Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 575 Pers-Mohandot
Das HypnoBewußtsein von Peter Griese Die Fallen von Pers-Mohandot ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 575 Pers-Mohandot
Das HypnoBewußtsein von Peter Griese Die Fallen von Pers-Mohandot In den mehr als 200 Jahren ihres ziellosen Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Bewohner und Crewmitglieder des Generationenschiffs SOL mannigfaltige Gefahren und Abenteuer bestehen müssen, wie die Aufzeichnungen des Logbuchs eindeutig beweisen. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit der Zeit ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangt ist, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, im Jahre 3804 Solzeit, geht es bei den Solanern nicht mehr um bordeigene Belange und interne Machtkämpfe – letztere wurden mit dem Amtsantritt von Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, gegenstandslos – sondern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung. Da geht es vordringlich um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X, einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat. Hidden-X haben die Solaner auch einen Verlust von fast 12 Jahren Bordzeit zu verdanken, den der unfreiwillige Aufenthalt im »Sternenuniversum« kostete – und einen neuen Gegner, der sich präsentiert
als DAS HYPNO-BEWUSSTSEIN …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide im Kampf gegen Helfer von Hidden-X. Hatzel Keversin - Ein alter Solaner spielt verrückt. Oggar - Das Multi-Bewußtsein verhält sich seltsam. Daress - Erster Minister der Hunkeldarer. Blödel - Hage Nockemanns seltsamer Roboter. Das Hypno-Bewußtsein - Ein unsichtbarer Gegner.
1. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß die Luft in dem riesigen Raumschiff frischer geworden war. Auch schien sich ein besonderer Geruch beigemischt zu haben. Ich atmete freier und unbeschwerter. Es war, als ob eine riesige Last von meinen Schultern genommen worden war, und Breck, der nur wenige Meter neben mir stand und auf die Panoramabildschirme starrte, schien es nicht anders zu ergehen. Die Sterne dort draußen, sie gehörten zu dem Raum, dem wir entstammten, zu unserem Universum. Wir waren wieder zu Hause. In meinen Augen bildeten sich Tränen. Es war eine einfache und verständliche Erregung, denn nicht nur die Tatsache zählte, endlich wieder im heimatlichen Universum zu sein, auch die Umstände, die dazu beigetragen hatten, zehrten noch an meinen Nerven. Die SOL driftete langsam, fast bedächtig auf eine Ansammlung von Sternen zu, die zu der Kugelgalaxis Pers-Mohandot gehörten. Früher hatten wir diese Galaxis einmal Ploohnei genannt, aber inzwischen hatte sich auch im internen Sprachgebrauch auf der SOL der wirkliche Name durchgesetzt. Natürlich war die Luft in dem Generationenschiff, mit dem ich nun schon ein Jahr und sieben Monate auf einer odysseeähnlichen Tour war, nicht besser und nicht schlechter als sonst.
Und natürlich gehörte Pers-Mohandot zu unserem Universum, aber das besagte herzlich wenig. Was zählte, waren andere Fakten. Diese Kugelgalaxis, über die wir nur sehr wenig wußten, war alles andere als unsere Heimat. Die Heimat war Arkon in dem viele Millionen Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen M 13, der wiederum zur Milchstraße gehörte. Und dort lag Terra, jener Planet, mit dem mich mehr verband als mit dem alten Arkonidenreich der Vergangenheit. Dort hatte ich Freunde und Mitstreiter gefunden, allen voran Perry Rhodan und Reginald Bull, die ein gemeinsames Ziel verfolgten, das ich leicht auch zu meinen hatte machen können. Es galt, in dem immerwährenden Kampf der positiven und der negativen Mächte des Kosmos der Seite zu helfen, die die moralische und strukturelle Sicherheit des Alls förderte. Das mit der Atemluft stimmte also nicht, und das mit der heimatlichen Umgebung war nur sehr bedingt zutreffend. An dem Erfolg, den wir errungen hatten, und den Gefühlen, die ich dafür empfand, änderte das nichts. Insbesondere wenn ich daran dachte, daß wir die Rückkehr in unser Universum letztlich einem Toten zu verdanken hatten, der mich und die SOL schon einmal vor dem Untergang bewahrt hatte: Chart Deccon. Das Bewußtsein des alten Haudegens hatte in einer unverständlichen Form eine neue und eigene Existenz gefunden. Und es hatte seine Solaner nicht vergessen. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, daß mein Leben aus einer mehrfach unterbrochenen Kette von letztlich unerklärbaren Ereignissen bestand. Nicht die Deutung zählte, nur der Erfolg. Mein Ziel war ein ferner Raumsektor, wo ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte, an die ich seit Monaten in letzter Konsequenz nicht mehr hatte denken können. Andere Probleme waren zu lösen gewesen. In der nahen oder der fernen Zukunft würde sich daran nichts ändern, was aber meinen festen Willen, nach Varnhagher-Ghynnst
zu gelangen, nicht abschwächte. Es ging um die Voraussetzungen dafür. Die SOL mußte fest von der Aufgabe überzeugt sein, die uns dort erwartete. Sie und alle Solaner mußten eine Geschlossenheit darstellen, um an der zukünftigen Aufgabe nicht zu scheitern. Ich hatte in diesen 19 Monaten viel erreicht. Lange hatte es gedauert, bis der eigentliche Feind, der meinen Plänen im Weg stand, erkennbar geworden war. Heute wußten wir viel über ihn, Hidden-X, obwohl keiner von uns die unfaßbare Wesenheit je gesehen hatte. Immerhin war ich mir sicher, daß es uns gelungen war, Hidden-X in eine bestimmte Richtung zu drängen. Ganz abgesehen davon hatten wir viele seiner Pläne zunichte gemacht. Mehrfach hatte dieses Wesen versucht, von der SOL Besitz zu ergreifen. Einmal über SENECA und seine Ableger, wobei es gleichzeitig dafür gesorgt hatte, daß im Fall eines Mißerfolges die SOL zerstört wurde. Im anderen Fall hatte Hidden-X danach getrachtet, einen seiner künstlichen Diener an die Position des High Sideryt zu setzen. Sein größtes Unternehmen war aber doch wohl die Landschaft im Nichts gewesen. Hier hatten sich Hidden-X und sein Helfer, der Schalter Hapeldan, jedoch übernommen. Wir hatten auch diese Krise überstanden. Der Schalter war zwar entkommen, aber auch er würde seinem gerechten Schicksal nicht entgehen. Die Rückkehr in unseren Raum hatte mein Selbstgefühl wieder gestärkt. Ich dachte an die Ereignisse, die die SOL in das kalte Sternenuniversum befördert hatten und die mich beinahe zum Wahnsinn getrieben hätten. Die Rache des Hidden-X hatte uns und insbesondere mich mit aller Wucht getroffen. Vieles der anfänglichen Ereignisse im
Sternenuniversum war für mich noch jetzt verschwommen in der Erinnerung, denn über eine gewisse Zeit war ich nicht mehr Herr meiner Sinne gewesen. Daß ich diese Schmach gespürt hatte, machte meinen Willen, dieses negative Wesen für immer zu beseitigen, noch stärker. Mochte Hidden-X die Kräfte einer Superintelligenz besitzen! Ich ließ mich nicht unterkriegen. Auch ich hatte mächtige Helfer. Zwar war ich mir über deren Bedeutung und Rolle noch weitgehend im unklaren, aber sie waren da. Chybrain und Wöbbeking! Ihr wahres Wesen war in einen Schleier aus Geheimnissen gehüllt, den nicht einmal SENECA oder die Paramathematikerin Sanny lüften konnte. Ich besaß nichts weiter als ein paar vage Anhaltspunkte. Zwischen beiden gab es eine Verbindung. Das war schon durch die äußere Form offensichtlich, auch wenn Wöbbeking um ein Zigtausendfaches größer war als Chybrain. Mir fielen die merkwürdigen Äußerungen Wöbbekings ein, als ich in seinem riesigen, robotisierten Leib gewesen war. Seine Anspielungen waren ein Rätsel geblieben, aber es mußte eine Verbindung zwischen ihm und mir geben, die etwas mit dem zu tun hatte, was jenseits der Materiequellen geschehen war. An diese Zeit besaß ich, wohl nach dem Willen der Kosmokraten, keine Spur einer Erinnerung. Je länger ich über diese Dinge nachdachte, um so deutlicher und nüchterner sah ich unsere Situation. Irgendwo dort draußen oder zwischen den Ebenen der Dimensionen lauerte auch jetzt noch Hidden-X. Die Rückkehr der SOL konnte ihm nicht verborgen geblieben sein, hatte es doch schon sehr früh gemerkt, wie wir versuchten, über den nun zerstörten Wasserplaneten Aqua-I in unseren abgestammten Raum zurückzukehren.
Die Ruhe, die im Augenblick herrschte, konnte eine gewaltige Täuschung sein! Sie paßte nicht in das Bild des ganzen Ablaufs der Ereignisse. Überall in der SOL feierte man die gelungene Rückkehr. Vorhin hatte mir Lyta zugerufen, Gavro Yaal, der Cheflogistiker des Generationsschiffs, habe seinen Sparsamkeitsfimmel für einen Moment abgelegt und eine Sonderration an fröhlich stimmenden Getränken genehmigt. Auch das paßte irgendwie nicht in das Gesamtbild. Es störte mich, aber ich äußerte mich nicht dazu. Führer der Solaner war Breckcrown Hayes. Und wenn er es für richtig hielt, seinen Leuten eine Freude nach den Strapazen im Sternenuniversum zu gönnen, dann war dies richtig. Meine Gedanken kehrten noch einmal zu Wöbbeking zurück. Nar'Bon, wie sich dieses Wesen bisweilen auch nannte, war es gewesen, der mich aus dem Schlag geholt hatte, den Hidden-X ganz persönlich gegen mich gerichtet hatte, als sein Plan mit der Entvölkerung der SOL fehlgeschlagen war. Ich erinnerte mich an die Andeutung Wöbbekings, er sei mir Dank schuldig. In meinen Augen war dies so widersinnig wie die Bitte, daß ich mich um Chybrain kümmern sollte! Ich um dieses leuchtende Ei mit den sagenhaften Fähigkeiten! Das klang so, als solle ein Regenwurm die Geschichte der Menschheit lenken. Es gab nur eine Erklärung. Wöbbeking mußte etwas ganz anders gemeint haben, etwas, das ich nicht verstehen konnte. Vieles stimmte in diesem Bild nicht oder noch nicht. Mein Blick fiel auf eins der Chronometer in der Hauptzentrale. In großen Leuchtziffern stand dort über der Uhrzeit ein Datum. 11. Oktober 3792! Das war gleichbedeutend mit der Feststellung, daß unsere Reise durch das Sternenuniversum ganze 57 Tage gedauert hatte. Das mochte aus unserer Sicht noch richtig sein, aber das Datum
stimmte in keinem Fall. Der Zeitablauf des Sternenuniversums hatte uns einen gewaltigen Streich gespielt. Das wußten wir. Was wir nicht wußten, war, wie groß dieser Streich war. Welche Zeitspanne war wirklich seit dem Tag in unserem Universum verflossen, da Hidden-X die SOL in das Sternenuniversum geschleudert hatte? Ich wußte es noch nicht.
* Die hinreichend genaue Bestimmung unserer Position war für SENECA kein großes Problem, denn alle wichtigen Orientierungspunkte von Pers-Mohandot waren in seinen Speichern bekannt. Die Besatzung des SPARTAC-Energieteleskops in der Polkuppel der SZ-1 schaffte in kürzester Zeit alle wichtigen Daten herbei, die von der Biopositronik ausgewertet wurden. Das Ergebnis war keineswegs sensationell. Es entsprach irgendwie meinen Erwartungen. Der Punkt, an dem wir wieder in unserem Universum erschienen waren, lag an einer uns unbekannten Stelle der Kugelgalaxis. Es war sicher, daß die SOL in dieser Region noch nicht gewesen war. Viel schwieriger war ein anderes Programm, an dem SENECA seit Stunden arbeitete. Es galt zu bestimmen, welcher Tag nach unser alten Zeitrechnung war. SENECA fragte immer wieder scheinbar unwichtige Einzelheiten von den Besatzungsmitgliedern und den Ortungseinrichtungen ab. Dazu kamen die Daten des Teleskops. Eine genaue Zeitbestimmung war unter den gegebenen Umständen nicht möglich, denn es fehlte ein exakter Vergleichswert.
SENECA ging gemeinsam mit den Astro-Spezialisten einen anderen Weg, weil sich der Zeitpunkt nicht direkt bestimmen ließ. Bekanntlich unterlagen die Fixsterne auch einer Eigenbewegung. Diese war zwar äußerst gering und nur mit sehr feinen Meßmethoden und Beobachtungen über längere Zeiträume möglich, aber sie war der Ausgangspunkt für eine Zeitbestimmung. Von einigen wenigen Sternen der Galaxis Pers-Mohandot waren diese Werte der Eigenbewegung bekannt. Irgendein Mitglied der SPARTAC-Mannschaft hatte sie vermessen, als wir damals auf dem Weg vom Flatterfeld in Richtung Pers-Mohandot gewesen waren und auf Roxha gestoßen waren. Diese damals bedeutungslosen astronomischen Angaben waren vorhanden. Nun arbeiteten die Astro-Spezialisten fieberhaft daran, diese markanten Sterne erneut zu finden und ihre Positionen genau zu vermessen. Einfach war die Sache nicht. SENECA teilte uns mehrfach mit, daß er umfangreiche Vergleichs- und Umrechnungen durchführen mußte, weil die SOL ja jetzt aus einer gänzlich anderen Richtung und Position die Messungen vornahm. »Es bleiben noch große Unsicherheiten«, teilte die Biopositronik dann endlich mit. »Die Basisdaten sind mit Ungenauigkeiten behaftet.« »Rede nicht lange herum«, meinte Hayes neben mir. »Wie spät ist es?« Seine Frage klang in Anbetracht der Bedeutung recht komisch, aber sie drückte unser Kernproblem immerhin aus. »Es deutet vieles darauf hin«, formulierte SENECA vorsichtig, »daß in den vergangenen 57 Tagen Bordzeit tatsächlich elf oder zwölf Jahre vergangen sind.« Das kann ich bestätigen, erklärte mein Logiksektor. Ich war verwundert. Hatte sich das Extrahirn auch mit dem Problem des veränderten Zeitablaufs befaßt? Es mußte wohl so sein.
Schließlich war es nicht das erstemal in meinem langen Leben, daß ich diesem Phänomen begegnete. Ich erinnerte mich noch zu deutlich an die Zeitverschiebungen in Druuf-Universum, die damals auf die Erde, auf Atlantis und auf Arkon ihre Auswirkungen gehabt hatte. Zweifellos besaß mein Logiksektor Anhaltspunkte für Zeitberechnungen. Warum hatte er dazu geschwiegen? Aus dem gleichen Grund, aus dem SENECA so behutsam seine Aussagen macht. Die Angaben sind fragwürdig. Ich hätte dich nur verwirrt. Das war immerhin eine einleuchtende Erklärung. Breck starrte mich an. Ich konnte genau erkennen, mit welchen Fragen sich der Solaner befaßte. Elf oder zwölf Jahre. Das war eine verdammt lange Zeit, wenn man bedachte, daß Hidden-X sie weitgehend ungestört für sich hatte nutzen können. Was hatte Oggar in dieser Zeit gemacht? Lebte er überhaupt noch? Die zweite Frage ließ sich wohl positiv beantworten, denn sonst wäre der kurze telepathische Kontakt zwischen Federspiel und seiner Schwester nicht möglich gewesen, als wir auf Gersenter gewesen waren. Du darfst nicht übersehen, daß dieser Zeitpunkt nun auch schon einige Jahre in der Realvergangenheit liegt, warnte mich mein Extrahirn. Immerhin lagen die Körper von Sternfeuer und Cpt'Carch unversehrt in der Spezialkammer in SOL-City. Mein Instinkt sagte mir, daß die Verwesung der Scheintoten erst dann beginnen würde, wenn die abwesenden Bewußtseinsinhalte ihr Eigenleben ausgehaucht hätten. Dafür gab es aber keine Anzeichen. Andere Überlegungen drängten sich mir auf. Wie mochte es in der Kleingalaxis Flatterfeld aussehen? Hatten die Ysteronen ihr Versprechen gehalten und die zerstörten Planeten von Bumerang wieder aufgebaut. Zeit genug hatten sie ja nun gehabt.
Andererseits war es mir nicht gelungen, die verschwundenen Molaaten aufzuspüren. Es lagen aber Anzeichen dafür vor, daß diese von Hidden-X entführt und rekrutiert worden waren. Hapeldan war ein deutliches Zeichen dafür gewesen, daß die Molaaten in einer engen Beziehung zu Hidden-X standen. Nicht nur das, bemerkte mein Logiksektor. Ich stutzte, denn ich verstand die Anspielung nicht. Hidden-X steht nicht nur zu den Molaaten in einer engen Beziehung. Es muß zumindest auch das Sternenuniversum gut kennen. Ich konnte in meinen Gedanken den Worten des Extrahirns nicht widersprechen, aber was er eigentlich meinte, war mir noch ein Rätsel. Es ist doch offensichtlich, daß Hidden-X die SOL gezielt in das Sternenuniversum verbannte. Gleiches geschah mit dem zu einer neuen Daseinsform umgewandelten Bewußtsein Chart Deccons. Die Bedeutung des Sternenuniversums ist womöglich größer, als ihr in eurer augenblicklichen Euphorie vermutet. Es war etwas Wahres an diesen Gedanken. Das mußte ich einräumen. Mein Logiksektor schloß also die Möglichkeit nicht aus, daß die SOL oder ich diese ungastliche Dimension noch einmal wiedersehen würden. So ist es. Ich verfolgte kaum, wie der High Sideryt seine Anweisungen gab und die Piloten die SOL in Richtung eines großen Sterns beschleunigten. Gab es einen großen, noch undurchschaubaren Plan, in dem fast jede Etappe der Wanderung der SOL eine Rolle spielte? Das war es doch, was der Extrasinn angedeutet hatte. Er sah die Dinge nicht so unmittelbar, wie ich es tat. Er arbeitete mit einer übergreifenden Logik. Bei den Sternengeistern hatte ich auch Wallga-Wallga wiedergetroffen, die seltsame Quaderkönigin, als wir auf Mausefalle-VII zugestürzt waren. Zu jener Zeit war auch Chybrain
das erstemal erschienen. Irgendwie drängte sich mir der wahnwitzige Gedanke auf, daß alles einen vorgezeichneten Gang vollzog, in dem die Solaner und ich nur Marionetten waren. Zu vieles baute unmittelbar auf dem vorangegangenen Geschehen auf, so daß man nicht mehr von einer Zufallsfolge sprechen konnte. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich eines Tages auch wieder Akitar oder Y'Man begegnen würde. Oder waren sie ein Zufall gewesen? Du siehst die Sache falsch! Selten hatte ich solch harte Worte von dem unnachgiebigen Logiksektor gehört. Es ist logisch, daß alles miteinander in Verbindung steht. Aber du bist es, der die jeweiligen Entscheidungen trifft. Nur an dir liegt es, ob es weiter geht bis zu einem erfolgreichen Ende. Oder ob es ein abruptes Ende gib. Dann wären alle vorangegangenen Ereignisse sinnlos. Ich war froh, daß mich Breckcrown aus dem stummen Zwiegespräch riß. »Wir haben einen blauen Riesenstern ausgemacht«, erklärte er und deutete dabei auf die Panoramabildschirme. »Entfernung noch acht Lichtjahre. Mit einer Linearetappe können wir ihn erreichen. Die Fernortung läßt eine große Zahl von Planeten vermuten.« »Nicht schlecht«, antwortete ich etwas ratlos. »Was sollen wir dort?« Ein kurzes Lächeln huschte über das zernarbte Gesicht des High Sideryt. »Frage unsere Solaner.« Seine Hand beschrieb einen Halbkreis. »Die Freude über unsere Rückkehr in das heimatliche Universum ist fast euphorisch. Wer will es da den Leuten verdenken, daß sie einmal ein normales Planetensystem aus der Nähe sehen und erleben wollen. Du darfst nicht vergessen, daß unser Aufenthalt auf der anderen Seite bei manchem noch eine unbewußte Schockwirkung hervorgerufen hat.« Ich sah die gespannten und zugleich entspannten Gesichter in der
Zentrale und schwieg, denn auch in mir spürte ich das Verlangen, endlich wieder einmal etwas aus der Nähe zu sehen, das mir das Gefühl einer gewohnten Umgebung gab. Mit Beendigung der Linearetappe stand die SOL am Rand eines riesigen Sonnensystems. Selbst SENECA, der mit dem Ortungspersonal zusammen die Auswertung durchführte, brauchte über eine Minute, um einen ersten Überblick zu gewinnen. Ich versuchte erst gar nicht, die Anzahl der Ortungsechos zu zählen, denn es waren ungewöhnlich viele. Der Stern selbst war eine blaue Riesensonne von bestimmt der hundertfachen Masse Arkons. Während dort in meiner Heimat 27 Planeten um diesen Stern kreisten, waren es hier … »108 Planeten«, unterbrach SENECA meine Gedanken. »Das ist sehr ungewöhnlich.« »Was ist daran ungewöhnlich?« rief Vorlan Brick. »Ich bin froh, endlich wieder einen Haufen Planeten zu sehen.« »Die Zahl ist ungewöhnlich«, belehrte SENECA den Piloten ungerührt. »Sie widerspricht den kosmischen Wahrscheinlichkeiten. 42 Planeten haben eine durchschnittliche Größe, die in einer normalen Relation zur Gesamtmasse des MP-Systems steht. Die anderen 66 Welten sind von der Masse her eher als Monde zu bezeichnen, obwohl sie eindeutig auf planetaren Bahnen laufen.« »Also sind es keine Monde«, meinte Brick ärgerlich. Sein Zwillingsbruder Uster warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Er verstand die Unzufriedenheit nicht. »Ich denke, wir sollten nachsehen, ob es dort Leben gibt.« Keiner widersprach ihm, und ich wunderte mich, woher das Verlangen der Solaner nach den Planeten so plötzlich kam. Wahrscheinlich hatte Hayes recht. Die Zeit im Sternenuniversum hatte doch mehr an den Nerven gezehrt, als es zunächst den Anschein hatte. Die Planeten voraus weckten jedenfalls ein größeres Interesse als
die Frage nach dem Zeitsprung, den wir durchgeführt hatten. »SENECA«, sagte ich laut. »Du hast den Namen MP-System benutzt.« »Richtig. Ein Arbeitsbegriff. Schließlich handelt es sich um ein Multiplanetensystem.« Ich wußte, daß sich solche Begriffe schnell einbürgerten. Tatsächlich war es auch so, denn schon Minuten später sprach jeder mit großer Selbstverständlichkeit von dem Stern MP und dem MP-System. Breckcrown Hayes gab die Anweisung, den Raum nach Radiosignalen und Energiestrahlungen abzusuchen. Auch er war offensichtlich von dem Wunsch beseelt, Lebewesen seiner Dimension zu sehen. Als die SOL die äußersten Planeten passierte, meldete die Funkzentrale den Empfang von noch unverständlichen Sprachsendungen.
2. Es war eine der Wohnkabinen, wie es sie zu Hunderten und Tausenden auf der SOL gab. Diese gehörte zur SZ-2, und in ihr lebte ein einzelner Solaner. Hatzel Keversin galt als ein wenig schrullig und absonderlich, aber er war gern gelitten. Früher hatte er einmal als Waffentechniker auf einer Korvette gearbeitet, aber als er das 190. Lebensjahr erreicht hatte, hatte er sich zurückgezogen und sich seinen Hobbies gewidmet. Gelegentlich besuchten andere Solaner den gutmütigen Alten, denn Hatzel verstand es ausgezeichnet, Märchen und Raumsagen zu erzählen. Daher war es nicht verwunderlich, wenn vorwiegend junge Solaner zu ihm kamen, um ihm zu lauschen. Die Rückkehr in den eigenen Raum hatte für den Alten keine
große Bedeutung gehabt. Er setzte sich schon lange nicht mehr mit den Problemen der Schiffsführung auseinander. Hatzel Keversin schlurfte durch den Wohntrakt, ohne die umhertobenden Kinder zu beachten. Er wußte, daß sich die Jugendlichen dem allgemeinen Freudentaumel auf dem Schiff angeschlossen hatten, und er wußte auch den Grund für die Ausgelassenheit, aber er nahm nicht daran teil. In seinem Kopf reiften eine Reihe von Gedanken heran, die jeder andere für merkwürdig oder gar gefährlich gehalten hätte, wenn er sie gekannt hätte. Kaum jemand beachtete den Alten, dessen Kombination ein oder zwei Nummern zu groß ausgefallen war. Die kurzen Bartstoppeln in dem Gesicht verrieten, daß Keversin kein Freund der vollkommenen Barthaarentfernung war und daß er sich seit einigen Tagen auch nicht mehr der Mühe unterzogen hatte, die Stoppeln zu entfernen. Der schmächtige Alte betätigte den Türkontakt seiner Wohnkabine. Automatisch flammte die Beleuchtung auf. Als sich der Eingang fast geräuschlos wieder geschlossen hatte, trat der ehemalige Waffentechniker vor den Interkomanschluß. Seine Hand schwebte für einen Moment über dem Tastenfeld, als wollte er das Gerät aktivieren. Dann zuckte sie aber plötzlich nach vorn und riß mit einem Ruck das Gerät von der Konsole. Hatzel starrte auf die Trümmer, und als diese ihm immer noch zu groß erschienen, trat er mit seinen Stiefeln mehrfach darauf herum. Schließlich öffnete er einen Einbauwandschrank, holte diverse Werkzeuge heraus und begann, die Reste des Interkomgeräts zu zerlegen. Dabei sortierte er bestimmte Bauteile heraus und legte sie auf einen Haufen zusammen. Den Rest wollte er in den Abfallkonverter werfen, aber in dieser Sekunde war die Stimme wieder da. Er verstand die Worte nicht, aber vor seinen Augen bildete sich
etwas heraus, was Hatzel an eine überdimensionale Banane erinnerte. Der Alte wischte sich über die Augen, aber die riesige Frucht blieb vor seinem Blick in der Luft schweben. Keversin weigerte sich, sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Er drehte sich ruckartig um und griff erneut nach den wertlosen Trümmern des Interkoms. Aber die Banane folgte ihm blitzschnell und versperrte ihm den Weg zum Konverter. »Verschwinde!« fauchte der alte Solaner unwirsch. Seine rechte Hand, die den zersplitterten Bildschirm des Interkoms hielt, fuhr durch die Luft und traf die Banane. Er wollte sie treffen! Aber die Hand fuhr durch das gelbliche Ding hindurch, als wäre es nicht vorhanden. »Aha!« machte Hatzel und trat auf den Konverter zu. Sekunden später hüllte die Banane seinen ganzen Körper ein. Er spürte keine Furcht. Es war eher eine Trotzigkeit, die sein Verhalten bestimmt. Dennoch zuckte er unter einem geistigen Impuls zusammen. Etwas Körperloses berührte ihn. Er spürte einen unbändigen Zwang, gegen den er sich kaum wehren konnte. Gleichzeitig sah er eine völlig fremdartige Umgebung. Eine riesige Kugel von fast zehn Metern Durchmesser glitt vor ihm durch die Luft. Sie war so groß, daß sie nie und nimmer in seine kleine Wohnkabine gepaßt hätte. Eine Stimme wisperte ihm unverständliche Worte ins Ohr. Schließlich gab er sich einen Ruck und machte noch einen Schritt vorwärts. Unmittelbar vor ihm lag die Öffnung des Aballvernichters. Hatzel Keversin warf die nicht mehr benötigten Teile des zerstörten Interkomgeräts hinein. Als er sich umdrehte, war die riesige Banane verschwunden. Nur ein Hauch der geistigen Kraft, die ihn berührt hatte, blieb noch
vorhanden. Er widmete sich wieder seinem ursprünglichen Vorhaben und begann, mit den verwendbaren Teilen aus dem zerstörten Gerät eine kleine Schaltung aufzubauen, die er schließlich mit der Elektronik und dem Mechanismus des Türöffners verband. Schließlich führte er noch eine Überprüfung durch. Dann legte er sich zufrieden auf sein Ruhelager, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Die fremde Stimme, die ihm einen bestimmten, aber nicht klar erkennbaren Willen aufzwingen wollte, war noch immer da. Sie flüsterte fast ununterbrochen. Hatzel vermeinte Ärger und Wut, aber auch ein Hilfeersuchen zu erkennen. Sein Geist sträubte sich gegen alles und verdrängte die Stimme. Er hatte nicht beachtet, wie lange er so gelegen war. Wahrscheinlich war er sogar zwischendurch eingedöst. Ein lautes Klopfen an der Tür ließ ihn hochschrecken. »Endlich!« Vergnügt rieb er sich die Hände. »Tritt ein!« rief er lau. »Die Tür ist offen. Und laß alle Hoffnung fahren.« Gespannt wartete er, was nun geschehen sollte. Die Tür glitt ein Stück zur Seite. Hatzel erkannte eine Solanerin in mittleren Jahren. Er vermeinte sie schon mehrfach gesehen zu haben. Wahrscheinlich war es eine Mutter, die nach ihren Kindern suchte und diese bei dem alten Raumsagenerzähler vermutete. Die Tür hielt nach gut der Hälfte des Öffnungswegs an. Die Frau streckte ihren Kopf durch den entstandenen Spalt und hob zu einer Frage an. Da sprach der Auslöser an. Ein Hochspannungsfunken schoß aus dem Schließmechanismus und traf die Solanerin in den Oberarm. Mit einem Aufschrei wollte die Frau zurückzucken, aber da schlug die Tür schon mit aller Wucht zu und klemmte den Oberkörper ein.
Die Frau verdrehte die Augen und sank schlaff in sich zusammen. Eingequetscht zwischen Tür und Angel hing sie besinnungslos vor dem Alten. Der kicherte laut und rieb sich die Hände. Er starrte die Szene einen Moment vergnüglich an, dann trat er heran und preßte einen Finger auf einen Kontakt. Die Tür glitt nun ganz auf, und die Frau polterte zu Boden. Hatzel Keversin machte einen großen Schritt über sie hinweg hinaus in den Korridor, wo er sich umblickte. Niemand war zu sehen. Auch die lärmenden Kinder hatten sich einen anderen Ort für ihre Spielereien ausgesucht. Als sei nichts geschehen, schritt er den Gang entlang und suchte eine nahegelegene Ruhestätte auf, wo er sich einen Drink bestellte. Hastig schüttete er das Getränk herunter. Als er sich zur Seite drehte, erkannte er, daß die Banane an seinem Tisch Platz genommen hatte. Die anderen Anwesenden schienen dies nicht zu bemerken. Jedenfalls reagierte niemand auf den merkwürdigen Gast. »Gut gemacht!« lobte die Banane. »Aber du mußt dich noch mehr engagieren.« »Häh!« antwortete Hatzel, während seine Hände unter den Tisch glitten, um die Verschraubung des Sockels zu lösen. »Du mußt noch mehr Aufmerksamkeit erregen«, fuhr die Riesenbanane fort. »Und du mußt dich meinem Willen nicht widersetzen. Es gibt leider keinen anderen Weg, um die Gefahr mitzuteilen.« Hatzel schenkte den sinnlosen Worten keine Bedeutung. Endlich hatte er den Schnappverschluß gefunden und umgelegt. Er stemmte seine Knie gegen die Tischplatte und schleuderte diese mit einem Ruck gegen die Banane. Es trat das ein, was er insgeheim befürchtet hatte. Die Plastikplatte flog durch die Banane hindurch, als sei diese nur eine Spiegelung. Der Plastikbecher seines Getränks wurde mitgerissen und traf
einen unweit an einem anderen Tisch sitzenden jungen Solaner mitten ins Gesicht. Reste der Flüßigkeit tropften über den Overall des Mannes. Das Mädchen, das ihm gegenüber saß, stieß einen spitzen Schrei aus und sprang auf. Der junge Solaner war mit drei schnellen Schritten bei Hatzel und packte ihn an den Schultern. »Du bist wohl übergeschnappt, Alter!« brüllte er wütend. »Durchaus nicht.« Hatzel schob die Arme von seinem Körper. »Hast du die Banane nicht gesehen?« Die Augen des Mannes bildeten schmale Schlitze. »Die … was?« »Die Banane«, erklärte Hatzel. »Dort.« Er drehte sich halb um, aber von der überdimensionalen Frucht war nun nichts mehr zu entdecken. »Sie ist weg«, bedauerte er weinerlich. »Es tut mir leid.« Es tut dir nicht leid, flüsterte die Stimme in seinem Kopf. Diesmal hatte er sie genau verstanden. Für einen Moment glaubte er, daß diese Stimme und die der Banane identisch waren. »So.« Der Solaner stemmte herausfordernd die Arme in die Hüften. »Es tut dir also leid.« Ihm war anzumerken, daß er das Bedauern nicht akzeptierte. Inzwischen waren andere Männer und Frauen von den Tischen gekommen, um den seltsamen Disput aus der Nähe zu verfolgen. »Das ist doch Hatzel«, rief ein junges Mädchen. »Laß ihn in Ruhe.« »Halt den Mund«, verlangte der Solaner barsch, den der Becher getroffen hatte. »Ich will noch einmal hören, daß es ihm leid tut.« Es tut dir nicht leid, erklang es erneut in Hatzels Kopf. »Es tut mir nicht leid«, wiederholte der monoton und versetzte dem überraschten Solaner eine Ohrfeige. Der wollte einen Gegenangriff starten, aber seine Begleiterin fiel ihm in den Arm. »Laß ihn doch, Hens«, bat sie eindringlich. »Jeder Blinde merkt doch, daß der Alte nicht alle Tassen in der Kiste hat.«
»Hens heißt du also«, sagte Hatzel. »Und ich dachte, du heißt Carch.« Er wußte selbst nicht, wie er plötzlich auf diesen Namen kam. Die Umherstehenden gafften neugierig, aber die ersten von ihnen schickten sich schon an, an ihre Plätze zurückzukehren. Die Augen des jungen Solaners funkelten zornig. »Er soll sich gefälligst richtig entschuldigen«, ereiferte Hens sich. »Wenn nicht, passiert hier gleich ein Unglück.« Er zerrte an dem Arm seiner Begleiterin, bis er frei war. Als er sich auf Keversin stürzen wollte, dröhnten schwere Schritte in der Nähe auf. Zwei Ordnungsroboter, die irgend jemand alarmiert hatte, kamen heran. Hens hielt die erhobenen Fäuste in der Luft an. Die beiden Roboter schoben sich durch die versammelten Solaner. »Was geht hier vor?« fragte der eine sanft, während der andere seinen mit Sensoren bestückten Kugelkopf kreisen ließ, um alle Einzelheiten aufzunehmen. »Dieser Alte da …«, begann Hens, aber er wurde von Hatzel Keversin unterbrochen. »Er hat mich angegriffen!« schrie Hatzel mit panischer Stimme. »Mich, einen friedlichen, alten Bürger der SOL. Er will mich umbringen.« »Der ist doch übergeschnappt«, rief eine Frau dazwischen. »Ich habe genau gesehen, daß Hatzel den Tisch nach Hens schleuderte.« »Die Hexe lügt.« Hatzels Arme fuchtelten wild durch die Luft. »Außerdem ist an allem nur die Banane schuld.« Nun brandeten von allen Seiten Stimmen auf. Obwohl Hatzel bei einigen Bekannten eindeutig Sympathien genoß, war aus den Worten klar erkennbar, daß er der Schuldige an dem Zwischenfall war. »Hatzel Keversin«, erklärte der eine Roboter. »Deine Person wurde identifiziert. Ich darf dich bitten, uns zu begleiten, damit Ruhe und Ordnung wiederhergestellt werden können.«
»Ich habe dazu noch etwas zu sagen«, verlangte Hatzel. Jetzt! flüsterte die Stimme. Hatzel erkannte die Banane, die sich langsam durch die Versammelten auf den Roboter zuschob. »Das hier«, sagte der Alte und griff in die Taschen seiner Kombination. Er brachte zwei kleine Geräte zum Vorschein, die er mit einer blitzschnellen Bewegung den beiden Robotern an die Brust heftete. Noch während er zurückwich und gegen einen der Tische stieß, zuckten zwei grelle Stichflammen auf den Körpern der Ordnungsroboter auf. Für Sekunden waren die Umherstehenden geblendet. Als sie die Augen wieder öffneten, erkannten sie zwei häßliche Löcher in den Metalleibern der Roboter. Die Maschinen selbst standen sill. Ihre Kontrollampen waren erloschen. »Hat noch jemand Lust?« geiferte Hatzel. Die Solaner wichen zurück, als sie in seinen Händen ähnliche kleine Kästchen erkannten, wie er sie an die Roboter geheftet hatte. Hatzel warf eins davon vor sich auf den Boden. Unter grünen Flammen schoß eine Dampf wolke in die Höhe. Schreiend taumelten die Solaner durcheinander. Als die Klimaanlage den Rauch entfernt hatte, war auch Hatzel Keversin nicht mehr zu erblicken.
* Als er an seiner Wohnkabine vorbeikam, sah er, daß die betäubte Solanerin verschwunden war. Das ist gut, wisperte die Stimme in ihm. »Das ist gut«, sagte auch die Banane, die wenige Schritte vor ihm durch den Korridor schwebte. »Hau endlich ab!« brüllte Hatzel und bog in einen Seiteneingang
ein, als die Banane geradeaus ihren Weg fortsetzte. Er prallte gegen einen Solaner, der sich sogleich höflich entschuldigen wollte, aber der Alte stürmte weiter, ohne den Mann zu beachten. Nach der nächsten Abbiegung war er endlich allein. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, und die dünnen grauen Haare klebten an den Schläfen. »Verrückt«, murmelte Hatzel Keversin und lehnte sich an eine Wand. Er kramte in seinen Taschen, aber er fand nur noch einen der Hochspannungszünder. Liebevoll streichelte er das kleine Gerät. Sicher würde man jetzt schon mit einer gezielten Suche nach ihm begonnen haben, sagte er sich. Aber das beunruhigte ihn wenig. Denk daran, was du zu tun hast, drängte die lautlose Stimme. »Quatsch«, grunzte Hatzel. »Ich weiß selbst, was los ist.« »Du weißt es nicht.« Plötzlich stand die Banane wieder vor ihm. Prüfend hielt er den Zünder in die Höhe. »Wenn du nicht körperlos wärst, Banane«, sagte er ärgerlich, »würde ich dir das Ding auf deinen gelben Wanst kleben.« Die Banane gab einen ärgerlichen Laut von sich. »Du verdirbst alles«, klagte sie dann. »Wenn es zu spät wird, ist es nur deine Schuld. Warum sträubst du dich so hartnäckig?« »Wogegen?« fragte der alte Solaner. »Gegen mich«, sagte die Banane. »Noch ist nicht alles zu spät.« »Zeige dich körperlich«, verlangte der ehemalige Waffentechniker und kicherte dabei. »Das ist unmöglich, denn ich bin noch nicht an Bord der SOL.« »Aha.« Zu einer anderen Erwiderung war Hatzel nicht in der Lage. Er drehte sich zur Seite und setzte seinen Weg fort, ohne die Banane noch eines Blickes zu würdigen. Idiot! flüsterte die Stimme in seinem Kopf. Hatzel beachtete sie nicht mehr.
Als vor ihm ein Gleiter in dem Korridor auftauchte, wußte er, was er zu tun hatte. Er wartete, bis das Gefährt auf seiner Höhe war, dann schärfte er den Zünder und warf die Kapsel in den offenen Innenraum des Gleiters. Sogleich rannte er los. Der Explosionsblitz der freigewordenen Hochspannung zuckte durch den Gang. Hinter ihm erklangen wütende Schreie. Gut gemacht. Den Idiot nehme ich zurück. Hatzel schwang sich in den nächsten Antigravschacht. Während er in die Höhe glitt, spürte er immer deutlicher, wie sich etwas auf sein Bewußtsein legte. Minuten später war er kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig. Er torkelte aus dem Schacht und sah eine Gruppe Solaner vor sich stehen. »Da ist er«, rief einer der Männer. Hatzel Keversin stieß einen wütenden Schrei aus. Nebel legte sich über seinen Blick, aber todesmutig stürzte er auf die Männer. Er fühlte die Körper und schlug und trat um sich, bis sich kräftige Arme um seinen Körper legten und ihn endgültig bändigten. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe! Die Stimme des Unsichtbaren war das einzige, was Hatzel Keversin noch wahrnehmen konnte. Er spürte nicht, wie man ihn in einen Gleiter packte und zur nächsten Medo-Station brachte. Dicke Plastikbänder wurden um seinen Körper und seine Gliedmaßen gelegt. Ein Medo-Robot schob sich heran und begann mit einer ersten Untersuchung. Dann verabreichte dieser dem alten Solaner ein beruhigendes Medikament. »Leicht überreizte Gehirnströme«, lautete die Diagnose des Roboters. »Völlig ungefährlich. Das Verhalten des Mannes ist dadurch nicht zu erklären.« Unaufhörlich flüsterte die Stimme in Hatzel Keversins Kopf.
Allmählich begann er einige Worte nach ihrem Sinngehalt zu verstehen. Auch die Umgebung lichtete sich wieder etwas. Als er die Augen öffnete, beugte sich ein Mann über ihn. »Hatzel, ich bin Dr. Merrsynt. Erkennst du mich? Was ist mit dir los? Antworte!« Der Alte verdrehte die Augen. Dann hob er langsam den Kopf und betrachtete die Umgebund und die anwesenden Personen. Einige davon kamen ihm von früheren medizinischen Behandlungen her bekannt vor, aber er konnte sich an keinen Namen erinnern. »Wo ist die Banane?« fragte er leise. Im gleichen Moment wurde ihm bewußt, daß er mit dieser Frage nichts Sinnvolles erreichen würde. Er versuchte sich aufzurichten, aber die Bänder hielten ihn fest. »Ich muß sofort mit Atlan sprechen«, stöhnte er, während er in die Kissen zurücksank. »Holt den Arkoniden. Alles andere ist sinnlos. Bitte, holt ihn. Es ist wichtig.«
3. Ich verfolgte die Arbeit von Hayes' Stabsspezialisten mit gemischtem Interesse. Es waren eindeutig Hyperfunksendungen, die empfangen wurden. Schon kurz darauf lagen die ersten Peilungen vor, und es stand fest, daß die Energiewellen aus dem inneren Bereich des MPSystems kamen. »Es muß sich um einen oder mehreren Planeten zwischen MP-I und MP-X handeln«, teilte Lyta Kunduran mit. Die Funkzentrale empfing nun aber auch Normalfunksendungen, die natürlich ziemlich wertlos waren, denn ihre Laufzeit vom Sendeort war so groß, daß der Nachrichteninhalt nicht mehr aktuell war. Ich las die Entfernung zu dem Stern MP ab. SENECA gab diesen
Wert, der ständig kleiner wurde, mit 18 Lichtstunden ab. Etwa 20 Lichtstunden von MP entfernt kreiste der äußerste Planet des Systems, eine kalte Kugel von der Größe Lunas. Die Sprache der Bewohner des MP-Systems mußte ziemlich kompliziert sein, denn trotz der Unterstützung SENECAS klappte die Übersetzung noch nicht. »Sollten wir sie nicht gezielt anfunken?« fragte Curie van Herling, die die Leiterin der Funkzentrale war. »Vielleicht gewinnen wir dann schneller die Informationen, die die Translatoren benötigen.« »Ein bißchen Vorsicht kann nicht schaden«, wehrte Hayes ab. »Da die Unbekannten den Hyperfunk kennen, scheinen sie auf einer technisch hohen Stufe zu stehen.« »Das MP-System ist durch keine künstlichen Raumstationen geschützt«, gab die Ex-Magnidin zu bedenken. »Allzu weit scheint es mit der Raumfahrt also nicht zu sein.« »Wir beobachten weiter, bis die Sprache klar erkannt ist«, entschied der High Sideryt. »Erste Informationen«, teilte SENECA mit. »Die Absender der Hyperfunknachrichten nennen sich Hunkeldarer. Sie bewohnen die Welten MP-IV bis MP-VII. Der mitgehörte Funkverkehr vollzieht sich nur zwischen diesen vier Planeten.« Ich drehte mich um, als mich jemand am Arm berührte. Vor mir stand ein Gerät, das einem Alptraum entsprungen sein mußte. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, erklang eine schrille Stimme. »Entweder du erkennst mich, oder du erkennst mich nicht, nachdem ich mich blankgeputzt habe.« Es kostete mich einige Überwindung, in dem Gerät einen Roboter zu sehen. Das Ding bestand im wesentlichen aus einem etwa 1,20 Meter langen Zylinder, der etwa so dick war wie mein Unterarm lang. Unten erkannte ich zwei Auswüchse, die Beine darstellen sollten. Oben auf dem Zylinder saß ein kleiner, würfelähnlicher Körper, der
sich plötzlich drehte. In der Mitte der Fläche, die mir jetzt zugewandt war, leuchtete ein Sensor, also ein Auge. Darunter erkannte ich einen schmalen Strich, der den Mund verkörperte. Und darunter hingen grüne Bartstoppeln aus dem Metallkörper. Diese Plastikhaare erinnerten in der Form an einen Schnauzbart, aber sie hingen unter der Mundpartie. Und noch eine Besonderheit hatte der Rumpfkörper. Es waren mehrere unregelmäßig angeordnete Klappen an dem Zylinder zu erkennen, hinter denen sich etwas verbarg. Und an der Oberseite des Rumpfes, dort, wo man die Arme hätte anbringen können, ragten seitlich zwei kurze Stümpfe heraus. Natürlich hatte ich diese Ausgeburt eines krankhaften Konstrukteurgehirns längst identifiziert. »Ich erkenne dich nicht«, antwortete ich dennoch. »Dann schuldest du Hage Nockemann, meinem genialen Erschaffer, einen Liter von Gavro Yaals Spezialbier à la Order-12.« »Blödel!« Ich stöhnte vernehmlich auf. »Was willst du verlängerte Blechdose denn?« »Ich bedaure zutiefst«, antwortete der Roboter gekränkt, »aber in meinen Wortschatz existiert der Begriff Blechdose nicht.« »In Ordnung, Blödel«, sagte ich, wobei ich zeigte, daß ich mich nur mühsam beherrschen konnte, um nicht loszuheulen oder laut zu lachen. »Nun habe ich dich in blankgeputztem Zustand gesehen. Dampf ab!« »Püüh!« pfiff der Roboter und schwankte leicht. »Es gibt schon wieder zwei Möglichkeiten. Entweder du begleitest mich, oder ein armer Solaner stirbt im Irrsinn.« »Wenn es sich dabei um Hage Nockemann handeln sollte«, konterte ich prompt, »so ziehe ich es vor zu bleiben.« »Da die Sache von erhöhter Priorität ist«, meinte Blödel geschraubt, »bin ich genötigt, gegebenenfalls rohe Gewalt zur Anwendung zu bringen.« »Es gibt für die nur zwei Möglichkeiten, Blödel.« Allmählich
wurde mir die Sache zu dumm. »Entweder du trollst dich, oder du rutscht mir den Buckel herunter.« »Letzteres würde dir nicht bekommen.« Plötzlich fuhr Blödel die beiden Armstümpfe aus. Die beiden künstlichen Extremitäten erreichten innerhalb weniger Sekunden jeweils eine Länge von zwei Metern und bildeten einen Kreis, in dessen Innerem ich stand. Irgend jemand in der Hauptzentrale kicherte ziemlich blöd. »Ich warne dich!« drohte ich. »In Ordnung, Atlan.« Der Roboter wechselte in einen sachlichen Tonfall über. »Da du auf meine ernste Aufforderung nicht reagierst, muß ich es eben anders versuchen. Nockemann ist mit der Untersuchung von Moosflechten aus der Aqua-Station so beschäftigt, daß er sich nicht um die Sache kümmern kann. Es geht um einen Solaner namens Hatzel Keversin. Er liegt in der Hauptmedostation der SZ-2. Etwas stimmt mit ihm nicht. Unerklärliche Wahnvorstellungen oder etwas Ähnliches. Der Mann spricht von einer Gefahr und will unbedingt mit dir reden.« Ich ließ Blödel stehen und schaltete eine Interkom Verbindung zu dem bezeichneten Medo-Center. Ein mir nur flüchtig bekannter Dr. Merrsynt meldete sich. Er bestätigte das, was Blödel mir mitgeteilt hatte. Dann zeigte er mir ein Bild seines Patienten. Den Mann kannte ich nicht. »Ihr schafft das auch ohne mich«, wandte ich mich an Hayes. »Wenn Not am Mann ist, weißt du, wo ich bin.« Der High Sideryt hob zu seinem Einverständnis nur kurz die rechte Hand in die Höhe. Ich verließ die Zentrale und eilte zum nächsten Transmitteranschluß. Blödel folgte mir auf dem Fuß, und ich wunderte mich, wie flink er auf seinen Stummelbeinen war. »Warum ging das nicht gleich so«, maulte er. Ich gab ihm keine Antwort. Mit meinen Gedanken war ich schon bei dem alten Solaner in der Medostation.
Es war nicht das erstemal seit meinem Aufenthalt auf der SOL, daß man mich falsch alarmiert hatte. Aber man konnte nie wissen, was hinter einer solchen Sache steckte. Irgendwie war mir diese Rückkehr letztlich doch zu glatt gegangen. Und irgendwie wartete ich förmlich auf eine neue Attacke von Hidden-X. Im Aqua-System hatte es uns das Leben schon schwergemacht, und da waren wir noch im Sternenuniversum gewesen. Hier, im heimatlichen Bereich, in dem die eigentliche Auseinandersetzung lief, hatte sich noch keine Spur seines Wirkens gezeigt. Die Solaner waren zu euphorisch über die Rückkehr. War ich zu skeptisch, zu vorsichtig? Nein, erklärte mein Logiksektor.
* Der alte Solaner lag in einem tiefen Koma. Der Mediziner Merrsynt war ratlos. »Vor wenigen Minuten war Keversin noch hellwach«, erläuterte er mir. »Sein Zustand ändert sich aus unerklärlichen Gründen von einer Minute zur anderen. Wir könnten ihm ein stimulierendes Mittel verabreichen.« Ich fühlte den Puls des Alten. Er ging ruhig und gleichmäßig. Sein Atem war etwas flach, aber nicht ungewöhnlich gestört. Anzeichen einer Auseinandersetzung auf geistiger Ebene, teilte mir der Extrasinn mit. Ich nickte unbewußt dazu. »Hast du etwas festgestellt?« fragte mich Merrsynt gespannt. Nun schüttelte ich den Kopf. »Eigentlich ist dies ein Fall für einen hochwertigen medizinischen Analyseroboter«, sagte Blödel, der neben mir stand und mit seinem einen Auge unverwandt auf Hatzel Keversin blickte.
»Meine Medos haben bereits jede Untersuchung vorgenommen«, antwortete Dr. Merrsynt und blickte Blödel mißtrauisch an. »Ich rede nicht von ihren Blechdosen, Doc«, näselte der Roboter. »Ich spreche von mir.« Ganz geheuer war mir die Sache nicht, aber ich winkte Blödel heran. Der blieb dort stehen, wo er war. Dann fuhr er seinen rechten Arm aus. Nun wurden an der Spitze des tentakelähnlichen Gliedes kleine Sensoren erkennbar. Blödel berührte damit die Stirn Keversins. Nun fuhr er auch den zweiten Arm aus und tastete verschiedene Körperpartien ab. Er nahm dort irgendwelche winzige Spuren an Hautsekreten auf und gab diese anschließend in Öffnungen ein, die sich an seinem Zylinderkörper hinter den Klappen verborgen gehalten hatten. »Meine Diagnose ist beendet«, teilte er dann mit. »Spuck es aus, Blödel«, verlangte ich forsch. »In diesem menschlichen Körper«, Blödel deutete auf Keversin, »existieren eineinhalb Bewußtseine. Der Wert schwankt zwischen 1,3 und 1,6.« Das war in der Tat eine Mitteilung, die ich als absurd abtat. Der Roboter Nockemanns zog seine Arme wieder ein. In diesem Moment schlug Hatzel Keversin die Augen auf. Er blickte sich kurz um, und als er mich sah, huschte ein verstehendes Lächeln über sein Gesicht. »Schlechte Zeiten, Atlan.« Der alte Solaner quälte sich jedes Wort mühsam ab. Auffällig oft wechselte er den Tonfall. »Die Gefahr ist da, aber … ich lasse mich nicht unterjochen … du mußt dich höllisch in acht nehmen, denn … ich kann mich nicht gegen diesen Idioten durchsetzen … die Banane ist an allem … eine erschreckende Fehldeutung … hereingelegt … diese blöden Roboter. Anstatt mir zu helfen … auch hier wäre das schon möglich, denn der Überblick ist … verschwunden. Jetzt sollten sie mich erst einmal … gegen den
immer stärkeren Druck können die beiden auch nichts mehr ausrichten, es sei denn … die Banane hätte eine ausgezeichnete Schale abgegeben, um die ganze SZ-2… in ihr Verderben rennt, wenn … sie darauf ausgerutscht wären … nur noch ich. Der Verbund ist zu schwach und allein … lasse mich nicht von einer Banane unterjochen … unterjochen, ist nur noch eine Frage der Zeit. Außerdem ist er bereits dort aktiv geworden, wo die Banane noch einmal auftaucht, dann …« Mit einem Aufstöhnen sank Hatzel Keversin auf der Liege zurück. »Ich glaube, er braucht jetzt Ruhe«, bat Dr. Merrsynt. »Gegen jede Art von Geisteskrankheit ist auch heute noch kein Kraut gewachsen. Das wirre Gestammel deutet ganz klar auf eine beginnende Schizophrenie hin.« Ich antwortete nichts und ließ mir das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen. Blödel schwieg, aber in seinem Innern knackten Relais. Natürlich war das nur eine Vortäuschung von Aktivität, denn seine Positronik arbeitete völlig geräuschlos. 1,3 bis 1,6 Bewußtseinsinhalte, überlegte ich. Das Geplapper des al 22 ten Mannes hatte tatsächlich so geklungen, als habe teilweise er selbst mit einem verwirrten Kopf gesprochen und teilweise eine andere Person. Jemand hat versucht, behauptete der Logiksektor, über Keversin dir etwas mitzuteilen. So unwahrscheinlich diese Erklärung klang, sie hatte etwas Einleuchtendes an sich. Wer aber wollte mir hier etwas mitteilen? Verbarg der Solaner etwas? Hier konnte nur Bjo Breiskoll helfen. Ich rief den Katzer über Interkom, und wenige Minuten später war er zur Stelle. Hatzel Keversin hatte sich inzwischen nicht mehr gerührt, und auch Blödel hatte das alberne Knacken in seinem Metalleib eingestellt.
Ich erklärte Bjo, was vorgefallen war. Für dessen Psi-Sinne war der Alte kein Problem. Doch seine Antwort enttäuschte mich. »Er schläft, weil er erschöpft ist. Er träumt nicht einmal etwas Greifbares. Und ein anderes Bewußtsein kann ich in seinem Innern nicht spüren.« »Dann ist diese Halbheit jetzt wieder verschwunden«, sagte Blödel. »Mein Mentalsensor hat vorhin ganz eindeutig etwas anderes gespürt. Und meine Auswertung hat sogar ergeben, wer aus Keversin sprach.« »Da bin ich aber gespannt«, antwortete ich mißtrauisch. »Cpt'Carch«, behauptete der Roboter. Und zu meinem Erstaunen meldete sich erneut mein Logiksektor. Blödel hat recht! Bevor ich zu einem Protest anheben konnte, schrillten die Alarmsirenen los. Gleichzeitig sprach mein Armbandinterkom an. Ich sah zwei rote Leuchtdioden im Wechsel aufglühen und wußte, was das bedeutete. Die SOL war in höchster Gefahr!
* »Übersetzung ist möglich«, teilte SENECA mit. »Allerdings ist der Inhalt der aufgenommenen Sendungen wenig aufschlußreich. Es handelt sich um das, was ich als Routinemeldungen im Rahmen eines größeren Staatengebiets bezeichnen würde.« Breckcrown Hayes hörte eine Weile den Simultanübersetzungen zu. Tatsächlich ergaben sich nur noch normale Hinweise aus dem Leben der Hunkeldarer. Da war von Wirtschaftsabkommen zwischen den Staaten der Planeten die Rede. Daraus ging jedoch ziemlich eindeutig hervor, daß es nur ein beherrschendes Volk gab, das sich auf allen vier
Planeten in der ökologisch günstigen Zone um MP niedergelassen hatte. Inzwischen kamen auch die ersten Ortungen über Raumschiffe herein, die zwischen diesen vier Welten verkehrten. Dabei handelte es sich ausschließlich um Flugkörper, die weit im Unterlichtbereich flogen. Nirgends wurde ein Flug ähnlich den Linearetappen oder den Hyperraumsprüngen registriert. »Noch keine Bilder?« fragte Hayes. »Die Analyse der technischen Verfahren ist gleich abgeschlossen«, teilte Curie van Herling mit. »Es handelt sich um eine zweidimensionale Bildübertragung, die allerdings nur auf wenigen Hyperfunkstrecken zur Anwendung kommt. Weit her ist es also mit der Technik der Hunkeldarer nicht.« Die ersten Bilder der MP-Bewohner waren nicht sensationell. Dieses Volk war weitgehend hominid. Die Gesichter und die Körper waren insgesamt jedoch etwas breiter und plumper als bei den Menschen. Über die Hautfarbe ließ sich nichts sagen, da der Bildhyperfunk nur in Schwarz-weiß durchgeführt wurde. »Wir haben einen offiziellen Regierungskanal ausgemacht«, teilte die Funkzentrale mit. »Wie wäre es, wenn wir unser Kommen höflich ankündigen würden?« Keiner der Stabsspezialisten erhob einen Einwand. Der High Sideryt spürte förmlich, daß man einen friedfertigen Kontakt regelrecht wünschte. Er gab sein Einverständnis, und ständig bereitgehaltene Funksprüche wurden von SENECA in die Sprache der Hunkeldarer übertragen und in einer Sendepause auf dem erkannten Kanal abgestrahlt. Es dauerte keine Minute, als auf dieser Bildfunkverbindung die Antwort einlief. Das Gesicht eines älteren Hunkeldarers erschien. Die Systeme der
SOL hatten die neuen Übertragungswerte inzwischen voll übernommen und arbeiteten synchron. »Willkommen, Fremde von den fernen Sternen«, sagte der Hunkeldarer freundlich. »Wir haben lange keinen Besuch mehr gehabt. Der fünfte Planet unseres kleinen Reiches ist unsere Hauptwelt Hunkel. Dort könnt ihr landen, wenn ihr dies wünscht. Ich bin Daress und der oberste Minister unseres Vokes.« »Das nenne ich einen netten Empfang.« Gallatan Herts atmete sichtlich auf. Unterdessen übernahm SENECA die Antwort, wozu das Bild Breckcrown Hayes in dem Übertragungsverfahren der Hunkeldarer gesendet wurde. Es waren die üblichen Dankesworte und die Zusage, daß man die freundliche Einladung gern annehmen würde. »Ich habe noch keine Ortungsergebnisse vorliegen«, antwortete Daress. »Wahrscheinlich seid ihr noch jenseits der Bahn des fünfundzwanzigsten Planeten.« »So ist es«, bestätigte SENECA. »Wir machen jetzt einen Sprung in die Nähe des achten Planeten und fliegen dann mit Unterlichtgeschwindigkeit Hunkel an. Ist das in Ordnung?« »Natürlich, Freunde von den Sternen. Wir erwarten euch.« Die SOL ging in eine Linearetappe, die sie zum vorgesehenen Zwischenziel bringen sollte. Der kurze Flug durch den Zwischenraum dauerte knapp drei Minuten, in denen die Solaner in der Zentrale freudig durcheinanderredeten. Breckcrown Hayes informierte inzwischen die Solaner über die bevorstehende Landung. Als das Generationenschiff aus dem Linearraum trat, traf man nicht das erwartete Bild an. Die Szene im Weltraum hatte sich so kraß verändert, daß Hayes im ersten Moment glaubte, der Flug durch die Labilzone sei fehlgegangen. SENECA wertete die Eindrücke binnen einer Sekunde aus. Er verzichtete auf irgendwelche Erklärungen und löste sofort einen
umfassenden Alarm aus. Zu allen Seiten der SOL rasten riesige Körper heran. Sie waren so groß wie Monde, und es gehörte wenig Phantasie dazu zu erkennen, daß es sich dabei um das handelte, was man noch wenige Minuten zuvor für eine Vielzahl von kleinen Planeten des MP-Systems gehalten hatte.
4. Der Transmitter neben der Hauptzentrale im Mittelteil der SOL spuckte mich gerade aus, als die schweren Transformzwillingsgeschütze des Schiffes aufdröhnten. Solaner rannten an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Jeder wichtige Mann suchte seinen Platz für den Alarmfall auf. Ich stürmte an den Wachen vorbei in die Zentrale. Breckcrown Hayes stand neben Gallatan Herts und gab pausenlos Kommandos. Die SOL wurde schwer geschüttelt. Also lag sie unter Beschuß. Ich brauchte einige Augenblicke, um mich zu orientieren. Die wichtigsten Hinweise gaben die Panoramabildschirme. Das Licht der Sonne MP drang kaum noch durch die Lücken, die zwischen den vielen Körpern blieben, die zu allen Seiten standen. Ich erkannte, daß es die Kleinplaneten waren, die wir beobachtet hatten. Aus diesen äußerlich wie riesige Kugeln aus toten Gestein aussehenden Körpern schossen gewaltige Flammenbahnen und rasten auf die SOL zu. Wir waren nach allen Regeln der Kunst in eine Falle gerannt. Warum hatte die Energieortung nichts festgestellt? Wenn es sich bei diesen Körpern nicht um wirkliche Planeten handelte, sondern um getarnte Bastionen, so hätte unserer Aufmerksamkeit das nicht entgehen dürfen.
Leichtfertigkeit und Euphorie, belehrte mich mein Extrahirn. Hayes ließ aus allen verfügbaren Geschützen auf die mondgroßen Kugeln feuern. Innerhalb weniger Sekunden verwandelte sich das umgebende All in eine Flammenhölle. Die künstlichen Kleinplaneten verfügten nur über schwache Abwehrschirme, denn mehrere von ihnen zerbarsten unter dem konzentrierten Feuer. Allerdings wurde durch die Trümmer und die Gluthöllen die Übersicht immer schlechter. Andererseits schien das auch für unseren Gegner zu gelten, denn die Treffereinschläge in die SOL wurden seltener. Bis jetzt hatte es den Anschein, daß dem Angreifer noch kein entscheidender Erfolg gelungen war. »Wir müssen hier raus«, rief der High Sideryt den Piloten zu, aber die Brickzwillinge schüttelten in Anbetracht der Hölle, die ringsum tobte, nur den Kopf. Ein gewagter Fluchtversuch hätte die SOL geradewegs in eine solche Energieballung führen und zerstören können. Curie van Herling drängte sich an meine Seite und informierte mich über den Kontakt mit den Hunkeldarern. Noch war ich zu verwirrt, um mir ein klares Bild machen zu können. SENECA hatte selbst in dem andauernden Kampfgetümmel noch Zeit für ein Informationsgespräch mit mir. Es war klar, daß etwas geschehen mußte, denn das Generationenschiff stand am Rand des Untergangs. »Es sind die 66 kleinen Planeten«, erläuterte mir die Biopositronik. »Sie müssen unsere Linearetappe geortet haben. So waren sie praktisch gleichzeitig mit uns am Zielpunkt. Mindestens zehn von ihnen wurden zerstört. Allem Anschein nach handelt es sich um robotische Stationen.« »Die Hunkeldarer?« fragte ich. »Es paßt nicht zu dem, was wir über sie in Erfahrung gebracht haben. Aber wer sollte sonst die Schuld an diesem Angriff tragen.«
»Durchbruchmöglichkeiten?« »Keine für die SOL. Vielleicht käme eine Lightning-Jet mit einer gezielten Linearetappe durch. Die SOL kann auf die Entfernungen, die zur Verfügung stehen, nicht genügend beschleunigen.« Das waren also keine rosigen Aussichten. Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Kampf. Das Feuer war schwächer geworden, aber die SOL hing wie eine Spinne in einem Netz, das aus einer kaum noch unterbrochenen Hülle aus Energie und Trümmern gebildet wurde. Die feindlichen Bastionen feuerten immer wieder blind durch den Raum, aber es war eindeutig, daß sie kein Ziel mehr in diesem Chaos ausmachen konnten. Der High Sideryt tat das einzig Richtige. Er ließ das Feuer einstellen und beschränkte sich auf die mehrfach gestaffelten Schutzschirme aus HÜ- und Paratronkomponenten. So war die Gefahr am geringsten, daß der Standort des Hantelschiffs verraten wurde. Die Gegenseite änderte sogleich die Taktik. Die Bastionen feuerten weiter, beschränkten sich aber darauf, den kugelförmigen Sperrgürtel, der die SOL umgab, ständig durch neue Detonationen geschlossen zu halten. Die vereinzelten Schüsse in das Zentrum dieses Gebiets erzielten keine Wirkung, denn die Brickzwillinge wechselten ständig den Ort, an dem das Schiff war. Dabei flogen sie möglichst nah an die wabernden Energien heran, um dem Zentrum fernzubleiben. Allmählich verschwammen die Grenzen der Energiekugel dadurch, daß immer neue Energien in dem Innenraum freigesetzt wurden. Ursprünglich mochte dieser einige hundert Kilometer betragen haben. Jetzt war er praktisch verschwunden. »Wir kommen nicht vorwärts und nicht zurück«, stöhnte Hayes und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. SENECA enthielt sich im Augenblick eines weiteren Kommentars. Die Biopositronik schien ratlos zu sein.
»Wir müssen den neuralgischen Punkt des Angreifers finden.« Ich trat zu Breck. »Das ist der Ort, von dem aus die Raumbastionen gesteuert werden.« »Der Planet Hunkel?« Hayes zog die Stirn in Falten. »Vielleicht. Oder ein anderer des MP-Systems.« Der High Sideryt antwortete nichts. Er schien zumindest darüber froh zu sein, daß sich eine gewisse Pattsituation abzeichnete. Die SOL konnte zwar dem Energiespektakel ohne unvertretbare Gefahr nicht entkommen, aber unsere Gegner hatte sich selbst blind geschossen. Die tobenden Energien ließen auch keine Ortung mehr zu. Nur die Massetaster, die am wenigsten beeinflußt wurden, verrieten, daß noch etwa 50 der scheinbaren Planeten in der Umgebung von einigen tausend Kilometern kreuzten. »SENECA meint, mit einer Lightning-Jet käme man durch«, fuhr ich fort. »Welchen Nutzen hätte es«, zweifelte Breck, »wenn zwei Mann die Flucht gelingt?« »Sie könnten den neuralgischen Punkt finden.« Langsam reifte in meinem Kopf ein Plan. Es war ein Wahnsinnsunternehmen, aber es mußte etwas geschehen, bevor unser Feind eine neue Strategie entwickelt hatte, die unser Untergang sein konnte. »Ich bin dabei«, sagte eine zarte Stimme neben mir. Ich blickte mehr nach unten als zur Seite und erkannte Sanny, die kleine Molaatin. Etwas in mir wehrte sich dagegen, diese zierliche Person in immer neue Gefahren zu verwickeln, aber ich wußte auch, welch wertvolle Helferin sie mit ihrer unfaßbaren Fähigkeit war, die unmöglichsten Resultate komplizierter Situationen zu »berechnen«. »Wenn du meinst«, antwortete ich vorsichtig. »Dann brauchen wir noch einen vernünftigen Piloten«, erklärte die Paramathematikerin fest und deutete auf die beiden Bricks.
»Ich räume freiwillig das Feld«, meinte Vorlan, der der größere der beiden Brüder war. »Wenn Uster der Raumteufel holt, kann ich wenigstens in Zukunft die SOL allein schippern.« »Du Blindflansch«, schimpfte Uster mit gespieltem Zorn. »Wenn mich ein Teufel holt, dann holt er auch die SOL.« Hayes hatte inzwischen die Anweisung gegeben, eine LightningJet des Mittelteils startklar zu machen. Auch eine Transmitterverbindung zu dem betreffenden Hangar war schon geschaltet. Argan U brachte mir meine Kampfausrüstung aus meiner Kabine in SOL-City. Sanny führte bereits ihre mit, und Uster Brick war nur wenige Minuten später auch bereit. Als ich mit Brick in der Lightning- Jet hockte und Sanny auf meinem Schoß saß, schoß das schlanke Schiff aus der Schleuse.
* Uster Brick beschleunigte sofort mit den höchsten Werten, sobald er eine Lücke in den wabernden Energiefeldern entdeckt hatte. Ich hatte das Gefühl, daß er sich etwas zu sehr auf sein Können verließ, aber für Einwände oder Beschwerden war es jetzt zu spät. Die Lightning-Jet gab bei einer geringen Überlast, die ihr Antrieb für kurze Zeit durchaus vertrug, eine Beschleunigung von 900 Kilometern pro Quadratsekunde her. Das waren die höchsten Werte, die sich mit einem Beiboot der SOL erzielen liesen. In den ersten vier Sekunden nach dem Start legte der Jäger bereits gut sieben Kilometer zurück und befand sich damit mitten in dem energetischen Getümmel. Uster schaffte es irgendwie, die erforderliche Anfangsgeschwindigkeit für eine Linearetappe zu erreichen. Gerade als vor dem Bug die leuchtende Fläche einer der Bastionen auftauchte, ging die Lightning-Jet in den Linearraum.
In der Eile unseres Aufbruchs hatten wir keine Einzelheiten abgesprochen. So mußte ich mich auch in diesem Punkt auf die Erfahrung Bricks verlassen. Die Linearetappe, in der wir in relativer Sicherheit waren, währte nur wenige Sekunden. Bei der Rückkehr in den Einsteinraum übernahm ich sofort die Auswertung der Ortungsanzeigen und versuchte, mich mit Hilfe der Bordpositronik zu orientieren. Der Glutball, in dessen Innerem die SOL hing, lag etwa 300.000 Kilometer, also eine Lichtsekunde hinter uns. Sein Durchmesser betrug gut 40.000 Kilometer. Mir war es ein Rätsel, wie sich dort 50 oder mehr Körper von der Größe eines durchschnittlichen Mondes aufhalten konnten. In diesem Gedränge mußten die Wirkungen der Gravitation über kurz oder lang einen Kollaps der Materie erzeugen. Das wiederum bedeutete höchste Eile für meine selbstgewählte Mission. Es bedeutete aber auch, daß ein Fluchtversuch der SOL nur zu einer Katastrophe geführt hätte. Auf dem Orterschirm verfolgte ich die Echos der inneren Planeten des MP-Systems. Die Positronik signalisierte, welcher davon Hunkel sein mußte. Auf einen Knopfdruck wurden diese Daten an Uster Brick überspielt, der den Jäger sofort wieder in den Linearraum steuerte. Sekunden später fielen wir in einer Höhe von 20.000 Kilometern über dem Planeten in den Normalraum zurück. Brick bremste scharf ab, und die Andruckneutralisatoren heulten kurz auf. Dann befand sich das Zweimannboot in einem sicheren Orbit um Hunkel. Sicher galt hier freilich nur für die flugtechnischen Daten, denn was uns hier erwartete, war noch unklar. Gleichzeitig versuchte ich einen Funkkontakt zur SOL und zu der Regierungsstelle auf Hunkel herzustellen. Hayes erreichte ich nicht, was auch meinen Erwartungen entsprach. Dafür tauchte aber das Gesicht des Hunkeldarers Daress auf dem
Bildschirm auf. Schließlich schluckte der Fremde und fragte, was denn geschehen sei. Ich besann mich meiner Fähigkeit, mit Lügen und Bluffs mehr zu erfahren als mit der Wahrheit. »Unser Schiff wurde vernichtet«, stieß ich atemlos hervor. »Nur wir zwei und eine Fremde konnten dem Inferno entkommen.« »Was hat das zu bedeuten?« flüsterte ich Sanny auf Molaatisch zu. Die Kleine zuckte nur kurz mit den Schultern. »Das ist schlimm.« Endlich rückte der Hunkeldarer mit einer Erklärung heraus. »Wir wissen auch nicht, was dieser Angriff zu bedeuten hat. Er ist uns unerklärlich, und wir bedauern ihn zutiefst. Dürfen wir dich als unseren Gast auf Hunkel empfangen?« Mir kam die Sache etwas merkwürdig vor, denn die Kühle und die Gelassenheit Daress' paßte nicht zu den jüngsten Geschehnissen. Entweder war dieser Mann ein Tölpel oder ein ganz raffinierter Bursche. Mein Extrasinn gab mir in diesen Sekunden keinen Hinweis. Auch Sanny schwieg. Ich antwortete, daß wir landen würden, und bat um entsprechende Koordinatenangaben. Daress ließ sie übermitteln, und an dem charakteristischen Aufbau der Daten erkannte ich, daß eine hochwertige Rechenmaschine dahintersteckte. Unfähig schienen die Hunkeldarer also nicht zu sein. Als die Verbindung wieder unterbrochen war, bat ich Uster, den Planeten zunächst noch einmal zu umrunden. Ich wollte alle auffälligen Energieechos aufzeichnen und auswerten, denn ich hoffte immer noch auf einen Hinweis auf den Ort, von dem aus die planetaren Bastionen gelenkt wurden. Es mußte eine solche Anlage geben, denn das Zusammenspiel der Kräfte dort draußen ließ keinen anderen Schluß zu. Schließlich waren die riesigen Kugeln innerhalb weniger Sekunden über
gewaltige Entfernungen an einen anderen Ort, den Zielpunkt der SOL, versetzt worden. Die Vielfalt der einfallenden energetischen Signale, unter denen auch typische für Hyperstrukturen waren, ließ allerdings keine sofortige Auswertung zu. »Laß mich das machen«, bat Sanny. Ich war froh, daß sie mir diese Arbeit abnahm, denn Uster Brick setzte zur Landung an. Ich hielt es für klug, die Hunkeldarer zunächst allein zu begrüßen. Also blieben Sanny und Uster in der Lightning-Jet. Die Molaatin hatte sowieso noch genug mit der Auswertung der Energiemessungen zu tun. Meine stille Hoffnung war, daß sie mit ihren Parasinnen etwas entdeckte, was uns zum Vorteil verhalf. Die Delegation der Fremden bestand aus zwölf Personen, sechs Männer und sechs Frauen. Jetzt, wo ich die Hunkeldarer von Angesicht zu Angesicht sah, fiel mir ihre fahle, fast weiße Hautfarbe auf. Das paßte irgendwie nicht zu der strahlenden Sonne MP, die bestimmt hohe Anteile an ultravioletter Energie enthielt. Mein tragbarer Translator war auf die Sprache der Hunkeldarer eingestellt. Daress, den ich unter den zwölf Fremden sofort erkannte, kam auf mich zu und machte eine Geste des Friedens. Ich erwiderte sie und kam dann sogleich auf den Kern der Sache zu sprechen. »Es wäre möglich«, begann ich, »daß noch Angehörige meines Volkes im Innern der Gluthölle leben. Natürlich bin ich an ihrer Rettung interessiert. Gibt es eine Möglichkeit, die Planetenfestungen abzuschalten oder wegzuschicken?« Daress, der wenige Schritte vor mir stand, zuckte sichtlich zusammen. Die anderen Hunkeldarer begannen erregt zu tuscheln. Leider sprachen sie so leise, daß mein Translator nichts aufnehmen konnte.
»Ich weiß nicht«, wich Daress aus und sah sich fast hilfesuchend nach den anderen um. Diese kamen jetzt ebenfalls näher. »Wir sollten diesen Mann und sein Raumschiff festsetzen«, forderte eine der Frauen streng. »Warum? Was habe ich euch getan?« fragte ich harmlos. »Es geht um Dinge«, entgegnete Daress, »die du nicht verstehen kannst.« Sie verbergen etwas, warnte der Extrasinn. »Ich bezweifle, daß ich es nicht verstehe. Mit meiner Erfahrung und meinem Wissen könnt ihr es nie und nimmer aufnehmen.« Vielleicht half der Frontalangriff besser. »Also heraus mit der Sprache! Was geht hier vor?« Der Wechsel meiner Taktik zeigte deutliche Spuren einer Verunsicherung. Wieder tuschelten einige Hunkeldarer miteinander. »Wir können dir keine andere Antwort geben, Fremder.« Daress wirkte unglücklich. »Wir wissen nicht einmal genau, ob wir dich töten oder gefangennehmen oder von dannen ziehen lassen dürfen.« Ich erkannte, daß die Hunkeldarer von irgend etwas abhängig waren. »Es gibt eine Lösung für beide Seiten«, versuchte ich es noch einmal. »Sie besteht darin, daß ihr offen die Wahrheit sagt. Wer hat euch gezwungen?« Daress wand sich wie ein Aal, aber er schwieg verbissen. Die Zeit drängte, denn die SOL war in höchster Gefahr. Mit meinen Überredungskünsten und Drohungen schien es bei den Hunkeldarern nicht weit her zu sein. Sie wirkten unschlüssig und fast verängstigt. »Es ist nicht unsere Schuld«, klagte eine jüngere Frau, die bislang noch nichts gesagt hatte. »Einer, der so aussieht wie du, hat uns gezwungen. Wir …« Die anderen Hunkeldarer stürzten auf die Frau zu und
unterbanden mit lauten Worten und heftigen Gebärden jedes weitere Gespräch. »So ist das also.« Ich tat, als ob ich alles verstanden hätte, und beschloß, einen weiteren Trumpf auszuspielen. »Dann sollt ihr wissen, daß mein Raumschiff noch unbeschädigt im Innern der Ansammlung der Bastionen steht. Es ist nämlich unbesiegbar. Allerdings haben meine Leute kein Interesse daran, eure gesamten Festungen zu vernichten. Deshalb bin ich hier, um zu verhandeln. Wenn es sein muß, dann können wir auch gewaltsam vorgehen.« Die Verwirrung bei den Hunkeldarern war nun komplett. Alle schrien durcheinander, und ich hatte Mühe, aus den Worten weitere Schlüsse zu ziehen. »Ich habe es gewußt, daß sie stärker sind.« »Was hätten wir tun sollen?« »Wenn der Hypno jetzt da wäre, würde sich zeigen, wer stärker ist.« »Wir haben keine andere Wahl.« Plötzlich sah ich mehrere Waffen auf mich gerichtet. »Du bist unser Gefangener«, erklärte Daress. »Das gilt auch für die anderen in dem Raumschiff.« »Vielleicht habe ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden«, antwortete ich höhnisch und aktivierte unbemerkt meinen Individualschutzschirm. Dann zog ich meinen Impulsstrahler, in der Erwartung, daß man auf mich feuern würde. So geschah es auch, aber die Energien prallten wirkungslos ab. »Ihr seht, so einfach ist die Sache nicht«, rief ich gelassen. »Ihr solltet euch überlegen, auf welche Seite ihr euch schlagen solltet.« Die Hunkeldarer stellten das Feuer ein und starrten mich lauernd an. In diesem Augenblick verkündete ein Signal, daß ich aus der Lightning-Jet gerufen wurde. Während ich weiter auf die Hunkeldarer zielte, antwortete ich.
»Hier Sanny«, kam es kurz zurück. »Ich bin mir sicher, etwas gefunden zu haben. Uster holt dich gleich an Bord. Sprich deine Abschiedsworte.« Ich atmete tief durch. Zu Daress gewandt, sagte ich: »Hör genau zu, Hunkeldarer! Ich gehe jetzt und löse das Problem auf meine Weise. Aber ich komme wieder, und dann habt ihr euch hoffentlich besonnen.« Uster setzte den Traktorstrahler ein und zog mich damit in Sekundenschnelle in die Nähe des Einstiegs. Die Hunkeldarer standen verdutzt da und rührten sich nicht. Mit einem Satz war ich in meinem Pneumosessel. Sanny rückte zur Seite und hockte sich dann auf mein rechtes Knie. Uster Brick wendete schon die Lightning-Jet, um zu starten. »Die Positronik hat nichts gefunden.« Sanny deutete auf den Orterbildschirmi auf dem mehrere tausend Echos zu sehen waren. »Aber ich meine, die von dir gesuchte Schaltstelle ist hier.« Sie zeigte auf einen Punkt, an dem überhaupt keine Reflexe zu sehen waren. »Paramathematik?« fragte ich die Molaatin. »Nenne es, wie du willst«, wich Sanny aus. »Es handelt sich um einen kleinen Mond von Hunkel. Allem Anschein nach ist er unbewohnt.« »Ich habe die Koordinaten schon für den Flug abgespeichert«, teilte mir Uster über das Interkom mit. »Vielleicht gibst du mir endlich einen klaren Befehl.« Der Solaner wartete keine Antwort ab und startete. Die Hunkeldarer ließen uns unbelästigt. Entweder sie waren gar nicht in der Lage, etwas zu unternehmen, oder sie ließen uns einfach ziehen. Sie wollen wissen, ob du geblufft hast, behauptete mein Logiksektor. Für die Lightning-Jet war die Entfernung zu dem Mond ein Katzensprung. Die Feinortungen ergaben, daß es sich um einen
toten Himmelskörper handelte. Allerdings wurde nun auch bestätigt, daß Sannys Instinkt sie nicht betrogen hatte. Feine Streuenergien wurden angemessen. »Sie überlagern sich weit draußen so«, erläuterte Sanny, »daß auswertbare Steuersignale entstehen. Eine ausgezeichnete Tarnung, die keine Positronik entdeckt hätte.« Der Mond kam schnell näher. »Die Puste ist vorgewärmt«, teilte Uster mir in seiner typischen Art mit. Ich verstand, daß er damit die starr im Bug der Lightning-Jet eingebaute Transformkanone meinte. Dieses Hochleistungsgeschütz verfügte über drei Bomben mit je 35 Gigatonnen Sprengkraft. Einen kleinen Mond, wie es der vor uns im Raum hängende Himmelskörper war, konnte man damit auseinandersprengen, wenn alle drei Schüsse genau im gleichen Ziel lagen. Sanny hantierte weiter an den Ortungsanlagen herum. »Das eigentliche Ziel liegt, von uns aus gesehen, in der Nähe des oberen Poles«, ließ sie Uster Brick wissen. »Verstanden. Feuer frei?« »Natürlich, Uster. Denk daran, wir haben nur eine einzige Chance. Alle Schüsse müssen genau im gleichen Zielpunkt liegen.« Statt einer Antwort kicherte der Solaner leise. Er schien überhaupt keine Nerven zu haben. Uster riß die Lightning-Jet in eine Steilkurve und drückte sie dann wieder in Richtung des Mondes, so daß der von Sanny angegebene Zielpunkt direkt vor den Bug kam. Während Uster die Jet erneut im schnurgeraden Flug beschleunigte, fiel mir eigenartigerweise Hatzel Keversin wieder ein. Der Überfall durch die Planetenbastionen hatte den Alten völlig aus meinen Gedanken verdrängt. Er hatte mich vor etwas warnen wollen, das war wohl klar. Hatte er diesen Mond gemeint? Oder war etwas auf oder in diesem Himmelskörper, das in eine
Verbindung mit seinem Bewußtsein getreten war? Es gab keine erklärende Antwort. »Jetzt!« Ich sah, wie vor mir die Hand Uster Bricks drei Sensortasten gleichzeitig berührte. Die Lightning-Jet schüttelte sich spürbar, als innerhalb einer Sekunde die Geschosse abgestrahlt wurden. Unmittelbar danach zog der Solaner den Jäger zur Seite und drehte ihn um die Längsachse. So konnte ich durch die Panzerglasscheiben genau beobachten, welche Wirkung unser Angriff hatte. Die drei Explosionen wirkten wie eine einzige. Die Schüsse hatten genau gesessen. Wie immer, wenn ich diese lautlose Zerstörung sah, erfaßte mich ein Schauder. Dort auf dem Mond tobten sich in Sekunden Energien aus, denen nichts standhalten konnte, wenn es nicht besonders geschützt war. Ich konnte nur hoffen, daß die Tarnung der Steuersignale der alleinige Schutz des vermutlichen Zentrums war, oder daß unser Angriff so überraschend war, daß dort nichts und niemand zu einer Gegenreaktion in der Lage sein konnte. Der Glutball breitete sich mit rasender Geschwindigkeit aus und versperrte die direkte Sicht auf den kleinen Himmelskörper. Zehn oder zwölf Sekunden der Unsicherheit über den Erfolg vergingen. Hochenergieschirme oder andere Schutzfaktoren zeigte die Ortung jedoch nicht an. Dann zeigte sich, daß Uster im wahrsten Sinn des Wortes einen mehrfachen Volltreffer erzielt hatte. In einer neuerlichen Flammenhölle, deren Farbspektrum und Größe unsere drei Transformbomben lächerlich erscheinen ließen, platzte der Mond auseinander. Trümmer rasten in den Weltraum und zogen glühende Flammenbahnen hinter sich her. Auf dem Massetaster verschwand das Echo der Mondmaterie.
»Juhu!« platzte Uster heraus. »Wir haben den neuralgischen Punkt erwischt.« Jetzt galt es abzuwarten, welche Wirkung die Vernichtung des Mondes auf die Planetenbastionen hatte.
5. Gallatan Herts hatte den Platz von Uster Brick eingenommen und unterstützte den Piloten bei den immer schwieriger werdenden Manövern der SOL. Zwischen Gluthöllen, die wütend an den gestaffelten Schutzschirmen des mächtigen Hantelschiffs leckten, und in dem Getümmel auftauchender Kleinplaneten steuerten die Solaner ihre Heimat von einer Gefahr zur anderen. Noch zeichnete sich kein Ende dieses unwirklichen Kampfes ab. Breckcrown Hayes hatte Mühe, seine schon sprichwörtliche Gelassenheit zu bewahren. SENECA, seit Wochen ein treuer Helfer der Solaner, bemerkte nur selten etwas. Die Biopositronik war in Anbetracht der außergewöhnlichen und einmalig neuen Lage außerstande, lenkend einzugreifen. Letztlich verdankten alle Vorlan Brick, daß es zu noch keiner Katastrophe gekommen war. Der Pilot bugsierte das Hantelschiff zwar mehr nach seinem Gefühl als nach den Bildern auf den Panoramaschirmen und den Ortungsanzeigen, aber gerade das war seine Stärke. Was ihm an den Fähigkeiten eines der früheren Emotionauten fehlte, nämlich die zeitverzugslose Weitergabe von Befehlen an die Maschinen und Aggregate, glich er durch eine an Hellseherei grenzende Weitsicht aus. Gallatan Herts, dem Ex-Magniden, machte es in dieser Lage nichts aus, daß er praktsich nur eine Hilfsfunktion erfüllte. Schließlich war er der offizielle Stabspezialist für die Leitung der Hauptzentrale.
Von Atlan gab es kein Lebenszeichen. In dem energetischen Chaos versagten selbst die Hyperfunkverbindungen, zumal die Raumfestungen auch weiter für einen schweren Feuerzauber sorgten. Dennoch ruhten Hayes' Hoffnungen auf Atlan. Schon mehr als einmal hatte sich der Arkonide als Retter in letzter Sekunde erwiesen. Diesmal stand ihm allerdings wenig zur Verfügung, Uster Brick, Sanny und eine Lightning-Jet. Es war mehr als fraglich, ob sich damit dem Geschehen eine Wende geben ließ. Eine Meldung aus dem Medo-Center der SZ-2 lenkte den High Sideryt nur kurz ab. Die Lage erlaubte es nicht, daß er sich um die Probleme eines Dr. Merrsynt kümmerte, dessen Patient Keversin in einem neuen Wachmoment dringend nach Atlan verlangte. Die Gefahr käme immer näher, hätte der alte Solaner im Delirium verlauten lassen. »So ein Unsinn«, schimpfte Hayes. »Die Gefahr ist schließlich schon da.« An den Geschützständen des ganzen Schiffes saßen die Männer und Frauen bereit, um auf seine Anweisung erneut das Feuer zu eröffnen. Der High Sideryt würde nicht zögern, diesen mit unwägbaren Risiken verbundenen Befehl zu geben, wenn die Lage unerträglich kritisch werden sollte. Noch hielten die Schutzschirme stand, und noch entdeckte Vorlan Brick immer wieder eine neue ruhige Zone, in der man für wenige Momente verschnaufen konnte. Die Minuten rannen dahin, geprägt von Hektig, Angst und Schweiß. Als einmal einer der getarnten Planeten in einer Lücke für Sekunden optisch sichtbar wurde, erkannte Hayes etwas von der wahren Struktur dieser Gebilde. Zweifellos handelte es sich ursprünglich um Himmelskörper. Ob
man sie nun als Kleinplaneten oder Monde bezeichnete, war bedeutungslos. Auf dem Oberflächenausschnitt, den man beobachten konnte, waren riesige technische Anordnungen zu sehen, die an überdimensionale Triebwerke erinnerten. Hayes folgerte, und SENECA bestätigte dies auch, daß jemand mit einem unvorstellbaren Aufwand diese Kleinplaneten in flugtüchtige Waffenbasen verwandelt hatte. Das Gigantische dieses Unternehmens weckte in Hayes sofort die Vorstellung, daß eigentlich nur ihr Erzfeind Hidden-X dahinterstecken konnte. Auch das bestätigte SENECA und fügte hinzu: »Damit hat sich Atlans Verdacht als richtig erwiesen, daß HiddenX auf unsere Rückkehr in das eigene Universum vorbereitet war. Das heißt, daß weitere Attacken anderer Art nicht ausgeschlossen, werden können.« Hayes nickte nur. In der krassesten Form hatte sich gezeigt, daß die Euphorie der Solaner nach der Rückkehr fehl am Platz gewesen war. Der High Sideryt schwor sich, in Zukunft noch vorsichtiger zu sein, wenn … Wenn ein Entkommen aus dieser Hölle überhaupt gelingen sollte! Eine Stunde war vergangen, seit Atlan den Fluchtversuch gewagt hatte. Noch hatte man keine Auswirkungen feststellen können. Hayes' Zweifel wurden stärker. »Es scheint sich alles etwas aufzulockern«, rief Lyta Kunduran. Die junge Ex-Magnidin hielt ständigen Kontakt mit SENECA und führte daneben noch Aufgaben von Gallatan Herts durch, dessen Vertreterin sie war. Die Augen des High Sideryt richteten sich auf die Bildschirme. Tatsächlich glitten dort die wabernden Gluthöllen und die nun noch besser erkennbaren Planetenfestungen langsam auseinander. An einer anderen Stelle kam es zu einem Zusammenstoß zwischen zwei dieser Welten. Sie prallten mit ungeheurer Wucht aufeinander. »Versagen des Gravitationsausgleichs«, kommentierte SENECA.
»Jemand hat in das Geschehen eingegriffen.« Gallatan Herts warf dem High Sideryt einen vielsagenden Blick zu. Auch ohne Worte konnte Hayes dessen Gedanken erraten. Atlan mußte es geschafft haben. Das umgebende Chaos verwandelte sich. Die Zielstrebigkeit der bisherigen Angriffsmaßnahmen machte einem unbeschreiblichen Durcheinander Platz. Nur noch vereinzelt feuerten die Planetenbastionen. Sie torkelten sinnlos durch den Raum, schalteten teilweise ihre eigenen Schutzsysteme ab und gerieten in die Gluthöllen, die sie selbst entfacht hatten. Hayes folgerte, daß der steuernde Mechanismus im Hintergrund ausgefallen war. Nun fehlte jegliche Koordination und jedes planvolle Vorgehen der Festungen. »Das ist unsere Chance«, erklärte SENECA, »um einen endgültigen Sieg zu erringen. Ich empfehle die Vernichtungen dieser Raumbastionen, bevor womöglich ein Ersatzsystem die Lenkung übernimmt.« Da sich die umhertorkelnden Planetenstationen immer weiter voneinander entfernten, ließ der High Sideryt die SOL teilen. SZ-1, SZ-2 und Mittelteil gingen getrennt auf Angriffskurs. Das Spektakel dauerte nur wenige Minuten, dann war die Hälfte der Festungen in Trümmer verwandelt. Es schien aber noch ein Notsystem zu geben, denn plötzlich reagierten die noch nicht schwer getroffenen Bastionen gezielt. Sie aktivierten ihren Überlichtantrieb und ergriffen die Flucht. Hayes ließ den Angriff stoppen und befahl, die Teile des Generationenschiffs wieder miteinander zu koppeln. Noch bevor dieser Vorgang beendet war, tauchten zwei Ortungsechos auf. Ein weit entferntes war zweifellos die Lightning-Jet Atlans. Das andere Echo raste heran und begann ein nun eigentlich sinnloses Feuer auf die noch vorhandenen Trümmer.
»Es ist Oggars HORT«, teilte die Ortungszentrale mit. »Warum stürzt er sich auf die Trümmer?« sinnierte der High Sideryt. Dann rief er das Multibewußtsein über Funk. Der künstliche Schädel Oggars erschien auf einem Bildschirm. »Ihr seid wieder da«, begrüßte er Hayes in überschwenglicher Freude. »So ist es«, bestätigte der High Sideryt. »Der Kampf gegen die Planetenbastionen ist entschieden. Du kannst das Feuer einstellen.« Oggar erwiderte dazu nichts. Aber sein HORT folgte der Aufforderung sogleich. »Kann ich an Bord kommen?« fragte er dann. »Ich möchte Atlan sprechen. Es ist viel Zeit vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben.« Eine halbe Stunde später saßen wir zusammen in der Klause des High Sideryt. Von der düsteren Atmosphäre, die dieser Raum nahe der Hauptzentrale früher einmal ausgestrahlt hatte, war nach der Umgestaltung durch Breckcrown Hayes kaum etwas zu spüren. Ich hatte Federspiel und Bjo Breiskoll mitgebracht. Oggar berichtete zunächst, was er seit der Trennung bei der Landschaft im Nichts erlebt hatte. Insbesondere wies er darauf hin, daß er ein kleines Gerät, das er den Kontakter nannte, an Bord von Hapeldans Zentralkegel geschmuggelt hatte, weil er so hoffte, eines Tages zu erfahren, wo sich Hidden-X und das Flekto-Yn aufhielten. Er ließ keinen Zweifel daran, daß das Flekto-Yn so etwas wie eine Heimstatt oder ein Zufluchtsort des gemeinsamen Feindes war. Ich ließ Oggar reden und stellte meine drängenden Fragen zunächst zurück. Das Multibewußtsein in dem künstlichen Körper war mir ja erst einmal in der Schlußphase der Auseinandersetzung auf der Landschaft im Nichts begegnet. Wir wußten viel über dieses Lebewesen, und doch war es für mich zu wenig, um mir ein klares Bild über es zu machen. Neben dem Bewußtsein des Pers-Oggaren Oggar, der sich früher
Wysterein genannt hatte, »lebten« Sternenfeuer und Cpt'Carch körperlos in dem Androidenleib. Das jetzige Auftreten Oggars ließ jedoch nicht erkennen, wer von den dreien sprach. Der Bewußtseinsverbund schien noch enger miteinander verschmolzen zu sein. Er wirkte irgendwie kühl und gefühllos auf mich, aber ich sagte mir, daß dies eine Täuschung sein konnte. Immerhin erfuhren wir, daß mit dem Schalter einer der freiwilligen Helfer des Hidden-X weiter am Leben war und uns dieses noch schwer machen konnte. Endlich kam Oggar auf den Punkt zu sprechen, der mich augenblicklich am meisten interessierte. Er berichtete davon, wie er durch wahrscheinlich eigenes Verschulden bei der Verfolgung des Zentralkegels einen Zeitstau erzeugt hatte. »Ich habe selbst etliche Jahre dadurch verloren«, erklärte er. »Ein Einwirken fremder Mächte konnte ich dabei nicht feststellen. Euch ist es aber wohl anders ergangen.« Ich schilderte kurz, was sich seit unserer Trennung mit der SOL zugetragen hatte, und fügte am Schluß hinzu, daß nach unserer Zeitrechnung ganze 57 Tage vergangen seien. Oggar schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht viel über das Sternenuniversum«, gab er dann zu. »Eigentlich beruhen meine Erkenntnisse nur aus dem kurzen Kontakt zu Federspiel. Aber da ich selbst einer zeitlichen Veränderung unterlag, habe ich inzwischen genau ermittelt, welches Datum nach eurer Zeitrechnung besteht. Ich fürchte, ihr werdet wenig erfreut sein.« »Nur heraus mit der Sprache«, drängte Hayes. »SENECA hat schon ein paar Andeutungen gemacht. Es wird uns nicht umwerfen, die ganze Wahrheit zu erfahren.« »Die Berechnungen meines Mnemodukts sind fehlerfrei. Sie wurden in den vergangenen Jahren mehrfach überprüft«, sagte Oggar. »Danach schreibt ihr nach der alten Zeitrechnung heute den
16. August des Jahres 3804.« Ich hatte keinen Grund, an den Worten des Multi-Bewußtseins zu zweifeln. Was Oggar sagte, bestätigte die vagen Berechnungen SENECAS, die wiederum von meinem Extrasinn für realistisch gehalten worden waren. Das genannte Datum bedeutete, daß 11,84 Jahre vergangen waren, während wir auf der SOL tatsächlich nur 57 Tage erlebt hatten. Der Zeitablauf des Sternenuniversums war damit um den Faktor 75 oder 76 schneller. Eine Begründung für diese Tatsache ließ sich natürlich nicht finden. Darüber grübelte ich auch nicht weiter nach. Viel wichtiger waren andere Folgerungen. Hidden-X hatte nahezu ungestört, so vermutete ich es zumindest, fast zwölf Jahre lang wirken können. Was mochte dieses Wesen in dieser Zeit alles angerichtet haben? Zumindest würde diese Zeitspanne ausgereicht haben, um die 66 Planetenbastionen aufzubauen, die die SOL hier erwartet hatten. Wenn dies zutraf, so warf sich jedoch die Frage auf, woher Hidden-X gewußt hatte, daß wir gerade hier wieder erscheinen würden. Möglicherweise gibt es kosmische Punkte, die für einen solchen Übergang prädestiniert sind, versuchte mein Logiksektor eine Erklärung zu finden. Denke daran, daß Sanny mit ihrer Paragabe einen Ort der absoluten Unwahrscheinlichkeit bestimmen konnte. Eine Erklärung war dies nicht, gestand ich mir ein. Aber daran, daß es Dinge gab, die weit über meinen Erfahrungen und Kenntnissen anzusiedeln waren, hatte ich mich schon in meiner Jugend gewöhnt. »Eine verdammt lange Zeit«, meinte Bjo Breiskoll nachdenklich. »Wir müssen mit Veränderungen rechnen.« »So ist es.« Oggar nickte, und es wirkte merkwürdig auf mich, wenn dieser Androidenkörper menschliche Gestiken vollführte. »Ich habe die Zeit genutzt, um in Pers-Mohandot die Grundlagen für
eine neue Zivilisation zu legen. An vielen Orten habe ich Nachkommen meines untergegangenen Volkes gefunden. Wenn der Schalter besiegt ist, werde ich die Pers-Oggaren in eine neue Zukunft führen.« »Die Hintergründe des Angriffs auf die SOL sind noch nicht geklärt.« Ich stand auf und ging ein paar Schritte auf und ab. »Wenn Hidden-X hier seine Finger im Spiel hatte, so möchte ich zu gern wissen, wer oder was sich die Hunkeldarer zunutze gemacht hat.« »Ein unwichtiger Aspekt«, wehrte Oggar ab und zeigte damit, daß er an dem Geschehen im MP-System kein Interesse hatte. »Ich rate euch, das eigentliche Ziel im Auge zu behalten. Für euch bedeutet das Hidden-X, für mich Hapeldan. Natürlich werde ich auch da sein, wenn ihr das Flekto-Yn gefunden habt, denn ich verfolge schließlich das gleiche Interesse. Hidden-X muß entfernt werden.« »Ich stimme dir grundsätzlich zu«, antwortete ich. Auch Hayes nickte. »Die Sache ist nicht so einf acli. Wir haben keinen konkreten Ansatzpunkt, und wir wissen nicht, was in den vergangenen zwölf Jahren geschah.« »Der Kontakter«, erinnerte Oggar. »Er ist ein Produkt der alten pers-oggarischen Technik, und er wird zuverlässig funktionieren, wenn er sein Ziel erreicht hat. Was ich euch vorschlage, ist folgendes: Wartet ab, bis das Signal kommt. Ich biete euch meine Heimatwelt Vasterstat als Aufenthaltsort an. Die Koordinaten überspielt zur Zeit das Mnemodukt II an eure Biopositronik SENECA. Das Gebiet um den Stern Auxonia ist ruhig und sicher. Wenn das Signal kommt, habt ihr einen konkreten Anhaltspunkt. Ich werde dann zur Stelle sein.« »Heißt das, daß du uns wieder verlassen willst?« wollte ich wissen. »So ist es. Auf mich warten noch weitere Aufgaben. Ich muß noch weitere versprengte Nachkommen meines Volkes suchen. Diese Arbeit unterbreche ich nur, wenn das Zeichen des Kontakters
empfangen wird.« Irgend etwas an diesem Plan gefiel mir nicht. »Ich will auf alle Fälle wissen, was mit den Hunkeldarern geschehen ist«, beharrte ich auf meinem bereits gefaßten Beschluß. »Das bleibt dir unbenommen«, lautete Oggars kühle Antwort. »Natürlich.« Vielleicht klang meine Antwort etwas ironisch, aber Oggar sollte ruhig merken, daß ich der bestimmende Faktor in dem Geschehen war. »Wenn das geschehen ist, können wir immer noch nach Vasterstat fliegen.« »Von mir aus.« Begeistert klang das nicht. Als sich Oggar ziemlich hastig erhob, trat ich vor ihn hin. »Du mußt mir noch zwei Fragen beantworten«, verlangte ich. Oggar verzog sein künstliches Gesicht ein wenig. »Gern. Ich ahne, was du wissen willst. Sternfeuer und Cpt'Carch geht es blendend. Wenn ich unsere gemeinsame Aufgabe gelöst habe, werden sie in ihre Körper zurückkehren. In Ordnung?« Diese Information war zwar interessant und wichtig. Mir brannte jedoch eine ganz andere Frage auf den Lippen. »Wie merken wir, daß der Impuls deines Kontakters eintrifft?« »Ihr merkt es gar nicht«, lautete die Antwort. »Ich werde es merken, denn der Kern meines Ichs ist ein pers-oggarisches Bewußtsein. Ich werde euch wissen lassen, wenn es soweit ist.« Ich antwortete nichts, aber meine Gesichtszüge mußten Oggar wohl zeigen, daß mir seine Antwort nicht sehr gefallen hatte. »Noch etwas, Oggar. Wie konntest du uns gerade hier finden?« Mir war, als ob der Androide mit den drei Bewußtseinsinhalten zusammenzuckte. Er faßte sich aber rasch wieder. »Ich habe die Energieechos geortet«, lautete seine Antwort. »Und zufällig befand ich mich in der Nähe.« Ich konnte dem nichts erwidern, obwohl mich ein ungutes Gefühl beschlich. Bevor sich Oggar mit dem HORT entfernte, sprach ich noch kurz über Funk mit Insider. Auch der Extra machte auf mich nicht gerade
den erfreulichsten Eindruck. Vielleicht hatte der Überfall auf die SOL mich zu mißtrauisch gemacht, so daß ich hinter allem und jedem eine neue Falle vermutete. »Was hältst du von diesem Oggar?« fragte ich Bjo Breiskoll. Der Katzer schüttelte unsicher den Kopf. »Unnahbar«, meinte er dann. »Während der gemeinsamen Erlebnisse auf der Landschaft im Nichts war er aufgeschlossener.« »Ich habe kurz mit Sternfeuer meine Gedanken ausgetauscht«, berichtete Federspiel. »Auch sie kam mir irgendwie fremd vor. Sie meinte, das läge an der langen Zeit, die vergangen ist.« »Und Carch?« Bjo und Federspiel gaben keine Antwort. Das besagte viel und nichts. Zumindest schien mein Mißtrauen nicht ganz unbegründet zu sein. Wir gingen gemeinsam hinüber in die Hauptzentrale, während ich Breck unterwegs noch einmal darum bat, mich nach Hunkel fliegen zu lassen. Ich wollte diese Angelegenheit einfach geklärt wissen. Jedes Mosaiksteinchen in diesem kosmischen Puzzle mußte eine Bedeutung haben. Der High Sideryt erhob keine Einwände. In der Zentrale erwartete mich Blödel. Der Roboter schwenkte aufgeregt einen seiner ausgefahrenen Arme. »Ich habe bei Hatzel Keversin gewacht«, rief er mir sogleich entgegen. »Es gibt Neuigkeiten.«
6. Während Bjo Breiskoll ein Team zusammenstellte, das mich zu den Hunkeldarern begleiten sollte, begab ich mich mit Blödel in die Medostation.
Keversin lag wieder in einem Trauma, so daß ich mich auf das beschränken mußte, was der Roboter berichtete. »Ich habe die Zeiten genau verfolgt und verglichen«, sagte Blödel. »In der Phase, in der sich Oggar mit dem HORT näherte, wurde Hatzel immer überspannter. Er redete pausenlos wirres Zeug, wobei er auch wieder und wieder die ominöse Banane erwähnte. Inzwischen habe ich mir Cpt'Carchs Orginalkörper in SOL-City angesehen. Dieser ähnelt einer riesigen Banane. Es muß da also eine Verbindung geben.« Ich versuchte, diese neuerliche Beobachtung an dem alten Solaner mit dem in Einklang zu bringen, was ich von Oggar, Bjo und Federspiel erfahren hatte. Irgendwo fehlte das entscheidende Verbindungsglied, das vielleicht alles erklären würde. »Als Oggar an Bord der SOL war«, fuhr der Roboter fort, »ging es erst richtig los. Hatzel entwickelte in einer panischen Angst unheimliche Kräfte. Um ein Haar hätte er die Fesseln zerrissen. Er schrie nach dir, und ich behaupte, es war nicht seine Stimme, die da sprach.« »Sondern?« »Die von Cpt'Carch«, meinte Blödel im Brustton der Überzeugung. »Wie erklärst du das?« »Ich kann es nicht erklären. Auch die Mediziner sind ratlos. Aber es deutet einiges darauf hin, daß Carchs Bewußtsein teilweise im Körper von Keversin weilte. Auch wäre es möglich, daß die beiden dabei eine Art Kampf austrugen, bei dem einmal der eine und einmal der andere die Oberhand gewann. Seit Oggar wieder verschwunden ist, hat sich Keversin wieder beruhigt.« Dr. Merrsynt bestätigte die Aussagen Blödeis und fügte hinzu, daß Keversin vom medizinischen Standpunkt aus nicht krank sei. Jedenfalls versagten alle übrigen Diagnoseverfahren. Da ich in dieser rätselhaften Sache im Augenblick keinen Fortschritt erwarten konnte, beendete ich den Besuch bei Keversin. Blödel sicherte mir zu, weiterhin bei ihm zu bleiben und alles genau
zu verfolgen. Ich eilte zu den beiden Korvetten, die Breiskoll startklar gemacht hatten. Es galt zu erklären, was den Hunkeldarern widerfahren war. Und diesmal würde sich mit einer Streitmacht und dem Sieg der SOL über die Planetenbastionen aufkreuzen. Etwas spielte sich ab, was mir noch ein Rätsel war. Es hing mit Keversin, Cpt'Carch und Oggar zusammen. Ich wog alle Möglichkeiten ab, aber keine schien mir eindeutig zu sein. Am wahrscheinlichsten war noch, daß sich das Multibewußtsein in den vergangenen Jahren verändert hatte. Über die Entwicklung eines so komplizierten Systems aus körperlosen Geistern und einem Androidenleib ließ sich nichts Genaues aussagen. Es galt, weiterhin vorsichtig und wachsam zu sein. Alle Mitglieder meines Teams, Blödel natürlich ausgenommen, waren an Bord der Korvetten. Wir schalteten mehrere ständige Bildfunkverbindungen zur SOL, die hart jenseits der Bahn von MP-X in eine Warteposition gegangen war. Wenige Minuten später tauchten wir, aus dem Linearraum kommend, über Hunkel auf. Bjo Breiskoll, Sanny und Federspiel kamen zu mir. Ich war mir sicher, daß ich mit Hilfe ihrer Parafähigkeiten das Rätsel der Hunkeldarer schnell lösen würde.
* Die bleichhäutigen Fremden erwarteten uns bereits. Diesmal waren sie allerdings besser vorbereitet, wie wir schon bei der Annäherung feststellen konnten. Auf dem Landefeld, das ich bereits mit der Lightning-Jet besucht hatte, warteten ringsum zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge. Im Luftraum darüber kreisten Düsenflugzeuge.
Während ich mich über Funk mit Daress in Verbindung setzte, meine Rückkehr ankündigte und ein Gespräch mit den verantwortlichen Repräsentanten der Hunkeldarer forderte, spielten unsere Ortungsanlagen. Noch bevor wir zur Landung ansetzten, stand fest, daß die Hunkeldarer uns an gekonnter Technik nichts Gefährliches entgegenzusetzen hatten. Ihre Kampfmaschinen entsprachen etwa denen der Erde gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Ich blieb dennoch vorsichtig und ließ die Schutzschirme hochfahren. Daress hatte sich nach einigem Zögern bereiterklärt, mich und meine Begleiter zu empfangen. Ich wählte Bjo Breiskoll, Sanny und ein Dutzend Kampfroboter aus. Federspiel, der noch immer sehr nachdenklich wirkte, blieb als Kontaktmann an Bord. Die Roboter stellten zugleich eine beträchtliche Streitmacht dar und demonstrierten dies durch ihre Anwesenheit. Bjo wollte ganz ungestört und unbeobachtet an die Sache gehen. Er wählte als Ausrüstung einen alten Reflektorschirm, der ihn unsichtbar machte. Natürlich war dieses Gerät relativ leicht zu orten, aber wir nahmen nicht an, daß die Hunkeldarer dazu ohne weiteres in der Lage sein würden. Ungeachtet der auf uns gerichteten Waffen landeten wir mit beiden Korvetten mitten auf dem Landefeld. Es dauerte auch nur wenige Minuten, bis sich Daress mit seiner Delegation in einem Bodenfahrzeug näherte. Ich stellte fest, daß die redselige Frau von meinem ersten Besuch diesmal fehlte. Die Roboter bildeten einen schützenden Halbkreis um uns. Nur zwei von ihnen standen unmittelbar neben Sanny und mir. Wo sich Bjo aufhielt, vermochte ich nicht zu sagen. Er konnte mich aber jederzeit über Funk ansprechen, ich ihn natürlich auch. »Du bist also tatsächlich noch einmal gekommen, Fremder«, sagte
Daress mißtrauisch zur Begrüßung. »Ich weiß nicht, ob das Mut oder Dummheit ist.« »Weder das eine noch das andere. Der Grund meines Hierseins besteht nur darin, ein paar wichtige Informationen zu bekommen. Notfalls hole ich mir diese auch gegen euren Willen.« »Ich bedauere«, wehrte der Hunkeldarer kühl ab, »aber wir können euch nicht helfen.« »Du meinst, ihr wollt nicht. Warum habt ihr uns mit den Planetenbastionen angegriffen?« Daress machte fast einen hilflosen Eindruck. »Haben wir das denn?« stellte er schließlich die Gegenfrage. »Wenn ihr es nicht wart, wer war es dann?« Ich hoffte, daß Bjo zumindest die Wahrheit würde ausspähen können. »Wir können dir diese Frage nicht beantworten«, erklärte Daress. Warum meldete sich der Katzer nicht? Ich griff die wenigen Dinge auf, die ich bei dem ersten Kontakt gehört hatte. »Wer ist der Hypno? Wo ist er? Wer ist der, der so aussieht wie ich?« Eine ältere Hunkeldarerin drängte sich nach vorn. Ihr Blick war giftig und voller Haß. »Du wirst von uns nichts erfahren«, geiferte sie. »Durch euch ist das Unglück über uns gekommen.« Diese Behauptung war ja nun vollkommen unlogisch. »Das mußt du mir erklären«, verlangte ich. Gleichzeitig gab ich ein Signal an die Korvetten. »Ich werde dir zeigen, welche Macht ich habe«, fuhr ich fort. »Achtet auf eure Flugzeuge.« Als eine der Düsenmaschinen über den Platz donnerte, schlugen die Techniker der Korvetten zu. Sie hielten das Flugzeug mit Traktorstrahlen in der Luft an und zwangen es dann zu Boden. Die Maschine kam direkt neben dem
Bodenfahrzeug der Hunkeldarer zum Stehen. Für die Solaner war es kein sonderliches Problem, die Kanzel abzusprengen und den Piloten, der wild zappelte, mit einem fein dosierten weiteren Traktorstrahl aus dem Cockpit zu hieven. Schließlich purzelte der Mann vor Daress' Füßen auf den Boden. Der erste Minister der Hunkeldarer schwieg noch immer verbissen. Auf ein weiteres Signal von mir schoß ein Flammenstrahl aus einer der Korvetten und verwandelte das Flugzeug in einen Haufen Asche. Die Hunkeldarer diskutierten wild durcheinander. Wahrscheinlich hatten meine Aktionen sie in zwei Lager gespalten. »Sie haben Angst«, sagte eine Stimme in meinem Helmlautsprecher. Das war Bjo Breiskoll. »Und sie bemühen sich krampfhaft, nicht an bestimmte Geschehnisse zu denken. Allerdings habe ich das Gefühl, daß sie dies eher aus einer natürlichen Furcht machen und weniger wegen der Gefahr einer Ausspähung durch Telepathen.« Sehr hilfreiche Hinweise waren das nicht. Also lag es an mir, das Eis zu brechen. »Ihr habt gesehen«, fuhr ich fort, »daß wir mächtiger sind als die, die euch unterjocht haben. Wenn ihr euch auf unsere Seite stellt, können wir diesen Feind gemeinsam besiegen. Ich gebe euch eine Bedenkzeit.« Die Hunkeldarer waren unschlüssig. »Frage sie nach dem Schicksal von Peseth-Ress«, forderte mich Bjo auf. Er hatte also einen interessanten Gedanken aufgeschnappt. Ich versuchte es weiter mehr auf gut Glück. »Oder holt Peseth-Ress herbei«, rief ich laut. »Mit ihm ließe sich alles viel leichter klären. Oder seid ihr dazu nicht in der Lage?« Bei der Erwähnung des Namens zuckten die Fremden zusammen. Daress kam langsam auf mich zu. Er wollte wohl bedrohlich wirken,
denn er ruderte wild mit den Armen. »Du kennst Peseth-Ress?« brüllte er voller Verzweiflung. »Am Ende bist du auch nichts weiter als ein Helfer des …« Er brach unvermutet ab, aber Bjo vollendete den Satz. »Des wandernden Hypno-Bewußtseins. Das hat er gedacht.« »Nein, Daress«, erklärte ich deutlich. »Das wandernde HypnoBewußtsein ist auch unser Feind. Was ist mit Peseth-Ress?« Der Minister starrte mich schweigend und voller Zweifel an. »Peseth-Ress ist ein Verrückter«, behauptete Sanny plötzlich. Ihre Aussage verwirrte mich zunächst. Dennoch griff ich auch nach diesem Strohhalm. »Wir wissen, daß Peseth-Ress Schwierigkeiten hat«, sagte ich sanft. »Das bedauern wir. Aber vielleicht können wir ihm helfen.« »Was redest du da, Fremder!« geiferte die alte Hunkeldarerin. »Weißt du, wer ich bin?« Ich verneinte wahrheitsgemäß. »Mein Name ist Peseth, verstehst du?« fuhr die Alte erregt fort. »Peseth-Ress ist mein Mann.« »Ich wiederhole noch einmal, was ich gesagt habe«, lautete meine Antwort. »Holt Peseth-Ress herbei. Dann sehen wir weiter.« Die Hunkeldarerin gab zwei anderen ein Zeichen, worauf diese mit dem Fahrzeug verschwanden. Die anderen stellten sich abseits und tuschelten leise. Sie betrachteten unsere Unterredung als vorläufig beendet. Für mich war dies eine gute Gelegenheit, um mich mit Bjo und Sanny zu beraten. Die Molaatin konnte kaum etwas Wesentliches beisteuern. »Mit den Hunkeldarern ist vor längerer Zeit etwas Durchgreifendes geschehen«, erklärte der Katzer. »Ihr Verstand weigert sich, es zu akzeptieren. Deswegen denken sie nicht bewußt und auch nicht unbewußt an die wirklichen Geschehnisse. Klar erkennen konnte ich nur, daß Peseth-Ress eine Schlüsselfigur ist und daß man ihn nun holt.«
Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich das Bodenfahrzeug wieder näherte. Vier Hunkeldarer stiegen aus. In ihrer Mitte schleppten sie einen alten Mann. Mit Sanny begab ich mich zu den Ankömmlingen. »Das ist Peseth-Ress«, behauptete Sanny und deutete auf den Alten, der mehr gezogen wurde, als daß er selbst lief. Aus dem Mund des Mannes kam wirres Gestammel, das mein Translator nicht übersetzen konnte. Ich hörte nur Wortbrocken. Plötzlich stutzte ich, denn irgendwie kamen mir diese Worte bekannt vor. Peseth-Ress plapperte in ähnlicher Form etwas von einer Unterdrückung, wie es Hatzel Keversin gemacht hatte. Allerdings vermißte ich den Hinweis auf die Banane. Es hatte jedenfalls den Anschein, daß der Hunkeldarer ein Problem mit einer ähnlichen geistigen Auseinandersetzung hatte. Ich teilte Sanny meine Vermutung mit. »Er ist tatsächlich verrückt«, behauptete die Paramathematikerin. »Das muß ein bleibender Schaden sein, der von einer gewaltsamen Bewußtseinsunterdrückung herrührt.« So war das also. Kurz darauf bestätigte Bjo die Aussagen Sannys. »Der Mann ist heilbar«, fügte er hinzu. Ich gab meine Anweisungen, ohne die Hunkeldarer zu berücksichtigen. Die Roboter kreisten die Bleichhäutigen ein und schnappten sich Peseth-Ress. Kurz darauf waren sie mit ihm an Bord einer Korvette verschwunden. Hage Nockemann würde sich um ihn kümmern. Bjo teilte mir unterdessen weitere Einzelheiten mit. »Dieser Peseth-Ress war früher einer der führenden Köpfe seines Volkes. Er verfügt über etwas, was ich eine posthypnotische Sperre nennen möchte. Diese treibt ihn zum Wahnsinn, denn er weiß, was er angerichtet hat, könnte es auch erklären und kann sich aber durch den Hypnoblock nicht mitteilen.«
Nockemanns Diagnose traf kurz darauf über Funk ein. Sie decke sich praktisch mit Bjos Aussagen. »Kriegst du den Kerl wieder hin?« fragte ich über Funk den Wissenschaftler. »Natürlich. Da Blödel nicht hier ist, behindert mich ja niemand bei der Arbeit. In einer Viertelstunde weiß ich mehr.« Ich ging gemächlich hinüber zu den wartenden Hunkeldarern und trat zu Peseth. »Bald ist dein Mann wieder völlig gesund«, versuchte ich sie zu trösten und damit gleichzeitig zum Sprechen zu verleiten. »Das glaube ich nicht«, bekam ich zur Antwort. »Außerdem muß er dann vor ein Gericht gestellt werden.« »Ich weiß noch nicht, was er getan hat«, entgegnete ich ruhig. »Aber es hat den Anschein, daß er dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Nach unseren Gesetzen macht sich dann ein Mensch auch nicht schuldig.« »Ha!« stieß Peseth verzweifelt hervor. »Das klingt gut. Aber es kann niemand beweisen. Der Wahnsinn hat ihn immerhin vor dem Tod bewahrt.« »Ich verstehe. Warte ab. Wir werden den Beweis liefern.« Ich wußte zwar noch nicht, wie das möglich gemacht werden könnte, aber allmählich baute sich ein Bild auf, das sich abrunden ließ. Die zentrale Frage war, wer oder was das ominöse Hypnobewußtsein war. Ich hoffte, daß ein genesener Peseth-Ress die Antwort darauf geben könnte. Die ganze Geschichte trug die Handschrift von Hidden-X. Daran hatte ich keinen Zweifel mehr. Auch mein Logiksektor bestätigte dies ohne Einschränkungen. Auch der Sinn der Sache wurde mir allmählich klar. Hidden-X hatte für den Fall einer Rückkehr der SOL in unsere Dimension vorgesorgt und an den Punkten, wo dies möglich war, entsprechende Mächte aufgebaut. Zeit genug hatte dieses Wesen
dafür ja gehabt. Wenn es noch andere Rückkehrorte in Pers-Mohandot oder an anderer Stelle gab, so würden heute dort bestimmt ähnlich ausgenutzte oder gesteuerte Hilfsvölker darauf warten, um die SOL zu vernichten. Die Technik der Hunkeldarer war niedrig. Die Technik der Raumbastionen konnte also nicht von ihnen stammen. Die Koordinatenangabe, die ich bei unserer ersten Annäherung als Datentelegramm empfangen hatte, mußte ebenfalls ein klug vorbereiteter Takt in dem Vernichtungsplan gewesen sein und konnte nicht von den Hunkeldarern selbst gekommen sein. Dafür war es in seiner Struktur zu komplex gewesen. Und das Hypno-Bewußtsein? Dabei konnte es sich nur um Hidden-X selbst oder um einen Abgesandten dieses grausamen Wesens handeln. Endlich kam Hage Nockemann mit dem alten Hunkeldarer aus der Korvette. Schon vom äußeren Anblick war Peseth-Ress anzumerken, daß er völlig verändert war. Er blickte fest und gerade vor sich hin und ging aufrecht und ohne zu schwanken. Sein Mund blieb geschlossen. Peseth-Ress kam auf mich zu, während seine Frau ihn ungläubig anstarrte. »Du bist also Atlan«, sagte er mit klarer Stimme. »Ich weiß, daß ich dir meine Befreiung letztlich zu verdanken habe.« Sein Händedruck sagte mehr als tausend Worte. Erst danach schloß er seine Frau in die Arme.
7. Die Geschichte des alten Hunkeldarers bestätigte meinen vagen Verdacht und unterstrich die Grausamkeit, mit der Hidden-X hier sein ganzes Volk für seine Zwecke eingespannt hatte.
Vor elf Jahren unserer Zeitrechnung, also zu einer Zeit, zu der Hidden-X noch gar nicht mit einer Rückkehr der SOL hätte rechnen können, hatte das, was Peseth-Ress ebenfalls nur das HypnoBewußtsein nannte, ihn erstmals besucht. Der Hunkeldarer war zu jener Zeit Erster Minister seines Volkes gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man in Ruhe und Frieden gelebt, einen behutsamen technischen Aufschwung vorangetrieben und gerade begonnen, Fuß auf den Hunkel benachbarten Planeten zu fassen. Peseth-Ress war es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, sich gegen das körperlose Wesen aufzulehnen, dem es nur darauf angekommen war, die Hunkeldarer in einen Aufrüstungskampf zu zwingen. Anfangs hatte niemand gemerkt, daß etwas Fremdes von dem wichtigsten Mann Besitz ergriffen hatte. Als die Warner die Oberhand gewannen, ging das HypnoBewußtsein einen brutaleren Weg, um schnell zu seinem Ziel zu gelangen. Es unterdrückte die gesamte Regierungsschicht. Dadurch war es allerdings zu Zwischenfällen gekommen, die die Anwesenheit des Fremden verrieten. Um seine Macht zu demonstrieren, tötete das Hypno-Bewußtsein durch die Waffen der Hunkeldarer eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten. So machte es sich auch die gefügig, die es nicht direkt kontrollierte. Riesige Raumschiffe mit Robotern tauchten dann auf. Das HypnoBewußtsein, zu dieser Zeit noch im Körper des Hunkeldarers Peseth-Ress, zog viele tausend Hunkeldarer zu Arbeiten im Weltraum ab. Keiner verstand, was wirklich geschah, bis die Astronomen das Verschwinden der vielen Monde der inneren Planeten feststellten. Diese tauchten dann später weit außerhalb der Planetenbahn wieder auf. Von den rekrutierten Hunkeldarern kehrte niemand zurück.
Peseth-Ress verfiel dem Wahnsinn, als das Hypno-Bewußtsein ihn nach der Fertigstellung der jahrelangen Arbeiten wieder verließ. Aus seinen verwirrten Worten versuchten die Hunkeldarer zu erkennen, was wirklich geschehen war, aber dies gelang nur bruchstückhaft. Die Verwirrung wurde dadurch nur noch größer. Später kehrte das Hypno-Bewußtsein noch zweimal zurück. Dieser Zeitpunkt lag allerdings erst wenige Wochen in der Vergangenheit. Es erschien in der Form einer Person, die, so berichtete PesethRess, eher den Solanern glich als den Hunkeldarern. Die Hunkeldarer erhielten ein kleines Gerät, das sie auszulösen hatten, wenn Fremde auftauchen sollten und sich mit ihnen in Verbindung setzten. Falls sie dies nicht täten, so wurde Daress gedroht, würde Hunkel zerstört werden. Unter dem Zwang betätigte Daress dieses Gerät, als der erste Funkkontakt mit der SOL zustande kam. Peseth-Ress wußte aus der Zeit, in der er das Werkzeug des Hypno-Bewußtseins gewesen war, was die wahre Absicht dieses Fremdwesens war: die Vernichtung der SOL und der Solaner. Und er kannte den Namen der Macht, die das Hypno-Bewußtsein geschickt hatte, nämlich Hidden-X. Aus dem Bericht des alten Hunkeldarers ergaben sich so alle Zusammenhänge zweifelsfrei, auch wenn Einzelheiten unklar blieben, wie beispielsweise die Bestimmung des Rückkehrorts der SOL. Inzwischen hatte ich das geheimnisvolle Gerät holen lassen. Als Peseth-Ress seinen Bericht beendet hatte, lag auch das Untersuchungsergebnis dieses Kästchens vor. Es handelte sich um einen Hyperfunksender, der zwei Funktionen erfüllte. Er strahlte die Koordinaten ab, die die SOL zur Annäherung in die Innenzone des MP-Systems hätte verleiten sollen. Und es schickte einen Alarmierungsimpuls aus, der für einen
unbekannten, fernen Empfänger bestimmt war. Dieser konnte nur Hidden-X sein, vermutete ich. Aber mein Extrasinn widersprach mir heftig.
* Seit drei Stunden waren wir wieder mit der SOL unterwegs. Auf meine Bitte hin hatte Hayes noch kein festes Ziel ausgewählt, denn ich wollte erst mit der Hilfe von SENECA und Sanny die gewonnenen Daten auswerten. Ich saß in dem Konferenzraum von SOL-City, wie wir den Wohntrakt nannten, der nur unweit der Hauptzentrale und der Klause des High Sideryt im Mittelteil der SOL lag. Alle Mitglieder meines Teams waren anwesend, Sternfeuer und Cpt'Carch natürlich ausgenommen. Auf Bildschirmen, die uns mit der Zentrale verbanden, konnten wir das äußere Geschehen beobachten und verfolgen. Hayes hatte zunächst die Verfolgung der nicht zerstörten Planetenbastionen aufgenommen. Für diese hatte ich weniger Interesse übrig. Die ehemaligen Monde, die zu waffenstrotzenden Festungen umfunktioniert worden waren, bewegten sich in einem Pulk von 26 Körpern in kurzen Etappen von dem MP-System weg. Die maximale Entfernung, die sie dabei jeweils überbrückten, betrug nur wenige Lichtstunden. Für die SOL war es so kein Problem, sich rasch zu nähern. Hayes ließ mich wissen, daß er einen der Körper auf seine technische Ausrüstung untersuchen lassen wollte. Ganz ungefährlich war das sicher nicht, aber dem High Sideryt kam es wohl mehr darauf an, seinen Leuten eine neue Bewährungschance zu geben. Ich hatte unterdessen begonnen, SENECA, zu dem ich von SOL-
City aus ja eine eigene Sprechstelle besaß, alle Fakten vorzulegen. Sanny tat wohl etwas Ähnliches, denn sie fütterte über einen Arbeitsplatz Daten in SENECA ein und ließ sich gleichzeitig andere aufzeichnen. Sie war mir in der Augenblicksituation nur eine bedingt gute Hilfe, denn für ihre paramathematischen Berechnungen fehlte wohl etwas der abstraktphysikalische Hintergrund. Ich ließ sie das tun, was sie für angebracht hielt. Die Hunkeldarer hatten wir in Frieden verlassen. Bei den Leiden, die diesem Volk zugefügt worden waren, konnten wir ohnehin keine Hilfe leisten. Ich zweifelte aber nicht daran, daß sich diese am Anfang einer technischen Entwicklung stehenden Lebewesen von dem Schock erholen würden. Noch bevor ich SENECA mit allem Wissen versorgt hatte, geschah etwas, das meine Aufmerksamkeit ablenkte. Als sich die SOL bis auf Schußweite den fliehenden Festungen genähert hatte, sprengten sich diese ohne äußere Einwirkung in die Luft. Hayes' Plan, etwas über die fremde Technik in Erfahrung zu bringen, war damit gescheitert. Er rief mich über Interkom. »Das einzige lohnenswerte Ziel hat sich selbst entfernt«, meinte er nicht gerade erbaut. »Damit hängen wir in der Luft.« »Du meinst wohl ziellos im Leerraum.« Ich lächelte. »Warte noch ein wenig. Die Daten, die Oggar uns von dem Stern Auxonia und dem Heimatplaneten Vasterstat gegeben hat, sind ja bekannt. Ich möchte erst meine Auswertungen abschließen, bevor wir diesen Punkt anfliegen sollten.« Ich schloß meine Arbeit mit SENECA ab, indem ich ihm über die Vorkommnisse mit Hatzel Keversin berichtete. Jede Einzelheit konnte ja von Bedeutung sein. Blödel, der das Medocenter verlassen hatte, weil sich an dem Zustand des alten Solaners nichts mehr geändert hatte, berichtete auch darüber.
SENECA bat um eine kurze Pause, die ich nutzte, um mir von dem gegenüberliegenden Gemeinschaftsraum ein Fruchtgetränk zu holen. Dabei dachte ich daran, wie sehr sich doch vieles zum Wohl der Solaner geändert hatte, seitdem das starre System der SOLAG aufgelöst worden war und Gavro Yaal sich um alle Versorgungsprobleme kümmerte. Auf dem Rückweg trat ich zu Sanny. Für SENECA war es natürlich kein Problem, gleichzeitig mit vielen Stellen zu korrespondieren. Ich warf einen Blick auf Sannys Bildschirm. Was ich sah, waren endlose Zahlenkolonnen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Sanny starrte sie verträumt an, aber ich wußte, daß dieser Eindruck täuschte. Auch wenn mir nicht bekannt war, welche Aufgabe die kleine Molaatin im Augenblick verfolgte, so war ich mit ihrer Arbeitsweise inzwischen bestens vertraut. Sie ließ die Werte auf sich wirken, ohne sie bewußt zu lesen. Dann erhielt sie entweder ein Ergebnis oder nicht. Wenn sie dann aber mit dem Resultat ihrer Paramathematik herausrückte, konnte ich mich darauf verlassen. * Störungen liebte sie dabei nicht so sehr. Also unterließ ich jegliche Frage. Zu meiner Überraschung bat SENECA darum, erst Sannys Überlegungen abzuwarten, weil sie für seine Berechnungen eine entscheidende Bedeutung haben könnten. Ich trank meinen Fruchtsaft und hörte den diskutierenden Mitgliedern meines Teams zu. Breiskoll, Argan U und Nockemann überstiegen sich in wilden Spekulationen, wohingegen Federspiel noch immer auffällig ruhig und nachdenklich wirkte. Blödel stand abseits und hielt seinen Mund. Ich wußte nicht, ob Nockemann ihn abgeschaltet hatte, aber es hatte fast den Anschein. Ich wartete also geduldig ab, bis sich Sanny mit einem Ruck erhob. Sie tippelte zu mir herüber und blickte mit ihren großen Augen zu mir auf. Mit einem Ruck setzte ich sie auf SENECAS Konsole.
»Nun?« fragte ich gespannt. »Ich habe nur zwei Orte entdeckt«, erklärte Sanny. »Aber eigentlich genügt das.« »Es tut mir leid«, gestand ich, »aber ich verstehe kein Wort.« Auch die anderen, die sich nun bei uns eingefunden hatten, schauten verdutzt drein. »Vielleicht hast du in deinem paramathematischen Wahnsinnsanfall etwas Entscheidendes vergessen«, stichelte Argan U. »Nämlich uns zu sagen, was du berechnen wolltest.« Nun lag Verwunderung im Gesicht der Molaatin. Sie griff sich an den Kopf und fuhr mit der Hand verlegen über ihre Stirn. »Aber das liegt doch auf der Hand«, meinte sie dann vorwurfsvoll. »Es geht um den Ort, an dem wir wieder in unser Universum gelangten. In bezug auf die Masse der Galaxis Pers-Mohandot besitzt er etwas Ungewöhnliches und scheinbar Einmaliges. So ähnlich war der Ort der absoluten Unwahrscheinlichkeit im Sternenuniversum und doch ganz anders.« »Entzückend«, gähnte Argan respektlos. »Das hilft uns unheimlich weiter.« »Ich verstehe es ja selbst nicht«, räumte Sanny ein. »Dieser Ort war aber prädestiniert für unser Wiederauftauchen. Möglicherweise hat Hidden-X das auch gewußt.« Diese Erkenntnisse waren zwar auch für mich von grundsätzlichem Interesse. Aber innerlich gab ich Argan recht. Für die anstehenden Probleme hatten sie wohl kaum eine Bedeutung. Irrtum! erklärte mein Extrasinn. »Weiter, Sanny«, sagte ich darauf. »Natürlich war das nicht alles.« Die Paramathematikerin atmete sichtlich auf, weil sie merkte, daß ich an ihren Aussagen wirklich interessiert war. »Ich habe versucht, weitere solche Orte in PersMohandot zu finden. Zunächst gelang das nicht, weil wir nur ungenaue und unvollständige Daten besitzen. Bei der Zone um das
MP-System gelang mir der Schluß nur, weil ich die Koordinaten bereits besaß. Also untersuchte ich alle anderen bekannten Koordinaten in Pers-Mohandot.« Ich unterdrückte mein Erstaunen. »Welche anderen Koordinaten?« »Leider kennt SENECA nur einen weiteren Ort dieser Galaxis.« Ich mußte berücksichtigen, daß Sanny sich ungenau ausdrückte, denn was sie sagte, war irgendwie unsinnig. Man konnte ja schließlich jeden beliebigen Punkt von Pers-Mohandot mit Koordinaten belegen. Außerdem war die SOL bislang noch gar nicht im eigentlichen Bereich von Pers-Mohandot gewesen. Bei dem Flug von Flatterfeld über Roxha waren wir ja auf die Landschaft im Nichts gestoßen und von dort in das Sternenuniversum verschlagen worden. Es tröstete mich ein wenig, daß die Gesichter meiner Freunde auch nur Verwunderung widerspiegelten. Blödel meldete sich, und so merkte ich, daß er doch nicht von Hage desaktiviert worden war. »Ich empfehle eine Überprüfung des Geisteszustands von Sanny«, erklärte der Roboter respektlos. Ich sollte gleich merken, daß wir uns alle geirrt hatten. »Die einzigen Koordinaten«, fuhr Sanny ungerührt fort, »die über Pers-Mohandot in SENECA gespeichert sind, sind die, die Oggar überspielen ließ. Ich meine die Daten von Auxonia und Vasterstat.« Eine dumpfe Ahnung beschlich mich. »Was ist mit diesen Ortskoordinaten?« fragte ich. »Sie beschreiben ebenfalls einen Ort, an dem wir wieder aus dem Sternenuniversum hätten kommen können.« Die Folgerungen aus dieser Behauptung waren in der Tat bedeutsam. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich hörte kaum noch zu, als Sanny ihre Erläuterungen beendete und sagte, daß es in Pers-Mohandot wohl keinen dritten Ort für eine Rückkehr aus dem Sternenuniversum gäbe.
Die Koordinaten von Auxonia-Vasterstat stammten von Oggar und damit auch von Sternfeuer und Cpt'Carch! Das sah so aus, als wolle uns das Multi-Bewußtsein in eine andere Falle locken! Richtig! kommentierte mein Logiksektor. Du hast dich ja meiner Aussage entgegengestellt. Das menschenähnliche Wesen, das mit dem geheimnisvollen Hypno-Bewußtsein bei den Hunkeldarern erschien, kann nach der Beschreibung doch nur Oggar gewesen sein. Hast du übersehen, wie er sich noch ziemlich sinnlos als Retter aufspielen wollte, als die SOL den Kampf gegen die Planetenfestungen bereits für sich entschieden hatte? Hast du übersehen, wie Oggar es eilig hatte zu verschwinden und sich weigerte, den Hunkeldarern sein Interesse zu widmen? »Aber das ist doch unmöglich«, stieß ich laut hervor. »Oggar kann kein Verräter sein.« »Oggar nicht«, antwortete SENECA. »Aber wer weiß, welches Bewußtsein tatsächlich in seinem Körper steckt.« »Ich habe Sternfeuer deutlich gespürt, und ich habe auch mit ihr gesprochen«, warf Federspiel ein. »Daran gibt es keinen Zweifel.« Ich überlegte weiter. Wenn Oggar gegen uns war, dann konnte ich mich auch auf keine seiner weiteren Aussagen verlassen. Stimmte seine Zeitabrechnung? Entsprach es der Wahrheit, daß er auf Hapeldans Zentralkegel den Kontakter versteckt hatte? Und was noch viel wichtiger war, war die Frage nach Sternfeuer und Carch. Was war wirklich mit ihnen geschehen? Waren sie noch ein Bestandteil des Multi-Bewußtseins? War am Ende Federspiel nur etwas vorgespielt worden? Ich mußte alles in Frage stellen, auch die Koordinaten von Auxonia. Fest stand nur, daß dort mit großer Wahrscheinlichkeit eine zweite Falle für uns aufgebaut worden war. Nun weißt du auch, erklärte mein Extrasinn, für wen die Botschaft aus dem Hyperfunksender der Hunkeldarer bestimmt war. Für Oggar. Diesmal irrst du dich, dachte ich zurück, denn der letzte
Zusammenhang war mir klar geworden. »Freunde«, wandte ich mich an die Anwesenden. »Ich muß mit dem High Sideryt reden. Sternfeuer und Cpt'Carch sind in größter Gefahr. Meiner Meinung nach wird das Multi-Bewußtsein von dem beherrscht, das die Hunkeldarer das Hypno-Bewußtsein genannt haben. An den angegebenen Koordinaten erwartet uns sicher eine üble Überraschung. Dennoch müssen wir diesen Ort aufsuchen, schon allein, um Sternfeuer und Carch herauszuhauen.« »Das sieht nach Arbeit aus«, meinte Blödel. »Ich muß dem High Sideryt raten«, erklärte SENECA, »nicht mit der SOL diesen Ort aufzusuchen. Auch bezweifle ich, daß dort wirklich der Stern Auxonia steht. Viel wahrscheinlicher ist, daß Oggar oder das Wesen, das von ihm Besitz ergriffen hat, dies nur als Vorwand benutzte.« »Wir werden den Ort aufsuchen«, widersprach ich hart. »Koste es, was es wolle. Natürlich brauchen wir die SOL nicht zu riskieren. Ich rechne aber mit eurer Unterstützung.« Meine Freunde nickten einstimmig. Sogar Blödel schloß sich dieser Geste an, obwohl er wissen mußte, daß er mit seinem plumpen Körper damit reichlich lächerlich wirkte. »Wir müssen Sternfeuer und Carch aus dieser Lage befreien«, unterstrich ich nochmals, während ich mich anschickte, Hayes aufzusuchen. »Und natürlich auch den Original-Oggar.« »Wenn Hatzel Keversin nicht so stur und bockig wäre«, behauptete SENECA plötzlich, »hätte Cpt'Carch sich vielleicht befreien können.« »Du meinst«, fragte ich zurück, »er wollte das Multi-Bewußtsein verlassen, um sich Keversins Körper zu bedienen?« »Das meine ich.« »Und warum hat er nicht seinen eigenen Bananenkörper aufgesucht?« »Die Vorgänge um die Trennung von Körper und Bewußtsein sind auch mir ein Rätsel«, gab SENECA zu. »Da spielen Kräfte mit, die
über meinen biopositronischen Verstand gehen.« Es war irgendwie tröstlich für mich, daß auch SENECA einmal passen mußte. Seit er wieder störungsfrei arbeitete, war er zu einem wirklichen Helfer geworden. Der Fehler, der noch irgendwo in ihm steckte, war jedenfalls in den letzten Monaten nicht aufgetreten. Wenig später war ich bei Breckcrown Hayes und setzte ihm auseinander, was wir in mühsamer Arbeit herausgefunden hatten. Für den High Sideryt war es eine klare Sache, daß er meinem Wunsch entsprach. »Wenn es hart auf hart kommen sollte, Atlan«, bestätigte er das Vertrauen, das ich in ihn setzte, »dann werde ich auch nicht davor zurückschrecken, die gesamte SOL einzusetzen. Die Zeiten, wo wir uns verkriechen, sind ja wohl vorbei.« Ausgerechnet die früheren Magniden Gallatan Herts und Curie van Herling bestätigten dies. Mit dem Gefühl, wirkliche Freunde auf der SOL gewonnen zu haben, machte ich mich an die Vorbereitung. Inzwischen beschleunigte die SOL. Ihr Zielpunkt lag drei Lichtjahre von dem Punkt entfernt, den Oggar uns genannt hatte. Nicht Oggar, korrigierte mich mein Extrasinn. Das HypnoBewußtsein.
8. Drei Tage später näherten wir uns mit der gebotenen Vorsicht dem von Oggar bezeichneten Ort. Die SOL stand in sicherer Entfernung nahe einem leicht bläulichen Riesenstern, der im Notfall einen guten Schutz abgegeben hätte. Wir, das waren die Mitglieder meines Teams und zwei Dutzend Solaner, sowie der Kreuzer ANTOFAGASTA, den uns Hayes zur Verfügung gestellt hatte. Das Bemerkenswerte an der ANTOFAGASTA war, daß sie einen
Neubau darstellte, der erst vor wenigen Tagen innerhalb der Werkhallen der SZ-1 fertig geworden war. Äußerlich und technisch unterschied sich das Schiff nicht von den übrigen 100-Meter-Beibooten der SOL. Man baute auf bewährten Prinzipien auf. Erstaunlich war selbst für mich jedoch, daß der ganze Apparat SOL nun wieder in der Lage war, solche Leistungen zu vollbringen. Gegen den Protest Dr. Merrsynts führten wir den immer noch vor sich hin dämmernden Hatzel Keversin mit. Sein Zustand war ungefährlich für Leib und Leben, aber alle Heilungsversuche waren bislang gescheitert. Feuerspiel und von Zeit zu Zeit auch Blödel hielten Wache an der Liege des alten Solaners. Natürlich kümmerte sich auch der Bordarzt der ANTOFAGASTA um Keversin. Bjo Breiskoll, Sanny und Nockemann hielten sich mit mir in der Zentrale des Kreuzers auf. Die Stammbesatzung des Schiffes bestand aus Solanern, ihr Kommandant war eine Frau namens Jysta. Joscan Hellmut und Argan U bereiteten eine Space-Jet vor, mit der ich auf Erkundung fliegen wollte, wenn die Umstände es erforderlich machen sollten. Wir hatten nicht den Schimmer einer Ahnung, was uns erwartete. Insgeheim hoffte ich, daß sich unsere ganzen Überlegungen und Sannys Berechnungen doch noch als Irrtum erwiesen. Wir kehrten einen Lichtmonat vor dem bezeichneten Ort in den Einsteinraum zurück und setzten einen kurzen Betätigungsimpuls an die SOL ab. Gleichzeitig begann die Fernortung, das Raumgebiet vor uns näher zu untersuchen. An dem bezeichneten Ort stand tatsächlich eine einzelne Sonne. Das erkannte ich auf Anhieb auf dem Bildschirm. Der orangerote Stern entsprach den Vorstellungen und dem dürftigen Wissen, das wir von Auxonia besaßen. Als die Ortungsergebnisse einliefen, stellte ich schnell fest, daß wir uns auf Überraschungen gefaßt machen konnten.
Zuerst wurde nur ein einzelner Planet getastet. Er lief in einem Abstand um Quasi-Auxonia, wie wir den Stern vorerst nannten, der ebenfalls den Angaben Oggars entsprach. Wir beließen es bei der Namensgebung und nannten diese Welt Quasi-Vasterstat. Unklar blieben etwa 100 kleinere Ortungsreflexe, bei denen es sich zweifellos um Körper handelte, die ebenfalls Quasi-Auxonia umkreisten. Erst eine genauere Anmessung ergab, daß es sich dabei nicht um normale Himmelskörper handeln konnte. Die Analyse ergab, daß diese Kugeln aus organischer Substanz bestanden. Es waren insgesamt 121 Körper, deren Durchmesser zwischen 12 und 44 Kilometern lagen. Sie alle liefen weit außerhalb von Quasi-Vasterstat um das Zentralgestirn. An ihren Bahnen war nichts Ungewöhnliches festzustellen. Die Tatsache, daß diese Raumkörper aus organischer Materie bestanden, machte mich äußerst mißtrauisch. Sie paßte überhaupt nicht in das gewohnte Bild. Sanny konnte mit dieser Merkwürdigkeit nichts anfangen, aber Bjo war voller angespannter Aufmerksamkeit. »Ob dieser Oggar sich hier herumtreibt?« fragte die Kreuzerkommandantin Jysta. »Wir werden es feststellen.« Ich schaltete den Hyperfunksender hoch und rief auf den Standardfrequenzen nach dem Multi-Bewußtsein. Tatsächlich bekam ich sofort Antwort. Der grüne Kopf Insiders erschien auf dem Bildschirm. »Ihr kommt«, sagte der Extra zur Begrüßung. »Das ist gut. Wo seid ihr denn? Ich habe die SOL nicht auf dem Orter.« »Wir sind auch nicht die SOL«, antwortete ich kühl. Bevor Insider etwas entgegnen konnte, wurde er zur Seite gedrängt. Der haarlose Schädel Oggars erschien. Aus dem dürftigen Mienenspiel des Androidengesichts ließ sich nicht ablesen, was in seinem Innern geschah.
»Wo ist die SOL?« wollte Oggar sofort wissen. Ich stellte mir vor, daß nicht das Multi-Bewußtsein zu mir sprach, sondern etwas Fremdes. Es gelang mir leicht, mich in diese Annahme zu versetzen. »Die SOL wurde aufgehalten«, log ich. »Wir sind ein Vorkommando, das einen Landeplatz erkunden soll.« »Das ist schlecht«, brach es aus Oggar heraus. Ich wertete dies als einen weiteren Beweis, daß mit ihm etwas nicht stimmte. »Kein Kontakt zu Sternfeuer«, flüsterte es aus einem Lautsprecher. »Aber Keversin fängt an, sich zu regen.« Es war klar, daß Federspiel sich gemeldet hatte. »Warum sollte das schlecht sein?« Ich spielte den Harmlosen. »Es werden höchstens noch zehn oder zwölf Stunden vergehen, dann ist die SOL hier.« »So ist das nicht gemeint«, schwächte Oggar ab. Er schien irgendwie verwirrt zu sein. Allerdings schloß ich die Möglichkeit nicht aus, daß ich mir in meiner Einbildung etwas vormachte. »Wo können wir landen?« fragte ich weiter. »Und was sind das für seltsame Kugeln aus organischer Materie?« »Die Seckeldeks.« Oggar winkte ab. Es sollte eine Geste der Belanglosigkeit sein. »Reste einer früheren Lebensform des Auxonia-Systems.« »Du hast sie nie erwähnt.« »Hab ich das nicht?« Oggar mimte Erstaunen. »Ihr könnt landen, wo ihr möchtet. Jeder Ort von Vasterstat ist geeignet. Intelligentes Leben gibt es nicht, und die Luft ist ausgezeichnet.« Unbemerkt von Oggar wurde mir das Peilergebnis vorgelegt. Damit stand fest, daß unser Gesprächspartner ebenfalls auf QuasiVasterstat war. »Wir landen«, teilte ich ihm mit und unterbrach die Verbindung. »Hier ist etwas faul«, meinte Sanny. »Das ist keine Berechnung,
eher ein Gefühl.« »Stimmt«, bestätigte der Katzer und deutete auf die Ortungsechos der kleinen Kugeln. »Mit diesen Dingern stimmt etwas nicht. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich spüre, daß diese Kugeln leben.« »Intelligent?« fragte ich. »Vielleicht. Wenn es so sein sollte, dann haben sie Denkverbot. Möglicherweise um sich nicht zu verraten.« Die Aussage Bjos trug nicht gerade zu meiner Freude bei, denn offensichtlich tat sich hier ein neues Rätsel auf. Mit halber Lichtgeschwindigkeit flogen wir in das Quasi-AuxoniaSystem ein. Bei Beibehaltung des Drifts würden wir so in einigen Stunden in die Nähe des einzigen normalen Planeten gelangen. Ich hatte es nicht eilig, denn erst galt es, Erkenntnisse über diese mögliche Falle zu gewinnen. Unter normalen Umständen wäre mir die Sache zu unklar gewesen. Hier jedoch ging es sehr wahrscheinlich um Sternfeuer und den Cpt'Carch. »Eine der Kugeln denkt etwas Verbotenes«, teilte mir Bjo mit. »Was?« »Der Seckeldek hat Hunger. Er freut sich auf eine Belohnung in Form von Nahrung.« Belohnung? Das klang schon wieder wie ein Trick von Hidden-X und Sanny bestätigte dies teilweise. »Die Nahrung sind wohl wir«, meinte sie. »Nicht nur die Lebewesen. Auch die Materie unseres Raumschiffs.« »Ich würde gern einen Seckeldeks untersuchen«, bat Hage Nockemann. Alles was nach organischem Leben aussah und ihm unbekannt war, weckte sein Interesse. Mein fragender Blick ging zu Bjo Breiskoll. »Ich weiß mit den Dingern nichts anzufangen«, gestand der Katzer. »Vielleicht sind sie ganz harmlos. Vielleicht auch nicht.«
Bevor ich etwas dazu bemerken konnte, ging eine Veränderung mit Jysta vor. Die Kommandantin griff in die Steuerung und lenkte den Kreuzer in den Linearraum. Es war mehr als ungewöhnlich, daß sie dies ohne Abstimmung mit mir tat. Verärgert trat ich an ihre Seite. »Es war doch abgemacht«, begehrte ich auf, »daß wir uns QuasiVasterstat mit halber LG nähern. Was soll das also?« Jysta blickte mich ausdruckslos an. »Du weißt wohl selbst nicht, was du willst«, antwortete sie unfreundlich. »Schließlich hast du die Anweisung gegeben, daß wir uns beeilen sollen.« »Was habe ich?« Für einen Moment war die Aufmerksamkeit aller auf unseren Disput gelenkt. Als ich merkte, was gespielt wurde, war es schon fast zu spät. Der Seckeldek, der uns am nächsten stand, blähte sich zu einer riesigen Kugel auf. Gleichzeitig raste er auf die ANTOFAGASTA zu. »Angriff!« brüllte Bjo Breiskoll. »Schutzschirme ein!« Irgend jemand führte die Anweisung sogar aus. Aber als wir im Schutz des HÜ-Schirms nach draußen blickten, befanden wir uns bereits im Innern einer gewaltigen Kugel, die mich an eine überdimensionale Seifenblase erinnerte. Der Seckeldek hatte unseren Kreuzer verschluckt.
* Breckcrown Hayes hielt sich an SENECAS Rat, und die SOL blieb in sicherer Distanz von dem Ort der vermuteten Falle. Das bedeutete aber nicht, daß man an Bord des Hantelschiffs untätig war. Die Ortungsanlagen erbrachten auf die große Entfernung zur ANTOFAGASTA keine genauen Ergebnisse mehr.
Immerhin konnte man den Flug des Kreuzers noch verfolgen, und auch die Grundstruktur des fremden Sternensystems wurde klar erkannt. Eine Sonne und ein einzelner Planet. Das deckte sich mit Informationen, die man über das Auxonia-Sy-stem besaß. Seinerzeit hatte das Mnemodukt II aus Oggars Kunstkörper ein paar Daten darüber verlauten lassen, als es ohne die drei Bewußtseinsinhalte aus der Sonne Super der Landschaft im Nichts entkommen war. Die Szene war also unverdächtig, aber auch das konnte ein Teil einer weiteren Falle sein. Also schickte Hayes mehrere Kleinsonden aus, die über feine Ortungs- und Beobachtungssysteme verfügten und ihre Daten permanent an die SOL übertrugen. So wurde auch der kurze Trip durch den Linearraum genau beobachtet und vermessen, den die ANTOFAGASTA innerhalb des vermutlichen Auxonia-Systems machte. Als der Kreuzer wieder kurz auftauchte und dann vollständig verschwunden blieb, ahnte Hayes bereits, daß etwas nicht wie vorgesehen geklappt hatte. Es folgte eine kurze Beratung mit SENECA und den Stabsspezialisten. Die Biopositronik war allenfalls bereit, eine Solzelle zur Unterstützung Atlans loszuschicken. Die Stabsspezialisten jedoch erinnerten daran, daß Atlan sie alle zuletzt im MP-System vor dem wahrscheinlichen Untergang bewahrt hatte und forderten den geschlossenen Einsatz der ganzen SOL. Breckcrown Hayes beendete die aufflammenden Diskussionen durch eine klare Entscheidung. Die SOL würde als Einheit fliegen. SENECA nahm diese Anweisung gelassen zur Kenntnis. Während das Hantelschiff beschleunigte, um die Anfangsgeschwindigkeit für die bevorstehende Linearetappe zu erlangen, machten sich alle Stationen kampfbereit.
Als das Schiff in die Labilzone wechselte, Klarmeldungen vor. »Auf ein neues«, sagte Breckcrown Hayes.
lagen
alle
* Für Minuten herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander in der Zentrale der ANTOFAGASTA. »Vorsicht!« brüllte ich meinen Leuten zu. »Jemand versucht eine Fernbeeinflussung. Hypnose oder etwas Ähnliches.« Da ich genau wußte, daß Jysta von mir keine Befehle empfangen hatte, konnte es nur so sein. Entweder waren die Seckeldeks in der Lage, die nicht genügend mentalstabilisierten Solaner zu beeinflussen, oder es war so, daß der Unbekannte, das HypnoBewußtsein zugeschlagen hatte. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, wenn Jysta den Linearflug nach meinem Einspruch nicht sofort unterbrochen hätte, denn jetzt saßen wir im Innern dieser riesigen Blase. »Du kannst die Leute wieder an die Kontrollen lassen«, behauptete Bjo Breiskoll. »Der Einfluß ist verschwunden.« Sofort wurde mit der Untersuchung der Hülle begonnen, die uns noch vollkommen einschloß. Nach den Messungen war sie mehrere Meter dick und bestand aus einer plasmaartigen Substanz. »Das Ding lebt«, erklärte der Katzer. »Eine Raumqualle. Und sie hat einen riesigen Hunger, aber sie darf uns nicht fressen.« Die Leute an den Geschützen warteten auf einen Feuerbefehl, aber ich zögerte noch. Langsam zog sich das Gebilde zusammen. Der Innendurchmesser betrug noch annähernd 25 Kilometer. Jysta hatte erkannt, daß ihren Sinnen ein Streich gespielt worden war. Sie bedauerte das sehr und wollte sich bei mir entschuldigen. Ich machte es kurz, denn ich wußte, daß die Solanerin keine
Schuld hatte. Die Sonne Quasi-Auxonia schimmerte matt durch die gelbbraune Hülle, die nun leicht zu pulsieren begann. Unsere Schutzschirme waren längst hochgefahren. Die Gefahr war damit etwas verringert, aber schließlich hatte ich keine Ahnung, zu welchen Leistungen der Seckeldek in der Lage war. Allmählich dämmerte mir auch, wie die eigentliche Falle beschaffen war. Wenn alle Seckeldeks sich zur gleichen Zeit auf die SOL gestürzt hätten, hätte das das Ende bedeuten können. Die Versuche unserer Funker, Kontakt zu Hayes oder zu Oggar zu bekommen, scheiterten. Die umgebende Hülle schirmte alles hermetisch ab. »Was ist das für ein Wesen?« fragte ich Bjo. »Tier? Intelligent?« Der Mutant verzog verlegen sein Gesicht. »Das ist schwer zu sagen. Manchmal meine ich, daß es bewußt denkt, dann wiederum herrscht völlige Gedankenstille. Auch spielt ein Verbot eine Rolle.« »Egal«, entschied ich. »Feuer frei.« Die Impulsgeschütze schossen auf eine willkürlich gewählte Stelle. Dort entstand ein großes Loch, das sich aber sofort wieder schloß, als der Beschuß beendet war. »Eine merkwürdige Lebensform«, kommentierte der Katzer. »Sie empfindet keinen Schmerz oder etwas Vergleichbares. Aber offensichtlich reagiert sie instinktiv richtig und läßt die Energien einfach passieren.« Diesen Eindruck hatte ich auch. Auch als wir ein Transformgeschoß abstrahlten, geschah nichts anderes. »So kommen wir nicht weiter«, stellte ich fest. »Wir versuchen einen gewaltsamen Durchbruch mit allen Waffen und unter Vollast der Schutzschirme.« Sekunden später beschleunigte die ANTOFAGASTA. Sie raste die kurze Strecke auf die Wand zu. Die Geschütze
feuerten, was sie hergaben, aber die Raumqualle schloß ihre Löcher immer wieder in Sekundenbruchteilen. Um uns nicht selbst zu gefährden, mußte das Feuer kurz vor Erreichen der Plasmawand gestoppt werden. Die Schutzschirme glühten auf, aber wir wurden rasant abgebremst, so daß die automatisch arbeitenden Andruckneutralisatoren wild aufjaulten. Dann wurde das Schiff wie von einer federnden Gummiwand zurückgeschleudert, und alles war wieder so wie vorher. »Das geht also nicht«, mußte ich bedauern. Die Kommandantin blickte mich ratlos an. »Keine Panik!« Ich überlegte nicht lange, denn ich wollte hier heraus. Es gab eine Möglichkeit. »Jetzt hab' ich es«, sagte Bjo erstaunt. »Das Instinktbewußtsein des Seckeldeks wird gesteuert oder unterdrückt. Irgendwo dort draußen ist etwas, was ihm verbietet, einfach über uns herzufallen.« »Oggar und das Hypno-Bewußtsein«, folgerte ich. »Macht die Space-Jet klar. Und dann schießt mir ein schönes Loch mit Dauerfeuer in die Plasmawand. Es wäre doch gelacht, wenn wir da nicht durchkommen.« Ich erklärte Bjo noch in aller Eile, was er weiter gegen den Seckeldek unternehmen sollte und was ich beabsichtigte. Dann schnappte ich mir Sanny, Argan U und Blödel und glitt durch den Antigravschacht hinunter, wo die Space-Jet wartete.
9. Sofort nach dem Auftauchen im Einsteinuniversum registrierte die Ortung eine Unzahl von kleinen Körpern, die man vorher nicht bemerkt hatte. Und noch bevor man diese näher identifizieren konnte, sprachen die Hyperfunkempf änger an.
»Atlan«, staunte der High Sideryt. »Wir sahen, wie die ANTOFAGASTA verschwand. Was ist geschehen?« »Für lange Erklärungen ist keine Zeit, Breck. Haltet euch auf Distanz zu den Seckeldeks. Das sind die organischen Riesenblasen, von denen über hundert um diesen Stern schwirren. Eine davon hat die ANTOFAGASTA verschluckt. Das Innere ist zwar hohl, aber ein Entkommen ist nicht so einfach. Ich bin auf dem Weg nach QuasiVasterstat, denn dort scheint unser umgepolter Oggar zu sein. Versucht irgendwie, mir die Seckeldeks vom Hals zu halten und die ANTOFAGASTA herauszuboxen.« »Geht in Ordnung.« Der High Sideryt stellte keine weiteren Fragen mehr und gab seine Anweisungen an die Stabsspezialisten. Auf großer Distanz wurde mit breit gefächertem Feuer auf die Seckeldeks geschossen. Einige davon zerplatzten sogleich, aber es schien eine kollektive Intelligenz oder einen Instinkt zu geben, denn die Raumquallen setzten sich mit einer unerwarteten Taktik zur Wehr. Irgendwie brachten sie es fertig, sich in hohem Maß elektrisch positiv oder negativ aufzuladen. Wenn das geschehen war, rasten sie auf wirren Bahnen seitlich an der SOL vorbei. Zunächst erkannten die Solaner nicht den Zweck dieser Maßnahmen. Als aber dann die ersten Kugeln zu verschiedenen Seiten des Hantelschiffs standen, näherten sie sich gegeneinander an und brachten ihre angesammelte Hochspannung in gewaltigen Raumblitzen zur Entladung. Schlagartig wurden die Schutzschirme bis an die Grenze der Belastbarkeit strapaziert. Als die Gefährlichkeit dieses Angriffs erkannt war, glichen die Brick-Zwillinge durch gekonnte Manöver weitere Trefferpositionen aus. Für die Seckeldeks schien dies nur ein Signal zu sein, nun noch
massierter anzugreifen. Auch konnte Hayes beobachten, wie sich einige von ihnen einschnürten und dadurch verdoppelten. »Irgendwann müssen ihre Kräfte erlahmen«, meinte der High Sideryt verbissen. Aber so einfach ließ sich dieser Kampf nicht entscheiden. SENECA teilte eine Warnung mit. Auch wenn die umherschwirrenden Riesenkugeln scheinbar unkoordiniert flogen, so täuschte dies. »Dem ganzen Verhalten liegt ein ausgeklügelter Plan zugrunde«, teilte die Biopositronik mit, »der nur von einem hochintelligenten Gehirn stammen kann.« Dann war einer der Seckeldeks ganz nahe heran. Das Feuer der SOL schlug wirkungslos durch plötzlich entstehende Löcher. So absurd es klang, aber diese Biester waren nur auf große Entfernung entscheidend zu treffen. Irgendwie versagte bei breit gestreutem Feuer die Fähigkeit, Lücken in der Haut zu schaffen. SENECA gab diese Erkenntnis sofort an alle Geschützstände weiter. Die Bricks versuchten inzwischen, der herannahenden Kugel noch auszuweichen, aber der Versuch mißlang. Ein riesiges Loch, das direkt vom Feuer der SOL erzeugt worden war, stülpte sich über das ganze Schiff.
* Die Energieortung zeigte auf dem Planeten nur ein winziges Echo. Das mußte Oggars HORT sein. Wenn Oggar tatsächlich in der Gewalt des Hypno-Bewußtseins war, so beherrschte dieses auch sein Raumschiff. Gegen dessen Waffen, das war mir klar, konnte ich mit der Space-Jet nichts ausrichten.
Um die SOL, die entgegen unserer Abmachung in das Geschehen eingegriffen hatte, konnte ich mich nicht kümmern. Ich mußte das Übel an der Wurzel packen. Diese Wurzel hieß Oggar oder das fremde Bewußtsein. Ich jagte die Space-Jet über die Oberfläche des Planeten auf jenen Punkt zu, an dem das Energieecho festgestellt worden war. »Kampfanzüge anlegen«, ordnete ich an. »Geht nicht«, maulte Blödel. »Ich habe keinen.« »Kannst du denn wenigstens fliegen?« fragte Argan U, während er seinen Helm schloß. Der Roboter hüpfte auf seinen kurzen Beinen einmal in die Höhe. Als er wieder den Boden berührte, stöhnte er vernehmlich: »Ich schwanke, aber ich fliege nicht.« Argan schien die Lust verloren zu haben, mit Blödel zu diskutieren. Er machte das Geschütz klar. »Laß das«, erklärte ich. »Wir werden nicht schießen, denn dann hätten wir sofort verloren.« Dann programmierte ich den Autopiloten und schärfte das Selbstvernichtungssystem. Wir waren noch etwa 40 Kilometer von dem Ziel entfernt, als ich anordnete, sich am Ausstieg zum Verlassen der Jet aufzustellen. Meine drei Begleiter befolgten schweigend die Anweisung. Sogar Blödel sagte nichts. Er schien zu wissen, daß es jetzt ernst wurde. Der Diskus flog ganz dicht über dem Boden, als ich das Luk aufstieß. Hintereinander purzelten wir ins Freie. Ich steuerte sogleich einen kleinen Wald an, hinter dem nach den Ortungsanzeigen der HORT stehen mußte. Die Space-Jet flog auf diesen Punkt zu. Kurz bevor sie ihn erreichte, erschütterte eine schwere Detonation die Luft. »Muß dieser Lärm sein!« schrie Blödel über seinen Lautsprecher. Ich tastete meine Ausrüstung ab und stellte beruhigt fest, daß ich nichts verloren hatte. Insbesondere ging es mir um die kleine und
fremdartige Waffe, die Oggar mir damals gegeben hatte, als ich in den Zentralkegel eindringen wollte. Der tragbare Dislozierungsprojektor, der Körper und Geist eines Lebewesens für kurze Zeit trennen konnte, war mein Trumpf in dem ungleichen Kampf. Ich trieb zur Eile, denn ich konnte nicht beurteilen, wie groß die Gefahr war, in der die SOL und die ANTOFAGASTA steckten. Vom Waldrand aus sahen wir den HORT. Das Doppeldiskusschiff stand in nur knapp einhundert Metern Entfernung. Wir gingen in Deckung, während ich überlegte, wie man unbemerkt in die Nähe des Raumschiffs gelangen konnte. Wenn unser Feind uns erst entdeckt haben würde, hätten wir keine Chance, denn der HORT verfügte über einen weitreichenden Dislozierungsprojektor mit anhaltender Wirkung. Ich selbst hatte diese Waffe am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die Zerstörung der bewußtseinslosen Körper war eine einfache Sache, wenn diese sich nicht wehren konnten. »Ich kenne mich mit dem HORT einigermaßen aus«, behauptete Blödel und erhob sich selbstständig aus der Deckung. »Ich werde das machen. Ich bin auch darauf vorbereitet, daß in Oggar ein Fremdbewußtsein steckt.« »Bist du übergeschnappt?« zischte ich wütend. »Durchaus nicht.« Blödel tippelte bereits von uns weg. »Mir kann der Dislozierungsprojektor des HORTS nicht schaden. Ich habe kein Bewußtsein, das auf ihn reagieren würde.« »Eigentlich hat er recht«, meinte Sanny. »Aber er hätte uns wenigstens sagen können, was er vorhat.« »Das ist doch einfach, und es ist sogar ohne Parademathematik zu lösen – oder wie du diesen Quatsch nennst.« Argan deutete hinter Blödel her. »Er will Oggar aus dem HORT locken.« »Gegen einen Impulsstrahl kann Blödel auch nichts machen«, meinte ich.
Als der Roboter aus einer Senke kam und nun endgültig im Blickfeld des Doppeldiskusschiffes war, schwenkte er an einem seiner halb ausgefahrenen Arme ein weißes Tuch. »Das nenne ich link«, meinte Argan. »Es ist eher listig«, widersprach die Molaatin. Ich mußte zugeben, daß Blödels Plan, so absurd er auch war, etwas für sich hatte. Vorsichtig machte ich meinen tragbaren Dislozierungsprojektor schußbereit. Zu allem Überfluß fing der Roboter nun auch noch an, laut durch die Gegend zu brüllen. Ich hatte keine Ahnung, wie Oggar oder das Fremdwesen in ihm darauf reagieren würde. Als der Roboter am Fuß des 132 Meter hohen Doppeldiskus stand, erfolgte endlich eine Reaktion. Blödel wurde wie von einer unsichtbaren Hand in die Höhe gerissen. Es mußte sich wohl um einen Traktorstrahl handeln. Für Sekunden erschien der grüne Körper Insiders in einer Schleuse am Rand des kurzen, zylindrischen Mittelstücks. Ich glaubte, auch Oggar dort erkennen zu können. Der Roboter wurde auf diese Stelle zugezogen. Er strampelte wild mit seinen Stummelbeinen, hielt die Gliederarme aber vollständig eingefahren. »Dieser Idiot!« schimpfte Argan U neben mir. Der Traktorstrahl beförderte Blödel durch die Schleuse. In dem folgenden Moment merkte ich, welchen genialen Plan sich der Roboter ausgedacht hatte. Da ich mit einer kleinen Überraschung gerechnet hatte, konnte ich entsprechend reagieren. Aus der Schleusenöffnung schoß plötzlich Oggar. Er wurde von den beiden langen Armen, die jetzt zur Gänze ausgefahren waren und damit gut zwei Meter erreichten, gehalten und ins Freie befördert. Ich sah, wie Oggars Hände zu den Waffen in seinem Gürtel glitten und hörte, wie er Insider etwas zurief.
Im selben Augenblick krümmte ich den Abzug des Dislozierungsprojektors. Die Waffe arbeitete lautlos und ohne jede Begleiterscheinung. Der Androidenkörper wurde schlaff. In der Schleuse tauchte Insider auf. Ich konnte zunächst nicht verhindern, daß er mit zwei gezielten Schüssen Blödels Arme abtrennte. Oggar polterte auf die Dachfläche des Fernflugmoduls, und Blödel fiel hinterher. Als Insider für einen Moment in das Visier des Projektors geriet, drückte ich noch einmal ab. Der Extra kippte nach vorn und rührte sich nicht mehr. Ich wußte, daß jetzt die Bewußtseinsinhalte von Oggar, Cpt'Carch, Sternfeuer und Insider irgendwo in der Gegend herumgeisterten und nicht in ihre Körper zurückkehren konnten, bis die Energie des Dislozierungsprojektors verflogen war. Einige Minuten würde dieser Zustand anhalten. »Vorwärts!« rief ich Sanny und Argan zu. Wir schalteten die Flugaggregate unserer Anzüge ein und rasten los.
* Bjo Breiskoll war der Verzweiflung nahe. So sehr sich er und Jysta auch bemühten, es gab kein Entkommen aus dem Seckeldek. »Das Ding beschleunigt«, rief einer der Piloten. »Und wir werden mitgerissen.« Da die Ortungssysteme im Innern der Raumqualle nicht deutlich arbeiteten, fehlte jegliche Orientierung. »Ein schwaches Hyperfunksignal«, teilte ein Solaner mit. »Unverständlich, aber die Positronik hat es als Sendung der SOL
identifizieren können.« Der Katzer versuchte, die Gedanken der Solaner zu erfassen, aber da war nur ein dumpfes Rauschen. Der Seckeldek verhinderte offensichtlich durch seine Anwesenheit die Erfassung telepathischer Ströme. »Feuert ein Loch in die Haut«, verlangte Bjo. Jysta gab die entsprechende Anweisung. Der Seckeldek erzeugte wieder eine Öffnung, die zwar nur für Sekundenbruchteile bestand, Breiskoll aber ausreichte, um die Nähe der SOL festzustellen. Seine Mühe erwies sich wenige Minuten später als überflüssig. Der Seckeldek blähte sich urplötzlich auf und verschmolz mit anderen Körpern seiner Art. Eine noch größere Blase entstand, und in dieser stand die SOL. Nun kam sogleich eine Funkverbindung ohne Störungen zustande. »Einschleusen«, ordnete Breckcrown Hayes an. Während Jysta den Befehl ausführte, berichtete Bjo dem High Sideryt, was geschehen war. Kurz darauf stand er in der Zentrale. »Atlan macht also wieder einen Alleingang«, stellte Hayes fest. Aus seinen Worten klangen Sorge und Hoffnung zugleich. »Hast du etwas über diese Blasen in Erfahrung bringen können?« »Sie scheinen zu leben und gelenkt zu werden«, antwortete der Mutant. »Ich werde aber nicht schlau daraus.« Die SOL stand nun in einem Seckeldek, der offenstichtlich aus mehreren gebildet worden war. Der Durchmesser des wabbernden Gebildes betrug etwa 50 Kilometer. Die vereinzelten Feuerversuche zeigten kaum eine Wirkung, aber der riesige Seckeldek hatte seine elektrischen Schläge auch eingestellt. »Halt!« Bjo Breiskoll hob eine Hand. »Jetzt werden die Gedanken
plötzlich klarer. Es ist, als ob das Bewußtsein des Seckeldeks geschlafen hätte oder nicht anwesend war.« Die Stabsspezialisten starrten auf den Katzer, der die Augen geschlossen hielt. »Es ist nicht einer«, fuhr Bjo fort. »Es sind mehrere, die zusammengehören. Sie haben einen unbeschreiblichen Hunger – auf uns, auf die SOL. Aber da ist noch etwas, eine Order, eine Anweisung. Noch dürfen die Seckeldeks nicht über das Schiff herfallen.« Hayes vergewisserte sich, daß alle Schutzschirme eingeschaltet waren. »Sie warten auf einen Befehl des Kollektivbewußtseins, aber dieses findet irgendwie nicht zusammen. Es wurde … gestört oder getroffen … es ist das Bewußtsein, nein, es sind sie alle zusammen, die in Oggar … der Befehl müßte kommen … von einer anderen Macht … das Hungergefühl wird gleich siegen … Vorsicht!« Der High Sideryt konnte sich aus den Worten des Mutanten nur ein grobes Bild machen. In diesem Augenblick flog das Schott der Zentrale auf, und Hatzel Keversin stürmte herein. Ihm auf den Fuß folgte Hage Nockemann, der aufgeregt versuchte, den alten Solaner festzuhalten. »Bleib mir vom Leib«, polterte Keversin. Er stürzte auf Bjo Breiskoll und Breckcrown Hayes zu. »Ihr müßt sofort handeln, sonst seid ihr verloren. Ich erkläre alles später. Steuert in die Korona des nahen Sterns. Die Seckeldeks werden durch ihren Trieb folgen und vergehen. Bjo, du kannst doch meine Gedanken lesen! Sage Hayes, daß er es machen soll. Schnell!« Zum Erstaunen des High Sideryt antwortete der Katzer: »Cpt'Carch. Ich empfange deine Gedanken.« »Carch?« Der High Sideryt wirbelte herum. »Uster, Vorlan! Ihr habt gehört, was zu tun ist.« Die beiden Chefpiloten beschleunigten das Schiff. Der nahe Stern
gab zwar durch die Haut des Seckeldeks nur ein schwaches Echo zu den Ortern, aber das genügte, um die Position festzustellen, wo Quasi-Auxonia stand. Die SOL ging in den Linearraum, und die Hülle des vereinten Seckeldeks blieb an ihr haften. Als das Schiff in den Einsteinraum zurückfiel, war die Glut der Sonne zum Greifen nahe. Bjo Breiskoll hielt sich den Kopf, als er die lautlosen Schreie der Raumquallen hörte. Die SOL glitt bis in die tiefsten Schichten der Korona und ließ die Naturgewalten toben. Wieder einmal wurden die Schirme bis über die normale Belastung hinaus strapaziert. Erst als der Katzer aufatmete, war dies ein Zeichen für die BrickZwillinge, die SOL wieder in den freien Raum zu steuern. Als das geschehen war, sprachen die Hyperfunkempfänger an. »Ich glaube«, sagte Atlan lächelnd, »wir haben es wieder einmal geschafft.« Aus dem Hintergrund erkannte Hayes, daß der Arkonide von Oggars HORT aus sprach. »Ich komme jetzt mit dem HORT zu euch. Nicht daß einer aus Versehen auf mich feuert. Und noch etwas. Nockemann soll für Blödel zwei neue Gliederarme bauen. Er hat sie verdient.«
* Eine Stunde später saßen wir in Hayes' Klause zusammen. Das Abenteuer mit den Seckeldeks war überstanden. Ich erkannte jetzt die wirklichen Zusammenhänge, nachdem Oggar berichtet hatte. Das Hypno-Bewußtsein, nach dem ich gesucht hatte, war nichts anderes gewesen als das Kollektiv der Geistesinhalte der Seckeldeks. Zweifelsfrei stand auch fest, daß dieses von Hidden-X
angeheuert worden war. Lange bevor dieses Kollektiv-Bewußtsein von Oggar Besitz genommen hatte, hatte es an dem zweiten möglichen Ort, an dem die SOL aus dem Sternenuniversum zurückkehren konnte, also dem MP-System, seine Vorbereitungen getroffen. Als die SOL der dortigen Falle hatte entrinnen können, hatte es mit dem unterdrückten Körper Oggars die SOL zu der zweiten Falle gelockt. Das Hypno-Bewußtsein hatte Oggar fast vollständig beherrscht. Der einzige Schwachpunkt war Cpt'Carch gewesen, der ständig seine Flucht versucht hatte. Der Kontaktkörper, der sich ihm als passend angeboten hatte, war der von Hatzel Keversin gewesen, der sich aber ständig gegen das schwach auftretende Bewußtsein gewehrt hatte. Erst als ich das Multi-Bewußtsein und seinen Unterdrücker mit dem Dislozierungsprojektor aus dem Androidenkörper entfernt hatte, war es Carch gelungen, vollständig in Keversin einzudringen. Wie wir inzwischen wußten, war dies gerade noch zur rechten Zeit geschehen, denn zweifellos hätten die Seckeldeks schon wenig später ein Energiegewitter entfacht, das den Untergang der SOL bedeutet hätte. Nun befanden sich Oggar, Sternfeuer und Carch wieder in dem Androidenkörper. Mit dem Untergang der Seckeldeks in der Sonne Quasi-Auxonia war auch das Hypno-Bewußtsein ausgelöscht worden. Insider berichtete mir, daß auch er ständig in dem Bann der fremden Macht gewesen sei. Selbst der große Mnemodukt I des HORTS hatte das Hypno-Bewußtsein beherrscht. »Es hat mir gerade soviel Spielraum gelassen«, erklärte Ogger, »daß ich mich nicht verdächtig machen konnte. So entsprechen die Angaben, die ich über den tatsächlichen Zeitpunkt gemacht habe, vollkommen der Wahrheit. Natürlich ist dies hier nicht das Heimatsystem meines Volkes. Ihr könnt die Daten natürlich jetzt
bekommen. Leider ist es mir nicht gelungen, euch auf die falschen Daten aufmerksam zu machen, denn ich habe euch als Namen für diesen Stern Auxonia genannt. In Wirklichkeit heißt die Sonne von Vasterstat aber Auxon.« »Du hast dich genügend verdächtig gemacht«, antwortete ich. »Aber das ging eher auf das Konto des Seckeldek-Bewußtsein, das absolut nicht nach Hunkel wollte. Und durch Keversin ahnten wir allmählich ja auch, daß sich hinter seiner visionären Banane nur Cpt'Carch verbergen konnte.« »Ich habe tatsächlich vor«, ergänzte Oggar, »nach Vasterstat zu fliegen und mich um eventuelle Nachkommen der versprengten Pers-Oggaren zu kümmern. Ich weiß ja nicht, wann der Kontakter sich meldet, der uns einen Hinweis über den Ort geben soll, wo Hidden-X oder das Flekto-Yn stehen sollen. Welche Pläne habt ihr für die nahe Zukunft?« »Hidden-X zu finden und auszuschalten«, antwortete ich allgemein. »Ich weiß, daß das nicht einfach sein wird, aber solange dieses grausame Wesen noch existiert, wird hier kein Friede herrschen.« Wir saßen noch eine Weile zusammen und sprachen über die Ereignisse, als Insider mit einer Überraschung herausrückte. Der Extra hatte die ganze Zeit über eine kleine Kiste auf seinem Schoß gehalten, die er jetzt öffnete. »Das Logbuch der SOL!« staunte Hayes, und ich war auch verwundert. »Wir haben es Hapeldan abgejagt«, erklärte Insider. »Der Dieb von damals muß er oder ein anderer Diener von Hidden-X gewesen sein. Ich gebe es dem rechtmäßigen Besitzer zurück.« Der High Sideryt nahm das Logbuch an sich und verstaute es sorgfältig in einem Schrank. »Auch das wäre also geklärt«, meinte er lächelnd zu mir. »Was uns jetzt noch fehlt, ist ein konkretes Ziel. Pers-Mohandot kennen wir wenig. Ob es sinnvoll ist, hier nach weiteren Spuren des Hidden-
X zu suchen, vermag ich nicht zu entscheiden.« »Nach dem verpatzten Urlaub auf der Landschaft im Nichts könnt ihr euch doch etwas Erholung gönnen«, sagte Oggar freundlich. »Vasterstat oder ein anderer Planet in der Nähe bieten sich …« Er brach plötzlich ab und starrte mich durchdringend an. »Was ist los?« Ich sprang auf. Federspiel, der sich während unserer Unterhaltung lautlos mit seiner Zwillingsschwester in einem telepathischen Gedankenaustausch befunden hatte, zuckte zusammen. »Der Impuls des Kontakters«, erklärte Oggar endlich. »Er traf soeben ein. Das Mnemodukt II hat berechnet, daß der Ort, an dem der Impuls entstand, 36,7 Millionen Lichtjahre von hier entfernt ist. Nun habt ihr euer Ziel.« Die Daten wurden an SENECA übergeben. »Eine Raumzone«, kommentierte die Biopositronik, »in der die SOL noch nie war und über die nichts bekannt ist.« »36,7 Millionen Lichtjahre.« Ich erschauderte. »Wenn dort wirklich Hidden-X ist, dann ist sein Machtbereich noch größer, als wir gedacht haben.«
ENDE
Der Impuls des Kontakters ist eingetroffen. Er zeigt der SOL das neue Flugziel an, wo man Hidden-X endgültig zu stellen hofft. Doch alles kommt anders als erwartet. Man trifft auf FEINDE DER SOL … FEINDE DER SOL – so heißt auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes. Verfasser des Romans ist Falk-Ingo Klee.