HEYNE‹
BEN COUNTER
Der blutende Kelch
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
BEN COUNTER
...
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HEYNE‹
BEN COUNTER
Der blutende Kelch
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
BEN COUNTER
Der blutende Kelch
EINS
In den Gängen des Librariums von Terra war die Last der Jahrtau sende förmlich mit den Händen zu greifen. Die endlosen, morschen Reihen von Bücherregalen und mit Grünspan bedeckten Datenwür feln beugten sich unter dem Gewicht von Abertausenden Jahren menschlicher Geschichte. Das Librarium befand sich tief unter der Planetenoberfläche, aber selbst hier war, wie überall auf der heiligen Welt von Terra, geschäftiges Summen zu hören. Es war das Geräusch, mit dem Milliarden Seelen einen gewaltigen Verwaltungsapparat bildeten, der das menschliche Imperium zu sammenhielt. Sogar der Hauptmann der Löscheinheit spürte die unglaubliche Bedeutung des gesammelten Wissens dieses Librariums. Er hatte sein gesamtes Leben auf Terra verbracht und genau wie seine Vor fahren gewissenhaft seinen Teil der vielfältigen Arbeiten erfüllt, die ihm die Regierung des Imperiums aufgetragen hatte. Seine Welt waren die dunklen Gänge unter Terras Oberfläche. Nach den vielen Jahrzehnten, die er mit dieser undankbaren Auf gabe betraut gewesen war, hatte er ein Gespür dafür entwickelt, welch gefährliches Wissen im Librarium Terras lagerte. Vorsichtig spähte der Hauptmann um eine Ecke und in eine Gale rie. Die Bücherregale an den Wänden waren kaum mehr als verrot tende Papierstapel. Gelbes Licht schien auf silbern glänzende Spinn weben, die die Regale seit Ewigkeiten überzogen, und Bücher, die hier genauso lange ruhten. Es gab keinen Grundriss oder Lageplan des Librariums. Über sei ne Größe konnten nur Vermutungen angestellt werden. Noch nie mand hatte es vollständig erforscht und war zurückgekehrt, um da
von zu berichten. Die Löscheinheit hatte einen dreitägigen Gewalt marsch zurücklegen müssen, um ihre jetzige Position zu erreichen. Nach den Angaben der Adepten, die der Einheit ihre Befehle erteilt hatten, musste sich ihr Ziel ganz in der Nähe befinden. Der Hauptmann gab seiner zehnköpfigen Einheit den Befehl vor zurücken. Die Männer trugen schwarze Ganzkörperrüstungen mit Kapuzen, unter denen nur die Augen sichtbar waren. Die Rüstungen besaßen eingebaute Luftfilter, die ihre Lungen vor dem Staub der Jahrtausende schützten. In ihren behandschuhten Händen hielten sie Flammenwerfer mit schmalen Mündungen, die mit an ihren Gürteln befestigten Brennstoffkanistern verbunden waren. Der Hauptmann trug ein Automatikgewehr mit Schall- und Mündungsfeuerdämpfer. Sie arbeiteten sich schnell und fast lautlos vor, wobei sie sich ge genseitig deckten. Solange sie denken konnten, waren sie Mitglied derselben Truppe unter demselben Hauptmann gewesen. Ihr Anfüh rer brauchte ihnen keine Befehle mehr zu erteilen − wie so viele Ge nerationen vor ihnen wussten sie genau, was sie zu tun hatten. Der Hauptmann durchquerte die Galerie bis zu einem Podest, von dem aus man auf einen unübersichtlichen Haufen aus Bücherregalen und Datenwürfel blicken konnte. In den Regalen befanden sich di cke, ledergebundene Bücher, staubbedeckte Datentafeln, zerbröseln de Schriftrollen und unzählige Pergamente. Einige Regalbretter war en unter der Last zusammengebrochen. Hohe Papierberge bedeckten den Boden. Die Datenwürfel, Blöcke aus glattem, kristallartigem Material, konnten unvorstellbare Mengen an Informationen spei chern. Sie waren zu dunklen, glänzenden Obelisken aufgetürmt oder hatten die Form von kunstvoll verzierten Altären, auf denen Statuen standen. Nicht wenige der Statuen stellten Mitglieder des Adeptus Astartes dar: Space Marines, die Elite der imperialen Armee, die auf entfernten Sternen gegen jegliche Art von Verderbnis kämpfte. Der Hauptmann spähte in den düsteren Raum unter ihm. Etwas bewegte sich − ein Gelehrter mit unglaublich faltigem Gesicht arbei tete in einer Nische zwischen den Regalen. Er war von Bücherstapeln
umgeben. Seine Arme waren durch Metallarmaturen ersetzt worden, die es ihm erlaubten, die Bücher mit außerordentlicher Geschwindig keit durchzublättern. Es war gut möglich, dass es sich bei dem Ge lehrten um einen Servitor handelte − einen seelenlosen Automaten auf der Grundlage eines menschlichen Gehirns. Vielleicht war es aber auch ein richtiger Mensch, wie der Hauptmann selbst ein gehor samer Diener Terras. Ein Mensch, der eine überflüssige und sinnlose Aufgabe erfüllte, um seine Treue dem unsterblichen Imperator gege nüber zu beweisen. Der Hauptmann richtete seine Waffe auf den haarlosen, mit pa pierartiger Haut bespannten Schädel des Gelehrten und feuerte. Mit einem leisen Zischen bohrte sich das Geschoss in den Hinterkopf. Der Gelehrte fiel in ein Bücherregal und wurde unter einer Papierla wine begraben. Bei einer Löschaktion durfte es keine Zeugen geben. So war es immer gewesen, und so würde es bleiben. Hätte der Gelehrte geahnt, welches Schicksal ihn erwartete, so würde er es mit Freuden akzep tiert haben. Der Hauptmann sprang vom Balkon in die Schatten unter sich. Sein Trupp folgte ihm − schwer landeten die Stiefel der Soldaten auf den abgenutzten Dielen. Hier unten war die Luft so dicht von jahr tausendealtem Wissen, dass die Männer das Gefühl hatten, durch Wasser zu waten. Die schwachen Elektrolaternen tauchten den Raum in ein blasses, dämmriges Licht. Der Hauptmann las einige Titel und Jahreszahlen von den Rücken der mächtigen Bände ab. Diese Bücher enthielten Informationen über ihre gewaltigen Heerscharen des Impe riums, Regimentsgeschichten der Imperialen Armee und Berichte über längst vergessene Schlachten. Der Hauptmann konnte buchstäb lich die Schreie der Millionen Soldaten hören, die ihr Leben für den Imperator gegeben hatten und nun in diesen Chroniken verewigt waren. Er gab ein einfaches Handzeichen, und der Trupp schwärmte aus. Jeder der Männer nahm sich ein Bücherregal vor, aus dem er wahllos
dicke Folianten herauszog, ihre Titel überflog und sie zu Boden fal len ließ. Plötzlich erschien ein Servitor und machte sich an die un dankbare Aufgabe, mit seinen unförmigen, breiten Händen die Unordnung wieder aufzuräumen. Einer der Soldaten drehte sich um, richtete einen Flammenstrahl auf den Servitor und brachte das ver letzliche Menschenfleisch zum Schmelzen. Der Servitor starb zu ckend in einer übel riechenden Rauchwolke. Ein weiterer Soldat rannte auf den Hauptmann zu. In der Hand hielt er ein in rotes Leder gebundenes Buch mit Goldschnitt. In den Einband war ein Symbol aus glänzendem schwarzem Stein eingelas sen − ein von einem zackigen Heiligenschein eingefasster Kelch. Danach hatten sie gesucht. Der Hauptmann tippte dem nächsten Soldaten auf die Schulter. Dieser verständigte wiederum seinen Vordermann. In weniger als einem Wimpernschlag war der gesamte Trupp informiert. Die Män ner ließen die Bücher, die sie in der Hand hielten, fallen und brachten die Flammenwerfer in Anschlag. Sie überzogen die Bücherregale mit gewaltigen Flammenstößen. Das Librarium von Terra wurde mit stinkendem Rauch erfüllt. Die Schutzkleidung der Löscheinheit hielt die schlimmste Hitze ab, trotzdem verwandelte sich das Labyrinth aus Bücherregalen in einen riesigen Backofen, in dem sich die glühend heiße Luft staute. Der Hauptmann entlud sein Automatikgewehr und zog eine ein zelne Patrone aus seinem Gürtel, die er in die Kammer steckte. Dann zielte er auf den nächsten Datenwürfel, der die Form eines dreiflüge ligen Altars hatte. In seine Speicherkristalle waren heroische Schlachtenszenen eingraviert. Der Hauptmann feuerte, und fast laut los schlug die explosive Munition in den Kristall ein und verwandel te ihn in einen schwarzen Splitterregen. Wortlos und mit einer Perfektion, die nur durch generationenlange Übung erreicht worden war, arbeitete sich die Löscheinheit durch die gesamte Sektion der Bibliothek. Sie verbrannten und vernichteten alles, was gefährliche Informationen enthalten konnte. Inzwischen
waren die Löschdrohnen eingetroffen. Mit konzentrierten Wasser dampffeldern dämmten sie die größte Hitze ein und verhinderten, dass sich das Feuer weiter ausbreitete. Wenn die Löscheinheit ihre Arbeit beendet hatte, würden die Drohnen die restlichen Flammen, die aus der Asche der zerstörten Bücher und Datenwürfel emporstie gen, endgültig ersticken. Jahrhundertealtes Wissen war verloren. Ganze Planeten und Ero berungszüge waren für immer aus dem Gedächtnis des Imperiums verschwunden. Doch der Löschauftrag hatte Vorrang − der Orden der Seelentrinker war kein Teil der Geschichte der Menschheit mehr. Niemand wusste, wann Koris XXIII-3 besiedelt worden war. So weit die Aufzeichnungen des Administratums zurückreichten, war der graugrüne, unscheinbare Planet von kontinentumspannenden Grox farmen beherrscht worden. Auf dieser Agrarwelt lebten nicht mehr als zehntausend Seelen, und doch war sie ein lebenswichtiger Teil der Makroökonomie der sie umgebenden Sternsysteme. Groxfleisch war so wichtig wie Waffen, Panzer oder sauberes Wasser. Groxe waren große, schwerfällige, schmutzige und bösartige Rep tilien. Ihr Vorteil bestand darin, dass sie zu fast einhundert Prozent essbar waren. Jedes Tier war letztendlich ein riesiger Berg aus farb losem, sehnigem, geschmacklosem Fleisch, das − korrekt verarbeitet − sehr nahrhaft war. Ohne die Groxherden, die jeden Monat auf gro ßen Transportschiffen Koris XXIII-3 verließen, würden die Milliar den der Arbeiter und Gangmitglieder auf den nahe gelegenen Schwarmwelten in kürzester Zeit Hunger leiden, sich auflehnen und sterben. Und damit würde die Flotte eines ganzen Segmentums auf dringend benötigtes Kanonenfutter verzichten müssen. Das Administratum wusste genau, wie wichtig die Groxe waren. Deshalb unterstand diese Agrarwelt auch ihrem direkten Befehl, da mit betrügerische Gouverneure und gierige Händler elegant umgan gen werden konnten. Die gesamte Bevölkerung des Planeten bestand
ausschließlich aus Adepten des Administratums. Die Adepten und das Administratum selbst hatten große Anstren gungen unternommen, um sicherzugehen, dass Koris XXIII-3 eine unbeachtete Hinterwelt blieb. Für Jahrhunderte waren die riesigen Groxherden und die kleinen Siedlungen der Adepten unbehelligt ge blieben. Hier wurde die Zeit anhand der regelmäßig auftauchenden Frachtschiffe und der Geburten, Todesfälle und Beförderungen der spärlichen Population gemessen. Die Tatsache, dass ein fremdes Schiff auf dem einzig funktionie renden Raumhafen in Sektor Epsilon landete, erregte großes Aufse hen. Dieses Schiff transportierte keine Neuankömmlinge, die die Adepten ersetzen sollten, die von fliehenden Groxherden zu Tode getrampelt worden waren. Das Schiff war klein und sehr, sehr schnell. Eigentlich bestand es nur aus einer Batterie kraftvoller Mo toren, die hinter einem kleinen Cockpit montiert waren. Im Gegen satz zu den Schiffen des Administratums, die stets ein stilisiertes Alpha auf der Hülle trugen, war dieses Gefährt völlig ohne Kennzei chen. Die ranghöchste Adeptin des Planeten, Median Vrintas, vermu tete, dass es sich um einen sehr wichtigen Besuch handelte. Schnell warf sie sich die feierliche schwarze Administratumrobe über und eilte durch die engen, staubigen Straßen des Wohnsektors, um den unerwarteten Gast angemessen zu empfangen. Wie jede andere Ansammlung von Gebäuden auf der Agrarwelt bestand auch Wohnsektor Epsilon aus Felsbeton, der im All geformt und dann aus niedriger Umlaufbahn auf den Planeten herabgeworfen worden war. Jedes der hässlichen und plumpen Gebäude war von nichtssagender Architektur. Die Fenster aus dunklem, verspiegeltem Glas hielten das grellorange Licht des Sonnenuntergangs von Büros, Arbeitszimmern und den kleinen Wohnungen fern. Der funktionie rende Raumhafen war das Einzige, was Wohnsektor Epsilon von den anderen unterschied: eine vorgefertigte, kreisrunde Landefläche am Rande des Komplexes, dazu ein kleiner, unbesetzter Kontrollturm und einige unbenutzte Hangars − nur sehr wenige Schiffe landeten
auf Koris XXIII-3. Die Rampe des gelandeten Schiffes öffnete sich mit einem schwa chen hydraulischen Zischen. Drei Trupps der Ekklesiarchie mar schierten heraus. Die Ekklesiarchie, die Kirche des Imperators, besaß auch einen militärischen Arm: in diesem Fall von Halskrause bis zum Fuß in kunstvoll verzierte Rüstungen gekleidete Mitglieder des Adeptus Sororitas. Ihre Feuerkraft, bestehend aus Boltpistolen und Flammenwerfern, würde ausreichen, um den Wohnsektor in einen rauchenden Trümmerhaufen zu verwandeln. Das ernste Gesicht ihrer Anführerin ließ keinen Zweifel daran, dass sie viele Schlachten mi terlebt hatte. Sie trug eine gewaltige Energieaxt und einen weißen Waffenrock über der schwarz glänzenden Rüstung. Es war keinerlei Anzeichen dafür zu erkennen, welchen Rang sie bekleidete oder welchem Orden sie angehörte. Während sich die Kämpferinnen der Schwesternschaft auf der Landeplattform verteilten, schritt die Oberschwester schweigend auf Adeptin Median Vrintas zu. Die Schwestern hatten einen schützen den Ring um das Schiff gebildet − als hätte ihnen irgendetwas in Wohnsektor Epsilon gefährlich werden können. Adeptin Vrintas hat te von den Schwestern des Adeptus Sororitas gehört − man munkelte, dass sie einen unerschütterlichen Glauben und außergewöhnliche Kampfkraft besaßen −, jedoch noch nie eine von ihnen zu Gesicht bekommen. War dies eine Art priesterlicher Abordnung? Wollte ein Konfessor der Missionaria Galaxia die Glaubenstreue des Planeten überprüfen? Insgeheim gratulierte sich Vrintas dazu, dass sie den kleinen Tempel der Ekklesiarchie erst vor wenigen Tagen hatte aus fegen lassen. Hinter der Oberschwester verließ ein Mann das Schiff. Er war nicht besonders groß, trug jedoch eine eindrucksvolle Rüstung und einen bodenlangen Ledermantel mit eingenähten Panzerplatten. Sein Gesicht war lang und zerfurcht, mit vorstehendem Kiefer und einer leicht schiefen Nase, die wohl schon einige Male gebrochen worden war. Die neugierigen, stechenden Augen, die nicht so recht zu die
sem Gesicht passen wollten, waren tiefblau, und das schwarze Haar lichtete sich bereits. In der Schläfe und hinter einem Ohr waren Neu roimplantate zu erkennen, nichts Besonderes, aber doch mehr, als jeder Adept auf diesem Planeten zu bieten hatte. In einer seiner be handschuhten Hände hielt er eine Datentafel. Er ging an der Phalanx der Kämpferinnen vorbei und nickte der Oberschwester kaum merklich zu. Das wässrige Sonnenlicht von Koris XXIII-3 spiegelte sich auf den Ringen wider, die er über dem schwarzen Handschuh trug. Sein langer Mantel flatterte in der steifen Brise. »Adeptin?«, fragte er, als er sich Vrintas näherte. »Ich bin Median Lachrymilla Vrintas, die ranghöchste Adeptin dieses Wohnsektors«, sagte Vrintas. Dieser Gast war bedeutender als alle Menschen, denen sie zeit ihres Lebens begegnet war. »Ich beauf sichtige den zweitproduktivsten Kontinent dieses Planeten. Wir be sitzen fünfhundert Millionen Groxe in neun …« »Die Groxe interessieren mich nicht«, sagte der Fremde. »Ich bitte Sie um ein paar Stunden Ihrer Zeit und ein Gespräch mit einem Ihrer Adepten. Ansonsten will ich Sie nicht von Ihrer wichtigen Arbeit abhalten.« Erleichtert bemerkte Vrintas den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht des Mannes. »Natürlich«, sagte sie. »Aber für das Protokoll muss ich Euren Namen und Euren Rang wissen − wir haben strenge Sicherheitsbestimmungen. Außerdem müsst Ihr Euch einem desinfi zierenden Fußbad unterziehen, ebenso Eure Begleiter. Weiterhin müsst Ihr bei Eurem Abflug die Quarantänevorschriften einhalten. Wenn Ihr mir also sagen könnt, im Namen welcher Autorität Ihr …« Der Mann griff in eine Manteltasche, zog eine kleine Metall schachtel daraus hervor und klappte den Deckel auf. Vrintas blickte auf den stilisierten Buchstaben »I«, der aus einem Rubin geformt und in Silber eingelassen war. »Im Namen der heiligen Inquisition des Imperators«, sagte der Mann immer noch lächelnd. »Mein Name tut nichts zur Sache. Wenn Sie mich jetzt bitte zu Adept Diess führen
könnten?« Inquisitor Thaddeus war ein außergewöhnlich geduldiger Mensch, und genau deswegen hatte er dort Erfolg gehabt, wo grausamere, kampfesstärkere oder klügere Männer der Inquisition versagt hatten. Der Ordo Hereticus war derjenige Teil der heiligen Inquisition des Imperators, der dafür verantwortlich war, jede Bedrohung, die von den Menschen ausging, die sie eigentlich beschützen sollte, gnaden los auszumerzen. Dazu bedurfte es außerordentlicher Fähigkeiten. Aber am wichtigsten war die Einsicht, dass das Imperium nicht auf einen Schlag von allem Übel, das es befallen hatte, geheilt werden konnte. Nur wenige waren in der Lage, sich als Teil einer Aufgabe zu be greifen, die weit über ihre kurze Lebenszeit hinausging, und dabei nicht zu verzweifeln. Thaddeus verzweifelte nicht. Ihm war bewusst, dass ein einzelner Mann − sogar mit der großen Machtfülle, mit der er ausgestattet war − nur wenig zum Gelingen des Großen Plans des Imperators beitragen konnte. Momentan hatte er eine volle Kompa nie Sturmtruppen des Ordo Hereticus und mehrere Trupps des Ordo Sororitas unter Oberschwester Aescarion unter seinem Kommando. Aber all ihre Feuerkraft würde nicht ausreichen, um die Verderbtheit und die Unfähigkeit auszurotten, die das Imperium aus seinem Inne ren heraus zersetzten und eine ebenso große Gefahr wie Dämonen und Xenos darstellten. Darin lag die große Aufgabe der Inquisition. Und diese Aufgabe würde, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft von den heldenhaften Frauen und Männern des Ordo Hereticus voll bracht werden. Thaddeus war sich dessen bewusst und trotzdem bereit, sein Le ben für diese Sache zu geben − wenn nicht er, wer dann? Nur aufgrund seiner unendlichen Geduld war er mit seiner derzei tigen Mission betraut worden. Der erste Inquisitor, der diesen Auf trag bekommen hatte, war ein grausamer und unglaublich dickköpfi ger Mann namens Tsouras gewesen − der seinerzeit einzig verfügba
re Inquisitor. Er hatte versagt, weil ihm die Geduld gefehlt hatte. Sein Ehrgeiz hatte darin bestanden, mit fester Entschlossenheit seine Umgebung durch triumphale Siege beeindrucken zu wollen. Zweifel los gab es Bedarf für Männer wie Tsouras, jedoch nicht bei dieser speziellen Mission. Der Lordinquisitor des Ordo Hereticus hatte Thaddeus ausgewählt, weil dieser die Geduld besaß, das dichte Netz aus Lügen und Verwirrung aufzutrennen und die Wahrheit ans Ta geslicht zu bringen. Im Moment wünschte sich Thaddeus jedoch, dass er überhaupt nie mit dieser Aufgabe betraut worden wäre. Obwohl die hehren Ziele der Inquisition fest in seinen sonst überraschend offenen Geist ein gebrannt waren, fühlte er doch noch immer wie ein Mensch und vermochte eine Sackgasse zu erkennen, wenn er sie vor sich hatte. Die wenigen Hinweise, auf die er sich hatte stützen können, hatten ins Nichts geführt. Der Mann, der ihm jetzt gegenübersaß, war, so traurig es sich anhörte, möglicherweise seine letzte Hoffnung. »Ich hoffe, ich stehle Ihnen nicht zu viel Ihrer wertvollen Zeit«, sagte Thaddeus. Er begegnete jedem Gesprächspartner, ungeachtet der Umstände, mit Höflichkeit. »Ich bin mir der Wichtigkeit Ihrer Arbeit durchaus bewusst.« »Lasst Euch von den Statistiken nicht täuschen«, sagte Adept Diess. »Ich bin eigentlich den ganzen Tag nur damit beschäftigt, ir gendwelche Formulare abzustempeln.« Diess war bis vor Kurzem ein gesunder, durchtrainierter Mann mittleren Alters gewesen. Jetzt schien er sich jedoch aufgegeben zu haben und setzte langsam Fett an. Trotzdem wirkte er noch immer wachsamer und scharfsinniger, als man es von einem Einwohner dieses Planeten erwarten konnte. Thaddeus hob eine Augenbraue. »Das klingt, als hätten Sie keine rechte Freude an den Groxfarmen des Imperators. Median Vrintas wäre bestimmt enttäuscht, das zu hören.« »Wenn Ihr so viel Zeit wie ich damit verbracht hättet, die Bilan zen dieser Welt zu erstellen, wüsstet Ihr, dass Median Vrintas kaum bis zehn zählen kann. Von mir aus kann sie von mir halten, was sie
will − ich bin derjenige, der sicherstellt, dass das Administratum von diesem Planeten profitiert.« Thaddeus lächelte. »Sie sprechen frei von der Leber wog. Glauben Sie mir, das erlebe ich selten. Höchst erfrischend, wie ich finde.« »Inquisitor, wenn Ihr hierhergekommen seid, um mich zu töten, dann ist es wohl gleichgültig, was ich sage. Und wenn nicht, dann werdet Ihr wegen meiner Worte keine Kugel auf mich verschwenden wollen.« Thaddeus lehnte sich in seinem unbequemen Stuhl zurück. Die anderen Adepten waren klug genug gewesen, sich zurückzuziehen, ohne eine Aufforderung seinerseits abzuwarten. Das einzige Ge räusch im Raum war das Summen eines Cogitators. Staubflocken tanzten im Licht der untergehenden Sonne. Sie befanden sich in einem niedrigen Großraumbüro, in dem etwa dreißig Adepten an abgetrennten Arbeitsplätzen sitzen konnten. Jede verfügbare Oberfläche war mit Papieren bedeckt − Statistiken, Diag ramme, grafische Darstellungen der zahlreichen Krankheiten, mit denen die Groxherden befallen waren. Und, nicht zu vergessen, war nende Hinweise, den Dienst am Imperator mit der nötigen Leiden schaft zu verrichten. Das Administratum verfolgte immer dieselbe Strategie, ging es nun um die Wartung eines Palastes oder einer ein fachen Fabrik: Seine Mitglieder waren verpflichtet, ihr Leben in den Dienst des Imperiums zu stellen und ihre oft eintönigen Arbeiten mit Hingabe zu verrichten, um einen Zusammenbruch der gewaltigen Makroökonomie zu verhindern. »Sie sind ein intelligenter Mann, Adept Diess. Nicht viele Ihrer Kollegen würden einen Inquisitor erkennen, wenn sie einen vor sich hätten − Median Vrintas ist so ein Beispiel. Ich habe Männer Stein und Bein schwören hören, dass wir überhaupt nicht existieren, dass wir nur böse Gottheiten bekämpfen oder uns nicht um die Belange der Sterblichen kümmern würden. Ich habe den Eindruck, dass Sie ein bisschen besser informiert sind. Täusche ich mich da, Konsul?« Der Adept lächelte gequält. »Ich muss Euch enttäuschen. Diesen
Rang bekleide ich zum Glück nicht mehr.« »Ich glaube, wir verstehen uns sehr gut, Konsul Senioris Iocan thus Gullyan Kraevik Chloure. Sie wissen, warum ich hier bin.« »Es ist lange her, dass mich jemand so genannt hat.« Chloure schien in eine Art Nostalgie zu verfallen. »Ein ganzer Sektor hätte sich unter meinem Kommando befinden können, hätte ich einfach nur weiter meine Arbeit erledigt. Aber ich wollte zu viel, und das zu schnell. Kommt Euch so etwas bekannt vor?« »Ich nehme an, dass Sie wissen«, sagte Thaddeus, ohne die Stim me zu heben, »dass Inquisitor Tsouras Sie in Abwesenheit zum Tode verurteilt hat.« »Das habe ich angenommen«, sagte Chloure. »Wie viele von den anderen haben überlebt?« »Nur wenige. Kapitän Trentius wurde verschont, obwohl er wohl nie mehr etwas Größeres als ein einfaches Eskortschiff befehligen wird. Dazu ein paar niederrangige Offiziere, die in Tsouras’ Augen nicht zu einer Unfähigkeit dieses Ausmaßes fähig waren. Der Rest wurde hingerichtet. Obwohl Tsouras nicht der scharfsinnigste meiner Kollegen ist, muss ich zugeben, dass Sie großen Einfallsreichtum bewiesen haben, ihm so lange zu entwischen.« Chloure zuckte mit den Schultern. »Eine Zeit lang bin ich von Planet zu Planet gezogen und habe mir eine falsche Identität zugelegt − was nicht allzu schwer war. Schließlich kenne ich die Arbeitsweise des Administratums. Ich wurde hierher versetzt und war damit zu frieden. Nicht viele würden darauf kommen, an einem Ort wie die sem nach einem gesuchten Verbrecher zu fahnden. Das dachte ich zumindest − bis Ihr aufgetaucht seid.« »Wissen Sie nicht, dass im Administratum jeder Schritt, den Sie tun, genauestens aufgezeichnet wird? Das erstaunt mich. Zugegeben, es war nicht leicht, Ihrer Spur zu folgen, aber meinen Mitarbeitern ist es letztendlich gelungen.« »Also gut«, sagte Chloure. Er wirkte nicht ängstlich, nur er schöpft. Als hätte er diesen Tag schon seit Langem erwartet und wä
re fast froh, dass es jetzt bald vorbei sein würde. »Die Seelentrinker.« »Ja. Die Seelentrinker. Sie waren dabei, Konsul. Erzählen Sie mir davon.« Chloure lehnte sich seufzend zurück. »Es muss jetzt ungefähr drei Jahre her sein. Die genauen Daten kennt Ihr wohl besser als ich. Je denfalls waren wir damit beauftragt, das Sternenfort des Van Skor fold-Kartells zu übernehmen. Callisthenes Van Skorfold hatte ir gendwie ein sehr wertvolles Xenosartefakt in seine Finger bekom men. Wir überprüften unsere Datenbanken und kamen zu dem Schluss, dass es sich um den Seelenspeer handelte.« »Das legendäre Artefakt der Seelentrinker?« »Ganz genau. Wir kannten die Legenden, die damit verbunden waren − dass es ganze Städte dem Erdboden gleichmachen, Dämo nen besiegen konnte und so weiter. Und wir wussten, wie die Seelen trinker es verloren hatten.« Chloure setzte sich auf und beugte sich über den Tisch. »Inquisitor, ich bin ein gieriger Mann. Ich bin ehrgeizig. Ich hätte ohne Weiteres die imperialen Truppen das Fort stürmen lassen kön nen, aber ich suchte nach einer schnelleren und saubereren Lösung. Jetzt ist mir klar, dass ich die Seelentrinker niemals hätte einweihen dürfen. Wäre ich einfach nur nach dem Protokoll vorgegangen, wäre uns allen viel erspart geblieben. Trotzdem − wie gesagt, ich bin gie rig. Aber sind wir das nicht alle?« »Es gibt schlimmere Sünden, Konsul«, sagte Thaddeus in mitfüh lendem Ton. Sein vorgetäuschtes Verständnis hatte schon viele über rascht. »Sie haben also das Gerücht gestreut, dass der Seelenspeer gefunden worden war. Die Seelentrinker sollten das Fort stürmen, den Speer in ihre Gewalt bringen, wieder verschwinden und Ihnen ein schutzloses Fort hinterlassen. Das war Ihr Plan, nicht wahr?« »Und wenn er funktioniert hätte, wäre ich nicht hier und würde für den Rest meines Lebens Groxmist schaufeln. Den Rest der Ge schichte kennt Ihr ja.« »Was können Sie mir über Sarpedon erzählen?«
Chloure dachte für einen Moment über diese Frage nach. »Nicht viel. Ich habe ihn nur einmal gesehen − auf dem Sichtschirm der Brücke. Unsere Flotte wurde von einem Schiff des Adeptus Mecha nicus begleitet. Von dort wurde ein Trupp in das Starfort teleportiert, der Sarpedon den Seelenspeer direkt vor der Nase wegschnappte.« Thaddeus konnte sich vorstellen, wie Sarpedon auf die verunsi cherten Adepten des Administratums und die Flottenoffiziere gewirkt haben musste − ein Befehlshaber der Space Marines mit psionischen Fähigkeiten, noch dazu durch Verrat zur Weißglut gebracht. Chloure war die Ruhe in Person. Wahrscheinlich hatte er schon lange seinen Frieden mit der Tatsache gemacht, dass ihn die Inquisi tion früher oder später aufspüren würde. Trotzdem huschte bei der Erwähnung von Hauptmann Sarpedon ein Anflug großer Angst über sein Gesicht. »Waren Sie in der Lage zu beurteilen, in welchem Ge mütszustand er sich befand?«, fragte Thaddeus. »Welche Absichten er verfolgte?« Chloure schüttelte den Kopf. »Inquisitor, ich wünschte, ich wäre in der Lage, Euch mehr zu erzählen. Er war wütend und war zweifel los bereit, jeden zu töten, der sich ihm in den Weg stellte. Aber das wisst Ihr ja bereits. Ihr habt sie noch nicht gefunden, habe ich recht? Deswegen seid Ihr hier. Nicht meinetwegen.« Thaddeus verzog keine Miene. »Die Seelentrinker werden früher oder später aufgespürt werden, Konsul.« »Ihr müsst sehr verzweifelt sein. Sonst hättet Ihr niemals die Ans trengung unternommen, mich hier aufzuspüren. Nach dem Vorfall war ich nur noch ein Passagier ohne wirkliche Befehlsgewalt. Inqui sitor Tsouras hatte das Sagen, aber anscheinend konnte selbst er Euch nicht weiterhelfen. Was erwartet Ihr also von mir?« Chloure war ein scharfsinniger Mann. In vielerlei Hinsicht war er der erste vernünftige Gesprächspartner, dem Thaddeus in letzter Zeit begegnet war. Es würde schwierig werden, einem Mann zu drohen, der sich bereits mit seinem Todesurteil abgefunden hatte. Er hatte sofort erraten, was sich Thaddeus noch immer nicht eingestehen
wollte − dass die Seelentrinker spurlos verschwunden waren. Seit der Katastrophe in den Cerberischen Feldern, als Tsouras und seine Flot te, die nur noch nominal Chloures Befehl unterstanden hatte, von den abtrünnigen Space Marines überlistet und abgehängt worden waren, hatte es nur wenige Hinweise auf den Orden gegeben. Sarpedon hatte das Kommando über fast eintausend Mann − angesichts der unendli chen Weiten des Universums eine winzige, unmöglich aufzuspüren de Truppe. In diesem Sinne war Chloure für Thaddeus der sprichwörtliche letzte Strohhalm, an den er sich klammern konnte. »Sie sind eine der wenigen Personen, die Kontakt mit den Seelen trinkern hatten und noch am Leben sind«, sagte Thaddeus. »Es be steht die Möglichkeit, dass Sie etwas wissen, das Tsouras entgangen ist.« Chloure lächelte triumphierend. »Man stelle sich vor − ein einfa cher Adept einer bescheidenen Agrarwelt ist die letzte Hoffnung der mächtigen Inquisition! Ich kann Euch nur sagen, was Ihr ohnehin schon wisst. Sarpedon wird nicht aufgeben. Niemals. Er stellt seine Ehre über sein Leben oder das seiner Männer. Wenn Ihr ihm zu nahe kommt, wird er fliehen oder bis zum Tode kämpfen, sofern er seine Prinzipien bedroht sieht. Mehr weiß ich nicht. Weder ich noch sonst irgendjemand.« Thaddeus richtete sich langsam auf. Sein Mantel flatterte um ihn herum. »Die Inquisition weiß, wo Sie sich befinden, Konsul. Ich glaube, dass Sie hier dem Imperator von mehr Nutzen sind als in einer höheren Position. Betrachten Sie daher Ihr Todesurteil als bis auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber wenn Sie sich auch nur den kleinsten Fehler erlauben, wird es gnadenlos vollstreckt werden. Wir werden Sie sehr genau im Auge behalten. Ansonsten vergessen Sie bitte, dass ich jemals hier war. Erledigen Sie Ihre Pflicht dem Administratum gegenüber, Adept Diess.« Der Mann, der einst Konsul Senioris Chloure gewesen war, salu tierte mit bitterer Miene und kehrte zu der undankbaren Aufgabe
zurück, die Stöße von Formularen auf seinem Schreibtisch zu bear beiten. Thaddeus eilte aus dem Büro und betrat die trostlose Oberfläche von Wohnbereich Epsilon. Die Abendsonne senkte sich über die end losen Felder, die mit Herden von schlafenden Groxen bedeckt waren. Die Kampfschwestern warteten neben dem Schiff auf ihn. »Bereit machen zum Start«, sagte Thaddeus zu Schwester Aesca rion. »Habt Ihr nichts herausgefunden?«, fragte sie. Sie behandelte Thaddeus wie einen Gleichgestellten, wofür dieser insgeheim sehr dankbar war. »Nichts. Tsouras hat uns nicht viel Hinweise hinterlassen, als er die Hälfte der Lakonia-Kampagne hinrichten ließ.« »Verliert Euren Glauben nicht, Inquisitor. Die Seelentrinker haben den Namen des heiligen Imperators in den Schmutz gezogen. Er wird Eure Hand führen, wenn es nötig ist.« »Da habt Ihr sicher recht, Schwester. Aber der Imperator hilft nur denen, die ihm ihren Wert beweisen. Und bis jetzt ist uns das noch nicht unbedingt gelungen.« Thaddeus und Aescarion betraten das Schiff. Die Schwestern mar schierten ihnen hinterher und verschwanden im Mannschaftsabteil. Es war ein neues, sauberes Schiff, das der Ordo Hereticus eigens für diesen Zweck aus den Werften von Hydraphur herbeordert hatte − ein seltenes Beispiel für ein relativ kleines Schiff, das dennoch die nötige Schnelligkeit und Feuerkraft besaß, um sich selbst verteidigen zu können. Die Einrichtung war spartanisch und bestand aus glän zendem schwarzem Metall. Die Kampfschwestern hatten an jede verfügbare Fläche fromme Sprüche geheftet und jede Nische in einen Altar verwandelt. Thaddeus hatte versucht, zumindest das Cockpit einigermaßen frei davon zu halten, aber nach und nach hatten sie auch dieses in eine mobile, dem Imperator geweihte Kapelle ver wandelt. Aescarion nahm in einem der gravitationsdämpfenden Sessel ne
ben ihren Mitschwestern Platz, die sofort ein leises Gebet murmelten, um ihren Respekt vor ihr zum Ausdruck zu bringen. Thaddeus betrat das Cockpit, das er mit rotbraunem Tharrleder auskleiden hatte lassen. Der Sitz seines Copiloten befand sich direkt neben dem fest eingebauten Pilotenservitor, dessen einst menschli ches Gesicht durch eine Ansammlung von Sensoren ersetzt worden war. Eine seiner Hände bestand aus in Gold eingefassten Kompassen und Gerätschaften, die Flugbahnen und geometrische Figuren auf die Datentafel kritzelten, die aus seinem Brustkorb ragte. Die andere Hand war am Armaturenbrett des Cockpits befestigt und diente als Verbindungsglied zwischen dem einstmals menschlichen Gehirn des Servitors und den Cogitatoren und Triebwerkskontrollen des Schiffs. »Starten«, befahl Thaddeus dem Servitor. Die Überreste seines Gehirns entzifferten den Befehl, und mit einem gewaltigen Ruck wurden die Triebraketen an der Unterseite des Schiffs gezündet. Die eintönigen Landschaften von Koris XXIII-3 verschwanden und wur den durch die klare, grelle Atmosphäre ersetzt, in die das Schiff ein tauchte. Thaddeus glaubte nicht, dass sich jemand die Mühe machen wür de, nach Konsul Senioris Chloure zu suchen. Zumindest hoffte er das − Adept Diess war viel nützlicher für die Schützlinge des Imperators, als es Chloure je hätte sein können. Dass er ihn aufgespürt und am Leben gelassen hatte, empfand er als einen kleinen Sieg − und viele weitere Siege würden Thaddeus nicht bevorstehen. Die Seelentrinker waren zäh und einfallsreich, und niemand wusste, was sie als Nächstes vorhatten. Obwohl ein Space Marine-Orden fast alles erreichen konnte, was er sich vorge nommen hatte, bestand er nach wie vor nur aus tausend Mann, im Fall der Seelentrinker wahrscheinlich deutlich weniger. Thaddeus’ Truppen waren in der Überzahl, obwohl selbst sie nichts im Ver gleich zu den Privatarmeen manch anderer Inquisitoren waren. Die Seelentrinker hätten auf Nimmerwiedersehen verschwinden können.
Aber sie würden wieder auftauchen. Darauf hoffte Thaddeus. Sar pedon war trotz allem immer noch ein Space Marine. Er würde sich nicht in einem entlegenen Winkel der Galaxis verkriechen und war ten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Er glaubte an etwas − was das auch sein mochte −, und dafür würde er kämpfen. Die See lentrinker würden wieder auf der Bildfläche erscheinen, und Thad deus würde diese Gelegenheit ergreifen, sie in die Falle locken und versuchen, Sarpedon zu töten. Danach würde es einfach sein, den Rest des Ordens zu zerschmettern und für immer zu vernichten. Das war die Überzeugung, der Glaube, den er mit Schwester Aes carion teilte. Und wenn er nichts als seinen Glauben hatte − für einen Inquisitor war das genug. Der Orden der Seelentrinker war nach einer spektakulären Flucht durch eine lang in Vergessenheit geratene Warproute verschwunden. Inquisitor Tsouras und seine Flotte hatten keine Chance gehabt, ih nen zu folgen. Die Ereignisse, die der Lakonia-Kampagne vorausge gangen waren, hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass sich der Orden Verbrechen der übelsten Sorte zuschulden hatte kommen las sen: einen Angriff auf das Adeptus Mechanicus, die Zerstörung des Sternenforts auf Lakonia, die Weigerung, sich einem Verhör durch die Inquisition zu unterziehen, und nicht zuletzt die Ermordung eines Unterhändlers, der Tsouras’ Ultimatum überbracht hatte. Als sich die Wogen wieder geglättet hatten, waren die Seelentrin ker aus dem Sichtbereich des Imperiums verschwunden. Über ein Jahr später berichteten Bergungscrews aus dem äußers ten Osten der Galaxis über einen gewaltigen Fund: Sie hatten einen riesigen Schiffsfriedhof entdeckt. Manche der Wracks hatten die Größe von Schlachtschiffen und waren samt und sonders absichtlich zerstört worden. Die imperialen Behörden, die den Fall untersuchten, kamen zu dem Schluss, dass es sich um die gesamte Flotte der See lentrinker handelte, die aus dem riesigen Schlachtschiff Herrlichkeit und einem ganzen Schwarm von Angriffskreuzern und Versorgungs
schiffen bestand. Von den Seelentrinkern selbst fand sich keine Spur. Niemand wusste, wo sie sich befanden oder auf welchem Weg sie dorthin gelangt waren. Die Tatsache, dass sie ihre eigene Flotte zer stört hatten − die eine der mächtigsten im Umkreis von mehreren Sektoren gewesen war −, ließ darauf schließen, dass sie es ernstlich darauf anlegten, möglichen Verfolgern das Leben schwer zu machen. Die Flotte wäre früher oder später aufgespürt worden. Aber ein tausend Mann allein konnten sich ohne große Anstrengung in den unendlichen Weiten des Imperiums verstecken. So hatte sich Inquisitor Thaddeus die Situation präsentiert. Dass Tsouras die Operation nicht weiter leiten konnte, lag auf der Hand − er hatte die Seelentrinker einmal entkommen lassen, und das war einmal zu viel gewesen. Die Spuren, die die jämmerlichen Überreste der Lakonia-Kampagne oder die ausgebrannten Wracks der Seelen trinkerflotte zurückgelassen hatten, waren nicht der Rede wert gewe sen. Chloure war der Letzte gewesen, den er hatte befragen können. Erzmagier Khobotov vom Adeptus Mechanicus war in einer Genera torenexplosion auf der Fabrikwelt Koden Tertius ums Leben ge kommen. Die Überlebenden − Kapitän Trentius, der die Diakon By zantine befehligt hatte, und einigen anderen, die Tsouras’ Hinrich tungseifer entkommen waren − hatten keine Informationen liefern können, wo sich die Seelentrinker befanden oder was sie vorhatten. Aber Thaddeus verzweifelte angesichts dieser fast unmöglichen Auf gabe nicht. Er war verlässlich und genau. Irgendwann würde er auch diesen Auftrag erledigen. Über die Seelentrinker wusste er fast überhaupt nichts. Natürlich hatte er ihre Geschichte bis ins kleinste Detail studiert. Für ihn waren sie ein pflichtbewusster, gehorsamer Orden, bereit, sich auch gegen eine erdrückende Übermacht bis zum letzten Mann für den Imperator zu opfern. Vor der Rebellion war ihr Betragen makellos gewesen. Jetzt stand Thaddeus einem völlig anderen Orden gegenüber − die Seelentrinker hatten so heftig und gründlich mit ihrem Glauben an das Imperium gebrochen, dass diese Ketzerei alle Verbindungen zur
langen, glorreichen Geschichte des Ordens durchtrennt hatte. Thad deus war sich darüber im Klaren, dass dahinter Sarpedon, der neue Ordensmeister, steckte. Er war ein Psioniker und Bibliothekar des Ordens, der im Laufe seiner mehr als siebzig Jahre währenden Dienstzeit mehrfach ausgezeichnet worden war. Es würde schwierig sein, ihn zum Einlenken zu zwingen. Wahrscheinlich unmöglich. Thaddeus wusste, dass er ihn töten musste. Ohne Sarpedon konnte der Orden gebrochen werden. Dabei würde Thaddeus natürlich auf die Hilfe anderer Inquisitoren und ihrer Armeen angewiesen sein. Im Notfall würde er auf das Officio Assassinorum oder sogar auf das planetenzerstörende Exterminatus zurückgreifen müssen − vorausge setzt, dass es ihm gelang, die Seelentrinker wirklich in eine Ecke zu treiben. Alle diese Möglichkeiten waren weder elegant noch billig. Aber jeder Tropfen imperialen Blutes, der dabei vergossen wurde, war die Sache wert. Ein abtrünniger Space Marine-Orden war eine mächtige und unberechenbare Gefahr. Thaddeus hatte in letzter Zeit oft im abgedunkelten Navigations saal der Sichelmond gesessen und über diesen Problemen gebrütet. Der kreisrunde Raum war wie ein Vorlesungssaal mit mehreren Bankreihen gefüllt, die leicht Hunderten Zuhörern Platz boten. Nor malerweise war jedoch Thaddeus der Einzige, der sich dort aufhielt. Tief in Gedanken versunken, saß er auf einer der abgeschrägten Bankreihen. Die Sitze waren so angebracht, dass man von überall das Navigationsdisplay, das auf die kuppelförmige Decke des Saals pro jiziert wurde, sehen konnte. Die Sichelmond war Thaddeus’ eigenes Schiff, ein gerippter, blaugrauer Zylinder. Aus dem Bug ragten große Partikelschaufeln wie die Tentakel einer Seeanemone. Sie befeuerten die gewaltigen Triebwerke. Der Rest des Schiffes bestand aus der Brücke, den Mannschaftsunterkünften, Lagerräumen und der Kammer, die den Maschinengeist beherbergte. Thaddeus’ eigenes Quartier und das seines Interrogators Shen befanden sich in einer gepanzerten Sektion
im Herzen des Schiffes. Thaddeus hatte das Interieur nach seinem eigenen Geschmack bestimmt: einfach und dunkel. Das ganze Schiff war ein seltenes Exemplar. Die imperiale Flotte verfügte schon lange nicht mehr über die Technologie, etwas Derartiges zu bauen. Die Sichelmond war von Thaddeus’ Vorgängern aus jahrtausendealten Einzelteilen zusammengefügt worden. Sie war schnell und trotzdem bequem und benötigte üblicherweise nur eine relativ kleine Crew von einigen Dutzend Mann. Die Sturmtruppen und Kampfschwestern, die jetzt die umgebauten Laderäume bewohnten, nahmen Thaddeus viel von seiner so geschätzten Privatsphäre. »Sektorenkarte«, sagte Thaddeus in den Voxsensor. Auf dem Schirm erschien eine mit Planetennamen und Koordinaten versehene Sternenkarte des Sektors. Die Sichelmond befand sich noch immer in der Umlaufbahn um Koris XXIII-3. Thaddeus war unschlüssig, wo hin er als Nächstes aufbrechen sollte. Am besten war es wohl, die nächste Inquisitionsfestung anzufliegen und die spärlichen Informa tionen, die er erhalten hatte, an den Ordo Hereticus weiterzuleiten. Die Ansammlung von Agrarwelten, zu denen auch Koris XXIII-3 gehörte, war von mehreren dicht besiedelten Schwarm- und Fabrik welten umgeben. Thaddeus konnte davon ausgehen, dass die Inquisi tion auf ihnen ständige Vertretungen eingerichtet hatte. Die Frage war nur, welcher Stützpunkt den Bericht seines Misserfolgs wohl am gnädigsten aufnehmen würde. Da erhielt er eine dringende Nach richt. Das halbe Dutzend Astropathen, das die Verbindung zwischen Thaddeus und dem Rest des Imperiums aufrechterhielt, fing gleich zeitig an, mit flüsternder, heiserer Stimme zu sprechen: »Botschaft von Subsektorkommandoposten Therion, Sektor Boras Minor, Seg mentum Ultima. Flottenverbindungstrupp des Ordo Hereticus meldet einen Space Hulk mit möglicher Adeptus-Astartes-Aktivität. Voll ständiger Bericht folgt. Möge der Imperator die Ungläubigen ver nichten.« Thaddeus erhob sich und machte sich auf den Weg zur Brücke. Er
hatte den Befehl erteilt, dass ihm jegliche ungewöhnliche Entde ckung, die bestimmte Kriterien erfüllte, sofort auf astropathischem Weg mitgeteilt werden sollte. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er wenig Hoffnung darin gesetzt, auf diesem Weg etwas Brauchbares herauszufinden. Und jetzt war plötzlich ein Space Hulk aufgetaucht. Diese Information war auch dem Ordo Hereticus zu Ohren gekom men, der die Flotte im Segmentum Ultima überwachte. Aus irgen deinem Grund nahmen sie an, dass das Adeptus Astartes damit zu tun hatte. Dass es sich dabei wirklich um die Seelentrinker handelte, war mehr als unwahrscheinlich. Schließlich gab es angeblich über tausend Space Marine-Orden. Aber es war die einzige Fährte, die er verfolgen konnte. Als sich das Schott zur Brücke öffnete, stand Thaddeus plötzlich dem Pilger gegenüber. Der Pilger war eine große, verhüllte Gestalt, die immer von einer Wolke aus dickem, widerlich süßlichem Weihrauch umgeben war. Das Gesicht des Pilgers war unter der zerschlissenen Kapuze seiner grauen Robe verborgen. Um seine Hände waren Verbände gewickelt. Dicke Kabelstränge führten aus der Öffnung der Kapuze in das klei ne Beatmungsgerät, das an seinem Ledergürtel befestigt war und die seltsame Kreatur, die sich unter der Robe befand, mit Sauerstoff ver sorgte. Ein großes Rückenmodul beherbergte die Lebenserhaltungs systeme des Pilgers und verlieh ihm ein verkrüppeltes, buckliges Aussehen. Der Weihrauch strömte aus zwei kleinen Becken, die auf dem Rückenmodul angebracht waren. Ein schwaches Glimmen schimmerte durch den fadenscheinigen Stoff der Robe, so als würde der Körper des Pilgers aus glühenden Kohlen bestehen. Thaddeus hatte es dieser seltsamen Kreatur erlaubt, sich »Pilger« zu nennen, da er vorgab, ein tiefgläubiger Anhänger des Imperators zu sein und ihm als dessen treuer Diener seine Hilfe angeboten hatte. Obwohl Thaddeus seine Fähigkeiten sehr schätzte, wurde er nicht schlau aus ihm. Manchmal schien es, als könnte der Pilger alle seine Pläne mühelos durchschauen.
»Inquisitor«, sagte der Pilger mit schwerer, halbmechanischer Stimme. »Werdet Ihr den Hulk aufsuchen?« Er folgte Thaddeus, der sich an ihm vorbeizwängte und die Brücke betrat. Irgendwie konnte der Pilger die Informationen, die eigentlich nur für Thaddeus bestimmt waren, abhören. Thaddeus hatte sich damit abgefunden, dass ihn das Oberkommando des Hereticus ständig beo bachtete, aber dass ihm jetzt auch noch der Pilger hinterherspionierte, beunruhigte ihn. Trotzdem wollte er sich auf keinen Fall auf einen Streit mit dieser Kreatur einlassen. »Vielleicht«, antwortete er. »Es ist unsere Pflicht, jeder Spur nachzugehen. Aber die Wahrscheinlich keit, dass es sich wirklich um die Seelentrinker handelt …« »Sie sind es.« »Solange Ihr mir nicht bestimmte Informationen vorenthaltet, habt Ihr keinen Anlass, uns falsche Hoffnungen zu machen. Wir haben schon vielversprechenderen Hinweisen ohne Erfolg hinterhergejagt.« »Denkt einen Moment darüber nach, Inquisitor.« Aus dem Mund des Pilgers klang Thaddeus’ heiliger Rang fast wie eine Beleidigung. »Ein einzelnes Schiff ist viel schwerer aufzuspüren als eine ganze Flotte. Und ein Space Hulk ist groß genug, um einen kompletten Or den zu beherbergen. Aber welcher rechtschaffene Orden würde sich dazu herablassen, einen Space Hulk als Zuflucht zu wählen? Nur ein Ketzer wie Sarpedon würde auf so eine blasphemische Idee kom men.« Der Pilger war bis ins letzte Detail mit der Geschichte der Seelen trinker vertraut. Er wusste von den großen Siegen, die sie im Namen des Imperators in der Zeit zwischen der Zweiten Gründung und ih rem Abfall vom rechten Glauben errungen hatten. Und mit voller Inbrunst hasste er das, was aus dem Orden geworden war. Es war ein Hass, der in seiner Tiefe nur mit dem unerschütterlichen Glauben von Ordensschwester Aescarion vergleichbar war. Der Pilger war ein Experte in der Geschichte der Seelentrinker und der Einzige in Thaddeus’ Mannschaft, der Sarpedons nächsten Zug vorhersagen konnte.
»Wir haben keine Gewissheit«, sagte Thaddeus. »Bei der letzten Zählung meldete der Ordo Xenos über siebenhundert existierende und vermutete Hulks, und es gibt wohl berechtigte Zweifel daran, dass diese Zahl auch nur annähernd korrekt ist.« »Ihr sprecht die Wahrheit, Inquisitor«, sagte der Pilger. »Es ist nur ein Schiff unter Hunderten. Aber habt Ihr einen besseren Vorschlag? Wenn dem so ist, will ich Euch natürlich nicht widersprechen.« Thaddeus hatte sich schon vor langer Zeit entschieden, nicht auf die beleidigenden Bemerkungen des Pilgers einzugehen. Wäre er nicht so wichtig für seine Mission gewesen, hätte er ihn niemals in seinen Trupp aufgenommen. Aber das große, fast unheimliche Wis sen, das der Pilger über die Seelentrinker hatte, war eines der weni gen brauchbaren Hilfsmittel, die Thaddeus zur Verfügung standen. Sie erreichten ein Schott in Form einer massiven bronzenen Dop peltür, das sich öffnete, sobald Thaddeus ein Kennwort sprach. Die Brücke der Sichelmond war eine Plattform, die sich direkt über den Triebwerken befand, sodass man von ihr aus auf die pulsierenden Plasmaturbinen hinuntersehen konnte, die in mehreren Hundert Me tern Tiefe leuchteten. Dort bereiteten die Schiffsmechaniker, blasse, glutäugige Männer, die nur selten die Gelegenheit hatten, den Ma schinenraum zu verlassen, alles für den Warpsprung vor. Thaddeus hatte auf einen Kapitän verzichtet. Er kommandierte das Schiff selbst. Die meisten der Steuerungskonsolen waren mit Servito ren besetzt, die seine Befehle sofort umsetzen konnten. Außer Thad deus, dem Pilger, Schwester Aescarion und Oberst Vinn von den Sturmtruppen des Hereticus war niemand auf der Brücke. »Schwester, Oberst«, sagte Thaddeus munter. »Wir nehmen Kurs auf Subsektor Therion. Bereiten Sie die Truppen auf die Warpreise vor.« Bei diesen Worten setzten sich die Servitoren in Bewegung und übermittelten dem Maschinengeist der Sichelmond seine Befehle. »Ein Space Hulk ist eine äußerst feindliche Umgebung. Ihre Truppen könnten unter Umständen in große Gefahr geraten.« »Wir haben schon zu lange irgendwelchen Gespenstern hinterher
gejagt«, sagte Aescarion. »Meine Schwestern brennen darauf, das Böse auszumerzen.« »Das Sturmtruppenregiment des Hereticus steht zu Eurer Verfü gung«, sagte Vinn. Der Oberst hatte sich aufgrund der Dinge, die er in seinem Kampf gegen Hexerei und Verderbnis gesehen hatte, schon mehreren Gehirnwäschen und Löschungsprozeduren unterzie hen müssen. Deshalb war er nicht nur einmal gezwungen gewesen, sich erneut einer gründlichen Kampfausbildung zu unterziehen. Das Resultat war ein ungeheurer Schatz an Erfahrung und ein Kampfin stinkt, der ihn zu einem effizienten Anführer und bedingungslosen Diener des Imperators machte. Hinter seinem Allerweltsgesicht lauerte eine gefährliche Kompromisslosigkeit, und der Körper unter den schwarzroten Gewändern der Sturmtruppen war von den Narben gezeichnet, die er auf vielen Himmelfahrtskommandos erworben hatte. Das Sturmtruppenregiment hatte einst aus Soldaten der imperialen Armee bestanden, die im Laufe der Zeit zu verschiedenen Gelegen heiten dem Orden Hereticus unterstellt und von der Inquisition aus gebildet worden waren. In den Quartieren der Sichelmond befanden sich fünf Züge, insgesamt zweihundert Männer. Jeder von ihnen war bereit, auch dem schrecklichsten Feind unerschrocken mit dem La sergewehr entgegenzutreten. Sie würden alles tun, was Thaddeus von ihnen verlangte. Thaddeus betrat das Kommandozentrum der Brücke, von wo aus man die Servitoren vor ihren Konsolen und die Kontrollmonitore überblicken konnte. Er gab den Code des Subsektors in das leuchten de Display ein. Eine Reihe Koordinaten erschien auf dem Bild schirm. Die rudimentären Gehirne der Servitoren übermittelten dem Maschinengeist den Auftrag, das Schiff sicher durch den Warp zu steuern. Der einzige Navigator des Schiffes war ein eigenbrötleri scher Mann namens Praxas, der sein enges Quartier seit Beginn der Reise nicht verlassen hatte. Er musste sich jetzt bereit machen, um mit seinem Warpauge das Schiff vor den vielen Gefahren des Äthers
zu beschützen. »Hat er irgendetwas herausgefunden?«, fragte Schwester Aescari on. Sie stand neben der Befehlskanzel und beobachtete den Pilger, der auf die Triebwerke starrte, die langsam startklar gemacht wurden. »Er ist äußerst zuversichtlich, dass dieser Hulk in irgendeiner Verbindung zu den Seelentrinkern steht«, antwortete Thaddeus. »Ich wüsste nicht, warum ich seinem Urteil nicht vertrauen sollte.« »Inquisitor, genau wie ich untersteht er Eurem Befehl, und ich bezweifle nicht, dass wir auf derselben Seite kämpfen werden. Trotzdem beunruhigt mich die Tatsache, dass wir nicht wissen, wer oder was er überhaupt ist.« Thaddeus lächelte. »Schwester, haltet Ihr mich für einen Radika len? Ihr solltet nicht alles glauben, was Ihr hört. Die Inquisition be steht nicht nur aus gegen Dämonen kämpfenden Fanatikern. Dieser Pilger ist kein Ungeheuer.« Schwester Aescarion konnte sein Lächeln nicht erwidern. Sie hat te sich als verlässliche Anführerin einer Truppe von Ordensschwes tern, die an der Seite der Inquisition kämpfte, einen gewissen Namen gemacht. In dieser Zeit waren ihr mehr als genug Gerüchte zu Ohren gekommen. Manche entsprachen der Wahrheit − Thaddeus war tat sächlich daran beteiligt gewesen, die rebellische Hereticusgruppe auf Chalchis Traxiam zu zerschlagen und die Verwüstungen, die die Verschwörung um Inquisitor Eisenhorn verursacht hatten, zu berei nigen. »Die Schwestern haben Ihre Zweifel«, sagte sie. »Ich wollte nur, dass Euch das bewusst ist. Wir müssen sicher sein, dass der Glaube unserer Befehlshaber so tief wie der unsere ist. Leeres Gere de zersetzt die Reinheit des Glaubens, aber es wäre wohl für alle bes ser, wenn Ihr etwas offener über Eure Kampfgefährten sprechen würdet.« »Der Pilger ist vertrauenswürdig. Darauf gebe ich Euch mein Wort, und das muss Euch genügen. Ihr solltet jetzt Eure Mitschwes tern reisefertig machen. Wir werden mehrere Wochen im Empyream zubringen.«
Schwester Aescarion nickte höflich und verließ die Brücke. Die Stiefelsohlen ihrer schwarz lackierten Energierüstung klapperten auf dem Metallboden. Oberst Vinn folgte ihr im Stechschritt. Die Vorbereitungen beanspruchten nur wenig Zeit. Ein Grund, warum Thaddeus die Sichelmond so schätzte, war ihre Fähigkeit, innerhalb weniger Stunden warpreisefähig zu sein − ein Prozess, der auf einem imperialen Schlachtschiff kompliziert verlief und für den die Techpriester unter Umständen mehrere Tage brauchen konnten. Bald schon tauchten die dröhnenden Triebwerke die Brücke in das orangefarbene Licht glühenden Plasmas. Die flackernden Partikelschaufeln falteten sich in das Innere des Schiffes zurück. Blauweiße Energieblitze zuckten um seine Hülle. Die Sichelmond verließ die Umlaufbahn des Planeten. Die Bewohner der Agrarwelt konnten einen winzigen, hellen Stern erkennen, der kurz aufflackerte und dann verschwand. Einer von ihnen, Adept Chloure, richtete ein Dankgebet an den Imperator. Er war heilfroh, dass die Besucher darauf verzichtet hatten, ihn mit zunehmen. Dann widmete er sich wieder seinem nie enden wollen den Stapel Papierkram.
ZWEI
Der Himmel über Eumenix hatte sich verdunkelt. Die ganze Schwarmwelt lag in immerwährendem Zwielicht. Nur das schwache Glühen der mächtigen Kühlanlagen und die verglühenden Lumos phären beleuchteten den sterbenden Planeten. Die Bevölkerung von Schwarmwelt Quintus betrug noch etwa eine Milliarde Menschen und sank rapide. Es regnete schmierige Asche auf die Leichenberge, die bald die geplünderten Paläste des Adels überragen würden. Die Schreie der sterbenden Stadt hallten kilometerweit, zusammen mit den Sirenen der Panzerfahrzeuge des Arbites, dem Dröhnen, mit de nen Tunnel einstürzten, und dem Kreischen der Menschen, die aus dem Getümmel zu entkommen suchten. Plünderer lösten Fallen aus, überladene Transportshuttles stürzten von improvisierten Startram pen. Es stank. Es stank nach Rauch − Feuer war die einzige Möglich keit, die sich ausbreitende Seuche zu bekämpfen. Es stank nach ver schüttetem Treibstoff, nach Angstschweiß. Aber es gab noch einen anderen Geruch, einen ätzenden, süßlichen Gestank, der einem das Wasser in die Augen trieb. Er lag über der gesamten Schwarmstadt, über den Lustgärten der Reichen, den Armenvierteln, den endlosen Korridoren und prächtigen Handelszentren. Er drang in das Ödland zwischen den Städten vor. Diejenigen, die durch die Wüste fliehen wollten, rochen ihn − es war der Gestank des Todes. Es war der Ge stank der Seuche. Manche hatten sie den »weißen Tod« genannt, »Armenpocken« oder »Geistesfäule«. Die Ärzte, die die Adligen der Stadt behandel ten, erfanden lange, komplizierte hochgothische Bezeichnungen da für. Aber als der alte Gouverneur Hugenstein der Krankheit erlag und
sein Körper nur mehr eine formlose Masse aus Eiterbeulen war, nannte sie jeder nur: die Seuche. Es gab kein Heilmittel. Weder komplette Bluttransplantationen, die sich nur die Reichsten leisten konnten, noch einfachste Hausmit tel und Rezepturen zeigten Wirkung. In ihrer Verzweiflung suchte die Bevölkerung nach einem Sündenbock − viele Unschuldige ende ten als angebliche Hexer und Seuchenträger auf dem Scheiterhaufen. Als sich die Leichenberge immer höher türmten, kam es einem To desurteil gleich, nicht infiziert zu sein. Doch niemand wusste, woher die Seuche stammte. Nur wenige entkamen. Das Administratum brachte seinen höch sten Führungsstab vor Ort in Sicherheit. Einigen Fabrikbesitzern ge lang es dank ihres messerscharfen Geschäftssinns, einen Platz auf einer der flüchtenden Jachten oder Schmugglerschiffe zu ergattern. Aber es gab auch jene, die auf die Flucht verzichteten. Der Gou verneur traf die ehrenhafte Entscheidung, zusammen mit seiner Stadt zugrunde zu gehen. Das Adeptus Arbites entschied sich einstimmig, Recht und Gesetz des Imperators bis zum Ende zu verteidigen. Die Priester des Adeptus Ministorum blieben − ihre Gebete erklangen über den mit verzweifelten Infizierten überfüllten Tempeln. Doch Hunderte Millionen einfacher Bürger, die die vielen Etagen der Schwarmstadt bewohnten, wünschten sich nichts sehnlicher als einen freien Platz auf den wenigen Schiffen, die den Planeten verließen. Was sie nicht wussten: Jedes größere Schiff wurde von Laserbatte rien, die in der Umlaufbahn stationiert waren, abgeschossen. Über Eumenix war die Quarantäne verhängt worden − der Großteil der Bevölkerung war zum Tode verdammt. Die den Planeten verlassenden Schiffe verwandelten sich in kür zester Zeit in brennende Wracks, die lange Flammenspuren hinter sich herzogen. Für die verbliebenen Bewohner ein weiterer Grund zur Verzweiflung. Die einzige Hoffnung lag auf den kleineren Schif fen, die die Möglichkeit hatten, unbemerkt durch die Blockade schlüpfen zu können. Es gab immer noch funktionierende Raumhä
fen, und sobald ein Gerücht über einen bevorstehenden Start kursier te, versammelten sich Horden von halbtoten Kranken um die Ab schussrampen und Hangars. Die meisten Gerüchte entsprachen natürlich nicht der Wahrheit. Aber auf Dock 31 gelang es dem Pollos-Kartell, ein kleines For schungsschiff startklar zu machen, um den Patriarchen und seine engste Familie aus Schwarmstadt Quintus zu evakuieren. Die Men schenmengen, die sich um Dock 31 versammelten, wurden von der Privatarmee des Kartells gnadenlos zurückgedrängt. Während das Schiff betankt und startbereit gemacht wurde, mähten Schrotflinten salven die verzweifelten Bürger nieder. Es war ihre letzte Chance gewesen, dem Verderben zu entrinnen. Dann zerstörte eine gewaltige Explosion den Großteil der östli chen Mauer. Alle Hoffnung war dahin. Die Autosensoren in Hauptmann Salks Helm verengten seine Pupil len. Sein Trupp hatte in einem Hab, der wie eine Insel aus den infi zierten Menschenmassen aufragte, Stellung bezogen. Er sah, wie große Eisenbetonbrocken dröhnend überall um ihn herum einschlu gen. Soldaten des Pollos-Kartells wurden über die Zinnen geschleu dert. Die Menge erzitterte, als die mächtige Explosion ihre vorders ten Reihen zu Boden warf. Karricks Sprengladung hatte ihren Zweck erfüllt, obwohl er jetzt von seinem Trupp getrennt war und nur mit viel Glück wieder zu seiner Einheit zurückfinden würde. Doch zunächst kam es darauf an, in den Raumhafen zu gelangen. Captain Dreo war tot, und jetzt trug Salk die Verantwortung. Der Trupp hatte das Ziel gesichert. Wenn er das Leben seiner Waffen brüder aufs Spiel setzen musste, um seine Mission zu erfüllen, würde er es ohne zu zögern tun. »Los!«, brüllte er in das Vox. Sechs Seelentrinker sprangen aus den Fenstern des ausgebrannten Wohnblocks und landeten mitten in der Menge. Salk spürte, wie sich verwesende Gliedmaßen um seinen
Körper schlossen. Er tauchte in ein Meer aus Menschenfleisch. Als er sich aufrichtete, bemerkte er, wie der Rest der Truppe gegen die anbrandende Woge aus Körpern ankämpfte − jeder Space Marine war mindestens einen Kopf größer als ein normaler Mensch, und er hatte keine Probleme, seine Männer zu identifizieren: Krin mit dem Plasmagewehr, Dryan, Hortis, Arean und der riesenhafte Nicias, der den Gefangenen über seine Schultern geworfen hatte. Nach den anfänglichen blutigen Tumulten, bei denen sie Dreo verloren hatten, war Nicias gezwungen gewesen, seinen Raketenwer fer zurückzulassen und mit Messer und Boltpistole weiterzukämpfen. Er war verantwortlich für den Gefangenen, den er gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf unter den Arm genommen hatte. Salk bahnte sich einen Weg durch die Menge, die ihn mit offenen Mündern und irren Augen anstarrte und nach ihm griff. Bis zum Ho rizont standen die Wohnblöcke in Flammen, und Scheinwerfer er hellten die Stellen, an denen die Soldaten des Pollos-Kartells den Raumhafen verteidigten. Allein an der östlichen Mauer hatten sich mehr als zehntausend Menschen versammelt und bildeten einen rie sigen Berg aus zuckenden Leibern. Rücksichtslos bahnte sich Salk einen Weg. Körper prallten an sei ner Energierüstung ab. Diejenigen, die ihm im Weg standen, packte er und schleuderte sie beiseite. Er wollte diese Menschen nicht verletzen − schließlich waren sie für den imperialen Wahnsinn, in den sie hineingeboren worden war en, nicht verantwortlich −, andererseits war er dazu bereit, jedes Hin dernis unter seinen Stiefeln zu zertreten. Von Anfang an hatte diese Mission unter einem schlechten Stern gestanden und wurde, wie er fand, mit jedem Augenblick grässlicher. Die vordersten Reihen der Menschenmenge hatten sich aufgerap pelt, und die Massen stürmten wieder vor. Die Truppen des PollosKartells eröffneten das Feuer auf diejenigen der Infizierten, die ver suchten, über den Schutt zu klettern und die Abschussrampe zu errei chen.
Aus einem der Wachtürme schoss eine Rakete in die Menge. Salk ergriff die Gelegenheit und sprang in den von verkohlten Leichen umgebenen Krater. Die Mauer vor ihm war zwanzig Meter hoch und mehrere Meter dick. Hinter den Schutthaufen ertönte Feuer aus Au tomatikgewehren und Schrotflinten. Die Truppen des Pollos-Kartells bemühten sich nach Kräften, die Bresche zu sichern. »Nicias, Krin! Mir nach!«, voxte Salk. Er feuerte einige Bolter schüsse auf die farbenprächtig gekleideten Soldaten des PollosKartells ab, die sich daraufhin schleunigst in Deckung begaben. »Der Rest − Deckungsfeuer!« Hinter Salk tauchte Nicias’ gewaltige Gestalt, gefolgt von Krin, aus der Menge auf. Schon hatten die Soldaten des Kartells die massi gen Marines in ihren purpurfarbenen Rüstungen erspäht und das Feuer auf sie gerichtet. Sie stellten die größte Gefahr dar. Automa tikgewehrkugeln prallten von Salks Schulterplatten ab. Er eröffnete das Gegenfeuer, während er mit gesenktem Kopf hinter dem Schutt der eingebrochenen Mauer in Deckung eilte. Die anderen beiden Marines bestrichen die Mauer mit Dauerfeuer aus ihren Boltern. Kleine Explosionen erschütterten das Mauerwerk, und die Soldaten auf der Brüstung fielen wild mit den Armen ru dernd auf den Stacheldraht, die Barrikaden und Leichenberge unter ihnen. Salk konnte sich gerade noch in Deckung bringen, als ein schwe res Maschinengewehr, das in einem Wachturm positioniert war, auf ihn zielte. Neben dem Maschinengewehr befand sich noch ein Rake tenwerfer im Turm, der ebenfalls die Marines ins Visier genommen hatte. Nicht ohne Grund. Eine Lanze aus weiß glühendem Feuer erhob sich hinter Salk. Das Dach des Wachturms zerbarst unter der Plasma ladung. Jeder, der sich im Turm befunden hatte, war zu Asche ver brannt. Die Spiralen von Krins Plasmawerfer luden sich glühend wieder auf. Krin stolperte durch den Kugelhagel und landete neben Salk.
Nicias’ Gefangene hatte endlich ihren Widerstand aufgegeben. Sie war mit einem einfachen rostroten und rußverschmierten Overall bekleidet, der an mehreren Stellen vom Bolterfeuer versengt worden war. Nicias schwang sie wie einen nassen Sack über eine Schulter, während er mit der Boltpistole in der anderen Hand feuerte. Salk spähte aus der Deckung hervor, um erkennen zu können, was sich auf der anderen Seite des Mauerdurchbruchs befand. Ein Ser geant des Pollos-Kartells befahl seinen Männern, eine Schützenlinie zu bilden. Die meisten der Soldaten waren mit Automatikwaffen ausgerüstet, einige wenige trugen Schrotflinten. Es waren ungefähr zwanzig Mann in der smaragdgrünen Uniform des Kartells, komplett mit blitzenden Goldknöpfen, Gürtelschnallen und blank polierten, kniehohen schwarzen Stiefeln. Der Alltag der Soldaten hatte bis jetzt darin bestanden, mit ihrer auffälligen Aufmachung eine abschre ckende Wirkung zu erzeugen. Dennoch hatte das Kartell viel Wert auf eine gute Ausbildung und hohe Motivation seiner Privatarmee gelegt. Salk nickte Nicias und Krin zu, dann warf er eine Handvoll mün zengroßer Splittergranaten über den Geröllhaufen. Eine Reihe dump fer Detonationen ertönte. Salk rappelte sich hoch und rannte durch den von den Granaten aufgewirbelten Staub auf die Schützenlinie zu. Das Dauerfeuer aus seinem Bolter zwang die Soldaten dazu, sich zu ducken. Dann schaltete er auf Halbautomatik und erledigte die Soldaten, die auf ihn schossen, mit gezielten Feuerstößen. Überall um ihn herum schlugen Kugeln ein. Manche trafen und durchschlu gen das Keramit seiner Rüstung. Salk ignorierte den Schmerz und rannte unbeirrt mitten auf die Soldaten zu. So kämpften die Seelentrinker. Kaltblütig und blitzschnell. Ein Space Marine war mitten im Schlachtgetümmel am sichersten, eben dann, wenn er seinem Gegner Angesicht zu Angesicht gegenübers tand. So konnte er mit seiner überlegenen Rüstung, seinen Waffen, seinem Mut und seiner enormen körperlichen Kraft den Feind in die Knie zwingen. Krin richtete den Strahl seines Plasmawerfers auf die
Flanke der gegnerischen Gefechtsformation. Salk rammte dem näch sten Soldaten, den er sah, den Kolben seines Bolters ins Gesicht. Sein Gegner hatte gerade noch Zeit, die drei Meter große Killerma schine, die vor ihm aufgetaucht war, ungläubig anzustarren. Dann ging er mit geborstenem Schädel zu Boden. Salk stieg über den Leichnam, zog sein Messer und stach auf den nächsten Soldaten ein. Während sein nächstes Opfer noch die tiefe Wunde in seiner Brust, die die monomolekulare Klinge gerissen hatte, umklammerte, trieb Nicias’ Boltpistolenfeuer weitere Soldaten in die Flucht. Nicias trug die Gefangene, als wäre sie leicht wie eine Feder. Wenn sie starb, war ihre Mission gescheitert. Nicias tat sein Bestes, um sie mit seinem riesigen, fassförmigen Körper vor dem feindlichen Feuer zu schützen. Er war selbst für einen Marine ein außergewöhn lich großer Mann. Deshalb war er dazu auserwählt worden, eine der wenigen schweren Waffen des Ordens zu tragen. Die Kugeln, die ihn trafen, prallten funkensprühend von seiner Rüstung ab. Salk befreite sein Messer aus einem weiteren leblosen Körper und feuerte ein halbes Boltermagazin durch den Mauerdurchbruch auf die Schwelle des Raumhafens, auf der der Hauptmann der Kartellsolda ten verzweifelt versuchte, eine neue Gefechtslinie zu bilden. Krin verwandelte ihn mit einem Strahl superheißen Plasmas in ein Häuf lein Asche. Die Reihen der Soldaten brachen auseinander. Sie flohen. »Statusbericht!«, voxte Salk eilig zum Rest seines Trupps, der ihm bei seinem Angriff Feuerschutz gegeben hatte. »Aean, Hortis, Dryan?« Die einzige Antwort waren einzelne Gesprächsfetzen in einem Meer aus statischem Rauschen. Wer von ihnen noch am Leben war, musste inzwischen von der Menschenmenge regelrecht verschlungen worden sein und hatte keine Möglichkeit mehr, sein Vox zu benut zen. Da das Sendegerät im Schädel des Marines implantiert war, be deutete dies zumindest einen Schädelbruch. Kein Marine sollte auf diese Art sterben: von einer Masse sterbender Zivilisten zu Boden gerissen. Für die Seelentrinker, deren Anzahl kaum mehr als sieben
hundert Waffenbrüder betrug, war jeder Gefallene ein schmerzlicher Verlust. Diese Mission hatte schon jetzt mehr Opfer gefordert, als es sich der Orden leisten konnte. Trotzdem − Sarpedon hatte Dreo und Salk versichert, dass sie dem Imperator keinen besseren Dienst leis ten konnten. Salk kannte Sarpedons Pläne nicht − im Gegensatz zu Dreo, der jedoch gefallen war −, aber er glaubte an Sarpedon, den mutierten, visionären Bibliothekar, der die Seelentrinker im Kampf gegen die Mächte des Chaos als auch gegen die Blindheit des Imperiums ange führt hatte. Salk war bereit, sein Leben dafür zu geben, dass die Ge fangene unversehrt überbracht wurde. Er rammte ein frisches Magazin in seinen Bolter und bedeutete den beiden Marines an seiner Seite, ihm zu folgen. Jetzt war der Zeitpunkt zu handeln − die Soldaten flohen, und die Menschenmenge hatte sie noch nicht erreicht. Salk konnte hören, wie die Massen durch das Loch in der Mauer strömten. Drei Männer, selbst Space Marines, würden von der anstürmenden Horde einfach erdrückt wer den. Salk erklomm den Schutthaufen. Vor ihm lag Landebahn 31, die von improvisierten Markierungslichtern − brennenden Benzinfässern − erleuchtet wurde. Die breite Fläche aus rußgeschwärztem Eisenbe ton war mit Landeplatzmarkierungen bedeckt und mit riesigen Han gars und hausgroßen Andockklammern übersät, hinter denen die smaragdgrün uniformierten Soldaten des Pollos-Kartells Schutz ge sucht hatten. Sie hatten schwere Maschinengewehre und Kanonen bemannt und warteten angespannt auf den Ansturm der Menschen menge. Salks Ziel befand sich nur wenige hundert Meter entfernt. Wie ei ne große Metallfliege kauerte ein hässliches, gedrungenes Schiff auf einem der Landeplätze. Bauchige Servitoren schleppten dicke Ben zinschläuche herbei, während die Bodenmannschaft verzweifelt ver suchte, das Schiff startklar zu machen. Ein Haufen von extravagant gekleideten Männern, wahrscheinlich die Patriarchen des Pollos
Kartells, wurden von mit Schrotflinten bewaffneten Soldaten zum Schiff geführt. Die Soldaten hatten keine Chance gegen die Marines, durften aber auch nicht unterschätzt werden. Sie würden bis zum letzten Mann kämpfen. Das Schiff war die einzig verbliebene Fluchtmöglichkeit von Eu menix, und die Seelentrinker mussten alles daransetzen, es in ihre Gewalt zu bringen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie den Planeten mithilfe einer Landungskapsel erreicht hatten. Angesichts der Geschützbatterien in der Umlaufbahn war das Risiko, einen Thunderhawk einzusetzen, zu groß gewesen. Der Plan hatte gelautet, sich unter Führung Dreos in die Wüste außerhalb der Stadt zu bege ben. Dort sollten sie später, vielleicht sogar erst nach mehreren Mo naten, abgeholt werden. Doch die Pest hatte auch die Einöde erreicht. Die Gefangene hätte keine Chance gehabt. Landebahn 31 war die letzte Möglichkeit, die ihnen blieb. Salk duckte sich unter dem Gewehrfeuer des nächstgelegenen feindlichen Stützpunktes hinweg. Er konnte zwei Teams aus jeweils zwei Männern erkennen, die, hinter einer der Andockklammern ver borgen, den Mauerdurchbruch unter Beschuss nahmen. Salk griff an. Mitten im Kugelhagel gelang es ihm, eine Salve auf den Maschinengewehrposten loszulassen. Im Gegenzug wurde er an der Beinschiene getroffen und wäre beinahe gestürzt. Aus den Au genwinkeln erkannte er Nicias, der mit seinem Oberkörper die Ge fangene vor den feindlichen Kugeln schützte. Ein Plasmastrahl ver wandelte die gegnerischen Schützen zu Staub. Trotzdem waren Salk und Nicias vom feindlichen Feuer regelrecht festgenagelt. Mit einem Mal wurde die Andockklammer durch eine Explosion in die Luft gejagt. Metallteile schwirrten durch die Luft, und der In halt vieler aufgerissener Sandsäcke ergoss sich über die Landebahn. Zerfetzte Körper wirbelten umher. Aus den Trümmern rannte eine einsame schwarz gekleidete Gestalt. Salk wollte das Feuer eröffnen. Im letzten Moment bemerkte er, dass die Gestalt ebenso groß wie er war und in einer rußgeschwärzten Servorüstung steckte. Dennoch
war das Kelchsymbol auf der Schulterplatte gut zu erkennen. »Gute Arbeit, Bruder Karrick«, voxte Salk. Karrick begab sich in Schussposition und eröffnete das Feuer auf die Soldaten. Salk und Nicias rannten zu ihm. Ein weiterer Plasmastrahl signalisierte ihnen, dass auch Krin zu ihnen gestoßen war. Kugeln jagten über ihre Köpfe hinweg. Salk bemerkte, dass das Feuer jetzt auf die Menschenmassen gerichtet war, die über den Schutthaufen hinter ihnen strömten. »Jetzt!«, voxte er. Die überle benden Marines rannten auf das einsame Schiff zu. Salk schoss auf jeden Fetzen smaragdgrüner Uniform, der sich zeigte. Krin trieb die Obersten des Pollos-Kartells samt ihren Bewachern mit einer Plas masalve in die Flucht. Salk spürte, wie Kugeln aus kleinkalibrigen Waffen an seiner Rüstung abprallten. Er stellte seinen Bolter auf Halbautomatik und beschoss die Soldaten, die die Würdenträger in das Schiff schleusen wollten. Drei von ihnen fielen unter dem Feuer aus Nicias’ Boltpisto le. Karrick griff vom Heck des Schiffes aus an und trieb die Soldaten zurück, die sich zwischen ihn und den Patriarchen des Kartells stell ten. Die obersten Würdenträger des Pollos-Kartells waren prächtig, aber äußerst unpraktisch gekleidet. Die vielen Schichten aus Stoff ließen sie aufgedunsen und lächerlich erscheinen. Wie verschreckte Hühner versuchten sie, hinter der Heckklappe des Schiffs in De ckung zu gehen. Ihre Beschützer eröffneten das Feuer auf die Mari nes und die Menschenmenge, die ihnen folgte, aber ihnen fehlte so wohl die Reichweite als auch die Präzision der Boltergewehre der Marines. Mit wenigen Schüssen blies Salk einem der Männer den Kopf von den Schultern und schleuderte einen anderen zu Boden. Karrick gab Krin Feuerschutz, der eine Handvoll Soldaten pulveri sierte, die gerade einen Raketenwerfer bereit machen wollten. Salk hatte den Bug des Schiffes erreicht. Ununterbrochen feuerte er auf die Soldaten. »Alle Mann an Bord!«, voxte Salk. Während ihm Karrick Feuer
schutz gab, rannte Nicias um das Schiff herum, warf die Gefangene über die Laderampe in das Passagierabteil und sprang hinterher. Eine feindliche Salve riss große Stücke Keramit aus seiner Rüstung. Unter heftigem Beschuss gelang es auch Krin, Salk und schließ lich Karrick, das Schiff zu betreten. Die verhältnismäßig enge Kabine war mit grünen und roten Stof fen ausgepolstert − die Farben des Pollos-Kartells. Die Kabine hätte ungefähr einem Dutzend normaler Menschen Platz geboten − die vier Space Marines und ihre Gefangene konnten sich kaum hineinzwän gen. Salk warf einen Blick auf den Rest seines Trupps − Karricks Rüstung war versengt, die purpurfarbene Lackierung kaum mehr zu erkennen. Er hatte seinen Helm verloren und schwere Gesichtsver brennungen erlitten. Krins Handschuhe, in denen er den Plasmawer fer hielt, rauchten. Nicias’ Rüstung war mit Einschusslöchern über sät. Das Blut, das aus seinen vielen Wunden tropfte, gerann fast au genblicklich zu dunkelroten Kristallen. Die Gefangene lag reglos am Boden und atmete schwach. Die Luke zum Cockpit war verschlossen. Salk steckte den Bolter beiseite, grub seine Finger in den Türrahmen und riss die Luke krei schend aus den Angeln. Im Cockpit befanden sich zwei grün geklei dete, vor Angst zitternde junge Piloten. In ihren ausrasierten Nacken steckten Neuralverbindungen. Salk warf einen Blick auf die Instru mententafel. Das Schiff war betankt und startbereit. Salk nahm seinen Helm ab. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Er roch Pulverdampf, Karricks verbrannte Haut und den überwältigen den Gestank der Schwarmstadt. »Abheben!«, befahl er. Die Piloten zögerten. Sie waren beim Anblick der riesigen Gestalt, die sich gerade den Weg in das Cockpit gebahnt hatte, vor Schreck erstarrt. Endlich wandten sie sich ihren Instrumenten zu. Mit fast mechanischen Bewegungen starteten sie die Haupt- und Steuertriebwerke. Das Brummen der Motoren über tönte das Hintergrundgeräusch aus Gewehrfeuer und Schmerzens schreien.
Salk wandte sich wieder dem Passagierabteil zu. Die Menge war nur noch wenige Meter von der sich schließenden Laderampe ent fernt. Die ausgemergelten Seuchenopfer zerrten die Soldaten des Kartells samt ihrer Anführer zu Boden. Krin legte auf den wütenden Haufen an, aber Salk schob seinen Plasmawerfer zur Seite − es war völlig unnötig. In ein paar Sekunden würde das Shuttle abheben. Diese Menschen konnten ihnen nicht mehr gefährlich werden. Die Rampe schloss sich, und mit einem Zischen stabilisierte sich der Druck in der Kabine. Aus dem Cockpitfenster sah Salk über den brennenden Türmen von Schwarmstadt Quintus dicke Rauchwolken aufsteigen. Die Primärschubdüsen wurden gezündet. Mit einem Ruck startete das Schiff und verließ den brennenden Albtraum von Eumenix und Schwarmstadt Quintus. Salk musste viele tapfere Seelentrinker zu rücklassen, unter ihnen Hauptmann Dreo. Das war ein schmerzlicher Verlust für den Orden. Aber sie mussten die Gefangene lebendig von hier fortschaffen. Dafür war kein Opfer zu groß. In dieser Hinsicht waren Sarpedons Befehle an Hauptmann Dreo eindeutig gewesen, und Salk war nach Dreos Tod diesen Befehlen ebenso verpflichtet. Jetzt musste er sich um seinen Trupp kümmern. Karrick und Ni cias brauchten medizinische Versorgung. Salk hatte vor seiner Be förderung zum Sergeanten dem Apothecarium des Ordens als Novize gedient. Im fürchterlichen Ordenskrieg hatte er sich das Vertrauen Sarpedons verdient. Er erkannte sofort, dass es am dringlichsten war, sich zunächst um die Gefangene zu kümmern, die sich in einem Schockzustand befand. Sie mussten das Shuttle nach Vorräten absuchen. Es würde einige Zeit dauern, bis sie aufgelesen werden würden. Bis dahin musste die Gefangene am Leben bleiben. Der Trupp würde sich bei ihrer Bewa chung abwechseln, während der Rest im Halbschlaf dahindämmerte. Salk hatte von Sarpedons Plänen keine Ahnung. Aber er hatte das Gefühl, dass diese Mission erst der Anfang gewesen war.
Subsektor Therion war ein fast völlig verlassener Teil des Welt raums. Nur einige wenige verstreute Asteroidenfelder waren wegen ihrer seltenen Mineralien von Bedeutung und wurden von zähen Bergarbeitern ausgebeutet. Genau diese Bergarbeiter hatten auch die Bergungseinheiten der imperialen Flotte alarmiert. Sie hatten etwas wirklich Seltsames und Riesengroßes entdeckt, das sich anscheinend plötzlich aus dem Warp materialisiert hatte. Es war gewaltig. Teile davon waren noch immer als ehemalige imperiale Kriegsschiffe erkennbar. Geschwungene Buglinien ragten aus einer riesigen Masse verbogenen Metalls. Kleinere Schiffe wie Jäger oder Begleitschiffe waren zu zerklüfteten, furchterregenden Klumpen zusammengeschmolzen. Sichelförmige Hüllen oder knolli ge, organisch wirkende Düsenaggregate waren einmal Bestandteil von Xenos-Schiffen gewesen. Der Space Hulk bestand aus unzähli gen Schiffen aus jedem Zeitalter und jeder Zivilisation. Der Hulk war offensichtlich erst vor Kurzem in eine Schlacht verwickelt gewesen. Wie eine frische Narbe zog sich ein Streifen silbern glänzenden Me talls über seine Hülle. Es sah aus, als hätte eine riesige Klaue einen großen Teil des Hulks einfach abgetrennt. Insgesamt war das Ganze bestimmt das Hässlichste, was der Bergungstrupp je zu Gesicht be kommen hatte. Inquisitor Thaddeus war genau derselben Ansicht. Selbst von der Brücke der Sichelmond aus war der Hulk, der als Holoprojektion in riesigem Format über dem Maschinenraum schwebte, von unglaubli chen Dimensionen. Therion, der hellste Stern des Subsektors, beschien die scharfen Metallkanten. Teile des Hulks lagen in pechschwarzer Finsternis. Die Bergungsschiffe der imperialen Flotte schwirrten als kleine blinken de Lichter um ihn herum. Sie standen mit dem Begleitkreuzer Ge horsam in Kontakt, der seinerseits der Sichelmond Bericht erstattete. Der Kapitän der Gehorsam hatte Thaddeus als Befehlshaber der Bergungsoperation ohne Murren akzeptiert. Aus den Logbüchern ging hervor, dass in den ersten Tagen der Operation vierundsiebzig
Techniker den Hulk betreten hatten. Dreizehn waren wieder zurück gekehrt. Die Überlebenden hatten berichtet, dass von den gefährlichen Or ganismen, die einen Space Hulk in der Regel bewohnten, keine Spur zu finden war. Stattdessen war er mit wohlplatzierten Fallen nur so vollgestopft − Granatenbündel, die an Schotts befestigt waren; be waffnete Servitoren, die bestimmte Knotenpunkte bewachten; Schleusen, die sich plötzlich öffneten und die Männer ins All hinaus beförderten. Es war ungewiss, was sich hinter diesen Fallen befand. Es gab Be richte über Trakte, die Mönchszellen glichen. Eine Bibliothek voll ledergebundener Bücher war gesehen worden. Einer der Techniker behauptete, ein Flugdeck voll mit Jägern und Fahrzeugen entdeckt zu haben. Dies alles war passiert, bevor Thaddeus von dem Hulk erfah ren hatte. Er hatte sofort die Einstellung jeglicher Erkundungsaktivi tät befohlen, da er die Fortschritte persönlich überwachen wollte. Space Hulks waren Schiffe, die im Warp verschollen waren und Jahrhunderte später wieder auftauchten. Oft waren sie von grauener regenden Aliens, verrückten Kultisten oder noch schlimmeren Krea turen bevölkert. Dieser Hulk jedoch zeigte trotz seiner Größe keine Spuren derartiger Ungeheuer. Es sah fast so aus, als sei er noch bis vor Kurzem bewohnt gewesen. Thaddeus’ Finger glitten über die Instrumente der Navigations konsole. Verschiedene Bilder erschienen auf dem Sichtschirm. Es waren körnige Aufnahmen von Kameras, die die Offiziere der Berg ungstrupps auf ihren Schultern trugen. Sie warteten mit ihren Män nern in Landeschiffen, die sie zum Hulk bringen sollten. Es war na türlich unmöglich, den ganzen Hulk zu durchsuchen − angesichts seiner Größe hätte dieses Vorhaben mehrere Jahre gedauert. Deshalb hatte Thaddeus sie zu den stabiler und vertrauter wirkenden Teilen des Hulks beordert, in diesem Fall zu einem lange veralteten Sani tätsschiff und einem Begleitzerstörer aus der Zeit des GothicKrieges.
Die Bergungsteams bestanden aus zähen Veteranen, die die ge fährlichsten Orte des Weltalls erblickt hatten. Sie wussten, dass der Hulk schon mehreren Männern das Leben gekostet hatte. Trotzdem waren sie fest entschlossen, einen Schritt weiter zu gehen, um reiche Beute zu machen, die sie im nächsten Raumhafen verprassen konn ten. Sie waren nur mit Schrotflinten und Todesverachtung bewaffnet. Hätte sie die Flotte nicht aus den Schwarm- und Grenzwelten zwangsrekrutiert, wären sie wohl Piraten oder Schwarzmarkthändler geworden. Sollten sie etwas finden, von dem sie besser nichts wissen sollten, würden sie wohl oder übel einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Aber auch dieses Risikos waren sie sich wohl bewusst. »Kapitän?«, fragte Thaddeus. »Lordinquisitor?«, ertönte die knappe Antwort des Kapitäns der Gehorsam. Thaddeus bekleidete zwar nicht den Rang eines Lordinquisitors, machte sich aber auch nicht die Mühe, den Mann zu verbessern. »Sie dürfen anfangen.« Nach einem statischen Rauschen wurden die Signale der Berg ungsteams von der Gehorsam auf die Brücke der Sichelmond über tragen. Die Kamerabilder wackelten, als die jeweils zwölf Mann starken Bergungsteams die Landeschiffe verließen und den Hulk betraten. Eines der Teams passierte die Schreine und Gedenktafeln des Sa nitätsschiffes. Wo sich einst die Schwestern des Ordo Hospitalis um die Verletzten aus einem weit entfernten Kriegsgebiet gekümmert hatten, regierte nun Dunkelheit und Leere. Ein anderes Team betrat die Eingeweide eines höhlenartigen Maschinenraums und beleuchte te mit seinen an den Waffen angebrachten Lichtern die Plasmagene ratoren. Die Gänge waren dunkel und verlassen. Außer den Schritten der Männer und gelegentlichen Befehlen der Vorgesetzten war nichts zu hören. Thaddeus schloss aus diesen Berichten, dass der Hulk an scheinend leer und, was sehr bemerkenswert war, ungewöhnlich sau ber war. Seltsamerweise waren sowohl Schwerkraft als auch Atmos
phäre vorhanden. Das jüngste Mitglied jedes Teams musste sein Atemgerät abnehmen. Die Tatsache, dass sie nicht auf der Stelle tot umfielen, ließ auf atembare, unvergiftete Luft schließen. Tiefer im Hulk stieß ein Team auf eine Brigg, die noch bis vor Kurzem in Betrieb gewesen war. An den Luken befanden sich neue Schlösser, und an den Wänden hingen hochgothische Texte. An einer anderen Stelle war die Brücke eines Schiffes auseinandergenommen worden. Die komplexe Elektronik der Cogitatoren und Kommver bindungen war auf dem Deck verstreut und mit Messgeräten verse hen. Ein Team entdeckte Plasmageneratoren, die wieder funktions tüchtig gemacht worden waren. Irgendjemand hatte hier gelebt, auf geräumt und sogar versucht, den Hulk weltraumtüchtig zu machen. Wären diese Bemühungen erfolgreich gewesen, hätte der Hulk eine mächtige Waffe abgegeben − eine Festung, deren Besatzungskapazi tät und Feuerkraft diejenige konventioneller Schiffe weit übertroffen hätte. Thaddeus war langsam bereit, den Worten des Pilgers Glauben zu schenken. »Wir haben Leros’ Trupp gefunden«, ertönte die Stimme eines Teamanführers. »Zumindest, was von ihnen noch übrig ist.« Auf dem Bildschirm erschienen die blutigen Leichen mehrerer Männer. Sie waren entweder von Sprengladungen oder großkalibrigen Ge schossen zerfetzt worden. »Äußerste Vorsicht, Team Sieben«, befahl der Kapitän der Ge horsam. Thaddeus bezweifelte, dass Team Sieben daran erinnert werden musste. Auf einen Knopfdruck erfüllte die Kamera von Team Sieben den gesamten Sichtschirm. Die Männer befanden sich auf einem der Kriegsschiffe. Die Wände waren mit niedergothischen Sprüchen be deckt, die eine gläubige Besatzung dort eingeritzt hatte. Leros’ Trupp war völlig zerfetzt. Hier lag ein Arm, da ein Kopf, dort eine zerbro chene Waffe. Plötzlich bewegte sich etwas vor ihnen. Metall glitzerte.
»Stopp!«, brüllte der Anführer des Teams. »Zurück! Lorko, Feuerschu…« Eine Gewehrfeuersalve hallte den Gang hinunter. Die Kamera schwankte wie wild hin und her, und ein Schleier aus Störsignalen legte sich über das Bild. Thaddeus konnte einen Mann erkennen, der gegen eine Wand geschleudert wurde. Sein dunkelgrauer Overall war zerfetzt und blutverschmiert. Ein anderer fiel hintenüber, als ihm der Oberkörper abgetrennt wurde. Das Team antwortete mit seinen Schrotgewehren. Funkensprü hend jagte eine Maschinengewehrsalve durch den Gang. Der Anfüh rer des Teams brüllte den Befehl, sich zur nächsten Abbiegung zu rückzuziehen. Thaddeus konnte für einen Augenblick erkennen, was da auf sie schoss. »Team Sieben«, sagte er ruhig. Er war direkt mit dem Anführer des Teams verbunden. »Sie haben es mit einem Kampfservitor zu tun. Sind Sie mit Sprengladungen ausgerüstet?« »Nur Signalfackeln«, antwortete dieser außer Atem. »Benutzen Sie sie, damit der Servitor nichts mehr sehen kann.« Thaddeus hörte, wie der Anführer die Fackeln seiner Mitglieder einsammelte. Als sie angezündet und in den Gang geworfen wurden, leuchtete der Sichtschirm grellrot auf. Das Automatikfeuer verstummte. Der Schirm füllte sich mit dem Rauch der Fackeln, durch den die Mitglieder des Teams vorstürmten. Dann folgte eine Reihe von Schrotflintenschüssen. »Er ist tot«, sagte der Anführer. Zweifellos war er daran gewöhnt, Männer zu verlieren. Seine Stimme zitterte nicht im Geringsten. »Er war nie lebendig«, antwortete Thaddeus. »Zeigen Sie ihn mir.« Der Anführer trat die umherliegenden Fackeln den Gang hinunter und wedelte mit der Hand den Rauch beiseite. Thaddeus konnte den Servitor auf dem Boden erkennen. Seine untere Hälfte bestand aus einem Schwebeantrieb. Die Arme waren durch Maschinengewehre
ersetzt worden, an denen große zylinderförmige Magazine angeb racht waren. Sein Gesicht war eine Reihe vorstehender Sensoren. Er war nicht einfach zu bauen gewesen und hatte wahrscheinlich etwas Wichtiges bewacht − durchaus mit Erfolg, wie das Schicksal des ersten Teams bewies. »Weiter«, befahl Thaddeus. Der Trupp überquerte die Wegkreuzung, die der Servitor vertei digt hatte. Der Anführer sah sich um, und Thaddeus erkannte, dass einer der Gänge in einem bogenförmigen Durchgang endete. »Dort weiter«, sagte er. Das Team versammelte sich an den Stufen des Durchgangs. Der Raum dahinter war groß und unbeleuchtet. Es war nichts zu erken nen. »Auspex?«, fragte der Anführer. »Nichts«, antwortete eines seiner überlebenden Teammitglieder. Der Anführer ließ den Schein seiner Lampe in den Raum fallen. Er spiegelte sich auf einem schwarzen Marmorboden und beschien das untere Ende eines Bücherregals. Bald war mehr zu erkennen. Die Regale ragten bis zur hohen Decke. Sie waren mit kleinformatigen Büchern, Schriftrollen und Steintafeln vollgestopft. Vor mehreren Reihen von Holzbänken stand eine steinerne Kanzel. »Team Sieben, irgendwelche Lebenszeichen?« »Nein, Sir«, sagte der Anführer. »Kontakt!«, ertönte es von hinten. Der Anführer wirbelte herum. Die Kamera zeigte eine gedrungene Gestalt, die über den Boden glitt − ein weiterer Servitor. Dieser war jedoch nicht für Kampfeinsätze gebaut worden. Es war ein Autoarchivar, dessen Arme und Beine durch lange, mehrgliedrige Griffwerkzeuge ausgetauscht worden waren, mit denen er Bücher aus den Regalen holen und wieder ein sortieren konnte. Leise rollte er auf den Rädern in seinem Rücken durch den Raum. Die Tatsache, dass er noch funktionierte, bewies, dass zumindest diese Bibliothek bis vor Kurzem noch in Benutzung gewesen und
höchstwahrscheinlich in aller Eile verlassen worden war. »Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte Thaddeus. »Ich will die Schäden auf ein Minimum begrenzen.« »Verstanden«, sagte der Anführer. »Nicht schießen!«, befahl er seinem Team. »Und fasst mir ja nichts an. Befehl von oben.« Die Männer, die sich fette Beute erhofft hatten, protestierten murmelnd. Thaddeus überprüfte die anderen Kamerabilder. Einer der Bild schirme war tot. Das zugehörige Team hatte im Sanitätsschiff eine Sprengladung ausgelöst, die mit mehreren Fallstricken vor dem Ein gang zu einem der Operationssäle verbunden gewesen war. Ein ande res Team hatte drei Männer verloren, als in einem der Maschinen räume ein Gerüst unter ihrem Gewicht nachgegeben hatte. Das Team in der Brigg durchsuchte den Inhalt einer Waffenkammer. Sie förder ten gefährlich aussehende Kampfmesser in der Länge von Kurz schwertern, Energieknüppel und großkalibrige Munition, zu der je doch die entsprechenden Feuerwaffen fehlten, zutage. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Teams weiter in den Hulk vor. Überall fanden sich Anzeichen dafür, dass er bis vor Kurzem bewohnt gewe sen war − und zwar von wohlorganisierten Menschen. Sobald ein Team einen Teil des Schiffes erreichte, der offensichtlich Xenos war, war ihm jedes Vorrücken verboten. Thaddeus wandte sich wieder Team Sieben zu. Die Bibliothek war riesig − mehrere Schotts waren entfernt worden, um genug Platz für die gewaltigen Mengen an Büchern zu schaffen. Ganze Blöcke aus Memotafeln ragten wie schwarz lackierte Monolithen Reihe in Reihe zwischen den Buchregalen auf. »Holen Sie eines der Bücher«, sagte Thaddeus. Der Anführer zog einen der kleinen Folianten aus dem Regal. »Katechismus des Krieges«, las er den Titel vor, der in goldenen Lettern auf den Einband geprägt war. »Danke«, sagte Thaddeus und wandte seine Aufmerksamkeit den Offizieren auf der Gehorsam zu.
Thaddeus war ein gebildeter Mann. Es war die Aufgabe eines In quisitors, über die verschiedenen historischen Ereignisse und Philo sophien des Imperiums Bescheid zu wissen. Nur so war er imstande, Ketzerei zu erkennen und auszumerzen. Aber mit dem »Katechismus des Krieges« hatte er sich erst vor Kurzem vertraut gemacht. Es war ein militärphilosophisches Werk, in dem eine rasche und verheerende Kampftaktik vorgestellt wurde, bei der Schnelligkeit und überwälti gender Kampfesmut die wichtigsten Waffen waren. Der Verfasser war der Philosophensoldat Daenyathos. Daenyathos vom Orden der Seelentrinker. Der Pilger hatte recht gehabt. Die Seelentrinker hatten diesen Hulk bewohnt, ihn aber erst kürzlich und in ziemlicher Eile verlas sen. Einen größeren Hinweis auf den Orden als den Hulk hätte sich Thaddeus nicht vorstellen können. Trotzdem war er nur eine weitere Spur, die genauso gut wie die anderen ins Nichts führen konnte. Die Seelentrinker befanden sich jetzt an einem anderen Ort in der Galaxis und verfolgten ihre ketzerischen Pläne, während Thaddeus ihnen nur in winzigen Schritten näher kam. »Kapitän«, voxte Thaddeus zur Gehorsam. »Lassen Sie eine Lan dezone vorbereiten. Ich will die Untersuchung vom Hulk aus leiten.« Als der Kapitän seine Bedenken äußerte und darauf hinwies, dass der Hulk noch nicht vollständig gesichert war, hatte Thaddeus die Brücke längst verlassen.
DREI
Ein schmaler, scharlachroter Streifen in der oberen Atmosphären schicht war der erste Hinweis auf den Feind. Sie konnten ihn durch die Bullaugen des Thunderhawks erkennen, der aus der Umlaufbahn auf die Landezone zustürzte. »Kanoniere, habt ihr ein Ziel?«, voxte Captain Korvax, während das Xenos-Schiff an ihnen vorbeischoss. Die Servitoren, die die Waffensysteme besetzt hielten, feuerten aus schweren Boltern. Ihr durchdringendes Dröhnen übertönte die Strahlentriebwerke, die den Fall des Thunderhawk abbremsten. Das Alienschiff zerbarst in einem orangefarbenen Feuerball, der eine schwarze Spur aus Trümmern hinter sich herzog. Einer weniger. Die Bordschützen verstanden ihr Handwerk. Sie hatten von den Seelentrinkern eine exzellente Ausbildung erhalten. Aber die Tatsache, dass der Xenos-Jäger so nahe an sie herange kommen war, zeigte, wie spät die Marines in die Schlacht eingriffen. Diese Aliens waren ziemlich schnell, und die Seelentrinker mussten schneller sein, wenn sie den Außenposten noch retten wollten. »Flottenkommando! Was ist mit der Landezone?«, voxte Korvax zum Angriffskreuzer Karnivor, der sich weit über den sechs Thun derhawks in der Umlaufbahn befand. »Steht unter Beschuss. Dem Voxverkehr nach leichte XenosInfanterie gelandet. Dreihundert Gegner Minimum.« »Verstanden«, antwortete Korvax. Bei dieser Spezies von heidni schen Aliens, den Eldar, beschrieb der Ausdruck »leichte Infanterie« blitzschnelle, gut ausgebildete und exzellent bewaffnete Spezialein heiten. »Für sofortigen Ausstieg bereit machen«, befahl Korvax, als der
Thunderhawk immer schneller der Oberfläche entgegenstürzte und die Gravitationskraft immer deutlicher zu spüren war. Mit glühenden Triebwerken schwebte das Schiff etwa dreißig Me ter über der Oberfläche. Korvax warf einen Blick aus dem Bullauge und erkannte zwei weitere Thunderhawks. Der Außenposten war ein gedrungenes Gebäude, das auf dem harten, gefrorenen Tundraboden errichtet worden war. Von seinem Dach aus feuerten die Truppen des Adeptus Mechanicus auf die schnell anstürmenden Eldar. Ge schosse aus fremdartigen Shurikenwaffen prallten gegen die Hülle des Thunderhawk. Die Heckklappe des Schiffs öffnete sich. Das Dröhnen der Moto ren war jetzt deutlich zu hören, unterbrochen nur von gelegentlichen Explosionen und Gewehrfeuer. Eiskalte Luft strömte in das Innere des Thunderhawk. Der Außenposten befand sich auf einem Planetoi den, der so weit von seiner Sonne entfernt war, dass seine Oberflä che aus einer einzigen Eiswüste bestand. Die Gurte der gravitationsdämpfenden Sitze schnappten auf, und mit einer Geschwindigkeit, die nur durch langjähriges, hartes Trai ning erreicht werden konnte, seilte sich der zehn Mann starke See lentrinkertrupp ab. Korvax war einer der Letzten, der den Thunderhawk verließ. Auch die Marines der anderen Schiffe seilten sich ab. Er zählte fünf Thun derhawks und bemerkte einen schmalen schwarzen Punkt, der him melwärts trudelte und eine Rauchspur hinter sich herzog. Eines der Schiffe war beschädigt worden und kehrte zur Karnivor zurück. Das bedeutete, dass insgesamt fünfzig Marines gelandet waren. Fünfzig gegen mehr als dreihundert. Obwohl Hochmut in den Au gen des Imperators eine Sünde war, musste Korvax doch zugeben, dass ihm dieses Verhältnis durchaus gefiel. Unter ihm tat sich das Schlachtfeld auf. Der Außenposten war von Rauch umgeben. Die Techgardisten hatten Rückzugspunkte gebildet, aus denen sie auf die Eldar feuerten. Das Mechanicus hatte Zugang zu den höchstentwickelten Waffen.
Korvax sah eine Art automatischen Raketenwerfer, der die Linien der Eldar mit Salven von Splittergeschossen überzog, und bemerkte das unverwechselbare flüssige Feuer einer schweren Plasmakanone, das sich über die Aliens ergoss. Die Eldar konnten, wie bei dieser heidnischen Spezies üblich, verschiedene Gestalt annehmen. Manche trugen knochenfarbene Rüstungen mit großen Masken und kreischten grauenerregend. Räder schlagend bahnten sie sich einen Weg durch das gegnerische Feuer, um Nahkampfdistanz zu erreichen und ihre Energieschwerter gegen die Techgardisten einsetzen zu können. An dere trugen mit Federn geschmückte Helme und Shurikenwaffen. Sie gaben wieder anderen Eldar in grünen Rüstungen und surrenden Kettenschwertern Feuerschutz. Aus ihren Masken ragten Kneifzan gen, die Laserfeuer auf die Techgardisten der vordersten Verteidi gungslinien spuckten. Die Vorhut der Eldar hatte mühelos den ersten Verteidigungsring aus Sandsäcken und Barrikaden überwunden. Obwohl viele von ihnen dem Feuer der Techgardisten zum Opfer gefallen waren, stürmten immer noch hundert weitere vor, wild ent schlossen, den Außenposten einzunehmen und die Verteidiger zu tö ten. Korvax landete inmitten seines Trupps auf der Oberfläche des Planetoiden. Ein einfaches Handzeichen reichte seinen Männern aus: vorrücken und angreifen. Die sicherste Strategie war, sofort in den Nahkampf überzugehen. Die Aliens waren schnell und gut trai niert, aber wenn man sie mit genug Wucht traf, würden ihre Reihen brechen. Korvax hatte sie schon auf Quixian Obscura bekämpft und dort den Sieg davongetragen. Während des Laufens feuerte der Trupp ohne Unterlass auf die Barrikaden. Eldar in blauer Rüstung erkannten die neue Gefahr, die plötzlich in ihrem Rücken aufgetaucht war, und beeilten sich, die Barrikaden, die sie gerade erstürmt hatten, zu verteidigen. Ihre Shu rikenwaffen spien Wolken aus blitzendem Silber auf Korvax und sei ne Männer. Die rasiermesserscharfen Projektile bohrten sich in die purpurfarbenen Rüstungen der Seelentrinker. Ein Marine − Solus,
der den Flammenwerfer trug − ging zu Boden. Ein dunkelroter Strahl spritzte aus seinem Kniegelenk, in das sich eine der silbernen Scheiben gebohrt hatte. Bolter- und Shurikenprojektile trafen sich in einem wilden Metallsturm, als die Seelentrinker in einer breiten Ge fechtslinie auf die Befestigungen zustürmten. Eine Rakete aus Veiyals Trupp schoss durch den Nachthimmel und detonierte mit einem Feuerball inmitten der schwertschwingen den Eldar, von denen zwei sofort zerrissen wurden. Unter schwerem Bolterfeuer versuchten sie vergeblich, sich neu zu formieren. Als Veiyals Trupp die Befestigungslinie erreichte, war dort kein Xenos mehr am Leben. Korvax’ Trupp hatte seine eigene Schlacht zu schlagen. Korvax durchlöcherte eine Barrikade aus Sandsäcken mit einer Salve aus seinem Bolter und zog sein Energieschwert. Das Energiefeld erwach te zum Leben, als sich seine Hand um den Griff schloss. Kreischend zischte die Klinge durch die Luft, als er auf einen Eldar einschlug. Aber die schnellen Reflexe der Eldar waren nicht umsonst so berüch tigt. Das Alien wich zur Seite aus, und die Klinge drang in die Schul ter und trennte seinen Arm ab. Korvax sprang über die Sandsäcke und begrub den Eldar unter seinen Stiefeln. Er schwang seinen Bol ter wie einen Knüppel und zerschmetterte den Schädel des Alien. Wie Regen prasselten Boltergeschosse in den Graben. Die Eldar starben oder flohen panisch. Das gegenüberliegende Ende des Gra bens war eingestürzt. Eine Rampe aus von explosiver Munition auf gewirbelter Erde diente den Eldar als Rückzugsweg. Ein Eldar bewegte sich mit unglaublicher, ja übernatürlicher Ge schwindigkeit durch den Kugelhagel. In einer Hand trug er ein Schwert, das aus Knochen gefertigt schien, in der anderen eine Shu rikenpistole. Er feuerte einmal, und ein Shuriken bohrte sich in Bru der Bristias Auge. Mit der Waffe in der Hand stieg Korvax über die Leichen der Eldar, die er getötet hatte, und verfolgte das Alien mit dem Knochen schwert. Er vermutete, dass es sich um eine Art Anführer handelte.
Man sagte, dass die Eldarkrieger verschiedene Pfade einschlugen. Jeder Pfad brachte eine andere Art von Kämpfer hervor. Wenn sich ein Krieger besonders hervortat, wurde er zu einem Anführer − und damit ein wichtiges Ziel auf dem Schlachtfeld. Der Eldar bemerkte Korvax und richtete das schwarze Glas seiner Okulare auf ihn. Als hätten sie sich auf einen gemeinsamen Ehrenko dex geeinigt, zögerte das Alien einen Moment, bevor es sein Schwert hob und auf Korvax zusprang. Korvax’ einziger Kodex war der heilige Plan des Imperators und die Rolle, die er den Seelentrinkern darin zugedacht hatte. Im Schat ten des belagerten Außenpostens duellierte er sich mit dem Anführer der Eldar − seine Kraft gegen die Schnelligkeit des Alien. Nicht nur einmal landete der Eldar einen Treffer, der einen normalen Men schen getötet hätte, aber Korvax wusste genau, wie gut ihn seine Servorüstung schützen konnte, jeden Schlag parierte er entweder mit einer Schulterplatte oder seinen Unterarmen. Das Alien versuchte, Abstand zu gewinnen, aber Korvax streckte die Hand aus und packte die Federn am Helm seines Gegners. Er riss den Kopf des Eldar nach unten und stieß sein Knie gegen das Visier. Der Eldar taumelte, und Korvax brachte ihm einen tiefen Schnitt quer über die Brust bei, der die Panzerplatten durchtrennte, die in die blaue Rüstung eingelassen waren. Korvax spürte, wie die dünnen Rippen dahinter nachgaben, und griff gnadenlos an. Die Pa raden, die das Alien mit dem Knochenschwert ausführte, wurden schwächer und schwächer. Mit einem letzten Schlag durchbrach Korvax die Deckung des Eldar. Die Energieklinge schnitt durch sei nen Oberkörper und durchtrennte das Rückgrat. Das Alien erstarrte, dann brach es zusammen. Das Schwert fiel aus seinen Fingern. Mit einer raschen Bewegung des Handgelenks schüttelte Korvax den Leichnam seines Gegners von der Klinge. Alle Aliens in blauer Rüstung waren niedergemacht worden. Die Seelentrinker hatten sie überrascht und waren ihnen in den Rücken gefallen, während sie noch versucht hatten, den Außenposten zu erstürmen. Korvax sah,
dass Veiyals Trupp die Tore des Außenpostens bereits erreicht hatte. Die Tore selbst standen weit offen. Rauch stieg daraus auf. Die Xe nos mussten irgendwie ins Innere gelangt sein. Der Außenposten des Adeptus Mechanicus Biologis war von ent scheidender Bedeutung. Die Experimente, die dort stattfanden, war en für das Imperium lebenswichtig. Korvax wusste zwar nicht genau, woran hier geforscht wurde, aber da das Adeptus Terra selbst die Seelentrinker in den Kampf gerufen hatte, bestand kein Zweifel an der Wichtigkeit der Forschungsstation. Wenn die Eldar hineinge langten und die Ergebnisse der Arbeit des Mechanicus zerstörten − oder, noch schlimmer, in ihren Besitz brachten −, würde das un geahnte Folgen haben. Sie waren zu spät gekommen. Die ungläubigen Xenos waren in den Außenposten eingedrungen, jetzt ging es nur noch darum, den Schaden zu begrenzen. Korvax voxte seine Trupps an. Veiyal war am Weitesten vorged rungen. Die anderen beiden Trupps waren damit beschäftigt, weitere ankommende Eldartruppen zurückzudrängen. Livris’ Sturmtrupp befand sich an Korvax’ Seite und bekämpfte die Eldar in grüner Rüs tung mit dem Kettenschwert. Bis jetzt hatten sie sich einen Weg durch die Reihen der Eldar gebahnt, ohne nennenswerte Verluste erlitten zu haben. Damit blieben Korvax drei Trupps für den Angriff. Die anderen beiden mussten die nachrückenden Eldar aufhalten. »Veiyal, Livris! Tore stürmen!«, voxte Korvax auf allen Kanälen und befahl seinem Trupp vorzurücken. Die Marines des taktischen Trupps überzogen die Barrieren mit Dauerfeuer und preschten vor. Blau gerüstete Eldar versuchten, sich zu verschanzen und Korvax’ Männer aufzuhalten, aber den Marines gelang es, sie zu Livris’ Trupp zu drängen. Die Eldar starben im Kugelhagel oder unter den Kettenschwertern des Sturmtrupps. So kämpften die Seelentrinker. Kaltblütig, blitzschnell und ohne zu zögern. Veiyals Trupp benutzte den massiven Plaststahlrahmen der Tore
als Deckung, von der aus sie den beiden nachrückenden Trupps Feuerschutz gaben. Plötzlich ertönten Explosionen. Mit schweren Waffen ausgerüstete Eldar versuchten, den Außenposten zu errei chen. Erdfontänen spritzten auf, und mehrere Marines wurden von den Beinen geholt. Die Autosensoren in Korvax’ Helm fielen für ei nen Moment aus. Eine blinkende Warnrune auf seinem Retinadisplay informierte Korvax, dass der Pictrekorder auf seinem Rückenmodul beschädigt war und keine Aufzeichnungen für die Nachbesprechung der Mission mehr möglich waren. Korvax musste überleben. Er rannte durch die Wolke aus Erd klumpen. Eine Rune auf seinem Display erlosch. Bruder Severian hatte das Bombardement nicht überlebt. Korvax duckte sich in den Türrahmen, während sich sein Trupp hinter ihm aufreihte. Eldar in blauen Rüstungen feuerten Shuriken auf sie, bis Livris und sein Stoß trupp sie überrannten. Insgesamt war ein halbes Dutzend Marines kampfunfähig − höchstwahrscheinlich tot. Eine vertretbare Anzahl an Opfern. Aber die Eldar waren in den Außenposten gedrungen und konnten in die sem Moment Forschungsergebnisse vernichten, von denen das Schicksal des Imperiums abhing. Korvax rammte ein neues Magazin in seinen Bolter. Die Männer seines Trupps taten es ihm gleich. Er warf einen Blick auf Sergeant Veiyal, der seinen beschädigten Helm abgenommen hatte. Sein Atem dampfte in der kalten Luft. »Der Rest wird uns den Rücken decken«, sagte Korvax. »Sergeant Livris, du übernimmst die Vorhut. Veiyal, mir nach. Los!« Korvax brachte den Bolter in Anschlag und folgte dem Sturmtrupp in die dunklen Eingeweide des Außenpostens … Dann war die Aufnahme zu Ende. Thaddeus runzelte die Stirn und drückte einen Knopf auf der Datentafel. Das letzte Bild der Aufnah me erschien auf dem Sichtschirm. Über der Schulter des Space Mari ne war aufspritzende Erde und das Blitzen von Gewehrfeuer zu se
hen. Dann lief die Aufzeichnung rückwärts ab, sodass Implosionen am Boden liegende Marines wie von Zauberhand wieder auf die Fü ße stellten. Eine Holomatte war in der Mitte des Librariums des Hulks auf gestellt worden. Die Bergungstrupps und Techpriester der Gehorsam hatten das Librarium sorgfältig durchsucht, wobei mit Fallen verse hene Bücherregale mehreren Männern das Leben gekostet hatten. Sobald kein Zweifel mehr daran bestanden hatte, dass es sich wirk lich um das Librarium der Seelentrinker handelte, hatte Thaddeus allen Bergungsteams den Befehl zum Rückzug erteilt. Augenblick lich sicherten sie die unmittelbare Umgebung. Die Gänge waren mit Felsbeton versiegelt worden, damit keine Dekompressionsfallen die Luft aus dem Librarium saugen konnten. Inzwischen waren Schlafräume und Meditationszellen, Waffenlager und Krankenstationen entdeckt worden, die in leeren, längst verlassenen Räumen uralter imperialer Schlachtschiffe eingerichtet worden waren. Die Datenwürfel, die man entdeckt hatte, waren zum größten Teil gelöscht worden. Anscheinend hatten die Seelentrinker die wirklich wichtigen Informationen bei ihrer Flucht aus dem Hulk mitgenom men. Aber es war ihnen nicht gelungen, alle ihre Spuren zu verwi schen. Die schwarz glänzenden Monolithen aus Datentafeln und die Cogitatoren der verschiedenen Schiffe hatten noch einige wenige Daten enthalten. Anscheinend hatten die Seelentrinker den Hulk Brokenback getauft und sich nach der Zerstörung ihrer Flotte häus lich darin eingerichtet. Es gab Flugaufzeichnungen, die Reisen quer durch die Galaxis bewiesen, darunter zu offensichtlich verlassenen Sektoren. Außerdem gab es Hinweise darauf, dass eine nicht unbet rächtliche Zahl an Marines bei einer Schlacht auf einer unbekannten Welt umgekommen war. Und es gab die Aufzeichnung, die sich Thaddeus gerade angese hen hatte. »Auf diese Datei wurde regelmäßig zugegriffen«, hallte eine Stimme durch das Librarium. Es war Interrogator Shen, ein groß
gewachsener, gut aussehender Mann, der trotz der Plattenrüstung und der Infernopistole in seinem Gürtel noch immer die Aura eines Stammeskriegers verströmte. Seine Sprache war präzise, und die Stimme klang irgendwie künstlich, da er das Hochgothische erst spät erlernt hatte. »Obwohl die Bedeutung dieser Datei weiterhin im Dunkeln liegt, deuten alle Anzeichen darauf hin, dass die Seelentrin ker sie eingehend überprüft haben. Deshalb war es den Techpriestern auch möglich, die Datei aus verschiedenen Cogitatoren zu rekons truieren.« »Was ist auf dieser Datei zu sehen?« Thaddeus betrachtete den Angriff langsam im Rücklauf. »Wir nehmen an, dass es die Aufzeichnung einer länger zurück liegenden Kampfhandlung ist. Die Örtlichkeit ist noch nicht identifi ziert. Es könnte sich um diejenige Schlacht handeln, bei der sie so schwere Verluste erlitten haben. Andererseits war das Adeptus Me chanicus die erste imperiale Instanz, die die Seelentrinker bekämp ften − und hier ist es noch mit ihnen verbündet.« Thaddeus schüttelte den Kopf. Er deutete auf eine Waffe, die im Rücklauf Kugeln aus den Körpern der Eldar saugte. »Das ist ein Bol ter Modell Centauri. Die Ausrüstung der Seelentrinker war zum Zeitpunkt der Ketzerei auf dem neuesten Stand − was bedeutet, dass diese Datei vor mindestens zehn Jahren aufgenommen sein muss. Vor ihrem Verrat. Wir müssen unbedingt herausfinden, wo sich die ser Kampf abgespielt hat. Haben die Techpriester bereits mit der fo rensischen Analyse begonnen?« »Jawohl, Meister Thaddeus«, antwortete Shen. »Aber es gibt nur geringe Anhaltspunkte. Der Außenposten ist ein gewöhnliches STKGebäude. Geografische Besonderheiten sind nicht zu entdecken. Es gibt Tausende von Eisplaneten mit Forschungsstationen des Mecha nicus. Und wenn diese Ereignisse so lange in der Vergangenheit lie gen, wie sie gerade gesagt haben, besteht die Möglichkeit, dass er überhaupt nicht mehr existiert.« Thaddeus hielt die Aufzeichnung an. Das Standbild zeigte den
Sturmtrupp, der gerade über die Barrikaden sprang, um die dahinter verschanzten Jäger Asuryans anzugreifen. Der Weg des Kriegers, der einen Eldar zu einem von Asuryans Jägern machte, brachte die dis zipliniertesten, gewissenhaftesten und verlässlichsten Kämpfer dieser Rasse hervor. Sie waren die Elite, die Besten der Besten. Dennoch waren die Seelentrinker trotz ihrer Unterzahl scheinbar mühelos durch ihre Reihen gebrochen. Vor ihrem Verrat mussten sie bewun dernswerte Krieger gewesen sein, dachte Thaddeus. Große und furchtlose Kämpfer, aber auch voller Hochmut. Dieser Hochmut hat te sie letztendlich zu Fall gebracht, sie zu verwerflichster Ketzerei verlockt und schließlich zum Bruch mit dem Imperium geführt. Es war ein Jammer, dass dieser Orden vernichtet werden musste. Und Thaddeus würde sicherstellen, dass genau das geschah. »Wenn sie es für wichtig hielten«, sagte er, »dann müssen wir das auch tun. Wenn wir den Ort finden, an dem dies aufgezeichnet wur de, finden wir vielleicht auch die Seelentrinker selbst. Shen, die Ver folgung aller anderen Spuren überlasse ich dir. Damit übertrage ich dir große Verantwortung.« »Wie Ihr befehlt, Meister Thaddeus.« Shen stand seit sieben Jah ren in Thaddeus’ Diensten, die letzten im Rang eines Interrogators. Anders als Thaddeus war Shen in erster Linie Krieger, obwohl sich Thaddeus nach besten Kräften angestrengt hatte, ihm eine gewisse Bildung zu verschaffen. Auf jeden Fall konnte er sich darauf verlas sen, dass Shen auch alleine zurechtkommen würde. »Sehr gut. Schaff den Astropathenchor auf die Brokenback und sorg dafür, dass er wieder empfangsbereit ist. Ich will sofort infor miert werden, wenn die Seelentrinker gesichtet werden, sollte die Meldung auch noch so unglaubwürdig oder unbedeutend erscheinen. Einige Astropathen der Sichelmond sollen zur Verstärkung hinzuge zogen werden − auf meinen Befehl. Bis auf Weiteres wird die Bro kenback als unser Hauptquartier dienen.« Shen verbeugte sich höflich und machte sich an die Erfüllung sei ner Pflichten. Thaddeus fragte sich, ob Shen sich ernsthaft Hoffnun
gen machte, eines Tages selbst Inquisitor zu werden. Er war viel zu ungeduldig und fantasielos, um auf die Jagd nach den Gefahren zu gehen, die das Imperium von innen heraus bedrohten. Thaddeus wusste über seine eigenen Fähigkeiten genau Bescheid, und Shen reichte nicht im Ansatz an ihn heran. Trotzdem war er der beste Interrogator, den man sich wünschen konnte − loyal, gewissenhaft und jederzeit in der Lage, sich mit tödlicher Rücksichtslosigkeit aus einer haarigen Situation zu befreien. Thaddeus warf einen letzten Blick auf den Sichtschirm, auf dem sich riesige Männer in purpurfarbenen Rüstungen mitten in den feindlichen Kugelhagel stürzten. Er hatte noch nie so recht begriffen, wie die Taktik der Space Marines funktionierte. Es war unglaublich, dass ihnen so unbedachte, direkte Angriffe Sieg nach Sieg bescher ten. Als ob sie durch ihre Willensstärke und ihren Glauben die Ge setze von Logik und Physik einfach außer Kraft setzen könnten. Und dieser Glaube war nun verdorben worden und hatte einen ganzen Orden dieser Giganten zu Feinden des Imperiums gemacht. Thaddeus konnte sich keinen gefährlicheren Gegner vorstellen. Es war ein wunderschöner Tag. Für das Haus Jenassis war jeder Tag wunderschön. Die riesige Kuppel, die über dem Habitat erbaut wor den war, bestand aus elektroreaktivem Material, das, unabhängig vom tatsächlichen Wetter auf dem Planetoiden, stets für einen klaren blauen Himmel sorgte. Die Atmosphäre war so reguliert, dass immer angenehmes Sommerwetter herrschte. In den Gärten gediehen ein drucksvolle Xenos-Pflanzen. Phrantis Jenassis nahm sich jeden Tag die Zeit, so weit in die Gärten zu gehen, dass er die goldenen Mina rette des Palastes hinter den gewaltigen Ästen der importierten Xe nos-Bäume nicht mehr erkennen konnte. Das Haus Jenassis war eine mehrere Kilometer breite Kolonie. Sie bestand aus dem Palast, den Grünanlagen mit Teichen und Gewächs häusern, einem kleineren, einfachen Wohnkomplex für die Bediens teten und dem tempelartigen Gebäude, das das Große Galaktarium
beherbergte. Die Jenassis waren eine Dynastie von Navigatoren, die dem Imperium seit mehr als zehntausend Jahren − also seit der Zeit vor der Horus-Häresie − zu Diensten war. Phrantis Jenassis, der Pat riarch des Hauses, hatte in seiner aktiven Zeit höchstpersönlich die Schiffe des Imperators sicher durch den Warp geleitet. Nach einer langen Karriere war er schließlich zurückgekehrt, um den Vorsitz über das Haus zu übernehmen. Es war ein gutes Leben, vor allem angesichts des Schicksals Milliarden weniger glücklicher Menschen, die hart um ihr Überleben kämpfen mussten. Aber Phrantis Jenassis zweifelte nicht daran, dass er sich dieses Leben verdient hatte. Ohne die Navigatoren wäre das Imperium nicht mehr als ein verwundbarer Haufen von Sternensystemen, der Willkür seiner Feinde ausgeliefert. Es gab viel zu tun. Phrantis musste mit dem Departmento Munito rum über Soldaten verhandeln, die die vielen Nachkommen des Hau ses Jenassis auf ihren Reisen beschützen sollten. Danach galt es, ver schiedene Vereinbarungen zu treffen, um Navigatoren an bestimmte Personen oder imperiale Organisationen zu vergeben. Neugeborene mussten registriert werden. Wenn sichergestellt war, dass die neuen Träger des Navigatorgens frei von Mutation waren, musste Phrantis die Geburtsurkunden unterzeichnen. Außerdem stand die Buchprü fung des gesamten Hauses an − eine langwierige und anstrengende Aufgabe. Den Rest des Tages würde er damit verbringen, dass ihm seine Sekretäre irgendwelche Schriftstücke unter die Nase hielten, die er lesen und unterzeichnen musste. Aber den Morgen hatte er für sich, und er benutzte ihn dazu, die Gärten zu genießen. Welchen Sinn hätte Phrantis Jenassis’ beschwerliches Arbeitsleben gehabt, wenn er im Alter keine Zeit für sich selbst fand? Hinter dem alten Sommerhaus befand sich einer der schönsten Tümpel des ganzen Habitats. Teufelsfische mit kammartigen Flossen tummelten sich zwischen dahintreibenden, silbern glänzenden Fin gerbaumästen. Phrantis überquerte die malerische Brücke, die sich über den Tümpel spannte, und beobachtete eine Schar von Juwelenvögeln, die
sich zur Spitze der hellblauen Kuppel erhob. Die Vögel schrien, als wären sie erschreckt worden. Dann hörte Phrantis ein dumpfes Dröhnen. Es war, als würde mit einem riesigen Hammer auf die Kuppel geschlagen. Hässliche schwarze Risse zeig ten sich mit einem Mal auf ihrer Oberfläche. Dann brach sie auf. Riesige Glasscherben bohrten sich wie gewaltige Messerklingen in den Boden rund um den Tümpel. Pfeifend wurde die warme Luft der Kuppel in die kühlere Atmosphäre der Umgebung gesaugt. Ein riesiger Riss war in der Kuppel entstanden. Dahinter sah Phrantis mit Schrecken die hellgrauen Wolken des Planetoiden. Die Bäume bogen sich, das Wasser warf Wellen. Phrantis’ edelsteinbesetzte Robe flat terte im Wind. Er fror. Ein schwarzes Objekt fiel durch den Spalt. Als es näher kam, er kannte Phrantis eine Metallbirne, die mit Reifen umgeben war und wie die ungeöffnete Blüte einer hässlichen grauen Blume aussah. Bremsraketen zündeten, um ihren Fall abzubremsen. Trotzdem lan dete sie mitten im gut gepflegten Rasen, dass die Erde nur so auf spritzte. Der Kapsel folgten noch zwei weitere, dann eine vierte. Phrantis bemerkte, dass sie direkt auf den Tümpel zusteuerte. Er wollte losrennen, war aber kaum ein paar Schritte weit ge kommen, als etwas sehr Schweres in den Tümpel stürzte und ihn von Kopf bis Fuß durchnässte. Er wandte sich um. Die Metallblüte öffne te sich. Zehn Soldaten in purpurfarbener Rüstung lösten sich aus ih ren Gurten und wateten durch den Tümpel. Obwohl das Wasser ziemlich tief war, reichte es ihnen nur bis zu den Schultern. Phrantis schätzte, dass sie einen guten Meter größer als er selbst sein mussten. Natürlich kannte er das Adeptus Astartes. In seiner Karriere war er diesen übermenschlichen Kriegern das eine oder andere Mal begeg net. Es gab keinen Zweifel daran, dass sein Heim von Space Marines überfallen wurde. Das Haus Jenassis war dem Imperium immer treu ergeben gewe sen. Es hatte ihm mit aller Kraft gedient und niemals etwas als Ge genleistung gefordert. Warum also sollten Space Marines ein Haus
angreifen, das dem Imperium geholfen hatte, die Galaxis zu erobern? Die Marines erreichten das Ufer. In der einen Hand hielten sie Pistolen, in der anderen überdimensionierte Kettenschwerter. Auf ihren Schulterplatten war das Symbol eines Kelchs zu erkennen. Ei ner der Marines besaß eine deformierte Hand − mit Grausen erkannte Phrantis, dass es sich nicht um ein Bionic, sondern um die Hand selbst handelte − grotesk verformte, vielgliedrige Finger umklam merten den Stiel einer Energieaxt. Der Marine selbst trug keinen Helm, und sein Gesicht war das eines mürrischen Veteranen, wetter gegerbt und mit Narben übersät. Er hatte Phrantis entdeckt. Phrantis versuchte nicht, die Flucht zu ergreifen. Er war ein alter Mann, und sie würden ihn mühelos einholen. Im schlimmsten Fall würde er sein langes und abenteuerreiches Leben mit einer Bolterku gel im Rücken beenden. Ein Marine kam auf ihn zu, packte ihn am Kragen und warf ihn zu Boden. Der Sergeant des Trupps, der mit der Mutantenhand, näherte sich ihm. Er hatte das Energiefeld seiner Axt aktiviert. Zischend ver dampften Wassertropfen auf dem Metall. »Du. Wie heißt du?« »Ich bin Patriarch Phrantis Jenassis aus dem Hause Jenassis.« Phrantis war überrascht, dass er überhaupt ein Wort herausbekam. »Ein Navigator?« Phrantis nickte. »Fesseln«, befahl der Sergeant dem Marine, der Phrantis gepackt hatte. »Er darf auf keinen Fall den Turban abnehmen. Sein Warpauge ist tödlich.« Phrantis’ Hände wurden mit Plastikfesseln hinter seinem Rücken zusammengebunden. »Was wollt ihr?«, keuchte Phrantis. »Wir sind treu! Seit den Zei ten, als der Imperator noch unter uns weilte, haben wir uns nichts zuschulden kommen lassen! Er selbst hat die Garantie für unsere Sicherheit unterzeichnet! Wir sind treu!« Der Sergeant grinste und entblößte eine Reihe schlechter Zähne.
»Wir nicht.« Phrantis wurde auf die Füße gehoben. Nicht treu? Phrantis hatte Gerüchte von Space Marines gehört, die die Gunst des Imperators verloren und sich dem Erzfeind angeschlossen hatten. Den Mächten des Chaos, deren Namen rechtschaffenen Menschen nie über die Lippen kommen würde. Chaosmarines − der Stolz und die Kraft der Marines, ins Gegenteil verkehrt: Blutdurst, Grausamkeit und Ketze rei. Nur wenige Subsektoren von diesem Planetoiden entfernt herrsch te Krieg. Der Chaosprinz Teturact versuchte, sich sein eigenes Reich zu erobern. Aber Phrantis war garantiert worden, dass die Kriegsflot te, die sich an der Grenze des Kampfgebiets versammelt hatte, das Haus Jenassis vor den Mächten des Chaos schützen würde. Was ih nen offensichtlich nicht gelungen war. Waren diese Marines Diener Teturacts? Warum griffen sie das Haus Jenassis an? Wollten sie Na vigatoren für ihre Flotte? Sklaven? Oder einfach nur einen wunder schönen Ort wie diesen entweihen? Phrantis erkannte weitere der purpurfarbenen Riesen, die aus den anderen Landungskapseln stiegen und sich hinter den Bäumen in Deckung begaben. Der Riss in der Kuppel verdunkelte den Himmel, und ein kalter Wind strömte durch die Öffnung. Das Haus Jenassis hatte seine Schönheit verloren. »Kommandant?«, voxte der Sergeant. »Wir haben den Patriar chen. Bewegen uns jetzt auf Eure Position zu. Keine weitere Feind berührung.« Phrantis konnte die Antwort nicht hören. »Klar und deutlich. Graevus Ende.« Phrantis folgte Sergeant Graevus’ Blick und starrte direkt auf ei nen Albtraum. Sarpedon war oberster Bibliothekar und Ordensmeister der Seelen trinker und ein abtrünniger Mutant, halb Mensch, halb Spinne. Seine acht Beine − sieben aus Chitin, eines ein Bionic − eilten emsig dahin, als er mit Hastis’ Trupp über die sanften Hügel auf Graevus zurann
te. Die Stiefel der Marines ruinierten den getrimmten Rasen. Sarpe don und Graevus trafen sich im Schatten eines Alien-Baumes, dessen scharlachrote Blätter in den dunkler werdenden Himmel ragten. Graevus war − wie die meisten Mitglieder seines Ordens − ein Mu tant. Seine deformierte Hand erlaubte es ihm, die Energieaxt mit un glaublicher Stärke und in großer Reichweite zu schwingen. Hastis’ und Krydels Trupps sicherten die unmittelbare Umgebung. Es war zu erwarten, dass die auf dem Planetoiden stationierten Truppen des Arbites oder die Wächter des Hauses selbst bald auftauchen würden. Techmarine Solun war der Mann, dessen Fähigkeiten hier auf Kytel lion Primus über Erfolg oder Niederlage entscheiden würden. Er ge hörte Krydels Trupp an. Seine Rüstung war mit schwarz glänzenden Memotafeln bedeckt. Phrantis Jenassis war ein grauhaariger, dünner Mann in einer ru binroten Robe, die mit Gold und Edelsteinen besetzt war. Ein Turban um seinen Kopf bedeckte das Warpauge auf seiner Stirn. Damit konnte er nicht nur den Warp betrachten, sondern auch − so ging das Gerücht − einen Mann auf der Stelle töten. »Er ist unversehrt«, sagte Graevus. »Er war ohne Begleitung un terwegs.« »Bis jetzt zumindest«, sagte Sarpedon und wandte sich dem zit ternden Patriarchen zu. »Wo ist das Galaktarium?« Phrantis starrte ihn für einen Augenblick verständnislos an. »Nur über meine Leiche, Chaosabschaum«, stammelte er dann. Sarpedon beugte sich hinab und packte Phrantis am Kinn. »Ver schwende nicht unsere Zeit, alter Mann. Wir sind im Auftrag des Imperators gekommen. Wo ist das Galaktarium?« »Das … das Arbites wird jeden Moment eintreffen. Wir haben ei nen Vertrag, der uns unsere Sicherheit garantiert …« Sarpedon verfluchte sich dafür, dass er nur unzureichende Infor mationen über das Haus Jenassis in Erfahrung hatte bringen können. Die Seelentrinker wussten, dass sich das Galaktarium hier befand − schließlich war es eines der Wunder des Imperiums −, aber es war
kein Lageplan des Habitats aufzutreiben gewesen, anhand dessen man einen Überfall vernünftig hätte planen können. »Wir werden alle hier töten, wenn es sein muss«, sagte Sarpedon. Er meinte es ernst. »Aber das lässt sich vermeiden. Wir wollen nur in das Galakta rium. Dann werden wir wieder verschwinden, und das Haus Jenassis wird unbeschadet in die Arme des Imperiums zurückkehren können.« Phrantis Jenassis versuchte wimmernd, die Augen vor dem kalten, gefährlichen Platz zu verschließen, in den sich sein Heim so plötzlich verwandelt hatte. »Die Zeit wird knapp«, sagte Sarpedon ärgerlich. Zeit war wie so viele andere Dinge für diese Mission von entscheidender Bedeutung. »Hastis, Krydel! Ausschwärmen und nach dem Galaktarium Aus schau halten! Ich will einen sofortigen Lagebericht. Stellung unbe dingt halten. Graevus, zu mir! Späher ausschicken. Los!« Das Haus Jenassis befand sich auf Kytellion Primus, einem Planetoi den mit ultradichtem Kern − daher die mit der Erde zu vergleichende Schwerkraft. Es gab noch andere Siedlungen außerhalb der Kuppel, die jedoch ungeschützt den schlechten Wetterbedingungen des Plane toiden ausgesetzt waren, zumeist Handelsposten, die von ehemaligen Bediensteten der Jenassis erbaut worden waren. Doch eines dieser Gebäude war eine aus Eisenbeton errichtete Festung mit Dutzenden von Wachtürmen − das Hauptquartier der auf Kytellion Primus sta tionierten Truppen des Adeptus Arbites. Sie beherbergte mehrere Einheiten von Richtern und Truppen, die zur Niederschlagung von Aufständen bestimmt waren. Dass sie sich direkt in der Nähe des Hauses Jenassis befanden und ihre Hauptaufgabe darin bestand, für dessen Sicherheit zu sorgen, war nur eine der vielen Gefälligkeiten, die das Imperium dem Haus für seine langjährige Treue erwies. Manche Ereignisse riefen das Arbites zwangsläufig auf den Plan. Dazu gehörte ein Riss in der Kuppel, der von einem Meteoritenein schlag oder einer anderen Katastrophe herrühren konnte. Dass das Haus Opfer eines Angriffs geworden war, galt als so gut wie ausge
schlossen. Nur Minuten, nachdem der Alarm ausgelöst worden war, befand sich eine Kolonne aus Panzer- und Mannschaftsfahrzeugen auf dem Weg zum Habitat. Die schwer bewaffneten Offiziere und Richter des Arbites waren bereit, das Navigatorhaus um jeden Preis zu verteidigen. Der Astropath des Gerichtsgebäudes befolgte die Sicherheitsrich tlinien, die das Haus während der Besiedelung von Kytellion Primus aufgestellt hatte, und verständigte verschiedene Autoritäten, dass das seit Urzeiten bewährte und heilige Haus Jenassis Opfer eines An schlags geworden war. Die Antwort kam nach wenigen Minuten. Hastis’ Trupp war auf einige Bedienstete mit Jagdgewehren gesto ßen. Eine Boltersalve genügte, um sie panisch die Flucht ergreifen zu lassen. Der Palast selbst verfügte über keine automatischen Verteidi gungsmechanismen, woraus Hastis schloss, dass sich das Galakta rium an einem anderen Ort befinden musste. Krydels Trupp, der in die entgegengesetzte Richtung aufgebro chen war, entdeckte ein gedrungenes Marmorgebäude, das mit tiefro ten Platten bedeckt war und vergoldete Zinnen besaß. Es befand sich inmitten einer kleinen Lichtung. Ein schmaler, ebenfalls mit Marmor gepflasterter Pfad führte durch ein kleines Wäldchen einen Hügel hinab zu dem von Säulen umgebenen Eingang. Den verbesserten Sinnesorganen der Seelentrinker entging nicht, dass sich eine Handvoll Bedienstete aus ihrer Wohnsiedlung am an deren Ende des Geländes näherten. Sollten sie tatsächlich so dumm sein und angreifen wollen, wären sie für die Seelentrinker mehr eine Belästigung als eine richtige Gefahr. Über sie machte sich Sarpedon keine Sorgen. »Gebäude sichern?«, fragte Sergeant Krydel, der sich mit seinem Trupp hinter den Säulen am Eingang verschanzt hatte. »Dafür ist keine Zeit«, sagte Sarpedon. »Wir gehen gemeinsam vor.« Sarpedon, Graevus und der gefangene Patriarch näherten sich
schnell durch das Wäldchen und standen am Eingang des tempelarti gen Gebäudes. »Hastis«, voxte Sarpedon, »zu unserer Position vorrücken und Be reich sichern.« Zur Bestätigung blinkte eine Rune auf Sarpedons Retinadisplay auf. Hastis war ein guter, verlässlicher Soldat, und Sarpedon hatte das Gefühl, dass die Sturmtruppen bald Feuerschutz brauchen wür den. Sarpedon schickte die drei Trupps in das Gebäude. Im Inneren war es dunkel und kühl. Der Riss in der Kuppel brachte einen kalten Wind mit sich. Die Wände bestanden aus großen Marmorquadern in verschiedensten Farben. Sie waren mit Blattgold eingefasst und mit glänzend lackierten Platten besetzt. Gobelins, die die verschiedenen Zweige der Familie Jenassis repräsentierten, hingen von den zur Mit te des Gebäudes hin immer höher werdenden Wänden − tatsächlich befand sich der Großteil der Anlage unter dem Erdboden. Sarpedon eilte mithilfe seiner mutierten Beine auf Sergeant Kry del zu. Krydel und sein Trupp hatten sich im Kampf gegen den Dä monenprinzen Abraxes, der auf der Brokenback erschienen war, aus gezeichnet. Krydel eilte der Ruf voraus, dass er durch nichts zu er schüttern war. Vor Sarpedon öffnete sich ein weiterer, unbedachter Innenhof, der mit geschmackvollen Säulen aus Jade umgeben war. Die Öffnung in der Decke durchmaß mehrere Hundert Meter. In der Mitte des Hofs befand sich eine kugelförmige Struktur aus weißem Stein. »Solun?«, voxte Sarpedon. »Außerordentliche Auspexaktivität«, antwortete der Techmarine. »Unter uns ist ziemlich viel Elektronik. Anscheinend verfügt diese Vorrichtung über eine eigene Energiequelle.« Sarpedon führte seine Männer in den Innenhof. Eine Handvoll Marines bildete die Rückendeckung. Graevus packte Phrantis Jenas sis und stellte ihn neben Solun. »Aufmachen«, befahl der Techmarine.
»Was habt ihr vor? Wer seid ihr?«, keuchte der Patriarch. »Erbitte Erlaubnis, konventionell vorgehen zu dürfen«, sagte Graevus und löste einige panzerbrechende Splittergranaten von sei nem Gürtel. »Erlaubnis erteilt«, antwortete Sarpedon. Phrantis wurde wegge zerrt, während Graevus die Granaten in den Zwischenräumen der Steinquader anbrachte. Dann zog er sich zurück. Die Detonationen klangen wie eine Gewehrsalve. Marmorsplitter wirbelten durch die Luft. Phrantis wimmerte, als der Steinmantel des Galaktariums, einem der Wunder der Galaxis, in die Luft gejagt wurde. Das Galaktarium war eine äußerst komplexe Konstruktion aus un bekanntem mattgrauem Metall und glänzendem schwarzem Psycho plastik. Konzentrische Kreise und sich drehende Kugeln waren auf zierlichen Bedienelementen angebracht. Wie eine Spinne breitete es langsam eine Reihe von beinartigen Fühlern aus. Es war eine riesige Armillarsphäre mit rotierenden Ringen, die schon bald den ganzen Innenhof ausgefüllt hatte. Unter den sich bildenden Wolken drehten sich die Ringe und Sektionen immer schneller, bis wie scheinbar aus dem Nichts einzelne Lichtpunkte erschienen. Seltsame Schatten fie len auf die versammelten Space Marines, als sich über ihren Köpfen langsam Sterne und ganze Konstellationen formten. »Hastis, Gebäude sichern«, voxte Sarpedon. »Solun, an die Ar beit.« Der Techmarine durchquerte den wirbelnden Mechanismus, bis er die Mitte des Galaktariums erreicht hatte. Eine Sternenkarte nahm langsam Form an − die größte und vollständigste, die jemals erstellt worden war. Das Imperium war viel zu groß, um kartiert zu werden. Niemand hatte es je geschafft, auch nur die bewohnten Welten zu zählen. Aber es hatte Versuche gegeben − und das Galaktarium war der erfolgreichste dieser Versuche gewesen. Es gab nur wenig Orte, die nicht auf der gewaltigen Sternenkarte verzeichnet waren, die jetzt kugelförmig um das Galaktarium herum projiziert wurde.
Das war der ganze Stolz des Hauses Jenassis. Andere Navigato renhäuser und das Adeptus Mechanicus Explorator sprachen mit Ehr furcht davon. Außerdem war es ein schwer zu haltendes Ziel, das die Seelentrinker für einen Augenblick verwundbar machte. Trotzdem war es die einzige Hoffnung des Ordens. »Kommandant?«, meldete sich Sergeant Hastis, der seinen Trupp aus dem Palast und zum Galaktarium führte. »Feindkontakt. Arbites aus Richtung des Kuppeleingangs. Ich zähle sieben Panzerfahrzeuge, die sich auf den Palast zubewegen, sowie weitere fünf, die sich Euch nähern.« »Verstanden. Nicht angreifen. Rückzug und Umgebung sichern.« »Verstanden.« Sarpedon hatte kein Interesse daran, irgendjemanden zu töten. Dazu bestand kein Grund. Aber er würde nicht davor zurückschre cken, sollte es keinen anderen Ausweg geben. Solun zog drahtartige Kabel aus den Schnittstellen in seiner Rüs tung und steckte sie in den Sockel des Galaktariums. Die gewaltige Projektion flimmerte und zeigte dann einen anderen Ausschnitt des Universums. Es war ein von Pulverdampf fast verdecktes, gedrunge nes Gebäude in verschneiter Tundra, das von Gräben und Barrikaden umgeben war. Bald waren Explosionen zu erkennen. Xenos in Rüs tung starben im Kugelhagel oder erwiderten lautlos das Feuer. Space Marines in purpurfarbenen Rüstungen stürmten über das Schlachtfeld. Seelentrinker, aus der Zeit vor ihrem Bruch mit dem Imperium. Der Marine, der den Pictrekorder trug, wandte sich zum Nachthimmel … … eine Rakete aus Veiyals Trupp durchquerte den kalten, stern klaren Himmel … Solun hielt die Aufzeichnung an. Der Nachthimmel verwandelte sich in eine undeutliche Anhäufung von Sternen. Plötzlich wirbelten die Sterne umher, und Soluns Augen starrten ausdruckslos ins Nichts, als sich die Datentafeln auf seiner Rüstung und sein Verstand mit Koordinaten und Sternenkarten füllten.
Solun musste schnell handeln, und es war nicht sicher, ob er Er folg haben würde. Selbst Techmarine Lygris, einer von Sarpedons engsten Vertrauten, hätte nicht zuwege gebracht, was er hier versuch te. Lygris hatte Solun für diese Aufgabe vorgeschlagen, da der junge Marine ein Spezialist im Aufspüren und Manipulieren von Informa tionen war. Wenn Soluns Verstand nicht mit der Datenflut fertig wurde, die da auf ihn einstürzte, würde er als ein sabbernder Säug ling in der Rüstung eines Marine enden. »Wir stehen unter Beschuss«, voxte Hastis. Im Hintergrund war leichtes Maschinengewehrfeuer zu hören. »Krydel wird euch vom Tempel aus Feuerschutz geben«, antwor tete Sarpedon. »Ich sehe sie«, bestätigte Krydel, der sich zwischen den Säulenreihen am Eingang verschanzt hatte. »Es sind mehr als hundert. Arbi tes-Truppen zur Niederschlagung von Aufständen. Sie haben fünf Repressoren und mehrere kleinere Fahrzeuge.« Sarpedon packte den verschreckten Phrantis Jenassis und zog ihn mit sich, direkt auf den Schauplatz des Gefechts zu. Sieben Krallen und das bionische Bein aus Plaststahl eilten klickend über den Mar morboden. Zwischen den Säulen konnte er eine Reihe schwarz uniformierter Arbitratoren erkennen, die sich in dem kleinen Wäldchen verschanzt hatte. Die Offiziere des Adeptus Arbites setzten die Gesetze des Im periums mithilfe von starken Rüstungen und schweren Antiperso nenwaffen durch. Sie waren gut ausgebildet und hoch motiviert. Es würde nicht ausreichen, ihre Reihen einfach nur zu durchbrechen. Sie mussten vernichtend geschlagen werden. Hastis und sein zehnköpfiger Trupp rannten, von Gewehrfeuer verfolgt, den Pfad zum Tempel hinunter. Auf Sergeant Krydels Be fehl hin eröffneten seine Männer das Bolterfeuer. Von den Bäumen regneten abgeschossene Äste auf die verschanzten Arbitratoren. Endlich hatte auch Hastis den Tempel erreicht. Ein gepanzertes Fahrzeug der Rhino-Klasse erschien auf einem kleinen Hügel und
feuerte aus zwei schweren Maschinengewehren. Seine Kugeln schlu gen in die Marmorsäulen ein und prallten von den Rüstungen der Marines ab. Sarpedon bemerkte ein Kommandofahrzeug, auf dessen Dach eine große, sich drehende Antennenschüssel angebracht war. Daneben flatterten zwei Banner im Wind − die Farben des Arbites und des Hauses Jenassis. Die Einstiegsluke öffnete sich, und ein Richter er schien. Sein geflügelter Helm zeichnete sich gegen den grauen Himmel ab. »Feuer einstellen!«, befahl Sarpedon. Ein Voxlautsprecher wurde auf dem Dach des Fahrzeugs angeb racht. Der Richter nahm das dazugehörige Sprechgerät in die Hand. »Eindringlinge!«, dröhnte die verstärkte Stimme. »Legt eure Waf fen nieder, lasst die Geiseln frei und beugt euch dem Gesetz des Im perators!« Sarpedon warf einen Blick in den Tempel. Die Sternenkarte des Galaktariums pulsierte und zeigte ein Sternensystem nach dem ande ren an. Soluns Körper zitterte, als die Daten durch ihn hindurch strömten. Sie mussten ihm mehr Zeit verschaffen. Sarpedon trat aus dem Schatten der Säulen. Er wusste genau, wo für ihn das Arbites halten würde − für einen Mutanten. Und das zu Recht. Er trug die in Gold eingefasste Rüstung eines Bibliothekars der Space Marines, einen Energiestab aus Nalholz und einen Artifi cer-Bolter. Auf seiner Brust prangte noch immer der imperiale Adler. Und trotzdem war er ein Mutant. Er hoffte, dass die Arbites nicht einfach rein aus Prinzip auf ihn feuern würden. Er bedeutete Hastis und Krydel, in Deckung zu bleiben, und trat vor, wobei er Phrantis hinter sich herzog. Er zählte etwa dreißig Ar bites, die sich zwischen den Bäumen verschanzt hatten. Ohne Zwei fel warteten noch viele weitere hinter dem kleinen Hügel. Ein weite res Panzerfahrzeug rollte heran. Dieses war mit einer Demolisherka none bewaffnet, deren Feuerkraft groß genug war, um selbst Sarpe don mit einem Schuss in einen Haufen rauchender Asche zu verwan
deln. »Wir werden kämpfen, wenn ihr uns dazu zwingt«, rief Sarpedon in die Stille, die eingekehrt war. »Jeder von euch wird dabei sterben. Kehrt um. Wir sind nicht eure Feinde, da wir nicht mehr an die Ge setze des Imperiums gebunden sind.« »Lasst den Gefangenen frei und kommt unbewaffnet heraus«, antwortete der Richter über den Lautsprecher. »Graevus?«, voxte Sarpedon flüsternd. »Wie lange noch?« »Solun ist nahe dran. Er hat die Suche auf drei Sternensysteme eingegrenzt«, antwortete der Sergeant des Sturmtrupps. Sarpedon sah über die Schulter auf den wirbelnden Sternenhaufen im Galaktarium. Dann wandte er sich wieder den versammelten Ar bites zu, packte Phrantis Jenassis und stellte ihn vor sich hin. Er zog die Boltpistole und richtete sie auf den Hinterkopf des Navigators. »Dieser Mann ist mehr wert als ihr alle zusammen«, rief Sarpe don. »Wenn ihr uns gehen lasst, wird er überleben. Entscheidet ihr euch anders, wird er sterben.« Der Richter beugte sich ohne eine Antwort in das Panzerfahrzeug. In der Einstiegsluke erschien ein Astropath, einer jener mächtigen Telepathen, die in der Lage waren, Nachrichten schneller als das Licht durch das Imperium zu senden. Sarpedons verbesserte Augen sahen die blinden, eingesunkenen Augenhöhlen und das faltige, runz lige Gesicht. Mit zitternder Stimme sprach er in den Lautsprecher. Aus seinem Tonfall war klar, dass jemand von weit her durch ihn hindurch sprach. »Ordensmeister Sarpedon. Wollt Ihr, dass hier alles zu Ende geht? Diese Männer stehen unter meinem Befehl und werden Euch ohne zu zögern töten. Ihr und Eure Waffenbrüder seid hiermit auf Befehl von Inquisitor Thaddeus vom Orden des Hereticus verhaftet.«
VIER
Teturact war schon immer hier gewesen. Ihr Leben vor der Seuche war nur mehr eine ausgewaschene Erinnerung, die neben Teturacts Licht verblasste. Teturact war ihr Erlöser, ihr Leben. Einhundert Welten hatte er schon von der Geißel der Seuche be freit. Er hatte sie gelehrt, die Seuche nicht zu bekämpfen, sondern sie anzunehmen, ein Teil von ihr zu werden und ihre Kraft zu spüren. Die Quelle ihres Todes war unter Teturacts Anleitung zu neuem Le ben geworden. Er war zu Maschinen-, Schwarm- und Grenzwelten gekommen, um seine Jünger zu retten. Jetzt würden sie ihm bis zum Ende der Galaxis folgen. Er hatte dafür gesorgt, dass sie vor Leben nur so strotzten, dass es ihnen aus den Poren strömte und aus ihrer rissigen Haut quoll. Der Raumhafen der imperialen Flotte auf Stratix war die erste Sta tion Teturacts gewesen. Jetzt trat jeder, der entbehrlich war, eine Pil gerfahrt zu dieser seiner Heimatwelt an − einer Welt, übersät mit riesenhaften Landedocks, die auf gewaltigen Steinfundamenten stan den. Große Metallröhren beherbergten Schwarmsiedlungen. Seine Jünger wurden von Kultisten aus den Raumhäfen und vor seinen Thron gebracht. Teturact residierte inmitten einer gewaltigen, seu chenbefallenen Menge. Millionen schoben sich an ihm vorbei, richte ten ihre trüben Augen auf die Säule aus schwarzem Stein, von dem aus ihr Erlöser wohlwollend auf sie herunterblickte. Teturact saß auf einer Sänfte, die von vier muskelbepackten Mutanten getragen wur de, die ihm bedingungslos zu Willen waren. Ihre kräftigen Gestalten bildeten einen Gegensatz zu Teturacts schwächlichem, verschrum pelten Körper, der trotzdem eine gewaltige Macht ausstrahlte. Sein schmales, uraltes Gesicht zeugte von Weisheit. Mit langen, zerbrech
lichen Fingern erteilte er der Menge unter ihm seinen Segen. Teturacts Reich war mehrere Dutzend Sonnensysteme groß. Er herrschte mit unumschränkter Macht. Die Boten, die er auf die Wel ten seiner Gläubigen schickte, überbrachten Befehle, die ohne Fragen ausgeführt wurden. Das Imperium hatte sie verraten und verlassen und versuchte jetzt, ihnen diese Welten wieder zu entreißen. In seiner großen Weisheit befahl Teturact seinen Dienern, sich den Armeen des Imperiums auf planetengroßen Schlachtfeldern entgegenzustellen und ihr Leben für den Ruhm und die Ehre ihres Erlösers zu opfern. Die Kriegsschiffe, die sich auf Stratix befanden, waren zu schnellen Jägern und Brandschiffen umfunktioniert worden, die die Speerspitze des Imperiums aufreiben sollten. Mit den erbeuteten Waffen wurden Armeen aus dem Boden gestampft, die ohne zu zögern die imperia len Truppen, die ihre Städte angriffen, gnadenlos abschlachteten. Ihr Opfer sicherte das Fortbestehen von Teturacts Reich. Sie konnten sich keinen schöneren Tod vorstellen. Zu seinem Reich gehörten das Stratix-System selbst sowie die Fabrikwelten Salshan Anterior und Telkrid IX. Außerdem beinhalte te es einige mineralreiche Asteroidenfelder um den blauen Zwerg stern Serpentis Minor. Teturact besaß genug Ressourcen, um das Imperium in einen Krieg zu zwingen, der Jahrhunderte dauern konn te. Er kontrollierte Werften und Agrarwelten, die diejenigen seiner Anhänger, die noch Nahrung brauchten, versorgten. Es sah nicht da nach aus, als würde sein Stern bald untergehen. Teturacts verseuchtes Sternensystem flimmerte auf der großen Pro jektionskugel des Galaktariums. Nach und nach waren einzelne Ster ne zu erkennen, bis sich die Sternenkarte dem darunter liegenden Standbild der Aufzeichnung angepasst hatte. Sergeant Graevus rannte zu Techmarine Solun, der mit letzter Kraft versuchte, die Kontakte aus seinem Hinterkopf zu ziehen. Graevus entfernte sie für ihn, und sofort wurden Soluns Augen wie der klar.
»Hast du es gefunden, Bruder?«, fragte Graevus. »Stratix Luminae«, sagte Solun. »Am Rande des Stratix-Systems. Der Planet scheint unberührt. Er wurde nie besiedelt.« »Die Arbites haben uns umzingelt. Kannst du kämpfen?« »Jederzeit.« »Sehr gut. Komm mit.« Sergeant Graevus eilte aus dem Galaktarium zum Eingang des Tempels, als Gewehrfeuer ertönte. Sarpedon war sich sicher gewesen, dass die Inquisition sie früher oder später aufspüren würde − die Seelentrinker waren Excommuni catio Traitoris. Sarpedon persönlich hatte den Boten, der dieses Ur teil überbracht hatte, getötet. Und jetzt hatte sie der Ordo Hereticus doch aufgespürt. Genau in jenem Moment, in dem die Seelentrinker am verwundbarsten waren − obwohl sie so unerbittlich und intelli gent wie immer vorgegangen waren. Inquisitor Tsouras, der vom Orden im Cerberischen Feld überlistet worden war, war nicht mehr als ein brutaler Schläger gewesen, der seine Macht dazu eingesetzt hatte, andere zu schikanieren und ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Thaddeus dagegen wirkte wie ein wei taus scharfsinnigerer und geduldigerer Mann. Also ein Gegner, den Sarpedon im Moment am wenigsten gebrauchen konnte. Der Orden musste schnell und geheim vorgehen − doch Sarpedon war immer bewusst gewesen, dass er sich der Inquisition ein weiteres Mal stel len musste. Den ersten Schuss gab ein Scharfschütze des Arbites ab. Er war ein eiskalter Killer und ein guter Offizier. Sein automatisches Scharf schützengewehr jagte eine Kugel durch Phrantis Jenassis’ linkes Au ge und ließ seinen Hinterkopf zerplatzen. In Sarpedons Händen war er nur mehr totes Gewicht. Wahrscheinlich hatte Inquisitor Thaddeus höchstpersönlich den Befehl erteilt − die Geisel war Sarpedons ein zige Trumpfkarte gewesen. Und dem Kommando des Ordo Hereticus mussten sich auch das Navigatorenhaus und das Arbites, das ihm
unterstellt war, beugen. Jetzt hatten auch die übrigen Männer keinen Grund mehr, nicht auf den Mutanten vor ihnen zu schießen. Sarpedon konnte gerade noch einem Schuss aus der Kanone des Rhino ausweichen, der einen riesigen Krater im Boden hinterließ und ihn beinahe von den Beinen geholt hätte. Die Arbites waren zum größten Teil mit Schrotflinten ausgerüstet, deren kurze Reichweite ideal zur Niederschlagung von Aufständen geeignet war. Trotzdem erhielt Sarpedon genug Treffer aus Scharfschützengewehren und von Granatsplittern, als er den zu ckenden Leichnam von Phrantis Jenassis fallen ließ und sich im Tempel in Deckung brachte. Als Phrantis Jenassis zu Boden fiel, löste sich sein Turban, und sein geöffnetes, aber jetzt blindes und harmloses Warpauge starrte in den Himmel. »Gegenfeuer eröffnen und ins Gebäude zurückziehen«, befahl Sarpedon Hastis und Krydel, als er ins Galaktarium eilte. Aus dem Tempel ertönte Bolterfeuer, während die Arbites vor rückten. Ihre Schrotflinten waren auf diese Distanz nutzlos, würden sich aber im Nahkampf als tödliche Waffen erweisen. Die Soldaten rückten unbeirrt durch das Bolterfeuer der beiden Seelentrinkertrupps vor. Sarpedon hatte seine Männer angewiesen, gezielt zu feuern, doch als ein Projektil aus der Rhinokanone einen Mann aus Krydels Trupp in Stücke riss, erwies sich dieses Kommando als nicht durch führbar. Bald schlug die erste Schrotladung in eine der Säulen ein, und Hastis und Krydel befahlen ihren Trupps den sofortigen Rück zug in den Tempel. Auf der riesigen Projektionsfläche war die unbewegte Darstellung von Stratix Luminae zu sehen. Endlich hatte der Ort, nach dem sie so lange gesucht hatten, einen Namen. Aber wenn es den Seelentrinkern nicht gelang, mit dieser Information von Kytellion Prime zu ent kommen, war alles umsonst gewesen. Graevus’ Trupp hatte sich am Rand des Innenhofes postiert. Solun war bei ihnen. Glücklicherweise schien er in der Lage zu sein, kämp
fen zu können. Wenn der Arbites-Richter auch nur einen Funken Verstand besaß, würde er Männer mit Granatwerfern auf das Dach des Tempels schicken, die einen Regen aus Explosivgeschossen auf die Seelentrinker niedergehen lassen konnten. Sarpedon wusste, dass im Kampf um den Haupteingang jeder Mann benötigt wurde. »Position halten. Wir werden einen Durchbruch versuchen. Hastis und Krydel, ihr bildet die Vorhut. Graevus, mir nach.« Sarpedon deutete auf die Maschinerie des Galaktariums. »Zerstören.« Graevus brüllte einen Befehl, und ein Marine seines Trupps rannte auf das Galaktarium zu, während er einen großen Metallkanister aus seinem Rucksack holte − eine Melterbombe. Kyrels und Hastis’ Trupps sammelten sich vor dem Eingang des Innenhofes. Schrapnel le von Schrotflintengeschossen schlugen neben ihnen ein. Hastis hielt seinen Trupp an und befahl ihm, das Feuer auf die durch den Säulen gang anstürmenden Arbites zu richten. Sarpedon unterstützte sie, schoss einen der Arbites in den Bauch und zwang den nächsten, sich hinter einer Säule in Sicherheit zu bringen. Von der Vorderseite des Tempels ertönte eine Reihe von Detona tionen, die eine Wolke aus Erdreich und Marmorstaub in den Innen hof wirbelten. Krydels Trupp, der am nächsten gewesen war, zog sich zurück. Die Rüstungen der Männer waren mit weißem Staub bedeckt. »Sprengladungen«, voxte Hastis. »Sie haben die Vorderseite des Tempels in die Luft gejagt.« »Feuerschutz zum Vorrücken geben«, antwortete Sarpedon. »Wir haben kein freies Schussfeld − wir müssen in den Nahkampf. Grae vus?« »Kommandant?« »Gegenangriff auf meinen Befehl.« »Verstanden.« Während sich der Staub legte, hörte Sarpedon die Detonation der Melterbombe, die die Maschinerie des Galaktariums zerstörte und die Metallkonstruktion zum Schmelzen brachte. Die Projektion
flimmerte − dann war das Sternenfeld vor der marmornen Architek tur des Tempels plötzlich verschwunden. Sarpedon ließ seinen Blick über die Zinnen des Innenhofs schweifen. Noch erspähte er keine Arbites, aber sie würden nicht lange auf sich warten lassen. Sie wür den sie von oben unter Beschuss nehmen, während die anderen ver suchen würden, den Tempel zu stürmen. Unter heftigen Feuerstößen näherten sich die Arbites den Marines, indem sie herabgefallene Marmorbrocken als Deckung benutzten. Mit gezogenem, blitzendem Energieschwert stürzte sich Sergeant Krydel ins Getümmel. Hastis’ Männer gaben dem Sturmtrupp Feuer schutz, während die Arbites aus der Deckung heraus ihre Schrotflin ten abfeuerten. Sarpedon steckte den Bolter beiseite. Kugeln schlugen um ihn he rum ein. Er packte den Nalholzstab mit beiden Händen und spürte, wie die psionische Energie spiralenförmig um seinen Körper herum aufstieg und reine Kraft aus dem Innersten des Gehirns in den zit ternden Stab in seiner Faust strömte. Er hatte noch immer gewaltigen Respekt vor der Kraft in sich. Sie war immer groß gewesen, aber seit den schrecklichen Ereignissen auf dem unbekannten Planeten und der Brokenback waren seine psionischen Fähigkeiten enorm gewachsen, kochten in seinem Un terbewusstsein und warteten nur darauf, losgelassen zu werden. Losgelassen zu werden. Sich zur Hölle zu formen. Er konzentrierte sich auf seine psionische Energie und richtete sie nach außen. Durch jahrelange Übung beschwor er schreckenerregen de Bilder herauf. Kreischende, Fledermausähnliche Gestalten stürz ten sich wie glühende Kometen zwischen die Reihen der Arbites. Sarpedon konzentrierte sich stärker und erschuf immer neue Kreatu ren, bis ein ganzer Schwarm von ihnen die Umgebung des Galakta riums heimsuchte. »Dämonen!«, schrie irgendjemand. Die Inquisition musste an nehmen, dass die Seelentrinker mit dem Chaos im Bunde waren und hatte das Arbites in dieser Hinsicht vorgewarnt. Wenn sie vor Dämo
nen Angst hatten, dann würde Sarpedon ihnen auch Dämonen schi cken. Die Hölle, Sarpedons psionisches Talent, das ihm die Aufnahme in das Librarium des Ordens ermöglicht hatte, brach über die Arbites herein. Es war ein Wirbelsturm aus Albträumen, der seine schreckli chen Bilder direkt aus den tiefsten Ängsten seiner Opfer schöpfte und ihnen in aller Deutlichkeit vor Augen führte. Sarpedons telepa thische Kräfte erlaubten ihm nur zu senden, nicht zu empfangen. Diese Fähigkeit war vom Librarium erkannt worden. Durch seine Willenskraft hatte er diese Gabe in eine tödliche Waffe verwandelt − eine Waffe, wie sie nur wenige Bibliothekare jemals besessen hatten. Rein körperlich gesehen war sie harmlos, aber der psychologische Effekt war verheerend. Die Arbites wurden von heulenden Unge heuern heimgesucht, die mit schlangenartigen Körpern durch die Luft peitschten. Die Arbites feuerten in den Himmel. Viele gerieten in Panik. Der ideologische Ausbildungsgrad der Arbites war um ein Vielfaches größer als der gewöhnlicher imperialer Soldaten. Aber auch von ih nen hatten nur die wenigsten leibhaftigen Dämonen gegenüberges tanden − oder einem so mächtigen und erfahrenen Psioniker wie Sar pedon. »Graevus!«, schrie Sarpedon. »Angriff!« Graevus’ Trupp stürmte in Sarpedons Begleitung an Krydels und Hastis’ Männern vorbei. Sarpedon persönlich hatte dafür gesorgt, dass jeder Seelentrinker durch intensive Kampfübungen an Bord der Brokenback auf Die Hölle vorbereitet war. Sie würden nicht wie ihre Feinde in Panik geraten. Mit der Axt in der mutierten Hand preschte Graevus auf seine Feinde zu. Sein Sturmtrupp jagte Salve um Salve aus ihren Boltpistolen in die Reihen der Arbites, bevor sie sich mit den Kettenschwertern auf sie stürzten. Die Klingen zerschnitten die Plattenrüstungen der Arbites, als wären sie überhaupt nicht vorhan den. Nur einen Sekundenbruchteil später stand auch Sarpedon mitten
im Getümmel. Seine mutierten Beine trugen ihn im Nu über die Schutthaufen und in die feindlichen Linien. Er ließ seine Energie in den Stab fließen und hieb damit nach der ersten Reihe der Feinde. In den schwarzen Glasvisieren ihrer Helme konnte er sich selbst dabei beobachten, wie er zwei der Männer zerstückelte. Einen dritten spießte er an seinem bionischen Vorderbein auf und schleuderte ihn über seinen Kopf hinweg. Sergeant Graevus schoss hinter einem Marmorbrocken hervor und tötete einen Soldaten, der gerade seine Schrotflinte auf Sarpedon richten wollte. Überall zeichneten Boltergeschosse glühende orange farbene Bahnen durch die Luft. Durch den Schlachtenlärm konnte Sarpedon die verzweifelten Be fehle der Arbites-Offiziere und das Geschrei der Männer hören, die von fliegenden Ungeheuern angegriffen wurden. Graevus machte kurzen Prozess mit den feindlichen Soldaten. Die Arbites auf dem Dach begegneten wider Erwarten nicht etwa einge schüchterten, verzweifelten Marines, sondern Hastis’ Trupp, der ihr Feuer erwiderte und mit Granatwerfern bewaffnete Soldaten tot in den Innenhof fallen ließ. Als Graevus den Eingang des Tempels er reicht hatte, waren bereits über einhundert Arbites entweder tot, ver wundet oder hoffnungslos in Panik verfallen. Die Seelentrinker folgten den fliehenden Soldaten aus dem Tem pel. Sie wussten, dass ihre Feinde immer noch stark genug waren, um sich zu sammeln und einen Gegenangriff einzuleiten, wenn sie die Chance dazu bekamen. Während Graevus’ Männer die Panzer fahrzeuge des Arbites mit Splittergranaten unbrauchbar machten, feuerten Krydels Männer gezielte Schüsse auf die Soldaten ab, die sich im Garten verschanzt hatten. »Fahrer unversehrt lassen«, befahl Sarpedon. »Ich will nicht mehr Tote als nötig.« Auf dem flachen Hügel bemerkte er den mit Ein schusslöchern übersäten Kommandowagen und eilte mit schnellen Schritten über den durchlöcherten Boden darauf zu. Er steckte den Energiestab weg und riss die Seitentür des Fahrzeugs auf.
Der Astropath im Inneren zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht. »Du musst noch eine letzte Nachricht senden«, sagte Sarpedon. »Sag Inquisitor Thaddeus, dass wir nicht die sind, für die er uns hält. Ich weiß, dass er uns nicht einfach ziehen lassen kann. Aber letzten Endes stehen wir auf derselben Seite. Wenn er unsere Mission be hindert, werde ich ihn töten. Er wird es verstehen − uns verbindet ein gemeinsames Ziel.« Der Astropath nickte schweigend. Sarpedon ließ ihn im Panzer fahrzeug zurück und beorderte seine Männer in den Tempel. »Unsere Schiffe können uns nicht erreichen, solange wir uns in nerhalb der Kuppel befinden. Wir müssen auf die Oberfläche des Planetoiden. Mir nach.« Sarpedon betrachtete die Lebensrunen der drei Trupps auf dem Retinadisplay. Krydel hatte zwei, Hastis einen Mann im Kampf ge gen die Arbites verloren. Ein Verlust, der in der näheren Zukunft nicht ersetzt werden konnte. Sarpedon wusste, dass er noch viel mehr Kameraden verlieren würde, bevor neue Rekruten angeworben wer den konnten. Aber zumindest kannten sie jetzt ihr nächstes Ziel: Stratix Lumi nae. Dieses Wissen brachte sie dem Überleben einen Schritt näher. Die Karte des Imperiums bestand aus einer Anordnung von Edelstei nen, die aus den Ohrringen und Halsketten der Wohlhabenden stammten, die damit ihren Tribut an Teturact entrichtet hatten. Die Karte befand sich auf dem Boden des südwestlichen Docks Nummer Drei, das zum Thronsaal Teturacts auserkoren war. Das Dock reichte drei Stock tief in den Erdboden und war mit Wandteppichen und verfaultem Gewebe aus infizierten Wunden geschmückt. Die Muster aus Gedärmen und Eiter waren ein Geschenk der dankbaren Seu chenopfer. In den Ecken des höhlenartigen Gewölbes drängten sich unter den Kontrolltürmen und Andockklammern verhärmte Gestal ten. Pilgerfahrer, die den weiten Weg auf sich genommen hatten und sich jetzt fürchteten, vor das Antlitz ihres Herrn zu treten. Der Boden
war mit den Körpern derjenigen bedeckt, die vor Ehrfurcht gestorben waren. Flüssige Pestilenz strömte von den Wänden und tropfte von den Decken. Teturact beugte sich in seiner Sänfte vor. Seine mutier ten Träger waren so muskelbepackt, dass selbst ihre Gesichter fast unter den gewaltigen Fleischbergen verschwunden waren. Sie ließen die Sänfte sanft absinken, damit Teturact einen besseren Blick auf die Karte werfen konnte. Stratix, um das herum die Karte angeordnet war, wurde durch einen faustgroßen, blutroten Rubin dargestellt. Die Maschinenwelten waren Saphire in der Farbe toter Lippen. Die Grenzwelten, auf denen die imperiale Armee gegen Teturacts Jünger kämpfte, waren glühende, gelborange Opale. Welten, die Teturact bereits unterworfen hatte, funkelten als klare Diamanten und de monstrierten so ihre unvergängliche Treue. Jeder der über hundert Edelsteine repräsentierte einen der Planeten, die Teturact erobert hatte und deren Bewohner bereit waren, ihr Leben für ihn zu geben. Teturact war schon seit vielen Jahren gestorben. Sein Herz war nur mehr ein Knoten aus trockenem Fleisch in einem verstaubten Brustkorb. Nur sein Verstand war noch am Leben, pulsierte hinter der vertrockneten Haut seines Schädels und des schmerzverzerrten Gesichts mit dem weit geöffneten Mund und den vertrockneten Au gäpfeln. Sein Körper, dünn und mit pergamentartiger, gelber Haut überzogen, bewegte sich allein durch die Kraft seiner Gedanken − die Muskeln waren schon lange verwest. Teturact war in wörtlichem Sinn ein Wesen, das nur aus Willenskraft bestand. Er konnte seine Umgebung direkt beeinflussen und jeden in seinen Bann zwingen. Er konnte ohne weitere Anstrengung die dummen Gehirne der Mutan ten, die die Sänfte trugen, kontrollieren. Bei anderen musste er zu scharfsinnigeren Mitteln greifen, um ihnen seinen Willen aufzuzwin gen. Er brachte viele Krankheiten, damit nicht ein einziges Heilmittel seinen ganzen Plan gefährden konnte. Aber die Seuchen waren nur eines seiner Werkzeuge. Sie waren ein Katalysator. Teturacts Wil lenskraft war seine eigentliche Waffe. Diese Willenskraft allein hatte
ihm ein Reich beschert, das jetzt schon größer war als das der Chaosmächte während der Schwarzen Kreuzzüge. Die Welten, die auf seiner Karte durch Smaragde dargestellt war en, befanden sich gerade in einem schmerzvollen Prozess, an dessen Ende ihre völlige Unterwerfung stand. Auf manchen hatte die Seuche gerade erst begonnen. Teturacts Agenten und Spione hatten die Krankheit gleichermaßen zu Gouverneuren und Schwarmweltab schaum gebracht. Andere Planeten waren fast reif. Bald würde Tetu ract zu ihnen reisen, um die Infizierten durch die Macht, die er über die Seuche hatte, in seine Gewalt zu bringen. Sein Blick fiel auf einen der Smaragde. Er lag fast neben der Grenzlinie und besaß ein enormes strategisches Potenzial. Mit seiner Eroberung konnte die ganze Umgebung in ein einziges Schlachtfeld verwandelt werden. Oberst, sprach er in die Schatten. Seine Stimme war nur mehr ein psychischer Schall − Teturacts Stimmbänder waren längst verwest. Eine menschliche Gestalt trottete auf die Sänfte zu und verbeugte sich. Die Gestalt war in blutige Bandagen gehüllt, unter denen sil bergeschmückte Purpurgewänder hervorlugten. Auf ihrer Brust prangten mehrere Medaillen. Oberst Karendin war schon vor seiner Infektion ein brutaler Schlächter gewesen. Teturact hatte ihm gestat tet, seinen Verstand zu behalten, damit er die militärische Situation seines Reichs überwachen konnte. Was ist mit dieser Welt? Teturact deutete mit einem seiner Spin nenfinger auf den strategisch wichtigen Smaragd. »Eumenix?«, antwortete Karendin zischend. »Steht kurz vor dem Zusammenbruch. Wie man hört, ist der Gouverneur bereits tot. Die Arbites sind zerstört. Seit Wochen hat kein Schiff mehr den Planeten verlassen. Eine Milliarde Menschen sind in Blut und Eiter regelrecht ertrunken.« Dann ist dies mein nächstes Ziel, sagte Teturact. Ich will diese Welt, und zwar so schnell wie möglich. »Wenn Ihr jetzt aufbrecht, mein Erlöser, wird die Welt bei Eurer
Ankunft reif für Euch sein. Ich werde sofort Euer Flaggschiff startbe reit machen.« So sei es. Teturact lehnte sich auf dem Polster seiner Sänfte zu rück. Unser Reich wächst unaufhaltsam, Oberst. Es dehnt sich immer weiter aus. Siehst du, wie ansteckend wir sind? »Natürlich, mein Erlöser«, zischte Karendin. Die gedrängt in den Ecken stehenden Pilger murmelten ihre Zustimmung. »Wir breiten uns über die Sterne aus wie eine Seuche!« Sieh zu, dass mein Hofstaat noch heute an Bord geht, sagte Tetu ract, der das Interesse an den Schmeicheleien des Obersts verloren hatte. Eumenix. Eine schöne Welt. Eine von Infizierten wimmelnde Schwarmwelt, die sich ihm bedingungslos anschließen würde, wenn er sich ihrer erbarmte. Eine wirklich schöne Welt. Sie würden ihn als Erlöser willkommen heißen und für ihn wie für einen Gott sterben. Schwester Berenice Aescarion war dreiundsechzig Jahre alt. Dreiundfünfzig davon hatte sie als Tochter des Imperators verbracht. Ihr Körper war gestählt, sie hatte gesühnt, und ihr Geist war rein. Sie war eine Soldatin der Kirche des Imperators. Zunächst hatte sie die Schola Progenia besucht, in der die Waisen des Imperiums ausgebil det wurden. Danach war sie vor die Prediger und Konfessoren des Adeptus Ministorum getreten. Sie hatten ihren Geist mit den Offen barungen des Imperators gefüllt, und sie hatte keine Furcht gezeigt. Sie hatte von den Schrecken des Verrats und des Unglaubens gehört, die der Sünde Tür und Tor öffneten, und war nicht verzweifelt. Das Höllenfeuer, das die Konfessoren heraufbeschworen, hatte ihr keine Tränen in die Augen getrieben. Die Worte der Prediger hatten sie angeregt, nicht verschreckt. Sie hatte genug Willenskraft, um in die Reihen der Schwesternschaft aufgenommen zu werden. Während ihrer Novizenzeit beim Ordo Famulus wurde offensichtlich, dass sie die Zähigkeit und den Eifer hatte, dem Ordo Militaris beizutreten. Nie hatte sie ihren Glauben verloren. Sie hatte überall in der Ga
laxis für das Banner des Schwarzen Kelches gekämpft − von den Abteien auf Terra bis zu den äußersten Grenzen des Imperiums. Spä ter hatte sie den Dämonenprinzen Parmenides den Abscheulichen bezwungen. Dazu war ein brisantes Bündnis aus der Schwestern schaft und der Inquisition nötig gewesen. Sie hatte sich den Ruf er worben, die Machtfragen zwischen Kirche und Inquisition elegant umschiffen zu können, ohne den größten Feind aus dem Auge zu verlieren: das Chaos, die Finsternis, die der Imperator noch immer mit all seiner Kraft bekämpfte. Als Inquisitor Thaddeus einen Trupp Schwestern des Ordo Militaris angefordert hatte, war Schwester Aes carion bereit gewesen, ihn anzuführen. Stiftsdame Tasmander hatte sie gebeten, das Kommando über den Orden des Schwarzen Kelches zu übernehmen, aber sie hatte abge lehnt. Aescarion hatte ihr ganzes Leben lang gekämpft, und sie war zu alt dafür, noch etwas anderes zu lernen. Der Kampf war das einzi ge Mittel, mit dem sie ihren Glauben durch Taten ausdrücken konnte. Jenen Glauben, der sie der Schwesternschaft hatte beitreten lassen, jenen Glauben, mit dessen Hilfe sie Parmenides und unzählige ande re Feinde zerstört hatte. Dieser Glaube war auf Eumenix schwer ge prüft worden. Eumenix. Wenn es jemals einen Ort gegeben hatte, von dem der Imperator sein strahlendes Licht genommen hatte, dann von Eume nix. Aescarion hatte schon viel gesehen, aber noch nie einen so hoff nungs- und trostlosen Ort. Eumenix war ein abschreckendes Beispiel dafür, was aus einer Welt ohne Glauben werden konnte. Aescarion beobachtete Interrogator Shen. Seine riesige Bronzerüs tung war von der wochenlangen Reise durch den Schmutz und die Schrecken von Schwarmstadt Quintus gezeichnet. Shen kletterte mü de den steilen Schacht hinunter, der in die Untergeschosse der Schwarmsiedlung führte. Es herrschte eine Gluthitze, da die geo thermischen Kühlaggregate ganz in der Nähe waren. Es stank. Auf der Oberfläche waren Schwester Aescarion und ihr Trupp auf verwe sende Leichenberge gestoßen, deren infektiöse Ausdünstungen den
ganzen Planeten durchdrungen hatten. Es war ein süßlicher, ekeler regender Geruch nach Fäulnis und Verderbtheit. Die Hitze hier unten machte es noch schlimmer. Seit mehreren Tagen durchsuchten Shen und die Schwestern nun schon die Tiefen der Schwarmstadt. Jetzt befanden sie sich mehrere Dutzend Stock werke tief im Untergrund und suchten nach überlebenden Dienern des Imperiums. Das Arbites im Gouverneurspalast war vernichtet worden. Die Mitglieder des Administratums waren unter den ersten Opfern der Seuche gewesen. Die geologische Forschungsstation des Adeptus Mechanicus in den Tiefen der Schwarmstadt war der letzte Fluchtpunkt − und damit die letzte Möglichkeit, die Anwesenheit der Seelentrinker bestätigen zu können. Das war vor Wochen gewesen. Thaddeus hatte die Neuigkeiten so schnell wie möglich weitergegeben, hatte die eigentliche Untersu chung aber Interrogator Shen übertragen, während er selbst sich der Brokenback und den Trümmern des Hauses Jenassis widmete. So wohl Shen als auch Aescarion bezweifelten, dass noch irgendjemand oder irgendetwas in der Schwarmstadt Quintus lebte − zumindest nicht, wenn man Leben im normalen Sinne definierte. Die Architektur in diesen Tiefen war seltsam verdreht. Es waren zerdrückte, verschobene Überreste der Siedlungen, auf denen Schwarmstadt Quintus einst errichtet worden war. Der Schmutz von Hunderten von Stockwerken rann die Wände hinunter. Aus geplatzten Rohren strömte Dampf. Pestratten, groß wie Kampf hunde, schlichen durch die verbogenen Metallstreben. Das Knirschen der versinkenden Stadt wurde nur durch gelegentliche Schreie un terbrochen, mit denen eine weitere Kreatur der Hölle von Eumenix zum Opfer fiel. Der Gang fiel nach unten ab und bog scharf ab. Shen zog die In fernopistole und näherte sich der Biegung. Seine Stiefel knirschten auf dem zu Kristallen erstarrten Dreck, der den Boden bedeckte. Schwester Aescarion folgte ihm mit der Boltpistole im Anschlag. An ihrer Seite waren die Seraphim, die sie für diese Mission als Begleit
schutz ausgewählt hatte. Eine davon, Schwester Mixu, kämpfte nun schon seit mehr als zehn Jahren an ihrer Seite. Die anderen Schwes tern stammten aus verschiedenen Orden. Alle waren der Tradition der Seraphim nach mit zwei Boltpistolen bewaffnet. Shen führte den Trupp an. Der Gang mündete in ein zerklüftetes Loch. Es sah aus, als hätte eine Bombe den Boden aus mehreren un tereinanderliegenden Stockwerken gerissen. Schmutziges Wasser sammelte sich in Pfützen auf dem Boden. Blasser Dampf strömte aus durchlöcherten Rohren über ihnen. »Die Geothermalstation muss hochgegangen sein«, sagte Shen, während er sich umsah. Die Infernopistole, die er trug, war ein äu ßerst seltenes Stück: Die Feuerkraft eines Melters war in einer relativ schmalen Pistole gebündelt. Auf kurze Distanz gab es nichts, was sie nicht durchlöchern konnte. »Ohne die Wartungstrupps wird früher oder später die halbe Schwarmstadt explodieren.« Schwester Mixu deutete auf ein Schild, das verkehrt herum an ei nem Haufen verbogenen Metalls hing. Es zeigte zur Hälfte einen metallischen Schädel, zur anderen ein Zahnrad. »Das Symbol des Mechanicus. Wir können nicht mehr weit sein, Schwester.« »Vorsicht!«, schrie eine der Seraphim. Schwester Aescarion wir belte herum und sah, wie eine der Schwestern in die Dunkelheit feuerte. Sie feuerte ein Hochtemperaturgeschoss in dieselbe Rich tung. Für einen Moment waren gekrümmte, kaum menschliche Ge stalten sichtbar, die sich in der Finsternis sammelten. Es waren keine Banditen − sie hatten nicht vor, irgendetwas zu stehlen. Ihr einziges Ziel bestand darin, etwas Lebendiges zu töten. Die Einwohner der Schwarmstadt waren von der Seuche zu wan delnden Leichnamen gemacht worden, die Shen und den Seraphim während ihrer albtraumhaften Reise ständig gefolgt waren. In dem kurzen Augenblick, in dem die Dunkelheit durch die Ex plosion erhellt wurde, zählte Aescarion mehr als fünfzig von ihnen. Drei fielen der Infernopistole zum Opfer und wurden in rauchende Aschehäuflein verwandelt. Boltpistolenfeuer bahnte sich eine blutige
Schneise durch die Horde. »Rückzug!«, befahl Aescarion und sammelte die Schwestern in Gefechtsformation um sich. Die Schwarmbewohner hatten sie ein gekreist. Sie kletterten von den Wänden und stießen ihre rasselnden Totenschreie aus. Aescarion sah sich abschälende Haut und die wäss rigen Augen, herabhängende Unterkiefer und verkrümmte, dreckige Finger, die grobe Keulen und Klingen umklammerten. Das war der Beweis, dass Eumenix vom Chaos verflucht war: eine Krankheit, die nicht nur tötete, sondern die Leichen ihrer Opfer in willenlose Raubtiere verwandelte, die Jagd auf die Überlebenden machten. Die Seraphim zogen sich langsam zurück, während sie Boltersalve um Boltersalve in die torkelnde Masse der Toten pumpten, die in immer größerer Anzahl in die Höhle stürmten. Shen lud seine Infer nopistole nach und fällte mit einer zischenden Lanze aus Feuer ein Dutzend Gegner. »Wir sind umzingelt«, sagte Shen mit ruhiger Stimme, was Aesca rion Bewunderung abverlangte. Er deutete auf das MechanicusSymbol. »Wir müssen uns durchkämpfen. In dieser Richtung werden wir zur Geothermalstation gelangen. Dort können wir uns verschan zen.« Aescarion nickte zustimmend und zog ihre Energieaxt. Sie kämp fte seit Jahrzehnten mit dieser Axt und hatte sich immer geweigert, eine weniger brutale Waffe zu verwenden. Gerade durch ihre Grau samkeit schien ihr die Axt das richtige Werkzeug zu sein, um das Gesetz des Imperators mit Nachdruck vollstrecken zu können. Das Energiefeld der Waffe erwachte zum Leben, und ein schim mernder blauer Schein umgab die Klinge. »Mir nach!«, schrie Shen und feuerte auf die Seuchenopfer, die sich unter dem Mechanicus-Symbol versammelt hatten. Er stürmte durch die Menge und schubste die verwesenden Körper zur Seite. Die Seraphim folgten ihm, während sie aus ihren Boltpistolen schos sen. Schwester Aescarion gesellte sich zu Shen und hieb auf die
Wand aus Fleisch vor ihr ein. Verkümmerte Hände, die nach ihr grif fen, wurden abgetrennt. Sie senkte ihre behandschuhte Faust in die verstümmelten Gesichter vor ihr und spürte, wie sie Körper unter ihren Stiefeln zerquetschte. Boltfeuer zischte an ihr vorbei und bohr te sich in die Seuchentoten. Langsam bahnten sie sich einen Weg aus dem Explosionskrater. Sie preschten weiter in die Finsternis und schossen auf alles, was sich bewegte. Shen führte die Gruppe an. Sie konnten sich keine Ru hepause leisten. Ihre Feinde waren zwar langsam, aber weit in der Überzahl. Es bestand die Möglichkeit, dass sie sie erneut umzingel ten oder ihnen den Weg abschnitten. Vom Alter geschwärztes Messing und schwere gothische Maschi nen tauchten plötzlich unter dem Schmutz der Schwarmstadt auf. Überall lagen riesige Zahnräder. In jeden Stahlträger war das Symbol des Mechanicus eingestanzt. Dem Adeptus Ministorum war das Adeptus Mechanicus nicht ganz geheuer − die Techpriester beteten den Omnissias an, einen Maschinengott, von dem sie behaupteten, dass er eine Erscheinungsform des Imperators war. Insgeheim hegte das Ministorum darüber seine Zweifel. Trotzdem war Schwester Aescarion im Moment heilfroh darüber, dass das Mechanicus zumin dest wusste, wie man stabile Mauern baute. Der Stützpunkt war ein gewaltiger Messingblock, dessen Oberflä che von einem Gewirr aus Rohren überzogen war, und stark genug, um dem Gewicht der Schwarmstadt standzuhalten. Die schweren Eingangstore waren verschlossen. Shen trat seufzend einen Schritt zurück, als er die Selbstschussanlagen bemerkte und die durchlöcher ten Körper der Seuchentoten sah, die diesen zu nahe gekommen war en. Der Trupp umrundete den Stützpunkt und entdeckte Berge von Leichen. Die meisten waren von der Seuche dahingerafft, aber sie bemerkten auch Körper in den rostroten Overalls des Mechanicus sowie einige Servitoren, die in aller Eile für den Kampfeinsatz um gebaut worden waren. Leichname lagen über hastig errichteten Bar
rikaden, die die rasende Menge zurückhalten sollten. Der Stützpunkt musste noch Wochen ausgehalten haben, nachdem sich Schwarm stadt Quintus in einen Albtraum verwandelt hatte. Die Unterseite des Metallblocks trug die Spuren einer gewaltigen Explosion, die eine der Eingangsluken aufgesprengt hatte. Kantiges Metall umrandete die Öffnung wie zerrissene Haut eine klaffende Wunde. Shen watete durch das knietiefe, trübe Wasser, das durch die Tun nel unterhalb des Stützpunktes floss. Die Öffnung über ihm lag im Dunkeln, und die Wände waren mit Einschusslöchern übersät. »Bolterfeuer«, sagte Aescarion. Sie kannte die Einschusslöcher, die Boltwaffen verursachten, nur zu gut. »Und zwar von einer sehr disziplinierten Formation von Schützen.« Laut des letzten Berichts, den sie aus Schwarmstadt Quintus er halten hatten, war das einzige verfügbare Shuttle von Ungeheuern in purpurfarbenen Rüstungen geentert worden. Die Oberhäupter des Pollos-Kartells waren zurückgeblieben und gestorben. Shens und Aescarions Aufgabe war es, dieser Meldung auf den Grund zu gehen. Dieser Stützpunkt war der einzige Ort auf dem Planeten, an dem sie hoffen konnten, auf überlebendes Imperiumspersonal zu stoßen. Aber wie es aussah, war der Außenposten nicht nur gefallen, er schien zudem noch das Ziel der Seelentrinker gewesen zu sein. Shen ergriff den Rahmen der Luke über sich, zog sich hoch und schaltete die Lampe ein, die am Kragen seiner Rüstung angebracht war. »Nichts«, sagte er. »Hier hat ein heftiges Feuergefecht stattgefun den. Leichte Maschinenwaffen und Granaten. Überall Leichen.« »Mir nach«, befahl Aescarion ihren Seraphim und folgte Shen in den Metallwürfel. Als sie sich hochzog, spürte sie ihr Alter. Mit den Sprungmodulen, die die Seraphim normalerweise im Kampf trugen, wäre die Kletterei viel einfacher gewesen. Sie hatten sie zurückgelas sen − in einer Schwarmstadt hätten sie ihnen nicht viel genutzt. Shen hatte recht. Die Metallwände zeigten Spuren eines erbitter
ten Gefechts. Verbrennungen von Energieklingen an den Wänden deuteten auf ein Handgemenge hin. Die Körper der Mechanicus la gen dort, wo sie bei der Verteidigung des Eingangs gefallen waren. »Keine Lebenszeichen«, sagte Schwester Mixu, die den Auspexs canner trug, als die restlichen Seraphim den Posten betreten hatten. »Aber das Signal ist gestört. Diese Konstruktion ist sehr massiv.« »Die Schwarmbewohner haben diesen Posten bestimmt nicht ero bert«, sagte Shen. »Entweder waren es die Seelentrinker oder je mand, der vergleichbare Feuerkraft aufbieten kann. Wir müssen he rausfinden, was sie hier wollten.« »Einverstanden«, sagte Aescarion. »Vielleicht haben die Mecha nicus hier irgendetwas entwickelt? Eine Waffe?« »Wir werden sehen. Diese Station ist eine Standardkonstruktion. Im Zentrum werden wir den Kontrollraum finden. Außerdem müsste über uns ein Experimentierareal sein. Das sehen wir uns zuerst an.« Die Station war eine Mischung aus riesigen Industriemaschinen und jener drückenden gothischen Architektur, die Aescarion aus dem Konvent Prioris auf Terra kannte. Gerillte Säulen standen zwischen Zahnradkonstruktionen, die wie gigantische Uhrwerke aussahen. Genau wie die Turbinen unter den gewölbten Decken waren sie plötzlich zum Stillstand gekommen. Überall standen Schreine des Maschinengottes, die mit geopfertem Motoröl übergossen und mit Gebeten in Binärsprache vollgekritzelt waren. Alles, was das Me chanicus tat, war mit komplizierten Riten verbunden, die zum Wohl gefallen des Maschinengottes aufs Genaueste ausgeführt werden mussten. Der Fülle der Gaben und Gebete in der leeren Waffenkam mer nach gehörte auch der Krieg dazu. Im Experimentierraum befanden sich Hunderte geologische Pro ben, die in verschiedenen Stadien der Untersuchung unter starken Messingmikroskopen oder in längst getrockneten chemischen Lö sungen lagen. Nichts von alledem schien wertvoll genug, um einen Angriff auf die Station zu rechtfertigen. Der Kontrollraum war eben falls leer. Die Cogitatoren waren versiegelt. Untätigkeitsrunen waren
angebracht, um die Maschinengeister zu besänftigen. »Wir sollten die Cogitatoren nach brauchbaren Informationen ab suchen«, sagte Shen. »Vielleicht erfahren wir dann, was hier er forscht wurde und wer darin verwickelt war. Vielleicht gibt es sogar Aufnahmen von Überwachungskameras.« »Ich bin keine Techpriesterin«, sagte Aescarion. »Wissen Sie, wie man diese Maschinen hier bedient?« Sie deutete auf die Reihen von Cogitatoren, die hinter schwarzen Bildschirmen an den Wänden des Kontrollraums aufgereiht waren. »Wir nehmen die Speichereinheiten mit«, sagte Shen. »Thaddeus hat Spezialisten, die sie knacken können.« »Ich registriere Bewegung«, sagte Mixu, die auf ihren Auspexs canner starrte. »Irgendwo über uns.« »Vielleicht noch mehr Schwarmstadtbewohner«, sagte Shen und zog die Pistole. Eine Hand erschien aus einem Loch über ihnen, packte Shen am Kragen, riss ihn von den Beinen und schmetterte ihn gegen die Me talldecke des Kontrollraums. Die Hand trug einen Handschuh aus purpurfarbenem Keramit. »Feuer!«, brüllte Aescarion. Bolterkugeln durchschlugen die Me tallplatten neben Shen, der versuchte, seine Infernopistole in An schlag zu bringen. Bevor er einen Schuss abgeben konnte, wurde er vollständig durch das Loch gezogen. Metall kreischte, als sein Kör per in der Finsternis verschwand. Schwester Aescarion nahm als Erste die Verfolgung auf. Das Loch in der Decke führte zum Hauptschrein des Stützpunktes. Bankreihen aus reinem Karbon standen vor einem Altar, der aus der Hülle eines riesigen Cogitators geformt war. Rohre und Ventile bedeckten die Wände. Die Kapelle selbst war ein riesiger Cogitator. Wenn seine Bildschirme angeschaltet waren, hatte er die Kapelle in ein sanftes Leuchten aus purer Information getaucht. Jetzt stammte das einzige Licht im Raum aus der Lampe an Shens Rüstung. Es war ein Space Marine. Auf der Schulterplatte seiner Rüstung
trug er das Kelchsymbol der Seelentrinker. Er war nicht bewaffnet. Aescarion warf einen Blick auf sein Gesicht. Die einstmals ge bräunte Haut war teigig blass und von Krankheit gezeichnet. Die Augen waren verschwunden. Blinde Höhlen starrten sie an. Der unte re Teil seines Gesichts war weggefressen, und man konnte den Un terkieferknochen und die grinsenden Zähne erkennen. Kein lebendes Wesen konnte so einen blinden Wahnsinn ausstrahlen. Schwester Aescarion konnte nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen, aber es gab keinen Zweifel: Es war ein Seelentrinker, den die Seuche er wischt hatte. Die Einschusslöcher in seiner Rüstung ließen darauf schließen, dass er beim Kampf um den Außenposten tödlich verwun det und von seinen Kameraden zurückgelassen worden war. Dann war er der Seuche zum Opfer gefallen, die Schwarmstadt Quintus heimgesucht hatte. Es war das erste Mal, dass Aescarion ein Mitglied des Ordens mit eigenen Augen sah. Während sie versuchte, eine freie Schussbahn zu bekommen, riss der Seelentrinker in einer Blutfontäne Shen einen Arm aus. Die Pis tole noch in den Fingern wurde er in die eine Ecke geschleudert, Shen selbst in die andere. Sein schlaffer Körper krachte gegen die Wand. Schwester Mixu stand neben Aescarion und feuerte aus ihren Boltpistolen. Ein Schuss riss ein Loch in die Stirn des Marine, aber der Seelentrinker schien die klaffende Wunde nicht einmal zu be merken. Aescarion wusste nicht viel darüber, wie man lebende Tote bekämpfte, aber sie vermutete, dass es mehr als einen tödlichen Tref fer benötigte, um den Seelentrinker aufzuhalten − wahrscheinlich musste sein Körper vollkommen zerstückelt werden. Und damit kannte sich Aescarion sehr wohl aus. Sie zog die Energieaxt und stürmte auf den Marine zu. Er war zwar einen Kopf größer, aber sehr viel langsamer als sie. Die Klinge drang durch den Kragen des Marine tief in seinen Ober körper. Das Energiefeld der Axt zerschmetterte seinen Brustkorb und bohrte sich durch seine toten Organe.
Der Marine packte den Griff der Axt, wirbelte herum und schmet terte Aescarion in die Messingwand der Altarmaschine. Das Metall verbog sich, und mechanische Bauteile regneten auf Aescarion he runter. Warnrunen erschienen auf ihrem Retinadisplay, und der hef tige Schmerz, der sie durchfuhr, wurde durch sofort injizierte Medi kamente gedämpft. Der Seelentrinker stand über ihr und starrte sie aus leeren Augen höhlen an. Die Seraphim, die in die Kapelle strömten, feuerten in seinen Rücken. Die Projektile durchschlugen das Keramit. Knochen splitter spritzten aus seinem Hinterkopf. Das verstümmelte Gesicht verzog sich zu einer grinsenden Grimasse, als er nach Aescarion griff. Sie versuchte, ihm auszuweichen, aber ihr Körper reagierte nicht. Sie hatte sich eine Schulter und die Hüfte gebrochen. Der Seelentrin ker packte sie an den Schultergelenken ihrer Brustplatte und zog. Er wollte sie aufbrechen, wie es ein Raubtier mit dem Panzer seiner Beute tut, um an das Fleisch zu gelangen. Aescarion spürte, wie ihre Rüstung langsam nachgab. In dem Arm, den sie noch bewegen konnte, hielt sie die Axt und spürte das Summen des Energiefelds. Die Warnrunen auf ihrem Retinadisplay färbten sich rot. Sie trieb die Axtklinge in die Hüfte des Seelentrin kers. Mit letzter Kraft durchschlug sie die Keramitrüstung, aber sie hatte keine Hebelwirkung und war vor Schmerz betäubt. Eine der Seraphim legte ihren Arm um den Hals des Marine. Sie wollte ihn mit ihrem Kampfmesser enthaupten. Der Marine drehte sich um, rammte einen Ellenbogen in die Taille der Schwester und schleuderte sie von sich. Dabei ließ er Aescarion los, die einen Fuß auf den Boden setzte, herumwirbelte und die Axt erneut in die Hüfte des Space Marine trieb. Mit einem sauberen Schnitt durchtrennte sie Keramit und das Rückgrat des Marine. Aescarion klappte zusammen. Die obere Hälfte des Seelentrinkers klatschte neben ihr auf den Boden. Seine Beine standen noch für ei nen Moment aufrecht da, dann fielen auch sie klappernd auf den Me
tallboden der Kapelle. Die Seraphim rappelte sich auf und sah auf den Oberkörper des Seelentrinkers herab. Er blickte zu ihr auf, wobei sein Kopf zuckte. Seine abgetrennte Wirbelsäule zappelte wie ein Fisch auf dem Tro ckenen. Aescarion reichte ihr die Axt, und ohne das Energiefeld ein zuschalten, trennte die Seraphim dem Seelentrinker den Kopf ab. Mixu befand sich auf der anderen Seite des Raums und kümmerte sich um Shen. »Er stirbt, Schwester«, sagte Mixu. Zwei der Seraphim halfen Aescarion auf die Füße und zu dem verwundeten Interrogator. Aus dem Stumpf seines Arms spritzte Blut, das inzwischen eine große Pfütze gebildet hatte. Seine Augen waren geöffnet und in weite Ferne gerichtet. Obwohl er den Kiefer bewegte, drang kein Laut aus seiner Kehle. Mixu entfernte die Brustplatte seiner Rüstung, und Aescarion sah sofort, dass für den Interrogator jede Hilfe zu spät kam. Seine Rippen waren gebrochen, der Brustkorb zerrissen. Die Organe darunter mussten völlig zerfetzt sein. Aescarion beobachtete, wie Shen starb. »Er war ein Soldat des Imperators«, sagte sie, sich ihrer eigenen Verletzungen bewusst. »Wir dürfen nicht zulassen, dass er sich noch einmal erhebt.« Die Seraphim trugen Shens Leichnam in den Turbinenraum, wo sie ihm eine Granate mit langer Zünddauer in den Mund steckten, die ihn in einen Haufen Asche verwandelte. Aescarion war keine Techpriesterin und kannte die Rituale des Maschinengottes nur so gut, um ihre eigene Ausrüstung instand zu halten. Sie ließ die Seraphim die Cogitatoren im Kontrollraum öffnen und alles ausbauen, was nach Datenspeicher aussah. Aescarion selbst nahm eine Plakette von der Wand, auf der alle Adepten verzeichnet waren, die jemals in dieser Station gearbeitet hatten − Hunderte win zige Namen, die in eine Messingplatte eingraviert waren. Nach kur zem Überlegen packte sie den Kopf des Marine in eine der Schach teln, die für Gesteinsproben bestimmt waren. Sie legte seine Boltpis tole, die immer noch im Halfter mit dem goldenen Kelchsymbol
steckte, dazu. Sonst gab es nichts von Wert. Sie hoffte, dass das, was sie hier entdeckt hatten, Shens Tod wettmachte. Mixu kümmerte sich um Aescarions Wunden und wurde von ihr beauftragt, den Trupp an die Oberfläche zu führen. Shen hatte nur unter großen Mühen ein Rettungsschiff organisie ren können, das bereit war, sie in der Wüste außerhalb von Schwarmstadt Quintus abzuholen − das Officio Medicalis hatte jeden Flug zu dem Planeten verboten, und zudem waren nur wenige Crews bereit, eine Infektion zu riskieren. Es dauerte einige Tage, bis sie die Wüstenlandschaft erreicht hatten. Dass Aescarion verwundet war, zog die Reise noch zusätzlich in die Länge. Schwester Mixu führte sie so schnell wie möglich durch die ge fährliche Finsternis von Schwarmstadt Quintus. Hoch über dem sterbenden Planeten näherte sich ein Schiff aus den Werften von Stratix der schlecht abgesicherten Quarantänezone um Eumenix. Die Artilleriebatterien, die es bemerkten, hatten keine Ge legenheit, das Feuer zu eröffnen. Ihre Besatzungen wurden plötzlich von hochansteckenden Krankheiten heimgesucht. Die Schiffe des Officio Medicalis flohen wie ein Schwarm Fische vor einem Hai. Seuchen und Wahnsinn waren in Form einer einzigen Kreatur über sie gekommen. Bald würden die Infizierten von Schwarmstadt Quintus ihrem Er löser begegnen.
FÜNF
Ein Schatten, der sich über mehrere Lichtjahre erstreckte, umgab das Kriegsgebiet. Das Imperium hatte versucht, die verdammten Welten, die sich Teturacts Rebellion angeschlossen hatten, unter Quarantäne zu stellen, indem es eine Schutzzone um die befallenen Sternensys teme legte. Ganze Welten standen sozusagen unter Hausarrest. Ihren Bewohnern war vom militärischen Oberkommando und dem Officio Medicalis verboten worden, ihre Heimat zu verlassen. Die Kathedra len der Kirche des imperialen Heilands richteten Erlösungsgebete an den Imperator, damit er ihren Truppen den Sieg brachte, bevor die Seuche sie erreichte. Über Teturact kursierten nur dunkle Gerüchte − sie handelten von unvorstellbarem Grauen, sollte es ihm gelingen, die imperialen Flotten, die sich um sein Reich sammelten, zu durch brechen. Die Gouverneure versicherten ihren Untertanen, dass die Flotte und die Armee bald ins Zentrum von Teturacts Reich vordrin gen würden. Gleichzeitig verschanzten sie sich in hermetisch abge schlossenen Bunkern, um vor der Seuche sicher zu sein. Das Imperium befand sich ständig im Krieg. Aber die Schlacht gegen Teturact hatte sich wie ein Leichentuch über Hunderte von Welten und Milliarden von Menschen gelegt. Sie zitterten vor Angst. Eumenix war gefallen. Welche Welt würde die nächste sein? Der interstellare Verkehr war auf ein Minimum beschränkt, und die Reiserouten waren streng überwacht. Eine Reise zwischen den Systemen musste ohne Ausnahme von den imperialen Behörden genehmigt werden. Natürlich versuchten einige Verwegene ihr Glück − Schmuggler, die außerordentlich da von profitierten, Waren zwischen den unter Quarantäne stehenden Welten zu transportieren, Deserteure, die den Schlachtfeldern ent
kommen wollten, und nicht zuletzt der übliche Haufen von Kriminel len, die vor dem Imperium auf der Flucht waren. Die meisten wurden abgefangen oder abgeschossen, aber einige schafften es. Weil sie sich sozusagen unsichtbar machten. Es war schon schwer genug, die massigen Frachtschiffe aufzuspüren, die den Warp betra ten oder verließen. Wenn das Schiff nur die Größe eines Jägers hatte, war es äußerst unwahrscheinlich, dass es entdeckt wurde. Und ein ganzes Geschwader genau dieser Schiffe schlüpfte durch die Schutz zone − und es waren keine Jäger des Imperiums. Es waren Alien-Schiffe. Ihre finsteren, organisch wirkenden Sil houetten beherbergten gewaltige Vortexreaktoren, die sie ohne Mühe in den Warp bringen konnten. Das war höchst gefährlich. Niemand wusste genau, welche Spezies von Xenos diese Schiffe gebaut hatte, und die Handvoll gefangen genommener Navigatoren, die das Ge schwader durch den Warp führten, waren nicht unbedingt die besten. Aber das Ziel war das Risiko wert − wenn es von Erfolg gekrönt war. Sarpedon starrte aus dem Cockpit seines Jägers in die sternen übersäte Dunkelheit. Eigentlich war er sich nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um einen Jäger handelte. Techmarine Lygris hatte die bizarre Flotte auf einem der vielen Flugdecks der Brokenback ent deckt. Die Schiffe waren ohne jede Bewaffnung gewesen. Lygris hatte in jedes Schiff gravitationsdämpfende Sitze montieren lassen, um die Marines transportieren zu können. Trotzdem stellte das Vor haben ein enormes Risiko dar − fast der ganze Orden reiste mit Schiffen, die den Warp mithilfe einer Technologie durchquerten, die die Techmarines nicht im Ansatz verstanden. Aber es war die einzige Möglichkeit − die Brokenback hätte es niemals unbemerkt in die Quarantänezone schaffen können. Die kalten, birnenförmigen Instrumente auf der Brücke des Jägers besaßen eine seltsame Farbe: Silber mit einem Hauch von Dunkel violett. Die Ordensdiener, die das Schiff steuerten − die wenigen, die den Bruch des Ordens mit dem Imperium und die Schlacht auf der Brokenback überlebt hatten − bedienten die Kontrollen, indem sie
ihre Hände durch flüssiges Metall bewegten, das wie seltsam gefärb tes Quecksilber aussah. Nur die wichtigsten Bezeichnungen waren übersetzt worden. Zum Großteil erschienen auf den unregelmäßig geformten Bildschirmen unförmige, unentzifferbare Alienrunen. Das Schiff war fast überwältigend nichtmenschlich. Die Gänge waren verschachtelt, und die Vortexgeneratoren hatten eine vage organische Form, die an Samenkapseln oder die Panzer von Meerestieren erin nerte. Die Luft war nur atembar, weil die giftigen Gase im Lüftungs system durch Sauerstoff ersetzt worden waren. Die ursprüngliche Besatzung war offensichtlich größer und dünner als ein normaler Mensch gewesen. Alle Räume hatten hohe Decken, waren aber rela tiv eng. »Wie weit noch?«, fragte Sarpedon die Ordensdiener. »Der Treffpunkt ist bald erreicht, Lord Sarpedon«, antwortete der Diener, ohne aufzusehen. »Flottenfunk«, befahl er, und ein weiterer Diener tauchte eine Hand in eine schimmernde Pfütze aus Metall. Bald war Sarpedon mit den restlichen neun Schiffen verbunden. »Alles nach Dreo Ausschau halten. Wir können nicht lange hierbleiben.« Irgendwo in der Ansammlung von Sternen vor ihnen befand sich das verdorbene Herz von Teturacts Reich. Und irgendwo, weit dahin ter, lag Terra, das ebenso verdorbene Herz des Imperiums. Die Gala xis war so unermesslich groß, und jenseits davon lag der Warp, eine ganze Dimension voll Schrecken, die immer dann die reale Welt be traten, wenn die Menschheit zwischen den Sternen reiste. Die See lentrinker standen allein gegen alle, etwas weniger als siebenhundert Kämpfer, die trotz ihrer Verbesserungen und ihrer Ausbildung immer noch Männer waren. Für Sarpedon war es fast eine Erleichterung, auf diese feindselige Welt zu blicken. Er hatte sich bewusst dafür ent schieden, den Kampf nicht aufzugeben. »Lord, ich empfange ein Signal«, ertönte eine Stimme über Vox. Es war Techmarine Lygris, dem es gelungen war, einige der seltsa men Sensoren, die sich an der Spitze der Schiffe befanden, funkti
onstüchtig zu machen. »Es ist sehr schwach. Wahrscheinlich geht ihnen der Treibstoff aus.« »Hast du Sichtkontakt?« Nach einigen Momenten formte sich ein Bildschirm aus flüssigem Metall, auf dem das Bild eines Shuttles erschien, das langsam durch den Raum glitt. Eines seiner Triebwerke flackerte ein letztes Mal auf und erstarb. Seine Hülle war von Rost und den Brandspuren von La serfeuer überzogen. Es war ein Privatschiff, dafür gebaut, von Planet zu Planet zu hüpfen, nicht, ganze Systeme zu durchqueren. Die Flucht von Eumenix musste Monate her sein. Normale Menschen hätten diese Tortur niemals überstanden. »Lygris, bring uns näher ran. Bereit machen zum Andocken.« »Verstanden. Ich muss Euch warnen − sie könnten sich infiziert haben.« »Wenn sie sich infiziert haben, dann ist die Gefangene längst tot. Das wäre auch unser Untergang. Außerdem will ich sie persönlich anhören.« Lygris befahl den Ordensdienern auf Sarpedons Jäger, Kurs auf das schwer mitgenommene Shuttle zu nehmen. Ein Teil der Außenhülle des Jägers beulte sich aus und platzte wie ein Geschwür. Trop fen aus flüssigem Metall flossen ineinander, bis sie einen glatten Tunnel geformt hatten, der sich wie ein Blutegel an der Seite des Shuttles festsaugte. Das Metall an der Spitze des Tunnels verformte sich zu einem Stachel, der sich durch die Hülle des Shuttles bohrte. Sobald der Druck im Tunnel ausgeglichen war, drängte Sarpedon hinein. »Hastis, Karvik, bewegt eure Männer sofort zur Luftschleuse. Pallas, du auch.« Als sich die Luftschleuse öffnete, schlug ihnen der Geruch nach abgestandenem Schweiß entgegen. Sarpedon und die beiden Trupps betraten den Tunnel. Die Luft im Shuttle musste kaum noch auszu halten gewesen sein. »Irgendwelche Lebenszeichen?«, voxte Sarpedon.
»Nichts«, antwortete Lygris von seinem Schiff aus. »Es meldet sich niemand. Ihre Kommunikationssysteme müssen ausgefallen sein.« Sarpedon spähte in die Dunkelheit am Ende des Tunnels. Eine Gestalt tauchte auf und humpelte langsam auf sie zu. Es war Sergeant Salk. Sein Gesicht − das im Gegensatz zu den vom Kampf gezeichneten Veteranen immer jugendlich gewirkt hatte − war nun eingefallen und ausgemergelt. Es sah aus, als würde er sehr schwer an seiner schmutzverkrusteten Rüstung tragen. »Wir haben Captain Dreo verloren«, sagte er heiser. »Karrik und Krin haben überlebt. Nicias ist im Shuttle gestorben. Dreo und der Rest sind gefallen.« Sarpedon, der den Tod Dutzender Marines miterlebt hatte, wurde es schwer ums Herz. Captain Dreo war der beste Schütze des gesam ten Ordens und ein guter, vernünftiger Soldat gewesen. Nur durch seine Geistesgegenwart hatten sie den Kampf mit dem Dämonenp rinzen Ve’Meth überlebt − auf seinen Befehl hin hatten sie dessen Wirtskörper mit Boltergeschossen durchlöchert. Deshalb hatte ihm Sarpedon auch die Eumenix-Mission anvert raut. Er war gefallen, ein weiterer unersetzlicher Verlust für die See lentrinker. »Was ist mit der Gefangenen?« »Sie lebt.« Neben Salk tauchte ein weiterer Marine auf. Sarpedon erkannte Krin, der in Salks Truppe für den Plasmawerfer zuständig war. Jetzt trug er einen schlafenden Frauenkörper, der in seinen Händen winzig wirkte. Sie trug die vor Schmutz starrende, versengte Robe eines Mechanicusadepten. Sie war klein, jungenhaft und hatte ein kantiges Gesicht, das zum größten Teil von einem Atemgerät verdeckt war. Apothecarius Pallas nahm ihm die Frau ab. Er überprüfte die An zeigen auf der Rückseite seines Nartheciumhandschuhs. Die Geräte in diesem Handschuh erlaubten es ihm, wahlweise eine Bluttransfu sion durchzuführen oder diejenigen, für die es keine Hoffnung mehr
gab, der Gnade des Imperators zu übergeben. Jetzt überprüfte er da mit den Gesundheitszustand der Frau. »Sie ist stark unterernährt und kaum noch bei Bewusstsein«, sagte er. »Das Apothecarium auf Karendins Schiff sollte ausreichen, um ihr zu helfen.« »Kann sie sprechen?« »Noch nicht.« Sarpedon erkannte in ihr die viel jüngere Frau, die er in den Da teien über Stratix Luminae gesehen hatte. Auf den Aufnahmen war zu sehen, wie sie sich vor dem Bolterfeuer der Seelentrinker duckte, die vor zehn Jahren die dortigen Labors gestürmt hatten, um die El darpiraten zu vertreiben. Jetzt zeichneten sich Falten um ihre Augen ab. Das Haar um die Anschlüsse in ihrem Nacken war kurz gescho ren. In Captain Korvax’ Missionsreport war eine Liste aller Angestell ten des Außenpostens gewesen. Daher kannte Sarpedon ihren Namen − Sarkia Aristeia. Sie war damals eine einfache Tech-Adeptin gewe sen, nur eine Stufe über einer normalen Bediensteten. Sie gehörte zu den wenigen Mitgliedern des Personals, das die Seelentrinker hatten aufstöbern können. Es war seltsam, sie jetzt vor sich zu sehen − es hatte so viele Leben gekostet, sie hierher zu schaffen. Dafür wirkte sie wie ein viel zu kleines, unbedeutendes Ding. Sarpedon hatte sieb zig Jahre lang gegen Dämonen und Ungeheuer gekämpft. Und jetzt hing das Schicksal des gesamten Ordens von dieser Frau ab. War Sarkia Aristeia das Opfer wert gewesen, das Captain Dreo, Aean, Hortis, Dryan und der riesige Nicias durch ihren Tod gebracht hatten? Wenn dadurch hundert weitere Schlachten gewonnen werden konnten, dann ja. Aber es gab noch so viel zu tun, und der nächste Kampf war immer der schwerste. »Stabilisiert sie und bringt sie zu Karendin«, sagte Sarpedon zu Pallas. »Ich will sie so bald wie möglich verhören.« »Vielleicht wäre es besser, wenn Kaplan Iktinos …«, begann Pal las unbehaglich.
»Natürlich«, sagte Sarpedon, sobald er begriff, worauf der Apo thecarius hinauswollte. »Sie hat schon genug Ungeheuer auf Eume nix gesehen. Wir müssen sie nicht noch weiter erschrecken.« Sarpe don war schon vor seiner Mutation von beeindruckender Gestalt ge wesen. Bei seinem jetzigen Anblick würde Aristeia wahrscheinlich sofort wieder in Ohnmacht fallen. »Iktinos soll mit ihr sprechen.« Pallas trug die Frau in das Mannschaftsquartier, um sie eingehen der zu untersuchen. Karrik tauchte aus dem Shuttle auf. Seine Rüs tung war mit Ruß bedeckt, und sein Gesicht wies schwere Brand wunden auf. Wie Salk humpelte er auf eine Weise, die für einen Ma rine sehr ungewöhnlich war. »Wie ist Dreo gestorben?«, fragte Sarpedon. »Selbstschussanlagen«, antwortete Salk. »Er sprengte die Luken an der Unterseite des Stützpunktes und stieg als Erster ein. Das Me chanicus war in höchster Alarmbereitschaft. Der ganze Planet war dem Untergang nahe.« »Und die anderen?« »Nicias starb auf dem Weg hierher. Er hatte schwere innere Ver letzungen. Die medizinische Ausrüstung im Shuttle mussten wir für die Frau verwenden. Nicias fiel in den Dämmerschlaf, aus dem er nie wieder erwacht ist. Der Rest der Männer fiel beim Angriff auf den Raumhafen.« »Wie lange seid ihr umhergetrieben?« »Drei Monate. Nach dem Einsatzbefehl hätte es noch länger dauern sollen, aber Eumenix war in einem so schlechten Zustand, dass wir so schnell wie möglich starten mussten. Ich glaube nicht, dass wir noch länger durchgehalten hätten. Wir haben seit einer Wo che nichts mehr zu essen, und die Luft wurde inzwischen so oft recy celt, dass man sie kaum mehr atmen konnte. Bald wäre uns der letzte Filter für das Atemgerät ausgegangen.« »Der astropathische Verkehr, den wir aufgefangen haben, deutet auf eine Seuche auf Eumenix hin. Haben du oder deine Männer ir gendwelche Symptome bemerkt?«
Salk schüttelte den Kopf. »Nichts. Auf dem Planeten war alles verseucht, aber wir haben nichts mitgeschleppt. Es war keine norma le Seuche, Kommandant. Sie griff den Verstand der Menschen an. Die ganze Schwarmstadt ist verrückt geworden, vielleicht sogar der ganze Planet. Die Toten wandelten auf den Straßen, und die Leben den schlachteten sich gegenseitig ab. Wir hätten keinen Augenblick länger dort bleiben können − sonst hätten wir Aristeia niemals lebend von dort weggebracht.« »Gute Arbeit, Salk. Ohne Dreo waren eure Chancen weniger als gering.« »Mit Verlaub, Kommandant, aber ich glaube, dass sein Tod ein zu hoher Preis war.« »Hoch, aber nicht zu hoch. Ich kann dir nicht erzählen, um was es geht, Salk. Du musst mir vertrauen, wenn ich sage, dass es jedes Op fer wert ist, das wir bringen müssen. Dreo wird auch nach der Schlacht, die vor uns liegt, niemals vergessen werden. Aber wenn wir diese Schlacht verlieren, wird es niemanden mehr geben, der sich noch an ihn erinnern wird. Du und deine Männer werdet ebenfalls auf Karadins Schiff gebracht. Pallas wird euch wieder auf die Beine helfen.« Die beiden Trupps kehrten in ihre Quartiere zurück, und Salk be gab sich mit dem Rest seiner Männer und der Gefangenen zur An dockstation, von wo aus sie auf das Schiff mit dem Apothecarium gebracht wurden. Vielleicht sprach Salk die Wahrheit. Vielleicht war Sarpedons Plan wirklich unmöglich zu erfüllen, und er verschwendete das Le ben seiner Männer. Aber er konnte jetzt nicht aufgeben − nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand. Sie vertrauten ihm blind. Er hatte keinem von ihnen erzählt, was er vorhatte. Jetzt aufzugeben hieße, sie zu verraten. Ihr Vertrauen war einer der wenigen Vorteile, die Sarpe don, der eine ganze Galaxis zu bekämpfen hatte, noch geblieben waren. Der nächste Schritt war wohl der gewagteste von allen. Während
sich Pallas und Karendin um Aristeia kümmerten und Iktinos sie ausfragte, würde ihre improvisierte Flotte direkt in die Finsternis vorstoßen, die jenseits des imperialen Quarantänegürtels lag. Die Seelentrinker würden von Glück reden können, wenn sie mit heiler Haut davonkommen würden. »Piloten?«, voxte er. »Kommandant?«, ertönte die Stimme eines Ordensdieners auf der Brücke. »Nach dem Personentransfer sofort nächsten Zielpunkt ansteuern. Das Shuttle wird zurückgelassen. Bei Kontakt sofort Meldung ma chen. Formation halten.« Sarkia Aristeia musste Sarpedon die Informationen geben, die er so dringend benötigte. Bald würden sich die Marines in den härtesten Kampf ihres Lebens stürzen. Sarpedon hoffte, dass er der Inquisition immer noch einen Schritt voraus war. So vieles konnte schiefgehen, aber Sarpedon war fest entschlossen, dieses Risiko auf sich zu neh men. Er durfte nicht aufgeben und musste bis zum Tode sein Ziel verfolgen − alles andere wäre Verrat am Imperator und an seinen Waffenbrüdern gewesen. Sarpedon drehte sich auf seinen acht Spinnenbeinen um und ging zur Brücke zurück. Sie waren jetzt nahe genug, damit sie der Flotte einen weiteren gefährlichen Warpsprung ersparen konnten. Dafür galt es in der realen Welt, den scharfsichtigen Augen der Kriegs schiffkapitäne und Piraten zu entkommen. Die merkwürdige Alienflotte jagte durch den Raum. Sie beher bergte einige der besten Krieger des Imperators, und ihr Ziel war einer der gefährlichsten Orte des Imperiums. Teturacts Flaggschiff war ein gigantisches Grab. Milliarden waren auf Stratix gestorben, bevor sich Teturact der Überlebenden erbarmt und zu seinen Sklaven gemacht hatte. Die Leichenberge, die von den Armenvierteln bis zu den Palästen und Kathedralen reichten, waren ein Denkmal der Verwesung, das an Teturacts Seuche und das
Schicksal derjenigen, die sich ihm entgegenstellten, erinnerte. So viel Tod war für ihn Selbstzweck − ein großes, ruhmvolles Denkmal da für, dass Teturact den Tod wie ein König sein Szepter schwingen konnte. Er wollte sich mit dem Tod umgeben, selbst wenn er Stratix verließ. Das finstere, niederdrückende Gefühl, von Toten umgeben zu sein, war für Teturact Inspiration. Seine Gefolgsleute sollte es daran erinnern, dass er nicht nur ihr Befehlshaber, sondern auch ihr Gott war. Er entschied, wer leben und wer sterben würde. Das Flaggschiff war einst ein Schlachtschiff der Imperator-Klasse gewesen, ein Klotz mit keilförmigem Bug, das Feuer und Verderben über die Feinde des falschen Imperators gebracht hatte. Als Teturact Stratix erlöst hatte, war es eine ausgeschlachtete Hülle in einer der Flottenwerften gewesen. Teturact hielt es für ein Geschenk des Pla neten an seinen neuen Herrscher und hatte es mit Freuden angenom men. Lebenserhaltungssysteme und Mannschaftsquartiere wurden durch Waffenbatterien und Verteidigungssysteme ersetzt − Teturacts Besatzung brauchte weder Luft noch Schlaf. Dann hatte er die Toten bringen lassen. Zu Tausenden waren sie nun in Leichentücher eingehüllt, in den Gängen und Decks aufge bahrt. Teturacts treue Diener hatten die Körper zerstückelt und mit ihren Knochen die Brücke und Teturacts Quartier geschmückt. Sie hatten den Leichen die Haut abgezogen, um damit die Wände zu be hängen. In die Instrumente und Armaturen wurden menschliche Knochen eingearbeitet. Wirbelsäulen verzierten die Rahmen der Schotts. Der Gang, der zur Brücke führte, war mit Schädeln gepflas tert. Das ganze Schiff war ein herrliches Monument an den Tod. Der Tod durchströmte es wie warmes Blut einen lebenden Körper. Die kreisförmige Halle, in der sich Teturact befand, war einst ein Besprechungsraum gewesen, in dem der Kapitän seinen Offizieren die letzten Befehle vor der Schlacht erteilt hatte. Jetzt diente der Raum einem weitaus höheren Zweck: Er beherbergte Teturact und seine Hexer.
In jedem System findet man auch Schurken. Besitzen diese psio nische Kräfte, so sind es Hexer und Schamanen, die von der Inquisi tion, den Arbites, Hexenjägern und anderen imperialen Schwächlin gen verfolgt werden. Als Teturact sein Reich vergrößerte, hatte er sich auf die Suche nach diesen Psionikern gemacht und sie zu seinen treuesten Dienern erkoren. Mit ihrer Hilfe hatte er die vollkommene Herrschaft über Seuchen und Krankheiten aller Art erlangt. Ihre Kraft erlaubte es ihm, auf einer Lichtjahre entfernten Welt eine Krankheit ausbrechen zu lassen − so, wie er es auf Eumenix getan hatte. Die Hexer stammten aus hundert verschiedenen Welten, trugen jetzt jedoch alle dieselben schmutzstarrenden Roben, als gehörten sie einem Mönchsorden an, der Teturact anbetete. Unter den Roben hat ten sich auch ihre Körper verändert. Manche waren aufgedunsen, andere ausgemergelt, vielen waren Tentakel oder Krallen gewachsen. Jeder Einzelne war ein Sammelbecken für psionische Kraft, und sie waren Teturact so treu ergeben, dass sie sogar ihre früheren Namen vergessen hatten. Die Sitze des Besprechungsraums waren durch Bänke aus ge schnitztem Knochen ersetzt worden. Der Scheinwerfer, der auf Tetu ract fiel, verströmte gelbliches Licht. Die Hexer waren taumelnde, verwesende Kreaturen, aber in ihren Augen, die unter den Kapuzen hervorlugten, konnte man ihre bedingungslose Hingabe erkennen. Keiner wagte es, sich als Anführer der Gruppe hervorzutun, daher sprachen sie nacheinander. »Eumenix ist reif«, murmelte einer. »Wir haben es gesehen«, sagte ein anderer. »Die einzigen leben den Wesen sind ein paar Nomaden in der Wüste, und auch sie wer den bald zugrunde gehen.« Ist jemand auf meiner Welt gelandet?, fragte Teturact, der sich te lepathisch mit ihnen verständigte. »Nur wenige, mein Erlöser. Fanatiker, die das Wort ihres Impera tors verkünden wollten. Sie haben nicht überlebt. Außerdem einige
Krieger des Imperators. Sie wirkten rebellisch und verärgert. Sie waren die Letzten, die von der Welt entkommen konnten.« Teturact suchte im Geist des Hexers, der gesprochen hatte, nach einem Bild. Der Hexer hatte es aus einem sterbenden Verstand auf Eumenix empfangen. Space Marines waren dort gewesen, wahr scheinlich, um herauszufinden, was mit dem Planeten geschah. Er sah, wie sie über einen der Raumflughäfen von Schwarmstadt Quin tus rannten und auf die verzweifelte Menge schossen. Sie flohen mit dem letzten Shuttle. Wie verängstigte Kinder, die zum ersten Mal die wahre Macht des Todes begreifen. Teturacts Macht war grenzenlos − sogar Space Marines liefen in Panik vor ihm davon. Wie lange bis zur Ankunft?, fragte er. »Der Warp ist uns gewogen, mein Erlöser. In sieben Tagen wer den wir wieder den Realraum betreten.« Sehr gut. Seht zu, dass es sieben Tage des unermesslichen Leidens werden. Die Hexer verbeugten sich wie ein Mann. Dann trat einer aus ihrer Mitte vor, eine grässlich verunstaltete, aufgedunsene Kreatur. Sein Gesicht bestand aus einem Bündel triefender Tentakel. Der Hexer begann zu singen. Es war ein tiefes, atonales Summen, ähnlich einem Riesenschwarm Pestfliegen. Der Körper des Hexers öffnete sich. Ein riesiger Schlund und innere Organe kamen zum Vorschein. Die Ein geweide waren mit Tausenden von Augen bedeckt, die wie wild roll ten und durch den Warp auf Eumenix blicken konnten. Durch den Zauber der Hexer sah Teturact ein Bild. Durch eine endlose Reihe von Etagen der Schwarmstadt floss Blut. Die Toten waren wiederauferstanden und warteten auf ihren Einsatz. Banden bekämpften sich verzweifelt, um die letzten Vorräte oder ein retten des Schiff zu ergattern. Vergeblich. Die Hexer holten immer mehr Leichen aus ihren Gräbern. Die Leichenberge zuckten wie Maden, als die lebenden Toten aus ihnen hervorkrochen. In der Wüstenlandschaft beobachteten die Nomaden mit Todesangst, wie lange Kolonnen von Toten aus den Städten mar
schierten. Bald würde alles Leben auf diesem Planeten vernichtet sein. Ein weiteres, dem Tod geweihtes Denkmal. Einen Augenblick lang konnte Teturact den ganzen Planeten auf einmal spüren. Es war ein wunderbares Gefühl − als bestünde Eume nix nur aus Leid und Furcht, so stark, dass selbst die wandelnden Toten dazu getrieben wurden, übereinander herzufallen. Teturact hatte Hunderte dieser Welten gesehen, und immer wieder erfüllte ihn der Anblick mit Stolz. Die Bilder verschwanden, nachdem die Hexer so viele Tote wie möglich erweckt hatten. Eumenix verlor sich aus Teturacts Blick. Er spürte den Nachgeschmack von unverdorbenem Sieg. Teturact befahl seinen Trägern, ihn zurück in sein Quartier zu bringen. Er musste über vieles nachdenken, bevor er wieder einmal zum Gott einer sterbenden Welt wurde. Die Inquisitionsfestung auf Caitaran hatte in weniger stürmischen Zeiten als Koordinationspunkt des Ordo Hereticus für mehrere um liegende Sektoren gedient. Das Ordo hatte so effektiv die verschie denen Gefahren, die auf Welten und in Systemen lauerten, bekämp fen können. Jetzt diente die Festung als Hauptquartier im Krieg ge gen Teturact. Hier wurden alle Informationen gesammelt, die die Inquisitoren und ihre Agenten in Erfahrung bringen konnten. Lordinquisitor Kolgo hatte die oberste Befehlsgewalt. Seitdem er vor einigen Jahrzehnten die Lastrati-Pogrome erfolgreich durchge setzt hatte, galt er als hochgeschätzter Mann. Fast dreihundert Inqui sitoren und Interrogatoren unterstanden seinem Befehl, und viele weitere spannen ein geheimes Netzwerk, das nur er allein durch schaute. Viele seiner Spione hatten sich in die regulären Imperiumstruppen eingeschleust, die die verlorenen Welten wieder zurückerobern soll ten. Andere versuchten herauszufinden, welcher Planet das nächste Angriffsziel darstellen könnte. Ganz Mutige befanden sich auf Wel ten, die Teturact bereits eingenommen hatte. Ihre kurzen Meldungen
deuteten einen unaussprechlichen Schrecken an, berichteten von Lei chenbergen und Seuchen, die den Verstand der Menschen angriffen. Der Ordo Malleus suchte in den Tausenden von Berichten nach Hinweisen auf Dämonen oder die Anwesenheit des Chaos. Sogar der Ordo Xenos, dessen eigentliche Aufgabe die Vernichtung von Aliens innerhalb des Imperiums war, wurde hinzugezogen, um nach Spuren von Xenos-Technologie zu fahnden. Die Inquisitionsfestung war auf dem höchsten Gipfel Caitarans er richtet worden. Der dazugehörende Landeplatz lag weit über den Wolken. Die Festung war der Überrest einer Zivilisation, die das Imperium schon vor Tausenden von Jahren in sich aufgenommen hatte. Es war eine rückständige Zivilisation mit Königen, Fürsten und Baronen gewesen. Einer davon hatte keine Kosten und Mühen ge scheut, um einen uneinnehmbaren Palast auf den höchsten Gipfel zu bauen. Er war wirklich uneinnehmbar gewesen − kein Soldat ers türmte je seine Mauern. Das Imperium warf eine Virusbombe, als sich der Burgherr weigerte, Tribut an die Spähtruppen zu entrichten. Die Welt, die damals noch an den Grenzen des Imperiums lag, wurde im Handstreich genommen, als bekannt wurde, dass die Festung nur mehr von einem Haufen Leichen regiert wurde. So wollte es zumindest die Legende. Es war eine gute Geschichte, die den Schülern des Adeptus Terra erzählt wurde, um zu zeigen, dass ein konzentrierter Angriff auf ein ausgewähltes Ziel wirksamer war als eine Materialschlacht auf breiter Front. Die Geschichte mochte stimmen oder nicht − die Moral daraus traf auf die jetzige Situation auf jeden Fall zu. Der Großteil der Inquisitoren war damit beschäftigt, Teturact aufzuspüren und ihn zu töten. Dann würde sein Reich der Pestilenz genau wie das der ursprünglichen Bevölkerung Caitarans zusammenbrechen. Leider wusste niemand, wer, was oder wo Teturact war, ganz zu schweigen davon, wie man ihn beseitigen konnte. Aber das war nicht Thaddeus’ Problem. Glücklicherweise hatte Lordinquisitor Kolgo ihm gestattet, sich in der Festung einzuquartie
ren. Thaddeus hatte außer seinem Instinkt keinerlei Beweise dafür, dass sich die Seelentrinker der Kampfzone näherten oder bereits in sie eingedrungen waren. Mit Sicherheit wusste er nur, dass die See lentrinker auf Eumenix gewesen waren. Doch aufgrund der Seuche war Eumenix zum Sperrgebiet erklärt worden, obwohl es nicht ein mal sicher war, dass Teturact dahintersteckte. Auch ohne die Ans trengungen des Chaos fielen dann und wann Welten ansteckenden Krankheiten zum Opfer. Aus Thaddeus’ Perspektive ergab alles auf seltsame Weise einen Sinn. Natürlich konnten sich die Seelentrinker mit Teturact verbün det haben. Doch höchstwahrscheinlich war die ganze Sache viel komplizierter − die Mächte des Chaos bekämpften sich gegenseitig genauso oft wie das Imperium. Obwohl die Seelentrinker überall sein konnten, deutete doch alles darauf hin, dass sie irgendwie in Tetu racts Eroberungspläne verwickelt waren. Thaddeus würde sein Glück weiter strapazieren müssen − er hatte eine Audienz beim Lordinquisitor persönlich. Im Moment versuchte er, es sich in seinem Quartier einigermaßen gemütlich zu machen. Die äußeren Teile der Festung waren nicht modernisiert worden, und die kalte Bergluft drang ungehindert in die Räume. Möbel waren kaum vorhanden, und der Fußboden war eiskalt. Dafür entschädigte die großartige Aussicht über die Berge. Außerdem konnte Thaddeus von Glück reden, dass er überhaupt ein Quartier bekommen hatte. Die Sturmtruppen und die Schwestern waren in Baracken in der Nä he des Raumhafens untergebracht. Er selbst hatte zumindest ein klei nes Zimmer in der Krankenstation erhalten. Hier konnte er in Ruhe untersuchen, was Schwester Aescarion aus Eumenix mitgebracht hatte. Vor sechs Monaten hatte er Koris XXIII-3 besucht, um verzwei felt seiner letzten Spur hinterherzujagen. Inzwischen hatte er den Kopf und die Pistole eines Seelentrinkers erbeutet − das Kelchsym bol ließ keinen Zweifel daran. Das und die Berichte der Überleben den des Hauses Jenassis waren der erste Hinweis auf die Aktivitäten
der Seelentrinker seit ihrem Verschwinden aus dem Cerberischen Feld. Interrogator Shen und mehrere Dutzend Arbites hatten dafür ihr Leben gegeben. Der Inquisitor in ihm war mit diesem Handel sehr zufrieden − und mit Überraschung bemerkte er, dass der Mensch Thaddeus genauso dachte. Er öffnete eine Truhe am Fuß des Betts, in der sich die magere Ausbeute an handfesten Beweisen befand, die er zusammengetragen hatte: ein Datenwürfel samt Projektor, der eine Kopie der Aufzeich nung enthielt, die auf der Brokenback gefunden worden war. Ein verkohltes Exemplar von Daenyathos’ »Katechismus des Krieges«, aus der zerstörten Seelentrinkerflotte geborgen. Und einige Datenta feln, auf denen verschiedene Zeugenaussagen gespeichert waren. Obenauf lag die Boltpistole in ihrem Halfter. Thaddeus hob sie auf. Die Waffe war so schwer, dass er sie nur mit zwei Händen halten konnte. Sie besaß zwei Magazine, die je nach Bedarf angewählt werden konnten. Das Gehäuse war mit Gold eingefasst, und das Kelchsymbol der Seelentrinker war in den Griff gestanzt. »Eine gute Waffe«, sagte eine unangenehm vertraute, kratzige Stimme. »Eine Schande, dass sie von den Mächten des Bösen be nutzt wurde.« Thaddeus sah auf und bemerkte, wie der Pilger seine Kammer bet rat. Der Raum schien sich plötzlich zu verdunkeln. Thaddeus fröstel te. Die wilde Entschlossenheit des Pilgers, alle Feinde des Imperators auszulöschen, schwebte wie ein finsterer Schatten um ihn herum. »Das Medicalis ist bereit«, sagte der Pilger und verließ den Raum. Thaddeus legte die Pistole in die Truhe zurück und folgte ihm. Das Personal des Officio Medicalis, das in der Festung stationiert war, war der Inquisition zugeteilt worden, um die verschiedenen Krankheiten zu untersuchen, die mit Teturacts Ankunft ausgebrochen waren. Thaddeus durfte mit der Pathologieeinheit zusammenarbeiten − es waren zwei Bedienstete und eine Adeptin des Adeptus Mecha nicus Biologis. Sie warteten in der kleinen Krankenstation auf Thad
deus und den Pilger. Die Adeptin war eine untersetzte Frau mittleren Alters, die einen Laborkittel und einen sehr ernsten Gesichtsausdruck trug. Sie stand mit verschränkten Händen vor einem polierten Gra nitblock, der als Operationstisch diente. Auf ihm lag der abgetrennte Kopf des Space Marine wie eine Opfergabe auf einem Altar. »Vergebt mir die Verzögerung, Inquisitor«, sagte die Adeptin knapp und mit ernster Miene. »Wir mussten erst sichergehen, dass das Objekt keine Strahlung abgibt oder Keime enthält.« »Verstanden, Adeptin. Wollen wir anfangen?« »Natürlich. Bei diesem Objekt handelt es sich um den Schädel ei nes übergroßen Humanoiden, der oberhalb der Rückenwirbel abge trennt wurde …« Thaddeus beobachtete, wie die Assistenten zu Skalpell und Zange griffen und das verwesende Fleisch vom Schädel schnitten. Die Adeptin kam zu der Schlussfolgerung, dass der Kopf einem Space Marine gehörte − noch dazu einem Veteranen. Ein langer silberner Schmuckbolzen auf der Stirn ließ darauf schließen. Die Gesichtsund Schädelknochen waren mit alten Narben von Klingen und Ku geln bedeckt. Ein Einschuss, der große Teile der Schläfe abgetrennt hatte, war ihm erst nach dem Tod zugefügt worden. Die Adeptin und ihre Assistenten brachten implantierte Organe zum Vorschein: Lara mans Organ − eine Verbesserung des Innen- und Außenohrs, das dem Marine ein scharfes Gehör und einen perfekten Gleichgewichts sinn verlieh. Das Occulobus, das hinter den Augen saß und weitere Operationen zur Vergrößerung des Sehvermögens erlaubte. Die Res te der Progenoiddrüsen in der Kehle − das heiligste Organ eines Ma rine, da es nicht nur seine gesamte Entwicklung und seinen Metabo lismus steuerte, sondern auch seine Gensaat in sich trug. »Der Zustand des Objekts deutet auf eine beschleunigte Verwe sung hin. Normale Zersetzungsprozesse sind außer Kraft gesetzt. Dies weist Ähnlichkeiten zu den anderen Proben auf, die aus den Welten um Stratix geborgen wurden.« Einer der Assistenten legte den Kopf des Marine auf die Seite und
entfernte den Kiefer. Nur unter großer Anstrengung gelang es ihm, den Knochen mit einem lauten Knacken aus seinen Gelenken zu lö sen. Eine Fontäne aus glitzernder Flüssigkeit spritzte auf den Kittel des Assistenten. Sofort fraß sich die Flüssigkeit durch den Stoff und brannte sich in seine Brust. Der Assistent schrie auf. Sein Kollege warf ihn auf den Boden und riss ihm die brennenden Kleider vom Leib. Ein ätzender Geruch erfüllte den Raum, der ihnen die Augen tränen ließ. Grauer Rauch stieg auf. Die Adeptin nahm einen Erste-Hilfe-Kasten von der Wand und eilte dem Assistenten zu Hilfe. Sie wusch die zischenden Wunden mit einer Alkalilösung ab, bevor sich die Säure in seine Lungen brennen konnte. »Inquisitor, Ihr müsst den Raum sofort verlassen«, sagte die Adeptin streng, während sie Verbandsmaterial aus dem Kasten nahm. »Möglicherweise besteht Ansteckungsgefahr.« »Keine Sorge«, sagte der Pilger. Seine krächzende Stimme über tönte das Keuchen des Assistenten. »Es ist nur eine einfache Säure, die den Gegner erblinden lassen soll. Der Mann wird überleben. Die Säure wird durch die Betcherschen Drüsen gebildet.« »Das ist unmöglich«, sagte Thaddeus, der die Pfütze aus grünli cher Flüssigkeit auf dem Granitblock betrachtete. »Die Seelentrinker sind ein Nachfolgeorden der Imperial Fists. Die Gensaat der Fists führt nicht zur Ausbildung einer Betcherschen Drüse. Das Organ müsste verkümmert sein.« »Stimmt genau«, sagte der Pilger und streckte eine bandagierte Hand nach dem abgetrennten Kopf aus. Er riss einen Fetzen verkno teten Fleisches aus dem Kehlkopf − die Gensaat. »Mutiert«, sagte er und hielt das Stück Fleisch hoch. Es war gefleckt und verfärbt. »Die Seelentrinker tragen das Zeichen der Mutation. Mutationen der schlimmsten Sorte, die ihre Gensaat verdorben haben. Selbst ihre Implantate verändern sich.« »Mutation«, wiederholte Thaddeus.
Die Überlebenden des Hauses Jenassis hatten von einer monströ sen Kreatur mit Spinnenbeinen und ungeheuren psionischen Kräften berichtet, die die Seelentrinker angeführt hatte. Er hatte diesen Ge rüchten zunächst keinen Glauben schenken wollen, aber jetzt dachte er noch einmal darüber nach. Die Seelentrinker waren Mutanten. Wenn sich diese Mutation wirklich auf ihre Gensaat erstreckt hatte, war ihr Untergang nur noch eine Frage der Zeit. Das musste sie zur Verzweiflung treiben. Und aus Verzweiflung folgte Gewalt. Was sie auch immer vorhatten − die Seelentrinker näherten sich immer rascher einem Zustand, den man nicht mehr als menschlich bezeichnen konnte. Thaddeus hatte immer gewusst, dass eine Situation kommen wür de, in der ihm seine Geduld nicht weiterhelfen würde. Die Zeit drängte. Und Thaddeus hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte. Aber er musste weitermachen. Er rannte aus der Krankenstation und durch die kalten, zugigen Gänge der Festung zu seinem Quartier. Er hörte, wie ihm der Pilger folgte, hatte ihn aber bald abgehängt, Thaddeus riss die Truhe auf und zog ein weiteres Beweisstück hervor, das Schwester Aescarion ihm gegeben hatte. Zuerst hatte er es für nutzlos gehalten. Es war eine dünne Messingplakette, auf die die Namen von Hunderten Adepten des Mechanicus graviert waren − alle Mitarbeiter, die in den letzten Jahrzehnten auf dem Stützpunkt unter Schwarmstadt Quintus tätig gewesen waren. Der Pilger hatte seine Tür erreicht. »Habt Ihr etwas gefunden, In quisitor?« Thaddeus drehte sich um. Jetzt wünschte er sich, dass er die ganze Untersuchung ohne den Pilger begonnen hätte, aber er musste ihn wegen seines erstaunlichen Wissens um die Seelentrinker erdulden. »Vielleicht«, sagte er. »Die Seelentrinker waren nicht ohne Grund in dieser Forschungsstation. Sie haben einen ihrer Männer zurückge lassen. Warum? Warum sind sie auf einem von Seuchen heimge
suchten Planeten gelandet, um sich dort mitten ins schrecklichste Gemetzel zu stürzen? Warum haben sie eine Mechanicus-Station überfallen, die nichts von Wert enthielt? Die Gesteinsproben waren wertlos, die Forschungen uninteressant. Auf der Station befanden sich weder hochentwickelte Ausrüstung noch Waffen. Was wollten sie dort, Pilger?« Der Pilger legte den Kopf leicht schief. Thaddeus hatte das unan genehme Gefühl, dass er ihn unter der Kapuze angrinste. »Menschen, Inquisitor. Dort waren mehr als hundert Mechanicusadepten. Adep ten, die nicht immer dort gearbeitet haben.« Thaddeus setzte sich mit der Tafel in der Hand aufs Bett. »Einer davon wusste irgendetwas. Genug, um die Seelentrinker auf den Plan zu rufen. Sie müssen einen Gefangenen gemacht haben und ihn von Eumenix fortgeschafft haben.« Thaddeus verstummte. Das Imperium war unermesslich groß und das Mechanicus eine irrwitzig komplizierte Organisation, vom Ma nufactor Principalis auf dem Mars bis hin zu den niedrigsten Dienern und Servitoren, die überall in der Galaxis auf Fabrikwelten arbeite ten. Selbst mit den Mitteln, die einem Inquisitor zur Verfügung stan den, war es unmöglich, einen einzelnen Adepten aufzuspüren. Es handelte sich weder um einen Chaos-Kultisten oder einen Abtrünni gen, sondern um einen einfachen kleinen Arbeiter, einen Unbedeu tenden in einer Galaxie voll unbedeutender Menschen. »Nein«, sagte er laut zu sich selbst. »Ich werde diese Spur nicht verlieren.« Er aktivierte die Voxperle an seinem Kragen. »Oberst Vinn? Sammeln Sie Ihre besten Späher und Sturmtruppen. Appell in einer halben Stunde im Raumhafen. Versuchen Sie, ein Shuttle zu organisieren, das wir auf die Sichelmond mitnehmen können. Es muss keine große Reichweite haben, dafür aber über Tarn- und Ang riffsfähigkeiten verfügen. Und nur die beste Besatzung. Ziehen Sie alle Register.« Thaddeus befand sich noch nicht lange in der Kampfzone, aber er hatte sich grob über die Machtverhältnisse des Sektors informiert.
Wenn er schnell und geschickt reagierte, konnte er mit Glück die Informationen ergattern, die er benötigte. Es war lange her, dass er in Ausübung seiner Tätigkeit auf Waffengewalt zurückgegriffen hatte. Mit Überraschung bemerkte er, dass er sich darauf freute.
SECHS
Im Westen des Kriegsgebiets war alles ruhig. Dort er streckte sich eine riesige Raumwüste, in die sich nur dir tapfersten Bergleute und Missionare wagten. Das dicke Sternenband, aus dem die galaktische Scheibe bestand, war im Umkreis von Lichtjahren verlassen. Pilot zweiter Klasse Maesus KinShao wusste, dass es dort keine Raumhä fen oder Außenposten gab, von denen man einen Angriff starten konnte. Aber er hatte seine Pflicht als Diener des Imperators zu tun. Er saß im Cockpit eines Tiefenraumjägers der Scapula-Klasse als Teil eines Jagdgeschwaders, das die westliche Grenze des Kampfge bietes bewachte. Die Scapula hatte eine Besatzung von sechs Mann. KinShao selbst, die Navigatorin, drei Waffenoffiziere und einen Maschinisten. Siebzig dieser Schiffe waren über diesen Teil des Grenzgebietes ver teilt. Jedes war mit empfindlichen Sensoren ausgestattet, deren Reichweiten sich gegenseitig überlappten, und bis an die Zähne be waffnet. KinShao projizierte den Standort seines Geschwaders auf den Sichtschirm. Zwanzig Jäger, von denen jeder so groß wie ein kleines Transportschiff war, hatten sich so im Raum verteilt, dass ihren Sen soren nichts entgehen konnte. Sollte ein Schiff versuchen, aus dem Kampfgebiet zu entkommen oder in es einzudringen, würden sie es entdecken und aufhalten. Sie hatten Befehl, beim geringsten Ver dacht das Feuer zu eröffnen. Die Scapulas waren einige der wertvoll sten und komplexesten Jäger, die der Sektorflotte zur Verfügung standen. KinShao war beruhigt, wenn er an die dicke Metallhülle dachte, die ihn umgab. Alles war ruhig. Der Krieg, der einige Licht stunden entfernt tobte, schien unendlich weit weg zu sein.
»Schwadron, Achtung!«, ertönte die Stimme des Geschwader kommandanten. Obwohl der Kommandant noch jung und von adeli gem Blut war, schien er ein fähiger Mann zu sein. KinShao hatte bis jetzt keinen Anlass gehabt, sich über ihn zu beklagen. »KinShao, Rot Sieben. Was ist los?« »Blau Fünf empfängt Anomalien. Hat sonst jemand etwas auf dem Schirm?« KinShao erteilte Shass, seiner Navigatorin, das Wort. »Nichts zu sehen«, antwortete sie. »Alles ruhig.« »Bleibt in Alarmbereitschaft«, befahl der Kommandant. »Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren«, sagte Korgen aus der Ra ketenabschussstation in der Mitte des Schiffes. »Blau Fünf sollte besser nicht in Panik geraten. Ich habe so was schon öfter erlebt. Wenn man im Weltraum den Kopf verliert, schießen dich die eigenen Leute ab.« »Erspar mir das, Korgen«, sagte KinShao. Korgen war nun schon seit Jahrzehnten als Schütze auf allen möglichen Schiffen eingesetzt gewesen. Er hatte Raumschlachten vor den Toren des Patroklus und den Docks von St. Jowen miterlebt. KinShao konnte von seinen Ge schichten nicht genug bekommen, obwohl er das ihm gegenüber na türlich nie zugegeben hätte. Manchmal erzählte er aber auch Grusel geschichten über Besatzungen, die im Weltraum wahnsinnig gewor den waren, Lichtjahre von jeder Rettung entfernt. »Moment«, ertönte eine andere Stimme knisternd auf dem allge meinen Kanal. »Rot Fünf hier. Ich empfange ebenfalls etwas.« Der Navigator von Rot Fünf war der beste der ganzen Truppe. Er würde ganz sicher nicht wegen einer Lappalie seinen Kapitän alar mieren. »Ein schwaches Signal«, fuhr Rot Fünf fort. »Wahrscheinlich nur Weltraummüll. Aber es strahlt irgendetwas ab. Vielleicht ein fehlge leiteter Satellit oder …« Statisches Rauschen, dann Stille. »Rot Fünf?« Die Stimme des Kommandanten klang fast vor
wurfsvoll. »Rot Fünf, bitte melden!« KinShao aktivierte fast reflexartig die Waffensysteme des Jägers. »Korgen, nach Zielen Ausschau halten. Lovred, auf meinen Befehl auf Gefechtsgeschwindigkeit beschleunigen.« Irgendwo im Heck des Schiffes machte Lovred, der Maschinist, die Triebwerke gefechtsbereit. »Rot Fünf ist nicht mehr auf dem Schirm«, sagte Shass aus ihrer Navigatornische mit unpassend ruhiger Stimme. »Kontakt!«, ertönte es aus der Formation. »Ich habe Kont…« »Blau Zehn ist verschwunden«, sagte Shass. »Ziele, Korgen! Ich brauche Ziele! Richtschützen, seid ihr feuer bereit?« »Bereit«, sagte eine Stimme von der steuerbordseitigen Laserbat terie. »Bereit«, bestätigte eine Stimme von Backbord. »Ich sehe gar nichts«, sagte Shass. »Nur die Trümmer von Rot Fünf.« Es folgte eine ungemütliche Pause. Auf allen Kanälen schnatterten die Piloten wild durcheinander. Der Kommandant versuchte, eine vernünftige Gefechtsformation aufrechtzuerhalten, während ein Sca pula nach dem anderen verschwand. »Moment«, sagte Shass. »Rot Fünf ist wieder auf dem Schirm.« »Feuer! Maximale Streuung!«, brüllte KinShao, und der Jäger schlug aus wie ein bockiges Pferd. Korgen schoss die Hälfte der ver fügbaren Raketen auf etwas, das auf den Scannern wie die Trümmer von Rot Fünf aussah, aber mit extrem hoher Geschwindigkeit auf KinShao zukam. Dann sah er es. Aus der samtigen Schwärze des Weltalls tauchte ein silberner Pfeil auf, der einen Sternenschweif hinter sich herzog. Das Objekt warf Wellen, als wäre es aus Quecksilber, veränderte die Form, verbreiterte sich. Ein Bündel glühend weißer Laserstrahlen wurde aus den Spitzen seiner glänzenden Flügel gefeuert. Rot Sieben erzitterte, und KinShao wusste sofort, dass die Hülle ein Loch hatte. Die künstliche Schwerkraft fiel aus. KinShao wurde
schmerzhaft gegen seine Sicherheitsgurte geschleudert. »Schadensbericht!« »Navigation o.k.«, sagte Shass. »Maschinen o.k.« »Raketen o.k.« »Laserbatterien? Laserbatterien, sofort melden!« KinShao be merkte plötzlich, dass er schrie. Das silberne Schiff schoss an ihnen vorbei. »Sie haben uns mittschiffs getroffen«, sagte Korgen. »Die Laser batterien können wir vergessen.« »Ich habe ein Ziel. Es ist viel schneller als wir. Sie drehen bei, um uns fertigzumachen«, sagte Shass. »Korgen, Feuer aus allen Rohren! Sofortige Detonation! Wir müs sen uns in Sicherheit bringen!« Korgen feuerte die übrigen Torpedos in den Weltraum. Durch die verkürzte Sprengzeit explodierten sie direkt vor der Scapula. Zwi schen Rot Sieben und dem Angreifer befand sich nun eine Wolke aus elektromagnetischer Strahlung und Trümmern, die ausreichen soll ten, um den Jäger vor allem zu verbergen, was eine dem Imperium vergleichbare Sensorentechnologie besaß. Das angreifende Schiff konnte sie trotzdem sehen. Es schoss auf Rot Sieben zu und bremste erst im letzten Moment direkt vor KinS haos Cockpit ab. Es sah aus wie ein Splitter aus flüssigem Metall, mit scharfen Ecken, die ständig ineinanderfossen. Obwohl es wahr scheinlich kleiner als die Scapula war, schien seine blitzende, flüssi ge Oberfläche so hell, dass KinShao für einen Augenblick geblendet wurde. Ein schmaler Schlitz in dem messerförmigen Bug des Schif fes schien anscheinend der Ausguck der Brücke zu sein, aber KinS hao konnte nichts dahinter erkennen. Gleißende Flügel aus flüssigem Metall, die sich zu Seitenflossen verformten, raubten ihm die Sicht. KinShao schaltete die Bremsraketen ein, aber sein Schiff befand sich noch immer auf Gefechtsgeschwindigkeit. Zu spät erkannte er seinen Fehler. Bevor die Bremsraketen zünden konnten, tauchte die
Skapula in die Trümmerwolke ein. Eine rote Flamme überzog den Sichtschirm. Dann durchlöcherte ein Sturm aus Licht die Skapula. KinShao konnte die grellen Lanzen erkennen, die mühelos die Hülle des Schiffes durchlöcherten. Eine dumpfe Erschütterung, auf die Stille folgte, machte ihm klar, dass die Mitte des Schiffes mit einer Explo sion dekomprimierte. Korgen war mit Sicherheit tot, der Maschinist wahrscheinlich auch. Rauch und der Geruch nach verbranntem Plastik erfüllten das Cockpit. Hitze stieg auf. Shass musste bei lebendigem Leib verbrannt sein. Die Triebwerke gaben mit einem letzten Ruckeln den Dienst auf. KinShao sah, wie der feindliche Jäger wendete. Er verwandelte sich in einen platt gedrückten Mantarochen, der durch den Raum schwamm und weiße Blitze spuckte. Jedes Warnlicht auf dem Armaturenbrett leuchtete gleichzeitig auf. KinShao wusste, dass er sterben würde, aber die gellenden Sire nen und die Gluthitze um ihn herum ließen jeden Gedanken an Panik im Keim ersticken. Er presste den Daumen auf den Feuerknopf. Die beiden schweren Maschinengewehre unter der Nase der Scapula feuerten aus allen Rohren. Sie würden nicht treffen dazu hatten sie nicht die Reichweite −, aber KinShao war entschlossen, mit fliegen den Fahnen unterzugehen. Warnlichter blinkten verzweifelt auf. Eines davon gehörte zu der Rettungskapsel, die für KinShao bereitstand, sollte er das Schiff ver lieren. Die Hitze an seinen Beinen war inzwischen unerträglich. Flammen schossen aus dem Armaturenbrett, und der Sichtschirm färbte sich schwarz. Die silbernen Flügel erzitterten, als der feindliche Jäger wendete. Zwei dunkle Augen öffneten sich in seiner Frontpartie. Silberne Blit ze schossen aus den Öffnungen und durchschlugen das Cockpit von Rot Sieben. Die Scapula wurde von einer Lanze aus Licht durch bohrt.
Sarpedon betätigte das Hauptwaffensystem des Jägers und durchlö cherte das beschädigte Schiff vor ihm. Das kalte, flüssige Metall der Bedienelemente drang in seine Handschuhe und verband ihn mit dem Schiff. Allein mit der Kraft seiner Gedanken konnte er so Laserstrah len und Plasmageschosse in den Raum feuern. Das Schiff vor ihm war ein Tiefenraumjäger, der diesen relativ ruhigen Grenzabschnitt bewachen sollte. Er verging in einer Explosion aus schimmernden Trümmern. Sarpedons Jäger flogen direkt durch die umhertreibenden Wrackteile − die flüssige Oberfläche ihrer Schiffe nahmen die Me tallpartikel einfach in sich auf. An Sarpedons Seite kümmerten sich zwei Ordensdiener um die Steuerung des Schiffes. Sarpedon hatte die Bedienung der Waffen selbst übernommen. Das Zielvermögen der Ordensdiener reichte bei Weitem nicht an die in siebzig Jahren erworbene Kampferfahrung eines Space Marine heran. Karraidins Jäger hatte die Vorhut gebildet und drei der feindlichen Schiffe ausgeschaltet. Zwei weitere gingen auf Sarpedons Konto. Die Tiefraumjäger wirkten im Vergleich zur Alienflotte der Seelentrinker behäbig und langsam, und das, obwohl die Scapula-Klasse zum Bes ten gehörte, was das Imperium zu bieten hatte. Für Sarpedon war dies nur ein weiteres Zeichen dafür, wie tief das Imperium gesunken war. Der technische Fortschritt schien zum Stillstand gekommen zu sein. Bald würde die Zeit kommen, da sich seine Feinde erobernd und brandschatzend erheben würden. Sarpedon warf einen Blick auf die Flottenübersicht. Die zehn Jä ger der Seelentrinker schienen unbeschadet durch die Blockade ge drungen zu sein, die inzwischen weit hinter ihnen lag. Sergeant Lu kos Schiff mit der Krankenstation und Kaplan Iktinos an Bord be fand sich in der geschützten Mitte der Formation. Schließlich befand sich auch die Gefangene, Sarkia Aristeia, an Bord. Die Nachhut bil dete Tyrendian, außer Sarpedon einer der wenigen überlebenden Bib liothekare des Ordens. Sein Schiff schlängelte sich unbeschadet durch den Trümmerhaufen.
Sarpedon bedauerte es zutiefst, erneut dazu gezwungen worden zu sein, Bürger des Imperiums zu töten. Genau wie er den Tod von Phrantis Jenassis bedauert hatte. Die Tragödie des Imperiums be stand nicht darin, dass es ausreichend Nährboden für das Böse in der Galaxis bot − das Problem war, dass Milliarden Menschen unter sei ner Gewalt kämpften und starben, als wäre das Imperium ihre einzige Hoffnung. Das Imperium bestand aus diesen Menschen. Wenn sie nur die wahre Natur dieser Tyrannei erkannten, so konnten sie es über Nacht stürzen und in etwas verwandeln, das die Finsternis des Chaos für immer vernichten würde. Aber sie taten es nicht. Die Men schen waren zu blind. Sarpedon und seine Mitstreiter waren einst die glühendsten Verfechter des Imperiums gewesen. Damals hatten sie noch geglaubt, dass es Teil des großen Plans des Imperators war, um die Menschheit in etwas Besseres, Größeres zu verwandeln. In Wahrheit verachtete der Imperator Verrat, Sünde und das Chaos − und das alles wurde erst durch das Imperium ermöglicht. Der Imperator hatte den Seelentrinkern eine letzte Chance gegeben, sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Sie waren nur Ihm verant wortlich. Sarpedon wollte nichts anderes, als das Chaos in jeder Form zu bekämpfen. Vielleicht war der Imperator längst gestorben und nur mehr ein Ideal − aber für dieses Ideal lohnte es sich zu kämpfen. Und der Kampf war das Einzige, worauf sich die Seelen trinker verstanden. Sie mussten überleben. Ihr Überleben schien angesichts der Be deutung, die dem Kampf gegen das Chaos zukam, zweitrangig zu sein. Aber es war nötig, um den Willen des Imperators zu erfüllen. Die Alienflotte durchquerte den Raum und ließ eine Schwadron zerstörter Jäger hinter sich zurück. Lautlos drangen sie in die Kampf zone um Stratix ein. An einem Ort des Todes kämpfte der Orden um sein Überleben. Lordinquisitor Kolgo war ein sehr alter Mann. Es war unmöglich, so weit in der Inquisitionshierarchie aufzusteigen, ohne lange Jahrzehn
te im Kampf gegen die Feinde des Imperators verbracht zu haben. Für die Verhältnisse des Ordo Hereticus war Kolgo sogar relativ schnell aufgestiegen. Er hatte nur ungefähr achtzig Jahre gebraucht. Lordinquisitor Kolgo war ein Riese von einem Mann. Er trug eine unglaublich reich verzierte Zeremonialrüstung, die es in Größe mit jeder Terminatorrüstung der Space Marines aufnehmen konnte. Auf der fassgroßen Keramitbrustplatte waren tanzende Engel abgebildet. Jede seiner riesigen Hände trug eine Energiefaust, auf deren Knöchel Gebete und Litaneien eingraviert waren − eine Erinnerung daran, dass der Glaube und nicht allein rohe Gewalt die Feinde des Impera tors zu Fall brachte. Geschnitzte Friese auf seinen Schultern stellten Ungläubige dar, die unter den Stiefeln der Kreuzritter zerquetscht wurden. Rote Reinheitssiegel, an denen Gebetsbänder aus Pergament flatterten, überzogen seine Rüstung. Aus Lord Kolgos wettergegerbtem Gesicht blitzten kleine, durch bohrende Augen, die an einem so gewaltigen Krieger fast fehl am Platze wirkten. Die Rüstung war Teil des zeremoniellen Gewandes des Lordinquisitors des Stratix-Sektors. Es wäre unangemessen, eine Audienz ohne sie abzuhalten. Diese Audienz wurde in diesem Moment einem gewissen Inquisi tor Thaddeus gewährt, der nach Kolgos Maßstäben erst vor sehr kur zer Zeit seine Ausbildung beendet hatte. Schon allein die Tatsache, dass Thaddeus um ein Gespräch mit ihm gebeten hatte, war eine Anmaßung. Schließlich war er nicht direkt an dem Krieg beteiligt, dem Kolgo seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Der runde Au dienzsaal war mit tiefroten Teppichen ausgelegt. Beeindruckende Kronleuchter hingen von der Decke. Alles sollte die Besucher daran erinnern, welche Macht Kolgo besaß. So viel musste Kolgo Thad deus jedoch zugestehen − er schien davon nicht besonders beeind ruckt zu sein. »Inquisitor Thaddeus«, sagte Kolgo, »Sie werden verstehen, dass ich Ihnen in Anbetracht unserer derzeitigen Situation keine direkte Hilfe anbieten kann. Sie können von Glück reden, dass in dieser Fes
tung genug Platz für Sie und Ihre Truppen ist.« »Natürlich«, antwortete Thaddeus. »Aber meine Aufgabe über schneidet sich unter Umständen mit der Euren. Die Seelentrinker könnten sich mit dem Chaos verbündet haben. Ein abtrünniger Space Marine-Orden im Dienste des Feindes würde das Blatt zu Teturacts Gunsten wenden. Die Tatsache, dass die Seelentrinker in der Kampf zone um Stratix aufgetaucht sind, gibt Anlass zur Sorge.« »Da haben Sie wahrscheinlich recht. Aber Sie müssen verstehen, dass wir andere Prioritäten setzen. Teturact hat bereits Milliarden Menschen getötet. Wenn wir uns nicht mit aller Kraft darauf kon zentrieren, ihn zu zerstören, könnten wir den Sektor verlieren.« »Der Gefallen, um den ich Eure Hoheit bitte, ist leicht zu erfül len.« Thaddeus folgte genau der Etikette, die bei einer Audienz mit einem Lordinquisitor angebracht war, ohne unterwürfig zu wirken. Kolgo war beeindruckt. »Meine Männer und ich sind sehr nahe dar an, die Seelentrinker aufzuspüren. Ich brauche unbedingt Informatio nen. Das Adeptus Mechanicus besitzt ein Verzeichnis, in dem alle Mitarbeiter aufgelistet sind, die im Außenposten auf Eumenix be schäftigt waren, als die Seelentrinker …« Kolgo hob eine Hand, wobei die Servomotoren der riesigen Ener giefaust laut summten. »Dabei kann ich Ihnen nicht helfen.« »Aber Hoheit, auch das Mechanicus steht unter Eurem Komman do. Ich verlange nicht viel. Leider reicht meine Befehlsgewalt nicht aus, um den Magiern selbst Anweisungen zu geben. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, aber Euer Wort ist um einiges mächtiger als meines. Deshalb bitte ich Euch − wir werden beide davon profitieren.« Kolgo seufzte müde. »Thaddeus, das Mechanicus stellt das Ordi natus bereit, mit dem die Inquisitoren unter meinem Befehl kriegs wichtige Ziele zerstören können. Das Mechanicus kümmert sich um unsere Schiffe und um die Waffen, die wir tragen. Und, was am wichtigsten ist, die Magier des Biologis, die in unserem Dienst ste hen, untersuchen die Seuche und die schrecklichen Folgen, die sie
mit sich bringt. Kurz gesagt, diese Operation erfordert die engste Zusammenarbeit mit dem Adeptus Mechanicus, enger, als ich sie je vorher erlebt habe. Als diese Inquisitionstruppe zusammengestellt wurde, musste ich sichergehen, dass diese Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Erzmagier Ultima Cryol traf sich mit mir, um mir zu versichern, dass wir uns mit allen Kräften gegenseitig aushelfen würden. Er versprach mir das Ordinatus, Waffen und die Versorgung, die wir dringend benötigen. Im Gegenzug versprach ich ihm, dass die Fabrikwelten Sadlyen Falls XXI, Themiscyra Beta und Salshan Anterior nicht in Teturacts Hände fallen würden. Salshan Anterior ist bereits verloren. Wir vermuten, dass die Seu che dort über die Servitoren verbreitet wurde. Da sie verschrottet und nicht verbrannt wurden, standen sie von den Toten wieder auf und töteten jeden auf dem Planeten. Das ist schlimm genug − ich muss schon Zugeständnisse machen, um das Mechanicus dazu zu bringen, die Kriegsschiffe der Inquisition überhaupt einsatzfähig zu halten. Und jetzt ist auch noch Themiscyra Beta infiziert. Ich habe ein Heer von Truppen dorthin entsandt, aber sie können weder den Ursprung der Seuche finden noch ihre Verbreitung aufhalten. Thaddeus, ver stehen Sie doch, dass ich das Mechanicus unmöglich um einen weite ren Gefallen bitten kann.« Thaddeus schüttelte mehr traurig als ärgerlich den Kopf. »Wir sind sehr dicht dran, Lord Kolgo. Die Seelentrinker sind uns einen Schritt voraus, aber ich kann sie aufhalten, wenn ich ihren nächsten Zug in Erfahrung bringen kann. Dazu brauche ich Eure Hil fe. Wenn mir das Mechanicus nur ein paar Minuten Zugang zu sei nen Datenbanken …« »Thaddeus, Sie verlangen Informationen über Eumenix. Das ver kompliziert die Sache ungemein. Eumenix liegt im Einzugsbereich von Salshan Anterior. Selbst wenn diese Welt noch existiert, ist es unmöglich, sie zu erreichen. Der einzige andere Ort, an dem diese Informationen gespeichert sind, ist das Sektorhauptquartier des Me
chanicus. Die Erzmagier halten die Daten, die sich dort befinden, für eine heilige Reliquie. Selbst wenn die Beziehungen zwischen uns nicht angespannt wären, würde es jahrelange Verhandlungen benöti gen, bis ein Inquisitor dort zugelassen würde. Und ich muss Sie nicht darauf hinweisen, dass die Beziehungen im Moment mehr als anges pannt sind.« Thaddeus schwieg für einen Augenblick. Dann streckte er schein bar resigniert die Hände aus. »Wie es scheint, muss ich die Seelen trinker auf einem anderen Weg finden. Ich danke Euch, dass Ihr mich angehört habt, Lord Kolgo. Ich bin jetzt um einige Erfahrungen rei cher.« »Ich bin Politiker, Thaddeus. Diese Rolle habe ich angenommen, als ich zum Lordinquisitor berufen wurde. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die heilige Inquisition des Imperators in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dafür muss man ab und an Zu geständnisse machen. Theoretisch stünde es in meiner Macht, Erz magier Ultima Cyrol hinzurichten und das Hauptquartier des Mecha nicus nach Informationen zu durchsuchen. Aber wer würde dann die Warptriebwerke auf unseren Schiffen instand halten? Wer könnte ein Gegenmittel gegen Teturacts Seuche entwickeln? Nur durch Zusam menarbeit kann das Imperium Bestand haben, Thaddeus. Wenn Sie Glück haben, müssen Sie sich niemals um solche Aufgaben küm mern. Aber irgendjemand muss es tun, und in diesem Fall liegt diese Verantwortung bei mir. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Inquisitor. Verrichten Sie die Arbeit des Imperators.« Thaddeus verbeugte sich leicht und wandte sich um. »Ich hoffe«, fügte Kolgo hinzu, »dass Sie nicht irgendetwas Un bedachtes im Schilde führen.« »Nicht im Traum, Lord Kolgo. Ihr habt mir Eure Situation deut lich geschildert. Meine Pflicht ist es, Euren Befehlen zu gehorchen.« Thaddeus verließ den Audienzsaal, wobei er den Kopf etwas hö her als angemessen emporstreckte. Kolgo lächelte. Thaddeus hatte eine glänzende Karriere vor sich − wenn er überlebte.
Sarkia Aristeia war dreiundvierzig Jahre alt. Geboren war sie in der Schwarmstadt Methalor, einem dunklen, heißen Ort. Generationen lebten dort ihre sinnlosen Leben in den Fabriken oder gesellten sich zum Abschaum der Makropole. Sarkia wollte nicht so enden. Sie hatte einen scharfen Verstand und eine noch bessere Vorstellung davon, was Pflicht bedeutete. Das Imperium benötigte dringend jede Schraube, jeden Nagel, den Methalor produzierte. Sarkia war in ih rem Inneren tief religiös, dazu intelligent, und sie verabscheute die Vorstellung, ein Leben im Mittelmaß führen zu müssen. Sie brauchte das Adeptus Mechanicus. Und das Adeptus brauchte Rekruten ihres Schlages. Sarkia wurde im Tempel des Maschinengottes von Methalor auf genommen. Dort erfuhr sie zum ersten Mal vom Omnissias, mit des sen Geist jede Maschine erfüllt war und dessen Gedanken reine Lo gik waren. Ihn anzubeten bedeutete, Wissen zu sammeln. Sie war eine tüchtige und nützliche Adeptin, und als sie in den Stratix-Sektor versetzt wurde, galt sie bereits als Anwärterin auf den Titel des Techpriesters. Sie war kurz davor, ihr Dasein als Adeptin Inferior zu beenden. Dann wurde sie auf eine Forschungsstation auf einen winzigen, eiskalten Planetoiden namens Stratix Luminae beordert, der selbst von Stratix aus kaum zu erkennen war. Die Arbeit gefiel ihr. Sie war den Menschenmassen entkommen, und langsam glaubte sie, dass sie ein Teil von etwas wirklich Bedeutungsvollem war. In der dünnen Atmosphäre der Labors hatte sie die Gelegenheit, etwas zu entwi ckeln, das für das Imperium wirklich von Nutzen sein konnte. Die Geheimnisse des Omnissias offenbarten sich ihr nach und nach. Wis sen um seiner selbst willen zu sammeln hatte etwas Tiefreligiöses an sich. Dann waren die Eldar über das Stratix-System hergefallen. Sie lie ferten sich mit der Flotte des Imperiums hier und da Schlachten, die mehr an ein Spiel als an einen richtigen Krieg erinnerten. Und der
nächste Spielzug der Eldar bestand darin, mit ihren blitzschnellen Schiffen, die auf den Solarwinden segelten, Stratix Luminae anzug reifen. Doch die Seelentrinker stellten sich ihnen in den Weg. Ein Hilferuf von Stratix Luminae erreichte den Angriffskreuzer der See lentrinker, der sich gerade zu Reparaturarbeiten auf Stratix befand. Der Rest war Geschichte, aufgezeichnet in den Archiven des Ordens. Sarkia Aristeia hatte den Angriff der Eldar und den brutalen Ge genschlag der Seelentrinker überlebt. Sie hatte mit angesehen, was auf Stratix Luminae geschehen war. Zusammen mit den anderen Überlebenden hatte sie einen ruhigen Posten auf Eumenix zugeteilt bekommen. Dann war Eumenix untergegangen. Die Menschen um sie herum waren schreiend gestorben, und schließlich waren diesel ben Krieger in den purpurfarbenen Rüstungen aufgetaucht, die sie zehn Jahre vorher schon einmal gerettet hatten, und hatten sie einfach mitgenommen. Kein Wunder, dass sie sich in einem katatonischen, schockartigen Zustand befand. Der Raum, in dem sie verhört wurde, war so gemütlich wie mög lich eingerichtet worden. Wandteppiche verdeckten die ungewohnte Alien-Architektur. Sie hatte frisch gewaschene Kleidung bekommen − die weite Robe eines Ordensdieners. Pallas hatte sie untersucht und intravenös ernährt, bis sie wieder zu Kräften gekommen war. Trotz dem: Sie befand sich immer noch auf einem Alien-Schiff und hatte ein Verhör vor sich. Und dieses Verhör führte Kaplan Iktinos durch. Iktinos, der Bewahrer des Glaubens und der spirituellen Kraft des Ordens, war maßgeblich am großen Ordenskrieg beteiligt gewesen. Er hatte sich auf Sarpedons Seite geschlagen, weil auch er Zeuge des Verrats gewesen war, zu dem das Imperium fähig war. Er war dabei gewesen, als Sarpedon Ordensmeister Gorgoleon im rituellen Zwei kampf besiegt hatte. Die schrecklichen Ereignisse des Bruderkriegs waren das Ergebnis eines teuflischen Plans, den der Dämonenprinz Abraxes ausgeheckt hatte. Fast wäre es ihm gelungen, die Seelen trinker auf die Seite des Chaos zu ziehen. Nur ihr tiefer Glaube hatte sie gerettet − was nicht zuletzt Iktinos’ Verdienst war. Auch als sich
Zweifel in den Herzen seiner Waffenbrüder breitgemacht hatte, war er standhaft geblieben. Der Orden gehorchte dem Imperator, nicht dem Imperium. Das war Iktinos’ Botschaft an sie alle. Er saß Sarkia Aristeia gegenüber und überragte die Frau um Län gen. Jeder Space Marine musste auf einen normalen Menschen Ehr furcht einflößend wirken. Noch dazu, wenn er die schwarze Rüstung und den schädelförmigen Helm eines Kaplans trug. Sarpedon beo bachtete sie im Schatten der Wandteppiche und fragte sich, ob Sarkia nicht zu schockiert war, um ihnen nützliche Informationen liefern zu können. Wer würde sich schon einem schädelköpfigen Ungeheuer wie Iktinos anvertrauen? Würde Sarkia einen Blick auf Sarpedon werfen, würde sie wahrscheinlich auf der Stelle tot umfallen vor Schreck. Iktinos griff an seinen Helm, löste die Befestigungen und nahm ihn ab. Zum ersten Mal seit Tagen schmeckte er die abgestandene Luft des Raumschiffs. Er setzte den Helm nur selten ab, und niemals vor anderen Personen. Der Glaube hatte kein Gesicht. Seine Waffen brüder sollten ihn für die Hand des Imperators halten, die sie führte. Nicht für ein menschliches Geschöpf. Sarpedon selbst hatte nur sel ten Iktinos’ Antlitz gesehen, und es überraschte ihn immer wieder. Sein Gesicht hatte die Farbe von dunklem, poliertem Holz. Im Vergleich zu dem der meisten Marines war es ziemlich schmal. Ikti nos hatte dunkle Augen und war völlig unbehaart. Zwei silberne Bol zen in seiner Stirn deuteten auf eine zwanzigjährige Dienstzeit hin. Zwei elfenbeinfarbene Bolzen der Wange verrieten zwanzig Jahre Tätigkeit als Kaplan. Er strömte Glauben und Selbstvertrauen aus. Sarpedon begriff, warum er den Helm ständig trug. Er wollte, dass seine Brüder ihn als ein gesichtsloses Zeichen ihres Glaubens wahr nahmen, nicht als einen einfachen Mann. Er wäre ein guter Anführer geworden, aber er hatte eine andere Berufung gewählt. Er bewachte die Seelen seiner Waffenbrüder und überließ es Sarpedon, die Befeh le zu geben. »Sarkia«, sagte Iktinos mit tiefer, volltönender Stimme, die nor
malerweise von seinem Helm verzerrt wurde. »Wissen Sie, warum wir Sie hierhergebracht haben?« Sarkia schwieg für einen Augenblick. »Stratix Luminae«, sagte sie dann leise. »Vor zehn Jahren besuchten meine Waffenbrüder die Forschungs station auf Stratix Luminae. Jetzt müssen wir noch einmal dorthin, und zwar bald. Sie waren damals eine Adeptin, und Sie hatten Zu gang zu den oberen Etagen. Sie müssen uns helfen.« Sarkia schüttelte den Kopf. »Aber das ist zehn Jahre her, wie …« »Die Labors auf Stratix Luminae wurden aufgegeben. Das wissen Sie. Alles ist so, wie Sie es damals verlassen haben, Sarkia. Niemand ist in der Zwischenzeit dort gewesen. Es gelten immer noch diesel ben Sicherheitsvorkehrungen wie damals, als Sie noch in der Station gearbeitet haben. Wir brauchen Sie.« »Warum?« Sarkia hob den Kopf und sah Iktinos direkt in die Au gen. »Warum wollen Sie unbedingt dorthin?« »Wir haben keine andere Wahl. Und Sie auch nicht.« »Ich werde Ihnen keine große Hilfe sein. Ich war nur eine Adep tin. Nur die Magier wussten, wie man in den Sicherheitsbereich ge langen konnte. Wir haben sie kaum gesehen und wussten nicht im Geringsten, was sie dort unten taten. Ich bin nicht von Nutzen für Sie, verstehen Sie nicht? Ich kenne nur die oberen Etagen und La bors. Da gibt es nichts, was …« »Wir wissen alles, was wir wissen müssen. Sarkia, helfen Sie uns. Wenn alles vorbei ist, lassen wir Sie frei.« Sarkia unterdrückte ein Schluchzen. »Ihr seid Abtrünnige. Ihr werdet mich töten.« »Sie wissen nicht, was wir sind. Im Moment zählt nur mein Wort als Soldat des Imperators. Sagen Sie uns, was wir wissen wollen, und Sie werden frei sein.« Sarkia zuckte mit den Schultern. »Ich werde sterben. Und Stratix Luminae wird auch Sie umbringen.« Sie schwieg und starrte auf den Tisch vor sich. »Das Stromnetz ist mit Sprüchen aus den Offenba
rungen des Omnissias kodiert. Davon findet sich in jedem Labor und in jeder Werkstatt eine Kopie. Die Codewörter werden von einem Algorithmus überprüft. Den kann ich Ihnen aufschreiben. Damit ge langen Sie in die erste Etage. Wie Sie in den Sicherheitsbereich kommen, ist Ihr Problem.« »Sie waren uns eine große Hilfe, Sarkia.« Sie lächelte grimmig. »Wollen Sie mich damit trösten? Sie sind ein Ungeheuer. Ihr alle seid Ungeheuer. Sparen Sie sich ihr Gerede. Sie werden mich töten, Marine.« »Nennen Sie mich Iktinos.« »Ich werde Sie gar nichts nennen. Ich habe Ihnen erzählt, was ich weiß, um mir die Folter zu ersparen. Jetzt bin ich wertlos für Sie. Ich kann wohl von Glück reden, wenn Sie mich nur aus einer Luft schleuse werfen.« Iktinos erhob sich und nahm seinen Zeremonienhelm vom Tisch. »Ich kann mich nur wiederholen, Sarkia. Wenn unser Auftrag erfüllt ist, werden Sie freigelassen. Darauf haben Sie mein Wort. Es liegt nicht in unserem Interesse, Ihnen Schaden zuzufügen. Wären wir immer noch unter der Fuchtel des Imperiums, stünde Ihnen jetzt wohl eine gründliche Gehirnwäsche bevor. Aber dieses Spiel spielen wir schon lange nicht mehr mit.« Iktinos stürmte aus dem Raum und ließ Sarkia am Tisch sitzen. Bald würden die Ordensdiener ihr Essen bringen und sie in die kleine Zelle führen, die ihr im Mannschaftsquartier zugeteilt worden war. Jeder andere hätte sich über den glücklichen Verlauf des Verhörs mehr als gefreut. Aber Sarpedon war sich der Gefahren, die dem Or den bevorstanden, nur allzu bewusst. Fast hätte er sich gewünscht, dass sie von Sarkia nichts erfahren hätten. Dann hätte er alle Hoff nung fahren lassen und sich einer anderen Sache widmen können. Aber Sarkias Aussage hatte ihnen sozusagen die Erlaubnis gegeben, die Hölle zu betreten und sich nicht nur den Schrecken Teturacts, sondern auch dem Zorn des Imperiums zu stellen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Sarkia niemals gefunden hätten. Trotzdem
− es war Sarpedons Pflicht, den Willen des Imperators zu erfüllen, koste es, was es wolle. Sarpedon beobachtete sie noch einen Augenblick. Sie zitterte nicht und vergoss keine Tränen. Sie wirkte nur müde. Er konnte sich denken, dass die Vorstellung, auf einem Alien-Schiff verhört, gefol tert oder sogar getötet zu werden, seinen Tribut verlangte. Sooft er Menschen ohne Implantate und Verbesserungen beobach tete, konnte Sarpedon das Gefühl nicht loswerden, dass sie zu einer anderen Spezies gehörten. Die Seelentrinker hatten alle Verbindun gen zum Imperium gekappt. Die einzigen normalen Menschen, die Sarpedon zu Gesicht bekam, waren die Ordensdiener: Männer und Frauen, die so stark gedrillt und gehorsam waren, dass sie schon fast als intelligentere Servitoren durchgingen. Sarpedon hatte in den letz ten Jahren nur wenig Gelegenheit gehabt, normale Menschen ken nenzulernen − abgesehen vom allzu früh verstorbenen Phrantis Je nassis. Er war neugierig und wollte nur zu gerne mit ihr sprechen, aber er befürchtete, dass sie allein bei seinem Anblick den Verstand verlieren würde. Sarpedon verließ sein Versteck und begab sich zur Brücke. Die Ordensdiener würden sich um Sarkia kümmern. Ob sie hören konnte, wie seine Spinnenbeine über den Metallboden klapperten? Langsam bemerkte Thaddeus, dass die Seelentrinker offiziell niemals existiert hatten. Seine Nachfragen, den astropathischen Verkehr be treffend, wurden immer seltener beantwortet. Sogar sein kleines Sie gel der Inquisition, hinter dem große Macht steckte, half nichts. Die Kampfzone war in verschiedene militärische Hoheitsgebiete aufge teilt worden, damit das Departmento Munitorum die gewaltige logis tische Herausforderung dieser riesigen Operation überhaupt in den Griff bekommen konnte. Thaddeus hatte befohlen, astropathische Nachrichten, die bestimmte Schlüsselwörter wie Astartes, abtrünnige Marines, purpurfarben, Spinne, psionisch und Dutzende anderer enthielten, sofort weiterzugeben. Doch es gab manche Sektoren, die
Thaddeus jede Kooperation verweigerten. In Gebieten, die unter Teturacts Herrschaft standen, war keine Überwachung durch das Imperium möglich − Stratix eingeschlossen. Thaddeus konnte nicht darauf hoffen, Nachricht von den wenigen Rettungsschiffen und Inquisitoren zu erhalten, die sich dort befan den. Sektor Septiam-Calliargan hatte mit bürokratischem Unsinn und Desinformation reagiert. Aggarendon Nebula hatte überhaupt nicht geantwortet, obwohl es in den spärlichen Minenkolonien dort kaum militärische Aktivität gab. Am schlimmsten erging es ihm mit Sub sektor Caitaran, einem winzigen Abschnitt des Weltraums, der nicht nur die Festung der Inquisition, sondern auch mehrere Flottillen der imperialen Armee beherbergte. Die Meldungen, die er von dort emp fing, klangen seltsam gespreizt und gekünstelt. Er war sich sicher, dass sie manipuliert worden waren. Und das war nur ein Anzeichen. Thaddeus hatte versucht, Zugang zu historischen Schlachten zu gewinnen, an denen die Seelentrinker beteiligt gewesen waren − ohne Erfolg. Die Kathedrale der Helden auf Mortenkens Welt hatte die Statue, die Daenyathos, den legendä ren Kriegerphilosophen der Seelentrinker, darstellte, längst entfernt, obwohl er es gewesen war, der die Hrud aus der heiligen Stadt des Planeten vertrieben hatte. Jede Nachricht über die Seelentrinker, die nach dem Vorfall im Cerberischen Feld eingegangen war, war ge löscht worden. Einzig die Datenbanken der Inquisition enthielt eine einigermaßen zusammenhängende Darstellung der glorreichen Ge schichte der Seelentrinker. Glorreich zumindest bis zu ihrem Verrat auf Lakonia und der darauf folgenden Exkommunikation des Ordens. Bis auf diese Daten und die Archive der Festungswelten, auf denen der Orden gekämpft hatte, war das Imperium fest entschlossen, die Existenz der Seelentrinker zu leugnen. Thaddeus hatte noch nie eine Löschaktion dieses Ausmaßes gese hen. Er hatte natürlich davon gehört. Er hatte sogar an einigen ähnli chen, aber viel kleineren Operationen teilgenommen. Dass das Impe rium so ignorant sein konnte, dass es Bücher verbrannte und Datenta
feln löschte, hatte er sich nicht vorstellen können. Natürlich wurden alle, die den Seelentrinkern begegnet waren, einer Gehirnwäsche unterzogen. Wie jeder Inquisitor war sich auch Thaddeus der Tatsa che bewusst, dass Wissen ein kostbares Gut war und in den Händen derjenigen, die damit nicht umgehen konnten, großen Schaden an richten konnte. Ein abtrünniger Orden war kein unbekanntes Phänomen − jedes Kind kannte die düstere Geschichte der Horus-Häresie. Die Hälfte der Space Marine-Legionen hatte sich damals auf die Seite des Chaos geschlagen. Aber dass so ein Vorfall hier und heute passieren konnte, und noch dazu ohne den Einfluss der Chaosmächte, würde Ernüchterung, wenn nicht gar Panik hervorrufen − das Letzte, was das Imperium brauchen konnte. Aber dass jeder Hinweis auf die See lentrinker aus dem Gedächtnis des Imperiums gelöscht wurde, mach te Thaddeus’ Aufgabe nicht gerade leichter. Er hatte keine Ahnung, welcher Unterorden der Inquisition den Befehl dazu gegeben hatte. Und er wusste auch nicht, welche Schalt stellen im Netz der Astropathie oder welche planetaren Archivare die Informationen, die er bekam, manipulierten oder löschten. Zumindest verstanden sie etwas von ihrer Arbeit − ohne den Segen des Lordin quisitors würde Thaddeus dort nicht viel ausrichten können. Er muss te mit den Brocken leben, die von der Tischkante fielen. Seine letzte Hoffnung ruhte auf dem Außenposten auf Eumenix. Warum hatten sie ihn angegriffen? Wenn er das herausfand, würde er kurz vor dem Durchbruch stehen. Ansonsten wäre seine ganze Untersuchung um sonst gewesen. Die Inquisition war bekannt dafür, dass eine Hand nicht wusste, was die andere tat. Thaddeus fragte sich, wann sie sich endlich aus diesem selbst gesponnenen Netz befreien konnte und lernen würde, sich selbst zu vertrauen. Es gab viele Gerüchte über Inquisitoren, aus denen gefährliche Radikale geworden waren oder die im Versuch, das Böse aufzuhalten, dem Wahnsinn anheimgefallen waren. Viel leicht war der einzige Weg, diesem Irrsinn zu begegnen, wirklich
eine gezielte Vorenthaltung von Informationen. »Inquisitor?« Thaddeus blickte von seiner Datentafel auf. Er war gerade dabei gewesen, möglicherweise interessante astropathische Nachrichten zu überprüfen − wie immer ohne Erfolg. Der unvermeidliche Pilger stand in der Tür. Über seinen Akten hatte Thaddeus nicht nur seine ungemütliche, kalte Behausung, sondern auch den Untergang der beiden Sonnen Caitarans vergessen. Das blasse Licht des wolkenlo sen Nachthimmels war blaugrau gefärbt. »Pilger.« Der Pilger verbeugte sich leicht, fast so, als wollte er Thaddeus zum Narren halten. »Oberst Vinn hat seine Leute zusammengestellt. Bereit zum Appell.« »Sehr gut. Was haltet Ihr von ihnen?« »Ich?« Der Pilger schwieg für einen Moment. »Zum größten Teil sind es Veteranen. Sie haben Erfahrung damit, Aufstände auf unte rentwickelten Welten niederzuschlagen. Es sind gut ausgebildete, motivierte Soldaten. Sie werden den Tod in der Schlacht finden, an sonsten werden sie nicht von Nutzen sein.« »Pilger, glauben Sie nicht, dass die ganze Sache Wahnsinn ist?« Thaddeus wusste nicht, ob sich unter der Kapuze des Pilgers ein Gesicht versteckt hielt oder nicht, auf jeden Fall hatte er das ungute Gefühl, dass irgendetwas darunter die Zähne fletschte. »Wenn Ihr die Dinge gesehen hättet, die ich gesehen habe, dann wüsstet Ihr, was Wahnsinn bedeutet. Inquisitor, ich habe keinen Zweifel daran, dass Eure Mission fehlschlagen wird. Es haben weiß Gott schon bessere Truppen als die Euren das versucht, was Ihr ver suchen wollt, und sind an den ersten Laserselbstschutzanlagen ge scheitert.« »Pilger, ich kann mich nicht erinnern, dass ich Euch erzählt habe, wo und wann ich meine Truppen einsetzen werde. Wenn Ihr Euch so sicher seid, dass ich versagen werde − dann müsst Ihr Euch auch im Klaren sein, gegen wen ich vorgehe.«
»Ihr werdet Pharos aufsuchen, Inquisitor. Eine andere Möglichkeit habt Ihr nicht. Und wenn ich das herausbekommen habe, dann wird es auch Lord Kolgo herausfinden.« »Lord Kolgo«, sagte Thaddeus, während er aufstand und die Da tentafel in einen seiner bereits gepackten Koffer warf, »würde genau das mit Freude beobachten wollen. Wenn ich versage, habe ich zu mindest die dortigen Verteidigungsanlagen schon einmal für ihn ge testet. Wenn ich Erfolg habe, weiß er, wie er diese Nuss knacken kann und wird mich vielleicht unter seinen persönlichen Befehl stel len, damit ich es noch einmal versuchen muss.« »Vielleicht. Aber es ist offensichtlich, dass Pharos Eure letzte Möglichkeit ist. Wenn Ihr dabei entdeckt werdet und überlebt, habt Ihr Euch Feinde gemacht, die Euch niemals verzeihen werden.« »Wollt Ihr mir auf diese Weise Mut zusprechen, Pilger? Habt Ihr nicht auch den Wunsch, die Seelentrinker endlich aufzuspüren?« »Mehr als Ihr, Inquisitor. Mehr als Ihr. Vergesst das niemals.« Ei ne Spur von Verärgerung schlich sich in die normalerweise so mono tone mechanische Stimme. »Ihr habt mich nach meiner Meinung gefragt. Ich bin der Überzeugung, dass Ihr sterben werdet. Wäre ich an Eurer Stelle, würde ich wahrscheinlich auch den fast sicheren Tod wählen. Wenn Ihr das nicht tut, sind Eure Erfolgsaussichten gleich null. Ich will damit sagen, dass die Aufgabe, die Ihr Euch gestellt habt, unmöglich zu bewältigen ist.« »Der Imperator tötete Horus im Moment seines Triumphes. Diese Tat war ebenfalls unmöglich. Es heißt, dass Inquisitor Czevak die schwarze Bibliothek mit eigenen Augen gesehen und überlebt hat − auch unmöglich. Genauso wie es unmöglich ist, das Imperium vor einer ganzen Galaxie des Bösen zu beschützen. Und trotzdem ist es die Pflicht eines jeden Inquisitors, es zumindest zu versuchen. Und daran halte ich mich. Die einzige Waffe, die ich den Seelentrinkern entgegenhalten kann, ist Information. Und wenn ich das Unmögliche wagen muss, um sie zu erhalten, dann bin ich auch dazu bereit.« »Natürlich, Inquisitor.« Der Pilger hatte wieder seinen unterwür
figen Ton angenommen. »Oberst Vinn hat seine Truppen zum Appell versammelt.« »Sagt Vinn, dass ich ihm in dieser Hinsicht voll und ganz ver traue. Wenn seine Männer, wie Ihr sagt, bereits dem Tod geweiht sind, brauche ich sie ja wohl nicht zu inspizieren. Sie sollen auf die Sichelmond transportiert werden. Macht das Schiff startklar, ich wer de in einer Stunde am Raumhafen sein.« Der Pilger verschmolz mit der Dunkelheit jenseits der Zimmertür. Obwohl er für Thaddeus’ Aufgabe, die Seelentrinker aufzuspüren, unerlässlich war, hatte dieser doch das ungute Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, ihn hinzuzuziehen. Verrat umgab ihn wie eine stinkende Wolke − und dieser Gestank schien noch immer im Raum zu hängen. Andererseits hatten sich Inquisitoren schon immer mit den übelsten Mutanten und Aliens verbündet, wenn es für ihre Ziele von Nutzen war. Immerhin war der Pilger weder ein Ketzer noch ein Dämon. Thaddeus musste einfach weiterhin seine Anwesenheit er dulden. Er warf seine wenigen Kleidungsstücke und Habseligkeiten in den Koffer. Thaddeus reiste immer mit leichtem Gepäck. Da er noch nicht lange die heilige Pflicht des Inquisitors ausübte, hatte er auch noch keine Gelegenheit gehabt, eine Bibliothek oder eine Sammlung seltener Artefakte aufzubauen, wie es verdiente Inquisitoren zu tun pflegten. Seine einzigen wertvollen Besitztümer waren die Sichel mond, seine Ausgabe des »Katechismus des Krieges« und die umge rüstete Automatikpistole, die er auf dem Schiff aufbewahrte. Die Pistole war ihm von den Bürgern von Schwarmstadt Secundus auf Jouryan geschenkt worden. Es war ihm gelungen, den Genräuberkult in den Tiefen der städtischen Kühlsysteme zu vernichten. Damals hatte er sich wie einer der Helden aus den großen Epen des Impe riums gefühlt: ein Kreuzritter, der das Unheil und die Verderbnis, die das Imperium bedrohten, gnadenlos zerschmetterte. Momentan je doch fühlte er sich nicht im Geringsten wie ein Held. Hatte das Ordo Hereticus die richtige Wahl getroffen?
Zweifellos war Thaddeus ein guter Inquisitor. Er war intelligent, beharrlich und hatte die Geduld, seine Truppen so lange im Zaum zu halten, bis er einen endgültigen, vernichtenden Schlag gegen seinen Feind führen konnte. Aber es gab so viele Inquisitoren, die mehr Er fahrung besaßen. Manche hatten sich sogar auf die Space MarineOrden spezialisiert. Obwohl diese als die größten Helden des Impe riums galten, waren sie so frei und unabhängig, dass sie ständig überwacht werden mussten. Hatte Thaddeus das Zeug dazu, die See lentrinker zu finden? Oder war er nur aus politischen Gründen aus gewählt worden? Vielleicht hatte ihn ein Lordinquisitor wie Kolgo hinzugezogen, der sich um unzählige verschiedene Interessen und Parteien kümmern musste. Aber das war jetzt zweitrangig. Er hatte einen Auftrag erhalten, und den würde er auch erledigen. Tausende Inquisitoren waren im Kriegsgebiet damit beschäftigt, Hunderte verschiedener Aufträge zu erfüllen. Sogar Mitglieder des Officio Assassinorum schlichen auf der Suche nach lohnenden Zielen durch Teturacts Reich. Das wich tigste Ziel war natürlich Teturact selbst. Thaddeus hatte seine eigene Aufgabe zu erfüllen, die nicht weniger wichtig war. Er würde die Seelentrinker zur Strecke bringen oder beim Versuch sterben. Konnte es größere Hingabe geben? Ausgeschlossen, versicherte er sich. Er rief nach einem Diener, der sein Gepäck auf die Sichelmond bringen sollte, und verließ sein kaltes, zugiges Quartier. Er wollte Pharos so bald wie möglich erreichen − dort lagen die letzten Teile des Puzzles. Dort würde er finden, was er suchte. Wenn nicht, hatte er versagt − und das durfte er auf keinen Fall zulassen.
SIEBEN
Die Flotte befand sich in Wartestellung. Die Jäger hatten sich in ein ruhiges System zurückgezogen und harrten darauf, dass sich im dich ten Verkehr der imperialen Kriegsschiffe und Transporter eine Lücke auftat. Das System war dunkel und ruhig. Die einzigen Hinweise auf eine einstige menschliche Besiedelung waren einige Minen auf einer längst ausgebeuteten Welt, deren Sonne langsam erstarb. Die Alienjäger befanden sich in der Umlaufbahn eines Gasriesen. Unter ihnen wirbelten blauweiße Gasschichten in einem unaufhörli chen Sturm. Das schwache Licht des Sterns überzog die anderen, kaum zu erkennenden Planeten und Monde mit einem trüben, grauen Schimmer. Die Jäger waren aufgrund der schwachen Beleuchtung kaum zu erkennen und konnten leicht mit umhertreibendem Raum müll verwechselt werden, den die Bergleute zurückgelassen hatten, als sie die Minen verlassen hatten. Sarpedon hatte erst nach der Rebellion der Seelentrinker die Gala xis zu schätzen gelernt. Es war ein Ort voller Wunder. Jede noch so weit entfernte Ecke beherbergte etwas Neues und Außergewöhnli ches. Sogar in diesem verblassenden System gab es Schönheit zu entdecken. Die nie endenden Stürme des Gasgiganten oder die unendlich komplexen Umlaufbahnen der Monde des Planeten. Doch die Galaxie war auch ein dunkler, furchteinflößender Ort. Überall warteten versteckt und schlafend Finsternis und Verderben, jederzeit bereit, aufzuwachen und sich über die Sterne zu verbreiten. Das Chaos konnte überall lauern. Es lag in seiner Natur, im Ver borgenen zu bleiben. Wie Schmutzränder, die man niemals richtig säubern konnte. Das war der Grund, warum das Imperium eine üble Sache war − es war ein Teil der Galaxis, die so viele Verstecke für
den großen Erzfeind bereithielt. Und die besten Verstecke befanden sich gerade inmitten der korrupten Machtstrukturen der imperialen Organisationen. Als das Chaos die Menschen am heftigsten bedroht hatte, war das nicht durch eine Horde von Dämonen aus dem Warp geschehen. Es hatte die größten Helden der Menschheit in ihrem Innersten verdor ben: die Hälfte der Space Marine-Primarchen. Die Kriege der HorusHäresie hatten die Galaxis entzweit. Nur durch Männer wie Rogal Dorn, dem Primarchen der Seelentrinker und Helden der Schlacht von Terra, war es gelungen, die Menschheit vor dem Untergang zu retten. Sarpedon wusste jetzt, wer Rogal Dorn wirklich war − ein heldenhafter Mann, geschaffen vom Imperator, der sich plötzlich in der verdorbenen Scheinheiligkeit des Imperiums wiedergefunden hatte. Der Imperator war auf den Goldenen Thron verbannt worden, und das Adeptus Terra verwandelte Seinen heiligen Plan in das ge naue Gegenteil. Das Bullauge, vor dem er stand, war Teil von Kaplan Iktinos’ Schiff. Karendin hatte dort das Apothecarium aufgebaut. Gemeinsam mit Pallas, dem dienstältesten Apothecarius des Ordens, arbeitete er unermüdlich. Noch nie in ihrer Geschichte waren die Seelentrinker so auf ihre Fähigkeiten angewiesen gewesen. Sarpedon selbst hatte sich von Pallas untersuchen lassen. Er war der erste Mutant des Or dens, und bei ihm traten die Mutationen auch am auffälligsten in Er scheinung. »Kommandant?«, ertönte eine Stimme in seinem Rücken. Sarpedon riss sich aus seinen Tagträumen und wandte sich um. Apothecarius Pallas studierte die Anzeigen auf einer Datentafel, die mit einem Autochirurgen verbunden war. Das behelfsmäßige Apo thecarium war vollständig, aber auch recht eng. Es war in den ehe maligen Mannschaftsquartieren der Alien-Besatzung untergebracht. Autochirurg, Pflegeservitoren und Überwachungskonsolen waren zwischen die unregelmäßigen, organisch wirkenden Metallwände gezwängt worden. Von der bemerkenswert hohen Decke hingen Ka
bel und anderes Gerät herab. Pallas sah von der Datentafel auf. »Es wird schlimmer«, sagte er. »Ich weiß«, antwortete Sarpedon. »Das habe ich schon beim Ang riff auf das Haus Jenassis gespürt. Die Hölle … verändert sich. Wenn wir versagen, werden wir irgendwann die Kontrolle darüber verlie ren.« »Wie dem auch sei«, fuhr Pallas fort, »Euch hat es nicht am schlimmsten erwischt. Die inneren Organe von Datestan aus Hastis’ Trupp verändern sich immer weiter. Er wird daran sterben oder sich in etwas völlig anderes verwandeln. Außerdem sind zwei Marines aus Lukos Trupp kampfunfähig. Der eine hat Klauen, die das Bolt gewehr nicht mehr halten können. Dem anderen wächst ein zweiter Kopf.« »Was ist mit dir?« Pallas schwieg, legte die Datentafel beiseite und zog einen Hand schuh und die Rüstung um seinen Unterarm aus. Rote Schuppen brei teten sich von seinem Handrücken bis über den Ellenbogen aus. »Sie reichen bis zu meinen Schultern«, sagte Pallas. »Und sie wachsen ständig weiter. Marines wie Ihr oder Tellos besitzen Mutationen, die jeder sofort erkennen kann. Aber es gibt wohl kaum mehr einen See lentrinker, der sich nicht auf irgendeine Weise verändert hat. Und bei den meisten geht dieser Prozess immer schneller vonstatten.« Sarpedon betrachtete seine Spinnenbeine. Der Dämonenprinz Ab raxes hatte ihren Verstand verwirrt, und eine Zeit lang hatten er und seine Kameraden geglaubt, dass diese Mutationen ein Geschenk des Imperators waren. Jetzt wusste er, dass er nur ein gewöhnlicher Mu tant war. Es gab keinen Unterschied zwischen ihm und den unzähli gen Unglücklichen, die vom Imperium versklavt und ausgelöscht wurden, um die genetische Reinheit der Menschheit nicht zu gefähr den. Sarpedon selbst hatte viele Mutanten getötet. Jeder Diener des Imperiums würde nicht zögern, auch ihn umzubringen. »Wie viel Zeit bleibt uns noch?«, fragte er. Pallas zuckte mit den Schultern. »Monate. Allerhöchstens zwei
Jahre, dann wird dieser Orden nicht mehr kampffähig sein. Wir ha ben schon jetzt viele Marines aufgrund der Mutationen verloren, und es werden ständig mehr. Ich weiß nicht, was Ihr vorhabt, aber ich bin überzeugt davon, dass Euer Plan die letzte Chance ist, die wir ha ben.« Sarpedon wusste, was mit den Seelentrinkern geschah, die ihren Dienst nicht mehr ordnungsgemäß verrichten konnten. Diejenigen, die den Verstand verloren, wurden gefangen genommen und in Ket ten zu den Plasmareaktoren gebracht. Dort wurde ihnen eine Bolter kugel in den Kopf gejagt und ihre Körper anschließend verbrannt. Bis jetzt war dies noch nicht allzu oft nötig gewesen. Doch Sarpedon hatte sich bei jedem Einzelnen an das sinnlose Sterben während des Ordenskrieges erinnern müssen. »Genau so ist es. Teturacts Reich zwingt die imperiale Flotte und die Armee in Schlachten, die keine Seite für sich entscheiden kann. Teturacts Anhänger sind zahlreich, und er hat die Fähigkeit, die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Wir werden uns mitten in dieses Getümmel stürzen. Aufgrund des sen, was uns Salk über Eumenix berichtet hat, wird wohl jeder Ver such, Teturacts Armeen anzugreifen, einem Himmelfahrtskommando gleichen. Dieser Orden wird nicht an Mutationen zugrunde gehen, Pallas. Er wird entweder geheilt werden oder im Kampf untergehen.« »So kann es nicht weitergehen«, sagte Pallas plötzlich. »Wir ha ben keinen Rückhalt. Das Imperium wird uns vernichten, sobald es die Gelegenheit dazu hat. Das Chaos betrachtet uns zu Recht als sei nen Feind. Kein Orden kann so überleben.« »Du musst dich wieder um deine Tests kümmern«, sagte Sarpe don. »Melde dich, sobald es etwas Neues gibt.« Er drehte sich um und verließ das Apothecarium. Acht Spinnenbeine klapperten auf dem Metallboden, als er zur Brücke eilte. Das Cockpit des Shuttles war in unheimliches, blaugraues Licht ge taucht. Es fiel auf die Metallbeschläge des Servitorpiloten und ließ das rote Polster der Sitze wie schwarzen Samt erscheinen. Auf dem
Sichtschirm waren weiße, blaue und graue Strudel zu erkennen. Der Senator erhöhte die Schubkraft, und die Alarmsignale auf den Arma turen leuchteten rot auf. Das Shuttle war für diese Anforderungen nicht gebaut worden, aber Thaddeus war sich sicher, dass es durch halten werde. Oberst Vinn hatte seine Beziehungen zu den Truppen spielen lassen, die auf Caitaran stationiert waren, und ein außerge wöhnliches Schiff organisiert. Das Shuttle war mit reaktionsfähigen Panzerplatten verkleidet, die sich unter dem gewaltigen Druck und extremer Kälte verbiegen konnten. Der Tarnmodus arbeitete mit ei nem Düsenantrieb, der es dem Shuttle ermöglichte, auch unter Was ser manövrierfähig zu bleiben. Oder, wie in ihrem Fall, unter flüssigem Wasserstoff. »Wie weit bis zur Oberfläche?«, fragte Thaddeus leise. »Dreihundert Meter«, antwortete der Pilotenservitor mit mechani scher Stimme. Die Armaturen, die aus seinen Schultern ragten, be dienten die Steuerelemente vor ihm. Die Seitenruder des Shuttles veränderten ihren Winkel, und das Schiff näherte sich in einem eleganten Bogen der Oberfläche des unnatürlich kalten Ozeans. »Leutnant, auf die Brücke«, befahl er über das Vox des Schiffes. Einige Augenblicke später öffnete sich die Tür zum Cockpit, und Leutnant Kindarek spähte hinein. »Inquisitor?« »Wir werden unser Ziel in etwa sieben Minuten erreichen. Sind Ihre Männer bereit?« »Bereit, Inquisitor.« »Kein Einsatz von Granaten, bis wir nicht genügend Sicherheits abstand vom Ufer haben. Ich rechne zwar mit Dämpfungsfeldern, die eine Explosion verhindern. Trotzdem will ich nicht, dass wir auch nur einen Mann bei einem Unfall verlieren. Die ganze Sache ist auch so schon gefährlich genug.« »Sehr wohl. Nur Einsatz von HE-Lasergewehren.« »Sehr gut.« Thaddeus schwieg einen Augenblick und betrachtete
die wirbelnde Flüssigkeit vor ihm. »Was halten Sie von dieser Missi on, Kindarek?« »Extremes Risiko, aber äußerst wichtig, Inquisitor. Genau unsere Kragenweite«, antwortete Kindarek wie aus der Pistole geschossen. »Warum das?« »Oberst Vinn hat uns dafür ausgesucht. Er wird seinen Aufklä rungszug nicht ohne Grund riskieren. Und gute Gründe beinhalten immer ein gewisses Risiko.« »Was wir vorhaben, ist noch nie jemandem gelungen, Kindarek. Viele haben es versucht, und alle sind gescheitert.« »Andererseits vermute ich, dass es noch niemand auf diesem Weg versucht hat, Sir.« Thaddeus lächelte. »Da haben Sie wohl recht, Kindarek. Zumin dest hoffe ich das.« »Zweihundert Meter«, verkündete der Servitor. »Machen Sie Ihre Männer fertig, Leutnant. Ich erwarte sofortige Gefechtsbereitschaft, wenn wir das Ufer erreicht haben.« Kindarek salutierte zackig und kehrte in die Mannschaftsquartiere zurück. Die Geste war unangemessen, da Thaddeus kein Offizier war, aber dieser unterließ es, den Leutnant darauf hinzuweisen. Macht der Gewohnheit, vermutete Thaddeus. Kindarek schien ein Soldat zu sein, der seine Ausbildung in frühester Jugend genossen und sich seither immer strikt an die Regeln gehalten hatte. Aus die sem Grund war er auch von Vinn mit der Führung des Aufklärungs zuges betraut worden. Es war ein Haufen unerschrockener und erfah rener Männer, wie ihn nur das Ordo Hereticus hervorbrachte. Durch die fast undurchsichtige Flüssigkeit waren dunkle Silhouet ten zu erkennen, die langsam unter den Flutlichtern vorbeizogen, die an der Nase des Shuttles angebracht waren. Schiefe Säulen und dunkle, versunkene Gebäude bildeten einen Hindernisparcours, den der Pilotenservitor nur mit Mühe umschiffen konnte. Als das Shuttle langsam aufstieg, war mehr von der Umgebung zu erkennen. Eine Ansammlung glitzernder Maschinenteile tauchte aus
der Dunkelheit auf − wo sie die Oberfläche durchbrachen, lag der Landepunkt des Shuttles. Es war möglich, dass sie bereits entdeckt worden waren. Viel leicht stürmten in diesem Moment bereits Kampfservitoren durch den Wasserstoff auf sie zu oder erwarteten sie am Ufer. Von dort aus war es ein Leichtes, den flüssigen Wasserstoff in eine örtlich be grenzte Flammenhölle zu verwandeln, die Shuttle und Besatzung zu Asche verbrennen würde. Aber das waren eben die Risiken, mit de nen man rechnen musste, wenn man sich mit dem Adeptus Mechani cus anlegte. Pharos war ein Asteroid, Teil einer Welt, die schon vor Jahrmillionen zerstört worden war. Er hing zusammen mit anderen Trümmern in einer Umlaufbahn um einen toten, blutroten Stern. Minenkolonien und hartnäckige Missionsstationen waren auf dem Asteroidengürtel verstreut. Das System war fast völlig vergessen. Eintausend Jahre zuvor hatten Schicksalsgleichungen und Tech priesterorakel das Adeptus Mechanicus zu diesem Ort geführt. Sie hatten den Asteroidengürtel als Sitz des Kommandozentrums von Sektor Stratix ausgewählt, um im Notfall von dort aus Techgardisten, Schiffe und Ressourcen koordinieren zu können. Noch wichtiger waren die dort gespeicherten Daten. Die Religion des Adeptus Me chanicus bestand darin, Informationen anzusammeln. Information war heilig, und das Oberkommando des Sektors hatte eine Kathedra le des Lernens erbaut, die alle Daten enthielt, die die Adepten im Sektor zusammentrugen. Die Kathedrale stand auf einem der größten Asteroiden − Pharos. Pharos war komplett durchtunnelt, und heilige Metalle waren geför dert worden. Reinstes Eisenerz, massives Karbon, Bronze und Zink. Die Kathedrale bestand aus einer Ansammlung gewaltiger Zylinder, die wie Orgelpfeifen aufgereiht und durch Tausende von Glasbrü cken verbunden waren. In mehreren Etagen reichte die Kathedrale bis zum extrem dichten
Kern des Asteroiden hinab. Es waren endlose, mit Daten gefüllte Korridore und Kapellen. Ein ganzes Regiment von Kampfservitoren war ständig im Einsatz, um die Unwissenden fernzuhalten. Die hochempfindlichen Datenwürfel mussten ständig gekühlt werden, um die Sicherheit und Unversehrtheit des darauf gespeicher ten Wissens nicht zu gefährden. Deshalb waren die Untergeschosse von einem Ozean aus flüssigem Wasserstoff überflutet, der den Teil der Kathedrale, der unter der Oberfläche lag, in unvorstellbar kalte Tiefen tauchte. Dieser Ozean wurde durch Einlassrohre ständig auf gefüllt. Es gab Tankschiffe und Tausende von Adepten und Bediens teten, deren einziger Lebenszweck diese niemals endende, heilige Aufgabe war. Die langen Gänge mit Datenwürfeln, die über diesem kalten Meer gestapelt waren, wirkten fast lebendig, so viele Informationen enthielten sie. Nur einer Handvoll Techpriester war es gestattet, zu sammen mit den Wartungsservitoren in der Kathedrale zu leben und im Licht dieser gewaltigen Datenmenge zu wandeln. Diese Adepten hatten sich durch ihre Hingabe und den Dienst am Maschinengott ausgezeichnet und dafür die Chance erhalten, für den Rest ihres ver längerten Lebens im eisigen Wissensschatz von Pharos zu schwel gen. Wenn die Umstände es erforderten, konnte das Oberkommando des Sektors jederzeit auf wichtige Informationen, die dort lagerten, zurückgreifen. Momentan wurden die medizinischen Archive nach einem Heilmittel gegen die fürchterlichen Seuchen durchkämmt, die im Kriegsgebiet ausgebrochen waren. Aber nur die Techpriester kannten die wahre Bedeutung der Kathedrale − sie war heiliger Bo den, ein Monument, das das Adeptus Mechanicus dem Omnissias errichtet hatte, ein Modell des idealen Universums, in dem unverän derliches Wissen die einzige Realität war. Hier gab es kein Chaos, keinen böswilligen Zufall, der die heilige Ordnung des Wissens durcheinanderbrachte. Und das Adeptus Me chanicus hatte nicht vor, an diesem Zustand irgendetwas zu ändern.
Niemandem war es erlaubt, die Kathedrale ohne Einwilligung des Erzmagiers zu betreten − ein Mann, der sich seine Entscheidungen reiflich überlegte. Nur einer Handvoll der verlässlichsten Diener des Imperators war Zutritt zu den heiligen Hallen von Pharos gewährt worden, und dies auch nur für kurze Zeit und unter ständiger Über wachung. Natürlich hatten Verblendete und Ketzer versucht, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, doch die Überwachungsschiffe und Kampfservitoren hatten dafür gesorgt, dass bisher niemand unerlaubt den heiligen Boden betreten hatte. Noch nie war es jemandem gelungen, Daten aus der Kathedrale von Pharos zu stehlen. Andererseits war auch noch nie jemand auf die Idee gekommen, durch den Ozean aus flüssigem Wasserstoff zu tauchen. »Euer Verschluss ist offen. Ich helfe Euch.« Leutnant Kindarek beugte sich vor und schloss die Versiegelung zwischen Thaddeus’ Helm und dem Kragenring seines Schutzanzugs. Der Anzug war da zu konstruiert, Schutz vor gefährlichen Umweltbedingungen zu bie ten. Normalerweise trugen ihn Pioniere oder Mechaniker, die Schiffshüllen reparierten. Der Anzug bewahrte seinen Träger vor extremen Temperaturen oder giftiger Atmosphäre. Alle Mitglieder des Aufklärungszugs waren damit ausgestattet. Ihre Gesichter waren hinter den viereckigen, durchsichtigen Visieren leicht verzerrt. Ihre Körper wirkten durch das dicke, schwammartige und dunkelgraue Material stämmig und wuchtig. Mit einem Zischen schloss sich die Verriegelung von Thaddeus’ Schutzanzug. Er bemerkte, wie die Luft unter seinem Helm kühler wurde und einen chemischen Geruch annahm. »Vielen Dank, Leutnant.« Der komplette Zug hatte sich in den Laderaum vor der Heckklap pe des Shuttles gedrängt. Ihre Hochenergie-Lasergewehre waren be reit. Vier der Soldaten waren mit Granatwerfern bewaffnet und tru gen Kränze aus Splittergranaten in ihrem Gürtel. Weder auf den An
zügen noch auf den Uniformen darunter waren irgendwelche impe rialen Abzeichen zu finden. Thaddeus hatte auch das Siegel nicht bei sich, das ihn als Inquisitor des Ordo Hereticus auswies. Wenn diese Mission scheiterte, sollte so wenig wie möglich darauf hinweisen, dass die Inquisition dahintersteckte. Alle schwiegen. Thaddeus fand, dass seine Stimme unpassend und feindselig geklungen hatte. Wie viele Schlachten diese Männer wohl bereits gefochten hatten? Wie oft hatten sie in einer Chimäre oder einer Valkyrie darauf gewartet, mitten in ein Feuergefecht abgesetzt zu werden? Thaddeus wusste, dass einige Männer der Truppe auf der Harrow Field-Brücke gegen Dämonen des Gottes des Wandels gekämpft hat ten, die im Sommer mit dem Getreide aus der Erde emporwuchsen. Andere waren Teil der Aufklärungseinheit gewesen, die das Grab des großen Ketzers auf Amethyst V entdeckt hatte. Manche trugen Nar ben oder schlechte bionische Augen hinter den Visieren. Alle schwiegen grimmig. Thaddeus zwang sich, angesichts seines Glau bens an das Imperium und des Bewusstseins um die Wichtigkeit der vor ihnen liegenden Aufgabe, seine Aufregung in Grenzen zu halten. Jeder der Männer hatte seine eigene Methode, mit diesen letzten, spannungsvollen Momenten umzugehen. Der Pilotenservitor hob die Nase des Schuttles. Mit einem metalli schen Knirschen zündeten die Bremsraketen, und das Schiff landete am Ufer. »In Position«, ertönte die Stimme des Senatoren über Vox. »Aufmachen!«, befahl Thaddeus. Mit einem hydraulischen Quiet schen öffnete sich die Heckklappe des Shuttles, und die Rampe wur de ausgefahren. Helles, fluoreszierendes Licht strömte in das Shuttle. Die unters ten Stockwerke des Kathedralenzylinders, in dem sie sich befanden, waren von flüssigem Wasserstoff überflutet. Metallhaufen formten große unterirdische Säulen, die wie silberne Sandbänke aus der Flüs sigkeit ragten. Auf einer dieser Sandbänke waren sie gelandet. Der
Strand glitzerte, und die Wellen auf der Oberfläche des Sees blitzten wie Messerklingen. Noch bevor die Rampe vollständig ausgefahren war, hatte die Vorhut das Shuttle verlassen. Die schweren Stiefel der Sicherheits anzüge klatschten durch den Wasserstoff. Die photoreaktiven Visiere verdunkelten sich, als die Männer, Lasergewehre im Anschlag, das Gebiet absuchten. Kindarek legte den Kopf für einen Moment schief, als er den Funkverkehr abhörte. »Alles ruhig«, voxte er auf der Truppenfre quenz. »Alle Mann raus.« Schnell verließ der Zug das Shuttle. Die Stiefel wirbelten den me tallischen Staub des Strandes auf. Thaddeus folgte ihnen. Die Auto matikpistole lag schwer in seiner Hand. Schon jetzt schmerzten ihm von der gefilterten, künstlichen Luft Nase und Mund. Als er das Shuttle verließ, bemerkte er, dass die gegenüberliegende Wand eine einzige Lichtquelle war. Leuchtgas schien durch transparente Kris tallplatten, die das untere Ende des Zylinders bedeckten. Der Zylinder besaß einen Durchmesser von drei Kilometern und war ungefähr zehn Kilometer hoch. Wendeltreppen wanden sich in ihm hinauf. Säulen hingen von der weit entfernten Decke, deren mattgraue Farbe alles Licht verschluckte. Dazwischen befand sich ein Labyrinth aus gläsernen Gehwegen und Plattformen. Tausende von Leuchtdrähten bildeten einen schimmernden Wald aus Licht, als befände man sich in einem geschliffenen Diamanten. Um die Säulen herum waren komplizierte kristallene Skulpturen in komplexen geometrischen Formen angeordnet. Mathematische Gebete waren in ihre Oberflächen eingearbeitet. Es waren Informati onsspeicher aus Kristall, die genug Daten enthielten, um hundert Cogitatoren zu füllen. Weiter oben waren die geschwungenen Wände mit Bannern aus rostrotem Stoff behängt, die mit Gebeten in der Binärsprache bestickt waren. Dahinter waren nur dunkle Schatten zu erkennen. Thaddeus vermutete, dass sich am oberen Ende des Zylinders ein Kontrollraum
befand. Wahrscheinlich waren die Techpriester darin gerade dabei, die Eindringlinge zu beobachten, die den Tempel des Omnissias entweihten. Die Technologie hier war uralt und konnte nicht mehr nachgebaut werden. Sie hatte die Wirren des dunklen Zeitalters der Technologie überstanden und wurde jetzt zur Lobpreisung des Omnissias benutzt. Das hier war wahrhaftig ein heiliger Ort. Hier bewahrte das Adeptus Mechanicus Maschinen auf, die es nicht nachbauen konnte − oder wollte. Thaddeus erkannte die Schönheit, die dahintersteckte. Für Kinda rek und seine Männer war dies einfach nur ein weiteres Schlachtfeld. Kindarek brüllte einen Befehl, und die Soldaten schwärmten aus. Die Vorhut war damit beschäftigt, das metallene Ufer zu sichern. Der Zug teilte sich in seine Trupps auf, die sich gegenseitig deckten und sich im Notfall Feuerschutz geben konnten. »Wo sollen wir eindringen?«, fragte Kindarek. Thaddeus sah sich um. Sie konnten es sich nicht leisten, länger als unbedingt nötig hierzubleiben. Es gab keine Deckung, und bei einem Schusswechsel konnte der ganze Wasserstoffsee in Flammen aufge hen. Mehrere Treppen schlängelten sich an den Säulen über ihnen entlang. Thaddeus deutete auf die nächste Treppe. »Hier. Machen wir es uns nicht unnötig schwer.« »Jawohl.« Auf Kindareks Befehl näherten sich die Männer der Treppe. Es war eine Spirale aus silbernem Metall, die gegen die rie sigen Dimensionen des Kathedralenzylinders sehr zerbrechlich wirk te. Die Vorhut und zwei der mit Granatwerfern bewaffneten Soldaten eilten die Treppe hinauf. Die anderen Trupps und Thaddeus folgten ihnen. Sie nahmen zwei Stufen auf einmal, um so schnell wie mög lich ihre ungeschützte Position zu verlassen. Thaddeus warf einen Blick nach unten und sah, wie das Shuttle wieder untertauchte, um neugierigen Blicken zu entgehen. Während des Aufstiegs veränderte sich ständig das Netz aus Licht
über ihnen. Es wirkte, als wäre die Kathedrale bewusst so gebaut worden, dass sie aus jedem möglichen Blickwinkel ein völlig anderes Bild bot. Thaddeus wäre beinahe gestolpert, als er dieses Schauspiel betrachtete, und musste sich zusammennehmen. Schließlich war er genau wie die anderen Männer ein Soldat. Und wie sie musste er die Pracht um sich herum ignorieren und sich ganz auf seinen Auftrag konzentrieren. Vorsichtig bahnte sich die Vorhut einen Weg durch die Gänge aus durchsichtigem Kristall. Sie versammelte sich um eine der von der Decke hängenden Säulen. Einer der Männer überprüfte die Anzeigen seines Auspex-Scanners, die anderen umrundeten vorsichtig die ge waltige, blank polierte Säule. Kindarek schickte den ersten Trupp über die Gehwege. Die Män ner verteilten sich. Lasergewehre im Anschlag, durchquerten sie die abstrakten, geometrischen Figuren, aus denen der kristallene Daten speicher bestand. Mehrere Männer hatten einfache Verbindungskabel und Cogitato ren bei sich. Sie waren vor der Kälte geschützt und ermöglichten es ihren Benutzern, sich in einfache Datensysteme einzuklinken. Die technisch Begabteren unter den Soldaten waren in aller Eile in ihre Benutzung eingewiesen worden. Aber auch Thaddeus konnte damit umgehen, sollte es hart auf hart kommen. Kindarek hatte die kristallenen Gehwege erreicht. Er blieb stehen und sah zu den Soldaten neben der Säule hinüber. Derjenige, der den Auspex-Scanner trug, formte mit seinem Mund ein Wort. Bewegung. Das war die einzige Warnung, die Thaddeus erhielt. Der Soldat drehte sich um, um die Ursache der Bewegungsmel dung erkennen zu können. Er wandte sich der Säule zu, ließ den Scanner fallen und legte mit der Waffe an. Die Bewegung kam aus dem Inneren der Säule. Die Oberfläche der Säule zersplitterte in Hunderte von dunkel grauen Keramikplatten. Die Platten stellten sich als die flexiblen
Panzer riesiger Käfer mit Metallbeinen heraus. Glühende Metallau gen leuchteten auf, Sensoren schossen aus ihren Vorderkörpern. Die untere Hälfte der Säule bestand aus mehr als zwanzig ho chentwickelten Kampfservitoren, von denen jeder dreimal so groß wie ein Mensch war. Sie schwebten mithilfe eingebauter Antigravita tionsmotoren, und ihre metallischen Glieder endeten in Multilaser gewehren und runden, mit diamantenen Zähnen versehenen Energiesägen. In den wenigen Augenblicken, in denen sich die Servitoren kampfbereit machten, erkannte Thaddeus, dass sie tatsächlich die ganze Zeit über beobachtet worden waren. Das Verteidigungssystem der Kathedrale hatte einfach nur abgewartet, bis sich die Soldaten zwischen Treppe und Gehwegen verteilt hatten und am verwundbars ten waren. Wie dumm war Thaddeus gewesen. Hatte er wirklich geglaubt, ungestraft in die Archive von Pharos eindringen zu können, obwohl ihm alle bisherigen erfolglosen Versuche das Gegenteil gezeigt hat ten? Nein. So dachte nur jemand ohne Glauben. Er musste weiter kämpfen. Wenn er im Dienste des Imperators starb, war das Beloh nung genug. »Feuer«, schrie Kindarek über Vox. »Granaten! Los!« Die kalte Luft explodierte förmlich mit Laserfeuer. Glühend hei ße, rote Blitze schossen aus den vollgeladenen Gewehren der Solda ten. Multilaser durchbohrten die Körper der Soldaten, die sich am nächsten an der Säule befanden, mit weißem Feuer. Vom Lärm klan gen Thaddeus’ Ohren, und über das Vox empfing er nur eine Mi schung aus Schreien und statischem Rauschen. Die Männer wurden regelrecht zerfetzt. Ihr Blut gefror sofort zu roten Eiskristallen. Das Bein eines Mannes wurde von einer Energiesäge abgetrennt. In ei nem Schauer gefrorenen Bluts fiel er vom Gehweg und in den Was serstoffsee. Ein anderer wurde von den rasiermesserscharfen Greif zangen der Käfer-Servitoren in Stücke gerissen. Weiß glühendes Laserfeuer jagte durch den Treppenaufgang. Der
Mann direkt über Thaddeus wurde getroffen. Ein Laserstrahl durch schlug seine Brust. Unterhalb von Thaddeus brach die Treppe zu sammen. Metallstufen stürzten mit der Hälfte des letzten Trupps in die Tiefe. Thaddeus packte das Geländer, als die Stufen unter seinen Füßen nachgaben. Der Körper des Toten fiel auf ihn. Thaddeus hing mit nur einer Hand hundert Meter über dem See. Das grelle Licht ver schluckte die Männer, die in die silbrige Oberfläche eintauchten. Über ihm explodierten Granaten. Schrapnelle durchlöcherten die Servitoren. Zwar war der Schaden nur gering, aber die Detonationen hatten ihre Sensoren durcheinandergebracht. Einer der insektenarti gen Servitoren fiel hinab, in seltsame blaue Flammen gehüllt, als ein Dutzend Hochenergie-Lasergeschosse in seinen Unterleib einschlu gen. »Paniss! Telleryev! Ihr übernehmt die Flanke! Nagelt sie fest!« Kindarek brüllte − Thaddeus sah, dass er hinter einer der Informati onsspeicher-Skulpturen Deckung gesucht hatte und seine Laserpisto le abfeuerte, während er Befehle gab. Einer der Soldaten streckte die Hand nach Thaddeus aus. Er er griff sie und wurde zurück auf die Treppe gezogen. Thaddeus wollte sich gerade bedanken, als ein Lasergeschoss zwischen ihnen hin durchjagte und ein Loch in das Visier des Soldaten bohrte. Er würg te, als die kalte Luft in seine Lunge drang und sie zu Eisklumpen erstarren ließ. Die Augen des Mannes verwandelten sich in weiße Kristalle. Die Wärme verließ seinen Körper, und seine Muskeln ge froren. Thaddeus gab dem toten Körper einen Stoß, taumelte ein paar Schritte vor und erreichte den Gehweg. Unter ihm gähnte noch im mer der Abgrund. Der Weg war nicht besonders breit. Soldaten rann ten auf die Abzweigungen zu, wo sie sich in Deckung bringen und ihr Feuer auf einen Servitor nach dem anderen konzentrieren konn ten. Thaddeus zog die Automatikpistole. Sobald er die Hand um den
Griff gelegt hatte, wurde klickend eine Kugel in die Kammer ge schoben. Er rannte zur nächsten Skulptur, während Laserfeuer den kristallenen Boden hinter ihm durchlöcherte. Er brachte sich neben zwei Soldaten in Deckung. Einer von ihnen trug einen Granatwerfer, mit dem er auf die Servitoren zielte. Der andere, der mit einem Lasergewehr bewaffnet war, nickte Thaddeus, der seinen Rücken gegen den Kristall presste, höflich zu. »Musta hat die Hälfte seiner Männer verloren«, rief der Soldat. Seine Stimme drang nur gedämpft durch das Visier des Schutzan zugs. »Wie sollen wir hier rauskommen?« Thaddeus erkannte Telle ryev, einen Sergeanten des Zugs. Thaddeus schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns den Weg frei schießen.« Telleryev machte eine abfällige Bemerkung in der Sprache seiner Heimatwelt, die für Thaddeus durchaus gotteslästerlich klang. Dann schaltete er sein Lasergewehr auf Dauerfeuer und jagte eine grelle Lanze in den Körper eines Servitoren, der ihnen gerade in die Flanke fallen wollte. Thaddeus zielte und feuerte dreimal. Die Mikrocogita toren in seiner seltenen Exekutionsmunition suchten sich automatisch ihr Ziel und flogen in kurvigen Bahnen auf den Servitor zu. Der Servitor erzitterte. Einer seiner Antigravitationsmotoren ging in Rauch auf, und der Servitor bekam Schlagseite. Thaddeus nahm das Sensorenbündel ins Visier, das den Kopf des Servitoren bildete, und leerte das zehnschüssige Magazin. Wie flinke Metallinsekten trudelten die Kugeln auf ihr Ziel zu und zerstörten das Metallgesicht des Servitoren. Funken sprühten aus der Maschine. Der biologische Kern wurde sichtbar − jener Teil, der einmal ein Mensch gewesen war. Orientierungslos warf sich der Servitor herum und entblößte sei nen ungeschützten Bauch, aus dem die Gliedmaßen ragten. Der Sol dat mit dem Granatwerfer wirbelte die Waffe herum und feuerte eine Ladung darauf ab. Der Bauch platzte, und Maschinenteile und zer fetztes Fleisch ergossen sich in den See.
Der Soldat erlaubte sich ein grimmiges Lächeln, während er den Granatwerfer nachlud. »Bringen Sie uns zu Kindarek!«, rief Thaddeus. Telleryev nickte, und die beiden Männer verließen ihre Deckung, während ihnen der Soldat mit dem Granatwerfer Feuerschutz gab. Er jagte eine ganze Salve Granaten in den Gehweg über ihnen. Schrapnelle regneten he rab, und für einen Moment waren die Servitoren geblendet. Kindarek versuchte, eine Gefechtsformation um eine der Skulptu ren herum zu bilden. Sieben oder acht Soldaten feuerten ständig und verhinderten so, dass sie von den Servitoren eingekreist wurden. Es waren noch immer ein Dutzend dieser Maschinen übrig. Sie feuerten aus allen Rohren, vermieden es jedoch, die Skulpturen zu treffen, und versuchten, Nahkampfdistanz zu erreichen. Kindarek wiederum tat sein Möglichstes, die Servitoren zurückzuhalten. Wahrscheinlich würde er das nicht durchhalten können, ihnen zumindest aber etwas Zeit verschaffen. Thaddeus und Telleryev erreichten Kindareks Position. »Wir müssen unsere Leute da raufbringen«, sagte Thaddeus außer Atem. »Wir müssen eine Verbindung herstellen.« Kindareks soldatischer Verstand ging alle Möglichkeiten durch − sollte er hierbleiben oder versuchen, seine Männer mit der gefährli chen Aufgabe zu betrauen, Informationen aus den Archiven zu ergat tern? »Hier sind wir sowieso so gut wie tot«, antwortete er. »Feuer schutz! Alle Mann aus der Deckung!«, voxte er auf dem Truppenka nal. »Unser Ziel sind die obersten Stockwerke. Konzentrierte Feuer stöße! Los, los!« Thaddeus nahm eine einzige Kugel aus seiner Hüfttasche und steckte sie in die Kammer der Automatikpistole. Es war eine schwere Kugel, teurer als ein ganzes Raumschiff. Thaddeus hatte alle seine Beziehungen spielen lassen müssen, um eine Handvoll dieser Muni tion zu bekommen. Im Moment war er jedoch sehr dankbar, dass er vorausschauend genug war, sie mitzunehmen.
Thaddeus rannte neben den Soldaten her und schoss auf einen Servitor, der sich gerade umdrehen wollte, um auf sie zu feuern. Eine glitzernde Spur folgte der Kugel. Ihre panzerbrechende Spitze durch schlug immer wieder den schwarzglänzenden Panzer des Servitoren. Mikroleitsysteme sorgten dafür, dass die Kugel mehrmals ihr Ziel traf, bevor ihre Antriebskraft aufgebraucht war und ihr hochkonzent rierter Explosivkern im Herzen des Servitoren detonierte. Er zer sprang in einen Schauer aus glitzerndem Metall und gefrorenem Fleisch. Thaddeus hatte Spezialmunition des Adeptus Mechanicus benutzt, Waffentechnologie auf dem höchsten Stand. Ironischerweise war es das Mechanicus, das ihm nach dem Leben trachtete. Diese ganze Geschichte hatte bestimmt eine Moral. Thaddeus musste nur lange genug überleben, um darüber nachdenken zu können. Er verbrauchte zwei dieser unbezahlbaren Kugeln, um den näch sten Servitor aus der Luft zu holen. Drei weitere Maschinen fielen dem Lasergewehrfeuer zum Opfer. Die Soldaten rannten auf die Ab zweigung zu, die ins nächsthöhere Stockwerk führte. »Telleryev!«, schrie Kindarek, als sie am Ende der Treppe ange kommen waren und hinter einer weiteren Skulptur Deckung suchten. »Nehmen Sie drei Männer und lenken Sie sie ab! Der Rest passt auf den Boss auf.« Thaddeus nickte dem Leutnant zu und zog das Verbindungsgerät aus einer Anzugtasche. Es war ein einfacher, tragbarer Cogitator, der durch ein dickes Kabelbündel mit einer Datentafel verbunden war. Thaddeus kniete sich neben die Skulptur und suchte nach einem Verbindungsstecker. Er fand nichts. Er ließ die Finger über die klare, kantige Kristall oberfläche gleiten. Würde die ganze Mission daran scheitern, weil er dumm genug gewesen war, anzunehmen, dass das Mechanicus Stan dardverbindungen benutzte? Endlich fand er etwas am Fuße des Kristalls. Eine Metallplatte war an der Oberfläche angebracht, ein hässlicher Fleck in der sonst
makellosen Kristallstruktur. Eine Datendiebleitung führte von der Metallplatte mitten in den Kristall hinein. Die Datenskulpturen waren Technologie aus einem anderen Zeitalter. Anscheinend hatte auch das Mechanicus keinen eleganteren Weg hinein gefunden. Sie hatten das Beste aus ihren Möglichkeiten gemacht − immerhin verfügten sie auch nicht über viel bessere Technologie als der Rest des Imperiums. Thaddeus steckte eines der Kabel in das einfache Interface. Nach einem Augenblick füllte sich die Datentafel mit Informationen. Dicht gedrängte Spalten in der Binärsprache rollten über den Bildschirm. Das Programm, das Thaddeus auf den Cogitator geladen hatte, war fast ebenso teuer wie die Kugeln in seiner Pistole gewesen. Es stammte von einem Tech-Ketzer, den Thaddeus noch in seinen Ta gen als Interrogator verhaftet hatte. Das Hereticus hatte befohlen, den Ketzer am Leben zu lassen, damit es von seinen Fähigkeiten profitie ren konnte. Doch der Mann war geflohen, und Thaddeus hatte zu der Truppe gehört, die ihn letztlich aufgespürt und getötet hatte. Das Programm, das er der Inquisition vor seiner Flucht gegeben hatte, war ein Dekodierungsprogramm, das so mächtig war, dass es jede Verschlüsselung knacken konnte, einfach indem man es mit dem entsprechenden Datenspeicher verband. Der Name des Mannes war Skrin Kavansiel gewesen. Er war dem Wahnsinn anheimgefallen und hatte auf einem halben Dutzend Wel ten im Scarus-Sektor Maschinen und Servitoren in blutrünstige Monster verwandelt − alles im Auftrag des Gottes des Wandels. Thaddeus hatte ihn zusammen mit zwei anderen Interrogatoren auf einer Agrarwelt nahe dem Zentrum der Galaxis zur Strecke gebracht. Dass Kavansiel so lange verschont geblieben war, hatte in Thaddeus erste Zweifel erweckt, die Lordinquisitor Kolgo dann bestätigt hatte: Die Inquisition war nicht ein auf ein gemeinsames Ziel konzentrier tes Instrument der Gerechtigkeit des Imperators, wie es ihm am An fang seiner Interrogatorlaufbahn beigebracht worden war. Die Hälfte der Zeit war sie damit beschäftigt, gegen sich selbst zu kämpfen. Der Cogitator teilte die riesige Datenmenge in Kategorien ein und
suchte gezielt nach Informationen über Personal und Einrichtungen des Mechanicus im Stratix-Sektor. Trotzdem war eine gewaltige Da tenmenge zu verarbeiten. Zumindest, dachte Thaddeus, als Laser feuer um ihn herum einschlug und er die Schreie sterbender Soldaten hörte, zumindest waren die kristallenen Datenspeicher miteinander verbunden. Er hoffte nur, dass die Skulpturen, die die Daten enthiel ten, die er brauchte, nicht zerstört worden waren. »Gak noch mal!«, schrie jemand. »Wir bekommen Besuch!« Thaddeus blickte hoch. Starke Scheinwerfer leuchteten in der Finsternis auf. Sie waren auf Seile gerichtet, an denen Soldaten in rostroten Uniformen herab kletterten. »Verdammt! Techgardisten«, sagte Kindarek. Die Hälfte seiner Männer kämpfte noch immer gegen die Servito ren. Thaddeus glaubte nicht, dass es der Rest des Trupps mit den Elitetruppen des Mechanicus aufnehmen konnte, die von oben auf sie herunterfeuerten. Er bemerkte einige Techpriester, die den Angriff koordinierten. Sie trugen Roben, blinkende Energieäxte und seltsame Waffen, die Blitze aus reiner Energie auf seine Männer niederregnen ließen. Die Datentafel sortierte die Informationen nach den Schlüsselwör tern, mit deren Hilfe er schon den Astropathie-Verkehr abgehört hat te: Seelentrinker, Purpur, Marine, Spinne und einige weitere. Während sich der Bildschirm mit Daten füllte, schaltete Thaddeus auf eine Voxfrequenz, die ihn direkt mit dem Shuttle verband. »Thaddeus an Shuttle. Ziel über uns. Jetzt gilt’s!« »Verstanden«, ertönte die mechanische Stimme des Pilotenservi toren. Das Signal war durch den flüssigen Wasserstoff verzerrt. »Shuttle im Anflug.« Mit einer Fontäne aus Wasserstoff und einem tiefen Dröhnen er wachte das Tarntriebwerk des Shuttles zum Leben. Es schoss wie eine Bolterkugel aus der Flüssigkeit und auf direktem Weg nach oben. Sobald es außer Reichweite des Wasserstoffs war, wurden die Haupttriebwerke dazugeschaltet. Auf einer Wolke aus Feuer jagte
das Shuttle an den untersten Stockwerken vorbei. Noch immer flossen unglaubliche Datenmengen in den Cogitator. Es war eine Auflistung jeder Forschungsstation des Mechanicus von der Zeit des Großen Kreuzzugs bis hin zur Gegenwart, komplett mit Personaldaten, Schemata, Dienstplänen, Forschungsberichten und Techgebeten. Thaddeus gab den letzten Befehl ein. Damit wurden die Daten mit dem Personalverzeichnis verglichen, das Schwester Aescarion aus dem Außenposten auf Eumenix gerettet hatte. Ein paar Hundert Na men waren seine letzte Hoffnung. Verzweifelt erkannte Thaddeus, dass die Informationen, die er suchte, in diesem Moment vor seinen Augen sein konnten − sie zogen nur zu schnell vorbei, als dass er sie aus der gewaltigen Datenmenge herausfiltern hätte können. Dann versiegte der Datenstrom. Ein blinkendes Licht auf der Da tentafel informierte Thaddeus, dass der Cogitator genug Daten ge sammelt hatte. Thaddeus drückte auf einen Knopf, und die Informa tionen wurden gespeichert. Er hoffte, es reichte aus. Vielleicht hatte er nur überflüssige In formationen gesammelt. Aber dieses Risiko musste er eingehen. Wenn er überlebte − wonach es im Moment nicht unbedingt aussah. Das Shuttle schwebte aufwärts. Stationäre Feuerwaffen jagten ihre Kugeln in die Panzerplatten. Aus den Triebwerken schossen Feuer bälle. Der erste Techgardist hatte die oberste Plattform erreicht und feuerte aus seiner Automatikwaffe. Die eiskalte Luft war mit Rauch und Schrapnellen erfüllt. Thaddeus sah, wie Sergeant Telleryev von einem der überlebenden Servitoren glatt in zwei Teile getrennt wur de. Seine Organe verwandelten sich in blutrote Kristallsplitter. Zwei seiner Männer fielen den Techgardisten zum Opfer. Thaddeus erwi derte das Feuer. Drei Techgardisten fielen von ihren Seilen. Be stimmt hatten sie davon geträumt, ebenfalls einmal solche Munition zu besitzen. Die Triebwerke des Shuttles heulten auf − Dampfwolken stiegen
in die Luft. Das Schiff schwebte nur wenige Meter unter der Platt form, auf der sich die Techgardisten versammelt hatten. Der Pilotenservitor befolgte haargenau die Prozesse, die ihm Thaddeus persönlich eingespeichert hatte. Er schaltete die Triebwer ke auf vollen Rückschub. Hochkonzentriertes Prometheumderivat schoss in die Zündkammern des Triebwerks. Der Treibstoff geriet in Flammen und pulverisierte in Sekundenbruchteilen Cockpit und Mannschaftsräume. Der Servitor wurde regelrecht zu Staub verwan delt. Seine Metallteile verdampften zu Gas, das Fleisch löste sich auf. Die Hülle des Shuttles hielt der Explosion in seinem Inneren nicht stand. Mit einem Donnerschlag und einem Feuerball, der die Kris tallkathedrale in flackerndes orangefarbenes Licht tauchte, explodier te es. Die obere Hälfte des Zylinders war in ein Flammenmeer ge taucht. Rauchwolken umgaben Thaddeus und seine Männer. Er war ge blendet, erst von der grellen Explosion, dann von dunklem Rauch. Auf Vox war nur statisches Rauschen zu hören. Für ein paar Au genblicke war er allein, spürte Kälte und Verzweiflung, als er ver suchte, die Datentafel in seine Anzugtasche zu stecken. Die undeutli che Gestalt eines Soldaten taumelte vorüber und fiel über das Gelän der des Gehwegs. Etwas Riesiges stürzte auf sie herab. Das Geräusch von splittern dem Kristall drang durch den Schlachtenlärm und kam ständig näher. Scharfe Splitter schossen wie Glasklingen durch die Finsternis. Wie Eiszapfen bohrten sie sich in Thaddeus’ Anzug. Er spürte die kalte Luft, während sich der Stoff des Anzugs um die kleinen Löcher schloss. Das brennende Wrack von Thaddeus’ Shuttle stürzte wie ein Ko met durch den Rauch in die Tiefe. Es zog eine Flammenspur hinter sich her und nahm die Hälfte der Gehwege und Kristallbrücken mit sich. Unzählige Datenspeicher zerbrachen in einem Schauer aus Kristallsplittern. Thaddeus rechnete damit, jeden Moment mit in die Tiefe gezogen zu werden. Wenn sie seinen Anzug beschädigten,
würde er bald nicht mehr als ein Klumpen gefrorenes Fleisch sein. Das Shuttle stürzte in den See. Sekundenbruchteile später ging der flüssige Wasserstoff in Flammen auf. Die Dämpfungsfelder, die die Energie einer möglichen Explosion von den Datenspeichern lenken sollten, zwangen die Hitze und die Schockwelle nach unten und außen. Dann detonierte das Plasma triebwerk. Ohne die Dämpfungsfelder wäre der ganze See in die Luft gegangen und hätte die Kathedrale in eine brennende Ruine verwan delt. Stattdessen drang die Energie der Explosion in die Tiefe, wo die Eisenfaserwände auf den felsigen Untergrund von Pharos trafen. Die Mauern des Zylinders erzitterten und warfen gewaltige Risse. Das Vakuum saugte die Luft aus dem Raum und riss Männer und Trümmerteile mit sich. Thaddeus packte im letzten Moment einen Datenspeicher, als ein rasiermesserscharfer Kristallsplitter an ihm vorbeischoss. Soldaten und Techgardisten taumelten ohne Orientie rung an ihm vorbei. Der Wasserstoffsee, der eigentlich die Temperatur der Datenspei cher stabilisieren sollte, zerstörte nun die gesamte Kathedrale. Auf der Suche nach technischer Perfektion hatte das Adeptus Mechanicus die offensichtlichste Gefahr übersehen: Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass irgendetwas die extreme Kälte oder die Kampfser vitoren überleben konnte. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Dämpfungsfelder nicht mit der gewaltigen Explosion eines Shuttlet riebwerks fertig werden konnten. Immerhin war dies heiliger Boden, und die heiligen Daten waren unantastbar. Die Befehlshaber des Adeptus hatten sich nicht vorstellen können, dass es ein einsamer, verzweifelter Inquisitor wagen würde, in das Heiligtum des Omnissias einzudringen. Er brachte die chaotischen Mächte des Zufalls mit sich, die die Kathedrale letztendlich zerstör ten. Die Ironie, die sich dahinter verbarg, entging Thaddeus. Die Säu len, die an der Decke hingen, fielen herab und verwandelten den Kristall in einen Sturm aus scharfen Splittern. Die Risse in den
Mauern wurden größer, und plötzlich wurde die obere Hälfte des Zylinders einfach abgerissen. Das Gebäude zerfiel wie eine reife Samenkapsel. Thaddeus hatte keine Kontrolle mehr über seine Bewegungen. Verzweifelt trat er um sich. Die Soldaten und Techgardisten um ihn herum waren in der gleichen Lage. Als die Luft aus dem Zylinder wich, erstarben auch die Flammen in der Tiefe. Es wurde dunkel. Thaddeus konnte kaum die Ruinen der Kathedrale unter sich oder den Sternenhimmel über sich erkennen. Der Luftstrom trug ihn aus dem Zylinder. Als er das künstliche Gravitationsfeld um Pharos ver ließ, sah er den Schaden, der der Kathedrale zugefügt worden war. Das Feuer hatte auf die benachbarten Zylinder übergegriffen. Flam men schossen aus dem Fundament. Unbezahlbare Daten, die im Laufe von Jahrtausenden zusammen getragen wurden, verbrannten zusammen mit den Bediensteten und Adepten, die in der Kathedrale gefangen waren. Thaddeus sah Solda ten, die dasselbe Schicksal wie er selbst erlitten hatten und hilflos immer weiter in den Weltraum gezogen wurden. Kristallsplitter glit zerten wie Sternschnuppen − ein Meer aus grellen Silberteilchen vor der Schwärze des Alls. Körper und Körperteile taumelten hilflos durch die Trümmer. Thaddeus überlegte fieberhaft nach einem Ausweg. Er musste ob jektiv an die Sache herangehen, wie jeder gute Inquisitor, der mit einem Problem konfrontiert wird. Dank seines Schutzanzugs konnte er im All überleben, aber seine Luftfilter würden bald ausfallen, wenn sie keine Sauer- und Stickstoffzufuhr aus der Atmosphäre be kamen. Der Anzug besaß keine Steuerungsraketen oder sonst einen Antrieb. Aber er hätte sowieso nicht gewusst, welche Richtung er einschlagen sollte. Die Datentafel befand sich in seiner Tasche. Immerhin etwas. Mit viel Glück hatte er seine Aufgabe erfüllt − wenn er überlebte. Außer der Schwärze des Weltalls war nichts um ihn herum. Pha ros, die hell erleuchtete Tempelstadt, verschwand hinter ihm. Die
Ruinen der Zylinder waren nicht mehr als ein Haufen verformtes Metall. Das rote Auge des sterbenden Sterns brannte auf ihn herab. Thaddeus hatte das All bis jetzt nur durch Blicke aus Bullaugen oder Sichtfenster oder als Sternenhimmel über der Oberfläche eines Pla neten kennengelernt, war aber noch nie in seine Tiefen eingetaucht. Zum ersten Mal erkannte er, wie verletzlich das Imperium doch war. Es war eine unglaublich dünne Schicht Leben, die sich an einen Hau fen toten Fels klammerte, der selbst nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Galaxis ausmachte. Kein Wunder, dass die Menschheit um ihr Überleben kämpfen musste. Kein Wunder, dass sie ständig von ihrer Auslöschung bedroht war. Irgendwo zwischen diesen Sternen befanden sich die Seelentrin ker. Vielleicht besaß Thaddeus jetzt genug Informationen, um sie aufzuspüren. Aber er war sich auch bewusst, dass er dem Tode nahe war. Ein Inquisitor fürchtete sich nicht vor dem Tod. Aber Thaddeus fürchtete sich davor − und darauf war er durchaus stolz −, die Aufga be, die ihm der Imperator gestellt hatte, nicht erfüllen zu können. Während er durch das All trieb, wuchs diese Furcht immer weiter, bis sie ihn schließlich genau wie die erbarmungslose Galaxis voll ständig eingehüllt hatte.
ACHT
Septiam Torus war eine Gartenwelt. Ihre beiden Hauptkontinente waren von fruchtbarem Grasland und üppigen, tiefen Wäldern be deckt. Die matten Ringe um den Planeten zeichneten glänzende Re genbögen auf den Himmel, und die Sonnenuntergänge waren präch tig und farbenfroh. Kristallklare Flüsse schlängelten sich durch atemberaubende Landschaften und stürzten beeindruckende Wasser fälle hinunter, bevor sie in den Ozean mündeten, der von Korallenrif fen eingefasst war. Das Ökosystem des Planeten hatte sich nicht be sonders hoch entwickelt. Pflanzen waren die höchsten Lebensfor men. Es gab keine Raubtiere oder Aasfresser, bis auf eine einzige Spezies, die auf den Planeten gebracht worden war, um die wenigen Seelenfeuerblumen zu bestäuben − Vögel mit blaugrünem Feder kleid, die in Schwärmen wie Kometen über den Himmel zogen. Die Staubgefäße der Seelenfeuerblume waren die Quelle einer wirksamen Kampfdroge, die das Imperium an seine Straflegionen und andere entbehrliche Regimenter verteilte. Deshalb besaß Sep tiam Torus einen Sonderstatus. Der Tribut wurde einzig und allein in Form der Seelenfeuerblume entrichtet. Der herrschenden Familie, die aus der Händlerdynastie stammte, die den Planeten entdeckt und im Namen des Imperiums in Besitz genommen hatte, war ein ewiges Anrecht auf die Welt zugesichert worden. Septiam Torus war bis auf seine einzige Stadt nicht besiedelt. Die se bestand aus einem gewaltigen Marmorpalast, mehreren Baracken und Bunkern für die Privatarmee und endlosen Reihen schindelge deckter Häuser, in denen die Landarbeiter lebten. Eines Tages wurde eine Rettungskapsel in der Umlaufbahn ent deckt. Ihr Warnsignal deutete auf einen einzigen Überlebenden hin,
der schwer verletzt war. Die Kapsel landete mitten auf einem Feld voll purpurschwarzer Blütenblätter. Die Division, die auf Septiam Torus stationiert war, schickte eine Sanitätseinheit, die den Überle benden bergen und ihn in die Stadt bringen sollte. Sie fanden einen Körper, der schwere Brandwunden erlitten hatte, aber noch am Le ben war, und brachten ihn auf die Krankenstation gegenüber des Se natshauses. Drei Wochen lang kämpften die Ärzte um das Leben des Fremden − es war nicht einmal sicher, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Irgendwann war der Patient in der Lage, ein Augenlid zu heben. Zu diesem Zeitpunkt besuchte gerade eine Senatorin die Kranken station. Es gehörte zur Pflicht der Senatoren, sich um das Wohlbe finden der Bevölkerung zu kümmern. Die Senatorin war nicht gerne auf der Station, aber sie wusste, wie wichtig sie war, um die Sicher heit und die Gesundheit der Landarbeiter zu garantieren. Geistesab wesend nahm sie die Daten und Zahlen des medizinischen Personals entgegen und folgte ihm durch die verschiedenen Stationen. Sie bog um eine Ecke und sah den verbrannten Körper des abge stürzten Patienten. Er hing in einem Drahtgestell und war am ganzen Körper mit gelben, fleckigen Bandagen bedeckt. Überwachungsgerä te blinkten und piepsten. Die parfümierten Vorhänge, die um den Patienten herum aufgehängt worden waren, konnten kaum den Ge ruch verbrannten Fleisches überdecken. »Ah, unser Besucher.« Die Senatorin lächelte nur zum Teil aus Mitleid mit dem Unglücklichen. In Wahrheit war dieser hautlose, geschundene Körper das Interessanteste, was sie den ganzen Tag über zu Gesicht bekommen hatte. »Ein Fremder. Wie lange wird es wohl dauern, bis wir Ihren Namen erfahren? Wir sind sehr interes siert daran, mehr über Sie und Ihr Schiff herauszufinden.« »Herrin, der Patient hat gerade eben das Bewusstsein wiederer langt«, sagte einer der Pfleger. Der Patient regte sich und starrte die Senatorin mit schmerzerfüll
ten, rollenden Augen an. Dann löste er sich auf. Die Bandagen rutschten von ihm herunter, Eingeweideschlingen klatschten zischend auf den blank geputzten Boden, Organe verwandelten sich blubbernd in eine schwarze Masse. Das Rückgrat brach entzwei, und der Schädel fiel polternd zu Boden. Das Gehirn verflüssigte sich, und die Augen flossen die Wangen hinunter. Die Zähne ragten als polierte Würfel aus der stinkenden Brühe. Die Senatorin wurde schnell aus der Station gebracht, und die Pfleger beförderten mit Wasserschläuchen die ekelerregende Masse in den Abfluss. Nichtsdestotrotz hatte die Senatorin die ungesunden Gase eingeatmet, die beim Zersetzungsprozess entstanden waren. Sie hatte sich mit einer Krankheit angesteckt, die sie am folgenden Tag im ganzen Senat verteilte. Zwei Wochen später waren der Senat und die Hälfte der Bevölke rung der Seuche zum Opfer gefallen. Zehntausende Leichen wurden in Gruben geworfen. Der einstmals wunderschöne Himmel von Sep tiam Torus war nun mit dreckigen, grauen Wolken bedeckt, die aus diesen Gruben aufstiegen. Die Überlebenden versuchten, sich in der Stadt zu verschanzen, aber knochige Finger rissen die Barrikaden nieder. Die Toten waren wiederauferstanden. Die Vollkommenheit der Gartenwelt verwandelte sich in einen blutigen Albtraum aus ver wesenden Leichen. Die wenigen der lebenden Toten, die noch sprechen konnten, rie fen nur einen Namen: Teturact. Soldat Senshini hätte schwören können, dass er das Knirschen von Knochen hörte, als der Leman Russ Executioner über eine bewaldete Anhöhe fuhr und sich durch den Schlamm kämpfte. Einst waren hier duftende Felder von Seelenfeuerblumen und üppige Wälder gewe sen. Durch die Zielvorrichtung der Hauptkanone konnte Senshini einige Gebäude in der Entfernung erkennen. Hinter den Hügeln aus verfaulten Wäldern und aufgewühltem Schlamm lag Septiam City. Marmorbrocken und umgestürzte Säulen bildeten gewaltige Barrika
den. Reihen von Panzerfallen umgaben die Stadt. Senshini wusste genug über die kurze Geschichte des Kampfes auf Septiam Torus, um sich im Klaren darüber zu sein, dass hier vor ihm die entscheidende Schlacht stattfinden würde. Der erste Angriff hatte nur wenige Wochen nach der schrecklichen Nachricht, dass Septiam Torus von Teturact heimgesucht worden war, stattgefunden. Ein Regiment Elysianischer Sturmtruppen war als Speerspitze gelan det. Doch auch durch die beste Ausbildung konnte ein Schuss aus einem Lasergewehr nicht etwas töten, das bereits gestorben war. Be sonders dann nicht, wenn sich unter den lebenden Toten ehemalige Kameraden befanden. Die imperiale Armee hatte die überlebenden Elysianer abgezogen und durch ein durchschnittliches Regiment ersetzt, das XVII. Jou ryan, das nun Septiam City belagerte. Ein weiteres Regiment, das XXIII. Stratix, sollte sie unterstützen, sobald klar war, dass die zwanzigtausend Jouryaner nicht allein mit dem Feind fertig wurden. Das XXIII. Stratix bestand aus zähen Gangmitgliedern, die darauf brannten, ihre untergegangene Schwarmwelt zu rächen. Die galatha morische Artillerie des Gouverneurs persönlich war hinzugezogen worden, um die verschanzten Verteidiger vor dem unvermeidlichen Angriff sturmreif zu schießen. Inklusive Versorgungseinheiten zählte die Armeegruppe Torus fast hunderttausend Mann. Senshini bezweifelte, dass das genug war. Er war gemeinsam mit den Jouryanern drei Wochen lang auf Sep tiam Torus stationiert gewesen. Dort hatte er von den Erlebnissen der Patrouillen gehört. Angeblich wandelten die Toten umher, und man che von ihnen sollten sogar einmal Elysianer oder Jouryaner gewesen sein. Zumindest war die Zeit des Wartens jetzt vorüber. Trotzdem hatte Senshini große Angst vor dem, was sie in der Stadt erwartete. Er erkannte die Gestalten der Soldaten des XVII. Jouryan. Ihre schwarzen Helme und Rüstungen waren bereits mit Schlamm über zogen. Sie hielten ihre Lasergewehre an die Brust gepresst.
Panzer und Infanterie sollten sich gegenseitig beim Angriff un terstützen. Die Aufgabe der Panzer war es, Wände zu durchbrechen und der Infanterie den Weg freizuräumen. Belagerungspanzer vom Typ Demolisher näherten sich rumpelnd einem Wäldchen aus abge storbenen Bäumen. Sie würden dahinter in Deckung gehen und das Feuer eröffnen. Leman Russ-Panzer, die mit Kanonen mittlerer Reichweite ausgerüstet waren, würden an ihnen vorbeiziehen und die Wände unter Beschuss nehmen. Die wenigen Executioner, die das Jouryan besaß, mussten nahe genug herankommen, um die Barrika den mit flüssigem Feuer zu überziehen. Erst dann konnte die Infante rie angreifen. Der Executioner hatte eine von allen anderen imperialen Panzern abweichende Bewaffnung. Auf seinem Leman-Russ-Chassis war eine gewaltige Plasmakanone angebracht. Die Besatzung war um die heißen, pulsierenden Plasmaringe gruppiert, die der Kanone die Mu nition lieferten. Ein Executioner war ein seltener Anblick. Er war außerhalb der Fabrikwelten, auf denen das Adeptus Mechanicus ei fersüchtig über das Geheimnis seiner Produktion wachte, kaum an zutreffen. Das XVII. Jouryan konnte sich glücklich schätzen, dass ihm einige dieser Panzer zugewiesen worden waren. Senshinis Auf gabe war es, die Plasmakanone abzufeuern. Er wusste aber auch, dass der erste grelle Feuerstoß den Panzer sofort an den Feind verra ten würde. Es hätte schlimmer kommen können, dachte Senshini, als er ein paar abgerissene Gestalten erkannte, die zwischen den zerbrochenen Säulen umherirrten. Er hätte auch einem Höllenhund zugeteilt wer den können. Diese berüchtigten Flammenwerferpanzer besaßen mit Promethium gefüllte Tanks, die an der Außenhülle montiert waren. Sie mussten sich mitten ins Getümmel stürzen, um die Infanterie mit ihrem Feuer zu unterstützen − was meistens kein gutes Ende nahm. Kaito, der Kommandant des Executioner, öffnete die obere Luke und spähte hinaus. Der Gestank des Schlachtfelds, eine Mischung aus verbranntem Fleisch und verwesenden Leichen, erfüllte das Inne
re des Panzers und übertönte sogar den elektrischen Geruch der Plasmaringe. »Nach links, Tanako«, rief Kaito. »Wir müssen neben der Infante rie bleiben.« Genau wie Kaito wusste auch Senshini, wie wichtig es war, den Kontakt zur Infanterie nicht zu verlieren. Der Executioner besaß kei ne Waffen, mit denen er seine Flanken auf kurze Distanz hätte ver teidigen können. Daher war er auf die Unterstützung der Infanterie angewiesen, um das Risiko eines Laserkanonen- oder Splitterrake tentreffers zu minimieren. Tanako, der auf dem engen Fahrersitz unter Senshini saß, zog an den Lenkhebeln, und der Panzer schwenkte nach links aus. Senshini sah durch das Zielsuchsystem, wie sie sich den gebückt laufenden Jouryanern näherten, die sich einen Weg durch die Kraterlandschaft bahnten. Kaito ließ sich wieder in den Panzer fallen und schloss die Luke über sich. »Wir bekommen Artillerieunterstützung«, sagte er. Das Gesicht des Kommandanten war mit Maschinenöl bedeckt und sein Offiziersmantel mit Schlamm bespritzt. Kaito war ein Veteran, der seinen letzten Panzer, einen Vanquisher, auf Salshan Anterior verlo ren hatte. Es war erst eine Woche vergangen, seit er das Kommando über den Executioner übernommen hatte. Sowohl Senshini als auch Tanako wurden nicht schlau aus ihm − er war ruhig und zurückhal tend, sprach ohne Grund kaum ein Wort. Sein entspanntes Gesicht verriet nichts von den Schrecken, die er auf Salshan Anterior erlebt haben musste. Obwohl die Luke geschlossen war, konnte Senshini die ersten Salven der Artillerie hören, die über den Panzer hinwegpfiffen. Die Kanonen der Galathamorier waren mit schwerer, panzerbre chender Munition bestückt, die die Wände zum Einsturz bringen sollten. Explosionsgeschosse sollten die Stadt dahinter sturmreif schießen. Senshini beobachtete, wie die Granaten wie eine niederge hende Sternenkonstellation über den Köpfen der vorrückenden Jou
ryaner in der Stadt einschlugen. Selbst durch die schweren Panzer platten konnte er die Detonationen spüren. Mit der Kraft eines Erd bebens zerstörten sie die Mauern und schleuderten improvisierte Bar rikaden in die Luft, die sich als dunkle Silhouetten vor den Feuerbäl len abzeichneten. Mantikor-Artilleriepanzer folgten den Jouryanern. Wie Krallen durchschnitten ihre Raketen den dunklen Himmel. Die TodesstoßRaketenlafayetten der Galathamorier feuerten ein mächtiges Ge schoss ab, das knapp hinter der Mauer in einem blauweißen Ball nuklearen Feuers detonierte. Schon ertönte das Gegenfeuer von den Mauern − Schüsse aus leichten Waffen wie Automatik- und Lasergewehren. »Schwadron Zwölf meldet Schussdistanz«, sagte Kaito durch das Funksystem des Panzers. »Verstanden, Sir.« Schwadron Zwölf befand sich ein paar Hundert Meter zu ihrer Linken. Es bestand aus zwei Leman Russ-Panzern mit Laserkanonen und einem Vanquisher, der für den Kampf gegen andere Panzer aus gerüstet war. Die Schwadron diente dazu, feindliche Tanks auszu schalten, bevor sie der Infanterie gefährlich werden konnten. Senshini beobachtete durch sein Zielsystem, wie der Vanquisher seiner Schwadron eine Leuchtspurgranate abfeuerte, die kurz vor der Mauer in einem blutroten Funkenregen detonierte. »Schwadron Zwölf, hier Schwadron Sechs«, sprach Senshini in das einfache Gefechtsvox des Panzers. »Ziel erfasst. Noch dreihun dert Meter bis Plasmakanonenreichweite.« »Schwadron Sechs, hier Oberkommando«, meldete sich der Artil leriebefehlsstand, der sich in einem Salamander-Kommandopanzer einige Hundert Meter hinter ihnen befand. »Ihr übernehmt die Vor hut. Die anderen werden euch decken.« »Verstanden. Schwadron Sechs Ende.« Kaito schaltete das Vox aus. »Näher ran, Tanako. Wir müssen gemeinsam mit den Vanquis hers in Reichweite kommen.«
»Hoffentlich folgt uns die Infanterie«, sagte Tanako kalt, während er den Panzer beschleunigte. Die Jouryaner vor ihnen waren die ersten Truppen, die die Mauer erreichten. Senshini wusste, dass es eine große Ehre für jeden Solda ten war, bei so einem Angriff dabei zu sein. Anscheinend gab es vie le Irrsinnige in den Infanterieeinheiten. Die dünne, dunkle Linie der Jouryaner näherte sich der Mauer, von der aus das Gegenfeuer verstärkt wurde. Dann schlug die nächste Artilleriesalve ein. Auf der anderen Seite der Stadt war das XXIII. Stratix dabei, ebenfalls die Mauern zu erstürmen. Die Gangmitglie der wollten so schnell wie möglich in Nahkampfdistanz kommen − erst dann konnten sie ihre wahren Qualitäten unter Beweis stellen. Innerhalb des Stadtgebietes bemannten die Verteidiger immer wieder aufs Neue ihre Verteidigungspositionen. Wenn einer von ihnen starb, stand er sofort wieder von den Toten auf − vorausgesetzt, von seinem Körper war noch genug übrig. Noch zweihundert Meter. Senshini konnte nur wenige menschli che Gestalten erkennen. Einigen fehlten Gliedmaßen oder sogar der Kopf. Viele trugen Waffen, die sie der Privatarmee des Planeten ab genommen hatten, andere taumelten unbewaffnet durch die Trüm merhaufen. Ganze Marmordächer waren umgestürzt worden, um Barrieren zu bilden. Säulentrümmer waren zu gewaltigen Hindernis sen aufgetürmt worden. Was an Gebäuden den Artillerieangriffen zum Opfer gefallen war, war am Stadtrand zu gefährlichen Hügeln aus zerbröseltem Marmor und Ziegelsteinen aufgehäuft worden. Die Posten, die darauf stationiert waren, feuerten unablässig auf die anrü ckenden imperialen Truppen. Noch einhundert Meter. Ungezielte Gewehrschüsse schlugen in den Matsch um die Jou ryaner ein. Die Entfernung war noch zu groß, um mit Gegenfeuer zu antworten. Nur wenige Männer starben im Kugelhagel. Einige Pro jektile prallten von den Panzerplatten des Executioner ab, während die schweren Ketten über die Überreste vergangener Gefechte roll
ten. Unter ihnen lagen die toten Körper von Elysianischen Sturm truppen und der Privatarmee sowie die krallenartigen Gliedmaßen der Septiamer und Waffen, die aus toten Händen gefallen waren. Bald würden sie von einer weiteren Schicht toter Jouryaner bedeckt sein. Noch fünfzig Meter. Eine normale Stadt wäre von der Flotte aus der Umlaufbahn bom bardiert worden. Aber die Erfahrung hatte gelehrt, dass diese Taktik nur die Entstehung von Schlupfwinkeln begünstigte, in denen sich Teturacts Truppen verstecken konnten. Also mussten sie auf die alt bewährte Weise vorgehen und auf die Infanteristen zurückgreifen, die die wandelnden Toten auf ihre Bajonette spießten und verbrann ten. Senshini hörte die Schreie der Offiziere, die ihre Trupps und Züge in Formation bringen wollten. Manche der Soldaten trugen Kletter ausrüstung bei sich. Sie würden versuchen, die umgestürzten Mar mordächer zu erklimmen. Andere mussten sich durch die Trümmer haufen kämpfen. Pioniere würden versuchen, sich durchzugraben − eine Aufgabe, die mit den größten Risiken verbunden war. Neben dem Fadenkreuz von Senshinis Zielsystem war eine Ent fernungsangabe eingeblendet. Sie waren nahe genug. Er wartete noch einen Moment ab, bis der Panzer einige weitere kostbare Meter an die Mauern herangerückt war. »Hier Schütze von Schwadron Sechs«, sagte er. »Ziel in Reich weite.« »Hier Befehlshaber von Schwadron Sechs«, sagte Kaito. »Feuer bereit!« »Schwadron Sechs, Feuer!«, antwortete der Kommandoposten. »Feuer!«, schrie Kaito, und Senshini reagierte sofort. Sein Sichtfeld wurde in grelles Weiß getaucht, als die Plasmaka nonen ihre tödliche Ladung abfeuerten. Dichte Ströme aus superhei ßem Plasma, weiß glühend und flüssig, ergossen sich über die Wän de vor ihnen.
Säulentrümmer brachen zusammen und bildeten einen Erdrutsch aus Marmor. Schlammfontänen spritzten auf. Das flüssige Plasma rann durch die Ritzen zwischen den Steinen. Gestalten fielen von den Mauern. Körper lösten sich auf, sobald sie mit dem Plasma in Kon takt kamen. Die Panzer hinter ihnen feuerten weiter ihre Geschütze ab. Marmor zersplitterte und versank im Schlamm. Die Infanterieeinheiten zu beiden Seiten der Panzer stürmten los. Laserfeuer überzog die Mauern, und aus schweren Waffen wurden Splitterraketen und Mörsergranaten abgefeuert, die die Zinnen mit einem Schauer aus Schrapnellen überzogen. Der Feind brauchte einige Augenblicke, um sich von dem Angriff zu erholen. Die Barrikaden aus Säulentrümmern waren schwer mit genommen, aber nicht völlig zerstört. Senshini erkannte eine Armee aus in Lumpen gekleideten Gestalten. Wie ein Insektenschwarm kro chen sie über die Trümmerhaufen. Während sich die Plasmaspulen summend wieder aufluden, quietschten die Ketten protestierend, als Tanako den Panzer über die aufgewühlte Erde steuerte. Sie folgten der Infanterie, die sich hinter den Überresten der Mauer vor dem Laser- und Gewehrfeuer in De ckung brachte. Kugeln prallten von der Vorderseite des Executioner ab. Funkensprühend gaben einige Armaturen den Geist auf. Mit einem uralten jouryanischen Fluch versuchte Tanako, mit ei nem kleinen Feuerlöscher die Flammen, die aus seinen Bedienungs elementen schlugen, zu ersticken, was ihm mit Kaitos Hilfe schließ lich gelang. Ein kalter, chemischer Geruch erfüllte den Panzer. Senshini beobachtete den unerbittlichen Kampf, der inmitten der Trümmerhaufen entbrannt war. Der Feind war in der Überzahl. Hun derte zerlumpter, blasser Männer und Frauen krochen über die Stein hügel und versteckten sich in Felsspalten und Ritzen. Der Vorteil der Jouryaner lag in ihrer überlegenen Feuerkraft und Disziplin. Die Of fiziere ließen Schützenlinien bilden, die den anstürmenden Soldaten Deckung gaben. Sturmtruppen schleuderten Sprengladungen in die feindlichen Horden, bevor sie sich mit gezückten Bajonetten in das
Handgemenge stürzten, das am Fuße der Mauer ausgebrochen war. Auf die altbewährte Weise. Was das Mechanicus oder die Flotte sich auch immer ausdenken mochten, am Ende entschied das Bajo nett und blanker Heldenmut über den Ausgang einer Schlacht. Für einen Moment wünschte sich Senshini, er würde ebenfalls mit einem Lasergewehr in der Hand an der Schlacht teilnehmen. Dann sah er Soldaten, denen Gliedmaßen fehlten oder die Eingeweide aus dem Bauch hingen, und war froh, dass sich mehrere Schichten von Pan zerplatten zwischen ihm und dem Kugelhagel befanden, der auf die Infanterie niederging. »Hier Schwadronskommando«, ertönte das Vox. »Hat jemand Sichtkontakt zu Schwadron Zwanzig?« »Zwanzig?«, antwortete Kaito. »Hier Schwadron Sechs. Zwanzig muss irgendwo hinter uns sein.« »Wir haben den Kontakt zu Schwadron Zwanzig verloren. Sofort melden, wenn Sichtkontakt besteht. Sie müssen unbedingt zur Mauer vorrücken.« Das ergab keinen Sinn. Schwadron Zwanzig war eine Komman doeinheit der Nachhut, die aus drei mit Offizieren des Sanitätskorps besetzten Chimären bestand. Sie würden erst zum Zug kommen, wenn die erste Angriffswelle die Stadt erreicht hatte. Dann würden sie die Verwundeten aufnehmen und zu den Sanitätszelten im hinte ren Teil des Schlachtfelds bringen. Senshini war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihre einzige Chance auf sofortige medizinische Ver sorgung einfach so verloren gegangen war. »Schütze! Geschützstellung, dreißig Grad aufwärts!« Senshini bediente in Windeseile die Kontrollen. Die Zieloptik er fasste einen Teil der Mauer, auf dem mehrere Feinde gerade dabei waren, ein Feldgeschütz zu laden, das direkt auf die Jouryaner ge richtet war, die verzweifelt versuchten, ihre Stellung im Trümmer feld zu halten. Senshini überprüfte die Entfernung, korrigierte sie um wenige Meter und feuerte. Dröhnend wurde die Geschützstellung von einer Blase glühenden Plasmas verschluckt.
Weitere Panzer erreichten den Executioner: ein Demolisher, der die Wand endgültig zum Einsturz bringen sollte, und ein Extermina tor, dessen zwei Autokanonen einen Schrapnellschauer auf die Fein de niedergehen ließ. Zwei Chimären rollten vorbei. Ihre Ketten wir belten den Schlamm auf. Eine Valkyrie flog über sie hinweg. In ihr drängten sich Sturmtruppen, die einen anderen Mauerdurchbruch stürmen sollten. »Vergakt noch mal«, sagte Tanako von unten. »Das ist Schwadron Zwanzig!« Senshini folgte mit der Zieloptik den Chimären, die geradewegs auf die Mauer zufuhren. Er konnte das Symbol von Stab und Schlan ge erkennen, das Abzeichen des Sanitätskorps. Eine dritte Chimäre schoss an ihnen vorbei. Der Fahrer fuhr ohne zu zögern mit Vollgas durch einen Bombenkrater. »Tanako, bringen Sie uns näher ran«, befahl Kaito. »Senshini, Feuerschutz. Sie haben sie festgenagelt. Sofort Meldung an den Kommandoposten: Wir haben Schwadron Zwanzig gefunden.« Der Executioner rollte langsam vorwärts. Der Geruch sich aufla dender Plasmaspiralen umgab Senshini. Er spürte, wie öliger Schleim Hände und Gesicht bedeckte. Während die Zieloptik hin und her geschleudert wurde, konnte er einen Blick auf eine der Chimären werfen. Ihre Heckklappe stand offen. Salven aus großkalibrigen Waffen schossen aus der Luke. Senshi ni erkannte dunkle Gestalten, die einen Trümmerhaufen hinunterroll ten. Akkurate und massive Feuerstöße durchbohrten die anstürmen den Feinde. Kein Lasergewehr konnte einen Mann derart in Stücke reißen, nicht einmal die Hochenergiewaffen der Elitetruppen. »Das ist nicht das Sanitätskorps«, sagte Senshini zu sich selbst. Der Executioner befand sich jetzt in Reichweite der Schützen auf der Mauer. Kugeln rissen Metallbrocken aus der Hülle des Panzers. Senshini beobachtete gegnerische Einheiten, die hinter den Säulen trümmern in Deckung gegangen waren und auf die Jouryaner feuer ten. Sie waren in Lumpen gekleidet, und ihre blasse Haut hing ihnen
in Fetzen vom Körper. Unter einstmals prächtigen Kleidern und Uni formen waren alte Wunden zu erkennen, die nicht mehr bluteten. Trübe Augen visierten den Feind an, Hände mit fehlenden Fingern umklammerten Jagdgewehre und von den Elysianern erbeutete La serwaffen. Jeder Gefallene war wieder auf den Beinen und kämpfte − alle Einwohner von Septiam City, ein halbes Regiment abgeschlachteter Elysianer, verschollene Patrouillen der Jouryaner und die Landarbei ter, die auf den verwüsteten Seelenfeuerfeldern beschäftigt gewesen waren. Das Oberkommando hatte erwartet, nur auf einen kleinen Teil der ehemaligen Bewohner zu treffen. Senshini erkannte mit Schre cken, dass es sich um Tausende von ihnen handeln musste, die wie die Heuschrecken über die Jouryaner im Wanddurchbruch herfielen. Ihr Angriff wurde mit einem Sturm aus Laserfeuer beantwortet. Die Laserkanonen der jouryanischen Panzer und Mörsergranaten durchlöcherten den Trümmerhaufen. Der Executioner kam plötzlich zum Stehen. Senshini überprüfte, ob sich die Plasmakanonen wieder aufgeladen hatten, und feuerte eine weitere Ladung aus seiner Waffe in einen Haufen von Gegnern, der gerade hinter einem Marmorblock in Deckung gehen wollte. Zwei Jouryaner-Trupps, die nun nicht mehr unter feindlichem Feuer standen, stürmten durch den Schutthagel. Die Chimären von Schwadron Zwanzig hielten im Schlamm an. Luken und Heckklappen öffneten sich, und die Besatzung stürmte mit feuernden Waffen heraus. »Sieht aus, als würden uns ein paar richtig schwere Jungs zu Hilfe kommen«, sagte Senshini. »Sie müssen Schwadron Zwanzig den Sturmtruppen zur Verfügung gestellt haben.« Dann erkannte Senshini, dass es sich keineswegs um die Sturm truppen handelte. Es waren Riesen, die jeden normalen Mann über ragten. Bevor sie hinter einer Wolke aus Schlamm und Dreck ver schwanden, sah er, dass sie nicht die schwarzen Uniformen der Jou ryaner, sondern purpurfarbene Rüstungen trugen.
»Bei allen schenkierenden Gakratten«, fluchte Senshini. »Mari nes!« Kaito öffnete die Luke und streckte den Kopf in die von Schrap nellen erfüllte Luft. Er zog einen Feldstecher aus dem Mantel. Sens hini war sich sicher, dass er durch den Schlachtenlärm Jubelschreie aus den Reihen der Jouryaner hörte, als sich die Space Marines ge meinsam mit ihnen in den Kampf stürzten. Jeder Soldat des Impe riums hatte von dem Adeptus Astartes gehört, und einige behaupte ten sogar, sie einmal leibhaftig auf dem Schlachtfeld zu Gesicht be kommen zu haben. Es waren übermenschliche Krieger, die blitz schnell in das Herz des Feindes vordringen konnten, Energierüstun gen und die besten Waffen des Imperiums trugen. Prediger lobten sie als Vorbild für die gesamte Menschheit. Kinder erzählten sich Ge schichten über ihre Heldentaten. Sie waren auf Millionen von bunten Glasfenstern abgebildet, in der ganzen Galaxis waren ihre Statuen in Tempeln und Basiliken aufgestellt. Und jetzt waren sie nach Septiam Torus gekommen. Nach einigen quälend langen Sekunden ließ sich Kaito in den Panzer zurückfallen. »Das Oberkommando hat uns die Space Mari nes geschickt. Das ist das erste und letzte Mal, dass wir diese Kerle zu Gesicht bekommen, also werden wir sie verdammt noch mal un terstützen. Wenn dieser Durchbruch eingenommen werden kann, dann nur von ihnen. Senshini, Feuer auf die Mauern. Lasst keines von diesen Ungeheuern entkommen. Feuern nach eigenem Ermes sen!« Der Executioner rollte in den Schatten der Mauer und zerquetsch te die Gefallenen unter seinen Ketten. Er steuerte direkt auf das größ te Schlachtgetümmel zu, wo die Space Marines den Feinden die Höl le heiß machten. Die Jouryaner stürmten dem Executioner in den Kugelhagel hin terher. Ihre Offiziere befahlen ihren Männern, den Marines zu fol gen. Senshini sah, dass die Horden der wandelnden Toten durch den vereinten Angriff hinter den Mauerdurchbruch zurückgeworfen wor
den waren. Senshini feuerte die Plasmakanone auf den Schutthaufen ab. Die Marines erklommen den brennenden Hügel. Boltgeschosse mähten die Feinde nieder. Die Schlacht um Septiam City hatte begonnen. Überall war Kälte. Thaddeus konnte weder Hände noch Füße spüren. Für einen schrecklichen Moment dachte er, sie wären abgefroren oder den umherfliegenden Trümmern der Kathedrale zum Opfer ge fallen. Doch dann durchströmte ihn ein prickelnder, elektrischer Schmerz, und er wusste, dass er noch komplett war. Er versuchte, seine Muskeln anzuspannen. Er erwartete, dass ihm ein gebrochener Knochen oder ein zerrissenes Organ fürchterliche Schmerzen bereiten würde. Zum Glück spürte er keine Verletzungen, trotzdem war er auf irgendeine Weise gefesselt. Er konnte sich weder aufsetzen noch seinen Kopf bewegen. Obwohl er es aufgrund der Kälte nicht genau einschätzen konnte, bemerkte er doch, dass er selbst seine Finger nicht rühren konnte. Es roch nach Chemikalien − Konservierungsstoffen, Desinfekti onsmittel und etwas, das den rostigen, metallischen Geschmack von Blut hatte. Alles um ihn herum war blitzsauber und steril. Langsam konnte er verschiedene Geräusche wahrnehmen. Das Summen von Leuchtstoffröhren, das unregelmäßige Ticken einer Maschine über seinem Kopf, das Tröpfeln einer Flüssigkeit. Endlich versuchte er, die Augen zu öffnen. Grelles Licht blendete ihn, und es dauerte einige Minuten, ehe er sich daran gewöhnt hatte. Er musste sehr lange bewusstlos gewesen sein. Nur mit Mühe konn ten sich seine Augen an das Licht anpassen. Nach und nach erkannte er zwei Leuchtstoffröhren in der weißen Decke über ihm. Die Wände waren ebenfalls weiß gestrichen. Der Boden bestand aus Metall. Schmale Kanäle für die Beseitigung von Körperflüssig keiten führten zu einem Abfluss. Daran erkannte Thaddeus, dass er sich auf einer Krankenstation befand. Die Maschine über seinem Kopf war ein Medizinservitor. Ein biologisches Gehirn, das irgend
wo tief unter dem Chromgehäuse versteckt war, befahl den Armatu ren, Thaddeus’ Lebenssignale auf ein langes Stück Papier zu schrei ben. Mehrere Zylinder waren an der Wand aufgereiht. Dünne, durch sichtige Schläuche leiteten seltsam gefärbte Flüssigkeiten in die Handschuhe, die seine Hände und Handgelenke umschlossen. Es waren medizinische Apparate, die die Adern in seinen Händen ge öffnet hielten, um die Infusionen zu ermöglichen. Die Schmerzen, die er gespürt hatte, waren Neurosensoren gewesen, die in regelmä ßigen Abständen in seine Haut stachen, um die Funktionsfähigkeit seines Nervensystems zu überprüfen. Thaddeus lauschte konzentriert. Neben dem leisen Summen der Lampen und dem Ticken der medizinischen Apparate war ein fernes Donnergrollen, wie von einem Gewitter, zu hören: Triebwerke − er befand sich also auf einem Raumschiff. Das war durchaus plausibel − das Weltall war der letzte Ort, an den er sich erinnern konnte. Mit einem sanften Klingeln signalisierten die Maschinen, dass Thaddeus das Bewusstsein erlangt hatte. Wenige Minuten darauf öffnete sich die Tür, und Lordinquisitor Kolgo betrat den Raum. Ohne seine zeremonielle Rüstung wirkte er gebrechlich und alt. Er trug eine lange schwarze Robe, die an Mönchskleidung erinnerte. Die Neuroschnittstellen an seinem Hinterkopf waren rot und entzün det. Dort war er normalerweise mit seiner Rüstung verbunden. Er wirkte wie ein ganz normaler Greis − aber Thaddeus konnte die ge waltige Autorität spüren, die er ausstrahlte, diese unerklärliche Macht, der sich sogar seine Inquisitorkollegen beugten. Kolgo zog einen verchromten Stuhl neben das Bett und setzte sich. »Thaddeus, Sie sind wirklich äußerst zielstrebig«, sagte er. »Um ehrlich zu sein, wir hatten nicht damit gerechnet, dass Sie so weit gehen würden.« In seiner Stimme war ein belustigter Unterton zu hören. »Das Hereticus hat mir eine Aufgabe zugewiesen«, antwortete Thaddeus heiser. »Jeder Inquisitor hätte so gehandelt.«
Traurig schüttelte Kolgo den Kopf. »Unser Fehler war, Sie gleich zeitig zu unter- und zu überschätzen, Thaddeus. Wir haben Sie unter schätzt, weil wir dachten, dass Sie noch nicht die Fähigkeit besitzen würden, den Seelentrinkern derart nahe zu kommen. Und wir haben Sie überschätzt, weil wir annahmen, Sie würden die Situation und die Konsequenzen Ihrer Taten schneller einschätzen können. Zugegeben, der Zuständigkeitsbereich der Inquisition kennt theoretisch keine Grenzen, aber Thaddeus, im Namen des Throns − Pharos? Und das, nachdem ich Ihnen unsere derzeitigen Beziehungen zum Mechanicus dargelegt hatte. Diese verdammte Kathedrale ist vor noch nicht ein mal zweiundsiebzig Stunden explodiert, und die Unterflotte von Ag garendon hat bereits drei Schiffe verloren, weil uns die Techpriester ihre Unterstützung verweigern. Die Ordinatus-Einheiten auf Calliar gan und Vogel haben aufgehört zu feuern. Das Mechanicus ist davon überzeugt, dass es Teturact irgendwie gelungen ist, in Pharos einzud ringen. Die Zahl der Techgardisten dort wurde verdreifacht.« »Ihr habt Eure Aufgaben, Kolgo, und ich die meinen.« »Natürlich, die Seelentrinker. Ich nehme an, Sie wissen, warum Sie damit beauftragt wurden, sie zu finden?« »Weil ich dazu in der Lage bin. Und weil ich anders als Tsouras vorgehe.« Kolgo hob eine Hand und veränderte die Einstellungen des Medi zinservitoren. Die Handschuhe öffneten sich, und mit einigen schmerzhaften Nadelstichen zogen sich die Sensoren und Kanülen zurück. Wärme strömte in Thaddeus’ Körper. Er spürte, dass er sich wieder bewegen konnte. Er streckte sich und richtete sich auf. Er war müde, alles tat ihm weh, aber er schien keine größeren Blessuren davongetragen zu gaben. »Wir haben Sie ausgewählt«, sagte Kolgo mit einem unbarmher zigen Glanz in den Augen, »weil wir wussten, dass Sie versagen würden. Wir dachten, dass Sie die Seelentrinker aus sicherer Entfer nung beobachten würden und in aller Ruhe Informationen sammeln würden, ohne loszuschlagen. Sie sind ein Beobachter, Thaddeus, und
ein guter Zuhörer. Aber kein Sieger.« »Ihr wolltet sie niemals aufhalten.« »O doch. Ich und der innerste Zirkel der Inquisition halten die Seelentrinker für eine ernsthafte Bedrohung. Es liegt durchaus in unserer Absicht, sie zu jagen und zur Strecke zu bringen. Aber die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Denken Sie darüber nach, Thaddeus. Wir schätzen, dass der Orden der Seelentrinker ungefähr ein Drittel bis die Hälfte seiner Männer verloren hat. Er besitzt keine Möglichkeiten, neue Soldaten zu rekrutieren. Damit beläuft sich sei ne Truppenstärke auf maximal siebenhundertfünfzig Space Marines. Die Beweise, die wir aus der zerstörten Flotte geborgen haben, lassen darauf schließen, dass nur eine Handvoll Ordensdiener überlebt ha ben. Meine persönliche Dienerschaft allein zählt mehr als das Drei fache. Die Sturmtruppen, die meinem Befehl unterstehen, sind den Seelentrinkern zahlenmäßig um das Zehnfache überlegen. In den Predigten der Geistlichen heißt es, dass es Space Marines mit ganzen Armeen aufnehmen können. Die Wahrheit jedoch sieht anders aus. Ohne die Unterstützung der anderen imperialen Organi sationen oder der Hilfe von Ketzern, Kultisten, Abtrünnigen oder gar Dämonen sind die Seelentrinker isoliert und verwundbar. Es ist sinn los, eine Speerspitze zu sein, wenn diesem Speer der Griff oder die führende Hand fehlt. Die Seelentrinker sind gefährlich, aber nichts im Vergleich zu Teturact. Und es gibt leider eine ganze Menge Krea turen wie Teturact im Universum.« »Ihr habt mich auf die Suche nach ihnen geschickt, weil sie für Euch nicht von Bedeutung sind.« »Ganz im Gegenteil, Thaddeus. Sie sind von höchster Wichtig keit. Wahrheit hin oder her, Space Marines sind lebende Legenden. Abtrünnige Space Marines sind ein Albtraum. Diese Tatsache allein birgt so unglaublich großes ketzerisches Potenzial in sich, dass die betreffenden Marines dahinter glatt verschwinden.« Thaddeus fühlte sich weder verraten noch ausgenutzt − er kam sich nur furchtbar winzig vor, wie ein kleines Teil in einer gewalti
gen Maschine. Es war ein seltsames, irgendwie trockenes Gefühl, als hätte man ihm das Blut abgezapft und durch Staub ersetzt. Sein gan zes Leben hatte er im Dienste der Inquisition verbracht und in der ganzen Galaxis gekämpft. Und jetzt saß Lordinquisitor Kolgo neben seinem Bett und erklärte ihm, dass er nur eine Figur in einem Spiel war, das weit fähigere Männer als er bestimmten. Die Galaxis kam ihm auf einmal riesengroß vor. »Die Seelentrinker sind eine Waffe«, sagte Thaddeus mit müder Stimme. »Eine politische Waffe.« Kolgo lächelte fast väterlich. »Ich wusste, dass Sie das früher oder später begreifen würden. Es überrascht mich, dass Sie nicht schon längst darauf gekommen sind. Die Seelentrinker bieten unfassbare politische Möglichkeiten − einen Feind mit der symbolischen Kraft eines abtrünnigen Ordens sollte man nicht leichtfertig zerstören. Die Zeit wird kommen, in der sich das Ordo Hereticus gegen den Rest des Imperiums verteidigen muss. Der Feind ist im Imperium ebenso zu Hause wie unter den Scharen der Ketzer und Xenos. Und wenn er sich zeigt, benötigen wir die Hilfe starker Symbole, um unseren Wert in den Augen der begriffsstutzigeren Diener des Imperators zu be weisen. Die Seelentrinker werden erst dann vernichtet, wenn es für uns den größten Vorteil bringt. Und dann werden wir klügere und bessere Männer als Sie für diese Aufgabe auswählen.« »Ich verstehe«, sagte Thaddeus. »Ich soll die Seelentrinker auf spüren, aber ohne Euren Befehl nichts gegen sie unternehmen.« »Es wird wohl noch eine Zeit lang dauern, bis Sie wirklich alles verstehen.« Kolgo stand auf. Wie auf Kommando rollten zwei Die nerservitoren in den Raum. Aus ihren gedrungenen Körpern ragten dünne Armaturen, die die einfache schwarze Lederuniform und den Umhang eines Interrogators trugen. »Sie werden zur Festung Caita ran zurückkehren und dort einen neuen Auftrag erhalten. Wir brau chen helle Köpfe wie Sie im Krieg gegen Teturact. Die Reise wird etwa drei Wochen dauern − ich bedaure, dass ich Ihnen nicht mehr als diese Kleidung und nur wenige Annehmlichkeiten bieten kann.
Mein Schiff ist nur schlicht eingerichtet.« »Was ist mit den Informationen, die ich gesammelt habe? Sie waren auf einer Datentafel gespeichert, die sich in meinem Anzug befand. Habt Ihr sie gefunden?« »Alles, was Sie bei sich hatten, ist verloren. Nur Ihre Waffe hat es überlebt. Ein schönes Stück, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Besonders die Munition. Sie wartet in der Waffenkammer auf Sie.« »Egal«, sagte Thaddeus und hoffte, dass Kolgo diese Lüge nicht bemerkte. »Die Tafel enthielt nichts Wichtiges.« Was in gewisser Weise auch der Wahrheit entsprach. Thaddeus erinnerte sich nur an zwei Namen aus der Masse von Daten, die er geborgen hatte, aber sie waren die entscheidende Information: der erste lautete Karlu Grien. Er war ein Magos Biologis und der einzige Überlebende, der auf einer bestimmten Genetorenfabrik stationiert war. Der zweite Name war der Name dieser Forschungsstation selbst: Stratix Luminae. Septiam brannte. Die galathamorische Artillerie hatte die letzten Ver teidigungsposten mit Brandbomben beschossen, darunter das Palastviertel, die Gebäude der Senatoren und die Baracken der Privatar mee. Die Flammen hatten auf die einfachen, leicht brennbaren Hüt ten übergegriffen, die in der Nähe der prächtigen Gebäude standen. Schlimmer waren die Brände, die die Verteidiger selbst gelegt hatten. Da sie anders als normale Menschen keinen Sauerstoff benötigten, steckten sie die wandelnden Leichname in Brand. Schon bald erfüll ten sie die Straßen mit stinkendem Rauch. Munitionslager und Treibstofftanks wurden mit Zündern versehen. Die ersten Truppen des XXIII. Stratix fanden sich unversehens in einem Albtraum aus Fallen und brennendem Schutt wieder. Die Jouryaner drangen durch den südlichen Stadtteil vor, einem Viertel, in dem einst die wohlha benderen Bürger der Stadt in geräumigen Gärten und Häusern gelebt hatten. Sie kamen um einiges schneller voran.
Angeführt wurden sie von ihren unerwarteten Verbündeten, den Space Marines, die gerade zur rechten Zeit den Mauerdurchbruch erreicht und erstürmt hatten. Nur wenige der Jouryaner fragten sich, was mit der Besatzung und den Sanitätern von Schwadron Zwanzig geschehen war − der Rest hatte nur Augen für die Krieger in ihren purpurfarbenen Rüstungen, die jeden Soldaten um einen Kopf über ragten, mit irrwitziger Geschwindigkeit angriffen und es kaum er warten konnten, dem Feind Auge in Auge gegenüberzustehen. Das XXIII. Stratix wurde in einen ermüdenden Häuserkampf ver wickelt. Die Hütten der toten Landarbeiter wurden zum Schauplatz eines erbitterten Gefechts. Verschanzte Kämpfer mähten die Solda ten aus Stratix nieder. Stolperdrähte, die mit Sprengladungen ver bunden waren, hielten sie lange genug auf, um den Verteidigern ei nen Gegenangriff zu ermöglichen. Aber das XXIII. Stratix hatte nicht umsonst seine Wurzeln in den gnadenlosen Vierteln ihrer untergegangenen Schwarmstadt. Ein Kampf, bei dem sie sich auf ihre Bajonette und ihre List verlassen konnten, war ihnen immer lieber als ein offenes Feuergefecht. Für viele von ihnen war es wie eine Heimkehr. Die Soldaten aus Stratix ließen die gegnerischen Truppen langsam, aber sicher ausbluten. Sie trieben sie aus den südlichen Vierteln und direkt in die Arme ihrer Verbündeten. Die meisten Offiziere des XXIII. Stratix waren gefal len − aber sie waren sowieso Außenseiter gewesen, die das Imperium in einem verzweifelten Versuch geschickt hatte, die gewalttätigen Bewohner von Stratix zu disziplinieren. Tatsache war, dass die Sol daten ohne ihre Anführer viel besser kämpften. Die Jouryaner konnten das Palastviertel relativ schnell durchque ren. Das einst elegante, aus Marmor erbaute Stadtzentrum war durch Tod und Krankheit in ein Leichenhaus verwandelt worden, das die einstige Pracht verhöhnte. Einst glanzvolle Bauten hatten ihr Dach verloren und waren nur noch zerklüftete Ruinen aus unbezahlbarem Marmor. Vergoldete Ornamente schlängelten sich immer noch um den versengten Stein. Panzer rollten durch die breiteren Straßen und
holten die undisziplinierten feindlichen Schützen von den Mauern. Zwischen mehreren jouryanischen Zügen und dem blutüberström ten Gefolge eines septiamischen Adligen brach in dem üppigen bota nischen Garten einer Senatorenvilla ein regelrechter Dschungelkrieg aus. Der Adlige hatte ein schweres Groxgewehr in seinen verwesen den Händen, mit dem er Jagd auf die Jouryaner machte. Einer der Marktplätze der Stadt erlangte strategische Bedeutung, da die Panzer von dort aus das Senatshaus ins Visier nehmen konnten. Die imperia len Soldaten kämpften auf engstem Raum mit Tausenden wandelnder Leichen. Die Leman Russ-Panzer bildeten mobile Verteidigungspos ten in Innenhöfen und Gärten, zwischen denen sich die jouryanischen Truppen langsam vorarbeiteten. Verwundete Männer ertranken in reich verzierten Schwimmbecken. Granaten schlugen in die Bäume der Parks ein. Splitter aus exotischem Hartholz töteten Dutzende. Die Vorhut bildeten die Space Marines, die mit feuernden Boltern und funkensprühenden Kettenschwertern labyrinthartige Villen stürmten. Sie trieben Horden wandelnder Toter auf die Straße, wo sie von den Jouryanern vernichtet wurden, und errichteten Verteidi gungspunkte, die die imperialen Truppen übernehmen konnten. Die Jouryaner folgten ihnen bereitwillig. Jeder Mann, der an sei nem Leben hing, entschied sich für den Pfad, den die Marines in die gegnerischen Reihen geschlagen hatten, als sich auf eigene Faust in vom Feind gehaltene Gebiete zu wagen. Selbst als sich die Marines den Baracken der Privatarmee und nicht dem Senatshaus zuwandten, folgten ihnen die Jouryaner ohne großen Widerspruch der höherrangigen Offiziere, die mit dem Fort schritt des Angriffs sowieso nicht Schritt halten konnten und den Überblick verloren hatten. Die glatten, hohen Mauern der Baracken bildeten ein scheinbar unüberwindliches Hindernis. Die Jouryaner hatten geplant, sie nicht weiter zu beachten und ihre Zerstörung der galathamorischen Artillerie zu überlassen. Die Space Marines dagegen verfolgten einen ganz anderen Plan. Als sie einen Frontalangriff auf das am stärksten befestigte Gebäude
der ganzen Stadt vorbereiteten, fragten sich die Jouryaner langsam, aus welchem Grund die Marines überhaupt gekommen waren. »Über die Mauer! Los!«, schrie Captain Karraidin. In seiner Termi natorrüstung war er von überragender, eindrucksvoller Gestalt. Mit der gewaltigen Energiefaust winkte er den Sturmtrupp vorwärts. Das war Tellos’ Stichwort. Er bekleidete nicht mehr den Rang ei nes Sergeanten − offiziell gehörte er nicht einmal mehr in die Reihen der Waffenbrüder. Aber die Sturmtrupps der Seelentrinker folgten ihm trotzdem. Er verkörperte die Entschlossenheit, die den Orden so weit gebracht hatte. Tellos hatte schwerere Mutationen als alle ande ren erlitten, und trotzdem liebte er nichts mehr, als in vorderster Front zu stehen und dem Imperator zu dienen, indem er seine Feinde vernichtete. Er war eine Inspiration. Er war die Speerspitze. Tellos sprang aus der Deckung und rannte aus den Schatten des zusammengebrochenen Administratumgebäudes über die mit Lei chen übersäte Straße. Der schmutzige Wind blies glühend heiß gegen seinen nackten Oberkörper. Die Stümpfe seiner Arme brannten. Als die Seelentrinker verraten wurden und sich zum ersten Mal den Truppen des Imperiums stellen mussten, hatte er beide Hände verlo ren und sie später durch zwei Kettenklingen aus der Waffenkammer des Ordens ersetzt. Es waren die gebogenen, breiten und machetenar tigen Klingen altmodischer Kettenschwerter. Eine mit Stacheldraht umzäunte Geschützstellung feuerte aus ei ner Automatikkanone. Schrapnelle und mehrere Kugeln bohrten sich in Tellos’ Körper, traten aber sofort wieder aus. Sein erschreckend blasses, gallertartiges Fleisch besaß die Fähigkeit, sich in Windeseile um jede Wunde zu schließen. Nur winzige weiße Narben blieben zurück. Ein brennender Leman Russ-Panzer war gegen die Wand ge kracht. Das in Flammen stehende Fahrzeug reichte bis fast über die Hälfte der Mauer. Tellos rannte durch den Kugelhagel und sprang auf den Panzer. Schnell erklomm er den Geschützturm. Seine Ket
tenklingen bohrten sich in die Panzerplatten. Er hörte die Schritte von zwanzig weiteren Marines, die ihm folgten. Sie spürten, dass sie nur wenige Schritte vom Feind entfernt waren, der sich in den Bara cken verschanzt hatte und förmlich um den gerechten Zorn des Impe rators zu betteln schien. Tellos sprang auf die Mauer. Sie war leicht nach außen gewölbt, um mögliche Eindringlinge abzuhalten, aber seine Kettenklingen bohrten sich tief in den Plastbeton. Mühelos schwang er sich über die Brüstung. Zwei Schüsse aus einer automatischen Waffe bohrten sich in sei nen Bauch. Er spürte den Schmerz und hieß ihn willkommen − sein Körper heilte ebenso schnell, wie er verwundet wurde. Neben ihm ertönte eine Boltpistole, und der Schütze auf der Mauer verstummte. Tellos warf einen kurzen Blick auf die Marines hinter sich und sprang in den Innenhof. Das Hauptgebäude des Barackenkomplexes war eine eindrucks volle Konstruktion aus schwarzem Metall, die statt Fenstern Schieß scharten besaß. Auf dem großen Platz, der das Gebäude umgab, be fanden sich ein Ring aus Verteidigungsstellungen und ein hastig er richtetes Dorf aus Hütten und Zelten. Horden von wandelnden Toten warteten darauf, dass die Jouryaner die Tore in den Mauern auf sprengen und das Gelände stürmen würden. Was wahrscheinlich auch geschehen wäre, hätten die Seelentrin ker nicht eingegriffen. Aber schließlich führte Tellos den Angriff aus einer vollkommen unerwarteten Richtung. Die Verteidiger waren so gut wie tot. Tellos landete auf dem Boden und rannte sofort weiter. Er wollte keine Zeit verlieren und sich sofort in die Schlacht stürzen. Ent schlossen stürmte er mitten durch das Dorf, wobei er Zeltplanen und morsche Hütten mit seinen Klingen aus dem Weg räumte. Ohne den Schritt zu verlangsamen, zerstückelte er die wenigen Feinde, die sich ihm entgegenstellten. Der Hauptteil der Gegner − einige Hundert Mann − hatte sich hin
ter Barrikaden verschanzt und wartete darauf, dass die Angreifer die Tore aufsprengten und in die Falle tappten. Sie bemerkten nicht, dass die Marines ihnen in den Rücken fielen. Tellos hatte einige Dutzend Schritte Vorsprung vor seinen Kame raden. Als er die gegnerischen Linien erreicht hatte, blieb er nicht stehen, um zu kämpfen. Er sprang förmlich in die feindlichen Hor den, schwang die Klingen in hohem Bogen und trennte mit jedem Hieb Gliedmaßen und Köpfe ab. Die Septiamer wandten sich um und versuchten einen Gegenangriff, liefen Tellos dabei aber direkt in die Klingen. Tellos arbeitete sich weiter vor. Er hinterließ einen blutigen, mit toten Körpern gepflasterten Pfad, der für die restlichen Marines einen entscheidenden Angriffspunkt bildete. Verwesende Gesichter rissen erstaunt die Münder auf, als ihre Be sitzer zum zweiten Mal starben. Knorrige, graue Gliedmaßen schwangen vergebens Knüppel und Messer. Aus der Menge wurden Laserwaffen und Automatikgewehre abgefeuert, die Tellos jedoch nicht weiter beachtete. Die Projektile durchschlugen sein Fleisch, ohne größeren Schaden anzurichten, während er mit seinen Klingen die Hände abtrennte, die die Waffen umklammert hielten. Es war ein einziges Gemetzel. Tellos spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg, derselbe Zorn, der zum ersten Mal über ihn gekommen war, als er auf der Geryon-Artillerieplattform seine Hände verloren hatte. Dann hatte ihn dieser Zorn übermannt, als er den Strand vor Ve’Meths Festung erstürmt und Dämonen auf dem Deck der Bro kenback bekämpft hatte. Diese Wut packte ihn und trieb ihn zu Leis tungen an, die selbst die eines gewöhnlichen Marine weit in den Schatten stellten. Nur durch diese Wut war er in der Lage, diese un glaublich schnellen, tödlichen Hiebe mit den behelfsmäßigen Waf fen, die in seinen Armstümpfen steckten, auszuführen. Dafür lebte Tellos. Der Zorn war das Einzige, was ihn für den Im perator so wertvoll machte. Töten war die reinste Form seines Diens tes am goldenen Thron. Sobald Sein Geist ihn überkam, konnte Tel
los nichts mehr aufhalten. Seine Kettenklingen waren blutüberströmt. Er selbst war ebenfalls von Kopf bis Fuß mit Blut überzogen. Seine occulobenähnlichen Organe sonderten eine Flüssigkeit ab, die das Blut aus den Augen wusch. Hunderte Gesichter verschmolzen zu einem, als er in jede Richtung Hiebe austeilte. Die Septiamer, die versuchten, ihn zu um zingeln, fielen seinen wirbelnden Klingen zum Opfer. Er kletterte auf die Körper der Getöteten, um von dort aus auf die endlose Zahl seiner tumben Gegner einzuhacken. Sie starben zu Hunderten. Jeder Hieb beendete ein weiteres unheiliges Leben. Der Sturmtrupp drängte die Septiamer gegen die Tore und in Tellos’ Reichweite. Diejenigen, die versuchten, zurückzuweichen, sahen sich mit übermenschlichen Kriegern konfrontiert, an deren Rüstungen Bajonettstöße und Kugeln einfach abprallten und deren Ketten schwerter mühelos Fleisch, Knochen und erbeutete elysianische Rüs tungen durchdrangen. Tellos erkannte jouryanische Helme und elysianische Uniformen, in denen wandelnde Leichen steckten, deren Gesichter von Krankheit und Hass verzerrt waren. Aus ihren vertrockneten Kehlen drang rö chelndes Stöhnen. Ihre Knochen brachen, die Haut platzte auf, und die Muskeln wurden von den Zähnen der Kettenklingen in Fetzen gerissen. Es war ein heiliges Schlachten. Verderbnis und Fäulnis wurden durch die Macht des Imperators ausgelöscht. Tellos’ Zorn war wie eine Voxleitung, durch die er direkt mit dem goldenen Thron verbunden war. Eine schwere Hand legte sich auf Tellos’ Schulter. Nur seine in stinktiven Reflexe hielten ihn davon ab, mit seinen Klingen einen seiner Kameraden zu durchbohren. Er blickte in Captain Karraidins wettergegerbtes, lederartiges Ge sicht, das aus der massigen Terminatorrüstung ragte. »Tellos, ver dammt noch mal!«, knurrte er. »Der Feind ist aufgerieben. Spreng die Türen auf und verschaff uns Zugang zum Bunker.« Für einen Moment war Tellos wütend, dass sein Dienst am Impe
rator so plötzlich unterbrochen worden war. Verstand Karraidin nicht, dass sie von geifernden, verdorbenen Feinden umgeben war en? Dann fiel sein Blick auf das, was Karraidin bemerkt hatte. Tellos stand nur wenige Meter von der Mauer entfernt auf einem zwanzig Mann hohen Leichenberg. Die überlebenden Septiamer zogen sich erschrocken zurück. Karraidin hatte recht. Sein Zorn musste sich etwas gedulden, be vor er ihn wieder die Oberhand gewinnen lassen durfte. Er winkte die beiden Sturmtrupps, die hinter ihm eine Mauer aus Stahl gebildet hatten, vorwärts. Jeder der Männer hatte Splittergrana ten und mehrere Melterbomben bei sich, die für den Einsatz gegen Panzerplatten gedacht waren. Die Marines stürmten über den blutbe deckten Boden auf das zweiflügelige Tor zu und befestigten Granat bündel an Angeln und Riegeln. Derweil lieferte sich Karraidins Trupp mit den Schützen auf der Mauer und in den Baracken ein Feuergefecht. Dann zogen sich die Marines von den Toren zurück. Die Torflügel fielen funkensprühend aus den Angeln. Stahlplatten fielen scheppernd auf den Felszement. Unter dem Feuerschutz von Karraidins Trupp betraten die Sturm truppen den Bunker. Sarpedon begleitete sie. »Karraidin, Tellos − gute Arbeit!«, voxte er. »Alle Gebäude im Umkreis gesichert. Sie werden von den Jouryanern gehalten. Der Feind ist zwischen dem Stratix-Regiment und den Jouryanern gefan gen. Er wird bald einen Ausbruch versuchen, also dürfen wir keine Zeit verlieren. Hastis, Luko, ihr folgt mir in den Zellentrakt. Karrai din, Tore sichern. Tellos, halte dich bereit. Kaltblütig und blitz schnell, Seelentrinker. Los!« Die kleine Armee, die Sarpedon nach Septiam geschmuggelt hat te, teilte sich in zwei Gruppen auf. Karraidin und Tellos bezogen ihre Position neben den gefallenen Feinden, während Sarpedon mit den beiden taktischen Trupps auf die Baracke zueilte, aus deren Schieß
scharten noch immer vereinzelt Schüsse abgefeuert wurden. Irgendwo unter dem bunkerartigen Gebäude befand sich ein Zel lentrakt, in dem vor dem Ausbruch der Seuche die Kriminellen von Septiam Torus festgehalten worden waren. Wenn sie nicht in dem Chaos, das die Stadt ergriffen hatte, freigelassen worden waren und dort unten noch irgendetwas am Leben war, würden sie in diesen Zellen den Adepten Karlu Grien finden.
NEUN
Von der Aussichtsplattform der Jacht wirkte das Kriegsgebiet fast ruhig. Die Sterne funkelten so kalt wie im Rest der Galaxis. Wäre Thaddeus nicht so vertraut mit Teturacts unmenschlicher Rebellion gewesen, hätte er fast glauben können, dass in dem System vor ihm Frieden herrschte. Ein winziger roter Stern blinkte auf − die Fabrikwelt Salshan Infe rior. Dort waren eine halbe Million Soldaten auf den oxidreichen Ebenen umzingelt und abgeschlachtet worden. Jetzt bereitete sich die Flotte darauf vor, die befestigten Fabrikbunker zu bombardieren und dem Erdboden gleichzumachen. Eine weitere Sternenkonstellation bestand aus namenlosen Xenoswelten, auf denen Soldaten und Tech gardisten gegen Tausende von Teturacts Kultisten kämpften. Selbst auf Planeten aus flüssigem Sauerstoff wurden Schlachten ausgefoch ten. Gewaltige Flottenmanöver fanden direkt vor Thaddeus’ Augen statt. Die Schwärze zwischen den Sternen war mit Kriegsschiffen überfüllt, die Blockaden aufrechterhielten oder gerade von einem Bombardement zurückkehrten. Das Aussichtsdeck war eine kristallene Kuppel, die aus der Ober fläche des Schiffes ragte und einen fast unverstellten Blick auf den Weltraum freigab. Mehrere Schränkchen und Sofas waren im Raum verteilt. Drei Dienerservitoren standen bereit, jeden Wunsch ihrer Herren zu erfüllen. An solch einem Ort war es leicht, den Krieg zu vergessen. Aber Thaddeus konnte nicht vergessen. Lord Kolgo hatte in einem Punkt recht: Er war ein viel erfahrenerer Inquisitor, als es Thaddeus je sein würde. Trotzdem hatte Thaddeus noch immer eine Aufgabe zu erfüllen. Er hatte sich selbst einen Eid geschworen, den er nicht
brechen durfte. Koste es, was es wolle. Aus einer kreisrunden Öffnung im Boden erhob sich zischend eine Plattform. Auf der Plattform befand sich eine unglaublich dünne Ge stalt. Der Mann war so hager, dass er kaum einen Schatten zu werfen schien. Er trug eine kobaltblaue Uniform mit silbernen Verzierungen. Sein zerbrechlicher Körper war von einem seltsam gesichtslosen Kopf gekrönt. Auf der glatten, tiefschwarzen Haut waren Augen, Nase und Mund kaum zu erkennen. Ein weißes Tuch mit hochgothi schen Gebetssprüchen war um seinen Kopf geschlungen. Die mit Blasen übersäte, versengte Haut auf der Stirn des Mannes war der einzige Hinweis darauf, welchen schweren Prüfungen sein Warpauge ständig ausgesetzt war. »Navigator«, sagte Thaddeus. »Ich freue mich, dass Sie mir Ge sellschaft leisten.« »Eure Einladung hat mich überrascht, mein Gebieter. Ich bin übli cherweise keine Gesellschaft gewöhnt. Ich hoffe, ich werde Euch nicht enttäuschen.« »Keine Sorge«, antwortete Thaddeus mit seinem freundlichsten Lächeln. »Es gibt Trilliarden von Seelen in dieser Galaxis. Es kann wohl nicht schaden, wenigstens ein paar von ihnen persönlich ken nenzulernen. Amasec? Natürlich nur, wenn Sie nicht gerade im Dienst sind.« Der Navigator nahm das Glas mit dem aromatischen, sirupartigen Amasec entgegen. Thaddeus wagte nicht, sich vorzustellen, was Lordinquisitor Kolgo dafür ausgegeben hatte. Der Navigator nahm einen vorsichtigen Schluck. Er schien ihm zu schmecken. Thaddeus blickte zum Sternenhimmel hinauf. »Was sehen Sie dort, Navigator?«, fragte er. »Sieht es so auch im Warp aus?« Thaddeus ging ein gewisses Risiko ein. Navigatoren sprachen nur ungern über das, was sie sahen, wenn sie die Schiffe durch die Ver lockungen und Albträume des Warp leiteten. Es war ein ungeschrie benes Gesetz, sie nicht danach zu fragen. Da Kolgos Navigator nicht sofort mit Entsetzen reagierte, vermutete Thaddeus, dass ihm noch
niemand diese Frage gestellt hatte. Vielleicht war er ja sogar erleich tert, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können. »Es … Manchmal. Anfangs, ja. Wir wollen, dass er so aussieht. Jeder weiß, wie das Weltall aussieht. Wer hat noch niemals einen Sternenhimmel betrachtet? Aber nach den ersten Momenten verän dert sich alles. Man muss den Warp als das sehen, was er in Wirk lichkeit ist. Und dafür gibt es keine Regeln − die Hälfte spielt sich im Kopf ab, was alles aber nicht weniger realistisch macht. Das Astro nomican ist die einzige feste Größe, nach der wir uns richten können, aber selbst sie kann flimmern und uns manchmal im Stich lassen. Alle Dinge, die Ihr zwischen Schlaf und Wachen seht, sind im Warp real. Es gibt Farben, die man nicht mit Licht erzeugen kann. Und manchmal … manchmal starrt einen etwas an.« Er lächelte und nahm einen weiteren Schluck Amasec. »Bitte nennt mich Starn. Iason Starn.« »Sie dürfen mich Thaddeus nennen, Starn.« Thaddeus stellte die Karaffe in die goldbeschlagenen Handflächen des Servitoren zurück, der leise auf ihn zugeschwebt war, sobald er sich auf eines der Sofas gesetzt hatte. »Ich kann mir vorstellen, dass Kolgo große Stücke auf Sie hält.« »So ist es. Ich stehe seit dreiundzwanzig Jahren in seinem Dienst.« »Das klingt so, als wären wir beide so etwas wie Gefangene.« »Es gibt Schlimmeres.« Thaddeus setzte sich auf, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen. »Starn …. Ist der Starn-Clan nicht mit dem Haus Jenassis ver wandt?« »Wir sind ein Unterclan«, antwortete Starn. »Wir sind stolz dar auf, einen wichtigen Teil dieses Hauses zu repräsentieren. Nicht viele wissen von unseren Clans. Thaddeus, Ihr seid höchst gebildet.« »Ich wusste nicht, dass Ihr unter der Schirmherrschaft des Hauses Jenassis steht. Zweifellos sind Sie in Trauer über den Verlust Ihres Patriarchen.«
Starn nickte und blickte unglücklich in seinen Armasec. »Ja, ein schrecklicher Vorfall. Wie man hört, sind Chaosmarines dafür ver antwortlich. Der Erzfeind ist in das Haus Jenassis eingedrungen. Vie le von uns können es nicht glauben, andere wissen, dass es so ist, wollen es aber nicht wahrhaben.« »Und Sie?« »Die Galaxis ist ein finsterer Ort, Thaddeus. Schreckliche Dinge geschehen. Der Imperator weiß, dass ich in den Jahren in Kolgos Diensten genug davon gesehen habe.« Thaddeus ließ einen Moment des Schweigens verstreichen. Die einfachen Mutationen, die mit dem Navigatorgen einhergingen, ver bargen die Tatsache, dass Iason Starn mehr als achtzig Jahre alt und wahrscheinlich seit seiner Jugendzeit als Navigator beschäftigt war. Wie oft war es vorgekommen, dass er mit jemandem außerhalb sei nes Berufsstandes gesprochen hatte? Noch dazu mit einem Inquisitor, einem Mann, der Macht besaß − wenn auch lange nicht so viel Macht wie Lord Kolgo selbst. »Phrantis war nicht unbedingt der beste Patriarch«, sagte Starn schließlich. »Aber ohne ihn ist das Haus Jenassis ohne jede Führung. Jetzt geht es um Politik − und das verabscheuen wir zutiefst. Nicht alle von uns werden überleben, Inquisitor. Obwohl es uns verboten ist, darüber zu sprechen − sogar unter Navigatoren gibt es zerstrittene Parteien.« »Genau wie unter Inquisitoren, Starn. Und auch uns ist es verbo ten, darüber zu sprechen. Also erzählen Sie es bitte nicht weiter.« Ein Servitor schwebte heran, um Starns Glas wieder aufzufüllen. Das Gute an Armasec war, dass er nicht besonders stark schmeckte, aber genau das war. Starn war kein dummer Mann. Er nahm das Glas mit einem schicksalsergebenen Ausdruck im Gesicht an, als hätte er bereits durchschaut, welche Rolle er zu spielen hatte, und als versuchte er nun, damit fertig zu werden. Thaddeus kannte seine Rolle ebenfalls. »Wenn es jemanden gäbe,
der wüsste, wer Phrantis Jenassis auf dem Gewissen hat − stellen Sie sich das vor! Vielleicht waren es wirklich nur plündernde Chaosma rines. Aber andererseits könnte die Lage auch viel komplizierter sein. Es wäre doch ein tröstlicher Gedanke, dass Phrantis nicht einfach aus reiner Willkür getötet wurde, meinen Sie nicht auch?« Starn nahm einen großen Schluck. »Ich hätte mir denken können, dass es sich hierbei nicht einfach um ein zwangloses Treffen handelt. Warum sollte sich ein Mann in Eurer Position freiwillig mit mir tref fen wollen?« »Warum würde sich ein Mann mit Ihren Fähigkeiten mit einem Gefangenen seines Gebieters treffen wollen? Genau das bin ich näm lich, und das wissen Sie. Sie wollen doch nicht allen Ernstes den Rest Ihres Lebens am Rande des Wahnsinns verbringen? Vielleicht waren Sie eines Tages einmal zufrieden mit Ihrem Leben, aber jetzt sind Sie es nicht mehr. Sie wünschen sich, wie ein einfacher Bürger des Imperiums zu leben. Sie wollen mehr aus sich machen − im Moment sind Sie nur Teil einer Maschine, die jemand anderen ge hört. Lord Kolgo hält Sie für ein Teil dieses Schiffs. Warum auch nicht? Sie haben niemals behauptet, mehr zu sein. Aber wenn Sie etwas Sinnvolles erreichen könnten, etwas, das dem Haus Jenassis nützen könnte − wäre das nicht etwas, das sich lohnen würde?« »Ich habe … Gerüchte gehört.« Iason Starns Augen blitzten mit einem Mal auf, als hätte er seine wahre Bestimmung entdeckt. »In quisitoren können mit einem einzigen Wort einem Mann bei lebendi gem Leib die Haut abziehen lassen. Sie können Tausende, Millionen töten, wenn ihnen das angemessen erscheint. Es wäre für Lord Kolgo ein Leichtes, mich umbringen zu lassen, wenn er Grund hätte, mich des Verrats zu beschuldigen.« »Dafür ist es jetzt zu spät, Iason. Kolgo hat alles hier verwanzt. Er hat jedes Wort mitgehört. Wenn er Sie hinrichten lassen wollte, hat er diese Entscheidung bereits getroffen, egal, was Sie jetzt tun. Aber Sie können sich glücklich schätzen − jetzt können Sie eine Wahl tref fen, ohne sich um Kolgo Gedanken machen zu müssen.«
Starn zitterte und leerte fast unbewusst sein Glas, um seine Ner ven zu beruhigen. »Jetzt begreife ich, warum ihr Inquisitoren so ge fürchtet seid.« »Da sollten Sie mal Kolgo erleben, wenn er so richtig in Fahrt ist. Er behandelt seine Kollegen ebenso. Also, wie lautet Ihre Entschei dung?« »Meine Entscheidung.« Thaddeus griff in die Taschen der einfachen Uniform, die er auf der Krankenstation erhalten hatte, und zog einen kleinen, gefalteten Brief hervor. »Diese Botschaft ist verschlüsselt. Sie müssen nicht wissen, was sie beinhaltet. Sie müssen nur sicherstellen, dass sie auf den richtigen astropathischen Kanälen versendet wird. Das ist alles. Ich habe keinen Zugang zu Kolgos Astropathen, aber Sie. Kolgo hält mich für einen möglichen zukünftigen Verbündeten und wird mir diese Sache durchgehen lassen. Mich jetzt zu verärgern wäre unklug − für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich ebenfalls einmal seinen Rang bekleiden sollte. Trotzdem wird er mir niemals verzeihen, wenn ich seine Gastfreundschaft so offensichtlich missbrauche. Da her muss ich auf Sie zurückgreifen. Lord Kolgo kann Sie nicht sofort unschädlich machen − damit wäre er ohne Navigator in einem kaum befahrenen Teil des Weltalls gestrandet. Seine Arbeit im Kriegsgebiet ist zu wichtig − er kann es sich nicht leisten, monatelang orientierungslos umherzutreiben. So bald wir die Festung erreicht haben, können sich Ihre Kollegen um Ihre Sicherheit kümmern. Ihr Haus wird Sie zweifellos beschützen. Das Spiel, das wir hier spielen, ist nicht ohne Risiko. Aber wie Sie sehen, ist Ihre Rolle nicht die gefährlichste.« Starn winkte den Servitor, der ihm erneut nachschenken wollte, beiseite. »Ein kompliziertes Spiel.« Thaddeus lächelte. Diesmal meinte er es ehrlich. »So ist die Poli tik nun mal, Iason. Eine Lektion, die ich selbst erst kürzlich gelernt habe.« Der Navigator stand auf und strich sich über die perfekt sitzende
Uniform des Starn-Clans. Dann nahm er Thaddeus’ Brief entgegen. »Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, Inquisitor, ich bin sehr beschäf tigt. Es müssen Karten gezeichnet und Routen geplant werden. Ihr wisst ja, wie es ist.« »Natürlich, Navigator Starn. Ich will Sie nicht von Ihrer Arbeit abhalten. Möge der Imperator Sie beschützen.« »Und Euch ebenfalls, Inquisitor.« Starn betrat die Plattform und verschwand durch die Öffnung im Boden. Wenn Thaddeus Glück hatte, würde der Navigator die Nachricht bald absenden. Und wenn er noch mehr Glück hatte, würde sie die Sichelmond auch erreichen. Seine Truppen würden wissen, was sie mit den Informationen an zufangen hatten, die er aus der Kathedrale geborgen hatte. Außerdem konnte er damit Kolgo beweisen, dass es keinen Zweck hatte, ihn als Gefangenen auf seiner Jacht festzuhalten. Kolgo konnte ihm nicht wirklich gefährlich werden − der Lordinquisitor hatte nur so viel Macht, wie ihm seine Kollegen zugestehen würden. Er brauchte Un tergebene − und Thaddeus war einer dieser Untergebenen. Es lag nicht in Kolgos Interesse, ihn einzusperren oder umzubringen. Thaddeus verabscheute die Tatsache, dass interne Streitereien und Gerangel ein ebenso wichtiger Teil der Inquisition waren wie der Kampf gegen die Feinde des Imperators. Aber er hatte keine Wahl − er musste das Spiel mitspielen, wenn er seinen Eid erfüllen wollte. Thaddeus hatte einen entscheidenden Vorteil − er wusste von Stratix Luminae. Und er hatte das Gefühl, dass bald nichts anderes mehr von Bedeutung sein würde. Die Nachricht bestand aus zwei Ortsangaben. Die erste war Stratix Luminae − das jedoch auf keinen Fall ohne Inquisitor Thaddeus per sönlich angeflogen werden durfte. Die zweite war Septiam Torus, der letzte bekannte Aufenthaltsort des Adepten Karlu Grien. Es war wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, die Seelentrinker vor Stratix Luminae noch aufzuhalten. Danach bestand die Möglichkeit, dass sie für immer verschwanden.
Oberst Vinn und seine Sturmtruppen − abzüglich der Männer, die er auf Pharos verloren hatte − warteten in den Tiefen des Raumes auf Thaddeus’ nächsten Befehl. Die Ordensschwestern waren bereits nach Septiam Torus aufgebrochen. Schwester Aescarion löste die Gurte ihres gravitationsdämpfenden Sitzes und ergriff den Handlauf, der an der Decke des Mannschafts abteils angebracht war. Aescarion hatte sich die drei Transportschiffe samt Besatzung aus dem Fundus der jouryanischen Truppen be schafft. Fünfzig kampfbereite Ordensschwestern unter dem Befehl eines Inquisitors hatten dafür gesorgt, dass alle ihre Anweisungen sofort befolgt wurden. Als sie die Oberfläche von Septiam Torus erreichten, tobte die Schlacht um die Stadt bereits einen vollen Tag lang. Sie mussten sich sofort in den Kampf stürzen. Angeblich führten Space Marines den jouryanischen Angriff an. Selbst wenn es sich nicht um die Seelen trinker handelte, schien es doch so, als wären die Truppen des Impe riums nicht auf die Hilfe der bis an die Zähne bewaffneten Ordens schwestern angewiesen. Die Valkyrie vollführte einige Ausweichmanöver. Aescarion konnte nicht aus dem Bullauge sehen, aber sie hörte, wie aus den vom Feind besetzten Vierteln Antiluftraketen auf sie abgeschossen wurden. Sie konnte sich vorstellen, wie die Ruinen der Stadt unter ihnen vorbeizogen. Ein guter Treffer, und sie würde gemeinsam mit zwanzig weiteren Schwestern in einem Sekundenbruchteil sterben − Ausbildung, Rüstung, Bewaffnung, ja sogar der Glaube konnten ih nen nicht helfen. Aber das war die Natur des Krieges. Aescarion hat te sich vor langer Zeit geschworen, ruhig auf den Tod zu warten und ihn willkommen zu heißen, wenn es an der Zeit für sie war. Ihre Schwestern dachten genauso. Sie hatte ihren persönlichen Se raphimtrupp sowie zwei weitere Trupps unter ihrem Kommando. Der Retributortrupp unter Führung von Schwester Aspasia war mit drei schweren Flammenwerfern bewaffnet. Oberschwester Rufilla befeh ligte eine weitere zehnköpfige Einheit. Die anderen Valkyrien waren
in ähnlicher Weise besetzt − ob diese Kampfkraft ausreichte, um es mit den Seelentrinkern aufzunehmen, lag in der Hand des Imperators. »Schwarz Drei meldet einen Triebwerksausfall«, ertönte die ble cherne Stimme des Piloten über Vox. »Sie gehen runter.« »Können sie irgendwo landen?«, fragte Aescarion. Der Gedanke an einen ganzen Trupp tapferer, toter Schwestern schoss durch ihren Kopf. Schwarz Drei führte die Formation an und steuerte auf den Platz neben dem Senatshaus zu, das gerade von den Jouryanern ero bert worden war. »Sie werden wohl eine Bruchlandung in den Slums hinlegen müs sen − weit entfernt von der Zielposition.« »Wir dürfen uns nicht trennen. Verfolgen und zur Landung bereit machen. Der goldene Thron wird uns vor unseren Feinden beschüt zen, Schwestern.« »So sei es«, antwortete der Pilot. »Festhalten.« Das waren schlechte Nachrichten. Die geplante Landezone lag hinter der letzten bekannten Position der Marines. Damit wären sie in der Lage gewesen, sie sofort anzugreifen, wenn es wirklich die See lentrinker waren, oder sie andernfalls zu unterstützen. Obwohl sich die Situation am Boden ständig änderte, waren die Slums Schauplatz eines Häuserkampfs zwischen den gottverlassenen Septiamern und dem XXIII. Stratix. Aescarion war sich nicht sicher, von welcher Partei die größere Gefahr ausging. »Wir gehen runter. Türen auf«, sagte der Pilot. In seiner Stimme konnte man die Anspannung hören, als er versuchte, die Nase der Valkyrie nach einem Sturzflug wieder zu stabilisieren. »Schwestern«, rief Aescarion. »Bereit machen zur Landung! As pasia, ich will volle Kampfbereitschaft, noch bevor wir am Boden sind. Rufilla, Landungsbereich sichern und Feuerschutz geben.« Die Schwestern salutierten. Dann öffnete sich die Ausstiegsluke im Heck der Valkyrie. Das Schiff schwebte über einer Ansammlung von elenden Hütten, die in Schichten übereinandergebaut worden waren. Die unteren
waren schon lange zusammengebrochen und bildeten Schutthaufen, die bis auf die Straßen reichten. Die stabileren Gebäude waren mit Einschusslöchern übersät oder von den Treffern der Artillerie ver sengt. Leichen stapelten sich auf den Kreuzungen und hinter Barri kaden. Rauch stieg auf und erfüllte das Innere des Schiffes mit dem Gestank von brennendem Treibstoff und Lasergeschossen. Aus vie len Fenstern wurde Leuchtspurmunition abgefeuert. Durch das Dröhnen der Triebwerke waren Detonationen zu hören. Schwarz Drei war bereits gelandet. Dunkler Rauch quoll aus ei nem der Triebwerke. Die Valkyrie lag quer über der Straße, wo sie nach der Bruchlandung zum Stehen gekommen war. Die schwarz gerüsteten Gestalten der Ordensschwestern verließen eilig das ange schlagene Transportschiff, gingen dahinter in Deckung oder rannten durch den Kugelhagel in die Ruinen auf der anderen Straßenseite. Sie schwebten jetzt fast direkt über Schwarz Drei. Die Valkyrie setzte zur Landung an. Die Triebwerke wirbelten Wolken aus Schutt und Staub auf. Ohne das Signal des Piloten abzuwarten, rannte Aes carion auf die Rampe und sprang. Mit einem Knopfdruck aktivierte sie das Seraphim-Sprungmodul. Auf Eumenix war es nutzlos gewesen. Bei einer Landung aus großer Höhe leistete es jedoch unschätzbare Dienste. Schwester Mixu und der Rest des Trupps folgten ihr, Boltpistolen im Anschlag. Aescarion landete auf den Beinen. Sie war ungefähr dreißig Meter von Schwarz Drei entfernt, das nur noch ein rauchendes Wrack in mitten der Staubwolken war. Das Dröhnen der Triebwerke wurde von Gewehrfeuer aus allen Richtungen übertönt. Das charakteristische Geräusch von Boltpisto len informierte sie darüber, dass die Schwestern Schwarz Drei ver lassen hatten und das Feuer erwiderten. Kleinkalibrige Waffen wur den von den Fenstern aus abgefeuert. Aescarion erkannte, dass der Feind nicht die Kampfdisziplin der Schwestern hatte, aber deutlich in der Überzahl war. Durch das Chaos erspähte sie Mündungsfeuer und seltsam verkrümmte, humpelnde menschenähnliche Gestalten.
Ein einziger Schuss fiel, und ein weiß glühender Laserstrahl jagte an ihr vorbei und durchbohrte die Kehle einer ihrer Seraphim. Scharfschützen. Aescarion feuerte einige Male auf die nächsten Angreifer und rannte in Deckung. Sie durfte sich hier nicht festnageln lassen. Sie und ihre Schwestern mussten einen Ausbruch versuchen. Nur ein Augenblick des Zögerns, und sie würden umzingelt sein und sich erst nach der Eroberung der Stadt wieder befreien können. Das kam auf keinen Fall infrage. Sie duckte sich gerade noch rechtzeitig hinter ein zusammenges türztes Gebäude, bevor eine Salve direkt neben ihr einschlug. Laser strahlen und Kugeln aus automatischen Waffen wirbelten Schotter und Holzstücke auf. Weitere Schüsse ertönten direkt über ihrem Kopf. Schwester Mixu schlitterte mit gezogenen Boltpistolen neben sie. Gemeinsam nah men sie die Überreste der Decke ins Visier. Sie hatten sich direkt unter einem Nest von Feinden verschanzt. Durch ein Loch in der Decke starrten verzerrte Gesichter auf sie he rab, deren verweste Unterkiefer herunterhingen. Die lebenden Toten zielten mit den verrosteten Gewehren in ihren knochigen Händen auf die Schwestern. Kugeln prallten von Aescarions und Mixus Rüstung ab. Sie erwi derten das Feuer und pumpten Boltpatronen durch die morsche De cke in die Körper der Angreifer. Staub und Trümmer regneten auf sie herab. Aescarion spürte, wie ein Schuss ihre Wange streifte. Das Feuergefecht hatte weitere Gegner angelockt. Scharfschützen feuer ten durch die Staubwolken. Mixu feuerte mit einer Hand in die De cke, mit der anderen zur Seite. Aescarion zog die Energieaxt. Sie wusste, dass selbst ihre Servorüstung diesem unablässigen Kugelha gel nicht ewig standhalten konnte. Eine weiße Flammenzunge schoss auf Kopfhöhe durch das Ge bäude, wanderte höher und tauchte das obere Stockwerk in ein Flammenmeer. Brennende Skelette fielen herab. Das Gewehrfeuer
wurde von den Schreien brennender Männer abgelöst. Aescarion blickte auf und erkannte Schwester Aspasia, die den schweren Flammenwerfern ihres Trupps befohlen hatte, den ersten Stock des Gebäudes ins Visier zu nehmen. Aescarion warf Schwester Aspasia einen Gruß zu. Dann machten sich die Retributorinnen und Schwester Rufillas Trupp daran, die Ruine zu sichern. »Seraphim!«, schrie Aescarion. »Mir nach! Vorwärts!« Sie stürm te durch die Trümmerhaufen auf die Stelle zu, an der die Besatzung von Schwarz Drei eingekesselt worden war. Gemeinsam erledigten sie die Septiamer, die sich um einen zerstörten Hauseingang ver sammelt hatten, aus nächster Nähe. Nachdem sie ein halbes Dutzend Seuchenopfer vernichtet hatten, sprang Aescarion durch die Tür und hieb auf die Gegner dahinter ein. Ein Scharfschütze, der noch immer sein Lasergewehr umklammert hielt, fiel kopflos zu Boden. Aescari on trennte den Arm eines weiteren Feindes ab. Seine Wirbelsäule zerbrach unter ihren Stiefeln, nachdem er zu Boden gegangen war. Eine der Seraphim sprang über die Wand neben ihr, packte den näch sten Feind und holte ihn von den Beinen, während sie zweien seiner Kameraden in den Bauch schoss. Aspasias Trupp folgte Aescarion durch die Ruinen. »Rufilla hat einen Landungspunkt für Schwarz Zwei gesichert«, voxte die Ober schwester, während sie durch den Schutt rannte. Aspasia war eine wirkliche Veteranin, älter als Aescarion, die selbst keine junge Frau mehr war. Ihre Energiefaust dampfte vor getrocknetem Blut. Ihre Rüstung war mit rauchenden Einschusslöchern übersät. »Verluste?«, fragte Aescarion. »Drei Schwestern sind gefallen. Möge der Imperator ihren Seelen gnädig sein. Tydaria hat eine Hand verloren. Ansonsten sind wir kampfbereit.« »Sehr gut.« Aescarion voxte an alle Schwestern in der Umgebung. »Sobald Schwarz Zwei gelandet ist, rücken alle nach Süden vor! Diese Gegend wird vom Feind gehalten. Wir müssen uns durch
kämpfen. Aspasia, du übernimmst die Vorhut. Überantworte die Un heiligen dem reinigenden Feuer!« Aescarion überprüfte jede Voxfrequenz nach dem Funkverkehr der imperialen Armee. Sie hörte nur ein chaotisches Durcheinander aus Befehlen. Anscheinend befanden sich zwei Regimenter in der Stadt, während ein drittes, die Galathamorianer, versuchten, ihre Ar tillerieangriffe, die inzwischen zum größten Teil das Leben ihrer Verbündeten kosteten, zu koordinieren. Gesprächsfetzen durchbrachen das statische Rauschen. Das Stra tix-Regiment griff unbarmherzig an und bahnte sich seinen blutigen Weg durch die Ruinen zum Stadtzentrum. Die Jouryaner, so viel konnte Aescarion dem Voxverkehr ent nehmen, hatten einen Keil geformt, der tief in die Stadt eingedrungen war und offensichtlich bereits die Baracken der Privatarmee erreicht hatte. Die Spitze des Keils bildeten die Space Marines. Sie waren so schnell auf der Bildfläche erschienen, dass niemand wusste, zu wel chem Orden sie gehörten oder warum sie gekommen waren. Um ihre Position zu erreichen, mussten die Schwestern durch die Frontlinien zu einem Tempelbezirk gelangen, der am Rande eines Wohngebiets lag − das Zentrum des gegnerischen Widerstands. Dahinter befand sich das Arbites-Viertel. Das Dröhnen von Triebwerken übertönte den Funkverkehr. Der Schatten von Schwarz Zwei fiel auf die Straße. Die Valkyrie wendete und ging tiefer. Die Heckklappe öffnete sich, und Tathlayas und Se rentes’ Trupps sprangen heraus und gingen hinter den Ruinen in De ckung. Das Landeschiff wirbelte herum und jagte Hunderte von Ku geln aus den Maschinengewehren, die unterhalb der Nase angebracht waren, in die gegenüberliegenden Stockwerke, um die dort positio nierten Scharfschützen auszuschalten. Boltpistolen machten mit den überlebenden Septiamern in der Umgebung kurzen Prozess. Ihr Feuer wurde nur noch spärlich erwidert. Die Schwester, die den schweren Bolter von Serentes’ Trupp trug, blieb vor dem Eingang zu den Ruinen stehen und sandte eine Salve über die Straße, die die
zappelnden Gestalten traf, die hinter einem Fenster im Erdgeschoss erschienen waren. »Vorwärts!«, befahl Aescarion. Aspasias Trupp setzte sich in Be wegung, während Rufillas Schwestern ihnen Feuerschutz gaben. Hinter gewaltigen Flammensäulen arbeiteten sie sich langsam vor. Sie wollten die wandelnden Toten aus den Ruinen und vor die Visie re von Rufillas Trupp treiben. Schwarz Eins und Zwei verließen ihre verwundbare Position ge genüber der Straße. Jetzt waren die Schwestern auf sich allein ge stellt − eine Situation, mit der sie bestens vertraut waren. Die oberen Stockwerke der Baracke wimmelten nur so von Feinden. Sie hatten die Waffenkammer geplündert. Viele trugen schlecht sit zende Rüstungsteile auf ihren gebückten Körpern. Sarpedon beachte te sie nicht weiter. Sein Ziel war das Kellergeschoss. Im abgeschotteten Treppenhaus, das zum Keller führte, leuchtete blauweißes Licht auf − Sergeant Luko hatte seine Energiekrallen aktiviert. Er bildete zusammen mit Sarpedon die Vorhut. Hastis ging hinter ihnen und stellte sicher, dass ihnen niemand aus den oberen Stockwerken folgte. Die Tür am Ende der Treppe war aus massivem Plaststahl. Ein großes mechanisches Schloss war an ihr befestigt. Septiam hatte sich wie jeder andere Ort der Galaxis mit Kriminellen und Ketzern he rumschlagen müssen. Hier waren sie eingesperrt worden − für im mer. »Das mache ich«, sagte Luko freudig. »Gebt mir Deckung.« Der Sergeant sprang vor und bohrte beide Krallenhände in das Metall des Schlosses. Funken sprühten. Er stellte einen Fuß gegen die Tür und riss das Schloss mit einem Ruck heraus. Aus dem Loch in der Tür tropfte flüssiges Metall. Die Tür schwang auf, und Lukos Männer richteten ihre Waffen auf die Finsternis dahinter. Sarpedon wartete mit gezogenem Ener giestab ab, bis alle in der Dunkelheit verschwunden waren. Seine
Autosensoren passten sich an, und er konnte düstere, graue Plastbe tonwände erkennen. Das war der Zellentrakt. Die Lampen an der Decke waren schon lange erloschen. Wände und Boden waren mit Blut beschmiert. »Wir sind drin. Keine Feindberührung«, voxte Luko. Seine Ener gieklauen warfen flackerndes Licht an die Wände. Außer dem Schlachtenlärm über ihnen war nichts zu hören. Es stank nach Schweiß, Verwesung und Dreck. Sarpedons Multilunge schaltete sich ein und versuchte, das Schlimmste herauszufiltern. Trotzdem roch es immer noch nach Tod. Das Gefängnis bot Platz für zweihundert Insassen. Zum größten Teil bestand es aus Einzelzellen, die durch rostige Gitterstäbe ver schlossen waren. Die ersten Zellenreihen waren leer − wahrschein lich waren die Gefangenen freigelassen worden, als Seuche und Wahnsinn Septiam heimgesucht hatten. Es war nicht auszuschließen, dass Karlu Grien unter ihnen gewe sen war. Aber Sarpedon hatte schon vor seiner Landung auf Septiam Torus gewusst, welches Risiko er einging. Es gab immer Hoffnung, so gering sie auch sein mochte. »Küchentrakt vor uns«, meldete einer der Marines aus Lukos Trupp. »Vorwärts«, befahl Sarpedon. Nichts bewegte sich in der Dunkel heit. Die Marines richteten ihre Waffen auf leere, dreckverkrustete Zellen. Sergeant Luko drückte die doppelflügelige Tür auf, die zur Küche führte. Unter einer hohen Decke waren lange Reihen von Bänken und Tischen zu erkennen. Imperiale Psalmen waren in den Plastbeton der Wände eingraviert. An einem Ende des Raums stand eine Kanzel. Hier hatte während des Essens ein Priester den Gefan genen die Schwere ihrer Sünden vorgehalten. Wie der Rest des Ge fängnisses war auch dieser Raum völlig verlassen. Die Vorräte waren geplündert, und Papierseiten mit frommen Sprüchen waren in Fetzen um die Kanzel verstreut. Luko warf einen Blick auf seinen Auspex-Scanner und überprüfte
den Lageplan. Die Baracke war nach einem Standardschema errichtet worden, genau wie Tausende anderer Gebäude auf grenznahen oder wenig besiedelten Welten. »Zelle 7-F«, sagte er. »Durch diesen Raum und dann links. Der Schwerverbrechertrakt.« Karlu Grien hatte moralische Verbrechen begangen. Er war ein Techheretiker, der verbotene Maschinen gebaut hatte. Er war auf Septiam Torus stationiert gewesen, um die Verarbeitung der Seelen feuerblume zu überwachen. Doch was er auf Stratix Luminae mit ansehen hatte müssen, hatte ihn offensichtlich in den Wahnsinn ge trieben − dafür war er ins Gefängnis geworfen worden. Wenn er im mer noch hier unten war, dann nur in Zelle 7-F. »Bewegung«, voxte Sergeant Hastis, der die Küche bereits verlas sen hatte. »Karraidin?«, voxte Sarpedon zu den Truppen, die auf dem Platz zurückgeblieben waren. »Werden wir verfolgt?« »Unmöglich, Kommandant«, antwortete Captain Karraidin. »Wir haben sie festgenagelt.« »Hastis, bring deine Männer in …« Sarpedon wurde von einem schrecklichen Lärm unterbrochen. Es hörte sich an, als würden Dutzende Menschen schreien und Hunderte Knochen gebrochen. Hastis brüllte einen Befehl, und Bolterfeuer ertönte. Aber die Schreie wurden nur noch lauter. Luko rannte auf die Tür zu, bereit, alles anzugreifen, was nicht einer seiner Kamera den war. Drei Marines stürmten aus der Tür. Sie rannten rückwärts und feuerten aus allen Rohren. Was ihnen folgte, konnte Sarpedon nur als eine Woge aus Fleisch beschreiben, eine Flutwelle ineinander ver schmolzener menschlicher Gestalten. Dutzende Körper, die zu einer Wand aus Fleisch und zerbrochenen Knochen verschweißt waren, ergossen sich in den Raum. Verzerrte Gesichter starrten aus der Mas se, Hände streckten sich aus, Organe pulsierten durch Risse in der gespannten Haut. Jeder Mund schrie. Es war ein misstönendes Weh klagen, das selbst das Bolterfeuer übertönte. Der Gestank hätte einen
normalen Menschen sofort bewusstlos zu Boden fallen lassen. Selbst Sarpedon wich davor zurück. Sergeant Hastis war bereits zur Hälfte von der Masse verschluckt worden. Mit knackenden Knochen versuchte das Ungeheuer, weitere Gliedmaßen nach ihm auszustrecken. Die Marines, die fast völlig verschlungen worden waren, kämpften immer noch tapfer weiter und zerrissen das Fleisch mit Bolterkugeln und Kampfmessern. Kugeln durchbohrten die Masse, während sich Lukos Trupp und die überlebenden Männer unter Hastis’ Kommando in den Speise raum zurückzogen. Sarpedon umklammerte seinen Energiestab. Er spürte, wie seine Willenskraft in das psychoaktive Nalholz floss, bis der Stab heiß von psionischer Energie in seiner Hand pulsierte. Die Masse hatte inzwischen fast die Hälfte des Raums ausgefüllt und schien kein Ende nehmen zu wollen. Bolterkugeln schienen sie nicht verletzen zu können. »Jetzt bin ich am Zug«, sagte Sergeant Luko. Er breitete die Ener gieklauen aus und sprang in den Matsch. Seine Klauen hinterließen breite Streifen versengten Fleisches. Sarpedon stellte sich auf die Hinterbeine, schnellte durch den Raum und folgte Luko in die Masse aus verschmolzenen Körpern. Er kletterte über die anrollende Woge und trieb den Energiestab mit all seiner psionischen Kraft in das Fleisch. Haut und Knochen schmolzen und bildeten einen rauchen den Krater unter Sarpedon. Eine Wolke aus Asche stieg aus der Wunde auf. Luko schnitt sich durch die Fleischbrocken und zog Sergeant Has tis aus der blutigen Masse. Hastis’ Gesicht hatte sich aufgelöst − ein blutiger Schädel starrte Luko aus blinden Augenhöhlen an. Die Bol zen, die er für seine lange Dienstzeit erhalten hatte, waren immer noch zu erkennen. Luko schleuderte Hastis’ Überreste von sich und hackte auf die Muskelstränge ein, die sich um seine Beine wickeln wollten. Die Masse warf sich noch einmal nach vorn und füllte den gesam ten Raum aus. Bolterfeuer konnte sie nicht aufhalten. Die Marines
standen bis zu den Knöcheln in schmutzigem Blut. Fleischbrocken hingen an Wänden und Decke. Sarpedon konnte die Krankheit in der Masse spüren. Sie war eine Kugel aus weißem Rauschen tief im Inneren des Körperhaufens. Mit seinem psionischen Auge erkannte er etwas Dichtes, Böses, das er sogar durch die Haut seiner mutierten Beine spüren konnte, wo sie das unheilige Fleisch berührte. In diesem abgeschotteten Raum hatte die Seuche die Gefangenen infiziert und so lange ihrer Verderbnis ausgesetzt, bis sich ihre verwesenden Körper um den Überträger he rum verschmolzen hatten. Sarpedon sah mit seinem psionischen Auge, dass sich der Über träger − der erste Gefangene, der infiziert worden war − im Kern der Masse befand. Der Seuchenknoten sandte einen wütenden psioni schen Schrei aus, als er mit allen Kräften versuchte, zweihundert Körper zusammenzuhalten. Sarpedon hob den Energiestab und schnitt ein drei Meter großes Loch in die Haut des Fleischbergs. Mit seinen Vorderbeinen riss er die Wunde auseinander, zog den Bolter und sprang, indem er sich mit den Hinterbeinen abstützte, mitten hinein. Er hörte noch, wie Luko eine Warnung brüllte. Aber Sarpedon war der Einzige, der die ses Ungeheuer rechtzeitig aufhalten konnte. Er konnte nichts sehen, aber er spürte die Verderbnis, die durch die Adern um ihn herum strömte. Wände aus Fleisch versuchten, ihn zu erdrücken. Er hielt den Atem an, damit der bestialische Gestank der Innereien des Ungeheuers nicht in seine Lungen drang. Dann bahnte er sich mit Vorderbeinen und Armen einen Weg direkt auf den Überträger zu. Die Wunde schloss sich hinter ihm. Jetzt war er in der Muskelmasse gefangen. Knochen krachten, als sich die Gliedma ßen nach innen wandten und versuchten, ihn zu packen. Die Hitze war unerträglich, die Dunkelheit vollkommen. Er spürte den Überträger, eine immer noch menschliche Gestalt, die zusammengekrümmt irgendwo vor ihm lag. Hackend und schlit zend arbeitete er sich vor, bis Verderbnis und Zorn wie grelles Licht
seinen Verstand überfluteten. Mit den Vorderbeinen durchbohrte er den Körper des Erregers und zog ihn zu sich heran. Mit einer Hand packte er ihn am Genick, mit der anderen presste er den Bolter gegen seine Stirn und drückte ab. Der Körper wand sich in Krämpfen, und das Fleisch um ihn he rum erzitterte, als die unheilige Intelligenz dahinter den Geist aufgab. Die Masse lockerte ihren Griff um Sarpedon, der sich schnell zu rückzog. Das Fleisch löste sich auf, während er die Haut durchbrach und in einer Blutfontäne auf den Boden fiel. In der Hand hielt er noch immer den Körper des Überträgers. Bis auf die klaffende Schusswunde in der Stirn und die durchtrennten Arterien, die aus seiner Haut ragten und durch die er mit den anderen Seuchenopfern verbunden gewesen war, schien die Leiche unver sehrt zu sein. Die Elektrotätowierung auf seinem Hinterkopf war gut zu erkennen − Name, Nummer und Strichcode des Gefangenen. Sarpedon überraschte es nicht im Geringsten, dass es sich um Kar lu Grien handelte. »Die Gensaat der Gefallenen bergen«, befahl Sarpedon, während er den missgestalteten Körper fallen ließ. Einer aus Hastis’ Trupp − Bruder Dvoran, der jüngste von ihnen − nahm den Helm ab und zog sein Kampfmesser. Er kniete sich neben Hastis’ verstümmelte Leiche und schnitt die Organe, die die Gensaat enthielten, heraus − zwei Drüsen in Kehle und Brustkorb, die alle anderen Modifikationen der Space Marines kontrollierten. Sergeant Hastis hatte beim Angriff auf Ve’Meths Festung die Vorhut gebildet. Er war einer der Marines gewesen, die nach dem Desaster auf Lakonia und dem Sieg über Ordensmeister Gorgoleon Sarpedon die Treue geschworen hatten. Er war stets zuverlässiger als jeder andere Marine gewesen, einer der wenigen aufrechten Vetera nen, denen Sarpedon vertraut hatte − und umgekehrt. Jetzt war er gefallen, ein weiterer unersetzlicher Verlust. Sie würden ihm den Kopf abschneiden müssen, um zu verhindern, dass er zu einer wan delnden Leiche würde.
Natürlich konnte Hastis’ Gensaat keinem Novizen implantiert werden, obwohl die Tradition des Ordens es verlangte. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Trotzdem war die Saat ein mächtiges Symbol, und es waren Symbole, die den Orden zusammenhielten. Deshalb schnitt Dvoran das heilige Organ aus der Kehle des Ser geanten, um es zurück zum Hauptquartier zu bringen. »Wir haben getan, was wir konnten«, sagte Luko, der auf den leb losen Körper von Karlu Grien starrte, dem einzigen Mann, der ihnen hätte weiterhelfen können. »Sichert die Umgebung«, sagte Sarpedon und eilte auf die Tür hinter der Kanzel zu. Er riss die Türflügel aus den Angeln und rannte in den Gang da hinter. Hier hatten sich die Gefangenen versammelt, als der Wahn sinn ausgebrochen war. Tiefe Kratzer in den Wänden zeigten, dass sie versucht hatten, sich freizugraben. Zähne und Knochensplitter steckten im Plastbeton. Alles war mit braunschwarzem Dreck über zogen. Die Gitterstäbe waren verbogen, und Sarpedon konnte den Irrsinn förmlich spüren − ihm war, als könne er die Schreie der Ge fangenen hören. Zelle 7-F war ein dreckiges, finsteres Loch. Getrocknetes Blut und Schmutz bedeckten die Wände. Die Gitterstäbe waren so verrostet, dass sie auf leichtesten Druck nachgaben. Die Pritsche, auf der Karlu Grien geschlafen hatte, war nur mehr ein vermoderter Haufen. Sar pedons Krallen versanken im Dreck, als er die Zelle betrat. Der Raum war ungefähr zwei mal zwei Meter groß, aber trotzdem so voll Bösartigkeit und Verzweiflung, dass Sarpedon sie als metalli schen, beißenden Geschmack auf seiner Zunge spüren konnte. Karlu Grien war wahrscheinlich schon vor seiner Ankunft im Gefängnis dem Wahnsinn anheimgefallen − Nachwirkungen seiner Erlebnisse auf Stratix Luminae. Die Seuche hatte sich das leichteste Opfer ge sucht und den Verstand eines verrückten Ketzers gefunden. Sarpedon kratzte den getrockneten Schmutz von der Wand. Dar unter kamen tiefe Rillen zum Vorschein, ähnlich denen, die er im
Gang vorgefunden hatte. Nur, dass sie irgendwie geordnet wirkten. Sarpedon säuberte die Rückwand und entdeckte Linien und Punkte, die ein Muster bildeten. »Hastis’ Gensaat ist geborgen«, sagte Luko. Sarpedon drehte sich um und sah den Sergeanten im Gang stehen. »Die anderen Gensaaten wurden zerstört.« »Sehr gut«, sagte Sarpedon und deutete auf das Muster an der Wand. »Zeichne das mit dem Auspex auf. Bereit machen zum Rück zug. Sonst ist hier nichts, was wir gebrauchen können. Benachrich tigt Lygris, damit er uns hier rausholt.« »Jawohl, Kommandant«, sagte Luko und eilte zu seinem Trupp zurück. Sarpedon starrte für eine Weile auf das Bild, das ein Wahnsinni ger mit blutigen Fingern in die Wand gekratzt hatte. Techmarine Lygris konnte sich hoffentlich einen Reim darauf machen − zumin dest hoffte Sarpedon das. Und diese Hoffnung war es, die ihn und den Orden antrieb. Alle, sogar geborene Offiziere wie Captain Kar raidin oder Kaplan Iktinos, sahen zu ihm auf − er war ihr Anführer. Wenn er aufgab, dann würde auch der Orden verzweifeln. Sie waren ihm durch die größte Krise in der Geschichte des Ordens gefolgt und hatten ihn auf eine Mission begleitet, die alles von ihnen abverlangt hatte. Er war ihnen mehr als bloßes Versagen schuldig. Aescarion vermutete, dass DeVayne kein richtiger Offizier war. Ob wohl er die Uniformjacke des Stratix-Regiments trug, war der nackte Oberkörper unter den Patronengurten mit Gangtätowierungen be deckt. An seinem Gürtel hingen mehrere getrocknete Skalps, und er war mit zwei Laserpistolen mit Elfenbeingriff bewaffnet. Diese Jagdwaffen hatten wahrscheinlich wirklich einmal einem echten Of fizier gehört. Trotzdem hatte sein Zug, der zum Großteil aus Halb wilden bestand, Vertrauen in seine Führungsqualitäten. Das reichte Aescarion. »Vorwärts, ihr räudigen Hrudsöhne!«, brüllte er und wies seine
Männer an, durch die zerstörten Tempelanlagen in das Zentrum von Septiam City vorzurücken. Dort waren öffentliche Gebäude um einen großen, marmorgepflasterten Platz verteilt, auf dem vergoldete Sta tuen imperialer Helden gestanden hatten. Dieser Ort war Schauplatz einer massiven Gegenoffensive gewesen. Die meisten Statuen waren umgefallen, und die Marmorplatten hatten sich durch Artillerietreffer in einen tödlichen Steinregen verwandelt. Die Basilika und die Schreine waren nur mehr rauchende Ruinen. Sowohl Jouryaner als auch Septiamer hatten sich verschanzt. Der Platz war zu einem Nie mandsland zwischen den verfeindeten Parteien geworden, der schon Tausende Opfer gefordert hatte. Der Großteil der Feinde hatte sich im Tempel des Macharius ver sammelt. Eine riesige Porphyrstatue von Generalfeldmarschall Solar Macharius blickte auf eine Wüste aus Gräben und Kratern herab, die einst ein prächtiger Garten gewesen war. Dort hatten sich die Sep tiamer verschanzt. Das Stratix-Regiment versuchte, ihnen in die Flanke zu fallen, während Aescarions Schwestern sie mit Bolterge schossen und Flammenwerfern unterstützten. Die Stratix rannten aus der Deckung, die sie hinter den Schreinen gefunden hatten, und näherten sich der Rückwand des Tempelkomp lexes. Neben ihren Standardwaffen, den Lasergewehren, trugen eini ge exotische, geplünderte Waffen − Jagdgewehre, HE-Laserwaffen, alte Schrotflinten, auf denen die Symbole der Gangs eingeritzt war en. Sie waren durch ein Sammelsurium völlig unterschiedlicher Rüs tungsteile geschützt und wirkten mehr wie ein Haufen Wilde aus irgendwelchen Feudalwelten als Soldaten der imperialen Armee. Trotzdem durfte Aescarion anerkennend beobachten, wie sie mithilfe der Schwestern die Verteidigungslinien stürmten. Endlich hatten sie die Slums verlassen und versuchten mit vereinten Kräften, die Jou ryaner im Zentrum der Stadt zu erreichen. Der letzte Verteidigungs punkt war vollständig eingekesselt. »Seraphim, an die Front!«, schrie Aescarion und folgte den Stra tix-Truppen zu einer Ziegelmauer.
Während die Stratix-Soldaten versuchten, die Mauer zu erklim men, wandte sich Aescarion um und vergewisserte sich, dass ihr Trupp ihr folgte. Dann drückte sie auf einen Knopf, und ihr Sprung modul beförderte sie mühelos über die Mauer. Sie landete in einem Beet am Fuß der Mauer und rollte sich ab. Schnell sah sie sich um, um die Situation einschätzen zu können. Zwei Feldgeschütze waren hastig bemannt worden und feuerten eilig auf die Mauerdurchbrüche. Aescarion rannte los und ließ eine Patrone in die Kammer ihrer Boltpistole gleiten. Die Schwestern ihres Trupps folgten ihr. Bevor die Besatzungen der Feldgeschütze überhaupt bemerkten, dass sie angegriffen wurden, waren die Seraphim schon über sie hergefallen. Aescarion pumpte Kugeln in den einen und enthauptete den näch sten. Schwester Mixu feuerte eine Salve ab, die drei weitere Feinde in Stücke riss. Die Schwestern töteten so schnell und gründlich, dass die Stratix-Truppen, die nur wenige Augenblicke später eintrafen, den Verteidigungspunkt kampflos übernehmen konnten. Leichen hingen über Geschützstellungen und behelfsmäßigen Barrikaden. DeVayne warf einen kurzen Blick auf sie und befahl seinen Män nern, die Geschütze zu bemannen. Nach einigen Minuten eröffneten sie aus nächster Distanz das Feuer auf die septiamischen Verschan zungen und Schützengräben. Granaten rissen große Klumpen staubi ger Erde aus dem Boden. Die Tempelgärten verschwanden unter ei nem Regen aus Schutt und Körperteilen. »Gute Arbeit, Schwestern«, rief DeVayne, als er mit seinen Män nern die aufgeriebenen Verteidigungslinien stürmte. Aescarion und ihre Schwestern folgten ihm, während die Septiamer versuchten, das Feuer zu erwidern. Aescarion und DeVayne stürmten eine Position, die zwischen zwei gegnerischen Feuerlinien lag. Dann brach Chaos aus. Sarpedon sprang über einen Sockel, auf dem einst die Statue des Ekklesiarchen Pulis XXXIX. gestanden hatte, und landete mitten in einem gegnerischen Haufen, der sich in einem Bombenkrater in der
Mitte des Platzes verschanzt hatte. Während er mit seinem Energie stab einen von ihnen zerstückelte, landete Tellos neben ihm. Seine Kettenklingen erzeugten wahre Blutfontänen. Verweste Kiefer fielen ungläubig herab, als der Rest seines Trupps die Eingeweide ihrer Gegner mit Boltpistolen und Kettenschwertern über die Marmorwände verteilte. »Tellos!«, rief Sarpedon. »An die Autokanone!« Er deutete auf ein Geschütz, das neben einer zerstörten Basilika aufgestellt worden war und auf die anstürmenden Jouryaner gerichtet war. Es war ein Leichtes, sie herumzuschwenken und auf jedes Schiff zu feuern, das auf dem Platz landen würde. Es musste unbe dingt ausgeschaltet werden. Tellos hatte ihn anscheinend nicht gehört. Er war zu beschäftigt, die Septiamer, die vor seinen Füßen lagen, niederzumetzeln. Sarpedon packte Tellos an der Schulter und hob ihn so weit hoch, dass er ihm direkt in die Augen schauen konnte. »An die Autokanone«, knurrte er. »Sofort!« Tellos starrte Sarpedon durch eine Maske aus getrocknetem Blut an, dann landete er wieder auf dem Boden und rannte sofort durch den Kugelhagel auf die Geschützstellung zu. Projektile und Laser strahlen trafen ihn, ohne ihm ernsthaften Schaden zuzufügen. Der Sturmtrupp folgte ihm, während Karraidin und seine Männer im Kra ter in Deckung gingen. »Karraidin! Ausschwärmen und Sperrfeuer errichten!« »Wird Lygris hier landen können?« »Es ist gefährlich − aber er wird es schaffen. An die Arbeit, See lentrinker!« Karraidin richtete seinen Sturmbolter auf das Zentrum des gegne rischen Feuers und führte seinen Trupp aus dem Krater, um dem feindlichen Kreuzfeuer nach Möglichkeit zu entkommen. Lukos Trupp hatte sich über den Platz verteilt und lieferte sich mit den Sep tiamern, die sich im Gerichtsgebäude verschanzt hatten, ein heftiges Feuergefecht, während ihnen die nachfolgenden Jouryaner nach
Möglichkeit Feuerschutz gewährten. Hätten die imperialen Soldaten geahnt, dass die Space Marines dabei waren, eine Landungszone für ihr Shuttle vorzubereiten, hätten sie ihnen wohl mit weniger Begeisterung beigestanden. Schließlich war Sarpedon nicht hier, um ihre Schlacht auszufechten. Ob seine Mission erfolgreich war, hing allein vom Schicksal ab. Im Augen blick war es am wichtigsten, aus Septiam City zu entkommen. Heftiges Gegenfeuer aus feindlichen Stellungen überzog den Platz. Flammenwerfer scheuchten die Septiamer aus ihrer Deckung. Sarpedon feuerte einige Schüsse auf ahnungslose Ziele ab. Luko stand ihm bei und erledigte weitere Feinde. Die Imperialen versuch ten einen Gegenangriff − Sarpedon bemerkte, dass einige der Solda ten, die über die Barrikaden sprangen und sich ins Getümmel stürz ten, keine Septiamer, sondern Männer des XXIII. Stratix waren, die jedoch kaum Ähnlichkeit mit regulären Truppen hatten. »Lygris soll sich beeilen«, sagte Luko über Vox. »Wir stehen un ter Beschuss!« »Wer schießt auf euch? Septiamer oder das Stratix?« »Weder noch«, antwortete er. »Das Adeptus Sororitas!« Schwester Aescarion verbarg sich hinter einer Säule, als eine Salve direkt vor ihr in die Basilika einschlug. Nach einem Augenblick ver ließ sie ihre Deckung und rannte feuernd und mit der Unterstützung ihrer Kampfschwestern zum nächsten einigermaßen geschützten Un terschlupf. Die Stratix-Truppen und ihre Feinde befanden sich hinter ihr in einem brutalen, hitzigen Handgemenge. Die Wilden kämpften mit Messern und Gewehrkolben. Wenn sie einmal in diesen Tumult geraten würden, gab es keinen Ausweg mehr. »Marines!«, schrie Schwester Mixu hinter ihrem Rücken. Aesca rion sah das Mündungsfeuer eines Bolters, das direkt auf sie gerichtet war. Der Schütze duckte sich gerade rechtzeitig, um vom Gegen feuer, das den Marmor zersplittern ließ, nicht getroffen zu werden.
Er war der erste lebende Seelentrinker, den Aescarion jemals zu Gesicht bekommen hatte, der erste Blick auf einen Gegner, dessen Vernichtung ihr der Glaube befahl. Weiteres Bolterfeuer ertönte aus der Verschanzung der Marines, und mit einem Kreischen starb eine von Aesarions Seraphim. Eine Bolterkugel hatte ihre Rüstung durch drungen. Die Austrittswunde hatte den Großteil ihres Rückens zer fetzt. »Aspasia! Flammenwerfer nach vorne! Nagelt sie fest!«, befahl Aescarion, während ihre Schwestern neben ihr verzweifelt versuch ten, Deckung zu finden. Ein vollständiger Trupp Space Marines hatte das Feuer auf sie eröffnet. Die sterbende Seraphim wurde aus der Schusslinie gezerrt, während sich Aescarion gegen die nächstgelege ne Säule presste, die prompt von Boltergeschossen erschüttert wurde. Von ihrer Position aus konnte sie den gesamten Platz überblicken. Schnell suchte sie die Trümmerhaufen nach weiteren verschanzten Marines ab. In den Ruinen einer Basilika fand ein heftiges Gefecht statt. Die Marines hoben eine Geschützstellung aus. Ein weiterer Seelentrinker, der eine gewaltige Terminatorrüstung trug − etwas, das Aescarion noch nie gesehen hatte − rannte mit seinen Männern aus einem Bombenkrater neben dem Sockel einer Statue und ver suchte, sich vor den anstürmenden Septiamern in Sicherheit zu brin gen, die ihrerseits vor den anrückenden Stratix-Truppen flohen. Mutanten. Sie traute ihren Augen kaum − aber sobald der Seelen trinker wieder aus seiner Deckung hervorkam, gab es keinen Zweifel mehr. Die in Krallen endenden Beine des Marine ähnelten denen einer riesigen, monströsen Spinne. Seine Rüstung glich denen der anderen Soldaten, aber aufgrund des Energiestabs, den er schwang, musste er ein Bibliothekar sein, Hüter des psionischen Wissens des Ordens. Die Ordensschwestern hassten Hexer abgrundtief, selbst diejeni gen, die im Dienst des Imperiums standen. Aescarion hatte die Erfah rung gemacht, dass die schwarze Kunst der Psioniker immer in Ver derbnis und Chaos endete. Der Bibliothekar war ein lohnenswertes
Ziel, selbst wenn er nicht derjenige war, für den Aescarion ihn hielt: Sarpedon, Ordensmeister der Seelentrinker, Anführer der Rebellion und Hauptziel von Thaddeus’ Mission. »Rufilla, Aspasia! Feuerschutz!«, brüllte Aescarion über den Schlachtenlärm. Schwester Mixu ging neben ihr in Deckung. »Ist er das?«, fragte sie atemlos. »Rette mich nicht, wenn ich versagen sollte. Er wird mich ohne zu zögern umbringen. Keine von uns darf umsonst fallen.« »Könnt Ihr es mit ihm aufnehmen?« »Das weiß ich nicht. Halte die anderen Marines in Schach. Ich will ihn allein stellen.« Aescarion stürmte los, während sie mit der Boltpistole auf Sarpe don feuerte. Schwester Mixu und die überlebenden drei Seraphim folgten ihr und schossen auf alles, was ihrer Oberschwester gefähr lich werden konnte. Aspasias Trupp unterstützte sie mit Flammen werfern. Die Marines, die sich in den Ruinen versteckt hatten, wur den Opfer der Flammen. Rufillas Trupp überzog den Platz mit einem Kugelhagel. Auf der anderen Seite des Schlachtfelds wurde im sel ben Moment die Geschützstellung von Splittergranaten zerstört. Der Angriffstrupp der Seelentrinker zog sich aus dem zusammenbre chenden Gebäude zurück, während Aescarion nur noch wenige Schritte von Ordensmeister Sarpedon entfernt war. Sarpedon bemerkte den schimmernden Glanz der Energieaxt, bevor er die Schwester selbst sah. Er wusste, dass kein Septiamer und nur sehr wenige Offiziere der imperialen Armee mit Energiewaffen aus gerüstet waren. Wer ihn da angriff, war eine Ordensschwester, eine Soldatin der imperialen Kirche, fanatisch und von reinem Glauben angetrieben. Wenn er Glück hatte, hielt sie ihn für einen Chaosmarine, der auf grund der Hexerei des Feindes mutiert war. Anderenfalls gehörte sie zu dem inquisitorialen Stoßtrupp, der den Seelentrinkern seit dem Überfall auf das Haus Jenassis auf den Fersen war.
Er bohrte eine seiner Krallen in die Erde und wirbelte herum. Sein immenses Gewicht, bestehend aus Marine, Rüstung und mutierten Beinen, rotierte auf einem einzigen Punkt. Er holte mit dem Energie stab aus. Funken sprühend traf er auf die Klinge der Energieaxt. Die Ordensschwester war eine Veteranin, was er an ihrem falti gen, ausdrucksstarken Gesicht und den grauen Strähnen in ihrem rotbraunen Haar erkennen konnte. Sie trug eine glänzende schwarze Rüstung, auf der keinerlei Embleme oder Symbole angebracht war en. Sie zog sich ein paar Schritte zurück, wirbelte die Axt herum und versuchte, den Griff in Sarpedons Rippen zu stoßen. Er hob ein Bein, um den Angriff abzuwehren, aber es hielt der Wucht des Hiebs nicht stand. Er verlor den Boden unter den Füßen, kippte zur Seite und konnte gerade noch verhindern, sich mit einem Arm abstützen zu müssen. Er rollte sich ab, schlug mit zwei Beinen um sich und streif te dabei die Schwester, die einige Schritte zurücktaumelte. Für den Bruchteil einer Sekunde musterten sie sich gegenseitig, um den nächsten Zug des Gegners herauszufinden. »Verräter«, zischte die Schwester und wechselte die Axt von der einen Hand in die andere. Offensichtlich hatte sie die Boltpistole, die in ihrem Halfter steckte, vergessen. »Kein Verräter«, sagte Sarpedon gleichmütig. »Nur frei.« Die Schwester griff als Erste an − eine leichte Finte. Sie zielte auf Sarpedons Kopf, in der Hoffnung, dass er seine Deckung fallen las sen würde und sie seine Beine erreichen konnte. Er parierte einen Hieb mit dem Kopfende des Stabs und den nächsten mit dem anderen Ende. Dann holte er mit einem Bein aus und versuchte, ihre Kehle zu treffen. Die Schwester wich mit einer Geschwindigkeit aus, die Sar pedon Respekt abverlangte. Sie war eine geborene Kämpferin. Ihr Kriegerinstinkt hatte sie durch eine Vielzahl von Schlachten geführt − daher hatte sie genug Vertrauen, um sich einem Gegner wie Sarpe don entgegenzustellen. Dieser Glaube in ihr spendete Kraft. Dieser Glaube war aber auch wie eine Zwangsjacke, die die Seelentrinker lange Zeit gefesselt hat
te. Bis sie sich neu gegründet hatten. Jetzt war der Glaube die Macht, die die Seelentrinker weiterkämpfen ließ, obwohl sie am Rande der Vernichtung standen. Sarpedon hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass der Glaube die tödlichste aller Waffen war. Ein Dröhnen ertönte über ihren Köpfen. Sarpedon brauchte nicht aufzusehen − er wusste, dass Lygris gekommen war, um sie abzuho len. Die Schwester hieb auf ihn ein. Ihre Angriffe mit der schim mernden Energieaxt waren einfallslos und unter ihrem Niveau. Sie trat auf eines von Sarpedons Vorderbeinen − dasjenige, das nicht bionisch war − und er spürte, wie das Gelenk nachgab. Die Bänder unter dem Chitinpanzer rissen entzwei. Sarpedon parierte ihren näch sten Hieb und packte mit der freien Hand den Kragen ihrer Rüstung. Dank seiner übermenschlichen Kraft, die selbst diejenige eines Mari ne übertraf, hob er sie über seinen Kopf und schleuderte sie in einen Trümmerhaufen. Das metallisch funkelnde Schiff über ihnen jagte weiß glühende Energielanzen in das Gebäude. Es schwankte, während sich große Löcher im Mauerwerk bildeten. Der Jäger ging tiefer, und eine Me tallzunge erschien in seinem Rumpf, durch die die Marines aus Lu kos Trupp an Bord gelangen konnten. Sarpedon erkannte den Stoß trupp um Tellos, der die zerstörte Geschützstellung verließ. Der Jäger wendete, und auch diese Marines konnten über die Rampe ins Innere gelangen. Kleinkalibrige Projektile prallten von seiner Hülle ab und wurden von Bolterfeuer aus dem Truppenabteil beantwortet. Die Schwester fiel keuchend, aber nicht kampfunfähig zu Boden. Sarpedon wirbelte den Energiestab herum und versuchte, ihn beid händig und mit dem oberen Ende zuerst der Frau in die Seite zu rammen. Sie wich aus, packte eines von Sarpedons Beinen und zog sich daran hoch. Dann krachte ihr gepanzerter Ellbogen gegen Sar pedons Kopf. Sarpedon taumelte. Für einen Moment hatte er jede Deckung ver loren. Ein schneller Hieb hätte ihn glatt enthauptet. Dann besann er sich auf seinen Kämpferinstinkt, und er schlug mit einem seiner Hin
terbeine zu. Die Axtklinge sauste nur knapp neben seinem Gesicht durch die Luft. Das Energiefeld verursachte ihm Brandblasen auf der Wange, und er fiel hintenüber. Er musste sich mit einer Hand am Boden abstützen, während die Kralle eines seiner Hinterbeine die Rüstung der Schwester durchbohrte und tief in die Muskeln ihres Oberschenkels drang. Sarpedon stützte sich mit zwei weiteren Beinen ab, dann schleu derte er die Schwester über den Platz, wobei sich die Kralle aus ih rem Fleisch löste. Eine gewaltige Blutfontäne folgte ihr. »Sarpedon! Karraidin«, ertönte Lygris’ aufgeregte Stimme über das Vox. »Sofort an Bord kommen! Die Armee nähert sich uns.« Sarpedon wandte den Blick vom reglosen Körper der Schwester ab und sah die Soldaten − das XXIII. Stratix, tätowierter GangAbschaum −, wie sie die Verteidigungslinien durchbrachen und den Platz stürmten. Es waren Hunderte, und sie würden Sarpedon für einen Mutanten halten, der gerade eine verbündete Kampfschwester verletzt hatte. Schon wurde Sarpedon und Karraidins Trupp, der sich in hundert Metern Entfernung in einer Ruine verschanzt hatte, mit Lasergeweh ren beschossen. Sarpedon sprang über den nächstgelegenen Statuen sockel, aber das Feuer schien aus allen Richtungen zu kommen. Die Laserstrahlen gruben tiefe Löcher in seine Rüstung und durchschlu gen das Chitin seiner Beine. Einer der Stratix näherte sich ihm mit gezücktem Kampfmesser. Sarpedon schlug ihm hart ins Gesicht. Sein Kopf wurde nach hinten geschleudert, und er fiel leblos zu Bo den. Sarpedon feuerte zweimal auf einen Soldaten, dann spießte er einen anderen auf seinem Energiestab auf. »Verdammt! Stehe unter Beschuss! Brauche Feuerschutz!«, voxte Karraidin über den Lärm seines Sturmbolters. Lygris’ Schiff musste jedoch wieder an Höhe gewinnen, da sich die Panzer des StratixRegiments positioniert und es ins Visier ihrer Laserkanonen genom men hatten. Ohne Warnung wurde mit einem Mal alles mit einem gewaltigen
Blitz in sengende Hitze getaucht. Die angreifenden Stratix wurden zu Asche verbrannt. Sarpedons Autosensoren verengten seine Pupillen zu kleinen Schlitzen, um sie vor dem grellen Licht zu schützen. Die glühende Hitzewelle brach über ihn herein, verbrannte die Haut sei ner Beine und versengte den Lack seiner Rüstung. Er sah sich um und entdeckte einen Leman Russ-Executioner, dessen Plasmakanone noch immer von der heftigen Entladung glüh te. Weißer Rauch stieg von den Energiespulen auf. Für einen Moment herrschte absolute Stille. Sarpedons Augen passten sich der Umgebung an. Er sah einen großen Explosionskra ter, der mit Dutzenden verbrannter Körper gefüllt war. Dann rückten die Jouryaner vor, grau uniformierte Soldaten, die sich auf die Stratix stürzen wollten. Imperiale Armee hin oder her − die Jouryaner sahen in den Seelentrinkern ihre Verbündeten und die Stratix als Gegner. Die meisten von ihnen konnten in der Hitze des Gefechts sowieso nicht zwischen den Parteien unterscheiden. Ob wohl manche Sarpedons Mutation bemerkten und sich zurückzogen, griff der Großteil unbeirrt an. Der Platz wurde zum Schauplatz eines brutalen Handgemenges. Stratix gegen Jouryaner, geplünderte Messer gegen Bajonette. Schwere Waffen wurden auf den Executioner abgefeuert, während andere Kampfpanzer, Exterminatoren und Leman Russ-Panzer, durch die Trümmer rollten, um der Infanterie zu Hilfe zu eilen. Lygris ergriff seine Chance. Der Jäger näherte sich wieder dem Boden, und die massige Gestalt Karraidins, gefolgt von seinen Män nern, betrat das Schiff. Der Jäger wirbelte herum. Sarpedon sprang mithilfe seiner kräftigen Beine hoch und packte den Rand der Luke. Er zog sich in das Innere des Schiffes. Der Jäger richtete seine Nase zum Himmel, und Sarpedon überblickte den Platz, auf dem sich Stra tix, jouryanische Soldaten und einige überlebende Septiamer gegen seitig abschlachteten. Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen Flammenstrahl. Sarpe don sah aus der Luke und sah, wie die Schwester, die er soeben be
siegt hatte, mithilfe ihres Sprungmoduls auf ihn zuschoss. Mit knap per Not gelang es ihr, den Rand der Luke zu packen. In der anderen hielt sie ihre Energieaxt umklammert. Ihr Gesicht war mit Dreck und Blut verkrustet, aber Sarpedon konnte das Feuer des Glaubens in ihren Augen funkeln sehen. Er bewunderte ihre Hartnäckigkeit. »Für den Imperator, Schwester«, sagte er und trat ihre Hand mit seinem kräftigen bionischen Vorderbein beiseite. Hilflos fiel sie mit ten ins Schlachtgetümmel. »Lygris, bring uns hier raus«, voxte er. Das Metall schloss sich hinter ihm, und der Jäger machte sich abflugbereit. Das Letzte, was Sarpedon von Septiam hörte, waren die Schreie Tausender Männer, die kämpften, töteten oder selbst starben. Wie schon seit Jahrtausen den zerstörte das Imperium seine eigenen Kinder, auch wenn es Sar pedon selten so anschaulich vor Augen geführt worden war. »Hast du das Bild auf dem Auspex gesehen?«, voxte Sarpedon, während die Triebwerke zündeten und er die Gurte seines Sitzes festzog. Er sah sich um. Von den Marines, die auf Septiam Torus gelandet waren, war ein Viertel nicht zurückgekehrt. Hastis’ Trupp war fast völlig vernichtet. War es das alles wert gewesen? Wofür kämpften sie eigentlich? »Das Bild wurde komplett übermittelt«, antwortete Lygris aus dem Cockpit. »Was ist es?« »Sieht aus wie ein Cogitatorenschaltkreis, mit dem man bestimm te Daten aus einer Speicherbank holen kann. Vielleicht der Schlüssel zu einem Sicherheitssystem.« Dann übertönte das Röhren der Triebwerke alles. Der Jäger ver ließ die Atmosphäre und tauchte ins Weltall ein. Es war nicht umsonst, sagte sich Sarpedon. Das durfte nicht sein. Sonst würde keiner von ihnen Stratix Luminae überleben.
ZEHN
Raumreisen frustrierten Thaddeus. Die Zeit, die er zwischen den Sternen verbringen musste, war verschwendet. Und obwohl der Warp es gestattete, Reisen, die Jahrhunderte gedauert hätten, auf we nige Tage abzukürzen, waren dies doch Tage, die unwiderbringlich verloren waren. Geduld war eine seiner größten Stärken, aber bei Raumreisen war er gefährlich nahe daran, sie zu verlieren. Einer der Gründe, warum er sich für die Sichelmond entschieden hatte, war ihre Geschwindigkeit. Leider hatte er keine Ahnung, wie schnell die Seelentrinker waren. Unter Umständen waren die AlienSchiffe, von denen Aescarion berichtet hatte, in der Lage, in den Warp einzutauchen. Immerhin waren sie perfekt dafür geeignet ge wesen, unbemerkt und mit minimalem Risiko durch die Blockade um das Kriegsgebiet zu schlüpfen. Vielleicht hatten sie Stratix Luminae bereits erreicht, und Thaddeus hätte das Nachsehen. Andererseits verfolgten sie unter Umständen einen ganz anderen Plan. Stratix Luminae konnte bereits verloren sein − immerhin lag es im gleichen Sonnensystem wie Stratix selbst, der Heimatwelt Teturacts. Zumindest hatte Thaddeus eine gewisse Vorstellung davon, was ihn erwartete. Captain Korvax’ Aufzeichnungen befanden sich auf seinem persönlichen Holoservitor. Das Bild war angehalten, als Kor vax gerade die Verteidigungsmaßnahmen des Forschungspostens überprüfte. Es war ein einfaches, gedrungenes Gebäude aus Plaststahl mit einem großen Tor und Geschützstellungen auf dem Dach. Es sah nicht nach viel aus − und trotzdem hatte Sarpedon sein und das Leben seiner Männer riskiert, um dorthin zu gelangen. Lordinquisitor Kolgo hatte Thaddeus freigelassen, natürlich ohne zuzugeben, dass er ihn überhaupt gefangen gehalten hatte. Er hatte
ihm erlaubt, sein Schiff anzudocken und zu betanken und ihn dann einfach ziehen lassen. Es war ein geschickter Schachzug − eine Hand wusch die andere, und vielleicht kam einmal der Zeitpunkt, an dem Thaddeus nützlich für Kolgo sein konnte. Trotzdem würden sie nie mals Verbündete werden. Thaddeus war fest entschlossen, die See lentrinker zu vernichten oder beim Versuch zu sterben. Keine dieser beiden Möglichkeiten würde Kolgo besonders erfreuen. Thaddeus hatte die Zeit, bis die Sichelmond eintraf, dazu genutzt, sich über Stratix Luminae zu informieren, aber praktisch nichts he rausgefunden. Stratix Luminae war eine Genetorforschungsstation des Adeptus Mechanicus gewesen, in der biologische Versuche statt gefunden hatten, um die Geheimnisse von Genetik und Mutation zu entschlüsseln. Solche Außenposten befanden sich normalerweise auf menschenleeren, entlegenen Planeten, und Stratix Luminae bildete da keine Ausnahme. Es war eine unbelebte Tundrawelt. Vor zehn Jah ren waren Eldarpiraten, die das System immer wieder heimgesucht hatten, von Space Marines, die auf den Hilferuf des Adeptus Mecha nicus reagiert hatten, von dort vertrieben worden. Natürlich gab es keine Aufzeichnungen darüber, welchem Orden sie angehört hatten − allein dies diente Thaddeus als Beweis, dass es die Seelentrinker ge wesen waren, bevor sie sich vom Imperium losgesagt hatten. Was hatte Korvax dort gefunden, das Sarpedon so brennend inter essierte? Thaddeus konnte nur hoffen, rechtzeitig anzukommen, um es herauszufinden. »Inquisitor?«, ertönte eine höfliche Stimme. Thaddeus sah auf. Schwester Aescarion stand in der Tür. Thad deus’ Quartier auf der Sichelmond war nicht gerade spartanisch, aber für einen Inquisitor einfach eingerichtet. Es gab wenig mehr als ein Bett, einen Koffer, Kisten mit Kleidungsstücken, einen Schreibtisch und Bücherregale. Das große Bullauge war der einzige Luxus. Der Giftdetektor, der Antitransmissionsgenerator und ein kleiner Safe, in dem Thaddeus möglicherweise gefährliche Gegenstände aufbewahr te, waren gut versteckt.
Aescarion trug die einfache weiße Robe der Schwesternschaft − ohne ihre Rüstung wirkte sie nur halb so groß, eine alte Frau mit ei ner unüblich stolzen Haltung. Sie strahlte so viel Bescheidenheit aus, dass Thaddeus’ Quartier schon fast wieder dekadent wirkte. »Schwester«, sagte Thaddeus, »ich hätte nicht erwartet, dass Ihr die Krankenstation so bald schon wieder verlassen würdet.« »Ich habe schon schlimmere Wunden davongetragen«, sagte Aes carion, während sie mit leicht humpelndem Schritt zum Stuhl neben dem Schreibtisch ging. Dass sie sich überhaupt hinsetzen musste, verriet, dass sie noch immer unter Schmerzen litt. »Der Knochen war gebrochen, aber ich habe kaum Muskelfleisch verloren. Ich bin es gewohnt, schnell wieder gesund zu werden.« »Das kann ich mir vorstellen.« »Ich muss mit Euch reden, Inquisitor. Es gibt da etwas, das mir Sorgen macht.« »Geht es um Sarpedon? Er ist ein Space Marine-Ordensmeister und ein mächtiger Psioniker. Ihr müsst Euch nicht schuldig fühlen, weil Ihr ihn nicht besiegt habt.« »Darum geht es nicht, Inquisitor. Ich habe auch schon vorher Schlachten verloren. Nur … er hätte mich töten können, wenn er es gewollt hätte, hat aber darauf verzichtet. Die Wege des Feindes sind unergründlich. Manche Ketzer verschonen das Leben ihrer Gegner, weil sie noch schlimmere Qualen für sie vorgesehen haben. Aber er hatte keine Ahnung, wer ich bin. Für ihn war ich nur eine weitere Soldatin in einer Stadt voller Soldaten.« »Glaubt Ihr, dass er wusste, dass Ihr Teil meines Trupps seid? Dass er Euch verschont hat, um mir eine Nachricht zu übermitteln?« »Vielleicht. Auf jeden Fall ist Sarpedon kein gewöhnlicher Ge gner. Die Soldaten waren davon überzeugt, dass die Seelentrinker Marines des Imperiums seien und kämpften an ihrer Seite − sogar gegen ihre Verbündeten. Ich habe gegen Bruder Castus und Parme nides den Abscheulichen gefochten, Inquisitor. Ich war auf Saafir und auf dem Skorpionpass. Ich kenne den Feind in all seinen Er
scheinungsformen, und die Seelentrinker sind bei Weitem die Unge wöhnlichste. Sie sind nicht einfach Tiere, die man jagen und zur Strecke bringen kann. Diese Mission könnte uns mehr kosten als nur unser Leben.« »Schwester, im Gegensatz zu mir habt Ihr den Seelentrinkern Au ge in Auge gegenübergestanden. Ihr habt ihren Anführer herausge fordert. Es ist notwendig, dass Ihr auf Stratix Luminae anwesend seid. Wie immer wird Euer Leben in Gefahr sein, und ich will nicht ausschließen, dass Ihr Euch noch einmal Sarpedon stellen müsst. Sprecht ehrlich zu mir, Schwester − habt Ihr Angst davor?« Aescarion lächelte, was sie sehr selten tat. »Ich habe Angst, Inqui sitor. Der Feind hat mir schon immer Angst eingejagt. Nur mit mei nem Glauben kann ich mit dieser Angst leben. Wenn ich keine Angst hätte, woran sollte ich dann glauben? Ich weiß, dass der Imperator mir zur Seite steht. Ohne ihn würde ich vor Angst unfähig sein zu handeln. Aber mit seiner Hilfe kann ich mich dem Feind stellen.« »Das klingt sehr erleuchtet, Schwester.« »Ich habe den Großteil meines Lebens damit verbracht, diese Dinge zu verstehen. Und ich bin schon sehr alt.« Thaddeus bediente die Kontrollen des Holoservitoren. Das Bild verschwamm und wurde durch eine alte Mechanicus-Datei ersetzt. Sobald er von Stratix Luminae erfahren hatte, war es ihm gelungen, einige wenige Daten darüber ausfindig zu machen. Die letzten Kar ten des Ortes wurden einige Monate nach dem Angriff der Eldar an gefertigt. Das Gebäude besaß nur eine Etage und diente als Zugang zu den unterirdischen Stockwerken. Eilig errichtete Barrikaden um gaben das Eingangstor − Blöcke aus Plastbeton, die auf die gefrorene Erde gestapelt waren. »Das eigentliche Gebäude ist wohl nicht mehr als ein Sicherheits posten«, sagte Thaddeus. »Wenn wir davon ausgehen, dass es eine Standardkonstruktion ist, gibt es mindestens zwei unterirdische Eta gen. Wahrscheinlich einen Labortrakt und ganz unten eine Quarantä nestation, die sehr leicht abzuriegeln sein muss. Sonst wissen wir
nichts − außer, dass es dort etwas gibt, für das Sarpedon bereit ist, seinen ganzen Orden zu riskieren.« »Wenn wir ihm nicht zuvorkommen.« »Das ist eher unwahrscheinlich. Die Seelentrinker haben einen Vorsprung und wissen genau, wonach sie suchen.« »Meine Schwestern und ich sind bereit, genau wie Oberst Vinn mit seinen Sturmtruppen. Eine Frage noch, Inquisitor.« »Bitte.« »Stratix Luminae ist nicht mehr bewohnt. Wisst Ihr, warum es verlassen wurde?« Thaddeus zuckte mit den Schultern. »Nein, Schwester. Und so bald die Seelentrinker den Posten erreicht haben, wird er aufhören zu existieren. Wie alles, was mit ihnen in Berührung kommt.« Thaddeus nahm eine Karaffe von einem Beistelltisch auf. »Ich würde Euch ein Glas Teufelsbeerenschnaps anbieten, aber ich weiß, dass Ihr Euch in Enthaltsamkeit übt.« »Die menschliche Gestalt ist die Gestalt des Imperators. Sie frei willig zu vergiften ist eine Sünde«, sagte Aescarion. »Wir sind alle Sünder, Schwester«, sagte Thaddeus und schenkte sich ein. Aescarion stand auf und strich sich über die einfache Robe. »Manchmal ist es sinnlos, etwas zu predigen«, sagte sie. »Schon oft habe ich den Menschen versucht, die Vorzüge der Enthaltsamkeit nahezubringen. Nur wenige haben mir zugehört. In diesem Fall reicht es wohl, wenn wenigstens ich mich an meine Prinzipien halte.« »Ich bin froh, dass ich Euch nicht beleidigt habe.« »Ihr wisst so gut wie ich, dass es viel schwerere Sünden gibt. Jetzt muss ich den Gottesdienst für meine Schwestern abhalten. Ich habe schon seit mehreren Tagen nicht mehr mit ihnen gebetet.« »Schließt mich in Eure Gebete ein, Schwester. Wir müssen uns so gut vorbereiten, wie wir können.« Thaddeus sah ihr nach. Zum ersten Mal erkannte er in ihr nicht die Kriegerin, sondern eine alte Frau, die zu viel von der dunklen Seite
des Universums gesehen hatte. Er wandte sich wieder Korvax’ Aufzeichnung zu und betrachtete zum hundertsten Mal die Datei, aufgrund derer Sarpedon ins Kriegs gebiet eingedrungen war. Die Aufzeichnung endete kurz bevor Kor vax das Gebäude betrat. Die Originaldatei musste auch das Innere des Außenpostens und die Experimente, die das Adeptus Mechanicus dort durchgeführt hatte, beinhaltet haben. Stratix Luminae war bald darauf geschlossen worden, und von den beiden einzigen Überleben den war einer wahnsinnig geworden und der andere in einen Außenposten tief unter einer Schwarmstadt versetzt worden. Thaddeus schaltete den Apparat ab. Mehr war über Stratix Lumi nae nicht in Erfahrung zu bringen. Er schüttete den Schnaps wieder in die Karaffe zurück und ging auf die Brücke. In wenigen Tagen würde die Sichelmond das Stratix-System er reicht haben. Bis dahin war jede Sekunde zu Thaddeus’ großem Missfallen verschwendet. Selbst das All um Stratix herum war von Krankheit gezeichnet. Eine Aura der Pestilenz hing zwischen den Sternen, ein fast undurchdring licher Schleier, der die entfernten Sterne in ein ungesundes Licht und die Welten des Stratix-Systems in schillernde Farben der Verwesung tauchte. Stratix’ Sonne selbst war dunkler geworden. Mit bloßem Auge konnte man die Sonnenflecken erkennen, die sich wie riesige schwarze Narben darauf breitgemacht hatten. Teturacts Einfluss war so mächtig, dass er sogar den Stern seiner Heimatwelt erreicht hatte. Die Blockade, die das System umgab, bestand aus einer Flotte verrottender Schiffe. Es waren Handels- oder Kriegsschiffe, die in den Werften der Stadt ausgeschlachtet oder aus von Teturact erober ten Welten hergeschafft worden waren. Eskortschiffe dienten als fliegende Bomben, die bei Kontakt ex plodierten und einen Sporenregen freisetzten, der sich durch Bullau gen und Schotts fraß, um die gegnerische Besatzung zu infizieren. Größere Kreuzer wimmelten von Teturacts Getreuen, die weder
Atemluft noch Wärme benötigten. Sie zu zerstören war die einzige Möglichkeit, sie aufzuhalten. Andere, fast völlig schrottreife Kreuzer waren mit Panzerplatten versehen. Sie dienten als Rammschiffe, die sich wie riesige Operationsnadeln in fremde Schiffe bohren sollten, um ihre infektiöse Ladung freizusetzen. Überwachungsstationen und orbitale Verteidigungsplattformen starrten nur so vor Waffenbatte rien. Zyklonentorpedos und Verteidigungslaser waren direkt mit den Schützen verbunden, deren kümmerlicher Verstand das Einzige war, was ihre Körper aufrechterhielt. Stratix selbst war eine riesige, zerklüftete Kugel aus Finsternis. Nur dort, wo sich einst die Fabriken der Schwarmwelt befunden hat ten, brannten noch bernsteinfarbene Feuer. Die Schwarmstädte be deckten fast den gesamten Planeten. Sie waren von den Abgasen geschwärzt, und ganze Viertel waren unter undurchdringlichen, gifti gen Wolkenbänken verborgen. Andockstationen schwebten wie ver rostete Metalldornen in der niedrigen Umlaufbahn. Jede Welt, die Teturact heimgesucht hatte, verwandelte sich auf diese Weise. Das ganze System hatte sich seinem Willen unterwor fen. Locanis, der sonnennächste Planet, war einst ein wahres Treib haus gewesen. Praktisch über Nacht hatte sich die Atmosphäre von einem hellen Grün in ein fauliges Schwarz verwandelt. Die silberne Oberfläche von Callicrates, einem Planeten, der einst die Fabriken mit Eisenerz versorgt hatte, war mit Rostkratern von mehreren Kilo metern Durchmesser übersät. St. Phal war zu einer Todeswelt ge worden, auf der so viele lebende Leichen wandelten, dass sie aus dem All wie zuckende Madenbündel erschienen. Stratix Luminae war kälter und heller als je zuvor. Die Sturmwol ken auf dem Gasgiganten Majoris Crien, die einst eine lebhafte grüne Farbe besessen hatten, waren jetzt ekelhaft braun und violett gefärbt. Seine vielen Monde hatten sich von ihm gelöst und trieben ziellos durchs All, als hätte der Planet nicht mehr die Kraft, sie an sich zu binden. Die drei Schwestern, winzige Eiswelten namens Cygnan, Terrin und Olattine, entfernten sich immer weiter von ihrer Sonne,
als wollten sie der Seuche entgehen, die das System befallen hatte. Teturacts Gruftschiff verließ den Warp. Es war wie eine Heim kehr. Das beruhigende Glimmen der Krankheit umgab die Planeten wie Heiligenscheine aus Pestilenz. Das All hatte hier einen anderen Geruch. Es duftete nach Leben. Sogar durch die massiven Panzer platten zwischen der Brücke des Schiffes und dem kalten Vakuum war der Gestank wahrzunehmen: Es roch nach Heimat. Die Besatzung aus Servitoren und Bediensteten, die mit der Brü cke verbunden waren, war so stark verwest, dass nur Bruchteile ihres Verstandes noch funktionierten. Deshalb waren ständig neue Körper nötig gewesen, um das Schiff auf Kurs halten zu können. Leichenberge türmten sich zwischen den Konsolen und Bedienelementen auf. Die Brücke war ein Totenhaus geworden. Der Boden war mit zuckenden Körpern bedeckt, ein Teppich aus Haut und Muskeln. Es war die höchste Form der Sklaverei. Diese Halbtoten waren be reit, jegliche Menschlichkeit in Teturacts Namen aufzugeben. Außer ihm selbst und seinen Sänftenträgern war es niemandem erlaubt, die Brücke zu betreten. Es war ein Ort, an dem jeder, der Macht besaß, wie ein Gott angebetet wurde. Und diese Ehre konnte nur Teturact selbst zukommen. Er konnte auf einem gewaltigen Sichtschirm die Schönheit des Stratix-Systems, das sich vor ihm ausbreitete, bewundern. Stratix war viel mehr als nur eine weitere Welt, die er erobert hatte − sie war die erste gewesen, das Zentrum seiner Verderbnis und der erste Beweis dafür, dass er in der Lage war, über ganze Planeten zu herrschen. Aber auch auf Eumenix hatte er gute Arbeit geleistet − bald würde er dort eine weitere uneinnehmbare Festung besitzen. Nichtsdestotrotz − Stratix war seine Heimat. Auf telepathischem Weg befahl er der Besatzung, Stratix anzus teuern. Die Körper unter ihm stöhnten und wanden sich, als ihre Ge hirne mit den Cogitatoren des Schiffs verbunden wurden und den Befehl an Triebwerke und Seitenruder weiterleiteten. Teturact ließ seinen Geist umherwandern. Mit jeder neuen Welt,
die er erobert hatte, war er stärker geworden. Sein Bewusstsein war nicht mehr auf seinen alten, vertrockneten Körper angewiesen. Er ließ es durch das Gruftschiff wandern und drang in die von jeder Hoffnung verlassenen Tiefen der Gehirne seiner Hexer ein. Er spürte den gebrochenen Stolz des Navigators im Bug. Er versuchte immer noch, sich an den Idealen alter Marinetradition festzuhalten, obwohl ihm das Fleisch schon von den Knochen fiel. Dann blickte er über das Schiff, über die Wellen, die sein Eintritt in den Realraum erzeugt hatte, hinweg und in die Tiefen des Alls hinaus. Es war eine warme Welt, die ihn da willkommen hieß, von Krankheit gezeichnet. Die Stimmen, die ihn um Rettung anflehten, waren Musik in seinen Ohren. Er genoss ihre Verzweiflung, ihre Dankbarkeit und ihre Hingabe, wenn sie erst einmal erkannt hatten, dass nur er sie vor einem langsamen, qualvollen Tod bewahren konn te. Dafür lebte er. Deshalb hatte er sein Reich in eine gigantische Kriegsmaschine verwandelt, die die imperialen Truppen langsam auslaugen und ihm schließlich den Sieg bescheren würde. Er spürte, wie die Sonne des Stratix-Systems langsam verlosch und wie sich das Gravitationsgeflecht zwischen den Welten allmäh lich veränderte. Teturact war so mächtig, dass er das Universum nach seinen Vorstellungen verformen konnte. Er war ein Gott. Seine dunk le Verderbnis war so rein, dass sie das All selbst beschmutzen und sein gesamtes Reich bedecken konnte. Stratix war ein kräftig schlagendes Herz aus Leid und Schmerz, St. Phal ein eiterndes Geschwür in der Realität, Stratix Luminae eine harte, weiße Eisperle, Majoris Crien nur noch ein aufgedunsenes Gespenst. Teturact spürte, wie sich das All um ihn verschob, so mächtig war sein Einfluss auf das Planetensystem. Und dazwischen befand sich seine Flotte. Jedes seiner Schiffe stimmte einen Lobge sang auf seinen Namen an. Diese Schönheit beeindruckte ihn jedes Mal aufs Neue. Er hatte außergewöhnliche Dinge gesehen, aber dies − Milliarden von Seelen, die sich vor Entzücken und Schmerz wanden, sich nach seiner Be
rührung sehnten und Dankgebete an ihn richteten − war eine Kraft, die ihn immer wieder überwältigte. Doch es war noch etwas anderes hier, etwas Reines und Unver dorbenes. Es war anders, fremdartig und keinesfalls von ihm infi ziert. Teturact konzentrierte sich ganz auf diesen Eindringling. Kleine, metallische Nadeln durchbohrten den Schleier aus Leid und Krank heit und drangen tief in sein Reich ein. Mehrere winzige Schiffe, schneller als jedes imperiale Schiff vergleichbarer Größe. Wut und Empörung stiegen in Teturact auf. Dies war sein Reich. Die imperialen Angriffstruppen, die zu Beginn des Krieges versucht hatten, in das Stratix-System einzudringen, hatten mit Wahnsinn und Versklavung für ihre Dreistigkeit bezahlt. Seitdem hatte es niemand gewagt, diesen Hexenkessel aus Krankheit und Tod mit seiner Rein heit zu beschmutzen. Auf einem der Schiffe spürte Teturact einen heißen, glühenden Blitz aus psionischer Energie. Es konnte sich auf keinen Fall um ei nen menschlichen Psioniker handeln, dafür war diese Kraft zu kon zentriert und viel zu mächtig. Teturact wandte sich von den Eindringlingen ab und ließ seinen Geist durch das gesamte System schweifen, um bestimmen zu kön nen, was das Ziel dieser Schiffe war. Wie ein Pfeil schossen sie un beirrt auf das Zentrum seines Herrschaftsgebietes zu: Stratix Lumi nae. Teturacts Bewusstsein kehrte in seinen Körper auf der Brücke zu rück. Seine Getreuen um ihn herum erzitterten, als sie seine Wut spürten. Er befahl, Kurs auf den Eisplaneten zu setzen, um die Ein dringlinge abzufangen. Stratix Luminae − nein, das konnte er niemals erlauben. Korvax rammte ein frisches Magazin in den Bolter. Die Hälfte seines Trupps tat es ihm gleich. Er warf einen Blick auf Sergeant Veiyal − sein Helm war beschädigt worden, und er würde ohne ihn kämpfen
müssen. Sein Atem war in der Kälte deutlich zu sehen. »Die anderen decken uns«, sagte Korvax. »Sergeant Livris, du bildest die Vorhut. Veiyal, mir nach. Vorwärts!« Korvax brachte seinen Bolter in Anschlag und folgte dem Sturm trupp in das finstere Herz der Forschungsstation … Im Inneren herrschte unerträglicher Gestank. Selbst durch die Filter im Helm konnte Korvax Pulverdampf, Blut von Menschen und Aliens sowie den Angstschweiß der Männer riechen. Seine Autosen soren passten sich schnell der dunklen Umgebung an. Korvax sah die Leichen der Techgardisten, die versucht hatten, das Tor zu verteidi gen. Zerstörte Automatikgewehre hingen von der Decke. Zwischen den behelfsmäßigen Barrikaden lagen die Überreste eines Kampfser vitoren. Das Tor führte in einen großen, niedrigen Raum. Wo einmal der Lastenaufzug gewesen war, sah Korvax nur noch ein quadratisches, rauchendes Loch im Boden. Die Sicherheitsposten neben den Toren und in der Eingangshalle waren stabile Konstruktionen aus Eisenbe ton mit Schießscharten und Selbstschussanlagen. Vor den schweren Maschinengewehren lagen tote Techgardisten. Wände und Boden waren mit Blut bedeckt. »Sie wurden regelrecht zerstückelt, Captain«, voxte Livris, der seinen Trupp schnell in die Eingangshalle führte. »Shurikenfeuer?« »Nein, irgendetwas anderes.« Korvax folgte dem Sturmtrupp, die Mündungen der Bolter auf die dunklen Ecken gerichtet, in denen die Beleuchtung ausgefallen war. Livris spähte mit dem Auspexscanner in der Hand in das Loch im Boden. »Sollen wir eindringen, Captain?« »Jawohl. Kaltblütig und Blitzschnell.« Livris ließ sich in das rauchende Loch fallen. Sein Trupp folgte ihm. Korvax hörte das Bolterfeuer von Veiyals Männern, die die Eldar davon abhielten, den Außenposten zu erreichen. Sollten es die Xenos wirklich geschafft haben, hier einzudringen, hatten sie ihre
Spuren gut verwischt. Aus den unteren Etagen drang kein Laut zu ihnen herauf. »Eine Laboretage«, sagte Livris. »Moment, der Auspex zeigt …« Bolterfeuer ertönte, Kettensägen gruben sich in Metall. »Mir nach!«, rief Korvax und sprang mit gezogenem Energie schwert in die Dunkelheit. Er sah Mündungsfeuer. Die hochgothische Architektur des La borbereichs war mit reich verzierten Arbeitsplätzen, komplizierten Maschinen und Glasbehältern vollgestopft. Korvax bemerkte, dass in dieser Etage mehrere Techgardisten und Laborpersonal überlebt hatten. Die meisten waren jedoch tot. Ihre Leichen saßen immer noch auf den Stühlen oder lagen über den Konsolen. Die Techgardis ten hatten sich verschanzt und feuerten blindlings ihre Laserwaffen ab. Den Feind entdeckte er nirgends. Livris’ Trupp feuerte aus allen Rohren, und Korvax selbst überzog den Raum mit seinen Explosivge schossen. Der Schrei eines Kameraden endete in einem Gurgeln. Im Schein der Mündungsfeuer war zu erkennen, wie er von einem glitzernden Netz aus silbernen Drähten überzogen wurde, die durch die Panzer platten seiner Rüstung schnitten und schließlich durch Fleisch und Knochen drangen. Dann sah Korvax die Aliens − sie trugen schwerere Rüstungen als diejenigen, gegen die er vor dem Außenposten gekämpft hatte, mas siv gepanzert und mit dicken Armschienen versehen, die ihnen hal fen, schwere Waffen mit rotierenden Läufen zu tragen. Spiralen aus schimmerndem Draht schossen daraus hervor. Eine diese Spiralen traf einen von Livris’ Marines und verwandelte ihn in einen Haufen Rüstungsteile und Fleischbrocken. Korvax drückte zu spät ab. Der Eldar war bereits verschwunden. Er hatte sich in nichts aufgelöst, und mit einem Donnern rauschte Luft in das entstehende Vakuum. »Teleporter!«, rief Korvax durch das Bolterfeuer. Ein Techgardist
schrie auf, als ihn ein unsichtbarer Feind mit seiner Monofilament waffe zerstückelte. Korvax duckte sich und rannte an seinen Waffenbrüdern vorbei. Er versuchte, sich in die Eldar zu versetzen und zu bestimmen, aus welchem Winkel sie wohl angreifen würden. Er musste darauf ver trauen, dass die Aliens durch die anderen Marines abgelenkt waren und ihn nicht bemerkten. Er presste den Rücken gegen eine Säule und lauschte konzentriert. Über den Schlachtenlärm hörte er, wie sich rauschend etwas in sei ner unmittelbaren Umgebung materialisierte. Er umrundete die Säule und landete einen mächtigen Hieb, der Rüstung und Fleisch durchtrennte. Nicht allzu tief, aber doch tief genug, um den Eldar für einen Sekundenbruchteil zu überraschen. Die saphirgrünen Okulare in seinem kegelförmigen Helm starrten Korvax an, der ihn an der Kehle packte. Er hob das Alien hoch und schleuderte es hart gegen die Säule, dann rammte er es mit aller Kraft gegen die niedrige Decke. Die Panzerplatte in seinem Rücken zerbrach. Blaue Energieblitze schos sen daraus hervor. Korvax hatte richtig vermutet: Dort befand sich der Teleporter. Er hob den Eldar, der verzweifelt versuchte, seine Waffe in Anschlag zu bringen, noch einmal in die Luft und spießte ihn auf seinem Energieschwert auf. Das Energiefeld beleuchtete Korvax’ Umgebung, und er erkannte einige weitere Alienkrieger, die ihn umzingeln wollten, um den offensichtlichen Anführer der Seelen trinker zu töten und ihren Kameraden zu rächen. Livris’ Sturmtruppen fielen den Eldar in den Rücken und hieben mit ihren Kettenschwertern auf sie ein. Livris selbst trennte einem von ihnen den Kopf vom Rumpf. Korvax brach das Bein eines ande ren mit einem kräftigen Tritt, bevor er ihn glatt in zwei Stücke hieb. Die überlebenden Xenos teleportierten sich erneut, um vor den Ma rines zu fliehen. Korvax zog das Schwert aus dem Eldarkörper zu seinen Füßen. Er bemerkte eine Handvoll Techgardisten, die sich zwischen den Trüm
mern versteckten. Eine Technikerin in einer Adeptenrobe spähte angsterfüllt hinter einer Werkbank hervor. Ohne Zweifel wusste sie nicht, vor wem sie mehr zu befürchten hatte: den Eldar oder den See lentrinkern. Korvax ging auf den nächsten Techgardisten zu und zog ihn auf die Füße. Das Gesicht des Mannes war blutüberströmt − ein Monofi lamentdraht hatte ihn gestreift. Der Lauf seines Lasergewehrs war durch Überhitzung verbogen. »Gibt es noch weitere Überlebende?«, fragte Korvax scharf. Der Techgardist nickte und deutete auf das andere Ende des La borbereichs. Dort waren einige Türen, die in einen dunklen Korridor führten, aus ihren Angeln gesprengt worden. Korvax ließ den Gardisten fallen und führte seine Männer in den niedrigen, engen Durchgang. Nur mit Mühe konnten zwei Marines nebeneinander darin stehen. Es stank nach Verwesung. Warnrunen zeigten Korvax an, dass die Luft mit Giften erfüllt war. Der Korridor neigte sich nach unten und bog um eine scharfe Kurve, die in das tiefer liegende Stockwerk führte. Der Boden war knöcheltief mit einer milchigen Flüssigkeit be deckt, in der Fleischbrocken schwammen. Das trübe Licht der De ckenbeleuchtung spiegelte sich darin wider. Die Sicherheitstüren, die eigentlich immer hätten geschlossen sein sollen, standen weit offen. Durch den Türrahmen erspähte Korvax zerbrochenes Glas und dicke Kabelbündel, die über den Boden verteilt waren. Die Abfluss rohre waren mit Fleischbrocken verstopft. An den Wänden des riesi gen, hangarartigen Raums standen drei Meter hohe Glasbehälter. Manche waren heil geblieben und mit Flüssigkeit gefüllt, andere zerbrochen. Korvax verlangsamte seinen Schritt und lugte in den Raum. Er erwartete jeden Moment das Feuer aus einer Shurikenwaffe. Die Eldar in dieser Etage hatten den Kampflärm über sich zweifellos gehört und waren alarmiert. »Haben wir Bewegung auf dem Auspex!«, voxte er.
»Nichts«, ertönte die Antwort. Die erste Leiche, die Korvax sah, lag über den zerbrochenen Überresten eines der Glaszylinder. Ihr Bauch war von den großen, gezackten Splittern durchbohrt worden. Es war ein Eldar in blauer Rüstung. Sein Helm war verschwunden, sodass sein schlankes, kanti ges Gesicht zu sehen war. Die großen dunklen Augen darin waren vor Entsetzen weit geöffnet. Eine Shurikenpistole befand sich in sei nen schlaffen Fingern. Ein weiterer Körper lag daneben − die Hälfte davon zumindest. Der Eldar war in der Mitte durchtrennt worden, und der dazugehö rige Unterleib lag wenige Meter davon entfernt. Vorsichtig betraten die Marines den Raum. Korvax schätzte, dass sich hier etwa fünfhundert Glaszylinder befanden, die wie Grabsteine in Reihen angeordnet waren. Im Zentrum des Raums stand eine gro ße, halbkugelförmige Maschine, die kalten Dampf ausstieß. »Ausschwärmen!«, befahl er, und die Sturmtruppen lösten sich aus der Formation und durchkämmten die Zylinderreihen. Korvax bewegte sich mit seinen Männern auf die Mitte des Raums zu. Mehr und mehr Eldarleichen kamen zum Vorschein. Zum Großteil waren es Soldaten, aber sie entdeckten auch einen oder zwei Xenos in prächtigen Roben, deren Helme mit kunstvollen Kristallverzierungen bedeckt waren. Sie gehörten zur Führerkaste der Eldar, Psioniker, die den Truppen auf dem Schlachtfeld ihre Befehle gaben. In impe rialen Studien über die Eldar wurden sie als Runenleser bezeichnet. Einer der Körper war von Shuriken durchlöchert − dies war nicht die Verzweiflungstat todgeweihter Techgardisten gewesen. Irgendet was Seltsames ging hier vor. »Hier lebt etwas«, voxte Livris leise. Korvax sah, wie der Sergeant den Auspexscanner betrachtete. »Wo?« »Überall.« Mit einem Mal war die Luft von einem seltsamen, kaum wahr nehmbaren Summen erfüllt, das aus allen Richtungen zu kommen
schien. Auf Korvax’ Retinadisplay erschienen Bioalarm-Warnrunen. Gift stoffe erfüllten seinen Blutkreislauf. Sein Anzug war nicht beschädigt − es schien, als würden die Gifte einfach so in seinen Organen auf tauchen. Seine oolitische Niere filterte die Stoffe nach Kräften he raus, aber wenn es noch schlimmer werden sollte … »Ich sehe ihn«, voxte einer seiner Männer. Korvax blickte durch das Glas der Zylinder. Vor der großen Halbkuppel aus Metall kniete eine Gestalt, wie im Gebet versunken. Ihre Runenleserrobe war mit Blut bedeckt. »In Position«, voxte Livris. Auf Korvax’ Befehl würden seine Männer in Sekundenschnelle über die Gestalt herfallen. »Nicht angreifen«, antwortete er. »Männer, gebt mir Feuer schutz.« Korvax ging langsam auf die Gestalt zu. Die nähere Umgebung um die Halbkugel herum wirkte wie eine Lichtung in einem Glas wald. Dicke Kabelstränge verliefen über die Oberfläche der Kugel. Die Gestalt richtete sich auf. Sie war hochgewachsen und dünn, und Korvax bemerkte die lang gezogene Schädelform, die typisch für die Eldar war. Korvax richtete seine Boltpistole auf den Kopf des Alien. »Warum bist du hier, Xenos? Was willst du?« Das Alien flüsterte einige aufgeregte Silben, dann erinnerte es sich offenbar daran, dass der Marine seine Sprache nicht verstehen konnte … »Ich kann es nicht aufhalten, Barbar. Ich dachte … dass wir es mitnehmen und vor euch verstecken könnten. Dass wir es zerstören könnten. Aber wir kamen zu spät. Ihr habt es viel zu lange ungestört wachsen lassen.« »Was? Warum seid ihr hier?« Der Eldar lächelte. Seine Haut war gespannt und mit Rissen be deckt, aus denen wässrige Flüssigkeit strömte. Korvax bemerkte, dass Blut von den Fingerspitzen des Eldar tropfte. Anscheinend wur de der Körper des Xenos von einer mächtigen Kraft von innen heraus
in Stücke gerissen. »Das musst du mir erzählen, niedrige Kreatur. Ihr seid diejeni gen, die es geschaffen haben.« Unter Korvax’ Augen bedeckte sich die Haut des Alien mit schwarzen Flecken. Die Adern in seinem Körper zeichneten sich dunkel vor seinem Fleisch ab. Der Eldar fiel auf die Knie. Sein Kör per verbog sich, seine Knochen zerbrachen unter der seltsamen Kraft, die nun auch Korvax und seine Männer befallen hatte. »Veiyal«, voxte Korvax, »Nachricht an die Karnivor: Krankensta tion vorbereiten. Alle Truppen in Quarantäne! Informiert den Kaplan − mögliche moralische Bedrohung auf Stratix Luminae.« »Verstanden«, ertönte Sergeant Veiyals Stimme zwischen Bolter feuer und statischem Rauschen. »Rückzug!«, befahl Korvax, während der Eldar in einer Blutfon täne zusammenbrach. Der Eldar war tot, ein zuckendes Bündel Fleisch unter einer blut befleckten Robe. Die Halbkugel pulsierte, als wäre sie ein atmender Brustkorb. Kabel sprangen aus ihren Verankerungen. Korvax wirbelte herum und rannte zum Ausgang. Er hörte ein furchterregendes Krachen. Die Mauern erzitterten, und die Zylinder zersprangen in einem Schauer aus Flüssigkeit und Glassplittern. Verformte, menschenähnliche Körper klatschten auf den Boden. Eine Metallplatte löste sich aus der Halbkugel, schoss wirbelnd durch den Raum und bohrte sich in die Wand. Aus dem Summen war ein Schrei geworden. Auf Korvax’ Retina display blinkten Warnrunen. Er sah, wie seine Waffenbrüder neben ihm zu Boden gingen, während die dunkle Bedrohung, die unter der Halbkuppel lauerte, ihre Körpersysteme übernahm. Der Runenleser der Eldar hatte die Gefahr mithilfe seines Verstandes in Schach ge halten. Die Marines hatten nur ihre Körper, und auch diese würden nicht lange standhalten können. Korvax verließ den Raum als Letztes. Livris vor ihm schlug mit der Handfläche auf den Türmechanismus. Die schweren Sicherheits
türen schlossen sich langsam. »Vorwärts!«, schrie Korvax. »Wir müssen zurück zur Oberfläche. Diese Schlacht ist vorbei!« Kurz bevor sich die Türen schlossen, fiel Korvax’ Blick auf die explodierende Halbkugel. Kabel, Maschinenteile und biomechani sche Instrumente aus einem tieferen Stockwerk wurden durch die Luft geschleudert. Die Erschütterung war so mächtig, dass sie Kor vax bis in die Knochen spüren konnte. Die Organe in Kehle und Brust, die die Gensaat enthielten, brannten wie Feuer. Seine dritte Lunge und das zweite Herz fühlten sich wie glühende Metallklumpen an. Dann sah Korvax, wie sich eine menschliche Gestalt aus dem Zentrum der Detonation erhob. Die Eldar waren nach Stratix Luminae gekommen, um diese Ge stalt zu vernichten. Sie waren zu spät gekommen. Während er auf den Ausgang zurannte, fragte sich Korvax, ob dem Imperium derselbe Fehler unterlaufen würde. Die Aufzeichnung stoppte. Das letzte Bild zeigte den zerstörten La borbereich. »Das ist alles, was wir haben«, sagte Sarpedon. »Stratix Luminae wurde verlassen und geriet in Vergessenheit. Wir besitzen weder Berichte noch Karten. Captain Korvax’ Aufzeichnung ist der einzige Beweis, dass die Forschungsstation überhaupt existiert. Damit wer den wir arbeiten müssen.« Sarpedon stand hinter einer Kanzel und sah auf die Männer von Lukos, Karraidins und Graevus’ Trupps herab. Unter ihm wurde das wichtigste Element des Einsatzsermons auf einen Schirm projiziert: die Aufzeichnung, die Captain Korvax während des ersten Angriffes auf Stratix Luminae gemacht hatte. Bild und Sarpedons Stimme wurden zu den übrigen Männern des Ordens, die auf die anderen Alienschiffe der Flotte verteilt waren, übertragen. »Brüder, es ist ein Zeugnis eurer Willenskraft«, fuhr Sarpedon
fort, »dass ihr an meiner Seite gekämpft habt, obwohl nur wenige in meinen Plan eingeweiht waren. Die Wahrheit ist − wir kämpfen ums Überleben. Wir kämpfen dafür, dass am Beginn einer neuen Rekru tierungssaison die Seelentrinker wieder in der Lage sind, neue Novi zen aufzunehmen und sie zu Space Marines zu machen. In diesem Augenblick sollten eigentlich Kaplan und Apothecarii eine nächste Generation im Kampf ausbilden − aber das ist nicht geschehen.« Sarpedon breitete die Arme aus und deutete auf seine mutierten Beine. »Deshalb. Unter uns gibt es keinen Marine, der nicht das Zei chen der Mutation an seinem Körper trägt. Manche, so wie ich, sind dadurch stärker geworden. Aber das Blut Rogal Dorns ist vergiftet. Unser Blut, die Gensaat aus Dorns Körper, ist bis in die Wurzeln verdorben. Der Orden ist ein Kelch, der mit diesem Blut gefüllt ist. Jeder Tropfen, der daraus vergossen wird, ist die Gensaat eines wei teren Waffenbruders. Der Kelch blutet. Er blutet aus. Bald wird der letzte Tropfen vertrocknet sein, und alles, was bleibt, ist Verzweif lung. Unsere Gensaat ist verdorben und kann nicht dazu benutzt wer den, neue Marines zu erschaffen.« Das Bild auf dem Schirm wurde durch ein anderes ersetzt. Es zeigte den Zeitpunkt, als Korvax zum ersten Mal die Glaszylinder mit ihrem seltsamen Inhalt zu Gesicht bekommen hatte. »Die Adepten auf Stratix Luminae haben versucht, Mutationen zu kontrollieren. Sie züchteten mutiertes Fleisch, um es danach wieder zu heilen. Die höchsten Offiziere dieses Ordens − mich eingeschlos sen − sind der Meinung, dass sie erfolgreich waren. Aus Korvax’ Aufzeichnungen können wir entnehmen, dass das Experiment fast beendet war und von den Eldar unterbrochen wurde. Das Wissen, das die Adepten erlangt haben, wartet auf uns. Wir können es benutzen, um uns von dem Gift zu heilen, das die Seelentrinker langsam in den Untergang treibt.« Karraidin trat neben die Kanzel. Die Stiefel seiner riesigen Termi natorrüstung schepperten schwer über den Metallboden. Die Seelen trinker hatten immer schon nur wenige dieser mächtigen, hoch ent
wickelten Rüstungen besessen. Karraidin trug die letzte, die ihnen verblieben war. Er hatte sie sich verdient − er war ein entschlossener, furchtloser Anführer, der sich in den härtesten Entermanövern be währt hatte. Im Ordenskrieg hatte er sich auf Sarpedons Seite ge schlagen, und es gab nur wenige Veteranen, denen Sarpedon mehr vertraute. »Der Stoßtrupp steht unter meinem Kommando«, sagte er. »Dazu gehören Salks, Graevus’ und meine eigenen Männer. Unser Ziel sind die Kellergeschosse der Forschungsstation. Unsere Aufgabe: Daten und alles andere zu sammeln, was mit dem Experiment zusammen hängt. Techmarine Lygris und Apothecarius Pallas werden uns be gleiten. Unnötig zu erwähnen, dass das, was Korvax dort unten ent deckt hat, noch immer auf uns lauern könnte.« »Der zweite Truppenteil«, sagte Sarpedon, »wird von mir befeh ligt. Wir werden die Oberfläche und die Umgebung des Außenpost ens sichern und sie so lange halten, bis der Stoßtrupp seine Arbeit beendet hat. Stratix Luminae liegt im Zentrum eines der Systeme mit der größten Feindpräsenz in der Galaxis. Unsere Ankunft wird nicht unbemerkt bleiben. Wir müssen davon ausgehen, dass die For schungsstation angegriffen werden wird. Unsere Landezone muss um jeden Preis gehalten werden. Alle Marines, die keinem Einsatztrupp zugeteilt wurden, bleiben als Reserve auf den Schiffen.« Jeder wusste, was das bedeutete. Bis jetzt hatte Sarpedon noch niemals alle Männer des Ordens auf einmal riskiert − jeder Marine war unersetzlich. Sollte der Orden zerstört werden, würde das Adep tus Terra ihn nicht wieder aufbauen. Es ging um das Überleben und die Zukunft des Ordens. Sarpedon zog sein zerlesenes, oft benutztes Exemplar des »Kate chismus des Krieges« aus der Tasche. »Imperator, hilf uns«, begann er. »Damit wir Deine Schöpfung von unseren Feinden befreien kön nen …« Im Bewusstsein, dass es das letzte Mal sein konnte, beteten die Seelentrinker gemeinsam.
Stratix Luminae war so blass wie ein getrübtes Auge − siebentausend Quadratkilometer eisige Tundra, aus denen einige wenige Felsforma tionen aufragten. Die Forschungsstation des Adeptus Mechanicus Biologis war, aus der Umlaufbahn betrachtet, nicht mehr als der win zige Beweis, dass sich in dieser toten, kalten Welt einst Menschen angesiedelt hatten. Aber Teturact konnte das Leben darin spüren, ein Leben, das wie sein eigenes vor Aktivität fast überschäumte. Sein Bewusstsein kehrte in den Ritualraum des Flaggschiffs zu rück. Diese Kammer war ein geheimer Ort, den nur er betreten durf te, und der einzige Platz des gesamten Schiffs, in dem keine Leichen den Boden bedeckten. Lackierte, verzierte Tafeln aus exotischem Hartholz bedeckten Wände und Decke. Wandteppiche zeigten impe riale Helden, was angesichts des Albtraums, den Teturact dem Impe rium bereitete, fast schon lächerlich wirkte. Der Boden bestand aus einem Mosaik religiöser Texte, und Weihrauchfässer, die an der De cke hingen, erfüllten den Raum mit ihrem Duft. Glühkugeln in Kronleuchtern sorgten für ein Licht, in dem sich jeder Schatten scharf abzeichnete. In Nischen in den Wänden waren verschiedene Reliquien gesammelt − die Fingerknochen eines Heili gen, die traditionelle, mit Edelsteinen besetzte und in Silber einge fasste Axt der Priester von Stratix und das aufgerollte Banner des Adeptus Sororitas. Heilige Kunstgegenstände, die von der großen Vergangenheit des Imperiums kündeten und auf seine glorreiche Zu kunft verwiesen. Teturact hatte sie aus Stratix und anderen heiligen Orten, die er erobert hatte, geborgen. Ihre Präsenz legte sich wie ein Schatten über ihn, als besäßen sie eine Kraft, die ihn auf den Boden der Sterblichkeit zurückholen konnte. Es kostete Teturact große Überwindung, die Kammer zu betreten, aber er tat es nicht ohne Grund. Es war der einzige Ort in Teturacts Reich, der rein und sauber ge halten wurde. Die Gegenstände darin waren aus hohen Türmen oder heiligen Orten geplündert und hier zusammengetragen worden. Der
Grund dafür war einfach. Seine Hexer mussten für ihre Rituale etwas benutzen, das sie entweihen konnten, und was eignete sich besser dazu als diese heiligen Gegenstände. Die Hexer hatten sich vor ihm versammelt. Ihre von Kapuzen ver deckten, missgestalteten Köpfe waren in Ehrfurcht gesenkt. Alles, was sie hatten, verdankten sie ihm. Dieser unheilige Ort der Reinheit musste ihnen ebenso großes Unbehagen verursachen wie Teturact selbst. Ihr wisst, was ihr zu tun habt, sprach er durch seine Gedanken. An die Arbeit. Einer der Hexer taumelte vor und nahm die Kapuze ab. Er hatte mehrere Gesichter, die miteinander verschmolzen waren. Eine Reihe missgestalteter Augen leuchtete im Licht der Kronleuchter. Einer seiner Münder öffnete sich zu einer leisen, summenden Totenklage. Die anderen Münder stimmten mit ein und erzeugten eine groteske Harmonie, die jeden Sterblichen in Tränen hätte ausbrechen lassen. Knotige Gliedmaßen schoben sich aus den zerlumpten Roben: Arme, Kneifzangen und Tentakel. Jede Hand vollführte eine blas phemische Geste. Rote Lichtstreifen formten sich zu ketzerischen Symbolen. Die anderen Hexer bildeten einen Kreis um den Sänger. Teturacts mutierte Sänftenträger trugen ihn aus dem Kreis, während jeder He xer seinen Teil zum Gelingen des Zauberspruchs beitrug. Einer lie ferte blanken Hass, eine glutrote Säule, die die Energie für das Ritual bereitstellte. Ein zweiter nahm diesen Hass und wob ihn zu einem Muster aus Leid und Schmerz. Die Kammer hallte von psionischen Nachbildern der Folter und Verzweiflung wider. Lack blätterte von den Wänden. Die Bilder der heiligen Armeen des Imperators vergilbten und lösten sich auf. Eine Patina aus Alter und Fäulnis überzog die heiligen Reliquien. Sogar das Licht verän derte sich, wurde trüber und tauchte den Raum in einen gelblichen Schimmer. Gestalten tauchten auf, Gespenster, die durch das Ritual herbeige
rufen worden waren, schattenhafte Silhouetten, die über dem Kreis schwebten. Neugierige Warpkreaturen wurden durch die Magie an gezogen wie Aasfresser durch Blutgeruch. Ungeheuer beobachteten sie. Vielleicht sogar die Götter selbst, die zweifellos ehrfürchtig zu Teturact aufschauten. Immerhin war ihm gelungen, was sie nie voll bracht hatten: Er hatte ein Reich des Leidens und des Todes im Her zen des Imperiums erschaffen. Es war eine sehr alte Magie. Sie schmeckte nach geronnenem Blut und gehorchte seinem Willen. Der Lobgesang wurde höher und lauter. Ein weiterer Hexer betrat den Kreis und zog einen Dolch aus geschwärztem Eisen aus seiner Robe. Dieser Hexer überragte seine Kameraden. Er hatte breite Schultern, und seine Muskeln zeichneten sich unter der Robe ab. Er warf den Kopf zurück und enthüllte ein Gesicht, von dem die Haut in Fetzen herunterhing. Dann stieß er sich den Dolch in den Leib. Purpurrote Eingeweidestränge fielen aus seinem Bauch. Wo sie den Boden berührten, breitete sich ein dunkler Fleck aus, der an Rost erinnerte. Er bedeckte den Mosaikboden, bis aus den frommen Sprü chen darauf Symbole von Krankheit und Tod geworden waren. Der Hexer sank auf die Knie und zeichnete mit der Dolchspitze ein Sym bol in seine Eingeweide. Magie erfüllte den Raum. Nachdem er den letzten Strich getan hatte, leuchtete das Symbol auf. Die Wände lösten sich in Schichten ab. Dahinter kam das Flugdeck zum Vorschein, in das die Kammer eingelassen war. Einst hat ten hier Tausende von Jägern auf ihren Einsatz gewartet. Jetzt lagen gewaltige Leichenhaufen auf dem rostigen Boden. Klebrige, ver trocknete Gliedmaßen bedeckten tote Gesichter, die aus leeren Au genhöhlen starrten. Es waren wahre Leichenberge, die aus den Schwarmstädten von Stratix geborgen und Teturact als Opfer dargeb racht worden waren. Die Wände stürzten ein, und die Decke verwandelte sich in ausei nanderstiebende Rostflocken. Das Ritual war fast beendet. Der Chor schwang sich in neue Höhen auf, die Luft brannte vor Energie.
Schwarze Funken schlugen aus den Roben der Hexer. Schattenhafte Formen geisterten durch die Luft. Der erste Leichnam bewegte sich und rollte einen Berg aus Kör pern hinab. Er riss weitere Leichen mit sich, die nun ebenfalls ihre knochigen Finger ausstreckten. Bald schon waren die Leichenhaufen eine Masse aus sich windenden Gliedmaßen, und der erste tote Kör per erhob sich und wandelte umher. Teturact spürte den unglaublichen Zorn, mit dem das ganze Schiff erwachte. Die Menschen auf Stratix hatten ihn angefleht, ja gebettelt, sie vor dem Tod zu bewahren, und er hatte ihnen ihre Bitte gewährt − im Tausch für ihre Seelen. Nun dehnte er seine Macht auf diejenigen aus, die er noch nicht erlöst hatte − die Toten der Schwarmstadt. Das Gruftschiff war mehr als nur ein Ort der Anbetung − es war eine mächtige Waffe, die tödlichste, die er erschaffen konnte. Sie trug eine Armee, die weder essen noch schlafen musste, die ihm blind folgen, niemals die Flucht ergreifen und bis zum Tode kämpfen wür de − sie waren ja bereits gestorben. Teturacts großer Plan, Welten zu infizieren und sie dann zu ero bern, hatte Grenzen. Er hatte immer gewusst, dass er eines Tages den Feind direkt angreifen musste. Dafür hatte er dieses Schiff gebaut. Seine Feinde waren ihm näher gekommen, als er es erwartet hatte, indem sie in das Stratix-System selbst eingedrungen waren und es sogar wagten, Stratix Luminae zu entweihen. Das Gruftschiff war genau für eine solche Situation bestimmt. Die Leichenberge wogten hin und her, als sich die Toten mit Klauen und Zähnen daraus befreiten. Unreines Blut floss in Strömen über den Boden des Flugdecks. Die Leichen trugen Arbeiteroveralls, feinen Zwirn oder Uniformen. Teturacts Sänftenträger hoben ihn hoch über sie hinweg, während sein Verstand die kleinen Lichter aufnahm, die die Seelen der Toten darstellten. Jedes dieser Lichter löschte er und ersetzte sie durch seine eigene schwarze Willenskraft. Das war die letzte Stufe des Rituals − Tetu ract zwang die lebenden Toten, einzig und allein seinem Willen zu
gehorchen. Sie waren nun seine Instrumente, die er nach Belieben steuern konnte. Ganz so, als wären ihre Gliedmaßen seine eigenen. Er erweckte die Leichen des ganzen Schiffes, und schließlich spürte er, wie er mit Zehntausenden seiner Sklaven verbunden war. Die erbärmlichen Versuche des Imperiums, ihn aufzuhalten, ka men ihm nun noch lächerlicher vor. Wer würde leugnen wollen, dass Teturact ein Gott war? Er hatte eine Armee erschaffen, die sich allein seinem Befehl beugte. Er war der Gebieter von Millionen, wenn nicht gar Milliarden. Seine Macht war grenzenlos. Bald würde sich sein Reich über die Sterne erstrecken, und Teturact würde seinen Platz unter den Göttern des Warp einnehmen. Ein kleiner Teil seines Verstandes erreichte die Brücke und erteil te einen letzten Befehl − das Gruftschiff würde in die Umlaufbahn um Stratix Luminae eintauchen. Dort würden die Schilde herunterge fahren, und der Bug des Schiffes würde beim Eintritt in die Atmos phäre zerstört werden. Jäger und Shuttles würden auf die Oberfläche hinabregnen. Und wenn sie zerbrachen, ergoss sich eine Armee auf die gefrorene Erde. Das Gruftschiff war ein Ding von großer Schönheit. Aber es war nur ein Stein in der großen Kathedrale seines Reiches. Kein großes Opfer, wenn dafür sichergestellt werden konnte, dass der Geburtsort Teturacts unversehrt blieb.
ELF
»Beim Imperator!«, sagte Schwester Aescarion. »Das ist das häss lichste Ding, das ich je gesehen habe.« Inquisitor Thaddeus stimmte ihr zu. Die Sensoren der Sichelmond übertrugen die Daten direkt auf den Sichtschirm der Brücke. Es war kein schöner Anblick. Im Hintergrund schimmerte Stratix Luminae wie ein riesiges, pupillenloses Auge. Davor schwebte ein wahrhaft abscheuliches Ding, ein Schiff, das wie die Unglücklichen auf Eu menix von der Seuche gezeichnet war. Eiterbeulen, so groß wie In seln, bliesen ekelerregende Flüssigkeit in den Weltraum. Die Platten der Schiffshülle platzten unter der gewaltigen Ausdehnung des Schiffskörpers einfach ab. Verrostete Läufe von Lanzenbatterien ragten aus schorfigen Öffnungen. Die Triebwerke spuckten Eiter, und die Luken der Flugdecks hatten sich in lippenlose Mäuler ver wandelt, die Schmutz, Körper und Trümmer ausspien. Das Schiff war um ein Vielfaches größer als die Sichelmond. Es musste einmal ein gewaltiges Kriegsschiff gewesen sein − wahr scheinlich ein Schlachtschiff der Imperator-Klasse. »Brücke! Haben wir Informationen über dieses Ding?«, fragte Thaddeus. Die Servitoren brauchten einen Moment, um die Anfrage zu bear beiten. Ihre Drahtfinger flogen über die Tastaturen der Speicherkon solen. »Die Stratix-Flotte besaß drei Schlachtschiffe der ImperatorKlasse«, ertönte eine blecherne, synthetische Stimme. »Die Ultima Khan wurde von Ketzern besetzt und bei Kolova zerstört. Die Olym pus Mons und die Pflichterfüllung gelten als verschollen.« »Völlig egal, was das einmal war«, platzte Oberst Vinn heraus.
»Momentan fliegt es viel zu tief. Spätestens in einer Stunde wird es zerschellen.« »Möglich, Oberst«, sagte Thaddeus. »Aber das kann kein Zufall sein. Brücke, werden wir verfolgt?« »Zwei leichte Kreuzer«, kam die Antwort nach einigen Sekunden. »Keine Kennzeichnung. Möglicherweise Ketzer. Eskortschwadron der Kobra-Klasse. Dazu eine unbekannte Zahl von Kriegs- und Han delsschiffen.« »Wenn wir so weit draußen von einer ganzen Flotte verfolgt wer den«, sagte Thaddeus, »dann wurden die Seelentrinker zweifellos ebenfalls bemerkt. Sie sind bereits auf Stratix Luminae, und der Feind verfolgt sie.« »Sollen sie sich doch gegenseitig bekämpfen!«, schlug Vinn vor. »Wenn sie nicht miteinander verbündet sind«, antwortete Aesca rion bitter. Sie spuckte die Worte förmlich aus, als wünschte sie sich, dass die Seelentrinker unter Teturacts Befehl standen und sie endlich einen Grund hätte, sie zu vernichten. »Vielleicht«, sagte Thaddeus. »Das hier ist unsere einzige Chance, sie zu stellen. Aber wir können ja schlecht direkt auf ihnen landen. Selbst wenn dieses Schiff zerschellen sollte, können wir das Risiko nicht eingehen. Brücke! Landungsalternativen berechnen. So weit wie möglich von diesem Schlachtschiff entfernt. Oberst, welche Pan zerfahrzeuge stehen uns zur Verfügung?« »Genug für die Schwestern und den Rest der Männer«, sagte Vinn. Thaddeus konnte den Schmerz in der Stimme des Obersts spü ren. Die besten seiner Leute waren auf Pharos gefallen. »Wir sind nicht darauf eingestellt, einen Panzerangriff durchzuführen.« »Tun Sie Ihr Bestes, Oberst. Das Wichtigste ist zunächst, dass wir unser Ziel erreichen. Das weitere Vorgehen können wir unterwegs planen. Schwester, Oberst, Sie wissen, mit was für einem Gegner wir es hier zu tun haben. Die Seelentrinker mögen in der Unterzahl sein, aber es sind noch immer Space Marines. Wir können sie nicht ver nichten, aber wir haben einen großen Vorteil: Sie sind aus einem
bestimmten Grund nach Stratix Luminae gekommen und werden sich in eine verwundbare Position bringen müssen, um ihr Ziel zu errei chen. Höchstwahrscheinlich werden sie auch von einer anderen Par tei angegriffen werden. Wir haben die Möglichkeit, gezielt gegen sie vorzugehen.« »Und unser wichtigstes Ziel«, ertönte eine vertraute, nur halbmen schliche Stimme in Thaddeus’ Rücken, »ist Sarpedon.« Der Pilger näherte sich vom Eingang der Brücke. Thaddeus wusste nicht, wie lange er dort gestanden hatte. Obwohl jedes Mitglied seines Trupps über alles im Bilde sein musste, hatte er doch gehofft, dieses Ge spräch mit Aescarion und Vinn allein führen zu können. Wie es aus sah, war ihm der Pilger auch diesmal einen Schritt voraus gewesen. »Sarpedon ist der Schlüssel«, sagte der Pilger, während er lang sam die Brücke entlangging und sich zwischen Aescarion und Vinn stellte. Thaddeus entging nicht der angewiderte Ausdruck auf Aesca rions Gesicht. »Sarpedon ist ihr wunder Punkt, das weiß er auch selbst. Ohne ihn sind sie verloren. Selbst wenn er der Einzige ist, der dort unten stirbt, wird sich der Orden auflösen und kann zur Strecke gebracht werden. Alle anderen Ziele sind zweitrangig.« »Noch habe ich hier das Kommando«, sagte Thaddeus streng, um seinen Offizieren seine Autorität zu beweisen. Er konnte nicht hof fen, den Pilger damit zu beeindrucken. »Wir wissen, dass es noch weitere wichtige Marines gibt. Alle Spezialisten und Offiziere sind lohnenswerte Ziele. Zugegeben, Sarpedon steht ganz oben auf der Liste. Zumindest sollte es einfach sein, ihn zu erkennen.« Jede Ordensschwester und jeder Soldat hatte die Aufzeichnungen des Überfalls auf Haus Jenas sis gesehen. Sie wussten, dass sich unter den Seelentrinkern ein Un geheuer mit Spinnenbeinen befand, das um jeden Preis zerstört wer den musste. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Seelentrinker bei unse rer Ankunft bereits in einem Gefecht befinden«, wiederholte Thad deus. »Das ist unser größter Vorteil, den wir auch ausnutzen werden.
Sie wissen nicht, dass wir kommen, und wir werden so schnell und so hart zuschlagen wie die Seelentrinker selbst. Betet für unseren Sieg und vergesst niemals − wir sind hier, um den Willen des Impe rators zu erfüllen.« Die Offiziere verließen die Brücke, und mit einem Mal war alles in rotes Licht getaucht. Die Triebwerke erwachten zum Leben, und die gewaltigen Plasmaturbinen zündeten. Mit Leichtigkeit hängte die Sichelmond die bunt zusammengewür felte Flottille, die ihnen folgte, ab. Die Lenkraketen zündeten, und das Schiff näherte sich der Umlaufbahn um Stratix Luminae. Kreischend durchbrachen die Jäger die Atmosphäre des Planeten. Unter ihnen breitete sich eine endlose Eiswüste aus. Teturacts Flagg schiff hing als die Verkörperung des Bösen und der Verwesung über ihren Köpfen. Die Alienschiffe schnitten durch die Atmosphäre von Stratix Luminae wie Messer durch Seide. Ihre Vorderflügel verwan delten sich in blitzende Klingen, die die heftigen, eisigen Winde durchdringen konnten. Bei dem Schlachtschiff konnte es sich nur um Teturacts Flagg schiff handeln − nichts sonst konnte von so einer dichten Aura aus Pestilenz und Bösartigkeit umgeben sein. Das Schiff feuerte nicht. Vielleicht waren Waffensysteme und Besatzung schon zu sehr ver rottet, um einen Angriff wagen zu können. Zweifellos hatte es die Seelentrinker bemerkt. Jeder Marine − sogar diejenigen, die keine psionischen Fähigkeiten besaßen − spürte ein dunkles Auge, das sie wie durch ein Mikroskop betrachtete. Die zehn Alienjäger transportierten den gesamten Orden, nicht mehr als sechshundert Marines und eine Handvoll Ordensdiener. Sarpedon befand sich zusammen mit Krydel und Luko auf einem Schiff, ein anderes war allein Tellos und seinem Sturmtrupp zugeteilt worden. Sie würden sich sowieso keinem Befehl unterordnen. Ein weiteres beherbergte die Soldaten, die den Außenposten stürmen sollten − Karraidin, Graevus und Salk mit ihren Männern, dazu die
Techmarines Lygris und Solun sowie Apothecarius Salk. Karraidin und das Apothecarium hatten zusammen mit Techmari ne Varuk ein weiteres Schiff in Beschlag genommen. Kaplan Iktinos hatte auf einem anderen Jäger all diejenigen Männer versammelt, die ihre Offiziere verloren und sich daher ihm angeschlossen hatten. Ty rendian befehligte ein weiteres Schiff − er war ein Bibliothekar und nach Sarpedon der wichtigste Psioniker des Ordens. Die letzten drei Schiffe enthielten die Trupps, die als Reserve eingeplant waren: Sev ras, Karvik, Corvan, Dyon, Shastarik, Kelvor, Locano, Preadon und den Bibliothekar Gresk. Sarpedon hatte bei der Aufstellung der Truppen schmerzlich er kennen müssen, in welchem Zustand der Orden war. Nur die Hälfte der Männer war noch nach alter Ordenstradition in Trupps organi siert. Diejenigen, die ihre Offiziere verloren hatten, schlossen sich entweder anderen Trupps an oder unterstellten sich direkt dem Be fehl von Anführern wie Iktinos, Tellos oder Karraidin. Zwar hatte sich der Orden noch nie sklavisch an die Anforderungen des Codex Astartes gehalten, aber mit so einer Situation waren sie noch nie konfrontiert gewesen. Es war einfach nicht genug Zeit, um die Männer ordentlich zu formieren. Nicht, wenn jede Stunde die unumkehrbaren Mutationen verschlimmerte. Techmarine Varuk bemerkte als Erster, dass sich Teturacts Schiff in seine Bestandteile auflöste. Die Signale auf dem Scanner wurden immer undeutlicher, als wären sie durch irgendetwas gestört. Bald wurde klar, dass das Schiff auseinanderbrach und Teile seiner Hülle einfach abstieß. Ganze Decks schälten sich ab und stürzten in die Atmosphäre. Die Jäger der Nachhut meldeten, dass sie nur knapp den herabregnenden Trümmern entkommen waren. Obwohl es sich um hoch entwickelte Xenos-Technologie handelte, waren die Scanner der Jäger mit der schieren Masse der herabfallenden Bruchstücke überfordert. Varuk informierte Sarpedon, dass Teturacts Flaggschiff über ih
nen auseinanderbrach. Sarpedon war schlau genug, dies nicht für eine gute Nachricht zu halten. Teturact beobachtete, wie sein Schiff auseinanderfiel. Er genoss es. Einst war es ein stolzes Schlachtschiff mit genug Feuerkraft gewe sen, um eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Teturact hatte es nicht nur übernommen, um es für seine Zwecke zu gebrau chen, sondern auch, um zu beweisen, was ihm durch reine Willens kraft möglich war. Ein Symbol der Stärke des Imperiums, von ihm gekapert, verformt und zerstört. Nur, weil er es so wollte. Ein weiterer Beweis dafür, dass Teturact wirklich ein Gott war. Die Plasmatriebwerke überhitzten sich und zerbrachen in einer Schockwelle, die das Schiff bis zum Bug erschütterte und das Heck zerriss. Die Triebwerke trudelten der Planetenoberfläche entgegen. Das austretende Plasma hatte den metallischen, chemischen Ge schmack des todgeweihten Imperiums. Als Nächstes folgten die mit wandelnden Leichen gefüllten Ge schützdecks. Nicht alle seine Krieger würden den Fall unbeschadet überstehen, aber genug, um eine regelrechte Armee zu bilden. Tetu ract spürte die Gegenwart seiner Hexer, die in einem praktisch un zerstörbaren Plasmarohr im Zentrum des Schiffes darauf warteten, auf Stratix Luminae zu landen. Manche Schotts hatten bereits nach gegeben, und die Sklavenkörper erstarrten in der eiskalten Luft. Te turact schützte seinen und die Körper seiner Sänftenträger fast mühe los durch seine Willenskraft. Die unbarmherzige Kälte des Vakuums glich der Reinheit des Todes, die er über Stratix Luminae bringen würde. Die Götter warteten. Er spürte, wie sie ihre Augen auf ihn gerich tet hatten. Sie waren neugierig, eifersüchtig und fürchteten, dass sie ihn in ihre Reihen aufnehmen mussten. Diese Götter waren nicht mehr als Ideen, die nur im Warp zur Realität wurden. Teturact hatte seine eigenen Vorstellungen − Sklaverei durch Tod, die Vereinigung von Verderbnis und Reinheit, die Unterwerfung von Seelen durch
Leid und Erlösung. Diese Ideen würden sich nun im Warp verbrei ten, und wenn sie erst einmal stark genug waren, würde sich Tetu racts Geist vollständig von seinem Körper lösen, und er würde seinen rechtmäßigen Platz unter den Göttern des Warp einnehmen. Er spürte das Universum am Rande seines Bewusstseins, eine unendliche Zahl von Seelen, die darauf warteten, versklavt und von ihrem Leid erlöst zu werden. Aber erst musste er sich um andere Dinge kümmern. Er beobach tete, wie die erste Angriffswelle herunterfiel und sich die blinkenden Schiffe der Eindringlinge nur mit Mühe durch die herabjagenden Trümmer schlängelten. Wenn sie landeten, würde seine Armee bereits auf sie warten − wenn sie denn landeten. Der Jäger schlingerte, und Sarpedon wurde gegen die Metallwand geschleudert. Warnleuchten blinkten auf, als die Schadensmeldungen das Kontrollsystem erreichten. Der Sichtschirm flimmerte und war mit einem Mal von Trümmerteilen erfüllt. Rußiges Metall und Kör per regneten auf das Schiff herab. »Stabilisieren und zur Landung bereit machen!«, befahl Sarpedon den Ordensdienern, die mit den Steuerungshebeln kämpften. Komm runen erschienen auf Sarpedons Retinadisplay. Mehrere Marines versuchten gleichzeitig, ihn zu erreichen. »… Karvik geht runter. Triebwerke ausgefallen …« Die Stimme gehörte Lygris, dessen Schiff sich in unmittelbarer Nähe des Jägers befand, der Sevras’ und Karviks Trupp transportierte. Insgesamt dreißig Marines. Nicht die letzten Opfer, die dieser Planet fordern würde. Sarpedon bemerkte, dass die Lebenssignale seiner Männer wie verrückt blinkten. Er vermutete, dass der Trüm merhagel Teturacts Strategie war, um seine Armee auf die Oberflä che zu bringen. »Sarpedon an alle Einheiten«, voxte er, »Formation auflösen und Ausweichmanöver einleiten. Gebt euer Bestes.« Er wandte sich an
die Ordensdiener, die das Schiff steuerten. »Sucht nach Karviks Jä ger. Ich will wissen, ob es Überlebende gibt.« Mit einem weiteren heftigen Ruck entkam das Schiff nur knapp einem Hagel aus Wrackteilen. Teile von Schiffshüllen segelten am Sichtschirm vorbei. Sarpedon vermutete, dass Karendins Apotheca rium schon vor der Landung alle Hände voll zu tun haben würde. »Bruchlandung, wenn es sein muss«, befahl Sarpedon seiner Be satzung. »Ich will so schnell wie möglich die Oberfläche erreichen.« »Bruchlandung in dreißig Sekunden, Kommandant«, antwortete der Ordensdiener, der das Schiff navigierte. »Dann los.« Sarpedon kontaktierte Krydel und Luko im Besat zungsabteil. »Sergeanten, das wird eine harte Landung.« Luko überprüfte die Gurte seines Sitzes. Trotz der gewaltigen Ener gieklauen bewegte er seine Hände mit außergewöhnlicher Geschick lichkeit. »Ihr habt ihn gehört«, rief er über den Lärm, den die fallen den Wrackteile verursachten. »Schnallt euch an.« Der Jäger, der Karvik und Sevras transportierte, traf in einem viel zu steilen Winkel auf. Ein Flügel brach beim Kontakt mit dem gefrore nen Boden ab. Das Schiff überschlug sich, bevor es sich in Sichtwei te des Außenpostens in die Erde grub. Der unbekannte AlienTreibstoff ergoss sich über die Tundra. Sie waren die Ersten am Boden, auch wenn es nicht so geplant war. Das Schiff war noch nicht vollends zum Stillstand gekommen, als schon die ersten Soldaten der Armee Teturacts aus den Trümmer haufen kletterten. Sie erklommen ihre Kameraden, die beim Fall entweder verbrannt oder zu Eis gefroren waren. Die Willenskraft ihres Gebieters zwang sie auf die gebrochenen Beine. Als Waffen benutzten sie verbogene Metalltrümmer. Ihr Herr und Meister hatte sie erlöst und vor dem Tod bewahrt − sie hatten keine andere Wahl, als ihm zu dienen. Ihr Gott erwartete eine Gegenleistung für alles, was er für sie ge
tan hatte. Sie konnten ihm keinen Widerstand leisten, also taumelten sie auf den gestrandeten Jäger zu und näherten sich den Landepunk ten der anderen silbernen Schiffe. Ihr Verstand wurde nur von einem Gedanken beherrscht: zu töten. Sergeant Lukos Gurte hielten nur knapp dem Aufprall stand, mit dem sich die Nase des Jägers in den gefrorenen Erdboden bohrte. Krei schend rieb sich das Metall des Alienschiffes gegen die Felsbrocken. Er wurde so fest durchgeschüttelt, dass er glaubte, sein verstärkter Brustkorb würde zerdrückt werden. Er wusste um die Wichtigkeit dieser Mission. Dabei zugrunde zu gehen war ehrenhafter, als es der Tod von Milliarden imperialer Bür ger je sein würde. Aber er wollte nicht als Opfer von Schwerkraft und Zufall sterben, nicht, ohne sich dem Feind gestellt zu haben. Das metallische Kreischen verstummte. In dem Augenblick der Stille, der folgte, überprüfte Luko seine Autosensoren und die Mus keln nach Verletzungen. Er hatte ein paar Blutergüsse und Zerrungen − nichts, was ihn aufhalten konnte. »Wir sind gelandet«, voxte der Pilot. »Vorwärts, Seelentrinker!«, befahl Sergeant Krydel, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Mannschaftsabteils befand. Das flüssige Metall der Schiffshülle gab eine Öffnung frei. Eiskalte Luft strömte in das Innere des Schiffes. Krydel hatte sich bereits von seinen Gurten befreit und führte sei ne Marines aus dem Schiff. Luko schnallte sich ebenfalls ab. Die Energiefelder seiner Klauen schimmerten, noch bevor er die Oberflä che erreicht hatte. »Vorsicht, Männer! Stellt euch nicht auf einen herzlichen Emp fang ein!«, voxte er, als er die ersten Feinde sah, die auf ihn zutau melten. Mehrere der wandelnden Leichen wurden von Bolterfeuer zerfetzt. Sergeant Krydel stürmte los, um die Landezone zu sichern. Luko begab sich hinter einem riesigen Wrackteil in Deckung und hieb die
ersten Leichen, die daraus hervorkletterten, in Stücke. Sehr gut. Er hatte den ersten Feind erledigt. Jetzt konnte die Schlacht beginnen. Immer noch krachten Trümmerteile herab − manche waren immer noch als Shuttles oder Kapseln erkennbar, der Großteil jedoch be stand aus der Hülle des Seuchenschiffs. Auch Körper regneten he runter, und die wenigsten blieben dort, wo sie aufgeschlagen waren. In der Ferne erkannte Luko die Forschungsstation, ein gedrungenes Gebäude, das mit Einschusslöchern übersät war. »Schützenlinie bilden! Ich will vollen Feuerschutz! Karraidin folgt uns!« Lukos Marines erklommen die Wrackteile und formierten sich zu einer Verteidigungslinie, um sich den Weg zum Außenposten freizuschießen. Luko sah auf. Der Himmel war dunkel, als würde ein Sturm auf ziehen. Er sah einen hellen Lichtstreifen. Ein weiterer Jäger, der zur Landung ansetzte. Die dunklen Punkte waren weitere Soldaten Tetu racts, die auf sie herunterprasselten. Die erste Angriffswelle war nur ein Test gewesen. Jetzt würde die richtige Schlacht beginnen. Angeblich war Dreo von Kreaturen wie diesen getötet worden, ein Mann, mit dem Luko Seite an Seite ge kämpft hatte. Er konnte immer noch nicht glauben, dass er tot war. Das Herz des Bösen schwebte über ihnen. Ob ihre Mission erfolg reich war oder nicht − Luko hoffte, dass er dieses Herz vernichten konnte, dass es aufhören würde, zu schlagen. Aber im Moment hatte er ganz andere Sorgen. »Wir sind etwa dreißig Meter von euch entfernt«, voxte Krydel über das Bolterfeuer. »Wir geben euch Deckung. Stoßt zur Forschungsstation vor«, antwortete Krydel und zwinkerte nicht einmal, während neben ihm ein hausgroßes Triebwerk einschlug. Luko sah sich um. Sarpedon verließ den Jäger. Seine Beine ver liehen ihm eine unglaubliche Geschwindigkeit. Fast beiläufig enthauptete er eine der wandelnden Leichen.
»Karraidin, wir sind unten. Wo seid ihr?«, voxte Sarpedon. Als Antwort erhielt er einen Schrei und das Dröhnen eines Jägers, der über seinem Kopf scharf abbremste und zwischen Sarpedons Positi on und dem Außenposten landete. Während Sarpedon seine Boltpistole abfeuerte, begab er sich ne ben Luko in Deckung. »Stellung halten, Sergeant«, sagte er. »Gebt Krydel und Karraidin Feuerschutz.« »Was ist mit Euch, Kommandant?« »Ich werde überall zugleich sein. Genau wie der Feind.« Luko nickte und kletterte auf ein rauchendes Wrackteil, von dem aus er die Schussrichtung seines Trupps koordinieren konnte. Horden von Feinden erhoben sich aus den Trümmern und wurden ebenso schnell durch diszipliniertes Bolterfeuer niedergemäht. Aber es war en so viele … Und es kamen immer noch mehr. Es regnete Leichen, und keine von ihnen würde am Boden liegen bleiben. Selbst von der Position aus, an der die Sichelmond gelandet war, war der dunkle Strom, der sich über den Horizont ergoss, deutlich sich tbar. Das feindliche Schlachtschiff löste sich unter Thaddeus’ Augen auf, die Hülle brach weg und legte das Skelett des Schiffes frei. Sobald die Laderampe der Sichelmond geöffnet wurde, gab Oberst Vinn, der im ersten der gepanzerten Fahrzeuge saß, den Befehl aus zurücken. Der Konvoi bestand aus Chimären, die mit zusätzlichen Panzerplatten und leistungsfähigeren Motoren ausgestattet waren, sowie einer Handvoll Rhinos des Adeptus Sororitas. Dröhnend ver ließen die Fahrzeuge die Sichelmond. Thaddeus saß in einer Chimäre am hinteren Ende des Konvois. Er spähte aus der Kommandoluke. Die Luft war eiskalt, und er war froh um seinen schweren Mantel. Sein Atem bildete Wölkchen in der ge frorenen Atmosphäre. In seiner kurzen Dienstzeit als Inquisitor hatte er eines gelernt: Jeder Planet hatte seinen eigenen Geruch, und Stra tix Luminae roch leer und heimlichtuerisch wie ein verlassenes Haus.
Hinter der scheinbar endlosen Tundra lauerte mehr als nur Trostlo sigkeit. Irgendetwas schlief hier seit langer Zeit, das konnte er spü ren. »Vorhut! Haltet euch zurück!«, voxte Thaddeus an Oberst Vinn. »Ich will nicht, dass wir in ein gegnerisches Feuergefecht geraten. Beim ersten Kontakt sofort anhalten und Meldung machen.« Vinns einzige Antwort war ein Bestätigungssignal. Der Oberst war kein Mann der vielen Worte. Sollte er diese Mission überleben, würde sein Verstand wahrscheinlich sowieso zusammen mit jeglicher Erinnerung an irgendein Gespräch gelöscht werden. Thaddeus ließ sich in seinen Sitz zurückfallen. In der Dunkelheit neben ihm saß der Pilger, den eine bedrohliche Aura umgab. Seine Anwesenheit erfüllte Thaddeus mit Unbehagen. Nichtsdestotrotz konnte er schwerlich auf ihn verzichten. »Wir können sie vernichten«, krächzte der Pilger. »Das wisst Ihr doch, oder nicht? Wir sind nicht nur hier, um ihre Anwesenheit zu bestätigen. Wir sind Soldaten. Wir können sie bezwingen.« »Ich bin nicht hier, um Eure Racheschwüre zu erfüllen«, sagte Thaddeus grimmig. »Ich habe einen Eid geschworen. Ich werde die Seelentrinker der Gerechtigkeit zuführen − was noch lange nicht heißt, dass ich meine Truppen sinnlos dabei verheizen werde. Nie mals − und wenn es Jahrzehnte dauern sollte.« »Dies ist Eure letzte Chance.« »Und selbst, wenn es hier nicht enden sollte − wir werden eine weitere Möglichkeit bekommen.« Thaddeus lehnte sich in dem rat ternden Fahrzeug zurück und überprüfte, ob seine Autopistole gela den war. Er hatte nur noch wenig von seiner Spezialmunition übrig, aber wenn es je einen Zeitpunkt gegeben hatte, an dem er sie sinnvoll einsetzen konnte, dann heute, auf Stratix Luminae. Sollte der Pilger recht behalten, würde eine dieser Kugeln reichen, um Sarpedon zu töten und den Orden zu vernichten. Irrte sich der Pilger, wovon Thaddeus ehrlicherweise nicht ausging, dann würde er bei dem Ver such sterben − und mit ihm jegliche Hoffnung der Inquisition, diese
Gefahr ein für alle Mal zu beseitigen. »Vorhut meldet kleinkalibriges Feuer«, voxte Oberst Vinn. »Sind Feinde in Sicht?« »Noch nicht.« Sehr gut. Zumindest sah es nicht danach aus, als würden sich sei ne Männer sowohl Teturact als auch Sarpedon stellen müssen. Ande rerseits hatte Thaddeus das Gefühl, dass dies die letzte gute Nach richt war, die er an diesem Tag erhalten würde. Karraidins Energiefaust verwandelte zwei seiner Gegner in verwe sende Fleischstücke und Knochensplitter. Bolterfeuer erledigte ein weiteres Dutzend, während Sergeant Salk seinen Teil zum Gemetzel beitrug. Die Einöde vor ihnen hatte sich in wenigen Minuten in ein Gewirr aus rußigem Metall und rauchenden Wracktrümmern ver wandelt. Teturacts Soldaten griffen aus jeder Richtung an, während immer weitere Körper aufschlugen, um sofort wieder aufzustehen und zu kämpfen. Salk hatte hinter den rauchenden Triebwerken und Metallplatten den Sichtkontakt zum Außenposten verloren. »Salk! Truppe aufteilen! Kämpft euch durch, wir treffen uns vor dem Außenposten!«, voxte Karraidin, während er mit seinem Sturm bolter auf grässliche Kreaturen schoss, die einst Soldaten des Impe riums gewesen waren. Manche von ihnen trugen immer noch Laser gewehre oder Kampfmesser. Salk nickte und bedeutete seinem Trupp vorzurücken. Marine Krin feuerte seinen Plasmawerfer in die Schatten. Im trüben Licht des glühenden Plasmas wanden sich zerfallende Leichen. Überall um die Marines schlugen Kaliber unterschiedlichster Art ein. Salk war sich eines bewusst: Sie mussten schnell vorrücken, ansonsten würden sie vom Feind umzingelt und festgenagelt werden. »Mir nach! Krin, immer auf die Mitte zielen!« Salk zog sein Ket tenschwert und stürmte vor. Wie wild hieb er auf die ausgemergelten Gesichter ein, die hinter Wrackteilen oder Rauchwolken zum Vor
schein kamen. Das Feuergefecht verwandelte sich langsam in ein Handgemenge. Gliedmaßen griffen nach ihm, Bolterprojektile bohr ten sich in alles, was sich bewegte. Ein Laserstrahl verfehlte knapp seinen Kopf, der nächste bohrte sich in das Keramit seiner Brustplat te. Er trat auf einen der wandelnden Leichname, der auf ihn zugekro chen kam, und bohrte seine Kettenklinge in den Leib eines nächsten, der keuchend zu seinen Füßen das Leben aushauchte. Ein Plasmastrahl, der über seinem Kopf hinwegschoss, verbrannte einen Großteil der anstürmenden Feinde, die die Uniformen der im perialen Flotte und Schrotflinten trugen, zu Asche. Im Gegensatz zum Rest der Gegner schienen sie relativ unverwest zu sein. Ihre Gesichter waren noch nicht verfault genug, um nicht von Hass ver zerrt zu sein. Salk bedeckte sie mit einer Salve aus seinem Bolter, bevor er sich hinter einer Metallplatte in Sicherheit brachte. Um ihn herum prasselte ein Schrapnellregen nieder. Karrick kam gerade zur rechten Zeit. Er stürmte die gegnerische Stellung, und Salk rappelte sich auf, um an dem Scharmützel teilzu haben. Er köpfte einen Feind und zertrümmerte den Brustkorb eines weiteren mit dem Knauf seines Kettenschwerts. Karrick war ein zä her Veteran, der viel mehr Erfahrung als Salk auf dem Buckel hatte. Trotzdem beugte er sich ohne Widerspruch der Befehlsgewalt des Jüngeren, packte einen weiteren Gegner am Handgelenk und schmet terte ihn mit genug Kraft gegen ein Wrackteil, um sein Rückgrat zu brechen. »Weiter!«, voxte Salk. »Da kommen noch mehr.« Salk führte seinen Trupp durch ein Labyrinth aus Wrackteilen. Er wusste genau, wo sich der Außenposten befand. Ein kurzer Blick auf sein Retinadisplay bestätigte ihm, dass alle seine Kameraden nur leichte Verwundungen davongetragen hatten und nach wie vor kampffähig waren. Der erste Blick, den Salk auf den Außenposten warf, wäre beinahe sein letzter gewesen. Das Gebäude war mit ordentlichen Soldaten besetzt, nichts im Vergleich zu den taumelnden Leichen, die sich ihm
bis jetzt in den Weg gestellt hatten. Sie besetzten die Geschützstel lungen auf dem Dach, kletterten die Wand hoch oder verschanzten sich hinter behelfsmäßigen Barrikaden, die zehn Jahre zuvor errichtet worden waren. Salk brachte sich so schnell wie möglich in Deckung. Er hörte das nur allzu vertraute Geräusch, mit dem sich feindliche Kugeln in Keramit bohrten. Einem seiner Waffenbrüder wurde ein Bein abgetrennt, als sich das Feuer aus großkalibrigen Waffen einen Weg durch den Schutt bahnte. Er musste hier raus. Hinter der ersten Verteidigungslinie würde es um einiges sicherer sein − aber da musste sein Trupp erst einmal hingelangen. »Granaten frei!«, rief Sarpedon. Jeder Marine, der dazu in der La ge war, zog Splittergranaten aus den Gürteltaschen. »Krin, De ckungsfeuer!« Flüssiges Plasma ergoss sich über die ersten Barrikaden. Weiß glühendes Feuer strömte über den Stacheldraht und in den Graben dahinter. Nur Sekundenbruchteile später schleuderten die Marines ihre Granaten. Mehrere Detonationen ertönten, und Erdfontänen spritzten auf. »Los!«, befahl Salk und stürmte vor. Nach wenigen Metern hatte er die erste Barrikade erreicht und sprang in den Graben, den Captain Korvax zehn Jahre zuvor von den Eldar befreit hatte. Dieses Mal hatten sie es jedoch nicht mit Xenos, sondern mit verdorbenen Ket zern zu tun, die noch immer die Uniformen ihrer früheren Einheiten trugen: die der imperialen Armee, privater Truppen oder Milizen. Salk erkannte sogar eine smaragdgrüne Uniform des Pollos-Kartells, bevor er den dazugehörigen Mann in Stücke hieb. Teturact hatte sei ne Armee aus seinem ganzen Reich zusammengerufen. Zweifellos hatte jede Welt, die er erobert hatte, ihm einen ordentlichen Tribut an bewaffneten Anhängern eingebracht. Karrick war an Salks Seite, zog einen ehemaligen Elysianer zu sich heran und schlitzte ihm mit dem Kampfmesser die Kehle auf. Salk sah sich im Graben um. Überall waren die Seelentrinker mit
der Disziplin beschäftigt, in der sie wohl jede andere Truppe der Ga laxis schlugen: dem Nahkampf. Kaltblütig und blitzschnell, Auge in Auge mit dem Feind. Hier waren sie sicherer als irgendwo sonst auf dem Schlachtfeld. Salk überprüfte sein Retinadisplay. Bruder Vaeryn war zurückge blieben. Er litt unter schwerem Blutverlust und Schock. »Vaeryn, bitte melden«, voxte Salk. »Habe ein Bein verloren, Sergeant«, antwortete Vaeryn. »Kannst du kämpfen?« »Kämpfen ja, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich werde von hier aus mein Bestes geben.« »Das Schicksal sei mit dir, Bruder.« »Der Imperator beschützt.« Vielleicht konnten sie den verletzten Marine auf dem Rückweg mitnehmen, aber Salk bezweifelte es. Bolterfeuer erschütterte die hintere Brüstung des Grabens mit ei ner Reihe von Explosionen. Das plötzliche Kreischen einer schweren Waffe und eine hellorange Explosion informierten Salk darüber, dass sein Trupp nicht der einzige war, der den Außenposten belagerte. Salk nutzte die kurze Feuerpause, um einen Blick über den Graben zu riskieren. Ein Wachposten war ausgeschaltet, aber aus einer wei teren Geschützstellung feuerte ein zweiläufiger, schwerer Bolter auf sie. Noch dazu drängten die Ketzer von beiden Enden des Außen postens in den Graben, um ihre Barrikaden wieder zurückzuerobern. Ein Plasmaschuss bohrte sich wie auf Befehl in ein Ende des Gra bens und wirbelte drei Männer durch die Luft. Krin hatte seinen Ka meraden einen Weg gebahnt. Sie hatten nun freie Schussbahn auf die Geschützstellung. Boltergeschosse prallten vom Plastbeton des Ge bäudes ab, und einer der Schützen fiel taumelnd vom Dach. Salk führte seine Männer aus einem Graben und in den nächsten. Sie sprangen über die improvisierten Barrikaden und machten die Kultisten nieder, die sich vor ihrem Bolterfeuer dahinter verschanzt hatten. Durch einen Hagel aus Leuchtspurgeschossen, Explosionen
und umherwirbelnden Erdbrocken sah Salk das Tor des Außenpost ens. Mit feuerndem Sturmbolter erschien Karraidin auf der Bildfläche. Er rannte unbeirrt auf das Tor zu, während kleinkalibrige Geschosse an seiner massiven Rüstung abprallten. Die Männer an seiner Seite erwiderten das Feuer vom Dach. Immer mehr Schützen fielen die Mauern herab. Salk stürmte vor und traf Karraidins Trupp im Schat ten des Forschungspostens, während die letzte Geschützstellung ei ner wohlgezielten Splittergranate zum Opfer fiel. Salk bemerkte, dass Apothecarius Pallas und Techmarine Lygris sich Karraidin an geschlossen hatten. Salk erinnerte sich, dass Lygris gleich am An fang seiner Laufbahn als Marine schwere Verletzungen davongetra gen hatte. Sein Gesicht war eine zum Großteil ausdruckslose Maske aus synthetischem Fleisch. »Seid gegrüßt, Bruder«, sagte Karraidin. Sein wettergegerbtes Ge sicht verzog sich zu einem Grinsen. Salk versammelte seine Männer um das Tor. »Wir müssen es mit Granaten aufsprengen.« Wortlos ging Karraidin auf die Tür zu, während er das Energiefeld seiner Faust einschaltete. Dann durchschlug er mit einem Hieb das Metall. Funken sprühend riss er große Stücke aus dem Tor, bis das Loch groß genug war, dass selbst seine riesige Gestalt hindurchpass te. »Graevus, wie ist eure Position?«, voxte Karraidin. »Wir sind aufgehalten worden, aber dicht hinter euch. Solun ist bei uns.« Salk sah Graevus’ Trupp, der sich einen Weg durch die Verteidi gungslinien bahnte. Die schimmernde, diamantförmige Klinge von Graevus’ Energieaxt war deutlich zu erkennen. Karraidin schaltete auf den Voxkanal, mit dem er alle Trupps und Spezialisten erreichen konnte. »Hier Stoßtrupp. Wir haben den Au ßenposten erreicht. Wir gehen rein.« Der Captain schritt mit gesenktem Kopf durch das Loch im Tor
und betrat das Gebäude. Salk folgte ihm mit gezücktem Ketten schwert. Der fürchterliche Gestank ließ ihn beinahe würgen − ein normaler Mensch hätte es hier nicht eine Sekunde ausgehalten. Selbst mit sei nen zusätzlichen Organen und den Luftfiltern wurde ihm übel und schwindlig. Seine Autosensoren passten sich sofort der Dunkelheit an. Das hier war der Sicherheitsposten, den er auf Korvax’ Aufzeichnung gesehen hatte. Aus den zerstörten Selbstschussanlagen quollen me tallische Eingeweide. Die massiven Plastbetonwände waren mit Ein schusslöchern bedeckt. Wo sich einst der Lastenaufzug befunden hatte, versperrte nun ein massiver Metallblock den Weg. Neben dem Block stand eine Sicher heitskonsole. »Können wir da durch?«, fragte Salk. Karraidin schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Möglicherweise ist eine Sprengladung daran befestigt. Wir brauchen einen Techmarine.« Lygris trat vor und bediente die Konsole. »Dann wollen wir mal sehen, ob uns Adeptin Aristeia die Wahrheit gesagt hat.« Jetzt betraten auch Graevus’ Trupp und Solun das Gebäude. Der Techmarine eilte zu Lygris, um ihm bei der Eingabe des komplizier ten Codes, den Aristeia ihnen verraten hatte, zu helfen. Soluns Spei cherbanken machten kurzen Prozess mit den Algorithmen, die den Zugriffscode generierten. Trotzdem waren es wertvolle Minuten, die die Seelentrinker hier verloren. Die Zeit verstrich quälend langsam. Während sich die Techmari nes über die Konsole beugten, schlugen die restlichen Männer die Gegenangriffe der Kultisten mit gezieltem Bolterfeuer zurück. Salk versammelte seine Männer um die Konsole. Mit ihren Körpern soll ten sie die empfindliche Maschine vor Querschlägern aus den Laser gewehren des Feindes schützen. Sollte Sarkia Aristeia sie angelogen oder sich geirrt haben, würde es hier auf diesem imperatorverlasse nen Eisball zu Ende gehen.
Ein Space Marine verzweifelte niemals − aber es gab Momente, in denen das ungeheuerliche Ausmaß der vor ihnen liegenden Aufgabe Salk schier zu erdrücken schien. Nach Jahrtausenden der Sklaverei hatten sich die Seelentrinker befreit, und nun hing ihr Überleben von so etwas Winzigem wie Aristeias Erinnerungsvermögen ab. »Fertig. Alle Mann zurück!« Ein spiralförmiger Riss erschien im Metallblock. Wie eine Iris fal teten sich einzelne Segmente auf. Die Hälfte der Männer zielte mit ihren Boltern auf das sich öffnende Loch im Boden. Verrostete Mo toren gaben kreischend einen Weg frei, der zehn Jahre lang ver schlossen gewesen war. Eine dünne, stinkende Dampfwolke stieg aus dem Loch auf. Karraidin wedelte mit der Hand, während sich seine Sensoren anpassten. Salk warf einen Blick auf seinen Auspex, um zu sehen, was sich unter ihnen befand, aber er empfing nur statisches Rauschen. Sie wussten, dass sich das nächste Geschoss vier Meter unter ihnen befand, aber das war auch schon alles. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, was dort auf sie lauerte. »Graevus, willst du die Vorhut übernehmen?« »Deshalb bin ich gekommen«, antwortete Graevus und näherte sich mit seinen Männern dem kohlschwarzen Schlund. »Kaltblütig und blitzschnell. Wir gehen rein und sichern die Um gebung. Karraidin, Ihr folgt uns mit den Spezialisten. Wer weiß, was sich da unten befindet und wie lange wir es aufhalten können. Vor wärts, Männer!« Graevus steckte die Boltpistole weg, ergriff seine Axt mit beiden Händen und sprang in das Loch. Sein Sturmtrupp folgte ihm. Mit gezogenen Waffen ließen sich die Männer ins Unbekannte fallen. »Verdammt!«, ertönte fast sofort darauf eine Stimme über Vox. Selbst durch das statische Rauschen war es eindeutig die von Grae vus. »Was ist … Alle Mann runter hier, sofort! Ich kann nicht …« Seine Stimme wurde vom Rauschen verschluckt. Ohne zu zögern sprang Salk hinterher. Er wusste, dass ihm sein Trupp folgen würde. Er landete auf etwas Heißem, Weichen, das sich unter seinen Fü
ßen wand und Wellen schlug. Irgendetwas schoss an seinem Kopf vorbei. Er konnte ein Tentakel erkennen, das so dick wie die Taille eines Marine war. Es hatte sich um einen von Graevus’ Männern geschlungen und drückte ihm die Luft ab, bevor es den Körper in ein riesiges, kreisförmiges Maul schob, das groß genug war, um einen Panzer zu verschlingen. Befehle und Schmerzensschreie erfüllten die Luft − dann ertönte ein unmenschliches Gebrüll, das von überall her gleichzeitig zu kommen schien. Während seine Männer um ihn herum fielen, schaltete Salk seine Boltpistole auf Dauerfeuer und stürzte sich in den Kampf. Sarkia Aristeia atmete die reine, kühle Luft tief ein. Sie wollte den Gestank von Mutation und verbranntem Fleisch aus ihren Lungen bekommen. Sie taumelte durch das geöffnete Tor und fiel zu Boden. Die gefrorene Erde zerschnitt ihre Hände. Die Umgebung des Au ßenpostens war völlig zerstört. Die Verteidigungsanlagen der Tech gardisten waren in Schutt und Asche verwandelt worden. Stachel draht war um die Leichen von Menschen und Eldar gewickelt. Überall lagen Tote − ihr Blut war bereits gefroren. Sarkia sah die gerüstete Gestalt eines gefallenen Marine. Aus Kratern stiegen schwarze Rauchwolken auf. Sarkia sah zum blassen Himmel auf und bemerkte die geschwungenen Kondensstreifen der Thunderhawks. Die Seelentrinker kehrten zu ihrem Schiff zurück. Sie hatte sie kämp fen sehen − beim Omnissias, sie waren exzellente Krieger. Sie über ragten jeden anderen Mann um eine Kopflänge, waren schnell und brutal, jeder Schuss traf sein Ziel, und im Nahkampf waren sie gera dezu grausam. Um ehrlich zu sein, hatte sie vor ihnen mehr Angst als vor den flinken, geschickten Eldar gehabt. Die Seelentrinker hatten sie vor den Aliens gerettet, aber das war nur ein schwacher Trost. Die Marines kümmerten sich nämlich nicht um die Überlebenden. Wahrscheinlich würde bald ein Schiff des Adeptus Mechanicus ein treffen, um den Außenposten zu versiegeln und für Interdictus zu er klären. Auch Sarkia wusste, dass die Forschung, die hier geleistet worden war, einen Meilenstein darstellte. Aber sie war auch gefähr
lich gewesen. Selbst wenn der Angriff der Eldar nur ein Zufall war − was nicht möglich sein konnte; sie hatten genau gewusst, was sie hier suchten −, hätten die mutagenetischen Versuche leicht außer Kontrolle geraten können. Die Quarantänesiegel, die die Proben geschützt hatten, waren aufgebrochen worden. Es bestand die Mög lichkeit, dass Sarkia getötet und verbrannt werden würde, um einer Kontamination vorzubeugen. Oder sie würde so lange verhört wer den, bis sie das Wenige, das sie über das Forschungsprogramm wusste, verraten hatte. Dann müsste sie sich wohl einer Anklage we gen Korruption oder Inkompetenz stellen müssen. Das hing ganz von der unberechenbaren Logik des befehlshabenden Erzmagiers ab. Irgendetwas bewegte sich, trat aus dem Schatten des Tors. Noch ein Überlebender? Das war nicht unwahrscheinlich − Sarkia hatte den alten Karlu Grien gesehen, wie er aus dem zerstörten Labor komplex gehumpelt war. Nein … es war ein Überlebender, zweifel los, aber nicht einer, über den sie erfreut war. Er − es − war nackt, menschenähnlich, aber kein Mensch. Die Gestalt war so ausgemergelt, dass sie eigentlich unmöglich am Le ben sein konnte. Blasse Haut spannte sich über einen dürren Brust korb und knotige Organe. Die Gliedmaßen waren viel zu lang und endeten in viel zu vielen Fingern und Zehen mit zu vielen Gelenken. Obwohl es zu schwach schien, um sich überhaupt auf den Beinen zu halten, schritt es selbstsicher aus der Tür und ins Licht. Sein Gesicht war nur eine knotige Masse aus Hautfetzen, aus dem ernste, drei eckige Augen hervorblitzten. Es warf seinen Blick auf Sarkia. Sie spürte die abgrundtiefe Bösartigkeit wie einen Laserstrahl, der sich in ihre Seele bohrte. Niemals sollte sie diese brennenden Augen und das nicht vorhandene Gesicht darum vergessen. Es musterte sie wie einen Zellhaufen unter dem Mikroskop. In die sem Moment wurde ihr bewusst, was es war − eines der Experimente aus dem tiefsten Untergeschoss. Vielleicht war es geglückt, vielleicht auch nicht. Die Adepten hatten versucht, die menschlichen Genmus ter aufzuschlüsseln, um Mutationen nach Belieben aufhalten, umkeh
ren oder erschaffen zu können. Und dies war eine der Kreaturen, die sie erschaffen hatten. Da es sich scheinbar ohne ausreichende Mus kelmasse fortbewegen konnte, nahm sie an, dass es sich um eines der psionischen Geschöpfe handelte, von denen die Bediensteten hinter vorgehaltener Hand gesprochen hatten. Ekel überkam sie, und sie warf sich in den nächsten Graben. Die Kreatur ging an ihr vorüber und hatte sie schon wieder vergessen, als es die Überreste der Verteidigungsanlagen und die umherliegen den Leichenteile betrachtete. Sie spürte seinen Hass und seine Ver derbnis. Es war, als würde ihre Seele allein durch seine Anwesenheit beschmutzt. Sie kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben oder sich mit scharfen Steinen die dreckige Haut vom Körper zu schaben. Sie wollte die Augen abwenden, konnte es aber nicht. Die Kreatur verließ den Boden und schoss in den Himmel. Sie ließ einen unsich tbaren, aber mächtigen Hass und Ekel zurück, den Sarkia Aristeia niemals wieder würde abwaschen können. Diese Welt langweilte ihn. Auf ihr gab es so wenig Leben, dass es zu töten der Mühe nicht wert war. Seine Seele, eine Seele, die nie gebo ren hätte werden sollen, war mit Hass erfüllt. Teturact sah zum dunk ler werdenden Abendhimmel auf und jagte allein durch die Kraft seines Willens seinen gebrechlichen Körper mitten in die Sterne. Dort spürte er Leben. Und Leben bedeutete Tod, und Tod bedeu tete Macht. Macht war das heiligste, was es im Universum gab. Von dem Moment an, seit er in einer mit mutierten Zellen gefüllten Retor te geboren worden war, hatte er gewusst, dass er ein Gott war. Er hatte die Macht und den Ehrgeiz eines Gottes. Nun musste er nur noch genügend Anhänger um sich scharen, die ihn anbeteten. Wäh rend er durch das Vakuum auf das mit vor Leben wimmelnde StratixSystem zuflog, überlegte er sich ganz genau, wie er sie auf die Knie zwingen würde. Die Hölle erleuchtete den Himmel. Psionische Kraft umgab Sarpe
don und brannte wie kaltes Feuer auf seiner Haut. Es war, als würde das Blut, das in seiner Rüstung gefangen war, zu kochen beginnen. Er legte das letzte Quäntchen Willenskraft, das er besaß, in Die Höl le, die einzigartige Kraft, die es ihm vor langer Zeit erlaubt hatte, zu einem Bibliothekar des Ordens aufzusteigen. Dieselbe Kraft, die nun Gespenster der Ordnung und der Gerechtigkeit am Himmel erschei nen ließ, die Blitze der Reinheit auf die Horden zwischen den herab gestürzten Trümmerteilen schleuderten. Der Nalholzstab brannte in seiner Hand. Sarpedon musste Die Hölle im Zaum halten, damit sie ihn nicht überwältigte und er seine Marines nicht mehr anführen konnte. Er wartete, bis das psionische Feuer etwas schwächer geworden war, dann kletterte er auf das Wrackteil, hinter dem er Deckung ge sucht hatte, um das Schlachtfeld zu überblicken. In einiger Entfer nung hatte Dyons Trupp feindliche Gruppen ins Visier genommen. Bibliothekar Gresk betete mit den Männern von Corvans Sturmtrupp, die sich darauf vorbereiteten, in einer Gegenoffensive in das Herz des Feindes vorzustoßen. Als er sich umsah, verzweifelte Sarpedon nicht, begriff aber, in welcher Größenordnung die Schlacht lag, die sie zu schlagen hatten. Verräterische Imperiumssoldaten sprangen aus Valkyrien, die durch Teturacts Macht so verformt waren, dass sie riesigen, fliegen den Ungeheuern glichen. Taumelnde Leichen wurden von verwesen den Zuchtmeistern in den Kampf gepeitscht. Noch immer war der Himmel von Wrackteilen erfüllt. Sarpedon hatte bereits Marines ver loren, die den herabstürzenden Trümmern zum Opfer gefallen waren. Er konnte die Größe von Teturacts Armee nicht annähernd schätzen. Ein normales Schlachtschiff bot etwa Platz für zwanzigtausend Mann, aber niemand konnte sagen, wie viel Kultisten und lebende Leichname sich dort hineinquetschen konnten. Die Hölle warf den Feind zurück. Diejenigen aus Teturacts Ar mee, die überhaupt noch zu einer Empfindung fähig waren, brachen in Panik aus. Aber Tote und Fanatiker stürmten weiter vor. Mit je
dem Moment tauchten Hunderte weiterer Gegner auf, die sich zu Gruppen zusammenschlossen und vorrückten. Die Seelentrinker hatten einen behelfsmäßigen Verteidigungsring um den Außenposten gebildet. Die Tundra hatte sich in ein Ödland aus Wrackteilen und Leichenbergen verwandelt. Die überlegene Feuerkraft der Seelentrinker bewirkte nicht mehr viel. Jetzt ging es in den Nahkampf. Mehrere Trupps befanden sich schon im Handge menge mit den Feinden, die in der unmittelbaren Nähe vom Himmel fielen. Schon jetzt wurden in diesem blutigen Durcheinander große Geschichten von Grausamkeit und Heldenmut geschrieben. Sarpedon hielt die Vorder-, Iktinos die Rückseite. Aus einer wei teren Richtung sah Sarpedon das lodernde psionische Feuer von Bib liothekar Tyrendian. Noch immer schwebten zwei Jäger über ihren Köpfen. Die Truppen darin zählten als letzte Reserve, aber Sarpedon wusste, dass sie bald landen mussten. Sevras’ und Karviks Schiff war nur mehr ein rauchender Trümmerhaufen in weiter Entfernung. Wenn jemand von ihnen überlebt hatte, würde er sich auf eigene Faust durchschlagen müssen. Sarpedon sprang wieder in seine Deckung zurück, als die ersten Laserstrahlen um ihn herum einschlugen. »Entfernung?«, fragte er Dyon, den nächsten Sergeanten. »Wir können auf Euren Befehl sofort das Gegenfeuer eröffnen.« »Lasst sie noch näher kommen. Wir müssen ihre Reihen ausdün nen und sie nicht nur erschrecken.« »Verstanden.« »Kommandant«, voxte Kaplan Iktinos über den Schlachtenlärm. »Die Ketzer greifen mit Panzern an. Wir schlagen zurück.« Die Verbindung wurde abgebrochen, noch bevor Sarpedon ant worten konnte. Hinter der Forschungsstation hatte sich der Himmel durch Tyrendians psionisches Feuer scharlachrot verfärbt. Einen Augenblick später meldete sich Sergeant Luko. »Tellos ver sucht einen Gegenangriff. Wir konnten ihn nicht aufhalten und geben ihm Schützenhilfe.«
»Gut, Luko. Niemand darf vom Rest der Truppe abgeschnitten werden. Sie kommen von allen Seiten.« »Verstanden.« Die Schlacht hatte begonnen. Die Hölle würde gegen die dummen Horden der gegnerischen Vorhut nichts nutzen. Er ließ das psioni sche Feuer zu einem schwachen Schimmer herunterbrennen und steckte den Energiestab weg. »Dyon, bring deine Männer an die Front. Angriff. Wir werden die erste Linie in die nachrückenden Truppen treiben. Volle Feuerkraft. Unterstützt die Sturmtrupps.« Dyon rannte in den stetig anwachsenden Sturm aus Laserstrahlen. Seine Marines feuerten auf die anstürmenden Horden. Sarpedon folgte ihnen, während er dem Voxverkehr lauschte. Sollte sich ein Problem ergeben, würde er sofort zur Stelle sein kön nen. Er spürte die psionische Resonanz wie einen Schwarm sum mender Insekten, als Gresk Reaktionen und Verstand der Marines um ihn herum schärfte und Tyrendian weiterhin seine mentale Artil lerie gegen die Feinde schleuderte. Jetzt würde sich die Zukunft der Seelentrinker entscheiden. Er überprüfte das Magazin in seinem Bolter und zog den Seelenspeer. Teturacts Schiff war nur mehr ein Skelett. Teile der Hülle flatterten wie abgerissene Haut umher. Die Decks, von denen die lebenden Toten in die Atmosphäre fielen, sahen wie Bienenwaben aus. Das Schiff würde sich bald in seine Einzelteile aufgelöst haben. Teturact befahl seinen Hexern, nacheinander das Wrack zu verlassen. Am Boden konnten sie die Truppen koordinieren und ihre Kräfte am bes ten einsetzen. Plötzlich erschien mitten im größten Kampfgetümmel ein Ener gieblitz und traf auf eine Flamme aus Hass und wilder Entschlossen heit. Die psionischen Kräfte trafen aufeinander. Doch die Energiesäule blieb bestehen. Es war etwas Altes, Mäch tiges und zutiefst Menschliches. Ein Relikt, eine Waffe. Teturact
erkannte, dass dort unten ein würdiger Gegner auf ihn lauerte. Das konnte er nicht zulassen. Der Feind hatte sich offenbart. Auf Stratix Luminae brannte eine dunkle schwarze Flamme. Teturact konnte sie sehen, und wenn er sie sehen konnte, konnte er sie auch bekämpfen. Die Mutanten, die als seine Sänftenträger dienten, trieben nach dem Ausfall der künstlichen Schwerkraft ziellos durchs All. Mit sei ner Willenskraft rief er sie zu sich. Sie hoben Teturacts faltigen Kör per auf ihre breiten Schultern. Durch Gedankenkraft befahl er ihnen, den Weg nach unten durch das auseinanderbrechende Schiff anzutre ten. Bald tauchten sie in die Atmosphäre ein. Die kalte, dünne Luft peitschte auf ihn ein. Mit einem Gedanken betäubte er jegliche Furcht in den Gehirnen seiner Bediensteten. Er ließ seinen Geist wandern und erkannte eine winzige Armee, nicht mehr als hundert Marines, die von den Legionen seiner Anhänger umzingelt waren. Wo sich die Parteien trafen, schmeckte er den hei ßen, würzigen Geruch vergehenden Lebens. Die Marines konnten ohne Zweifel kämpfen, aber sie waren hoffnungslos in der Unterzahl. Mit der Hilfe seiner Hexer konnte er sie einfach erdrücken. Die seltsame Kraft befand sich direkt unter ihm. Teturact lächelte − wenn man es so nennen konnte − und stürzte kerzengerade darauf zu.
ZWÖLF
Die Mutation hatte zehn Jahre ungestört Zeit gehabt, sich durch die Zellproben zu arbeiten. Die unteren Stockwerke waren voll mit Kühleinheiten, die gezüchtete Haut und zylinderförmiges Muskel fleisch enthielten. Als die Sicherheitsvorkehrungen ausfielen, nah men die nun frei gewordenen Halbmenschen alles in sich auf. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen den Organismen − mit der Zeit waren sie zu einer Kreatur zusammengewachsen und dachten mit einem Verstand. Bis auf den Stärksten von ihnen, der sie vor so lan ger Zeit verlassen hatte. Sie hatten lange nichts zu fressen bekommen und waren hungrig. Endlich hatte sich ahnungslose Beute in ihr Reich gewagt. Sergeant Salk durchtrennte mit dem Kettenschwert ein langes, äu ßerst bewegliches Tentakel, das sich gerade um Techmarine Soluns Kehle wickeln wollte. Das Ungeheuer war etwa doppelt so groß wie ein Marine. Sein Kopf bestand aus einer dornenbesetzten Masse, die ein rundes, kräftiges Blutegelmaul umschloss. Sein Körper war ein einziger pulsierender Muskelberg. Der Kopf berührte fast die Decke des dunklen, gespenstischen Laborbereichs, bevor er brüllend auf die Stelle niederstieß, auf der Solun noch vor einem Moment gelegen hatte. Es war Salk gelungen, den Techmarine im letzten Augenblick zur Seite zu ziehen. Soluns Beine waren abgebissen worden, von dem selben Ungeheuer, das auch die Hälfte von Salks Trupp verschlungen hatte. Mit einem zornerfüllten Brüllen ging das Biest zum Angriff über. Salk hieb auf das klaffende Maul und die vorschießenden Dor nen ein, während Solun nach Kräften versuchte, sich der Tentakel zu erwehren.
Das Laborgeschoss war der reinste Albtraum. Die gebogene De cke war verfärbt und schmutzverkrustet. Riesige verrostete Maschi nen und seit Langem funktionsuntüchtige Konsolen bildeten viele Verstecke für mutierte Kreaturen und Hindernisse für die Marines. Bolterkugeln zischten durch den Raum, Klumpen von Mutantenblut spritzten aus von Geschossen und Kettenschwertern gerissenen Wunden. Salks eigene Kettenklinge war so blutverkrustet, dass der Motor jaulte und rauchte. Der Raum war kaum erleuchtet. Ein Schleier aus Verderbnis und Schmutz hing über allem und raubte Salk die Sicht. Alles, was er erkennen konnte, waren große Mutan tengestalten, die im Dunkeln aufragten, und seine von Mündungs feuern oder Granatexplosionen erleuchteten Kameraden. Der Lärm war höllisch: Gewehrfeuer, bestialisches Heulen, das Knacken zer splitternden Keramits und das Schreien der Sterbenden. Es war unmöglich, die Formation beizubehalten. Das Vox war ge stört und so gut wie nutzlos. Salks Trupp war zerstreut. Viele waren tot, andere verwundet. Bruder Karrick würde von Glück reden kön nen, seinen Arm behalten zu können. Irgendetwas Unaussprechliches hatte ihn zerfleischt. Salk wusste, dass nur die wenigsten von ihnen lebend hier herauskommen würden. Plötzlich blitzte eine weiße Rüstung auf. Apothecarius Pallas nä herte sich dem Ungeheuer von hinten und bohrte seinen Carnifex handschuh durch die Haut des Mutanten. Eine ganze Reihe chemi scher Substanzen drang durch den Injektionsdorn des Handschuhs in das Fleisch des Monsters, woraufhin es sich schwarz verfärbte. Der gewaltige Mutant warf sich herum. Pallas musste sich festhalten, um nicht quer durch den Raum geschleudert zu werden. Salk tauchte ab und trieb sein Kettenschwert immer und immer wieder in den Kopf des Mutanten. Er spürte, wie der Motor der Waffe unter der Masse aus Blut und Muskeln beinahe versagte. Die Bestie hörte auf, um sich zu schlagen. Pallas rollte von ihr he runter und landete neben Solun. Seine weiße Rüstung war mit dunk lem, glitschigem Mutantenblut überzogen.
»Danke, Bruder«, keuchte Salk. »Dank mir nicht zu früh«, antwortete Pallas. »Wir müssen weiter bis ganz nach unten. Dort wurden die entscheidenden Gewebeproben aufbewahrt.« »Wo ist Karraidin?« »Festgenagelt. Er verteidigt sich nach besten Kräften. Graevus bewacht den Weg ins Untergeschoss, aber er wird ohne Hilfe nicht lange durchhalten können. Lygris ist bei ihnen und versucht, die Tore zum Sicherheitsbereich zu öffnen.« Pallas benutzte eine seiner ver bliebenen Injektionen, um Solun ein starkes Schmerzmittel sowie ein Medikament zur Blutgerinnung zu verabreichen, um den Blutverlust aus seinen Beinen zu stoppen. »Ich nehme alle entbehrlichen Männer mit und helfe Graevus«, sagte Salk und warf einen Blick auf Solun. »Ich werde von hier aus tun, was ich kann«, antwortete Pallas. »Sie werden euch dort unten brauchen«, sagte Solun mit schwa cher Stimme. »Für mich könnt ihr nichts mehr tun, Pallas.« »Ich kann dich zumindest so weit stabilisieren, dass wir dich auf dem Rückweg wieder mitnehmen können. Wir brauchen dich noch.« »Viel Glück, Brüder«, sagte Salk, wischte sein Kettenschwert ab und rannte in den düsteren Raum, um seine Männer zu sammeln. »Warte!«, sagte Solun. »Was … was ist deine?« »Meine was?« »Deine Mutation. Wir verändern uns doch alle, deshalb sind wir schließlich hier.« Salk überlegte einen Augenblick. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er versucht, sie zu ignorieren. Er wollte sich einreden, dass sie gar nicht vorhanden war. »Karendin sagt, dass mein Stoffwechsel mu tiert. Meine ganze Körperchemie. Mehr weiß ich nicht.« »Und es wird schlimmer?« Solun glitt langsam in einen Schock zustand. Seine Stimme wurde brüchig. »Ja, Bruder. Das wird es.« »Bei mir auch. Mein Erinnerungsvermögen, verstehst du … ich
kann mich an Dinge erinnern, die ich niemals gelernt habe. Seit unse rem Angriff auf das Galaktarium … Bitte, wir müssen dem ein Ende machen. Selbst wenn wir bei dem Versuch sterben sollten, dürfen wir uns doch niemals in eine von diesen Kreaturen verwandeln.« »Nicht sprechen, Solun«, sagte Pallas. »Begib dich in den Däm merschlaf. Du hast einen Schock erlitten.« Er sah zu Salk auf, dessen Gesicht mit Mutantenblut verschmiert war. »Geh zu Graevus. Warte nicht auf mich. Ich werde dir folgen, wenn ich kann.« Salk nickte und rannte mitten in die deformierten Kreaturen in der Dunkelheit vor ihm. Irgendwo dort war das Geheimnis, mit dem die Seelentrinker überleben konnten. Thaddeus schlug schmerzhaft auf dem Boden des ChimeraPanzerfahrzeugs auf, als es über die Schutthügel rumpelte. Der Fah rer kämpfte mit dem Steuer, als sich das Fahrzeug bei der Kollision mit dem unerwarteten Hindernis fast überschlug. »Die Tanks sind leckgeschlagen«, sagte der Fahrer. »Alle Mann raus!« Die Heckklappe schwang auf, und Thaddeus sprang heraus. Der Pilger folgte ihm. Trotz seines zerlumpten Aussehens verfügte er über erstaunliche Gewandtheit. Mühelos folgte er Thaddeus den Schutthaufen hinunter. Aufragende Wrackteile hatten die Tundra in ein Labyrinth ver wandelt. Aus jeder Richtung ertönte Schlachtenlärm: HochenergieLasergewehre, Bolter, die dröhnenden, verstärkten Stimmen der An führer der Kultisten, die Befehle der Sturmtruppsergeanten. In der Nähe versuchten einige der Soldaten, sich einen Korridor freizu schießen. Der Konvoi war auseinandergebrochen. In dieser sich ständig verändernden Umgebung waren die Panzerfahrzeuge nutzlos. Thaddeus erledigte mit einigen Automatikpistolenschüssen ein paar Kultisten, die sich hinter einem Wrackteil verschanzt hatten. Es waren Soldaten des Imperiums gewesen. Ihre Willenskraft hatte sich als zu schwach erwiesen − sie hatten sich Teturact gebeugt. Dies war
die schlimmste Form der Bösartigkeit: treue Diener des Imperiums in Werkzeuge des Chaos zu verwandeln. »Schwester! Oberst! Wie ist unsere Lage?« Das Vox war nur noch statisches Rauschen, durch das Schwester Aescarions Stimme drang. »Wir können hier nicht durchbrechen, Inquisitor. Wir sind einer … moralischen Gefährdung begegnet. Ket zerei und Dämonologie.« »Sarpedon?« »Das glaube ich nicht. Hexer, Inquisitor. Wir mussten bereits empfindliche Verluste hinnehmen.« »Kämpft weiter, Schwester. Ich werde sehen, ob es einen anderen Weg gibt.« Oberst Vinn war überhaupt nicht zu erreichen. Die Sturmtruppen arbeiteten sich mit ihren HE-Laserwaffen langsam auf die For schungsstation vor. Aber egal, wie sehr sie sich auch bemühten, sie konnten nicht verhindern, dass sie eingeschlossen wurden. Der Feind entsprach dem Bild, das sich Thaddeus aufgrund der spärlichen Be richte aus dem Kriegsgebiet gemacht hatte. Sie waren massiv in der Überzahl und konnten fast nichts mehr spüren, weder Schmerz noch Verzweiflung. Die einzige Möglichkeit, sie zu besiegen, war, sie alle zu töten. Die zähen Armeen, die Teturacts Reich erobert hatten, be fanden sich auch hier auf Stratix Luminae. Thaddeus und der Pilger duckten sich, als ehemalige Soldaten des Imperiums das Laserfeuer auf sie eröffneten. Sturmtruppen bekämp ften die Verräter. Thaddeus spähte über den verbogenen Teil einer Raumschiffhülle, hinter der sie Deckung gesucht hatten. In den Wrackteilen feuerten Sturmtruppen auf die Ketzer. Laserstrahlen trennten Köpfe von Kör pern und zerfetzten Brustkörbe. Aber es waren einfach zu viele. »Gemeinsam können wir es nicht schaffen«, sagte Thaddeus. »Unsere Truppen sollten sowieso nur zur Ablenkung dienen«, antwortete der Pilger. »Vielleicht ist es nicht einfach für Euch, es einzugestehen: Nur wir allein werden Sarpedon gegenübertreten. Die
anderen müssen kämpfen, damit der Feind seine Augen von uns ab wendet.« Thaddeus sah den Pilger an. Sein verhülltes Gesicht wirkte so ernst wie immer, und seine knirschende Stimme klang wie eine Warnsirene in Thaddeus’ Ohren. »Nicht ohne Aescarion«, sagte Thaddeus. »Teturacts Hexer sind hier. Sie sind sehr mächtig, das spüre ich. Wenn sich Aescarion ihnen entgegenstellt, ist sie verloren. Nur wir beide können es schaffen.« Thaddeus umklammerte den Griff seiner Automatikpistole. Trotz der klirrenden Kälte auf Stratix Luminae schwitzte er. Aescarion war die treueste Ordensschwester, die man sich nur wünschen konnte, und die Sturmtruppen gehörten zum Besten, was das Ordo Hereticus aufbieten konnte. Aber Männer wie Kolgo hatten Thaddeus gelehrt, dass sogar loyale Diener wie diese nur zweitrangig waren, wenn es darum ging, den Willen des Imperators zu erfüllen. Und sie hätten es verstanden. »Also gut«, sagte Thaddeus. »Wo hundert Männer aufgehalten werden, können zwei hindurchschlüpfen. Nach Euch, Pilger.« Schnell rannten Inquisitor und Pilger auf den Außenposten zu, wobei sie sich hinter den Wrackteilen vor den größten feindlichen Truppenkonzentrationen verbargen. Die Sturmtruppen lenkten der weil die Feinde ab. Was immer Sarpedon wollte, befand sich im Außenposten. Und genau dort würden sie ihn finden. Vielleicht war Karraidin tot. Vielleicht war auch Solun gefallen, den sie hilflos im darüber liegenden Stockwerk zurückgelassen hatten. Das war nicht wichtig. Was zählte, war die Zukunft des Ordens, die unter ihnen in einer fauligen, bösartigen Macht lag, die über ein Jahr zehnt ungehindert gewachsen war. Salk lebte noch, genauso wie eine Handvoll seiner Männer, ebenso Graevus und der Großteil seines Sturmtrupps. Außerdem Techmarine Lygris und Apothecarius Pallas.
Das musste reichen. Sie hatten nur diese eine Chance. Techmarine Lygris hatte unter dem Feuerschutz seiner Kamera den, die im Gang hinter ihm gedrängt standen, das Bedienfeld des Tors zum Untergeschoss geöffnet. Jetzt versuchte er, die Schaltkreise neu zu programmieren. Die Datentafel, auf der die Zeichnung aus Karlu Griens Zelle gespeichert war, diente ihm dabei als Leitfaden. Das Diagramm war das größte Geheimnis, das der verrückte Adept gekannt hatte − der Schlüssel, der nach der Versiegelung der For schungsstation an diesem Tor angebracht worden war. Funken sprühten aus dem Bedienfeld, und die Türen öffneten sich ruckelnd. Rauch stieg aus den verrosteten Servomotoren auf. »Deckung«, rief Graevus. Die Boltpistolen seines Trupps waren auf die Türöffnung gerichtet, während Lygris zurücktrat und seine eigene Waffe zog. Salk machte sich bereit, den Ort zu betreten, der Captain Korvax vor mehr als zehn Jahren fast das Leben gekostet hätte. Der Boden im zweiten Untergeschoss war verschwunden, als wäre er von Säure weggeätzt worden. Ein gezackter Ring aus schwarzem Metall war das Einzige, was noch von ihm übrig war. Im Zentrum des Raums befand sich eine riesige Kugel, die der Boden einmal in zwei Hälften geteilt hatte. Die Kugel war gewaltig. Faulendes Fleisch pulsierte zwischen den rostigen Metallplatten. Sie hing an einem Netz aus blankgelegten Sehnen an der Decke, und ein stetiger Strom von Schmutz und Blut regnete in die Tiefe. Dort unten, am tiefsten Punkt der Station, lag das Zentrum der bö sen Macht. Die freigesetzten Mutagene hatten die Gewebeproben zu einem dicken, pulsierenden Teppich verknüpft, der alles bedeckte. Er schlug Wellen, und mannsgroße Pusteln spuckten wie Geysire heißen Eiter aus. Die Überreste der Laborausrüstung ragten wie Inseln aus blutendem Schorf und zuckenden, halb ausgeformten Gliedmaßen. In der Mitte hatte sich ein Teich aus dem faulenden Blut gebildet, das von der Kugel herabtropfte. Daraus ragte etwas, das Salk für ei nen Kontrollraum oder Techschrein hielt. Dicke Kabelbündel waren
zu erkennen, und durch die inzwischen völlig verdreckten Fenster hatte man einst den ganzen Sicherheitsbereich überblicken können. Die Seelentrinker blickten von einem dünnen Metallrand, der ne ben dem Aufgang zum oberen Stockwerk zurückgeblieben war, auf diese Szenerie herab. Dem Schlachtenlärm aus dem Laborbereich nach zu schließen, konnten sie hier nicht bleiben − sie würden von den mutierten Kreaturen eingeschlossen und abgeschlachtet werden. Salk warf einen Blick auf Graevus. Die Energieaxt, die dieser in seiner riesigen, mutierten Hand trug, zischte und knisterte, als das Blut darauf aufgrund des Energiefelds verdampfte. »Einbahnstraße«, sagte er trocken. »Stimmt«, sagte Salk. »Lygris?« Lygris nickte. »Ihr werdet mich da unten brauchen.« »Pallas«, sagte Graevus, »Ihr bleibt hier. Irgendjemand muss zur Oberfläche gelangen, wenn wir es nicht schaffen. Dann muss Sarpe don entweder die Männer zurückziehen oder uns Hilfe schicken. Was auch immer passiert − wir rechnen damit, dass Ihr uns wieder zu sammenflickt.« »Passt ihr nur auf, dass noch genug übrig bleibt, was ich zusam menflicken kann«, antwortete Pallas. Graevus lächelte, nahm die Energieaxt in beide Hände und sprang. Sarpedon bemerkte, wie der dunkle Stern auf ihn zugeschossen kam. Es war ein tränendes Auge, das das reine Böse ausstrahlte und alles in seiner Umgebung verzerrte, so unglaublich mächtig war es. Obwohl Sarpedon ein Telepath war, der nur senden, nicht aber empfangen konnte, empfand er doch die unverfälschte Böswilligkeit, die dieser neue Gegner tief in seinen Verstand einbrannte. Er fühlte sich schmutzig, und die mutierten Gene in seinem Körper wanden sich, als wollten sie fliehen. Die Horden um den Außenposten herum heulten auf, entweder vor Anbetung oder aus Verzweiflung oder bei des. Der Himmel verdunkelte sich. Für einen Augenblick schien es, als gäbe die Wirklichkeit unter dem Ansturm einer derart gewaltigen
Macht nach. Das Objekt schlug einige Hundert Meter entfernt in einer Explosi on aus Metallteilen und Erdbrocken auf. Die Seelentrinker hatten sich bis jetzt wacker geschlagen und hielten die anstürmenden Feinde auf Distanz. Nur Tellos auf der einen und Iktinos auf der anderen Seite waren in ein grausames, unübersichtliches Handgemenge ver strickt. Jetzt wendete sich das Blatt, daran hatte Sarpedon keinen Zweifel − der Anführer der wilden Meute persönlich hatte beschlos sen, an der Schlacht teilzunehmen. Sarpedon eilte auf die nächste Deckung zu. Einige Marines hatten sich bereits dort verschanzt. Er konnte nicht erkennen, zu welchem Trupp sie gehörten. Eine Schlachtordnung gab es nicht mehr. Jeder Soldat richtete sich nach dem Offizier, der sich gerade in Hörweite befand. »Wir müssen einen Angriffstrupp zusammenstellen«, rief Sarpe don dem nächsten Marine zu. »So viele Waffenbrüder wie möglich zusammentrommeln und …« Der Marine wollte gerade antworten, als sein Kopf zur Seite ge schleudert wurde und ein fransiges Loch in seiner Schläfe erschien. Sarpedon hörte das scharfe Krachen einer Automatikpistole und duckte sich, während eine Kugel den Chitinpanzer seines Beins durchbohrte und eine andere viel zu nah an seinem Kopf vorbeizisch te. Dann sah er die neue Bedrohung: zwei Gestalten, von denen eine mit einer Robe bekleidet war und tierähnlich voranschlich. Die ande re war ein offensichtlich genetisch unveränderter Mann in einem langen Mantel, der eine modifizierte Automatikpistole trug. Sarpedon zog den Seelenspeer. Die Gensensoren im Griff erkann ten ihn. Seine präimperiale Technik stand ihm zur Verfügung, und zwei klingenförmige Vortexfelder strahlten aus den Enden. Der See lenspeer hatte ihm in dieser Schlacht gute Dienste geleistet, aber die se neuen Gegner waren weder Verräter noch Mutanten. Plötzlich schoss die Gestalt in der Robe mit alarmierender Ge schwindigkeit vor und stürzte sich auf ihn. Sarpedon holte mit dem Seelenspeer aus, aber dieses Ungeheuer war viel zu schnell, wich der
Vortexklinge aus und schlug Sarpedon die Vorderbeine, die er zur Abwehr aufgestellt hatte, einfach beiseite. Sarpedon taumelte in einen Trümmerhaufen zurück. Die stinkende Kreatur griff ihn mit einer Kraft an, die er bis jetzt nur bei einem Space Marine erlebt hatte. Sie packte die Hand, die den Seelenspeer hielt. Sarpedon versuchte, mit der anderen den Angreifer an der Keh le zu packen, aber dieser holte aus und rammte Sarpedon den Ellen bogen ins Gesicht. Sarpedons Mund füllte sich mit Blut. Ärgerlich spuckte er einen Zahn aus und stemmte zwei Beine in die Trümmer. Er vergrub seine Krallen im verbogenen Metall, warf sich herum und schüttelte den Angreifer ab. Dann packte er dessen zerfetzte Robe und zog kräftig. Der Stoff riss, und Sarpedon sah in das Gesicht seines Gegners. Die Haut war tot, blass und blaugrau gefärbt. Aus wunden Stellen liefen dicke Kabel in seinen Rücken. Seine Augen waren tief schwarz, Nase und Mund durch Messingimplantate ersetzt. Sie wirk ten wie metallische Kiemen, die sich öffneten und schlossen. In sei ner Kehle befanden sich dicke, zylinderförmige Filtereinheiten. Sarpedon erkannte dieses hasserfüllte Gesicht, das vor Abscheu und Enttäuschung verzerrt war. »Sei gegrüßt, Michairas«, sagte Sar pedon und rammte mit aller Gewalt die Stirn in das Gesicht seines Feindes. Sarpedon hatte Bruder Michairas schon einmal während des Or denskrieges getötet. Viele der Seelentrinker hatten sich dagegen auf gelehnt, dass Sarpedon zum Ordensmeister aufsteigen wollte. Bruder Michairas war einer ihrer Anführer gewesen, ein junger, aber exzel lenter Kämpfer, der unter Hauptmann Caeon gedient hatte. Er hatte sogar an den Siegesriten auf dem Raumfort über Lakonia teilge nommen. Als Sarpedon Michairas auf dem Schlachtkreuzer erwischt hatte, hatte er ihm die Atmungsimplantate herausgerissen und ihn in eine Luftschleuse geworfen. Seine hasserfüllten Augen hatten ihn durch das Bullauge angestarrt, selbst dann noch, als sie sich mit Blut gefüllt und schwarz verfärbt hatten.
Für einen Augenblick musste Sarpedon Michairas’ Zähigkeit und seinen Erfindungsreichtum bewundern. Er hatte keine Ahnung, wie es dem Marine gelungen war, zu überleben. Vielleicht war der Scha den an seinen Atmungsimplantaten doch nicht so groß gewesen, und er hatte es irgendwie geschafft, seinen Helm aufzusetzen und so lan ge umherzutreiben, bis er aufgelesen wurde. Oder er war zum Kreu zer zurückgerudert und war irgendwie an eine Rettungskapsel ge kommen. Egal − auf jeden Fall musste es ihn enorme Willenskraft gekostet haben, nicht nur zu überleben, sondern auch auf einen Ra chefeldzug zu gehen, der ihn schließlich nach Stratix Luminae ge führt hatte. Die Vortexklinge summte durch die Luft − Michairas wich aus, genau wie es Sarpedon erwartet hatte. Sein Vorderbein bohrte sich tief in Michairas’ Schulter. Er spürte, wie die Krallen durch Muskeln, Knochen und Implantate glitten. Aber Michairas spürte keinen Schmerz. Die meisten seiner Orga ne waren durch Implantate und Bionics ersetzt worden. Wahrschein lich spürte er überhaupt nichts mehr. Er packte das Bein, das sich in seine Schulter gebohrt hatte, und nutzte die Hebelwirkung, um Sar pedon über seinen Kopf hinweg auf die steinharte Erde zu schleu dern. Wie ein Raubtier fiel Michairas über Sarpedon her, um ihm mit den Fingern die Augen auszukratzen. Erst als ihm sein Körper den Dienst versagte, bemerkte er, dass die Klinge des Seelenspeers sei nen Bauch durchbohrt und seine Wirbelsäule durchtrennt hatte. Sar pedon trat ihn beiseite und zog die Vortexklinge aus dem Körper. »Die Seelentrinker, so wie du sie kennst, sind Geschichte«, sagte Sarpedon grimmig. »Der alte Orden stirbt mit dir.« Michairas’ schwarze Augen starrten ihn an, als er ihn enthauptete. Funken sprühend gaben die Implantate ihren Geist auf. Schwarze Leitungsflüssigkeit spritzte aus den Kabeln. Sarpedon wandte sich dem zweiten Angreifer zu, dem normalen Mann, der Michairas’ Attacke aus der Entfernung beobachtet hatte.
Schweigend zielte er auf Sarpedon und drückte ab. Das Geschoss summte wie ein Insekt, als es auf ihn zuschoss. Sarpedon wich aus, hörte aber, wie die Kugel in der Luft kehrtmachte. Ein Zielsuchpro jektil, sehr selten und tödlich. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk schnitt er die Kugel mit dem Seelenspeer entzwei. Der Mann ließ die Waffe sinken. »Inquisition?«, fragte Sarpedon. Der Seelenspeer brummte in sei ner Hand. »Ja. Ordo Hereticus, mit dem Auftrag, Euch zu töten.« »Wollt Ihr hier herumstehen und Eure Kugeln an mich ver schwenden, oder lieber den wahren Feind bekämpfen?« Der Inquisitor starrte Sarpedon an. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Sarpedon bemerkte, wie sich die Sehnen in Hand und Hals des Inquisitors anspannten, während er sich den nächsten Schritt überlegte: angreifen oder fliehen, Sarpedons Kapitulation fordern oder die eigene Haut retten. Bevor der Inquisitor handeln konnte, breitete sich von der Lande stelle Teturacts eine gewaltige Schockwelle über das ganze Schlacht feld aus. Sarpedon wandte sich um. Etwas sehr Mächtiges raste in einem Schauer aus Erdbrocken und Metallteilen auf ihn zu, hinterließ einen tiefen Graben und schleuderte Ketzer wie Marines gleicherma ßen in die Luft. Sarpedon sprang zur Seite, als eine Woge aus Schutt über ihm he reinbrach. Steine und Metall schnitten durch die Haut seiner Beine bis zu den Muskeln. Der Inquisitor wurde in die Luft geschleudert. Sarpedon prallte hart auf, rollte sich schnell ab, bereit, sich dieser neuen Bedrohung der Seelentrinker entgegenzustellen. Metall und Erdklumpen regneten auf ihn herab. Im Zentrum der Zerstörung, im Auge des Sturms, befand sich Teturact. Obwohl keine Beschreibungen von Teturact existierten, wusste Sarpedon sofort, wen er da vor sich hatte. Er spürte, wie seine ver besserten Organe mit aller Kraft versuchten, Krankheiten abzuhalten,
deren Keime sich allein aufgrund der Anwesenheit des Feindes in seinem Körper bildeten. Töne in seltsamen Frequenzen erschallten, und er schmeckte verwesendes Blut. Seine Autosensoren schirmten ihn, so gut es ging, vor dem Anblick ab, der sich ihm darbot. Teturact war ein dünnes, schrumpliges, menschenähnliches We sen. Wie ein bösartiger Aasvogel saß er auf den Schultern von vier riesigen, bulligen Mutanten. Ihre Gesichter waren fast unter der Muskelmasse verschwunden. Ihre baumstammgroßen Arme endeten in Fäusten, die so groß wie der Oberkörper eines Mannes waren. Te turact konnte sich nicht ohne fremde Hilfe bewegen − aber der Geist, der in diesem missgestalteten, vertrockneten Körper hauste, war ge waltig und überaus mächtig. Teturact streckte seinen Verstand aus und packte Sarpedon in ei nem psychischen Würgegriff, der dessen Rüstung durchdrang und drohte, seinen Brustkorb zu zerquetschen. Teturact hob ihn in die Luft. Eine weiße Mauer des Schmerzes brach über Sarpedon herein, als er gegen die Fesseln ankämpfte, die nur in Teturacts Verstand existierten. Wirbelnd stieg Sarpedon über dem Schlachtfeld auf. Er erkannte die Forschungsstation, die voneinander abgeschnittenen Seelentrinkertrupps, die verzweifelt gegen den Ansturm kämpften, und die riesigen Heerscharen der wandelnden Toten, die über ihre eigenen Leichenberge kletterten. Tellos und Iktinos steckten in einem hitzigen Nahkampf. Durch die Schmerzen, die seinen Blick wie ein weißer Schleier trübten, sah er aus dem Augenwinkel ein weiteres Gefecht − Ordensschwestern und schwarz gerüstete Sturmtruppen des Hereticus kämpften gegen eine Übermacht aus Zombies und He xern, deren schwarze Magie Sarpedon förmlich schmecken konnte. Sarpedons Brustkorb knackte. Eine warme Welle aus Blut über rollte sein Innerstes, als seine Organe zerrissen. Er versuchte, durch Teturacts Griff tief in seinen eigenen Verstand zu gelangen. Dort würde er die Kraft der Hölle finden und Teturact vielleicht so lange abhalten können, bis er zurückschlagen konnte. Aber Teturact war mächtig, mächtiger als alles, was Sarpedon jemals begegnet war, ein
Geschöpf aus reinem Hass und Verderbnis mit einem durch und durch böswilligen Verstand. Mit bloßer Willenskraft schleuderte Teturact Sarpedon zu Boden. Irgendwie gelang es Sarpedon, die Beine zu spreizen und so die harte Landung abzufangen. Anderenfalls wäre seine Rüstung einfach beim Aufschlag zerbrochen. Aber trotzdem fühlte er, wie die Muskeln hinter dem Chitinpanzer auseinanderrissen. Sein bionisches Bein schmerzte unerträglich. Teturact hob ihn noch einmal in die Höhe. Nutzlos baumelten Sarpedons Beine unter ihm herab. Sarpedon sah Teturacts zerstörtes Gesicht, die Hautfetzen, die leeren, wunden Augenhöhlen. »Du bist anders als die anderen«, ertönte Teturacts süßliche, wi derliche Stimme in Sarpedons Kopf. Es war, als würde sich Säure in sein Gehirn fressen. »Meine Anhänger haben sich schon oft den As tartes gestellt, und sie haben ihre Reinheit und ihre Sturheit gespürt. Aber du bist gezeichnet. Du bist, wie ich einst war, ein bis zu den Genen verdorbenes Geschöpf. Nun, ich akzeptierte diesen Makel, machte ihn sogar zu meinem einzigen Lebenssinn. Aber du hast da vor Angst. Du willst dich wieder zurückverwandeln. Aber warum, wo du doch schon so viel mehr bist als ein normaler Mensch?« Teturact zog Sarpedon, dessen Verstand in Flammen zu stehen schien, näher zu sich heran. »Könntest du nur sehen, was alles möglich ist, wenn du das Ge fängnis deines Körpers verlassen hast. Du würdest erkennen, was wahre Freiheit ist. Und danach sehnst du dich, nicht wahr, Mutant? Frei zu sein. Und trotzdem willst du wieder in dein Gefängnis aus Fleisch zurück.« Sarpedon wusste, dass er Teturact nicht besiegen konnte, solange sich der Verstand des Mutanten einzig und allein auf ihn richtete. Sarpedon war nach wie vor nicht viel mehr als ein normaler Mensch. Aber er spürte irgendwo tief in Teturacts Verstand eine Schwachstel le. Dieselbe Schwachstelle, die auch das Imperium zum Untergang verdammte und von der auch die Seelentrinker besessen waren, be
vor Sarpedon ihnen den rechten Weg gezeigt hatte: Hochmut. Teturact hielt sich für einen Gott und seine Opfer für Gläubige. Die Seelentrinker waren für ihn nur weitere zukünftige Soldaten, kräftige und äußerst geschickte Männer, aber trotzdem nichts weiter als Männer. Sarpedon war nicht viel mehr als ein Mann, aber dieses Wenige machte den Unterschied aus: seine Willensstärke, die ihn dazu befähigt hatte, gegen seinen eigenen Orden und das Imperium zu kämpfen. Er hatte ewigen Hass für einen flüchtigen Moment der Freiheit in Kauf genommen. Eine weiße Säule aus psionischer Energie strömte aus Teturacts Geist und bohrte sich in Sarpedons Verstand. So hatte Teturact es geschafft, in unzählige Millionen Seuchenopfer den Keim des Ge horsams einzupflanzen und sie sich Untertan zu machen. Sarpedon hinderte ihn nicht daran, er verringerte sogar seine psychischen Ab wehrkräfte, um Teturact glauben zu machen, dass er bereits aufgege ben hätte. Kalte Furcht durchfuhr Sarpedon. Er spürte die Freudenschreie ei nes Gottes und Milliarden seiner Anhänger als eine Einheit. Er sah ein Universum, in dem die Sterne eiternde Pestbeulen waren. Plane ten wimmelten vor unheiligem Leben und Seuchenkeimen. Und alle sangen ein Loblied auf Teturact. Er sah, wie das Imperium, das er so sehr verachtete, unter dieser Übermacht zusammenbrach. Ihre Be wohner würden ihren Erlöser anjubeln, während ihre Körper verwes ten und die Soldaten des Imperators zu Billionen starben. Sarpedon schlug die Augen auf und war sich gewiss, Entzücken in der grässlichen Fratze vor ihm zu sehen. Es war das Antlitz eines Gottes, dem die Verehrung dargebracht wurde, nach der er sich sehn te. Mit einer Kraft, von der Sarpedon nicht geahnt hatte, dass er sie besaß, löste er seinen Verstand aus Teturacts Griff. Die Bilder von prächtiger Verwesung verschwanden mit unglaublicher Geschwin digkeit und ließen ihn benommen und fast blind vor Anstrengung zurück. Aber auch Teturact war überrascht und ließ ihn fallen. Sar
pedon landete hart auf der Erde. Aus dem beschädigten Antriebsagg regat in seinem Rückenmodul strömte Abgas. Mit tauben Fingern griff er nach seiner Boltpistole. Mit zitternden Händen zielte er auf die verschwommenen Gestalten, die über ihm aufragten, und zwang seinen verkrampften Zeigefinger, den Abzug zu drücken. Er leerte ein halbes Magazin. Jede Kugel prallte an einem unsich tbaren Schutzschild aus reiner Willenskraft ab, sodass sich der Raum darum verzerrte. Teturact befahl seinen Trägern, sich zu Sarpedon herunterzubeu gen. Sein dünner Körper ragte über ihm auf. Verräter!, kreischte es in Sarpedons Kopf. Ich bin ein Gott! Du bist nur Ungeziefer! Du, der an nichts glaubt, wagst es, sich mir zu verweigern? Ich werde dir etwas geben, an das du glauben kannst! Ein roter Speer aus psionischem Hass schoss auf Sarpedon herab und heftete ihn wie ein totes Insekt am Boden fest. Heißer, pulsie render Zorn überflutete ihn, die Wut eines zurückgewiesenen Gottes. Keine Kreatur hatte es je gewagt, sich Teturact zu widersetzen, nie mals. Teturacts Antwort auf Sarpedons Anmaßung bestand darin, diesen rebellischen Geist in einer Woge aus Hass zu ertränken. Sarpedon war stark, stärker als ein Mann, sogar stärker als ein Marine. Das bedeutete, dass er einen Sekundenbruchteil länger durchhalten konnte, bevor sein Verstand aussetzen und sein Körper eine weitere tote Hülle unter dem Befehl des gottgleichen Teturact sein würde. Das Letzte, was er in seinem Leben sehen würde, war die Fratze eines Mutanten, der ihn aus hasserfüllten, blutenden Augen höhlen anstarrte. Es freute Sarpedon, selbst ein so starres Antlitz zu einer Gefühlsregung bewegt zu haben. »Im Namen des unsterblichen Imperators«, ertönte eine Stimme aus dem Nichts, »erkläre ich dich für Hereticus!« In einer Fontäne aus Blut und Fleischklumpen zerplatzte der Kopf eines Mutanten. Der Mutant fiel zu Boden, und Teturact fiel mit ihm. Sarpedon kämpfte gegen den unerträglichen Schmerz an, während
Teturact und seine Sänftenträger neben ihm zu Boden gingen. Thaddeus war froh, den Rückstoß der Automatikpistole in der Hand zu spüren. Er war froh, überhaupt etwas zu spüren. Wie gelähmt hat te er mit angesehen, wie Teturact Sarpedon beinahe mit seiner psy chischen Kraft in Stücke gerissen hätte. Aber Sarpedons Plan war aufgegangen. In dem kurzen Moment, in dem Teturact abgelenkt war, hatte Thaddeus auf den nächsten Mutanten gezielt und ihm den Kopf von den Schultern geschossen. Während er feuerte, schrie er die Worte, die die Inquisition in sol chen Fällen vorschrieb. Alles sollte seine Richtigkeit haben. »Gemäß den Verordnungen der Konklave auf dem Amalathberg erkläre ich dein Leben für verwirkt und übergebe deine Seele der Gnade des Imperators!« Thaddeus feuerte auf Teturacts spindeldür ren, momentan verwundbaren Körper. Ein Sänftenträger stellte sich ihm in den Weg. Die Explosivgeschosse rissen große Fleischklum pen aus seinem Körper. Thaddeus hatte seine letzten wertvollen Ziel suchpatronen bei der Auseinandersetzung mit Sarpedon verschossen, der sie einfach so in der Luft zerschnitten hatte. Nun musste er sich auf seine Treffsicherheit verlassen. Thaddeus rannte auf Teturact zu und versuchte, dessen zusam mengekrümmte Gestalt zwischen den Sänftenträgern zu treffen. Dann schlug der Hammer seiner Pistole auf die leere Kammer. Schnell steckte Thaddeus die Waffe beiseite. Er hatte keine Munition mehr. Seine Reservemagazine hatte er in der Chimäre zurückgelas sen. Aber er hatte noch eine Waffe in Reserve. Er griff in seinen Man tel und zog die große, kastenförmige Boltpistole, die Aescarion aus Eumenix geborgen hatte. Ihr Gehäuse war mit dem goldenen Kelch der Seelentrinker geschmückt, und ihr gebogenes Magazin zur Hälfte mit Explosivgeschossen gefüllt. Er musste sie mit beiden Händen packen, um zielen zu können. Teturact kam wieder zu Bewusstsein. Sein kalter, schmutziger
Verstand war in der Luft zu spüren. Die überlebenden Mutanten stellten sich schützend vor ihren Gebieter. Thaddeus’ erster Schuss verfehlte sein Ziel um Längen, da er nicht mit so einem gewaltigen Rückstoß gerechnet hatte. Aber der zweite traf und zerfetzte die Keh le eines Mutanten. Seine Leiche fiel auf einen mutierten Bruder, der mit einem merkwürdigen, schwarzen Lichtblitz plötzlich in zwei Hälften geteilt wurde. Eine Fontäne aus schmutzigem Blut spritzte hoch. Der verletzte, blutende Sarpedon hatte sich wieder auf seine vie len Beine gerappelt. Seine Rüstung war löchrig und eingedellt. In einer Hand hielt er eine seltsame Waffe mit zwei schwarz schim mernden Klingen. Thaddeus hob die Boltpistole. Der Feind war verwundet und schockiert − was er aber nicht lange bleiben würde. »Im Namen des Heiligen Ordens Seiner Inquisition und dem Rat des Ordo Hereti cus«, sagte er, »zerstöre ich hiermit deinen Körper und führe deine Seele der Gerechtigkeit zu. Möge der Imperator Gnade walten lassen. Seine Diener werden es nicht tun.« Sein Finger krümmte sich um den Abzug, und der heftige Rück stoß der Boltpistole ließ seinen ganzen Körper erzittern. Heiße Pat ronenhülsen fielen vor Thaddeus’ Füße. Nach der offiziellen Exeku tionslitanei leerte er den Rest des Magazins in Teturacts Körper. Sarpedon war bereit gewesen, zu sterben. Aber diese letzten Schüsse waren nicht für ihn bestimmt. Der Inquisitor feuerte seine letzten Kugeln auf Teturact, der neben Sarpedon auf der gefrorenen Erde im Blut seiner Getreuen lag. Man konnte eine Kreatur wie Teturact nicht töten, indem man sei nen Körper zerstörte. Sarpedon spürte, wie sein bösartiger Verstand nach einem neuen Körper suchte, von dem er Besitz ergreifen konn te. Dann würde er entkommen und seine Schreckensherrschaft von Neuem beginnen. Sarpedon stellte sich auf die Hinterbeine. Ohne sich um die
Schmerzen in seinen zerrissenen Muskeln und zerquetschten Orga nen zu kümmern, warf er einen letzten Blick auf die hässliche Fratze Teturacts. Mutant, ich diene dem Imperator, dachte er, wohl wissend, dass Teturact ihn verstehen konnte. Ich brauche keinen anderen Gott. Dann trat er zu. Seine Klauen schnitten durch das irrwitzige Ge hirn, und das dunkle Licht, das Teturacts Seele gewesen war, erlosch für immer. Techmarine Lygris unterbrach die Verbindung zwischen seinem Speicherschaltkreis und der Archivkonsole. Er hatte keine Zeit, nach weiteren Informationen zu suchen. Was sie bis jetzt gefunden hatten, musste ausreichen, um ihr Überleben zu sichern. Neben ihm streckte Sergeant Salk eine Hand durch das Fenster der Kommandozentrale. Er stemmte seine Beine gegen die Plast stahlwände und zog Apothecarius Pallas aus dem pulsierenden Fleischmeer, das von allen Seiten gegen den Raum drückte. Pallas war mit Schmutz bedeckt. Fleischklumpen hatten die Lüftungskanäle seiner Rüstung verstopft, und Rauch stieg auf. Irgendwo im Getüm mel hatte er seine Boltpistole verloren. Er hielt eine Hand hoch, die einen Probenzylinder mit einem Klumpen aus rosa, unverdorbenem Fleisch umklammert hielt. »Ge funden«, sagte er atemlos. »Nur ein Sicherheitsbereich war noch un versehrt. Ich glaube, Graevus ist noch da draußen, er …« Dann unterbrach ihn ein unvorstellbarer Lärm. Es war ein Krei schen, das den Seelentrinkern in den Ohren dröhnte und ihnen beina he die Sinne raubte − der Todesschrei einer sehr mächtigen Kreatur, eine Totenklage voller Wut und Verzweiflung. Die Wände aus mu tiertem Fleisch schrumpften zusammen, als sie den Tod von einem der Ihren spürten. Dahinter kam Graevus’ Trupp zum Vorschein, der sich beim letz ten intakten Sicherheitsbereich verschanzt hatte und sich jetzt einen Weg vorwärts bahnte. Die pulsierende Masse aus Muskeln und Haut zog sich zurück und gab die Marines frei. Einige lebten noch, andere
waren bereits halb verdaut. Das Mutantenfleisch erzitterte, sodass der Boden der Etage wie bei schwerem Seegang erbebte. »Salk an alle Einheiten«, schrie Salk über das Vox, das kaum noch funktionierte. »Es ist vorbei. Alle Mann raus hier!« Er kletterte auf das Dach des Kontrollzentrums und sah Graevus, der sich einen Weg dorthin bahnte. Die Überlebenden aus seinem eigenen Trupp kämpften sich bis an die Spitze des pulsierenden Muskelteppichs vor. Sie hatten ihren Sergeanten bemerkt und schlitz ten und schossen sich durch die deformierten Gliedmaßen, die nach ihnen griffen. »Ich weiß nicht, ob mich jemand hören kann«, voxte Salk in das Rauschen des Voxkanals. »Hier ist Trupp Salk. Wir ziehen uns aus dem Forschungsbereich zurück. Sollte sich noch immer eine Armee da oben befinden, müssen wir innerhalb von fünf Minuten von hier verschwinden. Salk Ende.« Von Oberst Vinn war keine Spur zu finden. Auch Inquisitor Thad deus und der Pilger waren nicht zurückgekehrt. Somit hatte Aescari on den Befehl über die Inquisitionstruppen und bereitete den Rück zug vor. Die Seelentrinker befanden sich am anderen Ende einer rie sigen Armee aus lebenden Toten und fanatischen Verrätern, ange führt von mächtigen Hexern, die Blitze schleudern oder Männer mit einem einzigen Blick zerfleischen konnten. Viele der Sturmtruppen waren entweder tot oder abgeschnitten. Nur die Ordensschwestern hatten eine Verteidigungslinie geformt, gegen die Reihe um Reihe der Feinde erfolglos angestürmt kam und von Boltfeuer zerrissen oder von Flammenwerfern und Melterwaffen zu Asche verbrannt wurde. »Rufilla, die Rhinos sichern. Gebt uns beim Einsteigen Feuer schutz«, voxte Aescarion, während sie auf die Ketzer schoss, die über die brennenden Barrikaden und Leichenhaufen kletterten. Sie hatte persönlich einen Gegenangriff nach dem anderen in die Linien der Feinde geführt. Der Arm, mit dem sie ihre Axt schwang,
schmerzte von den vielen Erschütterungen, mit denen die Energieklinge auf Knochen geprallt war. Ihre Seraphim hatten so tapfer wie jeder andere Soldat auf Stratix Luminae gekämpft. Trotz des Stolzes, den die Kriegerin in ihr verspürte, hatte sie doch versagt. Die Seelen trinker befanden sich jenseits einer Armee, die sie niemals durchbre chen konnte. Egal, wie viele Feinde des Imperators an diesem Tag zugrunde gingen, diese Angelegenheit würde ein andermal entschie den werden. Aber niemand war umsonst hier gestorben. Das würde sie niemals vergessen. Jeder von ihnen war im Dienst des unsterblichen Impera tors gefallen, und das war Grund genug. Nichtsdestotrotz − die See lentrinker würden ihrer gerechten Strafe entkommen. Ihr Verrat wür de weiterhin eine klaffende Wunde im Herzen des Imperiums blei ben. Rufillas Trupp deckte den Rückzug der anderen Schwestern und Sturmtruppen zu den Rhinos und Chimären. Mehrere der Fahrzeuge waren außer Betrieb. Ihre Ketten waren auf den scharfen Kanten der Felsen und Wrackteile zerbrochen oder bei Zusammenstößen be schädigt worden. Die Truppen zwängten sich in die verbliebenen Fahrzeuge. Kugeln prallten von ihren Panzerplatten ab − die ketzeri schen Horden nutzten ihre Chance zu einem Gegenangriff. Aescarion war unter den letzten der Ordensschwestern, die sich schnell zurückfallen ließen. Sie folgte ihnen, während sie auf die wandelnden Leichen feuerte, die von den Hügeln aus verformtem Metall herabtaumelten. Eine Hand streckte sich nach ihr aus − sie trennte sie mit ihrer Energieaxt ab. »Wir geben Euch Deckung, Schwester. Steigt ein!«, ertönte Rufil las kräftige Stimme. Aescarion beschleunigte ihre Schritte. Der Kon voi setzte sich in Richtung der Sichelmond in Bewegung. »Schwester!«, rief jemand keuchend. Nicht über Vox, sondern ganz in der Nähe. Aescarion blieb stehen und sah sich um. Thaddeus kam durch das Schlachtgetümmel auf sie zu. Er feuerte aus einer Boltpistole, die er in beiden Händen hielt. Sein Gesicht war blutver
schmiert, sein Mantel zerrissen und an den Rändern versengt. Sobald er Aescarion sah, rannte er los. Für einen Moment glaubte sie, dass er Männer dabeihatte, die ihm Feuerschutz gaben. Dann erkannte sie, dass es Rufillas Trupp war, der vom Konvoi aus in die Reihen der lebenden Toten schoss. »Schwester«, sagte er, als er sie erreicht hatte, »wir sind hier fer tig.« »Ich ziehe die Truppen zurück«, antwortete sie. »Wir dachten, wir hätten Euch verloren.« »War ich auch«, sagte er. »Teturact ist tot. Wir haben hier genug getan.« »Was ist mit den Seelentrinkern?« Thaddeus lud die Boltpistole nach. Aescarion fragte sich, woher er sich die Waffe samt Reservemunition beschafft hatte. »Teturacts Hexer haben noch immer die Kontrolle, oder nicht?« »Richtig. Ich habe sie gesehen. Grässliche Kreaturen.« »Sie haben den Befehl über die feindliche Armee übernommen. Sie sind unser Hauptziel. Ohne Teturact können sie nirgendwohin fliehen. Wenn wir sie schnell zur Strecke bringen, können wir diese Schlacht noch gewinnen.« »Aber die Seelentrinker müssen diesen Planeten ebenfalls verlas sen, Inquisitor. Jetzt wäre die beste Gelegenheit, um …« Thaddeus pumpte eine Boltsalve in die nächsten Feinde. Rufillas Deckungsfeuer bildete eine Sicherheitszone um den Konvoi. »Aesca rion, eines Tages werde ich Euch eine Lektion in Politik erteilen. Im Moment bestehe ich auf meiner Befehlsgewalt als Inquisitor und verlange, dass Ihr meinen Anweisungen Folge leistet. Wir können uns später darüber streiten.« Rufilla brüllte eine letzte Warnung. Aescarion wandte sich um und führte Thaddeus zum letzten der Rhinos. Sie stieg zu Rufillas Trupp. Während sie aus den Schießscharten feuerte, machte sich der Konvoi auf den gefährlichen Weg durchs Schlachtfeld auf die Si chelmond zu.
Es stank nach Schießpulver und nach verwesendem Fleisch. Trotz dem atmete Salk tief durch, als er den angeschlagenen Stoßtrupp aus den Ruinen des Außenpostens führte. Noch immer war ganz in der Nähe Schlachtenlärm zu hören. Salk wusste, dass hinter der Basis ein erbitterter Nahkampf stattfand. Dort wurden die Leben jener Marines riskiert, die dem Stoßtrupp die notwendige Zeit verschafft hatten, die Zukunft des Ordens zu sichern. Aus der Forschungsstation stieg dunkler Rauch auf. Die Umgebung war ein Albtraum aus verboge nem Metall und tiefen Kratern. Über ihren Köpfen schwebte noch immer das Schlachtschiff und es löste sich langsam in seine Einzel teile auf. Graevus folgte den Überlebenden von Salks Trupp. Mit seiner mutierten Hand stützte er Karraidin, der ein Bein unterhalb des Knies verloren hatte. Die Hand, die den Sturmbolter gehalten hatte, war nur mehr ein schimmernder, roter Stumpf. Aber er war am Leben. Sein Trupp formte einen Verteidigungsring um ihn. Auch Pallas und Lyg ris waren dabei. Sie hatten versucht, Techmarine Solun zu finden, als sie den Laborbereich verlassen hatten, aber er war verschollen. »Seelentrinker, hier Sergeant Salk. Mission erfüllt. Holt uns hier raus.« Rauschen. Dann: »Salk, bleibt in Deckung. Wir kommen.« Die Sekunden verstrichen quälend langsam. Lygris und Pallas hat ten die letzte Chance der Seelentrinker auf ein genetisches Überleben bei sich. Ein einziger Angriff zur falschen Zeit, ein unglücklicher Artillerietreffer, und alles wäre dahin. Mit dröhnenden Triebwerken schoss einer der silbern glänzenden Jäger auf sie zu. Seine Hülle zeichnete sich grell gegen den dunklen Himmel ab. Die Einstiegsluken öffneten sich, und der Jäger senkte sich so tief ab, dass seine Unterseite die Wrackteile berührte. Pallas und Lygris gingen zuerst an Bord und wurden in das Trans portabteil geschleift. Irgendwie hatte Graevus Karraidin auf einen Schutthaufen gezerrt. Purpurfarbene Handschuhe streckten sich aus,
um den verwundeten Captain an Bord zu hieven. Salk deckte Grae vus und seine Männer, die ihm nachfolgten. Schließlich stieg auch Salk ein. Bis zuletzt feuerte er mit seinem Bolter auf die Gegner. Die Einstiegsluke schloss sich langsam wieder. Das Letzte, was Salk von Stratix Luminae sah, war eine rußige Ruine. Es wimmelte nur so von Feinden, die auf eine unglaublich dünne, purpurfarbene Verteidi gungslinie zustürmten. »Bibliothekar Gresk an Sarpedon«, voxte irgendjemand. Salk be merkte, dass das Signal aus einem der Reserveschiffe kam, das sie abgeholt hatte. Gresk, einer der Psioniker des Ordens, der mit seinen Blicken Feuerbälle schleudern konnte, musste die Reservetruppen bereits abgesetzt haben. Nur die Überlebenden des Stoßtrupps befan den sich auf dem Schiff. »Wir haben den Stoßtrupp aufgelesen. Mis sion beendet. Ich wiederhole, Mission beendet.« »Verstanden.« Die Antwort konnte Salk nur undeutlich über dem ansteigenden Dröhnen der Triebwerke verstehen. »An alle Einheiten: sofortiger Rückzug. An alle Einheiten …« Salk ließ sich in seinen Sitz zurückfallen. Alles tat ihm weh. Sein Stoffwechsel normalisierte sich langsam wieder. Bald würde er ein Dutzend Verletzungen spüren, die er bis jetzt noch nicht einmal be merkt hatte. Er hatte überlebt. Es war nicht gerecht. Er konnte Solun vor sich sehen, der mit abgetrennten Beinen am Boden lag. Er sah Marines, die von der Woge aus mutiertem Fleisch in Stücke gerissen wurden. Er sah Captain Dreo, der tödlich verletzt im Mechanicuslabor auf Eumenix lag. Er erinnerte sich daran, wie Hastis auf Septiam Torus gestorben war. Wie viele Soldaten des Ordens waren gefallen? Er wollte es gar nicht wissen. Nur die Anführer des Ordens, Sarpedon, Karraidin und Lygris, würden verstehen, welchen Preis sie hatten bezahlen müssen, und es würde für den Rest ihres Lebens wie Blei auf ihren Seelen liegen. Aber das war es wert gewesen. Wenn der Orden eine Zukunft hat te, gab es auch Hoffnung. Sarpedon hatte ihnen diese Hoffnung bis
zuletzt vorenthalten, da er sich nicht sicher war, ob sie überhaupt eine echte Chance gehabt hatten. Jetzt war die Hoffnung alles, was dem Orden noch blieb. Die Marines legten ihre Gurte an. Gresk befahl der Brücke zu starten. Der Jäger durchschoss die Atmosphäre, flog in den Weltraum und verließ endlich Stratix Luminae. Sie hatten drei der Jäger verloren. Einer war gleich zu Beginn des Angriffs abgestürzt, zwei weitere beim Absetzen der Truppen von der Oberfläche aus abgeschossen worden. Die restliche Flotte holte die Seelentrinker sozusagen direkt aus der Kampfzone. Die ketzeri schen, führerlosen Horden stürmten den Außenposten wie eine Herde Heuschrecken. Dort würden sie bis zum Ende gegen die mutierten Kreaturen im Inneren kämpfen. Iktinos war einer der Letzten, die an Bord gingen. Die Truppen in seiner Begleitung waren eingeschlossen. Noch während der Jäger aufstieg, schlug er mit seinem Crozius auf die Verräter ein. Die Staf fel löste die Formation und schlängelte sich an Teturacts Flaggschiff vorbei in den Weltraum. Sie hielten gebührenden Abstand zur Si chelmond, die ihrerseits jedes Transportschiff, das Stratix verlassen wollte, abschoss. Sarpedon schätzte, dass etwa vierhundertfünfzig Seelentrinker Stratix Luminae überlebt hatten. Der Orden besaß somit weniger als die Hälfte seiner ursprünglichen Stärke. Der Jäger, der Iktinos und seine Männer unter großem Risiko eva kuiert hatte, drehte eine letzte Runde über dem Schlachtfeld. Tellos und sein Sturmtrupp waren abgeschnitten und umzingelt worden. Allein hatten sie es mit Zehntausenden von Mutanten und Verrätern aufgenommen. Das Schlachtfeld war ein einziges Chaos. Sie gaben auf, so weni ge Männer darin finden zu wollen. Ihnen wurde befohlen, die Suche aufzugeben und zu fliehen, bevor sie einen Abschuss riskierten. Ikti
nos schaltete auf Tellos’ Voxfrequenz, um noch ein letztes Mal mit ihm zu sprechen. Aber er hörte nur Schreie. »Nicht einer unter euch ist frei von Furcht. Wer etwas anderes be hauptet, der lügt. Ihr leidet Todesängste. Ihr befindet euch auf einem Space Hulk, umgeben von abtrünnigen Space Marines. Vor euch steht ein Mutant und Hexer. Jawohl, ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Und ich weiß auch, was das Imperium von mir hält. Sie würden starken, jungen, freien Männern wie euch mich als warnen des Beispiel vor Augen führen. Verräter, würden sie mich schimpfen. Ketzer. Unrein. Und so wäre wieder eine weitere Generation vergif tet, für die Freiheit verloren und ein Teil des korrupten, zerfallenden Imperiums geworden. Das Imperium ist eine Wiege des Chaos, er baut auf dem Rücken von Sklaven.« Sarpedon umklammerte die Kanzel. Er fühlte Stolz. Und obwohl dieser Stolz durch hohe Opfer erkämpft war, war er doch ehrlich und rechtmäßig. Dreihundert Novizenanwärter standen in Reih und Glied vor ihm auf dem Geschützdeck eines der Schlachtschiffe tief im In nern der Brokenback. Sie waren schon fast zu alt, um die Implantate und Operationen zu erhalten, die aus Männern Space Marines mach ten. Alle waren stark und gesund, nicht unbedingt gute Kämpfer, aber − weit wichtiger − Männer, die ihren Mut und die Bereitschaft bewiesen hatten, für ihren Glauben gegen jeden Widerstand einzutre ten. Iktinos hatte sie mit Sarpedons Erlaubnis persönlich ausgewählt. Nach dem Angriff auf Stratix Luminae hatten sich die Seelentrinker die Brokenback zurückgeholt. Die Alienjäger waren nahe genug he rangekommen, um die vielen miteinander verbundenen Maschinen geister aufzuwecken, die den Hulk aus seinem Ankerplatz gelöst und auf das Geschwader zugesteuert hatten. Seitdem war fast ein Jahr vergangen. Der Hulk hatte viele Welten besucht, auf denen Bürger krieg und Rebellion herrschte. Sie hatten diejenigen, die sich gegen
das Imperium aufgelehnt hatten, auserwählt und die mutigsten der jungen Kämpfer an Bord geholt. Viele, die das Imperium bekämpften, waren nur Banditen oder Tyrannen. Anderen jedoch war ein grundsätzlicher Abscheu gegen jede Art von Unterdrückung zu eigen, und diese jungen Männer hatte Sarpedon angesprochen. Kaplan Iktinos hatte sie aufgrund ihres Mu tes, ihrer Intelligenz und ihrer Hingabe ausgewählt. Der große Rekru tierungszug hatte wieder begonnen. »Nicht alle von euch werden überleben«, fuhr Sarpedon fort. Dreihundert Augenpaare waren allein auf ihn gerichtet. »Schon die Implantierungsprozesse werden nicht alle überstehen. Andere werden bei der Ausbildung zugrunde gehen. Aber diejenigen, die es schaf fen, werden reif dafür sein, einige grundsätzliche Wahrheiten über die Menschheit und diejenigen Mächte, die sie bedrohen, zu erfah ren. Das Imperium ist eine dieser Bedrohungen. Es ist zu sehr mit seiner eigenen Tyrannei beschäftigt, um sich den wahren Gefahren zu stellen: den Dämonen, den Mächten des Warp, der schwarzen Magie und den Göttern, deren Namen ihr nicht nennen dürft − das sind die Feinde, gegen die wir zu Felde ziehen. Diese, und keine an deren. Denn das ist der Wille des Imperators, unverdorben durch die Lü gen der Machtgierigen. Ich biete euch ein kriegerisches Leben voller Schmerzen, das in einem gewaltsamen Tod enden wird. Ich werde euch alles abverlangen. Aber ihr werdet in der Gewissheit sterben, erkannt zu haben, was der wahre Plan des Imperators ist, und das ist mehr, als jeder im Imperium von sich sagen kann. Bald wird das Blut von Rogal Dorn durch eure Adern fließen, und ihr werdet euren Platz im ewigen Krieg gegen die Feinde der Menschheit einnehmen. Denkt bis dahin an die unbarmherzige Zu kunft, die vor euch liegt. Wäre unsere Aufgabe leicht, wäre sie es nicht wert, sie zu erfüllen. Ich bin mir sicher, sobald ihr den Mantel des Novizen oder die Rüstung eines Waffenbruders tragt, werdet ihr viel von dem verstehen, was ich euch gesagt habe. Durch euch lebt
die Legende der Seelentrinker fort.« Sie hatten Angst, und das nicht ohne Grund. Vor ihnen lag ein langer, steiniger Weg, wenn sie Space Marines werden wollten. Sarpedon konnte keine Worte finden, um die Mi schung aus ständiger Mühsal, Schmerzen und der Angst vor dem Versagen zu beschreiben. Aber Iktinos hatte gut gewählt. Sarpedon spürte, dass nur wenige von ihnen versagen würden, bevor sie Rüs tung und Boltgewehr der Seelentrinker ergreifen durften. Allein ihre Anwesenheit war ein Wunder. Die Mutationen der Seelentrinker, einschließlich Sarpedons Spinnengestalt, konnten nicht rückgängig gemacht werden. Aber die fortschreitende Ver wandlung war dank der unermüdlichen Arbeit von Pallas und seines Apothecarius und den Informationen, die sie auf Stratix Luminae gefunden hatten, aufgehalten worden. Die Gensaat der Gefallenen wurde aufbewahrt. Sie hatten so lange daran gearbeitet, bis sie end lich bereit waren, sie den Rekruten nach den ersten Phasen des Trai nings zu implantieren. Das Blutbad, das mit dem Gemetzel auf Stra tix Luminae geendet hatte, hatte aus einem Grund stattgefunden: die Gensaat des Ordens zu reinigen, um neue Männer rekrutieren zu können. Es würde eine lange Zeit dauern, bis der Orden wieder seine ursprüngliche Stärke erreicht hatte. Aber früher oder später würde es so weit sein. Und darauf war Sarpedon stolz. Unter Iktinos’ wachsamen Augen verließen die Novizen das Ge schützdeck, um ihre Ausbildung fortzuführen. Graevus würde sie im Nahkampf unterrichten. Karraidin, der warten musste, bis die Tech marines und Apothecarii die Bionics fertiggestellt hatten, die sein verlorenes Bein und seine Hand ersetzen sollten, würde ihnen Dae nyathos’ Lehren und die Wissenschaft des Krieges beibringen. Sar pedon hätte gewünscht, dass Dreo noch am Leben wäre, um sie die Schießkunst zu lehren. Aber es gab noch genug andere erstklassige Schützen, die diese Aufgabe übernehmen konnten. Sarpedon selbst würde diejenigen, die psionische Anlagen besaßen, unter seine Fitti che nehmen, ihre mentale Belastbarkeit prüfen und den Gebrauch
ihrer Fähigkeiten mit ihnen üben. Und natürlich würden alle Rekru ten regelmäßig mit den Schrecken der Hölle konfrontiert werden. So konnten sie ihre Ängste überwinden. Sarpedon wusste, dass die Seelentrinker auf sich allein gestellt und von Feinden umringt waren. Die Inquisition würde nicht aufhö ren, sie zu jagen. Die dämonischen Kräfte, die sie bekämpften, wür den immer mächtiger werden. Ohne Zweifel gab es dort draußen noch schlimmere Gefahren als Teturact. Die Seelentrinker würden sie aufspüren und sie zur Strecke bringen. Das war ihre Aufgabe. Nichtsdestotrotz war Sarpedon dankbar. Wie viele Männer in der Galaxis konnten von sich behaupten, wirklich frei zu sein? Sarpedon und seine Marines konnten es − und bald auch ihre Novizen. Und darum drehte sich alles. Der Imperator überbrachte die frohe Botschaft der Freiheit − sowohl von den Ausgeburten des Warp als auch von Tyrannen. Überall in der Galaxis war die Menschheit ver sklavt. Sarpedon hatte sich geschworen, dass die Seelentrinker sie befreien würde. Sarpedon trat von der Kanzel herunter und machte sich auf den langen Weg zur Brücke der Brokenback. Der Hulk näherte sich ei nem ruhigen Sektor, Lichtjahre von der nächsten Ansiedlung ent fernt. Dort konnten die Ausbildung der Novizen und der Wiederauf bau des Ordens beginnen. Freiheit. Wie lange hatte Sarpedon gebraucht, um herauszufinden, dass es die einzige Sache war, wofür es sich zu kämpfen lohnte. So wohl das Imperium als auch der Warp fürchteten die Freiheit mehr als alles andere. Und wenn es Tausende, ja Zehntausende von Jahren kosten sollte − Sarpedon würde die Freiheit wie eine Waffe einset zen, um die Feinde der Menschheit zu vernichten. Dann würden die Seelentrinker siegreich sein. Der Wille des Imperators wäre endlich erfüllt. ENDE