unter den Jünglingen, die gut laufen.“ Josefo übersetzte es. Brounter hatte noch ein Anliegen. „Der Weiße läßt fragen, ob du, der du so schnell bist, ihm nicht helfen möchtest, junge Antilopen zu fangen.“ Ngolo blickte Max Brounter nachdenklich an, und es war zu erkennen, daß er sich das Angebot gründlich durch den Kopf gehen ließ. Plötzlich kam ein gespannter Ausdruck in sein Gesicht, und er äußerte etwas, was keinesfalls eine Antwort auf die Frage war:
„Spring zur Seite, weißer Mann! Spring! Sonst hast du deine letzte Antilope gefangen. Der Tod ist hinter dir!“ Die Worte quollen wie ein Sturzbach über seine Lippen, und seine Stimme stieg zu einem Schrei an. Josefo wandte den Blick in die angegebene Richtung und spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte, so daß er die Warnung nicht weitergeben konnte. Die Negerfrauen, und kinder schauten ebenfalls dorthin und fingen an zu schreien, als steckten sie am Spieße. Brounters erstaunte Blicke wanderten zwischen Ngolo und Josefo hin und her. Warum all diese Aufregung? Was lärmten die Menschen so, verdammt noch mal? Die Antwort fand sich hinter ihm. Eine große schwarze Mamba, Afrikas gefährlichste und einzige wirklich angriffslustige Schlange, hatte sich zwischen den Vorderrädern des Autos hervorgeschlängelt. Nun glitt sie mit aufgerichtetem Vorderkörper rasch weiter, um ihre langen Giftzähne in die Wade des weißen Mannes zu hauen. Jane Brounter gewahrte die Mamba, die ihrem Blick durch den Kühler des Wagens verborgen gewesen war, in der Sekunde, als sie zum tödlichen Hieb gegen ihren Gatten ausholte. Sie stieß einen gellenden Schrei aus und preßte die geballten Fäuste gegen das Gesicht. Ihr Mann begriff noch immer nichts. Er wandte den Kopf, um zu sehen, weshalb sie ebenfalls .aufgeschrien hatte. In demselben Augenblick spürte er am linken Handgelenk einen heftigen Ruck, der ihn jäh nach vorn und zu Boden schleuderte. Die Mamba hieb zu, aber für den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Statt Haut und Muskeln trafen ihre langen Hauzähne den Gummiabsatz von Brounters rechtem Schuh. Sie dran-
gen tief in den Gummi ein, was zur Folge hatte, daß auch die Schlange ihren Teil von dem heftigen Ruck abbekam, der Brounter aus dem Rachen des Todes riß. Der lange Schlangenkörper sauste wie eine Peitschenschnur durch die Luft und klatschte auf Brounters Rücken nieder. Die Mamba warf den Kopf hin und her und zuckte zurück, um die Zähne loszubekommen und von neuem zustoßen zu können. Aber ihre Zeit war um. Ein hauchdünnes, sehr scharfes Messer schwirrte durch die Luft. Die Schlange verwandelte sich in einen blutenden Körper ohne Kopf. Eine Hand riß den Schlangenkopf von Brounters Schuhabsatz und schleuderte ihn weit weg ins Gras. Das Ganze spielte sich derart schnell ab, daß Brounter, überrascht und durcheinandergeschüttelt von dem Ruck und dem Fall, noch immer nichts begriff. Er rappelte sich hoch, wobei der Schlangenkörper ringelnd zur Erde fiel, und blickte verwirrt und zornig um sich. Hatte man ihn überfallen? „What the hell…!“ murmelte er und tastete an der Hüfte nach dem Revolver, den er jedoch in dar Tasche an der Autotür gelassen hatte. Die Frau erfaßte, was los war. Augenblicks kam sie aus dem Wagen und eilte zu ihm hin. „Begreifst du nicht, Maxie!“ rief sie lachend und schluchzend. „Er hat dir das Leben gerettet!“ „Mir das Leben gerettet? Wer?“ Brounters Stimme klang maßlos erstaunt. „Er. Der junge Mann da.“ Sie zeigte auf Ngolo, der gerade dabei war, sein Messer in die Scheide von ungegerbtem, haarigem Büffelleder zurückzustecken. „Wie hängt das zusammen?“ „Herrgott! Siehst du denn nicht die Mamba?“
Jane Brounter wies auf den Schlangenkörper und setzte ihrem Gatten mit wenigen Worten auseinander, was sich ereignet hatte. Er erblaßte unter der sonnenverbrannten Haut, und der kalte Schweiß trat ihm aus allen Poren, als er begriff, wie nahe er dem Tode gewesen war. Schlangenserum hatte er mit, aber das befand sich zwanzig Kilometer entfernt im Lager. Wenn ihn die Mamba gebissen hätte, läge er jetzt bereits im Todeskampf. Irgendwoher tauchte Tokuta mit einer Tragstange auf. Er und Ngolo machten sich sofort daran, die Stange zwischen die Beine des toten Elenantilopenstiers zu stecken. Brounter ging zu ihnen und reichte Ngolo die Hand. „Meinen Dank, junger Mann! Du hast mir das Leben gerettet. Ich werde das nicht vergessen!“ Ngolo verstand die Geste; er grinste verlegen und ergriff Brounters Hand. Doch sogleich ließ er sie wieder los und bückte sich nach der Tragstange. „Glückliche Fahrt!“ wünschte er mit einem Kopfnicken, indem er sich die Tragstange auf die Schulter hob. Tokuta. der das vordere Ende trug, gab ein Zeichen, und so zogen sie, den Elenantilopenstier zwischen sich, ins Dorf. Josefo erinnerte sich seiner Pflichten und rief ihnen nach: „Der weiße Mann sagt: ,Lebt in Frieden!“ Ngolo fragte sich, ob der weiße Mann sie daß wirklich tun ließe. Nach allem, was er wußte, war es für die Schwarzen mit dem Frieden vorbei, sobald die Weißen sich einfanden. Es wäre vielleicht das beste gewesen, wenn die Mamba ihre Absichten ungestört hätte verwirklichen können. Aber: Yeto tu bantu – wir sind alle Menschen! Und ein Mensch konnte ja nicht dastehen und ruhig zusehen, wie ein anderer vom Schwarzen Tod bedroht wurde – auch wenn er selber schwarz und der andere weiß war. Man mußte aber wohl den
Weißen im Auge behalten und dafür Sorge tragen, daß er dem Dorf keinen Schaden zufügte. „Ich bin ein Bateke“ Während der Rückfahrt sprach Max Brounter von nichts anderem als der phänomenalen Schnelligkeit und der ungeheuerlichen Kondition seines jungen Retters. „Die besten Läufer in den Staaten sind ja auch meist Neger. Das ist wohl eine rassenbedingte Veranlagung, denke ich mir.“ Jane unterbrach ihn mit einem Schnauben. „Rassenbedingte Veranlagung! Wenn der Junge ein Neger ist, bist du und bin ich es auch. Er ist ein Weißer – höre, was ich sage!“ „Ja, vielleicht“, räumte er nach kurzem Überlegen ein. „Aber wie kann ein Weißer hier als Neger unter Negern leben?“ „Frag nicht mich! Frag ihn!“ riet Jane kurz angebunden. Diesen Rat versuchte Brounter einige Tage später zu befolgen. Es war an einem Abend. Ngolo saß vor ihm auf der Erde und trank mit großem Wohlbehagen aus einer Flasche Ginger ale*. „Hör mal“, ließ Brounter durch Jossfo fragen, „bist du nicht eigentlich ein Weißer?“ Ebensogut hätte er einen ahnenstolzen schwedischen Grafen von altem Stamm fragen können, ob er nicht eigentlich einen Zigeuner zum Vater habe. Ngolo geriet in heftige Erregung. Wie konnte jemand annehmen, daß er, der Sohn Nkenges, etwas anderes als ein richtiger Bateke sei! Schon das kam einer Beleidigung gleich. Aber die Beschuldigung, ein Mundete zu sein, war noch schlimmer. Ngolo hatte keine hohe Meinung von den Weißen. Sein Bild von ihnen war ganz von dem geprägt, was er über ihre
Rolle in Afrika wußte. Er hatte viel darüber erzählen hören. Die Erzähler nannten selten Jahreszahlen, und ihre Schilderungen fingen stets wie Märchen an: „Vakiala – es war einmal… Malende nkama – in alten Tagen…“ Aber die Erzählungen kündeten dennoch von Tatsachen. Sie handelten von mächtigen Negerreichen und blühenden schwarzen Kulturen, die zertrümmert worden waren von habgierigen weißen Männern – von Männern, die kein Mittel scheuten, um ihren Hunger nach Reichtum zu stillen. Sie berichteten davon, wie die Weißen Millionen von Schwarzen in die Sklaverei jenseits des großen Wassers verschleppt hatten, wie ganze Völker, ihrer Heimat und Freiheit beraubt, zu rechtlosen Arbeitstieren gemacht wurden für die Weißen, die ihr Land an sich gerissen hatten. Und nicht alle schilderten Ereignisse, die zeitlich weit zurück lagen. Viele erzählten von dem furchtbaren Schicksal, das den Schwarzen gerade jetzt widerfuhr, in Teilen des Landes, wo sich die Weißen zu Herren aufgeworfen hatten. „Wir sind ihnen entronnen“, erklärte Ukumbwe zuweilen. „Aber auf die Dauer bleiben wir nicht von ihnen verschont, Zum Schluß müssen wir uns zum Kampf stellen. Und dann müssen wir Schwarzen alle kämpfen, um unser Land von den Eroberern zurückzuerobern.“ Dies begriff Ngolo noch nicht richtig. Aber eine Sache war ihm vollkommen klar: Er wollte kein Weißer sein. Er war ein Kiflote und würde es bleiben. Daher wies er Brounters Frage .so hitzig und verächtlich zurück, daß der es für das beste hielt, das Thema fallenzulassen. Das Wichtigste für ihn war ja nicht, Klarheit über Ngolos Abstammung zu gewinnen, sondern sich seine Hilfe bei der Fangarbeit zu sichern, deren außerordentlichen Wert er heute kennengelernt hatte. Brounter war tagsüber draußen gewesen, um ein paar junge
Impalaantilopen zu fangen. Seine Methode war folgende: Während seine schwarzen Helfer zu Fuß loszogen, ritt er ihnen auf einem seiner beiden Pferde nach. Die Neger spürten eine Impalaherde auf und schlichen sich, von ihm gefolgt, gegen den Wind so dicht wie möglich heran. Gewahrte die Herde die Menschen und flüchtete, gab Brounter dem Pferd die Sporen und jagte hinterher. An den saugenden Kälbern, die nicht mitzuhalten vermochten und jämmerlich nach ihren Müttern blökten, ritt er vorbei. Die Jungtiere waren es, auf die er es abgesehen hatte. Sobald sie zurückblieben, wählte er eines aus und versuchte, an dessen Seite zu kommen. Da er das Lassowerfen nicht verstand, hatte er die Schlinge der Wurfleine an einer langen Bambusstange befestigt, mit deren Hilfe es ziemlich leicht war, die Schlinge um den Hals des Tieres zu legen und zuzuziehen. Er führte seinen Fang an den nächsten Baum und band das Tier an. Nach einigen Stunden – wenn es sich beruhigt hatte – wurde es dann abgeholt. Sobald Brounter seinen Fang sicher wußte, wartete er auf seine Neger, die eine neue Herde aufspüren mußten. Das alles klingt ziemlich einfach und ist es auch, sofern man über ein gutes Pferd verfügt und nichts Unvorhergesehenes eintritt. Doch das passiert leider zuweilen. Das Pferd kann zum Beispiel durch eines der zahllosen Erdhörnchen-, Erdferkel- oder Fuchslöcher straucheln, zu Fall kommen und seinen Reiter abwerfen. Es war nicht das erste Mal, als Brounter an diesem Tage unversehens den Erdboden küßte, um sich wie zerschlagen aufzurappeln und seiner entschwindenden Beute nachzublikken. Doch niemals zuvor hatte ein anderer an seiner Stelle die Jagd fortgesetzt. Nun tauchte jedoch der junge Elenantilopenjäger aus dem
Batekendorf plötzlich auf. In Wirklichkeit war er eine ganze Weile hinter Brounters Pferd hergelaufen. Als das Tier seinen Reiter abwarf, ergriff er, Ngolo, Wurfleine und Stange und setzte der Impalaherde zu Fuß nach. Brounter sah voll Verwunderung und Entzücken, wie der Jüngling. bereits nach wenigen Sekunden eines der wild davongaloppierenden Jungtiere einholte und die Schlinge über dessen Hals gleiten ließ. Als er mit dem zitternden und schreckverstörten Tier zurückkam, strahlte Brounter übers ganze Gesicht. Ngolo wollte in der Nähe der Weißen bleiben, um sie zu bewachen. Daher machte er durch Josefo plötzlich ein Angebot. „Ich kann mehrere Tiere für dich fangen, weißer Mann. Ein Kongoni auch, wenn du willst.“ Ja, das wollte Max Brounter gern. Das Kongoni – die Kuhantilope – ist ein außerordentlicher Läufer. Trotz vieler energischer Versuche war es Brounter niemals gelungen, ein Jungtier von dieser Gattung zu erhaschen. Er war nun sehr gespannt, zu sehen, ob Ngolo wirklich schneller laufen konnte als seine Pferde. Sie brauchten ein paar Stunden, bis sie eine kleine Kongoniherde aufspürten und an sie herankamen. Dann aber bot sich Max Brounters Blicken etwas, was er nie für möglich gehalten, sondern, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen, als Lüge zurückgewiesen hätte. Ein Mensch holte auf einer Strecke von etwa siebenhundert Metern eine junge Kuhantilope ein, die, als er loslief, faßt sechzig Meter Vorsprung hatte! Brounter, der Ngolo so dicht folgte, wie er es auf seinem Pferd vermochte, mußte sich die Augen reiben und sich fragen, ob er nicht träumte. Der junge Jäger indes fing die Antilope ein. Brounter konnte nicht umhin, Josefo gegenüber seine Ver-
wunderung darüber auszudrücken, daß ein Mensch imstande war, so rasend schnell zu laufen.
Josefo stimmte ihm bei: Ngolos Leistung sei außerordentlich. „Aber“, sagte er, „früher gab es viele in den Savannen, die es ebensogut konnten. Alle Männer der Bantustämme liefen sehr schnell. Sie trainierten von klein auf. Heutzutage ist das nicht mehr üblich, außer bei denen, die noch nach alter Art leben, wie die Leute im Dorf dieses Jünglings. Aber finden sie erst einmal an Tabak Geschmack und fangen an zu rauchen, dann können sie bald nicht mehr so schnell laufen.“ Die zweite Begegnung mit Bongo Max Brounters einziger weißer Gehilfe, Sam Harding, hatte kurze Zeit als mittelmäßiger Schwergewichtler in der Mastodonklasse geboxt. Er war etwas zu langsam, um jemals ein wirklich hervorragender Boxer werden zu können; aber er verstand eine Menge vom Boxen, es war seine große Liebe. Er war ein sympathischer Bursche und ein großer Tier-
freund. Aber er wollte gern mit seinem Boxen glänzen. Wohin er auch fuhr – stets hatte er zwei Paar Boxhandschuhe in seinem Gepäck. Sooft sich Gelegenheit bot, holte er sie hervor, zog das eine Paar an, boxte etwas ins Leere und fragte dann alle, die sich in der Nähe befanden, ob sie nicht mit ihm Sparren wollten. Josefo und die anderen Neger aus Portugiesisch-Westafrika hatten Sam schon während der früheren Expeditionen als Sparringspartner gedient. Jetzt konnte er sie weder durch Lockungen noch -durch Bestechungen dazu bringen, es noch einmal zu tun. Er hatte nämlich in keinem Falle der Versuchung widerstehen können, seine unerfahrenen Sparringspartner kampfunfähig zu schlagen. Dadurch hatten sie die Nase voll bekommen. Nun stellte sich Sam Harding auf Ngolo ein. Der war erst ein paar Tage im Lager, als Sam eines Abends seine Handschuhe hervorsuchte und mit dem üblichen Theater anfing. „Zieh dir die hier an und sparre ein bißchen mit mir“, bat er und hielt Ngolo das eine Paar Handschuhe hin. Der antwortete auf pidgin-englisch, das er ebenso flink eingesogen hatte, wie ein Schwamm Wasser aufsaugt:’ „No, ich nicht wissen, wie machen!“ „Das ist ganz einfach“, meinte Sam. „Du hältst die Dinger so hoch und parierst, wenn ich zustoße. Und dann stößt du selber zu. Versuch mal!“ „Ja, versuche! Das ist nicht gefährlich. Wir haben es allesamt schon gemacht!“ rief Josefo ermunternd, und die übrigen Neger stimmten ihm bei. Sie versprachen sich einen Heidenspaß davon, Ngolo auf die gleiche Weise behandelt zu sehen, wie es ihnen selber ergangen war. Nach einigem Zögern entschloß sich Ngolo, es zu versuchen. Josefo half ihm in die Handschuhe.
Plötzlich bekam Ngolo ein paar harte Schläge – noch ehe er überhaupt begriff, daß er nicht still dastehen, sondern sich bewegen, abducken und nach Möglichkeit parieren mußte. Daraufhin gelang es ihm recht gut, Sams gewaltigen Schlägen auszuweichen, bis der zu keuchen begann und erklärte, daß die Runde zu Ende sei und sie sich ausruhen wollten. Während Sam verschnaufte, dachte Ngolo nach, und das Ergebnis dieser Überlegung zeigte sich, als Sam aufstand und zur zweiten Runde rief. Ngolo versetzte ihm sofort einen fühlbaren, klatschenden Schlag ans Zwerchfell. Erstaunt ließ Sam seine mangelhafte Deckung sinken, und – krach! Ngolo fuchtelte auf einmal mit beiden Händen und traf Sam links am Kinn. Sam Harding fiel lang und schwer hin wie eine gefällte Palme, in dem gleichen Augenblick, da Max Brounter aus seinem Zelt trat. Brounter blieb stehen und riß die Augen auf. Dann lachte er breit und rief seine Frau: „Komm heraus und guck dir das an, Jane! David hat Goliath zum zweitenmal geschlagen.“ Damit hatte Ngolo einen neuen Namen erhalten. Von Stund an war er für Brounter und alle anderen im Lager „Dave“. Für sich selbst aber blieb er nach wie vor Ngolo. Er wollte nicht wie ein weißer Mann heißen. Es dauerte einige Minuten, bis Sam Harding wieder zu sich kam. Dann richtete er sich auf, rieb sich das Kinn und fragte: „Wo ist die verflixte Giraffe hin?“ Alle lachten und erkannten in Sam einen Burschen, der eine Niederlage mit guter Laune hinzunehmen verstand. Jeder Wildjäger weiß natürlich, daß kein Tier so harte Schläge austeilen kann wie die langbeinige Giraffe. Zu Ngolo sagte Sam dann: „Komm mit uns nach Amerika, Junge! Du bist zum Boxer
geboren – du wirst einen Haufen Geld machen.“ Das meiste von dem war für Ngolo Abrakadabra*, aber die Aufforderung selbst verstand er. „No, ich nicht wollen gehen Amerika. Ich schwarzer Mann, nicht gehen weiße Manns Land.“ Brounter erhielt die gleiche Antwort, als er seinerseits auf das Angebot Hardings zurückkam. Ngolo wollte das Land nicht verlassen, das er als das seine ansah. Es gab übrigens noch mehr, wozu er sich nicht bereit fand. Dank seiner Hilfe hatte Brounter für den Fang all der Tiere, die er aus der Savanne haben wollte, vierzehn Tage weniger gebraucht, als er gerechnet hatte. So beschloß er, den Rest der ursprünglich vorgesehenen Zeit darauf zu verwenden, im Regenwald, wenn irgend möglich, einen Gorilla zu fangen. Aber dorthin bekam er Ngolo nicht mit. Alle Überredungsversuche scheiterten an der hartnäckig vertretenen Meinung des jungen Mannes, daß es unrecht sei, die großen Affen zu fangen. Die Gefangenschaft bedeute den Tod für sie, sagte er. Brounter war ärgerlich. Es versöhnte ihn jedoch, daß sich Ngolo bereit erklärte, die Tiere im Lager allein zu betreuen, so daß der weiße Herr all die anderen Helfer zur Gorillajagd mitnehmen konnte. Nach etwa zehn Tagen kehrte das Großwild jägerpaar mit seinem Gefolge zurück. Ngolo war gerade dabei, die Antilopen zu füttern, als er sie kommen hörte. Er ließ seine Arbeit aber nicht im Stich, denn bei den Bateken gehört es nicht zum guten Ton, sich neugierig zu zeigen. Max Brounter suchte ihn jedoch alsbald auf; er machte einen aufgeräumten und fröhlichen Eindruck. „Da wären wir wieder!“ sagte er zur Begrüßung. „Und Glück haben wir gehabt, mein Lieber! Wir haben ein junges
Männchen erwischt, einen richtigen Riesen und Totschläger, wenn mich nicht alles täuscht. Er hat eine Messingspirale um den rechten Unterarm. Verstehst du? Und die kann er sich wohl kaum anders verschafft haben als von irgendeinem Jäger, den er getötet hat. Aber jetzt hat er…“ Ngolo war erstarrt, doch plötzlich unterbrach er Brounters Redefluß. Mit leiser, aber eindringlicher Stimme sagte er: „Laufen lassen… ihn… Gorilla, weißer Mann! Er nicht Totschläger!“ Brounter brach in ein lautes Gelächter aus. „Laufenlassen… ihn!“ ahmte er den Jüngling nach. „You’re nuts, boy! Du bist verrückt, Junge! Eine Firma in Hollywood hat mir sechstausend Dollar für einen Gorilla geboten, ganz gleich, ob männlich oder weiblich. Und dieses Schmuckstück kann ich wohl sogar auf siebentausend hochtreiben.“ Ngolo zuckte die Achseln. Er war sich nicht recht im klaren darüber, was Geld bedeutete; aber er wußte, daß es aussichtslos war, mit weißen Männern zu reden, wenn es darum ging. Sie wechselten noch ein paar Worte über die Tiere und deren, Verfassung, dann entfernte sich Brounter, kichernd über den närrischen Dave, der der Meinung war, er solle siebentausend Dollar einfach sausen lassen. In der Nacht, als alles außer den gefangenen Katzen im Lager schlief, schlich ein Schatten zu dem engen, derben Käfig des gefangenen Gorillas. Eine Stimme rief im Flüsterton: „Bongo! Bongo! Wilu e?“ Das große Affenmännchen wimmerte wie ein kleines Junges und drückte sich fest gegen das dicke, dichte Gitter. Früh am nächsten Morgen kam Josefo lärmend zu seinem Herrn gerannt. Dias Schloß vom Gorillakäfig war aufgebro-
chen und der kostbare Fang verschwunden. Der Verdacht fiel natürlich sofort auf Ngolo. Max Brounter stürzte halbangezogen und schäumend vor Wut davon, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Er fand den jungen Mann gerade damit beschäftigt, einem der zwei Elefantenjungen, die sie gefangen hatten, nach Zecken abzusuchen. Auf Brounters wütende Frage antwortete Ngolo unbefangen: „Ja, ich ihn laufen lassen. Er mein Freund.“ Brounter stürmte mit geballten Fäusten auf ihn los, erinnerte sich aber plötzlich an Hardings Mißgeschick und mäßigte sich. „Ich könnte dich für weniger als dies hier totschlagen!“ brüllte er wutentbrannt. „Du nicht kommen dazu. Du werden tot erst“, entgegnete Ngolo ruhig. „Du verfluchter weißer Neger! Ich werde dafür sorgen, daß du ins Gefängnis kommst und wegen Diebstahls verurteilt wirst!“ schrie Brounter. Daraufhin drehte er sich auf dem Absatz um und eilte davon, um seine Frau von dem Verlust zu unterrichten. Jane Brounter nahm die Sache kalt auf. „Reg dich nicht auf, Maxie! Das lohnt sich nicht. Da der Junge den Gorilla hat laufen lassen, mußt du eben ihn dafür nehmen.“ „Glaubst du, daß man den für siebentausend Dollar verkaufen kann, oder was schwätzt du da?“ lärmte Brounter, aufgebracht durch ihre Gelassenheit. „Nein, aber du könntest einen erstklassigen Boxer aus ihm machen. Und wenn dir das gelingt, kannst du mehr Geld aus ihm herausschlagen als aus hundert stinkenden Gorillas.“ Brounter schlug ärgerlich die Hände zusammen. „Ja, natürlich! Aber der Dummkopf läßt sich ja nicht über-
reden. Er will nicht weg aus diesen Savannen. Und wie soll man da einen Boxer aus ihm machen können, mit dem sich Geld Verdienen läßt?“ „Du bist einfältig, Maxie! Wenn der Junge nicht freiwillig mitkommen will, müssen wir eben sehen, daß wir ihn dennoch mitkriegen.“ „Versuch du es, wenn du kannst.“ „Genau das habe ich vor. Gib Anweisung, daß alles zur Abreise fertiggemacht wird. Dann geh hin und versöhne dich mit dem Jungen und lade ihn zu einem Ginger ale hierher ein unter dem Vorwand, ihm die Büchse und die Munition zu geben, die er sich als Lohn ausbedungen hat. Den Rest werde ich besorgen.“ Die Verwandlung Einhundertsiebzehn Tage nach Ngolos Zusammenstoß mit Max Brounter wegen der Befreiung Bongos lief das Trampfrachtschiff „Saint Christopher“ in den Hafen von New Orleans ein. Der Hauptteil der Ladung bestand aus wilden Tieren, die in Benguela an Bord gebracht worden waren. Dort hatten auch einige Passagiere den Dampfer bestiegen, darunter ein wahrer Hüne von Kerl namens Sam Harding mit seinem Gehilfen, einem sehr scheuen jungen Mann, der gerade angefangen hatte, sich an den Namen Dave statt Ngolo zu gewöhnen. Es war nicht nur sein Name, der sich geändert hatte. Viel war seit dem Tage geschehen, da er Brounters Einladung angenommen hatte, die Versöhnung zwischen ihnen mit einer Flasche Ginger ale zu besiegeln. Was weiter geschah, wußte er nicht; denn kaum hatte er gemerkt, daß der süße Trank einen bitteren Beigeschmack besaß, da wurde ihm schwarz vor den Augen.
Als es sich vor ihm wieder aufhellte, lag er in dem Bett eines Hotelzimmers in Benguela. Jane Brounter saß am Kopfende des Bettes und gab ihm zu trinken. Sie sagte, er sei sehr krank gewesen, und Ukumbwe selbst habe sie gebeten, seinen Sohn mitzunehmen, damit die tüchtigen Ärzte der Weißen ihn heilen könnten. Er glaubte ihr, denn er fühlte sich sehr elend. Die Opiate, die man ihm eingegeben hatte, waren ihm nicht gut bekommen. Aber davon wußte er nichts; es stieg nicht einmal der leiseste Verdacht in ihm auf. Erst viel später, als er erkennen gelernt hatte, wozu Geldgier und Habsucht die Menschen treiben können, wurde ihm alles klar. Jetzt war sein erster Gedanke, in sein Dorf zurückzukehren. Das Ehepaar Brounter erklärte ihm, daß dies unmöglich sei. Er befinde sich zu weit weg, in fremdem Land. Das beste wäre daher, wenn er sie mit den Tieren zusammen nach Amerika begleitete. Bei ihrer nächsten Expedition könnten sie ihn in seine Heimatgegend zurückbringen. Dave, wie sie ihn beharrlich nannten, sagte nichts dagegen. Aber er war fest entschlossen, sobald er sich kräftig genug fühlte, nach Hause zurückzukehren. Als er am nächsten Tag mit schlotternden Beinen aus dem Bett stieg, sah er sich zum erstenmal in einem Spiegel. Erst glaubte er, der Spiegel sei eine Öffnung in der Wand. Den zaushaarigen, mageren, hohläugigen und sonnenverbrannten, aber unzweideutig weißen jungen Mann, den er darin erblickte, faßte er als einen Fremden außerhalb des Zimmers auf. Er wandte sich an Sam Harding, der gerade bei ihm war, zeigte auf den Spiegel und fragte: „Wer ist das?“ „Du selber!“ antwortete Harding grinsend. „Nein, er ist weiß!“ widersprach Dave, gewahrte aber mit
Bestürzung, daß der Weiße alle seine Bewegungen nachahmte. Als er dann begriff, daß es sein eigenes Abbild war, was er sah, sank er völlig niedergeschmettert zusammen und brach in lautes Klagen aus: „Ich bin verhext! Die Zaubermenschen haben mir eine Krankheit eingehaucht, die mich zu einem Weißen gemacht hat! Oh, Yaya, Yaya, was soll ich tun?“ Der nette Sam Harding verstand die Sprache der Bateken nicht, und er begriff auch nicht die Ursache für das Verhallen seines jungen Freundes. Er beugte sich zu ihm hinunter und klopfte ihm freundlich auf die Schulter. „Was ist los, Dave?“ Die Antwort kam stoßweise, zwischen schwerem Schluchzen: „Ich verhext. Nicht können nach Hause. Mutter und Vater mich nicht wiedererkennen. Ganze Dorf mich nicht wiedererkennen. Alle mir Rücken zukehren, sagen: ich Weißer, ich weggehen… Oh, ich nicht mehr leben wollen! Nicht haben Dorf, nicht haben Freunde…! Ich sterben!“ „Na, du hast doch mich und die Brounters!“ tröstete ihn Harding. Das war ein schwacher Trost, aber als Dave sich beruhigt hatte, beschloß er dennoch, ihn anzunehmen. Die Brounters hatten ja versprochen, ihn bei Gelegenheit zu seinem Heimatdorf in der Savanne zurückzubringen. Bis dahin würde vielleicht der Zauber zu wirken aufgehört haben, so daß er wieder wie ein Kiflote aussähe. Die Fülle neuer Eindrücke, die ihn übersprudelte, verdrängte jedoch bald seinen Kummer und seine Sehnsucht. Er bekam so viel zu sehen und zu lernen, daß er gar keine Zeit mehr hatte, über sein Geschick nachzugrübeln.
An Bord des Dampfers „Saint Christopher“ verwandelte sich sein Pidgin-Englisch rasch in ein richtiges Amerikanisch. Sam Harding begann mit beachtlichem Erfolg, ihm das Lesen beizubringen. Schon nach einer Woche las Dave recht gut, wenn er auch oft bei der Aussprache der Wörter ins Stocken geriet oder deren Sinn nicht begriff. Es machte Mühe, Lektüre für ihn zu beschaffen und alle seine Fragen nach der Bedeutung der Wörter zu beantworten. Sam Harding war stolz auf seinen Schüler. „Dieser Bengel lernt während der Fahrt aus Büchern mehr, als ich in meinem ganzen Leben gelernt habe“, sagte er. „Obwohl ich fünf Jahre in die Schule gegangen bin!“ Von Havanna, wo das Schiff Kohlen übernahm, flogen die Brounters nach New Orleans. Sie mußten Vorbereitungen für die Ankunft der Tiere treffen und die Einreisegenehmigung für Dave besorgen. Das war nicht leicht; aber Max Brounter verfügte über gute Beziehungen und wußte, wo ein paar Geldscheine bessere Wirkung taten als tausend Worte. So gelangte Dave in die Vereinigten Staaten ohne Paß und ohne Zunamen, ohne nachweisen zu können, daß er weder die Regierung zu stürzen noch den Präsidenten umzubringen beabsichtigte. Er fühlte sich in New Orleans vom ersten Augenblick an nicht wohl. Der starke, lärmende Verkehr jagte ihm Furcht und Schrecken ein. Auf den Straßen kam er sich vor wie in einer Falle, und er war zutiefst niedergeschlagen, daß die vielen Schwarzen, denen er begegnete, mit dem Volk, unter dem er aufgewachsen war, nichts anderes als die Hautfarbe gemein hatten. Noch mehr quälte es ihn zu sehen, wie wenig diese Schwarzen von den Weißen geachtet und wie schlecht eie behandelt wurden. Nach einer Woche Aufenthalt in New Orleans war Dave zu
allem bereit, um von dort wegzugelangen. Da kam Max Brounter mit einem Vorschlag: Dave solle zu seiner Farm im nordöstlichen Georgia fahren und dort bleiben, bis sich ihm die Möglichkeit böte, nach Afrika zurückzukehren. Voraussetzung sei jedoch, daß er sich für den Boxring ausbilden ließe und anschließend Max Brounter in diesem Metier Gelegenheit gäbe, seine Auslagen für ihn zurückzugewinnen. Wenn er damit einverstanden sei, brauche er nur den Vertrag zu unterschreiben, den Brounter gleich vorlegte. Dave besann sich nicht einen Augenblick. „Darf Sam mitkommen?“ fragte er. Er hatte Sam Harding liebgewonnen; denn der war ein anständiger Kerl und – soweit die Umstände es erlaubten – eine recht ehrliche Haut. Brounter nickte. Er war bereits mit Harding übereingekommen, daß dieser Daves Trainer werden sollte. Dave ergriff die Feder. Mit großen, kindlichen Buchstaben, die davon zeugten, wie neu die Schreibkunst für ihn noch war, malte er bedächtig seinen Namen unter den Vertrag, ohne diesen jedoch gelesen zu haben. Breit grinsend, faltete Brounters den Kontrakt zusammen und steckte ihn ein. Das Schriftstück wäre von der Boxkommission niemals anerkannt worden, denn es war ein richtiger Sklavenvertrag. Dave verpflichtete sich darin, all die Kämpfe durchzuführen, die ihm Max Brounter als sein Manager verschaffen würde, und ihm außerdem fünfzig Prozent seiner Gagen zu überlassen. Aber Dave käme gewiß nie auf den Gedanken, sich an die Boxkommission zu wenden, und Harding mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, um nicht seinen Job zu verlieren. So fühlte sich Max Brounter sicher. Schon am nächsten Tag fuhr Sam Harding mit Dave zu der Farm in Georgia. Sie bot ideale Trainingsmöglichkeiten. Sam
dachte aber auch an die geistige Weiterbildung seines Schützlings, und es gelang ihm, in der Nachbarschaft einen pensionierten Lehrer von einer der Highschools Atlantas ausfindig zu machen, der es übernahm, Dave wenigstens ein Minimum an Buchweisheit beizubringen. Dschungel-Dave, der Boxer Fast ein Jahr verging, ehe Sam Harding als Antwort auf Brounters immer häufigere und hartnäckigere Anfragen mitteilte, daß Dave bereit sei, sein Können zu zeigen, und daß er sowohl innerhalb wie außerhalb des Ringes seinen Mann stehen würde. Da kam Brounter in einem großen, eleganten Wagen bei der Farm vorgefahren und eröffnete Sam und Dave, daß er mit einem Freund, der Promoter sei und eine Boxarena in Atlanta betreibe, vereinbart habe, einen Debütmatch anzuberaumen. Der Freund wolle jedoch Dave zunächst beim Training sehen. Deshalb müßten sie nach Atlanta fahren und Dave dem Veranstalter in dessen Übungshalle vorführen. Dieser Veranstalter, Dick Allan, war ein alter, feister Herr, der ständig an einer großen, unangezündeten Zigarre kaute. Aber er verstand etwas vom Boxen, und Daves Schnelligkeit und Schlagkraft imponierten ihm mächtig. „Ich werde innerhalb einer Woche einen Debütmatch für dich zustande bringen“, sagte er. „Aber du mußt einen Namen haben, mit dem sich Reklame machen läßt.“ „Dschungel-Dave“, schlug Sam Harding vor und fand damit sofort Zustimmung. Anschließend lud Allan zu einem Frühstück in dem feinsten Restaurant der Stadt ein. Am Nebentisch saß Schlächter-Tom Singleton, mit Manager und Trainer in eine Boxdiskussion vertieft. Als die
schwarze Serviererin die Suppe auftragen wollte, versetzte ihr Singleton, der zur Illustrierung seiner Worte mit den Armen fuchtelte, einen Stoß, was zur Folge hatte, daß sie einige Tropfen auf seine gutgebügelte Hose verschüttete. Das Mädchen erging sich in tausend Entschuldigungen und wollte die Tropfen mit ihrer Serviette abwischen. Statt sie dankbar gewähren zu lassen und sich als Urheber des Mißgeschicks zu entschuldigen, stieß Singleton sie brutal zurück und brüllte: „Verfluchte Negerdirne, willst du meine neuen Hosen versauen?“ Dave schnellte hoch wie eine Stahlfeder und stand, ehe ihn jemand zurückhalten konnte, vor Singleton. Er hatte nie aufgehört, sich über die unwürdige und erniedrigende Behandlung zu grämen, der er die Farbigen ausgesetzt sah. Singletons Verhalten brachte den Becher seines Ärgers zum Überschäumen. Er klopfte dem Boxer mit dem Mittelfinger auf die Schulter und sagte: „So spricht man nicht mit einer Dame, ganz gleich, welche Hautfarbe sie hat! Es war Ihre Schuld, daß sie die Suppe verschüttete. Stehen Sie auf und bitten Sie sie um Verzeihung!“ „Oho, was du nicht sagst, Jungchen!“ Singleton erhob sich langsam, und ein hämisches Grinsen überzog sein knochiges Gesicht. „Weißt du, mit wem du redest?“ „Allerdings“, entgegnete Dave ruhig. „Ich weiß, daß Sie ein bedeutender Boxer sind, und soeben habe ich von Ihnen selbst gehört, daß Sie auch ein großer Flegel sind.“ „Steck die ein, und scher dich zum Teu…“ Singleton schlug mit der Rechten zu, in der Absicht, diesen Grünschnabel zu züchtigen, der es wagte, ihm sein Auftreten
gegen eine Negerin vorzuwerfen. Dave wich blitzschnell zur Seite und ließ gleichzeitig seine eigene Rechte unter Singletons Kinn sausen. Schlächter-Tom, der beste Schwergewichtsboxer des Südens, fiel hintenüber in den Schoß seines entsetzten Managers und glitt von da auf den Boden nieder. Alle im Restaurant Anwesenden sprangen auf, um zu sehen, ob das Unglaubliche wirklich geschehen war. Dave kehrte zu seinem Platz zurück, ohne sich um die Aufregung, die er hervorgerufen hatte, zu kümmern. Der alte Dick Allan knuffte ihn heftig in den Rücken. „Du schwätzt, als ob du ein Roter wärst!“ wetterte er. „Aber das verzeihe ich dir um deiner Schlagfertigkeit willen. Du bist noch besser, als ich dachte. So eine Schote, wie du ihm verpaßt hast! So eine Schote!“ Das Weitere wissen wir. Unter den Weißen im Süden herrschte die allgemeine Ansicht, daß Singletons Niederlage einem reinen Zufall zuzuschreiben sei. Max Brounter nutzte die Stimmung aus und brachte einen Kampf zwischen seinem Boxer und Schlächter-Tom zustande. Selten hat ein Boxer das Publikum so kompakt gegen sich gehabt wie Dschungel-Dave bei seinem Debütmatch. Auf seinem Wege zum Ring wurde er mit Buh-Rufen, Pfiffen und höhnischen Schmähungen begrüßt, die von allen Plätzen außer der Galerie kamen, wo es den Farbigen gnädig zu sitzen erlaubt war. Ein einziger Weißer klatschte bei seinem Erscheinen Beifall. Es war ein silberhaariger, wettergebräunter Mann unmittelbar am Ring. Der Alte hatte eigentlich gar kein Interesse für das Boxen. Er hatte die weite Reise von Monterey an der Westküste nur angetreten, um zu wissen, wie der weiße junge Mann aussah, der den Zeitungen nach seit seiner frühesten Kindheit unter
Negern in Afrika gelebt hatte. Im Verlauf des Kampfes schlug die Stimmung des Publikums allmählich zu Daves Gunsten um. Die anwesenden Weißen waren zwar nahezu ausnahmslos Rassenfanatiker; sie duldeten nicht einmal eine Andeutung darüber, daß die Farbigen den Weißen gleichberechtigt sein müßten. Aber sie waren auch Boxfanatiker und wußten gutes Boxen zu schätzen. Wenn Dschungel-Dave in ihren Augen auch ein Verrückter war, der Neger für Menschen hielt, so gewann er doch als Boxer mit jeder Minute mehr Sympathien bei ihnen. Schlächter-Toms raffinierte Technik blieb bei diesem aufgeweckten, flinken und harten jungen Mann völlig wirkungslos. Während Singleton die Luft im Ring noch und noch mit Schlägen durchlöcherte, landete Dschungel-Dave einen Volltreffer nach dem andern. Am Ende der ersten Runde bereits bot Schlächter-Toms Gesicht einen jammervollen Anblick; es schien übel zugerichtet. Zu Beginn der zweiten Runde jubelte das weiße Publikum seinem Favoriten noch lebhaft zu und ermunterte ihn eindringlich, aus Dschungel-Dave Hackfleisch zu machen. Sie jammerten jedesmal vor Enttäuschung, wenn Tom sein Ziel verfehlte, und heulten vor Wut, wenn er einen Schlag hinnehmen mußte. Der Silberhaarige vorn am Ring dagegen quittierte Dschungel-Daves Paraden und Treffer mit lautem Beifall und ließ sich von den Drohungen der umsitzenden Singleton-Anhänger nicht beeindrucken. Im Verlauf der Runde änderte sich das Verhältnis. Enttäuscht von Schlächter-Tom und gegen den eigenen Willen von Dschungel-Dave angetan, begann das Publikum umzuschwenken. Noch bevor die Runde zu Ende ging, stimmten viele in die begeisterten Rufe und den Applaus des Silber-
haarigen ein. In der dritten Runde wurden es noch mehr. Schlächter-Tom kam, notdürftig wiederhergestellt, aus seiner Ecke, erhielt aber sofort einen linken Geraden über die Nase, die zu bluten begann. Er wischte das Blut mit den Handschuhen ab und lieferte dadurch einen unzweideutigen Beweis für den Foulschlag, den er unmittelbar darauf anzubringen versuchte. Der Ringrichter – Ehrenmitglied im Ku-Klux-Klan – sah das Foul natürlich nicht. Aber alle Zuschauer konnten den Blutfleck an Daves weißen Hosen wahrnehmen und wußten, daß sich der nicht wegdiskutieren ließ. Schlächter-Tom hatte unterhalb des Gürtels geschlagen. Aber das bekam er schnell heimgezahlt. Dschungel-Dave war wie ein Wirbelsturm über ihm und hatte ihn in wenigen Sekunden völlig groggy. Singleton taumelte im Ring herum und vermochte nicht einmal in Deckung zu bleiben, geschweige denn zu schlagen. Dave hielt sich zurück. Er wartete darauf, daß Singletons Sekundant das Handtuch in den Ring werfen würde. Da dies nicht geschah, ging er geradewegs auf den wankenden Schlächter-Tom los und schmetterte einen harten rechten Geraden gegen die Kinnlade des Gegners. Von dieser „Schlafpille“ erwachte Schlächter-Tom erst in der Umkleidekabine. Von dem Tage an brauchte sich Max Brounter um das Arrangement von Kämpfen für Dave keine Sorgen mehr zu machen. Schon am folgenden Morgen kamen die ersten Angebote, und mit jedem neuen Match erhöhte sich die Zahl der Angebote für neue Kämpfe. Dave boxte in vielen Städten, und überall sah er seinen silberhaarigen Gönner von Atlanta unmittelbar am Ring sitzen. Überall labte er sich während der Pausen mit Ginger ale, an dem er schon in Afrika solchen Geschmack gefunden hatte. Und überall sieg-
te er durch K. o. Dieser Umstand erregte immer mehr Aufsehen, denn es waren keine schlechten Gegner, auf die er traf. Bis auf wenige Ausnahmen war jeder neue Mann, gegen den er antrat, besser als der vorhergehende. Die Sportjournalisten begannen seinen Namen vornanzusetzen, wenn es galt, die besten Schwergewichtler des Landes aufzuzählen. Max Brounter glänzte. Er hatte sich einen großen Luxuswagen zugelegt, rauchte nur noch teure Zigarren und schnurrte vor Zufriedenheit wie eine Katze. Sein Bankkonto wuchs rasch und wäre noch rascher gewachsen, wenn seine Frau Jane nicht so große Ansprüche an das Leben gestellt hätte. Die Gagen waren fett, das Training, das nach wie vor auf der Farm in Georgia betrieben wurde, kostete nicht viel, und Daves Unterhalt war unvergleichlich billig. Er führte ein ziemlich anspruchsloses Leben: rauchte nicht, trank nicht und ging nie in Nachtklubs. Und am merkwürdigsten von allem war wohl, daß er die Einladungen all der kleinen Goldkäfer, die seine Aufmerksamkeit zu erregen suchten, völlig unbeachtet ließ. Max Brounter sagte Sam Harding zuweilen im Vertrauen, daß er nicht begreife, wofür sich ein solcher Asket wie Dave eigentlich schlage. Sam antwortete niemals, aber er wußte Bescheid. „Ich hasse dieses Leben, Sam, und will schleunigst damit Schluß machen“, hatte Dave einmal erwidert, als Sam ihn gefragt, was ihn zu den Kämpfen treibe. „Deshalb muß ich meine Gegner schlagen, damit ich schnell an die Spitze gelange. Wenn ich Weltmeister bin, hat Max das Pfund Fleisch bekommen, das ich ihm in New Orleans versprochen habe, nachdem er mich dazu überlistet hatte. Und dann ist Schluß!“
„Hast du etwa die Absicht, die Boxhandschuhe dann an den Nagel zu hängen?“ fragte Sam bestürzt. „Dann, wenn du so viel Geld verdienen kannst, wie du willst?“ Dave schnaufte. „Geld und nochmal Geld! Alle hier reden nur vom Geldverdienen und sind für Geld bereit, alles zu tun. Und diejenigen, die Geld haben, glauben, sie können sich deshalb alles erlauben. Ich bin keineswegs blind, Sam! Ich habe mich in allen Städten, wo wir gewesen sind, umgesehen. Ich lese jeden Tag Zeitungen. Je mehr ich sehe und je mehr ich lese, desto weniger gefällt mir der Zustand hier im Lande. Ich will heim zu meinem Volk in Afrika. Dort sind die Menschen Menschen.“ „Die werden doch auch bald zivilisiert“, meinte Sam. „Nein, niemals, hoffe ich! Jedenfalls nicht, wenn Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig und andere Völker auszubeuten und zu unterdrücken. Aber es gibt wohl eine Möglichkeit, das zu verhüten: Alle Völker Afrikas müssen sich befreien, die weißen Herren hinauswerfen und miteinander und mit der ganzen Welt in Frieden und Freundschaft leben.“ „Dave, Dave!“ sagte Sam ängstlich. „Nicht so laut! Du redest ja genau wie ein Roter!“ „Dessen schäme ich mich nicht“, entgegnete Dave lächelnd. „Ich habe niemals auch nur einen einzigen von den Roten getroffen. Aber es ist schon recht lange her, seit ich mir darüber klarzuwerden anfing, daß sie gute Leute sind und daß sie meistens recht haben.“ „Wie kannst du das glauben, wenn alle gegen sie sind?“ „Gerade deshalb, Sam, gerade deshalb! Alle, die nach Krieg schreien, alle Negerlyncher, alle, die arme Menschen aus ihren Behausungen werfen oder Arbeiter arbeitslos machen, alle, die nach Polizei und Militär schreien, wenn Leute
für ihre Arbeit ordentlich bezahlt werden wollen – alle die kennen keinen schlimmeren Feind als die Roten. Und was meinst du, warum?“ „Ja… na… ich weiß nicht recht“, sagte Sam kleinlaut und machte einen Versuch, der Frage auszuweichen. „Ich verstehe nichts davon. Und werde wohl auch nie etwas davon verstehen. Da ist es das beste, wir sprechen nicht mehr darüber.“ Sie rührten nie wieder daran, und Sam wahrte strenges Stillschweigen über das, was Dave gesagt hatte. Er hatte gleichwohl das leise Gefühl, daß die Demokratie und Freiheit, – auf die er als Amerikaner so stolz war, Ansichten der Art nicht zuließen, wie sie Dave vertrat. Kampf folgte auf Kampf. Allmählich kam der Abend heran, an dem Dave gegen Tiger-Pat antrat. Max Brounter war so nervös, daß er im Umkleideraum blieb und sich weigerte, hinauszugehen und den Kampf mit anzusehen. Er wanderte aufgeregt in der Kabine umher, bis Dave mit Sam Harding und einer ganzen Meute von Journalisten hinter sich zurückkehrte. „Du siehst nicht aus, als ob du verloren hättest, Dave“, sagte Brounter vorfühlend. „Nein“, erwiderte Dave. „Aber Pat Maloney sieht so aus.“ Als die Journalisten und Fotografen endlich fertig waren und Dave sich umgekleidet hatte, um mit Max Brounter und Sam zusammen den Sieg zu feiern, klopfte es hart an die Tür. „Herein!“ rief Brounter ungeduldig. Die Tür ging auf, und in der Öffnung erschien der wettergebräunte Alte mit dem Silberhaar, den Dave bei allen seinen Kämpfen vorn am Ring gesehen hatte.
Ein Rätsel wird gelöst Max Brounter hatte im „Ambassadeurs“ ein Abendessen für drei Personen bestellt. Aber man mußte noch ein Gedeck kommen lassen, denn kaum hatte Dave den Silberhaarigen erblickt, da lud er ihn ein mitzukommen. „Dieser gute Mann hier ist mein Glücksbringer“, erklärte er Brounter und Harding. „Ich habe ihn bei jedem meiner Kämpfe gesehen, und ich habe euch ja von ihm erzählt.“ Der Alte lächelte. „Ich heiße Seaburg, Kapitän Seaburg. Ich bin Schwede und heiße eigentlich Sjöberg, aber damit die Amerikaner meinen Namen aussprechen können, muß ich mich Seaburg nennen.“ Das Abendessen gestaltete sich sehr fröhlich, obgleich keiner außer Brounter etwas Stärkeres als Gravensteiner im Glase hatte. Als sie zum Dessert übergehen wollten, erhob Kapitän Seaburg sein Glas und bat, einen Toast auf Dave ausbringen zu dürfen. „Ich habe deine Boxerlaufbahn von Anfang an verfolgt“, sagte er. „Sie ist prächtig gewesen, und ich wünsche dir, daß sie es auch weiterhin bleibt. Ich hoffe und glaube nämlich, daß ich ein ganz besonderes Recht habe, einen solchen Wunsch auszusprechen.“ Dave dankte lächelnd, konnte sich dann aber die Frage nicht verkneifen: „Was meinen Sie mit Ihrer Bemerkung, daß Sie ein besonderes Recht dazu hätten?“ „Das ist es, worüber ich sprechen wollte, als ich heute abend kam“, antwortete Kapitän Seaburg. „Aber wollen wir uns jetzt damit befassen, wo wir so fröhlich beisammen sind?“ „Warum nicht?“ meinte Dave. „Es wird doch wohl nichts sein, was uns traurig macht. Erzählen Sie!“ Seaburg zog aus einer seiner Taschen ein kleines Etui aus
Sämischleder und entnahm ihm ein Goldmedaillon, das er öffnete und Dave und Sam Harding hinschob. „Seht euch dies an und sagt mir, was ihr von ihr haltet.“ Es war das Foto einer jungen blonden Frau mit ruhigen, reinen Zügen. Sowohl die Haartracht als auch die Kleidung zeugten davon, daß die Aufnahme aus einer Zeit stammte, die weit zurück lag. „Eine schöne junge Dame“, sagte Dave. „Sie sieht sympathisch aus.“ „Ich finde, sie sieht Dave irgendwie ähnlich“, fiel Sam ein. „Die Aufnahme ist vor fünfundzwanzig Jahren in Göteborg gemacht worden“, sagte Kapitän Seaburg. „Als Ann-Marie – so hieß sie – und ich uns verlobten. Sechs Jahre später waren wir verheiratet und hatten einen kleinen Jungen. So sah er aus…“ Aus seiner Brieftasche zog Kapitän Seaburg ein weiteres Foto und reichte es den beiden hinüber. Es zeigte einen nackten, drallen, lachenden kleinen Knaben von etwa einem Jahr, der an einem von kahlen Felsen eingerahmten Sandstrand bis zu den Waden im Wasser stand. „Niedliches Kind“, meinte Sam Harding. Dave enthielt sich jeglicher Äußerung, und Kapitän Seaburg fuhr in seiner Erzählung fort: „In der Woche, nachdem dieses Bild aufgenommen war, erhielt ich mein erstes Kommando. Auf einem TrampFrachtdampfer. Das Schiff sollte nach Sydney gehen, von da aus Ladung nach Japan bringen und dann nach Vancouver weiterfahren. Es konnte ein paar Jahre dauern, bis ich wieder nach Hause kam. Da reichlich Platz vorhanden war und die Reederei nichts dagegen hatte, entschloß ich mich, AnnMarie und den Jungen mitzunehmen.“ Dave war unter der dunklen, sonnengebräunten Haut blaß
geworden, und sein Gesicht hatte einen gespannten Ausdruck angenommen. Er ahnte, daß der Schleier, der über seiner Herkunft und seiner frühesten Kindheit lag, sogleich zerrissen würde und daß die Sympathie, die er von der ersten Begegnung an für den silberhaarigen Seebären empfunden, tiefere Ursachen hatte, als er sich je hätte träumen lassen. Kapitän Seaburg zeigte nicht, daß er gemerkt hatte, welchen Eindruck seine Erzählung machte. „Wir hatten eine herrliche Reise, bis wir in den Golf von Guinea kamen. Dort gerieten wir in einen Orkan, dessengleichen ich weder vorher noch später erlebt habe. Schon während der ersten vierundzwanzig Stunden zerschlugen die Brecher die Rettungsboote und fegten die Brücke weg. Am Ende des zweiten Tages drückten sie das ganze Schiff hinunter. Die Spanten begannen zu bersten, und die Platten wurden zusammengepreßt, als wären sie aus Papier. Wir riefen durch Funk um Hilfe, aber es war hoffnungslos. Der Dampfer sank in weniger als einer Stunde. Wir verließen ihn im letzten Augenblick und konnten unsere Hoffnung allein auf die Rettungsgürtel setzen. Ich schloß den Jungen in die Arme, um zu verhüten, daß die Sturzseen uns auseinandertrieben. Aber nach einiger Zeit erhielt ich durch irgendein Wrackstück einen Schlag an den Kopf und verlor das Bewußtsein. Als ich es wiedererlangte… war ich… allein.“ Die Stimme versagte ihm, und er schluckte hart. Dann schüttelte er sich, wie um aus der Gefühlsumklammerung freizukommen, und erzählte weiter. „Nachdem ich ungefähr zehn Stunden im Meer gelegen hatte, wurde ich von einem Engländer aufgefischt, der unsere SOS-Rufe aufgefangen und den Koch sowie den Zweiten Steuermann bereits gerettet hatte. Das Schiff suchte vier Ta-
ge lang kreuzend die Umgebung ab, fand aber niemanden mehr. In Banana an der Kongomündung setzten sie mich an Land. Zwei Jahre hindurch fuhr ich die Küste auf und ab und suchte. Nicht nach Ann-Marie – sie hätte von sich hören lassen, wenn sie gerettet werden wäre –, sondern nach dem Jungen. Er war zu klein, als daß er irgendwelche Auskünfte über sich selber hätte geben können, und es war ja denkbar, daß er sich irgendwo befand, obgleich nichts davon bekannt geworden war. Allmählich gab ich es auf. Ich reiste nach Amerika und bekam das Kommando auf einem Schiff, das die Linie nach Australien befuhr. Aber ich hielt die Augen auf Afrika gerichtet und schloß mit der größten Zeitungsausschnittagentur hier einen Vertrag, daß sie mir alle Artikel und Notizen aus der englischsprachigen Presse schicken sollte, die möglicherweise in irgendeiner Beziehung zu meinem verschwundenen Sohn standen. Die ersten erhielt ich, als Dave den Schlächter-Tom Singleton in dem Restaurant in Atlanta k. o. geschlagen hatte.“ „Und da dachten Sie, daß ich…“, sagte Dave. Er brachte den Satz nicht zu Ende, denn er hatte plötzlich das Gefühl, als habe er die Kehle voller Sand. Kapitän Seaburg nickte. „Ja, vielleicht, dachte ich und fuhr nach Atlanta, um mir dich anzugucken. Ich bemerkte sofort, daß du gewisse Züge mit meiner Frau gemeinsam hattest. Aber ich wollte noch etwas feststellen, um völlige Gewißheit zu erlangen. Deshalb saß ich weiterhin bei all deinen Kämpfen vorn am Ring.“ „Was wollten Sie noch feststellen, Herr Kapitän?“ fragte Sam neugierig. „Gucken Sie sich das Foto des Jungen an. Erkennen Sie oben am rechten Schenkel den kleinen Fleck?“
Sam zog seine Brille hervor, die er sonst nicht gern gebrauchte, wenn es jemand sah, und setzte sie auf, um das Bild eingehend zu betrachten. „Ja, wahrhaftig. Da ist ein kleiner herzförmiger Fleck zu sehen. Genau so ein Muttermal, wie es Dave an derselben Stelle hat.“ Dave hielt die Hände fest an die Tischkante gepreßt und atmete schwer. „Ich weiß“, sagte Kapitän Seaburg. „Als sich Dave heute abend in der ersten Pause auf den Stuhl setzte, schoben sich die Hosen ein wenig hoch. Da entdeckte ich den Fleck, und ich entschloß mich, mit Dave zu sprechen.“ „Hm“, murmelte Max Brounter, der bisher schweigend dabeigesessen hatte. „Warum haben Sie Dave nicht schon das erste Mal aufgesucht und gefragt, ob er so ein Muttermal hat?“ Seaburg zuckte mit den Achseln und lächelte ein wenig verlegen. „Ich wagte es nicht“, erwiderte er im Tone der Entschuldigung. „Ich fürchtete, daß er das Muttermal vielleicht doch nicht hätte, und ich wollte meine letzte Hoffnung nicht verlieren. Die Ungewißheit schien mir irgendwie besser. Aber jetzt weiß ich… Glaubst du, daß du mein Junge bist, Dave?“ Sam Harding, von Natur aus sehr empfindsam, war so bewegt, daß ihm die Tränen in die Augen kamen und er nicht sah, wie Dave die Hände des alten Kapitäns ergriff, sie zwischen die seinen nahm und drückte. „Ich glaube es. Das mit dem Muttermal hat ja seine Richtigkeit. Und ich bin sehr froh, daß wir einander gefunden haben und daß ich nicht mehr darüber nachzugrübeln brauche, wer meine Mutter und mein Vater waren und weshalb ich von ihnen getrennt wurde. Aber das Ganze ist so wunderbar. Fast wie eines der Märchen, die Ukumbwe zu erzäh-
len pflegte, als ich noch klein war. Ich erinnere mich ja an keinen anderen Vater und keine andere Mutter als an Ukumbwe und Nkenge. Bis vor kurzem habe ich fest geglaubt, ich wäre ein Bateke wie sie. Und ich sehne mich danach, sie wiederzusehen.“ „Das verstehe ich sehr gut“, entgegnete Kapitän Seaburg. „Auch ich möchte mit ihnen zusammentreffen – und ihnen von ganzem Herzen für alles danken, was sie für dich getan haben.“ Menschenraub Am nächsten Tag saß Dave mit seinem Vater und Sam Harding in seinem Hotelzimmer. Sie sahen gerade gemeinsam die sensationell aufgemachten Zeitungsberichte durch, die sich mit den Umständen befaßten, unter denen der Weltmeisteranwärter Dschungel-Dave seinen Vater wiedergefunden hatte. Max Brounter, der stets auf Reklame bedacht war, hatte sich vom Abendessen direkt zu den Zeitungsredaktionen begeben und die Geschichte angebracht. Jetzt kam er plötzlich ins Zimmer gestürmt und verkündete, daß die Vorbereitungen für den Kampf um die Weltmeisterschaft bereits Gestalt annähmen. „Veranstalter ist Hank Pritchard. Wir werden ihn und Rigoretti samt Manager nächsten Freitag um ein Uhr in der Redaktion der ,Sporting World’ treffen… Fats Logan, Rigorettis Manager, wollte die Unterzeichnung des Vertrages auf unbestimmte Zeit verschieben; ,aber Jesse Roscoe von der ,Sporting World’ schlug mit der Faust auf den Tisch: .Entweder Sie unterschreiben den Vertrag am Freitag nächster Woche, oder wir erkennen Rigoretti den Titel ohne Kampf ab!’ Das wirkte, denn Jesse ist doch Mitglied der Boxkommission. Die liebt Rigoretti nicht gerade, Er hat nur
einen einzigen Kampf geliefert, seit er den Titel gewann. Nun muß binnen dreißig Tagen nach der Vertragsunterzeichnung geboxt werden,“ Dave schlug sich mit der flachen Hand auf das Knie. „Herrlich!“ „Es sind üble Gerüchte über diesen Rigoretti in Umlauf“, sagte Kapitän Seaburg. „Es wird behauptet, daß das, was er für sein Auftreten in Varietes einstreicht und dafür, daß er sich für Reklamezwecke ausnutzen läßt, nur kleine Beträge seien gegen das, was er durch eine Unmenge dunkler Geschäfte einnimmt.“ Sam Harding grunzte beipflichtend: „Die Wirklichkeit ist schlimmer als die Gerüchte. Toni Rigoretti ist Chef einer Bande von Leih-Haien, und er ist es wohl, der das Geld hergibt, vermute ich.“ „Leih-Baie?“ fragte Kapitän Seaburg verständnislos. „Ja, Gangster, die allen möglichen Menschen kleine Darlehen – gegen ungefähr dreißig Prozent wöchentlich – aufdrängen und dann die Außenstände samt den Wucherzinsen eintreiben, wobei sie die Armen, die das Geld nicht auf den Tag genau zahlen, mißhandeln oder sogar totschlagen.“ „Oh, pfui! Ich hoffe, Dave schlägt ihn für immer aus dem Ring!“ sagte Kapitän Seaburg mit Nachdruck. „Ja“, meinte Sam Harding. „Von den Profi-Boxern sind gewiß viele keine Engel, und ihre Manager“ – er sandte Max Brounter einen nicht allzu freundlichen Blick – „sind es noch weniger; aber einen so ekligen Fisch wie Toni Rigoretti findet . man dennoch nicht oft im Ring.“ Max Brounter murmelte etwas Unverständliches zwischen den Zähnen. Dann sagte er: „Ich will ein paar Worte mit dir reden, Dave. Unter vier Augen.“
„Sag’s hier!“ forderte ihn Dave auf. „Ich habe vor meinem Vater und Sam keine Geheimnisse.“ Brounter antwortete nicht. Er zündete sich eine schwarze Zigarre an und ging nervös im Zimmer auf und ab. Dann blieb er stehen und warf den Kopf zurück. „Na ja, sie erfahren es wohl ohnehin. Also – Rigoretti bietet dir fünfzigtausend ,Blanke’, die du vor dem Kampf ausgezahlt bekommst, wenn er dich in der vierten Runde völlig auf die Bretter kriegt. Du bist ja noch so jung, meint er, da kannst du in ein oder zwei Jahren wiederkommen und dann den Titel gewinnen. Oder auch…“ Dave erhob sich, weiß vor Wut, und unterbrach Brounters Erklärungen. „Hör zu, Maxie“, sagte er. „Toni Rigoretti ist ein Schurke. Wenn du das vorher nicht wußtest, so hast du mit dem Anerbieten, das er gemacht hat, Beweis genug. Grüße ihn und sage, daß ich, auch wenn er mir sämtliches Geld der Welt bietet, nicht daran denke, auf die Gelegenheit zu verzichten, ihn k. o. zu schlagen.“ Die Zigarre drohte Brounter aus dem Mund zu gleiten. „Aber, Dave!“ sagte er flehentlich und mit bebender Stimme. „Ich… ich habe bereits zugesagt.“ Dave schritt auf ihn zu. „Was, sagst du, hast du gemacht?“ Brounter wich zurück, bis er gegen einen Schrank stieß und nicht weiter konnte. „Ich habe angenommen, Dave. Fats Logan sagte, sie würden für mein Begräbnis sorgen, wenn ich es nicht täte. Und ich brauche Geld, Dave. Jane will sich scheiden lassen. Sie glaubt, sie kann mit einer dicken Unterstützung von mir herrliche Tage leben. Aber ich gedenke so viel zusammenzukratzen, wie ich mit den Händen greifen kann, dann irgendwohin abzuhauen und mein altes Gewerbe wiederauf-
zunehmen. Sie kann die Farm kriegen. Und du wirst frei und kannst dir einen neuen Manager besorgen.“ Dave lächelte verächtlich. Sein Zorn hatte sich ebenso schnell gelegt, wie er aufgestiegen war. „Hau ab mit dem Geld, das du hast, Maxie. Du hast durch deinen Gaunerkontrakt mit mir gut verdient. Aber jetzt ist Schluß. Ich werde Fats anrufen und ihm mitteilen, daß du nicht mehr mein Manager bist. Dann kannst du dich aus dem Staube machen und irgendwo Tiger fangen. Die sind nicht so gefährlich für dich wie die Hyänen in diesem Dschungel.“ „Ist das dein letztes Wort?“ fragte Brounter bestürzt, während er sich nach der Tür zurückzog. „Für dich und Rigoretti, ja.“ „Dann hab Dank für das, was gewesen ist, Dave. Nimm dich vor Rigoretti und Fats in acht. Sie selbst sind vielleicht nicht so gefährlich; aber sie haben einen ganzen Haufen Kerle um sich, die mit Messer und Revolver verdammt geschickt umzugehen wissen.“ Er schlich wie ein begossener Pudel hinaus und machte die Tür hinter sich zu. „So“, sagte Dave zufrieden. „Nun gilt es einen neuen und anständigen Manager zu finden… Würdest du den Job übernehmen, Vater?“ „Ich kann es ja mal versuchen“, erwiderte Kapitän Seaburg, erfreut über das Vertrauen des Sohnes. „Dann konntest du dein Amt damit anfangen, eine neue Trainingsstätte ausfindig zu machen.“ ,,Ich kenne jemand, der ein kleines Grundstück auf Long Island hat“, berichtete Kapitän Seaburg. „Vielleicht bekommen wir das zur Verfügung gestellt.“ „Ausgezeichnet!“ entgegnete Dave mit einem Kopfnicken und ergriff den Telefonhörer, um Fats Logan davon zu unter-
richten, daß er mit Brounter gebrochen habe. „Du lehnst also unser Anerbieten ab“, sagte Fats ölige Stimme. „Das ist dumm von dir, Dave, sehr dumm!“ Gegen zehn Uhr abends ging Dave hinaus, um die letzten Abendblätter zu kaufen und nachzusehen, was es auf den Sportseiten Neues gab. Unmittelbar vor dem Hoteleingang stand ein Zeitungskiosk. Dave kaufte dort die Zeitungen und wollte gerade wieder ins Haus zurückkehren, als er plötzlich etwas Hartes im Rücken spürte und eine leise, rauhe Stimme sprechen hörte: „Das ist eine Kanone, Bruder! Und die kracht, wenn du mir die geringste Veranlassung gibst. Verhalte dich ruhig, und steig in das Auto da.“ Am Bordstein hielt ein großer Packard. Dave erinnerte sich an Max Brounters Warnung. Schweigend schritt er über den Gehweg und stieg in das Auto. Die ganze Zeit spürte er den Revolver im Rücken. Der Zeitungsverkäufer, ein waschechter Cockney, der aus irgendeinem Grunde seine Heimatstadt mit New York vertauscht hatte, blickte dem davonrollenden Wagen mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen nach. „Go blimey, a real kidnapin’, an’ right under me very nose, too!“ Ein Mann mit einem weichen schwarzen Hut, der daneben stand und seine Worte gehört hatte, wandte sich rasch zu ihm um. „Du hast recht, Alter. Das war ein richtiger Menschenraub, und er wurde direkt vor deiner Nase ausgeführt. Aber vergiß die Sache trotzdem. Das ist am besten für die Gesundheit und die Lebensdauer, weißt du.“ Der Ton war drohend, und der kleine Cockney bekam Angst um sein bißchen Leben. Er kauerte sich in seiner Bude
zusammen wie eine erschreckte Ratte und stammelte: „Ich werde bestimmt die Klappe halten, Mister. Verlassen Sie sich darauf. Ich bin niemals nicht einer gewesen, der viel geschwätzt hat. Bestimmt nicht!“ Roscoes Zimmer in der „Sporting World“ war beinahe so groß wie die übrigen Redaktionsstuben zusammen. Das war nötig, denn der Raum diente oft als Versammlungsort für eine Menge Menschen. Der lange, breitschultrige Jesse, ständig in flauschigen, braunroten Tweed gekleidet, war nicht nur Besitzer und Redakteur der „Sportiag World“, sondern auch der unumschränkte Star unter den Sportjournalisten der gesamten Presse. Durch seinen lebendigen, doch gesetzten persönlichen Stil, stets sachlichen, doch furchtlosen Urteile und Stellungnahmen in Sportfragen hatte er seiner Zeitung eine festgegründete Popularität verschafft und es vermocht, alle Versuche der großen Zeitungskonzerne abzuwehren, sie als eine Nummer in das ihnen unterstehende Heer von Tageszeitungen und Zeitschriften einzugliedern. Er war unernannter, aber anerkannter Oberrichter in Fragen, die Leistungen und Moral in der Sportwelt betrafen. So war es Brauch geworden, daß die Abmachungen über die meisten großen Sportereignisse unter seinen Augen getroffen und in seiner Redaktion unterzeichnet wurden. Eine Viertelstunde vor eins an dem Freitag, da der Vertrag über den Titelkampf zwischen Toni Rigoretti und Dschungel-Dave unterzeichnet werden sollte, kam Hank Pritchard, der Veranstalter, als erster zu Jesse Roscoe hereingestapft. „Irgendwas Neues?“ fragte er, nachdem sie sich die Hand geschüttelt hatten. „Nicht ein Laut. Ich hatte seinen neuen Manager, Kapitän Seaburg, vor einem Weilchen an der Strippe. Ein nobler alter
Knabe. Und schneidig.“ „Warst du es, der dafür gesorgt hat, daß nicht eine Zeile in die Presse gekommen ist?“ Jesse Roscoe nickte. „Ich habe auch von einer Anzeige bei der Polizei abgeraten. Kommt Dave wieder zum Vorschein, würden die Leute nur anfangen, von Reklametrick zu faseln. Und sollten wir ihn zum letztenmal gesehen haben, dann wird es die Öffentlichkeit noch früh genug erfahren. Aber wenn es an dem ist, Hank, dann werde ich nachgraben und gesetzliche Maßnahmen gegen jeden verlangen, der mit der Sache zu tun hat.“ „Du hegst natürlich Verdacht gegen Rigoretti und seine Bande.“ „Gegen wen sonst?“ Ein Klopfen unterbrach das Gespräch, und als es wiederaufgenommen wurde, berührte es nur noch gleichgültige Dinge, denn die ersten der eingeladenen Journalisten und Fotografen von anderen Zeitungen waren eingetroffen. Ihnen folgten bald weitere. Fünf Minuten vor ein Uhr kam Kapitän Seaburg mit Sam Harding. Die Linien in Seaburgs Gesicht sprachen von großer Erschöpfung, und die Augen zeigten durch Schlaflosigkeit und Kummer hervorgerufene rote Ränder. Aber seine Haltung war gerade und elastisch wie immer. Jesse blickte ihn bei der Begrüßung fragend und bekam ein fast unmerkliches Kopfschütteln zur Antwort. Soso! dachte Hank Pritchard, der die stamme Zwiesprache bemerkt und deren Inhalt richtig gedeutet hatte. Dave hat I noch immer nichts von sich hören lassen! Punkt ein Uhr erschienen Toni Rigoretti und sein Manager Fats Logan, dessen Gesicht Jesse Roscoe, wie er zu sagen pflegte, an das Brotbacken im Elternhaus erinnerte. Es sah
aus wie gärender Weizenteig: aufgequollen, weiß und formlos. Rigorettis Miene war nicht so verdrießlich wie sonst. Er pflanzte sich, ohne zu danken, in den Sessel, der ihm angeboten wurde, sah sich um und ließ seinen Blick bei Kapitän Seaburg verweilen. „Sie sind Daves neuer Manager, was? Wo haben Sie Ihren Boxer?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte Seaburg wahrheitsgemäß und ohne mit einer Miene seine Empfindungen zu verraten. „Er kommt, hoffe ich.’“ Rigoretti grinste. „Er hat doch nicht etwa Angst gekriegt und sich versteckt?“ „Halt deinen Mund, Toni!“ gebot Jesse Roscoe. „Das akademische Viertel ist noch nicht um.“ Die Uhr zeigte sieben Minuten nach eins. Es wurde still in dem gedrängt vollen Raum. Aber in der Ruhe lag Spannung. Die meisten der Anwesenden wälzten in ihren Köpfen die gleichen Fragen: Was in aller Welt kann Dschungel-Dave zugestoßen sein? Wo ist er? Kommt er, oder kommt er nicht? Die Uhr tickte, und der Minutenzeiger kroch langsam auf Viertel zwei. „Stumpfnasen-Mike“ wird überlistet Der Mann, der Dave vor dem Hotel in das Auto zwang, war Mike Rigoretti, der Bruder des Weltmeisters. In der NewYorker Unterwelt wurde er wegen seiner Vorliebe für großkalibrige und kurzläufige – „stumpfnasige“ – Revolver „Stumpfnasen-Mike“ genannt. Er war der Stellvertreter seines Bruders in der Gangsterbande. Im Polizeiregister stand vermerkt, daß er des Raubes, der Erpressung, des schweren
Diebstahls, des Rauschgiftschmuggels und des Mordes verdächtig festgenommen worden war. Aber da er in einem Lande lebte, wo Geld alles bedeutet und wo sich deshalb Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft unmöglich von bestechlichen Personen rein halten lassen, war er niemals verurteilt und bestraft worden. Dies war sein erster Versuch als Menschenräuber. Er führte ihn mit Hilfe „Harrys des Bastards“, der den Wagen steuerte, elegant aus. Harry trat kräftig auf. den Gashebel, während „Stumpfnase“ auf dem hinteren Sitz hockte und Dave mit seinem Revolver zwischen den Rippen kitzelte. Westlich von New York erstrecken sich die Ausläufer des Alleghanygebirges bis nach New Jersey hinein. In diesen Vorbergen besaß einer der finsteren Freunde der Brüder Rigoretti ein Wochenendhäuschen. Dort traf Mike am Sonnabendmorgen gegen halb drei Uhr mit Dave ein. „Harry der Bastard“ brachte den Wagen im Vorgarten zum Stehen, stieg aus und öffnete die Tür an der Seite, wo Dave saß. „Komm rausgekrabbelt, aber versuch keine Affenkunststücke!“ Dave sah den langen, schmalen Sandsack in der rechten Hand des Gangsters nicht. Aber er fühlte ihn im nächsten Augenblick. Als er das Bewußtsein wiedererlangte, lag er auf einem breiten Bett in einem hübschen, hellen Zimmer. Seine Handund Fußgelenke waren mit dünnen, starken Stahlketten gefesselt. Unmittelbar hinter sich gewahrte er ein Fenster mit blauen Tüllgardinen und davor einen breiten Tisch mit ein paar Stühlen. Durch das Fenster schimmerte ein Fetzen hellblauer Morgenhimmel; auch einige grüne Baumwipfel blickten herein. Daraus schloß Dave, daß sich das Zimmer im ersten Stock befand.
Nach einer Weile hörte er draußen ein Auto starten. Darauf kam der Mann mit dem Revolver ins Zimmer. Er zeigte jetzt keine Waffe, sondern nickte Dave zu und grinste. „Sie begreifen wohl, was Ihnen passiert ist?“ „O ja!“ antwortete Dave. „Ich glaube sogar, daß ich erraten kann, wem ich das zu verdanken habe.“ „Wie scharfsinnig!“ entgegnete der Gangster ironisch. „Well, ich bin sein Bruder Mike, und ich werde hierbleiben und mich etwas um Sie kümmern. Sinn der Sache ist, daß Sie sich bis Freitag mittag ausruhen und es sich wohl sein lassen. Verstehen Sie?“ „Damit ich mich nicht einfinden kann, wenn der Vertrag unterschrieben werden soll.“ „Genau das, Freitag mittag schmeiße ich Sie raus, dann können Sie gehen, wohin Sie wollen.“ An dieses Versprechen glaubte Dave nicht einen Augenblick. Sein Mißtrauen war berechtigt. Der Plan, den Toni Rigoretti und Fats Logan ausgeheckt und Mike eingeprägt hatten, war nämlich folgender: „Freitag mittag lassen wir seinen Manager anrufen und verlangen fünfzigtausend dafür, daß wir ihn laufen lassen. Die kriegen wir sicher, denn der Knabe ist ja jede Menge Geld wert, wenn er am Leben bleibt und im Ring weitermachen kann. Sobald wir die Moneten haben, erhältst du ein Zeichen. Dann nimmst du die Karre und fährst mit ihm südwärts in die Alleghanyberge. An einer geeigneten Stelle packst du ihn beim Schlafittchen und pustest ihm das Licht aus.“ Der Plan gefiel „Stumpfnasen-Mike“ über alle Maßen. Während er darauf wartete, ihn ausführen zu können, versuchte er sein Opfer in Ruhe zu wiegen, indem er sich seiner in einer Form annahm, die dem Gefangenen keinen Grund
zur Klage gab. Natürlich fand Dave keinen Gefallen daran, dem Gangster bei jeder Mahlzeit am Tisch gegenüberzusitzen und ihn mit seinem „stumpfnasigen“ Revolver spielen zu sehen. Aber dafür nahm ihm Mike, während er aß, die Handschellen ab, und das Essen, das er ihm vorsetzte, war vorzüglich. Aus Mike wäre gewiß ein begehrter und gutbezahlter Koch geworden, wenn er nicht unter Verhältnissen gelebt hätte, die ihn auf die Bahn des Verbrechens trieben und nur die schlechtesten Seiten seines Charakters zur Entfaltung brachten. Der Freitagmorgen kam, ohne daß es Dave gelungen war, einen Plan zu seiner Befreiung zu ersinnen. Er erhob sich und trippelte – zu dieser Art der Fortbewegung war er durch die Fußfesseln gezwungen – zum Fenster. Die ersten Strahlen der Morgensonne glitzerten in Millionen Tautropfen an Sträuchern und Gräsern. Nicht weit ab vom Haus hüpften zwei kleine graue Wildkaninchen ohne Scheu umher und fraßen. Langsam kamen sie näher. Dave überraschte sich bei dem Wunsch, daß die Kaninchen Polizisten wären. In dem Falle hätte es besser für ihn ausgesehen. Jetzt aber war es ganz hoffnungslos… Nein, halt! Ihm kam eine Idee. Beim Frühstück setzte er sie ins Werk. Mitten während der Mahlzeit streckte er plötzlich den Hals vor und starrte gespannt aus dem Fenster auf einen Punkt, den Mike nicht sehen konnte. „Was glotzen Sie?“ grunzte Mike argwöhnisch. Dave richtete langsam den Blick auf ihn und legte Messer und Gabel aus der Hand. „Sie sind ganz nett zu mir gewesen, Mike“, sagte er. „Da will ich Ihnen eine Chance geben. Hauen Sie ab, aber fix!
Die Polizei ist im Begriff, das Nest zu umzingeln.“ Mike schnellte mit einem Fluch in die Höhe. Seine Nasenflügel zitterten, und er umklammerte fest den Revolver. „Sind es viele?“ „Das weiß ich nicht. Ich sah zwei, sie huschten da hinten zwischen den Sträuchern hindurch.“ Mike fluchte erneut, rannte aus dem Zimmer und stürmte mit solchem Gepolter die Treppe hinab, daß es sich anhörte, als sei er hinuntergefallen. Dave lachte und stand auf. Mike hatte ihn ohne Handschellen zurückgelassen, und der Schlüssel, der auch für die Fußfesseln paßte, lag auf der Tischkante. Es war eine einfache Sache, ihn zu nehmen und die Fesseln an den Fußgelenken aufzuschließen. Er hörte, wie Mike im Erdgeschoß zwischen den Fenstern hin und her lief und die Läden schloß. Dann wurde es für einige Minuten still. Unterdessen kam Mike offenbar dahinter, daß er auf einen blinden Alarm hereingefallen war; denn plötzlich hallte ein Gebrüll durch das Haus: „Oh, du verfluchter Dschungelaffe! Ich werde dir helfen, mit mir üble Scherze zu treiben!“ Fast ebenso schnell wie seine Worte kam Mike selbst die Treppe herauf. Er schäumte vor Wut und hatte es sehr eilig, mit seiner Drohung Ernst zu machen. Seine gewöhnliche Vorsicht war wie weggeblasen. Darauf eingestellt, Dave all das Blei, das sich in dem „stumpfnasigen“ Revolver befand, in den Leib zu jagen, stürzte er wie rasend über die Schwelle. Weit kam er nicht, denn Dave, der seitlich der Türöffnung stand, schlug ihm blitzartig den Revolver aus der Hand und ließ unmittelbar darauf die Linke an seinem Kinn landen. In der Garage des Landhäuschens stand ein vollgetankter
Hudson. In dem sollte Mike seinen Gefangenen in die Alleghanyberge bringen, um ihn zu ermorden. Nun wurde der Wagen zu einem anderen Zweck benutzt. Die Uhr zeigte genau achtzehn Minuten nach eins, als der Hudson vor dem kleinen dreistöckigen Gebäude der „Sporting World“ hielt. Ein schrecklich unrasierter und schmutziger junger Mann in völlig zerknitterter Kleidung stieg aus, öffnete die Tür zum hinteren Sitz und zog einen anderen Mann heraus. Dieser machte einen total berauschten Eindruck und sah aus, als habe er in seiner Trunkenheit den Versuch unternommen, auf eigene Faust einen ganzen Boxerklub durchzuprügeln. Zwanzig Minuten nach eins erhob sich Fats Logan und erklärte, er und Rigoretti hätten bessere Verwendung für ihre Zeit, als auf einen Menschen zu warten, der doch niemals käme. In demselben Augenblick hörte man Getöse im Vorraum. Dann wurde die Tür zu Jesse Roseoes Zimmer aufgestoßen, und herein torkelte, lässig über die Schwelle geschubst, „Stumpfnasen-Mike“ Rigoretti; er landete geradewegs in den Armen seines Bruders, der ebenfalls aufgestanden war, um zu gehen. Nach Mike trat eine verwahrloste Gestalt ein, in der alle Anwesenden mit Verblüffung – die meisten auch mit Freude – den so ungeduldig erwarteten Dschungel-Dave erkannten. „Wie geht’s, wie steht’s, meine Herren?“ rief er munter. „Es tut mir leid, daß ich Sie…“ Toni Rigoretti ließ ihn nicht ausreden. Er übergab den hilflosen Mike Fats Logan, sprang nach vorn und schüttelte seine geballten Fäuste vor Daves Gesicht. „Was hast du mit Mike gemacht?“ zischte er. „Dasselbe, was ich in dreißig Tagen mit dir zu machen ge-
denke“, erwiderte Dave ruhig. Rigoretti brüllte auf wie ein rasender Stier und wollte sich auf Dave stürzen, aber Jesse Roscoes kalte, Respekt gebietende Stimme hielt ihn zurück. „Verhalt dich ruhig, Rigoretti, und setz dich hin! Du, Dave, berichte, was geschehen ist und wo du gewesen bist.“ Dave schilderte kurz, was er seit dem vergangenen Freitagabend erlebt hatte. Rigoretti und Fate Logan schrien wiederholt dazwischen, daß er lüge. „Fragt Mike!“ forderte Dave sie auf. „Das ist nicht nötig“, entschied Jesse Roscoe. „Wir wissen, was Mike treibt und daß Toni und Fats hinter all seinen Schurkenstreichen stecken. Beweise dafür sind genug vorhanden; die reichen, denke ich, zur Verhaftung und Verurteilung aus. Menschenraub fällt unter die Zuständigkeit der Bundespolizei, und bei der ist es nicht so leicht für Toni und Fats, bestechliche Subjekte zu finden, wie bei den Polizeibehörden der Gliedstaaten.“ „Ich will aber keine Anzeige bei der Polizei erstatten“, sagte Dave, „denn dann kommt ja kein Kampf zustande.“ Zunächst schwiegen alle. Dann räusperte sich Jack Walker, der Vorsitzende des Sportjournalistenverbandes. „Ich für meinen Teil wäre schon willens, die Angelegenheit für mich zu behalten, damit Dave Gelegenheit hat, Rigoretti k, o. zu schlagen“, sagte er. „Was meint ihr anderen?“ Die Journalisten erklärten sich bereit, Jacks Beispiel zu folgen, und wenige Minuten später waren die Verträge unterzeichnet. Der Titelkampf Der Sportjournalist Jack Walker hatte den ehrenvollen Auftrag erhalten, die Boxer bei dem Kampf um die Weltmeister-
schaft im Schwergewicht vorzustellen. Rigoretti lächelte. Er wußte, daß er in Dave seinen Meister gefunden hatte. Aber mit Routine müßte er wohl die erste Runde durchstehen können. Und von da an hatte Fats alles für ihn geregelt. Rigoretti fühlte sich bereits als Sieger, als er hinausging, um mit seinem Gegner im Ring zusammenzutreffen. Der Kampf begann. Dave, der ohne Zahnschutz erschienen war, machte mit der Linken einen Probeschlag. Rigoretti blockte und konterte – in die Luft. Dave lächelte höhnisch. „Da hast du Pech gehabt“, sagte er so leise, daß es nur Rigoretti hörte. „Genauso wie deine Menschenräuber und Meuchelmörder.“ Rigoretti knurrte hinter .seinem Zahnschutz. Dave deutete den Laut als eine drohende Ankündigung dessen, was Rigoretti mit ihm zu tun gedachte. „Dazu taugst du nicht“, entgegnete er grinsend. Darauf schlug er zur Täuschung nach dem Solarplexus des Weltmeisters. Rigoretti senkte die Deckung und mußte sofort dafür büßen. Ein rechter Gerader, in den Dave seine ganze Kraft und die ganze Wucht seines Körpers konzentriert hatte, landete mitten in Tonis saurem Gesicht. Rigoretti schwankte, schwer durchschüttert. Er fühlte einen unerträglichen Schmerz bis unter das Schädeldach aufsteigen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und Blut rann ihm über Mund und Kinn. Dave setzte ihm sofort nach, erfüllt von derselben kalten und unbarmherzigen Wut, die ihn früher einmal zu packen pflegte, wenn ihm der gefleckte Mörder, der Nkoi, oder das Kimbungu, die lachende Hyäne, über den Weg liefen. In diesem Augenblick war Rigoretti wie sie ein Ntantu – ein Feind –, der vernichtet werden mußte. Zwei weitere wohlgezielte Schläge klebten Rigorettis lin-
kes Auge zu und rissen seine rechte Braue auf. Die Zuschauer erhoben sich in den Bänken und johlten. Sie brannten vor Erwartung, den unbeliebten Weltmeister k. o. geschlagen zu sehen. Fats Logan saß bleicher denn je in seinem Fauteuil vorn am Ring und biß sich in die Unterlippe. Kapitän Seaburg, der seinen Platz ganz in der Nähe hatte, betrachtete ihn und fand, daß er wie die leibhaftige Furcht aussah. Und das stimmte ziemlich genau. Während der Rahmenkämpfe hatte Fats Logan Daves Umkleideraum einen Besuch abgestattet. Dort wimmelte es von Leuten, doch keiner nahm Notiz von ihm, als er sich langsam, aber sicher an einen Tisch heranmanövrierte, auf dem er die übliche Flasche mit Ginger ale entdeckte, an der sich Dave in den Pausen labte. Als er den Tisch erreicht hatte, war es das Werk eines Augenblicks, die gefüllte Morphiumspritze, die er in der Tasche trug, hervorzuholen, die haarfeine, aber starke Kanüle durch die Verschlußkapsel zu stoßen und den Inhalt der Spritze in die Flasche zu entleeren. Niemand sah es, denn alle kehrten ihm absichtlich den Rücken zu, um deutlich zu machen, daß er nicht willkommen war. Als er aus dem Umkleideraum verschwand, ahnte keiner, welch heimtückische Tat er vollbracht hatte. Fats konnte mit gutem Gewissen sagen, daß er für Rigorettis Sieg in der zweiten Runde alle Vorkehrungen getroffen hatte. Daher setzte er auf Toni sämtliches Geld, das er bei sich trug, und forderte die Mitglieder der Gangsterbande auf, das gleiche zu tun. Die Wettkurse waren ja günstig. Sie standen vier zu eins für Dave. Wenn nun aber Rigoretti nicht über die erste Runde käme – was dann? Fats hatte an eine solche Möglichkeit nie gedacht. Was sich im Ring abspielte, zeigte indessen, daß man mit ihr rechnen mußte. Da bekam Fats Angst um sein bißchen Le-
ben. Er kannte seine Kumpane zur Genüge, um zu wissen, daß sie keine Entschuldigung. gelten lassen würden, wenn Her Kampf anders ausging, als er verkündet hatte. Zur großen Enttäuschung der Zuschauer ließ der Niederschlag auf sich warten. „Los, ran! Schlag ihn nieder!“ schrien die Eifrigsten. Dave kümmerte sich nicht um sie. Er wartete, bis Rigoretti sich etwas erholt hatte, ehe er wieder zu boxen anfing. Die Zeit reichte gerade, um einen neuen, mächtigen Schlag bei ihm anzubringen, bevor der Gong ertönte und die Runde zu Ende war. Fats Logan atmete erleichtert auf und fing an, sich wieder normal zu fühlen. Dschungel-Dave ist doch ein Idiot – nimmt seine Chancen gar nicht wahr! dachte er. Aber Jesse Roscoe sagte zu Bill Jackson von der „Times“: „Dave hat offenbar die Absicht, Rigoretti ordentlich zu verprügeln, bevor er ihn auf die Bretter schlägt.“ „Yeah“, pflichtete Bill bei, „und ich hab nichts dagegen. Rigoretti hat das verdient, was er abkriegt, und noch mehr!“ In Daves Ecke öffnete Sam Harding die Flasche mit dem Ginger ale und reichte sie seinem Schützling hin. Entgegen aller Gewohnheit schüttelte dieser abwehrend den Kopf. „Das ist heute abend nicht nötig, Sam. Der Gedanke, wie ich Rigoretti niederschlagen werde, ist erfrischend genug.“ „Hm“, meinte Sam, „dann kann ich vielleicht einen Schluck nehmen. Dein Vater hat mir heute mittag schwedischen Hering vorgesetzt. Der war zwar gut, aber ich habe einen verdammten Durst davon gekriegt.“ Dave nickte, und Sam setzte die Flasche, an den Mund und trank reichlich die Hälfte in sich hinein. Fats Logan, der mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt hatte, was geschehen war, erhob sich und ging hinaus. Er
hatte es sehr eilig. Dschungel-Dave deckte Rigoretti in der zweiten Runde mit härteren und schnelleren Schlägen ein, als er sie jemals vorher in seiner Boxerlaufbahn ausgeteilt hatte. Er begann mit einem neuen wuchtigen Rechten gegen Rigorettis zerschlagene Nase, der den Titelverteidiger laut aufstöhnen ließ. Dann überschüttete er seinen Gegner mit einem Hagelschauer von Schlägen, wobei er jedoch die ganze Zeit über peinlich vermied, einen Hieb anzubringen, der den Kampf entscheiden konnte. Nach knapp eineinhalb Minuten war Rigoretti erneut vollständig erledigt. Schwach und ziellos in die Luft stoßend, schwankte er wie ein Betrunkener im Ring umher, und sein zerschundenes Gesicht war schrecklich anzusehen. Da begegneten sich zufällig Daves und Kapitän Seaburgs Blicke. In den Augen des Vaters las der Boxer die Bitte, Schluß zu machen mit der furchtbaren Züchtigung seines Feindes. Alle am Ring hörten seine Warnung: „Aufgepaßt jetzt, Rigoretti!“ Darauf erfolgte der K.-o.-Schlag. Ein vollendeter linker Gerader. Der Weltmeister fiel wie ein Sack auf den Boden. Der Ringrichter begann über ihm zu zählen und kam bis zehn und „aus“, ohne daß Rigoretti die geringste Bewegung gemacht hätte. Der Jubel der Zuschauer drohte das Dach abzuheben und ließ die Worte das Ringrichters untergehen. Aber alle verstanden auch so, was sie bedeuteten, als er Daves rechten Arm in die Luft streckte und ihm den kostbaren Meistergürtel um den Leib schnallte. Rigorettis Sekundanten schleppten ihren Mann weg, während sich Dave zum Dank für die Huldigungen verbeugte
und mit der Hand winkte. Ohne den geschlagenen Gegner eines Blickes zu würdigen, ging er in seine Ecke, um den Ring zu verlassen. Entgegen aller Gewohnheit stand Sam dort nicht mit dem Mantel bereit. Er saß unten auf seinem Stuhl, umgeben von einer Menge Leute, und schnarchte, als läge er zu Hause in seinem Bett. Der Boxarzt hatte ihn untersucht und war gerade fertig mit seiner Diagnose, als Dave vom Ring heruntersprang und sich zu Sam hindurchdrängte. „Betäubt! Offenbar durch Morphium.“ Kapitän Seaburg hielt dem Arzt die halbgeleerte Flasche mit dem Ginger ale hin. „Er hat aus dieser Flasche getrunken, die für Dave bestimmt war“, erläuterte er. Der Arzt nahm die Flasche, kostete vorsichtig von dem Inhalt und spuckte daraufhin mehrmals aus. „Morphium“, sagte er. „Aber ich begreife nicht… Die Flasche war auch mit einem Siegelverschluß versehen, oder nicht?“ „Ja, natürlich“, erwiderte Dave. „Ich habe selber gesehen, wie Sam die Verschlußkapsel abmachte.“ „Sonderbar… Na, es besteht glücklicherweise keine Gefahr für ihn. Er wacht in ein paar Stunden wieder auf.“ Bill Jackson hatte inzwischen den Fußboden abgesucht und die weggeworfene Kapsel entdeckt. Er hielt sie gegen die starken Lampen, die über dem Ring angebracht waren. „Seht hier!“ Das Licht offenbarte das feine Loch, das die Kanüle der Spritze hinterlassen hatte. „Aha“, sagte Jesse Roscoe. „Fats Logan hatte offensichtlich ein ganz besonderes Anliegen, als er heute abend in Daves Umkleideraum war. Aber ich schätze, daß er seine Gangsterstreiche nun bald ausgespielt hat.“
Seine Prophezeiung traf genauer ein, als irgend jemand ahnte. Die Morgenzeitungen am nächsten Tag waren bis an den Band mit lokalen Sensationen gefüllt. Ganzseitige Rubriken auf den ersten Seiten berichteten davon, daß DschungelDaves linker Gerader nicht nur Rigoretti entthront, sondern auch seine Gangsterbande zerschmettert hatte. „Toni Rigoretti, dessen Weltmeistertitel eine Schande war, die Dschungel-Dave gestern ausgelöscht hat, ist in der letzten Nacht von einem Mitglied seiner eigenen Bande im AllSaints-Hospital beinahe ermordet worden. Kriminalbeamte, die dort eintrafen, um Rigoretti wegen Menschenraubes für verhaftet zu erklären – siehe Sonderreportage auf Seite 4 – , kamen gerade im rechten Augenblick, um ,Puddinggesicht’, John Logan, in Empfang zu nehmen, als er mit dem Revolver in der Hand Rigorettis Einzelzimmer betrat. ,Puddinggesicht’ erklärte, daß er seinen Bruder Fats rächen wollte, der schon vorher in der Nacht von Rigorettis Heiducken erschossen worden war. Polizisten, die zu Logans Wohnung geschickt wurden, fanden diesen, von mehreren Kugeln durchbohrt, tot auf. Bei der Bundespolizei sitzen seit dem frühen Morgen wegen Mordes, Mordversuchs, Menschenraubes u. a. m. ,Stumpfnasen-Mike’ Rigoretti, John Logan, ,Harry der Bastard’ Saunders und eine ganze Reihe anderer berüchtigter Gangster.“ Die Mittagszeitungen kamen mit einer neuen knalligen Sensation: Dschungel-Dave hatte seinen Weltmeistergürtel der Boxkommission zur Verfügung gestellt, mit der Erklärung, daß er nicht mehr boxen wolle. Wie konnte ein junger Mann auf die Weise alle Möglichkeiten, Geld zu verdienen, von sich werfen – Möglichkeiten,
die er nur beim Schopfe zu packen brauchte, nachdem er sich endlich bis zur Weltmeisterschaft durchgekämpft hatte? Eine Heerschar von Journalisten stürzte sich auf Dave, um die Gründe für seine Handlungsweise zu erfahren. „Ich fühle mich bei diesem Job nicht wohl, das ist alles“, sagte er. „Berufsboxen ist kein Sport, sondern ein Gewerbe. Ein tristes und rauhes Gewerbe.“ „Aber, Herrgott, das bringt doch Geld!“ fiel einer der Journalisten ein. „Geld ist nicht alles“, erwiderte Dave. „Ich will mich nicht für Geld schlagen und nicht gegen einzelne Menschen antreten. Davon habe ich jetzt genug. Wenn ich kämpfen werde, so will ich’s für etwas tun, was den Einsatz lohnt, und gegen solche, die bekämpft werden müssen.“ „Das klingt dunkel. Sag uns, wofür du dich schlagen willst!“ „Für die Freiheit der Völker Afrikas, wo ich aufgewachsen bin, zum Beispiel. Für den Frieden in der Welt, für die Gleichberechtigung der Rassen und für die Beseitigung von Ausbeutung und Unterdrückung.“ „Dschungel-Dave hat den Verstand verloren. Er ist rot geworden“, schrieben die Abendzeitungen. Jesse Roscoe aber, der sich am folgenden Morgen auf dem Bahnhof einfand, um von Dave, Kapitän Seaburg und Sam Harding Abschied zu nehmen – sie fuhren nach New Orleans, um dann mit einem Tramp-Frachtschiff nach Afrika zu gelangen – , sagte etwas anderes: „Ich will es nicht schreiben, denn dann wäre es trotz allem bald aus mit der ,Sporting World’; aber sagen kann ich es: Ich glaube, du hast recht, Dave. Und ich wünsche dir und all den anderen, die Kraft und Mut genug besitzen, für das gleiche Ziel zu kämpfen, Glück und Erfolg.“