BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER BIBLISCHEN EXEGESE Herausgegeben von OSCAR CULLMANN, BASEL/PARIS • ERNST KA.SEMANN, TÜBINGEN HANS·JOACHIM KRAUS, HAMBURG-VOLKSDORF HARALD RIESENFELD, UPSALA KARL HERMANN SCHELKLE, TÜBINGEN • PAUL SCHUBERT, NEW HA VEN ERNST WOLF, GÖTTINGEN
9
Das Naherwartungslogion Matthäus 10, 23 Geschichte seiner Auslegung von
MARTIN KÜNZI
1970 J.C.B. MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN
© Martin Künzi J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1970 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Printed in Germany Satz und Druck: Großdruckerei Erioh Spandcl, Nümberg Einband: Heinr. Koch, Großbuchbinderei, Tübingen
Bestell-Nr. 13025
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Jahre 1967 von der Theologischen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Die Anregung zur Behandlung des Themas gab mir in freundlicher Weise Herr Prof. Dr. 0. Cullmann, Basel. Ursprünglich war geplant, eine Auslegungsgeschichte der drei sog. Naherwartungslagien Mt 10,23, Mk 9,1 par und 13,30 par zu schreiben. Das sehr umfangreiche Quellenmaterial nötigte aber zu einer Beschränkung des Stoffes. So liegt jetzt die Geschichte der Auslegung von Mt 10,23 vor. Es stellte sich die Frage, ob der ganze Vers oder nur seine zweite Hälfte berücksichtigt werden sollte. Da der ganze Vers Sondergut des Mt ist, da ferner die beiden Vershälften durch ein "Denn" eng miteinander verbunden sind und da schließlich die den V. 23a beherrschende Frage der Flucht in Verfolgungszeiten in unserem Jahrhundert wieder eine überraschende Aktualität erhalten hat, wurde die Auslegung des ganzen Verses berücksichtigt. Es ist mir ein Bedürfnis, allen denen zu danken, die mir bei der Abfassung dieser Arbeit zur Seite gestanden sind. Vorab danke ich Herrn Prof. Dr. 0. Cullmann, Basel, der meine Arbeit mit stetem Interesse und Wohlwollen gefördert hat. Sodann danke ich den Herren Prof. Dr. R. Peter, Strasbourg, und Prof. Dr. K. Fröhlich, MadisonJN.J. (USA) für wertvolle Hinweise. Ebenso danke ich zahlreichen Bibliotheken für die oft mühsame Bereitstellung des Quellenmaterials, vorab der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern, sodann der Universitätsbibliothek Basel, der Stiftsbibliothek St. Gallen, der Biblioteca Cantanale Lugano, der Bibliotheque Publique et Universitaire Geneve und der Zentralbibliothek Luzern. Ferner danke ich den Herausgebern, vorab den Herren Prof. Dr. 0. Cullmann, Basel, und Prof. Dr. H. Riesenfeld, Uppsala, sowie dem Verleger, Herrn Dr. H. G. Siebeck, Tübingen, für die Auf-
IV nahme meiner Arbeit in die Reihe "Beiträge zur Geschichte der Biblischen Exegese". Ebenso danke ich für die finanziellen Beiträge, die eine Drucklegung der Abhandlung ermöglicht haben; diese Beiträge wurden mir zur Verfügung gestellt vom Regenzausschuß der Universität Basel aus dem Dissertationenfonds, von der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft der Stadt Basel aus dem Werenfels-Fonds und von der Kirchendirektion des Kts. Bern. Meinem Vater und meiner verstorbenen Mutter danke ich dafür, daß sie mir das Studium der Theologie ermöglicht haben, und meiner Frau danke ich für manches Opfer, das sie wegen der vorliegenden Arbeit auf sich genommen hat. Schließlich danke ich meinem Nachbarkollegen, Herrn Pfr. M. Baumann, Thunstetten, für seine Mithilfe beim Lesen der Korrekturen. Bleienbach (Kt. Bern) Juli 1969
Martin Künzi
Inhalt
Vorwort DAS PROBLEM .
I
DAS LOGION MT 10,23
4
DIE GESCHICHTE DER AUSLEGUNG
9
Methodische Vorbemerkung
9
I. Alte Kirche . ·. . . .
ll
I. Griechische und orientalische Väter
a) b) c) d) e)
Auslegung der ersten Vershälfte Deutung auf die Heidenmission . Deutung auf die (ferne) Parusie Deutung auf die Judenmission . Deutung auf die Auferstehung J esu
ll ll
17 21 21 23
Anhang. Spätere griechische und orientalische Theologen
24
2. Lateinische Väter . . . . . . . .
28
a) Auslegung der ersten Vershälfte b) Deutung auf die (ferne) Parusie c) Deutung auf die Judenmission
28 31 35
3. Zusammenfassung . . .
36
Il. Abendländisches Mittelalter
37
a) b) c) d)
Deutung auf die Auferstehung Jesu Deutung auf die Judenmission . Deutung auf die (ferne) Parusie Zusammenfassung . . . . .
III. Refonnation und Gegenreformation . I. Protestantische Exegeten des 16. Jahrhunderts
a) Deutung auf die Judenmission . . b) Deutung auf die Heidenmission . . c) Deutung auf die Auferstehung J esu
37 46 46 48
49 49 49 51 52
VI d) Deutung auf die (ferne) Parusie . . . . . . e) Deutung auf den Jüdischen Krieg . . . . . f) Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes 2. Protestantische Exegeten des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . a) b) c) d) e) f)
Deutung Deutung Deutung Deutung Deutung Deuttmg
auf auf auf auf auf auf
die Heidenmission . . die (ferne) Parusie die Auferstehung Jesu die Sendung des Heiligen Geistes die Judenmission . . . . . . . den Jüdischen Krieg . . . . .
3. Katholische Exegeten des 16. und 17. Jahrhunderts a) b) c) d) e)
Deutung Deuttmg Deutung Deutung Deutung
auf auf auf auf auf
den Tod der Jünger . die Judenmission . . die Auferstehung Jesu die (ferne) Parusie die Heidenmission .
54 55 5ß 57 57 60 62 62 64 65 66 66 66 68 68 76
4. Zusammenfassung
77
IV. Neuzeit . . . . . .
78
I. Protestantische Exegeten des 18. Jahrhunderts a) b) c) d)
Deuttmg auf den Jüdischen Krieg Deutung auf die Judenmission . . . Unbestimmte·Auslegung . . . . . . Die Auseinandersetzung zwischen H. Semler . . . . . . . . . . . . .
. . S. .
. . . . Reimarus und J. S. . .
78 78 81 83 84
2. Protestantische Exegeten des 19. Jahrhunderts a) Deutung auf die (nahe) Parusie . b) Die Unechtheitshypothese . . . . c) Deutung auf die Judenmission . . d) Deutung auf den Jüdischen Krieg. e) Allgemeine Deutung. . . . . . . f) Deutung auf die (ferne) Parusie g) Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes
87 87 97 102 103 105 105 106
3. Katholische Exegeten des 18. und 19. Jahrhunderts a) Deutung auf den Jüdischen Krieg b) Deutung auf die (nahe) Parusie . c) Deutung auf den Tod der Jünger d) Differenzierte Deutung. . . . . e) Deutung auf die (ferne) Parusie
108 108 109 109 llO ll4
4. Protestantische Exegeten des 20. Jahrhunderts a) Konsequent-eschatologische Auslegung. b) Deutung auf die (nahe) Parusie . . . . . .
ll5 ll6 ll9
VII c) Die Unechthcitshypothese . . . . . . . . . . . . . . . d) Deutung auf die (ferne) Parusie . . . . . . . . . . . . e) Die Auseinandersetzung zwischen M. Werner und W. Micha· elis . . . . . . . . . . . . . . . . f) Weitere Deutung auf die (ferne) Parusie . g) Weitere Deutung auf die (nahe) Parusie . h) Weiterführung der Unechtheitshypothese i) Uneschatologische Auslegung . Anhang. Eine jüdische Stimme . . . . . . . .
122 125 126 132 134 140 148 151
5. Katholische Exegeten des 20. Jahrhunderts .
152
Deutung auf den Jüdischen Krieg . Differenzierte Auslegung . Unbestimmte Auslegung . Neueste Auslegung
152 154 156 157
a) b) c) d)
6. Zusammenfassung
163
DAS ERGEBNIS
164
I. Zusammenfassung
164
II. Grundlinien der Kritik
177
III. Grundlinien eines Lösungsversuchs
180
LITERATUR
183
Register . . .
191
Abkürzungen
Diese richten sich nach dem "Verzeichnis der Abkürzungen" im Handwörterbuch "Die Religion in Geschichte und Gegenwart", hg. v. K. Galling, 3. Aufl. Tübingen 1957ff (RGG•). In RGG• nicht enthalten ist die Abkürzung RechB
Recherehes Bibliques
Für die Übersetzungen aus fremden Sprachen trägt der Verfasser größtenteils selber die Verantwortung. Wo andere Übersetzungen verwendet bzw. benützt werden, sind diese ausdrücklich angeführt.
Das Problem "On a beaucoup ecrit sur ce verset, et dans les sens les plus divers; il faut bien avouer que l'enigme subsiste." So urteilt der katholische Exeget Jacques Dupont über das Logion Mt 10, 23 und seine Auslegung 1 ). In der Tat stellt dieses Logion dieneuere Exegese vor ein schwieriges Problem. Es handelt sich um das Problem der Naherwartung des Reiches Gottes, d. h. um die Frage, ob Jesus das Reich Gottes in großer Nähe erwartet hat. Wohl am ausgeprägtesten kommt dieses Problem bei Albert Schweitzer zum Ausdruck. Bekanntlich wurde Schweitzer schon als junger Student bei der Beschäftigung mit Mt 10 auf die Bedeutung des V. 23 aufmerksam. Über seine damalige "Entdeckung" berichtet er in seiner Selbstbiographie: "Matthäus 10 wird die Aussendung der zwölf Jünger erzählt. In der Rede, mit der er sie entläßt, kündigt ihnen J esus an, daß sie alsbald große Verfolgung erleiden werden. Es geschah ihnen aber nichts. Er verkündet ihnen auch, daß die Erscheinung des Menschensohnes statthaben werde, ehe sie mit den Städten Israels zu Ende sein würden, was doch nur heißen kann, daß unterdessen das überirdische, messianische Reich anbrechen werde. Er erwartet sie also gar nicht mehr zurück . . . Der lapidare Text zwang mich anzunehmen, daß Jesus wirklich Verfolgungen für die Jünger und ein daran anschließendes alsbaldiges Erscheinen des überirdischen Menschensohnes in AuHsicht ge~;tellt habe, ohne daß die nachfolgenden Ereignisse ihm darin recht gabon 2 )."
Daß J esus den Jüngern verkündet, das messianische Reich werde vor ihrer Rückkunft anbrechen, entnahm Schweitzer dem V. 23. Dieser Vers, in obengenanntem Sinn verstanden, wurde für ihn zum Schlüssel seines Verständnisses der Gestalt Jesu und der Geschichte des Christentums 3 ). 1) 2) 8)
NovTest 2, l!l58, 228. Aus meinem Leben und Donken, Bern l!l31, 5f. Geschichte der Leben.Jesu-Forschung, Tübingen 1951 1 , 405ff.
1 Ktlnzi, M"tthiius
2 Mit der Auslegung des Logions Mt 10, 23 im Sinne der Naherwartung des Reiches Gottes, besonders in ihrer Schwoitzersehen Ausprägung, ist aber eine große Schwierigkeit verbunden. Schwoitzer kommt selbst darauf zu sprechen: "Anstoß bereitet Vielen, daß der historische Jesus als ,irrtumsfühig' gelten müsse, weil das übernatürliche Reich Gottes, dessen Erscheinen er für alsbald verkündigte, ausgeblieben ist')."
Eine Auffassung des Logions Mt 10, 23, die die Irrtumsfähigkeit J esu in sich schließt, hätte, wenn sie sich als zutreffend erweisen sollte, in der Tat weitreichende Konsequenzen, sowohl für die Christologie wie für die Eschatologie. In der Christologie würde sich die Frage stellen: Wenn Jesus irrtumsfähig war, wie reimt sich das mit seiner Gottessohnschaft ~ Oder noch schärfer formuliert: Wenn er sich geirrt hat, kann er dann Gottes Sohn sein 1 Und in der Eschatologie: Wenn Jesu Verheißung des messianischen Reiches nicht in Erfüllung gegangen ist, was bleibt von ihr noch übrig~ Wir sehen: Die Auslegung des Logions Mt 10, 23 im Sinne der Naherwartung des Reiches Gottes, wie sie besonders ausgeprägt von Schwoitzer vertreten wird, ergibt ein Bild von der Gestalt J esu und den "Letzten Dingen", das stark von der traditionellen Auffassung abweicht, ja sie geradezu in Frage stellt. Kein Wunder, daß namentlich Schweit~ers Auffassung der Gestalt Jesu Beunruhigung und Kritik hervorgerufen hat 2 ). Die Diskussion um Mt 10, 23 kommt nicht zur Ruhe - ein Zeichen dafür, daß dieses Logion exegetisch immer noch Schwierigkeiten bereitet. Darum dürfte es angezeigt sein, einmal die Geschichte seiner Auslegung von den Anfängen bis zur Gegenwart zu erforschen. Dabei wird uns, neben der Entdeckung der bisherigen Lösungsversuche, die Frage interessieren: Wann ist im Zusammenhang mit Mt 10, 23 die eben erwähnte Problematik aufgekommen, schon gleich am Anfang oder erst später1 Die Antwort auf diese Frage wird bereits ein wichtiger Fingerzeig für die Exegese unseres Logions sein. Aus meinem Leben und Denken, 47. Als Beispiel sei die Auseinandersetzung mit dem Schweitzer-Schüler M. Werner an der Tagung des Schweiz. Ref. Pfarrvereins vom Jahre 1942 genannt; vgl. Die Hoffnung der Kirche, Verhandlungen des Schweiz. Ref. Pfarrvereins 83, Liestal 1942, 66ff. 1)
2)
3
Es war nötig, kurz auf die dem Logion Mt 10, 23 heute innewohnende Problematik einzugehen, damit wir diese nicht unbewußt in frühere Zeiten zurücktragen. Wir müssen nämlich grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, daß diese heutige Problematik nicht von Anfang an bestanden hat, sondern erst in einer bestimmten geistesgeschichtlichen Situation aufgetreten ist. So vorbereitet, wenden wir uns jetzt dem Logion Mt 10, 23 selbst zu.
Das Logion Mt 10, 23 Als erstes wollen wir fragen, wo die Schwierigkeiten des Logions Mt 10, 23 liegen. Es handelt sich nicht darum, vorweg eine eigentliche Exegese dieses Logions zu geben, sondern nur darum, die textkritischen und sachlichen Fragen sichtbar werden zu lassen. Das Logion Mt 10, 23 hat bei Nestle folgenden Wortlaut: "0-r:av ~8 &w'XwCJw vt-tcil; iv -r:fi :n:6A.u -r:av-r:n, cpevye-r:e el~ -r:~v hieav· &.t-t~v yae Uyw Vf-tiV, ov f-l~ U:AEC1'YJT:e -r:a~ :n:6A.et~ [-r:oii] 'lCJ!]a~A iw~ eA.iJn 0 Vto~ -r:oii aviJew:n:ov 1 ). Zuerst wenden wir uns den textkritischen Fragen zu. In V. 23a sind folgende Varianten zu erwähnen: Statt heeav lesen zahlreiche Handschriften äA.A.'YJv, so der Cod. C, die Koine-Gruppe, die Codd. D und () sowie die Mehrzahl der übrigen Zeugen und !{Jemens von Alexandrien. Am Ende der ersten Vcrshälfte fügen einige Zeugen die Worte an: 'Xäv E'X -r:av7:1)~ ~tW'XW(Jt'J/ Vf-tO.~, cpevye-r:e el~ ·~v aAA'YJV, so die Codd. D, L und () (z. T. mit geringfügigen Abweichungen), die Lake- und Ferrar-Gruppe und andere, sowie altlateinische Übersetzungen und die syrische Übersetzung vom Sinai (diese Übersetzungen wiederum mit kleinen Abweichungen), ebenso Origenes; auch Westcott-Hort führt diese längere Variante als wichtige abendländische Lesart an. In V. 23b sind nur geringfügige Varianten zu verzeichnen: Das -roii fehlt in den Codd. B und D sowie bei Westcott-Hort; es findet sich aber in allen übrigen Handschriften und bei Tischendort Nach iw~ bringen einige Handschriften ein av, so der Cod. C, die Koine-Gruppe, die Codd. D, ()und die meisten andern, ebenfalls v. Soden. Einige Handschriften fügen statt des av ein ov an, so ~ 3 und wenige andere. Das bloße iw~ findet sich in den Codd. Bund ~*. Im ganzen handelt es sich um Varianten, die inhaltlich nicht ins Gewicht fallen. Einige Bedeutung hat ledig1)
NT Graece, ed. E. NestlefK. Aland, Stuttgart 1957 23 , 24.
lieh die längere Version von V. 23a. Auf sie werden wir im Laufe der Auslegungsgeschichte von Mt 10, 23 zu achten haben. Wir kommen jetzt zu den sachlichen Fragen. Das Logion Mt 10, 23 ist als Teil der Aussendungsrede Mt 10, 5-42 überliefert und erscheint dadurch als Wort, das Jesus bei der Aussendung der zwölf Jünger zur Mission in Israel gesprochen hat. Betrachten wir zuerst den V. 23a. Das Verbum lJunxew bedeutet in Verbindung mit -cwa "jemanden verfolgen" (1 Makk 5, 22 etc), in Verbindung mit lx "vertreiben, verjagen" (Hdt. 9, 77). Der erste Fallliegt zu Beginn des V. 23a vor, der zweite in einigen Lesarten der längern Variante am Ende des ersten Halbverses 1 ). Jesus verheißt also hier den Jüngern Verfolgungen. Diese sollen sich lv -cfi n6A.et -,;. "in dieser Stadt" ereignen. Welche Stadt ist hier gemeint 1 An was für Verfolgungen ist hier gedacht, an solche während der Mission in Israel oder an solche während der Mission in der Welt 1 Für den Fall der Verfolgung weist Jesus die Jünger an: "Fliehet in die andere."
1)
2) 3) 4)
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Bauer, 'VB' 39Sf. Bauer, 'VB 5 1692. Bauer, \VB• 90f. Bauer, WB• 1604.
6
nen ('t'. o06v, Horn. Od. 2, 256 etc)- in unserem Fall die Beendigung des Fluchtweges -und heißt dann "zu Ende kommen mit". Es kann aber auch die Vollendung einer Aufgabe bedeuten ('t'. eeyov, Horn. Od. 2, 272 etc) - in unserem Fall die Vollendung der Missionsaufgabe - und heißt dann "zu Ende bringen" 1 ). Das ergibt für V. 23b zwei Sinnmöglichkeiten, entweder: "Ihr werdet mit den Städten Israels (auf eurer Flucht) nicht zu Ende kommen", oder aber: "Ihr werdet die Städte Israels (durch eure Missionsarbeit) nicht zu Ende bringen." Im ersten Fall würde sich das Verbum auf die Örtlichkeiten, im zweiten auf deren Bewohner beziehen. Außerdem ist zu fragen, ob mit den "Städten Israels" die Städte in Palästina gemeint sind oder die Städte, in denen Juden wohnen. Der Nebensatz ew~ eJ.fJn o via~ 't'ov dvfJedmov bietet noch größere Schwierigkeiten. "Ew~ ist eine "temporale Konjunktion ... zur Angabe des Endpunktes in der Zeit" und bedeutet "solange bis, bis daß". Es wird in der Regel konstruiert mit dem Konjunktiv des Aorist und äv (X., an. 5, 1, l l etc), "um zu bezeichnen, daß der Eintritt des Ereignisses von Umständen abhängig ist". Wir finden es aber auch ohne äv (Soph. Ai. 555 etc) 2 ). Das kann zweierlei bedeuten, entweder: "Wenn der Menschensohn kommt, werden nicht alle Städte durchflohen bzw. missioniert sein", oder aber: "Erst dann werden sie durchflohen bzw. missioniert sein." Doch was bedeutet das "Ko~men des Menschensohnes" 1 Es kann sich hier nicht darum handeln, auf das vielschichtige "Menschensohn"Problem näher einzugehen. Wir vermerken hier nur das Allerwichtigste. Der Titel viO~ 't'ov avfJe. taucht in den synoptischen Evangelien als Selbstbezeichnung Jesu auf. Zugrunde liegt die zeitgenössische jüdische Vorstellung von einem als ,,Menschensohn'' oder "Mensch" angeschauten Himmelswesen, "das messianische Funktionen, wie das Weltgericht, ausübt (Bilderreden des Henoch, Ren. 46-48, 4 Esr 13, 3. 5lf ... )", eine Vorstellung, die irgendwie mit Dan 7, 13, vor allem aber mit einer eschatologischen Überlieferung zusammenhängt, "welche die Figur des vergöttlichten ersten Menschen kennt, der in der Endzeit wiederkehrt und das
1 ) Belege bei I-I. G. LiddellfR. Scottfl-I. S. Jones, A Greek-English Lexicon II, Oxford 1940, 177lf. 2 ) Bauer, WB• 661; daselbst weitere Belege.
Gottesreich bringt" 1 ). Es ist nun die Frage, ob das "Kommen des Menschensohnes" hier eschatologisch oder uneschatologisch gemeint ist, m. a. vV. ob es sich hier um das endzeitliche Erscheinen des Menschensohnes oder um ein Auftreten seiner Person vor dem Ende handelt. Wenn es eschatologisch gemeint ist, ergeben sich wieder zwei Möglichkeiten: entweder wird das Ende in der Ferne oder dann in der Nähe erwartet. Im ersten Fall bezöge sich das Logion auf die Jünger in einem weiteren Sinn, im zweiten Fall wie bei eineruneschatologischen Deutung auf die zwölf Jünger. Schließlich ist zu fragen, wie die zweite Hälfte des Wortes im ganzen zu verstehen ist. Spricht sie von den Flucht- bzw. Predigtmöglichkeiten der Jünged Verheißt sie ihnen ganz allgemein Hilfe~ Oder spricht sie vom Widerstand bzw. von der Nichtbekehrung der Juden~ Handelt sie von der Bestrafung der Juden oder gar von ihrer endlichen Bekehrung~ Das sind die Aspekte, die das Logion Mt 10, 23 für sich betrachtet ergibt. Nun gibt es aber noch gewisse Probleme, die sich auf Grund seiner Stellung im Kontext, d. h. in der Aussendungsrede Mt 10, 5ff, aufdrängen. Wir können hier nicht ausführlich auf die Probleme dieser Rede eingehen, sondern vermerken lediglich, daß sie "\Vorte enthält, die Mk ebenfalls bei der Aussendung der zwölf Jünger überliefert (Mk 6, 8-11), desgleichen Lk bei der Aussendung der zwölf Jünger (Lk 9, 2-5) und der siebzig Jünger (Lk 10, 4-12. 3); dazu kommen Worte, die sich in der synoptischen Apokalypse finden (Mt 24, 9.13// Mk 13,9-13// Lk 21, 12-17.19), sowie Worte, die Mk und Lk in anderem Zusammenhang überliefern oder die Mt selbst anderswo als Dublette bringt (Lk 12, 11.12; Lk 6, 40; Lk 12, 2-9; Mk 4, 22// Lk 8, 17; Lk 21, 18; Mk 8, 38// Lk 9, 26; Lk 12, 51-53; Lk 14, 26-27; Lk 17, 33; Mt 16, 24-25// Mk 8, 34-35// Lk 9, 23-24; Mt 18, 5// Mk 9, 37// Lk 9, 48; Lk 10, 16; Mk 9, 41) 2 ). Das legt den Schluß nahe, daß die Aussendungsrede Mt 10, 5ff eine Komposition aus Stücken verschiedener Herkunft darstellt 3 ). Damit ist die Möglichkeit gegeben, daß einzelne Worte dieser Rede
1) Bauer, WB• 1652; vgl. H.-F. Weiss, Art. "Menschensohn" in RGG 8IV, 874ff. 2 ) Vgl. A. Hu.clcJH. Lietzmann, Synopse der drei ersten Evangelien, Tübingen 1950 10 , 47ff. 3 ) Vgl. W. ]}Jichaelis, Einleitung in das NT, Bern 19GP, 37.
ihren ursprünglichen "Sitz im Leben" nicht bei der Mt 10 vorausgesetzten Aussendung der Jünger haben. Diese Möglichkeit besteht auch für den V. 23, der zudem Sondergut des Mt ist. Außerdem ist zu fragen, ob die Vv. 23a und 23b ursprünglich eine Einheit gebildet haben. Wenn das nicht der Fall sein sollte, so könnten die beiden Halbverse je einer verschiedenen Situation entstammen. Im weitem müssen wir uns der Möglichkeit offenhalten, daß das Logion Mt 10, 23 teilweise oder ganz überarbeitet oder sogar erst in späterer Zeit entstanden und nachträglich Jesus in den Mund gelegt worden ist. Wir sehen: Die Schwierigkeiten, vor die das Logion Mt 10, 23 führt, sind beträchtlich. Die Auslegungsgeschichte dieses Wortes wird uns zeigen, wie diese Schwierigkeiten im Laufe der Kirchengeschichte bewältigt oder auch nicht bewältigt worden sind.
Die Geschichte der Auslegung Methodische Vorbemerkung
Bevor wir uns anschicken, die verschiedenen Auslegungen darzustellen, die das Logion Mt 10, 23 im Laufe der Kirchengeschichte erfahren hat, müssen wir uns fragen, nach welcher Methode eine solche Darstellung am besten erfolgt. Um eine zeitliche Gliederung des Stoffes zu erhalten, empfiehlt sich die Einteilung der Kirchengeschichte in die Abschnitte Alte Kirche, Abendländisches Mittelalter, Reformation/Gegenreformation und Neuzeit. Innerhalb dieser Zeitabschnitte treten größere Gruppen von Auslegern hervor: griechische, orientalische und lateinische Väter in der Alten Kirche, protestantische und katholische Exegeten in den Jahrhunderten seit der Reformation. Für die Darstellung der Auslegungsgeschichte ergeben sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten. 1. Wir können nach allgemeinen theologiegeschichtlichen Gesichtspunkten vorgehen und z. B. fragen: Wie haben die Alexandriner und Antiochener, die lutherischen und reformierten Orthodoxen, die Pietisten, Rationalisten usw. unser Wort verstanden? Das ergibt eine Auslegungsgeschichte in Querschnitten. 2. Wir können nach Auslegungstypen einteilen und, unabhängig von der theologiegeschichtlichen Position der Exegeten, einfach die inhaltlich verwandten Auslegungen zusammenstellen. So ergibt sich eine Auslegungsgeschichte in Längsschnitten. Die zweite Methode dürfte für unsere Fragestellung sachgemäßer sein; uns interessiert ja nicht in erster Linie die Frage, wie theologiegeschichtlich zusammengehörige Exegeten unser Wort verstanden haben, sondern die Frage, welche Deutungen es im Laufe der Kirchengeschichte erhalten hat. Die zweite Methode dürfte auch übersichtlicher sein. Es ist nämlich von vornherein anzunehmen, daß sich bei theologiegeschichtlich zusammengehörigen Exegeten
10
verschiedene Deutungen des Wortes finden. Zudem dürfte mit Hilfe der zweiten Methode die "innere Dramatik" der Auslegungsgeschichte klarer hervortreten. Wir werden also unsere Auslegungsgeschichte nach Auslegungstypen darstellen und nur in begründeten Fällen (z. B. bei Kontroversen) von diesem Prinzip abweichen. Die verschiedenen Auslegungstypen lassen sich auf Grund des umstrittensten Versteils gewinnen. Diesen bilden in unserem Fall die Worte: "bis der Sohn des Menschen kommt". Alle Auslegungen, die das "Kommen des Menschensohnes" gleich deuten, bilden einen Haupttypus, und dieser läßt sich durch den jeweiligen Zeitabschnitt hindurch verfolgen. Dabei sind allerdings gewisse chronologische Überschneidm1gen nicht zu vermeiden; aber dieser Nachteil wiegt nicht schwer.
I. Alte Kirche
In der altkirchlichen Literatur taucht das Logion Mt 10, 23 erst verhältnismäßig spät auf. Mehr als ein Jahrhundert lang hinterläßt es keine Spur. Das ist bedeutungsvoll und wird uns noch beschäftigen. Wir befragen zunächst die griechischen und orientalischen, später dmm die lateinischen Väter, wie sie das Logion verstanden haben.
1. Griechische und orientalische Väter Bei den griechischen Vätern stoßen wir zunächst auf die bemerkenswerte Tatsache, daß weitaus die meisten unter ihnen nur die erste Hälfte von Mt 10, 23 zitieren bzw. auslegen. Es bleibt uns somit verborgen, wie diese Autoren die zweite Vershälfte verstanden haben. Wir wenden uns zuerst den Vätern zu, die nur die erste Vershälfte im Auge haben. a) Auslegung der ersten Vershälfte Der erste griechische Theologe, der Mt 10, 23a anführt, ist wohl Klemens von Alexandrien (t vor 215). Er eröffnet die Reihe derer, die in der ersten Hälfte von Mt 10, 23 eine allgemein gültige Weisung für Zeiten der Bedrängnis sehen. Strom. 4, 10 1 ) wendet er sich gegen diejenigen, die sich um des Glaubens willen vor Gericht ziehen ließen. Ausgehend vom Herrenwort Mt 10, 23a weist er die Christen an, sich einer gerichtlichen Verurteilung durch die Flucht zu entziehen: "Nicht weil es schlecht ist, verfolgt zu werden, fordert er (sc. Jesus) uns auf zu fliehen, auch gebietet er uns nicht, aus 1) GCS 15, 282.
Furcht vor dem Tod diesen durch die Flucht abzuwenden; er will vielmehr, daß wir weder die Urheber noch die Miturheber irgendeines Bösen sind, weder bei uns selbst, noch bei dem, der verfolgt, noch bei dem, der zugrunde richtet. Er kündigt uns nämlich an, wie wir ausweichen sollen. Wer aber nicht gehorcht, ist verwegen und stürzt sich unüberlegt in Gefahr." Wir beachten, daß Jesus nach Klemens hier nicht nur erlaubt, sondern geradezu gebietet, in Verfolgungszeiten zu fliehen. Als Zweck der Flucht gibt Klemens die Verhütung des Bösen an. In der von Klemens eingeschlagenen Richtung bewegen sich eine Reihe weiterer altkirchlicher Ausleger. Eine Anspielung auf Mt 10, 23 a finden wir in der Didaskalia, die dem 3. Jahrhundert angehört. Didaskalia 19 1 ), im Kapitel über die Fürsorge für die Märtyrer, lesen wir: "Und diejenigen wiederum, die um des Glaubenswillen verfolgt werden und von Stadt zu Stadt ziehen nach dem Befehl des Herrn, nehmt auf und erquickt sie, und wenn ihr sie aufnehmt, so freuet euch, daß ihr Genossen ihrer Verfolgung geworden seid." Auch hier wird Mt 10, 23a als Vorschrift verstanden. In etwas erweiterter Gestalt sind diese Ausführungen in die Apostoli;:;chen Konstitutionen (um 380) eingegangen: Const. Ap. 5, 3 2 ). Ähnlichen Inhalts ist Const. Ap. 8, 45 9 ).
In den Bußkanones des Petrus von Alexandrien (t 311) finden wir Can. 94 ) eine Anspielung auf Mt 10, 23a: Nach diesem Herrenwort sollen wir in der Verfolgung um J esu willen von Ort zu Ort eilen. Der Gedanke ist ähnlich wie bei Klemens von Alexandricn: "Er (sc. Christus) will nämlich nicht, daß wir zu den Schildträgern und Lanzenträgern des 'L'eufels überlaufen, damit wir ihnen nicht zur Ursache vielfältiger Todesarten werden, indem wir sie zwingen, zorniger zu werden und die todbringenden Werke zu vollbringen, sondern (er will, daß wir) abwarten und auf der Hut sind, wachen und beten ... (Mt 26, 47)." Als biblische Beispiele für diese Haltung führt Petrus an: Stephanus, Jakobus li, Petrus und Paulus.
1 ) Die ~yri,;che Di!lm;lmlia, iibcr,;. und crkliirt Flcmi11y, Leipzig I !!04, 94. •) l\H'G I, 831 ff. 3 ) l\IPG l, ll49f. ') Ml'G, 18, 48:lf.
VO!l
Il. Achelis nnd .J.
Dieser Passus kehrt wieder qei Photius ( * ca. 820, t nach 886), Syntagma. Canonum 13, 201 ) und bei Theodorus Balsamon, In Epist. S. Petri Alex. Can. 9 2 ).
Bei Eusebius von Cäsarea (t 339) finden wir einen neuen Zweck der Flucht. In seinem Psalmenkommentar führt er zur Exegese der Überschrift von Ps 56 (LXX) 3 ) zunächst den bekannten Gedanken an: David verwirklichte auf seiner Flucht vor Saul das Wort Mt 10, 23 a, um durch seine Gegenwart dem Feind nicht Grund zum Mord zu geben. Dann aber tritt zur Schonung des Feindes die Schonung der Freunde: "Deshalb zog er sich zurück und entfernte er sich, obschon er vom ganzen Volk geliebt wurde und viele hatte, die mit ihm Schmerz und Unglück litten und ihn bei sich zu Hause aufnehmen und verbergen k01mten. Aber um nicht andern zum Urheber von Gefahr zu werden, floh er in einsame Gegenden und wünschte er den Aufenthalt in den Höhlen." Begreiflicherweise hat das Logion Mt 10, 23a einen gewichtigen "Sitz" im Leben des Athanasius (295-373) gehabt. Dieser rechtfertigt Epist. encylica 54) seine Flucht ~us Alexandrien mit der Schonung seiner Freunde: "In der Absicht, daß die Kirche keinen Schaden und die dortigen Jungfrauen keine Belästigungen erleiden, daß nicht wiederum ein Blutbad entstehe und abermals das Volk mißhandelt werde, entzog ich mich heimlich dem Volk, eingedenk des Herrn, der sagt: ,Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, flieht in die andere."' Über dasselbe Thema äußert sich Athanasius in der Apologia de fuga sua 1!5). Er zählt dort als biblische Beispiele die Jünger auf, die sich vor den Juden verbargen, ebenso Paulus, der im Korb aus Damaskus floh. Ferner beruft er sich auf die alttestamentlichen Refugien (Ex 21, 13) sowie auf das Gebot Mt 10, 23a und auf Mt 24, 15-18. "Nachdem die Heiligen das wußten, führten sie einen solchen Lebenswandel. Denn was der Herr jetzt gebot, das hatte er vor seiner Ankunft im Fleisch durch den Mund der Heiligen ausgesprochen. Und das ist die Richtschnur, welche die Menschen zur
1) MPG 104, 941ff.
I\IPG MPG ') MPG 6 ) MPG 2)
3)
138, 401f. 23, 505f. 25, 231 f. 25, 657ff.
14 Vollkommenheit führt: tun, was Gott geboten hat." Auch hier erscheint also die Flucht in der Verfolgung als geboten. Dieser Abschnitt aus Athanasius findet sich fast wörtlich wieder bei Nikephorus Kallistus Xanthopulus (t1335?), Eccl. Hiat. 10, Hi'). Vgl. außerdem Theophylakt, Martyrium ss. quindecim illustrium martyrum 11 2 ). Mit der Flucht des Athanasius befaßt sich auch das Reskript des Papstes Julius I. (337-352). Dieser weist Rescr. 303 ) zur Verteidigung des Athana· sius auf Mt 10, 23a hin: "Daher seid ihr in bezug auf die :Flucht, die ihr Athanasius vorwerft, nicht richtig daran, da der Herr selbst uns diesen Befehl gegeben hat: ,Wenn sie euch verfolgen in der einen ( !) Stadt, so flieht in die andere."' Als biblische Beispiele führt J ulius I. den Herrn selbst an (Mt 12, 15; Joh 8, 59; Lk 4, 30) sowie die Jünger und Paulus in Damaskus (2 Kor 11, 33).
Auch bei den drei großen Kappadoziern treffen wir Mt 10, 23a. Basilius der Große (*um 330, t 379) ermahnt Praevia institutio ascetica 24 ) zum Vertrauen in den "großen König" (=Christus). Wenn Auseinandersetzungen zwischen seinem Heer und demjenigen seiner Feinde stattfinden, "dann sollst du durch (deine) Zurüstung für jede Mühsal unbesieglich und durch dein Selbstbewußtsein in Gefahr unerschütterlich sein, und du sollst von Land zu Land und von Meer zu Meer freudig übersiedeln" - und zur Begründung führt Basilius Mt 10, 23a an. Hier wird also die Flucht als Zeichen innerer Überlegerrheit gewertet. In den kürzeren Mönchsregeln taucht Mt 10, 23a ebenfalls auf: Reg. brevius tractatae, interrog. 244 5 ). Auf die Frage: "Was bedeutet: ,Gebt Raum dem Zorn' (Röm 12, 17)1" wird als Antwort auf die beiden neutestamentlichen Stellen Mt 5, 39 und 10, 23a hingewiesen. Die Flucht erscheint so als praktische Anwendung der Forderung, man solle dem Bösen nicht widerstehen. Gregor von Nazianz (*329/30, t um 390) begründet Oratio 4, 88 6 ) die Flucht eines Marcus mit Mt 10, 23a: sie geschah nicht aus Feigheit, sondern gemäß dem Gebot, von Stadt zu Stadt zu fliehen. Auch hier ist die Schonung der Verfolger der Zweck der Flucht.
1) MPG 146, 483ff. 1) MPG 126, 167f. 1 ) MPG •) MPG 1 ) MPG 1 ) MPG
28, 31, 31, 35,
1464. 62lf. 1245f. 617f.
15 Schließlich spielt Gregor von Nyssa (t 394) Tract. in Psalm. inscr. 2, 1P) auf die erste Hälfte von Mt 10, 23 an: Wenn dir ein Absalom ersteht, "so fliehe, wie der Herr sagt, von Stadt zu Stadt". Interessant sind weiter die Ausführungen eines Anonymus in einer Homilie zu Mt 12 ). In einer allegorischen Deutnng von Mt 1,' 2 werden Esau und Jakob als "Figuren" des gegenwärtigen nnd des zukünftigen Zeitalters verstanden: Esau stellt das erste und Jakob das zweite Zeitalter dar. Die Söhne des ersten Zeitalters verfolgen die Söhne des zweiten Zeitalters; diese überwinden die Verfolger nicht durch Widerstand, sondern durch Flucht: "Denn wie sich damals die Mutter an Jakob wandte mit den Worten: ,Sohn, höre auf mich nnd fliehe nach Mesopotamien ... ' (Gen 27, 43f): so lehrt auch die Kirche ihre Söhne täglich, wenn sie Verfolgnng leiden: ,Wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere"'m1d dann folgt noch ein Hinweis auf Röm 12, 19. · Mehr als einmal wird in der altkirchlichen Literatur eine Episode aus dem Jahre 381 erwähnt, in der Mt 10, 23a eine Rolle spielte. Sokrates (*um 380, t nach 439) berichtet Hist. eccl. 5, 73 ), wie Gregor von Nazianz damals unter dem Druck von Anfeindnngen als Bischof von Konstantinopel abdankte, wie der Kaiser Theodosius den arianischen Bischof Demophiins vor die Wahl stellte, entweder das nizänische Bekenntnis anznnehmen oder aus Konstantinopel wegzuziehen, wie Demophiins das letztere wählte und seine Anhänger mit den Worten informierte: "Brüder, im Evangelium steht geschrieben: ,Wenn sie euch vertreiben aus dieser Stadt, so flieht in die andere'. Weil uns ja nun der Kaiser aus den Kirchen entfernt, so wisset, daß wir nns morgen außerhalb der Stadt versammeln werden. ' " Bei Sozomenus (5. Jahrhundert), der diese Episode gleichfalls erzählt, erscheint Eccl. hist. 7, 54 ) das Wort Mt 10, 23a als Gebot des "göttlichen Gesetzes" . .Ähnlich Nikephorus Kallistus Xanthopulus, Eccl. hist. 12,85 ).
Auch Cyrill von Alexandrien (t 444) erwähnt die erste Hälfte von Mt 10, 23. Das Wort erscheint Glaphyrorum in Gen. lib. 4, de MPG MPG 1 ) MPG 4 ) MPG ") MPG
1)
1)
44, 545f. 56, 614. 67, 573ff. 67, 1425f. 146, 767f.
Jacob patr. 21 ) zur Begründung der Heidenmission. Der Gedankengang ist folgender: Rebekka habe Jakob geraten, zu Laban, dem Götzendiener, zu fliehen. Isaak habe Jakob geboten, eine Tochter Labans zur Frau zu nehmen. Die Kirche, deren Typus Rebekka sei, habe klugerweise dem neuen Volk geraten, in der Verfolgung zu fliehen. Desgleichen der Verlobte der Rebekka: Christus. Die Apostel hätten ausgeführt, was Jakob geboten worden war; sie seien, von den Juden verfolgt, zu den Heiden gegangen, eingedenk des Christus-Gebotes Mt 10, 23a und des Paulus-Wortes Apg 13, 46. Auf den Zweck der Flucht geht Cyrill Comm. in Matth. ad 1. ein 2 ): "Er (sc. Christus) gebietet den Jüngern, aus dieser Stadt in die andere zu fliehen und aus jener in eine weitere. Dies aber sagt er, nicht um sie Feigheit zu lehren, sondern damit sie sich nicht in Gefahren stürzen und leichtsinnig sterben und denen Schaden zufügen, die aus ihrer Verkündigung Nutzen ziehen sollten." Hier steht also die Schonung der Glaubensgenossen im Vordergrund. In der Oratio altera ad religiosissimas reginas de recta fide 40 3 ) definiert Cyrill das "Werk der Religion": "Sich ängstigen und durch Schrecken offensichtlich beengt werden und Gebete zu demjenigen senden, der retten kann: das ist das Werk der Religion." Zur Begründung dieser These führt Cyrill die Stellen Mt 10, 23a, Röm 8, 35 und Apg 9, 25 an. Wiederum erscheint das Herrenwort Mt 10, 23 a als Befehl. Zweimal führt Theodoret von Cyrus (t um 466) in seinen Briefen unsere Stelle an. Er geht Epist. 34 ) auf die Anfrage eines Bischofs Irenäus ein. Dieser hat ihm von zwei "Glaubenskämpfern" berichtet, die ein Richter vor die Alternative gestellt habe, entweder den Göttern zu opfern oder sich ins Meer zu stürzen. Einer habe sich in die Fluten gestürzt, der andere habe gewartet, bis er gewaltsam hineingestoßen worden sei. Irenäus fragt nun, welcher der beiden im Recht sei. Theodoret antwortet: der zweite. "Niemand darf sich nämlich selbst das Leben nehmen; man soll vielmehr auf den natürlichen oder gewaltsamen Tod warteiL" Er begründet das
1) MPG 69, 181 ff. •) MPG 72, :l!l!i f. 8 ) MPG 7(i, 1:l8!)f. ') MPG 83, 1175ff.
17 mit dem Hinweis auf das Herrenwort Mt 10, 23a, das er in der längeren Version zitiert. Epist. 1091 ) spricht Theodoret von den heimlichen Angriffen, die gegen die Vertreter des apostolischen Glaubens erfolgen. Zum Trost weist er auf die Mühsale der Propheten, Apostel, Märtyrer und Lehrer hin sowie auf die Verheißungen "unseres Gottes und Heilandes", der uns Leiden, Nöte, Gefahren und Angriffe der Feinde angekündigt habe. Zur Begründung weist er u. a. auf Mt 10, 23 a hin. Das alles diene zu unserem Trost. Weiter ist auf Prokopius von Gaza (t um 538) hinzuweisen, der Comm. in Genesim 26, 25 2 ) den Wegzug Isaaks mit dem (frei zitierten) Christuswort Mt 10, 23a verbindet. Ferner empfiehlt Maximus Confessor ( * um 580, t 662) Epist. 303 ) dem Bischof Johannes (Cyzicenus1), eine Schar von Verfolgten wieder aufzunehmen, die nach dem "Gesetz Gottes" Mt 10, 23 a gehandelt, d. h. die lobenswerte Furcht der Verwegenheit vorgezogen haben und nun zurückzukehren wünschen. Eine strenge Auslegung von Mt 10, 23a finden wir bei Anastasius Sinaita (t kurz nach 700). Interrogationes et Responsiones ..• Quaest. 122 4 ) geht er auf die Frage ein: "Sündigt also, wer in der Zeit der Verfolgung flieht 1" In der Antwort weist er auf Mt 10, 23 a hin und führt dazu aus: "Wenn also die Verfolgung zum Verderben der Seele führt, so hat jeder die Freiheit zu tun, was ihm bewährt erscheint. Wenn aber die Verfolgung um Christiwillen (nur) körperliche Schäden nach sich zieht, müssen wir fest bleiben." Während also z. B. Athanasius keinen Unterschied zwischen innerer und äußerer Bedrohung macht, erhebt Anastasius Sin. diesen Unterschied zur Richtschnur des Verhaltens.
b) Deutung auf die Heidenmission Während sich die Mehrheit der griechischen Väter ausschließlich mit der ersten Hälfte von Mt 10, 23 beschäftigt, befaßt sich eine Minderheit auch oder ausschließlich mit der zweiten Hälfte unseres Logions. Soviel wir sehen, widmen im griechischen Bereich nur drei 1) MPG 83, 130lf. s) MPG 87/1, 415f.
') MPG 91, ü23f. •) MPG 89, 773f. 2 Künzi, ltlatth!ius
I8 altkirchliche Theologen ihre Aufmerksamkeit dem V. 23 b: Origenes, Cyrill von Jerusalem und Johannes Chrysostomus. Dazu kommt im orientalischen Bereich Ephräm. Wie nicht anders zu erwarten, beschäftigt sich Origenes (t 253/54) öfters mit Mt IO, 23. Er versteht die erste Hälfte des Logions als allgemein gültige Weisung für Zeiten der Verfolgung und bezieht die zweite Hälfte auf die Zeit der allgemeinen Mission. Ziemlieh häufig begegnet in den Schriften des Origenes die erste Hälfte des Verses. Bemerkenswert ist, wie Origenes den V. 23a zitiert: viermal in der längeren Version (Horn. in lib. Jesu Nave 8, 6; In lib. Jud. hom. 9; Contra Celsum I, 65; ferner Exhort. mart. 34), zweimal abgekürzt (Comm. in Evang. sec. Joannem 28, 23 und Comm. in Evang. sec. Matth. I6, I) und zweimal in der kürzern Version (Comm. in Evang. sec. Matth. IO, 23 und Fragm. zu Mt 4, I2). Es ist anzunehmen, daß er das Logion in der längern Version vorgefunden, es aber gelegentlich abgekürzt zitiert hat. Er verwendet Horn. in lib. Jesu Nave 8, 61 ) den V. 23a zur allegorischen Erklärung von Jos 8 (Flucht der Israeliten aus Ai). Dabei setzt er Josua mit Jesus gleich, verlegt die Flucht in die Innerlichkeit und wertet sie durchaus positiv. Er führt aus, in der Flucht liege eine vollkommene Tugend. Paulus zeige das I Kor 6, I8: "Fliehet die Unzucht!" Ebenso seien zu fliehen: Zorn, Geiz, Haß und Neid. "Von der Art war das Heer von Ai, welches JosuafJesus seine Soldaten fliehen lehrte, und da.von macht er vielleicht seinen Jüngern Mitteilung mit den Worten: ,Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, flieht in die andere.'" Die heiligen Engel werden sich, nach Hehr I, I4, gegen m1sere Verfolger stellen. "Jesus ist nämlich mit denen, die Verfolgung leiden, mehr -als mit denen, die verfolgen." Ferner gebraucht Origenes In lib. Judicum hom. 92 ) die erste Hälfte von Mt IO, 23 zur allegorischen Erklärung von Ri 7 (Gideon wählt 300 Männer aus). Hier geht es um die äußerliche Flucht: auch in der militia Christi sei es, bei Minderwertigkeitsgefühlen in Verfolgungszeiten, erlaubt, von Ort zu Ort zu fliehen, nach dem Worte Christi Mt IO, 23a. Hier ist also die Flucht nicht einfach geboten, sondern bloß "erlaubt". Aber sie wird durchaus positiv gewertet: "Die Hauptsache ist, Jesus, den du einmal bekannt hast, 1) 2)
GCS 30, 519. GCS 30, 34lf.
19 nicht zu verleugnen. Es ist nämlich gewiß, daß jener Christus bekennt, der flieht, um nicht zu verleugnen." Im weitem zieht Origcnes Comm. in Evang. sec. Joannem 28, 23 1 ) das Logion Mt 10, 23a zur Erklärung von Joh ll, 54 (Rückzug Jesu nach Ephraim) heran. Nach Origenes willtm::; Jesus an solchen und ähnlichen Stellen anweisen, uns nicht zornig und unbedacht in einen Todeskampf zu stürzeiL Dann unterscheidet Origenes: es sei zwar ehrenhaft, das Bekenntnis bis zum Tod auf sich zu nehmen; aber es sei nicht weniger ehrenhaft, diese Probe zu vermeiden nicht allein wegen des unsicheren Ausganges, sondern auch, damit wir den Verfolgern nicht Anlaß zum Sündigen geben; denn derjenige, der einem Menschen Gelegenheit zum Sündigen gebe, werde dafür Strafe erleiden müssen. In diesem Sinn sei Mt 10, 23a zu verstehen. Wir sehen: Origenes bewegt sich hier in den bekannten Gedankengängen des Klemens von Alexandrien; Iiur rückt für ihn die Möglichkeit des Martyriums durchaus ins Blickfeld. Interessant ist auch, was Origenes Contra Celsum 1, 65 2 ) über Mt 10, 23a ausführt: mit diesem Ausspruch habe Jesus seine Jünger vor Verwegenheit gewarnt; er selbst habe ihnen das Beispiel eines ruhigen Lebens geboten. Bei Celsus wirft ein Jude Jesus vor: "Mit den Jüngern fliehst du heimlich hierhin und dorthin." Demgegenüber weist Origenes auf Aristoteles hin, der nach Chalkis floh, um den Athenern nicht wieder Gelegenheit zu einem Verbrechen zu geben, wie sie es an Sokrates begangen hatten. Auch in den erhaltenen Tomoi des Matthäus-Kommentars kommt Mt 10, 23a vor. So begründet Origenes Comm. in Evang. sec. Matth. 10, 23 3 ) den Rückzug Jesu nach der Enthauptung Johannes' d. T. Mt 14, 13 mit einem Hinweis auf Mt 10, 23a. Es ist der bekannte Gedankengang: "Wenn also die Versuchung hereinbricht, die nicht in unserer Macht liegt, ist es nötig, sie sehr tapfer und kühn zu ertragen; wenn man aber fliehen kann, ist es verwegen, es nicht zu tun." Im weitern führt Origenes Comm. in Evang. sec. Matth. 16, 14 ) die erste Hälfte von Mt 10, 23 zur Erklärung von Mt 20, 17-19 (Dritte Leidensankündigung) an: hier
1)
GCS 10, 418.
2) GCS 2, 118f. 3 ) GCS 40, 31 f. •) GCS 40, 463f.
2•
weist er auf Paulus hin, der sich, nach dem Beispiel Christi, trotz drohender Gefahr, nach Jerusalem begeben habe (Apg 21, llff). Das widerspreche weder Mt 10, 23a noch dem Rückzug Jesu nach der Einkerkerung des Täufers. Es sei eine Frage der Weisheit und müsse von Fall zu Fall entschieden werden, ob die Gefahren zu bestehen oder zu meiden seien. Nun bleiben noch die Katenenfragmente, die einen Einblick in die Exegese gewähren, welche die nicht erhaltenen Tomoi des Matthäuskommentars enthalten. Da ist zunächst ein Fragment der Possinus-Katene zu Mt 4, 12 (Rückzug Jesu nach der Gefangenname Johannes' d. T.) zu nennen1 ): "Indem sich Christus zurückzog, befolgte er das Wort der Schrift: ,Wenn sie euch vertreiben aus dieser Stadt ( !), so flieht in die andere.'" Hier wird auch ein weiterer Zweck der Flucht deutlich: Die Flucht sei geschehen, "damit er die Heiden zu sich führte und sie erleuchtete mit dem Licht der Erkenntnis". So begründet die Flucht die Heidenmission. Entscheidend wichtig in unserem Zusammenhang sind nun die Kateneufragmente zu Mt 10, 23. Sie enthalten wohl die älteste bekannte altkirchliche Exegese der zweiten Vershälfte. Das eine Fragment befindet sich in der Katene von Cramer, das andere in der von Possinus. Sie seien hier beide im Wortlaut wiedergcgeben 2 ): Cramer: "Er spricht nicht von der glanzvollen und glorreichen Parusie, der Vollendung überhaupt, sondern von der Offenbarung zu verschiedenen Zeitpunkten, durch die er erscheinen und die durch ihn erfolgende Hilfe gewähren wird, indem er sie guten Mutes machen wird wegen der Verfolgung und wiederum im Hinblick auf sie, wie er verheißen hatte: ,Wir - ich und mein Vater - werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen' {J oh 14, 23)."
Possinus: "Er tut hior seine Ankunft bei ihnen kund, nicht die glanzvolle und glorroicho, d. i. seine zweite Parusie, sondern die durch ihn erfolgende Hilfe und Befriedigung, die er zur gegebenen Zeit denen gewährt, die seinetwegen bedrängt werden."
Obwohl die beiden Fragmente im vVortlaut voneinander abweichen, stimmen sie doch sachlich übcrein. Die historische Frage 1) GCS 41/1, 44. 2) GCS 41/1, 98f.
21 nach dem ursprünglichen Wortlaut des Origenes-Textes und seinen allfälligen Abwandlungen kann darum hier beiseite gelassen werden. In seiner Exegese geht Origenes näher auf das "Kommen des Menschensohnes" ein. Er versteht es uneschatologisch als ein immer neu erfolgendes, nicht näher bestimmtes Zuhilfekommen im Sinne von Joh 14, 23. Durch das Zitat aus den johanneischen Abschiedsreden wird deutlich, daß Origenes unser Logion auf die Missionszeit nach dem Tode Jesu bezieht. Die uneschatologische Deutung ermöglicht es ihm, das Wort aus der Situation der zwölf Jünger heraus zu verstehen.
c) Deutung auf die (ferne) Parusie Während Origenes das Logion Mt 10, 23 auf die Zeit nach dem Tode Jesu bezieht, deutet es Cyrill von Jerusalem (t 386) auf die Parusie. Cyrill geht Catech. 15, 161 ) bei der Erörterung der endzeitlichen Ereignisse zunächst auf Mt 24, 16. 2lf ein. In der letzten Zeit sollen die Standhaften fest bleiben, eingedenk des Apostelwortes Röm 8, 35. Die Furchtsamen dagegen sollen sich in Sicherheit bringen. Die Herrschaft des Antichrist, die der Parusie vorangeht, begrenzt Cyrill auf Grund von Dan 7, 25; 7, 7 (und 12, l l f) auf dreieinhalb Jahre. Er schließt mit den Worten: "Deshalb ist es nötig, sich zu verbergen und zu fliehen: denn vielleicht werden wir mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Solm des Menschen kommt." Das ist unzweifelhaft eine Anspielung auf Mt 10, 23b. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß Cyrill das "Kommen des Menschensohnes" auf die Parusie deutet. Es fragt sich nun, wie das "Wir" bei Cyrill zu verstehen ist. Meint er damit sich selbst und seine Zeitgenossen oder versteht er es in einem sehr allgemeinen Sinn 1 In beiden Fällen wäre die Parusie, vom Standpunkt der ersten Jünger aus gesehen, in die Ferne gerückt und der Kreis der durch das Logion Angesprochenen stillschweigend erweitert.
d) Deutung auf die Judenmission Neben diesen beiden Auslegungsarten gibt es bei den griechischen
1) MPG 33, 89lff.
22 Vätern noch eine dritte. vVir finden sie bei Johannes Chrysostomus (* 344/54, t 407). Er bezieht das Logion auf die Missionszeit vor dem Tode Jesu. Comm. in S. Matth. evang. hom. 34 al. 35 1 ) widmet er dem ganzen Vers einen längeren Absclmitt. Darin führt er aus: Nachdem Christus den Jüngern die schrecklichen Ereignisse nach seinem Tode vor Augen gestellt habe, füge er beruhigende Worte an. "Er befahl nämlich nicht, den Verfolgern entgegenzutreten, sondern zu fliehen." Dann folgt ein Hinweis auf die Zeit, die das Logion anvisiert: "Er spricht hier nämlich nicht von den Verfolgungen, die danach (sc. nach seinem Tode) erfolgen, sondern von denjenigen, welche dem Kreuz und der Passion vorangehen werden." Mit dem Wort V. 23b gehe er auf die Befürchtungen der Jünger ein, sie könnten einmal keine Zufluchtsstätte mehr finden. "Diese Furcht nimmt er ihnen mit den Worten: Ihr werdet kaum Palästina bereist haben, wenn ich euch einholen. werde." Chrysostomus präzisiert: Das heiße nicht, er werde sie den Gefahren entreißen. "Es genügte ihnen nämlich als Trost, ihn nur zu sehen." Dann führt der Gedankengang weiter: Christus überlasse nicht überall alles der Gnade; die Jünger müßten auch etwas tun: sie sollen fliehen. Das dürfen sie aber nur, wenn sie verfolgt werden, und der Fluchtraum sei auf die Städte Israels beschränkt. So führe Christus die Jünger auf eine höhere philosophische Warte: nacheinander nehme er ihnen die Sorge um den Lebensunterhalt (vgl. Lk 10, 7), die Furcht vor Gefahren (vgl. Mt 10, 19 und 24, 13) und schließlich die Furcht vor Schmähungen. Daneben mißt aber auch Chrysostomus dem ersten Teil des Logions eine allgemeine Gültigkeit bei und versteht es als Weisung für Zeiten der Bedrängnis. So begründet er De Ss. martyribus Bernice et Prosdoce virg. et Domnina matre earum hom. panegyrica 5 2 ) die Flucht der Frauen nach Edessa mit Mt 10, 23a, das er als Befehl versteht. Ferner findet er Horn. 52, 2 3 ), Isaak habe bei seinem Rückzug nach Gerar Gen 26, 17 nach dem Befehl gehandelt, den Christus in Mt 10, 23a ausspricht.
t) MPG 57, 397f. 2) MPG 50, 636. 1)
MPG 54, 458.
23 e) Deutung mtf die Auferstehung Jesu
Unter den altkirchlichen Theologen des Vorderen Orients äußert sich Ephräm der Syrer ( * um 306, t 373) ziemlich ausführlich über Mt 10, 23. Er setzt das Wort in Beziehung zur A~tferstehung Jesu. In seinem Kommentar zum Diatessaron Tatians1 ) zitiert er die erste Vershälfte in ihrer längeren Version, und die zweite Vershälfte lautet bei ihm: "Wahrlich ich sage euch, ihr werdet mit diesen Städten nicht zu Ende kommen können, bis ich zu euch gekommen sein werde." Die Weisung in der ersten Vershälfte hat nach Ephräm nur beschränkte Gültigkeit. Der Herr habe hier nicht alle Menschen, sondern nur die zwölf Jünger im Auge gehabt, "weil (damals) die neue Verkündigung begann und jene wenig zahlreich waren". Er habe von der Flucht gesprochen, "damit sie (sc. die Gegner) sich nicht gegen sie (sc. die Jünger) vereinigten und ihr Andenken auf der Erde austilgten, und damit nicht sein Evangelium unter den Heiden, seine Lehre und Unterweisung unter den Kreaturen gehindert würde". Es geht also darum, daß die Apostel v. a. im Hinblick auf die Heidenmission der Nachwelt erhalten bleiben. "Aber", fährt Ephräm fort, "wenn der Herr diesen seinen Auftrag auf alle Generationen ausgedehnt hätte, wer ließe sich dann noch finden, der seinetwegen das Martyrium auf sich nähme?" Dann legt Ephräm Wert auf die Feststellung, daß der Herr auch die Apostel nicht vom Martyrium ausgeschlossen, sondern sie mit seinem Beispiel und seinen Worten zur Furchtlosigkeit entflammt habe. Er selber sei nicht vor denen geflohen, die ihn zum Kreuz führten; er habe sie Joh 15, 20 auf bevorstehende Verfolgungen hingewiesen und sie Mt 10, 28 zur Furchtlosigkeit ermuntert. Dann spricht Ephräm davon, wie sich die Jünger selbst hingegeben haben, "zum Lobopfer, zum Zeugnis für alle Heiden". Schließlich kommt nach Ephräm noch ein Weiteres dazu. Der Herr habe den Jüngern große Macht gegeben. Damit sie sich deswegen nicht brüsteten, übe er sie mit dem Wort V. 23a in der Demut. Zum Vergleich zieht Ephräm Lk 9, 54 herbei. So wird hier die Weisung Jesu als Erlaubnis verstanden, die allerdings nur für den Kreis der zwölf Jünger gültig ist. 1)
Evangelii concordantis expositio, ed. G. Moesinger, Venetiis 1876, 94f.
Die zweite Vcrshälfte ist für Ephräm ein Trostwort, das den Befürchtungen der Jünger angesichts der Beschränkung ihres Wirkungskreises V. 5 und der Anweisung zur Flucht V. 23a entgegentritt. Auf die Frage: "Wenn uns die Städte zu fehlen beginnen, was werden wir tun1" antworte der Herr mit V. 23b. Ephräm erklärt: "Weil er nach der Auferstehung kommen würde, sagte er: ,Ihr werdet nicht mit allen Städten zu Ende kommen' etc." So bezieht Ephräm das "Kommen des Menschensohnes" zunächst auf das Wirken Jesu nach seiner Auferstehung: "Ohne Zweifel sandte er sie in die Städte, in die er selber kommen würde." Dann aber setzt Ephräm das "Kommen des Menschensohnes" unvermittelt mit der Auferstehung selbst in eins: ",Ihr werdet mit ihnen nicht zu Ende kommen können' bedeutet, daß seine Kraft nach drei Tagen und nach seiner Auferstehung, welche seine Ankunft ist, 1:u ihnen kommen würde. Aber, wmm wir wohl achtgeben, sagte er zu ihnen, sie würden aus vielen Städten vertrieben werden, und später werde er ihnen erscheinen; dennoch handelte er tatsächlich nicht so, sondern brachte ihrem Kleinmut durch seine Erscheinung sogleich Hilfe; nach der Auferstehung nämlich erschien er ihnen, tröstete und erneuerte sie durch Auhauchung." Danach hätte Jesus hier vorausgesetzt, daß zwischen der Verfolgung der Jünger und seinem Kommen eine längere Zeit verstreichen würde. Tatsächlich hätte Jesus dann aber diese Zeit aus Erbarmen abgekürzt. Anhang Spätere griechische und orientalische Theologen
Auch bei den griechischen und orientalischen Theologen der späteren Jahrhunderte spielt das Logion Mt 10, 23 eine gewisse Rolle. Bemerkenswerterweise fällt aber auch hier das Hauptgewicht auf die erste Vershälfte. Zunächst treffen wir auf eine Reihe von Theologen, die wie KJemens von Alexandt"ien u. a. im ersten Teil des ·wortes eine allgemein gültige Weisung für Zeiten der Bedrängnis sehen. So beruft sich Theodoros Studites (t 826) Ad discipulos catechesis ... sermo 511) gegenüber der drohenden Haltung des Kaiscrs auf den "Ausspruch Christi" Mt 10, 23a. ') 1\fPG 99, 577f.
25
Bei Petrus Sikeliotes (9. Jahrh.) muß sich Historia utilis et refutatio atque eversio haereseos Manichaeorum 37 1 ) der Häretiker Sergius fragen lassen: "Wenn du sie (sc. deine Anhänger) den Weg Christi gehen lehrtest, warum hast du sie nicht auoh das gelehrt, was der Herr sagte: ,Wenn sie euoh vertreiben aus dieser Stadt, so flieht in die andere'?" Ferner rechtfertigt bei Niketas David Paphlagon (9./10. Jahrh.) S. P. N. Ignatii archiep. Const. vita sive certamen2 ) Ignatius seine Flucht mit den Worten: "Christus, unser König und Vater, hat geboten: ,Wenn sie euch vertreiben aus dieser Stadt, so flieht in die andere."' Auch Nikolaus I. von Konstantinopel (Patriarch 901-907 und 912-925) weist Epist. 1473 ) auf Mt 10, 23a hin. Was ist zu tun bei Angriffen durch Menschen oder Dämonen ~ "Es ist nicht mein, sondern des Herrn Wort: ,Wenn sie euch aus dieser Stadt vertreiben, so flieht in die andere."' Wie nicht anders zu erwarten, zieht Symeon Metaphrastes (t um 1000) in seinen Heiligenviten mehrfach Mt 10, 23a zur Rechtfertigung der Flucht heran. Es hat keinen Sinn, hier jedes Beispiel in extenso anzuführen. Eines möge für alle dastehen: Vita et conversatio S. P. N. Joannis Alex. archiep. 13, 73 4 ) wird die Flucht des J ohannes von Alexandria nach Cypern mit dem Hinweis auf das Christuswort Mt 10, 23a begründet, das hier als Befehl erscheint 6 ). In größerem Zusammenhang tritt die erste Hälfte von Mt 10, 23 bei Theophanes Kerameus (9. Jahrh. 1 12. Jahrh. ~) auf. Horn. 52 8 ) gibt ihm dio Flucht dor heiligen Familie nach Ägypten Anlaß zu Betrachtungen über den "Gott, der vor den Nachstellungen des Menschen flicht". Nach Theophanes bleibt seine Fähigkeit, Wm1der zu tun, hier ungenützt. Die göttliche Natur läßt sich zu den Menschen hinab. "Oder wie hätte er später das Gesetz geben können: ,Wenn sie euch vertreiben aus dieser Stadt, so flieht in die andere'?" 1) MPG 104, l295f. 2 ) MPG lOii, 525f. 1 ) ML'G 111, 37:Hf. •) MPG 114, 959f. 1 ) Weitere Bolego finden sich MPG 114, 1239f; 115, 605f; 115, 963ff; 116, 979f; 116, l327f. ") MPG 132, 919f.
26 Schließlich ist noch Theodoros Balsamon {* um 1140, t nach 1195) zu nennen, der in seinem Kommentar zu Can. 3 der Synode von Ancyra 1 ) ausführt: diejenigen, welche das Martyrium gemieden haben, seien nicht von der Kommunion ausgeschlossen. Als biblischen Beleg zieht er Mt 10, 23a heran. Bei allen genannten Autoren bleibt uns verborgen, wie sie die zweite Vershälfte verstanden haben. Daneben gibt es aber auch aus diesem Zeitabschnitt einige Theologen, sie sich auch oder ausschließlich mit der zweiten Vershälfte befassen. Sie deuten das Wort wie Johannes Chrysostomus auf die Missionszeit vor dem Tode Jesu. Als erster ist hier ein Anonymus {9./10. Jahrh. 1) zu nennen. Scholia vetera in Evang. sec. Matth. ad l. 2 ) wird der Hinweis auf das "Kommen des Menschensolmes" mit den Worten erklärt: "Das heißt, bis ich euch einhole. Denn es genügte ihnen nämlich als Trost, ihn nur zu sehen." Das ist fast wörtlich von Chrysostomus übernommen. Im weitern ist hier auf Theophylakt {Theophylaktos von Achrida, t um 1108) hinzuweisen. Er bringt Enarr. in Evang. Matth. ad 1.3 ) eine recht ausführliche Auslegung des ganzen Verses. Das Wort bezieht sich nach Theophylakt auf die Ereignisse vor der Kreuzigung J esu. "Ihr werdet nämlich während der Verfolgung kaum mit allen Städten Israels zu Ende gekommen sein, wenn ich zu euch kommen werde. Er gebietet nämlich den Verfolgten zu fliehen." Der Zweck der Flucht wird in bekannter Weise angegeben: "Es ist teuflisch, sich offen in Gefahr zu stürzen und Urheber der Verdammung der Mörder zu werden und denjenigen zu schaden, die aus der Verkündigung Nutzen ziehen würden." Daru1 folgt die Erklärung der zweiten Vershälfte : "Das ,bis der Sohn des Menschen kommt' magst du also nicht von der zweiten Parusie verstehen, sondern vom Zusammensein und vom Trost vor der Kreuzigung." Dann weist Theophylakt darauf hin, daß die Jünger nach ihrer {ersten) Aussendung wieder zu Christus zurückkehrten und mit ihm zusammen waren. So bewegt sich auch Theophylakt mit seiner Auslegung auf der Linie des Johannes Chrysostomus. Er ist ihm auch darin verwandt, 1) MPG 137, 1129f. 2) MPG 106, 1103f. ") MPG 123, 24lf.
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daß er, obwohl er das Logion zunächst auf die Zeit vor der Kreuzigung Jesu bezieht, dessen erste Hälfte dann doch als allgemein gültigen Grundsatz verwendet. Martyrium Ss. quindecim ill. martyrum . . . 11 1 ) stellt er fest, daß Athanasius bei seiner Flucht aus Alexandria dem "von Christus gehrachten Gesetz" gehorcht habe, womit zweifellos l\1t 10, 23 a gemeint ist. Ähnlich wie die Auslegung des Theophylakt lautet auch die Exegese des Euthymius Zigabenus (Anfang 12. Jahrh.). Er befaßt sich Comm. in quatuor Evang., Evang. sec. Matth. ad 1. 2 ) mit der zweiten Hälfte unseres Verses: "Dies sagte er zu ihrer Befriedigung und Erquickung, indem er beteuerte, er werde sie eher einholen, als sie alle Städte Israels bereist bzw. ganz Palästina durchschritten hätten. Es genügte nämlich anstelle jedes Trostes, daß er ihnen, die so sehr bedrängt waren, nur erschien, was er in der Tat dann auch ausführte, wie er es gewährt hatte." So hält sich auch Euthymius an die Deutung, die wir schon bei Chrysostomus getroffen haben. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf Dionysius bar Salibi (t 1171) hinzuweisen. Auch er bietet Comm. in Evang. ad 1. 3 ) eine ziemlich eingehende Exegese unseres Logions, wobei das Gewicht auf der zweiten Vershälfte liegt. Als Verfolger nennt er die Juden, "weil bis hieher der Anfang der Predigt ist". Die Flucht zeige die Barmherzigkeit gegenüber den Verfolgern und den Verfolgten an. Mit der zweiten Vershälfte trete Christus der Furcht der Jünger entgegen, sie könnten auch am Zufluchtsort verfolgt werden: "Ihr werdet nicht ganz Judäa bereisen, und sogleich werde ich euch einholen." Dann weist Dionysius darauf hin, daß der Herr die zwölf Apostel zweimal aussandte: zuerst zu den Juden, dann zu den Heiden (Mt 28, 19). Der Wortlaut bestätigte, daß es hier nur um die Juden geht. Das veniat stehe für "assequar vos": "Ich werde euch einholen, bevor ihr mit allen Städten Israels zu Ende kommen werdet." Dionysius erklärt: "Das aber sagte er, um sie zu trösten, weil er, bevor sie irgend etwas Übles erleiden würden, vor ihnen als Beistand erscheinen würde, was auch geschehen ist." 1) 2)
3)
MPG 126, 167f. MPG 129, 337f. csco 98, 216f.
Dann folgt noch ein Hinweis auf Ex 20, 24: "An jeder Stätte, da mein Name in Erinnerung gebracht wird, werde ich zu dir kommen und dich segnen." Dieses Wort dient hier als biblische Begründung für die Gleichung auxilium = adventus.
2. Lateinische Väter Bei den lateinischen Vätern stoßen wir zunächst auf denselben Tatbestand wie bei den griechischen: Auch von den Lateinern befaßt sich eine ganze Anzahl ausschließlich oder fast ausschließlich mit der ersten Hälfte des Logions Mt 10, 23, so daß wir bei diesen Autoren nicht oder nicht sicher erfahren, wie sie V. 23b ausgelegt haben. a) Auslegung der ersten Vershälfte Die Reihe beginnt mit Tertullian (t nach 220). In dem aus seiner katholischen Zeit stammenden Werk Ad uxorem 1, 31 ) spricht er vom Vorzug der Ehelosigkeit. Dabei sieht er eine Parallele zwischen 1 Kor 7, 9 und Mt 10, 23a: "Was endlich den Umstand angeht' daß geschrieben steht: ,Heiraten ist besser als Brunst leiden', so frage ich, was für ein Gut kann das sein, das erst der Vergleich mit etwas Schlimmem empfiehlt 1 Gesetzt, daß es darum besser ist zu heiraten, weil es schlimmer ist, Brunst zu leiden. Um wieviel besser ist es dagegen, weder zu heiraten noch Brunst zu leiden! Bei Verfolgungen z. B. ist es infolge der gegebenen Erlaubnis auch besser, aus einer Stadt in die andere zu fliehen, als, ergriffen und gefoltert, (das Christentum) zu verleugnen. Glücklicher aber sind die, welche imstande sind, nach abgelegtem seligem Zeugnis w1d Bekenntnis von hinnen zu scheiden." Schon hier zeigt sich die strenge Linie von Tertullians Auffassung: Der Spruch erscheint bloß als Erlaubnis, und das Martyrium hat den Vorrang vor der Flucht. Immerhin scheint hier das Logion noch eine gewisse allgemeine Bedeutung zu haben. Das ändert sich in den aus seiner montanistischen Zeit stammendenSchriftenDe corona und De fuga in persecutione. In der Schrift
1)
CChr I, 375f; vgl. BKV• 7, 74.
29 De corona F) wendet sich Tertullian auf Grund von Mt 10, 23a gegen diejenigen, die dem Martyrium aus dem Wege gehen: "Ich zweifle auch nicht daran, daß einige Leute - der Hl. Schrift gemäß auswandern, ihre Bürde leicht machen und sich zur Flucht aus einer Stadt in die andere anschicken werden. Nur diese Stelle im Evangelium behalten sie nämlich im Gedächtnis. Ich kenne auch ihre Hirten; im Frieden sind sie Löwen, in der Schlacht Hasen." Erwartungsgemäß spielt unser Logion eine wichtige Rolle in der Abhandlung De fuga in persecutione. Tertullian behauptet hier Cap. 62 ), der Ausspruch V. 23a beziehe sich ausschließlich auf die Person, die Zeit und die Verhältnisse der Apostel. Zur Begründung zieht er die Vv. 5 und 6 desselben Kapitels heran, die den Auftrag der Apostel auf die "verlorenen Schafe des Hauses Israel" beschränken. Nun aber stehe der Weg zu den Nationen offen, und keine Stadt sei von der Predigt ausgenommen. Daher beziehe sich auch der Befehl zur Flucht ausschließlich auf das Wirken der Apostel in Israel. Damals habe die Verkündigung in Israel beendet werden müssen. Der Befehl zur Flucht sei nicht zur Vermeidung der Gefahr im eigentlichen Sinn ergangen, sondern im Hinblick auf den Fortschritt der Verkündigung. Die ersten Worte von V. 23b scheinen Tertullian die zeitliche Bedingtheit von V. 23a zu bestätigen: "So sehr beschränkte sich der Befehl zur Flucht auf die Grenzen Judäas." Dann weist Tertullian auf Paulus und die Apostel hin, die Apg 13, 46 die Wendung zu den Heiden begründen und schließlich dorthin gehen. Tertullian fragt: "Wenn daher die Ausnahme des Weges zu den Heiden und des Eingangs in die Städte der Samariter aufhörte, warum sollte nicht der gleicherweise ausgegebene Befehl zur Flucht aufhören 1" Zur Erhärtung zieht er das Beispiel des Paulus heran, der zwar aus Damaskus floh, aber nach Apg 21, 13 sich todesmutig der drohenden Gefahr stellte. Der "Wille des Herrn" (Apg 21, 14) besteht nach Tertullian darin, nicht vor der Gefahr zu fliehen. Aus alledem zieht er den Schluß: "Daher, wenn auch unter den Aposteln selbst der Befehl zur Flucht zeitbedingt war ... , kann er (sc. der Herr) nicht bei uns auf dem bestehen, was er bei unsern Lehrern bewilligte ... , oder, wenn der Herr gewollt hat, daß dies fortbestehe, so haben die Apostel ge1) 1)
CChr 2, 1039ff; vgl. BKV11 24, 232f. CChr 2, ll42ff.
30 fehlt, die sich nicht bis zum Ende zu fliehen bemühten." In Cap. 11 seiner Schrift!) kommt Tertullian nochmals auf Mt 10, 23a zu sprechen. Er wendet sich hier, vor allem auf Grund von Joh 10, 12 gegen die Flucht der Amtsträger und fragt: "Aber wenn ... die Diakonen, Presbyter und Bischöfe selbst fliehen, wie kann ein Laie begreifen, aus welchem Grund gesagt ist: ,Fliehet von Stadt zu Stadt'?" Wir sehen aus alledem: Tertullian gibt, namentlich in seinen montanistischen Schriften, eine rigorose Interpretation von Mt 10, 23a. Auch Kallistus I. (217/22) zitiert das Logion Mt 10, 23a. In einem Brief an alle Bischöfe Galliens befaßt er sich mit der Frage, wann ein Bischof seine Gemeinde verlassen darf und wann nicht 2 ). Solange normale Verhältnisse herrschen, sei die Frage indiskutabel: Bischof und Gemeinde seien nach Röm 7, 2 aneinander gebunden wie Mann und Frau. Anders werde es in Zeiten der Verfolgw1g: "Wenn er (sc. der Bischof) aber in seiner Gemeinde verfolgt wird, so soll er in eine andere fliehen und sich mit ihr verbinden, nach dem Wort des Herrn: ,Wenn sie euch verfolgen in einer Stadt, so flieht in die andere.'" So wenig wie bei Tertullian wird bei Ambrosius von Mailand (339-397) deutlich, wie er Mt 10, 23 b verstanden hat. Ein Zitat des ganzen V. 23 find~t sich De fuga saeculi 4, 17 3 ). Er verwendet unser Logion für die Flucht im übertragenen Sinn und führt aus: "Es besteht daher kein Zweifel, daß derjenige flieht, der die Sünde meidet." Das bestätige der Apostel 1 Kor 6, 18. Es verfolgen uns und seien zu fliehen: Wollust, Geiz, Neid und Unglaube. Zur Begründung zieht Ambrosius nun das ganze Herrenwort Mt 10, 23 heran, ohne es indessen näher zu erklären. "Denn, obschon er (sc. der Herr) uns wegen der Schwachheit des Fleisches die Flucht anzuraten scheint: dennoch flieht besser, wer die weltliche Verführung flieht ... " Mit der Flucht im eigentlichen Sinn befaßt sich Ambrosius De officiis ministrorum 37, 186 4 ). Hier erscheint die Flucht in Verfolgungszeiten als Wille des Herrn und hat eine allgemeine Gültigkeit. Ambrosius führt aus: "Weil wir aber bei allem, was wir tun, 1) CChr 2, 1148f. 2) Epist. 2, 3; MPG 10, 126f. I) CSEL 32, 178f. 4 ) MPL 16, 84f; vgl. BKV 2 32, 101.
31 nicht bloß nach dem Schicklichen, sondern auch nach dem Möglichen fragen, um nicht vielleicht etwas zu beginnen, was wir nicht zu vollenden vermögen, darum will der Herr, daß wir in der Zeit der Verfolgung von Stadt zu Stadt ziehen, oder vielmehr, um seinen Ausdruck selbst zu gebrauchen, ,fliehen', damit nicht einer aus Verlangen nach dem Ruhme des Martyriums vermessen in Gefahren sich begebe, die das schwache :Fleisch oder der zu wenig kräftige Geist nicht zu tragen und zu bestehen vermögen." Bei Ambrosius steht also die Schonung der Verfolgten als Zweck der Flucht im Vordergrund. Ebenfalls allgemeine Gültigkeit hat das Logion Mt 10, 23a bei Petrus Chrysologus (t um 450). Dieser führt Sermo 151 zur Verteidigung der Flucht Christi nach Ägypten (Mt 2, 13) u. a. aus 1 ): "Ein festgenommener Märtyrer muß Standhaftigkeit wahren, ein nicht festgenommener soll den Verfolger fliehen, um sowohl dem Verfolger Zeit zur Besinnung zu verschaffen, als auch sich selbst Zeit zur Fürbitte nicht wegzunehmen, da der Herr sagt: ,Wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere.'" Er läßt also sowohl das Martyrium wie auch die Flucht als christliche Möglichkeiten gelten, und die Flucht geschieht bei ihm v. a. zur Schonung des Verfolgers.
b) Deutung auf die (ferne) Parusie Nun kommen wir zu den Autoren, von denen wir sicher wissen, wie sie die zweite Hälfte unseres Logions verstanden haben. Einige lateinische Väter deuten Mt 10, 23b auf die (ferne) Parusie, so wohl bereits Juvencus (um 330), der in seiner Evangelienharmonie unser Logion in vier Hexametern umschreibt 2 ) : "Fliehet aus den Häusern der Stadt, die euch verfolgen wird: Von dort aus suchet einen andern, von dort bald einen weitern Wohnsitz. Denn es müssen für euch immer Städte übrig sein, Die unter dem Namen der Israeliten ein Volk aufweisen."
Wir sehen: Juvencus hat als Vorlage offensichtlich die längere Version des Logions vor sich. Er versteht das Wort etwa so : Bis zur Parusie wird es Städte mit Israeliten geben, die euch Schwierigkeiten bereiten. 1)
2)
MPL 52, 604. Evang. libri IV 2, 473-476; CSEL 24, 63.
Auch Hilarius von Poitiers (*um 315, t 367) deutet unser Logion auf die Parusie; nur entnimmt er ihm einen andern Sinn als Juvencus. In Evang. Matth. comm. 10, 141 ) führt Hilarius zunächst über V. 23a aus: "Dann rät er (sc. Jesus) zur Flucht aus einer in zwei Städte, weil seine Predigt, zuerst aus Judäa vertrieben, nach Griechenland übergeht und von hier aus, durch verschiedene Leiden der Apostel im Bereiche der Städte Griechenlands hart mitgenommen, sich drittens unter allen Heiden aufhält." Die Flucht entspringt hier einem Rat Jesu und dient letztlich der weltweiten Verbreitung der christlichen Predigt. Das wird nach Hilarius unterstrichen durch den V. 23b, zu dem er ausführt: "Jedoch um zu zeigen, daß zwar die Heiden der Predigt der Apostel glauben werden, aber damit der Rest Israels glaubte, für seine Ankunft verpflichtet zu sein, sagte er: ,Ihr werdet die Städte Israels nicht zu Ende bringen (non consummabitis), bis der Sohn des Menschen kommt', das heißt nach der Fülle der Heiden, da der Rest Israels, um die Zahl der Heiligen voll zu machen, bei der bevorstehenden Ankunft seiner Herrlichkeit in der Kirche unterzubringen sein wird." Wir befinden uns hier in den Gedankengängen des Paulus Röm 11, ohne daß diese Stelle ausdrücklich angeführt wird. In diesem Sinne argumentiert Hilarius auch in seiner Erklärung von Psalm 126 (LXX). Tractatus in psalmum CXXVI, 10 2 ) führt er zur Erläuterung des Gedankens, daß Gott das Haus (sc. die Kirche) baut, die Stellen Mt 10, 23b und Röm 11, 25f an. Damit ist die Verbindung zwischen diesen beiden Stellen ausdrücklich hergestellt. Der gewichtigste Ausleger unserer Stelle ist bei den lateinischen Vätern zweifellos Augustinus (354-430). Er hat zwar keine selbständige Auslegung des Logions Mt 10, 23 hinterlassen, aber das Wort in mehreren seiner Schriften als Schriftbeweis herangezogen. An einigen Stellen geht er auf Mt 10, 23a ein. Contra Faustum 22, 36 3 ) beschäftigt er sich mit Abrahams Verleugnung seiner Frau. Um die Haltung des Erzvaters zu rechtfertigen, nimmt er Bezug auf das alttestamentliche Gebot, Gott nicht zu versuchen (Dtn 6, 16) und fährt dann fort: "Es war nämlich dem Erlöser selbst nicht 1) MPL 9, !l7lf. 1) CSEL 22, 620. I) CSEL 25, 629ff.
unmöglich, seine Jünger zu beschützen. Dennoch sagte er ihnen: ,"Wenn sie euch verfolgen in einer Stadt, so flieht in die andere."' Für diese Haltung habe er selbst Beispiele gegeben (Joh 10, 18; Mt 2, 14; Joh 7, 10. 30). Dadurch habe er die Menschen gewarnt, Gott zu versuchen. Im weiteren weist Augustinus auf Paulus hin, der nach Apg 9, 25 geflohen sei, um Gott nicht zu versuchen. Aus diesem Grunde habe auch Abraham getan, was er konnte. Wir sehen: das entscheidende Fluchtmotiv ist hier das Bestreben, Gott nicht zu versuchen. Wie bereits Tertullian, stellt auch Augustinus unser Logion der Rede vom Guten Hirten Joh 10 gegenüber. In Jo. Evang. 46, 7. 81 ) gibt er eine Exegese von Joh 10, 11-13. Dabei setzt er den Wolf dem Teufel gleich. Die Apostel seien nicht Mietlinge gewesen, die vor dem Wolf flohen, sondern, als Glieder des einen Hirten, selber Hirten. Warum sind sie in der Verfolgung geflohen- z. B. Paulus 2 Kor 11, 331 Hat dieser nicht seine Schafe im Stich gelassen 1 Nein, er hat sie fürbittend dem himmlischen Hirten empfohlen und ist zu ihrem Nutzen geflohen (vgl. Phil1, 24). Augustinus zieht jetzt das Herrenwort Mt 10, 23a heran und fährt fort: "Herr, du sagtest denen, die nach deinem Willen jedenfalls gute Hirten sein sollten, die du unterwiesest, deine Glieder zu sein: ,Wenn sie euch verfolgen, so fliehet!' Tust du also jenen Unrecht, wenn du diejenigen als Mietlinge tadelst, die den Wolf kommen sehen und fliehen 1" Und nun geht Augustinus näher auf den Begriff des mercenarius ein: "Wer ist der Mietling, der den Wolf kommen sieht und flieht 1 Wer das Seine sucht, nicht das, was Jesu Christi ist: der den Sünder nicht freimütig zu rügen wagt (1 Tim 5, 20)." Wer z. B. einen Ehebrecher nicht tadle, der fliehe. "Die Flucht des Geistes ist die Furcht." Wir merken, worauf es Augustinus hier ankommt: er will nachweisen, daß nicht jeder, der flieht, ein Mietling ist. Die Flucht kann, wie z. B. bei Paulus, durchaus im Interesse der Kirche geschehen. Wohl die wichtigste altkirchliche Auslegung der ersten Hälfte von Mt 10, 23 findet sich in Augustinus' Brief an den Bischof Honoratus von Thiaba 2 ). Der Bischof hat Augustinus gefragt, ob es angesichts des Vandaleneinfalls in Afrika den dortigen Bischöfen 1) MPL 35, l73lf. Ep. 228 (al. 180); CSEL 57, 484ff.
2)
3 Künzl, Matthäus
34:
und Geistlichen erlaubt sei, beim Herannahen der Verfolger zu fliehen. Augustmus entwickelt in seinem Brief, aus dem wir hier die Mt 10, 23a betreffenden Partien herausgreifen, eine förmliche "Theologie der Flucht". Als erste Antwort hat Augustinus dem Honoratus eine Abschrift eines (nicht erhaltenen) Briefes an Quodvultdeus geschickt. Darin will Augustmus zwar die Flucht nicht einfach verhindern, andererseits aber mahnt er im Interesse der Kirche zur Standhaftigkeit (Ep. 228, 1). Honoratus befürchtet nun, dieser Rat könnte gegen das Gebot Mt 10, 23a verstoßen. Augustinus fragt dazu: Wollte der Herr etwa, daß seine Herden die notwendigen Dienste entbehren müssen 1 Handelte er selbst so, als er nach Ägypten floh (Mt 2, 14), da doch damals die Kirchen noch gar nicht gegründet waren 1 Handelte Paulus so, als er aus Damaskus floh (2 Kor 11, 33), da doch das Notwendige durch die dortigen Christen getan wurde1 Der Apostel sei auf ihren Wunsch geflohen, um sich dadurch der Kirche zu erhalten. Und nun stellt Augustinus den wichtigen Grundsatz auf: Wenn die Diener Christi persönlich verfolgt werden, sollen sie fliehen - vorausgesetzt, daß andere, die nicht verfolgt sind, die Kirche versorgen. Wenn aber die Gefahr allgemein ist, so sollen sich entweder alle an befestigte Orte begeben oder alle zurückbleiben (Ep. 228, 2). In einem weitem Abschnitt seines Briefes setzt Augustmus die Stellen Mt 10, 23a, wo die Flucht gestattet wird, und Joh 10, 12. 13, wo sie getadelt wird, einander gegenüber. Er stellt fest, diese beiden Stellen seien nicht Widersprüche. Die Diener Christi müßten in einer Verfolgung fliehen, wenn sich dort kein christliches Volk mehr befinde, oder wenn der notwendige Dienst auch durch andere geleistet werden könne. Als Beispiele nennt er Paulus und Athanasius. Wenn das Volk bleibe und die Seelsorger fliehen, liege die Flucht der Mietlinge vor (Ep. 228, 6). So ist also nach Augustinus die Verantwortung für die Kirche das Kriterium für die allfällige Flucht eines Seelsorgers. Aus alledem ergibt sich: Augustmus nimmt der Flucht eines Amtsträgers gegenüber eine differenzierte Haltung ein. Während sich Augustinus an den bisher besprochenen Stellen lediglich über die erste Hälfte unseres Logions äußert, gibt ihm eine Auseinandersetzung mit dem Donatistenbischof Gaudentius Gelegenheit, auch die zweite Vershälfte zu erörtern1). Die Schrift ist 1)
Contra Gaudentium Donatistarum episcopum 1, 16ff; CSEL 53, 2llff.
35
besonders interessant, weil Augustinus jeweils e1mge Sätze aus einem Schreiben des Gaudentins zitiert, um sie dann zu widerlegen. In seinem Brief befaßt sich Gaudentins mit dem Verhalten der Priester in einer aktuellen Verfolgung und leimt deren Flucht strikte ab. Während Augustums dem Honoratus. gegenüber~ mehr die u. U. notwendige Standhaftigkeit betont, verteh~igt er dem Gaudentins gegenüber die Möglichkeit, in Zeiten der! V crfolgung zu fliehen. In seinem Brief argumentiert Gaudentins mit Röm 2, 13 und Joh 10, 11. 12 gegen die Flucht der Amtsträger. In seiner Antwort beruft sich Augustinus u. a. auf das Christuswort Mt 10, 23a (Contra Gaud. 1, 16. 17). Im weitern argumentiert Gaudentins: Wer soll in dieser Verfolgung die Priester aufnehmen, die nach dem Wort des Herrn Mt 10, 23a fliehen, wo doch die Gastgeber der fliehenden Christen die Ächtung riskieren 1 Augustinus fragt zurück: "Wie bist du denn ein Hörer Christi, wenn jener seinen Hörern, d. h. seinen Anhängern, verspricht, bis zum Ende der Welt werden die Städte nicht fehlen, in die sie sich flüchten können, so oft sie Verfolgung leiden, indem er sagt: ,Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere. Wahrlich ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen (non consummabitis)1), bis der Sohn des Menschen kommt'1" (Contra Gaud. 1, 18). Was schon hier deutlich geworden ist, stellt Augustinus später noch einmal ausdrücklich fest: Das Logion Mt 10, 23a sei nicht nur den Aposteln, sondern allen um der Gerechtigkeit willen Leidenden gesagt (Contra Gaud. 1, 20). Schließlich wiederholt er in anderem Zusammenhang seine oben dargelegte Interpretation der zweiten Vershälfte (Contra Gaud. 1, 26).
c) Deutung auf die Judenmission Nun bleibt bei den lateinischen Vätern noch eine weitere Auslegung von Mt 10, 23 übrig. Sie wird vertreten durch Hieronymus (* um 347, t 419 od. 420). Dieser deutet den ganzen Vers auf die Mission der Apostel unter den Juden und führt Comm. in Evang.
1 ) Der Sprachgebrauch ist bei den lat. Vätern nicht einheitlich. Das Verbum consummare kann sich bei ihnen sowohl auf die Vollendung der Missionsaufgabe wie auf die Beendigung des Fluchtweges beziehen.
3*
Matth. 1, 101 ) hierzu aus: "Dies ist auf jene Zeit zu beziehen, da die Apostel zur Predigt ausgesandt wurden, denen auch besonders gesagt wird: ,Geht nicht auf die Straße der Heiden und betretet nicht die Städte der Samariter' (Mt 10, 5. 6). Sie sollen die Verfolgung nicht fürchten, sondern abwenden." Als urchristliches Beispiel nennt Hieronymus die Zerstreuung der Gläubigen in ganz J udäa nach der Verfolgung in J erusalem. Die Verfolgung wird so "Pflanzschule des Evangeliums". Auch hier geschieht also die Flucht in missionarischem Interesse. Dann bietet Hieronymus eine "geistliche", d. h. allegorische Deutung: "Geistlich aber können wir sagen: Wenn sie uns verfolgen in einer Stadt, d. h. in einem Buch oder einer Aussage der (Heiligen) Schriften, so sollen wir in andere Städte fliehen, d. h. in andere Bände." Soweit die Interpretation der ersten Hälfte unseres Logions. Zu V. 23b bemerkt Hieronymus: "Wie streitsüchtig der Verfolger auch sein wird, die Hilfe (praesidium) des Erlösers wird eintreffen, bevor den Gegnern der Sieg zugestanden wird." ViT enn Hieronymus unser Logion zunächst auf die erste l\Iission der Apostel deutet, so eröffnet ihm die allegorische Deutung den Weg zu einer allgemein gültigen Interpretation. Ebenso gewinnt er Comm. in Jerem. proph. 5, 44 2 ) der ersten Vershälfte einen allgemein gültigen Sinn ab, indem er sie zur Erklärung von Jer 26, 20ff (Flucht des Uria) benützt: Uria sei nicht aus Unglauben, sondern aus Klugheit geflohen, "damit wir uns nicht zwecklos den Gefahren preisgeben". Zur Erhärtung weist er auf die Flucht des Herrn (Joh 8; Lk 4) sowie auf seinen Befehl an die Apostel Mt 10, 23 a hin. Die Verhältnisse liegen hier ganz ähnlich wie bei Chrysostomus.
3. Zusarnrnenfassung
Blicken wir auf die Auslegung des Logions Mt 10, 23 in der Alten Kirche zurück, so stellen wir fest, daß dieses Wort damals verschiedene Deutungen erfährt. Jeder Autor bringt nur eine Deutung des Wortes. Anzeichen einer Debatte über Mt 10, 23 sind zu dieser Zeit nicht feststellbar. 1) 2)
MPL 26, 65. CSEL 59, 331.
II. Abendländisches Mittelalter
Im abendländischen Mittelalter hat die erste Hälfte des Logions Mt 10, 23 im allgemeinen nicht mehr so das Übergewicht wie in der Alten Kirche. In vermehrtem Maß nimmt die zweite Vershälfte das Interesse der Exegeten in Anspruch. a) Deutung auf die Auferstehung Jesu Ein erheblicher Teil der mittelalterlichen Theologen deutet unser Logion auf die Auferstehung Jesu. Als erster Ausleger ist hier Beda Venerabilis (t 735) zu nennen. Er 'gibt in Matth. Evang. expos. 2 ad 1. 1 ) eine Deutung der zweiten Vershälfte. Dabei gibt er das consummabitis mit "ad fidem perducetis" wieder und erklärt: "Das heißt ihr werdet (die Städte Israels, d. h. die Juden) nicht dem Glauben zuführen, bevor die Auferstehung vollzogen und auf dem ganzen Erdkreis die Möglichkeit, das Evangelium zu predigen, eingeräumt sein wird." Hier erscheint also die Auferstehung Jesu als "Kommen des Menschensohnes" und als Ausgangspunkt der Heidenmission. Im weitern übernimmt Beda die "geiAtliche" Deutung des Hicronymus: "Geistlich aber fliehen wir von Stadt zu Stadt, so oft wir von einer Aussage der Schriften zu a11dern Bänden laufen, damit die Hilfe des Erlösers komme, bevor der Sieg den Gegnern überlassen wird." Ganz auf der Linie des Beda bewegt sich Hrabanus Maurus (ca. 776-856). Er übernimmt Comm in Matth. 3, 10 2 ) die Auslegung seines Vorbildes bis in die Wortwahl hinein. Die , ,geistliche" Deutung übernimmt er sozusagen wörtlich von Hieronymus. Etwas ausführlicher äußert sich Anselm von Laon (t 1ll7) zu
1) 2)
MPL 92, 54. MPL 107, 899.
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unserem Logion. Er faßt Enarr. in Evang. Matth. ad I.I) Mt 10, 23 als Befehl auf und führt aus: Der Herr habe den Jüngern befohlen zu weichen, "damit sie nicht stürben, da sie noch weiter nützlich sein könnten". Zur Erhärtung weist er auf Paulus hin, der aus Damaskus floh, "um viele Heiden zum Herrn zu bekehren". Dann kommt er auf das Verhältnis von Flucht und Ausdauer zu sprechen: "Gut fügt er nach der Ausdauer (eine Bemerkung) über die Flucht an. Die Flucht ist nämlich der Ausdauer nicht entgegengesetzt." Der zweite Teil des Verses ist für Anselm eine Antwort auf den Einwand der Jünger: "Das Land der Juden ist klein, und darum werden wir (es) rasch bekehren können; wenn es also bekehrt sein wird, zu wem sollen wir gehen~" Merkwürdigerweise wird also hier nicht die Verfolgung ins Auge gefaßt, von der der Kontext spricht, sondern ein möglicher Erfolg der Jüngerpredigt. Dann bedeutet der zweite Teil des Logions: "Ihr werdet die Städte Israels, d. h. alle Juden, nicht zur Vollendung führen, bis der Sohn des Menschen kommt, das heißt von den Toten aufersteht." Auch hier bezieht sich also das consummabitis auf den Glauben der Juden und das "Kommen des Menschensohnes" auf die Auferstehung Jesu. Demzufolge gibt Anselm den Sinn der zweiten Vershälfte so wieder: "Meinet nicht, daß die,Juden in dieser ersten Mission für eure Arbeitskraft nicht ausreichen, weil euch gewiß unter ihnen genug Arbeit bleiben wird bis zur zweiten Mission, da ich euch zu den Heiden senden werde." Diese zweite Mission werde auf Grund von Mk 16, 15 nach der Auferstehung Jesu erfolgen. So zielt das Logion auch bei Anselm auf die Heidenmission. Als zweite Möglichkeit fügt Anselm noch die Auslegung an, die wir bei Hilarius von Poitiers getroffen haben: "Ihr werdet die Sölme Israels nicht vollständig zum Glauben bekehren, bis der Sohn des Menschen kommt, das heißt, bis die zweite Ankunft herannaht. Dann nämlich wird die Fülle der Juden bekehrt werden, durch die Predigt des Henoch und des Elia." Damit würde das "Kommen des Menschensohnes'' auf die Parusie bezogen. Mit Recht stellt Anselm fest: "Dann wird diese Rede nicht allein an die Apostel, sondern an alle Gläubigen gerichtet werden." Schließlich fügt Anselm fast wörtlich die bekannte mystische (geistliche) Auslegung des Hieronymns (Flucht 1)
MPL 162, l344f.
von einem biblischen Buch zum andern) an. So ist Anselm von Laon der erste Exeget, der, abgesehen von der mystischen Deutung, zwei verschiedene Auslegungen dieses Logions zur Diskussion stellt. Auch Albertus l\Iagnus (1193 {1)-1280) äußert sich Enarr. in Evang. 1\Iatth. ad I.I) ziemlich ausführlich zu 1\It.lO, 23. Nach ihm spricht der Herr hier zweierlei aus: 1. einen Trost in V. 23a und 2. eine Lösung des dadurch entstandenen Zweifels in V. 23 b. Die erste Vershälfte weise auf die Verfolgung durch die Juden während der auf die Söhne Israels beschränkten Mission hin. Dabei seien für die Flucht zwei Fälle zu unterscheiden: a) Die Verfolgung betrifft die Person; b) sie betrifft den Glauben oder die Gerechtigkeit. Dazu führt Albertus Magnus aus: "Wenn nur nach der Person getrachtet wird, dann kann man immer fliehen, wenn aber nach dem Glauben oder der Gerechtigkeit getrachtet wird, kann es durch den Tod bekräftigt werden oder nicht. Wenn es durch den Tod bekräftigt werden kmm, darf man keineswegs fliehen. Wenn es aber nicht durch den Tod bekräftigt werden kann, dann muß man fliehen. Und weil die Apostel vor der Passion den Glauben nicht (durch den Tod) bekräftigen konnten, darum ist ihnen nahegelegt worden, von Stadt zu Stadt zu fliehen." Als Beispiele für diese Haltung nennt Albertus Magnus Jakob, der vor Esau und Laban floh, ferner David, der vor Saul, und Paulus, der aus Damaskus floh. Dann zitiert er noch 2 Kor 11, 32f. Der zweite Teil des Logions geht nach Albertus Magnus auf den Zweifel ein, den die Jünger angesichts von V. 5 äußern kö1mten: "'Vmm wir von einer Stadt in die andere fliehen, werden wir keinen (Ort) finden, wohin wir in Zukunft fliehen können." Die Antwort des Herrn lautet dann in der Interpretation durch Albertus Magnus so: " ,Ihr werdet nicht zu Ende bringen', indem ihr in dieser Mission flieht, ,die Städte Israels', indem ihr euch von einer zur andern begebt, ,bis kommt' nach der Auferstehung, zu euch, ,der Sohn des Menschen.'" Albertus Magnus fügt bei: "Und dann wird die allgemeine Mission über die ganze Erde stattfinden." So deutet auch Albertus Magnus das "Kommen des Menschensohnes" auf die nachösterliche Aussendung der Apostel zur Heidenmission. Dann erwägt er noch zwei allgemeine Deutungsmöglichkeiten. Einmal: 1)
Opera omnia ed. A. Borgnet, vol. XX, Parisiis 1893, 463f.
",Bis der Sohn des Menschen kommt' und euch annimmt, indem er euch in sein Reich beruft." Zum andern: ",Bis er kommt', indem er euch zu Hilfe eilt." Das würde bekräftigt durch 1 Kor 10, 13. Schließlich zeigt er noch, daß nach Hieronymus ein Nutzen in der Flucht liegt: durch sie werde die Predigt ausgebreitet. Beispiele hierfür geben Apg 8, lff und Tob 13, 4. Ebenfalls ziemlich ausführlich geht Thomas von Aquino (1225 bis 1274) auf unser Logion ein. In Matth. Evang. expos. ad l.l) gibt er zunächst eine Übersicht über den Zusammenhang, in dem das Logion steht: Vorher habe der Herr auf die Gefahren für die Jünger hingewiesen (V. 16), nun zeige er ihr richtiges Verhalten auf. Zuerst lehre er, das Böse und die Gefahr (aus Klugheit) zu meiden, dann lehre er, in Gefahren gleichmütig zu sein (V. 31). Was das Erste betrifft, lehre er zunächst, die körperlichen Gefahren zu meiden, dann die geistlichen (V. 24). Zuerst anerkenne er die körperlichen Gefahren, dann antworte er auf einen stillschweigenden Einwand (V. 23b). Zur Auslegung der ersten Hälfte von V. 23 greift Thomas auf V. 22 zurück, wo der Herr zum standhaften Ausharren aufrufe. Indessen sollen sich die Schwachen nicht unvorsichtig exponieren, wie Spr 14, 15 zeige. Das gelte, im Hinblick auf das Heil der andern, nach Phil1, 24 auch für die "Vollkommenen". Dasselbe zeige die Flucht des Herrn nach Ägypten sowie die Flucht der Jünger Apg 8. Diese Gedanken des Thomas bewegen sich in uns nunmehr belmnnten BahneiL Dann kommt Thomas auf die Spannung zwischen unserem Halbvers und Joh 10 zu sprechen. Zu ihrer Lösung verweist er auf die Auslegung des Augustinus, die wir bereits kennengelernt haben. Nach Thomas begegnet der Herr mit der zweiten Vershälfte einem stillschweigenden Einwand der Jünger: "Du sendest uns nach Judäa: wenn sie uns vertreiben, wohin sollen wir gehen1" Der Herr fordere zur Flucht auf und füge bei: "Ihr werdet die Städte Judäas nicht durchwandern können, ,bis der Sohn des Menschen kommt', das heißt bis er von den Toten aufersteht, und dann wird er euch zu den Heiden senden, wie es unten im letzten Kapitel V. 19 steht: ,Gehet, lehret alle Völker."' So gibt Thomas das Verbum consummare mit "peragrare" wieder und setzt das "Kommen des Menschensohnes" mit seiner Auferstehung gleich, die den \\'eg zur 1)
Opera omnia ed. St. E. F1·ette, vol. XIX, Parisiis 1876, 384.
41 Heidenmission freigibt. Da.nn weist Thomas noch auf die Auslegung des Hilarius hin und gibt schließlich eine "mystische", d. h. allegorische Erklärung, die gleichsam eine Weiterführung derjenigen des Hieronymus darstellt: "Wenn euch die Häretiker mit ihren Autoritäten verfolgen, widerlegt sie mit Autoritäten: sie werden nicht zu Ende geführt werden, bis sich die Wahrheit offenbart." In der Summa Theologica II/II, 185, 51 ) erscheint Mt 10, 23a in der Beantwortung der Frage: "Ist es dem Bischof erlaubt, wegen irgendwelcher Verfolgung seine Herde persönlich im Stich zu lassen 1" Aus Mt 10, 23a folgert Thomas für die Frage der Flucht eines Bischofs: Wo das Heil der Untergebenen die Gegenwart des Hirten erfordert, darf der Hirte seine Herde nicht verlassen, vgl. Joh 10, 11. Wo dagegen das Heil der Untergebenen durch einen andern gewährleistet ist, darf er sie verlassen. 'Venn aber alle gleichermaßen gefährdet sind, ist Standhaftigkeit nötig, wie Augustinus betont. Ein weiterer Ausleger, der unser Logion auf die Auferstehung Jesu deutet, ist Nikolaus von Lyra (ca. 1270-1340). In seiner Postille2) gibt er eine ziemlich ausführliche Exegese unseres Verses, die aber nichts besonders Eigenartiges enthält. Zur Auslegung der ersten Vershälfte führt er aus: Christus zeige hier, wie sich die Jünger in der Drangsal verhalten sollen. Manchmal müssen sie fliehen. Wenn die Verfolgung die Person betreffe, dann solle man fliehen, wie Paulus (Apg 9). Wmm aber eine Verfolgung des Glaubens und der Gerechtigkeit vorliege, seien zwei Fälle zu unterscheiden: Sofern aus der Flucht die Verspottung des Glaubens und die Herabsetzung der Gerechtigkeit folgen, dann sei sie böse und eine Todsünde. Sofern aber aus der Flucht anderswo ein Nutzen für die Kirche erwachse und sofern beim Zurückbleiben nichts herausschaue als Tötung der Kirchendiener und Mißhandhmg der Glaubensartikel, dann müsse man fliehen. Aus diesem Grunde werde V. 23b angefügt: "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, indem ihr dort die Ankunft oder den Glauben Christi predigt, bis der Sohn des Menschen kommt, indem er von den Toten aufersteht." Daneben führt aber Nikolaus von Lyra auch die 1 ) MPL :':;uppl. 3, 1317ff; deutsche Ausgabe, hg. v. P~ Ohristmann OP, lld. 24, Hci
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Deutung auf die Ankunft Christi zum Gericht, also auf die Parusie an: "Dann ist die Vollendung der Apostelpredigt auf dem ganzen Erdkreis gemeint", im Sinne von Röm 9 und Ps 18 (LXX). Zu den Auslegern dieser Richtung gehört auch Alphonsus Tostatus de Madrigal (1400-1455), der als Bischof von Avila häufig als Abulensis zitiert wird. In seinem Matthäuskommentar 1 ) überschreibt er seine Exegese von Mt 10, 23 mit den Worten: "Hier wird gezeigt, wie sich die Jünger in Drangsalen verhalten sollten." Dann gibt er eine Erklärung der einzelnen Versteile. In civitate ista heiße "in jeder möglichen Stadt", zu fugite sei zu ergänzen: "und predigt dort." Offensichtlich hat Abulensis den erweiterten Text vor sich. Amen heiße "in Wahrheit" und stelle eine Bejahung, einen Schwur dar. Non consummabitis bedeute: "Ihr werdet die Predigt in allen (sc. Städten Israels) nicht beendigen", und donec veniat filius hominis heiße: "Bis ich komme und euch zur Predigt in eine andere Gegend sende." Hier ist zwar die Auferstehung J esu nicht expressis verbis erwähnt, aber Abulensis zielt mit seiner Exegese deutlich auf die nachösterliche Aussendung der Apostel zur Heidenmission. Er fügt noch bei, der V. 23b stelle die Antwort auf den uns bekannten Einwand der Jünger dar, es würde ihnen in Judäa bald keine Stadt mehr übrig bleiben, in die sie fliehen köm1ten; sie müßten entweder in Städte zurückkehren, aus denen sie geflohen waren oder die Predigt aufgeben. "Christus aber versichert ihnen, er werde, bevor sie die Predigt in allen Städten Israels beendigt haben, selbst kommen und sie in eine andere Gegend senden." Anschließend widmet Alphonsus Tostatus unserem Logion in fünf Quaestionen eine längere Abhandlung. In Quaestio 108 geht er der Frage nach: " .Warum sagt Christus den Aposteln, daß sie vor der Verfolgung fliehen sollen 1" Nach seiner Auffassung geschah es I., "weil es noch nicht Zeit war, daß sie selbst getötet würden, solange der Glaube verbreitet wurde". 2. wolle Christus zeigen, "daß der Mensch sich nicht zum Tode drängen oder jenen unnütz auf sich nehmen soll". Er sei nur zu erstreben, wenn er fruchtbar sei, vgl. I Makk 8. 3. wolle Christus zeigen, "wie kostbar das Leben des Menschen vor den Augen Gottes sei", vgl. Ps 59 (LXX) und Koll. 4. wolle Christus dartun, "daß der Mensch Gott nicht versuchen darf,
1)
Comrnentaria in tertiam partem Matthaei, Venetiis 1596, 252ff.
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indem er in der Gefahr bleibt, wenn er entkommen kann", vgl. Augustinus. Quaestio 109 geht der Frage nach: "Wann es den Aposteln erlaubt war, vor dem Verfolger zu fliehe11. Und warum die Apostel die Verfolgung nicht fürchten, sondern vermeiden mußten." Der Autor vertritt die Auffassm1g, daß Christus hier den Aposteln die Flucht nur für die Zeit der Judenmission lehre. Dies 1. wegen der Erwähnnng der Städte Israels in V. 23 b, 2. weil Christus hier die Flucht allgemein, ohne Unterschied erlaube. Die Apostel mußten die Verfolgung vermeiden, 1. weil es sich nicht ziemte, daß jemand vor Christus starb, 2. nnd vor allem, "damit die Apostel für bessere Zeiten bewahrt würden, in denen ihr Tod fruchtbarer wäre", nach dem Beispiel Christi (Joh 7; 8; 10), und 3., "damit sie Gelegenheit hätten, den Heiden zu predigen" (vgl. Apg 13). Quaestio llO beschäftigt sich mit der Frage: "Ob es den Prälaten erlaubt sei, wegen einer Verfolgung zu fliehen, und wann ... " Der Autor unterscheidet zunächst zwei Arten von Verfolgung: 1. die offene Verfolgnng durch Feinde des Glaubens, nnd 2. die innere Verfolgung seitens der Untergebenen etc. Bei der Verfolgung durch Feinde unterscheidet er wieder zwei Arten: a) Der Prälat wird allein mit dem Tod bedroht. ·wenn es sich um eine Verfolgung der Person ohne Gefährdung des Glaubens handle, müsse man immer fliehen, wenn aber dadurch die Sicherheit nnd der Glaube der Untergebenen gefährdet sei, müsse man standhaft bleiben, vgl. Joh 10. b) Der Prälat und seine Untergebenen werden gleichzeitig mit dem Tod bedroht. Dann dürfe der Prälat seine Untergebenen nicht im Stiche lassen, d. h. er solle mit ihnen bleiben oder mit ihnen fliehen. Die Flucht des Prälaten allein sei nur erlaubt, wenn andere an seiner Stelle die Gemeinde versorgen. Dasselbe gelte bei einer Verfolgung durch Gott, d. h. bei einer Epidemie. Es genüge nicht, daß die Prälaten ihre Untergebenen zur (gemeinsamen) Flucht ermahnen. Bei der Verfolgung durch die Untergebenen sei zu nnterscheiden, ob alle böse oder ob die einen gut, die andern aber böse sind. Im zweiten Fall dürfen die Guten nicht wegen der Bösen im Stich gelassen werden. Im ersten Fall sei zu nnterscheiden, ob eine Bekehrnng der Betreffenden zu erhoffen ist, dann dürfe sie der Prälat nicht im Stiche lassen, oder ob eine solche nicht zu erhoffen sei, dann könne er sie verlassen.
Quaestio 111 ist der Frage gewidmet: "Ob es Privatleuten, die nicht Hirten sind, erlaubt ist, vor Verfolgungen zu fliehen." Der Autor sagt, in der Verfolgung um des Glaubens willen müsse man standhaft den Namen Christi bekennen (vgl. Röm 10). Einem Gefangenen sei die heimliche Flucht nicht erlaubt, "weil so der Glaube in den Herzen der Ungläubigen zurückgesetzt und in den Herzen der Gläubigen geschwächt wird", vgl. Apg 16 etc. Wenn aber jemand noch nicht gefangen ist, seien zwei Fälle zu unterscheiden: 1. Den Unvollkommenen sei es erlaubt zu fliehen, "denn sie nehmen die Mühsal der Flucht für Christus auf sich, damit sie nicht gezwungen werden, unter Folterungen jenen zu verleugnen". 2. Der Vollkommene dürfe fliehen, wenn er nicht bestimmt erkannt wird, vgl. Mt 2. Wenn er aber bestimmt erkannt wird, dürfe er fliehen, sofern er v. a. aus persönlichem Haß verfolgt wird, vgl. Apg 9. ·wenn er aber grundsätzlich wegen seines Glaubens gefordert wird, müsse er standhaft bleiben, "sofern auf Grund seiner Flucht die Lehre von den Ungläubigen verlacht und der Mut der Gläubigen geschwächt wird." Wenn aber seine Flucht den Gläubigen etwas nützen wird, müsse er fliehen. In einer allgemeinen Verfolgung sei es den Vollkommenen nicht gestattet, sich zurückzuziehen, "weil ihre Flucht den Glauben in den Herzen der Übrigen schwäche und zur Verspottung der Lehre Christi beitragen würde." In Quaestio 112 endlich behandelt Alphonsus Tostatus die Frage: "Wie Christus sagte: ,Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Sohn des Menschen kommt', ob das 'wahr geworden sei. Und was mit der Ankunft Christi gemeint sei." Hinsichtlich des V. 23b sieht der Autor zwei Deutungsmöglichkeiten: auf die Ankunft nach der Auferstehung und auf die Ankunft zum Gericht. Er entscheidet sich für die Deutung auf die Ankunft Christi nach seinem Tod und nach seiner Auferstehung. "Ankunft" heiße "irgendeine wunderbare oder geistliche Tat, die er vollbringt"; so der Gerichtstag (Mt 24), unser Todestag (Lk 12, vgl. Joh 21) und der Tag der Strafe (Am 3), so auch der Tag der Auferstehung. Der Sinn sei: "daß die Apostel die Predigt in allen Stiidtcn Israels nicht beendigen würden bis zum Tode Christi." Er sage ihnen, sie brauchten nicht in die Stiidtc de1· Namariter oder Heiden zu gehen odm· auf die l'reJigt zu vcrzichtell: "Wenn ihr niimlieh auch immer prPdigt. nwl flieht. von Rt.adt zu Rttult;, wen!Pn fiir euch noch Stiidte lsrncls ii brighleibcn, in Jenen ihr prcJigcn könnt,
45 weil ihr die Städte Israels nicht beendigen werdet, nämlich indem ihr in jeder predigt, bis der Sohn des Menschen kommt, d. h. bis ich sterbe, m. a. W.: dann werde ich euch zu den Heiden senden", vgl. Mt 28 und Mk 16, Hrabanus u. a. Als Gründe für diese Deutung führt Alphonsus Tostatus an: 1. Christus wolle hier denApostelnden Schrecken nehmen; er sage "non consummabitis", nicht "non consummabuntur sc. per alios". 2. Es heiße: "die Städte Israels", nicht "praedicatio Israel". ·Einen andern All:zent legt Dionysius Carthusianus (D. von Rijkel oder van Leeuwen, * 1402/03, t 1471) in die Auslegung unseres Logions hinein. Er spricht zwar auch von der Auferstehung Jesu, verbindet sie aber nicht mit der Aussendung der Apostel zur Heidenmission. In seinem Matthäuskommentar 1 ) erläutert auch er die einzelnen Teile von Mt 10, 23. Zu civitate ista ergänzt er: "in der ihr hauptsächlich seid." Bei fugite in aliam erwähnt er als biblische Fluchtbeispiele Christus (Mt 2), Petrus (Apg 5), Paulus (Apg 9), die Gläubigen in Jerusalem (Apg 8). Als Gegenbeispiel nennt er den Mietling (Joh 10). Zur Lösung des hier vorliegenden Problems stellt er den Satz auf: "Diese Mahnung zur Flucht ist nicht allgemein zu verstehen, auch nicht in der Art einer gemeinschaftlich gegebenen Vorschrift." Nun führt er die verschiedenen Möglichkeiten vor. Fliehen sei verboten v. a. für einen Prälaten, Oberen oder Doktor, sofern nicht alle gleichzeitig fliehen können: wenn andere Anstoß nehmen, der Glaube verhöhnt, die Gerechtigkeit unterdrückt und Untergebene gefährdet werden. Andererseits sei fliehen erlaubt, wenn es Vorteile bringt: weil der Verlust eines Hirten oder Gliedes der Kirche nicht zustatten komme, weil der Betreffende anderswo Frucht bringen und an seiner Statt einen Stellvertreter zurücklassen könne. Fliehen sei bei persönlicher Furcht und Schwäche nicht immer unerlaubt. Andererseits verweist Dionysius auf das Beispiel vieler Märtyrer. In der zweiten Vershälfte sieht Dionysius die Antwort auf die Frage der Apostel: "Wie lange werden wir fliehen1" Der Ausspruch des Herrn bedeutet nach Dionysius: Ihr werdet die Städte des Judcnvolkes nicht vollkommen durchwandern noch predigend durchgehen, bevor der Sohn des Menschen nach seiner Auferstehung zu euch zurückkehrt. Zur Erläuterung zieht Dionysius Joh 14, 18 und 1)
In quo.tuot· Euang. enat·rationes, Coloniae 1532, 3!Jf.
46 16, 22 heran und fügt bei: "Die Zeit der Apostelpredigt in Judäa vor der Passion war ja kurz, und sie konnten in ihr nicht mit allen Städten Israels zu Ende kommen." Beizufügen ist noch, daß Dionysius als zweite Auslegungsmöglichkeit die Deutung des V. 23 L auf die Parusie erwägt: Ihr und eure Nachfolger werdet das ganze Volk Israel nicht zum Glauben bekehren, bis der Sohn des Menschen zum allgemeinen Gericht erscheint. Die Juden werden sich erst am Ende der Welt allgemein bekehren.
b) Deutung auf die Judenmission Bei mehr als einem mittelalterlichen Exegeten treffen wir die Deutung unseres Logions auf die Mission unter den Juden. Das ist der Fall bei Christian von Stablo (Druthmar, t nach 880). In seiner Expositio in Matth. Evang. 27 1 ) führt er zu V. 23a aus: Christus habe das von der gegenwärtigen Mission gesagt. Wenn die Jünger verfolgt würden, sollten sie zu ihm zurückkehren. Er habe nicht gewollt, daß sie getötet würden, bevor er selbst für alle starb. Die Vorschrift des Herrn habe aber auch allgemeine Bedeutung und besage dann: Wer das Martyrium nicht auf sich nehmen will, soll dahin gehen, wo er Gott ruhiger dienen kann. Dennoch führe größeres Leiden für Gott zu größerem Glück im ewigen Reich. Zu V. 23 b bemerkt Druthmar: ;,Er spricht davon, weil er selbst im Begriff war, dort predigen zu kommen, wohin er die Jünger damals aussandte." So wird hier das "Kommen des Menschensohnes" als ein Kommen J esu zum Predigen verstanden. Zacharias Chrysopolitanus (t um 1155) hält sich In unum ex quatuor sive de concordia Evangelistarum l, 44 2 ) eng an Hieronymus. Das "Kommen des Menschensohnes" faßt er allgemein als Zuhilfekommen auf. Ferner übernimmt er die "geistliche" Deutung des Hieronymus.
c) Deutung auf die (ferne) Parusie Im abendländischen :Mittelalter ist auch die Deutung unseres Logions auf die (ferne) Parusie anzutreffen. Wir sind schon einigen Autoren begegnet, die sie als zweite Auslegungsmöglichkeit erwäMPL 106, 1349. •) MPL 186, 162.
1)
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gen. Hier sollen nun noch diejenigen Theologen zu Wort kommen, die sie an erster Stelle bzw. ausschließlich vertreten. Eine ausführliche Exegese von Mt 10, 23 bietet Paschasius Radbertus (*um 790, t um 859). Nach seiner Expos. in Evang. Matth. 6, 101 ) bezieht sich V. 23a auf die Gedanken der Jünger, wasangesichtsder V. 22 angedrohten Feindschaft gegen die Apostel geschehen solle. Das in civitate ista versteht Paschasius demonstrativ von irgendeiner Stadt, in der Verfolgung herrscht. Christus lehre oder gestatte die Flucht, damit der Schwache Raum zur Erholung finde und niemand rücksichtslos dem Martyrium anheimfalle. Im Krieg solle ein Soldat vor seinem Tod erst möglichst viele Feinde bezwingen . .Ähnlich sei es auch in der militia Christi. Dann weist Paschasins noch auf eine Auslegungsart hin, die VOll "andern" (von wem 1) vertreten wird. Danach bezieht sich das in civitate ista auf Jerusalem. Der Sinn des Satzes wäre dann: Wenn sie euch in Jerusalem verfolgen, flieht zuerst nach Samaria, dann zu den Heiden (vgl. Apg 1, 8). Jedenfalls gelte das, was Christus den Aposteln sagt, allen, die bis zum Ende der Welt diesen Auftrag ausführen. Das besage nun der V. 23 b. Non consummabitis heiße: "Ihr werdet nicht zu Ende kommen, indem ihr predigt und sie bekehrt, bis der Sohn des Menschen am Ende der Welt kommt." Wie Mt 28, 20 gelte dieses Wort der universalen Kirche, wie Mt 24, 33 den Erwählten. Dann scheine das Wort zu bedeuten: Etliche werden der Predigt der Apostel glauben; der Rest Israels wird am Ende, nach der Fülle der Heiden, zum Glauben kommen. Hier führt Paschasius noch eine weitere Auslegungsmöglichkeit an: "Die Predigtarbeit wird nicht vollendet werden, bis der Sohn des Menschen euch zu Hilfe kommt, nach der Auferstehung von den Toten." Aber er nennt diese Auslegung "gewaltsam". Schließlich fügt auch Paschasius die bekannte "moralische" Deutung des Hieronymus an. Eine interessante Auslegung unseres Logions liefert schließlich Rupert von Deutz (* 1075/80, t 1129/30). Nach seinem Matthäuskommentar2) gibt Christus in V. 23b Antwort auf die Frage: "Wohin soll ich fliehen 1 In welche Stadt gehen1 Stehen viele Städte uns Flüchtlingen offen1" Die Antwort Christi laute: Früher, z. Zt. von Isebel und Athalja, habe es so wenige Städte in Israel gegeben, daß 1)
2)
MPL 120, 424. In op. de gloria et hon. filii hom. sup. Matth. 8, MPL 168, 1496.
die Propheten keinen Zufluchtsort mehr hatten, sondern herumziehen mußten (Hehr 11) und Obadja hundert Propheten in Höhlen verbarg (1 Kön 18). "Nun aber wird es so viele Städte Israels, auf dem ganzen Erdkreis so viele Städte, d. h. Kirchen geben, die meinem Namen geweiht sind, der ich das wahre Israel bin, gastfreundliche Städte, Kirchen der Armen, Empfängerinnen der Gläubigen, daß niemand mit ihnen zu Ende kommen kann, bis das Reich Gottes kommt. Niemand lebt ja oder wird so lange leben in dieser Pilgerschaft, daß er fliehend alle Städte durchziehen kann, die an mich glauben werden etc." d) Zusammenfassung
Abgesehen von kleineren Nuancen bewegt sich die mittelalterliche Auslegung unseres Logions durchaus in den von der altkirchlichen Exegese eingeschlagenen Richtungen. Beachtenswert ist, daß einige Autoren zwei und mehr Deutungen des zweiten Halbverses nebeneinanderstellen, wobei die meisten auf eine kritische Auseinandersetzung verzichten (Anselm von Laon, Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Nikolaus von Lyra, Dionysius Carthusianus). Nur zwei äußern sich kritisch über eine andere Exegese (Alphonsus Tostatus, Paschasius Radbertus). Das deutet darauf hin, daß das Logion damals als nicht ganz einfach angesehen wird. Aber eine an Grundfragen rührende Debatte findet auch jetzt nicht statt.
111. Reformation und Gegenreformation
Wie im Mittelalter steht auch im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation die erste Hälfte des Logions Mt 10, 23 meistens nicht mehr im Vordergrund des Interesses. Auch in dieser Zeit befassen sich die Exegeten im allgemeinen ebensosehr mit der zweiten Hälfte des Wortes. Das gilt sowohl für den protestantischen als auch für den katholischen Bereich. Wir befassen uns zuerst mit der protestantischen und hernach mit der katholischen Exegese des Logions.
1. Protestantische Exegeten des16. Jahrhunderts a) Deutung auf die Judenmission Auf protestantischer Seite begegnet uns zuerst die Deutung von Mt 10, 23 auf die Zeit vor dem Tode Jesu. Huldrych Zwingli (14841531) führt in seinen Anmerkungen zum Mt Ev 1 ) zur Erklärung von Mt 10, 23a aus: Damit die Apostel die früher gelehrte Standhaftigkeit in der Predigt nicht als Eigensinn und Hartnäckigkeit verstehen, sage der Herr, sie sollen fliehen, wenn es die Zeit erfordere. Er habe das selbst getan. "Er will nicht, daß wir uns ohne Grund in Gefahr stürzen, besonders wo keine Hoffnung besteht, die Menschen zu gewinnen." Auch der Frage nach dem Motiv zur Flucht widmet er einen Satz: "Diese Klugheit wird der Geist des Glaubens und der Liebe lehren." Den V. 23b erklärt Zwingli mit den Worten: "Ihr könnt nicht in allen israelitischen Städten die Predigt beendigen, ohne daß bald der Solm des Menschen euch auf dem Fuße folgt. Er sandte sie 1 ) Annotationes H. Z. in Evang. Matth.; Opera. ed. M. SchulerjJ. Schult· heaa 6/1, 1836, 270.
4 Künzi, 1\lo.tthiius
50 nämlich an jeden Ort, wohin er selbst kommen würde. Derjenige, den ihr predigen werdet, wird selbst kommen und nach euch predigen." Diese Erklärung liegt deutlich in der Linie des Cliristian von Stablo. Bemerkenswert ist schließlich, daß Zwingli den Menschensolm-Titel als Umschreibw1g der wahren Menschheit Christi auffaßt. In den Additamenta zu Zwinglis Matthäuskommentar 1 ) heißt es dementsprechend: "Ir werdent mit denen Staten nit grech werden; ich werd selb kummen predigen an den seihen Orten." Das ist wohl der erste deutschsprachige Kommentar zu unserem Vers. In derselben Richtilllg, jedoch mit etwas anderem Akzent, läuft die Auslegung von Johannes Brenz (1499-1570), der in seinem umfangreichen Bibelkommentar ebenfalls auf unser Logion zu sprechen kommt 2). Auch er geht von V. 22 aus und sagt zu V. 23a: Christus binde seine Apostel Wld Jünger nicht nur an einen Ort. "Wenn ich sage, man müsse ausharren bis zum Ende, so will ich nicht dies, daß ihr nur in einer Stadt ausharren müßt, sondern ausharren soll man in meiner Berufilllg und im Ertragen des Hasses um meinetwillen; ich binde euch aber nicht nur an einen Ort, sondern wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, so will ich nicht, daß ihr mein Evangelium Unwilligen an den Hals werft, auch nicht daß ihr sie mit Gewalt zwingt, mein Evangelium anzilllehmen, sondern fliehet in e~ne andere Stadt: Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet nicht alle israelitischen Städte durchzogen haben, ohne daß ich euch nachfolge, und ich werde bei euch zugegen sein, um das, was ihr predigt, durch meine Gegenwart und durch Wunder zu bekräftigen." Brenz sieht also das Kommen des Menschensohnes nicht in der Predigt, sondern in der WW1dertätigkeit Christi erfüllt. Somit bezieht er unser Logion auf die Missionszeit vor dem Tode Christi. Andererseits aber wehrt er sich gegen die verengernde Interpretation der ersten Vershälfte durch Tertullian: andere kirchliche Schriftsteller hätten sein Buch als gegen die Kirche gerichtet betrachtet und Beispiele von fliehenden Frommen angeführt. Hierher gehört auch Theodor Beza (1519-1605). In seinen Anmerkungen zum NT 3 ) befaßt er sich ziemlich ausgiebig mit unserem aaO 415. Commentarij in tres Evangelistas, Tubingae 1582, 254. 3 ) Annotationes majores in Nouum D. N. Iesu Christi Testamentum, 1594, 66. 1)
2)
51 Vers. Er tut das in der Weise, daß er zu einem ·wort bzw. einer 'Vortgruppe jeweils die verschiedenen ihm bekannten Lesarten (lateinisch und griechisch) anführt, um sie dann grammatisch und sachlich zu erklären. So ergibt sich für ihn folgendes Bild. In V. 23a sei zu in ea urbe zu ergänzen: "in die ihr eingetreten sein werdet". Zu fugite bemerkt er, es gehe darum, daß die Jünger nicht ihr Amt im Stiche lasse11. Hier sei mehr die Ausdauer als die Vermeidung der Verfolgung betont. Sowohl das griechische qJet!yetv wie das lateinische fugere wie das hebräische n"l:J bezeichneten allein die Schnelligkeit des Laufes. Tertullian sehe richtig, wenn er betont, es gehe bei der Flucht vor allem um die Verbreitung der christlichen Lehre. Dann erwägt Beza zwei Varianten der uns bekanntenlängern Version und findet eine davon "vetustissima". Llw)"etv bedeute bald "verfolgen", bald "wegtreiben" oder "vertreiben". Das -ceAia"YJTB in V. 23b gibt Beza mit "obieritis" wieder, das sowohl "vollenden" wie "herumgehen" bedeute. Das ewc; äv übersetzt er im Sinne von neivfj mit "quin". Das "Kommen des Menschensohnes" beziehe sich nicht auf die Ankunft Christi auf der Erde, sondern auf ihre "Eröffnung" (patefactio) und "Erkenntnis" (perceptio). "Mit diesen Worten deutete Christus wohl einfach an, er werde wieder zu jenen kommen, bevor sie die ganze Gegend durchzogen hätten, damit sie nämlich nicht meinten, vom Meister weggesandt zu werden, und so den Mut sinken ließen." Beza fügt noch bei, diese Worte bezögen sich auf den Einzug Christi in Jerusalem. Diese Interpretation gleicht derjenigen des Theophylakt und scheint Beza die einfachste zu sein.
b) Deutung auf die Heidenmission Während die bis jetzt besprochenen Autoren der Reformationszeit das "Kommen des Menschensohnes" auf die Zeit vor Jesu Tod beziehen, deutet es Martin Bucer (1491-1551) auf die Zeit nach dem Tode Jesu. In seinem Evangelienkonimentar1 } bespricht er ausführlich Mt 10, 23. Zur ersten Vershälfte führt er aus: Christus gestatte unter Umständen die Flucht. Betreffend Flucht in der Verfolgung verweist Bucer auf seine Auslegung von Mt 4, 12. Die Christen sollen in der Nachfolge Christi und der Apostel unter Führung des Heiligen Geistes bald fliehen, bald verharren. Hier geht es 1)
In sacra quatuor Evangelia enarr. perpetuae, Basileae 1536, 270.
Bucer vor allem darum zu zeigen, daß Christus den Seinen nicht so sehr die Flucht vor den Gefahren als vielmehr die Vvanderung aus unwürdigen in würdige Städte gelehrt habe; durch die Flucht sollten sie erhalten bleiben. Das sieht Bucer in der zweiten Vershälfte bestätigt, die im wesentlichen besage: "Es wird nämlich immer (Orte) geben, wohin man zum Predigen gehen kann." Gemeint sind nach Bucer zunächst die wenigen israelitischen Städte, dann aber- nach der Auferstehung Christi - die Städte der Heiden. Das uA.eiv heißt nach Bucer "predigend durchlaufen und durch das Evangelium dem Himmelreich teilhaftig machen". Es werde also für die Christen immer Arbeit geben bis zur glorreichen Wiederkunft Christi als Weltemichter. Dann weist Bucer noch darauf hin, daß die Apostel wirklich die Städte Israels nicht völlig zu Christus bekehrten, bis der Sohn Gottes als Rächer erschien. Mit den Worten "bis der Sohn des Menschen kommt" meine Christus nämlich "seine Ankunft, in der er durch das Evangelium in der Welt zu regieren begann". Tatsächlich wurde, nach Bekanntwerden dieser Ankunft Christi, das Gebiet der Juden durch die Römer verwüstet. Anschließend weist Bucer noch kurz auf das Geheimnis der einstigen Bekehrung Israels hin, das Paulus Röm 11 erörtert, von dem aber auch die Propheten handeln. Es ist nicht ganz leicht, diese Interpretation einzuordnen. Dadurch, daß das "Kommen des Menschensohnes" nach Bucer die Herrschaft Christi durch das Evangelium bedeutet, wird das bereits zu einem Ereignis vor der Parusie und damit historisch nachweisbar. In diesem Zusammenhang finden wir wohl zum erstenmal in bezug auf Mt 10, 23 einen Hinweis auf den Jüdischen Krieg. Wir sehen: die Auslegung unseres Logions durch Bucer ist außerordentlich beziehungsreich. c) Deutung auf die Auferstehung J esu
Im weiteren finden wir unter den Auslegungen unseres Logions im Zeitalter der Reformation auch die uns aus dem Mittelalter bekannte Deutung auf die A uje1'stehung J esu. Das ist der Fall bei Sebastian Münster (1489-1552). In seiner Ausgabe des Mt Ev 1 ) erklärt er V. 23b mit den Worten: "Dies sagt er (sc. Christus), weil 1 ) Evangelium soc. 1\fatth. in lingua hebraica, cum versione latina atque succinctis annotationibus, Basileae 1537, 76.
53 sie eilends die Städte Israels hatten bereisen und jenen das Reich Gottes ankündigen müssen vor Christi Rückkunft von den Toten." Sodann ist hier Benedikt Aretius (Marti, 1522-1574) zu nennen. Er befaßt sich in seinem Evangelienkommentar 1 ) ebenfalls mit unserem Logion. Christus gestatte zuweilen die Flucht, damit die Apostel besser gerüstet seien; denn die ständige Gefahr stelle eine Belastung dar. Christus befehle in gewissem Fall die Flucht. Es gelte, bei Drohungen und Bedrängungen den Undankbaren zu weichen und sich der Gefahr zu entziehen. Das gelte sowohl für die Apostel wie für alle übrigen Diener. Für die Apostel geltees-und damit kommt Aretius zur zweiten Vershälfte -, weil Christus ausführe: "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, nämlich lehrend und immer von den Bösen weggehend, was er die Flucht nannte, ohne daß der Sohn des Menschen gekommen ist, ohne Zweifel, indem er von den Toten aufersteht, indem er sich in Wahrheit als Gott und Herr über den Tod sowie als euren Beschützer offenbart." Eine ausführliche Exegese unseres Logions verdanken wir auch Wolfgang Musculus (1497-1563). Er widmet in seinem Matthäuskommentar2) der ersten Vershälfte nur wenige Zeilen, um sich dann vor allem der zweiten zuzuwenden. Zu V. 23a bemerkt er: Nach seinen vorhergehenden Ausführungen lehre Christus hier die Apostel, der Wut zu weichen, aber er füge bei: in eine andere Stadt. Es handle sich nicht einfach darum, daß sie sich selbst retten, sondern darum, daß sie das Evangelium in einer andern Stadt verbreiten. "Er will nicht, daß sie dem Amt weichen, er will, daß sie den Wölfen weichen." Und nun ergeht sich Musculus länger über die zweite Vershälfte, zu der er bemerkt, sie sei dunkel und von den Vätern wie von den neuern Auslegern verschieden gedeutet worden. Zuerst referiert Musculus über die Auslegungen des Chrysostomus und des Hilarius. Dmm wendet er sich "neueren Auslege1n" zu, die so interpretieren: "bis erscheint das Reich des Menschensohnes, das Reich Gottes, d. h. bis er als Sohn des Menschen deklariert wird, so daß Christus hier von jener Kraft seines Reiches spricht, die mit der Auferstehung Commcntarii in quatuor Evangclistas, Morgiis 1581", 72. In Euangelistam Matthaeum commentarii tribua tomis digesti, Basilcao o. J., 307. 1}
2}
54 und Sendung des Heiligen Geistes begann." Zur Erhärtung verweist l\Iusculus auf die Stelle Mt 16, 28 par, die ebenfalls so zu interpretieren sei. Das Wort Christi Mt 10, 23 sei demnach so zu erklären: "Seid nicht ängstlich in eurer Flucht, wenn ihr aus einer in die andere Stadt getrieben worden seid, daß eure Anstrengung ins Leere geht und mein Reich ausgerottet werden soll. Wahrlich ich sage euch ja, ihr werdet nicht alle israelitischen Städte durchzogen haben, ohne daß der Sohn des Menschen gekommen ist, d. h. kundgetan hat, daß er gekommen ist, nach den Verheißungen der Propheten, ohne daß ihr sehen werdet, daß sich das Reich Gottes überall mit Macht behauptet." Und Musculus fügt bei: "Dieser Sinn scheint der wahrscheinlichere." Dann kommt er noch auf diejenigen zu sprechen, die das Wort wie Hilarius auf die Parusie deuten, aber in ihm die Verheißung sehen, es werde nie an Fluchtorten fehlen. Trotzdem entscheidet sich Musculus für die oben erörterte Deutung. Unter der Überschrift "Quid ex hoc sit loco notandum" nennt er schließlich eine dreifache Bedeutung dieses Wortes: 1. Es gehe darum, daß wir einfach den göttlichen Befehlen gehorchen. 2. Die Verfolgung der Diener Christi werde zur Pflanzsschule des Evangeliums (Hieronymus). 3. Als Regel für die Flucht der Diener Christi und aller Gläubigen gßlte: "Das Reich Gottes muß von den Dienern Christi und allen Gläubigen gesucht werden. ·wenn es zu seinem Fortgang dient, daß du fliehst, so fliehe; wenn es nützlich ist, daß du bleibst, so bleibe." Die Flucht, die das Reich Christi verleugnet, sei strafbar.
d) Deutung auf die (ferne) Parusie Die Beziehung von Mt 10, 23 auf die (ferne) Parusie ist wohl bei Martin Luther (1483-1546) gegeben. Wir besitzen von ihm eine Äußerung über unser Logion in der gedruckten Ausgabe seiner Annotationes in aliquot capita Matthaei von 15381 ). Danach versteht Luther den Vers im Anschluß an V. 22 als Rat und Trost, der dem Einwand begegne: "Wie, wenn es uns nicht freisteht auszuharren, weil sie uns nicht in seiner (sc. Christi) Gewalt ertragen wollen 1" Christus betone demgegenüber, es gehe um die Beharrlichkeit im Lehren: "Harret aus und lehret, wenn nicht an diesem 1)
WA 38, 503.
Ort, so wenigstens an einem andern. Nur haltet aus und lasset nicht ab zu lehren." Zur zweiten Vershälfte bemerkt Luther: "Und wiederum wirst du sagen: \Vie, wem1 es an keinem Ort freisteht, sondern wir überall auf der ganzen Welt vertrieben werden, so daß wir nicht ausharren können usw ? Die Antwort lautet: Seid unbesorgt, bevor das geschehen wird, daß weiter kein Ort mehr sein wird für die Verkündigung des Wortes, werde ich dasein in meiner Ankunft. Bs wird daher immer einen Ort geben, wo ihr lehren könnt, bis ich komme Nur haltet aus, und ihr werdet gerettet werden. Ihr werdet nicht alle Städte Israels erledigen, ohne daß der Sohn des Menschen kommt usw." Luther unterläßt es zwar, expressis verbis anzugeben, worin der adventus Christi besteht. Aber dieser Begriff legt es nahe, an die Parusie zu denken, so daß wir es wagen dürfen, Luther unter diejenigen Exegeten einzuordnen, die unser Logion auf die Parusie deuten. e) Deutung auf (len Jüdischen Krieg
Eine neue uneschatologische Deutung von Mt 10, 23 finden wir bei Heinrich Bullinger (1504-1575), der unser Logion auf den Untergang des jüdischen Staatswesens bezieht. In seinem Matthäuskommentar1) hebt er bei der Exegese von V. 23a zunächst hervor, daß Standhaftigkeit nicht mit Tollkühnheit gleichzusetzen sei. vVmm die Angesprochenen erkennen, daß sie den Ruhm Christi in keiner Weise voranbringen können, sollen sie freimütig in andere Städte wegziehen. Als Beispiele dienen die Apostel, besonders Paulus. Bullinger kritisiert die Meinung Tertullians, wonach der Fluchtbefehl zeitlich beschränkt gewesen sei und notiert, daß Hieronymus die Schrift Tertullians über die Flucht in der Verfolgung als gegen die Kirche gerichtet angesehen habe. Indessen sei es schändlich zu fliehen, wo durch unzeitige Flucht die Gemeinden vernichtet werden und die Ehre Gottes abgeht. Die Erlaubnis zur Flucht könne somit nicht gesetzlich festgelegt werden. Als Maßstab dienen die Verhältnisse und die Frömmigkeit. Auf das Bedenken, es könnte schließlich ein Fluchtort fehlen, antworte der Herr mit V. 23b: "Bevor euch die Juden aus allen 1 ) In sacrosanctumJesu Christi D. N. Evangelium sec. Matth. comm. Iib. XII, Tiguri 1542, 102.
ihren Orten vertrieben haben, wird der Sohn des Menschen dasein." Bullinger interpretiert das in malam partem: Der Menschensohn kommt zur Bestrafung seiner Feinde. "Also bevor sie euch vertrieben haben und euch kein Ort übriggeblieben ist, werde ich, durch ihre Undankbarkeit und Empörung herausgefordert, mit den Ungläubigen Krieg anfangen und (sie) vernichten, euch aber werde ich zu den Heiden senden." Das ist deutlich eine Anspielung auf den Untergang des jüdischen Staates. Bullinger fügt bei: "Lerne daraus, was die Verächter des göttlichen Wortes zu erwarten haben rmd welches Ende die Gottlosen erlangen. Das Reich Gottes wird von ihnen genommen werden, rmd sie werden hierauf mit Stumpf rmd Stiel ausgerottet." Dann weist Bullinger noch auf jene andere Auslegung hin, die das Wort auf die Hilfe Christi vor dessen Passion deutet. So bietet also Bullinger, wenn man von der kurzen beiläufigen Bemerkung Bucers absieht, erstmals die Deutung rmseres Logions auf den Jüdischen Krieg. f) Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes
Eine weitere neue Deutung, nämlich auf die Sendung des Heiligen Geistes, finden wir bei Joham1es Calvin (1509-1564). In seinem Kommentar zur Evangelienharmonie 1 ) gibt er eine Auslegung beider Vershälften. V. 23 a ist für Calvin ein Trostwort auf die Frage : "Wenn der Haß der ganzen Welt zu ertragen ist, welches Ende wird das schließlich nehmen?" Christus mahne, nicht zu verzweifeln. Die Apostel sollen bei Verfolgungen versuchen, anderswo zu wirken. Es handle sich nicht um eine "nackte Erlaubnis", sondern um eine Vorschrift. Die Apostel sollen sich neuen Kämpfen aussetzen. Im übrigen sei im Befehl auch eine Erlaubnis enthalten. Nicht alle, die fliehen, seien zu verurteilen, sonst würde die Schande z. T. auf Christus und die Apostel fallen. Andererseits würde bei allgemeiner Erlaubnis zur Flucht der Unterschied zwischen dem guten Hirten und dem Mietling aufgehoben. Es sei die Mäßigung innezuhalten, die Augustinus dem Honoratus vorschreibt. Hier müsse die Taubeneinfalt zur Geltung kommen. Zu V. 23b meint Calvin, er beziehe sich nicht auf die erste 1\fission, sondern auf den ganzen Apostolat. Aber was bedeutet dann 1)
Commontarius in Hannoniam evangclicam, CR 73, 284f.
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die Ankunft des Menschensohnes 1 Calvin erwägt die Deutungen auf den Fortschritt des Evangeliums und auf die Zerstörung Jerusalems. Die erste erscheint ihm erträglich, die zweite eher gezwungen. Er glaubt, es handle sich um eine Tröstung, die besonders den Aposteln gegeben war. "Von Christus heißt es, er komme, wenn er in verzweifelten Verhältnissen ein Heilmittel bringt." Der Auftrag zur Weltmission sei vor den Aposteln gestanden. "Daher verspricht Christus, er werde kommen, bevor sie ganz Judäa durchzogen haben: nämlich weil er durch die Macht seines Geistes sein Reich anschaulich machen wird, damit tatsächlich jene Glorie und Majestät den Aposteln leuchtend aufgehe, die bis jetzt für sie verborgen war." Damit faßt Calvin das Pfingstereignis ins Auge. In ihm verwirkliche sich das "Kommen des Menschensohnes".
2. Protestantische Exegeten des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts a) Deutung auf die Heidenmission Hier haben wir zuerst auf einige Exegeten hinzuweisen, die Mt 10, 23 auf die Zeit der zweiten, allgemeinen Mission beziehen. Zunächst ist hier Mattbias Flacius Illyricus (1520-1575) zu nennen. In seiner Glossa compendiaria1 ) äußert er zu unserem Logion folgende Gedanken: Christus stelle als Heilmittel in Gefahren die Flucht hin. Diese solle aber nicht der Rücksicht auf uns selbst, sondern der Verbreitung des Evangeliums dienen. "Christus verspricht aber, er werde jenen Hilfe bringen in jener Verfolgung, indem er durch die Wirkung selbst zeigt, daß er gegenwärtig ist." Flacius fügt bei, daß Christus hier vom ganzen Lauf ihres Apostolates spreche. Hierauf erwähnt er noch einige weitere Deutungen unseres Logions: auf die Zerstörung Jerusalems, auf die Parusie und auf Christi Gegenwart vor seinem Tod. In diesem Zusammenhang ist auch Joachim Camerarius (15001574) zu nennen. In seinem Kommentar zum NT 2 ) finden sich einige Bemerkungen zu Mt 10, 23. Danach hat uÄeiv die Bedeu-
1) 2)
Glossa compendiaria in NT, Basileae 1570, 48. Commentarius in Nouum Foedus, Cantabrigiae 1642, 7.
58
tung von "vollenden, zu Ende führen". Zur Deutung der "Ankunft" Jesu führt Camerarius die Auslegung des Theophylakt an (Rückkehr Christi zu den Aposteln), ferner die Deutungen auf die Ankunft Christi nach der Auferstehung. "Einige haben diese (Worte) vom universalen Lauf der Apostel genommen und diese Ankunft Christi auf die Gegenwart seiner wirksamen Hilfe gedeutet." Zu dieser Interpretation bemerkt Camerarius: "Was in der Tat sehr genau ausgesucht erscheint." Andere Exegeten geben dieser Deutungsart von Mt 10, 23 einen etwas andern Akzent. Hier ist zuerst Johannes Piscator (1546-1625) zu nennen. Er hat in seinen Scholien zum Matthäus-Evangelium auch einige Bemerkungen zu unserm Logion hinterlassen1 ). Zur ersten Vershälfte bemerkt er lediglich, das in urbe hac sei distributiv zu verstehen: "in irgendeiner Stadt," und das in aliam sei unbestimmt aufzufassen: "in irgendeine andere." Im zweiten Teil des Verses heiße nequaquam absolveritis urbes: "Ihr werdet keineswegs die Predigt des Evangeliums in den Städten beendigt haben, oder: ihr werdet keineswegs in allen Städten das Evangelium gepredigt haben." Zu quin venerit ist nach Piscator zu ergänzen: "in seinem Reich" (vgl. Mt 16, 28), "das heißt ohne daß ihr bald meine gnadenreiche Gegenwart gespürt habt, in der ich durch eure Predigt wirksam gew~sen sein werde unter möglichst vielen, die bekehrt werden sollen: dies wird euch emporhalten können jenen Verfolgungen gegenüber." Zu filius hominis bemerkt Piscator schließlich, der Artikel (im Griechischen) weise darauf hin, daß Christus von sich selbst spreche. Während also Piscator hier das "Kommen des Menschensohnes" auf die Gegenwart Christi in der Predigt der Apostel deutet, bekommt seine Interpretation des Logions in der Analyse von Mt lO einen etwas andern Akzent 2 ). Hier faßt es Piscator als Vorschrift zum Verhalten gegenüber der Gewalt der Feinde auf. Die Jünger sollen vor Nachstellungen und Gewalt fliehen, um das Evangelium an einem andern Ort zu predigen. Diese Vorschrift bekräftige Christus durch eine "Prolepsis" gegenüber der Widerspenstigkeit 1 ) Analysis logica Evang. sec. Matth.: una cum scholiis et observationibus locorum doctrinae, Herbornae 1594, 305f = Commentarii in omnes libros NT, Herbornae Nassoviorum 1658, 58. 2 ) Comm. in omnes libros NT, 56.
59 der Israeliten: Er werde unterdessen bald kommen, nämlich in seinem Reich (vgl. Mt 16, 28), "das heißt er werde durch den Heiligen Geist die erwählten Israeliten regieren, damit sie dem Evangelium Glauben schenken, damit freilich ihre Anstrengung nicht vergeblich sei." Neu ist hier die Erwähnung des Heiligen, .Geistes,. In diesem Zusammenhang ist schließlich Aegidius. ~ Hunnius (1550-1603) zu nennen. Auch er schenkt in seinem Matthäuskommentar unserem Logion einige Beachtung 1 ). In, V., 23a zeige Christus die Flucht als ein Mittel, bei Verfolgungen die Gefahr abzuwenden. Gemeint ist hier nach Hunnius nicht die allgemeine Verfolgung einer ganzen Gemeinde, sondern die besondere Flucht der Diener. In einer allgemeinen Verfolgung dürfen die Diener ihre Gemeinde nicht im Stiche lassen, aber in einer besonderen, die einen oder mehrere Diener betrifft, sei es ihnen erlaubt zu fliehen. Ja die Hörer werden sich sogar bemühen, die Diener an einen sichern Ort zu bringen, wo sie für bessere Zeiten bewahrt werden können. Als Beispiel führt Hunnius die Flucht des Paulus Apg 9 an, die nicht ein Zeichen der Verleugnung, sondern eher des Bekenntnisses und der Standhaftigkeit darstelle. Für die Apostel habe es außerdem noch einen besondern Grund zur Flucht gegeben: Ihre Berufung bezog sich nicht nur auf eine Stadt, sondern bei der ersten Aussendung auf Jndäa und Galiläa und bei der zweiten auf den Erdkreis. :Mit der zweiten Vershälfte komme der Herr einem Einwand der Jünger zuvor: Ist die Frucht aus der Predigt des Evangeliums nicht sehr klein, wenn die Apostel wiederholentlieh vertrieben werden? Der Herr gebe zum Trost ein durch Eid bekräftigtes Versprechen: Die Predigt der Apostel werde nicht wertlos sein. Wenn das Evangelium in einer Stadt zurückgewiesen werde, so werde es Raum in einer andern finden. Die Apostel werden nicht alle Städte Judäas durchwandert haben, bevor sie spüren, daß der Sohn des Menschen gekommen ist, "das heißt daß Christus mit seiner göttlichen Gnade, Kraft und Segnung ihren Anstrengungen Wachsturn verliehen hat". Hunnius definiert noch näher, was er hier unter der Ankunft des Menschensohnes versteht, nämlich "diejenige, durch die Christus im Wagen seines Evangeliums in die Welt hineinfährt und mit seiner Kraft ins Innere der Menschen eindringt".
1)
Comm. in Evang. de Iesu Christo sec. Matth., Francofurti 1602, 340f.
b) Deutung auf die (ferne) Parusie Neben dieser uneschatologischen Deutung von Mt 10, 23 finden wir auch die Deutung auf die (ferne} Parusie in ihren verschiedenen Nuancen. Daniel Heinsius (1580(81 1)-1655) befaßt sich recht ausführlich mit unserem Logion1 ). Zuerst setzt er sich kritisch mit den "Alten" auseinander, die dieses Wort auf das Kommen Christi vor seiner Passion beziehen. Als Beispiel zitiert er die Auslegung des Theophylakt. In dessen Behauptung, das Vorhergehende beziehe sich auf die Ereignisse nach der Auferstehung, diese Worte dagegen auf die Ereignisse vor der Passion, sieht Heinsius einen Widerspruch. Ferner fragt er, ob die Wendung "bis der Solm des Menschen gekommen ist" bedeuten könne: "bis ihr (sc. die Apostel) zum Sohn des Menschen zurückkehren werdet." Dam1 kritisiert Heinsius, ohne Namen zu nennen, diejenigen, die das Wort nicht auf die Ankunft Christi selbst, sondern auf deren Offenbarung und Erkenntnis deuten 2 ). Sicher bezieht sich nach Heinsius das hier Gesagte eher auf das Lehramt der Kirche als streng auf die Zwölf. Zweifellos sei die Ankunft des Menschensohnes sonst überall von der letzten Ankunft (dies magna) gesagt. TeA.siv bedeute weder peragrare noch obire, sondern perficere doctrina. Das belegt Heinsius mit einem Zitat aus Ovid. Es entspreche also dem hebräischen il?:l und dem lateinischen consummare. Aber die Ankunft des Sohnes beziehe sich nicht auf die Auferstehung des Herrn. Es handle sich hier um die hartnäckige Blindheit der Juden, die erst vor der letzten Ankunft des Menschensohnes an ihn glauben werden. Als Belege dienen Heinsius Zitate aus Augustinus, Röm 11, 26 und Chrysostomus. Aufs Ganze gesehen, befindet sich Heinsius mit seiner Deutung mehr auf der Linie des Hilarius. Eine andere bekannte Deutung auf die Parusie finden wir bei Erasmus Schmidt (1570-1637). Dieser bringt in seinem Werk über das NT 3 ) von Mt 10, 23 neben dem griechischen Text zwei lateinische Übersetzungen. Er sieht in V. 23 b die Antwort des Heilandes auf die Frage nach den Fluchtmöglichkeiten der ,Jünger (im allgemeinen Sinn). Schmidt umschreibt diese Antwort erst lateinisch und dann deutsch: "Es ist itzo Judaea, ja auch künfftig /noch viel Sacrarum excrcitationum atl NT lib. XX, Lugtluai Batavenun 1 G3!), 4-1. "Wir haben diese Auslegung bei Be.za gefunden. 3 ) Opus posthnmum: in quo continentur versio NT nova. . . et notae ac animadversioneii in idem, Norimbergae 1568, 178f. 1)
2)
61 mehr die gantze Welt I weit gnug. Ihr werdet sie in eurer Flucht nicht alle durchwandern vorm jüngsten Tage I semper locus aliquis dabitur, in quem confugere possitis." Nicht ganz leicht einzuordnen ist die Auslegung unseres Logions durch Martin Chemnitz (1522-1586) und Polycarp Lyser. In der gemeinsam mit Johann Gerhard herausgegebenen Evangelienharmonie1) widmen sie unserem Logion zwei längere Abschnitte. Danach gibt Christus in V. 23a eine Vorschrift: "Weil ein großer Unterschied besteht zwischen Beharrlichkeit und Dreistigkeit oder Vcrwegenheit, darum, daß die Apostel und Prediger des Evangeliums sich nicht ohne Überlegung in unnötige Gefahren stürzen ... , fügt Christus auch diese Vorschrift hinzu, oder, wie einige es nennen, diese Freiheit oder Erlaubnis." Dann legt der Autor die bekannte Auffassung des Tertullian dar. Er ist aber der Meinung, diese Worte bezögen sich nicht auf die erste Mission (dies gegen Chrysostomus und Hieronymus). Viele "Gottesverehrer" seien geflohen. Als Beispiele sind erwähnt: Mose (Ex 2, 15), David (Ps 56, 9), Elia (1 Kön 19, 3), die Gläubigen in Jerusalem (Apg 8, 1), Paulus (Apg 9, 25; 2 Kor 11, 32) und Athanasius, ja sogar Christus (Lk 4, 30; Joh 4, 3; 8, 59). Mit Recht habe Hieronymus die Schrift des Tertullian als gegen die Kirche gerichtet bezeichnet. Dann folgt im Zusammenhang mit Joh 10, 12 ein Hinweis auf Augustinus' Brief an Honoratus. Im Anschluß daran ist die Flucht aus vier Gründen erlaubt, nämlich mit Rücksicht auf die Kirche, die Feinde, sich selbst und den Zweck der Flucht. Vor allem der vierte Punkt sei zu beachten: Der Fliehende soll sich an andern Orten und zu andern Zeiten für seinen Herrn einsetzen. Als Beispiel dient wieder Athanasius. Wenn aber einer merke, daß die Schwachen Ärgernis nehmen, die Predigt der Wahrheit zugrundegeht oder der Herr selbst zum Streit ruft, dann solle er den Kampf aufnehmen und dem Beistand des Heiligen Geistes vertrauen. Als Beispiele für diese Haltung nennt der Autor Christus (Joh 18, 4) und Paulus (Apg 21, 12). In V. 23b gebe Christus einen Trost. Der Autor bemerkt, diese Worte seien wegen ihrer "übermäßigen Dunkelheit" verschieden gedeutet worden und führt dann einige Erklärungen an: zuerst die
1 ) Hannonia quatuor Evangelistarwn, t. I, Francofurti et Hamburgi 1652, 793f. 796.
62 Deutung auf den Beistand Christi während der ersten Mission (Chrysostomus u. a.), dann die Beziehung auf die zweite l\'lission nach der Himmelfahrt (l\Ik I6, I5; Apg I, 8), während der sogleich eine Verfolgung ausbrach (Stephanus Apg 8, I) und Christus als Richter und Rächer im Jüdischen Krieg erschien, wie der Menschensohn bis heute zum Gericht erscheine (Mal 3, 5). Als dritte Auslegungsmöglichkeit nennt der Autor die Meinung des Augustinus, der unser Logion auf die Fluchtmöglichkeiten vor der Parusie deutet, dabei allerdings die Städte Israels auf das geistliche Israel (Röm 6, 6; Gal 6, I7; vgl. Ps 69, 36; Jes I9, I8) beziehen müsse. Die Deutung des Hilarius auf die Bekehrung Israels bei der Parusie scheint ihm dagegen "gezwungener". Als "Summa rei" ergibt sich ihm, "daß Christus den Seinen verspricht, es werde ihnen auch in den Verfolgungen selbst niemals an sicheren Orten fehlen, in die sie sich sicherheitshalber zurückziehen können. Dieser Versprechung laßt auch uns vertrauen". Es ist, wie gesagt, nicht ganz leicht, diese Auslegung zu klassifizieren. Indessen schwenkt sie am Schluß doch deutlich in die augustinische Linie ein.
c) Deutung auf die Auferstehung Jesu Auch die Deutung up.seres Logions auf die Auferstehung J esu findet sich in der protestantischen Exegese des I7. Jahrhunderts, und zwar bei John Lightfoot (I602-I675). In seinem Werk Horae Hebraicae et Talmudicae 1 ) schreibt er: "Ihr werdet nicht eher die Städte Israels mit der Predigt des Evangeliums durchzogen haben, als der Sohn des Menschen offenbart wird durch seine Auferstehung." Zum Beweis für diese Interpretation führt Lightfoot die Stellen Röm I, 4 und Apg 3, I9.20.26 an, aus denen er folgert: "Von der Auferstehung Christi an datiert die Epoche des Messias."
d) Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes Im weitern finden wir bei den Auslegern unseres Logions im I7. Jahrhundert auch die Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes. Sie wird vertreten durch Hugo Grotius (I583-I645), den Begründer einer grammatisch-historischen Exegese. In seinem
1)
Horae Hebraicae et Talmudicae II, Cantabrigiae 1658, 154.
63 Kommentar 1 ) geht er jeweils vom Wortsinn der einzelnen Begriffe aus. In V. 23a sei bu.!Jxuv gleichzusetzen mit ixßaJ).etv, und iv •fl n. 7:. meine oLiv 7:. n. 7:. Die Lesart ix •ij~ n. 7:. sei zu verwerfen. Der Sinn der ersten Vershälfte laute demnach: "Aus einer Stadt gewaltsam vertrieben, laßt nicht ab von dem euch'auferlegten Amt. Deshalb flieht nicht in irgendeine Einöde, wo ihr sicherer wäret, sondern in eine andere Stadt; auch dort sollt ihr den Fortschritt eures Unterrichtes erfahren." Aus dieser Stelle könne kein Beweis zur Frage der Flucht in der Verfolgung erhoben werden, wie es überhaupt nicht leicht sei, darüber etwas Allgemeingültiges zu sagen. Die Meinung des Tertullian habe Cyprian durch sein Beispiel widerlegt. Grotius findet, daß sich Klemens von Alexandrien "optime" zum Thema äußert und verweist im weiternauf Origenes, Athanasius und Augustinus. In V. 23b sei nach TeAiarJTe zu ergänzen: btM;m. Das ew~ av stehe da für nelv. Der adventus Christi bezeichnet nach Grotius oft nicht die Gegenwart des Leibes, sondern die Beweise der Kraft, "unter welcher Art jene überaus reiche Sendung der Gnade des Heiligen Geistes hervorragt, nicht nur über die Apostel, sondern (auch) über andere Gläubige; auf Grund dieses sehr sicheren Beweises steht fest, daß jenes lang erwartete Reich schon gekommen und Christus als sein König mit vollkommenster Macht vom Vater eingesetzt ist." Grotius sieht also im Pfingstereignis den Beginn des Reiches Gottes und damit das Kommen des Menschensohnes. Als Belege für diese Auffassung nennt er Joh 14, 18 und Apg 2, 33. Für Mt 10, 23 ergibt sich dann folgende Paraphrase: "Ich habe euch gesagt, welche Übel euch bedrängen würden; ich habe euch nichtsdestoweniger gesagt, es sei eure Sache, vom angefangenen Werk nicht abzulassen: vielmehr verliert den Mut nicht; vor der Tür ist meine große und königliche Macht, die in kurzem erscheinen wird, nämlich bevor ihr aufhören werdet, die Juden innerhalb von Palästina zu lehren." Das alles sei zu verstehen als ein Hinweis auf die Heidenmission (Lk 24, 47.48.49; Apg 1, 4.5.8). Bekanntlich ist das Werk des Hugo Grotius auf Widerstand gestoßen. Zu seiner Widerlegung hat Abraham Calov (1612-1686) die Biblia NT illustrata geschrieben. Dort setzt er sich auch mit der 1)
lllf.
Annotationes in quatuor Evangelia et Acta Apostolorum, Basileae 1732,
Auslegung von Mt 10, 23 durch Grotius auseinander 1 ). Zuerst zitiert er die Auslegung von Grotius im vollen Wortlaut, um dann seinem Gegner überraschenderweise ein gutes Zeugnis auszustellen: "Richtig und kunstgerecht (beurteilt) dies Grotius." uÄei'v T. :n:. heiße perficere, durch Übernahme des Amtes (vgl. 1 Sam 16, 12). Die Auslegung von Camero 2 ) scheint ihm "weniger passend". Es gehe um die zukünftige Ankunft des Menschensohnes! Aber auch Heinsius erfasse das Wort "auf unangenehme Weise". Diese Worte können nicht auf alle Diener am Wort bezogen werden! Im weitern erwähnt Calov die Auslegungen von Beza und Theophylakt, um dann festzustellen: "Aber ... , wie ich sagte, die angemessenste Erklärung ist diejenige von Grotius." Endlich wendet er sich noch der Auslegung von Hunnius zu, die er trotzdem "nicht unangenehm" nennt. So bringt Calov gegenüber Calvin und Grotius nichts wesentlich Neues.
e) Deutung auf die Judenmission Unter den protestantischen Deutungen unseres Logions ist im 17. Jahrhundert auch die Beziehung von Mt 10, 23 auf die Predigt J esu zur Zeit der ersten Mission vertreten. Sie findet sich bei J ohn Camero (1580-1625) in seinem Myrothecium evangelicum3 ). Auf unser Logion kommt Camero bei der Auslegung von Mt 16, 20 zu sprechen. Wenn Jesus seinen Jüngern verbietet, ihn als den Christus zu verkünden, so scheine das im Gegensatz zum Auftrag in Mt 10, 6. 7 zu stehen. Camero behauptet nun, Christus habe vorher die Jünger nicht zur Predigt des Evangeliums im eigentlichen Sinne ausgesandt. Das habe er für sich selbst aufgespart. Die Aufgabe der Jünger bei der ersten Aussendung habe nicht darin bestanden, im eigentlichen Sinn zu lehren, sondern vielmehr darin, die Menschen aufmerksam zu machen und auf die Ankunft des Messias vorzubereiten. Dies geht nach Camero auch aus Mt 10, 23b hervor, wo Christus sie entsende, "damit sie den Menschen seine Ankunft anzeigten". Hier ist das "Kommen des Menschensohnes" als ein Kommen zur Predigt verstanden.
Biblia NT illustrata, t. I, Francofurti ad Moenum 1676, 270. s. u. ") Myrothocium ovangolicum, Salmurii 1677, 36.
1)
2)
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/) Deutung auf den Jüdischen Krieg Auch die Deutung auf den Jüdischen Krieg fehlt im 17. Jahrhundert auf protestantischer Seite nicht. Sie wird vertreten durch den Engländer Henry Harnmond (1605-1660) und seinen Übersetzer Jean Leclerc (1657-1736). In seinem großen Bibelwerk1 ) führt Harnmond zu Mt 10, 23 aus: "vVenn sie euch aber in irgendeiner Stadt so quälen, könnt ihr in eine andere flüchten, und zwar mit der Hoffnung, daß um die Zeit, in der ihr alle Städte der Juden durchzogen habt (V. 6), jener verhängnisvolle Tag dasein wird, an dem eure Verfolger Strafe leiden werden." Ein Hinweis auf die Auslegung von V. 22legt nahe, daß damit der Untergang des jüdischen Staates gemeint ist. In den wohl von Leclerc stammenden Animadversiones sind folgende Gedanken enthalten: Es gehe darum, fest Christus anzuhangen, trotzaller Verfolgungen. Um seinen Jüngern Mut zu machen, füge Christus ein Versprechen bei. Der Kontext ergibt dann folgendes Bild: Die Apostel erhalten den Befehl zur Predigt unter den Juden (V. 5), die Juden werden die Apost~l schlagen und töten (V. 17), diese Gefahr soll von den Aposteln durch die Flucht vermieden werden (V. 23), sie aber sollen der Grausamkeit der Juden entrissen werden, "und bevor sie durch alle Städte Israels gegangen sind, wird der verhängnisvolle Untergang der Juden oder die Ankunft des Menschensohnesdasein (V. 23), und so werden die Jünger ihren Verfolgungen entrinnen, und zugleich wird es geschehen, daß alle in den Untergang der Juden verwickelt werden, die, um ihr Leben zu retten, geleugnet haben, Christi Jünger zu sein". Es liegt dem Autor daran zu zeigen, daß das awfh]ae-rat in V. 22 eine zeitliche Rettung meine -eine Bedeutung, die er aus zahlreichen neutestamentlichen und sogar aus klassischen Texten erschließt. Im weitem gibt Leelore in seiner Evangelienharmonie 2) folgende Paraphrase unseres Logions: "Wenn euch aber die Juden in irgendeiner Stadt Palästinas feindselig verfolgen, fiiehet, wenn es freisteht, in eine andere; und wisset, bevor ihr auf der Flucht vor den Gewalttaten der Juden alle Städte Palästinas durchzogen habt, werde ich als euer Rächer erscheinen." 1 ) NT D. N. Jesu Christi, ex versione Vulgata, cum paraphrasi et adnotat.ionibus H. Hammondi, ex anglica lingua in latinam transtulit, suisque animadversionibus illustravit, Amstelodami 1698, 43. 47. 2 ) Historia Christi ex quatuor Evangeliis concinnata, Lugduni 1700, 82.
Ii Kiluzi, Mntthiius
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3. Katholische Exegeten des 16. und 17. Jahrhunderts a) Deutung auf den Tod der Jünger Auch die katholischen Ausleger dieser Zeit halten sich im allgemeinen an die bereits bekannten Deutungen von Mt 10, 23. Lediglich der erste der hier in Frage kommenden Autoren, der Humanist Jacques Lefevre d'Etaples (Jacob Faber Stabulensis, *um 1450, t 1536) macht hierin eine Ausnahme. Er führt in seinem Evangelienkommentar1) zu Mt 10, 23 aus: Wie den Studierenden das Ausweichen des Lehrers und den Schafen das Ausweichen des Hirten, so sei der Welt die Flucht der Apostel zustatten gekommen. "Aber dennoch kündigt er (sc. Christus) ihnen an: Bevor sie alle Städte Israels durchzogen und mit erleuchtender Gnade überschüttet haben, wird es geschehen, daß der Sohn des Menschen kommt." Faber betont, daß der Herr selbst der Menschensohn sei. Dessen Ankunft sei eine dreifache: l. im Fleisch, aus dem Schoß der Jungfrau, 2. beim Tod jedes Gläubigen, was Faber aus Mk 13, 35 erschließt, und 3. am Jüngsten Tag. Hier scheine Christus von der zweiten, besondern Ankunft zu sprechen: Bevor sie die Reichgottesverkündigung in Judäa beendigt hätten, würden einige von ihnen sterben. Das sei tatsächlich den beiden Jakobus widerfahren, "und das war die Stunde, in welcher der Herr zu ihnen kam".
b) Deutung auf die Judenmission Die übrigen katholischen Exegeten dieses Zeitalters bewegen sich mit ihrer Auslegung in den herkömmlichen Bahnen. Zwei Ausleger deuten das Logion auf die Zeit der ersten Mission. Vorab ist hier wohl Erasmus von Rotterdam (1466-1536) zu nennen. In seinen Anmerkungen zum NT 2 ) kritisiert er vor allem die Übersetzung des griechischen u).i<~rrce durch consummabitis. Der Sinn des Wortes sei: "Der Sohn des Menschen wird schnell kommen, und (zwar) bevor jene alle Städte Israels durchreisen können." Daher sei zu umschreiben: "Ihr werdet nicht alle Städte durchwandert haben (perambulaveritis) etc." Ausführlicher äußert sich Erasmus über Mt 10, 23 in seinen Para1)
2)
Commentarii initiatorii in quatuor Evangelia, Meldis 1522, 4lf. In NT annotationes, Basileae 1527, 45.
U7
phrasen zum NT 1 ). Dort gibt er zu l\lt 10, 23 folgende Umschreibung: "Damit ihr aber nicht die Grausamkeit der Bösen herausfordern noch die Verfolgung herbeiführennoch nach Kräften \Viderstand leisten müßt, solange die Predigt des Evangeliums noch neu ist, räume ich euch die Erlaubnis ein, die Gefahrdurch die Flucht abzuwenden, nicht allein, damit ihr unversehrt seid, sondern auch damit bei dieser Gelegenheit die Nachricht von der evangelischen Lehre verbreitet wird. Wenn sie euch daher in dieser Stadt angreifen, geht dem Wahnsinn Raum und fliehet in eine andere; weit entfernt, daß ihr sogleich im Hinblick auf das Unrecht der Verfolgung vom evangelischen Auftrag ablaßt. Nur dies ist jetzt zu tun, daß das Gerücht des Evangeliums durch ganz Palästina verbreitet wird. Dazu wird auch der Verfolger nützlich gewesen sein, wenn er euch nicht länger am seihen Ort sitzen läßt. Es wird einst die Zeit kommen, da die Verfolgung nicht durch die Flucht abzuwenden sein wird. Jetzt ist die Zeit kurz, und es eilt. Ganz nahe ist nämlich das Reich Gottes. Das versichere ich euch: Bevor ihr alle Städte Judäas durchwandert habt, wird sich der Sohn des Menschen zeigen und euch, die ihr bedroht seid, beistehen." Als weiterer Vertreter dieser Richtung ist Cornelius Jansenius d. Ä. (1510-1576) zu nennen. In seinem Kommentar 2 ) gibt er vor allem eine ausführliche Auseinandersetzung mit den bisherigen Auslegungen unseres Logions. Was hier über die Flucht gesagt ist, könne zwiefach verstanden werden: l. als Erlaubnis, wenn es darum gehe, die Verfolgungen abzuwenden, 2. als Befehl, wenn es sich um die Verbreitung des Evangeliums handle. Wahrscheinlich habe hier der Herr beides gemeint, vor allem aber das Zweite (dies wegen V. 23h). Im übrigen legt Jansenius in zustimmendem Sinn die Gedanken des Augustinus über die Flucht in der Verfolgung dar. Hingegen äußert er sich kritisch über die Auffassung des Tertullian, der die Flucht ahlelmt und den Fluchtbefehl für zeitbedingt hält. Auch Hieronymus und Chrysostomus seien zu korrigieren, wenn sie V. 23a lediglich auf die Zeit der ersten Aussendung beschränken; denn die Apostel seien auch nach der Himmelfahrt Jesu geflohen; zudem weise der Zusammenhang eher auf die zukünftige Aussendung. 1 ) Tomusprimus Paraphraseon in NT, videlicet in quatuor Evangelia et Acta Apostolorum, Basileae 1556, 68. 2 ) Commentarius in suam concordiam ac totam historiam evangelicam, Lovanii 1577, 439f.
68 Zu V. 23b stellt Jansenius zunächst die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten dar. Non consummabitis könne heißen: l. "Ihr werdet die Städte Israels nicht durchwandern." 2. "Ihr werdet sie nicht bekehren." Donec könne auch antequam bedeuten. Dmm ergeben sich wieder zwei Möglichkeiten: l. Die Apostel werden die Städte Israels vollenden, aber nicht vor der Ankunft des Menschensohnes. 2. Der Sohn des Menschen wird kommen, bevor sie jene Städte beendet haben. Von da aus prüft Jansenius nacheinander die Deutung dieses Halbverses durch Chrysostomus, Cajetan, Hilarius, Rupert und Augustinus, um zum Schluß zu kommen: "Aber damit wir das Rechte eingestehen, die Meinung des Chrysostomus scheint einfacher zu sein und wahrer, ~omit übereinstimmt, was Lk 10 von den Siebzig gesagt wird, daß er sie zu zweien vor sich her sandte, in jede Stadt und an jeden Ort, wohin er selbst kommen wollte." c) Dentung auf die Auferstehung Jesu
Die uns aus dem Mittelalter bekannte Deutung von Mt 10, 23 auf die Anferstel~ung Jesu und die Aussendung der Jünger zur Heidenmission vertritt Thomas de Vio (Cajetanus, 1469-1534) in seinem Kommentarwerk1 ). Zu V. 23a stellt er fest, es handle sich um eine Erlaubnis, nicht um eine Vorschrift. Wie Mt 10, 5 beziehe sich der V. 23b auf die Zeit jener (ersten) Aussendung. "Er behauptet nämlich, bevor sie predigend oder fliehend alle Städte des Volkes Israel durchziehen können, wird er, Jesus, selbst als Unsterblicher kommen, indem er von den Toten auferstehen und einen neuen Sendungsauftrag geben wird." Er habe das gesagt, um dem Einwand zuvorzukommen: "vVenn wir aus allen Städten Israels vertrieben sind und so keine übrig ist, in welche sollen wir fliehen~" d) Deutung auf die (ferne) Parusie
Ein großer Teil der katholischen Exegeten dieser Zeit vertritt die Deutung unseres Logions auf die (ferne) Parusie, so der Spanier Juan de Maldonado (Maldonatus) SJ (1531-1583) in seinem noch im 19. Jahrhundert neu herausgegebenen Kommentar 2 ). Er gibt in 1 ) Evangolia cnm commentariis ... in quatuor Evangelia et Acta Apostolorum, Parisiis 1540,32 (17). 2 ) Comrnentarii in quatuor Evangelistas, ed. Raich, t. I, Moguntiae 1874, 219ff.
69 Auseinandersetzung mit der Tradition folgende Exegese: Der Fluchtbefehl V. 23a sei eine Seite der Klugheit von V. 16. Zweierlei werde hier von den Interpreten diskutiert: 1. Handelt es sich um die erste Mission der Apostel~ 2. Wie verhält sich der Fluchtbefehl zur Rede vom guten Hirten Joh 10, 11ff~ Maldonatus hält es im Anschluß an Origenes, Athanasius und Gregor von Nazianz für wahrscheinlicher, daß sich das Wort auf jede Mission und das ganze Apostelamt bezieht. Denn die Jünger hatten ja damals Erfolg (Lk 10, 17). In der Frage der Flucht verweist Maldonatus ebenfalls auf Augustinus, dessen Auslegung er als mustergültig hinstellt. Das ·wort könne Vorschrift oder Ratschlag sein; hier sei es eine Vorschrift zur Verbreitung des Evangeliums. Maldonatus verweist auf das Beispiel Christi (Mt 2, 14; Lk 4, 30; Joh 7, 30). Unter ähnlichen Umständen sei es auch für uns eine Vorschrift. "Dann ist fliehen nicht Furcht, sondern Frömmigkeit, nicht fliehen nicht Tapferkeit, sondern Hartnäckigkeit" - vgl. Paulus (Apg 9, 25; 2 Kor 11, 33). Maßstab sei die Ehre Gottes und der Nutzen. der Kirche. Hier fügt Maldonatus zustimmend die Gedanken des Augustinus und des Chrysostomus ein. Die Meinung des Tertullian, daß fliehen verboten sei, sei mit Recht verurteilt worden. Den Sinn von V. 23b gibt Maldonatus mit den Worten wieder, Christus deute an, "es werde in Israel nicht an Städten fehlen, die das Evangelium noch nicht gehört hätten, in welche die Apostel, in anderen Städten nicht aufgenommen, fliehen könnten und in jenen mit größerer Frucht predigen". Dann erwägt Maldonatus die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten von consummare: zum Glauben bringen (Hilarius) oder predigend durchziehen (Chrysostomus, Euthymius, Tehophylakt). Maldonatus entscheidet sich für die erste, weil sie besser zum Folgenden passe. Dann zeigt er die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der Worte donec veniat filius hominis: zu Hilfe und Trost (Chrysostomus, Theophylakt, Euthymius), bei der Auferstehung (Beda) und bei der Ankunft zum Gericht. In diesem Fall seien auch die Heidenstädte gemeint (Rupert). Aber Maldonatus kann dem nicht beistimmen: Christus meine die Städte der Juden (V. 5f)! Die Meinung des Hilarius, daß nach unserem Vers zuerst die Heiden und dann die Juden zum Glauben kommen werden (Röm 11), gefällt Maldonatus besser, weil an ihr nichts gezwungen sei und weil sich sonstwo das Kommen des Menschensohnes immer auf das letzte Kommen zum Gericht beziehe. So
70 bleibt also Maldonatus bei der Deutung des Hilarius, obwohl ihm auch diejenige des Beda nicht mißfällt. Ähnlicher Art ist auch die Auslegung von Mt 10, 23 durch den Portugiesen Sebastian Barradas (Barradius) SJ (1543-1615). In seinem Kommentar 1 ) widmet er der ersten Vershälfte einen kürzeren, der zweiten dagegen einenlängeren Abschnitt. Zur Erläuterung von V. 23a liegt ihm daran nachzuweisen, daß fliehen manchmal siegen heiße, nämlich dam1, wenn es für die Ausbreitung des Glaubens nützlich ist. Als Beispiele für solches Siegen durch die Flucht nennt Barradius Josua (Jos 8), Christus (Mt 2) und die Apostel. Diese Auslegung wird durch Zitate und Hinweise aus Beda (eigentlich Hieronymus), Thomas von Aquino, Augustinus und Abulensis belegt. Bei der Erklärung von V. 23b beschäftigt sich Barradius zuerst mit dem vielfachen Sinn der Eingangsworte. Dann nennt er die verschiedenen Interpretationen: I. Die Auslegung des Chrysostomus (Kommen Christi zu den Aposteln); dieser stehe entgegen, daß die Apostel zu Christus kamen (Lk 9; Mk 6) und keine Verfolgung entstand. 2. Die Deutung auf die Auferstehung Christi, wie sie Thomas, Lyranus, Abulensis, Carthusianus, Cajetanus u. a. vertreten. 3. Die Deutung auf den Untergang des jüdischen Staates unter Vespasian und Titus. 4. Die Deutung auf die Hilfe Christi. 5. Die Deutung des Rupert auf das Jüngste Gericht, wobei die Städte Israels mit den Städten der Christen gleichgesetzt werden. Dann gibt Barradius seine eigene Deutung. Das consummo bedeute hier "perficio", und die Worte donec etc bezeichnen die Ankunft zum Gericht. Der Herr schicke also die Apostel aus, um die Israeliten zu bekehren. Ihre allgemeine Bekehrung werde aber nicht vor dem Jüngsten Tag erfolgen. Der Sinn des Satzes laute demnach: "Ihr werdet jetzt die Städte der Juden nicht vollenden und vollkommen bekehren, noch werden sie eure Nachfolger bekehren, bis ich zum Gericht komme." Christus sage den Unglauben der Juden und ihre Bekehrung beim Jüngsten Gericht voraus. Das entspricht im wesentlichen der Deutung des Hilarius, die Barradius teilweise zitiert. Barradius präzisiert, mit der Ankunft zum Gericht sei gemeint: "jene letzte, dem Gericht nahe Zeit, in der die Juden bekehrt werden sollen". Dann 1 ) Commentariorum in evangelicam historiam, t. II, Venetiis 1606, 1046f.
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erwägt er eine weitere Möglichkeit: "Vielleicht wollte Christus mit diesen ·worten andeuten, daß die Apostel ohne seine Hilfe die Israeliten nicht bekehren und damit vollenden könnten." Das nach Ps 126, 1 (LXX) und Joh 15, 5. Eine weitere Deutungsmöglichkeit würde lauten: "Ihr und eure Nachfolger. . . werdet nicht alle Städte Israels durchwandern, d. h. (alle), in denen einige aus den Israeliten nach dem Geist, nämlich zum ewigen Leben Vorherbestimmte, sind, bis der Sohn des Menschen zum Gericht kommt." Dies nach Mt 24, 14. Zum Schluß weist Barradius noch auf die Auslegung des Beda hin, ohne Stellung zu ihr zu beziehen. Auch Cornelius a Lapide (1567-1637) setzt sich eingehend mit der Tradition auseinander, um sich dann für die Deutung unseres Logions auf die Parusie zu entscheiden. In seinem Evangelienkommentar, der wie das Werk von Maldonatus noch im 19. Jahrhundert neu herausgegeben wurde 1 ), weist er zunächst auf die Auslegung der ersten Vershälfte durch Beda hin 2 ). Durch die Flucht soll die Predigt des Glaubens verbreitet werden. Diese Flucht sei ein Sieg: So schießen die Tartaren auf der Flucht mit Pfeilen auf die Verfolger. Dann wendet sich a Lapide der Frage zu, ob es sich um eine Vorschrift oder eine Erlaubnis handle. Er meint, es sei zum Teil eine Vorschrift, nämlich "wenn es die Notwendigkeit der Kirche oder des Glaubens erfordert oder die Gefahr des eigenen Abfalls" (vgl. Chrysostomus, Gregor von Naz. 1md Athanasius). Zum Teil sei es ein Rat, "wenn nämlich aus der Flucht ein größerer eigener oder fremder Nutzen oder Vollkommenheit zu erhoffen ist". Zum Teil sei es eine Erlaubnis, wenn sich nämlich jemand fürchte und seine Anwesenheit nicht notwendig sei (vgl. Augustinus, Thomas von Aquino, Abulensis). Unerlaubt sei die Flucht dagegen, wenn dadurch der Glaube, die Gerechtigkeit, die Sakramente und die Gläubigen gefährdet würden (vgl. Joh 10, 11.12). A Lapide schließt mit der Feststellung: "Aber was ich sagte, ist nicht positives Recht, sondern natürliches und göttliches Recht." Die Meinung des Tertullian, daß fliehen überhaupt unerlaubt sei, weist a Lapide mit Hieronymus zurück. Tertullian u. a. nennen diese Vorschrift zeitgebunden; andere halten sie für allgemein gültig. Dies sei richtig, 1 ) Comrnentaria in quatuor Evangelia, ed. A. Padovani, t. I, Augustae Taurinorum 1896, 369ff. 2 ) Eigentlich ist es ein Zitat aus Hieronymus!
"weil es natürliches Recht ist". Die Vorschriften Christi an seine Apostel seien vor und nach der Auferstehung gleich. Dies nach Origenes u. a. Was den V. 23b betrifft, so gibt a Lapide zunächst einen Überblick über die bisherigen Deutungen. l. Die Deutung auf die erste Mission (Chrysostomus, Theophylakt, Euthymius); dagegen spreche Lk 10, 17. 2. Die Deutung auf die Auferstehung und die Sendung zu den Heiden (Thomas von Aquino u. a.). 3. Die Deutung auf den Untergang Judäas. 4. Die Deutung auf die Parusie. A Lapide verweist dabei auf Röm 11 und gibt folgende Umschreibung des Logions: "Wenn sie euch verfolgen, fliehet von einer Stadt in die andere, weil für euch immer ein Fluchtort dasein wird, wo ihr euer Werk bei den Juden nützlich anbringen könnt, und vielmehr bei den Heiden; es werden nämlich weder Juden noch Heiden fehlen, die zu bekehren und im Glauben zu unterweisen sind, bis zum Ende der Welt und zum Tage des Gerichts." Nun kommen wir zu der wohl ausführlichsten Behandlung unserer Stelle in älterer Zeit. Sie findet sich in dem monumentalen Evangelienkommentar des Portugiesen Joao da Sylveira OCarm (1592-1687)1). Sylveira schreibt über Mt 10, 23 eine längere Abhandlung unter der Überschrift: "Propter persecutionem de una civitate in aliam fugiendum." Er gibt zunächst den lateinischen Text und einige Versiones. Dann folgt eine Expositio (kurze Erklärung). In sieben Quaestiones handelt er hernach die Probleme des Logions ab, wobei bezeichnenderweise sechs Quaestiones der ersten Vershälfte gelten und nur eine Quaestio die zweite Vershälfte betrifft. In diesen Quaestiones setzt sich Sylveira sehr eingehend mit der Auslegungstradition auseinander, so daß sie eine wahre Fundgrube für den Historiker darstellen. Da eine detaillierte Wiedergabe der Ausführungen Sylveiras für uns nur 'Viederholung von Bekanntem wäre, geben wir im folgenden nur eine kurze Zusammenfassung der Hauptgedanken. Zunächst die Expositio. In V. 23a komme der Herr einem Einwand der Jünger zuvor: "Wenn wir allen verhaßt sein werden, Ro werden wir alsbald getötet werden; wie sollen wir dann das Evangelium prc>digen ?"Der Herr meine mit dem Hinwc>is auf "diese Stadt" 1 ) Collllllon1.a•·ionlnl in j,ox1.um evangnlieum, t . .liT, Lugduni 1Gfl7 6 , I ::!f> IT.
73 entweder irgendeine beliebige Stadt (Jerusalem, Rom) oder eine bestimmte (Jerusalem). Er sage "diese", damit die Apostel wissen, daß sie Drangsale immer in der Gegenwart und Nähe haben werden. "Fliehet in die andere" sage er, "damit sie erkennen, daß die Flucht manchmal erlaubt ist", und zwar "weil durch die Änderung des Ortes oft der Zufall oder der Ausgang der Dinge geändert wird". Auch das Motiv zur Flucht wird bei Sylveira deutlich: "Alles ist zu beschließen aus Gründen der Klugheit, die nach dem Ausgang der Dinge manchmal zu fliehen, manchmal zu kämpfen diktiert." In V 23b komme der Meister, der alles voraussieht, einem weiteren Einwand der Jünger zuvor: "Wenn man von einer Stadt in die andere fliehen soll, werden wir (keinen Ort) haben, wohin wir fliehen können, nachdem wir die Städte Israels beendigt haben werden." In der Antwort deutet Sylveira die Wendung "Ihr werdet nicht beendigen" auf die Flucht der Jünger und das "Kommen des Menschensohnes" auf dessen zweite Ankunft zum Gericht. Dann ergibt sich folgender Sinn: "Weder ihr noch eure ~achfolger werdet alle Städte der Juden durchziehen und sie zum Glauben bekehren, bis jene letzte Zeit sich nähert, in der der Sohn des Menschen zum Gericht kommt, weil dann die Juden bekehrt werden sollen." An diese Expositio schließen sich nun die sieben Quaestiones an. Quaestio I trägt die Überschrift: "Ob die Lehre, die hier von Christus über die Flucht vertreten wird, von der ersten oder zweiten Mission zu verstehen sei." Es geht also um die Frage, ob sich die Lehre unseres Logions nur auf die Mission in Judäa (Mt 10, 5) oder auf die Weltmission (Mt 28, 18) bezieht. Sylveira zählt zunächst die Autoren auf, die unser Logion auf die erste Mission deuten (Tertullian, Chrysostomus u. a.). Hernach weist er auf die Autoren hin, die es auf die "ganze Mission der Apostel" beziehen (Origenes, Athanasius u. a.). Diese Auffassung erscheint ihm als die wahrscheinlichere. Vielleicht beziehe sich Mt 10 überhaupt auf die ganze Mission der Apostel. Ferner hatten die Jünger damals Erfolg und kehrten mit Freude zurück (Mk 6, 3; Lk 7, 17). Quaestio JI befaßt sich mit der Frage, "ob die Flucht in der Verfolgung löblich sei und ob über sie hier eine Vorschrift erlassen wcrclc". Hier breitet f\ylvoira die verschiedenen uns bekannten Standpunkte aus: Jede Flucht ist zu verurteilen (Tcrtullian), die Flucht ist manelnnal erlmtbt und löblich (Athanasius u. 11., biblische J3cispiclc), die Flucht ist manchmal eine Vorschrift (Augustinus u. a.).
74 Quaestio III widmet sich der Frage, "von welcher Tugend die Flucht geboten sei, die hier den Aposteln genannt wird". Auch hier breitet Sylveira den Reichturn der Tradition aus. Er führt I. Athanasius an, der die Flucht als Ausdruck der Tapferkeit (fortitudo) versteht, 2. die Autoren, die die Flucht der Klugheit (prudentia) zuteilen (u. a. Hieronyrnus), und 3. diejenigen, die sie der Liebe und Religion (charitas ac religio) zuschreiben (Athanasius, Augustinus u. a.). Quaestio IV erörtert die Frage: "Warum prägt der Herr den Seinen ein, vor der Verfolgung zu fliehen, wenn diejenigen selig zu preisen sind, die Verfolgung leiden 1" Auch hier macht Sylveira den Leser mit den verschiedenen Antworten der Tradition bekannt: I. Die Apostel hätten damals noch viel Arbeit gehabt, darum sei ihr Tod verschoben worden (Paschasius u. a.). 2. Der Herr nehme Rücksicht auf die Schwachen (Arnbrosius u. a.). 3. Er verschaffe eine Ruhepause (Chrysostomus). 4. Die Flucht sei das natürliche Rettungsmittel (Augustinus). 5. Die bekannte allegorische Erklärung : zur Verteidigung gegen die Häretiker sollen wir von einer Schriftstelle zur anderen fliehen; eine Stelle erkläre oft die andere (Hieronymus u. a.). 6. Die Flucht ermögliche die Ausbreitung des Evangeliums (Zacharias, eigentlich Hieronymus). 7. Der Mensch solle sich nicht überschätzen und in Versuchungen stürzen (Rupert). 8. Der Herr berücksichtige den Wert des Menschenlebens (Abulensis). 9. Verfolgung werde mit Verfolgung bestraft; das größte Übel bestehe darin, daß ein Ort von den Gerechten verlassen wird. 10. Wir sollen dem Zorn Raum geben. 11. Wir sollen den andern nicht Gelegenheit zum Sündigen geben. Quaestio V behandelt die Frage: "Warum sagte Christus: ,Wenn sie euch verfolgen in einer Stadt' und nicht vielmehr: ,auf der Straße' oder ,auf dem Feld'1" Sylveira antwortet, in den Städten herrsche die Sittenlosigkeit besonders stark, und belegt diese Feststellung mit Zitaten aus der Bibel und den Vätern. Quaestio VI behandelt die Frage : ,;warum sagte Christus den Seinen, sie sollen wegen der Verfolgung von einer Stadt in die andere fliehen und nicht vielmehr in die Wüste oder in die Berge1" Darauf gibt Sylveira eine dreifache Antwort, die er wiederum mit Zitaten aus der Bibel und den Vätern belegt: I. Die Apostel seien ausgesandt gewesen, das Evangelium zu predigen; sie hätten ihr Amt nicht aufgeben dürfen. 2. Die Apostel seien zu Fürsten des Erdkreises und
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Bischöfen (praesules) der Gemeinden bestimmt gewesen; als solche hätten sie sich nicht in die Einsamkeit zurückziehen dürfen. 3. Der Schmerz infolge der Vertreibung aus einer Stadt werde kompensiert durch die Freude infolge der Aufnahme in der andern Stadt. \\'ährend, wie gesagt, die sechs ersten Quaestiones dem V. 23a gelten, ist nun die Quaestio VII der zweiten Vershälfte gewidmet. Sie trägt die Überschrift: "Worauf weist Christus hin, wenn er den Seinen sagte: ,Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Sohn des Menschen kommt'?" Hier gibt Sylveira abermals einen Überblick über die verschiedenen bei den Vätern vorhandenen Deutungen. 1. Die Deutung unseres Logions auf die erste Mission, wie sie bei Chrysostomus, Euthymius u. a. vorliegt. 2. Die Deutung a.uf die Auferstehung Christi und die Aussendung zur Heidenmission, wie sie von Beda u. a. vertreten wird. 3. Die Deutung auf den Untergang des Jüdischen Staates unter Titus und Vespasian. 4. Die Deutung auf die Ankunft des Menschensohnes beim Jüngsten Gericht, wie sie Hilarius u. a. vertreten. Sylveira nennt diese Deutung "sehr wahr". Dann läßt sich der Halbvers so umschreiben: "Ihr werdet die Städte Israels oder das israelitische Volk auf eurem Lauf nicht beenden und im Glauben an das Evangelium und in der christlichen Religion nicht vollenden, bis die letzte Zeit kommt, in der der Sohn des Menschen zum Gericht kommt." Für diese Auslegung führt Sylveira drei Gründe an: 1. Christus meine in V. 23a die Flucht von den Juden zu den Heiden. 2. Wenn Christus von der Ankunft des Menschensohnes spreche, meine er immer das Jüngste Gericht. 3. Es gehe hier um den Unglauben der Juden und die Bekehrung der Heiden nach Röm 11. Daß da1m der Kreis der Angeredeten auf die Nachfolger der Apostel ausgeweitet werden muß, komme in der Auslegung des Rupert zum Ausdruck, die Sylveira auch noch zitiert. Schließlich fügt er noch einige alttestamentliche Beispiele an, die Gottes Güte gegen seine Schützlinge zeigen (Gen 31, 3; 35, 27; 33, 7 etc). Auch Bernard Lamy (1640-1715) widmet in seinem Kommentar 1 ) unserem Logion eine kurze Auslegung. Danach handelt es sich in V. 23a darum, die Verfolgung nicht herauszufordern und durch die Flucht die Verbreitung der evangelischen Lehre zu fördern. Nach 1 ) Commentarius in harrnoniam sive concordiam quatuor Evangelistarum, t. I, Parisiis 1699, l86f.
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einem Hinweis auf die Bekämpfung Tertullinns durch die Väter stellt Lamy fest: "Also ist fliehen erlaubt, besonders wenn die Flucht ohne Makel für den Glauben und zu dessen Nutzen angefangen werden kann." Der V. 23b komme dem bekannten Einwand der Apostel zuvor: "Wenn wir aus jedem Ort vertrieben werden sollen, in welcher Gegend werden wir uns aufhalten können?" Der Herr antworte, "es werde in Judäa immer einen Ort geben, wohin sie fliehen können, bis der Tag kommt, an dem der Sohn des Menschen, d. h. er selbst, die Welt richten wird." Mit dieser Auslegung bewegt sich Lamy deutlich in der augustinischen Richtung. Dann fügt er noch je einen Hinweis auf die Deutung des Logions auf die Auferstehung Christi und die Sendung des Heiligen Geistes sowie auf die Hilfe Christi während der ersten Mission bei.
e) Deutung auf die Heidenmission Während so zahlreiche katholische Exegeten dieses Zeitabschnittes unser Logion auf die (ferne) Parusie deuten, findet sich nur einer, der es auf die Zeit der aUgemeinen JJfission bezieht. Das ist der Fall bei Franz Lucas, gen. Brugensis (1549-1619). Auch er widmet in seinem Kommentarwerk unserem Logion einige Sätze 1 ). Danach kommt der Erlöser in V. 23a dem Einwand der Apostel zuvor, wie sie in den bevorstehenden Verfolgungen das Evangelium predigen sollen. "Er tröstet sie, indem er ihnen die Flucht zugesteht und seine Gegenwart im Unglück verspricht." Diese Erlaubnis beziehe sich aber nur auf die schwere Verfolgung. Die Flucht geschehe, um Gefahren abzuwenden und um anderswo zu amtieren. Das Evangelium soll in einer andcrn Stadt verbreitet werden. Die Flucht sei gestattet, wenn sie erlaubt, unser Amt auszuüben, wenn sie die Liebe nicht hindert und wenn unsere Todesstunde noch nicht da ist. In V. 23h bezieht Lucas das non consummabitis auf die \-Vanclerung der Apostel uncl stellt fest, daß das Amt der Apostel bis zur öffentlichen Verwerfung der Juden (Apg 13, 46) gut verwaltet (frequentatum) war. Der Sinn von V. 23 läßt sich dann folgendermaßen umschreiben: "Fürchtet nicht, sagt er, daß zuletzt kPine Stiidte sein werden, in die zu fliehen (~rlauLt ist, weil keine
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übrigbleiben, in die ihr nicht geflohen seid; ich werde, bevor ihr alle besucht habt, zu euch kommen, mich zeigen und euch in Gefahr beistehen, indem ich zugleich für den Fortschritt des Evangeliums und für euch sorge." Als Belegstellen hierfür führt Lucas J oh 14, 18 und Mt 28, 20 an. Anhangsweise sei hier noch auf \'Vilhelm Estius (1542-1613) verwiesen, d.-,r lediglich eine Auslegung von V. 23a gibt, in der er nacheinander die Schonung der Verfolgten, der Verfolger und der Gemeinde hervorhebt').
4. Zusammenfassung Im ganzen gesehen, setzt sich die mittelalterliche Auslegung von Mt 10, 23 im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation einfach fort. Die Reformation bringt wohl einige neue Gesichtspunkte in die Diskussion, aber ein Umbruch findet nicht statt. Wie im Mittelalter notieren zahlreiche Autoren mehrere Auslegungen unseres Logions und setzen sich z. T. kritisch damit auseinander. Das geschieht sowohl auf protestantischer Seite (Bucer, Musculus, Bullinger, Calvin, Flacius, Camerarius, Piscator, Heinsius, ChemnitzfLyser, Calov), wie auf katholischer (Jansenius, Maldonatus, a Lapide, Sylveira, Lamy). Zweimal wird hervorgehoben, es handle sich um ein dunkles Wort (Musculus, ChemnitzfLyser). Aber eine die Grm1dlagen des christlichen Glaubens berührende Debatte ist auch jetzt nicht feststellbar. 1 ) Annotationes aurcae in praccipua ac difficiliora S. Scripturae loca, Coloniae Agrippiuae 1631, 694.
IV. Neuzeit In der Neuzeit ist die Auslegung des Logions Mt 10, 23 dadurch gekennzeichnet, daß das Interesse an der ersten Vershälfte abnimmt und die zweite Vershälfte mehr und mehr in den Mittelpunkt der Erörterung tritt.
1. Protestantische Exegeten des 18. Jahrhunderts In der protestantischen Auslegung von Mt 10, 23macht sich im 18. Jahrhundert bereits die historische Fragestellung bemerkbar. Zunächst finden sich aber immer noch traditionelle Deutungen des Logions.
a) Deutung auf den Jüdischen Krieg Verhältnismäßig stark ist die Deutung des Logions auf den Untergang des Jüdischen Staates vertreten. Der erste in der Reihe der so auslegenden Exegeten ist Johann Reinhard Hedinger (16641704). In seiner Erklärung des NTI) ist schon die Wiedergabe von V. 23b interessant: "Warlich I ich sage euch I ihr werdet die städte Israel nicht ausrichten I biss des menschen sohn kömmt." Dazu gibt er folgende Erklärung: "D. i. Ihr werdet mit predigen und reisen durch die stätte (!) nicht fertig werden I ehe der sohn Gottes wird kommen mit seinem gericht über die Jüden." Dann weist Hedinger ohne Kommentar auf die Deutung des Logions auf das Pflogstgeschehen hin und fährt fort: "Ausrichten mag auch vollenden heißen I nemlich durch lehre und unterricht. Denn vollkommene sind auch die I welche satten verstand göttlicher sachen haben. Phil. 3115." 1 ) Das NT unseres Herrn und Heilandes .Jesu Christi, Bremen (1701) 1707 2 , 34.
'" Eine sich über mehrere Seiten erstreckende förmliche Abhandlung über unser Logion gibt Gottfried Olcarius (1672-1715) in seinen Beobachtungen über das Mt Ev 1 ). Dort führt er unter dem Titel "Observatio XXXII. Ad Matth. X. 22, 23" aus: I. Das Ziel der Rede Jesu Christi sei die Instruktion der Jünger für den Apostolat unter den Juden. Es gehe um die Stärkung seiner Jünger gegenüber allfälligen Feindseligkeiten. Den Juden sei die "Zeit der gnadenreichen Heimsuchung" (Lk 19, 44) vorherbestimmt gewesen; diese habe bis zur Zerstörung Jerusalems und des Jüdischen Staates gereicht. Bis dahin sollten die Jünger in Judäa amtieren. II. Von hier aus umschreibt Olearius den V. 22 folgendermaßen: "Wer aber auch bis zur letzten Periode der Jüdischen Republik ausharrt, wird bewahrt werden." Er deutet also bereits den V. 22 auf den Untergang des Jüdischen Staates. Das begründet er mit den Worten Mt 24, 6 und 13, die er ebenfalls in diesem Sinne interpretiert. Eine Beziehung zum Jüngsten Tag liege an solchen Stellen nur indirekt (ob analogian) vor. III. Nach Olearius ergibt V. 23a folgenden Sinn: "Unterdessen aber, bis das Ende kommt, rät der Heiland, bei andauernder Leidenschaft der Verfolgung, zur Flucht von einer Stadt in die andere." Die längere Version, die er in verschiedenen Fassungen kennt, hält Olearius für das Werk von Abschreibern. Die folgenden sechs Absclnlitte sind der zweiten Vcrshälfte gewidmet. IV. setzt sich Olearius mit der Deutung unseres Logions durch Grotius und Calov auseinander. Daran kritisiert er die Wiedergabe von n:.A.eiv -r. n. durch absolvere Evangelii praedicationem in urbibus und von lwr; durch antequam. V. kritisiert er die Übersetzung von n:.A.eiv -r. n. durch Erasmus, der die Verben perambulare und obire verwendet. Olearius selbst greift VI. auf das Hebräische zurück und findet als Äquivalent von n:.A.eiv das Verbum 0t)f1. Das ergäbe eine neue Übersetzung: "Ihr werdet nicht weichen aus den Städten Israels (non deficietis ex urbibus Israel)." Der Sinn würde dann lauten: "Denn wahrlich, ich sage euch, dies ist mein Wille, daß die israelitischen Städte von keinem Verkünder des Evangeliums unter euch verlassen werden, bis der Sohn des Menschen zum Gericht kommt, das über Jerusalem verhängt werden soll. Bis dahin braucht ihr nicht zu befürchten, daß ihr allesamt durch die Leiden1)
Observationes sacrae ad Evangelium Matthaei, Lipsiae 1743, 279ff.
schaften der Juden zugrundegeht. Auch soll dieser Standort nicht von den Mutlosen verlassen werden, bis ich selbst, nach Ankunft des römischen Heeres in Jerusalem, euch befohlen habe, diesen Standort zu verlassen und ins Gebirge zu weichen: denn wer bis dahin ausharrt, wird dennoch geschützt sein." Diese Interpretation sucht Olearius in den folgenden Absclmitten philologisch zu untermauern. Er zeigt VII., wie cr;~n bisweilen die Bedeutung von cessare, desinere, auferri haben könne (vgl. Jes 16, 4; Ps 104, 35 und Jer 37, 21). Daraus ergibt sich aber VIII. die Notwendigkeit, den Ausfall der Präposition PJ zu erklären, die sonst immer auftritt, wo cr;~n = cessare etc ist. Olearius tut das unter Hinweis auf Gen 9, 10 und 2 Kön 20, 4, wo das Jr;! ebenfalls ausfällt. Daß das "Kommen des Menschensohnes" hier das Ende des Jüdischen Staates samt Tempel und Stadt meine, begründet er IX. mit einem Hinweis auf Mt 24, 27. Ebenfalls zu dieser Gruppe von Auslegern gehört Johann Jakob Wettstein (1693-1754). In seiner kritischen Ausgabe des NTl) ist er im Hinblick auf Mt 10, 23 vorwiegend textkritisch orientiert; er gibt vor allem eine reiche Übersicht über die verschiedenen Textvarianten. Sachlich bemerkt er zum V. 23 b: "Es ist zu verstehen die Ankunft Christi zur Zerstörung des Jüdischen Staates. Ez 42, 3." Ein weiterer Exeget, der Mt 10, 23 auf den Untergang des Jüdischen Staates deutet, ist Johann Salomo Semler. Da er sich ausdrücklich mit der These von H. S. Reimarus auseinandersetzt, soll er erst im Anschluß an diesen zu Worte kommen.
Vorerst wenden wir uns einem weitein Exegeten dieser Richtung zu: Johann David Michaelis (1717-1791). In seinen Anmerkungen zum NT 2 ) führt er zu V. 23a aus, die Lehre Jesu verbiete nicht, der Verfolgung durch die Flucht zu entgehen. Noch weniger wolle sie, daß man die Verfolgung suche, wie es bisweilen in der Märtyrergeschichte des 2. und 3. Jahrhunderts zu lesen sei. Dann weist er auf eine andere Lesart hin: "Vertreiben sie euch denn aus einer Stadt etc" und erklärt sie als "Änderung des Textes nach der übertriebenen und wirklich fanatischen Miirtyrcrmoml des dritten Jahrhunderts." Die ·wendung "wenn des Menschen Solm kommt" NT Gmccum ... t. I, Amstelaedami 1751, 372f. Amnorkungon füt· Ungelehrte, zu seiner Überset,zung des NT, 1. Theil, Göttingen 1790, 133. 1)
2)
81 (V. 23b) deutet er auf die "Zukunft zur Zerstörung Jerusalems und des Israelitischen Staats, von der Jesus Matth. XXIV. mehr sagen wird". Dann besage das ·wort: "Es werden immer Städte des Israelitischen Landes, denen das Evangelium noch nicht gepredigt ist, und zu denen sie sich wenden können, wenn sie Verfolgung wegen aus der einen fliehen, übrig bleiben und ihnen offen stehen." Schließlich ist hier noch Johann Georg Rosenmüller (1736-1815) zu nennen mit seinen Scholien zum NT 1 ). Er wendet sich zuerst Grotius zu, der das bulnWVO't'll mit exßa)J.etv wiedergibt. Rosenmüller übersetzt es mit accusare, litem intendere, vexare. Das ergibt für V. 23a den Sinn: "Wenn sie euch quälen werden in dieser Stadt, eilet in die andere." Er betont, es gehe hier eher um die Beharrlichkeit als um die Vermeidung der Verfolgung. Die längere Variante in V. 23a hält er für echt und erklärt die übliche Lesart durch eine Auslassung der Abschreiber, vgl. Griesbach z. St. 2 ). Den V. 23b gibt Rosenmüller mit den Worten wieder: "Kaum wird von euch der Weg durch die israelitischen Städte beendet sein, so werde ich selbst dasein." Das TeAeiv -r. 11:. sei eine Redensart, und es sei zu ergänzen T. obov bu:l T. 11:. Das lwr; äv bedeute 1l:(!tV ~· Gemeint sei hier "die Ankunft Christi zur Zerstörung der Jüdischen Republik oder auch die Offenbarung (patefactio) des Messias durch jene Sendung der sehr reichlichen Gnade des Heiligen Geistes an die Apostel und andere Gläubige", also Pfingsten.
b) Deutung auf die Judenmission Andere Ausleger deuten unser Wort auf die Zeit der ersten Mission. Als erster Autor ist hier Johann Christian Klemm (1688-1754) zu nennen, der im Pfaffschen Bibelwerk auch Mt 10, 23 einige Bemerkungen widmet 3 ). Zu V. 23a bemerkt er, fliehen sei erlaubt, nach Ex 2, 15; 1 Kön 19, 3; Mt 2, 14; 4, 12; 12, 15; 14, 13; Lk 4, 30; Joh 7, 11; 8, 59 und Apg 9, 25, "aber sich der, obgleich ungerechten Obrigkeit widersetzen und wider ihren Willen bleiben, ist unerlaubt." V. 23b übersetzt er mit den Worten: "Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet die Städte Israel nicht ausrichten, bis des Menschen Sohn kommt." Zum ersten Teil dieses Satzes führt er aus: "Als 1) 2)
3)
Scholia in NT, t. I, 1801", 208f. 86f. Die Heilige Schrift N'l's, Tübingen 1729, 28.
s. u.
0 KUnzl, Mntthiius
82 wollt er sprechen: Ich weiß wohl, daß sie euch verfolgen werden: Denn diss Volck wird das Evangelium verfolgen, und nicht bekehrt werden, bis zum Ende der Welt." Das würde in der Linie des Juvencus liege11. Aber dann vertritt Klemm doch eine andere Auslegung. Zu "ausrichten" sagt er: "Ihr werdet eure Rcyse durch die Städte Israel noch nicht ausgerichtet und vollzogen habm1." Und zum "Kommen des Menschensohnes" bemerkt er: "Ehe ihr noch in allen Städten des Jüdischen Landes werdet das Evangelium geprediget haben, will ich euch auf dem Fuß folgen und selber, so wohl im Galiläischen, als auch im Jüdischen Lande predigen, und eure Sendung mit großen und vielen Wunderwercken bekräftigen, sihe Luc. 10, I." Dann weist er noch auf einige andere Auslegungen hin (Gericht über die Juden, Offenbarung durch das Evangelium in aller Welt, Ausgießung des Geistes, Jüngstes Gericht), um zu schließen: "Wir bleyben bei der ersten Auslegung." Als nächster Exeget dieser Richtung ist Johann Albrecht Bengel (1687-1752) zu nennen. In seinem Gnomon 1 ) legt er zu V. 23a dar, gemeint seien "viel weniger die Dörfer Israels (V. 6). Sie durften nicht fürchten, daß sie bald herumkommen, und keinen Ort mehr übrig haben möchten; auch sollte ihres Bleibens am Einen Ort nicht allzulang seyn; anderwärts würden sie Gelegenheit haben, länger zu verweilen." Zur Erklärung der Worte "bis des Menschen Sohn kommt" (V. 23b) verweist Bengel zunächst auf Mt 10, 7 und ll, I. Aus 10, 7 liest er heraus, daß die Jünger nur die Aufgabe hatten, die Seelen auf die Ankunft Jesu zuzubereiten. Die Ankunft des Menschensohnes, von der 10, 23 die Rede ist, sieht er in ll, I verwirklicht. So führt er zu 10, 23b aus: "Es ist hier eben die Ankunft gemeint, da er diese Verkündigung seiner Boten an selbigen Tagen durch seine hohe Gegenwart, Wohltat und Predigt erfüllt hat, als derjenige, der da hat kommen und das Evangelium selber predigen und durch Andere predigen lassen sollen, ll, 3.5. Gleicherweise hat er auch die Annäherung des Reiches Gottes verkündigen lassen, und sich an denselben Orten darauf selbst eingefunden, Luc. 10, l-9." Bei Johann Adrian Balten (t 1807) ist bereits die Übersetzung
1 ) Gnomon NT, Tubingae 1742, 69f; deutsch von 0. F. Werner, Bd. I, Stuttgart 1959 7 , 74.
unseres Logions außergewöhnlich 1 ). Sie lautet: "Wenn sie euch also an Einem Orte verfolgen, so flieht nach einem andern! Ich versichere euch, ihr werdet die Örter in Israel noch nicht durch seyn, daß man schon bey euch gekommen ist." Er rechtfertigt diese Übersetzung folgendermaßen: uUaat heiße hier "zu .Ende 'gebracht haben, rund gewesen seyn", ewr; av stehe hier für neiv fj, und wenn die Syrer, Juden, Araber etc Menschensohn· haben, sage man im Deutschen "man", Jesus rede "hier nach deni Zusammenhange weder von seiner Zukunft zum allgemeinen Weltgerichte rwch von seiner Zukunft zum besondern Gerichte über Jerusalem, sondern von seiner damals bevorstehenden Ankunft bey ihnen, welche, ehe sie allenthalben gewesen wären, erfolgen würde."
c) Unbestimmte Auslegung Es ist nun noch eine Gruppe von Auslegern zu nennen, die sich vor allem um die sprachliche Seite unseres Logions bemühen, aber keine eigene Gesamtauffassung seines Sinnes durchblicken lassen. Hier ist zuerst auf Jakob Elsner hinzuweisen, der sich in seinen Beobachtungen zu den Büchern des NT 2 ) mit Mt 10, 23 befaßt. Er geht lediglich auf die Wortgruppe uA.eiv rar; n6A.etr; ein und nennt verschiedene bisherige Deutungen (Grotius, Erasmus, Heinsius, Beza etc ). Er selbst entscheidet sich mit Beza für die Übersetzung: obieritis urbes, wofür er einen Beleg bei Cicero 3 ) findet. In diesem Sinn verwenden auch Thueydides 4 ) und Aristides 6 ) das Verbum, vgl. 2 Tim 4, 7. Christian Sehoettgen (1687-1751) bringt in seinem Werk Horae Hebraicae et Talmudicae 6 ) einige jüdische Parallelen zu V. 23a. Es geht ihm darum zu zeigen, daß dieJudendasselbe lehren wie J esus. Johann Christophorus Wolf (1690-1770) beschäftigt sich in seinem Buch Curae philiologicae et criticae 7) ähnlich wie Elsner vor allem Der Bericht des Matthäus von Jesu dem Messia, Altona 1792, 165f. Observationes sacrae in Novi Foederis libros, t. I, Trajecti ad Rhenum 1720, 55f. 3 ) De fin. 5, 29. ') 3, 168. •) Serm. sacr. 4, 569. ") Horae Hebraicae et Talmudicae in universum NT, Dresdae et Lipsiae 1733, 97f. 1 ) Curae philologicae et criticae in Ss. IV Evangelia et Actus Apostolicos, 1793 3 , 183f. 1) 2)
mit der ·wendung uA.eiv :noA.et~. Er nennt zuerst die Auslegung von Grotius und Calov sowie der Autoren, die diese "Torte mit obire, peragrare, perambulare urbes wiedergeben (z. B. Beza), wofür Zitate bei Xenophon 1 ) und Polybius sprechen, ebenso die Autoren, die Elsner heranzieht. Zweitens führt Wolf die Autoren an, die die Wortgruppe mit doctrina perficere wiedergeben (z. B. Heinsius), wofür Stellen bei Hesoid 2 ) und Lucian herangezogen werden, ebenso das hehr. it::IJ, das sowohl absolvere wie perficere bedeuten könne. Drittens weist Wolf auf die Deutung des Ausdrucks durch Olearius hin, der ihn im Sinne des hehr. tmn = cessare, desinere, auferri deutet. Wolf seinerseits entscheidet sich für die erste Interpretation, wobei er zu obire urbes ein docendo ergänzen möchte. Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch auf Christoph August Heumann (1681-1764) hingewiesen, der in seiner Erklärung des NT 3 ) übersetzt: "Ihr sollet nicht aufhören, den Städten Israels zu predigen." Die Übersetzung "Ihr sollet nicht aufhören" leitet er von der Verbform reA.sf1rJ7:e ab. Er meint, diese ·worte könntennicht aus den Schriften der gelehrten Griechen erklärt werden. "Matthäus hatte sein Griechisch nicht zu Athen gelernet, und schreibet daher gar oft anders, als ein Plato oder ein Xenophon würde geschrieben haben." Besser findet er das Urteil von Grotius und Calov, die zu -r:eA8f1rrre ergänzen: öu5a~at. Er selbst meint: "Ich halte aber vor noch wahrscheinlicher, Matthäus habe sich einer Redensart bedienet, die damahls unter dem gemeinen Volke gangbar gewesen." Indessen, wie wir nun den V. 23 als Ganzes zu verstehen haben, erfahren wir auch bei Heumann nicht.
d) Die Auseinandersetzung zwischen H. S. Reimarus und J. S. Semler Während sich die bis jetzt besprochenen protestantischen Autoren des 18. Jahrhunderts noch durchaus im Rahmen der herkömmlichen Auslegung unseres Logions halten, bricht mit Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) ein gmw; neuer Ceist in der Exegese unseres Logions auf. In seiner zu den berühmten "\Volfenbütteler Fragmenten" gehörenden Schrift "Von dem Zwecke .Je:m und seiner
1) J•:xp. Cyr. I, :!0:!. Seut. Horen!. 22. 3 ) Erkliiruug doH NT, I. Thoil, Hmlllovor 1750, 2)
l3~f.
ou
Jünger" geht er mit einem Satz auch auf Mt 10, 23 ein, in dem sich auf einmal die ganze moderne Problematik unseres Logions kundtut. In der genannten Schrift!) geht es Reimarus darum, nachzuweisen, daß Jesus etwas Anderes gewollt habe als seine Jünger. Jesus habe, so meint Reimarus, ein weltliches Messiasreich in Israel verkündet, die Jünger dagegen hätten nach seinem Tod das System eines geistlichen, leidenden Erlösers der ganzen Menschheit geschaffen. In einem ganzen Paragraphen, sucht er den "Zusammenhang des Betragens Jesu" darzustellen 2 ). Daß Jesus sich als weltlichen Erlöser verstanden habe, schließt Reimarus aus dessen Einzug in Jerusalem und den damit zusammenhängenden Ereignissen. Aber Jesus sei mit seinem Vorhaben beim Volk nicht durchgedrungen. Johannes d. T. sei bereits enthauptet gewesen. Und nun folgt der für die Exegese von Mt 10, 23 so weittragende Satz: "Von der Herumsendung der Apostel hatte Jesus sich schon vorhin gute vVirkung vorgestellet, und gemeynet: sie würden nicht alle Städte von Judäa vollends durchgezogen seyn, so wür~e sich des Menschen Sohn schon offenbaren können." Jesus habe keinen Anhang bei den führenden Juden gehabt. Seine Wunder seien nicht überzeugend gewesen. So habe der Hohe Rat, aus Rücksicht auf die römische Besatzungsmacht, gegen Jesus einschreiten müssen. Jesus habe fortan den Tempel gemieden und nur ein Pascha mnemoneutikon (Erinnerungsmahlzeit) gehalten. Er habe sich in die Verborgenheit zurückgezogen und sich gefürchtet, sei verraten, gefangengenommen und schließlich gekreuzigt worden. Das Wort von der Gattverlassenheit (Mt 27, 46) zeige sein Scheitern. "Es war demnach sein Zweck nicht gewesen, daß er leiden und sterben sollte; sondern daß er ein weltlich Reich aufrichtete, und die Juden von ihrer Gefangenschaft erlösete: und darin hatte ihn Gott verlassen, darin war ihm seine Hoffnung fehlgeschlagen 3 )." So erscheint bei Reimarus das Logion Mt 10, 23 in einem ganz neucn Licht. Zweierlei ist an dieser Auffassung bemerkenswert. 1. Die Deutung des Wortes. Reimarus ist der Meinung, Jesus habe 1 ) Frnp:mcnt.o deR '\'olrcnbiitt.clsdacn Uta~cnannt.on, hg. v. G. E. (BntunHclaw1•ig 1778) Berliu li::HH>•; hier ziti\•rt nnch der Ii. Aufl1tgo. 2) § 8, aaü 69ff. 3 ) aaO 71.
Le.~aing,
86 mit dem "Kommen des 1Hensehensolmes" die baldige Errichtung eines weltlichen Messiasreiches durch ihn vorausgesagt. Er ist damit der erste Vertreter der "Naherwartung". 2. Die Einreihung des \Vortes. Reimarus führt Mt 10, 23 in der Reihe der Worte und Ereignisse an, die nach seiner Meinung ein Scheitern Jesu bezeugen. Er vertritt damit im Zusammenhang mit Mt 10, 23 erstmals die These von der "Irrtumsfähigkeit" J esu. Das sind zwei weittragende Folgerungen aus unserem Logion. Kein Wunder, daß diese Auffassung sogleich auf heftigen Widerstand stößt. Schon ein Jahr nach der Veröffentlichung der "Fragmente" setzt sieh Joha1m Salomo Semler (1725-1791) in einer Gegenschrift!) kritisch mit den Thesen von Reimarus auseinander. Auch mit dem Satz von Reimarus, der sieh auf Mt 10, 23 bezieht, geht Semler ins Gerieht 2 ): "Diese Verkehrung der Rede J esu, Matth. 10, 23, ist unverzeihlich." Semler meint, Johannes sei nicht zusammen mit Jesus als Aufrührer betrachtet worden. Diese Rede Jesu sei "eine allgemeine Instruction und Vorhersagung, wie es den Aposteln ergehen würde, bey ihrer neuen Lehre und Predigten". Zu V. 23a fragt Semler: "Siehet dis wol aus, daß Jesus erwartet hätte, einen mächtigen Anhang durch die Apostel zu bekommen, einzelne Städte sieh zu versichern 1" Zu V. 23 b bemerkt er: "Es ist offenbar die Rede von dem Verlaufe der Sachen nachher hinter dem Tode Jesu ... Der Ungenannte begehet also eine grobe Verfälschung, wenn er diese Rede Jesu, ihrem Inhalte nach, vor dem Tod Jesu setzt. . . Des Menschensohn wird kommen, ehe ihr in J udäa ganz fertig werdet; ist keineswegs so viel, Jesus werde sich schon als Messias, mit einem großen Anhange des Volks, öffentlich in Jerusalem aufstellen können; sandem statt der jüdischen Einbildungen von einem neuen jüdischen Reiche durch den Messias, den sie haben wollen, und Jesum verwarfen, weil er disnicht ist, wird der Messias Strafgerichte über sie ausbrechen lassen, durch die Römer." Damit stellt sich Semler in die Reihe zahlreicher zeitgenössischer Exegeten. Anhangsweise sei noch festgehalten, daß Johann Jakob Griesbach (17451812) in seinem Kommentar zum griechischen Text des NT die längere Ver-
1 ) Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten, insbesondere vom Zweck J esu und seiner Jünger, Halle 177 9. 2 ) aaO 244.
87 sion von Mt 10, 23a für msprünglich hültl). Die zur liingorn Vor~ion gehörenden \Vorto seien "durch einen leichten Sprung der Ab::;chrcibor vom früheren tpsvysre Ei~ TIJI' zum spiitoren tpcll)'cU Ei; TIJ~" vernuchliis»igt wm·den.
2. Protestantische Exegeten des 19. Jahrhunderts
Im 19. Jahrhundert ist die protestantische Auslegung des Logions Mt 10, 23 stark durch die historische Fragestellung bestimmt. a) Deutung auf die (nahe) Parusie
Ein erheblicher Teil der protestantischen Ausleger ist der Meinung, daß sich unser Logion auf die Parusie beziehe und daß diese hier als nahe bevorstehend betrachtet werde. Ein Teil dieser Exegeten hält das Logion für ein echtes Jesuswort, wobei ihm einige allerdings einen andern ursprünglichen Platz zuweisen. Der erste Theologe, der hier zu nennen ist, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851), zeigt sich allerdings, was Mt 10, 23 anbelangt, noch recht unentschieden. In seinen Synoptikerkommentaren2 ) befaßt er sich eingehend mit textkritischen und philologischen Fragen. Zu Mt 10, 23 führt er im wesentlichen übereinstimmend aus, Jesus wolle im Hinblick auf V. 22 sagen: "Nicht als ob ihr wegen dieses V1Wf-tEVetv nicht den Gefahren möglichst entgehen dürftet." Das q;evyetv in V. 23 a versteht er als "fliehen sich rettend". Dann folgt eine lange Erörterung der verschiedenen Lesarten der längern Version, der Paulus den "Charakter der Ursprünglichkeit" zubilligt, weil sich nicht ihre Einschiebung, wohl aber ihre Auslassung infolge der Tautologie und des Überspringens von einem el~ T~'V zum andern erklären lasse. Abschließend stellt er fest : "Schade, daß die Wortkritik, wegen mancher Worte, die am Ende für den Sinn völlig gleichgültig sind, doch, um eben diese Unbedeutendheit zu entscheiden, viele Worte zu machen genöthigt ist!" Das uA.ei'JI in V. 23 b versteht er als "vollenden im Durchfliehen, durchlaufen", die n6A.et~T. 'I. als "Städte in Palästina" und das lw~ Ö.'V als "bis dann wohl". Zu lA.ifn bemerkt er, es sei unbestimmt, ob Commentarius criticus in texturn graecum NT I, Jenae 1798, 107. Philologisch-kl"itischer und historischer Kommentat• über die drey ersten Evangelien, I. Theil, Lübeck 1800, 683f. - Exegetisches Handbuch über die drei ersten Evangelien, l. Theil, 2. Hälfte, Heidelberg 1831, 739f. 1) 2)
00
"mit der entscheidenden Gottesmacht der letzten Parusie", wofür Mk 13, 30; Lk 21, 32; Mt 24,29.34 etc sprechen, oder "durch persönliche, aufmunternde Gegenwart", wofür Ez 42, 3 als Beleg dient. Den Titel o vtoc:; -r. a. versteht Paulus im Sinne von "der zugegenstehende Mensch". Zusammenfassend bemerkt er zu unserem Logion: "Eine Stelle, die immer ihr dunkles behält, auf jeden Fall aber - baldige Hülfe für die Verfolgten zu erwarten ver anlaßt." Das Problem der "nahen Hoffnung", das gerade im Zusammenhang mit Mt 10, 23 auftaucht, löst Paulus, indem er feststellt: "Dergleichen Erwartungen betreffen nicht die Religionslehre J esu, sondern die Geschichte der Zukunft." Weder für die Physik noch für die Historie sei Jesus unser Lehrer 1 ). Etwas anders löst Hermann Olshausen (1796-1839) das in Mt 10, 23 vorliegende Problem. In seinem Kommentar 2 ) führt er zu V. 23a aus: "In den bevorstehenden Verfolgungen empfiehlt aber Jesus Klugheit; er räth ihnen so viel möglich auszuweichen, um nicht durch eigenwilliges Hineingehen oder Beharren in der Gefahr Schaden zu nehmen in der Seele." Die Kirche habe sich immer an diese Anordnung gehalten; nur montanistischer Rigorismus habe die Flucht in der Verfolgung verboten. Die längere Version ist nach Olshausen "gewiß echt"; ihre Auslassung beruhe auf dem Homoioteleuton. In V. 23b trete die Beziehung auf die Wiederkunft Christi und das Ende klar hervor. "Des Menschensohn soll wiederkommen, bevor die auszusendenden Jünger alle Städte Israels durchwandert seyn werden." Nun scheine aber die Aussendung nicht das ganze Land zu betreffen. Aus dem Gefühl, daß der Zusammenhang etwas Nahes erfordere, sei die Deutung auf den baldigen Beistand Jesu hervorgegangen. Gegen diese Auffassung spreche aber das ernste ap~v, dann Lk 9, 10 (Rückkehr der Jünger zu Jesus) ID1d endlich die Wendung lexewt ovL -r. a., die immer auf die Parusie gehe. Von dieser aber könne Jesus in diesem Zusammenhang nicht reden; von seinem Weggang und seiner Wiederkunft rede er erst später (Mt 1~, 40; 16, 21.27 ete). So habe "mit größter Wahrscheinlichkeit" die Stelle ihren ursprünglichen Zusammenhang nicht hier, sei aber von Exegetisches Handbuch, 3. Theil, 1. Hälfte, Hcidclberg 1832, 403. Biblischer Commentar über sämmtliche Schriften des NT, 1. Bd., Königsberg 1830. 1)
2)
89 Mt nicht unpassend hier eingeflochten worden. "Die Worte nemlich, welche der Wiederkunft Erwähnung thun, erweitern gleichsam für den Leser anticipierend den Gesichtskreis. Mit der ersten Aussendung der Jünger verschmelzen sie die spätere, und bilden so eine allgemeine Instruction für die predigenden Jünger." Ungeachtet des ursprünglichen Zusammenhanges dieser Worte bleibt aber nach Olshausen "die Idee der Nähe der Wiederkunft des Herrn". Man habe darunter "einen J esu und den Aposteln näher liegenden Zeitmoment, in dem sich zugleich das Christliche als siegend darstellt", verstehen wollen. Die "Idee der Nähe der Zukunft des Herrn" ziehe sich aber durch das ganze NT 1 ). Bei der Erklärung von Mt 24 geht Olshausen dieses Problem grundsätzlich an. Wie Hengstenberg faßt er die Weissagung als ein "geistiges Schauen" auf. "Vermöge dieses Schauens des Künftigen, als eines ihrem Geist real Gegenwärtigen, das man am besten als ein perspectivisches bezeichnet, war den Propheten zwar das Factische genau anschaubar, aber keineswegs die Entfernung desselben von der Gegenwart, der sie angehörten, noch die Distanzen, zwischen den einzelnen angeschauten Gegenständen selbst." Auf Jesus angewandt, ergibt sich aus dieser Betrachtung, daß seine Reden über die Nähe seiner Ankunft "keinen Irrtum involvieren", und zwar aus zwei Gründen: I. Die Ankunft Christi sei in jedem Augenblick möglich und wahrscheinlich. Dabei können Ereignisse wie die Au~gießung des Geistes und die Zerstörung Jerusalems als Vorbilder der letzten Zeit, als ein Kommen Christi aufgefaßt werden. 2. Es bestehe ein Konflikt zwischen Freiheit und Notwendigkeit, wonach die Zeit der Erfüllung einerseits als eine von Gottes Rat fixierte, anderseits aber als eine durch die Treue oder Untreue der Menschen mitbedingte erscheine 2 ). In diesen Zusammenhang gehört wohl auch Wilhelm Martin Leberecht de Wette {l7RO-l849). In seinem Matthäuskommentar 3 ) hält er die längere Version von V. 23a wegen der Verschiedenheit, in der sie überliefert ist, für "ziemlich verdächtig". Eir; -r:~v l-r:. heiße "in die andere, die am nächsten liegt". In V. 23b ergebe das 1) 2)
3)
aaü 331 f. aaü 86lff. Kurze Erklärung des Evang. Matthäi, Leipzig 1836, 103f.
90
yae einen guten Zusammenhang.
TeÄ.eiv bedeute "alle durchgehen, in der Ij'lucht alle berühren". "Ew~ äv llMJn Y.TÄ.. heiße: "bis der (siegende) Messias (zu eurer Hülfe) erscheint". Man müsse an Jesu Wiederkehr wie im 24. Kap. denken und eine "Prolepsis" annehmen. Indessen seien die hier vorausgesagten Gefahren für die damalige Zeit zu bedeutend, paßten aber auch nicht in den Gesichtskreis des 24. Kapitels (ganze Erde). De Wette fragt: "Sollte man vielleicht zwei verschiedeneQuellen für die Reden J. von seiner Zukunft anzunehmen haben, aus deren einer Matth. hier und der andern dort schöpfte 1" Daß Jesus in Mt 10, 23 auf die nahe Parusie verweist, istauchdie Meinung von Ernost Renan (1823-1892). In seiner Darstellung des Lebens Jesu 1 ) betont er, Jesus habe es immer abgelehnt, Fragen über die Zeit seiner Wiederkunft zu beantworten. Er habe das Überraschende an ihr hervorgehoben und zur \Vachsamkeit aufgefordert. "Aber seine Erklärungen über die Nähe der Katastrophe lassen keine Zweideutigkeit aufkommen." Das zeigen die Worte Mt 10, 23; 24; 25; bes. 24, 29.34; Mk 13, 30; Lk 13, 35; 21, 28tf. Renan meint: "Durch eine Illusion, die allen großen Reformatoren gemeinsam ist, stellte sich Jesus das Ziel viel näher vor als es in Wirklichkeit war; er gab sich nicht Rechenschaft über die Langsamkeit der Menschheitsbewegu.ngen; er bildete sich ein, in einem Tag zu verwirklichen, was 1800 Jahre später noch nicht vollendet sein sollte." Hier haben wir also, obschon Renan nicht eine eingehende Auslegung vonMt 10,23 bietet, beides beieinander: die These von der Naherwartung und diejenige vom Irrtum Jesu. Eine sehr ausführliche Auslegung unseres Logions verdanken wir Wilhelm Weitfonbach (1842-1905). In seinem Werk über den WiederkunftsgedankenJesu2) stellt er vorab fest, Mt 10,17-22 sei in der Aussendungsrede eine "unmögliche Antizipation und ein großartiger Anachronismus". Dasselbe gelte auch von V. 23 mit seiner Fluchtmahnung und seinem Wiederkunftstrost. V. 23 sei also in die letzte Zeit J esu zu verweisen. Bezüglich der Echtheit dieses Verses geht Weitfonbach zunächst auf die Antinomie zwischen den Stellen ein, die von einer universellen Mission und denjenigen, die von einer
1) 2)
Vie de Jesus, Paris 1863 7 , 276ff. Der 'Viederkunftsgedanke Jesu, Leipzig 1873, 298ff.
ausschließlich judäischen Wirksamkeit handeln. Ein Verfahren, das cntwec.ler die Echtheit von l\1k 13, 10 etc oder von .Mt 10, 23 leugnet, erklärt WeifTenbach für einseitig. Für ihn ist der Gedanke einer universalen Heidenmission (Mk 13, 10 ctc) nicht eine Instanz gegen die Eehthcit von Mt 10, 23. Die Authentie des Mt 10, 23 zugrundeliegenden Gedankens ist ihm im Hinblick auf andere Wicdcrkunftsworte unanfechtbar. "Es kann für uns also keine li'rage sein, daß uns. St. als ein neuer Beleg für die Aechthcit und Ursprünglichkeit des Herrengedankens einer nahe bevorstehenden persönlichen Wiederklmft anzusehen ist." Lediglich die "eigentümlich judenchristliehe Formulierung dieses Gedankens" in V. 23 b könnte Bedenken erregen. Im jetzigen Zusammenhang laute der Sinn: "Ihr werdet auf emem Fluchtwege (V. 23a) bis zur Wiederkunft noch nicht in allen Städten Israel's gewesen sein. So nahe steht die Parusie bevor." Der Hinweis auf das "Fliehen der Jünger aus einer Stadt in die andere" deute auf eine "ganz singuläre Zeit" hin, ähnlich wie Mk 13, 14, nämlich auf die Flucht der Christen nach Pella im Jahre 68. So würde die judenchristliche Fassung des Wiederkunftsgedankens in .Mt 10, 23 verständlich. Der jetzige Wortlaut des Spruches könnte nur festgehalten werden, wenn man seinen Zusammenhang mit V. 23a als unauthentisch verwirft und V. 23b als selbständigen Spruch betrachtet, was im Hinblick auf den "Konglomeratscharakter" der Aussendungsrede denkbar wäre. Dann ließe sich das u:Uarrre auf die Vollendung der Missionstätigkeit der Apostel in Israel beziehen. Das ergäbe dann den Sinn: "Ihr werdet in der Verkündigung des Evangeliums noch nicht alle Städte Israels durchlaufen haben, bis des .Menschen Sohn kommt. So nahe ist die Parusie." Auch Bernhard Weiß (1827-1918) vertritt zunächst die Auffassung, daß sich das Logion .Mt 10,23 nicht an seinem ursprünglichen Ort befinde. In seinem Buch über das .Matthäusevangelium1 ) äußert er sich ausführlich zu unserem Wort. Textkritisch hält er sich an die kürzere Lesart. Inhaltlich bemerkt er, der Evangelist füge in V. 23 ein besonderes Trostwort ein. "Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, fliehet in die andre." Gegenüber der Besorgnis, daß sie zuletzt keine Zufluchtsstätte finden können, begründe Jesus seine 1 ) Das Matthiiusevangelimn und seine Lucas-Parallelon, Halle 1876, 269f. 272ff.
Aufforderung durch die Versicherung: "Ihr werdet gewiß nicht ... die Städte Israels, als des jüdischen Landes, vollenden, bis gekommen sein wird der Menschensohn." Gemeint sei das Suchen einer Zufluchtsstätte, und das n:Äeiv gehe darauf, "daß sie noch nicht in allen eine solche werden gesucht haben, wenn die "Wiederkehr des Messias aller Verfolgung ein Ende macht". Alle abweichenden Deutungen des litfhiv seien kontextwidrig. Der Evangelist denke sich die Jüngermission bis zur Parusie sich erstreckend. "Wie er sich diese Mission ursprünglich überhaupt nur für Israel bestimmt ansah (V. 5.6), so läßt er auch die Parusie ursprünglich so nahe in Aussicht genommen sein, daß die Jünger die Missionierung Palästinas bis dahin noch nicht vollendet haben werden." Zur Entstehung des V. 23 bemerkt er, die lVIarkusparallele und der Abschluß in V. 22 zeigen, daß er nicht hierher gehöre und überhaupt nicht ursprünglich sein könne. Dem Evangelisten habe der Zusammenhang der Parusierede vorgeschwebt (Mk 13, 13ff). "In der Situation der Aussendungsrede, welche die Jünger auf Palästina beschränkte (10, 5), konnte eine Reminiscenz an diese Gedankenreihe nur die Form mmehmen, daß ihrer Flucht durch die Städte Palästinas mit der Wiederkunft Jesu werde ein Ende gemacht werden, ehe es soweit gekommen, daß ihnen nirgends mehr eine Zufluchtsstätte übrig blieb." In der von ihm verfaßten 9. Auflage des Meyerschen Kommentars1) äußert B. Weiß in geraffter Form dieselben Gedanken zu Mt 10, 23. Allerdings fehlt dort die Bemerkung, daß der Vers nicht hierher gehöre und überhaupt nicht ursprünglich sein könne, weshalb wir die Auslegung von B. Weiß hier einordnen. Auch Karl Friedrich Keil (1807-1888) faßt in seinem Kommentar2) unser Logion als Naherwartungswort auf. Von V. 22 ausgehend, führt er aus: "Das Ausharren aber wird den Aposteln dadurch möglich, daß sie, wenn in einer Stadt verfolgt, in eine andere fliehen können ... Denn das Gebiet der Mission ist so groß, daß sie die Städte Israels nicht werden vollendet, d. h. ihre Mission in allen werden ausgerichtet haben, bis des Menschen Sohn gekommen sein wird", Keil fügt bei, n:Äeiv heiße "eonsummare", "zu Ende bringen", die noitet~ seien als die Orte ihrer Wir·ksamkeit genannt, und 1) 2)
Das l\1att.hiiHA-Evangclium, Göt.tingcn 1898, 203f. Comrnontar über daR Evaugcli11m dt"A Matthii.HR, Leipzig 1877.
93
durch den Zusatz -rov 'lr:J(!. werde der apostolische Beruf wie in V. 6 auf Israel beg:r:enzt. Keil ist der Auffassung, das Kommen des Menschensohnes beziehe sich auf die "Parusie Christi in Herrlichkeit zum Gericht (c. 24 u. 25)" und weist die Deutungen auf das Kommen Christi durch den Heiligen Geist, auf ein unbestimmtes Zuhilfekommen und auf den Sieg der Sache Christi ab 1 ). Der Problematik, die durch die Mt 10, 23 (und 16, 28; 24, 34) angekündigte Nähe der Parusie entsteht, widmet er bei der Exegese von Mt 24 eine grundsätzliche Erörterung. Danach hat die biblische Weissagung eine "optisch-complexe" und eine "bildlich-symbolische und typische" Beschaffenheit, nnd es läßt sich nicht a priori bestimmen, "wann und wie sie sich erfüllen wird, ob eigentlich ... , oder nur ihrem geistigen Inhalte nach; ob auf einmal ... , oder nur successive ... 2 )." Im Hinblick auf die Parusie stellt er fest: "Christus und seine Apostel lehren nur eine Parusie nnd unterscheiden nur verschiedene Phasen oder Manifestationen derselben." Als solche zählt er auf: die Erscheinungen des Auferstandenen, die Ausgießung des Heiligen Geistes und die sichtbare Wiederkunft. Die geistige Gegenwart und Wirksamkeit Christi in seiner Gemeinde sei die innerliche Seite der Parusie, sei aber nicht minder real als die zukünftige sichtbare Erscheinnng derselben 3 ). Ein weiterer Vertreter der Naherwartnng ist Rohort Kübel (1838-1894) in seinem Handbuch zum MtEv 4 ). Er versteht Mt 10, 23 im Anschluß an V. 22 als "eine tröstende, Mut zusprechende Wendung der Rede". Jesus wolle sagen: "Das messianische Heil kommt sicher; wenn ihr auch fliehen müßtet von einer Stadt zur andern, thuts getrost; noch ehe ihr damit fertig seid, kommt der Herr." Das q;svys-re umschreibt Kübel mit den Worten: "Laßt euch dadurch nicht beiiTen, als ob alles verloren wäre, thut, was das natürlichste ist, flieht in eine andere Stadt." Der Hauptgedanke des Verses liege im zweiten Satz. Ts:Asiv bedeute "zu Ende bringen, d. h. alle Städte bis zur letzten auf eurer Flucht durchziehen". Das sei "eine ans proverbielle streifende Redeweise,
lti1Ü 260. 11110 482 f. 3 ) aaO 486. 4 ) Exegetisch·homiletisches Handbuch zum Evangelium des Matthäus, Nördlingon 1889. 1) 2)
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deren Sinn ist; so weit, daß ihr in Israel keine Stadt mehr hättet, in die ihr fliehen könnt ... kommt es nicht, ehe euer Herr kommt". Jesus meine hier nicht die Missionsarbeit der Jünger (Keil), auch wolle er die Tätigkeit der Apostel nicht auf Israels Grenzen beschränken; er rede von der damaligen Situation aus (vgl. V. 5); zudem sei das Ganze hypothetisch gedacht: "Wenn ihr von einer Stadt Israels zur andern zu fliehen hättet, würdet ihr damit nicht fertig werden, ehe Ich komme." Unter dem Kommen des Menschensohnes könne hier "unmöglich etwas anderes gemeint sein, als Christi Kommen zur Aufrichtung des messianischen Herrlichkeitsreiches". Hier liege die Vorstellung von Dan 7 zugrunde 1 ). Das Problem der Naherwartung geht Kübel ebenfalls bei der Erörterung von Kap. 24 grundsätzlich an. Er geht davon aus, daß Jesus erklärt, über das "Wann" seiner Parusienichts zu wissen, und daß er die Parusie auch wieder in die Ferne rückt. Die Vorstellung von der Nähe der Parusie könne nur "eine mitunterlaufende private, nicht lehrhafte ... Erwartung" sein. Beides ergebe "sozusagen zwei psychologische Strömungen in Jesu 2)." Jesus reflektiere über die Frage der Nähe und Ferne der Parusie gar nicht. Kübel schließt: ". . . die Möglichkeit eines unwesentlichen privaten Irrtums bei Jesu auf Erden kann bei echt biblischer, d. h. kenotischer Christologie unmöglich, geleugnet werden. Aber von Schwärmerei ist damit keine Rede, dieser Irrtum ist . . . kein Lehrirrtum ... 3 )." Weiter ist in diesem Zusammenhang Willibald Beyschlag (1823 bis 1900) mit seiner Nt.Theologie zu nennen 4 ). Dort bemerkt er zum Logion Mt 10, 23: "Er (sc. Jesus) wird hereinbrechen über das jüdische Volk, wenn es mitten im hitzigsten Verfolgen der Jesujünger ist 5 )." Jesus lasse Mt 10, 23 "die Wiederkunft des Menschensohnes unstreitig mit der geschichtlichen Katastrophe des jüdischen Volkes zusammenfallen6 )." Nach Beyschlag besteht die Grundanschauung Jesu von seiner Parusie darin, daß sie sich in verschiedenen Hauptmomenten vollzieht. Diese Momente seien "das sieg-
aaO 222f. aaO 431. 1 ) aaO 432. ') Nt. Theologie, 1. Bd., Halle 1891. 6 ) aaO 190. 1 ) aaO 192.
1)
1)
:m
reiche Hervorgehen seines Lebens aus dem Tode und das unmittelbar hieran folgende Inslebentreten seiner Gemeinde; weiter sein weltgeschichtlicher Triumph über das vor ihm zusa,mmenbrechende Judenthum auf der einen, und das sich ihm erschließende Heidenthum auf der andcrn Seite; endlich die schließliehe Überwindung aller gottwidrigen Mächte, des Übels und des Todes, und die Herstellung des ewigen Gottesreiches 1 )". Alle diese Momente seien als "Erscheinungsformen des Ganzen" empfunden worden 2 ). So könne es nicht befremden, wenn Jesus in dem \Vorte Mt 10, 23 "die aller jüdischen Verfolgung ein Ende machende Katastrophe Jerusalems als ein ,Kommen des Menschensohnes' bezeichnete: Er war es, um im prophetischen Styl zu reden, der über dem untergehenden J erusalem in des Himmels Wolken einherfuhr3 )". Ferner nennen wir hier Adolf Schlatter (1852-1938), der mit seinen "Erläuterungen" noch ins 19. Jahrhundert hineingehört 4 ). Dort führt er zu unserem Logion u. a. aus: "Jesus will, daß sich seine Jünger auch zum Sterben bereit halten, will aber, daß sie dies mit der Gewißheit thun, daß er sie nicht vergessen habe, sondern sich mit Gottes Macht zur rechten Zeit offenbaren wird, ehe ihnen die letzte Zuflucht verloren geht. Sie sollen nicht zweifeln, daß der Sieg in der Hand Christi bleibt, auch wenn sie fliehen müssen und in den Tod gegeben werden." Die Erfüllung dieser Verheißung zeige sich in der Bewahrung der Gemeinde J esu vor den Verfolgern Paulus und Agrippa und in der Vergeltung über Jerusalem. Allerdings umfasse J esu Versprechen zugleich "die letzte höchste Hilfe", "daß er sich selber in seiner königlichen Herrlichkeit offenbare." Darum sei Jesu Verheißung "erst teilweise erfüllt". Daß Schlatter der Meinung ist, Jesus habe seine Parusie in naher Zukunft erwartet, wird deutlich in seiner "Geschichte des Christus" 5). Dort betont er, der Weissagung Jesu sei die Vorstellung ferngelegen, "daß vor seiner Wiederkunft ein langer Zeitraum liege". Er meint : "Jedes echte Hoffen streicht die Zeit aus, die das Gehoffte in die Ferne stellt, und zieht es ,bald' an sich, umso kräftiger, je stärker
aaO 196. aaO 197. 3 ) aaO 198. ') Erläuterungen zum NT, 5. Teil, Calw und Stuttgart 1895, 17lf. 5 ) Die Geschichte des Christus, 1923 2 , 481. 1)
2)
das Entbehren und Leiden ist, in dem es seine Wurzeln hat." In diesem Zusammenhang sieht er Mt 10, 23: "vVenn der harte, sehrnerzenreiche Kampf der Jünger mit der Synagoge erwogen wird, wie sie geächtet von Stadt zu Stadt fliehen, dann setzt die Verheißung seiner Wiederkunft ein; ehe sich der letzte Zufluchtsort für sie tchließt, kommt er ihnen zur Rettung." Ausdrücklich stellt Schlatser fest, Jesus habe den Jüngern keine Anleitung gegeben, "an der Weissagung verschiedene Bestandteile zu unterschieden, von denen die einen auf die nähere, die anderen auf eine entferntere Zukunft gingen". In seinem großen Matthäuskommentar 1 ) führt Schlatter zu Mt 10, 23 aus: Der nach Mt von Jesus gegebene Vorblick auf die Zukunft sei frei vom Verlangen nach Glück und von Illusionen über den Erfolg der apostolischen Arbeit, und jeder Blick ins Innere der Gemeinde fehle. Der Kampf der Jünger mit Israel steigere sich bis zum letzten Ende, und der Untergang der palästinischen Kirche werde erwartet. Die Jünger hielten sich unerschüttert zu Jesus; ebenso unvergänglich sei seine Gemeinschaft mit ihnen. "Die zertretenen und geächteten Jünger sind die Seinen, zu denen er sich bekennt, und er wird es in der Macht Gottes tun." Die Parusie werde hier den von Ort zu Ort Flüchtenden verkündet. Die Stelle sei weit entfernt von den Anliegen eines Apokalyptikers. Der Christus komme zur Rettung der Vertriebenen aus dem Himmel hernieder. Eindrücklich vertritt Johannes Weiss (1863-1914) um die Jahrhundertwende die eschatologische Deutung unseres Logions, und zwar ebenfalls im Sinne der Naherwartung. In der l. Auflage seines berühmten Buches über die Predigt Jesu vom Reiche Gottes 2 ) äußert er sich zwar nicht über Mt 10, 23. Aber in der 2. Auflage 3 ) hält er das Wort für eine "unzweifelhaft echte Stelle". Ausführlicher äußert er sich in seinem Synoptiker-Kommentar1 ). Dort weist er zunächst auf die Parallele von Mt 10, 17-22 in Mk 13, 9-13 hin. Bei Mt fehle aber der Mk 13, 10 genannte Zeitpunkt der Wiederkunft nach der Heidenmission. Dafür habe Mt in V. 23 Dor Evan~eliRt MatthiiuA, Stuttgart 19,18 3 , 342. Dio Predigt Josu vom Roiche Gottes, Göttingen 1892. 8 ) Göttingon 1900, 161 Anm. 1. •) Die droi erston Evangelien, Göttingen 1907, 310. 1)
2)
97 eine für Mk unbrauchbare Fortsetzung erhalten. Diese Sprüche hätten sich ursprünglich nur auf die Judenmission in Palästina bezogen, daher der Wortlaut von V. 23b. Dieses Wort könne nur niedergeschrieben sein zu einer Zeit der Naherwartung und Beschränkung auf das jüdische Volk. In der Aufbewahrung dieses Wortes habe sich der Evangelist "ebenso als ein treuer Haushalter über die Worte Jesu bewiesen, wie bei 10, 5b". Zum Problem der Naherwartung äußert sich J. Weiss in seinem erstgenannten Buche1 ) wie folgt: "Es ist einer der rührendsten menschlichen Züge an Jesus, daß er bei dem Gedanken an seine Wiederkunft nicht ferne Zeiten und Generationen sich vergegenwärtigt hat, sondern die Menschen, um die er mit seiner Liebe geworben, und für die er gekämpft und gelitten hat. Nur ein ganz verknöcherter Dogmatismus kann sich an dem ,Irrtum' Jesu stoßen. Wer etwas Sinn für das Leben hat, wird in dieser Hoffnung Jesu einen neuen Beweis finden, wie unendlich er an den Menschen gehangen hat, die ihm von seinem Vater als Gegenstand seines Wirkens zugewiesen waren."
b) Die Unechtheitshypothese Während die bisher besprochenen Exegeten von der Annahme ausgehen, das Logion Mt 10, 23 sei ein echtes Herrenwort und ihm höchstens einen andern ursprünglichen Platz als den gegenwärtigen zuweisen, sehen es andere als einen Ausspruch an, den Spätere verändert oder überhaupt erst nachträglich J esus in den Mund gelegt haben. Als erster Vertreter dieser Richtung ist Kar! Friedrich August Fritzsche (1801-1846) mit seinem lateinischen Matthäuskommentar zu nem1en 2 ). In V. 23a kritisiert er die Lesart lx •· n. lxelvr;t; als "zu wenig bezeugt und lächerlich wegen ihres Sinnes". Die längere Version, die Griesbach übernommen hat, ist nach Fritzsche "eine sehr schlechte Weiterführung eines unbrauchbaren :Menschen". Elt; •· ä. heiße nicht "in eine andere"; gemeint sei vielmehr die nächste Stadt. Dns ya(! in V. 23 b stellt nach Fritzsche folgenden Zusammen-
2. Auf!. 105. Evangelium Matthaei recensuit et cum commentariis perpetuis edidit, Lipsiae 1826, 377ff. 1)
2)
7 Künzl, Matthilus
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hang her: "Wenn sie euch in dieser Stadt bedrängen, entflieht in die nächste ... , denn ich erkläre euch, alle israelitischen Städte werden nicht durchwandert sein, bis ich als Messias gekommen bin." Das ov f-l~ uil. bezieht Fritzsche gegen Grotius auf den Weg durch die Städte. Der Schlußteil lwr; äv lil{}n o vL -c. d. würde, aus der Situation der Aussendung (V. 5) heraus, bedeuten: "Ihr werdet nicht gezwungen werden, alle Städte der Israeliten in ängstlicher Flucht zu besuchen, bis der Messias, dessen nahe Ankunft zu verkündigen ich euch aussende, gekommen ist und euch Rettung bringt." Er habe sich damals den Aposteln noch nicht als Messias offenbart gehabt, vgl. Mt 16, 16. 20. Aber dieser Interpretation widerstrebt nach Fritzsche die Andeutung von Gefahren, denen die Apostel in jener Zeit gar nicht begegnet sind (V. 17-23). Er folgert, Matthäus habe den Glauben seiner Zeitgenossen an die nahe Rückkehr Christi aus dem Himmel (Phil 4, 5) Jesus viel vorher aussprechen lassen. Es sei daher zu übersetzen: "bis ich als Messias (wieder-)komme und eurer Heimsuchung ein Ende bereite." Unter Berufung auf Kap. 24 und 25 verwirft Fritzsche die Deutung unseres Logions auf den Untergang des Jüdischen Staates. Wichtig ist die Auslegung unseres Logions durch Heinrich August Wilhelm Meyer (1800-1873). In der ersten Auflage seines Kommentars1) widmet er unserem Vers nur einige Bemerkungen. Die längere Version von V. 23a sei eine "lästige Erweiterung der Sentenz durch spätere Hand". Tav-cn und -c~v äilil17v seien deiktikos zu verstehen. "Ewr;-avtJe. heiße: "bis zur feierlichen Rückkehr des Messias vom Himmel." Es handle sich um ein "Hysteron-Proteron", "welches Matth. Jesu in den Mund legt", da sich Jesus kurz vor seinem Tod für den Messias erkläre (Mt 16, 16. 20). In der vierten Auflage des Kommentars 2 ) wird er ausführlicher. Er wiederholt, -cav-cn und -c~v äilil17v seien deiktisch zu verstehen. "Euer Gebiet ist groß genug, um der Verfolgung zum Heil anderer zu weichen." Das yae führe ein, was den Jüngern das Fliehen unbedenklich machen soll. Ov fl~ uil. etc bedeute: "Ihr werdet gewißlich nicht vollendet haben die Städte Israels, d. h. ihr werdet nicht in allen gewesen sein." Die Fassung : "zur christlichen Voll1 ) Kritisch-exegetischer Kommentar über das NT, I. Abth., Göttingen 1832, 89. 92. 2 ) Göttingen 1858.
kommenheit bringen" sei "ein verfehlter Nothgriff zur Hinausrückung der Parusie." "Ew~ äv lJ..{}r; bedeute: "Bis gekommen sein wird der Messias, welcher dam1 euren Trübsalen ein Ende machen und euch zur Herrlichkeit seines Reichs aufnehmen wird." Jesus meine seine Parusie (Mt 24), die er jetzt als so nahe verkündige, daß 24, 14 nicht damit zu vereinigen sei. Es handle sich uin verschiedene Überlieferungsmomente der ParusieredeiL Der Hinweis auf die Parusie gehöre in eine spätere Zeit des Lebens Jesu und sei hier in antizipierender Weise verarbeitet. Die die Parusie wegdeutenden Erklärungen nennt Meyer "lauter wortwidrige und nothgedrungene Ausflüchte"l). Über die WeissagWlg der Parusie führt er bei Kap. 24 u. a. aus, Jesus habe 1. von einer Parusie in dreifachem Süme gesprochen; er meine a) die Mitteilung des Hl. Geistes (Joh 16, 16 u. a.), b) die geschichtliche Offenbarung seiner Herrschaft (Mt 26, 64) und c) seine Parusie zur Erweckung der Toten etc (Joh 6, 40 u. a.). 2. Jesus habe seine Parusie im uneigentlichen Sinne alsnahe bevorstehend vorhergesagt; die Jünger dagegen hätten dasselbe von der "wirklichen Reichserscheinung" erwartet. 3. Die Jünger hätten die Erfüllung zuerst bei der Geisttaufe (Apg 1, 6), dann während ihres Aufenthaltes in Judäa (Mt 10, 23) und schließlich in der Lebensdauer der Generation erhofft. Man habe die Parusie gleich nach der Zerstörung Jerusalems erwartet; das habe sich auf die Form der Verkündigung ausgewirkt 2 ). Mit der Möglichkeit, daß Mt 10, 23 aus späterer Zeit stammt, rechnet David Friedrich Strauss (1808-1874) in seinem "Leben Jesu" 3 ). Im Zusammenhang mit unserem Logion stellt er ausdrücklich fest, daß mit dem Ausdruck "des Menschen Sohn" eine bedeutende Person bezeichnet sei, nämlich der Messias 4 ). Dann stellt er die Vermutung auf, in Mt 10, 23 könnte an eine dritte Person gedacht sein, "deren baldige messianische Ankunft J esus verspreche"5). Später vertritt er, zusammen mit andern Kritikern, die Meinung, Aussprüche wie Mt 10, 23 paßten nicht zur ersten Aus-
aaO aaO 3 ) Das ') aaO 5 ) aaO 1) 2)
236f. 462ff. Leben Jesu, 1. Bd, Tübingen 1835. 465. 467.
100 sendung der Zwölf, die ja erfreulich verlief, sondern setzten "die getrübteren Verhältnisse" nach bzw. kurz vor dem Tode Jesu voraus. Strauss schließt: "Demnach hätte Lukas das Richtigere, indem er diese Reden in die letzte Reise Jesu versetzt: wenn nicht gar dergleichen Schilderungen des späteren Schicksals der Apostel und übrigen Anhänger Jesu erst nach dessen Tode ex eventu gemacht, und ihm als Weissagungen in den Mund gelegt worden sind 1 )." Radikal verfährt der Außenseiter Bruno Bauer (1809-1882) in seiner "Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker" 2 ). Er meint, der V. 23 sei durch Stichwortanknüpfung entstanden. Die Rede von den Verfolgungen sei in V. 22 abgeschlossen, aber es folge V. 23, womit Mt zum Thema der Instruktionsrede des Mk zurückkehre. Vorher sei vom "Welttheater" die Rede, jetzt aber von den Städten Israels. Von der Ankunft des Menschensohnes werde gesprochen, nicht aber vom Leiden und Tod des Herrn. Darum habe Mt den Spruch aus einem fremden Zusammenhang entlehnt. Die Worte Mk 8, 31. 32. 38 zeigten einen motivierten Fortschritt Tod und Auferstehung- Wiederkunft, vgl. 9, I =Mt 16, 28. Dies sei "derselbe Spruch, den er (sc. Mt) - zur Unzeit - in die Instructionsrede versetzt und der Situation, die hier vorausgesetzt wird, so passend- d. h. so unpassend- als er nur konnte, anbequemt. Hatte er doch eben erst vom ,Ende' gesprochen, was brauchte er mehr, um an die Wiederkunft des Menschen-Sohnes zu denken? Ja das Wort ,Ende' gab ihm sogar den Stoff, der beide Sprüche aneinanderklebte: er schreibt nun hin: ihr werdet die Städte Israels nicht zu ,Ende' bringen, bis des Menschen Sohn kommt". Der klassische Vertreter der Unechtheitshypothese ist Timothee Colani (1824-1888). In seinem Jesusbuch 3 ) argumentiert er folgendermaßen: Wenn das Wort Mt 10, 23beider Aussendung der Apostel gesprochen worden sei, habe Jesus damals einen andern Messias erwartet als sich selbst. Wenn aber Jesus von sich und seiner glorreichen Ankunft gesprochen habe, stehe dieses Wort in Widerspruch
1)
aaO 591.
•) Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, 2. Bd., Leipzig 1841, 227ff. 8 ) Jesus-Christ et les croyances messianiques de son temps, Strasbourg 1864, 128f.
101 zu den Weissagungen über den Untergang der jüdischen Nation und die Berufung der Heiden. "Jesus hat es nicht aussprechen können." Es stamme von den Judenchristen, die nach Euseb 1 ) von Jerusalem nach Pella flohen und sich mit der Hoffnung trösteten, "daß die Parusie stattfinden würde, bevor sie gänzlich aus Palästina vertrieben wären". Ähnlich urteilt Theodor Keim (1825-1878) in seinem Werk über die Geschichte Jesu 2 ). Hier stellt er im Hinblick auf die Wiederkunft fest, es töne aus allen Reden Jesu, daß er noch in dieser Generation erscheine. Es sei z. B. "ein eilendes Kommen noch vor dem Durchzug der Apostel durch Israel" ausgedrückt - unzweifelhaft eine Anspielung auf Mt 10, 23 3 ). Allerdings bemerkt er, Mt 10, 23 könne "als spätere judenchristliche ungeduldige Formation erscheinen4)." Im 3. Band seines Werkes 5) präzisiert er, Mt 10, 23 zeige die Verfolgungen der Christen seit Frühjahr 68 wie auch z.Z. Bar Kochbas. Es wolle aber wohl nicht sagen, "die Apostel werden mit der Mission Israels nicht fertig werden, biß der Messias komme, sondern auf ihren Fluchtwegen werden sie nicht alle Städte erschöpfen, vorher werde der Messias der Nothein Ende machen 6 )." Zumindest an eine Beteiligung Späterer bei der Bildung des Spruches Mt 10, 23 denkt auch Otto Pfleiderer (1839-1908) in seinem Werk über das Urchristentum 7 ). Dort bemerkt er, Mt 10, 23 sei "ein Spruch, der die apokalyptischen Erwartungen der Urgemeinde und zugleich ihre enge Begrenzung des messianischen Heils auf Israel in so schroffer Weise ausspricht, daß der Widerspruch desselben mit dem universellen Missionsgedanken des Evangelisten (24, 14; 28, 19f) von jeher aufgefallen ist." Eben darum könne der Spruch nicht vom Evangelisten selbst, sondern nur aus seiner Quelle stammen. Derartige Worte seien von Mt aufbewahrt worden, weil sie der ältesten Überlieferung angehörten und ihre Aufbewahrung für Mt nicht mehr bedenklich erschien 8 ). In t) H. E. 3, 5, 3.
Geschichte Jesu von Nazara Il: Das galiläischeLehrjahr,Zürich 1871. aaO 568. 4 ) aaO 567, Anm. 2. •) Das jerusalemische Todesostern, Zürich 1872. ') aaO 200, Anm. 3. 7 ) Das Urchristentum, 1. Bd, Berlin 1902 2 • 8 ) aaO 574. 2)
3)
102
Mk 9, 1 = l\1t 16, 28 und Mt 10, 23 werde "der Termin für die Erscheinung der Gottesherrschaft und des Messias noch innerhalb der Generation der Zeitgenossen Jesu angesetzt". Pfleiderer meint: "Mag auch die Form dieser Weissagung bei Mt sekundär sein, so spricht doch nichts gegen diese Überlieferung des Mk." Endlich ist in diesem Zusammenhang Heinrich Julius Holtzmann (1832-1910) zu nennen. In seinem Synoptikerkommentar 1 ) stellt er zunächst fest, die Leidensweissagung Mt 10, 17-25 sei "so lange vor dem eigenen Leidens- und TodesentschluG des Meisters" nicht am Platze. Sie widerspreche auch den Voraussetzungen der Aussendung. Das Stück sei inhaltliche Dublette zu Mt 24, 9. 10. 13. 14 = Mk 13, 9-13 und spiegle die Verfolgungen 1 Thess 2, l4 ab. Erfährt dann fort: "Sondereigenthum des l. Evglisten, charakteristisch für eine Zeit, da die Aufgabe der Mission noch auf Palästina beschränkt war ... , ist der Spruch 23, wonach die Apostel ihre Aufgabe noch nicht einmal in Israel ganz werden zu Ende geführt haben ... , wenn bereits der Messias als der von Gott verordnete Richter der Welt zurückkehrt; somit richtet sich das yae gegen die Besorgnis, sie könnten bei solcher Praxis bald gar keine Zufluchtsstätte mehr finden." In seinerNt.Theologie 2 ) bemerkt H.J. Holtzmann, der Evangelist werde nicht müde, "die ursprüngliche Beziehung des messianischen Auftretens auf das jüdische Volk zu betonen", und er setze, "in Festhaltung der nationalen Prärogative Israels", Mt 10, 23 sogar die Parusie auf den Moment an, "noch bevor die Mission der Jünger nur innerhalb Palästinas ganz zu Ende geführt sein wird".
c) Deutung auf die Judenmission Neben diesen Deutungen auf die (nahe) Parusie halten sich aber in der protestantischen Auslegung von Mt 10, 23 im 19. Jahrhundert auch traditionelle Deutungen. Schon früh taucht die Deutung von Mt 10, 23 auf die Zeit der ersten Mission auf, und zwar bei Christian Theophil Kuinoel ( 17 68-1841). In seinem lateinischen Matthäuskommentar 3 ) gibt er vor allem ausführliche philologische und textkritische 1 ) Die Synoptiker, Hand-Commenta.r zwn NT, 1. Bd. 1. Abt., Tübingen und Leipzig 1901', 233f. •) Lehrbuch der Nt. Theologie, 1. Bd., hg. v. A. Jülicher und W. Bauer, Tübingen 19112, 509. 1 ) Evangelium Matthaei illustravit, Lipsiae 1807, 289f.
103 Erklärungen. In V. 23a bedeute I'Jtwxetv "vexare, perseqm, miuriam infmTe alicui". Die längere Version erklärt er als "additamenturn Grammaticorum", das vielleicht aus 23, 45 entstanden sei. Das Schwanken zwischen aAA1JV und lreeav mache den Zusatz verdächtig. In V. 23 b beziehe sich das reA.eiv auf den Weg, wie Pindar 1 ) sowie der Gebrauch der Verben avvetv und &avvetv zeigen. Im Hin blick auf das "Kommen des Menschensohnes kritisiert er zuerst die Deutungen auf den Untergang der Stadt und des Staates der Juden sowie die Deutung im Sinne von Joh 14, 18, um dann zu erklären: "Ich aber meine mit Beza, Bolten u. a., Christus wollte mit diesen Worten nur dies verkünden, er werde wieder bei den Aposteln sein, bevor sie die ganze Gegend durchzogen hätten, vgl. Lk 10, 17, und er habe diese ·worte angefügt, damit sie den Mut nicht verlören." d) De1dung auf den Jüdischen Krieg Wir gehen jetzt über zu der auch im 19. Jahrhundert vorkommenden Deutung unseres Logions auf den Untergang Jerusalems und des Jüdischen Staates. Wie wir gesehen haben, versteht W. Beyschlag dieses Ereignis als Teil der Parusie. Hier sollen jetzt noch diejenigen Autoren zur Sprache kommen, die dieses Ereignis isoliert betrachten. An erster Stelle ist hier Heinrich August Schott (1780 bis 1835) zu nennen. In seinem exegetisch-dogmatischen Kommentar2) widmet er dem Logion Mt 10, 23 eine längere Abhandlung, in der er im wesentlichen Folgendes ausführt: Die längere Version von V. 23a sei echt und die kurze Form durch Auslassung entstanden. Das Verbum &wxetv schließe den Begriff des Quälens und Verfolgens ein, und auf schwere Mißhandlungen lasse auch die längere Version schließen. Die Wendung ov p~ reA.. etc beziehe sich auf den Weg, wie der Sprachgebrauch bei Pindar 3 ) etc zeige. Die Deutung von Olearius (reA.eiv = Ct.:lT'l) sei abzulehnen, da uA.eiv in der alexandrinischen Übersetzung nie Ct.:lT'l wiedergebe. Dann setzt sich Schott mit den verschiedenen Deutungen des Olymp. 2, 4. •) Commentarius exegetico·dogmaticus in eos Jesu Christi eermones qui de reditu eius ad iudicium futuro et iudicandi provincia ipsi demandata agunt, Jenae 1820, 215ff. 3 ) Olymp. 2, 4. 1)
Koromens Christi auseinander. Die Meinung eines Anynomus, der Erlöser erwarte hier zu Lebzeiten der Apostel seine Rückkunft zum Gericht, widerspreche andern Aussagen (vgl. Mt 24 und 25). Gegen die Auffassung, Christus spreche hier davon, daß er seinen Jüngern bald nachfolgen werde (Lk 10,1 vgl. 17), führt er das Argument Lippolds 1 ) ins Feld, wonach der Erlöser hier seine Ankunft in die Zeit der Verfolgung der Apostel verschiebe, die aber erst nach seinem Tode eingetreten sei. Es handle sich hier um einen "einzigartigen Umstand" (causa singularis). Er würde den Exegeten beipflichten, die das Wort nach Joh 14, 18 auf das Pfingstereignis deuten, wenn der Wortlaut der Rede nicht auf eine spätere Zeit hinwiese. So schließt er sich der Ansicht derjenigen an, "die meinen, Christus habe bei diesen Worten die Zeit der Zerstörung Jerusalems und des Untergangs des ganzen Staates der Juden vor Augen gehabt". Gegen Lippold sei zu betonen, daß die Ankunft des Retters Mt 24 in strafendem Sinne gemeint sei. Das "Kommen" sei von Christus nicht immer im seihen Sinn verwendet worden. Wenn auch das Wachstum der christlichen Kirche eingeschlossen sei, so sei der Begriff der Zerstörung hier doch primär. Die so verstandene Weissagung V. 23 werde als Trostwort aufgefaßt. Schott sieht aber in V. 23a nicht so sehr einen Trost als vielmehr eine Aufforderung zur Klugheit im Sinne von V. 16 ausgesprochen. Daranfüge sich die Weissagung V. 23b, wodurch die Prediger des Evangeliums vor der Zerstörung Jerusalems die Grenzen Palästinas überschreiten und den Heiden die Lehre vom Reich bringen werden. Das ergibt dann folgende Übersetzung und Paraphrase des ganzen Ausspruches: "Wenn sie euch also in einer Stadt quälen, flüchtet in die andere; wenn sie euch aus dieser Stadt vertreiben, begebt euch in die andere und bringt ihren Bewohnern die heilsame Lehre (entreißt euer Leben. . . den Nachstellungen der Menschen). Glaubt mir: ihr werdet überhaupt nicht alle Städte Israels durchziehen, bis der Sohn des Menschen kommt. Glaubt mir, das Evangelium ist weit und breit fortzupflanzen. Ja sogar bevor ich meine unsichtbare Macht in diesem einzigartigen Ereignis (der Zerstörung des Jüdischen Staates) gezeigt habe, werdet ihr die Lehre vom göttlichen Reich andern, außerhalb von Judäa gelegenen Städten überliefern." 1 ) Das Werk von J. Lippold, lnterpretatio sacrorum de Christo venturo oraculorum Matth. 10, 23; 24, 27sq. Jo. 21, 22, Dresdae 1776, ist mir leider nicht zugänglich.
105
Auch Johannes Wiehelhaus (1819-1858) gehört zu dieser Gruppe von Auslegern 1 ). Nach Wiehelhaus bedeutet u.l.. "zu Ende bringen, damit zu Ende kommen, ganz durchwandern". Im übrigen sei das Kommen zum Gericht gemeint, "welches durch den jüdischen Krieg und die Zerstörung Jerusalems über Israel erging". Es handle sich um die Rache des Herrn an seinen Feinden. e) Allgemeine Deutung Zwei protestantische Autoren des 19. Jahrhunderts vertreten eine sehr allgemeine Deutung unseres Logions. Ch. Hermann Weisse (1801-1866) führt in seinem Werk über die evangelische Geschichte 2 ) zu Mt 10, 23 aus: "Daß die ,Parusie' und das Weltende nahe bevorstehen, haben diese Worte gewiß nicht sagen sollen, sondern nur, daß, so lange die Welt steht, das Christenthum unablässig zu kämpfen haben werde, und, aus einer Stätte vertrieben, sich andere Stätten suchen müsse." Ludwig Friedrich Otto Baumgarten-Crusius (1788-1843) meint inseinem Matthäuskommentar3 ) zu Mt 10, 23, in der ersten Vershälfte werde "das äuße1"liche sich-erhalten" bezeichnet. Die längere Version sei zu verwerfen. In der zweiten Vershälfte erklärt er das UA. noA. mit lJte(!XOflBVOV' T. und das ew, av V.. mit neo TOV l).{hiv. Er meint, die Reden vom Kommen, Christi wiederholen "die jüdischen Bilder von dem Erscheinen des Messias, sie anwendend auf ein Wiederkommen". Sie können l. als zu rohsinnlich nicht im eigentlichen Sinne oder als Akkomodation genommen werden, 2. als zu bedeutend nicht auf die Zerstörung J erusalems bezogen werden, sondern seien 3. "bestimmt alle Allegorien". Sie bedeuten "die Entscheidung und den Sieg der Sache Christi". f) Deutung auf die (ferne) Parusie In der protestantischen Exegese des 19. Jahrhunderts findet sich auch die Deutung unseres Logions auf die (ferne) Parusie. Vor 1 ) AkademiAcho Vorlesungen über das NT, 2. Bd., hg. und erg. v. A. Zahn, 2. Auf!. von W. Beclcer, Halle 1885, 222. 2 ) Die evang. Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet, 2. Bd., Leipzig 1838, 63f. 3 ) Commentar über das Evang. des Matthäus, hg. v. J. G. Th. Otto, Jena 1844, 198.
106 allem ist hier Joh. Christian Konrad Hofmann (1810-1877) zu nennen 1 ). Zu V. 23a bemerkt er: "Für jetzt war es genug, daß er (sc. Jesus) sie ermahnte, sich von der Aufnahme, welche die Predigt finden würde, in der Art leiten zu lassen, daß sie vor Verfolgung immer von einer Stadt in die andere entwichen, das vVerk ihres Berufs weiter zu treiben." In V. 23b steht für Hofmann v. a. fest, "daß unter dem Kommen des Menschensohnes nichts anderes zu verstehen ist, als seine Offenbarung in der Herrlichkeit". :Für Hofmann enthält der Satz nicht einen Trost oder eine Beruhigung für die Jünger, "sondern er weist auf den andauernden Widerstand hin, welchem ihre Predigt in Israel begegnen werde. Sie werden immer von einem Orte zum andern fliehen müssen; denn des Menschen Sohn wird eher in seiner Herrlichkeit erscheinen, als es ihnen gelingt, die Städte Israels fertig zu bringen". Unter uÄeiv -r. :n:. -r. 'I. sei nicht ein bloßes Durchwandern zu verstehen, sondern "die Erreichung des apostolischen Zwecks in denselben". Der Herr benehme den Jüngern die Hoffnung, daß ihre Predigt jemals zur Bekehrung des ganzen Israel führen werde. Damit vertrage sich die Hoffnung Röm ll, 26 wohl, die nur auf die Bekehrung des Volkes Israel in Masse, nicht auf die Bekehrung aller Einzelnen gehe. Etwas anders liegen die Akzente in der Auslegung von Carl Friedrich Nösgen (1835-1913). In seinem Kommentar 2 ) sagt er, das lv flBacp Ävxwv werde geschildert u. a. als allgemeiner Haß gegen die Jünger. "Dabei wird in Übereinstimmung mit der Weisung V. 14 im Falle der Verfolgung in einer Stadt die Flucht V. 23 angeraten, aber nur als Mittel das Ev. zu anderen Städten Israels zu tragen, und zu dem Zwecke deren ganze Reihe zu durchlaufen (uÄeiv). Ferner wird die Tröstung angeschlossen, daß schon vor Vollendung dieser Aufgabe ihrem ganzen bei dieser ersten Sendung noch nicht ins Auge gefaßten Umfange nach der in ihnen verschmähte Menschensohn als Herr zum Gericht erscheinen werde."
g) Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes Es bleibt im 19. Jahrhundert noch die Deutung unseres Logions
Weissagung und Erfüllung, 2. Hälfte, Nördlingen 1844, 267f. Die Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas, Nördlingen 1886, 61. 64. 1) 2)
lU7
auf das Pfingstgeschehen. Sie wird vertreten durch Friedrich Bleek (1793-1859). In seinem Synoptikerkommentar1 ) äußert er zu Mt 10, 23 folgende Gedanken: Die längern Versionen in V. 23a seien, da nicht genügend bezeugt, wahrscheinlich spätere Einschaltungen. In V. 23b seien "die Städte des Israelitischen Volkes überhaupt, ohne Unterscheidung von Galiläa und Judäa" gemeint. TBA. 1:. n. bedeute "sie allesamt durchwandern, was hier heißt: in ihnen das Evangelium verkündigen". Bezüglich des "Kommens des Menschensohnes lehnt Bleek znnächst die Deutung von Chrysostomus u. a. ab. Das Kommen des Menschensohnes oder Christi stehe im N'r gewöhnlich "von seinem Erscheinen in seiner Herrlichkeit, wo er sich auch der Welt als Messias und Herrn knndgeben werde". So sei das lexeafJat auch hier zu nehmen. In apostolischer Zeit sei dieses Kommen Christi "von einer zweiten Erscheinung desselben auf Erden" gemeint, und zwar sei diese nicht in zu ferner Zukunft erhofft worden. Das sei auch die Hoffnung der drei ersten Evangelisten gewesen, v. a. in Mt 24 und 25, v. a. 24, 34 vgl. 16, 28. Von daher würde sich leicht erklären, "daß diese glorreiche Erscheinung des Herrn stattfinden werde, ehe die Jünger mit ihrer Predigt des Evangeliums alle Städte Israels würden durchgemacht haben". Andererseits sei nicht denkbar, daß der Erlöser es so gemeint haben sollte. Man könne "mit der größten Wahrscheinlichkeit vermuthen", daß J esus es allgemeiner gedacht habe. "Das Kommen des Menschensohnes, wo er sich in seiner Herrlichkeit als solchen manifestieren wird, ist zwar in seiner höchsten Vollendung auch jetzt noch ein zukünftiges, was aber erst bei der Wiederkunft des Herrn am Ende der Tage stattfinden wird; aber auf gewisse Weise hat es auch schon stattgefunden nach seiner Erhöhnng von der Erde durch die Ausgießung des heiligen Geistes und durch die Gründnng der Christlichen Kirche als einer selbständigen, auch äußerlich in die Erscheinung tretenden." Darauf sei das "Kommen des Menschensohns" zunächst zu beziehen. Die Deutung auf die Zerstörung Jerusalems lehnt Bleek als "ganz unnatürlich" ab.
1)
Synoptische Erklärung der drei ersten Evangelien, hg. v. H. Holtzmann,
1. Bd., Leipzig 1862, 430ff.
3. Katholische Exegeten des 18. und 19.
J(~hrhunderts
a) Deutung auf den Jüdischen Krieg Im 18. Jahrhundert bringt die katholische Exegese von Mt 10,23 nichts wesentlich Neues hervor. Der Deutung unseres Logions auf den Jüdischen Krieg begegnen wir bei Augustin Calmet OSB (16721757). In seinem monumentalen Bibelwerk beschäftigt er sich eingehend mit Mt 10,23 1 ). Zu V. 23a führt er aus: Jesus Christus verlange von seinen Aposteln Festigkeit. Er sage ihnen die Feindschaft der Menschen voraus. Aber er verurteile einen übertriebenen Mut. Er erlaube ihnen, vor der Verfolgung zu fliehen. Sie sollen sich aufsparen für die Bedürfnisse der Kirche. So schonen sie auch die Seelen ihrer Verfolger. U. U. werde aber die Flucht zum Verbrechen. Wenn es im Interesse Gottes, der Wahrheit und der Religion liege, gelte es festzubleiben. Jesus Christus sei selbst geflohen (Mt 2,14; Lk 4,30; Joh 4,1.2.3); dann aber habe er sich selbst ausgeliefert (Mt 26,47.48; Joh 18,3.4.5). Paulus sei aus Damaskus geflohen (Apg 9,25; 2 Kor 11,33), später aber habe er Leiden auf sich genommen. Ähnlich hätten sich Cyprian, Polykarp u. a. verhalten. Dann setzt sich Calmet mit den Vätern auseinander, die die Fluchterlaubnis auf die erste Mission der Apostel beschränken (Tertullian u. a.). Er meint, andere Väter hätten diese Erlaubnis mit größerer Wahrheit für allgemeingültig gehalten (Origenes u. a.), und weist darauf hin, daß die Kirche die Meinung des Tertullian verurteilt hat. Den V. 23b übersetzt Calmet so: "Vous n'aurez pas acheve d'instruire toutes les villes d'Israel, avant que le Fils de l'homme vienne." Dann weist er auf die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten hin. Zunächst führt er die Deutung auf den Untergang des Jüdischen Staates an: "Ihr werdet nicht alle Städte Judäas mit Predigen durchlaufen haben, vor meinem Kommen und bevor ich meinen Zorn gegen die Ungläubigen auslasse. Wenn ihr irgendeinen Widerstand von seiten der Juden erfahrt, soll euch das nicht entmutigen. Wenn man euch in einer Stadt nicht annehmen wird, geht in eine andere; ihr werdet nicht alle Städte des Landes durchlaufen haben, ohne daß ich meine Rache gegen eure Gegner und gegen eure "Widersacher ausüben werde." Das sei "der angemessenste und 1 ) Commentaire litteral sur tous les livres de l'Ancien et du Nouveau Testament, t. 7e, Paris 1726, 96f.
109 natürlichste Sinn" dieser Stelle. Die Worte vom "Kommen des Menschensohnes" hätten gewöhnlich diesen Sinn. In der Tat habe Jesus Christus durch den Krieg der Römer die jüdischen Städte besucht. Dann weist Calmet noch auf zwei weitere Deutungen des Logions hin: auf das Zuhilfekommen Jesu im Sinne von Lk 10,1; Mt 11,1 und auf das Jüngste Gericht und die Bekehrung der Juden, und fügt bei, die erste und die zweite Erklärung erscheinen als die natürlichsten.
b) Deutung auf die (nahe) Parusie Die Situation ändert sich erst im 19. Jahrhundert. Da bezieht Peter Alois Gratz (1769-1849) unser Logion im Sinne der Naherwartung auf die Parusie 1 ). Zu V. 23a bemerkt er: "Jesus verbindet hier mit der Hoffnung seiner baldigen Wiederkunft eine Maasregel für seine Jünger in Betreff ihres Herolden-Berufes: sollte ihr Wirkungskreis beengt werden, so sollen sie schnell einen andern suchen, indem die Zeit kurz sey." Zu V. 23b bemerkt er, es sei hier die Rede von Reisen. Dann weist er auf verschiedene Deutungen des Kommens des Menschensohnes hin (Zerstörung J erusalems, Sieg über das Judentum, Nachreisen Jesu, Auferstehung Jesu, Beistand durch den Heiligen Geist) und fährt fort: "Wir aber sind geneigt, es von Jesus wirklicher Widerkunft zu verstehen." Jesus habe zwar selbst bekannt, daß ihm die Zeit seiner Wiederkunft verborgen sei (Mk 13,32), daß er aber diese bald, "und zwarbeyseinem Zeit-Geschlechte" erwarte, erhelle aus Mt 24,30-34; Mk 13,30; Lk 21,32; Joh 16,16, wie auch Paulus die Wiederkunft zu Lebzeiten erwartete (I Kor 15,51-52; 1 Thess 4,17), ebenso der Verfasser der Offenbarung. Hier ist also die "moderne" Auffassung von Mt 10,23 im Sinne der Naherwartung auch auf katholischer Seite vorhanden.
c) Deutung auf den Tod der Jünger Etwas abseits steht mit seiner Deutung Johannes Hyazinth Kistemaker (1754-1834). Er erneuert die Auslegung, die wir seinerzeit bei Faber Stapulensis angetroffen haben 2 ). Aus den Ankündi1 ) Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus, l. 'l'heil, Tübingen 1821, 528f. 2 ) Die heiligen Evangelien übersetzt und erklärt, zweytes Bändchen, Petcrs Felsen 1822, 33ff.
llO gungen Jesu in V. 21-23 liest er heraus, daß dieser mehr gewesen sei als ein Mensch. Die Flucht V. 23a sieht Kistemaker in der Schonung lmd Liebe, in der Klugheit zur Selbsterhaltung sowie im Eifer für die Lehre Jesu begründet. In V. 23b scheine der ReiT sagen zu wollen, "der Städte in Israel, wo sie predigen sollen, seyn immer genug übrig". Jesus spreche hier unbestimmt von seiner Ankunft. Kistemaker durchgeht kurz die verschiedenen Deutungen: auf das allgemeine Gericht, auf den individuellen Tod der Jünger ("wo im Tode Er zu ihnen kommen 1md sie zu Sich nehmen wird. Joh 14,3"), auf die Scnchmg des Geistes (Joh 14,18), auf das Gericht über Israel, auf sein Kommen zu den Jüngern. Die letzte Deutung ist nach Kistemaker wegen Mk 6,30 unrichtig, die vom Gericht über Israel unpassend, die vom allgemeinen Gericht schwierig, "insondcrheit da Israel zwar dereinst zu Gott wird bekehrt, aber wohl nicht in seine Städte heimgeführt werden". Die zweite und dritte Erklärung seien angemessener, "welche die richtige sey, ist schwer zu bestimmen". Schließlich fragt Kistemaker: "Sollte nicht der Herr desswegen so unbestimmt gesprochen haben, um durch die ungewisse Deutung die Wachsamkeit und den Eifer Seiner Jünger um so mehr rege zu erhalten?"
d) Differenzierte Deutung Bei einigen katholischen Autoren dieser Zeit überschneiden sich zwei oder mehr Deutungen. Den Übergang zu dieser Gruppe bildet Franz Xaver Massl (1800-1852). Er stellt zwei Auslegungen zur Wahl: die Deutung auf den Jüdischen Krieg und die (ferne) Parusie. In seinem Kommentar 1 ) spricht er die traditionellen Gedanken aus: Nach V. 23a soll die Verfolgung eine Pflanzschule des Evangeliums und die Flucht ein Mittel zur Verbreitung des Evangeliums sein. So sei das Evangelium zu allen Nationen gekommen. Da die Apostel bei ihrer ersten Sendung gut aufgenommen worden seien, müsse diese Stelle auf ihre zweite Sendung bezogen werden. V. 23b beziehe sich nicht auf die Zusammenkm1ft Jesu mit seinen Aposteln nach dieser ersten Sendung, "sondern, wie Einige wollen, auf die Ankunft des Sohnes Gottes, als er Jerusalem zerstören ließ, wie Andere wollen auf die Ankunft Jesu zum Gericht am Ende der Zeiten". Das Gericht über Jerusalem sei tatsächlich vor der Bekehrung der Städte Israels erfolgt. Auch die zweite Meinung sei 1)
Erklärung dor heiligon Schriften des NT, 1. Bd., Straubing 1831, 2G7f
begründet, "Israel sollte nicht ganz bekehrt werden, bis des Menschen Sohn zum Gerichte kommt, es sollte ein ungläubiger Überrest bis zum Ende der Tage bleiben", vgl. Röm 11 ,25. Mehr als ein katholischer Autor dieser Zeit unterscheidet zwischen dem Standpunkf der Apostel und demjenigen des kirchlichen Apostolats. So August Bisping (1811-1884) in seinem Kommentar 1 ). In V. 23a spricht er sich gegen die längere Version aus. Auch er versteht das Wort im Sinne bekannter Tradition: rtls Befehl oder Rat, der Verfolgung möglichst auszuweichen. Die Kirche habe stets danach verfahren, wie Paulus, Athanasius, Cyprian u. a. zeigten, im Gegensatz zum montanistischen Higorismus 'l'crtullians. Nur wenn die Flucht Ärgernis gäbe oder einer Verleug:nung Christi gleichkäme, sei das Opfer mwh Joh 10,11 ff gefordert. In V. 23b sei das yae beizubehalten. Die Worte bezögen sich auf die Flucht und seien als Ermutigungsgrund für die Apostel zu verstehen. Dann geht Bisping auf zwei Deutungen der Worte vom Kommen des Menschensohnes ein: auf ein unbestimmtes Zuhilfekommen und auf das Kommen Christi durch den Heiligen Geist. Im NT sei aber damit immer die letzte Parusie gemeint. Wie 24,2ff erscheine aber auch hier "die Verheißung der Wiederkunft des Herrn zum Weltgerichte mit der Prophetie von dem besondern, das allgemeine Gericht typisch vorbildenden, Strafgericht über Jerusalem und Juda verbunden". In Beziehung auf die Apostel seien die noA.tw; 'Iae. buchstäblich zu fassen: "Ihr werdet auf eurer Wanderung und Flucht noch nicht durch alle Städte Israels gekommen sein, bis ich wiederkomme, um über sie das Gericht zu vollstrecken" in der Zerstörung Jerusalems und der Zerstreuung der Juden. In Beziehung auf den Apostolat der katholischen Kirche sei die Parusie Christi zum letzten Gerichte und das TBAeiv von der Bekehrung Israels zu verstehen: "Ihr werdet nicht alle Städte Israels d. i. alle Israeliten bekehrt haben, bis ich wiederkomme zum Gerichte", vgl. Röm 11,25f. Ganz im Sinne der Auslegung Bispings verläuft auch diejenige von Wilhelm Reischi (1818-1873) in dem von ihm und V. Loch herausgegebenen Bibelwerk 2 ). In V. 23a rechtfertigt er die Flucht Erklärung des Evangeliums nach Matthäus, Münster 1867, 237ff. Die heiligen Schriften des NT, nach derVulgatamitsteterVergleichung des Grundtextes übersetzt und erläutert, Regensburg 1870 2 , 53. 1)
2)
mit der Berufspflicht, Leben und Aufgabe nicht unnütz preiszugeben, und mit der Liebespflicht, den Böses Wollenden von seinem Tun abzuhalten. 'Venn es aber um die geistliche Stärkung der Herde oder um die Verhütung von Argernis oder Verleugnung gehe, dann sei das Opfer im Sinne von Joh 10,llff nötig. Wie Bisping läßt Reischi die Worte des Herrn zunächst an die Apostel und in ihnen an den Apostolat der katholischen Kirche gerichtet sein. Das ergibt auch für ihn eine spezielle Deutung von V. 23 b auf das Gericht über Jerusalem und die Zerstreuung der Juden, sowie eine universelle Deutung auf die Parusie im Sinne von Röm 11,25. Während Massl, Bisping und Reischi das Logion Mt 10,23 primär auf die Zerstörung Jerusalems beziehen, steht bei andern katholischen Exegeten dieser Zeit die Auferstehung Jesu bzw. die Sendung des Heiligen Geistes im Vordergrund. Das ist der Fall bei Peter Schegg (1815-1885). In seinem Kommentar 1 ) geht er vom Christuswort V. 22 aus, das zwei Bedenken enthalte: "was ausharren sagen wolle, und wie nahe oder ferne das Ende sei". Auf beides gebe Christus eine tröstliche Antwort: "Ausharren heißt nicht sich blindlings der Gefahr aussetzen; das erwartete Ende ist nicht ferne, sondern nahe". Zum ersten: Jesus lehre in V. 23a, der Gefahr auszuweichen. Schegg geht auf die altkirchlichen Bedenken gegen diesen Ausspruch ein, die zur Beschränkung dieses Wortes auf die erste Sendung der Apostel führte (Tertullian u. a.). Doch könne das nicht Jesu Meinung sein, da er die erste und zweite Aussendung der Apostel nirgends einander gegenüberstelle und auf der ersten Missionsreise gar keine Verfolgung stattgefunden habe. Dann geht Schegg auf die Bedingungen für eine Flucht ein, wie sie v. a. durch Augustinus festgelegt worden sind. Bei Jesus gelte die Flucht als Regel und das Nichtfliehen als Ausnahme. Das zeigen sowohl Petrus (Apg 12,10) wie Paulus (Apg 9,25 etc). Am Leben der Apostel habe unendlich viel gelegen; "denn sie wurden ausgesendet, um Zeugen Jesu Christi zu sein bis an die Grenzen der Welt". Schwieriger sei das Verständnis von V. 23b. Jesus gebe hier seinen Jüngern 1. einen Trost; dieser Trost bestehe 2. in der Verheissung seiner baldigen Wiederkunft. So besage der Ausspruch Christi: "Ehe die Apostel die Städte Israels vollendet, d. i. predigend durch1)
34ff.
Evangelium nach Matthäus, übersetzt und erklärt, 2. Bd., Münster 1857,
113 reist haben werden, oder kaum daß sie diese Aufgabe für Israel erfüllt haben werden, wird der Menschensohn gekommen sein." Es handle sich um einen kurzen Termin, und darin liege das Tröstliche und Ermunternde. Das "Denn" zeige, daß die Flucht aus Mut und Zuversicht komme. Die Aufforderung zur Flucht sei "eine Aufmunterung, vom apostolischen Werke nicht abzulassen". In den Worten: "Ihr werdet die Städte Israels nicht vollenden etc" spreche Jesus eine Prophetie aus. Dabei müsse man den Standpunkt der Apostel vom unsrigen unterscheiden. Die Apostel hätten unter dem Kommen des Menschensohnes die Wiederkunft Christi und die Erscheinung des messianischen Reiches verstanden. Das Wie sei für sie Nebensache, die Verheißung an sich die Hauptsache gewesen. Die Apostel hätten nur an die gegenwärtige Mission gedacht. Sie hätten deren Abschluß "in eine nicht ferne Zukunft" gesetzt. Die Erfüllung des Wortes habe sich bei der Auferstehung Christi und bei der Herabkunft des Heiligen Geistes gezeigt. "Die Auferstehung Christi und die Geistessendung sind der herrliche Beginn und Anfang der Ankunft des Menschensohnes, die sich fortsetzt bis zu seiner endlichen persönlichen Wiederkunft zum Gericht am Ende der Zeit." Was nun unsere Interpretation dieser Worte Christi betrifft, so hätten wir sie nach ihrem historischen Silm so zu deuten wie die Apostel damals, nach ihrem allgemeinen idealen Sinn so wie die Apostel nach der Geistessendung, nämlich bildlich im Siime von J oh 16,16. So faltet sich für Schegg die Parusie gewissermaßen in verschiedenen Phasen auseinander. In mehreren Anmerkungen führt er in die bisherigen, v. a. katholischen Auslegungen des Logions ein. Auch Paul Schanz (1841-1905) bezieht unser Logion primär auf die Auferstehung J esu. In seinem Kommentar 1 ) führt er aus: "V. 23 gibt J esus eine Belehrung über die Art des Ausharrens und die Zeit des Endes." In V. 23a gebe er "das Gebot zu fliehen, wenn es ohne Verläugnung seines Namens geschehen ka~m", nach seinem eigenen Beispiel (2,14; Lk 4,30; Joh 7,50) und demjenigen der Apostel (Apg 8; 9,25; 12,17). Der scheinbare Widerspruch zu Joh 10 habe zur zeitlichen und sachlichen Einschränkung des Gebotes geführt. Aber die Beschränkung auf die erste Aussendung gehe nicht an, da da1 ) Commentar über das Evangelium des heiligen 1\:Iatthäus, Freiburg i. B. 1879, 297f.
8 Künzi, Matthäus
114 mals keine Verfolgung stattgefunden habe und eine Abgrenzung der Rede zwischen beiden Aussendungen willkürlich sei. Ebensowenig entspräche die sachliche Einschränkung des Gebotes dem Wortlaut, da das Fliehen nicht als Ausnahme, sondern als Regel erscheine. In den Ausführungen des Augustinus zur Stelle liege der Fehler darin, daß er nur von den Klerikern und nicht von den Aposteln und Missionaren handelt. Ihre Erhaltung sei von größter Bedeutung. Deshalb die Berichte der Apg über die wiederholte Beihilfe der Gemeinden zur Flucht des Paulus. 'Ev 1:fj n. 1:. sei deiktisch. Die längere Version hält Schanz für "zu wenig bezeugt". Das yae zeige den Ermutigungsgrund zur Ausdauer. Die Apostel könnten die Mission ausführen, "weil ihnen immer noch ein Zufluchtsort vor der Verfolgung übrigbleibt". Ov 1-l~ uÄ. heiße: "Ihr sollt die Städte Israels nicht vollenden, d. h. eure Mission noch nicht in allen Städten ausgeführt haben." Dann weist Schanz auf die Deutung des Hilarius hin, der in Mt 10,23 "die Bekehrung Israels vor dem Weltgericht und nach dem Eintritt der Heiden" vorgefmlden hat, was nach Röm 11,25f "die richtige Erklärung" sein werde. Schanz erklärt: "Die Ankunft des Menschensohnes nimmt ihren Anfang mit der Auferstehung und erhält ihr Ende bei der Parusie. Bis dahin wird die Missionierung des Erdkreises fortgesetzt." Von da aus lehnt Schanz die rein uneschatologischen Deutungen des Logions ab und schließt mit der Bemerkung: "Daß die Jünger den Herrn anders verstanden haben, macht nichts zur Sache." So haben wir auch hier die Dehnung der Parusie und das beschränkte Verständnis der Jünger.
e) Deutung auf die (ferne) Parusie Nun gilt es noch, die Auslegung unseres Logions durch Joseph Knabenbauer SJ (1839-1911) zu besprechen, der in seinem großangelegten lateinischen Evangelienkommentar Mt 10,23 in der Art der mittelalterlichen Exegeten behandelt und der Deutung auf die (ferne) Parusie den Vorzug gibt 1 ). Es handelt sich dabei vorallem um eine Darstellung der katholischen Tradition, wobei Knabenbauer aber die eigene Auffassung deutlich hervortreten läßt. In V. 23 a hebt er vor allem die grundlegende Bedeutung der Apostel her1 ) Commentarius in quatuor S. Evangelia D. N. Jesu Christi I/1, Parisiis 1892, 396ff.
115 vor, weshalb sie ihr Leben schonen sollen (vgl. Phil 1,24). Die Verfolgungen seien erst entstanden, nachdem dort bereits eine clwistliche Versammlung mit Priestern entstanden war; so habe die Flucht verantwortet werden köm1en - zur weitern Verbreitung des Evangeliums (vgl. Apg 8,4; 13,51; 14,6.19.25; 17,10.14 etc), was durch V. 23b bekräftigt werde. Es handle sich um Klugheit im Sinne von V. 16. In V. 23 b bedeuten die ersten Worte: "Ihr werdet sie (sc. die Städte Israels) nicht durchwandern und eure Mission vollenden." Dabei seien nicht nur die Städte in Palästina gemeint, sondern auch die Städte, in denen Juden wohnen. Die Worte: "Bis der Sohn des Menschen kommt" kömlten nach den Synoptikern nur von der zweiten Ankunft Christi verstanden werden (vgl. 24,30.44; 25,31 etc). Wie Christus die eschatologischen Reden so an die Jünger gerichtet habe, wie wenn sie bis zu seiner Ankunft zum Gericht leben würden, so auch hier. Er kündige hier dasselbe an wie Paulus; die teilweise Blindheit in Israel werde bis zum Eintritt der Fülle der Heiden andauern (Röm 11,25). In einem Exkurs geht Knabenbauer auf die abweichenden Auslegungen unseres Logions durch die katholische Tradition ein.
4. Protestantische Exegeten des 20. Jahrhunderts In der protestantischen Exegese des 20. Jahrhunderts nimmt die Bedeutung des Logions Mt 10,23 zu. Das zeigt sich vor allem bei Albert Schweitzer, der auf Grund seiner "konsequent-eschatologischen" Auslegung Jesus und das Urchristentum von Mt 10,23b her interpretiert. Die Diskussion des Logions ist in der Folgezeit direkt oderindirektvon Schweitzers These mitbestimmt. Im übrigen steht die Exegese unseres Logions seit Rudolf Bultmann stark im Zeichen der "formgeschichtlichen" Methode. Später nimmt Martin Werner Schweitzers Deutung von Mt 10,23b auf und führt dessen Sicht in die Dogmengeschichte weiter. Im folgenden werden wir zuerst Schweitzers Auslegung und anschließend die verschiedenen Deutungen in den ersten drei· Jahrzehnten darstellen. Hernach werden wir bei Werners Auslegung neu einsetzen und anschließend die seitherigen Deutungen besprechen. s•
a) ]{onsequent-eschatologische Auslegung
Wie Albert Schweitzer (1875-1965) unser Logion "entdeckte", haben wir im Einleitungskapitel geschildert. Hier handelt es sich darum, seine Exegese von Mt 10,23 aus seinen wissenschaftlichen Werken zu erheben. An erster Stelle ist sein Buch über das Messianitäts- und Leidensgeheimnis zu nennen 1 ). Mit Mt 10,23 befaßt er sich zuerst in einem Abschnitt über den eschatologischen Charakter der Aussendungsrede. Danach ist die Aussendungsrede "eine fliegende Verkündigung durch Israel mit dem einzigen Lehrauftrag, den Ruf von der Nähe des Gottesreiches überall ertönen zu lassen". Und nun zu V. 23: "Zeit ist aber dabei nicht zu verlieren; darum sollen sie (sc. die Jünger) sich in einer Stadt, wo sie keine Empfänglichkeit finden, nicht aufhalten, sondern weiter eilen, damit sie mit den Städten Israels fertig werden, ehe die Erscheinung des Menscheusohnes stattfindet". "Kommen des Menschensohnes" bedeute aber "Einbrechen des Reiches mit Macht". Schweitzer betont die Historizität der eschatologischen Aussage in V. 23. Wenn man die Aussendungsrede uueschatologisch verstehe, -so bleibe V. 23 "ein erratischer Block inmitten blühender Wiesen", wenn man sie aber eschatologisch fasse, so sei es "ein Fels in einer wilden Gebirgslandschaft". Von diesem Wort könne man nicht sagen, es stamme aus einer späteren Zeit, "sondern mit zwingender Gewalt bannt es eschatologische Aussagen in die Tage der Aussendung 2 )." Später präzisiert Schweitzer, die Messianitätsbezeichnuug "Menschensohn" sei futurischen Charakters. Sie beziehe sich auf den Augenblick, "wo der Messias auf den Wolken des Himmels zum Gericht erscheinen wird". In diesem Sinn habe Jesus vom Kommen des Menschensohnes geredet. "Bei der Aussendung weist er die Seinen auf die unmittelbareNähedesTagesdesMenschensolmeshin (Mt 10,23)." Dabei seien er und der Menschensohn für die Jünger und das Volk zunächst zwei verschiedene Persönlichkeiten. Erst in Cäsarea Philippi offenbare er sich als der, welcher am messianischen Tag alsMenscheusohn erscheinen werde. Historisch seien in der Zeit vor Cäsarea Philippi nur solche Stellen, "wo er von dem Menschensohn als einer mit ihm nicht identischen zukünftigen Erscheinung redet (Mt 10,23 undMk 8,38) 3 )". 1) 2)
3)
Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis, Tübingen (1901) 1956 3 • aaO 15f. aaO 66f. 69.
117
Ihre klassische Form hat Schweitzers These in seiner "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" gefunden 1 ). Dort führt er zunächst noch einmal den letzten Gedankengang aus seinem ersten Werk vor 2 ). Im Zusammenhang mit der konsequent-eschatologischen Darstellung des Lebens Jesu und insbesondere der Aussendungsrede geht er davon aus, daß Jesus dogmatisch-eschatologisch gedacht und gehandelt habe, und gibt dann unserem Logion folgende Deutung: "Jesus sagt den Jüngern in dürren Worten, Mt 10,23, daß er sie in diesem Aeon nicht mehr zurückerwartet. Die Parusie des Menschensohnes, die mit dem Einbruch des Reiches logisch und zeitlich identisch ist, wird stattfinden, ehe sie mit ihrer Verkündigung die Städte Israels durcheilt haben." Das sei die Form, in der Jesus den Jüngern das Geheimnis des Reiches Gottes offenbare. Diese Weissagung sei nicht in Erfüllung gegangen. "Die Jünger kehrten zu ihm zurück und die Erscheinung des Menschensohnes fand nicht statt. Die natürliche Geschichte desavouierte die dogmatische, nach der Jesus gehandelt hatte ... Das war für Jesus, der einzig in der dogmatischen Geschichte lebte, das erste ,geschichtliche' Ereignis, das Zentralereignis, welches seine Tätigkeit nach rückwärts abschließt, nach vorn neu orientiert 3 )." Von daher erklärt Schweitzer die beiden Perioden im Leben Jesu (Jesus umgeben vom Volk und Jesus mit den Zwölfen allein). Die konsequente Eschatologie erkenne in der Tatsache des Nichteintreffens der Mt 10,23 verheißenen Parusie "das im Sinne Jesu ,historische Faktum', das zu den bisherigen Motiven einer Beschränkung der öffentlichen Tätigkeit hinzukommt und das definitive ,Entweichen' veranlaßt 4 )". 'Velche Bedeutung Schweitzer unserem Logion beimißt, geht aus den abschließenden Sätzen hervor: "Die ganze Geschichte des ,Christentums' bis auf den heutigen Tag, die innere, wirkliche Geschichte desselben, beruht auf der ,Parusieverzögerung': d. h. auf dem Nichteintreffen der Parusie, dem Aufgeben der Eschatologie, der damit fortschreitenden und sich auswirkenden Enteschatologisierung der Religion. Man beachte, daß die Nichterfüllung von Mt 10,23 die 1 ) Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1951 8 (1. Aufl. u. d. T.: Von Reimarus zu Wrede, Tübingen 1913); hier zitiert nach der 6. Auflage. 2 ) aaO 272. 3 ) aaO 405f. 4 ) aaO 406f.
118
erste Parusieverzögerung bedeutet. vVir haben hier also das erste Datum in der ,Geschichte des Christentums'; es gibt dem 'Virken Jesu eine sonst unerklärlich bleibende ·wendung 1 )." . , Di~se s~ip.e 4-uffassung bekräftigt Schweitzer in seinem Paulusbuch2) una in der Vorrede zur 6. Auflage seiner Geschichte der ~eben~~es~~Fpr,schung 3 ). An beiden Stellen führtet 1,1us, J()sus hab,e in der Fol&e Jes 53 auf sich bezogen und sein Leiden, als Ersatz für die vormessianische Drangsal verstanden. Eine der Schweitzerschen ähnliche Auslegung .unseres. Logions finden wir bei Maurice Goguel (I880-I950). In seinem Buch über das Leben Jesu 4 ) führt Goguel in einem Abschnitt über das Denken J esu zu Beginn seiner Wirksamkeit aus: Bei der Aussendung der Jünger sei Jesus überzeugt, "daß sie nicht aufgehört haben werden, die Städte Israels zu durchziehen, bevor der Sohn des Menschen kommt (Mt I0,23), dh bevor das Reich Gottes sich verwirklicht hat." Ähnlich wie Schweitzer findet Goguel: "Die Idee, daß J esus dieser Menschensohn ist, der erscheinen wird, fehlt dieser Predigt 6 )." In einer Anmerkung stellt Goguel zu Mt I0,23 fest, dieses Wort finde sich im Abschluß der Missionsrede (IO,I7-25); der V. 23 vertrage sich nicht mit dem Kontext, der keine Städte Israels (I0,5-6) erwähne; während dort von Gerichten (V. I7-I8) die Rede sei, handle V. 23 nur von der Flucht in eine andere Stadt. Eine Annäherung lege sich nur in V. I4 nahe. Danach könne man vermuten, daß es in der Quelle ursprünglich geheißen habe: "Wenn man euch nicht annehmen wird." Der gegenwärtige Text scheine vom Kontext beeinflußtzusein.Die Vv. 23und 24.25 schlössen sich an dieMissionsrede an6 ). Im übrigen unterscheidet Goguel drei Etappen im DenkenJesu. Im Augenblick der Aussendung habe Jesus geglaubt, die Parusie sei "sehr nahe" (Mt I 0, 23). Nach der galiläischen Krise zeige das Wort Mk 9, I schon eine "fernere Perspektive". Schließlich offenbare sich in Mk I3,32 ein "neues Zurücktreten" der Perspektive 7 ). Diese Auffassung vertritt Goguel auch in seinem Beitrag zur Dodd-Festschrift 8 ). aaO 407. Die Mystik des Apostels Paulus. Tübingen (1929) 1954 2 , 60f. 3 ) Tübingen 1951, X. 4 ) La vie de Jesus, Paris 1932. 5 ) aaO 303. ") aaO 303, Anm. 1. 7 ) aaO 556. 8 ) The Background of the NT and its Eschatology, Cambridge 1956, 323. 1) 2)
ll9 b) Deutung auf die (nahe) Parusie i '.,
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Neben diesen Vertretern 'eiher radikalen Interpretation unseres Logions findet sich eine Anzahl Exegeten, die in ihm nicht eine Nächst-, so~dern ledi~Ii6:h bine Nallerwarhl.ng äe:r· Partisie• ausge, I ' : ' ·. sprachen .sehen. Hier ist zuerst Oscar Holtzma'nn zni. :i}ertnelll. In . \ '' . ' i I . ' ' .I . . ' s~inem Le,be_n fesu~~ N~rt, ~~:zu :M~}0:'73.' aus, :Jcstis 'li~be 1.ij;si:ch~r biS zuletzt die Aufnchtung des Gottesreiches noch zu :fuebzeiten,smner Zeitgmwssen er~~rt~t<'i. Das'~i;~ebe sich u': a'. aus 'M't· 10,23~ wo J eSUS Seinen Jüngern Verheiße, "er werde' 'koJlliÜell, ,ehe' Slß I durch die jüdischen Verfolger aus allen Städten Israels verdrängt sind 2}." Holtzmann betont, Jesu Predigt habe "in ihrer Eschatologie den Ausgangspunkt 3 }." In Mt 10,23 sei wie bei den vielen Stellen, die vom Kommen oder Offenbarwerden des "Menschenkindes" reden, "das bei Daniel geweissagte Menschenkind" gemeint 4 }. In Mt l0,5f und 23 zeige sich die Dringlichkeit der Predigtarbeit. Es sei aber falsch, "aus dem Verbot der Heiden- und Samariterstädte auf eine eng-judaistische Anschauung Jesu zu schließen; Jesus weiß, daß seinem eignen Volke die Buße vor dem Gerichtstag nicht in genügender Weise gepredigt werden kann; da soll diesem alten Gottesvolke wenigstens alle noch übrige Zeit gewidmet sein 6 )." Auch Adalbert Merx hält unser Logion für ein Naherwartungswort. In seinem Matthiiuskommentar 6 ) geht es ihm freilich vor allem um den Nachweis, daß die längere Version in V. 23a ursprünglich sei. Er meint: "Erst hierdurch wird der Gedanke gerundet, denn um die Verheißung der Wiederkunft Jesu' in kurzer Zeit klar zu machen, was durch die Worte geschieht: Ihr werdet nicht nötig haben, in alle Burgflecken Israel, in einen nach dem andern zu fliehen, - ihr werdet bis zur Parusie nicht völlig herumkommen- muß vorangehen, daß sie in einem verfolgt in den anderen, und in diesem wieder verfolgt, wieder in einen noch andern fliehen sollen." Es könne hier ein Homoioteleuton im Spiele sein. ~
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Das Leben Jesu, Tübingen und Leipzig 1901.
2) aaO 123, vgl. 272.
') aaO 123, Anm. 1. 4 ) aaO 13lf. •) aaO 216f, vgl. 234. 8 ) Das Evangelium Matthaeus nach der syrischen im Sinaikloster gefundenen Palimpsesthandschrift, Berlin 1902, 180.
Auch Theodor Zahn (-1838-1933) sieht in Mt 10,23 eine Naherwartung ausgesprochen. In seinem Kommentar 1 ) hält er auf Grund ihrer Bezeugung im 2. und 3. J aluhundert die längere Version von V. 23a für ursprünglich. Die Standhaftigkeit im Leiden schließe die kluge Vermeidung der drohenden Gefahr nicht aus. "Wenn der allgemeine Haß ilmen den Aufenthalt in der einen Stadt unerträglich oder unmöglich macht (cf v. 14f), sollen sie sich in eine zweite, und wenn dort der gleiche Zustand eintritt, in eine dritte flüchten." Diese Weisung werde in V. 23b durch die feierliche Versicherung bestätigt, "daß sie bei dieser Flucht von Stadt zu Stadt die Städte Israels nicht fertig bringen werden, bis der Menschensohn kommt oder gekommen ist, d. h. daß es ihnen bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht an einer israelitischen Stadt fehlen wird, welche ihnen unter den Verfolgungen seitens ihrer Volksgenossen als Zufluchtsstätte dienen wird". Vorausgesetzt sei, "daß sie bis zur Wiederkunft Jesu im Lande Israels wohnen und als Prediger wandern werden." Jesus sage hier, "daß er dereinst wiederkommen werde, um der Zeit der Verfolgung seiner Jünger ein Ende zu machen". Zahn sieht die Schwierigkeit dieses Logions nicht nur in der Frage, worin die Verheißung von V. 23b erfüllt worden ist, sondern v. a. in der Spannung zwischen der Teilnahme der Heiden am Heil der Vollendungszeit (8,11 etc), die mit Hilfe der Apostel herbeigeführt werden soll (5,13f; 28,19), und dem Verbleiben der Apostel im Lande Israels bis zur Wiederkunft J esu. Eine "gewisse Aufklärung" dieser Probleme findet Zahn in Mt 22,1-14 und 23,38f. Er meint, diese Rätsel hätten Mt noch nicht beunruhigt. "Er steht noch vor der Zerstörung Jerusalems, welche die Gemeinde gelehrt und genötigt hat, dem Wort vom Kommen Jesu eine dehnbare Bedeutung zu geben." Zahn sieht im V. 23 eine Bestätigung dafür, daß Mt sein Evangelium vor der Flucht der Apostel im Jahre 66 geschrieben habe. Hier ist auch Paul Wernie (1872-1939) zu nennen. Er zieht in seinem Buch über die Anfänge unserer Religion 2 ) unser Logion mehrfach heran. So liest er aus ihm und andern Stellen heraus, daß sich Jesus sein Leben lang auf seine Volksgenossen beschränkt habe; erst später habe er sich damit abgefunden, "der Messias zu sein, den Israel verstößt und die Heiden a1mehmen" 3). Dann wertet er es 1) 2)
3)
Das Evangelium des Matthäus, Leipzig (1903) 19224 , 405ff. Die Anfänge unserer Religion, Tübingen und Leipzig 1904 2 • aaO 33.
121
als Beleg dafür, daß Jesus seinen Jüngern die "Restitutionsho:ffnung" als Vermächtnis hinterlassen habe, "wie es scheint, in Anlehnung an den Danielischen Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels herabkommen soll." Jesus sei im Glauben an seine baldige Wiederkunft gestorben 1 ). Dann geht Wernie auf die Schwierigkeit ein, die der Wiederkunftsglaube dem modernen Denken bereite. Einmal auf die Tatsache, "daß J esus sich im Zeitpunkt geirrt hat; er dachte an das Kommen zu seiner Generation, unter der er gewirkt, die ihn verstoßen hatte", wofür u. a. Mt 10,23 als Beleg dient. Sodann auf den Gedanken, "daß ein gestorbener Mensch auf den Wolken des Himmels wiederkommen soll". Er betont aber, der feste Kern der eschatologischen Reden Jesu sei gerade der Parusiegedanke 2 ). Später geht er auf den Menschensohntitel ein, der aus Dan 7 stamme und ursprünglich "Mensch", später aber "Messias" bedeutet habe. "Jesus nennt sich den Menschensohn, ... wenn er, im Blick auf die Danielstelle, sein Kommen vom Himmel zur Aufrichtung des Gottesreiches verheißt", wie z. B. in Mt 10,23. Es lasse sich aber schwer vorstellen, daß Jesus von sich so in der dritten Person geredet habe. "Wenn Jesus überhaupt von sich als ,dem Menschen' sprach, so kann er es nur kurz vor seinem Tod und in Erwartung seines Todes gethan haben." Wernie meint aber, es bleibe immer möglich, "daß erst die Jünger diese Umdeutung der Danielstelle schufen" 3 ). Auch Willoughby C. Allen deutet im International Critical Commentary unser Logion auf die nahe Parusie 4 ). Er sieht den V. 23 im Zusammenhang mit den Vv. 5-6 und 17-22: Die Apostel seien in ihrer Predigt auf Israel beschränkt worden; dabei würden sie Verfolgung leiden. Aber die Verfolgung würde nicht so allgemein werden, "daß keine Stadt Israels mehr als Zufluchtsstätte gefunden werden könnte, bevor der Sohn des Menschen käme". Allen lehnt eine Deutung des Verses auf ein Kommen Christi zu seinen Lebzeiten ab. "In diesem Evangelium ist das Kommen des Menschensohnes immer ein endzeitliches Kommen nach seinem Tod zur Einführung seines Reiches." aaO 34. aaO 34f. 3 ) aaO 37. •) A critical and exegetical Conunentary on the Gospel according to S. Matthew, Edinburgh 1907 2 , 106f. 1)
2)
122 Weiter ist hier Alan Hugh M'Neile zu ne1men. Er hält in seinem Matthäuskommentar 1 ) den V. 23a für eine gedankliche Fortsetzung von V. 17. Er richte sich gegen die fanatische Begierde nach dem Martyrium. Die längere Version betone die Anweisung, oft zu fliehen. Zu V. 23b bemerkt M'Neile: "Wären diese Worte Teil des ursprünglichen Auftrages, würden sie bedeuten, daß die Jünger in jeder Stadt predigen sollten, in die sie fliehen, und daß, bevor sie in jede Stadt in Israel geflohen wären und darin gepredigt hätten, der Menschensohn kommen würde." Eine solche Erwartung des Herrn sei aber aus drei Gründen unmöglich: l. gehörten die Vv. 17-22 in den Zusammenhang von Mk 13,9-13, 2. weiche der Gedanke der Flucht vor Verfolgung von der Aktion V. l4 ab, 3. enthalte die Botschaft V. 7 nichts was Verfolgung hervorrufen würde. Es heiße: "Ihr werdet nicht erschöpft, nicht die ganze Zahl der Städte durchzogen haben auf eurer Flucht." Angeredet sei die Gemeinschaft der Jünger, und die jüdischen Städte in Israel würden ihnen genügend Zufluchtsstätten gewähren. Da die letzten Worte unverbunden mit dem Missionsauftrag seien, könnten sie nicht ein Treffen des Herrn mit den Jüngern "an einer bestimmten Stelle während ihrer Tour" meinen. Gegenüber Origenes führt M'Neile die Verwendung von lwc; mit Aorist ins Feld und gegenüber Calvin die bezeichnende Verwendung des Ausdrucks "Kommen des Menschensohnes". c) Die U nechtheitshypothese
Während die bisher besprochenen protestantischen Exegeten des 20. Jahrhunderts davon ausgehen, daß das Logion Mt 10,23 im wesentlichen auf Jesus zurückgehe, nehmen andere Ausleger auch dieses Jahrhunderts an, es habe eine tiefergreifende Überarbeitung erfahren oder gar, es stamme nicht von Jesus, sondern spiegle irgendwie die Anschauungen der Gemeinde wieder. ·Hierher gehört wohl schon Julius Wellhausen (1844-1918). In seinem Matthäuskommentar2) sagt er, das Logion "müßte sich nach dem Zusammenhang auf die allgemeine Flucht der Christen vor der Verfolgung beziehen". Der zweite Halbvers scheine nur gezwungen bedeuten zu können: "Ihr werdet die Zahl der jüdischen Städte auf der Flucht 1)
2)
The Gospel according to St. Matthew, London (1915) 19525 , 142f. Das Evangelium Matthäi, übersetzt und erklärt, Berlin 1904, 49.
von einer zur a.ndern nicht erschöpfen." Er scheine sich eigentlich auf die Mission zu beziehen. Aber die Themata Mission und Verfolgung mischten sich hier, wie Mt 23,34 zeige. Der Menschensohn sei nach der Ansicht des "Konzipienten" nicht Jesus. Überall werde das jüdische Gemeinwesen als noch bestehend vorausgesetzt. Der Parallelsatz sei angeschlossen worden. In klassischer Weise vertritt Alfred Loisy (1857-1940), der als Vertreter des katholischen "Modernismus" wohl eher hier einzureihen ist, die Unechtheitshypothese 1 ). Er bespricht Mt 10,23 zunächst im Zusammenhang mit Mt 10,5-6b. Für V. 23 lehnt er die Deut1mg Schweitzers ab. Die Bemerkung beziehe sich nicht auf die erste Mission der Apostel; sie passe aber auch zu keiner andern Tätigkeit der Apostel vor der Passion; in ihrer natürlichen Bedeutung könne man sie nur im Hinblick auf die Situation des Evangeliums in Palästina in den 20 Jahren nach dem Tode des Erlösers erklären. Judenchristen hätten glauben können, "daß Jesus wiederkommen würde, bevor die apostolische Predigt alle Städte Palästinas erreicht hätte". Daher sei es wahrscheinlich, daß die Vv. 5-6b und 23 "eher ein Gefühl der Tradition als eine formelle Anweisung des Erlösers" darstellen. Mt habe sie erhalten, Mk ignoriert und Lk korrigiert 2 ). Später präzisiert Loisy, der V. 23a beziehe sich auf den V. 16 und der V. 23b auf den V. 5b. Der zweite Halbvers könnte eine Variante von Mt 16,28 sein. Die Verheißung sei ebenso klar wie unerfüllt 3 ). Auch Rudolf Bultmann tritt in seiner "Geschichte der synoptischen Tradition" 4 ) für die Unechtheit unseres Logions ein. Er meint, Mt 10,23, wodurch Mt den entsprechenden Abschnitt in der Jüngerrede vermehrt habe, sei "deutlich ein christliches vaticinium aus der l\Iissionszeit". Er unterläßt es aber, für diese Auffassung eine genauere Begründung zu geben. In diesen Zusammenhang hinein gehört wohl auch Erich Klostermann. Im Handbuch zum NT5 ) führt er zu Mt 10,23b aus, der Spruch habe vielleicht ursprünglich gemeint: "ehe die Mission der
1)
2) 3) 4) 5)
Les Evangiles synoptiques I, Ceffonds 1907. aaO 866. aaO 883f. Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen (1921) 1957 3 , U9. Das l\Iatthäusevangelium, Tübingen 1927 2 •
Apostel v. 6f zu Ende ist, wird der Menschensohn erscheinen." In Verbindung mit V. 22 heiße es: "ehe die Flucht der Jünger alle Zufluchtsorte in Israel durchprobiert hat, ist die Parusie da." Dann weist er ohne Kommentar auf die Meinungen von Loisy und Zahn hin 1 ). Von Loisy übernimmt er die These, der V. 23 scheine wie die Anweisung V. 5f "so nur der Situation des Evangeliums in den ersten 20 Jahren nach Jesu Tode zu entsprechen" 2). Auch im angelsächsischen Raum gewinnt in diesen Jahren die Unechtheitshypothese an Boden. Thomas Walter Mansou stellt in dem gemeinsam mit H. D. A. Major und C. J. Wright herausgegebenen Werk über die Evangelien3 ) zuerst eine Disharmonie zwischen den Vv. 23-25 und den andern Aussendungsberichten fest. In den andern Quellen sei eine freundliche Aufnahme der Missionare vorausgesetzt. Das Motiv zur Eile sei das bevorstehende Kommen des Menschensohnes. Aber nirgends in den Evangelien deute Jesus an, daß das Kommen des Menschensolmes so nahe bevorstehe, auch nicht in Mk 9,1. Der Evangelist bringe hier Material zusammen, das eigentlich anderswohin gehöre. Der Gedanke, daß die Jünger verfolgt werden (V. 23) gehöre in ein späteres Stadium (vgl. Lk 22,35ff). Auch die Erwähnung des Namens Beelzebul V. 25 sei gegenüber Kap. 12 verfrüht. "Der Schluß liegt nahe, daß V. 23 in diesem Kontext fehl am Platze ist. Er widerspiegelt die Erfahrung und die Erwartungen der ursprünglichen palästinischen Kirche." Ebenfalls hierher gehört Cecil John Cadoux, der ziemlich ausführlich auf unser Logion eingeht 4 ). Er nennt Mt 10,23 "eine sehr zweifelhafte Stelle" und rechnet das Wort der Quelle M zu, einer Sammlung von Jesusworten, -reden und -geschichten, die, zusammengf;lstellt in Jerusalem ca. 55-60 n. Chr., judenchristlich und antipaulinisch ausgerichtet sei. Als echtes Jesuswort sei es unvereinbar mit manchem andern seiner klaren Aussprüche. "Aber aufgefaßt als eine späte Version eines verlorengegangenen Ausspruches J esu, verstümmelt unter dem Druck der antipaulinischen Überzeugung der Jerusalemer Kirche, daß kaum Zeit sein würde, ganz Israel zu evangelisieren, bevor der Herr wiederkäme, ist es vollkommen veraaO 89. aaO 86. 3 ) The Mission and Message of Jesus, London 1937, 474. ') The Historie Mission of Jesus, London and Redhili 1941. 1) 2)
125 ständlich 1 )." Schweitzer wirft er v. a. vor, daß er die literarischen Probleme von Mt 10 zu wenig beachte 2 ). In diesem Zusammenhang haben wir auch auf Walter Grundmann hinzuweisen. In seinem früheren Jesusbuch 3 ) scheint er in Mt 10,23 eine "judenchristliche Konstruktion" zu sehen. In seinem späteren Jesusbuch 4 ) läßt er aber den Sinn des Spruches ganz offen. Auch Johannes Leipoldt ist hier zu nennen. In seinem Buch über Jesu Verhältnis zu Griechen und Juden 5 ) erklärt er: "Mt 10,23 halte ich wegen des Inhalts für einen Spruch der Urgemeinde 6 )." Er meint, die Urgemeinde halte im Gegensatz zu J esus das Ende für nahe 7 ). Die Meinung Jesu findet er in Stellen wie Mt 24,36; 25,5 u. a. ausgedrückt, die das Ende in die Ferne rücken. Dennoch hebe Mt hervor, "daß das Ende nahe bevorstehe". So z. B. im Spruch Mt 10,23b, der besage: "Die Wiederkunft (und damit das Ende) soll ... so schnell eintreten, daß die Jünger nicht Zeit haben, auch nur in allen Orten Palästinas zu predigen 8 )." Leipoldt sieht in Mt 10,23 einen Beweis für die Hemmungen der Urgemeinde gegenüber den Heiden. Das herrschendeJudenchristenturn sei enger als das Judentum : , ,Das Ende ist nahe: kann man es wagen, zu den Heiden zu gehen, wenn nicht einmal für Israel genügend Zeit bleibt 9 ) 1"
d) Deutung auf die (ferne) Parusie Eine Deutung, die an die alte, seit Hilarius immer ·wieder vorgebrachte Auslegung erinnert, vertritt Julius Schniewind (18831948) in seinem Kommentar 10 ). Dieses Wort aus dem Sondergut des Mt setze voraus, "daß noch während die Jünger Jesu unter Israel wirkten, der Menschensohn kommt und das Ende aller Dinge". Die Deutung Schweitzers widerspreche allen Worten, die vom Leiden Jesu und seiner Jünger reden. Außerdem werde die lose Einfügung 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)
10 )
aaO 95, vgl. 143, 293. aaO 302f, Anm. 2. Jesus der Galiläer und das Judentum, Leipzig 1940, 25. Die Geschichte Jesu Christi, Berlin 1961', 245, vgl. 437. Jesu Verhältnis zu Griechen und Juden, Leipzig 1941. aaO 92, Anm. 65. aaO 190. aaO 191. aaO 20lf. Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen 1937, 127f.
126 unseres 'Vortes verkannt. Aus der ersten Jüngergemeinde könne das Wort nicht stammen, da es dann vor Apg 10:ff anzusetzen wäre und der Weltweite des Mt-Evangeliums widerspräche. Ein Wort, das z. Zt. der Abfassung des Mt-Evangeliums unerfüllt erscheine, kö1me nur von J esus stammen. Die Naherwartung des letzten Gerichtes bei Jesus und den ersten Christen dürfte nicht umgedeutet werden. Sie stamme daraus, "daß in Jesu Wort und Werk zukünftiges Gericht und ewiges Heil schon anheben". In Zeiten der Naherwartung seien "die Kräfte der zukünftigen Welt" (Hehr 6,5) gegenwärtig; es liege ein verändertes Zeitbewußtsein vor. Schniewind versteht dann das Wort im Sinne von 3,9; 8,llf; 21,43; 22,1-14; 23,38f; Mk 12,1-ll par, wo der Übergang des Heils von den Juden zu den Heiden ausgesprochen ist: "Wenn der Menschensohn vom Himmel erscheint, dann wird die Mission in Israel noch nicht vollendet sein. Das Heil wird zuerst den Juden angeboten, von ihnen ausgeschlagen, aber zu den Heiden gebracht; aber dmm ist dennoch die Mission in Israel noch nicht vollendet." Es könne eine letzte Hoffnung vorliegen wie in Röm 11. "Erst wenn der Menschensohn kommt, wird Israel erkennen, wen es verworfen hat, und zu ihm umkehren; vgl. 23,39." Unser Spruch sei "ein verhülltes Wort, ein Geheimnis".
e) Die Auseinandersetzung zwischen M. Werner und W.
~Michaelis
Soweit sind die Dinge am Ende der 30er Jahre unseres Jahrhunderts gediehen. Da erneuert Martin Werner (1889-1964) in seinem Buch über die Entstehung des christlichen Dogmas 1 ) mit großer Entschiedenheit die Schweitzersche Exegese unseres Logions. Er schreibt: "Die ,Aussendungsrede' Mt 10 nimmt die konsequente Eschatologie gerrau so, wie sie lautet und bezieht sie textgemäß auf die hier berichtete Situation der Aussendung der Zwölf. Dann besagt die Rede im wesentlichen, daß die Jünger unbehindert durch jegliche Reiseausrüstung durch die Städte und Dörfer Israels eilen sollen mit der öffentlichen Ankündigung, daß jetzt der bisher schon als nahe angekündigte Anbruch des Reiches erfolgen werde." Und nun zu V. 23: "Dabei bereitet Jesus die Jünger selber darauf vor, daß sie den Hereinbruch der dem Reichsanbruch voraufgehenden ,Wehen' und die glorreiche Erscheinung des ,Menschensohnes' noch 1)
Die Entstehung des crn·istlichen Dogmas, Bern (1942) 1954 2 •
127 während der Ausführung ihres Auftrages erleben werden." Von hier aus kritisiert vVerner die Auslegtmg Schniewinds. Dieser müsse die Beziehung der Rede auf die Situation der Jüngeraussendung in Frage stellen m1d speziell die Weissagw1g V. 23 "mit nicht stichhaltigen literarkritischen Argumenten anfechten". Jede literarkrit,ische Beanstandm1g der Rede scheitere an der Unmöglichkeit zu erklären, "wie die Rede in dem Wortlaut von Mt 10 in die hier angegebene Situation hineingestellt werden kmmte, wenn es sich um eine ungeschichtliche Tradition handeln sollte". Die ganze Rede, v. a. die Stelle Mt 10,23, sei schon für das Bewußtsein der ältesten Kirche "nachweislich völlig rätselhaft geworden 1 )". Diese Auffassung sucht Werner aus den Kirchenvätern zu belegen mit der Behauptung, daß Mt 10,23 vor Tertullian nie erwähnt werde, und daß seit Tertullian zunächst immer nur Mt 10,23a zitiert, V. 23b aber ignoriert werde; erst Hilarius zitiere V. 23b. Auch die Auslegung anderer Teile der Aussendungsrede zeigt nach Werner die Verlegenheit der Kirchenväter 2 ). Um so verständlicher sei "das Fehlen von Mt 10,23 in den übrigen synoptischen Parallelen und der Versuch, die Rede an andere spätere Stellen zu versetzen (vgl. Mc 6 Lc 9 und 10 Mc 13 Par)". Der "große Vorsprung der Schweitzerschen Exegese" besteht nach Werner darin, daß sich die Rede Mt 10 als einheitlich und situationsgemäß erweise. Die Aussendung sei vorbereitet durch die Ankündigung der Nähe des Reichsanbruches und durch die Gedanken des "Geheimnisses des Reiches Gottes (Mc 4,11)". Von der Aussendung her seien die Ereignisse der Folgezeit "unter dem Gesichtspilllkt der erstmals getäuschten Naherwartung" zu betrachten. Die spezielle Fragestellung müsse nun lauten: "Wie werden diese Berichte verständlich unter dem Gesichtspilllkt der in Widerspruch zu der Erwartung Jesu während der Abwesenheit der Jünger eingetretenen und fortdauernden Verzögerung der in der Aussendungsrede angekündigten Endereignisse (messianische Drangsal, Erscheinung des Menschensohnes, "'\Veltgericht und Realisierung des Gottesreiches )3 )?" Diese Auffassm1g der Aussendungsrede und insbesondere des Logions Mt 10,23 stößt sogleich auf starken Widerstand. Vor allem 1) 2)
8)
aaO 7lf. aaO 72f, Anm. 112. aaO 72f.
ist es Wilhelm Michaelis (1896-1965), der sich energisch gegen Werners These wendet. Unter dem Titel "Die große Enttäuschung" bespricht W. Michaelis im "Kirchenireund" 1 ) Werners Buch. Darin äußert er zu Werners Deutung der Rede Mt 10, insbesondere des V. 23, folgende Gedanken: Werners Kennzeichnung der Aussendungsrede stimme nicht. Von der messianischen Drangsal sei nicht die Rede und vom Weltgericht 10,32f nicht in erster Linie. Von der Realisienmg des Gottesreiches sei 10,7 nicht die Rede und von der Erscheinung des Menschensohnes nur in V. 23b. Dabei handle es sich aber in erster Linie nicht um die Ankündigung des Kommens des Menschensohnes, "sondern vielmehr um eine Auskunft über das Schicksal Israels". Ferner könne die Rede, als einheitliches Ganzes genommen, nicht restlos aus der Situation der Aussendung der Zwölf erklärt werden. Das ergebe sich aus 10,17ff. "Dies bedeutet, daß gerade unter Voraussetzung der Einheitlichkeit der Aussendungsrede auch 10,23b eine Aussage sein müßte, die nicht auf die unmittelbar an diese Aussendung sich anschließenden Wochen, sondern auf einen längeren und späteren Zeitraum hinweist." Im Hinblick auf 10,23 b weist Michaelis darauf hin, daß die von Werner behauptete Enttäuschung über die Rückkehr der Jünger "nirgends in den Evangelien auch nur angedeutet ist". Vom Kommen des Menschensohnes sei 23b erst im Nebensatz die Rede. Der Hauptsatz kündige den Jüngern an, daß "sie mit den Städten Israels nicht vor der dann im Nebensatz genannten Parusie ,zu Ende kommen' würden". 10,23b begründe, "warum die Jünger nicht etwa auf den Gedanken kommen dürfen, die Mahnung 10,23a nicht befolgen zu wollen". Jesus sage den Jüngern, "es sei ein Irrtum, wenn sie glaubten, durch eine Nichtbeachtung seiner Mahnung 10,23a könnten sie Israel bekehren; die Bekehrung Israels sei viel schwieriger, als sie zunächst dächten; mit der Bekehrung Israels ... würden sie bis zur Parusie nicht zu Ende kommen bzw. erst bei der Parusie würde Israels Bekehrung erreicht werden (vgl. Röm 11,15)". Die Deutung unseres Logions durch die konsequente Eschatologie sei "reine Eintragung". Mt 10,5 beziehe sich auf Galiläa; 10,23 dagegen auf sehr viel mehr, vielleicht sogar auf die Diaspora. Es sei nicht möglich, "auf dies Wort die These von der ,erstmals getäusch1 ) Kirchenfreund 15/16, 1942, 226ff Gemeinden?" 1942, 16ff.
= Sonderdruck: "Irreführung der
ten Naherwartung', von der erstmals offenkundig gewordenen angeblichen Verzögerung der Parusie aufzubauen" 1 ). Es gebe im NT ein echtes Problem der Parusieverzögerung, insofern es dort wohl eine Naherwartung, nicht aber eine Nächsterwartung der Parusie • gebe 2 ). Zu Werners These von der Rätselhaftigkeit des Logions Mt 10,23b in der ältesten Kirche bemerkt Michaelis, ·das "zu Ende kommen" in 10,23b beziehe sich nicht auf den Umfang der Fluchtwege. Nur wenn dies der Fall gewesen wäre, hätten die Kirchenväter Anlaß gehabt, bei der Erörterung der Fluchtfrage auch V. 23 b heranzuziehen. "Die Nichtzitierung von 10,23 b hat also allein den Grund, daß diese Vershälfte sich gar nicht auf das T~ma der Flucht anwenden ließ 3 )." ~:· Auf diese Argumente W. Michaelis' schreibt M. Werner eine Erwiderung in seinem Aufsatz "Um die konsequent-eschatologische Auffassung von der Entstehung des christlichen Dogmas (Eine Antwort)"4). Gegenüber Michaelis' Bemerkung, daß in Mt 10 vom Weltgericht nicht die Rede sei, weist Werner auf 10,15 hin. Zu l\fichaelis' Begründung, daß 10,32f nicht in erster Linie auf das Weltgericht gehe und 10,23 nicht in erster Linie auf das Kommen des Menschensohnes, fragt er: "Soll wirklich in einem Text von irgend etwas deshalb nicht die Rede sein, weil nicht in erster Linie und nur in einem Nebensatz davon die Rede ist·? Wovon pflegt man denn in einem Nebensatz zu reden, wenn nicht von dem, wovon darin die Rede ist?" In 10,23b handle es sich selbstverständlich um eine Begründung der Weisung 10,23a. Die Deutung von Michaelis im Sinne von Röm 11,15 sei "lediglich eine Eintragung, die wiederum ... auf der hinfälligen Voraussetzung beruht, daß in der Aussendungsrede an die apostolische Missionstätigkeit nach dem Tode Jesu gedacht sei". Der Ausdruck "alle Städte Israels" kö1me sich wegen 10,5 nicht sogar auf die Diaspora beziehen. Der Grundgedanke einer "Bekehrung ganz Israels" spiele in der Aussendungsrede keine Rolle, "nicht zu reden von einer Andeutung der Jünger darüber, wie leicht oder wie schwer sie sich eine solche Bekehrung ganz Israels dächten!" Michaelis sei "weit davon entfernt, die Unrichtigkeit der konseaaO 18ff. aaO 20. 3 ) aaO 22f. •) Schweiz. Theol. Umschau 3, 1942. 1)
2)
9 Künzi, Matthäus
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130 quent-eschatologischen Auffassung erwiesen zu haben". Daß der matthäisehe Bericht nichts von einer Enttäuschung bekunde, sei nicht verwunderlich. Schweitzer habe "mit Recht als sehr symptomatisch die Tatsache vermerkt, daß Matthäus überhaupt nicht einmal die Rückkehr der Jünger mit einem Wort erwähnti)." Dann weist Werner auf Michaelis' frühere Aussagen zu Mt 10,23 in seinem Werk "Täufer, Jesus, Urgemeinde" hin, wo Michaelis nichts von Schwierigkeiten bei der Bekehrung Israels verlauten lasse, sondern von einer Bußpredigt der Jünger innert kurzer Frist und vom Kommen des Menschensohnes in großer Nähe 2 ). Zu seiner Behauptung, die Kirchenväter hätten mit Mt 10,23b nichts mehr anzufangen gewußt, sagt Werner: "Diese Deutung ergab sich mir einfach daraus, daß Jesus mit dieser Ankündigung die Anweisung zur Flucht begründet, und daß sich die Kirchenväter, weil sie ja selber auf eine Begründung der Berechtigung zur Flucht in Verfolgungszeit ausgehen, sich für eine von Jesus selber dargebotene Begründung hätten interessieren müssen." Die Kirchenväter ignorierten die Begründung Jesu deshalb, "weil zu ihrer Zeit die vor aaO 52ff. aaO 55f.-InseinerfrühenSchrift "Täufer,Jesus, Urgemeinde", Gütersloh 1928, deutet Michaelis unser Logion im Sinne der Naherwartung. Zunächst hält er fest, daß mit dem "Kommen des Menschensohnes" in Mt 10, 23 die Parusie gemeint sei, und zwar im Sinne von "Ankunft, Beginn der Anwesenheit" (aaO 56). An unserer und an einigen andern Stellen werde der Termin des Endes "in zwar nicht unmittelbarer, aber doch absehbarer Nähe" gesehen. "Nach Mt 10, 23 werden die Jünger, die Jesus aussendet, die Städte Israels nicht bis zum letzten Ort mit der Bußpredigt erreichen, zuvor schon wird der Menschensohn kommen." Es lasse sich nicht bestreiten, "daß Jesus Aussprüche getan hat, die auf einen nahen Termin schließen lassen". Allerdings könne innerhalb der damals lebenden Generation ein ziemlich entfernter Termin gemeint sein (aaO 96). In Mt 10, 23 werde das Kommen des Menschensohnes "in so großer Nähe gesehen, daß nicht einmal mit der völligen Ausführung des Auftrages durch die Jünger gerechnet wird". Dieses Wort möge von der Überlieferung in falschen Zusammenhang gebracht worden sein und sei vielleicht von Jesus zu anderer Zeit gesprochen worden. Ob J esus dabei auch an seinen Tod gedacht habe, sei nicht auszumachen. In den Evangelien sei nirgends ein Anhalt dafür, "daß Jesus noch bei seinen Lebzeiten Gericht und Reich erwartet habe". Es sei jedoch mit der Möglichkeit zu rechnen, "daß Jesus etwa zu Anfang seiner Wirksamkeit seinen Tod noch nicht für die Zeit vor der Parusie erwartet hat". Sobald für ihn die Gewißheit des Todes festgestanden habe, habe er sie von der Parusiegewißheit her beurteilt (aaO 97f). 1)
2)
der Verfolgung flüchtenden Christen nicht zugleich im Hinblick auf das nahe Weltende einen Predigtauftrag auszurichten haben, von dem man ihnen sagen könnte, daß sie damit infolge der Nähe der Parusie Christi wahrscheinlich ohnehin nicht zu Ende kommen werden 1 )." Auf diese "Antwort" Werners reagiert Michaelis mit einem "Nachwort" 2). Hier präzisiert er, er bejahe die eschatologische Naherwartung Jesu, jedoch nicht im Sinne der konsequenten Eschatologie3). Zu seiner Bemerkung im Buche "Täufer, Jesus, Urgemeinde", daß Mt 10,23 "nicht einmal mit der völligen Ausführung des Auftrages durch die Jünger gerechnet wird", erklärt Michaelis jetzt: "ich gehe ja nicht von der Einheitlichkeit der Aussendungsrede Matth. 10 aus ... ; bei dem den Jüngern erteilten Auftrag denke ich nicht an die befristete Aussendung von Matth. 10,5, sondern an den hinter 10,23 stehenden Auftrag, alle Städte Israels mit der Bußpredigt zu erreichen 4 )." W. Michaelis vertritt seinen Standpunkt dann noch kurz in seiner Schrift "Der Herr verzieht nicht die Verheißung" 5 ), wo er auch Bedenken gegenüber der Deutung von Mt 10,23 durch Klostermann und Zahn äußert 6 ), und ziemlich ausführlich in seinem MatthäusKommentar7). Hier stellt Michaelis einleitend fest, 10,23 habe nach vorwärts "keine erkennbare Beziehung", und mit 10,22 bestehe "kein unmittelbarerZ usammenhang", eher "eine gewisse Spannung''. 10,23b gebe sich als Begründung für 10,23a; das "denn" könnte von Mt hinzugefügt sein. Das "nicht zu Ende kommen mit den Städten Israels" könne sich nicht auf die Flucht beziehen, sondern nur auf die Missionsarbeit: "Wenn sie in einer Stadt verfolgt werden, so sollen sie in die nächste fliehen, um dort die Arbeit aufzunehmen (vgl. 10,14)." Auch aus dem Zusammenhang von Mt 10 gelöst, würde sich ein guter Sinn ergeben: "Ihr müßt notfalls durch die Flucht die Weiterführung der Arbeit an andern Orten sichern, weil die Arbeit so groß ist (9,37), daß ihr ohnehin nicht alle Städte Israels aaO 56f. Irreführung der Gemeinden? 26ff. 1 ) aaO 28f. •) aaO 29f. •) Der Herr verzieht nicht die Verheißung, Bern 1942, 64. •) aaO 77f, Anm. 38. 7 ) Das Evangelium nach Matthäus, 2. Teil, Zürich 1949, 93ff. 1)
2)
9*
missioniert haben könnt, bevor der Menschensohn kommt." Die negative Form von 10,23b lasse vermuten, "daß mit ihm zugleich eine gegenteilige Meinung abgewiesen werden soll". Die Jünger hätten sich dann für verpflichtet gehalten, ihre Arbeit unter Verfolgung fortzusetzen, "in der Meinung, es müsse ihnen die Gewinnung dieser Stadt doch noch möglich sein". Demgegenüber verpflichte sie Jesus zur Flucht mit der Begründung, "daß es ein Irrtum wäre, zu glauben, sie würden bei ihrer Mission mit allen Städten Israels überhaupt vor dem Jüngsten Tag zu Ende kommen". Dann sage Jesus in 10,23b: "die Bekehrung aller Städte Israels, ganz Israels, werde längst nicht abgeschlossen sein, wenn der Menschensohn komme." Hinter diesem Wort stehe die Hoffnung, "daß Gott dann auf seine Weise vollenden wird, was die Jünger begonnen haben", vgl. Röm 11,15. Gegenüber der konsequent-eschatologiscllen Deutung des Wortes führt Michaelis noch einmal die bekannten Argumente an: es sei nirgends angedeutet, "daß Jesus die Jünger von dieser Aussendung gar nicht zurückerwartet", ebensowenig, "daß Jesus über die spätere Rückkehr der Jünger ... enttäuscht gewesen sei". Mt 10 sei nicht ein einheitliches Ganzes, sondern eine Redekomposition; 10,17ff seien die Beziehungen auf die Zeit nach dem Tode Jesu sehr deutlich, und es finde sich sonst nirgends eine Naherwartung, die mit einigen Monaten oder gar Wochen rechne. Michaelis schließt: "Freilich wird ein jetzt fremd in seiner Umgebung stehendes Wort, das ursprünglich einmal selbständig war oder in einem anderen, uns nicht mehr erhaltenen Zusammenhang gestanden hat, immer schwer und nur annäherungsweise erklärt werden können." f) Weitere Deutung auf die (ferne} Parusie
In derselben Richtung geht auch die Auslegung von Felix Flückiger. In seinem Buch über den Ursprung des christlichen Dogmas 1 ) sagt er zu Schweitzers und Werners Deutung von Mt 10,23: "Jesus hat aber gar nicht die Rückkehr der Jünger von ihrer ersten Predigttätigkeit in Galiläa als Termin angegeben, vor dessen Eintreffen das Reich Gottes komme, sondern die Missionierung ganz Israels. Das Reich kommt, bevor die Mission in Israel zu Ende ist 2 )." 1) 2)
Der Ursprung des christlichen Dogmas, Zürich 1955, 25f. aaO 25.
133 Nirgends werde angedeutet, "daß Jesus oder die Jünger je die Mission unter den Juden als beendet angesehen hätten". Von einer Rückkehr der Jünger werde nichts gesagt. Mit W. G. KümmeP) urteilt Flückiger, "daß Schweitzer zu der Aussage, die Jünger seien ,programmwidrig' zurückgekehrt, nur durch eine Kombination von Matth. 10 und Mark. 6 gelangen konnte". Der Grund dafür, daß Jesus von einer Rückkehr der Jünger nichts sagt, liege darin, daß Matthäus in die Aussendungsrede eine Anzahl isoliert überlieferter Jesusworte aufnehme, die er als Anweisungen für die christliche Mission überhaupt verstanden habe. Da die Mission der Kirche weitergehe, könne von einer Rückkehr nicht die Rede sein. Daß Mt 10 "eine Redekomposition aus heterogenen Elementen" sei, erweise sich aus der Übernahme von Worten aus Mk 6 und 13. Die Rede sei aus der Absicht gestaltet, "alle isolierten Aussprüche, welche die Mission betreffen, zusammenzufassen". Mt 10,20 sei eine nachpfingstliche Erläuterung zu 10,19. So erhalte Mt 10,23 den Sinn, "daß die Judenmission andauern werde bis ans Ende der Tage". In Mk 6 sei bloß an eine einmalige Aussendung von höchstens einigen Tagen gedacht, und die apokalyptischen Zustände 10,17ff treffen nicht auf die Verhältnisse in Galiläa z.Zt. Jesu. Auch David Bosch weist in seinem Buch über die Heidenmission in der Zukunftsschau Jesu 2 ) Schweitzers Deutung von Mt 10,23 ab. 10,23b sei möglicherweise ein Einzellogion; es rede von der Ausführung einer Aufgabe und besage, "die Jünger werden einen Dienst zu (!)Israel zu verrichten haben, der bis zur Parusie des Menschensohnes dauern wird". Über die Zeitdauer bis zur Parusie sei damit noch nichts gesagt, da die zweite Person im Verbum uÄ.eiv nicht gepreßt werden dürfe. Mt 10,23 sei ein selbständiges Jesuswort, "das analog zu dem ·wort von der Heidenmission Mk 13,10 Par. auch eine Judenmission während der ganzen Zwischenzeit erwartet". Mk 13,10 par erscheine die Heidenmission als opus perfectum, ,;während nach Mt 10,23b die Judenmission noch nicht zu Ende gekommen sein wird". Während die zuletzt besprochenen Autoren ähnlich wie Schniewind unser Logion mehr im Sinne des Hilarius deuten, interpretiert
1)
2)
s. u.
136f. Die Heidenmission in der Zukunftsschau Jesu, Zürich 1959, 156f.
134 es Pierre Bonnard mehr im Sinne des Augustinus 1 ). Er meint, V. 23 a lege den Akzent auf die Sclmelligkeit, mit der sich das Evangelium infolge der Flucht ausbreite. Diese Flucht sei "eines der Hauptvehikel des Evangeliums von Christus". Dann bedeute V. 23 b : "Bis zu meiner Wiederkunft in Glorie, am Ende der Zeiten, werdet ihr immer einen Ort finden, wohin ihr fliehen und Zeugnis vom Evangelium ablegen könnt." Es gehe also nicht um die Nähe der Wiederkunft Jesu, "sondern um alle Möglichkeiten des Zeugnisses, die in Israel den Jüngern bis zu dieser Wiederkunft gegeben sind". Diese Interpretation ergebe sich aus dem Kontext. Zur Interpretation: "Ihr werdet nicht aufhören, die Städte Israels zu evangelisieren etc" fragt Bonnard: "Aber kann man dem Verb ,aufhören' (re.Mmrre) diese Bedeutung geben~" g) Weitere Deutung auf die (nahe) Parusie Auch Oscar Cullmann setzt sich verschiedentlich mit Mt 10,23 auseinander, so in einem Vortrag vor dem Schweizerischen Reformierten Pfarrverein2 ). Hier verwahrt er sich dagegen, daß die drei Logien Mk 9,1, Mt 10,23 und Mk 13,30, die das "Kommen des Menschensohnes" etc für die Zeit der noch lebenden Generation voraussagen, das Zentralproblem der neutestamentlichen Forschung enthalten. Für Mt 10,23 und Mk 13,30 setzt er sich zunächst kritischmitSchniewinds Deutung im Sinne von Röm ll,25 auseinander. Er meint dazu, es sei möglich, yevea in Mk 13,30 auf das Volk Israel zu beziehen, es sei aber naheliegender, den Ausdruck im chronologischen Sinn zu verstehen. Da Mk 9, I die Einleitung zur Verklärungsgeschichte bildet, habe der Evangelist das Wort auf die Auferstehung Christi gedeutet. Cullmann ist der Meinung, "daß J esus in allen drei Worten auf seinen Tod und seine Auferstehung hingewiesen hat als Anfang des Reiches Gottes". Jesus habe das Kommen des Reiches mit seinem Tode erwartet. Das Entscheidende an der Naherwartung Jesu sei "überhaupt nicht die chronologische Bestimmung als solche, sondern die Bindung des Kommens des Reiches Gottes an seinen Erlösertod und die Auferstehung". Für die Urkirche sei mit Christi Tod und Auferstehung die letzte Phase L'Evangile selon Saint Matthieu, Neuchatel 1963, 149. Die Hoffnung der Kirche auf die Wiederkunft Christi, in: Verhandlungen des Schweiz. Ref. Pfarrvereins 83, Liestal 1942, 36ff. 1)
2)
dieses Aeons schon eingeleitet. Tod und Auferstehung Christi seien für Jesus und die Urgemeinde das entscheidende eschatologische Datum. Die neue Erkenntnis der Urkirche gegenüber Jesus bestehe darin, "daß sich zwischen dieses eschatologisch bereits entscheidende Datum der Auferstehung Christi und das Datum der Wiederkehr Christi noch ein heilsgeschichtlicher Zwischenakt einschiebt". Ähnliche Gedanken enthält eine französische Abhandlung über die Wiederkunft Christi 1 ). Hier läßt Cullmann es offen, ob für Jesus sein Tod und der Einbruch des Reiches zusammengefallen seien 2 ). In seinem Buch "Christus und die Zeit" 3 ) bemerkt er zu den drei Stellen Mk 9,1; Mt 10,23 und Mk 13,30: "Auch wenn sie nicht Jesu Tod selbst, sondern ein einige Jahre oder Jahrzehnte auf den Tod J esu folgendes Datum visieren, so steht doch fest, daß nicht diese irrtümliche Datumsangabe entscheidend ist. Die Interpretation der Evangelisten, die ja wohl auf jeden Fall die Worte auf den Tod Jesu bezogen haben, ist auch dann in einem höheren Sinne richtig." Später läßt Cullmann die Deutung des Logions Mt 10,23 auf den Tod Jesu ganz fallen. In seinem Werk "Heil als Geschichte" 4 ) geht er auch auf unser Logion ein. Bei der Behandlung der drei Worte Mk 9,1 par, Mt 10,23 und Mk 13,30 par geht es ihm darum, "zu zeigen, 1. daß diese Worte ,echt' sind, 2. daß wir nicht darum herumkommen, das ,Skandalon' in Kauf zu nehmen, daß Jesus hier das Datum des Endes, wem1 nicht auf Tag und Stunde, so doch irulCrhalb eines begrenzten Zeitraumes präzisiert hat" 5 ). Mt 10,23 unterscheide sich von den beiden andern Worten darin, "daß es das Kommen des Gottesreiches (des ,Menschensohnes') nicht allgemein an die lebende Generation bindet, sondern präzis an eine in Ausführung befindliche und bei der Parusie nicht vollendete Aufgabe der Jünger: die Mission in Palästina". Cullmann urteilt, A. Schweitzers These sei "ohne Beachtung der formgeschichtlichen Erkenntnisse zu sehr an den Zusammenhang von Mt 10 gebunden" und beruhe andererseits auf einer "willkürlichen Verknüpfung mit Mk 6,30". Gegenüber der Deutung von J. Schniewind und W. Michaelis meint 1 ) Le retour du Christ, esperance de l'Eglise selon le NT, Neuchatel et Paris 1943, 23ft'. 2 ) aaO 26. 3 ) Christus und die Zeit, Zollikon-Zürich 1948, 76. •) Heil als Geschichte, Tübingen 1965. 6 ) aaO 189.
er, wenn in Mt 10,23 der Gedanke von Röm 9-ll vorläge, "so müßte der Ton auf der Erwägung liegen, daß die Bekehrung Israels ,erst' am Ende stattfinde, während doch unser Logion offenkundig das ,Schon' betonen will". Der Versuch, das "Fertigwerden mit den Städten" auf die Möglichkeit der Flucht zu beziehen, könne sich zwar auf den Kontext berufen, sei aber mit dem Sinn von ov -reAimJ7:e schwer vereinbar. Die Erklärungen, die die Parusie in verschiedenen dem Ende vorangehenden Ereignissen sehen, widersprechen nach Cullmann dem Sinn, den das "Kommen des Menschensohnes" sonst hat. Auch für die Unechtheitserklärung sieht Cullmann keinen ernsthaften Grund. "Denn. . . die Tatsache, daß das Logion einer Tendenz der Urgemeinde entgegenkommt, ist kein ausreichender Grund." So bezieht also Cullmann unser Logion auf die (nahe) Parusie. Er schließt: "Alle drei Logien (Mk 9,1; 13,30; Mt 10,23) stimmen. . . darin überein, daß er (sc. Jesus) erwartet hat, das Reich Gottes werde kommen, solange wenigstens einige Angehörige seiner Generation am Leben sein werden 1 )." Sehr intensiv setzt sich Werner Georg Kümmel mit unserem Logion auseinander, so in seinem Buch "Verheißung und Erfüllung"2). Er sagt, der Zusammenhang von Mt 10,23 sei "sehr locker". V. 23a bedeute im Zusammenhang, "daß die Jünger bei ihrer Missionstätigkeit verfolgt werden müssen, daß sie sich dieser Gefahr aber nicht aussetzen, sondern in eine andere Stadt fliehen sollen, natürlich um dort die Mission weiterzutreiben (vgl. Mt 10,14)". V. 23b könne hinter V. 23a nur heißen: "Ihr werdet bei eurer Flucht gar nicht zu Ende kommen, ehe der Menschensohn in Herrlichkeit erscheint." Aber -reUarJ7:e bezeichne die Vollendung einer Aufgabe ("zu Ende bringen, erledigen", vgl. Lk 12,50). Der Spruch handle also von der Vollendung der Missionsaufgabe und besage, "daß die Jünger die Missionsaufgabe gegenüber ihrem Volk nicht völlig ausführen können, ehe die Parusie eintritt". 10,23b schließe nicht glatt an 10,23a an und hänge ursprünglich auch mit 10,24f (vgl. Lk 6,40) nicht zusammen. Daraus folge, daß 10,23b ein Einzelwort sei, "das zwar sachlich in die Aussendungsrede durchaus hineinpaßt, aber in keinem festen Zusammenhang mit seiner Umgebung steht". An der Auslegung A. Schweitzers (und M. Werners) 1) 2}
aaO 194ff. Verheißung und Erfüllung, Zürich (1945) 1956 3 •
137 rügt Kümmel v. a. die Kombination der Situation von Mt 10 mit der von Mk 6. Diese erzeuge einen künstlichen Zusammenhang zwischen Aussendw1gsrede nnd Jüngerrückkehr,. und von einer Enttäuschung Jesu über die Rückkehr der Jünger verlaute in den Quellen nichts. Der Sinn von Mt 10,23 b laute: "Die Parusie des Menschensohnes wird eintreten, ehe die Jünger mit der Verkündignng der Gottesherrschaft in Israel zu Ende gekommen sein werden." Damit sei das Kommen der Gottesherrschaft in die Lebenszeit der Jünger Jesu verlegt, nnd es köm1e sich innerhalb dieser Frist jederzeit ereignen. Eine Rückkehr der Jünger zu Jesus sei nach Mt 10,23b nicht ausgeschlossen. Die Nachricht von der Jüngeraussendnng und -rückkehr widerspreche der Annahme nicht, "daß Jesus den Jüngern das Eintreten der Gottesherrschaft vor der völligen Erledignng ihres Missionsauftrages verheißen hat" 1 ). Dann befaßt sich Kümmel kritisch mit einigen andern Exegeten, v. a. mit denjenigen, die das Kommen des Menschensohnes nnd den Anbruch der Gottesherrschaft mit dem Tod (nnd der Auferstehung) Jesu in Verbindnng bringen (Cullmann u. a.). Mt 10,23 deute in keiner Weise den Zusammenhang von Leiden w1d Tod Jesu an. Eine Unterscheidnng zwischen einem "Kommen" des Menschensohnes bei der Auferstehung und einem späteren "Kommen" auf den Wolken des Himmels sei völlig nnhaltbar. Mt 10,23 weise keineswegs auf einen zeitlichen Zusammenhang von Auferstehw1g und Parusie hin 2 ). Zur Naherwartnng Jesu führt Kümmel aus, Jesus habe die Nähe der zukünftigen Gottesherrschaft innerhalb der Lebenszeit der Generation seiner Hörer verkündigt. Offen gesteht er: "Es kann nnn keine Frage sein, daß diese Voraussage Jesu nicht eingetreten ist, nnd es ist darum unmöglich zu behaupten, Jesus habe sich in dieser Frage nicht geirrt." In diesem Punkt sei die eschatologische Verkündignng Jesu in einer zeitbedingten Form gefangen geblieben. Indessen sei die Zahl der begrenzenden Naherwartnngsworte sehr klein (Mt 10,23; Mk 9,1; 13,30), und es gebe viele Texte, die den Termin der Gottesherrschaft als zwar nahe, aber doch unbekannt oder gar als völlig unbekannt hinstellen (Mk 13,32) 3 ). Die Erwar1) 2)
3)
aaO 55ff. aaO 58ff. aaO 141 f.
138 tung des zukünftigen eschatologischen Handeins Gottes sei von der eschatologischen Verkündigung Jesu unablösbar. Jesus rede von der Nähe der Gottesherrschaft, "um damit die Gewißheit des auf die Vollendung abzielenden Heilshandeins Gottes aktuell zu gestalten". Die Naherwartung sei als zeitgebundene Vorstellungsform von der eschatologischen Verkündigung Jesu ablösbar, die Zukunftserwartung dagegen wesentlich und unentbehrlich 1 ). Dieselbe Anschauung vertritt Kümmel, in Auseinandersetzung mit neueren Dcutungsversuchen, in einem Aufsatz der neuesten Bultmann-Festschrift 2 ). Auch hier bestreitet er einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen 10,23 und 10,24ff sowie zwischen 10,22 und 10,23 a. Auch hier hält er allein die Übersetzung: "Ihr werdet die Städte Israels nicht fertig machen, zu Ende bringen" für möglich. Auch hier schließt er, daß 10,23b nicht mit 10,23a zusammengehöre und sich nicht auf die Flucht bezogen habe. Es beziehe sich auf die Missionierung Israels; "die Jünger Jesu sollen also mit ihrer Missionsaufgabe ihrem Volk gegenüber nicht fertig werden vor dem Kommen des Menschensohnes". Da das "Kommen des Menschensohnes" sonst immer die eschatologische Vollendung bezeichne, bedeute Mt 10,23 b: "Der Menschensohn wird erscheinen, ehe die Missionstätigkeit der Jünger beendet sein kann." Jesus habe in diesem vVort einen zeitlich begrenzten Termin für das baldige Kommen des Menschensohnes vorausgesagt, und diese Verheißung sei nicht in Erfüllung gegangen. Kümmel setzt sich dann insbesondere mit den Exegeten auseinander, die die Unechtheit des Logions vertreten und es für ein Trostwort aus der frühesten Urgemeinde oder für ein Wort einer eng judaistischen Gruppe halten, und findet ihre Einwände "merkwürdig schwach und keineswegs überzeugend". Alles weise darauf hin, "daß Mt 10,23 auf Jesus zurückgeht, und zeigt, daß er das endzeitliche Kommen des Menschensohnes erwartete, während die Jünger noch mit der Verkündigung der kommenden Gottesherrschaft an die Juden beschäftigt waren". Einmal mehr betont Kümmel, Jesus habe mit der nahen, auf seine Generation beschränkten Zukunft der Gottesherrschaft gerechnet und sich in dieser Erwartung getäuscht. Die VeraaO 144. Zeit und Geschichte, Dankesgabe au Rudolf Bultmann, Tübingen 1964, 41ff. Der Aufsatz trägt den Titel: Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu. 1)
2)
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kündigung Jesu von der nahen Gottesherrschaft meine ein zeitlich nahes Geschehen. Auch Rudolf Liechtenhan geht in seinem Buch über die urchristliche Mission 1 ) auf Mt 10,23 ein. Zwischen Mk 13,10 par und Mt 10,23 scheine ein unlöslicher Widerspruch zu bestehen. Solche Worte wie Mt 10,23 dürften aber nicht dogmatisch interpretiert werden; es könne sich um eine "Änderung der Perspektive unter einem Eindruck des Augenblicks" handeln. Es heiße auch nicht, "daß die Jünger mit der Verkündigung des Evangeliums, sondern mit der Flucht von einer Stadt in die andere nicht vor dem Kommen des Menschensohnes zu Ende kommen werden: eine Verfolgungszeit wird dem Ende vorausgehen und die Flucht durch die Städte Israels noch nicht abgeschlossen sein, bis die Katastrophe hereinbricht". Die Beziehung des ov p~ -ceA.tarp:s auf die Mission sei durch die Einsetzung der Worte in die Aussendungsrede entstanden; es sei aber fraglich, ob sie hier ihren ursprünglichen Platz haben. Auch Robert Morgenthaler äußert sich zu Mt 10,23 2 ). In Auseinandersetzung mit A. Schweitzer sieht Morgenthaler hinter den Überlieferungen von Mt 10, Mk 6, Lk 9 und 10 "die Tatsache ... , daß J esus schon während seiner Wirksamkeit die ihm nachfolgenden Jünger wiederholt zu Evangelisationsreisen ausgesandt hat". Diese Aussendungen bilden nach Morgcnthaler mit der nachösterlichen Missionsarbeit in den Städten Israels (Apg 1-12) eine Einheit. Die Bemerkung Mt 10,23b beziehe sich demzufolge "auf die gesamte Missionstätigkeit innerhalb der Städte Israels, wie sie bis zum Zeitpunkt der Niederschrift des Evangeliums geschehen war". Das ·wort sei "nicht als ein Nächst-, sondern als ein Naherwartungswort zu interpretieren". Während Morgenthaler auf verschiedene Aussendungen schließt, meint G. E. P. Cox in seinem Matthäuskommentar 3 ) auf Grund von Mk 6 und Lk 9; 10, es sei eine feste kirchliche Tradition gewesen, "daß Jesus während seines irdischen Amtes seine Jünger auf eine Mission zu ihrem eigenen Volk aussandte". Die Aussendungsrede Mt 10 sei "eine maßgebende Zusammenstellung". Bei der Zusammenstellung sei aus einer Homilie für die Jünger über eine 1)
2) 3)
Die urchristliche Mission, Zürich 1946, 31 f. Kommendes Reich, Zürich 1952, 76; vgl. 78. The Gospel according to St. Matthew, London (1952) 19582, 76f.
beschränkte Mission eine solche für die dauernde Mission der katholischen Kirche geworden. Während die ursprüngliche Mission erfolgreich gewesen sei (Lk 10,17; 22,35), sei die Situation für die Kirche sehr anders gewesen. Das zeigten die Abschnitte Mt 10,16-23 und 24-39. So ergibt sich nach Cox für Mt 10,23 folgende Interpretation: "Manchmal allerdings wird ihre wahre Klugheit darin bestehen, sich selbst aus dem Bereich der Gefahr zu entfernen und anderswohin zu entfliehen, wo ihre Botschaft willkommen sein mag. Es gibt eine Zeit zu beharren und eine Zeit zu fliehen. Aber ihre Wanderungen in Palästina werden nicht vorbei sein vor der zweiten Ankunft." Cox fügt bei: "Dieser Vers mag fehl am Platze sein." In seinem Jesusbuch 1 ) betont Vincent Taylor wie Schweitzer die entscheidende Bedeutung der Jünger-Aussendung. Jedoch habe Jesus nicht das Ende der Geschichte im Kommen eines übernatürlichen Menschensohnes erwartet, sondern nur den Einbruch des nahen Gottesreiches. In diesem Sinne sei Mt 10,23 zu verstehen. Gegenüber der Auffassung, das Logion sei unecht, meint er, es habe schon in der Überlieferung als echtes Jesuswort existiert. "In Mt 10,5-23 ist es ausgewertet, aber nicht erfunden, denn wer würde eine ProphetieJesu erfunden haben, die nicht erfüllt wurde?" h) Weiterführung der Unechtheitshypothese Ein großer Teil der zeitgenössischen Exegeten hält unser Logion für unecht, für eine Gemeindebildung oder doch wenigstens für eine Umbildw1g eines echten Jesuswortes. Henry Burton Sharman gibt in seinem Buch "Son of Man and Kingdom of God" 2 ) einen synoptischen Vergleich über die Mission der Jünger. Dabei stellt er fest, Mt überliefere aus der Mk-Quelle die Stelle Mk 13,10 parzunächst nicht und ersetze dann die geographische und zeitliche Grenze von Mk 13,10 pardurch diejenige von Mt 10,23, die in Widerspruch zu derjenigen von Mk 13,10 par stehe. Es beständen Zweifel, ob Mk 13,10 par in der von Mt benützten Mk-Quelle vorhanden gewesen sei. Auch wenn es schwierig sei zu ergründen, woher Mt dann die Stelle Mt 24,14 habe, so ergebe sich das naheliegende Phänomen, daß im Mt-Buch im selben, zweimal vorhandenen Kontext (Mt 10 und
1) 2)
The life and miuistry of Jesus, London 1955, 107f. Sou of Man and Kiugdom of God, New York and London, 1944 9 , 28f.
141
24) "zwei sich glatt widersprechende Konzepte von der Reichweite der Mission und der Zeit des Endes" fänden: Mt 10,23 und 24,14. Beide befriedigten das Suchen nach einem endgültigen Wissen über das Wann. Sharman schließt: "Man darf vielleicht vernünftigerweise behaupten, daß Jesus nichts zur Schaffung und Verbreitung dieser beiden sich widersprechenden Zeit-Angaben beitrug." Ebenfalls für die Unechtheit des Logions plädiert T. Francis Glasson in seinem Buch "The Second Advent" 1 ). Hier führt er gegenüber Schweitzer, der die Rede Mt 10 für historisch hält, die Synoptikerforschung seit 1906 an, die gezeigt habe, daß Mt 10 wie die meisten Mt-Reden zusammengesetzt ist. Insbesondere weist Glasson auf den Widerspruch zwischen Vv. 5-6 und 18 hin. Hat Jesus irgendwann die Worte Mt 10,23b gesprochen, und was bedeuten sie? Dieser Vers hat keine Parallelen in den andern Evangelien. Glasson meint, er erinnere an eine Verfolgung in der frühen Kirche: "Bevor die gequälten Christen die Fluchtorte erschöpft haben, die Palästina bietet, wird das Ende gekommen sein." Ganz ähnlich urteilt George S. Duncan in seinem Buch über Jesus 2 ). Er bemerkt zu Mt 10,23b: "Dies ist ein Ausspruch, der nur bei Mt vorkommt, und, angehängt an eine Reihe von Versen, die von Mk übernommen worden sind, mag er die begierige Erwartung der frühen judenchristliehen Kirche darstellen." Auch Sherman E. Johnson hält Mt 10,23 in seiner vorliegenden Gestalt für eine Gemeindebildung 3 ). Der Spruch 10,23 sei an die ganze frühe Christengemeinde gerichtet, "die ihren Herrn zurückerwartet, bevor sie ihre Predigt-Mission durch die Städte Palästinas beendet hat 4 )". J ohnson weist dann auf die Tatsache hin, daß die Judenchristen zum großen Teil in Jerusalem blieben, bis der Jüdische Krieg ausbrach (66-70), dann aber nach dem Zeugnis des Eusebius5 ) auf Grund einer göttlichen Offenbarung nach Pella flohen. "Dieser Spruch war formuliert worden durch Christen, die Christus in erster Linie als himmlischen Menschensohn dachten 6 )."
The Second Advent, 1947 2 , 103f. Jesus, Son of Man, London 1947, 181f. 3 ) The Interpreter's Bible VII, 1951. 4 ) aaO 360. ') H. E. 3, 5, 3. 6 ) The Int. Bible VII, 369. 1)
2)
142
Nicht ganz so weit geht John A. T. Robinson in seinem Buch über das Kommen Jesu 1 ). Er möchte darlegen, daß das, was die Evangelisten auf die Parusie beziehen, ursprünglich auf die Katastrophe der jüdischen Nation gegangen sei 2 ). Zunächst weist er auf den Widerspruch zwischen Mt 10,23 und 10,18 hin. Wie Mt 10,17-22 = Mk 13,9-13 passe Mt 10,23 besser auf eine Situation nach dem Tode Jesu, vielleicht auf die Verheerung beim Untergang des Landes3). Es se~ keineswegs unmöglich, daß Jesus die Scbrlilckensherr~ schaftbeim Fall von Jerusalem vorausgesehen hab.e (vg~. Lk 23,31; Mk 13,8; Mt 10,17-22; Mk 13,9-20 etc). Es sei möglich, daß Jesus diese ganze Situation als "Kommen des Menschensohnes" interpretiert habe. Robinson fragt dann: "Kann es sein, daß ein Spruch, der der kommenden Krise diese prophetische Interpretation gibt, hier wieder eine chronologische Drehung erhalten hat, um die Gewißheit zu verschaffen, daß gewisse Ereignisse nicht eingetroffen sein werden, bevor der Menschensohn kommt?" Mk 13,30 und 9,1 zeigten dieselbe Struktur, und ihre zeitliche Form sei wohl sekundär; möglicherweise habe auch Mt 10,23 dieselbe Wandlung durchgemacht. Bezeichnenderweise fügt Robinson bei: "In alledem, wie in jeder Rekonstruktion, die versucht, hinter die Evangelisten zu Jesus zu gehen, muß manches unvermeidlich spekulativ sein 4 )." Während J. A. T. Robinson in unserem Logion ein umgebildetes Herrenwort sieht, hält es Philipp Vielhauer wiederum für eine Gemeindebildung5). Er führt aus, Mt 10,23 gehöre ursprünglich nicht zur Missionsinstruktion. Der Zusammenhang des Verses mit der Umgebung sei sehr lose. Er sei ein isolierter Spruch, sein Bezug auf die Mission oder die Aussendung der Zwölf sei sekundär. Die beiden Vershälften enthalten wie Mk 13,14-20 die Motive: Befehl zur Flucht und Verheißung der baldigen Beendigung der Not. Der Spruch sei "ein apokalyptisches Trostwort für die Zeit eschatologischer Verfolgung". Als Argumente für die Echtheit des Wortes würden angeführt: I. Es sei eine unerfüllte Weissagung. 2. Es stehe im
Jesus and His Coming, London 1957. aaO 76. 3 ) aaO 80. •) aaO 92f. •) Gottesreich und Menschensohn in der Verkündigung Jesu, in: Festschrift für G. Dehn, NeukirchenJMoers 1957, 58ff. 1) 2)
Widerspruch zur universalistischen Haltung des Mt. 3. Das ap'f/v 1 ). Diese Gründe sind aber na~h Vielhauer nicht stringent~ Das ap'f/v sei kein sicheres Echtheitszeichen, und die beiden erstgenannten Argumente bewiesen lediglich das hohe Alter des Spruches. Mt und seine Gemeinde hätten ihn·wohl für ~in Herrenwprt gc!lwtN~· f\ber die Gemeinde habe nicht •:11Wischen den rerba ipsi~si~~ 4~s,f:is~pri schen J esus und den WortiDn des Erhöhten l1nt~rschi~c;leJ,l 1 . ~icl,u~r sei dem V. 23 zu entnehmjjn:~ ,,J;lalästina ,als, ge<;>graphi&cl:J.er, 1 H9ffZ~Wt; Bestand des jüdischen Gerp.eil).Wef1ens, dessep. Belt~rden,d~p.Jünger verfolgen; hochgespannte Erwartung des baldigen )\:.O.Q:Pljl~Iis. des Menschensohnes." Das Orakel sei in Palästina vor 70 entstanden. Die Schwierigkeiten, die sich bei Annahme der Echtheit ergeben, fallen weg, wenn man den Spruch als "Gemeindebildung" ansehe, d.h. "als Trostwort eines prophetisch inspirierten Christen an seine Brüder in der Situation der Verfolgung". Allerdings fügt Vielhauer dann bei, die Echtheitsfrage von Mt 10,23 lasse sich auf Grund dieser Stelle allein nicht entscheiden, doch habe die Unechtheitshypothese die größere Wahrscheinlichkeit. Ein weiterer Vertreter der Unechtheit von Mt 10,23 ist Erich Grässer in seinem Buch über das Problem der Parusieverzögerung 2 ). Zuerst argumentiert er ganz im Sinne von W. G. Kümmel. V. 23a heiße: "Wo die Jünger bei im·er Missionstätigkeit in einer Stadt auf Widerstand oder gar Verfolgung stoßen, sollen sie dieselbe lassen und eine andere aufsuchen, dorthin ,fliehen', wie es heißt, um dort die Mission fortzusetzen (vgl. 10,14)." V. 23b scheine sich im Zusammenhang aufdieFlucht der Jünger zu beziehen, aber dasreUO'rJTB bedeute den Abschluß, die Erledigung, die Beendigung einer Tätigkeit oder eines Auftrages. Es sei an die Missionstätigkeit der Jünger gedacht, "die nicht abgeschlossen werden kann, bevor der Menschensohn kommt". Wahrscheinlich sei die Kombination der Gedanken Flucht in V. 23a und Abschluß der Mission in V. 23b nicht ursprünglich, ebensowenig der Zusammenhang von V. 23b und V. 24. V. 23b sei "ein Einzelspruch, der sich der Aussendungsrede zwar gut einpaßt, aber hier keineswegs seine ursprüngliche Situation hat". Der Vers mache einen sehr alten Eindruck. Indessen sei So J. Jeremias, Jesu Verheißung für die Völker, 1956, 18. Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, Berlin 1957, 137ff. 1)
2)
seine Ursprünglichkeit aus zwei Gründen zu hestreiten. l. setze eine konkrete zeitliche Voraussage des Endes eine ganz bestimmte Situation voraus - "am wahrscheinlichsten die einer Aussendung seiner Jünger zur Mission", dann meine das Wort entweder "einen Ansporn zur Eile durch Intensivierung der Naherwartung" oder "einen Trostangesichts der beschwerlichen Aufgabe". 2. werde das Wort am einfachsten und am deutlichsten aus der Situation der Urgemeinde verständlich, die sich damit getröstet haben möge. Dieses Verständnis lege sich im jetzigen Zusammenhang des Mt eindeutig nahe. Grässer hält die Aussendungsrede für eine Redekomposition. Gegenüber den Vorlagen aus lVIk 6 und Lk 9 und 10 (Q) fallen Abänderungen auf: alle Jünger seien angeredet (Vv. 2lf; 26 fi") ; der Haß komme von der ganzen Welt; das Martyrium (Vv. 24 f) ; das sei die Zeit der Verfolgung der palästinischen Gemeinde. Angesichts der Schwierigkeiten für die Mission laute der Trost V. 23: "Das Kommen des Menschensohnes macht aller Trübsal und Verfolgung ein Ende!" Der Evangelist beziehe die ganze Rede auf die spätere apostolische Mission. Auffallend und bezeichnend sei die zurückhaltende Verwendung des Parusiemotivs in der Aussendungsrede. In Lk 9 und 10 finde sich der Hinweis auf das Reich Gottes ebenfalls, allerdings "aller Zeitform entkleidet". Die Botschaft vom Kommen des Reiches sei ersetzt durch die vom Zustand des Reiches. So urteilt Grässer ähnlich wie Bultmann, Mt 10,23 sei "wahrscheinlich christliches vaticinium aus der Missionszeit". In diesem Zusammenhang ist wohl auch Poul Nepper-Christensen mit seiner Deutung von Mt 10,23 zu nennen1 ). Er untersucht unser Logion allerdings unter dem besondern Gesichtspm1kt seiner Arbeit: ob das Matthäusevangelium eine judenchristliche Tendenz aufweise oder nicht. Nach kritischer Durchsicht einiger neuerer Deutungen von Mt 10,23 kommt er zum Ergebnis, in diesem Wort sei von der Parusie die Rede, es seien eben Israels Städte gemeint, und der Zusammenhang verdeutliche, "daß nicht die Flucht, sondern die Missionstätigkeit das Primäre ist". Während ihrer Missionstätigkeit werden die Apostel verfolgt m1d zur Flucht gezwungen. In diesem Zusammenhang sei die Rede von den Städten Israels zu verstehen: "Es ist im Logion nichts davon enthalten, daß sie stets 1 ) Das 1\:Iatthäusevangelium ein judenchristliches Evangelium? Aarhus 1958, l85ff.
145 eben zu einer Stadt ihre Zuflucht nehmen können, aber in Übereinstimmung damit, daß die Missionstätigkeit das Primäre ist, wird unterstrichen, daß diese innerhalb des genannten Gebietes nicht abgeschlossen sein wird zur Zeit der Wiederkunft." In Mt 10,5f und 10,23 konzentrieren sich die Aussagen um Israel, was nach Nepper-Chr. "den ältesten Missionsstandpunkt der christlichen Kirche" kennzeichnet (d. h. man widmete sich ausschließlich den Juden, ohne den Heiden das Heil zu versagen). Zum Problem, warum sich dieses Logion nur bei Mt finde, meint Nepper-Chr., es sei möglich, daß man dank der Lage des Abfassungsortes des Evangeliums "zu Quellen Zugang hatte, die die übrigen Evangelisten nicht haben benutzen können". Unter diesen Umständen vermöge die Aussage nicht zu bestätigen, "daß die ersten Leser der Schrift Juden oder Judenchristen gewesen sind". Heinz Eduard Tödt ist ein ausgesprochener Vertreter der Unechtheit von Mt 10,23 1 ). Gegen Seilweitzers Interpretation des Wortes führt Tödt Kümmels Argument ins Feld, daß der V. 23 locker im Zusammenhang stehe und als isoliertes Wort zu interpretieren sei. Kümmels Argumente für die Trennung von V. 23a und b hält er jedoch nicht für überzeugend, da uUw hier durchaus als "zu Ende kommen" verstanden werden könne. Als in sich geschlossener Spruch sei Mt 10,23 Anweisung und Verheißung an in Israel missionierende und verfolgte Jünger. "Ihnen wird gesagt, daß sie vor der Verfolgung ausweichen und in andere Städte weiterfliehen sollen; denn sie werden - in Mission und Flucht - nicht mit den Städten Israels zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt." Auffallend sei die Begrenztheit des räumlichen und zeitlichen Horizontes. Es sei zu bezweifeln, daß Jesus seine Verkündigung derart auf die Städte Israels beschränkt habe. Das Wort verstehe sich viel besser aus der Situation einer ganz frühen judenchristliehen Mission. "Hier empfing man einen Prophetenspruch, der in äußerster Knappheit vom Kommen des Menschensohnes redet. In diesem Prophetenspruch, den man als Spruch Jesu geachtet wissen wollte, ergeht eine trostvolle Verheißung an die Missionare. Sie werden nicht lange in der Verfolgung ausharren müssen; denn der Menschensohn wird bald kommen." Der Spruch zeige eine Gemeinde, in der die 1 ) Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh (1959) 1963 2 •
10 Künzi, Matt.häus
146
Naherwartung lebendig sei und die mlter dieser Naherwartw1g :Mission treibe (vgl. Mt 10,7 und Lk 10,9). Mt 10,23 stehe in einem sachlich richtigen Zusammenhang. Als Verheißung werde er dem irdischen Jesus in den Mundgelegt und damit unter seine Autorität gestelJtl). Mt 10,23 enthalte keine Spuren einer speziellen Bearbeitung durch Mt. Der Ton liege für Mt auf der Versicherung: "Der Menschensohn wird bald kommen." Diese Versicherung werde der nachösterlichen Gemeinde gegeben (10,17ff gebe der Kirche im ganzen Weism1g). Das Wort bedeute "große Verheißung für den, der an das Synedrium, die Synagoge, die heidnische Behörde ausgeliefert wird (17f) etc 2 )". Mit der Möglichkeit, daß in Mt 10,23 ein echtes Jesuswort falsch interpretiert wurde, rechnet Floyd Vivian Filson in seinem Matthäuskommentar3). Auch er geht davon aus, daß die langen Reden im Mt-Evangelium "editorial groupings of material" seien. Das meiste des Abschnittes V. 17-22 setze eine entwickeltere Situation voraus. Der V. 23 sei schwierig. "Er sagt, daß, bevor die Apostel auf ihrer eiligen Reise alle Städte Israels besuchen, der Menschensohn kommen wird." Filson fragt: "Wurde J esus mißverstanden 1" Gewiß haben der Autor und die frühe Kirche den Spruch nicht so verstanden. "Meint ,Mt' (sc. der Autor), daß, indem die Apostel die Werke Christi tun und Menschen für die Annahme seiner Reichsbotschaft gewim1en, das Reich kommt und der Menschensohn offenbart wird 1 Ein vollständiges Kommen steht noch bevor, aber ein wirkliches Kommen ereignet sich schon. Zweifellos verwendet ,Mt' den Spruch, um auch der apostolischen Kirche nahezulegen, daß, bevor sie ihre dringliche Evangeliumsmission beendigen kann, die volle und endliche Offenbarung des Menschensohnes sich ereignen wird." Ganz eindeutig für die Unechtheit unseres Wortes setzt sich Eta Linnemann ein 4 ). Nach ihrer Ansicht "gibt es kein einziges Jesuswort, das ausdrücklich von der Nähe der Gottesherrschaft redet, dessen Echtheit nicht zum mindesten umstritten ist". Gegen die
1) 2)
3)
aaO 56f. aaO 84f. A Commentary on the Gospel according toSt. Matthew, London 1960,
130f. •) Gleichnisse Jesu, Göttingen 1961, 138f.
.l'tl
Annahme Kümmels, daß V. 23b ursprünglich für sich bestanden habe, führt sie ins Feld: a) Kümmel gebe keinen Beweis für die Ansicht, daß telesete nicht "zu Ende kommen mit etwas", sondern "zu Ende bringen, erledigen" heiße. b) Die Korrespondenz zwischen 10,23 und 10,24f spreche eher für die ursprüngliche Einheitlichkeit von 10,23. Wenn aber Mt 10,23b ursprünglich selbständig gewesen wäre, dann müßte sein Sinn völlig offen bleiben. In Mt 10,23 falle zunächst auf, daß Jesus sich nicht mit den Angeredeten zusammenschließe. "Das wäre zwar bei der Aussendung von Jüngern zur Mission durchaus denkbar; aber läßt sich denn das Faktum der Aussendung von Jüngern zu Jesu Lebzeiten historisch nachweisen? Und gibt es eine andere Situation zu Lebzeiten Jesu, die die Abwesenheit der Jünger von ihm voraussetzt? Außerdem wäre zu fragen, ob sich die Lage zu Lebzeiten Jesu schon so zugespitzt hatte, daß eine Flucht von einer Stadt in die andere nötig war." Deshalb übernimmt E. Linnemann die These Vielhauers, Mt 10,23 sei als "Trostwort eines prophetisch inspirierten Christen an seine Brüder in der Situation der Verfolgung" zu verstehen, einer Verfolgung, die in Apg 6-9 ihren Niederschlag gefunden habe. Das Amen in V. 23b sei kein Echtheitsbeweis, ebensowenig die Unterscheidung zwischen dem Redenden (Jesus) und dem Menschensohn; es sei zu fragen, ob nicht der Erhöhte in feierlicher circumlocutio von sich als dem Menschensohn rede. Einen besondern Aufsatz widmet Ernst Bammel unserem Logion1). Gegenüber den Auslegungen, die das Nebeneinander des Missionsmotivs und des Verfolgungsmotivs in Mt 10,23 als problematisch empfinden, versucht Bammel, aus spätjüdischen Texten eine "Unterschicht" zu rekonstruieren, "die die drei wesentlichen Elemente des Ganzverses: das Wandern von Platz zu Platz, dessen vorzeitige Beendigung und zwar durch ein eschatologisches Ereignis enthält". Er kommt zu dem Ergebnis, das "Dreieck der tragenden Gedanken von Mt 10,23" sei als "zusammenhängende Vorstellung im Spätjudentum -und zwar als Obersatz bei der Beschreibung von Schreckenszeiten- belegt". Es fehle bloß die von der Verfolgung handelnde EinleitungsformeL Sie sei aber verdächtig, da Einführungsformeln eines der üblichsten Mittel zur Uminterpretierung seien. Zudem sei ~u.f>xetv charakteristisch für den Stil des 1)
10°
Matthäus 10,23, StTh 15, 1961, 79ff.
Evangelisten. Die Einleitungsformel sei daher "mit ziemlicher Sicherheit" vorangestellt. Dann ergibt sich nach Bammel folgender Entwicklungsprozeß: "Ein Spruch, der von der eschatologischen Not und der Errettung der Auserwählten vor dem Ärgsten handelte, hat so die Vorlage gebildet. Er hat in mehrfacher Umbildung christliche Gestalt angenommen. Zunächst ist das Wort an die spezifische Situation der christlichen exAe'wr:o[, die Verfolgung augepaßt ... und so zu einem vaticinium für die Gemeinde umgemünzt worden. Sodann wurde es in einen Kontext gestellt, in dem es eine andere, eigentlich konträre eschatologische Vorstellung auspendeln sollte ... Angesichts der niederschmetternden Forderung, wie sie in v. 22b enthalten ist, wird v. 23 ein christliches Trostwort. In keiner der rekonstruierbaren Formen hat aber das Wort selbst etwas mit einem Missionsauftrag zu tun." Auch Eberhard Jüngel hält Mt 10,23 für unecht!). Gegen die Annahme der Echtheit spreche die Identifizierung von Einbruch der Gottesherrschaft und Ankunft des Menschensohnes, die J esus nach Mk 8,38 unterschieden habe. Die Gemeinde erwarte aber die Gottesherrschaft als Wiederkunft J esu. "Aus dieser Erwartung heraus ist der Spruch zum Trost der Verfolgten gesagt." i) Uneschatologische Auslegung
In den letzten Jahrzehnten finden wir auch die uneschatologische Deutung unseres Logions. Ned Bernard Stonehouse wendet sich in seinem Buch über das Christuszeugnis des Matthäus und des Markus2) gegen die These, daß Mt die Hoffnung auf die Parusie Christi in einer extremen Form vertrete (J. Weiß u. a.). Das Kommen des Menschensohnes in Mt 10,23 und 16,28 sei nicht identisch mit dem Kommen auf den Wolken des Himmels in Mt 24,30 und 25,31. Bei den erstgenalmten Stellen fehlten die Wolken des Himmels, die Gegenwart von Engeln etc. Mt betrachte die Erhöhung des Menschensohnes durch die Auferstehung als Beginn einer neuen Ära. Darum sei es angemessen, das Kommen des Menschensohnes in seinem Reich Mt 16,28 auf die "übernatürliche Aktivität des auferstandenen Herrn in der Gründung seiner Kirche" zu beziehen. ·wenn man Mt 10,23 nach Analogie von 16,28 verstehe, so sei es nicht 1)
2)
Paulus und Jesus, Tübingen 1964 2 , 237f. The "\Vitnoss of Matthew and Mark to Christ, Philadelphia 1944, 238ff.
nötig anzunehmen, daß Jesus sich in Hinsicht auf die Parusie geirrt habe. Differenzierter ist die Auslegung von Mt 10,23b durch Paul S. Minear in seinem Buch "The Kingdom and the Power" 1 ). Er urteilt: "Wenige Voraussagen der Evangelien sind schwerer zu interpretieren als diese." Der Satz besage: "Die Jünger Jesu- jene, die ihn bei einer gegebenen Gelegenheit hörten - werden diese besondere Reise durch die Städte Israels nicht beendigt haben, bevor der Menschensohn kommt." J esus versichere ihnen, "daß innerhalb der Grenzen dieses Zeitraumes der Menschensohn zu ihnen kommen wird". Warum ist eine solche nicht erfüllte Verheißung erhalten worden 1 Nach Minear ist der "Tag des Menschensohnes" ein anderer als die Tage des menschlichen Kalenders. Der Begriff "Tag" sei ein "qualitatives Bild, welches das dynamische Moment göttlichmenschlicher Beziehungen ausspricht", parallel zum Ausdruck "Jahr des Herrn" und gleichbedeutend mit der "Fülle des ewigen Lebens". Der Menschensohn komme nicht zu allen Menschen und an alle Orte im seihen Augenblick oder auf dieselbe Weise (vgl. dazu die Gleichnisse Jesu, die Apk etc). So ergibt sich ein "versuchsweiser Vorschlag der Exegese". Diese Verheißung verbinde das sichtbare Werk der Boten mit der unsichtbaren Frucht dieses Werkes, eine besondere Aufgabe (das Gehen durch die Städte Israels) mit einem ewigen Urteil (dem Kommen des Menschensohnes). Jesus versichere seinen Jüngern im voraus, "daß ihr Weg zu ihrem Kreuz der Ort ist, wo der Menschensohn ihnen begegnen wird". Das Kommen des Menschensohnes sei "die Enthüllung der Glorie, die jetzt verborgen liegt in ihrem bußfertigen Gehorsam". Der Akzent falle nicht auf eine vorher festgesetzte Zeittabelle, sondern auf die Teilnahme der Jünger an der Mission des Messias und auf ihrer Wiedervereinigung in der Erfüllung dieser Mission. Die Verheißung dieses Endes stelle eine Drohung für alle dar, die sie und ihre Botschaft verwerfen. "Wo immer diese Proklamation, verkörpert in opferbereiter Liebe, in ihrer entscheidenden Form gehört wird, da kommt der Menschensohn unter die Menschen und offenbart die Macht des neuen Tages, die Mächte der Finsternis zu überwinden. Ein guter Kommentar der Verheißung Mt 10,23 finde sich in Mt 23,34-39, vgl. 11,20-30; 12,38-42. Eingebettet in diese Voraussagen sei eine 1)
The Kingdom and the Power, Philadelphia 1950, 128ff.
150 "zweifache Vorstellung von Gottes Verheißung", vor Augen gestellt in der Form von zwei Siegen des Menschensohnes: 1. "Der Menschensolm ist gekommen" (Beginn des neuen Zeitalters), 2. "Der Menschensohn wird kommen" (Ende des neuen Zeitalters). Die Ausdrücke "die erste Anknnft" und "die zweite Ankunft" seien nicht ganz adäquat. Besser sei die Unterscheidung zwischen der Ankunft des Gottesknechtes in der Erniedrigung und seiner Ankunft in der Erhöhung, oder zwischen der Ankunft des Reiches in verborgener und der Anknnft in enthüllter Form. Minear kommt zum Ergebnis: "Das Reich muß zuerst mitten in der gewöhnlichen sichtbaren Aktivität gewöhnlicher Menschen kommen. Es muß kommen, verborgen in Niedrigkeit, in den Städten, die jeder Zeuge besucht. Seine Aufgabe mag den Tod des Zeugen einschließen oder nicht, aber sie muß ein scharfes Gericht über die Welt offenbaren und eine bescheidene Anstrengung, die Welt zu heilen. In jedem Fall ist diese Mission das Vorspiel zum Endsieg - die einzige Art Vorspiel, die Menschen angeboten ist. Eingeschlossen im Vorspiel ist Jesu Verheißung über das Ende des Versöhnungsamtes, d. h. er will wiederkommen. Weil er zu einigen kommt, deren Leben um seinetwillen verloren waren, wird seine Anknnft bei ihnen verborgen sein vor allen, ausgenommen den Augen des Glaubens. Sie erhalten eine göttliche Umgestaltung, ähnlich derjenigen ihres Herrn, eine Erhöhung, bei ihm zu sein in den himmlischen Wohnungen. Eine solche Vollendung kann nicht ... einfach auf dem Kalender identifiziert werden in einem einzigen Augenblick, einem Augenblick, der derselbe ist für alle Menschen an allen Orten." Eine andere uneschatologische Deutung, nämlich auf die Auferstehung Jesu, bietet Karl Barthin seiner "Kirchlichen Dogmatik" 1 ). Er übersetzt: " ... ihr werdet mit den Städten Israels (nämlich mit eurem Missionsdienst in diesen Städten) nicht zu Ende kommen ... " Die Messias-Verkündigung der Jünger im messianischen Volk werde von Jesu eigener Offenbarung überholt werden. In der Komposition der "Aussendungsrede" fehle es dem Ausblick auf die Verfolgungen nnd Leiden der Jünger nicht an "ermutigenden und tröstlichen Momenten" (V. 19f.22), wobei Ermutigung und Trost "absoluten Charakter" haben. V. 23 sage im Anschluß an V. 22: "Ihr eigenes reA.ewiiv ihrer Aufgabe in den Städten Israels, in denen 1)
Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2, Zollikon-Zürich 1948, 601.
sie ja faktisch nur aus der einen in die andere werden fliehen können, wird dadurch hinfällig werden, daß das göttliche dA.o~ selbst plötzlich da sein, daß der Menschensohn kommen und dem Tun der Verfolger, zugleich aber auch dem der Verfolgten eine Grenze setzen wird." Es handle sich hier um die höchste und präziseste Gestalt der absoluten Verheißung für die Jünger in der Verfolgung: "Sie werden es erleben, daß Jesus selbst als Richter zwischen sie und ihre Verfolger, zwischen sie als das neue und jene als das alte Israel hineintreten wird." Gemeint sei wohl "der in seinem Tode vollzogene, in seiner Auferstehung laut Matth. 28,16f manifest gewordene große Übergang Jesu selbst von seiner Sendung zu seinem Volk zu seiner Sendung an die Welt, die Erhöhung seines Amtes als Christus Israels zum Amte des aw-c~e x6aftoV • .. " In diesem Übergang komme, offenbare sich der Menschensohn, vollziehe er aber eine völlige Umstellung auch in der Sendung und im Amt seiner Jünger. Der Missionsbefehl Mt 28,19 werde nun möglich und notwendig, "noch bevor sie mit den Städten Israels zum Ziel gekommen sind". Diese seien und bleiben der Ausgangspunkt der apostolischen Aufgabe. Aber auf ihre Bekehrung könne nun nicht mehr länger gewartet werden, vgl. Apg 18, 6. Die Jünger werden es selbst erleben: "Sie werden nämlich Jesu Auferstehung erleben, in ihr jenen Übergang und jene Erhöhung Jesu selber, in ihr aber auch diese ihre Umstellung und Befreiung zu dem neue11. .. endzeitliehen Dienst der Verkündigung des Evangeliums auf dem ganzen Erdkreis." Schließlich sei noch Theodore H. Robinson erwähnt, der in seinem Matthäuskonunentar lediglich die erste Vershälfte auslegtl). Er sagt, der Vers deute die tatsächliche Wirkung der Verfolgung in der frühen Kirchengeschichte an, die, wie die Verfolgung der Jerusalemer Kirche (Apg 8) zeige, im ·wachsturn der Kirche bestand.
Anhang Eine jüdische Stimme Wir sind in der Lage, auch eine jüdische Äußerung zu Mt 10,23 anzuführen. Joseph Klausner zieht in seinem Jesusbuch 2 ) auch Mt 1) 2)
The Gospel of Matthew, London (1928) 1947 7 , 92f. Jesus von Nazareth, Berlin 1930.
10,23b heran. Zusammen mit Mk 13,30 und Mk 9,1 dient ihm dieses Wort als Beweis dafür, daß J esus das Gottesreich in Bälde erwartet habe. "In der Tat erwarteten seine Jünger und Anhänger, von Stephanos bis zum letzten noch überlebenden seiner Zeitgenossen, während des ersten und bis ins zweite christliche Jahrhundert hinein das Wiedererscheinen des gekreuzigten Messias 1 ). " Später urteilt Klausner: "Dieser doppelte Irrtum in Jesu Gedankengang, daß das Gottesreich nahe und er der Messias sei, hat sein Andenken verewigt und das Christentum geschaffen. Hätten die Jünger nicht auf sein Wiedererscheinen gewartet, dann wäre das Christentum nie entstanden 2 )."
5. Katholische Exegeten des 20. Jahrhunderts Die katholische Exegese von Mt 10,23 im 20. Jahrhundert ist dadurch gekennzeichnet, daß allmählich moderne, v. a. formgeschichtliche Überlegungen eindringen.
a) Deutung auf den Jüdischen Krieg Eine Anzahl von Auslegern bezieht unser Wort auf die Ereignisse des Jahres 70 n. Ohr. Vorab ist hier Karl Weiß zu nennen, der in seinem Buche mit dem bezeichnenden Titel "Exegetisches zur Irrtumslosigkeit und Eschatologie Jesu Christi" 3 ) unserem Logion eine ausführliche Studie widmet. Gegen die Auslegung H. J. Holtzmanns führt Weiß den Universalismus Jesu und gegen die Deutung Schweitzers das Selbstvertrauen Jesu und das Vertrauen seiner Apostel ins Feld. An Knabenbauers Exegese kritisiert Weiß die Deutm1g der Städte Israels auf außerpalästinensische Städte, räumt aber ein, daß Palästina und Jerusalem ganz Israel repräsentieren. Weiß nimmt das "Kommen des Menschensohnes" hier unpersönlich "von einem machtvollen Wirken Jesu vom Himmel aus". Das Wort sei nicht, wie Schlatter und Zahn meinen, ein Trostwort, das den Aposteln höhern Schutz zusichere. Das Verbum "(die Städte Israels) aaO 561. aaO 562. 3 ) Exegetisches zur Irrtumslosigkeit und Eschatologie J esu Christi, Münster i. W. 1916, 184ff. 1)
2)
vollenden" beziehe sich nicht auf die Flucht, sondern auf die Missionsaufgabe der Apostel. Jesus weissage hier "die Nichtbekehrung der palästinensischen Städte". Die Nichtbekehrung Israels sei der Grund für die angeratene Flucht. So schliesse V. 23 gut an V. 16 an. Jesus beklage wiederholt die Nichtbekehrung Israels. Dieser Gedanke entspreche auch den besondern Zwecken des ersten Evangeliums (Übergang des Evangeliums von den Juden zu den Heiden). So verstanden, sei Mt 10,23 eine Apologie für die Apostel, die sich zu den Heiden wandten. Ebenso sei es pädagogisch notwendig gewesen, daß Jesus die Apostel auf den zu erwartenden Mißerfolg aufmerksam machte. Gegen die Auffassung, Mt 10,23 sei ein Trostwort, sprechen nach Weiß die ·worte Jesu, die von der Bedrohung der Apostel durch die Juden reden. Das "Kommen des Menschensohnes" deutet Weiß auf das Strafgericht über Jerusalem. Jesus sage Mt 10,23 "die Verstockm1g der jüdischen Nation bis zu ihrem Untergange" voraus. "Das erste Glied des Logions prophezeit die Verstockung Israels, das zweite fügt noch hinzu, daß diese Verstockung eine endgültige und auch straffällige sein werde." Die Weissagung der Zerstörung Jerusalems gehöre ganz zum Ideenkreis Jesu. Das Wort Mt 10,23 erfüllte sich nach Weiß vollständig: Die Israeliten lehnten das Evangelium im großen und ganzen ab, und das Jahr 70 n. Ohr. brachte das Gericht über Jerusalem. Weiß schließt, Mt 10,23 sei "kein Beweis für die Irrtumsfähigkeit Christi, sondern im Gegenteil dafür, daß seine Worte auch dann sich als wahr erweisen, wenn sie menschlicher Erwartung ganz entgegengesetzt sind". Auf den Untergang Jerusalems geht auch die Deutung unseres Wortes in der 4. von Theodor Innitzer besorgten Auflage des Kommentars von Franz X. Pölzl (1840-1914) 1 ). Es heißt hier, Jesus belehre in V. 23 die Apostel, "in welcher Weise sie in der Verkündigung des Namens Jesu ausharren sollen". Dabei sei zu beachten, daß es sich um einen Befehl handle, der vorzugsweise für die zweite Aussendung gelte. Die ganze Welt sei Gebiet der apostolischen Tätigkeit (Mt 28,19). Darum befehle der Heiland den Aposteln, "sie sollen, wenn sie in einer Stadt verfolgt werden und daselbst nicht mehr wirken können, in eine andere fliehen, und zwar zu dem Zweck, um 1 ) Kurzgefaßter Kommentar zu den Vier heiligen Evangelien, I. Bd., Graz 1932•, l9!lf.
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auch dort das Ev zu verkünden. Und erginge es ihnen dort ebenso, sie sollen weiterfliehen: bevor sie noch alle Städte des Landes mit ihrer Missionsaufgabe vollendet, das heißt bekehrt haben, wird Jesus zum Gericht über Jerusalem und das Volk der Juden kommen". Das Wort V. 23 sei "vom Kommen Jesu nicht zum allgemeinen, sondern zum besondern Gericht über Jerusalem zu verstehen". Jesus weissage für die Apostel "nicht den höheren Schutz, sondern die Nichtbekehrung der palästinensischen Städte". Auch die Deutung unseres Logions durch Marie-Joseph Lagrange OP (1855-1938) geht in dieser Richtung 1 ). Literarkritisch gibt er wegen der Übereinstimmung von Origenes und Tatian der längern Lesartvon V. 23a den Vorzug. Dann heiße -ceUarrre: "Ihr werdetdie Zufluchtsorte nicht erschöpfen (Ephr I, I)." Der Vers richte sich nicht besonders an missionierende Apostel; es handle sich eher um "eine friedliche Gemeinde von Gläubigen, gegen die sich eine Verfolgung erhebt, und denen der Herr Anweisung zur Flucht gibt, vgl. Mt 24,15f". Das sei ein Indiz dafür, daß der Abschnitt über die Verfolgungen, besonders V. 23, nicht zur Rede des Heilandes bei der ersten Mission gehörte. Von daher lehnt Lagrange die Auslegung A. Schweitzers ab. "Die Jünger, verfolgt in den Städten Israels, werden immer einen Zufluchtsort haben, bevor der Menschensohn kommt, d.h. Jesus selbst." Lagrange betont, dieses Kommen sei nicht notwendigerweise die Parusie. "Der Menschensohn kommt, wenn er ein großes Gericht ausübt, vor allem ein solches wie den Untergang J erusalems."
b) Differenzierte Auslegung Es gibt auch Ausleger, bei denen sich zwei Deutungen, nämlich diejenige auf die Ereignisse des Jahres 70 n. Ohr. und diejenige auf die Parusie überschneiden. Petrus Dausch führt zu Mt 10,23 aus 2 ): Als Ausweg nenne Jesus seinen Getreuen die Flucht in der Verfolgung (vgl. V. 16f). Feierlich versichere er ihnen, "es wird ilmen bis zur Wiederkunft Christi immer eine Stadt in Israel noch übrig bleiben, wohin sie sich retten können". Jesus verkündige hier unvermittelt, "daß der Messias, von dem er beiläufig ein gewaltsames Ende vorausgesagt hat (9,15), dereinst wiederkommen und die Ver1) 2)
Evangile selon Saint Matthieu, Paris 19488 , 204f. Die drei älteren Evangelien übersetzt und erklärt, Bonn 1918, 180.
folgungen seiner Jünger niederwerfen wird". Dausch nennt dann die Auslegung A. Schwoitzers und der "modernen Kritiker", die in Mt 10,23 einen Irrtum Jesu sehen. Gegen die Deutung des Wortes im Sinne von Röm 11 spreche "das charakteristisch lautende Wort von den Städten in Israel, die denAposteln auf ihrer ersten Missionsreitle Zuflucht gewähren sollen". Nach dem Evangelisten werde vor dem Ende der Welt das Evangelium allen Völkern gepredigt (Mt 24, 14) ; die Heidenmission werde nach dem Ende J erusalems vollendet (Mt 22,7 ff), und zwischen der Zerstörung Jei·usalems und der Parusie werde der Tempel eine Zeitlang wüste liegen (Mt 23,38f). Dausch folgert: "Sollen also die Weissagungen J esu nicht in Widerspruch miteinander stehen, dann muß, was erst das Jahr 70 die ehristliehe Gemeinde gelehrt hat, dem Kommen J esu eine dehnbare Ausdehnung gegeben werden. Auch im Gericht über Jerusalem ist der Herr gekommen ... Noch heller aber sollen die Sterne in der leidensvollen Zukunft leuchten." In ähnlicher Richtung geht die Auslegung von Alfred Durand S J. In seinem Matthäuskommentar 1 ) äußert er zu Mt 10,23 folgende Gedanken: Gegenüber der Verfolgung müsse man nicht eine nur passive Haltung einnehmen. Die Jünger haben das Beispiel des Meisters: mindestens sechsmal sei er selbst ausgewichen (Lk 4,30; Mt 14,13; Mk 7,24; Joh 7,1; 10,39f; ll,M). Das sei Klugheit gewesen. Es brauche oft mehr Mut, im Rückzug zu kämpfen. Auf alle Fälle sei es weiser. Die Hilfe von oben komme nur dem zu, der sich nicht verwegen exponiert hat, vgl. 2 Tim 2,5. Die Kirehengeschichte (schon die Apg) zeige, "daß die Verfolgung, indem sie Priester und Gläubige zur Auswanderung zwingt, beträchtlich zur Verbreitung des Evangeliums beigetragen hat". Zum zweiten Halbvers bemerkt er: "Die Apostel ,werden die Städte Israels (d. h. Palästina) nicht ganz durchzogen haben, bevor der Menschensohn bereits zurückgekehrt sein wird', um ihre Sache in die Hand zu nehmen und sie seinem Triumph zuzuführen." Mit dem Menschensohn bezeichne Jesus sieh selbst. Zur Frage der Wiederkunft meint Durand, der Kontext lasse a.n die Ereignisse des Jahres 70 denken (Untergang Jerusalems, Zerstörung der Synagoge, definitive Zerstreuung des auserwählten Volkes). Das sei aber "nur ein erster Akt der letzten Ankunft, die sieh am Ende der Zeiten ereignen wird". 1)
Evangile selon Saint Matthieu, traduit et commente, Paris 1924 2 , l7lf.
c) Unbestimmte Auslegung Neben diesen Auslegern gibt es Autoren, die überhaupt auf eine bestimmte Interpretation unseres Logions verzichten. So Max Meinertz in seiner Theologie 1 ). Er sagt, für das Verständnis von Mt 10,23 genüge "die irdische Perspektive des Gottesreiches". Das Wort weise wie Mt 10,17ffin die Zukunft und stehe in Zusammenhang mit den Voraussagen schwerster Verfolgung und Haßgesinnung, wobei auch die Rettung durch die Flucht erlaubt sei. "Aber der Trost bleibt: Auch unter den Verfolgungen und Leiden kommt der Menschensohn, d. h. das messianische Reich schafft sich sichtbar Bahn." Die Vollendung der Missionstätigkeit im Volke Israel sei dafür nicht Voraussetzung. Gegen eine Deutung im Sinn der Nah- oder gar Nächsterwartung der Parusie führt Meinertz fünf Gründe an: l. Eine gewisse Zwischenzeit verlange die Entwicklung des mit Jesus begim1enden Gottesreiches. 2. Die Heidenmission solle den universalen Heilswillen Jesu verwirklichen. 3. Jesus betone, "daßniemand den Zeitpunktder Parusie kennt ... (Mk 13,32)." 4. Die Ungewißheit solle zur Wachsamkeit und Bereitschaft veranlassen; damit werde gerade auf die Möglichkeit der Verzögerung hingewiesen. 5. Der vorherige Tod des Einzelnen werde in Rechnung gestellt. Meinertz schließt: "So lagert über dem Wann ein undurchdringlicher Schleier. Gewißheit gibt es nur über das Daß." Ebenfalls ziemlich unbestimmt äußert sich Josef Schmid in seinem Kommentar zu unserer Stelle 2 ). Er geht davon aus, daß der vorliegende Teil der Mt-Rede nicht mehr Missionsrede, sondern Jüngerunterweisung sei. Dann sage V. 23, "daß die Jünger (im weitem Sinn) mit der Flucht von einer Stadt Palästinas zur andern nicht fertig werden, bis der Menschensohn kommt". Für sich betrachtet, werde sich aber das Wort, wenigstens V. 23b, wohl auf die Missionsarbeit beziehen. "Jesus verlangt von den Jüngern einerseits furchtloses Bekenntnis, das auch den Tod nicht scheut, erklärt aber auch die Flucht vor dem äußersten Druck der Verfolgung für erlaubt und geboten." Das Kommen des Menschensohnes könne nicht anders gedeutet werden als auf die Parusie. Dann würde aber dieser Satz einen Irrtum Jesu aussprechen und in "Widerspruch zu andcrn Worten "\vie Mt 24,14 = Mk 13,10 und Mt 24,36 = Mk 13,32 1)
2)
Theologie des N'J', Bonn I 950, ll3ff. Das Evaugelium llllch Matthäus, Regc11sbnrg 1956 3 , ISOf.
157
stehen. Auch von Mt könne der Satz nicht formuliert sein, und zwar wegen des über Palästina hinausweisenden V. 18. Außerdem hätte z. Z. der Niederschrift das Evangelium längst die Grenzen Palästinas überschritten. Die Deutung des Satzes auf die Nichtbekehrung der Juden vor der Parusie lehnt Schmid wegen des Zusammenhangs, in dem er bei Mt steht, ab. Die Deutung auf die Auferstehung Jesu als Teil der Parusie hält er für willkürlich und unhaltbar. Er schließt: "Wenn der Vers gerade wegen seiner sachlichen Schwierigkeit als ein echtes Wort Jesu gelten muß und ihn der universalistische Matthäus trotzdem in sein Evangelium aufgenommen hat, so beweist dies, daß er in ihm kein Problem gefunden hat ... , wenn es auch uns nicht möglich ist, ihn in einer Weise zu deuten, die sowohl seinem Wortlaut gerecht wird als auch kein sachliches Problem übrig läßt." Gewöhnlich deute man ihn unpersönlich auf das Kommen des Gottesreiches. Ein Verbot, Palästina zu verlassen, enthalte er nicht. Er sage nur, "daß es für die Jünger (oder für die Missionare) immer wieder eine Zuflucht in der Verfolgung geben wird", und die Städte Palästinas seien nur genannt, "weil diese zunächst im Gesichtskreis der angeredeten Jünger liegen".
d) Neueste Auslegung Während sich die bisher besprochenen katholischen Deutungen von Mt 10,23 mehr oder weniger im "traditionellen" Rahmen bewegen, finden in neuesterZeit die modemenexegetischen Methoden, v. a. die formgeschichtliche Betrachtungsweise, auch im Katholizismus ihre Vertreter. An erster Stelle ist hier Jacques Dupont zu ne~men 1 ). Er betont eingangs, es handle sich um eine Hypothese. Es sei nicht das "Ei des Kolumbus". "Es handelt sich um eine sehr bescheidene Anregung, deren Nutzen vielleicht darin bestehen wird, eine Richtung anzuzeigen und eine Methode zu charakterisieren 2 ) . " An der Interpretation Schweitzers vermißt er die literarische Analyse3). Er fragt dann nach der Herkunft und Einheit des V. 23 und gelangt zu folgendem Ergebnis: Mt 10,23a stamme aus dem Zusammenhang von Mt 23 und 24; Mt habe diesen Halbvers redaktionell in die Missionsrede eingefügt 4 ). Andererseits stamme Mt 10,23b 1 ) "Vous n'aurez pas achove les viilos d'Israel avant que le Fils de l'homme ne vienne" (Mat. X 2:J), NovTest 2, 1958, 22Sff. 2 ) aaO 228. 3 ) aaO 229. •) aaO 230f.
158 aus dem Zusammenhang von Mt 10,5-6 1 ). Gegenüber J. Weiß, nach dem Mt 10,23 ursprünglich zur eschatologischen Rede gehörte und von Mk in 13,9-13 durch 13,13 ersetzt wurde, mcintDupont, l\It habe der eschatologischen Rede V. 17-22 entnommen und V. 23a bcigcfügt2). Andererseits sucht er auf Grund eines Vergleichs der beiden Traditionen der l\Iissionsrede (Mk 6,8-ll; Lk 10,2-16) wahrscheinlich zu machen, daß in der alten Evangelientradition der V. 23 b mit V. 5 b-6 verbunden gewesen sei 3 ). Von daher sucht Dupo11t nun das "Kommen des Menschensohnes" zu verstehen. Er sagt, die Beendigung der Städte Israels falle mit der Beendigung der galiläischen Mission zusammen. Das "Kommen des Menschensohnes" sei ein Ereignis, das bei der Rückkehr der Missionare die Mission Galiläas beende. Mit dem Ausdruck sei in Mt 16,28; 26,64; 24,30 die Parusie gemeint. Mt habe aber V. 23b nicht so verstanden, da er dem Heiland keinen Irrtum zuschreiben konnte. Dupont prüft dann anhand synoptischer Vergleichung die Art, wie Mt den Menschensohn-Titel verwendet und stellt die Hypothese auf, Mt habe in V. 32 diesen Titel ausgelassen, ihn aber in V. 23 beigefügt. So entstehen nach seiner Meinung einige Zweifel am eschatologischen Charakter des "Kommens des Menschensohnes" in Mt 10,23b. "Jesus legt den Aposteln die Zeit fest, die er ihnen für ihre Evangelisationsreise in Galiläa gewährt 4 )." Anders verfährt Heinz Schürmann in seiner Abhandlung "Zur Traditions- und Redaktionsgeschichte von Mt 10,23" 5). Er glaubt, den überlieferungsgeschichtlichen Ort dieses "archaischen" Logions "mit einiger Sicherheit" angeben zu können. In einem ersten Abschnitt stellt er fest: a) Die Verheißung könne keine matth. Bildung sein. b) Die Redequelle sei der überlieferungsgeschichtliche Ort von Mt 10,23. c) Lk 12 sei der mögliche Ursprungsplatz von Mt 10,23. d) Mt habe Lk 12,llf (= Mt 10,19) + Mt 10,23 in der Redequelle kombiniert vorgefunden und gemeinsam der Aussendungsrede eingearbeitet 6 ).
aaO 231. aaO 231 ff. 8 ) aaO 233ff. ') aaO 238ff. 5 ) BZ NF 3, 1959, 82ff. ") aaO 82ff. 1)
2)
159 In einem zweiten Abschnitt untersucht Schürmann den Kontext von Lk 12,llf. Dabei ergibt sich ihm: a) Lk 12,11 und Mt 10,23 haben einen weitgehenden phonetischen Gleichklang w1d bilden eine traditionsgeschichtlich verkoppelte Einheit. b) Mt 10,23 sei inhaltlich passend an Lk 12,llf angefügt; es handle sich um Trostworte; beide Logien seien ursprünglich apokalyptische Verfolgungslogien1). Mt 10,23 sei ursprünglich ein Trostwort für die Verfolgungen der letzten Drangsal. Die Beschränkung auf Palästina gehöre zum perspektivisch verkürzenden, aktualisierenden Stil apokalyptischer Worte. Der verengte palästinische Horizont sei nicht Aussagegehalt, sondern nur Vorstellungsgewand. Das Wort enthalte keine irrige Lehraussage Jesu. Die Konstruktion Schweitzers falle dahin, weil Mt 10,23 nicht ursprünglich in die Aussendungsrede gehöre. Die Unechtheitsverdikte basierten meist auf dem Mißverständnis des Logions als Missionswort. Mt müsse 10,23 von der vorösterlichen Aussendung der Zwölf verstanden haben, könne das Logion aber auch als Wort an die nachösterliche Missionskirche weitertradieren; das Verfolgtwerden durch Israel und die Missionsaufgabe an dem verstockten Volk werde bis ans Ende bleiben 2 ). In einem dritten Abschnitt fragt Schürmann, ob auch Mk die Mt 10,23 vorgelegen habe. Er frühe Komposition Lk (8f.10)llf sagt, Mk 13,10 klinge wie eine Korrektur von Mt 10,23. Ließ Mk 13,10 an die Stelle von Mt 10,23 treten 3 ) 1 So ergibt sich nach Schürmann folgende Traditions- und Redaktionsgeschichte unseres "archaischen Herrenwortes": Das Trostwort Lk 12,llf sei mit dem Logion Mt 10,23 verbunden gewesen. Dazu seien die Worte Lk 12,8f.l0 und Lk 12,1 b.2f.4-7 gekommen. Das Ganze sei in die Redenquelle gelangt. Mt habe mit 10,19f (= Lk 12,llf) auch 10,23 der Redenquelle entnommen, Lk habe das Logion gestrichen 4 ). Ziemlich unbestimmt gibt sich die Auslegung unseres Logions durch Rudolf Schnackenburg. In seinem Werk "Gottes Herrschaft und Reich" 6 ) führt er zu Mt 10,23 aus: Die Tatsache, daß sich dieses Logion von den Vv. 2lf (= l\1k 13,12f) abhebe und der kompositorische Charakter der Aussendungsrede versetzen der Ansicht
+
1) 2) 3)
4)
1)
aaO 85f. aaO 86, Anm. 17. aaO 87. aaO 88. Gottes Herrschaft und Reich, Freiburg-Basel-Wien 19612, 14lf.
~uu
A. Schweitzers den Todesstoß. Dann übernimmt Schnackenburg die These Schürmanns von der ursprünglichen Zusammengehörigkeit von V. 23 und V. 19f (= Lk 12,llf). Er mahne gegenüber der Verfolgung zur Flucht und gebe neben dem Beistand vor Gericht (V. 19f) ein neues Trostmotiv. Die Jünger werden mit ihrer Flucht durch die Städte Israels noch nicht fertig sein, bis der Menschensohn kommt. Einen Nachklang des Logions könne man aus Mt 23,34 heraushören. Mt lasse auf dieses Wort von der Prophetenverfolgung die Ankündigung der Zerstörung J erusalems folgen (V. 37-39). Der Evangelist könnte auch in Mt 10,23 daran gedacht haben. Für den ursprünglichen Zusammenhang dürfe man an das Fluchtbild Mt 24,16-21 erinnern, "mit dem Jesus wohl die eschatologische Situation (vor der Parusie) malt und die Rettung aus höchster Bedrängnis ... tröstlich in Aussicht stellt". Auch Andre Feuillet widmet unserem Logion eine längere Abhandlung1). In einem ersten Abschnitt geht er dem Ursprung des Logions nach. Unter a) untersucht er den ursprünglichen Kontext von Mt 10,23b. Gegenüber der These von J. Weiß (Mk 13,10 = Einschub) findet Feuillet auf Gnmd von Mt 24,14 dieses Wort am richtigen Platz. Die These Schürmanns (Mt 10,23 = ursprüngliche Fortsetzung von Mt 10,19-20 = Lk 12,ll-12) nimmt Feuillet positiv auf. Dagegen gehörten nach seiner Meinung Mt 10,5b-6 und 10,23b ursprünglich nicht in denselben Kontext. Unter b) untersucht Feuillet das Verhältnis zwischen 23b und 23a. Gegenüber Kümmel betont er auf Grund der Übersetzung: "vous n'aurez pas epuise les villes d'Israel comme cites de refuge" die Einheit von V. 23. Die Interpretation von J. Dupont hält Feuillet für "eine wirkliche Ausflucht". Unter c) verteidigt er die von T. F. Glassou u. a. bestrittene Historizität von Mt 10,23; der Partikularismus spreche für die Echtheit 2 ). In einem zweiten Abschnitt widmet sich Feuillet dann der Interpretation des Logions. Er durchgeht kritisch verschiedene neuere Deutungen. V. a. geht er auf die Exegese unseres Logions durch J. A. '1'. Robinson (Jesus sprach von der Zerstörung Jerusalems, erst die christliche Gemeinde von der Parusie) ein und urteilt: "Sie erscheint uns wirklich befreiend." Allerdings hält es Feuillet für 1) 2)
Les origines et Ia signification de Mt 10, 23b, CBQ 23, 1961, 182ff. aaO 183ff.
161 wenig wahrscheinlich, daß Jesus nie seine Parusie vorausgesagt habe. Indessen findet er es völlig normal, Mt 10,23b als Ankündigung des göttlichen Gerichts über Israel zu interpretieren 1 ). Aus alledem zieht er den Schluß, Mt 10,23b zeige, daß eine einseitige Interpretation der eschatologischen Texte unmöglich sei. Er meint, Jesus habe sich als Weltenrichter ausgegeben, aber der Akzent liege nicht auf dem letzten Ereignis. Es gehe nicht um das Dilemma: Untergang Jerusalems oder Weitende, sondern um eine "Ungenauigkeit". Jesus habe vor allem an die bevorstehende Krise des Judentums gedacht, aber diese im allgemeinen Rahmen des "Endes" geschaut 2 ). Die Linie wird fortgesetzt durch Beda Rigaux OFM in einem Aufsatz über "La seconde venue de Jesus" 3 ). Rigaux hält Mt 10,23 (in der längern Version) für authentisch. Gegenüber der neuesten Interpretation von A. Feuillet stellt er die Frage, wie man unserem Vers eine Anspielung auf eine Zwischenzeit entnehmen könne. Kann die Flucht von Stadt zu Stadt eine andere Deuttmg des Koromens des Menschensohnes rechtfertigen als in Mk 14,621 Rigaux sieht mit H. Schürmann in Mt 10,23 ein Wort der Ermutigung und des Trostes. Aber Ermutigung und Trost seien an das Kommen des Menschensohnes ohne Entfernungsangabe gebunden. Mit W. G. Kümmel sieht Rigaux in diesem Text keine Zwischenzeit ausgesprochen4). Schließlich haben wir noch auf den Interpretationsversuch von Anton Vögtle hinzuweisen5 ). Die Erklärung des Logions im Sinne der Naherwartung (W. G. Kümmel u. a.) erscheint Vögtle "von sachkritischen Erwägungen her weder zwingend noch auch nur voll befriedigend" 6 ). Mt 10,23 als ·wort Jesu entweder als Ansporn zur Eile oder als Trost zu verstehen, erscheint ihm nicht situationsgemäß7). Eine traditionsgeschichtliche Betrachtung des Logions dürfe aaO 190ff. aaO 197f. 3 ) in: La venue du Messie, par E. Ma.Ysaux etc, RechE 6, 1962, 173ff. 4 ) aaO 194f. 5 ) Exegetische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein .Jesu, in: Gott in Welt, Festgabe für K. Rahner, Bd. 1, Freiburg.Basel·Wien 1964, 608ff. 6 ) aaO 647f. 7 ) aaO 648. 1)
2)
11 KUnzi, Matthlius
162
+
mit H. Schürmann u. a. Mt 10,23a b "als eine Sprucheinheit voraussetzen, die ihrem unmittelbaren Sinne nach ein Trostwort für Verfolgte und Flüchtige ist". Es sei zu fragen, "ob die Worte 10,23a und (oder) b ... in der vorliegenden Form von Jesus gesprochen sein müssen 1 )". Die Hoffnung auf das von Jesus verheißene Kommen des Menschensohnes erkläre sich daraus, "daß J esus selbst den Jüngern Verfolgungen voraussagte und Verfolgungen als Zeichen des nahen Endes verstanden wurden 2 )". Die Städte Israels als Zufluchtsmöglichkeiten, das Motiv der Flucht von einer Stadt in eine andere erklärt Vögtle "als weiterbildende Anwendung eines überlieferten, nämlich bei der Aussendung der Jünger zur Palästinamission gesprochenen Jesuswortes auf die nachösterliche Situation, die Verfolgungen erfährt und mit solchen rechnen muß". Die Grundlage von V. 23a ist nach Vögtle das Jesuswort Mt 10,14 (= Lk 10,10f), eventuell noch Mt 10,5b-6. Begründet werde die Empfehlung zur Flucht mit dem ebenfalls von Jesus versicherten Kommen des Menschensohnes: "Ehe die Städte Israels als Zufluchtsmöglichkeiten erschöpft sind und die Verfolgten ihren Verfolgern zum Opfer fallen, wird der Menschensohn-Endrichter kommen, die Verfolgten erretten und die Verfolger bestrafen!" Aus diesem Zusammenhang begreife sich auch die Verwendung der bekräftigenden Einleitungsformel: "Wahrlich, ich sage euch" 3 ). Der Rückgriff auf Mt 10,14 par könnte nach Vögtle "auch auf einen ursprünglichen Zusammenhang mit der missionarischen Tätigkeit hinweisen 4 )". So erscheint das Logion Mt 10,23 bei Vögtle als "ein vor allem das Jesuswort Mt 10, l4 parund die versichernde Verheißung vom Kommen des Menschensohnes aufnehmendes Trostwort, das als Ganzes in der palästinischen Christenheit entstand 6 )". Dadurch würde J esus von einer Befristung der Zeitdauer bis zur Endoffenbarung befreit. Mt 10,23 gehörte dann in der vorliegenden Form nicht zu den ipsissima verba Jesu, sondern es wäre "Ausdruck der festen Naherwartung der ersten Generation" 6 ).
aaO aaO 3 ) aaO 4 ) aaO 5 ) aaO ") aaO
1)
2)
648f. 649. 649f. G50. 650. 651.
6. Zusammenfassung Blicken wir auf die Auslegung des Logions Mt 10,23 in der Neuzeit zurück, so sehen wir, daß mit der Annahme der Naherwartung durch H. S. Reimarus das Problem der Irrtumsfähigkeit Jesu auftritt. Zwischen H. S. Reimarus und J. S. Semler entbrennt die erste an Grundfragen rührende Debatte über unser Logion. In der Folgezeit müssen sich die protestantischen und die katholischen Ausleger mit dem Problem der Naherwartung und damit verbunden mit dem Problem der Irrtumsfähigkeit Jesu auseinandersetzen. Während sich noch im 19. Jahrhundert die protestantische und die katholische Exegese unseres Logions weitgehend unabhängig voneinander vollziehen, setzt im 20. Jahrhundert der Dialog und eine gegenseitige Annäherung in methodischer und sachlicher Hinsicht ein.
n•
Das Ergebnis Es bleibt nun noch die Aufgabe, das Ergebnis unserer Untersuchung festzuhalten. Das soll in drei Abschnitten geschehen. Zuerst werden wir eine Zusammenfassung der Auslegungsgeschichte von Mt 10,23 geben. Sodann werden wir die im Laufe dieser Geschichte auftauchenden Arten der Auslegung von Mt 10,23 kritisch prüfen und eine eigene Auslegung des Logions vorschlagen. Schließlich werden wir fragen, was die Auslegungsgeschichte zur Lösung des Problems von Mt 10,23 beitragen kann. Im zweiten und dritten Abschnitt wird es sich wegen der Vielseitigkeit der gesamten Problematik nur darum handeln können, einige Grundlinien aufzuzeigen.
I. Zusammenfassung Die Auslegungsgeschichte von Mt 10,23 beginnt mit der bemerkenswerten Tatsache, daß dieses Logion mehr als ein Jahrhundert lang in der altkirchlichen Literatur keine Spur hinterläßt. Die ersten altkirchlichen Autoren, die es anführen, sind Klemens von Alexandrien im Osten m1d Tertullian im Westen. Sowohl die griechischen als auch die lateinischen Väter beschäftigen sich vorwiegend mit der ersten Hälfte des Logions. Die zweite Hälfte wird nur von wenigen Vätern berücksichtigt. Die griechischen Väter zitieren den V. 23a z. T. in der längern Version (Cyrill von Alex., 'l'heodoret von Cyrus, Origenes) und sehen in ihm eine allgemein gültige Weisung für Zeiten der Bedrängnis. Chrysostomus bezieht den Halbvers primär auf die Zeit vor dem Tode Jesu, wendet ihn aber dann in einem allgemein gültigen Sinne an. Radikaler ist Ephräm, der V. 23a ebenfalls in der längeren Versinn kennt, aber seine Gültigkeit auf den Kreis der Apostel beschränkt. Bei der Auslegm1g von V. 23a wird großes Gewicht auf die Frage gelegt, ob die Anweisung zur Flucht als Befehl oder als
Erlaubnis zu verstehen sei. Die Mehrzahl versteht es als Befehl (Klemens von Alex., Athanasius, Cyrill von Alex. u. a.), eine Minderheit faßt es als Erlaubnis auf (Origenes, Ephräm, Anastasius Sin.). Sodann wird gefragt, welchem Motiv die Flucht entspringt und welchem Zweck sie dient. Als Motive werden genannt: die vVeisheit (Origenes), die innere Überlegenheit (Basilius d. Gr.) und die Demut (Ephräm). Als Zwecke der Flucht werden angeführt: die Verhütung des Bösen bzw. die Schonung der Feinde (Klemens von Alex., Petrus von Alex., Gregor von Naz., Origenes), die Schonung der Glaubensgenossen (Eusebius von Cäs., Athanasius, Cyrill von Alex.) und die Begründung der Heidenmission (Cyrill von Alex., Origenes, Ephräm). Im V. 23b, den Origenes zum erstenmal anführt, bezieht Chrysostomus das uAeiv auf den Fluchtweg der Jünger und die "Städte Israels" auf Palästina; das lwr; versteht er in dem Sinn, daß Palästina beim "Kommen des Menschensohnes" noch nicht durchflohen sein wird. Das "Kommen des Menschensohnes" wird von diesen Vätern auf vier Arten gedeutet: als Kommen J esu nach seinem Tode, d. h. zur Zeit der allgemeinen Mission (Origenes}, als Kommen Jesu bei der (fernen) Parusie (Cyrill von Jerus.), als Kommen Jesu vor seinem Tode, d. h. zur Zeit der Mission unter den Juden (Chrysostomus) und als Kommen Jesu bei und nach seiner Auferstehung (Ephräm). Bei der Deutung auf die (ferne) Parusie erscheint das Logion als vVort an die Jünger in einem Weitern Sinn, was Cyrill von Jerus. durch die Umsetzung in die 1. Person Plural dartut. Das Wort besage, daß Jesus seinen Jüngern Hilfe bringen werde (Origenes, Chrysostomus, Ephräm). Die spätern griechischen und orientalischen Theologen steuern zur Auslegung von Mt 10,23 nichts wesentlich Neues bei. Auch sie wenden den V. 23a in einem allgemeinen Sinne an. Theophylakt bezieht, wie Chrysostomus, den ersten Halbvers zunächst auf die Zeit vor dem Tode Jesu, gibt ihm aber dann auch eine allgemeine Bedeutung. Die Weisung zur Flucht wird als Befehl verstanden (Nik. Dav. Paphlagon, Symeon Metaphrastes, Theophanes Kerameus, Theophylakt}, und als Zweck der Flucht wird die Schonung der Feinde und Glaubensgenossen angegeben (Theophylakt) bzw. die Schonung der Feinde und der Apostel (Dionysius bar Sal.). Den V. 23b verstehen diese Theologen durchwegs im Sinne des Chrysostomus, d. h. sie beziehen das -reAeiv auf die Flucht der
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Jünger und deuten das "Kommen des Menschensohnes" auf Jcsu Kommen vor seinem Tod (Theophylakt, Euthymius Zig., Dionysius bar Sül.). Auch nach ihnen geht es um die Hilfe Jcsu an seine Jünger. 1 Die lateinischen Väter bringen gegenüber den griechischen und orientalischen Vätern in der Auslegung von Mt l0,23 wenig neue Gesichtspunkte zur Geltung. Juvencus ist der eü~zige, der V. 23a in der liinger·n Version zu kennen scheint. Auffallend die rigoristische Deutung von V. 23a bei Tertullian. Sonst wird der erste Halbvers meistens als allgemein gültige Weisung verwendet. Hieronymus bezieht, ähnlich wie Chrysostomus, den V. 23 zunächst auf die Mission wlter den Juden, verwendet ihn aber auch in einem allgemeinen Sinn; außerdem vertritt er eine allegorische Deutung dieses Halbverses. Ähnlich wie für die griechischen Väter ist auch für die lateinischen Väter die Frage wichtig, ob es sich hier um einen Befehl, einen Hat oder eine Erlaubnis handelt. Die Aufforderung zur Flucht wird verschieden verstanden: als Erlaubnis (Tertullian in seiner katholischen Zeit, Augustinus, Petrus Chrysologus), alsRat(Ambrosius,Hilarius)undalsBefehl(Hieronymus).AlsFluchtmotive erscheinen die Klugheit (Hieronymus) und das Bestreben, Gott nicht zu versuchen (Augustinus), und als Zwecke der Flucht werden angegeben: die Verbreitung des Evangeliums (Tertullian, Hilarius, Hieronymus), die Schonung der Verfolgten (Ambrosius) bzw. der Kirche (Augustinus) und die Schonung der Verfolger (Petrus Chrysologus). Im V. 23b wird das u.A.eiv (= consummare) stillschweigend entweder auf die Missionsaufgabe der Jünger bezogen (Hilarius) oder aber auf ihren Fluchtweg (Augustinus, Hieronymus). Dann beziehen sich die "Städte Israels" entweder auf die entsprechenden Örtlichkeiten oder aber auf die Bewohner, d. h. auf die Juden. Das lwr; ergibt entweder den Sinn, daß erst beim "Kommen des Menschensohnes" die Mission unter den Juden abgeschlossen sein wird (Hilarius), oder aber daß dann die "Städte Israels" noch nicht durchflohen sein werden (Augustinus, Hieronymus). Das "Kommen des Menschensohnes" wird vorwiegend auf die (ferne) Parusie gedeutet (Juvencus, Hilarius, Augustinus), daneben auch auf das Kommen Jesu z. Zt. der Mission unter den Juden (Hieronym.us). Bei der Deutung auf die (ferne) Parusie wäre das Wort an die Jünger in einem weitern Sinn gerichtet, was Augustinus expressis verbis
Ist
festhiilt. Dann spricht das Logion von der I~'cindschaft der ,Juden (Juvencus) oder von der' Bekehrung der Juden (Hilarius), oder aber es verheißt den Jünge~n Zufluchtsmöglichkeiten (Augusltii1us) oder die Hilfe Jcsu (Hiero:r{y~rls): · 1 : 111 · · So zeichnen sich in det Alten Kirche verschiedehe Deütu!iJigen! von V. 23L ab. Eine Debatt~''über Mt ~0,23 findet i1t di'esclr 'Zeit nicht 1 statt. "~ 1 ' · ·! ! : '"' ; :· · · 1·: :· I
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Tm aberulliind?:schf.n''Miiielalter stellt die ei·ste iHlfte foJ\. 1 Mti0,23 nicht mehr so im Vordc~gruntl des IIit~resscJ wie iit dJi; A'WJn 'Klrehe. Nur bei Alphonsus Tostatus hat sie eindeutig das Über'~ewicht. Dieser ist es auch, der den V. 23a in der lii.ngem Vm·Hion unfiihr·t. Zahlreiche Autoren beziehen den V. 23a primär auf die Zeit der Mission unter den Juden (Ansclm von Laon, Albertus Magnus, 'J'homas von Aquino, Alphonsus Tostatus, Chdstian von Stablo). Der erste Halbvers erscheint aber auch als allgemein gültige Weisung (Paschasius l{adbertus). Die Anweisung zur :Flucht gilt bald mehr als Befehl (Anselm von Laon), meistens aber als Erlaubnis (Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Nikolaus von Lyra, Alphonsus Tostatus, Dionysius Carth.). Als Motive zur Flucht erscheinen die Klugheit (Thomas von Aquino), der Verzieht auf das Martyrium und das Bestreben, Gott nicht zu versuchen (Alphonsus Tostatus). Als Zwecke der Flucht werden genannt: die Schonung der Jünger (Anselm von Laon, Thomas von Aquino, Alphonsus Tostatus, Paschasins Radb.), die Ausbreitung der Predigt (Albertus Magnus, Alphonsus Tostatus) und der Nutzen für die Kirche (Nikolaus von Lyra). Ferner wird das Verhältnis von Flucht und Ausdauer näher erläutert (Anselm von Laon). Im V. 23b wird der Bedeutung des n:A.eiv vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt. Die einen beziehen es auf die Missionsaufgabe der Jünger (Beda, Hrabanus Maurus, Anselm von Laon, Paschasins Radb.), andere dagegen auf ihre Flucht (Albertus Magnus, Thomas von Aquino) oder auf ihre Predigt (Nikolaus von Lyra, Alphonsus Tostatus, Dionysius Carth. ). Mit den "Städten Israels" sind dann je nachdem Örtlichkeiten gemeint ("Städte Judäas": Thomas von Aquino, "Städte des jüdischen Volkes": Dionysius Carth., christliche Kirchen: Rupert) oder aber ihre Bewohner ("Söhne Israels": Anselm von Laon). Daalw~ zeigt entweder an, daß erst beim "Kommen des Menschensohnes" die Mission unter den Juden beendigt sein wird (Paschasius Radb.), oder aber daß dann die "Städte
Israels" noch nicht bekehrt bzw. durchflohen sein werden (Beda, Albertus Magams u. a.). Das "Kommen des Menschensohnes" wird wie in der Alten Kirche verschieden gedeutet. Die meisten Autoren beziehen es auf die Auferstehung Jesu (Beda, Hrabanus Maurus, Anselm von Laon, Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Nikolaus von Lyra, Alphonsus Tostatus, Dionysius Carthusianus). Daneben finden wir noch weitere Auslegungen: zwei Autoren deuten das "Kommen des Menschensohnes" auf ein Kommen zur Zeit der Mission unter den Juden (Zacharias Chrysop., Christian von Stablo), andere auf die (ferne) Parusie (Paschasius Radbertus, Rupert von Deutz). Sobald das Logion auf die (ferne) Parusie gedeutet wird, ist es an einen weitem Jüngerkreis gerichtet; das tritt z. B. bei Paschasius Radb. deutlich zutage. Dann spricht das Logion entweder von der Nichtbekehrung der Juden (Beda, Hrabanus Maurus, Anseim von Laon) oder von den Zufluchtsmöglichkeiten der Jünger (Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Rupert von Deutz) oder von deren Predigtmöglichkeiten (Nikolaus von Lyra, Alphonsus Tostatus, Dionysius Carth.) oder von der Hilfe Jesu an die Jünger (Zacharias Chrysop.) oder- und das ist neu- von der Predigt Jesu (Christian von Stablo) oder schließlich von der Bekehrung der Juden (Paschasius Radb.). So setzt sich im abendländischen Mittelalter die altkirchliche Auslegung von Mt 10,23 im großen und ganzen fort. Eine an Grundfragen rührende Debatte über unser Logion findet auch jetzt nicht statt. Im Zeitalte1· der Reformation und Gegen1·ejormation steht wie im Mittelalter bei der Auslegung von Mt 10,23 die erste Hälfte des Logions nicht mehr im Vordergrund, wird aber immer noch gebührend beachtet. Die protestantische Auslegung von Mt 10,23 im 16. Jahrhundert ergibt folgendes Bild. Die längere Version von V. 23 a wird von Beza vertreten. Nirgends wird der erste Halbvers ausdrücklich auf die Judenmission beschränkt. Die Anweisung zur Flucht wird bald mehr als Erlaubnis oder Rat aufgefaßt (Bucer, Aretius, Luther, Bullinger), bald mehr als Befehl (Musculus, Calvin). Einzelne vYörter werden philologisch erörtert (Beza). Als Motive zur Flucht erscheinen die Klugheit (Zwingli) und die Ausdauer (Beza), alsderen Zwecke die Schonung der Jünger (Zwingli, Bucer, Aretius) und die Verbreitung des Evangeliums (Musculus).
169 Im V. 23b wird das uA.eiv bald mehr auf die Predigt der Jünger bezogen (Zwingli, Brenz, Bucer, Aretius, Luther), bald auf deren Flucht (Beza, Musculus). Dann sind mit den "Städten Israels" die entsprechenden Örtlichkeiten gemeint ("israelitische Städte": Zwingli, Brenz, Musculus, "die ganze Gegend": Beza, allg. "Ort": Luther, "ganz Judäa": Calvin). Das ew~ wird meistens in dem Sinn verstanden, daß die Predigt oder Flucht beim "Kommen des Menschensohnes" noch nicht beendigt sein wird (Zwingli, Brenz, Beza, Bucer, Münster, Aretius, Musculus, Luther, Bullinger, Calvin). Das "Kommen des Menschensohnes" findet neben den traditionellen gewisse neue DeutlUlgen, die aber die Situation nicht ändern. An traditionellen Deutungen finden wir dieje.nige auf die Zeit vor dem Tode Jesu, d. h. auf die Zeit der Mission lUlter den Juden (Zwingli, Brenz, Beza), die Deutung auf die Zeit nach dem Tode Jesu, d. h. auf die Zeit nach der allgemeinen Mission (Bucer), ebenso die Deutung auf die Auferstehung Jesu (Münster, Aretius, Musculus) und wahrscheinlich auch die Deutung auf die (ferne) Parusie (Luther). Neu sind die Auslegungen, die das "Kommen des Menschensohnes" im Jüdischen Krieg verwirklicht sehen (Bullinger, nach ersten AndeutlUlgen bei Bucer) oder aber in der Ausgießung des Heiligen Geistes (Calvin, nach ersten Andeutungen bei Musculus). Dann kündigt das Logion die kommende Predigt Jesu an (Zwingli) oder seine WlUldertätigkeit (Brenz) oder allgemein seine Hilfe (Beza, Aretius) bzw. die Offenbarung seines Reiches (Musculus, Calvin), oder aber es spricht von den Predigtmöglichkeiten der Jünger (Bucer Münster, Luther) oder schließlich von der Bestrafung der Juden (Bullinger). Die protestantische Exegese von Mt 10,23 im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert hebt z. T. hervor, die erste Vershälfte zeige die Flucht als Heilmittel in der Gefahr (Flacius, Hunnius). Allerdings wird auch die Meinung vertreten, diese Stelle habe keine Beweiskraft für die Frage der Flucht in der Verfolgung (Grotius). Meistens stehen die Verhältnisse der allgemeinen Mission im Vordergrund, gelegentlich aber auch diejenigen der Judenmission (Hammond/ Leclerc). In der Frage, ob die Flucht vorgeschrieben oder erlaubt sei, wird bald mehr das Erste hervorgehoben (Piscator, Chemnitz/ Lyser), bald mehr das Zweite (Hunnius). Als Zwecke der Flucht werden genannt: die Verbreitung des Evangeliums (Flacius, Piscator, ChemnitzfLyser), die Schonung der Apostel (Hunnius, Chem-
170 nitzfLyser, auch HammondfLeclerc), die Rücksicht auf die Kirche und auf die Feinde (Chemnitz/Lyser). Einzelne Vokabeln werden philologisch erörtert (Grotius). Im V. 23 L wird da~:~ VerLmn uJ.eiv teil~:~ auf die Predigt der Apo~:~ tel be:wgen (Piscator, HmmiuR, J~ightfoot, Grotius), teils auf ihre Flucht (Schmidt). Ebenso finden wir die Deutung auf die Missionsaufgabe der Apostel (Heinsius). Die "Städte Israels" sind je nachdem die Örtlichkeiten ("Stiidte J udäas": Hunnius, "J udii.a und die ganze Welt": Schmidt) oder die Juden (Hcinsius). Das lwc; wird meistens so verstanden, daß beim "Kommen des Menschensohnes" die Predigt oder Flucht noch nicht beendet sein wird (Piscator, Hunnius, Lightfoot, Grotius), einmal auch so, daß erst dann die Juden bekehrt werden (Heinsius). Das "Kommen des Menschensolmes" wird in die Zeit der allgemeinen Mission verlegt (Flacius, Camerarius, Piscator, Hunnius); vermehrtes Gewicht gewiimt die Deutung auf die (ferne) Parusie (Heinsius, Sclunidt, Chemnitz/ Lyser). Schließlich treffen wir in dieser Zeit auch noch die Deutung auf die Auferstehung Jesu (Lightfoot), auf die Sendung des Heiligen Geistes (Grotius, Calov), auf das Kommen Jesu während der Mission unter den Juden (Camero), sowie auf den Untergang des Jüdischen Staates (Hammond/Leclerc). Das Logion kündet dann die Hilfe Jesu an (Flacius, Camerarius) oder die Wirksamkeit der christlichen Predigt (Piscator, Hunnius) oder die Bekehrung der Juden (Heinsius) oder Zufluchtsmöglichkeiten für die Christen (Schmidt, ChemnitzjLyser) oder Predigtmöglichkeiten für sie (Lightfoot) oder die Offenbarung des Gottesreiches (Grotius, Calov) oder die kommende Predigt J esu (Camero) oder schließlich die Bestrafung der Juden (Hammond/Leclerc). In der katholischen Exegese des 16. und 17. Jahrhunderts wird der V. 23a nirgends ausdrücklich nur auf die erste Aussendung der Jünger bezogen. Die Anweisung zur Flucht gilt z. T. als Erlaubnis (Erasmus, Cajetanus, a Lapide, Lamy, Lucas), z. T. aber auch als Vorschrift (Jansenius, Maldonatus, a Lapide). Als Motiv zur Flucht wird wiederum die Klugheit genannt (Maldonatus, Sylveira), als ihre Zwecke erscheinen der Nutzen für die Welt (Faber Stap.), die Schonung der Verfolgten und der Verfolger (Erasmus, Estius), die Verbreitung des Evangeliums (Erasmus, Maldonatus, Barradas, a Lapide, Lamy, Lucas), der Nutzen für die Kirche (Maldonatus, Estius).
Im V. 23b wird das reileiv teils auf die Predigt oder Flucht der Jünger bezogen (Faber Stap., Erasmus, Jansenius, Cajetanus, Sylveira, Lucas), teils auf dio Vollendung ihrer Missiommufgabo (Maldonatus, ßarmdas, a l . apide aueh ~ylvoim). Die "~tiidto Israels" sind dann entweder die Örtlichkeiten ("Stii
bzw. als Erlaubnis (Klemm) und erscheint als Ausdruck der Beharrlichkeit (Rosenmüller). Im V. 23b stößt das Verbum uA.eiv auf besonderes Interesse; es wird mehrheitlich auf die Predigt bzw. Flucht der Jünger bezogen (Hedinger, Rosenmüller, Klemm, Bengel, Bolten, Wolf, Heumann, Reimarus), einmal auch auf die Vollendung der Missionsaufgabe (Hedinger); eine neue Deutung gibt Olearius, indem er es mit "weichen aus" übersetzt. Das fwc; wird meistens so verstanden, daß beim "Kommen des Menschensohnes" die Predigt bzw. Flucht nicht beendet sein wird. Das "Kommen des Menschensolmes" wird immer noch uneschatologisch gefaßt und mehrheitlich auf den Untergang des Jüdischen Staates gedeutet (Hedinger, Olearius, Wettstein, Semler, J. D. Michaelis, Rosenmüller). Daneben ist auch die Deutung auf Jesu Kommen vor seinem Tod vorhanden (Klemm, Bengel). Das Logion verheißt dann Predigtmöglichkeiten für die Jünger bzw. die Nichtbekehrung der Juden (Hedinger) oder das Verbleiben der Jünger in den israelitischen Städten (Olearius) oder die Bestrafung der Juden (Wettstein, Rosenmüller, Semler) oder Zufluchtsmöglichkeiten für die Jünger (J. D. Michaelis) oder die kommende Predigt- (und Wunder-) Tätigkeit Jesu (Klemm, Bengel) oder auch allgemein die Hilfe Jesu (Bolten). Alle diese Auslegungen bewegen sich im traditionellen Rahmen. Da taucht gegen Ende des Jahrhunderts die Deutung auf das nahe Messiasreich und damit verbunden die These vom Irrtum Jesu auf (Reimarus). Damit ist die moderne Problematik zur Diskussion gestellt. Die protestantischen Exegese von Mt 10,23 im 19. Jahrhundert ist stark von der historischen Fragestellung beherrscht. Textkritisch wird die längere Version von V. 23 a teils für ursprünglich gehalten (Paulus, Olshausen, Schott), teils als spätere Zufügung angesehen (de Wette, B. Weiß, Fritzsche, Kuinoel, Baumgarten-Cr., Bleek). Der V. 23a wird gelegentlich als allgemeine Instruktion verstanden (Paulus). Mehr als einmal erscheint die Weisung zur Flucht als Rat (Olshausen, Nösgen). Als Motiv zur Flucht erscheint wiederum die Klugheit (Olshausen, Schott), als deren Zwecke werden angegeben die Schonung der Verfolgten (Olshausen), das Heil anderer (Meyer) und die Verbreitung des Evangeliums (Hofmann, Nösgen). Im V. 23 b wird das Verbum uA.siv vorwiegend auf die Flucht bzw. Predigt der ,Jünger be:wgen (Paulus, Olshausen, de Wette, B. Weiß,
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Kübel, Fritzsche, Meyer, Keim, Kuinoel, Schott, Baumgarten-Cr., Nösgen, Bleek), z. T. auch auf deren Missionstätigkeit (Keil, Hofmann). Das lwr; wird so interpretiert, daß beim "Kommen des Menschensohnes" die Flucht bzw. Predigt der Jünger nicht beendet oder deren Missionsaufgabe nicht vollendet sein wird. Die größte Schwierigkeit bietet die Rede vom "Kommen des Menschensohnes". Die Mehrzahl der Exegeten deutet sie auf die Parusie und hier wiederum der größte Teil im Sinne der Naherwartung (Paulus, Olshausen, de ·wette etc, Fritzsche, Meyer, Strauß etc), merkwürdigerweise aber ohne direkten Bezug auf Reimarus, den ersten Vertreter der Naherwartung. Damit ist aber das Problem eines allfälligen Irrtums Jesu gegeben. Bei der Lösung dieses Problems scheiden sich die Geister. Die einen halten das Logion für ein echtes Herrenwort. Um Jesus von einem Irrtum loszusprechen, werden verschiedene Lösungen vorgetragen. Man geht das Problem psychologisch an und unterscheidet zwischen der Religionslehre Jesu und der Geschichte der Zukunft (Paulus) bzw. zwischen einer Privatund einer Lehrmeinung Jesu (Kübel). Oder man spricht vom perspektivischen Schauen Jesu (Olshausen) bzw. von der optischkomplexen, bildlich-symbolischen und typischen Art der biblischen Weissagung (Keil), wobei in diesen Fällen die Parusie auf mehrere Etappen verteilt wird. Oder man spricht von einer teilweisen Erfüllung der Verheißung (Schlatter). Daneben gibt es aber auch Autoren, die im Zusammenhang mit Nt 10,23 offen von einer Illusion bzw. einem Irrtum Jesu sprechen (Renan, J. ·weiß). Andere Autoren lösen das Problem dadurch, daß sie das Logion als überarbeitet oder gar als spätere Bildung betrachten und so den Irrtum von J esus fernhalten (Fritzsche, Colani u. a.). Im übrigen finden sich in der protestantischen Auslegung von Mt 10,23 im 19. Jahrhundert auch die traditionellen Auslegungen: auf das Kommen Jesu während der Mission unter den Juden (Kuinoel), auf die Zerstörung Jerusalems (Schott, Wichelhaus), auf die ferne Parusie (Hofmann, Nösgen). Schließlich finden wir auch eine "philosophische" 1md eine "allegorische" Deutung (Weisse, Baumgarten-Cr.) sowie die Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes (Bleek). Ein erheblicher Teil der protestantischen Exegeten im 19. Jahrhundert konzentriert seine Aufmerksamkeit auf den zeitlichen Aspekt des Logions Mt 10,23. Daneben wird festgehalten, daß es von der baldigen Hilfe für die Verfolgten spreche (Paulus, Fritzsche, Meyer, Colani,
174 auch Beyschlag, Kuinoel und Bleek) oder von den Predigtmöglichkeiten der Jünger (Schott) oder von der Bestrafung der Juden (Wichelhaus) oder vom unablässigen Kampf des Christentums (Weisse) bzw. vom dauernden Widerstand gegen die Jüngerpredigt (Hofmann) oder schließlich vom Sieg der Sache Christi (Baumgarten-er.). Die katholischen Exegeten des 18. und 19. Jahrhunderts ziehen im allgemeinen die kürzere Version von V. 23a vor. Teils wird der V. 23a auf die zweite Sendung bezogen (Calmet, Massl), teils wird eine Scheidung zwischen erster und zweiter Mission ausdrücklich abgelehnt (Schegg, Schanz). Die Anweisung zur Flucht wird vorwiegend als Erlaubnis, Regel oder Rat verstanden (Calmet, Bisping, Schegg, Schanz). Als Motive zur Flucht werden hervorgehoben die Liebe und der Eifer für die Lehre Jesu (Kistemaker) sowie die Klugheit (Kistemaker, Knabenbauer). Als Zwecke der Flucht gelten: die Schonung der Kirche (Calmet), der Apostel (Kistemaker, Reischl, Schegg, Schanz, Knabenbauer) und die Verbreitung des Evangeliums (Kistemaker, Massl, Knabenbauer), ferner die Schonung der Verfolger (Calmet, Kistemaker, Reischl). In V. 23 b wird das Verbum uA.eiv teils auf die Predigt der Apostel bezogen (Calmet, Gratz, Kistemaker, Schegg) bzw. auf ihre Flucht (Bisping), teils auf die Vollendung ihrer Missionsaufgabe (Bisping, Schanz, Knabenbauer). Das "Kommen des Menschensohnes" wird vielfältig diskutiert und teilweise auf den Untergang des Jüdischen Staates gedeutet (Calmet, Massl). Daneben finden wir die seltene Deutung auf den individuellen Tod der Apostel (Kistemaker). Aber man merkt auch deutlich, daß der Ausdruck eigentlich die Parusie meint, und zwar als nahe bevorstehendes Ereignis. Das gibt Gratz offen zu, ohne jedoch im Zusammenhang mit Mt 10,23 eine Lösung des Problems der Naherwartung vorzutragen. Andere lösen das Problem so, daß sie in einem nahen Ereignis einen Teil der Parusie erblicken, sei es im Jüdischen Krieg (Bisping, Reischl), sei es in der Auferstehung Jesu und in der Geistsendung (Schegg, Schanz). Daneben finden wir auch die bekannte Deutung auf die ferne Parusie (Knabenbauer). So spricht unser Logion von der Bestrafung der Juden (Calmet, Massl, Bisping, Reischl), von der baldigen Hilfe Jesu für die Jünger (Schegg, Schanz) und von der endlichen Bekehrung der Juden bzw. von ihrer Blindheit bis zum Ende (Bisping, Reischl, Schanz in zweiter Linie, Knabenbauer).
Die protestantische Auslegung unseres Logions im 20. Jahrhundert ist einerseits durch die konsequent-eschatologische, andererseits durch die formgeschichtliche Auslegung geprägt. Was die Textkritik anbelangt, gibt es immer noch Forscher, die die längere Version vor1 V. 23a für ursprünglich halten (1\'Ierx, Zahn). Sonst wird der V. 23a v. a. für traditionsgeschichtliche Überlegungen herangezogen (Kümmel, Grässer, Bammel). In V. 23b wird dem Verbum re.Aeiv besondere Beachtung geschenkt. Es wird teils auf die Flucht bzw. Predigt der Jünger bezogen (Schweitzer, Goguel, Merx, Zahn, Allen, M'Neile, Loisy, Leipoldt, Werner, Bonnard, Liechtenhan, Cox, Mincar, Bammel), teils auf ihre Missionsaufgabe (\Vellhausen, Klostermam1, Cadoux, Schniewind, W. Michaelis, Flückiger, Bosch, Cnllmann, Kümmel, Jolmson, Grässer, Nepper-Christensen, Barth). Das "Kommen des Menschensohnes" wird meistens auf die Parusie gedeutet, und zwar im Sinne einer Nächsterwartung (Schweitzer, Werner, auch Goguel), vor allem aber im Sinne der Naherwartung (0. Holtzmann, Merx, Zahn, Wernle, Allen etc, Wellhausen, Loisy, Bultmann etc). Dabei tritt wiederum das Problem des Irrtums Jesu auf. Dieses wird, wie im 19. Jahrhundert, auf verschiedene Arten gelöst. Bei den Exegeten, die das Logion für ein echtes Jesuswort halten, treffen wir die Ansicht, hinsichtlich der Erfüllung der Verheißung von Mt 10,23 sei die Ablehnung des Evangeliums seitens Israels in Rechnung zu stellen, und durch die Zerstörung Jerusalems habe das Kommen Jesu eine dehnbare Bedeutung erhalten (Zahn). Andere Forscher geben einen Irrtum Jesu offen zu (Schweitzer, Wernle, Werner, Kümmel, auch Cullmmm), halten aber z. T. die Zeitangabe für nicht wesentlich (Kümmel, Cullmann). Für die Exegeten, die das Logion Mt 10,23 für eine Bearbeitung eines echten Jesuswortes oder für eine Gemeindebildung halten, fällt dieses Problem in diesem Falle dahin, da dann der Irrtum auf Spätere abgeschoben wird (Loisy, Bultmann, Mansou u. a.). Bezeichnend für die Exegese unserer Zeit ist, daß die Einheitlichkeit des Verses in Frage gestellt wird (Kümmel, Grässer). Ein mehrfach erörtertes Problem ist die Frage, ob in Mt 10,23 eine parikularistische Haltung vorliege; diese Frage wird teils bejaht (Wernle, Allen, Leipoldt), teils verneint (0. Holtzmann, Nepper-Christensen). Daneben finden wir, teils in neuer Gestalt, alte Interpretationen des Logions wieder, so die Deutung auf die ferne Parusie (Schniewind, W. Michaelis, Flückiger,
Bonnard), auf das Kommen Jesu während der allgemeinen Mission (Stonehouse, Minear) sowie auf die Auferstehung Jesu (Barth). Wie im 19. Jahrhundert konzentriert sich ein erheblicher Teil der Exegeten auf den zeitlichen Aspekt des Logions. Aber es wird auch betont, das Wort verheiße den Jüngem baldige Hilfe (Zahn, Vielhauer, Grässer u. a.) oder aber es spreche von der endlichen Bekehrung der Juden (Schniewind, W. Michaelis; ähnlich Flückiger, Bosch) bzw. von den fortwährenden Fluchtmöglichkeiten der Christen (Bonnard) oder auch von der Nichtbekehrung der Juden und der Aussendung zur allgemeinen Mission (Barth). Auch die katholische Exegese des 20. Jahrhunderts ist durch das Eindringen neuzeitlicher Forschungsmethoden gekennzeichnet. vVas Mt 10,23 anbetrifft, so wird auch von katholischen Forschem unserer Zeit die längere Version der ersten Vershälfte vorgezogen (Lagrange, Rigaux). Die Anweisung zur Flucht in V. 23a wird als Befehl gewertet (Pölzl/Irmitzer), aber auch die Erlaubnis wird in Rechnung gestellt (Schmid). Als Fluchtmotiv wird wiederum die Klugheit angegeben (Durand), als Zweck der Flucht die Verbreitung des Evangeliums (Durand, Pölzl/Innitzer). Das n:Ä.eiv in V. 23 b wird bald auf die Missionsaufgabe der Apostel bezogen (K. Weiß, Pölzl/Innitzer), bald auf ihre Flucht (Lagrange, Durand, Schnackenburg). Das "Kommen des Menschensohnes" wird wieder auf den Untergang Jerusalems gedeutet (K. Weiß, Pölzl/Innitzer, Lagrange). Einigen Exegeten ist aber deutlich, daß eigentlich die Parusie gemeint ist; so verstehen sie den Jüdischen Krieg als Auftakt der Parusie (Dausch, Durand, auch Feuillet). Einmal wird wieder die Deutung auf das Kommen J esu zur Zeit der ersten Mission hervorgenommen (Dupont). Die modernen Auslegungsmethoden bringen es mit sich, daß die Einheitlichkeit des Logions bestritten wird (Dupont) und sogar die These von der teilweisen Unechtheit des Logions gewagt wird (Vögtle). Auch die ncucste katholische Exegese gewinnt unserem Logion verschiedene Sinnmöglichkeiten ab. Danach spricht es von der Nichtbekehrung der Juden (K. Weiß) oder vom baldigen Ende der Verfolgnngen (Dausch, Durand u. a.) oder von fortdauernden Zufluchtsmöglichkeiten für die Jünger (Lagrange) oder vom Termin ihrer Evangelisationsreise (Dupont). Rückblickend stellen wir fest, daß in der Neuzeit im Zusammenhang mit Mt 10,23 das Problem der Irrtumsfähigkeit Jesu auftaucht.
1'/ .,
Am Ende des 18. Jahrhunderts findet die erste durch dieses Problem gekennzeichnete Debatte über Mt 10,23 statt. Die neueste Zeit bringt den Dialog w1d eine deutliche Annäherung zwischen der protestantischen und katholischen Exegese dieses Logions.
II. Grundlinien der Kritik
Es gilt jetzt, die verschiedenen Arten der Auslegung von Mt 10,23, die wir im vorstehenden kennengelernt haben, kritisch zu prüfen und eine eigene Auslegung vorzuschlagen. Dabei beschränken wir uns auf einige wichtige Grundzüge. Textkritisch interessiert v. a. die Frage, ob die längere Variante von V. 23a als ursprünglicher Bestandteil des Spruches oder als spätere Glosse zu verstehen ist. vVir haben gesehen, daß gewichtige frühe Zeugen, z. B. Origenes, die längere Variante haben. Das führt zahlreiche Ausleger zur Annahme, die längere Variante sei ursprünglich. Indessen ist nicht auszuschließen, daß auch jenen frühen Zeugen bereits eine glossierte Version des ursprünglichen vVortlautes vorgelegen hat. Auf alle Fälle ändert die längere Version nichts am Sinn des Spruches. Bei der Auslegung von Mt 10,23 haben wir davon auszugehen, daß sich das Logion innerhalb der sog. Aussendungsrede Mt 10 befindet, die sich aus Stücken zusammensetzt, welche die andern Synoptiker teilweise in anderem Zusammenhang überliefern. Es ist also grundsätzlich damit zu rechnen, daß Mt hier z. T. Logien zusammenstellt, die an sich mit der Mt 10 par berichteten Aussendung der Jünger nichts zu tun haben. Das gilt ganz besonders auch vom Logion V. 23. In V. 23a ist eine Verfolgung der Jünger angekündigt, und zwar eine Verfolgung "in dieser Stadt". Da der ursprüngliche "Ort" des Logions unbekannt ist, fällt es schwer festzustellen, welche Stadt hier gemeint ist. Der Kontext (V. 23b) läßt an Palästina und das Demonstrativpronomen an eine bestimmte Situation denken. Von daher erscheint die Aufforderung zur Flucht ("Fliehet in die andere") als bestimmte Weisung für einen bestimmten Fall, was natürlich nicht ausschließt, daß in andem Fällen Standhaftigkeit bis zum Äußersten gefordert sein kann. Über Motiv und Zweck dieser Flucht 12 Künzi, Matthäus
178 läßt sich auf Grund von V. 23a nichts Genaueres ermitteln. Offenbar sollen die Jünger heil aus den Verfolgungen herauskommen. In der als feierliche Begründung gekennzeichneten Verheißung V. 23b kann, wie wir eingangs festgestellt haben 1 ), das Verbum uÄ.eiv sowohl die Beendigung einer Wegstrecke als auch die Vollendung einer Aufgabe meinen. Hier liegt wohl der erste Fall vor. Der Evangelist überliefert unser Logion in einem Kontext, der von Verfolgung und Flucht der Jünger handelt (V. 17 fl'). Das legt nahe, daß sich auch in V. 23b das uÄ.eiv auf die Flucht der Jünger und damit auf Örtlichkeiten bezieht 2 ). Mit den "Städten Israels" sind, wie ein Vergleich mit Mt 2,20f zeigt, die Städte Palästinas gemeint3). Das Wort V. 23b handelt also von der Flucht der Jünger durch die Städte Palästinas4 ). Es besteht kein Grund, mit W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung 55; Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu 41ff, das n:Äeiv auf die Vollendung der Missionsaufgabe zu beziehen und von daher die Einheitlichkeit des Logions Mt 10, 23 zu bestreiten. Der von Kümmel ins Feld geführte statistische Befund im NT ist für die Wendung reÄeiv T(i!; :rr6Äet~ [1:.] 'lae. nicht beweiskräftig genug. Da das Verbum n:Äeiv sowohl "zu Ende kommen mit" als auch "zu Ende bringen" heißen kann, wären nur aus einer mehr oder weniger gerrauen Parallele der gesamten Wendung Rückschlüsse auf unser Logion zulässig. Eine solche Parallele der ganzen Wendung fehlt aber im NT.
1)
s. o. 5f.
Es gibt keinen Gnmd zur Annahme, daß Mt den ursprünglichen Sinn des Logions verändert hat. 8 ) Der Ausdruck yij 'laea~Ä Mt 2, 20f ist die nächste neutestamentliche Parallele zu dem innerhalb des NT nur Mt 10, 23b vorkommenden Ausdruck :rroÄet~ [roii] 'laea~Ä. In beiden Ausdrücken ist "Israel" religiös unbetonte Bezeichnung des jüdischen Volkes. "Land Israels" ist die normale Bezeichnung des Landes in der rabbinischen Literatur (vgl. Str-B I, 90f). Dementsprechend wird auch die Bezeichnung "Städte Israels" zu verstehen sein. Vgl. zu dieser Frage W. Gutbrod, ThW III, 386f. •) Diese Auffassung wird durch die griechischen Ausleger bestätigt. Diese beziehen das uÄeiv, soweit sie sich ausdrücklich damit befassen, durchwegs auf die Flucht der Jünger in Palästina. Wir finden folgende Umschreibungen: Ov f{Jff~aeafJe :rreete.'.fJ6vn:~ ·~v IlaÄmarlvrJV (Chrysostomus, MPG 57, 397); ov p.T} yae n:Äia1Jn: rd~ :rr6Äet~ roii 'laea~Ä 6twx6p.evot (Theophylakt, MPG 123, 241 f); :rreo roii :rreeteÄffeiv avrov~ :rraaa~ rd~ :rr6Äet~ rwv 'lov6alwv bzw. :rreo 1:oii &eMJeiv ÖÄ1JV 1:~v IlaÄatadv1']v (Euthymius Zig., MPG 129, 337f). 2)
Die Flucht der Jünger durch die Städte Palästinas wird nicht zu Ende sein, "bis der Sohn des Menschen kommt". Das lw~ deutet dann darauf hin, daß beim "Kommen des Menschensohnes" die Städte Palästinas nicht durchflohen sein werden: Der Menschensohn wird kommen, bevor die Jünger durch die Städte Israels geflohen sind. Was nun das "Kommen des Menschensohnes" betrifft, so haben wir vom synoptischen Gebrauch dieser Wendung auszugehen. Hier ist mit dem futurischen Gebrauch dieser Wendung immer die Parusie gemeint!) (Mt 16,27; Mk 8,38; Lk 9,26; vgl. Mt 25,31; Mt 16,28; Mt 24,30; Mk 13,26; Lk 21,27; Mt 24,44; Lk 12,40; Mt 26,64; Mk 14,62) 2 ). So kann auch in Mt 10,23 mit dem "Kommen des Menschensohnes" nur die Parusie gemeint sein. Der V. 23b ist eschatologisch gemeint und bedeutet: "Ihr werdet die Städte Palästinas bis zur Parusie nicht durchfliehen." Alle uneschatologischen Deutungen des Logions fallen daher weg. Als eschatologische Aussage enthält der Spruch eine Zeitangabe. Das kann, wie wir eingangs festgestellt haben 3 ), zweierlei bedeuten, entweder erfolgt die Parusie in der Ferne oder aber in der Nähe, innerhalb der Generation der zwölf Jünger. Hier liegt deutlich der zweite Fall vor. Wie wir gesehen haben, handelt unser Logion von der Flucht der Jünger durch die Städte Palästinas. Der Horizont ist also räumlich und damit auch personell eng; angesprochen sind die zwölf Jünger. Das läßt auf eine kurze Distanz der Parusie schliessen. Somit haben wir das Logion als Naherwartungswort zu verstehen: Die Parusie wird zu Lebzeiten der (Generation der) zwölf Jünger eintreffen. Damit fällt die Deutung auf die ferne Parusie weg. Der literarische Charakter der Aussendungsrede verbietet aber auch die konsequent-eschatologische Deutnng auf ein "Kommen des Menschensohnes" während der der Aussendung unmittelbar folgenden Tätigkeit der Jünger 4 ). Als Naherwartungswort enthält der Spruch einen Trost an die ersten Jünger: Die Verfolgung wird bald ein Ende haben. Als Nah-
Dieses Argument finden wir erstmals bei Maldonattts, Comm. z. St. Dieperfektischen Wendungen fallen hier außer Betracht. ") s.o. 7. ') So Schweitzer, Werner; vgl. dagegen z. B. Glasson, The Second Advent 103; Kümmel, Verheißung und Erfüllung 56f; Oullmann, Heil als Geschichte 194f. 1)
1)
erwartungswart enthält das Logion aber auch das Problem der Irrtumsfähigkeit Jesu. An diesem Punkt ist nun zu fragen, ob es sich überhaupt um ein Jesuswort handelt oder ob dieses Wort auf Grund eines echten Jesuswortes umgebildet worden oder schließlich ob es als Ganzes in späterer Zeit entstanden ist. Grundsätzlich ist vorauszusetzen, daß der Vers nicht aus dogmatischen Gründen als bearbeitet oder unecht betrachtet werden darf. Nun kann man gewiß versuchen, das Logion Mt 10,23 als Umbildung eines echtenJesuswortes zu erklären 1 ). Es ist aber mehr als fraglich, ob man in dieser Hinsicht zu einem gesicherten Ergebnis gelangen ka1m 2 ). Auch die Meinung, das Logion stamme nicht von Jesus, sondern aus der Gemeinde 3 ), führt nicht weiter. Die Versuche, das Logion als Gemeindebildung zu erklären, haben bis jetzt kein überzeugendes Resultat gezeitigt 4 ). Es ist gewiß richtig, daß das Urchristentum die Parusie in großer Nähe erwartet hat. Aber die Übereinstimmung zwischen einer Anschauung, die als Wort Jesu überliefert ist und einer Anschauung, der wir im Urchristentum begegnen, berechtigt uns in keiner \Veise, diese Anschauung Jesus abzusprechen5 ). Ein Beweis dafür, daß Mt 10,23 überarbeitet oder später gebildet wäre, ist bis jetzt nicht erbracht. Somit haben wir von der Voraussetzung auszugehen, daß die in Mt 10,23 ausgesprochene Botschaft auf Jesus selbst zurückgeht.
III. Grundlinien eines Lösungsversuchs Aber nun stellt sich erst recht die mit der Naherwartung der Parusie zusammenhängende Frage nach der Irrtumsfähigkeit J esu. Seit dem 19. Jahrhundert hat man auf protestantischer wie auf katholischer Seite versucht, dieses Problem dadurch zu lösen, daß man die Parusie in verschiedene Phasen oder Akte aufteilt und so z. B. in der Auferstehung So Ji'ritzsche, J. A. T. Robinson, Vögtle. Vgl. hierzu das Urteil J. A. T. Robinsons (aaO 93): "In jeder Rekonstruktion, die versucht, hinter die Evangelisten zu J esus zu gehen, muß manches unvermeidlich spekulativ sein." 3 ) So Colan'i, Loisy, Bultrnann, Glasson, Vielhauer u. a. 4 ) Vgl. Kümmel, Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu 44f. •) Vgl. Cullmann, Heil als Geschichte 196. 1) 2)
.10.1
Jesu die erste Phase der Parusie erblickt. Diese Betrachtungsweise entbehrt aber einer neutestamentlichen Grundlage.
Was ist auf Grund der Auslegungsgeschichte von Mt 10,23 zu diesem Problem zu sagen? Der erste, vom heutigen Standpunkt aus erstaunliche Sachverhalt ist die Tatsache, daß das Logion Mt 10,23 über ein Jahrhundert lang keine Spur in der altkirchlichen Literatur hinterläßt, und daß gerade die zweite Vershälfte, die für uns das eigentliche Skandalon enthält, bei den altkirchlichen Autoren nur wenig zitiert und exegesiert wird. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, daß dieses Logion in jener Zeit kein Problem im heutigen Sinne dargestellt hat. Nun vertritt freilich M. \Verner gerade den gegenteiligen Standpunkt. Er behauptet, die Aussendungsrede, insbesondere die Stelle Mt 10, 23, sei "schon für das Bewußtsein der ältesten Kirche nachweislich völlig rätselhaft" geworden 1 ). Er sucht diese These durch die Behauptung zu erhärten, daß in der Literatur seit Tertullian "auffallenderweise immer nur Mt 10, 23a zitiert" werde; die zweite Vershälfte werde "wie auf Verabredung hin geflissentlich ignoriert, nicht etwa bloß in der exegetisch-dogmatischen Erörterung, sondern schon im Zitat!" Hilarius sei der erste, der die Menschensohnweissagung Mt 10, 23b zitiere 2 ). Dazu ist, abgesehen davon, daß nichtHilarius, sondern Origenes der erste ist, der Mt 10, 23b auslegt, folgendes zu sagen: Die Tatsache, daß über Mt 10, 23b geschwiegen wird, ist nicht unbedingt ein Beweis dafür, daß dieser Versteil als Problem empfunden wurde. Das Verschweigen eines solchen Spruches ist an sich doppeldeutig: man kann schweigen, wenn ein Problem vorhanden ist; man kann aber auch schweigen, wenn kein Problem vorhanden ist. 'Väre Mt 10, 23b als Problem empfunden worden, so müßte das in der nt. und altkirchlichen Literatur irgendwie positiv zum Ausdruck kommen. Das zeigt in neutestamentlicher Zeit die Diskussion über das Wort Jesu von der Zerstörung w1d dem \Viederaufbau des Tempels (Mk 14, 58 par; 15, 29 par; vgl. Joh 2, 19). Das zeigt in altkirchlicher Zeit die Diskussion über das ·wort vom Nichtwissen des Gottessohnes (Mk 13, 32 par) 3 ). Ähnliche Diskussionen über Mt 10, 23 hat es aber in neutestamentlicher und altkirchlicher Zeit nie gegeben. Und doch wäre Mt 10, 23, im Sinne der Naherwartung verstanden, für die Arianer, Nestorianer und Agnoeten eine geradezu klassische Grundlage ihrer christologischen Anschauungen gewesen. Daß die Vertreter dieser Glaubensrichtungen das Logion Mt 10, 23 nicht als Beweisstelle für ihre Christologie gebrauchten, beweist deutlich genug, daß dieses Logion damals nicht als Problem im modernen Sinn empfunden worden ist. 1) 2) 3)
Die Entstehung des christlichen Dogmas 72. aaO 72, Anm. 112. Vgl. L. Ott, Grundriß der Dogmatik. Basel-Freiburg-Wien 1959', 198f.
182 Die Auslegungsgeschichte der folgenden Jahrhunderte zeigt, daß Mt 10,23 verschiedene Deutungen gefunden hat und gelegentlich als "dunkel" empfunden worden ist. Aber die moderne Problematik taucht erst im 18. Jahrhundert bei H. S. Reimarus auf; er ist der erste, der in Verbindung mit dem Logion Mt 10,23, das er als Naherwartungswart versteht, von einem Irrtum Jesu spricht. Wie soll man sich das Phänomen erklären, daß die moderne Problematik von Mt 10,23 so spät auftaucht? Wir haben gesehen, daß seit der Alten Kirche die Deutung des Logions auf die Auferstehung J esu und seit der Reformation auch die Deutung auf die Sendung des Heiligen Geistes eine bedeutsame Rolle spielt. Darin spiegelt sich ein neutestamentlicher Sachverhalt. Nach den Synoptikern hat Jesus das nahe Gottesreich verheißen (Mk 1,15 par). Gekommen sind aber - sein Tod, seine Auferstehung und die Sendung des Heiligen Geistes. Diese heilsgeschichtlichen Ereignisse treten im NT mehr und mehr in den Vordergrund. So liegt es ganz in der Linie dieses neutestamentlichen Sachverhaltes, wenn fortan die eschatologische Stelle Mt 10,23 vielfach uneschatologisch gedeutet wird. Mit der uneachatalogischen Deutung des Logions entfällt aber dessen moderne Problematik. Es ist kein Zufall, wenn diese Problematik genau in dem Moment auftaucht, in dem die Auferstehung Jesu und die Sendung des Heiligen Geistes problematisch werden. Das ist der Fall bei H. S. Reimarus. In seiner Schrift "Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger", die zum erstenmal in der Geschichte der Auslegung von Mt 10,23 im Zusammenhang mit diesem Logion von einem Irrtum Jesu spricht, stellt er die Auferstehung Jesu als Betrug der Jünger und das Pfingstgeschehen als "Gaukeley und Blendwerk" hin 1 ). Damit zeigt die Auslegungsgeschichte von Mt 10,23 die Richtung, in der die Lösung des mit der Naherwartung der Parusie verbundenen Problems der Irrtumsfähigkeit Jesu liegt: Dieses Problem löst sich nur demjenigen, der die Auferstehung Jesu und die Sendung des Heiligen Geistes als heilsgeschichtliche Ereignisse ernst nimmt. Insofern behält eine Anzahl der uneschatologischen Deutungen des eschatologischen Logions Mt 10,23 bis heute ihren Wert.
1 ) Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger, 2. Teil, §§ 56 und 60, aaO 112 f und 121 ff (das Zitat aaO 123).
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Register· I. BIBELSTELLEN
Seite
Seite
Altes Testament
2. Könige
Genesis
20,4:
9,10: 14, 10: 26,17: 27,43f.: 31,3: 33,7: 35,27:
80 5 22 15 75 75 75
Exodus 2,15: 20,24: 21,13:
61, 81 28 13
Deuteronomium 6,16:
18(LXX): 56(LXX): 56,9: 59(LXX): 69,36: 104, 35: 126, 1 (LXX):
42 13 61 42 62 80 71
Sprüche 14,15:
32
16,4: 19,18:
18,70
Jeremia 26, 20ff.: 37,21:
Richter 7:
Psalmen
40
Jesaja
Josua
8:
80
80 62
36 80
18 Ezechiel
1. Samuel
16,12:
42,3:
80,88
64 Daniel
1. Könige
18: 19,3:
48 61,81
7: 7, 7: 13:
94, 121 21 6
1~~
7,25: 12,llf.:
Seite 21 21 10,5:
Amos 3:
44 5f.:
Maleachi 3,5:
62
Außerkanonische Schn:jten l. Makkabäer
5,22: 8:
5 42
14:
Tobit 13,4:
40
Henoch 4ßff.:
6
4. Esra 13, 3.5lf.:
5ff.: 6: 6f.: 7:
6
Neues Testament
14f.: 15: 16: 16f.: 16ff.: 17: 17f.: 17ff.:
Matthäus 1, 2: 2: 2, 13: 14: 20f.: 3, 9: 4, 12: 5, 13f.: 39: 8, 11: 11f.: 9, 15: 37: 10:
15 44f., 70 31 33f., 69, 81, 108, 113 178 126 20, 51, 81 120 14 120 126 154 131 58, 73, 125ff., 129, 131 ff.,
18: 19: 19f.: 20: 2lf.: 21ff.: 22:
23ff.: 24:
Seite 135, 137, 139ff., 177 65, 68, 73, 92, 94, 97f., 123, 128f., 131 29, 36, 69, 92, 118f., 121, 123f., 141, 145,158,160, 162 5,7,140 65,82,93 64, 124 82, 122, 128, 146 106,118,122, 131,136,143, 162 120 129 40, 69, 115, 123, 153 154 140 65,122 118, 146 90, 96, 98, 102, ll8, 12lf., 128, 132f., 142, 146,156, 158, 178 14lf., 157 22,133,158 150, 159f. 133 144,159 110 40, 47, 50, 54, 65, 79, 92f., 100, ll2, 131, 148,150 124 40,118,143
10, 24f.: 24ff.: 25: 26ff.: 28: 31: 32: 32f.: 11, 1: 3: 5: 20ff.: 12: 12, 15: 38ff.: 40: 14, 13: 16,16: 20: 21: 24f.: 27: 28:
18,5: 20, 17ff.: 21,43: 22, 1ff.: 7ff.: 23f.: 23,34: 34ff.: 37ff.: 38f.: 39: 45: 24:
24f.: 24, 2ff.: 13 Künzl, Matthäus
Seite 118,136,144, 147 138,140 124 144 23 40 158 128f. 82, 109 82 82 149 124 14,81 149 88 19, 81, 155 98 64,98 88 7 88,179 54, 58f., 93, 100,102,107, 123, 148, 158, 179 7 19 126 120,126 155 157 123,160 149 160 120, 126, 155 126 103 44, 81, 89, 93f., 99, 104, 141 90, 98, 104, 107 111
24,6: 9: 9f.: 13: 13f.: 14:
15f.: 15ff.: 16: 16ff.: 2lf.: 27: 29: 30: 30ff.: 33: 34: 36: 44: 25: 25,5: 31: 26,47: 47f.: 64: 27,46: 28: 28,16f.: I 18: 19: 19f.: 20:
Seite 79 7 102 7, 22, 79 102 71, 99, 101, 140f., 155f., 160 154 13 21 160 21 80 88,90 115, 148, 158, 179 109 47 88, 90, 93, 107 125,156 115, 179 90, 93, 98, 104,107 125 115, 148, 179 12 108 99,158,179 85 45 151 73 27, 40, 120, 151,153 101 47,77
Markus 1, 15: 4,11: 22: 6:
182 127 7 70, 127, 133, 137, 139, 144
..... "X
6, 3: 8ff.: 30: 7, 24: 8, 3lf.: 34f.: 38: 9, I:
37: 4I: I2,Iff.: I3: I3, 8: 9ff.: IO:
I2f.: I3: I3ff.: 14: I4ff.: 26: 30:
32: 35: I4, 58: 62: 15,29: I6: I6, I5:
Soito 73 7,I58 IIO, I35 I 55 IOO 7 7, 100, ll6, 148, I79 IOO,I02,ll8, I24, I34ff., I42,I52 7 7 I26 I27,I33 I42 7, 96, 102, 122,142,158 9I, 96, I33, I39f., I56, 159f. 159 I 58 92 9I I42 I79 88, 90, I09, I34ff., I42, 152 109,ll8, I37, I56, I81 66 181 161,179 I8I 45 38,62
Lukas 4: 4, 30: 6,40: 7, I7:
36 I4,61,69,8I, 108, ll3, I55 7,I36 73
8, I7: !): !)f.:
9, 2ff.: IO: 23f.: 26: 48: 54: IO: IO, I: Iff.: 2ff.: 3ff.: 7: 9: IOf.: I6: I7: 12: I2, Iff.: 2ff.: 4ff.: 8f.: IO: ll: IIf.: 40: 50: 5Iff.: I3, 35: I4, 26f.: I7, 33: 19,44: 21, I2ff.: I8: 19: 27: 28ff.: 32: 22,35: 35ff.: 23,3I: 24,47ff.:
Soito 7 70 I27,I39,I44 7 88 7 7, I79 7 23 68 82,I04, I09 82 I 58 7 22 146 I62 7 69, 72, I03f., I40 44,158 I 59 7 I 59 I 59 I 59 I 59 7, I58ff. I79 I36 7 90 7 7 79 7 7 7 I79 90 88,I09 I40 I24 142 63
Soito Johannos 2, 19: 4, lff.: 3: 6,40: 7f.: 7, 1: 10: ll: 30: 50: 8: 8, 59: 10: 10, 11: llf.: 11ff.: 12: 12f.: 18: 39f.: 11,54: 14,3: 18: 23: 15, 5: 20: 16, 16: 22: 18, 3ff.: 4: 21:
(lff.:
181 108 61 99 43 155 33 81 33,69 ll3 36 14, 61, 81 40, 43, 45, ll3 41 35,71 33, 69, 111f. 30,61 34 33 155 19,155 110 45, 63, 77, 103f., llO 20f. 71 23 99, 109, 113 46 108 61 44
Apostelgeschichte lff.: 1, 4f.: 6: 8: 2,33: 3,19f.: 26: 5: 13*
139 63 99 47, 62f. 63 62 62 45
8: 8, 1: lff.: 4: 9: 9,25: 10ff.: 12,10: 17: 13: 13,46: 51: 14,6: 19: 25: 16: 17, 10: 14: 18,6: 21,11ff.: 12: 13f.:
Hoito 147 40, 45, 113, 151 6lf. 40 ll5 41, 44f., 59 16,61,69,81, 108, ll2f. 126 ll2 ll3 43 16,29,76 ll5 115 ll5 115 44 ll5 115 151 20 61 29
Römer 1, 4: 2, 13: 6, 6: 7, 2: 8, 35: 9: 9ff.: 10: 11: ll, 15: 25: 25f.: 26: 12, 17: 19:
62 35 62 30 16,21 42 136 44 32, 52, 69, 72, 75,126,155 128f., 132 11lf., 115, 134 32, 111, 114 60,106 14 15
Seite
Seite
I. Korinther 6, 7, IO, I5,
I8: 9: I3: 5If.:
Kolosser I8,30 28 40 I09
I: I. Thessalonicher 2, I4: 4, I7:
2. Korinther ll, 32: 32f.: 33:
42
6I 39 I4, 33f., 69, I08
I02 I09
I. Timotheus 5,20:
33
2. Timotheus Galater 6, I7:
2, 5: 4, 7:
62
Hebräer
Philipper I, 24: 3, I5: 4, 5:
I 55 83
33, 40, ll5 78 98
I, I4: 6, 5: ll:
I8 I26 48
II. NAMEN Abulensis = Alphonsus Tostatus de Madr. Achelis I2 Aland 4 Albertus Magnus 39f., 48, I67f. Allen I2I, I75 Alphonsus Tostatus de Madr. 42ff., 48, 70f., 74, I67f. Ambrosius 30f., 74, I66 Anastasius Sin. I7, I65 Anonymus I5, 26, I04 Anselm v. Laon 37ff., 48, I67f. Aretius 53, I68f. Athanasius I3f., I7, 6I, 63, 69, 71, 73f., I65 Augustinus 32ff., 40f., 43, 6I ff., 67ff., 70f., 73f., ll2, ll4, I66f. Bammel I47f., I75 Barradas (Barradius) 70f., I70f.
Barth I50f., I76 Basilius d. Gr. I4, I65 Bauer, B. IOO Bauer, W. 5ff. Baumgarten-Cr. I05, I73f. Becker I05 Beda 37, 69ff., 75, I67f. Bengel 82, I72 Beyschlag 94f., 103 Beza 50f., 60, 83f., I03, 168f. Bisping Ill, 174 Bleek I07, 172ff. Bolten 82f., I03, I72 Bonnard I34, I75f. Borgnet 39 Bosch I33, I75f. Brenz 50, 169 Bucer 5lf., 56, 77, I68f. Bullinger 55f., 77, 168f. Bultmann ll5, I23, I75, I80
Cadoux 124f., 175 Cajetanus = Thomas de Vio Calmet 108f., 174 Calov 63f., 77, 79, 84, 170 Calvin 56f., 64, 77, 122, I68f. Camerarius 57f., 77, 170 Camero 64, 170 Chemnitz 6lf., 77, 169f. Christian v. Stablo 46, 50, 167f. Christmann 41 Chrysostomus = J ohannes Chrys. Clericus = Leclerc Colani 100f., 173, 180 Cox 139f., 175 Cullmann I34ff., 137, 175, 180 Cyrill v. Alex. 15f., 164f. Cyrill v. Jerus. 18, 21, 165 Dausch 154f., 176 Dionysius bar Sal. 27f., I65f. Dionysius Carth. 45f., 48, 70, 167f. Druthmar = Christian v. Stablo Duncan 141 Dupont I, 157f., 160, 176 Durand 155, 176
Grässer 143f., 175f. Gratz 109, 174 Grcgor v. Naz. 14, 69, 71, 165 Gregor v. Nyssa 15 Griesbach 81, 86f., 97, 171 Grotius 62f., 79, 81, 83f., 98, 169f. Grundmann 125 Gutbrod 178 Harnmond 65, 169f. Hedinger 78, 172 Heinsius 60, 77, 83f., 170 Heumann 84, 172 Hieronymus 35f., 37f., 40, 47, 54f., 61, 67, 70f., 74, 166f. Hilarius 32, 38, 41, 53f., 60, 62, 68ff., 75, 125, 166f. Hofmann 106, 172ff. Holtzmann, H. J. 102, 107, 152 Holtzmann, 0. 119, 175 Hort 4 Hrabanus 37, 45, I67f. Ruck 7 Hunnius 59, 169f. Innitzer 153, 176
Elsner 83 Ephräm 18, 23f., 164f. Erasmus 66f., 79, 83, 170f. Estius 77, 170 Eusebius v. Cäs. 13, 101, 165 Euthymius Zig. 27, 69, 72, 75, 166, 178 Faber Stap. = Lefevre d'Et. Ferrar 4 Feuillet 160f., 176 Filson 146 Flacius 57, 77, 169f. Fleming 12 Flückiger 132f., 175f. Frette 40 Fritzsche 97 f., 172f. Gerhard 61 Glasson 141, 160, 180 Goguel 118, 175
Jansenius 67f., 77, 170f. J eremias 143 Johannes Chrys. 18, 22, 53, 60ff., 67ff., 70ff., 164ff., 178 Johnson 141, 175 Jones 6 Jülicher 102 Jüngel 148 J ulius I. 14 Juvencus 31, 82, I66f. Kallistus I. 30 Keil 92f., 173 Keim 101, 173 Kistemaker I09f., 174 Klausner 151 f. Klemens v. Alex. 4, 11f., 63, 165 Klemm 8lf., 172 Klostermann 123f., 131, 175 Knabenbauer 114f., 152, 174
198 Kübel 93f., 173 Kümmel 133, 136ff., 143, 147, 160f., 175, 178ff. Kuinoel 102f., 172f. Lagrange 154, 176 Lake 4 Lamy 75f., 170f. a Lapide 7lf., 77, 170f. Leclerc (Clericus) 65, 169f. Lefevre d'Et. (Faber Stap.) 66, 170f. Leipoldt 125, 175 Liddeli 6 Liechtenhan 139, 175 Lietzmann 7 Lightfoot 62, 170 Linnemann l46f. Lippold 104 Loch 1ll Loisy 123, 175, ISO Lucas Brug. 76f., 170f. Luther 54f., 168f. Lyser 6lf., 77, 169f. Major 124 Maldonade (Maldonatus) 68ff., 77, 170f., 179 Manson 124, 175 Marti = Aretius Massaux 161 Massl HOf., 174 Maximus Conf. 17 Meinertz 156 Merx ll9, 175 Meyer 98f., 173 Michaelis, J. D. 80f., 172 Michaelis, W. 7, 128ff., 135, 175f. Minear 149f., 175f. Moesinger 23 Morgenthaler 139 Münster 52f., 169 Musculus 53f., 77, 168f. M'Neile 122, 175 Nepper-Chr. 144f., 175 Nestle 4
Nikephorus Kallistus Xanth. l4f. Niketas Dav. Paphl. 25, 165 Nikolaus I. 25 Nikolaus v. Lyra 4lf., 48, 70, 167f. Nösgen 106, 172f. Olearius 79f., 84, 103, 17lf. Olshausen 88f., 172f. Origenes 4, 18ff., 63, 69, 73, 108, 122, 164f. Ott 181 Otto 105 Padovani 71 Paschasius Radb. 47, 74, 167f. Paulus, H. E. G. 87f., 172f. Petrus v. Alex. 12, 165 Petrus Chrys. 31, 166 Petrus Sikeliotes 25 Pfaff 81 Pfleiderer lOlf. Photius 13 Piscator 58f., 77, 169f. Pölzl 153f., 176 Prokopius v. Gaza 17 Raich 68 Reimarus 84ff., 163, 171 ff., 182 Reischi lllf., 174 Renan 90, 173 Rigaux 161, 176 Robinson, J. A. T. 142, 160, 180 Robinson, Th. H. 151 Rosenmüller 81, 17lf. Rupert v. Deutz 47f., 68f., 74f., 167f. Schanz ll3f., 174 Schegg 112f., 174 Schlatter 95f., 152, 173 Schmid 156f., 176 Schmidt 60f., 170 Schnackenburg 159f., 176 Schniewind 125f., 134f., 175f. Schoettgen 83 Schott 103f., 172ff.
Schünnann 158f., 162 Schuler/Schulthess 49 Schweitzer lf., 116ff., 123, 125ff., 135f., 139, 140f., 152, 154, 157, 160, 175, 179 Scott 6 Semler 80, 84, 86, 163, 17lf. Sharman 140f. v. Soden 4 Sozomenus 15 Stonehouse 148f., 176 Strauss 99f., 173 Sylveira 72ff., 77, 170f. Symeon Metaphr. 25, 165 Tatian 23 Taylor 140 Tertullian 28ff., 50f., 55, 61, 63, 67, 6~ 71, 7~ 7~ 10~ lllL, 164, 166 Theodoret v. Cyrus 16f., 164 Theodoros Bals. 13, 26 Theodoros Stud. 24 Theophanes Keram. 25, 165 Theophylakt 14, 26f., 51, 58, 60, 69, 72, 165f., 178 Thomas v. Aquino 40f., 48, 70ff., 167f. Thomas de Vio (Cajet.) 68, 70, 170f.
Tischendorf 4 Tödt 145f. Vielhauer 142f., 147, 176, 180 Vögtle 16lf., 176, 180 Weiffenbach 90f. Weiss, B. 9lf., 172 Weiss, J. 96f., 148, 158, 160, 173 Weiss, K. 152f., 176 Weisse 105, 173 Weilhausen 122f., 175 Werner, C. F. 82 Werner, M. 2, 115, 126f., 129ff., 136, 175, 179, 181 Wernie 120f., 175 Westcott 4 de Wette 89f., 172f. Wettstein 80, 172 Wiehelhaus 105, 173 Wolf 83f., 172 Wright 124 Zacharias Chrysop. 46, 74, 168 Zahn, A. 105 Zahn, Th. 120, 124, 131, 152, 175L Zwingli 49f., 168f.
III. BEGRIFFE Agnoeten 181 Anachronismus 90 Ankunft J esu, vgl. Wiederkunft, Parusie 32, 38, 42, 44, 55, 60, 70, 75, 110, 115, 150, 155 Antizipation 90 Arianer 181 Auferstehung Jesu 23f., 37ff., 47, 52ff., 58, 62, 68ff., 72, 75, 95, 109, 112ff., 134f., 148, 150f., 157, 165, 168ff., 174, 176, 182 Auslegung, vgl. Deutung - mystische 38f., 41 - unbestimmte 83f., 156f.
- uneschatologische 148ff. Auslegungstypen 9f. Aussendung der Jünger 1, 64, 67, 99f., 126ff., 139f., 144, 147, 162, 170, 177 Aussendungsrede 7f., 126, 128f., 139,141,144,150,159,177,181 Christologie 2, 94, 181 Chronologie 10, 134 Debatte, vgl. Diskussion 36, 48, 77, 163, 167f., 171,177
.. vv
Deutung, vgl. Auslegung - allegorische 36, 41, 74, 105, 166, 173 - allgemeine 105 - differenzierte llOff., 154ff. - geistliche 36ff., 46 - moralische 4 7 Dialog 163, 177 Diskussion, vgl. Debatte 2 Drangsal, messianische 127f.
Freiheit 89 Gericht, Jüngstes, vgl. Tag 42, 44, 69f., 72, 75, 93, 109ff., ll3, 127 ff. Gemeindebildung 143, 180 Geschichte der Zukunft 88, 173 Gottesherrschaft, vgl. Reich 146 Geist, Heiliger, vgl. Pfingsten 54, 56f., 59, 61 ff., Slf., 89, 93, 99, 106f., 109f., ll2f., 169f., 173f. 182
Einheitlichkeit, vgl. Einzelwort 8, 175f., 178 Einzelwort 136, 143 Enteschatologisierung 117 Erfüllung, teilweise 95, 173 Erscheinungen des Auferstandenen 93 Eschatologie 2 - konsequente ll5ff., 126, 128ff., 175, 179
Heilsgeschichte 135, 182 Homoioteleuton ll9 Hysteron-Proteron 98
Flucht - Motiv 33, 49, 165ff., 170, 172, 174, 176f. - Zweck 12ff., 16, 20, 26, 31, 61, 165ff., 172, 174, 176f. Fluchtanweisung - Befehl 5, 25, 29, 38, 53, 56, 67, 69, 1ll, 153, 164ff., 176 - Erlaubnis 5, 18, 23, 28, 43f., 55, 59, 61, 67f., 71, 73, 76, 81, 108, 156, 165ff., 172, 174, 176 - Gebot llf., 13f., 16, 25, 34 - Gültigkeit allgemein 5, llf., 18ff., 22, 24ff., 30ff., 47, 164ff. - Gültigkeit beschränkt 5, 23, 108, ll2, 164 - Rat 30, 32, 54, 69, 71, 79, 88, 106, 1ll, 166, 168, 17lf., 174 - Rigorismus 30, 88, 1ll, 166 - Vorschrift 56, 58, 61, 69, 7lff., 169f. - Zeitbedingtheit 29, 67, 71 Formgeschichte ll5, 135, 152, 157, 175 Fragestelhmg, historische 78, 87, 17lf.
Illusion J esu, vgl. Irrtum, Täuschung 90, 173 Irrtum J esu, vgl. Illusion, Täuschung 89f., 94, 97, 121, 137, 152, 155f., 158f., 172f., 175, 182 Irrtumsfähigkeit Jesu 2, 86, 153, 163, 176, 180 Irrtumslosigkeit Jesu 152 Jerusalem 57, 79ff., 83, 86, 89, 99, 103ff., 107, 109ff., 120, 142, 152ff., 160f., 173, 175f. JUda 1ll Judäa 59f., 66, 72, 79, 86, 104, 108 Judenchristentum 91, 101, 124f., 141, 144f. Krieg, Jüdischer 52, 55f., 62, 65, 78ff., 103ff., 108ff., 152ff. Lesart, längere, vgl. Text, Variante, Version 154 Menschensohn 6f., 50, 66, 83, 99, ll6, 121 Methode 9f. Mission - allgemeine 18, 57, 76, 165, 169ff., 176 - erste 38, 62, 64, 72f., 75, 176 -Heiden- 17ff., 23, 37, 42, 45, 5lf., 57ff., 76f., 133
201 - Juden- 2lf., 35f., 39, 43, 46, 49ff., 64, 66ff., 81 ff., 97, 102f., 133, 165ff., 173 - zweite 38, 57, 59, 62, 73 Nächsterwartung 129, 139, 156, 175 Naherwartung 1, 86, 97, 109, 119f., 126L, 129, 138L, 14~ 15~ 16lff., 173ff., 179f., 182 Nation, jüdische 142 Nestorianer 181 Palästina 6, 22, 27, 67, 104, 155, 157, 165, 177ff. Parusie, vgl. Ankunft, Wiederkunft - Etappen 173 - ferne 20f., 26, 31 ff., 38, 42, 46ff., 54f., 57, 60ff., 68ff., 105f., 110ff., 114f., 125f., 128, 132ff., 165f., 168ff., 173ff., 179 - nahe 87ff., 109, 119ff., 134ff., 173ff., 179f. - Phasen 93, 113, 180f. -Verzögerung 117f., 127, 129, 156 Pfingsten, vgl. Geist 78, 104 Philologie 87, 102f., 168 Prolepsis 90 Prophetenspruch 143, 145, 147 Recht - göttliches 71 - natürliches 7lf. - positives 71 Redaktion 157ff. Reich, vgl. Gottesherrschaft - Gottes 53L, 63, 82, 94ff., 116f., 128, 156f., 182 - messianisches 1, 85, 156, 172 Religionslehre J esu 88, 173 Republik, jüdische 79, 81 Schauen, perspektivisches 89, 173 Sieg der Sache Christi 93, 105 Sitz im Leben 8, 13
Staat, jüdischer 55f., 75, 78ff., 98, 103f. Stadt 5, 36, 42, 4 7, 63, 72 f., 177 Städte Israels 6, 22, 35, 37ff., 48, 68, 70, 75, 155, 165ff., 169ff., 178 Täuschung Jesu, vgl. Illusion, Irrtum 138 Tag, Jüngster, vgl. Gericht 61, 70 Text, erweiterter, vgl. Lesart, Variante, Version 42 Textkritik 4f., 87, 102f. Tod - Jesu 134f., 137, 182 -der Jünger 66, 109f., 171, 174 Traditionsgeschichte 158f., 161, 175 Überarbeitung, vgl. Umbildung 8, 122, 173 Umbildung, vgl. Überarbeitung 180 Unechtheit 138, 140, 159, 176, 180 Unechtheitshypothese 97ff., 122ff., 140ff. Variante, längere, vgl. Lesart, Text, Version 81, 177 Version, längere, vgl. Lesart, Text, Variante 5, 17f., 23, 31, 51, 79, 86ff., 97, 103, 105, 107, 111, 114, 119f., 122, 164, 166ff., 171f., 175 Weissagung - bildlich-symbolische 93, 173 - optisch-komplexe 93, 173 Wiederkunft J esu, vgl. Ankunft, Parusie 88ff., 93f., 100, 104, 109, 111, 113, 119ff., 125, 135, 145, 152, 154f. Zukunftserwartung 138 Z wischenakt, heilsgeschichtlicher 135 Zwischenzeit 161