Der Diamantensucher Abenteuer-Erzählung von
R. Trebonius Illustriert von O. Braun
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Der Diamantensucher Abenteuer-Erzählung von
R. Trebonius Illustriert von O. Braun
DEUTSCHE BUCHVERTRIEBS- UND VERLAGSGESELLSCHAFT BERLIN-DÜSSELDORF
Rechte vorbehalten
Schutzumschlag und Einband: O. Braun Gesamtherstellung: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe G.m.b.H. München Printed in Germany 1954
In Brixtons Valley in Südafrika sind Diamanten gefunden worden. Gleich all den Tausenden von anderen, die am Fundort zusammenströmen, um sich ihre Claims zu sichern, will auch der junge Will Hartman zusammen mit einem englischen Zeitungsmann sein Glück versuchen. Es erweist sich jedoch, daß auf Will Hartman in Brixtons Valley keine Diamanten, sondern Abenteuer und Gefahren warten. Er gerät in den Verdacht des Diamantendiebstahls und der Kindesentführung. Zusammen mit seinem Partner macht er sich auf den Weg in den afrikanischen Urwald, um nach den dorthin entflohenen wahren Tätern zu suchen und das entführte Kind zu retten. Nachdem ihm dies gelungen ist, zeigt sich auch das Glück gnädig. Er findet in seinem Claim einen Diamanten von so hohem Wert, daß es ihm möglich ist, eine eigene Diamantenmine in Betrieb zu nehmen. Nun jedoch setzt ein harter Kampf ein mit rücksichtslosen Konkurrenten, die alles versuchen, um ihn aus dem Felde zu schlagen. Mit Überfällen, Diebstählen und Sabotageakten versuchen die Gegner, Will Hartman zu vernichten. Erst nach harten Kämpfen gelingt es Will Hartman, wieder die Oberhand zu gewinnen und den Besitz seiner Mine zu sichern. Neben der spannenden Handlung erhält der Leser hochinteressante Einblicke in die Diamantengewinnung in Südafrika.
1
War das heute ein Leben in den Straßen von Kimberley! Leben gibt es ja eigentlich immer in einer Stadt, die so ungefähr hundertfünfzigtausend Einwohner hat, aber heute war es doch etwas anderes. Da sausten die eleganten Autos durch die breiten Straßen, aber nicht die langweiligen Geschäftsleute saßen darin und machten ihre ernsten Gesichter, die ein jeder Geschäftsmann zu machen sich verpflichtet fühlt, wenn er in sein Büro oder zur Börse fährt, sondern zumeist waren es adrett aussehende Kinder, Mädchen und Jungen, die mit ihren Müttern, bisweilen aber auch mit dem vergnügt aussehenden Herrn Papa in den Wagen saßen. Alles fuhr hinaus zum großen Stadion, wo die Wettläufe abgehalten wurden. Musik erklang – da kam er ja auch schon, der Zug mit den Kämpfern, und höchst sonderbar sah er aus! Ein Musikkorps voran mit Bum, bum! und Trara!, dann eine große Fahne: „The Newspaper Boys.“ Die Zeitungsjungen! Da kamen sie anmarschiert, stramm wie die Grenadiere, mit lachenden, fröhlichen und heute sogar durchweg sauberen Gesichtern. Drei- bis vierhundert Knaben, Knirpse von acht und neun Jahren, aber auch große, frische Jungen, so um vierzehn herum, und Will Hartman, den sie am vorigen Sonntag zu ihrem König gewählt hatten, vierzehnjährig, mit strohblondem Haar, vor Eifer geröteten Wangen, marschierte im Bewußtsein seiner Würde voran.
König der Zeitungsjungen von Kimberley, wenn das nichts war! Überhaupt, die ganze Stadt Kimberley ist eigentlich eine tolle Sache. *** Kam da vor ungefähr achtzig Jahren ein braver Bure mit seinem Treckwagen, so einem richtigen, großen afrikanischen Treckwagen, der fast wie ein rollendes Haus aussieht und in seinem Innern alles birgt, was man so in der Wildnis braucht: Vorräte, Handwerkszeug, Ackergerätschaften, allerhand Saatgut, Lebensmittel, ein Satz junger Hühner, ein paar Ferkel, allerhand glitzernder Krimskrams als Kaufartikel für die Neger, ein paar Flinten mit Munition und die ganze Familie von der Hausfrau bis zum kleinsten Stöpsel mit der Schmutznase… Zwölf oder vierzehn Ochsen zogen so einen Treckwagen, der Räder aus dicken, massiven Holzscheiben, aber gewiß keine Federn hatte, durch den afrikanischen Busch; und ein großes Vergnügen war es gewiß nicht, ein Dutzend Wochen so zu kutschieren, denn es stuckerte mächtig, und nicht selten galt es, über Flüsse wegzusetzen oder durch tiefe Täler zu karren. Eine Straße gab es natürlich nicht, und des Nachts mußte man Feuer anstecken, damit nicht ein Löwe etwa die Ochsen als Abendbrot auffraß. Mit solch einem Treckwagen, allerdings mit einem kleinen, denn er war ein armer Mann und fuhr nur mit seinem halbwüchsigen Sohn, zog der brave Bure seines Weges und war höchst ärgerlich, weil das Land immer miserabler wurde. Keine Spur von ertragfähigem Boden; dafür aber war die Kalahariwüste gar nicht mehr so weit. Außerdem tauchten am Horizont recht unangenehme Bergketten auf, und Vater und
Sohn schimpften mächtig, daß sie überhaupt in dieses elende Griqualand gezogen waren. Bum, bum! – Jetzt kam auch noch ein Gewitter, gleich darauf ging so ein echter afrikanischer Wolkenbruch hernieder, bei dem es nicht, wie wir sagen, mit Strippen regnet, sondern gleich ganze Badewannen vom Himmel heruntergeschüttet werden. Vater und Sohn verkrochen sich unter die Plane ihres Wagens und überließen es den Ochsen, ihr eigenes Fell als Regenschirm zu benutzen; dann aber kam ein fürchterlicher Windstoß und riß ihnen noch dazu die ganze Plane von ihrem Treckwagen herunter. Teufel, war das eine Nacht! Aber schließlich, wer im afrikanischen Busch leben will, nimmt auch so etwas ruhig in Kauf, und als am Morgen die Sonne wieder schien und es sich herausstellte, daß sich nicht einmal die Ochsen verlaufen hatten, gingen sie wieder ans Werk. Der Vater fing die Tiere ein, und der Sohn bemühte sich, die große Zeltplane, die natürlich mit einer dicken Schmutzkruste bedeckt war, einigermaßen zu säubern, damit man sie wieder über den Wagen spannen konnte. „Vater, sieh doch mal her, was sind denn das für glitzernde Kiesel, die der Schlamm auf die Plane geworfen hat?“ Der alte Bure hatte eigentlich keine Lust, sich um irgendwelche glitzernde Kiesel zu kümmern; dann aber sah er auf seine Stiefel, mit denen er durch den bläulichen Schlamm gewandert war, und da blitzte auch etwas. Er nahm es in die Hand, das kleine leuchtende Ding, wischte es ab, biß darauf; dann wurde sein Gesicht immer erstaunter. Er holte sein Taschenmesser heraus, kratzte an dem Steinchen herum, stürzte dann in einer Aufregung, die durchaus nicht zu seiner sonstigen Wurstigkeit paßte, zu der Plane, sammelte die anderen kleinen Glitzersteinchen und begann plötzlich zum
Schrecken seines Jungen wie ein Wahnsinniger zu lachen und, als sei er auf einer richtigen Burenhochzeit, in Sprüngen umherzuhüpfen. „Vater, um Himmels willen, was ist denn los?“ „Was los ist? Wir sind über Nacht zu steinreichen Leuten geworden. Gesegnet sei der brave Wolkenbruch und der Sturmwind, der uns die Plane in den Dreck schmiß, und dieser prachtvolle Dreck, der sie so schön mit Glitzersteinchen, wie du es nennst, beklebt hat. Weißt du, was das ist? Diamanten, nichts als Diamanten! Wir haben ein neues Diamantenfeld gefunden, und was für eins, da liegt ja der ganze Segen einfach zum Sammeln und Aufheben da.“ Der Junge stand wie versteinert und sperrte den Mund so weit auf, wie es nur irgend ging, als sollten ihm die Diamanten gleich hineinfliegen. Dann aber sammelten Vater und Sohn ein recht hübsches Säckchen voll, die Ochsen wurden mit den Köpfen nach Süden gerichtet, und, heidi! ging es wieder in die alte Heimat zurück. So ungefähr erzählt man sich, daß auf diese Weise vor achtzig Jahren oder noch etwas früher die Diamantenfelder im Griqualande entdeckt wurden. Dann aber gab es einen gewaltigen Run, wie man das dortzulande nennt. Claims wurden abgesteckt, und das verachtete Griqualand wurde über Nacht das Ziel von Tausenden von Abenteurern, bis dann einer der bedeutendsten Männer in der südafrikanischen Geschichte, der Engländer Cecil Rhodes, der ursprünglich auch einfach als Diamantensucher gekommen war, die Sache in die Hand nahm. Heute ist nach diesem Cecil Rhodes ein großes Gebiet in Afrika mit vollem Recht Rhodesia genannt worden, und in Kimberley kann gewiß ein Privatmann keine Diamanten mehr
suchen, dafür aber stehen dort die gewaltigen Bergwerke der De-Beers-Mine, und aus den paar Zelten und Wellblechbuden, die zuerst von den Diamantensuchern aufgebaut waren, ist eine schöne Großstadt mit breiten Straßen, mit Wolkenkratzern und eleganten Geschäften geworden, die um 1900 herum so ungefähr fünfzigtausend und jetzt die siebenfache Zahl Einwohner beherbergt. Man braucht auch keinen Treckwagen mehr, um nach Kimberley zu gelangen, sondern fährt im bequemen Schlafwagen mit der Eisenbahn; aber die Umgebung ist immer noch das trostlose Griqualand, wenn auch die Stadt selbst von wunderschönen Anlagen umgeben ist, von kleinen, in Parkanlagen umgeschaffenen Hügeln und wieder von ganz tiefen Kratern, die fast wie riesenhafte Granattrichter aussehen. In Wirklichkeit sind es die gewaltigen Löcher, die man ausgehoben hat, bisweilen so tief, daß man gar nicht bis auf den Grund hinuntersehen kann und auf deren blauer Erde, dem „blue ground“, man die Diamanten hervorsuchte, während die Hügel einfach die Schutthalden sind, auf die man den Abraum auftürmte. *** Heute hatte das große Stadion, in dem sonst die Fußballwettkämpfe ausgefochten wurden, volle Tribünen, und meist waren es jugendliche Gesichter, die in froher Erwartung des Schauspiels harrten. Auf der Richtertribüne stand mit feierlichem Gesicht Mister Bankroft, der Besitzer und Herausgeber der „Daily News“, der größten Zeitung, neben ihm Mister Nathanael Black, der Präsident der De-Beers-Mine, und vor den beiden Herren mit hochrotem Gesicht, im rosa Kleid, des Präsidenten Tochter, die zehnjährige Mabel Black, die sich heute ganz außerordentlich
wichtig vorkam, denn sie sollte die Preise an die Sieger verteilen. Es waren allerdings keine silbernen und goldenen Pokale, wie man sie sonst bei Wettkämpfen sieht; aber der erste Sieger bekam bare zwei Pfund, also nach deutschem Gelde vierzig Mark, der zweite die Hälfte; und dann gab es noch allerhand Trostpreise, die aus Speckstücken, Würsten und anderen nützlichen Dingen bestanden, denn reiche Jungen werden ja im allgemeinen auch in Kimberley nicht Zeitungsausträger. Da standen sie nun alle oder knieten vielmehr mit einem Bein vor der Startleine, hatten die Hände auf den Boden gestützt, um sich kräftiger abstoßen zu können, mit erwartungsvollen Augen. Sehr viele waren barfuß, manche sogar nur in einer Schwimmhose, andere waren mit Lumpen bedeckt, und wieder andere, die ihren Sonntagsanzug trugen und deren Eltern noch etwas Geld hatten, im weißen Leinenkittel. Mister Bankroft hob sehr feierlich die Startpistole, als gelte es, hier eine Weltmeisterschaft auszutragen – die Startleine flog hoch empor, und gleichzeitig rannten vierhundert Knaben über das weite Feld. Teufel noch einmal, rennen kann so ein Zeitungsjunge! Eigentlich besteht ja ihr ganzes Leben aus einem einzigen Wettrennen, wenn sie, die dicken Pakete in ihrer Hand, aus den Druckereien kommend, neben den Straßenbahnwagen und Autos daherjagen, um einander den Rang abzulaufen. „Daily News!“ „Evening Post!“ „Weekly Reporter!“ Und wie sie alle heißen, die Blätter, von denen es in jeder Stunde schon wieder eine neue Ausgabe zu verkaufen gibt.
Erst rannten sie fast alle in einer Reihe, dann löste sich die Kette, es bildeten sich Gruppen; aber als Vorderster stürmte Will Hartman. Seine blonden Haare flatterten nur so im Winde, und die nackten Beine stampften den Boden. Zurufe von den Tribünen: „Schneller, schneller, Will!“ Andere wurden gerufen oder angesprochen. Viele, besonders die Kleinen, waren längst zurückgeblieben, hatten wohl auch schon aufgegeben, nur ein langer Schlaks, der sechzehnjährige Tom Baker, stürmte vor, hatte längere Beine als Will. Drei Kilometer galt es zu rennen, bald sah man niemand mehr als Will Hartman und Tom Baker. Jetzt waren sie dicht am Ziel – Tom Baker drei Nasenlängen voraus, plötzlich raffte Will alle Kraft zusammen, stürmte vor wie der Blitz: der Zielschuß! Riesengroß stiegen die Buchstaben an dem Gitterwerk empor, dröhnend schrillten die Lautsprecher über den ganzen Platz: „Erster Sieger Will Hartman von der ,Daily News’.“ „Zweiter Tom Baker von der ,Evening Post’.“ Die Trostpreise interessierten schon weniger. Mit leuchtenden Augen stand Will da. Seine junge Brust war breit, seine Beine kräftig. Die Backen waren knallrot, und der Schweiß floß ihm aus den verwirrten, blonden Haaren; aber sonst sah man ihm die Anstrengung nicht mehr an. Der lange Tom Baker sah bleich aus und keuchte noch jetzt. Mister Bankroft, der den frischen Jungen schon oft gesehen hatte, wenn er mit lachendem Gesicht aus dem Zeitungsgebäude herausstürmte, und der ihn bisweilen sogar zu schnellen Botengängen verwendet hatte, nickte ihm zu.
„Bravo, Will! Gut gehalten hast du dich. Immer mit allen Kräften voran, ohne sich vollkommen auszugeben. Wenn du so durch das Leben gebt, wird schon etwas aus dir werden.“ „Soll es auch, Mister Bankroft!“ Der Junge sagte das so laut, daß der gestrenge Direktor auflachte. „Hast wohl schon Pläne?“ „Hab’ ich auch.“ „Was willst du denn werden?“ „Generaldirektor der ,Daily News’.“ Wie ein Pistolenschuß kam es als Antwort. „Bravo, jeder Soldat trägt den Feldmarschallstab im Tornister. Wenn du mal einen besonderen Wunsch hast, kannst du ruhig zu mir kommen.“ „Danke, Mister Bankroft, werde es mir schon merken.“ Frisch und keck klangen die Worte, aber durchaus nicht etwa frech. „Nun nimm deinen Preis.“ Die kleine Mabel reichte ihm die beiden glänzenden Goldstücke. „Ich freue mich, Will, daß du sie bekommst.“ Es war gar nicht merkwürdig, daß Mabel sich freute, denn sie dachte daran, wie sie auf dem Fabrikhofe einmal der große Kettenhund, der sich losgerissen hatte, anfiel und Will dem Köter seinen Zeitungspacken an den Schädel warf, daß das Tier einen Augenblick verdutzt dastand und er den Moment benutzte, um ihn wieder einzufangen. Noch einmal fragte Bankroft: „Was machst du denn mit dem vielen Gelde? Willst du vielleicht gleich eine Zeitung gründen?“ „Dazu reicht es nicht, das bekommt meine Mutter, die kann immer Geld gebrauchen.“ ***
Aus dem Tor des Riesengebäudes der De-Beers-Mine, die mit ihren hohen Mauern wie eine Festung aussah, kamen zwei Männer, hatten hochrote Köpfe, gingen mit raschen Schritten und sprachen erst zueinander, als sie in eine Seitenstraße eingebogen waren. Vertrauenerweckend sahen beide nicht aus, weder der rothaarige Jim Walker, der Amerikaner, noch der grauköpfige Bob Smith, der schon manches Abenteuer auf den australischen Goldfeldern erlebt hatte und dessen energisches Gesicht durch die große, jetzt blutunterlaufene Narbe, die sich quer über die Stirn zog, durchaus nicht verschönt wurde. „Damned, das wäre mißglückt.“ Jim nickte. „Um Haaresbreite hätten sie uns eingestellt.“ „Wäre dieser verflixte Deutsche uns nicht im letzten Augenblick in die Quere gekommen.“ „Weiß gar nicht, woher der uns kennt.“ „Dich nicht, aber mich. Dieser Georg Hartman, den der Teufel holen soll, war Schreiber beim Friedensrichter in Broken Hill, als sie mich schnappten, weil ich mein Messer zufällig, anstatt in die Tasche, in die Schulter des Lumpen gesteckt hatte, der mir mein Claim wegnehmen wollte.“ Jim lachte. „War wohl eigentlich sein Claim?“ „Nachdem ich ihn weggejagt hatte, war es meiner.“ „Hat keinen Zweck, jetzt lange zu reden, ist vielleicht auch gut, wenn wir machen, daß wir weiterkommen, ehe dieser Deutsche uns noch die Konstabler auf den Hals hetzt. Schließlich, Bulawayo ist auch eine Stadt.“ „Vierundzwanzig Bahnstunden kosten Geld.“ Jim lachte wieder gellend auf. „Hast du schon einmal eine Fahrt auf der Eisenbahn bezahlt, alter Tramp?“
„Kriechen wir unter und warten wir, bis es Nacht ist; aber das sage ich dir, wiedersehen werde ich diesen Deutschen, und dann ist mein Messer ihm sicher. Ich will gern noch mal hinter den eisernen Gardinen hocken. Zweimal hat der Kerl mich geschnappt, das drittemal kriege ich ihn.“ Die beiden verschwanden in einer Spelunke, hatten bald eine tüchtige Schnapsflasche vor sich und suchten ihren Zorn zu vergessen. – Draußen, in der Vorstadt, dicht an einem der alten Krater, stand ein kleines Häuschen. Georg Hartman hatte es sich selber zusammengezimmert, mit Wellblech gedeckt und die Wände mit Blechplatten benagelt, die er sich aus alten Petroleumtins geschnitten hatte. Das Land gehörte der Mine, war für ein paar Schilling an Georg Hartman, der seit fünf Jahren den Posten eines Maschinenmeisters bekleidete, verpachtet, und wenn es auch gewiß keine Villa war, so entschädigte doch ein hübscher Garten mit Gemüse, Blumen, und im Hof gackerten Hühner und meckerte eine Ziege. Waren die Möbel nur ganz einfach gezimmert, so hatte Frau Marie Hartman es doch verstanden, durch allerhand Kleinigkeiten etwas deutsche Gemütlichkeit zu verbreiten. Nun stand sie in der Tür, streute den Hühnern Futter, ließ ihre Augen über den Garten schweifen und dachte nach. Wie gut hatte es doch das Schicksal mit ihnen gemeint, als sie vor fünf Jahren nach Kimberley kamen. Ihr Mann hatte die Stellung bei der Mine, und sie wohnten hier nett und behaglich. Freilich hatten sie nur einige Pfennige im Hause, aber der Lohn, den Vater Hartman nach Hause brachte, reichte zum Leben, und im Garten wuchs, was sie brauchten. In der Ferne tönte Musik, und Frau Hartman lächelte.
Da kamen die Jungen vom Rennen zurück! Ihr Will! Der gute, brave Junge, der auch schon Geld verdiente! Da stürmte er die Straße heran, als gälte es noch einmal einen Wettlauf. „Mutter, Mutter!“ „Junge, du siehst erhitzt aus!“ „Rate mal, was ich hier habe.“ „Einen Preis?“ „Den ersten Preis. Zwei Pfund! Jetzt kannst du dir was recht Schönes kaufen.“ – *** Der Betrieb der De-Beers-Mine sah allerdings ganz anders aus als die Diamantenfelder von früher. Nicht ein einziges Gebäude, sondern eine ganze Stadt von Förderschächten, Gesteinsmühlen, riesenhaften Sortiermaschinen, Direktionsund Bürogebäuden und schließlich eine gewaltige Anzahl von Arbeiterdörfern mit kleinen Wellblechhäusern, die alle von Mauern und Stacheldrähten umgeben waren; denn wer als Arbeiter in den Diamantenminen beschäftigt war, durfte ein volles Jahr die Minenstadt nicht verlassen, damit nichts von dem wertvollen Gestein trotz aller Vorsichtsmaßregeln heimlich fortgeschafft werden konnte. Nur den höheren Beamten und einigen besonders gut angeschriebenen Werkführern war es erlaubt, außerhalb zu wohnen, und zu diesen gehörte Georg Hartman. Er hatte sich als tüchtig erwiesen, wie er ja auch heute wieder aufgepaßt hatte, daß es den beiden Halunken nicht gelang, sich auf falsche Papiere hin eine Anstellung zu verschaffen. Georg Hartman war im Büro gewesen, hatte vor dem Detektiv der Kriminalpolizei noch einmal seine Angaben über
den entsprungenen Sträfling Bob Smith aus Australien wiederholt und stand jetzt wieder an der Maschine. Ja, war das ein Betrieb! Längst war der „blue ground“, der Schlamm, in dem man in früheren Jahren im Tagesabbau die Diamanten gesucht hatte, so tief ausgehoben, daß man jetzt schon mächtige Schächte tief in die Erde hineingrub. Darüber ragten gewaltige Stahlgerüste empor; schräge Gleitbahnen führten aus dem dunkeln Erdinnern hinaus, und auf ihnen zogen schlammtriefende Karren in donnernder Eile an eisernen Ketten bis ganz hoch hinauf, entleerten ihren Inhalt auf große Siebe, in Brechmaschinen, unter Wasserspülungen. Immer wieder glitten hoch oben auf Schienenbahnen die Wagen mit dem allmählich immer mehr gereinigten Gestein bis in die große Schütteltrommel, und ganz zum Schluß trug ein eingefettetes Band die von den Maschinen, fast ohne Hilfe von Menschenhänden, ausgesonderten, allerdings noch schmutzigen, aber auf das Band geklebten Diamanten hin in die großen Säle, in denen die Reiniger sie mit Bürsten bearbeiteten, bis endlich die Sortierer, selbstverständlich besonders auf ihre Ehrlichkeit erprobte Beamte, sie je nach ihrer Größe aufteilten. An einem der hohen Stahlträger war eine Art von kleinem Balkon angebaut, und auf diesem stand Georg Hartman. Neben ihm befand sich eine Menge der verschiedensten Hebel, und jedesmal, dem Glockensignal entsprechend, hob oder senkte er diese Hebel, betätigte die Schalterknöpfe und setzte die Gangwerke in Bewegung, die dann, haarscharf an ihm vorüber, ihre beladenen Schlammwagen auf den Gleitbahnen auf- und abwärts rissen. So ging es Stunde für Stunde, Tag für Tag. Wieder flammten die elektrischen Signale auf. Unwillkürlich strich sich der Maschinenmeister über die Stirn. Eine halbe Stunde noch, dann war Feierabend. Wieder
das Glockensignal, wieder der Hebeldruck. Georg Hartman erschrak tödlich: Ein mächtiger Schlammwagen kam herunter, diesmal aber war ein großer Steinblock darin, der wohl aus Versehen mit aus der Tiefe herausgeholt war. Die Lore war schlecht beladen, der Steinblock stand auf der einen Seite – Georg Hartman riß an dem Hebel – zu spät – der Wagen hatte Übergewicht bekommen, kippte, glitt von den Schienen, stürzte um, überschlug sich, entleerte seinen Inhalt und polterte mitten in das große Getriebe hinein. Einen gellenden Schrei hatte Georg Hartman ausgestoßen, mit letzter Kraft den Haupthebel zurückgerissen; mit einem Aufheulen der Sirenen stand plötzlich das ganze Werk still, aber Hartman lag ohnmächtig auf seinem Stand. Ein großer Steinbrocken hatte ihm den rechten Fuß zerschmettert. *** Es war ein recht trauriger Abend dieses Tages, der so fröhlich begonnen hatte, als ein Krankenwagen den schwerverletzten Georg Hartman in das Hospital der Mine brachte und dann ein Bote der Frau, die eben dabei war, für Mann und Kind ein Festtagabendbrot zu bereiten, die Kunde übermittelte, daß die Ärzte ihrem verunglückten Manne den schwerverletzten rechten Fuß sofort hatten abnehmen müssen. *** Es war zwei Tage später, als Marie im Büro des Generaldirektors Nathanael Black stand, der die Achseln zuckte. „Ja, liebe Frau Hartman, das ist nun nicht anders. Wir können hier in der Mine selbstverständlich nur Menschen mit
gesunden Knochen gebrauchen. Die Mine kann nichts dafür, der Wagen ist eben gekippt, es war ein unglücklicher Zufall. Ihr Mann wird nie wieder eine Maschine bedienen können.“ „Sie werden ihn doch nicht ins Elend stoßen? Er hat fünf Jahre treu gearbeitet, er ist in Ihrem Betriebe verunglückt.“ „Verstehe ich alles; aber Sie wissen, daß es hier keine Kündigungszeit gibt, jeder, außer den Arbeitern, kann seine Stellung jeden Tag aufgeben, und wir dürfen jeden in derselben Weise entlassen. Ihr Mann kann nicht mehr arbeiten, also – “ Marie weinte laut auf. „Herr Präsident, haben Sie doch Mitleid.“ „Als Mensch habe ich es selbstverständlich; aber auch ich bin nur angestellter Direktor und muß die Interessen des Werkes wahren. Wollte ich jeden Arbeitsunfähigen behalten – “ „Wir stehen vollkommen mittellos da.“ Mister Black stand auf. „Das ist nicht meine Schuld. Ein vernünftiger Mensch behält immer einen Notpfennig im Hause. Ich habe das Äußerste getan und Ihnen den halben Monat vollständig bezahlt. Ihr Mann soll, bis er geheilt ist, ohne daß ihm Kosten entstehen, im Krankenhause bleiben. Das ist alles, was ich tun kann.“ „Es gibt doch sicher leichte Arbeiten, die er später verrichten kann, vielleicht im Büro.“ Mister Black schüttelte den Kopf. „Ich habe wirklich keine Zeit mehr und kann Ihnen nicht immer wieder dasselbe wiederholen. Ihr Mann hat, wie jeder Angestellte, bei seinem Eintritt unterschrieben, daß er gegen die Mine keinerlei Rechte hat, wenn ihn ein Schaden trifft. Noch eins: Ich will ihm sogar erlauben, noch einen weiteren Monat, und bis dahin wird Ihr Mann ja geheilt sein, auf dem Grundstück zu bleiben, das wir ihm eingeräumt haben.“ Marie schrie laut auf:
„Unser Haus sollen wir auch verlassen? Unser Haus, das wir selbst erbaut haben?“ „Es steht auf unserem Grund und Boden, und wir haben selbstverständlich nichts dagegen, wenn Sie es abreißen und mitnehmen. Wie gesagt, bis zum ersten September, also noch ungefähr sechs Wochen, dürfen Sie wohnen bleiben. Guten Abend, Frau Hartman!“ Marie wankte aus dem Zimmer, mit schleppenden Schritten ging sie auf die Straße hinaus. In diesem Augenblick konnte sie nicht einmal in das Krankenhaus hinübergehen, denn sie war jetzt nicht imstande, sich so zu beherrschen, daß ihr Mann ihr vergrämtes Gesicht nicht sah. Wie im Traume schlich sie die Straße hinab. Nun war alles genau wie vor fünf Jahren, nur mit dem Unterschied, daß ihr Georg damals ein gesunder und kräftiger Mann war und jetzt ein Krüppel. Sie trat in ihren Garten und ging langsam dem Hause zu. Wie schön war es hier gewesen – die Tiere – die Blumen! Sie schluchzte laut auf, ging in das Zimmer, setzte sich nieder, legte den Kopf auf den Tisch und weinte. Will kam hereingestürmt, hatte seine Zeitungen verkauft und machte Feierabend. „Mutter, wo bist du? Warst du bei Vater?“ Er stutzte, horchte, trat dann näher und sah die weinende Frau. „Ist es mit Vater schlimmer?“ Sie preßte ihn in ihre Arme. „Mein lieber, guter Junge.“ Es dauerte sehr lange, bis Frau Marie fähig war, zusammenhängend zu erzählen; dann sprang Will auf. „So ein Schuft, so ein Lump!“ „Ach, schimpfe nicht, der muß ja wohl schließlich handeln, wie die Vorschriften lauten. Nun ist Vater ein Krüppel, und wir sind Bettler.“
„Unsinn, Mutter, ich bin doch kräftig, gesund und stark.“ „Ach, du bist ja noch beinahe ein Kind.“ Einen Augenblick stand Will breitbeinig, die Hände in den Taschen, da und überlegte. „Mutter, ich weiß was.“ „Ach, Will!“ „Morgen gehe ich zu Mister Bankroft, der hat mir gesagt, wenn ich einmal Rat und Hilfe brauche, soll ich einfach zu ihm kommen, und er wird mir helfen.“ „Das hat er dir wirklich gesagt?“ „Jawohl, bei der Preisverteilung; und morgen gehe ich zu ihm.“ Frau Marie seufzte; aber als sie jetzt in das zuversichtliche Gesicht ihres Jungen sah, wollte sie ihm das Herz nicht noch schwerer machen und versuchte zu lächeln.
2
Mister Bankroft machte ein verwundertes Gesicht, als die Tür seines Privatzimmers in dem großen Druckereigebäude der Zeitung aufging und Will Hartman eintrat. „Was ist los?“ „Good morning, Mister Bankroft. Sie hatten mir erlaubt, zu Ihnen zu kommen, wenn ich etwas brauche.“ Der Direktor wollte ärgerlich werden, aber die großen Augen des Jungen waren so vertrauensvoll auf ihn gerichtet, daß er nur sagte: „Du hast es ja recht eilig, habe nicht gedacht, daß du so bald – “ „Ich auch nicht, Mister, aber ich konnte nicht ahnen, daß mein armer Vater gestern abend – “ „Der Maschinenmeister, der in der Mine verunglückt ist?“ „Und jetzt ist er fristlos entlassen. Den einen Fuß haben sie ihm abgeschnitten, und unser Häuschen müssen wir in ein paar Wochen auch verlassen.“ Bankroft nickte. Eigentlich tat ihm der Bursche leid, und dann –? Gestern hatten natürlich lange Berichte über den Wettlauf der Zeitungsjungen in allen Blättern gestanden und sogar Wills Bild als König der Zeitungsjungen und gleichzeitig als erster Preisträger. Heute kamen wieder Berichte über das Unglück in der De-Beers-Mine. Eigentlich konnte er Mister Black nicht leiden und außerdem – das war eine ganz gute Gelegenheit, ohne sich große Unkosten zu machen, als edler Helfer dazustehen. Er stand auf und ging zur Tür, während Wills Augen ihm ängstlich folgten. Bankroft stand im Büro des Betriebsdirektors.
„Können wir im Hause einen tüchtigen Botenjungen brauchen?“ „Läßt sich schon einstellen, wenn Sie es wünschen!“ Er winkte dem Lokalredakteur. „Schnell noch einen Zusatzartikel in die Abendausgabe!“ „Während die De-Beers-Mine den unglücklichen, in ihrem Betriebe zum Krüppel gewordenen Maschinenmeister Hartman sofort entlassen hat, hat die ,Daily News’ den jungen Will Hartman, übrigens den ersten Preisträger im Wettlauf der Zeitungsjungen, sofort bei sich eingestellt.“ „Das bringen Sie mir heute abend.“ Er trat in das Zimmer zurück. „Geh zum Betriebsmanager, der hat dir etwas zu sagen.“ Will, halb traurig und halb voller Hoffnung, ging in das andere Zimmer hinüber. „Du bist der Will Hartman?“ „Gut. Kannst morgen anfangen, als Boy hier im Hause, ein Pfund die Woche, und wenn du tüchtig bist, kannst du noch mal Direktor werden. Hier, geh zum Inspektor und sieh, ob dir ein Anzug paßt.“ Er gab ihm einen Zettel, und Will rannte mit leuchtenden Augen hinaus. *** Mutter Hartman hatte die ganze Nacht über geweint und saß jetzt traurig vor dem Häuschen im Garten. Die vierzig Mark, die der Junge im Rennen verdient hatte, waren alles, was sie an Geld besaß. Wie sollte sie nur ihrem Mann das beibringen, und was sollte werden? Die Gartentür knarrte, und sie blickte erstaunt auf. Was war denn das? Da stand ein fremder Junge in der Tür, der ihr den Rücken zudrehte, das mußte doch wohl ein Bote
sein? Er trug eine saubere, braune Livree mit großen, silbernen Knöpfen und, schräg auf den Kopf gedrückt, ein rotes Samtkäppi. Daß auf diesem Käppi mit Silberfäden die Worte „Daily News“ eingestickt waren und daß diese Worte auf den Knöpfen standen, konnte sie nicht sehen, nun aber drehte der schmucke junge Bote sich um: „Allmächtiger Himmel, Will, du bist das?“ „All right, Mutter. Was habe ich gesagt? Stimmt alles. Von Montag an festangestellter Zeitungsboy, ein ganzes Pfund in der Woche. Was sagst du nun?“ „Mein guter Junge.“ „Komm, Mutter, wollen wir nicht sehen, wie es Vater geht?“ *** Georg Hartman lag in recht düsterer Stimmung im Krankenhaus. Die Operation hatte er gut überstanden, fühlte auch keine Schmerzen, aber er dachte voller Sorgen an die Zukunft, die jetzt so finster vor ihm stand; da trat zuerst seine Frau in das Krankenzimmer, dann – Will ließ der Mutter keine Zeit, erst in Tränen auszubrechen. „Guten Morgen, Vater, mach dir nur ja keine Sorge. Es gibt tausend Menschen, die einen künstlichen Fuß haben, und ich bin seit gestern festangestellter ,Beamter’ der ,Daily News’. Werde schon für Mutter sorgen, bis du wieder gesund bist.“ Da kam es, daß die Freude über ihren frischen Jungen, der so zuversichtlich vor ihnen stand und so schmuck aussah, den beiden über das Wiedersehen hinweghalf; und als dann der Arzt kam und Frau Marie zunickte, daß es Zeit war, den Kranken allein zu lassen, hatten sie gar nicht über ihre Sorgen gesprochen, und jetzt erst sagte Georg: „Hast du denn Geld?“
Wieder kam ihr Will zuvor. „Natürlich hat Mutter Geld. Zwei Pfund habe ich beim Rennen verdient, und jede Woche bekomme ich ein Pfund, mache dir nur keinen Kummer um uns!“ *** Es waren vier Wochen vergangen und Georg Hartman wieder daheim. Die Wunde war schnell geheilt; aber der linke Fuß eben weg. Ehe er ein Holzbein tragen konnte, mußten noch lange Wochen vergehen. Und als er auf seinen Krücken zum erstenmal durch den Garten humpelte, hätte er am liebsten, trotz all seiner Männlichkeit, geweint, wie die Mutter, all seiner Männlichkeit, geweint wie die Mutter. Sie nickte traurig. „Ich könnte ja vielleicht eine Stellung als Wächter bekommen? Aber bis dahin – “ Wirklich, die zwanzig Mark, die Will in der Woche verdiente, reichten kaum für das Nötigste, und wenn sie nun auch das nicht mehr hatten, was ihnen der Garten brachte, und kein Dach über dem Kopf! Will war nun schon vier Wochen im Zeitungsgebäude, rannte den ganzen Tag treppauf und treppab, flitzte auf dem Motorrad der Firma durch die Stadt, um Briefe zu besorgen, niemand tadelte ihn, aber niemand lobte ihn auch, und Mister Bankroft hatte noch nicht einmal wieder das Wort an ihn gerichtet. An jenem Tage, als der Vater aus dem Krankenhaus kam und er helfen mußte, ihn heimzubringen, war er zum erstenmal zu spät gekommen, und der Inspektor hatte sehr ärgerlich mit dem Kopf geschüttelt. In der Frühstückspause winkte er Will zu sich. „Der Direktor erwartet dich.“
Ihm fiel das Herz in die Hosen. Man machte kurzen Prozeß
mit unpünktlichen Botenjungen, das wußte er nur zu genau, und so hatte er ein recht ängstliches Gesicht, als er vor dem Direktor stand. „Na, Junge, wie geht’s?“ Der Anfang war gar nicht so schlecht, wie er gedacht hatte. „Es war wirklich das erstemal, daß ich zu spät kam und auch nur, weil Vater aus dem Krankenhaus gebracht wurde.“ Bankroft schien gar nicht darauf zu hören und hatte ein merkwürdiges Lächeln um seinen Mund. „Was meinst du, wollen wir beide Millionäre werden?“ Will wußte, daß gutes Wetter war, und hatte sofort seinen Übermut wieder. „Ich will schon.“ „Paß einmal auf. Bist du ein Mann, der schweigen kann?“ „Selbstverständlich, Mister Bankroft.“ „Ich habe eben Nachricht bekommen, sie haben ein neues Diamantenfeld entdeckt; aber die De-Beers-Mine möchte es gern noch vierzehn Tage geheimhalten, bis ihre Generalversammlung vorüber ist, denn sie fürchtet, daß ihre Aktien fallen könnten. Der Friedensrichter hat eingewilligt; aber in vierzehn Tagen findet der große Run statt. Weißt du, wie das gemacht wird?“ „Nein, Mister Bankroft.“ „Dann werde ich es dir sagen.“ Will machte große Ohren. „In Kürze bringen alle Zeitungen, daß in Brixtons Valley ein neues und anscheinend sehr ergiebiges Diamantenfeld erschlossen wird. Sollst mal sehen, wie dann die Menschen herbeiströmen. Habe es vor sechs Jahren zum letztenmal erlebt. Was ein Claim ist, weißt du doch? Das ist ein Stück Land, das fünfzehn Meter im Quadrat groß ist und auf dem sein Besitzer nach Diamanten suchen darf. Wenn jemand das Glück hat, ein neues Diamantenfeld zu finden, dann darf er
sich zunächst zehn solche Claims abstecken und selbst bearbeiten, die anderen werden an jeden beliebigen Menschen vergeben, der sich eine Erlaubnis kauft, die fünf Schilling kostet, und nun hör genau zu: Heute in vierzehn Tagen findet der Run statt. Da müssen sich alle die Menschen, die ein Claim haben möchten, drei oder fünf Kilometer von dem Diamantenfeld entfernt aufstellen, ganz so wie bei eurem Wettrennen, und jeder trägt vier kleine Pfähle und einen Hammer oder ein Beil in der Hand. Dann fällt der Startschuß, ganz genau so, wie ich vor eurem Rennen geschossen habe, und du sollst einmal sehen, wie die da losrennen: alt und jung, groß und klein; und wer ankommt, mißt sich schnell ein Claim ab, schlägt an jeder Ecke einen von seinen vier Pfählen ein, und wer zuerst kommt, hat natürlich das beste Land.“ Will hatte einen puterroten Kopf. „Da möchte ich mitrennen, Mister Bankroft.“ „Sollst du auch, mein Junge, aber denke dir das nicht so leicht. Es ist erlaubt, andere für sich laufen zu lassen, und da gibt es manchen, der sich einen richtigen Schnelläufer, einen Berufsläufer von den großen Sportplätzen dafür holt, da laufen nicht nur vierzehnjährige Bengel wie du.“ „Oh, ich werde schon meine Beine in die Hand nehmen.“ „Also, wollen wir beide miteinander eine Gesellschaft gründen?“ „Gern, Mister Bankroft, ich habe doch zu Ihnen volles Vertrauen.“ „Bin dir sehr dankbar dafür.“ Der Direktor lachte. „Ich stelle das Kapital und wende volle fünfundzwanzig Schilling an das Geschäft. Ich habe hier die Erlaubnisscheine für fünf Claims gekauft; aber seit ich den Rheumatismus im
linken Bein habe, ist es mit dem Rennen bei mir nicht mehr weit her.“ Will lachte laut auf. „Würde auch schlecht aussehen, Mister Bankroft.“ „Na also. Du sollst für mich laufen und sobald du ankommst, fünf Claims abstecken. Die ersten vier gehören mir, und das fünfte schenke ich dir. Auf dem Claim arbeiten könnt ihr alle; wenn ihr Glück habt und einen ,Groß-Mogul’ oder einen ,Stern des Südens’, oder wie die großen Diamanten alle heißen, findet, werdet ihr Millionäre.“ Das Angebot, das Mister Bankroft dem Jungen machte, war gar nicht so übermäßig. Es gab manchen, der Hunderte von Pfunden einem Läufer zahlte, der für ihn lief, und er gab ihm nur die fünf Mark für die eine Lizenz, aber Will strahlte über das ganze Gesicht. „Sie schenken mir ein Claim?“ „Jawohl, und alle Diamanten hinzu, die du in ihm findest.“ Jetzt geschah etwas so Unglaubliches, daß der Betriebsmanager, der gar nicht begriff, warum der Rüffel, den der Chef dem Botenjungen erteilte, so lange dauerte, vollkommen erstarrt in der Öffnung der Tür stehenblieb. Will wußte sich vor Freuden nicht zu halten, wäre dem Direktor am liebsten um den Hals gefallen, sah aber ein, daß sich das nicht schickte, konnte aber sein Übermaß von Freude nicht bezähmen, stieß einen gellenden Jubelschrei aus und sprang in einem mächtigen Grätschsprung über den Stuhl, auf dem Bankroft saß, in hohem Bogen hinweg, und der Direktor krümmte sich darüber vor Lachen, dann aber wandte er sich an den Manager. „Einen Augenblick noch, ich habe mit dem Jungen noch etwas zu besprechen.“ Kopfschüttelnd ging dieser hinaus, und Bankroft fuhr fort: „Also, heute ist Mittwoch, Sonnabend bist du entlassen.“
„Aber Mister Bankroft.“ „Rausgeschmissen bist du, weil du unpünktlich warst. Sonntag steht mein Auto beim Stadion am hinteren Eingang. Punkt neun Uhr seid ihr da, kannst deinen Vater und deine Mutter mitbringen. Klettert gleich in das Auto hinein, denn es braucht euch niemand zu sehen. Kann dein Vater schon wieder steuern?“ „Kann er.“ „Gut also, ihr fahrt auf der Straße nach Bulawayo. Am nächsten Bungalow, du weißt, er gehört mir, erwarte ich euch, und dann fahren wir zusammen nach Brixtons Valley. Ich habe dem Entdecker der Diamantenfelder ein paar Gefälligkeiten erwiesen. Wir wollen uns ganz genau ansehen, wo die günstigsten Claims Hegen. Am Sonntag steht es erst in den Zeitungen, also werden noch nicht allzuviel da sein. Ihr bleibt gleich oben, und du trainierst fleißig.“ „Wovon sollen wir denn da leben, wenn ich rausgeschmissen bin?“ „Werde schon die eine Woche für euch sorgen. Aber wenn du zu spät kommst und keinen guten Claim faßt, dann sind wir wieder geschiedene Leute.“ „Selbstverständlich, Herr Direktor!“ „Also Hand drauf und zu niemandem sprechen. Es braucht kein Mensch zu wissen, daß ich Claims haben will.“ Als Will schon in der Tür stand, rief ihn der offensichtlich gutgelaunte Mister Bankroft noch einmal zurück: „Sag mal, Junge, weißt du überhaupt, was ein Diamant ist?“ Der immer in Eile befindliche Zeitungsmann lehnte sich lächelnd in seinem Schreibtischsessel zurück und musterte den verdutzten Will wie einen Examenskandidaten. ,Der scheint ja plötzlich sehr viel Zeit zu haben’, dachte Will und erwiderte auf die Frage des Mister Bankroft: „Selbstverständlich weiß ich, was ein Diamant ist.“
Bankroft nickte: „Dann sage mir bitte, was es mit der Bezeichnung Karat auf sich hat. Was besagt es, wenn von einem Diamanten gesagt wird: er hat zehn Karat?“ Will schwieg einige Sekunden verlegen und sagte schließlich: „Je mehr Karat, um so größer der Wert, das ist doch selbstverständlich. Das weiß jedes Kind.“ Bankroft lachte: „Also, nun versuche nicht, dich herauszureden. Wie ich sehe, hast du keine Ahnung. So ist das nun einmal. Alles jagt nach Diamanten, aber keiner hält es für nötig, sich mit seiner Eigenart, seiner Geschichte zu befassen. Und so etwas will nun mein Teilhaber werden, so etwas will nun Millionär durch Diamantensuche werden und hat nicht die geringste Ahnung – “ Ängstlich unterbrach ihn Will: „Mister Bankroft, soll ich nun doch nicht – “ Der Gefragte schmunzelte: „Wir werden sehen. Erst will ich einmal hören, was du weißt. Also wie war das mit dem Karat?“ Will schwieg. Bankroft erhob sich und ging im Zimmer auf und ab: „Nun, ich will es dir erklären. Das Gewicht sämtlicher Edelsteine, nicht nur der Diamanten, wird nach Karat gemessen. Das Wort kommt von einer Art Bohnen, die hier in Afrika wachsen und von den Eingeborenen ,Kuara’ genannt werden. Das Erstaunliche bei diesen Bohnen ist, daß sie in getrocknetem Zustand alle das gleiche Gewicht haben, nämlich genau zweihundertundfünf Milligramm. Es ist merkwürdig, daß wir auch heute noch dieses jahrhundertealte Maß für Edelsteine haben, während überall sonst die Maße und Gewichtseinheiten immer genauer werden. Es ist nämlich nicht so, daß jede Stadt das gleiche Karat hat. In den
Diamantenhandelsplätzen von Amsterdam, Paris, London und Berlin gilt tatsächlich das echte Karat von zweihundertundfünf Milligramm. In Florenz dagegen wiegt es Hundertsiebenundneunzig, in Livorno zweihundertundfünfzehn und so weiter.“ Wills Interesse an Bankrofts Ausführungen war nun doch wach geworden. „Aber ergeben sich aus solchen Unterschieden denn nicht große Schwierigkeiten im Diamantenhandel?“ fragte er aufgeregt. „Nicht nur das“, erwiderte Bankroft. „Auch die internationale Verbrecherwelt macht sich diese Abweichungen zunutze. Schon die geringsten Unterschiede im Wert können den Diamantenschmuggel auf die Dauer zu einem recht lohnenden Geschäft machen.“ „Wie hoch liegen eigentlich die Preise für Diamanten?“ fragte Will. Bankroft sah den Jungen belustigt an: „Du bist nicht ungeschickt. Nun wollte ich dich ins Kreuzverhör nehmen, und statt dessen werde ich von dir ausgefragt. Aber nur zu! Viele Fragen zu stellen ist nie falsch. Man erfährt dann mehr, als wenn man aus Furcht vor einer möglichen Blamage den Mund hält. Der Diamant stellt den teuersten aller Edelsteine dar. Zwar hat sein Preis im Laufe der Zeit schon erhebliche Schwankungen durchgemacht. Vielleicht hast du schon einmal etwas von Angebot und Nachfrage gehört, jenem Gesetz, mit dem aller Handel fällt und steht. Kamen viele Diamanten auf den Markt, ging der Preis natürlich herunter. So zerstörte zum Beispiel Brasilien um 1830 die finanzielle Stellung sämtlicher Diamantenhändler, als es seine Staatsschulden an England mit Zentnern von Diamanten bezahlte.
Erst nach Jahren erholte sich der Diamantenmarkt von diesem Schlag, und die Preise stiegen wieder. Die zweite, wesentlich bedeutungsvollere Revolution im Diamantenhandel fand dann gegen Ende des vorigen Jahrhunderts statt, und zwar durch die großen Funde hier bei uns in Südafrika. Die Preissenkung, die der Diamant damals erfahren hat, vor allem bei den großen Steinen, ist bis heute geblieben. Und wenn man heute noch für einen Diamanten von fünfzig Karat fünfhunderttausend Mark bekommen kann, dann möchte ich sagen, Will: Das Geschäft lohnt sich.“ Bankroft fügte lachend hinzu: „Es liegt an dir, wann wir den ersten fünfzigkarätigen Stein gefunden haben.“ „Es bleibt also dabei, Mister Bankroft, obwohl ich meine Prüfung über Diamantenkunde nicht bestanden habe“, fragte Will. „Vorläufig kommt es mehr auf deine Beine an als auf deine Kenntnisse, und die lassen sich schon noch nachholen. Ich könnte dir noch stundenlang Wissenswertes von den Diamanten erzählen, wann sie zum erstenmal in der Geschichte aufgetaucht sind, wie sie entstehen, wie man sie bearbeitet, wo und in wie vielen Sorten sie gefunden werden. Aber das heben wir uns auf für einen späteren Termin, an dem ich etwas mehr Zeit habe.“ *** Die beiden Eltern saßen noch immer draußen im Garten zusammen, als Will am Abend heimkam. „Junge, was machst du für ein Gesicht?“ „Ratet mal!“ „Hast du Zulage bekommen?“
„Will ich gar nicht, bin von Sonnabend an überhaupt nicht mehr an der Zeitung, bin rausgeschmissen.“ „Du lieber Himmel, Junge – wie ist das denn möglich, was fangen wir jetzt an?“ „Macht nichts, jetzt werden wir Millionäre.“ Der Vater, den die Krankheit leicht erregbar gemacht hatte, fuhr auf: „Was soll denn das heißen?“ Will erzählte und zeigte dann die Lizenz für das eine Claim, die ihm Bankroft gegeben hatte. Während Frau Marie gar nicht recht verstand, was das heißen sollte, wurde Georg, der in Australien solche Runs mitgemacht hatte, aufmerksam. „Junge, glaubst du wirklich, daß du –?“ „Sei ohne Sorge, Vater, wenn ich noch acht Tage trainiere, dann schaffe ich es auch.“ Vater Hartmann begann Feuer zu fangen. „Nach Diamanten graben? Das könntest du und der Junge, und das Sieb kann ich im Sitzen schütteln. Wenn das möglich wäre – “ Frau Marie wurde aufmerksam. „Du glaubst wirklich –?“ „Ich habe es erlebt, daß einer, der Glück hat, in einigen Wochen ein ganzes Vermögen gefunden hat, und da war es nur Gold, hier aber sind es Diamanten.“ *** Mister Bankroft hatte Will für die letzten drei Tage der Woche Urlaub gegeben, er wollte ja, daß man im Zeitungsverlag glaubte, er hätte den Jungen hinausgeworfen. Daheim gab es allerhand zu tun, in zehn Tagen mußten sie das Häuschen verlassen, mitnehmen konnten sie selbstverständlich nichts, und selbst wenn es auch nichts mit
dem Claim war, Arbeitskräfte werden auf neuen Diamantenfeldern immer gebraucht. So wurden denn die Tiere, und was im Garten reif geworden war, verkauft, und ein Nachbar fand sich bereit, das Wellblechhäuschen auseinanderzunehmen und die Möbel vorläufig in einem Schuppen aufzubewahren. So hatten sie schließlich doch noch ein paar Pfund bares Geld in der Hand. *** Will wurde in das Arbeitszimmer des Generaldirektors geführt, und dieser sah ihn, allerdings prüfend und ein wenig abweisend, an. „Ich habe Mitleid mit deinem Vater und möchte dir gern etwas zu verdienen geben.“ Seitdem der Vater so grausam entlassen war, fühlte Will Haß gegen diesen Mann, der ja diese Kündigung verfügt hatte, und er antwortete nicht. „Willst du dir zehn Pfund verdienen?“ Zweihundert Mark waren gewiß eine Summe, die einen stellungslosen Zeitungsjungen reizen konnte; aber Will antwortete kurz: „Wie denn?“ „Du bist ein guter Läufer, in vierzehn Tagen ist hier irgendwo, ich kann dir den Ort noch nicht nennen, der Run auf ein neues Diamantenfeld. Wenn du für mich läufst und mir zehn Claims abstecken willst, bekommst du das Geld.“ Will richtete sich auf. „Danke, Mister Black, ich laufe nur für mich selbst und habe bereits die Lizenz auf einen Claim in Brixtons Valley. Good morning, Mister Black.“ Dabei ging er mit hocherhobenem Kopf hinaus.
Zu Hause schüttelte die Mutter den Kopf. „Zehn Pfund, und vielleicht hätte Mister Black uns doch wohnen lassen.“ Der Vater wehrte ab. „Unsinn, ganz recht hat der Junge, so ein eigenes Claim – “ *** Am Sonntag humpelte Hartman mit seiner Frau und Will mühsam bis zum Stadion, und richtig, dort stand das Auto. Es stand ganz verlassen da, und sie kamen sich eigentlich vor, als seien sie Diebe, als sie hineinkrochen und Will startete und Gas gab. Was sie an Geräten und Betten zusammengepackt hatten, verstauten sie unter den Sitzen. Hartman saß bequem, und es war ihm schon eine frohe Empfindung, wieder, wenn es auch nur mit den Händen war, etwas leisten zu können. Am Bungalow stieg Mister Bankroft zu ihnen, nickte ganz kurz und nahm jetzt selbst das Steuer in die Hand. Es wurde eine Fahrt von acht Stunden auf miserablen Wegen, immer durch den afrikanischen Busch, der niedriger und niedriger wurde, bis schließlich eine ganz öde Fläche vor ihnen lag. Bisweilen huschten Antilopen in ganzen Herden vorüber, Zebras wurden aufgeschreckt und jagten davon, dann wieder flitzte eine Herde von Springböcken vorüber, und die Tiere machten gewaltige Sätze und sprangen über fünf Meter hohe Büsche hinweg. Es wurde bereits Nachmittag, und das Schüttern des Wagens ließ Georg Hartmans Wunde stark schmerzen. Endlich sagte Mister Bankroft, der während der ganzen Fahrt nichts gesprochen hatte: „Da liegt Brixtons Valley.“ Das war allerdings ein höchst sonderbarer Anblick.
Ein wüstes Tal, an dessen Grund eine weite Ausbuchtung sich zu einem mächtigen Sand- und Steinfeld dehnte. An der einen Seite ein kleiner grüner Fleck, wie eine Oase, und dabei standen ein paar Ochsenwagen und ein Wellblechhaus. „Da wohnt der Farmer, der das Diamantenfeld prospektiert hat und sich jetzt schon ein Haus erbaute.“ Das wäre ganz natürlich gewesen, aber sonderbar sah es auf den Höhen aus. Da standen vielleicht fünfzig Zelte, und es wimmelte von Menschen. Von schwerbeladenen Ochsenkarren und großen Lastautos wurden mächtige Wellblechplatten heruntergehoben und überall zu kleinen Häusern zusammengestellt. Hier, mitten in der Öde, entstand im Handumdrehen eine ganze Stadt, in die Mister Bankroft jetzt hineinlenkte. Straßen wurden abgesteckt; während die Häuser, die zumeist eben nur aus großen Wellblechplatten zusammengesetzt wurden, noch keine Dächer hatten, waren die Maler bereits beschäftigt, sie mit grellen Farben anzustreichen und mit großen Buchstaben zu bemalen. Da hieß eine jämmerliche Bude „Grand Hotel Kapstadt“. Eine andere „Palast-Hotel zur Glücksgrube“. Wieder andere wurden als „internationale Warenhäuser“, als Tanzlokale und Musiksalons bezeichnet. Auf einem Fleck waren sogar fünfzig Menschen damit beschäftigt, die eisernen Arme einer Riesenradschaukel aufzurichten, und dabei strömten fortwährend neue Autos heran, und überall wurden hastig Zelte aufgebaut. Mister Bankroft ließ sein Auto vor dem größten der Gebäude stehen, an dem ein Wappen und eine Inschrift davon Kunde gaben, daß hier das vorläufige Diamantenfeldkommissariat eingerichtet sei. Dann mußte Georg alle seine Kräfte zusammennehmen, um, von seiner Frau unterstützt, auf seinen
Krücken einen steilen Weg hinunterzuhumpeln, der zu dem Wellblechhäuschen führte, in dem Mister White, der glückliche Entdecker des Diamantenfeldes wohnte, während Mister Bankroft mit Will voranging. „Good evening, Mister White, dies ist der Junge, der für mich laufen wird, seine Eltern kommen nach. Man soll glauben, daß Sie die Leute in Arbeit genommen haben, nicht wahr, wir verstehen uns?“ Während der Farmer wortlos nickte, winkte Bankroft dem Jungen. „Sieh einmal her, das ist das Diamantenfeld. Es beginnt hier, am Auslauf des Tales, und ist bis jetzt etwa in einer Ausdehnung von zehn Quadratkilometern abgesteckt. Ich fahre jetzt sofort wieder heim. Mister White wird dir morgen die Claims zeigen, die er für sich selbst ausgewählt hat. Sieh zu, daß du nach Möglichkeit unsere Claims dicht neben ihm abstecken kannst.“ Will sah einige Männer, die über das Feld hinritten. „Was sind das für Leute, Mister Bankroft?“ „Polizisten, die dafür sorgen, daß jetzt etwa niemand auf dem Felde umhersucht. Vor dem Run wird das streng bestraft, und nur der Entdecker darf seine Claims schon bearbeiten.“ „Von welcher Seite wird denn gerannt?“ „Das weiß kein Mensch, das wird erst am Abend vorher von der Regierung bekanntgegeben, damit niemand vorher Bescheid weiß.“ Die Sonne war untergegangen, und es wurde empfindlich kalt. Die Gegend lag erheblich höher als Kimberley, und auf der trostlosen Wüstensteppe fegte ein eisiger Wind daher. Mister Bankroft war schon wieder davongegangen, und Will, der ihm gefolgt war, sah, daß sein Auto in schneller Fahrt wieder davonfuhr.
Der Farmer, ein wortkarger Mann, hatte ihnen eine kleine Wellblechhütte, eigentlich wohl eine Art Stall, zur Verfügung gestellt, in der als einziges Möbelstück ein paar lange und breite Holzpritschen und ein Tisch standen. Auf Wills Bitte gab er ihnen noch eine alte Petroleumlampe mit zerbrochenem Zylinder, und bei deren Schein packte Frau Marie das große Paket Lebensmittel, ein Stück gebratenes Fleisch und einen Korb voll Früchte aus, die sie mitgenommen hatte. Es war ein recht trübseliger Abend. Draußen pfiff der Wind und wirbelte gewaltige Staubwolken empor, oben auf der Höhe, wo eilige Hände bereits elektrische Lampen, die von Lokomobilen ihren Strom erhielten, aufgerichtet hatten, dröhnten die Hämmer und die Hupen der Autos die ganze Nacht hindurch. Georg Hartman, dem Marie mit den paar Betten, die sie im Wagen noch hatte mitnehmen können, auf der harten Bank ein einigermaßen erträgliches Lager bereitet hatte, verbiß die starken Schmerzen seiner Wunde. Sie aßen schweigend, und wenn sie an ihr Heim dachten, das sie in Kimberley hatten verlassen müssen, war ihnen recht trübselig zumute. Frau Marie freute sich, als sie endlich die Lampe auslöschen konnte und niemand mehr sah, wie ihr die Tränen über das Gesicht liefen, und sogar Will hatte in dieser Nacht recht wenig von seiner Zuversicht und seinem Siegesgefühl übrigbehalten. *** In der neuentstehenden Wellblechstadt ging es um so lebhafter zu. Die Männer, die dort oben hämmerten und die ganze Nacht
hindurch arbeiteten, waren keine Diamantensucher, und doch wußten sie, daß sie ganz gewiß Geld scheffeln würden. Ein paar der Eifrigsten hatten sogar schon ihre Kneipen und ihre Spielsäle geöffnet. Einige jämmerliche Grammophone kreischten abgeklapperte Tanzmelodien, allerhand Gesindel hockte an den Tischen und trank für teures Geld schlechten Fusel. Aber auch schon Diamantengräber, Digger, waren da, kampierten in Zelten, hatten ihr ganzes Gerät bei sich und stritten sich über die Lage der besten Claims. Eine erregte, fieberschwüle Stimmung herrschte überall. Glücksjäger, die die Zeit nicht abwarten konnten, und dazwischen wieder Farmer, die Unglück gehabt hatten, stellungslose Menschen in städtischen Anzügen, und Frauenzimmer mit gemeinen Gesichtern. Zwei Männer hockten in einem der Spielsalons beieinander: es waren Jim Walker und Bob Smith. „Damned, wenn mich nicht alles täuscht, mir ist, als hätte ich den verflixten Deutschen, den Georg Hartman, der uns in Kimberley in die Quere kam, gesehen.“ „Unsinn, der ist ja an jenem Abend verunglückt und liegt irgendwo im Spital.“ „Ich sah einen Mann auf Krücken vorbeihumpeln; soll mich der Teufel holen, wenn er es nicht war.“ Jim Walker antwortete grimmig: „Sag lieber, ihn wird der Teufel holen, wenn er es wirklich war. In den Claims ist so was rasch abgemacht.“ „Wenn er uns nicht vorher verrät.“ „Dafür wollen wir sorgen.“ So hatten die drei, die da unten in schweren Sorgen in der Wellblechhütte lagen, schon zwei Feinde in ihrer Nähe und wußten es nicht.
3
Acht Tage waren vergangen, und Brixtons Valley hatte sich vollständig verwandelt. Die ganze Hügelkette um das Tal herum war über Nacht zu einer Stadt geworden, und mehr als zehntausend Menschen, alle in fieberhafter Aufregung, drängten durcheinander. Autos, Ochsenwagen und Eselkarren zogen heran, Lastautos brachten vollständig zusammengesetzte Wellblechhütten, die nur abgeladen zu werden brauchten; andere Wagen waren mit Blechplatten, mit Möbelstücken, Hacken, Spaten und allem erdenklichen Handwerkszeug beladen, und wieder von anderen ragten die mächtigen Schwungräder der Waschmaschinen, die dazu bestimmt waren, Sand und Schlamm von den kostbaren Steinen zu spülen, gespenstisch in die Luft. Die Nächte hindurch sah man überall die Scheinwerfer dieser Wagen wie funkelnde Raubtieraugen über die trockene Grassteppe heranziehen; dazwischen aber kamen Männer, Frauen und Kinder, hockten zu zweien oder dreien auf Pferden und Eseln oder gingen zu Fuß und vermochten kaum zu atmen bei dem Staube, den die zahllosen Wagen aufwirbelten, die längst die sogenannten Straßen in tiefe Rillen ausgefahren hatten, Straßen mit schnell errichteten Wellblechhäusern, viele Gassen, zu deren beiden Seiten nun Zelte in allen Farben und mit allen möglichen Wimpeln versehen aufgestellt waren. Ein gewaltiger Kran reckte seinen Eisenarm weit hinaus, und unaufhörlich knarrten an ihm mächtige eiserne Kästen in die Höhe, die das Wasser aus dem Flusse emporhoben, um es oben in ein großes Eisenbassin zu entleeren, aus dem wiederum der
findige Besitzer dieses Krans es an die Diggerfrauen literweise verkaufte. In der Nacht war der Himmel über dieser plötzlich entstandenen Stadt von Lichtern gerötet. Alles war in Aufregung, niemand dachte an Schlaf, überall erklang Musik: Plattenspieler, Lautsprecher, die das Radiokonzert ans Kapstadt in die Nacht hinausstießen. Die Händler schleppten immer neue Vorräte heran und vergitterten ihre Ladentische, um vor allzu ungestümen Käufern geschützt zu sein. Im weiten Umkreise um die eigentliche Stadt leuchteten noch die kleinen Lagerfeuer von Ankömmlingen, die es vorgezogen hatten, außerhalb zu bleiben. Während des Tages wanderten diese Männer über das zu eröffnende Diamantenfeld und suchten den harten, grasbedeckten Boden mit ihren Augen zu durchbohren, als ob sie dadurch erraten könnten, wo er am meisten Diamanten enthielt. In Reihen ritten Konstabler zwischen ihnen umher, um Ordnung zu halten; eine ganze Völkerkarte war hier versammelt: Arbeitslose aus den Städten, Abenteurer, Verbrecher aller Art, Männer mit ergrauten Köpfen, die schon in Hunderten von Minenlöchern vergeblich ihr Glück versucht hatten. Während dieser ganzen Woche hatte Georg Hartman mit Schmerzen in seiner Wellblechhütte liegenbleiben müssen, denn die Fahrt über den holprigen Boden hatte seine Wunde wieder entzündet. Vielleicht war es sein Glück, denn so sahen ihn die Augen Jim Walkers nicht, der nach ihm ausspähte, und niemand achtete auf die Frau, die an jedem Morgen mit auf das Claim hinauszog, auf dem Mister White, der glückliche Entdecker dieser Felder, schon arbeitete; und sie sah zu, wie mit kräftigen
Armen die Hacken den fest zusammengebackenen, gedörrten Schlamm losgruben, über dem die Wurzeln des Steppengrases ihr Geflecht gespannt hatten, wie man die Brocken in Blechkästen zur Waschmaschine trug, die Schwungräder von anderen Menschenarmen gedreht wurden, das Wasser die Brocken langsam auflöste und in den Schüttelsieben alles durchgerüttelt wurde, um hie und da ein kleines Kügelchen freizugeben. Niemand achtete auf Will, einen Jungen, wie es ja viele hier gab, der scheinbar Botengänge besorgte; denn man sah ihn in den Morgen- und Abendstunden nach den verschiedensten Seiten über das Feld rennen. *** Der Vorabend des großen Tages war gekommen. In dieser Nacht waren sogar die Schnapsschenken schwächer besetzt als sonst. Die zehntausend Menschen, die am nächsten Sonntag um ihr Glück wettlaufen sollten, zwangen sich zu ruhen, wenn sie auch nicht zu schlafen vermochten. Trotzdem waren die Kneipen nicht völlig leer. Andere Tausende waren gekommen und kamen noch während der ganzen Nacht von allen Seiten herbei. Menschen, die zuschauen wollten bei diesem Run, der ihnen wie ein Sportfest erschien. Das mächtige Riesenrad, das längst fertig montiert war, blieb auch in dieser Nacht nicht eine Sekunde stehen, und seine mit Fähnchen geschmückten Gondeln waren dicht besetzt. In der Frühe ertönten Trompetensignale. Über Nacht waren Hunderte von berittenen Polizisten aufgetaucht. Die ganze neue Wellblechstadt mußte geräumt werden. Nicht ein einziger Mensch, abgesehen von den Schwarzen, die Claims nicht erwerben durften, sollte zurückbleiben.
Er hätte ja mit irgendeinem Läufer gemeinsame Sache machen und ihm helfen können. Nun sah es aus, als würde eine gewaltige Herde durch den Staub getrieben, und immer wieder durchforschten die Polizisten die Häuser und Zelte nach Zurückgebliebenen. Nur nach langem Zaudern und nachdem sogar der Arzt aus dem Hause des Regierungskommissars erst herbeigeholt war, hatte man wenigstens Georg Hartman erlaubt, auf seinem Lager liegenzubleiben, während auch Frau Marie mit den anderen davongehen mußte. Auch von den Läufern hatte keiner vorher zum Startplatz eilen und sich diesen Morgenmarsch ersparen können, denn der Punkt, von dem aus das Rennen beginnen sollte, wurde erst jetzt bekanntgegeben. Seltsam war es für den kranken Mann, daß es nach dem furchtbaren Lärm dieser Woche nun plötzlich ganz still um ihn wurde. Wer jetzt etwa auf der Höhe der Riesenschaukel gestanden hätte, würde eine gewaltige Staubwolkenwand gesehen haben, die langsam nach Osten verschwand. Es war um zehn Uhr vormittags. Kilometerlang bezeichneten aufgestellte Fahnenmasten die gerade Linie, an der sich die Wettläufer aufstellten. Hinter dieser Linie ein Gewirr von Autos, von Wagen aller Typen, von Fotografen, fliegenden Händlern, und alles dauernd umritten und beobachtet von den Polizisten, die auch immer wieder das ganze Feld abritten und unbarmherzig jeden festnahmen, der etwa versuchte, durchzuschlüpfen. Läufer im Trikot, junge Sportsleute, alte Miner in hohen Stiefeln stellten sich auf. Jeder trug in der Hand ein Bündel kleiner Pfähle, viele auch nur starke Drahtstäbe, alle mit den Nummern der Claims versehen.
Dann wieder Signale, Lautsprecher brüllten über den Platz; irgendwo, nur von wenigen gesehen, von niemandem verstanden und auch von niemandem beachtet, las der Kommissar das Dekret über die Eröffnung der Diamantenfelder von Brixtons Valley vor. Dann ein dröhnender Böllerschuß, und im selben Augenblick war es, als bräche eine Lawine zu Tal, als gäbe plötzlich ein geborstenes Staubecken seine Wassermengen frei, als stürze ein breiter Lavastrom aus dem Krater eines Vulkans. Der Boden erzitterte und erdröhnte unter Tausenden von Füßen, und zu beiden Seiten, die Revolver in den Händen, ritten in dichten Gruppen die Konstabler. Kaum waren die Läufer in Bewegung, als auch schon alle Autos ankurbelten, um ihnen zu folgen: die Wagen, die Reiter, neugierige Zuschauer, Männer, die sich die Läufer gemietet hatten, Angehörige, die ihren Männern folgen wollten. Bereits nach wenigen Minuten war es schon nicht mehr eine einzelne Reihe, sondern diese Tausende verteilten sich über das ganze Feld. Jeder lief anders, jeder nach seinem Temperament. Voran, dem ganzen Felde weit voraus die jungen Gestalten der Sportsleute, oft sogar in den Farben ihres Klubs. Weit dahinter die alten Miner, die langsam, aber gleichmäßig daherstampften. Fünf Kilometer sollte der große Run sich erstrecken. Bald begannen die Kräfte der ersten dieser jungen Stadionkämpfer zu erlahmen, die wie Pfeile dahinflogen, aber die Länge unterschätzten. In der Mitte des Feldes lief Will Hartman, war barfuß, wie immer, trug nur seine Leinenhose, sah sich um und rannte gleichmäßig und ständig geradeaus. Tausende waren an ihm vorübergelaufen, er wußte es nicht, sein Gesicht hatte einen harten, verzerrten Ausdruck, er war
nicht umsonst in allen diesen Tagen die verschiedensten Wege gerannt! Er wußte: jetzt kam eine Steigung, jetzt galt es, fünfhundert Meter immer steil bergan zu laufen! Bei dieser Steigung wechselte das Bild vollkommen. Ausgepumpte Läufer brachen zusammen, alte Miner stampften in ihrem gleichmäßigen Schritt näher und näher. Hinter der Menge dieser schweigsamen Läufer, die keinen Atemzug übrig hatten für einen Ausruf, kam der Schwarm der Zuschauer. Hupende Autos, Pfiffe der Polizisten, Schreien und Brüllen aus Tausenden von Kehlen; und jetzt war es, als jage die gewaltige Staubwand, die von allen diesen Fuhrwerken aufgerüttelt wurde, die Armee der Läufer vor sich her. Die Höhe war erreicht. Einen Augenblick stand Will hochaufatmend, auch jetzt sah er sich nicht um, wollte nicht sehen, wer ihn überholt hatte. Zehntausend liefen mit ihm um die Wette, und es waren vielleicht zweihundert Claims, die in Frage kamen! Immer wieder flogen die Gedanken durch seinen Kopf: Er mußte siegen, er mußte! Wenn er zu spät kam, wenn er keinen Claim mehr erhielt, dann waren sie ja alle verloren. Eine halbe Stunde war längst vorüber, und noch immer rasten die Tausende mit hastenden Füßen über das staubige Feld, während jetzt die Sonne mit unbarmherziger Glut auf sie herniederbrannte. Erschöpfte fielen zu Boden, andere stolperten über sie hinweg. In Knäueln lagen sie übereinander, schimpfend, fluchend. Blindschüsse knallten, wenn Autos versuchten, die Läufer zu überholen. Will Hartman sah und hörte nichts, dachte auch nicht mehr, er lief wie in einem Traum, während sein Herz zum Zerspringen klopfte. Er fühlte, daß seine Kräfte nachließen, daß er zusammenbrechen mußte; seine Füße schienen gar nicht mehr
ihm zu gehören, seine Beine zitterten, alles Gefühl war abgestorben, immer häufiger flogen schwarze Schatten vor seinen Augen, als solle er ohnmächtig werden. Noch einmal riß er die Augen auf – er konnte einfach nicht mehr, und dann – da – dicht vor ihm – da war ja das Claim von Mister White! Da sah er die Waschmaschine mit ihren großen Schaufelrädern – da waren die Pfähle mit dem Stacheldraht, die White um sein ganzes Besitztum gespannt hatte. Er stand auf zitternden Füßen, seine Brust keuchte, um ihn herum brauste und dröhnte es wie ein furchtbarer Sturmwind von keuchenden, schreienden, brüllenden Menschen. Will drückte mit letzter Kraft den Pfahl in den Boden, rannte weiter – der zweite Pfahl! Dichter Nebel war vor seinen Augen, er wußte gar nicht mehr, was er tat, fühlte eine rohe Faust an seiner Schulter, die ihn zurückstieß, schrie laut auf – dann eine scharfe Stimme: „Zurück, Mann, im Namen des Gesetzes, der Junge war vor Ihnen da!“ Will hörte die letzten Worte nur noch wie in einem Traume, er war hintenübergesunken und in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Eine einzige Stunde war vergangen, seitdem der Startschuß gefallen war, und jetzt herrschte Ruhe über dem weiten Felde. Hunderte von berittenen Konstablern hatten unendliche Arbeit geleistet, in weiten Reihen das ganze Gebiet besetzt gehalten und aufgepaßt, daß niemand den anderen überrannte, daß jeder einen eingesteckten Pfahl beachtete. Seltsam – wenn sie auch Abenteurer waren – , das Gesetz der Miner wurde geachtet, und selten nur kam es vor, daß die Polizisten eingreifen mußten, wie in jenem Falle, als Jim Walker den ohnmächtigen Will zur Seite stoßen und ihm das Claim fortnehmen wollte, das er eben in Besitz nahm.
Jetzt sah es aus, als sei hier eine Schlacht gewesen. Überall waren vollkommen ausgepumpte Menschen in der Mitte ihrer Claims, rangen nach Atem, und geschlossene Hände umkrampften noch den Hammer, mit dem sie den letzten Schlag getan. Frauen und Kinder rannten herbei, brachten lauwarmen Tee, Kaffee, Wein oder Schnaps, während der Kommissar mit einem ganzen Heer von Gehilfen mit Meßstange und Metermaß von Claim zu Claim ging und die flüchtigen, ungenau abgesteckten Grenzen richtigstellte und die glücklichen Eigentümer in seine Liste einschrieb. Will Hartman saß aufrecht am Boden, sein Herz hatte sich langsam beruhigt; aber seine Beine waren noch zu schwach, um ihn zu tragen. Das erste, was er sah, war das angstvoll vergrämte Gesicht seiner Mutter, die ihm eine Flasche mit Tee brachte. Da versuchte er zu lachen. „Mutter, ich habe es ja erreicht, und alles ist gut.“ Er wunderte sich selbst, wie fremd und heiser, wie vollkommen tonlos seine Stimme klang, und dann sah er Mister White, der breitbeinig vor ihm stand. „Bengel, ich hätte es nicht gedacht. Du hast wirklich die richtigen Claims.“ „Das war nur, weil ich alle Tage trainiert habe und die Richtung ganz genau kannte; aber fast wäre ich zuletzt doch noch zusammengebrochen.“ Ein Erschrecken flog über sein Gesicht. „Ich glaube, ein fürchterlicher Mensch hatte mich gepackt.“ White nickte. „Es war gut, daß ich es sah und den Polizisten heranwinkte. Der Lump hätte mir wenig gepaßt als Nachbar. Ich kenne den Schuft, habe ihn schon in Australien gesehen, hat dort einen Digger heimtückisch ermordet; jetzt war es sein Pech, daß er
mir in die Arme lief, und nun ist er der erste, der das neue Gefängnis am Regierungsgebäude einweihen darf. Übrigens, dein Vater, der herausgehumpelt war und mit mir auf meinem Claim saß, hat ihn auch erkannt. Jim Walker heißt er und wollte vor sechs Wochen sich eine Anstellung in der De-Beers-Mine in Kimberley erschleichen; ich denke, jetzt ist dem Manne sein Handwerk gelegt.“ *** Die Polizei hatte viel zu tun an diesen Tagen. Tausende waren enttäuscht, die kein Claim mehr erhalten hatten. Andere steckten aufs Geratewohl sich solche in der Umgebung ab, ohne die Gewähr dafür zu haben, ob es da Diamanten gab. Andere hockten in den Kneipen und suchten ihren Kummer in Schnaps zu betäuben. Die glücklichen Miner, denen heute noch verboten war, zu arbeiten, ehe alle Vermessungen und Eintragungen beendet waren, taten dasselbe. Aus der ganzen Wellblechstadt war ein einziger, großer Rummelplatz geworden, während die nüchternen Geschäftsleute und die eifrigen Beamten der Regierung darangingen, die Lebensnotwendigkeiten dieser neuen Stadt zu ordnen und in richtige Bahnen zu leiten. Gegen Abend kam Mister Bankroft in seinem Auto. Bis dahin hatte er zu tun gehabt, seinen Bericht an die Zeitung zu telegrafieren, und in einem ganzen Geschwader von Flugzeugen aller’ Art waren die Reporter nach allen Seiten davongeflogen. Jetzt stand er vor Will, der immer noch erhitzt und verwüstet aussah, dessen Beine bei jedem Schritte schmerzten, während seine Füße, von der Mutter verbunden, in weichen Pantoffeln steckten.
„Brav, Junge, gut gemacht hast du es! Nun wollen wir sehen, wer das bessere Claim erwischt hat und wer eher Millionär wird, du oder ich.“ Mister Bankroft fuhr an demselben Abend wieder davon. Er selbst konnte seinen Platz natürlich nicht bewirtschaften und hatte ihn dem Nachbar White zur Bearbeitung übergeben, aber er drückte Will noch eine Fünfpfundnote in die Hand. „Damit ihr leben könnt, bis die ersten Diamanten gefunden sind.“ *** Will vermochte in dieser Nacht zum ersten Male in seinem Leben nicht zu schlafen. Obgleich Mister White ihm auseinandergesetzt hatte, daß, nachdem die Claims eingetragen waren, niemand das Eigentum eines anderen mehr antasten konnte, war es ihm, als sei es ein Leichtsinn, den kostbaren Platz nur einen Augenblick ohne Aufsicht zu lassen. „Die Diamanten! Die Millionen!“ Er saß aufrecht auf seinem Lager, die Augen fielen ihm hin und wieder zu; dann aber hielt es ihn nicht mehr. Er stand auf und ging leise hinaus. Vater und Mutter schliefen ganz fest. Er trat vor die Wellblechhütte. Merkwürdig, nun fühlte er gar keine Schmerzen mehr in seinen Füßen. An der Wand der Hütte lehnte das Werkzeug. Komisch, hatten sie denn solch eine große Hacke mitgebracht? Oder hatte Mutter diese Hacke gekauft? – Er nahm sie in die Hand und wunderte sich eigentlich, daß er das schwere Ding so gut handhaben konnte. Will sah sich noch einmal um, aber alles war vollständig einsam und leer. Nur oben in dem großen Zeltlager war ein ganz heller Lichtschein, viel heller als sonst; aber auch dort war alles ganz still.
Er eilte zu dem Claim, den er für sich abgesteckt hatte, er konnte sich nicht beherrschen, er mußte mit der Arbeit beginnen. Ein Diamant! Wenn er nur einen einzigen fände, und wenn er noch so klein wäre, wenn er ihn morgen dem Vater zeigen konnte.
Jetzt stand er in dem abgesteckten Gebiet, diesem kleinen Stückchen Erde und begriff nicht, daß ihm diese Erde gehörte, ihm gehörte, nur weil er gestern rascher gelaufen war als die anderen. Ihm war unheimlich zumute, der Himmel gar so klar, alles so still, ihm war, als tue er etwas Verbotenes, und dennoch – Will begann die schwere Hacke in den Boden zu schlagen. Es ging eigentlich viel leichter, als er gedacht hatte, es machte kaum Geräusch, wenn das scharfe Eisen in die Schollen einschlug. Will arbeitete fieberhaft und fühlte, wie ihm der Schweiß über den ganzen Körper lief; dann mußte er einen Augenblick Pause machen und blickte auf. War das merkwürdig! Auf dem Nachbarclaim, er hätte natürlich bisher gar keine Ahnung, wem dieses gehörte, saß auf einem Stein ein kleines Mädchen und schlief. Wie kam denn das Mädchen hier in der Nacht in das Claim? „Du, was machst du denn da?“ Das Mädchen fuhr aus dem Schlafe hoch, stand auf, sah sich um und streckte die Hand aus. „Will Hartman – du –?“ „Ach nee, Mabel Black, wie kommst du denn hierher?“ Sie lachte hell auf. „Das ist aber spaßig, Vater hat doch den Meisterläufer Tim Crocer aus Kapstadt angeworben, und der hat dieses Claim abgesteckt, und nun sind wir Nachbarn.“
Wenn Mister Black auch in seinen Augen das böse Raubtier war – wie Mister Bankroft ihn genannt hatte – , so war doch die kleine zehnjährige Mabel immer freundlich zu ihm gewesen, und jetzt freute er sich wirklich, sie zu sehen. „Aber was machst du denn jetzt mitten in der Nacht im Claim?“ „Ich weiß nicht, ich konnte nicht schlafen, und da dachte ich mir, es muß doch hübsch sein, wenn hier so die Diamanten auf dem Boden herumliegen. Da drüben steht unser Wellblechhaus. Vater will ein paar Tage hierbleiben und alles beaufsichtigen. Ich habe mich in der Nacht fortgeschlichen, weil ich nicht schlafen konnte und die Sterne so schön schienen, ich wollte nur rasch ein paar Diamanten suchen und Vater damit überraschen.“ Will schüttelte den Kopf. „Aber, Mabel, so liegen die Diamanten doch hier nicht herum. Ich hacke hier schon eine halbe Stunde lang die schweren Schollen auseinander und finde auch nichts.“ „Darf ich zu dir hinüberkommen und suchen helfen? Ich nehme dir keinen weg!“ „Komm nur.“ Jetzt zerstieß Will die großen Schollen mit der Hacke, und die kleinen Finger des Mädchens wühlten tief in der Erde herum. Plötzlich schrie sie laut auf: „Will, sieh her!“ Er bückte sich, und dann war es ihm, als zucke ein elektrischer Schlag durch seinen Körper. Er hielt einen großen, schweren, hellglitzernden Kristall in seinen zitternden Händen. „Das ist ein Diamant. Ein ganz großer Diamant. Du, der ist ja größer als das Modell vom ,Groß-Mogul’ in Kimberley.“ Plötzlich standen zwei riesengroße Kerle vor ihnen; sofort wußte Will, den einen hatte er schon einmal gesehen, das war
der Mensch, der ihn an der Schulter gepackt und ihm sein Claim weggenommen hätte, wäre der Polizist nicht, dazwischengekommen. „Lassen Sie mich, das ist mein Claim, ich habe den Stein gefunden.“ „Her mit dem Stein – oder –?“ Jim Walker riß ein langes Messer aus der Tasche, die kleine Mabel schrie laut und gellend auf. Walker gab Will einen Stoß, daß er zu Boden taumelte, und schrie seinen Genossen zu: „Stopf dem Mädel das Maul, nimm den Stein und mach, daß du fortkommst.“ Plötzlich gab es einen furchtbaren Knall, und gleichzeitig schoß dort, wo das große Lager der Diamantensucher war, eine riesenhafte Flamme zum Himmel empor. In Sekunden war alles in lodernde Glut gehüllt, Menschen schrien und brüllten, der Genosse Jim Walkers riß die schreiende Mabel in seine Arme, rannte mit ihr über das Feld, hatte in der anderen Hand den großen Diamanten, der mindestens eine Million wert war; Will lag am Boden, der Verbrecher kniete über ihm, packte ihn an der Gurgel, hob mit der anderen Hand das Messer… „Hilfe, Hilfe!“ Will stieß einen heiseren Schrei aus – dann fuhr er auf und sah sich verwundert um. Er fühlte die Hand seiner Mutter an seinem Halse, die ihm eben das Hemd geöffnet hatte. „Junge, Junge, was ist dir denn?“ „Mutter, ist er weg?“ „Aber Kind, du hast doch geträumt!“ „Ich habe – “ „Natürlich, ich bin aufgewacht, weil du im Traum so geschrien hast.“ Will konnte sich erst langsam zurechtfinden. „Pas war alles wirklich nur ein Traum? Dann war der Kerl, der mich totstechen wollte, gar nicht da?“
„Aber nein.“ „Und den großen Diamanten, der größer war als der ,GroßMogul’, habe ich auch nicht gefunden?“ Jetzt mußte Mutter Marie doch lachen. „Vielleicht findest du den noch, mein Junge.“ „Und Mabel Black ist natürlich auch gar nicht da?“ „Hast du von der auch geträumt?“ „Natürlich, wir hatten doch zusammen den Diamanten gefunden.“ „Das ist alles ganz einfach, Junge. Mabel Black ist allerdings auch hier, der Vater hat sein Claim ganz in der Nähe von dem unseren. Sie kamen im Auto, während du noch ohnmächtig dalagst, sie wollten dir sogar guten Tag sagen.“ Will war eigentlich traurig und enttäuscht. „Schade, ich wünschte, ich hätte von dem Diamanten nicht nur geträumt.“ „Dafür bist du auch weder ermordet noch totgestochen. Schlaf, Junge, das war die große Anstrengung von gestern. Und die Feuersbrunst – vor einigen Minuten haben sie wohl oben Raketen losgeschossen, denn es hat einmal laut geknallt, und dann stieg so ein Ding in die Luft.“ Will legte sich auf die andere Seite, und die Mutter blieb bei ihm sitzen, bis er wieder eingeschlafen war. *** Im Kerker, der allerdings auf Diamantenfeldern immer ein sehr wichtiger und vielbesuchter Bau ist, hockte Jim Walker und fluchte vor sich hin. Teufel! Hätte er lieber dem Jungen das Claim gelassen. Morgen früh sollte er von dem Polizisten nach Kimberley gebracht werden, und was dann kam –
Es war Nacht geworden, und plötzlich horchte der Strolch auf. Da hatte doch draußen ganz leise eine Nachtigall gesungen? Wie kam eine Nachtigall nach Brixtons Valley? Schon war er an dem kleinen vergitterten Fenster und flüsterte hinaus: „Bist du es, Bob?“ „Natürlich, Jim, laß deinen Hosenträger heraushängen, ich bringe dir etwas.“ Schnell waren Rock und Weste abgeworfen, und der Hosenträger baumelte zum Fenster hinaus. – „Schnell, rauf damit, die Wache kommt. Ich bin da, wo heute morgen der Start war.“ Schritte im Korridor. Eben noch konnte Walker sich auf das Lager zurückwerfen und den Hosenträger, an dem jetzt eine scharfe Feile baumelte, unter seinem Rücken verbergen, als die Tür geöffnet wurde. „Wer hat hier gesprochen?“ Der Verbrecher tat, als erwache er aus tiefem Schlummer. „Gesprochen? Wer soll hier gesprochen haben? Ich habe vielleicht im Schlafe geredet.“ Brummend schloß der Wärter die Tür wieder zu und ging langsam davon. Als aber am nächsten Morgen die Konstabler kamen, um Jim Walker zu dem Transport nach Kimberley abzuholen, waren zwei Stäbe des Gitters vor dem Fenster abgefeilt, und der saubere Vogel hatte wieder einmal das Weite gesucht.
4
Acht Tage später sah das ganze mächtige Feld wieder einmal vollkommen verwandelt aus. Auf allen Claims wurde fieberhaft gearbeitet, und wenn jetzt während der Nacht, wo alles ruhte, etwa ein nichtsahnender Flieger über das Gebiet dahingestrichen wäre, dann hätte er glauben müssen, hier habe ein fürchterliches Geschützfeuer gewütet. Überall waren trichterförmige Löcher in den Boden gehackt, und um diese herum häuften sich Erdschollen und Sandmassen. Seltsam sahen die kleinen Waschmaschinen mit ihren Schwungrädern aus, und schon, wenn eben die Sonne aufging, begann die Arbeit. Ein ganzes Gewirr von Menschen schaffte hier nebeneinander. Engländer, Buren, Neger der verschiedensten Rassen, die als bezahlte Arbeiter angeworben waren. Auf der höchsten Stelle des Claims stand gewöhnlich die Waschmaschine, Neger schleppten auf ihren Schultern das Erdreich, den sogenannten „Gravel“, hinauf, entleerten ihn zunächst in enge Schüttelsiebe, durch deren Maschen der Sand hindurchfiel und dann in den Waschtrog, in dem der lehmige Schlamm aufgelöst wurde, während suchende Augen nach den ersehnten Diamanten ausspähten. Wenig wurde gefunden; und wenn es geschah, dann waren es meist kleine Splitter, die ein oder höchstens zwei Pfund wert waren. Zuweilen gab es irgendwo einen Auflauf – Neugierige strömten herbei – , da hatte einer wirklich einen größeren Stein in der Hand, einen Stein, für den sogar der Händler, der oben
mitten in der Stadt in seinem Wellblechhaus den mächtigen Geldschrank stehen hatte, tausend Pfund bezahlte oder noch mehr. Gern zahlte er sie aus, denn schließlich war das ganze wie eine große Lotterie, in der es auch Gewinne geben mußte, um die arbeitenden Menschen bei gutem Mut zu erhalten. Wirklich hatte Mister Black einige Claims dicht neben denen der Familie Hartman. Sonderbar, daß der steinreiche Direktor der großen Minen in Kimberley sich hier aufhielt, und noch sonderbarer war, was er tat. Es wurde eigentlich während des Tages gar nicht auf dem Claim gearbeitet, und nur die kleine Mabel saß mit ihrer Gesellschafterin dort und spielte. Wenn es Abend wurde, kamen zwanzig Neger herbei und gruben bei Fackellicht an einem Schacht, der in die Erde getrieben wurde, und befestigten die Wände dieses Schachtes ganz richtig, wie bei einem Bergwerk. „Was soll’s, Herr Nachbar?“ So hatte einmal ein Digger den Bergführer gefragt, der die Arbeit beaufsichtigte. „Einen Brunnen graben, damit die Wäscherei besser vonstatten geht.“ Außer Hartmans, die kaum jemals mit den anderen sprachen, wußte eigentlich niemand, wer dieser Mister Black war, der den ganzen Tag in seinem Hause saß und über Akten arbeitete. Mister Black war ja ein recht alltäglicher Name, keiner kam darauf, daß es der Präsident der großen Mine in Kimberley war. Black wußte recht gut, was er wollte. Sobald es ging und wenn es lohnte, das ganze Gebiet aufkaufen und hier auch einen Großbetrieb einrichten! Er kannte die Digger, wußte, daß die paar Diamanten in der
Oberschicht bald genug abgesucht waren, und ließ den Schacht bauen, um festzustellen, wie der Untergrund war. Die Familie Hartman arbeitete von der Frühe bis spät in die Nacht. Will hackte den Boden auf, Frau Marie schleppte die Schollen zum Schüttelsieb, und der Vater saß auf einem Holzblock, suchte den kranken Fuß zu schonen und rüttelte das Sieb. Sie hatten wirklich einiges Glück gehabt, und die kleinen Diamanten, die sie gefunden hatten, mochten vielleicht fünfhundert Pfund wert sein. Leider besaßen sie nicht einmal eine Waschmaschine; und als sie am sechsten Tage während der Mittagsglut ruhend unter dem Zelt saßen, das sie sich jetzt auf dem Claim selbst errichtet hatten, sagte der Vater: „Das geht so nicht weiter, der Junge hält das nicht aus, du, Marie, auch nicht, und ich erst recht nicht.“ Die Mutter sah ihn entsetzt an. „Wir müssen es aushalten, denk doch, es sind ja schon fast zehntausend Mark, die wir gefunden haben.“ Hartman schüttelte den Kopf. „Das hat alles keinen Zweck, wenn wir zugrunde gehen. Wir müssen ein Wellblechhaus haben, eine Waschmaschine und Arbeitskräfte. Ich habe einen guten Gedanken. Ich denke, wir schicken Will, der ja ein tüchtiger Junge ist, nach Kimberley. Ich werde unseren früheren Nachbar Holborn fragen, ob er nicht Lust hat, unser Kompagnon zu werden? Er hat drei kräftige Söhne und auch keine rechte Arbeit, ist ein ehrlicher Mensch. Wir werden das Doppelte finden, wenn wir besser arbeiten können, und außerdem soll er uns unser Wellblechhaus, die Möbel und eine Waschmaschine schicken. Was man hier kauft, ist ja einfach nicht zu bezahlen. Oder fürchtest du dich, allein nach Kimberley zu reisen?“ Will lachte auf. „Warum soll ich mich fürchten?“
„Gut, hier ist ein mittlerer Diamant. Marie, geh hinauf zum Händler, verkaufe ihn und sieh, daß du einen Esel anschaffen kannst. Ich weiß, du wirst beide Male betrogen werden, aber das hilft nichts. Auf dem Esel kann Will bis Blue Fountain reiten, und von dort fährt die Eisenbahn. Wenn alles gut geht, kann er in fünf Tagen mit einem Lastauto und den vier Männern wieder zurück sein und gleich alles mitbringen. Uns beiden wird es nur gut sein, wenn wir uns endlich einmal etwas ausruhen.“ Frau Marie, deren schwache Schultern die schwere Arbeit und die Last der gefüllten Blechkästen nicht gewöhnt waren, widersprach nicht. Sie selbst fühlte sich todmatt, der Junge war schon ganz schmal geworden und des Vaters Fuß immer entzündet. „Du hast vielleicht recht, ich will gleich gehen und den Stein verkaufen.“ Als sie fort war, sagte der Vater: „Will, jetzt höre einmal zu. Ich glaube, es steht mit meinem Fuße recht schlecht. Ich denke, was wir gefunden haben, wird ungefähr fünfhundert Pfund wert sein; aber hier sind es ja nur alles Betrüger. Ich werde die Steine in einen kleinen Beutel schnüren und diesen versiegeln. Dazu lege ich einen Brief, aus dem hervorgeht, daß du in meinem Auftrage handelst. Du gehst, sobald du in Kimberley bist, zuallererst auf die Bank von Kapstadt. Da sind ehrliche Leute, die bezahlen, was die Steine wirklich wert sind. Du behältst fünfzig Pfund bei dir, damit du die Waschmaschine und den Transport bezahlen kannst und wir ein paar Pfennige in der Hand haben, das andere Geld läßt du auf den Namen deiner Mutter anlegen. Dann habt ihr wenigstens einen Notpfennig, wenn mir etwas zustoßen sollte.“ „Aber, Vater, wie kannst du nur so reden!“
„Du bist mein Sohn und hast dich über deine Jahre hinaus entwickelt. Ein kluger Mensch denkt an alles. Aber, Will, wenn ich dir die Steine mitgebe, vertraue ich dir alles an, was wir besitzen, denn niemand weiß, was wir noch finden werden. Du darfst unterwegs niemandem etwas davon erzählen, du mußt denken, die meisten Menschen sind böse. Wir wollen auch der Mutter nichts davon sagen, sonst ängstigt sie sich.“ Nach drei Stunden kam Frau Marie wieder zurück, führte einen Esel am Zügel und hatte noch zwei Pfund in der Hand. Es wurde gar nicht davon gesprochen, daß Will den Beutel mit den gefundenen Steinen und dem Briefe des Vaters schon auf seiner Brust trug. „Ein Pfund bekommt der Junge, um die Bahn zu bezahlen, das andere behalten wir hier. Jetzt mach alles fertig, es ist am besten, wenn Will während der Nacht reitet.“ Es wurde an diesem Nachmittag nicht mehr gearbeitet, und Will ging hinaus auf das Claim. Plötzlich hörte er laut seinen Namen rufen; und als er sich umsah, erblickte er Mabel, die ganz allein auf ihrem benachbarten Claim saß. „Du, Will, komm einmal her.“ Wenn Mister Black oder die Erzieherin auf dem Claim waren, hütete sich Will, auch nur an die Grenze zu gehen; war das Mädchen aber allein, dann hatten sie oft ein paar Worte miteinander gesprochen. „Was ist denn?“ „Sieh einmal her, was ich gefunden habe.“ Mabel hielt ihm zwei blitzende Steine entgegen. Einen kleineren und einen größeren; aber beide waren sehr viel größer als alles, was er bisher gesehen hatte, wenn es auch natürlich keine Riesensteine waren. „Das sind ja zwei prachtvolle Diamanten.“ „Was mögen sie wert sein?“ „Sicher ein paar tausend Pfund.“
„Mabel, wo steckst du, du sollst doch nicht allein im Claim bleiben!“ Die Erzieherin rief, das Mädchen nickte Will noch rasch einmal zu und rannte davon. Jetzt hörte er auch die Mutter seinen Namen rufen. Will war noch ganz betäubt. „Vater, Mabel Black hat ein paar große Diamanten gefunden, die müssen viele tausend Pfund wert sein.“ Frau Marie seufzte auf. „Was nützt uns das, wenn das reiche Mädchen die Steine findet! Ein paar tausend Pfund! – Wenn wir die hätten! – Dann könnten wir sofort nach Europa zurück und sorgenlos und glücklich leben. Ach, wie herrlich wäre das!“ – Der Vater versuchte zu beruhigen. „Vielleicht haben wir auch Glück und finden solch herrliche Steine.“ *** Die kleine Mabel hatte vor dem Wellblechhause ihren Vater getroffen und sprang ihm entgegen. „Papa, sieh einmal her, was ich gefunden habe.“ Einen ganz flüchtigen Blick warf Mister Black auf die Steine, dann drückte er mit einer fast heftigen Bewegung die Hand seines Töchterchens über den Steinen zusammen. „Komm ins Haus!“ Als sie im Zimmer waren, fragte der Vater hastig: „Wo hast du die Steine gefunden?“ „Ich habe in der Erde gewühlt, die in der Nacht aus dem Schacht herausgeholt wurde.“ „Hat irgend jemand die Diamanten gesehen?“ „Ich habe sie nur Will Hartman gezeigt.“
„Wie unvorsichtig von dir! So etwas darf man nie zeigen! Merke dir das für die Zukunft!“ Das Mädchen, das nicht verstand, warum der Vater sie so scharf anfuhr, fing an zu weinen; nun tat es Mister Black schon wieder leid. „Es ist ja schon gut, mein Liebling, schadet ja auch nichts, wir wollen ja sowieso morgen nach Kimberley zurück. Ich werde gleich hinaufgehen und die Steine einschließen lassen.“ „Sind sie denn wirklich so viel wert?“ „Das versteht so ein kleines Mädel wie du noch nicht.“ Nun war sie wieder vergnügt und lachte dem Vater in das gerötete Gesicht. „Aber es sind meine Steine, und ich will sie wenigstens selbst hinauftragen und dem Herrn geben, der sie einschließt.“ „Aber halte sie nur sehr fest!“ Stolz ging die kleine Mabel neben ihrem Vater in die Wellblechstadt hinauf und preßte ihre kleine Hand über den Steinen so fest zusammen, daß die scharfen Kanten der Diamanten sie fast schmerzten. Oben, nur einige hundert Schritt von dem Wellblechhause des Diamantenhändlers entfernt, der in Wirklichkeit ein Angestellter Mister Blacks war, traf dieser seinen Werkführer und rief ihn an, während er sich an Mabel wandte. „Lauf schon hinein, gib die Steine ab und sage, daß ich gleich nachkomme.“ Er beobachtete, bis das Kind in dem Hause verschwunden war, dann erst wandte er sich an den Werkführer. „Ich fahre morgen nach Kimberley zurück, lassen Sie in dieser Nacht die Grubenhölzer herausnehmen und den Schacht wieder zuwerfen, der Boden scheint mir gar nichts zu taugen.“ Der Mann nickte brummig. „Habe es mir gleich gedacht, Mister Black.“
Er wußte natürlich nichts von den Steinen, ahnte nicht, daß Mister Black ganz im Gegenteil von der Reichhaltigkeit des Bodens überzeugt war und nur nach Kimberley wollte, um über den Ankauf sämtlicher Claims und die Errichtung eines Großbetriebes zu beraten. Sehr vergnügt ging Mister Black nun selbst in das Wellblechhaus und fand den Diamantenaufkäufer über seine Bücher gebeugt. „Was sagen Sie zu den Steinen, die mein Töchterchen Ihnen gegeben hat?“ Der Mann schaute verwundert auf. „Wer hat mir Steine gegeben?“ „Meine kleine Mabel.“ Er schaute sich in dem Raume um. „Sie muß doch vor einigen Minuten – “ „Ich habe Ihre Tochter seit zwei Tagen nicht gesehen.“ Der Direktor machte große, erstaunte Augen. „Aber ich habe doch gesehen, wie sie vor fünf Minuten in das Haus trat.“ „In mein Büro ist niemand gekommen.“ Black trat in den Vorraum zurück. „Mabel, Mabel! Wo steckst du denn?“ Keine Antwort erfolgte. Ein furchtbarer Verdacht stieg in Mister Black auf. Mit einem Sprung war er bei dem Beamten, packte ihn an den Schultern. „Wo ist mein Kind?“ „Mister Black, ich begreife Sie wirklich nicht, warum regen Sie sich nur so sehr auf?“ Der Direktor war außer sich. „Machen Sie keine Flausen, ich weiß, daß mein Kind in dieses Haus eingetreten ist, sie hat Ihnen zwei Diamanten gegeben, von denen der eine mindestens zehntausend Pfund und der andere das Doppelte wert war.“
„Lassen Sie mich augenblicklich los, ich schwöre Ihnen, daß ich weder Ihr Töchterchen noch die kostbaren Steine gesehen habe, daß überhaupt seit zwei Stunden niemand dieses Zimmer betreten hat. Wenn Sie etwa vielleicht gar glauben, daß ich – bitte, durchsuchen Sie den Geldschrank, das ganze Haus, ich kann nur versichern, daß ich Ihre Tochter nicht gesprochen habe.“ Einen Augenblick glaubte Mister Black ohnmächtig werden zu müssen und taumelte gegen die Wand; bald aber hatte er sich wieder in der Gewalt, obgleich seine Stimme lallte. „Ich habe Sie in keinem Verdacht, ich kenne Sie ja schon seit Jahren – aber, um Himmels willen, sagen Sie mir, wo ist mein kleines Mädchen?“ Sie rannten hinaus. Das Wellblechhaus bestand aus einem kleinen viereckigen Korridor und drei Räumen. In dem einen stand der große Geldschrank, aber gleichzeitig auch das Bett, in dem der Aufkäufer schlief, um den Safe auch in der Nacht nicht ohne Bewachung zu lassen; der andere Raum diente als Küche, war vollständig leer und hatte nur ein stark vergittertes Fenster, dessen Stäbe sich unverletzt zeigten. Hätte also jemand den Versuch gemacht, hier herauszusteigen, dann wäre dies ganz unmöglich gewesen. Außerdem besaß der Korridor nur noch die Tür, die nach außen führte und durch die Mabel hereingetreten war. „Ich habe ganz genau gesehen, wie mein Kind in das Haus hineinging. Ich weiß, daß sie nicht wieder herausgekommen ist.“ Sie suchten rings um das Haus und riefen immer wieder den Namen. „Mabel! Mabel!“ – Keine Antwort. Die Polizei wurde gerufen. Der Kommissar war nicht so vertrauensvoll wie Mister Black. Der Inhalt des Geldschrankes wurde noch einmal auf das genaueste geprüft. Mister Black
hatte vorher in seinem eigenen Wellblechhaus schnell die beiden Steine gemessen, abgezeichnet und genaue Notizen gemacht. Aber es fand sich keiner, der auch nur eine Ähnlichkeit mit den beiden Steinen hatte. Überhaupt kein Stein von einer solchen Größe war da. Der Beamte mußte sich einer genauen Leibesuntersuchung unterziehen, jedes Winkelchen des ganzen Gebäudes wurde durchforscht, obgleich das alles von vornherein aussichtslos war, denn selbst wenn das Schrecklichste wahr gewesen wäre, wenn dieser als pflichttreu bekannte Beamte in den wenigen Minuten das Kind ermordet hätte – der Körper hätte doch irgendwo gefunden werden müssen. „Ist es denkbar, daß Ihre Tochter, die sich ja zweifellos des Wertes der Steine gar nicht bewußt war, vielleicht wieder fortgelaufen ist?“ Mister Black antwortete mit bleichem Gesicht: „Ich wiederhole, daß ich sie habe hier in das Haus verschwinden sehen.“ Der Direktor eilte zu seinem Hause zurück, immer noch in der Hoffnung, er könne doch übersehen haben, daß Mabel wieder aus dem Wellblechhause hinauslief und sich vielleicht nicht von den Steinen hatte trennen wollen. Aber auch im Hause war sie nicht wieder gesehen worden. Ein ganzes Polizeiaufgebot durchsuchte während der Nacht alle Wellblechhütten, alle sogenannten Hotels, alle Salons, endlich alle Zelte draußen in der Ebene. Und berittene Konstabler durchforschten alle Claims, hatten ihre Spürhunde bei sich. –
Als endlich der Morgen graute, konnte Mister Black, der vollständig verstört aussah, nur die Meldung entgegennehmen,
daß seine kleine Mabel und mit ihr die beiden kostbaren Steine spurlos verschwunden waren. Von alledem wußte Will Hartman nichts. Nachdem Mabel mit ihrem glücklichen Funde davongelaufen war, hatte er sich schnell fertiggemacht, den kleinen Rucksack mit Lebensmitteln, den ihm die Mutter mitgegeben, vor sich auf den Esel geschnallt und war in den Abend hinausgeritten. Mutter Marie sah ihm weinend nach. „Ich habe solch ein ängstliches Gefühl; wenn dem Jungen nur nichts geschieht!“ „Unsinn, was soll dem Bengel zustoßen? Der sieht gewiß nicht so aus, daß jemand Lust bekommen könnte, ihn zu berauben. Na, und der Esel war ja auch nur noch ein halbes Gerippe.“ In Wirklichkeit war Vater Hartman gar nicht so ruhig, als er sich den Anschein gab, und mußte sich immer wieder selbst trösten. „Es ahnt doch keiner, daß er die Steine im Brustbeutel hatte; gut, daß meine Frau nichts davon weiß.“ Dann sagte er laut: „Ich habe Will gesagt, daß er gleich telegrafieren soll, wenn er in Kimberley angekommen ist.“ Darüber wunderte sich wieder die sparsame Frau Marie, denn ein Telegramm kostete doch viel Geld, und sie wußte nicht, daß ihrem Manne daran lag, recht schnell zu erfahren, daß die Steine glücklich auf der Bank waren und wie hoch sie bezahlt wurden. *** Will ritt in gemächlichem Trabe, um den Esel nicht unnötig zu ermüden, seine Straße entlang.
Es war eine wundervolle, sternenklare Nacht, und nachdem die Lichter von Brixtons Valley langsam hinter ihm erloschen waren, umgab ihn völlige Nacht. Plötzlich horchte er auf und blickte um sich. Er sah in der Ferne einen Reiter, der zu Pferde hinter ihm herjagte. Im ersten Augenblick hatte er das Gefühl, als müsse das ein Feind sein, dann aber schüttelte er lächelnd den Kopf. Unsinn! Er konnte doch nicht verlangen, daß er der einzige Mensch war, der in dieser Nacht über die Straße ritt! Trotzdem sah er sich in einem unwillkürlichen, plötzlichen Angstgefühl genau um. Ein Haus oder eine Siedlung war nicht in der Nähe. Auch kein Gebüsch, hinter dem er sich etwa hätte verbergen können, bis der schnelle Reiter zu Pferde an ihm vorüber war. „Good evening, Boy.“ „Good evening, Sir.“ Der Reiter war schon dicht neben ihm, und unwillkürlich fühlte Will sich beunruhigt. Er hatte an den quälenden Traum in der ersten Nacht gedacht und gefürchtet, der Kerl mit der schrecklichen Narbe im Gesicht, der ihn in jenem Traum hatte erwürgen wollen, müßte jetzt vor ihm auftauchen, aber nun sah er in das Gesicht eines zwar auch verwildert aussehenden alten Mannes mit grauem Haar und ebensolchem Stoppelbart. „Wohin des Weges?“ „Zur Eisenbahn nach Blue Fountain.“ Der Fremde lachte. „Da will ich auch hin, dann können wir ja beieinander bleiben. Ist nicht gut für einen Jungen, wie du es bist, allein zu reisen.“ „Wer soll einem armen Schlucker, wie ich es bin, etwas tun?“
Will, dem es gar nicht lieb war, daß der Mann seine Begleitung werden sollte, wunderte sich selbst, daß er so sprechen konnte, und hätte am liebsten heimlich nach seinen Steinen gefühlt. „Nun, Junge, du hast immerhin einen Esel.“ Auf den konnte es der Fremde nicht abgesehen haben, denn er hatte ja ein Pferd. „Wie spät hast du es, Boy?“ „Ich besitze doch keine Uhr.“ Das Wetter schlug plötzlich um; wie es sehr oft um Mitternacht herum geschah, zog sich ein Gewitter zusammen. Da nickte der Alte. „Gut so, in zehn Minuten sind wir im Mortons Ground, da wohnt ein kleiner Farmer, den ich kenne, wir können ruhig drei Stunden rasten, bis dahin ist das Gewitter vorüber, und bis zur Bahn haben wir es dann nur noch eine Stunde; der Zug nach Kimberley fährt ja doch erst morgens um sechs.“ Da gleichzeitig das Gewitter losbrach und der übliche Wolkenbruch vom Himmel heruntergoß, war Will wirklich froh, daß jetzt vor ihnen eine kleine Farm auftauchte, Pferd und Esel wurden unter Dach gebracht, und gleich darauf saßen sie in einer dumpfigen Stube und waren froh, ein Dach über dem Kopfe zu haben. „Wir sind beide schon tüchtig naß geworden, hast du einen Schluck heißen Tee?“ „Steht noch auf dem Feuer, mach ihn für dich und deinen Jungen, ich gehe schlafen.“ Will ärgerte sich, daß der Farmer ihn für den Sohn dieses Mannes hielt, der jetzt im Schein der Petroleumlampe wahrhaftig wie ein Strolch aussah. Aber er schwieg still; und als ihm der Fremde eine Tasse mit heißem Tee brachte, wagte er wieder nicht, diese zurückzuweisen.
„Jetzt wollen wir drei Stunden schlafen, ich wache schon rechtzeitig auf.“ Der Alte streckte sich lang auf dem Fußboden aus und fing gleich darauf an zu schnarchen. Will hatte sich fest vorgenommen, munter zu bleiben; aber die schwüle, dumpfe Luft in der Hütte, die Stille, die nur von dem gleichmäßigen Aufschlagen der Regentropfen auf das Wellblechdach unterbrochen wurde, wirkten einschläfernd auf ihn, und die Augen fielen ihm zu. „He, Freund!“ Will fuhr auf. „Wenn du noch rechtzeitig zur Bahn willst, dann ist es die höchste Zeit.“ Er schreckte nun vollends auf und sah in das Gesicht des alten Farmers. „Wo ist denn mein Begleiter?“ „Ist schon vor einer Stunde vorausgeritten, du schliefst so fest, daß wir dir noch etwas Ruhe gönnen wollten.“ Will zuckte zusammen, griff nach seinem Brustbeutel; dann war es ihm, als hätte er ein Geschenk bekommen. Der Brustbeutel hing noch an seinem Halse, und er konnte deutlich das unverletzte Siegel und die Steine fühlen. Er griff in die Tasche und überzeugte sich, daß auch das Pfundstück, mit dem er seine Eisenbahnfahrt bezahlen sollte, noch unverändert in seiner Tasche lag. *** Er verabschiedete sich von dem alten Farmer, bestieg sein Eselchen, trabte vergnügt und innerlich den Alten, den er für einen Räuber gehalten hatte, um Entschuldigung bittend, die Straße entlang, kam noch gerade zur rechten Zeit, um den Zug zu erreichen; und mit dem Gefühl, eine gefahrvolle Reise
überstanden zu haben, trat er des Morgens um neun Uhr, als eben die Schalter geöffnet wurden, in das Kontor der Bank in Kimberley. Da war es nun wieder ein günstiger Zufall, daß der Portier ein Bekannter seines Vaters war und ihn an den richtigen Schalter geleitete. „Hier in der Tasche ist ein Brief von meinem Vater wegen der Diamanten, die wir gefunden haben.“ Man ließ ihn im Warteraum sich niedersetzen, und der Beamte nahm die Tasche mit in das Innere hinein. Ungefähr nach einer halben Stunde wurde er aufgerufen und in das Kontor geholt. „Donnerwetter, wie lange seid ihr schon oben?“ „Eine Woche, Sir.“ „Alle Achtung! Alle Achtung, da möchte man wahrhaftig gleich selbst hier alles an den Nagel hängen und nach Diamanten suchen! Herzlichen Glückwunsch, mein Junge, hier sind die fünfzig Pfund, die ich dir aushändigen soll, und hier ist der Depotschein, daß ich fünftausend Pfund für deine Mutter gutgeschrieben habe. Dann seid ihr ja in den acht Tagen schon reiche Leute geworden!“ Will begriff das gar nicht. „Wieviel, Herr?“ „Fünftausend Pfund habe ich gutgeschrieben.“ Unwillkürlich fuhr es Bill heraus: „Vater glaubte fünfhundert.“ „Da siehst du, Junge, was wir für ehrliche Leute sind, hätten ein feines Geschäft machen können, das meiste ist ja nicht viel wert, aber der eine Stein, der hat es in sich.“ Wie im Traum stand Will auf der Straße, hatte den Depotschein und die fünfzig Pfund eingesteckt und grübelte nach.
Fünftausend Pfund! – Hunderttausend Mark! – Da waren sie ja mehr als reiche Leute! – Aber es war doch gar kein solch großer Stein darunter gewesen? Will glaubte zu verstehen. Den hatte der Vater wahrscheinlich selbst gefunden und ihm nichts davon gesagt, um ihn nicht ängstlich zu machen, wenn er wußte, welche Werte er bei sich hatte. Jetzt schnell zum Telegrafenamt! Der Postbeamte schüttelte den Kopf, als hier der ärmliche Junge eine so seltsame Depesche aufgab: „Glücklich in Kimberley angekommen. Fünftausend Pfund, hunderttausend Mark auf der Bank eingezahlt. Will.“ Er hatte mit Absicht die Summe wiederholt, damit der Vater ihn richtig verstand und nicht auch an einen Irrtum glaubte. Dann aber ging Will Hartman mit dem Gefühl: ,Was kostet Kimberley und die ganze Welt?’ durch die Straßen, trat in das Haus des Mister Holborn, und dieser und seine Söhne saßen mit offenen Mündern da, hörten kopfschüttelnd zu und glaubten ihren Augen nicht zu trauen, als Will Hartman ihnen den Depotschein zeigte. „Hunderttausend Mark in einer Woche!“ „Natürlich kommen wir mit, da liegt ja der Reichtum geradezu auf der Straße.“ Will Hartman, der arme Zeitungsboy, erschien ihnen wie ein Glücksbote vom Himmel.
5
Den ganzen Vormittag über arbeiteten die Brüder Holborn fieberhaft, das Wellblechhaus, in dem Familie Hartman gewohnt hatte, auf einen mächtigen Lastwagen zu verstauen, während Vater Holborn mit Will in einer Maschinenfabrik eine Waschmaschine aussuchte. Leider mußte diese erst zusammenmontiert werden, und die Brüder Holborn hatten, nachdem sie den Depotschein gesehen, durchaus keine Geduld mehr. „Die Waschmaschine hat doch keinen Platz mehr auf dem Auto, wir werden voranfahren. Du, Will, siehst am Abend nach der Maschine, sorgst, daß sie mit der Bahn verladen wird, und wir erwarten dich bei der Bahnstation Blue Fountain. Bei den holprigen Wegen werden wir kaum viel früher da sein als du.“ Will war es zufrieden und fühlte sich sogar stolz, daß selbst Vater Holborn ihn als erwachsenen Menschen ansah. Breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, stand er am Zaune dicht bei dem nun verschlossenen Hause, in dem die Holborns gewohnt hatten, und sah dem Lastauto nach, das langsam in der Ferne verschwand. „He, holla, das ist doch der Galgenstrick!“ Will sah sich um und erblickte zwei Konstabler, die eilig heranritten. „Selbstverständlich ist das der Halunke.“ Endlich fing Will an zu begreifen, daß man ihn mit der freundlichen Anrede meinte. „Wer ist ein Halunke?“
Schon hatte der eine Polizist vom Pferde herab die Hand auf Wills Schulter gelegt. „Du bist Will Hartman?“ Sein Jungenstolz lehnte sich gegen den Ton auf. „Lassen Sie mich los, selbstverständlich bin ich Will Hartman, was wollen Sie von mir?“ „Also wenigstens noch nicht ausgekniffen.“ „Wüßte nicht, warum ich auskneifen sollte.“ „Auch noch frech, Bürschchen?“ „Was wollen Sie eigentlich von mir? Ich habe doch gar nichts getan, und – “ „Das wird sich finden, jetzt marsch, zur Polizei! Du gehst zwischen uns beiden; wenn du dich rührst, wird geschossen, also wird’s bald?“ Als Will sah, daß beide Beamte in der Tat Revolver in ihren Händen hielten, fiel ihm allerdings das Herz in die Hosen. „Aber was soll denn das heißen?“ „Mund halten, vorwärts!“ Zum Glück war noch Geschäftszeit, also hier draußen die Straßen noch unbelebt, und sehr bald kamen zwei Beamte zu Fuß. Will war es schon lieber, neben diesen beiden zu gehen, als zwischen den Reitern, aber er war voller Schrecken und Scham, verstand gar nicht, was eigentlich vorging. Auf dem Polizeibüro wurde er zunächst in eine Arrestzelle gesperrt und mußte fast eine Stunde warten. Endlich wurde die Tür geöffnet, und man führte ihn vor den Kommissar. „Du bist Will Hartman?“ „Jawohl.“ „Jetzt erzähle mal, was hast du hier in Kimberley getan, aber bleibe vollkommen bei der Wahrheit.“ Will hatte seinen Trotz und sein Selbstbewußtsein wiedergefunden.
„Ich wüßte auch nicht, weshalb ich lügen sollte.“ „Also heraus mit der Sprache!“ „Mein Vater, der krank ist, hat mich von Brixtons Valley nach Kimberley geschickt, um ein Säckchen mit Diamanten, die wir gefunden haben, auf der Bank abzugeben, das Geld bis auf fünfzig Pfund einzuzahlen, Herrn Holborn, vor dessen Haus Sie mich ja verhaftet haben, einen Brief zu überbringen und endlich, eine Waschmaschine zu kaufen. Das habe ich ausgeführt und weiß nicht, was daran unrecht ist.“ „Wieviel waren denn die Steine wert?“ „Meinen Sie die Steine in dem Säckchen?“ „Natürlich, welche denn sonst?“ „Vater hat mir gesagt, sie würden wohl fünfhundert Pfund wert sein, aber der Herr Kassierer“, jetzt sah er erst, daß sich dieser auch in dem Zimmer befand, „hat fünftausend Pfund dafür gutgeschrieben. Ich habe das gleich an meinen Vater telegrafiert.“ „Richtig, wir wissen von der Depesche. Aber was waren denn das für Steine, die in dem Beutel waren?“ „Ich habe sie nicht gesehen, denn Vater hatte das Päckchen versiegelt.“ Der Kommissar sah ihn scharf an. „Hast du nicht in diesen Tagen ein paar sehr wertvolle Steine gesehen?“ „Nein.“ Die Antwort kam etwas zögernd, und er fühlte, daß er rot wurde. „Du hast keine sehr wertvollen Steine gesehen?“ Will senkte den Kopf. „Ganz verstockt scheinst du noch nicht zu sein, und ich werde deinem Gedächtnis aufhelfen. Hat dir das kleine Töchterchen des Mister Black nicht zwei sehr wertvolle Steine gezeigt?“
„Wenn Sie es doch schon wissen.“ „Warum hast du das abgeleugnet?“ „Weil sie mich darum gebeten hatte, es niemandem zu sagen, und ich mein Wort halten wollte.“ Der Kommissar lehnte sich in den Sessel zurück und kreuzte beide Arme über der Brust. „Dann erkläre mir, wie es kommt, daß der eine von diesen beiden Steinen in dem Päckchen war, das du auf der Bank abgegeben hattest, antworte die volle Wahrheit.“ „Das ist ganz unmöglich, Mabel Black ist doch mit beiden Steinen in der Hand fortgelaufen.“ „Ganz recht, und wo ist das Mädchen jetzt? Wo hast du es hingeschleppt?“ Will erschrak tödlich. „Ich? Wo ich Mabel Black hingeschleppt habe? Ich bin doch gleich fortgeritten und habe sie gar nicht mehr gesehen.“ In seinen Augen, die voll, groß und offen auf dem Beamten ruhten, war durchaus kein böses Gewissen, sondern nur Entsetzen und Erstaunen. „Hör genau zu. Als das kleine Mädchen ihrem Vater die Steine brachte, hat dieser sie ganz genau abgezeichnet und gemessen; dann ist die kleine Mabel in das Haus des Diamantenaufkäufers getreten, und seitdem ist sie spurlos verschwunden und mit ihr die Steine.“ Will schrie laut auf. „Mabel ist verschwunden? Da hat ihr jemand was angetan?“ Der Kommissar hatte eine sehr harte Stimme: „So scheint es allerdings, und das merkwürdigste ist, daß eben einer dieser beiden Steine sich mit in dem Beutel befand, den du abgegeben hast, der Verdacht ist bereits an diesem Morgen auf euch gefallen, Mister Black hat die Zeichnungen und Maße im Flugzeug hierhergeschickt, und es stimmt ganz genau. Ich weiß nicht, ob du so viel von Diamanten verstehst,
daß du weißt, daß niemals zwei Diamanten ganz genau dieselbe Form zeigen.“ In furchtbarem Entsetzen schlugen Will die Zähne aufeinander, und er vermochte nicht zu reden. „Also gestehe endlich, du siehst, du bist überführt.“ „Ich kann wirklich nichts gestehen, das alles kann doch nicht geschehen sein.“ Jetzt mischte sich der Kassierer von der Bank mit ein. „Herr Kommissar, ich halte es für meine Pflicht, zu bemerken, daß die Siegel des Ledersäckchens wirklich unverletzt waren und daß der Junge so verwundert über die große Summe war und uns sofort sagte, er habe nur fünfhundert Pfund erwartet, daß wir alle laut aufgelacht haben. Es wäre doch möglich, daß der junge Will wirklich nichts weiß und daß sein Vater – “ „Vater haben sie einen Fuß abgenommen, der kann ja gar nicht gehen.“ Der Kommissar überlegte. „Es ist das beste, wir schicken den Jungen sofort auf die Diamantenfelder hinaus. Natürlich müssen wir den Stein mitnehmen.“ Der Kassierer schüttelte den Kopf. „Bedaure, der Stein ist uns von dem Jungen im Auftrage seines Vaters in Depot gegeben worden, und ich darf ihn nicht herausgeben.“ Eine Stunde später saß Will zwischen zwei Polizisten in einem Polizeiauto, der Kommissar hatte mit dem Direktor der Bank telefonisch gesprochen, und der Kassierer war beauftragt worden, den Stein selbst Mister Black vorzulegen, er fuhr also ebenfalls mit. So war Will wirklich unterwegs nach Brixtons Valley, saß sogar in einem Auto; aber er starrte vollkommen verstört vor sich hin.
Seine eigene Verhaftung berührte ihn nicht, das mußte sich ja aufklären; aber das Schicksal der kleinen Mabel tat ihm furchtbar leid und erschreckte ihn. Immer wieder mußte er an den Traum denken: der fürchterliche Mann mit der großen Narbe! Sie kamen spät in der Nacht auf den Diamantenfeldern an, Will wurde wieder eingesperrt; aber noch in der Nacht begann ein neues Verhör, bei dem auch Mister Black zugegen war. Will sah dem alten Herrn sofort an, daß auch er gänzlich gebrochen war. Er wiederholte genau dasselbe, was er bereits in Kimberley gesagt hatte, dann zeigte der Kassierer den Stein. Mister Black war beherrscht genug, ihn ganz genau zu untersuchen. „Ich kann beschwören, daß dies der Stein ist.“ Er wandte sich an Will und sagte in einem so weichen Ton, wie man ihn dem kalten Geschäftsmann gar nicht zutraute: „Will, ich bin doch immer gut zu dir gewesen und meine kleine Mabel erst recht, sie ist immer wieder zu mir gekommen, um von mir die Erlaubnis zu erhalten, mit dir spielen zu dürfen. Ich kann ja auch verstehen, ihr seid arm und haltet mich für sehr reich. Ich will dir verzeihen, will bei der Polizei ein gutes Wort einlegen, daß dir gar nichts geschieht, aber sage mir, wo ist mein armes kleines Mädel?“ Jetzt zum ersten Male liefen Will die dicken Tränen über die Backen. „Mister Black, ich schwöre es Ihnen, daß ich nichts davon weiß, daß ich sie gar nicht mehr gesehen habe, seit sie mit den Steinen davonlief. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, sie wiederzufinden.“ Diese Worte hatten einen solch vollkommen wahrhaftigen Ausdruck, daß selbst der Kommissar zweifelte.
„Du mußt doch irgendeine Erklärung haben, wie dieser Stein in deinen Beutel kam?“ „Ich weiß nicht, aber mir ist unterwegs etwas eingefallen.“ „Also doch!“ Will erzählte von dem Reiter, der ihn ein Stück begleitet hatte, mit dem er dann bei dem Wolkenbruch in der Farm Mortons Ground eingekehrt sei, daß er fest geschlafen habe und der Reiter inzwischen wieder fortgeritten sei. „Da willst du also sagen, daß dieser Mann den Stein in den Beutel gesteckt hatte?“ „Ich kann gar nichts sagen, ich suche nur nach einer Erklärung.“ „Herr Kassierer, ich denke, die Siegel waren unverletzt.“ „Jawohl, Herr Kommissar.“ „Haben Sie den Beutel mitgebracht?“ „Hier ist er.“ – Der Beamte betrachtete ihn noch einmal sorgfältig. „Ja, die Nähte sind anscheinend nachgenäht.“ Unwillkürlich fuhr es Will heraus: „Mutter hat den Beutel oft ausgebessert.“ Wieder überlegte der Kommissar und wandte sich dann an einen der Polizisten. „Es soll sofort einer nach Mortons Ground fahren und dort nachforschen; der Farmer muß doch irgend etwas aussagen können, zumal der Junge sagt, er habe den Fremden wie einen guten Bekannten begrüßt. Ist der Mann da, der den alten Hartman vernehmen sollte?“ Ein Konstabler trat vor. „Herr Kommissar, ich habe folgendes festgestellt: Am Nachmittage, wohl ungefähr um dieselbe Zeit, als das Mädchen die Diamanten gezeigt hat, war Frau Hartman, die sonst immer sehr arm tat, im Geschäft von Mister Cooper, hat dort einen Esel gekauft und dafür einen Diamanten in Zahlung
gegeben, auf den sie noch zwei Pfund herausbekam. Die Frau war anscheinend sehr erregt und sagte, ihr Sohn müsse fortreiten. Den alten Hartman habe ich nicht vernommen, sondern ihn mit seiner Frau hierhergebracht. Er ist ein Krüppel und anscheinend sehr krank.“ Georg Hartman wurde auf einer Bahre hereingetragen, Frau Marie folgte ihm weinend, Will kniete neben dem Vater, dem das Fieber aus den Augen leuchtete; und nun begann noch einmal das ganze Verhör. Georg Hartman schüttelte den Kopf. „Diesen Stein habe ich niemals gesehen, er war ganz gewiß nicht in dem Beutel, als ich ihn versiegelte. Die Steine, die ich gefunden habe, konnten nicht mehr wert sein als fünfhundert Pfund, und ich war tödlich erschrocken, als ich die Depesche von meinem Sohn bekam. Herr Kommissar, ich schwöre Ihnen, so wahr ich in meinem ganzen Leben ein ehrlicher Mann gewesen bin, und wenn auch Mister Black damals, als ich in der Fabrik verunglückte, nicht gut an mir gehandelt hat, – wir wissen von diesem Verbrechen nichts, und ich kenne meinen Jungen gut genug, um zu wissen, daß er gar nicht imstande wäre, dem kleinen Mädel etwas anzutun. Er ist ja gleich darauf fortgeritten und hat gar nicht gewußt, daß sie mit dem Vater in das Haus des Diamantenkäufers gegangen ist. Wer weiß, was schlechte Menschen mit meinem armen Kinde gemacht haben. Ich bin ja ganz allein daran schuld, ich hätte ihn nicht mit den Steinen nach Kimberley schicken dürfen.“ Die Tür ging auf, und der Konstabler, den der Kommissar fortgeschickt hatte, trat ein. „Ich bin mit meinem Motorrade bereits wieder zurück. Die Farm Mortons Ground ist schon seit Wochen verlassen und gar nicht mehr bewohnt. Hier, der Mann, den ich mitgebracht habe, ist ein Schäfer, der mir als zuverlässig bekannt ist, und
dieser kann bestätigen, daß dort schon lange niemand mehr wohnt.“ Will rief dazwischen: „Aber ich bin doch in der Farm gewesen. Es war ein ganz alter Mann, der uns in das Haus ließ und der mich am Morgen weckte.“ Der Schäfer zuckte die Achseln. „Mister Morton, der vor Wochen nach Pretoria übergesiedelt ist, war noch nicht dreißig Jahre alt.“ Der Kommissar, der zuletzt schon zweifelhaft geworden war, setzte wieder ein strenges Gesicht auf. „Es ist also ganz klar, daß der Junge sich das Märchen von der Farm und dem unbekannten Reiter ausgedacht hat. Ja, da hast du geglaubt, sehr klug zu sein, und bist im Gegenteil recht dumm gewesen. Wer sich solche Märchen ausdenkt, hat natürlich ein böses Gewissen. Du hast also dadurch zugegeben, daß du von dem Stein gewußt hast. Mister Black, es ist ganz klar, daß die Familie Hartman schuldig ist und viel mehr weiß, als sie sagen will. Stellen wir noch einmal alles zusammen: Der Junge ist der einzige, dem das Kind den Stein gezeigt hat. Ausgerechnet an diesem Abend kauft die Mutter einen Esel. Kauft ihn und gibt einen Diamanten dem Kaufmann in Zahlung und nicht dem von der Regierung eingesetzten Aufkäufer, obgleich sie wissen mußte, daß sie natürlich von dem Kaufmann sehr viel weniger bekommt. Ganz heimlich wird der Junge fortgeschickt, bis nach Kimberley. Meine Herren, warum schickt der Mann einen halbwüchsigen Jungen in der Nacht auf eine so weite und immerhin nicht ungefährliche Reise, anstatt seine Diamanten hier dem gerichtlich vereideten Aufkäufer zu geben! Doch ganz sicher nur, weil er etwas zu verbergen hatte, weil er nicht weiß, daß Mister Black die Steine gemessen und abgezeichnet hat. Weil er glaubt, in dem weit entfernten Kimberley würde den
gestohlenen Stein niemand erkennen. Ich frage noch einmal alle drei, Georg, Marie und Will Hartman, wollen Sie nicht gestehen?“ Georg fieberte stark, sein Kopf war zurückgesunken, und er schien gar nicht mehr zu wissen, was um ihn her vorging. Frau Marie weinte bitterlich. „Wir wissen von nichts, und wenn mein armer Mann jetzt stirbt?“ Mister Black legte noch einmal Will beide Hände auf die Schultern und sagte mit weicher Stimme: „Ich will dir den Stein schenken, du sollst beide Steine behalten und nicht bestraft werden, dann seid ihr reich, reicher als ich; aber sage mir, wo ist meine kleine Mabel, wo hast du mein Kind hingeschleppt?“ Georg schluchzte nun auch laut auf. „Und wenn mein armer Vater stirbt – so bin ich schuld; aber ich kann doch nichts sagen, wovon ich selber nichts weiß.“ Der Kommissar stand auf. „Die Familie Hartman ist wegen Verdachtes des schweren Raubes und der Kindesentführung verhaftet. Frau Hartman und der Junge sind getrennt einzusperren, Georg Hartman ist in das Spital zu bringen und dort unter strenger Bewachung zu halten. Der Arzt soll nach ihm sehen, nein, der Arzt soll sofort zu mir kommen.“ Die Familie Hartman wurde abgeführt, jetzt blieben Black, der Kommissar und der Kassierer zurück; gleich darauf trat der Arzt ein. Er war natürlich schon unterrichtet; denn selbstverständlich bildeten die Entführung der kleinen Mabel Black und die Verhaftung der Familie Hartman das Gespräch aller Diamantengräber. „Herr Doktor, es ist sehr wahrscheinlich, daß der Mann im Fieber phantasiert und sich dabei verrät, bitte, beobachten Sie ihn und lassen Sie alles aufzeichnen, was er spricht.“
Der Arzt schüttelte den Kopf: „Für mich ist jeder, der meine Hilfe anruft, nichts als ein Kranker, und was ein solcher vor meinen Ohren sagt, ist wie ein Beichtgeheimnis.“ Merkwürdigerweise machte Mister Black keinen Versuch, auf den Doktor einzuwirken. Als dieser gegangen war, saß er in sich zusammengesunken auf einem Stuhl und sagte dann zum Kommissar: „Ich fürchte, wir sind auf einer ganz falschen Fährte.“ „Das glaube ich auch.“ Diese Worte sprach Mister Bankroft, der Herausgeber der „Daily News“ in Kimberley, der jetzt in die Tür trat. „Verzeihen Sie, meine Herren, ich habe im Vorzimmer gewartet und das Verhör mit angehört. Ich bin vollständig, der Meinung des Mister Black, daß die Familie Hartman unschuldig ist.“ Der Kommissar fuhr ärgerlich auf: „Ich muß bitten – “ Bankroft hob abwehrend die Hand. „Verehrter Herr Kommissar, wir wollen keine Zeit verstreichen lassen. Sie kennen mich, und wenn auch Mister Black mich vielleicht in vielen Dingen als seinen Gegner ansieht, dann ist das doch bedeutungslos, wenn hier das Leben der kleinen Mabel und das Schicksal einer ganzen Familie, die sich nie etwas hat zuschulden kommen lassen, auf dem Spiele steht. Gewiß, es spricht sehr vieles gegen die drei Menschen, und es ist rätselhaft, wie der Stein in den versiegelten Beutel kam; aber die Hartmans können das Mädchen ja gar nicht geraubt haben. Der Mann ist ein Krüppel und schwer krank; daß die Frau für den Raub in Betracht käme, werden Sie doch selbst nicht glauben? – Und der Junge? Glauben Sie wirklich, daß ein vierzehnjähriger Bengel solch eine Tat in der Zeit einiger Minuten überlegen und ausführen kann?“
„Läßt sich ein Mädchen von zehn Jahren so ohne weiteres stehlen, ohne sich zu wehren oder zu schreien?“ Black warf ein: „Mein Kind hatte den Jungen gern.“ „Und dann trauen Sie ihm zu, daß er das harmlose Mädchen, das auch er liebhatte, verschleppt und irgendwo hilflos ausgesetzt hat? Und das alles innerhalb zehn Minuten? Denn er ist ja gesehen worden, als er eine halbe Stunde später ganz allein auf einem Esel davonritt. Übrigens will ich Ihnen noch sagen, ich kenne den Will Hartman und habe so viel Menschenkenntnis, daß ich weiß, daß er ein offener, gerader Junge ist, der eine solche Tat niemals begehen würde.“ Der Kommissar zuckte die Achseln. „Er selbst kann es natürlich nicht allein getan haben, er hat eben Helfershelfer gehabt.“ Wieder schüttelte Mister Black den Kopf. „Ich bin seit Eröffnung der Mine hier und habe mein Claim neben dem der Familie Hartman. Die Leute haben vom Morgen bis zum Abend ganz allein auf ihrem Boden gearbeitet.“ Der Beamte lächelte. „Ich weiß aber, daß gerade der Junge vor der Eröffnung des Claims meilenweit über Land gelaufen ist.“ „Um sich zu trainieren.“ „Wer weiß, wen er dabei kennengelernt hat; schlechte Elemente laufen genug herum.“ Bankroft stand auf: „Herr Kommissar, ich bin so eine Art Kollege von Ihnen. Ehe ich nach Afrika verschlagen wurde, war ich jahrelang Leiter eines amerikanischen Detektivbüros. Der Junge gibt sich nicht dazu her, ein unschuldiges Kind zu rauben, und sie muß doch
sehr weit fortgeschleppt worden sein, daß man keine Spur von ihr gefunden hat.“ Mister Black erhob sich schwerfällig. „Oder mein armes Kind lebt nicht mehr.“ „Dann hätten die Spürhunde erst recht ihre Spur gefunden. Seien Sie mir nicht böse, Herr Kommissar, wenn ich Ihnen etwas ins Handwerk pfusche und nach anderen Spuren suche.“ „Aber bitte, Herr Bankroft, nur, ich halte den Sperling in der Hand so lange fest, bis ich die Taube auf dem Dache habe.“ Bankroft und Black gingen langsam durch die Straßen der Wellblechstadt, überall war Lärm und Musik, in den Spielhöllen drängten sich die Digger, als könnten sie nicht rasch genug ihre sauer zusammengesuchten Steine wieder loswerden. Mister Black faßte die Hand des Zeitungsmannes. „Helfen Sie mir. Seien Sie in diesem einen Falle mein Freund, helfen Sie mir mein Kind finden.“ „Aber darum bin ich ja hier; lassen Sie mich nachdenken bis morgen früh. Wir wollen uns, wenn es Ihnen recht ist, um acht Uhr in jenem Hause treffen, in dem Ihre Tochter verschwunden ist; ich habe da allerhand Ideen.“ Während Mister Black zu seinem Wellblechhause hinunterstieg, ging Mister Bankroft nicht zu Bett, saß bald in dieser, bald in jener Spielhölle, tat oft, als sei er auf seinem Sitz eingeschlafen, und suchte mit scharfem Ohr die Gespräche der wildesten Spieler zu erlauschen; aber es war alles nutzlos. *** Am Morgen traf Bankroft Mister Black in dem Hause des Diamantenkäufers. Noch einmal wurde alles genau durchsucht. „Es ist ganz ausgeschlossen, daß jemand durch das Fenster gestiegen ist, und wenn ein Fremder, und sei es auch dieser Will gewesen, das Kind mit Gewalt aus der Vordertür
herausgeführt hätte, mußten Sie es merken; also das Mädchen kann dieses Haus nicht verlassen haben.“ Black warf einen erschreckten Blick auf Bankroft. „Aber dann wäre – “ Er konnte nicht weitersprechen, denn in diesem Augenblick traten zwei Digger ein, wahrscheinlich um Diamanten zu verkaufen. Es waren zwei sehr große und starke Männer, und sie blieben einen Augenblick, wohl um die Kontortür zu suchen, mitten in dem Vorflur stehen. Da tat Mister Bankroft etwas höchst Merkwürdiges. Er fiel auf die Knie und betastete mit den Fingern die Stiefel der verwunderten Digger. Dann glaubte allerdings Mister Black, Bankroft sei wahnsinnig geworden, denn dieser sprang auf, packte die beiden verdutzten Digger an den Schultern – Black glaubte schon, er hätte vielleicht Blut an ihren Stiefeln gesehen – und wollte sie verhaften; aber es kam ganz anders. Bankroft hatte eine Hand auf die Schulter des einen, die andere auf die des zweiten Mannes gelegt und begann dicht vor ihren Gesichtern wie toll auf und nieder zu springen, während er laut schrie: „Vorsicht, meine Herrschaften, einen Augenblick, meine Herren, hoppla!“ Dann aber sprang er zurück. „Vorsicht – aufpassen!“ Die beiden Digger standen sprachlos da, aber da gab es einen Krach, der Boden gab nach, die beiden Farmer saßen mit vollständig verdonnerten Gesichtern auf dem Rande eines Loches, das durch die herabfallende Klappe einer Falltür gebildet war, und Bankroft, ganz außer Atem und mit hochrotem Kopf, zeigte mit dem Finger hinunter. „Da haben wir die Lösung des Rätsels!“ Die Digger kletterten mit Mühe wieder in die Höhe, und Bankroft versuchte zu lachen.
„Entschuldigen Sie, meine Herren, aber Sie haben geholfen, ein paar unschuldige Menschen vor dem Gefängnis zu bewahren.“ „Aber was ist denn?“ „Mister Black, haben Sie die Freundlichkeit, den Herrn Kommissar herbeizurufen, dann brauche ich nicht alles zweimal zu sagen.“ Fünf Minuten später war der Beamte mit zwei Konstablern da. „Was ist denn das?“ fragte der Kommissar. Bankroft sah ihn mit leisem Triumph an und zeigte hinunter. „Die Bestätigung einer ganz einfachen Folgerung. Zum Hause hinaus konnte das kleine Mädchen nicht gekommen sein, eingetreten war sie, darin aber war sie nicht mehr. Es mußte also ein anderer Ausgang bestehen, und der konnte nur hier in dem Fußboden sein, der ja anscheinend aus viereckigen Eisenplatten zusammengenietet ist.“ „Wir haben genau untersucht“, sagte der Kommissar. „Ich auch und konnte nichts entdecken; als aber diese beiden, zum Glück recht wohlgenährten Herren auf der mittleren Platte standen, war es mir so, als hätte sich die Platte ein wenig gebogen, deswegen kniete ich hin und untersuchte scheinbar deren Stiefel, dann aber bin ich wie ein Wahnsinniger auf und nieder gesprungen und habe durch mein Gewicht und die Erschütterung erreicht, daß die Stütze, die wahrscheinlich unter die Platte gekeilt war, zusammenbrach und die Bescherung sich zeigte.“ Die Digger machten sauersüße Gesichter. „Eigentlich toll von Ihnen, wir hätten ja beide unsere Beine brechen können.“ „Deshalb schrie ich ja immerfort ,Vorsicht’ und gab Ihnen den Stoß. Ich bitte Ihre verehrten Sitzgelegenheiten um Entschuldigung wegen des heftigen Aufprallens, und im
übrigen hoffe ich, daß die Belohnung, die Mister Black ausgesetzt hat und die Sie sich, wenn auch nur durch Ihre Körperschwere, verdient haben, Sie milder stimmen wird.“ Der Kommissar hatte inzwischen Leitern und Taschenlampen hereinbringen lassen. „Wir wollen zunächst einmal untersuchen, was da unten eigentlich los ist.“ Mister Black war auf einen Stuhl gesunken und zitterte bei dem Gedanken, daß man dort unten vielleicht sein Kind ermordet finden würde. Seine Hand umspannte den Revolver – dann wäre also doch der Beamte der Mörder gewesen – und dann – Bankroft hatte die Leiter nicht abgewartet und sich als gewandter Turner in das dunkle Loch geschwungen. Schon nach wenigen Minuten kam er wieder herauf. „Es ist alles genau, wie ich es mir gedacht habe: ein schmaler Gang führt unter dem Hause hinweg, – bringen Sie Laternen!“ Der Gang führte noch ein Stückchen weiter und öffnete sich dann, als sei es ein Kanalisationsloch, hinter Gestrüpp versteckt, in eine kleine, tief eingerissene Schlucht. *** Die Herren saßen im Kontor zusammen, und Bankroft sagte: „Sie werden überzeugt sein, daß Will Hartman nicht in einer Viertelstunde diesen Gang gegraben haben kann. Wie wäre es, wenn ein paar abgefeimte Verbrecher etwa die Absicht hatten, in der Nacht hier den Beamten zu überfallen, zu betäuben und den Geldschrank auszurauben?“ „Allmächtiger!“ Der Aufkäufer wischte sich unwillkürlich den kalten Angstschweiß von der Stirn.
„Wieso der oder die Verbrecher nun Kenntnis von den Diamanten des kleinen Mädchens hatten, weiß ich natürlich nicht; aber es erscheint mir sehr viel wahrscheinlicher, daß diese das Mädchen entführt haben. Erinnern Sie sich vielleicht des Kerls, der am Tage des Wettlaufs den Jungen fortstoßen wollte, den Sie dann verhafteten, Herr Kommissar, und der mit Hilfe eines Komplicen aus dem Gefängnis ausbrach?“ Einer der Konstabler fiel ein: „Der Kerl wurde am Tage vorher in der Begleitung eines alten Graukopfes gesehen.“ „Vielleicht des Graukopfes, der dem armen Will zu Pferde nachgeritten ist.“ Der Kommissar schüttelte den Kopf. „Deswegen kann der Junge doch mit ihnen gemeinsame Sache gemacht haben.“ Bankroft nahm einen Gegenstand aus der Tasche. „Wissen Sie, was das ist?“ „Eine Art Chloroformmaske.“ „Damit ist das Mädchen wahrscheinlich betäubt worden, ich habe die Maske unten gefunden. Vielleicht ist es dem armen Jungen in Mortons Ground ebenso ergangen.“ Black sah Bankroft ängstlich an. „Und wo ist mein armes Kind?“ „Das weiß ich nicht, aber jedenfalls haben wir jetzt eine Spur, und ich denke, Herr Kommissar, Sie werden der Familie Hartman ihre Freiheit zurückgeben.“ Der Polizeikommissar von Brixtons Valley war in recht schlechter Laune, obgleich er sich bemühte, diese jetzt vor Mister Black und Mister Bankroft, die am nächsten Tage wieder beieinandersaßen, zu verbergen. Jetzt, nachdem ihn der Konstabler an den entwichenen Strolch erinnert und der Zeitungsmann den unterirdischen
Gang gefunden hatte, verstand er selbst nicht, daß er das Haus nicht noch viel genauer untersucht hatte. Allerdings, er hatte selbst beobachtet, wie es erbaut wurde und wie man gerade den Fußboden aus Eisenplatten zusammensetzte. Natürlich, für einen Digger war es ein Kinderspiel, solch einen Stollen zu graben, und als man versuchte, die Platte wieder an Ort und Stelle zu bringen, sah man, daß die Einbrecher diese einfach auf vier Grubenhölzer gesetzt und so genau wieder eingepaßt hatten, was man von unten recht gut konnte, daß oben durchaus nichts zu sehen war, bis dann die große Schwere der drei Männer die Grubenhölzer in den Boden drückte und die Platte abstürzte. Sofort hatte man nach Kimberley, nach Johannesburg und Pretoria telegrafiert. Das Bild Jim Walkers hatte man bei seiner Verhaftung in Brixtons Valley aufgenommen, die Polizei in Kimberley konnte Bild und Signalement seines Komplicen Bob Smith dazuliefern, und an demselben Abend, nach der Entdeckung des unterirdischen Ganges, waren schon große Plakate mit den Bildern und dem Steckbrief gegen die beiden Vagabunden in den drei Städten Kimberley, Johannesburg und Pretoria überall angeschlagen. Trotzdem weigerte sich der Kommissar noch immer, die Familie Hartman zu entlassen. „Wie kam der Stein in den versiegelten Beutel?“ Mister Bankroft, der sein Übergewicht fühlte, sagte: „Aber, lieber Herr Kommissar, welchen Grund sollte der Dieb gehabt haben, dem jungen Hartman den Stein zu schenken? Denn darüber sind wir ja einig, daß Will Hartman den Raub nicht ausgeführt hat.“ „Vielleicht hat der Junge den beiden Strolchen erzählt, daß das Mädchen die Steine gefunden hat.“
„Und Sie glauben, daß zwei so gerissene Brüder dem jungen Hartman zur Belohnung für eine solche Nachricht die Hälfte ihrer Beute abgeben würden? Ja, wenn der Will den großen Stein außerhalb des versiegelten Beutels bei sich gehabt hätte, dann könnte man glauben, daß er ihn im Auftrage der Räuber verkauft hätte.“ Das Gespräch wurde durch den Eintritt eines alten Mannes unterbrochen, den der Kommissar barsch anfuhr: „Was wollen Sie?“ „Ich glaube, ich habe eine wichtige Aussage zu machen wegen des Jungen, den Sie eingesperrt haben.“ „Wer sind Sie denn?“ „Ich heiße Svenson und bin Digger. Ich war unterwegs hierher, aber ich bin krank geworden; da habe ich ein paar Tage in dem alten, verlassenen Farmhaus Mortons Ground gehaust, um mich erst wieder gesund werden zu lassen.“ „Na, und?“ „Eines Nachts kam nun ein anderer Digger, dessen Namen ich nicht kenne, aber den ich schon in den australischen Goldgruben gesehen hatte, und bat mich, ihn bei mir übernachten zu lassen. Er brachte sogar noch einen zweiten mit, den ich nicht kannte. Du liebe Zeit, das Haus war groß und verlassen, und ebensogut wie ich konnten schließlich auch die beiden anderen da wohnen.
6
Am nächsten Tage zogen sie schon weiter, ich aber war noch zu schwach. Da kam drei Tage später wieder in der Nacht der eine, den ich nicht kannte, noch einmal und brachte einen jungen Burschen mit, den ich zuerst für seinen Sohn hielt. Sie sagten, sie wollten zur Bahnstation, denn es war gerade ein toller Wolkenbruch. Ich überließ ihnen das Zimmer, zeigte, wo sie sich Tee kochen konnten, und kroch in meine Kammer. Als ich am anderen Morgen aufwachte, noch ehe die Sonne aufgegangen war, sah ich, daß der Mann fortgeritten war; aber der Junge lag noch fest schlafend auf der Bank, und die Fenster standen alle weit offen. Ich wußte, daß der Bursche auch zur Bahn wollte; aber ich hatte zu tun, ihn munter zu bekommen, es war, als ob der Junge wie berauscht wäre. Dann ritt er auf seinem Esel fort, und am Morgen zog ich auch hierher weiter. Eben sah ich den Steckbrief und das Bild – ich glaube, der eine von den beiden, der ältere, war der Mann, der mit dem Bengel in jener Nacht zu mir kam.“ „Warten Sie einen Augenblick – Konstabler, holen Sie einmal den Will Hartman hierher.“ Will wurde hereingeführt, sah den Alten und schrie sofort freudig auf: „Das ist ja der Mann, in dessen Farm wir damals eingekehrt sind!“ Svenson nickte. „Ganz richtig, das ist auch der Junge.“ Will wurde wieder abgeführt, und der Kommissar prüfte ganz genau die Papiere, die der alte Svenson bei sich hatte.
Jedenfalls schien dieser Mensch ein anständiger Digger zu sein. Nachdem er gegangen, sagte Bankroft: „Jetzt ist doch alles ganz klar. Der Kerl hat den Jungen betäubt und ihm den einen Stein in den Beutel gesteckt, um den Verdacht auf Hartman zu lenken.“ Es wurde an die Tür gepocht, und die Erzieherin der kleinen Mabel trat ein. „Mit der Flugpost ein eiliger Brief an Mister Black.“ „Geben Sie her, Herr Kommissar, Sie entschuldigen, bitte.“ Er riß das Schreiben auf. „Wie heißt der Schuft, den Sie jetzt suchen?“ „Jim Walker und Bob Smith.“ „Herr Kommissar, bitte, lesen Sie. Der Brief ist mit Jim Walker unterschrieben.“ „Mein lieber Mister Black! Wenn Ihr reizendes Töchterchen, das bis heute in der Pension der Miß Turner in Pretoria, West Street 462, sehr gut aufgehoben war und sich durchaus wohl befindet, nun später in Ihre Arme zurückkehrt, als es mein Wunsch war, und vielleicht auch einige Unbequemlichkeiten erdulden muß, ist es die Schuld der neugierigen Polizei. Wir sind zwei arme Schlucker, aber wir hatten die Absicht, ehrliche Menschen zu werden, und haben deswegen vor sechs Wochen auf Ihrer Mine in Kimberley um eine Anstellung gebeten. Sie haben uns fortgejagt, weil der alte Schnüffler Georg Hartman, der von irgendwelchen früheren Geschichten etwas wußte, uns angezeigt hatte. In Brixtons Valley hatten wir wieder Pech, da ist mir der Kommissar in die Quere gekommen. Was soll der Mensch machen, wenn er leben will? Wir hatten uns einen netten Gang gebuddelt und wollten den Geldschrank ausplündern, aber erst wollte ich dem alten
Hartman eins auswischen. Es war ein guter Zufall, daß ich hinter einem Stoß alter Wellblechplatten hockte, als Ihre Tochter dem Jungen die beiden Steine zeigte. Und daß ich dieser dann folgte, haben Sie natürlich nicht bemerkt, und dann war es sehr einfach. Ehe das Mädel in das Büro eintrat, war ich schon hinten herum in unserem Gang. Die Klappe herunter – das Mädel aufgefangen – die Chloroformmaske hatte ich schon in der Tasche, denn in der Nacht sollte der Raub geschehen. Schnell die Platte wieder auf Stützen gestellt – Sie waren so erregt, als Sie in das Kontor stürmten, daß Sie gar nicht merkten, daß alles noch schief und krumm war und ich noch arbeiten mußte, während Sie so laut auf den Kassierer einbrüllten, daß Sie mein Arbeiten unten gar nicht hörten. Wissen Sie, was Rache ist? Rächen wollte ich mich an diesem Georg Hartman, der mir die Anstellung verdorben hatte. Da kam mir sein Junge gerade recht, und ein Kinderspiel war es, den Bengel zu betäuben und ihm den Stein in den Beutel zu stecken. Wäre alles gut gegangen. Der Stein, den wir noch haben, ist unter Brüdern zehntausend Pfund wert. Wir wollten nach Durban an die Küste. In einer Woche wären wir dagewesen, und dann hätten wir Ihnen vor Abgang des Schiffes einen Brief geschickt, wo Sie sich das Mädel abholen konnten. Jetzt ist uns die Polizei auf der Nase. Wir sind aus Pretoria fort und haben natürlich das Kind mitgenommen. Verkaufen können wir den Stein jetzt nicht mehr, und viel Umstände machen wir auch nicht. Wir wollen sogar nicht einmal stehlen. Senden Sie binnen vierzehn Tagen zehntausend Pfund in die Farm Umu Beni am Krokodilfluß, so ungefähr vierzig englische Meilen nordwärts von Pretoria. Da werden Sie einen eingeborenen Häuptling finden, der Upesi heißt. Der hat den
großen Diamanten und wird Ihnen diesen gegen Zahlung der zehntausend Pfund aushändigen; ich will Ihnen den Stein also verkaufen. Bekommt der Häuptling das Geld, dann wird er Ihrem Boten auch Ihre Tochter wiedergeben. Hetzen Sie uns aber etwa die Polizei auf den Hals, dann wird uns diese nicht finden, Sie aber werden Ihre Tochter nicht mehr wiedersehen. In der bestimmten Erwartung, daß sich unser Geschäft so abwickelt, wie es unter ehrlichen Leuten der Brauch ist, mit herzlichem Gruß Ihr aufrichtig ergebener Jim Walker.“ Mister Black saß mit blassem Gesicht da. „Was nun?“ Der Kommissar suchte zu beruhigen. „Jedenfalls lebt Ihr Kind und ist in den nächsten vierzehn Tagen nicht in Gefahr.“ Bankroft fiel ein. „Zunächst denke ich, Sie entlassen augenblicklich die Familie Hartman, deren Unschuld erwiesen ist.“ „Das ist allerdings das Nächstliegende.“ Will und Frau Marie wurden hereingeführt; dann gingen sie alle in das benachbarte Hospital. Auch der Kassierer der Bank, der noch immer in Brixtons Valley geblieben war, begleitete sie. Georg Hartman lag im starken Fieber, war aber bei Besinnung. Er lächelte matt, aber doch glücklich, als ihm alles Nähere erklärt wurde. Der Kassierer fragte: „Was wird aber nun aus dem Stein?“ Georg Hartman antwortete sofort: „Der gehört natürlich Mister Black; aber die anderen Steine waren mein redliches Eigentum.“
Der Kassierer nickte. „Dann werden wir Ihnen also hundertfünfzig Pfund gutschreiben, mehr als zweihundert waren die kleinen Dinger nicht wert, und fünfzig hat Ihr Sohn schon erhalten.“ Das war nun allerdings eine sehr trübe Nachricht für die Familie Hartman. Der Arzt erklärte auf das bestimmteste, daß der Vater, dessen Fuß wahrscheinlich noch einmal operiert werden mußte, noch viele Wochen das Hospital nicht verlassen durfte, und von den vier Holborns war inzwischen ein sehr unfreundlicher Brief gekommen: „Wir haben unterwegs von der Verhaftung Wills gehört und sind umgekehrt. Mit Betrügern wollen wir nichts zu schaffen haben. Für die Kosten, die wir uns gemacht haben, halten wir uns an Ihr Wellblechhaus und an die Möbel.“ Da stand nun Frau Marie mit ihrem Jungen wieder auf dem Claim, und große Tränen flossen ihr über das so elend gewordene Gesicht. „Junge, Junge, was soll aus uns werden? Wir beide können unmöglich das Claim bearbeiten, und Negerboys anwerben oder Kaffern, wie die anderen es tun, dazu haben wir ja kein Geld.“ Will drückte fest ihre Hand. „Dann lassen wir eben das Claim vorläufig liegen, bis Vater wieder gesund ist. Man weiß doch jetzt, daß wir ehrliche Menschen sind. Wir müssen irgendeine Arbeit suchen.“ Leider hatte sich Will geirrt. Überall, wo sie nach Arbeit vorsprachen, wies man sie ab, nicht etwa, weil sie in dem Verdacht gestanden hatten. So feinfühlig waren die Digger, von denen mancher selbst allerhand auf dem Kerbholze hatte, gewiß nicht; aber die ganze Diamantensucherstadt war von einer fast abergläubischen Furcht vor den beiden Strolchen erfüllt. Man wußte von dem Haß, den die zwei Verbrecher auf
die Familie Hartman hatten, und wollte sich nicht auch deren Feindschaft zuziehen. Mutter Marie saß weinend in dem Zelt, in dem es jetzt schon des Abends sehr kalt war. „Hundertfünfzig Pfund sind dreitausend Mark. Hier ist es so furchtbar teuer, und wir können nicht einmal weg wegen des Vaters. Ich weiß keinen Ausweg.“ Auch Will hatte einen mutlosen Blick in seinen Augen; da sahen sie einen Negerboy auf das Zelt zukommen. „Mister Black bittet den Massa Will, ihn sofort zu besuchen.“ Frau Marie blieb traurig. „Der Mann bringt uns sicher nichts Gutes!“ „Ich muß auf alle Fälle zu ihm.“ Mister Black war jetzt ein ganz anderer als damals in Kimberley, als er die weinende Frau Hartman so grausam fortschickte. „Komm einmal her, Will, du hattest doch meine kleine Mabel gern?“ „Gewiß, Mister Black.“ „Willst du mir helfen, sie zurückzubekommen?“ „Wenn ich das kann.“ „Paß einmal auf. Du weißt, was der Halunke geschrieben hat, oder weißt du es noch nicht?“ „Der Kommissar hat mir den Inhalt des Briefes erzählt.“ „Ich habe mit Mister Bankroft alles beraten, er ist ein guter Mann, auf den man sich verlassen kann.“ Will, der wußte, wie lebhaft der Zeitungsmann für ihn eingetreten war, nickte mit leuchtenden Augen. „Nun also, Mister Bankroft will selbst nach Pretoria fahren und versuchen, meine kleine Mabel zurückzubekommen. Aber er braucht einen zuverlässigen Menschen; willst du mit ihm gehen?“ „Ich kann doch meine Mutter jetzt nicht allein lassen.“
„Ich will dir etwas sagen, ich bin ja eigentlich schuld an eurem Unglück und daran, daß dein Vater jetzt hier wieder kränker geworden ist. Wenn es dir gelingt, mir mein Kind zurückzubringen, das heißt also, wenn du mit Mister Bankroft auf die Suche gehen willst und es glückt, dann soll dir der Stein gehören, der dich in den Verdacht gebracht hat.“ Einen Augenblick leuchteten Wills Augen, aber dann schüttelte er den Kopf. „Und wenn mir ein Unglück zustößt, ist Mutter ganz allein.“ „Ich gebe dir gleich einen Vorschuß und verspreche dir, bis zu deiner Rückkehr für deine Eltern zu sorgen, das will ich dir schriftlich geben. Was meinst du nun? Bist du damit einverstanden?“ „Gut, Mister Black, dann gehe ich mit.“ Der Minendirektor setzte ein Schriftstück auf, und Bankroft, der bis dahin schweigend zugehört hatte, Sagte: „In einer Stunde komme zu mir, so, wie du bist, und wir reden weiter. Wir müssen in dieser Nacht noch den Zug nach Pretoria erreichen, abgemacht?“ Eigentlich wunderte sich Will, daß Bankroft, der Herausgeber der großen Zeitung, selbst nach dem Mädchen suchen wollte, aber er verstand nicht, daß dies sehr klug war. Was gab das für eine Reklame, wenn in der Zeitung stand, daß Mister Bankroft selbst nach der Tochter des Mannes suchte, der immer sein Gegner gewesen, und wenn er sie wirklich zurückbrachte. Außerdem war in, ihm der frühere Detektiv wieder erwacht. Frau Marie war tödlich erschrocken, als sie davon hörte, daß ihr Junge sie verlassen und sich wieder in neue Gefahren begeben wollte. Dann aber las sie das Schriftstück des Mister Black und hielt die hundert Pfund, die ihr Junge als Vorschuß erhalten hatte, in der Hand. „Wir wollen nichts ohne die Einwilligung des Vaters tun.“
Georg Hartman lag in einem sauberen Bett in einem besonderen Raume des Hospitals und fühlte sich kräftiger. Er hörte aufmerksam zu. „Ich denke, es kommt alles so, wie es uns bestimmt ist. Mister Bankroft wird Will schon behüten, und schließlich – hätte Will die Diamanten nicht in der Hand gehalten, hätten die beiden Kinder nicht so laut miteinander gesprochen, vielleicht würde der Lump sie nicht bemerkt haben, und all das Furchtbare wäre nicht über uns gekommen. Wenn Will wirklich helfen kann, dann hat er Mister Black sicher für immer zum Freunde, und in unserer Lage wäre das doch sehr gut.“ Mit schwerem Herzen willigte Frau Marie ein; aber sie weinte bitterlich, als sie nun am Abend, nachdem Will gegangen, ganz allein in dem Wellblechhäuschen zurückblieb. Eine Stunde später saß Will neben Bankroft im Auto, und sie fuhren zur Station. „Wie wollen wir es denn nun anstellen, um Mabel zu finden?“ „Das weiß ich selbst noch nicht, das muß vollständig von den Umständen abhängen. Jedenfalls müssen wir sehr vorsichtig sein und immer daran denken, daß der Kerl wahrscheinlich überall Spione hat.“ Sie fuhren in dieser Nacht bis nach Johannesburg. Will staunte über die große, schöne Stadt, die hier mitten im Innern des Landes lag. Über die breiten Straßen, die hohen Geschäftshäuser, die eleganten Menschen; und dabei hatte er einmal in einem Buch gelesen, daß es noch gar nicht so lange her war, daß hier auf demselben Platze der grausame Negerkönig Moselikatse ein Schreckensregiment führte. Bankroft ging mit ihm in allerhand Läden; und als sie gegen Mittag wieder auf dem Bahnhof waren und nach Pretoria fuhren, hätte ein Bekannter sie beide kaum wiedererkannt.
Der Zeitungsverleger hatte sich in einen Elefantenjäger verwandelt, mit Lederjoppe, hohen Stiefeln und einem gewaltigen Gewehr über der Schulter. Sie waren sogar bei einem Friseur gewesen, und es hatte Will mächtigen Spaß gemacht, daß ihnen beiden die blonden Haare dunkelbraun gefärbt wurden, und außerdem hatte sich Bankroft den Knebelbart, den er bis dahin getragen hatte, abnehmen lassen. Will hatte einen Sportanzug und sogar auch ein Gewehr, das ihn sehr beglückte. „Mein Diener kannst du nicht sein, einen so jungen weißen Burschen nimmt man nicht mit in den Wald. Du mußt jetzt für diese Reise mein Sohn sein.“ Will lachte und dachte daran, daß der alte Svenson in Mortons Ground ihn damals für den Sohn des Verbrechers gehalten hatte. Da war es schon besser, einmal für den Sohn des reichen Zeitungsbesitzers zu gelten. Es war spät am Abend, als sie in Pretoria eintrafen, und Will kam sich jetzt vor, als lebe er in einem Märchen. Sie fuhren im Auto auch hier durch viel vornehmere Straßen, als es in Kimberley überhaupt gegeben hatte, und hielten vor einem schönen Hotel. Sie fuhren mit dem Lift in ein schönes Zimmer, in dem zwei saubere Betten standen und das auch sonst so luxuriös eingerichtet war, wie Will eigentlich überhaupt noch kein Zimmer gesehen hatte. „Merke dir also, du sagst zu mir ,Vater’ und ,du’, und im übrigen heiße ich jetzt nicht mehr Mister Bankroft, sondern Mister Stanley, hast du mich verstanden?“ „Natürlich.“ Vielleicht hatte der Zeitungsmann gerade diesen Namen in Erinnerung an den großen Amerikaner Stanley gewählt, der
ebenfalls ein Zeitungsmann war und auszog, um mitten in Afrika den verschollenen Livingstone zu suchen. Sie saßen dann zusammen im Speisesaal; und jetzt war Will seiner Mutter dankbar, die, wenn auch arm, so doch aus einer guten Bürgerfamilie stammend, ihren Jungen immer angehalten hatte, gute Manieren zu bekommen, so daß er jetzt an der großen Hoteltafel nicht unangenehm auffiel, obgleich er die meisten Gänge, die ihm vorgesetzt wurden, zum ersten Male in seinem jungen Leben aß. Er wunderte sich über Mister Bankroft, der bald die Aufmerksamkeit der ganzen Tischgesellschaft auf sich gezogen hatte und so tolle Abenteuer von seinen Löwen- und Elefantenjagden erzählte, daß Will geradezu die Haare zu Berge standen, während er bemerkte, daß die anderen Tischgäste nicht selten lächelten und diesen Mister Stanley wahrscheinlich für einen fürchterlichen Aufschneider hielten. Als sie dann wieder im Zimmer waren, fragte Will geradezu andächtig: „Haben Sie das wirklich alles erlebt, Mister Bankroft?“ „Erstens sollst du nicht ,Sie’ sagen und auch nicht ,Mister Bankroft’. Dieser Mister Bankroft hat, soviel ich weiß, überhaupt noch keine Elefantenjagd mitgemacht, aber Mister Stanley wird das doch wohl erlebt haben, wenn er es erzählt.“ Er machte dabei ein so pfiffiges Gesicht, daß Will ihn verstand. „Sehr gut, Vater.“ Nun mußte Bankroft lachen über den zögernden Ton und das in den Wangen aufsteigende Rot in Wills Gesicht. „Na also, mein Sohn! Jetzt lege dich in dein Bett und schlafe, ich habe noch allerhand Besorgungen an diesem Abend.“ „Darf ich nicht mitkommen? Ich bin noch gar nicht so müde.“ „Schlaf du nur, das ist viel besser für dich.“
Will legte sich in das weiche Federbett, wie er noch nie eins besessen hatte, und wieder erschien ihm alles wie ein Traum, wie ein Märchen. Er dehnte sich behaglich, aber obgleich er natürlich sehr müde war, vermochte er nicht zu schlafen. Draußen der Lärm der fremden Stadt, hier die so ganz ungewohnte Umgebung und vor ihm die Abenteuer. Da in der Ecke stand sein Gewehr, sein, Will Hartmans Gewehr! – Schießen konnte er schon, aber jetzt – Er wurde nun doch langsam müde, dachte an die Mutter, den Vater, er fing an einzuschlafen, träumte von Elefanten – Löwen – und wilden Kaffernhäuptlingen. Plötzlich fuhr er auf. Es war nicht ganz dunkel in dem Zimmer, denn von der Straßenbeleuchtung drang ein ganz leiser Schimmer durch die Fenster, aber es war totenstill um ihn herum. Er richtete sich vollends auf und sah nach dem anderen Bett hinüber. Es war noch unbesetzt, Mister Bankroft also noch nicht heimgekehrt. Jetzt schlug irgendwo eine Turmuhr die fünfte Morgenstunde, und nun ergriff Will eine mächtige Angst. Die Nacht war fast vorüber, Mister Bankroft war noch nicht zurückgekommen! – Wenn ihm irgend etwas zugestoßen war? – Wenn er überhaupt nicht wiederkam? – Dann saß er, Will Hartman, ohne einen Pfennig Geld hier in dem fremden Hotel, das sicher noch nicht einmal bezahlt war, mußte zugeben, daß er gar nicht Will Stanley hieß. Dann aber hörte er ein Auto durch die Straße fahren, es hielt; wenige Minuten später trat Mister Stanley in das Zimmer. „Nanu, Junge, du schläfst nicht?“ „Ich habe mich so geängstigt, ich glaubte schon, Sie kämen gar nicht wieder.“ „,Du’ heißt es. Und übrigens – wenn du so ängstlich bist, mußt du bessere Nerven bekommen. Jetzt lege dich auf die andere Seite und schlafe weiter, es wird wahrscheinlich für
längere Zeit das letztemal sein, daß wir in einem anständigen Bett liegen, denn morgen geht es mitten in die Wildnis und zu den wilden Kavirondo-Negern, den einzigen noch wirklich ganz ungezähmten Wilden. Ich glaube sogar, sie fressen noch Menschen und haben es ganz besonders auf vierzehnjährige Jungen abgesehen. Die backen sie knusprig und essen Maisfladen dazu.“ Will machte große, entsetzte Augen. „Ist das wirklich wahr?“ Der Zeitungsmann räkelte sich in seinem Bette und sagte verschmitzt: „Alles, was Mister Stanley sagt, ist wahr, gute Nacht, mein Junge, Schluß für heute.“ Ehe Will noch etwas fragen konnte, hörte er vom anderen Bett her ein kräftiges Schnarchen. *** Mister Bankroft hatte in der Tat allerhand wichtige Gange gehabt. Zunächst war er auf der Polizeistation gewesen, hatte dort seine Papiere und den Ausweis des Kommissars aus Brixtons Valley vorgelegt und dazu seine früheren Ausweise als amerikanischer Detektiv. Darauf hatte man ihm ein neues Papier ausgestellt, in dem stand, daß er der Forscher und Elefantenjäger Henry Stanley sei, der mit seinem Sohne Will Stanley das Land bereiste und die Berechtigung hatte, sechs Löwen und drei Elefanten zu schießen. Da leider von gewissenlosen Sportjägern jahrzehntelang alles Wild in Afrika niedergeknallt wurde und die Gefahr vorlag, daß ganze Tiergattungen, wie es ja schon den amerikanischen Büffeln und den australischen Paradiesvögeln geschah, gänzlich ausgerottet wurden, hatte die englische Regierung das
Gesetz eingeführt, daß jedem Jäger nur der Abschuß einer ganz bestimmten Anzahl von Tieren gestattet wurde. Dann hatte er den Polizeidirektor veranlaßt, weil er selbst nach Möglichkeit im verborgenen bleiben wollte, einen geschickten Detektiv in die Pension der Miß Turner zu schicken, um dort Näheres zu erforschen. Er mußte allerdings über eine Stunde warten, bis der Beamte zurückkam und berichten konnte. „Bis vor zwei Tagen ist ein krankes, junges Mädchen in der Pension gewesen.“ „Krank?“ „Ja, sie hat fast den ganzen Tag über geschlafen und war wohl ungefähr zehn Jahre alt. Miß Turner sagt, ihr Vater hätte sie bei ihr gelassen, weil er eine Reise vorhatte, und vor zwei Tagen holte er sie plötzlich wieder ab. Wo sie hingereist sind, will Miß Turner nicht wissen, und sie sagte, das Mädchen hätte Mabel Hartman geheißen.“ Bankroft-Stanley nickte verstehend. Den Namen Mabel Hartman hatte Walker natürlich gewählt, um abermals den Verdacht auf Will zu lenken. „Was ist denn diese Miß Turner für eine Person?“ Der Detektiv zuckte die Achseln. „Eine sehr kluge Frau, die jedenfalls alles mögliche auf dem Gewissen hat, sich aber niemals erwischen läßt.“ „Es ist also anzunehmen, daß sie mit den Halunken unter einer Decke steckt?“ „Sehr leicht möglich, aber wir können durchaus nichts gegen sie tun.“ „Haben Sie ihr etwas gesagt, aus dem sie auf meine Absichten schließen könnte?“ „Ich habe gar nichts gesagt, habe getan, als wolle ich ein Zimmer mieten, und nur so ganz nebenbei nach dem Kinde gefragt.“
„Von den beiden Strolchen haben Sie keine Spur bemerkt.“ „Leider nicht.“ *** Als Will Hartman, allerdings schon am hellen Tage, erwachte, sah er den Zeitungsmann bereits angezogen am Tisch sitzen und eifrig eine Landkarte studieren. „Guten Morgen, mein Sohn, raus aus den Federn, da nebenan ist das Bad, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“ Sehr bald stand Will, frisch gewaschen und sauber angezogen, neben seinem neuen „Vater“. „Sieh einmal her, der Fluß da ist der Krokodilfluß, wir haben drei Stunden mit dem Auto zu fahren, dann kommen wir an eine Niederlassung, in der wir hoffentlich ein Boot auftreiben. Da – mitten in der Wildnis, da liegt Umu Beni. Da wetzen sie schon den Bratspieß, um einen gewissen Jungen zu braten.“ Will lachte ihm ins Gesicht. „Unsinn, erwachsene große Männer schmecken viel besser, da ist viel mehr dran.“ „Bengel, du machst dich.“ An den Fenstern des Hotels sah man lachende Gesichter, als die beiden Elefantenjäger, Vater und Sohn, jeder den mächtigen Schießprügel über der Schulter und höchst abenteuerlich ausschauend, im Auto die Straße entlang und aus der Stadt Pretoria hinausfuhren.
7
Die Fahrt im Auto war schließlich auch nicht viel anders als der Weg von Kimberley nach Brixtons Valley, aber nur, daß hier mehr der afrikanische Busch an die Stelle der Wüstensteppe trat. Ganz anders sah er aus, etwa wie die Urwälder in Südamerika, eigentlich wie ein ganz gewaltiger englischer Park, in dem die Baumgruppen mit mächtigen, saftiggrünen Grasflächen abwechselten. Dann kamen sie an den Krokodilfluß und zu der Siedlung, von der Mister Bankroft gesprochen hatte. Das war allerdings schon ein anderes Bild. Wieder ein paar Wellblechhäuser und ringsherum ein Haufe runder Eingeborenenhütten. Sogar ein feister, wohlgenährter Missionar trat ihnen entgegen und ein indischer Händler. Während Will sich das bunte Leben am Ufer beschaute, verhandelte der Zeitungsmann mit dem Inder; und am nächsten Morgen, als eben die Sonne aufging, saßen die beiden „Elefantenjäger“ in einem großen, uralten Motorboot, mit dem der Inder den Strom befuhr, und glitten auf das Wasser hinaus. Der alte Kasten war bis zum Äußersten mit Warenballen aller Art beladen, und auf diesen hockten Eingeborene. Das waren allerdings schon andere Kerle als die Kaffern, die auf den Diamantenfeldern arbeiteten und alles taten, um möglichst europäisch auszusehen. Sie waren bis auf einen Lendenschurz ganz nackt, nur bisweilen hatte einer eine bunte Wolldecke umgeschlagen. Ihre Gesichter waren zum Teil tätowiert, ihre Ohrläppchen durchlöchert und diese Löcher so weit ausgedehnt, daß die
Kerle die unglaublichsten Dinge in ihnen mit sich herumtrugen. Bisweilen sogar einen dicken Pflock, der von Ohrläppchen zu Ohrläppchen hinter dem Kopf getragen wurde und dem Wilden etwas Grotesk-Unheimliches gab.
Am Abend des dritten Tages erreichten sie eine kleine Hütte in einer einsamen Bucht. Die Fahrt war durchaus nicht harmlos, denn stündlich tauchten zu beiden Seiten des Motorbootes riesige viereckige Köpfe gewaltiger Flußpferde auf, glotzten das Motorboot mit dummen Augen an, aber verschwanden wieder prustend in der Tiefe des Wassers. Bankroft-Stanley und Will waren die einzigen, die in der kleinen Bucht ausstiegen; und rasch schoß das Boot wieder in den Strom hinaus, um vor Nacht noch die nächste größere Station zu erreichen. Will war voller Erregung. Dort, in jener Hütte, sollte Mabel sein? In der Tür der Hütte stand ein riesiger Kerl. Auch er war bis auf den Lendenschurz nackt und trug große hölzerne Platten in den weit herabhängenden Ohrläppchen. In der Hand hielt er ein Gewehr, und sein Gesicht, über dem sich ein graugesprenkelter Wollschopf wölbte, in dem allerhand riesige Vogelfedern steckten, war häßlich und hatte einen grausamen Zug. Mit lauernden Blicken sah er den beiden Ankömmlingen entgegen und schien diese abzutaxieren. Will zweifelte keinen Augenblick, daß dieser der Kerl war, der mit den Räubern unter einer Decke steckte und auf den Europäer wartete, der ihm das Geld bringen sollte.
Zum Glück hatte Bankroft-Stanley, ehe er seine Tätigkeit in Kimberley antrat, weite Reisen in der Wildnis gemacht und verstand einige Worte der Eingeborenensprachen. Er trat an den Wilden heran. „Erlaubst du uns, unser Zelt“ – ein solches hatten sie natürlich mitgebracht – „neben deiner Hütte aufzustellen?“ „Auch habe ich dir einen Gruß zu bestellen, wenn du der Häuptling Upesi tust?“ Ein Leuchten huschte über das Gesicht des Wilden. „Einen Gruß von dem weißen Manne, der im vorigen Jahre mit dir zusammen die Löwen gejagt hat. Er sagte mir, du seiest ein großer Jäger.“ „Upesi hat sehr viele Simbo getötet.“ „Ich bin in das Land gekommen, um Löwen und Elefanten zu jagen. Willst du mein Führer sein, ich bezahle gut.“ Das freudige Aufblitzen seiner Augen war längst wieder aus dem Gesicht verschwunden, und der Wilde zuckte die Achseln. „Upesi ist alt und muß am Flusse bleiben, um auf die Schiffe zu warten. Hier sind keine Löwen. Willst du sie finden, dann mußt du nordwärts zwei Tage reisen, durch den Wald. Dort findest du Löwen und findest auch tapfere Männer, die dir helfen, sie zu erjagen.“ Die beiden fühlten wohl, daß der Eingeborene ihre allzu neue Ausrüstung etwas verächtlich ansah. „Ich werde einige Tage hier ruhen, und dann wirst du uns auf den richtigen Weg bringen.“ „Geht morgen, es ist die Zeit, in der der Löwe sich in die Berge zurückzieht. Jede Stunde ist kostbar.“ Es war ganz klar, daß der Mann überzeugt war, daß diese beiden nichts mit dem Gelde zu tun hatten und daß er sie möglichst schnell wieder fort haben wollte. Bankroft nickte. „Du wirst recht haben, und morgen früh brechen wir auf.“
Der Zeitungsmann begann das Zelt aufzuschlagen und flüsterte Will dabei in englischer Sprache zu: „Wir müssen sehr vorsichtig sein, der Kerl beobachtet uns und darf keinen Argwohn schöpfen. Ich werde in den Busch gehen und sehen, irgendein Wild zu schießen. Du bleibst hier und versuchst, wenn irgend möglich, einen Blick in die Hütte zu werfen.“ „Ob Mabel wirklich hier ist?“ „In der Hütte sicher nicht, aber vielleicht findest du irgendeine Spur.“ Der Wilde saß unbeweglich neben dem Eingang seines Hauses, rauchte und ließ keinen Blick von den beiden. Das Zelt war aufgestellt, und auf Bankrofts Weisung hatte sich Will der Länge nach auf den Rücken gelegt, als sei er müde und wolle ruhen. „Ich möchte irgend etwas zur Mahlzeit schießen. Zeige mir den Weg in den Busch; du kannst mir auch gleich die Richtung sagen, in der wir morgen früh aufbrechen sollen.“ Dabei ließ Bankroft ein Pfundstück in die Hand des Wilden gleiten, das dieser selbstverständlich recht gut kannte und sofort in einem Beutel, den er in sein Ohrläppchen gehängt hatte, verschwinden ließ. Er warf einen schnellen Blick auf den ruhig daliegenden Will und nickte. „Upesi wird dir den Wechsel der Antilopen zeigen.“ Die beiden Männer gingen miteinander in den Wald, und Will richtete sich auf. Sein Herz klopfte sehr stark, dann sprang er auf, sah sich noch einmal um und schlenderte dann, immer in der Erwartung, daß ihn jemand beobachten könne, bis an den Eingang der Hütte. Wieder ein Umblicken, dann bückte er sich und schlüpfte durch das niedere Türloch hinein. „Mabel – Mabel, bist du hier?“ Er rief leise, aber es kam keine Antwort, und allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel.
Es war eine richtige, kreisrunde, aus Baumzweigen geflochtene Hütte. Eine Hängematte hing zwischen zwei Pfosten, ein altes Grammophon stand auf dem Boden. Speere, Fangnetze hingen an der Wand, auf einem rohen Brett standen allerhand plumpe Gefäße. Es war ein Konglomerat von europäischen und selbstgefertigten Dingen. Neugierig nahm Will die Waffen in seine Hand. Dann aber erschrak er bis in das innerste Mark. An einem Nagel hing an einer schmalen goldenen Kette ein kleines Kreuz. Will riß es eilig herab: „Das ist ja das Kreuz, das die kleine Mabel immer um ihren Hals trägt?“ Unwillkürlich flüsterten seine Lippen diese Worte. Er trat an die Öffnung der Tür und betrachtete die Rückseite des Kreuzes. Ein M und ein B waren eingraviert und darunter eine Jahreszahl. Jetzt aber hörte er Schritte; mit einem raschen Sprung war er wieder an der Wand, hing das Kreuz an den Nagel zurück, ergriff dafür einen Speer und trat ins Freie. Jetzt war der Wilde schon an der Hütte. Er schrie ihn an, hatte rollende Augen, ein Messer in seiner Hand. Will begriff selbst nicht, woher er in diesem Augenblick die Geistesgegenwart nahm, er zeigte auf den Speer und auf sich, wiegte ihn in seiner Hand, als wolle er werfen, und zwang sich, zu dem Wilden hinüberzulächeln. Upesi stand mit funkelnden Augen da, dann aber grinste er, lachte auch und winkte ihm zu, als wolle er ihm den Speer schenken. Will verstand. Upesi hatte gefürchtet, daß Will das Kreuz gesehen hätte, und wollte jetzt seinen Wutausbruch vergessen lassen.
Will warf einige Male den Speer, lachte und brachte ihn dann dem Wilden zurück. Nicht weit entfernt fiel ein Schuß, und bald darauf kam Bankroft zurück und trug eine kleine Antilope auf seiner Schulter. Während der Wilde, jetzt anscheinend vollständig beruhigt, das Tier aufbrach, ein Feuer anfachte und einige große Fleischstücke briet, hatten die beiden Europäer jetzt Gelegenheit, ein paar Worte miteinander zu sprechen. „Mabel ist hier.“ „Hast du etwas gefunden?“ „Das Kreuz, das sie immer um den Hals trug!“ „Wir müssen sehr vorsichtig sein; wer weiß, ob die Räuber nicht ganz in der Nähe sind.“ Es sah anscheinend ganz gemütlich aus, als sie dann alle drei vor dem Feuer saßen und den Antilopenbraten verzehrten, zu dem Bankroft ein weißes Brot aus seinem Rucksack langte und dem jetzt anscheinend völlig beruhigten Wilden ein Glas Whisky einschenkte, das dieser gierig austrank. Dann stand der Engländer auf. „Wir sind müde und wollen schlafen. Wenn die Sonne aufgeht, dann wecke uns, denn wir wollen uns früh auf den Weg machen.“ Sie krochen unter das Zelt; aber selbstverständlich schliefen sie nicht Will war zum ersten Male so recht in der afrikanischen Wildnis. Im Strome brüllten die Flußpferde, bisweilen erklang das heisere Bellen herumschweifender Hyänen, manchmal aber auch in der Ferne das dumpfe Gebrüll eines Löwen, das den Wilden Lügen strafte, der behauptete, es seien keine großen Wildkatzen in der Nähe des Flusses. Will war endlich doch eingeschlafen, als Bankroft ihn weckte und ihm zuraunte: „Sieh vorsichtig nach der Hütte hinüber.“
Dort glimmte noch immer das Feuer, und an ihm lagen jetzt – der Wilde und ein Weißer, dessen Gesicht gerade von dem Flackerschein der Holzscheite beleuchtet wurde. „Erkennst du den Mann?“ Wills Zähne schlugen vor Erregung aufeinander. „Das ist Jim Walker, derselbe Kerl, der mich damals von meinem Claim fortjagen wollte.“ „Um Himmels willen, bleibe ganz still, sie sehen auf, vielleicht kommen sie hierher, wir müssen uns schlafend stellen; hast du für alle Fälle den Revolver bereit?“ „Alles bereit.“ Die nächsten Minuten waren eine Qual für den Jungen, der sich schlafend stellen sollte und dessen Nerven angespannt waren. Sehr bald hörten sie flüsternde Stimmen ganz in ihrer Nähe. Will, der mit seinem Gesicht nach unten lag, glaubte zu fühlen, daß sich ein Mensch ganz dicht über ihn beugte; aber da Bankroft ruhig liegenblieb, zwang er sich, dasselbe zu tun. Nach einer qualvollen Pause flüsterte Bankroft: „Die beiden sind weg, sind in den Wald gegangen.“ „Was haben sie nur gesprochen?“ „Ich konnte einige Worte verstehen. Der Schuft hat sich durch unsere gefärbten Haare täuschen lassen und hält uns wirklich für harmlose Jäger. Er hat dem Wilden gesagt, er solle uns so bald als möglich fortschaffen, in dem Busch würden die Löwen schon das übrige tun.“ Natürlich war es mit dem Schlaf vorbei; und als die Sonne ganz langsam den Himmel rötete und Upesi mit harmlosgemütlichem Lächeln aus der Hütte trat und zu ihnen herüberkam, waren sie bereits dabei, das leichte Zelt auseinanderzunehmen. „Wir wollen so schnell wie möglich aufbrechen, mir ist, als hätte ich in dieser Nacht den Simbo brüllen hören, und ich brenne vor Jagdlust.“
„Hast du den Schein?“ Upesi schien doch nicht ganz dumm zu sein, denn er starrte sorgfältig in das Papier und buchstabierte langsam den Namen Stanley. Sie aßen wieder von dem Fleisch, der Engländer drückte Upesi noch ein Geldstück in die Hand; dann schulterten sie die Rucksäcke und die Gewehre und gingen mit raschen Schritten in der Richtung, die der Wilde ihnen angegeben hatte. „Wir müssen mindestens eine Stunde geradeaus gehen, wir können nicht wissen, ob man uns nicht beobachtet.“ Nach einiger Zeit huschte eine Zwergantilope über den Weg. Bankroft riß das Gewehr an die Wange und schoß. „Warum das jetzt?“ fragte Will. „Wir müssen Fleisch haben, denn später dürfen wir nicht mehr schießen.“ Nachdem sie eine Stunde gegangen waren, jetzt allerdings langsamer, denn jeder von ihnen trug eine der Antilopenkeulen, während sie den Rest den Hyänen überließen, blieb Bankroft plötzlich stehen. Vor ihnen war ein breiter Bach, und der Wilde hatte ihnen gesagt, daß sie diesen durchschreiten müßten. Aber an der Stelle, wo sie standen, war harter Steinboden, auf dem sich keine Spuren abzeichneten wie in dem hohen Grase, durch das sie bisher gegangen waren. Bankroft bog ab, ging einige Schritte seitwärts und sah sich suchend um. „Wir haben Glück, da ist ein großer Baum umgestürzt und hat eine Art Höhle in den Boden gerissen. Ich habe folgenden Plan: Wir werden jetzt über den Fluß gehen, drüben ein Feuer anmachen mit möglichst starkem Qualm und unser Fleisch braten. Unsere Rucksäcke lassen wir inzwischen gleich hier in der Höhle. Dann sehen wir zu, ein Stück weiterzugehen,
irgendwo, an einer günstigen Stelle einen Haken zu schlagen, den Fluß unbemerkt wieder zu überschreiten und zu dieser Höhle zurückzukehren. Der Weg, auf dem wir kommen, ist anscheinend der einzige Pfad, der hier durch den Busch führt. Wir müssen hier in der nächsten Nacht bleiben und aufpassen, ob Jim Walker nicht wieder zu dem Wilden geht. Ich halte das für sehr wahrscheinlich, denn er wird sich erkundigen wollen, ob wir fort sind. Ist er vorüber, müssen wir versuchen, ob wir in der hellen Mondnacht seine Spuren erkennen können, die uns dann vielleicht zu dem Versteck führen, in dem sie das arme Mädchen verborgen haben.“ Sie warfen ihre Rucksäcke in die Erdhöhle, eilten wieder zu dem Flusse zurück und gingen dann, laut über gleichgültige Dinge sprechend, über die Furt des Baches und entzündeten drüben ein mächtiges Feuer, an dem sie die beiden Antilopenkeulen brieten. Dann hingen sie das Fleisch wieder über ihre Schultern, ohne darauf zu achten, daß die schönen Anzüge fettig wurden, und wanderten weiter. Bald kam wieder ein steiniges Stück, sie krochen unter einem Busch hindurch, der seine Zweige wieder hinter ihnen schloß, krochen auf allen vieren ein gutes Stück am Bache entlang empor und sahen dann einen großen Baum, der quer über das Wasser gestürzt war und von dem gedeckt sie das andere Ufer wieder erreichen konnten, ohne daß man sie vom Wege aus hätte sehen können. Von den Dornen des Gestrüpps arg zerschunden, kamen sie wieder an die Höhle und fanden ihre Rucksäcke unberührt vor. Es wurde jetzt allerdings ein recht langweiliger Tag, denn sie mußten ihn tatenlos in dieser Höhle verbringen. Wenn es in den Zweigen raschelte, wenn ein Vogel aufflog oder ein Kaninchen aus seinem Bau huschte, schraken sie unwillkürlich zusammen und griffen nach ihren Gewehren. In jedem
Augenblick glaubten sie das Gesicht des Wilden oder das Jim Walkers vor sich zu sehen. Sie saßen beieinander, jeder von ihnen hatte den geladenen Revolver im Gürtel und auch die stets schußbereite Flinte griffbereit zur Hand. Sobald die Sonne untergegangen war, begann die Tierwelt wach zu werden. Andauernd raschelte es um sie herum, der Weg, auf dem sie gekommen, war natürlich auch der Wechsel, den die Tiere benutzten, um zum Bach zur Tränke zu gelangen. Zuerst kamen Antilopen. Der Bock blieb sichernd stehen, während die weiblichen Tiere tranken. Dann kamen Warzenschweine, ein paar Zebras, bis der Schwarm auseinanderstob, denn in der Ferne ertönte schon wieder das heisere Gebell der Hyänen. „Es wird unmöglich sein, die ganze Nacht ohne Feuer zu sein.“ „Aber das Feuer verrät uns den Menschen.“ „Löwen werden sich schon nicht so dicht heranwagen; aber wenn Hyänen im allgemeinen auch feige Aasfresser sind, so können sie doch in Rudeln auch Menschen angreifen. Es ist gut, daß wir auf alle Fälle Holz zusammen haben.“ Sie warteten wieder eine Stunde, und das Gebell der Tiere wurde immer lauter. „Das geht nicht so weiter, ich werde einfach bis zum Fluß hinuntergehen, um auszuspähen. Ist der Mensch jetzt noch nicht zu sehen, dann kommt er diese Nacht nicht mehr; mitten unter die wilden Tiere traut er sich sicher nicht. Bleibe du hier, aber schieße nach Möglichkeit nicht, ich bin in wenigen Minuten wieder zurück.“ Bankroft nahm sein Gewehr, und Will sah, wie er in geduckten Sprüngen zum Weg huschte und in der Gegend des Baches verschwand.
Die Minuten wurden zu Ewigkeiten, denn das Gebell der Hyänen kam immer näher, einmal glaubte er bereits ein paar grüne Katzenaugen dicht vor sich zu sehen und riß das Gewehr in die Höhe. Dann meinte Will, sein Blut solle erstarren, denn ganz in der Nähe wurde das Gebrüll eines Löwen laut. Es überlief ihn eiskalt, es hatte geklungen, als sei der König der Tiere nur wenige Schritte von ihm entfernt. Stand er jetzt vielleicht schon sprungbereit Bankroft gegenüber? – Wenn die Bestie den Engländer zerriß? – Sorge um diesen Mann, der ihm sein väterlicher Freund war, und gleichzeitig furchtbare Angst um sein eigenes Schicksal überfielen ihn. Blitzschnell arbeiteten in dieser Sekunde seine Gedanken. Er, ganz allein, ohne die Sprache der Wilden zu kennen, mitten im afrikanischen Busch? Will hatte keine Zeit, seine Gedanken weiterzuspinnen. Zum zweiten Male ertönte das Brüllen des Löwen, und zwar schon bedeutend näher, und gleichzeitig ein gellender Schrei aus menschlicher Kehle. Wills Hände zitterten über dem Griff des Gewehres. Bankroft war unter den Krallen des Löwen! Dann kam ein Mensch in großen Sprüngen heran, auf den Hügel hinauf, dort sah er sich um. Bankroft wollte die Höhle gewinnen – nein, es war nicht Bankroft – es war Jim Walker, er war vom Flusse heraufgekommen, also schon auf dem Rückweg. Er stand aufrecht da, hatte das Gewehr an der Schulter, der Mond fiel auf sein Gesicht, und es sah jetzt in der Spannung größter und höchster Gefahr noch viel grausamer aus. Hatte Bankroft etwa Jim Walker gesehen?
Will war hinter dem Verbrecher und konnte, den Kopf etwas über die Höhle erhoben, alles sehen. Wenn Walker jetzt den Engländer erschoß? – Sollte er nicht lieber selbst mit seinem eigenen Gewehr den Schuft wehrlos machen? – Aber seine Hand zuckte vom Abzugsbügel zurück, er fühlte, daß er nicht imstande war, auf einen Menschen zu schießen, und war es auch ein Räuber und Mörder. Dann aber sah Will etwas ganz anderes. Seine Blicke folgten nämlich den Augen Walkers, und nun erkannte er auf dem Wege, zum Sprunge geduckt, einen mächtigen Löwen. Im Widerschein des Mondes leuchteten die großen grünen Katzenaugen, eine mächtige schwarze Mähne umgab das gewaltige Haupt des wahrhaft königlichen Tieres, das ihm als die verkörperte Kraft der Natur erschien. Will nahm sein Gewehr und fühlte, daß er in diesem Augenblick seltsamerweise ganz ruhig war. Gleich kam der Kampf, und wenn Walker den Löwen verfehlte… Was jetzt geschah, war das Werk einer einzigen Sekunde. Walker schoß; aber in demselben Augenblick flog etwas Gewaltiges durch die Luft. Ein gellender Schrei, dann war der Löwe dem Verbrecher auf die Brust gesprungen und hatte ihn niedergerissen. Will standen vor Grausen die Haare zu Berge. Walker lag ausgestreckt auf dem Rücken. Entsetzte, in grauenvoller Todesangst weit aufgerissene Augen starrten zu dem Löwen empor. Das Tier hatte die linke Vorderpranke auf die Brust seines Opfers gesetzt, die Rechte mit weit ausgestreckten Krallen hatte es emporgehoben, der wütende Blick seiner Augen schaute auf den wehrlosen Menschen herab, und die Bestie brüllte laut auf. Wills Hirn durchschoß blitzschnell ein Gedanke.
In diesem Augenblick dachte er nicht mehr daran, daß jener da ein Verbrecher war, er war ein Mensch und ein Raubtier wollte ihn zerfleischen. Will war nur wenige Meter von der Gruppe entfernt, der Löwe war so mit seinem Opfer beschäftigt, daß er den Jungen nicht bemerkte. Jetzt machte er eine Wendung, vielleicht kam Bankroft, und der Löwe äugte nach ihm hinüber. Aber nun war das Blatt, die empfindlichste Stelle des Raubtieres, Will zugewendet; er dachte kaum nach, hob blitzschnell das Gewehr, war in diesem Augenblick so ruhig, als gelte es, nach einer Scheibe zu schießen. Ein Knall gellte auf, die Kugel des schweren Gewehres schlug ein, ein kurzes Zucken ging durch den Körper des mächtigen Tieres, dann brach es tot zusammen. „He, holla, Junge!“ Mister Bankroft kam in großen Sprüngen herbei, sah sehr bleich aus und hatte Blut an der linken Hand. „Junge, bist du heil?“ Will konnte nicht antworten, aber er sprang aus der Höhle. „Donnerwetter, du hast den Löwen erschossen!“ Jetzt endlich erst vermochte Will, allerdings etwas krampfhaft, zu sprechen. „Das war kein Kunststück, er war ja nur wenige Schritte vor mir.“ „Da liegt ja ein Mensch?“ „Jim Walker, er kam vom Fluß herauf und wurde von dem Löwen niedergerissen, nachdem sein Schuß gefehlt hatte.“ „Teufel, und ich sah es vom Ufer aus, und dann verbiß sich ein verdammter Marder in meine linke Hand, so daß ich nicht schnell herankommen konnte, als ich das Gebrüll des Löwen und die Schüsse hörte.“ Er stieß mit dem Gewehrkolben an den Körper des Löwen.
„Er ist tot, wir müssen versuchen, ihn von dem Körper des unglücklichen Menschen fortzuwälzen, und wollen sehen, ob der Mann noch lebt.“ Will und Bankroft mit seiner unverletzten Hand zerrten den Körper des Tieres zur Seite, dann kniete der Engländer nieder. „Er ist tot, schon der erste Tatzenhieb des Löwen hat ihm die Brust zerrissen. Er hat seine Strafe gefunden, ohne daß wir ihn den Gerichten überlieferten.“ Einen Augenblick standen beide in stummem Grauen vor dem toten Körper; endlich sagte der Engländer: „Es hilft nichts, wir müssen seine Taschen durchsuchen, vielleicht finden wir wichtige Dinge.“ Aus dem zerrissenen Rock sah eine Brieftasche heraus, die Bankroft durchblätterte. Papiere auf den Namen Jim Walker, unverständliche Notizen, anscheinend in einer Geheimschrift, dann ein kleines Päckchen. „Das ist der zweite Diamant, der ganz große.“ Nachdenklich wog Bankroft das Päckchen in der Hand. „Adamas, wie die Griechen den Diamanten nannten, heißt ,der Unzerstörbare’. Man sollte ihn lieber ,den Zerstörerischen’ nennen. Wieviel Menschenleben sind seinetwegen schon geopfert worden, wie viele Menschen sind durch ihn zu Verbrechern geworden. Auch diesem Mann hier hat er kein Glück gebracht.“ In der Ferne erklang das Brüllen eines Löwen. „Wir müssen ein Feuer anzünden“, sagte Bankroft. „Jetzt brauchen wir uns vor Jim Walker nicht mehr zu verbergen.“ Bald loderte ein helles Feuer auf. Plötzlich fuhr Will hoch. In unmittelbarer Nähe ertönte ein gellendes Gelächter. Bankroft zog einen brennenden Zweig aus dem Feuer und lief damit auf die Stelle zu, von der aus das Gelächter ertönt war.
Will sah, wie eine grau-schwarz gemusterte Hyäne die Flucht ergriff. Es war ein gräßlicher Anblick, dieses nur noch aus Knochen und Fell bestehende Tier mit den bösartig entblößten Fängen in unmittelbarer Nähe der Leiche Walkers zu sehen. „Ihr Gebell klingt wie das höhnische Gelächter eines Menschen“, erklärte Bankroft, als er zurückkehrte. Er warf noch einige Zweige in das Lagerfeuer. Dann fiel sein Blick auf den toten Walker: „Er war zwar ein Verbrecher, aber wir dürfen trotzdem seinen Körper nicht schutzlos den wilden Tieren preisgeben.“ Ein Grab konnten sie nicht schaufeln, aber sie schleppten möglichst große und schwere Steine herbei und türmten sie über dem Körper des Toten, um den Hyänen den Zugang zu wehren. „Was wird mit dem Löwen? Wollen wir ihn abhäuten? Willst du sein Fell als Jagdbeute mitnehmen?“ fragte Bankroft. Will schüttelte entsetzt den Kopf. „Ich mag das Fell nicht, es würde mich mein ganzes Leben hindurch an den furchtbaren Anblick des sterbenden Mannes erinnern.“ „Dann wollen wir ihn wenigstens beiseite schleifen.“ Es war eine anstrengende Arbeit. Danach hockten sie beide in gedrückter Stimmung neben dem Feuer, in das sie immer wieder trockenes Holz warfen, damit die Flammen hoch emporschlugen. Beide empfanden sie ihren Lagerplatz als nicht eben angenehm. Sie wußten den auf so gräßliche Art und Weise ums Leben gekommenen Walker dicht neben sich. Sie konnten nicht verhindern, daß sich die Hyänen mit wüstem Gekläff um den Kadaver des toten Löwen balgten, den sie in nicht allzu weiter Entfernung von ihrem Lagerplatz liegengelassen hatten.
Aber es war zu spät und auch zu umständlich, nun noch auf die Suche nach einem neuen Lagerplatz zu gehen. „Sie sagten vorhin, daß die alten Griechen den Diamanten ,Adamas’ genannt haben“, wandte sich Will nach einiger Zeit an Bankroft. Er mußte mit seinem Begleiter über irgend etwas sprechen. Das nur von dem Knistern des Feuers und dem Bellen der Hyänen unterbrochene Schweigen der Nacht zerrte an seinen Nerven. Bankroft nickte auf seine Frage: „Adamas, der Unzerstörbare. Aus diesem Wort hat sich die heutige Bezeichnung ,Diamant’ entwickelt. Schon die alten Griechen wußten den Wert dieses Edelsteines zu schätzen. Woher sie ihn kannten, wie er in ihren Besitz kam, ist nicht mehr festzustellen. Wahrscheinlich waren es indische Diamanten, die auf dem Umweg über Kleinasien zu den Griechen gelangten. Irgendeiner ihrer Geschichtsschreiber schrieb zu jener Zeit, lange vor der Geburt Christi: ,Den größten Preis unter den menschlichen Dingen hat der Diamant, lange nur den Königen und unter diesen auch nur wenigen bekannt.’ Der Diamant hatte nicht nur seiner außerordentlichen Seltenheit wegen schon damals so großen Wert, sondern weil seine außerordentliche Strahlenbrechung den Griechen als ein göttliches Wunder erschien. Da der Diamant aus nur einem einzigen Grundstoff, dem Kohlenstoff, besteht, reflektiert er die Lichtstrahlen so stark, daß er unter besonderen Verhältnissen fast körperlos erscheint, wie reines Licht. Daß er dazu über eine außergewöhnliche Härte verfügt, über die größte Härte, die irgendein Material auf dieser Welt aufzuweisen hat, bemerkten sie ebenfalls.
Nur eines wußten sie nicht, etwas, was heute jedes Kind in der Schule lernt, nämlich, daß auch hartes Material außergewöhnlich spröde sein kann. Diese Unkenntnis kostete fünfzehn Männern das Leben. Es waren die ersten geschichtlich bekannten Todesopfer, die der Diamant gefordert hat. Und dies trug sich so zu: Der phrygische König Midas hatte von einem ägyptischen Kaufmann einen kleinen Diamanten im Tausch gegen zehn Barren Gold erhalten. Um seine sagenhafte Härte zu erproben, ließ Midas den Diamanten auf einen Amboß legen und mit einem Hammer einen Schlag darauf vollführen. Infolge eines glücklichen Zufalls zersprang der Diamant tatsächlich nicht. König Midas war glücklich, einen jener sagenhaften Steine zu besitzen. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wurde er ihm jedoch wenig später gestohlen. Midas schickte nun vierzehn tapfere. Männer nach Kleinasien mit dem Auftrag, ihm, koste es, was es wolle, eine Anzahl echter Diamanten zu bringen. Nach mancherlei Abenteuern, die zweien der Männer das Leben kosteten, kehrten die restlichen zurück und brachten ein kleines Säckchen indischer Diamanten mit. Einen der Steine nach dem anderen ließ Midas auf den Amboß legen, ein Diamant nach dem anderen zersprang bei den ersten Hammerschlägen in regellose Stücke. Um ganz sicherzugehen, ließ er die Steine einer zweiten Probe unterziehen. Er ließ sie in – Bocksblut legen, da die Alten unsinnigerweise glaubten, daß der heilige Stein nur durch Bocksblut aufgelöst werden könne. Die zerschlagenen Diamantsplitter lösten sich natürlich nicht auf, als dies geschah. Schließlich wurden die Gesteinssplitter noch einer
dritten und letzten Probe unterworfen: Man warf sie in einen Ofen und brachte diesen auf höchste Temperatur. Da der Diamant aus Kohlenstoff besteht, verbrennt er bei sehr starker Hitze, ohne irgendeinen Rückstand zurückzulassen. Die alten Griechen glaubten umgekehrt, daß er feuerfest sei. Als nun das, was von den kostbaren Steinen noch übriggeblieben war, restlos im Ofen verbrannte, glaubte Midas alles getan zu haben, um sich von der Unechtheit der Steine überzeugt zu haben. Er ließ in seinem Zorn die zwölf tapferen Männer, die alles gewagt hatten, um für ihn diesen Schatz zu erwerben, hinrichten. So hatten vierzehn Männer des Diamanten wegen ihr Leben lassen müssen. Der Dieb, der dem König den ersten Diamanten gestohlen hatte, war der fünfzehnte. Er wurde vom Blitz erschlagen. Bei seiner Leiche fand man den Diamanten. Von jener Zeit an spinnen sich um den Diamanten die unheimlichsten Legenden, die immer darauf hinauslaufen, daß besonders wertvolle Steine ihren Besitzern Unglück bringen. Bis in unsere Zeit hinein gibt es solche Geschichten; und oft scheinen die Tatsachen diesem Aberglauben recht zu geben. Es ist natürlich unsinnig anzunehmen, daß dem Diamanten eine unheilbringende Kraft innewohnt. Das Unheil kommt vom Menschen, der in seiner Gier nach diesem kostbarsten aller Steine vor keiner Übeltat zurückschreckt. Ein Beispiel dafür, wie durch Zufall und die Schlechtigkeit der Menschen ein Stein tatsächlich laufend seinen Besitzern Unglück brachte, ist der berühmte Diamant ,Regent’ oder ,Pitt’, wie er auch genannt wird.
Dieser außergewöhnlich wertvolle Stein hat das bedeutende Gewicht von hundertundsiebenunddreißig Karat. In einer ostindischen Diamantengrube fand ihn um 1700 ein Sklave, der sich, um ihn unbemerkt mitnehmen zu können, mit dem Messer eine tiefe Wunde am Oberschenkel beibrachte und den Stein in der Wunde versteckte. Er bekam eine Blutvergiftung und starb. Der Sklave, mit dem er die Hütte teilte und der ihn gepflegt hatte, nahm den Stein an sich. Er teilte einem holländischen Matrosen sein Geheimnis mit und versprach ihm den Stein, wenn ihm der Matrose dafür die Freiheit verschaffe. Er war aber in schlimme Hände gefallen. Der Matrose nahm den Sklaven mit auf sein Schiff, ließ sich den Diamanten geben und ertränkte daraufhin den Sklaven. Der Matrose verkaufte den Stein an den damaligen Gouverneur des Forts St. George, einen Mann namens Pitt. Der Matrose erhielt tausend Pfund Sterling. Das Diamantengeld brachte ihm jedoch kein Glück. Er lebte kurze Zeit auf großem Fuß und war verzweifelt, als er plötzlich wieder arm war. Er erhängte sich. Pitt verkaufte den Stein in Frankreich an den Herzog von Orleans, der kurz darauf vergiftet wurde. Der ,Pitt’ ging in den Besitz Ludwigs XV. über. Während der Französischen Revolution wurde der Diamant bei der Plünderung der Tuilerien geraubt. Um seinen Besitz entspann sich unter den Räubern ein so heftiger Kampf, daß einige davon ihr Leben lassen mußten. Er verschwand dann spurlos, und erst sehr viel später erhielt der damalige Polizeiminister von Paris einen anonymen Brief, der das Versteck des Steines in den Champs-Elysees angab. Der unbekannte Schreiber erklärte sich als rechtmäßigen
Besitzer, jedoch wolle er den Diamanten dem Staat schenken, da zuviel Blut an dem Stein klebe. Tatsächlich wurde der ,Pitt’ oder ,Regent’, wie man ihn nach dem Herzog von Orleans nun nannte, in dem angegebenen Versteck gefunden. Er ging darauf in den Besitz Napoleons über, der ihn kurz vor der Schlacht bei Waterloo in seinen Degen einsetzen ließ. Doch auch ihm brachte der Stein kein Glück, denn in Waterloo erlebte Napoleon bekanntlich die größte Niederlage, die man sich denken kann. Im Jahre 1855 wurde der ,Regent’ auf der großen Pariser Weltausstellung gezeigt. Zufälligerweise erlitten während dieser Ausstellung zwei gesunde Menschen im Laufe einer Woche einen Herzschlag, und dies in unmittelbarer Nähe des Diamanten. Natürlich trug dieser Zufall dazu bei, den unheilvollen Ruf des ,Regenten’ noch zu verstärken. Und fast jeder der berühmten hochkarätigen Steine hat eine Geschichte, die nicht nur mit Geld, sondern auch mit Blut geschrieben wurde. Ob es sich nun um den fast zweihundertkarätigen ,Orlower’ handelt, dessen Besitzer, der Schah Nadir, ermordet wurde, oder um den ,Kohinur’, den Berg des Lichts, der in Indien seinen königlichen Besitzern Unglück in ihren Feldzügen brachte und schließlich den Engländern in die Hände fiel, oder ob es der berühmte ,Sancy’ ist, den einer seiner Besitzer, Herr von Sancy, verschluckte, als man ihn wegen dieses Steines erschlug. Natürlich war die Gier nach dem Stein größer als die Achtung vor dem Körper eines Menschen. Man öffnete die Leiche, um in den Besitz des Diamanten zu kommen.“ Will starrte nachdenklich in das Feuer, als Bankroft seine Erzählung beendet hatte. „Auch wir haben nun einem Toten einen Diamanten abgenommen. Ein gräßliches Gefühl.“
Bankroft nickte: „Du hast schon recht. Aber hier liegt die Sache denn doch anders. Jim Walker ist nicht durch unsere Schuld ums Leben gekommen, im Gegenteil, du hast sogar versucht, ihn zu retten, als du den Löwen, wenn auch einige Sekunden zu spät, erlegtest. Außerdem haben wir den Diamanten an uns genommen, um ihn dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzubringen. Und ich glaube, wir dürfen stolz darauf sein, bisher soviel Erfolg gehabt zu haben. Walker wird uns nichts mehr anhaben können, und der Wilde allein wird uns auch nicht mehr gefährlich werden.“ Will zuckte die Achseln: „Natürlich haben Sie recht, Mister Bankroft. Aber was gilt schon ein Diamant, wenn ein hilfloses Kind noch immer in Gefahr ist! Wir müssen Mabel finden!“ Bankroft stimmte Will bei: „Du hast recht, Mabel ist im Augenblick das Wichtigste für uns. Ich frage mich nur, wer uns jetzt den Weg zu ihr zeigen soll, nachdem Jim Walker für immer verstummt ist.“ „Ob der andere Verbrecher bei ihr ist?“ „Möglich, aber ich glaube es nicht, weil Jim den Stein in der Tasche hatte.“ Will erschrak. „Ja, wie sollen wir das Mädchen dann finden?“ Bankroft überlegte einen Augenblick; dann stand er auf. „Uns bleibt ein einziges Mittel. Der Morgen beginnt schon zu dämmern, und es ist am besten, wir eilen so schnell wie möglich zum Ufer und zurück zur Hütte des Wilden. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß er die Schüsse gehört hat, zumal der Wind landeinwärts weht. Da er glauben muß, daß wir weit fort sind, ist es wahrscheinlich, daß wir ihn im Schlaf überraschen und gefangennahmen können. Wenn wir ihm den Stein zeigen und er erfährt, daß Walker tot ist, könnte es
möglich sein, daß er uns das Mädchen ausliefert, wenn wir ihm noch obendrein unseren Whisky und ein paar Pfund geben.“ Sie luden ihre Gewehre wieder und eilten durch den im Morgentau erglänzenden Busch. Nach einer Stunde hatten sie das einsame Haus am Ufer erreicht. „Es ist alles still, er schläft wohl noch. Schnell hinein; wenn er erwacht, die Gewehrläufe auf ihn gerichtet, aber nicht schießen!“ Mit einem Sprung stand jeder an einer Seite der Türöffnung – sie spähten in das Innere – traten ein – die Hängematte war leer, die Waffen verschwunden, nur das kleine goldene Kreuz hing noch an dem Nagel. Bankroft und Will hockten nebeneinander auf einem Steine am Ufer. „Der Halunke hat Lunte gerochen und ist geflohen.“ „Wie finden wir nun die kleine Mabel?“ Auch der Engländer wußte auf diese Frage keine Antwort zu geben.
8
Als Will, der einen Augenblick erschöpft die Augen geschlossen hatte, diese wieder öffnete, sah er zu seinem Schrecken, daß Mister Bankroft hintenübergesunken war und auf seinen Anruf nicht antwortete. Nun bemerkte er auch, daß des Engländers linke Hand von geronnenem Blut bedeckt war. Schlief Bankroft? War er ohnmächtig? Will überlegte. Der Arm oder die Hand war verwundet, Bankroft hatte ihm ja vom dem Marderbiß erzählt, aber jedenfalls über alledem, was in den letzten Stunden auf sie eingestürmt, selbst seine Schmerzen vergessen. Will rannte in die Hütte, die Upesi verlassen hatte, nahm eine der dort stehenden Tonschalen, schöpfte Wasser aus dem Bach, der sich unweit der Hütte in den Strom ergoß, und suchte des Engländers Rock zu öffnen. Dieser erwachte, aber seine Augen glänzten fiebrig, und er sah sich zuerst mit leeren Blicken um; dann nickte er. „Recht, Junge, wir müssen nach meiner Wunde sehen.“ Er litt sichtbar stark, während Will ihm nun den Rock abstreifte und das Hemd vom Arm losweichte. Zwei recht tiefe Bisse waren im Fleisch und der Wundrand stark gerötet. „In meinem Rucksack ist Verbandzeug.“ Mit matter Stimme erklärte Bankroft, wie Will einige Desinfektionspastillen auflösen, die Wunde waschen und verbinden mußte; dann trank Bankroft einen Schluck Whisky. „Wird schon vorübergehen, jetzt ist keine Zeit zum Kranksein. Gib einmal die Tasche des Toten, wir müssen, weil
uns der Bantuhäuptling entsprungen ist, sehen, ob wir nicht doch etwas entziffern können.“ „Damned!“ Als Bankroft die Papiere zu sichten begann, hatte er eine Entdeckung gemacht. Im Morgengrauen hatte er nur einen flüchtigen Blick auf die Ausweise Jim Walkers geworfen; jetzt sah er, daß in dem einen Paß noch ein zweiter lag, der auf den Namen Bob Smith lautete. „Was ist das? Walker hat die Papiere des anderen Mannes auch bei sich?“ Er blätterte das Notizbuch durch. Es war mit Tagesangaben versehen, wenn auch selten etwas eingeschrieben war – aber – „Alle Wetter, Will, sieh hier: Am Achtzehnten ertrank Bob Smith im Krokodilfluß.“ Will schrie verwundert auf. „Dann sind beide tot?“ „Das ist auch die Erklärung dafür, daß Walker den Stein bei sich hatte.“ Einen Augenblick sahen sich beide stumm an, der Engländer vergaß seine Wunde und sagte langsam: „Wo ist Mabel? Dann ist das Kind also ganz allein?“ „Wahrscheinlich hat Walker sie versteckt.“ „Natürlich, und voraussichtlich in der Nähe. Sie ist allein, oder dieser Upesi ist bei ihr.“ „Richtig, der lebt ja.“ „Ruhe, jetzt Ruhe! Dieser Upesi ist ein geriebener Kerl. Er wird wahrscheinlich nach Walker suchen und dann – er soll ja das Lösegeld für das Kind in Empfang nehmen; allerdings hat er den Stein nicht. Aber ich denke, er wird sich hüten, dem Mädchen etwas zu tun, solange er die Aussicht hat, das Geld zu erhalten. Sieh einmal nach, ob du in der Hütte etwas Eßbares findest; mach schnell ein kleines Feuer, wir haben noch Kaffee im Rucksack und etwas Konserven. Es hilft
nichts, wir müssen zunächst essen, uns stärken und dann zusehen, diesen Upesi zu finden, ich will inzwischen ruhen und sehen, ob das Chinin, das ich genommen, das ekelhafte Fieber beseitigt.“ Will machte Feuer, fand allerdings nichts weiter als einen Kochtopf, in dem er den Kaffee kochte, und wärmte die Konservenbüchse. Dann raffte Bankroft sich auf, sie aßen; und es war immer noch früh am Tage, als sie zum Fortgehen fertig waren. „Wo können wir den Bantu suchen?“ „Es gibt nur diesen einen Weg, der Busch ist sonst undurchdringlich.“ „Dann müßte Upesi uns doch begegnet sein.“ „Wer weiß, vielleicht war er mit Walker zusammen gegangen, und hält sich irgendwo in unserer Nähe versteckt – “ Wieder gingen sie denselben Weg und kamen an den Hügel, den sie über Walkers Körper gehäuft hatten. Es bot sich ihnen ein neues Schrecknis. Der Hügel war zerwühlt, anscheinend hatten Menschenhände begonnen, die Steine, die die beiden Europäer über den Toten gehäuft hatten, hinwegzuräumen, und – jetzt lagen auf diesem Hügel die von wilden Tieren zerrissenen Reste – des Bantu Upesi. „Es ist ganz klar. Upesi war in der Nähe, ist wahrscheinlich auf einen Baum geflüchtet, als er den Löwen erblickte. Er wußte wahrscheinlich genau, daß Walker den kostbaren Stein bei sich trug. Ich sehe alles vor mir. Dieser Upesi hat zugesehen in seinem Versteck, konnte aber natürlich nicht alles beobachten. Er hat gewartet, bis wir gegangen, ist dann von seinem Baume herab, die Geldgier war größer als die Vorsicht, er wollte Walker wieder ausgraben, wollte den Stein aus der Brieftasche nehmen und wurde voraussichtlich von der Löwin überrascht. Es ist ja gewöhnlich so, daß die Löwen paarweise auf Raub ausgehen.“
„Dann also – “ „Ist auch Upesi tot.“ „Und Mabel ganz allein.“ Beide erschraken bei dem Gedanken aufs neue. Wie war es möglich, sie zu finden, wenn nun auch Upesi, der letzte, der vielleicht das Versteck kannte, in das sie die Schufte gebracht hatten, auch tot war? „Jedenfalls müssen wir alles versuchen. Upesi hat mir gesagt, wir sollten zwei Tagereisen geradeaus, nach Norden gehen, um auf die Löwen zu stoßen. Daraus geht doch hervor, daß das Versteck sicher in einer anderen Richtung liegt. Außerdem glaube ich auch nicht, daß es allzu weit entfernt ist, weil Walker ja anscheinend täglich zur Küste kam und sicher das Kind nicht allzu lange allein ließ. Wenn es von Tieren zerrissen wurde, konnte er ja das Lösegeld nicht eintauschen.“ Sie schritten den Weg weiter, wateten durch den Bach und sahen immer genau vor sich hin. Spuren waren nicht zu erkennen. Es waren viel zuviel Tiere auf diesem Wege zur Tränke gegangen, als daß sich Menschentritte erhalten hätten. Als sie gegen Mittag eine Stunde rasten mußten, um Bankrofts Wunde wieder an einem Bache zu kühlen und etwas zu essen, allerdings nur ein paar Zwiebäcke aus dem Rucksack, sah Will noch einmal das Buch Walkers durch. „Daß wir diese Geheimschrift nicht zu lesen verstehen!“ „Es sind sicher Worte einer mir unbekannten Eingeborenensprache.“ „Das einzige Wort, das ich lesen kann, ist Melomekong.“ Plötzlich sah Bankroft auf. „Ob das ein Name ist? Vielleicht der eines Stammeshäuptlings?“ ***
Es wurde Abend, sie entzündeten ein Feuer, Will hatte eine kleine Antilope geschossen, das Fleisch roch verlockend, aber die beiden waren recht mutlos. „Es ist Wahnsinn, was wir beginnen. Wie sollen wir, ohne eine Spur zu haben, das Mädchen finden? Hundertmal sind wir wieder über steinige Stellen gekommen, an denen ein Weg abzweigen konnte. Wahrscheinlich sind wir schon lange auf einer ganz falschen Spur.“ Es wurde wieder eine sehr schlimme Nacht. Bankroft schlief unruhig, hatte wieder Chinin genommen, weil das Fieber gestiegen war. Will war todmüde. In der Nähe brüllte ein Löwe auf. Will raffte sich zusammen, auch Bankroft war munter. – Immerhin, wahrscheinlich war es nicht, daß ein Löwe in dieser wildreichen Gegend ein menschliches Lager angriff – aber da – ein menschlicher Schrei! Ein Schrei in Todesnot! Die beiden sprangen auf, ergriffen die Gewehre, freilich, was konnte der Engländer – da sahen sie einen fast nackten, rennenden Menschen, der auf das Feuer zukam – einen Wilden und hinter ihm ein Löwe. „Schieße das Gewehr ab! Nicht auf das Tier, schieße in die Luft!“ Will gehorchte – der Löwe erschrak, stand – dann setzte er in langen Sprüngen davon und verschwand in der Dunkelheit, während der Wilde, der voller Todesangst dem Feuer entgegengeflohen war, an diesem hockte und mit noch jetzt verstörten Augen die beiden Europäer ansah. Er war bis auf einen Schurz nackt, hatte auch keine Waffen bei sich und diese wahrscheinlich auf seiner Flucht von sich geworfen. Bankroft suchte den Mann anzureden, aber er verstand kein Wort, sprach also jedenfalls eine andere Sprache. Zehn
verschiedene Eingeborenendörfer haben ja oft zehn verschiedene Sprachen. Nicht einmal das Kisuaheli, die große Verkehrssprache der Wildnis Afrikas, schien ihm verständlich. Nun war wieder einmal guter Rat teuer. Um den Mann gefügiger und vertrauensvoller zu machen, gab Bankroft ihm den Rest seiner Whiskeyflasche, den jener gierig trank, dann kam Will ein Gedanke, und er sagte in fragendem Ton: „Melomekong?“ Zum ersten Male kam ein Ausdruck des Verstehens in das Gesicht des Wilden, er stand auf, zeigte mit der Hand in die Höhe und sagte mit stolzer Stimme: „Melomekong!“ Bankroft warf dazwischen: „Offenbar ist Melomekong ein Häuptling, und die Handbewegung soll andeuten, daß es ein mächtiger Häuptling ist und daß er unter seinem Schutz steht.“ Er überlegte, dann nahm er einen Revolver in die Hand, zeigte ihn dem Wilden und schoß ihn ab. Der Mann nickte vergnügt. Er kannte die Waffen der Europäer selbstverständlich. Bankroft faßte seinen Arm, deutete auf sich und Will und sagte wieder „Melomekong“, dann deutete er in die Ferne, faßte wieder des Bantu Hand, deutete auf Will und sich selbst: „Melomekong!“ Dann nahm er den Revolver, gab dessen Griff einen Augenblick in die Finger des Wilden, deutete wieder erst auf sich, dann in die Ferne und sagte abermals „Melomekong“. Warum hat nur eine Sprache so viele Worte, wenn im Notfall ein einziges genügt, um sich verständlich zu machen? Der Wilde hatte jede Bewegung verstanden, nickte lebhaft, deutete auf sich; dann nahm er Bankrofts Arm und zeigte in den Wald: „Melomekong!“
„Er hat uns verstanden und wird uns morgen zu dem Häuptling Melomekong führen, jetzt schlafe noch eine Stunde, Will, ich werde wachen.“ Das war freilich leichter gesagt als getan, denn die Anwesenheit des Bantu, der unbeweglich dicht am Feuer saß und eine Zigarre rauchte, die ihm Bankroft gegeben, dieses halbnackten Bantu, dessen unangenehmer Körpergeruch sich stark bemerkbar machte, war nur dazu angetan, das Unheimliche dieses nächtlichen Lagers, um das, bald näher, bald entfernter, die Tiere heulten, noch zu verstärken. Endlich wurde es Morgen, sie aßen die Reste der Antilope. Das heißt, der Engländer und Will jeder ein tüchtiges Stück Fleisch, und der Bantu schlang mit anscheinend unersättlicher Gier das übrige hinunter. „Toll, diese Neger. Wie die Natur sorgt und jedem Menschen das Richtige gibt. Oft hungern sie wochenlang, aber haben sie Fleisch, dann können zwei Mann eine ganze Antilope verzehren. Wahrscheinlich nimmt ihr Magen darauf Rücksicht, daß jedes Fleisch bei der Wärme in wenigen Stunden verdirbt.“ Immerhin hatte an diesem Tage ihr Marsch ein ganz anderes Gesicht. Sie hatten ein Ziel und einen Führer, der sie zu dem Häuptling bringen würde. Freilich, wer dieser Häuptling war, ob er irgend etwas von der kleinen Mabel wußte, wie er sich zu den unerbetenen Gästen stellen würde, das war noch eine große, ungeklärte Frage. „Wir sind immerhin in einem Negerreservat, das völlig selbständig ist und in dem wir auf irgendwelche europäische Hilfe nicht rechnen können. Es kommt alles darauf an, wie die letzten Weißen, in diesem Falle also Jim Walker und Bob Smith, sich mit den Kerlen gestellt haben. Waren sie Freunde, kommt es uns vielleicht zugute, waren sie ihnen feindlich, dann haben auch wir nichts Angenehmes zu erwarten. Junge, ich mache mir Vorwürfe, daß ich dich mitgenommen habe.“
„Ich denke, bis jetzt habe ich mich doch ganz gut gehalten, und Furcht kenne ich auch nicht.“ Gegen Abend sahen sie auf dem Wege, der jetzt etwas breiter wurde, Spuren von Rindermist, und das Gras war völlig zertreten. „Wir scheinen in der Nähe eines Dorfes zu sein.“ Bald kamen sie an eine Lichtung und sahen bei der hereinbrechenden Dunkelheit eine wiesenartige Fläche, in ihr eine ziemliche Anzahl von Krals, die alle zusammen von einem Viereck starker Palisaden umgeben waren, und innerhalb dieser brannten zahlreiche Feuer. „Melomekong!“ sagte der Bantu und zeigte voller Stolz auf das Dorf. Bankroft überlegte. „Teufel, auf das Zusammentreffen mit Negerfürsten war ich nicht vorbereitet, und wir haben nichts, was wir dem großen Häuptling Melomekong als Gastgeschenk geben könnten!“ Inzwischen hatte der Führer den Augenblick benutzt und war in großen Sprüngen davongelaufen, um sehr bald innerhalb der Palisaden zu verschwinden. „Wir müssen zunächst abwarten, was drüben geschieht. Wahrscheinlich wird der Häuptling uns eine Botschaft senden; hoffentlich ist wenigstens ein Dolmetscher dabei, der Kisuaheli versteht.“ Sie brauchten nicht lange zu warten. Es war ersichtlich, daß in dem Dorfe etwas „los“ war. Sonst pflegten in den Abendstunden nur wenige Feuer zu brennen und die Menschen zu ruhen; aber in diesem Dorf wimmelte es geradezu von Schwarzen. Bankroft nahm seinen Feldstecher aus dem Rucksack und beobachtete das Treiben in dem Dorfe. „Es muß irgendein Fest sein, es wird um ein großes Feuer getanzt, das auf dem freien Mittelplatz lodert.“
Jetzt aber kamen aus dem Eingang der Palisadenumzäunung einige Männer heraus. Erst als sie in wilden Tanzsprüngen jetzt näher kamen, konnten Bankroft und Will das Seltsame ihres Aufzuges erkennen. Sie waren fast nackt, hatten ihren Körper aber mit allen möglichen bunten Farben bemalt. Der eine hatte ein kalkweißes Gesicht mit schwarzumränderten Augen, der andere wieder die eine Gesichtshälfte grün, die andere karminrot angestrichen und sich in denselben Farben den ganzen Leib mit Querstrichen bemalt, so daß er aussah, als trüge er einen kunterbunt gemusterten Wollanzug. Der dritte hatte ein blaues Gesicht und weiße Augenränder; dazu waren alle mit Ketten und allen möglichen Metalldingen behängt, die während der Sprünge wie Glöckchen gegeneinanderklangen, hatten die unmöglichsten Gegenstände in den riesenhaft auseinandergezerrten Ohrläppchen. So kamen sie springend und tanzend näher. Die beiden Weißen standen abwartend, die Gewehre in der Hand. Will lachte auf. „Hier ist wohl Maskenball?“ Bankroft warnte eindringlich: „Junge, bleibe ja ernst. Das sind die Zauberer des Stammes, und wahrscheinlich ist irgend etwas los.“ Die Männer tanzten heran und machten mehrere Male mit lautem Geschrei die Runde um die beiden Europäer, während Bankroft ihnen zunickte. Dann blieben sie stehen, und es stellte sich heraus, daß der eine ganz gut Kisuaheli sprach. Es wurde eine kurze Unterredung. „Wer seid ihr?“ „Wir sind Löwenjäger und kommen tageweit durch den Wald, um den großen Häuptling Melomekong zu begrüßen. Wir wollen sechs Ochsen kaufen, um sie euch zu schenken,
und haben auch für den großen Häuptling noch ein Geschenk. Führet uns zu ihm.“ „Ihr werdet den großen Häuptling heute nicht sprechen können.“ „Warum nicht?“ „Weil er beschäftigt ist, sich zu betrinken, und weil er es schon erreicht hat.“ „Ihr feiert ein Fest?“ „Wir haben das Begräbnis des Vaters des Häuptlings begangen.“ „Laßt uns mit euch feiern.“ Mit Absicht hatte Bankroft nichts, weder von Walker noch von dem Mädchen, erwähnt. Erst galt es, die Freundschaft des Häuptlings zu gewinnen. „Führe uns in das Dorf.“ „Wo sind die sechs Ochsen?“ „Ich habe sie nicht, ich will sie ja kaufen von euch.“ „So gib Geld!“ „Was kosten die Ochsen?“ So dumm waren auch diese Neger nicht, daß sie den Wert des englischen Geldes nicht gekannt hätten, und der Dolmetscher nannte einen Preis, für den man sicher hätte zwölf Ochsen kaufen können. „Hier ist das Geld. Ich werde es in die Hände des Häuptlings legen.“ „Tu das nicht, dann werden wir keine Ochsen bekommen.“ „Hier ist das Geld für drei Ochsen, die anderen bezahle ich Melomekong.“ Erfreut strich der rot-grüne Zauberer das Geld ein, prüfte genau und war befriedigt. „Folgt mir, ich führe euch zu dem Häuptling.“ Es war ein seltsamer Aufzug, und Will mußte sich alle Mühe geben, das Lachen zu unterdrücken. Wieder erklangen die
Trommeln, und von den Zauberern umtanzt betraten sie das Dorf. Jetzt allerdings vergaß Will das Lachen. Es wimmelte von Weibern und Männern, die ganze Umgebung mußte zusammengelaufen sein, um das Fest zu begehen, aber – es schien ein recht feuchtes Begräbnis gewesen zu sein. Alle diese Menschen, alle fast nackt, waren betrunken, drängten sich um die Weißen, tanzten in wilden Sprüngen, machten zum Teil recht drohende Gesichter. Mitten im Dorfe war der freie Platz. Dort stand ein riesiger Kübel, und um diesen herum hockten der Häuptling, ein dicker, alter Mann, und seine Freunde. Sie hatten lange Rohre in den Händen, tauchten diese in eine schäumende, schmutziggraue Flüssigkeit, wahrscheinlich einen stark berauschenden Trank, und schlürften mit ernsten Gesichtern, während um sie herum die Frauen und Männer tanzten, die mit den langen Ochsenschwänzen, die sie sich angebunden, mit dem klirrenden und klappernden Schmuckzeug, den bemalten Körpern, von denen der Schweiß troff, aussahen wie Hunderte von Teufeln. Sie drängten sich um Bankroft und Will, griffen mit den Händen nach ihnen, suchten sie zu packen, lachten, schrien, schwangen ihre Lanzen vor ihren Gesichtern und lachten noch gellender, wenn Will erschreckt zurückwich. Endlich waren sie bis vor den König gekommen, und dieser sah für einen Augenblick mit verglasten Augen zu ihnen hinüber, hörte die Meldung des grün-rot gestreiften Dolmetschers und – streckte die Hand aus, um das Geld für die drei Ochsen in Empfang zu nehmen. Dann deutete er auf einen Sitz – irgendein Kerl hatte eine Bank herbeigeschleppt, nickte ihnen zu und – tauchte sein Saugrohr wieder in den ekligen Topf, um schnell nachzuholen, was er in diesen Minuten versäumt hatte.
„Heute ist gar nichts zu tun. Wir müssen gute Miene zum bösen Spiel machen und abwarten, bis sie ihren Rausch ausgeschlafen haben.“ Eine noch nicht ganz betrunkene alte Frau brachte ein Stück gebratenes Fleisch und einen Topf, der wahrscheinlich eine ähnliche Flüssigkeit enthielt wie der große. So viel Achtung vor den europäischen Gästen hatten sie doch, daß sie ihnen ein besonderes Gefäß gaben. Will war entsetzt, hätte natürlich nicht einen Tropfen zu trinken vermocht, ekelte sich vor dem Fleisch, das die Alte in ihren schmutzigen Händen gehabt hatte; aber Bankroft raunte ihm mit ernster Miene zu: „Essen müssen wir, das Trinken werden wir markieren.“ Die Feuer loderten hoch auf. Nun schien der Haupttanz zu kommen. Eine neue Horde besonders herausgeputzter Männer stürmte heran, sie hatten mächtige Kronen aus Straußenfedern auf ihren Köpfen, waren fast noch grauenhafter bemalt und hatten Schilde aus Flußpferdfell, dazu Lanzen in den Händen. Sie rannten bis dicht an das Feuer, es schien, als hätten sie es auf die beiden Weißen abgesehen und wollten sie überrennen. Dann führten sie einen wilden Tanz auf, die Weißen sprangen auf, klatschten in die Hände, schrien, sprangen gleichfalls im Kreise. Von Minute zu Minute steigerte sich das Chaos dieser trunkenen, wilden Teufel. Plötzlich schrie Will auf und packte Bankroft am Arme, während er geradeaus zeigte. Gegenüber war eine Art Erhöhung. Auf dieser saß jetzt der Häuptling und in einer Gruppe um ihn herum die Zauberer mit den fürchterlichen Fratzen. Mitten zwischen ihnen aber – gerade zu Füßen des Häuptlings – saß Mabel Black! Ja! Mabel Black! „Siehst du?“
Auch Bankroft starrte hinüber. Das Mädchen saß da – in demselben rosa Kleidchen, das sie bei ihrer Entführung getragen, nur daß es sehr schmutzig aussah. Sie hatte einen Kranz roter Blüten im Haar, und – was das Unglaubliche, das Unverständliche war – sie saß ganz ruhig da und blickte ohne jede Angst, aber auch ohne jede Anteilnahme mit ganz gleichmütigen Augen auf das tolle Gewirr, das von Minute zu Minute an Erregung und Leidenschaftlichkeit zunahm. Niemand achtete auf die beiden Weißen, so konnten sie sprechen. „Wie ist das möglich?“ „Sie scheint sich ganz zufrieden zu fühlen?“ „Die Kerle haben sie bezaubert.“ „Richtig, Will – sie sieht geistesabwesend aus. Vielleicht haben sie ihr von dem scheußlichen Trank eingeflößt?“ „Wir müssen zu ihr.“ „Im Gegenteil, wir dürfen nicht verraten, daß wir sie bemerkt haben, sonst kann alles verloren sein. Sie sind zu betrunken, um daran zu denken, daß wir sie sehen.“ Drüben gab es einen Lärm. Der brave Häuptling war sinnlos berauscht von seinem Sessel gefallen. Einen Augenblick konnte man gar nichts erkennen, dann war plötzlich der Platz leer. Wahrscheinlich hatte man den würdigen Stammesvater betrunken vom Platze getragen, und das war das Ende des Festes. Einige Trunkene lagen umher, sonst war alles wie ein Spuk verschwunden, ein Mann, der jetzt auch wankende „Grün-Rote“, führte Bankroft und Will zu einer Hütte. Es ist Gebot, daß jedes Negerdorf eine neue Gasthütte für weiße Besucher frei hält. Auch Mabel war mit den „Zauberern“ verschwunden. Will und der Engländer saßen nebeneinander. „Wir müssen sehr vorsichtig sein. Wahrscheinlich ist noch nie ein weißes Kind hier gewesen, und wer weiß, was ihnen
Walker gesagt hat. Alles ist gleich, sie lebt, und wir müssen diese Nacht der allgemeinen Trunkenheit benutzen, um wenigstens mit ihr zu sprechen.“ Noch lange dauerte in den Hütten das Lärmen fort; dann brannten auch die Feuer langsam nieder. „Bleib hier, ich gehe auf die Suche.“ „Ich möchte mitgehen – “ „Du mußt hierbleiben und mir zu Hilfe kommen, wenn ich etwa schießen sollte. Ich will sie heute nur sprechen.“ Will blieb allein, wieder pochte sein Herz. Es war unheimlich und ekelhaft in diesem Dorfe der Betrunkenen. Große Lachen standen überall am Boden, besinnungslos Berauschte wälzten sich und stöhnten laut, Katzen, Affen huschten umher und leckten an den Resten. Dann hörte Will seinen Namen rufen. „Schnell, nimm die Waffen und komm.“ Bankroft hielt Mabel auf seinen Armen, die auch jetzt nicht sprach, aber große, offene Augen hatte. Sie huschten über den Platz, stiegen über schlafende Menschen. Das Tor der Palisade war geschlossen und verrammelt, aber unbewacht. „Klettere hinüber, dann reiche ich dir das Mädchen.“ Will war ein gewandter Turner und stand bald auf der anderen Seite. Mabel ließ alles mit sich geschehen, dann kletterte Bankroft, der sehr durch seine Wunde gehemmt war, nach. Anscheinend hatte niemand etwas bemerkt, alles schlief den Schlaf des Rausches. „Schnell in den Wald!“ Jetzt trug Will die kleine Mabel und Bankroft im gesunden Arm die Gewehre. Endlich waren sie wieder im Busch. „Wir können nicht in der Nacht weiter, wegen der Tiere, müssen ein Feuer anzünden.“
„Und wenn Sie uns bemerken?“ „Bis jetzt ist alles ruhig im Dorfe, und in der Nacht wird niemand nach uns sehen.“ Sie machten ein Feuer, und jetzt suchte Will die kleine Mabel anzureden. „Mabel, erkennst du mich nicht?“ Sie richtete die Augen ruhig auf ihn. „Du bist Will Hartman.“ „Was ist denn mit dir geschehen?“ „Was soll denn geschehen sein?“ Bankroft wehrte ihm. „Laß die Fragen, sie ist wahrscheinlich in einem Zustande der Betäubung. Ich sage dir, sie haben ihr von dem Tranke gegeben. Es ist ganz gut jetzt, vielleicht hätte sie sonst geschrien und uns verraten.“ Sie verbrachten den Rest der Nacht unter Beobachtung des Dorfes und unter der Sorge vor den herumlungernden Tieren. Endlich rötete sich der Himmel. „Schnell, jetzt zurück!“ Sie marschierten den ganzen Tag über, ließen sich kaum Zeit, zu ruhen oder zu essen, mußten wieder noch eine Nacht im Busche lagern; dann waren sie angelangt und fanden die Hütte des toten Upesi. Augenscheinlich hatte sie niemand verfolgt. „Ist ganz verständlich. So dumm sind sie ja gar nicht. Werden sich schon zusammenreimen, daß wir das Kind mit uns genommen haben, und schließlich – wirklich Wilde sind es ja auch kaum noch, denn sie wissen, daß der Engländer ihnen auf die Finger sieht. Sie waren betrunken und sind nun vielleicht selbst froh, daß wir und das Mädchen weg sind. Aber Isabel ist krank – wer weiß, was der Halunke an ihr getan hat. Er hat sie (wahrscheinlich immer in einer Art Betäubung gehalten, damit
sie ihn nicht verraten konnte. Wenn wir nur jetzt erst von hier fortkönnten!“ Sie mußten drei volle Tage warten. Drei Tage voller Angst vor den Wilden, die kommen konnten, voller Sorge um Mabel, die zwar aß und trank, auf Fragen antwortete, aber sonst immer vollkommen gleichgültig vor sich hinsah und meist schlief. Am dritten Tag kam Will vom Ufer herbeigerannt. „Ein Boot kommt!“ Wie stets an Häfen, an denen nur nach Bedarf angelegt wurde, fuhr das Schiffchen langsam, sah die winkenden Männer, hielt an und nahm sie an Bord. Es war dasselbe Motorboot, mit dem sie gekommen und das nun nach dem Ausgangshafen zurückfuhr. „Sind dort nicht Wilde am Ufer?“ Auch Mister Bankroft war es, als kämen Gestalten aus dem Walde, aber die Entfernung war schon zu groß. Waren sie im letzten Augenblick den Verfolgern, die doch nach ihnen suchten, entkommen? Sie hatten keinen Grund mehr, sich darüber Sorge zu machen. Sie hatten ihre Aufgabe gelöst, und waren dennoch nicht froh!
9
Bob Smith taumelte durch den Urwald. Übel war es ihm ergangen, seitdem er vor Wochen von einem wütenden Elefantenbullen hochgeschleudert worden und in hohem Bogen in den Krokodilfluß gestürzt war. Er war mit der Brust auf ein Stück Treibholz geschlagen, und die Strömung hatte ihn sofort mit sich gerissen. Noch lag ihm der erschrockene Aufschrei Jim Walkers in den Ohren, den dieser ausstieß, als Bob Smith von dem Elefantenbullen, den sie zu erlegen versucht hatten, gepackt wurde. Was danach gekommen war, wußte Bob Smith nicht mehr. Jim mochte wohl gedacht haben, er sei ertrunken, und war wohl nach vergeblicher Suche zum Lager zurückgekehrt. Er konnte sich vorstellen, daß der Fluß, der an jener Stelle besonders reißend war, ihn mit großer Geschwindigkeit fortgerissen hatte. Der Aufschlag auf das Treibholz mußte ihn besinnungslos gemacht haben und doch auch gleichzeitig seine Rettung bedeutet haben, denn als er wieder zu sich gekommen war, hatte er noch immer mit dem halben Oberkörper und dem Kopf auf dem Ast gelegen. In der Brust hatte er stechende Schmerzen. Er nahm an, daß er sich bei dem Aufschlag eine Rippe gebrochen haben mußte. Sein Gesicht war blutüberströmt, und seine Nase schmerzte in unerträglicher Weise. Doch Bob Smith hatte keine Zeit, über seine Verletzungen nachzugrübeln. Sein einziger Gedanke war: Erst einmal heraus
aus diesem Fluß, der bestimmt nicht ohne Grund den Namen Krokodilfluß hatte. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte schwamm er an Land, nachdem er sich von dem Gewicht des Patronengürtels mit dem schweren Revolver befreit hatte. Dort war er dann bewußtlos zusammengesunken und mußte eine Weile reglos am Ufer des Flusses gelegen haben, bevor er sich hatte aufraffen können, in den dichten Wald zu taumeln, um sich dort ein dürftiges Nachtlager zu bereiten. Seit diesem Tage irrte er nun schon lange Zeit im Urwald umher. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm herunter. Er lebte von fauligem Wasser und Früchten. Die Schmerzen in der Brust hatten nachgelassen. Seinen Rippen schien also nichts Ernstliches geschehen zu sein. Dafür aber mußte er sich bei dem Aufschlag auf das Treibholz das Nasenbein gebrochen haben, denn seine tastende Hand konnte feststellen, daß seine Nase vollkommen breitgedrückt war. Es kümmerte ihn jedoch wenig, inwieweit sich sein Aussehen zum Negativen verändert hatte. Er war noch nie eitel gewesen. Einerseits war er ganz froh, von Jim Walker losgekommen zu sein. Die ganze Geschichte hatte ihm in letzter Zeit nicht mehr behagt. Es war zu gefährlich, und wenn sie gefangen worden wären, wäre es mit ein paar Jahren Zuchthaus wohl kaum abgegangen. Kindesentführung war etwas, womit er nicht gerne zu tun hatte. Außerdem traute er Jim Walker nicht. Bestimmt hätte dieser, wenn wirklich alles gut gegangen wäre, ihn bei nächster Gelegenheit im Stich gelassen oder sogar ermordet. Wenn er nur aus diesem gräßlichen Urwald herausfinden könnte, bevor Fieber und Entbehrungen ihn dahinrafften.
Bob Smith wußte, daß er diese ziellose Wanderung durch die Wildnis nicht mehr lange aushalten würde. Er konnte die dumpfheiße Luft kaum noch atmen. Er lechzte förmlich nach frischem klarem Wasser. Er versuchte sich an den Geschmack eines saftigen Stücks Fleisch zu erinnern. Warum hatte er auch damals im Fluß den Revolver mit Patronengürtel in die Tiefe gleiten lassen, bevor er an Land schwamm? So hätte er sich doch, im Besitz der Waffe, wenigstens etwas schießen können. Aber nein, es ging damals nicht anders. Er war ja so schwach gewesen, daß er sich selbst ohne die Belastung des Revolvergürtels nur mit Mühe und Not zum Ufer hatte kämpfen können. Bob Smith strauchelte und fiel zu Boden. Keuchend lag er eine Weile auf dem feuchten Urwaldboden. Irgendwo in den Bäumen stieß irgendein Vogel ein spöttisches Kichern aus. Vor ihm knirschte es plötzlich. Ein mächtiger Urwaldriese war im Kampf um das Licht unterlegen. Langsam senkte sich der mächtige Stamm und fiel krachend auf einen nebenstehenden Baum, riß diesen halb mit sich und stürzte dann dröhnend auf den Boden. Der Urwald wurde plötzlich lebendig. Scharen von Vögeln stiegen aufgeregt in ganzen Wolken auf. Affen kreischten und stürzten in wilder Flucht von dannen. Irgendwo fauchte eine Raubkatze zornig auf. Bob Smith malte sich mit Schaudern aus, was geschehen würde, wenn er plötzlich waffenlos einem gefährlichen Raubtier gegenüberstehen würde. Er fühlte, wie das Fieber wieder in ihm hochstieg. Er raffte sich auf und taumelte weiter.
Wenn man doch wenigstens auf einen Negerpfad stoßen würde. Er brauchte Hilfe, wenn auch nur die von Negern. Das schmutzigste Negerdorf wäre ihm willkommen gewesen. Er stolperte mehr, als daß er ging. Es erschien ihm, als sei er schon hundertmal an der gleichen Stelle vorbeigegangen. Immer wieder der gleiche Anblick: Lianen, undurchdringliches Buschwerk mit schmalen Lücken nur, durch die man sich winden mußte, riesige Baumstämme und wieder Lianen und wieder Buschwerk. Alles begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Er begann zu schreien. Er hieb voller Wut mit der Faust gegen eine von einem Ast herabhängende Liane. Die mutmaßliche Liane bäumte sich plötzlich auf und ließ sich schwer auf seinen Körper fallen. Eine Boa constrictor, eine Riesenschlange. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte krümmte sich Bob Smith zusammen, um sich gleich darauf zu strecken wie eine Stahlfeder. Aber die Schlange war stärker als er. Sie ließ sich nicht abschütteln. Bob schrie auf. Nun war das Ende also doch gekommen. Plötzlich krachte ein Schuß, unmittelbar darauf noch einer. Bob sah, wie ein riesiger Neger, nur mit einer Khakihose bekleidet, auf ihn zustürzte. Er hörte einen kurzen, energischen Befehl in englischer Sprache. Der Neger hob ein gedrungenes Buschmesser und durchhieb mit wuchtigen Schlägen den gewaltigen Körper der drei Meter langen Schlange, die, obwohl von den Schüssen tödlich getroffen, noch in ihren Todeszuckungen Bob Smith zu zermalmen drohte. Dann wurde Bob Smith schwarz vor den Augen.
***
„Er kommt zu sich!“ Bob schlug die Augen auf. Glaubte zuerst, er träume. Vor ihm kniete er selbst. Aber das war ja unmöglich. Nachdem er die erste Benommenheit überwunden hatte, stellte er fest, daß der Weiße in Tropenkleidung, der vor ihm kniete und einen Becher in der Hand hielt, tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm selbst hatte. Die gleiche Haarfarbe, die gleichen tief in den Höhlen liegenden dunklen Augen. Und der Fremde trug auch einen ähnlichen Vollbart, wie Bob Smith ihn sich im Urwald notgedrungen hatte wachsen lassen. Am frappierendsten war jedoch, daß auch des Fremden Nasenbein gebrochen war, so daß sich die gleiche unschöne Nasenform ergab wie bei Bob Smith. „Findest du nicht auch, Stanley, daß er mir ziemlich ähnlich sieht?“ fragte der vor ihm kniende Mann seinen Gefährten, der im Hintergrund am Lagerfeuer saß. Dann wandte er sich an Bob Smith: „Sie sind ja in einer ziemlich üblen Verfassung. Trinken Sie das. Es wird Ihnen gut tun!“ Smith nahm den dargebotenen Becher und leerte ihn gierig in einem Zug. Er war so durstig, daß er den bitteren Geschmack, den das kühle Wasser hatte, gar nicht bemerkte. Nachdem er das in Wasser aufgelöste Chinin zu sich genommen hatte, sank er zurück und schloß erschöpft die Augen. Er hörte, wie der zweite Weiße die Frage seines Pflegers beantwortete: „Nein, Jacques. Ich sehe nur eine gewisse oberflächliche und grobe Ähnlichkeit. Ohne dir schmeicheln zu wollen, muß ich
sagen, daß dein Gesicht trotz der Boxernase das eines klugen und gütigen Wissenschaftlers ist. Dieser Bursche da sieht aus wie ein Verbrecher.“ Unwillkürlich schlug Bob Smith die Augen auf, als er das hörte, und wandte den Kopf, um den Mann zu betrachten, der in so wenig günstiger und liebenswürdiger Weise über ihn sprach. Dieser mußte das bemerkt haben, denn er wechselte sofort vom Englischen ins Flämische über, so daß Bob nichts mehr verstehen konnte. „Nein“, sagte er auf flämisch, „nein, Jacques, diesem Burschen würde ich nicht allzuviel Vertrauen schenken. Sicher, ihm zu helfen, ist unsere Menschenpflicht. Aber darüber hinaus bliebe lediglich zu erwägen, ob wir nicht gut daran tun, ihn mitzunehmen und den Behörden zu übergeben. Was er da eben in seinen Fieberphantasien von sich gab, klang nicht eben erbaulich. Ich habe all dem entnehmen können, daß er mit noch einem Mann namens Jim Walkett oder Walker Verbrechen über Verbrechen begangen hat, angefangen beim Diamantendiebstahl bis zur Entführung eines kleinen Mädchens namens Mabel.“ Bob hatte zwar nichts verstanden, jedoch die Namen Jim Walker und Mabel, die der mißtrauische von seinen beiden neuen Bekannten aussprach, machten ihn stutzig. Wie konnte dieser Mann zu der Kenntnis der beiden Namen gekommen sein? Sollte er vielleicht im Fieber aus der Schule geplaudert haben? Das wäre denkbar peinlich, und es hieß auf jeden Fall für ihn, von nun an auf der Hut zu sein. Vorläufig war es das wichtigste, sich von den Männern gesund pflegen zu lassen.
Wenn er dann erst einmal wieder zu Kräften gekommen war, würde man weiter sehen. Möglicherweise hatten die beiden vor, ihn gefangenzuhalten und dem Gericht auszuliefern, je nachdem was sie aus seinen Fieberphantasien entnommen hatten. Bob Smith lächelte innerlich. So leicht war mit ihm nicht fertig zu werden. Er war schon wieder ganz obenauf. Welch ein Glück, daß diese Burschen ihm gerade in dem gefährlichen Augenblick in den Weg liefen, als er von der Schlange erdrückt zu werden drohte. Nun, und wenn es die Schlange nicht gewesen wäre, so wäre er an Entkräftung und Fieber zugrunde gegangen. Die beiden waren wirklich im rechten Augenblick gekommen. Sie mußten eine zahlreiche Trägerkolonne bei sich haben, denn er hörte das Singen von schätzungsweise zehn bis fünfzehn Negern. Was mochten sie überhaupt hier zu tun haben? Waren es Forscher, waren es reiche Vergnügungsreisende, die gern einmal die Abenteuer einer Urwaldexpedition erleben wollten? Das letztere glaubte er eigentlich kaum. Dazu machten beide einen zu erfahrenen Eindruck. Bobs Geist war schon wieder hellwach. Er überlegte scharf und genau, wie er seine beiden Retter am besten hereinlegen konnte. Dankbarkeit ihnen gegenüber empfand er keine. Dieses Gefühl war ihm vollkommen fremd. Jetzt aber galt es erst einmal, wieder der Alte zu werden. Er schloß die Augen zu erquickendem Schlaf. Bis in seine Träume hinein begleitete ihn der traurige Gesang der Neger, die noch in später Stunde um ihr Lagerfeuer saßen.
*** Im Verlauf der folgenden Tage hielt Bob Smith Augen und Ohren offen. Er erfuhr, daß es sich tatsächlich um zwei Forscher handelte, einen Engländer mit Namen Stanley Hawkins und einen Belgier namens Jacques Poirot. Der Engländer war Anthropologe und wollte ins Basutoland, um einen bestimmten Negerstamm zu studieren, dessen Angehörige trotz ihrer schwarzen Hautfarbe sonst keinerlei negroide Züge aufwiesen und von irgendwelchen indogermanischen Ahnen abstammen sollten. Der Belgier war Geologe und hatte die Absicht, ebenfalls im Basutoland geologische Forschungsarbeiten zu leisten. Bob Smith erfuhr weiter, daß sie gar nicht weit von Umu Beni entfernt waren. Von dort aus würde er bequem nach Pretoria kommen können, wenn sein Plan glücken sollte. Schon in wenigen Tagen hatte er die Folgen seiner entbehrungsreichen Urwaldwanderung überstanden und fühlte sich Manns genug, mit den beiden harmlosen Wissenschaftlern fertig zu werden. Vor dem einen allerdings mußte er sich hüten, vor dem mißtrauischen Engländer, der ihn nicht aus den Augen ließ und auch verhinderte, daß Bob Smith eine Feuerwaffe in die Hand bekam. Überhaupt waren die beiden Weißen ziemlich wortkarg und reserviert ihm gegenüber. Offenbar hatten sie vor, ihn bis Umu Beni mitzunehmen und dort den Behörden zu übergeben. Bob nahm sich vor, den beiden zuvorzukommen. Sie würden es noch bereuen, sich mit ihm eingelassen zu haben.
Der Zufall kam Bob bei der Durchführung seiner Pläne zu Hilfe. *** Da Bob Smith zu den beiden Weißen kein Verhältnis hatte, hielt er sich meistens bei den Schwarzen auf. Da er ein wenig Kisuaheli sprach, konnte er sich mit ihnen unterhalten, und allmählich entspann sich ein recht vertrautes Verhältnis zwischen ihm und den Negern. Er verstand, mit Hilfe einiger anspruchsloser Zauberkunststückchen, ihre Bewunderung und Ehrfurcht zu erringen. Überdies fand er heraus, daß die schwarzen Träger nur widerwillig ihren beiden weißen Herren gehorchten. Diese verstanden es nicht recht, mit den Negern umzugehen und erregten außerdem das Mißtrauen der Schwarzen durch ihre Forschungsarbeiten. Es ist auch von einem anthropologischen Wissenschaftler nicht klug gehandelt, wenn er einem seiner Träger mit dem Finger über den Kopf fährt und auf die Nase tippt, um seinem Begleiter verschiedene Rassemerkmale am Schädelbau des betreffenden Negers zu erklären. Auch das Sammeln von Steinen, wie es der Belgier betrieb, erschien den Negern unheimlich, zumal die betreffenden Steine in ihren Augen absolut wertlos waren. Mit einem Wort: Die beiden weißen „Massas“ galten unter den Trägern als böse Zauberer, vor denen man am besten bei der ersten besten Gelegenheit Reißaus nehmen sollte. Geschickt verstand es Bob Smith, diesen Aberglauben zu unterstützen und das Mißtrauen, wenn nicht sogar die Feindseligkeit der Neger gegenüber Stanley Hawkins und Jacques Poirot zu schüren.
Er selbst hatte sich mit seinen harmlosen Zauberkunststückchen den Ruf eines guten Zauberers eingetragen. Wie die Kinder drängten sich die Neger um ihn, wenn abends Rast gemacht wurde, und bettelten um seine Gunst. Natürlich fiel diese merkwürdige Entwicklung dem Engländer und schließlich auch dem vertrauensseligeren Belgier auf. „Mir wird immer ungemütlicher in der Gesellschaft dieses Intriganten. Wenn es nicht so albern klingen würde, wäre ich geneigt, das Beispiel von der Schlange anzuführen, die man an seinem eigenen Busen genährt hat.“ „Du hast recht, Stanley“, erwiderte Jacques Poirot auf die übellaunige Feststellung seines Freundes. „Aber hätten wir anders handeln können? Es war unsere Menschenpflicht, diesen Mann vor dem sicheren Tode zu erretten. Und nachdem dies geschehen war, mußten und müssen wir ihn notgedrungen mitschleppen, bis wir in Umu Beni sind und ihn den Behörden ausliefern können.“ „Ich fürchte nur, daß er unsere Absicht ahnt“, meinte Stanley. „Ich sprach zwar damals, als ich dir von meinen Bedenken erzählte, flämisch, gebrauchte aber dummerweise die beiden Namen, die auch er in seinen Fieberphantasien erwähnte. Der Bursche ist schließlich nicht dumm. Wenn er nicht sofort eingeschlafen ist, was ich kaum annehme, wird er meine Erwähnung dieser Namen vernommen haben. Er hat sich also zusammenreimen können, daß wir, beziehungsweise daß ich Verdacht geschöpft hatte. Vielleicht spricht er sogar Flämisch. Wie ich sehe, ist er sprachlich nicht unbegabt, da er ja mit den Negern besser sprechen kann als wir.“ Der Belgier zuckte die Achseln: „Es hilft nun einmal alles nichts, Stanley. Wir haben ihn eben am Hals und müssen sehen, auf gute Art und Weise mit dem
Problem fertig zu werden. Ich werde auf jeden Fall aufatmen, wenn wir ihn in Umu Beni erst einmal unter Dach und Fach gebracht haben.“ „Wenn es überhaupt noch dazu kommt“, meinte der skeptische Engländer. „Ich habe entschieden den Eindruck, daß der Kerl die Schwarzen gegen uns aufhetzt. Es empfiehlt sich für uns beide, wenn es uns auch noch so schwerfällt, tapfer gegen den Schlaf anzukämpfen und während unserer abwechselnden Nachtwachen beide Augen und Ohren offenzuhalten. Vor allem muß verhindert werden, daß der Verbrecher, denn um einen solchen handelt es sich ganz bestimmt, daran zweifle ich nun nicht mehr, daß also dieser Verbrecher in den Besitz einer unserer Feuerwaffen gelangt.“
An dem Tag, der diesem Gespräch folgte, ereignete sich das, was den beiden Forschern zum Verhängnis werden sollte. Die Sonne stand schon am frühen Morgen noch stechender als üblich am Himmel. Der Wald war eine einzige dampfende Hölle. Die Kolonne torkelte nur so vorwärts. Die Träger glaubten aus irgendeinem Aberglauben heraus, daß der Wettergott wegen des frevelhaften Treibens der beiden weißen „Massas“ grolle und waren noch renitenter als bisher. Unglücklicherweise verlor Stanley die Nerven und stieß einen der Träger mit dem Gewehrkolben in die Seite, als dieser seine Last abwarf und sich kurzerhand niederhockte. Zwar stand der Träger daraufhin auf und nahm seine Last, aber das wütende Murmeln der übrigen zeigte, daß die Stimmung der Neger kurz vor dem Siedepunkt stand.
„Warum macht ihr nicht Schluß mit den bösen weißen Männern?“ fragte Bob Smith lauernd in Kisuaheli. „Müssen sich freie Männer so behandeln lassen?“ Der Führer der Träger entgegnete Bob: „Wir wissen, daß du ein guter Massa bist. Aber du kannst auch nichts gegen sie ausrichten. Sie sind mächtige böse Zauberer, mächtiger als du. Sie haben Feuerrohre, du nicht. Wenn wir uns gegen sie erheben, werden sie uns töten.“ „Ihr irrt euch“, erwiderte Bob. „Ich werde euch helfen. Bisher war ich nur zu krank und zu schwach. Nun aber habe ich meine alten Kräfte wieder. Ich bin ein noch größerer Zauberer als diese beiden.“ „So vernichte sie, Massa.“ „Wenn ihr mir helft, will ich es gerne tun. Leider habe ich tatsächlich kein Feuerrohr. Käme ich in den Besitz eines solchen, so würde es in meinen Händen zum willigen Diener werden und Tod und Verderben über die beiden bösen Zauberer ausspeien.“ In diesem Augenblick zerriß ein Donnerschlag die Stille. Der Himmel, soweit man ihn durch das dichte Blätterdach des Waldes sehen konnte, hatte eine schwefelgelbe Färbung angenommen. „Seht ihr, wie meine Diener meinen Worten zustimmen?“ rief Bob Smith und deutete nach oben. Blitz auf Blitz zerriß nun den Himmel. Die Schwarzen waren in die Knie gesunken. „Wißt ihr, was die Feuergeister dort oben mir zugerufen haben? Sie riefen: Wir möchten dir gerne helfen, Herr, aber wir wissen nicht, ob wir dürfen. Gib uns mit dem kleinen Blitz aus dem Feuerrohr ein Zeichen. Meine dienstbaren Geister wissen nicht, daß ich kein Feuerrohr mehr besitze.“
Der Himmel hatte sich nun schwarz überzogen. Es wurde dunkel, und nur der grelle Schein der Blitze erhellte minutenlang die Urwaldlandschaft. Ein schwerer, trommelnder Regen stürzte nieder. Stanley kam nach hinten. Er wischte sich mit der linken Hand das Regenwasser aus dem Gesicht. In der Rechten hielt er seine Remingtonbüchse. Er sah, wie die Schwarzen vor Bob Smith knieten, und sprang auf diesen zu: „Sie verfluchter, hinterhältiger Narr, was predigen Sie da den Schwarzen vor? Glauben Sie, Sie könnten uns hinters Licht führen? Ich hätte Lust, Sie einfach über den Haufen zu schießen.“ Bob Smith blickte ängstlich auf das Gewehr in der Hand des vor Wut kochenden Stanley: „Sie irren sich, Sir. Wie könnte ich Ihre Hilfsbereitschaft damit lohnen, daß ich die Schwarzen gegen Sie aufwiegele. Ich versuche, ihnen die Angst vor dem Gewitter auszureden.“ „Ach, heucheln Sie mir nichts vor. Ich weiß, woran ich mit Ihnen bin.“ Immer noch wütend, ging Stanley auf den Anführer der Träger zu: „Kimbo, los, aufstehen. Ihr weitergehen, sonst ich mit Feuerrohr machen so!“ Er hob das Gewehr drohend hoch. In diesem Augenblick ergriff einer der Schwarzen einen Lastballen und warf ihn dem Engländer vor die Füße. Stanley rutschte aus und stürzte vornüber aufs Gesicht. Die Remingtonbüchse entglitt seiner Hand und flog in hohem Bogen durch die Luft. Zwei mächtige Sprünge tat Bob Smith, dann hatte er das Gewehr erreicht.
Er riß es an sich, als dicht an seinem Ohr eine Kugel vorbeipfiff. Jacques Poirot war nun auch den Weg zurückgekommen und hatte mit einem Blick die Situation erfaßt. Eben riß er den Sicherungsflügel seines Karabiners zurück, nachdem er den ersten Schuß aus seinem Revolver abgegeben hatte. Aber Bob Smith war schneller. Er nahm sich nicht erst die Zeit, das Gewehr, das er erbeutet hatte, hochzureißen, sondern drückte noch halb gebückt ab und traf Poirot in den Kopf. Jacques Poirot preßte beide Fäuste an die Stirn und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Inzwischen hatte sich Stanley hochgerappelt. Blitzschnell suchte er hinter einem Baum Deckung und eröffnete mit seinem Revolver das Feuer auf Bob Smith. Die Schwarzen verhielten sich passiv. Jetzt mußte sich ja erweisen, wer von den beiden weißen Männern über den größeren und mächtigeren Zauber verfügte. Sie würden sich widerspruchslos dem Sieger fügen, das war sicher. Auch Bob hatte hinter einem Baum Deckung gesucht. Schuß auf Schuß wurde gewechselt. Für Bob war die Lage alles andere als günstig. Er hatte nur das Gewehr erbeutet und besaß keine Munition. Er wußte nicht einmal, wieviel Schüsse überhaupt noch im Magazin der Büchse waren, als er sie an sich nahm. Jeder Schuß, den er abgab, konnte der letzte sein. Stanley schien damit zu rechnen, denn er versuchte ihn auf alle mögliche Art zum Schießen zu veranlassen. Nur zögernd erwiderte Bob das Feuer. Plötzlich erhob sich Stanley und kam mit ruhigem Schritt auf Bob zu.
Im ersten Augenblick glaubte Bob, der Engländer sei plötzlich wahnsinnig geworden, zumal als er sah, daß Stanley jetzt sogar seelenruhig den Colt in die Tasche steckte. Unwillkürlich lachte Bob auf, zielte auf die Nasenwurzel des Heranschreitenden und drückte ab. Ein metallisches Klicken war der ganze Effekt. Daher also die Ruhe des Engländers. Er mußte gewußt haben, wieviel Schüsse noch in dem Magazin seiner Remington gewesen waren, und hatte die Schüsse Bobs gezählt. Er wußte also genau, daß Bob sich verschossen hatte. „Ein sauberer Schuß, mit dem du den armen Jacques umgelegt hast“, schrie Stanley. „Er war mein bester Freund, er hat einen Sohn und eine Frau in Antwerpen. Ein sauberer Schuß aus einer schmutzigen Hand, Bob Smith.“ Stanley schien wie von Sinnen vor Wut. Seine Hände waren klauenartig abgespreizt, als er langsam auf Smith zuschritt. Es war ein unheimliches Bild, noch unheimlicher, wenn die Gestalt des Engländers von plötzlich aufzuckenden Blitzen grell beleuchtet wurde. Die Schwarzen wimmerten vor Angst. Es schien ihnen klarzuwerden, daß Stanley wohl doch der Mächtigere von beiden war, wenn er so ohne Waffe auf den anderen zuging, obwohl dieser doch noch das Feuerrohr in der Hand hielt. Sie konnten ja nicht ahnen, daß das Gewehr für Bob Smith wertlos geworden war. War es wirklich wertlos? Obwohl Bob Smith von panischer Angst befallen war, wußte er, daß es ‘ keinen Sinn haben würde, davonzulaufen. Er faßte den Lauf des Gewehrs fest in beide Hände und hob den Kolben, bereit zum Zuschlagen. Stanley lachte nur. Zwei Schritte noch und er stand vor Bob Smith. „Eine Kugel ist zu schade für dich“, sagte der Engländer. „Ich werde dich totprügeln.“
Bob schlug zu. Stanley blockte den Schlag mit dem linken Unterarm ab und entriß Bob mit der Rechten das Gewehr. Bob duckte sich nicht schnell genug, um dem Boxhieb Stanleys zu entgehen, der scharf und schmerzhaft an seiner Schläfe vorbeizuckte. Bob sprang zurück und stieß seinen bestiefelten Fuß in des Engländers Unterleib. Dieser jedoch schien den Schmerz gar nicht zu spüren und begann methodisch, mit fast wissenschaftlicher Genauigkeit Bobs Körper mit Boxhieben zu bearbeiten. Bob war zu einem willenlosen Spielzeug geworden. An eine Gegenwehr dachte er nicht mehr, versuchte nur noch, wo nur möglich, diesen erbarmungslosen Fausthieben zu entgehen. Sie hatten sich von dem Baum entfernt und näherten sich der Stelle, an der der tote Belgier lag. Ein Hieb in die Magengrube warf Bob Smith zu Boden. In diesem Moment erhellte erneut ein Blitz die Umgebung. Wie durch einen Schleier sah Bob dicht neben sich den Revolver des Belgiers liegen. Er riß ihn an sich. Stanley, der abwartend und mit höhnischem Lächeln über ihm gestanden hatte, reagierte zu spät. Drei Schüsse gab Bob ab, dann brach Stanley zusammen. Heftig atmend taumelte Bob hoch, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß Stanley tot war. Die Schwarzen empfingen ihn voller Ehrfurcht und berührten den Boden mit ihren Köpfen. Smith belud sich mit sämtlichen Feuerwaffen, die die beiden mitgeführt hatten. Auch sorgte er dafür, daß die Patronengürtel wohlgefüllt waren, denn ihm war klar, daß keiner der schwarzen Träger lebend Umu Beni erreichen durfte, wenn sein Plan gelingen sollte.
Bevor sie aufbrachen, nahm Bob Smith sämtliche Papiere des belgischen Geologen Jacques Poirot an sich. Die Kleidung des Toten, die dieser trug, sich anzueignen, brachte er nun doch nicht fertig. Doch war dies für seinen Plan ja auch nicht unbedingt notwendig, denn Poirot hatte sicherlich genug an Kleidung in seinem Gepäck. Als sie weiterzogen, war Bob Smith so zuversichtlich wie schon seit langem nicht mehr. Sein Plan war bis zu drei Vierteln gelungen. Es gab keinen steckbrieflich gesuchten Bob Smith mehr. Er war Jacques Poirot aus Antwerpen, Dr. Poirot sogar, wie Bob aus den Papieren ersah. In Pretoria würde er sich nun frei bewegen können. Ebenso frei wie in Kimberley und in Brixtons Valley. Mit seiner zerschlagenen Nase und seinem Vollbart würde ihn kein Mensch, wahrscheinlich auch Jim Walker nicht, als den ehemaligen Bob Smith wiedererkennen. In Kimberley aber wartete eine Menge Arbeit auf ihn, denn dort gab es Diamanten. Und wo es Diamanten gab, gab es Reichtum. Reichtum und Macht erschienen Bob Smith – vielmehr dem neuen Jacques Poirot – jedoch als das Erstrebenswerteste auf dieser Welt. Er würde vor keinem Mittel zurückschrecken, um sich beides zu erwerben. Nur mußten jegliche Zeugen des Geschehenen beseitigt werden, auch wenn es nur arglose Neger waren. *** Zwei Wochen später tauchte in Pretoria ein gutgekleideter Herr auf, der sich als der belgische Geologe Dr. Poirot ausgab. Sein Aussehen stimmte mit dem nicht sehr deutlichen und etwas
verblichenen Paßbild überein, und keine Behörde hatte Anlaß, an den Angaben des ehrenwerten Dr. Poirot zu zweifeln. Dieser berichtete, daß er eine geplante Expedition ins Basutoland hätte abbrechen müssen, da sein Freund Stanley Hawkins unterwegs von einem Verbrecher mit Namen Bob Smith ermordet worden sei. In berechtigter Notwehr habe er diesen Bob Smith erschossen. Die schwarzen Träger seien dann davongelaufen, und er habe sich nur mit dem notdürftigsten und wertvollsten Gepäck beladen allein auf den Weg nach Umu Beni und von da aus nach Pretoria gemacht. Wie sich die Dinge in Wirklichkeit abgespielt hatten und daß von den schwarzen Trägern alle dem Feuerrohr von Bob Smith alias Jacques Poirot zum Opfer gefallen waren, konnte niemand ahnen. Die Zweigstelle der Bank von England machte ebenfalls keine Einwendungen, als Poirot sich dort legitimierte und die Bank beauftragte, sein gesamtes Guthaben von London und Antwerpen überweisen zu lassen. Poirot brauchte nur noch zwei Wochen zu warten und hatte dann das bescheidene Vermögen des ermordeten Belgiers in Händen. Nun erschien es ihm allerdings ratsam, erst einmal unterzutauchen. Poirot ‘ hatte Familie. Außerdem wuchsen mehr und mehr unvorhergesehene Schwierigkeiten vor ihm auf. Es war auf die Dauer nicht leicht, die Rolle eines belgischen Geologen zu spielen, wenn man kein Wort Flämisch oder Französisch sprach und von Geologie keine Ahnung hatte. Aber vieles war Bob Smith durch diese augenblickliche Rolle leichter geworden. Vor allem hatte er Geld.
Nach einigen Monaten würde eben in Kimberley ein Herr auftauchen mit blondgefärbtem Haar und blondem Schnurrbart, der sich inzwischen einen gefälschten Paß besorgt hatte und vielleicht Miller oder sonstwie hieß.
10
Inzwischen hatten auch Will Hartman und Bankroft Umu Beni erreicht. Sie hatten den Zweck ihrer Reise in allem erreicht, wenn es auch bedauerlich war, daß Mabel noch immer nicht gesund war. Die Rückreise von Umu Beni nach Pretoria erfolgte in dem alten Motorboot, das sie auch auf der Hinreise verwendet hatten, dann in einem telegrafisch von der Ansiedlung am Krokodilfluß aus von Pretoria herbeigerufenen Auto. Freilich, die beiden „Elefantenjäger“ sahen recht verwildert aus. Will hing der schöne Touristenanzug nur noch in schlimmeren Fetzen vom Leibe als einst sein eigener Kittel, und Mister Bankroft trug den verwundeten Arm in der Binde und hatte Fieber. Die Fahrt bis Pretoria erschien ihnen endlos, und Will atmete auf, als er endlich seine beiden Kranken in das Hotel bringen konnte. Sofort wurde ein Arzt geholt, der zunächst Mister Bankroft verband und ihn ins Bett stecken wollte. „Heute noch nicht – morgen – heute muß ich noch den Vater des Kindes erwarten. Sagen Sie nur, was fehlt dem Mädchen?“ Der Arzt schüttelte den Kopf, und erst, als Bankroft ihm alle die Schicksale der letzten Wochen erzählte, begann er zu begreifen. „Schlimm! Sehr schlimm! Anscheinend haben die Schufte das arme Kind andauernd in einem Zustand der Betäubung erhalten, und es ist möglich, daß schwere Schädigungen zurückbleiben.“ Will zuckte zusammen, dann eilte er auf den Korridor hinaus.
„Wo ist mein Kind – wo?“ rief dort jemand. Mister Black hatte nicht einmal den Lift abgewartet, sprang wie ein Jüngling die Treppe herauf. „Will, wo ist meine Mabel?“ Der alte Herr, der stets so voller erzwungener Würde und Kälte war, vermochte sich kaum zu beherrschen. „Mabel – meine kleine Mabel – “ Er sah sie auf dem Sofa sitzen – sie blickte auf, lächelte ein wenig, aber blieb ruhig sitzen. „Mabel – Kind, Sweetheart, erkennst du mich denn nicht?“ Der Arzt legte ihm die Hand auf den Arm. „Schonen Sie die Kleine, nehmen Sie sich zusammen, sie ist recht krank.“ „Krank – haben die Schufte –?“ Er nahm sich zusammen, den Worten des Arztes zu lauschen. „Ich würde mit dem Kinde sofort nach Kapstadt fahren und dort die Ärzte fragen. Ich bin überzeugt, daß eine Kur – “ Black hörte kaum zu, hielt Mabel auf seinem Schoß, streichelte ihre Wangen, und währenddessen kam auch die Erzieherin, die dem ungestümen Manne so schnell nicht hatte folgen können. „Wir müssen sofort nach Kapstadt. Heute nacht noch. Miß Florence, besorgen Sie bitte sofort einen Schlafwagen, schnell, bitte, schnell!“ Er konnte die Zeit nicht erwarten, und jetzt sagte Bankroft, den der Minendirektor bis jetzt noch gar nicht begrüßt hatte: „Good evening, Mister Black – “ Black sah auf. „Verzeihen Sie – ich weiß, was ich Ihnen schulde – ich sehe, Sie sind verwundet – ich – später, später – “ Miß Florence kam zurück. „Der Zug fährt schon in einer Stunde.“ „Dann – “
„Aber, Mister Black, ich muß Ihnen berichten – “ „Später – in Kimberley, ich habe jetzt keine Gedanken.“ „Dann nehmen Sie wenigstens den Stein, den ich dem Halunken noch glücklich entrissen habe.“ „Danke, danke – “ Achtlos steckte er den Diamanten, der seine zehntausend Pfund wert sein sollte, in die Westentasche; dann nahm er Mabel in seine Arme. Will sah ihn enttäuscht an, und Black schien zu verstehen. „Ist ja alles gut, Will, hast alles sehr gut gemacht. Ich werde unterwegs an die Bank in Kimberley schreiben, daß dir die fünftausend Pfund wieder gutgeschrieben werden – später – ich kann jetzt an nichts anderes denken.“ Damit war Mister Black, sein Töchterchen auf dem Arm, von der Erzieherin gefolgt, schon aus der Tür. Ehe Will noch recht begriff, sauste schon das Auto mit den drei Menschen dem Bahnhofe zu. Zwei Tage später fuhr Will Hartman auf einem Lastauto von der Station Blue Fountain den Diamantenfeldern von Brixtons Valley entgegen. Mister Bankroft, dem die ganze Expedition nicht nur die Wunde am Arm, der wahrscheinlich steif bleiben würde, eingebracht, sondern noch ein schönes Stück Geld gekostet hatte, war freigebiger gewesen als Mister Black, der nicht einmal gefragt hatte, ob Will überhaupt Geld besaß. Bankroft hatte Will in Pretoria noch einmal einen guten Anzug gekauft, die Reise auf der Bahn bezahlt und ihm beim Abschied noch zwei Pfund in die Hand gedrückt. „Wir bleiben Freunde, und wenn du nach Kimberley kommst, dann bin ich für dich stets zu sprechen.“ „Danke, Mister Bankroft.“ Er hatte es sich selbstverständlich schon wieder abgewöhnt, „Vater“ und „du“ zu sagen. Dann hatte er Glück gehabt und
ein Lastauto getroffen, das nach Brixtons Valley wollte, und man hatte ihn aufsitzen lassen. Er selbst fühlte sich viel älter, viel gereifter, hatte ja auch Dinge getan und erfahren, die mancher in seinem ganzen Leben nicht kennenlernt. Dann aber lächelte er doch. Das Geld war ihm sicher! Mister Black hielt Wort! Fünftausend Pfund! Hunderttausend Mark! Mochte inzwischen gewesen sein, was wollte! Jetzt konnten sie im schlimmsten Falle die Grube verkaufen, etwas bekamen sie schon, und dann – in Kimberley lagen hunderttausend Mark für ihn, nein, für seine Eltern auf der Bank. „Sieht nicht schön aus in Brixtons Valley! War nichts als ein elender Bluff!“ Zum ersten Male sprach der Autolenker zu Will, und dieser sah auf. Sie waren jetzt auf der Höhe, von der aus man das ganze Diamantenfeld überblicken konnte. Was war denn das? Die meisten Claims lagen verlassen da. Nur auf wenigen wurde gearbeitet, und das große Rad der Riesenschaukel stand still und ragte wie tot in die Luft. „Was ist denn geschehen?“ „Eben gar nichts! Gefunden haben die Diggers nichts, das ist das Ganze. Die meisten sind schon wieder ausgerissen. Die paar Splitter lohnen die Mühe nicht, die man hier aufwendet. Darum komme ich auch mit leerem Wagen. Jetzt heißt es nicht mehr bringen, sondern höchstens fortschaffen, und sicher sind es nicht die eigenen Besitzer, die ihr Eigentum wieder wegbringen.“ Will drückte dem Fahrer den kleinen Betrag, den dieser gefordert hatte, in die Hand, dann rannte er, seine Ungeduld nicht mehr bezähmend, durch die Gassen der Wellblechstadt, die ihm heute so tot vorkamen, und – blieb stehen. Was war denn das? Die Claims, die Mister White bearbeitet hatte, und die Bankrofts waren verödet. Auf ihnen und ebenso
auf dem Mister Blacks begann schon wieder die struppige Grasnarbe zu wuchern. Und das eigene Claim? Ein furchtbarer Schreck erfaßte Will. Das war ja gar nicht möglich! Das mußte ja stilliegen! Es war auch kein Mensch auf diesem zu sehen, aber – da war doch ein Brettergerüst – genau so ein viereckiges Gerüst, wie es im Anfang auf Mister Blacks Claim über dem Schacht gestanden hatte, und – ja, da war das alte Wellblechhaus, in dem Mister White gewohnt hatte und dessen Schuppen er ihnen zuerst überließ – aber das Zelt der Eltern war weg. Himmel – waren die gar nicht mehr da? Menschen kamen ihm entgegen – er kannte sie nicht. Es waren jedenfalls Neue, die erst inzwischen gekommen und die jetzt mit verwunderten Augen den gutgekleideten Jungen betrachteten, der mit roten, erhitzten Wangen die steile Stiege heruntersprang. Er war auf dem Claim. Da stand die Waschmaschine, die er in Kimberley gekauft hatte. Er erkannte sie wieder und sah, daß sie sehr viel benutzt war, aber – wo war das Zelt? „Mutter! Mutter!“ Will rief laut, obgleich das doch töricht war, denn das Claim war ja verlassen. Dann ging er, jetzt schon mit zagenden, schleppenden Schritten auf das Wellblechhaus Mister Whites zu, aus dessen Schornstein leichter Rauch kräuselte. Dort mußte also jemand wohnen, der ihm zum wenigsten Bescheid sagen konnte. Aber da wurde auch schon die Tür geöffnet, und eine Frau trat heraus. „Junge, mein lieber Junge!“ Da hatte Frau Marie auch schon die Arme um ihn geschlungen, preßte ihn an sich und weinte hell auf. „Mutter, wie geht es Vater? Was hast du gemacht? Wie hast du gelebt? Was ist mit dem Claim geschehen? Jetzt sind wir reiche Leute, jetzt haben wir hunderttausend Mark.“
„Wenn du nur da bist! Will, wenn ich dich nur habe!“ Ihn faßte schon wieder der Schreck. „Was ist mit Vater?“ „Es geht einigermaßen. Zum Glück ist er noch oben im Hospital.“ Das verstand Will wieder nicht. „Zum Glück?“ „Daß er das Elend nicht zu sehen braucht.“ Sie führte ihn in das große Haus, das White bewohnt hatte. „Wo ist Mister White?“ „Nach Kimberley gezogen, hat sein Claim verkauft, aber an die Mine in Kimberley, die ihn gar nicht bearbeitet. Er war gut zu mir und hat mir erlaubt, in seinem Hause zu wohnen, im Zelt wurde es in den Nächten zu kalt. Junge, jetzt bist du da, und ich habe nicht einmal etwas zu essen, habe schon seit gestern nichts mehr.“ Jetzt, bei dem Schein der Petroleumlampe, sah Will erst, wie elend und vergrämt die Mutter aussah. „Wenn es weiter nichts ist! Fast zwei Pfund habe ich bei mir, die hat mir der gute Mister Bankroft gegeben, und wir brauchen nur nach Kimberley an die Bank zu schreiben. Ich habe Mabel gefunden, Mister Black hat uns in Pretoria abgeholt. Mabel ist krank, er will mit ihr nach Kapstadt, aber er hat mir gesagt, daß er uns sofort das Geld für den Stein, den ich damals hatte, fünftausend Pfund, anweist.“ Mutter Marie hatte nicht mehr zugehört, sie war in den Stuhl gesunken und ohnmächtig geworden. Will bettete sie auf das harte Lager, das auf der Bank bereitet war; dann rannte er wieder davon, kam nach einer halben Stunde zurück und stellte, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Ohnmacht der Mutter in einen Schlaf der Erschöpfung übergegangen war, alles auf den Tisch, was er gekauft hatte. Wurst, Brot, Fleisch, sogar eine Flasche Wein, damit die
Mutter wieder zu Kräften kam. Das eine Pfund war drauf gegangen. Was tat das – morgen schrieb er nach Kimberley. „Mutter! Mutter! Der Tisch ist gedeckt!“ Frau Marie schlug die Augen auf und sah sich erstaunt um, brauchte Zeit, sich zu sammeln; dann kam ein Lächeln über ihr blasses Gesicht. „Will, ist denn das alles wahr?“ „Aber natürlich!“ „Die Sorgen sollen zu Ende sein?“ „Sie sind es ganz sicher.“ Dann saßen sie beieinander und aßen. Will erzählte, aber nur wenig, denn er wollte die Mutter nicht mit alledem schrecken, was er erlebt hatte. Jedenfalls aßen sie beide, und Frau Marie bekam sogar wieder ein wenig Farbe in die bleichen Wangen von dem Glas süßen Wein, das Will ihr aufgedrängt hatte. „Aber nun sage mir, was ist denn mit unserem Claim?“ . „Schwindel ist alles. Ich glaube, die beiden großen Diamanten, die Mabel Black gefunden hat, sind die beiden einzigen auf dem ganzen Felde gewesen.“ Sie erzählte davon, wie Mister Wilson, der Werkführer, den der Mister Black entlassen hatte, zu ihr gekommen war. „Dann hat er gleich begonnen. Sechs Neger, dieselben, die schon den Schacht auf dem Claim gegraben hatten, kamen; und Grubenholz wurde herbeigeschleppt. Mister Wilson war ein anständiger Mensch. Er hat wirklich Geld in die Sache gesteckt. Auf fünf Meter haben sie das tiefe Loch in die Erde gegraben. Die Neger haben das Erdreich zur Schüttel- und Waschmaschine geschleppt, ich brauchte nur dabeizustehen und die Diamanten auszulesen. Wir haben auch täglich welche gefunden, aber immer nur solche kleine Dinger wie damals, die eben ausreichten, um unser Leben zu fristen. Du weißt ja, wie schlecht sie bezahlt werden und wie teuer alles ist.
Drei Wochen hat Mister Wilson mit den Männern geschuftet, dann verlor er die Lust. ,Frau Hartman’, hat er gesagt, ,ich höre auf. Da verdiene ich ja mehr, wenn ich in Kimberley ein Auto chauffiere!’ Dann hat er mir sogar schriftlich gegeben, daß er mir alles schenkt und gar kein Anrecht mehr auf die Mine hat, und dann ist er weg. Das war vor acht Tagen, und seitdem sitze ich hier und habe seit gestern nicht mehr einen Pfennig im Hause; im Hospital sind wir auch schon zweihundert Pfund schuldig, und ich habe jeden Tag große Angst, daß der Arzt den Vater nicht mehr behält. Der weiß ja noch gar nicht, wie schlecht es mir geht. Und ebenso ist es auf den anderen Claims. Täglich werden Diamanten gefunden, aber immer nur kleine. Die meisten sind weg, haben die Claims für ein paar Pfennige an Neue verkauft, und denen geht es nun ebenso. Nur die Kaufleute verdienen Geld, denn sie wuchern den Diggers die paar Diamanten noch ab, die sie finden, und lassen sich jeden Topf Wasser teuer bezahlen.“ „Ich werde gleich an den guten Mister Bankroft schreiben, daß er uns von der Bank sofort Geld schicken läßt. Dann nehmen wir ein Auto, lassen den armen Vater nach Kimberley bringen, kurieren ihn richtig aus, und dann gehen wir alle zusammen nach Deutschland.“ Will setzte sich an den Tisch – Papier, Feder und Tinte hatte Mister White zurückgelassen. Es wurde ein ziemlich langer Brief. Will schilderte, wie es in Brixtons Valley aussah, wie die Mutter gedarbt hatte, von den Schulden; und schließlich bat er Mister Bankroft, da er doch nicht wußte, wie man das machte, die Bank zu veranlassen, ihm vierhundert Pfund zu senden, damit er des Vaters Schulden bezahlen und mit ihm nach Kimberley kommen konnte.
Die Mutter las den Brief und begann allmählich zu glauben; dann trug ihn Will noch zur Post, weil ja ein Auto zum Morgenzug nach Blue Fountain fuhr. „Jetzt hat Mister Bankroft den Brief wahrscheinlich schon morgen, und in ein paar Tagen haben wir schrecklich viel Geld.“ Freilich, das Lager, das Frau Marie ihrem Jungen auf der harten Bank bereiten konnte, war lange nicht so schön und weich wie das Bett im Hotel in Pretoria, aber es war immerhin viel besser als die Nächte im Urwald, und außerdem – wenn er aufwachte, dann hörte er neben sich ja die Mutter atmen und – welches Glück: in ein paar Tagen, dann war alle Not überstanden.
Am nächsten Morgen war Will früh erwacht, sah erst einmal in das tiefe Loch, das mitten auf dem Claim gähnte; dann aber machte er schnell Feuer auf dem Herd, und als Frau Marie erwachte, stand ein großer Topf mit gutem Kaffee fertig auf dem Tisch, und Will hatte sogar frisches Brot und Butter geholt. Dann gingen sie zum Vater, und Will fand ihn eigentlich besser aussehend als die Mutter. Georg Hartman streichelte des Jungen Wangen. „Der Arzt hat gesagt, wenn ich noch einmal operiert würde, dann heilte der Stumpf, und wenn ich Geld hätte, mir ein künstliches Bein machen zu lassen – “ „Aber, Vater, Geld haben wir ja!“ Es wurde ein schöner Tag voller Hoffnung, und am Abend kam sogar der Briefträger und brachte Nachricht von Mister Bankroft. Zwar keine Antwort, das war ja noch nicht möglich, aber eine Zeitung, und in der war sogar Wills Bild, wie er den Löwen erschossen hatte, und ein sehr langer Artikel, in dem
geschildert wurde, wie Mister Bankroft und Will Hartman zusammen die kleine Mabel Black gesucht und gefunden hatten. Allerdings, Will schämte sich eigentlich, ihm erschien das, was sie erlebt hatten, nicht gar so gewaltig. Mister Bankroft war eben ein Zeitungsmann und hatte sein und des Jungen Verdienst und Kühnheit in recht kräftigen Reklamefarben in dem Artikel geschildert. Um so stolzer war Frau Marie auf ihren Jungen, und jedenfalls vergingen drei recht schöne Tage, und als das Geld, das Will bei sich gehabt hatte, verbraucht war, gab ihnen sogar Mister Cooper, der hartherzige Kaufmann, genügend Kredit, und in der ganzen Minenstadt hatte sich die Geschichte von dem tapferen Will Hartman, der die kleine Mabel aus den Händen des Kaffernhäuptlings gerettet hatte, herumgesprochen, denn die „Daily News“ aus Kimberley wurde natürlich auch von den Diggers in Brixtons Valley gelesen. Nach drei Tagen, als Will und seine Mutter schon eifrig ausschauten, kam auch wirklich der Briefträger. „Ich habe einen eingeschriebenen Brief an Mister Will Hartman.“ Wills Hände zitterten, als er den Schein unterschrieb; dann aber schwenkte er den Brief wie eine Fahne in der Hand und rannte zur Mutter. „Das Geld! Mutter, das Geld ist da!“ Frau Marie mußte sich setzen, und Will holte erst ein Messer. Solch einen Brief durfte man doch nicht aufreißen wie jeden anderen. Dann aber machte er ein recht enttäuschtes Gesicht, obgleich er eine Fünfzigpfundnote in seiner Hand hielt, und las mit stockender Stimme: „Lieber Junge! Ich kann Dir nicht viel Gutes berichten. Mister Black hat aus Kapstadt an die Mine telegrafiert, daß er einen Europaurlaub antreten müsse. Sofort. Die Ärzte hätten
gesagt, daß die kleine Mabel wieder vollkommen gesund würde, aber sie müsse so schnell als möglich in anderes Klima und zu europäischen Ärzten. Er ist auch gleich am nächsten Tag mit einem Lloyddampfer von Kapstadt abgefahren. Ich war auch auf der Bank, aber in seiner Sorge um das Kind hat er jedenfalls vergessen, das Geld, die fünftausend Pfund, die er Dir schuldet, anzuweisen. Ich habe alles getan, was ich konnte, habe ihm ein drahtloses Telegramm auf das Schiff nachgeschickt, aber keine Antwort bekommen. Er ist eben ein Egoist, und Du wirst ihn im Notfalle verklagen müssen. Das nützt Dir allerdings jetzt nichts. Ich sende Dir fünfzig Pfund. Das ist eine Prämie, die der Verlag der ,Daily News’ für Dich ausgesetzt hat. Sieh zu, daß Ihr nach Kimberley kommt. Ich werde schon sehen, ob ich Dich irgendwie bei unserer Zeitung wieder einstellen kann.“ Das war nun allerdings eine recht böse Enttäuschung, und Frau Marie sagte mit tränenden Augen: „Ich habe es immer gewußt, daß Mister Black ein schlechter Mensch ist. Jetzt will er sich um den hohen Preis drücken, und selbst wenn du dabei dein Leben und deine Gesundheit verloren hättest.“ „Aber Mister Bankroft ist gut, und er schreibt doch, daß Mister Black mir das Geld geben muß.“ „Weißt du, was ein Prozeß kostet? Haben wir dazu Geld?“ „Wir müssen so schnell wie möglich nach Kimberley.“ „Und unsere Schulden? Im Hospital? Beim Kaufmann?“ „Denke dir, Mister Bankroft hat uns noch fünfzig Pfund geschickt und will mir doch Verdienst geben.“ Freilich, Will nahm sich nur mit Gewalt zusammen. Es war doch nicht so leicht, nach diesen Träumen von Reichtum nun wieder etwa Botenläufer für ein paar Schilling an der „Daily News“ zu werden. Aber Will schluckte tapfer seine Tränen hinunter.
„Da hilft nun nichts. Wir müssen nach Kimberley. Ich werde einmal zu dem Arzt gehen.“ Er hatte sich diesen Gang allerdings anders vorgestellt, hatte sich schon gesehen, wie er dem Arzt die zweihundert Pfund auf den Tisch legte, und jetzt mußte er bitten! Dr. Spenzer las den Brief durch und sah vor sich hin. „Ja, lieber Junge, was machen wir da?“ „Herr Doktor, ich kann nichts dafür, daß ich das Geld nicht habe. Mister Black wird es schon senden.“ „Und wenn er es nicht tut?“ „Ich bin jung, ich werde schon einmal etwas erreichen. Wir können doch nicht hier bleiben. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Ihnen alles abzahlen werde.“ Dr. Spenzer sah ihn lange an. „Junge, so ein Ehrenwort ist ein eigenes Ding. Das siehst du ja jetzt an Mister Black. Aber schließlich – je länger ihr hier bleibt, um so größer wird eure Schuld. Ich kann auch die notwendige Operation hier nicht machen. Gut. Ich will mich mit deinem Worte zufrieden geben. Es ist schließlich ebensoviel wert wie eine Schuldverschreibung deines Vaters. Wer zahlen will, zahlt, und wer nicht will – ja, da kann man hinterherlaufen! Also reist so schnell wie möglich, und ich will dir noch eine Empfehlung an den Chirurgen des Krankenhauses in Kimberley geben. Vielleicht nimmt der deinen Vater auch so auf.“ „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, aber ich habe noch eine Bitte.“ „Was denn noch?“ „Sagen Sie Vater nichts. Ich möchte nicht, daß er sich obendrein Sorgen macht. Vertrauen Sie mir, ich zahle Ihnen alles einmal ab.“ Dr. Spenzer streichelte Will den Kopf.
„Bist ein guter Junge. Ich werde dem Vater nichts von der Schuld und unserer Abmachung sagen und werde einmal sehen, ob du Wort hältst.“ „Es kann freilich etwas lange dauern – “ Der Arzt lachte. „Das glaube ich beinahe selbst.“ Will hatte noch einen Gang. Er mußte Mister Cooper bezahlen, und es war seltsam. Mit dem tapferen Jungen, der so mutig alle Sorgen auf sich nahm, hatte sogar der Wucherer Mitleid. „Gut, Junge, ich will dir einen Sonderpreis machen. Übrigens, morgen lasse ich ein Lastauto nach Kimberley fahren. Meinetwegen mögt ihr euch draufsetzen, und ich will nicht einmal etwas dafür berechnen.“ Will rannte zur Mutter zurück und hatte seinen großen Reichtum, der zu Wasser geworden war, fast schon wieder vergessen. „Wir fahren morgen nach Kimberley! Ich habe alles bezahlt, und wir behalten sogar noch zwanzig Pfund übrig. Vater braucht auch gar nichts zu wissen, damit er sich keine Sorge macht.“ Georg Hartman war glücklich. Er erfuhr nur, daß etwas Geld gekommen sei und daß sie nach Kimberley fuhren. Der ganze Tag verging wie im Fluge. Das Nötigste wurde zusammengepackt. „Könnten wir das Claim nicht verkaufen?“ „Ach, Mutter, das will Mister Cooper nicht einmal geschenkt haben, er sagt, das ganze Gerummel hier in Brixtons Valley würde in ein paar Wochen zu Ende sein.“ Während Vater Hartman immer noch an den Reichtum glaubte und sich ausmalte, wie er in Kimberley gesund werden und dann mit Frau und Kind wieder nach Deutschland fahren und dort mit dem schönen Gelde etwas beginnen wollte, saßen
Mutter und Sohn zum letzten Male in dem Wellblechhause des Mister White. Es war heute noch ungemütlicher als sonst. Die paar Habseligkeiten, die sie mitnehmen wollten, waren schon gepackt, und Frau Marie hatte schon wieder die Augen voller Tränen. „Es wäre zu schön gewesen!“ „Laß gut sein, Mutter. Was zu schön ist, das wird eben nicht wahr. Ich werde schon vorwärtskommen und für euch sorgen. Mister Bankroft wird mich schon nicht verlassen.“ Trotzdem konnten sie beide keine Ruhe finden, und Will trat noch einmal ins Freie hinaus. Da lag die Mine mit ihrem tiefen Schacht. Waren denn die beiden Diamanten, die Mabel gefunden hatte, wirklich die einzigen? Wäre es nicht besser, doch hierzubleiben und Weiterzugraben? Nun, wo er fort sollte und alles im Stich lassen, tat es ihm leid. Dann sah er in den Himmel, und sein Gesicht bekam einen erstaunten Ausdruck. „Mutter, komm doch einmal her.“ „Was ist denn, Junge?“ „Da ist so ein sonderbarer, heller Schein am Himmel, der war doch sonst nicht?“ „Vielleicht irgendwo ein Lagerfeuer.“ „So groß? Mutter, da brennt es!“ Sie sahen immer in den Himmel hinauf – „Wir wollen doch einmal auf den Hügel steigen.“ „Junge, die Steppe brennt!“ Jetzt sahen sie, wie der Schein immer größer und heller wurde. „Das Gras brennt. Wenn das hierherkommt – “ „Ich glaube nicht, der Wind steht anders.“ „Wie seltsam, daß sich oben in der Wellblechstadt niemand darum kümmert.“
Sie lauschten, und jetzt wurde es auch dort oben lebendig. Aber man schien sich nicht um den Schein am Himmel zu kümmern. Wüstes Geschrei wurde laut, Schüsse fielen. Wahrscheinlich waren in irgendeiner Spielhölle die Betrunkenen aneinandergeraten. Jedenfalls nahm das Gebrüll zu, jetzt waren auch schon gellende Hilfeschreie dazwischen, und weitere Schüsse fielen. „Mutter, komm ins Haus!“ Sie eilten hinein und schlossen die Tür hinter sich zu. „Da ist eine richtige Schlacht!“ „Wenn nur dem Vater im Hospital nichts geschieht.“ „Das liegt ja zum Glück außerhalb der Stadt.“ Sie hockten dicht beieinander und lauschten mit pochenden Herzen. Immer lauter wurden oben die Hilferufe und Schreie, immer mehr wurde geschossen, dann aber sprang Will auf. „Das Feuer!“ Sie traten wieder hinaus. Der Anblick war schauerlich-schön. In einem weiten Halbkreis standen die ganze Grasnarbe, das trockene Gestrüpp, die kümmerlichen Bäume in hellen Flammen. Oben wurde es plötzlich still, aber nur, um gleich darauf anderen Rufen Matz zu machen. „Feuer! Feuer!“ Rasend schnell kamen die Flammen näher, es schien schon sicher, daß sie Brixtons Valley in kurzer Zeit erreichten. Die Menschen vergaßen ihren Streit, schrien durcheinander, rannten hilflos umher. „Wir müssen zum Vater – “ Will versuchte mit der Mutter den Weg hinaufzusteigen, der zur Stadt führte; es war unmöglich, denn von dort drängten Hunderte hinab. Der. Flammengürtel erreichte das Minenfeld, ein paar Zelte flammten auf, sengende Glut wurde über die Wellblechhäuser
getrieben, Funken stoben in der Luft. Wasser war fast gar nicht vorhanden, jedes Löschen vergebliche Mühe, jede Flucht unmöglich, denn wer hätte den Flammen, die sich, vom Nachtwind gepeitscht, rasend schnell vorwärts bewegten, auf seinen Füßen entlaufen können? Nur ein paar Autos rasten davon. Furchtbare Minuten, in denen ein paar tausend Menschen den sicheren Tod vor Augen sahen; dann schrie Will auf, der die Mutter fest in den Armen hielt: „Das Feuer macht einen Bogen um Brixtons Valley. Es findet auf den bearbeiteten Claims keine Nahrung.“ Jetzt wurde es dort, wo der Schein zuerst aufgeleuchtet, schon wieder dunkler. Will hatte recht. Die Flammen rasten weiter westlich, sparten das Gebiet von Brixtons Valley aus, erreichten die Wellblechhütten nicht, weil der aufgewühlte Boden noch nicht genügend neue Grasnarbe hatte. Allmählich rückte die Glut weiter, der Wind brachte nur noch Rauch und Brandgeruch, dann ging es wie ein großes Aufatmen durch alle die Menschen. Die Gefahr zog vorüber – der Feuerschein verschwand im Westen, der immer stärker werdende Wind fegte die Luft wieder rein. Frau Marie lag matt auf der Bank, Will versuchte zu ruhen. „Es ist ein Glück, daß wir morgen aus dieser entsetzlichen Gegend fortkommen. Diggerleben ist Hölle!“ Die Mutter schlief ein, und Will lag mit klopfenden Pulsen auf seinem Lager. Warum hatte er nicht wenigstens einen guten Diamanten gefunden! Und morgen – ja, morgen war alles vorbei, und – er war wieder Laufbursche in der „Daily News“ – wenn Mister Bankroft sein Wort hielt!
11
Die Sonne hatte eben erst begonnen, die Berge im Osten in sanftem Rot erglühen zu lassen, als Will bereits wieder wach wurde und, um die schlafende Mutter nicht zu stören, auf ganz leisen Sohlen das Wellblechhaus verließ und nun hinaus ins Freie trat. Ihm war so traurig zumute! Als er nun noch einmal auf der Schutthalde stand, die neben dem Schacht aufgetürmt war, hätte er weinen mögen. Nicht um das verlorene Geld, das Mister Black ihm nicht geschickt hatte. Er hatte ja die kleine Mabel retten können und – ja, wenn nur die Sorgen nicht gewesen wären! Aber – da lag nun das weite Diamantenfeld, das die Tausende herbeigelockt hatte, das von allen mit solcher Hoffnung begrüßt war und alle so bitter enttäuscht hatte! Auch ihn! Und nun, wo er es verlassen sollte, war er traurig. In seinen Gedanken war er bis an den Schacht herangetreten. Mister Wilson hatte alles gelassen, wie es am letzten Arbeitstage gewesen, die Leiter war noch da, die in die Tiefe führte, das heißt, es war eigentlich nur ein langer Baumstamm, an den einige Sprossen genagelt waren. Unten lehnten sogar noch die Axt und das Sieb, um die Erde zu zerkleinern. Will sah auf – ihm war ein Gedanke gekommen, und sofort setzte er ihn in die Tat um. Die Mutter schlief noch – um elf Uhr erst sollte das Auto fahren, und jetzt war es vier Uhr morgens – wenn er – wenn er noch einmal – ein letztes Mal das Glück versuchte? Schon hatte er die Jacke ausgezogen, die Hemdärmel hochgestreift und kletterte an den Sprossen hinab. Es war so
tief, dieses Loch, daß es hier unten noch fast dunkel war, aber Will nahm die Hacke, schlug in den Boden, füllte zwei der Eimer, zog sie an der Winde, die auch noch herabhing, in die Höhe, stieg selbst hinauf, entleerte die beiden Eimer in die Waschmaschine und ging wieder daran, zwei neue Eimer zu füllen. Als die Mutter, verwundert, wo Will stecken könne, gegen sechs Uhr aus der Hütte trat, sah sie ihn mit hochrotem Kopf an dem Schwungrad der Waschmaschine stehen, und in hellem Bogen floß das Wasser aus der Leitung, die Wilson gelegt hatte, über das trockene Erdreich. „Ach, Junge, warum?“ „Laß mich, Mutter, um neun Uhr höre ich auf, es ist ja das letztemal.“ Frau Marie verstand ihn, es erging ihr ja ähnlich. „Gut, es ist ja gleichgültig, was wir in diesen letzten Stunden beginnen. Ich will schon waschen!“ Es wurde sieben – acht Uhr! Die Mine war hartherzig! Nicht einmal ein paar Brocken für ein oder zwei Pfund hatten sie zutage gefördert. Frau Marie stellte die Maschine ab. „Es ist gut so! Nun reisen wir wenigstens mit leichterem Herzen. Ich will zu Cooper, vielleicht gibt er wenigstens noch ein paar Schilling für die Waschmaschine.“ „Geh voran, ich bin um zehn Uhr beim Vater.“ Als die Mutter gegangen – das Gepäck war ja schon abgeliefert, stand Will noch immer unentschlossen. Schon griff er nach seiner Jacke, als er sie wieder fortwarf. „Noch einmal – noch ein letztes Mal!“ Er war wieder unten im Schacht, sah, daß er bereits ein ganz tüchtiges Loch gegraben hatte, kniete im Erdreich, wühlte darin mit den Händen, war so verzagt!
Dann stutzte er – er hatte etwas Hartes, Kantiges zwischen den Fingern. Was würde es sein – natürlich ein Kiesel – war ja viel zu groß für einen Diamanten! Inzwischen war die Sonne höher gestiegen und leuchtete jetzt bis in den Schacht. Will hielt den seltsamen Stein in der Hand, wischte ihn ab – zögerte – stieg die Leiter herauf, wusch ihn im Wasser, das noch in der Maschine stand – was war das! Will riß die Jacke vom Boden empor, zog sie an, ließ sich nicht einmal Zeit, seine Mütze zu nehmen, und rannte davon, rannte den Weg zur Wellblechstadt empor, stand vor dem Hause des Aufkäufers, holte nur flüchtig Atem, trat ein und klopfte an der Tür des Kontors. „Herein! Was? Will Hartman? Auch wieder da? Und so außer Atem?“ Der Aufkäufer hatte ein gewisses Interesse an Will Hartman gewonnen. Wäre damals die Geschichte mit der kleinen Mabel Black und der Verhaftung der Familie Hartman nicht geschehen – wer weiß, wie dann der Einbruch der beiden Halunken abgelaufen wäre und ob er noch lebte. „Mister – es ist Wahnsinn – Sie werden mich auslachen – ist – ist das hier ein Diamant?“ Er reichte dem Beamten den Stein hin; dieser sah ihn an, machte ein ernstes Gesicht, lachte durchaus nicht, ging an seinen Tisch, säuberte ihn nochmals, benutzte allerhand Flüssigkeiten, nahm seine Lupe und beschaute den Kristall, legte ihn auf eine Wage und wog. „Wo hast du den Stein gefunden?“ „In unserer Mine.“ „An der Oberfläche?“ „In dem vier Meter tiefen Schacht.“ Jetzt hatte der Mann geradezu ein feierliches Gesicht. „Junge – du hast den größten Diamanten gefunden, der seit Jahren überhaupt bei uns gefunden wurde.“
Will schrie laut auf. „Es ist wirklich ein Diamant?“ „Es ist ein sehr schöner Diamant, und er wiegt dreihundertfünfzig Karat.“ „Drei – dreihundertfünfzig Karat? Dann wiegt er ja noch viel mehr als der berühmte ,Groß-Mogul’?“ „Das kommt darauf an. Jetzt ist es ja noch ein roher Stein, der muß geschliffen werden, und dabei geht gewöhnlich die Hälfte verloren, aber trotzdem – “ „Und – er gehört mir?“ „Du kannst beschwören, daß du ihn in eurer Grube gefunden hast?“ „Meine Mutter war bis kurz vorher noch bei mir.“ „Dann gehört er auch dir.“ „Und was – was kann er denn wert sein?“ „Ja, Junge, so ganz genau kann ich das nicht sagen. Das hängt eben von dem Schliff ab, aber so dreißig- bis sechzigtausend Pfund könnten es vielleicht werden.“ „Das – das ist ja mehr als eine halbe Million deutsche Mark?“ „Könnte unter Umständen sogar mehr als eine ganze sein.“ „Das – das ist ja – lieber, guter Mister – was mache ich, daß mir das niemand wegnimmt, daß ich das Geld wirklich bekomme – “ Auch der Aufkäufer hatte von dem Pech gehört, das Will mit Mister Black gehabt, und von der Rettung der kleinen Mabel. „Ich will dir etwas sagen. Ich werde hier zumachen und, wenn du es bezahlen willst, dann nehmen wir ein Auto und vier Konstabler zu unserer Sicherheit mit, denn so einen Stein kann man nicht allein mit sich herumtragen, und wir fahren zusammen nach Kimberley. Ich denke, den Stein wird die Direktion der De-Beers-Mine kaufen.“ „Das wäre sehr schön, aber – “
„Komm her. Ich verstehe, und du hast ganz recht. Wenn du mir den Stein anvertrauen willst, bis wir fahren, werde ich dir eine Bescheinigung geben. Sieh her, wir wollen den Stein fotografieren und messen, damit alles seine Ordnung hat.“ Es wurde fotografiert und gemessen und beschrieben – das Kontor blieb für jeden geschlossen; dann hielt Will eine Bescheinigung in der Hand, daß er dem staatlichen Aufkäufer Mister Hopworth einen Diamanten von dreihundertfünfzig Karat, der nach amtlicher Bescheinigung – die hatte der Kommissar gegeben – das Eigentum des Will Hartman war, denn auf Wills Namen lautete ja auch das Claim, das ihm Bankroft geschenkt, zu treuen Händen übergeben, und daß dieser Stein voraussichtlich nach flüchtiger Schätzung etwa fünfzigtausend Pfund wert sei. „Brauchst du Geld?“ „Wir haben hier allerhand Schulden.“ „Willst du fünfhundert Pfund?“ Will zitterten die Hände, als er die Quittung unterschrieb; und als er dann – es war fast halb elf Uhr – auf die Straße hinaustrat, sah er, daß bereits vier Konstabler mit dem Gewehr in der Hand herankamen und das Haus umstellten. Atemlos kam Will im Hospital an. „Junge, wo bleibst du so lange? Mister Cooper ist mit dem Lastauto auch schon da. Wie siehst du denn aus – “ „Mutter – Vater – ich – ich kann ja gar nicht reden – Mister Cooper – wir können mit dem Lastauto nicht fahren, und – ich bin Ihnen ja noch zwanzig Pfund schuldig – hier sind sie – “ Ehe ein Mensch aus den wirren Reden klug wurde, kam Dr. Spenzer herein: „Will Hartman, ich gratuliere – ganz Brixtons Valley steht ja auf dem Kopfe.“ Georg Hartman wurde ungeduldig. „So rede doch endlich!“
„Ich habe einen Diamanten gefunden, der wahrscheinlich eine ganze Million wert ist – “ „Du bist töricht – “ „Da, lies, das ist die Bescheinigung des Mister Hopworth, des Aufkäufers. Er wird uns selbst im Auto nach Kimberley bringen, und vier Konstabler sollen zum Schutz mitkommen. Herr Dr. Spenzer, hier sind auch die zweihundert Pfund, die Ihnen Vater noch schuldet.“ Draußen, vor dem Hospital, wurde es laut. Menschen stürmten heran, schreiende, brüllende Menschen; aber sie kamen nicht feindlich. „Hipp, hipp, hurra, Will Hartman und Brixtons Valley!“ Der Aufkäufer war unterdessen nicht müßig gewesen. Schnell waren in der kleinen Druckerei ein paar Anschläge gedruckt und überall angeklebt: „Will Hartman hat in seinem Claim Nr. 349 einen Diamanten im Gewicht von roh dreihundertfünfzig Karat gefunden. Die Leitung der Diamantfelder Brixtons Valley.“ Wie ein Lauffeuer war es durch die Claims geflogen. Die Stimmung schlug um. Alle, die gestern noch die Axt mutlos beiseite geworfen, stürzten wieder herbei. Ein Diamant! Ein Riesendiamant war gefunden! Wo einer war, waren mehr! Alles war wie in einem Taumel, immerzu wurden Will und Georg Hartman, der sich plötzlich viel wohler fühlte, Angebote gemacht. Telegramme kamen aus Kimberley, denn auch dorthin hatte Hopworth natürlich das Ereignis gemeldet. Das war ja noch bedeutungsvoller als die letzte Fundmeldung, die kurz zuvor in der Zeitung gestanden hatte: 200 karätiger Diamant gefunden London, 2. 2. Ein Diamant von 400 Karat, einer der größten der Welt, wurde am Sonnabend von zwei Diamantengräbern in Westtransvaal entdeckt. Sie hatten sich monatelang
vergeblich bemüht und gerade ihre letzten Cents verzehrt, als sie auf den kostbaren Fund stießen. Der Stein ist der größte, der je in diesem Gebiet gefunden wurde. Der Diamant „Florentiner“ wiegt 140 Karat, Wert 2 Millionen Mk. Der Diamant „Regent“, 136 Karat, 15 Mill. franz. Frank = 2,4 Mill. deutsche Mk. Der Diamant „Cullinan“, bei Pretoria gefunden, 56 Karat. Mister Bankroft gratulierte. Die Holborns telegrafierten, daß sie sofort abreisen wollten, Mister Wilson zeigte an, daß er schon abgereist sei und mit dem Flugzeug komme. Allerdings den Holborns, die damals sofort gezweifelt und der armen Familie noch ihre letzte Habe beschlagnahmt hatten, wurde sofort abdepeschiert. Am Abend kam Mister Wilson, und Will mußte wieder erzählen. „Ich habe natürlich kein Recht an dem Stein, denn ich habe ja schriftlich verzichtet – “ Will schüttelte den Kopf. „Wenn es Vater und Mutter recht ist, sollen Sie wenigstens den vierten Teil bekommen, denn wenn Sie nicht die Mine gegraben hätten – “ Vater Hartman nickte. „Das ist selbstverständlich.“ „Was wird aber aus der Mine?“ fragte Wilson. „Wenn Vater es erlaubt, schenke ich sie Ihnen, denn wir wollen nach Deutschland.“ Georg Hartman hob protestierend die Hand und sagte: „Hör mal zu, mein Junge. Ich habe hier gar nichts mehr zu erlauben. Du bist mir ohnehin über den Kopf gewachsen. Nun kommt noch hinzu, daß du den Stein gefunden hast. Du selbst hast zu entscheiden. Erlaube mir nur, dir mit meinem Rat zur Seite zu stehen. Du hast jetzt die sichere Erwartung auf Geld,
auf sehr viel Geld. Laß dich dadurch jedoch nicht beeinflussen, sage dir nicht: Ich habe jetzt Geld, und alles Weitere interessiert mich nicht mehr. Ein tüchtiger Mensch zeigt sich erst dann des Geldes, das ihm ein Glücksfall in den Schoß geworfen hat, würdig, wenn er versteht, dieses Geld weiterarbeiten zu lassen, um damit anderen Menschen Arbeit und Brot zu geben. Oder hast du etwa vor, das Geld einfach zu verbrauchen und damit basta?“ Will schüttelte den Kopf: „Ich wollte damit mit euch nach Deutschland fahren, uns ein Häuschen kaufen und studieren.“ Georg Hartman nickte: „Ein guter Einfall, den wir durchführen werden. Du wirst jedoch für den Diamanten viel mehr Geld erhalten, als du für das Häuschen und dein Studium auszugeben brauchst. Was soll mit dem Rest geschehen?“ Ratlos zuckte Will die Achseln. Wilson mischte sich ein: „Dein Vater hat recht, Will. Natürlich freue ich mich über deine Großzügigkeit, mit der du mir einen Anteil am Gewinn zukommen lassen willst, und selbstverständlich bin ich auch gern dazu bereit, die Mine zu übernehmen. Aber schenken sollst du sie mir nicht. Ich kaufe mich mit dem Geld, das ich aus meinem Anteil erhalten werde, in die Mine ein und werde dein Teilhaber.“ Will blickte ihn erstaunt an: „Teilhaber?“ „Jawohl, Teilhaber.“ „Wie soll ich das verstehen, Mister Wilson? Ich habe Ihnen die Mine doch ganz zur Verfügung gestellt. Und Sie brauchen doch keine Gewissensbisse zu haben, sie von mir entgegenzunehmen. Ich gebe sie Ihnen gern, weil ich ja doch nicht weiß, was ich damit anfangen soll.“
Wilson fuhr sich verzweifelt in die Haare: „Das ist es ja eben, Will. Das ist das Traurige, daß du nicht weißt, was du mit der Mine anfangen sollst. Dein Vater und ich versuchen dich schon die ganze Zeit davon zu überzeugen, daß man ein so unerwartetes Geschenk dankbar entgegennehmen muß und versuchen – “ „Aber ich bin doch dankbar dafür, sehr sogar. Ich weiß vor Freude – “ „Und versuchen aus dem so unerwartet Erreichten noch mehr zu machen. Du wirst deine Mine schön behalten. Warum solltest du nicht nach Deutschland gehen und dort studieren. Aber vorher würde ich an deiner Stelle einen Treuhänder einsetzen, der hier deine Rechte wahrt, denn selbstverständlich mußt du Besitzer der Mine bleiben. Wenn du mich als Teilhaber nehmen willst, bin ich gerne einverstanden. Und wenn du mit deinem Studium in Deutschland fertig bist, komm wieder hierher zurück und übernimm die Mine. Das erscheint mir die beste Lösung.“ Georg Hartman nickte: „Mister Wilson hat recht, Will.“ Will überlegte ein paar Minuten. Er wurde sich der Tatsache bewußt, daß er nun offenbar wirklich durch seinen Fund und den unerwarteten Reichtum, der ihm mit Sicherheit bevorstand, zum erwachsenen Menschen geworden war, der selber für seine Entschlüsse aufkommen und darüber entscheiden mußte. Schließlich sagte er: „Nun gut, aber vorläufig wollen wir nicht weiter darüber reden. Es muß sich ja erst einmal erweisen, wieviel Geld ich überhaupt für den Diamanten bekomme und wieviel mir dann noch übrigbleibt, wenn ich den Anteil Mister Wilsons abgezogen habe.“
„Über meinen Anteil mache dir keine Sorgen, Will“, warf Wilson sofort ein. „Erstens überlasse ich es vollkommen deinem Ermessen, die Höhe meines Anteils zu bestimmen, da du ja juristisch überhaupt nicht verpflichtet bist, mir etwas zu geben, und zweitens fließt das Geld, das ich bekomme, ja doch wieder in die neuzugründende Mine, da ich fest entschlossen bin, mich als tätiger Teilhaber bei dir einzukaufen, wenn du einverstanden bist, heißt das. Und ich bin überzeugt, daß ich dabei besser fahren werde, als wenn ich mein Geld lediglich auf die Bank legen würde, um es sich verzinsen zu lassen.“ „Aber Will hat schon recht“, sagte Georg Hartman. „Erst wollen wir einmal sehen, was überhaupt bei der ganzen Sache herausspringt.“ „Einverstanden, Mister Hartman. Ich bin mächtig gespannt und sehr zuversichtlich. Der Fund wird sich lohnen.“ *** Am nächsten Morgen – Will hatte vor Aufregung keinen Schlaf gefunden – stand ein großes, bequemes Auto bereit. Georg Hartman wurde darin auf weiche Kissen gebettet und hielt das eiserne Kästchen mit dem kostbaren Diamanten auf dem Schoß. Marie und Will saßen neben ihm, Mister Hopworth gegenüber, und neben dem Chauffeur saß ein Konstabler, während vier andere nebenher ritten. Schnell durfte ja das Auto trotz der großen Entfernung nicht fahren, weil Georg Hartmans Wunde geschont und auf die Reiter Rücksicht genommen werden mußte. Kurz vor Blue Fountain sahen sie einen Mann in zerlumpter Kleidung auf der Straße stehen, der ihnen zuwinkte. Neben ihm lag am Straßenrand ein Halbwüchsiger, der vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Will sein mochte.
Der Konstabler tippte dem Chauffeur auf den Arm: „Lassen Sie es sich nicht einfallen, aus falsch verstandenem Mitleid anzuhalten. Ich habe da schon einiges erlebt.“ Der Chauffeur blickte sich zögernd um, als wolle er erkunden, ob die Familie Hartman und Hopworth der gleichen Meinung seien. „Warum sollen wir nicht anhalten und den armen Menschen mitnehmen? Offenbar ist sein Begleiter ohnmächtig geworden. Ist das nicht Menschenpflicht?“ fragte Will entrüstet, und seine Eltern pflichteten ihm bei. Hopworth schüttelte den Kopf: „Sie haben keine Ahnung, zu welchen Tricks raffinierte Wegelagerer greifen, um auf Raub auszugehen. Glauben Sie, daß sich der Fund eines so großen Diamanten nicht schon längst überall herumgesprochen hat? Glauben Sie nicht, daß die hiesigen Verbrechercliquen sich nicht schon längst den Kopf darüber zerbrochen haben, wie sie am besten den Diamanten erbeuten können?“ Sie waren inzwischen auf gleicher Höhe mit dem zerlumpten Mann. Zögernd fuhr der Chauffeur weiter. Offenbar hatte auch er Mitleid und hätte viel lieber angehalten, um die beiden mitzunehmen. „Ich wage es. Halten Sie an!“ rief Will dem Chauffeur zu, als er einen Blick in das von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gekennzeichnete Gesicht des Mannes warf, der sich schon resigniert abwenden wollte. Trotz des Protestes von Hopworth und dem Konstabler hielt der Chauffeur augenblicklich und warf Will einen anerkennenden Blick zu. Der Konstabler riß seine Waffe fluchend aus der Hüfttasche und rief den vier Berittenen neben dem Wagen Befehle zu.
Offenbar rechnete er fest damit, daß hinter dem Gebüsch eine ganze Bande von Räubern nur darauf wartete, sich auf den haltenden Wagen zu stürzen. Es zeigte sich jedoch, daß sein Mißtrauen unberechtigt war. Der Mann humpelte auf den Wagen zu und deutete auf den Bewußtlosen: „Wenn Sie ein Herz im Leibe haben, dann nehmen Sie uns mit. Wir kommen nicht mehr nach Blue Fountain und müßten ohne Ihre Hilfe auf der Straße liegenbleiben.“ „Es sind nur noch drei viertel Stunden Fußmarsch nach Blue Fountain“, entgegnete Hopworth unwirsch. Dem zerlumpten Bittsteller traten die Tränen in die Augen. „Sie haben schon recht, Sir“, entgegnete er demütig. „Aber wie Sie vielleicht selbst sehen, ist mein Sohn nicht mehr in der Lage, auch nur einen Schritt zu gehen. Er muß aber so schnell wie möglich ins Krankenhaus, er hat einen Blutsturz nach dem anderen.“ „Steigen Sie ein!“ rief Will voller Mitleid, ohne weitere Einwände der anderen zu beachten. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen, den Jungen hereinzuschaffen. In der großen Limousine ist auch für ihn noch Platz, wenn wir ein wenig zusammenrücken. Sie nehmen meinen Platz ein, dann sitzen Sie neben Ihrem Sohn. Ich kann die letzte Wegstrecke auf dem Fußtritt außerhalb des Wagens stehen. Es muß dann ein Fenster heruntergelassen werden, damit ich mich festhalten kann. Los jetzt! Weiterfahren!“ rief er dann, als die Verladung des Jungen vollzogen war und der Alte Platz genommen hatte. Hunger und Entbehrungen hatten die Gesichter der beiden gezeichnet. Der Alte strich seinem blassen Sohn, der noch immer die Augen geschlossen hatte, behutsam übers Haar.
„Warum habe ich mich nur entschlossen, nach Südafrika zu kommen. Ich glaubte der Armut und dem Elend in Frankreich zu entgehen und bin nun mit meinem Sohn in noch größeres Elend geraten. Zu Hause in Marseille hatten wir wenigstens ein Dach über dem Kopf. Hier haben wir nicht einmal das.“ Es stellte sich heraus, daß es sich bei den beiden um zwei Franzosen, Vater und Sohn, handelte, die hierhergekommen waren, nachdem sie sich mühsam die Überfahrt als Kohlentrimmer verdient hatten, um hier ihr Glück zu suchen. Leider waren sie bisher immer vom Pech verfolgt gewesen. Will Hartman wurde richtig verlegen, als er sein unerwartetes Glück mit der hoffnungslosen Situation der beiden verglich. Zumindest wollte er dem Sohn des Alten jedoch die Krankenhauskosten bezahlen, damit er sein Lungenleiden auskurieren konnte. Und dann sollten beide noch so viel bekommen, daß sie fürs erste einmal ihrer Sorgen enthoben waren. Er gab dem Alten, bevor sie die beiden in Blue Fountain absetzten, die Adresse von Mister Bankroft, an den er sich wenden solle, außerdem ließ er ihm durch Hopworth das Reisegeld für sich und seinen Jungen nach Kimberley geben. Als sie am Bahnhof ankamen, wartete der Schnellzug bereits eine volle halbe Stunde auf sie. Er konnte es gar nicht fassen, daß er mit einemmal eine so wichtige Persönlichkeit geworden war, daß sogar ein ganzer Schnellzug seinetwegen wartete. Natürlich wußten die Fahrgäste Bescheid, und Will wurde mit Hurrarufen empfangen. Ein ganzer Wagen war für sie bereitgestellt worden. Georg Hartman wurde auf einer Bahre hereingehoben, und dann stiegen Marie, Mister Hopworth, Will und die Konstabler mit ein.
Was war denn das? Als sie in Kimberley ankamen, stand eine ganze Musikkapelle auf dem Bahnhof, und die Häuser hatten geflaggt. „Was ist denn hier los?“ „Der große Diamant wird gefeiert“, entgegnete Georg Hartman auf Wills erstaunte Frage. „Junge, ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, daß du solch ein Glück gehabt hast.“ Mister Bankroft war selbst an der Bahn. Will, der in Blue Fountain plötzlich die Spur der beiden Franzosen verloren hatte, reckte sich den Hals aus, um sie zu finden. Sie mußten doch mitgekommen sein. Da waren sie. Zu Bankrofts größtem Erstaunen drängte sich Will durch die jubelnden Menschen und zog den Alten mit seinem Sohn, der nun aus seiner Ohnmacht erwacht war und mühsam gehen konnte, hinter sich her. In kurzen Zügen erzählte er Bankroft, auf welche Art und Weise er die beiden getroffen hatte und daß er ihnen helfen wolle. Bankroft war begeistert. Im Geiste sah er schon Schlagzeilen vor sich: „Plötzlich reichgewordener Diamantensucher mit Herz hilft unverschuldet in Not geratenen Menschen!“ „Natürlich, Will. Den beiden wird geholfen“, sagte er. Da war auch schon das Krankenauto, das Georg Hartman ins Krankenhaus bringen sollte. Nicht nur Marie mit Georg, auch der alte Franzose mit seinem Sohn, der auf Wills Kosten ebenfalls dort untergebracht werden sollte, stiegen in das Krankenauto. Will legte Bankroft die beiden besonders ans Herz, da er sich wahrscheinlich nicht mehr darum kümmern könne.
„Ich werde Ihnen eine Summe zur Verfügung stellen, Mister Bankroft“, sagte er zu dem Zeitungsmann, „damit Sie diese nach Ihrem Gutdünken für die beiden verwenden können.“ „Nun, darüber sprechen wir später“, erwiderte Mister Bankroft, der fest dazu entschlossen war, auch noch in anderer Beziehung mit Will finanziell zusammenzuarbeiten. „Darüber sprechen wir später, denn es kann sehr leicht möglich sein, daß wir einmal gemeinsames Kapital verwalten. Ich möchte mich nämlich in deine Mine einkaufen.“ Will lachte schallend auf. „Nun fangen Sie auch noch an, genau wie Mister Wilson.“ Er fuhr unmittelbar vom Bahnhof aus zusammen mit Bankroft und Hopworth zum Hauptgebäude der De-BeersMine, und zwar im Auto der Direktion, in diesem großen hellgelben Auto, das er so oft mit stiller Bewunderung betrachtet hatte. Mister Bankroft, der eigentlich dort nichts zu suchen hatte, war auf Wills besonderen Wunsch bei ihm geblieben. *** Das wurde eine lange Sitzung in der De-Beers-Mine. Mister Rockstone, der zweite Direktor, der Black vertrat, führte den Vorsitz. Eine ganze Schar von Sachverständigen hatte sich ebenfalls im Sitzungsraum versammelt. Endlich sagte Mister Rockstone: „Wir sind bereit, diesen Diamanten sofort mit allen Eigentumsrechten für vierzigtausend Pfund zu erwerben.“ Leise sagte Bankroft: „Gauner, dann ist er mindestens achtzigtausend wert.“ Mister Rockstone tat, als hätte er diese Worte nicht gehört.
„Wer weiß, ob er nicht beim Schleifen zerspringt und was für Fehler zutage kommen. Außerdem geht die Hälfte verloren und endlich: Wo ist ein Käufer?“ Will war schon drauf und dran, sein Einverständnis zu dem festgesetzten Preis zu geben, als Mister Bankroft die Hand hob: „Im Auftrage Will Hartmans erhebe ich Einspruch gegen den von Ihnen festgesetzten Preis. Unter keinen Umständen wird Mister Hartman den Stein für einen so geringen Preis verkaufen. Ihre Einwände läßt ein einigermaßen fachkundiger Mensch nicht gelten. Sie sagten, daß es fraglich sei, ob der Stein beim Schleifen nicht zerspringe. Seien Sie froh, daß Sie kein Diamantenschleifer in Antwerpen oder Paris gehört hat. In den Händen eines kundigen Schleifers, der weiß, wo er den Stahlmeißel zum Abspalten der überflüssigen Stücke anzusetzen hat, kann ein Stein gar nicht zerspringen. Außerdem bekommen Sie ohnehin diesen Stein nicht, wenn Sie seinen Wert nicht zu schätzen wissen. Was reden Sie da von Fehlern, die noch zutage kommen könnten! Haben Sie sich den Stein einmal genau angesehen? Es ist ein Stein ersten Wassers, das heißt ein durchsichtiger, weißblauer Stein, wie er bisher in ganz Südafrika noch nicht gefunden worden ist. Sie alle, meine Herren, wissen, daß bei uns bisher nur Steine zweiten Wassers gefunden wurden, ich meine hier, in unserer nächsten Umgebung, auf jeden Fall aber waren bisher fast sämtliche in Afrika gefundenen Steine bestenfalls gelblich getönt. Eine so makellose weißblaue Färbung findet man nur bei indischen Diamanten. Und nun zu Ihrer Behauptung, daß beim Schleifen die Hälfte verlorengeht. Sie wissen genau, daß bei jedem Diamanten durch das Schleifen ein Substanzverlust eintritt. Aber haben Sie sich diesen Stein einmal angesehen? Er hat von Natur aus
bereits die Form eines Brioletts, wie der berühmte Toskaner nach dem Schliff einer war. Dieser Stein braucht nur angeschliffen und poliert zu werden. Der Substanzverlust wird so gering sein wie bei keinem Diamanten je zuvor. Schließlich zu Ihrer Schlußfrage: ,Wo ist ein Käufer?’ Glauben Sie wirklich, Mister Rockstone, daß wir für einen solchen Stein keinen Käufer finden?“ Kleinlaut lenkte Rockstone ab: „Wollen wir erst einmal hören, was die Eltern des jungen Burschen – “ Will blickte entrüstet auf. Schließlich sprang man mit einem Millionär nicht so um, Rockstone zuckte zusammen und verbesserte sich hastig: „… was die Eltern des jungen Herrn dazu zu sagen haben. Vielleicht sind sie mit dem Verkauf gar nicht einverstanden.“ So würde also Frau Marie Hartman geholt und bekundete in Vertretung ihres erkrankten Mannes, daß der Stein Will gehöre und die Eltern ihm jedes Verfügungsrecht darüber gegeben hätten. „Also fünfzigtausend“, sagte Mister Rockstone. „Ich gebe zehntausend zu. Aber das ist mein letztes Wort.“ „Sechzigtausend!“ forderte Bankroft in aller Ruhe. „Ich verhandle überhaupt nicht mit Ihnen, Mister Bankroft“, fauchte Rockstone. „Was haben Sie hier überhaupt zu suchen? Warum bleiben Sie nicht bei Ihrer Zeitung? Von Diamanten geschähen verstehen Sie nichts.“ „Ich glaube“, warf Will ein, „daß Mister Bankroft soeben bewiesen hat, daß er mehr von Diamanten versteht als alle Ihre Sachverständigen zusammen.“ Bankroft lachte: „Irrtum, Will. Die Herren verstehen genau soviel davon wie ich, sie wollten uns nur für dumm verkaufen.“ Er wandte sich erneut an Rockstone:
„Also, Mister Rockstone, ich spreche im Auftrage meines Freundes Will Hartman und wiederhole unser Angebot: Sechzigtausend.“ Als schließlich Will mit Marie und Mister Bankroft das Haus der De-Beers-Mine verließ, hatte er einen Scheck über fünfundfünfzigtausend Pfund in der Hand. Obgleich die Bank von Kapstadt eigentlich für den Kundenverkehr bereits geschlossen war, wurden sie noch vorgelassen, und der Kassierer nickte Will zu: „Ja, wenn der Mensch Glück hat!“ Dann hatten sie noch mit Mister Bankroft, der natürlich wieder einen langen Artikel plante, geplaudert und erschienen um neun Uhr abends in dem luxuriösen Speisesaal des Victoria-Hotels. Zu ihrem größten Erstaunen sah Will, daß Mister Wilson dort auf sie wartete. „Nanu, das ist aber eine Überraschung!“ Wilson war etwas verlegen: „Mir ließ mein Plan mit der Mine keine Ruhe. Ich wollte – “ „Was, Sie haben auch einen Plan mit der Mine?“ fragte Bankroft erstaunt. Nach fünf Minuten waren die drei „Männer“, denn auch Will galt als solcher, in ein aufgeregtes Gespräch verwickelt, während Frau Hartman staunend dabei saß. Sie saßen bis ein Uhr morgens beisammen, und als sie endlich sich zur Ruhe begaben, war ein gutes Stück Arbeit geleistet worden: Die BAHAW Mining Corporation war provisorisch gegründet worden. Natürlich mußte Will erst einmal mit seinem Vater darüber sprechen, und so konnte er es kaum erwarten, am anderen Tag zum Krankenhaus zu gelangen.
„Vater, ich habe für den Stein fünfundfünfzigtausend Pfund erhalten. Wenn Bankroft mir nicht zur Seite gestanden hätte, wären es wohl nur vierzigtausend geworden. Ich habe mir deshalb erlaubt, Bankroft in Anerkennung seiner Unterstützung, die er mir in der Verhandlung mit Rockstone hat zuteil werden lassen, fünftausend Pfund zu schenken. Bleiben also noch fünfzigtausend, nun – “ „Wo hast du das Geld, Junge? Wird es dir auch nicht gestohlen?“ *** „Das Geld ist in der Bank, und den Depotschein habe ich in das Safe des Victoria-Hotels schließen lassen. Hier ist die Quittung darüber.“ Georg Hartman nickte: „Sehr gut, nun erzähle weiter!“ „Bleiben also noch fünfzigtausend Pfund. Zweitausend davon werden für deinen Krankenhausaufenthalt und die Reise nach Deutschland verwendet werden. Tausend möchte ich den beiden armen Franzosen zur Verfügung stellen. Ich habe mir nun einmal fest vorgenommen, jemanden an meinem Glück teilhaben zu lassen. Wie geht es dem Jungen übrigens?“ Georg Hartman, der gegen die Großzügigkeit seines Sohnes nichts einwenden wollte, wenn sie ihm auch ein wenig übertrieben erschien, erwiderte: „Der junge Franzose hat sich überraschend erholt. Der Alte sitzt ständig bei ihm. Er war inzwischen einmal hier in meinem Zimmer und kann sich vor Dankbarkeit gar nicht fassen. Aber weiter! Ich bin begierig zu hören, wie du weiter mit den Zahlen nur so um dich wirfst.“ „Spotte nur, dir werden noch die Augen übergehen vor Staunen.“
„Daran zweifle ich nicht!“ Georg Hartman lachte gutmütig. Will fuhr unbeirrt fort: „Siebentausend Pfund, das sind etwa hundertvierzigtausend Mark, habe ich für die Gründung eines wohlbestellten Hausstandes der Familie Hartman in Deutschland veranschlagt. Außerdem werde ich damit das Ingenieurstudium starten. Es verbleibt ein Rest von vierzigtausend Pfund, genau soviel also, wie ich bekommen hätte, wenn mir Bankroft nicht gegen Rockstone geholfen hätte. Vierzigtausend Pfund, Vater, bedenke einmal, was das für ein Kapital ist! Das sind achthunderttausend Mark, beinahe eine Million Mark. Von diesen achthunderttausend Mark habe ich natürlich Mister Wilson ein Viertel abgetreten, so daß also mein Kapital sechshunderttausend, Wilsons zweihunderttausend beträgt. Warum ich das sage, wirst du gleich merken. Bankroft ist der dritte im Bunde, er hat an seiner Zeitung keinen rechten Spaß mehr, verkauft sie an einen englischen Freund mitsamt dem Kundenstamm für fünftausend Pfund. Zusammen mit dem Geld, das er von mir als Belohnung für seine Hilfe erhalten hat, besitzt also auch er zweihunderttausend Mark. Hast du auch folgen können? Ich sechshunderttausend, Wilson zweihunderttausend, Bankroft zweihunderttausend: macht zusammen eine Million! Die BAHAW Mining Corporation, deutlicher: die Bankroft-Hartman-Wilson-Minen-Gesellschaft. Wir werden eine Diamantenmine errichten, die der De-BeersMine erhebliche Konkurrenz machen wird. Wir werden nach und nach ganz Brixtons Valley in unseren Besitz bringen, ordentliche Siedlungen für unsere Arbeiter bauen, und was weiß ich, was wir noch alles tun werden.“ Georg Hartman wurde von der Begeisterung seines Sohnes mitgerissen, legte ihm dann aber doch beschwichtigend die Hand auf den Arm:
„Sorge du erst einmal dafür, daß etwas aus dir wird. Mit Geld allein ist es nicht getan. Man muß auch etwas können und etwas sein. Ich bin froh, daß du klug genug bist, erst einmal mit nach Deutschland zu gehen – “ „… und dort zu studieren, um als ganzer Mann wiederzukommen“, fiel eine Stimme von der Tür her ein. Bankroft stand lachend im Zimmer, und gleich hinter ihm kam Wilson, der Marie am Arm führte. Bankroft hatte zwei Weinflaschen im Arm: „Wie ich höre, Mister Hartman, hat Ihnen Will unser Geheimnis schon anvertraut“, sagte er lachend. Georg Hartman nickte. Plötzlich wurde Bankroft ernst. Er legte Georg Hartman die Hand auf den Arm und sagte leise: „Sorgen Sie wirklich dafür, daß Ihr Sohn ein ganzer Kerl wird, denn die Aufgabe, die hier in ein paar Jahren auf ihn wartet, verlangt einen ganzen Kerl. Wir meinen es ernst mit unserem Plan. Wir wollen die bedeutendste Diamantenmine ganz Kaplands aufbauen. Da Will, Ihr Sohn, der Hauptaktionär ist, dem der größte Teil der Mine gehört, während wir nur eine Art von Sachwalter darstellen, die sich beteiligt haben, muß ich es nochmals betonen: Auf Will wartet eine Lebensaufgabe. Einige Zeit werden wir es schon alleine schaffen, doch dann muß er da sein, dann brauchen wir ihn. Zunächst ist der Abbau der an der Oberfläche, in den sogenannten Seifenlagern liegenden Diamanten noch ohne große technische Kenntnisse möglich. Später ändert sich dies aber. Die Diamanten liegen nicht nur an der Oberfläche. Tief unter der Erde, in ausgedehnten Quarzschieferschichten hat sich irgendwann einmal gasförmige Kohlensäure angehäuft, die sich dann unter dem Druck der langsam sich komprimierenden Quarzschichten in flüssige Kohlensäure verwandelte. Diese flüssige
Kohlensäure löste den in solchen Quarzhöhlen vorhandenen Kohlenstoff auf. Sobald durch irgendwelche Erdbewegungen, die vor Jahrmillionen stattgefunden haben mögen, der Druck sich verringerte, kristallisierte sich der verflüssigte oder besser durch die Kohlensäure aufgelöste Kohlenstoff aus der Flüssigkeit heraus und ergab den Diamanten. Ähnlich wie bei einem Vulkan stiegen diese Diamanten dann in senkrechten Röhren aus dem Erdinnern nach oben. Diese Röhren jedoch, die sogenannten ,pipes’, müssen richtiggehend bergmännisch abgebaut werden, indem Stollen in die Erde getrieben und Fördertürme errichtet werden. Natürlich werden wir diese Aufgabe mit angestellten Ingenieuren schon meistern. Auf die Dauer jedoch ist es besser, wenn einer der unsrigen, das heißt also Will, von diesen Dingen selbst etwas versteht. Es ist das beste, wenn Will sich jetzt erst einmal an einer Technischen Hochschule in Deutschland das hierzu erforderliche Wissen aneignet.“ Will nickte. Ihm war feierlich zumute. Er fühlte den Ernst der Stunde. Dieses Gefühl ließ auch nicht nach, als dann, nachdem man die Flaschen geöffnet hatte und einander zutrank, die Stimmung heiterer wurde. Will sprach an diesem Abend auch noch mit dem Arzt. Dieser hatte natürlich seinen Vater schon untersucht: „Ist gar nicht so schlimm, Mister Hartman. Noch eine einzige Operation, dann vier Wochen Ruhe, und der Fuß Ihres Vaters ist gesund – “ Will lächelte schmerzlich: „Fuß?“ „Verzeihen Sie meine Nachlässigkeit. Ich meinte natürlich den Stumpf. Der Fuß ist ja leider nicht mehr da. Aber wenn Ihr Vater eine gute Prothese trägt, wird kein Mensch etwas davon merken.“ „Wie geht es dem jungen Franzosen?“ fragte Will.
„Ah, Sie meinen Ihren Schutzbefohlenen, dem Sie so großzügig geholfen haben, den jungen Lavernier“, erwiderte der freundliche Arzt. „Verhältnismäßig geht es ihm gut. Ich werde seine Lunge einmal gründlich untersuchen müssen. Aber den Alten habe ich nun auch ins Bett stecken müssen. Entkräftung durch die ständige Hungerei.“ „Sorgen Sie dafür, daß es den beiden Laverniers an nichts fehlt. Bezüglich der finanziellen Dinge wenden Sie sich an Mister Bankroft oder Mister Wilson.“ „Sehr gern! Wollen Sie die beiden Patienten sehen?“ Will zog es vor, nicht mit den Franzosen zusammenzukommen. Sie würden wahrscheinlich vor Dankbarkeit nicht wissen, was sie ihm Gutes sagen sollten. Will aber wünschte es nicht, für eine gute Tat nun auch noch Lob einzuheimsen. *** Es war sechs Wochen später. In Kapstadt lag ein großer Dampfer zur Abfahrt bereit. Will konnte sich nicht satt sehen an dem verschwenderischen Luxus des Riesenschiffes. Die Familie Hartman hatte zwei Kabinen, nicht etwa in der ersten, sondern in der auch sehr angenehmen Touristenklasse belegt. Auf den Arm seines Sohnes gestützt, konnte Georg Hartman mit dem künstlichen Fuß schon wieder ganz gut gehen. Und nun saßen sie zusammen auf dem Verdeck und blickten zum Hafen hinüber. In der Abendsonne erglänzten die erleuchteten Häuser der Stadt, die sich an Bergen emporzogen.
Langsam fuhr der stolze Dampfer aus dem Hafen hinaus. Dann, während das wundervolle Bild des Hafens langsam erlosch, lag vor ihnen die weite Fläche des Ozeans, und der helle Vollmond zeichnete ein silbernes Band in die leise bewegten Wellen. Frau Marie hatte in der Kajüte zu tun, um sich für die lange Fahrt einzurichten. Georg Hartman und sein Sohn saßen beisammen. Nachdenklich betrachtete der Vater den Jungen, Glück, Stolz, aber auch ein wenig Sorge in seinen Gesichtszügen. „Ja, mein Junge“, sagte er leise. „Du bist mir in der letzten Zeit über den Kopf gewachsen, obwohl du noch sehr jung bist. Aber du hast dich daran gewöhnt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich hoffe nur, daß diese ungewöhnlich schnelle Umstellung vom Knaben zum Erwachsenen in deiner Entwicklung nichts zerstört hat.“ Will schüttelte den Kopf: „Du brauchst nicht zu befürchten, daß ich übermütig oder eingebildet werde. Ich weiß, daß ich noch sehr viel lernen muß, bevor ich meine Aufgabe in Brixtons Valley übernehmen kann. Ich bin sehr gespannt auf Deutschland, auf Europa.“ Will freute sich wirklich auf die Fülle von neuen Eindrücken, die in Europa auf ihn warteten. Trotzdem jedoch verspürte er ein klein wenig Heimweh nach Brixtons Valley, nach Kimberley. Er dachte an Bankroft und Wilson, die ihn noch bis aufs Schiff begleitet hatten. Wie rührend waren sie bemüht gewesen, zu verbergen, daß es ihnen schwerfiel, sich von dem Jungen zu trennen. „Beeil dich mit deinem Studium. Wir brauchen dich hier dringend“, hatte ihm Bankroft noch einmal zugerufen. Neben diesen Männern würde er einmal stehen, als Freund und Mitarbeiter.
Aber erst galt es zu arbeiten, zu studieren. „Weißt du, Vater“, sagte er nach einer Weile. „Es war nicht leicht, als ich damals mit den Erwachsenen um die Wette lief, um ein Claim abzustecken. Ich denke mir, daß es auf der Schulbank und im Hörsaal genau so ein Wettrennen sein wird.“ Der Vater lächelte: „Du wirst es schon schaffen.“ Will faßte des Vaters Hand: „Es ist mein sehnlichster Wunsch. Und wenn ich noch etwas wünsche, so dies: Wir suchen uns in Deutschland ein kleines Häuschen mit einem recht schönen Garten. Möglichst in der Nähe einer Stadt, in der ich an der Technischen Hochschule studieren kann. Da werden wir wohnen. Du und Mutter, ihr besorgt den Garten, und du wirst endlich einmal ein Leben in Ruhe und Zufriedenheit genießen. Ich wünsche es dir und der Mutter von Herzen. Endlich einmal keine Sorgen mehr haben um das tägliche Brot, ist das nicht wunderbar?“ Georg drückte Wills Hand: „So soll es werden, mein guter Junge.“ *** Etwa vierzehn Tage später legte das Schiff bei der schönen Insel Teneriffa an. Während Georg und Marie an Bord blieben, ließ es sich Will natürlich nicht nehmen, an Land zu gehen und ein paar Stunden in den Straßen von Santa Cruz umherzubummeln. Will hatte lange dem Treiben auf dem Kai zugesehen, da zuckte er zusammen.
Ein Herr und ein kleines Mädchen kamen an ihm vorüber. Als das Mädchen Will sah, stürzte es auf ihn zu. „Will – lieber Will!“ „Oh, Mabel! Bist du wieder gesund? Wie geht es dir?“ Will war freudig überrascht und betrachtete Mabel genau, um zu sehen, ob sie noch Spuren ihrer Krankheit zeigte. Sie machte jedoch einen recht munteren und frischen Eindruck. „Natürlich bin ich wieder gesund“, erwiderte sie. „Wir sind jetzt auf dem Weg nach Kapstadt.“ Mit hochmütigem Gesicht hatte Mister Black neben den beiden gestanden und zog nun seine Tochter an der Hand: „Komm, Mabel!“ Lächelnd blickte Will Mister Black an. Dankbarkeit schien nicht die Stärke dieses Mannes zu sein. „Ich hoffe, du hast uns nicht etwa aufgelauert, um mir die fünftausend Pfund abzuverlangen.“ „Keine Sorge, Mister Black. Ich brauche Ihr Geld nicht, wenn es mir auch als vorher ausgemachte Belohnung für die Rettung Ihres Kindes und die Rückgewinnung des Diamanten von dem Räuber Jim Walker von Rechts wegen zustünde.“ „So, es steht dir zu. Das mußt du erst einmal beweisen. Meinst du, ich würde mit meinem Geld nur so um mich werfen?“ „Wie gesagt, Mister Black, ich verzichte auf Ihr Geld!“ Mister Black machte nun doch ein etwas erstauntes Gesicht und nahm dann Mabel, der die Tränen in die Augen traten, an die Hand: „Komm, Mabel!“ Heimlich winkte sie ihm noch einmal zu, als sie mit ihrem Vater ins Auto stieg. Die Sirene des Dampfers rief die Passagiere an Bord, und Will erzählte den Eltern sein Erlebnis.
„Er ist ein schlechter Mensch, der keine Dankbarkeit kennt. Er ist es nicht wert, daß man sich über ihn ärgert.“ „Ich hätte ja ohnehin auf das Geld verzichtet“, meinte Will. „Aber daß er es mir von vorneherein abschlägt, halte ich für eine Unverschämtheit. Aber du hast recht, Vater. Das Schicksal hat es ja so gefügt, daß wir ihn nicht an seine Dankbarkeit zu erinnern brauchen. Mag er in dem Bewußtsein leben, mich betrogen zu haben.“ Frau Marie dachte praktischer: „Dabei kannst du noch lachen? Fünftausend Pfund sind eine ganz schöne Summe. Wir hätten sie den Laverniers zur Verfügung stellen können.“ „Wenn ich daran denke, daß wir, die wir in Kimberley von ihm als Bettler behandelt worden sind, dem reichen Mann fünf tausend Pfund schenken können – das ist eigentlich ein schönes Bewußtsein. Und was die beiden Laverniers anbelangt, so habe ich bereits alles in die Wege geleitet, damit Bankroft und Wilson sich auch in Zukunft ihrer annehmen werden.“ Will lächelte, als er sich an die Dankbarkeit des alten Lavernier erinnerte, der in Kimberley noch im letzten Augenblick schnaufend an den Zug gekommen war, um Will einen großen Blumenstrauß in die Hand zu drücken. „Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen auf andere Art und Weise in meinem und meines Sohnes Namen meine Dankbarkeit zu erweisen, Mister Hartman“, hatte der Alte mit feuchten Augen gesagt. Ja, es war besser, an solche Leute zu denken, statt seine Zeit mit dem Ärger über Mister Black zu verschwenden. Nur um die kleine Mabel tat es ihm leid. Wie konnte ein so nettes Mädel einen solchen Vater haben! Aber Schluß damit!
Will hoffte, Mister Black in späteren Jahren, nach seiner Rückkehr, nicht wiederzusehen. Er ahnte nicht, daß er sich hierin sehr täuschen sollte, daß Black noch einmal sein erbitterter Gegner sein würde.
12
Bankroft und Wilson saßen in Bankrofts Arbeitszimmer beim Whisky. Durch das breite Fenster des modern und gediegen eingerichteten Raumes blickten sie über Brixtons Valley hinweg. Viel hatte sich hier im Laufe des letzten Jahres, seit Will nach Deutschland gegangen war, verändert. Brixtons Valley war in den Besitz der BAHAW Mining Corporation übergegangen. Die reglos und unsystematisch bearbeiteten Claims waren zusammengefaßt worden. Es hatte sich herausgestellt, daß die wenigen Funde, die von den einzelnen Diamantensuchern gemacht worden waren, bevor die BAHAW existierte, sich bald als Täuschung herausstellten. Es gab keine Diamanten mehr in Brixtons Valley! Gab es wirklich keine mehr? Sollte das riesige Kapital, das die BAHAW in Brixtons Valley investiert hatte, verloren sein? Sollte Will und sollten Bankroft und Wilson ihr Geld einem Phantom geopfert haben? Nein, es stellte sich vielmehr heraus, daß der unfachmännisch durchgeführte Tagebau der Diamantensucher lediglich die verschwindend wenigen Steine zutage gefördert hatte, die etwa einen Fuß unter einer nur wenige Meter tiefen Sandstein- oder Erdreichschicht lagerten. Man hatte bisher in Brixtons Valley nur das sogenannte Seifenlager, das Oberflächenlager, in einem ziemlich regellosen Tagebau ausgebeutet.
Bankroft und Wilson jedoch erstellten auf dem Gelände der BAHAW moderne Maschinen und Förderanlagen, um tief in das Erdreich einzudringen. Der Erfolg war verblüffend. Es zeigte sich, daß Brixtons Valley mehr Diamanten barg, als man jemals angenommen hatte. Der Kauf des ganzen Tales hatte sich gelohnt, nicht nur für die BAHAW, sondern auch für die vielen Privatleute, die bisher auf eigene Faust ihre kleinen Claims auszubeuten versucht hatten. Niemals hätten sie die Mittel aufbringen können, so tief in das Erdreich zu dringen, um die dort ruhenden Diamanten zu finden, die in einem Gemisch von Jaspissteinen, Hornsteinen und einem quarzigen Bindemittel ruhten. Hier konnte man auch nicht mehr mit den primitiven Methoden des Auswaschens oder Siebens etwas erreichen. Hier mußten moderne Gesteinzerkleinerungsmaschinen eingesetzt werden. Die privaten Sucher waren, soweit sie wollten, in den Dienst der BAHAW gestellt worden, nachdem man sie großzügig für ihre Claims abgefunden hatte. Sie bezogen ordentlichen und regelmäßigen Lohn, eine Siedlung schmucker Häuschen und Bungalows wurde am Rand von Brixtons Valley für sie erbaut, und außerdem waren sie mit einem wenn auch geringen Prozentsatz am Gewinn beteiligt. Kein Wunder also, daß die meisten zufrieden waren und sich mit „ihrer“ BAHAW eng verbunden fühlten. Es war fast unglaublich, was Wilson und Bankroft in dem einen Jahr geleistet hatten. Brixtons Valley hatte sein Aussehen vollkommen verändert. Die Anfänge eines regelrechten Diamantenbergwerks mit Fördertürmen und modernen Werkanlagen war bereits entstanden.
Hinzu kam, daß hier Steine von einer Beschaffenheit gefunden wurden, wie sie in Afrika bisher noch nicht vorgekommen waren. Es waren erstens sehr viele, unverhältnismäßig große Steine und zweitens Steine ersten Wassers, wie sie in Indien und Brasilien gefunden wurden. Diese Steine ersten Wassers zeichneten sich durch ihre glasklare, blauweiße Färbung aus, während alle anderen in Afrika bisher geförderten Steine nur vom zweiten oder dritten Wasser waren, also Steine, die hell- oder gar dunkelgelb getönt waren. Überhaupt hatte sich vieles verändert. Mister Black hatte seinen Posten als Direktor der De-BeersMine aufgegeben und eine eigene Mine am Rhodes Forest aufgemacht. Rhodes Forest lag etwa eine Wegstunde von Brixtons Valley entfernt. Niemand hätte dort Diamanten vermutet. Nur durch Zufall, durch den Fund eines Negers, war Black auf Rhodes Forest aufmerksam geworden. *** Bankroft schaute mit Wohlgefallen aus dem Fenster. Er hatte sich, ebenso wie Wilson, in Brixtons Valley eine Werkswohnung errichtet, in der er sich jedoch öfter aufhielt als in seiner eigentlichen Wohnung in Kimberley. „Hast du etwas von Black gehört?“ fragte er Wilson. Wilson nickte: „Ich war gestern mit dem Wagen im Rhodes Forest und habe mir die Sache einmal angesehen. So wie hier bei uns“, er machte voller Stolz eine Handbewegung zum Fenster hin über das Tal, „sieht es bei Black natürlich nicht aus. Er hat noch
keine Fördertürme, und ich zweifle überhaupt daran, ob sich dort die Errichtung eines Bergwerks lohnt. Rhodes Forest macht den Eindruck, als bestünde es nur aus einem allerdings recht reichhaltigen Seifenlager, das ziemlich schnell ausgebeutet sein wird. Ich hoffe für Black, daß er dies bemerkt, sonst kann er sich auf eine Riesenpleite gefaßt machen. Wenn er vorsichtig arbeitet, kann er allerdings noch etwa fünf Jahre durchhalten und sich dann mit einem ganz hübschen Kapital aus dem Diamantengeschäft zurückziehen.“ „Ich glaube, so ganz stimmt das nicht, was du da sagst. In ein, zwei Jahren wird man von Black nur noch ungern kaufen. Der Grund hierfür wird die BAHAW sein. Wir liefern bessere Steine, günstiger kalkulierte Steine, mehr Steine. Auch der Diamantenmarkt ist kein Eimer ohne Boden. Irgendwann tritt eine gewisse Sättigung ein. Das Londoner Syndikat wird sich nicht durch ein Überangebot die Preise verderben lassen. Man wird bei Einkäufen die BAHAW der Firma Black & Co. vorziehen. Black weiß das, Wilson. Ich bin gespannt, was er tun wird. Ich überlege, ob ich nicht mit Will brieflich Rücksprache nehme und ihm den Plan unterbreite, Black eine Partnerschaft vorzuschlagen.“ „Black wird darauf nicht eingehen, wie ich ihn kenne. Und ich sehe auch nicht ein, warum. Lassen wir ihn ruhig pleite machen. Er verdient es nicht anders“, erwiderte Wilson. „Übrigens, was macht Will? Hat er dir geschrieben?“ Bankroft nickte: „Ich habe vorgestern einen Brief von ihm erhalten. Er hat am Stadtrand von Aachen ein hübsches Häuschen für sich und seine Eltern gekauft und im Rekordtempo sich auf eine
Begabtenprüfung vorbereitet. Im nächsten Jahr will er nun auf die Technische Hochschule in Aachen.“ „Nun, wir wollen tun, was in unseren Kräften steht, um für ihn die Mine hochzubringen. Er soll es nicht bereuen, daß er damals auf unseren Vorschlag eingegangen ist.“ Wilson nickte. Er trat ans Fenster und sagte: „Schon jetzt würden ihm wahrscheinlich die Augen übergehen, wenn er dieses Bild sehen könnte. Eine richtige kleine Stadt. Nichts mehr von den alten Wellblechbaracken, den provisorischen Zelten. Sogar eine kleine Kirche ist inmitten der Siedlung erbaut worden. Ich kann verstehen, daß sich die Minenarbeiter aus allen Gegenden danach drängen, bei uns zu arbeiten.“ „Das ist wahr. Aber wir haben nun einmal unseren festen Stamm“, bemerkte Bankroft mit Bedauern. „Viele, die wir abweisen, können nicht einsehen, daß wir nicht ununterbrochen Neueinstellungen vornehmen können, und verlassen uns als Feinde. Ich habe gehört, daß Black & Co. diese Leute vorzugsweise einstellt, ganz so, als wölk er sich eine kleine Armee heranzüchten, eine Armee aus zweifelhaften Elementen, die uns dazu noch hassen.“ *** Rhodes Forest bot einen wesentlich anderen Anblick als Brixtons Valley. Black war alles andere als sozial eingestellt. Ihm genügte es, wenn seine Arbeiter ihre Pflicht taten. Wie sie wohnten, was sie in ihren freien Stunden taten, war ihm gleichgültig. Es war auch ein ganz anderer Typ von Arbeitern, der sich bei Black in Rhodes Forest eingefunden hatte. Viele sah man noch wie in den alten Zeiten, als am Orangefluß die ersten afrikanischen Diamanten gefunden
wurden, mit Revolvern bewaffnet umhergehen. Rhodes Forest wirkte wie ein vergessenes Überbleibsel aus den Tagen des ersten afrikanischen Diamantenruns, als noch Feuerwaffe und Lynchjustiz die Stelle des Gesetzes vertraten. Inzwischen jedoch waren die Verhältnisse schon seit langem zivilisierter geworden. Aus diesem Grund mied jeder anständige Mensch die Black-&-Co.-Mine. Abend für Abend wurde in den zahlreichen Salons der dürftigen, aus Wellblechbuden bestehenden Arbeitersiedlung getrunken und gespielt. Viele Arbeiter zogen es vor, statt des Geldes sogenannte Wertmarken der Black-&-Co.-Mine entgegenzunehmen. Sie kamen in diesem Falle auf zwanzig Prozent mehr Lohn, konnten dafür jedoch nur in den werkeigenen Geschäften und Salons ihr Geld ausgeben. Das bedeutete, daß die Löhnung, die Black & Co. auszahlte, zum großen Teil wieder in deren Kassen zurückfloß. Auch zuweilen durchgeführte Razzien des Detective Departments in Kimberley, das sich ausschließlich mit Diamantenvergehen beschäftigte, konnten an dem Zustand dauernder Gesetzlosigkeit in Rhodes Forest nichts ändern. Meist wußte man dort schon Tage vorher, wann eine Razzia zu erwarten war, so daß Zeit genug blieb, die illegalen Spielhöllen in harmlose Restaurants zu verwandeln, die ohne Lizenz getragenen Feuerwaffen zu verstecken und die vom Gesetz verfolgten Verbrecher irgendwo in Sicherheit zu bringen. Schuld an all dem trug weniger Mister Black als ein zweiter Besitzer der Mine, Mister Hayward, von dem niemand wußte, wer und was er war, woher er kam. Mister Hayward hatte mit Black zusammen die Mine gegründet und dafür gesorgt, daß in ihr die Zustände sich entwickelten, wie sie jetzt bestanden.
Hayward blickte erstaunt auf, als Black mit ungestümen Schritten sein Büro betrat. Höflich erhob er sich und trat seinem Kompagnon entgegen: „Mister Black, Sie machen einen so erregten Eindruck. Was ist los?“ „Mister Hayward, Sie haben Diamanten im Werte von dreitausend Pfund verschwinden lassen. Glauben Sie etwa, ich wäre über die Bücher nicht informiert? Das bedeutet, daß eine Menge Diamanten, wenn auch kleinere, von unserer Mine aus in den illegalen Diamantenhandel geschleust worden sind.“ Hayward nickte lächelnd: „Sie haben recht, Mister Black. Das also ist der Grund Ihrer Erregung. Dann will ich Ihnen einmal etwas sagen: Halten Sie es für besser, wenn wir unsere Fußböden mit Mosaiken aus Diamanten auslegen lassen? Die BAHAW macht uns mit solchem Erfolg Konkurrenz, daß das Londoner Syndikat die Aufkäufer angewiesen hat, von uns nur noch in beschränktem Maße zu kaufen. Was bleibt uns da anderes übrig, als in den illegalen Handel zu gehen? Er bringt zwar weniger ein, aber wir werden unsere Steine wenigstens los. Und auch die Tatsache, daß wir weniger Geld für illegal verkaufte Steine erhalten, wird sich bald ausschalten lassen. Durch Umgehung der Einfuhrzölle bei schwarzgehandelten Diamanten lassen sich erhebliche Summen verdienen. Ich werde es schon fertigbringen, die Schmuggler, die bisher daran verdienten, zu unseren Kreaturen zu machen. Ich werde von hier aus ein weltumspannendes Netz illegaler Händler lenken. Das wird der Black & Co. die eigentlich Black & Hayward heißen müßte, zugute kommen.“ Mister Black sprang auf: „Sind Sie wahnsinnig geworden? Sie können doch nicht unsere Mine zu einer Zentrale der Ungesetzlichkeit machen! Glauben Sie, ich wollte in des Teufels Küche kommen?“
„Haben Sie doch nicht solche Angst. Das alles ist eine Frage der Geschicklichkeit. Jeder, der erwischt wird, ist selber schuld daran.“ Hayward lachte heiser auf. Sein unschönes, durch eine breitgedrückte Boxernase entstelltes Gesicht wirkte dadurch noch abstoßender. Black stützte aufstöhnend den Kopf in die Hand: „Warum habe ich mich jemals mit Ihnen eingelassen!“ „Das kann ich Ihnen sagen, Mister Black. Damals, als der Besitzer von Rhodes Forest von einem Neger erfuhr, daß dieses Gebiet, das er für wertlos gehalten hatte, von Diamanten nur so wimmele, wollte sich der ahnungslose Besitzer bei Ihnen Rat holen. Sie waren damals noch Direktor der DeBeers-Mine. Ich saß damals im Nebenzimmer Ihres Büros, weil ich mit Ihnen über eine Beteiligung an der De Beers sprechen wollte. Ich war Zeuge Ihrer Unterredung und machte Ihnen den Vorschlag, das Gebiet dem Besitzer abzukaufen. Dieser dachte natürlicherweise nicht daran, zu verkaufen. Kurze Zeit später starb er eines keineswegs natürlichen Todes, obwohl alle glaubten, es handle sich um einen Unfall. Der Zufall wollte es, daß ich justament in dem Augenblick eine Landschaftsaufnahme mit meiner ausgezeichneten Kodak machen wollte, als Sie den Besitzer von Rhodes Forest mit einem Faustschlag in den Abgrund von Beaver Springs beförderten. Ich machte die Aufnahme, ich entwickelte sie selbst, und das sehr sorgfältig, ich besitze sie noch immer, denn das Bild ist sehr gut geworden, sehr klar.“ Black trat der Schweiß auf die Stirn: „Hören Sie auf, schweigen Sie!“ schrie er. „Glauben Sie, ich hätte diesen Augenblick je vergessen können? Glauben Sie, ich würde nicht heute noch zuweilen aus einem Traum schreiend auffahren, in dem ich wieder und wieder das Gesicht des
Mannes vor mir sehe, wie er mich fast ungläubig anstarrt, als ich ihm den Schlag versetzte? Glauben Sie nicht, daß mir noch immer der Todesschrei des Mannes in den Ohren liegt, den ich – “ Black stockte und warf verzweifelt den Kopf auf die Tischplatte. „… den Sie getötet haben, wollten Sie sagen“, vollendete Mister Hayward Blacks Aussage ungerührt. Hayward fuhr fort: „Die Art, wie Sie Ihre Gewissensbisse schildern, klingt zweifellos sehr eindrucksvoll, fast rührend. Aber glauben Sie etwa, daß die Polizei Ihnen aus diesem Grunde mildernde Umstände zubilligen würde? Ich habe Sie also in der Hand. Sie müssen sich an diese Tatsache recht oft erinnern, dann werden wir beide bestens miteinander auskommen.“ Heftig atmend erhob sich Black und trat auf Hayward zu: „Sie haben in Ihrer Darstellung verschiedenes vergessen, Mister Hayward“, sagte er. „Damals kamen Sie als ein Mann zu mir, der keinerlei Referenzen vorweisen konnte, sondern lediglich über offensichtlich gefälschte Papiere und einiges Geld verfügte. Wie Sie an beides gekommen sind, wollen wir lieber nicht untersuchen!“ „Was wissen Sie!“ warf Hayward lauernd ein. „Leider nichts, das muß ich zugestehen“, erwiderte Black. „Doch weiter! Sie machten mir reichlich zweifelhafte Vorschläge, wie wir durch Börsenmanöver die Aktien der De Beers zum Fallen bringen könnten. Sie erinnern sich an Ihren Plan, ein Gerücht über die gelungene Herstellung künstlicher Diamanten zu verbreiten, um die Preise der echten Diamanten zum Sinken zu bringen. Wir sollten, so schlugen Sie mir vor, die Aktien der De-Beers-Mine aufkaufen, wenn sie ihren niedrigsten Stand erreicht hätten, um dann, wenn sich die Haltlosigkeit des Gerüchtes erwiesen haben würde, als
Hauptaktionäre die De Beers unter unsere Kontrolle zu bringen.“ Hayward nickte: „Schon gut. Ich habe Ihnen damals auf gut Glück meinen Plan enthüllt. Ich war sicher, daß Sie mich nicht dem Gesetz würden überliefern können, da ich einem Geheimnis von Ihnen auf die Spur gekommen war. Ihre Tochter Mabel ist nämlich – “ „Schon gut, Hayward. Ich weiß, daß Sie mich schon damals in Ihrer Hand hatten. Aber weiter. Ich lehnte ab, weil mir der ganze Plan zu gefährlich war. Dann meldete sich Mister Robinson, der Besitzer von Rhodes Forest, bei mir an. Ich glaubte, Sie seien längst gegangen, als ich mit ihm sprach. Statt dessen belauschten Sie unser Gespräch im Nebenzimmer. Dann allerdings war ich haltlos genug, mich mit Ihnen zusammenzutun. Wir versuchten Robinson seinen Besitz abzukaufen. Er lachte nur, wie es jeder vernünftige Mann getan hätte. Mich hatte die Gier nach Reichtum gepackt. Ich war damals schon wohlhabend, aber ich wollte mehr, noch mehr. Heute bereue ich den Weg, den ich gegangen bin, den Weg, den Sie mich geführt haben.“ Hayward zuckte zynisch lachend mit den Achseln: „Geschehen ist geschehen, Mister Black!“ „Wir schmiedeten zusammen einen Plan, um Robinson aus dem Weg zu schaffen. Bei den Beaver Springs lauerten wir ihm auf. Durch einen von uns vorher quer über die Straße gestürzten Baumstamm brachten wir seinen Wagen zum Halten. Sie schossen auf ihn. Er erwiderte das Feuer, als Sie ihn, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, verfehlten. Plötzlich waren Sie verschwunden, und ich sah mich dem Manne allein gegenüber. Von diesem Augenblick an waren meine Handlungen durch die Angst diktiert. Ich sah keinen Ausweg
mehr, ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich lief auf ihn zu, als er sich verschossen hatte, armeschwenkend und rief, das Ganze sei ein Mißverständnis.“ Hayward schlug sich aufwiehernd auf die Knie: „Ich sehe das Bild noch vor mir. Sie benahmen sich wie ein Verrückter, wie ein neugeborenes Kind, Sie handelten vollkommen sinnwidrig.“ Black hob müde die Hände: „Mister Hayward, wenn man zum erstenmal mitten in ein Gewaltverbrechen verwickelt wird, sich dann auch noch von dem Anstifter im Stich gelassen sieht, handelt man nicht mehr sinnvoll, zumal wenn man von Natur aus nicht eben sehr mutig ist, wie ich es nun leider bin. Es war klar, daß Robinson, auf den man kurz zuvor noch geschossen hatte, nicht geneigt war, mit mir einen freundlichen Händedruck zu tauschen und zu sagen: ,Nicht der Rede wert, Sir. War eben ein Mißverständnis.’ Robinson ging mich mit den Fäusten an. Ich schlug zu, halb verrückt vor Angst, schrie dabei in einem fort: ,So hören Sie mich doch an, Mister Robinson!’ Plötzlich strauchelte er und stürzte in den Abgrund neben der Straße. Sie hatten unterdessen ihre Aufnahmen gemacht, kamen nun hervor und beglückwünschten mich lachend. Ich war dem Zusammenbruch nahe. Wir schoben das Auto Robinsons gleichfalls in den Abgrund und verließen den Schauplatz der Tat.“ „Nun und? Ist nicht alles gut gegangen? Die Polizei rätselte eine Zeitlang an dem Vorfall herum, erklärte ihn schließlich mit einem Unwetter, das eine Nacht vorher getobt hatte, und führte den Unfall darauf zurück. Mister Robinson, so hieß es, habe das Hindernis zu spät gesehen, zu scharf gebremst und sei dadurch aus der Kurve getragen worden und mit dem Wagen in den Abgrund gestürzt.
Wir aber kauften von den ahnungslosen Erben Robinsons, die natürlich von den Diamanten nichts wußten, das Besitztum Rhodes Forest für ein Spottgeld auf. Wir haben damit sogar ein gutes Werk getan, denn die Erbin Robinsons, seine Tochter, lebte in Belgien unter wenig glücklichen Verhältnissen. Ihr Gatte, ein gewisser Dr. Poirot, war, nachdem er hier in Afrika sein ganzes Geld von der Bank abgehoben hatte, spurlos verschwunden, wahrscheinlich nach Namenswechsel untergetaucht. Es gibt ja solche Fälle, wo ein unbescholtener Bürger und braver Ehemann plötzlich von der Abenteurerlust gepackt wird und alle Bindungen von ehedem löst. Freilich, ein wenig Geld hätte er seiner armen Gattin zumindest hinterlassen können.“ Hayward lachte, konnte jedoch nicht verhindern, daß ihm ein unangenehmes Gefühl in den Magen stieg. Keiner ahnte ja etwas von der Tragödie, die sich damals im Urwald abgespielt hatte, keiner ahnte, daß er Poirot umgebracht und unter seinem Namen das Geld abgehoben hatte. Denn Mister Hayward war in Wirklichkeit niemand anders als Bob Smith. Black blickte Hayward mit überlegend zusammengekniffenen Augen an: „Mit Ihnen stimmt verschiedenes gleichfalls nicht, Hayward, das ist doch klar. Ich meine jetzt nicht all die Dinge, deren Zeuge ich war und die ich nicht gegen Sie verwenden kann, weil ich entweder selbst hineinverwickelt war oder sie den Behörden nicht würde beweisen können. Nein, ich meine – Ihre Vergangenheit. Ich möchte nicht all die Jahre absitzen, die Sie auf Grund der Vergehen verdient haben, die Sie vor unserer Bekanntschaft begangen haben.“ Hayward zuckte zusammen: „Ist Ihnen irgend etwas aus meiner Vergangenheit bekannt?“ Er überlegte blitzschnell, ob vielleicht doch durch einen Zufall – nein, das war unmöglich, für seinen Mord an Poirot,
Stanley und den schwarzen Trägern gab es keinerlei Zeugen. Sollte Black irgend etwas von früher bekanntgeworden sein, oder sollte er oder vielleicht das Mädel, die kleine Mabel, ihn wiedererkannt haben? Doch das war gleichfalls unmöglich, denn durch den Unfall mit der Nase hatte sich sein Aussehen so gründlich verändert, daß ihn Mister Black, der ihn vor der Entführung seines Kindes nur flüchtig einmal gesehen hatte, bestimmt nicht wiedererkannt hätte. Sogar alte Bekannte aus Kimberley und Brixtons Valley hatten ihn mit dieser Nase und dem Vollbart nicht wiedererkannt. Mabel aber würde sich unmöglich erinnern können, denn Jim Walker und er hatten das Mädchen während der Entführung ständig in Halbnarkose gehalten. „Ist Ihnen irgend etwas aus meiner Vergangenheit bekannt?“ fragte er noch einmal. Black schwieg. Hayward lachte höhnisch auf: „Sie wollen bluffen. Aber mit mir können Sie das nicht machen. Nein, Black, ich habe die Karten in der Hand. Das Spiel bestimme ich. Und wie gespielt werden soll, das werden Sie gleich hören. Es wird auch Ihr Schaden nicht sein, wenn Sie endlich einmal Ihre Kleinmütigkeit und ständige Furcht vor dem Gesetz ablegen würden. Hören Sie zu! Brixtons Valley wird uns mit der Zeit sehr gefährlich. Wir stehen am Rande des Ruins, nicht jetzt, aber in absehbarer Zeit, wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher. Brixtons Valley muß als Konkurrenz ausgeschaltet werden, und mehr noch, wir werden die Burschen, diesen Bankroft, diesen Wilson und den jungen Hartman, der ja wohl noch in Deutschland studiert, zwingen, an uns zu verkaufen.“ „Wie wollen Sie das machen“, fragte Black skeptisch.
„Das werden Sie schon noch sehen. Ich werde kein Mittel scheuen, um die BAHAW zu vernichten, und es wird mir gelingen, glauben Sie mir. Kein Arbeiter wird es sich auf die Zeit gefallen lassen, daß sein Haus in Flammen aufgeht, daß sich im Werk ein tödlicher Unfall nach dem anderen ereignet. Wenn dann noch die Zahlungen ausbleiben, weil die BAHAW kein Geld mehr hat – “ Black lachte unwillkürlich: „Die BAHAW und kein Geld?“ „… weil die BAHAW kein Geld mehr hat“, wiederholte Hayward ungerührt, „dann werden Sie einmal sehen, wie schnell die Arbeiter abwinken, wenn sie nur den Namen BAHAW hören. Und zu guter Letzt wird als Krönung des ganzen die Polizei bei der Direktion der BAHAW erscheinen und diese wegen illegalen Diamantenhandels festnehmen.“ „Sie sind wahnsinnig geworden!“ rief Black. „Wie wollen Sie das alles schaffen!“ „Geben Sie mir uneingeschränkte Handlungsvollmacht, und in vier Jahren habe ich die BAHAW so weit, daß sie liebend gerne an uns verkauft.“ Haywards Gesicht wurde hart: „Geben Sie mir uneingeschränkte Unterschrifts- und Handlungsvollmacht, sonst. – denken Sie an die Fotografie, die ich nur anonym, ohne mich selbst dabei zu exponieren, an die Polizei in Kimberley zu schicken brauche. Wenn diese pflichteifrigen Leute eine Fotografie erhalten, auf der Sie, der ehrenwerte Mister Black, zu sehen sind, wie Sie mit einem Fausthieb Mister Robinson in den Abgrund befördern, wird es nicht lange dauern und Sie sitzen hinter Schloß und Riegel. Fänden Sie es so spaßig, in einen Mordprozeß verwickelt zu werden – und dazu noch als Angeklagter, gegen den ein einwandfreier Indizienbeweis vorliegt?“
Mister Black sank in sich zusammen: „Sie werden Ihre Vollmacht erhalten, Hayward. Lassen Sie mich jetzt allein!“
13
„Meine lieben Eltern!“ Will Hartman legte den Füllfederhalter aus der Hand und zündete sich eine Zigarette an. Es war schon vier Wochen her, seit er seinen Eltern in Aachen zum letzten Male geschrieben hatte. Seit einem halben Jahr war er nun schon hier in Antwerpen, um sich in einer großen Diamantenschleiferei praktische Kenntnisse anzueignen. Er schrieb weiter: „Es freut mich, daß Ihr beide so großes Interesse an meiner Tätigkeit bei Herrn Beuleman zeigt. Beuleman ist als Diamantenschleifer wirklich ein Meister in seinem Fach, und ich glaube, daß ich mir bei ihm inzwischen schon vieles an Kenntnissen angeeignet habe, was ich später in Brixtons Valley nutzbringend verwenden kann. Ich werde übrigens, da es für mich kaum noch etwas zu erlernen gibt, früher als geplant von Antwerpen aus nach Afrika fahren, da mir unser alter Freund Bankroft schrieb, ich würde drüben dringend gebraucht. Der ehrenwerte Mister Black und dessen Teilhaber, ein noch gefährlicherer Mann, scheinen unserer Mine bewußt großen Schaden zugefügt zu haben, und ich möchte gerne so schnell wie möglich dort sein, um das Schlimmste zu verhüten. Doch werden wir uns darüber noch näher unterhalten, auch über die Frage, ob Ihr nicht wieder mit nach Afrika kommen wollt. Wie ich allerdings aus Eurem letzten Brief ersah, scheint es Euch in Deutschland so gut zu gefallen, daß Ihr kein großes
Verlangen danach habt, nun wieder Euer Häuschen in Aachen im Stich zu lassen. Ich kann das natürlich verstehen. Doch darüber später. Ich will Euch nun in kurzen Zügen schildern, was mit einem Diamanten geschieht, wenn er in die Werkstatt eines Schleifers kommt, da Ihr ja darüber gerne etwas hören wollt. Ihr wißt ja noch, wie die Diamanten aussahen, die wir in Brixtons Valley zu Gesicht bekamen. Sie sind eben im Rohzustand ziemlich unansehnlich und gewinnen erst unter den Händen des Schleifers das Aussehen, das sie vor allem als Schmuckstücke so begehrenswert macht. Es ist übrigens erstaunlich, wieviele Arten von Diamanten es gibt. Die Einteilung in Steine ersten, zweiten und dritten Wassers ist Euch ja geläufig. Ausnahmsweise jedoch kommen auch farbige Diamanten vor, die in keine der drei Kategorien fallen. Diese, von denen ich einige in der Werkstatt des Herrn Beuleman gesehen und manchmal sogar selbst bearbeitet habe, sind allerdings äußerst selten und erzielen aus diesem Grunde Liebhaberpreise, die selbst die der schönsten Steine ersten Wassers unter Umständen übertreffen können. So gibt es saphirblaue Diamanten, die natürlich an Glanz und Lichtbrechungsvermögen den herrlichsten Saphir weit übertrumpfen, auch grüne und rubinrote Diamanten sind schon gefunden worden und zu wirklich unvorstellbaren Preisen verkauft worden. Am begehrtesten jedoch und wirklich nur für die Reichsten auf dieser Welt erschwinglich sind die wenigen schwarzen Diamanten von so tiefem Schwarz, daß sogar die Durchsichtigkeit bei diesen Steinen verlorengegangen ist und das Licht nur an den äußersten Kanten durchscheint. Diese schwarzen Diamanten, um derentwillen manch einer einen Mord zu begehen imstande wäre, werden hauptsächlich auf der Insel Borneo gefunden und sind noch härter als der
härteste Stoff der Welt, noch härter also als der gewöhnliche Diamant. Man kann deshalb den schwarzen Diamanten ruhig als eine Art von Superdiamant bezeichnen. Doch zurück zu meiner Arbeit bei Beuleman: Zuerst wird in seiner Werkstatt solch ein Diamant, bevor er bearbeitet wird, nochmals auf seine Qualität hin untersucht. Wollen wir einen Diamanten auf seine vollkommene Farblosigkeit hin untersuchen, also feststellen, ob es sich wirklich um einen Stein ersten Wassers handelt, so legen wir ihn auf ein Stück weißes Papier, auf welchem auch der leiseste Stich ins Gelbliche, den der Stein etwa hat, sich bemerkbar macht. Selbstverständlich kann diese und die folgende Probe nur an ungefaßten Steinen vorgenommen werden, und ein Kenner wird wertvolle Diamanten überhaupt nicht kaufen, ohne sie zunächst ohne Fassung zu prüfen. Nun, Ihr wißt selber, daß außer der gelblichen Tönung, die den Wert des Steines herabmindert und ihn zu einem Diamanten dritten Wassers macht, auch Flecken und Sprünge einen Diamanten minderwertig machen können. Das heißt, daß auch die herrlichen blauweißen Steine, die unsere BAHAW als einzige in Afrika fördert, sofort vom Wert ersten Wassers in den zweiten oder gar dritten Wassers sinken würden, wenn sie Flecken oder Sprünge aufweisen würden. Da könnte dann auch das herrlichste Weiß nichts ändern. Im übrigen ist natürlich die Bezeichnung blauweiß für unsere BAHAW-Diamanten irreführend. Sie erscheinen nur blauweiß, weil sie eben das Licht fast gänzlich brechen. In Wirklichkeit sind sie so, wie Steine bester Qualität nun einmal sein müssen, nämlich vollkommen farblos. Wie nun aber entdeckt der gewissenhafte Einkäufer und Schleifer, der Wert darauf legt, nicht betrogen zu werden, wie
entdeckt dieser solche Flecken und Sprünge im Stein, die oft durch das verwirrende Funkeln des Diamanten gar nicht sichtbar werden. Überdies gibt es sogar raffinierte Fälscher, die fehlerhafte Steine so anschleifen, daß ein glitzernder Lichtreflex eben die fehlerhafte Stelle zudeckt. Und das ist ja das Verwirrende bei den Diamanten, man kann sie halten und drehen wie man will, immer glitzert und funkelt es irgendwo, und immer wird, man dadurch an einer genauen Betrachtung des Steines gehindert. Je länger man hinschaut, um so weniger sieht man vom Stein selbst. Schließlich sieht man nur noch einen Lichteffekt. Um nun trotzdem den Diamanten genau betrachten und auf Fehler untersuchen zu können, legt man ihn in eine Flüssigkeit, deren Lichtbrechungsvermögen dem des Diamanten nahekommt. Eine solche ist das Cassiaöl oder flüssiger Schwefelkohlenstoff oder das Sasafrasöl. Wir arbeiten zumeist mit flüssigem Schwefelkohlenstoff, weil dieser am leichtesten zu erlangen ist. Ist der Diamant nun fehlerlos, so wird er in der erwähnten Flüssigkeit fast unsichtbar sein, jedoch wird man jeden Fleck oder jeden Sprung, den der Stein hat, deutlich sehen. Trotz all dieser Sicherungen ist es jedoch nicht immer möglich, einen Stein vor dem Schleifen richtig einzutaxieren. Es gibt sehr viele ungeschliffene Steine, die sehr wertvoll sind und trotzdem ein unansehnliches und rissiges Aussehen haben, weil sie von einer borkigen und mit Fehlern durchsetzten Rinde überzogen sind, die oftmals sogar den ganzen Stein mit einer stumpfen, bleigrauen Haut überzieht. Ein erfahrener Schleifer kalkuliert dieses Risiko ein und kauft meistens die Steine in größeren Mengen, damit sich Enttäuschungen bei diesem oder jenem Stein durch die Vorteile der anderen ausgleichen.
Die Eigenschaften, wegen denen ein Diamant so geschätzt wird, treten wie gesagt erst nach dem Schliff auf. Sein prachtvolles Farbenspiel, sein ,Feuer’, wie man in der Fachsprache sagt, kommt erst dann zur Geltung, wenn der Stein in eine vielflächige Form geschnitten und danach mit Diamantstaub, dem sogenannten ,Bort’, poliert wird. Herr Beulemann, dieser tüchtige und international bekannte Schleifer, bei dem ich arbeite, ist stolz darauf, seine Ahnenreihe auf einen gewissen Ludwig van Berquen aus Brügge zurückleiten zu können. Dieser van Berquen hat im fünfzehnten Jahrhundert überhaupt erst die Diamantenschleiferei erfunden. Vor der Erfindung dieses Mannes wurden die Diamanten nur poliert. Die Griechen und die Römer polierten schon vor Christi Geburt Diamanten, konnten allerdings dabei nur solche Steine nehmen, die von Natur aus eine kristallinische Form hatten. Auch im frühen Mittelalter gab es in Nürnberg bereits den Beruf des Diamantenpolierers. Die Erfindung Berquens jedoch rief eine förmliche Revolution hervor. Ihm gelang es als erstem, die Diamanten zu zerschneiden und mit regelmäßigen kleinen Flächen zu versehen, den sogenannten Facetten. Der mächtige und prachtliebende Herzog von Burgund, Karl der Kühne, ließ mehrere sehr schöne und große Diamanten bei ihm schneiden und schleifen, von denen zwei, der Sancy und der Florentiner, noch heute existieren und den Beweis liefern, welch hohen Grad der Vollendung Berquen erreicht hatte. Seine Schüler ließen sich in Paris, Anvers – die französische Bezeichnung für Antwerpen – und Amsterdam nieder. Doch hat die Diamantenschleiferei sich in Paris nicht recht halten können, während Antwerpen und fast in noch größerem Maße
Amsterdam wahre Metropolen des Diamantenhandels geblieben sind. Im Lauf der Jahrhunderte haben sich nun zwei Formen als die zweckmäßigsten herausgestellt, die man dem Diamanten geben kann, weil sie am besten geeignet sind, jeden Lichtstrahl, der den Stein trifft, auch wieder herauszuwerfen und dadurch sein Feuer zu erhöhen. Diese beiden Formen sind der Brillant und die Rosette. Es ist nun unmöglich für mich, Euch zu beschreiben, wie die genaue Form dieser beiden Schnittarten aussieht. Was soll ich Euch mit Fachausdrücken wie ,Oktaeder, Rundiste, Kalette, Tafel, Sternfacette, Briolett und ähnlichem langweilen. Ich nehme an, daß Ihr das so genau gar nicht wissen wollt. Seht Euch die Brillanten und Rosetten an, die als Ringsteine, Ohrgehänge, Halsgehänge im Gebrauch sind. Ich will Euch nun schildern, wie die Bearbeitung des Diamanten in einer Schleiferei vor sich geht. Zunächst wird der rohe Diamant auf dem Kittstock festgekittet, so daß nur der Teil des Steines frei bleibt, der bearbeitet werden soll. Hierauf wird er mit einem anderen scharfen Diamanten so lange gerieben, bis eine feine Furche eingeritzt ist, in diese wird ein scharfer stählerner Meißel gesetzt und auf diesen in der beabsichtigten Richtung ein schneller starker Hammerschlag geführt. Ist die Richtung gut getroffen, so spaltet sich das Stück leicht und gut ab. Dies jedoch, das Treffen der genauen Richtung, erfordert sehr viel Übung und Erfahrung, da der Stein nur ganz bestimmte natürliche Spaltungsrichtungen hat. Wenn man hier falsch kalkuliert, kann unter Umständen der ganze Stein zerstört werden. Daher wird in den Fällen, wo der beabsichtigte Schnitt durch den Stein keiner seiner natürlichen Spaltrichtungen entspricht,
oder wo diese nicht mit Sicherheit zu ermitteln sind, das Zersägen angewendet, eine Arbeit, die freilich keine Gefahr für den Stein hat, dafür jedoch in hohem Maße zeitraubend ist. Ich habe Euch das nun alles in einer Form berichtet, die darauf schließen läßt, daß ich ein erfahrener Diamantenschleifer geworden bin. Davon, liebe Eltern, bin ich natürlich weit entfernt. Es gehört eine Erfahrung von Jahren dazu, um in diesem Fach wirklich Gutes zu leisten. Aber der Zweck meiner Tätigkeit bei Herrn Beuleman war ja auch nicht der, mich zu einem erstklassigen Schleifer heranzubilden. Ich wollte ja lediglich einen Einblick auch in diesen Zweig des Diamantenhandels tun, denn als zukünftiger technischer Direktor der BAHAW werde ich meine hier gesammelten Erfahrungen gebrauchen können. In der Hauptsache werde ich natürlich auf meine an der Technischen Hochschule erlernten Kenntnisse als Ingenieur zurückgreifen, wenn ich erst einmal in Brixtons Valley bin. Aus den letzten Briefen Bankrofts habe ich ersehen müssen, daß bei der. BAHAW alles drunter und drüber geht und die Gesellschaft mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Ein Grund mehr für mich, so bald wie nur möglich hinüberzufahren. Es wäre doch jammerschade, wenn ein so vielversprechendes Unternehmen wie die BAHAW durch ein paar Schurken wie Black und seine Komplicen so ohne weiteres zugrunde gerichtet würde. Ich schließe diesen Brief, der durch meinen fachsimpelnden Vortrag wesentlich länger geworden ist, als er hat werden sollen. Eben hat es geklingelt. Das wird mein Freund Poirot sein, von dem ich Euch schon erzählt habe.
Wir hatten uns für heute abend verabredet. Er will unter Umständen mit nach Afrika. Mit den besten Grüßen Euer Will.“ Will Hartman ging zur Tür, um seinen Freund zu begrüßen. Seine Wohnung bestand aus einem kleinen Appartement von zwei Räumen, die jedoch sehr behaglich eingerichtet waren. Er hörte seinen Freund ein paar Worte mit seiner Wirtin wechseln. Dann klopfte es, und Poirot stand mit strahlendem Lächeln in der Tür. Will hatte diesen sympathischen jungen Belgier wenige Wochen nach seiner Ankunft in Antwerpen kennengelernt, als dieser in seiner Eigenschaft als Privatdetektiv die Schleiferei des Herrn Beuleman aufgesucht hatte. Die Bekanntschaft hatte sich zu einer festen Freundschaft entwickelt. „Ich bringe dir gleich etwas mit, Will“, sagte Poirot und hielt Will ein Telegramm entgegen. „Deine Wirtin gab es mir. Es ist eben für dich abgeliefert worden. Hoffentlich nichts Unangenehmes!“ Will nahm dem Freund das Telegramm ans der Hand und wies auf einen Sessel. Poirot hatte jedoch diese Aufforderung gar nicht erst abgewartet, sondern sich bereits mit elegantem Schwung in einen der Klubsessel geworfen. Er angelte mit dem Fuß die kleine fahrbare Bar heran, die neben dem Sessel stand. Während Will das Telegramm öffnete, öffnete Pierre Poirot etwas wesentlich Erfreulicheres: eine Flasche Gin.
Will stürzte in so großer Aufregung auf Pierre zu, nachdem er das Telegramm gelesen hatte, daß dieser das Sodawasser aus dem Siphon fast neben das Glas gespritzt hätte. „Bankroft kommt in vier Tagen mit dem Flugzeug“, rief er. Pierre setzte das Glas auf den Tisch: „Also stimmt irgend etwas nicht“, sagte er. Will starrte ihn an: „Wieso? In dem Telegramm steht lediglich: Eintreffe Donnerstag 27. Juli Flughafen Antwerpen um 17 Uhr.“ Pierre nickte lächelnd: „Du hast schon recht. In dem Telegramm steht nichts von irgendwelchen Katastrophen. Es braucht ja auch keine Katastrophe zu sein, die sich in Brixtons Valley ereignet hat. Aber wenn Bankroft sich so aus blauem Himmel heraus entschließt, höchstpersönlich hierher zu kommen, ohne vorher etwas davon geschrieben zu haben, so muß doch ein sehr wichtiger Anlaß dazu gegeben sein. Wäre dieser Anlaß nun unbedingt positiv, so hätte er darüber etwas in dem Telegramm verlautbaren lassen. Außerdem ist das eine erfahrungsgemäße Tatsache, Will: Wenn jemand unvorhergesehen eine solche Reise unternimmt, stimmt irgend etwas nicht. Zumal ich durch deine Erzählungen davon unterrichtet bin, daß Bankroft kein großer Freund von Flugzeugreisen ist.“ Will blickte nachdenklich vor sich hin. „Du magst recht haben, Pierre. Aber was bleibt uns anderes übrig, als in Ruhe die Ankunft abzuwarten. Wir werden schon noch früh genug erfahren, was los ist.“ „Ich bin ganz deiner Meinung“, erwiderte Pierre. „Und ich hatte auch durchaus nicht vor, dich zu beunruhigen. Es gibt überhaupt wenige Dinge auf dieser Welt, die dazu angetan sein können, einen ernstlich zu beunruhigen. Schlimmstenfalls ist eure Mining Corporation endgültig zusammengebrochen.“ Will lachte verärgert auf:
„Du bist ja außerordentlich zartfühlend, Pierre.“ Der Detektiv bekam ein ernstes Gesicht. „Hör einmal zu, Will. Du bist zwar nur zwei Jahre jünger als ich, wenn ich mich nicht irre. Nicht wahr, du bis einundzwanzig Jahre?“ Will nickte. „Du hast auch in deinen jungen Jahren bereits sehr viel erlebt“, fuhr Pierre fort. „Trotzdem habe ich dir einiges an Erfahrung voraus. Ich darf mir deshalb erlauben, so mit dir zu reden. Außerdem bin ich dein Freund, der es gut mit dir meint. Die Erfahrung, von der ich rede, bezieht sich auf den noch heute ungeklärten Vorfall mit meinem Vater. Ich war damals alt genug, um den Schmerz und die Sorgen meiner Mutter zu teilen, als mein Vater in Afrika verscholl. Ich habe den Klatsch bösartiger Bekannten mitanhören müssen, die annahmen, daß mein Vater ganz einfach sein bürgerliches Leben satt hatte und unter anderem Namen in eine neue, abenteuerliche Existenz geschlüpft sei. Vieles sprach dafür, so zum Beispiel die Tatsache, daß er sich sein gesamtes Vermögen von hier aus und von der Londoner Bank nach Afrika hat überweisen lassen. Aber sowohl meine Mutter als auch ich haben nie daran gezweifelt, daß mein Vater ohne eigenes Verschulden verschwunden ist. Wir beide, meine Mutter und ich, kennen ihn zu genau, um nicht zu wissen, daß er schon längst wieder bei uns wäre, wenn er noch lebte. Nicht zuletzt aus diesem Grunde habe ich die Absicht, mit dir nach Afrika zu gehen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde bin ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen. Ich bin fest entschlossen, Licht in diese Angelegenheit zu bringen, und sollte es mich Jahre meines Lebens kosten.
Und ich bin fest entschlossen, mit den gewissenlosen Menschen, die möglicherweise meinem Vater gegenüber schuldig geworden sind, abzurechnen – selbst dann, wenn ich mich dadurch einer ungesetzlichen Handlung schuldig machen würde. Meinst du, ich würde jemals diese Zeit vergessen, als ich Abend für Abend meine Mutter weinen hörte. Es war nicht die bittere Not, in die wir plötzlich geraten waren, die nahm dann ja auch ein Ende, als meine Mutter ihr Erbteil, die Besitzung eines Onkels meiner Mutter in Afrika, günstig verkaufen konnte. Nein, es war der Schmerz um einen Menschen, den wir verloren hatten, es war dieser Schmerz, der unser Leben so mit Kummer und Sorge belud.“ Will nahm die Hand des Freundes: „Pierre, ich verstehe dich ja. Aber trotzdem – “ Pierre schüttelte energisch den Kopf: „Wenn du sagst ,aber trotzdem’, hast du mich eben nicht verstanden. Es gibt nichts, was man nicht verwinden könnte, außer dem Verlust eines geliebten Menschen. Das wollte ich dir damit sagen. Materielle Verluste lassen sich verschmerzen. Das heißt natürlich nicht, daß man nicht alles tun soll, um dagegen anzukämpfen. Und was mich betrifft, so weißt du, daß ich gerne bereit bin, dir zu helfen, wo ich nur kann.“ „Aber was kann es nur sein?“ fragte Will mit nachdenklich zusammengezogenen Brauen. „Was kann denn geschehen sein, daß Bankroft eine überstürzte Europareise für nötig hält?“ „Sagtest du nicht, daß die BAHAW als einzige Mine in Afrika fast nur Steine ersten Wassers von blauweißer Färbung fördert?“ Will nickte:
„Färbung ist zwar nicht der richtige Ausdruck. Die Steine sind eben so klar und durchsichtig, daß sie durch die Lichtreflexe als blauweiß erscheinen. Aber es stimmt. Unsere Mine ist bekannt dafür.“ Pierre spielte nachdenklich mit dem Glas in seiner Hand: „Noch jemand anders ist in letzter Zeit bekannt für blauweiße Steine“, sagte er. „Mein Detektivbüro erhielt gestern ein Schreiben des Londoner Diamantensyndikats, der Interessenvereinigung der Diamantenhändler – “ Will nickte ungeduldig: „Was ist mit dem Schreiben?“ „Unsere Detektei wurde davon unterrichtet, daß in letzter Zeit so enorme Mengen an blauweißen Diamanten auf dem illegalen Markt gehandelt werden, daß die Preise des legalen Handels bedroht sind.“ „Ich habe davon gehört. Das ist nichts Neues. Aber es gibt viele blauweiße Diamanten. In Indien, in Brasilien werden sie gefördert, sogar das verhältnismäßig bedeutungslose Borneo ist bekannt für blauweiße – “ „Das ist ja alles uninteressant, Will. Man schrieb uns, daß die Diamanten zuverlässigen Ermittlungen zufolge aus Afrika stammen und auf Grund der großen Mengen, die geschmuggelt werden, angenommen wird, daß all das im Einverständnis mit einer (eingetragenen Firma geschieht.“ Will fuhr hoch: „Das bedeutet – “ „Da es nur eine Mine in Afrika gibt, die derartige Steine fördert, bedeutet es, daß die BAHAW ungesetzlicher Handlungen verdächtigt wird.“ „Aber das ist doch – “ „Wenn ich also den Angaben des Syndikats Glauben schenken soll, sind deine Kompagnons Bankroft und Wilson
ganz einfach Schmuggler, illegale Händler, Übertreter des Gesetzes.“ „Niemals!“ Pierre Poirot zuckte mit den Achseln: „Ich kenne die beiden Herren nur aus deinen Erzählungen. Das ist natürlich keine zuverlässige Orientierung für einen Detektiv, der von Berufs wegen Skeptiker sein muß.“ „Schluß damit, Pierre, sonst werde ich ernstlich böse. Für Bankroft und Wilson lege ich die Hand ins Feuer. Eher geht die Welt unter, als daß diese beiden ehrenwerten Männer zu Verbrechern werden.“ Pierre lachte und trank sein Glas aus. „Da die Welt offensichtlich noch nicht untergegangen ist, muß angenommen werden, daß Bankroft und Wilson keine Diamanten verschieben. Ein Beweis, den ich als Detektiv allerdings nicht akzeptieren kann. Aber ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um euch zu helfen. Unser Institut hat den Auftrag bekommen, über die BAHAW Recherchen einzuziehen. Ich nehme an, daß das Londoner Syndikat keine Kosten gescheut hat und auch noch andere Detektivbüros mit dieser Aufgabe betraut hat. Mein erstes war natürlich, als ich davon erfuhr, zu meinen Chef zu gehen, um ihn zu bitten, mir diese Aufgabe anzuvertrauen. Es war leider schon zu spät. Ein Kollege von mir, ein Amerikaner, der früher bei Pinkerton in New York gearbeitet hat, ist bereits nach Afrika gereist. Brown, so heißt der Mann, ist ein sehr fähiger Detektiv, aber ich mag ihn nicht leiden, und es würde mich freuen, wenn ich ihm auf eigene Faust zuvorkommen könnte.“ „Du wirst vielleicht eher als du glaubst Gelegenheit dazu erhalten“, erwiderte Bill Hartman. „Aber warten wir erst einmal ab, was uns Bankroft zu erzählen hat.“
14
Bankroft beugte sich zum Fenster, nachdem die Stewardeß angekündigt hatte, daß in den nächsten Minuten die Landung erfolgen würde. Unter ihm lag das Häusermeer Antwerpens. Als die Maschine der Sabena in die Kurve ging, um zur Landung anzusetzen, stützte er aufstöhnend den Kopf in die Hand. Er konnte das Fliegen nun einmal nicht vertragen. Er war durch seine Verfassung derartig mit sich selbst beschäftigt, daß er nicht bemerkte, wie ein neben ihm sitzender Herr ihm unbemerkt eine kostbare lederne Zigarrentasche in die Seitentasche seines Jacketts schob. Dann stieß ihn sein Nachbar an: „Hey, Sir, ist Ihnen nicht gut?“ Bankroft hielt dies für eine wenig intelligente Frage. „Das sehen Sie doch“, erwiderte er unhöflicher als es sonst seine Art war. „Nun, nichts für ungut. Ich bin ein Menschenfreund“, erwiderte sein Nachbar. „Nehmen Sie davon eine.“ Er hielt ihm eine geöffnete Zigarrentasche hin. „Es wird Ihnen vielleicht unwahrscheinlich vorkommen, aber das Rauchen einer Zigarre ist die beste Medizin gegen Luftkrankheit.“ Bankroft hielt diese Ansicht zwar für ausgesprochen blödsinnig um so mehr, als im Flugzeug nur das Rauchen von Zigaretten gestattet ist, so daß er die Zigarre erst nach der Landung anzünden konnte, nachdem die Luftkrankheit meistens schnell überstanden ist. Er wollte jedoch den
freundlichen Nachbar nicht ein zweites Mal kränken und nahm dankend eine der angebotenen Zigarren. „Nein, diese nicht“, bemerkte aufgeregt der Nachbar Bankrofts. „Nehmen Sie diese hier, die ist besser!“ Er zog eine etwas heller gefärbte Zigarre mit mächtiger silberner Bauchbinde halb aus dem Etui hervor. Bankroft lachte halb verärgert über diese naive Belästigung und halb belustigt. „Auch gut, mein Herr.“ Er nahm also die angebotene Zigarre um sie in die Brusttasche zu stecken. „Rauchen Sie sie aber gleich nach der Landung!“ Sein merkwürdiger Nachbar blickte ihn fast ängstlich an. „Ich habe Sie Ihnen doch angeboten, damit Sie schnell von der Luftkrankheit wieder geheilt werden.“ Nun wurde Bankroft jedoch ärgerlich. „Hören Sie, lassen Sie mich jetzt bitte zufrieden!“ Eine Weile noch blickte ihn sein Nachbar verstört an, fast flehend. ,Offensichtlich ein Verrückter’, dachte Bankroft und bereitete sich zum Aussteigen vor. Die Maschine setzte auf, die Fahrt verlangsamte sich. Bankroft sah, wie das Grau der betonierten Rollbahn immer langsamer vorüberglitt. Das Flugzeug stand. Schon kamen die Boys mit der fahrbaren Treppe. Die Tür öffnete sich, und Bankroft hörte vom Signalbuilding durch den Lautsprecher die Anweisungen der Flugleitung in Flämisch, Französisch und Englisch. „ – Begeben Sie sich bitte zur Paß- und Gepäckkontrolle. Danke sehr!“ Langsam und noch etwas benommen schlenderten die Reisenden zur Zollstelle.
Manche schienen es auch eiliger zu haben und hasteten nach vorn. Der merkwürdige Nachbar Bankrofts jedoch hielt sich ängstlich an dessen Seite und kam wieder auf seine Zigarre zu sprechen. Bankroft warf ihm einen belustigten Blick zu und zog die Zigarre aus der Brusttasche. Er zündete sie an, bevor der eilfertig herbeispringende Spender ihm Feuer geben konnte, und nahm einige tiefe Züge. Er bemerkte nicht den winzigen weißen Punkt, der eine bestimmte Stelle der Zigarre markierte. Kurz vor der Gepäckkontrolle drängte sich sein Sitznachbar aus dem Flugzeug plötzlich vor ihn. Nun Bankroft hatte Zeit. Kopfschüttelnd trat er einen Schritt zurück, um den plötzlich so eiligen Mann vorzulassen. Daß dieser nun tatsächlich nicht ganz zurechnungsfähig sein mußte, erwies sich jedoch bei der Kontrolle seines Gepäcks. Der Zollbeamte fragte ihn, ob er zu verzollende Ware bei sich habe. „Ich weiß es nicht, Sie müssen schon genau nachsehen. Das ist ja Ihre Aufgabe“, erwiderte der Gefragte. Der Beamte blickte ihn groß an, machte sich dann jedoch mit eiserner Miene an eine flüchtige Untersuchung des Gepäcks. Er schien bereits an allerhand Merkwürdigkeiten gewöhnt zu sein. Der mit Zigarren so freigebige Herr blickte sich immer wieder nervös nach dem hinter ihm stehenden Bankroft um. Der Beamte schien fertig zu sein. „In Ordnung, mein Herr.“ „Das nennen Sie eine Durchsuchung?“ ereiferte sich dieser. „Kein Wunder, daß der Schmuggel so trefflich gedeihen kann. Ich bestehe auf einer gewissenhaften Untersuchung meines Gepäcks.“ Nicht nur der Beamte, nicht nur die Umstehenden wurden aufmerksam auf diesen offensichtlich Verrückten, auch ein
schlanker dunkelhaariger junger Mann, der bisher im Hintergrund gestanden hatte, trat näher und heftete seine grauen Augen durchdringend auf den merkwürdigen Fluggast. Dieser blickte sich jetzt nochmals nach Bankroft um und sah, daß die Glut bis auf einen winzigen Abstand den kleinen weißen Punkt auf der Zigarre erreicht hatte. „In Ordnung“, sagte er plötzlich zu dem Beamten. „Der Herr hinter mir scheint es eilig zu haben.“ Bankroft nahm die Zigarre behutsam aus dem Mund: „Durchaus nicht. Aber vielleicht haben es andere hinter mir eilig.“ Er schob seine Aktentasche dem Beamten zu. Das Gepäck war bereits vorher durchsucht worden. Der Beamte warf einen Blick auf die Papiere: „Mister Bankroft?“ Der Gefragte nickte. Plötzlich versetzte ihm der noch immer zögernd neben ihm stehende Flugzeugnachbar einen kurzen schnellen Stoß gegen den Ellenbogen. Niemand außer Bankroft selbst hatte es bemerkt. Oder doch? Der junge Mann, der bei dem Namen Bankroft aufgehorcht hatte, trat unauffällig an die Gruppe heran. Er sah, wie durch den unauffällig ausgeführten Stoß die Aschenhaube der Zigarre in Bankrofts Hand auf den Tisch des Zollbeamten fiel. Nun doch am Ende seiner Geduld angelangt, wollte sich Bankroft empört an seinen Nachbarn wenden, um ihn zurechtzuweisen. Er kam jedoch nicht mehr dazu, denn dieser bewegte sich nunmehr eilig auf den Ausgang zu. Außerdem aber unterrichteten ihn höchst erstaunte Ausrufe der Umstehenden, daß etwas wesentlich Wichtigeres
vorgefallen sein mußte, als die Verschrobenheiten eines etwas verdrehten Passagiers. Er folgte den Blicken der Umstehenden, die mit weitaufgerissenen Augen auf den Tisch des Zollbeamten starrten. Dort lag die abgefallene Asche von Bankrofts Zigarre. Inmitten der Asche jedoch funkelte ein Diamant. Die Blicke des Zollbeamten waren wie aus Eis, als er den Stein aufhob und betrachtete. „Ein höchst origineller Trick“, meinte er. „Diamanten in Zigarren eingewickelt. Wer sollte wohl auf die Idee kommen, sämtliche Zigarren, die ein Passagier bei sich trägt, aufzubrechen. Alle Achtung, Mister Bankroft.“ Der junge Mann stand nun dicht hinter Bankroft. Als er die Bescherung sah, reagierte er blitzschnell. Mit wenigen Sprüngen war er an der Ausgangstür, die zur Haltestelle des Flughafenbusses führte. Er konnte eben noch sehen, wie der Herr, der sich so befremdlich aufgeführt hatte, in einer schwarzen Limousine verschwand. Offenbar war er von Bekannten in einem Privatwagen abgeholt worden. Der junge Mann notierte sich die Nummer des Wagens und beeilte sich, zurück zum Tisch der Zollabfertigung zu gelangen. Er kam eben zurecht, um zu sehen, wie der Beamte oberflächlich die Kleidung Bankrofts abtastete. „Sie werden sich ohnehin noch einer gründlichen Leibesvisitation unterziehen müssen“, sagte er dabei grimmig zu dem vollkommen erstarrten Bankroft. Seine Hand strich über die Seitentaschen von Bankrofts Jackett, griff dann hinein und zog ein Zigarrenetui hervor.
Bankroft blickte erstaunt auf das rote Saffianetui und griff unwillkürlich danach. Da packte der junge Mann mit eisernem Griff Bankrofts Handgelenk und sagte: „Lassen Sie das lieber, Sir.“ „Was erlauben Sie sich?“ „Es ist ja nur wegen der Fingerabdrücke!“ Der junge Mann stellte sich dem Zollbeamten vor: „Poirot, Privatdetektiv. Ich bin von meinem Institut mit der Verfolgung des augenblicklich grassierenden Diamantenschmuggels beauftragt“, log er, denn in Wahrheit war ja der Amerikaner Brown mit der Verfolgung dieser Angelegenheit betraut worden. „Ich bin überzeugt, daß Mister Bankroft diese Tasche heimlich zugesteckt worden ist und lege Wert darauf, daß Mister Bankroft sie nicht berührt.“ „Ganz so ist es“, bemerkte Bankroft. „Ich habe dieses Etui noch nie in meinem Leben gesehen.“ „Ich bin freilich gleichfalls davon überzeugt, daß das Etui mit diamantenträchtigen Zigarren gespickt ist“, fuhr Poirot fort. Er nahm ein Tuch aus der Tasche und schlug das Etui darin vorsichtig ein. Dann reichte er es dem Beamten. Der Zollbeamte sah ihn entrüstet an: „Sie können doch hier nicht einfach – “ Poirot nickte ihm beruhigend zu: „Schon gut. Ich weiß, daß ich nur beschränkte Vollmachten habe. Aber alles, was ich bisher getan und gesagt habe, wollen Sie doch bitte als wohlgemeinten Ratschlag auffassen.“ Schnell versöhnt nahm der Beamte das Etui an sich. „Aber eine Verhaftung dürfte Mister Bankroft trotzdem sicher sein. Außerdem sehe ich nicht ein, aus welchem Grunde ein Mensch einem anderen wertvolles und dazu so raffiniert
verborgenes Schmuggelgut zusteckt, nur um ihn in falschen Verdacht zu bringen.“ „Soweit ich unterrichtet bin, gibt es eine Menge Leute, die daran interessiert sind, Mister Bankroft in falschen Verdacht zu bringen. Sie scheuen selbst vor so hohen Spesen wie den zutage liegenden nicht zurück.“ Diese Spesen traten nun wirklich zutage. In jeder zweiten der Zigarren, die der Beamte dem Etui entnahm und aufbrach, befand sich ein kleiner Diamant von der typischen blauweißen Färbung. Inzwischen war die Zollpolizei schon eingetroffen und nahm Bankroft, der bleich geworden war, in die Mitte. Einer der Polizisten wandte sich an Poirot: „Ihr Tip mit den Fingerabdrücken war gut. Wir werden untersuchen lassen, ob tatsächlich keine Fingerabdrücke des Verdächtigen auf dem Zigarrenbehälter zu finden sind. Trotzdem bin ich der Meinung, daß Ihr Wohlwollen für Mister Bankroft etwas zu weit geht. Sie werden nicht behaupten wollen, daß Mister Bankroft auch die Zigarre, die er rauchte, von einem bösen Unbekannten in den Mund gesteckt worden ist. In dieser Zigarre jedoch war ebenfalls ein Diamant.“ „Man hat sie mir noch im Flugzeug angeboten“, rief Bankroft. „Ich wollte sie erst nicht nehmen. Doch die mir im Flugzeug noch unerklärliche Beharrlichkeit des Unbekannten veranlaßte mich schließlich doch dazu.“ Der Polizist wandte sich an die Umstehenden: „Kann einer der Herrschaften, die ja in der gleichen Maschine gesessen haben, bestätigen, daß die Aussage des Mister Bankroft richtig ist? In einem solchen Falle müßte ich den Betreffenden bitten, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.“
Zweifellos war es nicht nur die Furcht vor zeitraubenden Unbequemlichkeiten, die keinen der Passagiere etwas sagen ließ. Offenbar hatte wirklich keiner von ihnen etwas von dem Intermezzo im Flugzeug bemerkt. Nachträglich fiel Bankroft auch ein, daß sein seltsamer Nachbar die Tasche ziemlich tief gehalten hatte und seine Aufforderung leise ausgesprochen hatte. Bevor Bankroft abgeführt wurde, rief ihm Poirot noch zu: „Keine Sorge, Mister Bankroft. Ich bin ein Freund von Will Hartman, der Sie nun leider vergeblich draußen erwartet. Ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen.“ Die Polizisten verschwanden mit Bankroft, während der Zollbeamte die aufgeregt murmelnden Passagiere weiter abfertigte. Unbeachtet lag der Zigarrenstummel, aus dem der Diamant gefallen war, noch auf dem Tisch. „Welche Unaufmerksamkeit der Polizisten“, sagte Poirot, nahm ein Taschentuch und schlug den Stummel vorsichtig darin ein. „Was soll uns der Zigarrenrest noch helfen?“ fragte erstaunt der Beamte. „Nun, wenn Sie ihm so wenig Bedeutung beimessen, erlauben Sie mir, ihn an mich zu nehmen. Vielleicht steckt er noch voller Diamanten“, scherzte Pierre und eilte davon. Das verdutzte Gesicht des Zollbeamten konnte er zwar nicht mehr sehen, sich dafür jedoch um so besser vorstellen. *** „Ich bürge für Mister Bankroft“, rief Will Hartman erregt.
Er saß zusammen mit Bankroft, Pierre und zwei Polizeibeamten in einem Zimmer der Kriminalabteilung des Präsidiums. Inspektor Cehoeven schüttelte bedauernd den Kopf. „Sie sind ja nicht einmal Bürger dieses Landes“, meinte er und fügte hinzu: „Ebensowenig wie übrigens Mister Bankroft.“ „Um so heikler ist die ganze Angelegenheit“, warf Poirot ein. „Bei Ausländern muß man doppelt vorsichtig sein mit Verdächtigungen so schwerwiegender Art, sonst kommt man mit den betreffenden Gesandtschaften ins Gehege.“ Cehoeven warf Poirot einen mißgünstigen Blick zu. Wie alle Polizeibeamten hatte er keine großen Sympathien für Privatdetektive. Immerhin mußte er sich heimlich eingestehen, daß Poirots Vorschlag mit den Fingerabdrücken wirklich das Ei des Columbus gewesen war. Deshalb sagte er nun auch beschwichtigend: „Nun, meine Herren, meines Erachtens ist es doch vollkommen illusorisch, sich schon jetzt aufzuregen. Weder habe ich Mister Bankroft Handfesseln anlegen lassen, noch ist er von uns in eine Zelle gesperrt worden – mit einer schweren Eisenkugel am Bein“, versuchte er zu scherzen. Ihm war die ganze Angelegenheit denkbar peinlich, zumal da es sich bei Mister Bankroft um einen angesehenen Mann handelte, der als Mitinhaber der BAHAW in Antwerpen einen Namen hatte. Hinzu kam, daß dieser junge Deutsche, der wohl Hauptaktionär dieser Firma war, auf Seiten Bankrofts stand. Wie war das überhaupt mit der BAHAW? Er hatte doch da von dem Londoner Syndikat eine vertrauliche Mitteilung bekommen, daß die BAHAW dringend des illegalen Diamantenhandels verdächtigt wurde. Er würde sich zwar sehr hüten, die Leute, die hier vor ihm saßen, davon in Kenntnis zu setzen, da dies nur noch weitere
Komplikationen nach sich ziehen würde. Denn bei Licht besehen, hatte sich das Syndikat einer strafbaren Handlung schuldig gemacht. Das Syndikat als juristische Person war zwar berechtigt, Privatdetekteien mit der Beobachtung einer Firma zu betreuen, jedoch eine Benachrichtigung der Polizei von ihrem vorläufig noch unbewiesenen Verdacht kam einer leichtfertig erstatteten Strafanzeige gleich, gegen die der Betroffene Klage erheben konnte. Inspektor Cehoeven hielt es daher für richtiger, nichts davon zu erwähnen. Es hätte sonst womöglich noch Schwierigkeiten mit dem Syndikat gegeben, und die Stadt Antwerpen konnte sich so etwas als Diamantenmetropole nicht leisten. Cehoeven betrachtete schweigend seine unfreiwilligen Gäste. Da war Bankroft, ein älterer Herr mit ergrauten Schläfen, dessen Aussehen und Auftreten durchaus gentlemanlike war, dann Will Hartman, der blonde sympathische Deutsche und Poirot, der schlanke Belgier, dem anzusehen war, daß mit ihm nicht zu spaßen war. Verlegen griff der Inspektor zu einer Zigarrenkiste. „Darf ich vielleicht – “ Bankroft wehrte entsetzt ab: „Um Gottes willen, nur keine Zigarren. Ich bin heute zum Nichtraucher geworden. Zumindest werde ich von nun an Zigaretten vorziehen.“ Cehoeven lachte höflich und sagte: „Nun, es wird sich ja alles bald aufklären.“ Er selbst jedoch war im Grunde gar nicht so sehr von der Unschuld Bankrofts überzeugt. Stimmte dieser Schmuggelversuch nicht überein mit den Verdachtsmomenten, die das Londoner Syndikat gegen die BAHAW ausgesprochen hatte? Freilich war auf der anderen Seite wiederum kaum anzunehmen, daß der Direktor der BAHAW persönlich
Diamanten schmuggelte. Dafür würde man doch wohl seine bezahlten Leute haben. Ihm trat der Schweiß auf die Stirn. In diesem Augenblick, da das allseitige Schweigen bereits peinlich zu werden drohte, öffnete sich die Tür des Raumes. Ein Beamter des kriminologischen Labors trat ein und hielt in der Hand einige Papiere. Er begrüßte die Anwesenden mit auffallender Freundlichkeit. Pierre Poirot atmete auf. Ebenso, wie er auf dem Flugplatz an der Zollabfertigung um mehrere hundert Prozent schneller und schärfer gedacht hatte als die anderen und nur deshalb so schnell hatte reagieren können, war er auch jetzt der erste, der aus den Gesichtszügen des Laborbeamten ablesen konnte, daß die Untersuchung Bankrofts Unschuld einwandfrei bewiesen haben mußte. „Meine Herren, Herr Inspektor, ich bringe Ihnen hier die Ergebnisse.“ Er reichte Inspektor Cehoeven die Papiere. „Es ist erwiesen, daß die Fingerabdrücke auf dem Zigarrenetui, das man in der Tasche Mister Bankrofts fand, nicht identisch sind mit den Fingerabdrücken Mister Bankrofts.“ „Das heißt, daß Mister Bankroft die Tasche nie in der Hand gehabt haben kann“, fiel Poirot ein. „Richtig“, bemerkte Inspektor Cehoeven. „Es sei denn, daß Mister Bankroft das Etui nur mit Handschuhen angefaßt hat.“ „Sehr unwahrscheinlich!“ „Aber immerhin möglich.“ „Gut“, räumte Pierre ein. „Dann ist das erste Untersuchungsergebnis also noch kein Beweis für die Unschuld Mister Bankrofts.“ „Leider kein hundertprozentiger.“
„Es müßte sich also erweisen, daß die fremden Fingerabdrücke am Etui identisch sind mit denen an der Zigarre, die Mister Bankroft rauchte, und aus der der Diamant fiel. Hiermit nämlich wäre erwiesen, daß die gleiche Hand, die Mister Bankroft die Zigarre anbot, vorher das Etui in der Hand gehabt haben muß.“ „Nur faßt für gewöhnlich jemand, der einem anderen eine Zigarre anbietet, diese nicht vorher an“, meinte Inspektor Cehoeven skeptisch. „Sie vergessen, daß die Zigarre erst einmal in ihren Behälter, eine Tasche oder ähnliches placiert werden muß, wenn sie nicht direkt aus der Kiste angeboten wird. Und ich nehme nicht an, Mister Bankroft, daß Ihr merkwürdiger Nachbar Ihnen im Flugzeug eine Kiste hingehalten hat.“ „Natürlich nicht“, erklärte Bankroft und starrte den jungen Detektiv überrascht an. „Sie scheinen ein fähiger Kriminalist zu sein. Überdies muß ich sogar noch hinzufügen, daß mein Nachbar sogar kurz vor dem Anbieten die Zigarre berührte. Ich wollte nämlich zuerst eine andere nehmen. Daraufhin zog er die Diamantenzigarre ein Stück nach oben und hielt sie mir hin mit der Behauptung, sie sei besser.“ Der Inspektor, der ein wenig verlegen geworden war, weil Poirot ihn bloßgestellt hatte, unterbrach: „Lassen wir das Theoretisieren und halten wir uns an Tatsachen.“ Er wandte sich an den Laborbeamten: „Sind die Fingerabdrücke auf der Zigarre und dem – hm, Mister Bankroft unterschobenen Etui identisch?“ Der Beamte erwiderte: „Jawohl. Natürlich sind auf der Zigarre auch Fingerabdrücke von Mister Bankroft, aber das ist ja auch gar nicht anders möglich.
Die Abdrücke jedoch, die sowohl auf dem Etui als auch an dem Rest der Zigarre zu finden waren, gehören einem Gemeldeten.“ „Ein Kunde?“ Unter ,Kunde’ verstand man im Polizeijargon einen Verbrecher, der bereits mit Fingerabdruck und Fotografie im ,Album’, also in der Kartei stand. „Jawohl, Herr Inspektor. Wir haben ihn gleich herausgesucht. Hier ist er.“ Cehoeven nahm aus der Hand des Beamten das Blatt mit angehefteter Fotografie entgegen. „John Halloway, 42 Jahre alt, fettleibig, klein, Haare schwarz, kleiner Schnurrbart, Augen dunkelbraun. Besondere Kennzeichen: Narbe über der rechten Augenbraue. Vorstrafen: drei Jahre Zuchthaus wegen Rauschgiftschmuggels, ein Jahr Gefängnis wegen illegalen Diamantenhandels. Nationalität: staatenlos. Letzter Aufenthalt: nach verbüßter Gefängnisstrafe in Kapstadt, Südafrika, Aufenthaltsort unbekannt.“ Inspektor Cehoeven hatte die Karteikarte laut vorgelesen und hielt Bankroft nun die Fotografie hin, die den Verbrecher in der einen Bildhälfte von vorne, in der anderen im Profil zeigte: „Ist das Ihr merkwürdiger Nachbar?“ Bankroft warf nur einen kurzen Blick auf die Fotografie und nickte mit dem Kopf: „Ganz offensichtlich, das ist er. Ich täusche mich nicht.“ „Ich kann es bezeugen“, sagte Pierre Poirot. „Das ist unser Mann. Falls Sie noch immer nicht zufriedengestellt sein sollten, würde ich Ihnen raten, die anderen Fluggäste zu befragen. Einige werden sich bestimmt an den Mann erinnern und ihn wiedererkennen. Auf jeden Fall aber dürfte dies bei dem Zollbeamten zutreffen, denn der hat ja von dem
unverfrorenen Burschen noch eine Vorlesung gehalten bekommen, wie man Gepäck nach Schmuggelware durchsuchen muß. Ich höre ihn immer noch sagen: ,Kein Wunder, daß das Schmuggelunwesen derartig überhandnimmt, wenn die Zollbeamten immer so flüchtig das Gepäck durchsuchen.’ So, oder so ähnlich sagte er mit der größten Frechheit. Nachträglich wurde mir klar, daß er dies nur tat, um Zeit zu gewinnen, denn Mister Bankroft hatte sich ja die Zigarre erst kurz vorher angezündet, so daß, wenn er die Abfertigung nicht so in die Länge gezogen hätte, der Diamant möglicherweise erst auf der Straße oder im Bus herausgefallen wäre. Aber unser guter John Halloway hatte ja den Auftrag, Mister Bankroft des Diamantenschmuggels verdächtig zu machen. Daß es sich bei Halloway um eine kleinen, belanglosen gekauften Mann handelt, ist mir klar. Das Ganze ist nichts weiter als der Bestandteil eines großangelegten Boykottierungsplanes, der eine angesehene Firma wirtschaftlich und prestigemäßig ruinieren soll.“ Inspektor Cehoeven winkte ab. Er hatte keine Lust, in die Streitigkeiten großer Konzerne hineingezogen zu werden. Jedenfalls hatte er seine Pflicht getan. „Also meine Herren, dann wäre ja alles geklärt. Ich kann auf die Befragung der Passagiere und des Zollbeamten verzichten. Die Identität des John Halloway mit dem fraglichen Nachbarn des Mister Bankroft ist ja auch ohnedies eindeutig erwiesen. Gleichzeitig damit, Mister Bankroft, darf ich feststellen, daß uns unser, wie sie allerdings zugeben müssen, entschuldbarer Irrtum leid tut. Es liegt nichts gegen Sie vor, Mister Bankroft. Sie können gehen, wohin es Ihnen beliebt.
Es ist meine Pflicht, Sie zu fragen, ob Sie Privatklage gegen die hiesige Polizei erheben wollen.“ „Nichts liegt mir ferner“, winkte Bankroft ab. „Sie konnten auf Grund der geschickten Manipulationen dieses Burschen ja gar nicht anders handeln.“ Trotz der allseitigen Freundlichkeit atmeten beide Parteien, sowohl die Polizeibeamten als auch Will, Bankroft und Pierre auf, als die Tür sich zwischen ihnen schloß. Pierre konnte es sich allerdings nicht verkneifen, noch einmal zurückzueilen. „Falls es Sie interessiert, meine Herren. Ich habe die Nummer des Wagens, der John Halloway vom Flugplatz abgeholt hat.“ Aufseufzend nahmen die Beamten die Nummer entgegen, schrieben sie ab und reichten Pierre den Zettel zurück: „Danke sehr, mein Herr!“ „Nicht der Rede wert!“ Freundlich lachend winkte Pierre den Polizisten zu und eilte hinter seinen Freunden her. Sie verließen das Polizeipräsidium, um auf schnellstem Wege in Wills Wohnung zu eilen. „Will hat ein ausgezeichnetes Sortiment an guten Getränken“, erklärte Pierre dem etwas erschöpften Mister Bankroft, als sie alle drei in der Taxe saßen, die sie zu Will bringen sollte. „Sehr gut“, meinte Bankroft. „Ich habe einen ordentlichen Schluck Whisky dringend nötig.“
15
Bankroft nahm noch einen Schluck unverdünnten Whisky und lehnte sich aufatmend zurück. Will betrachtete ihn sorgenvoll. Der Freund von früher war gealtert. Sorgen und aufreibende Kämpfe hatten ihre Zeichen in sein Gesicht gegraben. Die Haare waren grau geworden, die Augen blickten etwas müde. Bankroft lächelte: „Du betrachtest mich so eingehend. Gefalle ich dir nicht, Will.“ „Doch sehr“, erwiderte dieser. „Du scheinst mir nur etwas überanstrengt.“ Bankroft nickte: „Bin ich auch. Aber du hast dich dafür fein herausgemacht. Keiner würde in diesem kräftigen jungen Mann den früheren Will vermuten. Wilson wird sich wundern, wenn er dich zu Gesicht bekommt.“ Bankroft wandte sich zu Pierre Poirot: „Und dies ist dein Freund. Ich darf Ihnen noch nachträglich meinen Dank aussprechen, Pierre. Durch ihr geistesgegenwärtiges Eingreifen sind mir mancherlei Unannehmlichkeiten erspart geblieben.“ Pierre hob abwehrend die Hand und lachte verlegen: „Das war ja der Sinn der Sache, Mister Bankroft. Bitte, reden wir nicht mehr davon.“ Bankroft ließ sich jedoch nicht unterbrechen: „Einen Mann wie Sie könnten wir gut in Brixtons Valley gebrauchen.“
„Er fährt mit mir nach Brixtons Valley“, bemerkte Will. Bankrofts Züge hellten sich auf: „Das ist sehr gut!“ Poirot zog seinen Stuhl näher heran und fragte hart und sachlich: „Warum ist das sehr gut, Mister Bankroft. Erzählen Sie! Erzählen Sie alles!“ Bankroft nickte: „Nur nicht so ungeduldig. Ihr werdet beide mehr hören als euch lieb ist. Aber vorher noch einen Schluck Whisky. Ah, das tut gut.“ Er lehnte sich zurück, tastete gedankenverloren nach seiner Zigarrentasche, um dieser eine Zigarre zu entnehmen. Als er sie in den Händen hielt, zuckte er zusammen und lachte dann auf: „Lieber nicht!“ Pierre hielt ihm eine Zigarettenpackung hin, der Bankroft dankend eine Zigarette entnahm. „Kurz nach deiner Abfahrt nach Europa ging es mit der neubegründeten BAHAW steil aufwärts“, erzählte Bankroft. „Ganz Brixtons Valley bekam ein neues Gesicht. Fördertürme entstanden, eine Arbeitersiedlung wurde gebaut, und es wurde eine solche Menge bester und höchstkarätiger Diamanten gefunden, daß wir sehr bald eine von allen beachtete Stellung auf dem internationalen Diamantenmarkt innehatten. Dann wurde Black durch einen Diamantenfund im Rhodes Forest, einem Gebiet, das er kurz vorher erstanden hatte, auf die Idee gebracht, dort ebenfalls eine Mine auf eigene Faust zu errichten.“ „Der Rhodes Forest gehörte einem Mister Robinson“, warf Poirot ein. Bankroft bestätigte dies erstaunt und fragte den Belgier:
„Woher wissen Sie das?“ „Robinson war der Onkel meiner Mutter und hinterließ ihr das Gebiet. Wir waren damals in Not, da kurz vorher mein Vater – verschollen war, so daß meine Mutter froh war, das für uns wertlose Gebiet an Mister Black verkaufen zu können. Nun frage ich mich nur: Was hatte Black im Sinne, als er von uns das Stück Land erstand, das für keinen wirtschaftlich denkenden Menschen einen Wert haben konnte. Mister Robinson hielt es sich aus Liebhaberei, um dort in dem Waldstück jagen zu können. Wie konnte es geschehen, daß Black einen scheinbar sinnlosen Kauf tat, bei dem sich später herausstellte, daß es wertvolles Diamantengebiet war? Könnte es nicht vielleicht sein, daß Black und sein Teilhaber schon vor dem Tod Mister Robinsons davon wußten, daß es sich bei Rhodes Forest um ein Diamantengebiet handelte? Könnte es nicht sein, daß der Tod von Mister Robinson – “ Pierre zog nachdenklich die Brauen zusammen, sprach jedoch nicht weiter. Er war viel zu sehr durch seinen Beruf daran gewöhnt, nur beweisbare Behauptungen aufzustellen, als daß er seinen Verdacht ausgesprochen hätte. Bankroft hatte ihn jedoch verstanden und erklärte: „Mister Robinson starb durch einen rätselhaften Unfall. Er versuchte einem quer über die Straße geworfenen Baum auszuweichen und wurde mit seinem Auto in den Abgrund geschleudert.“ Pierre nickte. „Das ist ja vorläufig auch uninteressant – vorläufig. Bitte, erzählen Sie weiter, Mister Bankroft!“ „Nun, Black und Hayward, wie der dunkle Ehrenmann heißt, der plötzlich an Blacks Seite auftauchte, sahen bald, daß sie sich ein wenig übernommen hatten. Für eine Mine kleinen Stils wäre der Rhodes Forest sehr geeignet gewesen.
Black und Hayward jedoch zogen die ganze Sache viel zu groß auf, offensichtlich, um die BAHAW in den Schatten zu stellen. Sie sammelten eine Schar von Arbeitern um sich. Wir, Wilson und ich, lachten nur. Unsere Mine nahm weiteren Aufschwung. Unsere blauweißen hochkarätigen Diamanten wurden zu einem Begriff. Dann begannen plötzlich Black und Hayward unsere Preise zu unterbieten, wenigstens die der hochkarätigen. Sie verkauften große Steine bis zu sechzig Prozent billiger als wir. Wir lachten nicht mehr, denn die Nachfrage nach BAHAWSteinen ließ plötzlich nach. Um die niedrigen Preise für große Steine halten zu können, verkauften die beiden ihre kleineren Steine mit viel zu hoch berechneten Preisen. Sie wurden sie los, weil die Nachfrage nach kleinen Steinen groß ist. Wir hatten nicht soviel an kleinen Steinen. Unsere erste Finanzkrise kam. Wir mußten uns irgendwie helfen. Ich bin an und für sich nicht der Typ des Denunzianten. Aber es ging um unsere Mine. So ging ich also nach Kimberley und zeigte dem Detective Department an, daß Black und Hayward ihre Steine zu Preisen verkauften, die unter der gesetzlich erlaubten Mindestgrenze lagen. Black und Hayward erhielten einen Verweis von der Regierung. Eine Woche später erschien Hayward mit einem Trupp angetrunkener Revolverhelden und verprügelte meine Arbeiter. Wir erhielten die ersten Kündigungen unserer Arbeiter. Rhodes Forest war bereits zu einem Symbol des Verbrechertums geworden. Man merkte allmählich, daß uns Black und Hayward nicht wohlgesinnt waren, und hatte Angst vor weiteren Terrorakten. Diese blieben nicht aus. Wir organisierten eine Selbsthilfe, so gut es eben ging.
In unserer Gegend heißt es nämlich auch heute noch: Selbst ist der Mann. Auf die Polizei sich zu verlassen, wäre sinnlos gewesen. Bei den Entfernungen und den ungünstigen Verkehrsverhältnissen wäre diese ohnehin zu spät gekommen. Offiziell stellte Hayward nun seine Diamantenverkäufe zu billigen Preisen ein. Wilson und ich merkten jedoch, daß unser Geschäft weiterhin schlecht ging. Bald hatten wir auch den Grund heraus. Black und Hayward verkauften illegal, das heißt nicht an eingetragene Händler, sondern an Schmuggler und Schwarzhändler. Sie machten dies so geschickt, daß ihnen niemand etwas nachweisen konnte, und sie machten es in einem solchen Umfang, daß die Nachfrage in unserer Gegend von uns, die nun einmal ehrlich und zu gesetzlich erlaubten Preisen verkauften, abgesogen wurde. Trotzdem gelang es uns in den letzten Jahren, uns mühselig über Wasser zu halten, da unsere Steine eben die besseren sind. In den letzten Monaten jedoch hat auch das aufgehört. Und zwar ist folgendes geschehen: Hayward ist zu offenem Verbrechertum übergegangen. Seine Horden überfallen des öfteren nachts unsere Siedlungen. Sie begnügen sich nicht mehr mit Prügeleien, sondern lassen Tote und Verwundete hinter sich zurück. Sie sind beritten, zumeist mit Coltrevolvern ausgerüstet, und tragen schwarze Masken. Die Polizei ist machtlos und glaubt uns vor allem nicht, daß es sich um Haywards Leute handelt. Wir haben nur noch eine Handvoll Arbeiter. Die Fördertürme liegen still. Wir können nur noch ein wenig im Tagebau abbauen.
Dieses wenige aber – “ Bankroft schlug verzweifelt die Faust auf den Tisch, als er es erzählte: „ – dieses wenige wird uns gestohlen, geraubt, von Haywards und Blacks Banditen. Und seit einigen Monaten sind es unsere blauweißen BAHAW-Diamanten, die im Schwarzhandel auftauchen. Diese Diamanten sind ja so typisch, daß es fast genau so ist, als ob sie unseren Firmenstempel trügen. Jedes Kind in Diamantenhändlerkreisen weiß bei den Blauweißen aus Afrika: Das sind BAHAW-Diamanten. Seht ihr nun, was Black und Hayward erreicht haben? Sie haben uns unsere Arbeiter bis auf einen kleinen Teil weggejagt. Sie haben uns dadurch gezwungen, unsere Produktion herabzumindern. Sie haben uns von dieser geringen Produktion in letzter Zeit laufend mindestens vierzig Prozent gestohlen oder geraubt. Sie haben uns damit finanziell an den Rand des Ruins gebracht und sich selbst durch den schwarzen Verkauf der von uns stammenden Diamanten bereichert. Sie haben letzten Endes erreicht, daß alle Welt glaubt, wir, die BAHAW, betrieben einen Schwarzhandel mit unseren Diamanten im großen. Hayward hat sogar des öfteren seine gekauften Schmuggler veranlaßt, in Schmugglerkreisen zu behaupten, sie arbeiteten für die BAHAW. Man hat uns nicht nur unser Geld, unsere Arbeiter, unsere Diamanten genommen, man hat unseren guten Ruf zerstört – in solchem Maße zerstört, daß wir in letzter Zeit von anderen Firmen geschnitten werden, daß das Londoner Syndikat mich nach London beorderte, damit ich dort persönlich Rede und Antwort stehen soll.
Mit welchen Mitteln Hayward und seine Helfershelfer arbeiten, habt ihr selbst heute an der Zollstation gesehen. Abschließend will ich nun noch sagen, was der Grund meiner Reise war: Erstens der Besuch des Syndikats in London, um dort einmal mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und zweitens der Besuch eines gewissen Will Hartman in Antwerpen, dem ich sagen muß, daß wir zwei alten Leute, Wilson und ich, ihn dringend brauchen. Ja, Will – “ Bankroft stand auf und trat auf Will Hartman zu. Er legte ihm beide Hände auf die Schultern: „Will, wir alten schaffen es allein nicht mehr. Wenn du nicht kommst und uns hilfst, gehen wir mit der BAHAW zugrunde, und deine sechshunderttausend Mark sind dann auch verloren. Noch kannst du sie retten.“ „Es geht mir nicht um das Geld.“ „Ich weiß, Will. Aber es geht um das Werk, das wir aufgebaut haben, es geht um die tapferen Arbeiter, die bei uns geblieben sind, die mutig den Terror der Maskenmänner Haywards ertragen, die nun schon seit einem Monat auf ihren Lohn warten, ohne zu murren. Tritt du nun neben uns mit frischer Kraft. Mit dir werden wir es schaffen, werden wir Hayward, Black und sein ganzes Gesindel zur Hölle jagen.“ Bankroft hatte sich ordentlich in Begeisterung geredet. Sein müdes Gesicht war plötzlich wieder frisch geworden, seine Augen blitzten für einen Moment in alter Schärfe auf. Pierre trat neben Will und drückte Bankroft die Hand: „Wenn Sie mir gestatten, Mister Bankroft, so will auch ich Ihnen helfen.“ Will nickte:
„Im Kampf gegen Verbrecher wird sich Pierre viel schlagkräftiger erweisen als ich. Ich kann meine Dienste dem Werk, der Mine zur Verfügung stellen. Mit Black und Hayward aber muß Pierre fertig werden.“ „Kommen Sie mit uns, Pierre, ich bitte Sie sehr darum“, sagte Bankroft. Pierre Poirot nickte: „Einverstanden! Ich bin dabei!“ *** Das für London so typische hochgebaute Taxi hielt vor einem prächtigen Haus in der Bond-Street, dem Diamond-Building des Londoner Diamanten-Syndikats, einer Interessenvereinigung, die praktisch den gesamten Diamantenhandel kontrolliert. Bankroft, Will und Pierre stiegen aus und betraten das imposante Gebäude. Sie hatten sich in Antwerpen nicht mehr lange aufgehalten, waren nur noch von dort aus mit einem Mietwagen schnell nach Aachen gefahren, um Wills Eltern zu begrüßen und Will Gelegenheit zu geben, sich von ihnen zu verabschieden. Von Antwerpen aus waren sie dann nach ihrer Rückkehr aus Aachen sofort nach England weitergefahren. Auf Will, dem einzigen der drei Männer, der London noch nicht kannte, hatte die Stadt einen großen Eindruck gemacht. Die merkwürdige Mischung von steifer und doch anheimelnder Tradition und modernem Tempo hatte ihn sehr beeindruckt. Doch hatten sie keine Zeit, sich näher mit der an Sehenswertem so reichen Stadt zu befassen, sondern waren noch am gleichen Tag zum Diamond-Building geeilt. Nun standen sie in dem vornehm eingerichteten Zimmer von Lord
Ashburne, einem Raum, der fast einem kleinen Saal glich und in dem der riesige Schreibtisch Lord Ashburnes, des Geschäftsführers des Syndikats, fast winzig wirkte. Ashburne legte eine sichtliche Reserviertheit an den Tag, als er die Namen Bankrofts und Will Hartmans hörte. Bankroft ging gleich, nachdem man sich in den tiefen Klubsesseln niedergelassen hatte, aufs Ganze. „Mylord, Sie werden sich denken können, warum wir Sie aufgesucht haben.“ Ashburne blickte auf. Keine Muskel zuckte in seinem beherrschten Gesicht. Er gab keine Antwort. Bankroft wurde massiver: „Das Syndikat hat den Gerüchten, die über uns kursieren, in etwas zu leichtfertiger Weise Glauben geschenkt und sogar verschiedene Institute damit beauftragt, die BAHAW zu beschatten. Ist das richtig?“ Lord Ashburne nickte und erklärte in vorsichtigen Redewendungen, daß er den Verdacht, der sich allgemein gegen die BAHAW richtet, für begründet halten müsse. Nun legte Bankroft los. Er redete fast eine halbe Stunde lang. Als er geendet hatte und Lord Ashburne rücksichtslos seine Meinung über Black und Hayward dargestellt hatte, schien Ashburne doch bekehrt. Seine reservierte Miene wurde freundlicher, er bot Zigarren an. „Hat man diesen John Halloway denn nun erwischt?“ fragte Lord Ashburne, als Bankroft ihm von dem Versuch, ihn des Diamantenschmuggels zu bezichtigen, erzählte. Pierre schüttelte den Kopf: „Leider nicht, Mylord. Die Polizei hat seine Spur bis zum Seehafen verfolgt. Als man endlich das Hotel ausfindig gemacht hatte, in welchem Halloway abgestiegen war, war es
bereits zu spät. Halloway war wenige Stunden vorher mit einem Frachter, der auch Passagiere befördert, in Richtung Kapstadt abgereist. Das französische Schiff befand sich bereits außerhalb der Dreimeilenzone, so daß die Hafenpolizei nichts mehr unternehmen konnte. Wir haben jedoch dafür gesorgt, daß er in Kapstadt würdig empfangen wird.“ Bankroft sagte: „Möglicherweise werden wir ihn in Kapstadt gemeinsam mit der Polizei empfangen können, da wir noch heute von London aus zurückfliegen, wenngleich ich Flugreisen keine besonders guten Seiten abgewinnen kann. Aber was hilft das. Wir haben es eilig.“ Lord Ashburne erhob sich: „Also gut, meine Herren, ich werde die von uns beauftragten Institute benachrichtigen und sie bitten, ihre Nachforschungen nicht speziell auf die BAHAW zu richten, sondern im allgemeinen den Ursachen des Diamantenschmuggels nachzugehen. Sie haben nicht viel Zeit, den Ruf Ihrer Firma wieder herzustellen. Ich persönlich glaube Ihnen zwar, nachdem Sie mir alles so ausführlich berichtet haben. Aber Sie können von mir nicht verlangen, daß ich die übrigen Herren des Syndikats von Ihrer Unschuld überzeuge. Wir brauchen Beweise. Ich hoffe, daß es Ihnen gelingt, in der Geschäftswelt wieder den Namen zu erringen, den die BAHAW früher gehabt hat, und damit gleichzeitig Ihre wirtschaftliche Position wiederherzustellen. Sie selber werden wissen, daß Sie nur noch wenige Wochen Zeit haben. Wenn es Ihnen in diesem Zeitraum nicht gelingt, Ihre Gegner zu stellen und zu überführen, ist es aus mit Ihnen. So bitter das klingen mag, ich muß es Ihnen sagen.“
Bankroft nickte ernst: „Wir selber sind uns darüber vollständig im klaren.“ Will jedoch lachte zuversichtlich: „Mit Pierres Hilfe werden wir es schon schaffen. Für Black und Hayward wird eine bittere Zeit kommen.“ „Ich wünsche Ihnen alles Gute und ein baldiges Gelingen. Wenn ich Sie so ansehe, bin ich versucht, meiner Wettleidenschaft nachzugehen und mit jemand über den Ausgang dieses Kampfes eine Wette abzuschließen“, meinte Ashburne abschließend. „Ich würde eine große Summe bedenkenlos auf Ihren Sieg setzen“, fügte er schmunzelnd hinzu.
16
Die ,Midinette’ fuhr in den Hafen von Kapstadt ein. Das flinke Motorboot der Hafenpolizei schoß hastig heran. Vorn stand ein Polizeileutnant in seiner blendendweißen Khakiuniform, den Tropenhelm mit Nackenschutz auf dem Kopf, und rief einige verärgerte Worte zur Kommandobrücke des französischen Frachters hoch. Der Kapitän lachte gutmütig und ließ die Leine der Dampfpfeife los. Das Tuten hörte auf. „Zufrieden?“ rief er nach unten. „Nicht ganz, Käptn. Wir müssen an Bord! Haben Sie Passagiere?“ „Zwei Passagiere“, rief der Kapitän zurück, der nun allerhand Unannehmlichkeiten zu befürchten begann. Ein Fallreep wurde über Bord geworfen und geschickt erkletterten die fünf Polizisten die Strickleiter. Der Kapitän machte große Augen, als auch noch drei Zivilisten in weißen Tropenanzügen erschienen. „Womit kann ich Ihnen dienen?“ fragte er überhöflich. „Mit zwei Passagieren, Käptn“, erwiderte lächelnd der Leutnant und legte flüchtig die Hand auf seine Pistolentasche. „Sind es Verbrecher?“ fragte der Kapitän mit ungläubig aufgerissenen Kinderaugen. Der Polizist nickte: „Wenn es die sind, die wir suchen.“ Der Kapitän brüllte einige wütende französische Anweisungen zu einigen seiner Matrosen hinüber.
Die muskelbepackten Männer blickten ihren Herrn und Gebieter erst einige Sekunden zweifelnd an und verschwanden dann achselzuckend unter Deck. Wenige Sekunden später tauchten sie bereits wieder auf. Je zwei von ihnen hatten mit wenig sanftem Griff einen Mann untergefaßt, während zwei weitere das Gepäck trugen. „Sie wollten ohnehin soeben an Deck kommen, um sich zu verabschieden“, erklärte grinsend einer der Matrosen. „Sie schimpfen ein wenig, weil wir sie so hart anfassen, aber Befehl ist Befehl“, erklärte ein anderer und blickte strahlend auf den etwas beleibten Herrn, den er etwas unsanft am Kragen gepackt hatte. „Jawohl, so lautete mein Befehl“, bestätigte der Kapitän zu den Polizisten gewandt. „Ich hatte ja keine Ahnung, daß es gesuchte Verbrecher sind. So etwas muß hart angefaßt werden. Und das auf meinem Schiff, auf meinem ehrlichen Schiff.“ Er spuckte nachdrücklich auf die ohnehin wenig sauberen Planken seines Schiffes. Es war ihm offensichtlich darum zu tun, seine Ehrenhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Der Polizeioffizier lachte: „Beruhigen Sie sich. Sie haben ja nichts mit der Sache zu tun.“ Er zog eine Fotografie aus der Tasche, verglich sie mit dem ersten der beiden Männer und wandte sich an die drei Zivilisten, die niemand anders als Bankroft, Will und Pierre waren. „Ist es der?“ Pierre und Bankroft nickten beide gleichzeitig: „Das ist ohne Zweifel John Halloway.“ „Nun“, meinte der Polizist. „Dann ist ja alles klar. Den anderen nehmen wir auch gleich mit. Er sieht nicht viel vertrauenerweckender aus als Halloway. Überdies kommt er
mir merkwürdig bekannt vor. Es sollte mich nicht wundern, wenn er auch im Album steht.“ „Ich bin ein unbescholtener Bürger“, protestierte der zweite der beiden Männer, der sich unter den Griffen der Matrosen wand, die offensichtlich mehr Spaß an der Sache hatten als er. Er war ein hagerer, lang aufgeschossener Mensch mit heimtückischem, verkniffenem Gesicht. Der Polizist nickte: „Unbescholtener Bürger, nicht wahr? Wir bringen Sie ja auch nur in ein Heim für unbescholtene Bürger. Übrigens: Bürger welchen Staates, wenn ich fragen darf?“ „Auch Staatenlose haben ein Recht zu leben, oder sind Sie anderer Meinung“, erwiderte der Hagere mürrisch. „Natürlich, die Staatenlosen sollen leben! Hoch!“ rief einer der Matrosen, der wahrscheinlich sein Frühstück mit allzuviel Whisky hinuntergespült hatte. „Schweigen Sie!“ unterbrach ihn der Polizeioffizier. „Wenn nichts gegen Sie vorliegt, haben Sie nichts zu befürchten“, wandte er sich an den Hageren. Die beiden wurden von den Polizisten über die inzwischen ausgelegte Gangway an Land geführt. In einem offenen Wagen nahm am Steuer einer der Polizisten Platz, während Halloway sich neben ihn setzen durfte. Hinten saß ebenfalls ein Polizist, der den zweiten der beiden neben sich hatte. Pierre betrachtete das Arrangement mit mißtrauischen Blicken, bevor er sich mit Bankroft und Will in den Wagen des Leutnants begab. Der Leutnant hatte den Argwohn Pierres bemerkt. „Fürchten Sie etwa, daß die beiden versuchen werden, sich mit den Polizisten im Wagen anzulegen?“ fragte er lächelnd.
Pierre entgegnete nichts darauf, nahm sich jedoch vor, auf dem Weg zum Präsidium ein wachsames Auge auf den vor ihnen herfahrenden Wagen zu haben. *** Halloway hatte ebenfalls ein wachsames Auge, als er neben dem Polizisten sitzend durch die Straßen Kapstadts fuhr. Gott sei Dank hatte man ihnen keine Handschellen angelegt. Die Polizei von Kapstadt wußte, was sie den Bürgerrechten schuldig war. Solange kein Urteil gefällt war, durfte niemandem die Handfessel angelegt werden. Ja, man hatte sie nicht einmal, und das war eine grobe Unaufmerksamkeit des Polizeioffiziers, nach Waffen durchsucht. Auf der Orantje-Avenue geschah es, mitten im dichtesten Verkehrsgewühl. Halloway hob langsam, Zentimeter für Zentimeter, seinen Fuß und stieß ihn dann plötzlich mit voller Wucht auf den Fuß des Polizisten, der auf dem Gaspedal ruhte. Der Wagen machte einen plötzlichen Satz nach vorn, so daß der unvorbereitete Polizist mit dem Kopf gegen den harten Sitz geschleudert wurde. Hinter den beiden bellte dünn der Schuß eines Derringers auf. Der neben dem Hageren sitzende Polizist sank in sich zusammen, während dieser nun den Lauf der kleinen Pistole in den Nacken des steuernden Polizisten drückte. Doch dieser hatte geistesgegenwärtig seinen schweren Trommelrevolver aus der Tasche gerissen, fuhr weiter und sagte ruhig:
„Der Lauf meiner Waffe zielt genau in die Magengegend ihres Freundes. Wenn Sie Ihren Revolver nicht fallen lassen, drücke ich ab!“ „Tu ‘s Luggy! Sofort!“ befahl Halloway, der bleich geworden war. Jedoch im selben Moment, als er diese Worte aussprach und Luggy seinem Befehl nachkam, trat John Halloway erneut zu. Diesmal traf er mit voller Wucht die Fußbremse. Mit aufkreischenden Reifen stoppte der Wagen, und da die Kupplung nicht durchgetreten war, würgte der Motor ab. Der Polizist war mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geflogen und lag besinnungslos halb über dem Steuer. Er hatte noch einen Schuß aus seinem Revolver abgeben können, der jedoch fehlgegangen war. Alles spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab. Halloway stieß die Tür auf und ließ den Besinnungslosen auf die Straße gleiten. Er startete den Wagen, warf sich hinter das Steuer und fuhr los. All das war natürlich nicht unbemerkt vor sich gegangen. Die Passanten hatten ratlos auf den so merkwürdig sich benehmenden Wagen geblickt, wohl auch die Schüsse gehört, sich jedoch nicht getraut, etwas zu unternehmen. Der Wagen des Leutnants, der hinterher fuhr, mußte erst einmal anhalten, als sich eine Schar von Menschen um den ohnmächtig auf der Straße liegenden Polizisten scharten. Der Leutnant sprang heraus, überzeugte sich davon, daß sein Untergebener keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hatte, und sprang in den Wagen. „Platz da!“ schrie er. Ein riesiger Neger in grellbuntem Seidenhemd und zerschlissenen Khakihosen wollte offenbar seine Sympathie gegenüber der Polizei unter Beweis stellen und teilte mit
mächtigen Armen die Menge, um dem Wagen die Durchfahrt freizumachen. Von dem Polizeiwagen war nichts mehr zu sehen. Pierre hatte einen kurzläufigen amerikanischen Revolver aus dem Schulterhalfter gerissen und beugte sich aus dem Fenster. „Halloway wird versuchen eine Ausfallstraße, die in das Landesinnere führt, zu gewinnen. In Kapland kann er am besten untertauchen, zusammen mit seinem Spießgesellen“, sagte der Polizeileutnant, während er ohne Rücksicht auf den Verkehr den Gashebel durchtrat. „Dann wird er versuchen, die Straße nach Morreesburg zu erreichen“, meinte Bankroft. Der Leutnant nickte grimmig und murmelte: „Wenn ich nur wüßte, was sie mit Jack, dem anderen Polizisten, gemacht haben. Wenn sie ihm ein Haar gekrümmt haben, drehe ich ihnen den Hals um.“ „Ich fürchte, sie werden ihm mehr als ein Haar gekrümmt haben“, bemerkte Pierre trocken und klappte die Trommel seines Revolver nach außen, um sich zu überzeugen, daß die Kammern geladen waren. „Dort sind sie“, schrie Will. Sie hatten inzwischen die Hauptverkehrsstraßen hinter sich gebracht. Der Leutnant trat durch, so weit es nur ging. Wie ein wildes Tier schoß der Wagen nach vorn. „Wir schaffen es nicht“, fluchte der Leutnant. Der offene Polizeiwagen vor ihnen war schneller. Der Leutnant trat die Bremsen durch, als das gelbe Schild eines Polizeireviers in Sicht kam. „Verschwinden Sie und sagen Sie den Männern im Revier, daß sie sämtliche Polizeistationen zwischen Kapstadt und Morreesburg alarmieren sollen. Text etwa: Achtung auf grünen Polizeiwagen mit der Nummer VK-10/8 (City). Anhalten,
Fahrer und Insassen festnehmen, Vorsicht, die Verbrecher sind gefährlich und bewaffnet.“ Der Polizist, der noch im Wagen gesessen hatte, nickte, als ihm der Leutnant diese Anweisungen gab, und verschwand im Eilschritt in Richtung des Reviers. Sie fuhren weiter, allerdings ohne Hoffnung, den schnelleren Wagen noch zu erreichen. Sie sollten sich jedoch getäuscht haben. Der Wagen kam ihnen sogar in gemächlichem Tempo entgegen. Der Leutnant stoppte, riß den Revolver aus der Ledertasche und stellte sich breitbeinig auf die Straße, bereit, beim ersten Zeichen von Widerstand zu schießen. Pierre hob zuerst auch die Waffe, ließ sie dann jedoch sinken, als der Wagen anhielt und ein schreckensbleicher Farmer ausstieg. Der Farmer eilte auf den Leutnant zu: „Zwei Männer stellten mich auf der Straße nach Morreesburg. Ich wollte nach Kapstadt fahren. Da es sich um einen Polizeiwagen handelte, hielt ich bereitwillig an. Sie bedrohten mich mit ihren Pistolen und forderten mich auf, meinen Wagen, einen roten Citroen zu verlassen. Mir blieb nichts weiter übrig, als ihrem Befehl nachzukommen. Sie fuhren mit meinem Wagen in Richtung Morreesburg weiter. Ich setzte mich in den Polizeiwagen und fuhr nach Kapstadt, um den Vorfall zu melden. Ich mußte langsam fahren, denn hinten im Wagen – “ Er stockte und wies mit bedauernder Gebärde auf das Auto. „Ich glaube, es ist nicht mehr viel zu machen“, murmelte er. „Ich habe ihm einen Notverband angelegt.“ Der Leutnant ließ ihn nicht aussprechen, stürzte zum Wagen und riß die hintere Tür auf. Zusammengekrümmt auf dem Sitzpolster lag der Polizist. Er war bereits tot.
Die Kugel hatte ihn in die Magengegend getroffen. Der Leutnant schluckte einige Male und biß die Zähne zusammen. Er wandte sich schließlich mit steinernem Gesicht an Bankroft: „Sie erzählten, Mister Bankroft, daß Halloway im Auftrage eines Mister Hayward handelte, der in der Nähe von Kimberley eine Diamantenmine unterhält?“ „In der Nähe von Kimberley ist übertrieben“, erwiderte Bankroft. „Sie ist immer noch so weit von Kimberley entfernt, sowohl unsere Mine Brixtons Valley als die von Black und Hayward, daß kaum einmal die Polizei sich dorthin verirrt.“ „Halloway handelt im Auftrage Haywards?“ „Das kann man wohl mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit annehmen.“ „Wo Halloway ist, wird auch sein hagerer Spießgeselle sein.“ Bankroft nickte. Er sah nun, worauf der Polizist hinauswollte. „Halloway und der Mörder meines Polizisten werden wahrscheinlich in Haywards Nähe zu finden sein. Ich habe an diesem armen Kerl, den sie zusammengeschossen haben, etwas gutzumachen, denn durch meine Schuld ist das alles geschehen. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Ich werde also meine Strafversetzung wegen Unaufmerksamkeit im Dienst nach Kimberley beantragen. Und, Mister Bankroft, ich werde mich recht häufig nach Brixtons Valley und Rhodes Forest verirren, darauf können Sie rechnen. Ich werde mich solange dorthin verirren, bis ich die beiden Burschen gefaßt habe.“ *** Sie waren in Brixtons Valley angekommen. Aber ihre Ankunft hatte sich unter wenig erfreulichen Umständen vollzogen.
Will war erschüttert. Wilson, der sich sehr über Wills Ankunft gefreut hatte, konnte sie leider nicht durch die Mine führen, da er mit einem gebrochenen Arm im Bett lag. So gingen sie, Bankroft, Will und Pierre an der Seite Herrn Wolters, eines deutschen Ingenieurs, durch das Werk. Die Maschinen lagen still. Wolters hob bedauernd die Schultern, als sie an den wie tot wirkenden Förderanlagen vorübergingen. „Ich komme mir eigentlich recht überflüssig vor“, sagte er. „Zumal Sie, Herr Hartman, mit Ihren auf der Technischen Hochschule in Aachen erworbenen Kenntnissen nun auch noch hier sind. Es gibt schon seit langem so gut wie nichts mehr für mich zu tun. Das einzige, was ich machen kann, ist, mit einigen Monteuren dafür zu sorgen, daß die Förderanlagen durch das lange Stilliegen nicht leiden. Nur durch den Abbau der Seifenlager können wir die wenigen Arbeiter, die wir noch haben, beschäftigen. Sehen Sie dort!“ Sie traten auf eine Halde, auf der Männer mit Spitzhacken den Boden bearbeiteten. „Im Grunde wieder das gleiche Prinzip wie damals, als Brixtons Valley noch nicht von der BAHAW bearbeitet wurde.“ Sie traten auf eine Gruppe von Arbeitern zu. Ein muskulöser Mann trat auf Wolters zu: „Mister Wolters – “ Wolters nickte: „Ich weiß, Sie wollen kündigen. Das ist Ihr gutes Recht. Sie bekommen kein Geld, Ihr Leben und Ihre Familie unterliegen einer ständigen Bedrohung. Gehen Sie zur Kasse und versuchen Sie, etwas Bargeld als Auszahlung zu bekommen. Andernfalls lassen Sie sich einen Scheck geben.“
Wolters schien mit den Nerven ziemlich herunter zu sein. Resigniert wollte er weitergehen, aber der Arbeiter hielt ihn am Ärmel fest: „Hallo, Wolters, Sie irren sich. Die Arbeiter, die jetzt noch hier sind, werden auch hier bleiben. Ich wollte Ihnen lediglich sagen, daß Smith in der Siedlung geblieben ist, um seinen Bungalow in Ordnung zu bringen, beziehungsweise das, was davon noch übriggeblieben ist.“ Wolters atmete erleichtert auf: „ Selbstverständlich, einverstanden.“ Sie gingen weiter. „Sehen Sie, meine Herren, so ist das nun. In der letzten Nacht waren wieder einige schwerbewaffnete Reiter hier, die ganz bestimmt in Haywards Auftrag arbeiten. Sie haben Feuer an einen Bungalow gelegt und einen Mann schwer verwundet, als dieser von seinem Haus aus das Feuer erwiderte. Dabei ist das Komische an der ganzen Sache, so tragisch sie ist, daß unser Mann noch fürchten muß, wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet zu werden. Wir haben bis jetzt von der Polizei in Kimberley nicht die Erlaubnis erwirken können, an die Arbeiter Feuerwaffen zu verteilen. Wilson und leider auch Sie, Mister Bankroft, sind ja – verzeihen Sie – so töricht, sich streng an das Gesetz zu halten. Gehen Sie doch einmal nach Rhodes Forest und sehen Sie sich an, was dort herumläuft, offen den Revolver im Gurt.“ „Schon recht“, erwiderte Bankroft. „Aber gerade weil wir in so ungerechtfertigt schlechtem Licht bei der Behörde stehen, darf nichts geschehen, was ungesetzlich ist.“ „Und während wir uns an das Gesetz halten“, sagte Wolters mit Bitterkeit, „wird bei uns nachts das Lagerhaus ausgeraubt. Übrigens eine merkwürdige Sache mit diesem Raub. Mister Wilson ging vor drei Tagen bei seinem abendlichen Rundgang
am Lagerhaus vorbei. Er hörte verdächtige Geräusche, obwohl die schwere Eisentür fest verriegelt war, aus dem Innern des Hauses. Er schloß die Tür auf und betrat den Tresorraum. Plötzlich wurde er mit einer Stablampe geblendet, erhielt einen Stoß gegen die Brust und stürzte so unglücklich, daß er nach längerer Zeit der Besinnungslosigkeit mit gebrochenem Arm wieder erwachte. Auf seine Hilferufe eilte ich mit einigen Arbeitern, die mit mir zusammen unmittelbar neben dem Lagerhaus wohnen, herbei. Wir fanden einen säuberlich gesprengten Tresor und den hilflosen Mister Wilson.“ Pierre schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Haben Sie denn keine Wachen ausgestellt“, fragte er vorwurfsvoll. „Doch“, erwiderte der Ingenieur. „Die Wachen dürfen sogar Waffen tragen. Sie schlafen aber neben dem Lagerhaus in einer Bereitschaftsbaracke.“ „Schlafen?“ „Angekleidet natürlich. Da Türen und Fenster des Lagerhauses erstens stark gesichert, zweitens mit einer elektrischen Alarmanlage verbunden sind, ist dies Entgegenkommen gegenüber der Wachmannschaft möglich. Jeder Einbruchsversuch würde in ihrem Schlafraum die Alarmanlage auslösen.“ „Wilson betrat doch offensichtlich von der Wachmannschaft unbemerkt das Lagerhaus“, entgegnete Pierre. „Mister Wilson schaltete vorher die Alarmanlage aus.“ „Woher beziehen Sie den Strom für die Anlage?“ wollte Will wissen. „Wir hatten früher ein eigenes Kraftwerk, das jetzt aber stilliegt, da wir es nicht mehr ausnutzen können. Als Kraftstation benutzen wir jetzt einen Dieselmotor, der
genügend Strom für unsere – notgedrungen – bescheidenen Bedürfnisse erzeugt. Die Station liegt unmittelbar hinter dem Lagerhaus und arbeitet entweder direkt oder füllt Akkumulatoren auf.“ Sie hatten einen kleinen Hügel erstiegen, der ihnen einen guten Ausblick über Brixtons Valley vermittelte. „Sehen Sie“, erklärte Wolters, „von dort kommen wir. Dort liegen die Büroräume Mister Wilsons, Mister Bankrofts und meine Wohnung in einem Haus, in welchem auch noch einige Arbeiter wohnen. Daneben das Lagerhaus, die Wachbaracke, die Kraftstation. Dann dahinter die Abbereitungsanlagen und Spülanlagen sowie das Kraftwerk. Weiter vorne sehen Sie die zwei Fördertürme, die noch bis zuletzt in Betrieb waren. Vor einigen Monaten mußten wir auch dort die Arbeit einstellen, wie bei den anderen, die sie am anderen Ende des Tales sehen.“ „Warum liegen die beiden Türme so dicht nebeneinander. Genügte da nicht einer?“ fragte Will. „An sich schon, Herr Hartman. Wir sind jedoch bei dem Vortreiben der Stollen auf eine Wassertasche unter der Erde gestoßen, die uns eine Sperre entgegensetzte. Wir mußten deshalb auf der anderen Seite der Wassertasche einen zweiten Turm errichten.“ „Und dort liegt die Siedlung?“ fragte Pierre und wies auf einen grünbewachsenen Landstreifen mit schmucken Häusern, von denen allerdings viele recht ramponiert schienen, während eines in Trümmern dalag und noch qualmte. „Die Siedlung“, bestätigte Wolters. „Das qualmende Haus ist ein Beweis für die Rücksichtslosigkeit der Haywardschen Bande.“ „Seien Sie vorsichtig“, riet Pierre mit leichtem Lächeln. „Wie können Sie unbescholtene Bürger derartig verdächtigen!“
„Ach was, unbescholtene Bürger. Gehen Sie doch zu ihm und sagen Sie ihm, daß Sie ihn für einen unbescholtenen Bürger halten, vielleicht lacht er sich dann tot und wir sind ihn los.“ „Sie werden lachen, Wolters“, erwiderte Pierre, „ich werde zu ihm gehen, und das schon morgen. Aber wir sind vom Thema abgekommen. Sie erzählten eben die merkwürdige Geschichte von dem Einbruch im Lagerhaus, ohne daß Alarmanlagen anschlugen oder Türen aufgebrochen wurden. Ist das nicht eine höchst merkwürdige Angelegenheit?“ „Wir haben uns alle den Kopf darüber zerbrochen“, gab der Ingenieur etwas kleinlaut zu. „Ich möchte das Lagerhaus sehen“, verlangte Pierre Poirot. Sie gingen zurück zum Lagerhaus, traten durch das schwere Eisentor in den Gang, der zum Tresorraum führte. Pierre lächelte anerkennend, als er vor dem Tresor stand, dessen schwere Tür in einer gewaltigen Explosion herausgesprengt worden war. „Saubere Arbeit“, sagte er. „Ein erfahrener Geldschrankknacker scheint auch unter den Leuten Haywards zu sein. Der Tresor ist ,gespritzt’ worden, wie man in den hierfür zuständigen Kreisen sagt. Man setzt knapp unterhalb der Türangeln einen kleinen elektrisch betriebenen Bohrer an, möglichst mit einer Diamantspitze, und bohrt ein Loch in den Stahl. Man spritzt dieses Loch mit Trinitrophenol und zündet durch Initialzündung. Die Tür fliegt dann aus ihren Angeln als sei sie aus Sperrholz. Wieviel Diamanten waren im Tresor?“ „Diamanten im Wert von 25000 Mark“, sagte Bankroft, der sich bereits hierüber bei Wilson erkundigt hatte. „Wir sind praktisch am Ende. Wir müssen zu unseren letzten Reserven greifen. Wenn uns die auch noch genommen werden, müssen wir aufgeben.“
Pierre bückte sich und hob ein hartgetrocknetes Schlammstück auf. „Kann dies von außen hereingetragen worden sein?“ fragte er Bankroft und Wolters. – „Unmöglich“, erwiderten beide wie aus einem Munde. Der Ingenieur setzte hinzu: „Bei der augenblicklichen Trockenheit ist in ganz Brixtons Valley keine Stelle, an der man seine Schuhe mit Schlamm beschmutzen könnte.“ „Können Sie die Substanz aus dem Stegreif bestimmen“, wandte sich Pierre erneut an Wolters und reichte ihm das bröckelige Stück. Will warf einen Blick darauf und erklärte: „Durch Feuchtigkeit aufgelöster Quarzstaub mit Sandsteinstücken durchsetzt.“ „Das bedeutet: Quarz, beziehungsweise Quarzstaub, Sandstein und Wasser“, ergänzte Wolters. Pierre führte die beiden mit bewundernswerter Geschicklichkeit: „Wo gibt es Stellen, an denen alle drei Bestandteile zusammentreffen, um diesen Schlamm zu erzeugen? Schnell, sagen Sie mir es. Ich bin kein Fachmann.“ „Über der Erde nicht“, erwiderte Will. „Also unter der Erde. Welcher Ort unter der Erde ist für den beschuhten Fuß eines Räubers zugänglich?“ „Ein Stollen!“ „Das bedeutet also, daß sie von einem Stollen aus in das Lagerhaus eingedrungen sind. Gehen wir in den Keller.“ Der Keller war sehr sauber und sehr übersichtlich. Blanker Zementboden überall. Nur in der Mitte des Kellerraumes stand auf einem Betonsockel eine Schüttelsiebmaschine, die früher, als dieses Haus noch als Werkhalle gedient hatte, den Abraum von den Diamanten sortieren sollte.
An der Decke des Kellers hing über der Maschine ein elektrischer Hebekran. Bankroft schüttelte den Kopf. „Ein Rätsel das Ganze. Durch diesen Zementboden können sie nicht durchgekrochen sein, selbst wenn sie heimlich den stillgelegten Wetpowderstollen bis hierher vorgetrieben hätten.“ „Durch den Zementboden nicht“, murmelte Pierre und blickte nachdenklich auf den Hebekran. „Er dient zum Anheben der Maschine?“ fragte er den Ingenieur. Dieser nickte. „Heben Sie die Maschine hoch!“ forderte Pierre Poirot. Kopfschüttelnd ging Wolters zu einer Schalttafel und dirigierte den Kran zur Maschine, kletterte dann daran hoch, um den Haken des Krans in die Öse an der Maschine einzuhaken. Er zog einen Hebel nach unten. Das Drahtseil des Krans spannte sich und hob die Maschine hoch. Bankroft und Will traten an den Sockel und ein Ausruf des Erstaunens quittierte ihre Feststellung, daß der Sockel in der Mitte ein Loch hatte, welches in einen unterirdischen Raum führte. Pierre hatte das vorausgesehen und machte sich daran, in das Loch zu steigen. „Eine Strickleiter“, rief er nach oben und kam wieder zum Vorschein. „Das Rätsel ist gelöst.“ „Nicht ganz“, meinte Will. „Jemand muß im Kellerraum gewesen sein, um den Hebekran zu bedienen, und zwar vor und nach dem Eintreffen der Einbrecher.“ „Richtig, Will. Wer hat Zugang zum Lagerhaus, ich meine in der Nacht?“ „Außer Wilson und mir niemand“, stotterte Wolters. Pierre blickte den Ingenieur durchdringend an:
„Sie irren sich, Herr Wolters. Natürlich die Wachmannschaft.“ „Allerdings, obwohl – “ „Es gibt keine andere Erklärung. Es muß einer von der Wachmannschaft gewesen sein.“ In der darauffolgenden Stunde spielte sich eine etwas langwierige Befragung der Wachmannschaft ab. Pierre ließ einen nach dem anderen einzeln in ein Bürozimmer treten. Jeden fragte er mit sicherer Stimme, wieviel er für die heimliche Bedienung des Hebekrans im Keller von Hayward bekommen habe. Nach der Befragung wurden die Betreffenden in ein Zimmer geschickt, von dem aus sie sich nicht mit den noch Wartenden verständigen konnten. So glaubte jeder, daß er allein im Verdacht der Mittäterschaft stünde. Es war ein etwas gewagtes System, das Pierre anwandte. Ein kaltblütiger Verbrecher würde auf die Schockwirkung der direkten Anschuldigung nicht hereinfallen. Doch Pierres System hatte Erfolg. Während die meisten mit sprachloser Verwunderung oder ehrlicher Entrüstung reagierten, wurde einer bleich und kippte sofort um. Nach wenigen Minuten hatte Pierre ihn so weit, daß er sein Vergehen zugab. Eine weitere Stunde Verhör förderte jedoch nichts weiter zutage, als daß der bestochene Wachmann sich nachts mit einem Maskierten traf und von diesem Anweisung und Entlohnung in Bargeld empfing. „Ist bereits ein neues Zusammentreffen verabredet?“ fragte Pierre. Der Mann verneinte, und man konnte ihm anmerken, daß er die Wahrheit sagte.
Nun hatte man zwar Wichtiges erfahren, jedoch ein Beweis für die Schuld Haywards war noch immer nicht gegeben. Der bestochene Wächter wurde nach Kimberley gebracht und der Polizei übergeben. Pierre hatte dann noch die unangenehme Aufgabe, sich bei der übrigen Wachmannschaft zu entschuldigen und den Männern die Ursache seiner merkwürdigen Befragung zu erklären. „Noch immer kein Beweis gegen Hayward und Black!“ Will war enttäuscht. „Sei nicht unbescheiden, Will. Haben wir nicht immerhin schon einiges erreicht? Komm, wir wollen uns einmal diesen sogenannten Wetpowderstollen ansehen“, forderte Pierre Poirot den Freund auf. Sie stiegen beide durch das Loch über die Strickleiter in den Raum unterhalb des Lagerhauskellers. Sie hatten sich starkleuchtende Stablaternen mitgenommen. „Ich habe mich durch Wolters unterrichten lassen“, erklärte Will, als sie im Schein der Laternen durch den Gang schritten. „Der Wetpowderstollen führt schräg von der Erdoberfläche nach unten. Sein an der Oberfläche liegender Eingang wird von einem ummauerten Tor gebildet, das jetzt jedoch halb verfallen und grün überwachsen ist. Von dort müssen die Einbrecher gekommen sein. Das ist sehr leicht möglich, da diese Stelle sehr einsam liegt. Außerdem liegt sie dem Rhodes Forest am nächsten.“ „Wie verläuft der Wetpowderstollen?“ fragte Pierre. „Er läuft in sanftem Bogen zwischen den beiden Fördertürmen durch, streift an einer Stelle hart die Wassertasche und führt dann bis etwa fünfzehn Meter an das Lagerhaus heran.“
Sie hatten inzwischen etwa fünfzehn Meter zurückgelegt und stellten fest, daß sich der Gang plötzlich erweiterte und mit Holzbalken abgestützt war. „Hier beginnt der eigentliche Stollen. Das Stück, das wir bisher zurückgelegt haben, muß von den Einbrechern in mühseliger und höchst geräuschloser Arbeit ausgebrochen worden sein.“ „Ohne Fleiß kein Preis“, bemerkte Pierre sarkastisch. „Sollen wir umkehren?“ fragte Will. „Nein, ich möchte den Stollen bis zu seinem Eingang hindurchgehen. Vielleicht finden wir noch irgend etwas, was uns von Nutzen sein kann und uns Hinweise gibt.“ Sie kamen nach einer Weile an jene Stelle, an der sich wohl bei einem der Einbrecher Schlamm zwischen Absatz und Sohle gesetzt haben mußte. Der Boden platschte unter ihren Füßen. Von den Wänden sickerte Wasser. „Die Wassertasche. Das Wasser schlägt hier schon durch die Wände“, erklärte Will. „Du hast doch sicherlich die Abzweigungen bemerkt. Sie führen in das Stollenwerk, das noch tiefer liegt und mit dem einen der beiden Fördertürme in Verbindung steht. Wenn hier das Wasser durchbrechen würde, würde das ganze Stollen werk absaufen.“ „Besteht diese Gefahr?“ fragte Pierre. Will verneinte. „Es sei denn, daß hier gesprengt würde. Aber kein Mensch käme auf ein so verderbenbringendes Unterfangen.“ Pierre ließ den Lichtkegel seiner Stablampe über die feuchten Wände huschen. An einer Stelle ließ er ihn haften. „Das sieht mir aber sehr nach einer Sprengkammer aus“, meinte er und wies auf eine rechteckige Vertiefung in der Felswand.
„Mein Gott, das ist ja eine Sprengkammer“, rief Will aus. „Aber das ist ja unmöglich. Ich habe den Plan gesehen. Nirgendwo ist dort eine Sprengkammer verzeichnet. Außerdem würde Wolters nie auf die Idee kommen, durch eine solche Sprengung fast fünfzig Prozent unserer Stollen absaufen zu lassen. Wir kämen dann ja nie mehr auf die Beine.“ „Vielleicht dachte Hayward das auch, als er die Kammer anlegen ließ“, sagte Pierre spöttisch. „Du meinst – “ „Das ist doch klar. Und ich nehme an, daß er so bald wie möglich diesen letzten Teil seines Planes starten will. Er hat euch nun beinahe da, wo er euch haben will. Nun noch dies, und ihr seid fertig. Ihr werdet billig verkaufen müssen. Black und Hayward werden die Käufer sein.“ „Wir werden niemals an Black und Hayward verkaufen“, sagte Will zornig. Pierre blickte ihn mitleidig an: „Du magst vielleicht von technischen Dingen sehr viel verstehen, aber von kaufmännischen Dingen scheinst du keine große Ahnung zu haben. Ihr werdet nicht regulär verkaufen können, jetzt nicht mehr. Ihr werdet ganz einfach Bankroft gehen. Dann habt ihr kein Verfügungsrecht mehr über die Sachwerte, über das Gebiet, und Black und Hayward werden zugreifen.“ „Dazu darf es nicht kommen!“ „Du hast recht, Will. Dazu darf es nicht kommen.“ „Was sollen wir als nächstes tun?“ „Wir werden morgen mit dem Wagen nach Rhodes Forest fahren. Was daraus werden soll, weiß ich selber noch nicht, aber ich möchte mir dieses Verbrechernest einmal ansehen. Wir beide allein, Will. Traust du dich? Kommst du mit?“ „Selbstverständlich!“
Will bemerkte mit Erstaunen, daß er plötzlich, als er die Aussicht vor sich hatte, nach Rhodes Forest zu fahren, an Mabel dachte. Was mochte aus ihr geworden sein?
17
Will Hartman und Pierre Poirot holperten in einem alten Ford über die Steppe. Der Wagen klapperte an allen Ecken und Enden, war jedoch sehr stabil und geländegängig. Die Straße von Brixtons Valley zu dem etwa zwanzig Meilen entfernten Rhodes Forest bestand nur in der Phantasie. Lediglich kurz vor Rhodes Forest, wo der Weg durch den Wald führte, gab es ein kurzes Stück schlecht gepflasterter Straße. Im übrigen mußte man quer über die Grassteppe fahren. Für ein empfindliches Luxusauto wäre dies unmöglich gewesen. Wilson, Bankroft und auch Wolters hatten die beiden nur nach längerem Widerstreben in die Höhle des Löwen fahren lassen. Vorsorglich hatte Will sich ebenso wie Pierre mit einem Revolver versorgt, einem Browning, den er allerdings nicht wie Pierre in einem Lederhalfter unter der Achsel trug, sondern in der Innentasche seines Rockes. Ziemlich durchgeschüttelt erreichten sie nach einer knappen halben Stunde den Waldweg nach Rhodes Forest. Der Weg führte in zahlreichen Windungen durch den Wald. An einer Stelle, die ziemlich nahe an den Abgrund heranführte, verlangsamte Pierre, der am Steuer saß, das ohnehin recht gemütliche Tempo. „Nach den Schilderungen Bankrofts muß sich hier der Unfall ereignet haben, dem mein Großonkel zum Opfer fiel, wenn es sich um einen Unfall gehandelt hat, was ich nicht glaube.“
Sie blickten in die Schlucht hinab, die sich nach hundert Metern verbreiterte und den Blick in das Diamantental von Rhodes Forest freigab. Nach weiteren fünf Minuten Fahrt konnten sie das Tal, zu dem sich jetzt die Straße hinabsenkte, überblicken. Auch hier waren Fördertürme errichtet worden, wenn auch nur zwei. Aber selbst diese zwei sollten sich ja nach Bankrofts Bericht nicht einmal lohnen, da in Rhodes Forest fast nur Seifenlager, also unmittelbar unter der Oberfläche befindliche Diamanten zu finden waren. Alles machte schon von weitem einen recht verwahrlosten Eindruck. Dieser Eindruck verstärkte sich, je näher sie an die eigentliche Mine herankamen. Die Behausungen der Arbeiter bestanden aus Wellblechbaracken und oberflächlich zusammengezimmerten Bretterbuden. Während der Fahrt durch die kleine Siedlung zählte jedoch Pierre immerhin vier Salons. Einige Arbeiter mit breitrandigen Strohhüten und nacktem Oberkörper, von denen fast jeder einen Revolver im Gürtel trug, sahen sie mißtrauisch an, als sie langsam auf das Hauptgebäude zufuhren. Pierre schüttelte den Kopf. „Ein unglaubliches Milieu. Ich wundere mich, daß so etwas in unserer modernen, zivilisierten Zeit noch möglich ist. Man glaubt sich ja fast in das westliche Amerika des neunzehnten Jahrhunderts zurückversetzt.“ Sie fragten ein wenig vertrauenerweckendes Individuum, das sich als Pförtner gekleidet in der Vorhalle des Hauptgebäudes herumlümmelte, nach Mister Black und Mister Hayward.
Der Pförtner klopfte behutsam die Asche seiner Zigarre über Wills Stiefelspitze ab und erklärte: „Mister Black ist zur Zeit in Kimberley und Mister Hayward befindet sich in Vickys Salon, um etwas zu sich zu nehmen. Der Herr Direktor ist nämlich sehr mit Arbeit überlastet und hat heute noch nichts genossen.“ Bei dieser Erklärung kicherte der Pförtner töricht vor sich hin, als erschiene ihm das, was er sagte, zum Brüllen komisch. Da der Mann entweder betrunken oder nicht ganz normal war, verzichtete Will darauf, ihn wegen der über seinem Stiefel abgeklopften Asche zurechtzuweisen. Sie verließen das Gebäude und fuhren zu Vickys Salon, den sie von der Herfahrt noch in Erinnerung hatten. Als sie die Kneipe betraten, sahen sie, daß Mister Hayward tatsächlich etwas zu sich nahm, wenn es auch nur Whisky war. Der Mann, der an der Theke lehnte und ihnen den Rücken zukehrte, konnte kein anderer als Hayward sein, da er in seiner Kleidung von den anderen Gästen abstach. In der Kneipe hielten sich noch fünf weitere Männer auf, die ebenfalls dem Whisky zusprachen und dies offensichtlich wesentlich erbaulicher fanden, als in der Gluthitze der Sonne nach Diamanten zu graben. „Wann wird denn bei Ihnen gearbeitet, Mister Hayward“, fragte Will, als sie hinter dem sorgfältig gekleideten Mann an der Theke standen. Hayward fuhr herum. Pierre entfuhr ein Ausruf des Erstaunens. Vor ihm stand sein Vater. Der Belgier schloß für einige Sekunden die Augen. Das war doch unmöglich. Er betrachtete sich den Mann genauer. Nein, ein so ungeistiges Gesicht, einen so verschlagenen Blick hatte sein
Vater nicht gehabt. Es war nur eine oberflächliche Ähnlichkeit, die ihn im ersten Augenblick getäuscht hatte. „Wollen Sie das nicht meine Sorge sein lassen, wie ich die Männer zur Arbeit einteile?“ fragte Hayward. Er musterte Will und Pierre von oben bis unten. – Will lächelte. „Möglicherweise lohnt es sich gar nicht mehr für Sie, die Männer arbeiten zu lassen. Sie können ja viel billiger an Diamanten kommen.“ Hayward kniff die Augen zusammen: „Wie meinen Sie das? Was wollen Sie hier überhaupt? Wer sind sie? Wollen Sie Diamanten kaufen?“ „Viele Fragen auf einmal, Mister Hayward. Mein Name ist Will Hartman.“ „Will Hartman?“ Hayward stand für einige Sekunden regungslos, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend. „Habt ihr es gehört, Boys? Mister Hartman persönlich. Wollen Sie mit mir verhandeln wegen des Verkaufs Ihrer Mine? Zu spät! Black und ich haben noch vor einem Jahr Ihren Teilhabern ein Angebot gemacht. Jetzt ist es zu spät. Kein Hund nimmt von Ihnen noch ein Stück Brot. Ja, wir werden die BAHAW kaufen, aber nicht von Ihnen, sondern erst dann, wenn sie unter den Hammer kommt, und das wird sehr bald der Fall sein. Sie sind fertig, Hartman. Sie haben schlecht gewirtschaftet. Sie hätten sich bessere Partner aussuchen sollen, nicht solche unfähigen Trottel wie – “ „Schweigen Sie, Hayward“, unterbrach ihn Will. „Ich möchte eher sagen, daß ich mir ehrlichere Nachbarn hätte aussuchen müssen.“ Erneut lachte Hayward, ohne auf die Bemerkung Wills einzugehen. Dann wandte er sich Pierre zu. Irgendwie überkam ihn plötzlich ein Gefühl der Unsicherheit. Es erschien ihm
selbst rätselhaft, wie es kam, daß er plötzlich an einen gewissen Jaques Poirot denken mußte, den er im Urwald erschossen hatte. War da nicht eine gewisse Ähnlichkeit, etwas, das ihn an Poirot erinnerte? „Wer sind denn Sie?“ fragte er. „Mein Name ist Pierre Poirot.“ Hayward fuhr zurück. Er war plötzlich sehr bleich geworden. Seine Hand griff instinktiv zum Revolver. „Was wollen Sie von mir“, fragte er heiser. „Ich habe nichts – ich – “ Pierre zog die Brauen hoch und blickte Hayward forschend an. Er war darauf trainiert, schneller als andere zu denken und in den Gesichtszügen anderer zu lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Hier bestand irgendein Zusammenhang mit dem Schicksal seines Vaters. Da war die Ähnlichkeit, die ihm sofort aufgefallen war. Und jetzt die merkwürdige Reaktion Haywards bei Nennung des Namens Poirot. Irgend etwas stimmte da nicht! Aber auch Hayward hatte blitzschnell überlegt, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte. Was Pierre wußte oder wissen konnte, war ihm nicht klar. Wer mochte wissen, durch welchen Zufall doch irgend jemand Verdacht geschöpft hatte, damals in Umu Beni, wo er unter der Maske Poirots aufgetreten war. Ihm war auf jeden Fall klar, daß es jetzt ums Ganze ging. Mit diesen beiden schien nicht zu spaßen zu sein. Es durfte nicht im letzten Augenblick sein Plan, sich Brixtons Valley anzueignen, durch zwei junge Männer vereitelt werden, die so aussahen, als ob sie sich zu wehren wüßten. Will Hartman und Pierre Poirot durften Rhodes Forest nicht mehr lebend verlassen.
Hayward hatte seine Ruhe wiedergefunden. Er hob sein Glas Whisky an die Lippen. Bevor er trank, sagte er gleichmütig zu den fünf Männern, die sich nach und nach der Gruppe an der Bar genähert hatten: „Macht kurzen Prozeß mit ihnen, Boys.“ Er wollte trinken, wurde jedoch an der Ausführung dieses Vorhabens von Pierre gehindert, der auf ihn zu sprang und ihn mit einem Judowurf dreien der auf sie eindringenden Männer vor die Füße schleuderte. Den vierten der Banditen mußte Will mit einem etwas tief angesetzten Boxhieb zurückstoßen. Als der Getroffene sich zusammenkrümmte, hielt es Will für nützlich, ihm noch einen trockenen Haken auf die Kinnspitze zu setzen, der den Angreifer zumindest für die nächsten Minuten ins Land der Träume schickte. Hayward und die durch ihn zu Fall gekommenen drei Banditen hatten sich inzwischen wieder hochgerappelt, und ein fünfter hatte bereits den Revolver in der Hand. Pierre griff an seine Schulter und hatte wie durch Zauberei seinen kurzen Colt in der Hand. Er schoß rücksichtslos auf den Mann, denn er wußte, daß dies hier keine Spielerei mehr war. Zweimal bellte sein Colt auf. Zwei Männer wurden durch die Schüsse außer Gefecht gesetzt und regten sich nicht mehr. Will sah im letzten Augenblick, daß der Barkeeper, der sich bisher aus dem Kampf gehalten hatte, nun eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf unter der Theke hervorzog. Will hatte nun auch seinen Browning in der Hand, sprang über die Theke und schlug den Lauf der Pistole dem Barkeeper auf den Kopf. Auch Pierre war nun über die Bar gesprungen und hatte hinter ihr Deckung genommen.
Hayward und die beiden unverletzten Banditen eröffneten ein wahres Trommelfeuer auf die Bar. Das dünne Holz hielt den Kugeln nicht stand. Die Kugeln sausten gefährlich nahe an Pierre und Will vorbei, die geduckt hinter der Theke hockten. Hinter ihnen zerklirrten Flaschen. Ihr Inhalt tropfte auf den Boden. Anscheinend war auch der Mann, den Will niedergeschlagen hatte, wieder zu sich gekommen, denn nun bellte noch ein vierter Revolver auf. „Wir müssen hier raus!“ rief Pierre Will zu. Sie blickten zur Tür. Drei Meter waren von der Theke aus bis zur Tür zurückzulegen. Selbst wenn sie die Tür unverletzt erreichten, dürfte es eine Zeit dauern, bis sie den Wagen gestartet hätten, dachte Will. In diesem Augenblick lief ein Mädchen von draußen auf die offenstehende Tür zu und trat einen Schritt in den Raum der Bar. „Verschwinden Sie, Mabel“, hörte Will die Stimme Haywards. Er zuckte zusammen. Mabel, sportlich mit Stiefeln und Reithosen bekleidet, warf einen Blick auf die beiden jungen Männer, die sich hinter der Theke verteidigten und verließ den Raum. Will sah, daß sie in den Wagen sprang und den Motor startete. Pierre hatte den Vorgang auch beobachtet und riß nun Will zur Tür. Er leerte die Trommel seines Revolver, ohne zu zögern in den Raum, während sie beide zur Tür und auf den Wagen zuliefen. Sie schwangen sich, ohne die Tür zu öffnen, in die hinteren Sitze, während Mabel Gas gab.
Das Mädchen ließ die Kupplung jedoch zu hastig kommen, so daß der Wagen einige Bocksprünge machte und stehenblieb. Fluchend lud Pierre nach und versuchte gemeinsam mit Will, die Banditen daran zu hindern, ihnen zu folgen, während Mabel erneut startete. Diesmal ging es besser. Schon nach den ersten zwanzig Metern war sie im dritten Gang und der Wagen raste durch die Siedlung von Rhodes Forest. Bevor sie den Waldrand erreichten, sahen sie noch, daß unten im Tal zwei Männer auf einen vor dem Hauptgebäude stehenden Wagen zuliefen, um ihnen zu folgen. Eine Anzahl anderer Banditen hatten sich auf ihre Pferde geschwungen und kamen ihnen in vollem Galopp nach. „Jetzt dürfen Sie sich ausruhen. Und besten Dank einstweilen“, schrie Pierre dem Mädchen zu. Will kletterte in voller Fahrt über die Lehne des Vordersitzes und nahm den Platz hinter dem Steuer ein, während Mabel zur Seite rückte. Der wackere Ford und die Fahrkunst Wills allein hätten es wohl nicht fertiggebracht, die Verfolger abzuschütteln. Aber sie hatten Glück. Das Auto der Banditen schien defekt zu sein und sprang nicht an. Und ihr Vorsprung, den sie vor Haywards berittenen Leuten hatten, war bereits so groß, daß diese nach einer Weile die Nutzlosigkeit einer Verfolgung einsahen. Die Fahrt nach Brixtons Valley verlief schweigend. Sie alle waren noch viel zu sehr mit dem Geschehenen beschäftigt, als daß sie sich in längere Gespräche hätten verwickeln können. Will hatte lediglich Mabel begrüßt und ihr seinen Freund Pierre vorgestellt.
Auf wessen Seite Mabel nun jedoch stand, wußte er noch nicht. Vielleicht hatte sie ihnen lediglich aus einer Laune heraus zur Flucht verholfen. Als sie Brixtons Valley erreicht hatten, sagte Mabel: „Ich habe dringend mit Ihnen zu sprechen, Will.“ Will Hartman nickte: „Hat es etwas mit – Hayward und Ihrem Vater zu tun?“ Mabel nickte. „Sind Sie einverstanden, wenn mein Freund Pierre Poirot sowie Wilson und Bankroft an unserer Unterhaltung teilnehmen?“ „Durchaus“, erwiderte Mabel. Pierre hatte bemerkt, daß auch Mabel bei der Nennung des Namens Poirot zusammengezuckt war. Die Sache wurde immer geheimnisvoller. Bald jedoch sollte Licht in das Dunkel kommen. Sie saßen in Wilsons Wohnzimmer. Wilson, der immer noch sehr schwach war und den Arm im Gipsverband trug, lag auf einer Couch. Sie hatten mit wachsendem Erstaunen Mabels Erzählung zugehört. Unmittelbar nachdem Black zusammen mit Hayward die Mine von Rhodes Forest begründet hatte, war Mabel nach Kapstadt in ein Pensionat geschickt worden. Nur von Zeit zu Zeit hatte sie den Vater besuchen dürfen. Auf das heranwachsende Mädchen hatte Hayward bei diesen Besuchen einen immer ungünstigeren Eindruck gemacht, und zu ihrem eigenen Entsetzen war auch die kindliche Liebe zu ihrem Vater immer mehr abgeklungen. So war sie schließlich froh, als Black sie für zwei Jahre nach England schickte. Dort erfuhr sie von den Schwierigkeiten, in denen sich die BAHAW befand, und bedauerte das sehr, da sie noch immer sehr oft an Will Hartman denken mußte.
Sie erinnerte sich an mancherlei Beobachtungen, die sie während ihrer Besuche in Rhodes Forest hatte machen können. Damals hatte sie diese Beobachtung noch nicht richtig verstehen können, doch nun als erwachsener Mensch kamen ihr so mancherlei Gedanken und sie fragte sich, ob das Verhalten von ihrem Vater und Hayward wohl ganz korrekt sei. Ihr Verdacht bestätigte sich, als sie vor zwei Wochen aus England zurückkam und in Rhodes Forest eintraf. Sie stellte fest, daß unter Haywards Regie aus Rhodes Forest ein regelrechtes Verbrechernest geworden war. Sie erkannte ferner, daß Black, ihr Vater, alles andere als glücklich und zu einer Kreatur Haywards geworden war. Nach einer Woche Aufenthalt in Rhodes Forest hielt sie es nicht mehr aus und stellte ihren Vater zur Rede. Black wich ihren Fragen aus. Sie ließ jedoch nicht locker, und schließlich kam dann Black eines Abends von sich aus in ihr Zimmer und bat sie um eine Unterredung. „Das war gestern abend“, sagte Mabel. „Mein Vater, wenn ich ihn noch so nennen soll – “ „Wie meinst du das?“ unterbrach Will und blickte auf. Sie hatten inzwischen wieder den vertraulichen Ton ihrer Kindheit in der Anrede gefunden. „Nun, er ist gar nicht mein Vater“, erwiderte Mabel. „Doch ich will der Reihe nach berichten. Also mein – Mister Black – stand vor mir, und ich sah ihm an, daß er seelisch vollkommen erledigt war. ,Ich muß mit dir sprechen, mein Kind’, sagte er. Er tat mir irgendwie leid. Ich brachte ihm etwas Stärkendes zu trinken. Dann begann er mit seiner Beichte. Er erzählte mir, daß er das Leben mit Hayward zusammen nicht mehr ertragen könne und sich entschlossen habe, das zu
tun, was er von Anfang an hätte tun sollen: sich von Hayward zu trennen. Was nun kam, war so gräßlich, daß ich die darauffolgende Nacht keinen Schlaf finden konnte. Der Bericht meines ,Vaters’ übertraf meine schlimmsten Befürchtungen – ich meine: der Bericht Mister Blacks. Hayward ist in Wirklichkeit ein gewisser Bob Smith – “ „Bob Smith?“ Will fuhr auf. „Bob Smith, der Komplize des Verbrechers Jim Walker, der dich damals entführt hat?“ „Ja, eben dieser!“ Bankroft schüttelte den Kopf: „Wir lasen aber doch damals im Urwald in Walkers Tagebuch, daß Bob Smith ertrunken sei.“ „Mister Black war selbst erschüttert“, fuhr Mabel fort, „als er die Wahrheit erfuhr. Durch Zufall hatte er einen Abend zuvor in Haywards Zimmer verschiedene Papiere und Tagebuchaufzeichnungen gefunden, die ihn von der Wahrheit unterrichteten. Wahrscheinlich war dies auch der letzte Anstoß zu seinem Entschluß.“ „Zu welchem Entschluß?“ fragte Pierre, doch er berichtigte sich sofort: „Verzeihen Sie, Miß Mabel, ich will Sie nicht irritieren. Berichten Sie der Reihe nach.“ „Also, Mister Black erzählte mir, daß es sich bei Hayward um Bob Smith handele, der damals nicht ertrunken sei, sondern nach langer Irrfahrt durch den Urwald von zwei weißen Forschern gerettet wurde. Dies und alles folgende geht aus den Tagebuchaufzeichnungen hervor, die Mister Black heimlich gelesen und an sich genommen hatte. Bob Smith dankte seinen Rettern, einem Engländer, an dessen Namen ich mich im Augenblick nicht mehr erinnern kann – ich glaube Stanley oder so ähnlich – “ Pierre wurde bleich:
„Ein Anthropologe, der die Schädelform eines bestimmten Negerstammes untersuchen wollte?“ „Mag sein, Mister Poirot. Aber Ihr Bleichwerden und ihr Interesse zeigen mir, daß ich richtig dachte, als ich Ihren Namen in Verbindung mit Jaques Poirot brachte, denn der Name des anderen Weißen war Jaques Poirot. Und nun fassen Sie sich, Mister Poirot, das, was ich Ihnen jetzt sagen muß, ist schrecklich: Bob Smith ermordete zum Dank für die Rettung Stanley und Jacques Poirot, nahm Gepäck und Papiere Poirots an sich, hob dessen gesamtes Vermögen ab, was ihm um so leichter fiel, als er auf Grund einer gewissen Ähnlichkeit mit Jacques Poirot dessen Papiere benutzen konnte, und tauchte dann nach einer Weile unter dem Namen Hayward in Kimberley auf. Niemand erkannte ihn wieder, da durch den Unfall bei dem Sturz in den Krokodilfluß seine Nase gebrochen worden war.“ Pierre sprang auf und ging mit zusammengeballten Fäusten im Zimmer auf und ab. Die Anwesenden achteten seinen Schmerz und seine Erregung. Schließlich fragte Mabel leise: „Nicht wahr, Jacques Poirot war ein naher Verwandter von Ihnen, möglicherweise sogar – “ „Ja, er war mein Vater.“ Mabel traute sich nicht weiter zu erzählen, jedoch Pierre selbst forderte sie dazu auf. „Bob Smith näherte sich als Mister Hayward Black und verleitete ihn dazu, den Besitzer von Rhodes Forest, Mister Robinson, zu ermorden, um sich somit auf billige Weise Rhodes Forest anzueignen. Mister Black war Hayward nun vollkommen ausgeliefert, nicht nur, weil Hayward eine Fotografie besaß, die einen Beweis für die Tat Mister Blacks darstellte, sondern weil er außerdem noch erfahren hatte, daß
ich gar nicht Blacks Tochter bin, sondern die Tochter eines Engländers, den Black durch skrupellose Machenschaften zum geschäftlichen Ruin gebracht und damit zum Selbstmord getrieben hatte. Black nahm mich, die Tochter dieses Mannes, aus einer Anwandlung von schlechtem Gewissen an Kindes Statt an. Black hing sehr an mir und wünschte auf keinen Fall, daß ich durch Hayward die Wahrheit erführe. So konnte es geschehen, daß Black willenlos sich zum Komplicen Haywards machte und mit ihm zusammen und unter Mithilfe der Verbrecher, die in Rhodes Forest als ,Arbeiter’ wohnen, die BAHAW zu ruinieren begann. Raubüberfälle, Diamantendiebstähle und so weiter. Nun, das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, das wissen Sie ja alle selbst allzugut. Nachdem Mister Black seine Beichte beendet hatte, forderte ich ihn auf, nach Kimberley zu gehen und vor der Polizei ein Geständnis abzulegen. Er sagte mir, daß er das ohnehin vorhätte. Er hatte sämtliche belastende Papiere aus Haywards Zimmer entwendet, auch eine genaue Buchführung über die Raubüberfälle und Diamantendiebstähle bei der BAHAW, und ist damit heute morgen nach Kimberley gefahren. Hayward hat er irgend etwas vorgeschwindelt von geschäftlichen Besprechungen. Das ist alles.“ Pierre atmete tief auf und sagte schließlich: „Also hat sich mein Verdacht bestätigt. Robinson, mein Großonkel, ist nicht durch einen Unfall ums Leben gekommen. Aber das ist jetzt nicht von Belang. Etwas anderes ist wesentlich wichtiger: Hayward wird möglicherweise schon den Diebstahl der ihn belastenden Papiere entdeckt haben. Er wird aufs Ganze gehen und wir müssen mit seinem Besuch rechnen. Es wird heute nacht heiß hergehen, und wir haben keine Waffen. Unsere
einzige Hoffnung ist, daß Black durch sein Geständnis die Polizei in Kimberley aufgerüttelt hat.“ Bankroft schüttelte skeptisch den Kopf: „Die Polizei in Kimberley ist nicht so leicht aufzurütteln.“ Auch Wilson hatte wenig Hoffnung: „Ich befürchte, daß wir mit Hayward oder Bob Smith oder wie er sonst heißen mag, allein fertig werden müssen.“ Will Hartman schlug verärgert und nervös die Faust in die Handfläche: „Wir haben kaum Waffen, um uns zu verteidigen, wenn Hayward mit seiner Streitmacht anrückt. Ich weiß wirklich nicht, wie wir es schaffen sollen, mit diesen Burschen fertig zu werden.“ Pierre schien es plötzlich eilig zu haben: „Wir müssen eben versuchen, mit dieser Situation so gut wie möglich fertig zu werden. Ich möchte einen Vorschlag machen.“ Alle lauschten gespannt, als Pierre seinen Plan entwickelte: „Zwei unserer zuverlässigsten Leute – nein, einer muß genügen, wir können keinen Mann mehr als unbedingt nötig ist entbehren. Also einer der Arbeiter, von dem wir genau wissen, daß wir uns auf ihn verlassen können, muß mit dem Wagen nach Kimberley und dort die Polizei mobilisieren. Es ist ja schließlich noch nicht hundertprozentig erwiesen, daß Black tatsächlich sein Vorhaben durchgeführt hat. Und wenn er tatsächlich alles der Polizei in Kimberley erzählt haben sollte, so müssen wir trotzdem noch mit der Schwerfälligkeit der Leute dort rechnen. Unser Mann muß also Himmel und Hölle in Bewegung setzen und so schnell wie möglich mit einer Polizeimannschaft hier anrücken. Daß es sich dabei um jede Minute dreht, die er eher hier ist, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.“ Bankroft machte einen Einwurf:
„Es hat gar keinen Sinn, einen der Arbeiter zu schicken. Man wird den Mann nicht als kompetent genug ansehen, um nur auf Grund seiner Vorstellungen mit motorisierter Polizei hier anzurücken.“ „Ich werde diesen Mann nach Kimberley begleiten“, schlug Wilson vor. „Ich kann mit meinem gebrochenen Arm hier ohnehin nicht von großem Nutzen sein.“ Wilsons Vorschlag wurde akzeptiert. Unmittelbar darauf fuhr Wilson mit einem der Arbeiter, der als guter Fahrer bekannt war, nach Kimberley. Es gab wohl keinen unter den zurückbleibenden, der nicht hoffte, daß Wilson so schnell wie möglich mit der Polizei nach Brixtons Valley zurückkehren würde. Nun begann die eigentliche Arbeit für Pierre. Der junge Belgier ließ sich von Bankroft eine Karte von Brixtons Valley zeigen. Pierres Gesicht hellte sich ein wenig auf, als er die Karte betrachtete. „Nicht wahr, Mister Bankroft, Rhodes Forest liegt in genau südlicher Richtung von Brixtons Valley?“ fragte er. Bankroft nickte bestätigend. „Dann wäre unser Tal ja gar nicht so leicht zugänglich für Hayward und seine Leute“, fuhr Pierre fort. „Ich bin mit Will heute morgen von hier aus erst einmal durch eine zwei Meilen lange Schlucht gefahren. Dies scheint dann wohl der einzige Weg zu sein, der unmittelbar von Rhodes Forest aus nach Brixtons Valley führt.“ Bankroft bestätigte das und erklärte, daß die Überfälle der Reiter Haywards bisher immer durch diese Schlucht erfolgt seien. „Denn sehen Sie hier, Pierre! Im Osten ist Brixtons Valley durch den Toftje River begrenzt. Es ist zumindest sehr schwierig und zeitraubend, dort überzusetzen. Im Westen liegt
ein nach Osten zu steil abfallendes Hochplateau, das sich nach Süden zu bis zum Toftje River hinzieht und auf seiner südlichen Seite nur diesen einen, verhältnismäßig schmalen Einschnitt hat, durch den auch Sie mit Will heute morgen gefahren sind. Hayward kann also nur durch die Schlucht kommen, oder aber er müßte am Rande des östlichen Plateaus entlang die nördliche Seite von Brixtons Valley gewinnen. Dort allerdings fände er an jeder Stelle ungehemmten Zutritt. Das würde jedoch für ihn einen Umweg von mindestens zwei Stunden bedeuten. Und ich glaube, Hayward hat es, so wie die Situation Hegt, dann doch recht eilig, uns den Rest zu geben.“ „Das glaube ich auch“, erwiderte Pierre grimmig. „Aber es liegt an uns, ihm zu zeigen, daß dies nicht so leicht ist, wie er es sich wahrscheinlich vorstellt.“
Pierre Will und Bankroft hatten zusammen mit dem Ingenieur Wolters die Arbeitersiedlung aufgesucht. Mabel war trotz ihrer Proteste unter der Obhut zweier zuverlässiger Männer in Bankrofts Wohnung zurückgeblieben. Der Abend dämmerte bereits herauf. Will betrachtete aufmerksam die Schar der Arbeiter, die sich um sie versammelt hatten. Es waren nicht viel mehr als zwanzig Männer. Aber er brauchte nur in ihre entschlossenen Gesichter zu sehen, um zu wissen, daß man sich auf diese zwanzig Arbeiter verlassen konnte. Pierre machte den Leuten klar, was ihnen bevorstand. „Es kann natürlich sein, daß es sich um einen blinden Alarm handelt. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird Hayward in Kürze mit seinen Raufbolden hier auftauchen. Der Mann ist nach Lage der Dinge zu allem entschlossen. Es wird heißer hergehen als je zuvor. Ich wiederhole also noch einmal die
Aufforderung Mister Bankrofts: Sollte einer von Ihnen keine Lust verspüren, einer stärker bewaffneten und wahrscheinlich auch zahlenmäßig überlegenen Bande den Kopf hinzuhalten, steht es ihm selbstverständlich frei zu gehen, wohin es ihm beliebt.“ Pierre sah sich abwartend im Kreise der Männer um. „Wohin sollten wir schon gehen“, rief einer lachend. „Überall ist jetzt ein ungefährlicherer und angenehmerer Aufenthalt als in Brixtons Valley“, entgegnete Pierre. „Verlassen Sie Brixtons Valley und Sie können sagen: So, für uns ist diese Auseinandersetzung erledigt. Wir haben nichts mehr mit allem zu schaffen. Ich bin sicher, Leute, daß Mister Bankroft für eine solche Haltung volles Verständnis zeigen würde und sie niemandem übelnehmen würde. Es gibt ein Sprichwort, das besagt: Jeder ist sich selbst der Nächste. Wir hier haben kein Recht dazu, über Ihr Leben und Ihre Sicherheit zu verfügen.“ Minutenlanges Schweigen war die Antwort auf Pierres Erklärung. Schließlich trat einer der Arbeiter vor und rief: „Ich denke nicht daran, meinen Kopf hinzuhalten. Wir alle denken nicht daran, unseren Kopf hinzuhalten, wie Sie eben sagten, M’sieur Poirot. Wir bleiben aber trotzdem hier in der Erwartung, daß vielleicht einer von Haywards Leuten uns den Kopf hinhält. Und dann – “ Er wog unternehmungslustig ein schweres Brecheisen in der Hand. Die Arbeiter lachten. Dieses Lachen klang zwar nicht sehr fröhlich, denn sie alle wußten, was ihnen bevorstand, aber es war klar, daß keiner von ihnen daran dachte, sich aus dem Staub zu machen. Will Hartman betrachtete den Mann genauer, der eben gesprochen hatte. Er war ihm durch sein französisch
akzentuiertes Englisch aufgefallen und kam ihm auch ansonsten merkwürdig bekannt vor. Er trat auf ihn zu: „Kennen wir uns nicht?“ fragte er ihn. Der Arbeiter ließ das Brecheisen sinken und sah ihn ernst an: „Wir kennen uns“, erwiderte er. „Ich heiße Lavernier. Sie haben damals mir und meinem Vater aus dem Dreck geholfen, Sie haben wahrscheinlich sogar mir das Leben gerettet. Erinnern Sie sich nicht? Mein Vater und ich waren ohne jede Hoffnung, ohne einen Pfennig Geld. Ich war lungenkrank und konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Da kamen Sie, unmittelbar nachdem Sie den Diamanten gefunden hatten, dem die BAHAW ihre Existenz verdankt und halfen uns beiden aus der Patsche, ermöglichten es mir, mich wieder gesund pflegen zu lassen. Mein Vater lebt leider nicht mehr, um Ihnen seine Dankbarkeit zu beweisen. Aber ich bin hier, gesund und kräftig. Verstehen Sie nun, warum ich bleibe, und wenn hundert Haywards im Anmarsch wären.“ Will erkannte nun auch den Franzosen, dem er damals geholfen hatte. Er drückte ihm die Hand. Die Arbeiter hatten die Worte Laverniers gehört und blickten voller Anerkennung auf Will. Pierre blickte sich erneut in der Runde um: „Ich frage also zum letzten Mal: Will einer von Ihnen gehen? Und ich sage es zum letzten Mal: Niemand wird es ihm übelnehmen, wenn er geht.“ Keiner wollte gehen. Nachdem nun diese Frage geklärt worden war, ging man daran, sich auf den Empfang Haywards vorzubereiten. „Was haben wir an Waffen“, fragte Pierre. Es stellte sich heraus, daß der Bestand an Waffen zwar lächerlich gering war, jedoch war das Ergebnis nicht so erschreckend, wie Will befürchtet hatte.
Die fünf Leute von der Wachmannschaft verfügten über fünf Revolver und zwei Karabiner. Drei der Arbeiter besaßen ebenfalls Revolver und einer holte ein Jagdgewehr mit der entsprechenden Munition hervor. Pierre, Will und, wie sich herausstellte, auch Wolters waren bewaffnet. Irgendwie tauchte dann sogar noch eine amerikanische Maschinenpistole auf, die allerdings einen etwas mitgenommenen Eindruck machte. Wolters nahm sie in Behandlung und erklärte nach fünf Minuten, daß die automatische Feuerwaffe nun schußfertig sei, der Schütze müsse allerdings mit dem Daumen der linken Hand beim Schießen das Trommelmagazin festhalten, da die Feder am Magazin ausgeleiert sei. Das Ergebnis waren also elf Revolver, zwei Karabiner, eine Jagdflinte und eine Maschinenpistole. Diese Waffen verteilten sich auf dreiundzwanzig Männer. Wolters machte ein verärgertes Gesicht und blickte Bankroft vorwurfsvoll an: „Wenn Sie nicht immer so fest an den gesetzlichen Vorschriften festgehalten hätten, könnten wir dem mutmaßlichen Angriff Haywards ruhiger ins Auge sehen, Mister Bankroft.“ Pierre hob beschwichtigend die Hand: „Es muß eben auch so gehen“, meinte er. Die Waffen wurden nun erst einmal verteilt. Pierre stellte seinen Revolver zur Verfügung und bat sich dafür die Maschinenpistole aus. Bis auf elf Arbeiter wurde dann jeder mit einem Revolver bewaffnet. Zwei der Arbeiter erhielten die Karabiner, und der stolze Besitzer der Jagdflinte durfte diese behalten. Er schwor Stein und Bein, daß sich die Schrotladungen seiner Flinte als weitaus wirkungsvoller erweisen würden als
sämtliche anderen Waffen. Gänzlich unbewaffnet waren jetzt also nur noch acht der Verteidiger von Brixtons Valley. Man behalf sich nun so gut es ging mit improvisierten Verteidigungsmitteln. Die meisten griffen zur Brechstange. Einer holte einen Basutospeer aus seinem Haus, den er einmal bei einem Streifzug durch den Busch von einem Negerhäuptling zum Geschenk erhalten hatte. Noch einmal sagte Pierre einige Worte: „Wir haben mit einer zahlen- und waffenmäßig weit überlegenen Bande zu rechnen. Wir sind die Angegriffenen. Worte wie ,Fairneß’ dürften also für uns im Augenblick wirklich keine Bedeutung haben. Es geht um unser Leben, unsere Arbeit, um Recht und Ordnung und nicht zuletzt um Ihre Frauen und Kinder, die voller Angst zusammen mit Miß Black im Hauptgebäude warten und hoffen.“ Will und auch die übrigen blickten erstaunt auf Pierre. Was sollte diese merkwürdige Einleitung? Es war doch klar, daß der Belgier auf irgendetwas hinsteuerte. „Wann die Polizei kommt und ob sie überhaupt kommt, ist fraglich“, fuhr Pierre fort. „Wir müssen uns also selber helfen. Wir haben eine Lücke an Waffen und Männern aufzufüllen. Diese Lücke kann in unserer Lage nur durch zwei Dinge aufgefüllt werden.“ Nun blickte alles voller Spannung auf den belgischen Detektiv. Pierre hob den Arm und zeigte zu der Schlucht hinüber. „Von dort her werden sie wahrscheinlich kommen. Wir müssen zuschlagen, bevor es überhaupt erst zum richtigen Kampf kommt.“ Wolters wurde ungeduldig: „Wollen Sie uns nicht sagen, welches die zwei Dinge sind, die uns helfen sollen, unsere Lücken aufzufüllen?“ „Dynamit und Felsbrocken“, erwiderte Pierre lakonisch.
Wolters war der erste, der begriffen hatte. Voller Erregung wählte er, ohne erst lange zu fragen, zwei Arbeiter aus, um mit ihnen eine elektrische Initialzündungsanlage zu bauen. Die langgestreckten zylindrischen Dynamit-Sprengladungen wurden nun zu je vieren gebündelt, um ihre Sprengkraft zu erhöhen und in großer Anzahl kurz vor dem Ausgang der Schlucht wie Minen in den Sand gegraben. Von einer jeden dieser Minen wurde ein Zündkabel bis zur ersten Häuserreihe der Siedlung gelegt. Sie hatten sich diese Häuserreihe, von der aus man den Ausgang der Schlucht unter Feuer nehmen konnte, als Verteidigungsort gewählt. Die Minen waren in drei Reihen gelegt worden und sollten in drei Wellen zur Explosion gebracht werden. Bankroft hatte mit gefurchter Stirn zugesehen, wie die Zündkabel gebündelt und zu den drei Fernzündapparaten geleitet wurden. Plötzlich ging er auf Wolters zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das geht nicht“, sagte er kopfschüttelnd. „Das ist teuflisch. Ich kann es nicht gestatten.“ Pierre hatte den Protest Bankrofts vernommen. „Mister Bankroft“, sagte er, „ich kann Ihre Gefühle verstehen, und es ehrt Sie, daß Sie trotz der verzweifelten Lage diese Verteidigungsart mißbilligen. Es steht Ihnen natürlich frei, die Anwendung von Minen zu untersagen, ich muß aber bemerken, daß eine solche Anständigkeit in unserer Situation glatter Selbstmord wäre. Glauben Sie, daß Hayward und seine Banditen vor der Anwendung selbst noch grausamerer Methoden auch nur eine Sekunde zurückschrecken würden?“ „Ich bin nicht Hayward“, warf Bankroft ein.
„Sie sind aber der BAHAW und vor allem ihren Arbeitern und deren Familien gegenüber verpflichtet, alles zu tun, was zu unserer Verteidigung getan werden kann, zum Donnerwetter“, rief Pierre nun doch recht ärgerlich aus. Will kam seinem Freund zu Hilfe: „Pierre hat recht“, sagte er. „Auch ich bin kein Freund all dieser Dinge. Aber man hat uns ja in diese Lage hineingetrieben. Wir müssen einfach alles tun, um – “ Bankroft winkte müde ab: „Schon recht“, meinte er. „Ich gebe mich geschlagen. Vielleicht ist es wirklich so, daß man die veralteten Ideale von Ritterlichkeit und Anständigkeit über Bord werfen muß, um in dieser Welt zu bestehen.“ „Eine Ritterlichkeit, eine Fairneß, die das Leben anständiger und Ihnen treu ergebener Männer gefährdet, ist keine Ritterlichkeit mehr“, entgegnete Pierre gereizt. Bankroft blickte ihn für Sekunden nachdenklich an und reichte ihm dann die Hand. Er bückte sich, um selbst mitzuhelfen an der Fertigstellung der Zündungsanlage. Inzwischen ging Pierre mit einigen Männern daran, das zweite Hilfsmittel zur Verteidigung gegen Hayward zu mobilisieren. Er erkletterte mit ihnen die Schlucht, ein Unternehmen, das ziemlich mühselig war und auch nur von Brixtons Valley, also von der Nordseite her, unternommen werden konnte. Oben angekommen wälzten sie schwere Felsbrocken an den Rand der Schlucht und schoben starke Äste darunter, die im geeigneten Augenblick als Hebel dienen sollten. „Sie werden hier oben bleiben“, sagte Pierre. „Es wird keiner bei Ihnen sein, der Ihnen Befehle erteilen könnte, wenn es soweit ist. Sie selber müssen beurteilen, wann es Zeit ist, die Felsbrocken in die Schlucht zu stürzen.
Ich weiß, daß diese Aufgabe keine angenehme ist. Sie lassen, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben, den Tod auf einen ahnungslosen Gegner hinabstürzen. Aber denken Sie daran, daß es sich um einen Gegner besonderer Art handelt, und denken Sie daran, daß zu früheren Zeiten ein aufrechtes und bestimmt nicht feiges Volk in Europa sich des gleichen Mittels bedient hat, um einen überlegenen Gegner zu bekämpfen. Trotzdem wird Ihnen keiner, böse sein, wenn Sie im letzten Augenblick davon Abstand nehmen, die Felsbrocken hinunterzustürzen. Ich gehe jetzt, und die Entscheidung über Ihre Handlung bleibt Ihnen überlassen.“ Pierre verließ die vier Männer und kletterte wieder zu Tal. Als er unten angekommen war, kam ein Reiter, der als Beobachtungsposten sich am Rhodes Forest zugewandten Eingang der Schlucht postiert hatte, in vollem Galopp angesprengt. „Sie kommen“, rief er. Pierre gab seine Anweisungen mit der Präzision einer Maschine. Es dauerte keine drei Minuten, und jeder der Verteidiger von Brixtons Valley war an seinem Posten. Sie hatten sich in die der Schlucht zugewandten Häuser zurückgezogen und ihre Waffen, soweit vorhanden, in Anschlag gebracht. Pierre schlug schimpfend auf das Magazin seiner Maschinenpistole. Wenn die Waffe nur nicht versagen würde! Wolters und die zwei Sprengmeister hatten an den Zündapparaten Aufstellung genommen und die Hände auf den stählernen Bügel gelegt, den sie nur herunterzudrücken brauchten, um die Sprengladungen an der Schlucht zur Explosion zu bringen. Sie warteten auf das Zeichen Pierres, der beobachtend an einem Fenster stand.
Nun konnten sie bereits das Trappeln der Hufe vernehmen. Es kam näher und näher.
*** In der Bar, mit der am Morgen bereits Will und Pierre unangenehme Bekanntschaft gemacht hatten, hatten sich die in Rhodes Forest verbliebenen Arbeiter von Black und Hayward versammelt. Auch unter diesen Versammelten erblickte man viele wenig angenehme Gesichter. Immerhin machte die Mehrzahl der Männer nicht den Eindruck eindeutiger Galgenvögel, wie sie die Vertrauten Haywards darstellten. Es waren nur wenige, die in Rhodes Forest zurückgeblieben waren, etwa zehn an der Zahl. Einer von ihnen war auf einen Stuhl geklettert. Die Gesichter der Männer zeigten deutlich die erregte Stimmung, die im Raum herrschte. Der Mann auf dem Stuhl blickte sich um: „Ist hier im Raume auch nur ein einziger, der jemals die Raubzüge nach Brixtons Valley mitgemacht hat?“ fragte er. Schweigen. Der Sprecher nickte befriedigt. „Ich darf also mit Freude feststellen, daß sich hier in diesem Lokal die wenigen unbescholtenen Arbeiter von Rhodes Forest versammelt haben“, meinte er. Wieherndes Gelächter war die Antwort. Der Sprecher hob ruhegebietend die Hand: „Natürlich, ich weiß, warum ihr lacht. Jeder von uns hier ist kein unbeschriebenes Blatt. Diese oder jene Kleinigkeit hat jeder von uns auf dem Kerbholz. Trotzdem muß gesagt werden, daß wir hier in Rhodes Forest Arbeit angenommen
haben, um uns unser Geld auf ehrliche Art und Weise zu verdienen. Sicher hat uns der freie Umgangston hier gefallen. Sicher hat uns die Existenz von Spielhöllen und die Tatsache, daß hier nicht lange nach Paß und polizeilichem Führungszeugnis gefragt wurde, mit veranlaßt, Rhodes Forest einer anderen Arbeitsstätte vorzuziehen. Aber keiner von uns ist ein ausgesprochener Verbrecher. Alles in allem würde uns zusammen, hochgerechnet, die Anzahl von fünf Jahren Gefängnis zustehen, und wahrscheinlich sind die sogar schon abgesessen worden.“ Wieder war die Antwort auf diese Worte heftige Heiterkeit. „Scherz beiseite, Männer. Es geht, wenn mich nicht alles täuscht, im Augenblick um wichtigere Dinge als um Witzereißen“, fuhr der Sprecher fort: „Hayward hat uns schon richtig eingeschätzt, wenn er uns nie an den Plünderungszügen nach Brixtons Valley hat teilnehmen lassen. Möglicherweise wäre dieser oder jener, vielleicht sogar ich selbst, mitgeritten, wenn Hayward an uns herangetreten wäre, denn es sprang ja immer allerhand dabei heraus. Aber wir sind keine Berufsverbrecher wie diese Burschen, die auch heute wieder nach Brixtons Valley geritten sind, um dort zu brandschatzen, um dort friedfertige – “ „Mach Schluß mit der Salbaderei“, rief jemand lachend. „Sie waren dir und uns ja schließlich gut genug, um ihnen beim Pokern das Geld abzugewinnen, das Hayward ihnen zahlte.“ Der Sprecher stutzte einen Augenblick und lachte dann ebenfalls. „Na schön, Jungens. Ihr habt schon recht. Wir sind hier ja schließlich nicht in der Sonntagsschule. Ich will euch auch keine Erbauungspredigten halten. Es geht um wichtigere Dinge. Ich wurde zufällig Zeuge eines Gespräches zwischen Hayward und diesem John Halloway und Luggy Demeter, die vor kurzem der Polizei in Kapstadt entkommen sind. Ich stand
zufällig an der Tür von Haywards Büro, als sie sich unterhielten – “ „Zufällig?“ rief einer fragend. „Ist doch gleichgültig“, warf ein anderer ungeduldig ein. „Ob er nun zufällig oder weniger zufällig etwas gehört hat, interessiert mich nicht. Wir wissen alle, daß Donald – “ er wies dabei auf den Sprecher – „ein gewitzter Bursche ist. Er hat uns bestimmt nicht ohne Grund hier zusammengetrommelt, und ich möchte gerne hören, was er uns zu sagen hat.“ Die übrigen stimmten den Worten des Arbeiters zu und blickten Donald erwartungsvoll an. Donald nahm einen Schluck Whisky und räusperte sich. „Wollt ihr mich also anhören“, fragte er. „Natürlich! Nur zu!“ „Also gut. Ihr wißt, daß Hayward heute nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, mit den Banditen losgeritten ist, sondern es vorgezogen hat, in Rhodes Forest zu bleiben. Ihr wißt weiter, daß Mister Black sich sehr plötzlich auf eine geschäftliche Reise nach Kimberley begeben hat. Ich will euch nun erzählen, warum und wieso, und ich will euch erzählen, wie nahe uns allen der Strick oder das Gefängnis ist. Dieser Hayward hat mehr verbrochen als sämtliche Leute von Rhodes Forest zusammen. Black hatte die ganze Sache über und ist nach Kimberley gefahren, um sich der Polizei zu stellen und aus der Schule zu plaudern. Hayward hat Angst, große Angst. Er hat seine Leute nach Brixtons Valley geschickt, um der BAHAW ein letztes Mal eins auszuwischen. Für ihn kann dabei nichts mehr herausspringen, denn er will noch in den nächsten Stunden Rhodes Forest für immer verlassen. Er hat also seine Banditen aus reiner Rachsucht nach Brixtons Valley geschickt. Möglicherweise ist durch Black schon die Polizei mobilisiert worden, um die Banditen
Haywards in Brixtons Valley willkommen zu heißen, möglicherweise ist die Polizei sogar schon auf dem Wege hierher, um Rhodes Forest auszuheben.“ Der Sprecher sah die versammelten Männer mit bedeutungsvollem Blick an und fuhr dann fort: „Das alles weiß Hayward, wie ich aus seinem Gespräch mit Halloway und Demeter entnommen habe. Was aus uns wird, ist ihm ebenso gleichgültig, wie es ihm gleichgültig ist, was aus seinen Handlangern wird, wenn sie in Brixtons Valley festgenommen werden. So wie er diese ahnungslos nach Brixtons Valley hat reiten lassen, will er uns hier unserem Schicksal und der Polizei überlassen und selber noch im Laufe der nächsten Stunden zusammen mit Demeter und Halloway fliehen, und nicht nur mit Demeter und Halloway, sondern auch mit dem gesamten Bargeld, das im Tresor des Bürohauses liegt. Und nun zu uns! Wir Narren würden also hier zurückbleiben, die Wut der Polizei, wenn diese Haywards Flucht festgestellt hat, würde sich auf unser unschuldiges Haupt entladen und unser Lohngeld wären wir überdies auch noch los! Damit wäre ich am Ende meiner feierlichen Rede angelangt und überlasse euch, zu entscheiden, was wir tun sollen!“ Donald kletterte von seinem Stuhl herab und blickte sich abwartend im Kreise der Männer um. Diese brauchten erst einmal ihre Zeit, um ihrer Wut Luft zu machen. Dann rief einer: „Du bist der Klügste von uns, Donald, und dir haben wir es zu verdanken, daß wir Aufklärung über Haywards Plan erhalten haben. Sag du also, was zu tun ist.“ „Das einzig beste ist, so schnell wie möglich zu verschwinden“, rief einer der Männer. „Das wäre das Dümmste, was wir machen können. Nein, ich mache folgenden Vorschlag. Zuerst allerdings eine Frage: Hat
einer von euch sich vor Antritt seiner Arbeit in Rhodes Forest strafbar gemacht und diese Strafe noch nicht abgesessen?“ Es stellte sich heraus, daß keiner unter den Versammelten sich vorher strafbar gemacht hatte, ohne die Strafe auch verbüßt zu haben. „Gut, wir waren also weiße Lämmer, bevor wir nach Rhodes Forest kamen. Wir konnten überall einen Polizisten nach dem Weg fragen, konnten überall unseren Paß vorzeigen, auf dem dann höchstens ordnungsgemäß verbüßte Gefängnisstrafen standen. Das aber hat sich geändert! Wir können zumindest der Mitwisserschaft an verbrecherischen Handlungen beschuldigt werden. Denn jeder von uns hat von dem Treiben der Haywardschen Reiter gewußt. Das einzige, was uns übrig bleibt, ist, zu behaupten, daß wir keine Ahnung von alledem gehabt hätten. Wir bleiben hier, denn wir haben ein ruhiges Gewissen. Und wir werden ein noch ruhigeres Gewissen haben, wenn wir Hayward und seine beiden sauberen Freunde hier festhalten und der Polizei übergeben können. Ich werde sagen, daß ich durch Zufall Zeuge eines Gespräches zwischen Hayward und seinen beiden Freunden geworden sei, was ja auch stimmt, daß ich entsetzt darüber, einen Verbrecher zum Chef gehabt zu haben, euch allen sofort Mitteilung davon gemacht hätte. Ich werde sagen, daß wir uns sofort einig gewesen wären, als ordentliche und gesetzestreue Bürger, Hayward festzunehmen und an der beabsichtigten Flucht zu hindern. Die Polizei wird jedem von uns dankbar die Hand schütteln, und möglicherweise springt sogar noch eine Belohnung für uns dabei heraus, denn ich kann mir vorstellen, daß auf Haywards Kopf, wahrscheinlich heißt er gar nicht Hayward, eine Belohnungssumme steht.
Zumindest aber haben wir den Burschen daran gehindert, mit unserem Lohngeld durchzubrennen.“ Die zehn übrigen Männer stimmten Donalds Plan begeistert zu. „Illegalen Waffenbesitz müssen wir der Polizei allerdings zugeben“, sagte Donald. „Ich glaube keiner von uns wird sich waffenlos an Hayward und seine beiden Freunde herantrauen.“ Es waren nur wenige, die überhaupt über Revolver verfügten. Diese lockerten jetzt die Waffen in ihrem Gürtel, und einer erklärte mit breitem Grinsen: „Wir werden der Polizei sagen, daß sie uns nicht gehören, sondern daß wir sie aus den Zimmern der abwesenden Banditen geholt haben, um Hayward überwältigen zu können.“ „Gute Idee“, stimmte Donald zu. Er zog seine Pistole und winkte den anderen ihm zu folgen. „Es wird höchste Zeit, wenn, er uns nicht doch noch entwischen soll“, meinte er. „Wir werden erst einmal sein Haus umstellen.“ *** Noch war es hell genug, etwa hundert Meter in die Schlucht hineinzublicken. Die Reiter näherten sich in vollem Galopp. Sie waren offensichtlich der Meinung, diesmal genau so leichtes Spiel zu haben, wie all die anderen Male, wo man ihnen auch kaum ernstlichen Widerstand entgegengesetzt hatte, oder besser: hatte entgegensetzen können, weil ein Organisator, wie Pierre es war, gefehlt hatte. Mit aufdonnerndem Tosen stürzten nun mächtige Felsbrocken von oben in die Schlucht. Einige Meter vor den Reitern, die entsetzt ihre Pferde zurückrissen, prallten sie auf den Boden und füllten die Schlucht mit einer Wolke von Staub.
Pierre nickte, als hätte er erwartet, daß die Männer dort oben versagen würden. „Sie haben die Felsen viel zu früh hinabgestürzt. Keiner der Angreifer ist von ihnen getroffen worden. Und ich bin überzeugt davon, daß sie es bewußt getan haben, daß sie es nicht fertiggebracht haben, auf eine solche Art zu kämpfen.“ Pierre blickte Bankroft nachdenklich an und sagte schließlich: „Wahrscheinlich bin ich verrückt, aber ich kann nicht anders. Wenn schon die Felsbrocken zu früh hinabgestürzt wurden, mögen auch die Sprengladungen sinnlos und frühzeitig explodieren. Wir können dann wenigstens sagen, daß wir den Kampf in jeder Beziehung anständig geführt haben.“ Er ging auf Wolters zu, der, ohne zu widersprechen, die Hand vom Bügel nahm. Pierre drückte ihn hinunter. Die erste Reihe explodierte und warf Erde und Gesteinsbrocken hoch. Pierre war schon an dem zweiten Zündapparat. Auch hier erhob der Sprengmeister keinen Widerspruch, als Pierre nun auch die zweite Reihe von Dynamitminen zur Explosion brachte. – Bankroft blickte Pierre anerkennend an. Dieser wandte sich nun zu dem zweiten Sprengmeister, der sich jedoch mit entschlossenem Gesicht neben den Zündapparat kniete und den Lauf seiner Pistole auf Pierre richtete. Der Detektiv erkannte sogar, daß ironischerweise seine eigene Waffe es war, die der Sprengmeister auf ihn richtete. „Was soll das?“ Der Sprengmeister war bleich und erwiderte: „Es fällt mir nicht leicht, Sie zu bedrohen, Mister Poirot. Aber ich denke daran, daß diese Leute dort draußen schon eine Menge meiner Kameraden auf dem Gewissen haben. Ich hatte nicht erwartet, daß nun auch noch Sie zuguterletzt sentimental
werden. Was heißt denn hier Anständigkeit im Kampf. Dies hier ist kein Sportfest. Sie haben sich durch Mister Bankroft und jetzt eben durch diese Narren da oben beeinflussen lassen, Mister Poirot. Ich nenne so etwas keine Anständigkeit sondern Dummheit und Feigheit. Es geht hier nicht darum, daß wir vor uns selbst Achtung haben können, uns gegenseitig auf die Schulter klopfen können, um zu sagen: ,Wir sind doch prächtige Kerle, wir haben den Kampf fair geführt.’ Es geht darum, daß wir uns unserer Haut wehren müssen, und in einem solchen Falle darf man auch vor grausamen Methoden nicht zurückschrecken. Ich könnte Ihnen aus dem Stegreif eine Menge viel schlimmerer Grausamkeiten aufzählen, die diese Banditen da draußen begangen haben. Nein, Mister Poirot, ich lasse niemanden an diesen Zündapparat herankommen, und ich werde die Minen hochgehen lassen, wenn die Banditen sich unmittelbar darüber befinden. Was sind das überhaupt für alberne Unterschiede! Halten Sie die Maschinenpistole in ihren Händen für fairer?“ Man sah, daß Pierre selbst nicht mehr wußte, was er tun sollte. Er fuhr sich müde mit der Hand über die Stirn und trat schließlich achselzuckend ans Fenster. „Machen Sie es, wie Sie wollen“, sagte er schließlich zu dem Sprengmeister. „Das werde ich auch“, erwiderte dieser entschlossen. „Und nichts für ungut, Mister Poirot. Ich achte Ihre Beweggründe, wie ich die der Männer an den Felsen da oben und die Mister Bankrofts achte. Aber unsere Meinungen gehen eben auseinander.“ Die Staubwolke, die durch den Steinschlag und die Explosion der beiden Minenreihen hervorgerufen worden war, hatte sich verzogen.
Es war aber inzwischen, mit der den Tropen eigenen Plötzlichkeit, so dunkel geworden, daß man die Banditen trotzdem nicht mehr erkennen konnte. Wahrscheinlich aber hatten sie hinter den niedergestürzten Felsbrocken Deckung bezogen und erholten sich nun erst einmal von ihrem Schrecken. Der Steinschlag und die zwei Explosionen hatten wohl doch das Gute gehabt, daß die Kampfmoral und der Mut der Räuber durch die Schockwirkung bedenklich geschwächt worden war. „Kein Schuß, kein Laut!“ rief Pierre und ließ diesen Befehl von Haus zu Haus weitergehen. Sie hatten im ganzen drei der Siedlungshäuser besetzt, um eine breitere Schußlinie zu haben. „Unser größter Bundesgenosse ist die Angst“, erklärte er. „Die Burschen haben durch den Steinschlag und die Explosionen Angst bekommen. Sie wissen nicht, was das bedeutet, und es ist immer beunruhigend, wenn man nicht weiß, wodurch Erscheinungen und Vorgänge ausgelöst worden sind. Die absolute Stille hier bei uns wird sie noch mehr beunruhigen.“ Pierre sollte jedoch nur für eine Weile Recht behalten. Nach einigen abwartenden Minuten schienen sich die Banditen gefaßt zu haben. Die Verteidiger konnten beobachten, wie sich hinter der Mauer der niedergestürzten Felsen etwa zehn der Banditen hervorwagten und gebückt auf die Siedlung zueilten. Es war noch eben in der hereingebrochenen Dunkelheit zu erkennen, daß sie Revolver in der erhobenen Rechten hielten und schwarze Masken vor das Gesicht gebunden hatten. – Wolters schüttelte geringschätzig lächelnd den Kopf: „Ich habe mich schon immer gefragt, was dieser alberne Mummenschanz bedeuten soll. Diese Masken sind doch blödsinnig.“
„Vielleicht haben die Burschen zuviel amerikanische Filme gesehen“, erwiderte Pierre lächelnd und legte einem neben ihm am Fenster knieenden Arbeiter die Hand auf den erhobenen Arm. „Noch nicht schießen. Haltet euch an unsere Abmachung. Ich gebe mit meiner Maschinenpistole das Zeichen zum Feuern. Sie sind noch nicht nahe genug.“ Aus den Augenwinkeln heraus warf Pierre einen Blick zu dem noch immer neben seiner Zündapparatur knieenden Sprengmeister. Die Banditen befanden sich jetzt unmittelbar über der letzten Minenreihe. Pierre blickte den Sprengmeister nun voll an. Dieser erwiderte seinen Blick und drückte dann mit einem Ruck den Bügel des Apparates nach unten. Nur zwei der gelegten Minen detonierten, bei den übrigen schienen sich die Drähte vom Apparat gelöst zu haben, und es war nicht ganz klar, ob Bankroft, der seinen Platz unmittelbar neben dem Sprengmeister hatte, ganz unschuldig daran war. Das was mit den zwei Banditen geschah, die sich in der Nähe der beiden explodierten Dynamitbündel befunden hatten, war nicht besonders angenehm anzusehen. Die übrigen acht Angreifer hatten sich sofort zu Boden geworfen und eröffneten nun ein wütendes Feuer in Richtung der Häuser. Pierre erhob sich aus seiner Hockstellung und erwiderte das Feuer mit seiner Maschinenpistole. Es klappte besser als er erwartet hatte, wenngleich er tatsächlich das Magazin ständig mit dem Daumen hinunterdrücken mußte, da es bei jedem Schuß hinauszuspringen drohte. Pierres Schießen war das Signal für die übrigen, das Feuer ebenfalls zu eröffnen.
Von den zehn Banditen, die sich der Häuserreihe genähert hatten, gelang es nur vieren, sich in die Deckung hinter den Felsblöcken zurückzuziehen. Nun allerdings war der Kampf in vollem Gang. Ununterbrochen blitzten hinter den Felsblöcken die Mündungsfeuer der Banditen auf, ununterbrochen sirrten die Kugeln der Angreifer durch den Raum. Fensterscheiben klirrten, Pulverqualm legte sich schwer auf die Lungen der Verteidiger. Den Mündungsfeuern nach zu urteilen mußten über zwanzig Angreifer hinter den Felsblöcken lauern. Es war kaum anzunehmen, daß dieses ungleiche Kräfteverhältnis sich nicht mit der Zeit auswirken würde. Es fragte sich nun, wie lang bemessen diese Zeit sein würde, diese Galgenfrist. Ihre ganze Hoffnung hing an einem rechtzeitigen Eintreffen der Polizei aus Kimberley. Pierre erschien es plötzlich, als wären die Mündungsfeuer dort hinter dem Felsen nicht mehr so zahlreich. Sein Eindruck bestätigte sich, als nach einer Weile lautes Hufgetrappel verkündete, daß ein großer Teil der Angreifer sich zurückzog. Will Hartman hatte sich an Pierre herangedrängt. Er blutete aus einem ungefährlichen Streifschuß an der Wange. „Was soll das bedeuten“, schrie Will seinem Freund zu. Dieser gab ungerührt einen sekundenlangen Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole ab. Aufschreie von drüben bewiesen, daß er sein Ziel nicht verfehlt hatte. „Sie teilen sich“, erwiderte er. „Ich glaube kaum, daß die Hälfte der Burschen plötzlich die Lust verloren hat und nach Rhodes Forest zurückgeritten ist. Wenn dem so wäre, würden sie wohl alle zusammen sich zurückziehen. Die einzige Möglichkeit ist also die, daß eine Hälfte der Angreifer
irgendwo eine bessere Möglichkeit sucht, in das Tal einzudringen, während die übrigen uns hier festhalten sollen.“ Bankroft, der ihr notgedrungen sehr laut geführtes Gespräch mit angehört hatte, bestätigte Pierres Meinung. „Dann kann diese andere Stelle wohl nur die Nordseite von Brixtons Valley sein“, sagte Will. „Denn eine andere zugängliche Stelle gibt es doch nicht. Aber sie brauchen doch, selbst wenn sie ihre Pferde abhetzen, zumindest eine halbe Stunde, um die Nordseite zu erreichen.“ „Diesen Zeitverlust werden sie gerne in Kauf nehmen“, ließ sich Wolters vernehmen. „Sie finden dafür an der Nordseite einen Zugang, der mehrere Kilometer breit ist. Ein wirklich einladendes Portal also. Überdies wird sich ihnen dort niemand in den Weg stellen. Das wissen sie, da ja ihre Genossen, die hiergeblieben sind, uns hier in der Siedlung festnageln.“ „Eine wenig angenehme Situation“, meinte Bankroft, und Pierre mußte lachen, als er erwiderte: „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber wir müssen mit dieser wenig angenehmen Situation, wie Sie sie nennen, ich wüßte noch wesentlich stärkere Bezeichnungen dafür, versuchen, so gut wie möglich fertig zu werden. Nur wer aufgibt, hat verloren.“ „Ich bin gespannt, auf welche Art du damit fertig werden willst“, meinte Will Hartman skeptisch. Wütend nahm er mit seinem Revolver ein Ziel aufs Korn, während er noch sprach und drückte zweimal hintereinander ab. Hinter dem Felsen sah man den dunklen Umriß einer Gestalt aufspringen, die Arme in die Luft werfen und zusammensinken. „Gut gemacht“, rief Pierre ihm zu. „Wie ich damit fertig werden will, möchtest du wissen, nicht wahr? Nun auf folgende Weise! Wir teilen uns ebenso, wie die Angreifer sich geteilt haben.“
Bankroft war von dem Vorschlag Pierres so verblüfft, daß er impulsiv aufsprang, ohne auf die Deckung zu achten. „Aber das ist doch Wahnsinn, Pierre“, rief er aus. „Wir haben eine so geringe Feuerkraft, daß ein Halbieren unserer kärglichen Streitmacht jeder Hälfte etwa fünf bis sieben Schußwaffen lassen würde. Nun und damit brauchen wir gar nicht erst anzufangen, zu schießen. Dann können wir ja gleich die Hände hochnehmen.“ – Pierre zuckte die Achseln: „Wir werden die Hände nicht hochnehmen, sondern wohl oder übel weiterschießen. Sie müssen bedenken, daß die Frauen und Kinder im Hauptgebäude sind, lediglich auf den Schutz zweier Männer angewiesen. Ich mache folgenden Vorschlag: Ich werde mit Will und zehn unserer Arbeiter einen Ausfall machen und versuchen die Stallungen zu erreichen, die ja gottseidank am nördlichen Rand der Siedlung liegen. Wir werden uns zwölf Pferde nehmen und zur Nordseite des Tales reiten, um uns dort den Banditen zu stellen. Ich könnte jetzt mit großzügiger Geste sagen, daß ich Ihnen die Maschinenpistole hierlasse, halte es jedoch für angemessener, wenn ich sie mitnehme. Wir werden einen schwereren Stand haben als Sie hier und auf eine Schnellfeuerwaffe angewiesen sein. Wir nehmen fünf weitere Schußwaffen mit, so daß Ihnen im ganzen die Feuerkraft von acht Schußwaffen verbleibt. Damit müssen Sie, Mister Bankroft und Wolters und die übrigen hier verbleibenden Männer fertig werden. Den Ausgang der ganzen Sache müssen wir dem Schicksal und der Polizei von Kimberley überlassen. Ich fürchte, daß keiner von uns mehr Gelegenheit haben dürfte, den Polizisten von Kimberley Vorwürfe wegen ihrer Schläfrigkeit und Saumseligkeit zu machen, wenn diese zu spät hier eintreffen sollten.“ „Das fürchte ich auch“, pflichtete Bankroft ihm bei. Er stieß einen verzweifelten Seufzer aus:
„Wäre ich doch nur beim Zeitungsgeschäft geblieben. Als Besitzer der ,Daily News’ in Kimberley wäre ich niemals in solche Situation geraten. Aber im übrigen möchte ich doch auch sagen, daß Ihr Plan schon der einzig mögliche ist, Pierre. Wir werden uns schon recht und schlecht wehren. Für Ihren Ausfall wird es aber offensichtlich höchste Zeit, denn lange können Sie nicht mehr auf den Schutz der Dunkelheit rechnen.“ Während Bankroft dies sagte, wies er nach draußen: „Sie schießen mit Brandpfeilen wie die verrückt gewordenen Indianer. Ich kenne diese Dinger, sie haben schon öfter in Brixtons Valley damit gearbeitet.“ Tatsächlich flogen nun von der Schlucht her primitive Brandpfeile, die mit einem brennenden, mit Petroleum oder irgendeinem anderen Brennstoff getränkten Lappen umwickelt waren. Schon war einer dieser bösartigen Pfeile in den Raum geflogen, und der zweite Sprengmeister trat ihn fluchend aus. Im Nebenhaus jedoch begann es vernehmlich zu knistern, und nach wenigen Minuten kam die Besatzung des Nebenhauses unter wildem Schießen herangestürmt. „Es war nichts mehr zu machen“, erklärte einer der Arbeiter, als die Männer Einlaß gefunden hatten. „Zwei dieser Pfeile haben den Dachstuhl in Brand gesetzt.“ Pierre wußte, daß nun nicht mehr viel Zeit verblieb. Schnell wählte er zehn Männer aus und verließ mit diesen und Will Hartman das Haus durch den von der Schlucht abgewandten Eingang. In der Tür wandte er sich noch einmal um und warf nach kurzem Überlegen Wolters seine Maschinenpistole zu: „Hier haben Sie das Mordinstrument. Sie können es nun doch besser gebrauchen als wir, denn ich fürchte, daß dieses Haus in Kürze auch munter in Flammen aufgehen wird. Ich gebe
Ihnen, die Sie hierbleiben, den Rat, sich von Haus zu Haus zurückzuziehen, bis sie die Stallungen erreicht haben und uns dann mit Pferden zu folgen. Aber halten Sie die Burschen hier so lange fest wie möglich.“ „Ich glaube eher, die wollen uns hier festhalten“, erwiderte Wolters mit lustlosem Lächeln. Aber Pierre hört ihn schon nicht mehr. Er ging mit den Männern bis zur Ecke des Hauses. Nun kam die ungedeckte, von dem Schein des brennenden Nebenhauses erleuchtete Stelle, die sie wohl oder übel überqueren mußten. Während sie gebückt, in schnellem Lauf die Strecke zurücklegten, hörten sie, wie die Zurückgebliebenen, vor allem Wolters mit der wütend aufbellenden Maschinenpistole, ihnen so gut sie konnten Feuerschutz gaben. Trotzdem mußten sie in Kauf nehmen, daß einer der Arbeiter plötzlich sich mit beiden Händen an die Brust griff und taumelte. Will faßte ihn, bevor er niederstürzen konnte und riß ihn mit sich aus der Gefahrenzone. Sie hatten nun einige Häuser zwischen sich und die Banditen gebracht und brauchten ihre Schüsse nicht mehr zu fürchten. Während die übrigen mit Pierre schon vorauseilten, schleppte Will den Verwundeten in das nächstbeste Haus, legte ihn dort nieder und versah ihn mit einem eilig hergestellten Notverband. Er mußte dann jedoch den Verwundeten seinem Schicksal überlassen und beeilte sich, den Anschluß an die anderen wieder zu gewinnen. Sie waren schon aufgesessen und hatten für Will ein Pferd gesattelt. Nachdem auch Will aufgesessen war, sprengten sie wie der Sturmwind in nördlicher Richtung davon. Sie wußten, daß die auf dem Ritt nach Norden befindliche Hälfte der Banditen das letzte aus ihren Pferden herausholen
würde. Zwar brauchten sie keinen Umweg zu machen, wie die Banditen, hatten jedoch bereits sehr viel Zeit verloren und mußten ja überdies auch etwas früher zur Stelle sein, um den Banditen das Eindringen in das Tal zu verwehren. Verwehren? Will lächelte skeptisch, als er daran dachte, wie sehr sie dem Feind unterlegen waren, als er daran dachte, daß die nördliche Öffnung des Tales immerhin einige Kilometer breit war und sich nicht so leicht verteidigen ließ wie der Südeingang, der ja nur aus der schmalen Schlucht bestand. Die Chancen standen wirklich zehn zu hundert. Leider waren die hundert Punkte jedoch auf Seiten der Banditen.
„Also ich wiederhole noch einmal, damit ihr endlich begreift: Die Lage ist für uns alles andere als angenehm.“ Hayward blickte ärgerlich auf seine beiden Vertrauten John Halloway und John Demeter. „Und wenn du nicht sofort aufhörst, mit der Nagelfeile deine schönen Hände zu maniküren, werfe ich dir den ersten besten Gegenstand an den Kopf“, fügte er hinzu. Hayward war so aufgeregt, wie ihn seine Spießgesellen seit langem nicht gesehen hatten. „Alles ist schief gegangen, aber auch restlos alles“, fuhr Hayward fort. „Dein Versuch, John, Bankroft in Antwerpen des Schmuggels zu verdächtigen, ist schiefgegangen, weil du dich deinem Bericht nach so dumm wie nur möglich angestellt hast. In Kapstadt benehmt ihr euch wie die Anfänger, laßt euch verhaften und Luggy, dieser Dummkopf, schießt auch noch einen Polizisten nieder. Ihr wißt doch, daß es nicht ratenswert ist, einen Polizisten zu erschießen. Die Polizei hat das nicht gern.
Zu allem Unglück muß ich nun auch noch feststellen, daß Black, dieser Narr, mit sämtlichen mich belastenden Papieren nach Kimberley gefahren ist. Und ich habe ihn ruhigen Mutes fahren lassen, weil ich seiner Ausrede Glauben schenkte, daß er dort nur Geschäftliches zu erledigen habe.“ „Warum hast du eigentlich die Bande deiner Revolverhelden heute noch einmal nach Brixtons Valley geschickt“, fragte Halloway. „Erstens, weil ich sie hier nicht mehr gebrauchen kann“, erwiderte Hayward, „und zweitens, weil ich die Burschen los sein wollte, sie stören mich nur und könnten mir sogar Schwierigkeiten machen und drittens, weil ich ein schlechter Verlierer bin. Ich weiß, daß Black mir die Polizei auf den Hals hetzen wird, ich weiß seit heute morgen, daß mit diesen beiden jungen Leuten, diesem Belgier Poirot und Will Hartman nicht zu spaßen ist, ich weiß, daß ich das Feld räumen muß. Aber ich wollte noch ein einziges Mal der BAHAW eins auswischen, wenn ich persönlich auch nichts mehr davon habe. Ich habe Gordon den Sprengstoff mitgegeben. Er wird den WetpowderStollen sprengen und somit die Wassertasche einreißen. Die ganzen Schachtanlagen von Brixtons Valley werden dann absaufen. Ich bin erledigt, aber Brixtons Valley ist auch erledigt.“ „Ich bin wahrhaftig kein Spielverderber“, meldete sich Luggy Demeter. „Aber ich halte deine Handlungsweise für kleinlich. Alles was man tut, muß sich doch schließlich lohnen. Wenn es sich lohnt oder wenn es einem an den Kragen geht, ist jedes Mittel recht. Aber nur aus Rachsucht um sich schlagen, beziehungsweise andere um sich schlagen lassen, halte ich für sinnlos.“ „Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten“, unterbrach Hayward ärgerlich seinen philosophierenden Spießgesellen.
Er machte einige unruhige Schritte durch den Raum, starrte nachdenklich in die flackernde Flamme der Petroleumlampe, die das Wohnzimmer Haywards, in welchem sie sich befanden, erleuchtete. „Wenn ich nur wüßte, ob dieser Poirot wegen der BAHAW hier ist oder wegen Jaques Poirot. Wenn es sich nur um die BAHAW handelt, wird er sich zufriedengeben, wenn ich nur das Feld räume. Sollte er jedoch ein Verwandter oder gar der Sohn von Jaques Poirot sein, so wird er sich unerbittlich an meine Fersen heften, wohin auch immer ich gehe. Er wird mich hetzen wie ein Tier. Ich kenne diese Burschen. Sein Blick ist wie ein Messer. Ich – “ Hayward faßte mit zwei Fingern in seinen Kragen, der ihm plötzlich zu eng geworden war. Auf seiner Stirn stand der Schweiß in kleinen Tropfen. Seine beiden Freunde blickten ihn befremdet an. „Wovon redest du eigentlich?“ fragte John Halloway. „Wer ist denn dieser mysteriöse Jaques Poirot, von dem du da faselst und dessen Verwandter oder Sohn der belgische Detektiv sein soll.“ Hayward blickte den Fragesteller an, als erwache er aus einem Albtraum. „Wie? Ach, das ist jetzt gleichgültig. Das ist eine lange Geschichte.“ Demeter lachte leise: „Was ist da noch groß zu fragen, John. Hayward hat einen Mann mit Namen Jaques Poirot umgebracht und fürchtet nun die Rache eines anderen Poirot, seines Sohnes, Neffen, Enkels, was weiß ich.“ Hayward sprang mit verzerrtem Gesicht auf Demeter zu: „Halt den Mund, hörst du?“ Erschrocken fuhr Demeter zurück:
„Ich habe gar nicht gewußt, daß du ein so empfindliches Gewissen hast.“ „Gewissen! Gewissen!“ schrie Hayward. „Was hat das mit Gewissen zu tun, wenn einem die Angst im Nacken sitzt!“ „Sehr viel!“ erwiderte Demeter lakonisch. „Schluß damit“, sagte Hayward, der sich wieder gefangen hatte. „Eins steht fest: Wir müssen hier verschwinden, und das so schnell wie möglich.“ „Ist ja schon alles hundertmal beredet worden“, unterbrach ihn der wenig respektvolle Demeter. „Wir wollen zuerst zum Zak River und uns dann im Busch verstecken. Später werden wir dann nordwärts trampen, bis wir das Kenya-Gebiet erreicht haben.“ „Wir müssen so schnell wie möglich hier raus. Aber wir werden nicht dumm genug sein, den Burschen oder der BAHAW oder der Polizei oder wer sonst immer darauf reflektiert auch nur einen Pfennig bares Geld hierzulassen. Außerdem liegt unten im Tresor noch ein Säckchen mit den größten und wertvollsten Diamanten, die wir bisher gefunden oder erbeutet haben.“ „Das klingt gut in meinen Ohren“, lachte Halloway. Hayward erhob sich. „Ich werde jetzt nach unten in den Tresorraum gehen und diese Werte herausholen. Danach werden wir uns stillschweigend zum Stall begeben, wo bereits drei gesattelte und mit Proviant beladene Pferde auf uns warten. Ich habe nicht einmal vergessen, drei Winchesterbüchsen in die Gewehrtaschen am Sattel zu stecken.“ „Du denkst wirklich an alles“, sagte Luggy Demeter. „Du sorgst wie eine Mutter für uns“, fügte Halloway hinzu. „ – und für dich“, ergänzte Demeter, in dessen Augen ein gefahrdrohendes Glitzern trat. „Wenn du es weiter so hältst, Hayward, dann werden wir gute Freunde bleiben. Solltest du
jedoch irgendwann einmal auf die Idee kommen, nur noch für dich zu sorgen, dann dürfte es aus sein mit unserer Freundschaft.“ „Rede keinen Unsinn, Luggy“, entgegnete Hayward nervös. „Mir ist genau so klar wie euch, daß wir aufeinander angewiesen sind.“ „Vorläufig“, sagte der mißtrauische Demeter. Hayward räusperte sich unsicher. „Also, ich gehe jetzt hinunter“, sagte er. Langsam stieg er die Treppe hinunter. Es fiel ihm ein, daß mit dem Bargeld und den Diamanten im Tresor einem allein weitaus besser gedient war, als dreien. Wenn er nun die Werte an sich nahm, zum Stall lief und mit den drei Pferden verschwand? Dann jedoch überlegte er sich, daß Demeter und Halloway so leicht nicht abzuschütteln waren. Nein, er mußte schon wohl oder übel vorerst noch mit ihnen gemeinsames Spiel machen. Später würde man immer noch sehen können. Er war überrascht, als er durch die nur angelehnte Tür des Tresorraumes Licht sah. Sollte jemand vergessen haben, das Licht auszulöschen? Er öffnete die Tür und trat ein. Vor dem Tresor standen drei Stühle. Diese Stühle störten nun Hayward nicht so sehr, weitaus mehr störten ihn jedoch die drei Männer, die darauf saßen. In dem einen erkannte er Donald, einen wachsamen, etwas zu wachsamen Burschen, der schon seit einiger Zeit Haywards Mißfallen erregt hatte. Noch störender schließlich war die Tatsache, daß diese drei Männer Revolver in ihren Händen hielten, die sie, als er jetzt eintrat, stillschweigend auf ihn richteten.
„Guten Abend“, sagte Donald. „Oder besser guten Morgen, denn Mitternacht ist ja bereits vorüber. Was suchen Sie denn zu nachtschlafender Zeit hier im Tresorraum?“ „Wissen Sie, darin – “ einer der Männer, der jetzt das Wort an Hayward gerichtet hatte, deutete auf den Tresor, „ – darin liegen nämlich unsere Lohngelder. Wir hielten es für besser, darauf ein wenig aufzupassen, nachdem Donald ihr Gespräch mit Demeter und Halloway belauscht hatte.“ Hayward setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Ich verstehe kein Wort“, sagte er. „Nehmen Sie die Hände hoch und kommen Sie her“, forderte ihn Donald auf, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Hayward hob die Hände hoch und näherte sich langsam den drei Männern, von denen einer jetzt einen soliden Strick bereithielt, offenbar, um Hayward damit zu fesseln. Hayward konnte dem Mißtrauen seiner beiden Freunde Halloway und Demeter in diesem Falle nur dankbar sein. Die beiden waren ihm gefolgt, um sich zu vergewissern, daß er mit dem Geld und den Diamanten auch wieder den Weg nach oben fand und nicht etwa auf die Idee kam, Reißaus zu nehmen. Sie hatten vom Treppenabsatz her beobachtet, wie Hayward überrumpelt wurde und hielten es nun für an der Zeit, einzugreifen. Sie Schossen von ihrem Standort aus. Demeters Schuß traf die Lampe, die aufsplitterte und erlosch. Hayward hatte sich instinktiv zu Boden geworfen und kroch nun vorsichtig zurück. Über ihn hinweg zischten die Kugeln, die seine Freunde mit den drei Arbeitern wechselten. – Schließlich hatte er seine beiden Gefährten erreicht. Auch er zog nun seine Pistole und schickte wütend Schuß auf Schuß in den Tresorraum.
Das Geräusch eines hastig geöffneten Fensters zeigte an, daß Donald und seine beiden Gefährten sich den drei Verbrechern doch nicht gewachsen fühlten und durch das geöffnete Fenster ins Freie gesprungen waren. Hayward stürzte in den Tresorraum, zog den Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete den Tresor. Er brauchte keine Beleuchtung bei dieser Verrichtung, die er schon viele Male durchgeführt hatte. Seine tastenden Hände entdeckten die gebündelten Geldscheine und das Säckchen mit den Diamanten. Er raffte alles an sich und trat wieder zu seinen Spießgesellen, deren jedem er mehrere Bündel Banknoten in die Hand drückte. Nachdem sie ihren Reichtum verstaut hatten, schritten sie vorsichtig zur Tür, die auf die Straße führte. Hayward fuhr zurück, als sofort ein Schuß abgefeuert wurde und die Kugel gefährlich nähe seinem Kopf in den Türpfosten schlug. „Sie haben anscheinend das ganze Haus umstellt“, sagte er. „Offenbar hat Donald sie aufgewiegelt. Er muß gehört haben, wie wir miteinander sprachen.“ „Gehen wir nach oben und versuchen wir, ob wir durch das Fenster in den Hof gelangen können“, schlug Demeter vor. Es war die einzige Möglichkeit, die ihnen noch verblieben war. Bei ihrem Versuch, sich oben von Haywards Wohnraum aus aus dem Fenster zu beugen, mußten sie jedoch feststellen, daß auch diese Seite des Hauses unter Bewachung stand. Sie wurden auch vom Hof her sofort beschossen, sobald sie sich dem Fenster näherten. „Wir sitzen eindeutig in einer Mausefalle“, sagte Halloway und ließ sich auf Haywards Bett sinken. ***
Wolters und auch Bankroft sahen ein, daß es nun wirklich nicht mehr möglich war, die Stellung zu halten. Wie durch ein Wunder war bisher nur ein Arbeiter getötet und ein weiterer verwundet worden. Wenn sie jedoch jetzt nicht ihr Heil in der Flucht suchten, würden größere Verluste unvermeidlich sein. Auch das Haus, in welchem sich nun sämtliche Verteidiger der Siedlung befanden, hatte nun Feuer gefangen. Sie hatten bereits viermal das Haus wechseln müssen, und die Angreifer befanden sich schon lange nicht mehr hinter den Felsblöcken in der Schlucht, sondern waren ihnen gefolgt. Lodernde Flammen der brennenden Häuser erhellten die Nacht, und manch einer der Verteidiger sah sein eigenes Haus unter den brennenden. Durch ihren etappenweise vollzogenen Rückzug waren sie nun soweit in die Nähe der Stallungen gerückt, daß ein letzter mutiger Ausfall sie zu den Pferden bringen konnte. Wolters lud ein letztes Mal das klapprige Magazin seiner Maschinenpistole auf und hob dann den Arm. Der mutige Ingenieur stellte sich breitbeinig in die Türöffnung und eröffnete ein wildes Feuer, um den Ausfall der anderen zu decken. Immer und immer wieder beschrieb er mit dem Lauf seiner Waffe, aus der orangerote Stichflammen zuckten, einen Viertelkreis, während die Freunde geduckt zu den Ställen liefen. Schließlich machte auch Wolters, daß er zu den Pferden kam. Auf halbem Weg erwischte ihn ein Schuß in der Schulter. Er mußte die Maschinenpistole fallen lassen, lief jedoch weiter und erreichte auch glücklich die unruhigen Pferde, die von seinen Gefährten in aller Eile aus dem Stall geholt waren. Mit Mühe schwang er sich auf eines der Tiere, und dann sprengte auch die zweite Hälfte der Verteidiger in vollem
Galopp nach Norden, um mit Pierre und seiner Gruppe zusammenzutreffen, falls diese nicht schon von den Banditen niedergemacht worden war. Nachdem sie bereits geraume Zeit geritten waren, hörten sie hinter sich das Hufgetrappel der Verfolger. Die Banditen hatten erst zur Felsenschlucht zurücklaufen müssen und ihre Reittiere durch das Gewirr der niedergestürzten Felsen führen müssen, bevor sie die Verfolgung hatten aufnehmen können. Schon von weitem hörten sie schließlich den Schußwechsel an der Nordseite des Tales. Noch also waren die Verteidiger in der Lage, sich zu wehren. Als sie den Schauplatz des Kampfes erreicht hatten, stellten sie fest, daß Pierre mit seiner Gruppe sich in einem Gebüsch festgesetzt hatte und von den Banditen heftig bedrängt wurde. Sie sprangen ab und gesellten sich zu den Verteidigern. Zu langen Begrüßungsreden war keine Zeit. „Wir haben die Banditen bisher im Schach halten können und wohl auch ihre Reihen beträchtlich gelichtet, obwohl wir ihnen bezüglich Feuerkraft ziemlich unterlegen sind“, klärte einer der Arbeiter Bankroft und Wolters auf. „Lange können wir aber nicht mehr durchhalten.“ Jedoch die frische Kräftezufuhr, die Pierres Gruppe durch Wolters und seine Leute erhalten hatte, machte sich sehr schnell bemerkbar. Die Banditen zogen sich Schritt für Schritt zurück. Wolters preßte ein Taschentuch auf seine Schulterwunde. „Wo ist Pierre?“ rief er. „Mister Poirot ist mit Mister Hartman und Lavernier dreien der Banditen nachgeeilt, denen es gelang, in das Tal einzudringen“, wurde ihm erklärt. „Wann war das?“
„Vor zehn Minuten. Wir haben seitdem nichts mehr von ihnen gehört.“ Weitere Auskunft konnte Wolters nicht mehr erlangen, denn die Banditen griffen erneut an. Sie waren jetzt wieder auf ihre Pferde gesprungen und versuchten eine förmliche Attacke. Wolters gab keinen Pfifferling mehr um das Leben der Männer von Brixtons Valley, als die Banditen mitten in ihrer Attacke plötzlich anhielten und sich zur Flucht wandten. Nun konnte Wolters auch den Grund zu diesem merkwürdigen Verhalten feststellen. Die andere Hälfte der Banditen, die sie von der Schlucht aus verfolgt hatte, war näher gekommen, und das Trappeln der Hufe war deutlich zu hören. „Sie halten ihre eigenen Leute für Verstärkung auf unserer Seite“, sagte er lachend, wurde jedoch gleich darauf wieder ernst. „Es kann sich aber nur noch um Minuten handeln, und sie werden ihren Irrtum einsehen und uns in die Zange nehmen. Schade! Wir haben uns mehr als tapfer geschlagen, aber nunmehr hat wohl doch etwas anderes geschlagen; unsere letzte Stunde.“ Er blickte sich um. Die Verfolger waren nun auf Schußweite herangekommen und eröffneten im ungewissen Licht des abnehmenden Mondes das Feuer auf sie. Auch die andere Hälfte, die eben vor einem vermeintlichen neuen Gegner geflohen war, hatte ihren Irrtum bemerkt und näherte sich wieder. „Bildet einen Igel“, schrie Bankroft. „Niemand soll sagen, daß wir unsere letzte Chance nicht wahrgenommen haben!“
„Worin sehen Sie diese Chance“, schrie Wolters, während die Männer von Brixtons Valley einen Kreis bildeten, um sich nach allen Seiten hin verteidigen zu können. Das Feuer der von allen Seiten näherrückenden Banditen erwies sich als unangenehm wirksam. Immer öfter schrie einer der Arbeiter auf, und einer seiner waffenlosen Kameraden mußte ihm den Revolver aus der Hand nehmen, um weiterzuschießen. „Worin ich diese Chance sehe?“ schrie Bankroft zurück. „Darin!“ Er wies mit ausgestreckter Hand, die Wolters in der Dunkelheit nur undeutlich wahrnehmen konnte, nach Norden. Winzige Lichtpunkte waren dort aufgetaucht, die zusehends wuchsen. Wolters zählte: „ – zwei, drei, vier große Wagen nähern sich uns! Hurra, wir haben gewonnen, jetzt haltet durch, Jungens. Stimmt ein Freudengeheul an, aber vergeßt nicht, dabei zu schießen. Die Polizei kommt.“ Nicht nur das Freudengeheul, das die Männer tatsächlich anstimmten, sondern auch die ständig wachsenden Lichtpunkte hatten die Banditen aufmerksam gemacht. Als kein Zweifel mehr bestand, daß sich dort vier Lastwagen in geradezu rasender Fahrt näherten, sammelten sich die Banditen. Zu spät! Schon hielten die Wagen mit aufkreischenden Bremsen, und starke Suchscheinwerfer erhellten die Gegend. Die Bande stob davon, regellos in allen Richtungen. Die Männer von Brixtons Valley brauchten nun nichts mehr zu tun, als zuzusehen. Das Bild, das sich ihnen bot, war phantastisch genug.
Die Bande war nach allen Richtungen geflohen. Aber jede Splittergruppe war von dem grellen Licht der Scheinwerfer unbarmherzig gepackt worden und wurde nun von wild kurvenden Autos verfolgt. Es sah aus, wie eine Treibjagd. Irgendwo hämmerte ganz kurz ein Maschinengewehr. Dann war alles aus. Sternförmig hatten die schweren Wagen die Bande zusammengetrieben. Von den Lastwagen sprangen Polizisten und gingen mit erhobenen Gewehren auf die Banditen zu. Diese sahen ein, daß jede weitere Gegenwehr sinnlos war und ergaben sich. Der Polizeioffizier, der sich mit energischen Schritten den jubelnden Verteidigern von Brixtons Valley näherte, und an dessen Seite Wilson schritt, kam Bankroft merkwürdig bekannt vor. Als er dann vor ihm stand, erkannte Bankroft ihn. „Sie sind doch – “ „Ganz recht! Ich bin Leutnant Jenkins aus Kapstadt, der sich hierher hat strafversetzen lassen, weil er in Kapstadt die Dummheit begangen hat, sich einen seiner fähigsten Polizisten erschießen zu lassen. Heute war ein gewisser Mister Black bei mir, der mir alles über Hayward erzählte. Das Material, das er mir überlieferte, genügt, um Hayward zehnmal an den Galgen zu bringen. Merkwürdigerweise schonte Black sich selbst auch nicht. Es schien das Gewissen in ihm wach geworden zu sein.“ „Was macht er jetzt?“ forschte Bankroft. Er schien die Antwort schon zu ahnen. „Er hat sich heute nachmittag in der Zelle des Untersuchungsgefängnisses, in die wir ihn gebracht hatten, erhängt“, erwiderte Leutnant Jenkins aus Kapstadt ernst.
„Schon als Black mir die Geschichte erzählt hatte, war es mein fester Entschluß, mit einem Polizeiaufgebot Hayward und ganz Rhodes Forest auszuheben, obwohl ich erst gestern nach hier versetzt worden bin. Ich glaubte, mir jedoch bis morgen Zeit lassen zu können. Dann aber kam Mister Wilson und schilderte mir Ihre Situation so überzeugend, daß ich sofort aufgebrochen bin. Und wie ich sehe, kam ich gerade noch zur rechten Zeit.“ „Um die Banditen zu fangen ja“, erwiderte Bankroft ernst. „Um Menschenleben zu retten – muß sich erst noch herausstellen. Ich glaube, wir haben in den letzten zehn Minuten erhebliche Verluste erlitten.“ Bankroft stutzte plötzlich: „Wo ist Will, wo ist Pierre?“ „Noch immer mit Lavernier und dreien der Banditen verschwunden“, erwiderte einer der Arbeiter.
Will war mit Pierre und Lavernier dreien der Banditen gefolgt, von denen einer Gordon war, der das ihm von Hayward übergebene Paket mit Dynamitpatronen unter dem Arm trug. Das Gebaren der drei Verbrecher, die sich plötzlich von ihrem Kameraden trennten und eilig den technischen Anlagen zustrebten, war Will und Pierre äußerst verdächtig erschienen. Es konnte sich ja nur um irgendeine Sabotageabsicht handeln und deswegen waren sie zusammen mit Lavernier den dreien gefolgt. Sie waren in wilder Jagd bis zum Eingang des WetpowderStollens gelangt, in welchem Gordon mit den zwei anderen verschwunden war. „Hier sind sie“, rief Lavernier und zeigte auf die drei Pferde, die vor dem Eingang zum Stollen standen.
„Sie sind in den Wetpowder gegangen“, rief Will erstaunt, während sie absaßen und sich vorsichtig dem Eingang des Stollens näherten. Plötzlich faßte Pierre Will erregt am Arm. „Erinnerst du dich an die Sprengkammern, die wir bei unserer Besichtigung des Stollens entdeckt haben“, fragte er. Weiter brauchte er nichts zu sagen. Auch Will war nun das Vorhaben der drei Banditen klar. Sie näherten sich vorsichtig und doch in großer Eile dem Eingang. Hier tat ja jede Sekunde not, wenn sie noch etwas retten wollten, wenn sie noch verhüten wollten, daß durch eine Sprengung die ganzen Schachtanlagen von Brixtons Valley ersoffen. Plötzlich eröffnete jemand das Feuer auf sie. Offenbar hatten die drei einen zurückgelassen, der den Eingang bewachen sollte. Pierre hatte das Mündungsfeuer gesehen und schoß zurück. Ein Mann taumelte aus dem Buschwerk, das den Stolleneingang umwucherte, hervor, tat noch einige unsichere Schritte und brach dann zusammen. Pierre lief zurück zu den Pferden und kehrte mit einer Stablampe zurück, die er der Satteltasche seines Reittiers entnommen hatte. Er leuchtete dem Mann ins Gesicht. „Nur ein Streifschuß längs der Schläfe, der ihn betäubt hat. Wir können uns nicht damit aufhalten, ihn zu fesseln. Weiter!“ Sie drangen in den Stollen ein und liefen fast den beiden anderen in die Arme, die offenbar ihre Arbeit bereits getan hatten und sich nun aus dem Staube machen wollten. Nach einem kurzen Handgemenge, in welchem keiner der Beteiligten dazu kam, von seiner Waffe Gebrauch zu machen, wurden die beiden durch zwei fachmännische Uppercuts von Will und Pierre kampfunfähig gemacht.
„Zu spät“, sagte Pierre. „Es wäre heller Wahnsinn, jetzt noch etwas retten zu wollen. Sie haben eine Zündschnur gelegt, nehme ich an. Die Ladung kann jede Sekunde hochgehen. Leider sind wir zu spät – “ Er hielt verblüfft inne, als er sah, daß Lavernier tiefer in den Stollen eindrang. „Sie sind wahnsinnig!“ – Er hielt Lavernier am Arm fest. „Sie wollen doch nicht da hinein. Das wäre ein Spiel mit dem Tode.“ „Ich bin Mister Hartman noch etwas schuldig. Ohne ihn lebte ich jetzt ohnehin nicht mehr“, erwiderte Lavernier und riß sich los, bevor Pierre ihn niederschlagen konnte, denn eben das hatte Pierre vor. Es schien ihm die einzige Möglichkeit zu sein, Lavernier von diesem Selbstmordversuch abzuhalten. Aber Lavernier war schneller gewesen. Er rannte bereits in vollem Lauf tiefer in den Stollen hinein. „Warum hat er das getan“, schrie Will. Er wollte ihm nacheilen, aber Pierre hielt ihn mit eisernem Griff fest. „Ein Narr genügt einstweilen. Wir können ihm nicht mehr helfen. Willst du aus lauter Sympathie mit ihm in die Luft fliegen?“ Lavernier hatte allerdings nicht die Absicht, in die Luft zu fliegen, wenn er auch mutig mit dieser Möglichkeit rechnete. Es war wirklich ein Wettlauf mit dem Tode, den er da durchführte, noch dazu ohne Licht, so daß die Finsternis ihm das Vorwärtskommen erschwerte. Aber er achtete nicht darauf, daß er in vollem Lauf gegen Vorsprünge stieß und sich blutig schlug. Umzukehren hatte jetzt keinen Sinn mehr, er mußte vorwärts. Er mußte versuchen, die Sprengladung zu erreichen, bevor die Zündschnur diese erreicht hatte. Es war ein merkwürdiger Wettlauf. Er hatte noch schätzungsweise fünfzig Meter vor sich, die Zündschnur
wahrscheinlich nur noch Zentimeter. Wer würde schneller sein? Er stellte fest, daß es nicht eben angenehm war, in eine Dunkelheit hineinzustolpern, die jeden Augenblick von einer Explosion zerrissen werden konnte. Er hatte Angst, wahnsinnige Angst. Er lief schneller und schneller, stieß sich den Kopf blutig. Ihm wurde schwarz vor den Augen, er begann zu taumeln. Dann war er da. Warum explodierte die Ladung noch nicht? Er sah zu beiden Seiten des Stollens nichts weiter als zwei glimmende Punkte. Welchen zuerst? Welcher war näher an der Ladung? Langes Nachdenken würde ihn über kurz oder lang jeder Notwendigkeit zum Nachdenken entheben. Er warf sich nach rechts, bekam die Zündschnur zu fassen, zerdrückte sie zwischen seinen Fingern. Er hatte ein Ende von nicht ganz einem Zentimeter Länge in der Hand. Mit einem wahren Tigersatz warf er sich nach links, erwischte auch hier die Zündschnur und blieb aufatmend liegen. Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte. Dann fühlte er Pierre und Will neben sich. Da die Explosion so lange auf sich hatte warten lassen, waren sie ihm gefolgt in der Annahme, daß sein tollkühner Plan gelungen war und er bewußtlos irgendwo lag. Die Annahme der beiden hatte sich als richtig erwiesen. Als Pierre und Will mit dem taumelnden Lavernier den Ausgang des Stollens erreichten, dämmerte bereits der Morgen herauf. Irgendjemand rief ihnen etwas zu.
Instinktiv griff Pierre zum Revolver, dann erkannte er die Uniform. „Hier sind sie“, schrie der Polizist. Ein Lastwagen kam. Pierre schritt auf den Polizeileutnant Jenkins zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich hoffe, Sie sind zur rechten Zeit gekommen.“ Jenkins nickte. Es hatte sich herausgestellt, daß die Befürchtung Bankrofts sich nicht bewahrheitet hatte. Es waren nur zwei Tote zu beklagen, allerdings eine Menge Verletzter, bei denen jedoch bis auf einen absolute Sicherheit bestand, daß sie über den Berg kommen würden. Als Will erfuhr, daß Black Selbstmord begangen hatte, wollte er sofort Mabel aufsuchen. Aber Pierre hielt ihn zurück. „Da es sich nicht um ihren wirklichen Vater handelt, wird der Schmerz nicht so groß sein, Will. Eine Liebeserklärung kannst du ihr auch später machen. Dazu ist jetzt keine Zeit!“ Als er Wills erstaunten Blick sah, bemerkte er noch lachend: „Nun, daß du sie gern hast, sieht doch ein Blinder. Aber jetzt werden wir zusammen mit Jenkins und seinen Polizisten erst einmal einen Mann besuchen, den wir weniger gern haben, und der leider gestern abend zu Hause geblieben ist, da er von den Polizisten weder unter den getöteten noch den gefangenen Banditen gefunden wurde. Dieser Mann heißt Hayward. Und hoffentlich werden wir auch Demeter und Halloway dort vorfinden. Darauf legt vor allem Leutnant Jenkins großen Wert, denn er hat noch immer nicht den Tod seines Kameraden, der ja von einem dieser beiden ermordet worden ist, überwunden.“ *** In gedrückter Stimmung hockten Hayward, Halloway und Demeter immer noch in Haywards Wohnzimmer. Sie hatten
des öfteren versucht, auszubrechen, jedoch immer waren sie zurückgejagt worden. Die draußen postierten Wachen schienen keine Müdigkeit zu kennen. „Es ist soweit“, rief Halloway plötzlich und zeigte durch das Fenster nach Norden. Sie blickten über die Grassteppe in Richtung Brixtons Valley. Mehrere Staubwolken tauchten in der Ferne auf. „Polizei“, murmelte Hayward, nachdem er ein Fernglas von der Wand gerissen und hindurchgeschaut hatte. „Raus hier“, schrie der hagere Luggy Demeter und sprang auf. Sie stürzten auf den Hof, ohne sich um die Schüsse ihrer Bewacher zu kümmern. Sie hatten jetzt nichts mehr zu verlieren. Hayward band sich noch im Laufen das Säckchen mit den Diamanten an den Gürtel. Die Pferde standen noch gesattelt im Stall. Sie saßen auf und preschten davon. Donald und seine Männer schossen wie wild hinter ihnen her. Wenige Minuten später waren Jenkins, Will und Pierre mit dem Polizeiaufgebot angelangt. Die Polizisten sprangen mit schußbereiten Karabinern von den Wagen und wurden sofort von Donalds Leuten umringt. Sie alle beteuerten ihre Unschuld und daß sie vergeblich versucht hätten, Hayward und seine Komplicen aufzuhalten. Er sei in Richtung Zak River mit Demeter und Halloway davongeritten. Der Weg führte durch Waldschluchten und unwegsames Gelände. Mit den Autos war an eine Verfolgung nicht zu denken. Jenkins trieb an Pferden zusammen, was in der Eile greifbar war.
Er, Will, Pierre und noch zwei Polizisten saßen auf und jagten hinter den Flüchtigen her. Inzwischen hatten Hayward und seine Komplicen das Ende der Schlucht erreicht und trieben ihre Pferde den Abhang hinauf. „Ich höre Hufgetrappel“, schrie Luggy. Das jedoch war das letzte, was er sagte. Sein Pferd rutschte auf dem steilen Abhang aus, überschlug sich und stürzte zu Tal. Luggy, der kein besonders geschickter Reiter war, war im Steigbügel hängengeblieben und blieb neben dem Pferd auf dem Boden der Schlucht liegen. „Dem ist nicht mehr zu helfen“, rief Hayward. „Weiter also. Oben ist die Höhle eines Tagebaustollens, der jedoch nicht weitergeführt wurde. Dort können wir uns verbergen. Wenn wir Glück haben, reiten sie an uns vorbei. Weiter zu fliehen hat ja keinen Sinn. Ihr scheint die langweiligsten Gäule von ganz Rhodes Forest aus dem Stall geholt zu haben.“ Sie erreichten die Höhle, in der noch zwei Spitzhacken lagen, mit denen vor Wochen hier gearbeitet worden war. Halloway riß Hayward das Diamantensäckchen aus dem Gürtel und griff zur Spitzhacke. „Was soll das, John?“ Hayward griff zum Revolver. „Ich will die Diamanten hier eingraben, Hayward. Meinst du, daß die Polizei sie dir wieder aushändigt, wenn du aus dem Zuchthaus kommst? Wir werden sie uns wieder holen, wenn wir wieder frei sind.“ Achselzuckend ließ Hayward ihn gewähren. Er wußte genau, daß es für ihn kein Zuchthaus mehr gab, sondern nur noch Entkommen oder Tod. Halloway hackte mit der Spitzhacke ein tiefes Loch in den Boden der Höhle. Plötzlich flüsterte Hayward: „Hör auf! Ruhig!“
Vor der Höhle tauchten Jenkins, Will und Pierre auf. Sie wollten schon vorbeireiten, als Pierres Blick auf das Diamantensackchen fiel, das Halloway neben dem frischausgehobenen Loch hatte liegen lassen. Er sprang ab und näherte sich der Höhle, als eine Kugel an ihm vorbeipfiff. Pierre riß den Revolver hoch und rief: „Hayward?“ Als Antwort schoß Hayward ein zweites Mal. Halloway schrie: „Nicht schießen, ich ergebe mich.“ Er löste sich aus dem Dunkel der Höhle und trat mit erhobenen Händen auf Pierre, Will und Jenkins zu. Da ertönte ein dritter Schuß. Halloway schrie auf und sank zusammen. Pierre hatte diesmal das Mündungsfeuer gesehen. Ohne auf die Gefahr zu achten, ging er Schritt für Schritt in die Höhle, erhielt einen Schuß des verzweifelt sich wehrenden Hayward in die Schulter und ging trotzdem weiter. Er dachte in diesem Augenblick nur an seinen Vater, der von diesem Mann getötet worden war. Endlich war er nahe genug, um Hayward sehen zu können. Er zog sechsmal den Hahn seines Revolvers. Und traf sechsmal. Hayward hatte noch zweimal geschossen. Auch er hatte getroffen. Als Will und Jenkins an dem toten Halloway vorbei in die Höhle eintraten, fanden sie Pierre und Hayward. Hayward alias Bob Smith war tot. Pierre hatte einen Schuß in die linke Schulter und zwei Schüsse in den linken Arm erhalten. Will reichte dem Freund die Hand: „Ich danke dir, Pierre.“
Der Belgier lächelte: „Nimm es mir nicht übel, aber ich habe in den letzten drei Minuten nicht an die Interessen der BAHAW, sondern an meinen ermordeten Vater gedacht.“ *** Sechs Monate später herrschte in Brixtons Valley wieder das Leben und Treiben, wie es ganz zu Anfang gewesen war. Ja, es waren sogar noch drei weitere Fördertürme aufgestellt worden. Die BAHAW hatte wieder ihren alten Ruf errungen, nachdem dem Syndikat ein langer Bericht über die Vorfälle in Rhodes Forest vom Detective Department zugegangen war. Lord Ashburne, der Geschäftsführer des Syndikats, hatte daraufhin ein Telegramm an Bankroft und Will geschickt: „Ich bedaure, daß ich damals nicht doch mit jemandem gewettet habe.“ Sie waren wieder alle in dem Raum versammelt, in welchem Mabel vor sechs Monaten ihren Bericht abgegeben hatte. Diesmal jedoch waren außer Wilson, dessen Arm wieder geheilt war, Bankroft, Mabel, Will und Pierre noch Wills Eltern und Pierres Mutter da. Pierres Verwundungen waren wieder ausgeheilt. Pierres Mutter hatte sich ebenso wie Wills Eltern entschlossen, in Afrika zu bleiben. Sie bei ihrem Sohn in Rhodes Forest, die Hartmans bei Will, der in wenigen Wochen mit Mabel Hochzeit feiern wollte. Pierre trat auf Will zu: „Ich danke dir, Will, daß du mir so großmütig Rhodes Forest überlassen hast.“ Will wehrte lachend ab: „Es gehört mir ja auch nicht.“
„Du hast es aber als gerechte Abfindung für den Schaden, der der BAHAW durch Black und Hayward zugefügt worden ist, erhalten.“ „Du hast ein größeres Anrecht darauf als ich, Pierre. Durch deine Hilfe ist es gelungen, in dem Kampf mit Hayward zu siegen. Außerdem hat es ja einmal deinem Großonkel gehört. Ich bin überzeugt, daß unter deinen Händen auch Rhodes Forest sich einen Namen im Diamantenhandel schaffen wird.“ „Dann werden wir also Konkurrenten“, sagte Pierre lachend. Diese Feststellung löste bei allen große Heiterkeit aus. „Wir werden weiterhin so zusammenarbeiten, wie wir es bisher getan haben, Pierre, auch als Geschäftspartner.“ Bankroft trat auf die beiden zu und legte seine Stirn in nachdenkliche Falten: „Ich überlege schon seit geraumer Zeit, wie sich der Name Poirot noch in die Firmenbezeichnung BAHAW einbauen ließe. Aber mir fällt nichts ein.“ Der alte Hartman erhob sich nun aus seinem Sessel: „Ob die Namen zueinander passen, ist gleichgültig. Die Hauptsache ist, daß die Menschen zueinander passen, füreinander da sind, einander helfen und gemeinsam sinnvoll tätig sind. Hayward, Black und Genossen haben versagt und mußten versagen, denn ihre Gemeinschaft baute sich auf Gewissenlosigkeit und Gesetzlosigkeit auf. Wir aber werden nicht versagen, denn wir denken nicht nur an uns, sondern auch an das Werk, das Hunderten von Arbeitern Brot und Lohn gibt. Wir glauben nicht nur an uns, sondern an Gesetz und Ordnung. Keiner lebt für sich allein, jeder lebt auch für die anderen. Und das ist eine Verpflichtung, die man nie vergessen darf.“